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Full text of "Berliner Klinische Wochenschrift 1918 55 Teil 1"

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BERLINER 


KLINISCHE WXIHENSCHRIFT. 

Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redigiert 

von 

Prof. Dr. C. Posner, und Prof. Dr. Hans Kolm, 

Geh. Med.-Rat, Berlin. Berlin. 


FÜNFUNDFÜNFZIGSTER JAHRGANG. 

I. HALBJAHR. 


BERLIN 191S. 

Verlag von August Hirschwald. 

NW. Unter den Linden 68. 






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Inhalt. 


Das alphabetische Namen- und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs. 


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I. Originalartikel. 

Ahlen i. Westfalen. 

1. F. Hercher: Die Behandlung der Lymphdrüscntuberkulose. Rönt¬ 
genbehandlung, Behandlung mit Injektionen von Phenolkampfcr 
und Punktionen 1091. 

Ahrweiler. 

2. H. F. Stelzner: Zur Kenntnis der Gift- und Nutzpilze 978. 

Augsburg. 

vStädtisches Krankenhaus. 

3. F. Port: Ueber diphthcricähnliche Bazillen' im Auswurf 262. 

Basel. 

Pathologisch-anatomisches Institut der Universität. 

4. A. Glaus: Ueber primäre Enteritis phlegmonosa staphylocoecica ilei 
474. 

Berlin. 

Charitö, I. medizinische Klinik der Universität. 

5. H. Zondek: Die gehäuft auftretende periodische Poly- und Pola- 
kiurie 502. 

Charite, II. medizinische Klinik. 

6. E. Blumenfeldt: Zur Frage der Funktionsprüfung der Milz beim 
Menschen 921. 

7. Th. Brugsch: Konstitution und Infektion 517. 

8. J. Citron: Das klinische Bild der spanischen Grippe 777, 1021. 

9. F. Kraus: Berechtigte Indikationen der inneren Medizin für den 
künstlichen Abortus 7. 

10. F. Kraus: Lymphogranulomatose 705. 

Charite, Chirurgische Klinik der Universität. 

11. F. Breslauer: Die Pathogenese der trophischen Gcwebsschäden 
nach der Nervenverletzung 1073. 

Charitö, Chirurgische Poliklinik der Universität. 

12. G. Axhausen: Ueber die Aussichten der Appendix-Überpflanzung 
bei der Hypospadieoperation 1065. 

Charite, Kinderklinik der Universität. 

13. A. Czerny: Inwieweit lässt sich die Prognose zerebraler Anoma¬ 
lien bei Kindern beurteilen? 561. 

14. H. Kleinschmidt: Ein Beitrag zum Spasmophilieproblcm 1017. 

Charite, Klinik für psychiatrische und Nervenkrankheiten der Universität. 

15. K. Bonhoeffer: Die Indikationen zur ärztliohen Unterbrechung 
der Schwangerschaft bei psychischen und nervösen Störungen 12. 

Chirurgische Klinik der Universität. 

16. A. Bier: Ueber die Behandlung der sogenannten „chirurgischen* 
Tuberkulose in eigenen Anstalten und Krankenhausabteilungen 730. 


Klinik für Orthopädie der Universität. 

19. H. Debrunner: Zur Iüumpfussbehandlung bei Säuglingen 592. 

20. H. Gocht: Zur Technik der unblutigen Reposition der angeborenen 
Hüftverrenkung 1078. 

Poliklinisches Institut für innere Medizin der Universität. 

21. A. Goldscheider: Ueber die krankhafte Ueberempfindlichkeit 514. 

Pathologisches Institut der Universität. 

22. 0. Lübarsch: Thrombose und Infektion 225. 

23. 0. Lu bar sch: Ueber Lyraphogranulom? tose 708. 

24. J. Orth: Ueber einige Tuberkulosefragen 76. 

Physiologisches Institut der Universität. 

25. M. Rubner: Ueber die Verdaulichkc'.tsverhältnisse unserer Nahrungs¬ 
mittel 1113. 

Unterrichtsanstalt der Staatsarzneikunde der Universität. 

26. L. Bürger: Tödliche Vergiftung nach Behandlung der kindlichen 
Krätze mit ß-Naphthol neb.'.t Ausführungen über das Wesen der 
Naphthol Vergiftung 1025. 

Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch-. 

27. II. Landau: Versuche über die Desinfektionswirkung von Sublimat, 
Jodtinktur und Providoformtinktur auf der menschlichen Haut 670. 

Städtisches Medizinalamt. 

28. W. Loewenthal: Bakteriologische Untersuchungen bei der dies¬ 
jährigen Grippe-Epidemie 1171. 

29. W. Loewenthal: Zur Verbreitungsweise der übertragbaren Darm¬ 
krankheiten 1211». 

30. E. Seligmann- Bericht über die Tätigkeit der Fürsorgeschwestern 
des Medizinalantes der Stadt Berlin im Jahre 1918 598. 

31. E. Seligmam.: Epidemiologie der Cholerafälle 1917 1161. 

Städtisches Krankenhaus Moabit. 

32. G. Klomp er er: Yoghurtkuren bei Diabetes 523. 

33. G. Klemperer: Uebergänge zwischen Nervosität und Arterio¬ 
sklerose 732. 

34. R. Mühsam: Ueber Ersatz des Daumens durch die grosse Zehe 1045. 

35. R. Mühsam: Ueber die operative Behandlung der Meningitis serosa 
traumatca 1084. 

Städtisches Rudolf Virchow-Krankenhau9. 

36. M. Porchardt: Die Vorbereitung der Aniputationsstümpfe zur 
willaürlichen Bewegung der Arraprothesen 1068. 

37. 0. Fehr: Die Tabaksamblyopie in der Kriegszeit 854. 

38. C. Hirsch mann: Die operative Behandlung der lippenförmigen 
Harnröhrenfisteln und einer Schusshypospadie 811. 

39. L. Kuttner: Ueber Arsenintoxikationen 734. 

40. M. Levy-Dorn: Beitrag zu den für die Uöntgendiagnosc wichtigen 
Weichteil Verknöcherungen 829. 

Städtisches Krankenhaus am Urban. 

41. A. Brentano: Gasphlegmone nach Herniotomie 1072. 


Chirurgische Klinik der Universität und Augenklinik der Universität. 

17. J. F. S. Esser: Säuberung und Verheilung stationärer Knochen¬ 
geschwüre durch Deckung mit gestielten Lappen 31. 

Frauenklinik der Universität. 

18. E. B u m m: Zur Frage der Schwangerschaftsunterbrechung durch 

den Arzt 4. 


Grossen Friedrichs-Waisenhaus der Stadt Berlin in llummelsburg. 

42. E. Müller: Ueber ein häufigeres Auftreten von Skorbut bei Kindern 
1024. 

Kaiser und Kaiserin Friedrich-Kinderkrankenhaus. 

43. Th. Gluck: Die Verwendung der äusseren Haut für die plastische 
Chirurgie 1075. 


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amen- und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Augusta-Hospital. 

44. F. Krause: Ungewöhnlich schwere Herzverdrängung nach Lungen¬ 
schuss 1233. 

Israelitisches Krankenhaus. 

45. K. Abel: Die Fortschritte der Nierenchirurgie in ihren Beziehungen 
zur Gynäkologie und Geburtshilfe 110. 

46. F. Karewski: Ueber Gesichtsplastiken bei Kriegsverletzten 102. 

47. P. Rosenstein: Die Aktinomykose der menschlichen Harnorgane 
114. 

48. P. Rosenstein. Die unblutige Bekämpfung eitriger Prozesse durch 
Morgenroth’sche Chininderivate (Eukupin und Vuzin) 158. 

49. H. Strauss: Ueber Kongestivschmerz und Kongestivblutung der 
Nieren 97. 

Berlin-Charlottenbnrg. 

Städtisches Untersuchungsamt. 

50. M. Löhlein: Follikuläre Ruhr und Colitis cystica 784. 
Krankenhaus Westend. 

51. W. Schultz: Ueber orthostatische Purpura 208. 

Berlin-Neukölln. 

Städtisches Krankenhaus. 

52. R. Ehrmann: Zur Entstehung des Magen- und Zwölffingerdarm- 
• geschwürs 737. 

53. J. Schlomer: Uebet Mageninsuffizienz bei Botulismus 380. 

54. J. Zadek: Erytbromelalgie bei Polycythaemia vera 1193. 

Berlin-Schöneberg. 

Auguste Viktoria-Krankenhaus. 

55. W. Kausch: Die Aufklappung des infizierten Kniegelenks 1082. 

56. W. Kausch: Die keilförmige Osteotomie am Schenkelhälse 1170. 

Berlin-Tempelhof. 

Reservelazarett II. 

57. J. Heller: Schwere Arsenmelanose und Hyperkeratosc nach Neosal- 
varsaneinspritzungen 1093. 

Militärlazarette. 

Reservelazarett Krankenhaus Hasenheide. 

58. 0. Heineman: Beitrag zur operativen Behandlung der tuberkulösen 
Peritonitis 140. 

Barackenlazarett auf dem Tempelhofer Feld. 

59. M. Zondek: Lungenresektion 332. 

Reserve-Lazarett Kaserne Eisenbahnregiment Nr. 1. 

60. H. E. Schmidt: Ueber Diathormiebehandlung der Gonorrhoe und 
anderer Erkrankungen 184. 

Priyatanstalten. 

Privatpoliklinik für gerichtliche und versicherungsrechtlichc Medizin von 
Privatdozent Kgl. Hofarzt Dr. Leopold Bürger. 

61. L. Bürger: Ueber Botulismus 876. 

Chirurgische Privatklinik von Geh. Sanitätsrat Professor Dr. Holländer. 

62. E. Holländer: Familiäre Fingermissbildung (Brachydaktylie und 
Hyperphalangie) 472. 

63. E. Holländer: Bemerkungen zu der Mitteilung von Dr. Weder- 
hake über die Verwendung des menschlichen Fettes in der Chirurgie. 
213. 

Röntgenlaboratorium von Dr. Immelmann. 

64. M.Immelmann: Röntgenologische Erfahrungen mit Fricdmann's 
Mittel gegen Tuberkulose 783. 

Privatheilanstalt Yon L. und Th. Landau. 

65. Th. Landau: Die Grenzen der operativen Gynäkologie 658. 

66. M. Weinreb: Ein Beitrag zur Therapie der Ureterenverletzungen 
bei Laparatomien 669. 

Privatkrankenanstalt von Dr. Schönstadt. 

67. A. Schönstadt: Die operative Verengerung der Nasenhöhle 688. 

Radium-Institut. 

68. A. Sticker: Weitere Erfahrungen in der Radiumbestrahlung des 
Mundhöhlenkrebses 713. 

Privatkrankenhaus Wilmersdorf. 

69. A. von Rothe: Die Kinematographie als chirurgisches Lehrmittel 
834. 

Ferner: 

70. A. Albu: Zur Diagnostik der Pankreaszysten 307. 

71. A. Alexander: Das Auftreten äusserer heterosexueller Geschlechts¬ 
merkmale bei Hypogenitalismus 948. 


72. E. Aron: Bedürfen wegen Magen- und Duodenalgeschwür Operierte 
der Nachbehandlung? 108. 

73. Th. Benda: Zur Aetiologie der isolierten Neuralgie des Nervus 
tibialis 858. 

74. S. Bergei: FibriD, ein Schutz- und Heilmittel des erkrankten 
Organismus 825. 

75. J. Boas: Ueber den spektroskopischen Blutnachweis in den Fäccs 
und im Mageninhalt 609. 

76. C. Bruhns*. Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten. Aerztliches Referat 324. * 

77. G. Bucky: Ueber Diathermiebehandlung (Erwiderung auf den 
Artikel von H. E. Schmidt) 550. 

78. L. Casper: Die Zystoskopie bei peri- und paravesikulären Er¬ 
krankungen 495. 

79. E. Falk: Intrauterine Belastung und angeborene Wirbelsäulenver¬ 
krümmungen 664. 

80. A. Freudenberg: Zur Frage der Divergenz der Wassermann- 
Resultate. Eine Erwiderung auf H. May er’s Erwiderung in dieser 
Wochenschrift 1918 Nr. 4 620. 

81. M. Halle: Intranasale Tränensackoperation bei einem Säugling 
von 3 1 / 2 Monaten zur Entfernung einer hineingeglittenen Dauer¬ 
sonde 256. 

82. M. Halle: Zu den Bemerkungen von Dr. West in Nr. 19 zn meiner 
Arbeit über Tränensackoperationen in Nr. 11 dieser Wochenschrift 
550. 

83. C. Hamburger: Vorschläge zur hygienischen Verwertung der 
grossstädtischen Freiflächen im Interesse namentlich der Kinder, 
erläutert an dem Beispiel Gross-Berlins 618. 

84. C. Hart: Neotenie und Infantilismus 612. 

85. C. Hart: Konstitution und Disposition 873. 

86. J. Hirschberg: A. Cornolius Celsus 859. 

87. F. Hirschfeld: Die Wiederherstellung der geschädigten Nieren¬ 
funktionen bei chronischen Nephritiden 498. 

88. H. Hirschfeld: Farbträger nach von Blücher, eine praktische 
Vereinfachung der mikroskopischen Färbetechnik 477. 

89. W. Hirsch 1 aff: Gibt es eine Fliegerkrankheit? 350. 

90. W f His: Friedrich Kraus zum Gruss 513. 

91. J. Israel: Diagnose und Operation einer überzähligen pyoneph- 
rotischen Niere 1081. 

92. G. Jürgens: Das Rückfallfieber 441. 

93. W. Kahl: Die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft 1. 

94. W. Kahl: Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten. Juristisches Referat 321. 

95. A. Köhler: Beitrag zur (feschichte des Militärsanitätswesens und 
der Kriegsseuchen zur Zeit] des dreissigjährigen Krieges 1082. 

96. HansKohn: Die Charcot- Zenker-Neumann- Leydenschen 

Kristalle 402. ’ 

97. HansKohn: Zur Frage 4er extrakardialen Blutbewegung 740. 

98. F. Kraus: A. Goldscheider zum 60. Geburtstag 729. 

99. K. Kroner: Ueber influenzaähnliche Erkrankungen 639. 

100. J. Landsberger: Zur Wohnungsfrage 832. 

101. F. Lehmann: Der „Sanabo“-Scheidenspüler. 1223. 

102. A. Lewandowski: „Nurso“, ein neues Heil- und Kräftigungsmittel 
für Darmkranke an Stelle von „Eichelkakao“ 1003. 

103. A. Magnus-Levy: Die Choleraepidemie des Herbstes 1918 in 
Berlin 1163. 

104. F. M. Meyer: Die Behandlung von Hautkrankheiten mit Terpentin¬ 
öl (nach Klingmüller) 880. 

105. F. M. Meyer: Die Röntgenbehandlung der Hyperhidrosis localis 
mit harten Strahlen 1237. 

106. W. Nagel: Laparatomie während der Schwangerschaft. Vier Fälle 
von Exstirpation von Geschwülsten ohne Störung der Schwanger¬ 
schaft 129. 

107. H. Oppenheim: Zur Kenntnis der Polyneuritis 732. 

108. J. Orth: Ueber Colitis cystica und ihre Beziehungen zur Ruhr 681. 

109. F. Peltesohn: Ueber Otosklerose 252. 

110. L. Pick: Leopold Landau zum 70jährigen Geburtstag 657. 

111. L. Pick: Ueber die pathologische Anatomie des Paratyphus ab¬ 
dominalis 673, 692. 

112. M. Piorkowski: „Tetosol' 4 (ein wasserlösliches Kresolpräparat) 881. 

113. C. Posner: Zylinder und Zylindroide 759. 

114. A. Rehfisch: Zur Aetiologie der Vergrösserung der rechten Herz¬ 
kammer im besonderen bei gestörter Nasenatmung 563. 

115. L. Riess: Bemerkungen zur Bestimmung der Lebergrösse durch 
Perkussion und Palpation 504. 

116. A. Rothsohild: Ueber zwei Fälle ungewöhnlicher zystischer Ge¬ 
schwülste der Harnblase, ihre Operation und Heilung 856. 

117. J. Schereschewsky: Massenkulturen auf festen Nährboden 
(Apparat zur Bereitung von Schutzimpfstoffen) 972. 

118. E. Schlesinger: Beobachtung eines schweren Kolospasmus und 
eines Vorstadiums im Röntgenbilde während einer enteralen 
tabischen Krise 878. 

119. J. Schütze: Ein neues radiologisches Ulkussymptom bei Magen¬ 
untersuchungen 1047. 

120. L. Seyberth: Ueber Nervenoperationen und ihre Enderfolge 996. 

121. J. J. Stutzin: Der Spannungsabdomen als Folge der Myasthenie 
der Bauchwand 398. 

122. E. Tobias und K. Kroner: Zur Frage der Kokainidiosynkrasie 162. 


Das alphabetische Namen- und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHIRFT. 


V 


123. E. Tobias: Uber Diathermie und die Grenzen ihrer Wirksamkeit 
806. 

124. A. Wolff: Ueber eine neue Erscheinnng beim Schlucken 422. 

125. M. Zondek: Zur Chirurgie des chronischen Ulcus ventriculi. 
(Gastroenterostomie oder Resektion?) 1123. 

126. N. Zuntz: Bilanzbestimmung des tierischen Stoffwechsels mit Hilfe 
der kalorimetrischen Bombe 393. 

Bonn. 

127. Gräfin von Linden: Erfüllt das Kupfer die Forderungen eines spe¬ 
zifisch wirkenden chemotherapeutischen Heilmittels gegen Tuber¬ 
kulose? 298. 

Brandenburg a. H. 

Reservelazarett. 

128. L. Michaelis: Die Anreicherung von Typhusbazillen durch elek- 
tive Adsorption 710. 

Breslan. 

Chirurgische Klinik der Universität. 

129. H. Coenen: Zur Frage der Dupuytren‘sehen Fingerkontraktur 
nach Verletzung des Ellen-Nerven 419. 

130. H. Küttner: Ueber häufigeres Vorkommen schwerer Speiseröhren¬ 
verätzungen während der Kriegszeit 1089. 

131. E. Melchior: Zur Frage der Kälteempfindung des Magens 951. 

Frauenklinik der Universität. 

132. W. Hannes: Wiederholte familiäre Hydrozephalie; zugleich ein 
Beitrag zur Frage der Geschlechtsbestimmung 201. 

133. F. Hei mann: Uteruskarzinom und Streptokokken 183. 

Klinik für Hautkrankheiten der Universität. 

134. Jadassohn: Ueber die Trichophytien. (Allgemein-Pathologisches 
, und Klinisches.) 489. 

135. E. Kuznitzky und F. Schaeter: Die Röntgenbehandlung ober¬ 
flächlicher Dermatosen mit dem 0,5 mm Aluminiumfilter 927. 

Kinderklinik der Universität. • 

136. H. Aron: Ueber akzessorische Nährstoffe und ihre Bedeutung für 
die Ernährung des Kindes 546. 

Medizinische Klinik der Universität. 

137. J. Sevexin: Klinische Erfahrungen mit Tetrahydroatopban 830. 

Pathologisches Institut der Universität. 

138. R. Hansen Nieren- und Herzgeschwülste bei tuberöser Hirn¬ 
sklerose 278. 

Psychiatrische und Nervenklinik der Universität. 

139. 0. Bumke: Suggestibilität,, psychogene Reaktion und hysterischer 
Charakter 1185. 

Allerheiligen-Hospital. 

140. Rother: Ein Fall primärer Magentuberkulose 1049. 

Festungslazarett. 

141. K. Barthel: Steckschuss in der Lunge, Geschoss ausgehustet 423. 

142. J. Bleiseh: Zur Optochinamblyopie und Optochintherapie 447. 

143. E. Wertheim: Ueber militärärztliche Gehörprüfung 260. 

144. F. Chotzen: Ueber Vorkommen und Bedeutung der Scapula sca- 
phoidea 949. 

Ferner: 

145. M.Chotzen: Die zukünftige Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 

32. 

146. C. S. Freund: Ueber die tuberöse Hirnskleroso und über ihre Be¬ 
ziehungen zu Hautnaevi 274. 

147. M. Gerson: Zur Aetiologie der Addison’schen Krankheit und der 
Sklerodermie 1211. 

148. K. Partsch: Ueber Knochenpflanzung 465. 

149. G. Rosenfeld: Die äusseren Symptome des Diabetes 494. 

150. G. Rosenfeld: Kriegskost und Körperkraft 1142. 

151. C. Thomalla: Ein medizinisches Filmarchiv 1052. 

Bndakeszl. 

Königin Elisabeth-Heilstätte für unbemittelte Lungenkranke. 

152. J. Hallo und E. Hallo-Weil: Experimentelle Analyse der sub¬ 
febrilen Temperaturen und ihre Ergebnisse 640. 

Budapest. 

U. chirurgische Klinik der Universität. 

153. Z. Takäcs: Ueber den Ersatz des Schädelknochens 424. 

111. medizinische Klinik der Universität. 

154. N. Roth: Blutzuckeruntersuchungen bei Diabetes mellitus 589. 


Augenklinik Nr. I der Universität. 

155. A. Rados: Ueber Retractio bulbi congenita 1096. 

Hygienisches Institut der Universität. 

156. L. von Liebermann und D. Acel: Immunisierung gegen Typhus 
nach Art der Vakzination gegen Pocken 450. 

Cdli. 

Festungslazarettabteilung XV. 

157. 0. Zimmermann: Uober Ruhrbehandlung mittels Toxinausflockung 
1123. 

Cöln-Lindentbal. 

Provinzial-Frauenklinik. 

158. ß. Bauch: Zur Frage der Ausbildung der Säuglingspflegerin und 
der Reform des Hebammenwesens 408. 

Cottbus. 

Neues städtisches Krankenhaus. 

159. W. Kühne: Therapeutische Erfahrungen mit demFriedmänn'sehen 
Tuberkuloseheilmittel 154. 

Dauig. 

Privatfrauenklinik von Dr. II. Fuchs: 

160. II. Fuchs: Bekämpfung der Koli-Bakteriämie und anderer septischer 
Allgemeininfektion durch Methylenblausilber (Argochrom) 1215. 

Dreadon-Johannstadt. 

Stadtkrankenhaus. 

161. R. Lampe: Zur Kenntnis der Ruhrepidemie in Dresden im Sommer 

, 1917 395. 

Dresden. 

162. G. Kelling: Ueber die Titration der freien Salzsäure im Magen¬ 
inhalt unter Zurückdrängung der Dissoziation organischer Säuren 
mittels Alkoholzusatzes 334. 

Düsseldorf. 

163. E. Baucke: Ueber eigenartige Oedembildung und Bradykardie 1238. 

164. J. Peretti: Ueber den Rückgang der Alkoholistenaufnahmen in 
den Anstalten seit dem Kriegsbeginn 211. 

Elberfeld. 

Städtische Krankenanstalten. 

165. K. W. Eunike: Ueber Pankreasfistel nach Duodenalresektion. 
Spontan Verschluss derselben 421. 

Ferner: 

166. Neu mann: Die Entwicklung der heutigen Kriegsbeschädigten¬ 
fürsorge 177. 

167. Neumann: Der Ausbau der Heilfürsorge für Kriegsbeschädigte 689. 

168. Neu mann: Weitere Bemerkungen zur Beurteilung der Dienst- 
fäbigkeit 1098. 

169. Neu mann: Die ärztliche Tätigkeit bei den Ftirsorgestellen für 
Kriegsbeschädigte 1201. 

Frankfurt a. I. 

Dermatologische Klinik der Universität. 

170. K. Herxheimer und E. Nathan: Ueber Glycinal, ein neues 
Glycerinersatzmittel 1051. 

171. Th. Sachs: Zur Trockenbehandlung der Trichophytia profunda 
mit der fettlosen Salbe Lotional 761. 

Hygienisches Institut der Universität. 

172. H. Braun: Das Wesen der Weil -Fel ix’schen Reaktion auf Fleck¬ 
fieber 637. 

Klinik und Poliklinik für Nasen- und Halskranke der Universität. 

173. W. Pfeiffer: Zur Behandlung von Diphtheriekeimträgern mit 
Morgenroth’s Chinaalkaloiden 945. 

Hospital zum Heiligen Geist. 

174. F. M. Groedel: Die Dimensionen, des normalen Aorlen-Ortho- 
diagramms 327. 

Ferner: 

175. A. Feldt: Die spezifische Behandlung ansteckender Krankheiten, 
insbesondere der Tuberkulose 229. 

176. P. Mindack: Ueber Azetoform 763. 

Freiburg t. Br. 

Medizinische Poliklinik der Universität. \ 

177. M. de la Camp: Beitrag zu konstitutionellen Mittelwerten 515. 

Böttingen. 

Kinderklinik der Universität. 

178. W. Angenete: Ein Fall von vorübergehender Blausucht ohne Uerz- 
klappenfehler 925. 


Das alphabetische Namen- und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





VI 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Medizinische Klinik der Universität. 

179. C. und M. Oehme: Notiz zur N-Bestimmung im Harn nach 
Kjeldahi 401. 

Halle a. S. 

Medizinische Poliklinik der Universität. 

180. L. Mohr: Klinische Beiträge zum Status thymico-lyinphatieus 519. 

Hamburg. 

Allgemeines Krankenhaus Barinbeck. 

181. Tb. Fahr: Zur Frage der Nephrose 993. 

Eppendorfer Krankenhaus. 

182. H. Brütt: Ueber Stumpfbehandlung und Stumpfkorrekturen 469. 

183. E. Fraenkel und H. Mu ih: Ueber Lymphogranulomatose 971. 

184. M. Scholz: Die Formen der durch Tuberkelbazillen verursachten 
Sepsis: Sepsis tuberculo; a acutissima (Typhobazillose Landouzy) 
und Miliartuberkulose 1146. 

Allgemeines Krankenhaus St. Georg. 

185. A. Bornstein: Die Abfturzerkrankung der Taucher 1198. 

Allgemeines Krankenhans St. Georg und Staatsirrenanstalt Friedrichsberg. 

186. E. Jacobsthal und V. Kafka: Eine Methode der Untersuchung 
der Rückenmarksflüssigkeit mit kolloidalen Mastixlösungcn 249. 

Fernen 

187. S. Korach: Krieg uni Magendarmstörungen 181. 

188. R. E. May: Einwände gegen Verminderung des Schweinebestandes 
36, 52. 

lactbaberg b. Alleasteia. 

Workstättenlazarett 

189. A.Horwitz: Ueber die Behandlung von Amputations.stiimpfen 445. 

Ingolstadt 

Iteservelazarctt II. 

190. H. Neuhäuser: Die Wundbehandlung mit dem Katgutnctz 667. 

191. H. Neuhäuser: Zwei Methoden der Hautplastik 1234. 

Karlsruhe. 

192. E. Riese: Behandlung der bösartigen Grippe 1044. 

Kiel. 

Medizinische Klinik der Universität. 

193. W. Frey: Ueber Vorhofflimmern beim Menschen und seine Be¬ 
seitigung durch Chinidin 417, 450. 

194. W. Frev: Weitere Erfahrungen mit Chinidin bei absoluter Herz- 
unregelmässigkeit 849. 

195. A. Schittenhc lra und H. Schlecht: lieber Oedemkrankheit mit 
hypotonischer Bradykardie 1138. 

Psychiatrische Klinik der Universität. 

196. E. Sicmerling: Spirochäten im Gehirn eines Falles von multipler 
Sklerose 273. 

Kiew. 

197. P. Babitzki: Zur {frage der Faszientransplantation bei .Mastdarm¬ 
vorfall 906. 

Kbaigstorg. 

Medizinische Klinik der Universität und ein Feldlazarett. 

198. L. Borchardt: Ueber Hypogenitalismus und seine Abgrenzung 
vom Infantilismus 348. 

Pathologisches Institut der Universität. 

199. E. Christeller: Die Bedeutung der Photographie für den patho¬ 
logisch-anatomischen Unterricht und die pathologisch-anatomische 
Forschung 399. 

200. Th. Cohn: lieber Syphilis der Prostata 1200. 

Kt latanttnopol. 

Deutsches Rjtes-Kreuz-Lazareti. 

201. A. Kreuscher: Gibt es ausser don Wei 1-Felix sehen Proteus- 
Stämmen andere durch Fleckfieberblut spezifisch agglutinable Bak¬ 
terien? 374. 

202. P. Neukirch: Ueber Versuche prophylaktischer Impfung gegen 
Fleckfieber 376. 

203. P. Heukirch: Sind Darm fl agel laten harmlose Schmarotzer? 377. 

Kriatiaaia. 

Pathologisches Institut der Universität. 

204. A. Besehe: Konstitutionelle L'eberempfindlichkeit und Asthma 
l ironcbiale 902. 


Leiden. 

Pharmako therapeutisches Laboratorium der Universität. 

205. J. R. F. Rassers: Der Nachweis okkulter Blutungen des Digestions¬ 
kanals 646, 

Leipsig. 

Poliklinik für orthopädische Chirurgie der Universität und Heim für ge¬ 
brechliche Kinder. 

206. H. A. T. Kölliker: Erfahrungen mit der Tuberkuloseimpfung nach 
Fried mann 153. 

Hygienisches Institut der Universität. 

207. W. Kruse: Erfahrungen über die Friedman n'sehc Schutzimpfung 
von Säuglingen gegen Tuberkulose 969. 

Liban. 

Stadtkrankenhaas. 

208. H. Siebert: Zur Frage der Linkshändigkeit 1220 

Lins. a. D. 

Allgemeines Krankenhaus. 

209. E. Lindnert und W. v. Moraczewski: Ueber den Einfluss von 
intravenösen Zuckerinjektionen auf die Milehsäureausscheidung und 
auf das Blut 1097. 

Laad. 

Medizinische Klinik der Universität. 

210. K. Petrds: Ein Fall von syphilitischer Affektion im Musculus 
biceps 617. 

Iagdebnrg. 

211. Aufrecht: Zur Behandlung des Keuchhustens 82. 

Iarbnrg. 

Medizinische Klinik der Universität. 

212. G. von Bergmann: Zur Pathogenese des chronischen Ulcus p<*p- 
ticum 524, 537. 

‘ Hanoll i. Bades. 

Lungenheilstätte Luisenheim. 

213. K. T. Curschmann: Zur Tuberkulosebehandlung mit Nastin- 
Chinolinphosphat 354. 

Hots. 

Kriogsprosektur der Festung. 

214. K. Löwenthal: Das Krankheitsbild der Nebennierenapoplexie 1126. 

■ttblhaasen i. Bla. 

215. E. Meyor: Der Plikawulst, ein Prodromal symptom der Masern 402. 

Master i.W. 

216. J. Arneth: Ueber periodisches Fieber 1209. 

laabeiai. 

Grossherzogliches balneologisches Institut. 

217. A. Weber: lieber den Vencnpuls 585. 

Kflraberg. 

218. F. Quetsch: Greifklauenbildung bei ausgedehntem Fingerverlust 
785. 

Poaea. 

Pathologisches Institut. 

219. K. Rochs: Ueber eine Pankre^serkraukung (mit Tod im Coma diabc- 
ticum) als Folge einer Gra uatsplitterverletzung der Gegend des 
Pankrcasschwauzes 907. 

Städtisches Krankenhaus. 

220. C. Kitter: Zur Behandlung eitriger Gelenkergüsse 203. 

221. C. Ritter: Die Bildu jg eines Greiforgans der Hand beim Verlust 
der Finger 1047. 

Ferner: 

222. C. von Dzi cmbov. ski: Die Pathogenese und Actiologie des Asthma 
bronchiale 903. 

Prags bei Warscbaa. 

Krankenhaus St. Adalbert für Infektionskrankheiten. 

223. K. von Ziel’nski: Ein neues therapeutisches Vorgehen beim Fleck- 
lieber 233. 

Hos'oek. 

Medizinische Klinik der Universität. 

224. A. Hr.mann: Ist zu Magensekretionsuntersuchungen auf Atropin- 
und Pilokarpinwirkung die Magenverweilsondc zu benutzen? 1173. 


Das alphabetische Namen - und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs. 


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UNIVERS1TY OF IOWA 







BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Vli 


Bttterdimn. 

225. D. Klinkert: Eosinophilie, Anaphylaxie und Nervensystem 48. 

Stettiii. 

Städtisches Krankenhaus. 

226. 0. Meyer und G. Bernhardt: Zur Pathologie der Grippe von 1918 
778. 814. 

227. 0. Meyer: Zur Kenntnis der juvenilen Sklerose 1191. 

Ferner: 

228. E. Neisser: Ueber Strychninbehandlung 45. 

Stoekhelm. 

Karolinska Institute! 

229. H. Marcus: Die Influenzaepidemie und das Nervensystem 1151. 
Ferner: 

230. G. Uddgren: Milchinjektionen und Wassermann’sche Reaktion 
354. 

Strassbnrg i. E. 

Frauenklinik der Universität. 

231. H. Fehling: Die Frage des künstlichen Aborts vor der Berliner 
•Medizinischen Gesellschaft 381. 

Ferner: 

232. W. Arnoldi: Der RN-Gehalt des Blutes bei Sekretionsneurosen 
des Magens 1200. 

Stattf art - Gaustatt. 

Städtisches Krankenhaus. 

233. H. Zeller: Zur Kenntnis dor Polycythaemia rubra 1218. 

Tübingen. 

Frauenklinik der Universität. 

234. G. Mönch: Ein Fall von drittem Ovarium 857. 

Pathologisches Institut der Universität. 

235. J. W. Miller: Ueber die pathologische Anatomie der Knollen¬ 
blätterschwammvergiftung 1164. 

Uektsprinfe. 

236. J. Hoppe: Zuckerkrankheit und Bandwurm 592. 

Ueakttk. 

Kriegslazarett 54 B. 

237. H. Wörner: Spondylitis deformans bei Paratyphus A. 1222. 

Win. 

Allgemeines Krankenhaus. 

238. J. Freud: Zur Röntgenuntersuchung des Ulcus pepticum jejuni 
nach Gastro-Enterostomie. Magen-Jejunutn-Kolon-Fistel auf Ulkus¬ 
basis 1021. 

239. G. Holzknecht: Röntgen Operation 297. 

240. G. Holzknecht: Die Therapie der Röntgenhände 1172. 

Ferner: 

241. K. F. Wenckebach: Ueber Chinin als Herzmittel 521. 

Wiesbaden. 

242. K. Touton: Ueber die willkürliche Erzeugung von Hautkrankheiten, 
besonders bei Wehrpflichtigen 869, 404. 

243. K. Touton: Die militärärztliche Saehverständigentätigkeit auf dem 
Gebiet des Ersatzwesens und der militärischen Versorgung bei Haut* 
und Geschlechtskrankheiten 801, 834 

Winterthur. 

Kantonspital. 

244. 0. Roth: Auftreten von Milchsekretion bei einem an Akromegalie 
leidenden Patienten 305. 

Isolna. 

K. u. K. Reservespital. 

245. St. Rusznyäk: Sepsisfälle, verursacht durch den anaeroben Ba¬ 
zillus von ßuday 234. 

Zftrleh. 

Medizinische Klinik und Hygiene-Institut der Universität. 

246. E. Herzfeld und R. Klinger: Zur Chemie der luetischen Serum¬ 
reaktionen 687. 

Medizinische Klinik der Universität. 

247. E. Liebmann: Zur Methodik der mikroskopischen Untersuchung 
des Auswurfs 975. 


Vom Kriegsschauplatz. 

248. A. Alexander. Facharzt für innere Krankheiten: Zur Sympto¬ 
matologie der epidemischen Grippe 909. 

249. T. Baumgaerte 1: Zur bakteriologischen Diphtheriediagnose 1214. 

250. Becker, Oberstabsarzt: Beitrag zur Behandlung von Ober- und 
Unterschenkel Schüssen 1089. 

251. H. Beitzke. Armcepathologe: Zur pathologischen Anatomie der 
Paratyphus-B-Erkrankungen 633. 

252. H. Beitzke. Armeepathologe: Zur Frage der Uebertragbarkeit des 
Gasbrandes 1143. 

253. A. B1 umenthal, Stabs- und Regimentsarzt: Kasuistische Beiträge 
zu den nervösec Störungen bei Pappatacifieber und Malaria 570. 

254. Boehncke, Stabsarzt, Hamburger, Oberarzt d. R. und Schelenz, 
Oberarzt d. K : Untersuchungen über Ruhrimpfstoffe in vivo und 
vitro 134. 

255 0. Bokehnann, Feldhilfsarzt und E. Nassau, Feldarzt: Blutbild¬ 

veränderung (Lymphozytose) beim Gesunden 353. 

256. J. Biischer, Feldhilfsarzt: Brown-Scquard’sclie Lähmung des 
Brustmarkes durch Artillerieverletzung 51 

257. H. Dorendorf, Generaloberarzt d. L. und R. Mader, Feldarzt: Zur 
Diagnose der latenten Malaria und Salvarsantherapie der Tertiana 
897. 

258. Engel, Stabsarzt d. R : Ueber intraperitoneale Schussverletzungen 
des unteren Abschnitts der Ampulla reeti 1090. 

259. J. F. S. Esser, fachärztlicher Beirat des Gardekorps: Schwerer Ver¬ 
schluss einer Brustwandperforation 1197. 

260. von Falkenhausen, Assistenzarzt: Klinische Diagnose des Para- 
tvphus B 974. 

261. E. Gast, Oberarzt d. L. und E. Zurhelle, Oberarzt d. R.: Eine 
seltene operativ entfernte Geschwulstbildung (xanthomatöses Riescn- 
zcllensarkom) am Unterschenkel einer Frau 930. 

262. B. Glaserfeld, Stabsarzt d. L.: Pferderäude beim Menschen 449. 

263. B. G1 asorfcld, Stabsarzt d. L.: Veronal, das besstc Mittel gegen 
Schweissc bei Fieberkranken 478. 

264. K. Glaesner, k. u. k. Regimentsarzt: Die Beeinflussung der Regene¬ 
ration von Knochenverletzungen durch die Thymusdrüse 1127. 

265. H. G uggen hei mer, Assistenzarzt d. L.: Wasserausscheidungs- und 
Konzentrationsvermögen im Rekonvaleszenzstadium der akuten 
Kriegsnephritis 203. 

266. Hayner, Truppenarzt: Die Stollenblase 1220. 

267. F. Johannessohn, Bataillonsarzt: Beiträge zur Wirkung des 
Chinins auf das Blut 1000. 

268. Kalle, landsturmpfl. Arzt: Beitrag zur Ruhrschutzimpfung 568. 

269. F. Karl: Erfahrungen über Gasödemerkrankungen im Felde 1194. 

270. W. Karo: Stabsarzt d. L.: Klinik der Nierenverletzungcn 82. 

271. 11. Kirchberg, Oberarzt: Die Behandlung der Febris wolhynica 
(5-Tage-Ficber) mit Kollargol 1237. 

272. C. K lieneberger, Stabsarztd.lt.: Die Weil’sche Krankheit 25. 

273. M. Krüll. Stabsarzt d. R : Die strafrechtliche Begutachtung der 
Soldaten irn Felde 571. 

274. H. Kümmel I, Generalarzt d. R.: Nierenverletzungen, chirurgische 
Nierenerkrankungen und ihre Begutachtung bei Soldaten 753, 786. 

275. W. Levin thal, Oberarzt: Neue bakteriologische und serologische 
Untersuchungsmethoden bei Influenza 7.12. 

276. Linden. Oberarzt d. R.: Ein Fünftagefieberherd in einer Panje- 
familie 425. 

277. A. Mayer, Stabsarzt: Ueber gehäuftes Auftreten von Gelenk¬ 
erkrankungen nach Colitis haemorrhagica 378. 

278. H. Mayer, Assistenzarzt d. L.: Zur Frage der Divergenz der Wasser¬ 
mann-Resultate 86. 

279. E. Mein icke, Stabsarzt: Ueber Theorie und Methodik der sero¬ 
logischen Luesdiagnostik 83. 

280. E. Melchior, Chirurg bei einem Feldlazarett: Kriegschirurgisehe 
Erfahrungen und Eindrücke bei der Sanitätskompagnie 1186. 

281. Posner, Stabsarzt und Langer, Oberarzt d. R.: Eingeklemmter 
Zwerchfellbruch nach geheiltem Brusthauchschuss 282. 

282. K. Reiser: Feldhilfsarzt: Herstellung von Schienen aus Klccht- 
werk von Efeuranken 951. 

283. C. W. Rose, landsturmpfl. Arzt: Die Influenzaepidctnie in einem 
Festungslazarett im Juni/Juli 1918 1041. 

284. F. Rosenthal: Zur Arbeit von C. Seyfarth über Erfahrungen bei 
der Behandlung der Malaria, vor allem chininresistenter Fälle in 
Nr. 23 dieser Wochenschrift 999. 

285. 0. v. Schjerning, Generalstabsarzt: Kinder- und Jugendpflege und 
ihre Bedeutung für die Volks- und Wehrkraft 73. 

286. K. E. F. Sch m i tz, Korpshygieniker: Nochmals über die Alkohol¬ 
festigkeit der Diphtherie- und Pscudodiphtheriebazillen 304. 

287. F. Schweriner: Zur Diagnose und Epidemiologie der Ruhr 236. 
j 288. G. Seefisch, Stabsarzt: Der chronische Hydrozephalus und das 

chronische Oedent der weichen Hirnhäute (Meningitis serosa) als 
Spätfolge von Schädelvcrletzungcn <'43. 

289. W. Seeliger, Oberarzt d. R.: Die diagnostische Bedeutung der 
bakteriologischen Blutuntersuchung auf Typhusbazillen 1143. 

290. C. Seyfarth, Oberarzt d. R.: Erfahrungen bei der Behandlung der 
Malaria, vor allem die Behandlung chininresistenter Fälle 541. 

' 291. C. Seyfarth, Oberarzt d. R.: Erfahrungen über die Chininresistenz 
l der Malariaparasiten 544. 


Das alphabetische Namen- und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs. 


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UNIVERSUM OF IOWA 








VIII 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


292. C. Seyfarth, Oberarzt d. R.: Merkpunkte und Ratschläge für die 
Diagnose der Malaria 922. 

293. G. Sobernheim, Stabsarzt d. L. und Nagel, Stabsarzt d. R.: Ueber 
eine Diphtherieepidemie durch Nahrungsmittelinfqktion 761. 

294. Urtel, Oberarzt d. R.: Offene Wundbehandlung im Felde 137. 

295. E. Voelckel, Oberarzt: Störungen der inneren Sekretion bei 
Eunuchoiden 345. 

296. G. Voss, Fachärztlicher Beirat: Ueber die Unterscheidung orga¬ 
nischer und funktioneller Nervenkrankheiten 131. 

297. K. Wederhake, landsturmpfl. Arzt: Ueber die Verwendung des 
menschlichen Fettes in der Chirurgie 47. 

298. G. Wege, Stabsarzt: Zur Bewertung des Friedmann’schen Tuber¬ 
kuloseheilmittels 805. 

299. A. Weiter, Oberarzt d. R.: Die Lokal- und Leitungsanästhesie in 
einem Feldlazarett 595. 

300. M. Westenhöfer, Oberstabsarzt: Ueber primäre noduläre Ruhr 
1119. 


II. Verschiedenes. 

Ach: Gedächtnisrede auf Ottmar von Angerer 151. 

Baumgarten: Zum Gedächtnis an Ernst Neumann 364. 

Bekanntmachung betr. die für die Kriegszeit bestimmte Abänderung 
der Gebührenordnung für approbierte Aerzte und Zahnärzte vom 
15. Mai 1896 800. 

Bruhns: Edmund Lesserf 655. 

Buschke: Bekämpfung der Weiterverbreitung der Herpes tonsurans- 
Epidemie 71. 

Cassel: Adolf Baginsky f 511. 

Chotzen: Das kommende Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten 462. 

Franke: Max Wilms + 582. 

Halle: Letztes Wort zu West’s „Weitere Bemerkungen usw.“ 882. 

Henius: Vom ausserordentlichen Deutschen Aerztetage in Eisenach am 
23. VI. 18 653. 

His: Medizinisches aus der Türkei 964. 

Holzknecht und Jonas: Bemerkung zu Albu: Zur Diagnostik der 
Pankreaszysten 582. 

Klieneberger: Nachtrag bzw. Berichtigung zur Arbeit: Die Weil’sche 
Krankheit 152. 

Hans Kohn: Revolution und Aerzteschaft 1135, 1159, 1182, 1207. 

König: Aus dem Tagebuch eines deutschen Augenarztes in Syrien 
(1902—1914) 1035. 

Langer: Schlussbemerkungen zur Arbeit Schmitz’: „Nochmals über 
die Alkoholfestigkeit der Diphtherie- und Pseudodiphtheriebazillen“ 
in Nr. 13 dieser Wochenschrift 487. 

Matthes: Zum 70. Geburtstag Julius Schreiber’s 199. 

Neufeld: Georg Gaffky + 1062. 

Schmidt: Schlusswort zur Erwiderung von G. Bucky auf den Artikel 
„zur Diathermiebehandlung“ 550. 

West: Bemerkungen zu dem Aufsatz von Dr. Halle in Nr. 11 dieser 
Wochenschrift 463. 

West: Weitere Bemerkungen zu Dr. Halle’s Aufsatz in Nr. 11 dieser 
Wochenschrift und zu seiner Erwiderung 882. 


UI. Sammelreferate. 

M. Gutstein: Der künstliche therapeutische Pneumothorax 1152. 


IV. B&cherbesprechungen. 

Anatomie. 

Merkel: Die Anatomie des Menschen 910. 

Seil heim: Die Befestigung der Eingeweide im Bauch überhaupt, sowie 
bei Mann und Frau im besonderen 1129. 

Strasser: Lehrbuch der Muskel- und Gelenkmechanik 1130. 

Tandler: Lehrbuch der systematischen Anatomie 931. 

Wegner: Zur Geschichte der anatomischen Forschung an der Universität 
Rostock 408. 

Arzneimittellehre. 

Arzneipflanzen-Merkblätter des Kaiserlichen Gesundheitsamts 214. 

C. Bachem: Arzneitherapie des praktischen Arztes 861. 

Mindes: Die Selbstberoitung pharmazeutischer Spezialitäten 1100. 

Rapp: Keimfreimachung von Arzneistofflösungen 355. 

Augenheilkunde. 

Deutsch mann: Weitere Mitteilung über operative Behandlung der Netz¬ 
hautablösung und ihre Erfolge 1052. 

Hirsch borg: Entwicklungsgeschichte der augenärztlichen Kunstausd rücke 
16. 


Hirschberg: Geschichto der Augenheilkunde 575. 

Weill: Stilling’s pseudo-isochromatische Tafeln zur Prüfung des Farben¬ 
sinnes 648. 

Chirurgie. 

Biesalski: Gesammelte Arbeiten über Prothesenbau 355. 

Bresler: Schädel- und Gehirnverletzungen 1129. 

Chirurgie im Felde 1156. 

v. Ertl: Die Chirurgie der Gesichts- und Kieferdefekte 1156. 

Guleke: Ueber dife Schädelplastik nach Kopfschüssen 1086. 

Krukenberg: Ueber plastische Umwertung von Armamputationsstümpfeu 
284. 

Kulenkampff: Kurzes Repetitorium der Chirurgie 1129. 

Melchior: Die Chirurgie des Duodenum 602. 

Schmieden: Der chirurgische Operationskursus 695. 

Schöne: Ueber den Zeitpunkt des Ausbruchs der Wundinfektion naoh 
Schussverletzungen und rechtzeitige vorbeugende Wundbehandlung 
H 29. 

Ziegner: Vademekum der speziellen Chirurgie und Orthopädie für Aerzte 
602. 

Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Liepmann: Das geburtshilfliche Seminar 38. 

Mayer: Die Unfallerkrankungen in der Geburtshilfe und Gynäkologie 239. 

Placzek: Künstliche Fehlgeburt und künstliche Unfruchtbarkeit 1053. 

Siemerling: Psychosen und Neurosen in der Gravidität und ihre An¬ 
zeichen zur künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft 355. 

Walther: Zur Indikationsstellung und Prognose bei den geburtshilflichen 
Operationen des praktischen Arztes 239. 

Winter: Die Indikation zur künstlichen Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft 1053. 

Hals-, Nasen- und Ohrenleiden. 

G latsch er: Ueber die diagnostische Bedeutung der Schmerzhaftigkeit 
und des Druckschmerzes des Warzenfortsatzes 1156. 

Hey mann: Hygiene des Ohros im gesunden und kranken Zustande 15. 

Jahresbericht der Oesterreichischen Gesellschaft für experimentelle Pho¬ 
netik 214. 

Rhese: Die Kriegsverletzungen und Kriegserkrankungen von Ohr, Nase 
und Hals 837. 

Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Posner: Die Hygiene des männlichen Geschlechtslebens 648. 

Wolff und Mulzer: Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten 15. 

Hygiene und Sanitätsweson. 

Berichte über die Tätigkeit der Medizinaluntersuc-bungsämter und Mcdi- 
zinaluntersuchungsstellen in den Geschäftsjahren 1913 und 1914 1004. 

Hase: Die Bettwanze, ihr Leben und ihre Bekämpfung 1004. 

Kirstein und Rudolph: Das „Gasschiff“ der Kgl. preussischen Medi¬ 
zinalverwaltung zum Ausgasen pestverdächtiger Schiffe 1175. 

Wilhelmi: Die gemeine Stechfliege 1004. 

Witte: Die Trinkwasseruntersuchung im Felde 55. 

Kinderheilkunde. 

Birk: Leitfaden der Säuglingskrankheiten 88. 

Czerny und Keller: Des Kindes Ernährung, Ernährungsstörungen und 
Ernährungstherapie 717. 

Engel: Die Ernährung des Säuglings 88. 

Engel und Baum: Grundriss der Säuglingskunde 426. 

Fröschel’s „Kindersprache und Aphasie“ 426. 

von Jeschke: Physiologie, Pflege und Ernährung des Neugeborenen, 
einschliesslich der Ernährungsstörungen der Brustkinder in der Neu¬ 
geburtszeit 117. 

Klose*. Kinderheilkunde 1175. 

Schulz: Der Unterricht in der Säuglings- und Kleinkinderpflege 88. 

Zur Technik der Säuglingsernährung 426. 

Allgemeine Medizin. 

Guttmann: Grundriss der Physik 1130. 

Hertwig: Zur Abwehr des ethischen, des sozialen und des politischen 
Darwinismus 910. 

Kirchner: Aerztliche Kriegs- und Friedensgedanken 883. 

Koch: Die ärztliche Diagnose 952. 

Lecher: Lehrbuch der Physik für Mediziner, Biologen und Psychologen 
453. 

Rüge: Die Körperformen des Menschen in ihrer gegenseitigen Abhängig¬ 
keit und ihrem Bedingtsein durch den aufrechten Gang 952. 

v. Saar: Aerztliche Behelfstechnik 1155. 

Schmidt: Die Kölner Apotheken bis zum Ende der reichsstädtischen 
Verfassung 744. 

Schwalbe: lieber das medizinische Frauenstudium in Deutschland 679. 

Schwalbe: Zur Neuordnung des medizinischen Studiums 1201. 

Zur Verth: Rettungsgeräte auf See unter besonderer Berücksichtigung 
des Seekrieges 308. 

Wicsont: Repetitorium der Experimentalphysik für Pharmazeuten, Medi¬ 
ziner und Studierende der Naturwissenschaften 1130. 


Das alphabetische 2Warnen- und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs . 


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Original frorri 

UNIVERSUM OF IOWA 




BERLINER KLINISCHE WOCHEN SCHRIFT._IX 


Innere Medizin. 

Bac meist er: Die bausärztliohe Behandlung der beginnenden Lungen¬ 
tuberkulose 981. 

Bandelier und Roepke: Lehrbuch der spezifischen Diagnostik und 
Therapie der Tuberkulose 981. 

Bauer: Die konstitutionelle Disposition zu inneren Krankheiten 791. 

de Bruine Ploos van Amstel: Ueber neurotisch-mesenterialen Duo¬ 
denalverschluss 453. 

Büdingen: Ernährungsstörungen des Herzmuskels 478. 

Chvostek: Morbus Basedowi und die Hyperthyreosen 38. 

Domblüth: Kompendium der inneren Medizin 164. 

Fürbringer: Zur Frage der traumatischen Nierentuberkulose 382. 

Gins: Der Pockenschutz des deutschen Volkes 55. 

Henschen: Erfahrungen über Diagnostik und Klinik der Herzklappen¬ 
fehler 164. 

Hausmann: Die methodische Gastrointestinalpalpation und ihre Er¬ 
gebnisse 910. 

Helm: Der Stand der Tuberkulose-Bekämpfung im Frühjahr 1918 981. 

Hering: Der Sekundenherztod 622. 

Manninger, John und Parassin: Erstes Jahrbuch des Kriegsspitals 
der Geldinstitute in Budapest 551. 

Marcuse: Der eheliche Präventivverkehr, seine Verbreitung, Verursachung 
und Methodik 15. 

Mohr und Staehelin: Handbuch der inneren Medizin 15, 883. 

Müller: Die Grundgesetze der Partialreaktivität beim tuberkulösen 
Menschen 1223. 

Neumann: Blut und Pigmente 88. 

Pinkus: Die Einwirkung von Krankheiten auf das Kopfhaar des Men¬ 
schen 792. 

Plotz, Olitzky und Baehr: Die Aetiologie des Fleckfiebers 263. 

Schwalbe: Diagnostische und therapeutische Irrtümer und deren Ver¬ 
hütung 621, 716. 

Soziale Medizin. 

Dominicus, Schmidt und Kohlrausch: II. Kriegsjahrbuch für Volks¬ 
und Jugendspiele 283. 

Gregor und Voigtländer: Die Verwahrlosung, ihre klinisch-psycho¬ 
logische Bewertung und ihre Bekämpfung 744. 

Lipmann: Flugschriften der Zentralstelle für Volkswohlfahrt 187. 

Lönne: Deutschlands Volksvermehrung und Bevölkerungspolitik vom 
nationalökonomisch-medizinischen Standpunkt 763. 

Schäfer: Geländespiele, den Söhnen unseres Vaterlandes zugedacht 283. 

Teleky*. Aufgaben und Probleme der sozialen Fürsorge und Volksgesund¬ 
heitspflege bei Kriegsende 763. 

Mi litärsanitäts wesen. 

Burmeister: Eine mediko-mechanische Abteilung (Veröffentlichungen 
aus dem Gebiet des Militärsanitätswesens) 817. 

Helmcke, Pancöncelli-Calzia und Weygandt: Die phonetische 
Behandlung von stimm- und sprachbeschädigten Kriegsverwundeten 
und -Erkrankten 213. 

Li pp: Taschenbuch des Feldarztes 164. 

Me sserschmidt: Bauhygienische Erfahrungen im waldreichen Hoch¬ 
gebirge 337. 

Richtlinien für die militärärztliche Beurteilung Nierenkranker (Veröffent¬ 
lichungen aus dem Gebiet des Militärsanitätswesens) 817. 

Die militärärztliche Sachverständigentätigkeit auf dem Gebiete des Ersatz 
wesens und der militärischen Versorgung 187, 1181. 

Uhthoff: Weitere persönliche Erfahrungen und Betrachtungen zur Kriegs¬ 
blindenfürsorge 140. 

Untersuchungen über Serumschutz bei Gasödem 336. 

Parasitenkunde und Serologie. 

Galambos: Kriegsepidemiologische Erfahrungen 263. 

Gruber: Ueber die Meningokokken und die Meningokokkenerkrankungen 
1086. 

Kaup: Kritik der Methoden der Wassermann'schen Reaktion und neue 
Vorschläge für die quantitative Messung der Komplementbindung 1175. 

Müller: Vorlesungen über Infektion und Immunität 932. 

Hirsch fei d: Atlas der klinischen Pathologie des Blutes in Lumiere- 
bildern 576. 

Kisskalt: B. Fischer’s kurzgefasste Anleitung zu den wichtigeren 
hygienischen und bakteriologischen Untersuchungen 861. 

Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Kraus und Brugsch: Spezielle Pathologie und Therapie 694. 

Lehmann: Ueber Starkstromverletzungen 1175. 

Rumpel: Die Gasphlegmone und ihre Behandlung 1155. 

Schrottenbach: Studien über den Hirnprolaps 283. 

Physiologie. 

Garten: Die Bedeutung unserer Sinne für die Orientierung im Luft¬ 
raum 506. 

Haecker: Die Erblichkeit im Mannesstamm und der vaterrechtliche 
Familienbegriff 54. 

Hueppe: Unser täglich Brot in Krieg und Frieden 1100. 


Kanitz: Temperatur und Lebensvorgänge 837. 

v. Kries: Ueber Entstehung und Ordnung der menschlichen Bewegungen 
1130. 

Pikier: Sinnesphysiologische Untersuchungen 239. 

Schall-Heister: Nahrungsmitteltabelle zur Aufstellung und Berechnung 
von Diätverordnungen 308. 

Stigler: Lehrbuch der Physiologie für Krankenpflegeschulen 55. 
Swoboda: Das Sicbenjahr 54. 

Triepel: Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte 117 
Verworn: Physiologisches Praktikum für Mediziner 54. 

Zuntz: Ernährung und Nahrungsmittel 308. 

Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Birnbaum: Psychische Verursachung seelischer Störungen und die 
psychisch bedingten abnormen Seelenvorgänge 1240. 

Hauptmann: Ueber Epilepsie im Lichte der Kriegserfahrungen 1202. 
Hopp: Ueber Hellsehen 140. 

Krueger: Die Paranoia 479. 

Marburg und Obersteiner: Arbeiten aus dem neurologischen Institut 
an der Wiener Universität 1240. 

Muck: Beobachtungen und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der 
Kriegsneurosen der Stimme, der Sprache und des Gehörs 1240. 
Oppenheim: Beiträge zur Kenntnis der Kriegsverletzungen des peri¬ 
pherischen Nervensystems 118. 

Oppenheim: Stand der Lehre von den Kriegs- und Unfallneurosen 861. 
Simmel: Kriegsneurosen und „psychisches Trauma* 263. 

Steiner: Die psychischen Störungen der männlichen Potenz 602. 
Stransky: Krieg und Geistesstörung 745. 

Röntgenologie. 

Bucky: Die Röntgenstrahlen und ihre Anwendung 1053. 

Gocht: Handbuch der Röntjjenlehre zum Gebrauch für Mediziner 1223. 
Guleke und Dietlen: Kriegschirurgischer Röntgenatlas 355. 
Schlesinger: Die Röntgendiagnostik der Magen- und Darmkrankheiten 186. 
Trendelenburg: Stereoskopische Raummessung an Röntgenaufnahmen 
239. 

Schiffs- und Tropenhygiene. 

Sannemann: Der Dienst des Hafenarztes in Hamburg 528. 

Ziemann: Die Malaria 407. 

Ziemann: Das Schwarz Wasserfieber 932. 

Technik. 

Bardenheuer und Grässner: Die Technik der Extensionsverbände 
bei der Behandlung der Frakturen und Luxationen der Extremitäten 1028. 
Gocht: Deutsche Orthopädie. 1. Band. Orthopädische Technik 1028. 

Therapie. 

Finkelnburg: Die Therapie an den Bonner Universitätskliniken 336. 
Schwalbe: Behandlung akut bedrohlicher Erkrankungen 1224. 

Stein: Mediko- mechanische Behandlung im Feld- und Kriegslazarett 1028. 

Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

Gelpke und Schiatter: Unfallkunde 453, 

Horn: Praktische Unfall- und Invalidenbegutachtung 1053. 

Urologie. 

Aufrecht: Zur Pathologie und Therapie der diffusen Nephritiden 382. 
Strauss: Die Nephritiden 117. 

Voelcker und Wossidlo: Urologische Operationslehre 407. 

Verschiedenes. 

Du Bois-Reymond: Jugendbriefe von Emil du Bois-Reymond an 
Eduard Hallmann 1099. 

Kantor: Freie Bahn für die Kurpfuscher? 308. 

Ku Hung-hing: Der Geist des chinesischen Volkes 505. 

Linde mann: Schwcstern-Lehrbuch zum Gebrauch für Schwestern und 
Krankenpfleger 952. 

Neustätter: Kurierzwang und Kurpfuschereifreiheit. 308. 

Vaihinger: Nietzsche als Philosoph 528. 


V. Literaturauszüge. 

Physiologie: 39, 118, 140, 187, 214, 240, 264, 284, 809, 337, 355, 
383, 426, 453, 576, 695, 717, 764, 792, 837, 888, 932, 952, 982, 
1004, 1054, 1100, 1176, 1202, 1224. 

Pharmakologie: 16, 118, 165, 214, 265, 337, 355, 383, 798, 883, 
953, 983, 1005, 1225, 1240. 

Therapie: 16,39,55, 88, 118, 165, 188, 215, 240 285, 337, 355, 383 
408, 426, 453, 479, 506, 529, 577, 603, 622, 696, 717, 745, 764, 
793, 884, 910, 953, 988, 1005, 1028, 1054, 1102, 1131, 1156, 1176, 
1202, 1225. 

Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie: 16, 55, 
88, 119, 165, 216, 285, 311, 338, 355, 384, 427, 454, 529, 552, 577, 
603, 622, 649, 696, 764, 794, 837, 884, 912, 933, 954, 984, 1028, 
1103, 1131, 1157, 120? 1225. 


Das alp 

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phaibsHsche Namen- 

v Google 


und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs. 

UNfVERSITY OF IOWA 



X 


BERLIN RR KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Parasitenkunde und Serologie: 16, 40, 55, 88, 119, 166, 188, 217, 

265, 285, 312, 384, 408, 427, 454, 506, 529, 552, 603. 623, 649, 
696, 717, 764, 795, 837, 861, 884, 912, 955, 984, 1005, 1029, 1054, 
1103, 1131, 1157, 1176. 

Innere Medizin: 16, 40, 56, 89, 119, 166, 189, 217, 240, 285, 312 

339, 356, 386, 408, 428, 454, 479. 506, 530, 553, 577, 603, 649, 

698, 718, 745, 765, 795, 817, 838, 885. 913, 933, 955, 984, 1005, 

1029, 1055, 1103, 1131, 1157, 1176, 1226, 1240. 

Psychiatrie und Nervenkrankheiten: 17, 57, 89, 119, 141, 189, 

218, 241, 286, 312, 339, 410, 429, 479, 507, 531, 554, 578, 604, 

623, 650, 698, 718, 745, 765, 818, 862, 886, 913, 933, 956, 985, 

1030, 1055, 1105, 1131, 1176, 1226, 1241. 

Kinderheilkunde: 17, 90, 142, 218, 313, 339, 410, 430, 507, 531, 

554,604,698, 766, 819, 862, 887, 913, 957, 985, 1032, 1177, 1226, 
Chirurgie: 17, 91, 120, 142, 166, 190, 218, 242, 265 286, 313, 339, 
356, 387, 411, 430, 455, 4S0, 5i)7, 531, 555, 578, 604, 623, 651, 

699, 719, 745, 766, 820, 839, 862, 887, 913, 957, 985, 1032, 1056, 
1105, 1131, 1178, 1241. 

Röntgenologie: 17, 92, 143, 190, 266, 314, 358, 411, 431, 482, 507, 
579, 624, 651, 746, 840, 863, 934, 958, 987, 1057, 1179. 

Haut- und Geschlechtskrankheiten: 18, 57, 92, 143, 168, 243, 

266, 287, 314, 359, 412, 431, 455, 509, 556, 579, 624, 651, 719,* 
767,840, 863, 914, 935, 958, 1006, 1033, 1056, 1107, 1132, 1179. 

Geburtshilfe und Gynäkologie: 18, 58, 92, 243, 266, 287, 315, 
432, 455, 556, 625, 651, 699, 719, 747, 767, 863, 914, 935, 1006, 
1033, 1056, 1132, 1179, 1242. 

Augenheilkunde: 18, 93, 143, 190, 243, 266, 287, 360, 387, 456, 
482, 556, 625, 700, 747, 768, 864, 936, 1007, 1057, 1107, 1133, 
1180, 1242. 

Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten: 58, 93, 315, 387. 483, 509, 
557, 700, 768, 865, 1008, 1058, 1243. 

Hygiene und Sanitätswesen: 41, 267, 288, 341, 387,413,432,457, 
509, 557, 626, 700, 720, 768, 866, 937, 1033, 1058, 1243. 
Unfallheilkunde und Versicherungswesen: 288, 315, 341, 557, 
627, 701, 748, 866. 

Schiffs- und Tropenhygiene: 19, 58, 218, 267, 289, 315,388,557, 
627, 701, 721, 866, 938, 1010, 1108. 

Soziale Medizin: 41, 93, 168, 937, 1033. 

Gerichtliche Medizin: 93. 

Militärsanitätswesen: 19, 41, 168, 937. 

Technik: 21, 58, 938. 


VI. Gesellschaftsberichte. 

Die eingeklararaerten Zahlen bedeuten die Seitenzahlen, auf denen die 
Vorträge als Originale erscheinen. 

Berlin. 

a) Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

12. XII. 17. 

Kraus: Die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft 58 (7). 

Bonhocffcr: Die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft. 58(12). 

19. XII. 17. 

Esser: Fälle von plastischen Gesichtsoperationen 62. 

Fortsetzung der Aussprachen über die ärztliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft 62. 

9. I. 18. 

Schluss der Besprechung über die ärztliche Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft 121, 143. 

16. I. 18. 

Kausch: Tuberkulöse Lymphangitis 146. 

Rothschild: Plastischer Vorschluss grösserer Harnröhrenfisteln 146. 

Hamburger: Vorstellung eines Falles von Erblindung durch Likör¬ 
ersatz 146. 

Schlussworte über die Besprechung: Die ärztliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft 147. 

23. I. 18. 

Orth: Ueber einige Tuberkulosefragen 169 (76). 

30. I. 18. 

Lubarsch: Thrombose und Infektion 170 (225). 

Hirschfeld: Wiederherstellung der geschädigten Funktionen der Nieren 
bei chronischen Nephritiden 170 (498). 

6. II. 18. 

Aussprache über die Vorträge der Herren Paul Rosenstein: Die un¬ 
blutige Bekämpfung eitriger Prozesse durch Morgenroth’sche Chinin¬ 
derivate und Felix Hirschfeld: lJcber f die Wiederherstellung der 
geschädigten Funktionen der Nieren bei chronischen Nephritiden 191. 


Ceelen: Die Nebenwirkungen des Theacylon 194. 

Saul: Untersuchungen zur Aetiologie und Biologie der Tumoren 194. 


13. II. 18. 

Holländer: Ein Fall von subkutaner Harnröhrenzerreissung bei einem 
Hämophilen 219. 

Reh fisch: Zur Aetiologie der Vergrösserung der rechten Herzkammer, 
insbesondere bei behinderter Nasenatraung 219. 


20. II. 18. 

Ordentliche Generalversammlung der Berliner medizin. Gesellschaft 243. 

Israel: Geschäftsbericht des Vorstandes 243. 

Stadel mann: Bericht über die finanziellen Verhältnisse und Entlastung 
des Vorstandes 244. 

Landau: Bericht des Geschäftsführers für das Langenbeck-Virchow- 
Haus 244. 

Wähnelt: Bericht über die Baukosten-Abrechnung 246. 

Kohn: Bibliotheksbericht 247. 

Wahl des Vorstandes 247. 

Rothschild: Zur Aetiologie der gegenwärtig weitverbreiteten Enuresis 
und Pollakurie £67. 

27. II. 18. 

Zondek, Demonstration von Querresektion des Magens 289. 

Wahl des Ausschusses für 1918 289. 

Holländer: Zur Pathologie des Fingerskeletts 289 (472). 

Sticker: Weitere Erfahrungen in der Radiumbestrahlung des Mundhöhlen¬ 
krebses 289 (713). 

6. III. 18. 

Schlesinger: Ueber die Beobachtung eines schweren Kolospasmus und 
einem Vorstadium desselben in einem Röntgenbild währond einer 
enteralen tabischen Krise 315 (878). 

Dorendorf: Zur Diagnose der latenten Malaria und Salvarsantherapie 
der Tertiana 315 (897). 

13. III. 18. 


Hamburger: Vorschläge zur hygienischen Ausnutzung grossstädtischer 
Freiplätze, erläutert an dem Beispiel der Stadt Berlin 458 (618). 
Casper: Die Zystoskopie bei peri- und paravesikalen Erkrankungen 
459 (495). 


20. III. 18. 


Aussprache zu den Vorträgen des Herrn Casper 459. 

Martin: Demonstration von Präparaten, von Regeneration quergestreifter 
Muskulatur 461. 

Friedberger: Ueber Fleckfieber 461. 


27. III. 18. 

Weber: Untersuchungen über den photographiscli-registrierten Venen¬ 
puls 484 (585). 

Ohm: Vorzeigen photographischer Venenpulskurven mit diagnostischen 
Erläuterungen 484. 

1. V. 18. 

Warnekros: I. Die Behandlung der Säuglinge mit Spaltbildung des harten 
und weichen Gaumens bis zur Operation und ihre vereinfachte früh¬ 
zeitige Operationsmethode 509. 

Warnekros: II. Die Behandlung von Pseudarthrosen mit lebendem Trans¬ 
plantat und primär eingeheilter Goldschienc 510. 

15. V. 18. 

Esser: Fälle von plastischen Ptosisoperationen 558. 

Bergei: Fibrin, ein Schutz- und Heilmittel des erkrankten Organismus 
558 (825). 

Iievy-Dorn: Beitrag zu den für die Röntgendiagnose wichtigen Weich- 
teilverknöcherungen 559 (829). 

29. V. 18. 

Seyberth: Zum Ersatz ausfallender Muskelfunktion bei Nervenverlet¬ 
zungen 605. 

Antrag des Herrn Orth betreffend Ernennung eines Ehrenmitgliedes 606. 

llans Kohn: Demonstration zur Frage der extrakardialen Blutbewegung 
606 (740). 

Rothschild: Ueber zwei Fälle ungewöhnlicher zystischer Geschwülste 
der Harnblase, ihre Operation und» ihre Heilung 606 (856). 

12. VI. 18. 

Wossidlo: Vorstellung eines Falles von seltenem Fremdkörper in der 
Blase und eines Falles von sogenannten Uretersteinen 652. 

Kausch: Ueber plastische Operationen 652. 

Seyberth: Ueber Nervenoperationen und ihre Enderfolge 653 (996). 

26. VI. 18. 

Bürger: Zwei Fälle von Botulismus 701 (876). 

Holländer: Sinnestäuschung im Moment der Verwundung durch Ex¬ 
plosivgeschoss 701. 

Kraus und Lubarsch: Ueber Lymphogranulomatose 701 (705, 708). 

3. VII. 18. 

Aussprache über den Vortrag der Herren Kraus und Lubarsch über 
Lymphogranulomatose 721. 


Das alphabet/Ische Namen- und 


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v Google 


Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs . 

Original frorn 

UNIVERSITY OF IOWA 








BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


XI 


10. VH. 18. 

Ben da: Die Grippe-Epidemie. 749. 

Schütze: a) Ein neues radiologisches Ulcus-Symptom bei Magenunter¬ 
suchungen 749 (1047). 
b) Röntgendiagnose bei Lungentumoren 749. 

Orth: Ueber Colitis cystica und ihre Beziehung zur Ruhr 749 (681). 

17. VII. 18. 

Mühsam: Ersatz des Daumens durch die grosse Zehe 768 (1045). 

Mfih sam: Gewehrschuss an der Schambeinfuge 768. 

Lubarsch: Die anatomischen Befunde von 14 tödlich verlaufenen Fällen 
von Grippe 768. 

24. VII. 18. 

von Hansemann: Demonstration einiger Grippepräparate 841. 
Bergei: Beitrag zur Lehre von der Bämagglutination und Hämolyse 841. 
Bürger: Tödliche Vergiftung nach Behandlung der kindlichen Krätze 
mit N&phtol nebst Ausführungen über das Wesen der Naphtol- 
Vergiftung 842 (1025). 

16. X. 18. 

Westenhöfer: Ueber primäre noduläre Ruhr 1087 (1119). 

Rubner: Neue Forschung über Zusammensetzung und Verdaulichkeit 
unserer Nahrungsmittel 1087 (1113). 

23. X. 18. 

Maas: Ein Fall von Tabes mit Beginn im zweiten Lebensjahr 1108. 
Czerny: Die Serumbehandlung der Diphtherie 1109 (1137). 

Hofmann: Gesichtsfuruukel und ihre Behandlung 1110. 

30. X. 18. 

Magnus Levy und Seligmann: Die Cholerafälle in Berlin 1133 

(1161, 1163). 

Aussprache über die Grippe 1133. 

6. XI. 18. 

Zadek: Vorstellung eines Falles von Erythromelalgie 1181 (1193). 
Karl: Erfahrungen über Gasbranderkrankungen im Felde 1181 (1194). 
Virohow: Ueber die Topographie der Herzteile 1181. 

27. XI. 18. 

Besprechung des Vortrages des Hern H. Vircbow: Ueber die Topographie 
der Herzteile 1228. 

Friede mann: Serotherapeutische Versuche bei der Grippelungenent¬ 
zündung 1228. 

Leschke: Kurze Demonstration zur Aetiologie der Grippe 1231. 

4. XII. 18. 

Esser: Ueber Plastiken mit Krankenvorstellungen und Lichtbildern 1243. 
Schütze: Vorstellung eines Kranken mit Infanteriegeschoss ira Herzen 1244. 
Saul: Untersuchungen zur Aetiologie und Biologie der Tumoren 1244. 

11. XII. 18. 

Katzenstein: a) Verletzung der Femoralis und Poplitea, b) Taschen¬ 
plastik 1246. 

Krause: Vorstellung eines Kranken mit ungewöhnlich schwerer Herz¬ 
verdrängung nach Lungensohuss, durch Operation geheilt 1246 (1233). 
Esser: Gesichtsplastiken mit sehr schmal gestielten „Arterien-Haut- 
l&ppen“ 1247. 

.loseph: Kranken Vorstellung 1247. 

b) Andere Gesellschaften. 

Gynäkologische Gesellschaft 21, 318, 580, 627, 870, 942, 1110. 
Laryngologische Gesellschaft 290, 317, 338, 413, 432, 532, 842, 890, 941. 
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde 70, 196, 532, 701, 796. 
Mikrobiologische Gesellschaft 868. 

Orthopädische Gesellschaft 1088. 

Otologische Gesellschaft 844, 914. 

Physiologische Gesellschaft 67, 196, 413, 869, 943. 

Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 360, 579, 771, 866, 
938 987 1033 1134 

Kriegsärztliche Abende 22, 43, 174, 198, 295, 343 364, 607, 631, 727, 
798, 1247. 

Breslau. 

Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vaterländische 
Kultur 41, 70, 93, 220, 341, 435, 606, 628, 871, 918, 959, 1010, 
1058; 1181, 1204. 

Freibnrg. 

Medizinische Gesellschaft 43, 223, 295, 1014.’ 

Böttingen. 

Medizinische Gesellschaft 70, 390, 798, 990, 1158. 

lambnrg. 

Aerztlicber Verein 94, 147, 319, 434, 581, 607, 620? 702, 751, 797, 895, 
960, 1111. 


Heidelberg. 

Naturhistnrisch-medizinischer Verein 21, 95. 223, 295, 415, 559, 630. 
895, 962, 1015, 1159. 

Jena. 

Medizinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft 362, 961, 989. 

Kiel. 

Medizinische Gesellschaft 42, 127, 222, 461, 510, 895, 1014. 

Königsberg i. Pr. 

Verein für wissenschaftliche Heilkunde 21, 170, 294, 488, 486, 559, 776, 
797, 820, 919. 

■Uneben. 

Aerztlicher Verein 127, 222, 582, 653, 703, 750, 1035. 

Prag. 

Verein deutscher Aerzte 271. 

Wien. 

K. K. Gesellschaft der Aerzte 95, 127, 197, 342, 363, 391, 439. 


VII. Kongresse. 

Hauptversammlung der Prüfstelle für Ersatzglieder in Berlin 173, 197. 
Bericht über die gemeinsame Tagung der ärztlichen Abteilungen der 
waffenbrüderlichen Vereinigungen Deutschlands, Oesterreichs und Un¬ 
garns in Berlin 148, 170. 

Deutscher Verein für Psychiatrie, 2. Kriegstagung in Würzburg 821. 

IV. Krippenkonferenz in Dresden 1182. 


VIII. Tagesgeschichtliohe Notizen. 

Ambulatorien, Zur Errichtung von A. in den Berliner städtischen Kranken¬ 
häusern 944, 96S. 

Arbeitsnachweis für Aerzte, Einrichtung eines A. 1208. 

Archiv für Entwicklungsmechanik des Organismus, Zum Wechsel des 
Verlags 776. 

Archiv für Orthopädie und Unfallchirurgie, Aenderung des Verlages beim 
A. 1183. 

Aerzteausschuss Gross Berlin, Plakat des Ae. 440. 

Aerztcschaft, Zur Ablehnung einer Vertretung der Ae. im Herrenhaus 464. 
Aerztetag, Zur Sitzung des deutschen Ae. in Eisenach 632. 

Aerztliehe Fortbildungskurse, Zur Einrichtung der ä.'F. 1232. 
Aussatzkranke, Zahl der A. im Jahre 1917 416. 

Bad Eilsen, Zur Eröffnung der neuen Kuranlagen in Bad E. 512. 
Calmette, Zum Antrag von A. C. in der Pariser Academie de Medecine 1231. 
Cholera, Zur Ch. in Berlin 968, 991, 1088. 

Demobilisierung, Bemerkungen zu den Folgen der D. 1183. 
Demonstrationsabende, Klinische D. für die Berliner Aerzte 1208. 
Dermatologische Gesellschaft, Zur Kriegstagung der D. G. 344. 
Dermatologische Gesellschaft, Zur Generalversammlung der Berliner 
d. G. 1231. 

Einäscherungen, Gesamtzahl der E. bis 1917 776. 

Ersatzglieder, Zweite Hauptversammlung der Prüfstelle fiir E. in Berlin 96. 
Forschungsanstalt, Gründung einer deutschen ärztlichen F. in Smyrna 728. 
Fortbildungsgelegcnheit, Zur F. für Aerzte in Krankenhäusern 1248. 
Fortbildungswesen, Zur Sitzung des Reiehsausschusses für das ärztliche 
F. 680. 

Frauenklinik nebst Mutter- und Säuglingsheim, Eröffnung einer F. in 
Chemnitz 440. 

Gebührenordnung, Zur Erhöhung der ärztlichen G. 824. 
Geburtenrückgang, Zum Gesetzentwurf betreffend den G. 704. 
Genickstarre, Die G. in Bayern im I. Halbjahr 1918 1112. 
Geschlechtskranker, Die Kurpfuscher-Organisation gegen das Verbot der 
Behandlung G. durch Nichtapprobierte 464. 

Geschlechtskrankheiten, Gesetzentwürfe zur Bekämpfung der G, und der 
Geburtenverhinderung 199. 

Geschlechtskrankheiten, Zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung der G. 320. 
Geschlechtskrankheiten, Zur Bekämpfung der G. 344. 
Geschlechtskrankheiten, Zur Ausschusssitzung der Gesellschaft zur Be¬ 
kämpfung der G. 1248. 

Gesundheitsamtes, Zum Verwaltungsbericht des städtischen G. in Berlin 
im Jahre 1916/17 1016. 

Grippe, Die G. in Deutschland 1016, 1064. 

Gummiwaren, Aufforderung zur Abgabe von G. usw. 440. 

Heeresärzte, Einspruch gegen die Herabsetzung der Gehälter der H. des 
Beurlaubtenstandes 1232. 

Heilstätte, Zur Eröffnung einer neuen H. in Davos 920. 

Heimstätten, Zur Auflösung des Kuratoriums für die Heimstätten 72. 
Hilfsärzten, Zur Ernennung der Feldunterärzte zu H. 824. 

Inhalt, Zur Abfassung des I. in Zeitschriften 656. 


Das alphabetische Namen- und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs. 


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XII 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Internationale Gesellschaft für Chirurgie, Zur Sitzung der i. G. in Paris 24. 

Kinder, Zur norwegischen Gesetzgebung über aussereheliche K. 176. 

Kinderheilkunde, Anträge zur Gestaltung der K. an beutschen Uni¬ 
versitäten 175. 

Kinderheilstätten, Zum 38. Jahresbericht des Vereins für K. an den 
deutschen Seeküston 680. 

Kolloidforschung, Errichtung eines Instituts für K. in Frankfurt a. Main 1088. 

Kongress der Deutschen orthopädischen Gesellschaft, Die Verhandlungs¬ 
themata für den K. im Jahre 1919 1160. 

Kraftfahrer-Vereinigung deutscher Aerzte, zur XI. Hauptversammlung in 
Dresden 991. 

Krankenhausfürsorgo, 2. Tätigkeitsbericht des Vereins „soziale K.“ 176. 

Krankenkassen und Aerzten, Zum Vertrag zwischen K. 1183. 

Krankenpflege, Einrichtung einer Zentralauskunftstelle für die Arbeits¬ 
vermittlung der freiwiligen K. 1184. 

Krankenpflege-Nachweis, Zur Generalversammlung des Zentral-K-N. in 
Berlin 416. 

Krankenpflegerinnen, Gründung der Kaiser Wilhelm-Schuiedcutscher K. 368. 

Krankenversorgung, Zur Regelung der K. in Krankenhäusern 24. 

Krebskrankheit, Notiz zur Sitzung des Zentralkomitees zur Erforschung 
und Bekämpfung der K. 824. 

Kriegsassistenzärzten, Bestimmungen zur Ernennung von landsturm- 
pflichtigen Aerzten zu K. 536. 

Kriegsentschädigung Zur Sammlung durch das Kuratorium für h. Gross- 
Berliner Aerzte 872. 

Kriegs verletzter. Zum Vortrag über die wirtschaftliche Heilung K. in der 
Ausbildungswerkstatt des Kaisers Wilhelm-Hauses 656. 

Krippen verein, Zur Feier des 40 jährigen Bestehens des Berliner K. 560. 

Kundgebung der Professoren der Berliner Universität an das deutsche 
Volk 1040. 

Kurpfuscherei Maassrogeln zur Bekämpfung der K. 248. 

»Landaufenthalt für Stadtkinder“, Geschäftsbericht des Vereins „L.“ 44. 

Landesversicherunganstalt Berlin, Ein Gutskauf der L. 1088. 

Leder, Zur Bewilligung von L. für orthopädisches Schuhwerk 224. 

Leprakranke, Statistik über L. in Norwegen 44. 

Lungenheilstätte in Oberschaar, Eröffnung der L. *24. 

Lungenheilstätte, Zur Errichtung der L. in Tentschach bei Klagenfurt 920. 

Lungenkranke, Zur Tätigkeit des Zentralkomitees der Auskunft- und 
Fürsorgestellen für L., Alkoholkranke und Krebskranke 608. 

Massenspeisungen, Statistik der M. 919. 

Medizinalamt, Zur Ablehnung der Direktorstolle im M. durch den Magistrat 
Berlin 1160. 

Medizinalpraktikanten, Zahl der M. im deutschen Reich 1160. 

Medizinal Untersuchungsämter, Bericht über die Tätigkeit der M. in 
Preussen in den Jahren 1913/14 368. 

Medizinische Fakultät, Zur Errichtung einer m. F. in Sofia 72. 

Metallbcratungs- und Verteilungsstelle für ärztliche Apparate, Eine Mit¬ 
teilung der M. 1184. 

Ministerium für soziale Fürsorge, Schaffung eines M. in Bayern 1208. 

Pflüger’s Archiv, Zum Wechsel der Redaktion 776. 

Pockenerkrankungen, Mitteilungen über die P. im Jahre 1915 752. 

Preisaufgaben, Die P. der Berliner Universität für das Studienjahr 1919 848. 

Preisausschreiben derSenckenbergischen naturforschenden Gesellschaft 272. 

Preisausschreiben, Zura P. der Aerzteschaft des Kantons Bern 583. 

Preisverleihung, Zur P. des Jerzmianowski-Preises in Krakau 583. 

Preisverleihung, Zur P. des Ignaz Lieben-Preises für Physiologie in 
Wien 632. 

Prüfungsordnung, Aenderung zur P. für Aerzte 560. 

Psychiatrie, Zur Eröffnung der deutschen Forschungsanstalt für P. in 
München 368. 


Reichsversicherungsamt, zum Geschäftsbericht des R. für das Jahr 1917 896. 
Ruhrerkrankungen, Zu den R. im Sommer und Herbst 1917 24. 
Salvarsan, Gründung einer Kommission in Cöln zur Klärung der Frage 
der S.-Schädigungen 583. 

Salvarsanpräparate, Notiz zur Herstellung zweier neuer S. 968. 
Säuglingssterblichkeit, Zur Bekämpfung der S. 152. 
Säuglingssterblichkeit, Zum. Bericht des Kaiserin Auguste Viktoria-Hauses 
zur Bekämpfung der S. im Deutschen Reich 271. 
Säuglingssterblichkeit, Zur S. in England und Wales in den Jahren 1914— 
1916 512. 

i Schenkung des Grafenv.Balestrcm zur Förderung der Säuglingspflege 296. 
j Schwachsinnige Kinder, Zur Errichtung von Sammelklassen für s. K. in 
den Berliner Hilfsschulen 416. 

| Schwerbeschädigten, Bericht über die Gesamtzahl der Sch. in Deutsoh- 
| laad 1040. 

Seife, Zur Versorgung der Medizinalpcrsonen und Krankenanstalten mit 
! S. 224. 

i Spiritusvorbrauch, Verordnung betreffend Sparsamkeit im S. 464. 

! Statistik der Entbindungsanstalten Preussens für das Jahr 1915 848. 

Statistik der Geburten und Sterbefälle von Kindern im Jahre 1914 512. 
j Statistik, Zur St. der Heilanstalten in Preussen 704. 

' Sterbcfälle, Statistik der St. für das Jahr 1915 919. 

! Stiftung der chemischen Grossindustrie 1040. 

• Stiftung, Zur Martin Brunner-St. 96. 

, Stiftung, Zur Martin Brunner-St. für die Universität in Erlangen 632. 

| Stiftung Hofrat von Hessing’s. 320. 

| Stiftungen, Bericht der Hufeland’schen St. 416. 

I Stiftung, Zur Professor James Israel-St. 152, 583. 

Stiftung des Ehepaars Krupp von Bohlen und Haibach an Professor 
Sauerbruch 704. 

Stiftung von Frau Marie Maass 96. 

Stiftung der Firma E. Merck-Darmstadt 920. 

Stiftung der Frau Direktor Minden 96. 

Stiftung von Professor Obersteiner in Wien 1160. 

Stiftung von Professor Schultze in Bonn 848. 

Spanische Krankheit, Zum Auftreten der sp. K. in Berlin 632. 
Trichophytonpilze, zur Desinfektion der T. 1040. 
Tuberkulose-Ausschusses, Begründung des Berliner T.-A. 128. 
Tuberkulosebekämpfung, Zum Bericht über den Stand der T. in Oester 
reich 920. 

Tuberkulosefürsorge, Lehrgang in der T. in Berlin 72. 

Universität, Zur Errichtung einer Hamburgischen U. 1016. 

Universität Berlin, Eine Erklärung der Professoren und Dozenten der U. 
1136. 

Verein der blinden Akademiker Deutschlands, 2. Hauptversammlung 
des V. 799. 

Verlustliste 24, 128, 200, 272, 320, 368, 392, 440, 536, 632, 656, 704, 
728, 824, 848, 872, 896,920,944, 968, 991, 1016, 1040, 1064, 1112, 
1136, 1160. 

Versicherungskasse für die Aerzte Deutschlands a. G. zu Berlin, zum 
Jahresbericht der V. 1063. 

Versicherungspflicht, Zur V. der Angestellten 1232. 

Waffenbrüderliche Vereinigung, Zur Tagung der ärztlichen Abteilung der 
w. V. in Berlin 96, 128. 

Walfang, Zura W. in Norwegen 776. 

Weil-Felix’sche Blutreaktion, Zur Ausführung der W r .-F. B. in den Medi¬ 
zinalämtern 1088. 

Zahnärzte, Wahl von Delegierten für den Arbeiter- und Soldatenrat der 
Gross-Berliner Z. 1160. 

Zahnpflege, Zur Z. in den Schulen Gross-Berlins 848. 


* 


Das alphabetische Namen- und Sachregister steht am Schluss des Jahrgangs . 


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DU Berliner Klinische Wochenschrift erscheint Jeden ^ y v-y - y m *1T " ■ W ■ V Alle Einsondungan fttr die Redaktion and RxpadltloA 

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Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Oeh. Me<L-Rat Prof. Dr. C. Posner und Prot Dr. Haos Kok August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 

Montag, den 7. Januar 1918. «Ml. Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 

Die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft. 

I. Kaki: Geh. Ju9tizrat Prof. D. Dr.: Die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft. S. 1. 

II. Bum: Zur Frage der Schwangerschaftsunterbrechung durch den Arzt. S. 4. 

III. Krau: Berechtigte Indikationen der inneren Medizin für den künstlichen Abortus. S. 7. 

IV. Bonhoeffer: Die Indikationen zur ärztlichen Unterbrechung der Schwangerschaft bei psyohisohen und nervösen Storungen. S. 12. 


Bfickerbesprecknngei : Mohr und Staehelin: Handbuch der inneren 
Medizin. S. 15. (Ref. Strauss.) — Wolff und Mulzer: Lehrbuch 
der Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 15. (Ref. Bruhns.) — 
Hey mann: Hygiene des Ohres im gesunden und kranken Zustande. 
S. 15. (Ref. Sohwabaoh.) — Marouse: Der eheliche Präventiv¬ 
verkehr, seine Verbreitung, Verursachung und Methodik. S. 15. 
(Ref. Zuntz.) — Hirschberg: Entwicklungsgeschichte der augen¬ 
ärztlichen Kunstausdrücke. S. 16. (Ref. Hübotter.) 

Literatur-Aisläge : Pharmakologie. S. 16. — Therapie. S. 16. — All¬ 
gemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 16. — Parasiten¬ 
kunde und Serologie. S. 16. — Innere Medizin. S. 16. — Psyohiatrie 


und Nervenkrankheiten. S. 17. — Kinderheilkunde. S. 17. — Chir¬ 
urgie. S. 17. — Röntgenologie. S. 17. — Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten. S. 18. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 18. — 
Augenheilkunde. S. 18. — Schiffs- und Tropenkrankheiten. S. 19. — 
Militär-Sanitätswesen. S. 19. — Teohnik. S. 21. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Gynäkologische Gesell¬ 
schaft zu Berlin. S. 21. — Verein für wissenschaftliche 
Heilkunde zu Königsberg i. Pr. S. 21. — Naturhistorisoh- 
medizinisoher Verein zn Heidelberg. S. 22. 

Kriegsärztliohe Abende. S. 28. 

Tagesgesohichtl. Notizen. S. 23. — Amtl. Mitteilungen. S. 24. 


Die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft. 

(Referate in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 5. und 12. Dezember 1917.) 


I. Die ärztliche Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft. 

Von 

Geh. Justizrat Prof. D. Dr. Kahl. 

Das mir anvertraute Referat bezieht sich auf die juristische 
Beurteilung der ärztlichen Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft. Es'seheidet also das allgemeine und weitere Gebiet der 
kriminellen Abtreibung als solcher aus. Die Berliner medizinische 
Gesellschaft hat sich, soviel ich weiss, zuletzt im Jahre 1910 mit 
dem Problem beschäftigt. Den Anlass zur gegenwärtigen Wieder¬ 
aufnahme des Themas hat der bekannte Disziplinarprozess in 
Jena gegeben. Dem Wunsche des Herrn Vorsitzenden, hierauf in 
unserer Verhandlung nicht einzngehen, stimme ich als Jurist 
nm so mehr zu, als das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist 
und das aus den Zeitungen bekannt gewordene Material zu einer 
zuverlässigen rechtlichen Beurteilung lange nicht ausreicht. 

Gegenüber dem so begrenzten Thema besteht ein doppeltes 
Interesse der Aussprache: 1. wie ist nach geltendem Recht 
die Berufsfreiheit des Arztes zu Unterbrechungen der Schwanger¬ 
schaft zu bestimmen?, 2. empfehlen sich für die Zukunft recht¬ 
liche Veranstaltungen, sei es, nm das ärztliche Berufsrecht selbst 
auf eine noch sicherere Grundlage zu stellen, sei es, um anderer¬ 
seits den Schutz gegen Missbrauch der ärztlichen Freiheit zu 
verstärken? Neues habe ich in beiderlei Richtung in diesem sach- 
nnd fachkundigen Kreise natürlich nicht anznbieten. Es kommt 
aber auch weniger darauf, als vielmehr gegenüber der Lage der 
Gegenwart auf das Ziel einer endlichen Verständignng wenig¬ 
stens in den äanptfragen an. Für den Erfolg der Zukunft wird 
nicht wenig davon abhängen, ob und inwieweit die Auffassung 


unter den Aerzten selbst mit einer gewissen einheitlichen Wacht 
und Geschlossenheit sich geltend machen kann. 

I. Die Prüfung des geltenden Rechts geht naturgemäss voran. 

Die in diesem Zusammenhang fast regelmässig wieder auf¬ 
tretende Frage der Perforation kann ausser Betracht bleiben. 
Denn diese doch nur vereinzelte Operation bildet heute nicht 
irgendwie den Gegenstand einer öffentlichen Sorge. Für das Be¬ 
völkerungsproblem ist sie ohne reales Interesse. Ebenso die 
Herbeiführung einer Frühgeburt mit der Absicht, das Kind am 
Leben zu erhalten. Auch die Sterilisierung steht nicht in 
notwendigem Zusammenhänge and unterliegt teilweise einer 
anderen juristischen Beurteilung. Sollte sie in die Diskussion 
hereingezogen werden, darf ich mir ein Wort Vorbehalten. Es 
handelt sich also ausserhalb dieser Fälle zunächst nur um die 
Schwangerschaftsunterbrechung i. e. S., gleichgültig, ob durch 
äusserliche oder innerliche Mittel. 

Eine gesetzliche Bestimmung über das ärztliche Recht 
hierzu und seine Grenzen besteht gegenwärtig nicht. Man muss 
es aus anerkannten allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts, aus 
Gewohnheitsrecht und Gerichtspraxis ableiten. In diesem Versagen 
einer bestimmten Rechtsquelle liegt der Grund weitgehender 
Meinungsverschiedenheiten unter den Juristen und, soviel die 
Aerzte angeht, die Ursache eines verbreiteten Gefühles von Rechts¬ 
unsicherheit. Meine persönliche Ansicht fasse ich in den Lehrsatz: 

Eine Unterbrechung der Schwangerschaft ist nur dann 
nicht rechtswidrig, also straflos, wenn sie von einem 
approbierten Arzte aus medizinischer Indikation zur 
Rettung der Mutter aus Lebensgefahr oder Abwendung 
schwerer Gesundheitsbeschädigung nach den Regeln der 
ärztlichen Wissenschaft vorgenommen wird. 

B. Bomm hat die Freundlichkeit gehabt, auf Grund einer 


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2 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


mündlichen Aassprache diese Fassung im wesentlichen schon in 
eine amtliche Veröffentlichung der Preassischen Medizinalverwal¬ 
tung, 1916, Bd. V, H. 8 , aufzunehmen. 

Zur allgemeinen Begründung und zu einzelnem unterstreiche 
ich fünf Punkte. 

1. Nach geltendem Recht ist die Befugnis des Arztes nur in 
ganz ausnahmsweise gelagerten Fällen auf Notstand der 
Schwangeren zu gründen. Denn § 64 StGB, kennt kein all¬ 
gemeines Recht der Nothilfe zu Gunsten irgend einer in Leibes¬ 
oder Lebensgefahr befindlichen dritten Person, sondern erlaubt 
Rettung durch sonst strafbares Handeln nur, wenn die Gefahr 
„für Leib oder Leben des Täters selbst oder eines Angehörigen“ 
besteht. Angehörige sind nach § 52 Abs. 2 „Verwandte und 
Verschwägerte auf- und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflege- 
Eltern und -Kinder, Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten 
und Verlobte“. Nur also, wenn zufällig der Arzt selbst in 
einer derartigen Beziehung zu einer durch Schwangerschaft ge¬ 
fährdeten Frau stehr, kann er die Rettungshandlung unter Be¬ 
rufung auf Notstand erlaubt vornehmen. Ausserdem muss noch 
die weitere Voraussetzung des § 54 vorliegen, dass die Gefahr 
selbst, hier also die Schwangerschaft, eine unverschuldete 
war. . RG.-Urteil vom 3. Juli 1903, Enlsch. Bd. 36, be¬ 
handelt einen solchen Fall der Unterbrechung der Schwangerschaft 
bei der eigenen Frau durch den ärztlichen Ehemann und stellt 
dabei in Verbindung mit noch zwei anderen Fällen zutreffend fest, 
dass in der Ehe eingetretene Schwangerschaft in jedem Fall als 
„unverschuldete“ Gefahr zu gelten habe, auch wenn die Eheleute 
wussten, dass eine neue Schwangerschaft Gefahren bringen werde. 
Aussereheliche Empfängnis würde hiernach vermutlich nicht als. 
„unverschuldete“ Gefahr anerkannt werden. 

2. Ausserhalb der engen Grenzen des Notstandes lässt sich 
ein ärztliches Recht zur Unteibrechung nur aus den allge¬ 
meinen Gründen für die Zulässigkeit ärztlicher Körpereingriffe 
überhaupt ableiten. Den Streit der etwa zehn Theorien hierüber 
(s. Heimberger, Strafrecht und Medizin, 1899) reproduciere 
ich nicht. Wird, wie es der Fall ist, das Recht selbst anerkannt, 
so rückt das Interesse an der Begründung in zweite Linie. Ich 
bleibe, aller Gegengründe ungeachtet, bei der hundertmal sorg¬ 
fältig überlegten Ableitung aus dem staatlich anerkannten 
Berufs recht und dem Zweck der Heilung. Allerdings ist ein 
Unterschied hier nicht zu verkennen, auf den nach Radbruch 1 ) 
auch Goldschmidt 2 ) u. a. hingewiesen haben. Die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft lässt sich nicht restlos unter 
den Begriff der heilenden ärztlichen Tätigkeit bringen, weil 
die Handlung immer, zugleich Tötung der Leibesfrucht ist. Das 
kann aber m. E. an der Richtigkeit der prinzipiellen Grundlegung 
nichts ändern. Ist der lejzte Zweck rechtlich erlaubt, so kann 
auch das einzige in diesem Fall für seine Erreichung verfügbare 
Mittel rechtswidrig nicht sein. Um so weniger, wenn man das 
Wertverhältnis der Objekte von Zweck und Mittel in Rechnung 
stellt. Für alle Regelfälle wird in den hier zu unterstellenden 
Umständen das Leben der Mutter für Familie und Gesellschaft höhere 
Werte darstellen als die unentwickelte Leibesfrucht. Auch ist nicht 
richtig, dass der Embryo als solcher absoluten Rechtsschutz 
geniesse. Die Leibesfrucht ist nicht rechtsfähig, sondern nur in 
den ausdrücklich anerkannten Beziehungen Gegenstand rechtlicher 
Für- und Vorsorge. So eben durch das Verbot der kriminellen 
Abtreibung, im bürgerlichen Recht und hinsichtlich der Thronfolge. 

3. Nur der approbierte Arzt handelt nicht rechtswidrig. 
Das ist mittelbar durch die Rechtsprechung ganz zweifellos da¬ 
durch anerkannt, dass alle anderen Personen, niederes Heilpersonal 
wie Kurpfuscher, für Unterbrechung der Schwangerschaft in jedem 
Fal le wegen kriminelle r Abtreibung in Anspruch genommen werden. 

4. Auch der Arzt darf nur aus medizinischer Indikation 
unterbrechen. Hier tauchen wichtige Einzelfragen auf. 

Was als solche anzusehen sei, ist Sache der ärztlichen Ent¬ 
scheidung allein. Das Recht hat aber insoweit einen Anteil daran, 
als es die Motivierung dieser Indikation durch eine bestimmte 
Zwecksetzung reguliert und begrenzt. Die Unterbrechung gilt 
für das Recht medizinisch nur dann indiciert, wenn sie dem 
Zwecke der Lebensrettung oder Gefahrenabwendung dient. Wie 
geartet an sich die Gefahr für Leib und Leben sei, ist vom 
Standpunkt der Rechtsordnung indifferent. Daher kann es keinen 
Unterschied begründen, ob bei Nichtunterbrechung die Gefahr 
körperlicher oder geistiger Erkrankung besteht. Psychosen können 

1) Geburtshilfe und Strafrecht, 1907, S. 30. 

2) Aerztl. Sachv.-Z., 1911, Nr. 2. 

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so gut wie Tuberkulose medizinisch begründete Anzeigen sein. 
Von Juristen hat namentlich Hans Gross^dies gerechtfertigt. Auch 
die Gradbemessung der Gefahr ist der gewissenhaften Diagnose 
und Prognose des Arztes anheimzustellen. Das Recht muss nur eine 
schwere oder erhebliche Gefahr verlangen. Das fordert der 
Schutz der Leibesfrucht. Ihre Vernichtung ist nur*zu verant¬ 
worten, wenn nach pflichtmässiger Abwägung die Hoffnung be¬ 
steht, dass ihrem Opfer der Gewinn der Erhaltung von Leben 
oder Gesundheit der Mutter entsprechen werde. 

Wie steht es ferner mit dem Zeitpunkte für den Eingriff 
des Arzteb? Für diesen oft die verantwortungsvollste Frage! 
Auch wenn heute das ärztliche Recht nicht formell aus der 
Notstandstheorie abgeleitet wird, ist die Analogie nicht abzuweisen, 
dass die Gefahr eine unmittelbare, eine gegenwärtige sein muss. 
Aber damit ist die Schwierigkeit mehr umschrieben als gelöst. 
Die Gegenwärtigkeit der Gefahr ist nicht absolut zeitlich, son¬ 
dern relativ kausal zu verstehen. Die Gefahr für Leben^oder 
Gesundheit ist nach richtiger Auffassung eine „gegenwärtige“ 
auch schon dann, wenn der Eintritt des Schadens zwar erst nach 
Monaten zu erwarten, in seinen konstitutiven Bedingungen 
aber jetzt schon vorhanden, er selbst also nur dadurch abzu¬ 
wenden ist, dass Unterbrechung unverzögerlich eingeleitet wird. 
Auch das genannte Erkenntnis des RG. gibt dies im Grundsätze 
zu. Andernfalls würde der Arzt in allen Regelfällen zu spät 
kommen, und die ganze Vollmacht wäre sinnwidrig. Das Recht 
muss ihm hier Freiheit und Vertrauen geben. 

Ist weiterhin die Einwilligung der Schwangeren erforder¬ 
lich? Am Bilde des Lebens wird die Frage in der Mehrzahl der 
Fälle gegenstandslos sein, da in ihnen die Unterbrechung auf 
dringende Initiative der Schwangeren selbst geschieht. Nie¬ 
mals kann die Einwilligung selbständiger Rechtsgrund für 
die Erlaubtheit einer Unterbrechung werden, denn die Mutter 
kann auf das Leben ihrer Leibesfrucht nicht verzichten. Die 
Einwilligung ist nur insoweit beteiligt, als der Arzt nicht gegen 
den Willen der Mutter unterbrechen kann. Täte er es dennoch, 
so würde er, selbst volle medizinische Anzeige vorausgesetzt, 
strafbar sein, freilich nicht wegen Körperverletzung, sondern wegen 
Nötigung. Fehlte sogar die medizinische Anzeige, so hätte 
er nicht nur einfache kriminelle Abtreibung, sondern den schwe¬ 
reren Fall des § 220 StGB, zu verantworten, wonach mit Zucht¬ 
haus bestraft wird, wer die Leibesfrucht einer Schwangeren ohne 
deren Wissen oder Willen vorsätzlich abtreibt. Ausserhalb 
dieser Fälle können die Dinge hier nicht anders liegen wie bei 
jedem äusseren oder innerlichen Eingriff. Gibt sich eine Schwan¬ 
gere, die sich krank fühlt, in die Behandlung des Arztes mit dem 
Auftrag und Vertrauen: Tue, was zu meiner Heilung notwendig 
ist, und der Arzt würde nun die medizinisch indicierte Unter¬ 
brechung auch ohne besondere Befragung einleiten, so ist er 
m. E. durch sein Berufsrecht gedeckt. In der Praxis wird er ja 
vermutlich auch dann, ehe er zu dieser Maassnahme schreitet, 
sein Vorhaben mit der Patientin besprechen, und ich würde ihm bei 
der verkehrten Einschätzung, die die herrschende Rechtsanschauung 
der Einwilligung beilegt, m jedem Falle dringend dazu raten. 

Die Voraussetzung der medizinischen Anzeige ist nach 
geltendem Recht absolut und ausnahmslos zu verstehen. Sehe 
ich recht, so i»t dies heute auch die in ärztlichen Kreisen vor¬ 
herrschende Meinung. Vom juristischen Standpunkte ist einfach 
zu sagen: jede aus sozialen oder rassehygienischen Indi¬ 
kationen vorgenommene Unterbrechung ist glatte kriminelle 
Abtreibung. Mag jene in ungezählten Fällen wünschenswert 
sein, so fehlt ihr doch jede Rechtsunterlage. Die Approbation 
gibt keine generelle Vollmacht zur Volksbeglückung. Soll die 
unentbehrliche Freiheit des Arztes auf dem Gebiete rechtlich er¬ 
laubten Handelns gewährleistet bleiben, so muss der ärztliche 
Stand selbst die von einzelnen Standesgenossen beanspruchte 
Rolle der Vorsehung bestimmt ablehnen. Weiss doch jeder, dass 
namentlich die sog. sozialen Indikationen häufig genug lediglich 
der Deckmantel für würdeloses Verhalten der Frauen oder ge¬ 
wissenloses Handeln von Aerzten sind. Ich brauche das nicht 
näher auszumalen. 

Man wende nicht ein, dass zweifelhafte Fälle Vorkommen 
können. Grenzfälle gibt es hier nicht. Sie sind durch die 
absolute Differenz der motivierenden Ursachen ausgeschlossen. 
Es gibt nur konkurrierende Fälle. Individuelle Gefahr 
aus Schwangerschaft oder zu erwartender Entbindung ist ent¬ 
weder vorhanden oder — vom allgemeinen Gefahrenrisiko jeder 

1) W.kl.W., 1904, Nr. 18, S. 10. 

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7. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


3 


Niederkunft natürlich abgesehen — in speeie nicht vorhanden. 
Ist sie nicht vorhanden, so rechtfertigen Armut oder Sorge wegen 
der Vererbung allein niemals und unter keinen Umständen die 
Unterbrechung. Ist sie vorhanden, und es konkurriert damit 
soziale Not, so liegt medizinische Indikation vor. Das hebt 
auch Goldschmidt a. a. 0. an einem Beispiel zutreffend hervor. 
Wird Armut also nur zum steigernden Gefahrenelement bei 
der an sich vorhandenen Krankheitsanlage, so wird sie zur 
motivierenden Ursache der medizinischen Anzeige selbst 
und der Arzt hat freie Bahn. 

Spezialfrage ist noch der im Krieg wieder aufgetauchte 
Zweifel über das Recht der Unterbrechung bei Notzucht. Aus 
der mechanischen Brutalität der Vergewaltigung oder der 
psychischen Erregung der Geschwängerten kann sich sehr leicht 
eine wohlmotivierte medizinische Anzeige ergeben. Ist dies 
aber nicht der Fall, so kann wegen des noch so bemitleidens¬ 
werten Unglücks und der Schande allein die Unterbrechung sich 
niemals rechtfertigen lassen, so wenig wie bei der Verführung. 
Hier müssen andere Veranstaltungen eintreten: Abnahme und Er¬ 
ziehung des Kindes durch den Staat, Entschädigung und dgl. 
Ueberhaupt aber ist dem Tatbestände gegenüber höchste Vorsicht 
geboten. Es gibt, wie der Jurist sich ausdrückt, auch eine „vis 
grata“und Notzucht wird gelegentlich vorgeschwindelt. Olshausen 
bat mir einmal als „nicht ganz zweifelsfrei“ bezeichnet, ob bei 
äusserstem Widerstand der Frau Empfängnis überhaupt möglich 
sei. Keinesfalls kann Notzucht als solche die Unterbrechung 
indicieren. So verstehe ich auch Fr. Strassmann in dem 
interessanten Falle Vrtljschr. f. gerichtl. M., 1915, Bd. 49. Endlich 

5. habe ich in meinen Lehrsatz noch aufgenommen, dass 
die Unterbrechung nach den Regeln der ärztlichen Wissen¬ 
schaft vorgenommen sein muss. Es ist an sich selbstverständ¬ 
lich, soll aber erinnern, dass auch da, wo erlaubte Unterbrechung 
vorliegt, der Arzt wegen Kunst fehl er für fahrlässiges Handeln 
selbständig verantwortlich bleibt. Kunstfehler ist jedes eigen¬ 
mächtig leichtsinnige oder fri vole Abweichen von feststehenden 
und erprobten Regeln der medizinischen Lehre und Erfahrung. 

Das ist das geltende Recht. 

II. Es folgt in Kürze der Fragenkreis der Zukunft. 

Erste Unterfrage: Ist in der Gesetzgebung eine noch grössere 
Sicherstellung der Aerzte selbst anznstreben? Bei den durch 
den Krieg leider jäh unterbrochenen Vorarbeiten zur Strafrechts¬ 
reform hat man sich eingehend damit beschäftigt. Das ganze 
Material kann ich nicht vorlegen. Es genügt die jüngste Quelle, 
unser amtlicher Kommissionsentwurf von 1913, der bei 
Fortsetzung der Reform doch jedenfalls die Grundlage bildet. 
Ohne den Krieg würde dieser Entwurf in eben diesem Jahre 1917 
bereits dem Reichstage zur Verabschiedung vorgelegt worden sein. 

Die Kommission hat zunächst den allgemeinen Notstands¬ 
begriff durch ausdrückliche Anerkennung eines Rechts der Not- 
bilfe zu Gunsten Dritter auch für das Strafrecht erweitert. 
Zur Straflosigkeit vorausgesetzt ist nur dreifach a) pflichtmässige 
Berücksichtigung der sich gegenüberstehenden Interessen, b) gegen¬ 
wärtige, nicht anders abwendbare Gefahr, aus der einem anderen 
erheblicher Schaden droht (den er nicht rechtlich zu tragen ver¬ 
pflichtet ist), und c) dass die Tat nicht gegen den Willen 
des Gefährdeten begangen sei. Darin soll auch die medizinisch 
indicierteUnterbrechung der Schwangerschaft ihre unausgesprochene 
Deckung finden. 

Dieser nur allgemeinen Regel gegenüber besteht aber die 
sehr bestimmt hervorgetretene Ansicht, sie sei für das Bedürfnis 
der Aerzte ungenügend, es bedürfe einer gesetzlichen Sonder¬ 
bestimmung. Preussische Aerztekammern selbst haben das 
früher verlangt. Nach dem Vorbilde des Österreichischen Entwurfs 
und des von Liszt, Lilienthal, Goldschmidt und mir gegen 
den Vorentwurf von 1909 herausgegebenen [sog. Gegeneutwurfs 
von 1911 wurde daher von der Strafrechtskommission in erster 
Lesung 1912 zu dem Paragraph über Abtreibung als letzter Absatz 
hinzugefügt: 

„Die Tötung der Frucht ist straflos, wenn sie ein Arzt 
nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit Einwilligung der 
Schwangeren vornimmt, um von ihr eine auf andere Weise 
nicht zu beseitigende erhebliche Gefahr für Leib oder Leben 
abzuwenden.“ 

Es wurde also ungefähr als Sonderrecht kodificiert, was 
man heute als ungeschriebenes geltendes Recht annimmt. In 
zweiter Lesung 1913 wurde aber diese Bestimmung wieder ge¬ 
strichen, und zwar auf Anregung der ärztlichen Sachver¬ 
ständigen selbst. Auf die lebhaften Verhandlungen darf ich 


hier nicht eingehen. Die Aerzte erklärten eine SonderbestimmuDg 
weder für notwendig noch auch nur für wünschenswert. 

Unter den juristischen Schriftstellern wird die Notwendigkeit 
namentlich von Goldschmidt u. a. 0. vertreten. Die Not¬ 
standsbestimmung reiche nicht aus, weil der Begriff der „Gegen¬ 
wärtigkeit“ der Gefahr Schwierigkeiten mache und die Tötung 
der Frucht nicht durch den Heilzweck gedeckt sei. Gewinne 
die grundsätzlich ablehnende Haltung der katholischen Moral¬ 
theologie, wie sie z. B. in Holland sich geltend gemacht bat, 
Einfluss auch auf die deutsche Rechtsprechung, dann webe den 
Aerzten, die sich nicht auf ein ausdrückliches Garantiegesetz be¬ 
rufen könnten. Nötig sei die Sonderbestimmung auch, um dadurch 
alle nicht medizinischen Indikationen gesetzlich auszuschHessen. 

Meinerseits bin ich vor und in der Kommission überzeugt 
für eine Sonderbestimmung eingetreten. Heute stehe ich zur 
Sache so, dass ich die Entscheidung den Aerzten preis¬ 
gebe. Beneficia non obtrudantur. Ich verstehe, dass man ein 
Sondergesetz als Privilegium odiosum ansehen kann und dass 
Standesempfindungen eine Rolle spielen. Widerstrebte also eine 
Sonderordcung der überwiegenden Meinung der Aerzte selbst, so 
würde ich nicht mehr dieStimmung gewinnen können,bei Fortsetzung 
des Reformwerkes für diese grössere Sicherstellung einzutreten. 

Zweite Unterfrage der Zukunft: Bedarf es eines stärkeren 
Schutzes gegen Missbrauch der ärztlichen Freiheit? 

Der Jurist, der an dieses Problem herantritt, stellt sich 
pflichtgemäss v. a. die Schuldfrage. Sie lässt sich aber nicht 
einseitig nur für die Aerzte stellen, weil sie die Resultante zahl¬ 
reicher in unheimlicher Wechselwirkung ineinander greifender 
Faktoren ist. Ohne ihre annähernd richtige Beurteilung keine 
Möglichkeit unbefangener Vorschläge. Annähernd richtig. Denn 
absolut Sicheres lässt sich hier überhaupt nicht aufstellen. Die 
Statistik der Geburtenbewegung kann die Zahl der Aborte an¬ 
geben, aber die eigentlichen Schuldvorgänge und -träger lassen 
sich nur selten zahlenmässig erfassen. Etwas ergiebiger schon 
ist die Kriminalstatistik in Verbindung mit dem Studium von 
Begnadigungsakten. Noch aufklärender die Kunst, zwischen den 
Zeilen gewisser Zeitungsanzeigen zu lesen und das Ablauschen 
der öffentlichen Meinung. Am zuverlässigsten die persönliche 
Erfahrung. Auch zum Kriminalisten findet mancher seinen stillen 
Weg, dem die Angst an den Kragen geht. Mein aus solchen 
Quellen gewissenhaft bedachtes Ergebnis ist dieses. Zweifellos: viele 
Aerzte, und zwar ohne grundsätzliche Verschiedenheit von 
Gross- und Mittelstadt, von Stadt und Land, haben in pflicht¬ 
widriger Weise sich Unterbrechungen geleistet, die vorbehaltslos 
als kriminelle Abtreibungen anzusprechen sind. Nicht immer 
haben unehrenhafte Motive dabei eine Rolle gespielt, öfters ein¬ 
fache eigenwillige Weltanschauung. Aber diese Fälle haben 
gleichwohl selbst in ihrer Einheit einen nennenswerten Einfluss 
auf den Nachwuchs einer 70 Millionen-Bevölkerung nicht aus¬ 
üben können. Den entscheidenden Anteil am nationalen Verlust¬ 
konto (soweit Abtreibung überhaupt am Geburtenrückgang beteiligt) 
hat der lichtscheue Grossbetrieb der gewerbsmässigen Abtreiber 
und Abtreiberinnen, die sich teilweise, durchaus nicht immer, aus 
dem Stande der Hebammen rekrutieren. Auch dieser Grossbetrieb 
aber würde seine hohen Prozente nicht erreichen, wenn nicht ein 
erheblicher Teil der in wie ausser der Ehe schwangeren Frauen¬ 
welt ihm und den Aerzten willig entgegenkäme, ja sich darböte. 
Unter den Beweggründen ist eigentliche soziale Not kaum für 
die Hälfte der Fälle einzustellen. Die andere Hälfte kommt 
reichlich auf Schamgefühl, Angst, Bequemlichkeit, Genusssucht, 
Weichlichkeit und ähnliches. Die sog. oberen Schichten sind 
verhältnismässig genau so beteiligt wie die unteren. Die 
Auffassung von der Würde der Mutterschaft steht allgemein tief. 
Erstaunlich ist, bei wie vielen das Verständnis für die ver¬ 
brecherische Natur der Abtreibung überhaupt fehlt. Nicht 
selten finden sich Ehefrauen durch die eigenen Ehemänner, 
denen Familienzuwachs lästig ist, angestiftet. Die Theorien über¬ 
spannter Halbgeister von einem angeblichen freien Verfügungs¬ 
recht über die Leibesfrucht tragen zuletzt dazu bei, Vernunft und 
Gewissen einzuschläfern. 

So sehe ich den Tatbestand. Hiernach muss ich aucfy die 
Mittel wählen und verteilen. Von den Mitteln gegen das gewerbs- 
mässsige Abtreiberunwesen und gegen pflichtvergessene Schwan¬ 
gere ist hier nicht die Rede. Es bandelt sich allein um Aerzte. 
Nur ein Zweifaches muss ich streifen, was sich zwar auf den 
Kampf gegen das Abtreibertum überhaupt bezieht, wobei aber 
der Aerztesstand als Mittel dienen soll. Ich meine 1. den Ge¬ 
danken der Aufhebung des ärztlichen Berufsgeheimnisses 

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4 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


in den Fällen, in denen der Arzt durch die Patientin oder sonst¬ 
wie anf die Spur der Missetäter kommt. Davor könnte ich nicht 
genug warnen. Gestaltet man die Aufhebung als Recht, so 
wird sie wirkungslos sein; denn kein Arzt wird davon Gebrauch 
machen und sich als Hilfsorgan des Strafrichters betätigen. Ge¬ 
staltet man die Aufhebung als Pflicht, wie v. Winckel in 
einem gleich zu erwähnenden Aufsatze will, so wird die Folge 
nur sein, dass sich das Verbrechen in noch grössere Heimlichkeit 
zurückzieht, und dass noch mehr Frauen zu Grunde gehen. Die 
Preisgabe des ärztlichen Berufsgeheimnisses hat nur da einen 
ethischen Grund, wo ein konkretes grösseres Uebel damit 
verhütet werden kann, nicht aber für repressive Zwecke der 
Polizei und Strafrechtspflege. Und ich meine 2. das eben von 
v. Winckel 1 ) ausgedachte, wenn ich es kurz zusammen fassen 
darf, spezialisierte Kontrollsystem über die Frauen. Der 
Kritik von Hirsch 2 ) und vorausgehend von Flosch 3 ) trete ich 
vollinhaltlich bei. Zahl und Zeit der erforderlichen Aerzte würden 
nicht aufzutreiben, der Erfolg den aufgewandten Muhen nicht 
entsprechend, in jedem Falle das System beschämend und belästi¬ 
gend für die Frauen sein. 

Die Frage des Schutzes gegen Missbräuche der Aerzte 
selbst muss ernst genommen werden, vor Uebertreibungen aber, 
die der wirklichen Lage nicht entsprechen, muss man sich hüten. 
Ich erwähne auch hier nur ein Zweifaches, was gewissermaassen 
als Residuum einer Flut von Vorschlägen in die jüngste Phase 
der öffentlichen Diskussion sich gerettet hat, das eine, um es 
abzulehnen, das andere, um es zu empfehlen. 

Nicht vertreten möchte ich die Forderung, dass der Arzt 
rechtlich verpflichtet werde, zu jeder Unterbrechung der Schwan¬ 
gerschaft einen zweiten Arzt zuzuziehen, empfohlen, u. a. von 
Oetker 4 ) und v. Franque 5 ). Mit der Ablehnung befinde ich 
mich in Uebereinstimmung mit Bumm, Strassmann, Gold¬ 
schmidt an den a.O. u. Schönheimer 6 ). Soll es ein beamteter Arzt 
sein, auf Grund jedesmaliger vorheriger Anzeige, Beratung und 
Aufnahme eines Protokolls, so ist die Maassregel in vielen Fällen 
gar nicht durchführbar und gewinnt ausserdem einen bürokra¬ 
tisch unangenehmen Anstrich. Kann es jeder beliebige Arzt sein, 
so ist sie wirkungslos. Denn gleiche Brüder finden sich. 

Ueberaus beachtenswert erscheint mir dagegen die auch von 
Bumm u. a. gutgeheissene Einführung einer Anzeigepflicht für 
jeden künstlich ausgeführten Abortus. Viele versprechen sich 
wahrscheinlich auch davon nichts. Diesen Eindruck habe ich 
z. B. von einer Zwischenbemerkung Strassmann’s a. a. 0. 
Aber es kommt nur darauf an, wie die Sache eingerichtet wird. 
Und darin möchte ich allerdings erheblich über die bisherigen 
Vorschläge hinausgehen. Zweckgemäss ausgestaltet könnte solche 
Einrichtung sehr wohl ein wirksamer Antrieb zur Selbstkontrolle 
und eine starke Hemmung gegen leichtfertige Entschlüsse werden. 
Nur muss, wer nach dem Rechte greift, immer auch den Mut 
der Konsequenz haben und den begrifflich dahinterstehenden 
Zwang mitwollen. Als eine blosse Form Vorschrift könnte die 
nachträgliche Anzeigepflicht freilich nichts leisten. Sie muss als 
eine materielle Verpflichtug von nachdrücklichstem Ernst 
gestaltet sein. Zunächst nach einem amtlichen Schema mit 
genauer Begründung der Indikation und Angabe der Mittel. So¬ 
dann muss die Erklärung über die Wahrheit der Angaben als 
eidesstattliche Versicherung mit den Straffolgen des § 156 
des StGB., Gefängnis von 1 Monat bis zu 8 Jahren im Fall der 
wissentlichen Falschaussage, abzugehen sein. Denn es han¬ 
delt sich um ein vitales Staatsinteresse. Haben wir jüngst zwecks 
Regulierung der Kohlenverteilung die Zahl der heizbaren Zimmer 
unter eidesstattlicher Versicherung angeben müssen, so steht das 
Interesse am Leben eines Menschen gewiss nicht nach. Endlich 
aber müssten beharrliche Nicht- oder pflichtwidrige Erfüllung 
unter 1 die Gründe aufzunehmen sein, die nach § 58 Abs. 1 der 
Gewerbeordnung zur Zurücknahme der Approbation ermäch¬ 
tigen. Denn dadurch hätte sich der Arzt des Vertrauens unwürdig 
gezeigt, das eine der Voraussetzungen für die Approbationsertei¬ 
lung war. Nimmt man zuletzt dazu, dass eine derartig gestaltete 
Anzeigepflicht endlich eine zuverlässige Unterlage für eine er¬ 
schöpfende Statistik der ärztlichen Unterbrechungen der 


1) Zsohr. f. Sexual-Wissenschaft u. Politik, 1910, H. 1. 

2) Zschr. f. Sexual-Wissenschaft u. -Politik, 1910, H. 5. 

8) Msohr. f. soziale Hygiene u. Med., H. 6 u. 7. 

4) Mitt. d. Internat. Kr.-Ver., Bd. 21, H. 1. 

5) Jurist. Psych. u. Grundfragen, 1910, Bd. 7, H. 4. 

6) Verh. d. Aerztek. für Brandenburg u. Berlin, Bd. 9. 


Schwangerschaft abgeben würde, so scheinen mir das Empfeh¬ 
lungsgründe genug. 

Entweder etwas Rechtes oder nichts! An weitere rechtliche 
Fesseln möchte ich die Aerzte nicht gelegt wissen. Was ich 
juristisch zur Sache vorzubringen habe, ist damit vorläufig er¬ 
schöpft. Die Hauptsache am Problem ist es freilich lange 
nicht. Das Recht kann nur Unzulängliches leisten. Hauptsache 
bleibt die Lösung der idealen Kräfte im Kampf gegen Unrecht 
und Unverstand und gewissenhafte Selbstbesinnung auf die ein¬ 
fache vaterländische Pflicht und Schuldigkeit. Was die Aerzte 
tun wollen, um diese Kräfte im Kreise der eigenen Standesgenossen 
zu stärken, darüber stehen mir Ratschläge nicht zu. Aber ein 
Appell an vaterländische Pflicht sollte heute nirgends ungehört 
verhallen. 


II. Zur Frage der Schwangerschaftsunter¬ 
brechung durch den Arzt. 

Einleitende Bemerkungen. 

Von 

E. Baum. 

Die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft, die heute 
vor dem Forum unserer Gesellschaft erörtert werden soll, hat 
unter den geburtshilflichen Maassnahmen lange Jahre ein stilles 
und wenig beachtetes Dasein geführt. Es galt der Grundsatz: 
die Frucht darf nur vernichtet, die Schwangerschaft darf nur 
unterbrochen werden, wenn durch ihren Fortbestand das mütter¬ 
liche Leben unmittelbar bedroht ist. Mit der Mutter würde auch die 
Pracht zugrunde gehen. Um wenigstens ein Leben zu erhalten, muss 
die Fracht geopfert werden. Diese Indikation ist klar und schlüssig 
und kein vernünftiger Mensch kann Einwände dagegen erbeben. 

Das hat sich geändert, seitdem im Laufe der letzten Jahr¬ 
zehnte die Anzeigen zur Unterbrechung der Schwangerschaft mehr 
und mehr erweitert wurden und dementsprechend der früher 
seltene Eingriff immer häufiger ausgeführt wird. Man ging zu¬ 
nächst von der absoluten Indikation einer unmittelbaren Lebens¬ 
gefahr der Mutter zu der relativen Indikation einer ernsten Gesund¬ 
heitsschädigung, also zu einem viel dehnbareren Begriff über. Was 
unter „ernster 11 Gesundheitsschädigung zu verstehen ist, kann schon 
recht verschieden ausgelegt werden. Ein Schritt weiter führte 
dazu, die Schwangerschaftsunterbrechung auch dann zu gestatten, 
wenn Lebensgefahr oder die schwere Gesundheitsschädigung nicht 
unmittelbar Vorlagen, sondern im weiteren Verlaufe der Schwanger¬ 
schaft erwartet werden konnten. Damit war ein neues Moment 
für subjektive Anschauung und Beurteilung eingeführt. Es wird 
immer schwierig bleiben, voraus zu wissen und mit einiger 
Sicherheit vorauszusagen, wie sich eine die Schwangerschaft 
komplicierende, erst in ihren Anfangssymptomen vorhandene Er¬ 
krankung, sagen wir z. B. eine Schwangerschaftsniere, weiter 
entwickeln wird. Es kann und wird hier in der Regel alles 
leidlich gut abgehen, es kann aber auch zu schweren Funktions¬ 
störungen der Nieren und zuY* Eklampsie mit ihrem unberechen¬ 
baren Ausgang kommen. Wenn die Patientin drängt, kann der 
Arzt ängstlich werden, an die ungünstigen Möglichkeiten denken 
und sich zur Einleitung des Abortus berechtigt halten. Wenn 
der Eingriff dann schlecht ausgeht und die Frau an den Folgen 
stirbt, zeigt sich erst, wie schwer eine solche Indikationsstellung 
zu vertreten ist. Das habe ich erlebt, als ich zu einem Fall 
tödlicher Sepsis nach künstlichem Abortus hinzugesogen wurde, 
es hatte nichts Vorgelegen als eine leichte Albuminurie, und der 
Arzt hatte sich durch das Drängen der Leute zum Abortus be¬ 
stimmen lassen. 

Die Unbestimmtheit und Dehnbarkeit^der Indikationsstellung 
hatten die steigende Berücksichtigung von Ümständen, die ausser¬ 
halb des Kreises medizinischer Beurteilung liegen, die sogenannte 
soziale Indikation zur notwendigen Folge. Wenn in Zukunft 
mögliche oder zu erwartende Verschlimmerungen den Grand für 
den künstlichen Abortus abgeben durften, so war es nur kon¬ 
sequent, auch in Berücksichtigung zu ziehen, dass schlechte 
äussere Verhältnisse, wirtschaftlicher Notstand oder die über¬ 
mässige Beanspruchung des mütterlichen Körpers durch viele 
vorausgegangene Geburten eine vorhandene, an sich noch nicht 
ernste Erkrankung ungünstig beeinflussen konnten, ' und deshalb 
zur Unterbrechung zu schreiten. Man ist aber bei dieser Mischung 
medizinischer und sozialer Begründung des Abortus nicht stehen 
geblieben, sondern hat in der letzten Zeit auch gefordert und 


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7. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


6 


wissenschaftlich veitreten, dass allein auf Grand äusserer Ver¬ 
hältnisse,. also z. B. der Unmöglichkeit ein weiteres Kind zu er¬ 
nähren, der Mutter die Beschwernisse der Schwangerschaft and 
die Gefahren der Geburt erspart und der Abortus eingeleitet 
werden solle. Das ist die soziale Indikation zum künstlichen 
Abortus in reiner Form. Nachdem man die Grenze medizinischer 
Anzeigestellung zur Schwangerschaftsunterbrechung überschritten 
hatte, hinderte nichts mehr, zu verlangen, dass auch zum Zwecke 
der Rasse Verbesserung und zur Ausschaltung vererbbarer Schäden 
dann, wenn die prophylaktische Konceptionsverhinderung versagt 
hatte, die Beseitigung der Frucht während ihrer intrauterinen 
Entwicklung erlaubt sein müsse; das ist die sogenannte eugenische 
Indikation, die sich auf der Gal tonischen Eugenik, der Lehre 
vom Wohlgeborenwerden, von der Befreiung der Menschheit von 
den durch den Erbgang verbreiteten Schädlingen aufbaut. 

Zu alledem ist noch ein Umstand hinzugetreten, der den Boden 
für die Zunahme des künstlichen Abortus bereitet und sie überhaupt 
erst ermöglicht bat: die materialistische Lebensauffassung und 
die dadurch herbeigeführte Ausschaltung der höheren religiösen 
ethischen Rücksichten bei der Fortpflanzung. Das Ergebnis dieser 
zu Ende des vergangenen Jahrhunderts einsetzenden Bewegung 
war die Rationalisierung des Fortpflanzungstriebes und der 
immer weiter um sich greifende Wille zur Einschränkung der 
Kinderzabl. Schon das zweite Kind wird mit geteilten Gefühlen 
empfangen, das dritte gilt beinahe schon als ein Unglück, und 
wenn trotz aller Gegenmittel eine vierte oder fünfte Schwanger¬ 
schaft auftritt, werden alle Mittel in Bewegung gesetzt, sie los 
zu bekommen. Allzu viele Frauen haben das Gefühl für die 
Heiligkeit der Frucht im Mutterscboss verloren, sie betrachten 
die Schwangerschaft als eine rein vegative Funktion des Körpers 
und denken, nicht daran, dass auch das keimende Leben schon 
ein wirkliches menschliches Leben ist. Die Frau, welche die 
Konceptionsverhinderung und die Beseitigung der Schwangerschaft 
in den ersten Monaten aus ethischen Gründen von sich weist, ist 
schon selten geworden. Es fehlt aber nicht nur jede Hemmung, 
sondern es besteht oft auch ein Drängen des Publikums zum 
Abortus, dem der Arzt nur schwer Widerstand leisten kann, wenn 
er die Konkurrenz und den Entgang von Honorar fürchten 
muss, und wenn die Schwangere ihre Beschwerden maasslos 
übertreibt. 

So sind wir allmählich bei Zuständen angelangt, welche zu 
Klagen über leichtfertige Indikationsstellung und zu der Be¬ 
fürchtung geführt haben, dass durch Missbrauch des künstlichen 
Abortus die natürliche Bevölkerungszunahme gehemmt und dem 
ärztlichen Ansehen schwerer Schaden zugefügt wird. Die An¬ 
gelegenheit hat die fachärztlichen Kreise, die ärztlichen Standes¬ 
vertretungen und Medizinalbehörden schon lange beschäftigt, es 
ist zu begrössen, dass durch die Verhandlungen unserer Gesell¬ 
schaft nunmehr auch weiteren Kreisen der in der Praxis und im 
Leben stehenden Aerztescbaft Gelegenheit gegeben wird zur Aus¬ 
sprache und Stellungnahme, und ich darf wohl der Hoffnung 
Ausdruck geben, dass von dieser Gelegenheit recht reichlich und 
mit aller Offenheit Gebrauch gemacht wird. 

Es steht zur Frage: Inwieweit sind die Klagen über die allzu 
häufige missbräuchliche Vornahme der Schwangerschaftsunter¬ 
brechung durch Aerzte berechtigt, und welche Grundsätze sollen 
für den therapeutischen Abortus Geltung haben. 

Was zunächst die Zahl der ärztlicherseits ausgeführten 
Schwangerschaftsunterbrechungen anlangt, so gibt es darüber aus 
erklärlichen Gründen keine allgemeine Statistik. Man muss sich 
also mit Schätzungen behelfen. So lange man nur die vitale 
Indikation gelten liess, trat die Notwendigkeit der Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung an den Arzt nur ausserordentlich selten 
heran. Ahlfeld hat in 40jähriger Praxis nur zweimal, Winckel 
bei 100 000 Geburtsfällen seiner Klinik nur einmal den Abortus 
ausgeführt. Auch bei der Erweiterung der Indikation auf ernste 
Gesundheitsscbädigung sind die Fälle von künstlichem Abortus 
noch selten. Fritsch berichtet, dass er in 30jähriger Tätigkeit 
9 mal die Unterbrechung vornahm. Meine eigenen Erfahrungen 
stimmten damit überein. Ich habe in 32 Jahren praktischer 
Tätigkeit 11 mal den künstlichen Abortus eingeleitet und glaube, 
abgesehen von einem Fall, wo bei Chorea zu spät eingegriffen 
wurde und die junge Frau einen Tag nach der Ausräumung des 
Uterus unter maniakaliscber Erregung starb, nichts versäumt zu 
haben. Es kommt also bei Fritsch wie bei mir etwa 1 Fall 
auf 3 Jahre. 

In der Berliner Universitätsfrauenklinik wurde von 1910—15 
59 mal der künstliche Abortus für nötig erachtet und ausgeführt, 


also durchschnittlich 12 mal im Jahr, was in anbetracht des 
grossen Krankenmaterials und der vielen Zuweisungen auch keine 
grosse Zahl ist. Nehme ich an, dass in anderen Berliner Kliniken 
und in der Privatpraxis in der gleichen Zeit etwa die zehnfache 
Zahl von Aborten eingeleitet wurde, so käme ich auf 132 Fälle 
im Jahr. Das ist etwas über 1 pCt. der 10 000 jährlichen Aborte 
Berlins. 

Ein erfahrener Berliner Gynäkologe hat mir diese Schätzung 
als sehr naiv bezeichnet, und ich gebe gerne zu, dass die ge¬ 
nannte Zahl, die auf der vorsichtigen Indikationsstellung der Kli¬ 
niken aufgebaut ist, hinter der Wirklichkeit zurückbleibt. Wenn auf 
dem platten Lande nur selten von der Unterbrechung Gebrauch ge¬ 
macht wird, so geschieht es in den Städten und zumal in den Gross¬ 
städten umso häufiger. Dafür sprechen manche Erfahrungen: Die 
59 Fälle, in denen wir uns zur Einleitung des Abortus entschlossen, 
sind ausgewählt aus 202 Fällen, die uns zur Einleitung zugesandt 
worden sind; dreimal Öfter als nötig war von Aerzten die Indikation 
für vorliegend erachtet worden. Jüngere Aerzte berichten aus 
kleinen Privatkliniken über „Serien von 30 und mehr Fällen 
operativer Schwangerschaftsunterbrechungen wegen Tuberkulose“. 
Dass es vielfach mit der Einleitung des Abortus leicht genommen 
wird, zeigen auch die Anamnesen in den klinischen Sprech¬ 
stunden und im Gebärsaal. Nahezu regelmässig müssen wir es 
erleben, dass Frauen, denen wir die Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft abgeschlagen haben, andere Aerzte zu finden wissen, welche 
den Abortus für indiciert halten und ihn ausführen. Bei den 
Frauen, welche infolge von Uterusperforation bei der Vornahme 
des Abortus (3 — 4 Fälle jährlich) oder wegen nachfolgender In¬ 
fektion in die Klinik gebracht werden, ist gewöhnlich von der. 
angeblichen Tuberkulose oder Nephritis nichts zu finden und 
überhaupt keine Krankheit nachweisbar, die als Grund der Unter¬ 
brechung gelten könnte. Ich kenne auch aus der Konsultations¬ 
praxis 3 Fälle, in welchen der mangelhaft durcbgeführte Abortus 
zum Tode führte und kein stichhaltiger Grund für den Eingriff 
vorlag, zweimal nervöse Erscheinungen, einmal Albuminurie im 
3. Monat. Wenn die wiederholten Erzählungen von Frauen richtig 
sind, so gibt es Aerzte, die wöchentlich mehrmals den Abortus 
ausführen, und andere, die in einer Art von Symbiose mit einer 
Hebamme leben, die durch innere Eingriffe Blutung hervorruft 
und die Frauen dann zur Ausräumung des Uterus dem Arzte zu¬ 
schickt. 

Mag man aber selbst die dreifache Ziffer der ärztlichen 
Schwangerschaftsunterbrechungen für Berlin, also 400 im Jahr 
und für ganz Deutschland 1 pCt. der jährlichen 300 000 Aborte, 
also 3000 annebmen, die Zahl bleibt gegenüber den wirklichen 
Verlusten, die beim Menschen mit der Fortpflanznng verknüpft 
sind, und gegenüber den Verlusten durch Konceptionsverhinderung 
und Abtreibung gering. Die natürlichen Verluste setzen sich zu¬ 
sammen aus dem Ausfall von Kindern durch sterile Eltern, aus 
Abortusfällen und Totgeburten. Sie weisen folgende jährliche 
Zahlenwerte auf: Ausfall durch 10 pCt. sterile Ehen etwa 
220 000 Kinder, davon V 4 infolge gonorrhoischer Infektion; 200 000 
(10 pCt.) Aborte durch örtliche und allgemeine Erkrankungen 
der Mutter, zufällige Beschädigungen und Entwicklungsstörungen 
des Eies; 55 000 Totgeburten, davon etwa 36 000 durch mecha¬ 
nische und andere Geburtsstörungen, je 9000 durch Syphilis und 
Nephritis. 

Tabelle 1 ). 

I. Natürliche Verluste. 

1. Ausfall durch Sterilität der Ehe (lOpCt.) . . . 220 000 Kinder 

(davon V* durch Gonorrhoe) 

2. Ausfall duroh Abortus infolge von Erkrankungen 

und zufälligen Schädlichkeiten. 200 000 „ 

3. Totgeburten. 55 000 * 

davon Syphilis 9000 

Nephritis 9000 

mechanische und andere Geburtsstörungen 36000_ 

Sa. 475 000 Kinder 

II. Künstliche Verluste. 

Bei ungehemmter Natalität von 40 Geburten auf 

1000 Lebende bei 68 Millionen Einwohner 1914 


68x40000 .Soll 2 720000 

Wirkliche Geburtenzahl lebender Kinder 1914 . . Haben 1 818596 

Defizit 901404 

Davon Verlust durch Konceptionsbehinderung . 800 000 

„ „ „ Abtreibung. 100000 


1) Die nähere Begründung der folgenden Zahlen vgl. Msohr. f. Geb. 
u. Gyn., 1917, Bd. 46. E. Bumm, Geburtshilfe und Geburtenrückgang. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


Die natürlichen Verloste der Fortpflanzung waren in früheren 
Zeiten nicht geringer, sondern eher grösser, sie haben aber die 
kräftige Volksvermehrung nicht gehindert; der Rückgang der Ge¬ 
burtenzahl ist erst eingetreten, als zu den natürlichen Verlusten 
die künstliche Behinderung der Konception und die Abtreibung 
hinzutraten, und die niedergehende Geburtenkurve ist um so 
rascher gefallen, je mehr die beiden Faktoren in der Bevölkerung 
um sich griffen. Trotz aller natürlichen Verluste wurden bei un¬ 
gehemmter Vermehrung Mitte der siebziger Jahre in Deutschland 
400 Kinder auf 10 000 Einwohner geboren. Da seitdem die 
hygienischen Verhältnisse nicht schlechter geworden sind, der 
natürliche Ausfall also nicht gewachsen sein kann, hätten bei 
einer Bevölkerung von 68 Millionen 68X40 000 = 2 720 000 
lebende Kinder geboren werden müssen. Tatsächlich sind es 
1914 nur 1 818 596 gewesen, es fehlen also rund 900 000, statt 
400 wie vor 40 Jahren sind nur 268 Kinder auf 10 000 Ein¬ 
wohner geboren worden. Von den fehlenden Kindern sind unter 
dem steigenden Einfluss der Schutzmaassregeln 800 000 überhaupt 
nicht erzeugt, etwa 100 000 wieder abgetrieben worden. Die 
Zahl der Abtreibungen mag sehr hoch erscheinen, sie wird aber 
dadurch bewiesen, dass seit den letzten 20 Jahren die Frequenz 
des Abortus in den Grossstädten von 10 auf 20 pCt. der Geburten, 
in ganz Deutschland auf etwa 15 pCt. gestiegen ist. Von 
100 Frauen, die im Laufe eines Monats mit Abortus in die poli¬ 
klinische Sprechstunde der Berliner Universitäts- Frauenklinik 
kamen, haben 89 nach eigenem Geständnis den Abgang selbst 
eingeleitet oder durch Abtreiberinnen herbeiführen lassen! 

Wenn solchen gewaltigen Verlusten gegenüber 3000 ärztliche 
Abortvornahmen zahlenmässig nicht allzu hoch angeschlagen 
werden können, so ist laxe Indikationsstellung beim therapeuti¬ 
schen Abort für die Moral des Publikums und für das Ansehen 
des Aerztestandes um so verderblicher. Man soll nur nicht 
glauben, dass die Frauen das wissenschafiliche Mäntelchen, das 
der Schwangerschaftsunterbrechung umgebängt wird, nicht durch¬ 
schauen. Sie machen sich nachher darüber lustig oder führen 
die bittersten Klagen, wenn ihren Kindern ein Unglück passiert 
und sie dann mit zunehmendem Alter allein im Leben stehen. 
Wenn die Aerzte keine Ehrfurcht mehr vor dem keimenden 
Leben haben, so darf man sich nicht wundern, wenn sie das 
Publikum verliert und sicn die Abtreibungen im grossen Maass¬ 
stabe häufen. Nach meinen persönlichen Erfahrungen habe ich 
den Eindruck, dass die grosse Masse der Aerzte sich vorläufig 
nur selten einmal veranlasst sieht, den Abortus einzuleiten, und 
dass es sich bei den ärgerlichen Erscheinungen, die am meisten 
aus dem Kreise der Aerzte selbst heraus verurteilt werden, um 
ein Verschulden Einzelner handelt. Das kann sich aber noch 
ändern, denn die Neigung, mit der Einleitung des Abortus hilfs¬ 
bereit bei der Hand zu sein, ist im Wachsen, und es könnte viel 
Unheil entstehen, wenn z. B. jeder der 4000 Grossberliner Aerzte 
auch nur zweimal im Jahr einen Abortus für angezeigt hielte. 
Die gewöhnliche Zahl der Fehlgeburten Berlins würde dadurch 
beinahe verdoppelt werden. 

Ich wende mich nun zum zweiten Punkt, zur Festlegung 
der Grundsätze für die künstliche Schwangerschaftsunterbrechung 
und kann mich hier kurz fassen, da Sie aus den Einzelreferaten 
noch Genaueres hören werden. Vorausschicken muss ich aber 
folgendes: die Missstände bei der therapeutischen Einleitung des 
Abortus, welche heute zur Erörterung stehen, sind mehr eine 
Frage der ärztlichen Moral und Gewissenhaftigkeit 
als des ärztlichen Wissens und Könnens. Bei dem Materialismus 
der Zeit, der Sucht nach Operationen und leichtem Erwerb und 
der Konkurrenz mit allen Mitteln liegt der Fehler. Die medizinische 
Seite der Frage, die Indikationsstellung, ist in Lehrbüchern und 
Einzelschriften hundertmal behandelt worden und liegt nicht 
schwieriger als auf anderen Gebieten der ärztlichen Kunst. 
Würden sich alle Aerzte daran halten, so gäbe es überhaupt 
keine Abortusfrage. 

Nach unseren Aufzeichnungen in der Klinik und Poliklinik 
wird die Einleitung des Abortus am häufigsten bei Lungentuber¬ 
kulose in Frage gezogen. Danach folgen in abnehmender Zahl 
Herzfehler, Psychosen, enges Becken, unstillbares Erbrechen, 
Nephropathien, Carcinoma Uteri, Myome, Chorea, Struma und in 
seltenen Einzelfällen eine grosse Reihe mütterlicher Erkran¬ 
kungen. 

Vorschriften darüber aufzustellen, dass der Arzt bei dieser 
oder jener Erkrankung den Abortus einleiten darf oder nicht, 
ist unmöglich. Alles hängt hier von den Umständen des 
einzelnen Falles, der Schwere und Gefährlichkeit der Erkrankung 


und ihrer voraussichtlichen Beeinflussung durch den Fortgang der 
Schwangerschaft ab. Nach unseren heutigen Anschauungen über 
das Recht der Mutter auf Leben und Gesundheit kommt nicht 
nur die unmittelbare Lebensgefahr, sondern auch dauernde schwere 
Gesundheitsschädigung der Mutter als Grund zum Abortus in 
Frage. Im Interesse der Mutter muss auch zugestanden werden, 
dass bei solchen Erkrankungen, die erfahrungsgemäss durch die 
Schwangerschaft einen schlechten Verlauf nehmen, die Unter¬ 
brechung stattfinden darf, bevor die Erscheinungen eine drohende 
Höhe erreicht haben. Ich erinnere, um ein paar Beispiele an¬ 
zuführen, an die zu völliger Erblindung führende Sehnerven- 
degneration Schwangerer, an gewisse Formen von Diabetes und 
Osteomalacie, an die schweren Formen der Schwangerschafts¬ 
nephritis, an Klappenfehler mit Herzmuskelentartung, an die 
Formen der Lungen- und Kehlkopftuberkulose, welche mit der 
Gravidität einsetzen und zu raschem Zerfall führen. Es hat hier 
keinen Sinn zu warten, bis die Erblindung eingetreten ist, die 
Nephritis zur Eklampsie, die Ueberlastung des Herzens zu un¬ 
heilbarem Muskelzerfall, die Tuberkulose zu grossen Cavemen 
geführt hat. Die Kranken sind berechtigt, Schutz gegen die 
schwere Gesundheitsschädigung zu verlangen, und der Arzt ist 
verpflichtet, ihn durch die Einleitung des Abortus zu einer Zeit 
zu gewähren, wo von der Opferung des kindlichen Lebens noch 
ein Erfolg für die Mutter erwartet werden kann. 

In anderen Fällen ist aber die Beurteilung und Vorhersage 
weniger sicher. Man wird hier erst nach anderweitigen Heilungs- 
versucben und längerer Beobachtung ein Urteil abgeben und sich 
manchmal auch dann noch je nach seinen Erfahrungen für oder 
wider entscheiden können. Das ist auf vielen anderen Gebieten, 
z. B. bei der Entscheidung für oder wider die Vornahme eines 
operativen Eingriffes auch nicht anders. Irrtümer können Vor¬ 
kommen, die Hauptsache bleibt, dass der Arzt niemals äussere 
Umstände und seinen Vorteil mitsprechen, sondern immer nur 
nach bestem Wissen und Gewissen die Krankheit, ihre Aussichten 
und Heilungsmöglichkeiten entscheiden lässt und bedenkt, dass 
die Einleitung des Abortus nicht etwa der Exstirpation eines 
Tumors gleichzustellen ist, sondern ein menschliches Leben ver¬ 
nichtet. 

Diese letzte Ueberlegung führt auch zur Ablehnung der 
sozialen Indikationen zum Abortus. Man ist nicht berechtigt, ein 
menschliches Leben zu opfern aus äusseren Gründen, um Geld 
und Gut. Bei den wirtschaftlich Schwachen muss der Staat ein- 
treten, aber nicht dadurch, dass er die Beseitigung der Früchte 
gestattet, sondern durch entsprechende Sorge für ihre Aufzucht. 
Man kann zugeben, dass ein Auseinanderhalten der sozialen und 
medizinischen Gründe für den Abortus im Einzelfalle und im 
Leben manchmal schwierig ist, und wird trotzdem eine 
reinliche und möglichst scharfe Abtrennung der sozialen Indi¬ 
kationen vom Standpunkte des ärztlichen Berufes fordern müssen. 
Wenn man dem Arzte erlaubt, nach seinem Gutdünken Gnaden 
auszuteilen und wegen Armut oder reichen Kindersegens, bei Kon¬ 
ception nach Notzucht oder aus ähnlichen Gründen die Schwanger¬ 
schaft zu unterbrechen, dann gibt es kein Halten mehr, jedem 
Missbrauch wäre die Türe geöffnet, man könnte ebensogut jeden 
gesetzlichen Schutz des keimenden Lebens fallen lassen und es 
in das Belieben der Frau stellen, ob sie eine Schwangerschaft er¬ 
tragen will oder nicht. Für die eugenische Indikation gelten die 
gleichen Bedenken. Sie würde den Arzt vor unlösbare Probleme 
und leicht auf schwere Abwege führen. Es ist ein schöner Ge¬ 
danke, das menschliche Geschlecht vor kranker oder minder¬ 
wertiger Nachkommenschaft und damit vor vielem ererbten Un¬ 
glück zu bewahren, man braucht sich aber nur einen Augenblick 
die Rolle des Abortus bei der praktischen Durchführung dieses 
Problems zu überlegen, um zu sehen, dass seine Verwirklichung 
auf diesem Wege unmöglich ist. 

Um die zweifellos vorhandenen Missstände zu beseitigen, 
stehen zwei Wege offen, die Einführung bestimmter Vorschriften, 
welche die Einleitung des therapeutischen Abortus unter Kontrolle 
stellen, und die moralische Beeinflussung. 

Dieser letztere Weg ist der längere und schwierigere, aber 
nur der mit den geistigen Waffen der Ethik im Aerztestand und 
beim Publikum wieder aufgenommene Kampf für die Heiligkeit 
und Unverletzlichkeit der Frucht im Mutterschoss verspricht einen 
wirklichen Erfolg. Ein Umschwung der Anschauungen würde die 
Klagen über Geburtenrückgang und Abortzunahme rasch zum 
Verschwinden bringen. Solange aber der Wille zur Vermeidung 
einer zahlreichen Nachkommenschaft so intensiv und die mora¬ 
lische Hemmung dagegen so gering ist wie jetzt, wird die Be- 


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7. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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kämpfung der Schwangerschaftsunterbrechung durch Vorschriften 
wenig ansrichten. In Betracht kommen unter den vielen vorge¬ 
schlagenen Maassnahmen zur Regelung der Schwangerschafts¬ 
unterbrechung durch Aerzte hauptsächlich die obligatorische Ein¬ 
führung der Beratung zweier Aerzte und die Meldepflicht. 

Die Verpflichtung, eine künstliche Unterbrechung der Schwan¬ 
gerschaft erst dann vorzunehmen, wenn ihre Notwendigkeit durch 
die Beratung von zwei Aerzten sichergestellt und in einem Pro¬ 
tokoll niedergelegt ist, wird nicht viel helfen. Da sich gleich¬ 
gestimmte Seelen immer finden und das Papier geduldig ist, darf 
man erwarten, gerade die am wenigsten indicieiten Aborte pro¬ 
tokollarisch am besten begründet zu finden. 

Wirksamer würde die Anzeigepflicht jedes künstlich 
eingeleiteten Abortes sein. Winckel hat die Anzeigepflicht 
ursprünglich für alle Aborte vorgeschlagen. Da dies nicht durch¬ 
führbar ist, bat man später nur die Anzeige der fiebernden Aborte 
gefordert. Beides hat für die vorliegende Frage keine Bedeutung. 
Worauf es ankommt, ist eine Kontrolle über die ärztliche Vor¬ 
nahme des künstlichen Abortes. Diese kann erreicht werden, 
wenn die Aerzte verpflichtet werden, jede künstlich bewirkte 
Schwangerschaftsunterbrechung nach einem bestimmten Formular 
zur Anzeige zu bringen. Ich habe deshalb vor zwei Jahren die 
Anseigepflicht für künstliche Aborte vorgeschlagen. Wer nicht an¬ 
zeigt, beweist damit, dass seine Indikation das Licht zu scheuen hat, 
wer viele Anzeigen macht, dass er die wissenschaftlichen Grenzen 
überschreitet. Da der Arzt nur selten, auch bei grosser Praxis alle 
paar Jahr einmal in die Lage kommen wird, den künstlichen Abort 
einleiten zu müssen, ist ihm mit der Ausfüllung eines Formulares 
keine zu grosse Arbeit aufgebürdet. Unter dem Stichwort einer uner¬ 
träglichen Beeinscbränkong der ärztlichen Freiheit ist mein Vor¬ 
schlag der Selbstkontrolle seinerzeit von der Mehrheit der Ber¬ 
liner geburtshilflich gynäkologischen Gesellschaft abgelehnt worden. 
Ich kann nicht finden, dass das Recht des freien ärztlichen 
Handelns durch die nachträgliche Anmeldung beeinträchtigt wird, 
dem Recht des Arztes zur Einleitung des künstlichen Abortes 
steben das Recht der Frucht auf das Leben und die Schutzpflicht 
des Standes gegen ihre unnötige Vernichtung entgegen. Es 
scheint mir nicht unbillig, in den seltenen Fällen, wo das Da- 
seinsrecht der Frucht dem Rechte der Mutter auf Leben und Ge¬ 
sundheit weichen muss, eine Selbstkontrolle durch Anmeldung zu 
fordern. 

Zum Schlüsse noch eine praktische Bemerkung: Wer den 
Abortus zu Heilzwecken ausführt, übernimmt die Verantwortung 
dafür, dass alles glatt und ohne Gefahr für die Mutter abläuft. 
Es steht besonders schlimm, wenn der Eingriff, der die Mutter 
gesund machen sollte, zum Tode oder zu schwerer Erkrankung 
führt. Die richtige Durchführung des Abortus ist keineswegs so 
einfach und leicht, wie viele meinen. Mit der Ausschabung allein 
kommt man nur innerhalb der ersten 14 Tage nach dem Aus¬ 
bleiben der Menses zum Ziele, solange das Ovulum noch klein 
ist und innerhalb der Schleimhaut liegt. Sind die Menses länger 
ausgeblieben, so muss jeder intrauterinen Manipulation die richtige 
Erweiterung des Collum vorausgeschickt und die Loslösung und 
Ausräumung mit dem eingeführten Finger vorgenommen werden. 
Das Einfübren von Instrumenten durch den nicht erweiterten Hals¬ 
kanal ist ebenso wie der Gebrauch von zangenartigen Instrumenten 
ein grober Kunstfehler, der zur Zerfetzung des Eies, zur Retention 
von Eiteilen mit nachfolgender Sepsis und nicht selten zur Uterus¬ 
perforation führt. Das alles ist bekannt und wird überall ge¬ 
lehrt, trotzdem ereignen sich die Unglücksfälle beim Abortus 
immer wieder, ln die Berliner Universitätsfrauenklinik sind in 
sieben Jahren, abgesehen von vielen einfachen Perforationen und 
Sepsisfällen, zwölf Fälle eingeliefert worden, in welchen der Darm 
verletzt und bis vor die Scheide herausgezogen war. Zehn von 
diesen Frauen konnten noch durch die Laparotomie und Darm¬ 
naht gerettet werden, zwei sind an Peritonitis gestorben. 


III. Berechtigte Indikationen der inneren 
Medizin für den künstlichen Abortus. 

Von 

F. Kraus. 

Wenn wir an dem neulich öfter erwähnten, ungeschriebenen, 
von unserer Rechtsprechung aber stillschweigend anerkannten 
Grundsatz festhalten, nehmen wir die Fruchtabtreibung, auf welche 


wir ärztlich innerhalb dieser uns gezogenen und auch annehm¬ 
baren Grenzen bisher nicht verzichten können und nicht sollen, 
auch unter Bezugnahme auf unser Berufsrecht bloss vor beim 
kranken Weibe, und da nur unter dem Zwange eines posi¬ 
tiven Notstandes, der sich aus, anderswie nicht zu beseiti¬ 
gender, schwerer Lebens- und Gesundheitsgefahr ergibt, 
welche entweder gegenwärtig bereits vorhanden ist oder 
oder doch, in naher Zukunft, bestimmt zu erwarten 
steht 1 ). Krankheiten, welche während der Gravidität sich ver¬ 
schlimmern ohne Lebensgefahr und schwere dauernde progrediente 
Gesundheitsschädigung, sind keine berechtigte Indikation. 

Die Sterblichkeit selbst während Schwangerschaft, Geburt 
und der drei ersten Wochen des Wochenbettes ist nun, gerade 
unter Privatverbältnissen, erfahrungsgemäß gering, bedingt zu¬ 
nächst durch Erkrankungen, bei deren Entstehung jene drei un¬ 
beteiligt sind und welche vor dem Partus bzw. vor Eintritt der 
Gravidität schon vorhanden waren. In etwa 35 000 Geburten 
rechnet z. B. A. Hegar von 248 (0,7 pCt.) Todesfällen 40 auf 
solche accidentellen Krankheiten, und zwar 18 auf Tuberkulose, 
14 auf Pneumonie undTypbus zusammen. An der gesamten Mortalität 
sind die rein komplicierenden Erkrankungen etwa zu einem Sechstel 
beteiligt, speziell auf die Tuberkulose entfallen ungefähr 0,05 pCt. 
der gestorbenen Schwangeren. Auch unter den Todesfällen, ver¬ 
ursacht durch Erkrankungen, bei deren Entstehung oder inten¬ 
siver Steigerung Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett beteiligt 
sind (etwas über 200), werden von Hegar für Albuminurie und 
Hydrops, sowie für Eklampsie nur 23 angesetzt, was von den 
35 000 Geburten nicht ganz 0,07 pCt. ausmacht (die Zahl ist noch 
zu hoch geschätzt, weil vermutlich gewöhnliche Nierenkrankheiten 
mit unterlaufen sind). Auf Tuberkulose fallen 7, auf Eklampsie 
7,7 pCt. der Todesfälle in der Gravidität. Die erste Anzeige des 
Abortus, die nur durch ihn zu beseitigende momentane Lebens¬ 
gefahr, kommt (obwohl solche Zahlen nur sehrbeschränkten Wert be¬ 
sitzen können) in der Mehrzahl der in Betracht zu ziehenden 
Fälle somit wenig in Frage. 

Die internistische Praxis, welche heutzutage immer mehr 
Interesse an den Funktionen der Fortpflanzung zu nehmen sich 
bemüssigt sieht 2 ), hat es bei Aufstellung ihrer Indikationen 
für künstlichen Abortus nach dem Sinne des einleitend erwähnten 
Grundsatzes vorwiegend mit gegenwärtig bestehender oder mehr 
und weniger bestimmt zu erwartender Gesundbeitsgefahr resp. 
mit schweren fortschreitenden Krankbeitsverschlimmerungen und 
eventueller Lebensgefahr, also mit von vornherein oft dehnbaren 
Beurteilungen zu tnn. Diese zweite Anzeige rechnet natürlich 
auch mit der Annahme, dass durch den Abortus das Leben oder 
ein relatives Wohlbefinden der Mutter längere Zeit erhalten 
werden kann. Momentan unbefriedigende wissenschaftliche Situation, 
diagnostische und vor allem prognostische Schwierigkeiten, be¬ 
grenzte sonstige therapeutische Leistungsfähigkeit in den ein¬ 
schlägigen Kraukheitsformen, endlich der noch nicht völlig be¬ 
seitigte Mangel einer ausreichenden Statistik der Erfolge der 
Schwangerschaftsunterbrechung selbst an einheitlich behandeltem 
und gleichmässig untersuchtem Material wirken überdies zu¬ 
sammen, dass trotz neuerlicher vielseitiger Bearbeitung des Gegen¬ 
standes, besonders auch in den gynäkologischen Kliniken, und 
wiederholter Diskussionen aller hierher gehörigen Fragen in Kon¬ 
gressen und Fachvereinen die internistischen Indikationen für den 
künstlichen Abortus noch immer nicht überall klar, überein¬ 
stimmend und abschliessend festgelegt sind. Besonders schwer 
ist Sicherheit zu gewinnen in betreff des Nutzens der Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung. Immerhin glaube ich in einer gedrängten 
Uebersicbt zeigen zu können, dass wir auch internistisch bereits 
in vielen Punkten unsere Aufgabe wenigstens schärfer formulieren 
und den früher öfter zu weit gesteckten Indikationskreis ein¬ 
schränken können. 

Wie bereits angedeutet, empfiehlt es sich dabei, accidentelle 
Krankheiten in der Gravidität zu unterscheiden von solchen, bei 
deren Entstehung Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett 
wesentlich beteiligt sind. 

Accidentelle Erkrankungen. 

Hier ist vor allem die Gegenüberstellung zweier hierher ge¬ 
höriger Infektionskrankheiten, der Syphilis und der Tuberkulose, 
lehrreich. 


1) Vgl. Krohne, Monatssohr. f. Gbtsh. u. Gynäk, 1917, Bd. 45, 
H. 1 und Zsohr. f. ärztl. Fortbildg., 1917, 14. Jahrg., Nr. 18 u. 14. 

2) Vgl. 0. Fellner (Klinik Sohauta), Beziehungen innerer Krank¬ 
heiten zur Sohwangersohalt usw., 1903. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


Die Schwangerschaft übt Einfluss auf die Syphilis und 
ihren Verlauf, sowohl was den (genitalen) Primäraffekt, die 
Exantheme als auch die Ulcerationen betrifft. Aber auch die 
syphilitischen Allgemeinsymptome werden durch die Gravidität 
gesteigert,. Fieber ist häufiger, die Anämie wird stärker, Dige- 
stionsstörungen machen sich besonders bemerkbar, Schlaflosigkeit, 
Knochenscbmerzen, Neuralgien sind gewöhnlich markanter. Ist 
die Syphilis recent, stirbt der Fötus ab, und es kommt, wenn 
das Weib die Krankheit mit der Konzeption erworben hat, sagen 
wir im fünften Monat spontan zur Ausstossung der Frucht. Hat 
der Praktiker dem Manne unter allen nötigen Kautelen das 
Heiraten gestattet, wird er ihm für alle Fälle raten, die Gattin 
etwa im vierten Monat der ärztlichen Kontrolle zuziiführen. Im 
Falle positiver Wassermann’scher Reaktion hat dann sofort eine 
strenge Behandlung einzusetzen, als ob die Patientin nicht gravid 
wäre. Früher lasse man die Kur nicht beginnen, weil "sonst im 
neunten Monat die Syphilis eventuell schon wieder sich geltend 
machen könnte. Scharfe Diagnostik, volle Vertrautheit mit den 
morbiden und den prognostischen Verhältnissen und ein gutes 
therapeutisches Verfahren lehren uns hier immer mehr, den 
spontanen Abort (der künstliche wird gynäkologischen Kliniken 
wegen Syphilis immerhin gelegentlich zugemutet) zu verhüten. 

Anders steht es leider bei der Tuberkulose, welche im 
Augenblick, berechtigt und unberechtigt, die häufigste und wich¬ 
tigste Indikationsstellung für künstlichen Abortus in der Praxis 
veranlasst (in einer grossen gynäkologischen Klinik fast 70 pCt. 
der beantragten, 56 pCt. der wirklich gemachten Unterbrechungen). 

Alle Entscheidungen, welche die Tuberkulose der Geschlechts¬ 
organe selbst und des uropoetischen Systems beim Weibe be¬ 
treffen, bleiben ausschliesslich dem Gynäkologen Vorbehalten. 
Auch die Beziehungen der Tuberkulose, vor allem der Lungen- 
(und Kehlkopf-)Tuberkulose zur Fortpflanzungstätigkeit, wenn die 
Genitalorgane selbst keine lokalen Veränderungen aufweisen 
(Störungen der Menstruation, Ovulation, Konception, Beeinflussung 
der Schwangerschaft) sind mindestens grossenteils Sache der 
Frauenärzte. Uns Internisten geht bloss die Wirkung der 
Schwangerschaft auf die Tuberkulose bzw. der Uebergang der 
Krankheit auf das Kind, sowie die Frage an, inwiefern die 
Tuberkulose eine besondere Behandlung des schwangeren Weibes 
und der Schwangerschaft selbst nötig macht. Für alle gynä¬ 
kologischen Eingriffe bleiben selbstverständlich wiederum die 
Frauenärzte, als Träger der Verantwortung, ausschliesslich maass¬ 
gebend. Der Internist kommt bloss als diagnostischer und pro¬ 
gnostischer Berater, aber allerdings auch als Mitbeurteiler der 
Operationserfolge in Betracht. Planmässiges Zusammenarbeiten, 
wenigstens bis zur Klarlegung der strittigen Einzelfragen, wird 
jedenfalls förderlich sein. Der Internist besitzt Untersuchungs¬ 
methoden und Erfahrungen, die der Gynäkolog nicht immer be¬ 
herrscht. Freilich verlangt man oft Sicherheiten in Funktions¬ 
prüfung und Prognose quoad Narkose, Partus und dergl., die 
wir nicht bieten können. 

ln einem Bericht, den jeder Praktiker, ebenso wie eine Reihe 
einschlägiger Arbeiten aus der Winter’schen Klinik 1 ) und 
von Pankow-Freiburg 2 3 * ), studiert haben sollte, erklärt es Veit 5 ) 
für selten, dass bei selbst schwerer Lungentuberkulose die 
Menstruation ausbleibe. Wir Internisten sehen hingegen (wie 
übrigens auch die Gynäkologen, z. B. L. Fraenkel) auch ohne 
direkte Genitalaffektion, schon im Frühstadium der Tuberkulose 
neben einem an Chloroanämie erinnernden Allgemeinzustand oft, 
wenigstens vorübergehend, die Menses spärlicher, unregelmässig 
werden und selbst cessieren. 

Darin stimmen wohl Alle überein, dass Tuberkulosi semper 
sagaces sunt und das tuberkulöse Weib oft empfängt. Auf die 
Schwangerschaft übt die Tuberkulose einen regelmässigen schäd¬ 
lichen Einfluss nicht aus. Der Tod an Tuberkulose in der 
Gravidität ist (wie schon erwähnt) relativ selten. Spontane, vor¬ 
zeitige Unterbrechung der Schwangerschaft ereignet sich eigentlich 
bloss in ganz schweren Fällen, bzw. erst in Agonie. 

Der Einfluss der Schwangerschaft auf die Tuberkulose lässt 
sich, nach den vorliegenden internistischen und gynäkologischen 
Erfahrungen, etwa in folgenden Sätzen zusammenfassen, welche 
kaum prinzipiellen Widerspruch erfahren dürften. 


1) Vergl. M. Saohse, M. Kl., 1917, Nr. 28, 29 u. 30. 

2) Pankow u. Küpferle, Schwangerschaftsunterbrechung bei 
Lungen- und Kehlkopftuberkulose, Leipzig-Thieme, 1911. 

3) Kongress der deutschen Gesellschaft f. Gyn., München 1911, 

Leipzig, Barth. 


In einer viel grösseren Zahl von Fällen, als manche Prak¬ 
tiker nach den vielfach sehr pessimistischen Aeusserungen der 
Literatur 1 ) anzunebmen geneigt sind, wird Schwangerschaft und 
Wochenbett gut oder leidlich gut vertragen. Selbst wiederholte 
Graviditäten brauchen durchaus keinen ersichtlichen und besonders 
keinen dauernden Schaden zu hinterlassen. Vor allem kann mit 
wachsender Sicherheit gesagt werden, dass die symptomenarme, 
nicht progrediente Tuberkulose, die man mit einem nicht mehr 
recht passenden Namen „latent“ zu nennen pflegt (bis zu 90 pCt. 
der Fälle), gewöhnlich keine Verschlechterung durch Schwanger¬ 
schaft, Geburt und Wochenbett erfährt. Das gleiche darf aber 
auch für etwa die Hälfte der Fälle von manifester Tuberkulose 
angenommen werden. In ungefähr 45 pCt. aller Wöchnerinnen 
(normales Puerperium, keine nachweisliche Verschlimmerung der 
Krankheit) lassen sich mit den Mitteln der gewöhnlichen physi¬ 
kalischen Untersuchung tuberkulöse Veränderungen an den Lungen, 
bei etwa 20 pCt. selbst schwerere solche nach weisen. Dies alles 
bei Frauen, die zwei- und mehrmal geboren hatten. Hauptsache 
Ist nicht so sehr die Ausdehnung des Prozesses als vielmehr sein 
augenblicklich stationäres oder progredientes Verhalten. Immerhin 
verschlechtert sich viel zu oft, ohne dass wir es jedesmal dem 
Einzel fall von vornherein sicher ansehen, die manifeste Krankheit. 
Manchmal sehr rasch, gewöhnlich jedoch später im Laufe der 
Gravidität und im Wochenbett. Wenigstens der Beginn dieser 
nachweislichen Verschlimmerung der Lungentuberkulose fällt aber 
nach meinen Erfahrungen, die sich decken mit denen v. Rost¬ 
horn’s, Fellner’s, Pankow’s und anderer Gynäkologen ge¬ 
wöhnlich noch in die erste Hälfte der Gravidität. Ich lege 
grossen Wert darauf zu betonen, dass die erst mit den Wehen, 
resp. im Wochenbett einsetzenden Verschlechterungen, welche viel 
unheilvoller za verlaufen pflegen, gewöhnlich auf Einbruch des 
Prozesses in den Bronchialbaum mit ungemein heftiger endo- 
bronchialer resp. pneumonischer Verkäsung in der Lunge, bei nur 
geringer Mitbeteiligung der diesen späten pulmonalen Herden 
entsprechenden regionalen Lymphknoten zu beziehen sind. Solche 
Fälle sind überhaupt aussichtslos. Miliartuberkulose ist in 
Schwangerschaft und Puerperium glücklicherweise ein seltenes 
Ereignis. Die erwähnten Verschlechterungen der Tuberkulose in 
der Gravidität können kürzere oder längere Zeit nach der Ent¬ 
bindung zum Exitus führen, oder, und dies ist häufiger, es kommt 
doch wieder zu Besserung oder zu relativem Stillstand. Wenn 
einmal in der Schwangerschaft Verschlimmerung der Krankheit 
eingetreten ist, braucht, ob nun künstlicher Abort eingeleitet 
wurde oder nicht, in folgenden (auch in mehreren) Schwanger¬ 
schaften sich dies durchaus nicht zu wiederholen, die Tuberkulose 
kann dann vielmehr stehen bleiben. Habituelles Absterben der Frucht 
durch die Krankheit gibt es nicht. Direkte intrauterine Ueber- 
tragung der Tuberkulose auf das Kind und Nabelschnurinfektion 
sind selten. Die Kinder tuberkulöser Mütter, aber ebenso solcher 
Väter, sind aber sehr oft lebensschwach und konstitutionell 
minderwertig, besonders bei schlechter Lebenslage. Eventuell 
schon im ersten Jahre oder doch sehr jugendlich erkranken sie 
selbst an Tuberkulose, von der Umgebung angesteckt. 

Der Einfluss der Gravidität auf den Verlauf der Tuberkulose 
ist also leider sehr ungleichmässig und nicht immer von vorn¬ 
herein bestimmt auf eine längere Zeit hinaus übersehbar. Die 
eigentlichen Gründe für die Verschlechterung durch die Schwanger¬ 
schaft kennen wir überhaupt noch nicht 2 ). Unter Privatverhält¬ 
nissen sehen wir im allgemeinen günstigere Verhältnisse als am 
Material der Kliniken. Für den Praktiker ist kaum zu betonen, 
dass die Lebenslage der Patienten eine sehr wichtige Rolle spielt, 
weil sie die Infektionsmöglicbkeit erhöht uod die Immunität 
durchbricht, noch mehr wie in anderen Krankheiten. 

Es mehren sich höchst beachtenswerte Stimmen, dass die 
Nachuntersuchung der Fälle von manifester Tuberkulose mit Abort¬ 
einleitung in den ersten 16 Wochen der Gravidität ein günstiges 
Resultat ergibt für die Folge (etwa 6 pCt. Gesamtmortalität gegen¬ 
über 60 nicht unterbrochener Fälle [?]). Das Material ist jedoch 
lange noch nicht ausreichend gross. Spät bzw. zu spät vorge¬ 
nommene Schwangerschaftsunterbrechung sowie künstlicher Abort 
in akut verlaufenden und zu weit vorgeschrittenen Tuberkulosefällen 
ist aber auch wiederum nicht selten direkt schädlich. Veit be¬ 
ziffert die Zahl der Fälle, in welchen (nach den ihm vorliegenden 
Berichten) dieser Eingriff nicht geholfen hat, für ein natürlich 

1) Vergl. Kuthy-Wolff-Eisner, Prognose der Lungentuberkulose, 
Berlin-Wien, 1914. 

2) Vergl. Hermann und Hartl, Zschr. f. Hyg., 1907. 


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7. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


nicht gleichmäßig beurteiltes und behandeltes Kraukeumaterial 
auf über 40 pCt. 

Aus diesen Gründen kann die Behandlung der Komplikation 
von Schwangerschaft mit Tuberkulose nicht stets einfach die¬ 
selbe sein. 

Bei asyautomatischen bzw. bei symptomenarmen Fällen 
ohne Zeichen der Aktivität und Progredienz darf der künstliche 
Abort nicht eingeleitet werden. An eine Immubitätsanalyse, etwa 
an den negativen Ausfall der Conjunctivalreaktion, sollte die 
Indikation nicht geknüpft werden. Es steht noch dabin, ob die 
positive Ophthalmoreaktion an sich immer auf Aktivität schliessen 
lässt 1 ). Dagegen ist es eine Erfahrungstatsache, dass die Reaktion 
auf Tuberkulin überhaupt gegen das Scbwangerschaftsende bis 
zum Erlöschen sinken kann. Das beruht jedoch auf der Biologie 
der Tuberkulinreaktion 2 * ) bzw. auf der Anwesenheit lipoider Stoffe 
im Blute (Cholesterinämie). 

Lupus, lokale Knochen- und Gelenkstuberkulose können, ob¬ 
wohl sie oft in der Schwangerschaft Verschlimmerungen erfahren, 
ebenfalls als berechtigte Indikation nicht anerkannt werden 8 ), 
Nierentuberkulose, wenn Operation ausgeschlossen, nur nach den 
individuellen Bedingungen des Einzelfalles. Die Nierentuberkulose 
wird durch den Abort nicht verbessert. Der richtige Eingriff ist 
die Entfernung der kranken Niere. 

Aber auch bei manifester Tuberkulose der Lungen darf man 
nicht einfach präventi v wegen vielleicht möglicher oder wahr¬ 
scheinlicher Verschlimmerung den künstlichen Abortus vornehmen. 
Das Turban Gerhardt’sche Schema kann nicht mehr die Grund¬ 
lage für die Indikationsstellung abgeben. Die pathogenetisch 
pathologisch-anatomischen Typen von E. Albrecht-A. Fraenkel 
und Ascboff-Nicol, sowie die mehr das Tuberkuloseexperiment, 
also funktionelle prognostische Momente berücksichtigende Gruppie¬ 
rung der Tuberkulosefälle von Ranke sind in der Klinik sehr 
brauchbar für jede Art der gutachtlichen Tätigkeit. Der Praktiker 
wird aber doch vorläufig vielleicht besser tun, sich an besonders 
einfache und eindeutige rein klinische Zeichen für den direkten 
Nachweis der Aktivität bzw. der objektiv fortlaufend in einer 
Beobachtungszeit von 14 Tagen bis 3 Wochen konstatierten Pro¬ 
gredienz zu halten. Ausschlaggebend sind folgende vereinzelte 
oder besser kombinierte Symptome: Offene oder geschlossene 
Taberkulose (eventuell Impfversuch mit Sputum), hohes Fieber 
ohne Rücksicht auf die vorhandene Ausdehnung des (sicher tuber¬ 
kulösen) Prozesses in den Lungen, Temperaturlabilität und fieber- 
nahe Temperaturen, wenn sie neben Schweissen und anderen be¬ 
weisenden Zeichen anhaltend sind, charakteristische Katarrhe mit 
reichlichem Auswurf, Kräfteverfall und Körpergewichtssturz, wenn 
sie sicher auf die Tuberkulose zu beziehen sind, beobachtete Aus¬ 
breitung des Prozesses in den Lungen, besonders bei vorhandener 
Tendenz zu käsig exsudativer Phthise, Hinzutreten anderweitiger 
tuberkulöser Erkrankungen (Darm, Peritoneum). Berücksichtigung 
verdient ferner die hereditäre Belastung, der Zustand des Herzens, 
vielleicht auch die dauernd starke positive Diazoreaktion. Die 
subjektiven Beschwerden dürfen keinen Ausschlag geben. Momente, 
wie extremer Hochwuchs mit Angustie der obersten Rippenpaare 
oder Lymphatismus verdienen wenig Berücksichtigung. 

Ablehnen muss ich die vielfach wiederholte Behauptung, 
dass jede Form der Larynxtuberkulose im Beginn der Schwanger¬ 
schaft die künstliche Unterbrechung erfordert. Die Prognose der 
Larynxtuberkulose an sich ist durch die heutige Therapie erheb¬ 
lich geändert worden. Allgemeinzustand und Progression der 
Tuberkulose entscheiden auch im Verhältnis zur Larynxaffektion; 
es gibt direkt benigne Formen der letzteren, welche einen 
normalen Partus und spätere Gesundung durchaus nicht unmöglich 
machen. 

Es sollte ferner darauf gedrungen werden, dass jede Frau sich 
nach dem Abort einer entsprechenden Tuberkulosebehandlung (Heil¬ 
stätte usw.) und einer Nachuntersuchung unterwirft. Die Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung wäre in der Regel auf die ersten 16 Wochen 
zu beschränken. Die künstliche Frühgeburt bietet keine sicheren 
Vorteile gegenüber der normalen Geburt. Wenn die Tuberkulose wie 
ein akuter (subakuter) Infekt verläuft, speziell bei rapider rein 
endobronchialer Verbreitung der Krankheit, bei besonders schlechtem 
Allgemeinbefinden überhaupt, bei sehr grosser Ausbreitung des 
Prozesses ohne erkennbare Beteiligung des pulmonalen Lymph¬ 
knotenapparates, sollte ebenfalls abgesehen werden vom künst¬ 
lichen Abort. 

1) Vergl. A. Wolf-Eisner und Teichmann, B.kl.W., 1908, Nr. 2. 

2) J. Citron und Klinkert, B.kl.W., 1910. 

* 3) Vergl. G. Winter, M. Kl., 1917, Nr. 49. 


8 


Die Sterilisation habe ich nicht in Betracht gezogen, weil sie 
bei dieser Aussprache nicht zur Verhandlung steht. 

Am zweithäufigsten wird wohl der künstliche Abort von dem 
Gynäkologen gefordert bzw. ausgeführt bei herz- und nieren¬ 
kranken Schwangeren. 

Sterilität findet sich nicht ganz selten bei vor der Pubertät 
erworbener Mitralstenose. Jeder Praktiker kann aber jeden Tag 
schwangere Herzkranke sehen. Die einschlägigen statistischen Ver¬ 
hältnisse sind strittig. Auch das Herz der gesunden Frau leidet 
immer unter der Gravidität 1 ) Diese Störungen werden nicht immer 
sicher unterschieden von „eigentlichen** Herzkrankheiten. Ganz 
abgesehen davon, ob eine solche Grenze scharf aufrecht zu er¬ 
halten ist, finde ich demgegenüber in der Praxis öfter, dass 
Aortenklappeninsufficienz, Mitralstenose und Herzvergrösserung 
übersehen werden, selbst wenn die Patienten subjektive Be¬ 
schwerden davon haben. Fellner 2 ) nahm nun gleich an, dass ®/ 7 
aller Vitien nicht diagnosticiert werden, und will deshalb die 
Zahl für die Mortalität der Herzkranken in der Schwangerschaft 
auf weniger als 2 pCt. normiert wissen. Das wird natürlich eine 
Uebertreibung sein. Am ehesten kann man sich an die Schätzungen 
von H. Freund 8 ) (15 pCt.), Traugott und Kautsky 4 ) (12,5 pCt.) 
und von Fromme 6 ) (unkorrigiert — im Fellner’schen Sinne — 
11 pCt.) halten. Mit Recht sieht Freund einen wichtigen Faktor 
für die Gewinnung einer richtigen Statistik in der Nachbeob¬ 
achtung (6 Wochen des Puerperiums). Ich habe selbst die Beob¬ 
achtung gemacht, dass herzkranke Frauen, die öfter gebären, 
durchschnittlich früher sterben, als man bei Niegeschwängerten 
erwarten würde. Der Versuch Jaschke’s 6 ), die Mortalität herz¬ 
kranker Frauen nicht auf deren Zahl, sondern auf ihre sämtlichen 
Partus zu beziehen und so den Prozentsatz der Mortalität berab- 
zudrücken, ist nicht gerade glücklich. Spontane Schwangerschafts¬ 
unterbrechungen werden mit über 20 pCt. veranschlagt. Bei 
Mitralstenose ist sie nach meiner Erfahrung noch grösser. Natür¬ 
lich kann man auch kleinere Zahlen herausrechnen, wenn man 
alle möglichen Herzstörungen mit einbezieht. 

Immer wieder sehen wir in der Praxis, dass Herzaffektionen 
der verschiedensten Art durch Schwangerschaft, Wehen, Partus 
und Wochenbett verschlimmert werden, bzw. dass Komplikationen 
eintreten. Wir müssen aber ernstlich bestrebt sein, alle diese 
Dinge durch die eigene Beobachtung fortlaufend objektiv zu 
registrieren. Die Anamnese ist positiv und negativ unsicher. 
Allerdings verlaufen in günstiger Lebenslage und guter ärztlicher 
Fürsorge nicht wenige Graviditäten von unzweifelhaft herzkranken 
Frauen selbst mit gewissen Kompensationsstörungen, ich will 
nicht sagen ungestört, aber bei verhältnismässig gutem Befinden 
der Patientin. Dagegen müssen wir wiederum vieles, was ge¬ 
wöhnlich als zufällige „Komplikation“ hingestellt wird, in Wirk¬ 
lichkeit als eine Entwicklung der Krankheit durch die Schwanger¬ 
schaft bezeichnen, z. B. die häufige rekurrierende Endocarditis, 
auch wenn kein manifester puerperaler Infekt dagewesen ist. Die 
Geburtshelfer betonen übrigens ausdrücklich auch die Disposition 
der Herzkranken zu gewöhnlicher puerperaler Infektion. Kom- 
pensatioo8störungen kommen in der Gravidität nicht selten plötz¬ 
lich und unverhofft auf, zumal vom sechsten Monat ab, manchmal 
noch dazu gleich besonders schwer (Erstickungsanfälle). (Aehn- 
liebes passiert allerdings auch ausserhalb der Schwangerschaft.) 
Besonders die Weben sind selbst für die Kompensierten gefährlich. 
(Ermüdung, Blutung, Blutdruckschwankung, Erstickung, Infek¬ 
tion.) Selbst nach der Entbindung kann man Anfälle von Herz- 
insufficienz sehen. Durch die Zunahme der subjektiven Be¬ 
schwerden allein (Palpation, Atemnot, Schmerzen, Angst, Schlaf¬ 
losigkeit, Schwäche) darf unser Urteil nicht beschwert werden. 
Aber es kommt auch objektiv nachweisbar häufig genug zur Mit¬ 
einbeziehung der Lungen, der Leber, der Nieren in’s Krankheits¬ 
bild, Transsudate in den serösen Sachen treten auf, schliesslich 
stellen sich die erwähnten Erstickungsanfälle ein. Embolische 
Infarkte, besonders im Puerperium, die bloss auf das Vitium zu 
beziehen sind, sieht man häufiger als ausserhalb der Gravidität. 


1) Vergl. die einschlägigen Mitteilungen v. Rosthorn’s. Eine neuere 
Arbeit ist die Sellheim’s. Verh. d. Gesellsoh. f. Gynäkologie 1918. 

2) 0. Fellner (Klinik Schauta), Beziehungen innerer Krankheiten 
zur Schwangerschaft usw., 1903. 

3) H. Freund, Gynäkologische Streitfragen. Stuttgart 1913, Enke. 
Zschr. f. Geburtsb. u. Gyn., Bd. 80, S. 175. 

4) Traugott und Kautsky, Zbl. f. Gyn,, 1916, Nr. 87; Kautsky, 
Arch f. Gyn., Bd. 106, H. 2. 

5) Fromme, Bericht für den Hallenser Gynäkologenkongress. 

6) Jasohke, Zschr. f. Gyn., Bd. 78, H. 1; Arch., Bd. 92. 

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10 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


Mit einem gewissen Vorbehalt kann man sagen, dass bei 
Mitralstenose die Prognose noch bedenklicher ist in der Schwanger¬ 
schaft, als bei den im jugendlichen Alter vorkommenden Myo¬ 
pathien. 

Mit den meisten Geburtshelfern muss der Internist darin 
übereinstimmen: kompensierte Hertfehler bedürfen keines Ein¬ 
schreitens in der Gravidität. Besonders Fellner nnd Jaschke 
befürworten diese Einschränkung des Aborts. Die Internisten sind 
wohl immer dieser Meinung gewesen. Komplicierende infektiöse 
Erkrankungen oder solche, welche schon für sich grosse Anfor¬ 
derungen an den Kreislauf stellen und schwächend wirken, können 
uns aber nötigen, wenn anderweitige Therapie keine Besserung 
bringt, und wir objektiv mit den erwähnten Kompensations¬ 
störungen (nachweisliche Dilatation besonders auch der rechten 
Kammer, Störungen seitens der Lunge, Leber, Nieren) eine 
ernste Verschlechlecbterung konstatieren, zur Unterbrechung der 
Gravidität zu raten. Ist einmal direkte Lebensgefahr einge¬ 
treten, kommt auch die Unterbrechung der Schwangerschaft zu 
spät. Bei Herzkranken wird von Vielen ausser dem Abort noch 
die künstliche Frühgeburt in Frage gezogen. Manche versprechen 
sich Vorteile auch davon. Ich fand gewöhnlich keinen beson¬ 
deren Unterschied zwischen ihr und einem rechtzeitigen Partus. 
Es werden allerdings öfter lebensfähige Kinder erzielt. Der Tod 
der Mutter folgt aber nicht selten nach. Man sieht, gerade bei 
den herzkranken Schwangeren sind, trotzdem unsere Diagnostik 
verhältnismässig fortgeschritten ist, stereotype Regeln kaum 
möglich. 

Die Gravidität steigert (nicht immer, aber häufig, in 60 pCt. 
der Fälle) auch die Beschwerden der an M. Basedowii leiden¬ 
den Frauen. Die Schilddrüse auch einer gesunden Frau weist, 
zumal in der zweiten Schwangerschaftsbälfte, eine'Vergrösserung 
auf, mikroskopische Veränderungen im Sinne einer Hyperplasie 
sind in der Drüse nachweislich. Ursache ist vielleicht direkt die 
gehemmte Ovarialfunktion. Besonders die cardio-vasculären 
Symptome werden schlimmer. Seitz berechnet 4 pCt. Todesfälle, 
das ist aber nach meinen eigenen zahlreichen Beobachtungen 
(19 Schwangerschaften) vermutlich zu hoch gegriffen. Von einer 
Lebensgefahr könnte ich unter Berufung auf dieses Material nicht 
sprechen; wohl aber gestaltet sich der Prozess, speziell in den 
späteren Monaten, nicht selten ernst genug, besonders bei Vor¬ 
handensein von nicht seltenen Komplikationen (Hyperemesis, Tu¬ 
berkulose, Glykosurie, Nierenaffektionen). 

Die Anzeige für künstliche Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft ergiebt sich hier entweder aus der Komplikation des indi¬ 
viduellen Falles oder, am häufigsten, aus dem Verhalten des 
Herzens. Die Tachycardie der Basedowkranken ist oft und lange 
im Verlaufe der Krankheit nicht mit den gewöhnlichen Symptomen 
der Herzinsufficienz verbunden. Aber natürlich kommt es nicht 
selten schliesslich doch dazu. In 3 eigenen Fällen sah ich 
günstigen Erfolg von Abortus, nachdem die Reduktion der Struma 
abgelehnt war. Ich verweise auch diesbezüglich auf die ein¬ 
schlägige Statistik von Seitz. Die Strumektomie, welche nur in 
geringem Maasse gefährlich ist für den Fortbestand der Gravidität, 
sollte, so lange sie ausführbar, immer, in zweiter Linie eventuell 
die Öfter gleichfalls erfolgreiche Radiumtherapie vorgeschlagen 
werden. Ausserdem ist die Tbymusmedikation zu versuchen. Die 
operative Reduktion der Schilddrüse ist auch bei Schwangeren nicht 
gefährlicher als sonst. Die Gefahr (unter 5 pCt.) liegt besonders 
in der Beteiligung der Thymus, die klinisch leider schwer ab¬ 
schätzbar ist. (Röntgenbefund, abnorme palpable Lymphknoten, 
Grad , der Lymphocytose [?]). Hält man sich an ein solches Vor¬ 
gehen, wird wohl nur in wenigen Fällen, und zwar hauptsächlich 
bei gewissen Komplikationen, der Abortus gemacht werden müssen. 

Aehnliche Grundsätze gelten nach meiner ziemlich reichen 
Erfahrung auch für die Strumen überhaupt. Der Kropf verhält 
sich in der Schwangerschaft, je nach seiner anatomischen und 
funktionellen Beschaffenheit sehr verschieden, in der grossen 
Mehrzahl der Fälle relativ harmlos. Die richtige Behandlung 
ist die Strumektomie. 

Was die Nierenaffektionen betrifft, werden dieselben am 
besten im Zusammenhang mit Eklampsie und Schwangerschafts¬ 
niere besprochen. 

Pyelitis kann nur dann Anlass geben zur Unterbrechung der 
Gravidität, wenn die Eiterung auf die Nieren selbst übergegriffen 
hat. Bemerkenswert ist, dass trotz der Gravidität der Ureter 
katheterisiert und in gewissen Grenzen selbst lokale Therapie 
geübt werden kann, ohne Gefährdung des Fortbestandes der 
Schwangerschaft. 


Die Appendicitis 1 )' wird in ihrem Entstehen durch 
Schwangerschaft nicht besonders begünstigt. Die Erkrankung 
erfolgt aber nicht selten während der Gravidität, intra partum, 
im Puerperium. Der wachsende Uterus setzt keine speziellen 
Komplikationen. Die Schwangerschaft wiederum macht den Fall 
nicht schwerer; es sei denn, dass schon früher Attacken voraus¬ 
gegangen sind, welche Adhäsionen hinterlassen haben. Die un¬ 
günstige Wirkung der letzteren äussert sich dann vor allem im 
8. und 4. Monat, wenn die emporsteigende Gebärmutter mit die 
Abscesswandung bildet, ähnlich bei der Entleerung des Uterus. 
Es droht Durchbruch nach der Bauchhöhle und Gebärmutter, oder 
wenigstens Infektion. Umgekehrt bewirken ganz allgemein schwere 
Formen von Appendicitis das Absterben der Frucht und vorzeitige 
Beendigung der Schwangerschaft. Temperatur und Puls sind die 
maassgebenden Zeichen. Die Mortalität der (nicht operierten) 
Frauen ist eine sehr hohe, noch höher ist die der Kinder. Die 
Erkennung der Appendicitis beim schwangeren Weibe ist oft 
schwierig; die Symptome können unter Umständen auf Kompli¬ 
kationen der Gravidität bezogen werden. Fraenkel empfiehlt die 
Palpation in linker Seitenlagerung der Kranken. Die therapeu¬ 
tische Indikation besteht in möglichst frühzeitiger Operation der 
Appendicitis. Besonders wenn eine Appendicitis in der Schwanger¬ 
schaft recidiviert, ist auch in leichten Fällen die Encheirese an¬ 
gezeigt. Auch bei erstmaliger Appendicitis rate ich selbst zur 
Frühoperation und bin nicht datür, das Intervall abzuwarten. 
Selbst perityphlitiscbe Abscesse sind anzugeben, ziemlich gleich¬ 
gültig, in welcher Zeit die Gravidität steht. Eine künstliche 
Unterbrechung der Schwangerschaft sollte, wie auch Abel rät, 
bei bestehender Perityphlitis nie unternommen werden, weil bei 
der raschen Verkleinerung des Uterus Peritonitis droht Die 
Operation gefährdet das Fortbestehen der Schwangerschaft wenig. 

Hernien sind niemals Indikationen für künstlichen Abort. 

Nicht selten bekommen gravide Frauen Gallenstein- 
attacken, selten vor dem 5. Monat. Noch häufiger treten sie 
allerdings im Wochenbett auf. Es kann zu vorzeitigen Wehen 
kommen und die Frucht verloren gehen. Manchmal muss eine 
schwierige Differentialdiagnose gemacht werden zwischen Chole¬ 
cystitis und Sepsis. Ich habe selbst 2 Fälle von Cholecystitis 
mit stürmischem Verlauf beobachtet. Wenn möglich, ist mit der 
Operation bis nach dem Partus zu warten. Gelegentlich wird 
aber doch vor Eintritt der Wehen eingegriffen werden müssen. 

Die Stoffwechsel Vorgänge erfahren in der Gravidität be¬ 
merkenswerte Abänderungen, welche zum Teil sicher der beein¬ 
flussten Tätigkeit innersekretorischer Organe (Leber, Pankreas, 
Schilddrüse, Epithelkörperchen, Nebennieren, Nieren) zugescbrie- 
ben werden müssen 2 ). Die Nieren werden durchlässiger für den 
Zucker im Blutplasma 3 ), und im Kohlebydratstoffwechsel äussert 
sich mehr oder weniger eine Abweichung im Sinne herunterge¬ 
setzter Assimilationsgrenze. Bemerkenswert ist es, dass eine der 
diabetischen analoge Acidose in der Gravidität bei Kohlebydrat- 
abstinenz auftritt, welche viel höhere Grade zu erreichen pflegt 
als ausserhalb der Schwangerschaft. Dieselbe soll sogar als 
Scbwangerschaftszeichcn verwertbar sein. Es gibt ferner (ganz 
abgesehen von der Laktosurie) eine Schwangerscbaftsglykosurie, 
welche in der Regel nach Ablauf der Gravidität wieder verschwin¬ 
det. Eine solche intensive sympathische Glykosurie ist vom „echten“ 
Diabetes nicht immer leicht zu unterscheiden (Zuckergehalt des 
Blutes?). Der eigentliche Diabetes steht in loser Beziehung zur 
Gravidität. Im allgemeinen ist das Zusammentreffen beider sel¬ 
ten; ist doch die Zahl der im konceptionsfäbigen Alter stehenden 
Diabetischen gering. Doch sind bei derselben Diabetica auch wie¬ 
derholte Schwangerschaften zu beobachten 4 ). Die Mortalität gra¬ 
vider Frauen mit Diabetes ist nicht nachweislich höher als die 
anderer diabetischen Weiber derselben Altersstufen. Auch die 
Comagefahr scheint nicht wesentlich grösser zu sein. Das Gleiche 
soll gelten für die zweithäufigste Todesursache: die Tuberkulose. 
Leider erscheint der Diabetes in der Schwangerschaft oft noch 
mit anderen Komplikationen ausser der Tuberkulose: Hyperemesis, 


1) Vergl. E. Fraenkel, Sammlung klinischer Vorträge. N. F., Nr. 229. 
— K. Abel, Vorlesungen über Frauenkrankheiten, Berlin 1912. 

2) Vergl. L. Seitz, Innere Sekretion und Schwangerschaft. Leipzig 
1913. Die Lektüre dieser Arbeit ist jedem Praktiker eindringlich zu 
empfehlen. 

3) Vergl. Novak, Porges, Strisower (v. Noorden’s Klinik), Zschr. 
f. klin. M., 1913, Bd. 78. 

4) Offergeld, Arch. f. Gynäk., Bd. 86. D.m.W., 1909, Nr. 28. — 
H Neumann, B.kl.W., 1909, Nr. 47. — G. Winter, M. Kl., 1917, 
Nr. 35. 


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7. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


11 


Nephrose, Basedow, Hydramnion u. a. Die bekannte er¬ 
schreckende Statistik Offergeld’s, welche mit einem intraute¬ 
rinen Absterben der Frucht in etwa 50 pCt. der Fälle rechnet, 
scheint doch wohl zu hoch gegriffen. Es fehlt bisher an einem 
ausreichend grossen, auch leichtere Fälle umfassenden Material, 
welches vor, während und nach der Gravidität genau beobachtet 
ist. Ich selbst kenne (aus meiner Privatpraxis) drei Fälle, in 
welchen die Kinder normal ausgetragen und geboren worden sind; 
in dem einen Fall starb nachher die Mutter. Io einem anderen 
Falle sah ich die Patientin zweimal abortieren. 

Ob durch die Schwangerschaft die diabetische Glykosurie 
regelmässig in die Höhe geht, lässt sich bisher nicht halbwegs 
bestimmt sagen. Die diätetische Therapie ist nach meiner Er¬ 
fahrung in leichteren Fällen nicht ohne Einfluss. 

Nach allem kann ich eine rein prophylaktische Unterbrechung 
der Gravidität bei Diabetes (mit v. Noorden) nicht für 
angezeigt finden. Leichte Fälle sollten von dieser Indikation zu¬ 
nächst ganz ausgenommen werden. Selbst Zunahme der Glyko¬ 
surie und entsprechende Abmagerung sind nicht sofort entschei¬ 
dend. Dagegen sind stärkere (etwa noch der Ammonausscheidung 
fortlaufend zu schätzende) Acidose, welche nicht in kurzer Zeit 
diätetisch zu beeinflussen ist, Nephrose und die anderen bereits 
erwähnten Komplikationen, sowie der individuelle Gesamthabitus 
des Einzelfalls und ebenso der Tod der Frucht Anzeigen einer früh 
anszuführenden Unterbrechung. Viel Hoffnung ist leider auf den 
Erfolg der Operation nicht zu setzen. Arzt und Patientin 
können von Glück reden, wenn die vorher versuchte diätetische 
Therapie (in leichteren, unkomplicierten Fällen) Erfolg hat. 

Erkrankungen, bei deren Entstehung Gravidität, Partus 

und Puerperium wesentlich oder doch entfernt 
beteiligt sind. 

Wenigstens zum Teil bezieht man diese Erkrankungen auf 
direkt durch die Schwangerschaft verursachte Toxämien 1 ), speziell 
aaf Leber- und Nierenschädigungen, sowie solche der Epithel¬ 
körperchen, auf Störungen des hormonalen Gleichgewichts über¬ 
haupt, auf chemisch korrelative Placentawirkungen u. dgl. mehr. 

Zu den Toxämien im engeren Sinne gehören die Hyperemesis 
gravidarum, der Schwangerschaftsptyalismus, die Gingivitis, die 
Eklampsie und damit verknüpfte Affektionen, die Schwanger¬ 
schaf tssiere, die akute gelbe Leberathrophie, die Graviditätsneu¬ 
ritis o. a. 

Die toxische Form der Hyperemesis scheint anderwärts, z. B. 
in Amerika, ein viel ernsteres Leiden als bei uns zu sein. Aber 
auch bei uns wird Hyperemesis manchmal lebensgefährlich, be¬ 
sonders wenn das Erbrechen vergesellschaftet auftritt mit anderen 
schon genannten Erkrankungen in der Schwangerschaft. Die 
Autopsie von graviden Frauen, die mit Hyperemesis gestorben 
waren, hat vor allem ernste Veränderungen in Leber und Nieren 
ergeben. Auch das Herzfleisch pflegt — fettig — degeneriert zu 
sein. Bei der aktiven Behandlung entscheidet zunächst die 
spezielle Differentialdiagnose: toxisch oder nicht, neurotisch, 
reflektorisch? Diese Diagnose kann nicht immer oder nicht immer 
leicht gemacht werden, und man darf nicht eine sofortige (früh¬ 
zeitige) Unterbrechung der Gravidität verbinden. Die delikate 
Frage nach diesem Wann der Entleerung des Uterus ist aber die 
Hauptsache. Auf irgendeine Funktionsprüfung der Leber (alimen¬ 
täre Lävolosurie, Urobilinogenurie) hin darf man nichts unter¬ 
nehmen. Ebensowenig auf den Nachweis einer Acidosis, auf Zu¬ 
nahme der Blutkonzentration, Pulsverlangsamung, Indikanurie, 
Diazoreaktion. Wichtiger ist schon gleichzeitige starke Schwanger- 
schaftsglykosurie, Albuminurie, Gelbsucht. Das endgültige Urteil 
wird sich aber zu halten haben an das ganze individuelle Ge¬ 
präge des Einzelfalles, wobei alle Komplikationen in Betracht zu 
ziehen sind. Zu sehr soll die Unterbrechung nicht hinaus¬ 
geschoben werden. Sowieso ist der Erfolg des Aborts, wenn 
Leber und Nieren afficiert gewesen, kein sofortiger. 

Eine der gefährlichsten Komplikationen der Gravidität, 
Konvulsionen begleitet von Coma, ist ebenfalls an Leber¬ 
und Nierenschädigungen geknüpft oder an beide zusammen. Es 
gibt viele Varianten des Syndroms, an den Enden der Reihe steht 
die akute gelbe Leberatrophie einer- und die Schwangerschafts¬ 
niere andererseits. Den symptomatischen Höhepunkt bezeichnet 
die Eklampsia parturientium. Bei der geringen Bekannt¬ 
schaft mit den Ursachen, auf die ich als Internist nicht näher 
eingehen möchte, ist eine strengere nosologische Klassifikation 


1) Vergl. auob J. Hofbauer, Zsobr. f. Geburtsh., Bd. LXI. 


kaum durchführbar. Die differentielle Diagnose hat auszuschHessen: 
Hysterie, Epilepsie, organische Gehirnkrankheiten (Tumor, Tu¬ 
berkel, Apoplexie usw.), gewisse Intoxikationen (z. B. Phosphor), 
Infekte (Meningitis, Pneumonie). Gewöhnliche Urämie lässt sich, 
wenn das Vorhandensein einer Nephrose, Nephritis oder Nieren¬ 
sklerose nicht anamnestisch bekannt, oft schwer von Eklampsie 
unterscheiden. Delirien, Jaktation, Gelbsucht, Petechien weisen 
auf die Leber. Bezüglich der Schwangerschaftsniere im engeren 
Sinne kann man sich auch heute noch vielfach an Leyden’s 
Darstellung halten, welcher bereits ausdrücklich betont bat, dass 
die charakteristischen Veränderungen sich finden in einem grossen 
Prozentsatz der Nieren in normaler Gravidität. Das Charakte¬ 
ristische des Syndroms ist Albuminurie und Oedem in der zweiten 
Hälfte der Schwangerschaft. Leichte Albuminurie, eine mässige 
Zahl hyaliner und granulierter Cylinder, vereinzelte weisse Blut¬ 
zellen, sowie renale Epithelien finde ich selbst etwa in der 
zweiten Hälfte aller untersuchten Schwangerschaften. Bedenklich 
wird die Sache, wenn leichte Ermüdlichkeit, Kopfschmerzen, 
Neuralgien sich hinzugesellen. Die isolierte Schwangerschafts¬ 
niere ist als . milde Toxaemia gravidarum aufzufassen. Starke 
Albuminurie, Blut im Harn, Verminderung der Harnmenge be¬ 
zeichnen den Beginn der präeklamptischen Toxämie. 

Die Nephritis in gravida macht sich dagegen früher be¬ 
merkbar als die Schwangerscbaftsniere. Retinitis albuminurica ist 
häufiger bei eigentlicher Nephritis. Auch die eigentliche Nephritis 
unterbricht nicht selten (in vielleicht lOpCt.) die Gravidität. 

Es gibt auch einen Icterus simplex bei den schwangeren 
Frauen, wenn auch ziemlich selten. Wenn aber eine gravide 
Frau nach einer oder zwei Wochen lang dauernden Ermüdung 
mit Kopfschmerzen und gastrischen Störungen Gelbsucht bekommt 
mit Jaktation, Delirien und Gelbsucht, ist an akute gelbe Leber¬ 
atrophie zu denken und die Leberdämpfung genau zu berück¬ 
sichtigen. 

Die Therapie der Eklampsie ist in all deren Formen die 
gleiche. 

Die Eklampsie erscheint gewöhnlich in den letzten drei 
Graviditätsmonaten, aber sie kann auch z. B. schon vor der 
10. Woche auftreten. 20 pCt. der Fälle rechnet man auf die 
Dauer der Schwangerschaft, 60 pCt. auf die Zeit der Wehen, 
20 pCt. auf diejenige nach der Entbindung. Primiparae sind 
häufiger befallen. Bei Multiparae gilt die Prognose für schlechter. 
Die Mortalität wird gewöhnlich mit etwa 20 pCt. für die jetzige 
Zeit veranschlagt. Die Frucht stirbt ab in 30—40 pCt. der Fälle. 

Schon der erste eklamptische Anfall macht den Zustand 
ernst. Viele sind der Meinung, dass die rascheste Entleerung des 
Uterus in tiefer Narkose die beste Heilmethode gibt. Dieses gilt 
ziemlich sicher für die eklamptischen Attacken, nicht so be¬ 
stimmt für die Heilung überhaupt. Auch viele Kinder werden 
damit gerettet. Ich muss mir versagen, darüber eine eigene 
Meinung zu äussern, da ich jeden einschlägigen Fall sofort dem 
Geburtshelfer übergeben zu müssen glaube. Io Fällen von Nephritis 
in Gravida, besonders wenn ich die Patientin schon vor der 
Schwangerschaft genau beobachten konnte, bin ich sehr kon¬ 
servativ. Entscheidend für eine aktive Therapie sind Urämie, 
Herzschwäche, sekundäre Entzündungen. Die Retinitis ist nur 
eines der Symptome, allerdings ein sehr wichtiges. Es gibt sehr 
viel gutartige Fälle von Nephritis! 

Einiges sei noch binzugefügt in betreff der nur mutmaass- 
lich toxämischen Komplikationen der Gravidität, welche dem 
Urteil des Internisten unterliegen. 

Was zunächst die (sehr seltene) Neuritis gravidarum 1 ) 
betrifft, welche sich bessert bzw. heilt nach normaler Beendigung 
der Schwangerschaft, allerdings oft erst nach längerer Zeit, 
während sie in der Gravidität selbst andauert und damit ihre Zuge¬ 
hörigkeit zu letzterer beweist, so indiciert diese den künstlichen 
Abortus nur in den Fällen mit Lebensgefahr (solche nach dem 
Landry-Typ, mit Beteiligung des Vagus, Phrenicus), ferner in 
den Fällen mit Affektion des Opticus und Acusticus. Notabene, 
wenn im letzteren Falle Lues, die unter Umständen gerade in der 
Gravidität mit einer ziemlich isolierten Opticusläsion einsetzen 
kann, sich ausschliessen lässt. Die Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft wirkt leider nicht ausnahmslos günstig. 

Die hypothetische Deutung der Chorea gravidarum 2 ) als 
Schwangerschaftstoxikose stützt sich auf die Kombination mit 
Hyperemesis, Albuminurie, auf ihr Auftreten in der Schwanger- 


1) Vergl. E. Sachs (Klinik Winter), M. Kl., 1917, Nr. 43 u. 44. 

2) Pineies u. Winter, 1. c, 

3* 


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12 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


scbaft erst nach Entwicklung der Placenta, auf pathologisch¬ 
anatomische Befunde (Veränderungen an Leber und Nieren wie 
bei den echten Toxikosen), auf die Erfolge der Therapie mit 
Schwangerenserum. Neben der viel häufigeren, chronischen 
milden Form der Krankheit gibt es eine akute, schwere mit 
psychischen Störungen (Hallucinationen, Delirien, Tobsucht). 
Gegenüber der infantilen Chorea hat die der Gravidität eine hohe 
Mortalität (10—20 pCt.). Diese Chorea verbindet sich nicht 
selten mit Sepsis. Jugendchorea kann vorausgegangen sein; ist 
davon Endocarditis zurückgeblieben, wird die Prognose in der 
Schwangerschaft noch schlechter. 

Auch ohne Schwangerschaftsunterbrechung sind Fälle aus- 
gebeilt, selbst die selten schwere Form. Doch wird man in 
letzteren besser den künstlichen Abort möglichst früh einleiten, 
besonders bei Recidiven, bei direkter Lebensgefahr infolge von 
Inanition, Schlaflosigkeit, Herz-, Nieren , Lungenaffektionen. 

Die Tetanie der Graviden ist durch Haberfeld 1 ) als 
Affektion der Epithelkörperchen erwiesen. Prophylaktisch darf 
der Abortus auch hier nicht vorgenommen werden, selbst wenn 
schon in früheren Schwangerschaften das Leiden aufgetreten war. 
Nur das Uebergreif-n der Krämpfe auf den Larynx und die 
Rumpfmuskulatur bilden eine acceptable Indikation. 

Die Osteomalacie, deren Ursache in einer Hyperfunktion 
der Ovarien gesucht worden ist, welche aber mit grosser Wahr¬ 
scheinlichkeit auf eine Gleichgewichtsstörung in der Funktion 
mehrerer endokriner Organe gesucht werden muss, bei deren 
Zustandekommen allerdings in erster Linie der Rierstock (das 
Parovarium), evtl, der Hoden in Betracht kommen, rechtfertigt 
nach dem Urteil der erfahrensten Gynäkologen (z. B. Winter’s) 
eine Schwangerschaftsunterbrechung nicht, sondern erfordert, auch 
während der Gravidität, neben interner Behandlung die Kastration. 

Gravidität und Geburt müssen endlich auch unter den 
— direkten oder indirekten — klinischen Ursachen der Anaemia 
perniciosa geführt werden. Die Bothriocephalusanämie, bei 
welcher die kausale Behandlung sehr befriedigende Resultate auf- 
zuweisen hat (weniger erfreulich steht es bezüglich der luetischen 
Fälle), würde uns wohl auch bei der puerperalen Form vor allem 
die Beseitigung des speziellen ätiologischen Moments nabelegen, 
selbst wenn die eigentliche Pathogenesis sonst noch unklar ist. 
Tatsächlich hat man hier auch Unterbrechung der Schwangerschaft 
empfohlen. 

Sämtliche fünf Patientinnen Gusserow’s (1871) erkrankten 
im Laufe der Gravidität, bei allen trat die Geburt vorzeitig ein, 
alle starben bald nach dem Partus. Infolgedessen wurde Gusserow 
geneigt, das Hauptgewicht für die Pathogenesis der Anaemia 
perniciosa überhaupt auf vorausgegangene Schwangerschaften 
zu verlegen. Aber schon etwa in der Mitte der siebenziger Jahre 
war sichergestellt, dass in einschlägigen Fällen die Geburt eben¬ 
so gut am rechtzeitigen Ende der Gravidität erfolgen kann, dass 
ferner auch durch glücklich und ohne erheblichen Blutverlust er¬ 
folgten Partus das Leiden am Fortschreiten nicht gehindert sein 
muss, ja dass die Krankheit nach der Entbinduog erst ihren 
Höhepunkt erreichen kann. 

Gegenwärtig lässt sich folgendes sagen. Hierzulande scheint 
die puerperale Form der Anaemia perniciosa recht selten zu sein, 
daher die Zweifel von Grawitz betreffend deren Existenz über¬ 
haupt. Aber nach eigenen früheren Erfahrungen, in denen das 
charakteristische Blutbild festgestellt worden ist, kann ich selbst 
den Zusammenhang nicht bezweifeln. Wie Naegeli kenne auch 
ich (zwei) Fälle, in welchen nach der in der Schwangerschaft 
entwickelten Krankheit mit natürlich eingetretenem Partus und 
erfolgreicher Arseniktherapie im Puerperium ein Recidiv (3, resp. 6) 
Jahre ausblieb. Naegeli verweist auf eigene Beobachtungen, 
nach welchen die Frauen neuerdings geboren haben, ohne noch 
einmal zu erkranken. Die Geburt verläuft leicht ohne schweren 
Blutverlust. Die Arsenikbehandlung erzielt auch bei dieser Form 
der Krankheit, besonders post partum, weitgehende Besserungen 
und „Heilung“. Einzelne der Patientinnen sterben an Sepsis, 
andere späterhin an der Krankheit. Die bisher in der Literatur 
vorliegenden Erfolge der Schwangerschaftsunterbrechung können 
uns nicht veranlassen, hier grundsätzlich den künstlichen 
Abortus zu verlangen. 

Hautaffektionen, wie Pruritis, Prurigo, Erytheme, Herpes, 
sind, obwohl oft sehr peinlich für die Leberorgane, für sich 
niemals Indikation zur Unterbrechung der Gravidität. 

Ich kann am Schlüsse nicht genug betonen, dass Richtlinien, 


1) Haberfeld, Vircbow’s Areh., 1911, Bd. 203. 


wie die vorstehenden öfter überschritten werden müssen. Die 
Komplikation des individuellen Falles erfordert auch spezielle 
Ueberlegungen und angepasbtes Handeln. Wenn von mir ein bloss 
präventives Vorgehen überall möglichst zurückgestellt wurde, 
manchmal wird doch die Vorbeugung das maassgebende Motiv 
bleiben. Ein Beispiel: Wenn man in der ersten Zeit der achten 
Gravidität einer etwa 36jährigen Frau, welche in der siebenten 
Schwangerschaft schon an Ohnmächten gelitten und im 6. Monate 
eine tote Frucht zur Welt brachte, wonach diese Ohnmächten längere 
Zeit häufiger wurden, eine Pulsverlangsamung von 40 Schlägen in 
der Minute konstatiert und, dadurch zu genauer Untersuchung veran¬ 
lasst, einen Herzblock zwischen Atrium und Kammer feststellt, 
wird man wohl für künstlichen Abortus plädieren und nicht erst 
eine unsichere Physostigmintherapie versuchen. 

Abgesehen von der Zurückweisung des bloss präventiven 
Vorgehens war ich in meinem Bericht besonders bemüht, zu 
zeigen, dass die eingangs erwähnte ungeschriebene Rechtslage, 
wie sie von Herrn Kahl interpretiert worden ist, für alle vom 
ärztlich-internistischen Standpunkt berechtigten Indikationen des 
künstlichen Abortus vollkommen ausreicht. Ich selbst bin auch 
gar nicht dafür, dass an dieser Rechtslage etwas geändert wird. 

Aerztliche Indikationen und ärztliches Handeln müssen 
nach meiner Meinung mit beeinflusst werden von der Lebenslage 
der Kranken. Das wird so lange der Fall sein, als bestimmte 
Lebenslagen die Prognose gewisser Krankheiten unzweifelhaft 
verschlechtern. Aber Herr Kahl hat ja gezeigt, wie, für uns 
völlig befriedigend, die Lebenslage als „konkurrierender“ Faktor 
zulässig ist auch vom juristischen Standpunkt. Wir brauchen da 
also gar nicht auf Dinge zu rekurrieren, welche ausserhalb unserer 
eigentlichen Standespflichten liegen. Auch wenn die Sterbeziffer 
noch so niedrig und die Geburtenzahl noch so hoch ist, muss die 
Prüfung der Indikation für eine Schwangerschaftsunterbrechung 
mit gewissenhaftester Sparsamkeit für menschliches Leben vor 
sich gehen. Ueberhaupt, meine Herren Kollegen in der Praxis, 
lassen Sie sich weder leiten vom Furor abortivus, noch 
vom Furor antiabortivus! Ich selbst habe meine ärztliche 
Laufbahn in den berühmtesten Krankenhäusern deutscher 
Zunge begonnen und fortgesetzt. Ja, vor 25— 30 Jahren 
wussten wir Internisten kaum etwas vom künstlichen Abortus. 
Aber schütten wir das Kind nicht mit dem Bade .aus, 
die ärztliche Schwangerschaftsunterbrechung bedeutet, wo’ sie 
berechtigt ist, doch einen therapeutischen Fortschritt! Wenn 
vorübergehend ein Ueberschwang in die lndikatioosstellung ge¬ 
kommen ist, so sind daran auch die mit schuldig, welche, in 
den besten Intentionen, die Wissenschaft machen. Nun kommt, wie 
bei andern staik in die Mode gekommenen Eingriffen auch, die not¬ 
wendige Kritik. Wissenschaft kann nur durch Wissenschaft ver¬ 
bessert werden. Ueberzeugen wir die Praktiker, dass die Indi¬ 
kation eingeschränkt werden kann und soll aus scientifiscben 
Gründen, so ist das der einzig richtige Weg, es ist der Weg 
unserer Standespflicht, die sich auf den ärztlichen Verstand stützt. 

Der Praktiker sollte weder einseitig das Leben des zu er¬ 
wartenden Kindes absolut höher bewerten, noch auch in jedem 
Fall bloss das Wohl der kranken Schwangeren im Auge behalten, 
weil man wegen eines „erst zu erwartenden Lebens“ das der 
Mutter keiner Gefahr aussetzen dürfe. Unser rein ärztlicher 
Standpunkt muss ein vermittelnder sein. Mutter und Kind sind 
uns beide anvertraut und sind fast immer beide zugleich gefährdet. 
Iu diesem Sinne bleibt das Salus aegroti suprema lex bestehen. 
Wenn wir aus seltenen Notständen heraus in ärztlich berechtigter 
Indikation einmal zwischen beiden wählen müssen, hat das für 
die Bevölkerungspolitik keine numerische Bedeutung. 


IV. Die Indikationen zur ärztlichen Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft bei psychi¬ 
schen und nervösen Störungen. 

Von 

K. Bonhoeffer. 

M. H ! Nachdem die anderen Herren Referenten die allge¬ 
meine und die juristische Seite besprochen haben, kann ich 
gleich in die spezielle Erörterung der psychischen und nervösen 
Störungen eiDgehen. 

In der Skala, die Herr Bumm über die Häufigkeit, in welcher 


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die einselneo Erkrankungen Veranlassung zur Schwangerschafts¬ 
unterbrechung geben, aufgestellt hat, standen die Psychosen ziem¬ 
lich vorne an. Das ist überraschend, weil die Indikation bei psychi¬ 
schen Erkrankungen im ganzen doch recht selten zu stellen ist. 
Allerdings hört man bei Gynäkologen und ärztlichen Praktikern 
und vor allem im Laienpublikum nicht selten andere Anschauungen. 
Der Grund, weshalb gerade bei den Psychosen die Frage der 
künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung häufiger erörtert wird, 
liegt in der Hauptsache in der Erfahrung, dass der Ausbruch von 
Psychosen nicht selten mit Generationsprozessen zusammen- 
fellt, und dass diese Psychosen in einem erheblichen Teile der 
Fälle einen fortschreitenden Verlauf nehmen. Der damit nahe¬ 
gelegte Gedanke der kausalen Beziehung wurde durch den lange 
Zeit in der Psychiatrie geläufigen Brauch, von Schwangerschafts-, 
Wochenbett- und Lactatiouspsychosen wie von ätiologischen 
Krankheitsbegriffen zu sprechen, unterstützt. Als weiteres die 
Bntschliessung zum Abort bewusst oder unbewusst erleichterndes 
Moment mag die Ueberlegung hinzukommen, dass das während 
einer Psychose zur Entwicklung kommende Leben weniger hoch 
bewertet wird. 

Als ein kaum angezweifeltes Ergebnis des letzten Menschen¬ 
alters psychiatrischer Forschung kann es gelten, dass es spezifische 
Generationspsycbosen nicht gibt, dass die während der Generations¬ 
phasen auftretenden Psychosen dieselben sind, die wir nach 
anderen Anlässen oder ohne äusseren Anstoss bei Frauen und 
Männern auftreten sehen. Wenn man von den puerperalen 
Delirien und Amentiaformen, deren toxisch-infektiöser symptoma¬ 
tischer Charakter nicht zweifelhaft ist, als für unsere Frage be¬ 
langlos absieht, so kann man mit Bestimmtheit sagen, was man 
von Psychosen sonst während der Generationsphasen auftreten 
sieht, gehört der grossen Mehrzahl nach der Scbizophreniegruppe 
and in zweiter Linie dem Manisch-Depressiven und der periodi¬ 
schen Depression zu. Der Wert dieser klinischen Feststellung 
liegt für unsere Frage darin, dass mit dieser Eingliederung der 
Generationspsychosen ein fester Boden bezüglich der Aetiologie, 
der Kenntnis <tes natürlichen Ablaufs und der Prognose dieser 
Erkrankungen gewonnen ist. Schon die Häufigkeitsfrage der 
Generationspsychosen gewinnt damit ein anderes Gesicht. Da 
sowohl bei der Schizophrenie wie bei den manisch-depressiven 
Erkrankungen die Prädilektionszeit ihres Auftretens in das dritte 
Lebensdecenium, also in das eigentliche Gebäralter der Frauen 
fällt, so ist ein relativ häufiges Zusammentreffen der Schwanger¬ 
schaft, insbesondere der .ersten Schwangerschaft, mit diesen 
Psychosen von vornherein wahrscheinlich, ohne dass man an 
andere als zeitliche Beziehungen zu denken hätte. Tatsächlich 
ist das Zusammentreffen von Schwangerschaft und Psychose kaum 
häufiger, als dieser Wahrscheinlichkeit entspricht. Es fällt damit 
das Moment der kausalen Beziehung von Schwangerschaft und 
Psychose wahrscheinlich überhaupt weg, und es würde sich für 
unsere Frage nur dämm handeln, ob das zufällige Zusammen¬ 
treffen der Schwangerschaft mit einer Psychose den Verlauf der 
letzteren ungünstig beeinflussen kann. 

Für das Puerperium, das nm ein vielfaches häufiger Psychosen 
im Gefolge bat, ist an einer auslösenden Bedeutung aber festzu¬ 
halten. 

Man weiss nun von den genannten Erkrankungen, dass sie 
endogener Entstehung sind, dass ihre Entwicklung und ihr Ver¬ 
lauf im allgemeinen unabhängig von äusseren Schädigungen und 
Erschöpfungszuständen ist. Gerade anch unsere Kriegserfahrungen 
sind in dieser Beziehung lehrreich. Wir sahen trotz der schweren 
Erscböpfungsmöglichkeiten, der Blutverluste und der schwersten 
Emotionen, soweit sich das bis jetzt übersehen lässt, keine Zu¬ 
nahme dieser Erkrankungen und keine Aenderung ihres Verlaufs. 
Die Manisch Depressiven behalten ihre Tendenz zur Heilung und 
Periodicität, die schizophrenen ihren wechselvollen Verlauf mit 
der im ganzen fatalen Prognose. Wenn früher vielfach auf Grund 
von Statistiken über Schwangerschaftspsycbosen ein grosser 
Prozentsatz ungünstig verlaufender Depressionszustände be¬ 
rechnet und auf das Konto der Schwangerschsft geschrieben 
worden ist, so wissen Wir heute, dass die Ursache in der Ver¬ 
schiedenheit des zu Grunde liegenden Prozesses zu suchen ist. 
Der schizophrene Depressionszustand ist von vornherein anders 
prognostisch zu bewerten als der manisch-depressiv bedingte. 

Betrachten wir zunächst die manisch-deprfssiven Erkran¬ 
kungen in ihrer Beziehung zur Frage der Unterbrechung der 
Schwangerschaft, so könnte man sich theoretisch kurz fassen. 
Die einzelnen Erkrankungsattacken sind ausgesprochen heilbare 
Zustände, bei denen eine schwere Gefahr für Leben und Gesund¬ 


heit zumeist nicht vorliegt. Ganz so einfach liegt die Sache in 
Wirklichkeit aber doch nicht, da mit Suicid, Unterernährung, 
Nahrungsverweigerung, gelegentlich mit cyklischem Verlauf und 
in seltenen Fällen mit sehr lange, durch Jahre hingezogenen 
Verlaufsformen, also doch mit bedrohlichen Komplikationen unter 
Umständen gerechnet werden muss. Für die hier in Betracht 
kommende Frage bleibt aber wesentlich, dass die Klinik keinerlei 
Anhaltspunkte für eine kausale Beziehung zur Gravidität gibt. 
Wir sehen die Depression die Gravidität überdauern, wir sehen 
sie während der Gravidität abbeilen. Ein genauerer Ueberblick 
über die Einzelfälle zeigt, dass die einzelnen Attacken in der Mehr¬ 
zahl der Erkrankungsfälle sich ausserhalb der Generationsphasen 
ebenso einstellen wie während derselben. Ein gelegentliches Ab¬ 
heilen im Anschluss an die Einleitung des Aborts beweist bei der 
spontanen Heilnngstendenz der Erkrankung ebensowenig wie der 
Ausbruch einer Depression anschliessend an einen Spontanabort 
in einem Falle meines Materials. Besonders gerne scheint in 
Fällen von mehrfacher Wiederkehr von Depressionen während der 
Generationsakte an die Schwangerschaftsunterbrechung gedacht 
zn werden. Ich bin solchen Aborten teils als prophylaktischer, 
teils als therapeutischer Maassnah me mehrfach bei der Anamnese 
Depressiver begegnet. Friedmann bespricht einen solchen Fall, 
in welchem die Einleitung des Aborts zunächst erfolglos vom 
Hausarzt, wenige Wochen später vom Gynäkologen mit Erfolg 
aasgeführt worden ist. Die Psychose blieb unverändert. Die Erfolg¬ 
losigkeit des Eingriffs liegt wohl sicher nicht, wie Friedmann 
erwägt, in der langen Einwirkung von Furcht und Bestürzung, 
sondern in dem endogenen Charakter der Erkrankung. Die gelegent¬ 
lich vorkommende Bindung sich wiederholender Depressionen oder 
manischen Erregungen an den Generationsakt ist keine ursächliche. 
Sie ist nicht anders zn beurteilen, als etwa die periodische 
Häufung epileptischer Anfälle um die Zeit der Menses bei manchen 
Epileptischen, die man auch nicht durch Kastration beseitigen 
kann. Es entspricht, wie mir scheint, einer Erfahrung der Patho¬ 
logie, dass endogene periodische Erkrankungen eine gewisse 
Neiguog zeigen, sich an die physiologischen Perioden anzuknüpfen, 
ohne dass deshalb eine kausale Beziehung bestände. Die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft beseitigt eine periodisch wieder- 
kebrende Graviditätsdepression nicht. Ebensowenig ist es be¬ 
rechtigt, prophylaktisch zu unterbrechen, nm die Wiederkehr einer 
puerperalen Depression zn verhindern, ganz abgesehen davon, 
dass man kaum berechtigt ist, von einer schweren Bedrohung von 
Leben und Gesundheit zu sprechen, wenn nur die Möglichkeit 
oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer zu erwartenden Er¬ 
krankung vorliegt. 

Eine besondere Erwähnung bedarf die Suicidgefahr während 
der Depression. Ihretwegen die Schwangerschaft zu unterbrechen, 
muss ich mit Alzheimer and Kraepelin ablehnen. Man wird 
das Suicid sicherer durch andere Mittel als durch den Abort ver¬ 
hindern. Der Abort beseitigt die Suicidgefahr nicht, weil die 
Erkrankung ihren Fortgang nimmt. Die Fälle, auf welche Jolly, 
Pick, Friedmann u. a. znrückgreifen, nm den Abort wegen 
Suicidgefahr zn rechtfertigen, gehören nicht zu den echten De¬ 
pressionen. Ich komme auf sie noch zu sprechen. 

Aach die Nahrungsverweigerung ist bei Depressionszuständen 
als Indikation diskutiert worden. Generell wird man das ans 
denselben Granden nicht gelten lassen können, da die Nahrungs¬ 
verweigerung anders zn bekämpfen ist und die psychische Er¬ 
krankung durch den Abort nicht geheilt wird. Es kann aber bei 
einer durch die Nahrungsverweigerung in der Depression schwer 
abgekommenen Kranken sich ereignen, dass der mütterliche 
Organismus durch den durch das Wachstum des Kindes bedingten 
Kräfteverlast schwere Gefahr läuft, das Wochenbett nicht zn 
überstehen, besonders wenn die Kranke, wie es gelegentlich vor¬ 
kommt, durch geschicktes Herauswürgen der künstlich eingefübrten 
Nahrung sich fast jeder Nahrungsaufnahme entzieht. Wenn man 
in einem solchen Fall zu dem Entschluss der Schwangerschafts¬ 
unterbrechung gelangt, so wird man sich klar sein, dass man 
hier nicht die Depression beseitigen will, sondern lediglich das 
Plus au Schädigung, das durch den nahrungsentziehenden kind¬ 
lichen Organismus berbeigefübrt wurde. Es sind mir keine Fälle 
bekannt, bei denen eine solche Indikation wirklich Vorgelegen bat. 
Ich glanbe, man wird meist durch geeignete Behandlung in der 
Lage sein, den Eingriff zu vermeiden. Dass unter Umständen, 
wenn Komplikationen bestehen, z. B. eine endokrine Störnng, wie 
sie Passow geschildert hat, die Indikation zur Unterbrechung 
eintreten kann, bedarf keiner weiteren Erörterung. Im ganzen 
liegt der Sachverhalt so, dass die der manisch depressiven An- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


läge entstammenden Depressionen and manischen Erregungen und 
die aus ihr sich ergebenden Symptome einen Anlass cur Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung nicht geben. 

Bei der Schizophrenie liegt der Sachverhalt etwas kompli- 
cierter, weil es sich hier um Erkrankungen handelt, deren Be¬ 
ziehung tu den Sexual Vorgängen wegen der Prädilektion der 
Pubertätsjahre im weiteren Sinne nicht in Abrede zu stellen ist 
und weil mit der Gefahr der Verblödung zu rechnen ist. Es 
muss aber von vornherein gesagt werden, dass wir keine Er¬ 
fahrungen darüber haben, welches die Ursachen sind, dass es bei 
vielen Kranken zu schwerer Verblödung kommt, während andere 
mit geringfügigen Defekten abheilen. Was wir bisher an Er¬ 
fahrungen haben, spricht dafür, dass Spontanaborte, dass Kastration 
oder sonst ein genitaler Eingriff keinerlei sicheren Einfluss auf 
den Verlauf der Erkrankung zu üben vermögen. Dass gelegent¬ 
lich einmal ein Fall durch den Abort günstig beeinflusst wird 

— Bleuler erwähnt einen solchen Fall —, will zwar im Hinblick 
auf die Mannigfaltigkeit der Verlaufsformen dieser Erkrankungen 
nichts besagen, es ist aber doch ein Hinweis, dass alle Beob¬ 
achtungen, in denen Aborte, seien es spontane oder künstliche, 
die bei Schizophrenie zur Beobachtung kommen, bekannt gegeben 
werden sollten. Eines jedenfalls lässt sich nicht leugnen, dass in 
seltenen Fällen wiederholte Puerperien neue akute Attacken und 
Verschlimmerungen auslösen und den Eintritt der Verblödung zu 
begünstigen scheinen. In solchen Fällen kann die Erwägung der 
Schwangerschaftsunterbrechung Platz greifen. Ich habe vor kurzem 
in einem Fall die Unterbrechung für zulässig gehalten, als es sich 
um ein beginnendes Recidiv einer wenn auch nicht klinisch, so 
doch sozial genesenen Schizophrenen handelte, die zwei Jahre zuvor 
eine ausserordentlich schwere, zu extremster Abmagerung und 
Hinfälligkeit führende puerperale Katatonie durchgemacht batte. 
Einer Steigerung der im Beginn der neuen Gravidität ein¬ 
setzenden neuen Krankheitserscheinungen zu der früheren In¬ 
tensität wäre die Frau nach menschlicher Berechnung nicht ge 
wachsen gewesen. Die darin liegende Lebensgefahr berechtigte 
zu dem Eingriff. 

Im allgemeinen muss aber nach dem jetzigen Stande unseres 
Wissens die Praxis dahin gehen, dass bei schizophrenen Erkran¬ 
kungen, wenn nicht ganz besondere Verhältnisse vorliegen, die 
Unterbrechung der Schwangerschaft abzulehnen ist. In dieser 
Hinsicht scheint mir Uebereinstimmung unter den Fachärzten zu 
bestehen. Es ist wohl ein Missverständnis, wenn Toby Cohn 
in der letzten Berliner klinischen Wochenschrift sagt, dass für 
Raecke das Vorliegen einer Katatonie eine absolute Indikation 
zum Eingriff bedeute. 

Anders ist es bei gewissen psychoneurotischen Zuständen. 
Hier ist die Diskussion noch im Flusse. Vor allem bedürfen 
Fälle der Besprechung, wie sie Jolly wohl im Auge hatte 

— sie sind nicht mehr äusführlich von ihm bekannt ge¬ 
geben worden —, und wie sie eingehender von Pick und be¬ 
sonders von Friedmann, E. Meyer und neuerdings Siemer- 
ling beschrieben worden sind. Wenn die Fälle, wie Fried¬ 
mann hervorhebt, auch ziemlich selten sind, so glaube ich 
doch nicht, dass sie für die ärztliche Praxis überhaupt 
ignoriert werden können, wie T. Cohn meint. Es scheint 
mir vielmehr, dass es gerade die Fälle sind, die in der Praxis 
die grössten Schwierigkeiten machen. Es gibt psychopathisch ver¬ 
anlagte Frauen, bei denen die Geburtsangst den Charakter einer das 
Denken absorbierenden, Handeln und Besonnenheit hemmenden, 
überwertigen Idee annimmt, bei denen es zu starker, ängstlicher Un¬ 
ruhe, bysteriformen, krampfartigen Zuständen und auch zu ernst¬ 
haft aussehenden Suicidversuchen und depressiven Symptomkom¬ 
plexen kommt. Es kommt in schweren Fällen zu Abmagerung 
und bedrohlich aussehender Hinfälligkeit. Die genannten Autoren 
halten in Fällen dieser Art den künstlichen Abort für indiciert, 
wenn bei konservativer Behandlung der Zustand nicht zu bessern 
ist, weil durch Abwarten die Gefahr des Suicids und der körper¬ 
liche Verfall die Verhältnisse lebensbedrohlicb gestalte. Auch 
die Gefahr einer dauernden Schädigung der Psyche wird .be¬ 
fürchtet. 

Der psychogene Charakter der Fälle ergibt sich aus der 
schnell eintretenden Beseitigung der psychopathischen Erschei¬ 
nungen nach der Schwangerschaftsunterbrechung, und ich glaube 
mit v. Wagner, dass alle durch Abort sofort geheilten Fälle soge¬ 
nannter melancholicber Depression dieser Kategorie und nicht der 
echten Depression zngehören. Gerade der zweifellos psychogene 
Charakter dieser Zustände, die in letzter Linie nur eine patho¬ 
logische Steigerung des an sich fast normal psychologischen Zu¬ 


standes der Geburtsangst sind, legt die Frage nahe, ob es sich 
hier tatsächlich um Leben und geistige Gesundheit bedrohende 
Zustände handelt, und ob die Schwangerschaftsunterbrechung tat¬ 
sächlich der einzige Weg ist zu ihrer Beseitigung. 

Was zunächst die Gefahr einer dauernden psychischen 
Schädigung infolge des Ausbleibens der Schwangerschaftsunter¬ 
brechung anlangt, so ist eine solche nach den Erfahrungen bei 
den psychopathischen Reaktionen kaum begründet. Es ist meines 
Wissens kein Fall bekannt, bei dem ein solcher Verlauf einge¬ 
treten wäre. Man wird vielmehr sagen können, dass, wenn es 
gelingt, solche Patientinnen bis zur natürlichen Schwangerschafts- 
beeudigung durchzuhalten, dann ebenso wie nach dem Abort 
Genesung eintreten wird. Ich habe in meinem Material eine 
Kranke, bei der im 10. Schwangerschaftsmonat allmählich unter 
Gewichtszunahme die psychogene Angsterregung nachliess. Suicid- 
gedanken, Angst geisteskrank zu werden, zu sterben, schwanden 
völlig, es blieb nur eine im Rahmen des Psychologischen sich 
haltende Entbindungsangst bis zur Geburt. Es unterliegt keinem 
Zweifel, dass es in manchen Fällen für den behandelnden Arzt 
die grössten Schwierigkeiten machen kann und ihm grosse Ver¬ 
antwortung auflädt, die Patientinnen bis zum Abschluss der Gra¬ 
vidität durchzubalten. 

Im Vordergrund steht die Suicidgefabr, die hier anders zu 
beurteilen ist als bei den echten Depressionen. Hier würde die 
Einleitung des Aborts die Suicidgefabr tatsächlich beseitigen, 
was bei der echten Depression, wie besprochen, nicht zu erwarten 
ist. Die Frage kann sich dahin zuspitzen: ist die Unterbrechung 
der Schwangerschaft gerechtfertigt, wenn gegen die Suicidgefahr 
sonst nur die Alternative der geschlossenen Anstalt bleibt, die forma¬ 
liter ohne Zweifel im Hinblick auf die krankhaft bedingte Suicid¬ 
gefahr zulässig ist? Der Einwand, dass auch die Verbringung in 
die Klinik oder in Sanatorien mit Ueberwachung einen Selbst¬ 
mord nicht zu verhindern imstande sei, und dass deshalb die 
künstliche Unterbrechung, die ihn sicher verhindere, ärztlich ge¬ 
rechtfertigt sei, enthält meines Erachtens eine Uebertreibung. 
Denn es ist doch nicht bestreitbar, dass eine offenkundige 
Selbstmordneigung in der Klinik verhindert, zum mindesten ein 
Erfolg dieser Neigung so gut wie unmöglich gemacht werden 
kann. Es handelt sich ja hier nicht um die überraschenden 
Suicidversuche dissimulierender und impulsiver Kranker, die auch 
innerhalb der Klinik unter Umständen eine Gelegenheit zum 
Suicid Anden. Der Hausarzt wird sieb aber mit Recht schwer 
zur Befürwortung der Anstaltsbehandlnng entschlossen, weil der 
Schritt von der ausserhalb des Angstkomplexes urteilsfähigen, 
bemitleidenswerten Kranken als Härte empfunden und unter Um¬ 
ständen als Bestätigung ihrer Befürchtung, unheilbarer Geistes¬ 
krankheit zu verfallen, aufgefasst wird. Dazu kommen die 
Widerstände der Angehörigen. Trotzdem wird man sich auf den 
Standpunkt zu stellen haben, dass die Suicidgefahr keine Abort¬ 
indikation abgeben darf, weil ihr durch eine klinische Behand¬ 
lung wirksam vorgebeugt werden kann. Die Abortindikation 
scheint mir erst vorzuliegen, wenn trotz längerer klinischer Be¬ 
handlung infolge Unterernährung eine Lebensgefahr sich einstellen 
sollte. Bei dieser Indikationsstellung wird, wie ich glaube, die 
Mehrzahl der psychogenen Reaktionen spontan zum Abklingen 
kommen und der Gefahr einer unberechtigten Ausdehnung der 
Indikationsstellung auf leichte psychopathische Schwangerschafts¬ 
angstreaktionen entgegengewirkt werden. 

Für die Hysterie im engeren Sinne stehe ich auf dem Stand¬ 
punkt, dass sie in keiner ihrer Aeusserungsformen eine Indikation 
zum Abort abgibt. Ich verkenne nicht, dass sie sehr eindrucks¬ 
volle und schwer aussehende Bilder in Erscheinung treten lassen 
kann, ich bin aber überzeugt, dass ein dem hysterischen Wunsche 
entgegenstehendes striktes Veto gleichzeitig der beste therapeu 
tische Weg zur Beseitigung der hysterischen SchwaDgerschafts- 
reaktion ist. 

M. H.! Bezüglich der in der Schwangerschaft zur Beob¬ 
achtung kommenden organisch nervösen Erkrankungen kann ich 
mich kurz fassen. 

Die progressive Paralyse wird in ihrem progressiven Verlauf 
durch die Schwangerschaftsunterbrechung nicht verändert, es liegt 
deshalb keine Indikation zum Abort vor. Bemerkenswert ist, 
dass Kinder, die von paralytischen Müttern geboren werden, an¬ 
scheinend mehr Aussicht haben, gesund zu bleiben, als die in 
einer früheren Phase der Lues geborenen. 

Die Epilepsie kann in seltenen Fällen, wenn ein lang dauern¬ 
der Status epilepticus auf Amylenhydrat oder andere innere Medi¬ 
kamente nicht weicht, eine Indikation abgeben. Ueber die in 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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der ersten Schwaugerschaftszeit auftretende Eklampsie fehlen mir 
eisige Erfahrungen. Was in unsere Behandlung kommt, sind 
ausnahmslos Geburts- und Puerperaleklampsien. 

Bei der Chorea gravidarum ist die künstliche Unterbrechung 
keineswegs immer geboten. Ein grösser Teil — von den meinigen 
mehr als die Hälfte — sind Chorearecidive, und diese sind meist 
harmloserer Art. Aber auch erstmalig auftretende Graviditäts¬ 
chorea wird nur im Falle schwerer motorischer Unruhe eine Indikation 
geben. Ich habe auch schwere Graviditätschorea, bei der die Kranke 
selbst den Abort nicht wollte, spontan abklingen sehen. Kommen 
die Kranken spät zur Beobachtung, wenn schon zahlreiche furunku- 
löse und phlegmonöse Eotzündungsprozesse der Haut infolge der 
motorischen Unruhe eingetreten sind, so ist vor Einleitung des 
Aborts die Gefahr der septischen Puerperalerkrankung in Erwä¬ 
gung zu ziehen. Die Gefahr der septischen Endometritis und 
Eodoearditis ist bei grosser motorischer Unruhe nach meiner 
Erfahrung nicht klein. , 

Bezüglich der groben organischen Hirn- und Rückenmarks- 
erkrankungen ist nichts Generelles zu sagen. Man sieht oft einen 
überraschend guten Verlauf von Gravidität und Partus; in dem 
Material meiner Nervenklinik findet sich ein solcher bei einer 
Muskeldystrophie schwerster Art. 

Nicht ganz selten stellt die multiple Sklerose uns vor die 
Frage der künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung. Sie er¬ 
fährt erfahrungsgemäß mitunter in der Gravidität und im Wochen¬ 
bett lebensbedrohliche Verschlimmeiungen. Wohl das meiste, 
was als Schwaogerschaftsmyelitis beschrieben ist, ist multiple 
Sklerose. Man wird bei einer Frau, die im vorangegangenen 
Wochenbett eine schwere spinale Paraplegie dargeboten und sich 
gut erholt hat, im Falle erneuter Gravidität die Einleitung des 
küostlichen Aborts unter Umständen empfehlen müsseD, weil eine 
Dauerverschlimmerung höchst wahrscheinlich ist. 

Zum Schluss noch ein Wort zur eugenischen Indikation, da 
gerade Schwangerschaften psychisch Kranker und Defekter zu 
dieser Fragestellung die Anregung gegeben haben. De lege lata 
liegt die Sache klar. Die Schwangerschaftsunterbrechung aus 
dieser Indikation ist gesetzlich unzulässig. Es kann sich nur 
darum bandeln, ob nach dem Stande unserer wissenschaftlichen 
Erfahrung hier etwa de lege ferenda eine Aenderung anzustreben 
ist. Aeusserungen aus Laienkreisen und von Kollegen lassen ein 
Wort hierzu erforderlich scheinen. Beim Vorkommen idiotischer 
Kinder und besonders häufig bei konstitutionell Depressiven, die 
in die pessimistische Betrachtung ihrer Lebensverhältnisse auch 
ihren Nachwuchs einbeziehen, ist mir die Fragestellung mehrfach 
begegnet, ob nicht die Schwangerschaftsunterbrechung angezeigt 
wäre. Hierzu ist zu sagen, dass unsere Kenntnisse über Vererbungs¬ 
verhältnisse, über die degenerativen und regenerativen Faktoren uns 
bis jetzt für den Einzelfall nichts sicher Verwertbares geben. Es 
fehlt noch an Untersuchungen über den Lebensgang der Descendenten 
von Geisteskranken durch Generationen hindurch. Im Gänzen be¬ 
steht wohl vielfach eine zu pessimistische Betrachtungsweise. Die 
Familie „Zero“ Joergers und „the Juckes“ von Dugdall dürfen 
doch nicht ohne weiteres als Vererbungstypen angesehen werden. 
Bei der Verbrecherdescendenz spielen zweifellos neben den vererbten 
die sozialen Verhältnisse eine grosse Rolle. Wenn man seine 
psychiatrische Erfahrung über die Kinder endogen Geisteskranker 
überblickt, so sieht man namentlich bei der Descendenz Manisch- 
Depressiver so viel Gesundes, so viel Talent, künstlerische Begabung 
und starke gemütliche Empfänglichkeit mit hoher Intelligenz ver¬ 
bunden, dass das Psychopathische, das in der Erbmasse ist, oft 
reichlich aufgewogen ist. Selbst bei der Dementia praecox, bei der 
die Erbverhäitni88e ungünstiger liegen, findet man neben allerhand 
Verschrobenheiten und Sonderlingswesen doch auch so viel Ge¬ 
sundes und social Brauchbares in der Descendenz, dass keine 
Sicherheit, ja auch nicht einmal eine grössere Wahrscheinlichkeit 
vorliegt, durch Vernichtung des keimenden Lebens gerade das 
rasseverderbende Element zu treffen. 

Nach dem Stand unseres Wissens wird man zum mindesten 
vorläufig sagen müssen, dass dem Arzte nicht nur das Recht, 
sondern auch die Befähigung abgeht, in diesen Vererbungsfragen 
Vorsehung zu spielen. Es schiene mir deshalb durchaus verfrüht, 
gesetzgeberische Vorschläge zu machen. Der Arzt wird gut tun, 
sich in Sachen der Rasseverbesseruug auf das ihm zukommende 
Gebiet zu beschränken. Tatsächlich ist das, was ihm hier in 
eogeniscber Beziehung zu tun bleibt, viel und sicherer erfolg¬ 
versprechend als Schwangerschaftsunterbrechung und Sterilisation. 
Das grosse Gebiet der Bekämpfung der Lues und des Alkoholis- 
mtu gibt uns hier reichlich Arbeit. 


BQcherbesprechungen. 

Mohr und Staehelin: Handbneh der inneren Medizin. Bd. 3, Teil I. 

Berlin 1914, J. Springer. 

Von dem vorliegenden Bande ist bisher nur der I. Teil erschienen, 
welcher die Erkrankungen der Leber und Gallenwege, sowie des Pankreas 
aus der Feder von Umber enthält. Beide Kapitel sind bei knapper 
Diction ausserordentlich klar und inhaltsreich geschrieben, und es berührt 
den Leser sehr angenehm, dass die Physiologie und allgemeine Pathologie 
eine besondere, ihrer Bedeutung entsprechende Erörterung gefunden 
haben. . Die Kapitel, welche die klinischen Fragen betreffs, sind duroh 
übersichtliche Schilderung der Krankheitsbilder mit kritischer Trennung 
des Wesentlichen vom Unwesentlichen sowie des Sichergestellten vom 
Hypothetischen ausgezeichnet. Bei den theoretischen Betrachtungen sind 
die Ergebnisse der neueren Forschungen eingehend berücksichtigt und 
es wird durch ein reichhaltiges Literaturverzeichnis das Aul finden der 
Quellen für diejenigen erleichtert, welche sich über Einzelheiten der 
neueren Fortschritte orientieren wollen. H. Strauss-Berlin. 


Wolff und Mälzer: Lehrbuch der Haut- nid Geschlechtskrankheiten. 

11. Band, Hautkrankheiten, zweite Auflage, Stuttgart 1917, Ferd. Enke. 

802 Seiten, ungeb. M. 86. 

Dieser zweite, die Hautkrankheiten enthaltende Band des Lehrbuches 
von Wolff und Mulzer ist infolge des plötzlichen Todes von Wolff 
in der Hauptsache von Mulzer geschrieben. Gegenüber der ersten vor 
24 Jahren erschienenen Auflage musste natürlich etwas fast ganz Neues 
geschaffen werden, und Mulzer hat mit seiner Bearbeitung eine grosse 
und ausgezeichnete Arbeit der Oeffentlichkeit übergeben. Verf. ist an 
vielen Stellen zum Vorteil des Buches über den Rahmen des für den Stu¬ 
dierenden und nicht spezialistischen Arzt bestimmten Lehrbuches hinans- 
gegangen und zeigt bei aller gebotenen Kürze der Einzelschilderung oft 
eine Vertiefung in den Stoff und Berücksichtigung der verschiedenen 
neuen Forschungsergebnisse, dass auch der Spezialist das Buch gern 
liest. Die Bilder sind zahlreich und vielfach sehr instruktiv, freilich 
vermisst man, dass gar keine farbigen Abbildungen vorhanden sind, die 
uns heute in einem dermatologischen Lehrbuch als fast unentbehrlich 
erscheinen. 

Neben dem früher in dieser Zeitschrift besprochenen inhaltsreichen 
ersten Band des Lehrbuohes wird sich auch dieser zweite Band mit seiner 
gründlichen und dabei klaren Darstellung sicher viele Freunde erwerben. 

B r u h n s - Charlottenburg. 


R. Heyma&n- Leipzig: Hygiene des Obres im gesunden und kranken 

Zustande. Mit 5 Tafeln und Textbildern. 102 Ss. Stuttgart, Ernst 

Heinrich Moritz. (Bücherei der Gesundheitspflege, Bd. 5). Preis 1,40 M. 

Verf. hat sich im vorliegenden Buche im allgemeinen an die Ein¬ 
teilung des Stoffes in dem in demselben Verlage erschienenen Buche 
Haugs: „Hygiene des Ohres“ gehalten, glaubte aber entsprechend dem 
Zwecke desselben den Bau des Ohres und die Entstehung der Gehörs¬ 
eindrücke eingehend berücksichtigen zu sollen. Eine gtössere Anzahl 
Yon Abbildungen soll den Inhalt dem Verständnis des Lesers näher¬ 
bringen. Das Hauptgewicht hat Verf. auf die verschiedenen Arten der 
Entstehung von Ohrenleiden und auf die Beantwortung der Frage ge¬ 
legt, wie der einzelne das Auftreten von Ohrenleiden nach Möglichkeit 
verhüten kann. Auf eine Anleitung zur Behandlung von Ohrenleiden 
hat sich Verf. nicht eingelassen, wohl aber sind die einzelnen Maass¬ 
nahmen, die der Arzt seinen Kranken öfters selbst überlassen und daher 
häufig schildern muss, besprochen. Aus dem Gesagten ergibt sich ohne 
weiteres, dass das kleine Buch zwar dem Ohrenarzt nichts Neues 
bietet, wohl aber geeignet ist, bei dem allgemein praktizierenden Arzt 
das Verständnis dahin zu erwecken, wie wichtig es gerade bei Ohren¬ 
leiden ist, frühzeitig dagegen anzukämpfen, um schweren und dauernden 
Schaden zu verhüten. — Die Ausstattung des Buches ist sehr gut; die 
zumeist den Werken anderer Autoren (Helmholtz, Politzer, 
Zuokerkandl u. a.) entnommenen Abbildungen sind anschaulich und 
zweckentsprechend. Schwabach - Berlin. 


Max Mareuse Berlin: Der eheliche Präventivverkehr, seine Verbrei¬ 
tung, Verursachung nnd Methodik. Dargestellt und beleuchtet an 
800 Fällen. Stuttgart 1917, Verlag von Ferdinand Enke. Preis 6 M. 

Unter der enormen Fülle von Literatur, die sich mit der für 
Deutschlands Zukunft so entscheidend wichtigen Frage des Geburten¬ 
rückgangs beschäftigt, nimmt das vorliegende Buch eine Sonderstellung 
ein. Eine Erscheinung, deren intimer Schauplatz oder wenigstens Aus¬ 
gangspunkt die Familie ist, konnte mit den bisherigen Methoden der 
Statistik nur unvollkommen geklärt werden. Die psychischen Bedin¬ 
gungen können viel eher als durch das bisherige analytische durch ein 
synthetisches Vorgehen, wie es Verf. einschlägt, geklärt werden. Die 
Ergebnisse seiner mit grösster Vorsicht angdstellten Erhebungen geben 
ein klares Bild der ausserordentlichen Verbreitung des Präventivver¬ 
kehrs in allen Bevölkerungsschichten, der sicherlich als Hauptursache 
des Geburtenrückgangs in weit höherem Maasse als die Abtreibung an¬ 
zusehen ist. Die auch durch die statistische Methode nachgewiesenen 
Einflüsse von Stadt und Land, Religion, sozialer Stellung usw. auf die 
gewollte Unfruchtbarkeit der Ehe werden bestätigt. Es tritt aber klar 


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16 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


hervor, dass alle diese Abhängigkeiten nicht materiell, sondern psychisch 
bedingt sind. Und so kommt der Verf. zu dem Schluss, dass eine 
Aenderung des auch nach seiner Meinung für unsere Zukunft so be¬ 
drohlichen Zustandes, wenn überhaupt, dann nur durch eine Umstimmung, 
eine Erneuerung der Volksseele möglich sein wird. — An dem inter¬ 
essanten Buohe sollte niemand, der sich für diese Lebensfrage unseres 
Vaterlandes interessiert, vorübergehen. L. Zuntz (zurzeit im Felde.) 


Julius Hirsekberg: Entwicklungsgeschichte der augenärztliekeu Kuust- 
ausdrüeke» Verlag von Julius Springer, Berlin 1917. 

Altmeister Hirschberg hat uns in seiner „Entwicklungsgeschichte 
der augenärztlichen Kunstausdrüoke“ eine tr« fifnehe Arbeit geschenkt. 
Glaukom ykaoxtopa (heute allerdings in veränderter Bedeutung für Druck¬ 
steigerung im Auge gebraucht), Amblyopie djußXuüjitia und Amaurose 
dfifiaxwv dpaupu><n$ haben sich aus der hippokratischen Schriftens$mmr 
lung bis heute erhalten. 

Auf die Alexandriner gehen zurück die Ausdrücke für Hornhaut 
xeparoetdijg yiTtuVy ferner für die Linse bypdv xpucrcalAotidys, die „eisartige 
Feuchtigkeit“, die dann Aetius von Amida als <paxxoetdkg bypov als 
„linsenartig“ bezeichnet. Die Bezeichnung lens crystallina hat erst 
Bidloo am Ausgang des 17. Jahrhunderts gebraucht. Von Galen 
stammt ffxAypdg %trwv für die Lederhaut. 

Für an Hemeralopie, Nachtblindheit, Leidende findet sich in der 
arabischen Medizin einer der wenigen persischen Kunstausdrücke, näm¬ 
lich sohabkur. In die Augenheilkunde des 20. Jahrhunderts ist ~von 
arabischen Namen nur noch sebel für Hornhautfell, pannus, über¬ 
gegangen, jetzt auch nicht mehr gebräuchlich. Den Kustausdruck für 
eine der häufigsten Augenkrankheiten, den grauen Star, griechisch 
bnöyupa, arabisch nuzul ul ma'i „Hinabsteigen des Wassers“, haben wir 
durch die mittelalterlich lateinische Uebersetzung in Form eines lateini- 
sierten griechischen Ausdrucks erhalten, der aber von den Griechen gar 
nicht in dieser Bedeutung gebraucht wurde, nämlich cataracta mit 
seiner allerdings hier gerade sehr passenden Doppelsinnigkeit „Wasser¬ 
fall“ und „Fallgatter“. Unser Wort Star bezieht sich auf die Lehre der 
Griechen, welche Celsus mit concrescit humor, „es erstarrt die Feuchtig¬ 
keit“, ausgedrüokt hat, hängt also mit starr zusammen, daher nicht mit 
Doppel-a zu schreiben; der mittelhochdeutsche Ausdruck ist starblint. 

Ambroise Pare hat mit seinem gelehrten Freunde Cappel 1579 
die unmögliche dvotpta eingeführt, die freilich, jedoch nicht für das Auge, 
in unsere Kriegszeit mit ihren Lebensmittelkarten passt, da das Wort 
bei den Griechen — „Mangel an Zukost“ bedeutete. Aebnlioh verkehrt 
ist die schon bei de Sauvages sich findende Bezeichnung Nystagmus 
für Augenzittern, denn >u<nayßös bedeutet bei den Griechen „Einnicken 
zum Mittagsschläfchen“. 

Der Tübinger Professor Mauchart im 18. Jahrhundert nannte den 
Greisenbogen gerontoxon, während es richtig gerontotoxon heissen 
müsste. Das noch heute übliche Blennorrhoe für Eiterfluss bedeutet 
richtig Schleimfluss. Es ist interessant, dass auch ein Terminus 
technicus von Goethe stammt, nämlich Akyanoblepsie für Blaublind¬ 
heit. Von den neueren Namengebungen sei der Astigmatismus erwähnt, 
ein von Whewell 1845 angegebener Ausdruck. 

Dies nur einige Beispiele aus H.’s verdienstvoller Schrift, die jeder 
Philologe und humanistisch gebildete Mediziner mit Genuss lesen wird. 

Hübotter. 


Literatur-Auszüge. 

Pharmakologie. 

Pongs: Ueber die centrale Wirkung der Digitalis. (D. Arcb. f. 
klin. M., 1917, Bd. 128, H. 8 u. 4.) Die centrale Wirkung der Digitalis 
äussert sich in centralen Reizzuständen des Vagus. Diese sind nach¬ 
weisbar durch den Tiefatmungsversuch zu kontrollieren durch das 
Atropinreizstadium und den Vagusdruckversuch; erst eine spätere cen¬ 
trale Wirkung ist die Nausea. Zinn. 


Therapie. 

G1 ombi tza- Bauzen*. Laneps, eine synthetische, fettähnliche 
Salbengrandlage. (D.m.W., 1917, Nr. 45.) Empfehlung von Laneps. 

Lüth-Thorn: Die Therapie der Gonorrhoe mit Hegonon. (D.m.W., 
1917, Nr. 45.) L. hat sehr gute Resultate mit Hegonom erzielt. 

Fuchs-Glogau: Zur Behandlung der endnfindlirhen Veränderungen 
in den Gebärmntteranbängen. (D.m.W., 1917, Nr. 45.) F. lobt be¬ 
sonders die 5proz. Jothion-Glycerinlösung. 

Nagel-Berlin: Zur Bewertung der Bestrahlung und Myomotomie 
an der Hand von 160 durch vaginale Totalexstirpation geheilten 
Fällen von Myoma Uteri. (D.m.W., 1917, Nr. 45.) Mitteilungen seiner 
Resultate bei einfacher konservativer Behandlung. Von Myomen bei 
160 Fällen hat er keinen Todesfall. Dünner. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

H. Wild bolz-Bern: Ein Fall von congenitaler Anorchie. (Korr.- 
BL f. Schweiz. Aerzte, Nr. 39.) Es handelte sich um einen 20jährigen 


Pat. Die äusseren Genitalien des Mannes entsprechen in ihrer Grösse 
und Form den Genitalien eines Kindes von 6 bis 7 Jahren. Hodensack 
winzig klein, vollkommen leer. In den Leisten kein Testikel nachweis¬ 
bar. Der Rektalbefund zeigt vollkommenes Fehlen der Prostata, kein 
Fühlen der Samenblasen. Fehlen jeglichen Bartwuchses, keine Pubes, 
keine Aohselhaare. Starke Entwicklung des subcutanen Fettgewebes. 

R. Fabian. 


Parasitenkunde und Serologie. 

E. Herzfeld und R. Klinger: Zur Chemie der serologischem 
Luesreakliomeu. (M.m.W, 1917, Nr. 46.) Betrachtungen über die 
chemisch-physikalischen Bedingungen, auf welchen die Globulintällungs- 
reaktionen des Serums beruhen. Bei einer vermehrten Fällbarkeit der 
Globuline durch Säuren, Alkohol usw. zeigt das Blut keine pathologi¬ 
schen Veränderungen in dem Sinne, dass chemisch neuartige Stoffe sich 
in ihm gebildet haben, sondern es spielen vielmehr physikalische Zu¬ 
standsänderungen eine wesentliche Rolle. Es haudelt sich um eine Ver¬ 
mehrung von Eiweissteilcben, die infolge ihrer niedrigen Dispersität und 
der geringeren Löslichkeit ihrer Oberfläche sich besonders leicht ausfällen 
lassen. 

Mar mann: Beiträge zu den scrorhenischcu Syphilisuntersuehuagea 
nach Bruck. (M.m.W., 1917, Nr. 46.) Nachprüfung der Bruck’schen 
Globulintällungen mittels Salpetersäure und Alkohol. Nach der ersten 
Methode gaben von 225 Seris klinisch nicht luetischer Kranker 35 posi¬ 
tive Resultate bei negativem Wassermann; mit der Alkoholmethode fielen 
von 111 nicht luetischen und Wassermann-negativen Seris nur 6 positiv 
aus, während von 27 Luesseris 21 übereinstimmende Resultate gaben; 
demnach kommt die Alkoholiällungsmethode der W. R. am nächsten be¬ 
züglich ihrer Resultate. Für die Praxis sind beide Methoden noch nicht 
verwertbar. Sie haben bis jetzt nur theoretisches Interesse. 

K. Taege Freiburg: Quantitativer Wassermann. (M.m.W., 1917, 
Nr. 47.) Quantitativ sehr ungenau ist im allgemeinen die Hammelblut¬ 
körperchenaufschwemmung, die man für die W. R. verwendet; dement¬ 
sprechend ist auch beim positiven Ausfall der Reaktion aus der Grösse 
der sich am Boden des Glases ansammelnden Blutbestandteile kein ein¬ 
wandfreier Schluss zu ziehen, in welchem Grade die Reaktion positiv 
ausgefallen ist (-f-, +--f--|—|-). Diesen Uebelstand will T. umgehen, 
indem er den Grad des Ausfalles der Reaktion bestimmt aus dem Farb- 
tonus der mehr oder weniger starken Hämolyse mittels des Autenrieth- 
Königsberger’schen Kolorimeters. Geppert. 


Innere Medizin. 

Edens und F. von Ewald: Ueber den Pcrkussioussehull. (D. 
Arcb. f. klin. M., Bd. 123, H. 3 u. 4.) Graphische Darstellung der ver¬ 
schiedenen Qualitäten des Perkussionsschalls mit der Frank’schen Kapsel. 
Die Registrierung durch die Glimraerkapsel wurde mit der ebenfalls sehr 
leistungsfähigen Methode der Registrierung durch Mikrophon und Saiten¬ 
galvanometer verbunden. Folgende Eigenschatten des Klopfschalls sind 
als sichergestellt anzusehen: laut und leise, lang und kurz, tief und 
hoch, klanghaltig und nicht klanghaltig. 

Straub und Kleemann: Partieller Herzblock mit Alternaus. 
(D. Arcb. f. klin. M., 1917, Bd. 123, H. 3 u. 4.) Mit Hilfe der Elektro- 
cardiographie wird bei einem Patienten mit partiellem Herzblock der 
Ursprung der einzelnen Kammerkontraktionsreize erforscht. Es findet 
sieb, dar s auf 3 Vorhofsystolen 2 Kammersystolen treffen, von denen 
eine durch vom Vorhof her geleiteten Reiz ausgelöst, die andere auto¬ 
matisch ist. Zinn. 

Zuntz-Berlin: Die Aufgaben des Arztes beim gegenwärtigen 
Staude der Ernäkruagsfragen. (D.m.W., 1917, Nr. 45.) Die Unter¬ 
suchungen zur Ermittlung der gerade ausreichenden Eiweissmenge haben 
viel niedrigere Zahlen ergeben, als man früher angenommen hatte. Bei 
ausreichender Zufuhr von Brennmaterial in Form von Fett und Kohle¬ 
hydraten mit 40 g Eiweiss wird das Gleichgewicht erhalten. L. tritt 
dafür ein, durchschnittlich alle 3 Stunden eine Mahlzeit aufnehmen zu 
lassen, wenn wir hinreichende Mengen Nährstoffe in der voluminösen 
pflanzlichen NahruDg zuführen sollen. Unnütze Körperbewegungen sind 
nach Möglichkeit zu vermeiden, dementsprechend Turnen und Spiel auf 
ein geringes Maass herabgesetzt werden. Bei Bettruhe, Schlaf und 
Wärme ist geringere Calorienzufuhr notwendig. Man muss darauf dringen, 
dass die pflanzliche Nahrung, die wir jetzt in grossen Mengen zu uns 
nehmen, in erster Linie die Kartoffeln, aber auch die Rüben, die Kohl¬ 
arten usw, in feinst verteiltem Zustande genossen werden, weil bei un¬ 
genügender Verdauung Teile des Brennwertes verloren gehen. Z. tritt 
mit aller Energie dafür eie, dass die gut verdaulichen, vegetabilischen 
Nahrungsmittel, Roggen, Weizen, Gerste usw. in erster Linie dem 
Menschen zur Verfügung gestellt werden und dass nur Ueberschüsse für 
Fütterungszwecke freigegeben werden dürfen. Dünner. 

Frey, Bulcke und Wels: Die Hemmung der Kochsalzausseheiduug 
im Harn dureh Adrenalin. (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 123, H. 3 u. 4.) 
Die subcutane Injektion von Adrenalin bewirkt beim Menschen wie beim 
Kaninchen eine Hemmung der Kocbsalzausscheidung im Harn, in auf¬ 
fallender Unabhängigkeit von der Urin menge und auch ohne feste Be¬ 
ziehung zu der Ausscheidung der übrigen harnfähigen Stoffe. Es kommt 
zur Retention von Kochsalz in den Geweben. Die Urinmenge wird meist 


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7. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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vermindert. Der Angriffspunkt des Adrenalins ist die Niere. Die Kon¬ 
traktion der Nierengefässe bedingt die einsetzende Oligurie, der direkt 
hemmende Einfluss des Adrenalies auf die Nierenzellen die verschlechterte 
Ausscheidung des Kochsalzes. Nierenkranke reagieren prinzipiell in der¬ 
selben Weise wie normale. 

Fyszkowski: Zur Klinik der Malaria. (D. Arcb. f. klin. M., 1917, 
Bd. 123, H. 8 u. 4.) Mitteilung seltener Komplikationen: Meningitis, 
kombinierte Strangerkrankung mit Ataxie aller Extremitäten, Nystagmus, 
Nieren, flämorrhagien, gastrointestinale Störungen dysenterischer Art. 
Io schweren chronischen Malariafällen ist die kombinierte Salvarsan- und 
Chininbehandlung zu empfehlen, besonders bei veralteten Tropicafallen. 

Zinn. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Goldscheider: Ueber die Struktnr der spiaalen SeBsibilitäts- 
bezirke der Halt. (Zschr. f. klin. M., Bd. S4, H. 5 u. 6.) Um die 
Struktur der spinalen Sensibilitätsbezirke der Haut festzustellen, bedient 
sich G. folgender Methode: Erzeugt man einen lokalen Schmerzreiz durch 
Quetschung einer Hautfalte mit einer Klemme, so kommt es zur Ent¬ 
wicklung ausgedehnter fayperalgetischer Felder, die sioh nicht nur durch 
subjektive Empfindungen dokumentieren, sondern auch objektiv nach¬ 
weisbar sind, indem Berührungen und Druckreize ausgesprochen schmerz¬ 
hafte Empfindungen auslösen. Je nach der Tiefe, in welcher die Klemme 
die Haut fasst, betrifft die Hyperästhesie bzw. die Hyperalgesie die ober¬ 
flächliche, die interne und die tiefere Sensibilität. G. studierte nun 
unter lediglicher Berücksichtigung der hyperalgetischen Felder die 
Struktur dieser Bezirke und konnte nachweisen, dass der Sitz der Hyper- 
algesie in centralen Leitungsbahnen zu suchen ist, da die Form der 
hyperalgotischen Felder spinalen und nicht peripherischen Bezirken ent¬ 
spricht. An der Hand zahlreicher Abbildungen wird eine eiogehende 
Schilderung der Struktur dieser hyperal gotischen Felder gegeben und 
die Bedeutung derselben für die Klinik besprochen. Die genaue Kennt¬ 
nis der Struktur der spinalen Hautzonen ist besonders für die Lehre 
von den Reflexlähmungen, von der Akinesia amnestica und der Hysterie 
von Wichtigkeit. 

Goldscheider: Die Topographie der spinalen Sensibilitätsbezirke 
der Haat. (Zschr. f. klin. M., Bd. 85, H. 1 u. 2.) Mit Hilfe der in 
der vorstehenden Arbeit geschilderten Methodik gibt G. an der Hand 
von Tafeln eine genaue Schilderung der spinalen Sensibilitätsbezirke 
der Haut. Die Ergebnisse wurden durch Untersuchungen an 2 Per¬ 
sonen, darunter der Verf. selbst, gewonnen. Sie stimmen mit den bis¬ 
her bekannten grundlegenden Tatsachen überein. So koonte besonders 
die von Sherrington festgestellte Ueberlagerung der spinalen Zonen 
bestätigt werden. Am Rumpf erstrecken sich die spinalen Zonen von 
der dorsalen zur ventralen Mittellinie; aus der dorsalen und ventralen 
Mittellinie gehen die Axiallinien der Extremitäten hervor, eine vordere 
aus der ventralen, eine hintere aus der dorsalen Mittellinie. Von den 
Axiallinien der unteren Extremität biegt die als vordere Axiallinie an¬ 
zusprechende von der ventralen Mittellinie in der Höhe des oberen 
Endes des Scrotums ab, die hintere Axiallinie geht aus der dorsalen 
Mittellinie am unteren Rand des 5. Lendenwirbels hervor. An jedem 
spinalen Hautbezirk ist eine obere und untere, sowie eine vordere und 
hintere Grenze zu unterscheiden. * H. Hirsch fei d. 


Kinderheilkunde. 

Ritter-Berlin: Die Ernährung der Säuglinge während der 
Kriegsieit. (D.m.W., 1917, Nr. 44.) Sicherstellung des Nabrungs¬ 
bedarfs der Säuglinge. Unbedingte Erfordernis: Speziell für die Städte 
muss die in der Nähe gewonnene Milch für die Mindestansprüche der 
Säuglinge beschlagnahmt, ihre Produktion gesteigert werden. 

Dünner. 


Chirurgie. 

Troell: Zur Kezatzis voi Refrakturei. (Langenbeck’s Arch., 
Bd. 109, H. 2.) Vier Fälle, in denen Refrakturen an einer anderen 
Stelle des Knochens eintraten. Die Heilung bot keine Besonderheiten. 

v. Sury-Basel: Ueber die chronischen Folgen von deleaktraauea 
(Arthritis trau«atica.) (Langenbeck’s Arch., Bd. 109, H. 2) ln einer 
gross angelegten Arbeit, deren eingehendes Studium jedem zu empfehlen 
ist, der sich mit der Nachbehandlung von Gelenkverletzungen befasst, 
werden die hierher gehörigen Erkrankungen und ihre Folgezustände be¬ 
handelt nach dem Material der Unfallversicherungsgesellschaft „Winter¬ 
thur“ in Zürich. Die Wiedergabe der interessanten Einzelheiten kann 
im Rahmen dieses Referats nicht erfolgen. Es mag nur so viel hervor¬ 
gehoben werden, dass die Zahl der dauernd Geschädigten wesentlich 
geringer ist, als das bisher angenommen wurde, und dass in 92,6 pCt. 
überhaupt keine Verminderung der Arbeitsfähigkeit eintritt. In den 
Bereich der Untersuchungen wurden gesogen Verletzungen der Gelenke 
selbst, sowie die Formen der chronischen Arthritis, wie sie naoh Frakturen 
der Extremitätenknochen infolge der gestörten Statik Vorkommen. 

Rosenstein: Die Phlebektomie (Operative Ausschaltung der 

fortschreitenden Thrombophlebitis.) (Langenbeck’s Arch., Bd. 109, H. 2.) 
Es wird erneut auf die grosse Bedeutung der Unterbindung der throm¬ 


botischen Venen, namentlich der Vena femoralis, hingewiesen in Fällen 
von beginnender Septicopyämie. 

Esser: Verschliessnog von Larynx- nad Tracbealfistela oder 
•defekten mittels plastischer Operation. (Langenbeck’s Arch., Bd. 109, 
H. 2.) In 45 Fällen wurde 23 mal operiert. Vier Kranke starben an 
Poeumonie, einer an Gehirnembolie. Die übrigen Fälle sind, abgesehen 
von geringen Komplikationen, geheilt und konnten noch drei Monate 
nach der Operation verfolgt werden. Der Defekt wird gedeckt durch 
ein dem Brustbein entnommenes Knochenstück einschliesslioh eines 
langen Hautlappeos aus der Halshaut. Einzelheiten vgl. Original. 

v. Haberer: Zur klinischen Bedeatang der Thymusdrüse. (Arch. 
f. kl. Chir., Bd. 109, H. 2.) 40mal wurde bei Basedow die Tbymus- 
exstirpation vorgenommen, darunter 36 mal zusammen mit einer teil¬ 
weisen Entfernung der Schilddrüse. Die Ergebnisse dieser Operation und 
die Erfahrungen werden in einer Reihe von Leitsätzen zusammengefasst. 
Bei jedem Fall von Basedow ist gelegentlich der Strumaoperation auch 
die gleichzeitige Reduktion der Thymus indiciert, wenn sich eine Thymus 
findet, auch wenn vorher durch die klinische Untersuchung ihre Existenz 
nicht nachgewiesen werden konnte. Die operativen Resultate der kom¬ 
binierten Operation sind bessere als bei einfacher Strumektomie. Es 
gibt Basedowfälle, bei denen die Thymus gewiss keine Rolle spielt. In 
solchen Fällen findet man entweder das Organ gar nicht, oder es ergibt 
die histologische Untersuchung des entfernten Gewebes eine vollkommen 
involvierte Thymus. Es mus9 nicht nur die Strumareduktion, sondern 
auch die Tbymusreduktion der jeweiligen Grösse des Organs angepasst 
werden. Es gibt Fälle von Basedow, bei denen die Schilddrüse klein 
ist und nur die hyperplastisohe Thymus das Angreifsobjekt unserer 
Operation sein soll. Die Dauerresultate der kombinierten Operation 
sind vorzügliche und übertreffen die der einfachen Strumektomie. Es 
wurde kein ungeheilter Fall und kein Recidiv gesehen. Selbst wenn ein 
Reoidiv des Kropfes anftritt, werden keine Erscheinungen des Basedow 
gesehen. Findet man bei einer einfachen Strumaoperation auch ohne 
Basedow eine Thymus, so soll man diese ebenfalls reducieren. Auch 
die Myasthenie kann durch Thymektomie günstig beeinflusst werden. 
Die Thymektomie schadet dem wachsenden, jugendlichen Organismus 
in keiner Weise. 

ten Horn: Ueber die Aetiologie der Entzfiadzag des Wainfort- 
satzes, sowie über die Gefahren seiner Ausschaltung. (Arch. f. klin. 
Chir, Bd. 107, H. 2.) Bekanntlich ist vor einer Reihe von Jahren für 
gewisse Fälle, in denen die Entfernung des Wurmfortsatzes auf grosse 
Schwierigkeit stö9st, dessen Ausschaltung von Kofmann empfohlen 
worden. Schon damals wurden gewichtige Stimmen laut, die sich gegen 
das Verfahren aussprachen. In einem Fall des Verfassers, der von 
anderer Seite operiert worden, war und bei dem infolge technischer 
Schwierigkeiten die Spitze der Appendix zurückgeblieben war, traten 
immer wieder neue Beschwerden auf, die erst verschwanden, als der Rest 
gefunden und entfernt worden war. Auch dieser Fall spricht gegen das 
Kofmann’sohe Verfahren, welches inzwischen ja wohl allgemein verlassen 
ist. Zur Aetiologie der Wurmfortsatzentzündung glaubt der Verfasser, 
sich dahin aussprechen zu müssen, dass er die Bakterien auf enterogenem 
Wege in die Appendix gelangen lässt. Hierbei ist durch Circulations*- 
störungen, welche durch Zog oder Druck am Mesenteriolum namentlich 
bei geblähtem Coecum entstehen, der Widerstand der Schleimhaut gegen 
die Infektion herabgesetzt. Wir müssen daher in der Appendicitis im 
Beginn eine hämorrhagische Entzündung der Schleimhaut sehen. 

Esser: UriablaseBersatz bei Ectopia vesicae. (Zbl. f. Chir., 
1917, Nr. 42.) Das Neue des Verfahrens (die Einzelheiten gibt das 
Original wieder) besteht darin, dass unter der Bauohbaut eine neue 
Blase hergestellt wird aus Tbiersch’scher Transplantation. Dieses Material 
wird der Fülle der Oberschenkel entnommen, über die zuvor immer der 
Urin hinübergeflossen ist, die also den Reiz des Urins gewohnt sind. 
Verf. schneidet nur zwei grosse Epidermislappen und umwickelt damit 
ein Cigarettenetui'ähnlicbes Modell aus leich härtender Masse (das zu¬ 
künftige Blasenlumen). Dieses Modell schiebt er unter die Baucbbaut 
und stellt nach 8—14 Tagen die Verbindung mit der Urethra her. 
Drei Fälle, der eine an Phthise gestorben, der zweite macht noch eine 
Naohoperation nötig, der dritte hat noch eine Fistel. Hayward. 

W. Rankin: Spontaaraptar der Milz. (Brit. med. journ.. 1917, 
Nr. 2955.) Starker Schmerz in der Oberbaucbgegend und Collaps. 
Nach Eröffnung der Bauchhöhle fand man eine Milz, die achtmal so 
gross war wie normalerweise. Die Kapsel war eingerissen, und eine 
starke Blutung in die Bauchhöhle war erfolgt. Vor der Ruptur war die 
Grösse der Milz jedenfalls noch erheblicher. Splenektomie, Heilung. 
Es handelte sioh um einen nur wenig behandelten Fall von chronischer 
Malaria. Geppert. 


Röntgenologie. 

M. Tisch er-Bingen: Ueber einen Fall von doppelseitiger Hals¬ 
rippe. (Fortschr. d. Röntgenstr., 1917, Bd. 25.) Mitteilungen_über ge¬ 
nannten Fall, der durch das Röntgenbild bestätigt wurde. 

Sohnütgen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Br. Bloch-Zürich: Beitrag zur Lehre vom Eklem. (Korr.-Bl. f. 
Schweiz. Aerzte, Nr. 39.) Anführung eines Falles, bei welchem Uro¬ 
tropin infolge Abspaltung von Formaldebyd im Körper die Ursache 
des Ekzems gewesen ist. Verf. sucht den Grund der Veröffent¬ 
lichung darin, dass damit zum ersten Male der Beweis geliefert wird, 
dass ein Ekzem auf hämatogenem Wege durch Einver'eibung einer ganz 
bestimmten chemischen, genau definierten Substanz entstehen kann. 

E. Hedinger-Basel: Ueber das Epithelioma benignnm baso- et 
spinoceltalare cutis. Zur Lehre der benignen Sehweissdrüsengeschwülste. 
(Korr.-Bl. f. Schweiz. Aerzte, Nr. 39.) 

F. Lewandowsky-Basel: Ueber rosace&fihnliche Tuberkulide des 
Gesichtes. (Korr.-Bl. f. Schweiz. Aerzte, Nr. 39.) Kasuistische Mit¬ 
teilung. 

A. Guth-Zürich: Solitäres Bromalens der Nasenspitze. (Korr.- 
Bl. f. Schweiz. Aerzte, Nr. 39.) Tubero-ulceröses Bromoderma bei einem 
25jähr. Pat., der 25 Tage lang täglioh 1 Sedobrol-Tablette genommen 
hatte. Heilung nach Aussetzen des Mittels, Brom-Antidota, in Form 
reichlicher Kochsalzgaben, Sol. Fowleri. 

W. Dössekker-Bern: Ueber einen Fall von Hantblastomykose. 
(Korr.-Bl. f. Schweiz. Aerzte, Nr. 39.) Fall aus der Privatpraxis von 
Prof. Jadassohn. R. Fabian. 

C. F. White: Syphilis-Reinfektion. (Brit. med. journ., 1917, 
Nr. 2964.) Bei kritischer Verwendung der Wassermann’schen Reaktion 
und des Spirochätenbefundes kann man als Regel aufstellen, dass eine 
Reinfektion mit Syphilis möglich ist, aber erst stattfinden kann, wenn 
die ersto Infektion vollkommen abgeheilt ist. Für den einwandfreien 
Nachweis einer Reinfektion stellt Verf. folgende Bedingungen auf: Spirc- 
chätenbefund beim ersten Primäraffekt oder positive W.R. bei Ausschluss 
hereditärer Lues, bei der zweiten Syphilisinfektion positiver Spirocbäten- 
befund eines Schankers, der sioh an anderer Stelle befindet als beim 
ersten Infekt und negative W.R. zum Ausschluss eines gummösen Pro¬ 
zesses. Bei genauer Einhaltung dieser Kriterien konnte Verf. unter 
10500 Luesfällen 28 Fälle von sicherer Reinfektion nach weisen. Immun 
gegen Syphilis ist nur der florid Syphilitische. Erst seitdem eine völlige 
Heilung der Syphilis durch Einführung der kombinierten Hg-Salvarsan- 
Behandlung ermöglicht ist, gibt es eine Reinfektion der Syphilis. 

Geppert. 

M. Winkl er-Luzern: Eigentümlichkeiten der Wassermann’schen 
Reaktion hei unbehandelter tertiärer Lies. (Korr.-Bl. f. Schweiz. 
Aerzte, Nr. 39.) Verf. berichtet über 3 Fälle von tertiärer Lues, die 
eine negative Wassermann’sche Reaktion aufweisen, trotzdem sie nie 
antiluetisch behandelt worden waren. Diese Fälle beweisen nach An¬ 
sicht des Verf.’s, dass für die Lues die genaueste klinische Beobach¬ 
tung der einzelnen Erscheinungen maassgebend ist, und dass die W.R. 
nichts weiter als ein Symptom — wenn auch vielleicht das aller wichtigste 
der Lues darstellt. R. Fabian. 

Glombitza-Bautzen: Spätexantheme nach Salvarsan Natrinm- 
injektionen. (D.m.W., 1917, Nr. 46.) Da die Salvarsanpräparate in 
den meisten Fällen auch bei häufiger Anwendung ohne Reaktion ver¬ 
tragen werden, so muss man im besonderen Falle die Spätexantheme, im 
allgemeinen vielleicht noch manche andere Nebenwirkung der Salvarsan¬ 
präparate, weder auf spezifischer Organscbädigung seitens des Salvarsans, 
noch auf einen ätiologisch dunklen, idiosynkrasienähnlichen Zustand, 
sondern auf frühluetisohe Organerkrankungen zurückführen. 

Dünner. 

0. Nägeli-Bern: Pixes Neosalvarsanexanthem nnd Adrenalin- 
wirknng. (Korr.-Bl. f. Schweiz. Aerzte, Nr. 39.) Nach Verabreichung 
von Neosalvarsan Auftreten von einem Arzneiexanthem vom Typus der 
fixen Antipyrinexantheme. Das Adrenalin- w Clin“ ist ein Mittel, welches 
imstande sein kann, durch Neosalvarsan hervorgerufene Hautausschläge 
zu verhüten. R. Fabian. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

H. Bab: Ueber menstrnelles Nasenblnten nnd seine organo- 
therapentisehe Behandlung. (M.m.W., 1917, H. 45 u. 46.) Kurzer 
Abriss der innersekretorischen Bedeutung des Ovariums mit besonderer 
Berücksichtigung des Corpus luteum. Die Gründlichkeit der Ausführung 
auf diesem Gebiete ist schon aus früheren Arbeiten Bab’s bekannt. 
Der Einfluss des Corpus luteum auf die Uterusschleimhaut ist einmal 
ein menstruations- bzw. graviditätvorbereitender, dann wiederum ein 
die menstruelle Blutung hemmender. Im weiteren wird die auf inner¬ 
sekretorischen Störungen der Ovarien beruhende Epistaxis bei Amenorrhoe, 
Oligomenorrhoe und Dysmenorrhoe besprochen. Gute Erfolge wurden 
erzielt mit dem konzentrierten Corpus luteum Extrakt (Freund u. 
Redlich). Geppert. 

C. J. Gaus-zurzeit im Felde: Eine neue Behandlungsmethode 
der weiblichen Gonorrhoe. (Zbl. f. Gyn., 1917, Nr. 43.) Ausgehend 
von der Erfahrung, dass die Gonokkoken gegen Licht und Wärme be¬ 
sonders empfindlich sind, hat Verf. einen Apparat, den er beschreibt, 
hergestellt, der es ermöglicht, ultraviolette Strahlen der Schleimhaut 
der Urethra und der Cervix zuzuführen. Die Resultate sind bisher gute 
zu nenneD, wenn auch Verfasser betont, dass die Zahl der Patientinnen 
bis jetzt eine geringe ist. Siefart. 


Augenheilkunde. 

Detzel: Eio Beitrag zur Beziehung der Miknliet’sehen Erkrankung 
znr Tnberknlose der Tränendrüsen. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, 
Sept.-Okt.) Wie in dem veröffentlichten Falle so sind in vielen Fällen 
des Mikulicz’schen Symptomenkomplexes die Schwellungen der Glan¬ 
dulae lacrimales, submaxillares, sublinguales und parotidis nichts anderes 
als die Manifestation einer auf das Gebiet der genannten Drüsen be¬ 
schränkt bleibenden, modificiert verlaufenden Tuberkulose. Sämtliche 
Beobachtungen sprechen dafür, dass die Infektion dabei auf endogenem 
Wege, d. h. auf der Blut- oder Lymphbahn, erfolgt. 

Knapp: Plastischer Ersatz von Wimpern. (Klin. Mbl. f. Aughlk., 
Bd. 59, Sept.-Okt.) Verf. hält die Tatsache für sehr bemerkenswert, 
dass es nicht nur gelungen ist, als Ersatz von Wimpern ein schmales 
Stück Haarboden mit Erfolg einzupflanzen, sondern dass auch diese 
Transplantation auf einem transplantierten Stück konnte ausgefübrt 
werden. Es spricht das für eine grosse Vitalität der überpflanzten 
Haare. 

Klauber: Beitrag zur Entstehung der Keratitis nenropnralytiea. 
(Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Sept.-Okt.) Pat. litt seit 9 Monaten an 
Trigeminusanästhesie und Syrapathicusparese der linken ßesichtsseite, 
dissociierte Empfindungsstörung rechtsseitig an Rumpf und Gliedmaassen 
ibfolge eines nichtprogressiven Erweichungsherdes der linken Medulla 
oblong. Es entwickelte sich eine Keratitis neuroparalytica am linken 
Auge, als eine zufällige Verätzung der unteren Bindebautteile dieses 
Auges infolge lokalen Calomelgebrauches bei interner Jodmedikation er¬ 
folgte. Der Fall ist ein Beispiel für accidentelle Auslösung der Keratitis 
neuroparalytica. Bei dem genannten bulbären Symptomenkomplex 
fallen Ttigeminus- und Sympathicuslähmung gewöhnlich zusammen, ohne 
dass dadurch das Vorkommen einer Keratitis neuroparalytica begünstigt 
würde. 

0. Palich-Szantö*. Scheiben förmige Hornhaattrübnng nach 

Trauma. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Sept.-Okt.) Es kann nach 
leichten Kontusionen eine echte scheibenförmige Hornhauttrübung ent¬ 
stehen. Charakteristisch ist für dieselbe: der Sitz in den tiefsten 
Schichten der Hornhaut, die Iutaktkeit der Obei fläche, die Scheibenform, 
die scharfe Begrenzung, das Bestehen aus allerfeinsten Pünktchen, die 
gute Prognose. 

Meller: lntraoknlare Tnberknlose lach durchbohrender Ver¬ 
letzung. (Klin. Mbl. f. Aughlk.. Bd. 59, Sept.-Okt.) 2 Monate nach 
einer schweren durchbohrenden HolzsplitteiVerletzung ergibt die ana¬ 
tomische Untersuchung starke Schrumpfung des Auges mit den Zeichen 
einer in der Umgebung der Verletzung stattgehabten schweren Ent¬ 
zündung, während die Iris und der hinterste Teil der Aderhaut ver¬ 
hältnismässig weniger gelitten haben. Die Netzhaut ist zu einem Knäuel 
zusammengefaltet, abgehoben und mit der dicken, um die hintere Fläche 
der Linse herumliegenden Schwarte verwachsen. Eine Schwarte umschliesst 
auch ihre dem subretinalen Baum zugekehrte Fläche. Durch diese wird 
die Netzhaut in der nächsten Umgebung des Sehnerven mit der Aderhaut 
verlötet. Bakterien, insbesondere Tuberkelbacillen, wurden nicht gefunden. 
Das andere Auge blieb gesund. 

Scherzer: Beitrag zur Kasuistik der Schrotschussverletznugen des 
Anges. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Sept.-Okt.) ln dem veröffent¬ 
lichten Falle hatte das Schrotkoni nach dem Eindringen in das Augen¬ 
innere nasal von der Pupille nur die Netz- und Aderhaut zerrissen, 
war abgeprallt, um in der gleichen Entfernung temporal von der Fovea 
eine zweite Zerreissung der inneren Augenhäute zu erzeugen und nach 
dem neuerlichen Abprallen Dach vorn um noch weitere 20° von der Ge¬ 
sichtslinie zur Ruhe zu kommen. Alle vier Stellen bildeten einen 
leichten Winkel zur Horizontalen, so dass die Eintrittsstelle des Fremd¬ 
körpers die höchste, das Schrotkorn selbst die tiefste Lage hatte. 

Schnaudigel: Organische Goldpräparate In der Augenbeilkinde. 
(Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Sept.-Okt.) Zusammenfassend urteilt Verf. 
über seine Versuche mit dem Goldpräparat 1423 in der Behandlung 
tuberkulöser Augenerkrankungen wie folgt: Das Präparat ist zweifellos 
ein spezifisch auf die tuberkulösen Erkrankungen des Sehorgans wirken¬ 
des Mittel, das in geeigneten Fällen sogar eine überraschende Wirkung 
entfalten kann. Seine Wirkung kann der des Tuberkulins gleichgerichtet 
seio, das Tuberkulin aber auch mit grossem Nutzen ersetzen, wenn es 
unwirksam ist. Besonders die zahlreichen Fälle von chronischer, schlei¬ 
chender Erkrankung der Uvea, von denen ein grosser Prozentsatz un¬ 
beirrt um jede Therapie ihren Weg geht, lassen sich oft in erfreulicher 
Weise beeinflussen. 

Vogt: Der Embryonalkern der menschlichen Linse und seine Be¬ 
ziehungen zum Alterskern. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Sept.-Okt.) 
Zum Referat nicht geeignet. 

Hirsch: Vorübergehende Spaltbildnng in beiden Linsen. (Klin. 
Mbl. f. Aughlk, Bd. 59, Sept.-Okt.) Mit dem elektrischen Augenspiegel 
durchleuchtet, zeigt sich die Linse beiderseits von zahlreichen, feinen, 
radiären, stark lichtbrechenden Strahlen fast gleichmässig durchsetzt. 
Wenige Tage später ist die Linse klar und gleichmässig lichtbrechend. 

F. Mendel. 

Fuchs: Ueber eine angeborene Abnormität der Netzhaut 
nebst Bemerkungen über Seleraleinbuchtung nnd Aderhautab hebuug. 

(Graefe’s Arch., Bd. 94, H. 2.) In einem Auge, dessen Hornhaut durch ein 
Geschwür in der äusseren Hälfte zerstört und durch einen Vorfall der 


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UMIVERSITY OF IOWA 






7. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


19 


Regenbogenhaut ersetzt war, fand sich die äussere Körnerscbicht der Netz¬ 
haut ungleich dick, die Korner im hinteren Netzhautabscbnitt entlang 
radiären Linien streifenförmig angeordnet, die einzelnen Körner läoglich, 
an ihren Polen leicht gegeneinander abgeplattet, die Zapfenkörner regel¬ 
widrig gelagert. Die zu einer Falte emporgehobene Fovea centralis er¬ 
wies sich als mangelhaft ausgebildet: es fand sich eine ziemlich aus¬ 
gedehnte Ganglienzeilenschicht und eine in der ganzen Ausdehnung vor¬ 
handene plexiforme Schicht; im Bereich der Zapfen waren nur Zapfen 
vorhanden. Auf der Nasenseite etwas hinter dem Aequator lag eine 
kipfeltörmige Netzhautinsel vor dem Glaskörper unweit der Netzhaut* 
Oberfläche. Angeboren bestand ein Rest der A. hyaloidea. Ferner war 
ein Vorspringen der Netzhautgetässe über die Netzhautobeifläche auf¬ 
fallend, wie es sonst im kindlichen Auge vorkommt. Das durch den 
Austritt von Linse und Glaskörper' verkleinerte Auge zeigte in seiner 
hinteren Hälfte eine ringsherumgebende Lederhauteinbuchtung zwischen 
Sehnerv und Aequator, die dadurch entstanden war, dass das weiche 
Auge durch den Tonus der geraden Augenmuskeln nach hinten gezogen 
und vom Augapfelfett eingedrückt wurde. Die Aderhaut war in weitem 
Umfange abgehoben. K. Steindorff. 

Holm: Retinitis exsudativa externa. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, 
Sept.-Okt.) Die 10 veröffentlichten Fälle haben gemeinsam, dass eine 
Retinitis in der äusseren Schicht der Retina lokalisiert ist und zugleich 
ein mehr oder weniger entwickeltes subretinales Exsudat gefunden wird; 
im übrigen sind aber die klinischen und ophthalmoskopischen Bilder 
ziemlich verschieden. Die Fälle bestätigen die Zusammengehörigkeit 
mit der Retinitis circinata, die durch die gemeinschaftliche Bezeichnung 
Retinitis externa ausgedrückt wird, eine Bezeichnung, die wegen der 
vielen Mischungs- und Uebergangställe günstig ist und welche die cha¬ 
rakteristische Eigenschaft und das wesentlichste, gemeinschaftliche Zeichen 
auch für die „exsudativen Retiniten“ ausdrückt. Sie bekräftigen eben¬ 
falls die ätiologische Verschiedenartigkeit und die Theorie vom Entstehen 
der Exsudate durch vaskuläre Erkrankungen, in dem 4 Fälle vermutlich 
von Arteriosklerose und einer von Syphilis herrühren, während die übrigen 
durch andere unbekannte Ursachen hervorgerufen sind. 

Hanssen und Knack:. Zur Frage der Retinitis nephritica. (Klin. 
Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Sept.-Okt.) Die Ursache der Retinitis bei der 
Nephritis ist nicht einheitlich. Man hat häufig den Eindruck, dass das¬ 
selbe Gift parallel an der Niere und am Auge angreift. Bei einer 
anderen Gruppe ist die Retinitis abhängig von der Nephritis und aus¬ 
gelöst durch retinierte Stoffirecbselsch lacken. Dahin gehören manche 
Fälle von chronischer Glomerulonephritis, die kompensiert waren und 
dekompensiert werden, sowie manche Sklerosen, ganz langsam ver¬ 
laufende, bei denen sich auf dem Boden der arteriosklerotischen Nieren- 
veränderung allmählich eine Stoffwechselretention ausbildet. Es kann 
sich um Schlacken des Stickstoff Wechsels handeln, es können aber auch 
noch andere, unbekannte Faktoren in Frage kommen. Vielleicht liegt 
in den chronischen Fällen ein Vielfaches netzhautschädigender Fak¬ 
toren vor. 

Behr: Ueber die Ernährung des Sehnerven in physiologischer Be¬ 
ziehung und als Ursache der Unheilbarkeit der tabisehen Sehnerven¬ 
atrophie. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Sept.-Okt.) Die gelösten Nähr¬ 
stoffe treten aus den in den Septen verlaufenden Blutgefässen durch 
die gliösen Grenzmembranen hindurch in das Innere der gefässlosen 
Nervenfaserbündel, wo sie unter Leitung bestimmter Gliafasern an jede 
einzelne Nervenfaser herangeführt werden. Die freie Gewebsflüssigkeit 
fliesst dann zusammen mit den Abbauprodukten innerhalb der einzelnen 
Nervenfaserbündel centralwärts in die Schädelhöhle, ohne dass sie mit 
den perivaskulären Lymphräumen oder mit dem Zwischenscheidenraum 
in ausgedehntere Verbindung tritt. Erst innerhalb der Schädelhöhle 
verlässt sie den Nervenstamm und fliesst in die grossen Sammelbecken 
des Liquor cerebrospinalis ab. Im Sehnervenparenchym vollzieht sich 
also beständig eine an das Gliafasersystem gebundene Flüssigkeits¬ 
strömung mit geringem Gefälle von der Peripherie centralwärts. Intra 
vitam gestalten sich natürlich diese Verhältnisse viel komplicierter. 
Tabes und Paralyse kommen durch die unmittelbare Einwirkung der 
Spirochäten zustande, also ist auch die Metalues nicht eine Meta-, son¬ 
dern eine echte Lues des Gentrainervensystems. Dasselbe gilt auch 
von der tabisehen Sehnervenatrophie. Die luetische Sehnervenatrophie 
kommt durch Infektion der Bindegewebs- und des Blutgeiässsystems, 
die metaluetisohe dagegen durch Infektion des nervös-gliösen Gewebes 
selbst zustande. F. Mendel. 

Ohm: Nichtberufliehes Augenzittern. II. Teil. (Graefe’s Arch., 
Bd. 94, H. 2.) Am häufigsten ist bei angeborenem und erworbenem 
Nystägmus das Ruckzittern mit einer primären langsamen (Reaktions ) 
und einer schnellen (Nystagmus-)Phase; diese verläuft meist ziemlich 
glatt, jene zeigt einen kürzeren, ziemlich jäh und einen längeren sanft 
steigenden Teil. Seltener ist das Pendelziitern, bei dem ein Zeitunter¬ 
schied beider Phasen nicht erkennbar ist; die beiden langsamen Phasen 
(An- und Abstieg) der Pendelzuckung entsprechen den Reaktionsphasen 
zweier entgegengesetzter Rucke. Die Pendelzuckung entsteht dadurch, 
dass die dem Anstieg folgende Nystagmusphase unterdrückt und durch 
eine zweite langsame Phase ersetzt wird, wobei Blickrichtung und Be¬ 
leuchtung von Bedeutung sind. Körperliche Bewegung verstärkt, Ruhe 
schwächt bzw. beseitigt, Accommodation und Konvergenz auf einen 
nahen Punkt unterdrücken das Zittern. Verf. glaubt, dass Ruck- und 
Pendelsittern auf einer reflektorischen Erregung der Vestibülariskerne 


beruhen, der eine hemmende Innervation von seiten des Grosshirns ent¬ 
gegenwirkt. Jugendliches und Bergleutezittern haben also den gleichen 
Entstehungsmechanismus. K. Steindorff. 


Schiffs- und Tropenkrankheiten. 

R. Stigler: Eine Tragbahre zum Gebrauche in den Kolonien. 

(Arch. f. Schiffs u. Trop. Hyg., 1917, Bd. 21, H. 18, S. 301—306.) 
Empfehlung einer für den Gebirgskrieg vom Verf. konstruierten zerleg¬ 
baren Trage mit besonderer Trage Vorrichtung. Sie bat sich an der 
italienischen Front bewährt und hat gegenüber den, dem Autor aus 
eigener Erfahrung bekannten, in den Tropen gebrauchten Handtragen 
so wesentliche Vorzüge, dass sich ihre Benutzung auch für diese sehr 
empfiehlt. Die Einzelheiten der Konstruktion sind an der Hand von 
Abbildungen beschrieben. 

P. Regendanz: Ueber Erkrankungen nach Chinin. (Arch. f. 
Schiffs u. Trop. Hyg., 1917, Bd. 21, H. 18, S. 306-8Ü.) Bei einem 
grösseren Heeresteil, in dem Ghininpropbylaxe getrieben wurde, und 
zwar täglich 0,3 und einmal wöchentlich statt 0,3 0,9 g = insgesamt 
2,7 g für die Woche, sah R. eine auf das Chinin bezogene Schädigung 
in einer grösseren Zahl von Fällen in Form eines typischen Krankheits¬ 
bildes auftreten. Die wesentlichen Symptome waren: Fieber, Exan¬ 
them, die Urticaria-, Scharlach-, Masern , Erysipel- oder dem Erythema 
solare ähnlich aussahen, und Oedem namentlich im Gesicht. Der Aus¬ 
schlag heilte unter Schuppung ab. Mehrmals traten in seinem Gefolge 
Pyodermien auf. ln der symptomatischen Behandlung leisteten 
häufig lauwarme Bäder am meisten. Ursächlich nimmt Verf. an, 
dass eine erworbene Ueberempfindlicbkeit infolge der gleichzeitigen Ein¬ 
wirkung von Hitze und Sonnenstrahlung Vorgelegen hat. Weber. 


Mültär-Sanltätswesen. 

Koch: Die Beziehungen des Rttekfall Hebers znr Febris qnintana 
s. wolhyaica. (D.m.W., 1917, Nr. 45.) K. glaubt, dass die Febris 
quintaua als abgeschwächte, milder verlaufende, abortive Form der 
Febris recurrens zu bezeichnen ist. Man findet bei bestimmter Färbung 
im Blute von wolhynischen Fieberkranken perlschnurartige kleine Fäden 
von verschiedener Krümmung. An anderen sind einzelne Teile des 
Fadens stark aufgequollen. Eine dritte Gruppe umfasst Gebilde, bei 
denen scheinbar ein Zerfall in eine Reihe ungleich grosser, im allgemeinen 
rundlicher Segmente stattgefunden hat. Bei einer vierten Gruppe ist 
der fadenartige Charakter verloren gegangen. Es gibt hier hantel-, 
keulen- und kolbenartig gestaltete Gebilde. Alle diese Formen sieht 
K. als Involutionsformen der Spirocbaeta Obermeierii an. Die Ansioht, 
dass die Febris quintana nur eine Form der eobten europäischen 
Recurrens ist, wird ferner durch das gleihczeitige Nebeneinandervor¬ 
kommen typischer Recurrens und der Febris quintana in verschiedenen 
Gegenden des östlichen Kriegsschauplatzes gestützt. Dünner. 

A. stühmer; Periodisches Fieber. (M.m.W., 1917, Nr. 48.) Die 
Mitteiluog (IV.) bezieht sich vornehmlich auf das Schienenbeinsymptom, 
das nach Ansicht des Verf. durch einen pathologisch-anatomisch lokal 
umschriebenen Krankheitsprozess hervorgerufen wird, ausserdem auf die¬ 
jenigen Krankheitserscheinungen, die für periodisches Fieber typisch 
sind und auch in Latenzperioden ohne Fieber beobachtet werden. 

Geppert. 

Schilling: Malaria. Selbstbeobachtung. (D.m.W., 1917, Nr. 45.) 
Eine Malariainfektion, durch ungenügend lange, fort gesetzte prophylaktische 
Chiningaben unterdrückt, kann noch vier Monate nach der Infektion 
manifest werden. Eine Nachbehandlung mit 1 g-Dosen jeden sechsten 
und siebenten Tag führt, auch 48 Tage lang fortgesetzt, nicht immer 
zur Ausheilung. Sch. empfiehlt, die Tagesdosis für Chininum hydro- 
chloricum beim Anfall auf achtmal 0,25 = 2,0, bzw. siebenmal 0,3 g = 2,1 g 
binaufzusetzen und nach ein bis zwei Tagesgaben von 2,0 g eine Pause 
von neun Tagen einzusebieben. Diese Nachbehandlung darf keinesfalls 
vor zwei Monaten (sechsmal 10 Tagen) abgebrochen werden. Sie ist 
besonders indioiert in Fällen, wo das Chinin in 1 g-Dosen nicht be¬ 
friedigend wirkt. Dünner. 

Sohwarzkopf: Die Bedeutung der Weil-Felix’scken Reaktion für 
die Diagnose Fl eck typhös. (W.m.W., 1917, Nr. 43.) Die Weil-Felix’sohe 
Blutreaktion ist für die Diagnose Flecktyphus, dem derzeitigen Stande 
der Wissenschaft entsprechend, die einzig zuverlässige und ihre wieder¬ 
holte Prüfung in jedem einschlägigen Falle unerlässlich. Reckzeh. 

W. Perls-München: Zur Frühdiagnose des Fleekiiebers. (Thor, 
d. Gegenw., Nov. 1917.) Verf. fasst seine Untersuchungen dahin zu¬ 
sammen: 1. Es gibt Fälle ohne jedes Exanthem mit völlig atypischen, 
sehr leiohten Krankheitstersoheinungen. 2. Diese Fälle scheinen besonders 
häufig im Beginn einer Epidemie aufzutreten. 3. Die Weil-Felix’sche 
Reaktion ist in diesen Fällen stets positiv. 4. Klinisohe Früherschei¬ 
nungen sind: Conjunctivitis, trockene, dick weisslioh belegte Zunge, 
Spitze und Ränder frei, Laryngitis (Reizhustenanfälle!), Bronchitis 
(Bronchopneumonie), wechselnde, schwer zu beeinflussende Störungen der 
Darmfunktion; Frübexanthem. 5. Die Diagnose Paratyphus und atypi¬ 
scher Recurrens ist nur nach sicherem Ausschluss von Fleckfieber, auch 
serologisch zu stellen. 6. Klinisch abgeheilte Fälle von Fleckfieber sind 
häufig noch nachträglich an der typischen Kurve, der schweren R9kon- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


valescenz aus dem positiven Weil-Felix zu erkennen. Fleckfieberkranke 
sind noch 3—4 Wochen nach der Entfieberung infektiös. 

R. Fabian. 

Martini: Ueber die Isolierungszeit bei Fleckfieber. (D.m.W., 
1917, Nr. 46.) Nach den Erfahrungen von Martini ist die Isolierungs¬ 
dauer von Fleckfieberverdächtigen von 21 auf 17 Tage abzukürzen. Die 
Isolierungsdauer von Fleckfieberrekonvalesoenten von 14—21 Tagen auf 
10 Tage. Dünner. 

Wencke'baoh: Ueber die Behandlung herzkranker Soldaten in 
Kurorten und Heilstätten. (W.m.W., 1917, Nr. 44.) Die erfahrungs- 
gemässe günstige Wirkung der kohlensauren Bäder in vielen Fällen darf 
nicht zu einer kritiklosen Anwendung derselben bei allen möglichen 
Herzzuständen führen. Die neueren elektrischen Behandlungsmethoden, 
die hochgespannten Wechselströme, die Diathermie, die künstliche Höhen¬ 
sonne werden in den letzten Jahren sehr gepriesen. Die Hydrotherapie 
in ihrem ganzen Umfang stellt ein hochwichtiges Hilfsmittel zur Beein¬ 
flussung des Kreislaufs und zur Bekämpfung von dessen Storungen dar. 
Die Uebungstherapie ist zweifellos der wichtigste Faktor zur Herstellung 
verloren gegangener Leistungsfähigkeit; sie kommt bei fast allen Gruppen 
von mit Herzbeschwerden behafteten Patienten in Betracht. 

Dietrich-Berlin: Balneotherapie nid Kriegsbeschädigtenfdrsorge. 
(W.m.W., 1917, Nr. 45.) Die grösste Gruppe von Kriegskranken bilden 
diejenigen, die durch die Kriegsanstrengungen oder das Ueberstehen 
einer schweren Krankheit erschöpft sind. Bei diesen Erschöpften sind, 
abgesehen von Ruhe und geeigneter Diät mit guter Pflege, die klima¬ 
tischen Kuren vortreffliche Heilmittel, sowohl die an der See wie die 
in waldreicher Gegend, vor allen Dingen im Mittelgebirge und im 
Höhenklima. Manche Kranke oder Erholungsbedürftige werden von der 
Behandlung in einem an sich für ihr Leiden geeigneten Kur- oder Bade¬ 
ort keinen Nutzen haben, weil sie nur in dem festen Gefüge einer ziel¬ 
bewussten Anstaltsbehandlung gesunden können, diese ihnen aber in 
dem betreffenden Kurort nicht geboten wird. Der zweite wichtige Ge¬ 
sichtspunkt bei der Behandlung erkrankter Kriegsteilnehmer ist eine 
geeignete Beschäftigung der Kranken. Reckzeh. 

Goldscheider: Erfahrungen über Feldnephritis und ihre Behänd- 
Uig (Zschr. f. physik. diät. Ther., Nov. 1917.) Die Feldnephritis, die 
im allgemeinen günstiger auftritt als zu Beginn des Krieges, ist eine 
Glomerulonephritis oft mit nephrotischem Einschlag. Die Stärke des 
Hydrops entspricht nicht immer der Stärke der Nephritis bzw. der 
Schwere des Gesamtbildes. Extrarenale Ursachen sind vielleicht für die 
Entstehung der Wassersucht maassgebend, wobei es nahe liegt, an 
Kältescbädigung der Gefässe zu denken. Man muss Dispositionen für 
die Erkrankung annehmen. Aeltere Jahrgänge scheinen nicht stärker 
disponiert, neigen aber mehr zu schleppenderem und hartnäckigerem 
Verlauf und zu Chronicität. Aetiologisch muss man an Infektion mit 
und ohne Erkältung denken. Verf. bespricht dann genau die Bestim¬ 
mungen für die Organisation der ärztlichen Versorgung der Nieren¬ 
kranken, in die , Heimat gehören nur chronische Fälle. Zum Schluss 
bespricht Verf. eingehend die Grundsätze der Behandlung. 

E. Tobias. 

Schneider: Skorbut im Felde. (W.m.W., 1917, Nr. 45.) Seit 
Anfang März 1916 traten gehäufte Skorbutfälle unter Truppen der 
vordersten Front in einem gewissen Abschnitte auf. Die Ursache liegt 
allem Anschein nach vorwiegend in Ernährungsschädliohkeiten, doch 
scheinen auch ungünstige Witterungsverhältnisse eine Rolle zu spielen. 
Versuche mit der Ernährung solcher Skorbutkranker unter Berücksichtigung 
des im Felde möglichen zeigen, dass reichliche Zufuhr von Obst und 
Gemüse, insbesondere von rohen Früchten und Gemüsen, welche reichlich 
Pflanzensäure und intensive Gesohmackstoffe enthalten, den Skorbut 
rasch heilen und auch prophylaktisch wirken. 

Schürer v. Waldheim: Ueber Tabakvergiftungen im Heere. 
(W.m.W., 1917, Nr. 44.) Bei den leichteren Fällen, meist Leuten von 
18—30 Jahren, bestand hochgradiges Herzklopfen, Herzerweiterung. Im 
Gegensatz hierzu bestand bei den schwereren Fällen, meist Leuten im 
Alter von 30—40 Jahren, erhebliche Verlangsamung des Herzschlages, 
hochgradige Herzschwäche, Neigung zu Schwindelanfällen und Ohnmächten. 
Alle Fälle von Tabakvergiftung besserten sich langsam bei alleiniger 
Durchführung der Tabakabstinenz. Auffallend war das Ueberwiegen der 
im jugendlichen Alter Stehenden. Reokzeh. 

E. Jendrassik: Zur Diskussion über die Neurosen frage. Theorie 
der Hysterie und Neurasthenie. (Neurol. Zbl., 1917, Nr. 23.) Aetio¬ 
logisch handelt es sich bei den Neurosen immer um eine psychische 
Einwirkung, wobei den Granatexplosionen keine besonders hervorragende 
Rolle zufällt. An Neurosen erkranken nur von Haus aus Disponierte. 
Die Aetiologie ist nur dann verständlich, wenn wir in der scheinbaren, 
augenfälligen Ursaohe nur das Aufdeokungsmoment der hysterischen oder 
neurasthenischen Grundlage erkennen und in Betracht ziehen, dass durch 
diese Auslösung der Schwellenwert der hysterischen Anlage vermindert 
bleibt und so die manifesten Symptome durch weitere äussere, selbst 
leichtere Bedingungen aufrecht erhalten werden können. Diese Fälle 
heilen nicht spontan, nur durch die Veränderung der erhaltenden Um¬ 
stände (Abfertigung, Gefangennahme) oder plötzlicher starker Gegenreize 
wie Faradisation. Bezüglich der Hysterie ist mit Wahrscheinlichkeit an¬ 
zunehmen, dass ihre Grundlage in einer schwächeren Entwicklung der 
Endbäumchen der Associationsfasern basiert. Die neurasthenischen 
Symptome zeigen auf eine grössere Reizbarkeit der erinnerungsbild¬ 


haltenden Elemente des Nervensystems, der Assooiationsprozess ist bei 
den Neurasthenikern normal, oft übernormal. 

J. Rothfeld: Eine Analyse der notorischei Reizerseheinungen 
bei Kriegsneurosen. (Neurol. Zbl., 1917, Nr. 24.) Verf. beschäftigte 
sich vornehmlich mit der Gehstörung beim Schüttettremor. Aus seinen 
Versuchen geht hervor, dass ein Tremor des Quadriceps nur entsteht, 
wenn er unwillkürlich innerviert wird, dass bei gleichzeitiger Innervation 
der Beuger des Oberschenkels und der Kniestrecker die Innervation der 
ersteren versagt, also bei den meisten Fällen mit Schütteltremor der 
unteren Extremitäten eine gleichzeitige Leistung dieser Muskeln nicht 
zustande kommen kann, dass bei allen Versuchen unwillkürliche Gegen¬ 
bewegungen zum Vorschein kommen, welche aus der Innervation der 
Antagonisten resultieren und das Auftreten der beabsichtigten Be¬ 
wegungen verhindern. Weiter befasst sich Verf. mit der Akinesia 
amnestica, die nach seiner Ansicht eine funktionelle und auf suggestivem 
Wege zu beseitigende Störung darstellt. 

J. Donath: Hysterische Taubstummheit mit katatonischen Er- 
scheiaaagen aach fliraerschütteraag (Kommotioisneirose). (Neurol. 
Zbl., 1917, Nr. 23.) Es handelt sich um einen Mann, der, nachdem er 
einen leichten Streifschuss auf der Stirn und eine leichte Scbussver- 
letzung am Sprunggelenk erlitten hatte, beim Transport einen Eisen- 
bahnzusammenstoss hatte, wobei er aus der Hängebahre mit dem Kopf 
auf den Waggonboden fiel. Länger dauernde Bewusstlosigkeit mit Blu¬ 
tungen aus iSase, Mund und Obren und Erbrechen weisen auf Fractura 
baseos cranei mit Gommotio cerebri hin. Dieser Störung hat sioh eine 
hysterische Taubstummheit mit katatonischen Erscheinungen aufgepfropft. 
Der vom Verf. für diese Kombination organischer Läsion mit lunktio- 
neller Störung vorgeschlagene Ausdruck „Kommotionsneurose* dürfte 
doch nicht ganz zweckdienlich sein, weil aus ihr nicht mit Sicherheit 
hervorgeht, dass organische Störungen vorhanden sind. E. Tobias. 

Bi ach: Einige Beiträge zum Wesen der sogen. Kriegsieurosei. 
W.m.W., 1917, Nr. 47.) Eine wohl umschriebene Gruppe in den sogen. 
Kriegsneurosen sind die hyperkinetischen Neurosen. Eine grosse Gruppe 
stellen ferner die funktionellen Lähmungen dar. Eine letzte Gruppe 
vereinigt diejenigen Fälle, bei denen eine Neurose auf eine organische 
Nerveuveränderung aufgepfropft erscheint. Reckzeb. 

F. Kaufmann: Zur Behandlung der motorische! Kriegsieurosei. 
(M.m.W., 1917, Nr. 47.) Genaue Darlegung, in welcher Weise die vom 
Verf. angegebene Behandlungsmethode aufzufassen und anzuwenden ist. 
Widerlegung der Einwände, die teilweise auf falsche Auslegung seiner 
Veröffentlichungen beruhen. Das Charakteristische der Therapie ist 
nioht etwa die Stärke, die Art oder die ständige Applikation der Ströme, 
sondern mehrere andere wichtige Komponenten dieser Wachsuggestiv¬ 
therapie, zu denen vor allem die suggestive Vorbereitung gehört, ausser¬ 
dem die „militärische Willensüberwältigung“ und die konsequente 
Durchführung der Behandlung in einer Sitzung bis zum Erfolg. Ströme 
von empfindlicher Stärke werden nur in psychisch shockierender Ab¬ 
sicht verwendet. Geppert. 

Klapp - Berlin: Die verstärkte Prophylaxe hei Kriegsverletzungen 
durch TiefenaBtisepsis mit Morgenroth’sehen Chioinderivatei. (D.m.W., 
1917, Nr. 44.) K. hat hauptsächlich das Isoctylhydrocuprein benutzt, 
dem er den Namen „Vuzin“ gegeben bat. Er arbeitete mit einer 
Konzentration von 1:10000, ging dann mit dem Vuzin von der Ober¬ 
flächen- zur Tiefen an tisepsis und kommt zu ausgezeichneten Resultaten. 
Er hat prophylaktisch damit behandelt Weich teilwunden, Gelenke und 
Gasbrand. Er schildert eingehend die Technik, die er dalür angewendet 
hat. Die Resultate sind gute. Dünner. 

J. E. Sweet: Dakins „Dichloramine I“ in der Wundbehandlung. 

(Brit. med. journ. 1917, Nr. 2655.) Dichloramine-I ist Para-sulpho- 
dichloramin-Toluidin. Es wird mit Paraffinöl und Eucalyptol zu gleichen 
Teilen in 6,5proz. Lösung verwendet. Geppert. 

Ecderlen-Würzburg: Ein Beitrag zur Nervennaht. (D.m.W., 
1917, Nr. 44.) Zweck der Mitteilungen ist, darauf hinzuweisen, dass 
die primäre Naht in geeigneten Fällen zu verwenden ist. Dünner. 

Stoffel: Ueber die Schicksale der Nervenverletzten, besonders 
der Nervenoperierten. (M.m.W., 1917, Nr. 47.) Von 61 operierten 
Nervenverletzungen 33 Erfolge, davon 24 Nähte und 9 Neurolysen; 
28 Misserfolge bei 18 Nähten, 4 Neurolysen und 6 Plastiken. Auf¬ 
forderung, Nervenverletzungen wenn irgend möglich operativ anzugreifen. 

Geppert. 

Klauber: Umschriebene Verletzung des Sehnerven in der 
Schädelhöhle durch einen Heschossspiitter. (Klin. Mbl. f. Augblk., 
Bd. 59, Sept.-Okt.) Der Augenbefund, besonders das Verhalten der Ge¬ 
sichtsfelder und die Atrophie des linken Sehnerven, führt zu dem 
Schlüsse, dass es sich um eine teilweise Durchtrennung des licken Seh¬ 
nerven in seinem hinteren Teil handelt. Im Zusammenhalt mit den 
übrigen, zwar geringfügigen, aber lokalisatorisch wichtigen Störungen des 
linken Opticus, des ersten und zweiten Tiigeminusastes muss der Sitz 
der Läsion in das intracranielle Opticusstück verlegt werden, das 
zwischen Austritt aus dem Canal, optic. und Eintritt in das Chiasma 
eine Länge von etwa 10 mm besitzt. Für einen operativen Eingriff zur 
Entfernung des Projektils besteht keine Anzeige, da der Splitter ver¬ 
mutlich schon bindegewebig abgekapselt ist und daher in Zukunft kaum 
weitere Schädigungen verursachen dürfte. 


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Original frorri 

UNIVERSUM OF IOWA 




7. Januar 1918. 


IUSÖQX 

BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


21 


Weigelin: Emcatioi oder Exenteratio« mit besonderer Stampf- 
bildaag beL Kriegs verletzten? (Elin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59,'Septbr.- 
Oktbr.). Verf. hält die Enueleation bei kriegsverletzten Augen, die 
nicht erhalten werden können, für die allein zweckmässige Operation. 
Nach seinen Erfahrungen lässt auch nach der gewöhnlichen'Enueleation 
der kosmetisohe Erfolg nach Einsetzen der Prothese in keiner Weise zu 
wünschen übrig. Deshalb wird die Enueleation des Bulbus stets der 
Exenteration vorgezogen. F. Mendel. 

Weih mann: Das „Schlaafeataek“, ein Mittel zum Transport 
Schwerverletzter vom Sohlachtfelde bis ins Eriegslazarett. (D.m.W., 
1917, Nr. 45.) Dünner. 

Hinriohs-Segeberg: Der Kriegsbeschädigte in der deatsehea 
Liadwirtsekaft. (Zsohr. f. Erüppelfürs., Bd. 10, H. 10.) * Verf. teilt 
seine Erfahrungen mit, die er in zwei Jahren als Leiter der Ausbildungs¬ 
kurse für kriegsbeschädigte Landwirte der Provinz Schleswig-Holstein 
auf dem Gebiet der Berufsberatung, Ausbildung und Stellenvermittlung 
gemacht hat. 

W. Sehlüter-Berlin: Die italienische Kriegsbesckädigteaffirsorge. 

(Zschr. f. Erüppelfürs., 1917, H. 8.) Die Eriegsbescbädigtenfürsorge 
kranktiin Italien ebenso wie in Frankreich an der theatralischen Auf¬ 
machung, der den romanischen Völkern eigenen Oberflächlichkeit, welche 
sie nicht über einige kümmerliche Anfänge hinauskommen Hessen, obwohl 
einige namhafte Orthopäden wiederholt auf die Notwendigkeit staatlicher 
Regelung und das gute Beispiel Deutschlands hingewiesen haben. 

_ Schasse-Berlin. 


Technik. 

Sch epelmann-Hamborn a. Rh.: Fingerftxtension. (D.m.W., 1917, 
Nr. 46.) Technische Mitteilungen. 

Reicbardt-Pöstyen: Ein einfacher Behelf xnr frühzeitigen Mo- 
bilisiernng der Finger. (D.m.W., 1917, Nr. 45.) Technische Mit¬ 
teilungen. 

Friedmann und Sohaefer-Berlin-Buch: Ein Mobiltaiernngs- 
apparat für da« Ellenbogengelenk. (D.m.W., 1917, Nr. 45.) Technische 
Mitteilungen. 

Bamberger-Eissingen: Eine behelfsnässigeAngenpipette. (D.m.W., 
1917, Nr. 45.) Man schneidet von einem Drainschlauch ein 8—10 cm 
grosses Stück ab und versohliesst das obere Ende mit einem runden 
Holzklötzchen. Dünner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Gynäkologische Gesellschaft zü Berlin. 

Sitzung vom 14. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Mackenrodt. 

Nachruf für die verstorbenen Krönig-Freiburg und Eröhmer- 
Greifswald durch den Vorsitzenden. Der Vorsitzende teilt ferner mit, 
dass Herrn A. Martin zu Beinern 70. Geburtstage die Glückwünsche 
der Gesellschaft ausgesprochen worden sind. 

Hr. Nagel zeigt mehrere grosse Tavoren und berichtet, dass 
sie von einer 51jährigen Nullipara stammen, welohe in ziemlich elendem 
Zustand mit stark geschwollenem Leib und geschwollenen Beinen in 
Behandlung trat. Es zeigte sich, dass die Geschwulst aus mehreren 
Myomen von exorbitanter Grösse bestand und dass sie den ganzen Leib 
ausfüllte. Nach Verkleinerung durch teilweisen Abfluss des Inhalts 
erfolgte die Ausschälung der Geschwülste, die supravaginale Amputation 
und Schluss mit Drainage in typischer Weise. HeiluDg per primam 
in 21 Tagen. Betreffs der Entstehung solcher Tumoren stimmen die 
Forscher darin überein, dass das Primäre die myxomatöse Degeneration 
ist. Woher nun die Umbildung zur Flüssigkeit stammt, ist unbekannt. 
Vielleicht stammt die Flüssigkeit auch aus dem Blute. Dafür würde 
sprechen, dass sie meist rötlich aussieht. In diesem Falle nun aber 
war sie rein serös und der Inhalt war nicht gerinnbar. Solche Bildung 
findet man besonders bei den submukösen Myomen. 

Frl. Weishaspf demonstriert 2 ähnliche Fälle mit den zugehörigen 
mikroskopischen Präparaten. 

Hr. Nagel zeigt ferner einen faistgrossea flbroaatösea Tinor, der 
aus der Mamma eines 14jährigen Mädchens stammt. 

Hr. Nagel: 

Sehwaigeraehaft konpliclert durch Uoterleibsgeschwülste. 

(Der Vortrag wird als Originalartikel in dieser Woohenschrift er¬ 
scheinen.) 

Diskussion. 

Hr. Karl Rüge II betont, dass Erhaltung des Corpus luteum für 
die Fortsetzung der Gravidität nicht nötig ist, wie aus dem dritten Fall 
auch hervorgeht. 

Hr. Mackenrodt berichtet über einen schon vor 20 Jahren von ihm 
operierten Fall. Er hat es mehrfach bei peritonitischen Erscheinungen 
gemacht, ohne einen Todesfall zu erleben. Bei Ovarialtumoren, ist er 
mehr für Entfernung durch Colpotomie, wobei er niemals Geburts- 
störungen gesehen hat. 


Hr. Schülein hat eine Patientin, die im fünften Monat gravide 
war, und sehr hoch fieberte, operiert. Er schälte ein kindskopfgrosses 
Myom aus, und Patientin kam nachher nur drei Wochen zu früh mit 
Zwillingen nieder. Siefart. 


Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg i. Pr. 

Sitzung vom 19. November 1917. 

Vorsitzender: Herr Winter. 

1. Hr. Carl: Demonstratioien: a) Heruia inguinalis permagua. 

Uebergrosse linke Leistenhernie bei einem alten Manne, welche dem 
Patienten nur mechanische Beschwerden durch ihre Grösse macht. Vortr. 
erörtert die zur Operation notwendigen Vorbereitungen, speziell die 
Maassnahmen, welohe erforderlich sind, die verkleinerte Bauchhöhle wieder 
an den grösseren Inhalt zu gewöhnen, 
b) Heruia saeralis. 

Bei einer Frau, bei der wegen Mastdarmkrebs eine Amputation des 
Rectums mit Resektion des Kreuzbeines ausgeführt war, bildete sich nach 
einiger Zeit infolge eines durch Metastasen bedingten Ascites eine her¬ 
nienartige Vorwölbung der Haut an der Stelle des resecierten Kreuz¬ 
beines aus. Vortr. betont, dass diese Hernienbildung nur dadurch mög¬ 
lich ist, dass durch die Operation das Peritoneum nach unten ver¬ 
zogen ist. 

2. Hr. Kirchner: Die Behandlung der Gallensteinkraukheiten. 

Nach einem Hinweis auf die neueren Forschungen von Aschoff 
und Baumeister über die Aetiologie der Gallensteine erörtert Vortr. 
an der Hand zahlreicher, durch Operation gewonnener Präparate die 
pathologische Anatomie der Gallensteinkrankheiten, wobei er itn 
besondere auf die, bei jedem Gallensteinanfall bestehenden Gefahren 
hinweist, deren Vorhandensein sich im klinischen Bilde nicht immer 
kennzeichnet, und die der Chirurg häufiger als der Internist zu sehen 
bekommt. Auch die nicht lebensgefährlichen Krankheitszustände sind 
für die Kranken zumeist sehr qualvoll, stets für ihr Leben von ein¬ 
schneidender Bedeutung. Von einer Therapie der Gallensteinkrank¬ 
heiten muss verlangt werden, dass sie 1. den einzelnen Anfall*entschei¬ 
dend beeinflusst, und dass sie 2. für die Zukunft mit Sicherheit neue 
Anfälle ausschliesst. Die innere Therapie, auf die Vortr. im ein¬ 
zelnen ausführlich eingeht, kann der ersten Forderung in keiner Weise 
gerecht werden, und sie kann die Erfüllung der zweiten Forderung nur 
in äusserst beschränktem Grade andeuten. Die chirurgische Thera¬ 
pie dagegen erfüllt beide Forderungen nahezu mit Sicherheit, wenn sie 
von einem geübten Operateur nach den heutigen Regeln der Kunst plan¬ 
voll durchgeführt werden kann, wozu gehört: 1. die Entfernung der 
Gallenblase mit dem Ductus cysticus, 2. die prinzipielle Revision der 
tiefen Gallenwege mit Entfernung aller Steine und eventuell mit Aus¬ 
führung einer Hepaticusdrainage und 8. die Herstellung eines freien 
Abflusses von der Leber nach dem Darm. Der gegen eine prinzipielle 
Verallgemeinerung der operativen Behandlung erhobene hauptsächlichste 
Einwand besteht in der Gefährlichkeit des operativen Eingriffes. Die 
tatsächlich vorhandene relativ hohe Mortalität der Gallensteinoperationen 
ist nach Ansicht des Vortr. nicht durch den Eingriff an sich bedingt, 
sondern durch die heute noch allgemein übliche zögernde interne Indi¬ 
kationsstellung, bei der die Kranken nur dann zur Operation kommen, 

1. wenn sie jahrelang krank gewesen sind und sieb infolgedessen zumeist 
schwerste pathologisch-anatomische Veränderungen ausgebildet haben, 

2. wenn eine akute, das Leben sohwer bedrohende Komplikation (z. B. 
Perforation, Gangrän) eingetreten ist oder 8. wenn die Kranken durch 
ein langes Krankenlager hochgradig erschöpft sind, z. B. lange be' 
stehendem Choledochusverschluss. In allen diesen Fällen ist die 
Operationsprognose begreiflicherweise nicht günstig. Wollen wir da¬ 
gegen die Gallensteinkraukheiten ohne wesentliche Gefahr schnell und 
dauernd heilen, so müssen wir die Kranken möglichst frühzeitig ope¬ 
rieren. Der Vortr. spricht sioh daher auf das Eindringlichste für eine 
möglichst frühzeitige chirurgische Behandlung aller derjenigen Gallen¬ 
steinträger aus, die durch Auftreten sicherer Anfälle den Beweis erbracht 
haben, dass sie Gallensteinkranke sind und ohne chirurgische Therapie 
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch bleiben. 

Diskussion. 

Hr. Matthes: Die Notwendigkeit einer chirurgischen Behandlung 
aller Fälle, welche einmal einen Gallensteinanfall durchgemacht haben, 
kann nicht anerkannt werden. Es gibt viele Kranke, welohe nach 
Ueberstehen des einen Anfalles nie wieder erkranken. Der chirurgische 
Eingriff kann auch weiterhin nur unter bestimmten Indikationen als ge¬ 
rechtfertigt angesehen werden. 

Hr. Frohmann: Die von Herrn Kirchner vertretene Anschauung» 
dass die Gallenblase ruhig entfernt werden könnte, da ihr eine Funk¬ 
tion doch nicht zukomme, muss mit Rücksicht darauf, dass wir bei an¬ 
deren Organen mit dieser Auffassung Nackenschläge haben erleben 
müssen, mit Vorsicht aufgenommen werden. Ausserdem wird darauf 
hingewiesen, dass mit der Gallensteinoperation nur das augenblickliche 
Krankheitsbild, nicht aber das Grundleiden (Stoffweohselstörung) selbst 
behoben wird. 

Hr. Samter berichtet über seine Erfahrungen bei Gallensteinope¬ 
rationen. Auch er hat nur unter strengen Indikationen operiert Demon¬ 
stration eines besonders charakteristischen Röntgen bi 1 des. Mitteilung 
einiger besonders interessanter Krankengeschichten. 


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The State 

fgMIVERSITY OF IOWA 

UMIVERSITY oWNBf 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


3. Hr. Warstat: 

Der plastische Verschloss von Schädeldefekten nach Kopfschuss- 
Verletzungen. 

Vortragender bespricht unter Demonstration von Lichtbildern und 
Vorstellung von Patienten die Indikation und Technik der Schädel¬ 
plastik nach KopfschussverletzuDgen. Er maoht die Indikation abhängig 
von der Beantwortung dreier Fragen: 

a) Ist der Kopfschussverletzte durch die Sohädellücke direkt oder 
indirekt gefährdet? 

b) Besteht die Möglichkeit, durch die Schädelplastik diese Gefahren 
zu beseitigen, beziehungsweise ihrer Entstehung vorzubeugen? 

c) Ist die Gefahr der Operation geringer als die der Schädellücke? 

Warstat beantworte alle drei Fragen auf Grund der Erfahrungen 

bei 72 Schädelplastiken nach Kopfschussverletzungen in bejahendem 
Sinne. Als ausschlaggebend für den Erfolg der Operation bezeichnet 
er die Erfüllung gewisser Voraussetzungen; besonders wichtig erscheint 
ihm die Wahl des richtigen Zeitpunktes für die Schädelplastik. Diese 
soll im allgemeinen frühestens l ] 2 Jahr nach Ablauf der Wundheilung 
ausgeführt werden. Die Plastik nach v. Hack er-Dur ante, d. h. die 
Deckung mit gestieltem Periostknochenlappen unter Drehung des 
Lappenstieles, so dass die Periostseite auf den Defekt zu liegen kommt, 
ist nach seiner Ansicht die Methode der Wahl; es erübrigt sich dabei 
in den meisten Fällen die gesonderte Deckung eines Dura- oder Gehirn¬ 
defektes. Dem plastischen Verschluss der Sohädellücke muss eine An¬ 
frischung des knöchernen Defektrandes, eine Lösung der Verwachsungen 
zwischen ihm und der Dura sowie die Excision des Narbengewebes im 
Defektbereich vorangehen. In den 72 nach dem genannten Verfahren 
operierten Fällen war der Erfolg ein durchaus befriedigender. 

Vortragender kommt zu dem Schluss, dass die Schädelplastik nach 
Kopfschussverletzungen in der grossen Mehrzahl der Fälle nicht nur be¬ 
rechtigt, sondern notwendig ist, und daäs durch die Operationsmethode 
nach v. Hacker-Durante ein voller Heilerfolg zu erzielen ist, ohne 
das Leben des Patienten zu gefährden. 

Diskussion. 

Frl. Reichmann berichtet über die Erfahrungen an 66 Kopfschuss¬ 
verletzten, von welchen 55 auf der chirurgischen Klinik durch Herrn 
Prof. Kirschner und Oberarzt Warstat operiert und nachher auf der 
Nervenstation für Kopfschussverletzte beobachtet wurden. Ref. fand — 
im Gegensatz zu verschiedenen Autoren — einen sehr günstigen Ein¬ 
fluss der Schädelknochenplastik auf einen Teil der symptomatischen Be¬ 
schwerden der Hirnverletzten (Schwindelanfälle, mangelhafte Resistenz 
gegen Witterungseinflüsse, Hitzeeinwirkung, Lagewechsel, Druckschwan¬ 
kungen usw.). Nur bei 4 Hirn verletzten fehlte dieser Einfluss, bei 
2 Kranken trat nach der Operation eine Verschlechterung des nervösen 
Allgemeinzustandes ein. In 6 Fällen wurden epileptische Anfälle nach 
dem Anfall seltener bzw. traten nicht mehr auf. Als Beispiel für en¬ 
dogene Gefahren, die den Hirnverletzten aus den Scbädeldefekten er¬ 
wachsen können, führt Referent 2 Kranke an, bei welchen mehrere 
Monate hach der primären Wundheilung im Anschluss an eine Angina 
mit hohen Temperaturen ein Hirnprolap9 sieh ausbildete. Wegen der 
relativen Ungefährlichkeit der Operation einerseits, wegen der Gefahren 
und der subjektiven Beschwerden andererseits, welche den Kopfschuss¬ 
verletzten aus den Knochendefekten erwachsen, rät Referent prinzipiell 
zur plastischen Deckung der Schädellücke. Riedel. 


Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

(Medizinische Sektion.) 

Sitzung vom 6. November 1917. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Hornburger. 

Hr. Heitmann: Ueber Blasen schwäche bei Kriegsteilnehmern. 

Vortragender hat in seiner Eigenschaft als leitender Arzt einer un¬ 
logischen Lazaretts in den letzten zwei Jahren ca. 700 Fälle von Bett¬ 
nässen gesehen, von denen 500 der Besprechung zugrunde gelegt wor¬ 
den waren. Die Soldaten kamen teils aus dem Bereich des XIV. Armee¬ 
korps, teils direkt von der Front in das Lazarett; von letzteren wurden 
19 pCt. beobachtet. Ueber 50 pOt. hatten das Bettnässen seit früher 
Kindheit gehabt, die übrigen Patienten hatten den Zustand bald nach 
der militärischen Einziehung acquiriert. 

Eine beachtenswerte Tatsache war es, dass man von den Leuten 
auf den Krankenstationen einen unmilitärischen Eindruck empfing. AAich 
waren nur sehr selten Leute, die im Range über dem Unteroffizier stan¬ 
den, vom Bettnässen befallen gefunden worden. 

Bei genauerem Zusehen waren zwei Endtypen von Enuretikern her¬ 
ausgesondert worden: 1. solche, die von frühester Kindheit an Bettnässer 
waren, 2. solche, die im Anschluss an schwere Durchnässung den Zu¬ 
stand acquiriert hatten. Dazwischen natürlich eine Menge Zwischen¬ 
formen. Bei dem 2. Typus lag in der Anamnese meist eine starke 
Durchnässung vor, hin und wieder aber auch stumpfe Verletzungen am 
Abdomen oder am Rücken; jedoch hat Vortragender Bettnässen nie bei 
Verschütteten gesehen. Die Leute neigen zu Recidiven, und die Pro¬ 
gnose erscheint besonders dubiös bei neurotischen Individuen. 

Ein Teil der Patienten erschwert die Heilung durch bewusstes In¬ 
teresse, das sie der Krankheit entgegenbringen, ein anderer Teil durch 
den Wunsch, von der Front wegzukommen. Simulationen waren beob¬ 
achtet worden. 


. Die Fälle, wo die Blasenbeschwerden von Jugeud an ununterbrochen 
bis zum Tage ihrer Untersuchung im Lazarett angedauert hatten, waren 
nicht häufig. Meist schwanden sie zwischen etwa dem 10. bis 18. Lebens¬ 
jahr. Unter diesen wieder war die Erkrankung schon vor dem Kriegs¬ 
dienst häufig wieder aufgetreten. Nach den Berufen waren in erster 
Linie Kutscher, Friseure und Kellner vertreten. Vortragender schliesst 
sich nicht der Ansicht von Fuchs und Matauschek an, die hinter 
der Enuresis eine organische Ursache suchen. Die bisher dafür ins 
Feld geführten Beweismittel Spina bifida occulta, Naevi usw. scheinen 
ihm durchaus nicht stringent, zumal die Nachforschungen im anatomi¬ 
schen Institut unter 86 normalen Wirbelsäulen 26 Spina bifida ergeben 
hatten; unter letzteren sechs ganz ausgesprochene. Dagegen war 
ein Teil der Leute ausgesprochen geistig defekt; es waren darunter In¬ 
fantile, Eunuchoide, Analphabeten; meist weiche stille heitere Mensohen, 
oft ländlicher Herkunft; Landwirte und Schäfer waren bezüglich der Be¬ 
rufe in auffallender Anzahl vorhanden; dann aber auch fanden sich in 
grösserer Anzahl Degenerierte unter diesen Bettnässern. Sehr viele dieser 
Patienten bringen der Therapie keine grosse Begeisterung entgegen; 
häufig fehlte ihnen jegliche Erziehung. Redner hatte oft den Eindruck 
sexueller Frigidität und Inaktivität bei diesen Leuten. Masturbation 
hält er für einen Faktor, der besonders in früher Jugend als auslösend 
in Betracht kommen könnte. Eine Rückwirkung auf die Gentren im 
Lendenmark hierbei hält Redner Dicht für ausgeschlossen. Da, wo Ab¬ 
wehr gegen die therapeutischen Maassnahmen beobachtet worden war, 
handelte es sich zumeist um psychische Defekte. Gegen die Zuteilung 
der Erkrankung zur Hysterie und Neurasthenie scheint dem Vortragen¬ 
den der Umstand zu sprechen, dass es sich bei der Auslösung des Zu¬ 
standes oft gar nicht um psychischen Shock handelt. Allerdings komme 
die Kombination mit Hysterie vor. Häufig war vom Redner Roaberg- 
sches Phänomen beobachtet worden; letzteres ist epidemieartig. Bei 
Leuten, die die Enuresis draussen acquiriert batten, habe er hin und 
wieder sensible Störungen am Perineum, Penis und Umgebung beob¬ 
achtet. Er schliesst daraus auf das Zusammenwirken von funktioneller 
Systemschwäche mit cerebralen Einflüssen. Bezüglich therapeutischer 
Maassnahmen will Vortragender jeglichen Schematismus ferngehalten 
wissen. Als allgemeine Richtlinien stellt er auf die psyschische und 
lokale Behandlung des Patienten. 

Die Heilungskonstatierung war nicht immer leicht. 40 pCt. der 
Patienten war k. v. entlassen worden; ein anderer Teil wäre wegen an¬ 
derweitiger Defekte sowieso nicht k. v. geworden. 

Hr. Wilma-. Begehtionsmethodea des Magens. 

Vortragender hatte bisher beim penetrierenden Ulcus ventriculi an 
der Hinterwand des Magens folgende Methode bei der Operation angewen¬ 
det: Ausschneiden des Ulcus, wobei der infiltrierte Rand des Geschwürs 
stehen gelassen wurde. Die vorher vom Ulcus eingenommene Stelle der 
hinteren Magenwand wird nunmehr bei der Gastroenterostomie verwendet. 
Für die an der vorderen Magenwand befindliche Ulcera hat sich ihm 
bisher die Querresektion leidlich bewährt, doch haftet ihr, wenn sie in 
der gewöhnlichen Weise ausgeführt, der Mangel an, dass leicht Stauungen 
entstehen, indem ein Narbenring von stark verringertem Lumen an der 
Resektionsstelle dadurch entstand, dass ein weites und ein enges Lumen 
aneinander genäht worden waren. Dies hat Vortragender neuerlich da¬ 
durch zu vermeiden gesucht, dass er die Resektionsstellen kreuzweise 
miteinander vernähte unter leichter Drehung der Längsachse des dis¬ 
talen Magendrittels. Also proximaler Anteil der kleinen Kurvatur mit 
distalem der grossen Kurvatur. W. ist gegen die völlige Resektion, weil 
sich der Magen zu stark entleert. Er hat mit seiner neueren Methode 
gute Verdauungsresultate erzielt. 

Demonstration von RöntgeDplatten, die dies zeigen. 

Diskussion: Hr. Elge undBrausüber die Konfiguration des dis¬ 
talen Magendrittels im kontrahierten Zusstand. 

Hr. Völker war bei den von Wilms genannten Ulcusfällen mit 
der Billroth I-Methode recht zufrieden. Steckelmaoher. 


Kriegsärztliche Abende. 

(Eigenbericht der Berliner klinischen Wochenschrift.) 

Sitzung vom 4. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Tiemann. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Adln: 

Demonstration kinematograp bischer Films ans dem Gebiete der Kriegs¬ 
verletzungen des Nerven. 

Durch Herrn Oberarzt Stange und die Hilfe des Kriegs-Filmamtes 
ist es gelungen, die Kinematographie in den Dienst des ärztlichen Unter¬ 
richts zu stellen. Ersterer stellte Aufnahmen von Kriegsverletzungen 
her, letzteres lieferte die Bilder zu den Selbstkosten. Der heutige Abend 
ist ein Ausschnitt aus dem, was beabsichtigt wird: ein Kopfverletzter 
wird demonstriert, die äussere Schnittwunde, das Röntgenbild, das ana¬ 
tomische Präparat der Verletzungsstelle, die Ausfälle und das klinische 
Bild selbst gezeigt; von den andern Fällen wird nur das klinische Bild 
gezeigt. 

Hr. Gassierer erörtertim einzelnen die Fälle, die aus dem Reserve¬ 
lazarett Kunstgewerbeschule stammen. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




7. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


23 


Tagesordnung. 

Hr. Alt- Uchtspringe: 

Ueber Kriegsaeurosen (mit Lichtbildern ind kinematograpbiechen 
Aufnahmen). 

Mit der Dauer des Krieges hat die Zahl der nervenkranken Krieger 
erheblich angenommen. Dagegen sind die organischen Nervenleiden 
dank der zweckmässigen Prophylaxe des Sanitätswesens keineswegs be¬ 
sonders zahlreich. Unangenehm ist die Zahl der Neurotiker, besonders 
die der Hysteriker, die bis vor kurzem unaufhaltsam zunahm. Die Epi¬ 
leptiker, ßasedowiker und Neurastheniker (welch letztere Vortr. zu den 
körperlich durch Störung der inneren Sekretion bedingten Kranken 
rechnet) lässt Vortr. hier ausser acht. Heute interessieren die Nerven- 
versager, deren Leiden durch Lähmung bzw. Reizung gewisser Nerven- 
ond Muskelgruppen bedingt ist. Ihre Zahl wuchs enorm an. Tausende 
sind schon entlassen; sie bilden überall den Gegenstand warmherzigen 
Mitleids; sie finden durch Behörden und gewerbsmässige Bittsohriften- 
steller, auch durch Aerzte, deren Hirn weniger als das Herz leistet, Bei¬ 
hilfen zu höheren Renten, Badekuren, zur Erlangung eines neuen und 
besser bezahlten Berufes. Hier entwickeln sich zusehends Querulanten, 
welche auch vor ihren früheren Beschützern nicht Halt machen. Aehn- 
liohes wurde schon im Anfang des Krieges aus Frankreich kund. Auch 
in Oesterreich scheint das Leiden um sich zu greifen. Durch die Wiener 
Klinik Wagner sind.schon mehr als 36 000 Neurotiker gegangen. So 
schlimm ist es bei uns noch nicht. Wichtig ist die Frage rechtzeitiger 
Beurteilung und Behandlung. 

Keine andere seuchenartig auftretende Krankheit bildet so günstige 
Aussichten und Heilerfolge wie die Kriegsneurosen, deren wir planmässig 
Herr werden können und müssen. Mit der Kriegsneurose muss aufge¬ 
räumt werden. Nach einem Erlebnis, Schreck, Verschüttung stellt sich 
z. B. Taubheit und Stummheit ein. Zuweilen ist das Hörvermögen nur 
für bestimmte Geräusche vermindert oder die Sprache ist flüsternd, 
stotternd. In Uchtspringe, dem Speziallazarett für das ganze IV. Armee¬ 
korps, gab es 72 solcher schweren Fälle; alle wurden mit einer Aus¬ 
nahme geheilt. Seltener sind Seh-, Geruchs- und Geschmack&stÖrungen. 
Lähmungen der Muskelgruppen, einzelner und mehrerer Glieder mit und 
ohne Aufhebung des Gefühls, wobei keine Verletzung der Nerven oder 
Centren nachweisbar ist, sind häufig. Zuweilen geseilt sich einer Ver¬ 
letzung die Störung eines benachbarten Nerven zu; 114 solcher Fälle 
wurden sämtlich geheilt. Viele Blasenstörungen erweisen sich als rein 
funktionell. Unheimlicher sind krankhafte Reizungszustände, z. B. 
Zuckungen einer Körperhälfte oder Muskelgruppe, die Zitterer, Schüttler 
und Torkler, die angestaunt, bemitleidet und beschenkt werden. Die 
Kranken müssen zuweilen ständig das Bett hüten; 300 Kranke wurden 
hier ohne Ausnahme in kurzer Zeit, meist in einer Sitzung, beschwerde¬ 
frei gemacht. Häufig ist Ischias nach Erkältung; monatelang bestehend, 
wird sie in einer Sitzung beseitigt. Viele werden reizbar, ungemütlich, 
bekommen Krämpfe, kratzen und beissen. Sich selbst überlassen be¬ 
ruhigen sie sich bald. Andernfalls steigern sich die Symptome bei un¬ 
zweckmässiger Pflege und Verzärtelung. Oft fälschlich als Epileptiker 
angesprochen, stecken sie rasch andere Kranke an. Schädlich ist manche 
Lektüre, z. B. Meyrink’s Golem. Bald nach Inkrafttreten der Unfall¬ 
versicherungsgesetze war eine Zunahme der Neurosen beobachtet worden. 
Zur Unfallneurose batte nicht so sehr der Unfall wie mancherlei Be¬ 
gehrungsvorstellungen und unbewusste Nachahmung den Grund gelegt. 
Der bleibende Gewinn der ärztlichen Forschung war die Erkennung, dass 
der körperlichen Schädigung nur eine unbedeutende Rolle zukommt. 
Gegen die „Psychoneurose“ wurden befriedigende Heilmethoden erfunden. 

Unter den Neurotikern des Krieges befand sich mancher Unfall¬ 
rentner. In den Gefangenenlagern war bei allen Staaten die Zahl der 
Neurotiker auffallend geringer. Das drängte zu der Vermutung, dass 
nicht schwere Unfälle und ihre körperlichen Schädigungen die Neurose 
ausgelöat hatten. Vielmehr war erst in der Rückerinnerung an Heimats¬ 
erlebnisse, durch Wiedererzählung die Psychose entstanden; zuweilen 
hatte ein eigentlicher Unfall nicht Vorgelegen; wohl aber lag oft minder¬ 
wertige Geistesbeschaffenheit vor. 

Die Nervenärzte haben sich übereinstimmend dahin ausgesprochen, 
dass die meisten Neurosen ein seelisches, aber heilbares Leiden dar¬ 
stellen. Es ist keine körperlich bleibende Schädigung. 

Aus krankhafter Vorstellung heraus entspringt mannigfache Störuog, 
die sich je nach der Umgebung und Behandlung verliert oder üppiger 
wird. Die Nervenschwächlinge sind für den Frontdienst untauglich, aber 
zum übrigen Heeresdienst und Friedensberuf tauglich. 

Vorbeugung ist das oberste Gebot der Bekämpfung. Die Ausmerzung 
dieser Leute aus der vorderen Kampflinie ist geboten, aber nicht immer 
durchführbar. Aber auch ganz gesunde Leute werden zuweilen Hysteriker. 
Der Vorschlag, die Leute, die im Trommelfeuer stehen, durch Nacotica 
abzustumpfen, ist verfehlt, weil dadurch die Stoss- und Entschlusskraft 
geschädigt wird. Häufig treten die Störungen zudem nicht sofort auf. 
Heimatserinnerungen, unbewusste Nachahmung, seelische Uebertragung 
haben überragende Bedeutung; oft entsteht die Psychose erst auf dem 
Transport, auf Urlaub oder im Heimatslazarett. Brutstätten sind manche 
Lazarette und Lazarettchen zumal des Harzes. Nicht die Kurorte sind 
daran schuld, sondern die behelfsmässigen Lazarette ohne Disziplin und 
Anhalt zu körperlicher Arbeit. 

In jedem Korpsbereich heilt jetzt das Spezial-Nerven-Lazarett 
90pCt. der Neurosen schnell. Keine Neurose wird entlassen, ohne dass 
alle Methoden zur Anwendung kommen. Ein Wettstreit ist unter den 
Lazaretten und Aerzten entbrannt. Die Neurosen nehmen zusehends ab. 


Tausende erwachen zu frischem Lebensmut. Alle Neurosen, auch die 
entlassenen Fälle müssen solchen Lazaretten zugeführt werden. — Die 
Behandlung findet mit Dauerbädern, Isolierung, Hypnose und Suggestion 
mit elektrischen Strömen statt. 

Das Dauerbad ist wertvoll bei Bekämpfung motorisoher Reizzustände, 
z. B. hysterischen Tremors, auch bei Lähmungen. Gute Wirkung hat 
zuweilen die Verlegung auf die Wach-Abteilung der Irren-Anstalt. Der 
Anblick wirklicher Kranken und schwerer epileptischer Anfälle macht 
einen mächtigen, heilenden Eindruck. Das Isolierzimmer mit Wartung 
durch schweigend geschulte Pfleger erzielte Gutes (Binswanger). 
Immer ist die Zustimmung für die Verlegung in die Irren-Abteilung 
seitens des Sanitätsamtes einzuholen, um Vorwürfen vorzubeugen. Nonne 
sah gute Erfolge von der Hypnose. Vortr. wendet sie nur selten und 
in einer Sitzung an. Mehr kann vom Uebel sein. Es ist nicht un¬ 
bedenklich, mit häufiger Hypnose eine Krankheit zu heilen, die auf 
krankhafter Willenskraft beruht. Unwürdig ist es, ganze Säle mit Sol¬ 
daten auf einmal in Hypnose zu versetzen. 

Wesentlich ist vor allem die Diagnosticierung durch den Arzt, und 
dass er selbst von der Heilbarkeit überzeugt ist. Er muss gegen sich 
ebenso streng wie gegen den Kranken, bei allem Wohlwollen energiseh 
sein. Die Methode Kaufmann’s der psychischen Ueberrumplung mit 
sinusoidalen Strömen ist in Preussen jetzt verboten. Vortr. bat sie 
nicht angewendet. Aber K. hat sich durch sein mutiges Vorgehen grosse 
Verdienste erworben. 

Vortr. verfährt fast wie vor 25 Jahren: Der Kranke wird in Gegen¬ 
wart aller Aerzte vom Chefarzt begutachtet. Es wird ihm dargetan, dass 
sein Leiden heilbar, viele andere gleichfalls geheilt sind, dass der Arzt 
ihn in 24 Stunden heilen werde. Die Soldaten werden nur mit einer 
Badehose bekleidet, auf eine Bahre gelagert. Der Arzt streicht und 
spannt dio Gliedmaassen, zwingt sie zu aktiven Bewegungen und ver¬ 
sichert unablässig, dass Tremor und Lähmungen verschwinden werden, 
dass schon eine Beruhigung oder Bewegung eingetreten ist. Dann 
streicht er mit der faradischen Hand (besser ist es, dass der Arzt den 
Strom zugleich fühlt), mit schwachem Srom beginnend, die gesamte 
Oberfläche, zuerst die gesunden, dann die kranken Giiedmaassen. 

Nun tritt die Heilung immer deutlicher in Erscheinung. Es folgen 
methodische, aktive und passive Bewegungen und Freiübungen nach 
militärischem Kommando unter reger Mitarbeit des Arztes, der sich nicht 
schonen darf, immer gleichmässig ruhig und freundlich bleiben muss. 
Je geschickter der Arzt, desto weniger Strom ist nötig. Plötzlich ruft 
man dem Tauben zu: Sie haben ja eben gehört! Und er hört. Den 
Stummen braucht man nur zur Ausstossung eines Lautes zu bringen. 

Das ist die Psychofarapädie; 600 Kranke, darunter viele schwere 
wurden in Uchtspringe in den letzten Monaten behandelt. Körperlich 
herunter gekommene oder komplizierte oder seelisch reizbare oder sonst 
scheu gewordene Personen werden erst einer stärkenden Diät unterzogen. 
Auch Briefsperre ist zuweilen unerlässlich. 

Die Dauer der Behandlung schwankt zwischen Minuten und Stunden. 

Die Filme zeigen die Störungen und den Zustand der Heilung 
wenige Stunden oder Tage nach der Behandlung. 

Vor der Hysterie strecke man nie die Waffen. Aber ausser dem 
Arzt muss die gesamte geistige Atmosphäre um den Kranken mit Tau¬ 
senden von „Heil-Ionen“ gesättigt sein, die den Ankömmling unbewusst 
überlagern und ihm beibringen: Hier wird und muss dir geholfen werden 
Am Tage der Ankunft bekommt er Bad und Schlafmittelt; meist ist 
letzteres nicht nötig. Die Geheilten lühren ihren Kameraden spontan, 
das Wunder der Heilung vor. Die Meisten wollen geheilt werden; nicht 
Rentensucht (die erst später entsteht), sondern Scheu vor weiterem 
Frontdienst ist die Ursache der Rückfälle. Viele Aerzte sind zu frei¬ 
giebig mit der d. u. Erklärung. Rückfälle verhütet man oft, indem 
man die Leute nicht zum Ersatzteil schickt, sondern sie einer Arbeits¬ 
therapie unterzieht. Mode. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Wir eröffnen diesen Jahrgang mit den lichtvollen 
Referaten über die künstliche Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft, die in der Berliner medizinischen Gesellschaft erstattet wurden. 
Die Aussprache hierüber wird in den folgenden Nummern erscheinen. 

— Am Weihnachtsabend sind zwei hervorragende Gelehrte dahin- 
gegangen: in Leipzig starb der ausgezeichnete Anatom Carl Rabl, der 
vorher den anatomischen Lehrstuhl in Prag inne gehabt hatte — in 
Berlin der Altmeister der deutschen Gynäkologie, W. A. Freund im 
Alter von 84 Jahren. Freund lebte hier im Ruhestande, nachdem er, 
70jährig, die Strassburger Professur niedergelegt hatte, noch bis zu 
seinem Todo mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Sein Name ist 
mit wesentlichen Fortschritten auf dem Gebiete der Frauenheilkunde 
eng verknüpft, deren eingehende Würdigung einem besonderen Nachruf 
Vorbehalten bleibt. 

— Unser verehrter Kollege Prof. Dr. H. Oppenheim feierte am 
1. d. M. seinen 60. Geburtstag. Was Oppenheim für die Neurologie 
bedeutet, ist den deutschen Aerzten und den Lesern dieser Wochen¬ 
schrift, zu deren treuesten Mitarbeitern wir ihn rechnen dürfen, wohl 
bekannt. Wir begnügen uns deshalb damit, ihm auch an dieser Stelle 
unsere besten Glückwünsche zum Ausdruck zu bringen. 


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24 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 1. 


Aach Carl Ben da, der Prosektor des Krankenhauses Moabit und 
derzeitiger Schriftführer der Berliner medizinischen Gesellschaft beging 
am SO. Dezember, begleitet von den Glückwünschen seiner Schüler und 
Freunde, den 60. Geburtstag. 

— Bei Gelegenheit der Tagung der Aerztlichen Abteilungen der 
Waffenbrüderlichen Vereinigungen Deutschlands, Oester¬ 
reichs und Ungarns vom 23.-26. Januar 1918 wird seitens der 
Berliner Aerzteschaft für die fremden Gäste ein Empfangsabend geplant. 
Dem kollegialen Zusammensein soll ein Konzert vorangehen, bei dem 
neben der Chorvereinigung Berliner Aerzte auch eine Reihe künstlerisch 
hervorragender Aerzte als Solisten mitwirken werden. Auch ist, wie 
wir hören, seitens der Stadt Berlin ein Empfang im Rathaus beabsichtigt. 

— Vom 21.—28. Januar 1918 findet im Langen beck-Vircbow-Hause 
eine von der Berliner Prüfstelle für Ersatzglieder im Verein mit der 
österreichischen Prüfstelle veranstaltete wissenschaftliche Ver¬ 
sammlungstatt. Die Hauptthemen sind: „Leistungen Schwerbeschädigter 
in Industrie und Landwirtschaft; Operationserfolge und Apparatbehand¬ 
lung bei Lähmungen, Pseudarthrosen, pathologischen Stümpfen; der 
willkürlich bewegte Arm.“ Die Herren Kollegen, die an der Verhandlung 
teilzuuehmen wünsohen, werden gebeten, sich spätestens bis zum 
15. Januar bei dem Kustos des Langenbeck-Virchow-Hauses, Herrn Melzer, 
zu melden. 

— Wie aus Paris gemeldet wird, hat dort am 3. November eine 
Versammlung französischer, englischer, amerikanischer, belgischer und 
serbischer Mitglieder der Internationalen Gesellschaft für Chir¬ 
urgie stattgefunden, welche beschlossen hat, die Gesellschaft aufzulösen, 
den deutschen und österreichischen Mitgliedern ihren Anteil am Ver¬ 
mögen auszuzahlen und nach dem Hriege, mit Ausschluss derselben, 
eine „Sociötö interallieö de Chirurgie“ zu gründen, der auch 
Neutrale angehören dürfen. Dass ein derartiges, freundliches Boykot¬ 
tieren unserer Landsleute und Verbündete seitens einiger französischer 
Hitzköpfe geplant wird, ist uns schon lange bekannt — man würde auch 
selbst in den Kreisen, die früher den internationalen Bestrebungen ihre 
Kräfte gewidmet haben, für ein derartiges Vorgehen höchstens ein 
Achselzucken, aber keinerlei Erregung übrig haben. Es wird auch nie¬ 
mand den Mitgliedern aus den genannten Staaten verwehren wollen, 
wenn sie sioh zu medizinischen Kongressen oder Gesellschaften zu- 
sammenschliessen — vielmehr wird man gerade in solcher ^Absicht 
einen neuen Ansporn zu möglichster Unterstützung und tatkräftiger 
Förderung unserer Waffen brüderlichen Vereinigung erblicken. 
Uebrigens möchten wir hinter die Pariser Nachricht selbst ein 
kleines Fragezeichen machen und ruhig ab warten, ob es sich hier 
nicht um einen blossen Versuchsballon handelt. Es ist doch sehr frag¬ 
lich, ob der schöne Plan wirklich die Zustimmung der Majorität erhalten 
würde; wir bezweifeln insbesondere, ob alle Neutralen für eine solche 
Brüskierung Deutschlands zu haben sein würden. Aber selbst die 
„Sociötö interalliöe“ scheint uns, seit den neuesten Ereignissen, auf ziem¬ 
lich schwachen Füssen zu stehen — die „Verräterbande“ in Russland, 
mit der wir im Begriff sind, uns friedlich zu vertragen, wird sich doch 
wohl auch den höchsten Zorn der übrigen Ententemitglieder zugezogen 
haben und schwerlich in Gnaden aufgenommen werden! Wir wollen 
jedenfalls die weitere Entwickelung in Gemütsruhe abwarten — wünschen 
die Herren, nachdem sie auf den Schlachtfeldern ihre Ziele nicht er¬ 
reicht haben, auch allmählich lernen mussten, auf den wirtschaftlichen 
Krieg nach dem Frieden zu verzichten, den Kriegszustand auf wissen¬ 
schaftlich-ärztlichem Gebiet in Permanenz zu erklären — habeant sibi! 
Es wird auch so gehen. P. 

— Das kurz vor Kriegsausbruch geschaffene Leichtkrankenhaus der 
Stadt Berlin in Plötzensee hat nunmehr den Namen „Krankenhaus am 
Südufer“ erhalten und nimmt Kranke aller Art auf. 

— Der Umfang der Ruhrerkrankungen im Sommer und Herbst 1917 
legt die Befürchtung nahe, dass die Ruhr auch im kommenden Winter 
nioht völlig verlöschen und bei Beginn der wärmeren Jahreszeit wieder 
in erhöhtem Maasse auftreten wird. , Es ist daher unerlässlich, den 
winterlichen Ruhrerkrankungen vermehrte Aufmerksamkeit zuzuwenden. 
Der Minister des Innern ersucht deshalb dahin zu wirken, dass Er¬ 
krankungen mit blutig-schleimigen Durchfällen allgemein als Ruhr an¬ 
gesehen werden. Bei den im Winter auftretenden Ruhrerkrankungen 
wird durch ausgedehnte Umgebungsuntersuchungen auf Kranke mit 
leichten Erscheinungen sowie besonders auf chronische Kranke (Bacillen¬ 
träger) zu fahnden sein. — Zur Behandlung von Ruhrkranken stellt die 
Firma Ruete-Enoch & Co. in Hamburg neuerdings einen Impfstoff unter 
dem Namen „Ruhrheilstoff-Boehnoke“ her, der sioh von dem in 
einem früheren Erlass empfohlenen Impfstoff „Dysbakta-Boehnke“ da¬ 
durch unterscheidet, dass er kein freies Dysenterietoxin enthält. Mit 
diesem Ruhrheilstoff sind bereits gute therapeutische Erfolge erzielt 
worden. Er ist ebenfalls bei der genannten Firma unmittelbar oder 
durch die Apotheken erhältlich. 

— Die Regelung der Kranken Versorgung ist in Berlin in folgen¬ 
der Weise erfolgt: Wer in ein Krankenhaus, gleichgültig, ob ein öffentliches 
oder privates, aufgenommen zu werden wünscht, hat sich, ausser wenn 
ein driugender Notfall vorliegt, vorher bei seiner zuständigen Brot¬ 
kommission eine Abmeldebescheinigung erteilen zu lassen und seine 
Lebensmittelkarten abzugeben. Einwohner Gross-Berlins, die in ein 
Gross-Berliner Krankenhaus gehen wollen, haben bei der Abmeldung 


auch ihre Brot- und Fleischkarten abzugeben, ohne dass ein Umtausoh 
der Brotkarten gegen Reisebrotmarken erfolgt. Bei Entlassung aus dem 
Krankenhaus muss der Kranke sich bei der Brotkommission des Kranken¬ 
hauses einen Abmeldeschein besorgen, der ihm den weiteren Bezug von 
Karten ermöglicht. 

— Die vom Landeshilfsverein in österr. Schlesien erbaute Lungen¬ 
heilstätte in Oberschaar bei Olbersdorf ist nunmehr fertiggestellt 
worden und seit Mitte August bereits teilweise belegt. 

— In der ausserordentlichen Generalversammlung der „ Witwen- 
undWaisensooietät des Wiener medizinischen Doktorenkollegiums“ 
vom 20. Dezember wurde Dr. Ferdinand Steiner zum Präses der 
Societät gewählt. Die Societät ist ein durch van Swieten ins Leben 
gerufenes und von der Kaiserin Maria Theresia mit verschiedenen 
Privilegien ausgestattetes, versioherungstechnisch aufgebautes und 
finanziell reichfundiertes Wohlfahrtsinstitut, das unter relativ sehr gün¬ 
stigen Bedingungen den Witwen und Waisen nach Aerzten unpfändbare 
Jahrespensionen bietet. 

— Verlustliste. Gefallen: Oberarzt d. R. Friedrich Decker- 
Lemberg, Oberarzt d. L. Hans Diefenbach-Stuttgart, Marine-Ober¬ 
stabsarzt d. R. Arnold Ebeling-Lauenstein, Assistenzarzt Peter 
Paul Hollaender-Naumburg, Feldhilfsarzt Herbert Tröbs-Hart- 
mannsdorf. — Infolge Krankheit gestorben: Oberstabsarzt d. R. 
Bernardin Bosch-Ursendorf, Assistenzarzt d. R. Karl Buss-Darm¬ 
stadt. Oberstabsarzt d. L. Georg D euer lein-Nürnberg, Kommandantur- 
arzt Diedrich Hergens-Saarow. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (9. bis 
15. XII.) 4. — Fleckfieber: Deutsches Reich (9.—15. XII.) 1. 
Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau (25. XI. 
bis 1. XII.) 907 und 67 +. — Rüokfallfieber: Kaiserlich Deut¬ 
sches Generalgouvernement Warschau (25. XI.— 1. XII.) 63.— 
Genickstarre: Preussen (2.-8. XII.) 7 und 8 f. Sohweiz (25. XI. 
bis 1. XII.) 2. — Spinale Kinderlähmung: Preussen (2.—8. XII.) 1. 
Sohweiz (25. XI.—1. XII.) 1. — Ruhr: Preussen (2.-8. XII.) 162 
und 24 f. (25. XL—1. XII.) 11 und 2 +. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp in Altenburg, Berlin- 
Lichterfelde, Halberstadt, Lehe, Ludwigshafen; Keuchhusten in Wanne; 
Typhus in Hamm, Wanne. (Veröff. d. Kais. Ges.Amts.) 

Hoohschu ln ach richten. 

Berlin. Prof. Spitta wird dem Rufe nach Bern als Direktor des 
Hygienischen Instituts nicht Folge leisten. Marburg. Habilitiert: Dr. 
Vogt für Anatomie. München. a.o. Prof, für Gewerbehygiene Kaup 
wurde zum MinisterialsanitätsiDspektor in Wien ernannt. Tübingen. 
Prof. Gau pp hat den Ruf nach Heidelberg als Ordinarius für Psy¬ 
chiatrie abgelehnt. Wien. Prof. Mauthner, der bekannte physiolo¬ 
gische Chemiker, ist infolge eines Unglücksfalls plötzlich gestorben. 
Budapest. Hofrat Tangl, Direktor des Physiologischen Instituts, ist 
gestorben. 


Amtliche Mitteilungen. 

Person allen . 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden IV. Klasse: Geh. San.-Rat 
Dr. Pacully in Ratibor, Kantonal- und Bahnarzt San.-Rat Dr. Stach 
von Goltzheim ln Duss. 

Königl. Kronenorden III. Klasse: Mar.-Gen.-Ob.-A. a. D. Dr. Fricke. 

Niederlassungen: Aerztin Dr. Martha Samter in Charlottenburg, 
Dr. Karl Rudolf in St. Hubert (Kr. Kempen), H. Krogmann in 
Wald (Ldkr. Solingen). 

Verzogen: Dr. 0. Feldmann von Blankenburg in Thür., Dr. H. Gug- 
genheimer von Berlin und Dr. F. Miedreich von Bonn nach Char¬ 
lottenburg, Dr. E. Henrich von Strausberg nach Neukölln, Dr. E. 
Bilioki von Rendsburg nach Bergenhusen (Kr. Schleswig), Dr. W. 
Stadion von Berlin-Steglitz nach Halle a. S., Aerztin Dr. H. Hillger 
von Hamburg nach Hannover, St.-A. d. R. Dr. Ernst Kluge aus dem 
Felde nach Celle, Dr. Karl Hess von Berlin-Steglitz nach Marburg, 
Dr. 0. Braendlein von Breslau und Aerztin Dr. Paula Kipp von 
Göttingen nach Frankfurt a. M., Dr. K. Beokey von Frankfurt a. M. 
nach Giessen. 

Gestorben: Kreisarzt Med.-Rat Dr. K. Steinkopff in Merseburg, 
Gen.-Ob.-A. Prof. Dr. Franz Hoffmana, Geh. San.-Rat Dr. J. Lasch 
und Ob.-St.-A. a. D. Dr. E. Mae der in Berlin, Geh. San.-Rat Dr. 
Paul Meyer in Berlin-Sohöneberg. 


Druckfehlerberichtigung. 

Im Bericht der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven¬ 
krankheiten muss es in Nr. 52 dieser Wochenschrift in den Diskussions¬ 
bemerkungen des Herrn Oppenheim heiBsen: auf S. 1248 Zeile 23 von 
unten statt Jagner Wagner, S. 1248 Zeile 13 von unten statt welcher 
welchem, S. 1248 Zeile 6 und 7 von unten statt dem Teufel trauen 
den Teufel tuen, S. 1249 Zeile 1 von oben fehlt hinter alle das Wort 
Neurosen, S. 1249 Zeile 16 von oben Btatt unseres unserer. 


Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Hans Kohn, Berlin W, Bayreuther Str.43. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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Dl« B«rl!n«r Klinlaeh« Woeheöachrlft er*cheiot % w | *1 % ^ ^TV Alle ftasetidangen für die Redaktion ood ftxpedltioi 

MoDtef in Nnmmern tod ca. 3—6 Bogen gr. 4. — !_• Ijl II I I ^1 Ifl II wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 

Preis vierteljlhrlich 7 Mark. Bestellungen nehmen r\ H rv I .1 1 %| H l\ August Hirschwald in Berlin HW., Unter den Linden 

alle Buchhandlungen und Postanstalten an. | || Jl l llJB 1 1 | J 1 jj Mr. 68, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

(Ml Med.-R&t Prof. Dr. C. Posoer uod Prot Dr. Hans Koho. Aagast Hirschwald, Verlagsbachhandlang ifi Berlia. 

Montag, den 14. Januar 1918. M2, Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiltliei: Klieneberger: Die Weil’sche Krankheit. (Illustr.) S. 25. 
Esser: Säuberung und Verheilung stationärer Knochengeschwüre 
durch Deckung mit gestielten Lappen. (Illustr.) S. 31. 
Chotsen: Die zukünftige Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 
S. 32. 

May: Einwände gegen Verminderung des Schweinebestandes. (Fort¬ 
setzung.) S. 36. 

Bfteherbesprecliugei: Liepmann: Das geburtshilfliche Seminar. S. 38. 
(Bef. Schaeffer.) — Chvostek: Morbus Basedowi und die Hyper¬ 
thyreosen. S. 38. (Bef. Frey.) 


Die Weil’sche Krankheit. 

Kritisch-klinische Studie. 

Von 

Prof. Dr. C. Klieneberger, 

Chefarzt eines Seuchenlazaretts, Stabsarzt d. Res., dirig. Arzt des städr. Krankenhauses 
Zittau i. 8. 

Kriegsforschung und Kriegsuntersuchung haben unsere Er¬ 
fahrungen über das Krankheitsbild der „Weil’schen Krankheit“ 
erweitert. Durch neue ätiologische und anatomische Feststellungen 
wurde die Pathogenese des infektiösen Icterus klargestellt. Da¬ 
mit Ist die Voraussetzung für eine hygienische Prophylaxe und 
für die Ausarbeitung spezifischer Therapie gegeben. Die klinische 
Diagnostik wurde durch diese Ergebnisse noch wenig gefördert. 
Der direkte Nachweis der Spirochäten gelingt beim Lebenden kaum 
(sogar bei Verstorbenen nur gelegentlich). Eine brauchbare Methode, 
die Erreger aus ihren Produkten zu erkennen, liegt noch nicht vor. 
Die einfachen Serumprüfungen, wie Agglutination oder Kom- 
plementbindung haben versagt. Der indirekte Nachweis aber 
(Uebertragung der Krankheit durch defibrmiertes Blut auf Meer¬ 
schweinchen) ist umständlich und versagt oft, selbst in der ersten 
Krankheitswoche. So werden anatomische oder bakteriologische 
Kontrollen nur ausnahmsweise diagnostisch zweifelhafte, schwere 
Icterusformen oder nicht leicht abgrenzbare, akute Infektionen 
und Intoxikationen klären können. Noch weniger werden solche 
Prüfungen für die Klärung leicht und einfach verlaufender Formen 
in Frage kommen. Es muss deshalb noch strittig bleiben, ob 
und wie hänfig ohne Gelbsucht verlaufende Weilkrankheit vor¬ 
kommt. (v. Hecker und Otto, Uhlenhuth-Fromme, Gross 
und Magnus-Alsleben.) 

Da demnach das klinische Urteil einstweilen auch für epi¬ 
demiologische Fragen maassgebend bleiben muss, wird unser Be¬ 
streben anf schärferes Herausarbeiten des Weiltyps durch Er¬ 
weiterung des klinischen Symptomenkomplexes unter weitgehender 
Verwertung der Anamnese gerichtet bleiben müssen. Dann wird 
es gelingen, anch leichtere und atypische Formen der Weil’schen 
Krankheit von anderen Icternsformen hzw. von anderen Erkran¬ 
kungen zu trennen. 

So ausgezeichnet in grossen Zügen die Weilkrankheit in der älteren 
Literatur von Weil 1 ) und besonders von Fiedler 2 ), in der neueren von 

1) Weil, Ueber eine eigentümliche mit Milztumor, Icterus und 
Nephritis einhergehende Infektionskrankheit. D. Arch. f. klin. M., 1886. 

2) Fiedler, Zur Weirschen Krankheit. D. Aroh. f. klin. M., 1886. 


Literatur-Auszüge; Physiologie. S. 39. — Therapie. S. 39. — Para¬ 
sitenkunde und Serologie. S. 40. — Innere Medizin. S. 40. — 
Hygiene und Sanitätswesen. S. 41. — Soziale Medizin. S. 41. — 
Militär-Sanitätswesen. S. 41. 

Verhaidlingen ärztlicher Gesellschaften: Medizinisohe Sektion 
der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Gultur 
zu Breslau. S. 41. — Medizinisohe Gesellschaft zu Kiel. 
S. 42. — Freiburger medizinisohe Gesellschaft. S. 43. 

Kriegsärztliohe Abende. S. 48. 

Tagesgesohiohtl. Notizen. S.44. — Amtl. Mitteilungen. S. 44. 


Bömberg 1 ) und von v. Hecker und Otto 2 ) u. a. 8 ) geschildert ist, 
im einzelnen ist die Klinik der Zustands- und Verlaufsbilder nioht un- 
erhebliob erweiterungsfähig. Das gilt besonders für die lückenhafte Dar¬ 
stellung der Komplikationen und Nachkrankheiten, deren späte Fest¬ 
stellung mitunter sogar erst die Differentialdiagnose gestattet. Das gilt 
für die Stoffwechselanomalien nnd für die Funktionsstörungen ganzer 
Organsysteme, das gilt weiterhin für vorläufige und definitive, pro¬ 
gnostische Erwägungen, sowie für die Begründung symptomatisch thera¬ 
peutischer Maassnahmen, solange eine spezifische Therapie noch nioht in 
Frage kommt. 

Meiner speziellen Bearbeitung lege ich ein grösseres Beobachtungs¬ 
material aus 3 Jahren, im besonderen eine Jahreskasuistik von 46 Er¬ 
krankungen mit 6 Todesfällen zugrunde. 

Nach den Untersuchungen der letzten Jahre ist die Spiroohäte 
nodosa 4 ), ioterogenes 6 ), ioterehaemorrhagica 8 ) der Erreger der „soge¬ 
nannten Weirschen“ Krankeit. Der Modus der Uebertragung des Er¬ 
regers auf den Menschen ist ungeklärt. Gelegentlich vorkommende 
Laboratoriumsinfektionen durch Virusblut (Uhlenhuth-Fromme) oder 
durch Beinkulturen (Gonders) beweisen, dass die direkte Uebertragung 
möglich ist und verhängnisvoll werden kann. Diese direkte Infektion 
erfolgt ähnlich wie bei der öfters in Parallele gesetzten Malaria sicher 
nur ausnahmsweise zufällig oder bei Laboratoriumsarbeiten. So ist auoh 
beim Icterns infeotiosus Spitalansteckung von Person zu Persou, Er¬ 
krankung von Pflegepersonal, von mit Weilkranken zusammenliegenden, 
andersartigen Kranken, von Truppen oder Zivilpersonen in der Nähe 
von Weil-Stationen weder im Frieden noch im Kriege beobachtet worden. 
Weder früher, da man Isolierung, Desinfektion der Dejekte, Schutz vor 
Insekten für unnötig hielt oder verabsäumte, noch neuerdings, seit man 
Sperrmaassregeln anwendet. — Versuche übrigens, durch zerkleinerte 
Läuse weilkranker Meerschweinchen oder duroh Einspritzung zerriebener 
Mücken (aus Seuchengegenden) die Krankheit zu übertragen, sind ge¬ 
scheitert. 

Im Frieden wurde der Icterns infeotiosus besonders bei Fleischern 
und Soldaten beobachtet. Nach den Sanitätsberichten 1905—1908 
(v. Hecker und Otto, 1. o.) zeigten kleinere Militärepidemien streng 
lokalen Charakter; der Höhepunkt des Zustroms fiel auf die Sommer¬ 
monate Juli-August (im Gegensatz zuHennig, weloher den Krankheits¬ 
höhepunkt in den Herbst- und Wintermonaten verzeichnete). Gleich¬ 
zeitig fehlten ähnliche Erkranknngen in der Zivilbevölkerung oder 

1) Bömberg, J. v. Mering’s Lehrb. d. ino. Med., 1911. 

2) v. Hecker nnd Otto, Vöff. MilitSanitätsw., 1911. 

3) Trembur und Schallert, M. Kl., 1916, Nr. 16. — Bäumler, 
D.m.W., 1916, Nr. 42. — Schott, D.m.W., 1916, Nr. 48. — Gross 
und Magnus-Alsleben, M.m.W., 1917, Nr. 3. 

4) Huebener nnd Beiter, D.m.W., 1915, Nr. 43 u. a. a. 0. 

5) Uhlenhuth und Fromme, Zschr. f. Immun.Forsch., 1916, Bd. 25, 

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6) Ido und Inada, vgl. Pick, B.kl.W., 1917, Nr. 19 u. 20. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 



wurden nicht in gehäufter und auffallender Weise beobachtet. Nach | 
v. Hecker und Otto besteht, abgesehen von mangelhafter Diagnostik | 
und leichterem Verlauf der Krankheit, bei der Zivilbevölkerung natür- j 
liehe oder erworbene Immunität („an die Oertlichkeit gebundene, ende- I 
misch vorkommende Krankheit“). Ferner sollen, nach Haften des An- , 
steckungsstoffes, schwere Arbeit und Ansteckung Voraussetzung der | 
schwereren Erkrankung sein. (Schwimmschüler, Fleischer). — Uhlen- | 
huth und Fromme haben die meisten Erkrankungsfälle im Spätsommer 
und Herbst festgestellt und die Notwendigkeit kra'nkheitsauslösender 
Hilfsmomente nicht hervorgehoben. 

Nach meiner speziellen Jahresstatistik 1916—1917 verteilt sich der 
Zugang an Icterus infectiosus mit Ausschluss der Frühlingsperiode auf das 
ganze Jahr 1 )- Hochsommer und Frühherbst zeigen die meisten und 
schwersten Erkrankungen. (Kurve der Todesfälle.) Aus meiner Kasuistik 
ergibt sich nicht, dass besonders erhebliche Anstrengungen als ursäch¬ 
liche Begleitfaktoren der Krankheit in Frage kommen. Ich kann auch nicht 
früherer Annahme, dass die Infektion an eine strenge Lokalisierung 
gebunden ist, beipflichten. Mein Material setzt sich gleichmässig aus 
Mannschaften, die in der Feuerstellung, wie solchen, die im Ruhequartier 
erkrankten, zusammen. Frontsoldaten, Armierungssoldaten und Arbeiter, 
im Innen- und Aussendienst Beschäftigte sind ohne gleichmässig er¬ 
kennbare Prädilektion erkrankt. 

Das Erkrankungsgebiet aber, aus dem mir in Jahresfrist nur 46 Er¬ 
krankungen zugingen, umfasst einen Bezirk von 23 km im Geviert, ein 
sumpfig waldiges Niederungsgebiet mit Wechsel von heissen, sonnigen 
und schwülen, regnerischen Tagen bis in den Spätherbst hinein. Die 
Winterkälte setzt, wenn überhaupt, spät ein. — Für alle Erkrankten 
war nach Oertlichkeit, Zeit und Quartier die Möglichkeit der Krankheits¬ 
übertragung durch stechende Insekten gegeben. Wiederholt konnte 
Uebertragung duroh Läuse, Wanzen, Flöhe oder Nagetiere ausgeschlossen 
werden. Wenn anders wirklich Infektion durch Stechmücken statthat, 
müssen für das Haften und die Organbeteiligung der Infektion besondere 
Begleitumstände erforderlich sein (Art und Lebensweise des stechenden 
Insekts [Generationswechsel usw.]), andererseits des Inficierten [allge¬ 
meine Disposition, Organdisposition usw.]). Sonst hätten wir in einem 
Armeebereich nicht sporadisch, sondern epidemisch auftretende Er¬ 
krankungen sehen müssen. Oder man müsste der Weil’schen Krankheit 
analog den Hecker’schen Deduktionen und unter Annahme einer nur 
gelegentlich vorkommenden Organdisposition eine Sehr grosse Ver¬ 
breitung einräumen und annehmen, dass nur wenige schwere, in der 
Regel mit Icterus verlaufende Fälle zu unserer Kenntnis gelangen. 
Aehnliche theoretische Erwägungen hat man schon für den Typhus, für 
die Ruhr und für das 5-Tagefieber angestellt, ohne dass diese Theoreme 
in praktischen Erfolgen genügende Stütze und Rechtfertigung fanden 3 ). 

Anatomische Vorbemerkungen. 

Für die Würdigung der anatomischen Erfahrungen gilt die Ein¬ 
schränkung, dass der Anatom bislang nur die schwersten Krankheits¬ 
formen studieren konnte. — Protokolle, bei denen leichte Weil’sche 
Krankheit Nebenbefund war, liegen nicht vor. 

Beitzke 3 ) schildert den infektiösen Icterus als „eine septische All¬ 
gemeinerkrankung, die ihr besonderes Gepräge durch allgemeine Gelb¬ 
sucht, massenhafte^ kleine BlutuDgen, eine schwere Nierenentzündung 
und Entartungen der Skelettmuskulatur erhält“. Eine analoge Be¬ 
obachtung wurde von Herxheim er 4 ) publiciert. An grösserem Material 
hat Pick 6 ) diese Befunde erweitert und eingeschränkt: „Besonders cha- 


• 1) Ich habe übrigens früher auch im Frühling WeiTsche Krankheit 
beobachtet: C. Klieneberger, Klinische und kritische Beiträge zur 
Differenzierung pathogener Proteusarten und Beiträge zur Wertung der 
Proteusagglutination. Zschr. f. Hyg., 1907. 

2) Für die Kasuistik von Uhlenhuth und Fromme übrigens, deren 
71 Fälle ebenfalls völlig zerstreut waren, gelten ähnliche epidemiologische 
Erwägungen. 

3) H. Beitzke, B.kl.W., 1916, Nr. 8. 

4) G. Herxheimer, B.kl.W., 1916, Nr. 19. 

5) L. Pick, B.kl.W., 1917, Nr. 19 u. 20. 


rakteristisohe makroskopische Veränderungen der Nieren 
können fehlen. Das in den Leberzellen angreitende 
Virus kann das mikroskopische Bild der akuten gelben 
Leberatrophie bewirken. Der charakteristische Muskel¬ 
zerfall über das Gebiet der Wadenmuskeln hinaus und 
an das Gefässnetz angeschlossene Zellinfiltrate kenn¬ 
zeichnen das anatomische Gesamtbild.“ — Ich kann im 
allgemeinen die SchilderuDg Beitzke’s bestätigen 1 ). 
Jedesmal autoptisch waren neben allgemeiner Gelb¬ 
sucht Leberveränderung, hämorrhagische Diathese und 
Muskelentartung feststellbar. Eine Milzschwellung 
fehlte oder war unbedeutend. Die von Beitzke als 
charakteristisch geschilderte makroskopische Nieren¬ 
veränderung habe ich vermisst. 

Nach diesen autoptischen Ergebnissen ist die 
Weil’sche Krankheit eine septisohe Allgemeininfektion 
mit hämorrhagischer Diathese. Die Prädilektion des 
Virus für die Leber ist aus der regelmässigen Fest¬ 
stellung von Icterus bei den Verstorbenen ersiohtlioh. 
Milzschwellung fehlte meistens oder war unbedeutend. 
Die Annahme, dass intra vitam Milzschwellung regel¬ 
mässig vorangegangen war und später sich dem Nachweis entzog, ist un¬ 
zutreffend. Bei den hier Verstorbenen wurde auch intra vitam 4 mal = 2 /s 
jede Milzschwellung vermisst. — Ueber die Art und Bedeutung der Nieren¬ 
erkrankung sind die Meinungen der Anatomen nicht konform. Da naoh- 
gewiesenermaassen ausheilende Krankheitsfälle ohne Albuminurie Vor¬ 
kommen, andererseits die mikroskopische Untersuchung, soweit angestellt, 
stets eine Mitbeteiligung der Nieren erwies, will Pick diese für den töd¬ 
lichen Verlauf verantwortlich machen. — Dem ist entgegenzuhalten, dass 
klinische und anatomische Feststellungen nicht immer übereinstimmen. 
Bei meiner Mortalkasuistik fehlte intra vitam im Gegensatz zu später 
festgestellten mikroskopischen Alterationen 2 mal = V 3 regelmässig jede 
Eiweissausscheidung, 1 mal = l />* waren nur Spuren Albumen nachweisbar. 

Klinische und anatomische Prüfung bei intra vitam und post mortem 
Untersuchten zeigen demnach, dass für die Diagnose der Weil’schen 
Krankheit weder Nachweis von Milzsohwellung noch von Nephritis Vor¬ 
aussetzung ist. Einmal nur scheint durch das Tierexperiment erwiesen, 
dass WeiTsche Krankheit ohne Icterus Vorkommen kann 2 ). Trotzdem 
bestand und besteht die Neigung, akute Krankheitsformen auch ohne 
Icterus, wenn sie zusammen mit sohweren Weil-Erkrankungen Vorkommen, 
als abortive Analoga aufzufassen. Wie weit aber solche Fälle wirklich 
diagnostisch erfassbar sind, das festzustellen ist Aufgabe der Klinik und 
weiterer Forschung und Erfahrung. 

Uebrigens werden für die klinische Lazarettbehandlung rudi¬ 
mentär ausgeprägte und atypisch verlaufende Fälle (also gerade leichte, 
etwa ohne Icterus verlaufende Formen) gewöhnlich ausfallen. — Natür¬ 
lich entziehen sich ebenso sehr schwere, rasch tödlich endigende Krank¬ 
heitsformen gemeinhin der klinischen Beobachtung in stationärem Laza¬ 
rett. — Nur ein Ausschnitt schwerer langer Behandlung bedürftiger 
Fälle bzw. festgestellter Krankheitsformen gelangen zur Aufnahme und 
Behandlung in Seuchenlazarette, in früheren Krankheitstagen oder nach 
Ablauf akuter, bedrohlicher Erscheinungen. Die Beobachtungen und die 
Notizen aus den allerersten Krankheit9tagen (verspätete Krankmeldung, 
Revieraufenthalt, Feldlazarett, Transport) sind vielfach ungenau oder 
nicht kritisch, zudem sind anamnestische Angaben von Soldaten klinisch 
recht häufig ungenügend oder durch Hin ein fragen mit Fixation bzw. 
Erinnerungstäusohung gefälscht Auch eine persönliche Statistik kann 
sich von den Fehlern der verschieden komponierten Massenstatistik 
duroh Rekonstruktion der Krankheitsgeschichte nur in gewissem Grade 
freihalten. 

Anamnestische Daten, erster Eindruck. 

Die Erkrankung setzte gewöhnlich akut mit Frösteln und Fieber 
(in V 3 der Fälle Schüttelfrost) und mit schweren Allgemeinersoheinungen 
ein. Die Angabe, dass im Beginn Erbrechen, Durchfall, heftiger Kopf¬ 
schmerz auftrat, ist häufig. Mitunter geht der plötzlich einsetzenden 
sohweren Erkrankung ein Vorstadium von einigen Tagen Unwohlsein 
voraus. Gar nicht so selten (9 pCt.) verläuft die Krankheit oder der 
erste Krankheitssohub zunächst subakut: Es bestehen leicht febrile 
Temperaturen mit abendlichem Frösteln, Störungen von Schlaf und Ver¬ 
dauung, langsam zunehmende Schwäche und Müdigkeit. Dabei können 
ausgeprägte Schmerzen gänzlich fehlen. Derartige Kranke tun mitunter 
9—14 Tage Dienst, ehe sie sich krank melden und mit mehr oder weniger 
ausgeprägter Gelbsuoht überwiesen werden. Meist allerdings erfolgt mit 
ausgesprochenem Krankheitsgefühl und starker Hinfälligkeit in den ersten 
Tagen der Zusammenbruch. Es besteht passive Bettlage, Unfähigkeit 
zu gehen und zu stehen, mit lokalen und ausgebreiteten schmerzhaften 
Organempfindungen oder allgemeiner nervöser Ueberempfindlichkeit. 
Soweit nicht im Beginn schon oder später Bewusstseinstrübung, Apathie 
und Somnolenz auftreten, wird über Schwindel, heftige (meist wochenlang 
anhaltende) Stirn- und Scheitelkopfschmerzen, über Appetitlosigkeit, 
seltener Durst, über quälende Muskelunruhe und Schlaflosigkeit, öfters 


1) 6 Autopsien, am 6., 7., 9., 10., 11., 16. Krankheitstag; Obducent 
zumeist Ober-Stabsarzt Prof. Dietrich, dem ioh für die Ueberlassung 
der Protokolle verbindlichst danke. 

2) Uhlenhuth und Fromme berichten über eine Laboratoriums- 
infektion ohne loterus. 


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14. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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über nächtliche Delirien geklagt. Nackenschmers findet sioh gelegent¬ 
lich, Augenaohmersen mit Lichtscheue finden sich häufiger im Krank¬ 
heitsbeginn. Recht häufig sind Trockenheit im Munde mit Gefühl des 
Zusammeniiehens und erhebliche Sohluckbeschwerden quälende Anfangs 
Symptome. Glieder-, Gelenk- und Muskelschmerzen, besonders in den 
Beinmuskeln, treten früh (am 2.—S. Krankheitstage) und recht regel¬ 
mässig auf. Die Wadenschmerzen aber bzw. die Wadendruokempfind- 
lichkeit siud nicht pathognomonisoh. Recht häufig sind Schmerzen und 
Druokempfindliohkeit in andern Muskelgebieten, z. B. im Bereioh der 
Adduktoren und Flexoren des Oberschenkels, in den Bauch-, Lenden-, 
Armmuskeln ausschliesslich oder vorzugsweise lokalisiert Seltener fehlen 
die Muskelschmerzen vollständig. Meist bestehen dann wenigstens Kreuz¬ 
schmerzen, Schmerzen in der Leber- und Milzgegend oder allgemeine 
Hyperästhesie. Bestehende Muskelschmerzen und Muskelempfindliohkeit 
treten nicht nur früh auf, sondern erhalten sich häufig viele Wochen 
lang, so dass sie zusammen mit der rasch zunehmenden Adynamie und 
gleichgültigen Hilflosigkeit oder mit der lange fortbestehenden Abmage¬ 
rung und Schwäche die Diagnose oft sofort nahelegen. 

Zu diesen cerebralen und allgemeinen Zeichen der akuten Allgemein¬ 
infektion gesellen sich Blutungen und Lokalzeiohen von seiten des Ver- 
dauungs-, Respirations- und Harntractus. Nicht benommenen Kranken 
auffallende und häufige Blutungen aus Nase und Mund, aus den oberen 
Luftwegen, aus dem Magen (meist wohl verschlucktes Blut) oder aus 
dem Darme können früh, mitunter am 2. oder 3. Tage schon auftreten. 
Besonders häufig werden Epistaxis und blutige Defäkation berichtet. Das 
Auftreten der seltenen Anfangserytheme oder Petechien entgeht der 
Beobachtung der Kranken, auch wenn das Bewusstsein klar bleibt oder 
rasch sich wieder aufhellt. Manifest und hartnäckig sind die Störungen 
von seiten des Gastrointestinalsystems: tagelang anhaltende, völlige 
Appetitlosigkeit, Aufstossen, ständige Brechneigung mit oft sanguino¬ 
lentem Erbrechen, mitunter Vomitus nach jeder Nahrungsaufnahme, 
Singultus kennzeichnen viele, besonders schwere Formen. Die Literatur¬ 
meinung, dass die Krankheit mit Durchfällen einsetzt, an die Verstopfung 
anschliesse, ist nicht zutreffend. Die Defäkation wird mit Beginn der 
Krankheit ungeordnet und bleibt Tage und Wochen hindurch gestört. 
Anfangsverstopfung ist fast ebenso häufig wie Anfangsdurchfall. Nur in 
späteren Krankheitstagen ist die Obstipation häufiger und die Neigung 
zu Durchfällen seltener. — Von seiten der Atemorgane wird öfters 
Quälender (wochenlang anhaltender und den Sohlaf störender), trockener 
Husten (selten Husten mit blutigem Auswurf), mitunter heftiges Brust¬ 
stechen (gelegentlich auf einer Seite lokalisiert) angegeben. Angaben 
und Klagen über Atembeschwerden und Atemnot habe ioh im Laufe der 
1. oder 2. Woche nur ausnahmsweise beobachtet. — In den ersten 
Krankheitstagen bereits fällt vielfach den Kranken auf, dass der Harn 
dunkel und spärlich, „blutig“ wird, ja dass mitunter trotz Harndrang 
die Harnentleerung für Tage (bis 4 mal 24 Stunden) völlig versiegt oder 
dass mit quälendem Blasen schmerz, Samenstrangsohmerz oder Sohmerz 
im Prelum abdominis nur wenige Harntropfen entleert werden können. 
Von Hautjucken als Anfangsklage habe ich niemals gehört, Auftreten 
von Pruritus in den ersten Tagen, am Ende der ersten Krankheitswoohe 
oder im späteren Stadium dürfte nur selten und meist rasch vorüber¬ 
gehend Vorkommen (7 pCt.) Herpes labialis oder Herpes nasalis wird 
von den Kranken gemeinhin nicht registriert; ich habe dies Zeichen nur 
in V« d er Fälle festgestellt. Der Icterus, der vielfach als typisch für 
das Krankheitsbild aufgefasst wird, entgeht den Kranken fast regelmässig, 
während auf die Leber zu beziehende Schmerzen nicht selten in den 
ersten Tagen schon bestehen oder bald einsetzen. Die Gelbfärbung tritt 
ausnahmsweise am 1. (?) oder 2. Krankheitstage, meist Mitte oder Ende 
der ersten Woche, selten erst am 10. oder 12. Krankheitstage auf. Der 
Icterus kann anfangs gering sein, so dass er leicht übersehen oder nicht 
beachtet wird. — Dabei ist naturgemäss Vorhandensein oder Auftreten 
von Icterus einstweilen nooh das wichtigste Kriterium der Weilkrank¬ 
heit. In den ersten Krankheitstagen, zumal bei nicht erkanntem oder 
noch nicht aufgetretenem Icterus wird man an schwere, katarrhalische 
Halsentzündung (selten Diphtherie), an Meningitis, Pneumonie, akuten 
Gelenkrheumatismus, Typhus und Ruhr denken können. Tatsächlich 
sind auch unter diesen Fehldiagnosen Weilerkrankungen wiederholt zu 
meiner Beobachtung gekommen. In leichteren Fällen, die nach Ablauf 
der akuten Erscheinungen dem Lazarett zugeführt werden, wird das Be¬ 
stehen des Icterus zusammen mit dem rasohen Ablauf schwerer Anfangs¬ 
erscheinungen die Diagnose „Weil“ nahe legen. Eingehende Untersuchung 
and Beobachtung werden den ersten Eindruck ergänzen und die Diagnose 
vielseitiger begründen können. 

Voraussetzung des Erkennens der Weilkrankheit im Anfang und im 
Verlauf ist, dass man die Möglichkeit dieser Infektion in Rechnung 
setzt. Dann erleichtert die Vielheit der anamnestisohen Daten und der 
Symptomenbilder die Feststellung der Krankheit. 

Spezielle Symptomatologie. 

Entsprechend dem akuten und subakuten Krankheitsbeginn, konform 
der verschiedenen Sohwere der Anfangssymptome und der Besonderheit 
der Kriegsverhältnisse war eine Lazarettaufnahme am ersten Krankheits¬ 
tage ungewöhnlich (llpCt). Immerhin ersohien die stationäre Behand¬ 
lung bei der Hälfte der Kranken in den ersten Krankheitstagen, bei 
*/v in der ersten Krankheitswoche notwendig. loh habe ein knappes 
Drittel meines Beobachtungsmaterials nooh später zu Gesioht bekommen. 
Bei dieser Ungleichmässigkeit, zumal angesichts der Fülle rasch vor¬ 


übergehender Einzelerscheinungen und des Weohsels der Feststellungen 
und klinischen Beurteilung, differieren natürlich die Angaben über die 
einzelnen Krankheitszeiohen. 

Das Fieber. 

Die Krankheit beginnt, wie es scheint, regelmässig mit Temperatur¬ 
erhebung. Das Bestehen von Temperatursteigerung wird u. a. differentiell 
gegenüber der Diagnose „akute, gelbe Leberatrophie“ hervorgehoben. 
Für erwiesen halte ich es nicht, dass die Weilkrankheit stets mit 
Fieber beginnt, und dass dies Symptom bereits gegenüber anderen 
Leberkrankheiten sioher differenziert. loh konnte zwei Beobachtungen 
von Weilkrankheit mit dauernder Untertemperatur und tödliohem Ver¬ 
laufe verzeichnen. Die Lazarettaufnahme erfolgte allerdings erst am 
4. Krankheitstag; eine Feststellung von Anfangsfieber fehlte bzw. war 
unmöglich. 

Das Fieber der ersten Krankheitswoche bzw. der ersten 10 Tage ist 
eine Continua mit lytischer, mitunter auch kritischer Entfieberung, eine 
Remittens mit mehr weniger lytischer Prägung oder eine Intermittens 
irregularis, die an das hektische Fieber der Tuberkulösen erinnert. 
Seltener finden sioh im Beginn nur einzelne Fiebertage mit höheren 
Abendzaoken oder einige subfebrile Tage. Die erste Fieberperiode kann 
unabhängig von ihrer Dauer in bleibende Apyrexie, Afebrilität mit ein¬ 
zelnen weiteren Fiebertagen oder in eine Periode von Subfebrilität bzw. 
ein periodisch gruppiertes höheres Fieber übergehen, Ein an die erste 
Fieberzeit unmittelbar anschliessendes, subfebriles Stadium ist meist 
durch Wechsel fieberfreier und subfebriler Tage gegliedert, selten von 
längerer, gleichmässiger Dauer. Fieberzacken und aneinandergereihte, 
subfebrile Tage verzögern oft auch die Rekonvalesoenz scheinbar zunächst 
in Afebrilität übergehender Formen. Häufiger als bleibende Apyrexie 
nach dem Anfangsfieber und häufiger als länger andauernde Fieberbewe¬ 
gung ist Abschluss einzelner Fiebertage oder der ersten Fieberperiode 
mit einem afebrilen Stadium. (Mitunter Untertemperaturen!) Nach 
einer afebrilen Pause setzen neue Fieberanfälle in der 2.—3.—4. Woche 
(nach Krankheitsbeginn) ein. Diese Nachfieber zeigen einen bogen¬ 
förmigen Kurvenverlauf mit starken Remissionen oder einen dauernd 
bezw. wechselnd subfebrilen Typ. Ihre Dauer beträgt einige Tage, mit¬ 
unter eine oder mehrere Wochen. Man hat diese späten Fieber, besonders 
die von wellenartigem Charakter als „Recidive“ bezeichnet. Da solche 
Recidive wiederholt auftreten können, und da sie öfters durch'subfebrile 
Zwischentage verkettet sind, resultieren gelegentlich nicht oder wenig 
unterbrochene Fieberkurven von 90 bis 110 Tagen Dauer. Die lytischen 
Anfangsfieber, die Recidivfieber, die subfebrilen Perioden, das Auftreten 
von Fieberzacken und die wechselnde Verknüpfung des Anfangsfiebers 
mit den folgenden Fieberperioden lassen öfters Kurvenbilder erscheinen, 
wie sie die Typhoidkurve oder die Kurve chronischer Ruhr prägen kann. 
Wenn die Höhe des Recidivfiebers stärker ausgesprochen ist, wenn in 
Anfangs- und Verlaufsfieber der Continuacharakter dominiert und die 
Gesamtfieberzeit /lange dauert, entstehen sogar „typische, protrahierte 
Typhuskurven“ (4pCt.). 

So ist der Fieberverlauf bei der WeiPschen Krankheit durch ein oft 
typisches Anfangsfieber und oft charakteristische, wellenförmige Recidiv- 
kurven, oft auch durch eine bunte Variation von wellenförmigen Nach¬ 
fiebern, subfebrilen Perioden oder nur subfebrilen Zacken gekennzeichnet. 
Völliges Fehlen von Fieberzacken, Nachfiebern oder grösseren Recidiven 
nach leicht febrilem Beginn, sowie nach lytisch oder kritisch abfallenden 
Anfangsfiebern habe ich übrigens nur in 16 pCt. der Fälle vermisst. In 
der Recidivperiode können verschwundene Krankheitsersoheinungen erneut 
auftreten oder bestehende sich verschlimmern. Häufiger verlaufen die 
Recidive und Naohfieber symptomlos bzw. ohne markante Symptome. 
(Der während der Nachfieber entleerte und verimpfte Harn erweist sich 
gelegentlich durch Tierversuoh als infektiös.) 

Haut und Schleimhäute. 

Hautaussohläge, abgesehen von zufälligen Veränderungen, wie 
Skabies, Pediculosis, Pityriasis versicolor, Pityriasis rosea sind in den 
ersten Tagen, Wochen und später wiederholt beobachtet worden. Auf Vor¬ 
kommen von Früherythemen und Frühpetechien, die beobachtet werden 
können, ist nooh wenig geachtet. Später findet man, abgesehen von 
dem oben bereits erwähnten Herpes faciei, meist rasch vorübergehend 
fleokige Rötungen, Erytheme, Urtioaria, masern- und Scharlach artige 
Exantheme, Auftreten von Blasenbildung. Roseola ist von Weil einmal 
erwähnt (?). Häufig fällt in der ersten Krankheitszeit bereits starke 
Hauttrockenheit und Fehlen von Schweissproduktion auf. Hydrosis jeden¬ 
falls am Stamm oder an der Peripherie ist selten. Die Hauttrocken¬ 
heit und die oft feststellbare Gewebseintrocknung verläuft nicht immer 
einer nachweisbaren Störung im Wasserhaushalt parallel. In der 2. bis 
3. Krankheitswoche haben wir öfters eine feine, kleienförmige Epidermis- 
abstossung ausschliesslich an Kinn und Stirn festgestellt. — Blutungen 
am Stamm, an den Extremitäten oder Schleimhautblutungen werden zu 
Beginn der Krankheit nur ausnahmsweise vermisst. Solche Blutungen 
können auftreten, ehe der Icterus sich ausprägt. Die Angabe, dass 
Nasenbluten oder Petechien am Bau oh und am Fussrücken regelmässig 
Vorkommen, möchte ioh nur für schwere Erkrankungen gelten lassen. 
Boi solchen Formen findet man auch Sugillationen, Blutungen unter die 
Bindehaut, in andere sichtbare Schleimhäute und an Traumen an- 
sohliessende Blutungen (Sugillation oder Blutung nach Stich in die 
Fingerbeere, nach Anlegen einer Sohlauchbinde, naoh Injektion). Immer¬ 
hin ist Epistaxis in der ersten Krankheitswoche sehr häufig und mit- 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


unter so stark, dass es zu Bluterbreohen bzw. zu Teerstühlen Veran¬ 
lassung geben kann. Daneben kommen geringere Blutungen aus den 
Rachenorganen und den Luftwegen, vielleicht auch geringe spontane 
Magenblutungen vor. Blutungen aus den untersten Darmabschnitten 
sind sehr häufig und werden bei schwerer Krankheit kaum vermisst. 
Das Blut wird ohne Tenesmen, mit oder ohne Schleimbeimengung dem 
Stuhl anhaftend, öfters auch wiederholt in der Art rein dysenterischer 
Ausscheidung, in späteren Tagen sogar mit Eiter vermengt, entleert. 
Zahlreiche, genaue, bakteriologische Untersuchungen haben gleichzeitig 
bestehende Dysenterie nicht feststellen können. Immerhin ist diese 
Kombination möglich und gelegentlich wahrscheinlich. Die Annahme 
von Trembur-Sohallert, dass durch die Grundkrankheit bedingte 
hämorrhagische Erosionen und follikuläre Geschwüre dysenterische Zeichen 
auslösen, erscheint mir nicht erwiesen. Grössere Blutaustritte aus den 
Harnwegen, wie sie von anderer Seite berichtet sind, habe ich niemals 
beobachtet. Blut- oder Hämoglobinsedimente im Harncentrifugat findet 
man öfters. Auftretende Blutungen aus Nase oder Darm sind übrigens 
mitunter sehr abundant, so dass gelegentlich der Exitus auf die Blutung 
znrückgeführt wurde. Bei stark blutenden, sterbenden Kranken, die 
ich sah, war die schwere Blutung nur ein weiteres Zeichen der Schwere 
der Erkrankung, ein Stigma des zu erwartenden Ausgangs. — Von be¬ 
sonderen Sohleimhautaffektionen sind Schnupfen und Kehlkopfkatarrh, 
dieser in einem späteren Stadium nur ausnahmsweise zu meiner Kennt¬ 
nis gelangt. Eine von Hecker und Otto am 19. Tage beobachtete Ure¬ 
thritis stellte eine Einzelbeobachtung dar. Zungenveränderungen sind 
wie bei jeder schweren, mit Verdauungsstörung einhergehenden Krank¬ 
heit gewöhnlich. Ich habe in 2 / 3 der Falle unterschiedslos Mundtrocken¬ 
heit mit oder ohne Fäulniserscheinungen, verschiedenartigen Zungen¬ 
belag, ausnahmsweise anch aphthöse Veränderungen notiert. Eine 
spätere, stärkere Reinigung der Zunge durch Epidermfsabstossung, die 
den Typhus oft charakterisiert, habe ich fast immer vermisst. Binde¬ 
hautkatarrhe uud anginöse Erscheinungen wie Schluckbeschwerden, 
Trockenheit im Halse sind als meist rasch sich znrückbildende Anfangs- 
orscheinnngen gewöhnlich. Conjunctivitiden übrigens sind mitunter hart¬ 
näckig; schwere Entzündung kann anschliessen. Ich hatte den Ein¬ 
druck, dass gelegentlich auch in späteren Stadien Bindehautkatarrhe, 
durch die Grundkraokheit veranlasst, Vorkommen können. 

In der Literatur ist das häufige Vorkommen von Lympbdrüsen- 
schwellungen, besonders der Halslymphdrüsen erwähnt. Frühschwellungcn 
sind mir nicht aufgefallen, am Ende der ersten Woche oder später habe 
ich nur ausnahmsweise schmerzlose Halslymphdrüsenschwellung fest¬ 
stellen können, dann aber auch vorübergehend Sehwellung der Cubital- 
und Inguinaldrüsen gesehen. Die gelegentlich auftretende Parotitis 
oder Mundbodenschwellung dürfte eine sekundär vom Munde aus er¬ 
folgte Infektion darstellen. 

Danach gehören Herpes, Blutungen, Vulnerabilität des Capillar- 
systems, Entzündung der Bindehäute und Raohenorgane zu den charakte¬ 
ristischen, früh auftretenden Krankheitsersoheinungen. Diese Symptome 
können, zumal wenn sie zusammen Vorkommen, die Frühdiagnose noch 
vor dem Einsetzen von Icterus ermöglichen. 

Respirationsorgane. 

Im Gegensatz zu den älteren Angaben, dass bei Weil’scher Krank¬ 
heit Bronchitis fast völlig fehle (Romberg), stehen die neueren Beriohte, 
welche Lungenkatarrh in 40—100 pCt. der Fälle verzeichnen. Am 
meisten wird früh auftretender, einfacher Luftröhrenkatarrh, Bronchitis 
simplex, seltener kapilläre Bronchitis mit schleimig-eitrigem oder blutigem 
Auswurf beschrieben. Vereinzelt wurde croupöse Pneumonie und trockene 
Pleuritis in den ersten Krankheitstagen beobachtet. Bronchopneumonie 
wurde gelegentlich als Anfangskomplikation, häufiger als letales Symptom 
festgestellt. Ich habe trockene Bronchitis mit fehlendem oder geringem 
blutigem Auswurf in den ersten Tagen oder Wochen selten vermisst. 
Der trockene, mitunter sogar erst in der Rekonvalescenz auftretende, 
(quälende und die Nachtruhe störende) Reizhusten macht bisweilen einen 
geradezu spezifischen Eindruck. Die Erklärung, dass der Katarrh oder 
der Husten durch Blutungen der Pleura und der Bronchialschleimhaut 
hervorgerufen werde, liegt nahe, ist zudem auch autoptisch verificiert. 
Man könnte auch angesichts der häufigen Miterkrankung der andern 
Sohleimhäute an besondere Beziehungen des Virus zur Mucosa denken. 
Bei der Würdigung des Bronohialkatarrhs und anderer Lungenaffektionen 
freilich ist in Rücksicht zu ziehen, dass solche Erkrankungen bei Soldaten 
und Arbeitern der mittleren Jahre an sich, zumal in Kriegsverhältnissen, 
häufig sind. Bei soloher Einschränkung muss man die Beteiligung der 
Atemorgane bei dem ganzen Krankheitsprozess als geringfügig bezeichnen. 

Verdauungstractus, Harnorgane. 

Gastro-intestinale Erscheinungen dominieren neben nervösen Sym¬ 
ptomen besonders im Anfang der Krankheit. Dauer und Schwere der 
Unterleibsstörungen hängen von Schwere und Ablauf der Infektion ab. 
So können Anorexie, Brechreiz, Singultus und Erbreohen (auch von 
blutiger und galliger Beschaffenheit), mitunter über eine Woche hinaus, 
jede orale Ernährung unmöglich machen. Selbst Flüssigkeiten werden dann 
verweigert oder sofort wieder erbrochen. Häufig freilich setzt nach wenigen 
Tagen, mit Ablauf des akuten Stadiums, eine Periode starken Hungers 
und krankhaft gesteigerten Durstes ein. Danr sind Flüssigkeitsaufnahmen 
bis sieben Liter nichts Ungewöhnliches und Mengen von 5000 Br. Kalorien 
werden bewältigt. Die gesteigerte Appetenz hält indessen nur wenige 
Tage an, während die Durstperiode öfters länger dauert. — Das Auf¬ 


treten solcher „Ernährungskrisen“ kann durch Recidive verzögert werden. 
Ich habe auch den Eindruck, dass stärkster Icterus, Anurie retardiert 
bzw. hintanbält. — Die anfangs durchfälligen Stühle, die Blut- und 
Schleimentleerungen bestehen selten länger als wenige Tage, Fortdauer 
bis eine Woche ist ungewöhnlich. Vielfach schliesst sich Obstipation 
an, wenn anders sie nicht von vornherein bestand. Uebrigens lassen 
auch dann harte Entleerungen, denen ein „ausgeprägt dysenterisches“ 
Vorstadium vorausging, schnell jede SchleimbeimenguDg vermissen. Auf¬ 
treibung des Leibes durch Gase, diffuse Druckempfindlichkeit oder 
Empfindlichkeit in der Leberregion, in der Milzgegend, im Epigastrium, 
in der Region der unteren Obliqui sind besonders anfangs häufig. 
Gelegentlich beobachtet man auch in der Rekonvalescenz abdominale 
Schmerzkrisen, deren Abhängigkeit vom Wurmfortsatz niemals festgestellt 
werden konnte. — Seit Fiedler ist bekannt, dass die Milzschwellung 
nicht notwendig zur Krankheit gehört. Nur etwa in der Hälfte meines 
Materials bestand Milzvergrösserung. Frühe, bisweilen langsam zu¬ 
nehmende Milzsohwellung (40 pCt.) und spät auftretende Milzvergrösserung 
(12 pCt.) lassen sich unterscheiden. Die Rückbildung eines primären 
Milztumors findet meist in der ersten oder der zweiten Krankheitswoche 
statt. (Dies ist für den anatomischen Befund mit zu berücksichtigen.) 
Während die Milzgegend öfters empfindlich erscheint, ist der Milztumor 
selbst selten schmerzhaft. — Die Beteiligung der Leber bei dem 
Krankheitsprozess galt bisher als unumgänglich. Meiner Schilderung 
lege ich ebenfalls nur Formen mit Icterus zu Grunde 1 ). Die Atypie 
kommt erst zu Recht, wenn der Typus festliegt. So wurden denn auch 
bisher die Beobachtungen von Heckerund Otto (nur 30 pCt. Icterus) 
kaum berücksichtigt, geschweige diskutiert. Auch Beitzke, Piok, 
Schott u. a. halten (im Gegensatz zu Uhlenhuth, Gross) die Be¬ 
teiligung der Leber mit der Folgeerscheinung des Icterus für obligatorisches 
Krankheitssymptom. Praktisch liegen die Verhältnisse einstweilen so, 
dass Auftreten oder Bestehen von Icterus noch als Cardinalsymptom 
angesehen wird. — Den Icterus als Leberstörung habe ich regelmässig 
erst nach der ersten halben Krankheitswoche, ausnahmsweise früheran¬ 
getroffen. Die Intensität ist verschieden, die Farbnuance wechselt dem¬ 
entsprechend vom leichten Gelb bis zum Ockergelb. Schwere der Krank¬ 
heit und Schwere des Icterus verlaufen nicht parallel. Mitunter sieht man 
nach wenigen Fiebertagen, ohne dass ein Recidiv auftritt, starken Icterus; 
mitunter ist trotz schwerer oder sich lange subfebril hinziehender Krank¬ 
heit die Gelbsucht gering. Die Dauer des Icterus bestand in meinen 
Fällen meist nur wenige Wochen, seltener länger als einen Monat. (Das 
Verschwinden der letzten Spuren festzustellen ist häufig recht schwierig, 
zumal wenn Anämie besteht.) Gelegentlich verblasst sogar ein leichter 
Icterus, in ein paar Tagen so völlig, dass er leicht der Feststellung sich 
entzieht Ausnahmsweise verläuft auch der erste Krankheitsschub mit 
Icterus ganz leicht. Der Kranke kommt erst mit dem neu schwächenden 
Recidiv mit Ioterusresten oder sich verstärkendem Icterus in Lazarett¬ 
behandlung. Der Icterus kann in den Nachhebern zunehmen; meist ist die 
Gelbfärbung der Schleimhäute bereits verschwunden, wenn das Recidiv ein¬ 
setzt, und tritt nioht wieder auf. Mit dem Icterus geht häufig eine reoht 
lange bestehende Lebervergrösserung einher. Die Leberschmerzhaftigkeit, 
die von einzelnen Autoren als regelmässig bezeichnet wird, war hier nur in 
der Hälfte der mit Vergrösserung der Leber einhergehenden Fälle ausge¬ 
sprochen. — Nach den pathologischen und klinischen Befunden ist der 
Icterus bei Weil’soher Krankheit einfacher Stauungsicterus. Dem ent¬ 
spricht das Verhalten der GallenausscheiduDg in den Darm und in den 
Harn und das Auftreten von Folgeerscheinungen der Gallenresorption. Die 
nervösen und gastro intestinalen Störungen, die Blutungen können nicht 
auf Gallenvergiftung bezogen werden. Jene frühen Krankheitssymptome 
sind gleichsinnige oder vorauslaufende Zeichen der Allgemeininfektion. 
Auch später auftretende Nervenveränderungen und Darmbeschwerden 
stehen nicht in Beziehung zu Neuauftreten oder Verschwinden von Gelb¬ 
sucht. Dagegen dürfte das Hautjucken und die Pulsverlangsamung auf 
das Vorhandensein von Gallenbestandteilen im Blute bezogen werden. 
Diese Symptome sind aber unverbältnismässig selten, im Anfang der 
Erkrankung' noch seltener als später. Dabei bestehen diese Zeichen 
selten länger als einige Tage fort. Acholie bzw. Hypocholie wird als 
Folge vorübergehender, kompletter Rückstauung der Galle erwähnt. Die 
Kotentfärbung ist nach meinen Feststellungen (tägliche Inspektion) ein 
häufiger Befund (30 pCt.). Mitunter ist nur eine Defäkation acholisch 
oder hypocholisch. Mehrere Tage fortdauernde Acholie habe ich selten 
beobachten können. Entsprechend der Gelbsuoht lassen sich Bilirubin, 
Urobilin und Urobilinogen mehr weniger lang im Harn naohweisen. 
Bilirubin ist am flüchtigsten, nächstdem Urobilinogen. Der Urin gibt 
öfters noch nach völligem Verschwinden des Icterus und des Urobilins, 
manchmal auch bei reichlichem, verdünntem Harn eine pathologische 
Farbreaktion mit Urobilinogen-Reagens. Stärkere Gallenfarbstoffaus- 
sonderung bedingt stets unabhängig von dem eigentlichen Krankheits¬ 
prozess eine Nierenreizung 2 ), (Spuren von Albumen, Vermehrung der 
Epithelien, Cylindrurie usw.) Mitunter kann man diese Beziehung un¬ 
mittelbar feststellen, indem in der Afebrilität auftretender Icterus die 
zuvor vermisste „Nephritis“ hervorruft. 


1) Erkrankungen ohne Icterus, einerlei ob die Diagnose sicher ist 
(Tierversuch) oder wahrscheinlich gemaoht werden kann (epidemiologisches 
Verhalten, Symptomatologie), bedürfen heute noch besonderer Besprechung. 

2) G. Klieneberger und R. Oxenius, Ueber Urine und Urin¬ 
sedimente bei febrilen Erkrankungen, bei Icterus und Diabetes. D. Arch. 
f. klin. M., 1905, Bd. 83. 


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14. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


29 


Tödlieh verlaufende Gelbeachtsfälle zeigen häufig in den letzten 
Lebenstagen Untertemperaturen und schwere Hirnersoheinungen, wie 
man sie sonst nur von schweren Stoffwechstelstörungen wie Diabetes, 
Nephritis, akute gelbe Leberatrophie usw. kennt. Angesichts des gleich¬ 
zeitig schon tagelang bestehenden starken Icterus, zumal bei fehlender 
oder ganz geringer Eiweissausscheidung lag es nahe, die Vergiftung auf 
schwere Störungen im Leberstoffwechsel zu beziehen. — Von A. Pütter 1 ) 
in meinem Laboratorium angestellte, wiederholt und lange fortgesetzte 
Untersuchungen (5 Krankheitsfälle) haben keinen charakteristi¬ 
schen Stiokstoffzerfall, keine Vermehrung der Aminosäuren 
und keine Zunahme der Ammoniakfraktion nachweisen lassen, 
loh habe übrigens niemals, auch nicht bei den schwersten Formen, 
Leuoin- oder Tyrosinsedimente im Harn mikroskopisch nachweisen 
können. Die erst in der Rekonvalescenz prüfbare Lävuloseverbrennung 
ist deutlioh gestört (Lävulosurie), ohne dass gleichzeitig Zerstörungen 
im Stickstoffzerfall nachweisbar werden. Wie lange die Lävulose- 
oxydation herabgesetzt bleibt, entzieht sich meiner Beurteilung. In ein¬ 
zelnen Fällen bestand die Störung monatelang fort. 

Von Veränderungen des Urogenitalapparats sind, abgesehen von 
einer Beobachtung von Urethritis (?), nur Nierenstörungen beobachtet. 
Ueber das Vorkommen und die Bedeutung dieses Symptombildes 
herrschen Umstimmigkeiten bei den verschiedenen Berichterstattern. 
Bereits ältere Autoren betonen, dass Nephritis häufig vermisst werde 
(Fiedler 40 pCt.). In der neueren Literatur heisst es bald, dass 
Nephritis regelmässig vorhanden sei, bald, dass man fast regelmässig 
Erscheinungen von Nierenentzündung (Eiweiss und Formelemente) 
feststellen könne. Auch über die Rückwirkung der supponierten 
Nierenveränderung auf den K ran kh ei ts verlauf und den eventuell 
tödlichen Ausgang bestehen differente Anschauungen. Früher wurde 
übereinstimmend das Fehlen von Urämie und von Rückwiikung 
der Nierenerkrankung auf den Kreislauf hervorgehoben. Neuerdings 
wird vielfach die bei schweren Fällen beobachtete Harnsperre als be¬ 
drohliches, nephritisches Symptom und der mit stärkerer Nierenreizung 
bzw. mit Anurie erfolgende Tod als urämisch bedingt aufgefasst. 
Beitzke fand autoptisch stets schwerste Erkrankung der Nieren. Auch 
Pick ist geneigt, „der Nierenentzündung unter den Todesursachen eine 
ausschlaggebende, zum mindesten wichtige Rolle“ einzuräumen. Gross 
und Magnus-Alsleben, welche die Harnsperre unter Berücksichtigung 
des Fehlens von Pulsverlangsamung, von Blutdrucksteigerung, von 
Oedemen und von Krämpfen als selbständige Wasserretention auffassen, 
stehen mit dieser Ansicht allein. 

Hier wurde durch Hitze fällbares Eiweiss in % der Fälle beob¬ 
achtet. Dabei schliesse ich die durch Gallenfarbstoffelimination be¬ 
dingte „Nephritis“, die mit der Infektion als solcher niohts zu tun hat, 
ein (!). — Ob vor der Einweisung in den allerersten Krankheitstagen 
und vor Bestehen von Icterus rasch sich rückbildende, spezifische oder 
febrile Urinveräuderungen Vorlagen, lässt sich nicht entscheiden. Die 
festgestellte Albuminurie (Esbach) war meist gering; nur ausnahms¬ 
weise wurden 5—8 pM. Alb. (mit ein f, einer restlosen Rückbildung) 
festgestellt. Gewöhnlich dauert die Eiweissausscheidung nur wenige 
Tage und verschwindet mit dem Fieber veilständig. Im Recidiv kann 
Albuminurie, auch wenn sie in der Afebrilität verschwunden war, erneut 
auftreten. Länger nachweisbare Eiweissausscheidung ist ungewöhnlich. 
Nur selten (bei Frühharnuntersuohung) habe ich bis zur Dauer von 4 
bis 6 Wochen minimale Albumin- und Globulinausscheidung beobaohtet. 
Zudem, waren dies meist Fälle mit stärkerem Icterus (1. c.). — Die 
gallig imbibierten Sedimente können blutig (Blut oder Hämoglobin) sein, 
zumeist enthalten sie, mitunter zahlreiche, gekörnte, epitheliale, hyaline 
Cylinder, Epithelien und rote und weisse Blutkörperchen. Die Gallen¬ 
farbstoffelimination beeinflusst die Art der Formelemente und die Dauer 
der Veränderung. Fett habe ich nie beobachtet. Die Aussoheidung 
einzelner Cylinder und Blutelemente überdauert gewöhnlich die Albu¬ 
minurie, wie dies auch sonst die Regel ist. 

Bei tödlichem Krankheitsverlauf wurde Harnsperre und Albuminurie 
vermisst, und der Tod erfolgt plötzlich (!). Andere, bei denen zuvor 
Urinentleerung und Albuminurie sehr gering gewesen waren, verstarben 
nach Auftreten von {Krämpfen und Atemstörungen. Wieder andere 
zeigten tagelang anhaltende Anurie ohne Cerebralstörungen, und völlige 
Genesung erfolgte (!). Solche Beobachtungen zusammen mit dem Fehlen 
von Oedemen, von Pulsverlangsamung, von Blutdruokerhöhung, von 
Augenhintergrunds Veränderungen, von für Urämie charakteristischen, 
prämonitorisphen Reflexalterationen sind nicht geeignet, die Deutung der 
schweren Cerebralsymptome und der Anurie als urämischen Komplex 
und die Deutung des Exitus als Folge der Nierenentzündung plausibel 
zu machen. 

Spezielle Harnuntersuchungen. 

Zusammen mit Albumin und Globulin übrigens oder ganz unab¬ 
hängig davon, meist an die erste Fieberperiode geknüpft, selten das 
Anfangsfieber einige Tage überdauernd, noch seltener im Recidivfieber 
erneut nachweisbar, enthält der Urin von Weilkranken einen patho¬ 
logischen Eiweisskörper 2 ), den ich sonst nur ausnahmsweise bei Leukämie, 
Nephritis und Icterus in Spuren angetroffen habe. Dieser immer nur 


*3 1) Meinem lieben Freund und Mitarbeiter A. Pütter danke ich 

aufrichtig auch an dieser Stelle für seine mühevollen Untersuchungen, 
welche die Diagnose und die Auffassung der Weilkrankheit gefordert haben. 
2) A. Pütter (l. c.) 


einige Tage nachweisbare Eiweisskörper fällt in der Kälte bei Zusatz 
eines Tropfens verdünnter Essigsäure, mitunter sogar erst nach einigen 
Minuten aus. Spuren bis 1 pM. (Esbach) wurden festgestellt. Dieser 
Eiweisskörper geht bei Siedehitze komplett, bei starker Acidität (er fällt 
auch bei Zusatz von Mineralsäuren) partiell in Lösung, ist aussalzbar 
(Vollsättigung mit Kochsalz, Halbsättigung bis Vollsättigung mit 
Ammonsulfat) und gibt keine Biuretreaktion. Neben dieser abnormen 
Eiweissaussoheidung haben wir im Urin von Weilkranken bis weit in 
die Rekonvalescenz eine verstärkte Lävuloseprobe und vermehrte Re¬ 
duktion, sowie unabhängig vom Icterus und von der Harnkonzentration 
mitunter eine pathologische Farbreaktion mit Urobilinreagens ange¬ 
troffen *). 

Regelmässig, soweit geprüft, wurde in den ersten Krankheitstagen 
(ähnlich wie bei der Pneumonie) eine starke Verminderung der Chlor¬ 
ausscheidung festgestellt. Manchmal gelang nur der qualitative Chlor¬ 
nachweis (!). Bei Anurikern, mit reichlicher Nahrungs- und Flüssig¬ 
keitsaufnahme wurden Kochsalzzulagen völlig retiniert. Dementsprechend 
konnte dann erhebliche Gewichtszunahme (mehrere Kilogramm im Tage) 
verzeichnet werden. Bei geringer Diurese betrug die Salzkonzentration 
weniger als VspCt. Die NaCl-Konzentrationsunfähigkeit dauerte nur 
wenige Tage. Dann folgte Kochsalz- und Wasserausschwemmung 
(NaCl 1 pCt.) mit Gewiohtssturz. Diese Störung in der Salzkonzen¬ 
trationsfähigkeit geht selten mit allgemeiner Konzentrationsunfähigkeit 
einher. Salz- und Wasserstörungen aber erklären einfach die „Harn¬ 
sperre“ der Fieberzeit und der ersten, schweren Krankheitsperiode, so¬ 
wie den Durst und die Harnflut der Genesung. Wie weit es sich dabei 
um eine echte, nephritische oder um eine nervöse Störung handelt, steht 
dahin. Zu bedenken ist, dass sonst bei Nephritikern solche Verände¬ 
rungen nicht so rasch und so vollständig rückbildungsfähig sind, dass 
sonst Nephritiker urämische Zeichen, schwerere und nicht so rasch ver¬ 
schwindende Albuminurie und Sedimentveränderung darbieten, und dass 
mit wiedereinsetzender Diurese alle „nephritischen Symptome“ restlos 
und rasch sich verlieren 2 ) 8 ). 

Zirkulationsorgane und Blut. 

Ueber Veränderungen der Zirkulationsorgane liegen nur kurze Be¬ 
merkungen vor: Puls-, Blutdruck-, Herzverändernngen werden berichtet. 
Graphische Kreislauf- und Herzuntersuchungen sind anscheinend bisher 
nicht vorgenommen, mindestens nicht mitgeteilt worden. Angesichts der 
im Anfang häufigen Störung der Rhythmik und der anatomischen Fest¬ 
stellung von „ausgebreiteter Schädigung der Haargefässe“ (Beitzke 
fand u- a. „Blutungen unter das Herzfell, die Herzinnenhaut, in der 
Muskulatur, sowie winzige Zellfiltrate“) dürften bei Anwendung feiner 
Methodik unsere Kenntnisse erweitert werden. 

In den ersten Krankheitstagen oder -wochen ist der Blutdruok 
herabgesetzt. Darüber herrscht Einstimmigkeit. Messungen von 65—80 
bis 110 mm Hg Anfangsdruck liegen vor. Ich habe Werte von 110 bis 
155 H 2 0 (systolisch! in den ersten beiden Krankheitswochen häufig fest¬ 
stellen können. Allmählich steigt der Blutdruck wieder zur normalen 
Höhe an. Bei Leuten der mittleren Jahre mit zu erwartenden Gefäsa- 
und Herzveränderungen kann der Anfangsdruck höher sein und erst in 
der Rekonvalescenz sich „normal“ auf über 200 (H 2 0) wiedereinstellen. 
Am Herzen werden vielfach systolische Geräusche über der Spitze und 
über den Ostien erwähnt. Erhebliche Verbreiterung der Herzdämpfung, 
Rechtsdehnung, mitunter geringe periphere Oedeme (!) im akuten 
Stadium, „Myocarditis mit Pulsbeschleunigung und leichter Stauung“ in 
späterer Zeit wurden beobachtet und auf die Weilkrankheit ursächlich 
bezogen. In der Fieberzeit soll Pulsbeschleunigung, später entsprechend 
dem Icterus Puls Verlangsamung oder konform „einer postinfektiösen 
Myocarditis“ Pulsbeschleunigung bestehen. Von Pulsqualitäten sind zu 


1) Die Lävuloseprobe wurde mit Resorcinsalzsäure, die Urobilinogen- 
probe mit Dimethylamidobenzaldehyd (zeisiggelbgrüne Färbung auch des 
fast farblosen Harns) angestellt. Die Reduktion war nach Ausfüllung mit 
Kalkmilch und nach Vergärung ebenso stark wie vorher (Nachtrommer), 
Glykuronsäuren fielen negativ aus. 

2) Die geschilderten, pathologischen Harnreaktionen (einsohl, ab¬ 
normer Albuminurie) wurden bei zwei frisch unter dem Verdacht der 
Ruhr zugegaugenen Kranken in den ersten Krankheitstagen festgestellt. 
Der eine war vorübergehend leicht icteriscb, bei dem anderen fehlte 
Gelbsucht und Ausscheidung von Gallenderivaten vollständig und 
dauernd. Bei diesem (2. Fiebertag) verlief der zur Klärung angestellte 
Tierversuch leider ergebnislos und bei der 11. Stuhluntersuchung wurden 
Y-Bacillen gefunden (Grundkrankheit? Komplikation?), bei jenem ver¬ 
vollständigte der Icterus das klinische Bild der Weilkrankheit. Beide 
Kranken zeigten übrigens die von mir früher beschriebenen, charakte¬ 
ristischen Veränderungen der Blutmischung. Der Patient, bei dem 
Y-Bacillen festgestellt wurden, zeigte eine für die „leichte Ruhr“ unge¬ 
wöhnliche, nervöse Nachkrankheit, wie ich sie — vgl. Nervensystem — 
zuerst bei Weilkranken beobachtet habe. Angesiohts solcher Befunde 
möchte ich empfehlen, besonders im Frühstadium auf diese einfachen 
und auffallenden Besonderheiten zu achten und zur weiteren Klärung 
frühzeitig Tierversuche anzustellen. Vielleicht wird so die Weildia- 
gnostik und die epidemiologische Auffassung auf eine andere Basis ge¬ 
stellt werden können. 

3) Störungen in der Konzentrations- und Verdünnungsfähigkeit können 
mitunter ähnlich wie die Störung der Lävuloseverbrennung monatelang 
nachweisbar bleiben. 

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30 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Anfang Pulskleinheit» Dikrotie (etwa die Hälfte), Pulsnnregelmässigkeit 
(Intermissionen, rasche Form der Arhythmia perpetua) verzeichnet 
worden. Ich fand zur Fieberzeit gewöhnlich der Temperatur konforme 
Pulszahlen, nur bei schweren Fällen nicht mehr entsprechende Be¬ 
schleunigung. Pulsverlangsamung zu Beginn ist abnorm und selten. 
Während bei leicht verlaufender Erkrankung in der Rekonvalescenz mit¬ 
unter bereits nach dem Anfangsfieber niedrige Pulszahlen, gelegentlich 
(wahrscheinlich abhängig von bestehender Gelbsucht) Bradycardien be¬ 
stehen, zeigen ernstere Erkrankungen auch in der Afebrilität hohe Puls¬ 
zahlen. Trotzdem warne ich davor, die recht häufige Pulsbeschleunigung 
und Pulserregbarkeit der späteren Zeit als „myocarditisch“ aufzufassen, 
ohne dass anamnestische Daten und längere Beobachtung diese Auf¬ 
fassung genügend stützen. Ein Fall, bei dem ich erst nach einigen 
Wochen sichere Stauungserscheinungen feststellte, hatte, abgesehen von 
einer starken Anämie (Hb. 30 pCt.), beginnende Sklerose mit Herzhyper¬ 
trophie. Ein anderer Fall mit rasch vorübergehenden, leichtesten, peri¬ 
pheren Schwellungen hatte neben Anämie (Hb. 42 pCt.) eine schwere 
Störung des Salz- und Wasserwechsels. Der Zusammenhang der be¬ 
richteten, meist geringfügigen Oedeme und der supponierten Myocarditis 
erscheint mir somit nicht hinreichend begründet. Anhangsweise möchte 
ich erwähnen, dass ich einmal nach Ablauf der akuten Fieberperioden, 
zur Zeit bereits bestehender Anämie schmerzhafte Popliteathrombose 
beobaohtet habe. Eine Entscheidung, wie weit die Grundkrankheit (Ge- 
fässveränderungen?) oder die Anämie oder beide Faktoren ursächlich in 
Frage kamen, möchte ich noch nicht treffen. 

Unregelmässigkeit des Herzschlages in frühen Stadien beobachtete 
ich häufig (20 pCt.). Wiederholt bestand extrasystolische Arhythmie 
(diese zuweilen auch in später Rekonvalescenz). Oefters bestand 
Arhythmie im Sinne von Leitungsstörungen, gelegentlich völlige Un¬ 
regelmässigkeit nach Art von Arhythmia vera. Der mitunter von Abend 
zu Morgen erfolgende Umschlag zu völliger Regelmässigkeit oder sicher 
extrasystolischer Arhythmie bzw. Bigemie dürfte eine nervöse Störung im 
Leitungssystem nahelegen. Danach ist man noch mehr geneigt, der 
Pulsbeschleunigung der Genesungsperiode vorwiegend eine nervöse bzw. 
psychogene Entstehung zuzuschreiben. (Wenn anders eine vorher schon 
vorhandene habituelle Pulsbeschleunigung ausgeschlossen werden kann.) 

Im Beginn der Krankheit ist Hyperleukocytose wie bei anderen In¬ 
fektionskrankheiten, im späteren Stadium Anämie beobachtet. Nach 
meinen methodischen Untersuchungen 1 ) 2 ) tritt selten vor Beginn der 
2. Woche eine sekundäre Anämie ein (bis 30 pCt. Hb, 1,8 Millionen 
Rote). Diese Anämie, die vom Icterus unabhängig ist, hält einige 
Wochen bis Monate in wechselnder Stärke an. Im Beginn der Krank¬ 
heit mitunter bis in die 2. Woche hinein, bei Rückfällen usw. erneut, 
besteht polynucleäre Leukocytose. Diese wird allmählich durch Lympho- 
cytose ev. mit Eosinophilie abgelöst. Regelmässig und längere Zeit sind 
im strömenden Blute pathologische Zellformen (Myelocyten, Normo- 
blasten) feststellbar. Das erste Auftreten solcher Elemente kann ver¬ 
zeichnet werden, ohne dass Icterus oder Anämie bestehen. Regel¬ 
mässiger allerdings ist die Vergesellschaftung mit zunächst leichter 
Anämie. Uebrigens in frühen Stadien der Krankheit dürften manchmal 
so hochgradige Störungen im Wasserwechsel vorhanden sein, dass die 
Blutkonzentration (R.- und Hb-Werte) schwankt. Eine eingehende 
Prüfung (Trookenrückstand usw.) wurde nicht angestellt. 

Nervensystem. 

Angesichts der häufigen foudroyanten Anfangsersoheinungen fehlen 
öfters anamnestische Daten oder die Angaben sind ungenau. Vor Hinein¬ 
fragen sollte man sich bei Soldaten mit nervöser Störung besonders in 
acht nehmen. — In den ersten Krankheitstagen, besonders bei schwereren 
Formen, werden allgemeine und lokale, nervöse Alterationen kaum ver¬ 
misst. — Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Schwindel, Glieder-, Muskel- 
und Organschmerzen beherrschen mindestens einige Tage, manchmal 
sogar längere Zeit das Krankheitsbild. Die Muskelschmerzen und die 
Muskelempfindlichkeit, seltener Leber- und andere Abdominalschraerzen 
kennzeichnen öfters lange das gesamte Krankheitsempfinden. Pathogno- 
monisch aber sind die Mu9kelsohmerzen nicht. Ich habe sie in 14 pCt. 
der Fälle völlig vermisst, während Störungen des Allgemeinbefindens 
und Krankheitsgefühl lange vorhanden oder anamnestisoh nachweisbar 
waren. So sind Schwächegefühl, Unlust und gleichgültige Stumpfheit 
anfangs oder längere Zeit sehr ausgeprägt. Von Schwerbesinnlichkeit 
bis zur Benommenheit und tiefem, in den Tod übergehendem Goma, von 
leiohter Unsauberkeit bis zur kompletten Unreinlichkeit bestehen alle 
Uebergänge bei gleichzeitig vorhandenem Fieber oder bei Untertempe¬ 
ratur im ersten oder seltener zweiten FieberBtadium oder in der ersten 
Fieberpause. 

Zu Krankheitsanfang sind cerebrale bzw. meningeale Reizerschei¬ 
nungen, wie Lichtscheu, Ueberempfindlichkeit, Meningismus mit den 
Zeichen von Kernig und Lasegue, häufig. Solche Störungen können 
von Lokalzeichen wie Gaumen-Facialisparese, Trismus, Cheyne-Stokes- 
Atmung, häufiger von motorischen Reizerscheinungen (Flockenlesen, un¬ 
aufhörlichen Muskelzuckungen, epileptiforme Konvulsionen) begleitet sein 


1) C. Klieneberger, Die Blutmorphologie der Weirsohen Krank¬ 
heit im Gegensatz zu anderen Icterusformen. B.kl.W., 1917, Nr. 28. 

2) C. Klieneberger, Die Lymphocytoseumstellung des normalen 

Blutbildes, zuglei oh kritische Glossen zur Methodik der Blutmorphologie. 

M.m.W., 1917, Nr. 23. 


und einige Zeit fortbestehen. Eklamptische Erscheinungen können ebenso 
während des Fiebers wie während der Afebrilität auftreten. Das 
Eklarapsiesyndrom, ein ernstes, aber nicht letales Zeichen, ist nicht an 
das Vorhandensein von Albuminurie und Anurie geknüpft. Bei Lumbal¬ 
punktion fand ich den Liquordruck wiederholt erhöht, während die 
Cerebrospinalflüssigkeit sonst normal ist. Tierversuche verliefen ergeb¬ 
nislos. Die Reflexe zeigen früh und später Anomalien: Ungleichheit, 
Abschwächung, mitunter auch Steigerung. — Auch psychotische Er¬ 
scheinungen, wie abendliche und nächtliche Delirien, hallucinatorische 
Verwirrtheit, nächtliche motorische Unruhe und später wochenlang an¬ 
dauernde Schlafsucht sind nicht ungewöhnlich. Recidivpsychosen oder 
spät auftretende Geistesstörungen habe ich nicht beobachtet. An Amentia 
erinnernde und rasch vorübergebende Erscheinungen sind in der ersten 
Zeit häufig nachweisbar. 

Die Frage der Giftbildung und Giftwirkung ist noch nicht genügend 
geprüft und entschieden. Darch die vorliegenden autoptischen Kontrollen 
aber sind centrale Blutungen, Pacby- und Leptomeningitis haemorrhagica 
(Centralorgane), ausgedehnte Veränderungen der Muskeln (peripheres 
System) auf Grund verbreiteter CapillarschädigUDg nachgewiesen. Danach 
ist eine sichere Grundlage für die Erklärung von frühen Reflexanomalien, 
von centralen Reizerscheinungen usw. gegeben. Ich glaube auch, dass 
diese anatomischen Läsionen für die nervösen Störungen der späteren 
Zeit (Muskelcapillaren!) verantwortlich gemacht werden können. Der 
erste Beginn von neuritisohen Alterationen wird sich bei den stürmischen 
Anfangserscheinungen der Aufmerksamkeit des Kranken und der Wahr¬ 
nehmung des Arztes entziehen können. So habe ich erst von der 
3. Woche ab, dann aber häufig, sensible Läsionen nachweisen können. 
Abgesehen von passagerer Gesichtsneuralgie, vorübergehender Scbluck- 
lähmung, von Reflexstörungen (Ungleichheit, Abschwächung, Steigerung) 
in V 6 bis */ T der Fälle Neuritiden ausschliesslich im Gebiet der sensiblen 
Sphäre. Meist waren dies Polyneuritiden mit Parästhesien, Reflex¬ 
alterationen mit Ataxie und peripheren Hypästhesien, gelegentlich 
Anästhesien, seltener Neuritiden (zunächst als Parästhesie in Erscheinung 
tretend), in der Ausbreitung einzelner Nerven (wie Ulnaris, Cutaneus 
femoris lateralis, Cutaneus surae lateralis). Die komplette Wieder¬ 
herstellung erfolgte rasch, in einigen Wochen bis wenigen Monaten. 
Nur einmal complicierte hinzutretende Hysterie, das einfache Bild einer 
nicht unerheblichen Pseudotabes. Dass gelegentlich, wohl als psychogen 
aufzufassende nervöse Schmerzkrisen, dass vielleicht nervöse Conjunktivi- 
tiden (Schleimhautläsion ?) die Rekonvalescenz verzögern, wurde erwähnt. 
Von anderen Augenerscheinungen sind, abgesehen von Iridocyclitis, Iritis 
und Sehnervenerkrankung häufig: in der 3. Krankheitswoche etwa klagen 
die Kranken (50 pCt.) über Flimmern, Strich-, Punkt- oder Schleiersehen. 
Man findet meist Pigmentfiecken auf der Linsenvorderfläche, sehr häufig 
Opticusabblassung 1 * ) (fast 100 pCt.), zuweilen auch beides. 

Den meist rapiden Muskelschwund und den starken, lange Zeit 
fortbestehenden Haarausfall (50p Ct. der Beobachtungen) möchte ich 
als Störung der trophischen Nerven auffassen und als Correlat der sen¬ 
siblen Neuritis ansprechen. Der Beginn jener Veränderungen, 2 bis 3 
bis 6 Wochen nach dem Krankheitsanfang und der günstige Verlauf, in 
einigen Wochen oder Monaten, stützt diese Annahme. 

Schlussbemerkungen. 

Danach ist die Diagnose schwerer und mittelschwerer Fälle von 
Weil’scher Krankheit leicht. Anamnese, Zustands- und Verlaufsbilder 
in ihrer Gesamtheit sind typisch. Die nervösen Komplikationen, die 
Anämie, noch nachweisbare Harnveränderungen gestatten sogar häufig 
die späte Diagnose, wenn vorhandener Icterus längst verschwunden ist 
und nur dürftige Notizen vorliegen. Wie weit aber später leichte und 
abortiv verlaufende Erkrankungen festgestellt werden können, entzieht 
sich jetzt nooh jeder Mutmassung. Die Tatsache, dass die „sogenannte 
Weil’sche Krankheit“ ohne Icterus, ohne Nephritis und ohne Milz- 
schwellung verlaufen kann, muss die Erkennung erschweren. Komplika¬ 
tionen mit Typhus, Paratyphus oder mit Bacillenausscheidnug, die ich 
wiederholt beobachtet habe, Miterkrankung an Ruhr und wahrscheinlich 
auch an Diphtherie kommen vor und können diagnostische Erwägungen 
irreführen. Auch andere akute mit Icterus oder Nephritis verlaufende 
Krankheiten werden leicht zu Fehldiagnosen Veranlassung geben können. 

Die allgemeine Prognose galt früher für günstig, während jetzt von 
verschiedenen Seiten etwa ISpCt. Mortalität angegeben werden. Dabei 
ist aber zu berücksichtigen, dass nur schwere Formen in Krankenhaus¬ 
behandlung gelangen, sowie dass Todesiälle im akuten Stadium nicht 
einbezogen sind. — Die Prognose des Anfangsstadiums ist nach all¬ 
gemeinen Gesichtspunkten abzuwägen. Frühes Auftreten eosinophiler 
Leukocyten (zumal über 1 pCt.), frühe Umstellung zur Lymphocytose, 
rascher Rückgang der Albuminurie (Frühharn) 9 ] sind als günstige Mo¬ 
mente prognostisch mitverwertbar. Recht vorsichtig wird man die Vor¬ 
aussage bei Pulsunregelmässigkeit, erheblicher Pulsbeschleunigung, 
starker Neigung zu Blutungen, schweren Cerebralerscheinungen, hoher 


1) General-Oberarzt Prof. Braunschweig hatte die Güte, unsere 
Feststellungen und Angaben zu deuten. Ueber die anatomischen Grund¬ 
lagen der Störungen usw. bin ich nicht unterrichtet. Eine bleibende 
Beeinträchtigung erfolgte anseheinend nicht. 

2) Entsprechend früher angegebener Technik M.m.W., 1903, Nr. 42; 
D. Arch. f. kl. M., Bd. 13, Bd. 80, Bd. 88, u. a. a. 0. 


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82 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT.______Nr. 2^ 


man wohl kaum annehmen kann, dass ich alle Entzündungsherde 
abgetragen hatte, dass der reich vascularisierte Lappen den halb 
nekrotischen Knochen gereinigt und am Leben erhalten hat [ich 
observierte den Kranken, der nachher gar keine Beschwerden 
oder abnormale Erscheinungen zeigte, längere Zeit (4 Monate) 
nach der Operation]. 

In einem anderen Falle lag nach einem frischen Dum-Dum- 
schuss 2 / 3 des Biceps brachii offen in der Wunde, und durch eine 
früh ausgeführte grosse gestielte Fetthautlappenplastik brachte 
ich den Defekt primär zur Heilung. Der Biceps war danach 
gerettet und vollkommen gebrauchsfähig, während er sonst ganz 
sicher durch Vernarbung für den Gebrauch verloren gegangen wäre. 

Ich finde noch Stütze für dieses Prinzip in einer grossen Reihe 
von stationären Knochenulcera, gedeckt durch reich vascularisierte, 
gestielte Lappen, die ohne Ausnahme alle dauernd zur Verheilung 
gebracht wurden, und welche Fälle ich in meiner Abteilung für 
plastische Operationen in dem Nachbehandlungsinstitut der Stadt 
Budapest (Direktoren: Hofrat Prof. v. Bokay und Prof. v. Vere- 
bely) operierte, und die bald ausführlich in Bruns' Beiträgen 
erscheinen werden. Ich kann die Verwendung dieses Prinzips 
empfehlen mit dem ausdrücklichen Rat, bei der Stielanlage damit 
zu rechnen, dass der Lappen nicht nur seine eigene Existenz, 
sondern auch die Säuberung der inficierten Wunde herbeizu¬ 
führen hat. 


Die zukünftige Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten. 

Von 

Martin Chotzen-Breslau. 

(Naeh einem in der medizinischen Sektion der schlesischen Gesellschaft 
für vaterländische Caltur gehaltenen Vortrage.) 

Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ist auf Grund der 
während der Kriegsjahre gewonnenen Erfahrungen von wesentlich höherer 
Bedeutung für die Volksgesundheit und die Bevölkerungserneuerung als 
bisher. 

Die Anzahl der Geschlechtskranken, die im Feldzuge von 1870/71 
sich in Lazarettbebandlung befanden und mit ihrer Ziffer von 38 000 Er¬ 
krankten damals schon Besorgnis erregten, ist jetzt naturgemäss eine 
bedeutend grössere; übertrifft doch die Dauer des Krieges die früheren 
Feldzüge wesentlich und ist doch auch die Anzahl der gegenwärtig zum 
Heeresdienste Eingezogenen zu einer früher noch nie erreichten Höhe 
angewachsen. Selbst wenn die im März 1915 vom Grossen Haupt¬ 
quartier bekanntgegebene Mitteilung, dass die Gesamtzahl der auf dem 
westlichen Kriegsschauplätze an Geschlechtskrankheiten leidenden Mann¬ 
schaften etwa um die Hälfte hinter derjenigen der in der Heimat befind¬ 
lichen zurückbleibe, im Laufe der seitdem verflossenen zwei Jahre sich 
nicht geändert haben sollte — nach anderweitiger Mitteilung sollen die 
Zugänge im westlichen Feldheere 3, im östlichen 6 pro Tausend, bei den 
Besatzungstruppen aber noch höher sein —, so darf für die Beurteilung 
der kommenden Zustände nicht übersehen werden, dass auch unter der 
weiblichen Heimatbevölkerung die Geschlechtskrankheiten wesentlich zu¬ 
genommen haben. Es wird somit von beiden Seiten, von den nach 
Friedensschluss heimkehrenden Truppen und von der heimatlichen 
Frauenbevölkerung der künftige Gesundheitszustand der Gesamtheit zu¬ 
gleich bedroht. 

Diese kommende Bedrohung wiegt um so schwerer, weil bei dem 
Zurückfluten der zur Entlassung kommenden Heeresangehörigen nicht 
nur wie bisher in den Städten, den Verkehrsmittelpunkten, sich eine 
grosse Menge von Geschlechtskranken anstauen wird, sendern weil auch 
bis in die kleinsten Dörfer diese Erkrankungen eingeschleppt und aller 
Voraussicht nach binnen kurzem venerische Dorfendemien hervorgerufen 
werden: die Landbevölkerung, der Urquell der Arbeitskräfte für Land¬ 
wirtschaft und Industrie, die ständige Erneuerungsschicht der städtischen 
Fabrikarbeiter, die wertvollste Schioht der Heeresrekrutierung läuft Ge¬ 
fahr durchseucht und dadurch für die Staatswirtschaft minderwertig zu 
werden. 

Es besteht die Gefahr, dass die kurz vor dem Kriege oder erst 
während des Krieges geschlechtlich Erkrankten, die schon durch die mit 
dem Heeresdienste verbundenen körperlichen und geistigen Ueberan- 
strengungen an Widerstandsfähigkeit gelitten haben, selbst trotz der 
sorgfältigsten militärärztlichen Behandlung während des Kriegsdienstes 
von den Spätformen und Nachkrankheiten der Seuche häufiger befallen 
werden, als in Friedenszeiten zu beobachten war. Ihre Arbeits- und 
Erwerbsfähigkeit, sogar ihre Lebensdauer wird eine verringerte sein; die 
statistisch einwandfrei festgestellte lebenverkürzende Wirkung der Syphilis 
wird bei den derart erkrankten Kriegsteilnehmern sich in erhöhtem 
Maasse geltend machen. 

Der Bevölkerungsaufbau, dessen Sinken bereits vor dem Kriege zu 
Besorgnissen Anlass gab, wird duroh die Zunahme von Fehlgeburten, 
durch die häufiger zu erwartende dauernde Schädigung der Gebärfähig¬ 


keit, durch die grössere Sterblichkeit der mit Syphilis behafteten Säug¬ 
linge voraussichtlich noch stärker gefährdet als bisher. Bedenkt man, 
dass der Geburtenausfall allein durch Uebertragung des Trippers unter 
Eheleuten vor dem Kriege in Deutschland sohon auf jährlich 200 000 
festgestellt war, dann kann man ermessen, welche bedeutenden Ausfälle 
in der nächsten Zukunft zu erwarten sind. 

Es kommt hinzu, dass mit der Rückkehr der grossen Massen von 
Mannschaften, die nach der langdauernden erzwungenen oder freiwillig 
auferlegten sexuellen Enthaltsamkeit sich nunmehr einer erhöhten Be¬ 
tätigung hingeben, eine bedeutende Zunahme des vorehelichen Verkehrs 
und infolge davon der geheimen Prostitution sich entwickeln wird. Es 
wird auch unfehlbar ein Anwachsen der gewerbsmässigen Prostitution 
sich einstellen. Ein grosser Teil der jetzt hoch bezahlten weiblichen 
Arbeitskräfte wird seine Arbeitsgelegenheit verlieren und wird, gewöhnt 
an die bisherige leichte Befriedigung seiner erhöhten Lebensansprüche, 
sioh nicht in deren Herabminderung fügen, sondern durch Hingebung 
sich einen leichten und einträglichen Erwerb verschaffen. 

Je höher die Anzahl der gewerbsmässigen Prostituierten anschwillt, 
um so höher auch die Ziffer der Geschlechtskranken. 

Alle diese Besorgnisse erfordern allgemeine Maassnahmen zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten, die über den Rahmen der bis¬ 
herigen Ausführungsbestimmungen des Reichsseuchengesetzes hinaus¬ 
gehen, um erfolgreicher als bisher gegen diese noch immer viel zu gering 
eingescb ätzte Gefahr vorzugehen. 

Die Ausführungsbestimmungen zum Reichsseuchengesetze, die seit 
1905 bestehen, haben für die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
eine bessere Handhabe als das bis dahin gültige Gesetz, das Regulativ 
von 1835, nicht geboten. 

Dieses Regulativ, dessen geistiger Urheber ein General, Herr 
v. Thiele, war, gab die Möglichkeit gegen geschlechtskranke Personen 
Zwangsmaassnahmen durchzuführen, wenn nach dem Ermessen des 
Arztes von der Versohweigung der Krankheit nachteilige Folgen für 
den Kranken selbst oder für das Gemeinwesen zu befürchten 
waren. Also sohon 1835, zu einer Zeit, wo die Kenntnis von der Ueber- 
tragbarkeit und Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten, von ihrer Dauer, 
von ihrer Bedeutung für die Nachkommenschaft bei weitem nicht so klar 
und so verbreitet war wie 1905, schon damals hielt der Gesetzgeber 
daran fest, Befugnisse zum Eingreifen zu erlangen, um Staatsbürger, die 
aus Unkenntnis oder Leichtfertigkeit ihre Krankheit nicht behandeln 
lassen wollten, zum Schutze der Gesamtheit zur Behandlung zu zwingen. 
Im Laufe der Jahrzehnte hat die Ausübung der behördlichen Befugnis 
immer mehr und mehr abgenommen. Das lag aber nicht an etwaigen 
Fehlem im Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung, sondern an der Lau¬ 
heit der Behörden, die nioht mit genügendem Nachdruck ihre Macht¬ 
mittel zur Anwendung brachten. 

Das AusführuDgsgesetz zum Reichsseuchengesetz von 1905, das zur 
Aufhebung des Regulativs von 1835 führte, verzichtete auf Bestim¬ 
mungen, die alle etwa gemeingefährlich werdenden Geschlechtskranken 
weiterhin hätte treffen können, und beschränkte sich darauf, nur ge¬ 
werbsmässig sich Prostituierenden gegenüber eine Zwangsbehandlung 
festzusetzen. Es begründete diese Beschränkung damit, dass Geschlechts¬ 
krankheiten am häufigsten durch ausserehelichen Verkehr hervorgerufen 
werden, und dass es daher unbedenklich und ausreichend sei, wenn die 
Polizei allein gegen diese Vorgehen könne. 

Schon 1904, als der Entwurf von diesem Ausführungsgesetze vorlag, 
habe ich daraufhingewiesen 1 ), dass, ^rie von 1835 ab, auch fernerhin die 
Allgemeinheit eines Schutzes gegen alle Geschlechtskranken» die sich 
der Behandlung gewissenlos entziehen, unbedingt bedarf, dass mit dem 
alleinigen Herausgreifen der Prostituierten eine Lücke im Gesetze bleibe, 
die der Gesamtheit verhängnisvoll werden müsse. 

Albert Neisser hat 1905 diesen meinen Entwurf aufgenommen*): 
„Die Entwurfbestimmung ist äusserst bedenklich. Dann gäbe es für den 
Arzt gar kein Mittel mehr, selbst notorisch gemeingefährliche und 
verbrecherisch handelnde Personen durch Meldung an die Behörde und 
dadurch zwangsweise von der Behörde angeordnete Sohutzmaassregeln 
unschädlich zu machen.“ Das war deutlich genug gesprochen, aber bei 
den Verhandlungen über den Entwurf wurde weder im Abgeordnetcn- 
noch im Herrenhause auf diese Bemängelung Rücksicht genommen. So 
kam ein Gesetz zustande, das bei manchen Medizinalbeamten bis heute 
noch die Sehnsucht nach dem alten Regulativ von 1835 wieder auf¬ 
leben lässt. 

Es ist notwendig, auf diese, wenn auch weit zurüakliegende Vor¬ 
geschichte des Ausführungsgesetzes zum Reichsseuchengesetze ausführlich 
einzugehen, um der Aerzteschaft vor Augen zu führen, dass bei derartigen 
ihr Sondergebiet betreffenden Gesetzentwürfen sie ihre Meinung noch 
um vieles nachdrücklicher zum Ausdruck bringen muss, wenn sie in den 
gesetzgebenden Körperschaften sioh Beachtung verschaffen will. Es ist 
um so notwendiger, weil in der nächsten Zeit auf diesem Gebiete neue 
Gesetzvorschläge zu erwarten sind. 

Das Ausführungsgesetz zum Reichsseuchengesetze hat mit vollem 
Recht davon Abstand genommen, bei Geschlechtskrankheiten dieselben 
Maassnahmen zu treffen wie bei den übrigen übertragbaren Krankheiten. 
Bei Cholera-, Typhus- und Diphtheriekranken, muss wegen der leichten 
Verbreitung der Krankheitserreger die Behörde bis zum völligen Sohwinden 
der Erscheinungen die Möglichkeit einer Absonderung und nötigenfalls 


1) Zschr. z. Bekpfg. d. Geschlkrkht., Bd. 2, H. 11 u. 12. 

2) Zschr. z. Bekpfg. d. Geschlkrkht., Bd. 4, H. 1, S. 18. 


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14. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


83 


einer zwangsweisen Krankenhausbehandlung unbedingt besitzen. Selbst 
gegen erscheinungsfreie Bacillen träger müssen ihr Befugnisse zustehen. 
Geschlechtskranke bedürfen aber nicht einer dauernden Absonderung 
oder Krankenhausbehandlung. Ihre Krankheit kann nur bei bestimmten, 
kurzdauernden Erscheinungsformen auf ihre Umgebung übertragen 
werden; im allgemeinen werden sie nur durch ihre sexuelle Betätigung 
gemeingefährlich. Es ist weder notwendig, noch überhaupt durchführbar, 
diese trotz ihrer Erkrankung arbeitsfähigen Menschen für die sich laage 
binsiehende Dauer ihres Krankseins abzusondern. Es kommt bei ihnen 
hauptsächlich darauf an, dass sie durch sachgemässe Behandlung ihre 
Erscheinungen möglichst schnell verlieren und ihre Krankheitserreger 
durch systematisch während längerer Zeit fortgeführte Behandlung end¬ 
gültig vernichtet werden, so dass bei späterer vorehelicher oder ehelicher 
Betätigung eine Krankheitsverbreitung nicht mehr eintreten kann. 

Der Geschlechtskranke, der sich aus eigenem Entschlüsse ärztlich 
behandeln lässt, den ärztlichen Anordnungen auch in bezug auf die 
Behandlungsdauer gewissenhaft naohkommt und den Geschlechtsverkehr 
erst dann wieder aufnimmt, wenn er von seinem Arzte wieder für völlig 
gesund erklärt wird, ist für die Allgemeinheit ungefährlich, für ihn 
brauchen gesetzliche Zwangsbestimmungen nicht getroffen zu werden. 
Jene anderen aber, die aus Unkenntnis über die Tragweite ihrer Krank¬ 
heit oder aus leichtfertiger Absichtlichkeit sich jeder Behandlung ent¬ 
ziehen, aber trotzdem den sexuellen Verkehr fortsetzen und somit ihre 
Krankheit weiter verbreiten — für solobe sozialen Schädlinge, gleich¬ 
gültig, ob es gewerbsmässige oder gelegentliche Prostituierte, ob es 
irgendwelche andere weibliche oder männliche Personen sind — muss 
eine Möglichkeit gegeben werden, sie der ärztlichen Behandlung zuzu- 
führen. 

Für die Schaffung einer solchen Möglichkeit ist von ausschlaggebender 
Bedeutung, ob die Grundlagen für eine erfolgreiche Durchführung einer 
nötigenfalls zwangsweisen ärztlichen Behandlung zurzeit vorhanden sind. 

Das ist seit 1905, seit dem Inkrafttreten der Ausführungsbestim¬ 
mungen des Reichsseuchengesetzes, in erhöhtem Maasse als vordem der 
Fall. Die wissenschaftliche Forschung und die Erzeugnisse der chemi¬ 
schen Industrie haben stets feiner aufgebaute und stärker wirkende 
Heilmittel zutage gefördert, mit deren Hilfe der männliche Tripper und 
seine Folgezustände, wofern die Behandlung frühzeitig eingeleitet und 
sorgsam durchgeführt wird, binnen kurzer Zeit zur völligen Heilung ge¬ 
bracht werden kann. Selbst der weibliche Tripper, der häufiger als der 
männliche zum Uebergreifen auf tiefere Organe neigt, ist im allgemeinen 
leicht heilbar; nur bei jugendlichen Prostituierten, die vorzeitig wieder 
zur freien Verkehrsausübung zugelassen werden, bleibt die Behandlung 
häufig eine vergebliche. 

Auch die Behandlung der Syphilis hat in den letzten 10 Jahren 
ganz ausserordentliche Fortschritte gemacht. Die Einführung der chroni¬ 
schen intermittierenden Hg-Behandlung durch Fournier, ihre Ausge¬ 
staltung durch Albert Neisser, die Erfindung des Salvarsans durch 
Paul Ehrlich, die Einbürgerung der gemischten Behandlung mit Hg 
und Salvarsan bringen eine so schuelle Beseitigung der übertragbaren 
Syphiliserscheinungen zuwege, schaffen eine so schnelle und bei aus¬ 
giebiger Fortsetzung der Behandlung so beständige Vernichtung der 
Krankheitserreger, dass auch gegen diese Geissei der Menschheit ein 
erfolgreiches Eingreifen zu gewährleisten ist. Ein Zweifel an der Wirk¬ 
samkeit des Salvarsans ist heute nicht mehr berechtigt. Wenn auch die 
Wirkung des Salvarsans auf die Nach- und Nebenkrankheiten der 
Syphilis heute noch nicht mit unbedingter Sicherheit erwiesen ist, weil 
für diese Krankheitsformen die Zeit der Anwendung noch zu kurz ist, 
um ein abgeschlossenes Urteil zu fällen, so sprechen doch die bisherigen 
Erfolge dafür, dass selbst diese tückischen Spätformen günstig beeinflusst 
irerden, also auch für ihre Linderung und Verhütung eine Hilfe möglich 
ist. Es ist also — und das ist das Wesentliche für die Forderung einer 
Behandlung des einzelnen Geschlechtskranken in Rücksicht auf die All¬ 
gemeinheit — die objektive Grundlage für die Durchführung einer er¬ 
folgreichen Behandlung der Gesohlechtskrankeiten vorhanden. 

Wie aber ist da9 subjektive Verhalten jener sozialen Schädlinge 
umzu9timmen, die aus Unwissenheit, Scheu oder Leichtfertigkeit sich 
nicht behandeln lassen wollen? 

Gegen die Unwissenheit ist nur durch Belehrung über das Wesen 
und die Bedeutung der Geschlechtskrankheiten anzukämpfen. Schon 
seit mehr als 30 Jahren haben einzelne Aerzte, seit 17 Jahren die 
Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in 
dieser Richtung unermüdlich sich betätigt. Auch die Heeresverwaltung 
hat seit vielen Jahren durch Belehrung der Mannschaften und sogar der 
Offiziere unablässig daran gearbeitet, Verständuis zu wecken für die Ge¬ 
fahren der Krankheiten und die Notwendigkeit ihrer Behandlung. Aber 
die Civilverwaltung, die für die wesentlich grössere Anzahl der unter 
ihrer Obhut stehenden Staatsbürger bei weitem mehr zu leisten hätte 
als die Heeresverwaltung, bleibt weit zurück. Sie müsste, wie ich das 
schon früher ausgeführt habe 1 ), unter der industriellen und landwirt¬ 
schaftlichen Bevölkerung mit stärkerem Nachdrucke wie bisher sich 
dafür einsetzen. Die Krankenkassen nutzen ihre ärztlichen Hilfskräfte 
für Belehrungszwecke nooh lange nicht genügend aus und selbst die 
Einzelbelehrung, die der Arzt dem jeweilig von ihm behandelten Kranken 
mit Leichtigkeit geben kann, ohne ihn überängstlich zu machen, müsste 
ausgiebiger und nachdrücklicher gehandhabt werden. 


I) Praktische Vorschläge zur Durchführung einer sexuellen Erziehung. 
Zsohr. z. Bekpfg. d. Geschlkrkht., Bd. 12, H. 10, S. 378. 


Schwieriger ist es, auf jene einzuwirken, die ihre Erkrankung ab¬ 
sichtlich verheimlichen, jeder Behandlung sich entziehen und trotzdem 
den Geschlechtsverkehr unentwegt ausüben. 

Die Ursache der Verheimlichung liegt im Zusammenstossen der 
sittlichen, religiös-sittlichen und durch die Staatsgesetze gestützten 
Forderung betreff des ehelichen und ausserehelichen Verkehrs mit der 
Uebermacht des angeborenen Geschlechtstriebes, der bislang durch die 
Erziehung zu wenig beeinflusst wird. Es würde die Grenzen der vor¬ 
liegenden Erörterung überschreiten, wollte ich hier ausführen, was die 
häusliche Erziehung, die Schule und die Kirche zu leisten hätte. Ich 
verweise nur auf die diesbezüglichen Ausführungen des Herrn v. Bissing 
im preussischen Herrenhause (Sitzung v. 29. V. 1914 u. v. 8. VI. 1916), 
sowie darauf, dass der Vaterländische Frauenverein und andere Frauen¬ 
verbände in der letzten Zeit sich entschlossen haben, sich dieser Er¬ 
ziehungsfrage anzunehmen*). 

Die allzu scharfe Betonung der Pflicht einer idealen sexuellen 
Lebensführung führte dazu, dass sogar die preussischen gesetzgebenden 
Körperschaften in einer Geschlechtskrankheit den Beweis „ausschweifender 
Lebensführung“ erblickten und den unglaublichen Beschluss fassten, 
einem derart erkrankten Krankenkassenmitgliede die Vorteile der Kranken¬ 
kassenhilfe zu entziehen. Welche Verblendung, aus einer Fürsorge- 
einriohtung ein Sittengericht, eine Vergeltungsstelle zu machen! Welche 
Kurzsichtigkeit, mit solcher Bestimmung das sexuelle Begehren unter¬ 
drücken zu wollen! Von 1883—1903, volle zwanzig Jahre, bat diese 
Auffassung in der Krankenkassengesetzgebung geherrscht. Es darf nicht 
Wunder nehmen, dass diese Brandmarkung und Aechtung des Ge¬ 
schlechtskranken in seinem Berufs- und Gesellschaftsleben die Furcht 
vor der Offenbarung der Krankheit im Mittelstände und den unteren 
Schichten bis zur völligen Verheimlichung und Vernachlässigung ge¬ 
steigert hat. Das wirkt bis heute nooh fort, und das wird erst dann 
anders werden, wenn über die Verurteilung der Willensschwäche die 
Erkenntnis von der unbedingten Notwendigkeit der werktätigen Hilfe 
siegt. Allerdings müssen Kirche, Staat und Familie zur Erhaltung der 
Gesellschaftsordnung danach streben, dass allein der eheliche Geschlechts¬ 
verkehr als der erlaubte angesehen wird. Aber sie dürfen sich nicht 
den mannigfachen Lebensumständen verschliessen, die für die Ueber- 
tretung dieser Forderung eine milde Beurteilung beanspruchen können. 
Sie müssen aber nooh darüber hinaus sich klar werden, dass die beran- 
wachsende Jugend ebenso wie sie zur sexuellen Selbstbeherrschung und 
zur Unterordnung des Triebes unter höhere sittliche Forderungen zu 
erziehen ist, sie auch zu erziehen ist zur Pflicht, im Krankheitsfalle aus 
Rücksicht auf die eigene Person und auf die Umwelt sich bis zur 
völligen Heilung behandeln zu lassen. 

Tatsächlich ist im Verlaufe dieses Krieges die Beurteilung der 
Geschlechtskrankheiten in der gesamten Bevölkerung eine wesentlich 
mildere geworden; die noch so berechtigten Vorwürfe selbst der näheren 
Familienangehörigen verstummen, wofern der Kranke sich behandeln 
lässt und den ärztlichen Anordnungen gewissenhaft nachkommt. 

Auf Grund • dieser Umstimmung der Volksauffassung schrumpft die 
Zahl derer, die aus Besorgnis der Offenbarung sich der Behandlung ent¬ 
zogen haben, immer mehr zusammen. Es bleiben als soziale Schäd¬ 
linge nur jene übrig, die sich trotz ihrer Erkrankung vom sexuellen 
Verkehr nibbt abhalten lassen. 

Der Schutz der Gesellschaft gegen solche Menschen ist mit Straf¬ 
bestimmungen zu treffen. 

Es liegt aber kein zwingender Grund vor, dieser wegen, die durch 
das Regulativ von 1835, wenn man nur wollte, immer noch zu fassen 
waren, durch die Ausführungsbestimmungen zum Reichsseuchengesetz 
allerdings nicht mehr festgelegt werden können, eine allgemeine 
Meldeplicht der Geschlechtskranken und eine allgemeine zwangs¬ 
weise Krankenhausbehandlung bis zum Erlöschen der Ueber- 
tragbarkeit einzuführen. Eine so tief einschneidende Maassnahme wäre 
aus gesundheitlichen Gründen nicht zu rechtfertigen, ist aus sozialen 
Gründen abzulehnen. 

Wohl aber ist zu verlangen, dass im Interesse der Allgemeinheit 
ein jeder Geschlechtskranke dazu angehalten wird, dass er selbst in 
den Zeiten, wo seine Krankheit nicht mehr ihm sichtbare oder fühl¬ 
bare Erscheinungen macht, er aber doch noch unter der Wirkung des 
Krankheitsgiftes steht, ärztlich behandelt wird und zwar möglichst ohne 
Störung in seinem Berufe. 

Das ist um so nachdrücklicher zu verlangen, weil es ohne Ab¬ 
änderung der Ausführungsbestimmungen des Reichsseuchengesetzes und 
noch vor einer etwaigen Einbringung eines Sondergesetzes zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten erreichbar ist. 

Die vorbereitenden Schritte hierfür sind bereits getan. Herr v. Bis- 
sing hat während seiner segensreichen Tätigkeit als Generalgouverneur 
von Belgien im Verein mit H. Kaufmann, dem Präsidenten des Reiohs- 
versicherungsamtes, einen Mittelweg gefunden, der zwischen drückenden 
behördlichen Bestimmungen und rücksichtsloser persönlicher Freiheit 
allein auf der Linie sozialer Fürsorge die Lauen und Lässigen einer 
endgültigen Heilung zuzuführen imstande ist: Die Krankenversicherung, 
diese unübertroffene, glänzend bewährte, volkserhaltende Schöpfung 
Kaiser Wilhelms I. will weit über die Grenzen ihrer bisherigen Betäti¬ 
gung hinaus den versicherungspflichtigen Geschlechtskranken helfend zur 
Seite stehen durch die Schaffung von Beratungsstellen, die diese Kranken 

1) Vergl. Chotzen, Die Notwendigkeit einer häuslichen, sittlichen 
Erziehung. Breslau 1917, Köbner’sche Buchhandlung. S. 30. 

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84 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


bewachen und behandeln lassen sollen, solange es erforderlich ist. Das 
Reiohsversioherungsamt tritt mit seinem weitumfassenden Aufbau und 
seinen reichen Mitteln in so weitgehender Form ein; wie keine auch 
nooh so opferwillige Krankenkassenvereinigung es jemals vermöchte: sie 
übernimmt die Kosten, selbst wenn der Geschlechtskranke überhaupt 
nicht oder nioht mehr gegen Krankheit oder Invalidität versichert ist, 
selbst wenn er dem Kreise des Versicherungspflichtigen nur nahesteht 
(Angehörige der Krankheitsträger) und ohne Eingreifen der Landes¬ 
versicherungsanstalt unbehandelt bleiben würde. Sie übernimmt die 
Kosten für die Reise zur Beratungsstelle und für den dadurch ent¬ 
gangenen Arbeitsverdienst, sie übernimmt auch die Zahlung eines Haus¬ 
geldes an Angehörige, wenn der Kranke der Anstaltsbehandlung bedarf. 

Die Zahl der Versicherungspflichtigen beläuft sich jetzt, während 
des Krieges, auf 18 Millionen, zu denen 12 Millionen Familienangehörige 
hinzukoromen. Diese Ziffer wird nach Friedensschluss, nach Rückkehr 
der unter den Waffen stehenden Versicherungspflichtigen noch wesent¬ 
lich anwachsen: fürwahr, ein so bedeutender Teil der Gesamtbevölkerung, 
dass von der Ueberwachung und Fortbehandlung sämtlicher ihm zuge¬ 
hörigen Geschlechtskranken eine erhebliche Besserung der allgemeinen 
Gesundheitsverhältnisse mit Zuversicht zu erwarten ist! 

Diese Zuversicht ist um so berechtigter, weil das Reichsversiche¬ 
rungsamt gesucht und gefunden hat Zusammenarbeit mit den Kranken¬ 
kassen. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Verbände haben erkannt, 
dass es ihr eigener Vorteil ist, wenn die Geschlechtskranken durch An¬ 
halten zu ausgiebiger, systematisch durchgeführter Behandlung möglichst 
schnell wieder völlig gesunde, völlig arbeitsfähige Mensehen werden. Nur 
die Beiträge möglichst vieler gesunder Mitglieder erhält eine Kasse 
leistungsfähig. Die bisherige jährliche Ausgabe der Krankenkassen von 
10 Milionen Mark allein für Geschlechtskranke erfordert das Aufgebot 
aller Hilfsmittel, um eine Behebung dieses Missstandes herbeizutühren. 

Auch die Frauen vereine haben sich bereit erklärt, das Reichs¬ 
versicherungsamt bei der Werbearbeit zum Ausnutzen der Beratungs¬ 
stellen zu unterstützen. Sie wissen nur zu gut, dass ledige und verhei¬ 
ratete Frauen der Uebertragungsgefahr durch Männer in höherem Maasse 
ausgesetzt sind, als Männer der Ansteckung durch Frauen, weil — ab¬ 
gesehen von gewerbsmässigen Prostituierten — erfabrungsgemäss Männer 
das Verkehrsobjekt viel häufiger wechseln als Frauen. Die Ausdehnung 
der Fürsorge des Reichsversicherungsamtes auf alle, also nicht nur die 
versicherungspflichtigen, Männer und Frauen, die mit Syphilis und Trip¬ 
per behaftet seine Hilfe in Anspruch nehmen wollen, eröffnet endlich 
eine bessere Aussicht, auch die von der geheimen Prostitution herstam¬ 
menden Erkrankungen einzudämmen. Für die Verbreitung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten ist die geheime, gelegentliche, nebenberufliche Pro¬ 
stituierte infolge ihrer Massenhaftigkeit von wesentlich grösserer Bedeu¬ 
tung als die geringzifferigere polizeilich überwachte gewerbsmässige. 

Die gesundheitlichen Verhältnisse der letzteren durch Ausgestaltung 
der sanitären Ueberwachung zu bessern ist notwendig, da die bisherigen 
sittenpolizeilicben Bestimmungen in hygienischer Richtung nur geringen 
Nutzen geschaffen haben. 

Noch wichtiger ist es, den Gesundheitszustand der geheimen Pro¬ 
stituierten zu heben. Sie sind zumeist versicherungspflichtige Kranken- 
kassen-Mitglieder. Sie hatten als solche schon immer die Möglichkeit 
auch eine etwaige Geschlechtskrankheit auf Kassenkosten behandeln zu 
lassen. Sie haben aber, selbst wenn sie sich schon zurAufsuchung ärztlicher 
Hilfe entschlossen, selten die Ausdauer sich so lange behandeln zu 
lassen, als es erforderlich ist. Dazu sind sie nur durch wiederholtes 
Zureden und Ermahnen zu bestimmen. Der leitende Arzt der Beratungs¬ 
stelle und seine ihm zur Seite stehenden Hilfskräfte (Fürsorgeschwestern) 
werden das eher zustande bringen als unpersönliche Aufrufe einer Kran¬ 
kenkasse oder Aufforderungen einer Polizeibehörde. 

Von der grössten Bedeutung wird — und auch das bleibt das Ver¬ 
dienst von Bissing’s — die Zusammenarbeit des Reichsversicherungs¬ 
amtes mit der Heeresverwaltung. 

Die Aufgabe der Militärbehörde gegenüber dem geschlechtskranken 
Soldaten besteht während des Krieges darin, ihn zunächst sobald als 
möglich frei zu machen von Krankheitserscheinungen, damit er aufs 
schleunigste seiner eigentlichen Soldatenbestimmung, der Kriegsverwen- 
dungsfäbigkeit, wieder zugetührt werden kann. Der geschlechtskranke 
Soldat ist eine wertlose Belastung des Truppenbörpers, das unangenehmste 
Brachliegen wertvollen Menschenmaterials. In zweiter Linie übernimmt 
es die Militärbehörde, sowie es der Dienst ermöglicht, auch den erschei¬ 
nungsfreien Kranken durch kurzfristige Zwischenkuren allmählich zur 
vollen Heilung zu bringen. Nach beiden Richtungen wird zurzeit von 
militärischer Seite sogar durch fachärztliche Behandlung in Sonderlaza¬ 
retten geleistet, was nur irgend geleistet werden kann. Es ist aber 
naturgemäss, dass das Endziel, die völlige Befreiung von Krankheits¬ 
erregern, während der Kriegszeit nur bei einem kleinen Bruchteil er¬ 
reicht wird. 

Deshalb ist zwischen der Heeresverwaltung und dem Reichsversiche¬ 
rungsamte vereinbart wordeD, dass bei der Entlassung von der Truppe, 
sowohl während des Krieges wie nach dem Friedensschlüsse, die ver¬ 
sicherungspflichtigen gescblechtskrsnk gewesenen Heeresangehörigen den 
Landesversicherungnanstalten zur weiteren Ueberwachung durch die Be¬ 
ratungstelle namhaft gemacht werden sollen. 

Die Namhaftmachung soll wie eine Kläranlage, wie ein Abfangfilter 
zwischen Kriegsheer und Heimatsbevölkerung wirken. Arbeitet sie, wie 
sie soll, dann könnte eine Gesundung, eine Ausheilung der verseuchten 
männlichen Bevölkerung erreicht werden, wie noch niemals bisher. Nie¬ 


mals wieder steht ein so grosser Teil der männlichen Bevölkerung unter 
militärischer Aufsicht, die kraft ihrer Machtbefugnis ohne weiteres das 
unbedingte Recht besitzt, den Gesundheitszustand eines jeden festzu¬ 
stellen. Wird dieser Zeitpunkt nicht ausgenützt, ausgenützt durch ge¬ 
naueste Untersuchung und unbedingt sichere Zuführung zu weiterer 
Behandlung ist er unwiderbringlich verloren. 

Die Vereinbarung, die zwischen Heeresverwaltung und Kriegsver¬ 
sicherungsamt getroffen wurde, ist verheissungsvoll wie selten eine, aber 
in den Freudenbecher fiel ein Wermutstropten! Die Meldung der bei 
der Heeresentlassung als geschlechtskrank Festgestellten soll nicht unbe¬ 
dingt erfolgen, sondern nur mit Zustimmung des zu entlassenden Sol¬ 
daten, dem allerdings vom Truppenärzte die Zustimmung eindringlich 
nahe zu legen ist. Wer weiss, wie bei Abfertigung von Massen ein ein¬ 
dringliches Zureden gehandhabt wird, kann sich vorstellen, was davon 
zu erhoffen ist. 

Eine nur mit Zustimmung des Geschlechtskranken erfolgende Mel¬ 
dung an die Beratungsstellen wird letztere niemals zu der vom Reicbs- 
versicherungsamte beabsichtigten Wirkung kommen lassen. Sie werden 
dann herabgedrückt zu einer Gelegenheit für unentgeltliche Behandlung, 
wie es in mittleren und Gross-Städten deren bislang schon zur Genüge 
gibt. Es kommt nicht darauf an, eine neue Anzahl solcher Behandlungs- 
Stellen ins Leben zu rufen, Bondern darauf, einen Mittelpunkt zu schaffen, 
in dem die Meldungen aller im Reiche vorhandenen versiohe- 
rungspflichtigen Geschlechtskranken gesammelt und von dem 
aus diese Kranken in geeigneten Zwischenräumen immer wieder zur Un¬ 
tersuchung und etwa erforderlichen Behandlung aufgefordert werden. 

Das ist eine Art Behandlungszwang, aber nur ein moralischer Zwang, 
der allein wirken will und wirken kann durch den Druck des ständigen 
Erinnerns an die Krankheit und des fortdauernden Anbietens unentgelt¬ 
licher Hilfe. Es ist ein Druck, der immer und immer wieder nur mit 
gütlichem Zureden auf jeden einzelnen Kranken Einfluss gewinnen will, 
um seinetwillen und um der Allgemeinheit willen. Ein Nutzen für die 
Gesamtbevölkerung kann aber nur dann geschaffen werden, wenn tat¬ 
sächlich alle versicherungspflichtigen Geschlechtskranken der Ueber¬ 
wachung zugeführt werden, nioht nur jene wenigen, die sich freiwillig 
mit ihrer Meldung einverstanden erklären. 

Was die eine Hand der Heeresverwaltung an wirksamem Eingreifen 
gewährte, hat die andere zurückgenommen. 

Es ist schwer nachzuempfinden, aus welchen Beweggründen die 
Militärbehörde sich zu dieser Stellungnahme entschlossen hat. Eine An¬ 
zahl von Reichstagsabgeordneten fast aller Parteirichtungen richtete an 
den Reichskanzter die Frage, ob er bereit sei, auf die Heeres- und 
Marine-Verwaltung dahin einzuwirken, dass die Meldung der wäh¬ 
rend ihrer Dienstzeit geschlechtlich Erkrankten ohne deren Befragung 
an die Landesversicherungsanstalt erfolgen solle. Es wurde die Antwort 
erteilt: eine solche Entscheidung sei ausschliesslich Heeressaohe, weil 
dabei ausser Gesichtspunkten der Hygiene auch militärische Interessen 
in Betracht kommen, die eine solch« Mitteilung an Beratungsstellen als 
unerwünscht erscheinen lassen können. 

Aus diesem Hinweis auf die militärischen Interessen, denen eine 
unbedingte Meldung unerwünscht sein könnte, ist eine klare Vorstellung 
von den Beweggründen der Militärverwaltung nicht zu gewinnen. Bei 
der ausserordentlichen Tragweite der augenblicklichen Einschränkung 
der Meldungen, die die grosszügigen Absichten des Reichsversicherungs¬ 
amtes nicht zu ihrer vollen Wirkung kommen lässt, und ein weiteres 
Sichverbergen und Unbebandeltbleiben ausserordentlich vieler Geschlechts¬ 
kranker unfehlbar zur Folge haben muss, ist zu prüfen, ob der Stand¬ 
punkt der Heeresverwaltung haltbar ist. 

Alsbald nach Bekanntwerden der Absicht des Reichsversicherungs¬ 
amtes, Beratungsstellen zu schaffen, tauchten in Aerztekreisen Bedenken 
auf, ob die ärztliche Schweigepflicht dem Kassenarzt überhaupt gestattet, 
ein Kassenmitglied, das sich ihm anvertraut habe, der Landesversiche¬ 
rungsanstalt anzugeben. Nach längerer Erörterung sind diese Bedenken 
allmählich verstummt. 

Auch von militärärztlicher Seite wird geltend gemacht, dass die 
Krankmeldung eines Soldaten als ein dem Truppenärzte anvertrautes 
Geheimnis anzusehen sei, das den Truppenarzt zur Verschwiegenheit ver¬ 
pflichte und eine Weitermeldung der Erkrankung an irgend eine andere 
Stelle nur nach ausdrücklicher Genehmigung des Erkrankten gestatte. 
Es wäre zu befürchten, dass im Falle der Weitermeldung ohne besonder« 
Genehmigung eine Störung des zurzeit erfreulicherweise bestehenden 
Vertrauensverhältnisses, das den geschlechtskranken Soldaten ohne jedes 
Bedenken seinen Truppenarzt aufsuchen lässt, herbeigeführt werden, 
eine Unterlassung der Krankmeldung, eine Verheimlichung der Krankheit 
und schliesslich die heimliche Bevorzugung der Kurpfuscherbehandlung 
eintreten könnte. 

Die rechtlichen Bedenken bezüglich der militärärztlichen Schweige¬ 
pflicht werden selbst von den einzelnen Aemtem, die sich mit dieser 
Frage zu beschäftigen haben, verschieden, gewertet: die des Kriegs¬ 
ministeriums und des Reichsversicherungsamtes nehmen einen entgegen¬ 
gesetzten Standpunkt ein. Der Reichskanzler hat in der oben angeführten 
Antwort auf die Reichstagsanfrage den Standpunkt des Reichsgerichts 
angeführt, das längst schon anerkannt hätte: höhere sittliche Pflichten 
könnten die Befugnis zur Preisgabe des Berufsgeheimnisses begründen. 

Liegen höhere sittliche Pflichten vor, die die Heeresverwaltung zum 
Aufgeben ihrer bisherigen bedingten Meldung unter Zustimmung des 
Erkrankten bewegen könnten? Mehrfache Gründe sprechen dafür. 

Die Heeresverwaltung ist ein Teil der Staatsverwaltung. Militär- 


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14. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


35 


behörde und Zivilbehörde sind ausfübrende Beauftragte des Staatsganzen. 
Die Mitteilung eine** der einen Behörde bekannten Tatsache an eine 
andere Behörde (Reiohsversioherungsamt und Landesversicherungsanstalten 
sind Teilkörper der staatlichen Zivilbehörde) kann niemals eine unbefugte 
Offenbarung sein, wenn sie im Sinne einer zwecks Erhaltung des Staats* 
ganzen geschaffenen Einrichtung erfolgt: Die Erhaltung des Staatsganzen 
steht höher als die Erhaltung unwesentlicher Sonderfragen der Heeres¬ 
verwaltung. Die Aufrechterhaltung eines Vertrauensverhältnisses zwischen 
Geschlechtskranken und Truppenärzten ist — so wünschenswert es im 
Einselfalle sein mag — für die militärärztliche Heeresversorgung belang¬ 
los. Die Militärbehörden dürfen und können nicht empfindsam sein, sie 
waren es nie und sind es auch jetzt nicht. Sie haben noch immer 
Mittel und Wege gefunden, das, was sie erreichen wollten, trotz des 
Widerstandes des Einzelnen durchzusetsen. Sie können den geschlechts- 
kranken Soldaten auoh ohne das Bestehen eines besonderen Vertrauens¬ 
verhältnisses zur Krankmeldung zwingen und etwaige Verheimlichungen 
jederzeit durch häufigere, ausgedehntere und strengere Untersuchungen 
feststellen. Die Rücksicht auf das Empfindungsleben der Mannschaften 
ist kein stichhaltiger Grund dafür, die Weitermeldung der geschlechts- 
kranken Versioherungspfliohtigen von deren Zustimmung abhängig zu 
machen. 

In einem Staate mit allgemeiner Wehrpflicht hat die Heeresverwaltung 
nicht nur im stehenden Heere die Geschlechtskranken mit allen verfüg¬ 
baren Mitteln möglichst schnell wieder zu gesunden, völlig dienstfähigen 
Soldaten zu machen. Sie hat aus Rücksichten der militärischen Selbst- 
erhaltung auch nachdrücklich darauf zu halten, dass der kranke Heeres¬ 
pflichtige sogar über seine aktive Dienstzeit hinaus, auch während der 
Reserve- und Landsturmpflicht, bis zur völligen Heilung überwacht und 
behandelt wird, damit der bei der Aushebung für diensttauglich Befundene 
wieder diensttauglich wird und bis zum Ablauf seiner Heereszugehörigkeit 
bleibt-, was er zu werden versprach. Die endgültige Heilung der geschlechts- 
kranken Mannschaften ist gerade, weil es sich, abgesehen von ihrer 
Geschlechtskrankheit, um ein völlig gesundes, kräftiges, voll leistungs¬ 
fähiges Menschenmaterial handelt, für die Militärbehörde von so grosser 
Bedeutung, dass — wenn sich jetzt nicht die Ueberwachung und Be¬ 
handlung durch die Landesversicherungsanstalten hätte einriohten lassen — 
sie selbst von sich aus an die Lösung dieser Aufgabe hätte herantreten 
müssen. Wenn heute der oberste Kriegsherr für diese kranken Mann¬ 
schaften eine Fortführung der Ueberwachung und Behandlung bis zum 
Schlüsse der Landsturmpflicht anordnen würde, würde aus der Erkenntnis 
der gegenwärtigen Kriegserfahrung heraus die gesamte Bevölkerung mit 
einem derartigen militärischen Bebandlungszwange sich ohne Murren ab- 
finden. Dank der Vereinbarung zwischen Heeresverwaltung und Reichs¬ 
versicherungsamt ist eine solche Anordnung des obersten Kriegsherrn 
nicht notwendig. Wenn aber diese Arbeitslast von den Schultern des 
Militärs auf die breiteren der gesamten Versicherungsträger übernommen 
wird, dann sollte die Heeresverwaltung um so weniger mit der 
Zustimmungserklärung des Erkrankten einen Hemmschuh anlegen, der 
die Wirkung einer durchgreifend erfolgreichen Fahrt bedenklich in Frage 
stellt. 

Die Militärbehörde hat die Behandlung der Geschlechtskranken auch 
vom Standpunkte des Bevölkerungsnachwuchses aus zu betrachten. Ihre 
diesbezüglichen Interessen fallen zusammen mit denen der Zivilbehörden. 
Beiden ist an der Aufzucht einer möglichst zahlreichen gesunden Be¬ 
völkerung sehr viel gelegen: der Zivilbehörde aus allgemeinen sozialen 
Rücksichten: zur Entwicklung einer ausgiebigen Arbeits-, Erwerbs- und 
Steuerfähigkeit; der Militärbehörde zur Entwicklung einer möglichst hohen 
Rekrutierungsziffer. Das Fortschleppen ungenügend behandelter Ge¬ 
schlechtskrankheiten bis zur Eheschliessung, ihre Uebertragung auf die 
Ehefrau, die Hervorrufung von Fehlgeburten, die Vererbung auf die 
Nachkommenschaft bewirken eine Abnahme der Heeresdiensttauglichen, 
der vorzubeugen ist. Das Problem der Bevölkerungspolitik erfordert die 
Mitarbeit der Heeresverwaltung an der Unschädlichmachung aller ge- 
schlechtskranken Soldaten, nicht nur jener, die einsichtsvoll genug sind, 
nach der Entlassung aus dem Heeres verbau de sich weiter behandeln zu 
lassen, sondern aller, die während der Kriegszeit geschlechtskrank waren. 

Alle Volksschichten haben zurzeit für ein selbst rücksichtsloses 
Eingreifen der Militärbehörde behufs Heranziehung zur Behandlung volles 
Verständnis: sie erkennen die Staatsnotwendigkeit an, die grossen 
Menschen Verluste, die der Krieg herbeigeführt hat, auszugleichen durch 
eine behördlich gesicherte Wiederherstellung der fortpflanzungsfähigen 
Ueberlebenden und durch eine Gesunderhaltung der kommenden Gene¬ 
ration. Auch die unbedingte, unbefragte Meldung der heeresentlassenen 
Versicherungspflichtigen wird, wie jede andere militärische Zwangsmaass¬ 
regel, hingenommen und nach kurzer Zeit als notwendig und nutz¬ 
bringend erkannt werden. 

Auf die unbedingte Meldung kann nicht verzichtet werden. Es 
ist festgestellt, dass nur 25 pCt. aller Geschlechtskranken der unteren 
Schichten freiwillig die Behandlung nur so lange durchführen, als 
es erforderlich ist. Die restlichen 75 pCt. stellen eine für das Volks¬ 
wohl zu schwerwiegende Ziffer dar, als dass man ruhig abwarten könnte, 
bis auch diese sich allmählich würden bekehren lassen. 

Die grosse Masse der Ungebildeten und Unvernünftigen braucht 
einen gewissen milden Zwang, um zu dem gebracht zu werden, was in 
ihrem eigenen Nutzen und in dem der Gesamtheit liegt. Die Heeres¬ 
verwaltung fragt auch bei der Auferlegung des Impfzwanges nicht nach 
der Zustimmung des einzelnen Soldaten; sie führt ihn durch, aus der 


Ueberzeugung heraus, damit auf dem allein gangbaren Wege dem Heere 
und der Gesamtbevölkerung zu helfen. 

Folgerichtiges Denken zwingt aus derselben Erwägung auch zur 
unbedingten Meldung der Geschlechtskranken an die Landes Versicherungs¬ 
anstalten. Eine derartige unbedingte militärische Meldung wäre trotz 
des damit verbundenen Zwanges nicht einer etwaigen durch das Seuchen¬ 
gesetz aufzuerlegenden Meldepflicht an eine Polizeibehörde gleichzu¬ 
stellen: diese wäre eine gesetzlich überwachte, mit Strafe bedrohte An¬ 
ordnung, jene nur eine zur Ermöglichung einer sozialen Fürsorge ge¬ 
gebene Mitteilung, die ohne Zwang, nur durch wiederholtes Ermahnen 
und Ueberreden eine Behandlung vermitteln will. 

Die Befürchtung, es könnte eine unbedingte Meldung eine Zunahme 
der heimlichen Kurpfuscberbehandlung der erkrankten Soldaten zur 
Folge haben, ist mit Leichtigkeit zu beheben. Das während der Kriegs¬ 
dauer bereits von den einzelnen Generalkommandos verfügte Verbot der 
Behandlung und der Ankündigung einer Behandlung von Geschlechts¬ 
kranken durch Kurpfuscher braucht nur für die Zeit nach dem Kriege 
bei den Zivilbehörden durchgesetzt zu werden. Das zu bewirken, wird 
der einflussreichen Heeresverwaltung nicht schwer werden. Es mutet 
zwar wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte an, dass in einem kon¬ 
stitutionellen Staate, bei der Volksvertretung, der die geistige Blüte des 
Landes angehört, ein Verbot der Kurpfuscherei trotz langwieriger Ver¬ 
handlungen nicht durohzusetzen war, während die Militärdiktatur im 
Augenblicke des Kriegsausbruches diese für das Volkswohl unerlässliche 
Verfügung sofort traf — immerhin, jetzt werden selbst die gesetzgeben¬ 
den Körperschaften der Aufrechterhaltung des Verbotes Schwierigkeiten 
nicht mehr entgegenstellen. Die Forderung des Kurpfuschereiverbotes 
ist auch von der diesjährigen Vollversammlung der deutschen Landes- 
versichernngsanstalten und von der Jahresversammlung der deutschen Ge¬ 
sellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankeiten im Juni 1917 ein¬ 
stimmig erhoben worden. Die Staatsregierung wird sich ihr nicht ent¬ 
ziehen können. 

Aus all den angeführten Gründen ist dringend zu wünschen, dass 
die Heeresverwaltung ihren Standpunkt gegenüber den Beratungsstellen 
der Landesversicherungsanstalten noch einmal überprüft. Die Meldung 
darf nicht abhängig bleiben von dem Ermessen jedes einzelnen Soldaten, 
mag er noch so unzugänglich sein jedem verständigen Zureden, mag er 
noch so bar sein jeden Gemeinschaftssinnes. Sie ist so festzusetzen, 
dass sie der Verantwortung der Behörde, dem Bedürfnis des Volkes, dem 
Ziele des Reichs Versicherungsamtes «so vollkommen als irgend möglich 
entspricht. 

Die Aufgabe, die das Reichsversicherungsamt zum Nutzen der 
Gesamtheit übernehmen will, ist nur durch die einmütige Unterstützung 
und Mitarbeit der Aerzteschaft zu lösen. 

In der ersten Zeit nach Bekanntgabe der Absichten der Landes¬ 
versicherungsanstalten machte sich ein Widerstand der Aerzte bemerkbar. 
Zunächst aus Besorgnis vor wirtschaftlicher Schädigung. Diese Besorgnis 
ist grundlos: Die Behandlung der versicherungspflichtigen Geschlechts¬ 
kranken bleibt wie bisher in den Händen der Kassenärzte. Es ist an- 
zunebmen, dass auf Grund der Zuweisung seitens der Beratungsstellen 
den Kassenärzten sogar noch eine erhöhte Krankenzahl und damit eine 
Erhöhung der Einnahmen zufliessen wird. Ein weiterer Widerstand 
wurde geltend gemacht aus dem Gewissensbedenken, ob der Kassenarzt 
mit der Meldung des Geschlechtskranken sich einer Verletzung der 
Schweigepflicht schuldig mache. Die Anschauung der Aerzteschaft neigt 
sich allmählich dahin, dass dies nicht der Fall sei. Ein jedes Kassen¬ 
mitglied weiss, dass es die ihm zustehenden Kassen vorteile: ärztliche 
Beratung, Arzneimittel, Krankengeld und etwaige Krankenbausaufnahme 
nur erreichen kann, wenn der Arzt der Kasse die Krankheit meldet. 
Was die Krankenkasse mit dieser Meldung macht, ob sie sie zur weiteren 
Ueberwachung des Kranken bis zu seiner Ausheilung der Landes¬ 
versicherungsanstalt übergibt oder nicht, ist nicht Sache des Arztes, 
kann niemals dem Arzte als Vertrauensbruch ausgelegt werden. Die 
Tatsache, dass von allen auf diesem Wege von den Krankenkassen bis¬ 
her den Beratungsstellen namhaft Gemachten auch noch nicht einer sich 
über die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht beschwert hat, be¬ 
weist am besten, wie wenig berechtigt die ausgesprochenen Bedenken 
sind. In einer Sitzung der Sachverständigenkommission der Deutschen 
Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, im Oktober 1916, 
die sich mit der „befugten“ Offenbarung des dem Arzte anvertrauten 
Geheimnisses befasste, wies Herr Blaschko darauf hin, dass angesichts 
der zur Zeit sich geltendmachenden UeberspannuDg des Verschwiegenheits- 
begriffes eine maassgebliche Auslegung des § 800 notwendig wird. 

Die Kommission beschloss: 

„Mit Rücksicht auf eine wirksame Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten möge der Reichstag bei den verbündeten Regierungen dabin 
wirken, dass der von der Strafreohtskommission zu § 300 des StGB, 
beschlossene Zusatz: 

Die Offenbarung ist nicht rechtswidrig, wenn sie zur Wahrung 
berechtigter privater oder öffentlicher Interessen erforderlioh war, 
vorausgesetzt, dass dabei die sich gegenüberstehenden Interessen 
pflichtmässig berücksichtigt worden sind, möglichst bald Gesetz 
werde.“ 

Mit der Erfüllung dieser drei Forderungen: der unbedingten Meldung 
aller geschlechtskranken versicherungspflichtigen Heeresangehörigen ohne 
deren Befragung, der Aufrechterhaltung des zur Zeit bestehenden Ver¬ 
botes der Behandlung von Geschlechtskranken durch Kurpfuscher und 
der Erweiterung des § 800, die die Angabe eines geschlechtskranken 

8 * 


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36 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


Kassenmitgliedes an den Krankenkassenvorstand ausdrücklich als befugt 
anerkennt, wird dem Ausbau der Krankenfürsorge des Reiohsversicberungs- 
amtes ein Erfolg gesichert. 

Heeresverwaltung, gesetzgebende Körperschaften und Aerzteschaft 
mögen sieh ständig vor Augen halten, dass die Beratungsstellen der 
Landesversicherungsanstalten mit ihrem vom Reichsversicherungsamte 
aufgestellten Arbeitsumfange eine von der Staatsregierung geschaffene 
Einrichtung sind, die unbedingt bestehen bleibt und im Laufe der Zeit 
unfehlbar noch weiter ausgebaut wird. Es wäre zwecklos und unklug, 
wenn von irgend einer Seite her der Entwicklungsfähigkeit dieser Ein¬ 
richtung durch mangelhaftes Entgegenkommen Schwierigkeiten in den 
Weg gelegt oder nicht aus dem Wege geräumt würden. 

Wird freie Bahn geschaffen für die volle Entfaltung der in den 
Beratungsstellen ruhenden Kräfte, dann wird sich binnen wenigen Jahren 
erweisen, dass mit dieser aus der Not der Kriegsjabre hervorgegangenen 
segensreichen Einrichtung eine wesentliche Einschränkung der aus den 
Geschlechtskrankheiten sich ergebenden Volksgefährdung zu erreichen ist. 


Einwände gegen Verminderung des Schweine¬ 
bestandes. 

Von 

R. E. May. 

(Fortsetzung.) 

IV. 

Wir haben in Absohnitt III die Einkommensteigerung grosser Teile 
der Bevölkerung mit der Steigerung der Kosten der Lebenshaltung ver¬ 
glichen. Nachstehend wollen wir ihren jetzigen Nahrungsumfang 
mit ihrem früheren Nahrungsumfange vergleichen. Ueber den 
jetzigen Nahrungsumfang der städtischen Bevölkerung sind bereits von 
verschiedenen Seiten Berechnungen veröffentlicht worden. Natürlich 
kann hier nicht, wie z. B. bei den Löhnen, von Durchschnittszahlen ge¬ 
sprochen werden. Die Rationierung weicht in den verschiedenen Städten 
— und in diesen wieder zu verschiedenen Zeiten — etwas voneinander 
ab. Doch ist der Gesamtnährwert der rationierten Nahrungsmittel in 
den Städten, für die Berechnungen .veröffentlicht worden sind, so ziem¬ 
lich derselbe. Prof. Dr. A. Backhaus schreibt in der „Deutschen land¬ 
wirtschaftlichen Presse“, Nr. 22 vom 17. März 1917, S. 192: „Für 
Berlin berechnete sich die Zuteilung nach Karten während des Monats 
Februar 1917 auf 1200 Kalorien täglich für die Person.“ (Soll jedenfalls 
heissen: für den Erwachsenen.) Stadtarzt Dr. Diene mann-Dresden hat 
die Kartenrationen für Dresden für die verschiedenen Altersklassen dem 
Bedarf derselben gegenübergestellt. „Ein Mann bedarf bei leichter 
Tätigkeit“, heisst es da 1 ), „2450 Kalorien täglich und erhält an ratio¬ 
nierten Nährwerten 1200 Kalorien.Das heisst, diese Mengen 

sollte er erhalten, der Kartoffelausfall liess jedoch diese Ziffer der 
rationierten Nabrungswerte, trotz des Mehl- und Brotzuweises für die 
Allgemeinheit, zeitweise herabsinken bis auf rund 1050 Kalorien täglich.“ 

Der Karfoffelausfall war aber keine spezifisoh Dresdener Erscheinung. 
Auch andere Zuteilungen sind unregelmässig erfolgt, so dass der Nähr¬ 
wert der rationierten Nahrungsmittel wochen- und monatsweise ver¬ 
schieden war. Es empfiehlt sich daher, den Nährwert der rationierten 
Nahrungsmittel statt nach Wochen- und Monatsmengen nach Jahres¬ 
mengen zu berechnen. Eine solche Berechnung — deren Ergebnisse 
wir bereits im Abschnitt I dieser Abhandlung mitgeteilt 
haben 2 ) — erfolgt in Tabelle V. Es sind ihr die Jahresmengen der 
Tabelle HI (siehe Abschnitt III) zugrunde gelegt. Diese Jahresmengen 
sind gefunden durch Addition der während der ersten 10 Monate des 
Jahres 1917 in Hamburg wirklich zur Verteilung gelangten Nahrungs¬ 
mittel und Hinzufügung eines entsprechenden Aufschlages für die rest¬ 
lichen beiden Monate des Jahres. Die Endsummen wurden dann nach 
oben abgerundet. 

Ehe wir auf die Resultate der Tabelle V näher eingehen, sei noch 
der Nährwert der rationierten Nahrungsmittel der Stadt Giessen mit¬ 
geteilt, den Prof. Dr. Wilhelm Stepp in einem Aufsatz „Ueber 
Probleme der Ernährung im Kriege“ in der „Medizinischen Klinik“, 
Nr. 47 vom 25. November 1917 veröffentlicht. Dieser Nährwert bezieht 
sich auf eine Zeit zu Anfang des Jahres und zwar auf Kartoffeln, Brot, 
Fleisch, Zucker und Butter. Der Verfasser rechnet für diese zusammen 
1827 Kalorien pro Tag heraus. Zu dieser Zahl gelangt er dadurch, dass 
er mit Ausnahme von Fleisch höhere Kalorienwerte annimmt als König. 
Da die Anwendung der richtigen Nährwertzahlen eine grosse Rolle für 
das Endresultat spielt, so müssen wir einen Augenblick bei diesem 
Punkt verweilen. Bei Brot, das bei Stepp rund 60pCt. seiner Ge¬ 
samtkalorienzahl liefert, rechnet dieser 2620 Kalorien auf 1 kg. Einen 
so hohen Nährwert hat aber nur reines Weissbrot und zwar nur fei nes 
Weissbrot. Auch in Giessen wurde Anfang 1917 sicher kein reines 
Weissbrot mehr gegesien. Jedenfalls nicht allgemein. In Hamburg 
wurde und wird ungefähr halb Graubrot, halb Schwarzbrot genossen. 
Die Durchschnittskalorienzahl dieser beiden Brotarten ist nach König 
2070 Kalorien auf 1 kg. Berechnet man den Nährwert der von Stepp 

1) Soziale Praxis, Nr. 52 vom 27. Sept. 1917, Spalte 999. 

2) Siehe B.kl.W., Nr. 48 vom 26. Nov. 1917, S. 1150. 


angegebenen Rationen nach König (Nährwerttafel von 1913), so redu- 
cieren sich seine 1327 Kalorien auf 1128 Kalorien. Dabei hat er schon 
300 g Brot und Mehl pro Tag in Ansatz gebracht! 

Nachdem Stepp dann noch einige nichtrationierte Nahrungsmittel 
erwähnt hat, fährt er fort: „Wieviel dürfen wir von diesen Lebensmiteln 
für den Tag ansetzen? .... Nehmen wir eine Menge von 1000 g 
Rohgemüse für den Tag an, was recht reichlich gerechnet ist, 
so würden dem etwa im Durchschnitt 400 Kalorien entsprechen. 
Addieren wir diesen Betrag zu den vorher berechneten 1327 Kalorien, so 
fehlen uns bis zu unserer notwendigen Kalorienzahl noch etwa 700 Ka¬ 
lorien, und diese mit den nicht rationierten Lebensmitteln 
zu decken, dürfte nicht ganz leicht sein/* Nun rechnet Stepp 
die Gemüsekalorienzahl mit durchschnittlich 400 aber wieder viel zu 
hoch. Im EItzbacher’schen Buch sind die Gemüse (S. 38) mit durch¬ 
schnittlich 310 Kalorien auf 1 kg angenommen. Wir haben in diesem 
Jahre hauptsächlich Kohlrüben, Weisskohl und Rotkohl gegessen, die durch¬ 
schnittlich 263 Kalorien hergeben. Von diesen gehen noch 15pCt. für Abfall 
herunter. Wenn Stepp 1000 g Rohgemüse „reichlich“ findet, dann 
sind diese also mit 280 Kalorien brutto reichlich gerechnet. Diese und 
die von ihm aufgefübrten rationierten Lebensmittel, die brutto nur rund 
1130 Kalorien ergeben, liefern zusammen 1410 Kalorien brutto, also 
vielleicht 1300 Kalorien netto. Was kann ausser den reichlich gerech¬ 
neten 1000 g Gemüse an nicht rationierten Lebensmitteln noch genossen 
sein?! Gewiss, es kommt noch etwas für Fische und andere Nahrungs¬ 
mittel in Betracht, aber aus zwei Gründen können die Massen nicht 
viel davon erhalten haben, einmal, weil ausser von den bereits aufge¬ 
führten Nahrungsmitteln in den Städten nicht viel von Nahrungsmitteln 
vorhanden war, dann aber auch, weil die nicht rationierten Nahrungs¬ 
mittel so teuer waren, dass die Massen, deren Löhne und Gehälter nicht 
im Verhältnis zu den Preisen gestiegen waren, nicht viel davon erwerben 
konnten. Was insbesondere Fische anbelangt, so dürfte die Giessener 
Bevölkerung von ihnen schwerlich mehr erhalten haben als die Ham¬ 
burger. Im Hamburger Fremdenblatt vem 28. November 1917 (Nr. 329 B, 
Seite 5) heisst es unter der Ueberschrift „Versorgung mit Fischen“ (und 
ähnlich io der ganzen Hamburger Presse): „Bei den Verhandlungen der 
verstärkten Staatshaushaltskommission des preussischen Abgeordneten¬ 
hauses über die Ernährungsfrage hat der Reichskommissar für Fisohver- 
sorgung erklärt, wenn vielfach die Bedürfnisse der Bevölkerung an 
Fischen nicht voll befriedigt seien, so läge das neben dem beschränkten 
Fanggebiet am Ausfall der Auslandzufuhr. Diese Aeusserung hat, wo 
sie bekannt geworden ist, allgemein überrascht. Es kann gar nicht 
davon die Rede sein, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung „nicht 
voll“ befriedigt werden; es kommt vielmehr eine Befriedigung der Be¬ 
dürfnisse überhaupt nicht mehr in Betracht, denn die Märkte der Gross¬ 
städte sind seit langer Zeit von Fischen vollständig entblösst. Sowohl 
frische Fische wie auch geräucherte haben gänzlich aufgehört, in der 
Ernährung der grossstädtischen Bevölkerung irgendwelche Rolle zu 
spielen.“ 

Aehnlich ist es mit Käse und anderen nicht rationierten Nahrungs¬ 
mitteln. 

Prof. Dr. Backhaus-Berlin berechnet in der schon angeführten 
Nr. 22 der „Deutschen Landwirtschaftlichen Presse“ vom 17. März 1917 
den Verbrauch in den wichtigsten Lebensmitteln auf den Kopf der 
deutschen Bevölkerung im Kriege auf wöchentlich 9894 Kalorien, gegen 
22 916 Kalorien vor dem Kriege, also auf täglich 1413 Kalorien bzw. 
3274 Kalorien, und zwar sind diese Lebensmittel 1. Brot, 2. Graupen, 
Griess, Grütze usw., 3. Zucker, 4. Hülsenfrüchte, 5. Kartoffeln, 6. Ge¬ 
müse, 7. Obst, 8. Fleisch, 9. Fett, 10. Milch. Er hat also nioht viel 
Lebensmittel ausgelassen, die die notwendige bzw. vor dem Kriege tat¬ 
sächliche Differenz decken sollen, die er „im Kriege“ mit wöchentlich 
2706 Kalorien, „vor dem Kriege“ mit 2283 Kalorien annimmt. Das sind 
pro Tag 387 Kalorien bzw. 326 Kalorien, und in Prozenten der auf¬ 
geführten „wichtigsten Lebensmittel“: „im Kriege“ 27 pCt., „vor dem 
Kriege“ 10 pCt. Wir wissen aber, dass die restlichen Nahrungsmittel, 
wie Fische, Käse usw., die vor dem Kriege 10 pCt. des Nahrungsumfanges 
deckten, im Kriege ebenfalls knapper geworden sind und also pro Kopf 
im Kriege nicht eine höhere Kalorienzahl liefern können als vor dem¬ 
selben. Also kann der Nahrungsumfang durch sie im Kriege nicht um 
27 pCt. des Nahrungsumfanges der „wichtigsten Lebensmittel“ erhöht 
worden sein. 

Kommen wir jetzt zu unserer Tabelle V. 

Was die in Ansatz gebrachten „Verluste“ anbelangt, beziehen 
wir uns für Kartoffeln (17 pCt.) auf das in Abschnitt II gesagte. Für 
Fleisch ist der Umfang des Knochengewiohtes mit 20 pCt. behördlich 
begrenzt, und wird das Fleisch natürlich von den Schlachtern dement¬ 
sprechend geliefert. Butter und Margarine werden wöchentlich in so 
kleinen Mengen abgegeben, dass ein unverhältnismässiger Verlust, 
namentlich des am Einwickelpapier haftenden Teiles, unvermeidlich ist. 
Wegen des Verlustes bei Eiern und Grünwaren (auch bei Milch) ver¬ 
weise ich auf May, „Die deutsche Volksernährung“. Bei Milch habe ich 
etwas weniger Verlust gerechnet als im angezogenem Werk, weil der 
Haushalt jetzt sorgfältiger mit ihr umgeht. Andrerseits drückt aber der 
Empfänger der Milch jetzt bezüglich richtigen Maasses ein Auge zu, 
weil er froh ist, wenn er überhaupt nur welche erhält! 

Die Nährwertprozentsätze sind grösstenteils König’s Nährwert¬ 
tafel (elfte Auflage 1913) entnommen. Bei Schweinefleisch haben wir 
den im Abschnitt I mitgeteilten Fettprozentsatz in Ansatz gebracht und 
den Eiweissprozentsatz entsprechend hooh angenommen. König gibt 


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14. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


37 


Tabelle V. 

Der Nährwert des Konsums des nicht bevorrechtigten Erwachsenen in Hamburg im Jahre 1917. 



Jahresmenge 

Aus nutzbare Nährstoffe 

Die Menge des Nahrungsmittels 
enthält an ausnutzbaren Nähr¬ 
stoffen 

Sie liefert 

Brutto 

kg 

Ver¬ 

lust 

pCt. 

Netto 

kg 

Eiweiss 

pCt. 

Fett | Kohlehyd, 

pCt. | pCt. 

Kal. auf 

1 kg 

Eiweiss 

g 

Fett 

K 

Kohlehyd. 

g 

Kalorien 

Brot. 

100 


100 

. 4,3 

0.6 , 45,0 

2070 

4 300 

600 

45 000 

207 000 

Mühlenfabrikate . . . 

5 

— 

5 

7,6 

0,7 73,8 

3385 

380 

35 

3 690 

16 925 

Kartoffeln. 

100 

17 

83 

1,5 

0,2 , 20,0 

890 

1 245 

166 

16 600 

73 870 

Zucker.l 

10 


10 

— 

— 99,0 

3984 

— 


9 900 

39 840 

Rindfleisch . . . . 

12 

20 

9,6 

18,0 

7,0 ! — 

1389 

1 728 

672 

— 

13 334 

Schweinefleisch . . . j 

2 

20 

1,6 

16,0 

20,0 — 

2516 

256 

320 

— 

4 025 

Butter. 

2,5 

4 

2,4 

0,5 

81,5 — 

7604 

12 

l 956 

— 

18 250 

Margarine. 

2 

5 1 

1,9 

— 

90,0 — 

8370 

— i 

1 710 

— 

15 903 

Eier 20 Stück ä 50 g . 

1 

13 i 

0,87 

12,2 

11,5 — 

1659 

106 

100 

— 

1443 

Kohl, Rüben usw. . . 

100 

15 I 

85 

1,0 

0,3 6,0 ; 

315 

850 

255 

5 100 

26 775 

Milch (abgerahmte) Liter | 

12 

• 8 -i 

11,0 

2,9 

0,5 , 4,8 , 

379 

319 

55 | 

528 

4169 

Marmelade. j 

6 

, — ; 

6 

0,5 

0,1 ' 40,0 

1670 

SO 

6 1 

2 400 

10 020 








9.226 | 

5 875 

83 218 

431 554 






pro Tag . . 

25,2 | 

16,1 

227,4 

1185 


für mittelfettes Rindfleisch 7,1 pCt. Fett an. Wir haben 7 pCt. an¬ 
genommen, zweifeln aber, dass das Rindfleisch im Jahre 1917 noch 
diesen Fettgehalt hatte. Auch der von uns für Margarine in Ansatz 
gebrachte Fettgehalt von 90 pCt. scheint für die Margarine jetziger 
Fabrikation recht hoch. 

Für die Nährwertprozentsätze der Marmelade haben wir eine 
englische Quelle benutzt, aber den Kohlehydratprozentsatz, der dort mit 
50 pCt. angegeben ist, mit Rücksicht auf den verhältnismässig geringen 
Zackergehalt unserer jetzigen Marmelade auf 40 pCt. ermässigt. Neben¬ 
bei bemerkt kommt diese eben (1917) erschienene englische Arbeit „The 
food supply of tbe United Kingdom“, die im Aufträge des Handelsamtes 
und mit dessen Hilfe von 9 bedeutenden Fachgelehrten verfasst ist, 
zu dem Resultat, dass im Durchschnitt der 5 Jahre 1909—1913 auf den 
Kopf der englischen Bevölkerung 3091 Kalorien entfielen. Ich hatte 
diese Kopfquote in meiner, in der B.kl.W., Nr. 32. 33 und 34 ver¬ 
öffentlichten Untersuchung: „Die Grundlage der Kriegsernährung in 
Deutschland und England“ auf 3100 Kalorien berechnet (siehe Nr. 34, 
S. 821, rechte Spalte, Sonderausgabe S. 20). Die entsprechende Kopf¬ 
quote eines Erwachsenen wird von den Engländern mit 4009 Kalorien 
angegeben. 

Aus Tabelle V geht u. a. hervor, dass das Schweinefleisch nur ein 
Drittel mehr Fett geliefert hat als die Grün waren, dass das Brot 
aber 135 pCt. mehr Fett geliefert hat als das Schweinefleisch. 
Das Brot lieferte fast die Hälfte der ganzen Kalorienzahl. 1907 lieferte 
es nur 35 pCt. derselben (siehe May, „Die deutsche Volksernährung“, 
S. 108). In Wirklichkeit wird es 1917 wohl nicht ganz so viel geliefert 
haben, wie es .nach Tabelle V erscheint, in der wir ja die König’schen 
Nährwertprozentsätze der Friedenszeit angewandt haben, während doch 
fraglos das bis zu 94 pCt. ausgemablene Mehl der Jetztzeit nicht mehr 
dieselben Prozentsätze ausnutzbarer Nährstoffe enthält. Nach Noorden 1 ) 
entspricht der Streckung des Mehles durch stärkere Ausmahlung um 
25 pCt. nur eine Erhöhung des Nährwertes um höchstens 10—12 pCt. 

Da nun das Brot den Hauptposten der Kalorien liefert, so ist doch 
sehr fraglich, ob die Gesamtzahl von 1180 Kalorien pro Tag nicht zu 
hoch ist. 

Andererseits verzehren die Konsumenten wohl ausnahmslos auch noch 
andere Nahrungsmittel als die auf Karten erhältlichen, deren Nährwert 
wir in Tabelle V berechnet haben. Wie gross ist der Nahrungsumfang 
dieses Mehrkonsums? Bei dem Gros der Bevölkerung wird er — an¬ 
gesichts der Preise aller nicht rationierten Nahrungsmittel und ange¬ 
sichts ihrer Knappheit — 25 pCt. der Nährwerte der Tabelle V gewiss 
nicht übersteigen und in den meisten Haushaltungen sie nicht erreichen. 

Bei Fett haben wir bereits im Abschnitt I einen Aufschlag von 
25 pCt. gemacht, wodurch sich die Fettratiou toi 16 auf 20 g 
erhöhte. Die Eiweissration würde sich bei gleiche» 
Aufschlag auf 32 g, die Kohlehydratration auf 284 g und 
die Kalorienzahl auf 1480 Kalorien erhöhen. Eine gleich- 
massige prozentuale Erhöhung der verschiedenen Nährstoffe würde natür¬ 
lich nicht richtig sein, denn wenn sich die Fettquote und die Eiweiss- 
quote nur schwer erhöhen lassen, so ist das bei der Kohlehydratquote 
nicht im selben Maasse der Fall. Trotzdem ist eine Erhöhung um 25 pCt. 
auch hier gerechtfertigt, weil wir ausser den rationierten Nahrungsmitteln 
io unserer Tabelle auch Gemüse und zwar mit 100 kg aufgeiührt haben. 
Wir batten also die Kohlehydratquote schon vorher erhöht. 

Wie gross waren diesen Quoten gegenüber die entsprechenden 
Hamburger Friedensquoten? 

Auf den Kopf der 179 Hamburger Haushaltungen der Reiohserhebung 
des Jahres 1907, deren Konsum ich in „Die deutsche Volksernährung“ 
eingehend untersucht habe (siehe daselbst Seite 96) — der dem Konsum 

1) „Neue Untersuchungen über die Verwedung der Roggenkleie für 
die Ernährung des Mensoben.“ D.m.W., Nr. 2 vom 31. Mai 1917. 


von 60 pCt. der Hamburger Bevölkerung entspricht, und denjenigen von 
20 pCt. derselben noch übertrifft (siehe daselbst Seite 134) — entfielen 
täglich (ohne alkoholische Getränke und Konsum in Gastwirtschaften): 


Eiweiss 

Fett 

Kohlehydrate 

Kalorien 

g 

g 

g 


60,2 

83,3 

317,9 

2325 


Ein Vergleich dieser Kopfquoten mit denjenigen, die auf die Ham¬ 
burger Gesamtbevölkerung entfallen, erfordert, wegen ihres anderen 
Altersaufbaues, einen Aufschlag von 10,04 pCt. (9iehe „Die Deutsche 
Volksernährung“ Seite 10). Die Kopfquoten einer Bevölkerung des Alters¬ 
aufbaues der Hamburger Bevölkerung betrugen also (bei gleichem Durch¬ 
schnittseinkommen wie die untersuchten 179 Hamburger Haushaltungen: 
M 2113): 


Eiweiss 

Fett 

Kohlehydrate 

Kalorien 

g 

g 

g 


66 

92 

350 

2558 


Die Umrechnung dieses täglich auf den Kopf der Hamburger Be¬ 
völkerung entfallenden Konsums in den Konsum eines Er¬ 
wachsenen — den wir zu Vergleichszweoken kennen müssen — er¬ 
fordert einen Aufschlag von 20pCt. Danach betrug in Hamburg die 
tägliche Kopfquote eines Erwachsenen vor dem Kriege: 


Eiweiss 

Fett 

Kohlehydrate 

Kalorien 

g 

g 

g 


79 

110 

420 

3070 


Die Umrechnung der volksdurchsohnittlichen Kopfquote einer Person 
in die Kopfquote eines Erwachsenen erfordert nach Zuntz 1 ) einen Auf¬ 
schlag von 23,5 pCt. Rechnet man erst die Reichsparität des Konsums 
einer Person der 179 Hamburger Haushaltungen durch einen Aufschlag 
von 6,7 pCt. aus 2 ) und verwandelt die sich so auf den Kopf einer 
Person ergebenden Durchschnittswerte durch Aufschlag von 23,5 pCt. in 
die Kopfquote eines Erwachsenen, so ergeben sich: 


Eiweiss 

Fett 

Kohlehydrate 

Kalorien 

g 

g 

g 


78 

110 

419 

3064 


Es ergibt sich also aus unserer Gegenüberstellung das 
Resultat, dass die Kalorienkopfquote des Erwachsenen im 
Jahre 1917 rund die Hälfte der Friedenskopfquote betrug. 
Die Eiweisskopfquote betrug 40pCt., die Fettkopfquote 20pCt. 
der Friedenskopfquote. Am wenigsten zurückgegangen ist 
die Kohlehydratquote. Sie ist nur um etwa 30pCt. zurück¬ 
gegangen. Die Kohlehydrate sind also unsere Rettung! 

Und da sollen wir sie uns von den Schweinen wegfressen 
lassen, nur damit die ländliche Bevölkerung, die auch heute 
noch lOOpCt. ihrer Friedenskalorienzahl geniesst — die wir 
ihr ja lassen wollen —, und eine schmale städtische Ober¬ 
schicht mehr Fleisch und Fett erhält?! 

Vom Kriegsernährungsamt wird jetzt eine Organisation zur Auf¬ 
klärung der Bevölkerung in Ernährungsfragen geschaffen. Die wichtigste 
Aufgabe, welche die neue Organisation zu lösen hätte, wäre die Auf¬ 
klärung der Landwirte über die Wirkung der Schweinezucht auf die 
Volksernährung und damit auf die Möglichkeit des Durchhaltens. 
Denn die Verfütterung für den menschlichen Konsum jetzt dringend 
nötiger Futtermittel an die Schweine geschieht wohl aus Eigennutz, aber 
in grösstem Umfange passt auf die Schuldigen das Wort: Vater, verzeihe 
ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! 

Unverzeihlich aber ist es, wenn die Wissenden für die Mensohen 

1) Siehe Eltzbacher, „Die deutsche Volksernährung“, S. 24. 

2) Siehe May, „Die deutsche Volksernährung“, S. 10. 


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UMIVERSITY OF IOWA 

















38 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


geeignetes Futter an Schweine — und, wie jetzt vielfach geschieht, an 
Kaninchen und Gänse — verfüttern. Natürlich sind solche Personen 
(wissende) am häufigsten in den Kreisen der Gebildeten und leider auch 
unter den Einflussreichen. Opfer sollen immer die anderen bringen: 
„Ich will meinen Schinken haben!“ 

(Schluss folgt.) 


Druckfehlerberichtigung. 

In Nr. 58, S. 1259, Zeile 28, muss es statt 85 Pfg. 65 Pfg. heissen. 


Bücherbesprechungen. 

Wilhelm Liepmann: Das geburtshilfliche Seminar. Praktische Geburts¬ 
hilfe in 19 Vorlesungen mit 292 Abbildungen für Aerzte und Stu¬ 
dierende. Berlin 1918, Verlag von A. Hirsohwald. 2. vermehrte und 
verbesserte Auflage. 423 Seiten. Preis 18 Mark. 

Beim Erscheinen der ersten Auflage (1909) hatte Ref. ausführlich 
auf die grosse pädagogische Begabung hingewiesen, mit der Liepmann 
seinen Stoff zu meistern versteht. Anstatt lange, theoretische, leicht 
ermüdende Auseinandersetzungen zu geben, führt er uns in seinem 
„Seminar“ direkt an das Kreissbett, legt uns einen einzelnen Fall vor 
und zeigt, wie man in diesem Falle handeln müsse, und warum andere 
vielleicht in Frage kommenden Eingriffe hier zu unterbleiben haben. 
Die in der Geburtshilfe bestehenden allgemeinen Richtlinien und An¬ 
zeigen werden dadurch dem rein gedächtnismässigen Erlernen entzogen 
und zu wirklichem Verstehen und Erfassen gebracht. Ein ganz be¬ 
sonderer Vorzug des Werkes besteht aber darin, dass der Verf. einen 
jeden Handgriff und Eingriff, auch den scheinbar untergeordnetsten, mit 
grösster Ansohaulichkeit und Ausführlichkeit, mit genauesten Hinweisen 
auf die dabei zu vermeidenden Fehler zu schildern weiss. Die zahl¬ 
reich beigegebenen, geradezu vorzüglich ausgeführten und sofort zu er¬ 
kennenden Zeichnungen unterstützen die Darstellung aufs beste. 

Nachdem Liepmann vor wenigen Jahren seinen auf denselben 
Grundsätzen aufgebauten „Gynäkologischen Operationskursus“ heraus¬ 
gegeben hat, hat er jetzt — sogar während des Krieges — eine zweite 
Auflage seines Geburtshilflichen Seminars erscheinen lassen. Neu hinzu¬ 
gekommen ist in dieser 2. Auflage eine Vorlesung (Nr. 3), in welcher 
er die verschiedenen Arten der Injektionen (subcutane, intravenöse) an¬ 
schaulich schildert und sich über die Bedeutung des Pituglandols sehr 
eingehend äussert. In der 6. Vorlesung ist eine genaue Beschreibung 
der Naht des frischen Dammrisses mit sehr klaren Abbildungen ein¬ 
gefügt. Als weitere Hinzufügungen seien erwähnt eine Abhandlung 
über „Die Hand als Instrument des Geburtshelfers“ und eine Besprechung 
des Wesens und der Behandlung der Eklampsie. Die Zuhl der Ab¬ 
bildungen, die überaus ansprechend sind, ist noch um 80 vermehrt 
worden. 

Die Ausstattung und die Uebersichtlichkeit des Druckes ist eine 
vorzügliche. 

Das Liepmann’sehe Werk gehört zu den Büchern, die auch ohne 
besondere Empfehlung sich sicher in den weitesten Kreisen der Stu¬ 
dierenden und besonders der Aerzte schnell Eingang verschaffen werden. 

R. Schaeffer-Berlin. 


Ctsfosfek: Morbis Basedowi and die Hyperthyreosen. Berlin 1917, 
Springer. 

In dem Werk von 450 Seiten wird einerseits das klinische Bild des 
Morbus Basedow besprochen, speziell untersuoht wie weit die Krankheit 
durch eine veränderte Tätigkeit der Schilddrüse in ihren mannigfachen 
Erscheinungen erklärt werden kann und andererseits der Begriff der 
Hyperthyreosen schärfer ahgegrenzt. 

Abweichend von der Anschauung mancher Autoren betont Verfasser 
bei Besprechung des Morbus Basedow das Monotone des Krankheits¬ 
bildes; sobald man von Nebensächlichem absieht, das Vorhandensein von 
Exophthalmus, das Vorkommen der Krankheit ganz vorwiegend bei 
Frauen, die Gleichförmigkeit in dem Einsetzen und der zeitlichen Grup¬ 
pierung der einzelnen Symptome und das konstante Vorhandensein von 
Zeichen degenerativer Konstitution (Status thymicus, Thymico-lymphaticus 
Paltauf, Status hypoplasticus Bartel). Eine Funktionsstörung der Schild¬ 
drüse ist nicht stets das Primum movens, weit wichtiger die degenerative 
Anlage, die abnorme Ansprechbarkeit und Reaktion der Erfolgsorgane. 
Dabei ist der mächtige Einfluss von anderen Drüsen mit innerer Sekretion 
stets mit zu berücksichtigen. Verfasser wendet sich gegen die immer 
zahlreicher werdenden Formes frustes der Literatur und hält die über¬ 
wiegende Mehrzahl dieser Fälle für einfache Degenerationszustände. 
Aetiologisch kommt als prädisponierendes Moment namentlich dem 
Faktor der Heredität überragende Bedeutung zu (erbliche Belastung, 
Einfluss der Rasse, Disposition von Kropfträgern, Vorhandensein von 
Neurasthenie, Hysterie, Chlorose in der Ascendenz.) Die determinierenden 
Ursachen (nervöse Einflüsse, Erkältung, Infektionskrankheiten, entzünd¬ 
liche Erkrankungen der Schilddrüse, Veränderungen der Sexualorgane, 
Traumen) zeigen demgegenüber ein starkes Missverhältnis zwisohen 
Ursache und Wirkung. Bei Besprechung der Symptomatologie wird 
immer wieder auf die Wichtigkeit des konstitutionellen Momentes auf¬ 
merksam gemacht. So kommen z. B. bei Schilderung der verschiedenen 


Augensymptome für die Erklärung des Exophthalmus nach Verfasser 
mehrere und komplexe Vorgänge in Betracht, abnorme Gefässerweiterung, 
abnorme Exsudation in das retrobulbäre Gewebe, lokalisiertes Auftreten 
von Fettgewebe, Schwäche oder abnorme Anspannung gewisser Augen¬ 
muskeln; die Annahme neuer konstitutioneller Momente, die bewirken, 
dass auf normale Reize abnorme Reaktionen aultreten, ist aber doch 
nicht zu umgehen. Die Erscheinungen von Seiten der Zirkulations¬ 
apparate sind nicht einheitlicher Genese. Einzig die Tachycardie und 
Neigung der Gefässe zur Erweiterung sollen nach Verfasser mit dem 
Morbus Basedow als solchem in direkter Beziehung stehen. Jede stärkere 
Labilität des Herzens, eine abnorme Reizbarkeit, werden als Teiler- 
sebeinung abnormer Konstitution gedeutet ohne Beziehung zur Schild¬ 
drüsentätigkeit, eine Auffassung, welche wohl nicht überall Anklang 
Anden wird. Manche bei Morbus Basedow aultretenden Erkrankungen des 
Herzens erscheinen als zufällige Komplikationen (Veränderung des Herz¬ 
muskels durch Gefässerkrankung, entzündliche Prozesse, Alkohol, Nikotin, 
Lues, Fettherz) zum Teil stehen sie zu der degenerativen Anlage in 
Beziehung (z. B. Klappenfehler). Verfasser bestreitet das Vorkommen 
von Herzdilatation und Herzinsulficienz als häufige Folge der Erkrankung 
an Morbus Basedow. Das Gros der nervösen Symptome, namentlich 
die vorkommenden Psychosen, sind Manifestationen der abnormen Körper¬ 
anlage. Ebenso kommt bei den Störungen des Stoffwechsels die funk¬ 
tioneile Alteration der Schilddrüse nur als verstärkendes Moment zu der 
degenerativen Anlage hinzu. Aebnlich verhält es sich mit den Erschei¬ 
nungen von seiten des Verdauungstractus, der Genitalsphäre, den Ver¬ 
änderungen des Blutbildes. Die pathologisch-anatomischen Be¬ 
funde beweisen im Gegensatz zu der Schiddrüsentheorie die Bedeutung 
der Konstitution für die Genese der einzelnen Symptome; eine für den 
Morbus Basedow pathognomonische Veränderung der Schilddrüse gibt es 
nicht, andererseits machen die so häufigen Veränderungen von Thymus 
und Lymphdrüsenapparat auf die veränderte Konstitution aufmerksam. 
Das Kapitel „Pathogenese“ (76 Seiten) fasst alle diese Einzelbeob¬ 
achtungen zusammen: Der Morbus Basedow ist eine Konstitutionskrank¬ 
heit, eine Erkrankung der Biutdrüsen, wobei die veränderte Tätigkeit 
der Schilddrüse keineswegs das allein Maassgebende ist. Ueber „Formen 
der Krankheit, Verlauf und Ausgang“ berichtet Verfasser im 
wesentlichen referierend. Das Kapitel Therapie enthält eine Fülle 
interessanter und wichtiger Anregungen. Beachtenswert erscheint, dass 
auch Verfasser durch vorsichtige Joddarreichung in einzelnen Fällen 
überraschende Besserungen erzielt hat. Die spezifische Therapie ist un¬ 
zuverlässig. Die elektrische Behandlung, besonders die Galvanisation, 
nach dem Vorgehen von Chvostek scheint empfehlenswert und gibt 
ebenso befriedigende Resultate wie die Röntgenbestrahlung der Schild¬ 
drüse. Die chirurgische Therapie bringt stets gewisse Gefahren mit sich. 
Die Indikation zum operativen Eingriff ist in erster Linie eine sociale: 
Sind die Kranken nioht in der Lage, sich entsprechend lange zu schonen, 
die notwendigen therapeutischen Maassnahmen durchzuführen, handelt 
es sich um die rasche Herstellung der Arbeitsfähigkeit, um die Abkür¬ 
zung des Heilverfahrens, dann ist der operative Eingriff am Platze, dann 
müssen aber auch die inneren Gefahren desselben mit in Kauf genommen 
werden. 

Unter der Ueberschrift Hyperthyreosen bespricht V erfasser in zweiter 
Linie die Krankheitsbilder des „Thyreoidismus“ und die Gruppe des 
„Thyreoidismus mit besonderer Beteiligung einzelner Organe“, wobei die 
wahrscheinliche Bedeutung der Schilddrüse für das Zustandekommen der 
Erscheinungen anerkannt, zugleich aber der Tatsache Rechnung getragen 
wird, dass neben der Wirkung der Schilddrüsenstoffe die Organverfassung 
und Organreaktion als maassgebende Faktoren mit in Betracht kommen. 

Wenn die Symptome des Thyreoidismus mit denen des Morbus 
Basedow auch im wesentlichen grosse Uebereinstimmung zeigen, so ist 
für die meisten Fälle doch eine Abgrenzung möglich. In Bezug auf die 
Aetiologie erscheint der Einfluss des Geschlechts und des Alters nicht 
80 deutlich. Eine ausgesprochene Differenz gegenüber Morbus Basedow 
bildet die starke Abhängigkeit der Erscheinungen von anderweitigen Er¬ 
krankungen, so dass der Thyreoidismus geradezu als „sekundär“ gedeutet 
werden kann. Unter solchen determinierenden Ursachen spielen toxische 
(Jod) und infektiöse Momente (Gelenkrheumatismus, Lues, Tuberkulose) 
die erste Rolle. Der Einfluss des Nervensystems tritt völlig in den 
Hintergrund. Die Symptome sind ähnlich wie bei Morbus Basedow. 
Doch verlaufen die Erscheinungen milder, es fehlt die oben erwähnte 
Gleichartigkeit der Erscheinungen, die Augensymptome sind sehr wenig 
entwickelt oder fehlen, am konstantesten finden sich die Veränderungen 
der Herztätigkeit und des Nervensystems. Die Therapie hat vor allem 
die auslösende Ursache zu beseitigen. 

Die vorwiegend monosymptomatisohen Formen des Thyreoi¬ 
dismus umfassen das Kropfherz, die thyreogene Neurasthenie, thyreogene 
Verdauungsstörungen, thyreogene Nephrosen. Unter „Kropfherz“ ver¬ 
steht Verfasser ausschliesslich die sogenannte thyreogene Form desselben 
und bestreitet die Existenz eines rein mechanischen Kropfherzens. Vom 
Morbus Basedow ist das Kropfherz zu trennen und den Formen des 
Thyreoidismus anzugliedern. Pathogenisch erscheint die besondere Dis¬ 
position des Zirkulationsapparates von grösster Wichtigkeit. Der Begriff 
thyreogene Neurasthenie ist in seiner Berechtigung noch sehr un¬ 
sicher, ebenso das Vorkommen thyreogener Hyperchlorhydrie und 
thyreogener Diarrhoen, thyreogener Nephrosen. 

Frey-Kiel. 


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UNIVERSUM OF IOWA 






14. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


39 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

U. Ebbecke-Göttingen: Ueber die Temperatarenpfindiiiigea ii 
ihrer Abhängigkeit von der Haatdnrehblntang and von den Reflex- 
eentren. (Pflüg. Arcb., Bd. 169, H. 5—9.) Die Fülle des Bearbeiteten 
geht am deutlichsten aus dem Inhaltsverzeichnis hervor: Durch ein* 
strömendes Blut in der Haut bewirkte Temperaturempfindung; Adapta¬ 
tion, Successiv- une Simultankontrast; der Reiz für normale und „para¬ 
doxe“ Kälte- und Wärmeempfindung; erkenntnistheoretische Bemerkungen. 
Es folgt hinsichtlich des centralen, in der grauen Substanz gelegenen 
Apparates der Temperaturempfindung: Das Gefühl von Frost und 
Schwüle; „Reflexempfindung“ und „Tonusgefühl“; Gemeingefühle und 
proprioceptive Nerven; Leitung der thermischen Erregung im Rücken¬ 
mark; Irradiation von Temperaturempfindungen und deren Verdrängung 
und Hemmung; Mischempfindung, Verschmelzung und Urteilstäuschung; 
der Temperatursinn als Einheit. — Aus der Zusammenfassung der Er¬ 
gebnisse ist wichtig, dass die Kälteempfindung durch Temperatur¬ 
differenzen in der Hautschicht an der Grenze von Epidermis und Cutis, 
Wärmeempfindung durch solche an der Grenze von Cutis und Sub¬ 
cutis ausgelöst werden. Diese Hautschichten sind die Wärme¬ 
organe. Die Temperaturen werden nicht durch die Eigentemperatur 
der Haut allein empfunden, sondern die Empfindungen kommen 
zustande durch die vom normalen Blutstrom unterhaltene 
Differenz der dem Endorgan anliegenden Umgebung nach 
deren oberflächlicherer oder tieferer Lage in der Haut. 

W. A. Hoyer-Göttingen: Ueber Kältesehädignng Hnd Kältetod 
des qiergestreiften Sängetiermnskels. (Pflüg. Arch., ßd. 169, H. 5—9.) 
H. untersuchte den Säugetiermuskel, sowohl den isolierten als in 
situ befindlichen und durohbluteten, letzteren in der Art, dass eine 
Extremität des lebenden Tieres in der Abkühlungsstube sich befand. 
Verwendet wurden Wanderratte, Igel und Hauskatze. Die Prüfung er¬ 
folgte sowohl auf Schädigung am Reizapparat bis zur Totenstarre als 
auf Erholung durch Anwendung des körperwarmen Sauerstoffbades. 
Hauptresultat: Der isolierte Säugetiermuskel erträgt die Abkühlung 
ohne Schaden bis zum Gefrierpunkt. Er erholt sich von einer Unerreg¬ 
barkeit in 37° C warmem Sauerstoffbad in verschiedenem tfaasse. Der 
Kältetod liegt für Ratte und Igel bei etwa — 6—7°C, für die Katze bei 
etwa —9,5° C. Der Muskel in situ am lebenden Tiere, wenn er nach 
der Abkühlung wieder durchblutet wird, kann die Kälteschädigung bis 
za — 2 ° C vollständig wieder aufheben. Den Kältetodespunkt 
vermag die Durchblutung nicht nach unten zu verschieben, der Muskel 
ist immer tot bei einer Abkühlung von + 6,3 °—10,0° C. 

Hasebroek. 

H. R. Galletti: Untersuchungen über die elektrotonischen Er¬ 
scheinungen der Nerven nach Aufenthalt in verschieden zusammen¬ 
gesetzten Salzlösungen. (Zschr. f. Biol., Bd. 68, H. 1 u. 2.) Besteht 
das Medium, in dem sich ein Nerv befindet, aus reiner NaCl-Lösung, in 
der der Gehalt an Kalium- und Calciumionen innerhalb gewisser Grenzen 
erhöht oder vermindert wurde, so findet eine Aenderung elektrotonischer 
Erscheinungen nicht statt. In einer hypotonischen Lösung dagegen 
kommt es zu einer Aenderung des elektrotonischen Verhaltens am Nerven. 
Der Katelelektrotonus wird zum Anelektrotenus und umgekehrt und 
zwar beim Schliessen sowohl wie beim Oeffnen des polarisierenden Stromes. 

L. Asher-Born: Gültigkeit des Gesetzes der reciproken Inner¬ 
vation bei der Reizung des N. depressor cordis. (Zschr. f. Biol., 
Bd. 68, H. 3.) 'Anführung eigener früherer Versuche, durch die der 
Beweis erbracht ist, dass die ursprünglich von Bayliss stammende 
Auffassung, bei Reizung des N. depressor erfolge nicht nur eine Tonus¬ 
herabsetzung der Vasokonstriktoren, sondern auch eine Erregung der 
Vasodilatoren, zurecht besteht. Die Bemerkung nimmt Bezug auf eine 
im Band 67 d. Zschr. erschienene Arbeit von E. R. v. Brücke über 
das gleiche Thema. 

F.Mauerhofer-Bern: Sekretorische'Jnnervatioi der Niere. (Zschr 
f. Biol., Bd. 68, H. 1 u. 2.) Vergleicht man die Sekretion zweier Nieren« 
von denen die eine ganz entnervt, die andere von ihrer Verbindung mit 
dem Vagus durch Vagusdurchschneidung gelöstest, so kann man einen 
die Diurese fördernden Einfluss des Vagus feststellen, und zwar bezieht 
sich die Förderung auf die Wasseraussoheidung sowie die Ausscheidung 
von Elektrolyt- und H-Mengen. Weitere Versuche über die Leitfähigkeit 
des von verschiedenen entnervten und normalen Nieren secernierten 
Harns, sowie über die H-Konoentration und Elektrolytaussoheidung. 

F. Best-Dresden: Untersuchungen über die Dunkelanpassung des 
Aages ait Leuchtfarbe. (Zschr. f. Biol., Bd. 68, H. 3.) Angabe eines 
neuen Leuchtfarbenadaptometers. Die Anpassungsfähigkeit des Auges 
an die Dunkelheit kann man nur im anpassungsfähigsten Teil des 
Spektrums mit Leuchtfarben prüfen. Bestimmung der Empfindlichkeit 
des Auges für Schwellenwerte mit Berücksichtigung der Makulaanpassung 
für Leuchtfarben im stäbchenfreien Bezirk. Wiederholung der einzelnen 
Versuche bei Totalfarbenblinden und Naohtblinden. Geppert. 

J. van der Hoeve und A. de Kleiyn-Utrecht: Tonische Laby- 
rinthrefiexe aaf die Angen. (Pflüg. Arch., Bd. 169, H. 5—9.) Jeder 
bestimmten Stellung des Kopfes im Raum entspricht ein bestimmter 
Tonus der Körpermuskulatur: die gleichen Beziehungen konnten nun 
aach für die Augen näher festgestellt werden, wodurch den den Otiatern 


bereits bekannten Symptomen desNystagmus, der Augendeviationen 
und -Rollungen eine experimentell physiologische Unterlage gegeben 
werden konnte. Die Versuche wurden mittels einer komplicierten Me¬ 
thodik an Kaninchen gemacht. Das Resultat, dass jede Stellung des 
Kopfes im Raum einer bestimmten Stellung der Augen entspricht, wird 
in 14 präciseu Thesen formuliert, wobei auch die einseitige Labyrinth¬ 
exstirpation in ihren gesetzmässigen Folgen festgelegt werden konnte. 
Nach doppelseitiger Labyrinthexstirpation hören alle Reflexe auf die 
Augen auf. Ob bestimmte Teile im Labyrinth, speziell die Otolithen, 
für die Reflexauslösung in Frage kommen, soll in einer späteren Unter¬ 
suchung entschieden werden. 

A. Schennert-Dresden: Ueber die Schichtung; des Mageninhalts 
nebst Bemerkungen über ihre Bedeutung für die Stärkeverdauung. (Pflüg. 
Arch., Bd. 169, H. 5—9.) Betrifft in der Hauptsache die Frage, ob die 
Schichtung übereinander (Ellenberger) oder schalenförmig mit Kern 
(Grützneri stattfindet. Nach der umfangreichen Literatur, auoh klinisch- 
röntgenologisch am Menschen, liegen die Bedingungen sehr verwickelt 
und verschieden je nach der Tierart. Methodik: Gefrierenlassen des 
Magens mit Inhalt nach der Nahrungszufuhr, sowohl exenteriert als in 
situ, Untersuchung der Schichtungen direkt, auoh röntgenologisch. Den 
zahlreichen Versuchen (an Katzen) sind 58 Abbildungen beigegeben. 
Resultat: Für gewöhnlich legen sich nacheinander genossene Teile der 
Mahlzeit einfach aufeinander und bleiben sämtlich mit der Magen¬ 
wand in Berührung. Die „centrale Einschliessung“ Grützner’s ist 
ein Spezialfall, wenn im Magen Flüssigkeit enthalten ist. Eine Rolle 
spielen die Füllungsverhältnisse des Darms und die Druckbedingungen 
der Bauchhöhle, beim Menschen somit auch wohl die Aufrechthaltung. 
Für den Kliniker ist die Feststellung bedeutsam, dass die Röntgen¬ 
methode nur r'echt unsichere Resultate ergibt. Der Röntgeno¬ 
loge wird sich näher mit der Arbeit zu befassen haben. 

R. H. Kahn-Prag: Ueber die naeh centraler Reizang zur Störung 
des Kohlehydratstoffwechseln führenden Vorgänge. Eine kritische 
Studie zur Frage: Zackerstieh and Nebenniere. (Pflüg. Arch., Bd. 169, 
H. 5—9) K. gibt zunächst auf Grund 8jähriger Erfahrung Spezielles 
zur erfolgreichen Technik der Nebennierenexstirpation und Beobachtungen 
über das Verhalten der Tiere. Als Feststehendes nach der Literatur 
und eigenen Versuchen ist zurzeit folgendes zu betrachten: 1. Seit Mo¬ 
naten nebennierenlose Kaninchen zeigen stets nach dem Zuckerstich 
trotz vollem Glykogenbestand keine Glykosurie; CO-Vergiftung und 
Diuretin keine Hyperglykämie. R seitig nebennierenfreie und L- 
seitig Nebennierennervendurchschnittene Kaninchen haben 1—2 Wochen 
später nach Zuckerstich normale Blutzuckerwerte und nur frisch 
nebennierenexstirpierte Tiere bisweilen einen erhöhten Zuckerspiegel, 
jedoch ohne Glykosurie. Die „Aufregungsglykosurie“ bleibt bei 
nebennierenfreien Katzen aus. 2. Eine nach dem Zucker9tich exstir- 
pierte Nebenniere weist bei Kaninchen, Katzen, Hunden und Affen eine 
hochgradige Verringerung der ohromierbaren Substanz auf, was 
bei Splanchnicusdurohschneidung nicht der Fall ist. Ist längere Zeit 
nach dem Zuckerstich verstrichen, so zeigen bei Vögeln und Kaninchen 
beide Nebennieren, desgl. die Paraganglien der Aorl ab- 
dom. die gleiche Veränderung. 3. Bei Kaninchen führt Zuckerstich, 
nach vollkommener Isolierung der Leber und der rechten Nebenniere vom 
Centrura unter Belassung der linken Nebenniere mit ihrer Innervation 
fast ausnahmslos zu hochgradiger Hyperglykämie, 4. Niemals 
lässt sioh unter diesen centralen Eingriffen einer grösseren Adrenalingabe 
in entfernten peripheren Gefässgebieten ein Adrenalingehalt nach- 
weisen (ebensowenig eine Blutdrucksteigerung), während aus der Vena 
cava in der Gegend der Einmündung der Nebennierenvenen genommenes 
Blut stärker gefässverengernd und darmtonushemmend ist. Diese 
sicheren Feststellungen werden zum Schluss der Arbeit auf Grund einer 
kritischen Uebersicht besprochen, an ihnen der Maassstab eigenen Ur¬ 
teils angelegt, die Fragestellungen schärfer gefasst und wertvolle Aus¬ 
blicke und Anregungen gegeben. Die ursächlichen Beziehungen 
der Nebennierenfunktion zu den Zuckerstichfolgen sind 
wohl begründet. Der Zuckerstich ist nur ein Repräsentant einer 
Reibe centraler Einwirkungen, bei denen das Adrenalin aber nicht die 
einzige Rolle spielt und auoh die Paraganglien Glieder in der Kette 
darstellen, soweit in letzter Linie es sioh um die Glykosurie dreht. Die 
Arbeit ist für die klinische Physiologie von grosser Bedeutung; sie muss 
von allen Experimentatoren auf diesem Gebiet genau studiert werden. 

Hasebroek. 

J. Starke: Ueber tierisches Globulin. (Zschr. f. Biol., Bd, 68, H. 3.) 
Globulin löst sich in saurer oder alkalischer Flüssigkeit; es entstehen 
dabei Adsorptionsverbindungen. Diese Verbindungen sind keine Albu- 
minate. Schilderung des besonderen Verhaltens und der Eigenschaften 
der Acidadsorptionsverbindungen und der Alkaliadsorptionsverbindungen 
des Globulins. Setzt man Hühnereialbumin bei -f- 56° schwachem Al¬ 
kali aus, so entsteht Globulin. Geppert. 


Therapie. 

Gaugele: Höllensteinbehandlung des Wunderysipels. (M.m.W., 
1917, Nr. 49 ) Argentum nitricum ist ein „spezifisches Mittel gegen 
Wundrose“. Anwendung: Abgrenzung der mit Erysipel befallenen .Ex¬ 
tremität durch zirkuläres Umstreichen mit einem Lapis infernalis (nicht 
mitigatus). Bepinselung der erysipelatösen Haut mit 10—20 proz. Höllen¬ 
steinlösung. 


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40 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


B. Leick: Weitere Erfahrungen mit Optoehin bei der Lungenent¬ 
zündung. (M.m.W., 1917, Nr. 46.) Material von fast 290 Fällen. Eine 
spezifische Heilwirkung erkennt Yerf. nicht an. Eine günstige Beein¬ 
flussung des Verlaufs scheint ihm zweifelhaft zu sein. deppert. 

Fischl-Wien: Ueber Neosalvarsanbehandlung schwerer Fälle von 
Erythema moltiforme. (W.m.W., 1917, Nr. 43) Der Erfolg war 
eklatant. Bereits am nächsten Tag war der Zustand wesentlich ge¬ 
bessert, der Mann beschwerdefrei und binnen 8 Tagen war die Schleim¬ 
haut- und Hautafiektion (Borvaselinverband der Hände) restlos geheilt. 

v. Zeiss 1 -Wien: Zur Behandlung des Trippers and der Syphilis. 
(W.m.W., 1917, Nr. 44.) Luesol ist ein brauchbares Quecksilberprä¬ 
parat, das sich den löslichen Quecksilbermitteln vorteilhaft anreiht. 
Auch das Modenol ist ein brauchbares Präparat. 

Rauch-Wien: Der Einfluss intraglutäaler Proteinkörperzufuhr 
auf den Verlauf akuter Mittelohrentzündungen. (W.m.W., 1917, Nr. 43.) 
Die mitgeteilten Versuche haben gezeigt, dass zwischen der Anzahl der 
Injektionen und dem rascheren oder langsameren Heileffekt keine Kor¬ 
relation besteht; die Zahl der Injektionen wird allein von der Schwere 
des Falles diktiert; für die Injektionen reichen 5 ccm ohne Rücksicht 
auf das Alter des Patienten aus; höhere Dosen, die gleich gut ver¬ 
tragen werden, beeinflussen den Entzündungsprozess nicht wesentlich. 
Durch parenterale Zufuhr kann eine Art prophylaktischer Immunisierung 
auf das Mittelohr nicht ausgeübt werden. Reckzeh. 

K. Behm: Käse und Fleisch bei Dnrchfällen. (M.m.W., 1917, 
Nr. 46.) Die Veröffentlichung stammt aus einem unter Noeggerath’s 
Leitung stehenden Lazarett und geht deshalb von Gesichtspunken der 
Säuglingstherapie aus: Beseitigung der durch unaufgeschlossene Kohle¬ 
hydrate verursachten Gärung. Von vornherein wird weisser Käse oder 
fein zerriebener Schweizerkäse, durch Salz oder Kümmel schmackhaft 
gemacht, gereicht; daneben Tee, Zitronenwasser, Wasserkakao. Später 
fein gewiegtes Fleisch mit gleichzeitiger Salzsäuremedikation. Die Ge¬ 
wöhnung an Kohlehydrate erfolgt in der Steigerung: Schleime, Breie, 
Zwieback, Weizenbrot, geröstetes Brot, gewöhnliches Brot. 

E. Engelhorn-Jena: Ueber eine neue Bestrahlungsmethode in 
der Gynäkologie. (M.m.W., 1917, Nr. 46.) Es handelt sich um Licht¬ 
bestrahlung der Vagina und Portio bei Fluor und Erosion. Zu diesem 
Zwecke wird ein von den Zeisswerken in Jena konstruierter Apparat 
verwendet, der aus einer Nitrallampe, einem optischen System und einem 
Speculumhalter besteht. Die Erfolge, besonders bei Erosionen der Portio, 
die ja häufig sonst recht schwer zu beeinflussen sind, sollen sehr gün¬ 
stige sein. Geppert. 

G. Audain und F. Masmonteil: Behandlung der Septikämie 
durch grosse intravenöse Injektionen von isotonisehem Znckersernm. 
(La presse med., 8. Nov. 1917, Nr. 62, S. 641.) Intravenöse Injektionen 
von zuckerhaltigem isotonischen Serum erhöhen den Blutdruck, steigern 
bei urämischen Nephritiden die Diurese und tragen zur Ernährung bei. 
Ausserdem bewirken sie eine erhebliche Leukocytose; d. h. eine Er¬ 
höhung von 5000 vor der Einspritzung auf 25 000 eine halbe Stunde 
nach der Einspritzung mit allmählichem Absinken auf 16 000 (mit 80 
bis 90pCt. polynucleären Leukocyten). Diese Wirkung erreicht die der 
kolloidalen Metalle oder des Na. nucleinic. Klinisch drückt sich die 
Wirkung in vorübergehender Temperaturerhöhung um einige Zehntel 
aus, mit Schweissausbruch; das Temperaturmaximum fällt zusammen mit 
dem der Leukocyten. Schädliche Nebenwirkungen wurden nicht beob¬ 
achtet; die Isotonie schützt vor Hämolyse. Anwendbar ist Glukose, 
Saccharose und Laktose; die Isotonie ist erreicht bei einem Gehalt von 
47,6 pM. bzw. 103,5 pM. bzw. 108,9 pM. Die Menge beträgt 300—500 
bis 1000, ja 2000 täglich. Kontrolle durch Prüfung der Leukocytose, 
die 25 000 erreichen soll. Die Erfolge waren — bei septischen Ver¬ 
wundeten — nicht sehr zahlreich, aber ermutigend, ebenso bei Erysipel 
und Rheumatismus. Aussetzen der Injektionen, wenn die Temperatur 
einige Tage normal war. Krakau er-Breslau. 


Parasitenkunde und Serologie. 

K. E. F. Schmitz: Ein bisher noch nicht bekannter Krankheits¬ 
erreger der Dysenteriegruppe. (M.m.W., 1917, Nr. 49.) Bei einer 
Dysenterieepidemie von 815 Fällen mit typischen klinischen Erschei¬ 
nungen und teilweise entsprechenden Sektionsbefunden konnten Erreger 
mit folgenden bakteriologischen Eigenschaften gezüchtet werden. Zu¬ 
nächst zeigte der Bacillus bezüglich Mannit, Maltose und Saccharose 
genau die Eigenschaften der Shiga-Kruse-Baoillen, wurde aber von den 
entsprechenden Ruhrseren nicht agglutiniert; ausserdem zeigte der 
Bacillus bei Prüfung in Bouillon und Peptonwasser starke Indolbildung. 
Das Stäbchen ist unbeweglich und geissellos, Gelatinekolonien haben 
Weinblattform. Durch das Serum der Kranken wurden Shiga-Kruse- 
Bacillen mitagglutiniert. 

Klose: Toxin- und Antitoxinversuche mit einem zur Gruppe der 
Gasödembacillen gehörenden Anaeroben. (M.m.W., 1917, Nr. 48.) Aus 
der Kultur eines anaeroben Bacillus, der zur Gruppe der Erreger des 
malignen Oedems gehört, konnte Verf. ein filtrierbares Toxin gewinnen, 
das bei Meerschweinchen und Kaninchen, je nachdem man es subcutan, 
intravenös oder intraperitoneal injizierte, wechselvolle, aber typische 
Krankheitsbilder hervorruft. Durch Injektion allmählich steigender 
Dosen konnte man die Tiere immunisieren. Es handelt sich um ein 


echtes Bakterientoxin. Es gelang, durch Vorbehandlung von Kaninchen 
ein richtiges Immunserum herzustellen. 

Castellani-Taylor: Kombinierte multiple Vaccine. (Brit. med. 
journ., 1917, Nr. 2959.) Triplevaccine (Typhus + Paratyphus A + 
p. T. B.), Tetravaccine (T. a. B. -f- Cholera), Pantavacoine (T. a. B. C. -j- 
Maltafieber), Hexavaocine (T. a. B. C. M. B. pestis). Bis auf die Hexa- 
vaccine sind alle Vaccinemischungen mit Erfolg ausprobiert. Keine 
Schädigungen, keine bedrohlichen Reaktionen. Aufbewahrung der 
Vaccine in 1 f 2 proz. Karbollösung. Anwendung in üblieher Weise. 

H. Sachs: Zur serodiagnostiseben Bedeutung der Globulin Ver¬ 
änderungen (insbesondere bei Syphilis). (M.m.W., 1917, Nr. 45.) S. 
hatte früher gezeigt, dass die Klausner’sohe Globulinfällung durch Ver¬ 
dünnung des Serums mit destilliertem Wasser weniger exakte Unter¬ 
schiede gibt als die Eiweissfällung mit Alkohol und Salzsäure. Die 
Klausner’ache Reaktion hängt nicht nur vom Globulingehalt, sondern 
auch von der Alkalescenz bzw. Acidität des Serums ab. In weiteren 
Studien über die Komplentaktivierung im salzarmen Medium gelangte 
S. zu der Ueberzeugung, dass bei der Wassermann’scben Reaktion so¬ 
wohl Komplementschwund wie Komplementbindung „auf eine geeignete 
Globulinveränderung bestimmten Grades, für die in dem einen Falle die 
Extraktwirkung, in dem andern die spezifische Antigen-Antikörper¬ 
reaktion das physikalisch aufschliessende Moment bildet“, zurückzuführen ist. 

E. Meinicke: Weitere serochemisebe Untersuchungen bei Syphilis. 
(M.m.W., 1917, Nr. 45.) Nach den Untersuchungen des Verf.’s findet sich 
kein Parallelismus zwischen dem positiven Ausfall der Globulinfällbar¬ 
keit des Serums durch Alkohol und der Wassermann’schen Reaktion, 
wie ihn Bruok angenommen hat. Malaria-, Fleckfieber- und Fünftage¬ 
fiebersera gaben häufig positive Globulinausfällung. Die positive Glo- 
bulintällbarkeit ist nicht der entscheidende Punkt der Wasserm&nn’scben 
Reaktion. Neben unwesentlichen Bedingungen, die den Ausfall der 
Wassermann’schen Reaktion modifizieren können, wie Säurezusatz, 
Wasserverdünnung, starkes Schütteln usw. ist nach Ansicht des Verf.’s das 
Wichtigste der Wassermann’schen Reaktion „die Bindung von für Lues 
charakteristischen Serumstoffen mit den Antigenlipoiden zu einem relativ 
festen Komplex“. Geppert. 


Innere Medizin. 

Jagic-Wien: Ueber die PerkuBsiou der Lungenspitzen. (W.m.W., 
1917, Nr. 47.) Eine Verkleinerung der Lungenspitze ist fast regel¬ 
mässig sowohl bei frischen wie chronischen und auch vernarbten Spitzen¬ 
tuberkulosen nachweisbar. Häufig findet sich bei Affektionen der Lungen¬ 
spitzen statt des scharfen Ueberganges des Lungenschalles zur Dämp¬ 
fung ein unscharfer Uebergang („Verschleierung“), der diagnostisch 
ebenso wie ein Tiefstand zu bewerten ist. Reckzeh. 

H. Grau: Theorie der Wirkung der ultraviolette! Strahlen bei 
Tuberkulose. (M.m.W., 1917, Nr. 48.) Viele klinischen Erscheinungen 
sprechen dafür, dass die künstliche Höhensonnenbestrahlung einen di¬ 
rekten Reis auf den tuberkulösen Herd ausübt und zwar auf dem Blut¬ 
wege (also nicht direkt, sondern indirekt!) Die Wirkung zeigt sich in 
Herdreaktionen und Aenderungen des Immunitätszustandes. (Tuber¬ 
kulinreaktionen, speziell Partialantigennachweis.) Geppert. 

Brunner: Gezeitensebwanknng und Emüdung des Herzmuskels. 
(D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 123, H. 5 u. 6.) Mitteilung einiger Be¬ 
obachtungen von Herzinsufficienz, deren periodisches Verhalten mit den 
Gezeiten Schwankungen in Beziehung gebracht werden kann. 

straub: Dynamik des Herzalternans. (D. Arch. f. klin. M., 1917, 
Bd. 128, H. 5 u. 6.) Die bisher aufgestellten Hypothesen über das 
Wesen des Herzalternans vermögen die Bedingungen seines Auftretens 
nicht ausreichend zu erklären. Die Erklärung muss begründet werden 
auf einer Analyse der dynamischen Faktoren, Spannung und Länge des 
Muskels. Die Erklärung für das Auftreten des Alternans liegt in der 
Druckkurve (Spannungskurve, Kontraktionskurve). Alternans tritt dann 
und nur dann auf, wenn die Frequenz so hoch und der Ablauf der 
Druokkurve so breit ist, dass der Druck noch nicht ausreichend ge¬ 
sunken isf, wenn der neue normale Kontraktionsreiz einsetzt. 

Weiser: Beitrag zur Kenntnis der Dissociatiou des Herzschlags. 
(D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 123, H. 5 u. 6.) In einem Falle von 
Vorhofflimmern bestand mehrere Tage hindurch regelmässige, frequente 
Ventrikeltätigkeit: Die Ventrikeltätigkeit war durch Einflüsse, wie Be¬ 
wegung, tiefe Atmung, Temperatursteigerung, Vagusdruck und Atropin 
in positiv und negativ chronotropem Sinne weitgehend zu beeinflussen. 
Zur Erklärung der regelmässigen Schlagfolge wurde die Möglichkeit einer 
atrioventrikulären Automatie oder direkten Nebenleitung zwischen Sinus¬ 
gewebe und Tawaraknoten erörtert. Es wurde der direkten Nebenleitung 
der Vorzug gegeben. Hiermit ist der beschriebene Fall das erste be¬ 
kanntgewordene Beispiel für Vorhofflimmern, wobei die Ventrikel auf 
regelmässige, oberhalb der Atrioventrikulargrenze entstehende Reize an¬ 
sprechen. Das Vorhofflimmern trat intermittierend und ohne vorher¬ 
gehende nachweisbare Tacbysystolie ein. 

Tan er e: Zur Polycytbaemia rubra. (D. Arch. f. klin. M., 1917, 
Bd. 123, H. 5 u. 6.) Klinische Beobachtung mit manchen wichtigen 
Befunden. Zahl der Erythrocyten 12 Millionen, Hämoglobin 170 pCt. 
(Sahli); hohe Viskosität von 22, [hohes spezifisches Gewicht des Blutes 
1082, des Serums 1029, neutrophile Leukocytose. 


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14. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Aufrecht: Die hyalin-vaskuläre Nephritis (arteriosklerotische 
Sekriapfaiere) ind die Arteriosklerose. (D. Arch. f. klin. M., 1917, 
Bd. 128, H. 5 u. 6.) Die unabhängig von allen übrigen Nierenerkran- 
kuogen auftretende chronische Nephritis, welche schliesslich zur kleinen, 
roten, feingranulierten Niere führt, beruht auf einer hyalinen Entartung 
der Intima, später sogar der ganzen Wand der Vasa afferentia, kann 
demnach als hyalin-vaskuläre Nephritis bezeichnet und in Anbetracht 
des häufigsten anatomischen Befundes des Ausgangsstadiums der Kürze 
halber genuine Scbrumpfniere genannt werden. Stellt sich der gleiche 
Prozess, die hyaline Entartung, an den Vasa nutritia der stärkeren 
Nierenarterien ein, dann gesellt sich als Folge davon die Arteriosklerose 
dieser Gefässe hinzu, welche ihrerseits bei vorhandener gleichmä9sig 
feiner Granulierung der Nierenoberfläche zu unregelmässigen mehr oder 
weniger umfangreichen Einziehungen und Schrumpfungen führt. Tubu¬ 
läre Nephritis mit Albuminurie und Cylindrurie tritt allmählich hinzu. 
Ausgang nicht selten Apoplexie. Zinn. 

F. Schmitz: Akute hämorrhagische Nephritis nach Raupenurti- 
earia. (tf.m.W., 1917, Nr. 18.) Sehr ausgedehnte Urticaria und gleich¬ 
seitige Erscheinungen von Nierenentzündung und -insufficienz, die schnell 
nach Abklingen der Urticaria und Ausscheidung des Raupengiftes vor- 
öbergingen. Geppert. 

H. Curschmann: Zur Pathogenese des Magenschwiadeis. (D. Arch. 
f. klin. M., 1917, Bd. 123, H. 5 u. 6.) Der reflektorische Schwindel ist 
keine seltene, sondern recht häufige Begleiterscheinung meist schmerz¬ 
hafter Magenleiden, am häufigsten der Superacidität und der Magen- 
bzw. Duodenalgeschwüre, deren primäre Yagotonie zum Schwindel dis¬ 
ponierend wirkt. Empfänger der verschiedenartigen zum reflektorischen 
Schwindel führenden Reize sind die visceralen Vagusendigungen, die sie 
zu den Vaguskernen und von hier teils durch Irradiation, teils durch 
Faserverbindung auf die Vestibulariskerne übertragen, die alsdann mit 
Sohwindel verschiedener Intensität und Art antworten. Umstimmung 
des Vestibularistonus und Vagotonie stellen die meist konstitutionellen, 
disponierenden Faktoren, der verschiedenartige gastrogene Reiz das aus¬ 
losende Moment für die Entstehung des Magenschwindels dar. 

Falta: Ist die Wärmebildnug bei Diabetes mellitus krankhaft 
gesteigert? (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 123, H. 3—6.) Eingehende 
historisch-kritische Studie, von der hier nur das Ergebnis angeführt 
werden kann. Das klinische Bild des schweren Diabetes mellitus zeigt 
keine Symptome, die auf eine endogene Steigerung der Wärmebildung 
hinweisen. Zinn. 

Fuchs und Graetzer-Risano: Ueber eine typische Kriegsavita- 
miiose nid atypische frustraue Avitaminoseformeu. (W.m.W., 1917, 
Nr. 44.) Das auffallende bei den angeführten Fällen ist der stereotype 
Initialsymptomenkomplex: Unter Atemnot und Durchfall fieberlos auf¬ 
tretende Wassersucht. Sehr oft werden von den Kranken auch ange¬ 
geben: Magenschmerzen, Gliederschmerzen, Sobmerzen in der Nieren¬ 
gegend und Kopfschmerzen, mitunter auch Schwindelanfälle. Alle Fälle 
zeigten dieselben Symptome: Apyrexie, Dyspnoe, Durchfall, Oedem, Herz¬ 
störungen, Bronchitis. Weitere Fälle atypischer frustraner Avitaminosen 
weisen nur Bruchstücke aus diesem Symptomenkomplexen auf, die jedoch 
in Anbetracht der Fieberlosigkeit noch immer charakteristisch genug 
sind, um ihre avitaminöse Natur auf den ersten Blick erkennen zu lassen. 

Reckzeh. 

Naegeli*. Puerperale reeidivierende schwere Aaämie, zuletzt mit 
Osteomalaeie als inersekretorisehe Störungen. (M.m.W., 1917, 
Nr. 47.) Krankengeschichte einer Frau, die mehrmals im Wochenbett 
ohne vorausgegangene Blutungen von schwerer Anämie befallen wurde, 
die auch bei der letzten Schwangerschaft auftrat und in Verbindung 
stand mit Symptomen von Osteomalaoie. Verf. benutzt die Mitteilung 
des Falles, um seine Meinung zu bekräftigen, dass die Osteomalaoie eine 
Erkrankung des Knochenmarks ist; er führt zum Beweis folgende 
Gründe an: Wucherung des Knochenmarks bei der Osteomalaeie und 
VerwandInDg des Fettmarks in rotes Mark, Auftreten von Myelocyten 
im Blute, rasches Verschwinden der Knochenscbmerzen nach Kastration, 
Adrenalin und Hypophysenpräparaten. Nach Kastration kommt es nicht, 
wie man nach His annehmen sollte, zur Osteosklerose, da durch die 
Ausschaltung der Keimdrüsen nur das Knochenmark von seiner Hyper¬ 
aktivität zur normalen Funktion zuruokgeführt wird. Das Knochenmark 
ist die Hauptsache, nicht die Knochensubstanz, deren Veränderungen 
sekundärer Natur sind. Geppert. 

Hasebroek: Ueber eine bisher niohtT beschriebene Neurose des 
Fumr. (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 123, H. 5 u. 6.) Verf. be¬ 
zeichnet als Pes tensus doloro9U9 (Spannungsfuss) eine schmerzhafte 
Affektion des Fusses mit muskulärer Rigidität gegen passive Bewegung. 
Es handelt sich um eine Art bestimmt lokalisierter muskulärer Hyper¬ 
tonie, fast bis zur Krampfform gehend, ß Indem der Fuss in Varus- 
spannung aufgesetzt wird, macht sioh bei dem folgenden Abwickeln des 
Fasses, und besonders beim Abstossen vom Boden, die Pronations¬ 
spannung des Vorderfusses so geltend, dass gewissermaassen eine vorne 
und hinten mit den Achsen sich kreuzende Torsion resultiert. Das 
Gehen auf dem Trottoir ist besonders schmerzhaft. Es handelt sich um 
eine Neurose, vergleichbar gewissen Formen des Schreibkrampfes. Be¬ 
handlung besteht in einer den Fuss korrigierenden Stiefel ein läge be¬ 
sonderer Konstruktion. Zinn. 

W. Brieger: Zar Hesehiehte der physikalische! Heilmethode!. 
Materialien aus chemischen Quellenschriften., (Zschr. f. physik. diät. 


Ther., 1917, Oktbr. u. Novbr.) B. bespricht die Geschichte des künst¬ 
lichen Kohlensäurewassers. E. Tobias. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

A. Adam: Desiifektio! von Obst and Gemüse mittels „Desauon“. 

(M.m.W., 1917, Nr. 49.) Zur KeimfreimaohuDg von Trinkwasser haben 
die Farbenfabriken Bayer 4 Co. das sog. „Desazon“ hergestellt. Es 
besteht in zwei gesonderten Packungen au9 dem eigentlichen, durch 
Chloralspaltung desinficierenden Mittel, einem hochwertigen Calcium- 
bypochiorid und dem Ortizon, das nach der Desinfektion das Chlor 
wieder bindet. Das zu desinficierende Obst wird in Wasser getan und 
die beiden Substanzen nacheinander dem Wasser zugesetzt. Geppert. 


Soziale Medizin. 

Flosch: Ueber Simulation in ärztlicher und über Dissimulation 
in versicherungsäritlicher Hinsicht. (W.m.W., 1917, Nr. 44.) Zu¬ 
sammenfassende Uebersicht. Reckzeh. 


Milltir-Sanitätswesen. 

E. Jacobitz: Beobachtungen über Fleckfieber und die Weil-Felix- 
sche Reaktion. (M.m.W., 1917, Nr. 49.) Schilderung des Wertes der 
Weil-Felix’achen Reaktion bezüglich Diagnose und epidemiologischen 
Verhalten des Fleckfiebers. Die Beobachtungen wurden an einem 
hygienischen Institut in Beuthen gemacht, wohin aus Polen sehr viele 
Blutproben Fleckfieber- und anderer Kranker übersandt wurden. Die 
Reaktion wird als spezifisch anerkannt. In 2 Fällen mit positiver Re¬ 
aktion 1 : 800 bzw. 1 : 1600 handelte es sich allerdings klinisch um 
centrale Pneumonie bzw. Pleuritistuberculose, ohne dass auch eine In¬ 
fektionsmöglichkeit des Betreffenden mit Fleckfieber zu ermitteln war. 
Für die Reaktion wurden Aufschwemmungen von 19 Stämmen verwendet. 
Ein Nachlassen der Agglutinabilität durch mehrfaches Ueberimpfen 
konnte nicht festgestellt werden. Am besten eignen sich zur Aggluti¬ 
nation Aufschwemmungen, die bereits 2—3 Tage alt sind. Höhepunkt 
der Agglutination nach 2 Stunden bei 37°. 

J. W. Miller: Weil’sehe Krankheit nid die Eintrittspforte ihres 
Erregers. (M.m.W., 1917, Nr. 49.) Der Erreger der Weil’schen Krank¬ 
heit ist die Spirochaeta icterogenes. Der Infektionsmodus ähnelt dem 
des Scharlach, indem die Eintrittspforte für die Erreger die Tonsillen 
und die hintere Pharynxwand bilden. Als Primäraffekt findet man 
kleine Bläschen in den Tonsillenkrypten. Es kommt dann von da aus 
zu entzündlichen Veränderungen der oberen Cervicaldrüsen. Seltener 
geschieht die Infektion durch die Haut bei Defekt der Epidermis. Ueber- 
tragung erfolgt durch inficierte Ratten. Bei der Autopsie findet man 
als typische Zeichen nur kleinfleckige wachsige Muskelentartung, akute 
Nephritis mit Spirochätenbefund in versilberten Nierenschnitten. 

Heidenheim: Serumbehandlung bei Icterus infectiosus. (M.m.W., 
1917, Nr. 49.) Mit dem Blut von Icterus infectiosus Kranken inficierte 
Meerschweinchen können gegenüber Kontrollieren durch Rekonvalescenten- 
serum am Leben erhalten werden. Diese Beobachtung gab Veranlassung 
zu der Rekonvalesoenienserumtherapie dieser Erkrankung. Es wurde 
Serum der 6.—8. Woche der Rekonvalescenz verwandt und anfangs 
intravenös, später subkutan injiciert. 30—40 ccm an zwei aufeinander 
folgenden Tagen, dann nach eintägiger k Pause nochmals 30—40 ccm. 
Die Erfolge sind günstige gewesen. Geppert. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Gnltnr zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 26. Oktober 1917. 

Vorsitzender: Herr Pohl. 

Schriftführer: Herr Röhmann. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. L. Maui stellt einen Fall von progressiven Torsionsspasnus 

vor (Torsionsneurose, Dysbasia lordotica progressiva). Die Erkrankung 
begann bei dem 11jährigen Knaben vor etwa 2 Jahren und hat sich 
fortschreitend weiter entwickelt. Das Krankheitsbild, welches zuerst 
von Ziehen und Oppenheim beschrieben worden ist, ist ein recht 
seltenes; die Zahl der publicierten Fälle erreicht kaum 20. Sämtliche 
Fälle mit Ausnahme von zweien sind, wie auch der vorgestellte, russisch¬ 
jüdischer Abkunft. Die charakteristischen Symptome sind folgende: In 
Ruhelage sehr wenig Symptome, dauernde Schiefstellung des Beckens, 
die linke Hälfte ist in die Höhe gedrückt, die rechte steht nach unten, 
so dass das rechte Bein scheinbar verlängert ist, der ganze Rumpf ist 
etwas nach reohts gedreht. Nur selten treten während des Liegens un¬ 
willkürliche Kontraktionen der Rumpfmuskulatur in Form tonischer 
Krümmungen auf. Unwillkürliche Bewegungen bemerkt man besonders 
am linken Fuss, der häufig eine, dem Friedreich’schen Fuss entsprechende 
Stellung annimmt. Bei aktiven Bewegungen häufig Mitbewegungen in 


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42 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2. 


den anderen Extremitäten. Tonische Krampfzustände der linken Hand 
in Form einer maximalen Pronation und athetoseartiger Fingerbewegungen, 
ganz besonders dann, wenn er die Hand erhebt oder einen Gegenstand 
ergreifen soll. Die Hand ist dadurch ausserordentlich ungeschickt und 
unbrauchbar. Bei passiven Bewegungen verhält sich der Muskeltonus 
verschieden, es treten wechselnde Spasmen auf, die bisweilen mit einer 
gewissen Schlaffheit abwechseln. Kniereflexe infolge der Muskelspannungen 
meist schwer auslösbar, aber vorhanden, Achillesreflexe nicht zu erzielen, 
Bauchreflexe vorhanden, Fusssohlenreflexe von wechselnder Form, manch¬ 
mal aber deutlich Babinski. Gesicht vollkommen frei von unwillkürlichen 
Bewegungen (charakteristisch für alle derartigen Fälle!), Facialis, Pu¬ 
pillen, Augenbewegungen vollkommen normal, Intelligenz durchaus 
intakt, normale elektrische Erregbarkeit und Sensibilität. Die charakte¬ 
ristischen Störungen, die der Krankheit ihren Namen gegeben haben, 
treten erst beim Gehen und Stehen auf, ganz besonders bei ersterem. 
Dabei sieht man groteske Verbiegungen des Rumpfes naoh hinten und 
rechts, der Gang hat dadurch etwas ganz eigentümlich gewaltsames. 
Sobald er zu gehen versucht, biegt sich der Rumpf nach rechts, das 
rechte Bein nimmt dabei gleichzeitig eine abducierte und leicht gebeugte 
Stellung ein, die Lendenlordose vertieft sich und der Oberkörper legt 
sich weit naoh hinten, dabei wird die rechte Beokenhälfte gesenkt, die 
linke stark gehoben und herausgedrückt. Um das dadurch gestörte 
Gleichgewicht einigermaassen aufrecht zu erhalten, stützt er die rechte 
Hand auf die Vorderfläche des Oberschenkels und drückt denselben 
durch. Auch dadurch, dass der Schritt springend und hüpfend aus¬ 
geführt wird, erleichtert er die Balance. 

Das wesentlichste sind also tonische Muskelkontraktionen in den 
Rumpfmuskeln, und zwar glaube ich, dass ganz wesentlich derlleopsoas 
beteiligt ist, welcher den Rumpf gegen das Bein beugt und gleichzeitig 
die an der Lendenwirbelsäule gelegene Beugemuskeln (Ueo-lumbales usw.), 
welche den unteren Abschnitt der Wirbelsäule nach hinten, also lor- 
dotisch, verkrümmen. Dieser Spasmus tritt ganz wesentlich bei der 
Gangbewegung auf, während er in der Ruhelage ganz vereinzelt vor¬ 
kommt. Die Bewegungsstörungen erinnern an die Athetose, die schon 
von Oppenheim und anderen Autoren hervorgehoben ist und wie hier 
durch die athetoseartigen Bewegungen der Extremitäten besonders nahe 
gelegt wird. Ich stehe nicht an, ebenso wie andere Autoren, das 
Leiden als ein organisches zu betrachten, es handelt sioh jedenfalls um 
einen chronischen Gehirnprozess mit ähnlicher Lokalisation wie die Athe¬ 
tose (Gegend des Thalamus, Bindearme des Kleinhirns usw.). Sektions¬ 
befunde existieren bisher nicht. Dass es sioh nicht um eine hysterische 
Affektion handelt, geht aus der absoluten Konstanz der Bewegungs¬ 
störung und der Unbeeinflussbarkeit durch suggestive Maassnahmen 
hervor. Therapeutisch ist der vorliegende Fall ebenso wie alle Fälle 
in der Literatur bisher vollständig unbeeinflussbar geblieben. 

Tagesordnung. 

Hr. Uhthoff stellt einen Patienten mit erfolgreicher Cysticerens- 
operation ans dem Glaskörper vor. Das Auge war schon vor der Ope¬ 
ration an Netzhautablösung erblindet. Es ist dies die dritte Cysticercus¬ 
extraktion, die er bei Kriegsteilnehmern ausgeführt hat. Ein vierter 
Fall wurde nicht operiert, da das Sehen noch zum Teil erhalten war 
und der Cysticercus bei reizlosem Auge subretinal dicht neben dem 
Sehnerven sass. Der Extraktionsversuch würde voraussichtlich das Sehen 
verschlechtert resp. aufgehoben haben, und so wurde Pat. als g. v. ent¬ 
lassen. 

Diese vier Beobachtungen von intraocularem Cysticercus kommen 
auf etwa 2000 klinische Aufnahmen von Kriegsteilnehmern, also etwa 
1 : 500. Es ist das ein sehr hoher Prozentsatz gegenüber der Friedens¬ 
praxis in der Klinik, wo auf etwa 10 00Ö Augenkranke 1 Cysticercus 
kam. Vor Einführung der Schlachthygiene (Fleischschau usw.) kam nach 
persönlichen Erfahrungen des Redners 1 Cysticercus auf etwa 1000 Augen¬ 
kranke. Die Verhältnisse im Felde bieten also zweifellos viel häufiger 
Gelegenheit zur Acquirierung eines Cysticercus als die Friedens Verhält¬ 
nisse. Es muss demnach auch der intraoculare Cysticercus als Kriegs¬ 
schädigung gerechnet werden, wenn der Betreffende länger als 5—6 Mo¬ 
nate im Felde stand, bevor die Sehstörung sich geltend machte. Ein 
Zeitraum von 4—5 Monaten scheint erforderlich zu sein, bis der intra¬ 
oculare Cysticercus vom embryonalen Zustande sich bis zu einer erheb- 
liohen Grösse mit Sehstörung entwickelt. Denkbar ist also der Fall, 
dass auch ein intraocularer Cysticercus nicht als Kriegsschädigung gelten 
kann, wenn die Sehstörung sich sehr bald nach dem Ausrücken ent¬ 
wickelt. 

Redner illustriert sodann seine Ausführungen durch Abbildungen 
von Augenhintergrundsbildern und mikroskopischen Schnitten der ex¬ 
trahierten Cysticerken, von denen 1 von einer bindegewebigen Kapsel 
umgeben ist und auch intra vitam fest fixiert war ohne Eigenbewegungen. 
Die Extraktion war dementsprechend auch schwieriger als in den beiden 
andern Fällen, wo sie sehr glatt von statten ging. 

Hr. E. Frank: 

Ueber Beziehungen des Sympathien» zur quergestreiften Muskulatur. 

(Der Vortrag wird später in gekürzter Form in dieser Wochenschrift 
veröffentlicht.) 

Diskussion. 

Hr. Bumke weist darauf hin, dass gewisse sympathische Funktionen 
auch von der Hirnrinde aus in Betrieb gesetzt werden können, und er¬ 
innert namentlich an die Untersuchungen von Kar plus und Kr ei dl 
über die Innervation der Pupillenbewegung. Sodann hebt Redner hervor, 


dass Spielmeyer in einigen Fällen von Paralysis agitans histologische 
Veränderungen nioht im Linsenkern, sondern in der Hirnrinde festgestellt 
hat. — Ferner regt Redner die Frage an, ob sich nicht die träge 
Zuckung bei der Entartungsreaktion mit den von dem Vortragenden 
gezeigten Kurven bei bloss sympathischer Reizung quergestreifter 
Muskeln in Beziehung bringen liesse. Dagegen spricht freilich, dass die 
träge Zuckung auch bei sehr peripherer Verletzung der Nerven auftritt. — 
Dass sioh die hysterische Kontraktur in ihren physiologischen Bedingungen 
von willkürlich eingenommenen Haltungen des Gesunden wesentlich unter¬ 
scheidet. kann Redner nicht glauben. Insbesondere spricht die Möglich¬ 
keit dagegen, derartige Kontrakturen auf suggestivem Wege momentan 
zu beseitigen. Dagegen erscheint die Erwägung, die der Vortr. für die 
hysterische Kontraktur angestellt hat, voll berechtigt für gewisse 
katatonische Zustände, bei denen eine tonische Starre monatelang be¬ 
steht, ohne dass irgend welche Analogien zu normalen Willensvorgängen 
dabei vorausgesetzt werden dürften. Wir sind heute gewohnt, die Ur¬ 
sache der Dementia praecox in chemischen Einflüssen zu suchen, aber 
es wäre nicht unmöglich, dass diese Gifte an eben den Stellen des 
Nervensystems angreifen, in denen der Vortragende die centrale Ver¬ 
tretung der sympathischen Funktionen gesucht hat. 

Hr. Forschbach: Zu dem interessanten Gegenstand, über den 
uns Herr Frank berichtet, darf ich eine vor einigen Jahren gemachte 
Beobachtung erwähnen. Ich fand, dass der endogene Kreatiningehalt 
des Harns beim Morbus Basedowii, also einem Zustande der Sympathicus- 
reizung, ausserordentlich gering ist. Sollte, was bekanntlich von vielen 
Physiologen bestritten wird, das Kreatinin des Harns doch in einer 
Beziehung zum Kreatinin des Muskels stehen, so wäre die Frage 
natürlich von Interesse, ob der geringe Kreatiningehalt des Harns mit 
der von Riesser gefundenen Veränderung der Kreatininmengen des 
Muskels in Zusammenhang gebracht werden kann. 

Hr. Frank: Schlusswort. 


Medizinische Gesellschaft za Kiel. 

Sitzung vom 15. November 1917. 

1. Hr. An8chtitz: Ueber Eehinokokkei. 

a) Echinokokkencysten - Gallengangsperforation in die 
Bauchhöhle. (Choleperitoneum hydatidosum Deve.) 

Ein stets gesunder, 32jähriger Mann fiel am 2. X. 1909 auf die 
Lebergegend auf, zunächst ohne besondere Folgen. 1. III. 1910 durch 
Laparotomie Tausende von teils lebenden, teils abgestorbenen Eohino- 
kokkenblasen aus dem Abdomen entleert. Die Därme überzogen 
von einer etwa 2—5 mm dicken gelbrötlichen, knötchen- 
reichen, höckerigen Membran, in welcher wie io einem Sack die 
Echinokokkenblasen schwammen. An der Leberkuppe wurde ein grosser 
Leberechinococcus eröffnet, offenbar die Ursprungsstelle der Erkrankung. 
Drainage und Spülung mit lproz. Formalinlösung. Heilung mit Fistel 
an der Leberkuppe. 11. VI. 1910 erkrankte Patient an einer akuten 
Appendicitis. Bei der Operation das Peritoneum voll¬ 
kommen normal spiegelnd und glänzend! Es wurden weithin 
alle Organe betrachtet und untersucht, nirgendsmehr Veränderungen 
zu fühlen oder zu sehen. Später Extraktion des abgestorbenen Echioo- 
occussacks aus der Leber. Heilung. Mai 1914 nochmals Exstirpation 
dieser kindskopfgrossen Cysten aus dem Lig. hepat. gastr. und an der 
Flex. coli dexter. Seither völlig gesund. 

b) Grosse vereiterte intrahepatische Echinokokkencyste. 

35jähriger Mann. Seit V 2 Jahr hochgradigste Abmagerung, Blässe, 

Schwäche. Letzte Zeit täglich Erbrechen. Enorme Lebervergrösserung 
nach allen Seiten. Magen im Röntgenbild durch ausserhalb gelegenen 
Tumor zu kleinem Schlauch komprimiert. 28. XII. 1916. Laparotomie. 
Leber enorm vergrösaert. Eröffnung eines Echinococcus in der Leber 
mittels dickem Troicart. Entleerung einer mannskopfgrossen, massenhaft 
abgestorbene Blasen und stinkende eitrige Flüssigkeit enthaltende 
Cyste. Langdauernde Drainage. Heilung August 1917. Gewichtszunahme. 
Wohlbefinden. 

In Schleswig-Holstein sind die Echinokokken ungemein selten, 
manches Jahr vergeht, ohne dass ein Fall in die Klinik kommt. 

0 ) Das Carcinom der Papilla Vateri bei einer 34jährigen 
Frau. Resektion derselben. G. E. retrooolica posterior mit Naht. Glatter 
Verlauf. Wohlbefinden. 

In allen drei Fällen hatte die bei chronischem schweren 
Icterus vergrösserte Gallenblase die Diagnose bestimmt 
und zweimal erfreulich frühzeitige Eingriffe mit gutem Er¬ 
folge auszuführen veranlasst. 

2. Hr. Aisehfitz: 

Diagnose nid Chirnrgie bei selteneren Choledoehnserkranktngen. 

Zur Unterscheidung des Choledoohusverschlusses durch Stein von 
den anderen Arten desselben ist die Courvoisier’sche Regel sehr zuver¬ 
lässig. In 90 pCt der Fälle des Kieler Materials war hochgradiger 
Icterus mit grosser Gallenblase auf Niohtsteinverschluss zurückzuführeD, 
in den übrigen 10 pCt. der Fälle handelte es sich um Choledoohus- und 
Cysticusverschluss mit Hydrops vesioae felleae durch Stein. Man sollte 
also bei schwerem Icterus mit grosser Gallenblase immer 
frühzeitig zur Operation raten, in jedem Falle ist die Operation 
indiciert. Von den Choledochusverschlüssen anderer Ursache als Stein 
(Tumor, Narben, Kompression) fand sich hei 80 pCt. eine grosse Gallen- 


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14. Janaar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


43 


blase. Bei kleinen Gallenblasen (20 pCt) müssen die üblichen differential¬ 
diagnostischen Momente gegenüber dem Choledochusstein den Ausschlag 
geben. 

Ein Fall von Narbenstenose des Choledoohus und ein Fall von 
ohronischer Pankreatitis, mit gutem Erfolg operiert, werden vorgestellt. 

8. Hr. Anschtttz: 

Heber die Behandlung von Schlottergelenken nach Sehnisverletznngen. 

Sohlottergelenke, die eine operative Behandlung nötig machen, 
kommen in der Kriegszeit häufiger vor. Nach Besprechung der sehr 
guten operativen Erfolge bei paralytischen Schlottergelenken, im be¬ 
sonderen derjenigen der Schultergelenke, wobei einige Fälle demonstriert 
werden, wird auf die der destruierten eingegangen. 

Die wenigen Operationen bei destruierten Scblottergelenken aus der 
Friedenszeit betrafen alle das Hüftgelenk. Es handelte sich um Zer¬ 
störung des Schenkelkopfes oder -halses durch Tuberkulose, Osteomyelitis, 
Frakturen in der Kindheit oder Missbildung bei Luxatio congenita. In 
fünf Fällen wurden mit der Trochanterimplantation in die Hüft- 
pfanne und nachfolgender Versteifung des Gelenkes gute Resultate erzielt. 

Nach Schussverletzungen machen am häufigsten Ellbogen und 
Schulter-Schlottergelenke operative Eingriffe nötig. An den Schulter¬ 
gelenken wurde zweimal die Arthrodese des Humeroskapulargelenks aus¬ 
geführt. Der erste Fall arbeitete kräftig schon nach l f t Jahre. Aktive 
Abduktion des Oberarmes 80 Grad. Am Ellbogengelenk wurde fünfmal 
nach der bewährten Methode von Moszkowioz vorgegangen. Drei 
gute, zwei Misserfolge. Die letzteren beruhten auf zu wenig radikalem 
Vorgehen dem Narbengewebe gegenüber. 

Hr. Kapp»: Vorstellung eines Oesophagusdivertikels bei einem 
Jungen von drei Jahren. 

Hr. Käppis: Ueber Ellbogengeleakkb'rper, Demonstration von 
14 Knorpelabsprengungen am Capitulum humeri im jugendlichen Alter, 
die im Laufe von drei bis 4 Jahren in der chirurgischen Klinik beob¬ 
achtet wurden. Von den während derselben Zeit beobachteten weiteren 
18 EllbogeDgelenkkörpern geht der grösste Teil auf diese in der Jugend 
erworbene Krankheit zurück. Näheres folgt in einer im Druck befindlichen 
Arbeit in der Deutschen Zeitschrift für Chirurgie. Runge. 


Freiburger medizinische Gesellschaft. 

Sitzung vom 13. November 1917. 

Exz. Bäu ml er gibt als Vorsitzender des Vereins zu Eingang 
der Sitzung einen Nachruf auf Prof. Krönig unter Würdigung seiner 
Arbeiten und Erfolge, sodann einen kurzen Ueberblick über die während des 
letzten Jahres erreichten Fortschritte auf allen Zweigen der Medizin. 
Besondere Erwähnung finden die diagnostischen und therapeutischen 
Fortschritte auf dem Gebiete von Infektionskrankheiten, Fleckfieber, Weil- 
sche Krankeit, Fünftagefieber, Oedemkrankheit usw. 

Hr. Kries: Neuere Untersuchungen zur Mnskeltfitigkeit. 

Die Zuckung der isolierten und elektrisch gereizten Muskeln hat 
von jeher das experimentelle Interesse gefesselt. Neben der Rückführung 
der Zuckung selbst auf anorganische Kräfte versuchte man auch ihrem 
Wesen näher zu kommen durch die Erklärungsversuche von Engel¬ 
mann (Quellung) und von Bernstein (Oberflächenspannung). 

Positive Ergebnisse werden leichter unter engeren Gesichtspunkten 
gewonnen wie durch Auflösung der Zuckung in Teilvorgänge oder in 
ihre energetischen Komponenten, Messung der mechanischen Kraft und 
der Kohlensäureausscheidung bei der Arbeit. Das Auftreten von Säure 
im arbeitenden Muskel wurde sowohl am Gesamtorganismus wie am 
isolierten Muskel konstatiert. In diesem letzten Fall gelang es, Milch¬ 
säurewerte von 0,2 pCt. naohzuweisen, die ähnlich auch bei Muskel¬ 
starre durch Tod, Chloroform oder andere Gifte auftraten. Der Ursprung 
der Milchsäure im arbeitenden oder erstarrten Muskel ist nicht hinreichend 
geklärt, das vorhandene Glykogen erscheint nicht ausreichend. \ 

Einen wichtigen Fortschritt bedeuten die Untersuchungen HilTs, 
die die Frage beantworten, wann im Verlauf der Zuckungskurve die 
grösste Wärmeproduktion auftrete. Diese Untersuchungen lehrten, dass 
ein erheblicher Teil der producierten Wärme bis 5 Sekunden nach Ab¬ 
lauf der Zuckung gebildet wird. Durch Kontrollen des Wärmeabfalls 
am abkühlenden und toten Muskel im Vergleich zum lebenden lassen 
sich typische Wärmeabfallkuren erreichen. 

Wesentlich scheint hierbei die Erkenntnis, dass die durch die Muskel¬ 
zuckung ausgelöste Wärme in zwei prinzipiell verschiedene Quanten zer¬ 
fällt, „eine verzögerte Wärme* und „eine initiale bzw. vorbereitende 
Wärme“. Jedes dieser Quanten beträgt etwa die Hälfte der Gesamt¬ 
wärmemenge. Das theoretische Verständnis dieser Tatsachen suchte man 
sich nach Weizecker durch eine Zweimaschinentheorie zu erleichtern, 
nach der die Ladung des Muskels unter Bildung der initialen Wärme 
erfolgt, und die Entladung unter der der verzögerten. Weitere experi¬ 
mentelle Erkenntnisse brachte die Zerlegung des ZuckuDgsvorgangs in 
zwei Teile und die isolierte Untersuchung der einzelnen Hälften. Hier¬ 
bei zeigte es sich, dass die verzögerte Wärme in Fortfall kommt, wenn 
man den Muskel in einer N-Atmosphäre arbeiten lässt. Dann, und 
ebenso wenn auf andere Weise die Sauerstoffaufnahme verhindert wird, 
gleicht die Wärmeabfallkurve des arbeitenden Muskels der des toten. 
Auch duroh Gifte können die Vorgänge getrennt werden, so wird z. B. 
duroh Alkohol in 7 bis 8 pCt. die Kontraktilität aufgehoben, in 12 bis 
20 pCt. die Oxydation. 


Nach den Zuntz’schen Gesamtstoffwechseluntersuchungen lässt 
sich die vom Muskel geleistete mechanische Arbeit ausdrücken durch 
die 0-Aufnahme während derselben pro kg Arbeit (1,5 oom 0). Die 
Muskeltätigkeit spielt sich in einer chemischen Umgebung ab, wo der 
nötige 0 bereitgestellt ist und als erste Reserve die Leistung der 
mechanischen Arbeit deckt. Als zweite Reserve sind das Glykogen und 
andere Stoffe aus dem Muskel anzusehen, welche nicht direkt disponibel 
sind, sondern es erst unter 0 Aufwand werden. Ueber die Grösse 
dieser beiden Reserven können wir uns an der Hand der Tatsache eine 
Vorstellung bilden, dass alles verfügbare O-Material verbrannt den 
Muskel auf 20 bis 30 Grad erwärmen würde. Die Verbrennung von 1 pCt. 
Glykogen würde eine Erwärmung auf 40 Grad bewirken. So entspräche 
also die erste Reserve einer Erwärmung von 2 pCt. und stellte nur einen 
Bruchteil der Gesamtreserve dar. 

Der ökonomische Quotient des arbeitenden Muskels betrug nach 
früheren Anschauungen Vs bis 1 / 4 (Umsetzung der reinen Energiewerte 
in mechanische Arbeit). Nach den Hill’sohen Untersuchungen unter 
Veranschlagung der verzögerten Wärme steigt er auf V*. Nach theo¬ 
retischen Ueberlegungen von Nernst ist es u. a. möglioh, den ökono¬ 
mischen Quotienten auf Vi zu steigern. Vielleicht ist aber in 
einer derartigen reinen Umsetzung nicht der Endzweck der Arbeit des 
Organismus zu erblicken. 

Zum Schluss streift der Vortragende kurz die Bedeutung dieser 
neueren Erkenntnisse für die Arbeit der Nerven und vor allem der Drüsen. 

Diskussion: HHr. Wiedersbeira, Knoop, Aschoff, von Kries. 

E. Schottelius. 


Kriegsärztliche Abende. 

(Eigenbericht der Berliner klinischen Wochenschrift.) 

Sitzung vom 11. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Tiemann. 

Vor der Tagesordnung. 

HHr. Adam und Stange: 

Vorführung der Sanerbrnehprothese im Film. 

Das Bild- und Filmamt der Heeresverwaltung soll auch die ärztliche 
Technik berücksichtigen. Die heutige Filmvorstellung erläutert im 
Bilde den Sauerbruch’sohen Vortrag. 

Tagesordnung. 

Hr. Barany- Upsala (a. G.): 

Primäre Excision der Schusswunden und primäre Naht nnd Behand¬ 
lung der Gehirnabscesse. 

Hirnabscesse mit zahlreichen Buchten sind für die gewöhnliche 
Drainage ungeeignet; des Vortr. Methode mit Guttaperchadrains gibt oft 
gute Ergebnisse. Die Behandlung geschieht unter Leitung des Auges mit 
Hilfe eines Stirnreflektors. Die Frage der Versorgung von Schusswunden 
ist sehr alt; schon 1320 befasste man sich mit dem primären Verschluss 
dieser Wunden. Dessault, Larray, Dieffenbach betonten die ge¬ 
schlossene Behandlung von Kopf- und Lungen träumen; v. Bergmann 
schuf den aseptischen Occlusiv-Verband, der bis heute in Geltung blieb. 
Sein Prinzip war jedoch die möglichste Anpassung an zugleich chirur¬ 
gische und stragetisohe Erfordernisse, d. h. ein Notbehelf. Der Vorschlag 
Langenbuch’s, der 1892 gegen den aseptischen Occlusiv-Verband ein¬ 
trat, nämlich duroh primäre Naht die sekundäre Infektion zu verhindern, 
fand wenig Beifall. 

Thiersch erklärte in jener Sitzung: „Wir schliessen die Diskussion 
und lassen die Wunden offen.“ Aber gerade aus seiner Klinik hat 
Friedrich die primäre Naht, wem\ auch mit beschränkter Indikation, 
eingeführt; Trendelenburg schickte ihr bei komplicierten Frakturen 
die Excision voraus. 

Des Vortr. Erfolge mit dieser Methode in Przemysl waren sehr 
günstig; sie entsprangen nicht, wie man irrig glaubte, besonderen 
äusseren Umständen; letztere erwiesen sich sogar als sehr ungünstig. 
Einzige und Hauptbedindung bleibt, dass die Fälle rechtzeitig in Be¬ 
handlung kommen. 

Da gerade im Kriege die Statistik der Hirnverletzungen versagt, ist 
die Beurteilung der einzelnen Methoden und ihrer Erfolge schwierig. 

Für das vorliegende Thema ist nur die Frage von Bedeutung: Wie 
viele von den Hirnverletzten sterben an Infektionen bei offener und wie 
viele bei geschlossener Wundbehandlung? Die AnÄrort lautet: Bei 
offener Behandlung 60—75pCt., bei primärer Naht OpCt. Die zuge¬ 
hörige Statistik ist gar nicht mehr klein; es sind 60 bis 70 Fälle von 
Hirnwunden, die von verschiedenen Autoren primär genäht wurden. Es 
sollten demnach die Frontchirurgen, die nicht Literatur in die Hand 
bekommen, wenigstens auf dieses Verfahren hingewiesen werden. Dieses 
Ziel ist bei der kompetenten Stelle in Oesterreich nicht erreicht worden. 
Nachprüfungen des Verfahrens fielen günstig aus. Heirowski hat sonst 
durchaus rettungslose Fälle auf diesem Wege gerettet; die Gegner des 
Verfahrens geben, da sie keine Krankengeschichte mitteilen, keine 
Gelegenheit, den Fehlerquellen nachzuspüren. Augenscheinlich sind 
aber die Fälle zu spät zur Operation gekommen. 

Bei Gewehrschüssen braucht man der primären Naht wohl bloss 
die Excision der Haut des Einschusses vorauszuschicken. Erfolg batte 


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UNIVERSUM OF IOWA 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 2 . 


das Verfahren selbst bei vereiterten Wanden nooh 3—4 Tage nach der 
Verletzung. 

In England und Frankreich gilt das Verfahren als grösster Fort¬ 
schritt der Kriegschirurgie in diesem Kriege. Candiet exstirpiert die 
Wunde wie einen Tumor und berichtete schon 1916 bei 1000 solcher 
Fälle Günstiges. Depage sah bei offener Behandlung 68pCt. Vereite¬ 
rung und 13pCt. Mortalität, bei Behandlung nach Gharrel 28 pCt. 
Vereiterungen und 3pCt. Mortalität, bei primärer Naht nach Excision 
in 86 pCt. freie Beweglichkeit der behandelten Gliedmaassen und 0 pCt. 
Mortalität. Thissier bat festgestellt, dass die gefürchteten Anaeroben 
ohne Bedeutung sind und ihre Bedeutung erst durch Verbindung mit 
Aeroben wie Staphylokokken und Streptokokken erlangen. 

Es gibt also 1. das Verfahren der chirurgischen Abstinenz, Offen¬ 
lassen der Wunden, Heilung unter dem Blutschorf, Occlusivverband. 
2. Anwendung der ohemisohen Desinfektion. 3. Excision der Wunde mit 
oder ohne Naht. Dieses letzte Verfahren gibt die besten Ergebnisse; 
doch muss die Operation binnen 24 Stunden nach dem Trauma statt¬ 
finden. 

Aussprache. 

Hr. A. Bier hegt durchaus die Anschauung, dass die Heilung bei 
Hautdeckung viel schneller und besser vor sich geht. Wird die primäre 
Naht darchgeführt, so wird die ganze Kriegschirurgie auf eine neue 
Basis gestellt. Auch den Morgenroth’schen Chininderivaten kommt 
in diesem Zusammenhänge grosse Bedeutung zu. 

Hr. Hildebrandt betont die Schwierigkeit der praktischen Durch¬ 
führung im Felde und verweist auf die differente Behandlung, welche 
Gewehr- und Artillerieschüsse erfahren müssen. 

Hr. Morgenroth sieht in der Anwendung der Chininderivate eine 
Erhöhung des Sicherheitskoeffizienten. Kann man mit seiner Methode 
die 10—15pCt. Nacheiterungen durch Streptokokkeninfektion verhüten, 
so wäre das eine wertvolle Verbesserung, ebenso wenn es ermöglichte, 
die Zeit, innerhalb deren operiert werden kann, zu verlängern. Im 
Tierversuch erzielte die innere Sterilisation auch bei Gasbrand zweifellos 
Erfolge. Ausdehnung der chemotherapeutischen Ideen führt eine neue 
Periode der Asepsis herbei. 

Hr. Kausch schliesst sich Herrn Hildebrandt an; denn im 
Kriege ist so schwer dio Asepsis durchzuführen, dass ihm häufig selbst 
primäre Amputationen vereitert sind. Mode. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 9. Januar fand die 
Fortsetzung der Besprechung über die ärztliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft statt, an derselben beteiligten sich die Herren Franz, 
Fr. Strassmann, Edm. Falk, Bor n stein, J. Hirschberg, S oh äff er, 
Fr. Schlesinger, G. Lennhoff, P. Friedländer, Finder, Zadek, 
Aschoff, Kahl. — Mitteilung von Herrn Bumm über einen Antrag 
für die nächste Sitzung. " 

— In die Reihe der 60 er tritt am 13. d. M. auch Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. 0. Minkowski, der Direktor der Medizinischen Klinik 
in Breslau; auch in ihm begrüssen wir einen werten Freund und Mit¬ 
arbeiter und einen auf theoretischem Gebiet wie in klinischer Tätigkeit 
gleich erfolgreichen Forscher und Lehrer. 

— Der preussische Aerztekammerausschuss hat sich für 
die sofortige Erhöhung der ärztlichen Gebühren um 50 pCt. aus¬ 
gesprochen. 

— Nach dem Geschäftsbericht des Vereins „Landaufenthalt für 
Stadtkinder“ konnte für 506719 Kinder Landaufenthalt vermittelt 
werden. Die meisten Kinder nahm die Provinz Ostpreussen mit 79170 
einschliesslich der Verwandtenkinder auf. Es folgen dann Pommern 
mit 37895, Schlesien mit 35000, Posen mit 26436. — Der Verein 
bildet auch die Reichszentrale für die Unterbringung deutscher Kinder 
im verbündeten und neutralen Ausland. Nach Holland konnten etwa 
20000, nach der Schweiz etwa 6000, nach Dänemark etwa 4000, nach 
Ungarn etwa 1500 Kinder zum Landaufenthalt entsandt werden. 

— Der VI. Oesterreiohische Tuberkulosetag fand Sonntag, 
den 16. Dezember 1917, im Hause der k. k. Gesellschaft der Aerzte in 
Wien statt. 

— Die Gesamtzahl der Leprakranken in Norwegen betrug 
Ende 1910 326, 1911 301, 1912 281, 1913 279, 1914 261, 1915 235. 
In den Lepraheimen befanden sich am Schlüsse des Jahres 1910 123 Kranke, 
zu welchen während der Jahre 1911 bis 1915 51 neue Krankheitsfälle hinzu¬ 
gekommen sind. Von den letzteren betrafen 28 das männliche und 23 
das weibliche Geschlecht. Insgesamt sind während des Zeitraums 1911 
bis 1915 von den in den Lepraheimen oder in anderen Anstalten unter¬ 
gebrachten Leprakranken 141 gestorben, darunter 60 Männer und 81 Frauen. 
Von den Gestorbenen befanden sich 29 im Alter von 60 bis 70 Jahren, 
23 im Alter von 70 bis 80 Jahren, 24 im Alter von 80 bis 90 Jahren 
und drei sogar im Alter von 90 bis 100 Jahren. 

— In Wiesbaden wurde der Neubau der Kaiser Wilhelms-Anstalt 
vor einigen Wochen eröffnet. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (23. bis 
29. XII.) 1. — Fleckfieber: Deutsches Reich (23.-29. XH.) 6. 


Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau (9. bis 
bis 15. XII.) 827 und 93 +. — Rüokfallfieber: Kaiserlich Deut¬ 
sches Generalgouvernement Wa rschau (9.—15. XII.) 76 und 
1 +. — Geniokstarre: Preussen (16.—22. XII.) 8. — Spinale 
Kinderlähmung: Preussen (16.—22. XII.) 2. Schweiz (9.—15. XII.) 
1. — Ruhr: Preussen (16.—22. XII.) 97 und 15 f. Mehr als ein 
Zehntel aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp in Berlin- 
Lichterfelde, Brandenburg, Cottbus, Dessau, Erfurt, Rheydt; Keuch¬ 
husten in Königshütte, Osnabrück; Typhus in Elbing. 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochschulnach richten. 

Leipzig. Titel und Rang eines Obermedizinalrats erhielten Prof. 
Rille, Direktor der Hautklinik, Prof. Barth, Direktor der Hals-, Nasen - 
und Ohrenklinik und Prof. Ko ekel, Direktor des Instituts für gerichtliche 
Medizin. — München. Prof. Spielmeyer hat den Ruf nach Heidel¬ 
berg als Ordinarius für Psychiatrie abgelehnt. — Tübingen. Prof. 
Seitz' in Erlangen erhielt einen Ruf als Direktor der Frauenklinik. — 
Wien. Prof. Karplus wurde zum Vorstand der 2. neurologischen Ab¬ 
teilung der Allgemeinen Poliklinik gewählt. 


Amtliche Mitteilungen. 

.Personalien« 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden III. Klasse: ao. Prof, in der 
mediz. Fakult. d. Universität in Göttingen Geh. Med.-Rat Dr. Rosen - 
bach. 

Roter Adlerorden IV. Klasse: Kirchenältester Geh. San.-Rat Dr. 
Hellwig in Neuruppin. 

Königl. Bayerisches König Ludwigkreuz: Präsident d. Kaiserl. 
Gesundheitsamts Dr. Bumm. 

Rettungsmedaille am Bande: landsturmpfiiehtiger Arzt Dr. Tancre 
im FestuDgshilfslazarett I in Königsberg i. Pr. 

Charakter als Medizinalrat: Reg.-Arzt b. d. Kaiserl. Gouvernement 
von Kamerun Dr. Waldow, Reg.-Aerzte b. d. Kaiserl. Gouvernement 
von Togo Dr. Sünder und Dr. von der Hellen, Reg.-Arzt b. d. 
Kaiserl. Gouvernement von Deutsch-Neuguinea Dr. Born. 

Prädikat „Professor“: Priv.-Doz. in der mediz. Fakult. d. Universität 
in Königsberg i. Pr. Ob.-St.-A. Dr. Rhese, Augenarzt Ob.-St.-A. d. L. 
Dr. A. Fick. 

Versetzungen: Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Herr mann von Allenstein 
nach Merseburg, Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Schneider von Arns¬ 
berg nach Wiesbaden, Reg.- u. Med.-Rat Dr. Janssen von Merseburg 
nach Stade, Reg.- u. Med.-Rat Dr. Steiner von Stade nach Königs¬ 
berg i. Pr., Kreisarzt Med.-Rat Dr. Lembke von Duisburg nach Arns¬ 
berg als ständiger Hilfsarbeiter b. d. dortigen Regierung, Kreisarzt u. 
ständiger Hilfsarbeiter b. d. Regierung in Potsdam Dr. Trembur in 
gleicher Eigenschaft an d. Polizeipräsidium in Berlin, Kreisarzt Dr. 
Willführ von Grottkau nach Potsdam als ständiger Hilfsarbeiter b. 
d. dortigen Regierung, Gerichtsarzt Dr. Klein von Elberfeld als Kreis¬ 
arzt nach Grottkau, Kreisarzt Dr. Reischauer von Dramburg nach 
Koblenz als Vorsteher d. dortigen Medizinaluntersuohungsamts, Kreis¬ 
arzt und bisheriger Vorsteher des Media.-Untersuch.-Amts in Düssel¬ 
dorf Dr. Beintker nach Dramburg, Kreisarzt Dr. Klare von Johannis- 
burg (Ostpr.) nach Swinemünde, Kreisarzt Dr. Kurpjuweit von 
Swinemünde nach Danzig, Kreisarzt Dr. Pflanz von Danzig nach 
Neukölln. 

Versetzungen in den Ruhestand: Kreisarzt Geh. Med.-Rat Dr. A. 
Priester in Reppen; Kreisarzt Geh. Med.-Rat Dr. F. Gaehde in 
Blumenthal; Kreisarzt Dr. Gerhard Gross in Schleiden, Kreisarzt 
Med.-Rat Dr. Ernst August Dietrich in Neukölln. 

Niederlassungen: Aerztin Dr. Frieda Cronquist und Dr. Stephan 
Kwassek in Königsberg in Pr., Dr. E. Bumke in Berlin-Reinickendorf. 

Verzogen: Dr. J. M. Nowakowski von Punitz i. P. nach Wies¬ 
baden, Dr. K. Lindpaintner von Marburg nach Koblenz, Dr. Rieh. 
Peter Philipp von Bonn nach Wissen (Sieg), Dr. Alfred Langen 
aus dem Felde nach Merzig, Dr. K. Ueberhuber von Elberfeld nach 
Crefeld, Dr. Peter Janssen von Crefeld nach Düsseldorf-Heerdt, 
Dr. Bernh. Brauns von Eickel i. W. nach Kray, Dr. R. Rübe von 
Dahlhausen nach Homberg, Dr. Karl Fischer von Düsseldorf nach 
Cleve, Kreisarzt a. D. Dr. Gerhard Gross von Schleiden nach Gross 
Burgwedel (Kr. Burgdorf), Dr. W. Eisenhardt von Fürstenberg 
(Meckl.) nach Königsberg in Pr., Dr. K. Eyselein von Boohum nach 
Goldap, Dr. A. Kraatz von Berlin-Schöneberg nach Berlin-Friedenau, 
San.-Rat Dr. Johs. Lemkowski von Neuenhagen nach Berlin-Fried¬ 
richsfelde. 

Gestorben: San.-Rat Dr. L. Schulte am Esch in Herne, Dr. P. 
Rumberg in Leizig, Dr. Felix Kraemer in Frankfurt a. M., San.- 
Rat Dr. K. de ßeauclair in Hamborn, Dr. A. Hennes in Kempen, 
San.-Rat Dr. B. Dobczynski in Allenstein, Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. Herrn. Salomon in Freienwalde a. 0., Geh. San.-Rat Dr. Georg 
Messerschmidt in Vietz (Kr. Landsberg a. d. Warthe), Dr. Theodor 
Schmidt in Gerolstein. 


Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Hans Kohn, Berlin W, Bayreuther 8tr.43. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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IM« B«rliner KllnUehe Wochenschrift erscheint jeden 
Monteg, in Kammern von cjl 3—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 7 Merk. Bestellangen nehmen 
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volle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
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Nr. 88, adressieren. 


KLINISCHE AYOCIIENSCimiFf. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

8di. JM-Rat Prof. Dr. C. Posoor and Pro! Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 21. Januar 1918. JV2 3. 


Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Origiaaliei: Neisser: lieber Strychninbeh&ndiung. S. 45. 

Wederhake: Ueber die Verwendung des menschlichen Fettes in 
der Chirurgie. S. 47. 

Elinkert: Eosinophilie, Anaphylaxie und Nervensystem. S. 48. 
Bischer: Brown-S6quard T sche Lähmung des Brustmarkes durch 
Artillerieverletzung. (Illustr.) S. 51. 

May: Einwände gegen Verminderung des Schweinebestandes. (Schluss.) 
S. 52. 

Bfiefcerhesprechingen : Verworn: Physiologisches Praktikum für Medi¬ 
ziner. S. 54. Swoboda: Das Siebenjahr. S. 54. Haeoker: Die 
Erblichkeit im Mannesstamm und der vaterrechtliohe Familienbegriff. 
S. 54. Stigler: Lehrbuch der Physiologie für Krankenpflegeschalen. 
S. 55. (Ref. du Bois Reymond.) — Gins: Der Pockenschutz des 
deutschen Volkes. S. 55. Witte: Die Trinkwasseruntersuchung im 
Felde. S. 55. (Ref. Sobernheim.) 

Literatur-Auszüge : Therapie. S. 55. — Allgemeine Pathologie und 
pathologische Anatomie. S. 55. — Parasitenkunde und Serologie. 
S. 55. — Innere Medizin. S. 56. — Psychiatrie und Nervenkrank- 


ALT. 

heiten. S. 57. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 5^. — 
Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 58. — Hals-, Nasen- und Ohren¬ 
krankheiten. S. 58. — Schiffs- und Tropenkrankheiten. S. 58. — 
Technik. S. 58. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Kraus und 
Bon ho eff er: Die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft. 
S. 58. Esser: Fälle von plastischen Gesichtsoperationen. S. 62. 
Fortsetzung der Aussprache über die ärztliohe Unterbrechung der 
Schwangerschaft. S. 62. — Physiologische Gesellschaft zu 
Berlin. S. 67. — Verein für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde zu Berlin. S. 70. — Medizinische Sektion der 
schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur zu 
Breslau. S. 70. — Medizinische Gesellschaft zu Göttingen. 
S. 70. 

Buschke: Bekämpfung der Weiterverbreitung der Herpes tonsurans- 
Epidemie. S. 71. 

Tagesgesohiohtl. Notizen. S. 72. — Amtl. Mitteilungen. S. 72. 


Ueber Strychninbehandlung 1 ). 

Von 

E. Neisser-Stettin. 

Das Strychninum nitrienm ist im Laufe der letzten 30 Jahre 
ans der deutschen Heilkunde immer mehr verschwunden. Die 
Gründe haben wohl einmal darin gelegen, dass diejenigen Läh¬ 
mungen, bei denen anbezweifelte Besserung in der früheren Lite¬ 
ratur berichtet wird und bei denen auch neuerdings (1909) 
Naunyn bei genauer Indikationsstellung günstige Erfolge erzielte, 
die unvolkommenen Centralläbmungen vielfach über einen ge¬ 
wissen Grad von Besserungen nicht hinaus zu bringen sind, 
ferner, dass bei der wenig augenfälligen Wirkung der einzelnen 
Strychninspritze eine Neigung zn immer grösserer Dosierung auf¬ 
trat, bis Vergiftungsanfälle erfolgten; besonders eindrucksvoll 
waren solche Fälle bei Kindern mit diphtherischen Lähmungen, 
und schliesslich hat die Pharmakologie immer mehr die kumu¬ 
lative Wirkung des Mittels hervorgehoben nnd vor seiner An¬ 
wendung gewarnt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Klinik 
und ganz besonders der praktische Arzt von der Anwendung des 
Strychnins fast gänzlich zurückgekommen sind. 

Im Auslande ist dies keineswegs der Fall gewesen, und seit 
einer Reihe von Jahren ist im Gegenteil eine ausserordentlich 
weitgehende Indikationsstellung nnd Anwendung des Präparats in 
Klinik und Praxis festzustellen. Eigene ausgedehnte thera¬ 
peutische Versuche mit dem Strychninum nitricum, die ich in 
Gemeinschaft mit Herrn Oberarzt Dr. Fritz Schlesinger seit 
einem Jahre angestellt habe, veranlassen mich, hierüber zu be¬ 
richten. 

Es ist vor allen Dingen die Indikationsstellong, die sich 
meines Erachtens seit früher geändert hat bzw. ändern sollte, 
und zwar anf Grund neuer pharmakologischer Tatsachen und An¬ 
schauungen. Einblicke in das Wesen der Reflexerregnng durch 
das Strychnin haben gezeigt, dass nicht nnr der motorische, 
sondern auch der sensible Reflexteil des Rückenmarks in Er- 


1) Nach einem Vortrage im wissenschaftlichen Verein der Aerzte zu 
Stettin. 


regung gesetzt wird, dass ferner nicht bloss eine Erregung der 
Zelle, sondern auch eine Bahnung bzw. Beseitigung von Hem¬ 
mungen in den benachbarten und weiter abliegenden Central¬ 
nervenbahnen stattfindet. Es hat sich weiterhin gezeigt, dass 
das Strychnin in hervorragender Weise den gesunkenen Blutdruck 
central hebt, dass es pressorisch auf den Splanchnicus wirkt, 
dass es die Erregbarkeit des Atemcentrums erhöht. 

Auf diesen Grundlagen beruht meines Erachtens mit grossem 
Recht die Anwendung und Empfehlung des Strychnins beim Sbock, 
besonders beim postoperativen Shock. 

Unbedingt bin ich der Meinung, dass unsere Chirurgen den 
hierüber berichteten übereinstimmend günstigen Erfolgen des 
Auslandes mehr Gewicht beilegep sollten als bisher: bei Patienten 
oder Operationen, bei denen der Natur der Krankheit oder des 
Eingriffs nach Shocks, Collapse einigermaassen zu erwarten sind, 
sollte die Strychninspritze während nnd insbesondere tagelang 
nach der Operation versuchsweise ausgedehntere Anwendung 
finden 1 ); hier also als Propbylacticum gegen Sbock und 
Collapse; ebenso sollte bei Atemstillstand, vielleicht auch beim 
plötzlichen Herztod vor der intravenösen Anwendung nicht zurück¬ 
geschreckt werden. Ich sehe nicht, wo dies bisher geschehen 
ist, werde aber weiter unten über eigene äusserst günstige Er¬ 
fahrungen dieser Art berichten und betone jedenfalls, dass die 
intravenöse Injektion mit 0,001 Strychninum nitricum beim Colla- 
bierten ohne Nebenwirkung gemacht werden kann. 

Meines Wissens ist in den feindlichen Armeen, besonders in 
der französischen, die Strychninspritze etwas ganz gewöhnliches 
zur Behebung des Shocks nach Verwundang. Auch hier sollten wir 
nicht zögern, das Mittel subcutan oder intravenös zu verwenden. 

Nirgends brauchen wir die Erhaltung der Energie, des Atem- 
I und Gefässcentrums mehr als im langdauernden Fieber; ich 
I finde keine Berichte über Strychninanwendung zu diesem Zwecke, 
um so mehr kann ich selbst über unsere eigenen Versuche be¬ 
richten: seit einem Jahr haben wir das Strychnin bei jedem ein- 


1) Vgl. Kongr. Zbl., 1912. Gray Tyrell Pearsons, Ueber 
Mechanismus und Behandlung des Shocks. Brit. med. journ., 1912. 
Ferner: Schmieden. 


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46 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


zelnen Typhuskranken angewendet. Wir haben es täglich in der 
Regel dreinaal 1—2 mg subcutan über Wochen nnd Monate an¬ 
gewendet, ohne jemals die geringste Nebenwirkung zu sehen, ab¬ 
gesehen von einer einmal beobachteten sexuellen Uebererregung, 
angewendet in der Absicht der tonischen Behandlung der Gefäss- 
und Atemcentren und zur Vermeidung des febrilen Collapses. 
Die kumulative Wirkung des Strychnins kommt bei dieser pro¬ 
phylaktischen Behandlung, wie eben bemerkt, im toxischen Sinne 
gar nicht io Betracht, dagegen wird man ihm jedenfalls eine 
länger anhaltende erregende Wirkung zuschreiben dürfen als 
unseren anderen centralwirkenden Mitteln, z. B. dem Coffein, und 
es wird aus diesem Grunde ein besonders geeignetes Collaps- 
propbylacticum beim Typhus sein. 

Die einzelne Strychninspritze beim nicht collabierten Typhus¬ 
patienten hat kaum eine nachweisbare Wirkung; geringe Blut¬ 
druckschwankung, geringe Pulsveränderung nach aufwärts oder 
abwärts können nicht als Beweis der Wirkung herangezogen 
werden. Die Urinmenge verändert sich nicht in erkennbarer 
Weise, jedenfalls nicht regelmässig; wir sind also auf rein ärzt¬ 
liche Beobachtung angewiesen. Hier können wir nun sagen, dass 
wir zwar natürlich Typhen nach wie vor verloren haben, sowohl 
an Schwere der Erkrankung selbst wie an Komplikation, dass 
wir fber die gefürchteten Typhuscollapse seit der Einführung des 
Strychnins kaum mehr gesehen haben. 

Bei der Kürze der Erkrankungsdauer dei Pneumonien und 
wohl auch aus anderen Gründen wird als Collapspropbylacticum 
das Coffein wohl immer die erste Stelle behalten 1 ), aber auf eine 
Indikation möchte ich aufmerksam machen, wenn nämlich bei 
Atemnot oder Schmerz Morphiumspritzen bei Pneumonien nötig 
werden, die vielfach bei dieser Erkrankung recht unerwünscht 
sind wegen der Herabsetzung der Erregbarkeit des überanstrengten 
Atemcentrums, so wird sich die Kombination des Morphiums mit 
dem Strychnin sehr empfehlen; auch wer die jetzt ja ziemlich 
verlassene Pyramidontherapie beim Typhus wieder aufnehmen 
möchte — und es ist ja nicht zu leugnen, dass es eine in vieler 
Beziehung angenehme Behandlung war, wenn sie nur nicht eben 
die Collapsgefahr geboten hätte —, für den bietet sich in der 
Kombination mit Strychnin vielleicht eine Aussicht auf bessere 
Erfolge. 

Ist ja doch das Strychnin als „Gegengift“, was aber 
wiederum bei uns wenig bekannt ist, in ganz bestimmten Fällen 
ohne Zweifel von grossem Wert. Das August Müller'sehe 
Antidot gegen Schlangengift besteht wesentlich aus Strychnin 
und ist hoch geschätzt; gegen das Haschischgift, gegen die 
Chloralvergiftung, die Cocain Vergiftung, die akute Alkoholver¬ 
giftung ist es mit unzweifelbarem, oft lebensrettendem Erfolg an¬ 
gewendet worden. Ich weiss nicht, wie weit die Empfehlung 
von Jacksch, das Strychnin zur Vermeidung der Collapse bei 
der Entziehung im Morphinismus anzuwenden, in der Praxis Be¬ 
rücksichtigung gefunden bat, in jedem Fall scheint es mir höchst 
angezeigt, das in solchen Fällen zu versuchen, und nicht bloss 
als Collapsprophylacticum, sondern auch auf Grund neuer phar¬ 
makologischer Versuche 2 ), die bisher kaum beachtet worden sind: 
das ist nämlich die Eigenschaft des Strychnins, die verschiedenen 
receptorischen Apparate des Rückenmarks in verschiedener Weise 
zu beeinflussen, insbesondere die Perception von Schmerzemp¬ 
findung herabzusetzen. Wir haben hier also eine ausge¬ 
sprochene euphorisierende Wirkung des Strychnins ohne die Bei¬ 
gabe der Gewöhnung. 

Immer handelt es sich um Gifte mit Gefäss- und Atem¬ 
centren lähmender Wirkung und die Gegengiftwirkung des 
Strychnins ist nicht chemisch, sondern energetisch aufzufassen. 

Neuerdings ist von Spenzer angegeben worden, dass es 
gegenüber dem Jod bzw. dem Jodismus wirksam und nützlich 
sein soll. Ich weiss nicht, auf welcher pharmakologischen Grund¬ 
lage diese Behauptung beruht, tatsächlich hat uns in einigen 
Fällen, die ganz ausserordentlich empfindlich gegen Jod waren, 
die regelmässige, gleichzeitige Anwendung von 3 mal 1—3 mal 
2 mg Strychnin ausgezeichnete Dienste geleistet und ermöglicht, 
Jodkuren bei diesen Patienten durchzuführen. Dagegen betreten 
wir das Gebiet sehr unsicherer Indikation, wo es sich darum 
handelt, nicht exogene, sondern endokrine Gifte und giftartige 
Körper zu beeinflussen, wie sie bei gewissen, insbesondere bei mit 
Kachexie verbundenen Krankheitszuständen angenommen werden 


1) Ich lese in einer amerikanischen Notiz: „wohl kein Arzt unter¬ 
lässt die Anwendung des Strychnins bei der Pneumonie“. 

2) Meyer-Gottlieb, Experimentelle Pharmakologie. 


müssen, beim Basedow, beim Diabetes, bei der Tuberkulose. Bei 
der Tuberkulose scheint es nach persönlichen Mitteilungen von 
Braeuning (Tuberk. Krankenhaus Hohenkrug), der auf meine 
Bitte Versuche anstellt, ersichtlich, dass eine euphorisierende 
Wirkung auftritt, insbesondere lästiges Herzklopfen, Atem¬ 
beschwerden, schmerzhafte Sensation günstig beeinflusst werden. 
Unsere Aufmerksamkeit sollte deswegen besonders erweckt werden 
durch Berichte der ausländischen Literatur über äusserst günstige 
Wirkung bei der Anwendung des Strychnins bei der echten 
Neurasthenie und bei einer Reihe von Krankheitszuständen, 
die in das Gebiet der nervösen Erschöpfungszustände fallen. 
Tatsächlich kann man sich ein theoretisch geeigneteres Euphoricum 
für den schweren Neurastheniker kaum denken als ein solches 
Mittel, das, während es auf Gefässe und Nervencentren ionisierend 
wirkt, die Sinnesschärfe für die Aussenwelt erhöht, zur gleichen 
Zeit die Flut von Missempfindungen, schmerzartigen Empfindungen 
aufhebt oder herabsetzt. Von übeizeugenden Mitteilungen über 
günstige Wirkungen der Neurasthenie nenne ich besonders die 
Arbeit von Hartenberg 1 ), der sogar meint, wirkliche Heilungen 
herbeigefübrt zu haben. Allerdings gibt Hartenberg in all¬ 
mählich ansteigender Dosis recht grosse Dosen bis 0,01 und dar¬ 
über und scheut sich auch nicht, bis zur leichten toxischen 
Reaktion, Gliederziehen usw. heranzugehen, um dann allerdings 
nicht höher zu steigen, sondern bei der Dosis zu bleiben. Er 
gehört zu den Autoren, zu denen sich auch einige Pharmakologen 
gesellt haben, die im Gegensatz zur cumulierenden Wirkung bei 
ihrer Art der Anwendung unbedingt eine Gewöhnung haben ein- 
treten sehen. 

Was wir bisher bei einer allerdings vorsichtigeren Anwendung 
bei der schweren Neurasthenie von dem Mittel gesehen haben, 
ermutigt uns durchaus, auf diesem Wege fortzuschreiten. Die 
euphorisierende Wirkung war z. T. überraschend. Im Krankenhaus 
haben wir in solchen Fällen das Strychnin ebenfalls subcutan 
angewendet und sind neuerdings bis zur Dosis 0,01 pro die her- 
angegangen. Für die Patienten, die nicht in dauernder Aufsicht 
sind, empfiehlt es sich, das Strychnin in Milligramm-Pulvern zu 
verordnen, unter Giftzeichen abzugeben und Etappenkuren zu ver¬ 
ordnen, zunächst von 3 mal 1 langsam steigend zu 3 mal 2 mg 
bis 3 mal 3 mg täglich, nach ungefähr 14-, 16- oder 18tägigem 
Gebrauch 6 Tage auszusetzen. Solche Etappenkuren hat auch 
Naunyn 2 ) bei Behandlung von Lähmungen angewendet, einer der 
wenigen deutschen Kliniker, die sieb mit dem Strychnin be¬ 
schäftigten. Wählen wird man für diese Therapie naturgemäss 
nicht sowohl die rein konstitutionellen chronischen Neurastheniker 
als die Exacerbationen oder durch äussere Umstände hervorge¬ 
rufenen akuteren neurasthenischen Anfälle und Perioden, insbe¬ 
sondere nervöse Erschöpfungszustände, wie wir sie heute in der 
Heimat reichlich zu sehen bekommen. 

Eine grosse Rolle spielt das Strychnin besonders in der 
französischen Literatur als Herzmittel. Sowohl die pharma¬ 
kologische Grundlage als die klinische Beobachtung auf diesem 
Gebiete sind in ausserordentlichem Maasse einander widersprechend; 
es erscheint in keiner Weise festgestellt, ob das Mittel auf den 
Herzmuskel erregend oder von vornherein lähmend wirkt, ob es 
an sich pulsbescbleunigend oder verlangsamt, Blutdruck herab¬ 
setzend oder erhöhend wirkt; bestimmte Anzeichen oder Gegen¬ 
anzeichen bei seiner Anwendung bei Herzkrankheit kann ich, 
soweit die jetzt mangelhaft mögliche Einsicht in die Literatur 
es gestattet, nicht finden; unsere eigenen therapeutischen Ver¬ 
suche haben uns gezeigt, dass beim einfachen dekompensierten 
Vitium cordis eine nennenswerte Wirkung nicht zu beachten war, 
ohne Zweifel stehen uns unvergleichlich bessere Präparate hier¬ 
für zur Verfügung; wo dagegen im Gefolge dieser Leiden Zu¬ 
stände von beginnender Atemlähmung (Cheyne - Stokes) oder 
Kohlensäurevergiftung oder collapsartige Zustände sich ent¬ 
wickelten, bat uns das Strychnin zweifellos gute Dienste geleistet. 
Immerhin haben wir auch bei diesen Zuständen bei der sub- 
cutanen Anwendung mit Digitalis und Strophantinpräparaten aus¬ 
reichend vortreffliche Heilmittel; eher war meiner Meinung nach 
anzunehmen, dass bei einigen krankhaften Zuständen des Herzens, 
bei denen eine Herabsetzung der Erregbarkeit oder der Bahnung 
intra- oder extracardialer Nerven oder Nervencentren besteht, 
vom Strychnin etwas Gutes erwartet werden könnte. Ich glaube 
dann auch bei degenerativer Myocardiose mit Pulsunregelmässig- 


1) Presse medicale, Nr. 21, ref. im Kongressoentralblatt, 1913, Bd. 5. 

2) Naunyn, Ueber subcutane Strychnininj ektion. Ges. Abhand¬ 
lungen, 1909, Bd. 2. 


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UNIVERSUM OF IOWA 






21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


47 


keiten verschiedener Art, insbesondere auch bei Pulsns irregu- 
laris perpetuus, sodann besonders bei Zuständen, die in das Ge- 
biet der Adam Stokes’schen Symptome hineingehören, recht be¬ 
friedigende Wirkungen gesehen zu haben. Wenige Milligramm 
Spritzen genügten bei einer Patientin, die monatelang bei grosser 
Kraftlosigkeit und Ohnmachtsanfällen einen Puls von 30 gehabt 
hatte, um den Puls für lange Zeit auf 70 Schläge zu bringen 
unter ausserordentlicher sthenisierender Allgemeinwirkung. Bei 
dieser Gelegenheit soll mitgeteilt werden, was bereits oben an¬ 
gedeutet wurde, dass der eine von uns, Herr Schlesinger zu¬ 
fällig in die Lage geriet, einem schweren Collapsanfail eines 
älteren Herrn beizuwohnen, der mit Pulslosigkeit, aufhörender 
Atmung, schwerer Cyanose verbunden war. Trotzdem dieser 
Zustand bis zum Transport in die nahe Apotheke und bis zur 
Anfertigung des Mittels dauerte, gelang es doch durch erstmalige 
intravenöse Einspritzung von 1 mg Strychninum nitric., den Pa¬ 
tienten ins Leben zurückzurufen, und zwar trat zuerst die At¬ 
mung wieder in Tätigkeit, sodann fand sich der Pnls. Der Pa¬ 
tient lebt heute noch. Die klinischen Einzelheiten sind uns nicht 
bekannt, augenscheinlich bat es sich um einen ins Gebiet des 
Adam-Stokes gehörenden schweren Anfall bei Goronarsklerose 
gebandelt; auch in einem 2. und 3. Palle hat dieses Mittel, 
iotravenös angewendet, eine sofortige günstige Wirkung gehabt. 

Der Vollständigkeit halber will ich erwähnen, dass sogar 
eine intralumbale Anwendung des Mittels versucht wurde und 
zwar vonJonescu, der bei seiner hohen Rückenmarksanästhesie- 
rung die atemlähmende Wirkung des Novocains damit ausschalten 
zu können glaubte. Wir unsererseits begannen damit bei Fällen 
der Heine-Medin’schen Erkrankung, die auch in früherer Zeit 
Gegenstand der Strychninbehandlung war, auch bei den kleinsten 
Kindern, sobald sich eine Lähmung zeigt, Strychnin intralumbal 
zu injicieren, in der Absicht, die noch nicht giftgeläbmte Zelle 
in ihrer Widerständigkeit zu erhöhen. Auf die älteren Indi¬ 
kationen der Strychninanwendung bei der Erkrankung des Opticus 
und bei den centralen Lähmungen gehe ich hier nicht ein, möchte 
aber doch nicht unerwähnt lassen, dass bei schwerer diphthe¬ 
rischer Lähmung des Erwachsenen eine energische und lang¬ 
dauernde Anwendung (4—6 Wochen lang täglich bis zu 3 mal 
3 mg! aubcutan) nach Einschleichen in diese grosse Dosis wesent¬ 
liche Dienste insofern geleistet hat, als beginnende Zeichen von 
Herz- und Atemlähmung zurückgingen. Sehr deutlich war in 
einem Fall auch der günstige Einfluss auf das subjektive Wohl¬ 
befinden. Auch Kinder, bei denen gewiss grössere Vorsicht an¬ 
gebracht ist, weil subjektive Angaben nicht zu erwarten sind, 
vertrugen — 3 und 4jährig — bei einschleichender Dosis bis 
zu 3 mal 1 mg Über Wochen. 

Ich fasse also zusammen, dass die jetzt geltenden pharma¬ 
kologischen Grundlagen: 1. Reizerböhung und Bahnung auch im 
receptorischen Anteil des Reflexbogens bzw. Rückenmarks, 2. eu¬ 
phorisierende Wirkung durch gleichzeitige Hemmung von Schmerz 
und Unlustperception, 3. die gegen Gefäss- und Atemlähmung 
gerichtete Wirkung eine ausgedehntere Anwendung des Strychninum 
nitricum gerechtfertigt und erwünscht machen, dass die An¬ 
wendung zur Verhütung des postoperativen Shocks sowie des 
Fiebercoilap8e8 beim Typhus als subcutane Injektion, im Not¬ 
fälle als intravenöse Einspritzung, dass ferner die subcutane oder 
innerliche Anwendung bei schwerer Neurasthenie, nervösen Er¬ 
schöpfungszuständen in Etappenkuren nach fremden und nach 
eigenen Erfahrungen mir zu den gesicherten Indikationen der 
Strychninanwendung zu gehören scheinen, und dass seine An¬ 
wendung noch nach anderen Gesichtspunkten, wie oben erwähnt 
gerechtfertigt und erwünscht erscheint. 


Ueber die Verwendung des menschlichen Fettes 
in der Chirurgie. 

Von 

Dr. Wederhake, 

landsturinpflichtiger Aret, Facharzt für Chirurgie. 

In den folgenden Zeilen will ich nicht über die Anwendung 
von Fett als Transplantationsmittel zur Deckung von Defekten 
und als Unterlage von Narben sprechen. Gis bandelt sich viel¬ 
mehr um den Gebrauch des aus dem menschlichen Körper ge¬ 
nommenen und ausgeschmolzenen Fettes. Ich benutzte niemals 
Leichenfett Doch standen uns hinreichende Fettmengen zur Ver¬ 
fügung, als wir das bei Bruchoperationen und anderen Eingriffen 


gewonnene Netz fett ausliessen. Es wurde dann steril aufbe- 
wabrt und, wenn nötig, kurz vor dem Gebrauch durch Erhitzen 
auf dem Wasserbade nachsterilisiert. Im allgemeinen wurde aber 
ein mehrmaliges Entkeimen vermieden, da ja das keimfrei ge¬ 
machte und dann keimfrei aufbewahrte Fett keimfrei ist und nicht 
zu Zersetzungen neigt. 

Das durch Ausschmelzen gewonnene Netzfett war meistens 
auch beim Erkalten flüssig — teils dünnflüssig, ölig, teils dick¬ 
flüssig bis zur Salbenkonsistenz. Nur in wenigen Fällen war es 
fast talgartig. Wir gewannen das Fett von Leuten im Alter von 
19—47 Jahren. Die Konsistenz, des Fettes scheint mit der Art 
der Ernährung zusammenzuhängen. 

Ein weiteres Gebiet der Gewinnung von Fett war die Ent¬ 
fernung von Lipomen. Von ihnen gewannen wir bisweilen 
V*—Vz Pfund. Es war fast immer dünnflüssig. Ein besonderer 
Unterschied in der Wirkung auf den menschlichen Körper konnte 
nicht festgestellt werden. 

Ein häufiges Verwendungsgebiet waren Narben 
nach Schuss- und anderen Verletzungen, welche entweder 
tief eingesunken waren, also auch kosmetisch störten, oder mit 
dem Knochen und anderen Teilen fest verwachsen waren, so dass 
sie schmerzhaft waren. Im ersteren Falle wnrde unter die Haut 
— niemals in die Haut — mit einer kleinen Rekordspritze unter 
Einführung einer dünnen Hohlnadel soviel Fett deponiert, wie 
zur Ausfüllung des Defekts notwendig war. Wir stachen die 
Nadel ein, beobachteten, ob Blut ausfloss, und vermieden auf diese 
Weise, dass das Fett etwa in ein Blutgefäss gespritzt wurde; nie 
wurde beim Einspritzen starker Druck angewendet. Auch beob¬ 
achteten wir genau, dass die Haut nicht erblasste. Trat dieses 
ein, so wurde die Einspritzung unterbrochen; falls noch etwas 
nachgespritzt werden musste, wurde die Nachfüllung auf eine 
spätere Sitzung — 3 Tage später — verschoben. Wir beob¬ 
achteten also alle Vorsichtsmaassregeln, wie wir sie 
von der Einspritzung von Paraffin her kennen. Die 
Spritzen und sonstigen Geräte, ebenso das einzuspritzende Fett, 
wurden zur Einspritzung auf Blutwärme gebracht. 

Embolien, Nekrosen usw. wurden nie beobachtet. 
Schmerzen und Fieber traten weder bei der Einspritzung 
noch nach ihr auf. 

Ein dankbares Gebiet ist der Gebrauch von mensch¬ 
lichem Fett bei Sehnennähten, wofür von manchem Chirurgen 
(Spitzy u. a.) Adeps suilis verwendet wird. Doch erschien mir 
die Verwendung des menschlichen Fettes physiologisch richtiger. 
Unsere sämtlichen Sebnennähte, die oft 20 in einer Sitzung be¬ 
trafen, heilten mit so vorzüglichem Erfolge, dass alle Verletzten 
mit voller Funktion entlassen werden konnten. 

Ein weiteres nützliches Feld der Einspritzungen von Menschen¬ 
fett ist die Tendovaginitis crepitans, wie sie besonders am 
Vorderarm und Unterschenkel beobachtet wird. In die Sehnen¬ 
scheiden wurde 1 U— 1 / 2 ccm Fett eingespritzt. Die Haut wurde 
vor der Einspritzung mit der von mir angegebenen Tannin- 
Methylenblaulösung (100 ccm lOproz. alkoholische Tannin¬ 
lösung -f- 20 ccm einer 20proz. wässrigen Methylenblaulösung, 
täglich frisch zubereitet) gepinselt, wie wir sie seit langem zur 
Vorbereitung des Operationsfeldes, statt des üblichen Jodtinktur¬ 
anstriches, gebrauchen. Die Wirkung der Fetteinspritzung ist in 
die Augen springend. Die bei Bewegungen auftretenden Schmerzen 
lassen nach der Einspritzung sofort nach und kehren nicht wieder. 
Das Reibegeräusch (Crepitieren), welches vor der Einspritzung zu 
fühlen und bisweilen auch zu hören ist, schwindet sofort und 
tritt nicht mehr ein. Voraussetzung hierfür ist, dass tatsächlich 
in alle beteiligten Sehnenscheiden eingespritzt wird; genügt hierzu 
eine Einspritzung nicht, so muss sie wiederholt werden (am besten 
nach 3 Tagen). Wir haben dies nur selten nötig gehabt. 

Ein Fall von Dupuytren’scher Fingerkontraktur an 
beiden Händen, bei welchem sich die Reibegeräusche bis auf die 
Beugesebnen des Vorderarms erstreckten und die Gold- und 
Kleinfinger bereits so weit in Beogestellung standen, dass ihre 
Kuppen nur 1 cm von der Handfläche entfernt waren, wurde 
durch Einspritzen von je 1 ccm menschlichen Fettes in die Schei¬ 
den der Beuger dieser Finger am Vorderarm so geheilt, dass er 
in 10 Tagen dienstfähig zur Truppe entlassen werden konnte. 
Die Reibegeräusche schwanden sofort nach der Einspritzung und 
durch sofort einsetzende Uebungen besserte sich der Zustand in 
genannter Zeit zur vollen Heilung. Ein Rückfall war 6 Monate 
nach der Heilung nicht eingetreten. Auch in zwei weiteren 
Fällen war die Heilung in kurzer Zeit herbeigeführt. Ich kenne 
zurzeit kein Verfahren, welches die Dupuytren’sche 


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48 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


Fingerkontraktur in so kurzer Zeit mit so sicherem 
Erfolge und auf so einfache Weise zur Heilung bringt. 

Das wichtigste Anwendungsgebiet der Einspritzung von 
menschlichem Fett ist das traumatische Qedem. Ein jeder 
Chirurg weiss, wie schwer es zur Heilung zu bringen ist, wie 
sehr die physikalischen Mittel, wie Massage, Heissluft, Bier’sche 
Stauung, orthopädische Maassnahmen, Bäder und Badekuren usw., 
versagen, wie schmerzvoll für den Verletzten und wie unangenehm 
für den Arzt die vergeblichen Versuche sind, durch selbsttätige 
und fremdtätige Bewegungen die Funktion der Hand wiederher¬ 
zustellen. Bei einem unserer Verletzten handelte es sich um 
einen Militärgefangenen. Die Verletzung war durch Auffallen 
eines schweren Baumes auf die rechte Hand herbeigeführt worden. 
Die Röntgenuntersuchung fiel auch bei wiederholter, in Abständen 
von Wochen ausgeführter Untersuchung negativ aus. Der Hand¬ 
rücken wurde von dem bekannten, bläulich gefärbten, brett¬ 
harten Oedem, in welches sich keine Dellen eindrücken Hessen, 
eingenommen. Die Strecksehnen sämtlicher Finger lagen in 
diesem Oedem wie eingemauert. Weder aktiv noch passiv Hessen 
sich die Finger zum Faustscbluss bringen. Der äusserst willige 
Kranke gab sich die grösste Mühe; und der Arzt versuchte ver¬ 
geblich, den guten Willen zu unterstützen. Die physikalischen 
Heilmittel wurden in dreimonatiger Anwendung erschöpft. Auch 
die von Arneth 1 ) empfohlene Stauung nach Bier hatte 
keinen Einfluss. Keine Spur von Besserung zeigte sich. Ich 
entschloss mich daher in Erinnerung eines früheren Falles zur 
Einspritzung menschlichen Fettes, ln die Gegend der ange¬ 
nommenen Sehnenscheiden der Strecker der 5 Finger wurde je 
1 f i ccm menschliches Fett eingespritzt und gleich im Anschluss 
daran einige passive Bewegungen ausgeführt. Schon kurz nach 
der Einspritzung waren diese ausgiebiger wie vorher. Aber in 
den nächsten 14 Tagen besserte sieb die Bewegungsfäbigkeit unter 
Anwendung von fremdtätigen Bewegungen so, dass der Verletzte 
imstande war, seine Finger selbsttätig bis zum Faustschluss zu 
bringen. Er konnte 3 Wochen nach der Einspritzung geheilt 
dienstfähig entlassen werden. 

In diesem Falle zeigte sich die starke narbenlösende 
Wirkung des menschlichen Fettes, wie ich sie immer 
wieder beobachtet habe, in ganz auffälliger Weise. 
Schon 4—5 Tage nach der Einspritzung begann das Oedem zu 
schwinden und bestand bei der Entlassung nur in geringem Grade, 
ohne dass die Funktion gestört wurde. 

Brauchbar ist die Fetteinspritzung in die Sehnen¬ 
scheiden auch nach abgelaufenen Phlegmonen der Sehnen¬ 
scheiden der Hand, sowohl der Beuge- als der Streckseite. Wenn 
auch die Streckseite der Finger und der Hand keine Sehnen¬ 
scheiden im strengen anatomischen Sinne hat, so treten doch 
nach schweren Unterhautzellgewebsentzündungen auch an dieser 
Stelle Verwachsungen der Sehnen und des sie umgebenden Binde¬ 
gewebes auf, die nur schwer durch Bäder, Massage, Uebungen usw. 
zu lösen sind. Hier unterstützt die Einspritzung von Fett zwischen 
Verwachsungen der Sehnen und der Sehnenscheiden bzw. des um¬ 
gebenden Bindegewebes die Behandlung in vorzüglicher Weise. Nur 
wenige Tropfen Fett genügen oft, um eine funktionsuntüchtige Sehne 
zur Funktion zu bringen. Rauhigkeiten der Sehnen treten bei Be¬ 
wegungen nicht mehr in die Erscheinung, und als Folge davon 
lassen Schmerzen und Ermüdungsgefühl, über das bei rauhen 
Sehnen sehr viel [geklagt wird, sofort nach. Die Wirkung ist 
wohl nicht nur mechanisch zu erklären: die Sehnenscheiden 
werden durch das Fett wie durch ein natürliches Schmiermittel 
nicht nnr geölt und geschmiert; es kommt noch hinzu, dass das 
eingespritzte Fett eine narbenlösende Wirkung ähnlich 
wie Cholin, Lecithin, Fibrolysin, Thiosinamin usw. aus¬ 
übt. Ob die Komponente des Fettes, welche dem Cholin und 
Lecithin nabesteht, diese Wirkung im besonderen hervorruft, 
konnte ich nicht entscheiden, da mir die Möglichkeit, eingehende 
chemische Untersuchungen zu machen, nicht gegeben war. Die 
narbenlösende Wirkung ist aber klinisch leicht nachweisbar. Sie 
ist für uns von grossem Werte, da die Einspritzungen von Fett 
ungefährlich sind, während die Einspritzungen von Thiosinamin, 
Fibrolysin und Cholin nicht ohne grosse Unannehmlichkeiten 
(Schmerz und Fieber) und selbst nicht ohne Gefahren (Todes¬ 
fälle) sind. Doch habe ich gefunden, dass die, narbenlösende 
Wirkung nur am Orte der Einspritzung eintritt, nicht aber 
bei Einspritzungen fern von der Narbe. Auch löst sich die Narbe 
schnell, aber ohne dass Entzündungserscheinungen bemerkt 


1) M.m.W., 1917, Nr. 13. 


werden. Wir haben also im menschlichen Fett ein 
physiologisches Mittel zur Lösung von Narben, be¬ 
sonders der Sehnenscheiden und der Sehnen. 

Sehr gut zu gebrauchen ist die Einspritzung von Fett zur 
Polsterung der Haut auf Knochen auch an den Körperstellen, die 
grosser Beanspruchung ausgesetzt werden müssen, s. B. des Cal- 
caneus. 

Ein Fall stand in meiner Behandlung, dessen Fett der Fuss- 
sohle unter der Hacke fast vollständig geschwunden war 
(trophische Störung?). Der Kranke hatte beim Gehen und Stehen 
heftige Schmerzen, da die Haut direkt dem Knochen anlag und 
nur wenig verschieblich war. Die Einspritzung von 2 ccm Fett 
beseitigte alle Beschwerden und Hess ihn in kurzer Zeit dienst¬ 
fähig werden. So mancher Fall von Fersenschmerz lässt sich 
auf diese Weise heilen; ich selbst könnte weitere Fälle anführen, 
halte es aber nicht'für nötig, um die Darstellung nicht zu er¬ 
weitern. 

Bei grossen Defekten von Nerven nach Schuss Verletzungen 
wurde, wenn die Naht nicht möglich war, die Lücke zwischen 
den Nervenenden durch Ueberbrückung mittels Stücke der Saphena 
ausgefüllt, die vor der Einpflanzung mit menschlichem Fett ge¬ 
füllt waren. Sie heilten reaktionslos ein. Ueber die Resultate 
soll an anderer Stelle berichtet werden. 

In neun Fällen von unerträglichem Pruritus ani und 
P. vulvae brachte die subcutane Einspritzung von menschlichem 
Fett sofort Beseitigung des Juckreizes. Die Heilung hält bei 
einer Anzahl dieser Behandelten mehrere Jahre an. Die Dank¬ 
barkeit dieser Kranken — die nicht an Diabetes, Gicht oder 
dergleichen litten — war besonders gross. 

So manche Neurolyse lässt sich vermeiden, wenn man 
die verwachsenen Nervenstellen durch Fetteinspritzung löst Ueber 
die von mir behandelten Fälle werde ich gesondert berichten. 

Erwähnen will ich noch, dass wir das menschliche Fett 
auch zur Behandlung von Wunden benutzt haben. Ein 
Nachteil wurde nie beobachtet. Ich möchte die Anwendung nur 
anregen, da die Aerzte bei der Fülle von Wunden leicht Erfah¬ 
rungen sammeln können. Das menschliche Fett zu Salben zu 
verarbeiten, ist jedoch nicht zu empfehlen, weil die physiologische 
Wirkung des Fettes gestört werden würde. Durch zahlreiche 
Beobachtungen wurde festgestellt, dass das aufgetragene Fett von 
den Zellen der Wunden schnell aufgenommen wird und dass es 
als Nährmittel dient und von den Zellen selbst verzehrt wird. 
Die Untersuchungen muss ich einer weiteren Veröffentlichung 
Vorbehalten, da sie noch ausgedehnt werden und zu einem Ab¬ 
schluss gebracht werden sollen. 


Eosinophilie, Anaphylaxie und Nervensystem. 

Von 

Dr. D. Klinkert, Arzt in Rotterdam. 

Vor einigen Jahren hat Schlecht 1 ) aachgewiesen, dass durch 
parenterale Zulührung von fremdartigem Eiweiss eine Zunahme von eosino¬ 
philen Leukocyten in der Blutbahn auftritt. ln späteren Untersuchungen, 
teilweise mit Schwenker 2 ) vorgenommen, wies er nach, dass sowohl 
bei der Erscheinung von Arthus, also bei der anaphylaktischen Haut¬ 
reaktion an der Stelle der Wiedereinspritzung, als auch bei dem ana- 
phylaktisohen Asthma der Meerschweinchen und bei der Enteritis ana- 
phylactica des Hundes diese Eosinophilie lokal auftritt. Bei der Er¬ 
scheinung von Arthus sehen wir ein lokales eosinophiles Oedem, beim 
anaphylaktischen Asthma alveoläre und peribronchiale Eosinophilie, und 
bei der Enteritis anaphylactioa eine starke Eosinophilie der Submucosa 
des Darmes. Aus diesen Versuchen folgern sie, dass die Eosinophilie 
eng verbunden ist mit den anaphylaktischen Prozessen, und erklären 
diese Eosinophilie in der Weise, dass die Spaltungsprodukte des 
fremdartigenEiweiss, welche bei der fermentativen Zerlegung 
nach der Anaphylaxie-Theorie von Friedberger entstehen, 
ohemotaktisch auf die eosinophilen Zellen einwirken. Dies 
gilt nicht nur für das lokale eosinophile Oedem bei Wiedereinspritzung, 
sondern auch für die Eosinophilie der Lungen und des Darmes von 
Tieren, welche den anaphylaktischen Shock überstanden haben; um ihre 
eigenen Worte zu gebrauchen: „dass die Eosinophilie auch lokal überall 
da auftritt, wo beim anaphylaktischen Versuch (oder beim parenteralen 
Eiweisabbau überhaupt) auftretende; auf die eosinophilen Zellen chemo¬ 
taktisch wirkende Toxine lokal angreifen.“ E. Schwarz hat sich in seiner 


1) [D. Arch. f. Klin. M., Bd. 98, und Aroh. f. exper. Path. u. Pharm., 
1912, Bd. 67. 

2) Arch. f. exper. Path. u. Pharm., 1912, Bd. 98, und D. Aroh. f. 
Klin. M., Bd. 108. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


49 


Monographie über die Eosinophilie dieser Auffassung an geschlossen 
(Seite 487 und 439). Auch er glaubt, dass es die Spaltungsprodukte 
des Ei weiss-Antigen sind, welche das lokale eosinophile Oedem hervor* 
rufen. Er scheut jedoch davor zurück, die lokale Eosinophilie in den 
Lungen und dem Darme nach dem anaphylaktischen Shock, ebenfalls 
als von den an der betreffenden Stelle ein wirkenden „Anaphylaxie- 
Toxinen" abhängig zu erklären. „Es ist mir nicht denkbar, dass die 
minimalen Antigenmengen, welche beim Sprayversuch Schlechts 1 ) oder 
beim menschlichen Asthma und Heufieber zur Wirkung kommen, die 
chronischen eosinophilen Zustände erklären können“ (1. o. Seite 652). 
Anschliessend an seine frühere Auffassung glaubt er, das die lokale 
Eosinophilie in den Lungen und dem Darme mit dem sekretorischen 
Reizzustande an der betreffenden Stelle zusammenhängt. Ein zwie¬ 
spältiger Standpunkt also, wodurch die Sache nicht einfacher wird. 

Zurückkehrend zu den Versuchen von Schlecht und Schwenker, 
bedarf es keiner näheren Darlegung, dass ihre Versuche von grossem 
Interesse sind. Waren doch bereits seit längerer Zeit die Eosinophilie 
des asthmatischen Sputums und die Eosinophilie des Darmschleimes bei 
Colica mucosa bekannt. Bei der eigenartigen Pathogenese dieser krank¬ 
haften Zustände, welche als Sekretions-Neurosen, vereint mit Krampf- 
zuständen, aufgefasst werden, lag es nahe, dass diese Pacta vielleicht 
einen neuen Ausblick auf die Erklärung dieser „Neurosen“ eröffneten. 
Von verschiedenen Seiten ist auch wirklich bereits die Ansicht geäussert 
(ich habe hier hauptsächlich das Asthma und das damit sehr verwandte 
Heufieber im Auge), dass diese Neurosen als echte anaphylaktische 
Reaktionen angesehen werden müssen. Die Versuche von Schwenker 
und Schlecht schienen ein weiterer Fingerzeig in dieser Richtung. 

So wenig man auch an den Resultaten dieser Versuche zweifeln 
kann, scheint mir doch die Erklärung, welche Schlecht und Schwenker 
den Erscheinungen geben, nicht richtig, u. z. aus folgenden Gründen. 
Ebenso wie unüberwindliche Schwierigkeiten in der klinischen Pathologie 
der weitaus meisten Fälle von Asthma bestehen, um in den Anfällen 
anaphylaktische Reaktionen zu sehen (ich nenne u. a. psychische Ein¬ 
flüsse, Temperatur-Unterschiede), sind auch klinische Tatsachen in 
Widerspruch mit der Ansicht der genannten Autoren. 

Die Hautreaktion von v. Pirquet bei Tuberkulose können wir mit 
grosser Wahrscheinlichkeit als eine Erscheinung von Arthus bezeichnen. 
Auch die Histologie der mit Tuberkuline geimpften Haut lässt ein eosino¬ 
philes Oedem sehen, wie Klausner und Kreibieh 2 3 ) nachwiesen. Sowohl 
biologisch als auch anatomisch sind daher die Erscheinung von Arthus 
und die Hautreaktion mit Tuberkuline identische Vorgänge. Moro 8 ) 
hat nun vor einigen Jahren eigenartige, höchst interessante Erscheinungen 
beschrieben, welche beim Gebrauch von Tuberkulinsalbe auf der Haut 
von tuberkulösen Kindern auf treten können. 

1. Hauteischeinungen in der Umgebung der Impfstelle, meist in 
der Form von Lichen scrofulosorum. 

II. Eine vollkommen symmetrische Reaktion an der entsprechenden 
Stelle der anderen Körperhälfte. 

III. Halbseitige, Gürtelrose gleichende Mitreaktion der Haut. 

Protokoll. 27. I. Tuberkulinsalbe auf dem Bauche beim Manu- 

brium sterni. 

28. I. Schwache lokale Reaktion (4 Papelchen). 

29. I. Stärkere Reaktion, mehr Papelchen. 

2. II. Fortsetzung des follikulären Exanthems auf Bauch und Rücken, 
welches in einer drei Finger breiten Zone von der Impfstelle die ganze 
linke Körperhälfte bis dicht an die Wirbelsäule umfasst. 

ln Uebereinstimmung mit diesen Tatsachen hat Cohn bei der 
Ophthalmoreaktion mit Tuberkulin nach Wolff-Eisner festgestellt, 
dass auch das nicht mit Tuberkulin eingeträufelte Auge deutliche 
Reaktionserscheinungen zeigt. „Eine sympathische Uebertragung der 
Entzündung auf dem Wege der Nervenbahn anzunehmen, wird vielen 
wenig sympathisch sein,“ lässt Wolff-Eisner, dem dieses Citat ent¬ 
nommen ist, hierauf folgen 4 ). Moro schliesst aus diesen ebenso eigen¬ 
tümlichen wie interessanten Erscheinungen, dass die Hautreaktion naoh 
v. Pirquet als eine angioneurotische Entzündung 5 ) aufzufassen ist, 
wobei auch auf Stellen, welche mit Tuberkulin überhaupt nicht in 
Berührung kamen, durch Fortpflanzung des nervösen Reizes (sei es in 
der Peripherie als Lichen scrofulosorum, sei es als Zosterform vom 
Ganglion aus) schliesslich als symmetrische Reflexreaktion an der gleichen 
Stelle der anderen Körperhälfte identische Prozesse auftreten. Die 
symmetrische Bindehautreaktion beim Einträufeln von Tuberkulin in 
den Bindehautsack des einen Auges ist gleichermaassen eine sym¬ 
pathische angioneurotische Entzündung. Die weiteren Folgerungen, 
welche Moro über die Pathogenese der Tuberkulinreaktion zieht, 
kommen weiterhin zur Sprache. Vorerst die Frage der lokalen Eosino¬ 
philie, welche mein Ausgangspunkt bildete. 

Wenn einmal feststeht, dass die Reaktion von v. Pirquet als 
ein angioneurotischer Eutzündungsprozess anzusehen ist (und oben er¬ 
wähnte Tatsachen weisen darauf hin), dann ist die lokale Eosinophilie 
damit erklärt. Sie gehört zu dem angioneurotischen Oedem als solchem, 


1) Lubarsch und v. Ostertag, Erg. d. allgem. Path. u. path. Anat., 
1913, XVII, Abt. I. 

2) Arch. f. Derm. u. Sypb. 1909. Bd. 96, S. 235. 

3) M.m.W., 1908, Nr. 39, S. 2025, und Beiträge zur Klinik der 
Tuberkulose, 1909, Bd. XII, H. 2, S. 236. 

4) Die Ophthalmo- und Cutandiagnose der Tuberkulose, S. 27. 

5) Siehe auch: K. Kreibieh, Die aDgioneurotisohe Entzündung, 1905. 


unabhängig von welchem Reize es hervorgerufen sein möge, wenn nur das 
betreffende Individuum für diesen Reiz empfindlich ist. Sie ist die stete 
Begleiterin aller nervösen sekretorischen Reizzustände, sei es der Haut 
(Herpes zoster, Urticaria, Prurigo, Pemphigusblase) oder der Schleimhäute. 
Die normale Eosinophilie des Darmes während der Verdauung, die nioht 
nur bei der Eiweissernährung, sondern auch bei anderen Sekretionsreizen 
auftritt [Sekretine, Versuche von Simon ! ) und Stassano 2 ), Pilokarpine, 
Magnesiumsulfat, Zucker, Heidenhain*), Hardy und Wesbrook 4 )] 
ist das physiologische Vorbild. 

Die Ansicht von Schlecht und Schwenker, denen sich schliesslich 
auch Schwarz anschloss, als würden die Spaltungsprodukte des Eiweiss- 
antigen die lokale Eosinophilie bei der Erscheinung von Arthus ver¬ 
ursachen, wird meines Erachtens durch obiges widerlegt. Ausserdem ist 
folgendes zu bemerken. Ebensowenig wie die lokale Eosinophilie bei 
der Erscheinung von Arthus steht die peribronchiale Eosinophilie beim 
anaphylaktischen Asthma und die Darmwand-Eosinophilie bei der Ente¬ 
ritis anapbylaotica in Beziehung zu dem an der betreffenden Stelle 
chemotaktisch wirkenden Antigen und dessen Spaltungsprodukten. 
Ebenso wie beim angioneurotischen Oedem der Erscheinung von Arthus 
deutet sie auf einen nervösen sekretorischen Reizzustand. Die Er¬ 
scheinung von Arthus, das anaphylaktische Asthma, die Enteritis 
anapbylaotica, die epileptiförmigen Krämpfe, die Urticaria, die Haut¬ 
hyperästhesie, sie alle sind analoge Erscheinungen. Sie beweisen 
nichts anderes, als dass dieser akute Reizzustand sich über diejenigen 
Teile des Nervensystems erstreckt, welche je nach der individuellen An¬ 
lage des Menschen oder Versuchstieres am empfindlichsten sind. Sie 
sind mithin vollständig identisch mit den klinischen Neuroseü, wie das 
Asthma, die Urticaria, die Colica mucosa, die Prurigo, die idiopathische 
Epilepsie, u. zw. in dem Sinne, dass sie bei dem anaphylaktischen Anfall 
eine Teilerscheinung der Anaphylaxie bilden, richtiger der nervösen 
Allergie. 

Gleichwie das Asthma, die Epilepsie, die Urticaria und Colica 
mucosa eine klinische Familie bilden und die krankhaften Erscheinungen 
entweder bei ein und derselben Person oder in ein und derselben 
Familie abwechselnd auftreten, finden wir nicht nur das Asthma, die 
epilcptiformen Krämpfe, die Urticaria und Enteritis anaphylactica bei 
der Allergie wieder, sondern auch die Gelenkschwellungen, welche als 
Hydrops articulorura intermittens als klinische Neurose beschrieben werden. 
Auch diese anaphylaktischen Gelenkschwellungen (z. B. bei der Serum¬ 
krankbeit) sind im logischen Gedankengange als Folgen des akuten ner¬ 
vösen Reizzustandes und als echte Neurarthriden aufzufassen. 

Diese Auffassung ist meiner Ansicht nach für die Klinik bedeutungs¬ 
voll. Erstens bleibt die klinische Pathologie der funktionellen Neurosen 
unberührt; sie bleiben eine besondere klinische Familie und ihr Wesen 
beruht auf dem abnormal reizbaren Nervensystem, wodurch die ver¬ 
schiedenartigsten Reize, welohe beim normalen Menschen unter der 
Reizschwelle bleiben, je nach der individuellen Empfindlichkeit Reak¬ 
tionen hervorrufen können. Die Klinik dieser Neurosen umfasst, so 
zu sagen, die Lehre der Idiosynkrasien. 

Zweitens die Anaphylaxie selbst. Die Beobachtungen von Moro 
und das histologische Bild der Tuberkulinreaktion berechtigen uns, 
diese allergische Reaktion als einen angioneurotischen Prozess auf¬ 
zufassen. Auch die Tatsache, dass bei dieser Auffassung sowohl die 
lokale Hautallergie, als auch die anderen Erscheinungen (nämlich das 
Asthma, die Sekretionsstörungen des Darmkanals) gleichwertige Er¬ 
scheinungen sind, spricht meines Erachtens für die Richtigkeit dieser 
Anschauung. Wir dürfen daher mit Recht von einer nervösen Allergie 
sprechen und infolgedessen auch von klinischem Standpunkte aus sagen, 
dass wir in der Anaphylaxie niohts anderes zu sehen haben als eine 
erworbene Idiosynkrasie. Die klinische Beobachtung bei der 
Serumbehandlung lehrt uns nun, dass neben einer Anzahl Personen, 
welche naoh einer Inkubationszeit von 8—10 Tagen die Serumkrankheit 
mit Exanthem, Asthma, Diarrhoe, Gelenkschwellungen zeigen, bei ein¬ 
zelnen sofort nach der Einspritzung diese Erscheinungen auftreten. 
Wir dürfen daher sagen, dass in diesen Einzelfällen eine primäre 
Idiosynkrasie gegen das Pferdeserum bestanden hat. Ein klassisches 
Beispiel beschreibt u. a. Besehe 5 ): Bei einem normalen jungen Manne 
tritt fünf Minuten nach der Einspritzung heftiges Jucken an den Augen 
anf, Niesen und danach ein heftiger Asthmaanfall; der Puls ist kaum 
wahrnehmbar. Nach einer Stunde ist alles vorüber. Am nächsten Tage 
befindet sich an der Stelle der Einspritzung das typische Oedem. 

Mit vollem Rechte dürfen wir daher die Schlussfolgerung 
ziehen, dass sowohl diese primäre Idiosynkrasie gegen Pferde¬ 
serum wie auch die erworbene, identische klinische Er¬ 
scheinungen zeigen. 

Die Klinik der Idiosynkrasien 8 ) lehrt uns, dass auch auf dem Ge¬ 
biete der einfachen Idiopathien sowohl primäre wie erworbene Idio¬ 
synkrasien gegen einen bestimmten Stoff bestehen. So sind z. B. manche 
Personen für Chinin überempfindlich, während andere (z. B. Arbeiter 
in Chininfabriken) erst nachdem sie einige Wochen gearbeitet haben, 


1) Societö de biologie, 1903, Bd. 55, S. 995. 

2) Sociö’6 de biologie, 1903, Bd. 55, S. 150. 

3) Pflüger’s Arch., Bd. 43, Supplement, S. 79 u. 80. 

4) Journ. of pbysiol., Bd. 18, S. 490. 

5) B.kl.W., 1909, No. 35. 

6) G. Sticker, Klinik der Idiopathien. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 


50 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


überempfindlich werden. Hier sehen wir mithin die erworbene Idiosynkrasie 
nach einer Inkubationszeit auftreten. Die wahre Auflassung des Wesens 
dieser Inkubation ist höchstwahrscheinlich wohl, dass wir es hier mit 
einer kumulativen Wirkung des Chinins zu tun haben > u. zw. bei den Ar¬ 
beitern, die ständig mit Chinin in Berührung kommen. Ist diese 
Ueberempfindlichkeit einmal entstanden, dann bleibt sie 
längere Zeit bestehen. Auch hier sehen wir keinen Unterschied 
der klinischen Erscheinungen zwischen der durch kumulative Wirkung 
entstandenen erworbenen Idiosynkrasie. Was hier von Chinin gesagt 
ist, gilt ebenso für die Idiosynkrasien gegen andere Stoffe und Heil¬ 
mittel 1 )« Schon hier will ich bemerken, das kein einziger Grund zur 
Annahme berechtigt, dass das Antigen (casu quo das Chinin) bei der 
erworbenen Idiosynkrasie (Anaphylaxie) irgendwelche Veränderung er¬ 
litten habe. 

Die Klinik der Salvarsan Idiosynkrasien lehrt uns jedoch noch mehr. 
Wiederholt wurden Fälle beschrieben, bei denen nach der Einspritzung 
von Salvarsan eigenartige Exantheme beobachtet wurden, welche in 
keinerlei Hinsicht Bich von den Hautausschlägen bei der Serumkrankheit 
unterscheiden; sowohl starke Bluteosinophilie wie lokale Eosinophilie 
treten dabei auf. 2 * ) Zieler 8 ; hat ebenfalls derartige Fälle beschrieben. 
Das Eigenartige dieser Hautausschläge ist, dass .sie nicht sofort, sondern 
nach einer Inkubationszeit von 4—20 Tagen auftreten. Zieler schliesst 
hieraus, dass diese Exantheme als Erscheinungen einer Idiosynkrasie 
gegenüber Arsen aufzufassen sind; er meint, dass hier eine kumu¬ 
lative Wirkung im Spiele ist. Er neigt um so mehr zu dieser Auffassung, 
weil diese erworbene Idiosynkrasie sich in weitaus mehr Fällen bei 
intramusculärer, als bei intravenöser Einspritzung des Salvarsans zeigt 
und bei der intramusculären Einspritzung das Salvarsan viel langsamer 
durch die Nieren ausgeschieden wird als bei der intravenösen. 

Wir sehen also hier (und dies ist das bedeutungsvolle dieser Be¬ 
obachtungen), dass in diesen Fällen eine Idiosynkrasie duroh kumulative 
Wirkung infolge ungenügender Ausscheidung des Salvarsans eintritt. 

Wir dürfen hieraus schliessen, dass in diesen Fällen das 
bei der Einspritzung keine Erscheinungen bervorrufende 
Mittel nach einer Inkubationszeit eine Idiosynkrasie mit 
ähnlichen Erscheinungen, wie solche bei anderen Idio¬ 
synkrasien beobachtet werden, verursacht, weil es nicht 
genügend duroh die Nieren ausgesohieden wird. 

Wie verhält es sich nun mit der Serumanaphylaxie? Hier sehen wir, 
neben sehr vereinzelten primären Idiosynkrasien, nach einer Inkubationszeit 
eine Anzahl erworbener auftreten, während die Erscheinungen bei beiden 
ganz die gleichen sind. Wir dürfen hier mit einiger Wahrscheinlichkeit 
auch von einer kumulativen Wirkung sprechen, weil das fremd¬ 
artige Serum als Eiweissstoff schwer durch die Nieren aus- 
geschieden werden kann. Mit dieser Möglichkeit ist bei den Ver¬ 
suchen zur Erklärung der Anaphylaxie bis jetzt nicht genügend ge¬ 
rechnet worden. Nur Gay und Southard 4 ) haben bereits 1907 
eine hiermit übereinstimmende Erklärung der Erscheinungen der Ana¬ 
phylaxie gegeben. „There is a substance in horse-serum, which is not 
absorbed by the guinea-pig tissue, is not neutralized and is with 
great slowness eliminated from the animal body. At the end of two 
weeks of censtant Stimulation a condition bas arrived, that the 
cells, if suddenly presented with a large amount of horse-serüm are so 
disturbed that local or general death may occur. Die hiermit über¬ 
einstimmenden Erscheinungen aus der klinischen Pharmakologie geben 
hier jedoch einen deutlichen Fingerzeig. Nehmen wir diese Erklärung 
an, dann ist es auch deutlich, warum nur eiweissartige Körper als 
„Antigen“ bei Anaphylaxieversuchen dienen können. Nur solche können 
den Körper nioht durch die Nieren verlassen und dadurch eine kumu¬ 
lative Wirkuog ausüben, während ihre Spaltungsprodukte mit dem Urin 
ausgeschieden werden. Ebensowenig wie stichhaltig bewiesen ist, dass 
die primäre Serum-Idiosynkrasie im Prinzip etwas anderes ist, als jede 
andere Idiosynkrasie, ebensowenig sind zwingende Gründe anzunehmen, 
dass die erworbene Idiosynkrasie (e. q. die Serumkrankheit, die Ana¬ 
phylaxie bei Wiedereinspritzung) mit eben denselben klinischen Er¬ 
scheinungen durch Veränderungen im ursprünglichen Serum zustande 
kommt, nachdem wir in der kumulativen Wirkung eine Erklärung der 
Erscheinungen gefunden haben, die mit der Klinik der Heilmittel-Idiosyn¬ 
krasien übereinstimmt. • 

Was bedeuten nun die spezifischen Antikörper?* Wie ist die Ver¬ 
ringerung des Komplements zu erklären? Nicht weil das Serum in 
einfachere Komplexe gespaltet wird, tritt die Serumkrankheit, treten bei 
der Wiedereinspritzung die Shockerscheinungen auf, sondern [bis das 
kumulativ vergiftend wirkende Serum ganz in einfachere',Bausteine ge¬ 
spaltet ist (die entweder mit dem Urin entfernt oder zur Assimilation 
verwendet werden können), treten Krankbeitserscheinungen auf. 

Bei dieser Auffassung erfüllen die spezifischen Fermente eine rein 
zweckmässige Rolle. Die Tatsache, dass bei der Wieder¬ 
einspritzung des Antigens die Shockerscheinungen und die 
Bindung der spezifischen Fermente rasch aufeinander folgen, 
hat zu der irrigen Auffassung geführt, dass beide Vorgänge 


1) Literatur bei Sticker, l.c., und Dörr, Kolle und Wassermann, 
Bd. II, 2. Abt., S. 950—956. 

2) Siehe u. a. Schlecht, M.-ra.W., 1918, Nr. 15, S. 801. 

8) M.m.W., 1912, Nr. 30, S. 1641. 

4) Journ. of med. researches, 1907, Vol. 16, Nr. 2, S. 173. 


in unmittelbarem, ursächlichem Zusammenhänge stehen. 
Man kann eher sagen, dass wegen der Schnelligkeit, mit welcher die 
nervösen Shockerscheinungen nach der Wiedereinspritzung auftreten, 
der Verteidigungsmechanismus der specifischen Spaltungsfermente zu 
spät kommt, um zweckmässige Hilfe zu bringen. 

Zwei Punkte aus der Anaphylaxielehre harren noch der Besprechung. 
In erster Reihe die Frage der sogenannten passiven Anaphylaxie. In 
unserer Auffassung der Anaphylaxieerscheinungen ist natürlich kein 
Platz für diese passive Anaphylaxie, da wir der fermentativen Spaltung 
des Antigens jede aktive Rolle bei dem anaphylaktischen Sbook und 
der Serumkrankheit absprechen. Es ist deshalb nötig, sich diese passive 
Anaphylaxie genau anzusehen. 

Otto 1 ) hat nachgewiesen, dass es gelungen ist, Cavia's ana¬ 
phylaktisch gegen ein bestimmtes Antigen zu machen, wenn man ihnen 
ein Quantum Serum von einem mit diesem Antigen präparierten 
Versuchstiere einspritzt. Aus diesem Versuche hat Otto und andere 
nach ihm gefolgert, dass die Cavia mit dem Serum des präparierten 
Tieres ein Quantum specifischer Antikörper empfangen hat, welche mit 
dem alsdann eingespritzten Antigen aut bekannte Weise reagieren und 
die anaphylaktischen Erscheinungen hervorrufen würden. An und für 
sich betrachtet, wäre dieser Beweis in der Tat entscheidend, wenn nicht 
die folgenden Tatsachen beständen, welche die gegebene Erklärung ins 
Wanken bringen. 

I. Das Versuchstier zeigt keinerlei Erscheinung von Anaphylaxie, 
wenn man das Antikörper enthaltende Serum zugleich mit dem Antigen 
einspritzt. Ein Zwischenraum von 24—48 Stunden ist erforderlich, u. zw. 
wird erst das Serum und nach 24—48 Stunden das Antigen eingespritzt. 
Ebenso wie bei der gewöhnlichen Anaphylaxie sehen wir 
auch hier, dass ein Zwischenraum nötig ist, der hier nur 
kürzer ist. 

II. Es gelingt, Tiere passiv anaphylaktisch zu machen mit dem 
Serum von Tieren, die selbst erst vor 8—10 Tagen eingespritzt und 
selbst noch nicht anaphylaktisch waren (Otto, 1. c., S. 1665). 

III. Es gelingt, Tiere passiv anaphylaktisch zu machen mit Serum 
von Tieren, welche durch Einspritzung grosser Dosen Antigen antiana¬ 
phylaktisch wurden (Otto, 1. c., S. 1668). 

IV. ln dem Serum, mit weichem Tiere passiv anaphylaktisch gemacht 
werden können, brauchen keine spezifischen Antikörper (im Sinne von 
präcipitierenden oder komplementbindenden Stoffen) nachweisbar zu sein 
(Otto, 1. c., S. 1668). 

Meines Erachtens ist es deutlich, dass diese 4 Punkte, welobe bereits 
von dem Entdecker der passiven Anaphylaxie nebenher erwähnt werden, 
die Erklärung dieser passiven Anaphylaxie als eine Fermentübertragung 
de facto zu nichte machen. 

Die Tatsachen sub II* und UI lassen sofort die Frage erstehen, ob 
nicht mit dem Serum des präparierten Tieres geringe Mengen ursprüng¬ 
liches Anti gen übertragen werden. Wie ich anfangs bemerkte, kann 
das Antigen als Eiweissstoff nicht durch die Nieren entfernt werden. 
Im Falle sub II war es sicherlich noch anwesend, da auf biologischem 
Wege Antigen länger als 10 Tage mit Bestimmtneit im Blute nach- 
gewiesen wurde. (Literatur bei Doerr, S. 1032.) Denzer 2 ) konnte 
es in einer unlängst vorgenommenen Untersuchung noch nach 17 Tagen 
nachweisen. Auch im Falle sub III ist solches wahrscheinlich, da sehr 
grosse Mengen Antigen gebraucht wurden, um das Tier antianaphylaktisch 
zu machen. Gay und Southard 8 ) haben diese Ansicht, dass diese 
passive Anaphylaxie also eine echte aktive Anaphylaxie sei, bereits 
ausgesprochen, aber ihren Worten wurde keine genügende Aufmerksamkeit 
geschenkt. 

Auch der Zeitraum, welcher zwischen der präparierenden Serum- 
einspritzung und den Antigeneinspritzungen eingehalten werden muss, 
um bei dem Versuchstiere einen positiven Erfolg zu erzielen, weist auf 
denselben Mechanismus wie bei der gewöhnlichen Anaphylaxie, und 
zwar um so stärker, da nach Otto (l. c-, S. 1668) die Erscheinungen 
deutlicher werden, je länger man mit der zweiten Ein¬ 
spritzung wartet. Doch zeigt sich hier ein deutlicher Unterschied. 
Bei der gewöhnlichen Anaphylaxie ist eine Pause von mindestens 
8 Tagen (in manchen Fällen von nur 5 Tagen) nötig, während bei der 
passiven Anaphylaxie 24—48 Stunden genügen. Hierfür ist jedoch auf 
Grund der Versuche von Zieler 4 ) eine einfache Erklärung möglich. 

Bruck glaubte nämlich nacbgewiesen zu haben, dass die Anti- 
pyrin-Idiosynkrasie mancher Menschen auch passiv auf Tiere übertragen 
werden könne. Falls er zuerst ein Quantum Serum eines mit Antipyrin- 
idiosynkrasie behafteten Patienten einer Cavia eingespritzt hatte und 
danach eine nicht tödliche Dosis Antipyrin, dann Bah er Shockerschei¬ 
nungen auftreten. Zieler konnte jedoch nachweisen, dass hier von 
passiver Anaphylaxie keine Rede ist, sondern dass jedes willkürliche 
fremdartige Serum dieselbe Wirkung hat, dass also eine nicht tödliche 
Antipyrinmenge durch vorhergehende Einspritzung mit fremdartigem 
Serum tödlich wird. Wir haben es hier einfach mit einer Summation 
von Reizen zu tun, welche das bereits von Natur so empfindliche (und 
dadurch zu derartigen Versuchen äusserst unzuverlässige) Nervensystem 
der Cavia zu Shockerscheinungen veranlassen. 


1) M.m.W., 1907, Nr. 34, S. 1665. 

2) Journ. of infectieus Diseases, Vol. 18, S. 638. Siehe auch Nederl. 
Tydschrift voor Geneeskunde vom 9. December 1916 unter Referaten. 

3) Journ. of med. research., 1907, Bd. 16, Nr. 2. 

4) M.m.W., 1912, Nr. 8, S. 401. 


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21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


51 


Was sehen vir nun bei der passiven Anaphylaxie von Otto? Auch 
hier wird dem Versuchstiere ausser den zwei in Zwischenpausen zuge¬ 
führten Antigenmengen bei der ersten Einspritzung auch eine Dosis 
heterologes Serum (worin das erste Antigen aufgelöst ist) einverleibt. 
Die Verkürzung der notwendigen Zwischenpause kann möglicherweise 
ihre Erklärung darin finden, dass nicht zwei, sondern drei Reize das 
Nervensystem treffen. Die Erklärung dieser passiven Anaphylaxie als 
FermentübertraguDg erscheint mir daher zu ungenügend, um ein ernst¬ 
liches Hindernis gegen meine Auffassung der Anaphylaxiefrage zu bilden. 

Der zweite noch zu behandelnde Punkt ist die Antianaphylaxie. 
Auch hierbei lässt die Erklärung nach der Theorie von Friedberger — 
welche die Unempfänglichkeit gegenüber einer Wiedereinspritzung von 
Antigen, nachdem der anaphylaktische Shock überstanden, dem ver¬ 
brauchten „Amboceptor“ zuschreibt — bei der festgestellten Tatsache 
im Stich, wonaoh bereits kurz nach dem Shock das Serbm wiederum 
reich an „Amboceptoren“ ist, während die Antianaphylaxie fortdauert , ). 
Ebenso unerklärlich ist Dach allgemeiner Auffassung das Faktum, dass 
bei der primären Serumidiosynkrasie nach einer SerumeinspritzuDg 
eine heftige allgemeine Reaktion auftritt, wie oben beschrieben, diese 
jedoch eine Antianapbylaxie von ungefähr 8 Monaten 1 2 3 ) zur Forige bat. 
Auch hier bei der Antianapbylaxie haben wir, wie bei der ganzen Idio¬ 
synkrasiefrage, in dem Nervensystem die Ursache der Erscheinungen zu 
suchen. Am richtigsten könnten wir diese Antianapbylaxie als eine Art 
Erschöpfungszustand des Nervensystems gegenüber dem spezifischen 
Reiz, nach einem heftigen Reizzustaride, als eine refraktäre Periode an- 
sehen. 

Da ich die Anapbylaxiefrage aus klinischen Gründen als eine er¬ 
worbene Idiosynkrasie aufgefasst habe und das Nervensystem bei dieser 
Auffassung die erste, wenn nicht gar alleinige Rolle spielt, bedarf es 
schliesslich keines Hinweises, dass auch die natürliche Anlage dieses 
Nervensystems bei dem einzelnen Individuum bestimmend ist, ob diese 
kumulierende Serumwirkung die Reizschwelle überschreitet oder nicht. 
Sind es doch Dur Personen mit überempfindlichem neuropathischen 
Nervensystem (die Kandidaten für die klinischen Neurosen), welche die 
Erscheinungen der Serumkrankheit aufweisen. Die Beobachtungen von 
Moro, dass besonders Kinder mit exsudativer Diathese serumkrank 
werden, stimmen hiermit überein. 

In einer zweiten Arbeit 8 ) werde ich die Schlussfolgerungen meiner 
Auffassung des Anaphylaxieproblems für die allergische Immunität bei 
Infektionskrankheiten ziehen. 


Brown-Säquard’sche Lähmung des Brustmarkes 
durch Artillerieverletzung. 

Von 

Feldbilfsarzt Jul. BiUcher. 

Im Anschluss an den von WetzeII 4 ) veröffentlichten Fall 
Coenen’s von Brown-Söquard’scher Lähmung des zweiten 
Halssegmentes und an die Bemerkungen von Engelhardt 5 ) sei im 
folgenden eine ähnliche Verletzung des dritten Dorsalsegmentes 
mitgeteilt. 

Der Gefreite M. S. wurde am 22. VI. 1917, abends um 5 V 2 Uhr, 
auf einer Trage, die er zum Ruhen gewählt hatte, auf dem Rüoken 
liegend, durch Granatsplitter verwundet. Dabei hatte er das Empfinden, 
als wenn er am ganzen Körper verwundet sei, über Schmerzen klagte 
er nicht. Mit Notverband und gegen Tetanus geimpft kam er abends 
ins Feldlazarett. 

28. VI. 1917. Patient ist bei vollem Bewusstsein und klaren Geistes. 
Doch scheint eine geringe Bewusstseinstrübung kurz nach der Ver¬ 
wundung Vorgelegen zu haben, da er sich der Vorgänge in ihrer zeit¬ 
lichen Aufeinanderfolge nur ungenau entsinnt. Ausserordentlich schlank 
und schmal gebaut, mit schwächlicher Muskulatur and in dürftigem Er¬ 
nährungszustände, fast ohne Fettpolster, zeigt er an den inneren Or¬ 
ganen nichts Krankhaftes. Temp. 38,6; Puls 120. — Am oberen inneren 
Winkel des rechten Schulterblattes in der Höhe des zweiten bis dritten 
Brustwirbels ist eine mit trockenem Schorf bedeckte Wunde von dem 
Durchmesser einer Fingerkuppe, die in einen nach der Wirbelsäule ge¬ 
richteten Schusskanal übergebt. Brusthöhle nicht verletzt. Wirbelsäule 
in der Nähe der Schussöfinung stark druckempfindlich. Bewegungs¬ 
fähigkeit der Arme frei. Dagegen vermag der Patient die Beine 
kaum zu bewegen; das rechte Bein kaun nur andeutungsweise etwas 
von der Unterlage, das linke mit einiger Mühe völlig erhoben werden. 
Rollung des Beines im Hüftgelenk links kräftiger ausführbar als rechts. 
Sohmerzempfindung am rechten Beine überall deutlioh, wenn auch 


1) Dörr, 1. c., S. 1087. 

2) Besehe, B.kl.W., 1909, Nr. 35, und Moro, Experimentelle und 
klinische Ueberempfindlicbkeit, S. 167—168. 

3) Diese Arbeit wird unter dem Titel „Die Bedeutung der Rekon- 
valescenz-Eosinophilie“ in der Zschr. f. klin. M. demnächst erscheinen. 

4) Feldärztl. Beil. d. M.m.W., 1917, Nr. 22. 

5) Feldärztl. Beil. s. M.m.W., 1917, Nr. 26. 


etwas herabgesetzt; am linken Beine ist die Schmerzempfindung für 
Nadelstiche dagegen stark abgeschwächt; diese Hypalgesie reicht bis 
zur Höhe des linken Darmbeinkammes. Von etwa Nabelhöhe an bis zur 
zweiten Rippe ist der Rumpf beiderseits überempfindlich. Temperatur- 
sinn links stark gestört, rechts in geringem Grade. Tastempfindung an 
beiden Beinen vollständig intakt; jedoch werden spitze und stumpfe 
Gegenstände am linken Beine unsicher unterschieden oder verwechselt, 
rechts nicht. Kniesebnenreflexe beiderseits lebhaft, rechts mehr als links. 
Acbillessehnenreflexe ebenfalls beiderseits lebhaft, Bauchdeckenreflexe 
normal auslösbar. Kein Babinski. Fusssohlenreflexe beiderseits sehr 
gesteigert, so dass bei Berührung der Fusssohlen die Muskeln am Ober¬ 
schenkel heftig zucken. 

Es besteht Urinverhaltung und Priapismus. 

24. VI. 1917. Heute morgen spontanes Urinlassen, sonst keine 
Veränderung. Das Röntgenbild zeigt in ventrodorsaler Aufnahme einem 
ungefähr eichelgrossen Granatsplitter zwisohen zweitem und drittem 
Brustwirbel rechts neben der Dornfortsatzreihe. (Siehe Abbild.). 

Bei schräger Durchleuchtung erkennt man, dass der Fremdkörper 
im Bereiche der Wirbelbögen oder seitlich, also nicht vorn (ventral) 
am Wirbelkörper liegt. 

Bei der motorischen Lähmung des rechten und der Sensi¬ 
bilitätsstörung des linken Beines, insbesondere für Schmerz- und 
Temperatursinn, sowie bei der hyperästhetischen Zone am Rumpfe 
wurde die Diagnose Halbseitenläsion im Sinne Brown- 
Sequard’s gestellt; der Röntgenbefund bestätigte die Diagnose, 
indem er einen rechts von der Mittellinie gelegenen Granat¬ 
splitter nachwies, der von rechts her das dritte Dorsalsegment 
komprimierte. 

Am 24. VI. 1917 wurde in rechter Seitenlage unter Lokalanästhesie 
mit 0,5 pCt. Novocain-Adrenalin-Lösung die Laminektomie durch Prof. 
Coenen vorgenommen. Die Dornen des ersten bis dritten Brustwirbels 
wurden freigelegt. Der zweite Dornfortsatz zeigte eine Fissur, die sich 
in den rechten Bogen fortsetzte. Zwischen zweitem und drittem Brust¬ 
wirbel floss bei der Fortnah me der Dornen und Bögen von rechts her 
Liquor ab. Dann erblickte man die Spitze eines Eisenstückes zwischen 
den Böien des zweiten und dritten Brustwirbels rechts von der Mittel¬ 
linie. Das Eisenstück war zackig und lag aussen der Dura an. Man 
konnte es leicht extrahieren. Dabei ergoss sich ein Schwall nach¬ 
stürzenden Liquors. Nun konnte man die Dura gut übersehen. Im 
Bereiche des rechten Hinterstranges sah man, rechts von der Mittellinie 
einen 4 mm langen, längsgestellten Schlitz, durch den sich Liquor ergoss. 
Etwa 2 mm weiter vorn (ventralwärts) — wohl gerade in der Nähe des 
rechten Seitenstranges — war ein halb to grosses Loch, das auch 
Liquor austreten liess. In der Umgebung dieser Löcher war die Dura 
in etwa Linsengrösse zitronengelb verfärbt und der Fläche nach be¬ 
schädigt, wie abgehobelt, so dass einzelne Fetzen abstanden. Die Dura- 
wunde wurde nicht genäht, die Muskulatur in Etagen, die Haut durch 
Knopfnaht geschlossen. In den unteren Wundwinkel wurde ein Drain 
eingelegt. 

Das Rückenmark war also von rechts her komprimiert durch 
den von der Seite die Dura bedrängenden Splitter. Vermutlich 
batten die scharfen, zackigen Kanten die beiden schlitzförmigen 
Löcher in der Dura gemacht. Der Splitter ist 16 mm lang, 
9 mm breit, und 7 mm dick. 

27. VI. 1917. Linkes Bein normal beweglich. Die Lähmung des 
reohten Beines ist in erheblichem Rückgang begriffen, es zeigt indes 
gegenüber dem linken immer noch eine erhebliche Schwäche und kann 
in der Hüfte viel weniger gerollt werden als das linke. Der rechte Fuss 
kann noch nicht dorsalfiektiert werden, während die PlantarfUxion ge¬ 
lingt. Am linken Beine sind gar keine motorischen Ausfallserscheinungen 
bei den einzelnen Muskelgruppen nachzuweisen, Ueber die Sensibilität 
ist heute ein eindeutiges Ergebnis nicht zu gewinnen, weil die Angaben 
zu unbestimmt sind. Jedoch bat man den Eindruck, als wenn Nadel¬ 
stiche an beiden Beinen jetzt gleichmässig stark empfunden werden, 
während die Wärme- und Kälteempfindung noch, wie anfangs, links 
stärker gestört ist. Spitze und stumpfe Gegenstände werden an beiden 
unteren Extremitäten nicht scbaif unterschieden. 

Kniesebnenreflexe beiderseits lebhaft, ebenso die Achillessehnen- 
refiexe rechts etwas stärker. Keine Incontinentia urinae et alvi. Kein 
Priapismus. Aus dem Drain geht viel Liquor ab. 

28. VI. 1917. Heute kann der rechte Fuss auch dorsalflektiert 
werden. 

3. VIL 1917. Wegen Ansteigens der Temperatur (89,8) vollständige 
Eröffnung der Operationswunde, die sich vom Lager des Geschosssplitters 
inficiert bat. Duralöcber noch nicht geschlossen. Aus denselben fiiesst 
bei jedem Atemzuge Liquor ab. Die Wundhöhle zeigt insbesondere an 
dem Geschosslager eine graugrünliche Verfärbung. Darauf Heilung ohne 
Zwischenfall, 

6. VII. 1917. Deutliche Unterschiede in der Sohmerzempfindung 
zwischen rechts und links bestehen nicht mehr; der Temperatursinn 
scheint jetzt rechts etwas mehr gestört zu sein als links. 

11. VII. 1917. Patient macht die ersten Gehversuohe. Der Gang ist 
rechts spastisch-paretisch, so dass der rechte Fuss nicht richtig ab¬ 
gerollt wird, sondern unter Kontrolle der Augen nur geringe Hebe- und 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 



Seitliche Kompression des 111. Dorsalsegmentes von rechts durch einen 
Granatsplitter. 


Senkbewegungen macht, welche ohne Augenaufsicht unbeholfen und un¬ 
sicher werden. 

Kniesehnenreflexe besonders lebhaft, bisweilen rechts zum Clonus 
gesteigert. Achillessehnenreflexe besonders lebhaft, rechts Clonus an¬ 
gedeutet. Bauchdeckenreflexe sowie Kremasterreflexe beiderseits gleich. 
Babinski rechts positiv, links negativ. Oppenheim rechts positiv, links 
negativ. 

23. VII. 1917. Der Patient geht ohne Unterstützung durchs Haus. 
Gang nur noch etwas spastisch und unsicher. Weitere Rückbildung 
wahrscheinlich. 

Nach vorstehendem Krankheitsbericht handelt es sich also 
um eine Brown-S6quard’sche Halbseitenlähmung des dritten 
Dorsalsegments infolge rechtsseitiger Kompression. Die Lähmung 
am rechten Bein und Analgesie und Tnermanästhesie am ge¬ 
kreuzten, also am linken Bein, entsprechen ganz dem Bilde, 
welches Th. Kocher bei halbseitigen RückenmarksverletzuDgen 
am meisten gefunden hat, und welches auch Wetzeil in seiner 
oben zitierten Arbeit bei der seitlichen Kompression des zweiten 
Halssegmentes beschrieben hat. Die jetzt unter den Rückenmarks- 
Pathologen herrschenden Anschauungen siud nämlich derart, dass 
die Fasern für den Schmerz- und Temperatursinn in die Hinter¬ 
hörner der gleichen Seite eintreten und hier schon, bzw. im 
Raume zwischen Hinterhorn und Vorderhorn, auf Ganglienzellen 
zentraler sensibler Neuronen treffen, deren Neuriten sich dann 
durch die vordere und hintere Kommissur auf die andere Seite 
wenden und in dem Seitenstrangbündel aufwärts steigen. Etwas 
abweichend von dem Symptomenkomplex der Halbseitenläsion 
ist in unserm Falle die Erscheinung, dass die oben gelegene 
hyperästhetische Zone sich auf beide Seiten erstreckte; indes ist 
das uicht weiter verwunderlich, weil es leicht verständlich er¬ 
scheint, dass der ziemlich grosse Granatsplitter bei der Kom¬ 
pression des Brustmarks die Mittellinie in seiner Kompressions¬ 
wirkungüberschritt. Die anfangs bestehenden motorischen Schwäche¬ 
erscheinungen im linken Beine sind wohl in ähnlichem Sinne zu 
deuten, zumal sie nach Entfernung des Splitters schnell zurück¬ 
gingen. 

Von den unmittelbaren Kompressionserscheinungen des Splitters 
ging die Lähmung des gleichseitigen Beines schneller zurück als 
die Analgesie und Thermohypästhesie. Dies ist insofern bemerkens 
wert, als nach den anderweitigen Erfahrungen in der Regel die 


sensiblen Störungen eher verschwinden als die motorischen. 
Möglicherweise könnte dieses etwas abweichende Verhalten in dieser 
Beziehung darauf beruhen, dass der Splitter mehr nach hinten 
seine Kompression ausübte als nach vorn, dass er also dem 
rechten Hinterhorn näher lag als dem rechten Vorderhorn und 
daher die sensiblen Bahnen mehr beeinträchtigte als die rechte 
Pyramidenseitenstrangbahn. Die Steigerung der Refl-xe, besonders 
rechts, ist als eine Folge der Läsion der rechten Pyramiden¬ 
seitenstrangbahn, welche die reflexhernrnnnden Fasern enthält, 
aufzufassen und war in unserm Falle nachhaltig, da die gesteigerten 
Reflexe noch deutlich beobachtet wurden, als schon die Lähmungs¬ 
erscheinungen zurückgegangen waren. 

Die fehlenden Ausfallserscheinungen für die Tastempfindung 
sind bei der Brown-S6quard’schen Lähmung von den meisten 
Beobachtern hervorgehoben und haben im Verein mit anderen 
Erfahrungen zu dem Rückschluss geführt, dass die Bahnen für 
die Tastempfindung doppelseitig, und zwar gekreuzt und un¬ 
gekreuzt, im Rückenmark verlaufen, so da*8 sie zum Teil die 
Mittellinie nach dem Vorderseitenstrang der anderen Seite über¬ 
kreuzen, zum Teil ungekreuzt im gleichseitigen Hinterstrang ver¬ 
laufen. Daher kann bei Halbseitenläsion die eine Bahn für die 
andere eintreten. Die anfangs nur ganz flüchtig aufgetretenen 
Blasenstörungen und der Priapismus bedürfen kaum der Er¬ 
wähnung, da sie zu dem gewöhnlichen Symptomenkomplex aller 
Rückenmarksverletzungen gehören, ln unserm Falle war diese 
I Störung offenbar bedingt durch eine schnell vorübergehende Shock- 
wirkung auf das weit von der Verletzung abgelegene Sakralmark. 

Gegenüber dem sonstigen genugsam bekannten traurigen 
Schicksal der meisten Rückenmarksschüsse fällt ein Fall, wie 
der unsere, wo die Kompression des Markes ohne wesentliche 
Zerstörung durch einen steckengebliebeneu Geschosssplitter von 
aussen erfolgte, besonders angenehm auf, weil die Beseitigung 
des Splitters eine schnelle Heilung von den Ausfalls- und Reiz¬ 
erscheinungen und Genesung bedtutet. Deshalb besteht in solchen 
Fällen die absolute Indikation zur frühzeitigen Laminektomie. 


Einwände gegen Verminderung des Schweine¬ 
bestandes. 

V OD 

R. E. May. 

(Schluss.) 

V. 

Auf die Eingabe an den Reichskanzler usw. antwortet 
mir das Kriegsernährungsamt: 

Der Staatssekretär des Kriegsernährungsamtes. 
Geschäftszeichen: Berlin W. 8, Mohreüstr. 11/12, 

A. II. 11062. den 16. Oktober 1917. 

An 

Herrn R. E. May 

Auf das Schreiben vom in Hamburg, 

29. September 1917. Hansastr. 23. 

Euer Hochwohlgeboren sowie den Unterzeichnern danke ich bestens 
für die Eingabe betreffend stärkere Schweineschlachtung, von deren In¬ 
halt ich mit Interesse Kenntnis genommen habe. Am 15. Oktober hat 
eine Schweinezwischenzählung stattgefunden, welche erweisen wird, ob 
die bisher zur Anpassung der Schweinebestände an die Futtermittellage 
von mir getroffenen Maassnahmen von Erfolg begleitet waren. Von dem 
Ergebnis der Zählung ist es abhängig, ob meinerseits weitere Schritte 
in Richtung auf Verringerung des Schweinebestandes erfolgen werden. 
Ich bemerke indessen, dass es mir wichtig erscheint, die Zuchttiere 
durchzuhalten nnd die Hausschlachtung der Selbstversorger auch ferner 
zuzulassen, da sonst die Fleischversorguug des kommenden Jahres schwer 
beeinträchtigt würde. Deshalb kommt eine Reducierung der Bestände 
auf drei Millionen Stück nicht in Frage. 

Im Aufträge (Unterschrift). 

Wir haben in der Eingabe nicht gefordert, dass die Zahl der 
Schweine auf drei Millionen reduciert werden soll. Wir haben vielmehr 
— ohne Angabe einer Zahl — verlangt, dass Schweine nicht mit Futter¬ 
mitteln aufgezogen werden sollen, „die jetzt für die menschliche Er¬ 
nährung notwendiger sind“. Wie gross der Schweinebestand noch bleiben 
wird, wenn dieses Prinzip durchgetührt wird, kann niemand sagen. Es 
liegt in der Macht der Behörden, durch Handhabung der zur Durch¬ 
führung des Prinzips zu erlassenden Vorschriften datür zu sorgen, dass 
der Gesamtbestand ein gewisses Minimum nicht unterschreite. 

In der Eingabe wird die Notwendigkeit betont, da'ür zu sorgen, 
dass die Calorienzahl der Nahrung baldigst um etwa 50 pCt. erhöht 
werde, und in der beigefügten Abhandlung „Ersatz der neutralen Zufuhr 


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21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


durch Schweineschlachtung u wird (S. 6) gesagt: „Die heutigen Rationen 
wurden durch ReducieruDg des Schweinebestandes von dreizehn Millionen 
auf drei Millionen, um weit mehr als die Hälfte erhöht werden/ Daraus 
ergibt sich, dass zur Erhöhung der CHorienzahl um 50 pCt. eine Redu- 
cierung des Sohweinebestandes auf drei Millionen nicht erforderlich ist. 

Dass die Zuchttiere erhalten werden müssen, ist selbstredend. So 
selbstredend, dass die Eingabe darüber schweigen durfte. Dies um so 
mehr, als sie sich auf den Ausspruch im „Wochenüberblick" der „Mit¬ 
teilangen der deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft" vom 12. Mai be¬ 
ruft: „da3s eine weitere Aufrechterhaltung des bisherigen Umfanges der 
Schweinehaltung unseren sicheren Ruin in ernährungsteohnischer Hinsicht 
bedeuten würde“, welchen Ausspruch der Redakteur der „Mitteilungen“ 
im Zusammenhang mit einer Besprechung meines Aufsatzes „Das Schwein 
als Konkurrent der menschlichen Ernährung" in Nr. 12 der „Berliner 
klinischen Wochenschrift“ unter dem ausdrüsklichen Vorbehalt der Er¬ 
haltung der Zuchttiere getan hatte! 

Nun geht ja allerdings aus der Antwort des Kriegsernährungsamtes 
hervor, dass es — je nach Ausfall der Zählung vom 15. Oktober — 
eventuell eioe Verringerung des Schweinebestandes in die Wege leiten 
würde. Damit ist aber noch nicht gewährleistet, dass diese Wege solche 
sind, die der Volksernährung möglichst viel Nahrung zuführen, die sonst 
verfüttert würde. Werden z. B. die Schweinezüchter genötigt, einen ge¬ 
wissen Prozentsatz ihrer jetzigen Aufzucht zu opfern, dann ist mit dieser 
schematischen Maassregel der Schweinebestand allerdings leicht auf die 
gewünschte Zahl zu bringen, aber nicht gewährleistet, dass damit auch 
diejenigen Züchter getroffen werden, die für menschliche Ernährung ge¬ 
eignetes und notwendiges Futter verfüttern, während andererseits dann 
Schweine getroffen werden, die ohne dieses aufgezogen werden könnten 
und würden. Soll die Verminderung des Schweinebestandes möglichst 
viel Nahrung für die menschliche Ernährung frei machen, dann kommt 
man um die Forderung der Eingabe nicht herum, die Schweine zu 
registrieren und die Aufzucht nur denen zu gestatten, die nachgewiesen 
haben, dass sie die von ihnen angemeldete Zahl von Schweinen ohne 
Futtermittel aufziehen können, die jetzt für die menschliche Ernährung 
notwendiger sind. 

Auch das Kriegsamt schreibt mir übrigens auf die Zusendung 
der Eingabe „dass die Schweinehaitang keinesfalls Konkurrent der 
menschlichen Ernährung sein darf". 

Auf den Passus der Antwort des Kriegsernährungsamtes, der sich 
auf die fernere Zulassung der Hausschlachtungen der Selbstversorger 
bezieht, einzugehen, erübrigt sich eigentlich nach den Darlegungen des 
ersten Abschnittes dieser Abhandluug. Es ist nicht die Kontrolle der 
Schlachtungen, auf die es in erster Linie ankommt, sondern die Kontrolle 
der Fütterung bzw. des zur Aufzucht zur Verfügung stehenden Futters. 
Die Selbstversorger versorgen sich selbst. Die Fleischver¬ 
sorgung der Gesamtbevölkerung ist durch sie keineswegs 
gewährleistet; das zeigt sattsam die Versorgung der Städte, richtiger 
ihre Nichtversorgung. 

Die Erwartung der Anordnung einer schematischen Abschlachtung 
sollte sich nur allzubald erfüllen. Die 0 Öffentlichkeit erfuhr von ihr 
zuerst durch die „Rheinisch-Westfälische Zeitung" vom 23. November, 
die unter der Ueberschrift: „Endlich Emst in der Schweinefrage" 
schrieb: 

„An Anregungen und Forderungen an die Reichsbehörden: endlich 
einmal den klaffenden Zwiespalt zwischen dem im Verhältnis zu den 
Futtermitteln viel zu grossen Sohweinebestand und dem Anreiz zur Ver¬ 
bitterung von Nahrungsmitteln für den menschlichen Gebrauch (Kar¬ 
toffeln, Gerste usw.) zu beseitigen, hat es nicht gefehlt. Die Rheinisch- 
Westfälische Zeitung stand da mit an erster Stelle. Gegenüber den 
vielen tastenden Theorien scheint nunmehr doch die grobe Praxis des 
Herrn von Oldenburg-Januschau endlich abzusiegen, wie aus fol¬ 
gender Nachricht hervorgeht, die wir der „Deutschen Parlaments-Korre¬ 
spondenz" entnehmen: 

„Auf Anordnung des Kriegsernährungsamts müssen zum Zweck der 
Aufbringung der für die Heeresverpflegung aufzubringenden Schweine¬ 
mengen in den nächsten Wochen in allen Kreisen die Schweinebestände 
darch besondere Viehaufbringungskommissionen besichtigt werden. 
Diese Kommissionen haben nach Ausscheidung der zu belassenden Haus- 
sohlachtungssohweine und der wirklichen Zuchtsohweine die Zahl der 
für das Heer zur Verfügung stehenden Schweine und den Zeitpunkt ihrer 
Ablieferung festzusetzen. Maassgebend für diesen Zeitpunkt und 
damit für die Entscheidung, bis zu welchem Gewicht herab 
die Schweine für die Zwangsumlage in Anspruch zu nehmen 
sind, ist der Vorrat an erlaubtem Futter. Wo nicht ge¬ 
nügend erlaubtes Futter vorhanden ist, müssen die Schweine 
ohne Rücksicht auf Alter und Gewicht sofort abgenommen 
werden. Die Viehaufbringungskommissionen haben die Pflicht, in 
Fällen, wo auch sonst die Viehbestände (Schweine, Rinder, Kälber) 
in offenbarem Missverhältnis zu den verfügbaren Futtermitteln stehen, 
die Abschaffung eines entsprechenden Teils in die Wege zu leiten. Im 
übrigen ist mit Rücksicht auf die Futterlage baldige Vornahme der 
Haasschlachtungen geboten. Die Kommunalverbände sind ange¬ 
wiesen worden, insbesondere auch darüber zu wachen, dass nicht etwa 
Tiere zu Haasschlachtungen mit vorbotenera Futter gemästet werden.“ 

Diese Verordnung des Kriegsernährungsamtes verwirklicht nur die 
eine Forderung unserer Eingabe: die Genehmigung der Aufzucht von 
dem Nachweis des Vorhandenseins genügenden erlaubten Futters ab¬ 
hängig zu machen, lässt aber unsere Forderung der Registrierung un¬ 


53 


erfüllt. Dass sie die Maassregel mit der „Aufbringung der für die 
Heeresverpflegung aufzubriagenden Schweinemengen" *) in Verbindung 
bringt, geschieht wohl zur Beruhigung der von der Schlachtung ge¬ 
troffenen Schweinezüchter; denn aus dem zweiten Teil der Verordnung 
geht deutlich hervor, dass unabhängig vom Heeresbedarf alle Schweine 
von ihr getroffen werden sollen, für die nicht genügend erlaubtes Futter 
nacbgewiesen werden kann. Aber noch immer werden die Hausschlach- 
tungsschweine besonders geschont. Und sie sind es gerade, die einen 
erheblichen Teil der für die menschliche Ernährung jetzt so wichtigen 
Nahrungsmittel fortfressen. Dagegen ist auch die Einführung der Reichs¬ 
wirtschaftskarte machtlos, weil die Landwirte, wie in diesem Jahre, auch 
im nächsten, in grösstem Umfange einen Teil des iu Wirklichkeit mit 
Kartoffeln bestellten Areals als mit nicht ablieferungspflichtigem Futter 
(z. B. mit Klee) bestellt angeben werden, so dass, wie auch in diesem 
Jahre, die Kartoffelernte in Wirklichkeit wesentlich grösser sein wird, 
als man jemals erfahren wird. Man muss sich nur vergegenwärtigen, 
dass vermutlich über 80 pCt. der Schweine in den Betrieben mit weniger 
als 20 ha aufgezogen werden, auf die bereits im Jahre 1907 60pCt. der 
Kartoffelproduktion entfielen (jetzt wahrscheinlich ein noch grösserer Pro¬ 
zentsatz), die Hälfte davon auf die Betriebe mit weniger als 5 ha. Auf die 
grosse Zahl der kleinen Selbstversorger — und die noch grössere Zahl 
ihrer Schweine — entfällt also ein unverhältnismässig grosser Teil der 
ganzen Kartoffelernte. 

Das Kriegspresseamt hat neuerdings in einem Heftchen zwei Auf¬ 
sätze herausgegeben. In dem einen, „Die Aufgaben der Versorgungs¬ 
politik" von Dr. Wohlmannstetter, Referent im Kriegsernährungsamt, 
heisst es (S. 34) bezüglich der Reichswirtsohaftskarte: 

„Sie wird sich auch auf die Kartoffelversorgung erstrecken und hat 
zum Zweck, die zur Verfügung stehenden Mengen ganz klar und scharf 
zu erfassen und auch eine klare und scharfe Kontrolle dieser Mengen 
zu ermöglichen. Es soll in allen Kommunalverbänden eine 
Art Kataster eingerichtet werden, worin genau verzeichnet wird, 
wieviel in jedem einzelnen Betriebe geerntet worden ist, wieviel dort 
liegt, wieviel pro Woche von Mensch und Vieh in dem einzelnen Be¬ 
triebe selbst verzehrt werden darf und wieviel infolgedessen für die 
öffentliche Versorgung in dem Betriebe jederzeit nooh liegt und liegen 
muss. Diese Betriebe werden zusammengefasst. Ihre Ziffern lassen sich 
berechnen auf die Gemeinde, auf den Kreis, und so lässt sich ein viel 
klarerer Ueberblick gewinnen, was in dem einzelnen Kreis, in der ein¬ 
zelnen Gemeinde vorhanden sein muss, was also für die behördliche 
Lebensmittelversorgung noch zur Verfügung steht. Auf diese Weise 
wird sich eine bessere ziffernmässige Grundlage für die Zuschiebung der 
Uebersehusslebensmittel an die Verbrauchsbezirke schaffen lassen. Das 
ist Sinn und Zweck der Regelung, und daraus ergibt sich auch die 
Notwendigkeit der Reichswirtschaftskarte.“ 

In dem anderen Aufsatz des Heftchens des Kriegspresseamtes, 
„Ernährungsaussiohten im kommenden Wirtschaftsjahre" von Stadtrat 
Dr. Krüger, heisst es (S. 12): 

„Es sind ausserordentlich viel Vorschläge gemacht worden bis zu 
dem berühmten Buche, in dem die standesamtliche Registrie¬ 
rung aller Schweine von der Wiege bis zum Grabe gefordert 
ist. Aber dieser Vorschlag scheitert an der Praxis.“ 

Warum scheitert dieser Vorschlag an der Praxis, während die einige 
Seiten später als Notwendigkeit erklärte Reichswirtsohaftskarte, die eine 
weit vielseitigere, minutiösere und häufigere Registrierung erfordert, 
nicht an der Praxis scheitert?! Wäre die Registrierung der 
Schweine „von der Wiege bis zum Grabe" nicht mit 
Leichtigkeit der vielseitigen Registratur der Reichs¬ 
wirtschaftskarte einzugliedern?! Uod ist sie nicht ebenso not¬ 
wendig wie die Registrierung der Kartoffeln „von der Wiege bis zum 
Grabe"?! Was nützt deren Registrierung, wenn die Schweine sie weg¬ 
fressen ?! 

Auch bei der jetzigen Abschlachterei wächst wieder eine neue 
Schweinegeneration heran. Wer kontrolliert, ob sie nicht mit unerlaubtem 
Futter heranwächst und wer ersetzt dieses, wo das der Fall ist? ! 

Einer unserer bedeutendsten landwirtschaftlichen Sachverständigen, 
selbst grosser Landwirt — kein Stadtrat, schon eher Landrat — schreibt 
mir unterm 30. November: 

„Die neuen Verordnungen des Kriegsernährungsamtes geben, wie 
Sie ganz richtig sagen, unseren Auffassungen vollkommen recht. Die 
Art aber, wie versucht wird, diese Auffassung durchzusetzen, ist von 
Anfang dazu verurteilt, erfolglos zu bleiben. Es gibt jetzt an vielen 
Stellen durch die Kommissionen ein Aufräumen in den Schweinebeständen; 
die Kommissionen reisen einmal durch, werden natürlich, da sie die 
lokalen Verhältnisse nicht kennen, sehr stark bemogelt, es geht alles 
Hals über Kopf und später i9t alles wieder vergessen. 

Das Gegenteil suche ich mit meinem Vorschläge der Darohführung 
der Genehmiguügspflicht zu erreichen. Auf Grund dieser Genehmigungs¬ 
pflicht so, wie ich sie mir denke und wie ich sogar die einzelnen Vor¬ 
drucke dem Kriegsernährungsamt unterbreitet habe, werden in aller 
Ruhe genaue Feststellungen gemacht. Die betreffenden Tierhalter 
müssen die Angaben auf Pflicht und Gewissen machen, und wenn die 
Angaben nicht stimmen, wird den Tierhaltern ausser der Strafe der ge- 

1) Ein Offizier, der an der Westfront das Mannsohaftsessen kon¬ 
trolliert, sagt mir, dass er von 15 Divisionen mit Bestimmtheit sagen 
könne, dass sie in den letzten 9 Monaten keine 500 g Schweinefleisch 
pro Kopf erhalten haben. 

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64 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


samte Viehbestand ohne Entschädigung beschlagnahmt. Zunächst prüft 
die Gemeindebehörde, was an sioh nicht vollkommen sein wird, aber es 
wird immer eine bessere Prüfung sein, wie eine flüchtige Prüfung durch 
eine herumreisende Kommission. Die Unterlagen bleiben aufbewahrt 
und können jederzeit von höheren Stellen nachgeprüft werden. Wer 
die Genehmigung bat, ein Tier zu halten, muss auch den 
Nachweis über den Verbleib desselben liefern. 

Das alles ist so einfach und greift ineinander, gibt allerdings eine 
nahezu restlose Kontrolle. Das ist es aber, was leider einzelnen Leuten 
nicht bebagt, man schätzt dort mehr die Unklarheit, bei der 
sich im Trüben fischen lässt.“ 

Da zum grossen Sohaden unserer Volksernährung die Forderungen 
unserer Eingabe erst zur Hälfte erfüllt sind — die Art und Weise wie 
dies geschehen ist, beweist ja, dass bereits Gefahr im Verzüge war —, 
müssen wir weiter kämpfen, bis das Ziel erreicht ist. 

So ergeht denn die Aufforderung an alle kenntnis- und 
einflussreiche Personen — nicht zuletzt aus den Kreisen 
der Landwirtschaft — sich uns anzusohliessen. Ich ersuche 
daher um Zusendung weiterer Zustimmungserklärungen, 
bzw. Unterschriften und gebe mich der Hoffnung hin, dass das 
Kriegsernährungsamt schliesslich doch — hoffentlich auch für dieses Jahr 
noch mit Nutzen — den notwendigen Weg beschreiten wird. 

Genährt wird diese Hoffaung mit durch ein während der Druck¬ 
legung erhaltenes Schreiben des Preussischen Abgeordneten¬ 
hauses vom 1. Dezember, lautend: 

„Das Haus der Abgeordneten hat heute beschlossen, Ihre Petition 
vom 20. Oktober d. Js. (II Nr. 1131) der Königlichen Staatsregierung 
zur Erwägung zu überweisen. In Ausführung dieses Beschlusses ist die 
Petition dem Königlichen Staatsministerium übersandt worden. 

Indem ich hiervon Mitteilung mache, füge ich einen Abdruck des 
stenographischen Berichtes über die Verhandlung des Hauses (100. Sitzung) 
ergebenst bei. 

Der Direktor“ (Unterschrift). 

Wenn selbst eine Körperschaft von der Zusammensetzung des jetzigen 
Preussischen Abgeordnetenhauses unsere Eingabe der Regierung zur Er¬ 
wägung überwiesen hat, so ist zu hoffen, dass sie auf diesem Wege bei 
einigem Nachdruck noch zum Ziele führen wird. 


B&cherbesprechungen. 

M. Verwori: Physiologisches Praktiknn für Mediziner. 3. Auflage. 

Jena 1916, Gustav Fisoher. 

Das Praktikum Verworn’s, das jetzt in dritter Auflage vorliegt, 
ist sicherlich schon allen, die die früheren Auflagen in Händen gehabt 
haben, dadurch empfohlen. Der Verf. gibt in seinem Vorwort an, dass 
keine wesentlichen Veränderungen gemacht worden sind. Unter den 
kleinen Verbesserungen sind dem Ref. einige äusserliche aufgefallen; der 
Verf. gibt an, dass bei einzelnen Experimenten sachliche Abänderungen 
in den Vorschriften vorgenommen worden sind, die besseren Erfolg ver¬ 
sprechen. Die Art des Buches ist demnach dieselbe geblieben: es ist 
nicht nur eine Anweisung zur Ausführung gewisser Versuche, sondern 
es enthält zu jedem Abschnitt eine theoretische Erklärung, die den 
Zweck und die Bedeutung der Versuche im Zusammenhang erläutert. 
Diese kurzgefassten Erklärungen sind gerade durch ihre Beziehung zur 
praktischen Ausführung der Versuche so ausserordentlich anregend und 
lehrreich, dass Verf. sich genötigt sieht, ausdrücklich zu betonen, dass 
sie nicht dazu dienen sollen, das Lehrbuch überflüssig zu machen. Ref. 
kann sich nicht versagen, hierbei auf eine in der Vorrede zur vorliegenden 
Ausgabe erwähnte amerikanische Stimme über das Buch einzugehen. 
F. S. Lee hat, wie der Verf. mitteilt, „in einer noch vor dem Kriege 
geschriebenen Kritik (Science, 20. Sept. 1912, S. 375) nicht sowohl gegen 
das vorliegende Buch als vielmehr gegen die ganze deutsche Methode 
des praktischen Unterrichts in der Physiologie“ „the elaborateness of 
the directions for laboratory work with which we in America are not 
familiär“ eingewendet. Wieso das ein Vorwurf sein soll, ist nioht ver¬ 
ständlich. Verf. bemerkt dann auch, dass er diese „elaborateness“ als 
das wesentliche Ziel seiner Arbeit betrachtet habe und auch fürderhin 
betrachten werde. Ref. findet das amerikanische Urteil um so über¬ 
raschender, weil „der praktische Unterricht in der Physiologie“ über¬ 
haupt weniger dem deutschen System entsprungen als vielmehr vom 
Ausland übernommen sein dürfte. Der Vorwarf Hesse sich hören, wenn 
er gegen das schulmässige Praktikum im ganzen gerichtet wäre, wenn 
aber ein Praktikum gehalten und dazu eine Anleitung gegeben wird, 
ist der Grund nicht einzusehen, weshalb einer dürftigen oder gar irre¬ 
führenden Anleitung der Vorzug gebührt? 


Hermann Swoboda: Das Siebenjahr. Untersuchungen über die zeitliche 
Gesetzmässigkeit des Menschenlebens. Bd. 1: Vererbung. Wien und 
Leipzig 1917, Orion-Verlag. 

Verf. beruft sich auf die Pythagoreer, die der Periode von sieben 
Jahren so grosse Bedeutung zugemessen hätten, dass die Siebenzahl 
überhaupt als eine mystische heilige Zahl betrachtet worden sei. Auf 
der dritten Seite ist die Auffassung der Pythagoreer schon als unzweifel¬ 
hafte Tatsache apodiktisch hingestellt. Auf der vierten erklärt Verf., 
dass es gleichgültig sei, mit welchem Zeitmaass die Lebensperioden ge¬ 


messen werden, ohne indessen zu erwähnen, dass, wenn man eine andere 
Maasseinheit wählte, die Zahl 7 überhaupt aus der Betrachtung ver¬ 
schwände. Auf der folgenden Seite wird dann wieder erklärt, zwischen 
dem Umlauf der Erde und den Lebensverhältnissen des Menschen be¬ 
stehe ein enger Zusammenhang, woraus doch folgen würde, dass es nicht 
gleichgültig ist, ob man das Jahr oder ein anderes Zeitmaass für das 
menschliche Leben anwendet. 

Der über 500 Seiten haltende Band zerfällt in vier Kapitel und 
einen Anhang: 1. Fruchtbarkeit und Vitalität, 2. Begabung, 3. Aebn- 
lichkeit, 4. Krankheitsvererbung. Anhang: Die 7 jährige Periode beim 
Pferde. An unzähligen Stammtafeln und Stammbäumen erweist Verf. 
die Bedeutung der 7 jährigen Periode. Stimmt es nicht genau, so 
stimmt es fast, und passt es auf eine Art nicht, so passt es doch auf 
andere Art. Im Kapitel „Begabung“ wird die Universalität der vom 
Verf. aufgestellten Gesetze besonders anschaulich dadurch, dass Sänge¬ 
rinnen, Naturforscher, Dichter, Historiker, Staatsmänner usw. alle nach 
denselben Regeln behandelt werden. Noch weiter geht freilich der Verf. 
im Anhang. Es fällt auf, dass Verf. sich nicht mit den Verfechtern 
ähnlicher Hypothesen, wie Fliess auseinandersetzt, die doch entweder 
widerlegt oder als Bestätigung erwähnt werden müssten. 

V. Haeeker: Die Erblichkeit in Mannesstamm nd der yaterrecktliehe 

Familien begriff. Bibliographische Grenz- und Tagesfragen. Heft 1. 

Jena 1917, Gustav Fischer. 

Verf. behandelt die Frage, inwiefern die Gewohnheiten und Rechte, 
die der Vererbung im Mannesstamm vor der durch die weibliche Linie 
den Vorzug geben, als biologisch gerechtfertigt erscheinen. 

In aller Kürze wird zuerst das enge Verhältnis zwischen Vater und 
Sohn, insbesondere dem ältesten Sohn, in der Gemeinschaft vieler Volks¬ 
stämme betrachtet, was wiederum auf die Frage führt, wie weit diese 
Auffassung auf Naturbeobaohtung zurückzuführen ist. Es folgt eine 
Uebersicht über die Vererbungsforschung, in deren Gesohichte Verf. drei 
Perioden unterscheidet: Das Altertum bis zu Rudolf Wagner hinauf¬ 
reichend, in dem nur unsichere Vermutungen und ungenügend begründete 
Erfahrungen die Grundlage für die Anschauung von der Vererbung 
bildeten, dann die Periode von 1859 — 1900, nämlich von Darwin’s 
„Entstehung der Arten“ bis zur Wiederentdeokung der Mendel’schen 
Regeln, in der Galton sich von der Bevorzugung der männliohen Linie 
der Berücksichtigung der weiblichen Ascendenz zuwendete, und Weis¬ 
mann die Gleichwertigkeit beider elterlicher Erbanteile vertrat. An 
Weismann schlies&t sich auch Martius an. ln der dritten Periode 
treten Versuch und Beobachtung in ihr Recht. Beim Menschen ist 
es schwer, einzelne Eigenschaften mit derselben Bestimmtheit auf ihre 
Vererbbarkeit zu prüfen, wie bei Tieren oder Pflanzen. Verf. erörtert 
kurz die Annahmen, die in neuerer Zeit über die Vererbung beim 
Menschen aufgestellt worden sind, und erwähnt insbesondere den Fall, 
dass Eigenschaften vererbt werden, die bei einem Geschlechte vorzugs¬ 
weise zum Ausdruck kommen. Dadurch kann der Schein erweckt 
werden, als bestehe eine besonders enge Beziehung zwischen Eltern und 
Nachkommen gleichen Geschlechts. Der Schulfall ist die Bluterkrankheit, 
die, wenn sie in gleicher Weise auf männliche und weibliche Nach¬ 
kommen vererbt wird, doch beim männlichen Geschlecht viel stärker 
hervortreten würde, weil sie eben bei Männern viel öfter als bei Weibern 
auftritt. Aehnlich ist es bei gewissen Psychosen. 

Verf. zeigt sodann an geschichtlichem Material, insbesondere an 
fürstlichen Häusern und an den Familien wissenschaftlich hervorragender 
Männer, dass der weiblichen Ascendenz ein wesentlicher Anteil an der 
Vererbung von Eigenschaften und Fähigkeiten zukommt. Hier kommt 
Verf. auch auf Schopenhauer’s Lehre zurück, die, aus spekulativen 
begründeten Vorstellungen heraus, der väterlichen Ascendenz den ent¬ 
scheidenden Anteil an dem geistigen Erbteil, den „Willen“, der weib¬ 
lichen Ascendenz die „untergeordnetere“ „Intelligenz“ zuschreibt. Verf. 
weist diese Ansicht zurück, ebenso wie eingangs den Volksglauben über¬ 
haupt, dem man starken Zweifel entgegenbringen müsse, weil er sich 
auch auf den Gebieten der Hygiene und der Wetterkunde so wenig be¬ 
währe. So steht die durch die Uebertragung des Familiennamens stark 
betonte ausschliessliche Bevorzugung der männlichen Linie biologisoh 
ganz unbegründet da. Martius meint, die Frauenrechtlerinnen 
müssten daraufhin vermehrte Ansprüche stellen. Verf. aber betont 
scharf, dass die Biologie zwar nioht in diesen, aber in anderen Punkten 
die Gleichwertigkeit von Mann und Weib entschieden verneine, und 
dass deshalb die Vorkämpferinnen der Frauenbewegung gut daran täten, 
der biologischen Prüfung ihrer Ansprüche aus dem Wege zu gehen. 

Dagegen hebt die biologische Auffassung von der Vererbung den 
landläufigen Begriff des „Aussterbens“ einer Familie mit dem Erlöschen 
des Namenträgers auf. Wenn dies unter Umständen als Trost emp¬ 
funden werden kann, so muss doch vom praktischen und rassenhygieni¬ 
schen Standpunkt beachtet werden, dass das Aussterben bestimmter 
Kombinationen von Eigenschaften, wie sie sioh in bestimmten einzelnen 
Familien finden, doch eine entscheidende Bedeutung hat. 

Vielfach finden sich Andeutungen, dass aus den verschiedensten 
Gründen versucht worden ist, den eingebürgerten Gewohnheiten der 
Vererbung im Mannesstamm entgegenzuarbeiten. Verf. erwähnt, dass 
in der Schweiz und in Spanien der Name der Mutter mit dem des 
Vaters verbunden wird, während es in Nordamerika üblich sein soll, 
den Mutternamen zwischen Vornamen und Zunamen einzusehalten. 

Das bestehende Verhältnis hat jedenfalls nicht aus einem deutlich 


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21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


55 


in den Vererbungaersoheinungen hervortretenden Gegensatz, sondern aus 
pr&ktisohen Ursachen, insbesondere aus dem Unterschiede zwischen 
wehrfähiger Mannheit und wehrloser Weiblichkeit seinen Ursprung ge¬ 
nommen. _ 

R. Stigler: Lehrbuch der Physiologie für Krankenpflegesehnlen. 

2 Anhänge, 63 Abbildungen, 290 Seiten. Wien und Leipzig 1917, 

Alfred Holder. 

In einer verbälnismässig langen Einleitung erörtert Yerf. die Not¬ 
wendigkeit physiologischen Unterrichts für die Krankenpflegerin, nament¬ 
lich um ihr die Beobachtung und Beurteilung des Krankheitsverlaufs 
zu ermöglichen, und ausserdem, um ihre eigene Gesundheit schützen zn 
können. 

Die schwierige Aufgabe, ungelernten Schülern physiologisches Wissen 
zu übermitteln, greift Verf. so an, dass er als erstes Hauptstück einen 
Ueberblick gibt, beginnend von der Zellenlehre, übergehend zum Stoff¬ 
und Kraftweohsel, wo freilich der Begriff „chemische Spannkraft“ einiger 
maassen unvermittelt auftaucht, dann zu Kreislauf, Ausscheidung und 
zu den animalen Funktionen. Auf diese Einführung folgen nun die 
einzelnen Abschnitte der speziellen Physiologie. Ungemein anschaulich 
ist die Darstellung an die offenbar gleichzeitig stattfindend gedachte 
Demonstration von Präparaten und Untersuchungsmethoden geknüpft, 
und das wesentliche an jeder Tatsache hervorgehoben. Blutkörperchen¬ 
zählung und Hämometrie werden genau beschrieben. Besonders er¬ 
wähnenswert erscheint dem Ref. ein Absatz mit der. Ueberschrift: „Der 
Blutaberglaube“. Vor Studenten ist es vielleicht überflüssig, vor einer 
ungelernten Hörerschaft aber gewiss äusserst nützlich, auch negative 
Lehren auszusprechen, wie die, dass „heissblütige“ Menschen nicht 
wirklich höhere Temperaturen haben als andere. Der Kreislauf wird 
eingehend, unter besonderer Betonung der Herzpause, und mit Hinweis 
auf ein modiffoiertes Weber’sches Schema behandelt, und dem Blut¬ 
druck eine sehr ausführliche, auf die Erfordernisse der Praxis zuge¬ 
schnittene Darstellung gewidmet. Weniger eingehend und auch wohl 
weniger glücklich sind die Ausführungen über die AtmuDg. Die schwer 
zu fassenden Beziehungen zwischen dem Sättigungsgrad des Hämoglobins 
und der Sauerstoffspannung der Alveolenluft wird durch eine rhetorische 
Frage erledigt. An dieser Stelle ist eine Abschweifung über Sonnen- 
wirkung eingeflochten, die besser anderswo angebracht würde. Dem 
„Singultus“, der in allen andern dem Ref. bekannten Schriften nur dem 
Namen nach erwähnt wird, wird hier eine befriedigende Erklärung zuteil. 
Wiederum überraschend schaltet Verf. darauf einen Abschnitt über das 
Baden ein, das freilich im wesentlichen auf Kreislauf und Atmung wirkt. 

Die Lehre vom Stoffwechsel wird wieder mit einem kurzen Ueber- 
bliok eröffnet, an den sich dann die Lehre von der Verdauung usw. an- 
sohliesst. Auf diesem Gebiete ist Verf. nicht ganz von dem schwer zu 
vermeidenden Fehler freizusprechen, praktische Erfahrungen und Regeln 
theoretisch begründen zu wollen, auch wo dies nicht einwandsfrei zu 
leisten ist. Der „calorische Wert der Nahrungsmittel“ muss wohl unter 
den Bedingungen, die dem Verf. gestellt sind, unerklärt hingenommen 
werden. Ob die praktischen Ratschläge des Verf.’s auf diesem Gebiete 
zuverlässig sind, erscheint dem Ref. zweifelhaft. Die Harnabscheidung 
wird sehr kurz besprochen, sie nimmt nicht mehr Raum ein als die 
Hauttätigkeit, als deren Hauptwert Verf. mit Recht die Wärmeregulie¬ 
rung angibt. Die innere Sekretion wird nur an Einzelfällen gelehrt, 
ohne Ausblick auf die Hormonlehre im allgemeinen, obgleich dies der 
Höhe, auf der sonst der Inhalt des Büchleins steht, nicht widersprechen 
wurde. 

Allzu schwer wird des Verf.’s Aufgabe bei der Lehre von der 
Muskelbewegung, die gedrängten Angaben dürften kaum ihren Zweck 
erfüllen. Bedenklich ist die Behauptung, dass bei der Totenstarre Kon¬ 
traktion stattfände. Vorzüglich ist es dagegen dem Verf. gelungen, die 
Verrichtungen des Nervensystems und der Sinne, denen auch ein etwas 
breiterer Raum zugemessen ist, ansohaulioh zu machen, obschon, z. B. 
bei der Besprechung der Refraktionsanomalien, die optischen Schemata 
fehlen. Es wäre hier unumgänglich, etwas reine Physik zu Hilfe zu 
nehmen. Ein sehr kurzer Abschnitt über die Geschlechtsfunktionen be- 
sohliesst den Kreis, dem auch ein Anhang: Anleitung zur Anfertigung 
der im Text erwähnten Präparate, und ein zweiter: Behelfe für den 
physiologischen Unterricht in der K. K. Krankenpflegesohule folgen, die 
namentlich für den wertvoll sind, der das Werk vom Standpunkte des 
Lehrers der Physiologie zur Hand nimmt. Ein ausführliches Register 
fehlt nicht. R. du Bois-Reymond. 


H. A. Hins: Der Pockenschlitz des deutschen Volkes. Berlin 1917, 
Rioh. Schoetz. Preis 5 M. 

In einer Zeit, die den Wert der Pockenschutzimpfung aufs neue 
glänzend bestätigt hat, ist eine zusammenfassende Darstellung des 
heutigen Standes der Pocken- und Impffrage von berufener Seite be¬ 
sonders willkommen. Verf. gibt mehr, als der Titel besagt. Nicht nur 
der deutsche Pockenschutz, sondern auch Klinik und Epidemiologie der 
Pocken, die neuen Methoden der experimentellen Diagnostik, speziell 
das Paul’sobe Verfahren, sowie die wissenschaftlichen Grundlagen der 
Pookenimmunität, unter Berücksichtigung der Aetiologie und des Tier¬ 
experiments, finden kritische Beleuchtung. Zur Frage der Pockenschutz¬ 
impfung werden, nach einem geschichtlichen Ueberblick über die Pocken- 
seuche und die Entwicklung der Vaocination, die gesetzlichen Grund¬ 
lagen des deutschen Pookenschutzes und alle Einzelheiten der Impfung 


(Impfgesohäft, Impfstoff, Erstimpfung und Wiederimpfung, Impfschädi¬ 
gungen) eingehend besprochen. Unter den statistischen Beweisen für 
die Wirksamkeit und Dauer des Impfschutzes sind namentlich die 
neuerdings in Polen gemachten Erfahrungen lehrreich und überzeugend. 
Die wiederholt betonte Warnung des Verl’s vor einer Aenderung oder 
Milderung des deutschen Pookenschutzes kann nur auf das nachdrück¬ 
lichste unterstützt werden. 

Das kleine Werk, als Leitfaden für Aerzte, Medizinalbeamte und 
Studierende bestimmt, sei in seiner kürzen, klaren Darstellung bestens 
empfohlen. 


Witte: Die Triskwassernntersuchiuig im Felde. Berlin 1917, Jul. 

Springer. 59 S. 

Eine übersichtliche Zusammenstellung der auf die Trinkwasserver¬ 
sorgung bezüglichen Bestimmungen der Kriegssanitätsordnung, nebst An¬ 
leitung zur chemischen Untersuchung und Beurteilung des Trinkwassers 
im Felde. Die Schrift soll in erster Linie dem Feldgebrauch des Ober¬ 
apothekers dienen. Für diesen Zweck erscheint sie recht geeignet. 

G. Sobernheim. 


Literatur-Auszüge. 

Therapie. 

F. Jaeger-München: Ueber eine neue Salbengrundlage „Laaeps“ 
und deren Verwendung in der Säuglingspflege. (Ther. Mb., 31. Jahrg., 
Okt. 1917.) Verf. bestätigt die schon von verschiedenen Seiten ge¬ 
rühmten Vorzüge des „Laneps“ nach seinen Erfahrungen in der Säug¬ 
lingspflege und Behandlung wunder Brustwarzen. Laneps ist nicht nur 
eine vorzügliche Salbengrundlage, sondern übt auch rein verwendet eine 
unsere gewöhnlichen neutralen Salben übertreffende Heilwirkung aus. 

Bertkau. 

Roh leder -Leipzig: Heilung von Homosexualität and Impotenz 
durch Hodeneinpflanznng. (D.m.W., 1917, Nr. 48.) Wenn es, wie 
Steinach beschrieben hat, bei dem Menschen so nahestehenden Säugetier 
gelingt, durch Verpflanzung von Hodengewebe dieses somatisch und auch 
psychisch in seinem Geschlechtstriebe männlich fühlend zu machen, so 
ist damit ein wichtiger Fingerzeig für die Behandlung der Homosexualität 
gegeben. Entsprechende Organotherapie bei Bisexuellen hat bisher Verf. 
nicht zu Erfolgen geführt. Die Steinach’scheu Forschungen ergeben 
für die Behandlung gewisser Impotenzformen dieselbe Schlussfolgerung. 
Ein Fall von Homosexualität ist durch Hodenverpflanzung geheilt worden. 

Dünner. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Bier-Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim Menschen* 
VI. Abhandlung. Wahre Regeneration in grösseren Lücken. (D.m.W. 
1917, Nr. 46, 47, 48.) 

Müller: Ein Todesfall unter choleriformen Erscheinungen mit 

einem selten histologischen Befunde. (D.m.W., 1917, Nr. 50.) In einem 
rasch tödlich verlaufenden Fall mit enterogenem Symptomenkomplex 
konnte eine Nephritis mit konsekutiver Urämie als wahrscheinliche Todes¬ 
ursache naohgewiesen werden. Dabei fand sioh das gesamte Diokdarm- 
epithel in intensivster Kernteilung und Vermehrung begriffen. In 
welchen Zusammenhang dies mit dem Befunde von Dysenterie-Y-Bak- 
terien im Dickdarme zu bringen ist, darüber kann ein eindeutiges Urteil 
nicht abgegeben werden. Dünner. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Zeissler-Altona: Ueber die Reinihchtnng pathogener Anaerobier. 
(Fraenkel’scher Gasbaoillus, Bacillen des malignen Ocdems.) (D.m.W., 
1917, Nr. 48.) Die Bacillen des malignen Oedems wachsen weniger leicht 
und üppig auf der Menschenblut-Traubenzucker-Agarplatte als der 
Fraenkel’sche Gasbacillus. In dieser Tatsache sieht Verf. einen Beweis 
für die Artverschiedenheit der genannten Bacillengruppen. Er hat nie¬ 
mals „Mutationen“ beobachtet. Dünner. 

H. Li pp-Tübingen: Eine einfache Schnell färbungsmethode von 
Spirochäten. (Denn. Wschr., 1917, Bd. 65, Nr. 47.) Auftropfen von 
5 Tropfen einer 1 proz. Kalilauge auf den lufttrockenen Ausstrich. 
Darauf tropft man, ohne abzuspülen, sofort einige Tropfen der gewöhn¬ 
lichen wässerigen Fuchsinlösung (Fuchsin gelöst in 96 proz. Alkohol, 
dann 1 :20 Wasser). Stehenlassen 4 Minuten. Während dieser Zeit 
wird die schöne Fuohsinfarbe schmutzigrot, und schliesslich entfärbt sich 
die Flüssigkeit. Dann Abwaschen mit Wasser und Trocknen zwischen 
Fliesspapier. Immer wahr. 

Uhlenhuth-Strassburg: Zur Kultur der „Spirochaote icterogenea“. 
(D.m.W., 1917, Nr. 50.) Zur Züchtung der „Spirochaete icterogenes“ 
haben Versuche von Serum, das mit Leitungswasser stark verdünnt wird, 
als Nährböden gute Resultate erzielt. Verf. benutzt eine Verdünnung 
von 1:30. Man kann auch Pferdeserum benutzen, auch Blutserum, von 
lebenden Weil-kranken Tieren im Verhältnis von 1:30 in steriles Lei¬ 
tungswasser als Kulturmedium direkt überimpft, ergab ausgezeichnetes 
Wachstum. 

M i o h a e 1 i s - Berlin: Ueber kombinierte Ei weiss-Säireagglntiaation, 
insbesondere zur Unterscheidung von Coli- nid Robrbacilloa. (D.m.W., 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 3. 


1917, Nr. 48.) Coli- und Ruhrbacillen unterscheiden sich von den Ba¬ 
cillen der Typhus- und Paratyphusgruppe darin, dass sie nicht durch 
Säure agglutinabel sind. Das Verhalten ändert sich, wenn man der 
Aufschwemmung der Colibacillen eine Spur eines Eiweisskörpers hinzu- 
fügt. Zum Unterschied von den Colibacillen fand Verf. in einer Unter¬ 
suchungsreihe mit verschiedenartigen Ruhrstämmen keinen, der eine 
deutliche Säureagglutination selbst nach Eiweisszusatz ergeben hätte. 
Er hält es für möglich, dass das positive Ausfallen der Säure-Eiweiss- 
agglutination eine Gruppenreaktion der Colibacillen, der negative Aus¬ 
fall derselben eine Gruppenreaktion der Ruhrbacillen ist. 

Schottelius-Freiburg i. Br.: Beta-Lysol and Kresotia-Kresol. 
(D.m.W., 1917, Nr. 49.) Vergleichsuntersuchungen über die bakterio¬ 
logische Wirkung lassen das Beta-Lysol dem Kresotin-Lysol überlegen 
erscheinen. Ausserdem ist es billiger. Ferner ist für die Kresotin- 
Kresols Kresotinsäure nötig, die beute für militärische Zwecke eine Rolle 
spielen. Dünner. 


Innere Medizin. 

Sakheim-Neukölln-Berlin: Ueber den ansknltatorischen Lnogen- 
hefnnd bei Anwendung einer bestimmten Art des Atmens. (D.m.W., 
1917, Nr. 49.) Ehrmann lässt den zu Untersuchenden nicht wie ge¬ 
wöhnlich ein- und ausatmen, sondern trägt ihm auf, bei offenem Munde 
mit kurzen, schnellen und stossweisen Atemzügen keuchend Luft zu 
holen. Hierbei werden Exspiriura und Atempause laog, während das 
Inspirium kürzer wird wie bei der gewöhnlichen Atmung. Man muss 
darauf achten, dass der Kehlkopf ruhiggestellt wird und dass bei dem 
kräftigen Ausstossen der Luft nicht etwa im Kehlkopf störende Laute 
entstehen. Diese Methode leistet in vielen Fällen, die die Verfasserin 
anführt, Besseres als die gewöhnliche Atmung bei der Auskultation. 

C ahn -Strassburg i. E.: Ueber Spontanpnenmothorax bei Nicht¬ 
tuberkulösen. (D.m.W., 1917, Nr. 47.) Verf. sah bisher niemals einen Fall, 
in dem bei einem tuberkulösen Pneumothorax die Luft wieder schwand 
und die bis dahin latent gewesene Erkrankung weiterhin latent blieb. 
Er hat bei dieser Art von Pneumothorax nur solche Fälle im Auge, 
bei denen der Pneumothorax aus heiler Gesundheit heraus, ohne dass 
vorher Tuberkulose bestanden hatte, sich bildete. Er teilt 2 inter¬ 
essante Fälle mit, bei denen der Pneumothorax sich wieder zurück¬ 
gebildet hat, die er im Röntgenbild genau kontrollieren konnte und die 
völlig ausheilten. 

Schreiber-Königsberg: Ueber kompletten einseitigen Pneumo¬ 
thorax. (D.m.W., 1917, Nr. 47.) Mitteilungen eines Falles, bei dem 
der Pneumothorax sehr lange Zeit bestanden hatte und der durch 
Aspiration der Luft geheilt werden konnte. Der Fall war als Magen¬ 
leiden behandelt worden. 

Unverrioht-Berlin: Künstlicher Pnenmothorax xnr Vermeidung 
der künstlichen Fehlgeburt bei Lungentuberkulose. (D.m.W., 1917, 
Nr. 50.) In mehreren Fällen von Tuberkulose bei Gravidität erzielt U. 
durch Anlegung eines künstlichen Pneumothorax einen guten Einfluss 
auf die Tuberkulose. 

Stepp u. Weber: Zur Klinik des persistierenden Dnctns Botalli. 
(D.m.W., 1917, Nr. 49.) Von drei Fällen mit persistierendem Ductus 
Botalli hatten zwei ein normales Elektrocardiogramm. Ein Dritter hatte 
nicht ein negatives R, sondern ein rudimentäres positives R mit nach¬ 
folgendem gewaltig vergrössertem S. 

Hoffmann-Leipzig: Cordatonie nnd Hennenrasthenie. (D.m.W., 
1917, Nr. 48.) Die normale Herzspitze zeigt auf der Röntgenplatte eine 
kräftige Wölbung und bildet mit dem Zwerchfell einen von zwei 
konvexen Linien von der Herz- und der Zwerohfelllinie begrenzten 
Winkel, Angülus phrenico-cardialis genannt. Wenn dieser Winkel 
bis an 90° heran oder sogar darüber steigt, so ist immer ein patholo¬ 
gischer Zustand vorhanden. In diesem Falle handelt es sich dann um 
einen Zustand, den H. als Cordatonie bezeichnet. Beim Tropfenherzen 
besteht diese Cordatonie, ferner bei vielen Fettherzen, bei Anämischen, 
bei Phthise, bei sonstigen Kaxechien und auch bei Neurasthenie. Zum 
mindesten beweist es bei der Neurasthenie, dass der Betreffende kein 
Simulant und kein eingebildeter Kranker ist. Die Vergrösserung des 
Herzwinkels ist kein besonders schweres, gefährliches Symptom. 

Al exander-Berlin: Ueber Pnrpara kaemorrbagica fnlminans. 
(D.m.W., 1917, Nr. 50.) Kasuistik, bei der der Verfasser nicht von 
einer Blutuntersuchung spricht. Der Fall kam ad exitum. Knochen¬ 
marksuntersuchungen wurden anscheinend niobt gemacht. 

Kaulen: Ueber den Einfluss des Fliegens auf das Blutbild bei 
Menschen, Kaninchen und Mäusen. (D.m.W., 1917, Nr. 50.) 1. Bei 
den meisten Fliegern ist nach 3 Monaten eine Vermehrung der roten 
Blutkörperchen und eine Zunahme des Hämoglobingebalts des Blutes 
festzustellen, ohne dass beide in einem Abbängigkeitsverbältnis zu¬ 
einander oder zur Flugzeit stehen. Die Leukocyten bleiben quantitativ 
normal, qualitativ ist jedoch häufig eine Lymphocytose nachzuweisen. 
2. Ein einzelner Flug ruft keine erkennbaren Veränderungen des Blut¬ 
bildes hervor. 3. Unter dem Eiuflusse des Fliegens scheint bei Mäusen 
und Kaninchen das Blutbild in ähnlicher Weise verändert zu werden 
wie beim Menschen. 

Keller: Die Bedeutung der Malaria für die Heimat. (D.m.W., 
1917, Nr. 48.) K. macht darauf aufmerksam, dass es viele Malaria- 


infioierte gibt, die lange Zeit ohne Anfall bleiben, die dann plötzlich 
wieder unter typischen Erscheinungen erkranken. Deshalb muss man 
bei jedem Kriegsteilnehmer, der an Fieber unklarer Ursache erkrankt, 
an Malaria denken. Man muss oft Piäparate machen. 

Kisskalt-Kiel: Ueber Malarlarecidive. (D.m.W., 1917, Nr. 49.) 
Malariarecidive treten hauptsächlich von Mai an auf. K. meint, dass 
die Ursache der Recidive im Frühjahr dieselbe sei wie die für die 
Zunahme der Pellagra im Frühjahr, nämlich das Licht. Damit stimmt 
er überein mit Reinhard und v. Heinrich, denen es gelang, latente 
Malaria durch Bestrahlurg zu provocieren. 

Zuelzer-Berlin: Klinisches über Malaria. (D.m.W., 1917, Nr. 48.) 
Im Malariaanfall sind Milz und Leber im Zustand weicher Schwellung. 
T. konnte in einer Reihe einwandfreier Beobachtungen bei Fällen, in 
denen nach den vorangegaDgenen Anfällen Milz und Leber sich wieder 
vollkommen zur Norm zurückgebildet hatteD, feststellen, dass die Neu¬ 
schwellung dieser Organe bis zum Auftreten des neuen Anfalls etwa 
zwei bis vier Tage in Anspruch nimmt. Nach drei bis fünf Tagen ist 
die Schwellung der Milz und Leber bei diesen auf Chinin prompt re¬ 
agierenden Fällen zurückgegangen. Bei Malariakranken fand er am 
Rippenbogen, um die Leistenbeuge herum, an der Innenseite des Ober¬ 
schenkels, auf der oberen Hälfte des Nates scharf umschriebene, un¬ 
regelmässig gestaltete, bläulich rote, etwas ins Bräunliche übergehende 
Flecken und Ringe in der Form einer anullären Roseola. 

Giemsa und Halberkann-Hamburg: Ueber das Verhalten des 
ChiBins m menschlichen Organismus. (D.m.W., 1917, Nr. 48.) Ent¬ 
gegen den Befunden von Teichmann und Neuschlosz halten die 
Verfasser nicht für richtig, dass bei chiningewöhnten bzw. nichtgewöhnten 
Personen gesetzmässige Unterschiede hinsichtlioh der Ausscheidung des 
Chinins bestehen. Dünner. 

v. Pirquet-Wien: Qnantitative Ernührnngstherapie. (Ther, Mb., 
1917, Oktbr.) Von der Erkenntnis ausgehend, dass sowohl die Chir¬ 
urgie in der Nachbehandlung Operierter, wie auch die innere Medizin 
9 ich viel zu wenig des Heilfaktors der Ernährung in bewusster Weise 
bedient, und fast nur auf die qualitative Auswahl der Speise^ Wert ge¬ 
legt wird, hat v. P. sich bemüht, eine richtige Grundlage für die quan¬ 
titative Ernährung ausfindig zu machen. Die Bestimmung der Nahrungs¬ 
menge nach dem Alter oder dem Körpergewicht des Kindes hat, wie 
an Beispielen gezeigt wird, nur bei normalen, nicht aber bei kranken 
oder geschwächten Kindern einigermaassen Geltung. Unsere Nahrungs¬ 
aufnahme richtet sich nicht nach dem Gewicht, sondern nach einer 
Fläche, nämlich der resorbierenden inneren Darmoberfläche. Auch 
der Verbrauch der Nahrung ist eine Flächenfunktion, v. P. hat nach¬ 
gewiesen, dass die 3. Potenz der Sitzhöhe, d. b. der Länge von Kopf 
und Rumpf, beim Menschen in konstantem Verhältnis zum Körper¬ 
gewicht steht, und dass das Quadrat der Sitzhöbe ungefähr der resor¬ 
bierenden Darmfläche entspricht, und daher als mathematisches Aequi- 
valent derselben zur Nahrungsaufnahme in Beziehung gebracht werden 
kann. Berechnung der spontanen Nahrungsaufnahme an einem grossen 
Material hat diese theoretischen Beziehungen bekräftigt. Zur Aufstellung 
einfacher Regeln für die Nahrungsbemessung bedient sieb Verf. der 
Milch als Nahrungseinheit und nennt 1 g einer Milch, die 667 ausnutz¬ 
bare kleine Calorien enthält, was einem Fettgehalt von 3,7 pCt. ent¬ 
spricht, 1 „Nein“ (Nahrungs-Einheit Milch), 10 Nem = 1 Dekanem, 
100 = 1 Hektonem. Als Ernährungsmaximum (annähernd) wird be¬ 
zeichnet, wenn bei gesundem Magendarmkanal von 1 qcm resorbierender 
Fläche 1 Nem aufgenommen wird. Das Minimum ist die Nahrungsmenge, 
die aufgenommen werden muss, um den Betrieb von Herz, Atmung, 
Drüsenfunktion usw. bei völliger Bettruhe aufrecht zu erhalten, ohne 
vom Körpersaft zu zehren (etwa 8 /io Nem pro Quadratcentimer des Sitz¬ 
höhenquadrats). Der Eiweissgehalt der Nahrung soll nicht weniger 
als 10 pCt., nioht mehr als 20 pCt. betragen. Die Nahruugszeiten 
sind für Kinder eingeteilt in 3 Haupt- und 2 Nebenmahlzeiten mit 
3 ständigen Pausen. Bei grösseren Gemeinschaften von. Kindern und 
Erwachsenen werden Nahrungsklassen eingeteilt. Für die vollkommene 
Durchführung des Systems ist verständnisvolle, wissenschaftlich basierte 
Küchengebarung notwendig; in der v. P.’schen Klinik werden 2monatige 
Kurse für Absolventinnen höherer Töchter-Iund Hausfrauenschulen, so¬ 
wie für diplomierte Pflegerinnen abgehalten, um Küchen- und Wirt¬ 
schaftsleiterinnen nach dem neuen System )[ auszubilden ,1 das als be¬ 
sonderen Vorteil noch grosse wirtschaftliche Sparsamkeit erwiesen hat. 

Bertkau. 

Salomon u. Cb amass-Wien 'Ueber die Differentialdiagnose 
zwischen Ulcns, Careinoin nnd Perniciosa auf flrnnd der Urobilinogen- 
ansscheidnng im Stuhle. (D.m.W., 1917, Nr. 50.) Während in normalen 
Fäces der Urobilingehalt konstant ist, zeigt schon die qualitative Prüfung 
pathologischer Fäces auffällige Unterschiede. Während bei progressiver 
Anämie hochgradige Vermehrung des Stuhlurobilinogens zu beobachten 
ist, sehen wir bei Magencarcinomen in vorgeschrittenem Stadium be¬ 
deutende Verminderung bis Fehlen derselben. Bei Berücksichtigung ge¬ 
wisser Punkte erscheint dieses Verhalten geeignet, ein differential¬ 
diagnostisches Hilfsmittel zwischen Magendarmcarcinom und progressiver 
Anämie zu bilden. Ein differentialdiagnostisches Moment zwischen vor¬ 
geschrittenem Intestinal- und Magencarcinom und einem Ulcus bildet 
die Beobachtung, dass Ulcera im Gegensatz zu vorgeschrittenen Magen- 
darmcarcinomen entweder normale oder sogar leicht erhöhte Urobilinogen- 
werte zeigen. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 




21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


67 


Umher-Charlottenburg* Westend: Krankheitsbild and Behandlung 
der Rnhr im Heimatgebiet. I. Klinischer Teil. (D.m.W., 1917, Nr. 49.) 

Friedemann-Berlin: II. Bakteriologie der Rnhr. (D.m.W., 
1917, Nr. 49.) 

Hi 1 ge r mann- Saarbrücken: Typhusbaci) len träger nnd Widal’sehe 
Reaktion. (D.m.W, 1917, Nr. 49.) Verf. behauptet, dass bei Typhus¬ 
erkrankungen der Agglutinationswert eines Serums nur kurze Zeit hält, 
um dann schnell abzusinken und dann nach 4—5 Monaten negativ zu 
werden. Nach Verf. ist eine positive Widal’sche Reaktion bei sonst ge¬ 
sunden Personen Beweis, dass in ihrem Körper ein Bacillenherd vor¬ 
handen ist. Es gibt keine Bacillenträger ohne positiven Widal. Von 
dieser Tatsache soll man bei Umgebungsuntersuchungen zur Feststellung 
von Bacillen trägem infolge Ausbruchs von Typhuserkrankungen bei der 
Untersuchung von Ortschaften und Anstalten Gebrauch machen und auf 
die kostspielige Stuhluntersuchung verzichten. 

Wolff: Aetiologie der Weil Felix’sehen Reaktion. (D.m.W., 
1917, Nr. 48) ln 10 pCt. der Fälle fand W. im strömenden Blut 
Proteusbacillen. Die Weil-Felix’sche Reaktion ist als Ausdruck einer 
gleichzeitig mit dem Fleckfieber einhergehenden Proteusmischinfektion 
aufzufassen. Die Reaktion bleibt noch lange nach dem Ueberstehen der 
Krankheit positiv. Dünner. 

P. Jungmann und M. H. Kuczynski-Berlin: Die Behandlung des 
WolbyniseheB Fiebers. (Ther. Mh., Okt. 1917.) Io der symptomati¬ 
schen Behandlung erwiesen sich alle gebräuchlichen Fiebermittel als 
mehr oder weniger unbrauchbar. Auch ihre analgetische Wirkung war 
schwach, am besten die des Pyramidon. In schweren Fällen sind 
grössere Morphindosen zur Bekämpfung der heftigen Schmerzen und der 
Schlaflosigkeit notwendig. Erst bei leichter verlaufenden späteren An¬ 
fällen kommt man gegenüber der letzteren mit Veronal, zweckmässig 
kombiniert mit Phenacetin oder Pyramidon, aus. Im Intervall nach 
schweren Anfällen und bei langdauerndem Verlauf der sogenannten 
rudimentären Form ist die Hauptsache die psychische Behandlung durch 
Zuspruch und schonende Beschäftigung, kalte Wasohungen morgens und 
abends, häufige indifferente Bäder, Massage. Die Versuche, eine spezi¬ 
fische Therapie zu finden (Chinin, Salvarsan, colloidale Kupfer- und 
Silberpäparate, Arsen) sind fehl geschlagen. Solange eine immunisierende 
Therapie nicht möglich ist, ist die Prophylaxe, energische Läuse- 
bekämpfung, das Wichtigste. Bertkau. 

Dorendorf-Berlin: Ueber Botulismus. (D.m.W., 1917, Nr. 49.) 
Mitteilung mehrerer Fälle von Botulismus, der durch einen neuro- 
paralytischen Symptomenkomplex sich hauptsächlich darstellt; Sekretions¬ 
störungen, fast immer symmetrische totale oder partielle motorische Läh¬ 
mungen, die, wie die anatomischen Untersuchungen ergeben haben, in 
Läsionen des Centralnervensystems ihren Grund haben und in der Regel 
ausschliesslich in der Kerngegend vom Ende des dritten Ventrikels bis 
zum Beginn des Halsmarkes lokalisiert sind. Das von D. versuchte 
Diphtherieserum hatte keine Wirkung. 

Fessler München: Wiederbelebung durch künstliche Atnnng. 
(D.m.W., 1917, Nr. 49.) Darstellung der Wiederbelebung durch künst¬ 
liche Atmung. Dünner. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

S. E. Henscben: Ueber das Sehcentrnm. (Neurol. Zbl., 1917, 
Nr. 23.) Im ersten Teil seiner Ausführungen weist H. als feststehende 
Tatsache nach, dass das Sehcentrum sich auf die Area striata begrenzt, 
im zweiten, dass eine vollständige und fixe Retina cerebralis corticalis 
existiert, dass das Macularfeld sich im Pole befindet, um schliesslich 
noch die Frage nach der Innervation des Macularfeldes bzw. nach der 
diagnostischen Bedeutung der Macularaussparung abzuhandelu. 

0. Berkhan: Ueber die Wortblindheit, ein Stammeln im Sprechen 
«md Schreiben, ein Fehl im Lesen. (Neurol. Zbl., 1917, Nr. 22.) B. 
bespricht des Näheren an instruktiven Beispielen das Stammeln in der 
Schriftsprache, genannt Wortblindheit, in seinen verschiedenen Formen, 
bei Schwachsinnigen und bei Hirnverletzungen; es kommt im schulpflich¬ 
tigen Alter, bei Erwachsenen und selbst im hohen Alter vor. Zum 
Schluss wird die Heilbarkeit erörtert. E. Tobias. 

Christen-München: Setädigangen durch Sinnsstrom. (D.m.W., 
1917, Nr. 49.) Bei der Verwendung des Sinusstroms muss man darauf 
achten, dass die Elektroden niemals so angelegt werden, dass starke 
Stromzweige durch das Herz gehen können. Der Strom darf nicht plötz¬ 
lich angelegt werden, er muss dosiert werden, man muss den gesamten 
Zustand des Patienten in Rechnung ziehen. Dünner. 

H. Siebert: Trauma, funktionelle Störung und Lucs cerebri. 

(Neurol. Zbl., 1917, Nr. 24.) Bei einem sichtlich psychopathisch ver¬ 
anlagten Menschen bedingt ein gewaltiges Trauma plötzlich die Ent¬ 
stehung ausgesprochener funktioneller Ausfallserscheinungen. Durch 
die Gewalteinwirkung und den derselben folgenden Shock bzw. die Ge- 
fassstörungen nervöser Natur wurden bis dahin verankerte oder er¬ 
scheinungslos bestehende Sypbilisspirochäten beweglich gemacht und 
riefen in kurzer Zeit unzweideutige Anzeichen der Lues cerebri hervor. 
In zwei Wochen verwandelte sich die prompte Licht- und Konvergenz- 
reaktion in eine doppelseitige Ophthalmoplegia interna. E. Tobias. 


Schlesinger-Wien: Zur Klinik und Therapie der Wirbeltumureu 
uud anderer extramedullärer Geschwülste. (W.m.W., 1917, Nr. 47.) 
Die mitgeteilten Beobachtungen wie die der Literatur lehren, dass auch 
eine dauernde, räumlich ausgedehnte isolierte Störung des Temperatur¬ 
sinnes oder der Temperatur- und Schmerzempfindung bei ungestörten 
oder wenig alterierten anderen Empfindungsqualitäten nicht in der Dia¬ 
gnose einer extramedullären, also einer unter Umständen operablen 
Rückenmarksgeschwulst beirren dürfen, wenn die Entwicklung des 
Leidens und die Gruppierung der übrigen Symptome diese Annahme 
nahelegen. 

Bauer-Wien: Ueber Rüekenmarkserschütternng. (W.m.W., 1917, 
Nr. 47.) Was abgesehen von einem eigenartigen Liquorbefund den be¬ 
schriebenen Fall wichtig erscheinen lässt, ist der Mangel einer Objekti- 
vierbarkeit der stattgehabten kommotionellen Schädigung des Zentral¬ 
nervensystems, die sich bloss subjektiv durch die Schwäche in den 
Beinen, den unsicheren Gang und das gelegentliche Schwindelgefühl 
manifestierte, bis erst nach mehreren Wochen die unheilvolle Spät¬ 
infektion der Meningen die Lage des Projektils verriet und damit die 
erfolgte Kommotion aufwies. Histologisch konnte ausser den die Me¬ 
ningitis begleitenden, mässigen entzündlichen Erscheinungen in der 
Rückenmarks- und Gehirnsubstanz ein morphologisches Substrat dieser 
Erschütterung nicht gefunden werden. Reckzeh. 

K. Singer: Seltene Lähmungen im Bereich der Schulternervei 
und Muskeln. (Mschr. f. Psych., Bd. 42, H. 5, S. 292.) Verf. schildert 
eine isolierte Lähmung des rechten N. suprascapularis sowie eine Mono¬ 
neuritis multiplex infectiosa einzelner Aeste des beiderseitigen Plexus 
brachialis. Der 3. Fall ist eine syphilitische Plexusneuritis (N. thora- 
cicus longus und radialis bds.); kompliciert wurde diese durch eine 
Radialis-Schlafläbmung, die aber wohl nur das auslösende Moment für 
eine schon im Entstehen begriffene spyphilitische Neuritis war. 

P. Rauschburg: Zur Diagnose des motorischen Heilerfolges der 
Nervennaht. Beiträge zur Kenntnis der durch anomale Innervation be¬ 
dingten und sonstigen Ersatz-, Schein- und Hilfsbewegungen der oberen 
Extremität bei traumatischen Lähmungen der peripheren Nerven. (Mo- 
natsschr. f. Psych. u. Neurol., Bd. 42, H. 5, S. 261.) Eingehende Studien 
zur Klärung der Frage, inwiefern eine Bewegung der oberen Extremität 
tatsächlich denjenigen Muskeln zuzuschreiben ist, welche dieselben nor¬ 
malerweise aktiv durchzuführen pflegen, inwiefern des weiteren tatsäch¬ 
liche aktive Leistungen gewisser Muskeln demjenigen Nerven zugeschrieben 
werden dürfen, der normalerweise diese Muskeln zu versorgen pflegt. 
(Mit 26 photographischen Abbildungen.) Loewy-Hattendorf. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

L. W. Ketron und J. H. King-Baltimore: Magen-Darmstörungei 
bei Acie vulgaris auf Grund röntgenologischer Befunde. (Derm. Wschr., 
1917, Bd. 65, Nr. 47.) Acne vulgaris wird nach allgemeiner Anschauung 
verursacht durch die Gegenwart und das Wachstum des Acnebacillus. 
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die eine gewisse Disposition für die 
Acne darstellen, und deren wichtigste sind Magen-Darmstörungen. In 
einer Reihe von 30 Fällen von Acne vulgaris, die hinsichtlich der 
Magen-Darmstörungen mit Probemahlzeiten und Röntgenstrahlen unter¬ 
sucht worden sind, haben die Verff. festgestellt, dass keiner dieser Fälle 
absolut normal war, und dass 60pCt. Veränderungen von immerhin 
solcher Ausdehnung zeigten, dass Stauungen im Magen-Darmkanal und 
toxische Resorption die Folge sein konnten. 

L. Merk-Innsbruck: Ueber Acne eacheeticomm im gegenwärtigen 
Kriege. (Derm. Wschr., 1917, Bd. 65, Nr. 48.) Die von v. Veress in 
dieser Wschr., Bd. 65, Nr. 31 beschriebenen Fälle von „Exanthema 
folliculare, acneiforme im Felde“ hält M. für die altbekannte „Acne 
oachecticorum Hebra“. Immerwahr. 

Kraus-Prag: Ueber Pyodermatosen. (W.m.W., 1917, Nr. 43.) Es 
gibt mit und ohne Dermatozoonosen Pyodermatosen sowohl allgemeiner 
als circumskripter Lokalisation. Unter denen der letzten Art verdienen 
die pyodermatischen Prozesse in der Gegend des Genitales besondere 
Beachtung. Reckzeh. 

J. Lewinski: Zur Kritik der Gonorrhoeheil nng. (M.m.W., 1917, 
Nr. 46.) Die Gauss’schen Forderungen, nach dauernder Abwesenheit 
von Gonokokken nach Beendigung der Behandlung erst dann von einer 
Gonorrhoeheilung zu sprechen, wenn auch nach mehrfachen Provokations- 
Versuchen keine Gonokokkenausschwemmung zu erzielen ist, sind sicher¬ 
lich berechtigt und theoretisch begründet, nur die Durchführung ist in 
der Zivilpraxis unmöglich. 

A. Menzer: Ueber Gonorrhoeheilnng. (M.m.W., 1917, Nr. 46.) 
Die Beseitigung der Gonokokken ist nicht identisch mit Gonorrhoe¬ 
heilung. Gerade die auf schnelles Verschwinden der Gonokokken ge¬ 
richtete Therapie verhindert vielfach eine völlige Ausheilung. Die Haupt¬ 
wirkung der Therapie muss darin bestehen, durch Hyperämisierung der 
Krankheitsherde die Gonokokken zur Ausscheidung zu bringen. 

Geppert. 

K. Ullmann-Wien: Beitrag zur Massenbehandlung der Gonorrhoe. 
(Derm. Wschr., 1917, Bd. 65, Nr. 49.) Verf. hat ein Diagnosenschema 
gonorrhoischer und verwandter Geschlechtsaffektionen des Mannes auf¬ 
gestellt, welches sämtliche topischen Lokalisationen bzw. Unterdiagnosen 
der männlichen Gonorrhoe enthält und den Zweck hat, die Aerzte fort- 

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UNIVERSUM OF IOWA 





58 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


während und in jedem einzelnen Falle während der ganzen Dauer seines 
Aufenthaltes an das Vorhandensein solcher Lokalisationen zu erinnern. 
Ein entsprechendes Behandlungsschema wird neben dem Diagnosen¬ 
schema gleichfalls an entsprechender sichtbarer Stelle des Behandlungs¬ 
zimmers angebracht. Imm'erwahr. 

Heilbronn: Selbstverstümmelung durch Gouekokkeuäbertraguug. 
(M.m.W., 1917, Nr. 49.) In einem Russengefangenenlager wurde eine 
absichtliche Uebertragung von Trippereiter von der Harnröhre eines nicht 
gemeldeten Erkrankten auf drei andere Russen festgestellt. Mittels 
Streichhölzern wurde der Eiter in die Urethra überimpit. Geppert. 

Lissauer-Berlin: Zur Frage des Sulvarsautodes. (D.m.W., 1917, 
Nr. 47.) Nach Verf. kann man von reinem Salvarsantod nur dann 
sprechen, wenn die zum Tode führenden Erscheinungen unmittelbar nach 
der Salvarsandarreichung einsetzen, und wenn die Sektion ausser even¬ 
tuellen syphilitischen Veränderungen der Organe einen Befund erheben 
lässt, der nur auf die Salvarsandarreichung bezogen werdeu kann. Verf. 
teilt einen Fall mit, bei dem er bei der Sektion ein starkes Oedem des 
Gehirns fand und in den grossen Ganglien der linken Seite ein pflaumen¬ 
grossen Erweichungsherd von gelblich-weisser Farbe. In dem rechten 
Corpus striatum und Thalamus opticus mehrere, bis erbsengrosse, rund¬ 
liche, nicht scharf begrenzte hämorrhagische Herde. Leber und Niere 
normal. Er setzt den Fall in Analogie mit einer Arseuvergiftung, bei 
der es neben der gastro-intestinalcn Form noch die ^paralytische Form 
gibt, welche sich in schweren Symptomen von seiten des Centralnerven- 
systems äussert. Dünner. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Spaeth-Hamburg: Instrumenten« Uterusperforation infolge Bia- 
wucherns von Chonouotten in die Gebärmultermuskulatur. (D.m.W., 
1917, Nr. 47) Kasuistik mit mikroskopischen Belunden. Dünner. 

C. Keller-Charlottenburg: Ueber die Prophylaxe der pnerpermlen 
Mastitis. (Ther. Mh., Okt. 1917.) Nach deo im städtischen Kranken¬ 
hause für Geburtshilfe gemachten Erfahrungen ist die Anwendung anti¬ 
septischer Maassnahmen nicht nur unnötig, vielmehr eher als nachteilig 
anzuseheu. „Einfachste Sauberkeit unter möglichster Einschränkung der 
Behandlung auf das Notwendigste gab die besten Resultate.“ Besonders 
bewährt hat sich die Verwendung vou Brusttüchern. Bert kau. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Go Idstein: Ueber die diagnostische Punktion der Trackoa. 
(W.m.W., 1917, Nr. 43.) Im allgemeinen kann man die diagnostische 
Punktion der Trachea als leichten, von jedem Arzte ausführbaren und 
harmlosen Eingriff bezeichnen. Die Punktion der Trachea erscheint 
zwecks Sicherstellung der Diagnose des Stenosengrades bei Larynx- und 
Bronohialpruzessen und des Verhältnisses beider zueinander, zur Klärunng 
der Prognose bei vorzunehmender Tracheotomie in jedem zweifelhaften 
Falle frühzeitig indiziert. Reckzeh. 

Nemai-Budapest: Ueber Verletzungen des Kehlkopfes. (D.m.W., 
1917, Nr. 47.) Mitteilungen seiner Erfahrungen auf dem Gebiete der 
Verletzungen des Kehlkopfes. Dünner. 


Schiffs- und Tropenkrankheiten. 

F. Pielstickcr: Die Malaria in Rumänien nnd ihre Bekämpfung 
bis znm Jahre 1916. (Areh. f. Schiffs u. Trop. Hyg., 1917, Bd. 21, 
H. 19, S. 317—329.) Bericht auf Grund der rumänischen medi¬ 
zinischen Literatur, der von besonderer Bedeutung ist im Hinbliok 
auf die Besetzung des Landes von zwei Dritteln desselben durch 
deutsche und verbündete Truppen. Die Erkrankungsziffer an 
Malaria wird bei einer Bevölkerungszahl von etwa 5 Millionen auf 250 
bis 300 000 jährlich geschätzt. Am häufigsten ist die Tertiana, daon 
folgt Tropica, während dieQuartana ziemlich selten ist. Der jähr¬ 
liche Ablauf der Erkrankungskurve ist der, dass auf Februar und 
März ein Minimum fällt, dann folgt stufen weiser Anstieg im Sommer und 
schneller Abfall im Herbst. Schwarzwasserfieber kommt in den 
Gegenden, in denen Tropenlieber aultritt, gelegentlich vor. AlsUeber- 
träger wurden zwei Anophelesarten (A. maculipennis und A. pseudo- 
pictus) festgestellt. Von den Bekämpfungsmaassnahmen versagte 
die eine: Beseitigung der Mückenbrutstätten, trotz geeigneter 
Gesetzgebung aus Mangel an Geldmitteln und wegen des landesüblichen 
Schlendrians, der Gleichgültigkeit und Verständnislosigkeit der Bevölke¬ 
rung. Sehr erfreulich waren da, wo sie zur Durchführung kamen, die 
Erfolge der Chininprophylaxe nach der Koch’schen Methode. Sie 
kam aber nur 100 000 von 5^2 Millionen Einwohnern zugute. Seit 1913 
(Feldzug gegen Bulgarien) war die Malariabekämpfung vergessen. Die 
deutschen Heere fanden daher bei Besetzung der Walachei wieder die 
alte Durchseuchung. Trotzdem brachten die Schutzmaassnahmen der 
Heeresverwaltung einen vollen Erfolg. Weber. 


Technik. 

Christen-München: Ersatz für Sonnenlicht. (D.m.W., 1917, 
Nr. 50.) Wenn wir die Sonnenstrahlung nachahraen wollen, so muss 
das Ersatzlicht den gleichen Anteil an ultravioletter Strahlung haben 


wie das Sonnenlicht, nicht einen tausendmal höheren. Man muss das 
gleiche Spectrum wie die Sonne haben, und man muss auch die In¬ 
tensität der Sonne zu erreichen streben. Dieser Bedingung genügt 
keines der bisher gebräuchlichen Lichtbäder. Eine lOOOkerzige Metall¬ 
fadenlampe in 20 cm Eotfernung erzeugt ungeähr die gleiche Strah¬ 
lungsintensität wie die Hochgebirgssonne an einem hellen Sommertag. 
C. hat eine allen diesen Forderungen entsprecheude Lichtquelle herge¬ 
stellt. Dünner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 12. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr L. Landau, später Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Israel. 

Für die Bibliothek gingen ein von Herrn Strauss-Berlin 8 Disser¬ 
tationen und Die Nephritiden, 2. Aull , Berlin und Wien 1917; von 
Herrn A. Lazarus-Cnarlottenburg 86 Dissertationen, von Herrn Fuld- 
Berlin Hausmann, Die methodische Gastrointestinalpalpation und ihre 
Ergebnisse, Bferlin 1918. 

Tagesordnung. 

HHr. Krau und Bonhoeffer: 

Die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft. (Fortsetzung.) 

(Die Vorträge sind in Nr. 1 dieser Wochenschrift bereits abgedruckt.) 

Aussprache. 

Hr. K roh ne (a. G.): Ich bin dem Vorstand der Gesellschaft 
ausserordentlich dankbar, dass er mich zu dieser Aussprache als Gast 
eingeladen und mir Gelegenheit gegeben hat, hier meinen Standpunkt 
zu der Frage darzulegen. 

Die Frage, ob in Aerztekreisen die Anschauungen bezüglich Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft eine Wandlung erfahren haben, dürfte 
wohl zuuächst im Vordergrund« der Angelegenheit stehen. Ich glaube 
nun nach meinen • Erfahrungen, dass wir diese Frage bejahen müssen. 

Ich habe im Laufe der letzten 5—6 Jahre in meiner amtlichen 
Tätigkeit als Referent im Ministerium des Innern Gelegenheit gehabt, 
mich mit dieser Angelegenheit eingehend zu beschäftigen, und zwar auf 
Grund von amtlichem Material auf dem Gebiete der Bevölkerungspolitik, 
mit der ja alle diese Fragen Zusammenhängen. 

Aus einer grossen Anzahl von Berichten über die Frage des 
Geburtenrückganges — Berichte, an denen nicht etwa nur Behörden, 
sondern auch die Aerztekammern Preussens, Kreisärzte und viele hervor¬ 
ragende praktische Aerzte mitgewi»-kt haben — geht deutlich hervor, 
dass die Zahl der Schwangerschaftsunterbrechungeu durch Aerzte in be¬ 
denklichem UmfaDge zugenommen und die Indikation zu diesem 
Eingriff gegen früher eine unverkennbare Verschiebung erfahren hat. 

Diese Berichte haben mich veranlasst, mich noch weiter mit dieser 
Frage zu beschäftigen; unter anderem habe ich an 70—80 der hervor¬ 
ragendsten Frauenärzte Deutschlands einen Fragebogen gerichtet, habe 
darin zunächst die Frage zur Erörterung gestellt, ob überhaupt die 
Schwangerschaftsunterbrechungen krimineller Natur, d. h. also solche, 
die durch die Frauen selbst oder durch gewerbsmässige Abtreiber vor¬ 
genommen würden, zugenommen haben, und habe dann noch besonders 
folgende Frage gestellt: „Ist Ihnen in Ihrer Praxis aufgefallen, dass die 
Schwangerschaftsunterbrechung durch Aerzte auch in Fällen, wo von 
einer ernsten Lebensgefahr nicht gesprochen werden kann, zugenommen 
hat?“ Von diesen 70—80 Frauenärzten, darunter selbstverständlich alle 
Ordinarien der Universitäten, habe ich 64 Antworten mit einem ausser¬ 
ordentlich interessanten Material erhalten; und zwar haben von den 
64 Herren 44 die Frage, ob ihnen aufgefallen sei, dass die Indikation 
für die Schwangerschaftsunterbrechung neuerdings durch die Aerzte auch 
ohne ernsteren Grund bzw. viel leichter gestellt werde, mit ja beant¬ 
wortet, während 20 Herren diese Frage mit nein oder gar nicht beant¬ 
wortet haben. Unter den 44 Herren sind einige wenige, die ausdrücklich 
erklärt haben, sie fänden es durchaus natürlich, dass man „dem humaneren 
Zuge der Zeit“ Rechnuug trage, dass man sich heute eher zur Unter¬ 
brechung einer Schwangerschaft entschHesse und dergleichen mehr. 
Aber die meisten der Herren haben sich doch mehr oder minder energisch 
dagegen ausgesprochen und haben es als einen Missstand bezeichnet. 

Ich habe ja bereits im Laufe des letzten Jahres mehreres über 
diese Angelegenheit veröffentlicht, und ich habe auch eine Anzahl der 
drastischsten Aeusserungen jener Frauenärzte, die z. B. dahin lauten, 
dass eine „geradezu erschreckende“ Zunahme der künstlichen Fehl¬ 
geburten festzustellen wäre, der Oeffentlichkeit übergeben. 

Sehr bedauerlich ist es, dass zwei namhafte Gynäkologen mir ge¬ 
schrieben haben, dass die Zunahme dieser Operationen sehr erfreulich 
wäre. Einer der Herren, ein bekannter Universitätslehrer (!), hat mir 
geschrieben: „Ich betrachte die Zunahme der Schwangerschaftsunter¬ 
brechungen duroh Aerzte geradezu als ein grosses Glück und bin der 
Ansicht, dass die Schwangerschaftsunterbrechung systematisch staatlich 
organisiert werden müsste und zwar im Interesse der Rassen Verbesserung; 
jedenfalls sollte mit der Einleitung des künstliohen Abortes in Zukunft 


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21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


69 


viel freigiebiger vorgegangen werden, als bisher.“ Der andere Gynäkologe 
schrieb mir: „Die überwiegende Mehrzahl der Gynäkologen betrachtet 
nicht mehr erst eine besondere Lebensgefahr als Indikation, sondern 
geht prophylaktisch mit voller Absicht, meist unter Beratung mit 
Internisten, weit eher vor, als eine mütterliche Lebensbedrohung ein- 
tritt. Lediglich die soziale Indikation bildet noch ein Streitgebiet.“ 

Ich habe nun auf Grund dieser Aeusserungen von besonders sach¬ 
verständiger Seite diese Angelegenheit zum Gegenstand eines sehr'ein¬ 
gehenden Stadiums gemacht und immer die Gelegenheit wahrgenommen, 
wo ich mit anderen Praktikern zusammenkam — und das ist sehr viel¬ 
fach geschehen —, mit ihnen darüber zu sprechen. Dabei ist mir 
nahezu ausnahmslos die Auffassung bestätigt worden, dass wir es hier 
tatsächlich mit einer bedenklichen Wandlung der Auffassungen über 
Schwangerschaftsunterbrechungen im Aerztestande zu tun haben, die 
sich als eine Folge gewisser unerfreulicher Erscheinungen in der Frauen¬ 
welt allmählich entwickelt hat. Wir wissen doch ganz genau, wie es 
in der Frauenwelt neuerdings aussieht. Wie unser verehrter Herr Prof. 
Bumm in seiner ausgezeichneten Rektoratsrede im vorigen Jahre gesagt 
hat, besteht heute bei vielen Frauen eine Scheu vor dem Kinde, die zu 
sehr bedenklichen Auswüchsen geführt hat. Beispielsweise ist die Zahl 
der kriminellen Abtreibungen, die durch die Frauen selbst vorgenommen 
werden, ersohreckend gross. Die Ziffer von 100000 solcher Abtreibungen, 
die Herr Bumm in der vorigen Sitzung genannt hat, halte ich auf Grund 
meines Materials bei weitem für zu gering. Bei Beantwortung der 
Fragebogen, von denen ich gesprochen habe, hat eine grosse Anzahl von 
Kollegen gesagt: »Wir können uns vor den Frauen kaum mehr retten, 
die ihre Schwangerschaft durchaus los sein wollen,“ oder „bei mir vergeht 
fast keine Sprechstunde, ohne dass eine Dame zu mir kommt und aus 
ganz nichtigen Gründen eine Schwangerschaftsunterbrechung wünscht.“ 

Wenn wir diese Tatsachen berücksichtigen, dann dürfen wir uns 
nicht wundern, dass es eine grosse Anzahl von Aerzten gibt, die — 
das setze ich selbstverständlich voraus — in der Mehrzahl bona fide 
einem derartigen Zuge der Zeit allmählich unterliegen. Das ist ganz 
selbstverständlich. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, in welche 
schwierige Lage ein Arzt kommt, wenn ihm in seiner Klientel derartige 
Fälle öfters Vorkommen, und wenn er die Betreffenden regelmässig ab¬ 
weisen soll. So wird von zwei Aerztekammern berichtet, dass die 
Frauen oft ganz ungeniert dem Arzt sagen: „Wenn Sie es nicht tun, 
Herr Doktor, dann werde ich zu einem anderen gehen, und ich werde 
schon einen Arzt finden, der mir meinen Wunsch erfüllt“ usw. 

Es kann also gar keinem Zweifel unterliegen, dass wir auf diesem Ge¬ 
biet sehr ernste Verhältnisse haben, die es dringend erforderlich machen, 
dass wir auf eine Abstellung der angedeuteten Missstände hinarbeiten. 

Nun ein paar Worte zu der sozialen Indikation. Unter all den 
Fällen, die ich hier im Auge habe, spielt die soziale Indikation eine 
besonders wichtige Rolle. Es gibt eine grosse Zahl, namentlich junger 
Kollegen, die aus Unkenntnis der Rechtslage, wie sie Herr Geheimrat 
Kahl hier so ausgezeichnet geschildert hat, tatsächlich bona fide glauben, 
dass die soziale Indikation erlaubt wäre. Die soziale Indikation ist — 
ich scheue mich nicht, das auszusprechea — vielleicht eine der schlimmsten 
Verirrungen, die es auf dem Gebiet ärztlichen Handelns gibt, eine Ver¬ 
irrung, die die heilige Kunst des Aerztes auf das Niveau des gewerbs¬ 
mässigen Abtreibers herabzudrücken geeignet ist. Das muss einmal 
gaaz offen hier in diesem Kreise von Kollegen gesagt werden. Aber 
ich wiederhole immer: Es ist vielfach lediglich Unerfahrenheit bei den 
jungen Kollegen die Ursache dafür. Dafür spricht zum Beispiel ein 
Fall, den ich auch von Herrn Bumm erfahren habe. Er berichtete 
unter anderem über einen jungen Kollegen, der bereits — sage und 
schreibe — 30 Schwangerschaftsunterbrechungen in seiner Praxis vorge- 
nommen und die glückliche Durchführung dieser Operationen ganz naiv 
literarisch behandelt hat. — Das ist charakteristisch: „30 derartige 
Fälle von einem jungen Arzt.“ 

Die soziale Indikation wird ja nun vielfach — und das ist das 
gefährlichste — nicht etwa aa kranken Personen angewandt, sondern 
an ganz gesunden. Mir ist über Dutzende von Fällen berichtet worden, 
io denen zum Beispiel eine Handwerkerfrau zum Arzt kommt uad sagt: 
„Wir haben bereits drei Kinder, mein Mann ist geschäftlich in Schwierig¬ 
keiten, wir können nicht mehr so viel Kinder gross ziehen, ich werde 
krank bei dem Gedanken daran, ich werde verrückt, bitte, beseitigen 
Sie mir das,“ usw. Sehen Sie, das ist vielfach die soziale Indikation, 
die den Arzt zum Eingreifen verleitet. 

Dabei will ich aber eins bemerken: Herr Geheimrat Kraus hat 
schon auf Fälle hingewiesen, in denen eine Frau vorwiegend aus so¬ 
zialen Gründen ein bestimmtes Heilverfahren nicht durchmachen kann, 
zum Beispiel dann, wenn der Arzt an einer armen Arbeiterfrau mit 
vorgeschrittener Tuberkulose die Schwangerschaft unterbrechen muss, 
weil er naturgemäss diese Frau — wie es vielleicht bei einer sehr 
wohlhabenden Frau in Frage kommen würde — nicht erst nach Davos 
oder St. Moritz zur Heilung schicken kann. Das ist ein Fall, in dem 
meines Erachtens die Schwangerschaftsunterbrechung berechtigt ist, 
natürlich unter allen Kautelen, wie ich sie hier nicht näher ausführen 
will. Denn tatsächlich ist das kein reiner Fall sozialer Indikation, sondern 
höchstens ein Fall, wo die soziale Indikation, wie Herr Geheimrat Kahl 
sagte, ein konkurrierendes Moment bildet. Ia Wirklichkeit handelt es 
sich dabei vorwiegend um eine medizioisohe Indikation, und zwar aus 
dem einfachen Grunde, weil eine ernste Lebensgefahr vorliegt, bei der 
alle anderen anwendbaren Mittel zur Heilung ersohöpft sind. Aber so 
liegen ja die Fälle sozialer Indikation meist gar nicht, sondern in recht 


zahlreichen Fällen wird die soziale Indikation bei ganz gesunden Frauen 
angewendet. Mir sind Fälle bekannt, in denen bei Damen höherer Ge¬ 
sellschaftskreise die soziale Indikation schon dann als vorliegend erachtet 
wurde, wenn die Betreffende sich durch die mehr oder weniger grossen 
gesellschaftlichen Unbequemlichkeiten bedrückt fühlte, die nun einmal 
eine Schwangerschaft mit sich bringt. Das sind unerhörte Zustände, 
das werden Sie mir zugeben. 

Noch ein ganz kurzes Wort zu der eugenischen Indikation. Herr 
Bonhoeffer hat schon in sehr dankenswerter und ausgezeichneter 
Weise den Standpunkt der Wissenschaft dazu dargelegt. Ich habe aber 
vorhin durch Verlesung zweier Gynäkologen zum Ausdruck gebracht, 
dass diese Anschauung durchaus nicht überall geteilt wird, und da ist 
es mir besonders wertvoll, was Veit in einer Arbeit in der Deutschen 
Medizinischen Wochenschrift über „Eugenik und Geburtshilfe“ 
kurz vor dem Kriege geschrieben hat. Da schreibt er folgendes: „Vor 
einigen Wochen kam eine chondrodystrophisohe Zwergin als Kreissende 
in meine Behandlung. Das Becken war so verengt, dass von der Ge¬ 
burt eines lebenden Kindes auf natürlichem Wege nicht die Rede sein 
konnte. Die Person hatte sich 35 Jahre lang virginell erhalten, um 
nunmehr im 36. Lebensjahre zu koncipieren und zur Entbindung zu 
kommen. Entsprechend den Grundsätzen der modernen Geburtshilfe 
habe ich natürlich den Kaiserschnitt gemacht und zu meiner Freude 
ein lebendes, wohl gebildetes Kind an das Licht der Welt betördert 
und die Mutter gesund entlassen. 

An dem gleichen Tage wurde ein bildhübsches Mädchen von 
18 Jahren in meiner Klinik entbunden von einem toten Anencephalus. 

Dieses Spiel des Zufalls würde ich weiter nicht beachtet haben, 
wenn nicht ungefähr gleichzeitig M. Hirsch in einer unserer wissen¬ 
schaftlichen, geburtshilflichen Zeitschriften eine kürzere Mitteilung hätte 
erscheinen lassen, die von uns Geburtshelfern verlangt, dass wir die 
Rassenhygiene mehr als bisher berücksichtigen und nicht nur schema¬ 
tisch den alten Regeln der Kunst nachgehen, sondern erwägen, wie die 
Leben der Kinder, die unter unserer Leitung das Licht der Welt er¬ 
blicken, für die Allgemeinheit bewertet werden müssen.“ 

Auf Grund dieser und ähnlicher Beobachtungen lehnt auch Veit 
die Schwangerschaftsunterbrechung aus rassebygienisehen Erwägungen ab. 

Herr Bonhoeffer hat bereits angedeutet, wie unsicher die Grund¬ 
lagen der Wissenschaft sind. Ich möchte auf die hochinteressanten 
Forschungen von Mendel und namentlich die bedeutsamen Unter¬ 
suchungen von Weismann?hinweLeu, die klar beweisen, dass doch tat¬ 
sächlich die Zusammensetzung der einzelnen Vererbungselemente, die 
aus der Erbmasse unserer Ahnen in unsereu Keimzellen enthalten sind, 
lediglich auf einer Art Würfelspiel beruht. Wir wissen ganz geDau, 
dass in den Keimzellen eines jeden Menschen tausende der verschiedensten 
Eigenschaften von unseren Vorfahren in ganz willkürlicher Zusammen¬ 
setzung deponiert sind, und dass es infolgedessen bei dem augenblick¬ 
lichen Stande der Wissenschaft ganz unmöglich ist, mit Sicherheit zu 
sagen: Von einem kranken Elternpaar müssen auch wieder kranke 
Kinder mit denselben kranken Eigenschaften gezeugt werden. Aus 
diesem Grunde ist es überhaupt meines Erachtens nicht zu diskutieren, 
aus eugenischen Gründen eine Schwangerschaftsunterbrechung vorzu¬ 
nehmen. 

Nun kurz noch folgendes: Der Herr Minister des Innern, mein Herr 
Chef, bat es für notwendig gehalten, diese Frage durch die Wissen¬ 
schaftliche Deputation im vorigen Jahre begutachten zu lassen, und 
zwar durch die erweiterte Wissenschaftliche Deputation, die sich nicht nur 
aus den wissenschaftlichen Autoritäten der Universität Berlin, sondern 
auch aus Vertretern aller Aerztekammern zusamraensetzt. Da ist die 
Frage auf Grund von Gutachten, die Herr Geh. San. Rat Barlach in Neu¬ 
münster, Herr Geheimrat Bumm und ich abgegeben haben, eingehend 
erörtert worden, und die Wissenschaftliche Deputation ist dort ein¬ 
stimmig zu folgenden Leitsätzen gekommen: 

1. Der Arzt darf nur aus medizinischen Indikationen die Schwanger¬ 
schaft unterbrechen. Die Indikation darf nur dann als vorliegend er¬ 
achtet werden, wenn bei der betreffenden Person infolge einer bereits 
bestehenden Erkrankung eine als unvermeidlich erwiesene, schwerste 
Gefahr für Leben oder Gesundheit vorhanden ist, die durch kein anderes 
Mittel als durch Unterbrechung der Schwangerschaft abgewendet werden 
kann. 

2. Der Arzt ist nicht berechtigt, die Unterbrechung aus sozialen 
oder rassehygienischen Gründen vorzunehmen. Er würde durch eine 
solche Handluug einen Verstoss gegeu das Strafgesetzbuch begehen. 

3. Es empfiehlt sieb, eine Schwangerschaftsunterbrechung nur auf 
Grund einer Beratung mehrerer Aerzte vorztinebmen. 

4. Für die durch Aerzte vorgenommene Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft ist die Anzeigepflicht einzuführen. 

Es wird Sie interessieren, dass der Herr Justizminister, der auch • 
von diesen Leitsätzen Kenntnis bekommen hat, die Leitsätze sämtlichen 
Oberstaatsanwälten mitgeteilt hat, gewissermaassen als Richtschnur für 
die Beurteilung derartiger Dinge vor Gericht. 

Nun noch ein paar Worte zum Schluss über den vierten Leitsatz, 
den ioh verlesen habe, in dem die Einführung einer Anzeigepflicht für 
Aerzte für alle Fälle von Schwangerschaftsunterbrechung gefordert wird. 
Herr Geheimrat Bumm hat bereits in der vorigen Sitzung darauf Bezug 
genommen und dabei der Meinung Ausdruck gegeben, ein solcher Gesetz¬ 
entwurf wäre bereits fertig gestellt und würde — ich glaube, so ähnlich 
hat er sich ausgesprochen — demnächst wohl zur Annahme kommen. 
Ich möchte mir erlauben, zu bemerken, dass das ein Irrtum ist. Die 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


Frage der Einführung einer gesetzlichen Anzeigepflicht ist so ausser¬ 
ordentlich schwierig und bedarf einer so eingehenden Prüfung, dass ich 
heute hier nur erklären kann, dass auf diesem Gebiet bis jetzt noch 
nichts entschieden ist. Gewiss wird von den verschiedenen Instanzen, 
die in Frage kommen, die Frage eingehend erwogen; aber weder liegt 
bis jetzt ein bestimmter Entwurf vor, noch haben die Beratungen zu 
irgend einem greifbaren Ergebnis geführt, und es lässt sich heute noch 
gar nicht absehen, ob ein solches Gesetz zustande kommen wird. 

Ich möchte Ihnen schliesslich noch auf Bitte des Herrn Kollegen 
Placzek folgendes mitteilen. Herr Kollege Placzek hat schon vor 
einigen Jahren eine grössere Anzahl von Herren, darunter auch mich, 
gebeten, an einem Werk mitzuarbeiten, das er über die Frage der künst¬ 
lichen Unterbrechung der Schwangerschaft und der künstlichen Unfrucht¬ 
barkeit herausgibt. An diesem Werk siüd namentlich von Herren, die 
die Frage streng wissenschaftlich untersuchen, eine grosse Zahl sehr 
guter Namen beteiligt. Von Interesse dürfte es sein, dass der beteiligte 
Gynäkologe der frühere Professor Henkel in Jena ist. Ich glaube, dass 
das in allernächster Zeit erscheinende Werk, soweit ich bis jetzt ver¬ 
möge der dankenswerten Uebersendung der einzelnen Druckbogen durch 
Herrn Placzek an mich Gelegenheit gehabt habe, davon Kenntnis zu 
nehmen, in wissenschaftlicher Hinsicht ganz ausgezeichnet sein und 
sicher dazu beitragen wird, Klarheit in diese Frage zu bringen. 

Ich hoffe, Ihrer aller Zustimmung sicher zu sein, wenn ich zum 
Schluss sage: In einer Zeit, in der in den Köpfen vieler unserer Frauen 
auf diesem Gebiet eine Verwirrung von Sittlichkeitsbegriffen stattgefunden 
hat, die geradezu erschreckend ist, ist es von allergrösster Bedeutung, 
welche Stellung der Aerztestand zu diesen Fragen einnimmt. Der 
Aerztestand bat hier eine heilige Aufgabe zu erfüllen. So bedenklich 
es unter Umständen ist, wenn der Arzt gegenüber dem unberechtigten 
Ansinnen von Frauen nach Unterbrechung ihrer Schwangerschaft nach¬ 
zugeben geneigt ist, so wichtig und bedeutsam für das Volkswohl ist es, 
dass der Arzt die Frauen belehrt und sie auf den richtigen Weg zu 
bringen sucht. Ich bin überzeugt, dass das Gros unserer Aerztescbaft 
die Angelegenheit von diesem Gesichtspunkt aus richtig beurteilen wird, 
und dass unser Aerztestand, wie er das namentlich im Kriege gezeigt 
hat, im ganzen auch hier nicht versagen, sondern zum Wohle der Ge¬ 
samtheit seine Pflicht erfüllen wird. 

Hr. Max H irsch-Berlin: 1. Statistik des Aborts. 

Ein Blick in die während des Kriege# erschienene medizinische 
Literatur über den Abortus lässt erkennen, dass, obwohl Einzelarbeiter, 
ärztliche Vereine und medizinische Gesellschaften sich mit grossem Eifer 
an den Gegenstand herangemacht haben, dennoch nichts Neues zutage 
gefördert worden ist. Nichts, was über den Rahmen dessen hinausgeht, 
was schon vorher in sozialwissenschaftlichen, juristischen und gelegentlich 
auch medizinischen Zeitschriften gesagt worden ist. Dagegen gewinnt 
man den überraschenden Eindruck, dass aus der Frage des kriminellen 
Abortus, dieser tief im Leben des Volkes wurzelnden Erscheinung, eine 
ärztliche Standesangelegenheit gemacht worden ist. Geburtenrückgang 
und Krieg haben die medizinischen Gedankengänge beeinflusst. Die 
Wissenschaft steht im Banne politischer Nöte. 

Dies ist das Bild, welches die medizinische Literatur des Krieges 
widerspiegelt. Im Gegensatz dazu sind die in der Berliner medizinischen 
Gesellschaft gehaltenen Referate, namentlich die der Herren Bumm, 
Kahl und Kraus auf einen anderen Ton gestimmt. Sie sind frei von 
allem Dicht in das Gebiet der objektiven Wissenschaft gehörenden Ein¬ 
fluss. Bevölkerungspolitische Sorge zwar durchzittert auch sie, jedoch 
ohne die Autoren entscheidend zu bestimmen. 

Soll die Diskussion einen Nutzen bringen, so darf sie sich nicht 
allein im Rühmen dieser Referate bewegen, sondern wird weiter ausbolen 
und von den in der Literatur der letzten Jahre gegebenen Darlegungen 
und Vorschlägen die wichtigsten berücksichtigen müssen. 

Die Statistik des Aborts ist schon recht reichhaltig. Aber sie stützt 
sich im wesentlichen auf klinisches Material. Nach meinen eigenen, dem 
Material der Privatpraxis entstammenden Berechnungen kommen, nach 
Aussonderung der unehelichen Schwangerschaften und der sterilen EheD, 
auf 100 fruchtbare Ehen 309 Schwangerschaften, 201 Geburten und 87 
Aborte. Auf 100 fruchtbare Ehen, deren weiblicher Teil im Alter von 
81—36 Jahren steht, kommen 110 Aborte. Das heisst: jede Frau dieser 
Altersklasse hat mindestens einen Abort durcbgemacht. Gier erinnert 
die Rolle, welche der Abort spielt, sehr an die des Trippers beim Manne, 
den Dach Blaschko’s Berechnung durchschnittlich jeder Mann mindestens 
einmal im Leben erworben hat. Bedenkt man. welche Rolle Tripper 
und Abort in der Aetiologie der Sterilität spielen, so gewinnen diese 
Zahlen eine ganz besondere bevölkerungspolitische Bedeutung. 

Auf 100 Aborte kommen 362 Schwangerschaften, 235 Geburten und 
78 kriminelle Aborte. Bei Frauen im Alter von 31—36 Jahren sind 
von 100 Aborten 98 kriminell. Das heisst: fast jeder Abort von Frauen 
dieser Altersklasse ist kriminell. Als Kriterium der Kriminalität sind 
nicht, wie üblich, die durch Befragen der Frauen gewonnenen Angaben, 
sondern die Krankengeschichten selber verwertet worden. Als kriminell 
werden alle diejenigen Fälle verzeichnet, in denen die Krankengeschichte 
auch nicht die entfernteste Ursache für eine spontane Unterbrechung 
der Schwangerschaft ergibt. Demgemäss sind als nicht kriminell aus¬ 
gesondert alle Fälle, in denen allgemeine und organische Erkrankungen 
wie Anämie, Tuberkulose, Vitium cordis, ferner pathologische Befunde 
an den Unterleibaorganen entzündlicher oder statischer Art, wie Endo¬ 
metritis, Descensus usw., vermerkt sind. Da alle diese Zustände nur 


selten zum spontanen Abort führen, insbesondere aber die entzündlichen 
Zustände der Unterleibsorgane viel häutiger die Folgen als die Ursachen 
der Aborte sind, so müssen die gefundenen Zahlen für den kriminellen 
Abort eher als zu niedrig, denn als zu hoch bezeichnet werdeD. 

Während nach Bumm’s Berechnung für Berlin 20 pCt. aller Schwanger¬ 
schaften vorzeitig, davon 15 pCt. durch kriminellen Abort endeD, er¬ 
geben sich aus meinen Berechnungen 27,66 pCt. bzw. 21,55 pCt. 

Das Material setzt sich ausschliesslich aus Frauen von Arbeitern, 
kleinen Handwerkern, kleinen Kaufleuten, Beamten und Angehörigen 
des Mittelstandes zusammen. 

2. Arzt und Fruchtabtreibung. 

Welchen Anteil nuu die Aerztescbaft an diesen erschreckenden 
Zahlen hat, lässt sich bestimmt nicht sagen, da naturgemäss alle ziffern- 
mässigen Unterlagen dafür fehlen. Meine persönliche Meinung ist die, 
dass zwar die Zahlen, welche Bumm in seinem Referat genannt hat, 
zu niedrig gegriffen sind, aber uh stimme mit ihm dabin überein, dass 
die durch gewissenlose Aerzte verursachten Fruchtabtreibung*n nur 
einen minimalen Bruehteil, der an den Ungeborenen begangenen Morde 
ausmachte. Stratz zählt in den Niederlanden auf 3000 Aerzte nur 
zwei mit fruehtabtreiberischem Geschäftsbetrieb. 

Nicht Aerzte, nicht Hebammen, unter denen es wie in allen Ständen 
gewissenlose und verbrecherische Elemente gibt, tragen die Schuld an 
der so verbreiteten Fruchtabtreibung, sondern der Anstoss dazu 
geht von den Frauen selber aus. Aber die Sache liegt durchaus 
nicht sa, dass die Frau, welche ihre Leibesfrucht beseitigt oder beseitigen 
lässt, nun ein besonders verworfenes, moralisch tiefstehendes, gewissen¬ 
loses Geschöpf ist. Das kann nur behaupten, wer von der Studierstube 
aus sich an diesen Gegenstand heranmacht. Wir Aerzte, die wir täglich 
mit solchen Frauen zusammen kommen, haben gewiss die meisten als 
brave Mütter, tapfere Ehefrauen, gewissenhafte, ja oft geistig und seelisch 
hochstehende Menschen kennen gelernt. Die Fruchtabtreibung gilt 
eben im Volke zwar als verboten, aber nicht als unsittlich. 
Ich möchte zum Vergleich die gegenwärtigen durch den Krieg 
geschaffenen Verhältnisse heranführen. Ich habe mir von Juristen 
sagen lassen, dass es in der Gegenwart kaum einen Menschen gibt, der 
nicht die Gesetze in irgendeiner Weise verletzt. Wirtschaftliche Nöte 
und psychische Ansteckung sind da die Triebfedern. Und je häufiger 
es bei anderen gesehen und nachgeahmt wird, und je häufiger es straf¬ 
los bleibt, weil es nicht entdeckt wird, um so mehr schwindet das 
Bewusstsein, dass die Handlung unsittlich ist. Auf diese Weise hat 
auch die Fruchtabtreibung im Urteil des Volkes den Charakter des 
Mordes an einem im Weiden begriffenen Menschen verloren. Dieser 
Widerspruch zwischen der Auffassung des Volkes und dem 
Strafgesetz bat auch seinen Teil dazu beigetragen, dass viele Juristen 
und andere Leute Aufhebung des Fruchtabtreibungsparagraphen oder 
Herabsetzung des Strafmaasses gefordert haben wie Hans Gross, 
Eduard v. Liszt u. a. Also wirtschaftliche Nöte, psychische Ansteckung, 
dazu zivilisatorische Momente, wie das Bestreben in höhere soziale 
Schichten aufzusteigen, den Nachkommen die Existenzbedingungen zu 
erleichtern, sie etwas werden zu lassen, was den Eltern versagt blieb, 
sind die Triebfedern. Die FruchtabtreibuDg ist nur eins von den Mitteln, 
welche dazu dienen, dieses Ziel zu erreichen. An erster Stelle stehen 
da die Präventivmittel. Die Fruchtabtreibung wird meist nur dann 
angewendet, wenn diese versagt haben oder ibre Anwendung versäumt 
worden ist. Aber die sittliche Bewertung der Fruchtabtreibung 
unterscheidet sich kaum von der der Präventivmittel. Denn beide 
dienen demselben Zweck. So ist die Stellung der breiten Schichten des 
Volkes gegenüber diesen Dingen. Und das ist der Boden, aus dem die 
Fluchtabtreibungen emporgewachsen sind und immer neue Nahnrng ziehen. 

Da müssen wir uns denn fragen, ob die Art, wie wir den ärztlichen 
Fruchtabtreibern zu Leibe zu gehen im Begriff sind, wirklich Erfolg 
verspricht, uüd ob der Gewinn, der von ihr erwartet wird, im gerechten 
Verhältnis zu dem Schaden steht, welchen die vorgeschlagenen Maass¬ 
nahmen verursachen. 

3. Die Meldepflicht. 

An erster Stelle steht die obligatorische Meldung aller von 
Aerzten behandelten Aborte. Der Vorschlag ist alt. v. Winckel 
hat 1910 ein System ausgedaebt und empfohlen, welches ich seiner Zeit 
als eine polizeiliche Kontrolle der Frau während der ganzen Zeit ihrer 
Fortpflanzungstätigkeit charakterisiert habe. 

Zur Durchführung des Systems wäre ein ganzer Apparat notwendig: 
Hebammen, Aerzte, SaDitätsbeamte, Laboratorien, Polizei. Es setzt sich 
aus vielen EinzelbestimmuDgen zusammen: Meldung, Uebersendung der 
Frucht und der Eiteile an den zuständigen Bezirksarzt, Untersuchung 
der Corpora delicta durch den beamteten Arzt, persönliche Vorlegung 
totgeborener Früchte usw. Ich glaube, die Wirkungslosigkeit dieses 
Systems seiner Zeit genügend dargetan und gezeigt zu haben, dass man 
über den Verdacht der Fiuchtabtreibung kaum jemals hinauskommen 
wird. Mit Ausnahme der Fälle, in welchen in den Geschlechtsorganen, 
gelegentlich auch in Harnröhre und Harnblase, Verletzungen durch In¬ 
strumente oder injicierte Mittel wie Essig, Senfmehl usw. gefunden 
werden oder in denen Vergiftungen durch innere Mittel wie Phosphor, 
Arsen, Bleiweiss, Sublimat usw. vorliegen, ist es schwer, ja unmöglich, 
am Objekt des Abortus, an Frucht UDd Eihäuten und an den Genitalien 
der Frau die Kriminalität des Falles zu erkennen. Geschieht die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft schon in den ersten Wochen, so ist nicht 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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einmal der postabortive Zustand des Uterus festzustellen, da die Rück¬ 
bildung schon nach wenigen Tagen vollendet, der Wochenfluss ver¬ 
schwunden, ja nach den Untersuchungen Chroback’s sogar die Bisse 
von Hakenzangen an der Portio spurlos verheilt sein können. Auch die 
mikroskopische Untersuchung etwaiger im Uterus zurückgebliebener Ei¬ 
teile wird ergebnislos sein, da es äusserst schwierig ist, eine Decidua 
menstrualis von einer Decidua graviditatis zu unterscheiden. 

Dagegen steckt eine grosse Gefahr hinter der Meldepflicht des 
Arztes. Sie räumt das Berufsgeheimnis auf einem Gebiete 
hinweg, auf dem es mehr als auf allen anderen nötig ist, 
auf dem des menschlichen Geschlechtslebens. Unter den 
gegenwärtigen Bestimmungen halte ich an der ärztlichen 
Schweigepflicht auch bei Verbrechen gegen das keimende 
Leben fest, halte 69 vom Standpunkt der ärztlichen Ethik für un¬ 
erlaubt und mit Rücksicht im Sinne auf das Allgemeinwohl für ver¬ 
hängnisvoll, das Berufsgeheimnis zu verletzen, nur um einen Menschen 
der Strafe zuzuführen. Wird aber die Meldepflicht gesetzlich festgelegt, 
so bedeutet das einen tiefen Eingriff in das Vertrauensverhältnis, welches 
zwischen Arzt und Klientel besteht. Und nützen wird es, wie gesagt, 
nichts. Die Frauen werden mehr noch, als bisher, die anständigen 
Aerzte meiden und sich an diejenigen halten, die schon jetzt das Straf¬ 
gesetz zu umgehen verstehen. Und an die Kurpfuscher und gewerbs¬ 
mässigen Abtreiber. Und das wird für Leben und Gesundheit der 
Frauen von verherrender Wirkung sein und durch dauernde Schädigung 
ihrer Unterleibsorgaue infolge unsacbgemässer Behandlung eine schwere 
Einbusse an Gesundheit und Fortpflanzungskraft bewirken. Also gerade 
das Gegenteil von dem, was beabsichtigt wird. 

Ein Beispiel, dass auch die Aufhebung des Berufsgeheimnisses den 
Frucbtabtreibungen keinen Einhalt gebietet, haben wir an unserem 
Nachbarlande Oesterreich. § 359 des österreichischen Strafgesetzes 
lautet: „Aerzte, Wundärzte und Apotheker, Hebammen und Toten- 
besohauer sind in jedem Falle, wo ihnen eine Krankheit, eine Verwun¬ 
dung oder ein Todesfall vorkommt, bei welchem der Verdacht eines 
Verbrechens oder Vergehens oder überhaupt einer durch andere herbei* 
geführten Verletzung eintritt, verpflichtet, der Behörde davon unverzüg¬ 
lich Anzeige zu machen. In Oesterreich also sind die Aerzte in diesen 
Fällen nicht nur vom Berufsgeheimnis entbunden, sondern sogar bei 
Strafe verpflichtet, Anzeige zu machen. Aber genützt hat das nichts. 
Die Frucbtabtreibungen haben auch in Oesterreich immer mehr zuge- 
oommen. Es ist nicht Sache des Arztes, der Polizei Helferdienste zu 
leisten. Die Polizei hat andere Wege und Mittel genug, ihr Ziel zu er¬ 
reichen. Die Aufhebung des Berufsgeheimnisses ist ein hoher Einsatz 
und darf nur gefordert werden, wenn ein hoher Gewinn zu erwarten ist. 
Es ist merkwürdig, dass die Juristen dieser Sache mit viel grösserer 
Innerlichkeit gegenüberstehen als viele Aerzte. Dem ist zu verdanken, 
dass im Vorentwurf zum Strafgesetzbuch das Berufsgeheimnis des Arztes 
keine Einschränkung erfahren hat. Kahl hat sich warm für diese Auf¬ 
fassung eingelegt und betont, dass Vertrauen und abermals Vertrauen 
die Grundlage der Existenz des ärztlichen Standes und die Kraftquelle 
seiner erfolgreichen Wirksamkeit ist. Es ist keine zehn Jahre her, da 
wurde das ärztliche Berufsgeheimnis mit aller Energie verteidigt, jetzt 
wird es von den Aerzten selbst zu Grabe getragen. 

Dieselbe Wandlung erleben wir heute gegenüber der Freiheit des 
ärztlichen Berufes. Ausnahmegesetze werden in Vorschlag gebracht, 
um den therapeutischen Abortus, den Abortus, der eingeleitet 
wird zur Rettung der Mutter aus Gefahr des Lebens, unter Kontrolle zu 
stellen. Es ist nicht mehr die Rede davon, wie man den Arzt schützt 
vor der Anklage, wenn er aus ärztlichen Gründen die Frucht dos Leibes 
tötet, sondern man sinnt auf Ausnahmegesetze, um ihn zu beaufsichtigen, 
wenn er aus ärztliohen Gründen die Schwangerschaft unterbricht. An¬ 
zeige aller therapeutischen Aborte mit Bericht, voraufgebendes Consilium 
mehrerer Aerzte, worunter ein Spezialist des Gebietes sein soll, auf 
welchem die Ursache der Schwangerschaftsunterbrechung liegt, Consilium 
mit dem beamteten Arzt, mit dem Leiter der nächsten Anstalt und der¬ 
gleichen mehr. Diese Anzeigepflicht wird auch von Bumm vertreten. 
Wenn das Berufsgeheimnis dabei gewahrt wird, so hat sie wenigstens den 
einen Vorzug, dass sie nicht sohadet. Nutzen tut sie auch nichts. 
Denn melden wird nur, wen das Gewissen und die Achtung vor dem 
Gesetz dazu treibt. Zu diesen Menschen gehören die fruchtabtreiberischen 
Aerzte nicht. Der anständige Arzt aber braucht diese Bestimmungen 
niobt. Er wird auch ohne sie wie bisher sich mit einem zweiten Arzt 
beraten, wird lange und sorgfältig klinisch beobachten, wird die Operation 
nicht im Privathause, sondern in der Klinik, möglichst in Gegenwart von 
Assistenten vornehmen. Er wird die Oeffentlichkeit nicht nur nicht 
scheaen, sondern sogar suohen. In diesem Sinne die Aerzte und vor 
allem die jungen Aerzte zu beeinflussen und überhaupt den thera¬ 
peutischen Abort zum Gegenstand der Besprechung zu 
machen, ist Sache des Unterrichts auf der Universität und in Fortbil¬ 
dungskursen. Das wird in der nächsten Zukunft noch notwendiger sein 
als bisher, da aus dem Kriege eine junge Aerzteschaft zurückkehrt, die 
fast nur durch Notexamina gegangen ist, und von der man nicht den 
hoben Grad von geistiger und sittlicher Festigung erwarten darf wie von 
älteren Generationen. Diese Beeinflussung der Aerzteschaft durch Unter¬ 
richt und Vorbild verspricht weit grösseren Erfolg als das kleinliche 
Mittel der Meldepflicht. 

Es kann sehr wohl sein, dass diese Meldepflicht den Auftakt bildet 
zum Grabgesang aller ärztlichen Berufsfreiheit. Denn mit gleichem 
Recht, wie den therapeutischen Abortus, dürfte man auch sterilisierende 


Operationen, sei es dass sie um ihrer selbstwillen unternommen werden, 
sei es dass sie Folgen anderer operativer Eingriffe sind, mit dem gleiohen 
Recht dürfte man die Strahlenbehandlung der Unterleibsorgane, die ja 
oft zur Sterilität führt, unter Kontrolle stellen. Und wer weiss, wo das 
Ende ist. Anzeigepflichtig aber müsste konsequenterweise jedes Cürette- 
ment gemacht werden, denn unter seiner Flagge segeln viele künst¬ 
lichen Aborte und werden in Zukunft noch weit mehr segeln, je mohr 
den gewissenlosen Aerzten das Handwerk durch Sonderbestimmungen 
erschwert wird. 

Es ist doch ein ander Ding"mit dem therapeutischen Abort, wie 
wenn zwei interne Kliniker in Meinungsverschiedenheit sind, ob in einem 
bestimmten Fall Digitalis oder Strophantus verordnet werden soll, oder 
wenn zwei Chirurgen sich streiten, ob eine kranke Niere konservativ 
oder durch Operation angegangen werden soll. Da kann der eine den 
anderen einen Stümper nennen und ihm die Befähigung absprecben. 
Das ist nicht schlimm und tut nicht weh. Beim künstlichen Abort aber 
lauert stets der Ehrbegriff im Hintergründe. Und lautere Absicht und 
ehrliche Ueberzeugung können leicht zu schaden kommen. 

Hat man je gehört, [dass der Stand der Rechtsanwälte nach Aus¬ 
nahmegesetzen rief, weil es Anwälte gegeben hat, die Mündelgelder 
unterschlagen haben? Hat man je gehört, dass der Stand der Lehrer 
sich unter besondere Polizeiaufsicht stellen will, weil Pädagogen gegen 
die Sittlichkeitsgesetze verstossen haben? Auch für die Aerzteschaft 
sind Ausnahmegesetze überflüssig, ungeeignet und gefährlich. So lehnen 
Fehling, Schauta u. a. die Entscheidung durch Aerztekammer und 
Kommission ab und auch Franz hat sich gegen jede Beschränkung der 
ärztlichen Freiheit ausgesprochen. 

4. Indikation. 

Die Frage des künstlichen Abortes, der Fruchtabtreibungen und 
viele andere, die ich als soziale Gynäkologie bezeichnet habe, sind bis 
vor kurzem verachtet, nicht salonfähig im Sinne der klinischen Schule 
gewesen. Die Entdeckung einer neuen Epithelzelle, die ("rage ob die 
Ligamenta rotunda vorn oder hinten auf den Uterus aufgenäht werden 
sollen, galten mehr des Schweisses der Edlen wert als der künstliche 
Abort. Nun haben Geburtenrückgang und Kanonendonner endlich er- 
reiöht was Einzelarbeiter vordem nicht vermocht haben. Gewiss sind 
die ärztlichen Indikationen für Unterbrechung der Schwangerschaft auch 
früher schon -bearbeitet ;worden. Aber niemals so, dass das Studium 
der Bedeutung des Gegenstandes gerecht geworden wäre. Selbst der 
Münchner Gynäkoiogenkongress, welcher eigens dazu zusammengerufen 
war, hat darin eine Enttäuschung gebracht. Die Lehre von den 
durch Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett verur¬ 
sachten Krankheitszuständen ist noch zu lückenhaft und 
unsicher begründet, als dass schon jetzt Leitsätze darüber 
aufgestellt werden könnten, welche, wie einige Autoren es 
wollen, von der Aerzteschaft als Normen anerkannt und be¬ 
folgt werden sollen. 

Keine medizinische Indikation ist eine absolute Grösse. Jede Pro¬ 
gnose ist ein menschliches Werturteil, abhängig von der Auffassung des 
Einzelnen. In der Wissenschaft ist alles im Fluss. Und Lehren von 
heute können morgen veraltet sein. Und wie dem Juristen nichts ver¬ 
derblicher erscheint als eine kasuistische Gesetzgebung, so muss auch 
der Mediziner sich hüten, seine Wissenschaft in gemeingültige Be¬ 
stimmungen einzuzwängen. Ist ja noch nicht einmal über die all¬ 
gemeinen Grundsätze der Schwangerschaftsunterbrechung Einigung er¬ 
zielt. Ob unmittelbar bevorstehende oder erst zu erwartende Lebens¬ 
gefahr, ob die Gefahr dauernder, oder auch die vorübergehender schwerer 
Schädigung der Gesundheit der Frau die Richtschnur für die Entschliessung 
des Arztes bilden soll. 

Das geltende Gesetz gibt dem Arzt einen weiten Spielraum und 
überlässt seine Entscheidung der pflichtgemässen Prüfung der Sachlage 
an der Hand der praktischen und wissenschaftlichen Erfahrung. 

Winter hat die Forderung aufgestellt: „Die geburtshilfliche Wissen¬ 
schaft soll sich bemühen, die Indikation für den künstlichen Abort 
immer mehr zu beschränken und seine vollständige Verdrängung zu er¬ 
streben.“ Diese Forderung scheint mir die Sache von hinten anzugreifen 
und die Lösung an den Anfang zu setzen. Denn für Beurteilung des 
therapeutischen Abortus fehlt es vorerst an allen wissenschaftlichen 
Unterlagen, insbesondere wissen wir nichts über seine Wirkung auf den 
weiteren Verlauf der allgemeinen und organischen Krankheitszustände, 
wegen weichen er unternommen wird. Wie verträgt sich ferner die 
Winter’sche Forderung beispielsweise mit den Angaben Fellner’s, dass 
es in 50 pCt. der Fälle in der Schwangerschaft zu Bluthusten, in 68 pCt. 
zu Rückfällen stationärer Fälle gekommen sei; mit der Angabe von 
Heymann, welcher 73,4 pCt. Verschlimmerungen berichtet; von Wein¬ 
berg, welcher die Steigerung von Tuberkulosesterblichkeit durch die 
Schwangerschaft auf 16,7 pCt. schätzt; von Essen-Möller, welcher 
50 pCt. Todesfälle oder bedeutende Verschlimmerungen an im Sanatorium 
behandelten Schwangeren und 58,3 pCt. Todesfälle innerhalb eines Jahres 
nach der Niederkunft festgestellt hat. 

Der therapeutische Abortus ist nahe daran, eine ver¬ 
ächtliche Operation zu werden. Es hat ein Rennen um die geringste 
Operationsziffer, um die kleinste Statistik begonnen, welches so sehr im 
Gegensatz zu Gewohnheiten auf anderen Gebieten ärztliohen Berufslebens 
steht, dass es fast zur Satire herausfordert. Das ist im höchsten Grade 
bedauerlich. Wenn von Ahlfeld berichtet wird, dass er in 40jähriger 
Praxis nur zweimal, Fritsch, dass er in 80jähriger Tätigkeit nur neun- 


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02 


BERLIN BK KLINISCHE WOCHEN SCHRIFT. 


Nr. 3. 


mal, wenn Bumm in seiner umfangreichen langjährigen Praxis nur elf¬ 
mal die Schwangerschaft unterbrochen hat, wenn in der Klinik von 
Winckel auf 100 000 Geburten mit 6555 Operationen nur 1 therapeutischer 
Abort kam, so wird damit sunächst nur gesagt, dass die Indikations- 
stellung eine andere war, nicht dass die sittliche Auffassung genannter 
Autoren höher steht als die von Aerzten mit grösserer Operationsziffer. 
Die Verminderung der Zahl der therapeutischen Aborte darf 
nicht um jeden Preis erstrebt werden. Vergessen wir nicht, dass 
wir als Männer auftreten mit der ganzen persönlichen Unbekümmertheit 
derer, die auf dem Richterstuhl sitzen, die nichts hergeben, sondern nur 
fordern. Dass die Frau es ist, von welcher wir Opfer verlangen. Dass 
die Frau ein Recht hat auf Schutz vojn Leben und Gesundheit. Und 
dass dieser Schutz zugleich eine Forderung des Volkswobls und des 
Staatsinteresses ist. Gesundheit und Leben der Frau, zumal 
wenn sie Mutter lebender Kinder ist, ist höher einzuschätzen, 
auoh vom bevölkerungspolitischen Standpunkt aus, als der 
Embryo im Mutterleibe. Daran darf der Geburtenrückgang, 
daran darf der Krieg nichts ändern. In diesem Sinne halte 
ich nach wie vor den therapeutischen Abortus aus medi¬ 
zinischen Gründen für eine segensreiche und durchaus ehren¬ 
hafte Operation. 

Ueber die soziale und eugenetisohe Indikation, welche sich 
auch vom blindesten Fanatismus nicht totschlagen lässt, werde ich 
demnächst an anderer Stelle sprechen. Nur so viel sei hier gesagt, 
dass diese Indikationen unter dem geltenden Recht nur Gegenstand der 
wissenschaftlichen Forschung sein können, und dass dem Arzt ihre be¬ 
rufliche Anwendung vorerst versagt bleiben muss. Aber es verträgt 
sich nicht mit dem Geiste der vorurteilslosen Wissenschaft, diese Indi¬ 
kationen, welchen auch Bumra den ihnen innewohnenden logischen 
Gedanken nicht versagen konnte, mit Aohselzucken oder, was jetzt für 
patriotische Pflicht gehalten wird, mit Entrüstung und Abscheu weg- 
zustossen. 

Die Aussprache wird in der nächsten Sitzung fortgesetzt werden. 


Sitzung vom 19. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr L. Landau. 

Schriftführer: Herr Virchow. 

Vorsitzender: M. H.! loh habe die Freude, Ihnen mitzuteilen, 
dass wir Gelegenheit hatten, in der vorigen Woche den 70. Geburtstag 
unseres verehrten Kollegen Henius zu feiern. Wir haben nicht ver¬ 
säumt, durch eine Abordnung dem tatkräftigen Kollegen unsere besten 
Glückwünsche für seine weitere Wirksamkeit abzustatten. 

Ausgeschieden aus der Gesellschaft ist Herr Dr. A. Siegmund 
ohne Angabe der Gründe und Herr Geheimer Sanitätsrat Pahlke 
krankheitshalber. 

Vor der Tagesordnung stellt Herr Esser (a. G.) Fälle von plastischen 
GesichtsoperationeB vor. 

Tagesordnung. 

Fortsetzung der Aasspraehe über die ärztliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft. 

Hr. Hans Kohn: Dass wir in der letzten Zeit die Grenzen für 
die Indikation xur Einleitung des künstlichen Abortes etwas weit ge¬ 
steckt haben, darüber sind wir wohl einig. Es ist deshalb zu begrüssen, 
wenn aus den Vorträgen, die wir hier anhören durften, die Neigung 
herauszuhören war, auf grössere Zurückhaltung der Aerzte hinzuwirken. 
Dabei mag es gleichgültig sein, ob unser ärztliches Eingreifen für die 
Bevölkerungspolitik von direkter Bedeutung ist oder, wie Herrn Bumm’s 
Zahlen besagen, dies nicht sind. Indirekt wird es dies doch wohl sein, 
nämlich durch moralische Beeinflussung des Publikums. 

So schliessd' ich mich denn auch den Ausführungen an, die der eine 
der Herren Referenten bezüglich der Indikation gemaoht hat, die bisher 
schon die erste Rolle gespielt hat und die in der nächsten Zukunft wohl 
eine noch grössere spielen wird, bezüglich der Tuberkulose. Hier 
sohliesse ich mich den Ausführungen des Herrn Kraus im grossen 
und ganzen an, sowohl bezüglich der latenten Tuberkulose, dass 
man hier nicht eingreifen solle, wie bezüglich der aktiven, aber 
nicht sehr ausgebreiteten Tuberkulose, nämlich dass man diese zwar 
zunächst einige Wochen beobachten könne, aber dann, wenn der Prozess 
nicht bald zum Stillstand kommt, sich zu einer Unterbrechung ent¬ 
schlossen solle. Eine Heilstättenbehandlung, wie sie vorgeschlagen 
wurde, wird ja wohl nur für wenige in Frage kommen, nämlioh für die 
Bessergestellten; bei der arbeitenden Bevölkerung nur für einen geringen 
Teil. Denn von den verheirateten Frauen sind ja nur wenige der Ver¬ 
sicherungspflicht unterworfen und -die Zahl der Heilstätten ist viel zu 
gering, um hierfür wesentlich in Betracht zu kommen. In solchem Falle 
käme also der soziale Faktor — ich sage ausdrücklich „Faktor", nicht 
„Indikation“ — als mitbestimmend in die Rechnung, deren Resultat 
dann das ist, was wir Indikation nennen. Auch der künstliche Pneumo¬ 
thorax, wovon vor einigen Tagen Herr Unverricht Beispiele veröffent¬ 
lichte, kommt nur für vereinzelte Fälle in Betracht. Soviel über die 
latenten und die aktiven leichteren oder mittelschweren Fälle. 

Anders denke ich über die schweren Fälle. Der Herr Referent 
und, soweit ich sehe, die Mehrheit der Autoren, sind der Meinung, dass 
man hier die Schwangerschaft nicht unterbrechen solle. Sie gehen da¬ 


bei von dem Gedanken aus, dass solchen Frauen ja doch nicht mehr 
zu helfen sei. Demgegenüber gestatte ich mir die Ansicht zu äussern, 
dass wir in keinem Stadium der Tuberkulose imstande sind, eine Prognose 
zu stellen. Mancher nach unserer Meinung dem Tode verfallene Tuberkulöse 
lebt noch Jahr und Tag, ja noch Jahre lang; und das gilt natürlich in 
gleichem Maasse für die tuberkulöse schwangere Frau dann, wenn die 
Schwaogerschaft wieder beseitigt ist. 

Es bliebe nur die Vorfrage zu erörtern, ob eine Schwangerschaft 
auf eine schwere Tuberkulose schädigend wirkt oder nioht. Wenn man 
dem schwankenden Bild, das die Geschiohte dieser Lehre uns bietet, 
etwas entnehmen kann, so glaube ich, dies eine kann man daraus heraus¬ 
lesen, dass die schwer Tuberkulösen durch eine Schwangerschaft auch 
schwer gefährdet werden. Denn wenn wir davon absehen, dass bis zur 
Mitte des vorigen Jahrhunderts die Aerzte der Schwangerschaft sogar 
einen günstigen Einfluss auf die Tuberkulose zuschrieben, dass selbst 
noch Rokitansky ein Ausschlies9U0g9verhältnis zwischen Schwanger¬ 
schaft in späteren Monaten und Lungentuberkulose statuieren zu dürfen 
glaubte, so ist seit Grisolle und Dubreuilh (1850 u. 51) die Gefährdung 
einer Schwertuberkulösen durch Gravidität kaum mehr bestritten worden. 
Wohl bemerkt einer Schwer tuberkulösen; für die leichteren Fälle sind 
die Ansichten keineswegs so einmütig. 

Und was die Einzelbeobaohtung lehrt, das lehrt oder vielmehr das 
entnehme ich der Massenbeobachtung oder Statistik, wenigstens 
glaube ich es ihr entnehmen zu dürfen. 

Ich tue dies mit der Zurückhaltung, die dem Niohtfachmann dieser 
gefährlichsten von allen Wissenschaften gegenüber ziemt, und füge gleich 
hinzu, dass die Verfasser der letzten statistischen Arbeiten zu einem 
andern Schlüsse kommen, als ich ihn eben zog. Zwar hat unser Kollege 
HerrHeimann vor etwa 12 Jahren 73pCt. Verschlimmerungen und 49pCt. 
Sterblichkeit infolge von Schwangerschaft berechnet, aber Weinberg 
kommt auf Grund seiner sorgfältigen Untersuchungen dazu, diese Zahl 
auf nur 10—20 pCt., im Mittel 15pCt. festzusetzen, und neuerdings hat 
Catharine van Tussenbroeck für Holland gefunden, dass zwar im 
ersten Halbjahre nach der Entbindung eine gewisse Uebersterblicbkeit 
an Tuberkulose sich zeige, im zweiten aber eine Untersterblichkeit, im 
ganzen also gar kein Einfluss nacbzuweisen sei. Nun aus dieser Ueber- 
sterblichkeit in den ersten sechs Monaten (Weinberg fand sie in 
den ersten Wochen) ergibt sich eben doch ein Einfluss, und ich glaube 
schliessen zu dürfen, dass es die schweren Fälle sind, die von der 
Schwangerschaft und Entbindung so mitgenommen werden, dass sie im 
ersten Halbjahr post partum hinweggerafft werden. Das ist kein sicherer 
Schluss, aber die Wahrscheinlichkeit spricht wohl für ihn. 

Sprechen also klinische Erfahrungen und Statistik dafür, so brauche 
ich darüber, dass die allgemeine klinische Erwägung, die Deduktion 
dies ebenfalls besagt, in diesem Kreise kein Wort zu verlieren; denn 
es wird niemand bezweifeln, dass eine an einer schweren Infektions¬ 
krankheit leidende Frau durch eine Schwangerschaft in grosse Gefahr 
gebracht wird. 

So bleibt nur nooh die Frage zu Btreifen, ob der Abort auch 
wirklich Nutzen bringt. Auch dies wurde bezweifelt (von Pinard, 
Bozzi u. a.). Mir scheint, dass man sich dem rechtzeitig eingeleiteten 
Abort gegenüber auf den Standpunkt stellen kann: cessante causa cessat 
effectus. Ist das aber der Fall, und wird die Gefährdung der Schwer¬ 
kranken durch die Schwangerschaft nicht in Abrede gestellt, dann sollte 
man einer schwerkranken Frau die schwere Belastung, die eine Schwanger¬ 
schaft für sie bedeutet, ersparen, ihr die Möglichkeit der Lebensver¬ 
längerung und der Familie die Erhaltung der Mutter nicht auf Grund 
einer vorgefassten Meinung rauben. 

Ich war etwas ausführlicher, weil, wie ich eingangs schon sagte, 
den Schwerkranken gegenüber die Autoren zumeist ein anderes Verhalten 
empfehlen, als ich es oben tat. Auch hier wird man nicht leichten 
Herzens zum Eingriff schreiten, denn der Satz, der sonst unser ärztliches 
Handeln so absolut regiert: salus aegroti suprema lex, herrscht hier eben 
nicht so unumschränkt; denn es handelt sich hier nioht bloss um das 
Wohl einer Kranken, sondern auch um das Leben eines Kindes. 

Nooh ein Wort zu dem Vorschlag der Anzeigepflicht. Wenn 
hierüber, wie die Rednerliste zeigt, auch nooh Berufenere sprechen werden, 
so ist es vielleicht doch wünschenswert, dass bei einem Gegenstand, der 
einmal die Gesetzgebung beschäftigen soll, sich die Stimme unserer 
Gesellschaft möglichst volltönend vernehmen lässt. So bestechend der 
Vorschlag der Anzeigepflioht, zumal in der Form, die Herr Geheim¬ 
rat Kahl ihm gegeben hat, auf den ersten Blick auoh ist,so möchte ich 
mich doch den Bedenken meines Vorredners anschliessen, dass hier der 
Aufwand nicht im Verhältnis zu dem steht, was damit erreicht werden 
kann. Es würde wohl so kommen, dass diejenigen, die von der Vor¬ 
schrift getroffen werden sollen, sich ihr zu entziehen wissen und die 
gerade in einem so heiklen Punkte nötige Diskretion ohne den erhofften 
Erfolg durchbrochen wird. 

Hr. Paul Strassmann: Die Redner Kahl und Bumm haben mi 
Recht darauf hingewiesen, dass auch gesetzliche Bestimmungen über die 
ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft nur dann Aussicht auf 
Erfolg haben, wenn sie auf gesunden Grundsätzen der Bevölke¬ 
rung ruhen. Die ärztliche Tätigkeit ist in die Bewegung auf Be¬ 
schränkung der Kinderzahl, die die Bevölkerung im wachsenden Maasse 
durchzieht, mit hineingerissen worden. Wenn v. Luschan noch von 
einer Zweikinderpest sprach, so sehen wir uns beute vielfach einem 
Stadium des Einkindersystems und Keinkindersystems gegenüber. Die- 


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21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


63 


jenigen, die es befolgen, fühlen siob, um sich selbst zu entschuldigen, 
gewissermaassen verpflichtet, die anderen mit allen möglichen Mitteln 
von den Vorteilen dieses Systems zu überzeugen. 

Nach meinen Erfahrungen sind aber die Frauen allein an der Her¬ 
absetzung der Kinderzahl gewiss nicht schuld, sondern der Vor¬ 
wurf trifft beide Gesohlechter. Die Inanspruchnahme der Aerzte 
zur Unterbrechung der Schwangerschaft wird oft genug nur als Ersatz 
für den missglückten Coitus interruptus veranlasst. Natürlich kommen 
hier in erster Reihe die kranken Frauen, die gewissermaassen eine ärzt¬ 
liche und rechtliche Grundlage haben, um ihre Schwangerschaft los zu 
werden. Wenn wir Aerzte nur die notorische augenblickliche 
Lebensgefahr zum Anlass der Unterbrechung der Schwangerschaft 
nehmen, dürfte der Prozentsatz der Unterbrechungen ein geringer sein. 
Wenn wir die mögliche Gefahr mit in die Indikationen aufnehmen, so 
ist allen Ueberlegungen ein Tor geöffnet. Wir haben aber auch die Ver¬ 
pflichtung, daraufhinzuweisen, dass der Eingriff bei einer Schwan¬ 
geren mit krankem Körper selbst nooh gewisse Gefahren hat. 

Die soziale und eugenische Indikation zur Unterbrechung 
der Schwangerschaft scheidet für mich aus. Gewiss, wir wären keine 
Aerzte, wenn wir nicht auf Ansuchen ernste soziale und eugenische In¬ 
dikationen als Gründe ansehen würden, den Frauen gegen Schwanger¬ 
schaft Schutz anzuraten! Dazu sind wir auch kranken Frauen 
gegenüber verpflichtet, z. B. bei nacbgewiesener Tuberkulose, genau so, 
wie ich als Gynäkologe nach Zwillingen oder Placenta praevia 
den Müttern den guten Rat gebe, wie sie sich in den nächsten ein bis zwei 
Jahren vor neuer Schwangerschaft schützen! Auch schwere Tuberkulose 
des Erzeugers wird gelegentlich der Grund zu ärztlicher Befragung. 
Das Recht zur Entfernung der Frucht geben soziale und eugenische 
Gründe nicht. Hier verläuft die scharfe Grenzlinie. Sie zu ver¬ 
schieben, halte ich für keine Rationierung, sondern für eine Irrationierung 
der Geburten und für eine gefährliche Maassnahme. Man bedenke nur, 
dass V« der Geburten etwa unehelich sind. Die meisten Unterbrechungen 
der Schwangerschaften dürften den Frauenärzten übertragen werden. 
An diese wenden sich die gewissenhaften Praktiker, soweit sie nicht 
operieren, und ein grosser Teil der Patientinnen. Ich würde vorschlagen, 
dass einmal die gynäkologischen Vereinigungen damit be¬ 
ginnen, eine Statistik aufzustellen, wie weit die Maassnahme der An¬ 
zeigepflicht Aussicht hat, bevor sie Gesetz wird. Gegen Anzeigen auf 
diesem Gebiet bestehen gewisse Bedenken. Auch beim Puerperalfieber 
s. B. trifft die Anzeigepflicht einzelne, aber durchaus nicht alle Kind¬ 
bettfieber. Ob man mit einem Gesetz die Aerzte trifft, die zwar nicht 
operieren, aber mit der Curette arbeiten, erscheint mir, wie schon viel¬ 
fach erwähnt, zweifelhaft. 

Wenn Fritsch, Ahlfeld, Winkel, hervorragende Gynäkologen, 
citiert werden, die nur wenige Male die Schwangerschaft unterbrochen 
haben, so liegt deren Tätigkeit vor der Zeit, wo die Technik der opera¬ 
tiven Unterbrechung der Schwangerschaft — deren Segen für Kranke 
nicht übersehen werden darf — nooh nicht ausgebildet war. In meine 
Zahlen habe ich alles aufgenommen, was überhaupt mit Unterbrechung 
der Schwangerschaft in Beziehung stand, auch wenn neben allgemeinen 
noch örtliche Indikationen bestehen, wie z. B. grosse Vorfälle, ln die 
Berichte sollten auch diejenigen Operationen hineingenommen werden, 
wo z. B. kastriert worden ist, wo der Uterus ezcidiert worden ist, um 
weitgehend auf die Tuberkulösen durch Stoffwechselveränderung einzu¬ 
wirken. Sie wissen, dass solche Operationen ja vielfach vorgeschlagen 
und vorgenommen worden sind (z. B. v. Bardeleben, Bumm). 

Von 40 Monaten vor dem Kriege, d. h. vom 1. Januar 1911 bis 
31. Juli 1914, batte ich 18494 Zugänge (poliklinisch und privat, auch von 
meinen Assistenten, gynäkologisch und geburtshilflich), 4589 wurden 
klinisch aufgenommen. Darunter befanden sich 144 Schwangerschafts¬ 
unterbrechungen, d. h. eine Unterbrechung auf 128 Zugänge oder auf 
33 Aufgenommene. Die Tuberkulose spielt dabei die Hauptrolle. Je 
offener diese Zahlen ausgesprochen werden, um so mehr wird die Trag¬ 
weite dieser Frage beleuchtet. Es gab Wochen, wo täglich Zugänge 
tuberkulöser Schwangerer aus Lungenheilstätten oder Anstalten von 
Kollegen zugewiesen wurden. 

Die Zahlen haben sioh seit dem Kriege in auffallender Weise 
versohoben. Vom 1. August 1914 bis zum 1. Dezember 1917, das sind 
43 Monate, sind der Klinik an Patientinnen (poliklinisch, privat, gynä¬ 
kologisch-geburtshilflich, zugegangen 22 575 Patientinnen. Von diesen 
wurden 4475 aufgenommen. Auf diese entfielen nur noch 24 Schwanger¬ 
schaftsunterbrechungen, d. h. eine Schwangerschaftsunterbrechung auf 
940 Zugänge oder 186 Aufnahmen. Die künstlichen Fehl¬ 
geburten bei kranken Schwangeren waren vor dem Kriege 
7,3mal so häufig unter den Zugängen, 5,6 mal so häufig 
unter den Aufnahmen. Die Zahl der Abgelehnten war weit zahl¬ 
reicher als die Aufgenommenen. Wenn man annimmt, dass die Geburten- 
siffer — ich will einmal annehmen —: auf Vs oder V 4 gesunken 
wäre, so ist immerhin der Rückgang auf 1 : 7,3 bzw. 1:5,6 viel 
grösser als selbst dem Rückgang der Geburten entsprechen würde. Die 
Ursachen dafür sind verschiedene. Erstens befinden sich viele Aerzte 
im Felde und Gelegenheit zu ärztlichen Konsultationen und Beratungen 
ist verringert; zweitens sind die Erzeuger im Felde, und es werden 
weniger Kinder erzeugt. Beim Urlaub wird die SchwaDgersohaft mög¬ 
lichst verhütet mit der mehr minder aufrichtigen Begründung, dass es 
bei der erschwerten Ernährung z. Z. nicht gerechtfertigt sei, die Zahl der 
Geburten zu vermehren. Ein drittes Moment ist unzweifelhaft, dass 
z. Z. die Lungenheilstätten und Beratungsstellen nicht mehr so viel 


schicken wie früher. Aus diesen segensreichen Anstalten ist vielfach 
der Gedanke der Schwangerschaftsunterbrechung in die Bevölkerung 
hineingedruogen. Was der Lungenkranken recht ist, gilt der Anämi¬ 
schen und Schwächlichen leicht als billig. Ein weiterer Grund ist, dass 
die Frau besser verdient. Mit den Menschen Verlusten des Krieges ist 
aber dooh vielen aufgedämraert, was der Besitz von mehr Kindern be¬ 
deutet. Wir haben erfreuliche Beobachtungen darüber gemacht. 

Von den 144 Schwangerschaftsunterbrechungen vor dem Kriege 
waren 108 Tuberkulöse, das sind 75 pCt., und diese Zahl stimmt genau 
mit der während des Krieges: Von 24 Unterbrechungen während des 
Krieges wurden 18 wegen Tuberkulose vorgenommen = 75pCt. Unter 
zusammen 126 tuberkulösen Frauen habe ich bei 13 Patienten die 
Exstirpation des Uterus gemacht, in der Voraussetzung, dass durch 
künstliche Klimax durch den Fettansatz und den umgewandelten Stoff¬ 
wechsel eine bessere Wirkung auf Lunge und Körper erzielt wird. Die 
Ovarien wurden in allen Fällen erhalten. 

Wegen Kehlkopftuberkulose habe ich dreimal unterbrochen, weil 
von den konsultierenden Aerzten bestimmt betont wurde: Das ist eine 
unbedingte Iadikation. — In meiner geburtshilflichen Tätigkeit hatte 
ich nur zweimal Tod an Tuberkulose bei Wöchnerinnen gesehen. Von 
den Operierten ging eine nach Fehlgeburt nach einigen Wochen durch 
Perforation von Darmgeschwür zugrunde. Eine andere starb nach kurzer 
Zeit. Es war eine phthisische Offiziersfrau, deren erste Schwangerschaft 
auf Konsultation mit zwei Kollegen unterbrochen wurde. Die Lungen¬ 
tuberkulose ging unmittelbar darauf auf den Kehlkopf. Trotz aller 
Maassnahmen wurde sie bald wieder schwanger. Auf die erneute Unter¬ 
brechung erfolgte nach wenigen Wochen Ausbruch der Miliartuberkulose. 

Ich habe noch nicht die Ueberzeugung gewonnen, dass die Tuber¬ 
kulose durch Unterbrechung gebessert wird; allein Narkose-Blutverlust 
— die Haemoptoe gleiohkommt — und Fiebersteigerungen im Verlauf 
können auch Verschlimmerung bedingen. Der Höhepunkt der Operation 
dürfte zweifellos überschritten sein. 

Die erwähnten Patientinnen gehören übrigens zu 9 /io unserer 
3. Klasse an. 

Durchschnittlich wurde vor dem Kriege die 6. Schwangerschaft und 
im Kriege die 4,8. Schwangerschaft unterbrochen. Wir sind also sehr 
vorsichtig vorgegangen. 

Die Tuberkulösen mit vaginaler Totalexstirpation habe ioh in der Disser¬ 
tation von Frau Dr. Toni Jaoob zusammenstellen und nachuntersuohen 
lassen. Ausser einer schon erwähnten Patientin mit Darmtuberkulose 
gingen zwei andere im ersten bzw. zweiten Jahre zugrunde. Die übrigen 
haben wir nachuntersucht. Bis auf 3 waren sie günstig beeinflusst. 
Wir hatten allen gesagt, dass die Lunge noch ärztlicher Behandlung 
bedürfe. Es zeigte sich aber, dass in l l / 2 bis 2 1 /« Jahren keine mehr 
zum Arzt gegangen war. Mit der Exstirpation des Uterus war für sie 
die Sache erledigt. Das beleuohtet die Gründe, warum auch diese 
Frauen zum Arzt gekommen sind. Bei 22 Tuberkulosen wurde zur 
Sterilisierung Tubenunterbindung gemacht. Hierfür erprobe ich jetzt 
einen anderen Weg, die Bestrahlung mit Mesothorium nach der Unter¬ 
brechung. Hierdurch wird ebenfalls das Klimacterium antecipiert. 

Nach der Tuberkulose mit 75 pCt. folgen in weitem Abstand mit 
9,7 pCt. der Fälle die Herzinsufficienzen, wegen deren ich, sechzehnmal 
oonsultativ zugezogen, zu unterbrechen hatte, 12 Klappenfehler (zum 
Teil mit anderen Störungen), 2 Myocarditiden, je ein Vitium mit Polyar¬ 
thritis und schwerer Anämie. Auch hier werden wir die Leistungen des 
Herzens gewissenhaft abwägen und bewerten. Wir haben ja auch Herz¬ 
geräusche der Männer im Kriege anders zu bewerten gelernt als vorher. 

Nierenerkrankungen sind wieder Va seltener als Herzinsuffi- 
oienzen Veranlassung zur Unterbrechung. Sie bilden mit 6 Patientinnen 
nur 3,6 pCt. der Operierten: Von diesen litten 3 an chronischer 
Nephritis, 1 an acuter Nephritis (1 Monat), 1 an Nierentuberkulose, bei 1 
war ein Nierensarkom soeben operiert worden. 

Fünfmal gaben schwere Psychosen die Veranlassung (Melancholien, 
raanisoh-depreosive Zustände), 3 waren bereits in Anstalten gewesen, 
1 wurde dorthin verlegt. Eine Patientin endete später durch Suioidium. 
Selbstmord wegen Geburtsangst, z. B. bei Unehelichen, habe ich sonst 
nie erlebt, wohl aber ein unglückliches Ende oft genug, wo abgetrieben 
worden ist. Der P'vchiater hat die Entscheidung, wie weit Selbstmord¬ 
vorstellungen die Indikation mitbestimmen. 

Ich habe noch die Patientinnen mit schwerer Hyperemesis zu er¬ 
wähnen, im ganzen 5 =» 3 pCt. 

Von diesen hatte ich bei zweien den Eindruck, als ob sie mit ihrem 
Erbreohen eine Art Hungerstreik machten. Ich habe alle bekannten 
Mittel angewandt, auch die Magenspülung, ohne Erfolg. Beide ver¬ 
elendeten immer mehr, bei der einen trat Herzschwäche auf, bei der 
anderen — psychisch nicht intakten — im Urin die Zeichen pernieiösen 
Eiweisszerfalls, in Gestalt von reichlich Aceton und Acetessigsäure. 
Ich halte diese Probe für wichtig und zu berücksichtigen neben den 
Momenten des schlechten Allgemeinbefindens und der bedrohlichen Ge¬ 
wichtsabnahme mit trockener Zunge usw. 

Von einzelnen Indikationen, die ich oonsultativ mit behandelt hatte, 
muss ich endlich erwähnen: Darmstenose, schweren Basedow mit psychi¬ 
schen Störungen, Chorea, schwere Anämie, progressive Muskelatrophie 
mit schweren Ernährungsstörungen, fortschreitende Ertaubung fOtosklerose) 
schwere tiefe Thrombophlebitis (gleichzeitig operierte frische Plastik) mit 
Oedemen in den ersten Wochen. 

Zum Schlüsse möchte ich einige positive Vorschläge machen. loh 
halte es für richtig, dass bei der sexualen Aufklärung beide* 


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64 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


Geschlechter schon auf die Wichtigkeit der Fortpflanzung 
— auch zur Erhaltung des Landes — hingewiesen wird. Das kann in 
richtiger Form schon begonnen werden im naturwissenschaftlichen Unter¬ 
richt so gut wie im religiösen. In Vorträgen muss dann später immer 
wieder diese Flamme in der Bevölkerung hell erhalten werden. Ich er¬ 
laube mir, der Gesellschaft einen solchen Vortrag zu überreichen, den 
ich während des Krieges gehalten habe. Ein zweiter Vorschlag geht 
dahin, den jungen Paaren beim Eingeben der Ehe ein Merk¬ 
blatt zu geben. Merkblätter über Augenerkrankungen und Kinder¬ 
ernährung werden ja bei der standesamtlichen Anmeldung übergeben, 
loh habe ein solches Merkblatt vor einigen Jahren dem Ministerium 
, vorgelegt. 

Die Wiedererneuerung der Bevölkerung nach dem Kriege ist für die 
Zukunft die wichtigste Frage. Von hier aus sind alle ärztlichen, juri¬ 
stischen, steuergesetzlichen, wirtschaftlichen und bodenreformatoriscben 
Erörterungen mitzuorientieren. Deutschland muss, wie Bismarck einst 
sagte, alle fünfzig Jahre um seine Existenz kämpfen. Die beste Waffi 
für den Kampf sind die Menschen. Wir Aerzte müssen für unseren 
Teil sorgen, dass diese Waffe gestählt bleibt. 

Hr. Adam: Gestatten Sie mir, vom Standpunkt des Ophthalmo¬ 
logen einige wenige Bemerkungen zu dem in Frage stehenden Thema. 
Ich habe mich etwas eingehender damit beschäftigt, weil ioh längere 
Zeit Gonsiliarius der TJoiversitätsfrauenklinik gewesen bin und auch in 
dem Buche von Placzek den ophthalmologischen Teil behandelt habe. 

Der Standpunkt des Augenarztes muss natürlich, 'abgesehen von 
Einzelheiten, derjenige sein, wie der des Arztes überhaupt. Er darf die 
Unterbrechung nur dann empfehlen, wenn das Augenleiden ein lebens¬ 
gefährliches ist, oder wenn die Beeinträchtigung der Sehschärfe „eine sehr 
erhebliche ist, wenn durch kein anderes Mittel das Leiden zu beseitigen 
ist, dass durch die Unterbrechung der Schwangerschaft das Augenleiden 
beseitigt werden kann. 

Zu dem ersten Punkt ist zu bemerken, dass ja glücklicherweise 
Todesfälle an Augenkrankheiten zu den grössten Seltenheiten gehören. 
Schwieriger ist aber die Entscheidung der Frage: Wo liegt die Grenze, 
bei der wir eine schwere Beeinträchtigung der Gesundheit bzw. erheb¬ 
liche Herabsetzung der Seh; chärfe annehmen können. Natürliche Voraus¬ 
setzung ist, dass dabei beide Augen betroffen sind, denn das ist wohl 
sicher: wenn nur ein Auge betroffen ist, können wir nicht von einer 
schweren Schädigung sprechen. Es fragt sich nur: wo legen wir die 
Grenze? Die Mehrzahl der Autoren, die sich damit beschäftigt haben, 
hat die Grenze etwa dahin gelegt, wo eine schwere Beeinträchtigung der 
Erwerbsmöglichkeit vorliegt, d. h. etwa bei 1 f 4 bis J /s der normalen Seh¬ 
schärfe. Es muss gefordert werden, dass dutch kein anderes Mittel das 
Augenleiden beseitigt werden kann. Handelt es sich z. B. um ein 
Glaukom, wie es ja manchmal infolge der Steigerung des Blutdrucks 
während der Schwangerschaft auftritt, so wissen wir, dass wir durch die 
Iridektomie das Mittel haben, das Glaukom günstig zu beeinflussen. Wir 
werden also in diesem Falle die Operation mit Einschluss aller in ihr 
liegenden Gefahren der Unterbrechung der Schwangerschaft vorzuziehen 
haben. 

Schliesslich müssen wir davon überzeugt sein, dass wir durch die 
Unterbrechung der Schwangerschaft das Augenleiden günstig beeinflussen. 
Handelt es sich z. B. um heilbare Blindheit, so dürfen wir nicht des¬ 
halb unterbrechen, weil wir uns auf den Standpunkt stellen: Eine blinde 
Mutter kann ihr Kind nicht erziehen, sondern wir dürfen uns nur auf 
den rein ärztlichen Standpunkt stellen: Können wir durch Unterbrechung 
der Schwangerschaft das Augenleiden heilen oder bessern? 

loh möchte die Augenleiden, die eventuell zur Unterbrechung der 
Schwangerschaft Veranlassung geben können, in zwei Gruppen einteilen, 
nämlich die selbständigen Augenleiden und diejenigen Augenleiden, die 
nur ein Symptom einer Allgemeinerkrankung sind. Von den ersteren 
hat ja schon Herr Geheimrat; Bumm gelegentlich seines Referats die 
wichtigste Erkrankung erwähnt: die degenerative Sehnervenentzündung. 
Die degenerative Sehnervenentzündung muss auf dieselbe Stufe gestellt 
werden, wie andere Nervenentzündungen während der Schwangerschaft 
auch, wie wir sie in der Form der Ischias und in der Form anderer 
Neuritiden schon gesehen haben. Gewöhnlich tritt dieses Sehnerven¬ 
leiden doppelseitig auf. Es tritt meist in der zweiten Hälfte der 
Schwangerschaft auf und führt, wenn die Schwangerschaft nicht unter¬ 
brochen wird, zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Sehvermögens. 
Also hier sind alle die Erfordernisse, die ich erwähnte, gegeben. Mit 
der Unterbrechung der Schwangerschaft haben wir die grosse Wahr¬ 
scheinlichkeit, dass wir das Sehnerrenleiden heilen oder zum mindesten 
günstig beeinflussen. Ein Fall von Weigelin ist in der Literatur be¬ 
schrieben worden, wo sogar eine völlige Erblindung durch Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft wieder hergestellt wurde. Es traten 
Recidive auf bei wiederholter Schwangerschaft und jegliches andere 
Symptom, das wir eventuell für die Entstehung der Neuritis anschuldigen 
könnten, fehlt. 

Aehnlich geht es auch mit der Netzhautablösung, die eventuell 
beobaohtet wird. Auch hier haben wir einen günstigen Einfluss der 
Schwangerschaftsunterbrechung und andererseits eine starke Herab¬ 
setzung, eventuell Verlust des Sehvermögens, beim Fortbestehen der 
Schwangerschaft. 

Ich möchte die anderen Augenerkrankungen, die seltener Vorkommen, 
wie Keratooonus, Hornhautzentrum, pulsierender Exophthalmus, Glau¬ 
kom usw. bloss mit einem Wort erwähnen, weil sie eigentlich nur dem 


Ophthalmologen, nicht aber dem Praktiker begegnen. Dagegen die 
andere Gruppe der Augenerkrankungeu, richtiger die nur das Symptom 
einer allgemeinen Erkrankung darstellen, vor allem die Retinitis albumi¬ 
nurica, die ja überhaupt am häufigsten die Befragung eines Augenarztes 
während der Schwangerschaft veranlasst. Es ist verhältnismässig wenig 
in der Literatur darauf hingewiesen worden, dass die Augenkomplika¬ 
tionen dem ihnen zugrunde liegenden Allgemeinleiden eine ernstere 
Prognose geben. Es ist Ihnen ja allen bekannt-, dass bei chronischer 
Nephritis das Auftreten von Sehnervenstörungen und Netzhautverände- 
rungen von ganz übler Prognose ist. Aehnlich, wenn auch nicht ganz 
so ernsthaft, ist es bei der Schwangerschaft. Wir müssen aber auch da 
die verschiedenen Formen der Schwangerschaltsnephritis unterscheiden, 
die eigentliche Schwangerschaftsniere, die akute und die chronische Ne¬ 
phritis. Die Sohwangerschaftsniere ist ja ein verhältnismässig harm¬ 
loses Leiden, das mit dem Sohwinden der Schwangerschaft auch zum 
Schwinden kommt. Etwas anders dürfte es aber zu bewerten sein, 
wenn Erscheinungen an der Netzhaut und am Sehnerven auftreten. Hier 
ist zweifellos ein ernster Prozess gegeben, und wenn nicht andere Dinge 
dafür sprechen, dürfte man wohl berechtigt sein, aus dem Auftreten 
der Netzhauterkrankung, eben wegen der erschwerten Prognose, die 
Schwangerschaftsunterbrechung zu empfehlen. Wie steht es denn mit 
dem Sehvermögen in diesen Fällen? Silla hat einmal eine sehr schöne 
Statistik aufgemacht, in der er 21 Fälle, die eine Netzhauterkrankung 
infolge von Schwangerscbaftsnephritis hatten, genauer verfolgte. Von 
diesen 21 Fällen hatten 12 eine sehr erhebliche Beeinträchtigung ihres 
Sehvermögens, d. h. unterhalb der Grenze von l / 4 bis Ve- Also man 
kann sagen: In 60 pCt. wird die Herabsetzung der Sehschärfe so be¬ 
trächtlich sein, dass wir wohl berechtigt sind, die Schwangerschafts¬ 
unterbrechung zu empfehlen. Aber wir können es nicht vorausseben, 
es ist etwas unsicher. Wir glauben jedoch, dass, wenn bei wiederholter 
Untersuchung und gleichzeitig einsetzender Behandlung der Niere keine 
Abnahme, sondern eine Zunahme der Netzhauterkrankung zu bemerken 
ist, dann die Unterbrechung wohl berechtigt ist. Wenn man aber handeln 
will, muss man schnell handeln. 

Sehr viel mehr aber sind wir berechtigt bei der chronischen Ne¬ 
phritis. Ist schon bei der Nichtschwangeren das Erkranken von Seh¬ 
nerv und Netzhaut von ganz übler Prognose, so ist es ganz sicher bei 
der mit Schwangerschaft kompticierten chronischen Nephritis. Sachs 
hat eine kleine Statistik gegeben, in der von 9 Fällen chronischer Ne¬ 
phritis während der Schwangerschaft ohne Netzbauterkrankung 7 die 
Schwangerschaft gut überstanden haben, 1 nur gestorben ist und 1 
schwer erkrankt ist. Von 6, die aber Netzhauterkrankungen hatten, 
starben 3 während oder kurz nach der Schwangerschaft, nur eine Frau 
befand sich in leidlichem Zustand, die andere war schwer krank. Wenn 
auch die Zahlen nur klein sind, so stimmen sie doch durchaus mit 
denen überein, die andere Autoren angeben, und die auch mich meine 
Erfahrungen gelehrt haben. 

Also, wenn ich zusammen fassend das noch einmal sagen darf: Bei 
der Neuritis gravidarum stets die Unterbrechung, bei der chronischen 
Nephritis ebenfalls stets die Unterbrechung. Bei der Schwangerschafts¬ 
niere kann man eventuell abwarten, besonders, wenn man die Schwangere 
über das Risiko, das sie läuft, unterrichtet, und wenn bei mehreren 
Untersuchungen und gleichzeitiger Behandlung keine Zunahme der Sym¬ 
ptome zu bemerken ist. 

Hr. Hamburger: loh verstehe den Herrn Vorredner in einer Be¬ 
ziehung nicht ganz. Er hat Vieles und Schönes gesagt; aber warum ist 
er gegen die Anzeigepflicbt? Wenn es gilt, den ärztlichen Stand von 
solchen Elementen zu befreien, die im Dunklen ihr Wesen treiben, dann 
ist doch die Anzeigepflicht das denkbar Beste. 

Ich habe ein gewisses Recht, mich über diese Frage zu äussern, 
denn ich verfolge sie seit ungefähr 20 Jahren mit grösstem Interesse 
und habe schon vor ungefähr 15 Jahren über diese Frage einen Vortrag 
hier in dieser Medizinischen Gesellschaft gehalten: Ueber die Berechtigung, 
bei tuberkulösen Arbeiterfrauen, die Schwangerschaft zu unterbrechen. 
Das war im Jahre 1902, das Ihnen in Erinnerung sein wird als das letzte 
Jahr, in welchem Virchow den Vorsitz führte. Damals gingen die 
Wellen der Heilstättenbewegung sehr hoch, und Sie konnten damals 
überall lesen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis auf diese 
Weise diese Volksseuche ausgerottet sein würde. Nun, ganz so ist es 
nicht gekommen; aber es war damals nicht ganz unbedenklich, den Weg 
auf eine andere Weise zu suchen, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, 
sich missliebig oder lächerlich zu machen. Heute haben sich die An¬ 
schauungen geändert. In der Debatte grossen Stils, die auch damals 
stattfand, wollte niemand etwas von sozialen Indikationen wissen. Ich 
sagte damals und sage noch heute: Es muss natürlich ein ehrliche Indi¬ 
kation vorliegen, eine wirklich echte Krankheit. Heute wird in der Tat 
in der Anerkennung sozialer Not weiter gegangen als vor 15 Jahren, 
und auch Herr Kahl hat gesagt: „Wenn aber der Arzt das soziale 
Moment als Krankheitsmoment bewertet, dann ist ihm die Ent¬ 
scheidung überlassen.“ Mehr verlange ich nicht, mehr können wir nicht 
verlangen, damit können und müssen wir uns begnügen, denn die Vor¬ 
aussetzung ist, dass eine wirkliche, sozusagen anständige 
Krankheit vorliegt und nicht etwa bloss eine solche Indikation, die 
der eine als vorhanden, der andere als nicht vorhanden charakterisieren 
kann, je nachdem er ein etwas zartes oder weniger zartes Gewissen hat. 
Aber das muss ich allerdings sagen: Je wohlhabender, je reicher 
die Frau, desto strenger und schärfer soll die Indikation 


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21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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gestellt werden. Ob auch nach dieser Richtung hin immer das 
nötige Haass von Sorgfalt gewahrt wird, weiss ich nicht. Ich weiss 
nicht, ob es richtig ist, wenn Herr Gebeimrat Kahl hier sagen konnte: 
„Gleiche Brüder werden sich findend Ich habe im Aerztestande so 
schlechte Erfahrungen nicht gemacht. Aber wenn das wirklich wahr ist, 
was der Vorredner andeutete, dass gewisse Leute aus diesem Problem 
ein Geschäft machen, dann wäre nach meiner Meinung keine Strafe 
schwer und kein Zuchthaus furchtbar genug, um über den Betreffenden 
verhängt zu werden. 

Nun darüber, dass wir ohne das soziale Moment nicht auskommen, 
wäre an sich eigentlich nichts weiter zu sagen. Aber in letzter Zeit, 
in einer der letzten Nummern der „Medizinischen Klinik“ ist von 
einem angesehenen Frauenarzt ein Angriff auf diese wichtige soziale 
Iüdikatiönsstellung unternommen worden, und da kein Zweifel ist, dass 
dieser Autor auch für viele seiner Fachgenossen spricht, so ist es nötig, 
mit einem Wort darauf einzugehen. 

Der Titel des Aufsatzes lautet: „Unberechtigte Indikationen zur 
künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft“, und der Autor, Pro¬ 
fessor Winter, sagt wörtlich: „Aus der Indikationsstellung . . . müssen 
soziale Momente in jeder Form ausgeschaltet werden.“ Dann fährt er 
fort: „Der Arzt hat nichts mit der Prüfung der Einkünfte und Ausgaben 
einer Familie auf ihre Grösse und Berechtigung hin zu tun. Er darf 
sich um so weniger darauf einlassen, als Tatsachenmaterial ihm nicht 
geboten werden kann.“ Bei aller Bewunderung für den auf seinem Ge¬ 
biet gewiss absolut sachverständigen Autor — auf diesem Gebiet, auf 
dem sozialen, steht er nicht auf der gleichen flöhe. leb könnte ihm 
viele solcher Familien zeigen — ich habe 10 Jahre mitten unter den 
Aermsten gewohnt —, wo an der Richtigkeit der Angaben kein Zweifel 
ist. Wenn der Arzt sieht, dass in der Wohnung für 10 Menschen nur 
5 Betten vorhanden sind, kann man nicht zweifeln, dass die Angaben 
stimmen. Wenn also jemand sagt: Däs soziale Moment hat bei der 
Iudikationsstellung und bei der Bewertung der Krankheit vollständig 
auSzusoheiden, so ist das so, wie wenn man erklärte: „Bist Du reich, 
dann gehst Du ins Sanatorium, und hast Du nicht das Geld dazu, dann 
hast Du es Dir gewissermaassen selbst zuzuschreiben.“ Das geht doch 
nicht! Wir müssen uns doch naoh dem Einkommen unserer Patienten 
richten bei fast jeder Verordnung. Wir brauchen auch keinen neuen 
Paragraphen der Gesetzgebung, wir brauchen auch den Notstandspara¬ 
graphen nicht — der § 218 mit den Auslegungen, die ihm die Straf- 
gesetzbuohkommentare geben, genügt vollständig. Lesen Sie, welchen 
Kommentar zum Strafgesetzbuch Sie wollen, Oppenhoff, A. F. Berner, 
Olshausen oder F. v. Liszt — jeder sagt: Jede Tat ist straffrei, 
wenn sie in pflichtmässiger Ausübung des Berufs geschieht. So bleibt 
ja der Soldat im Felde straffrei, der vorsätzlich und mit Ueberlegung 
tötet, und ebenso bleibt der Arzt straffrei, wenn er nach bestem Wissen 
und Gewissen und naoh dem Stande der Wissenschaft den Eingriff zur 
Rettung der Mutter für notwendig erachtet. 

Deshalb ist die Anzeigepflicht zu erwägen. Wenn der Arzt diesen 
Eingriff Yornimmt, muss er gewissermaassen den Wunsch haben, sich 
vor sich selber und vor dem Staate zu legitimieren, und es wird das 
auch ein segensreicher Dämpfer sein, denn es wird sich jeder fürchten, 
es könnte am Ende des Jahres oder mehrerer Jahre,' wenn eine solche 
Statistik veröffentlicht werden sollte, gerade derjenige sein, der an der 
Spitze marschiert. 

Wenn auf die Gefahr hingewiesen worden ist, dass zu viel geschehen 
könnte, so darf ich andererseits auf die Gefahr hinweisen, die daraus 
entstehen würde, dass zu wenig geschieht. Ich spreche es ganz ruhig 
und ohne jede Scheu aus: Was soll es denn heissen, wenn von einer 
angesehenen Körperschaft die Warnung ausgeht: „Tuberkulöse 
Frauen sollen nicht Kinder warten.“ Wenn die Kinder da sind, 
müssen sie doch gewartet werden. Sie sollen sie also nicht empfangen, 
Selbstverständlich ist das eine ausserordentlich schwierige Angelegenheit. 
Aber auch Herr Kahl hat gesagt, dass das Leben der Mutter unter 
Umständen schwerer wiegen müsse als das Leben des Kindes, zum 
Besten der Familie. Sie wissen, dass die Heilung der Tuberkulose im 
wesentlichen eine Geldangelegenheit ist. Ich spreohe immer von der 
Arbeiterfrau, der armen Frau; bei reichen Leuten mus9 man die Indikation 
so streng wie nur irgend möglich stellen, denn die Lebenswartung eines 
reichen Kindes, selbst wenn es mit der Flasche aufgezogen wird, ist 
besser als bei einem armen Brustkinde irgendwo, wenn die Mutter tuber¬ 
kulös ist. 

Gestatten Sie mir, mit einem Vergleich zu schliessen, der auch auf 
die Frage antwortet, wie das Ganze zum Staatsinteresse steht. Sie 
wissen, dass bei der jetzigen Art des Stellungskrieges die Kopfverletzungen 
sehr häufig sind und leider dementsprechend auch die Verletzungen der 
Augen. Wir haben deshalb vollständig Erblindete; diese scheiden 
natürlich aus dem Heeresdienst aus. Wie soll sich der Staat aber bei 
denen verhalten, die nur ein Auge verloren haben? Das ist eine Frage 
von Bedeutung, und sie hat schon im Jahre 1915, vor mehr als zwei 
Jahren, der obersten Instanz Vorgelegen. Es handelt sich um Menschen, 
die im übrigen vollständig kriegsverwendungsfähig und nur an dem einen 
Sinnesorgan geschädigt sind. Sie werden mir zugeben: Das ist eine 
Frage von grosser Bedeutung, für die Militärverwaltung prinzipiell so 
bedeutend, wie die Tuberkulose für uns, und wie hat die Militärver¬ 
waltung entschieden? Sie hat bekanntlich erklärt: Wer ein Auge ver¬ 
loren hat, darf nicht wieder an die Front geschickt werden, auch wenn 
er sonst vollständig kriegsver wen dungsfähig ist. Sie sehen: Hier ver¬ 
zichtet eine Behörde, die wohl ein Recht darauf hat, in erster Linie 


militärische Interessen zu berücksichtigen, aus rein humanitären Gründen 
auf die Quantität zu Gunsten der Qualität. 

Wo also wirklich eine schwere Erkrankung der Mutter vorliegt, 
da lassen wir ruhig die soziale Indikation mitsprechen, und erinnern 
Sie sich — verzeihen Sie, wenn dieses Wort zum Schluss etwas pathetisch 
klingt —, dass Virchow, der Mann, nach dem dieses Haus heisst, es 
ausgesprochen hat, dass der Arzt der geborene Anwalt der Armen ist 

Hr. Karl Abel: Während meiner Assistenten zeit — das liegt jetzt 
30 Jahre zurück — wurde in der Landau’sohen Klinik überhaupt keine 
Schwangerschaftsunterbrechung gemacht. Das kam daher, weil man da¬ 
mals überhaupt keine Indikationen dafür hatte. Dies erinnert an die 
Zeit, wo wir noch nicht die Fälle von Appendicitis so kannten wie 
jetzt, sondern damals gingen die Patienten mit der Diagnose Unterleibs- 
entzündung zugrunde, und dann kamen erst die Arbeiten über Appen¬ 
dicitis, die uns lehrten, dass wir frühzeitig die Operation ausführen 
sollen, und so ist es auch durch die Tuberkulosearbeiten gekommen, die 
nachgewiesen haben, dass die Schwangerschaft zweifellos in vielen Fällen 
einen sehr schädlichen Einfluss auf die Tuberkulose bat; damit kamen 
dann die Indikationen für die Unterbrechung der Schwangerschaft, die 
sehr bald Allgemeingut der Aerzte geworden sind und auf das Vorhanden¬ 
sein anderer innerer Krankheiten ausgedehnt wurden, vielleicht in 
manchen Fällen zu viel. Ich bin überzeugt, dass durch die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft im Laufe der Jahre eine grosse Reihe 
von Frauen vor schweren Gefahren und auch vor dem Tode bewahrt 
worden sind. 

Leider drang es aber nun auch sehr schnell ins Publikum ein, dass 
der Arzt unter Umständen berechtigt ist, die Schwangerschaft zu unter¬ 
brechen, und es war kein Wunder, dass sehr bald die Patientinnen uns 
aufsuchten und möglichst versuchten, ihre Frucht unter irgendwelchem 
Vorgeben, krank zu sein, los zu werden. Es ist traurig — das muss 
man offen zugeben —, dass es Aerzte gab und gibt, welche unter 
wissenschaftlicher Maske, sei es allein, sei es in Uebereinstimmung mit 
einem zweiten, nichts weiter als Abtreibungen machen. Aber mit diesen 
haben wir hier bei unserer Besprechung absolut nichts zu tun. Sie 
werden über kurz oder lang doch von der Staatsanwaltschaft gefasst 
werden. Es wäre aber schlimm, wenn die laxe Indikationsstellung durch 
Verbrecher — anders kann man sie nicht bezeichnen — irgend einen 
Einfluss auf Maassnahmen ausüben sollte, die im Interesse unserer 
Kranken notwendig sind und von uns nach bestem Wissen und Gewissen 
unter Zuhilfenahme der neuesten Errungenschaften und aller Fortschritte 
der Wissenschaft ausgeführt werden. 

Wir haben ja die Ausführungen der Herren Referenten gehört, und 
es will mir scheinen, als wenn sie, zum Teil auch von diesem Gesichts¬ 
punkt aus, manchmal die Indikationen zu eng gezogen haben; z. B. habe 
ich mich gewundert, dass Herr Kraus der Meinung ist, dass die Larynx- 
tuberkulose nicht so leicht eine Indikation zur Unterbrechung abgibt, 
während in meinen verschiedene Male vorgekommenen Konsultationen 
mit Laryngologen bei Gelegenheit von Schwangerschaften sie einstimmig 
gesagt haben, dass die Larynxtuberkulose ganz besonders schlimm durch 
die Schwangerschaft beeinflusst wird. Da9 gleiche gilt auch für die 
Nierentuberkulose. Die Nieren tuberkulöse nimmt in der Schwangerschaft 
ausserordentlich an Gefahr zu, und es ist von Israel ganz besonders 
nachgewiesen worden, dass man auf alle Fälle etwas dagegen tun soll. 
Ich wundere mich, dass Herr Strassmann sagte: Bei Nierentuberkulose 
soll man die Gravidität unterbrechen. Israel hat in verschiedenen 
Fällen die Niere exstirpiert — denn die Nierentuberkulose ist ja meistens 
einseitig —, während die Schwangerschaft im fünften Monat und auch 
noch weiter vorgeschritten war. Die Schwangerschaften sind erhalten 
geblieben, die Frauen haben am normalen Ende entbunden und sind 
geheilt worden, während durch die Unterbrechung eine Besserung der 
Nierentuberkulose natürlich nicht eintritt. Es ist etwas anderes, wenn 
es sich z. B. um eine Pyelonephritis handelt. Die Pyelonephritis wird 
durch die Schwangerschaftsunterbrechung günstig beeinflusst und ist 
daher meiner Ansicht naoh eine absolute Indikation, die Unterbrechung 
vorzunehmen. 

Die Appendicitis ist auch erwähnt worden. Ich halte die Appen¬ 
dicitis für eine Kontraindikation zur Unterbrechung, denn in den meisten 
oder in sehr vielen Fällen ist der Wurmfortsatz adhärent mit dem Uterus, 
meist mit den Adnexen. Wenn eine plötzliche Entleerung des Uterus 
stattfindet, dann wird die Appendix von ihren Verwachsungen abgerissen, 
es kommt zur Perforation und kann sehr leicht zu diffuser Peritonitia 
und zum Tod führen. 

Was nun die Lungentuberkulose betrifft, so soll man naoh den Aus¬ 
führungen von Herrn Kraus und auch nach anderen, die wir jetzt ge¬ 
hört haben, die Unterbrechung nur machen, wenn schwerste Gefahr für 
die Gesundheit und das Leben der Betreffenden vorhanden ist. Ich 
habe den Eindruck, das9 das Wort „schwerste“ neuerdings bei den 
Medizinern, und gerade bei denen, die vor allem dazu berufen sind, zu 
entscheiden, wann die Unterbrechung zu machen ist oder nicht, eine 
sehr weitgehende Anwendung findet. Wir finden das auch in den Leit¬ 
sätzen, die Herr Kr oh ne nach Beratungen mit der Wissenschaftlichen 
Deputation aufgestellt hat und die für die Staatsanwaltschaft maassgebend 
sein sollen, und in einer Arbeit, die er in der Monatsschrift für Geburts¬ 
hilfe und Gynäkologie niedergelegt hat, ausgeführt. Hier schiessen meiner 
Ansioht nach die Mediziner weit über das hinaus, was die Juristen sagen. 
Herr Geheimrat Kahl hat sehr treffend ausgetührt, dass eine Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft zur Lebensrettung oder zur Gefabrab- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


Wendung ausgeführt werden darf. Wie sollen wir entscheiden, w» na die 
schwerste Gefahr vorliegt. Es heisst bei Krohne: Die Indikation darf 
nur als vorliegend erachtet werden, wenn bei der betreffenden Person 
infolge einer bereits bestehenden Erkrankung keine als unvermeidlich 
erwiesene schwerste Gefahr für Leben oder Gesundheit vorhanden ist, 
die durch kein anderes Mittel als durch Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft abgewendet werden kann. Ich möchte Ihnen einen Fall erzählen, 
der mir gerade in der Erinnerung ist. Da handelte es sich um eine 
Patientin, die von einem Kollegen seit Jahren beobachtet worden war, 
bei der die Lungentuberkulose wiederholt aufgeflackert war, und die er 
mir zuschickte mit der Bemerkung, es müsste unbedingt eine Unter 
brechung der Schwangerschaft vorgenommen werden. Ich habe die 
Patientin untersucht und konnte mich, da es siob zunächst um eine 
irgendwie floride Erkrankung nicht handelte, nicht dazu entschliessen, 
eine Unterbrechung zu machen. Darauf schickte ich die Patientin nach 
der Universitäts-Lungenpoliklinik. Sie wurde dort wieder auf das ge¬ 
naueste untersucht, es wurden Röntgenaufnahmen gemacht, und ich be¬ 
kam den Bescheid, dass sie, wie der augenblickliche Zustand der 
Patientin wäre, nicht dazu raten würden, die Schwaogerscbaftsubter- 
brecbung vorzunebmen. Darauf habe ich es nicht getan, habe die 
Patientin beobachtet, sie ist am normalen Ende der Schwangerschaft 
niedergekommen, und ich habe dann gesehen, wie im Wochenbett plötz¬ 
lich die Lungentuberkulose rapid zunahm, und wie die Patientin nach 
drei Wochen beim Blutsturz zugrunde ging. Es ist natürlich ausser¬ 
ordentlich schwer, wie man da entscheiden soll: Habeich es mit einer 
schwersten Lebensgefahr oder habe ich es mit einer leichten Erkrankung 
zu tun? Wenn wir andererseits auch Fälle kennen, die gefährlich aus- 
sehen, so können diese auch ganz gut ausgehen. Ich habe z. B. einen 
Fall beobachtet, den ich früher schon behandelt hatte, eine Nephritis. 
Die Frau war schwanger, allerdings schon im fünften Monat, als sie zu 
mir kam. Der Uriu erstarrte im Glase. Ich sagte mir, wenn ich in 
einem solchen Falle, wo die Schwangerschaft bereits so vorgeschritten 
ist, im fünften oder sechsten Monat, die Unterbrechung vornehme, dann 
ist das ziemlich so schwer wie die Entbindung; also ich will warten. 
Sie wurde dann zu uns ins Krankenhaus genommen und hat Monate 
lang bis zum Schluss der Gravidität gelegen. Dann kam sie nieder. 
Es war eine ganz leichte Entbindung, es dauerte gar nicht lange. Der 
Eiweissgebalt ging zurück, und die Frau ist heute ziemlich gesund. Sie 
hat immer wieder Eiweiss im Urin, aber es geht ihr gut. In dem Falle 
batte ich bestimmt geglaubt, es handle sich um eine sehr sohwere Er¬ 
krankung, und die Unterbrechung der Schwangerschaft wäre berechtigt 
gewesen. 

Ebenso ist es mit einem Fall von schwerem Herzfehler gewesen. 
Von dem inneren Arzt wurde mir auch gesagt, die Schwangerschaft soll 
unterbrochen werden. Hier sagte aber die Frau: Mir liegt daran, dass 
das Kind ausgetragen wird. Ich habe die Frau bis zu Ende beobachtet." 
Die Geburt ging auoh leicht von statten und hat der Frau nicht das 
geringste geschadet. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch auf die Arbeit von 
Winter zu sprechen kommen, die vorhin erwähnt worden ist. Da 
bandelt es sich um eine Indikationsstellung, die abgelebnt worden ist, 
und das ist ein ausgesprochenes Kaiserscbnittbecken. Ich möchte vor 
allen Dingen Herrn Geheimrat Kahl fragen, ob die Frau, die in anderen 
Umständen ist, über ihren Körper verfügen darf oder nicht. Sie wissen 
alle: Der Kaiserschnitt ist zwar keine schwere Operation mehr, aber es 
ist doch immerhin eine Operation, bei der der Tod eintreten kann. Hat 
nun die Frau das Recht oder nicht, beim absoluten Kaiserschnittbecken 
zu sagen: Ich setze mich der Gefahr der Operation nicht aus, ich ver¬ 
lange die Unterbrechung der Schwangerschaft? Winter lehnt es ab, 
und zwar mit der Begründung, dass die Mortalität nach Kaiserschnitt 
kaum 5pCt. war, allmählich heruntergegaogen ist auf 8,5 pCt., dass jetzt 
die letzte Veröffentlichung aus der Franz’sohen Klinik sogar auf 
1,5 pCt. herabgegangen war. Trotzdem stehe ich auf dem Standpunkt: 
Der Kaiserschnitt ist nach wie vor ein lebensgefährlicher Eingriff, und 
es ist eine Frage, wie man sich dazu verhalten -soll. Soll man in 
solchen Fällen eine Unterbrechung der Schwangerschaft absolut ablehnen 
oder nicht? 

Auf eins möchte ich noch aufmerksam machen. Es ist ein ganz 
auffallender Unterschied in der Zahl der Fälle, die zur Unterbrechung 
der Schwangerschaft im Krankenhause oder in der Privatpraxis zu uns 
kommen, in dem ganzen letzten Jahre habe ich im Krankenhause nur 
in einem Falle eine Schwangerschaftsunterbrechung gemacht bei sehr 
vorgeschrittener Tuberkulose, wo der innere Kliniker gesagt batte: 
Unter jeder Bedingung muss die Unterbrechung gemacht werden. In 
der Privatpraxis vergeht, möchte ich sagen, kaum ein Tag, wo nicht 
irgend eine Frau, meist von Kollegen geschickt, kommt und die Unter¬ 
brechung verlangt, die in den meisten Fällen abgelehnt wird. Ich bin 
mit Herrn Gebeimrat Bumm auch der Ansicht, dass die Unterbrechungen, 
die von Aerzten auf wissenschaftlicher Grundlage ausgetührt werden, 
eine sehr geringe Rolle spielen im Verhältnis zu den kriminellen Ab¬ 
orten, die gemacht werden, und die zweifellos auf die Bevölkerungs- 
politik einen grossen Einfluss haben. Ich rechne zu den kriminellen 
Aborten natürlich auch diejenigen, die kriminell von Aerzten gemacht 
werden. Aber diese werden durch Ausnahmebedingungen meiner An¬ 
sicht nach am allerwenigsten getroffen, und ich glaube auoh im Inter¬ 
esse des ärztlichen Standes sagen zu müssen: Wir sollen von Ausnahme¬ 
bestimmungen absehen; denn ich halte es eigentlich für selbstverständ¬ 
lich, dass bei einem so ernsten Eingriff, wo es sich um zwei Menschen¬ 


leben, um das Leben oder die Gesundheit der Mutter und um das Leben 
des Kindes handelt, es keiner über sich gewinnen wird, einen solchen 
Falt allein zu beurteilen, sondern immer einen einwandfceien Fach* 
kv liegen zuziehen wird. 

Hr. S. A lexander: Gestatten Sie mir einige Worte zu dem juristi¬ 
schen Teil der Erörterung, und zwar als Mediziner. 

Durch die lichtvollen Auseinandersetzungen des Herrn Geheimrat 
Kahl haben Sie ja ein Bild über die jetzige Lage und über die Maass¬ 
nahmen bekommen, die für den Fall einer Veränderung des Strafgesetz¬ 
buches von der Strafrechtskommission vorgeschlagen worden sind. Nach 
der jetzigen Rechtslage ist, wie Sie gehört haben, eigentlich jeder künst¬ 
liche Abort eine strafbare Haudlung, genau so, wie jede Operation eine 
Körperverletzung ist, uud wenn wir Aerzte deshalb nicht bestraft 
werden, so haben wir dies nicht der Fassuog des Gesetzes zu verdanken, 
sondern der Auffassung, die der Richter von dem ärztlichen Wissen und 
von der ärztlichen Etbik hat. Allerdings erkennt das Reichsgericht ein 
Berufsrecht nicht an. Das Gericht beurteilt also den Tatbestand nach 
andereu Motiven und zwar hauptsächlich danach, ob die Handlung in 
rechtswidriger Absicht gemacht worden ist oder nicht. Was aber rechts¬ 
widrig ist, das zu entscheiden ist nicht Sache desjenigen, der die Tat 
vollbracht bat; das ist auch in vielen Fällen nicht durch die Gut¬ 
achten der Sachverständigen zu beeinflussen; das letzte Wort bat der 
Richter. 

Dieses Moment müssen wir im Auge behalten, wenn wir hier über 
die soziale Indikation sprechen, denn nicht dasjenige kann maassgebend 
sein, was wir als Indikation zur Unterbrechung der Schwangerschaft an- 
sehen, sondern, was der Richter als rechtswidrig auffasst. Er fragt 
also: Hat der Arzt in rechtswidriger Absicht gehandelt oder nicht? 
Der Arzt handelt nicht in rechtswidriger Absicht, wenn er die Kranke 
mit ihrer Zustimmung behandelt, wenn er nach den Regeln der Wissen¬ 
schaft verfährt, und wenn die Art und Weise der Ausführung denjenigen 
Prinzipien entspricht, die die Wissenschaft aufstellt. Ja, die medizinische 
Wissenschaft kann nie als Regel aufgestellt haben, dass eine soziale In¬ 
dikation die Unterbrechung der Schwangerschaft gebietet, denn einen 
Heilzweck auf rein sozialer Grundlage gibt es nicht. Wäre das der 
Fall, so wäre ja der Arzt nicht der Anwalt — der soll er sein —, 
sondern der Richter für alle sozialen Angelegenheiten, die Krankheits¬ 
ursachen darstellen können. Es wird aber niemandem einfallen, sich 
deshalb ein Recht auf eine Operation anzumaassen, weil soziale Gründe 
diese Operation notwendig erscheinen lassen, ohne dass Krankheits¬ 
momente vorhanden sind. Ich erinnere nur an die Sterilisation und 
ähnliche Eingriffe. 

Wenn diese Argumentation richtig ist, dann fällt die soziale Indi¬ 
kation für den künstlichen Abort ohne weiteres fort. Mag sie, wie Herr 
Geheimrat Kahl das ausgeführt hat, einen Teil derjenigen Indikationen 
darstellen, die aus den medizinischen Gründen entspringen — als 
alleinige Indikation kann sie nie geduldet werden. 

Auf Grund dieser Rechtsauffassung —, wobei es nicht darauf an¬ 
kommt, ob wir sie für richtig oder unrichtig halten —, müssen wir uns 
auf den Boden der Tatsachen in dem Sinne stellen, dass wir die soziale 
Indikation aus der Reihe derjenigen Indikationen ausscheiden, die für 
die Unterbrechung der Schwangerschaft maassgebend sind. 

Nun möchte ich noch hinzufügen, dass der jetzige Rechtszustand 
für die Aerzte überhaupt nicht allzu gefährlich ist. Auch jetzt sind 
selbst in denjenigen Fällen, die als künstliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft erkannt gewesen sind, auch wenn es zu einer Anklage 
gekommen ist, die Verurteilungen höchst selten gewesen. Das liegt 
daran, dass post hoc sich häufig nicht mehr wird entscheiden lassen, 
ob es sich überhaupt um einen Abort gehandelt hat, ob die Unter¬ 
brechung einen Embryo zutage gefördert hat, der zurzeit gelebt hat, 
oder einen abgestorbenen Foetus, ob, wie es häufig berichtet wird, 
Symptome vorhanden gewesen sind, die auf eine krankhafte Verände¬ 
rung des Uterus hindeuten u. drgl. m. Wer die älteren Lehrbücher 
der gerichtlichen Medizin studiert, der wird dort eine Reihe von Fällen 
finden, in denen angeblich überhaupt kein Embryo im Uterus gewesen 
ist, in denen es sich um Molen oder Tumoren gebandelt bat. Nach so 
langer Zeit den Tatbestand festzustellen, wird in recht vielen Fällen 
unmöglich sein. Ich meine also, schon bei der jetzigen Rechtslage droht 
dem Arzt, der nur einigermaassen klug handelt, keine sehr grosse Ge¬ 
fahr, und derjenige, der böswillig handelt, weiss sich meistens durch 
vorherige Maassnahmen so zu schützen, dass ihm leider sehr wenig ge¬ 
schehen kann. 

Nun, die immerhin zweifelhafte Rechtslage soll durch die Verände¬ 
rung des Strafgesetzes zu unseren Gunsten verbessert werden, und Herr 
Geheimrat Kahl hat Ihnen auseinandergesetzt, auf welchem Wege das 
geschehen kann. Es soll eine neue Bestimmung über Nothilfe geschaffen 
werden, vermöge deren Eingriffe an dritten Personen, wenn sie nur mit 
den Begrenzungen umgeben sind, die innerhalb der Rechtssphäre liegen, 
straflos bleiben. Die allermeisten Eingriffe, die für den Arzt in Frage 
kommen, würden unter diesen Paragraphen fallen, auch der künstliche 
Abort, wenn, wie Sie gehört haben, der Begriff der hier die Frage der 
drohenden Gefahr, eine weitherzige Auslegung findet. Herr Geheimrat 
Kahl bat Ihnen auseinandergesetzt, dass die Strafrechtskommission 
dieser Auffassung beigetreten ist. In diesem Falle würde durch die 
Nothilfttbestiramung der künstliche Abort, soweit er nicht eine rechts¬ 
widrige Handlung darstellt, genügend geschützt sein. Ich halte es für 
meine Pflicht, hier hervorzuheben, dass diese Lösung mit ein Grund ge- 


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21. Japaar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


G7 


vesen ist, duroh welchen die ärztlichen Sachverständigen in der Straf¬ 
rechtskommission bewogen worden sind, eine Sonderbestimmung zu¬ 
gunsten der Aerzte für unnötig zu erklären. 

Ausser diesem Grunde waren es aber noch andere Gründe, die ich 
mich für verpflichtet halte, hier vorzubringen, weil Herr Geheimrat 
Kahl darauf nicht eingegangen war. Es ist nämlich für den Fall, dass 
eine Sonderbestimmung zugunsten der Aerzte in das neue Strafgesetz¬ 
buch eingereiht wird, als Aequivalent eine Bestimmung vorgesehen ge¬ 
wesen, die eigenmächtige ärztliche Behandlung unter Strafe stellt. Das 
ist ein sehr zweischneidiges Schwert. Die Eigenmächtigkeit der Behand¬ 
lung wird natürlich leicht zu konstruieren sein, wo diese gegen den aus¬ 
gesprochenen Willen der Kranken vor sich geht. Zwischen diesem aus¬ 
gesprochenen Willen der Kranken, sich nicht behandeln zu lassen, und 
dem ausgesprochenen Willen, sich operieren zu lassen, liegt aber eine 
solche Fülle von Möglichkeiten, dass dem Arzte die grösste Gefahr 
droht. Bandelt z. B. ein Arzt eigenmächtig, der einen Kranken, der 
seine Zustimmung vorher erteilt hat, mit Gewalt narkotisiert, obwohl 
der Kranke sich, wie so häufig, energisch die Aethermaske abreisst, oder 
der im Affekt den sch merzbereiten den Arzt zurückstösst? Denunziationen 
aus bösem Willen oder materiellen Gründen würden den Arzt vor den 
Richter bringen, und wenn er. auch in vielen Fällen freigesprochen 
werden würde, so würde doch das Moment der Anklage soviel Beun¬ 
ruhigung in sein humanitäres Wirken hineinbringen, dass für ihn ein 
Schaden, für die Gesellschaft kein Nutzen daraus entstehen würde. Das 
war einer der Gründe, weshalb die ärztlichen Sachverständigen geglaubt 
haben, auf Sonderbestimmungen verzichten zu sollen. 

Eine weitere Belürchtung, die im Hintergründe lauerte, und auf die 
ich noch kurz zurückkommen werde, war die, dass unter Umständen die 
gesetzgebenden Körperschaften noch weiter gegangen wären als die 
Strafrechtskommission und für schwerere Fälle von Eigenmächtigkeit die 
Entziehung der Approbation beschlossen hätten. Dass diese Anschauung 
nicht so ganz grundlos war, konnten Sie aus den Vorschlägen entnehmen, 
die Herr Geheimrat Kahl hier gemacht hat. Er hat die Anzeigepflicht 
des künstlichen Aborts für dringend geboten erachtet. Sie haben ver¬ 
schiedene Redner gehört, die dagegen sind. Auch ich bin dagegen, weil 
ich mir nach sozialer Richtung hin davon nur ein sehr geringes Resultat 
verspreche. Es ist ja klar, dass gerade die Verbrecher heimlich solche 
Vorkehrungen treffen werden, vermöge deren entweder die Vorschrift des 
An Zeigeparagraphen von ihnen nicht befolgt zu werden braucht, oder 
aber, wenn sie befolgt wird, die Anzeige mit so harmlosem Mäntelchen 
umkleidet wird, dass eine Bestrafung daraus nicht hervorgehen kann. 
Also das soziale Interesse wird dadurch nicht gefördert; es wird aber 
zweifellos dadurch geschädigt, dass eine solche Bestimmung wesentlich 
dazu beitragen wird, die betreffenden Frauen dem Arzt zu entfremden 
und sie dem Pfuscherelement zuzuführen. Dasjenige, was jetzt schon 
vielfach, leider viel zu häufig geschieht, dass die Frauen sich nicht dem 
Arzt anvertrauen, sondern zur Hebamme und zum Kurpfuscher gehen, 
wird nachher in viel höherem Maasse der Fall sein. 

Aber noch etwas anderes. Ich kann aus meiner Praxis heraus sagen, 
und ich glaube, die beschäftigten Praktiker werden es alle erlebt haben, 
dass es doch nicht bloss in einzelnen, sondern in mehreren Fällen ge¬ 
lingt, die Frauen, die sich behufs Unterbrechung der Schwangerschaft 
vertrauensvoll an den Arzt wenden, wieder auf den richtigen Weg zu 
leiten. Ich könnte Ihnen eine ganze Anzahl Kinder und jetzt erwachsener 
Personen vorführen, die dadurch für Familie und Staat gewonnen sind. 
Duroh die vertrauensvolle Mitwirkung des Arztes sind die Frauen be¬ 
wogen worden, das Unrecht zu vermeiden. Wenn nun die Anzeigepflicht 
existiert und die Frauen statt den Arzt die Hebamme aufsuchen, dann 
fehlt die Möglichkeit, bessernd und bekehrend auf die betreffende 
Persönlichkeit einzuwirken. 

Ich meine also, dass nach dieser Riohtung die Anzeigepflicht keinen 
sozialen Nutzen, eher sozialen Schaden schaffen wird. Die wenigen 
Aerzte, die sich kriminell verantwortlich machen, sind entweder über¬ 
haupt nicht zu fassen, oder sie sind nur durch die Strafbestimmungen 
zu fassen, die in dem Verbote der Abtreibung gipfeln. 

Nun das hat auch Herr Geheimrat Kahl gefühlt, und deshalb hat 
er vorgeschlagen, zur Herbeiführung der Anzeige reoht strenge Straf¬ 
bestimmungen zu treffen. Ich sehe darin eine grosse Gefahr für den 
ärztlichen Stand; denn wenn eine Autorität, wie der Herr Referent, 
einen solchen Vorschlag macht, können Sie sicher sein, dass er ange¬ 
nommen wird, falls die Aerztesohaft nicht einmütig Protest dagegen er¬ 
hebt. Dieser Protest ist deshalb geboten, weil ich die Strafen, die sich 
bis zur Entziehung der Approbation und Gefängnis erstrecken, für ein 
grosses Unrecht zu Ungunsten der Aerzte halte, ein Unrecht gegenüber 
anderen Bestimmungen, die weit milder sind, obwohl das Vergehen viel 
schlimmer ist als da9, welches durch die Unterlassung der Anzeige 
eines künstlichen Aborts begangen wird. Wenn ich Ihnen als Beispiel 
nenne, dass die Unterlassung einer Anzeige wegen Diphtherie nur als 
leichte Uebertretung mit ein paar Mark geahndet wird, obwohl wir doch 
darüber einig sind, dass dadurch viel mehr Unheil für die Bevölkerung 
gestiftet werden kann, als durch die Nichtanzeige eines künstlichen 
Aborts, dann werden Sie das Missverhältnis zwischen Schuld und Strafe 
unschwer erkennen. Wir tun deshalb gut daran, die Herren Juristen 
davon zu überzeugen, dass es solcher drakonischen Bestimmungen nicht 
bedarf. Die medizinischen Gesellschaften, die Standesvertretungen, 
trauen sich noch solchen Einfluss auf die Aerzteschaft zu, das9 ein 
Appell, in Zukunft eine möglichst strenge Iodikation für den künstlichen 
Abort gelten zu lassen, nicht wirkungslos bleiben wird. Dann wird es 


auch so gelingen, diese laxe Handhabung auszusohalten, die paar Ver¬ 
brecher aber, die übrig bleiben, mögen der irdischen Gerechtigkeit über¬ 
liefert werden. 

Die weitere Aussprache wird vertagt. 


Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 26. Oktober 1917. 

HHr. A. Loewy und R. von der Heide: 

Ueber die Giftwirkuig von Methyl- und Aetbylalkohol bei ihrer 
Einatmung. 

M. H ! Die Versuche, über die wir im folgenden berichten wolleu, 
haben nicht nur theoretische Bedeutung, sondern auch praktische 
Wichtigkeit. Ursprünglich sind sie von einem rein praktischen Gesichts¬ 
punkte ausgegangen, nämlich von der Frage, ob und in welchem Maasse 
Methylalkohol, der als Bestandteil des vergällten Branntweins in Be¬ 
trieben zur Einatmung gelangt, in denen letzterer benutzt wird und 
reichlich verdampft, gesundheitliche Schädigungen bei den Arbeitern 
hervorrufen kann. 

Es gibt sehr zahlreiche Betriebe verschiedener Art, in denen Methyl¬ 
alkohol auf diese Weise zur Einatmung kommen kann, so: eine Reihe 
chemischer Fabriken, Fabriken zur Herstellung künstlicher Blumen, 
Lackierereien, Holzleistenfabriken, Hutsteifereien u. a. Wir wollen jedooh 
auf diese Frage hier nicht näher eingehen, möchten vielmehr die sich 
dafür interessierenden Herren auf ein Gutachten verweisen, das Loewy 
im 49. Bande der Vierteljahresschrift für gerichtliche Medizin veröffent¬ 
licht bat 1 ). 

Die Furcht vor den Gefahren des Methylalkohols ging soweit, dass 
angeregt wurde, seine Benutzung zu Denaturierungszwecken überhaupt 
zu verbieten. Dabei waren bis zu unseren Untert-uchungen gar keine 
Untersuchungen darüber angestellt worden, wie sich denn die Aufnahme 
des Methyalkobols von der Lunge aus in den Körper bei verschiedenen 
Mengen bzw. Spannungen desselben in der Einatmungsluit gestaltet, und 
ebenso fehlen jegliche Beobachtungen über den Gehalt an Methylalkohol 
in der Luft von Arbeitsräumen, in denen denaturierter .Spiritus reichlich 
verdunstete. Die praktischen Forderungen, die auf ein Verbot der Be¬ 
nutzung von Methylalkohol in Betrieben, in denen er zur Einatmung 
gelangen kann, hinauslaufen, schwebten mithin vollkommen in der Luit. 

Wir stellten demnach zunächst Versuche an, in denen an Ratten 
und Hunden die Metbyalalkoholmengen ermittelt wurden, die in den 
Körper bei verschiedenen Methylalkoholspannungen in der Einatmungs¬ 
luft aufgenommen wurden. Zugleich wurden die Wirkungen studiert, 
die sich an den Tieren nach Ansammlung bestimmter Mengen Methyl¬ 
alkohols zeigten, sowie diejenigen Mengen festgebtellt, die schliesslich 
zum Tode führten. 

Nun aber verdampft ja beim vergällten Branntwein neben dem 
Methylalkohol zugleich auch Aetbylalkohol und zwar, da der gewerblich 
benutzte Spiritus neben etwa 1 pCt. Methylalkohol 92—94 Vol.-Prozent 
Aetbylalkohol enthält, bei weitem mehr von letzterem. Rechnet 
man die Mengen flüssigen Alkohols in Alkoboldampf um, so ergibt sieb, 
dass bei Verdampfung einer bestimmten Menge von denaturiertem Spiritus 
die Raumluft etwa 64mal soviel Aetbyl- wie Methylalkohol enthält. 

Dieser Aetbylalkoholdampf ist natürlich gleichfalls nicht unaobäd- 
lich, kann vielmehr zu VergiftungserscheinuDgen führen, die in manchen 
Punkten denen des Methylalkohols ähnlich sind, so dass etwa auftretende 
Vergiftungen nicht ohne weiteres auf den Methylalkohol bezogen werden 
dürfen. .Wieviel Aetbylalkohol die Luft enthalten darf, damit noch 
keine Vergiftungen auftreten, war bisher, ebenso wie für den Methyl¬ 
alkohol, unkekannt. Denn trotz der ungeheuren Literatur über die 
Wirkungen des Aetbylalkohols liegen keinerlei quantitative Versuche 
über den Effekt eingeatmeten Aetbylalkohols vor. 

Wir haben deshalb in Fortsetzung unserer Versuche über den 
Methylalkohol in analoger Weise solche mit Aethylalkohol ausgeführt. 
Dabei ergaben sich methodische Schwierigkeiten, durch die diese Versuche 
viel kompilierter wurden als die mit Methylalkohol. Bei diesen 
letzteren gingen wir so vor, dass wir die Versuchstiere in einen Kasten 
brachten, durch den gemessene Luftmengen mit bekanntem Methyl¬ 
alkoholgehalt hindurchgedrückt wurden. Wir lernten so, indem wir 
zum Schlüsse die Tiere töteten und die in ihnen angesammelte Alkohol¬ 
menge bestimmten, die Beziehung zwischen Metbylalkoholspannung in 
der Luft und Methylalkoholansammlung kennen. Aber, da der Methyl¬ 
alkohol nur zu einem sehr geringen Teile — nämlich nach Völtz und 
Dietrich 2 ) nur zu 89 pCt. des in den Magen eingebrachten in 48 Stun¬ 
den — verbrennt, so entspricht die in nur wenige Stunden dauernden 
Versuchen angesammelte Menge fast restlos der aufgenommenen, und wir 
haben damit zugleich auch diese ermittelt. 

Der Aetbylalkohol jedoch verbrennt im Körper’in weitjumfäng- 
licherem Maasse. In den Versuchen von Völtz und Dietrich (1. c.) 
z. B. kamen etwa 70 pCt. des eingefübrten Aetbylalkohols in 10 bis 


1) A. Loewy, Inwieweit ist die gewerbliche Benutzung.von ver¬ 
gälltem Branntwein geeignet gesundheitsschädliche Wirkungen hervor¬ 
zurufen? A. a. 0., 1914, Bd. 48, Supplement. 

2) Völtz und Dietrioh, Biochem. Zschr., 1912, Bd. 40, S. 15. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


15 Stunden zur Verbrennung. Wir werden deshalb, wenn wir ebenso 
verfahren, wie beim Methylalkohol, wohl die aufgestapelte, nicht aber 
die durch die Einatmung in den Körper aufgenommene und in ihm ver¬ 
brannte Menge bestimmen können. Um auch diese Grössen festzu- 
stellen, ist eine Aenderuog unserer Versucbsanordnung erforderlich, auf 
die wir später zu sprechen kommen werden. 

Zunächst wollen wir die Beziehungen zwischen Alkohol¬ 
gehalt der Einatmungsluft und Alkoholaufstapelüng im 
Körper erörtern, da diese neben ihrem wissenschaftlichen Interesse eine 
besondere praktische Wichtigkeit besitzen. 

Beiden Alkoholen gemeinsam ist eine sehr langsame 
Anreicherung des Körpers bis zum Maximum und die Auf¬ 
nahme erheblicher Mengen schon bei einem sehr geringen 
Gehalt der Einatmungsluft an ihnen. 

Dabei bestehen jedoch zwischen Methyl- und Aetbylalkohol charak¬ 
teristische Unterschiede. Der Methyalkohol sammelt sich weit schneller 
an als der Aetbylalkohol. Das hängt mit der verschiedenen Verbrenn¬ 
lichkeit beider im Körper zusammen. Da die des Methylalkohols gering 
ist, so wird bald ein Ueberschuss aufgenomraen werden, der sich an¬ 
lagert, während beim Aetbylalkohol erst' langsam die Grenze erreicht 
wird, bei der über den reichlich verbrennenden Anteil hinaus erheb¬ 
lichere Mengen untersetzt im Körper verbleiben. 

Die folgende Tabelle 1, in der ein kleiner Teil unserer Versuche an 
Ratten zusammengestellt ist, wird die Verhältnisse am besten veranschau¬ 
lichen. 

Tabelle 1. 


Aethylalkohol 

Methylalkobol 

Versuch Nr. 

Dauer 

der Alkohol¬ 
aufnahme 

Prozentgehalt 
der Luft an 
Aethylalkohol 

Ein Kilo¬ 
gramm Tier 
enthält 
Aethylalkohol 

K 

Versuch Nr. 

Dauer der 
Alkoholaufnahme 

Prozentgehalt 
der Luft an 
Methylalkohol 

EmKilogramm 
Tier enthält 
Methylalkohol 

1 

4 Std. • 

0,64 

0,765 

, 

2 Std. 

0,48 

0,481 


8 * 

0,64 

1,018 


2 a 

0,48 

0,660 


21 Std. 8 Min. 

0,787 

1,63 


4 fj 

0,48 

0,636 






4 a 

0,48 

— 






8 . 

0,482 

0 836 






8 . 

0,432 

0,620 

2 

2 Std. 

1.82 

0,142 

2 

2 Std. 

2,25 

0,980 


2 , 

1,82 

0,201 


2 a 

2 25 

1,000 


4 „ 

2,00 

0,261 


4 a 

2,25 

2,379 


11 , 

2,00 

0,235 


4 a 

2,25 

2020 


7 Std. 55 Min. 

2,28 

2,755 


8 a 

2 25 

4 304 


7 . 55 , 

2.28 

2,402 


8 a 

2,25 

4 355 


22 „ 15 „ 

2,21 

5,544 








Tier starb vor 








Schluss des Ver¬ 








suches 





3 

2 Std. 

1,075 

0.154 

3 

2 Std. 

0,827 

0,671 


2 . 

1,075 

0,158 


2 a 

0,827 

0,669 


4 , 

1,248 

0.272 


4 „ 

0,822 

1,052 


4 , 

1,248 

0,540 


4 a 

0,822 

1,413 


8Std. 30 Mio. 

1,238 

1,474 


8 a 

0 882 

1,978 


8 » 30 , 

1.238 

0,910 


8 a 

0,882. 

2,082 


21 ^ 45 ,, 

1,270 

5,785 








Tier in extremis 






21 * 45 a 

1,270 

3,737 

. 





Man ersieht aus ihr, dass schon, wenn die Luft nur gegen 7z Vol.- 
Prozent Alkoholdampf enthält (vergl. Versuch 1), nicht geringe Mengen 
von beiden Alkoholen im Rattenkörper angelagert werden. Dabei zeigt 
sich aber, dass bei Aufnahme von Methylalkohol schon nach 2 Stunden 
der Körper mit dem Alkohol gesättigt ist, eine Ausdehnung der Ein¬ 
atmung auf 4 und 8 Stunden bringt keine weitere Ansammlung zustande. 
Dagegen ist beim Aetbylalkohol auch nach 8 Stunden das Maximum 
der Alkoholaufnahme noch nicht erreicht. 

Noch deutlicher geht die Langsamkeit der Alkoholaufnahrae im all¬ 
gemeinen und die des Aethylalkohols im besonderen aus den Ver¬ 
suchen 2 und 8 hervor. Bei einem Methylalkoholgehalt der Luft von 
2,25 Vol.-Prozent (Versuch 2) sehen wir die Aufnahme bis zu 8 Stunden 
immer noch ansteigen, und zwar annähernd geradlinig, so dass im vierten 
Teil der Zeit (2 Stunden) etwa der vierte Teil, in der halben Zeit 
(4 Stunden) etwa die Hälfte von der Menge angelagert ist, die sich nach 
8 Stunden findet. Die letztere Menge ist schon erheblich, 4,3 g pro 
Kilogramm Körpergewicht. Aehnlich ist der Verlauf in Versuch 8, wenn 
auch die im Körper verbleibenden Mengen nicht so gleichmässig mit der Zeit 
ansteigen. Beim Aethy Ialkohol jedoch verläuft die Anlagerung insofern 
anders, als in den ersten Stunden sehr wenig im Körper verbleibt. In 
Versuch 2 ist nach zweistündiger Alkoholatmung nur 7s« in Versuch 3 
nur 7s der Menge vorhanden, die nach viermal so langer Einatmung 
(8 Stunden) angesammelt ist, und von der als Maximum gefundenen 


Menge macht die in den ersten 2 Stunden aufgespeicherte in Versuch 2 
nur 7sa« i° Versuch 8 nur 7ao aus - 

Von Interesse ist nun die Beantwortung der Frage, welche Alkobol- 
mengen in maximo sich im Tierkörper bei verschiedenen Alkoholspan¬ 
nungen aosammeln können, d. b. welches die AlkoholmeDgen im Körper 
sind, bei denen sich ein Gleichgewicht mit den Alkoholspannungen in 
der Einatmungsluft herstellt. 

Die Frage ist schwer zu beantworten einerseits infolge der sehr 
langsamen Ansammlurg bis zur Sättigung, sodann aber infolge der Gift¬ 
wirkung der Alkohole, die es bei hohen Alkoholspannungen nicht zu 
einer der Spannung entsprechenden Ansammlung kommeu lässt, vielmehr 
schon vor Erreichung derselben früher oder später ihr durch den Tod 
der Tiere ein Ende bereitet. 

Beim Methylalkohol lag die Höchstansammlung — daran kennt¬ 
lich, dass bei fortgesetzter Einatmung keioe stärkere Ansammlung mehr 
stattfand — für etwa 7z pCt. Metbylalkoholgebalt der Luft (= 1,72 mm 
Spannung) bei 0,456 g Methylalkohol pro Körperkilogramm, für etwa 
7* pCt. (0,464 pCt. = 8,42 mm Spannung) bei 0,65 g Alkohol pro Kilo¬ 
gramm Tier. 

Beim Aethy 1 alkohol entspricht einem Alkoholgehalt der Luft von 
0,4 pCt. (= 2.65 mm Spannung) eine maximale Ansammlung von 0,508 g; 
einem von 0,79 pCt. (= 5,16 mm Spannung) eine von 1,63 g pro Körper¬ 
kilogramm. 

Für die höheren Spannungen reicht zur Erreichung des Gleich¬ 
gewichts in unseren Methylalkoholversuchen die Dauer nicht aus, und 
bei den Aethylalkoholversuohen wird sehr bald die Grenze der An¬ 
sammlung erreicht, bei der der Tod der Tiere eintritt. 

Diesen tödlichen Grenzwert konnten wir nun für den Aethyl- 
alkobol in 10 Fällen feststellen. Er liegt bei Ratten zwischen 3,054 
und 5,785 g und würde im Mittel 4,16 g pro Kilogramm Tier betragen. 

Meerschweinchen sind widerstandsfähiger. Sie können in sich 
bis zu 6,4 g Aetbylalkohol pro Kilogramm enthalten, wobei sie schwer 
erkranken, aber nicht tödlich vergiftet sind. 

Vom Methylalkohol kann viel mehr aufgespeichert werden bis zur 
tödlichen Wirkung. Ratten, die 4,2—4,3 g pro Kilogramm enthielten, 
erschienen zwar schwer vergiftet, aber sie reagierten noch auf Geräusche 
und zeigten noch erhaltenen Corneain flex, Tiere mit 5,66—6,06 g 
Alkoholgehalt pro Kilogramm waren reaktionslos; Tiere, die an der 
Methylalkoholvergiftung zugrunde gegangen waren, enthielten 8,71 bis 
12,78 g pro Kilogramm. 

Sonach tritt der Tod bei Vergiftung mit Methylalkohol erst ein, 
wenn der Körper 27z”4mal soviel von diesem enthält wie vom Aetbyl¬ 
alkohol, wenn dieser in tödlicher Menge angelagert wird. — 

Legt man zur Beurteilung der Giltigkeit einer Substanz diejenige 
Menge zugrunde, die im Körper vorhanden sein muss, um einen be¬ 
stimmten Grad von Schädigung oder den Tod herbeizuführen, und dieser 
Maassstab scheint mir der richtigste, so ist der Methylalkohol 
27s—4mal weniger giftig als der Aetbylalkohol. 

Mit diesem Ergebnis stimmt auch das Verhalten der Tiere überein, 
die Methyl- bzw. Aetbylalkohol in noch nicht tödlichen Dosen enthalten. 
Es zeigt sich nämlich, dass Vergiftungsersobeinungen bei An¬ 
sammlung geringerer Mengen weit ausgepiägter auftreten, 
wenn Aethy 1- als wenn Methylalkohol eingeführt wird. 

In unseren Versuchen zeigten Ratten, die 1—1,4 g pro Körperkilo¬ 
gramm Methylalkohol enthielten, zwar eine gewisse Schwerfälligkeit, 
reagierten aber noch auf akustische Reize, vermochten sich aufzurichten, 
schnupperten und liefen umher. Selbst bei 2 g pro Kilogramm taumelten 
sie noch nicht beim Laufen. Noch bei 4 g zeigten sie, wie schon er¬ 
wähnt, schwache Reaktion auf akustische Reize und Blinzelreflex. Dem¬ 
gegenüber liefen Ratten, die nur l / A —7* g pro Kilogramm Aetbyl¬ 
alkohol enthielten, ungeschickt oder taumelten. Bei 1 g waren schon 
schwere Vergiftungserscheinungen wahrzunehmen: sie lagen auf der Seite 
und reagierten nicht mehr deutlich auf Reize. 

Nach fast allgemeiner Anschauung soll umgekehrt der Methyl¬ 
alkohol weit giftiger sein als der Aetbylalkohol. Ja, es wird behauptet, 
dass er zu den schwersten Giften gehört, die wir kennen. Diese Meinung 
gründet sich weniger auf die Ergebnisse des Experimentes als auf die 
Erfahrungen der Praxis. 

Die Laboratoratoriumsversuche mit reinem Methylalkohol haben 
überwiegend eine geringere Schädigung durch ihn als durch Aetbyl¬ 
alkohol ergeben, entsprechend einem Gesetze, das Richardson 1 ) zuerst 
ausgesprochen hat, und das für die übrigen Alkohole zutrifft, wonach 
die Alkohole um so giftiger sind, je mehr Kohlenstoffatome sie enthalten. 
Danach müsste der Methylalkohol der ungiftigste sein. Er erwies sich auch 
als ungiftiger als Aethylalkohol in seiner Wirkung auf das Froschherz, 
auf die Lähmung der Flimmerepithelien, auf Hämolyse. Entgegen diesen 
Beobachtungen mussten die vielfältigen tödlichen oder doch unter Hinter¬ 
lassung schwerer Schädigungen, besonders häufig mit starker Schwächung 
des Sehvermögens oder Blindheit verlaufenden Vergiftungen nach Auf¬ 
nahme von Methylalkohol zu Genusszwecken, die häufig epidemieartig 
auftraten, wenn die Aufnahme durch einen grösseren Kreis von Personen 
erfolgte, erinnert sei hier nur an die Massenvergiftungen zu Weih¬ 
nachten 1911 im Berliner Asyl für Obdachlose, zu der Annahme be¬ 
sonderer Giftigkeit des Methylalkohols führen. Aber es ist zweifelhaft, 
ob der für Genusszwecke abgegebene Methylalkohol wirklich chemisch 


1) Richardson, Med. times and gaz., 1869, Bd. 2. 


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21. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


69 


rein war; er soheint von der Fabrikation her giftige Beimischungen zu 
enthalten, die an den üblen Folgen mit teil haben. 

Dazu kommt ein zweites Moment, das auf der Kumulation des 
Methylalkohols im Körper bei wiederholten Aufnahmen grösserer Mengen 
beruht. Dass man massige Mengen lange Zeit ohne Schaden einführen 
kann, beweist der Selbstversuch von France so hi 1 ), der 274 Tage hin¬ 
durch täglich 32 g reinen Methylalkohol zu sich nahm, im ganzen 
8,8 kg, ohne zu erkranken. Bei wiederholter reichlicherer Einführung 
verbleiben Reste im Körper, die sich schliesslioh zu einer beträchtlichen 
Grösse summieren müssen. Daraus erklären sich die vorliegenden An* 
gaben (Joffroy et Serveaux, Langgaard), dass vom Methylalkohol 
eine einmalige Aufnahme weniger schädlich sei, als wiederholte 
Aufnahmen kleinerer Dosen, daraus wohl auch die mehrfach gemachten 
Beobachtungen, dass mit Methylalkohol wiederholt vorbehandelte Tiere 
zuweilen nach einer folgenden Zufuhr noch nicht toxischer Dosen zu¬ 
grunde gehen. Diese Ansammlung zu einer unbekannten Höhe bei viel¬ 
fach wiederholter Aufnahme stellt eine gewisse Gefahr dar, die be- 
aohtet sein will, die aber dadurch gemindert wird, dass die schädlich 
oder tödlich wirkenden Mengen von Methylalkohol die des Aethylalkohols, 
wie erwähnt, um ein Vielfaches übertreffen. 

Uns hatte bis jetzt die Frage beschäftigt, welche Alkoholmengen 
bei bestimmten Alkoholspannungen der Einatmungsluft sich im Körper 
ansammeln. Diese Mengen entsprechen beim Methylalkohol an¬ 
nähernd den aufgenommenen, beim Aethylalkohol jedoch nicht, da 
dieser in grossem Maasstabe zur Verbrennung kommt. Wir wollten uns 
nnn auch für den Aethylalkohol darüber orientieren, wie umfänglich 
die während der Einatmung in das Tier aufgenommene und in ihm ver¬ 
brannte Menge Alkohols ist. 

Zu diesem Zweoke mussten wir unsere Versuchsmethodik ändern. 
Wir brachten für jeden Versuch ein Tier in eine geschlossene Glocke. 
In dieser befand sich ein Gefäss mit einer bekannten Menge Aetbyl- 
alkohol, zugleich eines mit starker Kalilauge zur Absorption der vom 
Tiere gebildeten Kohlensäure. Der Glockenraum wurde mit Sauerstoff 
gefüllt und nun das Tier in den einzelnen Versuchen verschieden lange 
Zeit in der sich mit Alkoholdampf beladenden Atmosphäre gelassen. 
Zum Schlüsse warde der Alkoholgehalt der Glockenluft festgestellt, 
ebenso der der Kalilauge und die Menge des nicht verdampften Al¬ 
kohols. Ausserdem war es nötig, das Alkoholquantum, das sich auf 
dem Fell des Tieres niedergeschlagen hatte, zu ermitteln. Die Summe 
dieser Mengen abgezogen von der ursprünglich vorhanden gewesenen 
ergab als Differenz die in das Tier übergegangene Alkoholmeoge, und 
die im Tier wiedergefundene Alkoholmenge hiervon abgezogen, ergab 
das im Körper zur Verbrennung gelangte Alkoholquantum. 

Wir haben so € Versuche, je 3 an Ratten und an Meerschweinchen 
ausgeführt. Brauchbar hiervon sind 3, in denen alle vorgenannten 
Daten exakt ermittelt wurden, zur Berechnung sowohl der Mengen des 
in den Körper aufgenommenen wie des verbrannten Alkohols; 
die 3 weiteren können nur zur Berechnung der verbrannten Alkohol¬ 
menge dienen. — Es ergab sieh, dass im Mittel pro Kilogramm Tier 
und Stunde von den Ratten verbrannt wurden: 1,222 g, von den 
Meerschweinchen: 0,584 g Alkohol. 

In den 3 Versuchen, in denen auch die aufgenommenen Alkohol¬ 
mengen berechnet werden konnten, ergab sich folgendes (Tabelle 2): 


Tabelle 2. 


Tierart 

pro Kilogramm 

verbrannte Menge 
in Prozent 
der aufgenommenen 

aufgenommen 

g 

verbrannt 

g 

Meerschweinchen 

2,36 

1,70 

66,5 

Ratte .... 

3.25 

2,40 

73,8 

Ratte .... 

2,78 

2,75 

98,9 


Es Bind also während der zwei Stunden, die die Versuche 
dauerten, erhebliche Anteile der aufgenommenen Alkoholmengen ver¬ 
brannt worden; bei dem Meerschweinchen 2 /s» bei den Ratten ®/ 4 bis 
fast zur gesamten aufgenommenen Menge. Auch absolut genommen 
sind die Mengen sehr erheblich. Bei Völtz und Dietrich, die am 
Hunde ihre Versuche anstellten und allerdings nur 1,6 g Alkohol pro 
Kilogramm Tier in den Magen brachten, kamen nur 0,14 g Aethyl¬ 
alkohol pro Kilogrammstunde zur Verbrennung, in Versuchen von 
Wolffers, unter Zuntz’ Leitung angestellt, in denen Kaninchen intra¬ 
venös bis zu 4 g Alkohol pro Kilogramm und Stunde iojiciert wurden, 
verbrannte mehr als die doppelte Alkoholmenge, nämlich 0,36 g pro 
Kilogramm und Stunde. 

Demgegenüber beträgt bei unserem Meerschweinchen die pro Kilo¬ 
gramm und Stunde verbrannte Alkoholmenge das 5—7 fache, bei den 
Ratten das 8—10fache derer, die in den Versuchen von Völtz-Diet- 
rieh der Verbrennung anheimfielen. Wieweit an dieser Differenz die 
verschiedene Tierart oder die Verschiedenheit der Aufnahmewege oder 
die in unseren Versuchen weit höheren Alkoholmengeo, die die Tiere 
aufnahmen, ursächlich beteiligt sind, kann noch nicht endgültig be¬ 
urteilt werden. 


1) Franoeschi, Verhandl. d. XI. intern. Kongr. f. Pharmacie, 1914. 


Berechnet man, welchem Brennwert die verbrannten Alkoholmengen 
entsprechen und welchen Anteil sie an der insgesamt von den Ver¬ 
suchstieren erzeugten Energiemenge haben, so kommt man zu so hohen 
Werten, dass ein sehr grosser Teil des Umsatzes durch Al¬ 
kohol gedeckt sein musste. Natürlich können diese Rechnungen 
nur Näherungswerte geben, da wir den Stoffwechsel unserer Tiere nicht 
direkt bestimmten, vielmehr die von anderen Autoren gefundenen Mittel¬ 
werte für den Ruheumsatz zugrunde legen müssen. Dazu kommt, dass 
unsere Tiere sich nicht durchweg ruhig verhielten, vielmehr wiederholt 
Bewegungen mit einzelnen Körperteilen ausführten, Lageveränderungen 
Vornahmen, oder auch Ortsveränderungen durch Umherkriechen oder 
Umherwälzen. Dadurch wurde natürlich ihr Umsatz über den Ruhe¬ 
verbrauch mehr oder minder erhöht. Die von uns für die Anteilnahme 
des Alkohols am Gesamtumsatz berechneten Werte sind deshalb, da 
wir den mittleren Ruheverbrauch zum Vergleich zugrundlegen, Maximal¬ 
werte. Danach würde der Ruheumsatz bei den Meerschweinchen 
durch den Alkohol zu 28 pCt. in dem einen Versuche, zu 87 pCt. 
und 94 pCt. in den beiden anderen gedeckt worden sein, bei den 
Ratten zu 48 pCt. und 62 pCt. 

Eine so starke Anteilnahme des Alkohols an den Verbrennungs¬ 
prozessen ist nichts Ungewöhnliches. Bei Völtz-Dietri oh berechnet 
sich, dass etwa 42 pCt. des Umsatzes durch Alkohol gedeckt wurden, 
in den Versuchen von Wolffers am Kaninchen bei intravenöser Zu¬ 
fuhr nach Zuntz’ Berechnung 71 pCt., in Versuchen von Geppert 
am Menschen nach Rosemann’s Berechnung 50—75 pCt. 

Um den Verhältnissen der Praxis näherzutreten und weitere 
Schlüsse betreffs der Möglichkeit, dass durch die Verdampfung von ver¬ 
gälltem Spiritus inWerkstätten Methylalkoholvergiftungen zustande kommen 
könnten, ziehen zu können, haben wir weiter an einer Anzahl von Per¬ 
sonen Inhalationsversuche mit Aethylalkohol angestellt. Die Personen 
befanden sich in einer luftdicht verschlossenen Kammer (pneumatische 
Glocke), deren Luft bei ihrem Eintritt eine bekannte Menge Alkohol 
enthielt. Nach einem Aufenthalt von 1 bis 2 Stunden wurde wiederum 
der Alkoholgehalt der Kammerluft festgestellt und der Versuch abge¬ 
brochen. So erfuhren wir, wie sioh das Befinden der Personen bei einem 
bestimmten mittleren Alkoholgehalt der Luft gestaltete. 

An Loewy ergab sich nun, dass bei nur 0,138 pCt. Alkohol¬ 
gehalt schon ein starker Alkoholgeruch beim Eintritt in die Kammer 
wahrgenommen wurde, und nach etwa V 2 Stunde Stirnkopfschmerz und 
später Reifengefühl um die Stirn auftrat. — Bei l / 4 pCt. Alkoholgehalt 
war der Alkoholgeruch sehr intensiv, bei 0,9pCt. fast unerträglich und 
im Beginne Beklemmungen auslösend. Dabei trat bei V* pCt. Alkohol 
bald Hitzegefühl am Kopfe auf, das sich allmählich über Hab, Arme, 
Rumpf verbreitete, nach 50 Minuten Stirndruck und geringe Benommen¬ 
heit; bei 0,9pCt. schon nach 10 Minuten eine gewisse Dösigkeit, nach 
etwa V 2 Stunde deutliche Benommenheit und Schlafsucht, die weiterhin 
zunahm. 

Bei zwei anderen, mehr an Alkohol gewöhnten Personen zeigte die 
eine bei 0,6 pCt. Alkoholgehalt Druck in der Schläfengegend, bei 
0,8pCt. nach IV 2 Stunden Müdigkeit und Schlafsucht; die andere bei 
VspCt. Alkoholgehalt Schläfenkopfschmerz nach 20 Minuten, der weiterhin 
zunimmt. 

So stellt schon ein Alkoholgehalt von nur etwas über 0,1 pCt. eine 
Konoentration dar, die leichte Vergiftungserscheinungen auszulösen ver¬ 
mag, Erscheinungen, die bei längerer Einatmung als 1—2 Stunden, an¬ 
gesichts der Langsamkeit der Alkoholansammlung im Körper, wohl noch 
deutlicher hervortreten würden. Bei 1 / i — a /4 P Ct. treten schon in den 
ersten Stunden schwerere Erscheinungen auf. 

Da nun in gewerblichen Betrieben, in denen vergällter Branntwein 
reiohlich zur Verdampfung kommt, Alkoholvergiftungen nicht Vorkommen, 
und da selbst in denjenigen Betrieben, deren Luft bei Besichtigungen, die 
Loewy vornahm, am intensivsten nach Alkohol roch, doch der AJkohol- 
geruch nie so stark war wie in unseren Kammerversuchen, selbst wo er 
nur 0,1 pCt. betrug, mus£ die Luft in diesen Betrieben weniger als 
0,1 pCt. Alkoholdampf enthalten. 

Nun stehen aber, wie einleitend erwähnt, bei Verdampfung von 
denaturiertem Spiritus die Mengen des Methyl- zu den des Aethylalkohol- 
dampfes im Verhältnis von etwa 1:64. Bei einem Aetbylalkoholgehalt 
von 0,1 pCt. würde sich der an Methylalkohol demnach auf V fl4 davon, 
d. h. auf 0,0016pCt., stellen, bei geringerem Aetbylalkoholgehalt, der nach 
unseren Erfahrungen angenommen werden muss, entsprechend niedriger. 
Der Methylalkoholgehalt würde also selbst im ersteren Falle um mehr 
als 100 mal geringer sein als in denjenigen unserer Tierversuche, in 
denen dieMethylalkoholbeimengung am niedrigsten lag, nämlich nurO,2pCt. 
betrug. Und diese führte bei achtstündiger Einatmung zu keinerlei 
Symptomen; die Tiere befanden sich zum Schluss ganz normal. — 

Die Gefahr einer Methylalkoholvergiftung in Betrieben, in denen, 
sei es durch die geringe Menge des verdampfenden Branntweins, sei es 
durch hinreichende Ventilation, der Alkoholgehalt der Luft so niedrig 
gehalten wird, dass es nicht zu offenbaren Vergiftungserscbeinungen 
durch den mitverdampfenden Aethylalkohol kommt, kann also als aus¬ 
geschlossen gelten 1 ). _ 


1) Die ausführliche Mitteilung unserer Versuohe, die im Zuntz- 
schen Laboratorium ausgeführt wurden, findet sich für den Methyl¬ 
alkohol in der Biochem. Zscbr. 65, 230 (1914), für den Aethylalkohol, 
ebenda, Bd. 85 (1918). 


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70 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


Sitzung vom 14. Dezember 1917. 

Hr. Thomas: Abbanwege des Organeiweisses. 

Nur das Organeiweiss, dessen N im N-Minimum als Abnutzungsquote 
im Harn erscheint, wird vielleicht primär nicht in Aminosäuren aufge¬ 
spalten. Alles andere Organeiweiss dagegen wird ebenso wie das Nah- 
rungseiweiss im Darm zuerst hydrolysiert, die als Aminosäuren frei ge¬ 
wordenen Bausteine werden dann erst oxydiert und weiter verarbeitet. 
Im N-Minimum lassen sich keine Aminosäuren abfangen (Ornithin durch 
Benzoesäure bei Hühnern, Cystein durch Brombenzol bei Hunden). Die 
Schwierigkeiten der Versuchsanordnung und die Bedeutung, die der 
Isolierung auch kleinster Mengen des Paarungsproduktes zukommt, 
wurden eingehend erörtert. Nimmt man mit Magnus-Levy primär 
eine Oxydation dieses Organeiweisses an, das dann erst im zweiten 
Stadium hydrolytisch zerfällt, so könnten Säureamide entstehen. Es 
wird über das Schicksal solcher Produkte berichtet. Kreatin muss noch 
auf andere Weise entstehen, da es nach den für den Aminosäureabbau 
geltenden Regeln weder aus Arginin nooh aus den vermutlichen Zwischen¬ 
stufen weder im Fütterungsversuch nooh im überlebenden Muskel 
entsteht. 


Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. 

Sitzung vom 7. Januar 1918. 

1. Hr. Kranz: 

Gedenkworte znn 100. Gebartstag von Ludwig Tranbe. 

Am 12. Januar ist der 100. Geburtstag von Ludwig Traube. Wer 
die Bedeutung dieses hervorragenden Klinikers für die Wissenschaft ein¬ 
gehend studieren will, sei auf die Gedächtnisreden von Virchow und 
Leyden hingewiesen. Traube hatte die erste Zivilassistentenstelle' an 
der Charite inne. Es war sein Verdienst, die Lehren von Laennec 
und Skoda in Deutschland verbreitet zu haben, und man kann ihn als 
den Begründer der deutschen allgemeinen und klinischen Pathologie be¬ 
trachten. Besonders hat er auch auf dem Gebiete der Nierenpathologie 
Hervorragendes geleistet. 

2. Hr. Volhard-Mannheim (a. G.): 

Wesen und Behandlung der Bright’sehen Nierenkrankheit. 

Die Lehre von den verschiedenen Formen der Nierenerkrankungen 
befand sich lange Zeit in einem ungeklärten Stadium, da man keine 
einheitlichen Gesichtspunkte für ihre Einteilung besass. Man unter¬ 
schied im allgemeinen drei grosse Gruppen von Nierenaffektionen, die 
akute parenchymatöse Nephritis, die chronisch-parenchymatöse und die 
chronisch-interstitielle Nephritis. Eine scharfe Trennung dieser drei 
Gruppen war aber weder anatomisch noch klinisch möglich. Auf Grund 
der Forschungen, die der Vortr. gemeinsam mit Fahr lange Jahre hin¬ 
durch fortgesetzt hat, hat sich eine neue Einteilung der Nierenkrank¬ 
heiten ergeben. Volhard und Fahr unterscheiden vier Formen der¬ 
selben, die Nephrose, die Sklerose, die Herdnephritis und die diffuse 
Glomerulonephritis. Bei der Nephrose besteht eine primäre Degeneration 
der Epithelien, in der Aetiologie spielen Lues, Diphtherie, Tuberkulose 
und unbekannte Momente eine Rolle. Ihr wichtigstes Symptom ist die 
starke Wassersucht, während eine Blutdrucksteigerung fehlt. Die aus¬ 
geschiedenen Eiweissmengen sind grosse. Bei der Herdnephritis liegt 
eine mykotische Schädigung einzelner oder vieler Glomeruli und eine 
kleinzellige Infiltration des interstitiellen Gewebes vor. Die Hämaturie 
ist ihr wichtigstes Symptom, während Oedeme und Blutdrucksteige¬ 
rungen fehlen. Bei der Sklerose haben wir es mit einer primären Er¬ 
krankung der kleinsten Nierenarterien zu tun. Ihr wichtigstes Symptom 
ist die Hypertonie, während Oedeme und Hämaturie fehlen. Die diffuse 
Glomerulonephritis ist ein proteusartiges Krankheitsbild, das alle eben 
genannten Kardinalsymptome aufweisen kann. Ihr eigentliches Wesen 
ist völlig unbekannt und jedenfalls keineswegs als rein entzündlicher 
Natur aufzufassen. Es besteht eine Blutleere der Glomeruli mit starker 
Schwellung des Endothels derselben. Gelingt es, diese Blutleere zu be¬ 
seitigen, so tritt Heilung ein. Man muss drei Verlaufsarten der Glome¬ 
rulonephritis unterscheiden; bei völliger Ausschaltung der Glomeruli tritt 
sehr bald durch Niereninsufficienz der Tod ein. Wenn sich nach 
einiger Zeit aber die Zirkulation wieder herstellt, so erfolgt der Tod 
erst nach längerer Zeit, nachdem inzwischen ähnliche degenerative 
Epithelveränderungen eingetreten sind wie bei der Nephrose. In 
der dritten Gruppe stellt sich die Zirkulation sehr bald wieder her 
und in diesen Fällen könuen die Nieren jahrelang gut funktionieren, 
und nur die dauernde Blutdrucksteigerung weist auf die Erkrankung 
der Nierengefässe hin. Es gibt aber zwischen diesen drei Verlaufsformen 
alle Uebergänge. Das Stadium der Erkrankung lässt sich durch Funktions¬ 
prüfung der Nieren, den Wasserbelastungs- und den Konzentrations- 
versuch feststellen. Augenhintergrundsveränderungen findet man nur 
in Fällen mit Hypertonie. Auch die mikroskopische Betrachtung der 
Capillaren des Nagelfalzes nach den neueren Methoden zeigt die Gefäss- 
erkrankung. Die Behandlung der akuten diffusen Glomerulonephritis 
gehört zu den dankbarsten Aufgaben des Arztes. In erster Linie ist 
auf die Herztätigkeit zu achten, die immer gefährdet ist. Wichtig ist 
eine Einschränkung der Flüssigkeitszufuhr, eventuell kommt die Dar¬ 
reichung von Strophantus und ein Aderlass in Betracht. Die zweite 
Gefahr beruht in der Urämie. Zur Beseitigung bedient man sich des 
Aderlasses, der Lumbalpunktion und der Chloraldarreichung. Die dritte 
Gefahr besteht von seiten der Nieren selbst, wenn die Anurie eine 
dauernde ist. Für solche Fälle empfiehlt Vortr. als lebensrettend die 


Dekapsulation, die bei chronischer Nephrftis niemals indiciert ist. 
Sonstige Maassnahmen sind die Einschränkung der festen und flüssigen 
Nahrung für 3—4 Tage, während welcher nur Obst und wenig Milch ge¬ 
reicht wird. Für ältere Fälle kommen Trockendiät und Bäder in Frage. 
Auf die viel undankbarere Behandlung der chronischen Nephritis gebt 
Vortr. nicht ein. Die Prognose ist bei Nierenerkrankungen ohne Hyper¬ 
tonie am günstigsten, im übrigen von der Verlaufsart abhängig. 

Diskussion. 

Hr. Lubarsch macht gegen die anatomischen Grundlagen der 
Volhard-Fahr’sohen Einteilung einige Bedenken geltend. 

Hr. Umber weist darauf hin, dass die Volhard’sohe Neugruppie¬ 
rung einen wesentlichen Fortschritt bedeutet. Doch ist die Trennung 
der Herdnephritis von der diffusen Glomerulonephritis oft unmöglich. 

Hr. Richter weist auf das hereditäre und konstitutionelle Element 
in der Pathologie der Nierenkrankheiten hin. 

Hr. Goldsoheider polemisiert gegen verschiedene Punkte der 
Volhard-Fahr’schen Lehre, die Zurückführung gewisser Symptome auf 
einen allgemeinen Gefässkrampf ist abzulehnen. Auch ohne Dekapsu¬ 
lation kommt in vielen Fällen die Diurese wieder in Gang. Er selbst 
hat sie niemals vorgeschlagen. Nach G.’s Ansicht ist die neue Ein¬ 
teilung des Vortr. eine für die kompilierten Vorgänge des kranken 
Organismus viel zu schematische. 

Hr. Zondek berichtet über einige Versuche, in welchen er bei 
Nephritis die Retention von Kalk durch Blutuntersuohungen nachweisen 
konnte. 

Hr. Volhard: Schlusswort. H. Hirsohfeld. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Cultnr zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 9. November 1917. 

Vorsitzender: Herr Pohl. 

Schriftführer: Herr Rosenfeld. 

Hr. Max Schiller: 

Röntgendiagnostik der Oesophagus- uid Magenkrankheiten. (Mit 
Projektionen.) 

Einleitend hebt Vortragender die Vorteile der Durchleuchtung vor 
der Röntgenaufnahme hervor: Beobachtung des Füllungsvorganges, der 
Peristaltik; Palpation vor dem Röntgenschirm; Aufsuchen von um¬ 
schriebenen Druckpunkten; Möglichkeit der Durchleuchtung in beliebig 
vielen Richtungen. 

Besprechung der Erkrankung der Speiseröhre: 

I. Atonie (Dysphagia atonioa [Holzknecht]): 3 Fälle. 

II. Zenker’sohe Pulsionsdivertikel: 5 Fälle. 

III. Oesophagusoarcinome: a) tuberöse Formen: 4 Fälle; b) circu- 
läre Formen: 2 Fälle. 

IV. Verätzungsstenose: 1 Fall. 

V. Cardiospa8mus*. 3 Fälle; Differentialdiagnose gegenüber dem 
Oardia-Carcinom. 

VI. Verschluckte Fremdkörper: 1 Fall. 

Besprechung der Erkrankungen des Magens und zwar nur der 
organischen Wand Veränderungen: 

I. Ulcus rotundum simpler: a) der kleinen Curvatur: a) Schmerz¬ 
punkt, ß ) spastischer Sanduhrmagen: 1 Fall; 

b) des Pylorus: 1 Fall: a) Schmerspunkt, ß) Pylorospasmus, 
y) Widerstandsperistaltik, d) 6-Stundenrest. 

II. Ulcus chronicum pylori: 6 Fälle: a ) Quer- und Längsdehnung, 
ß ) vermehrte Rechtsdistanz, y) Antiperistaltik, d) Dekompensation nach 
Atonie, e) 24- bis 48-Stundenrest. 

III. Haudek’sche Nische: Ulcus oallosum ventriculi: 9 Fälle: 
a) Darstellung der Nischen, ß) Verschiedenheit der Formen, y) Sanduhr¬ 
magen: 1. spastisch, 2. organisch, 3. spastisch-organisch. — Ulcus 
oallosum mit Schneckeneinrollung (Schmieden): 2 Fälle. 

IV. Grosse Divertikel: Ulcus oallosum penetrans: 16 Fälle: a) ge¬ 
stielte Divertikel, ß) breit ailfsitzende Divertikel, y) Luftblase im Di¬ 
vertikel, d) persistierende Ulousnische, e) Nische direkt vor dem Pylorus: 
1 Fall. 

Demonstration von Präparaten. 

V. Carcinoma ventriculi: a) direkter Naohweis als schattengebender 
Tumor: 1 Fall; ß ) indirekter Nachweis als Füllungsdefekt 

1. Carcinoma cardiae: 3 Fälle. 

2. Carcinoma corporis: a) tuberöse Formen: 2 Fälle; b) scirrhöse 
Formen: 3 Fälle ('Schrumpfungen). 

3. Carcinoma anti pylori: a) nicht stenosierend: 4 Fälle; b) steno- 
sierend; a) Carcinomzapfen, ß) Carcinomdistanz am Restbilde: 3 Fälle. 

4. Differentialdiagnose zwischen benigner und maligner Pylorus¬ 
stenose duroh Rechtslagerung des Patienten nach eventueller Beoken- 
hoohlagerung. 


Medizinische Gesellschaft zu Göttin gen. 

Sitzung vom 6. Dezember 1917. 

Hr. Fromme demonstriert einen Fall von Mobilisation eines dwch 
Sehnssverletznng versteiften Ellenbogengelenkes. Herstellung eines 


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21. Januar 1218. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


71 


neuen Gelenkes nach Lexer. Dadurch wurde ermöglicht: vollständige 
Streckung, Beugung bis über den rechten Winkel, Pro- und Supination. 

Hr. Könneeke zeigt einen 19jährigen' Patienten mit Cola valga. 
Als Sind Rachitis. Im vorigen Jahre bei einem Dauerlaul plötzlich 
Schmerzen in beiden Knien, naoh 1 / 2 Jahr Hinken und grosse Beschwerden 
beim Gehen* Im Hüftgelenk beiderseits starke Behinderung der Innen¬ 
rotation, Ab- und Adduktion und Extension sind nur wenig behindert. 
Trochanter 2 cm unterhalb der Roser-Nölaton’schen Linie. Das Röntgen¬ 
bild zeigt den typischen Befund einer Goxa valga. Man unsersobeidet 
drei verschiedene Formen dieser Deformität: 

Goxa valga congenita, die in naher Beziehung zur congenitalen 
Hüftgelenksluxation steht. 

Goxa valga raohitica. Dabei Beschwerden und Gangstörung gering. 
Sehr selten, da die Raohitis häufiger Goxa vara verursacht. 

Goxa valga adulescentium s. idiopathica. 

Die Rachitis als Ursache der Goxa valga ist hier nicht auszuschliessen; 
doch spricht dagegen, dass der Pat. bis vor einem Jahr wollig be¬ 
schwerdefrei war. Wichtig ist sicher die Rolle des Traumas als aus¬ 
lösendes Moment bei bestehender Rachitis. 

Hr. Fromme: In der Chirurgie des Gehirns bieten die fliracystea 
die beste Prognose. Naoh Krause kann man folgende Arten von Cysten 
unterscheiden: Arachnoidealcysten, die durch Entzündung und Ver¬ 
klebung im Arachnoidealraum entstehen. Gysten nach Blutungen. 
Cysten nach Encephalitis. Ferner parasitäre Gysten (Cysticercus, Echino- 
cocous) echte Gliaoysten. 

Sarkome, die in der Mitte cystisch erweichen. 

Klinisch sind die Cysten von Tumoren nicht zu unterscheiden, ihre 
Diagnose wird oft nur vermutungsweise gestellt. Einen Anhaltspunkt 
bietet in manchen Fällen das Schottern bei der Perkussion des Schädels. 
Um die Cysten zu finden, muss man oft multiple Punktionen machen. 

Die beste Therapie der Hirncysten besteht in vollständiger Enukleation, 
das gelingt aber nur bei ganz oberflächlichen Gysten, die sehr selten 
Bind. Durch ein- oder mehrmalige Punktion kann man der Cysten¬ 
flüssigkeit Abfluss verschaffen. Dabei kann es manchmal zur Ausheilung 
kommen, wahrscheinlich dadurch, dass die Flüssigkeit im Arachnoideal¬ 
raum aufgesaugt wird. Eine andere Methode besteht darin, dass man 
eine direkte Kommunikation mit dem Arachnoidealraum schafft durch 
Entfernung eines Stückes aus dem Gehirn. Oder man stellt eine Drainage 
zwischen dem Gysteninhalt und dem Arachnoidealraum her. Das ge¬ 
schieht durch einfache Punktion oder duroh Hineinleiten eines Dura¬ 
lappens in die Cyste, oder eines Gatgutfadens, eines Silberröhrchens oder 
eines Gummidrains, der an die Dura angenäht wird und naoh einigen 
Tagen duroh Inoision wieder entfernt werden muss. Um diese zweite 
Operation zu vermeiden, wird statt des Gummidrains eine sterile Kalbs¬ 
arterie eingelegt 

Eine weitere Methode besteht im Balkensticb, der aber bei Cysten 
selten in Betraoht kommt, lncision und Ableitung des Cysteninhalts 
durch die Membrana atlanto-occipitalis kommt nur bei Kleinhirncysten 
in Betraoht. 

Im grossen ganzen ist die Prognose der Hirncysten günstig; deshalb 
soll man bei allen Patienten mit Tumorsymptomen stets auf eine Cyste 
hoffen und sie durch multiple Punktionen aufzufinden suchen. Dann 
wird man Cysten viel häufiger finden als Tumoren. 

Aussprache. 

Hr. Göppert: Die* Idee, die Gysterna cerebellomedullaris auf dem 
Wege der Inoision des Ligamentum atlanto-oocipitale zur Drainage zu 
benutzen, stammt von Westenhoeffer. Die ersten Operationen der 
Art sind im Jahre 1905 von Hart mann-Königshütte und Hase- 
Antonienhütte ausgeführt worden. Erfolglos dürfte dieser Eingriff sein, 
wenn Obliteration des Foramen Magendi zu erwarten ist. 

Hr. Bruns: Chronischer Damkatarrh als Folge von Ruhr. 

Klinisch ist die Diagnose zwischen chronischer Ruhr und chronischem, 
nicht spezifischem Darmkatarrh oft nicht möglich. Die Prognose der 
echten chronischen Ruhr ist infaust, 50 pCt. kommen zum Exitus. 

Herr Bruns stellt vier verschiedene Typen von chronischer Ruhr auf: 

1. Die ohronisch ulcerose Form. Bei Patienten, die Bich nach 
akuter Ruhr in Rekonvalescenz befinden, treten nach Wochen wieder 
Schleim und Blut im Stuhl auf. Das Abdomen ist im Verlauf des 
Colon druckempfindlich; Beteiligung des Dünndarms macht sioh durch 
das Bild der Nachgärung im Stuhl bemerkbar. Tenesmen fehlen, 
Meteorismus ist selten. Der Zustand dauert monatelang, bis die Patienten 
unter allgemeiner Anämie und Cachexie immer mehr herunterkommen. 
Die Therapie besteht in Einblasen von Dermatol, Arg. nitr., Jodoform 
oder H 2 0 2 vom Rectum aus, am besten mit Mucilago gummi arab. und 
Opium. Wenn dadurch kein Erfolg, dann evtl. Golostomie oder 
Coecostomie. Häufig sieht man aber nach Schliessung der Wunde wieder 
Rückfälle. 

2. Die zweite Form entspricht dem Bild derGolitis infiltrative. 
Akuter Beginn mit blutigem Durchfall und Tenesmen. Unter heftigen 
Sohinerzen entwickelt sich eine infiltrative Entzündung der Wand des 
Sigmoids. Bacillennaohweis gelingt nicht immer. Prognose günstig. 
Therapie: Bettruhe, Kompressen, Olivenöl per os, Arzneieinläufe. 

3. Die pericolitisoh-spastisohe Form besteht in einer Ent¬ 
zündung, die tiefer greift als bei der vorigen, und zwar bis zur Serosa. 
Bei einem Patienten bestanden lang anhaltende, schmerzhafte Spasmen. 
Die im Beginn häufigen, blutigen Durchfälle hatten nachgelassen. Da¬ 
nach stellten sich äusserst heftige, kolikartige Schmerzen unter dem 


linken Rippenbogen ein. Kein Fieber. Stuhl wurde hart und angehalten. 
Von Zeit zu Zeit Blut und Schleim im Stuhl, wahrscheinlich durch 
tiefgreifende Geschwüre. Die Spasmen bedingen im Röntgenbild Aus¬ 
sparung der Wismutsäule. 

4. Die chronisoh-dyspeptische Form äussert sich im Darnieder¬ 
liegen der Magen- und Darmsekretion. Sie unterscheidet sich von der 
entzündlichen Form durch Fehlen von Schleim im Stuhl. Meist bestanden 
schon früher Magen-Darm-Störungen. Der Allgemeinzustand ist wenig 
gestört. Es bestehen keine Sohmerzen, aber Blähungen und häufige 
Stühle, in denen man unverdaute Muskelfasern und makroskopisch 
grosse Brockel von Gemüse und Obst findet. Diese Form ist eminent 
chronisch, führt zu Anämien und Gaohexie und trotzt jeder Therapie. 

Zwischen den vier Kategorien gibt es alle Uebergänge. 

Aussprache. 

Hr. Göppert: Als neue Form chronischer Ruhr möchte ich die 
chronisch recidivierende Pseudodysenterie bezeichnen. Der erste Anfall 
ist meist milde. Alle paar Wochen erfolgt ein Rückfall, so dass das 
Kind schlietslioh sehr erschöpft wird. Akute motorisohe Mageninsufficienz, 
Oedeme und Stimmungsanomalien beweisen oft erst, wie schwer die 
Kinder geschädigt sind. Das Verhalten im Intervall hängt von der 
Ernährungstherapie ab. Wir finden normale Stühle oder chronische, oft 
recht wenig charakteristische Durchfälle. 


Bekämpfung der Weiterverbreitung der 
Herpes tonsurans-Epidemie. 

Notiz zu dem Aufsatz von Dr. Edmund Saalfeld. 

Von 

Professor Dr. A. Budike. 

In Nr. 52 der Berliner klinischen Wochensohrift von vorigem Jahr 
weist Dr. Saalfeld auf die Zunahme der Trichophytie-Erkrankungen zur¬ 
zeit hin. Wir können seine Angaben bestätigen; und bereits in mehreren, 
in diesem Jahr publicierten Arbeiten aus meiner Abteilung von 
Dr. W. Fischer ist die Frage eingehend erörtert worden, speziell auch 
über den Zusammenhang der diesbezüglichen Erkrankungen der Zivil¬ 
bevölkerung mit Uebertragungen von den Kriegsschauplätzen 1 ). Es liess 
sich in sehr exakter wissenschaftlicher Weise durch die Art der Vor¬ 
gefundenen Erreger feststellen, dass solche Zusammenhänge zweifellos 
zum Teil bestehen. Die Militärbehörde hat dieser Frage auch bereits 
ihre Aufmerksamkeit zugewendet, und ich habe auf Ersuchen des 
Sanitätsdepartements des preussischen Kriegsministeriums einen Plan zur 
Erforschung der Dermatomykosen in der Armee entworfen. Demgemäss 
und bei dem oben bereits berührten Zusammenhang der Zivil- und 
militärischen Erkrankungsgebiete, auf die ja auch Herr Saalfeld hin¬ 
weist, wird wohl allmählich auch die Epidemie in der Zivilbevölkerung 
zurückgehen. 

Abgesehen hiervon ist es aber auch zweifellos zurzeit angebracht, 
direkt etwas gegen die Verbreitung dieser Erkrankungen in der Zivilbe¬ 
völkerung zu tun. Herr Saalfeld weist in seiner Mitteilung auf die polizei¬ 
lichen Vorschriften für die Barbiere hin; und ioh bin bei dem hiesigen 
Königlichen Polizeipräsidium auch bereits vorstellig geworden, dass den 
Barbieren die Befolgung dieser Vorschriften noch einmal zur Pflioht ge¬ 
macht wird. und ein diesbezügliches, die Vorschriften enthaltendes Plakat 
in den Barbiergesohäften an einer für das Publikum sichtbaren Stelle 
aushängt, damit das Publikum die Befolgung der Vorschriften selbst 
kontrollieren kann. Ausserdem erscheint es zweckmässig, die in der 
Praxis stehenden Kollegen etwas über das ganze Kapitel zu orientieren, 
damit die Fälle frühzeitig behandelt und isoliert werden. Deshalb bin 
ioh gern der Aufforderung der Redaktion der Zeitschrift für das ärzt¬ 
liche Fortbildungswesen gefolgt und habe in einer für den praktischen 
Arzt berechneten Form die Triebophytiefrage dort dargestellt. Der 
Aufsatz dürfte in einer der näohsten Nummern erscheinen. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin, ln der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 16. Januar fanden 
vor der Tagesordnung Demonstrationen der Herren Kausch, Roth¬ 
schild und Hamburger statt. In der Tagesordnung wurde die Ver¬ 
lesung eines Gegenantrags des Herrn Sch äff er gegen den Antrag des 
Herrn Bumm vorgenommen. Die Besprechung des Antrags Dumm 
wurde vertagt, dagegen erhielt Herr Bumm das Schlusswort zur Aus¬ 
sprache über die „ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft“. 

— Die von uns wiederholt erwähnte gemeinsame Tagung der 
Aerztlichen Abteilungen der Waffenbrüderliohen Vereini¬ 
gungen Oesterreichs, Ungarns und Deutschlands wird am 
23. d. M., abends 8 Uhr, duroh eine Sitzung der Berliner medizinischen 
Gesellschaft eingeleitet, in welcher naoh einer Begrüssung durch Herrn 
Kraus Herr Orth einen Vortrag über Tuberkulose halten wird. 


1) W. Fischer, Der Einfluss des Krieges auf die Dermatomykosen 
und ihre Pilzflora. (D.m.W., 1917, Nr. 30 (mit Genehmigung des Sanitäts¬ 
amts des Gardekorps). 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 3. 


Die Festsitzung, zu welcher I. M. die Kaiserin ihr Erscheinen in 
Aussicht gestellt hat, findet am 24. Januar, vormittags 10 Uhr, im 
Langenbeck-Virchow-Hause statt; die Herren Ministerialdirektor Kirchner, 
Unterstaatssekretär Schilfer, Hofrat v. Hochenegg - Wien, Hofrat 
v. Grosz-Budapest sowie Vertreter der Behörden und der Aerzteschaft 
werden Ansprachen halten; Generalstabsarzt v. Schjerning sprioht 
über die Bedeutung der Kinder- und Jugendfürsorge für die 
Volks- und Wehrkraft. Dies grosse Thema wird auch den Gegen¬ 
stand aller folgenden Beratungen bilden; es ist in mehrere Abschnitte 
zerlegt — Vermehrung und Erhaltung des Nachwuchses, 
Schutz und Kräftigung der jugendlichen Bevölkerung, Her¬ 
absetzung der Sterblichkeit durch zielbewusste Bekämp¬ 
fung der übertragbaren Krankheiten. Für diese Beratungen sind 
hervorragende Gelehrte als Berichterstatter gewonnen —- ausser heimi¬ 
schen Forschern, wie Krohne, Abel-Jena, Schmidt-Bonn, Leu, 
Flügge, Kraus, Lentz, Neufeld, v. Wassermann, Otto, Nocbt- 
Hamburg, werden wir zahlreiche fremde Gäste — u. a. Tandler-Wien, 
Ta uff er-Budapest, v. Pirquet-Wien, Dollinger-Budapest, Winter- 
Wien, Jendrassik-Budapest, Teleky-Wien, Böhra-Wien, Mager- 
Brünn, Paul-Wien, Dörr-Wien, Finger-Wien hören; diese Beratungen 
erstrecken sich bis Sonnabend, den 26. mittags, am Nachmittag findet 
dann noch eine Besichtigung der Kaiser Wilhelms-Akademie und des 
Kaiserin Friedrich-Hauses statt, wo Prof. Adam über die Bedeutung der 
ärztlichen Fortbildung für die Volkswohlfahrt und über den Film als 
ärztliches Unterrichtsmittel sprechen wird; auch für Montag, den 28., sind 
noch Besichtigungen wissenschaftlicher Institute vorgesehen. Von 
grösseren Festlichkeiten ist selbstverständlich Abstand genommen: doch 
wird die Stadt Berlin am 26. nachmittags die Gäste zu einem Emp¬ 
fang im Rathaus vereinigen und die Aerzteschaft von Berlin einen 
musikalischen Abend veranstalten. — Das wobldurohdachte und reichge¬ 
gliederte Programm der Tagung verheisst eine wesentliche Förderung 
aller der Fragen, welche uns jetzt während des Krieges so lebhaft be¬ 
schäftigen und später in noch höherem Grade für den Wiederaufbau 
unseres nationalen Lebens von Bedeutung sein werden. Die Zeitver¬ 
hältnisse, namentlich die Schwierigkeiten des Verkehrs und der Ver¬ 
pflegung, lassen ja eine grössere Beteiligung aus dem Reiche und den 
verbündeten Staaten kaum erwarten; aber die Aufmerksamkeit nicht 
bloss der Aerzte, sondern aller derer, welchen das Wohl unseres Volkes 
und der mit uns in so engen Beziehungen stehenden bundesfreundlichen 
Nationen am Herzen liegt, ist dieser Veranstaltung, der wir einen er¬ 
folgreichen Verlauf nicht erst zu wünschen brauchen, gewiss! 

— In Verbindung mit der Tagung der Waflenbrüderlichen Vereinigung 
werden noch einige andere, wichtige Veranstaltungen stattfinden; so vom 21. 
bis 23. Januar eine Versammlung der Prüfungsstelle für künst¬ 
liche Ersatzglieder; derDeutsche Verein für Volkshygiene ver¬ 
anstaltet seine 17.Mitgliederversammlung amMittwoch, den 23. Januar 1918, 
vormittags 10 Uhr, in Berlin im grossen Saale des Landeshauses der Provinz 
Brandenburg, Matthäikirchstrasse 20. Auf der Tagesordnung steht ausser 
geschäftlichen Mitteilungen ein Vortrag des Herrn Geheimen Medizinalrats 
Professor Dr. Rubner-Berlin über: „Geistige und körperliche Arbeit 
und ihre Beziehung zur Ernährung“, sowie ein Vortrag des Herrn 
Ministerialdirektors, Wirklichen Geheimen Ober-Medizinalrats Prof. 
Kirchner über: „Aufgaben und Ziele des Deutschen Vereins für Volks¬ 
hygiene nach dem Weltkriege.“ Auch die Centralstelle für das 
Rettungswesen an Binnen- und Küstengewässern und das 
Centralkomitee für das Rettungswesen in Preussen lädt zum 
gleichen Tage, naohmittags 6 Uhr im Kaiserin-Friedrich Hause zu einer 
Sitzung ein, in der u. a. Geräte für künstliche Atmung sowie Rettungs¬ 
kästen für Schwimm- und Badeanstalten vorgezeigt werden. 

— In München starb der Direktor der chirurgischen Universitäts¬ 
klinik Geheimrat Dr. v. An ge rer, Leibarzt des verstorbenen Prinz¬ 
regenten Luitpold. Am 17. September 1850 zu Geisfeld in Bayern ge¬ 
boren, hatte Angerer in Würzburg studiert, ebenda 1873 das medi¬ 
zinische Staatsexamen abgelegt und sich 1879 habilitiert. Im Jahre 
1885 wurde er als ausserordentlicher Professor und Vorstand der chir¬ 
urgischen Poliklinik nach München berufen, seit 1890 bekleidete er als 
Ordinarius die Direktorstelle der chirurgischen Klinik. Zahlreiche Ar¬ 
beiten auf allen Gebieten der Chirurgie — insbesondere über die Be¬ 
handlung der Kehlkopfkrankheiten, der Lymphgefässe und Lymphdrüsen, 
über die Krankheiten und Verletzungen der Brustdrüse — hatten ihm 
einen Rang unter den ersten Chirurgen Deutschlands gesichert. 

— Lehrgang in der Tuberkulosefürsorge in Berlin. Die 
Kommission für den Ausbau des Auskunfts- und Fürsorgestellen¬ 
wesens veranstaltet Ende Januar 1918 einen dreiwöchigen Lehrgang für 
etwa 30—40 Teilnehmerinnen zur Ausbildung in der Tuberkulosefürsorge. 
Zur Teilnahme werden zugelassen staatlich geprüfte Kranken¬ 
pflegerinnen — auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz —, Säuglings-, 
Wohnungs- und Fabrikpflegerinnen, Mitglieder der Vaterländischen 
Frauen vereine vom Roten Kreuz und andere Damen, die ihrer Vor¬ 
bildung nach zur Betätigung in der sozialen Fürsorge geeignet sind. 
Der Unterricht findet im Gebäude der Landesversicherungsanstalt Berlin, 
Am Köllnischen Park 3, statt; für Unterkunft und Verpflegung haben 
die Teilnehmerinnen selbst zu sorgen. Anmeldungen sind an die Ge¬ 
schäftsstelle des Tuberkulose-Centralkomitees, Berlin, Linkstrasse 29, zu 
riehten; mit der Zulassung wird von dort der Arbeitsplan versandt werden. 


— Der Magistrat Berlin teilt der Berliner Stadtverordnetenver¬ 
sammlung mit, dass das Kuratorium für die Heimstätten aufge¬ 
löst ist und dass für die gemeinsamen Angelegenheiten der städtischen 
Krankenanstalten, Hospitäler und Heimstätten ein besonderes Dezernat 
unter dem Stadtmedizinalrat Dr. Weber gebildet worden ist. 

— Zur Errichtung einer medizinischen Fakultät in Sofia 
erlässt das bulgarische Unterrichtsministerium eine internationale Aus¬ 
schreibung für die Professuren der Anatomie, der Histologie und 
Embryologie und endlich der Physiologie. Die Auswahl und Ein¬ 
richtung der zu den Lehrstühlen gehörigen Institute wird aus den vor¬ 
handenen Bauliebkeiten unter Mitwirkung der zu ernennenden Professoren 
erfolgen. Die erforderlichen Kredite sind bereits bewilligt. Im ersten 
Jahre kann der Unterricht in der bulgarischen oder einer anderen 
slawischen Sprache, ferner in deutsch oder französisch erteilt werden, 
in den folgenden Jahren nur noch in bulgarischer Sprache. Die aus¬ 
ländischen Bewerber haben die Wahl, ob sie ihr Lehramt auf Grund 
eines Vertrages oder als bulgarische Untertanen mit allen Reohten 
bulgarischer Staatsangehöriger ausüben wollen. Die aus Deutschland 
sich meldenden Bewerber werden ersucht, ihre Bewerbungen bis 8. Fe¬ 
bruar 1918 einschliesslich bei der kgl. bulgarischen Gesandtschaft Berlin, 
Kurfürstendamm 1, unter Beifügung 1. ihrer Zeugnisse über die Ab¬ 
solvierung von Mittel- und Hochschule; 2. einer kurzen Darlegung ihrer 
wissenschaftlichen Tätigkeit und Aufzählang ihrer bisher veröffentlichten 
wissenschaftlichen Arbeiten; 3. ihrer Gehaltsansprüche einzureichen. 

— Im Verlag von Jul. Springer erscheint eine illustrierte Monats¬ 
schrift für die Berufsbildung auf dem gesamten Gebiete der Kranken¬ 
pflege „Die Schwester“, herausgegeben von Dr. Paul Mollen¬ 
bauer und Oberin Elsa Billiger. Das 1. Heft bringt einen Ar¬ 
tikel von Plehn „Ueber Infektion, von Sudock „Ueber den archi¬ 
tektonischen Bau der Knochen und die Heilung von Knochenbrüchen“; 
„Einiges über Sublimat“ von P. Rona; „Die Schwester im Dienste der 
ländlichen Kriegsinvalidenfürsorge“ von Maier-Bode: „Schwester und 
Staatsanwalt“ von Staatsanwalt Erich; sowie kleinere Mitteilungen. Ein 
„Briefkasten“ bietet schliesslich Gelegenheit zu persönlicher Belehrung. 

— Die „Strassburger medizinische Zeitung“ hat Ende 1917 
ihr Erscheinen eingestellt. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (30. XII. 
bis 5. I) 1. — Fleckfieber: Deutsches Reich (30. XII.—5. I.) 1. 
Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau (16. bis 
22. XII.) 1024 und 84 +. — Rüokfallfieber: Kaiserlich Deut¬ 
sches Generalgouvernement Warschau (16.—22. XII.) 87. — 
Genickstarre: Preussen (23.—29. XII.) 8 und 1 f. — Spinale 
Kinderlähmung: Preussen (23.-29. XII.) 1. — Ruhr: Preussen 
(23.—29. XII.) 52 und 12 f. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Diphtherie und Krupp in Berlin-Lichterfelde, Berlin-Reinicken¬ 
dorf, Colmar, Wilhelmshaven; Keuchhusten in Kaiserslautern. 

(Veröfi. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Ho ch s ch u ln aoh richten. 

Königsberg. Der Privatdozent für Hals-, Nasen- und Ohren- 
krankheiten Dr. Rhese hat den Professortitel erhalten. Habilitiert: 
Dr. Klewitz für innere Medizin. — Halle. Geheimrat Abderhalden 
wurde von der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig zum korrespon¬ 
dierenden Mitglied ernannt. — Strassburg. Der Professortitel wurde 
verliehen den Privatdozenten DDr. Meyerstein (innere Medizin) und 
Mulzer (Dermatologie). — München. Geheimer Hofrat v. Hess, Ordi¬ 
narius für Augenheilkunde, wurde zum Geheimen Rat ernannt. — 
Heidelberg. Habilitiert: Dr. Freudenberg für Kinderheilkunde. — 
Marburg. Prof. Jores erhielt einen Ruf nach Kiel auf den Lehr¬ 
stuhl für Pathologie und pathologische Anatomie und wird demselben 
Folge leisten. 


Amtliche Mitteilungen. 

Person allen. 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden II. Klasse m. Eichenlaub 
und Schwertern: Ob.-Gen-A. Dr. Landgraf. 

Roter Adlerorden IV. Klasse: Kreisarzt a. D. Med.-Rat Dr. Diet¬ 
rich in Jeserig bei Brandenburg &. H., bisher in Neukölln. 

Kgl. Kronenorden 11. Klasse m. Schwertern: Gen.-A. Dr. Jo¬ 
hannes, Mar.-Gen.-A. Dr. Behmer. 

Kgl. Kronenorden III. Klasse: Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat Dr. 
Priester in Reppen. ^ 

Kreuz d. Ritter d.kgl. Hausordens v. Hohenzollern m. Schwer¬ 
tern: St.-A. d. R. Dr. Hoffmann. 

Ernennung: Stadtass.-Arzt Dr. F. Hurck in Barmen z. Kreisarzt in 
Schleiden. 

Versetzung: Kreisarzt Dr. Rehberg von Pyritz nach Tilsit. 

Niederlassung: Aerztin Dr. Gertrud Pietrulla in Breslau. 

Gestorben: Kreisarzt Geh. Med.-Rat Dr. Reinhold Koehler in 
Landshut i. Schl., San.-Rat Dr. S. Heilbrunn in Erfurt, Dr. L. 
Koppen in Aachen. 


Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Han« Hohn, Berlin W, Bayreuther Str.49, 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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IX« Berliner Kllnteehe Wochenschrift erscheint Jeden 
Montag in Nummern von ca. S—6 Bogen gr. 4. —■ 
Preis vierteljährlich 1 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Bachhandlungen und Postanatalten an. 



Alle Blnsendnngon für die Redaktion and Bxpedltloa 
wolle man portofrei an die Verlagebaehhandlang 
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden 
Nr. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner uud Prot Dr. Haus Kolm. 


Montag, den 28. Januar 1918. 


J\l 4 . 


Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


0riginJ.it®: v. Schjerning: Kinder- und Jugendpflege und ihre Be¬ 
deutung für die Volks- und Wehrkraft. S. 73. 

Orth: Ueber einige Tuberkulosefragen. S. 76. 

Aufrecht: Zur Behandlung des Keuchhustens. S. 82. 

Karo: Klinik der Nierenverletzungen. (Aus einem Reservelazarett.) 
S. 82. 

Meinicke: Ueber Theorie und Methodik der serologischen Lues¬ 
diagnostik. S. 83. 

Mayer: Zur Frage der Divergenz der Wassermann-Resultate. (Zu¬ 
gleich eine Erwiderung auf die Arbeit von Freudenberg in der 
Berliner klin. Wochenscbr., 1917, Nr. 13.) S. 86. 

Btteherbespreeliangen : Neu mann: Blut und Pigmente. S. 88. (Ref. 

Hart.) — Birk: Leitfaden der Säuglingskrankheiten. S. 88. Schulz: 

Der Unterricht in der Säuglings- und Kleinkinderpflege. S. 88. 

Engel: Die Ernährung des Säuglings. S. 88. (Ref. Weigert.) 


Kinder- und Jugendpflege und ihre Bedeutung 
für die Volks- und Wehrkraft. 

Rede 

bei der Festsitzung der reiohsdentsohen, österreichischen und ungari¬ 
schen Waffenbrüderlicben Vereinigung zn Berlin am 24. Januar 1918. 

Von 

Professor Dr. v. Schjerning, 

Generalstabsarzt der Armee und Chef des Feldsanitätswesens. 

Waffenbruder, Kameraden und Kollegen! 

Zunächst entbiete ich Ihnen die Grösse der deutschen Aerzte, 
die draussen an den Fronten und im besetzten Gebiete mit hin¬ 
gebender Treue fürs Vaterland ihr Leben eiosetzen und unserer 
Wissenschaft neue schöne Erfolge erringen. 

Die Wunsche und Gedanken vieler unserer Standesgenossen 
eilen aus dem Felde in dieser Stande zu uor her und schlingen 
ein festes Band um die Aerzte der verbündeten Länder vom 
nebligen Flandern bis zum sonnigen Mesopotamien, vom vereisten 
Riga bis zum wald- und wegelosen Mazedonien, vom Sumpfland 
der Dobmd8cba bis zum Felsenbette der Brenta. 

„Waffenbrüder“ ein stolzes Wort! 

Das erinnert an ferne, friedliche Zeiten, da weise mächtige 
Monarchen und grosse Staatsmänner den Schutz und Trutzbund 
unserer Völker knöpften. 

Das erinnert an die grössten Tage, die wir alle wohl je er¬ 
lebten, an die Tage höchster politischer Erregung nnd vater¬ 
ländischer Begeisterung, als nach dem Doppelmord von Serajewo 
die beiden Mittelmächte in fester Trene gegen eine Welt von 
Feinden zu Schild und Schwert griffen. 

Das erinnert an dreiundeinhalb Jahre gemeinsamer Kämpfe, 
gemeinsamer Sorgen, gemeinsamer Siege. — Mit Blut and Eisen 
schmiedete der Krieg unsere Völker zusammen and vereinigte 
auch die Aerzte unserer Länder znm gemeinsamen Kampfe für 
die Gesundheit und Kraft ihrer Krieger und Bürger. 

„Waffenbrüder“ wurden wir Aerzte. — Schön und er¬ 
hebend ist es, grossen Erinnerungen zu leben, aber gebieterisch 
fordert die Gegenwart unsere ganze, ungeminderte Arbeitskraft, 
and für die Zakunft steigen bereits mit der aufleachtenden 
Friedenssonne neue gewaltige Arbeitsziele am Horizont empor. 

Nnr auf eines lassen Sie mich heute Ihre Blicke lenken, auf 


Literatar-Auszüge; Therapie. S. 88. — Allgemeine Pathologie und 
pathologische Anatomie. S. 88. — Parasitenkunde und Serologie. 
S. 88. — Innere Medizin. S. 89. — Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. S. 89. — Kinderheilkunde. S. 90. — Chirurgie. S. 91. — 
Röntgenologie. S. 92. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 92. 
— Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 92. — Augenheilkunde. S. 93. 
— Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 93. — Soziale Medizin. 
S. 93. — Gerichtliche Medizin. S. 93. 

VerhaidlugeB ärztlicher Gesellschaften: Medizinische Sektion 
der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultnr 
zu Breslau. S. 93. — Aerztlicher Verein zu Hamburg. S. 94. 
— Naturhistorisch-medizinischer Verein zn Heidelberg. 
S. 95. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 95. 
TagesgeschiGhtliohe Notizen. S. 96. 

Amtliche Mitteilungen. S. 96. 


ein Ziel, das die Aerzte unserer verbündeten Länder waffen¬ 
brüderlich erkämpfen müssen, wenn anders sie die vornehmste 
Pflicht des ärztlichen Standes gegen das eigene Volk weitaus¬ 
schauend erfüllen wollen, lassen Sie mich hin weisen auf die 
Kinder- nnd Jugendpflege und ihre Bedeutung für die 
Volks- und Wehrkraft. 

Jugend ist Znkunft! und „wer die Jugend hat, hat die 
Zukauft!“ — 

Noch tobt der Krieg, und mancher mag fragen, ob wir nicht 
genügend beschäftigt seien, am nur die Forderung des Tages zu 
erfüllen. Doch soviel ich sehe, ist die grösste Aufgabe, die der 
Krieg uns Aerzten stellt, bereits gelöst: jeder Verwundete und 
kranke Soldat erhält schnell und sicher ärztliche Hilfe, gute 
Pflege, schonende Beförderung nnd amfassende Nachbehandlung 
bis zur Grenze der ärztlichen Reichweite. — Und die Heimat blieb 
vor den früher mit Recht gefürchteten verheerenden Kriegsseuchen 
fast ganz bewahrt. 

Gewiss werden wir noch Jahre und Jahrzehnte brauchen, 
am die schwersten Wunden und Leiden unserer Kriegsbeschädigten 
zn lindern and zu heilen, aber auch hierfür werden und sind die 
nötigen Einrichtungen bereits getroffen and klar vorgezeichnet. 

Unsere wichtigste und dringendste Aufgabe, unabhängig von 
der Nähe oder Feme des Friedens, erwächst uns aus dem 
Wiederaufbau und der Vermehrung unserer Volkskraft. — 
Yolkskraft bedeutet zugleich Wehrkraftt. Gleichviel ob uns, 
wie nach 1870/71, eine lange Friedenszeit künftig beschieden 
sein wird, oder ob bald schon wieder unsere Feinde unsern 
Frieden stören werden, wir brauchen für den friedlichen wie 
kriegerischen Wettstreit der Nationen schnell wieder neue, starke 
Kräfte, brauchen Ersatz für die Gefallenen, Ersatz für die ver¬ 
stümmelten und beschädigten Bewegungs- und Sinnesorgane, Er¬ 
satz für gewaltigen Gebartenausfall. 

Nicht am Tage des Friedensschlusses entscheidet sich Sieg 
oder Niederlage in diesem Weltkriege, Sieger wird das Volk, das 
so beschaffen ist nnd einen solchen Frieden schliesst, dass es in 
der kürzesten Zeitspanne nach dem Kriege seine Verloste an Volks¬ 
and Wehrkraft wieder auszugleichen vermag. 

Helfen wir Aerzte, dass dies unseren verbündeten Völkern 
gelingt! 

Wo fangen wir an? — „Fangt mit der Jugend an,“ ant¬ 
wortet uns Goethe. Beim Kind beginnt unser Werk. Wir brauchen 


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74 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


viele, gesunde und kräftige Kinder. Grundlage des Staates ist 
die Familie, Zahl und Fruchtbarkeit der Ehen können und müssen 
gesteigert werden. — Die Zahl der deutschen Eben ist seit 1900 
zurückgegangen, sie lässt sich vermehren. 

Jeder gesunde, zeugungs- und erwerbsfähige Mann hat — 
von wenigen Ausnahmefätlen abgesehen — die natürliche Pflicht 
und bei dem Frauenüberschuss auch die Möglichkeit der Ehe¬ 
schliessung. 

Der Hauptgrund für die Verzögerung und Verringerung der 
Heiraten ist wirtschaftlicher Art. Viele Männer möchten sich 
durch die Gründung des Haushaltes nicht pekuniär verschlechtern, 
noch mehr sind oder glauben sie sich durch unsere neuzeitlichen 
Standes- und Erwerbs Verhältnisse an rechtzeitiger Verheiratung 
verhindert. 

Eine wesentliche Erhöhung des Anfangseinkommens ist aus 
finanziellen und ökonomischen Gründen weder noch in festen noch 
in freien Berufen durchführbar, nur grössere Einfachheit der 
Lebenshaltung und Lebensgestaltung kann hier helfen. — Er¬ 
wünscht ist ein Gehaltszuschuss für Unvermögende bei Gründung 
des Hausstandes, Heiratsprämien durch Versicherungen und Besser¬ 
stellung der Verheirateten bei Anstellung, Umzügen, Gehalts- und 
Pensionsabstufung, sowie bei der Steuereinteilung. — Junggesellen 
sind spätestens etwa vom 30. Lebensjahre ab — steuerlich stärker 
zu belasten. 

Gegen den freien Geschlechtsverkehr benötigen wirbessere 
sittliche und staatsbürgerliche Einsicht, strengere Beurteilung und 
Bestrafung dez Ehebruchs, schärfere Erfassung der Alimentations¬ 
pflicht, Verfolgung der kriminellen Fruchtabtreibungen, Unter¬ 
drückung des Vertriebes empfängnisverhütender Mittel. 

- War die Zahl der Ehen von 1870 bis 1883 in Deutschland 
gestiegen, so hatte ihre Fruchtbarkeit schon vorher nachgelassen, 
sie sank dauernd infolge körperlicher und sittlich-wirtschaftlicher 
Schäden. 

Von jenen brauche ich in diesen Kreisen ernst denkender 
Männer und Aerzte nur auf die Geschlechtskrankheiten zu 
verweisen, die zahllose Ehen un/ruchtbar, zahllose Familien un¬ 
glücklich machen und Schuld sind an der Geburt vieler lebens¬ 
unfähiger und kranker Kinder. 

Und von den sittlich-wirtschaftlichen Schäden, unter denen 
Familiengründung — und Vermehrung je länger je mehr leiden, 
will ich hier nur die Wohnungsnot, besonders der Städte 
nennen. — Der mächtige Aufschwung der Industrie führte zur 
Landflucht, Bodenpreissteigerung und engen Bebauung des Stadt¬ 
gebietes, die Wohnungen wurden immer teurer und enger, immer 
ärmer an Luft und Licht, sie förderten die Neigung zur willkür¬ 
lichen Beschränkung der Kinderzahl, d<e Kindersterblichkeit, 
Tuberkulose, Rachitis und Unsittlichkeit. 

Darum müssen wir Arzte für bessere, billigere, geräumigere 
und gesundere Wohnungen kämpfen, nur im gesunden Körper 
wohnt gesunder Sinn, nur in gesunder Wohnung wächst ein ge¬ 
sundes Volk! -i- Möglichst vielen unserer heimkehrenden 
Krieger die Gründung eines eigenen Heimes zu ermöglichen, 
ist nicht nur Ehrenpflicht des Vaterlandes, sondern auch ein Gebot 
staatsmännischer Voraussicht. Der Anfang dazu wird in Preussen 
jetzt gemacht. 

Jeder Familienzuwachs bringt Mehrkosten; die neuen Ver¬ 
sicherungen für den Fall der Elternschaft und die Reichs¬ 
wochenbeihilfe für unbemittelte Wöchnerinnen, sowie besondere 
Kostzuwendungen an werdende und stillende Mütter vermindern 
die Sorgen um unseren Nachwuchs. 

Mit jedem dritten und weiteren Kinde sollte eine steuerliche 
Bevorzugung der Familie verbunden sein, die nach der Höhe des 
Einkommens abzustufen ist. 

Bereits vor dem Kriege wurden uns jährlich 660000 Kinder 
weniger geboren, als geboren werden mussten, wenn selbst nur 
die Geburtenziffer des Jahres 1900 der Erreicbnung des voraus¬ 
sichtlichen Nachwuchses zugrunde gelegt wird. Die deutsche Ge¬ 
burtenziffer sank seit 1901 schneller als die Sterblichkeitsziffer. 
— Auch auf diesem Gebiete müssen die Gebildeten mit gutem 
Beispiel vorangehen, und wieder fällt uns Aerzten hierbei eine 
wichtige, beratende Rolle zu. — Die Wege sind unschwer zu er¬ 
kennen: in allen Kulturstaaten hat die willkürliche Kinder¬ 
beschränkung bei den mittleren und höheren Schichten der 
Grossstadtbevölkerung eingesetzt, am stärksten bei den Fest- 
besoldeten, und allmählich auf die Industrie- und Landarbeiter 
übergegriffen. 

Deutschland verliert jährlich 6600 Frauen an den Folgen 
einer Entbindung, über 60000 Kinder werden totgeboren. 


Verbesserung des Hebammenwesens und der Entbindungsanstalten 
sind dagegen ein Heilmittel. 

Uns Aerzten muss es eine noch strengere Pflicht als bisher 
schon werden, unsere Berechtigung zur Einleitung der künstlichen 
Frühgeburt auf das schärfste zu prüfen, auf vereinzelte Aus¬ 
nahmefälle zu beschränken und cur nach verantwortlicher Mit¬ 
beratung eines zweiten Vertrauensarztes zu bejahen. — Mit Recht 
wurde kürzlich die öffentliche Meinung beunruhigt und in be¬ 
greifliche Erregung versetzt, als sich in einem Rechtsfalle die 
Befürchtung herausstellte, dass selbst ein Universitätslehrer und 
Assistenten nicht die gebotene Zurückhaltung auf diesem Gebiete 
üben. Auch unseren Medizinalstudierenden muss in der Frage, wie 
sich eine gewollte Schädigung der Volks- und Wehrkraft ver¬ 
hüten lässt, rechtzeitig das Wissen und Gewissen geschärft, der 
Wille gestärkt werden. 

Jedes Kind und jedes keimende Leben gehört nicht nur der 
Mutter, sondern dem Staate und dem Vaterlande; jeder Arzt 
muss 8ic(i der Verantwortung inne werden und bewusst bleiben, 
die er trägt, wenn er vorzeitig keimendes Leben oder gar reife 
Früchte vernichten zu müssen glaubt. 

Im Jahre 1913 betrag die Säuglingssterblichkeit noch 
277000 Fälle. Durch die vermehrte Säuglingsfürsorge, die 
sich der warmherzigen,* nicht hoch genug zu dankenden Förderung 
unserer erhabenen Kaiserin erfreut, könnten wir unschwer schon 
in jenem Jahr 100000 bis 150000 Säuglinge mehr am Leben 
erhalten. Unsere Hauptforderung lautet: Rückkehr zur natür¬ 
lichen Ernährung des Säuglings durch die Mutterbrust! — Ferner 
Stillprämien und ärztliche Beratung für Mütter, Ueberwachung 
des Ammen- und Haltekinderwesens. 

Die früher oft geäusserte Meinung, dass die Säuglingssterblich¬ 
keit einen Selektionsvorgang im Sinne Darwin’s darstelle, wo¬ 
nach die minderwertigen Elemente ausgesondert, die kräftigen er¬ 
halten bleiben, ist durch die trefflichen Erfolge der verbesserten 
Säuglingspflege bereits entkiäftet worden. 

Die Zunahme der unehelichen Geburten und die unver- 
hältnismässig hohe Sterblichkeit der unehelichen Kinder 
zwingen dazu, sie von Staats wegen wirtschaftlich, rechtlich und 
sittlich besser zu schützen. Die Preussische Ministerialkommission 
für die Geburtenrückgangsfrage und das Preussische Abgeordneten¬ 
haus haben sich im vorigen Jahre auch mit diesen wichtigen 
Fragen eingehend beschäftigt und wertvolle Entschliessungen 
angeregt. 

Mögen diese Vorschläge bald zur Tat werden! Nur die Tat 
hat Erfolge; und nur „die Tat gebiert die Tat“. 

Mutterschutz und Kinderschutz gehören zusammen, die 
zunehmende Berufstätigkeit der Frauen und Mütter ausserhalb des 
Hauses birgt grosse Gefahren für das Familienleben, die Volks¬ 
ernährung und Kindererziehung in sich. Gewerbebygiene, Haus¬ 
haltsunterricht für die weibliche Jugend und Unterweisung in der 
Kleinkinderpflege bilden einigermaassen ein Gegengewicht. 

Besonders in den Grossstädten müssen die Kinderkrippen 
und -horte vermehrt und ärztlich beaufsichtigt werden, die Städte 
müssen Kinderspielplätze schaffen. Wenn auch das Schul¬ 
alter eine geringere Sterblichkeit auf weist als das Spielalter, 
so begünstigt die Vereinigung vieler Kinder in geschlossenen 
Räumen doch die Verbreitung ansteckender Krankheiten wie Masern, 
Scharlach, Diphtherie, Keuchhusten und Tuberkulose. Das lange 
Sitzen und Lesen führt zu Wachstumsschäden, Verkrümmungen, 
Kurzsichtigkeit, Blutarmut, Zahnschäden, Menstruationsbesch werden 
und allgemeiner Körperschwäche. 

Die Bestrebungen des „Vereins für Schulgesundheits¬ 
pflege“, der Schulärzte, Schulzahnärzte und Schul¬ 
schwestern können von uns allen nicht genug unterstützt 
werden. 

Im Jahre 1910 konnte ich in den „Sanitätsstatistischen Be¬ 
trachtungen über Volk und Heer“ 1 ) darauf hinweisen, dass die 
körperlichen Schädigungen durch die Schule mit der Dauer des 
Schulbesuches und mit der Erhöhung der wissenschaftlichen An¬ 
forderungen immer stärker hervortreten, namentlich bei den höheren 
Schulen der männlichen Jugend. 

Selbst bei der tiefsten Achtung vor dem Lernen und Lehren, 
bei aller Betonung einer gründlichen Geistesbildung muss ärztlicher¬ 
seits doch eine Vermehrung der Stunden für Turnen, 
Sport, Spiele und Wanderungen gefordert werden. Dies wird 
leider nur durch Verminderung der wissenschaftlichen Stunden 
möglich sein. Für körperliche Leistungen sind höhere An- 


1) Bibliothek von Coler u. v. Sobjerning, Bd. 28. 


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28. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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forderangen nnd Bewertungen seitens der Schule künftig uner¬ 
lässlich, zumal dabei auch wertvolle Charaktereigenschaften, 
wie Mut und Entschlusskraft, Ausdauer und Gewandtheit, Gehor¬ 
sam und Aufopferung entwickelt werden. 

Auch auf diesem Gebiet ist wichtige Werbe- und Sammel* 
arbeit schon geleistet, so vom „Jungdeutschlandbund“ mit 
der Wandervogel- und Pfadfiuderbewegung, ferner durch die Schul¬ 
wettkämpfe der Turn- und Sportvereine seit dem grundlegenden 
Erlass unseres Kaisers vom Jahre 1891, der unserer Schuljugend 
erst die Tore öffnete hinaus zum grünen Rasen und zur blauen Flut. 

Im „Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen“ 
haben wir den berufenen Führer aller dieser frischen und frohen 
Strömungen unserer Zeit, und darüber hinaus plant man ein „Wehr¬ 
schulgesetz“, das eine Wehrschulpflicht der männlichen Alters¬ 
klassen vom 17. bis 22. Jahre vorsieht. Die Wehrschule ist ge¬ 
dacht als eine Einrichtung des Reiche«, ihre Durchführung als 
Sache der Heeresverwaltungen. Sie bezweckt 1. Leibesübungen, 
die unmittelbar auf den Militärdienst vorbereiten, zugleich aber 
auch eine allgemeine Durchbildung und Kräftigung des Körpers 
herbeiführen: „Wehrturnen“, 2. Vorbildung in besonders militärisch 
einschlägigen Fächern. 

Damit sind wir vor unserer wichtigsten nächsten Aufgabe 
angelangt. — Sicher wird nach den schweren Kriegsverlusten 
und Entbehrungen die Sehnsucht nach einem langen, tiefen 
Frieden in unseren Völkern sich verbreiten. Es wird überall 
Männer und Parteigenossen geben, die künftig den Krieg am 
liebsten ganz abschaffen, zum mindesten durch internationale 
Verträge, Abrüstungen und Schiedsgerichte so weit als möglich 
hinausschieben möchten. Indessen: Wir Aerzte bauen unsere 
Weltanschauung zum guten Teile auf naturwissenschaftlichen Er¬ 
kenntnissen auf. Da kann es keinem von uns entgehen, dass 
es im Mikro- wie im Makrokosmus keinen beschaulichen Frieden 
gibt, dass jede Zelle, jedes Organ, jedes Wesen sich durchzu¬ 
setzen trachtet, zunächst bis zum Gleichgewicht mit seinem 
Nachbar, im Notfälle bis zur Sprengung der wegsperreuden 
Widerstände. Ueberall Werden und Vergeben! Geburt und Tod, 
Kampf und Sieg! Gewiss kann höhere menschliche Erkenntnis 
zeitweilige regulatorische Hemmnisse als Schutzwälle gegen über¬ 
wuchernde Lebensvorgänge bauen, aber schliesslich triumphiert 
di$, natürliche Lebenskraft und ein starkes Wachstum immer 
wieder über alle künstlichen Schranken. So hat auch nur das 
Volk eine sichere Zukunft, das sich jugendfrisch erhält und 
kräftig sich mehrt. 

Welt und Naturgeschichte strafen die Theorie eines ewigen 
Friedens Lügen, immer wahr bleibt das Wort des Philosophen 
Schelling: „Der Krieg ist notwendig, wie der Kampf der 
Elemente in der Natur,“ und auch die Weltgeschichte lehrt, 
„dass unser Friede immer nur ein bewaffneter war“. Sollte 
aber gleichwohl ein Arzt im Glauben an den ewigen Frieden 
befangen bleiben, so hat er zum mindesten schon aus hygieni¬ 
schen Gründen die Pflicht, der Gefahr körperlicher Erschlaffung 
vorsubeugen und für die Kraft und Gesundheit seines Volkes zu 
werben und zu wirken. 

Von diesen Gesichtspunkten aus betrachtet, beansprucht die 
Altersstufe unserer Jünglinge unser besonderes ärztliches 
Interesse. Sie sind der Nachwuchs der vom Kriege gelichteten 
Reihen, sie sind die Erfüller neuer Volksaufgaben friedlicher 
oder kriegerischer Art, sie sind sodann die Väter eines ferneren 
Geschlechts, das die Erfolge des Weltkrieges zu verteidigen, die 
langwierigsten Kriegsschäden auszugleicben haben wird. 

In dem Alter von 14—20 Jahren vollzieht sich die Rei¬ 
fung der Geschlechter. Diese Zeiten ungestümen, unklaren 
Dranges, hoher Lebenslust, körperlicher und seelischer Aufwallung 
bedürfen einer liebe- und|verstän Jnisvollen Fürsorge, einer festen 
männlichen Führung und straffen Schulung. In dieser Epoche 
entscheidet sich die Richtung und Wertgestaltung des ganzen 
Lebens. 

Aerzte und Erzieher, Haus und Schule, Volk und Heer, 
reichet Euch die Hände und haltet sie, schützend und leitend, 
über Euere Jünglinge! 

„Schützend — wovor?“ 

Das Gefühl der wachsenden Kraft und Selbständigkeit, die 
grössere Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit verleitet zum 
vorzeitigen und übermässigen Genuss gerade der schädlichsten 
Früchte, die am Baume unserer Kultur reifen. 

Die schlimmsten Feinde der halbwüchsigen Jugend sind 
Rauchen, Trinken und vorzeitiger, aussefebelicher 
Geschlechtsverkehr. 


Soweit aber in allen diesen Dingen nicht Aufklärung und 
besseres Beispiel seitens der Erwachsenen wirken, wird eine 
stärkere Besteuerung oder Monopolisierung des Tabaks und 
Alkohols dem übertriebenen Verbrauch dieser Genussmittel am 
ehesten abhelfen; auch aus finanzpolitischen Gründen wird dies 
schwerlich mehr zu umgehen sein. Der vorzeitige Nikotin¬ 
missbrauch schädigt das Nervensystem, das Herz, die Blut¬ 
gefässe, die Verdauungsorgane und die Nieren, ausserdem ver¬ 
führt er zu leichsinniger Geldverschwendung. Tabakrauchen 
Jugendlicher und Tabakverkauf an sie sind, wenn sie noch nicht 
17 Jahre alt sind, zu verbieten, Eltern und Jugend besser zu be¬ 
lehren. Noch weit grössere körperliche, sittliche und ökonomische 
Schäden richtet der Alkoholmissbrauch an. Namentlich für 
den wachsenden Körper ist Alkohol Gift, für den erwachsenen 
zwar, wenn mässig genossen, ein zunächst nervenanregendes Ge¬ 
nussmittel, jedoch kein Nährmittel und kein Kraftspender. Aber 
gerade nach den letzten mageren Jahren ist eine gute kräftige 
Ernährung für unser Volk, unsere wachsende Jugend dringend 
geboten. 

Unmässiger Alkoholgenuss schädigt Körper, Geist und 
Charakter; Alkohol und Krankheit, Alkohol und Familienunglück, 
Alkohol und Armut, Alkohol und Verbrechen, Alkohol und ge¬ 
schlechtliche Ausschweifungen hängen eng miteinander zusammen. 

Wie ist da zu helfen? 

Mittels Aufklärung und Erziehung durch Staat und Ge¬ 
meinde, Kirche und Schule, mittels Unterstützung der Mässig- 
keits- und Enthaltsamkeitsbewegungen, mittels Vermehrung der 
Trinkerfürsorge und Verminderung der Ausschankstellen; und 
weiter brauchen wir: Veredelung des Gasthauswesens, Brannt¬ 
weinmonopol mit Einschränkung der Trinkbranntweinerzeugung 
und mit gesteigerter Besteuerung geistiger Getränke nach der 
Stärke des Alkoholgehaltes, schliesslich ein Wirtschafts- und Aus¬ 
schankverbot für Jugendliche unter 18 Jahren. 

Besonders verknüpft ist der Alkohol mit dem ausserehe- 
lichen Geschlechtsverkehr und der Entstehung der Geschlechts¬ 
krankheiten. Weitaus die meisten sittlichen Verfehlungen und 
geschlechtlichen Ansteckungen von jungen Männern und Mädchen 
erfolgen unter Alkoholeinflüssen (Aufhebung der sittlichen und 
intellektuellen Hemmungen, Erregung des Geschlechtstriebes). 

Der sicherste Weg zur Vermeidung der verhängnisvollen und 
verheerenden Geschlechtskrankheiten ist Enthaltsamkeit bis zur 
Ehe. Wir Aerzte müssen es immer wieder betonen, dass das sehr 
wohl möglich und keineswegs körperlich schädlich ist. Freilich 
werden nur bei strengster Auffassung und grosser Willensstärke 
die jungen Männer von diesem Wege nicht abirren, und immer 
müssen wir mit einer erheblichen Anzahl rechnen, die trotz aller 
Lehren und Warnungen den Naturtrieb nicht zügeln, sondern der 
Prostitution nnd damit den Geschlechtskrankheiten anheim¬ 
fallen werden. Die Preussiscbe Ministerialkommission und 
der 16. Reichstagsausschuss für Bevölkerungspolitik 
haben als Gegenmittel mehrere Verwaltungsmaassnahmen und 
Gesetzentwürfe beraten und zum Teil vorbereitet; sie betreffen 
unter anderem: 

Fernhaltung der Prostitution von der Oeffentlicbkeit, Rege¬ 
lung ihrer Wohnungsfrage, bessere hygienische und polizeiliche 
Ueberwachung. Man fordert eine strengere Bestrafung der Ver¬ 
führung abhängiger unbescholtener Mädchen und der Zuhälter, 
der Verbreitung unzüchtiger Bilder, die Beseitigung der Animier¬ 
kneipen, Absinthverbot, Fernhaltung Jugendlicher bis 17 Jahre 
von Kinos (ausser bei Jugendvorstellungen). Weiteren Erfolg ver¬ 
spricht eine behutsame ärztliche Belehrung der älteren männ¬ 
lichen Schuljugend und sexuell-pädagogische Unterweisung der 
Geistlichen und Lehrer in Hochschulen und Seminaren. In 
Uebereinstimmung mit der „Deutschen Gesellschaft zur Bekämp¬ 
fung der Geschlechtskrankheiten“ wird gründliche Ausbildung 
unserer Medizinstudierenden auf diesem Gebiete befürwortet, auch 
das Verbot kurpfuscherischer, marktschreierischer Behandlung der 
Geschlechtskranken und die ärztliche Untersuchung der Ammen. 

Eine Hauptsache für uns Aerzte bleibt aber Vermehrung und 
Verbesserung der öffentlichen Einrichtungen zur Behandlung der 
Geschlechtskranken. Dabei kommen die Fürsorgestellen der 
Landesversicherungsanstalten in Frage, weiter die Beteiligung <ler 
Gemeinden, Krankenkassen und .Lebensversicberungsanstalten und 
die Ermöglichung einer guten, nachhaltigen Krankenhausbehand¬ 
lung auch für kleine Städte und Gemeinden. 

Hierin sehe ich ein vortreffliches Heilmittel dieses Krebs¬ 
schadens. Wenn nicht nnr den kranken Männern, sondern auch 
kranken Mädchen und Frauen überall Gelegenheit zur Ausheilung 

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Nr. 4. 


ihrer Leiden gegeben wird, Schalten wir gleichzeitig die Quelle 
neuer Ansteckungen aus. 

Meine Herren! Die Bemühungen der Staates, der Kirche und 
der Gesellschaft um die körperliche und sittliche Gesundheit und 
Kraft des Volkes können natürlich nicht bei einer bestimmten 
Altersklasse Halt machen. 

Unser ärztlicher Beruf brachte uns von jeher mit allen 
Altersklassen in Berührung, am wenigstens vielleicht mit der 
reiferen Jugend. 

Die Sonne des Lebens hat für die Meisten unter uns hier 
den Zenitb wohl passiert; wir kämpfen und arbeiten bereits 
weniger für uns selbst und unser schwindendes Dasein als für 
die Zukunft unseres Volkes, für unsere Kinder und Kindeskinder, 
damit sie froh und frei weiterschaffen können. Der Krieg führt 
uns alle aus der Enge in die Weite, wir standen „mit Herz und 
Hand fürs Vaterland“. Denken wir auch künftig an die hohe 
Bedeutung ärztlicher Tätigkeit fürs ganze Volk, besonders aber 
für unsere Jugend, und lassen sie uns mit Leibniz rufen: „Gib 
mir die Jugend, und ich mache das Jahrhundert!“ 

Wir müssen ihr im eigenen Interesse manches verbieten, 
aber wir müssen ihr vor allem Besseres anbieten: nach strenger 
Arbeit edle Freuden, Licht und Luft in freier Natur, hohe Ziele 
und frohe Spiele! 

Ein tiefer Sinn muss für uns im kindlichen Spiel, im fröh- 
liehen Turnen unserer Knaben, im freien Wettkampf unserer 
Jünglinge liegen. Pro patria est, dum ludere videntur: „Fürs 
Vaterland/ 1 für unsere durch den Krieg geschwächten Länder, 
die neue Kraft gebrauchen, Männer mit starkem Arm, frischem 
Herz und hellem Gesicht! Nicht mehr Selbstzweck darf sich ein 
jeder Volksgenosse sein, wie er es vordem in langer Friedenszeit 
zu werden drohte: Jede Manneskraft gehört fortan in erster Linie 
dem Vaterlande. Das Vaterland ist uns nicht mehr schattenhafter 
Begriff, der Staat ist der Mehrheit nicht mehr ein fremdes, fast 
feindliches Gebilde, sondern er ist Fleisch und Blut in jedes 
Mannes Fleisch und Blut geworden. So ist auch jeder Jungmann 
für die Ertüchtigung seiner körperlichen Kräfte dem Vaterlande, 
dem Staate gegenüber persönlich verantwortlich. 

Wir Aerzte, die berufenen Hüter der Volksgesundheit, sind 
auch die berufenen Mahner und Helfer bei der Mehruug der 
Volkskraft und Wehrkraft. 

Wie der Militärarzt an seinem Teil« bei der Gesund* 
erhaltung und Kräftigung des Heeres mitzuarbeiten hat, so müssen 
alle Aerzte für die Heranbildung eines zahlreichen gesunden, 
wehrkräftigen Heeresersatzes wirken. 

Der Krieg hat bewiesen, dass wir die ärztlich-körperlichen 
Anforderungen an den Heeresersatz unbedenklich niedriger 
stellen können, als früher der Fall war, und die Not der Zeit 
hat uns gelehrt, dass wir die Altersgrenzen der Wehrpflicht 
unbedenklich nach oben wie unten erweitern können. 

Die allgemeine Wehrpflicht muss im Sinne Jahn’s und 
Scharnhorst^ wirklich alle irgendwie brauchbaren Kräfte für 
Feld und Heimat umfassen. — Bereits haben wir die Begriffe 
„felddienstfähig 11 , „felddienstunfähig* 4 und „garnisondienstunfähig“ 
ersetzt und erweitert durch „kriegsverwendungsfähig“ (k. v.) 
„garnisonverwendungsfähig“ (g. v.) und „arbeitsverwendungsfähig“ 
(a. v.). Die als g. v. und a. v. Befundenen wnrden noch als „zeitig“ 
oder „dauernd“, sowie als „geeignet für Feldheer, Etappe oder 
Heimat“ unterschieden. 

Auch die Auslese der körperlichen und geistigen Anlagen 
und Kräfte wird verfeinert: Psychologisch-physiologische Prüfung 
für Flug- und Kraftfahrdienst, ärztliche Sonderung für Bureau- und 
Sanitätsdienst, Arbeit in Kriegsämtern und besetzten Gebieten. 
Schliesslich vergrössern sich unsere Aufgaben durch die ärztliche 
Versorgung der Männer und Frauen des gesetzlichen und freiwilligen 
Vaterländischen Hilfsdienstes und die Heranziehung der reiferen 
Schuljugend. 

Unserer Wissenschaft eröffnen sich in der physiologischen 
Erforschung der Leibesübungen und durch die Verbreitung und 
Verbesserung der gymnastischen Bestrebungen über das ganze 
Land neue Ziele; kein Arzt darf hierbei mehr fehlen. Durch Lehre 
und Beispiel schmiede er mit an den Waffen, die uns den Frieden 
sichern und aufgezwungene Kriege gewinnen helfen! Mehr noch 
als bisher werden die Einrichtungen unseres Volksheeres fortab 
den körperlichen und seelischen Bedürfnissen des ganzen Volkes 
zu gute kommen. Die militärischen Exerzier-Uebungs- und Turn¬ 
plätze sollen, wo es den Städten und Gemeinden an Raum und 
Mitteln hierbei fehlt, soviel als möglich der Allgemeinheit ge 
liehen werden. Durch die hochherzige Stiftung des verstorbenen 


Fürsten von Donnersmarck ist in Kaiserlich-Frohnau bei Oranien¬ 
burg ein grosses Stadion in das Eigentum Seiner Majestät des 
Kaisers übergegangen. Es ist der Wunsch und Wille Seiner 
Majestät, dass dieses Stadion nicht nur der Armee, sondern auch 
der Jugend eröffnet wird. Zugleich ist aus den Stiftungsmitteln 
eine militärärztlicbe Forschungsanstalt geplant, die neben anderen 
Aufgaben Physiologie und Hygiene des Turnens und des Sportes 
wissenschaftlich und praktisch bearbeiten soll. 

Weit und vielseitig ist die Mitarbeit des Arztes. Es ist 
Volkshygiene im grössten Stile, alles, was unsere Volkskraft 
mehren kann, bedarf unserer Unterstützung, alles, was sie schädigen 
kann, unserer Bekämpfung! 

Gesetzgebung und öffentliche Meinung müssen immer wieder 
von uns wachgerufen werden, durch Wort und Schrift sollen die 
Aerzte der Waffenbrüderlichen Vereinigung dazu beitragen, dass 
unsere verbündeten Völker körperlich wie geistig neue Kraft und 
Bildung erhalten im Sinne des alten Wiener Arztes, Denkers und 
Dichters, des Freiherrn Ernst von Feuchtersieben, der das 
schöne Wort prägte: „Wahre Bildung ist die harmonische Ent¬ 
wicklung aller unserer Kräfte, sie nur macht glücklich, frei und 
gesund.“ 

Vieles ist geschehen, viel mehr noch ist erreichbar, wenn wir 
alle zusammen stehen, um Volks- und Wehrkraft nach dem Kriege 
so zu gestalten, wie es uns vorschwebt. 

Seien wir alle von einem Geiste beseelt! Helfen wir Aerzte 
tatkräftig überall in Haus und Familie, Einzelleben und Staat 
an dieser verantwortlichen Aufgabe mit, so dass es uns gelingt, 
unsere verbündeten Völker bald wieder in Kraft und Blut erstarken 
zu sehen und das Vaterland, das teure, wieder aufzurichten zu 
neuer Wohlfahrt und Gesittung, zu neueu friedlichen Siegen seines 
Wesens und Wissens, seines Handels und Wandels, aber auch zur 
siegreichen Abwehr aller unserer Feinde! 


Ueber einige Tuberkulosefragen. 

Von » 

Johannes Orth. 

(Vortrag, gehalten in der zu Ehren der ärztlichen Abteilungen der 
Waffenbrüderlicben Vereinigungen Oesterreiohs, Ungarns und Deutschlands 
veranstalteten ausserordentlichen Sitzung der vereinigten Berliner ärzt¬ 
lichen Gesellschaften, am 23. Januar 1918.) 

Hochansehnliche Versammlung, insbesondere werte Gäste! 

Wenn ich mir erlaube, heute einige Fragen aus dem Gebiete 
der Tuberkulose zur Sprache zu bringen, so folge ich dem Wunsche 
des Vorstandes der ärztlichen Abteilung der Reichsdeutschen 
waffenbrüderlichen Vereinigung. Dieser wünschte nicht nur einen 
Gegenstand behandelt zu haben, der sich dem Inhalte des Verhand¬ 
lungsthemas der waffenbrüderlichen Vereinigungen „der Wieder¬ 
aufbau der Volkskraft nach dem Kriege“ anschmiegte — und welche 
Krankheit könnte sich in bezug auf ihre Bedeutung für die Volks¬ 
kraft der Tuberkulose an die Seite stellen? —, sondern schlug 
auch vor, dass ich meine Forschungen über die Tuberkulose zu¬ 
sammenfassend darlegen möchte. Ich erwähne diesen Umstand, 
um zu erklären, woher der persönliche Einschlag kommt, der in 
meinen Ausführungen hervortreten wird. Allerdings ist es mir 
unmöglich, den Wunsch so, wie er geäussert ist, zu erfüllen, 
denn es erscheint mir unmöglich, eine Lebensarbeit, die sich fast 
über ein halbes Jahrhundert erstreckt und kaum ein Gebiet der 
allgemeinen und speziellen Pathologie der Tuberkulose unberück¬ 
sichtigt gelassen bat, in einem Vortrag zusammenfassend dar¬ 
zustellen;, es ist vielmehr nur möglich, einige wenige Punkte von 
allgemeinerem Interesse herauszugreifen. 

Der Umstand, dass ich eine doppelte Schulung erfahren habe, 
durch Eduard Rindfleisch und durch Rudolf Vircbow, hat 
mich von vornherein davor bewahrt, eine einseitige Schulmeinung 
zu erwerben, da die Lehren beider Schulen nicht in allen Punkten 
übereinstimmten, vor allem nicht in der Abgrenzung der Tuber¬ 
kulose und Skrofulöse, die Rindfleisch in eine viel innigere 
Beziehung zueinander brachte als Virchow, und in der Wert¬ 
schätzung des Tuberkels für die Abgrenzung der Tuberkulose, bei 
der Rindfleisch schon sehr stark das infektiöse Moment be¬ 
tonte und zu der er schon die Lungenschwindsucht hinzureebnete. 
Das hat mir von vornherein eine gewisse Selbständigkeit der 
Beurteilung gebracht, die mich vielfach meine eigenen Wege ge¬ 
führt hat, und durch die ich teilweise mit meinen Lehrern, aber 


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auch mit anderen Tuberkulose forschem, darunter Robert Koch 
and seiner Schule, in Gegensatz gekommen bin. 

Von Rindfleisch trennte ich mich hauptsächlich in der 
Beurteilung der pneumonischen Veränderungen in der phthisischen 
Lange, die er hauptsächlich in das Gerüst verlegte, während er 
io den Alveolen eine Desqaamation von Epithelzellen annahm, 
leb konnte eine solche Desquamativpneumonie nicht anerkennen 
and erkenne sie auch heute nicht an; ich leugnete und leugne 
auch heute noch, dass bei der käsigen oder — ätiologisch ge¬ 
sprochen — bei der tuberkulösen Pneumonie eine Gerüstverände- 
rang im Vordergrund stehe, ja überhaupt vorhanden sein müsse. Die 
reine tuberkulöse Pneumonie ist eine nur oberflächliche exsudativ- 
entiundliche Veränderung, wie jede andere Pneumonie, mit, je 
nachdem, flüssigem, hämorrhagischem, fibrinösem, zeitigem Ex¬ 
sudat in den Alveolen, nur dass die Exsudatzellen nicht wie bei 
den anderen Pneumonien Leukocyten, sondern im wesentlichen 
Lymphocyten sind, wie sie auch in den tuberkulösen Exsudaten 
anderer Körperteile, der weichen Hirn- und Rückenmarkshaut, der 
serösen Häute als kennzeichnende Bestandteile Vorkommen. 

Von Koch trennte mich eine Sonder-, fast kann man sagen 
Nebenfrage, deren Bedeutung für die Praxis freilich nicht unter¬ 
schätzt werden darf, die Frage nach der Bedeutung der Rinder¬ 
tuberkulose für den Menschen. Wie es schon Villemin, der 
bekannte eigentliche Begründer der heutigen Lehre von der 
infektiösen Natur der Tuberkulose, getan hatte, so batte auch 
Koch zunächst eine völlige Uebereinstimmung und Gleichheit 
der Menschen- und Rindertuberkulose und ihrer Erreger ange¬ 
nommen, war aber später zu einer Trennung der beiden gekommen 
mit der Schlussfolgerung, dass dem Menschen von der Rinder¬ 
tuberkulose und ihrem Erreger, dem Typus bovious der Tuberkel- 
bacillen, kaum eine Gefahr drohe, und dass er, Koch, es dem¬ 
gemäss als nicht angezeigt erachte, irgend welche Maassregeln 
dagegen zu treffen. Ich habe, zum Teil auf Grund eigener 
bakteriologischer und experimenteller Untersuchungen oder solcher, 
die ich veranlasst hatte, unentwegt an der gegenteiligen Auf¬ 
fassung festgebalten, nicht etwa in dem Sinne, dass dem Menschen 
von dem tuberkulösen Rindvieh die Hauptgefahr drohe, sondern 
nur in dem, dass neben der Hauptquelle für die Infektion der 
Menschen, dem kranken Menschen selber, auch dem kranken 
Vieh eine Bedeutung zukomme, dass also auch ihm bei der Be¬ 
kämpfung der Infektionsgefahr, die ja stets in erster Linie der 
hygienischen Maassnahmen gestellt werden muss, die gebührende 
Beachtung zuteil werden müsse. Diese Anschauung ist jetzt All¬ 
gemeingut geworden, denn es ist jetzt über jeden Zweifel hinaus 
festgestellt, dass insbesondere bei Kindern Bacillen vom Typus 
bovious nicht nur örtliche, sondern auch schwere, ja tödliche 
allgemeine Tuberkulose zu erzeugen vermögen, und dass tatsäch¬ 
lich Handerttausende deutscher Kinder eine bovine Infektion er¬ 
fahren haben. Leider ist ja die Befürchtung nicht von der Hand 
zu weisen, dass der Krieg eine neue unwillkommene Bestätigung 
der Lehre von der Bedeutung der Rinderbacillen für den Menschen 
gebracht hat, bat doch Hart bei seinem Sektionsmaterial eine 
fast sprungweise Zunahme der lntestinaltuberkulose im Jahre 
1915'und noch mehr 1916 beobachtet, derart, dass der Prozent¬ 
satz der Intestinaltuberkulosen bei den tuberkulösen Kindern von 
5—8 pCt. auf 44 pCt. (im Jahre 1916) gestiegen ist, hat doch 
Frau Rabinowitsch unter 6 Fällen dieser Intestinaltuberkulosen 
nicht weniger als 5 mit Typus bovinus gefunden. Bei so kleinen 
Zahlen ist selbstverständlich die grösste Vorsicht in Rücksicht 
auf allgemeinere Schlussfolgerungen geboten, aber wenn sich die 
Beobachtungen bestätigen sollten — und man sollte an allen 
Prosekturen sie nachprüfen —, so wäre damit eine neue wichtige 
Begründung gegeben für die Mahnung: Videant consules! Kampf 
gegen die humanen, aber auch Kampf gegen die bovinen Ba¬ 
cillen ! 

Viel tiefer und von viel umfassenderer Bedeutung war der 
Gegensatz, in den ich oder, ich will lieber unpersönlich sagen, 
jeder Vertreter der Infektionslehre zu Virchow’s Anschauungen 
kommen musste, denn hier handelte es sich um maassgebende 
grundsätzliche Verschiedenheiten! Die Stellung Virchow’s zu 
der neuen Lehre, die sich kurz in die Worte „Tuberkulose ist eine 
durch eine eigenartige Ursache erzeugte und gekennzeichnete 
Infektionskrankheit“ zusammenfassen lässt, kann nur auf Grund 
der geschichtlichen Entwicklung der Tuberkuloselehre verstanden 
werden. 

Der Begriff Tuberkulose hat in der Geschichte der Medizin 
der letzten Jahrhunderte die grössten Schwankungen erlebt, 
sowohl in bezog auf die anatomischen Grundlagen als auch in 


betreff der Beziehungen der Tuberkulose zu anderen Erkrankungen, 
insbesondere zu den als skrofulöse bezeiebneten. Dass innige, 
bis zur völligen Zusammengehörigkeit gehende 'Beziehungen 
zwischen Skrofulöse und Tuberkulose beständen, war eine immer 
wieder vertretene Annahme, insbesondere wurde auch die Lungen¬ 
schwindsucht bald als skrofulöse, bald als tuberkulöse, bald als 
gemischte Erkrankung angesehen. Auch Virchow verkannte 
nicht, dass zwiscbenTuberkuloSe und Skrofulöse innige Beziehungen 
beständen, er hielt es für möglich, dass die Zeit kommen werde, 
in der man die Tuberkeln als metastatische Skrofeln ansehen 
dürfe, aber zunächst trennte er scharf die Tuberkel, als die 
Tuberkulose kennzeichnende Gebilde, von den entzündlichen Pro¬ 
dukten der Skrofulöse, insbesondere der bei der Lungenschwind¬ 
sucht eine Hauptrolle spielenden skrofulösen Pneumonie, die 
zwar auch wie jene verkäsen könnten, aber deswegen doch weder 
morphologisch noch ätiologisch oder nosologisch mit jenen über¬ 
einstimmten. Das war der Punkt, an dem Virchow mit seinen 
Arbeiten in die Geschichte der Tuberkulose und insbesondere der 
Lungenschwindsucht eingriff. 

Latinnec hatte die anatomische Einheitlichkeit der Lungen¬ 
schwindsucht (Phthise), die er Lungentuberkulose nannte, ver¬ 
kündet, erklärt, dass bei den schwindsüchtigen Veränderungen 
nur Neubildnngsvorgänge, keinerlei entzündliche Erscheinungen 
eine Rolle spielten. Damit war schon der Begriff Tuberkulose 
als einer mit Knötchenbildung einhergehenden Erkrankung auf¬ 
gehoben, und das war noch mehr der Fall, als allmählich die 
Anschauung immer mehr um sich griff, die tuberkulöse Marterie 
sei das Wesentliche und Kennzeichnende der Tuberkulose, und 
dies sei die käsige Masse; überall wo Käse sei, da sei auch 
Tuberkulose. Damit war der Tuberkel, insbesondere seine Urform, 
für die schon lange von Bayle die Bezeichnung Miliartuberkel 
eingefübrt worden war, fast völlig verloren gegangen und 
musste gewissermaa8sen von neuem entdeckt und gewürdigt 
werden. Das war Virchow’s Werk. Ich lasse einen gewiss 
unverdächtigen Zeugen, einen französischen Beurteiler, sprechen, 
freilich aus einer Zeit, wo trotz des sinnlosen Geschreies nach 
Rache für Sadowa, doch bei den französischen Gelehrten das 
Urteil noch nicht durch Deutschenhass und Kriegspsychose getrübt 
und beeinflusst war. 

In dem 1867 erschienenen Werke von Hörard und Cornil, 
La phthisie pulmonaire heisst 1 ) es in Uebersetzung: „es war 
Virchow Vorbehalten, die Wichtigkeit der tuberkulösen Granulation 
klar zu stellen“, und an anderer Stelle: „von allen Arbeiten, 
deren Gegenstand die Tuberkulose war, sind die bemerkens¬ 
wertesten die von Reinhardt und von Virchow ... es ist ge¬ 
recht anzuerkennen, dass die gegenwärtige Reform der Tuberkulose 
ihren Ausgangspunkt hat in der Entdeckung des einen über die 
tuberkulöse Pneumonie, in denjenigen des anderen über die 
miliaren Granulationen“. Was hier miliare oder tuberkulöse 
Granulationen genannt wird, ist nichts anderes als Virchow’s 
Tuberkel oder submiliarer Tuberkel, wie er die jüngste Form 
wohl nannte, und es ist begreiflich, dass er selbst stets den 
grössten Wert darauf legte, dem Tuberkel sein Recht zu wahren. 
Dem hat er noch im Jahre 1901 vor unserer medizinischen Ge¬ 
sellschaft Ausdruck gegeben, indem er versprach, bei einer bevor¬ 
stehenden Tuberkulosekonfefenz mit möglichster Sorgfalt darauf 
zu halten, dass auch der anatomische Tuberkel zu seinem 
vollen Rechte komme, und dass wir uns künftig wohl hüteten, 
anatomische und bakteriologische Dinge zusammenzuwerfeu. Was 
er aber unter dem Recht des anatomischen Tuberkels verstand, 
das sagte er bei derselben Gelegenheit mit den Worten, man 
könne nichts eine Tuberkulose nennen, wobei nicht Tuberkel in 
derjenigen Form entstehen, wodurch sie sich pathologisch- 
anatomisch als wirkliche Tuberkel erweisen. Dieser Standpunkt 
war aber in demselben Augenblick hinfällig geworden, in dem 
die Krankheit bei der diese echten Virchow’scben Tuberkel Vor¬ 
kommen, als Infektionskrankheit, d. h. als eine eigenartige, mit 
höchster Wahrscheinlichkeit durch belebte Wesen erzeugte Krank¬ 
heit erkannt war. Wäre Virchow dem schon seit langer Zeit 
von ihm selbst aufgestellten, unzweifelhaft richtigen Grundsatz 
gefolgt, dass bei der Beurteilung der Infektionskrankheiten nicht 


1) p. 22: II 6tait r6aerv6 ä Virchow de mettre en lumiere Firn- 
portance de la granulation tuberculeuse. p. 27: De tous les travauz 
dont la tuberculose a 6te l’objet, les plus remarquables sont oeux de 
Reinhardt et de Virohov . . . il est juste de reoonnaitre que la 
r£forme aotuelle de la tuberoulose a son point de d6part dans les 
däcouvertes de l’un sur la pneumonie tuberculeuse, dans celles de l’autre 
sur les granulations miliaires. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


der morphologische Weg als der vorzüglichere erscheine, sondern 
dass über die Infektion allein das Experiment entscheide, dem 
wir ans unterzaordnen hätten, — hätte er sich den schon seit ge¬ 
raumer Zeit zweifelfreieu Ergebnissen der experimentellen Tuber- 
kuloseforschung untergeordnet, so wären die Vertreter der 
infektiösen Natur der Tuberkulosekrankheit mit ihm nicht in 
Gegensatz gekommen, so hätte auch er den Tuberkel als ein 
morphologisches Gebilde von seiner beherrschenden Stellung ent¬ 
fernen müssen. Dazu konnte er sich aber nicht entschlossen, 
obwohl er selbst der Bedeutung des Tuberkels als eines pathogno- 
monischen Gebildes einen schweren Stoss versetzte, indem er 
bacilläre und nichtbacilläre Tuberkel unterschieden haben wollte. 
Damit hat er den Taberkel auch anatomisch seiner Eigenart ent¬ 
kleidet, denn die Bacillen lassen sich auch histologisch nach- 
weisen, und hat vorahnend erkannt, was heute über jeden Zweifel 
erhoben ist, dass anatomisch echte Tuberkel gar nicht nur bei 
dieser einen Kraakheit Vorkommen, sondern auch bei anderen, 
näher und ferner stehenden (Lepra, Syphilis). Wollen wir heute 
noch dem Worte Tuberkel einen spezifischen Begriff unterlegen, 
wie es Virchow tat, so müssen wir von einem tuberkelbacillären 
Tuberkel sprechen, im Gegensätze z. B. zu dem Spirochätentuberkel 
der Syphilis. Es leuchtet ein, dass es vorzuziehen ist nach 
französischer Benennungsweise von tuberkulösen, syphilitischen 
usw. Granulationen oder Granulomen zu sprechen. 

Trotzdem, werden wir aber darin Virchow unbedingt zu¬ 
stimmen müssen, dass für den Tuberkel, wenn man das Wort 
auch weiterhin noch gebrauchen will, der morphologische Begriff 
einer knötchenförmigen Neubildung aufrecht erhalten bleiben muss, 
dass es, um mit seinen Worten zu reden, völlig unstatthaft ist, 
etwa jedes Ding, in welchem ein Bacillus ist, sofort Tuberkel zu 
nennen. Nicht der Begriff des Tuberkels hat sich in erster Linie 
geändert, sondern der Begriff der Tuberkulosekrankheit; die Krank¬ 
heit heisst nicht mehr Tuberkulose, weil sie durch Tuberkelbildung 
gekennzeichnet ist, sondern weil sie durch die gleiche Ursache 
hervorgerufen wird, welche auch der gewöhnlichen Tuberkelbildung 
zugrunde liegt, durch den eigenartigen infektionsstoff, den man 
schon lange als Virus tuberculosum, Tuberkelgift bezeichnet hat. 
Gewiss hat es seine Bedenken, von einer Knötchenkrankheit zu 
sprechen, wenn gar nicht notwendig Knötchen vorhanden zu sein 
brauchen, aber unsere ärztliche Sprache weist eine ganze Anzahl 
analoger Fälle auf, bei denen sprachliche und ärztliche Bedeutung 
von Kunstausdrücken durchaus nicht übereinstimmen, ich brauche 
nur an die Diphtherie ohne Diphthera, ohne Hautbildung, an den 
Typhus ohne Umnebelung des Bewusstseins, an die Cirrhose ohne 
Gelbfärbung zu erinnern. Dass selbst die sprachliche Bedeutung 
eines Wortes sich in ihr Gegenteil verwandeln kann, dafür bietet 
das lateinische lucus (a non lucendo) ein bekanntes Beispiel. 
Ich sehe also durchaus keine Nötigung, anf das eingebürgerte 
Wort Tuberkulose als Bezeichnung für eine spezifische Infektions¬ 
krankheit zu verzichten, man muss nur die eine Folgerung ziehen, 
dass man alles, was durch die Krankheitsursache erzeugt wird, 
zwar nicht Tuberkel, wohl aber tuberkulös nennt in dem Sinne, 
dass die Veränderung zu den Erscheinungen der als Tuberkulose 
bezeichneten Infektionskrankheit hinzugehört. 

Man kann diese Verwendung des Wortes Tuberkulose in er¬ 
weitertem Sinne um so eher gut heissen, als ja schon früher das 
Wort wesentlich im gleichen Sinne gebraucht worden ist, vor 
allem für die Hauptform dieser Krankheit, für die Lungentuberkulose, 
welche die Grundlage der Lungenschwindsucht ist. Auch abge¬ 
sehen von den Mischinfektionen und ihren Folgen stellt die 
Lungenphthise, wie Virchow mit vollem Recht gegenüber Laennec 
betont hat, durchaus keine morphologische Einheit dar, sondern 
wir finden bei ihr Tuberkel, diffuse Granulationswucherungen, 
exsudativ-entzündliche Veränderungen: sie alle können auf das 
Eigenschaftswort tuberkulös Anspruch machen, denn sie alle sind 
durch den gleichen Infektionserreger erzeugt. 

Es ist in hohem Grade zu bedauern, dass in Rücksicht auf 
die Beziehungen der Skrofulöse zu der Tuberkulose im Laufe 
der Zeit so wechselvolle Anschauungen herrschten, denn darin 
liegt ein Hauptgrund dafür, dass man nicht früher zur Klarheit 
darüber gekommen ist, dass die Lungenschwindsucht nichts anderes 
als die Teilerscheinung einer ansteckenden Infektionskrankheit ist. 

Es ist bekannt, dass man schon vor Jahrhunderten die 
Lungenschwindsucht als eine ansteckende Krankheit betrachtet 
hat, sogar in dem Grade, dass der grosse Morgagni erklärt 
hat, er habe der Ansteckungsgefahr wegen nur wenige Sektionen 
von Phthisikern ausgeführt. Ende des 18. Jahrhunderts wurde 
lebhaft über die Kontagiosität der Skrofulöse und Lungenschwind¬ 


Nr. 4. 


sucht in allen Kulturländern diskutiert. Man sprach von einer 
Skrofelscbärfe (Acrimonia), aber auch direkt von einem Skrofel¬ 
gift (Virus scrofulusum) und war teilweise zu Anschauungen ge¬ 
langt, welche unseren heutigen in vielen Beziehungen nahe standen. 
Dies gilt vor allem für unseren Landsmann und Ortsgenossen 
Hufeland, der es verdient, dass seine, in dem 1795 erschienenen 
Werke über die Natar usw. der Skrofel krank heit niedergelegten 
Anschauungen der Vergessenheit entrissen werden. Man muss 
staunen, wie weit er schon in der Erkenntnis der Infektiosität 
der Lungenschwindsucht vorgeschritten war, und kann nur aufs 
höchste bedauern, dass seine Darlegungen keinen nachhaltigeren 
Eindruck gemacht haben. Auch Virchow, obwohl er ihrer 
Erwähnung tat, hatte offenbar ihre ungeheure Bedeutung für die 
Lehre von der Lungenschwindsucht nicht erkannt. Ihn, den 
Cellularpathologen und grimmigen Gegner der Humoralpathologie 
stiess offenbar die landläufige Vorstellung von einer Skrofel¬ 
schärfe, einer unbekannten spezifischen Substanz im Blute, ^ von 
vornherein ab, und er liess die Frage beiseite liegen, da ja, wie 
er meinte, diese Lehre täglich mehr Anhänger verliere. Die 
skrofulösen Affektionen der Lymphdrüsen seien gar nicht Folgen 
einer vorausgegangenen Blutkrasis, einer allgemeinen Verände¬ 
rung der Blutmischung, sondern sekundär in Beziehung auf ört¬ 
liche Veränderungen gewisser Teile und zwar derjenigen, aus 
welchen diese Drüsen ihre Lymphe beziehen. Auf Hufeland 
trifft aber diese Gegenrede nicht zu, denn für ihn war das 
Wesen der Skrofulöse eine Besonderheit des Lymphsystems und 
die Skrofelschärfe, das Skrofelgift, war nicht das Primäre, sondern 
eine durch die Skrofelkrankbeit des Lymphsystems spezifisch 
veränderte und verdorbene Lymphe. Erst diese Skrofelscbärfe 
macht nach Hufeland die Skrofulöse zu einer Allgemein¬ 
krankheit, denn nun kann sie Metastasen und Phänomene hervor¬ 
bringen, die ganz vom lymphatischen System zu trennen sind. 
Da haben wir also unsere metastatische Tuberkulose in optima 
forma, und zu ihr rechnet Hu fei and auch die gewöhnliche 
Bkrofeligte Lungenschwindsucht, welche er weit mehr als Meta¬ 
stase des Skrofelgiftes, also als eine infektiöse sekundäre Er¬ 
krankung, denn als ursprüngliche Krankheit der Lymphgefässe 
oder -drüsen der Lungen betrachtete. 

Aus diesem durch die Skrofulöse innerhalb des skrofulös er¬ 
krankten Körpers gebildeten Skrofelgift kann sich nun nach 
Hufeland bei sehr hohem Grad der Korruption ein Contagium 
entwickeln, d. h. ein flüchtiger spezifischer animalischer Stoff, der 
von einem Körper in den anderen wirkt und Infektion erregen kann. 
In diesem neuen Körper entsteht nun nicht die allgemeine wahre 
Skrofelkrankeit, aber es bilden sich allerhand Veränderungen (bis 
zu Geschwüren), die in ihrer Gesamtheit nichts anderes sind als eine 
rein kontagiöse Infektionskrankheit, eine Tuberkulose in unserem 
Sinne. Diese Kontagionslehre war Hufeland’s eigenstes Geistes¬ 
erzeugnis, durch sie trat er in scharfen Gegensatz u. a. zu dem be¬ 
rühmten Engländer Cullen, der gleichfalls ein Skrofelgift aner¬ 
kannte, aber in dem von Virchow zurückgewiesenen humoralpatho¬ 
logischen Sinne, und der von einer kontagiösen Uebertragung von 
Mensch zu Mensch nichts wissen wollte. Hufeland war also 
der modernere, uns Heutigen näher stehende, und das um so mehr* 
als er aus seiner Lehre die Folgerungen zog, mit denen er wieder 
in bemerkenswertester Weise neuere Anschauungen vorweg ge¬ 
nommen hat. Hufeland sagte, die Skrofelkrankeit — das ist 
«also im wesentlichen unsere heutige Tuberkulose — sei an sich 
keineswegs ansteckend, aber das Produkt derselben, die Skrofel¬ 
schärfe könne ein Contagium entwickeln, und zwar geschehe das 
hauptsächlich dann, wenn bösartige Geschwüre da seien, zu 
denen er auch ausdrücklich die skrofeligten Lungengeschwüre 
rechnete. „Es würde also“, so zieht er die praktische Schluss¬ 
folgerung, „ebenso fehlerhaft sein, bei diesem Grade der Ver¬ 
derbnis“ d. h. also bei der Anwesenheit von skrofeligten Ge¬ 
schwüren in den Lungen, „noch sorglos in Absicht auf mög¬ 
liche Ansteckung zu sein, als es ungereimt wäre, sich im An¬ 
fang der Krankheit dafür zu fürchten“. Wer wollte verkennen, 
dass wir hier in nuce unsere neuere Lehre von der geschlossenen 
und offenen Lungentuberkulose und ‘von der verschiedenen Be¬ 
wertung dieser beiden Krankheitsgrade für die Umgebung vor 
uns haben! 

Hufeland bat zunächst das Contagium ein flüchtiges ge¬ 
nannt, weiterhin schränkte er aber diese Eigenschaft sehr wesent¬ 
lich ein, indem er sagte, das Contagium sei nichts weniger als 
flüchtig und könne nie ohne Berührung und zwar genauen und 
fortgesetzten Umgang mitgeteilt werden. 

Das war Hufeland’s Virus scrofulosum. Wer erkennt hier 


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28. Jannar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


79 


nicht ein gut Teil dessen, was fast 100 Jahre später vom Virus 
tuberculo8um bzw. von dem Tuberkelbacillus • festgestellt und 
bewiesen worden ist, wer möchte verkennen, dass hier einer 
jener Beweise dafür vorliegt, dass grosse Entdeckungen nicht 
wie Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus, so aus dem Geiste 
grosser Männer fix und fertig hervorspringen, sondern dass sie 
das Schlussergebnis einer langen, oft Jahrhunderte dauernden, 
bald langsamer bald schneller fortschreitenden Entwicklung dar¬ 
stellen? 

Hufeland nannte sein kontagiöses Virus scrofulosum deutsch 
Skrofelgift, nicht Skrofulosegift, es war deshalb historisch durch¬ 
aus berechtigt, als an Stelle der Skrofulöse die Tuberkulose ge¬ 
treten war, nun nicht von einem Tuberkulosegift, sondern von 
einem Tuberkelgift zu reden, wie es alsbald nach dem Beginn 
der experimentellen Tuberkuldseforscbung geschehen ist. Nichts 
erklärlicher, als dass Robert Koch, als er endlich das lange 
gesuchte Tuberkelgift in einem Bacillus gefunden hatte, diesen 
als Tuberkelbacillus bezeichnet hat. Virchow bat von seinem 
morphologischen Standpunkt aus diese nosologische Namengebung 
lebhaft bekämpft und, in ihr eine grosse Gefahr für das Ver¬ 
ständnis der Krankheit sehend, noch an der Wende unseres Jahr¬ 
hunderts eine strenge Purifikation der wissenschaftlichen Sprache 
für erforderlich erachtet, indem er naturwissenschaftliche Namen 
für die mikrobischen Erreger und davon abgeleitete Namen für 
die von ihnen erzeugten Krankheiten verlangte, so wie es bei 
der Benennung der Aktinomykose gemacht worden sei. Das 
lässt sich sehr schön machen, wenn die Krankheit, deren Er¬ 
reger entdeckt und benamset worden ist, noch keinen Namen ge¬ 
habt hat, aber selbst dann ist man nicht vor Schwierigkeiten 
geschützt, wie die Trichinose beweist, deren Erreger beute nicht 
mehr Trichina, sondern Trichinella heisst. Virchow selbst hat 
die Sprachreinigung „bei pünktlicher Bewahrung der guten Tra¬ 
dition“ verlangt, woraus sich ergibt, dass er, auch wenn der 
Tuberkelbacillus einen rein botanischen Namen erhalten hätte, 
doch für die bacilläre Krankheit nicht einen völlig neuen Namen 
hätte verlangen können, sondern einen Namen hätte anerkennen 
müssen, für den eine gute Tradition bestand, wie ja später die 
Syphilis ihren Namen behalten hat, obgleich ihr Erreger den 
rein botanischen Namen Spirocbaete pallida erhalten hat. Eine 
solche Tradition bestand aber in unserem Falle nur für die Be¬ 
zeichnungen Skrofulöse und Tuberkulose. Nachdem sich heraus¬ 
gestellt hatte, dass der grösste Teil der zu der neu abgegrenzten 
Infektionskrankheit gehörigen Veränderungen früher der Skrofu¬ 
löse zugerechnet worden war, wäre es gewiss nicht unzweck¬ 
mässig und der guten Tradition nicht widersprechend ge¬ 
wesen, wenn man nach meinem schon 1881, also noch vor 
der Entdeckung des Tuberkel bacillus gemachten Vorschläge 
den Krankheitsnamen Skrofulöse gewählt hätte, woraus sich 
dann ohne weiteres das traditionelle Skrofelgift ergeben hätte, 
aus dem ohne Schwierigkeit das Wort Skrofel bacillus hätte 
gebildet werden können. Eine Schwierigkeit, toie sie sich aus 
der sprachlichen Bedeutung des Wortes Tuberkulose ergeben 
hat, wäre nicht vorhanden gewesen, da mit dem Worte Skrofu 
lose sich ein eigenartiger morphologischer Begriff nicht ver¬ 
bindet. Indessen — es hat nicht sollen sein, man hat 
in der ganzen Welt die Krankheitsbezeichnung Tuberkulose ge¬ 
wählt und sich mit dem Tuberkelbacillus abgefunden, und dabei 
muss es nun bleiben, wenn nicht die grösste Verwirrung entstehen 
soll. Ich habe nicht die Befürchtung, dass durch diese allgemein 
angenommene Nomenklatur das Verständnis der Krankheit irgendwie 
erschwert wird, wenn man sich nur von der sprachlichen Bedeu¬ 
tung der Worte frei macht. Dass nicht die Krankheit nach dem 
Erreger, sondern dieser nach der Krankheit benannt ist, wird 
ebensowenig das Verständnis dieser Krankheit erschweren, wie 
die ähnlich gebildeten Bezeichnungen Diphtheriebacillus, Typhus¬ 
bacillus, Choleravibrio usw. das Verständnis der von diesen Mi¬ 
krobien erzeugten Krankheiten erschwert haben. Man untersuche 
nur, ohne sich über die Bildung der Namen Gedanken zu machen, 
recht eifrig und sorgfältig die Beziehungen der Tuberkelbacillen 
zum menschlichen und tierischen Körper, man verfolge vor allen 
Dingen ihre Wege in den Körper und innerhalb desselben, man 
studiere b ihre Lebenseigenscbaften und deren Bedeutung für ihr 
Verhalten zu dem gesunden und kranken Körper und seinen ein¬ 
zelnen Organen — und ein tieferes Verständnis für die Krank¬ 
heit Tuberkulose wird [nicht ausbleiben, insbesondere auch für 
ihre wichtigste Lokalisation, für die Luugentuberkulose und die 
durch sie erzeugte Lungenschwindsucht. 

Auch in bezug auf diese Zurechnung der Lungenschwindsucht 


zur Tuberkulose war Virchow mit unseren neueren Anschauungen 
nicht einverstanden, sondern er sprach von vorzeitiger Identi- 
ficierung von Tuberkulose und Phthise. Sicherlich hätte er recht, 
wenn man beide Bezeichnungen als völlig gleichwertig annehmen 
wollte, denn es ist zwar jede Lungenschwindsucht, mögen auch 
oft Mischinfektionen eine Rolle spielen, doch im Grunde eine 
tuberkulöse Erkrankung, aber es gibt auch Formen der Lungen¬ 
tuberkulose, bei denen man nicht wohl von Lungenschwund reden 
kann. Tuberkulose bedeutet also einen weiteren Begriff, der den 
engeren, Lungenschwindsucht, eiDSchliesst. Nicht so steht die 
Sache, wie wir zu meiner Studienzeit von Niemeyer gelernt 
haben, wonach die grösste Gefahr für einen Phthisiker die sei, 
dass er tuberkulös werde, sondern es ist gerade umgekehrt, jeder 
mit einem tuberkulösen Herd Behaftete schwebt in der Gefahr, 
dass er lungenschwindsüchtig wird. Es ist also nicht falsch, wenn 
man bei Lungenphthise von Lungentuberkulose spricht, denn die 
Tuberkulose ist der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht, ja 
es ist nicht nur nicht falsch, sondern es hat den Vorzug, dass 
man dadurch die ätiologische Einheitlichkeit der Grundvorgänge 
deutlich zutage treten lässt. 

Man hat seinerzeit gegen diese einheitliche Grundlage den 
Einwand erhoben, dass man bei Tieren experimentell zwar eine 
Lungentuberkulose im Sinne der Knötchenkrankheit, aber keine 
richtige Lungenschwindsucht erzeugen könnte. Es ist richtig, dass 
in der Regel bei demjenigen Tier, welches am meisten zu Tuber¬ 
kuloseexperimenten benutzt wird, bei dem Meerschweinchen, nur 
zerstreute knotige Herdchen in den Lungen gefunden werden, 
selbst wenn das Tier an seiner Tuberkulose zugrunde gegangen 
ist. Man bat das eine disseminierte Miliartuberkulose genannt, 
die von der Lungenphthise völlig zu trennen sei. Ich habe schon 
vor langer Zeit (in einer Festschrift für Rindfleisch, 1906) darauf 
hingewiesen, wie bedenklich dieser Ausdruck überhaupt ist, da 
die miliaren Herdchen bei der menschlichen Miliartuberkulose 
durchaus nicht notwendig nur Tuberkel im Sinne Bayle’s und 
Virchow’s sind, sondern ausser den Granulomen auch oft pneu¬ 
monische Abschnitte enthalten, ja gelegentlich nichts anderes sind 
als miliare Pneumonien, so dass die Bezeichnung miliare meta¬ 
statische Tuberkulose richtiger wäre. Das gilt auch für jene 
Herdchen der Meerschweinchenlunge, welche alle Elemente der 
Phthise enthalten, aber es sind eben doch keine grösseren zu¬ 
sammenhängenden Käsemassen und vor allem keine ulcerösen 
Höhlen vorhanden, besonders wenn man sich nicht von den durch 
Tuberkulose kleinster Bronchen erzeugten emphysematösen Höhlen, 
dem von mir so genannten tuberkulösen Emphysem, täuschen lässt. 
Aber abgesehen davon, dass doch gelegentlich bei diesen wie 
mehr noch bei anderen Experimentier-Tieren auch richtige phthi- 
sische Veränderungen beobachtet worden sind, habe ich zuerst 
hier vor der medizinischen Gesellschaft Meerschweinchenlungen 
mit schwersten phthisischen Veränderungen gezeigt, welche ich 
dann erhalten batte, wenn der Infektion mit virulenten Bacillen 
eine Behandlung mit Schildkrötenbacillen vorausgegangen war. 
Ich sah in dieser Vorbehandlung mit avirulenten Tuberkelbacillen 
die Ursache für diesen anderen Ablauf der später durch virulente 
Bacillen erzeugten Impftuberkulose. Um eine Vaccination wie bei 
den Pocken konnte es sich nicht handeln, denn wenn auch die 
vorbebandelten Tiere im Durchschnitt etwas länger am Leben 
blieben wie die Kontrolliere, also eine gewisse Immunisierung 
erfahren hatten, so konnte doch darin die Erklärung für diese 
auffällige Lungenveränderung nicht gefunden werden. Es kommen 
für die Erklärung Fragen der Immunität, der Disposition, der 
Anaphylaxie usw. in Betracht, auf die ich hier nicht weiter ein- 
gehen kann, ich weise deshalb nur noch darauf hin. dass bei den 
Tieren in der Regel von der Vorbehandlung, keine Spuren mehr 
zu sehen waren, ferner, dass es sich bei der schliesslichen Lungen¬ 
tuberkulose um eine exogene Reinfektion durch einen ganz anderen 
Typus oder doch mindestens durch einen ganz anderen Stamm 
von Tuberkelbacillen gehandelt bat, und endlich, dass die Lungen¬ 
schwindsucht nicht auf aerogenem, sondern auf hämatogenem 
Wege entstanden war. 

Ich hebe diese Umstände hervor, weil sie wichtig sind für die so 
viel besprocheneFrage der Phthiseogenese beim Menschen. Es ist mir 
selbstverständlich unmöglich, jetzt noch diese ganze Frage auf¬ 
zurollen, aber ein paar Bemerkungen möchte ich mir doch noch 
gestatten, insbesondere über die traumatische Tuberkulose im all¬ 
gemeinen und die traumatische Lungentuberkulose im besonderen. 
Gerade diese Fälle haben heutzutage eine ganz besondere Wich¬ 
tigkeit erlangt, einmal durch unsere soziale Gesetzgebung, durch 
die der Frage der Entstehung einer tuberkulösen Erkrankung, sei 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


es der Lungen, sei es anderer Organe, darch gewerbliche Un¬ 
fälle eine früher ungeahnte praktische Bedeutung verliehen wurde, 
wie nicht minder durch die allerwärts gemachten Beobachtungen, 
dass nicht nur im Heeresdienst erworbene Verletzungen (Kriegs¬ 
verletzungen, Traumen im engeren Sinne), sondern auch die mit 
dem Heeres- und besonders dem Kriegsdienst verbundenen all¬ 
gemeinen Aenderungen der Lebensbedingungen (Kriegsbeschädi- 
gungen, Traumen im weiteren Sinne), den Ausbruch einer Lungen¬ 
schwindsucht fördern können. 

Zweifellos gibt es eine primäre Wundtuberkulose, wie die 
Fleischer, die Anatomen zu ihrem Schaden schon lange erfahren 
haben, allein eine grössere Rolle spielt sie offenbar nicht, auch 
nicht in der Lunge, wenn auch einzelne Fälle von tuberkulöser 
Erkrankung bis dahin gesunder Lungen im Anschluss an Lungen- 
schösse bekannt geworden sind. In Unfallsachen handelt es sich 
in der Regel nicht um direkte Verletzungen, sondern um Ein¬ 
wirkung stumpfer Gewalt, um Quetschungen und indirekte Schädi¬ 
gungen, Zerreissungen. Dabei ist zu beachten, dass auch an den 
Brostorganen, insbesondere den LungeR, indirekte Verletzungen 
der der Gewalteinwirkung / entgegengesetzten Seite ähnlich den 
Gegenstossverletzungen des Gehirnes Vorkommen können. Un- 
komplicierte Lungenwunden heilen im allgemeinen, wie schon 
lange bekannt ist und wie auch die Kriegsverletzungen wieder 
gezeigt haben, sehr schnell, wievielmehr werden das die sicher¬ 
lich nur kleinen Verletzungen tun, welche nach mehr oder weniger 
starker Brustquetschung durch stumpfe Gewalt entstehen können. 
Eine in Heilung begriffene Wunde stellt aber ebensowenig wie 
eine Narbe einen locus minoris resistentiae oder einen guten 
Nährboden für Tuberkelbacillen dar. Macht dies schon wenig 
wahrscheinlich, dass von solchen Lungen Verletzungen eine primäre 
Phthise ausgeben wird, so auch der Umstand, dass es sich in 
solchen Fällen kaum je um massige Infektion handeln könnte, 
da doch immer nur wenige Bacillen an die Verletzungsstelle von 
aussen her werden gelangen können, deren der gesunde Organis¬ 
mus wohl nicht allzuschwer wird Herr werden können. 

Nicht anders steht es mit der Verletzung von Schleimhäuten, 
von Knochen and Gelenken. Ich war in hohem Grade erstaunt, 
als ich "kürzlich aus den Akten einer Unfallsache ersah, dass ein 
Kehlkopfspezialist unter Zustimmung eines leitenden, den Pro¬ 
fessortitel führenden Krankenhausarztes eine primäre traumatische 
Keblkopftuberkulose annahm, obwohl es sich höchstens um eine 
äussere stumpfe Gewalteinwirkung, die aber noch nicht einmal 
nacbgewiesen war, gehandelt haben konnte, obwohl keine Ver¬ 
letzung der Keblkopfschleimhaut nachgewiesen, keine Narbe, kein 
Geschwür entstanden war, der ganze Befund vielmehr in einer 
subepithelialen, umschriebenen, tuberkulösen Infiltration bestand; 
ich war noch mehr erstaunt über die ärztliche Behauptung, eine 
primäre Kehlkopftuberkulose sei viel häufiger, als man früher 
angenommen habe, und am erstauntesten war ich darüber, dass 
dem Gerichte die Angabe gemacht wurde, das Uebergreifen einer 
primären Kehlkopftuberkulose auf die Lunge sei zweifellos ein 
nicht seltenes Ereignis. Ich konnte nicht ersehen, worauf sich 
diese Ansicht stützte, die pathologisch-anatomische Erfahrung 
spricht jedenfalls durchaus gegen sie. In dem erwähnten Falle 
musste ich die gemachte Schlussfolgerung, die Lungenschwind¬ 
sucht sei durch die traumatische Kehlkopftuberkulose erzeugt 
worden, also selbst mittelbare Unfallfolge, für unwahrscheinlich 
erklären, weil ein tuberkulöses Kehlkopfgescbwür, von dem 
Tuberkelbacillen hätten aspiriert werden können — die einzige 
ernstlich in Betracht kommende Möglichkeit der Uebertragung —, 
überhaupt nicht vorhanden war; ich konnte sie für um so un¬ 
wahrscheinlicher erklären, als die Lungenschwindsucht erst zu 
einer Zeit hervorgetreten war, als die Kehlkopftuberkulose durch 
spezialistische Behandlung längst nahezu geheilt, also sozusagen 
unschädlich gemacht worden war. 

Noch unwahrscheinlicher wie bei Schleimhäuten ist eine 
primäre traumatische Tuberkulose an Knochen und Gelenken, 
und es ist sehr zu beklagen, dass ärztliche Sachverständige sehr 
oft in ihren Gutachten sie als eine durchaus nicht auffällige und 
besondere Erscheinung anerkennen. Es könnte dabei, da es sich 
in der Regel um subcutane Verletzungen handelt, doch nur eine 
hämatogene Infektion zustande, kommen, bei der wiederum eine 
massige Infektion ausgeschlossen ist und nur vereinzelte, zufällig 
ins Blut gelangte Bacillen als Krankheitserreger in Betracht 
kommen könnten. 

Wenn Rieh an eine Knochen- oder Gelenkverletzung unter 
Einhaltung der nötigen räumlichen und zeitlichen Beziehungen 
eine tuberkulöse Erkrankung anschliesst, so wird man immer als 


Nr. 4. 


wahrscheinlich annehmen müssen, dass bereits früher eine tuber¬ 
kulöse Infektion zustande gekommen war, dass bereits ein Herd 
lokaler Tuberkulose, sei es an der vom Trauma betroffenen, sei 
es an einer anderen Stelle des Körpers vorher vorhanden war, 
der die Bacillen zur neuen Erkrankung geliefeit hat. Bei dieser 
hat es sich also nur um eine örtliche Verschlimmerung oder um 
eine endogene Reinfektion gehandelt. Bei einer solchen ist unter 
diesen Verhältnissen schon eher eine massigere Zufuhr von 
Bacillen durch das Blut denkbar, wodurch zweifellos die Infektion 
erleichtert wird, ausserdem liegen aber ähnliche Verhältnisse vor 
wie bei meinen vorbehandelten Meerschweinchen, deren genauere 
Aufhellung weiteren Untersuchungen anheimgegeben werden muss. 

Man findet oft zur Begründung der primären Natur einer 
solchen Tuberkulose nicht nur seitens der Laien, sondern auch 
seitens ärztlicher Sachverständiger die Angabe, der Kranke habe 
vorher keinerlei Zeichen einer tuberkulösen Erkrankung darge¬ 
boten. Das ist selbstverständlich durchaus kein stichhaltiger 
Grund, denn gerade bei der Tuberkulose, das wissen wir patho¬ 
logischen Anatomen am besten, ist für den böchststehenden, mit 
allen Hilfsmitteln der Diagnostik ausgestatteten Kliniker, wie viel 
mehr für den nur auf die gewöhnlichen Hilfsmittel angewiesenen 
praktischen Arzt — von den Laien gar nicht zu reden — die 
Erkennung kleiner lokaltnberkulöser Herde durchaus nicht immer 
möglich. Wo diese dem traumatischen Insult vorausgegangenen 
Lokalherde ihren Sitz hatten, das lässt sich manchmal aus dem 
weiteren Verlauf der Krankheit erschliessen, nämlich dann, wenn 
im zeitlichen Anschluss an die traumatische Knochentuberkulose 
eine andere tuberkulöse Organerkrankung in Erscheinung ge¬ 
treten ist, wie ich es z. B. in einem Falle erfahren habe, wo 
später eine schwere chronische Nieren tuberkulöse den Tod herbei¬ 
führte, die zweifellos schon vor dem Unfall vorhanden gewesen 
sein musste. 

Am häufigsten handelt es sich um das nachträgliche Zutage¬ 
treten einer Lungentuberkulose. Laien, die Angehörigen in erster 
Linie, werden immer geneigt sein zu schliessen, vorher war der 
Mensch gesund, der Unfall bat ihm eine Knochentuberkulose zu¬ 
gesogen, später ist die tödliche Lungentuberkulose entstanden, 
folglich ist der Tod Folge des Unfalles, aber ich habe solche 
Schlussfolgerungen auch wiederholt in ärztlichen Gutachten ge¬ 
funden. Non Ist ja den Chirurgen zu ihrem Leidwesen bekannt 
genug, wie von einem tuberkulösen Knochenherde auB der übrige 
Körper und so auch die Lunge infiziert werden kann, und es steht 
an sich der Annahme nichts entgegen, dass auf solche Weise 
nicht nur sekundäre akute, sondern auch chronische tuberkulöse 
Lungenveränderungen hervorgebracht werden könnten, aber man 
wird doch immer mit der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit 
rechnen müssen, dass ein alter Lungenherd vorhanden war, dass 
von ihm aus die Infektion der Knochenwunde erfolgte und die 
spätere Lungenschwindsucht nur die Folge der örtlichen Aus¬ 
breitung des alten Herdes gewesen ist. Ich habe mich nicht ge¬ 
scheut, in »Fällen ähnlicher Art, bei denen die Knochentuber¬ 
kulose alsbald chirurgisch behandelt und, zum Teil durch Ampu¬ 
tation längst, ehe die Zeichen einer Lungenschwindsucht be¬ 
merkbar wurden, unschädlich gemacht worden war, entgegen 
anderen ärztlichen Gutachten es für sehr unwahrscheinlich zu 
erklären, dass Unfall und Lungenschwindsucht in einem ursäch¬ 
lichen Zusammenhang gestanden hätten. 

Die hier angenommene Art der Entstehung einer Lungen¬ 
schwindsucht beim Erwachsenen — bei Kindern liegen die Ver¬ 
hältnisse besonders —, nämlich von einem Lungenherd aus, ist 
sicher bei weitem die häufigste, insbesondere soweit es sich am 
eine an ein Trauma angeschlossene Erkrankung handelt. Ana¬ 
tomisch lässt sich das freilich unmittelbar nicht nachweisen, 
denn wenn erst einmal die Zerstörung der Lunge Fortschritte 
gemacht hat, dann wird auch der Ausgangsherd zerstört oder 
mindestens so verändert sein, dass man ihn nicht mehr sicher 
erkennen kann, aber wir können einen Beweis per exclusionem 
führen, denn es ist eine feststehende Tatsache, dass bei der über¬ 
grossen Mehrzahl aller erwachsener Phthisiker anatomisch weder 
im Bereiche der Lymphdrüsen des Respirationsapparates noch in 
denjenigen der Verdauungsorgane noch sonstwo ältere tuber¬ 
kulöse Veränderungen sich finden. 

Ich habe schon bei anderer Gelegenheit darauf hingewiesen, 
dass diese Tatsache bei dem Ueberwiegen der Lymphdrüsen- 
erkrankungen im kindlichen Körper durchaus gegen die jetzt so 
beliebte Annahme spricht, dass die Lungenschwindsucht der Er¬ 
wachsenen nur ein unmittelbarer Folgezustand, gewissermaassen 
das tertiäre Stadium einer in der Kindheit erworbenen Tuber- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIfl. 


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kulose sei, dass es sich bei dieser Lungenerkrankung am eine 
endogene Reinfektion handle. Mit Unrecht ist bei manchen die 
exogene Infektion Erwachsener in Misskredit gekommen, wie die 
leider immer wiederkehrenden tuberkulösen Erkrankungen des 
Pflege- und Wartepersonals nur zu deutlich beweisen. 

Weit bin ich davon entfernt, die grosse Gefährdung der 
Jugend durch die Tuberkulose zu leugnen, sehr bin ich damit 
einverstanden, dass wir in erster Linie die Jugend gegen die 
Tuberkulose zu schützen suchen, aber man darf darüber den 
Schutz der Erwachsenen nicht versäumen, man darf nicht meinen, 
es sei genug geschehen, wenn man diese in dem Kampf ihres 
Körpers gegen in ihm wohnende Bacillen stärkt, nein, man muss 
sie auch vor einer Neuinvasion von Bacillen behüten. 

Mit diesem Namen, Invasion, möchte ich das Hineingelangen 
von Bacillen in den Körper bezeichnen, indem ich ihn in Gegen¬ 
satz stelle zu der Infektion, von der man, streng genommen, nur 
reden darf, wenn die Bacillen krankhafte Veränderungen in dem 
Körper erzeugt haben. Nur wer durch Infektion mit Tuberkel- 
baciilen einen Krankheitsherd im Körper erhalten hat, darf als 
tuberkulös bezeichnet werden, aber nicht schon der, welcher nur 
eine Invasion von Bacillen erfahren bat, ebensowenig wie wir 
einen blossen Bacillenträger schon diphtherisch, typhös nennen 
dürfen. Meines Erachtens muss diese Unterscheidung gemacht 
werden, seit wir wissen, dass nicht nur die Tuberkulosekrank¬ 
heit, sondern aach die Tuberkelbacillen latent, d. h. für letztere 
ohne morphologische Veränderungen zu erzeugen, im Körper vor¬ 
handen sein können, und zwar für ungeahnt lange Zeit; sie muss 
vor allen Dingen auch gemacht werden, um die klinisch-diagnosti¬ 
schen und die pathologisch anatomischen Erfahrungen miteinander 
in Einklang zu bringen. Die pathologisch-anatomische Unter¬ 
suchung lehrt uns unweigerlich, dass die Annahme, es seien bis 
zu 100 pCt. aller älteren Kinder tuberkulös, nicht zutrifft, da 
man, besonders wenn eine Diphtherie- oder sonstige Epidemie 
recht viele Schulkinder dahinrafft, bei zahlreichen Kindern der 
verschiedensten Altersstufen nicht die Spur einer * tuberkulösen 
Veränderung findet. Ich gebe gern zu, dass kleine Herde auch 
von einem sorgfältigen Obduzenten übersehen werden können, 
aber die Zahl der nicht tuberkulös befundenen Kinder ist doch 
eine so grosse, dass sie unmöglich bloss durch solche Beob- 
achtungsfebler erklärt werden kann. Auch dieses Freisein so 
vieler Kinder von tuberkulösen Veränderungen ist einer der 
Gründe, die meines Erachtens dagegen sprechen, dass eine ln 
späterer Lebenszeit auftretende Lungenschwindsucht lediglich eine 
Erscheinungsform der Kinderinfektion, die Folge einer endogenen 
Reinfektion sein könne, denn für die Annahme einer Jahrzehnte 
dauernden Latenz virulenter Bacillen fehlt uns doch bis jetzt noch 
die Berechtigung. Ausserdem deutet gerade die traumatische 
Tuberkulose auf eine so massige Infektion hin, wie sie nach 
meinem Dafürhalten nur von einem lokalen tuberkulösen Herd 
mit grösserem Bacillennest, nicht von latenten Bacillen hergeleitet 
werden kann. 

Der Nichtbefund anatomischer Veränderungen beweist natür¬ 
lich zweierlei nicht: 1. dass nicht eine tuberkulöse Erkrankung 
bestand, die spurlos geheilt ist, 2. dass nicht eine Bacilleninvasion 
bestanden hat, die nicht zu einer Infektion geführt hat. Der 
positive Ausfall der Tuberkulinprobe an der Haut kann meines 
Erachtens unmöglich nur durch eine bestehende Tuberkulose be¬ 
wirkt sein, denn dann müssten wir eine solche bei den Kinder- 
leicben öfter finden; dass sie eine überstandene Tuberkulose an¬ 
kündigen kann, halte ich für zweifellos, aber, da es unwahrschein¬ 
lich ist, dass die zahlreichen negativen Sektionsbefunde nur durch 
völlige spurlose Ausheilung vorhanden gewesener tuberkulöser 
Herde erklärt werden können, so muss ich zu dem Resultat kommen, 
dass auch vorausgegangene Invasionen eine derartige biologische 
Aenderung im Körper hervorrufen können, dass nun eine positive 
Tuberkulinreaktion eintritt. Lässt man diese Annahme zu, dann 
kann man trotz des fehlenden anatomischen und bacillären Zu¬ 
sammenhanges doch mit der von Behring aufgestellten Theorie 
in der Form rechnen, dass durch eine im Kindesalter aufgetretene 
Invasion oder Infektion mit Tuberkelbacillen eine Disposition er¬ 
zeugt werde, nicht nur gegebenenfalls für eine endogene Reinfektion 
mit folgender Lungenschwindsucht, sondern auch für eine neue, 
exogene Infektion und ihre Lokalisation in den Lungen. 

Ich weise wieder auf meine Reinfektionsexperimente hin. 
Auch bei den vorbehandelten Versuchstieren war als Regel von 
der überstandenen Vorbehandlung mit Schildkrötenbacillen nicht 
die Spur mehr zu sehen — und doch reagierten die Tiere auf 
eine neue Infektion mit anderen Bacillen ganz anders als nicht 


vorbehandelte Tiere. Hier handelte es sich um zwei verschieden 
virulente Sorten von Bacillen; wer garantiert uns, dass nicht auch 
beim Menschen solche Beziehungen zwischen dem, ja doch im 
grossen und ganzen für denr Menschen wohl weniger virulenten 
Rinderbacillus und dem Menschenbacillus bestehen, dass nicht 
auch in den Fällen, in welchen beim Kinde eine bovine Infektion 
zustande kam, die eine lokale latent bleibende oder auch eine 
ausheilende Tuberkulose erzeugte, oder in denen auch nur eine 
bovine Invasion erfolgte, eine derartige Umstimmung erzeugt wurde, 
dass nun eine neue Infektion mit humanen Bacillen eine Lungen¬ 
schwindsucht im Gefolge hat? An eine solche Neuinfektion njit 
humanen Bacillen müsste man in einem derartigen Falle unter 
allen Umständen denken, da ja für die Annahme einer Umbildung 
des Typus bovinus in den humanus innerhalb desselben menschlichen 
Körpers keine Anhaltspunkte vorliegen und doch die Tatsache 
feststeht, dass in der schwindsüchtigen Lunge nur ausnahmsweise 
Bacillen des Typus bovinus gefunden werden. 

Für die traumatische Tuberkulose kommt, wie schon gesagt, ) 
eine exogene Infektion in der Regel nicht in Betracht, sondern 
nur eine endogene Reinfektion, nachdem die erste Infektion die 
Disposition zur chronischen Tuberkulose erzeugt hatte. Es ist 
wohl zweifellos, dass die sekundäre Lungenschwindsucht eine 
hämatogene sein kann, wie sie es bei meinen Versuchstieren war, 
aber der Hauptsache nach dürfte es sich doch,- wie bei der 
Lungenschwindsucht der Erwachsenen überhaupt, um eine pneu- 
mogene Erkrankung dabei handeln, um das Wiederaufleben eines 
ruhenden oder um das beschleunigte Fortschreiten eines chroni¬ 
schen Vorganges. Dadurch ist dann auch die Möglichkeit, ja 
Wahrscheinlichkeit einer massigen Reinfektion gegeben, was man 
bei der Beurteilung der zeitlichen Beziehungen zwischen Trauma 
und Lungenschwindsucht wohl zu beachten hat. Je länger es 
nach der Gewalteinwirkung dauert, bis die Erscheinungen der 
fortschreitenden Lungenschwindsucht hervortreten, um so unwahr¬ 
scheinlicher wird es, dass zwischen beiden ein ursächlicher Zu¬ 
sammenhang dieser Art besteht. Ich bin mit Fürbringer 
durchaus einer Meinung, dass man die zulässige Zwischenzeit, d. h. 
die Zeit, welche von der Gewalteinwirkung bis zum Deutlich¬ 
werden der Lungenschwindsucht verstrichen ist, nicht über das 
zweite Vierteljahr ausdehnen darf, wenn man nicht an die Stelle 
der Wahrscheinlichkeit die blosse Möglichkeit treten lassen will, 
die für eine richterliche Entscheidung nicht in Betracht kommen 
kann. 

Nach diesen Darlegungen über die traumatische Tuberkulose 
haben also die Schweizer im allgemeinen ganz recht, wenn sie 
sagen, eine im Heeresdienst aufgetretene Tuberkulose sei nicht als 
eine im Dienst entstandene anzusehen, sondern eine vordienstliche 
Erkrankung, aber abgesehen davon, dass es doch auch Ausnahmen 
gibt, enthält diese Erklärung nicht die volle Wahrheit, denn eine 
Tuberkulose ist zwar vermutlich vordienstlich schon vorhanden 
gewesen, nicht aber diejenige tuberkulöse Erkrankung, welche im 
und durch den Heeresdienst aufgetreten ist und welche ohne ihn 
überhaupt nicht aufzutreten brauchte. Der Heeresdienst, sagen wir 
für unsere heutigen Verhältnisse passender der Kriegsdienst, hat 
den Mann nicht tuberkulös gemacht, aber er hat die vorhandene, 
vielleicht völlig bedeutungslose tuberkulöse Erkrankung wesent¬ 
lich verschlimmert. In Unfallsachen haben die Schiedsgerichte 
schon längst dahin entschieden, dass der Erkrankte und gegebenen¬ 
falls seine Hinterbliebenen für eine solche wesentliche Ver¬ 
schlimmerung einer Krankheit eine Entschädigung verdienen, und 
unsere Militärbehörden haben meines Wissens eine ähnliche Ent¬ 
scheidung mit Recht getroffen. Für sie und für uns alle ist aber 
mit dieser Sorge für die Person des Kranken die Sache noch nicht 
erledigt, denn wir haben auch die Bedeutung des kranken Men¬ 
schen für seine Umgebung, für seine Volksgenossen ins Auge zu 
fassen, uns obliegt auch die Sorge für die Gesamtheit des Volkes. 
Vor der Tuberkulose, dem Volkserwürger, wie vor allen anderen 
die Volksgesundheit und damit das Volkswohl bedrohenden Uebeln 
müssen wir das Volk so gut es gebt zu bewahren suchen; auch 
während des Krieges hat unser Kampf für das Volkswohl nicht 
geruht, aber der politische Frieden muss die Aerzteschaft der 
eingetretenen Kriegsfolgen wegen erst recht auf den sanitären 
Kampfplatz rufen, denn für sie gilt in Abänderung des bekannten 
Wahlspruches: Si vis salutem populi para bellum medicum. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


Zur Behandlung des Keuchhustens. 

Von 

Prof. Aifreckt-Magdeburg. 

Ei darf wohl zugegeben werden, dass der Wert der Mittel, 
welche gegen den Keuchhusten ins Feld geführt werden, ein sehr 
problematischer ist. Ich selbst habe keine bewährt gefunden. 
Nicht einmal eine Abkürzung des KrankheitsVerlaufes habe ich 
folgen sehen. Unter diesen Umständen hielt ich es für geraten, 
dem körperlichen Verhalten meiner fast ausnahmslos im kind¬ 
lichen Alter stehenden Patienten grössere Aufmerksamkeit zuzu¬ 
wenden. Da ich oft genug geseheu hatte, dass seelische Er¬ 
regungen ebenso wie lebhafte Anstrengungen, die beim Spielen 
der^'Kinder nicht ausbleiben, offensichtlich Keucbhustenanfälle 
aus)ösen, entschloss ich mich, meiue kleinen Patienten zu be¬ 
handeln, wie wenn eine fieberhafte Infektionskrankheit Vorgelegen 
hätte, d. h. mit absoluter Bettruhe. Ich begegnete freilich an¬ 
fangs dem Zweifel der Angehörigen. Eine solche Behandlungs¬ 
weise stelle doch im Widerspruch zu allen sonstigen Empfeh¬ 
lungen. Es heisse doch immer, man solle die Kinder sich mög¬ 
lichst viel im Freien bewegen lassen, man müsse ihnen die 
Wohltat der frischen Luft, in entsprechender Jahreszeit die Wohl¬ 
tat einer Sommerfrische mit dem zugehörigen Ortswechsel zuteil 
werden lassen u. dgl. m. Aber schliesslich siegte das Vertrauen 
zum Arzte, die Versicherung, dass jeder Schaden durch Bettruhe 
ausgeschlossen sei, und dass der Erfolg sich sehr bald zeigen 
müsse. Nicht zuletzt gab einzelne Male der Gedanke den Aus¬ 
schlag, dass es kaum schlechter werden könne, wie es ohnehin 
schon war. Meine Voraussetzung aber traf schon bei den ersten 
Patienten, die ich so behandelt habe, vollkommen zu. Die 
Hustenanfälle wurden milder, die Zahl derselben wurde zusehends 
geringer, die Krankheitsdauer erfuhr eine ganz beträchtliche Ab¬ 
kürzung. Erbrechen bei den Hustenanfällen kam kaum vor, und 
wenn die Kinder erst auf der Höhe der Krankheit im Bette ge¬ 
halten wurden, hörte es sehr bald vollständig auf, selbst wenn 
es vorher sehr häufig aufgetreten war. Dementsprechend ge¬ 
stalteten sich die Ernährungsverhältnisse bei weitem günstiger, 
als es sonst der Fall zu sein pflegt. 

Meine medikamentöse Vornahme beschränkte sich auf ein 
leichtes Ipecacuanhainfus (0,1 Rad. Ipecac. auf 100 Wasser mit 
1—1,5 Aq. amygd. am. und 20 Syr. simpl. 2 stündlich einen 
Kinderlöffel). 

Diese Behandlung habe ich seit einer Reibe von Jahren in 
meiner Privatpraxis durchgeführt und glaube sie nunmehr zur 
Anwendung empfehlen zu können. Die Krankenhansbehandlung 
zeitigt keine so günstigen Erfolge hauptsächlich wegen öfterer 
Komplikation des Keuchhustens mit Skrophulose und Rachitis, 
wegen sehr späten Eintritts in die Behandlung, wegen schon vor¬ 
handener katarrhalisch pneumonischer Zustände. 

Mit der Abkürzung der Krankheitsdauer und der sichereren 
Vermeidung von Abkühlungen der Körperoberfläche bei Bettruhe 1 ) 
kann aber auch in prophylaktischer Beziehung Nutzen gestiftet 
werden. Zunächst für die Kranken selbst; die Wahrscheinlich¬ 
keit des Auftretens von Lungenentzündungen ist eine bei weitem 
geringere; ich habe bei meinen Patienten in der Privatpraxis 
keine gesehen. Sodann ist für die bis dabin gesunden Kinder, 
welche sonst mit den kranken auf der Strasse oder auf dem 
Spielplatz zusammentrafen und sich infizierten, eine um so 
grössere Möglichkeit des Freibleibens von dieser Krankheit ge¬ 
geben. 

Auch die Ueberführung der kranken Kinder in eine Sommer¬ 
frische kann durchaus fortfallen; sie war höchstens der Anlass 
zu den unangenehmsten Widerwärtigkeiten. 


Aus einem Reservelazarett. 

Klinik der Nierenverletzungen. 

Voa 

Dr. med. Wilhelm Karo-Berlin, 

Stabsarzt d. L., Chefarzt des Reservelazaretts F. 

Während Schussverletzungen der Blase und Harnröhre häufiger 
zur Beobachtung kommen, sind isolierte Nieren Verletzungen infolge 
der geschützten Lage der Nieren relativ selten. Ihre genaue 


1) Vgl. meine Mitteilung über Erkältung in der Zsohr. f. ärztl. 
Fortbild., 1917, Nr. 21. 


Kenntnis ist schon aus dem Grunde von Wichtigkeit, weil sich 
oft als Folge der Verletzungen bleibende organische Erkrankungen 
der Nieren anschliessen. Die hier in Betracht kommenden 
Krankheitsbilder sollen daher an der Hand einiger instruktiver 
Krankengeschichten dargelegt werden. 

Wir unterscheiden offene Nieren Verletzungen und subparietale. 
Offene Nierenverletzungen sind naturgemäss solche, bei denen 
von aussen durch Schuss oder Stich nach Verletzung der Haut 
und Muskeln die Niere in ihrer Kontinuität verletzt wird. Es 
handelt sich also stets um offene Wunden, deren Diagnose leicht 
und sicher zu stellen ist, wenn auch nicht in jedem Falle speziell 
von Stichverletzung der Lumbalgegend, mit Sicherheit die Be¬ 
teiligung der Nierensubstanz ohne Freilegung des Organs zu er¬ 
kennen ist. Je nach der Schwere der Verletzung stehen im 
Vordergründe des Krankheitsbildes Shock uud Blutung aus dem 
Wundkanal. Besteht gleichzeitig Hämaturie, so ist die Diagnose 
auf Nierenverletzung mit Sicherheit zu stellen. 

Soll in jedem Falle von Nieren Verletzung die Niere operativ 
freigelegt werden? Maassgebend für die Indikationsstellung ist 
meiner Ansicht nach mehr das allgemeine Krankheitsbild als die 
Schwere der Hämaturie. Speziell wird dann eine sofortige Operation 
notwendig, wenn der Puls auf starken Blutverlust hindeutet. 
Selbst ein schwerer Shock darf in diesem Falle von der Operation 
nicht abhalten. Folgender Fall mag hierfür als Beispiel dienen: 

Ein polnischer Schnitter wurde wegen Stichverletzung der linken 
Nierengegend in das Krankenhaus F. eingeliefert. Kranker war bewusst¬ 
los, Puls 140, kaum fühlbar, Pupillen eng, sichtbare Schleimhäute ab¬ 
solut blutleer; in der linken Flanke unterhalb der zwölften Rippe eine 

9 cm lange, klaffende Wunde, durch Blutgerinnsel zum Teil verklebt, 
Umgebung der Wunde nur wenig geschwollen, Haut blutig, Leib weich 
eingesunken. Durch Katheter wird aus der Blase stark blutig gefärbter 
Harn entleert. Die Diagnose Nierenverletzung war also mit Sicherheit 
zu stellen. Ich sah den Kranken fünf Stunden naoh der Verletzung. 
Mit Rücksioht auf den starken Blutverlust entschloss ich mich zur so¬ 
fortigen Freilegung der Niere mittels Sohrägschnitt. Nach Luxation der 
Niere zeigte sich das ganze Nierenlager mit frischem Blut durchtränkt. 
Auf dem oberen Pol der Niere sass ein faustgrosser Blutklumpen, nach 
dessen Entfernung an der Aussenseite der Niere ein 3 cm langer Schnitt 
zu sehen war. Aus dem Schnitt quoll dauernd frisches rotes Blut. 
Durch Digitalkompression stand die Blutung. Die Wunde wurde durch 
zwei Catgutnähte geschlossen, die Niere reponiert, das Nierenlager mit 
Lugol’scher Lösung ausgewaschen, die Wunde nach Tamponade mit Jodo¬ 
formgazestreifen geschlossen. Dauer der Operation 20 Minuten. Unter 
Einfluss von subcutaner Kochsalzlösung mit Suprarenin besserte sich 
schon drei Stunden nach der Operation der Puls, der Kranke kam wieder 
zu sich; die Diurese reichlich. Nach 30 Stunden war der Harn frei von 
Blut. Kranker konnte eine Woche später aufstehen und nach weiteren 

10 Tagen geheilt das Krankenhaus verlassen. Die genaue funktionelle 
Nierenuntersuchung mittelst Milchzucker, Phloridzin und Indigocarmin 
ergab, dass die verletzte Niere in ihrer funktionellen Kraft keinerlei 
Einbusse erlitten hatte. 

Der Fall zeigt also, dass die rechtzeitige Freilegung der ver¬ 
letzten Niere mit primärer Naht und Auswaschung des Hämatoms 
die beste Chance für vollständige Heilung ergibt. Besonders 
wichtig ist die Beseitigung des Hämatoms, denn erfahrungsgemäss 
werden Hämatome durch Sekundärinfektion sehr leicht in Abscesse 
umgewandelt. Es besteht dann die grosse Gefahr, dass die Niere 
selbst durch Eiterung zugrunde geht. Ueberdies sind die Chancen 
für eine Heilung der Niere, je länger das Hämatom besteht, desto 
ungünstiger. 

Während der eben mitgeteilte Fall von Stich Verletzung der 
Niere ohne Schädigung des Organs ausheilte, führte folgender 
Fall von Schussverletzung zu vollkommener Zertrümmerung 
der Niere. 

Grenadier M. Wurde auf dem Truppenübungsplatz von einem Ka¬ 
meraden von hinten angeschossen. Nach Anlegung eines Notverbandes 
und Iojektion von 20 AE-Tetanus9erum Aufnahme ins Lazarett. Kranker 
war in somnolentem Zustand. Nach Abnahme des Notverbandes fand 
man 4 querfingerbreit rechts von der Wirbelsäule am Rückenrand eine 
kleinkalibrige Einschusswunde, in gleicher Höhe l l j 2 Handbreit von 
der Wirbelsäule entfernt in der hinteren Scapularlinie eine fünfmark¬ 
stückgrosse Ausschussöffnung. Bei der Ausatmung quillt stossweise dickes 
rotes Blut aus der Wunde; Pleura verletzt, Gesichtsfarbe blass, Puls 
120, Reflexe in den unteren Extremitäten vorhanden, Rückenmark nicht 
verletzt, Leib weich, geringe Muskelspannung der linken Unterbauch¬ 
gegend. 

Unter Lokalanästhesie wurde sofort die Ausschussöffnung in der 
Richtung des Schusskanals erweitert. Die linke 10. Rippe, die in der 
Wunde zertrümmert liegt, wird in 10 ccm Ausdehnung reseciert. In 
der Tiefe sieht man das zerrissene Zwerchfell und die stark zusammen¬ 
geschrumpfte linke Lunge; der ganze linke Pleuraraum mit dickem 
roten Blut angefüllt. Senkrecht zur ersten Sohnittriohtung wird im 


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28. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Verlaufe der 11. Rippe ein 10 om langer Schnitt angelegt, die Rippe 
zum grössten Teil reseciert. In der Tiefe kommt man auf die völlig 
zertrümmerte linke Niere, die nach Isolierung und Unterbindung ihres 
Stiels entfernt wird. Der Riss des Diaphragmas wird durch fortlaufende 
Nähte geschlossen. Tamponade und Drainage des Wundbetts der Niere. 
Dauer der Operation 30 Minuten. 

Der Kranke überstand den Eingriff gut. Nachblutung trat nicht 
auf, die Diurese kam bald in Gang, der Wundverlauf zeigte keinerlei 
Storungen. Ueber dem unteren Lappen der linken Lunge war in der 
Folgezeit starke Dämpfung und bronchiales Atmen zu konstatieren. 
Bereits nach 2 Wochen hellte sich die Dämpfung über der linken Lunge 
auf. In der Höhe der Dämpfung war noch deutliches Knistern zu 
hören, das Atmungsgeräusch selbst bronchial, der Stiminfreraitus hinten 
links etwas abgeschwächt. Die Röntgendurchleuchtung der Lunge 
3 Wochen nach der Operation ergab keine nennenswerte Schäden über 
der linken Lunge, das Zwerchfell dehnte sich gleichmässig aus. kein 
Pneumothorax, kein Bluterguss, Herzgrenzen normal. Die Wunde war 
bis auf eine lange schmale Fistel geschlossen. Kranker war 6 Wochen 
nach der Verletzung vollkommen beschwerdefrei. Die funktionelle Unter¬ 
suchung der zurückgebliebenen anderen Niere ergab keinerlei Störung. 

In diesem Falle war vor der operativen Freilegung der Niere die 
genaue Diagnose, ob die Niere verletzt, nicht möglich. Erst die Ope¬ 
ration ergab, dass die Niere vollkommen zertrümmert war und dem¬ 
gemäss radikal entfernt werden musste. Auch hier war eine sofortige 
Operation in Rücksicht auf die Schwere der Allgemeinersoheinungen un¬ 
bedingt erforderlich. 

Schwieriger zu beurteilen sind die subcutanen Nieren* 
Verletzungen, das sind Nieren Verletzungen, die ohne Verletzung 
der Haut durch stumpfe Gewalt hervorgerafen werden. Hier 
können alle möglichen Arten von Gewalt einwirken (Stoss, 
Fall usw.). Die Diagnose Nierenverletzung wird mit Sicherheit 
nur dann festzustellen sein, wenn der Harn des Kranken Blut 
enthält. Leichtere Kontusionen der Niere sind indessen auch 
ohne Hämaturie denkbar. Auch der Palpationsbefund ist nur 
mit grosser Reserve für die Diagnose Nieren Verletzung zu ver¬ 
werten. Eine Muskelzerreissung der Flanke oder eine intra¬ 
abdominale Verletzung kann sehr wohl eine Nierenverletzung 
Vortäuschen. Nur genaueste klinische Beobachtung wird in 
schwierigeren Fällen zum Ziel führen. Zwei instruktive Fälle 
mögen das klinische Bild illustrieren: 

Ein 20jähriger Arbeiter A. B. fiel vom Heuboden auf seine rechte 
Seite. Kranker klagte über Schmerzen in der Lumbalgegend. Bei der 
sofortigen Aufnahme in das Krankenhaus F. zeigte sich keinerlei Ver¬ 
letzung der äusseren Haut. Puls leicht beschleunigt, doch kräftig, 
Leib weich, die ganze rechte Seite druckempfindlich. Der Harn des 
Kranken blutig gefärbt. Reflexe leicht auslösbar, keinerlei Lähmungs- 
ersoheinungen. Kein Erbrechen, keinerlei nennenswerte Störung des 
Allgemeinbefindens. Die rechte Nierengegend ein wenig druckempfind¬ 
lich, Niere selbst deutlich zu fühlen. Mit Rücksicht auf die Hämaturie 
war an der Diagnose Nierenkentusion nicht zu zweifeln. Das Krank¬ 
heitsbild war indessen so leicht, dass zu einqn Eingriff keine Indika¬ 
tion vorlag. Unter Bettruhe und feucht-kalten Kompressen in der 
Nierengegend und allgemeinen diätetischen Verordnungen hörte die 
Hämaturie nach wenigen Tagen auf. Die Temperatur blieb stets nor¬ 
mal, ebenso war die Atmung ungestört. Die genaue funktionelle Unter¬ 
suchung der Niere eine Woche nach dem Unfall ergab für beide Nieren 
gleich gute Funktion. Der Harn des Kranken zeigte abgesehen von 
einzelnen roten Blutsellen keinerlei krankhafte Veränderung. Die 
Schmerzhaftigkeit in der rechten Nierengegend liess sehr bald naoh, 
Kranker konnte nach 2 Wochen aus dem Krankenhaus entlassen werden. 
Es handelt sich also in diesem Falle um eine ganz leichte Nieren¬ 
kontusion, die, wie die funktionelle Untersuchung ergab, ohne Schädi¬ 
gung des Organs ausheilte. 

Wesentlich anders war das Krankheitsbild in folgendem Falle: 

Der Kriegsfreiwillige P. N. fiel gelegentlich einer Felddienstübung 
auf die linke Seite. Abgesehen von heftigen Schmerzen und einer ge¬ 
wissen Steifigkeit der linken Flankengegend fühlte sich Kranker so wenig 
von dem Fall angegriffen, dass er zunächst weiter Dienst tat. Im 
Laufe der nächsten Wochen traten häufiger Sohmerzen in der linken 
Nierengegend auf. Gleichzeitig bekam Kranker häufig schmerzhafte 
Tenesmen, indessen machte er ruhig weiter Dienst. Erst viele Monate 
nach dem Unfall wurden die Beschwerden so heftig, dass Lazarettauf- 
aufnahme notwendig wurde. 

Es wurde nun folgender Befund erhoben: Kranker war in sehr 
gutem Ernährungszustand. Kein Fieber, linke Niere druckempfindlich, 
die linke Niere deutlich zu fühlen, rechte Niere nicht palpabel. Der 
Harn des Kranken enthielt Eiweiss, zahlreiche rote Blutkörperchen, 
Kristalle, vereinzelte Cylindroide. Die Röntgenaufnahme der linken 
Niere liess deutlich eine Vergrösserung des Organs erkennen. Die mehr¬ 
monatige Beobachtung im Lazarett ergab nun, dass die Diurese des 
Kranken ungemein wechselnd war. Sie schwankte zwisohen 650 und 
2000 pro die. Gleichzeitig wechselten die Schmerzen in der Nieren¬ 
gegend, und zwar waren sie um so intensiver, je geringer die Diurese. 
Kranker empfand deutlich zeitweise ein Ansohwellen der linken Seite. 
Gleichzeitig hiermit trat Kurzatmigkeit auf. Herz und Lunge selbst 


Hessen krankhafte Veränderungen nicht erkennen. Die funktionelle 
Untersuchung der Nieren ergab eine wesentliche Herabsetzung der 
Funktion der linken Niere. Während mehrmonatiger Lazaretthehandlung 
blieb der Harnbefund konstant, niemals traten makroskopische Blutungen 
auf, ebensowenig waren im Harn Leukoeyten in nennenswerter Menge 
nachweisbar. Auf Grund genauester klinischer Untersuchung diagnosti¬ 
zierte ich bei dem Kranken eine intermittierende Hydronephrose der 
linken Niere, die zweifelsohne auf das erlittene Trauma zurückzuführen 
ist. Vermutlich wurde durch das Trauma die Niere gelockert, und es 
.bildete sich ein Hämatom, das bei seiner Resorption wahrscheinlich 
eine temporäre Verzerrung oder Kompression des Ureters bedingt hat. 
Hierdurch wurde der Abfluss des Harns aus der linken Niere gehemmt 
und die Hydronephrosenbildung bervorgerufen. Eine Operation lehnte 
Kranker ab. Doch auch ohne operative Freilegung der Niere kann an 
der Diagnose nicht gezweifelt werden. 

Klinisch ist der Fall von grossem Interesse, denn er zeigt 
uns, welch schwere bleibende Veränderungen eine scheinbar leichte 
Kontusion der Niere hervorrofen kann. Es fragt sich, ob speziell 
mit Rücksicht hierauf nicht auch in scheinbar leichteren Fällen 
von Nierenkontusionen eine operative Freilegung der Niere indi¬ 
ziert ist. Ich glaube, dass in dem eben mitgeteilten Falle eine 
rechtzeitige Freilegung des Organs die Bildung der Hydro¬ 
nephrose verhindert hätte. Die hier mitgeteilten Fälle mögen die 
Aufmerksamkeit der Kollegen auf diese so wenig geklärte Frage 
lenken. 


Ueber Theorie und Methodik der serologischen 
Luesdiagnostik 1 ). 

Von 

Stabsarzt Dr. E. Meinieke. 

Im Jahre 1906 gelang es v. Wassermann*) in Gemeinschaft 
mit Neisser und Bruck durch Anwendung der Komplement¬ 
bindung auf die Luesdiagnose ein Verfahren auszuarbeiten, das 
seitdem als Wassermann’sche Reaktion zu allgemeiner Anwendung 
gelangt ist. Ursprünglich vertraten die Autoren die Idee, dass 
das Wesen der Wa.R. in einer spezifischen Bindung von Lues¬ 
antigen und, Luesantikörpern bestehe, an die in Analogie zu 
anderen Erfahrungen bei spezifischen Bindungen das Komplement 
gefesselt würde. Diese Theorie musste später im wesentlichen 
fallen gelassen werden, da sich auch alkoholische Extrakte nor¬ 
maler Organqt und reine Lipoide als Antigen brauchbar erwiesen, 
wenn auch nicht in gleichem Grade. Man nimmt jetzt mit Modi¬ 
fikationen im einzelnen als Wesep der WaR. eine kolloidale Re¬ 
aktion an, dfe zwischen den Lipoiden der Antigene und Eiweiss- 
kolloidkörperfi' der syphilitischen Sera stattfindet. Diese Eiweiss¬ 
kolloide der Luessera stellt man sich als besonders avide und 
und labile und daher über das normale Maass in ihrer Reaktions¬ 
fähigkeit verstärkte Stoffe vor, die vielleicht auch unter dem 
Einfluss der Krankheit im Luesserum in besonders reichlichem 
Maasse auftreten. Vielfach hat man sich wohl etwas zu einseitig 
den ReaktionsVorgang selbst als eine gegenseitige Ausflockung 
von Kolloiden ohne sichtbare Präcipitation vorgestellt und hat 
versucht, diesen Fällungsvorgang sichtbar zu machen und in 
Parallele zur Wa R. zu stellen. Ganz allgemein wird man sagen 
können, dass bei der Wa.R. Serum- und Antigenstoffe zu einem 
relativ festen Komplex zusammentreten, an den das Komplement 
gefesselt wird. 

Der Wechseljin den theoretischen Grundlagen bat die prak¬ 
tische Brauchbarkeit der Wa.R. nicht berührt. Aber es machten 
sich schon früh Bedenken geltend gegen die Unsicherheiten und 
Schwierigkeiten der Technik. Für die Kriegszeit ist bis zu einem 
gewissen Grade ein Moment der Unsicherheit dadurch ausge¬ 
schaltet, dass alle Laboratorien gezwungen sind, ausschliesslich 
mit den£vom Wassermann’schen Institut gelieferten Antigenen zu 
arbeiten. Aber auch diese sind untereinander zum Teil erheblich 
verschieden und werden bei der Verdünnung mit Kochsalzlösung 
in ganz verschiedenem Grade aufgeschlossen. Die Vorschriften 
über die Verdünnung sind allgemein gehalten und nicht für jedes 
Antigen besonders gegeben. Wollte man nun z. B. das Antigen 
Nr. 16 genau ebenso verdünnen wie Nr. 21, so würde man bei 
Parallel versuchen recht widersprechende Ergebnisse erzielen. 
Nach meinen Erfahrungen muss Nr. 16 ganz ausserordentlich 
langsam verdünnt werden, um genügend wirksam zu werden, 
Nr. 21 dagegen recht schnell, da es sonst eigenhemmend wird. 

1) Abgeschlossen im August 1917. 

2) D.m.W., 1906. 

3* 


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84 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


Das muss man sich, da nähere Angaben fehlen, erst selbst aus- 
probieren, wodurch ein Moment grosser Unsicherheit in die Me¬ 
thodik gebracht wird. So wenden sich denn' auch die meisten 
Angriffe der letzten Zeit gerade gegen die verschiedene Wirk¬ 
samkeit der Extrakte. 

Als ein weiterer Nachteil der Methode hat sich gerade im 
Kriege die Abhängigkeit der Technik von Versuchstieren erwiesen. 
Nicht nur, dass Amboceptor, Komplement und Blutkörperchen 
stets variable Dinge sind; es hat sich vor allem vielfach ein 
Mangel an den erforderlichen Versuchstieren fühlbar gemacht. 
Jedenfalls haben wohl die meisten Laboratorien ihre Versuche 
wegen Tiermangel auf das notwendigste Maass einschränken 
müssen. Die Wa R. ist daher, wenigstens im Kriege, zu Massen- 
untersucbungen nicht geeignet. Es hat deshalb nicht an Versuchen 
gefehlt, die alten schon gleich nach der ersten Bekanntgabe der 
Wa.R. einsetzenden Bemühungen wieder aufzunehmen, eine ein¬ 
fachere Ersatzmethode zu finden, die von Versuchstieren unab¬ 
hängig ist. Und es ist insbesondere Bruck’s 1 ) Verdienst, die 
Frage wieder angeschnitten zu haben; seine Arbeit ist auch der 
direkte Anlass zu meinen Versuchen gewesen. 

Diese ergaben, wie aus meinem Vortrage 2 ) hier kurz wieder¬ 
holt sei, folgendes: Die in den Wassermann’schen Antigenen ge¬ 
lösten Lipoide haben die Neigung, bei Kochsalzzusatz auszuflocken 
bzw., wenn sie bereits ausgefällt waren, geflockt zu bleiben. Die 
im menschlichen Serum enthaltenen Stoffe werden andererseits 
durch Kochsalz am Ausflocken gehindert bzw., falls sie bereits 
ausgeflockt sind, durch Kochsalzzusatz wieder in Lösung gebracht. 
Fällt man unter geeigneten Versuchsbedingungen normale und 
syphilitische Sera durch in Aqua destillata verdünnte alkoholische 
Antigene aus, so erweisen sich die Niederschläge der Luessera 
als verschieden von allen übrigen. Vermöge der Affinität der im 
Luesserum vorhandenen Stoffe zu den Extraktlipoiden gehen in 
den Niederschlag der Luessera mehr oder weniger grosse Mengen 
von kocbsatzbeständigen Antigenstoffen über. Ihr Niederschlag 
ist daher kochsalzresistenter als der der normalen Sera. 

Technik. 

1. Das durch Absitzenlassen im Eisschrank gewonnene Serum wird 
^4 Stunde bei 55—56 Grad inaktiviert. Das inaktivierte Serum lässt 
man bis zum nächsten Tag im Eisschrank stehen und benutzt es erst 
dann zu den Versuchen. 

2. Das Anti gen (ich habe mit Nr. 16 bis 21 der Extrakte des 
Wassermann’schen Instituts gearbeitet) wird mit destilliertem Wasser 
1 :8 verdünnt. Die für die Versuche erforderliche Extraktmenge wird 
in einen hohen Messcylinder gegeben, in den man dann Aqua destillata 
aus einer Bürette langsam zufliessen lässt. Der Bürettenausfluss muss 
die Glaswand des Cylinders berühren, so dass das Wasser gleichmässig 
am Rande des Glases herunterlaufen kann. Jedes Hineintropfenlassen 
und eine dadurch bewirkte Erschütterung der Antigenverdünnung ist zu 
vermeiden, da hierdurch der Extrakt schärfer wird als beim Hineinfliessen- 
lassen und dann die Dosen der übrigen Reagentien relativ zu schwach 
wären. Die Schnelligkeit des Verdünnens ist so zu bemessen, dass aus 
der Bürette in vier Minuten das der Antigenmenge gleiche Wasservolumen 
ausfliesst. Will man z. B. 16 ccm Extrakt verdünnen, so hat man die 
Bürette so einzustellen, dass 16 ccm in vier Minuten resp. 4 ccm in 
einer Minute auslaufen. Dieses Tempo ist während des Verdünnens 
dauernd beizubehalten, so dass die Antigenverdünnung unabhängig von 
den gewählten Mengen stets 28 Minuten in Anspruch nimmt. Die fertige 
Verdünnung wird einige Male unter Versohluss des Glases durch die 
Handfiäohe durch Umkippen gemischt und ist dann sofort gebrauchs¬ 
fertig. Man kann die Antigenverdünnung Stunden und sogar einige 
Tage stehen lassen, ohne dass sie ihre Wirksamkeit verliert. 

3. Hauptversuch: Man setzt den Versuch in zwei Röhrchen von 
etwa 16 mm Durchmesser an. In jedes gibt man 0,2 ccm des inaktivierten 
Serums. Zu Röhrchen A fügt man 0,8 com der Antigenverdünnung, zu 
B 1 ocm. 'Die Röhrchen werden zur Mischung der Reagetftien gut 
durch geschüttelt und über Nacht auf 20—24 Stunden in den Brutschrank 
von 37 Grad gestellt. Die Temperatur soll 37 Grad nicht übersteigen. 
Am andern Tage sind im allgemeinen sämtliche Sera mehr oder weniger 
stark ausgefiookt. (Nur ganz vereinzelt habe ich Wa-negative Sera ge¬ 
funden, die bei dieser Versuohsanordnung nicht ausflocken.) Man proto¬ 
kolliert den Grad der Ausflockung, indem man wie beim Ablesen einer 
Agglutination unter Kontrolle des Auges durch leiohtes Hinundherschütteln 
des Glases den Niederschlag möglichst gleichmässig verteilt, bis alle 
Röhrchen ungefähr gleichgrosse, frei in der Flüssigkeit schwebende 
Flocken aufweisen, von der Grösse, wie sie einer starken Agglutination 
entsprechen würden. Nun fügt man jedem Röhrchen 1 ccm einer aus¬ 
titrierten Kochsalzlösung (siehe Titrationsversuch im nächsten Abschnitt!) 
zu, indem man die Flüssigkeit am Rande des Glases herablaufen lässt, 
schüttelt nioht um, vermeidet überhaupt jede gröbere Erschütterung der 


1) M.m.W., 1917, Nr. 1. 

2) B.kl.W., 1917, Nr. 25. 


Röhrchen und stellt den Versuoh für eine Stunde in den Brutschrank 
zurück. Nach dieser Zeit haben sich die Flocken in den negativen 
Seren aufgelöst resp. ihre Reste zerfliessen bei der leisesten Bewegung. 
Bei den positiven Seren sind die Flocken in beiden Röhrchen je nach 
dem Grade der Reaktion mehr oder weniger grossflockig geblieben, heben 
sich scharf von der umgebenden Flüssigkeit ab und halten auch stärkerem 
Schütteln stand. Bei den Wa-zweifelhaften Seren verläuft die Reaktion 
im allgemeinen in der Weise, dass in Röhrchen A die Flocken ziemlich 
gut erhalten geblieben sind, in B sind sie mehr oder weniger aufgelöst 
und leicht zerfliesslich. Die Ablesung erfolgt wieder wie bei einer 
Agglutination, am besten mit der Lupe. Wie bei der Wassermannreaktion 
erhöht man die Sicherheit der Ergebnisse, wenn man mit mehreren 
Antigenen arbeitet. 

4. Titrationsversuch. Gleichzeitig mit dem Hauptversuch setzt 
man mit mehreren gut ausflockbaren Wa-negativen Seren des letzten 
Versuchstages je 4—6 Röhrohen mit 0,2 ccm Serum und 0,8 ccm der 
Antigenverdünnung an. Bevor man nun am nächsten Tage den Haupt¬ 
versuch weiter verarbeitet, titriert man sich an den negativen Seren die 
für die betr. Antigenverdünnung passende Kochsalzlösung aus. Da die 
Antigene beim Verdünnen nicht absolut gleichmässig aufgeschlossen 
werden können, ist diese Titration erforderlich. Je schwächer die 
Antigenverdünnung ausgefallen ist (äusserlich an geringerer Trübung zu 
sehen), desto geringer muss der Prozentgebalt der Kochsalzlösung sein. 
Je stärker die Extraktverdünnung ist (je trüber), desto stärker muss die 
Kochsalzlösung genommen werden. Im allgemeinen sobwankt der er¬ 
forderliche Prozentgehalt zwischen 1,4 pCt. und 2,4 pCt. Zwischen 
diesen Grenzwerten titriert man sich die passende Dosis stufenweise 
aus; meist wird 1,6 pCt. Kochsalzlösung die richtige Dosis sein. Für 
den Hauptversuch wählt man diejenige Kochsalzlösung aus, die bei 
sämtlichen negativen Seren des Titrationsversuches die Flocken in einer 
Stunde gerade noch völlig restlos gelöst hat^ Mit einer so abgestimmten 
Kochsalzlösung bekommt man im Hauptversuch alle feinen Unterschiede 
zwischen stark positiven, schwach positiven, zweifelhaften und negativen 
Seren heraus. Die Flocken der stark positiven Sera halten übrigens 
auch erheblich stärkeren Kochsalzlösungen, zum Teil lOprozentigen Stand. 

Fast alle bisher in der Literatur beschriebenen Ersatz¬ 
methoden der Wa.R. sind Fällungsreaktionen, sei es, dass einfach 
die im Serum vorhandenen Globuline gefällt werden, oder dass 
der Versuch gemacht wird, die hypothetische, bei der Wa.R. 
nicht sichtbare gegenseitige Kolloidausflockung sichtbar zu machen. 
Meine eigene Methode beruht auf einer anderen Idee, nämlich 
der bisher nicht erschütterten Grundidee der Wa.R. als einer 
Vereinigung der besonders reaktionsfähigen Eiweisskörper des 
Luesserums mit den Antigenlipoiden zu einem relativ festen Kom-r 
plex. Bei der Wa.R. wird die Bildung des Komplexes dadurch 
nacbgewiesen, dass Komplement an ihn gefesselt wird. Bei meiner 
Methode dadurch, dass der Komplex stabiler gegen Kochsalz ist 
als freie Serumstoffe allein. 

Technisch unterscheidet sich meine Methode in zwei wesent¬ 
lichen Punkten von den bisher veröffentlichten Fällungsreaktionen: 
Sie wird zweizeitig ausgeführt. Ich lasse erst Serum- und Antigen¬ 
stoffe binden und prüfe dann die Eigenschaften dieser Bindung, 
während die übrigen Methoden eine einzeitige Versuchsanordnung 
wählen, bei der nach einmal angesetzter Mischung die positiven 
Sera ausflocken sollen, die negativen aber nicht. Vor allem aber 
suche ich bewusst eine Fehlerquelle auszuschalten, die allen 
Fällungsreaktionen anhaftet, nämlich die ausserordentlich grosse 
Verschiedenheit in der Fällbarkeit der Sera durch beliebige 
Fällungsmittel, wie Alkohol, Salpetersäure, Wasser, Antigen usw. 
Diese verschiedene individuelle Fällbarkeit der Sera muss, theo¬ 
retisch betrachtet, jede Fällungsreaktion, bei der Wa.-positive 
Sera gefällt werden sollen, in doppelter Weise beeinflussen, 
und die Erfahrung bestätigt das. Stark fällbare, nicht¬ 
syphilitische Sera fallen bei jeder Ausflockungsmetbode leicht 
aus und täuschen dann positive Resultate vor. Andererseits ent¬ 
gehen die gar nicht so seltenen schwer flockbaren, luetischen Sera 
dem Nachweis, da sie zu schwer aaszuflocken sind. So hat sich 
denn auch keine der bisher beschriebenen Fällungsreaktionen in 
der Praxis zu halten vermocht. Diese durch die verschiedene 
Flockbarkeit bedingte Fehlerquelle haftete auch noch meiner 
Wassermethode (hier in umgekehrter Weise) an, wenn der Fehler 
durch den zweizeitig angesetzten Versuch auch schon wesentlich 
eingeschränkt war. Lediglich aus technischen Gründen habe ich 
daher diese Methode für praktische Zwecke aufgegeben; ihre 
theoretische Bedeutung und Richtigkeit wird dadurch nicht be¬ 
rührt. 

Bei meiner Kochsalzmetbode sind alle Fehlerquellen nach 
Möglichkeit ausgeschaltet. Durch das je nach dem Grade der 
Ausfällung abgestafte, verschieden starke Schütteln der Röhrchen 
vor dem Kochsalzzusatz werden in allen Gläsern die Flocken an¬ 
nähernd auf die gleiche Grösse'gebracht. Die ursprüngliche von 


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der individuell verschiedenen Ausfällbarkeit der Sera abhängige 
Flockengrösse kann daher keinen wesentlichen Einfluss auf den 
Ausfall des Versuchs mehr haben. Das Lösungsmittel Kochsalz 
trifft auf Flocken gleicher Korngrösse und kann somit unter 
gleich mässigen Versuchsbedingungen ein wirken. 

Nachdem es mir so gelungen war, die Fehlerquellen des Ver¬ 
fahrens nach Möglichkeit einzuschränken, war zu erwarten, dass 
die Methode in ihren Ergebnissen in weitestem Maasse mit den 
Resultaten der auf der gleichen Grundidee fussenden Wa.R. 
parallel ginge. Das ist tatsächlich der Fall. Bei nunmehr fast 
2000 Untersuchungen wurde eine ganz ausserordentlich weit¬ 
gehende' Uebereinstimmung der Ergebnisse meiner Methode mit 
der unter Verwendung mehrerer Antigene ausgeführten Wa.R. 
festgestellt. Diese Uebereinstimmung erstreckte sich im einzelnen 
auf folgende Punkte: 

A. Auf die Eigenschaften der Sera: 

1. Im Wa. stark positive Sera reagieren auch mit meiner 
Methode (M R.) stark positiv, und zwar findet man bei beiden 
Verfahren die stärksten Grade der Reaktion im allgemeinen bei 
den globulinreichen Seren des zweiten Stadiums. 

2. Wa.-negative Sera, auch die von fiebernden Kranken 
stammenden, reagieren auch in der M.R. negativ. Wo bei der 
systematischen Durchuntersuchung von Widal- und Weil-Felixproben 
sich positive Resultate bei der M.R. zeigten, ergab auch die nach¬ 
träglich angestellte Wa.R. positive Reaktion. So wurden im 
ganzen 8 Luetiker bei den Widalproben herausgefunden, dier sämt¬ 
lich die Infektion auf Befragen Zugaben. Im übrigen handelte 
es sich in Uebereinstimmung mit der Wa.R. bei positiven nicht- 
luetischen Fällen um Malaria- oder Fleckfieberkranke, die er- 
fahrungsgemäss nicht selten positive Reaktionen geben. 

3. Eine sehr schöne Uebereinstimmung war auch im allge¬ 
meinen bei den Zwischenstufen der ++- und =*= Reaktionen zu 
sehen. Auf Ausnahmen komme ich nachher zu sprechen. 

4. Aktive Sera reagieren in grösserer Zahl positiv als in¬ 
aktivierte. Die positiven Reaktionen sind bei Verwendung aktiver 
Sera oft unspezifisch. 

5. */ 4 ständiges Inaktivieren [Stilling 1 )] genügt bei beiden 
Methoden, um unspezifische Reaktionen zu vermeiden. 

6. Die Sera behalten ihre Eigenschaften, im Eisscbrank auf¬ 
bewahrt, wochenlang gleichmässig bei. 

7. Vergleicht man den Ausfall der Reaktionen in ihren Fein¬ 
heiten, indem man bei der Wa.R. die zeitlichen Verhältnisse der 
Blutlösung beachtet oder die Serumdosen abstuft und bei der 
M.R. stufenweise die Niederschläge mit verschiedenprozentigen 
Kochsalzlösungen austitriert, so ergeben sich folgende Ueberein- 
stimmungen: Gesetzt eine l,5proz. Kochsalzlösung sei die für die 
M.R. geeignete, so lösen sich die Flocken einzelner negativer 
Sera schon bei 1,2 pCt. auf; diese Sera geben auch bei der 
Wa.R. schon sehr früh oder in doppelter Dosis völlige Hämolyse. 
Stark positive Sera dagegen, bei denen schon Bruchteile der vor¬ 
geschriebenen Serummengen in der Wa.R. stark positive Re¬ 
aktion geben, vertragen in der M.R. auch hochprozentige Koch¬ 
salzlösungen. Der Abstand der stark positiven von den glatt 
negativen Seren ist bei beiden Methoden bedeutend. Aber zwischen 
noch eben negativen und zweifelhaften oder schwach positiven 
Seren sind die Stofen äusserst schmal. Hier bekommt mau 
sichere Ergebnisse nur dann, wenn man die Wa.R. mit mehreren 
Antigenen ansetzt und daraus das Mittel nimmt bzw. bei meiner 
Methode die Kochsalzlösung äusserst scharf eingestellt bat. Sie 
gibt dann bei Verwendung nur eines Antigens meist den Mittel¬ 
werten der Wa.R. entsprechende Ergebnisse. Die Ueberein-- 
Stimmung der beiden Reaktionen in betreff der verschiedenen 
Eigenschaften der Sera ist somit weitgehend. Das Gleicht gilt: 

B. Von den Antigenen. 

1. Schwache Wa.-Antigene, z. B. die Nr. 4, 16 und 20, flocken 
and binden auch bei der M.R. schwächer als stark wirkende 
Antigene, z. B. Nr. 19 oder 21 des Wassermann’schen Instituts. 
Dass übrigens der Gehalt der Antigene an durch Kochsalz fiock- 
baren Substanzen von entscheidender Bedeutung für die Wirk¬ 
samkeit der einzelnen Extrakte ist, ergibt folgender einfacher 
Versuch: Stellt man sich in Reagensröhrchen stufenweise Ver¬ 
dünnungen des Antigens mit physiologischer Kochsalzlösung her, 
indem 11 man dem Antigen die Kochsalzlösung schnell zupipettiert 
und gleich durch Umschütteln mischt, so flocken über Nacht bei 
Zimmertemperatur alle Röhrchen in der Verdünnung 1:2 stark 
ans. Bei 1:3 ist die Flockung bei schwachen Extrakten schon 

1) B.kl.W., 1917, Nr. 11. 


schwach. Starke Antigene flocken dagegen noch bis 1:4 und 1: 5 
über Nacht deutlich aus.. Setzt man den Versuch mit höher- 
prozentigen Kochsalzlösungen an, so flocken auch noch höhere 
Verdünnungen aus. Immer aber siebt man den Unterschied der 
Flockbarkeit in Parallele zu der Stärke der Antigene in der 
Wa.R. Nimmt man zu den Verdünnungen statt Kochsalzlösung 
destilliertes Wasser, so tritt keine Flockung ein; aber der wäh¬ 
rend der Nacht erreichte Trübungsgrad der Röhrchen entspricht 
wiederum ungefähr dem Gehalt an wirksamen Stoffen. Man 
kann sich mit dieser einfachen Methode orientierend über die 
Stärke der Antigene unterrichten. 

2. Der gleiche Ektrakt ist, je nachdem er langsam oder 
schnell verdünnt wird (Sachs und Rondoni 1 ), übereinstimmend 
bei beiden Methoden verschieden stark wirksam. Langsam ver¬ 
dünntes oder unter reichlichem Schütteln verdünntes Antigen ist 
wirksamer als schnell verdünntes. Ist die Verdünnung zu schnell 
gemacht, so erhält man mit beiden Methoden zu viel negative 
Resultate. Ist sie zu langsam gemacht, so gibt sie im Wa. Eigen¬ 
hemmung des Extraktes, bei meiner Methode eine so starke Koch¬ 
salzfestigkeit der Flocken, dass sie auch durch starke Kochsalz¬ 
lösungen nur schwer oder gar nicht mehr zu lösen sind. 

Macht schon die grosse Uebereinstimmung beider Methoden 
in allen Feinheiten der Reaktion und in betreff der wechselnden 
Eigenschaften der Sera und Antigene den Schluss zwingend, dass 
das Wesen beider Methoden tatsächlich dasselbe ist, dass derselbe 
Vorgang nur an verschiedenen Indikatoren nachgewiesen wird, 
so lässt sich das direkt beweisen, indem man bei der M.R. dem 
kochsalzbeständigen Niederschlag der Wa.-positiven Sera Kom¬ 
plement zufügt und nach einer Stunde das hämolytische System 
vervollständigt. Der Niederschlag reagiert dann positiv. Das 
Komplement wird an den im Niederschlag enthaltenen Komplex: 
Luesserum und Antigen gebunden. 

Die weitgehende Uebereinstimmung in den Ergebnissen beider 
im Wesen identischer, aber mit ganz verschiedener Technik aus¬ 
geführter Methoden spricht übrigens nicht nur für die Brauchbar¬ 
keit meines Verfahrens, sondern ist auch eine neue Bestätigung der 
Angaben v. Wassermann 2 ), dass man unter Einhaltung exakter 
Technik regelmässige und praktisch brauchbare Resultate mit 
der Wa.R. erhält. Es ist aber schon theoretisch zu erwarten, 
dass zwar im allgemeinen beide technisch so verschiedenen Me¬ 
thoden in schöner Uebereinstimmung arbeiten werden, dass aber 
auch Ausnahmen Vorkommen, und das ist tatsächlich der Fall. 
Es kommen Differenzen zwischen beiden Verfahren vor; aber sie 
sind nur graduell, nicht absolut. Nie habe ich Sera gefunden, 
die in der Wa.R. stark positiv, bei mir dagegen negativ gewesen 
wären und auch das Umgekehrte ist mir nicht vorgekommen. 
Aber in schätzungsweise 5 pCt. der Fälle ergeben sich regel¬ 
mässige, nicht auf technischen Zufälligkeiten beruhende Diffe¬ 
renzen zwischen beiden Methoden. Es gibt Sera, die mit allen 
Antigenen in der Wa.R. schwächer reagieren als mit meiner 
Methode, und es gibt solche, die da 9 umgekehrte Verhalten 
zeigen. Dies Verhalten ist auch nicht von der einzelnen Blut¬ 
probe abhängig, sondern zeigt sich bis zu einem gewissen Grade 
immer wieder, wenn man Serum von dem betreffenden Kranken 
zu verschiedenen Zeiten untersucht. Nach meinen bisherigen Er¬ 
fahrungen handelt es sich dabei um ganz frische Fälle des pri¬ 
mären Stadiums oder um alte behandelte, also um Fälle, die ja 
auch im Wa. bei der Verwendung verschiedener Extrakte oft zu 
verschiedenen Resultaten führen. Soweit ich den Fällen klinisch * 
nachgehen konnte, Jiess sich bisher nicht entscheiden, welche 
Methode hier die richtigeren Ergebnisse gezeitigt hatte. Die be¬ 
treffenden Sera standen bei der Wa.R. stets auf der Grenze des 
Umschlags. Setzte ich den Wa. mit der halben oder doppelten 
Dosis an, so zeigte sich stets, dass der Ausfall der Reaktion sich 
auf diese Weise leicht nach der positiven oder negativen Seite 
hin beeinflussen liess, dass es sich also um Grenzfälle handelte. 
Immerhin bleibt die Tatsache bestehen, dass in einer Reihe von 
Fällen die Sera der Luetiker regelmässig und dauernd graduelle 
Differenzen zwischen beiden Methoden ergaben. Es wird von be¬ 
sonderem Interesse sein, diesen Fällen weiter nachzugehen. 

Bei Grenzfällen — und um diese handelt es sich ausschliess¬ 
lich — genügt bei jeder Methode eine gewisse Summation der in 
der Methodik gelegenen Fehlerquellen, um eine Entscheidung 
nach der positiven oder negativen Seite herbeizuführen. Einer 
dieser Faktoren ist bei der Wa.R. der verschiedene Amboceptor- 


1) B.kl.W., 1908, Nr. 44. 

2) B.kl.W., 1917, Nr. 5. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


gehalt der menschlichen Sera. Stiliing 1 ) ist auf den Einfluss 
dieser Dinge in seinen schönen Untersuchungen über die Dauer 
des Inaktivierens vor kurzem eingegangen und bat den Ausfall 
der Reaktion als die Resultante aus der Bindungskraft des Serums 
und seinen übrigen den hämolytischen Versuch beeinflussenden 
Faktoren bezeichnet. 

Für meine Methode ist sicher der bedeutsamste Faktor, der 
die Resultate zu beeinflussen vermag, die verschiedene Fleckbar- 
keit der Sera, die unabhängig ist von ihrem Gehalt an wirksamen 
bindenden Substanzen. Durch das Schütteln der Röhrchen vor dem 
Kochsalzzusatz habe ich diese Fehlerquelle, wie bereits oben 
dargetan, wesentlich einschränken können, kleine graduelle Beein¬ 
flussungen werden aber wohl nicht ganz zu vermeiden sein. So 
können bei der M.R. sehr stark ausgefällte =*= Wa. Sera als —|—|- 
oder gelegentlich sogar -\ —[—f- imponieren und umgekehrt schlecht 
ausflockbare -|—|- Wa.-Sera oder, wenn auch sehr selten, -|—1- + 
Wa.-Sera als =*= erscheinen. Bei den nur ausnahmsweise vor¬ 
kommenden schlecht ausflockbaren -]—|—|—|- Wa.*Seren tritt im 
Gegensatz dazu ein anderes Verhalten ein. ich habe dann mehr¬ 
fach beobachtet, dass die an sich schwachen Flocken sich nach 
dem Kochsalzzusatz verstärkten und deutlicher von der umgeben¬ 
den Flüssigkeit abhoben, dass also in den an sich zarten Flocken 
doch reichlich kochsalzbeständige Antigenstoffe gebunden waren, 
die Reaktion somit als -|—| - 1 —)- zu bezeichnen war. 

Weiterhin ist die M.R. wohl in noch höherem Grade als die 
Wa.R. von der richtigen Entnahme und Behandlung der Sera 
abhängig. Denn bei der Wa.R. kommt es im wesentlichen nur 
darauf an, dass die komplementbindenden Stoffe des Serums nicht 
lerstört sind, bei der M.R. wird aber ausserdem noch das Serum 
selbst als Indikator bei der Reaktion benutzt. Die Eigenschaften 
des Serums haben somit in doppelter Weise Einfluss auf den 
Ausfall der Reaktion. Tatsächlich haben auch bei schlecht be¬ 
handelten Seren, namentlich in der Hitze mit der Feldpost ver¬ 
sandten, sieb mehrfach Umstimmigkeiten zwischen beiden Me* 
thoden gezeigt. Man vermeidet sie, wenn man nur frisch ent¬ 
nommene, sauber behandelte Sera verwendet. Stark hämolytische 
oder zersetzte Sera sind für die M.R. absolut ungeeignet, da sie 
unspezifische positive Resultate Vortäuschen, entsprechend der 
Eigenhemmung in der Wa.R. Ein leichter Grad von Hämolyse 
beeinflusst die Versuche nicht wesentlich. Im allgemeinen flocken 
leicht hämolytische Sera etwas schwerer als nichthäroolytische; 
dagegen sind die Flocken der hämolytischen Sera manchmal ein 
wenig kochsalzbeständiger als die der andern. Unmittelbar nach 
dem Inaktivieren reagieren die Sera in Flockung und Bindung 
ähnlich wie aktive Sera. Die Reaktion steht dann in der Mitte 
zwischen der aktiver und inaktiver Sera; die Zustandsänderung, die 
die Sera durch das Inaktivieren erfahren, ist dann offenbar noch 
nicht stabil genug; man lässt daher die Sera zur Sicherheit noch 
über Nacht im Eischrank stehen. Beim Aufbewahren scheiden 
einige Sera ein kleines krümeliges Sediment ab; es darf nicht in 
die Versuchsröhrchen überpipettiert werden. 

Für die M.R. brauchbare Antigene müssen vor allem folgende 
Eigenschaften haben: Sie müssen die Sera gut ausflocken und 
zwar Wa.-negative ebenso gut wie positive, und sie müssen gut 
binden, so dass bei positiven Seren mit den ausgefällten Serum¬ 
stoffen genügende Mengen Antigenlipoide in den Niederschlag 
gehen. Die vom v. Wassermann’scben Instiiut bezogenen Antigehe 
haben durchweg diese Eigenschaften gehabt; bei ihnen ging stets 
Fällungsvermögen und Bindungskraft parallel. Um nun jederzeit 
unbeschränktes brauchbares Antigenmaterial in die Hand zu be¬ 
kommen, habe ich versucht, mich unabhängig von den Wasser¬ 
mann’schen Antigenen zu machen und mit Extrakten normaler 
Organe zu arbeiten. Ich habe weiterhin versucht, die normalen 
Antigene durch Zusatz von bestimmten Stoffen zu verstärken, wie 
das seiner Zeit Sachs 2 ) bei der Wa.R. mit Erfolg versucht hat. 
Meine zunächst orientierenden Versuche haben bisher folgendes 
ergeben: 

Alkoholische Menschenherzextrakte wirken in der M.R. im 
Prinzip ebenso wic^cjie Wassermann’schen, meist allerdings wesent¬ 
lich schwächer. Da mir kein Schüttelapparat zur Verfügung 
stand, kann das an der Bereitung liegen. Positive Sera werden 
durch Menschenherzextrakte im allgemeinen stärker ausgeflockt 
als negative, was bei den Wassermann’schen Antigenen nicht so 
der Fall ist. Zusatz einer lproz. alkoholischen Lösung von 
Natrium glycocbolicum gleicht diese Unterschiede aus und be¬ 


1) Bkl.W., 1917, Nr. 11. 

2) B.kl.W., 1911, Nr. 46. 


wirkt vor allem eine erhebliche Verstärkung der Bindungskraft 
der Extrakte, so dass sie auch in dieser Beziehung den Wasser¬ 
mann’schen näherkommen. Ich erwähnte oben eine einfache 
approximative Wertbestimmung der Antigene durch stufenweise 
Verdünnungen mit Kochsalzlösung. Diese Methode hat sich auch 
für das Herausfinden brauchbarer Zusätze als wirksam erwiesen. 
Natrium glycocholicum ist durch Kochsalz in hohem Maasse fäll¬ 
bar; es war daher zu erwarten, dass sein Zusatz die kochsalz- 
beständige Komponente in den Flocken der positiven Sera ver¬ 
stärkte, was tatsächlich der Versuch bestätigte. Leider kann ich 
aus äusseren Gründen die Versuche zurzeit nicht im gewünschten 
Umfange fortsetken, muss mich daher mit diesen orientierenden 
Bemerkungen begnügen. 

Schlüsse. 

1. Meine Methode der Serodiagnostik der Syphilis liefert 
regelmässige praktisch brauchbare Ergebnisse und kann daher für 
die Praxis empfohlen werden. Da sie vom Tiermaterial unab¬ 
hängig ist, eignet sie sich zu Massenuntersuchuugen, soweit ge¬ 
nügende Mengen wirksamen Antigens zu erlangen sind. Die Ver¬ 
suche mit Menschenherzextrakten unter Zusatz von Natrium gly¬ 
cocholicum eröffnen die Möglichkeit, auf diese Weise stets aus¬ 
reichende Mengen brauchbaren Antigens zu beschaffen. 

2. Es ist gelungen, die gegenseitige Bindung der bei der 
Komplementablenkung wirksamen Stoffe an einem andern Indikator 
als dfm hämolytischen System darzustellen. Die Benutzung 
meines Systems der Vereinigung von Serum und Antigenstoffen 
mit ihren gegensätzlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften 
zu einem Komplex, der auf bestimmte Einflüsse in der Richtung 
dieses Gegensatzes quantitativ anders reagiert als die freien 
Stoffe allein, eröffnet Arbeitsroöglichkeiten auch auf anderen Ge¬ 
bieten, insbesondere dort, wo die Komplementbindungsmethode 
bereits Erfolge aufzuweisen bat. 


Zur Frage der Divergenz der Wassermann- 
Resultate. 

(Zugleich eine Erwiderung auf die Arbeit von Freudenberg 
in der Berliner klin. Woohenschr., 1917, Nr. 13.) 

Von 

Dr. Herma» Mayer- Berlin, 

zurzeit Assistenzarzt d. L., Polizeiarzt und ordinierender Arzt der Geschlechtskranken¬ 
station eines Kriegsiazaretts. 

Die Ausführungen Freudenbergs in Nr. 13 der Berliner klin. 
Wochenscbr. 1917 sind ein klassisches Beispiel dafür, wie leicht man 
in den Fehler verfällt, eine Statistik nur im eigenen Sinne einseitig zu 
verwerten; es fällt daher auch nicht schwer, Freudenberg mit seinen 
eignen Zahlen zu widerlegen. Freudenberg hat seine Blutproben im 
ganzen an 12 verschiedene Untersucher gesandt und hat dann für jeden 
dieser Untersucher die «Bilanz“ aufgestellt, welche angibt, welchem 
Partner und wie oft er ihm gegenübergestanden, und wieviel Ueber 
einstimmungen, und wie viel Divergenzen dabei zu verzeichnen waren. 
Er bringt nun in seinem Aufsatz nur die Bilanz von 2 Untersuohern, 
nämlich von Georg Meier und mir. 

Es muss schon von vornherein der Weg, auf dem Freudenberg 
diese Bilanzen erzielt hat, ungangbar erscheinen. Denn, wenn Freuden - 
berg Georg Meier dem Untersucher A. 88 mal gegenüberstellt und 
dabei 14 Divergenzen feststellen kann, dem Untersucher F. dagegen 
nur einmal (mit 100 pCt. Divergenz, d. h. in 1 Fall) und dem Unter¬ 
sucher L. ebenfalls nur 1 mal (mit 100 pCt. Uebereinstimmung), so ist 
ohne weiteres ersichtlich, dass eine solche Bilanz kein sachlich ver¬ 
wertbares Ergebnis zeitigen kann. Freudenberg hätte, um zunächst 
ein Urteil über die Häufigkeit der Divergenzen, die das Laboratorium 
Georg Meier’s bei der Gegenüberstellung mit anderen Untersuchern 
insgesamt aufweist, zu bekommen, die Gegenüberstellungen mit jedem 
einzelnen Untersucher genau in der gleichen Anzahl von Fällen ein- 
treten lassen müssen; wenn er also den Untersucher A., der den grössten 
Prozentsatz der Divergenzen sowohl mit Georg Meier (40pCt.) wie mit 
mir (33 pCt.) auf weist, 38 mal Georg Meier gegenübergestellt hat, so 
hätte er jeden anderen Untersucher ebenfalls 38 mal Georg Meier 
gegenüberstellen müssen. 

Aus der Bilanz Georg Meier’s, die bei insgesamt 72 Gegenüber¬ 
stellungen 23 Divergenzen ergibt — auf Untersucher A. entfallen, um 
dies nochmals hervorzuheben, bei 38 Gegenüberstellungen allein 14 Diver¬ 
genzen —, geht für Freudenberg nur hervor, dass «von den 9 Partnern, 
die Georg Meier gegenüberstanden, nur 2 in ihren Resultaten jedes¬ 
mal mit ihm übereinstimmten“. Er übergeht jedoch mit Stillschweigen 
eine Tatsache, welche die Bilanz laut und deutlich zugunsten der Zu¬ 
verlässigkeit der Wassermann’schen Reaktion aussprioht, nämlich, dass auch 
eine auffällig gute Uebereinstimmung nicht nur mit Untersucher G. (bei 
7 Gegenüberstellungen keine Divergenz), sondern auch mit Untersucher E. 


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28. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


87 


(bei 9 Gegenüberstellungen 1 Divergenz) vorliegt. Hätte Freudenberg 
die Untersuoher B. und C. mit Georg Meier ebenso oft verglichen wie 
mit Uatersuoher A., so hätte er wohl erkennen müssen, dass die Diver¬ 
genzen in den Resultaten im Grossen und Ganzen zu den Ausnahmen 
gehören. 

Eine noch deutlichere Sprache redet meine „Bilanz“. Freuden¬ 
berg hat mich 6 verschiedenen Untersuchern im ganzen 63 mal gegen¬ 
übergestellt und dabei 16 Divergenzen festgestellt; hiervon entfallen 
allem 11 (also wieder die meisten, nämlich 33pCt.) auf den Untersuoher A. 
bei 33 Gegenüberstellungen. Also ergeben aie restlichen 30 Gegenüber¬ 
stellungen mit allen anderen Untersuchern nur 5 Divergenzen (l6pCt.). 
Auch bei der Besprechung meiner „Bilanz“ übergeht Freudenberg 
mit Stillschweigen, dass eine auffällig gute Uebereinstimmung mit 
2 Untersuchern aus der Bilanz hervorgeht: 1. Untersucher I. wurde mir 

13 mal gegenübergestellt; es ergab sich dabei nur eine Divergenz; 

2. Untersucher G. wurde mir 8 mal gegenübergestellt, wobei ebenfalls 
nur 1 Divergenz zutage trat. 

Mit den Untersuchern I. und G. zusammen wurde ich also 13 mal 
-f- 8 mal = 21 mal verglichen, und es ergaben sich im ganzen nur 

2 Divergenzen, die sich wohl aus den weiter unten über behandelte 

Fälle von Syphilis gemachten Ausführungen erklären lassen dürften. 
Vielleicht stellt mich Freudenberg einmal in Friedenszeit in einer 
grossen Anzahl von Untersuchungen (sagen wir mal 100; denn kleinere 
Zahlen sind meines Erachtens statistisch wertlos) den Untersuchern I. 
und G. gegenüber; das Endergebnis — daran zweifle ich nicht — wird 
ein ganz anderes, nämlich besseres sein als bei der Gegenüberstellung 
mit Untersuoher A. Warum gerade im Vergleich mit diesem sehr ge¬ 
übten und angesehenen Untersucher die Divergenzen so zahlreich sind, 
darüber folgt weiter unten eine Erklärung. 

Ein Resultat als „zweifelhaft“ zu bezeichnen, habe ich stets abgelehnt 
und zwar aus folgendem Grunde: Wer ein Serum auf Wassermann’sche 
Reaktion geprüft haben will, will zunächst die Frage beantwortet sehen: 
Zeigt das Serum des Patienten diejenige Reaktion, welche für Syphilis 
charakteristisch ist, oder nicht? Die lür Syphilis charakteristische 
Reaktion ist beim Wassermann’sohen Versuch jedoch nur die komplette 
Hemmung der Hämolyse, .jeder andere Ausfall ist für Syphilis absolut 
nicht charakteristisch und kann daher diagnostisch nicht verwertet 
werden, ist also negativ. Nur wenn wir von dem betreffenden Patienten 
wissen, dass er eine antisyphilitiscbe Kur einmal durchgemacht hat, nur 
dann kann es von einem gewissen Interesse sein, ob ein Serum, das keine 
komplette Hemmung zeigt, etwa vollständige Hämolyse oder einen ge¬ 
wissen Grad von Hemmung zeigt. Trotzdem also in meinen Bescheiden 
die Bezeichnung „zweifelhaft“ ausgeschaltet ist, hat Freudenberg fest¬ 
gestellt, dass ioü bei 13 Gegenüberstellungen mit Untersucher J. nur 
1 Divergenz aufweise; dabei war über die Form des Bescheides keiner¬ 
lei Vereinbarung getroffen. Auch Georg Meier hat immer nur die 
Bescheide „positiv“ oder „negativ“ abgegeben, bei behandelten Fällen 
eventuell den Bescheid „schwach positiv“. 

Wenn Freudenberg die Gegenüberstellungen von Georg Meier 
und mir mit den Untersuchern ß. (Sobernheim), G. (Lindenheim) und 
J. (Fritz Lesser) einmal addieren und Schlussfolgerungen ziehen will, 
so muss er zugeben, dass die Wassermann’sche Reaktion in puncto Zu¬ 
verlässigkeit ausgezeichnet abschneidet. Nämlich Georg Meier ist 
dem Untersucher E. 9 mal und dem Untersucber G. 7 mal gegenüber 
gestellt worden, macht zusammen 16 Gegenüberstellungen, welche ins¬ 
gesamt 1 Divergenz ergeben haben. Ich bin dem Untersucher G. 8 mal 
und dem Untersucher J. 13 mal gegenübergestellt worden, macht zu¬ 
sammen 21 Gegenüberstellungen, welche insgesamt 2 Divergenzen er¬ 
geben haben. Georg Meier und ich sind also den Untersuchern E., G. 
und J. 37 mal gegenübergestellt worden; dabei ergaben sich im ganzen 

3 Divergenzen. Wer verlangt noch grössere Zuverlässigkeit 
von einer biologischen Reaktion? 

Nun zur Frage: Wie erkläft sich die grosse Gesamtzahl der Diver¬ 
genzen in den von Freudenberg aufgestellten Bilanzen? 

Da muss zunächst festgestellt werden, dass eine Reihe von Labora¬ 
torien sich nicht streng an die von Wassermann und seinen Schülern 
ausgearbeitete Technik hält. Dazu kommt noch, dass in manchen 
Laboratorien die technische Ausführung der Reaktion einem Laboranten 
oder einem Diener überlassen ist, deren Zuverlässigkeit nicht immer 
als konstante Grösse angenommen werden darf. Im allgemeinen gehört 
zur richtigen Ausführung der Reaktion und zur richtigen Beurteilung 
ihres Ausfalls nicht nur eine lange serologische Ausbildung, sondern 
auch eine langjährige Uebung und Erfahrung. . Dass man aber auch 
ohne besondere Ausbildung, bloss auf Grund des nötigen Verständnisses 
und der unerlässlichen grossen Erfahrung ein guter Untersucher sein 
kann, beweist ein sehr angesehener Serologe,' welcher mir vor Jahren 
einmal sagte, dass er ausschliesslich durch Verfolgen der Literatur und 
strenge Beachtung der Vorschriften, also autodidaktisoh, sich seine 
Kenntnisse in der Ausführung der Wassermann’schen Reaktionen an¬ 
geeignet habe. Dass derselbe Untersucher mit mir in 13 Gegenüber¬ 
stellungen 12 mal übereinstimmt, sehe ich als ein für ihn wie für mioh 
günstiges Zeichen au. 

Freudenberg’s Feststellungen müssten, bei vollem Lichte besehen, 
nicht zur Vorsicht bei der diagnostischen Verwertung der Wassermann’sohen 
Reaktion, sondern zur Vorsicht in der Auswahl des Untersuchers mahnen. 
Ich bin sicher, dass der Urologe Freudenberg die Gystoskopie als diagno¬ 
stisches Hilfsmittel nicht deswegen verwerfen würde, weil von zwei Unter¬ 


suchern in demselben Falle der eine einen positiven, der andere einen nega¬ 
tiven Befund erhebt. Oder soll der Praktiker auf physikalische Untersuchung, 
z. B. Auskultation eines Patienten, überhaupt verzichten, weil der eine 
Untersucher vielleicht pleuritisches Reiben hört, der andere nicht. 
Welchem Fachmann eine schwierige Untersuchung oder eine Operation 
an vertrant wird, wird eben stets Sache des persönlichen Vertrauens 
bleiben müssen. Mit einer einfachen Untersuchung wie der des Urins 
auf Eiweiss oder Zucker darf — das ist ja schon so oft gesagt worden — 
die Wassermann’sche Reaktion nicht auf die gleiche Stufe gestellt werden. 

Setzen wir jedoch einmal bei allen Untersuohern die gleiche 
Technik unter Ausschaltung aller individuellen Verschiedenheiten 
voraus. Selbst dann werden wir Verschiedenheiten im Ausfall der 
Reaktionen haben können. Und warum? 

Da kommt zunächst die Verschiedenheit des Reagentienmate- 
riales, welches zur Ausführung der Reaktion benutzt wird, in Betracht. 
Die Differenzen, die der Untersucher A. in einem so hohen Prozentsatz 
sowohl mit Georg Meier (40pCt. Divergenzen) wie mit mir (33pCt. 
Divergenzen) hatte, lassen sioh wohl zum grossen Teil dadurch erklären, 
dass der Untersucher A. lange Zeit meines Wissens hauptsächlich mit 
dem von vielen empfohlenen Meerschweinchenherzeztrakt untersuoht hat, 
während wir nur mit syphilitischem Leberextrakt, sowohl wässerigem wie 
alkoholischem, untersuchen. Höchstwahrscheinlich würde auch Unter¬ 
sucher A. in seinen Resultaten mit uns besser übereinstimmen, wenn er 
dasselbe Extraktmaterial benutzen würde. 

Wenn die Untersucher mit Extrakten aus syphilitischen Lebern 
(immer gleiche Technik vorausgesetzt) arbeiten, dann treten Differenzen 
nur selten auf, und zwar nur dann, wenn es sioh um ältere Primär¬ 
affekte oder um Fälle von Syphilis handelt, die schon einmal mehr oder 
minder energisch einer antisyphilitischen Behandlung unterzogen waren. 
Solche Fälle können — das muss man wissen — bei dem einen Unter¬ 
sucher positiv, bei dem anderen Untersuoher negativ reagieren, ent¬ 
weder, weil der eine Untersucher (der mit dem positiven Resultat) 
zufällig einen oder mehrere Extrakte anwendet, die zu dem fraglichen 
Serum, wenn man es so sagen will, besser passen, oder, weil der eine 
Untersucher (der mit dem positiven Resultat) die Serumprobe entschieden 
später, z. B. 24 Stunden später, untersuoht bat. Hier will ich nebenbei 
erwähnen, dass ein gut aufbewahrter, alkoholischer Luesleberextrakt auch 
im Laufe vieler Jahre seine Valenz nicht ändert. Ich besitze einige 
solcher Extrakte, welche jetzt 8 Jahre alt sind und trotzdem in ihren 
Gebrauchsdosen und in ihrer Güte keine Aenderung erlitten haben. 
Alle anderen Reagentien, nämlich der hämolytische Amboceptor, das 
Komplement und die Hammelblutkörperchen spielen, tadellose Be¬ 
schaffenheit vorausgesetzt, so gut wie keine Rolle bei der Entstehung 
von Differenzen im Ausfall der Reaktionen. 

Betont muss hier werden — was schon so oft betont worden ist —, 
dftös sichere Fälle von Syphilis (Primäraffekte ausgenommen), die nie¬ 
mals eine antisyphilitische Behandlung erfahren haben, so gut wie 
immer, auoh bei verschiedenen Untersuchern, die gleiche Technik vor¬ 
ausgesetzt, das gleiche, positive Resultat ergeben. Ich kann diese Be¬ 
hauptung mit gutem Gewissen aufstellen, weil ich sowohl im Labora¬ 
torium von Georg Meier wie in meinem eigenen folgende Beobach¬ 
tungen gemacht habe. Die meisten Sera untersuchten nicht nur wir 
selbst, sondern auch unsere vorgeschritteneren Schüler, deren Zahl sich 
im allgemeinen ständig zwischen 6 und 12 hielt. Auf diese Weise wurde 
fast jedes Serum von mehreren, verschiedenen Untersuchern untersuoht. 
Gleich war bei diesen Untersuchungen sowohl die Technik wie das. 
Reagentienmaterial, ausgenommen zum Teil die Extrakte. Die Extrakte 
waren zwar alle aus syphilitischen Lebern hergestellt, hatten jedoch 
feine, sozusagen individuelle Verschiedenheiten, die sich gelegentlich, 
wenn auch selten, in verschiedenem Ausfall der Reaktionen äusserten, 
aber immer nur bei behandelten Syphilisfällen oder Primäraffekten. Es 
war für uns und unsere Schüler stets eine reine Freude, zu sehen, mit 
welch wunderbarer Gleichmässigkeit die gleichen Sera, trotzdem ver¬ 
schiedene Untersucher gleichzeitig die Reaktionen anstellten, die gleichen 
Resultate im Ausfall ergaben, derart, dass wir bei Divergenzen fast mit 
absoluter Sicherheit sagen konnten, es müsse sich um einen Primäraffekt 
oder um einen behandelten Syphilisfall handeln, wenn nicht dem einen 
oder anderen Untersucher ein technischer Fehler naohzuweisen war, was 
natürlich vorkam und Vorkommen musste. 

Alles in allem muss ich es Freudenberg gegenüber glatt ver¬ 
neinen, dass die Wassermann’sohe Reaktion verbesserungsbedürftig sei. 
Die Wassermann’sche Reaktion ist eine biologische Reaktion, die jedem 
Praktiker für die Diagnose (und nur für diese) Vorzügliches leistet; 
aber der Praktiker muss genau wissen, was ihm die Reaktion in jedem 
einzelnen Falle sagt und sagen kann; dann braucht er vor Ueber- 
schätzung der Reaktion keineswegs gewarnt zu werden. 

Auch im Felde konnte ich mich wieder davon überzeugen, in wie 
zahlreichen, diagnostisch unklaren Fällen, die eine Zeitlang unter anderer 
Diagnose gingen („Fünftagefieber“, „Paratyphus“, Diabetes insipidus, 
tuberkulöse Ostitis u. a.), die sich schliesslich durch positiven Ausfall 
der Reaktion als syphilitisch entpuppten, die Wassermann’sche Reaktion, 
welohe im Laboratorium des beratenden Hygienikers unserer Armee aus¬ 
geführt wurde, mit einem Schlage zu Nutz und Frommen des Kranken 
das Bild geklärt hat. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 





88 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 4. 


Bücherbesprechungen. 

S. Neumail: Blut and Pigmente. Jena 1917, Fischer. 467 Seiten. 

Preis 14 M. 

In den vorliegenden gesammelten und mit Zusätzen versehenen Ab¬ 
handlungen gibt der bekannte, jetzt im Ruhestand lebende, Eönigsberger 
Pathologe einen Ueberblick über einen Teil seines wissenschaftlichen 
Lebenswerkes. Der einfache Neudruck früherer Aufsätze erweist sich 
gerade hier sehr glücklich und zweckmässig. Denn einmal werden uns 
so wieder Abhandlungen leicht zugänglich, die in einer längst einge¬ 
gangenen, im Buchhandel kaum und auf bibliothekarischem Wege auch 
nur schwer erhältlichen Zeitschrift erschienen sind, zum anderen dürfen 
wir uns nun aufs Neue an den Originalaufsätzen von den grossen Ver¬ 
diensten Neumann’s um die Lehre vom Blut und von den Pigmenten 
überzeugen. Denn sein Name ist mit dieser Lehre unlöslich verknüpft, 
wie nicht immer von jüngeren Autoren voll gewürdigt worden ist. 
Neu mann hat als erster die grosse Bedeutung des Knochenmarkes für 
die Bildung der roten Blutkörperchen erkannt, seine Beziehungen zu den 
krankhaften Veränderungen des Blutes eingehend studiert, über das Ge¬ 
setz der Verbreitung des gelben und roten Knochenmarkes Klarheit ge¬ 
schaffen, ebenso wie über die Bedeutung der embryonalen Leber für die 
Erythropoese. In der Pigmentlehre verdanken wir ihm besonders wichtige 
Arbeiten über das von ihm benannte Hämosiderin und seine Beziehungen 
zum Hämatoidin wie über das Pigment der braunen Lungeninduration. 
Beim Lesen der alten Aufsätze staunt man über die mit nach unseren 
Begriffen äusserst einfachen Methoden gefundenen Tatsachen, an denen 
sich, wie die Zusätze zeigen, Wesentliches kaum geändert hat. Und 
nebenbei am Wege findet sich manche Bemerkung, mancher Hinweis, 
der später volle Bestätigung gefunden hat. So geben die in chronologischer 
Reihenfolge geordneten Aufsätze ein Bild von der Entwicklung wichtigster, 
hämatologischer Fragen, und es kann nur dringend das Lesen der Auf¬ 
sätze empfohlen werden, die mit die Grundpfeiler unserer heutigen Blut¬ 
lehre bilden. G. Hart-Berlin. 


Walter Birk- Kiel: Leitfadea der SSnglingskrankheiten. Für Studierende 
und Aerzte. 2. verbesserte Auflage. Bonn 1917, A. Markus & E. Weber’s 
Verlag. 

Die erste Auflage des Buohes wurde in dieser Wochenschrift, 1914, 
S. 1370, besprochen und dem Buche eine gute Prognose gestellt. Nach 
einem halben Jahre war es vergriffen. Mit der durch den Krieg be¬ 
dingten Verzögerung erscheint die zweite Auflage nun in erweiterter und 
verbesserter Form. Alles, was seither an neuen und gesicherten Tat¬ 
sachen bekannt geworden ist, ist eingefügt und dazu je ein kurzer Ab¬ 
schnitt über Zwillingskinder, über fötale Erkrankungen sowie über neu- 
zeitige Säuglingsfürsorge. Auch die zweite Auflage ist des Erfolges 
sicher. Birk’s Büchlein ist zweifellos da9 beste Gompendium der Säug¬ 
lingskrankheiten, das wir besitzen. Es wird sicherlich -bei vielen Kol¬ 
legen den Wunsch auslösen, dass der Verf. uns bald auch einen Leit¬ 
faden der Krankheiten der älteren Kinder liefern möchte. 


Herta Sekils- Düsseldorf: Der Unterricht in der Säuglings- nnd Klein¬ 
kinderpflege. Ein Leitfaden für Lehrerinnen und Wanderlehrerinnen. 
Mit Lehrplan und UnterrichtsanWeisung. Mit einem Vorwort von 

Prof. Artur Schlossmann-Düsseldorf. Wiesbaden 1917, J. F. Berg¬ 
mann. 2,40 M. 

Der Verein für Säuglingsfürsorge im Reg.-Bez. Düsseldorf fördert in 
zielbewusster Weise seit Jahren durch Lehrerinnen und Wanderlehre- 
rinnen die Verbreitung von Kenntnissen in der Säuglingspflege und 
-ernährung unter Frauen und Mädchen. Die Lehrerinnen, die zu diesem 
Zwecke auszubilden waren, nahmen dauernd an Zahl zu, und es ent¬ 
stand naturgemäss das Bedürfnis, ihnen ein Buch in die Hand zu geben, 
in denen sie alles, was sie zum Unterricht brauchen, zusammengestellt 
finden. Gleichzeitig kann ein solches Buch eine Anleitung für den 
Unterricht angehender Lehrerinnen in der Säuglings- und Kleinkinder¬ 
pflege sein. Auf Veranlassung des Vereins verfasste eine seiner be¬ 
währten Wanderlehrerinnen das kleiue Buch. Es besteht aus einem 
ersten Teil, der die Notwendigkeit des Unterrichtes in der Säuglings¬ 
und Kleinkinderpflege begründet, ihre Ziele absteckt und zeigt, dass er 
am besten in einen obligatorischen hau9wirtschaftlichen Unterricht an¬ 
zugliedern sei, dass sich die Einführung in den Fortbildungsunterricht 
nicht empfiehlt und die in die Mädchenschulen nur ein Notbehelf dar¬ 
stelle. Der zweite Teil enthält den Lehrplan mit Unterriohtsanweisung, 
angefangen mit der Beschreibung des Unterrichtsraumes und der Lehr- 
und Ansohauungssammlung, der Gliederung des Unterrichtes, der Lehr¬ 
form und -methode und ausgehend in einen Stoffverteilungsplan für 
einen Kursus mit 18 Doppelstunden. Vorschläge für verkürzte 
(12 Doppelstunden) und erweiterte (24 Doppelstunden) Lehrpläne sind an¬ 
gefügt. Anlagen bringen das Muster einer Unterrichtsstunde, Merk¬ 
blätter usw. Das Buch ist sowohl in seinem ganzen Aufbau, wie in 
seinem sachlichen Inhalt ausgezeichnet geglückt. Die entwickelten Lehr¬ 
meinungen entsprechen dem Standpunkte der modernen Pädiatrie. Die 
Abgrenzung des Stoffes, der dem Laien zu bieten ist, ist riohtig gbtroffen. 
So ist das Buch ohne Einschränkung zu empfehlen; es wird sich in 
der Praxis sicherlich bewähren. 


St. Eigel-Dortmund: Die Ernäbrug des Slaglings. Eine kurze Dar¬ 
stellung zum praktischen Gebrauche für Studierende und Aerzte. 
Wiesbaden 1917, J. F. Bergmann. 

Der Verf. hat mit dem Geschick, die seiner Darstellungsweise eigen 
ist, die schwierige und reiche Materie in einem kleinen Büchlein zu- 
sammengefasst und damit gewiss manchen Arztes Wunsch erfüllt. Auch 
für den Studierenden wird es den Lehrzweck zumeist erfüllen können. 
Freilich hätte Ref. den Wunsch, das9 der Verf. das Buch vor einer Neu¬ 
auflage daraufhin durchsieht, ob nicht manche Kapitel oder auch nur 
Sätze einer Umarbeitung bedürfen, weil ihr Inhalt das Niveau der 
Kenntnisse eines Arztes zu gering einschätzt, andernorts dafür Kenntnisse 
voraussetzt, auf die bei einem Anfänger von vornherein nicht, zu 
rechnen ist. Das Buch befasst sich nur mit der natürlichen und künst¬ 
lichen Ernährung des gesunden Säuglings; die Störungen der Ernährung 
und ihre diätetische Behandlung sollen in einem zweiten Teile bearbeitet 
werden. Danach ist bisher bearbeitet: Anatomie und Physiologie der 
Verdauung, die Milch, die natürliche Ernährung, die künstliche Ernäh¬ 
rung, die Zwiemilchernährung und die Schwierigkeiten bei Säugtings- 
ernahrung. Dieses letzte Kapitel greift schon in das Gebiet der Patho¬ 
logie der Ernährung (konstitutionelle Abartung, leichte Ernährungs¬ 
störungen, Infektionen, Sommerhitze) über. Kurze Abschnitte über Er¬ 
nährung der Frühgeburten, Zubereitung der Säuglingsnahrung, Kinder¬ 
mehle und Dauermilch und eine Tabelle über den Galoriengehalt der 
Säuglingsnahrung sind angescblossen. 

Nicht unerwähnt darf die erfreuliche Tatsache bleiben, wie sich die 
Giundansohauungen der verschiedenen pädiatrischen Schulen — hier 
handelt es sich um einen Schüler Sohlossmann’s — allmählich ge¬ 
nähert haben. Insbesondere gilt das auch für die Technik der künst¬ 
lichen und natürlichen Ernährung, die Engel mit besonderer Liebe und 
ausgezeichnetem Geschick zur Darstellung gebracht hat. Das wird dem 
Buche bei dem Praktiker einen guten Erfolg sichern. 

R. Weigert-Breslau. 


Literatur-Auszüge. 

Therapie. 

A. Poulard: Behandlung der Aigensypbilifl. (La presse möd., 
Nr. 63, Nov. 1917.) Am besten sind Injektionen von lproz. Hg-Cyanür, 
1 ccm täglich, nach 3 Tagen jeden 2. Tag, entweder subcutan (dann mit 
Cocain) oder intravenös. Ist nach 7—8 Tagen keine Besserung eioge- 
treten und die Sehkraft bedroht, so beginnt man mit Neosalvarsan, alle 
8 Tage 1 Dosis, mit 0,15 beginnend und bis 0,6 steigend, im ganzen 
4—5 g intravenös (oder subcutan täglich oder jeden 2. Tag 0,1—0,15 
in 2 ccm Aqu. steril). Bei Keratitis und Iritis verbinde man damit In¬ 
stillationen von Neosalvarsan, 3—4mal in Zwischenräumen von 10 Mi¬ 
nuten; bei sehr sohwerer Iritis auch subconjunotivale Injektionen. Nach 
Heilung des Auges dann antiluetische Allgemeinbehaudlung. Lösliche 
Hg-Salze sind wegen ihrer schnellen Wirkung im allgemeinen vorzu¬ 
ziehen. Krakauer-Breslau. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

Anders: Ueber pathologisch-anatomische Veränderungen des Central- 
■ervensyotem* bei Gasödem. (M.m.W., 1917, Nr. 50.) Starke „Hyper¬ 
ämie der Hirnhautgefässe. Pralle FülluDg der venösen Sinus der Hirn¬ 
basis. Hydrocephalus externus und internus. Gehirnödem in der Nähe 
der Rinde. Mikroskopisch fanden sich regressive Veränderungen an den 
Ganglienzellen (Aufhellung des Plasma, Verklumpung der Tigroid- 
schollen) usw. Schlängelung und segmentärer Zerfall der Achsen- 
cylinder. Die Gliazellen sind teilweise dicht an die Ganglienzellen ge¬ 
presst und liegen zum Teil im Plasffla der Zellen („Neurophagie“). 
Veränderungen des Gefässapparates. 

G. Hart: Ueber die Beziehungen des Ieterns infect. inr akitei 
gelben Leberatrophie and »r Leberzirrhose. (M.m.W., 1917, Nr. 50.) 
Wie Beitzke und Herxheimer ursprünglich annahmen, sollte bei dem 
infektiösen Icterus ein Zellzerfall in der Leber nicht stattfinden, nur die 
Zellfuuktion sollte leiden; dagegen sollte ihre Existenz nicht bedroht sein. 
Pick hatte hingegen bewiesen, dass in seltenen Fällen infektiöser Gelb¬ 
sucht es zu einem akuten Zerfall der Leberzellen kommen kann. H. be¬ 
schreibt nun den Befund bei einem naoh überstandenem infektiösen 
Icterus später an den Folgen einer Lebercirrhose verstorbenen Manne. 
Es fand sich das Bild einer in Ausheilung begriffenen akuten gelben 
Leberatrophie mit Uebergang in das Bild der Cirrhose, das bis auf die 
fehlenden Gallengangswucherungen ein ziemlich typisches Var. 

Gepper t. 


Parasitenkunde und Serologie. 

S. Bergei-Berlin: Der Ban der Taberkelbaeillen und ihr Abbau 
im Organismus. (Beitr. z. Klin. d. Tbc., Bd. 36, H. 1 u. 2.) Die starke 
Säure- und Alkoholfestigkeit des T. B. ist bedingt durch die Waohs- 
mantelschicht. Unter letzterer liegt die Lipoidzwischenschicht, in die 
eine Wachskörnerschicht eingelagert ist. Den Kern des T. B. bildet die 
Neuralfettkörnerschicht, die die Eiweissschioht des T. B. birgt. Die 
Lymphooyten vermögen infolge ihrer lipolytisohen Eigenschaften die Fett- 


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UNIVERSUM OF IOWA 



28. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


89 


hülle der T. B. zu lösen, und stellen so eine spezifisohe Waffe gegen 
tuberkulöse Infektion dar. F. Glaser. 

Rothaeker: Nachprüfung der von Wiener angegebenen Fleck- 
fieberreaktio!. (M.m.W., 1917, Nr. 50.) Ausführung der Probe: 4 ccm 
Harn werden mit einem gleichem Quantum Aether geschüttelt, dazu 
2 oom Aqu. dest., dem 3 Tropfen Jennerfarbstoff und 10 Tropfen lprom. 
Permanganatlösung zugesetzt sind. Intensive GrÜDfärbung des Ge¬ 
misches bei Fleckfieber. Die Nachprüfung ergab eine Brauchbarkeit der 
Reaktion, die in zweifelhaften Fällen zur Orientierung heranzuzieben 
ist. Andere Krankheiten, die die Reaktion auch geben, können klinisch 
mit Fleckfieber nicht verwechselt werden. Geppert. 

E. Friedberger-Greifswald: ImmnnitätsreaktioBeB mit dem Ba- 
eillas Weil-Felix und über seine ätiologische Bedeutung für das Fleek- 
fieber. (D.m.W., 1917, Nr. 43 u. 44.) Bei 2 Fleckfieberkranken war 
neben Agglutination die Präcipitation, die Komplementablenkung und 
der Pfeiffersche Versuch positiv. Der Bacillus Weil-Felix ist für Meer¬ 
schweinchen pathogen. Es gibt nach F. keinen Beweis dafür, dass das 
Fleokfieber eine Protozoenerkrankung ist, welche durch ein in der Laus 
einen Eutwicklungsgang durchmachendes Virus übertragen wird und dass 
die Reaktion mit dem Bacillus Weil-Felix nur sekundärer Natur ist. 
Vielmehr nimmt F. an, dass das Fleckfieber eine bakterielle Infektion 
ist, für die ein dominanter Erreger in Frage kommt. 

Asch off-Freiburg i. Br.: Ueber bakteriologische Befände hei Gas- 
phlegmoneB. (Bemerkungen zu dem Aufsatz von R. Pfeiffer und 
G. Bessau.) (D.m.W., 1917, Nr. 47.) Bemerkungen zu dem Aufsatz 
von R. Pfeiffer und G. Bessau, die behauptet hatten, dass Aschoff 
einen einheitlichen Ga*phlegmonebacillus annimmt. Dem widerspricht 
Aschoff und teilt seine Anschauungen über die Bakteriologie der Gas¬ 
phlegmone mit, die er in verschiedenen Arbeiten gemeinsam mit seinen 
Mitarbeitern, bereits publiziert hat. Dünner. 


Innere Medizin. 

Wiek*. Zur TaberkaloseforsehiBg und Behandlung. (W.m.W., 
1917, Nr. 48.) Verfasser ist zu der Anschauung gekommen, dass die 
Entscheidung, ob sich der tuberkulöse Prozess beschränken, ob eine 
Induration sich ausbildet, ob das Individuum weiterleben soll oder nicht, 
schon in frühe Altersstufen falle, daher auch nicht in Altersveränderungen 
begründet sein kann. Reckzeh. 

A. Lorey-Hamburg: Beiträge zur LaBgeBCollapstherapie. (Beitr. 
z. Klin. d. Tbo., Bd. 36, H. 1 u. 2.) Beschreibung guter Erfolge aus¬ 
gedehnter extrapleuraler Plastik bei 4 Patienten, die an schwerer ein¬ 
seitiger Lungentuberkulose litten und guter Resultate künstliohen Pneumo¬ 
thorax bei je einem Fall von schwerer lebensbedrohlicher Lungenblutung 
und chronischer Lungeneiterung. 

E. Boit-Davos: Ueber akite Bleivergiftung bei Langentnber- 

kal öse. (Beitr. z. Klin. d. Tbc., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Beschreibung 

dreier Fälle von Bleivergiftung von Lungenkranken, die durch den Ge¬ 

nuss von in Milch gekochtem Griesbrei in zu stark bleihaltigem Koch¬ 
geschirr entstanden waren. 

R. Engelsmann-Düsseldorf: Ueber die sekundäre Danntiber- 
kmtese. (Beitr. z. Klin. d. Tbo., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Bei 108- an 

Lungentuberkulose Gestorbenen wurde in etwa 90 pCt. der Fälle se¬ 
kundäre Darmtuberkulose festgestellt, die am häufigsten enterogen ent¬ 
standen war. In Vs bis zur Hälfte der Fälle war eine Diagnose bei 
Lebzeiten wegen des Fehlens jeglicher Symptome nicht zu stellen. In 
20 pCt. der Fälle trat eine tuberkulöse Peritonitis auf, die trotz schwerster 
Veränderungen in etwa 90 pCt. der Fälle klinisch latent verlief. 

G. D. Wilkens-Stockholm: Ein Fall von multiplen Palmoialis- 
aneurysmen. (Beitr. z. Klin. d. Tbc., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Bei einem 
23jährigen Mädchen fand sich bei der Sektion die Arteria pulmonalis 
in den Unterlappen beider Lungen und im rechten Mittellappen an- 
eurysmatisoh zu doppelter Grösse erweitert. Intra vitam war die Dia¬ 
gnose auf Aneurysmen der Intercostalarterien gestellt worden. Röntgeno¬ 
logisch waren die Schatten, die von den blutgefüllten Gefässen verur¬ 
sacht waren, während des Lebens für tuberkulöse Herde gehalten 
worden. 

G. Assmann - Beelitz: Beitrag zur „Elbon“ - Behandlung des 
tuberkulösen Fiebers. (Beitr. z. Klin. d. Tbc., Bd. 36, H. 1 u. 2.) 
Elbon (Zimtsäure + Oxyphenylharnstoff - Cinnamoyloxyphenylharnstoff) 
wird als gutes Antipyretioum bei Lungentuberkulose empfohlen. 

F. Glaser. 

M. Tinard: Gasangriff, Urticaria nid Tuberkulose. (La presse 
möd., 22. Nov. 1917, Nr. 65.) Bei einigen Soldaten zeigten sioh Oedeme 
der Genitalien und generalisierte Urtioaria. Die Erscheinungen schwanden 
bald auf Umschläge und Abführmittel. Genauere Nachforschungen ergaben, 
dass sie nicht, wie anfangs vermutet, auf Verdauungsstörung beruhten, 
sondern 12—15 Tage nach Gasangriffen auftraten, und zwar bei Leuten, 
die irgendwelche Zeichen mehr oder weniger inaktiver Tuberkulose dar¬ 
boten, welche offenbar eine Sensibilisierung der Haut bewirkte. 

Krakauer-Breslau. 

Schiff: Zur Pathologie der Oedemkrankheit. (W.m.W., 1917, 
Nr. 48.) Lässt sich die qualitativ schädigende Wirkung der Kriegs¬ 
ernährung, speziell ihrer Einseitigkeit in ihren Einzelheiten auch noch 


nicht klar übersehen, so dürfte an ihrer Bedeutung für die Entstehung 
der Oedemerkrankung nioht zu zweifeln sein. Die ausschliessliche 
Zurüokführung der Erkrankung auf eine einfache calorische Unter¬ 
ernährung wird den Tatsachen nicht voll gerecht. 

Petschacher: Eine Fleekfleberepidemie in russischer Kriegs¬ 
gefangenschaft. (W.m.W., 1917,Nr. 49.) Beschreibung der Symptomatologie 
und Therapie der Fleekfleberepidemie unter besonderer Berücksichtigung 
der Komplikationen. Reckzeh. 

M. Gutstein-Berlin: Beiträge zur Theorie des sogenannten Pleura- 
shocks. (Beitr. z. Klin. d. Tbc., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Der sogenannte 
Pleurashook wird als eine auf reflektorischem Wege durch Pleurareizung 
hervorgerufene Gehirnanämie erklärt. F. Glaser. 

0. Fischer: RuhrschutEimpfuugeu mit dem Impfstoff voa 
Ditthon und Loewenthal. (M.m.W., 1917, Nr. 50.) Geimpft wurden 
800 Personen. Es stellte sich heraus, dass die Impfung gefahrlos ist. 
Die lokalen Reaktionen sind gering. Fieber in 20 bis 25 pCt. bei 
Dosierung bis 1,5 ccm. Impfschutz bis auf eine Dauer von zwei Monaten. 

H. Hartmano u. L. Zila: Ueber diesogenanrte Chiiingewöhiiig. 
(M.m.W,, 1917, Nr. 50.) Es wurde die Ausscheidung des Chinins im 
Harn festgestellt und zwar naoh Einnahme des Medikaments per os, nach 
intramuskulärer, subeütaner und intravenöser Injektion. Ausserdem 
wurde eine Konzentrationsbestimmung im Blute mittels der Fluorescenz- 
methode durebgeführt. Aus den Versuchen ging hervor, dass weder 
eine verminderte Ausscheidung im Harn noch eine Zerstörung des Chinins 
im Blute nach längerem Gebrauche eintritt, dass also von einer Ge¬ 
wöhnung keine Rede sein kann. Eine Konzentrationsänderung im Blute 
durch voraufgegangene Neosalvarsanapplikation findet nioht statt. 

Geigel: Verlängerung der Auspannangszeit. (M.m.W., 1917, Nr. 51.) 
Erweiterung unserer rein klinischen Diagnostik beginnender und be¬ 
stehender Herzinsuffioienz ist von grösster Bedeutung, daher mögen die 
Ausführungen G.’s etwas eingehender berücksichtigt werden. Unter 
Anspannungszeit versteht man bekanntlich das Intervall zwischen dem 
Beginn der Ventrikelkontraktion und der Ueberwindung des arteriellen 
Drucks, die mit der Eröffnung der Semilunarklappen zusammenfällt. 
Eine Verlängerung der Anspannungszeit weist auf ein Missverhältnis 
zwischen Ventrikelkraft und Arteriendruck hin, also bei normalem Druck 
auf Schwäche der Ventrikelmuskulatur. Als rein klinische Symptome 
verlängerter Anspannung kommen in Betracht erstens Beschaffenheit des 
Herzstosses, zweitens auskultatorische Phänomene. Der hebende Herz- 
stoss (im weiten Umfang bewegte Brustwand durch fange anhaltenden 
mit grosser Intensität wirkenden Stoss) deutet auf starke Verlängerung 
der Anspannungszeit hin, die „vermehrte Resistenz“ des Herzstosses 
(keine starke Mitbewegung der Brustwand aber kräftige palpable Stoss- 
Wirkung) auf geringe Verlängerung. Auskultatorisch ist zu achten erstens 
auf Verdoppelung des ersten Tones (zeitliche Differenz zwischen Muskel¬ 
ton und Arterienton) zweitens auf Galopprhythmus. Bei letzterem macht 
G.* folgende feine Unterschiede. Arsis auf den letzten Schlag (zweiter 
Herzton) bedeutet Verstärkung des arteriellen Drucks, also keine Herz¬ 
schwäche, dagegen Arsis auf den zweiten Schlag (spät erfolgender Arterien¬ 
ton bei verlängerter Anspannungszeit) und leisem zweiten Herzton 
(eigentlicher Galopprhythmus) weist auf hochgradige Herzschwäche hin. 
Die Schwäche des Herzens, auf die eine verlängerte Anspannungszeit 
hinweist, braucht keine absolute zu sein, z. B. bei Vermehrung deB 
arteriellen Drucks (Messung). Geringe noch ins Bereich der Norm fallende 
Verlängerung der Anspannungszeit wird angezeigt durch Verdoppelung 
des ersten Tones und durch diffusen Herzstoss. Geppert. 

Schwiening-Berlin: Organisation der Kur- mad Bäderbehaudlaug 
in der deutschen Armee. (W.m.W., 1917, Nr. 49.) Die für die Ge¬ 
währung von Brunnen- und Badekuren sowie für die Ueberweisung in 
Genesungsheime maassgebenden organisatorischen Bestimmungen sind in 
einer besonderen Dienstvorschrift, den „Vorschriften über Badekuren 
und sonstige aussergewöhnliehe Heilverfahren für Militärpersonen“, kurz 
„Kurvorschriften“ (K. V.) genannt, enthalten. Die wichtigen Punkte aus 
diesen Kurvorschriften werden klar und eingehend erörtert. Reckzeb. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Edinger: Ammoushoru and Epilepsie. (W.m.W., 1917, Nr. 46.) 
Grosse Zusammenstellungen in den geburtshilflichen Zeitschriften haben 
uns belehrt, dass viel häufiger, als das bisher bekannt war, intra partum 
Risse in die Tentorien zustande kommen, Risse, die oft so ausgedehnte 
Blutungen zur Folge haben, dass der Tod eintritt. Wenn das Kind 
derlei überlebt, haben wir an der Basis des Gehirns, genau in der Gegend 
der Ammonsbörner, eine Läsion, deren Folge nichts anderes sein kann 
als jene bekannte Sklerose, und es wird ein Kind heranwachsen, das 
mit seinen Hirnnarben durchaus disponiert ist, dermaleinst Epileptiker 
zu werden. 

Pilcz-Wien: Krieg und progressive Paralyse. (W.m.W., 1917, 
Nr. 46.) Selbst ein derart exceptionell wirkender exogener Faktor, wie 
ihn der jetzige Weltkrieg mit seinen unerhörten seelischen und körper¬ 
liehen Schädigungen und Anforderungen darstellt, scheint nicht imstande 
zu sein, den Decursus des Paralytikers vom Augenblicke der Infektion 
bis zum Exitus nachweisbar zu beeinflussen.. 

Erben-Wien: Klinische Untersuchungen über die spastischei Phä¬ 
nomene. (W.m.W., 1917, Nr. 46.) Es liess sioh das Verhalten der 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


verschiedenen Maskein bei der ruckweisen Dehnung nicht unter einen 
einheitlichen Gesichtswinkel stellen. Bisher wurde allgemein ange¬ 
nommen, dass zwischen der Grösse der Dehnung und der Intensität des 
spastisches Reflexes ein gerades Verhältnis besteht, dies trifft aber 
nicht zu. 

Bauer-JokI-Wien: Ueber morphologische Senilismen am Central- 
lervensystem. (W.m.W., 1917, Nr. 46) Es muss auffallend erscheinen, 
dass Degenerationszeichen gerade bei entzündlichen Prozessen Vorkommen, 
wo wir gewohnt sind, derartige Stigmata bei endogen degenecativen Er¬ 
krankungen anzutreffen (amyotrophische Systemerkrankungen, Syringo¬ 
myelie usw.). 

Stransky-Wien: Manisch-depressive Symptome im Material der 
nervenärztlichen Privatsprechstunde. (W.m.W., 1917, Nr. 46.) Es stellte 
sich heraus, dass ein im ersten Anbeginn ganz unerwartet grosser An¬ 
teil des Neurosenmaterials in tiefstem Grund zur manisch-depressiven 
Familie gehörig sich erwies. Der erziehlichen Kunst des Psychiaters 
wird es immer wieder gelingen, diese zum Teil recht unglücklichen, dabei 
aber ethisoh und intellektuell oft recht hochstehenden Leute durch un¬ 
ermüdliche und geduldige Belehrung, Aufklärung und Indiwegeleitung 
individualisierter Abreaktion in ihren depressiven Zeiten über Wasser 
zu halten, indem er sie lehrt, psychische Derivantien zu finden und 
sich an ihre dysthymischen Zustände zu gewöhnen. 

Loewy: Ueber einen atypisch verlaufenden Fall einer Poliomyelitis 
acuta anterior bei einem Erwachsenen nach Verwundung. (W.m.W., 1917, 
Nr. 46.) Es handelt sich also im vorliegenden Fall um eine Polio¬ 
myelitis acuta anterior bei einem Erwachsenen, die folgende Besonder¬ 
heiten aufwies: Symmetrische Affektion der gesamten Vorderhornsäulen 
rechts und links. Vollkommenes Freibleiben des gesamten sensiblen 
Rüokenmarkgraus. Blasen-, Darm-, Mastdarmlähmung. Fortscbreiten 
des Prozesses in Fieberschüben. Auftreten eines Exanthems und eines 
Bläschenausschlages. Auftreten einer Parotitis. Entstehung im An¬ 
schluss an ein Trauma (Luftdruckwirkung). Reckzeh. 

H. Rautenberg-Friedriohsberg-Hamburg: Wert des Abderhalden- 
schön Dialysierverfahrens für die Kriegspsychiatrie. (D. militärztl. 
Zsohr., 1917, H. 23 u. 24.) Aus dem Ueberblick ist zu erkennen, dass 
die funktionellen Erkrankungen überwiegend negative, vereinzelte frag¬ 
liche und ganz selten nur positive Resultate ergaben, ebenso beim 
manisch-depressiven Irresein die Reaktionen meist negativ waren, während 
bei Dementia praecox der pluriglanduläre Abbau meist als Tatsache 
unverkennbar ist. Daraus folgert Verf. die Berechtigung, die Abder- 
halden’sche Reaktion zu den wichtigen Militärfragen der Diensttauglich¬ 
keit, Dienstbesohädigung und Zurechnungsfähigkeit herzanzuziehen. 

Schnütgen. 

Schüller-Wien: Hypertrichosis hei Ischiadicnsläsionea. (W.m.W., 
1917, Nr. 46.) Das Zustandekommen der neurotischen Hypertrichosis 
ist bisher nicht genügend erklärt. Auch die beiden mitgeteilten Fälle 
bieten keine für die Erklärung verwertbare Beobachtung. Bemerkenswert 
erscheint die eigenartige, in beiden Fällen vollkommen identische Lokali¬ 
sation der Hypertrichosis im Bereich der Gesässhaut. 

Hatschek: Ueber Bavchmiskeltic. (W.m.W., 1917, Nr. 46.) Die 
Untersuchung ergab das Vorhandensein von Muskelkontraktionen, die 
sich ausschliesslich auf beide M. recti beschränken. Die Muskel¬ 
zusammenziehungen sind von wechselnder Stärke und Raschheit der Auf¬ 
einanderfolge. Es finden auch sehr lange Pausen statt. Wenn die 
Krämpfe heftig auftreten, wie dies namentlich stattfindet, wenn der 
Patient durch starke Geräusche überrascht, so kommt es zu starken, 
fast alle Sekunden sich wiederholenden Beugungen des Oberkörpers. 
Die anderen Bauchmuskeln sind vollständig unbeteiligt. Der übrige 
somatische Befund ergab ausser leichtem Tremor und einer Steigerung 
der Sehnenreflexe nichts Abnormes. 

Neurath-Wien: KalkentsiebuBg and Nervenffbererregbarkeit. 
(W.m.W., 1917, Nr. 46.) Durch Behandlung von Kaninchen mit oxal- 
saurem Natrium gelingt es, die galvanische Erregbarkeit vom Nerven 
aus zu steigern, doch kehrt schon bald die normale Erregbarkeit wieder. 
Diese Steigerung der Nervenerregbarkeit zeigt grosse Aehnlichkeit mit 
der parathyreopriven Erregbarkeitssteigerung. Bei dieser, wie bei der 
experimentellen Oxalatvergiftung, spielt wahrscheinlich die Kalkverarmung 
des Blutes die Hauptrolle. Reckzeh. 


Kinderh eilkunde. 

Zappert: Die Indikationen von seiten des kindlichen Nerven¬ 
systems zur operativen Entfernung der Rachenmandeln. (W.m.W., 
1917, Nr. 47.) Bei allen Leiden, bei denen eine nervöse Grundlage, 
bzw. ein pathologischer Bedingungsreflex in Betracht kommt, also bei 
Enuresis, bei Pavor noctumus, bei habituellem Erbrechen, bei Asthma, 
beruhen die gelegentlich gemeldeten günstigen Erfolge auf psychischer 
Einwirkung nnd sind auch auf andere unblutige Weise zu erreichen. 
Als berechtigte Indikation zur Adenotomie kann die Aprosexia nasalis 
angesehen werden, die aber keineswegs häufig ist und nicht mit neur- 
asthenischer Zerstreutheit und mit Stumpfsinn infolge Schwerhörigkeit 
verwechselt werden darf. Ebenso kann lange dauernder Stirnkopfschmerz 
darch Entfernung der Rachenmandeln beseitigt werden. Reckzeh. 

G. Lindberg-Stockholm: Meningealblutung nnd eitrige Meningitis 
im frühen Säaglingsalter. (Jb. f. Kindhlk., 1917, Bd. 86, H. 4, S. 363.) 


Auf dem Boden unter der Geburt entstandener Meningealblutungen 
entwickelten sich durch Ansiedlung von Bakterien in den ersten Lebens¬ 
wochen Meningitiden. Es werden 4 Beobachtungen mitgeteilt. Die In¬ 
fektion erfolgte auf dem Blutwege, in 2 Fällen wahrscheinlich von einem 
Nabelgranulom bzw. einem Erysipel aus; in den beiden anderen Fällen 
war der primäre Herd nicht nachweisbar, es handelte sich hier um 
Subtilis- bzw. Coliinfektion. 

E. Herrmann-Leipzig; Beiträge zur differentialdiagnostiscben 
Verwertung der entanen Tnberknlinreaktion. (Jb. f. Kindhlk., 1917, 
Bd. 86, H. 5, S. 390.) Nicht beendet. 

A. Hirob und E. Moro-Heidelberg: Untersuchungen über alimen¬ 
täres Fieber. (Jb. f. Kindhlk., 1917, Bd. 86, H. 5, S. 341.) Die Unter¬ 
suchungen der Verff. galten dem von Finkeistein in die Pathologie 
der Ernährungsstörungen des Säugliogsalters ein geführten Begriff des 
alimentären Fiebers, das nach vorbereitender Schädigung des Darmes 
durch den vergärenden Zucker von den Molkensalzen ausgebt. Die 
Nachprüfungen ergaben, dass durch orale Zufuhr von Kochsalz bei 
juDgen Kindern besonders aber in den 3 ersten Lebensmonaten Fieber 
zu erzielen ist. Bemerkenswert sind die Beobachtungen der Verff. über 
eine Resistenzverminderung des Organismus bei den Kindern als Nach¬ 
wirkung der Kochsalzverabreichung. Sie bestehen in einer an das Salz¬ 
fieber sich anschliessenden lang dauernden Fieberperiode mit Erschei¬ 
nungen seitens der Atmungsorgane; besonders gilt das von tuberkulösen 
Kindern. Die von früheren Autoren beobachtete Zuckerausscheidung 
im Urin nach Kochsalzdarreichuog konnten die Veiff. nach der oralen 
Kochsalzzufuhr gleichfalls feststellen. Es handelte sich nach ihien 
Untersuchungen um Traubenzucker, .der 4—6 Stunden nach der Salz¬ 
gabe erscheint und spätestens nach 12 Stunden verschwindet. — Auch 
bei parenteraler Verabreichung von Kochsalz bei ausreichender Berück¬ 
sichtigung des Wasserfehlers stellte sich das Salzfieber ein. Es batte 
den gleichen Typ wie das orale Salzfieber bei grösserer Neigung zu 
Nachfieber. Die Ausscheidung von Traubenzucker hielt länger ao. Die 
Frage des Zuckerfiebers wurde durch Verabreichung von Milchzucker 
neben Molke, entfetteter Molke und enteiweisster Molke geprüft. Sämt¬ 
liche Versuche mit fettfreier Molke + Zucker und- enteiweisster Molke 
+ Zucker verliefen negativ, ebeoso wie das bei Wasser -}- Zucker der 
Fall ist. Diese Versuche sprechen aber auch dagegen, dass die Salze 
der Molke das Molkenzuckerfieber hervorrufen, sonst dürfte sich bei 
Verwendung der gemeinen und der modificierten Molke kein Unterschied 
ergeben. Die in der Molke vorhandenen Salzmengen sind zu gering und 
bei weitem kleiner als die im Experiment des oralen Kochsalzfiebers 
verwendeten Mengen, sie befinden sich in de» Molke ausserdem in äquili¬ 
brierter Mischung mit anderen Salzen. — Ein zweiter Differenzpunkt 
wurde von den Veiff. festgestellt: Der bei dem Molkenzuckerfieber im 
Urin ausgesobiedene Zucker ist nicht Trauben- sondern Milchzucker. 
Hierzu kommt, dass das Molkenzuckerfieber einen anderen Typ hat wie 
das Salzfieber, nur auf das Säuglingsalter beschränkt zu sein scheint 
und nur nach heftigen Durchfällen auszulösen ist. Danach ist das 
Salzfieber eine Sache für sich, die mit der Molkenzuckerreaktion keine 
wesentlichen Merkmale gemein bat. 

E. Gvr-Magdeburg: Weitere Erfahrungen zur Schatlimpfing gegen 
Windpocken. (Mschr. f. Kindhlk., 1917, Bd. 14, H. 5, S. 310. Origi- 
ualien.) Von den geimpften Kindern erkrankte ein geringerer Prozent¬ 
satz an Windpocken als von den nicht geimpften. Das ist besonders 
dann zu errechnen, wenn die „erfolglos* geimpften mitgezählt werden. 
Auffallenderweise bleibt nämlich von den „erfolglos* Schutzgeimpften 
ein grösserer Prozentteil von der Infektion frei als von den gar nicht 
Geimpften. Diese Erscheinung bedarf noch weiterer Beobachtung; im 
Falle der Bestätigung würden unsere Vorstellungen von Entstehen der 
Immunität einer Revision bedürfen. 

Ghr. Johanessen- Christiania: Myositis ossiftcans Multiplex 
progressiva. (Hyperplasia fascialis progressiva, Goto.) (Jb. f. Kindhlk., 
1917, Bd. 86, H. 6, S. 442) Kasuistik. 

C. de Lange und J. C. Schippers-Amsterdam: Ueber familiäre 
Splenomegalie. (Jb. f. Kindhlk., 1917, Bd. 86, H. 6, S. 459) Inter¬ 
essante Beobachtung einer Reihe von Fällen mit Milzvergrösserung in 
derselben Familie. Bei zwei Kindern wurde die Milz exstirpiert; die 
Operation wurde gut vertragen. Alle sonstige Therapie war erfolglos 
gewesen. Die mikroskopische Untersuchung des Blutes und der Milzen 
ergab, dass es sich nioht um Erkrankungen vom Typ Gaucher, sondern 
um ein eigenes Kraokheitsbild „angeborene, familiäre und progressive 
Milzvergrösserung* handelt, die nach einiger Zeit zu einer allmählich 
fortschreitenden Kachexie führt und mit einer hämorrhagischen Diathese 
endet. 

Bernheim-Karrer-Zürich: Zur Diagnose sabarachneidaler Bla¬ 
tanges beim Neugeborenen. (Mschr. f. Kindhlk., 1917, Bd. 14, H. 5, 
S. 308, Originalien.) Die Entscheidung, ob Blutbeimengungen im 
Lumbalpunktat frisch sind oder nicht, ist nicht immer leicht. Im 
letzteren Falle ist der Liquor über dem Sediment kirschrot, während er 
sonst wasserklar bleibt. Bei kirschrotem Liquor finden sich im Sedi¬ 
ment weiterhin Blutkörperchenschatten, Stechapfelformen und phago- 
cytierte rote Blutkörperchen. Auf letzteren Befund legt Verf. in difife- 
rentialdiagnostischer Hinsicht besonderen Wert. 

S. Wolf-Posen: Beitrag zur Behandlung des Empyems im Säag- 
lingsalter. (Jb. f. Kindhlk., 1917, Bd. 86, H. 6, S. 500.) An Stelle 
der beim Pleuraempyem des Säuglings gefährlichen Rippenresektion 


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28. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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wandte Verf. eine modifizierte Bülau’sche Drainage an, indem er naoh 
Anlegung eines Hautscbnittes einen Gummikatheter mit einer scharfen 
Polypenzange durch den Zwischenrippenraum einfübrte und dann liegen 
Hess. Der Eiterabfluss ging dabei gut von statten; ausserdem spülte 
Verf. auf demselben Wege die Pleurahöhle mit Optoohinlösung. Im be¬ 
schriebenen Falle war der Erfolg gut. 

B. Riehlin-Zürich: Der Kalk- and Phosphorsftnrestoffweehsel 
hei einem Fall von Eaelitis tarda. (Jb. f. Kindhlk., 1917, Bd. 86, 
H. 5, S. 373.) „Bei einem 14% Jahre alten Knaben, der anamnestisch, 
klinisch und röntgenologisch die typischen Zeichen der Rachitis tarda 
aufweist, wird die Uutersuohung des Calcium- und Phosphorsäurestoff¬ 
wechsels Torgenommen; dieser ergibt eine verbesserte Calcium- und 
Phosphorbilanz zunächst bei Phosphorlebertranbehandlung, eine noch 
deutlicher verbesserte Bilanz bei Calcium phosph. tribas. Lebertran¬ 
darreichung. Auch im Röutgenbilde der Knochen und im Allgemein¬ 
befinden des Patienten dokumentiert sich diese erhöhte Calcium-Phosphor¬ 
retention.“ • R. Weigert. 

E. Schlesinger-Strassburg: Einfluss der Kriegskost im 3. Kriegs¬ 
jahr aaf Kinder im Schalalter. (K.m.W., 1917, Nr. 46.) Längen- 
messuDgen ergaben einen durchschnittlichen Rückstand von 3 cm; es 
zeigte sich bei den einzelnen Altersklassen und bei verschiedenen Kon¬ 
stitutionen Unterschiede. Die Verlangsamung des Längenwachstums 
gibt zu keiner Besorgnis Veranlassung. Vergleichende Wägungen in 
den Jahren 1913, 16 und 17 ergaben ein stärkeres Zurückbleiben der 
Körpergewichtszünahmen besonders im 3. Kriegsjahr, aber auch hier 
zeigten die einzelnen Altersklassen erhebliche Differenzen. Das Zurück¬ 
bleiben an Körpergewicht ist im allgemeinen auf den geringeren Fort¬ 
schritt an Längenwachstum zu beziehen. Ein ungünstiger Einfluss auf 
die Konstitution, die Leistungsfähigkeit und geistige Frische konnte 
nicht festgestellt werden. Geppert. 

J. Busler: Baitrag zur Kenntnis des kindlichen Cardip- Oesophago- 
spasmas. (Zscbr. f. Kindhlk., Bd. 16, H. 5 u. 6.) Sehr interessante 
klinische Beobachtungen von „sekundärer oder (Läsions-) bedingter 
spastischer Neurose des Oesophagus,“ „spastischer Oesophagusneurose aus 
schon anlagemässiger Minderwertigkeit,“ „neuro-(bzw. psycho-)pathischer 
spastischer Dysphagie,“ „vagoparetischem Cardiospasmus“ und „steno- 
sierender Oesophagusbypertrophie.“ Einzelheiten sind im Original nach- 
zu lesen. 

Langstein und Edelstein: Die Rolle der Erginiaagsstoffe bei 
der Ernährung wachsender Tiere. Eraähraagsversnche an jungen 
wachsenden Rattel. 1. Mitteilung. (Zscbr. f. Kindhlk., Bd. 16, H. 5 
u. 6.) Die Verff. hatten es sioh zur Aufgabe gestellt, zu untersuchen, 
welche Einflüsse geringe Zusätze bestimmter Stoffe zur Nahrung auf das 
Wachstum ausüben. Als Versuchsmaterial wurden Ratten gewählt. Die 
Nahrung bestand aus Plasmon oder Casein, Larosan oder Ovalbumin 
als Eiweissstoffe, aus Palmino oder Margarine als Fett und aus Milch¬ 
zucker und Stärke als Kohlehydrate. Hinzu kam noch reines, zweimal 
in Wasser ausgekochtes, getrocknetes Filtrierpapier als Cellulose und 
Salze in Form der Salzlösung von Osborne-Mendel. Diese Nahrung 
war insufficient. Um sie für normales Wachstum ausreichend zu machen, 
kamen zunächst in Betracht Substanzen, von denen man nach den bis¬ 
herigen Erfahrungen annehmen konnte, dass sie diese Ergänzungsstoffe 
enthielten. Ausprobiert wurden Malzextrakt, Kleie, Hefe, Milch, Rüböl 
und Grünkohl. Während mit den einfachen künstlichen Nahrungs¬ 
gemischen die Ratten entweder schon naoh kurzer Zeit eingingen oder 
auf ihrem Gewicht stehen blieben oder zu langsam wuchsen, so gediehen 
sie auf geringe Zusätze der genannten Stoffe hin besser und erreichten 
unter bestimmten Bedingungen eine vollkommen normale Grösse. 
Besseres Gedeihen bedeutete aber nun nicht gleich normales Wachstum. 
Der Einfluss von Malzextrakt hielt nicht lange an, und dieser Zusatz 
vermochte die Ratten nicht vor Keratomalacie zu schützen. Bei Milch¬ 
tieren trat dagegen, auch wenn sie nioht besonders gediehen, kein ein¬ 
ziges Mal ein pathologisches Merkmal zutage. Aber nur bei Hefe-, Rüböl- 
und Grünkohlzusatz erreichten die Tiere die Geschlechtsreife und konnten 
sich fortpflanzen. Am besten entwickelten sich die Grünkohl- und 
Rübölratten. Was die Art der wachstumslördernden Substanzen angeht, 
so ergab sich aus diesen Versuchen zunächst kein Anhalt. Ebenso¬ 
wenig lässt sich sagen, warum die Ausgangsnahrung insufficient war. 
Die Nahrung schien alle notwendigen Bestandteile zu enthalten, be¬ 
durfte aber sozusagen nooh eines geringen Anstosses, um sufficient zu 
werden. Wichtig ist, dass eine Kombination zweier Zusätze weit besser 
wirkte als ein einziger. _ Schloss. 


Chirurgie. 

Gore-GiHon und Hewlett: Acetozon als chirargisehes Anti- 
•eptieam. (Brit. med. journ., 1917, Nr. 2955) Acetozon ist Benzcyl- 
acetyl-peroxyd (C e H 5 C0 O O COCH 8 ). Es hat stark baktericide Wirkung 
auch bei Gegenwart von Serum, ohne die Phagocytose ungünstig zu be¬ 
einflussen; ausserdem wirkt es granulationsanregend. Man verwendet 
1—2prom. Lösungen zu Spülungen, Umschlägen usw. Geppert. 

Merke ns: Zur Technik der Arteriennaht. (Zbl. f. Cbir., 1917, 
Nr. 48.) Die Wand der gelähmten Arterie wird dadurch gesichert, dass 
ein vorher darüber gestülptes Venenstück über die Nahtstelle gezogen 
wird. Hayward. 

E. Simon-Leipzig: Ueber Aneurysmen iaeh Schassverletsing 
nebst einem Beitrag zur Kasuistik des Aneurysma spurium traumatioum 


Arteriae tibialis posterioris. (D. Zsohr. f. Chir., 1917, Bd. 142, H. 1—2.) 
Der mitgeteilte, in der Ueberschrift gekennzeichnete Fall bietet niohts Be¬ 
sonderes. Literaturzusammenstellung. G. Valentin (zurzeit im Felde). 

B. Heile-Wiesbaden: Zur operativen Behandlung der habituellen 
Lnxatien der Patella. (Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 110, 
H. 1.) Die Methode beruht auf der Annähung der abgetrennten End¬ 
sehnen des Sartorius und des Gracilis am medialen Band der Patella 
und gab dem Verf. in zwei Fällen ein gutes Resultat. W. V. Simon. 

’Hörhammer: Zur Technik der Patellarnaht. (Zbl. f. Chir., 1917, 
Nr. 49) Die ausgezeichnete Methode von Payr wird erneut ins Ge¬ 
dächtnis zurückgerufen. Sie besteht bekanntermaassen darin, dass eine 
Naht aus Aluminium-Broncedraht so geführt wird, dass kein Teil des 
Drahtes auf die Gelenkfläche der Kniescheibe zu liegen kommt. Die 
Technik ist folgendermaassen: Nachdem mit zwei Knoohenhaken die 
Fragmente der Patella aneinandergebracht sind, wird mit einem Bohrer 
von der Ansatzstelle der Streckmuskulatur am oberen Kniescheibenrand 
parallel zur Gelenkfläche ein Bohrloch angelegt, durch welches der Draht 
hindurchgeführt wird. In gleicher Weise geht man links und rechts 
von der Mittellinie der Kniescheibe vor und knüpft die Naht in den 
Weicbteilen der Strecksehnen am oberen Kniescheibenrand. Natürlich 
muss die Naht des seitliohen Streckapparates hinzugefügt werden. 

Hayward. 

E. Crone: Zur osteoplastischen Behandlung grosser Tibiadefekte. 

(M.m.W., 1917, Nr. 48.) In dem beschriebenen Falle wurde der Tibia¬ 
defekt durch freie Transplantation eines 1372 cm langen und finger¬ 
dicken Knocbenspans derselben Tibia mit Erfolg gedeckt. Geppert. 

Esser-Berlin: Maskelplastik bei Ampatationsstümpfen zwecks 
Steuerung und Fixierung der Prothese. (D.m.W., 1917, Nr. 47.) Die 
Muskelwülste sollen nicht nur für willkürliche Bewegungen, sondern 
auch zum Halten der Prothese dienen. Je mehr Muskelteile man se¬ 
parat tunnellieren kann, desto weniger looker wird die Prothese während 
des Gebrauchs gehalten werden, und desto eher wird auch eine Aohsen- 
drehung derselben erschwert. E. zeigt an verschiedenen von ihm ope¬ 
rierten Fällen die von ihm angewendete Technik an Hand von Ab¬ 
bildungen. 

Sembdner: Hilfrprothesea bei Ampatierten der nnteren Ex-, 
tremität. (D.m.W., 1917, Nr. 48.) Dünner. 

R. St. Ho ff mann: Ueber ein doppeltes Hilfseharaier für Ober¬ 
schenkel prothese. (M.m.W., 1917, Nr.49.) Technische Neuerung. 

Geppert. 

Matti: Nachtrag zur Mitteilung: „Eine neue Methode zur opera¬ 
tiven Behandlnng der doppelseitigen Hasenscharte mit prominentem 
Zwischenkiefer in Nr. 38, 1917, des Zbl. Matti’s Verfahren ist schon 
im Jahre 1911 im Zbl. von Reich veröffentlicht worden. Hayward. 

A. Nussbaum: Ueber Epithel- and Knorpeltransplantation bei 
Traehealdefekten. Zugleich ein Beitrag zur Frage der Metaplasie und 
der Entstehung epithelialer Tumoren. (Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1917, 
Bd. 110, H. 1.) Einseitig mit Haut bedeckter Ohrknorpel (Schepel- 
mann) wird in einen Trachealdefekt beim Kaninchen eingenäht. Meist 
glatte Einheilung. Meistens wird das Plattenepithel des Ohres in drei 
Monaten durch Cylinderepithel der Trachea ersetzt. Keine Metaplasie. 
In 9 von 33 Fällen bildete sich eine nach der Trachea offene Cyste, 
welche das Plattenepithel enthielt. In weiteren sieben Fällen entwickelte 
sich ein Cylinderzellenadenom. Es gelang also experimentell einen 
Tumor zu erzeugen. Perichondriumgedeckter Ohrknorpel ist beim 
Kaninchen transplantierbar. Meist wird der innere Teil desselben vom 
Perichondrium her ersetzt. W. V. Simon. 

Tromp: Zur Behandlung von Parotisfisteln darch Entaervung der 
Drüse. (Zbl. f. Chir., 1917, Nr. 48.) Parotisfisteln' kann man dadurch 
zum Versiegen bringen, dass man den Nervus auriculo-temporalis 
zwischen Arteria temporalis und dem Ohr reseciert. Hayward. 

H. Sch merz-Graz: Ueber die Behandlaag der tnberkalösen 
Schleimhautgeschwüre mit Röntgenstrahlen, gleichzeitig ein Beitrag 
zur Frennd’schen Röntgentherapie der chirurgischen Tuberkulose. 
(Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 110, H. 1.) Verf.-hat bei zwei 
Fällen von Zungentuberkulose einen günstigen Erfolg durch die Röntgen¬ 
behandlung erzielt Besonders hervorzuheben ist der schmerzlindernde 
Einfluss der Röntgentherapie. Es ist anzunehmen, dass sich auch bei 
der Tuberkulose anderer Schleimhäute mit den Röntgenstrahlen gleich¬ 
gute Resultate werden erzielen lassen. 

v. Hack er-Graz: Ueber die Soadieraag hei Fremdkörpern ia 
der Speiseröhre, zugleich ein Beitrag zur Diagnose derselben. (Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. HO, H. 1.) Man muss zwischen der 
Anwendung der Sonde zu therapeutischen und zu diagnostischen Zwecken 
unterscheiden. Die therapeutische Anwendung darf nur eine sehr be¬ 
schränkte sein. Nur Fremdkörper, die keine Verletzung hervorrufen 
können, dürfen auf diese Weise hinuntergestossen werden. Zu dia¬ 
gnostischen Zwecken kann dagegen die Sondierung, die natürlich schonend 
und saobgemäss ausgeführt werden muss, recht wertvoll sein, und als 
wichtiges Hilfsmittel die anderen diagnostischen Methoden unterstützen. 

H. K1 0 i b e r - Frankfurt a. M.: Ungewöhnlich langes Verweilen 
dreier Marphyknöpfe im Darm and dareh Marphykaopf bedingter 
intermittierender lleas. (Bruns’ Beitr. z. klin Chir., 1917, Bd. 110, 
H. 1.) Bei dem wohl einzig in der Literatur dastehenden Fall, bei dem 
wegen tuberkulöser Darmstrikturen die Anlegung dreier Darmanastomosen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


mittels Murphyknöpfen ausgeführt worden war, ging der eine Knopf 
spontan naoh 8 1 /« Jahren ab, während die beiden anderen fast 9 Jahre 
liegen blieben und operativ entfernt werden mussten. Interessant ist 
weiter, dass es sich bei dieser Relaparotomie zeigte, dass die seiner 
Zeit angelegten Anastomosen sich wieder geschlossen und die Schlingen 
sich wieder voneinander gelöst hatten. W. V. Simon. 

Orth: Erwiderung zu dem Artikel Nötsel’s: „Zu den Vorschlägen 
zur DanavereiBigaag von Reich und von Orth“ in Nr. 16 u. 28 des 
Zbl. Polemik. 

Wildt: Kotfistel Bit künstlichem Spor* nur temporären völligen 
AossehaltiBg des nnteren Dnrmabsehnittes. (Zbl. f. Ghir., 1917, 
Nr. 47.) ln den Fällen, in denen es wünschenswert ist, die Kontinuität 
des Darms völlig zu unterbrechen, genügt die Anlegung der einfachen 
Fistel nicht. Es empfiehlt sich dann, eine Querfalte aus der der Fistel 
gegenüberliegenden Darmwand bis in das Hautniveau zu ziehen und die 
auseinanderliegenden Dannschenkel durch einige Nähte zu fixieren. (Das¬ 
selbe erreicht man beim Durchziehen einer Lage glatter Gaze am An¬ 
satz des Mesenteriums. Ref.) Hayward. 

W. Noetzel-Saarbrücken: Die Operation der Leistenhernien nach 
Bassini-Brenner. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Ghir., 1917, Bd. 110, H. 1.) 
Verf. setzt in seiner Arbeit die Vorzüge der Brenner’sohen Modifikation 
der Bassini’sohen Operation auseinander, die der Hauptsache nach auf 
der Deckung der Lücke durch die Kremasterplatte beruht, die bei den 
übrigen Methoden vernachlässigt zu werden pflegt Neben den Vorteilen, 
die die Bassini’sche Operation bietet, weist die Brenner’sche Methode 
verschiedene Vorzüge auf: das Poupart’sche Band wird geschont, der 
Verschluss auch der breitesten Bruchlücke wird stets ohne Spannung 
ermöglicht, die Fasern der vereinigten Muskelschichten, des Kremasters 
und des Obliquus internus verlaufen in gleicher Richtung. Schliesslich 
besteht die Möglichkeit, eine Leistenhernie und einen Schenkelbruch 
in der gleichen Sitzung durch die Radikaloperation zu beseitigen, ohne 
dass die eine Operation das Resultat der anderen beeinträchtigt, da ein 
Zug am Poupart’schen Band nach zwei Richtungen hin nicht zu stände 
kommt. Bei kleinen Kindern und Säuglingen empfiehlt sich die Operation 
nach Gzerny. Weibliche Leistenhernien eignen sioh ebenfalls für die 
Brenner’sche Operation. Das runde Mutterband ist stets zu schonen 
und in richtiger Spannung einzunähen. W. V. Simon. 

G. v. Lob may er-Budapest: Ungewöhnlich grosse Gallenblase 
and Gallenstein. (D. Zschr. f. Ghir., 1917, Bd. 142, H. 1 u. 2.) Der 
Gallenstein wog 65 g, nach Gewicht und Grösse steht er in der Reihe 
der bisher veröffentlichten grössten Gallensteine an sechster Stelle. 

H. Schüssler-Kiel: Beiträge zur Klinik der Cystennieren Er¬ 
wachsener. (D. Zschr. f. Ghir., 1917, Bd. 142, H. 1 u. 2.) Zusammen¬ 
fassend lässt sich über die Therapie der Gystennieren sagen: Die poly- 
cystische Degeneration der Nieren ist, wenn diagnosticiert, intern, und 
zwar nie eine Sohrumpfniere zu behandeln. Die erst bei der Freilegung 
erkannte Cystenniere ist zu reponieren; nur besondere Indikationen, wie 
profuse Hämaturien, Vereiterung, heftigste und dauernde Schmerzen und 
ausgesprochene Raumbeeqgung, erlauben die Nephrektomie, falls die 
andere Niere noch nicht nachweisbar geschädigt ist. Bei erkrankter 
zweiter Niere ist die Nephrotomie der nur bei vitaler Indikation ge¬ 
statteten Ektomie vorzuziehen. Alle Eingriffe sind unter tunlichster 
Vermeidung der Allgemeinnarkose vorzunehmen. 

G. Dardel-Bern: Klinische Erfahrungen über Kryptorehismas. 
(D. Zsohr. f. Chir., 1917, Bd. 142, H. 1 u. 2.) In der Arbeit werden 
die in den letzten 25 Jahren in der Kocher’schen Klinik behandelten 
und operierten Fälle besprochen, besonders eingehend die Therapie. Eine 
Kastration wurde nur dreimal ausgeführt wegen absoluter Kürze des 
Samenstranges bei starker Atrophie. Bei 45 von 58 operierten Fällen 
konnte der Hoden mit befriedigendem Erfolg ins Scrotum gelagert werden. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

Ranft: Antotranofuion nach Milzrnptur. (Zbl. f. Ghir., 1917, 
Nr. 47.) Mitteilung eines weiteren Falles, in dem die Autotransfusion 
des in der Bauchhöhle befindlichen Bluts in die Vena mediana cubiti 
eine ausgezeichnete Wirkung hatte. Hayward. 


Röntgenologie. 

E. Regen er: 8chärfe der Röntgenbilder und ihre Verbesserung. 
(M.m.W., 1917, Nr. 47.) Die relative Unschärfe der Röntgenschatten 
rührt her von der Flächenausdehnung der Antikathode. Je mehr die 
Ausdehnung der Antikathode sich einem Punkte nähern würde, um so 
schärfere Bilder würden erzeugt werden. Praktisch ist eine Verkleinerung 
der Antikathodenfläche nicht möglich. Eine Verbesserung der Schatten¬ 
bilder soll nun dadurch zu erzielen sein, dass die Röhre so aufgestellt 
wird, dass die Richtung der Aufnahmestrahlen ungefähr mit der Richtung 
der Antikathodenfläche zusammenfällt. Geppert. 

Lilienfeld: Die seitliche Aufnahme des Sternnm. (M.m.W., 
1917, Nr. 45.) Allein durch ganz leicht schräge Projektion ist es bei 
genauer Einhaltung der Vorschriften nicht schwer, ausgezeichnete seitliche 
Aufnahmen des Kreuzbeines, des Hüftgelenkes, des Darmbeines, der 
Skapula und des Sternum zu erhalten. Schilderung der seitlichen Auf¬ 
nahme des Sternum bezüglich der Technik, der Einstellung, der Expositions¬ 
regeln, ferner in anatomischer Hinsicht und in traumatischen und in 
pathologischen Fällen. Reckzeh. 


Ghaoul und Stierlin: Diagnose und Pathologie des Uleas diodeai. 
(M.m.W., 1917, H. 48.) Röntgenologische Studie der Veränderungen des 
Schattenbildes am Duodenum selbst. Einwandfreie Resultate sind nur 
zu erzielen bei wiederholten Aufnahmen in kurzen Intervallen und in 
verschiedenen Körperlagen. Empfohlen werden: 1. Aufnahmen nach 
Bariumbreimahlzeit im Stehen, in Bauchlage, in rechter Seitenlage, 
Wiederholung nach zwei Stunden und Aufnahme nach 6 Stunden in 
Bauchlage. 2. Aufnahmen nach Einnahme der Bariumaufschwemmung 
in Bauch- oder rechter Seitenlage mit Kompressionsblende 0,10 und 15 
Minuten nach Einnahme. Platten 24—80. Aus der Kombination und 
Vergleichung der einzelnen Aufnahmen lassen sich dann physiologische 
und pathologische Vorgänge und Veränderungen innerhalb des Duodenums 
unterscheiden. Geppert. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

R. Sabouraud: Haaraisfall bei hereditär Syphilitisches. (La 
presse med., Nr. 64, 19. Nov. 1917.) 16 instruktive Krankengeschichten 
zeigen die diagnostische Wichtigkeit der Alopecia areata insbesondere 
in Verbindung mit Zahnanomalien (namentlich des Tuberculum cerebelli, 
auf das Verf. zuerst aufmerksam machte) zur Erkennung der Erbsyphilis. 
Diese Alopecieform ist nicht immer luetisch und kann auch eine andere 
Aetiologie haben; aber sie findet sich sehr häufig bei hereditärer Lues. 

Krakau er-Breslau. 

Bernstorff: Krätse ia der Türkei. (M.m.W., 1917, Nr. 50.) In¬ 
folge der Lebensgewohnheit der armen Bevölkerung, Mangel an Rein¬ 
lichkeit, Indolenz usw. findet man in der Türkei stark vernachlässigte 
Fälle von Skabies, wie man sie in Deutschland nicht zu sehen bekommt. 
Im sogenannten, 3—4 Monate dauernden dritten Stadium der Krätze 
sind ausgedehnte Körperteile mit einem einzigen versohorften, trockenen 
Ausschlag bedeckt, nur an den Grenzgebieten sieht man Pusteln und 
Milbengäoge. Durch Abkratzen der borken artigen Sohorfe entstehen 
blutende Wunden usw. Starke Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens 
infolge des unerträglichen Juckreizes. Geppert. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

W. Zangemeister-Marburg: Studien über die SchwaBgenchafts- 
daier aad die Frachtentwicklaag. (Arch. f. Gynäk., Bd. 107, H. 3.) 
Sehr ausführliches Material und Berechnungen, die sich im kurzen 
Referat nicht wiedergeben lassen. F. Jaoobi. 

R A. Rauchales: Der Eiaflas« des ■ütterliehea Alters aad der 
Gebarteaiahl aaf die Geschlechtsbildaag des Kiades. (Inaug.-Diss. 
Freiburg 1916.) Unter Berücksichtigung der Literatur und Bearbeitung 
des G burtenmaterials der Freiburger Klinik aus den Jahren 1905—1914 
kommt Verf. zu folgenden Ergebnissen: Erstgebärende liefern an und 
für sioh die höchsten Knabenziffern. Bei jungen Erstgebärenden bis 4 
zum 23. Leben^'ahre ist die Knabenziffer am grössten, dann sinkt die¬ 
selbe stetig. Etwa vom 40. Lebensjahre ab ist eine Zunahme der weib¬ 
lichen Geburten zu verzeichnen. Nach dem 45. Lebensjahr werden 
fast nur noch Mädchen geboren. Mit steigender Geburtenzahl fällt die 
Knabenzahl. L. Zuntz (zurzeit im Felde). 

P. Baumm-Breslau: Ueber die kiadliehea Herztöie. (Arch. f. 
Gynäk., Bd. 107, H. 3.) Hirnblutungen während der Geburt kommen 
häufiger vor, als man gewöhnlich annimmt; ihr klinisches Zeichen be¬ 
steht meist in einer Beschleunigung der kindlichen Herztöne. Im 
ärztlichen Handeln sind wir gegen die Hirnblutungen machtlos. Puls¬ 
verlangsamung spricht für Atemstöruog, dabei kann die sofortige Geburts¬ 
beendigung das Kind retten; es kommt aber auch vor, dass der bis 
dahin gute Puls schlagartig aufbört, meist auch bei schwerer Gehirn¬ 
blutung. Der Verf. hat in seinem Material sechs Fälle normalen Fötal¬ 
pulses und Totgeburt; die Sektion ergab Gehirnblutungen; man kann 
annehmen, dass hier das Atemcentrum gestört war und dass der Tod 
eintrat, als das Kind auf die eigene Atmung angewiesen war, ähnlich 
wie bei Anencephalen. F. Jacobi. 

A. Hamm: RotatioBSiaage oder Drehtag aach Fehliag. (M.m.W., 
1917, Nr. 48.) Verf. macht auf Grund von Erfahrungen an der Strass¬ 
burger Klinik auf die noch nicht allgemein gewürdigten Vorzüge der 
kombinierten Drehung des Kopfes bei Gesichts- und Vorderhaupts lagen, 
wie sie Fehling in die praktische Geburtshilfe eingeführt hat, auf¬ 
merksam. Bei Anwendung dieser Lage- und Haltung-korrigierenden 
Methode mit nachfolgender Iojektion von Pituitrin kann man fast immer 
der Zange entraten. Anders liegen die Verhältnisse bei Anomalien des 
knöchernen Beckens (aber gerade hierbei kommen die Haltungsanomalien 
vor, Ref.), aus denen ein Missverhältnis zwischen Geburtskanal und 
Geburtsobjekt hervorgeht. In diesen Fällen mag die von Kielland art- 
gegebene Zange als Rotationsinstrument Anwendung finden. Geppert. 

F. Ebeler-Cöln: Ueber Hydrorrhoea amaialis. (Arch. f. Gynäk., 
Bd. 107, H. 3.) Genaue Beschreibung eines Falles; Literatur. 

H. Fehling-Strassburg-Eisass: Sind Greszvemhiebaagen 1b der 
operatives Gysähologie eingetreten und notwendig? (Arch. f. Gynäk., 
Bd. 107, H. 8.) Fehling nimmt Stellung zu dem von Krönig ver¬ 
tretenen Standpunkt des Aufgebens der operativen Therapie bei eitrigen 
Adnexerkrankungen und bei der mobilen Rückwärtslagerung der Gebär¬ 
mutter. Gerade der Krieg mit seiner Zunahme der gon. Erkrankungen 
hat eine grössere Zahl schwerer Pyosalpingen und Ovarialabscesse ge- 


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UNIVERSUM OF IOWA 









28. Jannar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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bracht, die nach den Erfahrungen des Verf. nie spontan ausheilen; man 
wird also bei derartigen Fällen naoh Beobachtung und Versuch der 
konservativen Therapie immer wieder zum Messer greifen müssen. Die 
Prognose ist gut, die Mortalität etwa 1—2 pCt., also nicht grösser, wie 
bei andern Unterleibsoperationen auch. Auch hier gilt letzten Endes 
eben noch der Grundsatz: ubi pus ibi evacua. Die Operationen bei 
R&ckwärtslagerung sind eine Zeit lang zweifellos übertrieben worden; 
das berechtigt aber noch nicht, sie jetzt völlig aufzugeben, da sicher 
eine grössere Zahl auch mobiler Retroflexionen Beschwerden machen, 
die durch Operation geheilt werden, ohne dass nervöse Symptome vor¬ 
handen gewesen wären. Natürlich darf bei Verwachsungen nicht ein 
Alexander-Adam vorgenommen werden. Zu den Anschauungen Krönig’s 
über die Strahlentherapie bei Carcinom und Myom will der Verf. noch 
keine abschliessende Stellung nehmen, da dazu die Beobaohtungszeit 
und -zahl noch nicht gross genug ist; er verweist auf die sachlich klare 
Veröffentlichung darüber von Sehauta, dessen Kritik man sich zunächst 
anschliessen könne. 

J. Hey mann-Stockholm: Unsere Resultate und Erfahrungen mit 
der RadiambehandliiBg des Gebärmutterkrebses. (Arch. f. Gynäk., 
Bd. 107, H. 3.) Der Verf. hat bei einem fast nur aus inoperablen 
Fällen bestehenden Material klinische Heilungen erreicht, die allerdings 
erst 1—2 Jabre beobachtet sind, aber den hohen Prozentsatz von etwa 
SO pCt. betragen; er hat mit Radium und zwar mit 150—225 mg ge¬ 
arbeitet, die dreimal monatlich 20 Stunden eingelegt wurden. Seine 
Beobachtungen sprechen dafür, dass wenn nicht bei den Bestrahlungen 
sehr bald ein sichtbarer Frfolg eintritt, durch Steigerung der Dosis oder 
der Bestrablungsdauer auch nichts mehr zu erreichen ist. Die Erfolge 
lassen den Verf. jedenfalls die Forderung aufstellen, auch operable Fälle 
in den Versuchsbereich zu ziehen. 

H. Fütb-Cöln: Ueber partiell operative und radiologisehe Be¬ 
händ in«c eines Fibromyoma Ligamenti lati. (Arch. f. Gynäk., Bd. 107, 
H. 3.) Bei der Laparotomie imponierte der Tumor als inoperable Neu¬ 
bildung maligner Art; deshalb Excision eines Stückes vom hinteren 
Scheidengewölbe aus; Untersuchung ergibt Fibromycm. Die darauf 
nochmals per vaginam versuchte Operation lässt den gegen das Sacrum 
zu fest verwachsenen Tumor nicht völlig entfernen; Bestrahlung bringt 
ihn zum weitgehenden Schwinden. Kasuistik. 

H. Füth-Cöln: Beiträge zum klinischen Bilde und zur Diagnose 
der Adenomyositis ateri et reeti nebst Bemerkangen in ihrer Be- 
handlnig Bit Strahlen. (Arch. f. Gynäk., Bd. 107, H. 3.) Der Verf. 
nimmt auf Grund seiner Beobachtungen und der Veröffentlichungen 
anderer Autoren an, dass die meist bei der sehr schwierigen Operation 
zurückbleibenden Tumorreste auch ohne weitere Therapie ausheilen, wenn 
man Menopause durch die Operation erreicht hat. Jetzt hält der Verf. 
den Versuch gerechtfertigt, die Tumoren primär zu bestrahlen, da 
Schick eie einen guten Erfolg damit erreichte. 

E. Weisshaupt-Berlin: Ueber die blutende Mamma. (Arch. f. 
Gynäkl., Bd. 107, H. 3.) Bei den drei Fällen waren gemeinsam cystische 
Entartung der Milcbgänge, entzündliche Infiltration und Hyperämien. 
Zwei Fälle waren maligner, einer gutartiger Natur. Eine blutende 
Mamma muss immer den Verdacht auf maligne Entartung hervorrufen. 

F. Jacobi. 


Augenheilkunde. 

Fachs: Ueber Opbthalmoplegia Interna. (W.m.W., 1917, Nr. 46.) 
Bericht über einige seltene Fälle von Ophtbalmoplegia interna. 

Reckzeh. 

G. Emanuel: Behandlung von Angeaverwandeten in der vor¬ 
dersten Angenstatton. (M m.W., 1917, Nr. 50.) Bei Verwundungen der 
Lider und Weiohteile möglichst primäre Naht unter sorgfältiger Schonung 
des Gewebes. Gute Adaptierung. Schlecht geheilte Lid wunden ver¬ 
hindern einen genügenden Schutz des Auges bzw. das Tragen eines 
künstlichen Auges. Vor einem Zeitraum von 14 Tagen wird selten 
nötig sein, zu entscheiden, ob die Entfernung eines Auges zur Ver¬ 
hütung einer sympathischen Ophthalmie nötig ist. Bei der Entfernung 
des Augapfels (Exenteration oder Enuoleation) ist auf Erhaltung der 
Bindehaut und der Muskulatur besonders zu achten. Bei Verletzungen 
des hinteren Orbitalgewebes muss die Lederbaut mit entfernt werden 
(im Falle einer Infektion). Bei perforierenden Augenverwundungen 
kommen drei Momente zur Beaohtung. Erstens Schwere der Gewebs¬ 
schädigung, zweitens die Infektion und drittens Vorhandensein eines 
intraokularen Fremdkörpers. Verletzungen, die zu Prolapsen führen, 
werden mit Bindehaut gedeckt, Hornhaut und Lederbaut selbst werden 
nie genäht. Bei Infektion mit posttraumatischer Iridocyclitis 14 tägige 
Quecksilber-Sohmierkur. Möglichst konservative Behandlung. Auch ein 
erblindetes Auge von gutem Aussehen ist von sehr bedeutendem kos¬ 
metischen Wert. Bei nioht perforierenden Augen Verletzungen kommen 
hauptsächlich Blutungen im Innern des Auges in Frage und oft 
schwierige Entfernungen der Geschosse aus dem Innern der Orbita. 

Geppert. 

0. Stuelp-Mülheim a. d. Ruhr: Ueber Kriegsbraaehbarkeit bei 
AageaveräMderuigei mit Berücksichtigung der Gewöhnung. (D. militär- 
ärztl. Zschr., 1917, H. 23 u. 24.) Verf. zeigt, dass man unter ein¬ 
gehender und wohl überlegter Beurteilung der Kriegsbrauohbarkeit bei 
logen Veränderungen — mit Ausnahme Trachomverdächtiger — durch 


genaue Untersuchungsbefunde und ihre kritisohe Bewertung, insbesondere 
auch durch neuzeitliche Feststellung der ursächlichen Verhältnisse und 
durch sacbgemässe örtliche und allgemeine Behandlung noch eine er¬ 
hebliche Anzahl „Augenkranker* dem Heeresdienst nutzbar machen kaun. 
Leider stebt diesem Vorhaben zum Teil Bestimmung der Ziffer 16 a der 
Kr.-M.-Anl. hinderlich im Wege, wonach Operationen zur Herstellung 
der Kriegsbrauchbarkeit ohne Zustimmung des Kranken oder seines 
etwaigen gesetzlichen Vertreters nicht vorgenommen werden dürfen. So 
lange diese Bestimmung bestehen bleibt, ist der Arzt nur auf seinen 
persönlichen Einfluss und den guten Willen des Kranken angewiesen. 

_ Sohnütgen. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

F. Auerbach - Detmold: Zur Erkennung der SiBilatioa voi 
Schwerhörigkeit und Taubheit. (D. militärärztl. Zschr., 1917, H. 23 
u. 24.) Der Simulant ist bestrebt, seine vorgebliche Schwerhörigkeit 
nach Möglichkeit hervortreten zu lassen, der wirklich Schwerhörige da¬ 
gegen bemüht, sein Leiden möglichst zu verdecken. Die häufigsten Züge 
des Simulanten sind scheues Ausweichen vor jeder Unterhaltung, 
auffallende Fertigkeit im Ablesen vom Munde, Ableugnung jeglicher 
Hörreste. Jede Angabe, dass jemand durch Detonations- oder Explosions¬ 
wirkung restlos taub geworden sein will, verdient wenig Glauben, soweit 
psyohogene Zustände auszuschliessen sind. Am schwierigsten zu beur¬ 
teilen sind Misohzustände von Simulation und Hysterie; Angaben dar¬ 
über. Bei anscheinend völliger Taubheit handelt es sich gewöhnlich um 
dreierlei Zustände: Organische Taubheit, psychogene Taubheit oder 
Simulation. Mitteilungen über diese Zustände. Schnütgen. 


Soziale Medizin. 

B. Valentin-Plankstetten: Die Aufgaben des Arztes in der 
wirtsehaftiichei Aosbildnig Kriegsbeschädigter. (Zschr. f. Krüppel- 
fürs., 1917, Bd. 10, H. 9.) Im Reservelazarett Plankstetten werden 
ländliche Kriegsinvalide aus dem Bereich des III. bayerischen Armee¬ 
korps, auch wenn sie sohon aus dem Militärdienst entlassen sind, durch 
Beschäftigung und theoretische Ausbildung in der Landwirtschaft und 
mit ihr in Zusammenhang stehenden Berufen weitergebildet. Die Werk¬ 
stätten und Oekonomie des Lazaretts dienen gleichzeitig als Uebungs- 
stätten für Landwirte der „Prüfstelle für Ersatzglieder Nürnberg*. Jeder 
Patient wird, falls ärztliche Bedenken nicht bestehen, in seinem Berufe 
beschäftigt, durch einen Arbeitsnachweis können die Lazarettinsassen 
auch auswärts entsprechende Arbeit erhalten und damit Geld verdienen. 
Die Einrichtungen haben sich gut bewährt. A1b Ideal für ländliche 
Invalide ist Ansiedlung.und Sesshaftmachung jedes einzelnen .zu fordern. 

Sohasse-Berlin. 

Grempe: Fahrpreisernässigaag für Heilreisei Kriegsbeschädigter 

in Begleitung. (Mschr. f. Unfallhlk. 1917, Nr. 8.) H. Hirschfeld. 


Gerichtliche Medizin. 

Rai mann: Siiiestäosehmgeii als Keaplikatioa nid ihre ge- 
riehtspsyehiatrisehe Bewertung. (W.m.W., 1917, Nr. 46.) Bericht 
über einen geistig beschränkten Gewohnheitstrinker, der in einer krank¬ 
haften mit dem Alkoholmissbrauch zusammenhängenden Gemütsver- 
stimmung Mordpläne fasste, nach Stimulierung durch Alkohol einen der¬ 
selben ausführte; zur selben Zeit befand er sich auch in einem rudi¬ 
mentären Alkoholdelirium. Reckzeh. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Cnltnr zn Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 23. November 1917. 

Vorsitzender: Herr Pohl. 

Schriftführer: Herr Rosenfeld. 

Hr. R. Pfeiffer: Bakteriologische Befaide bei Gasbrand. 

Der Vortr. berichtete über die Ergebnisse bakteriologischer Unter¬ 
suchungen, welche R. Pfeiffer und G. Bessau bei den Gasphlegmonen 
Kriegsverletzter angestellt haben und über die schon ausführlich in 
Nr. 39 bis 41 der Deutschen medizinischen Wochenschrift JahrgaDg 1917 
beriohtet worden ist. Es wurde besonders betont, dass die Gasphlegmonen 
ätiologisch nicht einheitlich sind, wie dies von anderen Forschern be¬ 
hauptet worden ist. Mindestens vier Typen von anaeroben Bakterien¬ 
arten werden in der krankhaft veränderten Muskulatur bei Gasbrand¬ 
fällen gelunden. Sie lassen sich in zwei Hauptgruppen trennen: A) 
Niohtfäulniserreger, wozu der Gasbacillus E. Fränkel und das maligne 
Oedem gehört, und B) Fäulniserreger, zu den letzteren gehört ein 
morphologisch und kulturell sobarf umschriebener Typus von Bacillen, 
die bei der Sporenbildung eine Gestalt annehmen, welche dem Aussehen 
von Uhrzeigern verglichen werden kann (Uhrzeigerbacillen), und 2. eine 
ganze Reihe von anaeroben Bakterienarten, die eine gewisse Aehnlichkeit 


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UMIVERSITY OF IOWA 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


morphologisch und kulturell mit dem malignen Oedem aufweisen, von 
diesen sich aber durch Fähigkeit in Kulturen Fäulnis zu erregen unter¬ 
scheiden (Parödembacillen). Besonders bemerkenswert ist es, dass auch 
in ein und demselben Falle von Gasphlegmonen fast niemals nur eine 
Art von Gasbranderregern gefunden wird, sondern fast immer Gemische, 
am häufigsten in dem Material, das R. Pfeiffer und G. Bessau be¬ 
arbeitet haben, nebeneinander Fränkel’sche und Uhrzeigerbacillen. Auch 
diese Bakteriengemische sind in den verschiedenen erkrankten Muskel- 
partien ein und desselben Falles sehr wechselnd zusammengesetzt, so 
dass beispielsweise in dem einen Muskel der Bacillus Frankel, in anderen 
Muskelgruppen die Uhrzeigerbacillen erheblich überwiegen können. 
Aueh mehr als zwei Typen können gelegentlich in Gasbrandmuskeln 
angetroffen werden. Diese Befunde erklären sich sehr einfach dadurch, 
dass die Erde, deren Hineingelangen bei den schweren Verwundungen 
durch Granat- oder Minenverletzungen die Ursache des Auftretens von 
Gasbrand bildet, alle möglichen Arten von anaeroben Bakterien in buntem 
Gemische enthält, die in letzter Instanz von der Düngung mit Tierbot 
herrühren. Als eine Infektion im wahren Sinne des Wortes vermag 
der Vortragende die Gasphlegmone nicht aufzufassen. Es handelt sich 
vielmehr um die Wucherung halb oder ganz sapropbytischer Erdanaeroben 
in den schwer geschädigten und in Necrobiose befindlichen Geweben, 
besonders den Muskeln. Gegen diese Auffassung spricht auch nicht die 
Tatsache, dass der Bacillus Frankel und das maligne Oedem für gewisse 
Tierarten eine erhebliche Infektiosität besitzen. Wäre auch der Mensch 
für sie in entsprechendem Maasse empfindlich, müssten die Gasphlegmonen 
auch nach Friedensverletzungen viel häufiger Vorkommen, und es müsste 
ferner ihre Entstehung auch nach leichteren Verwundungen, wenn Erde 
io die frische Wunde gelangt, viel öfter beobachtet werden, als dies 
tatsächlich der Fall ist. Vortragender wendet sich dann gegen die be¬ 
sonders von Gonradi und Bieling vertretene Ansicht, wonach die 
verschiedenen Typen der Gasbranderreger genetisch Zusammenhängen 
und als Wuchsform einer einheitlichen Art zu betrachten seien, die je 
nach dem Nährboden bald unbeweglich und ira wesentlichen sporenlos 
als Typus Fränkel erscheint, dann aber besonders auf eiweisshaltigen 
Substanzen sich in eine bewegliche üppig sporenbildende Form umwandelt. 
Diese auffälligen Ergebnisse sind nur durch die Annahme verständlich, 
dass die betreffenden Autoren mit Mischkulturen ihre Untersuchungen 
angestellt haben. 

Als besonders wichtig betrachtet Vortragender die Resultate der 
serologischen Durchmusterung der zahlreichen von ihm und Bessau 
isolierten Gasbrandstämme. Es ergab sich nämlich, dass jeder der vier 
Typen von Gasbranderregern sich in einer Unzahl von Stämmen auflösen 
liess, die agglutinatorisch ein durchaus differentes Verhalten ergeben; 
für den Bacillus Fränkel ist diese wichtige Tatsache schon 1905 durch 
E. Werner festgestellt worden. R. Pfeiffer und G. Bessau konnten 
dann zeigen, dass das Gleiche auch für das maligne Oedem und 
für die Uhrzeigerbacillen gilt, während die Parödemstämme nach dieser 
Richtung hin noch nicht genügend durchforscht sind. Es liegen also 
bei der Gruppe der Gasbranderreger ähnliche Verhältnisse vor, wie 
sie beispielsweise vom Bakterium Coli und für die Schweineseuchebacillen 
sohon laugst bekannt sind. Leider wird durch diese Feststellungen 
die Hoffnung auf eine erfolgreiche Serumprophylaxe und Serumtherapie 
stark herabgestimmt. Wenn wir annehmen, dass der Rezeptorenapparat 
dieser Mikroorganismen auch für andere Immunstoffe ähnliche Differen- 
cierungen aufweist, wie für die Agglutinine, so müssten Sera von höchster 
Polyvalenz benutzt werden; aber auch dann wäre ein Erfolg, wie er beim 
Tetanus tatsächlich beobachtet worden ist, schwerlich zu erreichen, da 
es sich bei Gasbrand in erster Linie nicht um eine spezifische Vergiftung 
handeln dürfte, sondern wesentlich um eine bakterielle Zersetzung in 
schwer geschädigten Geweben, in denen antiinfektiöse Wirkungen durch 
Sera kaum zu erzielen sein würden. 


Aerztlicher Verein zu Hambarg. 

Sitzung vom 4. Dezember 1917. 

1. Hr. Wohlwill berichtet unter Demonstration von Diapositiven 
über den Nervenbefund in dem von E. Fraenkel in einer der letzten 
Sitzungen demonstrierten Fall von Periarteriitis nodosa. Intra vitam 
war eine schwere, rasch progrediente neuritische Lähmung im Pero- 
naeus und Tibialisgebiet beiderseits nachweisbar gewesen. Die histo¬ 
logische Untersuchung der genannten Nerven ergab eine schwere ein¬ 
fach degenerative Neuritis. Im interstitiellen Bindegewebe keine 
entzündlichen Erscheinungen, keine arteriellen Veränderungen, 
Rückenmark und Wurzeln intakt. Symptome von Polyneuritis sind bei 
Periarteriitis nodosa mehrfach bestritten, man kann klinisch geradezu 
eine neuritische Form dieser Krankheit unterscheiden. Da keinerlei 
Parallelismus zwischen neuritischen und vasculären Prozessen be¬ 
steht (im vorliegenden Fall: die Arterien der Nerven völlig intakt), so 
ist die Neuritis nicht als Folge der Arterienerkrankung, sondern als 
ein durch dasselbe (unbekannte) schädliche Agens bedingte Begleit¬ 
erscheinung zu betrachten. 

2. Hr. Falkenbnrg demonstriert einen operativ geheilten Fall von 
Thrombose der Vena mesenterica snperior mit secundärer Darm¬ 
gangrän. Der Pat. kam zur Aufnahme unter Ileusersoheinungen mit 
blutigen Stühlen. Man erwartete eine In vagination zu finden, statt 
dessen obigen Befund. Resection des gangränösen Darmconvoluts mi t 
dem die thrombosierten Venen enthaltenden Mesenterium. NaCl-Spülung, 


Abreibung der Därme mit Leinöl. Heilung. Aetiologisoh kommt 
Arteriosklerose in Frage. 

S. Hr. Grahl demonstriert ein junges Mädchen mit totalem Utens* 
prolaps. (In dem Alter selten.) 

4. Hr. Helmeke zeigt a) eine Patientin mit operativ geheiltem Stira- 
hfihlenempyem als Beispiel dafür, dass die Lokalisation des 
Stirn kopfschmerzes nicht mit der des krankhaften Prozesses zu¬ 
sammenfällt, b) 2 andere an Stirihühleaempyem operierte Patienten 
zur Demonstration des kosmetischen Erfolgs (Narben kaum sichtbar), 
c) einen Patienten mit Radikaloperation des Mittelohrs. Technisches. 

5. Hr. Simmoads demonstriert das Präparat eines Stein- oder Palier- 
keriens. Entstehung durch Kalkablagerungen in pericarditischen Ver¬ 
wachsungen. Im vorliegenden Fall war Po lyarthritis vor an gegangen. 
Späterhin Circulationsstörungen mit uncharakteristischem Befund. Man 
nahm Myoc&rditis an. Sektion: gleichmässige Verkalkung des 
Pericards. Nur die Anwesenheit eines kleinen, von lockerem Binde¬ 
gewebe ausgefüllten Spaltes zwischen Herz und Kalkwand sowie die 
Zusammensetzung der letzteren aus einzelnen Platten (nach Art eines 
Schuppenpanzers) machen verständlich, dass überhaupt noch Herz¬ 
bewegungen möglich waren. Auch in der Herzwand selbst — aber 
nur in der pathologisch veränderten — kann es zu Kalkablagerungen 
kommen. Demonstration eines solchen Falles mit Herzaneurysma. 

6. Hr.Püeben berichtet über Versuche, Diphtheriebacil lenträger 
bzw. Dauerausscheider durch intraglutäale Injektionen von 
Milch bacillenfrei zu machen. Vorbedingung für das Gelingen ist das 
Auftreten eines hohen aseptisches Fiebers. Meist verschwinden die 
Bacillen 4 Tage nach der Injektion. Von 54 Dauerausscheidern wurden 
37 am 4.—6. Tage, 7 erst nach 14 Tage, 10 überhaupt nicht bacillen¬ 
frei ; von letzteren hatten aber 5 gar kein oder nur sehr geringes Fieber. 
Bei 8 Bacillenträgern sind die entsprechenden Zahlen: 4, 2 und 2. — 
P. berichtet ferner über die auf seiner Abteilung ausgeführten Unter¬ 
suchungen über Eigenantikörper (Schick’sche Reaktion). Nur die 
positiv reagierenden, d. h. solche, die keine Eigenantikörper besitzen, 
wurden bei Auftreten eines Diphtherie Falles auf der Station prophylak¬ 
tisch geimpft mit dem Resultat, dass keine Neuinfektionen vorkamen. 

7. Hr. Riegel stellt einen Patienten mit Ostitis fibrös« vor. 20jähriger 
Mann, vor 14 Tagen leichte Verletzung des rechten Armes. Grosses 
Hämatom. Trotz Massage keine Besserung, Röntgenbild: Fractur 
— mit Knickung — unterhalb des Collum Chirurg. In der Umgebung 
eine Knochencyste. Solche Cysten finden sioh im ganzen übrigen 
Skelett ebenfalls; bei leichteren Formen nur in den Röhrenknochen, 
bei schweren, wie im vorliegenden, auch in platten (Rippen!). Die Er¬ 
krankung führt zu vollkommenem Knochenschwund mit grossen Defekten 
(Demonstration des Röntgenbildes). Von dieser generalisierten Form 
sind nur einige 20 Fälle bekannt, zumeist im höheren Alter. Dia¬ 
gnose: Oft wird Sarcom diagnostisiert, zumal an den Cystenwänden 
auch Riesenzellen Vorkommen. Prognose: Viele Knochenbrüche. die 
jedoch auffallend gut heilen. Aetiologie: unbekannt (angeblich Lues, 
Rachitis, Epithelkörperdysfuoktion). Therapie: Calcium lactioum soll 
in einigen Fällen sogar zur Heilung geführt haben. 

8. Hr. Reiche berichtet über 40 auf seiner Abteilung beobachtete 
Dysenterie fälle. Fünf Fälle kamen ad exitum, davon zwei mit Kom¬ 
plikationen (Paratyphus, perforiertes Duodenalulcus). Bei der Sektion 
fand sich stets die charakteristische brandig-diphtherische Darm¬ 
veränderung. Zwei Tatsachen, die die neueren Erfahrungen uns ge¬ 
lehrt haben, haben seine Beobachtungen bestätigt: 1. die Seltenheit, 
mit der der Nachweis spezifischer Erreger — auch durch Agglu¬ 
tination — gelingt, und 2. die grosse Spärlichkeit, mit der sie im 
Fall ihres Nachweises gefunden werden (trotz stärkster Kontagiosität). 
Die klinisohe Diagnostik hat trotzdem Fortschritte gemacht, und 
zwar durch die Rectoromanoskopie, die den Krankheitsprozess fort¬ 
laufend zu verfolgen gestattet. Starke Hyperleukocytosen — bis 
50 000 kommen (entgegen Math es’ Ansicht) vor. Therapeutisch 
hat sich R. die von Cohnheim empfohlene eiweissreiohere Diät be¬ 
währt. Medikamentös gibt R. lieber Bismut per os und Klysma als 
Bolus und Tierkohle. R. warnt vor umfangreichen Klysmen (Perforations- 
gefabr!). 

9. Hr. Kümmell berichtet zunächst über zwei Fälle von Spätfeigei 
■ach Gastroenterostomie. Im ersten kam es zu Stenose, im zweiten 
zu Ulcus pepticum. K. bat im ersten Fall das Jejunum verschlossen, 
im zweiten das alkalische Leber- und Pankreassekret durch den Magen — 
zwecks Neutralisation des Magensaftes — geleitet. In beiden Fällen 
guter Erfolg. Sodann berichtet K. über 9 Fälle von Querresektion 
des. Magens wegen Ulcus, die alle in den letzten Monaten nötig 
wurden, während er im Frieden in 4 Jahren nur 22 mal diese Operation 
auszuführen brauchte. Gastroenterostomie hati in diesen Fällen 
keinen Erfolg. Die Querresektion wird trotz der Schwere des Ein¬ 
griffs meist gut vertragen. Nur ein Fall, der ausgeblutet zur Aufnahme 
kam, starb. Demonstration der Präparate und der Röntgenbilder. 
Letztere zeigen nach der Operation starke peristaltisohe Ein¬ 
ziehungen, besonders an der Nahtstelle. 

10. Besprechung des Vortrags des Herrn Hirsch. 

Hr. Haenisch findet die Vorzüge der Lilienfeldröhre nicht 
so gross, dass man deshalb sein altes Instrumentarium schon zum alten 
Eisen werfen müsse. H. bespricht eine Reihe technischer Einzelheiten, 
feowie die Anwendung der Radiotherapie bei inneren Krankheiten, 
besonders bei Leukämie, bei der zunächst eine erhebliohe Besserung 


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28. Januar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


95 


erzielt wird. Auch das meist nach einem halben Jahre auftretende erste 
Reoidiv reagiert noch gut, die immer schneller folgenden immer weniger. 

Hr. Albers-Schönberg teilt die radiotherapeutisch angreifbaren 
Erkrankungen ein in solche, die mit Röntgenstrab len heilbar sind, 
solche, die erheblich gebessert werden können, und solche, bei denen 
nur subjektive Besserung zu erzielen ist. Er bespricht diese ein¬ 
zelnen Krankheitsgruppen, sowie die Tumoren, für die die Indikation 
lautet: Operable operieren, inoperable bestrahlen, operierte nachbe¬ 
strahlen. A.-S. glaubt nicht, dass man mit den barten Strahlen für 
die tiefsitzenden Tumoren viel weiter kommt, da schwere Darmschädi- 
gungen bei Bestrahlung von einem Portiooarcinom nachgewiesen sind. 

Hr. Lorey bespricht ebenfalls eine Reihe radiotherapeutisch an¬ 
greifbarer Krankheiten. Bei akuter Leukämie und perniciöser 
Anämie hat er gar keine, bei Pseudoleukämie bessere Erfolge als bei 
(chronischer) Leukämie gesehen. L. regt an, in bestimmten Fällen 
temporäre Sterilisation durch Röntgenbestrahlung zu versuchen. 

F. Wohlwill-Hamburg. 


NatarhUtorisch-medizinischer Verein za Heidelberg. 

Sitzung vom 20. November 1917. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Homburger. 

1. Hr. Rost: 

Heber Harnverhaltung der Kinder ohne organische Grundlage. 

Es werden 2 Kinder vorgestellt, ein drittes Kind, das mit dem 
gleichen Leiden behaftet war, konnte zur Versammlung nicht erscheinen. 
Der Befund bei den 3 Kindern wich in wesentlichen Punkten nicht von¬ 
einander ab: Die Hauptbeschwerde bestand in Harnverhaltung und 
Uchuria paradoxa. Ausser Balkenblase in einem Falle war eine orga¬ 
nische Grundlage für diese Beschwerde nicht gefunden worden; mehr¬ 
fache Divertikelbildung in einem Falle; mit der Pyelographie konnte 
im anderen die hochgradige Erweiterung beider Ureteren — wohl infolge 
Stauung des Urins — festgestellt werden, ln den ersten 2 Fällen wurde 
die Sectio alta durchgefübrt und eine Sphincterdehnung von innen her 
vorgenommen. Danach rasche Heilung der Inkontinenz. Im dritten 
Falle wurde eine Injektion von Novocain-Adrenalin um den Sphincter 
internus (Injektioosstelle zwischen Anus und Prostata) gemacht, wonach 
sofort der Urin im Strahl gelassen werden konnte; es trat bisher kein 
Reoidiv auf. Vortr. nimmt eine rein lokale Störung an (Desinnervation), 
die durch lokale Behandlung der Heilung zugänglich ist. 

2. Hr. Wilma: 

Ueber Dauerspasmus an Cardia, Pylorna, dem Sphincter der Blase 
Und des Mastdarms. 

Dem Pylorospasmus könnte eine Störung der Koordination von 
Schliess- und Oeffnungsmuskel vorliegen. Es ist weiterhin die Frage von 
Interesse, ob die Hypertrophie primär oder sekundär zustande kommt. 
Vortr. hält die Hypertrophie für eine sekundäre, also für Arbeitshyper¬ 
trophie. Die weitere Frage ist, ob etwa der Oeffnungsrefiex fehlt. Er 
hält es für wahrscheinlich, dass die Oeffnung des Pylorus noch möglich 
ist, jedoch dieser Oeffnungsrefiex nur unter ganz bestimmten Bedin¬ 
gungen entsteht, nämlich unter der Einwirkung starker Reize, etwa ähn¬ 
lich wie die Cardia sich erst öffnet beim Cardiospasmus beim Kitzeln 
des Zungengrundes. 

Den Klappenventilverschluss bei der Harnverhaltung hält Vortr. für 
seltener, als gewöhnlioh angenommen wird. 

Für die Hirschsprung’sche Krankheit existieren drei Erklärungs¬ 
möglichkeiten: 1. Die angeborene Dilatation des Colons infolge Schwäche 
der Darmmuskulatur, wie sie Hirsehsprung noch selbst annahm; es ver¬ 
hält sich aber in Wirklichkeit nicht so. 2. Ventilartiger Verschluss am 
Uebergang vom Colon zum Sigmoideum. 3. Funktioneller Verschluss 
des Sphincters. Bei älteren Fällen sieht man häufig Ventilbildungen, 
doch bei jüngeren Krankheitsbildern fehlt ein klappenartiger Verschluss 
vollständig. Der Kot ist dabei oft direkt oberhalb des Anus fühlbar. 
Therapie: Beim Pylorospasmus schlägt Vortr. in den schweren Fällen die 
Ramstedt’sche Operation vor; im letzten Jahre drei sohwere fälle mit Er¬ 
folg operiert. Beim Cardiospasmus ist er für Dehnung, aber auch lür, hier 
allerdings doppelseitige Inzision der Sphinctermuskulatur. Beim Sphinc- 
terenkrampf der Blase rät auch er wie Rost zur lojektionsbehandlung 
und zur Dehnung. Bei Hirschsprung’scber Krankheit rät Vortr. zur 
Dehnung, eventuell Inzision des Sphincters ähnlich wie bei der Ramstedt- 
schen Operation. 

S. Besprechung der Vorträge der Herren Bettmann, Rost aad Willi® 
(Sitzung vom 6. Nov. 1917). 

Hr. M oro: Auoh bei Kindern lässt sich die Beziehung von Enuresis 
zu nasskalter Witterung, ähnlich wie Herr Bettmann dies bei Soldaten 
gesehen hat, nachweisen; häufig wird dabei Pollakisurie beobachtet. 
Diese Zustände können beim Eintritt trockener Witterung bei den 
Kindern verschwinden. Der Zusammenhang von Enuresis mit Mastur¬ 
bation lässt sich schwer erweisen, da die Masturbation eben viel häufiger 
ist wie die Enuresis. Die therapeutischen Resultate bei den Kindern 
waren meist gute; von 43 Fällen waren 32 geheilt worden. M. emp¬ 
fiehlt die suggestive Behandlung (Tropfen, faradischer Strom, eventuell 
Hypnose). Weoktherapie, Atropin, Durstkuren, vegetarische Diät hatten 
keinen Erfolg. 

Hr. Homburger: In der Anamnese der Enuretiker wird jugend¬ 


liches Einnässen häufig angetroffen. Oft ist es so, dass die Kinder be¬ 
reits rein waren, dann aber aus einem äusseren Anlass etwa im 3. bis 
5. Lebensjahr, plötzlich anfangen sich einzunässen. Besonders häufig 
wird dies bei Gelegenheit eines längeren Krankenlagers beobachtet, wie 
überhaupt die kindliche Psyche bei solcher Gelegenheit in ein früheres 
Entwicklungsstadium zurücksinkt. Die Milieufrage spielt eine mächtige 
Rolle; die Vernachlässigung des Kindes stellt oft die einzige Ursache dar. 
Sehr häufig wird abnorme Schlaftiefe festgestellt, ln der Pubertätszeit, 
wo eine grosse Zahl der Enuretiker rein wird, besteht auch ein ge¬ 
ringeres Schlafbedürfnis und geringere Tiefe des Schlafes. Die Heredität 
spielt eine gewisse Rolle. Das Fehlen manifester Symptome von 
Psychopathie bei gewissen Enuretikern lässt noch nicht den Zusammen¬ 
hang mit psychopathischer Veranlagung eingeschlossen erscheinen, da 
sich letztere oft viel später zeigen kann. 

Hr. Rap pich fand unter 1300 in einem internistischen Lazarett 
zur Beobachtung gekommenen Oifizieren nur einen einzigen mit Bett¬ 
nässen. Hingegen beobachtete er, dass in einem russischen Gefangenen¬ 
lager die Russen sektionsweise Enuresis bekamen. 

Hr. Wilms ist der Ansicht, dass die „unheilbaren“ Fälle doch der 
chirurgischen Therapie zugeführt werden sollten. 

Hr. Bettmann bespricht das Resultat der Diskussion. 

Steokelmaoher. 

K. k. Gesellschaft der Aerzte za Wien. 

Sitzung vom 1. Juni 1917. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Riehl demonstrierte mehrere Fälle einer eigentümlichen 
Melanose. 

Man sieht im Gesicht und an der behaarten Kopfhaut eine tiefbraune 
Pigmentierung, aber auch an Stellen, welche der Belichtung nicht aus¬ 
gesetzt sind, z. B. unter den Mammae. Am Rand setzt die Bräunung 
nicht scharf ab, sondern man sieht Knötchen und Flecken. Tätowierung 
und Argyrie ist ausgeschlossen, ebenso Melanose, wie sie nach Arsenge¬ 
brauch vorkommt. Man muss daher innere iutoxikation annehmen, wie 
sie bei Addison und der Pellagra vorkommt. Bei der grossen Aehnlich- 
keit mit Pellagra muss eine Toxikose infolge der Ernährung angenommen 
werden; Brot ist bekanntlich jetzt aus sehr unreinem Mehl bereitet. 

Hr. Exner stellte einen 28jährigen Mann vor, bei dem er 1913 
wegen eines ausgedehnten Mastdarmcarcinoms die Resektion des Rectoms 
vorgenommen hat. 

Da das Garcinom auf die hintere Blasenwand übergegriffen hatte, 
wurde diese mit dem Blasenhals, dem Trigonon und den unteren 
Ureterenenden mitreseciert, die Prostata, die Samenblasen und Teile 
der Vasa deferentia mitentfernt. Jetzt kam Pat. wegen Blasenstörungen. 
Es bestand eine sakrale Blasenfistel; in der Blase waren einige Btasen- 
steine, die entfernt wurden, worauf sich die Fistel schloss. Keine 
Carcinomrecidive. Die früher normale Vita sexualis ist wesentlich beein¬ 
trächtigt, obwohl Hoden und Nebenhoden anscheinend normal sind. 

Derselbe stellte ferner einen 35jährigen Mann vor, der wegen 
Oesopbagasdilatation operiert wurde. 

Vor 18 Jahren Sturz aus einem Wagen, hierauf Schmerzen im 
Magen. Der Pat. war drei Monate im Spital, nähere Angaben fehlen. 
Anfangs konnte er so ziemlich alles essen; allmählich kamen Be¬ 
schwerden; er erbrach alle festen Speisen. Magenblutung war nie vor¬ 
handen. Bei fleischloser Diät fand man Blutspuren im Stuhl und schloss 
auf einen uloerösen Prozess. Die Röntgenuntersuchung zeigte eine 
enorme Dilatation des unteren Teiles des Oesophagus und eine Striktur 
der Cardia. Bei gefülltem Oesophagus wurde das Herz komprimiert; es 
traten Atemnot, Cyanose, Pulsbeschleunigung auf. Es wurde vorerst 
Gastrostomie gemacht und, nachdem der Pat. sich gekräftigt hatte, die 
subphrenische Gastro Oesopbagostomie. Glatte Heilung. Der Pat. kann 
alles essen und hat sich sehr erholt. 

Hr. Riss: 

Ueber die hygienische! Einrichtungen an der Isonzofront. 

Das Impfwesen ist geregelt; gegen Cholera wird alle drei Monate, 
gegen Typhus alle sieben Monate geimpft. Blatternimpfungen werden 
ad hoc bei Blatterngefahr gemacht; gegen Dysenterie wurde gelegentlich 
geimpft; jeder Verwundete erhält Tetanusserum. Das zur Impfung nötige 
Material hat jeder Truppenarzt in einem Impfkästchen. 

Die Resultate der hygienischen Fürsorge sind befriedigend. Im 
Jahre 1915 war der Stand an Infektionskrankheiten wesentlich höher als 
1916. Die akuten Exantheme zeigen ein stetes Absinken, doch handelt 
es sich immer nur um veieinzelte Fälle. Die Geschlechtskrankheiten 
sind immer gleich hoch, sie gehen aber nie viel über 30 pCt. Es ist 
jetzt eine Tendenz zum Absinken. Von Typhus wurden 35 pCt. bakterio¬ 
logisch sichergestellt. Von den bakteriologisoh positiven Fällen starben 
9,3 pCt., von den negativen nur 3,5 pCt. Paratypbus hat eine Mortalität 
von 2,5 pCt. Bei Dysenterie hatten 5 pCt. Kruse-Shiga-Typhus mit 
5,7 pCt. Mortalität, die atoxischen Formen hatten 2,4 pCt. Mortalität. 
Cholera hatte eine Mortalität von 25pCt. Variola, Scharlach, Masern 
kamen nur vereinzelt vor, ebenso Meningitis epidemica, die 50 pCt. 
Mortalität hatte. Erysipel war häufig, trat aber nicht epidemisch auf. 

Malaria ist häufig, im Juni beginnt der Anstieg, im August bis 
September ist der Höhepunkt, dann sinkt die Kurve. Die Chinin¬ 
prophylaxe wird durohgeführt; allerdings ist es während grosser Schlachten 
unmöglich, die Durchführung zu kontrollieren, daher nach jeder grossen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 4. 


Schlacht ein Ansteigen der Malaria. Man sieht fast nur Malaria tertiana; 
Malaria quart&na ist selten, Malaria tropica vereinzelt. Die Müokenver- 
tilgungskolonnen können nichts leisten, da jeder Granattrichter sich mit 
Wasser lüllt und eine Brutstätte der Mücken wird. 

Rückfallfieber ist vereinzelt, kein Todesfall. Die venerisohen Krank¬ 
heiten sinken, die öffentliche Prostitution ist geregelt; von da kommen 
selten Infektionen zur Beobachtung. Gegen die geheime Prostitution 
ist man machtlos. 


Sitzung vom 8. Juni 1917. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Kefler stellte einen Mann vor, bei dem vor 14 Monaten wegen 
Carcinoma die linke Larynxhälfte entfernt werden sollte. 

Die Operation war nicht durchführbar, da der Tumor auf die Weich¬ 
teile übergegriffen hatte. Hierauf energische Radium- und Röntgen¬ 
behandlung. Der Tumor schwand vollständig, der infiltrierte Hals wurde 
weich. Im November kam es zu Nekrose des Ringknorpels, und es 
bildete sich ein Tracheostoma. Mit einer mit Jodoformgaze umwickelten 
Kanüle kann der Patient sprechen und essen. 

Hr. ?. Eiseberg führte eine Frau vor, bei der er vor 5 Jahren 
ein grosses Endothelinm der Dir* operiert hat. 

Die Patientin erkrankte unter Aphasie, Lähmungserscheinungen 
und Kopfschmerz. Der Schädel wurde aufgeklappt, 13 Tage später 
wurde der grosse Tumor mit einem fünfkronenstückgrossen Teil der 
Dura exstirpiert, der Schädel zugeklappt. Heilung. Alle Symptome 
schwanden. Bisher keine Recidive, so dass von Dauerheilung gesprochen 
werden kann, was bei Endothelium der Dura sehr selten ist. 

Hr. Sauerbruch - Zürich als Gast sprach über die kiioplaatiaehe 
Operation bei Armampntierten. 

Der Grundgedanke Vanghettis ist vom Redner ausgenützt worden, 
indem er als Hauptsache die Schaffung eines Muskels von erheblicher 
Hubhöhe und genügender Kraft angesehen bat. Alle früheren Methoden 
sind an der geringen Hubhöhe und unzulänglichen Kraft gescheitert. 

Nehmen wir an, der Kranke habe eine kräftige Beugemuskulatur, 
so wird quer durch den Muskel ein Stift gelegt. Man schneidet zu 
diesem Zweck quer zur Längsachse einen gestielten rechteckigen Haut¬ 
lappen aus, der Lappen wird übergeklappt; hernach wird quer duroh 
den Muskel der Kanal gebohrt und durch entsprechende Dilatatoren 
weit gemacht. Der Hautlappen wird zu einem Schlauch gerollt und 
der eingerollte Schlauch duroh den Muskelkanal gezogen und an die 
Wundränder angenäht. Wir haben dann quer duroh den Muskel einen 
mit Haut gut au9gefütterten Kanal; mit der Zeit entsteht eine dicke, 
feste Arbeitssohwiele. Damit ist die chirurgische Aufgabe erfüllt. Der 
Kanal kann mit einem Stift armiert werden, der die Bewegungen des 
Muskels auf die Maschine überträgt. 

Nachdem es möglich ist, beträchtliche Kraftleistungen auszuüben, 
ist es klar, dass die gestellte Aufgabe praktisch zu lösen ist, wenn 
eine entsprechende Hand zu konstruieren möglich ist. Wir sind so weit 
gekommen, dass für die Unterarmstümpfe für Berufe, bei welchen es 
nioht auf sohwere Arbeit ankommt, eine Maschine gebaut werden kann, 
die billigen Anforderungen entspricht. 

Bei Oberarmamputierten ist die Sache so, dass sie für die gewöhn¬ 
liche leichte Tätigkeit genügt; wir haben aber nooh keine Arbeitshand 
für schwere Berufe. Die Hauptschwierigkeit bei einem Berufe, bei 
welchem durch längere Zeit gewisse Bewegungen gemacht werden müssen, 
besteht darin, das9 die Muskulatur durch den Tonus, in den sie hinein¬ 
gerät, ermüdet und erschlafft. Wir müssen daher die aktive Kon¬ 
traktion des Muskels eine Zeitlang ersetzen durch eine Sperre. Wir 
haben jetzt eine Sperre, welche durch den Zug des Muskels eingestellt 
und durch einen zweiten Zug gelöst werden kann. 

Es wäre unbillig, wenn man die grosse Bedeutung der Arbeitshand 
verschweigen wollte, die nach anderen Systemen gebaut ist. H. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Am 23. Januar fand eine ausserordentliche Sitzung der 
Vereinigten ärztlichen Gesellschaften (Berliner medizinische 
Gesellschaft) zu Ehren der ärztlichen Abteilungen der Waffenbrüclerliohen 
Vereinigungen Oesterreich-Ungarns und Deutschlands statt. Nach der 
Begrüssungsansprache des Herrn Kraus hielt Herr Orth einen Vortrag 
„Ueber einige Tuberkulosefragen“. Zum Schluss sprach Herr L. Landau 
im Namen der Berliner medizinischen Gesellschaft und der Verwaltungs- 
kommission des Langenbeck-Virohow Hauses. 

— Die Tagung der Aerztliohen Abteilung der Waffen¬ 
brüderlichen Vereinigung wurde am 24. d. M. in festlicher Sitzung, 
zu der sich ausser den Vertretern der Behörden, der Stadt Berlin, der 
Universität, der Aerzteschaft zahlreiche Gäste aus Oesterreich-Ungarn 
und der Türkei eingefunden hatten, dureh Herrn Ministerialdirektor 
Kirchner eröffnet; auf seine Ansprache erwiderte in längerer Rede 
S. K. H. Prinz Friedrich Wilhelm von Preussen, der in Ver¬ 
tretung I. M. der Kaiserin erschienen war. Alsdann nahmen die Herren 
Ministerialdirektor Schiffer, Staatssekretär Wallraf und Kultusminister 


Schmidt das Wort; Exzellenz v. Schjerning hielt den an der Spitze 
dieser Nummer abgedruckten Vortrag. Es folgten dann noch die An¬ 
sprachen der Herren v. Hochenegg-Wien, v. Grosz-Budapest, des 
Bürgermeisters Dr. Reicke, Sr. Magnifizenz des Rektors der Universität, 
Geheimrat Penok, Geheimrat Dippe und Geheimrat Stoter. 

— Am 21. d. M. begann die auf drei Tage berechnete zweite 
Hauptversammlung der Prüfstelle für Ersatzglieder. Der 
.Vorsitzende Senatspräsident Dr. Eonrad Hartmann eröffnete mit 
einer Ansprache die Tagung, an der ausser der Kaiserin unter anderem 
der Kriegsminister v. Stein, der Generalstabsarzt der Armee und Marine 
Dr. v. Schjerning und Uthmann, die Leiter des Reichsversicherungs¬ 
amtes und Reiohsgesundheitsamtes Dr. Kaufmann und Bumm, Mini¬ 
sterialdirektor Dr. Kirchner teilnahmen. Den ersten Vortrag hielt 
Oberstabsarzt Dr. Schwiening über die Aufgaben und Entwicklung 
der Prüfstelle für Ersatzglieder. Oberingenieur Dr. Beckmann sprach 
über die Schwerbeschädigten, besonders die Armlosen in der Industrie 
und die Einrichtung von Vermittlungsstellen. Chefarzt Dr. Radioke 
vom Lazarett in Görden zeigte, wie Schwerbeschädigte in der Landwirt¬ 
schaft nutzbringend beschäftigt werden. 

— Geheimrat Otto Heubner beging am 21. d. M. in voller Ge¬ 
sundheit uod Frische seinen 75. Geburtstag. Mit seinen zahlreichen 
Schülern, Freunden und Patienten gedachte auch unsere Wochensohrift 
in verebrungsvoller Dankbarkeit an diesem Tage des Führers der deut¬ 
schen Kinderheilkunde. H. K. 

— Die medizinische Fakultät der Universität Würzburg hat dem 
Professor Dr. Albers-Schönberg in Hamburg für seine Arbeiten auf 
dem Gebiete der Röntgenstrahlen die silberne Ri neck er-Medaille 
und den damit verbundenen Preis von 1000 Mark verliehen. 

— Aus der Martin Brunner’schen Stiftung in Nürnberg ge¬ 
langt, wie schon früher bekannt gemacht, alljährlich an eine in Deutsch¬ 
land tätige Person eine Gabe von ungefähr 1500 M. als Preis für 
hervorragende wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiete der Er¬ 
forschung und Bekämpfung der Krebskrankheiten zur Verteilung. Be¬ 
werbungen sind bis spätestens 1. September dieses Jahres beim Stadt¬ 
magistrat Nürnberg einzureichen. 

— Frau Direktor Minden, die schon früher erhebliche Mittel als 
„Blindenspende für augenverletzte Krieger“ dem Berliner Magistrat zur 
Verfügung gestellt hat, hat ihre Spende um den Betrag von 100000 M. 
erhöht. 

— Frau Marie Maass und ihre Kinder haben der Stadt Berlin 
40000 M. zur Verwendung für erholungsbedürftige Kinder überwiesen. 

Hochschulnachrichten. 

Kiel. Habilitiert: Dr. Gerhard Wagner aus Berlin, Assistent 
am Hygienischen Institut, für Hygiene und Bakteriologie. — Königs¬ 
berg i. Pr. Geheimrat Prof. Ernst Meyer, Direktor der psychiatri¬ 
schen Klinik, wurde zum Prorektor der Universität für das Studienjahr 
Ostern 1918/19 gewählt. — Marburg. Geb. Medizinalrat Prof. Emil 
W. Mannkopff, Ordinarius für innere Medizin, früherer Direktor der 
medizinischen Klinik, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. — Tü¬ 
bingen. Prof. Otto Nägeli, Direktor der medizinischen Poliklinik, 
hat einen Ruf an die Universität Zürich erhalten. — Basel. Oberarzt 
Dr. Vogt in Aarau ist zum ausserordentlichen Professor und Direktor 
der Universitätsaugenklinik ernannt. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Grossh. Oldenburgisches Friedrich August- 
Kreuz II. Klasse am rot-blauen Bande: Priv.-Doz. in d. mediz. 
Fakult. und Leiter d. Abteil, f. konservierende Zahnheilkunde am 
Zahnärztl. Institut d. Universität in Breslau Prof. Dr. Bruok. 

Niederlassungen: Dr. Ph. Diel in Berlin, Dr. Herrn. Finke, Dr. 
Elisabeth Reeder und Dr. Ida Krauss in Marburg, Heinrich 
Lorenz in Essen (Ruhr), Marie Delhaugne in Bonn. 

Verzogen: H. Pfleging von Stettin nach Hohenkrug (Kr. Greifen¬ 
hagen), Dr. F. Grunert von Gbarlottenburg nach Neustettin, Dr. 
Hugo Mbses von Untergriesbach (Bayern) nach Glowitz (Ldkr. Stolp), 
Priv.-Doz. Dr. R. Hanser von Rostock nach Breslau, Dr. Paul 
Schwarz von Salzbrunn nach Schweidnitz, Dr. A. Thamm von 
Langenschwalbabh nach Obarlottenbrunn (Kr. Waldenburg), Dr. Felix 
Wiegandt von Hornburg nach Braunlage, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
H. Seilheim von Tübingen nach Halle a. S., Dr. M. Spelthahn 
aus dem Felde nach Leunawerke (Kr. Merseburg), Dr. D. Asch- 
kanesi von Düsseldorf, Dr. V. Brandes von Charlottenburg und 
Aerztin Lea Thimm von München nach Berlin, Dr. Edmund Da¬ 
vid sohn von Berlin nach Charlottenburg. 

Gestorben: San.-Rat Dr. D. Munter in Berlin, Geh. Med.-Rat Dr. 
E. Zunker in Charlottenburg, Geh. San.-Rat Dr. A. Wietheger in 
Drensteinfurt (Kr. Lüdinghausen), San.-Rat Dr. Cb. Michelet und 
Dr. F. Krönig in Gross Nenndorf (Kr. Grafsch. Sohaumburg), San.- 
Rat Dr. 0. Kohnstamm in Königstein i. T., Dr. J. Hillers in 
Waldböokelheim (Kr. Kreuznach). 


Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Hana Kohn, Berlin W, Bayreuther 8tr. 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirschwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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BERLINER 


CH« B*tlla«r Klintoeh« Woeh«t»ichrift erscheint Jedes 
Mooug io Nummern von ca. S—6 Bogen gr 4. — 
ProU vierteljährlich 7 Mark. BMiellungeo nehmen 
alle Buchhandlungen und Poetanstalten an. 


Alle Blnaendungen für die Redaktion und Rxpedltloa 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald ln Berlin NW., Unter den Linden 
Nr. 68, adressieren. 



Organ für praktische Äerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

(Ml Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Prot Dr. Hans Kobn. 


Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 

Montag, den 4. Februar 1918. 

32 5. 

Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 

James Israel zu seinem 70. Geburtstage. 


Origiualiei: Straass: Ueber KongeBtivschmerz und Kongestivblutung 
der Nieren. (Aus der inneren Abteilung des jüdisohen Kranken¬ 
hauses zu Berlin.) S. 97. 

Karewski: Ueber Gesiohtsplastiken bei Kriegsverletzten. (Ulustr.) 
S. 102. 

Aron: Bedürfen wegen Magen- und Duodenalgesohwür Operierte 
der Nachbehandlung? S. 108. 

Abel: Die Fortschritte der Nierenohirurgie in ihren Beziehungen 
zur Gynäkologie und Geburtshilfe. (Aus der gynäkologisch- 
geburtshilflichen Abteilung des jüdischen Krankenhauses in Berlin.) 
S. 110. 

Bosenstein: Die Aktinomykose der menschlichen Harnorgane. 

BiekerbespreehugeB : Strauss: Die Nephritiden. S. 117. (Bef. Posner.) 

— Triepel: Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte. S. 117. (Bef. 

Bawitz.) — v. Jesohke: Physiologie, Pflege und Ernährung des 


Neugeborenen, einscbliesslioh der Ernährungsstörungen der Brust* 
kinder in der Neugeburtszeit. S. 117. (Bef. Müller.) — Oppen¬ 
heim: Beiträge zur Kenntnis der Kriegsverletzungen des peripheri¬ 
schen Nervensystems. S. 118. (Bef. Unger.) 

Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 118. — Pharmakologie. S. 118. — 
Therapie. S. 118. — Allgemeine Pathologie und pathologische Ana¬ 
tomie. S. 119. — Parasiten künde und Serologie. S. 119. — Innere 
Medizin. S. 119. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 119. — 
Chirurgie. S. 120. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche Ge¬ 
sellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Fortsetzung der 
Besprechung über die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft. 
S. 121. — Medizinische Gesellschaft zu Kiel. S. 127. — 
Aerztlicher Verein zuMünohen. S.127. — K. k. Gesellschaft 
der Aerzte zu Wien. S. 127. 

Tagesgesohiohtl. Notizen. S.127. — Amtl. Mitteilungen. S. 128. 


James Israel zu seinem 70. Geburtstage. 


Aus der inneren Abteilung des jüdischen Kranken¬ 
hauses zu Berlin. 

Ueber Kongestivschmerz und Kongestivblutung 
der Nieren. 

. Von 

H. Stranss. 

J. Israel’s „Chirurgische Klinik der Nierenkrankheiten u 
stellt auch heute noch, 17 Jahre nach ihrem Erscheinen, eine un¬ 
erschöpfliche Fundgrube für jeden dar, welcher sich für Nieren¬ 
fragen interessiert. Unter den einzelnen Kapiteln dieses in der 
Nierenliteratur einzig dastehenden Werkes, das durch Gründlichkeit 
der Beobachtung, Scharfsinnigkeit der Deutung und Klarheit der 
Darstellung in gleicher Weise ausgezeichnet ist, besitzt für den 
Internisten kaum ein Kapitel ein höheres Interesse, als dasjenige 
„Ueber renale Hämaturien, Nephralgien und Koliken bei scheinbar 
unveränderten Nieren“. J. Israel hat nicht nur zn diesem auch 
jetzt noch häufig diskutierten Grenzgebiet zwischen innerer Medizin 
nnd Chirurgie zahlreiche grundlegende Beiträge geliefert, sondern 
in seinem Buche dem genannten Kapitel eine auch heute noch 
mustergültige Darstellung gegeben. Wie vielfach das vorliegende 
Kapitel in den letzten 20 Jahren diskutiert worden ist, ergibt 
sich schon ans einer Aufzählung der zahlreichen Namen, welche 
zur Kennzeichnung des vorliegenden Befundes gewählt worden 
sind. Es sei nur an die Nephralgie hömaturique (Sabatier), 
die essentielle Hämophilie (Schede), die konstitutionelle renale 
Hämophilie (Senator), die angioneurotische Nierenblutung (Ktem¬ 
pere r), die Koliknepbritis (Csuper) erinnert. Deshalb erscheint 
eine neue Erörterung der Frage nnr dann berechtigt, wenn sie 
unter besonderen Gesichtspunkten erfolgt. Es dürfte einen 
mindestens aktuellen Reiz besitzen, die vorliegende Frage einmal 
im Lichte von Fragestellungen und Erfahrungen zn erörtern, 
die wir im Zusammenhang mit dem Kriege in machen Gele¬ 


genheit hatten. Ist doch eine solche Betrachtung möglicherweise 
auch geeignet, Gesichtspunkte zu liefern, die nicht bloss für die in 
Rede stehende Frage, sondern auch für manche die Kriegs - 
nepbritis betreffenden Probleme ein praktisches Interesse besitzen. 

Wenn- man von „idiopathischen“ oder „essentiellen“ Nieren¬ 
blutungen spricht, so ist dieser Begriff verschieden, je nachdem man 
ihn mitoderohne Einbeziehung des operativen bzw. autoptischen 
Befundes einschliesslich der mikroskopischen Untersuchung ex- 
cidierter Partikelchen fasst. Im ersteren Falle ist die Zahl der 
betreffenden Fälle sehr gering, im letzteren Falle schon grösser. 
Durch Untersuchungen von verschiedenen Autoren, ganz besonders 
von J. Israel, haben wir erfahren, dass bei den genannten Zu¬ 
ständen sehr häufig zirkumskripte, herdförmige, insuläre Ver¬ 
änderungen entzündlicher Natur in der betroffenen Niere gefunden 
werden. Allerdings sind Widersprüche gegen eine ätiologische 
Deutung dieser Befunde laut geworden — es sei hier nur an die 
allen Teilnehmern in lebhaftester Erinnerung befindliche Diskussion 
zwischen Senator 1 ) und Israel 2 ) über die vorliegende Frage er¬ 
innert —, es sind aber doch von chirurgischer Seite so viel über¬ 
einstimmende Befunde in dem oben genannten Sinne geliefert worden 
— nach einer schon vor 10 Jahren gemachten Zusammenstellung 
von Kretschmer 8 ) ergaben unter 61 mikroskopisch untersuchten 
Fällen 52 ein positives Resultat im Sinne nephritischer oder 
nephritisähnlicher Veränderungen —, dass eine Bedeutung dieser 
Befunde für die vorliegende Frage nicht bezweifelt werden kann. 
Man hat speziell auch von einseitigen hämatogenen Nephritiden 
gesprochen [J. Israel, Casper 4 ) u. a.]. Diese Frage ist aber 
auch heute zum mindesten in Bezug auf die Häufigkeit ihres 
Vorkommens noch sehr umstritten. So hat Kotzen borg 5 ) ihr 


1) Senator, D.m.W., 1902, Nr. 8. 

2) J. Israel, ibid. Nr. 9. 

3) Kretschmer, Zsohr. f. Urol., 1907, Bd. 1. 

4) Casper, M.m.W., 1909, Nr. 42. 

5) Kotzsnberg, Zsohr. f. Urol., 1908, Bd. 2. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Vorkommen überhaupt bezweifelt und Kümmel 1 ) hat erst jüngst 
noch auf Grund zahlreicher Untersuchungen ausgesprochen, dass 
es sich bei den Füllen der vorliegenden Art trotz selten vor- 
kommender Ausnahmen doch in der Regel um eine Erkrankung 
beider Nieren handelt. Es ist dabei aber auffällig, dass trotz 
doppelseitiger gleichartiger anatomischer Veränderungen in 
den betreffenden Fällen meist doch nur einseitige klinische 
Aeus8erungen dieser Veränderungen im Sinne von Blutungen und 
von Schmerzen beobachtet worden sind. Die Entstehung der 
klinischen Aeusserungen der Krankheit muss also einen be¬ 
sonderen Grund haben. Soweit die Blutungen in Frage kommen, 
lassen sich diese unschwer damit erklären, dass es für das Zustande¬ 
kommen derselben genügt, wenn nur in der einen Niere eine 
kleine Anzahl von Blutgefässchen geplatzt ist. Was die Schmerz¬ 
anfälle betrifft, so hat zur Zeit die von Israel vertretene Auf¬ 
fassung, nach welcher das Zustandekommen der Schmerzanfälle 
auf eine plötzlich eingetretene Nierenkongestion zurückzuführen 
sind, am meisten Geltung. Sieht man doch auch bei der Palpation 
durch Druck auf eine Wandelniere recht häufig Schmerz auftreten. 
Auch die Wirkung bei operativen „entspannenden“ Eingriffen ist 
geeignet, der Kongestionstheorie, der Theorie des „Nierenglaukoms“ 
(Harrison), eine kräftige Stütze zu geben und zwar nicht bloss 
soweit die Erklärung des Scbmerzparoxysmus in Frage kommt, 
sondern auch in Bezug auf die Erklärung der Blutungen. Kann 
man sich doch das Zustandekommen von unilateralen Massen- 
blutungen auch aus kleinsten Einrissen recht gut erklären, wenn 
man berücksichtigt, dass durch eine irgendwie bedingte intrarenale 
Druck Steigerung aus einer „Tropfenblutung“ eine „Massenblutung“ 
erzeugt werden kann. Aus diesem Grunde erscheint es mir zweck¬ 
mässig, im vorliegenden Zusammenhang direkt von „Kongestiv¬ 
schmerzen“ und „Kongestivblutungen“ und ebenso von 
„Kongestivalbuminurie“ 2 3 ) zu sprechen. Da die Ursache der 
intrarenalen Drucksteigerung, wenn auch keineswegs immer, so doch 
häufig in einer mangelnden Nachgiebigkeit, in einer „Starr wand ig- 
keit“ der Nierenkapsel zu suchen ist — unter 14 Fällen von 
Israel wurden 9 mal und unter 9 Fällen von Rovsing 8 ) 6 mal, d. h. 
im Ganzen in % der Fälle, Verwachsungen gefanden —, die 
bei beiderseits gleicher Intensität des renalen Processes doch auf 
der einen Seite stärker ausgeprägt sein kann als auf der anderen, 
so wird unser Augenmerk bei der Betrachtung der vorliegenden 
Frage im besonderen Grade auf die Nierenkapsel gelenkt, wo¬ 
mit u. a. schon eine Brücke zwischen den Israelischen und 
Senator’schen Auffassungen geschlagen wird. Haben doch ver¬ 
schiedene Autoren von der Dekapsulation dieselben Erfolge ge¬ 
sehen wie von der Nephrotomie. Nächstdem werden wir auf mecha¬ 
nische Veränderungen am Nierenstiel hiogewiesen, die — so u. a. 
bei Wandernieren — zu einer akuten vorübergehenden Kongestion 
der Nieren führen können. Erinnert doch ganz allgemein das 
Bild der „idiopathischen“ Nierenkolik in gar manchen Zügen an 
jene eigenartigen Fälle von akuter rapider paroxysmaler 
Leber-Kongestion,die oft an die Schmerzanfälle bei Gallenblasen¬ 
erkrankungen oder bei Magengeschwüren erinnern, die aber in 
Wirklichkeit dadurch zustande kommen, dass sich eine venöse 
Stauung in der Leber sehr rasch und zum ersten Mal entwickelt. 
Bekanntlich führen im Gegensatz hierzu die langsam entstandenen 
oder häufiger wiederkehrenden „vulgären“ Stauungen in der 
Leber, die bereits einen gedehpten Leberüberzug vorfinden, nur 
selten zu dem Krankheitsbilde der schmerzhaften Leber-An¬ 
schoppung. Auf die Kapsel werden wir in dem vorliegenden 
Zusammenhang auch durch die Befunde von Kotzenberg hin¬ 
gewiesen, welcher auf Grund von 12 Beobachtungen der Kümmell- 
schen Klinik bemerkt, dass in fast allen Fällen die Entzündungs¬ 
herde lediglich auf die Rinde beschränkt waren. Zum min¬ 
desten spricht der schon erwähnte meist doppelseitige Charakter 
des Nierenprozesses und das nur temporäre Auftreten der An¬ 
fälle für die Wirksamkeit lokaler — aller Berechnung nach 
mechanischer — Faktoren. Mit der hier erörterten Starrwandig- 
keitder Kapsel oder mit Kompressions- bzw. Strangulationsvorgängen 
am Nierenstiel sind selbstverständlich die Möglichkeiten, welche 
zu einer temporären intrarenalen Drucksteigerung führen können, 
keineswegs erschöpft, sondern nur die häufigeren Ursachen er¬ 
wähnt. Jedenfalls ist aber die Zahl der Fälle, in weichen der 
anatomische Befund keinen ausreichenden Grund für die Blutung 
oder den Schmerz ergeben hat, eine sehr kleine. Kretsch¬ 

1) Kümmel, M. Kl., 1916, Nr. 35. 

2) Diese stellt eine Parallele zu der „Kompressionsalbuminurie" 
dar, die man bei Wandernieren durch Druokvon aussen erzeugen kann. 

3) Rovsing, Mitt. Grenzgeb. f. inn. Med., 1902, Bd. 10. 


mer (1. c.) erwähnt unter 61 Fällen nur 9 Fälle, in welchen die 
mikroskopische Untersuchung der blutenden Niere ein negatives 
Ergebnis zeitigte, und Kotzenberg (I. c.) erkennt nur für 2 Fälle 
an, dass entzündliche Veränderungen gefehlt haben. 

Zu vergleichenden Betrachtungen zwischen den vorstehend er¬ 
örterten Fällen und den „Kriegsnephritiden“ ist deshalb An¬ 
lass, weil auch bei diesen in Stadien, in welchen schon eine 
weitgehende Restitution hinsichtlich des Gesamtbefindens 
und des Urinbefundes zu bemerken ist, nicht ganz selten als be¬ 
sonders prägnantes, oft mehr oder weniger alleinstehendes, zum 
mindesten das Krankheitsbild beherrschendes Symptom der 
Nierenschmerz oder die ßlutungstendenz oder beides zu konsta¬ 
tieren ist. Schon aus den Friedenserfahrungen war es den In¬ 
ternisten bekannt, dass eine gewisse, allerdings nicht grosse, Anzahl 
von akuten Nephritiden zeitweilig über dumpfe, drückende, manches 
Mal aber auch direkt neuralgiforme Schmerzen in der Nieren¬ 
gegend klagen. Bei den akuten „Kriegsnephritiden“ ist die Zahl 
dieser Fälle von „Nephritis dolorosa“ jedoch entschieden höher. 
Lipowski 1 ), Jungmann*), Nonnenbruch 8 ), Weinberg 4 ) u. a. 
haben auf solche Beobachtungen speziell hingewiesen, L.Michalis 6 ) 
sah die Nierenschmerzen zuweilen in solcher Heftigkeit auftreten, 
dass man direkt an Nierenkolikeu denken konnte, und G. Rosen¬ 
feld 6 ) hat die „Golica nephritica“ auf dem Boden der Kriegs¬ 
nephritis jüngst zum Gegenstand einer besonderen Betrachtung 
gemacht. Wiedemann 7 ) sah die Kreuz- und Nierenschmerzen 
in 73 pCt. der Fälle. Naunyn 1 ) sah sie „fast immer“, Lohn¬ 
stein 9 ) fand sie häufig auch in der Rekonvalescenz. Ferner 
sind Klagen über Harndrang und Dysurie von Klevelsberg 10 ), 
Jungmann (1. c.), Bruns 11 ), Klein und Pu Tay 1 *), Liles 18 )u.a. 
vermerkt, und auch ich habe eine ganze Reihe von Fällen von 
Kriegsnephritis in Erinnerung, bei welchen Kreuzschmerzen, die 
zeitweise direkt kolikartigen Charakter trugen, mit Dysurie in 
einem solchen Grade verbunden waren, dass ich intensiv mit der 
Differential-Diagnose Uro-Lithiasis gerechnet habe. Speziell habe 
ich 3 Fälle in Erinnerung, bei welchen ich zu diesem Zwecke 
Röntgenaufnahmen ausführen liess. Viel zahlreicher und mit 
Rücksicht auf die Beurteilung der militärischen Verwend¬ 
barkeit von noch weit höherem praktischem Interesse sind 
aber die Fälle von akuter Kriegsnephritis, bei welchen nach 
Schwinden der Allgemeinerscheinungen und der ausgeprägten 
nephritischen Veränderungen am Urin nur noch ein rein häma- 
turisches Stadium zurückblieb, d. h. bei welchen trotz Fehlens 
von Eiweiss oder trotz Vorhandenseins von nur minimalen Ei weiss¬ 
spuren eine nur auf mikroskopischem Wege nachweisbare 
„Rest-Erythrurie“ 14 ) noch durch Monate bestehen blieb. Für 
die Beurteilung dieser Beobachtungen verdient in dem vor¬ 
liegenden Zusammenhang eine Mitteilung von Neisser und 
Hei mann 16 ) eine Erinnerung, welche schon im Frühstadium 
der Kriegsnephritis eine ausgeprägte Hyperämie beider Nieren 
feststellen konnten und von Vorstadien sprechen, „wo klinisch 
neben Zirkulationsstörungen nur funktionelle Störungen nach¬ 
weisbar“ waren. Neisser und Heimann haben ausserdem (1. c.) 
bei Kaninchen mehrfach durch wiederholte Abkühlungen (6 Mi¬ 
nuten dauerndes Eintauchen in Wasser von 5 Grad) ähnliche 
Zustände hervorrufen können, wie sie in dem genannten autop- 
tiscben Befund zutage getreten sind. Es liegt deshalb die An¬ 
nahme nahe, dass die Fälle von akuter Kriegsnephritis, in welchen 
die kolikartigen Nierenschmerzen besonders in den Vordergrund 
traten, durch eine besondere Plötzlichkeit und Intensität der An¬ 
schoppung veranlasst waren, die ihrerseits entweder durch eine 


1) Lipowski, Die acute Nierenentzündung und ihre Behandlung. 
Würzburger Abhandlungen, 1916. 1IL Suplementband. 

2) Jungmann, D.m.W., 1916, Nr. 32, und Warschauer Kongress. 

3) Nonnenbruch, M.m.W., 1916, Nr. 31, und Warschauer Kongress. 

4) Weinberg, W.kl.W., 1916,Nr.37. 

5) L. Michaelis, D.m.W. 1916, Nr. 10. 

6) G. Rosenfeld, B.kl.W., 1917, Nr. 34. 

7) Wiedemann, D.m.W., 1917, Nr. 21. 

8) Naunyn, D.m.W., 1917, Nr. 13. 

9) Lohn stein, Zschr. f. Urol., 1917. 

10) Klevelsberg, M.K1., 1916, Nr.30. 

11) Bruns', Zschr. f. kl. Med., Bd. 83, H. 3 u. 4, und Warschauer 
Kongress. 

12) Klein und Pulay, W.kl.W., 1915, Nr. 48. 

18) Liles, W.kl/W., 1916, Nr. 37. 

14) loh habe diesen Ausdruck statt des längeren „Rest-Erythrooyturie* 
gewählt, trotzdem der Urin in den vorliegenden Fällen hellgelb und klar 
und nicht rot auszusehen pflegt. 

15) Neisser und Heimann, Warschauer Kongress, 1916. 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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besondere Starrwandigkeit der Nierenkapsel oder durch andere, 
das Zustandekommen einer akuten Kongestion erleichternde, 
mechanische Momente ausgelöst wurde. Eine solche Auffassung 
der Dinge hat für die vorliegende Groppe j Angst auch G. Rosen - 
feld (1. c.) geftnsaert, und es bat J. Israel seinerzeit schon bei 
der Erörterung der „renalen Hämaturien* 1 nicht nur ausgesprochen, 
dass Nephritiden mit renalen Schmerzanfällen einhergehen können, 
welche völlig den Nierenkoliken bei Abflusshindernissen gleichen, 
sondern auch betont, dass bei Nephritiden Schmerzirradationen 
auf die Blase und Harnröhre Vorkommen können. Auch das 
Vorhandensein von monatelang andauernden „Rest-Erythrurien“, 
die auch nach dem Verschwinden der übrigen nephritischen Er¬ 
scheinungen noch monatelang bestehen bleiben — ein Befnnd, 
der uns aus der Friedenserfahrung speziell bei den post-anginösen 
und post-8carlatinösen Nephritiden sehr wohl bekannt ist — weist 
in gleicher Weise auf hyperämische Prozesse hin. Es ist dabei 
im Hinblick auf die sogenannten „chirurgischen 11 3 Nephritiden von 
Interesse, dass Franke und Mehrer 9 ) bei akuten Kriegsnephritiden 
in dem hier ins Auge gefassten Ausheilungsstadium mittelst des 
Dretheren-Katheterismus sehr ausgeprägte Unterschiede im 
Verhalten beider Nieren feststellen konnten, während im 
Höhestadium der Krankheit solche Unterschiede fehlten. Die 
Reparation geht also, wie es scheint, nicht immer in 
beiden Nieren gleichmässig vonstatten! Die Deutung des 
Befundes der „Rest-Erythrurie 11 ist aber deshalb von so grosser 
praktischer Wichtigkeit, weil von ihr die Dauer der strengen 
Behandlung, insbesondere der Bettbehandlung bei der akuten 
Nephritis abhängt. Will man einen Patienten, welcher nach 
Ueberwindung der ausgeprägten Erscheinungen einer Nephritis 
noch einzelne Erythrocyton ausscheidet, noch bis zum Verschwinden 
der letzten Erythrocyten im Bette lassen, so kann man die Dauer 
der Bettruhe in vielen Fällen auf mehr als ein Jahr ausdehnen. 
Da aber eine solche ausserordentlich lang dauernde Bettruhe 
unter Umständen sogar zu Schädigungen des Patienten (Muskel¬ 
schwäche, Verweichlichung im Sinne einer Steigerung der Neigung 
zu Erkältungen usw ) führen kann, so erscheint es für die Er¬ 
örterung der vorliegenden Fragen förderlich, einmal ganz all¬ 
gemein die Frage zu diskutieren, welche semiotische Bedeu¬ 
tung überhaupt dem Befunde vereinzelter Erythrocyten 
im Urin xukommt. Eine Besprechung dieser Frage erscheint 
auch' aus dem Grunde am Platz, weil unsere Auffassungen über 
diesen Punkt wie ich glaube einige Aenderungen erfahren müssen. 

Es war schon lange bekannt, dass unter dem Einfluss sport¬ 
licher Ueberanstrengungen gelegentlich Erythrocyten im Urin 
auftreten können. Schon vor vielen Jahren hat J. Müller*) be¬ 
richtet, dass unter dem Einfluss von Radfahren Erythrocyten- 
cylinder im Urin auftreten können. Christensen 4 ) fand bei 
11 Fechtern 2mal Erythrocyten, sowie bei 19 im Winter ge- 
wohnbeitsmässig in offener See Badenden 6 mal Albumen, 
18mal hyaline und körnige Cylinder und 4mal Erythrocyten. 
Feigel und Querner 5 ) fanden bei den Teilnehmern eines 
Armeegepäckmarsches in 80 pCt. hyaline Cylinder nnd in l 7 / i 
dieser Fälle, d. h. 20 pCt., Erythrocytencylinder. In 85 pCt. der 
Fälle fiel die Benzidinprobe auf Blut positiv aus. Wiederholt 
hat man auch unter dem Einfluss von Ueberanstrengungen, be¬ 
sonders nach Märschen und Ritten kurzdauernde Massen- 
blutungen beobachtet [v. Leyden 9 ), Klemperer; Senator, 
Fürbringer, Mankiewitz, Klink, Askanazy, Schönfeld, 
Lifschitz*) u. a.], die sich sogar in einzelnen Fällen bei gleicher 
Gelegenheit wiederholt haben. Durch Untersuchungen von 
L. F. Meyer 9 ) und Nassau®), welche während des jetzigen 
Krieges ausgeführt sind, haben wir ausserdem noch erfahren, dass 
nicht selten nicht bloss eine „Steh-Albuminurie 11 , sondern 
auch eine „Steh-Hämaturie 11 bei Soldaten vorkommt. L. F. 
Meyer und Nassau fanden bei etwa einem Viertel der unter¬ 
suchten Soldaten, welche beim Liegen und Gehen keine Eiweiss- 

1) Einer mündliohen Mitteilung von Herrn Kollegen Blumenfeld- 
Gleiwits entnehme ich, dass auch dieser in 2 Fällen von Kriegsnephritis, 
bei welchen der Exitus im Höhestadium eingetreten war, bei der Autopsie 
eine sehr starke Schwellung der Nieren mit sehr hochgradiger, direkt 
an Strangulation erinnernder, Kapselspannung beobachtet hat. 

2) Franke und Mehrer, D. Aroh. f. klin. M., 1917, Bd. 122,H. 4—6. 

3) J. Müller, M.m.W., 1896. 

4) Christensen, D. Aroh. f. klin. M., Bd.98. 

5) Feigel und Querner, Zschr. f. klin. M., 1916, Bd. 83, H. 3 u. 4. 

6) v. Leyden und die übrigen Autoren, oit. bei Lifsohitz. 

7) Lifsohitz, Sohweiz. Korr. Bl., 1915, Nr. 47. 

8) L.”F. Meyer, M. Kl., 1917, Nr. 17. 

9) Nassau, Zsohr. f. klin. M., 1917, Bd. 84, H. 1 u. 2. 


Ausscheidung gezeigt haben, nach 1—Inständigem Stehen oder 
nach 2ständigem Postenstehen im Schützengraben Albuminurie 
sowie Cylindrurie und in mehr als der Hälfte der Reagierenden 
(unter 85 Fällen 19 mal) Blutbeimengungen zum Urin und zwar 
bald nur in der Form vereinzelter roter und weisser Blutkörper¬ 
chen, bald in solchen Mengen, wie bei einer hämorrhagischen 
Nephritis. Bei gleichen Untersuchungen, die Nassau an 40 im 
Alter zwischen 18 und 50 Jahren stehenden Civilisten ausgeführt 
bat, konnte allerdings nur ein einziger positiver Befund erhoben 
werden. Auch Jehle 1 ) hat schon bei der orthotischen Albu¬ 
minurie der Kinder und Jugendlichen im „ortbotisch u gelassenen 
Urin gelegentlich Erythrocyten nachweisen können. L. F. 
Meyer und Nassau haben ihre Beobachtungen im Sinne von 
Jehle als Folge einer durch Lumballordose mit Kompression der 
Vena cava inferior entstehenden Nierenstaunng gedeutet. Da 
sehr viel dafür spricht, dass auch bei den sportlichen und durch 
Ueberanstrengung erzeugten Albuminurien und Erythrurien 
eine venöse Stauung in den Nieren stattfindet — auch bei der post- 
epileptischen Albuminurie hat Munson 9 ) autoptisch eine Nieren¬ 
kongestion nachgewiesen —, und da weiterhin eine solche 
Nierenkongestion bei manchen Personen, z. B. bei den 
konstitutionell* Sch wachen, vor allem bei den typischen Vertretern 
des Habitus asthenicus leichter auftritt, als bei anderen — Nassau 
scbliesst sich auf diesem Gebiete meinen eigenen 8 ) früheren 
Auffassungen an —. so wird die differential-diagnostische 
Bedeutung des Erythrocytenbefundes im Urin als Kri¬ 
terium für bistogene und lithogene Veränderungen 
in den Nieren und Harnwegen erheblich eingeschränkt. 
Mir selbst sind nach dieser Richtung hin schon seit längerer Zeit 
Bedenken gekommen, und ich habe diese auch schon in der ersten 
Auflage meiner „Nephritiden“ 4 ) angedeutet. Ich habe deshalb 
in der letzten Zeit bei Kranken ohne offenkundige Nierensymptome 
genauestens auf Erythrocyten im Urin untersuchen lassen. Es 
zeigte sich dabei das überraschende Ergebnis, dass unter 
1200 Kranken, welche weder an Nephritis, noch an 
Nierenstein oder NierentuberkuIse, Nierentumor oder 
an Erkrankungen der Harnwege gelitten haben, fast 
Ys vereinzelte Erythrocyten im Urin zeitweilig auf¬ 
wiesen. Da ich anf die Besprechung der bei diesen Unter¬ 
suchungen erhobenen Befunde an anderer Stelle genauer zurück¬ 
kommen werde, so will ich hier nur bemerken, dass die posi¬ 
tiven Erythrocytenbefunde besonders anf Herz- oder 
Gefässkrankheiten entfielen bzw. bei einer Zahl von Fällen 
während oder kurz nach einer Infektionskrankheit, atso 
nnter Verhältnissen festgestellt werden konnten, welche an die 
Möglichkeit einer Cirkulationsstörung in den Nieren denken lassen. 

Diese Untersnchungsergebnisse zeigen, dass der Uebertritt von 
Erythrocyten in den Urin erheblich häufiger erfolgt, als man 
an vielen Stellen bisher annahm, und unter Bedingungen vor 
sich gehen kann, die bisher nicht immer genügend berück¬ 
sichtigt worden sind. Sie sind deshalb in ihrer Gesamtheit ge¬ 
eignet, die bisherige Art der differential-diagnostischen 
Benutzung de« Erythrocytenbefundes im Urin mehr oder 
weniger zn modifizieren. Staunngsblutungen sind in Zu¬ 
kunft nicht bloss bei ansgesprochenen Herzstörungen, sondern als 
„Mikro-Hämaturien“ auch in weiterem Umfange als bisher 
differential diagnostisch zu berücksichtigen. Soweit Schluss¬ 
stadien von Kriegsnephritiden interessieren, ist für die zahl¬ 
reichen Fälle von monatelang dauernder „Rest-Erythrurie“ die 
Frage berechtigt, ob nicht ein Teil dieser Fälle, wenigstens so¬ 
weit diese einen ausgesprochen orthotischen Typus oder eine 
orthotische Verstärkung darstellen (dies ist keineswegs bei allen 
zu finden), im Sinne der Meyer-Nassau’schen Beobach¬ 
tungen d. h. mehr oder weniger als Folge einer „Ermüdungs¬ 
kongestion“ 5 ) zu erklären ist. Je mehr man im einzelnen Falle 
Grnnd zu der Auffassung hat, dass die „Rest-Erythrurie“ znm 
Teil durch Kongestion und nur zum Teil durch Reste des ent¬ 
zündlichen Prozesses bedingt ist, um so mehr wird nicht nur ein 
aktives Vorgehen im Sinne der Tonisierung gerechtfertigt er¬ 
scheinen, sondern auch unser Urteil über eine dienstliche 


1) L. Jehle, Die lordotische Albuminurie. Deutioke, Leipzig und 
Wien 1909. 

2) Munson, New York med. journ., 1909. 

3) H. Strauss, D.m.W., 1908, Nr. 48, u. B.kl.W., 1910, Nr. 5 u. 
a. a. 0. 

4) H. Strauss, Die Nephritiden. Berlin-Wien, Urban 6 Schwarzen¬ 
berg, 1916, 1. Aufl., S. 20. 

£2 5) loh werde an anderer Stelle diese Auffassung genauer begründen. 

!• 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Wiederverwendung und ganz allgemein über die Zukunfts¬ 
beurteilung des Patienten nach der günstigen Seite beein¬ 
flusst. Lassen doch, wie ich in einem dem Wissenschaftlichen 
Senate bei der Kaiser Wilhelms-Akademie erstatteten Referate 1 ) 
über „Richtlinien über die militärärztliche Beurteilung ven Nieren¬ 
kranken u ausgeführt habe, eine Reihe von Erfahrungen der 
letzten Zeit die Auffassung zu, dass für die prognostische Beur¬ 
teilung der Mehrzahl der hier interessierenden hartnäckigen 
„Rest-Erythrurien“ kein Anlass zu einer pessimistischen Beur¬ 
teilung vorliegt, obwohl man erst in Jahren ein endgültiges 
Urteil über diese Fälle wird abgeben können. Immerhin verdienen 
aber die hier besprochenen Befunde insofern volle Beachtung, als 
längeres Strammstehen, insbesondere Postenstehen (Wachtdienst) 
von den Betreffenden nach Möglichkeit fernzuhalten ist. 

Die vorstehenden Befunde,die ganzallgemein auch für zahlreiche 
Fragen der Versicherungsmedizin von Bedeutung sind, er¬ 
scheinen mir aber auch für die Beurteilung der Pathogenese und 
der Diagnose der zu Beginn besprochenen „essentiellen“ oder 
„idiopathischen“ Niereublutungen und der Fälle von „Neph- 
ralgia haematurica“ voller Beachtung wert. Da wir aus dem 
Vorstehenden gesehen haben, dass bei gegebener Disposition 
schon sehr geringe Grade von Stauung genügen, um einen — 
wenigstens mikroskopisch nachweisbaren — Uebertritt von Erythro- 
cyten in den Urin zu gestatten, so wird der Faktor 
„Stauung“ auch für die Beurteilung der Pathogenese der hier 
genannten Zustände in ein verstärktes Licht gesetzt. Wenn wir 
uns erinnern, dass in einer grossen Zahl der Fälle der vor¬ 
liegenden Art bei der Biopsie insuläre entzündliche Prozesse fest¬ 
gestellt worden sind, und dass in anderen Fällen diffuse chronisch 
entzündliche Prozesse nachgewiesen werden konnten, so werden 
wir den Tatsachen keinen Zwang antun, wenn wir in den ge¬ 
nannten Fällen eine gewisse Vulnerabilität, eine „Blutungsbereit¬ 
schaft“, eine Art „lokaler hämorrhagischer Diathese“ an¬ 
nehmen, die manifest wird, sobald sich eine akute intrarenale 
Drucksteigerung zu dem Dauerzustand hinzugesellt. Mit einer 
solchen Auffassung lässt sich mindestens sehr gut die Ein¬ 
seitigkeit der Blutung oder des Schmerzes bei doppel¬ 
seitigem Sitz der Erkrankung erklären. Wir tun also, wie auch 
bei vielen anderen krankhaften Zuständen, auch hier gut, eine 
Dauerdisposition und einen auslösenden Faktor getrennt 
zu betrachten. In bezug auf die erstere muss theoretisch schon 
eine ganz minimale circumskripte Läsion am Gefässapparat einer 
einzelnen Niere genügen, um die Möglichkeit einer „Mikro Hämat¬ 
urie“ oder je nach der Grösse des Risses oder des im ge- 
gegebenen Zeitpunkt vorhandenen intrarenalen Druckes auch einer 
„Makro-Hämaturie“ zu geben. Insuläre Nieren Veränderungen ein¬ 
seitiger Art haben wir besonders bei den auf hämatogener 
Grundlage entstandenen akut infektiösen Nephritiden kennen ge¬ 
lernt („Nephritis apostematosa“). So habe ich u. a. vor einigen 
Jahren selbst einen derartigen Fall von im Anschluss an Angina 
entstandener, einseitiger, durch Golibacillen erzeugter Nephritis 
apostematosa erlebt, welche nach der von Prof. Israel ausge¬ 
führten Nephrektomie völlig geheilt blieb. Aber auch unter den 
doppelseitigen Nephritiden gibt es gelegentlich Fälle von Insular¬ 
nephritiden. Ausser den ascendierenden und den eitrig meta¬ 
statischen sowie den septisch interstitiellen Herdnephritiden 
haben wir hier vor allem die sogenannte blande embolische Herd¬ 
nephritis und die arteriosklerotische Sohrumpfniere (im Sinne 
ven Ziegler) zu berücksichtigen. Ferner haben wir aus den 
schon erwähnten Untersuchungen von Franke und Mehrer (1. c.) 
erfahren, dass auch die Abheilung der akuten Nephritiden nicht 
immer in beiden Nieren gleichzeitig und gleicbmässig vor sich 
geht. Residuen solcher akuter Insularnepbritiden können lange 
bestehen bleiben und innerhalb einer einzelnen Niere lange 
Zeit einen Locus minoris resistentiae abgeben, auf dessen 
Boden dann eine plötzliche Drucksteigerung zu einer Nieren¬ 
blutung oder zu einer Nierenkolik Anlass geben kann. Mit. der 
hier geschilderten Auffassung der Dinge verträgt sich auch die 
Anschauung, dass eine Nierenblutung gelegentlich einmal sogar 
auch schon auf dem Boden einer durch vasomotorische Ein¬ 
flüsse bedingten Fluxion durch eine akute intrarenale Druck¬ 
steigerung bewirkt werden kann. Haben wir doch neuerdings durch 
die Experimente von E. Weber 2 * ), H. Bickel 8 ) u. a. erfahren, 

1) Vöff. aus dem Gebiete des Milit.Sanitätsw., H. 67. Berlin 1918, 
A. Hirsohwald. 

2) E. Weber, Arch. f. Phys., 1907, 1909, u. a. a. 0. 

8) H. Bickel, Die wechselseitigen Beziehungen zwischen psychi¬ 

schem Geschehen und Blutkreislauf. Leipzig 1916, Veit & Cie. 


wie rasch und wie intensiv durch Nerveneinflüsse Blutverschie¬ 
bungen, insbesondere in der Richtung nach der Bauchhöhle, erzeugt 
werden können. Ausserdem wissen wir aus den Untersuchungen 
von L. Asher 1 ), dass die Blutfülle in den Nieren zunimmt, so¬ 
bald der Sympathicustonus nachlässt. Mit Rücksicht hierauf hat 
neuerdings v. Dziembowsky 2 ) die orthotische Albuminurie direkt 
als ein vagotoniscbes Phänomen betrachtet, eine Auffassung, die 
ich allerdings nur für einen Teil der Fälle als zutreffend er¬ 
achte, die aber doch nach den weiter oben erörterten Beziehungen 
zwischen „orthotischer Albuminurie“ und „orthotischer Hämaturie“ 
auch in dem vorliegenden, die Frage der Nierenblutungen ins 
Auge fassenden, Zusammenhang Beachtung verdient. Dürfte es 
doch mehr als ein Zufall sein, dass gerade beim längeren 
Strammstehen bzw. Postenstehen die hier erwähnten zu¬ 
nächst auffälligen Befunde von lordotischer Erythrurie erhoben 
worden sind, weil sich nicht selten bei diesen Leistungen ausser 
der Lordostatik auch noch besondere vasomotorisch schädlich 
wirkende Momente, wie insbesondere die Ermüdung, geltend 
machen. 

Ueberhaupt scheint mir im Hinblick auf Fragen der Nieren¬ 
zirkulation der Faktor „Ermüdung“ in dem vorliegenden 
Zusammenhang mehr Beachtung zu verdienen. Berichtet doch 
u. a. Goldscheider 8 ), dass Rekonvalescenten von akuten Nephri¬ 
tiden gelegentlich auch bei Gartenarbeit „infolge Bückens“ ein 
Wiederauftreten von Eiweiss und Erythrocyten erkennen liessen, 
was ich auch im Sinne einer Ermüdung deuten möchte. Die Er¬ 
müdung scheint mir auch bei der Deutung der Fälle von 
neurogener und psychogener Albuminurie Berücksichtigung zu 
verdienen, welche Veil 4 ) vor einiger Zeit an der Hand eines be¬ 
sonders interessanten Falles zum Gegenstand einer genaueren 
Besprechung gemacht hat. Auf die Bedeutung einer Schwächung 
der Nierenzirkulation für die vorliegende Frage werden wir auch 
durch die Beobachtungen von primär niedrigem Blutdruck bei 
Fällen von orthotischer Albuminurie (Veil’s Beobachtungen), 
sowie über das Zustandekommen einer „orthotischen Hypotonie“ 
bei geschwächten Personen [J. Schütz 6 )] hingewiesen. Dass 
ferner auch durch Kälteeinwirkung (Witterungseiuflüsse), sei es 
primär oder erst sekundär (d. h. durch Erschlaffen primär ischämisch 
gewesener Gefässpartien), eine Hyperämie der Nieren zustande 
kommen kann, haben wir schon weiter oben erörtert. In den 
Begriff des Kongestivschmerzes und der Kongestivblutung lassen 
sich also auch manche Fälle ohne nachgewiesenen anatomischen 
Befund an den Nieren einbeziehen, wenn nur einerseits eine ge¬ 
wisse Gefässpermeabilität, andererseits eine Kongestion vorhanden 
ist. Einen recht eigenartigen Fall, bei welchem anscheinend 
vasomotorische Einflüsse eine Rolle gespielt haben, hatte, ich 
erst in letzter Zeit zu beobachten Gelegenheit. 

Bei einem 36 jährigen stark neuropathischenPat. entwickelten sieh nach 
einer Chloroformnarkose Magenbeschwerden, die in mehrtägigen mit etwa 
4 wöchentlichen Intervallen auftretenden Anfällen von Magen schmerzen 
und Erbrechen auftraten. Bei solchen Anfällen kam es stets zum Er¬ 
brechen von hellrotem Blut. Bei den ersten Anfällen soll auch hellrotes 
Blut im Stuhl beobaohtet worden sein. Einige Male will Patient auch 
ein rötliches Aussehen des Urins im Anfall beobachtet haben. 

Der objektive Befund ergab einen zart gebauten, blass aussehenden, 
unterernährten Patienten, bei welchem die Untersuchung von Herz, 
Lungen und Bauchorganen nichts auffälliges ergab. Von Seiten des 
Nervensystems konnte ausser stark entwickelter allgemeiner Reizbarkeit 
nur Zittern, Lidflatttern und Neigung zu Schwächeanfällen mit Blass¬ 
werden festgestellt werden. Mehrfach konnten Anfälle in der vom Pat. 
beschriebenen Art einschliesslich der beschriebenen Farbenveränderung 
des Urins beobachtet werden. In der Regel ging diesen ein Blasswerden 
mit Sohwindelgefühl voraus, und es fand sich auf der Höhe des äusserst 
schmerzhaften Anfalls meist ein ausgesprochener Meteorismus mit Spannung 
der Bauchdecken. Die Untersuchung des Urins ergab im Anfall Btets 
grössere Mengen von Erythrocyten, ebenso enthielt das Erbrochene Blut. 

Eine genaue Funktionsprüfung sowie Röntgenuntersuchung des 
Magens und Darms ergab niohts Abnormes. Auch die von hervor-' 
ragenden specialistischen Seiten ausgeführte Untersuchung der oberen 
Luftwege und der Harnwege einschliesslich Uretherenkatheterismus ergab 
keinen Hinweis auf ein organisches Leiden der betreffenden Organe. 
Ebenso ergab die Röntgenuntersuchung der Nieren und Harnleiter einen 
negativen Befund. Dagegen konnten in der Zwischenzeit in dem klar 
aussehenden hellen Urin häufig vereinzelte Erythrocyten und Spuren 
von Eiweiss nachgewiesen werden. Cylinder oder Krystalle fanden sioh 
jedoch nie. 

1) L. Asher, D.m.W., 1915, Nr. 84. 

2) v. Dziembowsky, Ther. d. Gegenw., 1916, H. 9, u. a- a. 0. 

3) Goldscheider, Zsobr. f. physik. diät. Ther., Nov. 1917. 

4) Veil, M.m/W., 1918, Nr. 49. 

5) J. Schütz, D.m.W., 1917, S. 646. 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Epikrise: Das Auffällige des vorliegenden Falles lag in der seit¬ 
lichen Koinaidens von Magen- und Nierenblutungen während der abdomi 
nellen Schmersanfälle. Dieses Moment lässt unabhängig von der Frage, 
welcher Art das Grundleiden am Verdauungskanal und am uropoetischen 
System (für eine abgelaufene Nephritis oder für eine Lithiasis lag kein 
Anhaltspunkt vor) mit der Möglichkeit vasomotorischer Vorgänge reohueD. 

Interessant ist es dabei, dass die Rückwirkung einer vorüber 
gehenden Steigerung des intrareoalen Druckes, wie sie bei 
Störungen des Urinabflusses vorkomtnt, den Stoffwechsel nicht 
oder nur wenig zu beeinflussen braucht. So wurde erst jüngst ein 
50 jähriger Mann auf meine Abteilung aufgenommen, der schon 
seit mehreren Monaten an Dysurie litt und seit 2 Tagen eine sehr 
starke Ausdehnung der Blase zeigte. Bei der Aufnahme reichte 
dieselbe bis über den Nabel hinauf und war auf Druck sehr em 
pfindlicb. Als Ursache der Harnretention fand sich eine Striktur 
der Harnröhre. Durch Katheter wurden zunächst 1550 ccm Urin 
entleert. Durch den eingelegten Dauerkatheter liefen in den 
ersten 14 Stunden 7300 ccm und in den folgenden 48 Stunden 
8500 ccm Urin ab, ohne dass der betreffende Patient dabei auf 
fällig viel getrunken batte, und ohne dass eine Hydronephrose 
vorlag. Das Körpergewicht fiel in dieser Zeit um lB^ Pfd. und 
der Blutdruck von 175 mm Hg auf 140 mm Hg. Dabei betrug der 
Harnstoff bzw. der Bromlaugen-Stickstoff im Blut am Aufnahmetag 
nur 29,4 mg in 100 ccm. 

Geringer ist leider die praktische Förderung, welche die 
Differential-Diagnose der „Kongestivsch merzen“ und der 
„Kongestivblutungen u der Nieren durch die neueren Feststellungen 
gewonnen hat. Die Diagnose der reinen Kongestivschmerzen und 
Kongestivblutungen lässt sich auch heute noch meistnurper 
exclusionem stellen und auch dann nur unter Berücksichtigung 
aller in Betracht kommenden Umstände. Da9 klinische Bild ist 
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle leider nicht so scharf 
Umrissen, dass seine einzelnen Züge nicht auch bei anderen 
Nierenkrankheiten Vorkommen würden. Besondere Schwierigkeit 
findet die Unterscheidung auch noch heute gegenüber der Lithia¬ 
sis occulta, weil es genügend bekannt ist, dass sich kleine 
Konkremente sehr häufig auch der röntgenologischen Feststellung 
entziehen. Selbst bei dem Sektionsscbnitt der Nieren können sich 
solche kleinen Concremente dem Nachweis entziehen [M.Zondek 1 )] 
Auch die rein klinischen Erwägungen lassen für die Differential > 
diagnose nicht selten im Stich. Dies gilt u. a. auch für den jüngst 
von Casper 2 ) ausgesprochenen Satz, dass Nierensteine während 1 
eines Anfalls und kurz nach einem solchen immer Hämaturie auf- 
weisen, aber einige Zeit nach dem Verschwinden des Anfalls 
einen absolut normalen Harn darbieten, selbst wenn man solche 
Patienten zu körperlichen Anstrengungen veranlasst, ,,es sei denn, 
dass eine neue Kolik ausgelöst wird“, während bei der sogenannten 
Kolik-Nephritis auch in der anfallsfreien Zeit dauernd, und zwar 
besonders nach körperlicher Arbeit, Blut im Urin wenn auch nur 
in mikroskopisch nachweisbarer Form festzustellen ist. Ich habe 
eine ganze Reihe von Patienten, die an Nierensteinen und Nierengriess 
litten, in Erinnerung, bei welchen auch in der anfallsfreien Zeit 
rote Blutkörperchen oder Blutkörperchen-Schatten im Urin nach¬ 
weisbar waren, und zwar namentlich dann, wenn die betreffenden 
Patienten Bewegungen oder Erschütterungen ansgesetzt waren. 
Auch J. Israel schreibt in seiner „Chirurgischen Klinik der 
Nierenkrankheiten*': „Die mikroskopische Untersuchung ergibt in 
fast allen Fällen von Nierenstein, in denen der Harnabfluss nicht 
völlig abgesperrt ist, rote Blutkörper, wenn nicht bei ein¬ 
maliger, so doch bei systematisch wiederholter Untersuchung. 
Fehlen sie bei ruhigem Verhalten, so findet man sie fast immer 
nach anstrengender Körperbewegung. Daher sind sie häufiger 
im Abend-, als im Morgenurin. Dieser Befund ist so konstant, 
dass sein Fehlen ernste Bedenken gegen die Diagnose eines 
Nierensteins erwecken muss. Nur ist es nicht immer leicht, 
die Blutkörperchen zu finden, weil sie entweder sehr spärlich 
oder in Form und Farbe so verändert sein können, dass man erst 
lernen muss, sie als solche zu erkennen. Gerade die konstante 
Kombination von klarem Urin mit ausgelaugten und frischen 
Blutkörpern, deren Zahl nach Körperbewegung wächst, sowie mit 
geringen Spuren von Eiweiss halte ich für den charakteristischen 
Urinbefund bei aseptischen Steinnieren mit der selbstverständlichen 
Einschränkung, dass sich aus dem Urin allein überhaupt keine 
Diagnose auf Stein erheben lässt.“ Auf diese letztere Bemerkung 
möchte ich in dem vorliegenden Zusammenhang besonderen Wert 
legen. So habe ich u. a. zwei Fälle von periodisch aufgetretener 

1) M. Zondek, Arch. f. klin. Cbir., 1912, Nr. 99. 

2) Casper, B.kl.W., 1917, Nr. 42. 


Massenblutung in lebhafter Erinnerung, die ich von Anfang an 
für arteriosklerotische Nierenblutungen hielt, eine Auffassung, 
die auch durch den weiteren Verlauf bestätigt worden ist. ln 
dem einen Falle, in welchem gleichzeitig schmerzhafte Empfindungen 
in der Nierengegend Vorlagen, handelte es sich um eine 70jährige 
Dame, bei welcher Cystoskopie und Ureterenkatheterismns nichts 
Abnormes ergeben hatten. Aehnlich lagen die Dinge bei einem 
etwa 60jährigen fettleibigen Herrn, bei dem jedoch schmerzhafte 
Empfindungen fehlten. Ferner habe ich noch aus meiner Tätigkeit 
an der Senator’schen Klinik an der Charitö einen jungen Patienten 
in Erinnerung, der mit der Diagnose „essentielle“ Nierenblutung 
auf die Klinik kam, und bei welchem sich erst nach langer Be¬ 
obachtung Zeichen einer beginnenden Tuberkulose feststellen 
liessen. Auch in einem später von mir beobachteten Fall, bei 
welchem die Operation (J. Israel) nur einen kleinen, gegen das 
Nierenbecken völlig abgeschlossenen, Solitärherd von Tuberkulose 
ergab, war klinisch nur Blässe, Magerkeit, Nierenschmerz, minimale 
Albuminurie und geringgradige Erytbrocytenausscheidung im Urin 
nachzuweisen, so dass auch dieser Fall als essentielle Nierenblutung 
dem Krankenhaus zugewiesen war. Da aber die cystoskopische 
Untersuchung eine einseitige entzündliche Veränderung am 
Ureterenostium ergeben hatte, wurde der betreffende Fall der 
chirurgischen Therapie zugeführt. Fälle von oligosymptomatischer 
Tuberkulose oder Tumorbildung in den Nieren, sowie von anal¬ 
getischer Lithiasis, bei welchen die Frage der einfachen Kongestiv¬ 
blutung differentialdiagnostisch in Betracht kam, habe ich im 
Laufe der Jahre in grösserer Anzahl beobachten können. .Wie 
schwer es im konkreten Fall unter Umständen sein kann, einen 
Stein ausxu8cb1iP8*ep, zeigte mir unter anderem folgender Fall 
von „Kriegsnephritis“, den ich seit zwei Jahren in Beobachtung 
habe. In diesem Fall, in welchem ich ursprünglich eine „Colica 
nephritica“ angenommen hatte, ergab sich im weiteren Verlauf, 
dass zwar eine akute Kriegsnephritis vorlag, dass aber die Kolik¬ 
anfälle trotzdem durch einen kleinen Oxalatstein bedingt waren. 

Patient ist 48 Jahre alt, am 7. II. 1916 aufgenommen. In seiner 
Kindheit hat Patient Masern überstanden. Sonst war er stets gesund. 
Er ist verheiratet und hat drei gesunde Kinder. Mit Beginn der Mobil¬ 
machung wurde er eingezogen. Im Oktober 1914 litt er an Ruhr. Ende 
Oktober 1915 trat bei ihm eine Schwellung des ganzen Körpers mit 
Verminderung der Urinmenge auf. Der Urin enthielt damals viel Eiweiss, 
sah aber nicht blutig aus. Der Zustand besserte sich, so dass Patient 
nach einigen Monaten wieder leichten Garnisondienst (Bureau) tun konnte. 
Einige Tage vor der Aufnahme traten mehrfach kolikartige Schmerzen 
in der rechten Nierengegend auf, die nach der rechten Oberbauchgegend 
ausstrahlten. Während der Schmerzanfälle zeigte sich auch Uebelkeit 
und Brechreiz. Nach dem ersten Scbmerzanfall soll der Urin klar, aber 
dunkler als sonst gewesen sein. 

Der objektive Befund ergibt einen kräftig/gebauten Mann von 
mässig gutem Ernährungszustand ohne Oedeme und Exantheme. Temperatur 
normal. 

Die Untersuchung von Herz und Lungen ergibt nichts Abnormes, 
Puls ist regelmässig, 80, Blutdruck 75:135 mm Hg. Am Abdomen 
zeigt die rechte Bauchseite eine stärkere Spannung als die linke. Die 
rechte Nierengegend ist in leichtem Grade druckempfindlich. Milz und 
Leber bieten nichts Abnormes. 

Der Urin zeigt normale Menge, ist sauer, zeigt spezifisches Gewicht 
von 1010. geringe Mengen von Eiweiss, ziemlich viel Erythrocyten und 
hyaline Cylinder, einige Leukooyten, keine Kristalle. 

Der Verlauf zeigt am 8. II. 1916 und am 12. II. wieder einen 
Kolikanfall in der rechten Nierengegend. Der »Urin enthält dauernd 
geringe Mengen Eiweiss, sowie Erythrooyten in wechselnder, zurzeit der 
Anfälle deutlich erhöhter, Menge. Hyaline Cylinder sind stets, granulierte 
Cylinder gelegentlich au finden. Eine dreimalige Röntgenaufnahme 
der reohten Niere und des rechten Ureters am 9., 11. und 14. II. ergibt 
stets ein negatives Ergebnis. Seit dem 18. II. enthält der Urin 
kein Eiweiss, aber noch mässig viel Erythrocyten. Patient darf das 
Bett verlassen. Der Aufstehurin zeigt mehr Erythrocyten als der Liege¬ 
urin. Patient wird am 25. II. mit der Weisung entlassen, den Urin in 
periodischen Zwischenräumen zur Untersuchung zu senden. 

Patient ist bis jetzt in Beobachtung. Sein zunächst alle 14 Tage, 
später alle 4—6 Wochen untersuchter Urin ist nie völlig frei von 
Erythrocyten geworden. Auch sind hyaline Cylinder häufig vorhanden 
gewesen. Jedoch hat die Menge der Erythrocyten ahgenommen, seitdem 
Patient vor etwa einem Jahre einen linsengrossen Oxalatstein 
aus der Harnröhre entleert hat. Der Tagesurin enthält in der Regel 
etwas mehr Erythrocyten als der Nachturin. Gelegentlich sind auch 
Spuren von Eiweiss im Urin nachweisbar. 

Epikrise: In dem vorliegenden Fall waren im Sohlussstadium 
einer akuten Nephritis mehrfach rechtsseitige Nierenkoliken aufgetreten, 
die infolge der dauernden Anwesenheit von Erythrocyten und des negativen 
Ausfalls einer dreimaligen Röntgenuntersuchung zunächst im Sinne einer 
Colica nephritica gedeutet wurden. Erst der nach längerer Zeit erfolgte 
Abgang eines Oxalatsteins führte zu richtiger Deutung der Kolikanfälle. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Nach alledem muss die Diagnose eines Kongestivschmerzes 
und einer Kongestivblutung trotz der Fortschritte der letzten 
zwanzig Jahre selbst wenn alle Umstände kritisch erwogen 
werden dennoch stets mit grösster Reserve und hur per exclusionem 
gestellt werden. Und auch in dieser Form stellt sie in sehr 
vielen Fällen auch jetzt nicht mehr als eine Vermntungsdiagnose 
dar, weil es eben in manchen Fällen ohne lange, oft sehr lange, 
Beobachtung unmöglich ist, eine Litbiasis occulta, eine beginnende 
Tuberkulose oder einen beginnenden Tumor oder eine lokalisierte 
Arteriosklerose auszuschliessen. Die klinischen Bilder sind leider 
oft nicht so scharf gezeichnet, dass wir in der Lage wären, vor 
der Operation bzw. vor der Probeexcision anatomische Diagnosen 
mit Sicherheit zu stellen. In sehr vielen Fällen kann man zunächst 
nur von Nierenschmerz und Nierenblutung „ohne ausreichenden 
Befand“ sprechen. Die Diagnose des Zustandes oder Vorganges 
der Kongestion ist dabei oft sicherer zu stellen, als die einwands- 
freie Feststellung des diesen Vorgang ermöglichenden bzw. zur 
klinischen Aeusserung bringenden Lokalleidens. Differential¬ 
diagnostische Gründe, und nicht immer bloss die Schwere des 
Zustandes können zu einer diagnostischen Incision Anlass geben, 
die dann, wie auch sonst nicht selten bei Bauchoperationen, oft 
gleichzeitig zur therapeutischen Operation wird. Auf diese letztere, 
von welcher weiter oben schon die Rede war, hier genauer ein¬ 
zugehen, liegt jedoch nicht in der Absicht dieser Ausführungen, 
da hier nur der Faktor „Nierenkongestion“ nach der Seite 
der allgemeinen Pathologie aus der Differentialdiagnose Erörterung 
finden sollte. 


lieber Gesichtsplastiken bei Kriegsverletzten. 

Von 

F. Karewski-Berlin. 

Die Ausübung der plastischen Chirurgie zur Beseitigung von 
Entstellungen und Defekten im Gesicht hat im Weltkrieg eine 
grosse und wichtige Erweiterung ihrer Anwendung gewonnen. 
In der Friedenszeit umgreift sie nur ein verhältnismässig kleines 
Feld der operativen Tätigkeit, und die sehr weitgehende Gleich¬ 
artigkeit der Vorkommnisse, mit denen sie sich zu befassen hat, 
hat für die Grundsätze des chirurgischen Vorgebens eine ziemlich 
genau feststehende Richtschnur vorgezeichnet. Handelt es sich 
nicht um narbige Zerstörungen, welche nach Heilung lupöser 
oder syphilitischer Erkrankungen der Weichteile oder der Knochen 
zurückgeblieben sind, so haben wir es fast ausnahmslos mit dem 
Ersatz von Defekten zu tun, welche zur Beseitigung maligner 
geschwulstartiger Prozesse von uns selbst gesetzt .werden. Beide 
Arten der so erzeugten Missbildungen haben eine beinahe immer 
wiederkehrende Regelmässigkeit der Form und des Sitzes. Es 
konnten daher bewährte Methoden des Ersatzes geschaffen werden, 
deren Leistungsfähigkeit mehr von der Geschicklichkeit dessen, 
der sie benutzt, als von etwaigen prinzipiellen Unterschieden der 
gegebenen Vorschriften abhängt. Ihr Wert differiert im allge¬ 
meinen so wenig voneinander, dass sozusagen nur die persön¬ 
liche Neigung den Operateur mehr für die eine oder die andere 
sich entscheiden lässt. 

Die Substanzverluste und die von ihnen verschuldeten De¬ 
formitäten, welche durch Kriegsverletzungen im Antlitz herbei¬ 
geführt werden, haben eine derartige Uniformität nicht an sich. 
Nicht nur, dass sie von vornherein ganz regellos gestaltet sind, 
in sehr wechselnder Weise Haut, Muskeln, Knochen und Höhlen 
durchdringen, weithin zerreissen und oft flächenhaft vernichten — 
sie verändern auch ihre Gestalt und Tiefenwirkung, einmal, weil 
es bei der ersten Versorgung kaum oder doch nur sehr selten 
möglich ist, die Wiederherstellung der Form und die Wieder¬ 
vereinigung der durchtrennten Teile in wünschenswerter und 
zweckmässiger Weise zu beeinflussen —, dann aber weil lang¬ 
wierige Eiterungen weiteren Verlust und sekundäre Verlagerung 
von durch die Verwundung nicht unmittelbar betroffenen Gewebs- 
schichten verursachen. Deshalb werden die Arten der schliess¬ 
lich übrig bleibenden Verunstaltungen nicht nur sehr vielgestaltig, 
sie übersteigen nicht nur häufig das Maass der selbst durch die 
schlimmsten Krankheiten entstehenden Verheerungen der normalen 
Gesichtsbildung, sondern sie bieten auch nicht selten der opera¬ 
tiven Wiederherstellung besondere Schwierigkeiten, weil sie mit 
Störungen des Skelettzusammenhanges verknüpft sind, die ent¬ 
weder gleichfalls unschädlich gemacht werden müssen oder aber 
der den Schönheitsgesetzen entsprechenden Rekonstruktion der 
Oberfläche erhebliche Hindernisse bereiten. 


Der von seinen Fährlicbkeiten genesene Soldat bat nun einen 
sehr berechtigten und für sein späteres wirtschaftliches Fort¬ 
kommen sehr bedeutsamen Anspruch auf kosmetisch einwandfreie 
Heilung. Es gehört zwar nicht zu den letzten bewundernswerten 
Eigenschaften unserer Vaterlandsverteidiger, dass sie die ihnen 
zugefügten Verstümmelungen mit erstaunlichem Gleichmut er¬ 
tragen, und ihr Sinn nur darauf gerichtet ist, den ihnen ver¬ 
bliebenen Rest von Gebrauchsfähigkeit ihrer Glieder zur Er¬ 
werbung einer irgendwie gearteten Arbeitsfähigkeit auszubilden. 
Es kann aber nicht wundernehmen, dass gerade die Destruktion 
desjenigen Teiles ihres Aeusseren, auf dessen Pflege wohl jeder 
Mensch nicht geringes Gewicht legt, eie psychisch schwer be¬ 
drückt, um so mehr, als sie selbst durch kein Mittel eigener Energie 
an der Wettmachung des ihnen unverschuldet zugsstossenen Un¬ 
glücks mitzubelfen imstande sind. Dazu kommt, dass auch ihre 
im übrigen meist gut erhaltene Berufstätigkeit ernstlich beein¬ 
trächtigt wird, weil sie im Verkehr mit ihrer Umgebung viel 
Ungemach zu erleiden hahen. Ein Einarmiger oder ein Mann an 
Krücken ist leider eine so gewöhnliche Erscheinung geworden, 
dass er kaum noch auffällt; ein Mensch ohne Nase oder mit 
verzerrter Maske erweckt Schauder. Das eigene Gefühl für den 
Mangel ästhetischen Aussehens und die natürliche, wenn auch 
vielleicht etwas grausame Empfindling der Antipathie anderer 
gegenüber abschreckender Zerstörung der gewöhnlichen Gesichts¬ 
bildung lässt in jedem Verletzten den heissen Wunsch nach Kor¬ 
rektur der Missgestaltung entstehen, und diese so berechtigte 
Sehnsucht stellt an den Arzt die gebieterische Forderung, nichts 
unversucht zu lassen, was ihre Befriedigung ermöglichen könnte. 

So haben denn auch die Chirurgen des Heimatgebietes, denen 
ja vornehmlich diese Aufgabe zufällt, mit dem regen Wetteifer, 
welcher der Sache zukommt, sich der plastischen Wiederher¬ 
stellung der durch Schusswunden vernichtenden Gesichtsform ge¬ 
widmet. Jeder hat in der Art der Individualität, die er sich in 
seiner früheren Betätigung im Frieden angeeignet hat, die von 
ihm erworbenen Erfahrungen auf die neueren Geschehnisse über¬ 
tragen und unter Inanspruchnahme der Hilfswissenschaften sein 
bestes Können eingesetzt — und schöne Erfolge baben*die Be¬ 
mühungen belohnt. Die reichhaltige Literatur, in der die um¬ 
fassenden Erfahrungen niedergelegt sind, erbringt den Beweis, 
dass auch auf diesem Gebiet chirurgischen Könnens verschiedene 
Wege zu dem gemeinsamen Ziel führen. Meinungsdifferenzen 
über die besten Methoden sind zu selbstverständlich, um den Wert 
der einzelnen Verfahren zu beeinträchtigen. Sie*geben aber aus¬ 
reichend Veranlassung, eigene Prinzipien und Ergebnisse mitzu¬ 
teilen, um an ihnen zu prüfen, ob die hauptsächlichen Grund¬ 
sätze sich bewährt haben. 

Schon über den z weck massigsten Zeitpunkt, zu 
welchem der Eingriff vorgenommen werden soll, kann 
man verschiedener Meinung sein. In dem aus mancherlei Gründen 
sehr verständlichen Bestreben, die Heilung der Kriegsverletzten 
zu beschleunigen, operieren einige Chirurgen, sobald die Wunde 
sich im Zustand guter Granulation befindet, und ihre Ergebnisse 
scheinen für die Berechtigung ihres Standpunktes zu sprechen. 
Indessen “kann es nicht zweifelhaft sein, dass in ihm eine gewisse 
Gefahr liegt, die besser vermieden wird. 

Jedem Operateur ist zwar bekannt, dass die zu Heilzwecken 
gesetzten Wunden im Gesicht, obgleich sie bei bestem Bemühen 
nur selten nach unseren sonstigen Begriffen in reinster Asepsis 
zu erhalten sind, nichtsdestoweniger kaum je einer Störung der 
prima reunio verfallen. Vorbedingung ist und bleibt aber für 
absolute Sicherheit, dass nicht in infiziertem Gewebe ge¬ 
arbeitet wird, keine auch noch so geringfügige Eiterung mehr 
besteht. Zuerst ist also die definitive Vernarbung der Verletzung, 
gelegentlich unter deren Unterstützung durch Entfernung von 
toten Knochenstückchen, Geschosssplittern, Fremdkörpern anderer 
Art, Beseitigung komplizierender Entzündungen der Conjunctiva 
des Auges oder der Schleimhäute von Nase und Mund, herbeizu¬ 
führen. So oft durch derartiges Abwarten, insbesondere bei 
Kieferbrücben, eine nachteiligem Retraktion der Weichteile oder 
ihre Verziehung in fehlerhafter Richtung zu befürchten ist, so oft 
namentlich die für die Ernährung benötigte Funktionierung ge¬ 
litten hat, muss nach Möglichkeit durch Schienung, Prothesen, 
Zugverbände am Knochen und provisorische Naht an verlagerten 
oder sich umkrempelnden Wundlappen dem vorgebeugt werden. 
Selbst wenn man sicher zu sein glaubt, dass keine virulenten 
Keime mehr vorhanden sind, kann man dennoch unter der festen, 
reizlosen, äusseren Narbe in der Tiefe einen granulierenden, puru¬ 
lenten Herd mit oder ohne abgestossene kleinste Sequester an- 


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J 4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


103 


treffen. Wo irgend es tunlich erscheint, kann man sie radikal 
herausscbneiden und dann den Eingriff im beabsichtigten Sinne 
beenden — wo auch nur der geringste Zweifel über das Gelingen 
dieser vollendeten Desinfektion obwaltet, sollte zum mindesten 
die dubiöse Stelle drainiert werden, selbst wenn von dem ur¬ 
sprünglichen Plan des Vorgehens abgewichen werden muss, ja 
selbst wenn die eigentliche Plastik deswegen aufgeschoben werden 
muss. Wagnisse in dieser Beziehung bedeuten keine Beschleuni¬ 
gung der Heilung, welche allein ja in Frage kommen könnte, 
sondern eine Verzögerung wegen der leicht auftreteuden phlegmo¬ 
nösen Zwischenfälle. Sie können neue Substanzverluste, also 
eine sehr böse Erschwerung der Erreichung des gesetzten Zieles, 
wenn nicht noch verhängnisvollere Folgen allgemeiner Sepsis ver¬ 
schulden. Es steht in solcher Lage Zeitverlust gegen 
gänzliches Misslingen, und es kann nicht zweifelhaft 
sein, welche von diesen beiden Unannehmlichkeiten 
schwerer wiegt. Deswegen dürfte auch das Stadium „guter 
reiner“ Granulation nicht immer vor unangenehmen Zwischen¬ 
fällen schützen, besonders wenn richtige Wundinfektion vorher 
gegangen ist, die die Bedenklichkeiten „ruhender“ Keime in sich 
trägt. Falls indessen die Grösse des Defektes und dessen Art 
das Abwarten der spontanen Vernarbung aussichtslos erscheinen 
lässt, kann man durch radikale, flächenhafte, scharfe Abtragung 
des Wundgrundes aseptische Verhältnisse zu schaffen versuchen. 

Ueberhaupt sollten die von manchen Autoren mit 
Vorliebe gelobten Vorzüge einer Methodik, welche in 
kürzester Frist mit einem einzigen Akt die Her 
Stellung erstrebt, nicht allzu hoch bewertet werden. 
Gewiss haben solche Bemühungen ihre gute Begründung, aber 
nur dann, wenn die Sicherheit und der volle Effekt garantiert 
sind. Ueber den Begriff des „idealen Erfolges“ kanu man recht 
oft zweierlei Meinung sein. Weder der Operateur, dessen Be 
friedigung über die seinem Schutzbefohlenen geleistete Hilfe 
durchaus verständlich ist, noch auch sogar der Kranke selbst, 
der angesichts des früheren Zustandes für jede Verbesserung 
dankbar sein wird, haben in dieser Beziehung eine vorurteilslose 
Kritik. Ideale, d. h. den früheren Zustand durchaus wieder¬ 
gebende Normalität können wir nicht immer, sondern meist nur 
bei geringfügigen Defekten erwarten — ihr nahezukommen, auch 
unter schwierigen Verhältnissen, gelingt jedenfalls mit sehr viel 
grösserer Wahrscheinlichkeit, wenn man sich nicht darauf ver¬ 
steift, mit dem ersten Schritt alles zu schaffen, sondern zunächst 
sich bemüht, unter so günstigen Umständen Material zu be¬ 
reiten, dass aus ihm der begonnene Aufbau korrigiert und modi¬ 
fiziert werden kann. 

Für diesen Zweck sind nun folgende Voraussetzungen 
maassgebend: Die Narben, durch welche Verziehungen, Ein¬ 
buchtungen und Erhebungen der Haut entstanden sind, durch 
treunte Muskeln nicht zur direkten Wiedervereinigung gelangten, 
sind gänzlich zu exzidieren, die frei gewordenen Raudteile nor¬ 
malen Gewebes mobil zu machen. Erst wenn dies geschehen ist, 
kann man den Umfang des benötigten Ersatzes richtig beurteilen, 
sich darüber vergewissern, ob er von der unmittelbaren Nachbar¬ 
schaft her genommen werden kann, oder ob man aus entfernten 
Gegenden die Deckung herzuholen gezwungen ist. Die bessere 
Aehnlichkeit mit den Eigenschaften des verloren gegangenen 
Teiles in Farbe, Elastizität, Dicke, also den Vorzug grösserer 
Gleichartigkeit finden wir in der Umrandung des Substanzver¬ 
lustes. Wo auch immer sie zu direkter „restitutio ad integrum“ 
ausreicht oder aus ihr eine Lappenbildung möglich ist, ohne dass 
der Verschluss der neuen Wunde frische Formveränderung be¬ 
dingt, verdient sie unter allen Umständen den Vorzug; wo aber 
diese Bedingung nicht zutrifft, tritt der Gebrauch gestielter 
Lappen aus anderen Körperteilen in sein Recht, wenngleich der 
so gewonnene Stoff fast stets der gesunden Gesichtsbildung einiger- 
maassen unähnlich bleibt. 

An der Stirn, Schläfe und seitlichen Wangengegend, 
gewährt die Verschiebbarkeit und Dehnbarkeit des gesunden 
Integuments auch bei erheblicher Spannung so günstige Aussichten 
für eine lineare Vereinigung, dass hier nicht nur breit klaffende 
Trennungen des Zusammenhanges dicht vernäht werden können, 
sondern auch zu Anleihen für nabe gelegenen Aufbau vorteilhafteste 
Gelegenheit geboten ist. Die Lidbildung, sofern sie nicht mit 
ungestielten Lappen vorzuziehen ist, die Rhinoplastik bei er¬ 
haltenem Knochengerüst wird in der überwiegenden Zahl der 
Fälle aus diesen Gegenden genommen werden können. Auch für 
die Ueberhäutung der total verödeten Orbita, bei Sym¬ 
blepharon höchsten Grades ist die Stirnhaut eine vorzügliche 


Quelle, welche die in ganzer Ausdehnung verwachsenen Lider 
nach ihrer Trennung zu unterfüttern gestattet, so dass ein künst¬ 
liches Auge getragen kann. 

So im folgenden Fall: Totales Symblepharon und tiefste Einziehung 
des Lides in die Orbita nach Kalkverätzung und Enucleatio bulbi. 
Operation: Spaltung der Verwachsung, Erweiterung des zu kurzen Lidspaltes, 
an der äusseren Kommissur. Ablösung der Lider teils stumpf, teils mit 
Cooper’scher Schere. Entfernung von Narben und Fettresten, Ektropio- 
nierung der Lider. Bildung eines zungenförmigen Lappens aus der Stirn, 
Drehung um 90 Grad. Verschluss der Stirnwunde durch Längsnaht, Ein- 
nähung des Lappens an die Lidränder. In der Mitte der überpffauzten 
Haut wird eine kleine Drainageöffuung angelegt, um der reichlichen 
Blutung aus der Orbita Abfluss zu schaffen, das Transplantat durch feste 
Tamponade der Orbital wand angedrückt, wodurch gleichzeitg die ektro- 
pionierten Lider in Norraallage gebracht werden. Nach verschiedenen 
kleinen Nachhilfen, welche zur Beseitigung überschüssiger Haut erforder¬ 
lich werden, lässt sich eine definitive Prothese in die Aughöhle einsetzen 
und so ein schönes kosmetisches Resultat erzielen. (Abbildung 1.) 


Abbildung 1. 



Bei der Beseitigung der Narben dürfen keinesfalls irgend 
wie brauchbare Reste des Gewebes, insbesondere nicht die 
Ränder der Lider oder der Nasenlöcher fortgenommen werden. 
Die Nachahmung natürlicher Umsäumungen durch Hautdoppelung 
und Uebertragung von freien Stücken des Ohrknorpels ist, so 
vortreffliche Resultate diese genial erdachte Methode (Büdinger- 
Birch-Hirschfeld) gibt, doch nicht so leistungsfähig, dass sie 
der Natürlichkeit der vorgebildeten Abgrenzungen gleichkommt. 
Namentlich bei den hochgradigen Ektropionierungen der 
Lider nach Gesichtszerreissungen haben wir in der Er¬ 
haltung und Wiedervereinigung der freien Ränder des Tarsus die 
Gewähr für tadellosen Erfolg, und wir haben um so häufiger 
Gelegenheit, sie zu benutzen, als sie den vorgängigen Eiterungs¬ 
prozessen gegenüber sehr widerstandsfähig zu sein scheinen. Man 
findet dann ihre Ueberbleibsel an den Grenzen des sehr weit¬ 
gehenden Verlustes des zugehörigen Lides und der Ektropionierung 
der Conjunctiva hässlichster Art. Man kann sie aus ihrer narbigen 
Umgebung befreien und verfahre dabei so, dass man sie nach 
Ablösung der Bindehaut mit den zunächst liegenden normalen 
Resten zu zwei Lappen zurecht schneidet, welche geeignet sind, 
ein neues Lid zu bilden. Der dadurch nach unten entstehende 
Defekt wird durch einen Lappen, je nach den Verhältnissen, aus 
der Jochbein-Schläfengegend oder der Glabella ausgeglichen, und 
dieser gibt zugleich die Stütze für das neue Lid ab. Gelegentlich 
kann übrigens narbige Einrollung von Hautresten die Stelle des 
Lidrandes vertreten. 

Als Schulbeispiel diene: Schussverletzung der rechten Wange, des 
unteren Lides, des Orbitalrandes und des Auges, das enukleiert werden 
musste. Nach der Vernarbung Testierte eine 6 cm lange, tief eingezogene 
Narbe von der Gestalt eines sehr spitzwinkligen Dreiecks, dessen oberen 
basalen Teil die weit nach unten herausgezogene Conjunctiva darstellt, 
Vom Lid fehlt die äussere Hälfte fast gänzlich, die innere ist mit ihrer 
oberen Umgrenzung erhalten. Aussen hat die narbige Einrollung der 
Haut eine dem Lidrand sehr ähnliche Form angenommen. 

Die spitzwinklig herausgezogene Bindehaut wird Umschnitten und 
zurückpräpariert, die nach unten sich anschliessende Narbe exzidiert 
mit sorglältiger Erhaltung der Hautwulstung aussen und des Tarsus 
innen. Die den Lidresten zugehörige Haut wird unterminiert, durch zwei 
horizontal verlaufende Schnitte werden von ihr oblonge Lappen gebildet, 
welche nach Vernähung in der Mitte das Unterlid wiederherstellen. Der 
äussere Parallelschnitt wird schläfenwärts verlängert und von ihm aus 
ein senkrecht stehender zungenförmiger Lappen aus der Schläfenhaut 
entlehnt, welcher nach Drehungum 90Grad nasalwärts in querer Richtung 
so befestigt wird, dass er das Lid hebt und stützt. Dadurch wird zu¬ 
gleich eine gewisse Entropionierung erzielt, die eine ausreichende Höhle 


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104 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


für die spätere Prothese schafft. Nasalwärts bleibt ein kleines Dreieck 
offen für Abfluss eventuellen Sekretes. Unter Mobilmachung der 
lateralen Haut gelingt alsdann die Vereinigung der Wange ohne Niveau¬ 
differenz. Volle Prima reunio bis auf eine Fadeneiterung an der Ver¬ 
einigungsstelle des Lidrandes. Der dadurch entstehende kleine Defekt 
wird durch eine spätere Nachhilfe beseitigt. (Abbildung 2.) 


Abbildung 2. 



d 


In ausgezeichneter Weise lässt sich diese Art der Blepharo- 
plastik nach den Vorschriften v. Langenbeck unter geeigneten 
Umständen auch mit der Dieffenbach’schen Schnittführung 
verbinden, allerdings unter Abänderungen, welche die jeweilige, 
durch die Schussverletzung gebrachte Lage der Dinge erheischt. 

Schussverletzung des Auges, die zur Enukleation geführt hat, mit Zer- 
reissung des Unterlides und Defekt im Orbitalrand und des angrenzenden 
oberen Wangenteils, infolgederen tiefe narbige Einziehung entstanden 
ist, spitzwinkliges, in die Wange hineingezogenes und diese überquellendes 
Ektropium der Conjunctiva, bei Erhaltung der in der Mitte durchtrennten 
und fast senkrecht nach unten verzogenen Lidränder. 

Operation: Abpräparierung der Conjunotiva nach oben, totale 

Exzision der Narbenmasse lassen einen grossen dreieckigen Defekt ent¬ 
stehen. Bildung zweier oblonger, die Lidränder als obere Begrenzung 
enthaltender etwa 1 cm hoher Lappen, die in der Mitte vereinigt und 
mit Conjunctiva umsäumt werden. Unterhalb des so neugebildeten Lides 
bleibt ein sehr tiefer Substanzverlust übrig, der durch einen dicken, ober¬ 
flächliche Muskelschichten mitnehmenden Dieffenbach’schen Lappen aus¬ 
gefüllt und ohne Spannung als Stütze des Lides dient. Das nunmehr 


übrigbleibende restliche Wunddreieck kann nicht direkt vernäht werden, 
weil dann der laterale Teil des Lides nach aussen verzogen werden 
würde. Es wird deswegen der temporal gelegene Wundrand nach unten 
und vorn verlängert und an das Ende des Schnittes ein zweiter schräg 
horizontal nach unten hinzugefügt. So kann ein neuer, dreieckiger, nur 
die Haut enthaltender und alle Nervenverletzungen vermeidender Lappen 
gebildet werden, der in das obere dreieckige Loch sich bequem einnähen 
lässt. (Abbildung 3.) 


Abbildung 3. 



e 


Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass die sinngemässe 
Anwendung des gleichen Verfahrens sich für den Ersatz des zer¬ 
störten Oberlides und dadurch hervorgerufener) Lagophtbalmus 
eignet. In unsern Fällen war gleichzeitig die Stirn Schläfengegend 
verletzt worden, so dass entweder aus ihr keine Entnahme für 
die Lidbildung möglich war oder die operative Wunde bei ihrer 
Vereinigung neue Verziehungen herbeigeführt hätte. Es wurde 
deswegen Wangenhaut benutzt. 

Werden wir vor die Aufgabe gestellt, breite Zerstörungen, 
welche die Stirn-Sch läfen-Wangengend selbst erlitten 
haben, zum Verschwinden zu bringen, so müssen wir in der Regel 
auf regionäre Plastik verzichten. Allerdings bietet uns hier die 
Thiersch’sche Transplantation, oder die mit Krause’schen Lappen, 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


105 


die Möglichkeit zur Ueberhäutung frischer Wundflächen, aber 
das kosmetische Resultat erreicht kaum je den Anblick voller 
Integrität. Noch weniger haben wir diese Aussicht dann, wenn 
es darauf ankommt, primäre Substanzverluste dieser Gegend zu 
decken, die nach der Verletzung von langwierigen in die Tiefe 
greifenden Eiterungen gefolgt waren, und ungemessene Zeit für 
ihre spontane Vernarbung beanspruchen, wohl auch entstellende 
Verziehung unbeschädigter Teile — namentlich des Augenlides — 
nach sich ziehen. Dann ist die Notwendigkeit gegeben, durch 
Verwendung der Armhaut Hilfe zu schaffen. Dieses uralte Ver¬ 
fahren hat eine unbegrenzte Verwendbarkeit, weil es erlaubt, 
überallhin am Kopf Material zu übertragen, welches auch Niveau¬ 
unterschiede in der Fläche ausgleicht. So grosse Unbequemlich¬ 
keiten seine Fixierung für den Kranken mit sich bringt, darf man 
für deren zeitliche Abkürzung nicht allzu früh den Stiel durch¬ 
trennen. Für die Ernährung ausreichende Zirkulation tritt schon 
nach 8—10 Tagen ein, aber die Farbe der Haut, die an sich 
schon weisser als die des Gesichts ist, bleibt um so blasser, je 
früher sie von ihrem Mutterboden abgetrennt wird; ihre Elastizität 
und Glätte gestaltet sich um so vorteilhafter, je länger sie Zeit 
hatte, neue Gefässverbindungen einzugehen. Selbsverständlich ist 
ferner, dass schon bei der Befestigung im Gesicht exakteste 
Nabt bis auf die äussersten Grenzen, der Schönheit der Einpflanzung 
dienstbar gemacht wird. 

Die Reparierung der Entstellungen wird selbst¬ 
verständlich komplizierter, wenn nicht mehr rein 
häutige Verluste vorliegen, Zerreissungen der Wangen¬ 
muskulatur tiefe Rinnenbildungen erzeugen, Zerschmetterung der 
Knochen die Stirn- oder Schädelhöhle eröffnet, die Kontinuität 
der Kiefer durchtrennt, die Nase teilweise oder gänzlich vernichtet 
haben. Hier kommt es darauf an, für die Herstellung der 
äusseren Gestalt einen Unterbau zu schaffen, der dauernden Be¬ 
stand hat, nicht der Resorption verfällt, also durch nachträgliche 
Schrumpfung die unmittelbare, tadellose Erscheinung zu Schanden 
macht, oder Schäden zu beseitigen, welche wie die Schädellöcher 
bedenkliche Konsequenzen mit sich bringen oder schliesslich bei 
Kieferzertrümmerung sogar das Sprechvermögen und die Ernährung 
beeinträchtigen. Die Hautplastik muss durch die Knochenplastik 
ergänzt werden. Für diese haben wir die Auswahl zwischen ge¬ 
stielten Knochenperiostlappen und der Uebertragung aus der 
Kontinuität gelöster, also aus entfernten Körpergegenden, in der 
Regel aus der Tibia genommener Knochenspangen. Die von 
Müller vor fast 40 Jahren erfundene, später von König aus¬ 
gebaute Methode einen Haut, Periost und Knochen enthaltenden 
Lappen zum Verschluss von Schädeldefekten zu benutzen, und 
ihre spätere Modifikation durch Garrö, der unter der Haut nur 
Periost und Knochen verschob, lässt sich in einer Weise, die den 
Mittelweg zwischen beiden bedeutet, auf die tiefen pulsierenden 
Stirn defekte übertragen, welche infolge von bis auf die Dura 
oder auch bis auf die Hirnsubstanz gebenden Rinnenschüssen zu¬ 
stande kamen. Sie gestatten angesichts der Beweglichkeit, die 
der Haut in dieser Gegend eigen ist, nach genügender Mobilisierung 
eine lineare Vernähung, so dass in dieser Beziehung ein wirklich 
ideales Resultat erzielt wird. Es bedarf weiterhin nur noch eines 
unter dem äusseren Integument und ohne Missstaltung desselben 
zu schaffenden Knochendeckels. Er muss unter der Haut im 
Zusammenhang mit ihr und ohne Ablösung vom Periost heraus- 
gemeisselt werden und soll wiederum so verschieblich werden, 
dass er nach unten verlagert und dort an der erhaltenen Knochen¬ 
haut befestigt werden kann. Wir entfernen zunächst sorgfältig 
die Narbe, natürlich möglichst ohne Eröffnung der Dura. Wo 
solche indessen durchaus nicht vermieden werden kann, bringt 
sie, volle Asepsis — also einwandfreie, vorherige Wundheilung — 
vorausgesetzt, keinen Nachteil. Ausfluss von Arachnoidealflüssig- 
keit sistiert bald nach exaktem, dichtem Wundverschluss. Es 
wird nun an beiden Enden der Anfrischung je ein kleines Dreieck 
bis auf das Periost, und ohne es zu verletzen, herausgeschnitten, 
so dass eine sichelförmige Gestalt entsteht. Mit breitem dünnen 
Meissei wird alsdann die benötigte Knochenplatte so abgeschlagen, 
dass das Periost sie oben und unten überragt. Fügt man aussen 
und innen einen leichten Meisselschlag hinzu, so bleibt das Ersatz¬ 
stück nur noch in fläcbenhaftem Zusammenhang mit der sie er¬ 
nährenden Haut, man bricht es vorsichtig nach oben um, durch- 
trennt die jenseitige Periostgrenze und kann nun den sehr be¬ 
weglichen Periostlappen unter dem unteren Wundrand, der unter¬ 
miniert wird, an der Knochenhaut mit feinen Catgutnähten derart 
befestigen, dass die Wundlefze sie überdeckt. Dergestalt liegt 
dann die endgültige Hautvereinigung nicht im gleichen Niveau 


mit den versenkten Suturen, und das Integument befestigt den 
Knochendeckel in vollkommenster Weise. (Abbildung 4.) 

Es bedarf keines Wortes, dass allzu umfangreiche, besonders 
in die Breite gehende Löcher der beschriebenen Technik ge¬ 
legentlich ihre Grenzen setzen werden. Bei Rinnenschüssen, auch 
in der behaarten Kopfbaut, hat sie uns nie versagt, und es liegt 
deswegen kein Grund vor, sie prinzipiell durch die Uebertragung 
von Stücken aus Tibia zu ersetzen, wie Axhausen und Lexer 
vorschlagen. Sie hat vielmehr ihre grossen Vorzüge, die ohne 
weitere Erörterungen klar sind. Die Beweglichkeit dünner 
Knochenlappen unter der mit ihnen umschnittenen Haut eröffnet 
der Methode sogar ein beträchtliches Anwendungsgebiet. Man 

Abbildung 4. 


a b 

kann ihnen durch Einbiegung die für den Einzelfall erforderliche 
Gestalt geben. Sie haben also eine überlegene Plastizität. Man 
kann alle zur Neubildung von Weichteilen geeigneten Stirnlappen 
mit ihnen versehen und dadurch jede Art von in die Gesichts¬ 
höhle führenden Löchern zum festen Verschluss bringen, indem 
man zu gleicher Zeit den Stoff für die äussere Rekonstruktion 
an den geeigneten Ort verpflanzt. Grosse lippenförmige 
Oeffnungen an der Seitenwand der Nase, die einer 
knöchernen Stütze bedürfen, und vor allen Dingen bis in das 
Schädelinnere reichendeStirnhöhlendefekte und schwere 
Deformitäten im Bereich der Augen können auf diesem 
Wege in unübertrefflicher Weise ausgeglichen werden. 

Als Paradigma, das in seiner Art ähnliche Vorkommnisse ausreichend 
illustrieren wird, sei folgender Fall beschrieben. 

Fall B. Handgranatenverletzung des linken Auges am 24. IV., 
durch die Stirnhöhle ins Innere perforierend, Ausfluss zerquetschter 
Hirnsubstanz, Zerschmetterung des Inhaltes der Augenhöhle, zahlreiche 
Knochensplitter. Am 2. IV. Ausräumung der Orbita, Trepanation, 
Entfernung von Sequestern, die vom oberen Dach der Augenhöhle 
herrühren. Verlauf mit meniDgitischen Erscheinungen, Hirnprolaps, 
wiederholte Sequestrotomien, schliesslich Rückgang des Hirnvorfalles, 
Vernarbung der Wunde bis Anfang Juli. Am 10. Juli im Heimats¬ 
lazarett folgender lokaler Status: 

Längsnarbe mit 1,5 cm breiter oberer granulierender Stelle von 
innerem Winkel der Nase durch Supraorbitalwand bis über das obere 
Drittel der Stirnhöhle, Pulsation der ganzen Wundfläche; das Unterlid 
fehlt zur Hälfte, das Oberlid sehr stark spitzwinklig nach oben in die 
Stirn gezogen. Conjunctiva hier ektropioniert, ebenso die des Unterlides, 
welches an der Innenseite defekt. Orbita leer. Nach definitiver Ver¬ 
narbung die gleichen Verhältnisse. 

Am 2. X. erste Operation. Exzision der ganzen Narbe mit Frei¬ 
legung der Dura, welche bis in die Lider hinein den Boden des Defektes 
bildet. Ablösung des Oberlides und seiner Conjunctiva, wobei das 
Ektropium bereits verschwindet. Es resultiert ein sehr spitzwinkliger, 
dreieckiger Substanzverlust, dessen Basis der innere obere Nasenwinkel, 
dem die knöcherne Wand fehlt, dessen Grund die anscheinend unver¬ 
letzte, gut pulsierende Dura bildet, und dessen oberster Ausläufer bis 
fast an die Haargrenze reicht. Es wird vom lateralen unteren Ende der 
Wunde her ein Hautperiostknochen lappen, biskuitiörmig geformt, der 
fast um 150° gedreht wird, so dass ein grosser Bürzel an der Dre¬ 
hungsstelle entsteht, der ganze Defekt aber gut gedeckt wird und zwar 
mit Verschiebuog und Catgutvernähung der osteoperiostalen Anteile an 
die unteren Räuder des Knochendefektes. Dieser ist nun überall gut 
verschlossen. Fixierung des Lappens an der HautumgrenzuDg, so dass 
das Oberlid in möglichst normale Lage gebracht wird. 

Reizloser Verlauf — allerdings mit 14 Tage dauernder Absonderung 
von Cerebrospinalflüssigkeit aus einer nicht festgestellten Eröffnungs¬ 
stelle der Dura. Aufhören der Pulsalion, fester knöcherner Verschluss 
des Schädelknochens, Restieren eines Einkniffs des Oberlides. 

Am 10. XL zweite Operation. Umschneidung des Lappens in oberer 
Hälfte, Abtrennung in der Subcutis und Mobilmaohung, neue Auslösung 
des Oberlides, weitere Drehung der Ersatzhaut nach unten; ferner am 

8 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Unterlid oblonger Lappen aus der medialen Hälfte, deren oberer Rand 
die Narbe bildet und der am Canthus internus befestigt wird, nachdem 
zu seiner Stützung ein genügender Teil aus dem verlagerten Stirnlappen 
abgetrennt ist. Prima reunio. 

2. XII. Entfernung des Bürzels, nachdem schon 5 Tage lang eine 
gut sitzende Prothese getragen ist. (Abbildung 5.) 

Abbildung 5. 


a 


b c 



d 


Für Deformierung der Wangen ohne Eröffnung der 
Mundhöhle kann man relativ oft schon durch die totale Ex¬ 
stirpation der schwieligen Narbenmassen, Wiedervereinigung der 
Muskel durch versenkte Nähte, Fixierung derselben am Joch¬ 
bogen und geeignete Hautnaht mit oder ohne Lappenbildung 
nach den alten klassischen Methoden Abhilfe schaffen. Genügt 
das nicht, um tieferen Substanzmangel, trichterförmige Ein¬ 
ziehungen auszugleichen, so muss die Haut durch freie Fett¬ 
polster gehoben werden. Solche sind auch geeignet, die Folgen 
von Absprengungen des Jochbogens uusichtbar zu machen, wie 
andererseits vom unbeschädigten Jochbogen genommene, subcutan 
gestielte, nach nnten geklappte Plättchen zur Reparierung von 
Oberflächen-Unterschieden dienlich sein können. Aber bei allen 
derartigen Unternehmungen ist eine verhältnismässig gute Er¬ 
haltung, wenn auch durch Narbenzug verlagerten normalen Ge 
webes Voraussetzung. Fehlt diese, handelt es sich darum, eine 
Wange gänzlich neu zu bilden, so besitzen wir eine vortreff¬ 
liche, allen Ansprüchen gerecht werdende Methode in der von 
J. Israel gelehrten Benutzung der seitlichen Halshaut. Mit ihr 


kann man die vom Kieferrand nicht allzu weit entfernten Gebiete 
in ausgezeichneter Weise versorgen. Sie ist locker, dünn und 
dehnbar, der Stiel des Lappens kann in für die Ernährung des 
Lappens günstiger Richtung gewählt werden, man kann dem Er¬ 
satzstück erforderlichenfalls die gewünschte Dicke verleihen, 
indem man das Platysma im Zusammenhang fortnimmt, man 
kann sie doppeln, um infolge von Vernichtung der Mundschleim¬ 
haut entstandene Kieferklemme nach Wiederherstellung der 
Backentasche zu heilen. Die Narbe am Hals wird unscheinbar. 
So oft also das Vorgehen nach Israel — sei es auch mit Modi¬ 
fikationen, z. B. nach v. Hacker — technisch ausführbar ist, 
besitzt es vollste Ueberlegenheit gegenüber allen anderen, das¬ 
selbe Ziel erstrebenden Versuchen. Für grössere Meloplastiken 
kommt es in erster Reihe in Betracht und ist selbst dann noch 
mit bestem Erfolge anwendbar, wenn komplette breite Spal¬ 
tung bis in den oberen Halsabschnitt hinein, schwerste Narben¬ 
bildung und grober Knochenverlust vorliegt, wie folgende Beob¬ 
achtung zeigt. 

D. hat am 18. XII. 1914 durch Granate eine schwere Verletzung 
des rechten Schultergelenkes und Bruch des rechten Unterkiefers mit 
grosser Defektbildung sowie weitgehender Zerreissung der rechten Wange 
erlitten. Die Kieferfraktur ist durch Geheimrat Warnekros prothetisch 
mit bestem Erfolge behandelt worden, die Wangenwunde war in ent¬ 
sprechender Weise zur Heilung gebracht und bot am 17. VII. 1916 folgenden 
Status: Die Mundöffnung setzt sich rechts schräg abwärts bis zum Kiefer¬ 
winkel fort. Die Mucosa ist nach aussen umgeschlagen und mit der 
Hautnarbe so verwachsen, dass ein gewaltiges Ectropium entstanden ist, 
über das dauernd Speichel und beim Essen die Speisen abfliessen. 
Wenn D. den Mund öffnet, klafft der Mundspalt bis zum Kieferwinkel. 
Die äussere Wange fehlt in der Breite von 2 Querfingern und die Um¬ 
säumung des Verlustes ist mit keloiden Narbenmassen umgeben. Ein 
strahliges etwa markstückgrosses Keloid setzt sich vom Ende des Spaltes 
auf die Halsgegend fort. Operation: An der Grenze zwischen Haut und 
Schleimhaut wird oben und unten bis über den normalen Lippensaum 
hinaus die Mucosa in 2 grossen Lappen abgelöst, welche medianwärts 
Stücke des Lippensaums an ihrem UebergaDg in die äussere Haut frei 
machen, nach lateralwärts bis an die äussersten Grenzen des Defektes 
gehen. Diese beiden Lappen erweisen sich als gross genug, um bei 
zwei Drittel Mundöffnung eine neue Schleimhauttasche zu bilden und 
gleichzeitig den Lippensaum zu normaler Mundgrösse zu vereinigen. 
Naht zur Mundhöhle. 

Eutfernung der Narbenkeloide. Der gewaltige Wangendefekt wird 
durch einen von der vorderen Halsgegend mit zum Proc. mastoid. ge¬ 
legenen Stiel genommenen, zungenförmigen Lappen gedeckt, der das 
Platysma enthält. Breite 4 cm, Länge 12 cm. Das untere Ende des 
Lappens liegt am Sternoclaviculargelenk. Exakte Naht. 

Pr. i. Entfernung der Nähte am 24. VII. (Abbildung 6.) 

Die Restitution des gestörten Zusammenhanges des 
Unterkiefers ist ein Kapitel der Kriegschirurgie, das dank den 
zielbewussten und unermüdlichen Bemühungen einen sehr hohen 
Grad der Vollendung erreicht hat. Es würde zu weit führen, 
auf die Fragen des prothetischen und autoplastischen Ersatzes, 
um deren Abbildung sich F. Krause, Sch roeder, Warnekros, 
Schmieden, Klapp, Wilms und Goch, Eiseisberg, Esser 
und viele andere die grössten Verdienste erworben haben, auch 
nur annähernd einzugehen. Wir nähern uns immer mehr dem 
Ziele, nicht nur der scheusslichen Entstellungen Herr zu werden, 
sondern den Verwundeten auch eine natürliche lebende Knochen¬ 
formation mit guter Funktion verschaffen zu können. Gestielte 
osteoperiostale Lappen in Zusammenhang mit den Weichteilen 
aus der nächsten Nachbarschaft oder aus entlegeneren Bezirken, 
Implantation freier Knochenstücke unter Beihilfe temporärer oder 
dauernder Schienenapparate geben die Grundlage für den Aufbau, 
dessen Ueberkleidung die Weichteilplastik besorgt. Je nach Lage 
der Dinge gelangt man besser mit dem einen oder dem anderen 
Verfahren zum Ziel, und die Wahl richtet sich weniger nach 
Prinzipien als nach dem richtigen Urteil über die jeweilige 
Brauchbarkeit. 

Analog liegen die Verhältnisse in bezug auf die Rhino¬ 
plastik. Sie nimmt einen sehr breiten Raum der chirurgischen 
Gesichtsverbesserung ein. Die Kontroversen über die zweck- 
mässigste Art ihrer Ausführung, die schon im Frieden nicht 
gering an Zahl waren, haben mit der Häufung der Zufälle im 
Weltkriege nicht abgenommen, aber sie zeigen nur, dass, wenn 
auch das Bedürfnis nach Abänderung alter bewährter Methoden 
durch die Vielgestaltigkeit der durch die Schussverletzungen er¬ 
zeugten Missbildungen zugenommen bat, dennoch die Grundsätze 
dieselben geblieben sind. Diese gipfeln darin, dass der moderne 
Chirurg sich nicht damit begnügen darf, ein nasen¬ 
ähnliches häutiges Wesen, welches mangels eines festen 
natürlichen Gerüstes nur allzu vergänglich ist, an den 






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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


107 


Abbildung 6. 


a 



c 

Ort der Zerstörung zu setzen, sondern ein Organ zu 
schaffen, das ein persistentes Gerüst besitzt, der Luft¬ 
zirkulation dient, seine Gestalt dauernd behält. 

Die Basis des neuen Nasengebildes muss also eine knöcherne 
sein. Es war das grosse Verdienst Königs, die alte indische 
Methode in diesem Sinne nutzbar zu machen, indem er den aus 
der Stirn genommenen Lappen durch Periost und Knochen hin¬ 
durchgehen liess und ihm so die geeignete Widerstandsfähigkeit 
verschaffte. Wertvolle Modifikationen von Schimmelbusch, 
Lexer, v. Hacker u. a. haben diesem Verfahren zu immer er¬ 
folgreicherem Gelingen verholfen. Aber ihm haftet, namentlich 


für Kriegsverletzte, bei denen ja so häufig mit dem Nasenverlust 
sich schwere andere Zerstörungen des Gesichts vergesellschaften, 
der schwerwiegende Nachteil an, dass auf der Stirn neue Ent¬ 
stellungen zustande kommen, vorausgesetzt, dass diese überhaupt 
genügend Material liefert. Deswegen ist ein anderer, zuerst von 
J. Israel beschrittener Weg vorzuziehen. Israel hat den Ge¬ 
brauch der alten italienischen Rhinoplastik im Geiste der neuen 
Anforderung dadurch vervollkommnet, dass er zuerst am Arm 
die Nase mit knöcherner Unterlage aufbaute und dann das so 
vorgearbeitete solide Gebilde an den Ort seiner Bestimmung ver¬ 
pflanzte. Lexer zieht diese Art mit aller Entschiedenheit vor; 
sie erlaubt auch dann noch durchaus befriedigende Resultate, 
wenn frontale Hautperiostknochenlappen keine Möglichkeit der 
Anwendung mehr gewähren, und bleibt unter allen Umständen 
brauchbar. 

Indessen auch bei bestem Gelingen bleibt der bildnerische 
Ersatz der ganzen Nase Stückwerk, dem eine gewisse Unnatürlich¬ 
keit schon deswegen nicht zu bestreiten ist, weil ihm die in¬ 
dividuelle Aehnlichkeit mit dem ursprünglichen, verloren ge¬ 
gangenen Organ mangelt. Aus diesem Grunde dürfte es sich 
hier besonders empfehlen, alle „Reste“ zu sammeln für die Neu¬ 
schöpfung. Denn in ihnen bleibt ein gewisser Teil der persön¬ 
lichen Wesenheit enthalten, ganz abgesehen davon, dass sie 
besser als das schönste Transplantat geeignet sind, gerade die 
für die plastische Herstellung schwierigsten Teile zu liefern, wie 
die Nasenspitze, die Nasenflügel, die Nasenlöcher. Oft genug 
enthalten die fürchterlichsten Narbenmassen, die kaum noch 
Hoffnung für eine leidliche Verbesserung des Zustandes übrig 
lassen, die Grundsubstanz für eine Rekonstruktion, die den Ver¬ 
unglückten dem ungescheuten Verkehr mit seiner Umgebung 
wiedergibt, ihn der Verzweiflung entreisst, ja sogar ihm zu einer 
gewissen Aehnlichkeit mit seinem ehemaligen Aussehen verhilft. 

Am häufigsten hat man diese Aussicht bei den extremen 
Formen von Sattelnase, welche infolge von Zerfleischung der 
gesamten Gesichtsmaske durch Schussverletzungen zustande kam. 
Es ist sicherlich richtiger, sie nicht, wie manche 
Autoren wollen, in radikaler Weise dnrch totale Rhino¬ 
plastik beseitigen zu wollen, sondern ohne Scheu vor. 
zahlreichen Operationsetappen mit dem noch vor¬ 
handenen Material allmählich wiederherzustellen. Die 
Grundzüge der brauchbarsten Methode sind in dem von König 
zuerst angegebenen und von J. Israel zu mustergültiger Voll¬ 
endung gebrachten Verfahren gegeben. Erhaltung noch ver- 
wendungsfähiger originärer Substanz, Benutzung von Hautperiost¬ 
knochenlappen, Eintreibung von Knochenspangen aus der Tibia, 
geduldige, wenn auch zeitraubende Wiederholung der Eingriffe 
erreichen kosmetisch einwandfreie Resultate, die der ehemaligen 
Gesichtsbildung selbst unter den schwierigsten Umständen einiger- 
maassen nahe kommen. 

Als Beispiel diene folgender Fall: Unteroffizier N., 13. V. J. G. hat 
eine vom linken Lippenwangenwinkel quer über die Nase bis zum rechten 
äusseren unteren Augenrand querlaufende Zerreissung des Gesichts er¬ 
litten mit voller Zertrümmerung des Nasenskelettes, Eiosinken der¬ 
selben, Eröffnung der Kieferhöhlen, Zerstörung des rechten Unterlides 
und Vernichtung des rechten Bulbus, der alsbald enukleiert wurde. 

Er kam am 26. V. ins Heimatlazarett mit folgendem Status: Linkes 
Lid fehlt bis auf geringe Reste, angrenzende Wange in granulierende 
Fläche verwandelt; höchstgradiges Ectropium des rechten Unterlides, 
dessen Conjunctiva in ganzer Ausdehnung nach aussen gerollt ist, die 
Nase total eingesunken und breit gequetscht, mit wulstigen, stark 
eiternden Granulationen bedeckt, das Naseninnere freigelegt, die Um¬ 
randung der Nasenlöcher rechts einigermaassen erhalten, links zerrissen, 
von ihr aus granulierende bis zum linken unteren äusseren Orbitalrand 
reichende Wunde. Nach der Wundheilung am 1. VIII. folgender Be¬ 
fund: Totales Ectropium der rechten Conjunctiva, so dass diese als 
hochroter, warzenförmiger Tumor aus der Orbita über der Wange hängt, 
der 2 mm breite Rest des Lides geht in die quere über die ganze Wange 
zur Nase verlaufende Narbe über. Der platt gedrückte Nasenrücken 
liegt unter dem Niveau der Apertur tief in das Innere eingezogen, die 
Nasenspitze erhebt sich nur sehr wenig über die Ebene der Oberlippe, 
die Nasenlöcher schauen fast frontalwärts und sind nach links verzogen. 
Das linke Oberlid ist tief in die Augenhöhle eingezogen; strahlige 
Narben der linken Wange. 

1. VIII. Lidbildung unter Benutzung eines starren Narbenrestes als 
obere Begrenzung mit grossem, halbmondförmigem Lappen aus der seit¬ 
lichen Wangengegend; volle Beseitigung des Ectropiums. Prima reunio. 
Augenprothese am I. IX. Guter Effekt. 

13. IX. Erste Nasenoperation: Nach oben konvexer Bogenschnitt 
quer über der Einsattelung bis in die Nasolabialfalte, Auslösen der 
Nasenreste, so dass sie senkrecht aufgestellt werden können, quere Ver- 
nähung der der Spitze angehörigen Teile, um deren unförmige Breite zu 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


beseitigen, Versuch der Bildung eines Nasengerüsts aus der Umrandung 
der Apertura pyriformis. Dieser Versuch misslingt, da die dünnen 
Knochenleisten nekrotisch werden, aber die Nasenspitze bleibt in guter 
Projektion. Die Nasengänge werden durch Röhren offengehalten. 

1. X. Zweite Nasenoperation: Für den zu bildenden Nasenrücken, 
der einen soliden Knochenbau erfordert, wird ein 5 cm langes, drei¬ 
eckiges Knochenstück aus der Tibia zwischen Haut und Periost der 
Stirn so eingeschoben, dass es von der Glabella schräg nach oben aussen 
zu liegen kommt. 


Abbildung 7. 



Nach der Lidwangenbildung Nach Heilung. 


15. X. Dritte Nasenoperation: Der eingeheilte Knochen wird mit 
der Haut und dem Periost des Stirnknochens io einem oblongen 
Lappen Umschnitten, so dass er ohne Zirkulationsstörung nach unten 
geklappt werden kann. Eine Verlängerung des rechten Schnittrandes 
durch die Hautreste der oberen Nasenteile gestattet, hier Wundfläche 
auf Wundfläche einzunähen und dann mit der angefrischten Haut, welche 
in die Apertura pyriformis hineingezogen ist, sowie mit der zu diesem 
Zweck wundgeraachten Nasenspitze vereinigen. Da, wo der Lappen nicht 
auf frischen Wunrlflächen liegt, wird er mit Vioformgaze unterpolstert, 
die aus einer kleinen Oeffnung auf der linken Seite hinausgeleitet wird. 
Die Nasengänge werden durch Silber/Öhren durchgängig erhalten. 

Volle prima intentis aller Nahtlinien. Allmähliche Verkleinerung 
der linken Nasenfistel, die bis zum 31. XII. spontan zum Schluss kommt. 

Die noch vorhandenen Hautüberschüsse sowie unschönen Grössen¬ 
verhältnisse, auch die immer noch beträchtliche Einsattelung werden 
durch weitere Nachhilfen beseitigt, bei diesen auch Exzisionen von 
Narben der linken Wange vorgenommen. Form und Aussehen bessern 
sich immer weiter, es restiert indessen eine gewisse Flachheit des Nasen¬ 
rückens, die Anfang November durch einen neuen aus der Tibia ent¬ 
nommenen und subkutan eingeschobenen Knochenspan zu vollem Ver¬ 
schwinden gebracht wird. 

In diesem Falle wurde — wie übrigens auch bei anderen 
Gelegenheiten — mit sehr günstigem Ausgang der für die Unter¬ 
fütterung des Stirnlappens benötigte Knochen aus der Tibia ent¬ 
nommen, zwischen Haut und Periost eingepflanzt und nach seiner 
Einheilung die Beinhaut des Os frontale für die Bildung des 
Nasenrückens benutzt. Der Lappen enthielt also Stirnhaut, Periost, 
Knochen von der Tibia und Periost des Stirnbeins. Dieses Verfahren 
gewährt unter geeigneten Umständen nicht unerhebliche Vorteile. 
Es bleibt nicht nur keine Delle in der Stirn zurück, man kann 
auch einen First von beliebiger Stärke wählen, der vermöge 
seines keilförmigen Querschnitts die natürliche Gestalt des Nasen¬ 
rückens gut nachabmt. Ueberdies aber schafft die peri¬ 
ostale untere Bedeckung dem Knochenstück bei der oft 
genug unvermeidbaren Auflagerung auf die offene 
Nasenhöhle Schutz gegen die Gefahr direkter Infektion 
und der daraus hervorgehenden gänzlichen oder teil¬ 
weisen Nekrose. 

Die Erfahrungen über die Gesichtsplastiken bei Kriegsver¬ 
letzten zeigen, dass man den in so vielfacher Beziehung ge¬ 
steigerten Aufgaben am Besten gerecht wird, unter sorgfältiger 
Berücksichtigung der allgemeinen chirurgischen Gesichtspunkte, 
welche die plastische Chirurgie überhaupt beherrschen. Jede 
Art der Transplantation kann in Frage kommen, und erfreuliche 
Erfolge werden mit Sicherheit erzielt werden, wenn als oberstes 
Prinzip gilt, für das jeweilige Vorkommnis die geeignete Art be¬ 
währten Vorgehens zu ergründen. Die reiche Auswahl, welche 
die modernen Errungenschaften auf diesem Gebiet uns geschenkt 
hat, erlaubt unbegrenzte Variationen. Als maassgebende Grund¬ 
sätze aber müssen die Vorschriften der Altmeister unserer Kunst 
befolgt werden. Die Lehren Dieffenbach’s und v. Langen- 
beck’s bedeuten das Fundament, die Methodik König’s und 
J. Israel’s die Stützen eines Baus, der kraft der neuen Ver¬ 


besserungen der Technik auch den ungewöhnlichsten und 
schwierigsten Anforderungen Genüge leistet. Es heisst nicht, 
Verdienste anderer schmälern, wenn wir am siebenzigsten Geburts¬ 
tage Israel’s der durch seine fruchtbringende Tätigkeit auch 
auf diesem Gebiet errungenen Fortschritte gedenken. 


Bedürfen wegen Magen- und Duodenalgeschwür 
Operierte der Nachbehandlung? 

Von 

E. Aron. 

Dank der grossen Fortschritte der Chirurgie hat die Therapie 
der Magen- und Darmkrankheiten eine sehr wesentliche Förde¬ 
rung erfahren. Diese chirurgischen Errungenschaften sind keines¬ 
wegs sehr alten Datums. Noch vor wenigen Dezennien schien 
die Magen und Darmchirurgie ein wenig aussichtsvolles Kapitel 
zu sein. Nur vereinzelte, besonders kühne Operateure wagten 
sich an diese Organe heran und fast stets mit einem völlig 
negativen Endergebnis. Heutzutage haben sich diese Verhältnisse 
vollkommen verändert. Es dürfte wohl kaum einen beschäftigten 
Chirurgen geben, der nicht über zahlreiche Erfolge bei seinen 
Magen- und Darmoperationen zu berichten hätte. Die chirurgische 
Technik ist im Laufe der Zeit derart verfeinert und gesichert, 
dass die Zahl der Todesfälle nach Magen- und Darmoperationen 
sich sehr verringert hat. Man kann daher heute mit gutem Ge¬ 
wissen bei Magen-’ und Darmerkrankungen, wenn alle Mittel der 
inneren Medizin versagt haben, und wenn die Beschwerden derart 
sind, dass sie einen operativen Eingriff rechtfertigen, getrost zur 
Operation raten. Ich will an dieser Stelle nur die gutartigen 
chronischen Geschwüre des Magens und Duodenums herausgreifen, 
soweit diese eine Operation bedingt haben. In den bei weitem 
häufigsten Fällen wird es sich ja um eine Gastroenterostomie 
handeln. Andere Operationen werden heute bei diesem Leiden 
wohl wesentlich seltener ausgeführt. Vier Gründe sind es be¬ 
kanntlich, welche beim Ulcus in einem gewissen Prozentsatz der 
Fälle zur Operation nötigen: 1. Stenosen infolge von Narben, 
2. heftige Schmerzanfälle und Erbrechen, 3. schwere, recidi- 
vierende Blutungen und 4. Perforation des Ulcus. Es ist wohl 
selbstverständlich und bedarf wohl kaum besonderer Betonung, 
dass, bevor man zur Operation rät, alle internen Medikationen 
erschöpft sein müssen. Dass gleichzeitig bei Entscheidung der 
Frage, ob operiert werden soll oder muss, die sozialen Verhält¬ 
nisse des Kranken mit zu berücksichtigen sind, das sei nur 
nebenbei erwähnt. Eine der häufigsten Veranlassungen zur Ope¬ 
ration beim Ulcus dürfte wohl die Blutung sein, welche trotz 
konsequentester, interner Behandlung zuweilen immer wieder 
einsetzt und den Körper aufs äusserste schwächt und gefährdet. 
Gerade in solchen, auf anderem Wege nicht kurablen Fällen 
wirkt eine glücklich verlaufene Gastroenterostomie oft lebens¬ 
rettend. Nach der Operation erholen sich die Kranken häufig 
sichtlich und blühen von neuem auf. Derartige Patienten ge¬ 
langen nach langem Siechtum wieder zum Lebensgenuss und vor 
allem auch wieder zur Arbeitsfähigkeit. 

Ist nun mit der Operation die Behandlung der operierten 
Ulcuskranken abgeschlossen, oder ist es notwendig, dass nach 
und trotz der Operation noch eine weitere Behandlung erfolgt? 

In der Praxis gestalten sich die Dinge meist etwa folgender- 
maassen: Die Patienten, welche jabre , oft jahrzehntelang vor 
der Operation sich der schwersten diätetischen Beschränkungen 
haben unterwerfen müssen, um überhaupt ein einigermaassen 
erträgliches Dasein zu fristen, glauben nach der Operation in der 
Annahme, dass sie nunmehr völlig gesund seien, alles essen und 
trinken zu können wie ein völlig Gesunder. Sie essen und 
trinken, als müssten sie das Versäumte nachholen, alles lange 
Entbehrte und dies oft in ungeheuren Mengen. Und fragt man 
diese Patienten, ob ihnen denn von seiten ihrer Operateure und 
Aerzte alle Nahrungsmittel in unbeschränkter Weise und Menge 
erlaubt seien, so bekommt man stets die übereinstimmende Ant¬ 
wort, dass ihnen keine diätetischen Vorschriften mit auf den Weg 
gegeben seien. Sowohl in meiner Privatpraxis wie auch bei den 
Patienten des Krankenhauses habe ich stets die gleiche Erfahrung 
gemacht. Den operierten Ulcuskranken war von seiten ihrer 
Chirurgen niemals eine beschränkende Diät vorgeschrieben worden, 
so dass sie sich zu jedem kulinarischen Exzess für berechtigt 
hielten. Ganz besonders habe ich das Schicksal zweier Patienten 
aus meiner Privatpraxis [genau verfolgen können, welche wogen 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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heftiger Ulcusbeschwerden von zwei verschiedenen unserer aller¬ 
ersten Berliner Chirurgen vor Jahren operiert worden waren. 
Ich konnte es bei ihnen nicht durchsetzen, dass sie sich irgend 
welcher diätetischer Beschränkungen unterwarfen. Sie stützten 
sich auf die Aussagen ihrer Operateure, welche sie nach der 
Operation für völlig gesund und das Innehalten einer gewissen 
Diät für überflüssig erklärt hatten. Es ging bei diesen Patienten, 
wie es auch sonst oft geht. Sie fühlten sich dank der gelungenen 
Operation jahrelang völlig wohl, blühten sichtlich auf und ver- 
gassen immer mehr die überstandenen Qualen und Leiden, bis 
sie eines Tags plötzlich an ihre alte Krankheit recht unsanft und 
ernst gemahnt wurden. In beiden Fällen traten wieder foudroyante 
Blutungen auf, welche ein schweres, neues Krankenlager im Ge¬ 
folge <§atten. Aebhliche Beobachtungen habe ich auch sonst ge¬ 
macht, besonders auch bei den Krankenhauspatienten. 

Was ist in diesen Fällen passiert? Hängen die neuen Blu¬ 
tungen und Schmerzanfälle mit neuen Ulcuseruptionen zusammen, 
oder aber ist das alte Ulcus, welches ausgeheilt war oder aus- 
gebeilt schien, wieder aufgebrochen? Es dürfte schwer sein, diese 
Frage präzise zu beantworten. Wenn auch selten einwands¬ 

frei nacbgewiesen worden ist, dass nach der Operation eine neue 
Geschwürsbildung sich entwickelt hat, so dürfte wohl in den 
meisten Fällen das ursprüngliche Ulcus der Grund der neuen 

Beschwerden sein. In einer Reihe von Fällen sind nach der 

Gastroenterostomie neue Beschwerden und Symptome auf ein 
Ulcus pepticum jejuni zurückzuführen. Eine klinische Diagnose 
dieses Vorkommnisses ist bisher nicht möglich. Wenn man sich 
die pathologisch-anatomischen Verhältnisse klar macht, so kann 
man -das Recidivieren der alten Ulcussymptome sehr wohl ver¬ 
stehen. Die Grundursache des Ulcus ist ja trotz der Operation 
nicht beseitigt, der kranke Magen mit der Neigung zu über¬ 

mässiger Säurebildung. Wenn nun der Patient nach der Opera¬ 
tion auf dieses Organ absolut keine Rücksicht nimmt, sich in 
der Diät keinerlei Beschränkung auferlegt, so müssten eigentlich 
logischerweise sehr häufig Rückfälle oder neue Ulcerabildungen 
Zustandekommen. Es ist uns zur Genüge bekannt, dass ausser 
nervösen Momenten besonders gewisse Nahrungsmittel die Säure¬ 
bildung im Magen anregen und verstärken. Wenn nun die ope¬ 
rierten Ulcuskranken diese Momente vernachlässigen, so wird der 
kranke Magen häufig nach wie vor in pathologischer Weise hohe 
Säurewerte aufweisen müssen. Die Folgen dieser abnormen 
Funktion kennen wir aus der Pathologie des Magengeschwürs 
zur Genüge. Es ist daher vollkommen verständlich und erklär¬ 
lich, dass nach einer gewissen Zeit nach der Operation neue 
Reizzustände in der alten Narbe oder gar neue Ulcera sich ent¬ 
wickeln können, wenn der zu Hyperacidität neigende Magen 
mit uözweckmässigen Nahrungsmitteln dauernd misshandelt wird. 
War nach der Operation anfangs ein Ruhestand oder eine La¬ 
tenz des Ulcus eingetreten, so liegt dies einerseits daran, dass 
nach der Operation und noch einige Zeit danach eine vernünftige 
Diät beobachtet worden ist. Andererseits wird die Ausheilung 
des Ulcus durch die peu geschaffenen, mechanischen Verhältnisse 
des Magens infolge der Operation begünstigt. 

Merkwürdigerweise ist der praktisch gewiss wichtigen Frage: 
Dürfen Ulcusoperierte alles essen, von seiten der operierenden 
Chirurgen und der behandelnden Aerzte viel zu wenig Aufmerk¬ 
samkeit geschenkt worden. In den bekannten Lehrbüchern über 
Magenkrankheiten, soweit ich dieselben durchgesehen habe, finde 
ich hierüber keine Belehrung. Auch in den chirurgischen Lehr- 
und Handbüchern vermisse ich derartige Vorschriften, so dass 
es fast so scheint, dass die Autoren auf eine systematische .Nach¬ 
behandlung der wegen Ulcus Operierten keinen Wert legen. 
Eine Erklärung hierfür finden wir vielleicht in den Ergebnissen 
der Spezialliteratur, obwohl auch diese keineswegs einheitliche 
Schlüsse zulassen. Nach den Angaben der meisten Autoren 1 ) 
soll die Magensekretion nach der Gastroenterostomie völlig nor¬ 
mal werden, wenn auch, was nicht verschwiegen werden darf, 
widersprechende Angaben nicht fehlen. Von verschiedenen Seiten 
sind bei Gastroenterostomierten Säurebestimmungen des Magen¬ 
saftes vor und nach der Operation ausgeführt worden. Es hat 
sich dabei ergeben, dass in etwa 50 pCt. der untersuchten Fälle 


1) Wer sich für die Literatur dieses Kapitels interessiert, den ver¬ 
weise ich auf die Arbeit Katzenstein’u: „lieber die Aenderung des 
Magenchemismus naoh der Gastroenterostomie und den Einfluss dieser 
Operation auf das Ulcus und Carcinom ventriculi. w D.m.W., 1907, 
Nr. 3 u. 4, und die Monographie L. Bamberger’s: „Die innere und 
die chirurgische Behandlung des obronisohen Magengeschwürs und ihre 
Erfolge. Berlin, 1909. 


normale Säurewerte nachgewiesen wurden. Wie auch sonst, sind 
die Aciditätsbestimmungen nach Verabfolgung eines Probefrühstücks 
ausgeführt worden. Für die Praxis beweist dieser Nachweis nach 
meinem Dafürhalten recht wenig. Viel wichtiger wäre es zu 
wissen, wie sich die Säurewerte des Magens nach einer weniger 
reizlosen Kost, als es ein Probefrühstück darstellt, gestalten. 
Die Erfahrungen des täglichen Lebens beim Magengeschwür be¬ 
weisen uns immer von neuem, dass die Acidität des Magensaftes 
eine ganz andere ist, wenn wir eine blande, reizlose Kost geben, 
als wenn wir eine derbe, reizende Diät verabfolgen. Die Unter¬ 
suchungen des Magenchemismus bei operierten Ulcuspatienten 
dürfen sich demnach nicht damit begnügen, die Säurewerte des 
Magens nach einem Probefrühstück festzustellen, sondern vor 
allem nach einer derberen Reizkost. Dabei dürfte voraussicht¬ 
lich der Prozentsatz normaler Säurewerte des Magensaftes ein 
viel geringerer sein, als dies oben angedeutet worden ist. Gerade 
die Angaben verschiedener Schriftsteller, dass nach der Opera¬ 
tion der Magenchemismus ein normaler werde, mag ja wohl die 
Ursache dafür sein, dass man die Nachbehandlung der Ulcus- 
operierten so stiefmütterlich behandelt hat. Bei dieser Sachlage 
hat Katzen stein vor einer Reibe von Jahren dieses Kapitel 
von neuem bearbeitet und experimentell zu lösen versucht. Als 
wichtigstes Ergebnis seiner Versuche möchte ich die Beobachtung 
betrachten, dass nach der Gastroenterostomie grössere oder ge¬ 
ringere Mengen alkalischen Darmsaftes in den Magen fliessen, 
wodurch die Acidität des Magens herabgesetzt bzw. aufgehoben 
wird. Ferner zeigte er, dass bei den Versuchstieren die Werte 
der Magensäure durch psychische Erregungen (Vorsetzen von 
Pferdefleisch) erhöht wurden. Auch in den ersten Stunden der 
Fleischverdauung fand sich ein sehr hoher Aciditätsgrad. Katzen¬ 
stein kommt auf Grund seiner Experimente zu dem Schlüsse, 
dass die Diät nach der Gastroenterostomie zu regeln sei einer¬ 
seits, um das vorhandene Ulcus zur Heilung zu bringen und 
andererseits, um Recidive zu verhüten. Er bat diesem Kapitel 
die ihm gebührende Aufmerksamkeit geschenkt und zieht daraus 
die logischen Konsequenzen. Ich stimme'ihm in jeder Hinsicht 
bei, nur glaube ich, dass die erforderliche Diät eine viel strengere 
sein muss, als dies von ihm angedeutet wird. Wir dürfen uns 
nicht damit begnügen, häufige und kleine Mahlzeiten zu emp¬ 
fehlen, Wassergenuss und fette Nahrungsmittel zu verordnen, 
sondern müssen die Diät fast so streng gestalten, wie wir sie 
beim Ulcue vor der Operation für notwendig gefunden haben. 
Wir müssen uns eben stets vor Augen halten, dass das kranke 
Organ, der kranke Magen durch die Operation nicht beseitigt 
ist, wenn auch die funktionellen und chemischen Verhältnisse 
des Magens durch die Operation oft verbessert sein mögen. Bei 
einem Magen, bei dem schon einmal ein Ulcus entstanden war, 
wird natürlich eine unzuträgliche Diät unter Umständen in viel 
höherem Grade die Aciditätswerte in die Höhe treiben, als dies 
schon bei den magengesunden Versuchstieren Katzenstein’s der 
Fall ist. Und was ein derartig veränderter Magensaft neben 
anderen kausalen Gründen bedeutet, ist uns aus der Aetiologie 
des Ulcus ventriculi und duodeni zur Genüge bekannt. Es ist 
demnach fehlerhaft und rächt sich oft genug, wenn wir diesen 
Verhältnissen nicht genügend Rechnung tragen. 

Io der sehr umfangreichen Literatur finden sich Angaben 
darüber, dass einige Autoren eine mehr oder weniger strenge 
Diätotherapie nach der Gastroenterostomie für notwendig gefunden 
haben. Einige von diesen Autoren möchte ich hier namhaft 
machen, welche ein derartiges Regime anempfehlen: G. Petrön 1 ), 
Fink 2 ), Borszöky 3 ), H. Strauss 4 ), Bamberger 5 ). 

Nach den statistischen Angaben namhafter Chirurgen, welche 
das Geschick der weg&n Ulcus ventriculi Gastroenterostomierten 
längere Zeit verfolgt haben, geht hervor, dass eine nicht unbe¬ 
trächtliche Zahl dieser (etwa 70pCc.) gute Dauerresultate aufzu¬ 
weisen hatte, auch ohne dass eine besondere Diät von ihnen be¬ 
obachtet worden war. Ein Teil der Operierten wurde durch Be¬ 
schwerden verschiedenen Grades von seiten des Magens bzw. 
Darmes gezwungen, eine gewisse Diät innezuhalten. Bei anderen 
traten bisweilen ohne Vorboten plötzlich sehr schwere, ja lebens¬ 
gefährliche Erscheinungen wieder auf, so dass eine erneute Ulcus- 
kur notwendig wurde. Bei dieser Sachlage und vor allem des- 

1) Petr6n, Beitr. z. klin. Chir., 1911, Bd. 76, S. 875. 

2) Fink, Zbl. f. Chir., 1911, Nr. 46, S. 1497. 

8) Borszeky, Beitr. z. klin Cnir., 1908, Bd. 57, S. 56. 

4) H. Strauss, M. Kl., 1911, Nr. 21, und Jkurs. f. ärztl. Fortbild., 
1912, Aug. 

, 5) Bamberger, M. Kl., 1913, Nr. 37. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


halb, weil man nie im voraus wissen und bestimmen kann, zu 
welcher jener Kategorien der betreffende operierte Ulcusfall ge¬ 
hört, ergibt sich aus Gründen der Vorsicht und Klugheit die 
Forderung, allen wegen eines Ulcus Operierten unter allen Um¬ 
ständen eine strenge Ulcusdiät aufzuerlegen, und zwar nicht für 
Wochen und Monate, sondern für Jahre, möglichst für das ganze 
Leben. Auf anderem Wege ist die Gefahr eines Ulcusrecidivs 
niemals zu bannen. Wir müssen darauf dringen, diese Diät sehr 
lange Zeit, möglichst dauernd durchzuführen, da wir erfahren 
habeo, dass ein Recidiv noch sehr lange Zeit nach der Operation 
Vorkommen kann. Dieses Recidiv setzt nicht selten sehr plötz¬ 
lich ohne Vorboten unter den stürmischsten Erscheinungen ein, 
selbst wenn schon viele Jahre ohne jegliche Beschwerden von 
seiten des Magens oder Darmes glücklich vorübergegangen waren. 

Die Erfolge der Chirurgen beim Ulcus ventriculi et duodeni, 
das ist nicht zu bezweifeln, werden sich noch sehr wesentlich 
bessern, wenn in allen Fällen eines Geschwürs des Magens oder 
Zwölffingerdarms nach der Operation der Nachbehandlung der 
Kranken volle Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das wird sich 
aber nur dann erreichen lassen, wenn die Operateure sich dieser 
Anschauung anschliessen und ihre Patienten dementsprechend be¬ 
raten. Naturgemäss wird ein Operierter seinem Operateur am 
ehesten in dieser Hinsicht folgen. Man war vielleicht berechtigt, 
diese Nachbehandlung zu vernachlässigen, da eine grössere An¬ 
zahl von Autoren nach der Operation die Magensekretion normal 
gefunden hat. Die sich widersprechenden Untersuchungsergeb¬ 
nisse und vor allem das Auftreten von Recidiven nach der Ope¬ 
ration sprechen jedoch eine beredte Sprache in dem Sinne, dass 
dem nicht so sei, und dass eine konsequente, diätetische Nach¬ 
behandlung auch wissenschaftlich gerechtfertigt ist. Unsere 
eigenen, praktischen Beobachtungen bewegen sich in demselben 
Sinne, so dass wir zu dem Schlüsse kommen, dass eine strenge 
Diätbescbränkung bei Ulcusoperierten unbedingt not¬ 
wendig ist, und zwar für lange Zeit, wenn wir vor herben 
Enttäuschungen bewahrt bleiben wollen. 

Wenn ich vorstehende Arbeit, J. Israel als bescheidene Gabe 
auf seinen Geburtstagstisch zu legen mir gestatte, so hoffe ich, 
dass Israeli Ansichten in dieser Frage sich mit meinen Aus¬ 
führungen decken. In fast 27 jähriger, gemeinsamer Arbeit am 
Krankenhause hatte ich oft Gelegenheit, Israel nicht nur als 
glänzenden und schöpferischen Chirurgen schätzen ,zu lernen, 
sondern auch als einen im höchsten Maasse fein durchgebildeten, 
inneren Arzt. Israel ist gleichzeitig viel zu sehr Internist, als 
dass er sich bei seinen Patienten mit der Operation als solchen 
zufrieden gibt. Er ist sich stets bewusst, dass der operierte 
Patient meist noch gründlicher, weiterer, ärztlicher Behandlung 
bedarf. In wie hohem Grade dies gerade beim Magen- und Duo¬ 
denalgeschwür notwendig ist, das zu beleuchten, war der Zweck 
obiger Zeilen. 


Aus der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung 
des jüdischen Krankenhauses in Berlin. 

Die Fortschritte der Nierenchirurgie in ihren 
Beziehungen zur Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Von 

Karl Abel, 

Als die Gynäkologie sich von der Chirurgie trennte und zu 
einer eigenen Fachwissenschaft wurde, lag es in der Natur der 
Sache, dass zunächst die konservative und operative Behandlung 
der weiblichen Geschlechtsorgane im engsten Sinne zu einer 
möglichst grossen Vollkommenheit gebracht wurde. Sehr bald 
aber erkannte man, dass die Aufgabe des Frauenarztes nicht allein 
darin besteht, die erkrankten Geschlechtsorgane zu behandeln, 
sondern die erkrankte Frau wieder gesund zu macheo. Ebenso¬ 
wenig wie man irgendein anderes erkranktes Organ des mensch¬ 
lichen Körpers ohne Rücksicht auf den Gesamtorganismus be¬ 
trachten und behandeln kann, ebensowenig ist dies bei den weib¬ 
lichen Geschlechtsorganen möglich. Die Erkrankungen dieser 
Organe stehen in lebhaftester Wechselbeziehung zu den Er¬ 
krankungen anderer Organe. Ich erinnere nur an den Zusammen¬ 
hang zwischen Herzkrankheiten und Gebärmutterblutungen, 
zwischen Appendicitis und Adnexerkrankungen und auf den praktisch 
so sehr wichtigen Zusammenhang zwischen Nierenerkrankungen 


und Schwangerschaft. Bei dem heutigen Staod der operativen 
Gynäkologie lässt sich auch die Untersuchung und Behandlung 
des weiblichen Harnapparates nicht mehr .entbehren. Der Gynä¬ 
kologe muss die Technik der Blasen- und Ureterencystoskopie voll¬ 
kommen beherrschen, wenn anders er eine exakte Diagnose stellen 
und die darauf begründete Therapie ausführen will. Es sind 
z. B. Todesfälle nach Prolaps- und Uteruskrebsoperationen be¬ 
schrieben worden, die auf alte Pyelonephritiden zurückzuführen 
waren. Wäre in diesen Fällen vorher eine genaue Untersuchung 
des Harnapparates erfolgt, so hätte man wahrscheinlich von der 
Operation Abstand genommen und erst diese Erkrankung zur 
Heilung gebracht. Bei der Tuberkulose der Uterusadnexe wird 
man sich durch die Cystoskopie überzeugen müssen, ob die Er¬ 
krankung bereits auf die Blasenwand übergegriffen bat, oder man 
wird in zweifelhaften Fällen durch die Beschaffenheit der Blasen- 
Schleimhaut auf die richtige Diagnose gebracht. Vor Ausführung 
einer Carcinomoperation hat man durch die Blasen- und Ureteren- 
cystoskopie festzustellen, wie weit diese Organe in Mitleidenschaft 
gezogen sind. Bei Blasen- und Ureterscheidenfisteln ist vorher 
die Lage der Fistel genau festzustellen, und häufig sind die 
Blaseubeschwerden nichts als die Symptome einerNierenerkrankung. 
Es vergeht kaum ein Tag, an weichem nicht Frauen mit den bei 
ihnen so häufigen Blasenbeschwerden zu uns in die Sprechstunde 
kommen, und da ist es unsere Aufgabe, nicht nur die Ursache 
dieser Beschwerden festzustelien, sondern sie auch davon zu be¬ 
freien. Wenn man sich einen Begriff machen will, welche Aus¬ 
dehnung das Gebiet gewonnen bat, welches der Gynäkologe jetzt 
beherrschen muss, so braucht man sich nur die neuen Lehrbücher, 
namentlich über operative Gynäkologie anzusehen. Im Gegensatz 
zu den älteren Werken, welche nur die operative Technik bei 
Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane enthalten, finden 
wir in der operativen Gynäkologie von Döderlein und Krönig 
ausserdem die ausführliche Besprechung der Chirurgie der Hernien, 
des Mastdarms, der Gallenblase, des Magens, der Därme und die 
Blasen-, Ureteren- und Nierenchiturgie. Dies ist ein Beweis dafür, 
dass der Gynäkologe mit der Bauehchirurgie durchaus vertraut 
sein muss, denn es wäre ein schlechtes Zeichen seiner Kenntnisse 
und Technik, wenn er z. B. bei der Fehldiagnose einer Geschwulst 
oder bei Darmerkrankungen, die eine Resektion erfordern, die 
Bauchhöhle wieder schliessen und den Fall einem Chirurgen 
überweisen würde, ln den Sammelwerken von Frommei und 
in den Jahresberichten von Virchow-Hirsch bilden die Referate 
über die Erkrankungen des weiblichen Harnapparates ein besonderes 
Kapitel als Zeichen dafür, dass diese Erkrankungen nicht mehr 
von der Gynäkologie zu trennen sind. Einer der ersten, der immer 
wieder auf die engen Beziehungen zwischen diesen Erkrankungen 
und den gynäkologischen hingewiesen hat, war James Israel. 
Seine „cöirurgiscke Klinik der Nierenkrankheiten“ hat sicher 
vielen Gynäkologen den Anstoss gegeben, sich mit diesem für 
sie so wichtigen Gebiet eingehender als früher zu beschäftigen. 
Von anderen Autoren möchte ich hier noch Stöckel nennen, dem 
wir das erste Lehrbuch der gynäkologischen Cystoskopie ver¬ 
danken, und der die Zeitschrift für gynäkologische Urologie be¬ 
gründet hat; ferner Fritsch, Winter, Krönig, Knorr, 
Döderlein u. a. 

Wenn wir uns zunächst mit den gynäkologischen Erkrankungen 
beschäftigen, so ist es erstaunlich, wie häufig diagnostische Irr- 
tümer verkommen, sei es, dass die Beschwerden fälschlich auf 
Nierenerkrankungen bezogen werden, sei es dass das Umgekehrte 
der Fall ist. Eine der häufigsten Beschwerden, derentwegen die 
Frauen uns um Rat fragen, sind Kreuzschmerzen. Leider sieht 
man es nur zu oft, dass der untersuchende Arzt sich dann nur 
über den Zustand der Genitalorgane orientiert, vielleicht eine 
leichte Retroversio uteri findet, diese lange mit Tampons und 
Ring behandelt und doch keine Besserung erzielt. Die Erschlaffung 
der ßauclidecken mit Enteroptose und Wandernieren ist eine der 
häufigsten, viel zu wenig beachteten Ursachen dieser Kreuzschmerzen, 
welche durch eine geeignete Bandage sehr leicht zu beseitigen 
sind. Mitunter liegt die Wanderniere tief im kleinen Becken, so 
dass Verwechselungen mit Ovarialtumoren oder gestielten Myomen 
vorgekommen sind. Seltener kommt es vor, dass Ovarialtumoren 
so lang gestielt sind, dass sie Waodernieren vortäuschen. Auf 
Grund dieses Irrtums sah Israel eine apfelsinengrosse langgestielte 
Ovarialcyste unter dem Rippenbogen durch eine Federpelotte 
fixiert. Viel häufiger kommen Verwechslungen mit Hydronephrosen 
vor, die sich in das kleine Becken gesenkt haben. Durch den 
Ureterenkatheteri8mus kann man Verkleinerung der Geschwulst 
erzielen und die richtige Diagnose stellen. Die Probepunktion 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ergibt bei Ovarialcysten eine Flüssigkeit mit hohem Eiweissgebalt. 
Auch bei Nierentuberkulose können die Beschwerden auf eine 
vorhandene Adnexerkrankung bezogen werden. Die Fortdauer 
der Beschwerden nach der Exstirpation bat dann in solchen 
Fällen erst zur richtigen Diagnose geführt. Besonders oft werden 
die durch Nierensteine hervorgerufenen Symptome als gynäkologische 
Erkrankungen gedeutet und dementsprechend gynäkologische 
Eingriffe, natürlich ohne jeden Erfolg, gemacht. Gerade die Exa¬ 
zerbation der Schmerzen zurzeit der Menstruation soll den Gynä¬ 
kologen nicht dazu veranlassen, immer gleich eine gynäkologische 
Erkrankung anzunehmen, namentlich wenn der gynäkologische 
Befund in keinem Verhältnis zu den Schmerzen steht. In einem 
solchen Falle konnte von mir, nachdem die Menstruation vorüber 
war, der Abgang eines ziemlich grossen Konkrementes beobachtet 
und damit der Nachweis geliefert werden, dass es sich um keine 
gynäkologische Erkrankung handelte. Von besonderer Bedeutung 
sind auch die Fälle, welche die Nephralgien, die oft mit Ovarien 
kombiniert sind, angesprochen werden. Es bandelt sich hierbei 
um viscerale Neuralgien mit ganz bestimmten Druckpunkten im 
Unterleibe und im Hypochondrium, die als Symptome der Hysterie 
aufzufassen sind. Ehe man aber diese Diagnose stellt, muss man 
eine Erkrankung der Niere mit Sicherheit ausschliessen, da sonst 
die Patientin schwer geschädigt werden kann. Nierengeschwülste 
geben endlich bei Frauen auch öfter zu Irrtümern Veranlassung, 
insofern sie für einfache Wandernieren oder andere Tumoren ge¬ 
halten werden. In einem meiner Fälle bandelte es sich um eine 
fast mannskopfgrosse Geschwulst, welche das ganze Becken aus¬ 
füllte und von mir für ein Myom, resp. infolge seiner höckrigen 
Oberfläche für ein Ovarialcarcinom gehalten wurde. Bei der 
Laparotomie ergab sich jedoch, dass es sich um einen retroperi- 
tonealen Tumor handelte, der sich nach Spaltung des hinteren 
peritonealen Blattes als ein Hypernephrom erwies. Der Stiel 
wurde nach Unterbindung versenkt und darüber das hintere 
Peritoneum wieder geschlossen. Es erfolgte reaktionslose Heilung. 
Es würde zu weit führen, darauf einzugehen, ob diese Art der 
Operation für alle derartigen Fälle empfohlen werden soll. Im 
allgemeinen zieht man es ja vor, extraperitoneal zu operieren, und 
dies würde auch die Operation der Wahl sein, wenn es möglich 
ist, vorher eine absolut sichere Diagnose zu stellen. Nachdem 
ich aber die Bauchhöhle entsprechend der enormen Grösse des 
Tumors mit einem sehr langen Schnitt eröffnet hätte, wollte ich 
dieselbe nicht wieder schliessen, um dann die Geschwulst durch 
einen Lumbalschnitt zu entfernen, der auch wieder eine sehr er¬ 
hebliche Ausdehnung hätte haben müssen. Dazu kam noch, dass 
dies auch kaum ohne eine Verletzung des Peritoneums möglich 
gewesen wäre. Vor allem kommt es nach der sehr exakten 
Unterbindung des Stieles auf einen sorgfältigen Verschluss des 
hinteren Peritoneums an. Der Erfolg in meinem Falle beweist 
jedenfalls, dass der von mir gewählte Weg auch gangbar ist. 

Bei der Erörterung der verschiedenen wesentlichsten Er¬ 
krankungen des weiblichen Harntraktus werden wir noch mehr 
erkennen, in wie nahen Beziehungen dieselben zu den-Erkrankungen 
der weiblichen Geschlechtsorgane stehen. 

Eine der häufigsten Ursachen für die Entstehung der Hydro- 
nephrose ist die Kompression des Uretres. Hierzu geben Ge¬ 
schwülste in kleinen Becken, besonders intraligamentär entwickelte 
Myome oder Ovarialtumoren sehr oft Veranlassung. Ferner sieht 
man den Ureter durch Carcinome des Uterus und seines Lympb- 
drüsengebietes vollständig umwachsen und zusammen gepresst, ab-, 
gesehen davon, dass das Carcinom auf die Ureterwand selbst über¬ 
greift und diesen vollkommen verlegt. In einem Falle von Uterus- 
carcinom fand ich die Blase an der Einmündungsstesle des Ureters 
and diesen im unteren Teil ebenfalls vom Carcinom ergriffen, so 
dass er vollständig undurchgängig war. Oberhalb der Verlegungs¬ 
stelle war der Ureter in ziemlich grosser Ausdehnung bis über 
Daumendicke erweitert. Er musste infolgendessen so weit reseziert 
werden, dass eine Neueinpflanzung in die Blase nicht mehr er¬ 
folgen konnte. Ich nähte daher dasT übrig,'gebliebene Stück in 
den gesunden Ureter ein, nachdem die Radikaloperation des Uteros- 
carcinoms beendet war. Leider konnte die Patientin nicht länger 
beobachtet werden, da sie an den Folgen des sehr lang dauernden, 
gewaltigen Eingriffs nach zwei Tagen zugrunde ging. An dem der 
Operation folgenden Tage wurde Katheterurin entleert, so dass 
man annebmen konnte,Jdass die Anastomose funktionierte. Eine 
andere Ursache des gehemmten Abflusses bilden bindegewebige 
Verziehungen und Abknickungen des Ureters. Diese können durch 
chronische parametritische Prozesse entstehen oder durch Ver¬ 
zerrungen bei Totalprolapsen der Scheide und des Uterus bedingt 


sein. Man sollte daher auch an keinen Fall von Prolaps operativ 
herangeben, ohne sich vorher genau über die Lage des Ureters 
orientiert zu haben. Denn es sind schon öfter Fälle beschrieben 
worden, bei welcher bei dieser im allgemeinen als ungefährlich 
geltenden Operation Verletzungen des Ureters mit nachfolgender 
Ureter-Scbeidenfistel oder völlige Unterbindungen des einen oder 
sogar beider Ureteren vorgekommen sind. 

Für die Entstehung der Pyonephrose spielt natürlich beim 
Weibe die Gonorrhoe dieselbe Rolle wie beim Manne. Bei be¬ 
stehender Hydronephrose, die ja beim Weibe häufiger vorkommt, 
werden daher auch öfter Pyonephrosen zur Beobachtung kommen. 
Dass man bei jedem Katheterismus der Frau mit grösster Sauber¬ 
keit verfahren muss, bedarf eigentlich kaum der Erwähnung. 
Trotzdem sieht man immer wieder Pyonephrosen als Folgen von 
Kathetercystitis zu schweren Erkrankungen führen. Nicht selten 
findet man bei Cystocelen trüben Urin als Zeichen, dass eine 
Infektion stattgefunden hat. Darum ist auch hierbei genaue Unter¬ 
suchung und Behandlung von Blase und Niere notwendig, bevor 
man die Operation ausführt. Eine sehr seltene Ursache von In¬ 
fektion beschreibt Israel in der operativen Einheilung des Mutter¬ 
mundes in eine Blasenscheidenfistel, so dass die endometritisch 
erkrankte Uterushöhle sich in direkter Kommunikation mit dem 
Blaseninnern befand. Jäger (Klinik Seitz-Erlangen) macht auf 
die Bedeutung alter Pyelonepbritiden für gynäkologische Ope¬ 
rationen besonders aufmerksam. Er erwähnt einen Todesfall, den 
Küstner (Lehrbuch der Gynäkologie) nach Totalexstirpation wegen 
Prolaps hatte, wo sich bei der Sektion zahlreiche Nierenabsesse 
fanden. Die Frau hatte ein grosses Dekubitnsgeschwür, der Urin 
enthielt, reichlich Eiweiss und Cylinder. Er selbst beobachtete 
zwei Fälle, in denen nach Prolaps-, bzw. Carcinomoperation die 
Kranken infolge von alter Pyelitis zugrunde gingen. Man muss 
daher in solchen Fällen, in denen die Fieberlosigkeit und die 
geringen Beschwerden von seiten der Harnblase in keinem Ver¬ 
hältnis zu der Eiweissmenge und dem Bakterien- und Leukocyten- 
gehaltes des Urins stehen, unbedingt die Cystoskopie und den 
Ureterenkatheterismus vornehmen, denn nur dadurch ist es mög¬ 
lich, einer unangenehmen Komplikation auf die Spur zu kommen, 
die uns sonst die Freude an einem guten Operationsresultat zu¬ 
nichte machen kann. Wenn auch im allgemeinen die Pyonephrose 
durch aufsteigende Infektion von der Blase aus entsteht, so können 
doch auch bei Ureteren-Scheidenfisteln die Infektionskeime direkt 
in den Ureter und in die Niere gelangen. Man siebt daraus, wie 
Nebenverletzungen bei gynäkologischen Operationen, welchen ja 
die Ureteren-Scheidenfistel meist ihre Entstehung verdanken, zu 
schweren Schädigungen des Organismus führen können. Durch die 
verbesserte Technik der gynäkologischen Operationen und durch 
die gründliche vor der Operation vorgenommene urologische Unter¬ 
suchung sind aber diese Neben Verletzungen immer seltener geworden. 
So z. B. ist unter meinen Fällen, obwohl ich sehr viel vaginal 
operiere, in den letzten 5 Jahren nur eine Ureteren-Scheidenfistel 
bei sehr ausgedehnten Carcinom vorgekommen, die sich dazu 
spontan wieder geschlossen hat. 

Ein Zusammentreffen von Tuberkulose des Harn- und Ge¬ 
schlechtsapparates scheint sehr selten zu sein. Israel erwähnt 
nur einen Fall von v. Man dach, bei dem zwei Jahre nach der Ex¬ 
stirpation einer linksseitigen tuberkulösen Pyonephrose die Ent¬ 
fernung beider Tuben und Ovarien wegen Tuberkulose ausgeführt 
wurde. Ich selbst habe nur einmal eine Uterusexstirpation wegen 
Portio-Tuberkulose vorgenommen. (Das mikroskopische Bild dieses 
Falles ist in meiner mikroskopischen Technik und Diagnostik für 
die gynäkologische Praxis, Berlin, Aogust Hirschwald, ver¬ 
öffentlicht). Die Frau ist später an disseminierter Bauchfell- und 
doppelseitiger Nierentuberkulose zugrunde gegangen. 

Nierenkoliken können durch Beschädigung der Ureter wand 
bei gynäkologischen Operationen auftreten. Tief sitzende Ureter¬ 
steine sind von der Vagina aus palpabel und können auch vaginal 
entfernt werden. Die Kenntnis der Anurien ist für den Gynä¬ 
kologen von grösster Wichtigkeit, da wir nicht selten nach Ope¬ 
rationen Anurien beobachten, die sehr verschiedene Ursachen 
haben können. Besonders hervorzubeben ist, dass bei einseitigem 
Ureterverschluss reflektorisch völliges Versiegen der Harnsekretion 
eintreten kann. Das gleiche gilt für die doppelseitige diffuse 
Nephritis, wiederum ein Beweis dafür, wie genau man sich vor 
jeder Operation über den Zustand der Nieren orientieren muss. 
Für die Prognose ist es wichtig, zu wissen, dass Anurien oft 
Tage lang£ertragen werden, ohne das Allgemeinbefinden zu be¬ 
einträchtigen. In einem meiner Fälle von vaginaler Uterus- und 
Adnexexstirpation wegen Cervixcarcinoms trat nach der Operation 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


völlige Anurie ein. Da alle anderen Ursachen ausgeschlossen 
werden konnten, blieb mir nur übrig, anzunehmen, dass ich bei 
der Operation einen, möglicherweise auch beide Ureteren unter¬ 
bunden hatte. Da es unmöglich war, festzustellen, welche 
Ligatur den Ureter gefasst hatte, so entfernte ich nach 48 Stunden 
sämtliche Ligaturen. Hierbei kamen mir die Erfahrungen zu- 
statten, welche wir früher gesammelt hatten, als wir noch die 
vaginale Uterusexstirpation mit Hilfe liegenbleibender Klemmen 
ausführten. Diese wurden nach 48 Stunden, mitunter schon 
früher, abgenommen, ohne dass je eine Nachblutung eintrat. In 
folgedessen fürchtete ich eine solche auch nicht, wenn ich die 
Nähte nach 48 Stunden wieder entfernte. Wenige Stunden nach 
Herausnahme der Nähte war die Urinsekretion wieder im Gange, 
und es erfolgte reaktionslose Heilung. Der Fall ist auch insofern 
von Interesse, als er beweist, dass eine selbst 48 Stunden dauernde 
Unterbindung des Ureters diesen nicht zu schädigen braucht. 
Allerdings möchte ich bervorheben, dass ich zur Unterbindung 
der grossen Gefässe immer das allerdickste Catgut benutze. Es 
wäre denkbar, dass durch dünneres Nablmaterial die Ureterwund 
verletzt und eine Ureter Scheidenfistel hervorgerufen wird. 

Die Ureteren spielen ja bekanntlich bei allen grösseren 
gynäkologischen Operationen eine sehr wichtige Rolle. Bei der 
erweiterten abdominalen Uteruscarcinomoperation muss man mit¬ 
unter den vom Carcinom umwachsenen und auch bereits er¬ 
griffenen Ureter resezieren und neu in die Blase einpflanzen. In 
einem meiner Fälle von riesigem Ovarialtumor mit myxomatösem 
Inhalt ging der Ureter durch die Geschwulst hindurch und konnte 
nicht geschont werden. Ich musste denselben so hoch durch¬ 
trennen, dass an eine Einpflanzung in die Blase nicht mehr zu 
denken war. Infolgedessen habe ich ihn doppelt unterbunden 
und retroperitoueal versenkt. Es erfolgte glatte Heilung. Auch 
bei der ungefähr ein Jahr später vorgenommenen Untersuchung 
konnte ich feststellen, dass sich keine Retentionsgeschwulst der 
Niere gebildet bajte. Man muss also annehmen, dass es in diesem 
Falle zu einer Verödung der Niere durch die. ziemlich hoch aus¬ 
geführte Unterbindung des Ureters gekommen war. Die Patientin 
war auch nach einer Reihe von Jahren noch vollkommen gesund. 
Der Fall ist von besondeier Bedeutung, insofern die Frage, ob 
durch die Unterbindung des Ureters eine Verödung der Niere er¬ 
folgt, noch keineswegs mit Sicherheit entschiden ist. Es liegen 
zahlreiche experimentelle und klinische Arbeiten hierüber vor. 
Von älteren Arbeiten erwähne ich die von Aufrecht, Charcot, 
Gombault, Karl Posner, Rosa, Helfrich, Bos, Straus, 
Cermont und Holste. Posner nennt die Niere mit Ureter¬ 
ligator in erster Linie eine Stauungsniere. Dauert die Unter¬ 
bindung über einen gewissen Zeitpunkt hinaus, so tritt eine 
Atrophie des Nierenparenchyms ein. Nach den Experimenten von 
Paul Heyn-Cohn entsteht in jedem Falle eine Hydronephrose, 
ausser wenn die Ligatur nicht hält. Trotz Hydronephrose und 
vorzüglich sitzender Ligatur kann Urin austreten und eine Peri- 
tontis oder retroperitoneale Infektion zur Folge haben. Deshalb 
empfiehlt L. Fränkel, den oberen Abschnitt des unterbundenen 
Ureters in einen durch Einschnitt sehr leicht herzustellenden 
Kanal zu dislozieren, der nach der äusseren Haut führt, wo man 
ihn befestigt. Dabei muss die Ligatur dicht unter die Körper¬ 
oberfläche zu liegen kommen. Hält dann die Ligatur nicht sicher 
oder schneidet sie seitlich ein, so wird wenigstens nicht eine 
peritoneale oder retroperitoneale Infektion die Folge sein, sondern 
eine UrinfLtel entstehen. Diese bedroht zunächst nicht das Leben 
und kann später unter günstigeren Bedingungen geheilt werden. 
Einer^beginnenden Urämie kann aber durch Lösen der Ligatur 
ohne weiteres vorgebeugt werden. Von neueren Arbeiten nenne 
ich die vonJScott, Beer, Füth, Pbenomenow, L. Landau. 
J. Veit und Kawasoye (Formosa). Nach letzterem, der sich 
sehr eingehend experimentell mit dieser Frage beschäftigt hat, 
ist es sehr schwer, den Ureter vollständig undurcbgängig zu 
machen, aber es ist möglich. Als Grundbedingung für den künst¬ 
lichen Ureterverschluss muss die Einschaltung von Knickungs¬ 
stellen zwischen Ligatur und dem der Dilatation ausgesetzten 
Ureterabschnitt gefordert werden. Die beste Art der operativen 
Ureterkninkung ist die Herstellung eines wahren Ureterknotens. 
In einem Falle, den Kawasoye 309 Tage nach der Unterbindung 
untersucht hat, war die Niere zu einem fluktuierenden Sack um¬ 
gewandelt, der einer dünnwandigen Ovarialcyste ähnelte. Die 
Niere der nicht unterbundenen Seite bleibt nach den Untersuchungen 
Kawasoye’s gesund. Interessant sind auch die Baobachtungen von 
Barney, derexperimentell feststellte, dass der plötzlicheundkomplete 
Verschluss eines Ureters ganz symptomlos verlaufen kann. BeideUre- 


teren können 72 Stunden mit vollständiger Restitution zur Norm abge¬ 
klemmt werden. Dies entsprich tauch dem von miroben erwähnten Fall, 
und es ist ausserordentlich wichtig, dass man diese Tatsache 
kennt. Für die Diagnose, ob es sich postoperativ bei Annrie 
um einseitige Unterbindung mit reflektorischer Anurie oder um 
doppelseitige Unterbindung handelt, bietet der Ureterenkathe- 
terismus die einzig sichere Handhabe. Auch Winkler hat 
experimentell die Nierenveränderungen nach Harnleiter verschloss 
studiert und kommt zu dem Resultate, dass zunächst eine aus¬ 
gesprochene Hydronephrose anftritt. Im 2. Stadium nimmt die 
Flüssigkeitsmenge ab, und das Gewicht des Parenchyms geht mehr 
und mehr zurück. Während des 3. Stadiums sinkt die Niere 
unter das Normalgewicht ihrer festen Bestandteile herab, die 
Flüssigkeit stellt nur noch einen geringen Bruchteil zu dem Ge¬ 
samtgewichte des Organs. Am spätesten verfallen die Glomeruli 
dem Untergange, was auch den Beobachtungen vou Kawasoye 
entspricht. Diesen Experimenten entsprechen auch die klinischen 
Erfahrungen. In einem Falle von L Landau wurde nach einem 
Jahre keine Hydronephrose festgestellt; Pbenomenow resezierte 
bei der Ausschälung eines intraligamentär entwickelten Ovarial- 
cystoms den rechten Ureter. Das zentrale Ende des Ureters 
wurde mit zwei Ligaturen unterbunden und versenkt. Er ist der 
Ansicht, dass wahrscheinlich Atrophie der rechten Niere infolge 
von Hydronephrose erfolgt war. Die gleichen günstigen Resultate 
erzielten J. Veit, Violet und Charlot. Violet konstatierte 
5 Monate nach Unterbindung des Ureters Schrumpfung der zuge¬ 
hörigen Niere. Nur Füth sah allmählich eine kindskopfgrosse 
Hydronephrose entstehen, die aber völlig symptomlos und der 
Patientin ganz unbemerkt blieb und daher nicht exstirpiert wurde. 
Wir lernen also aus diesen Studien und Fällen, dass der ein¬ 
seitige Ureterenver8chluss sehr wohl genügt, um zu einer Ver¬ 
ödung der Niere zu führen, und dass man nicht nötig hat, einer 
an sich schon eingreifenden Operation noch die Nierenexstirpation 
folgen zu lassen, wenn man den Ureter der eiuen Seite nicht 
schonen oder in die Blase einpflanzen kann. Es ist aber durch¬ 
aus nötig einen absolut exakten Verschluss herzustellen, was am 
besten durch Knotenbildung geschieht. Diesen lässt man am 
sichersten nach dem Vorgänge von L. Fraenkel unter der Haut 
einheilen. Hat man die Möglichkeit, so soll man den unter¬ 
bundenen Ureter, wie ich es getan habe, retroperitoneal ver¬ 
senken; auch halte ich es für gut, den Verschluss möglichst hoch 
in der Nähe des Nierenbeckens anzulegen, da sich oberhalb der 
Ligatur immer eine Erweiterung des Harnleiters bildet, die den 
Verschluss leicht sprengen kann. Um das Durchschneiden der 
Wand zu verhüten, soll man möglichst dicke Unterbindungsfäden 
nehmen, gleichgültig ob Seide oder Gatgut, vorausgesetzt dass 
man Gatgut hat, welches sich nur langsam resorbiert. 

Wenn nach Ureter Verletzung Pyelonephritis mit Abszess¬ 
bildung infolge von Infektion auftritt, so wird die Niere exstir¬ 
piert werden müssen. Man soll daher mit dem Schliessen von 
Ureterscheidenfisteln nicht zu lange warten, zumal die Verände¬ 
rungen der Ujeterwand diese später ungeeignet für die plastische 
Operation machen. 

Bei den Frauen, die wegen Blasenbeschwerden zu uns 
kommen, muss immer eine exakte Blasen Untersuchung vorge¬ 
nommen werden. Leider sieht man noch sehr häufig, dass von 
den Kollegen in solchen Fällen Urotropin, Wildunger usw. ver¬ 
ordnet wird, ohne die wirkliche Ursache der Erkrankung festzu¬ 
stellen. Hierbei entdeckt man sehr häufig Fälle, die eingehender 
intravesikaler Behandlung bedürfen. Dass der Operateur vor der 
Operation die Gystoskopie nicht entbehren kann, habe ieh wieder¬ 
holt erwähnt. Aber auch nach der Operation ist sie unentbehr¬ 
lich, um z. B. die Lage von Blasen- oder Ureterscheidenfisteln 
genau festzustellen. Bekanntlich wandern auch Fäden von der 
Bauchhöhle in die Blase und führen zu Konkrementbildung. Bei 
Onanie oder Traumen kommt es zur Einführung von Fremd¬ 
körpern (Haarnadeln usw.) in die Blasen, und schliesslich ist es 
besonders zur Diagnose der Adnextuberkulose ausserordentlich 
wichtig, eine genaue Blasenuntersucbung vorzunehmen. Mitunter 
kommt es auch vor, dass Frauen bei Blutungen gar nicht exakt 
angeben können, ob die Blutung aus der Vagina oder Harnröhre 
kommt. In einem solchen Falle stellte ich bei einer 71jährigen 
Frau ein etwa kirschengrosses Blasen carcinom fest. Da eine 
Radikaloperation verweigert wurde,' so behandelte ich mit Röntgen¬ 
tiefenbestrahlungen mit sehr harten Strahlen, die die Blutungen 
vollkommen beseitigten. Das cyRtoskopische Bild zeigte mehrere 
Monate nach dieser Behandlung den Tumor ganz geschrumpft und 
von weisslichem Aussehen. Nach 3 Jahren war die Patientin 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


113 


noch ganz gesund. In einem andern Falle, der mir von einem 
Kollegen wegen Uterusblutungen zugeschickt wurde, bandelte es 
sich um Blasenblutungen eines Blasenpapilloms. Dasselbe wurde 
intravesikal mit Elektrocoagulation in kurzer Zeit geheilt. 

In der Geburtshilfe sind die nahen ünd wichtigen Be¬ 
ziehungen zwischen den Erkrankungen des HarnapparateR und 
der Schwangerschaft von altersher bekannt. Auch auf diesem 
Gebiete hat Israel für uns Geburtshelfer ausserordentlich wert¬ 
volle Erfahrungen gesammelt und unsere Kenntnisse wesentlich 
gefördert. Es ist ja bekannt, einen wie verhängnisvollen Einfluss 
die Schwangerschaft auf die verschiedensten Erkrankungen des weib¬ 
lichen Organismus ausübt, wie z. B. auf die Lungentuberkulose und 
nicht kompensierte Herzkrankheiten. Ganz besonders ist dies aber 
bei Nierenerkranknngen der Fall, die im nicht schwangeren Zu¬ 
stande gar keine Erscheinungen zu machen brauchen und erst mit dem 
Eintritt der Gravidität zu lebensgefährlichen Erkrankungen werden. 
Andererseits gibt die Schwangerschaft auch Veranlassung zur 
Entstehung bestimmter Nierenerkrankungen, die vom Geburtshelfer 
auf das genaueste gekannt sein müssen. Hier gibt es noch wichtige 
Gebiete, die dringend der weiteren Bearbeitung bedürfen, in 
erster Linie die Feststellung des Krankheitsbildes, das uns 
v. Leyden als Scbwangerscbaftsniere kennen gelehrt hat, ins¬ 
besondere wie dessen Beziehungen zur wirklichen Nephritis in 
der Schwangerschaft sind. Ferner haben die Untersuchungen von 
Kaltenschnee ergeben, dass schon physiologisch wesentliche 
Unterschiede in den Funktionen der beiden Ureteren während der 
Schwangerschaft auftreten, welche wiederum wertvolle Aufschlüsse 
für die Entstehung der Schwangerscbaftspyelitis geben. Israel 
hat in zwei Fällen von infizierter Hydronephrose die Nephrektomie 
während der Schwangerschaft gemacht, ohne dass dieselbe 
unterbrochen wurde. Die Gynäkologen (Ahlbeck, Hartmann, 
Kehrer, Mirabeau, Opitz, Stöckel u. a.) haben sich natur- 
gemäss eingehend mit der Schwangerschaftspyelitis beschäftigt, 
nehmen aber nicht den radikalen Standpunkt der Chirurgen ein. 
Vor allem kommt es darauf an, frühzeitig die Diagnose zu stellen 
und dann sofort ein möglichst konservatives Verfahren, das die 
Schwangerschaft nicht gefährdet, einzuleiten. Dies ist nach den 
Mitteilungen von Fleischhauer aus der StöckeTschen Klinik 
die Beseitigung der Stauung des infizierten Urins durch den 
Ureterenkatheterismus oder, falls dieser versagt, durch die Nieren¬ 
beckenspülung. Hierdurch ist man in den meisten Fällen imstande, 
den künstlichen Abort und die Nephrotomie oder Nephrektomie 
zu vermeiden. Wiederholt wurden mir Fälle wegen Schwanger- 
Rchaftsbeschwerden zugeschickt, denen in Wirklichkeit eine Pyelitis 
zugrunde lag. Ich konnte die günstige Wirkung der Nierenbecken- 
spülung in zwei Fällen durchaus bestätigen. In leichteren Fällen 
kommt man mit Trinkkuren, Urotropin, Salol und vor allem ab¬ 
soluter Bettruhe aus. Diese Fälle, bei denen man es meistens 
mit ascendierenden Erkrankungen zu tun bat, lehren aber, eine 
wie ernst zu nehmende Erkrankung die Cystitis in der 
Schwangerschaft ist. Die mit Eintritt der Gravidität stark 
byperämisch werdende Schleimhaut der Urethra und Blase, der 
häufige Urindrang prädisponieren zur Entstehung der Cystitis; 
hierzu kommen noch die Zerrungen, welche Blase und Ureteren 
bei der Vergrösserang des Uterus zu erleiden haben. Das gleiche 
gilt für das Wochenbett, in welchem häufig nach der Entbindung 
durch den Druck des Kopfes während der Geburt tagelang 
Urinverhaltung eintritt und regelmässig katheterisiert werden 
muss. Da dies meist dem Hilfspersonal überlassen wird, so ge¬ 
hört die Cystitis leider zu den häufigen Erscheinungen im Wochen¬ 
bett. Die puerperale Infektion führt aber auch nicht selten zu 
einer hämatogenen Entstehung der Pyonephrose, ohne dass irgend¬ 
welche Blasenaffektion vorhergegangen zu sein braucht. Bekannt 
ist auch der schädigende Einfluss der Schwangerschaft auf eine 
vorhandene Nierentuberkulose. In dieser Richtung sind zwei 
Fälle von Israel von ganz prinzipieller Bedeutung. In dem 
einem handelte es sich um eine primäre Tuberkulose der linken 
Niere, bei welcher die Nephrektomie im fünften Monat der 
Schwangerschaft ausgeführt wurde, da das Leiden rapide Fortschritte 
machte. Die Entbindung erfolgte am normalen Termin. Nach 
sieben Jahren wurde die Dauerheilung festgestellt. In dem zweiten 
Falle hatte die Patientin bis zum Beginn der Gravidität nur ein 
vermehrtes Bedürfnis zum Urinieren bemerkt. Nach Ablauf des 
ersten Schwangerscbaftsmonats traten heftige, fast täglich wieder¬ 
holte Nierenkoliken auf. Zugleich schwoll die Niere schnell und 
erheblich an, und der Ureter wurde als verdickter Strang von 
der Scheide aus gefühlt. Der günstige Einfluss des in diesem 
Falle im dritten Schwangerschaftsmonat eingeleiteten Abortes war 


evident. Die Koliken traten nur noch in Zwischenräumen mehrerer 
Wochen auf, und die Schwellung der Niere verschwand. Hätte 
man aber damals mit Sicherheit den Nachweis der Tuberkulose 
führen können, so wäre die Nephrektomie mit Erhaltung der 
Schwangerschaft vorzuzieben gewesen, da im Gegensatz zu den 
Pyelonephriten die Tuberkulose doch nicht nach dem Abort oder 
der Frühgeburt zur Heilung kommt. Damit gibt Israel in ein¬ 
wandsfreier Weise die Antwort auf die uns augenblicklich so sehr 
interessierende Frage, dass bei einseitiger Nierentuberknlose eine 
Schwangerschaftsunterbrechung nicht indiziert ist, sondern die 
Nephrektomie. Die Schwangerschaft löst auch bei Nierensteinen 
oft die ersten Kolikanfälle aus. 

Die puerperale Infektion mit allgemeiner Sepsis führt 
bekanntlich sehr schnell zu schweren entzündlichen Veränderungen 
der Nieren, welche eine völlige Einstellung ihrer Funktion im 
Gefolge haben. Solche Fälle beobachten wir leider immer wieder. 
Ich habe keinen Fall von Kindbettfieber, bei dem es zur Anurie 
gekommen war, heilen sehen, obschon die Anurie mehrere Tage 
(in einem Fall von Israel acht Tage!) ertragen werden kann, 
ohne urämische Erscheinungen hervorzurufen. 

Von besonderer Bedeutung sind endlich noch die Nieren¬ 
erkrankungen für die Eklampsie. Hierbei ist zuerst von 
Edebohls die Dekapsulation beider Nieren in Vorschlag gebracht 
und mit günstigem Erfolg ausgeführt worden. Ihm sind andere 
(Bauram, Franz, Gauss, Stöckel u. a.) mit wechselnden 
Resultaten gefolgt, wogegen Poten diese Fälle einer strengen, 
sehr sachlichen Kritik unterzieht und zu dem Schluss kommt, 
dass die Praxis die Nutzlosigkert der Dekapsulation ergeben bat. 
Zum Schluss will ich noch erwähnen, dass es bei langdauernden 
Geburten durch den Druck des Schädels zu Harnleiter-, Blasen- 
scheidenfisteln und in ganz seltenen Fällen zu Harnleitergebär¬ 
mutterfisteln kommen kann, deren Heilung oft recht schwierig ist. 

Aus den obigen Ausführungen ergeben sich die engen Be¬ 
ziehungen zwischen der Gynäkologie und der Geburtshilfe zur 
Urologie. Viele haben auf diesem Gebiete mitgearbeitet und uns 
wesentlich gefördert, aber auch hier grundlegend gewirkt zu haben, 
ist unstreitig eins der grossen Verdienste von James Israel. 


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Mschr. f. Geburtsb., Bd. 12. — 29. Posner, Studien über pathologische 
ExsudatbilduDgeD. Virehow’s Arcb., 1880, Bd.79, 7. Folge, Bd. 9, S. 392ff. 

— 30. Poten, Die Erfolge der Nierendekap.sulation bei Eklampsie. 
Zschr. f. gyn. Urol., Bd. 8. — 31. Rosa, Anatomische und experimen¬ 
telle Beiträge zur Pathologie der Nieren. Inaug.-Diss. Königsberg 1878. 

— 82. Scotf, Changes produced in the kidneys by experimental ligation 
of tbe ureter. Quaterly bulletin of the Northwestern university mrd. 
sebool, June 1910. — 88. Stöekel, Zschr. f. gyn. Urol., Bd. 2. — 
34. Derselbe, Zur Diagnose und Therapie der Schwangerscbaftspyelitis. 
Zscbr. f. gyn. Urol., Bd. 1. — 85. Derselbe, Zschr. f. gyn. Urol., 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Leipzig, Barth. — 86. Derselbe, Lehrbuch der gynäkologischen Cysto- 
skopie und Urethroskopie. Berlin 1910, August Hirschwald. — 37. Straus 
etGermont, Des legions histologiques du rein chez le cobaye ä la suite 
de la ligature de l’uretdre. Arch. de phys., 1882, S. 886 ff. — 38. 
J. Veit, Zschr. f. gyn. Urol., Bd. 2. — 39. Violet, Lyon m6d., 1906. 
— 40. Winkler, Experimentelle Untersuchungen über die Pathologie 
der Hydronephrose. Deutsche pathologische Gesellschaft in Strassburg 
i. E. Ref. Zbl. f. Path., 1912, S. 450. 


Die Aktinomykose der menschlichen Harn¬ 
organe. 

Von 

Dr. Paul Rosensteiii, Stabsarzt d. R., 

Uitemiera Am der chirurgischen Poliklinik am Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde 
zu Berlin. 

Es ist das unbestrittene Verdienst James Israel’s, den Er¬ 
reger der Strahlenpilzerkrankung des Menschen entdeckt und 
seine biologischen und pathogenen Eigenschaften in grundlegenden 
erschöpfenden Arbeiten dargelegt zu haben. Eine der merk¬ 
würdigsten Erscheinungsformen dieser Infektionskrankheit ist die 
Aktinomykose der Harnorgane. Trotzdem schon die beiden ersten 
bekannt gewordenen Fälle von Strahlenpilzerkrankungen des 
Menschen — Langenbeck und James Israel — neben einer 
Lungenaktinomykose eine gleiche Affektion der Niere aufwiesen, 
ist in der ganzen Literatur die Beteiligung des Harnapparates 
stets nur nebensächlich behandelt worden. r Das Gebiet hat bisher 
noch keine zusammenfassende Darstellung gefunden. Wenn auch 
die aktinomykotische Erkrankung des uropoetischen Systems 
selten in Erscheinung tritt, so ist die Kenntnis des Krankheits- 
heitsbildes doch überaus wichtig und geeignet, diagnostische Irr- 
tümer mit ernsten Folgen zu vermeiden. An der Hand der vor¬ 
handenen Kasuistik lässt sich ein ganz umschriebenes Krankheits¬ 
bild entwerfen, dessen Beherrschung unter geeigneten Umständen 
die Radikalheilung ermöglicht, und dessen rechtzeitige Erkennung 
von unschätzbarem Werte ist. 

Durch die bekannten Eintrittspforten in den menschlichen 
Körper kann der Aktinomycespilz auch die Haruorgane erreichen. 
Das geschieht entweder, wie weiter unten genauer auszuführen 
ist, auf dem Blutwege oder durch direktes Weiterkriechen eines 
aktinomykotischen Herdes ans der Nachbarschaft, durch Ein¬ 
brechen von Fistelgängen oder Eiteransammlungen in die Harn¬ 
organe oder, wie bisher in einem Fall nur bekannt geworden ist, 
infolge direkter Infektion durch Fremdkörper. So entsteht ein 
vielgestaltiges Bild des Infektionsmodns, dessen Kenntnis einmal 
den verheerenden akaten, ein andermal den ausgesprochen chro¬ 
nischen Verlauf des Krankheitsbildes verstehen lässt. Besonderer 
Erwähnung bedarf der Eintritt. des Aktinomycespilzes durch die 
äussere Haut, ein anfangs umstrittener Punkt, bis Partsch un¬ 
zweideutig sein Vorkommen nachgewiesen hat Ebenso wie durch 
jede Läsion der Schleimhaut der Mundhöhle, der Respirations¬ 
und Verdauungsorgane der Pilz eindringen kann, so findet er 
auch seinen Weg durch einen Substanzverlnst der äusseren Haut, 
wenngleich alle die vielen verschiedenartigen Bilder der Hais¬ 
und Gesichtshautaktinomykose sicherlich in der grössten Mehr¬ 
zahl dnrch eine Infektion von der Mnndhöhle aus entstanden sein 
dürften; in dieser Beziehung spielt die Caries der Zähne eine be¬ 
deutsame Rolle. Das bat besonders Lord in schönen Versuchen 
nacbgewiesen, der von 300 beliebigen Patienten, von denen keiner 
nachweislich an Aktinomykose litt, 16 mit cariösen Zähnen her¬ 
ausgriff, und in 11 Fällen daraus Aktinomyceskulturen züchten 
konnte. In einer Anzahl von vorgenommenen Impfungen machten 
die den Zähnen entnommenen Pilze Geschwülste im Netz, Mesen- 
terinm, Darm- und Bauchwand, die klinisch wie histologisch das 
typische Bild der Aktinomykose und die bekannte Form des 
Aktinomyceserregers darboten. Der Ort der primären Läsion der 
Schleimhaut kann spurlos verheilen, ohne dass irgendwelche 
Krankheitserscheinungen auf die besondere Art der Infektion das 
Augenmerk gelenkt hätten; mitunter kann jahrelang nachher ein 
Trauma die schlummernde Infektion neu beleben und zur Aus¬ 
breitung veranlassen (Nösske, Ginsberg, Schartau u. a.) 
Mau muss sich alle diese Eintrittsarten des Pilzes in den mensch¬ 
lichen Körper vor Augen halten, um den Infektionsmodus des 
Harnapparates verstehen zu können; durch all die genannten 
Pforten können ’auch die Harnwege erkranken. 

Den bisher beobachteten Formen der Invasion des Aktino¬ 
mycespilzes in die menschlichen Harnorgane möchte ich folgende 
Einteilung geben: 


1. die primäre Form: a) ohne nachweisbare Eintrittspforten 

(Nieren); b) durch direkte Infektion (Fremdkörper in der 

Blase); 

2. die sekundäre Form: a) auf hämatogenem oder metastati¬ 
schem Wege; b) durch Uebergreifen von der Nachbarschaft. 

1. Die primäre Form. 

Die primäre Aktinomykose der Harnorgane beschränkt sich 
auf 7 bisher publizierte Fälle: 2 von James Israel, je einer 
von Earl, Stanton, Kunith, Theodor Cohn und Poncet. 
Von diesen sind augenscheinlich 5 primäre Nierenerkrankungen, 
in einem sechsten war die Blase allein ergriffen, eine siebente 
(Earl) hält der Anforderung an eine primäre Erkrankung des¬ 
halb nicht stand, weil die Aktinomykose der Nieren und Blase 
ein zufälliger Sektionsbefund eines an aktinomykotischem Hiro- 
abscess verstorbenen Patienten war. 

Die Bezeichnung der „primären“ Aktinomykose bedarf ebenso 
wie die der primären Tuberkulose einer Einschränkung; eine 
wirkliche primäre Aktinomykose der Niere gibt es nicht, da das 
Eindringen des Pilzes in den Körper ohne Verletzung der äusseren 
Haut oder Schleimhaut nicht vorkommt. Gerade für die Aktino¬ 
mykose ist es erwiesen, dass eine solche Läsion, wie oben dar¬ 
gestellt, unbemerkt erfolgen kann, ohne Krankheitserscbeinnngen 
hervorzurufen, und ohne dass man später Residuen einer solcheq 
oft mikroskopischen Verletzung zu bemerken braucht, ln dem 
ersten Israel’scben Falle, der durch eine Exstirpation der Niere 
wieder bergestellt worden und durch 11 Jahre als geheilt beob¬ 
achtet werden konnte, bei dem also die Niere als der alleinige 
Sitz der Erkrankung angesprochen werden kann, war trotz des 
jugendlichen Alters des Patienten die ausgedehnte cariöse Be¬ 
schaffenheit der Zähne auffällig, so dass von dort aus die In¬ 
fektion des Körpers wohl zu erklären war; dieselbe Beobachtung 
machte Kunith. 

Das anatomische Verhalten der Niere ist in diesen soge¬ 
nannten primären Fällen zu unterscheiden von der metastatischen 
Form. Es liegt ein Vergleich mit der Tuberkulose nahe. Wäh¬ 
rend bei der disseminierten Form sowohl bei Aktinomykose wie 
bei Tuberkulose hauptsächlich die Rinde ergriffen wird, beteiligt 
sich bei der primären Form in erster Linie die Marksubstanz; 
da nur die beiden lsrael’schen Präparate und das von Künith 
näher beschrieben worden sind, so stützt sich die Erfahrung 
lediglich auf diese drei Beobachtungen. Dazu kommt, dass der 
erste Israelische und der Fall von Kunith sehr vorgeschritten 
wareu, so dass über die Genese des Prozesses nichts Eindeutiges 
mehr gesagt werden kann. Dagegen ist der letzte Fall von 
Israel verhältnismässig frisch and aus ihm geht mit Deutlich¬ 
keit hervor, dass der primäre Herd die Marksubstanz ergriffen 
hat, dass die Rindensubstanz lediglich durch disseminierte 
Knötchen von dem pfiaumengrossen geschwulstartigen Herde der 
Marksubstanz infiziert worden ist. In allen drei Fällen wird über¬ 
einstimmend der Nierenherd als ein derber geschwulstartiger bis 
kleinapfelgrosser Tumor bezeichnet, der sich in schwieliges 
Narbengewebe einbettet. Die Niere liegt in ihrem Lager fest 
eingemauert; Israel spricht von zeitweise roher Kraftanstrengung, 
die notwendig war, um das Organ bei der Operation zn lösen; 
an der schwartigen Umbildung beteiligt sich bei Ausbreitung des 
Prozesses das ganze aktinomykotische Granulationsgewebe, so 
dass sowohl die Umgebung der Niere, Baucbdecken, Fett, Capsnla 
fibrosa als auch das Nierenparenchym seihst die bindegewebige 
Umwandlung mitmacben; dabei fehlt natürlich nicht der die 
aktinomykotische Infektion charakterisierende Befand, wenn auch 
die Neigung zur eitrigen Einschmelzung bei diesen primären 
Fällen ähnlich wie bei der Aktinomykose des Tieres sehr gering 
ist. Gelegentlich sind im Granulationsgewebe Riesenzellen ge¬ 
sehen worden. Neben weissen narbigen Zügen durch das Nieren¬ 
parenchym erblickt man schwefelgelbe oder grasgrüne Promi¬ 
nenzen von Stecknadelkopf- bis Erbsengrösse; sie liegen ein¬ 
gebettet in einem sulzigen homogenen Gewebe von derber Kon¬ 
sistenz, das für das blosse Auge keine Nierenzeichnung mehr er¬ 
kennen lässt. Weder in dem Israel’schen noch in dem Kunilh- 
schen Fall war ein Ausgangspunkt des Prozesses zu erkennen. 
In dieser Beziehung war Israel beim Befunde seines zweiten 
Falles glücklicher: der pflaumengrosse Knoten durchsetzte nur 
die Marksubstanz; die angrenzende Rindenschicht trennte sich 
scharf davon ab. Ich will hier die anatomischen -Einzelheiten 
der Kürze wegen übergehen und verweise diesbezüglich auf 
die ansführ]ichere Publikation. Der von Stanton mitgeteilte 
Fall verlief klinisch unter dem Bilde der Urosepsis und wird 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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von Israel deshalb nicht als primäre Aktinomykose der Niere 
anerkannt „da alle sonst bekannten aktinomykotischen Erkran¬ 
kungen einen eminent chronischen Verlauf haben“. Wir müssen 
diese Mitteilung Stantons aber deshalb in die Kategorie der 
primären Erkrankungen einreihen, weil der Sektionsbelund eine 
aktinomykotiüche Infektion lediglich der Niere und Blase er¬ 
geben hat; vielleicht handelt es sich um eine Mischinfektion, die 
tur Urosepsis und zum Tode führte. Schliesslich beschreibt 
Theodor Cohn im Jahre 1911 einen Fall von primärer Pyo- 
nephritis aktinomycotica, die 16 Jahre bestanden hatte und 
wegen der Ausbreitung nach der Prostata hin in seine Beob¬ 
achtung kam; da keine Operation vorgenommen wurde, kann 
über die Natur der Niereninfektion nichts gesagt werden; da¬ 
gegen ist es der erste einwandsfrei beobachtete Fall von Er¬ 
griffenheit der Vorsteherdrüse, und er Jührt uns zu der Frage: 
Wie verhalten sich bei der primären Nierenaktinomykose die ab¬ 
leitenden Harn wege? 

Ein abschliessendes Urteil wird sich aus den Erfahrungen so 
weniger Fälle kaum abgeben lassen. Israel fand in seinem ersten 
Falle um die Ureteröffoung der erkrankten Seite eine starke 
Rötung und innerhalb des erkrankten Grundes 3 dunkelrote kreis¬ 
runde Flecken; io der Peripherie befanden sich grössere weissliche, 
der Blasenschleimhaut anhaftende Exsudatmassen; in dem Urin 
fanden sich Aktinomyces-Pilze; in dem pflaumengrossen Nierenbecken 
lag ein grosser korallenartiger Stein, der in seinem Innern die¬ 
selben Pilzablageruogen barg wie der primäre Nierenabszess. Eine 
Erkrankung des Beckens ist nicht beschrieben. Nach der Neph¬ 
rektomie ist die Blase vollständig ausgeheilt, ln dem zweiten 
Fall bestand keine Verbindung des Nierenherdes mit dem Becken. 
Eine Beteiligung der Blasenschleimbaut wurde ferner in dem durch 
Sektion festgestellten Falle von Stanton konstatiert, dagegen war 
weder in der Beobachtung von Kunith noch in der von Theodor 
Cohn eine aktinomykotische Infektion der Blasenschleimhaut fest¬ 
zustellen. Aus Analogie der Erfahrung bei Nierentuberkulose 
und aus den durch die Prostata-Affektion allein nicht erklärten 
grossen Eitermengen müssen wir Cohn in der Deutung seines 
Falles beipflichten, wenn er sagt, dass sich der Prostata-Abszess 
erst als Folge einer bereits 2 Jahren bestehenden aktinomykotischen 
Nierenaffektionen entwickelt hat. Es ist der einzige sicher nach¬ 
gewiesene Fall von sekundärer Erkrankung der Vorsteherdrüse 
bei primärer Nierenaktinomykose, der aber leider zu keiner 
operativen Autopsie geführt hat. 

Soweit wir also nach den spärlichen Ergebnissen der Literatur 
dazu in der Lage sind, könoen wir sagen, dass sich auch bei 
primärer Aktinomykose ebenso wie bei der Tuberkulose die In¬ 
fektion zuerst in der Marksubstanz der Niere zu entwickeln scheint; 
es liegt nahe, auch diese Affektion als eine Ausscheiduugsmykose 
aufzufassen; die ableitenden Harnwege bleiben bis auf entzündliche 
Veränderungen oder lokale Ergriffenheit um die Harnleiteröffnung 
frei und heilen nach Entfernung der die Eiterung verursachenden 
Niere spontan aus; nur in dem Cohn’schen Falle war es zu einer 
Infektion der Prostata gekommen; allerdings hatte hier der Prozess 
bereits 16 Jahre bestanden, ehe er durch Cohn in seiner Natur 
aufgeklärt wurde; es hat also eine exzessiv lange Berieselung 
des Blasengrundes mit pilzhaltigem Material stattgefunden. Eine 
bezüglich der ersten Lokalisation unklare Stellung nimmt ein 
Fall von Ul 1 mann ein, dei vielleicht auch eine primäre Er¬ 
krankung der Harnblase oder Prostata gewesen ist. ich komme 
auf ihn an anderer Stelle zurück. 

Als eine Besonderheit der primären Infektion der Harnorgane 
darf der von Poncet mitgeteilte Fall gelten. Der Patient hatte 
sich eine Getreideähre in die Harnröhre eingeführt; nach vier 
Monaten war eine perivesikale und perirektale Phlegmone ent¬ 
standen; in dem Eiter fanden sich Aktinomyces-Drüsen. Die 
Aehre hatte sich in der Blase inkrustiert, und man fand sie 
später in den Steinfragmenten. Die Infektion hatte sich hier 
wahrscheinlich von der Schleimhaut des Blasengrundes weiter 
ausgebreitet. Der Fall stellt ein absolutes Unikum dar, wenn 
such eine primäre Infektion der Harnblase bei Prolaps ebenso 
denkbar wäre, wie es für weibliche Genitalorgane erwiesen ist. 
Ich verweise nur auf den in meiner im Jahre 1903 erschienenen 
Arbeit über Aktinomykose der weiblichen Genitalorgane erwähnten 
Fall von Giordano, der eine Aktinomykose des Uterus bei einer 
Geflügelzüchterin beobachtete; die Infektion war durch Berührung 
des proiabieiten Uterus mit dem Boden zustande gekommen. 

Schliesslich gehört noch der von Brunner erwähnte Fall 
von Leger hierher, der eine Aktinomykose der Glans penis be¬ 
schreibt; eine aufsteigende Infektion hat nicht stattgefunden. 


2. Die sekundäre Form. 

Von der sekundären Eotstehungsart der Aktinomykose wollen 
wir zunächst die hämatogene oder metastatische Form besprechen; 
sie ist eine Folge des Einbruchs des Pilzes in die Biutbahn. 
Dabei ist es gleichgültig, wo der primäre Herd sitzt, da jede 
Strahlenpilzerkrankung imstande ist, sich im Körper zu generali¬ 
sieren. in dieser Beziehung besteht ein gewisser Unterschied 
zwischen der menschlichen Aktinomykose und der des Tieres; 
bei letzterer gilt als häufigere Beobachtung die Bildung solider 
knolliger Tumoren, wie wir sie auch bei unsern primären Nieren¬ 
erkrankungen kennen gelernt haben, während sonst die mensch¬ 
liche Erkrankung die ausgesprochene Neigung zur Erweichung 
und zum Zerfall hat; eine gewisse Rolle spielt oft hierbei die 
begleitende Misch Infektion durch die gewöhnlichen Eitererreger 
und Päulni8bakterien, durch deren Beimengung die Aktinomykose 
den Cüarakter einer pyämischen Erkrankung bekommen kann, 
wenngleich auch die aktinomykotische Infektion allein, wie 
Israel bachgewiesen hat, nach Art der Pyämie den Körper mit 
Abzessen zu überfluten imstande ist. Der Strahlenpilz bat die 
ausgesproche Neigung und Fähigkeit durch Propagation auf das 
Nachbargewebe sich im Körper weiter zu verbreiten. Dabei macht 
er vor keinem menschlichen Gewebe Halt: er anodiert ebenso 
den weichen Darm wie den harten Knochen, ebenso die feste 
Nierenkapsel wie die elastische Arterien wand oder den Herz¬ 
muskel; seinem Vorwärtskriechen sucht sich der Körper durch 
reichliche Bindegewebneubildung zu erwehren, so dass bei einer 
länger bestehenden Strahlenpilzerkrankung niemals das Bild einer 
schwieligen Naibenbildung fehlt. Diese bläulicb-livide oder mehr 
rötliche Induration mit den das Narbengewebe durchsetzenden 
gelbbraunen Fistelgängen ist so charakteristisch, dass schon 
daraus oft die Diagnose nach dem äusseren Aspekt gestellt 
werden kann. Kommt der Pilz auf seiner Wanderung durch die 
Gewebe an ein grösseres Blutgefäss, so ist er imstande, auch 
dessen Wandung langsam anzufressen, oft unter begleitender 
Thrombeubildung, und sich schnellstens über die ganze Blutbahn 
auszubreiten; besonders bekannt ist diese Erscheinung im Bauch- 
raum durch den Einbruch des Pilzes in die Pfortader geworden, 
doch liegen auch zahlreiche Beobachtungen vor, bei denen andere 
Gefässe und sogar die Herzwand selbst arrondiert worden sind 
(Münch, Schlange, Benda-Zehbe u. a.). Es darf daher nicht 
wundernehmen, in den Sektionsprotokollen dieser Fälle von 
generalisierter AktjnomykoSe bin und wieder ein oder beide 
Nieren als mitergriffen bezeichnet zu finden. Schon in seinem 
ersten Falle von Lungenaktinomykose, der unter dem Bilde der 
chronischen Pyämie verlief, konnte Israel eine ausführliche Be¬ 
schreibung der so gearteten aktinomykotischen Nierenaffektion 
geben. Trotzdem, die Kasuistik auch der miliaren Aktinomykose 
allmählich sehr umfangreich geworden isst, habe ich nur 16mal 
erwähnt gefunden, dass die Nieren von dem Prozess mitergriffen 
worden sind; im dem grossen Sammelreferat von IIlieh, der 
421 Fälle mit 128 Todesfällen zusammengestellt hat, ist nur 9mal, 
also in 7 pCt., die Rede von einer metastatischen Nierenaffektion; da¬ 
runter war einmal nur eine Niere angegriffen, sonst stets beide. Lässt 
sich diese Zahl auch schlecht statistisch verwerten, da nicht alle 
Verstorbenen seziert worden sind, so verdient der Umstand doch 
Erwähnung, dass sehr viel häufiger in der Literatur eine Disse¬ 
mination der aktinomykotischen Prozesse über die Leber und 
Milz konstatiert wird als über die Nieren, dass letztere also, weil 
ausserhalb des Pfortaderkreislaufes auch bei der hämatogenen 
Ausbreitung seltener befallen werden, ln allen diesen Fällen 
kehrt als charakteristisches Moment die Tatsache wieder, dass die 
metastatische Form nur in der Rindensubstanz Abszesse setzt, 
während die Marksubstanz frei bleibt. Die Abszesse wechseln 
in der Ausdehnung von punktförmiger mit dem Auge gerade er¬ 
kennbarer Grösse bis zu der einer Linse; grössere sind gewöhnlich 
aus mehreren kleinen zusammengeflossen. In keinem auch dem 
winzigsten Herde fehlt der charakteristisch gefärbte gelbbraune, 
Fäden und Körner enthaltende Eiter. Beim Durchschneiden eines 
solchen Herdes gewahrt man, dass seine nekrotische Partie von 
einer grauen, opak durchscheinenden Grenzzone zum Nierengewebe 
hin umgeben ist. Mikroskopisch zeigt die Niere in den metastatischen 
Fällen wenig Veränderung; es besteht oft eine starke Injektion 
der Gefässe, Schwellung und Zerfall der Epithelien; anders an 
den den Pilzherden benachbarten Stellen. Die Rundzellinfiltration 
ist hier sehr erheblich, ausserdem stellt sich schnell eine lebhafte 
Bindegewebswucherung ein, die den Pilzherd gegen das gesunde 
Parenchym abschliesst; wo er in das letztere eingedrungen ist, 
findet man ihn in allen Teilen des Drüsengewebes. Israel fand 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Pilzkörnchen von Monokokkengrösse in Glomerulosscblingen; sie 
brachen durch die Wandung der Schlingen in den Hohlraum der 
Malpighi’schen Kapsel ein, infarzierten einmal auch ein Vas 
deferens. Sie gelangen so in die Harnkanälchen, die sie ver¬ 
stopfen und denen sie eine gelbbraune Farbe verleihen. Die 
Wandung der Gefässe und der Malpighi’schen Kapsel geht unter 
der Wucherung der Körnchen vollständig zugrunde. 

Die ableitenden Harnwege werden bei der generalisierten 
Aktinomykose vollständig verschont; ich habe keinen Fall finden 
können, der eine solche Beteiligung verzeichnete. 

Die zweite Form der sekundären Aktinomykose der Harn* 
orgaoe entsteht durch Uebergreifen des Infektionsprozesses von 
der Nachbarschaft aus. Ich habe schon oben erwähnt, dass der 
Pilz bei seiner Ausbreitung vor keinem Gewebe Halt macht; das 
straffe Gewebe der Nierenkapsel leistet verhältnismässig laoge 
Widerstand. Wir finden daher zwar zahlreiche Veröffentlichungen 
von Strahlenpilzerkrankung der Nachbarschaft, die sich im 
retroperitonealem Raum ausbreitet und bis an die Niere heran* 
reicht, aber verhältnismässig selten wird die Niere mit ergriffen; 
sie bildet dann einen Teil der Abszesswandung, während das 
paranephritische Gewebe in die Eiterung mit aufgefangen ist; 
aber auch diese Fälle werden nur gelegentlich beobachtet. Die 
primäre Erkrankung sitzt in der weitaus grössten Mehrzahl im 
Darm, und hier wiederum ist das Coecum, resp. der Wurmfortsatz, 
angeblich weil hier der pilzhaltige Darminhalt am längsten stag¬ 
niert, hauptsächlich beteiligt. Die Infektion wandert, wenn sie 
den Darm durchbrochen hat, auf retrocoecalem Wege nach oben 
und unten weiter und erreicht so oben das Nierenlager, unten 
die Blase. Ebenso kann durch Senkung eines aktinomykotischen 
Prozesses von der Lunge, Pleura oder Wirbelsäule usw. her die 
Niere erreicht werden und jedes in der Nachbarschaft gelegene 
Organ (Leber, Milz, Zwerchfell usw.) kann seine Infektion durch 
Kontinuität an die Niere weitergeben; man ist erstaunt, wie über¬ 
aus selten das in Wirklichkeit geschieht. Im ganzen sind sechs 
Fälle von Lungenaktinomykose bekannt, in denen eine Senkung 
des Prozesses viermal zu einer aktinomykotischen Para- und Peri¬ 
nephritis (lllich, v. Langenbeck, Kuschew, v. Varacz) 
und nur zweimal zur Infektion der Niere selbst geführt hat 
(Israel, Moosdorf und Birch-Hirschfeld); in zehn Fällen 
von primärer Bauchaktinomykose war fünfmal die Nachbarschaft 
der Niere vereitert (Partsch, Barth, Ranson, Ullmann, 
Harbitz-Gröndahl); fünfmal war der Prozess auf die Niere 
selbst übergegangen (lllich, Barth, zwei Fälle von Samter, 
v. d. Straeten). Ich habe im ganzen 460 Fälle von Brust- und 
Bauchaktinomykose auf die direkte Propagation des Prozesses zur 
Niere hin durchsucht und als Resultat die oben geschilderte 
16malige Beteiligung der Nieren, darunter neunmal in Form von 
Paranephritis, siebenmal in Form von Nierenabszessen gefunden; 
danach wird also bei der Aktinomykose der Brust- und Bauch¬ 
eingeweide das Nierenlager in 3,5 pCt., die Niere selbst in nur 
1,5 pCt. der Fälle mit ergriffen. Die Schilderung des anatomischen 
Verhaltens solcher Nieren muss ich mir für die ausführlichere 
Publikation Vorbehalten. 

Der Harnleiter ist nur in einem einzigen Falle bisher mit 
ergriffen worden (Ammentorp); er scheint gegen die Infektion 
besonders gewappnet zu sein oder ihr auszuweichen. 

Bei der Aehnlichkeit des aktinomykotischen Prozesses mit 
dem der Tuberkulose, bei der beiden Affektionen eigentümlichen, 
ausgesprochenen Neigung zur Eitersenkung bei chronischem Ver¬ 
lauf ist es erklärlich, dass die Beckenorgane und mit ihm die 
Harnblase in den Bereich der Eiterung geraten. Unter 320 Fällen 
von Bauch-Aktinomykose befand sich die Blase 14 mal im Bereich 
der Eiterung; davon sind 3 Fälle von reiner Prostatabeteiligung 
auszunehmen. Es bleiben somit 11 Fälle von sekundär durch 
Kontinuität ergriffener Harnblase, das sind 3,4 pCt. In 2 Fälllen 
(Shiotä, Boström) war nur die äussere Begrenzung der Harn¬ 
blase in den Bereich des Abszesses gezogen, ln 9 Fällen — 
2,9 pCt. — war eine Peforation des Abszesses in die Blase erfolgt 
(Shiota, Schiller, Billroth, Hesse, M iddeldorpf, Ammen¬ 
torp, Ullmann, Zemann, Wolff). Aus der Zusammenstellung 
ergibt sich die interessante Tatsache, dass in 85 pCt. aller Fälle 
der in die Blasengegend gesenkte Eiter durch das Organ durch¬ 
bricht. 

Die dreimalige Kontinuitätserkrankung der Vorsteherdrüse 
(Shiota, Engelmann, Ranson) ist niemals anatomisch, sondern 
nur klinisch festgestellt worden. Da die 3 Patienten znr Heilung 
kamen, stützt sich die Diagnose leeiglich auf den Palpations¬ 
befund und die Tatsache, dass erhebliche Urinbeschwerden be¬ 


standen, nur in dem Falle von Ranson waren Aktinomyceskörner 
dem Harn beigemengt. 

Die Diagnose einer aktinomykotischen Infektioe der Harn¬ 
organe ist mitunter von äusserster Wichtigkeit. Der Wert einer 
rechtzeitigen Erkennung der Krankheit wird sich nach der Form, 
in der die Strahlenpilzerkrankung auftritt, richten. Wir können 
dabei von vornherein die Fälle von metastatischer Allgemein¬ 
infektion als die bei weitem nebensächlichste betrachten. Bei 
dem ausserordentlich chronischen Charakter der Krankheit bat, 
ehe es zur Generalisierung der Herde kommt, sich io den meisten 
Fällen bereits eine Diagnose an anderen Organen stellen lassen, 
so dass man immer daran wird denken müssen, dass in Fällen, 
wo die Krankheit die Eigenschaft einer Allgemeininfektion an- 
genemmen hat, die Harnorgane, insonderheit die Niere, ergriffen 
sein können. Einen praktischen Wert wird die Diagnose in diesem 
Falle kaum haben. Für alle anderen Formen aber, namentlich 
für die sogenannte primäre Form, ist dje rechtzeitige Erkennung 
der Art der Infektion von unschätzbarer Bedeutung. Neben der 
Einschätzung der allgemeinen Symptome und der lokalen Er¬ 
scheinungen, welche auf eine Erkrankung der Niere, des Harn- 
leiteis, der Blase oder der Vorsteherdrüse hinweisen, wird die 
Diagnose der aktinomykotischen Infektion an den Nachweis der 
Pilze gebunden sein. Sind vorgeschrittene perforierende Prozesse 
in der Lendengegend oder um die Blase vorhanden, so wird die 
Erkennung der Natur der Erkrankung aus dem Eiter des Fistel¬ 
ganges oder des zu spaltenden Abscesses, für das geübtere Auge 
schon aus dem äusseren Aspekt der ergriffenen Hautpartie mög¬ 
lich sein. Die eigentliche Beschaffenheit der äusseren Bedeckungen, 
ihre unebenen Konturen, mit eingezogenen Fisteln und rötlich¬ 
gelben oder gelb-bräunlichen Geschwüren, deren Ränder oft weit 
unterminiert sind, geben der Erkrankung ein charakteristisches 
Gepräge; natürlich gilt das nur für vorgeschrittene Fälle, die sich 
bereits in dem dritten Stadium Grill’s befinden, dem der Fistel¬ 
bildung. ln weniger vorgeschrittenen Fällen kann bei der Aktino¬ 
mykose der Niere ein mehr oder minder beweglicher Tumor 
vorhanden sein; die bisher zur Beobachtung gelangten Fälle 
waren sehr weit vorgeschritten und daher durch die binde¬ 
gewebige Hyperplasie der Nachbarschaft vollständig fest 
eingemauert und unbeweglich. Das wird aber nicht ais all¬ 
gemeine Regel zu gelten haben. Denn es sind Fälle in der 
Literatur beschrieben, auf die zuerst Hofmeister aufmerksam 
gemacht hat, und die später von Lanz, Maier u. a. bestätigt 
worden sind, in denen die Aktinomykose einen ganz beweglichen 
Tumor im Bauchraum hervorgerufen hat; Lanz hielt die Ge¬ 
schwulst für eine bewegliche Niere, ebenso glaubte Maier ein 
bewegliches Organ vor sich zu haben; io beiden Fällen handelte 
es sich um eine Aktinomykose des Coecums bzw. des Netzes. 
Boreiius z. B. verwechselte eine aktinomykotische Geschwulst 
des Darmes mit einem Sarkom, das infolgedessen nicht operiert 
wurde und zugrunde ging. So wird es auch, je weiter die uro- 
logische Diagnostik gefördert wird, um so eher gelegentlich Vor¬ 
kommen können, dass ebenso, wie bei der primären Tuberkulose 
auch bei der Aktinomykose Frühiälle mit beweglichem Organe 
zur Kenntnis gelangen. Zu diesem Ziele wird uns die sorg¬ 
fältigste Untersuchung des Urins mit Zuhilfenahme aller be¬ 
kannten Untersuchungsmethoden am sichersten führen. Es ist 
dem aufmerksamen Auge Israel’s im Falle 19 seiner Mono¬ 
graphie (Lungenaktinomykose) nicht entgangen, dass im Urin bei 
mehrfachen Untersuchungen Aktinomycespilze von derselben Be¬ 
schaffenheit auftauchten, wie sie in dem dicken Belag auf den 
Zähnen desselben Patienten zu konstatieren waren. Israel gibt 
der Vermutung Raum, dass diese Pilze die Nieren passiert hätten, 
ohne eine Erkrankung daselbst hervorzurufen; ähnliche Beobach¬ 
tungen sind für den Tuberkelbacillus ja erwiesen. Auch diese 
Möglichkeit stützt das Verlangen nach gründlichster Untersuchung 
des Urins, da es nach der Beobachtung Israel’s nicht ausge¬ 
schlossen erscheint, dass auch bei Aktinomykose anderer Organe 
aus dem Urin die Diagnose gestellt werden kann. Mehrfach ist 
dieser Befund von Drusen im Urin erhoben worden, bei Perforation 
eines Abszesses in die Blase oder Prostata (Shiota, Ranson, 
Schiller u. a.); dagegen fehlt ein solcher Hinweis in anderen 
Fällen, wo man ihn eigentlich erwartet hätte, z. B. in einem 
Falle von 11 lisch, wo bei einer Bauchaktinomykose auch eine In¬ 
fektion der Nieren eingetreten war; in dem Sektionsprotokoll 
wird in „der Harnblase wenig getrübter Urin“ angegeben; ebenso 
verzeichnet Geissler bei seiner bis an die Nieren heranreichenden 
Coecalaktinomykose „häufigen Harndrang“. Sollten in beiden 
Fällen nicht im Sediment Drusen, Fäden oder Körner zn finden 


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4. Febraar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


117 


gewesen sein? Es braucht nicht erst besonders betont zn werden, 
wie wichtig in solchen Fällen die mikroskopische Untersuchung 
des Urins zur frühzeitigen Feststellung der Diagnose ist. Israel 
hat in seinem ersten Falle von primärer Nierenaktinomykose die 
Diagnose aus dem Eiter des Fistelganges richtig stellen können, 
während in dem Kunith'schen Falle die Diagnose auf Tuber¬ 
kulose der Niere und erst nach Exstirpation des Organes richtig 
gestellt wurde. Schliesslich kann gelegentlich auch einmal um¬ 
gekehrt Aktinomykose vermutet werden, wo es sich um eine 
anders geartete Infektion handelt. So fand Sch lagen häuf er 
eine Stapbylomykose der Niere, die in Färbung der Abszesse und 
Zusammensetzung des Granulationsgewebes und der Abszesswände 
genau das Aussehen wie die Aktinomykose zeigte. Die Farbe 
war durch Einlagerung von doppeltlicbtbrechenden Substanzen, 
von Cholesterin in die Zellen des Granulationsgewebes bedingt, 
die dadurch wie Xanthomzellen erschienen. 

Eioe rechtzeitige Cystoskopie wird in Fällen, bei denen eine 
Beteiligung der Nieren oder eine primäre Erkrankung vorliegt, 
die Diagnose erheblich fördern. Israel sah in seinem ersten 
Falle um die Ureterenöffnung der erkrankten Seite Veränderung 
der Blasenscbleimhaut, die man wohl für Strahlenpilzerkrankung 
halten darf. Eine cystoskopische Untersuchung hat sonst nur 
noch in dem Cohn’schen Falle stattgefnnden, der aber keine 
spezifischen Veränderungen aufwies. Ferner wird die Palpation 
der Prostata sowie der vesicalen Ureterenden vom Darm bzw. 
der Scheide aus über eine Lokalisation des Krankheitsprozesses 
im Harnapparat Aufschluss geben können. 

Die Prognose und Therapie richten sich nach der Art 
der Erkrankung, Die metastatische Form führt immer zum Tode, 
da die Generalisation der Aktinomykose der miliaren Tuberkulose 
oder einer letalen Sepsis gleicbzustellen ist. Bei der sekundären 
Form durch Ausbreitung von der Nachbarschaft wird es auf die 
Ausdehnung des primären Herdes ankommen, ob ihm durch 
Operation beizukommen ist und ob ausserdem eine konservative 
Operation an der Niere oder eine Nephrektomie mit dem Leben 
des Patienten verträglich ist. Die Perforation nach der Blase 
stellt oft einen spontanen Heilungsversuch der Natur dar; durch 
ihn wird man auf den Sitz der Erkrankung und die Natur des 
Leidens aufmerksam werden und in der Lage sein, an den Herd 
heranzukommen. Die günstigste operative Prognose scheint die 
sogenannte primäre Aktinomykose der Niere zu geben. Die drei 
operierten Fälle sind lange als geheilt beobachtet worden. Nur 
in dem letzten Falle von Israel ist eine Fistel zurückgeblieben. 
Ausser sicher beobachteten. Spontanheilungen und den bekannten 
operativen .Maassnahmen (Nephrektomie, Inzisionen, Ausscha¬ 
bungen usw.) spielt die innere Therapie eine grosse Rolle; be¬ 
sonders das Jod wird sehr geschätzt. Man wendet es innerlich 
als Jodkaliumlösung, äusserlich in Form von Lugol’scher Lösung 
oder als Jodtinktur an; auch Arsenik wird sehr empfohlen. Fast 
sämtliche Desinfizientien sind als Helfer gegen die Strahlenpilz¬ 
erkrankungen in Anspruch genommen worden. Ausserdem soll 
die Röntgenbehandlung, das Radium, die Elektrolyse, die Höhen¬ 
sonne, ferner die Vaccinetherapie gute Dienste leisten. In Fällen, 
wo operative Hilfe nicht mehr möglich ist oder nicht ausreicht, 
wird man auf den ganzen Schatz dieser Hilfsmittel zurückgreifen 
müssen, um die schwere Infektionskrankheit erfolgreich zu be 
kämpfen oder wenigstens ihre Ausbreitung möglichst darnieder¬ 
zuhalten. 

In einer zweiten umfassenderen Darstellung der Aktino¬ 
mykose der Harnorgane werde ich mehr Einzelheiten bringen, 
insbesondere soll die Rolle der Lymphdrüsen bei der Verbrei¬ 
tung des Pilzes, die Pseudoaktinomykose und die Beziehung des 
Erregers zum Tuberkelbacillus eingehender behandelt werden; 
ferner soll die Mitteilung der bearbeiteten Kasuistik sowie einer 
eigenen einschlägigen Beobachtung und der benutzten Literatur 
erst in dieser zweiten Veröffentlichung erfolgen. 


BQcherbesprechungen. 

H. Straass: Die Nephritiden. Abriss ihrer Diagnostik und Therapie 
auf Grund der neueren Forschungsergebnisse. Zweite vermehrte und 
verbesserte Auflage. Berlin und Wien 1917, Urban & Schwarzen¬ 
berg. VIII u. S12 S. 

Das rege loteresse, welches die Nierenerkrankungen neuerdings er¬ 
weckt haben, ist in zahlreichen Eiuzelarbeiten zum Ausdruck gekommen. 
Der Versuch Strauss’, alle Tatsachen der Diagnostik, alle Fortschritte 
der Therapie zusammenfassend darzustellen und kritisoh zu beleuchten, 
hat so allgemeinen Beifall gefunden, dass bereits ein Jahr nach dem Er¬ 


scheinen seines Buches eine neue Auflage notwendig geworden ist. In 
den Grundzügen unverändert, enthält sie literarische Nachweise und 
erweiterte Ergebnisse eigener Erfahrung in reicher Fülle — insbesondere 
ist der „Kriegsnephritis* ein neuer, eingehender Absohnitt gewidmet. 
Durch seine prägnante Fassung vorzüglich geeignet, einen raschen Ueber- 
blick über den Stand aller Fragen zu gewähren, wird dies Werk auch 
weiterhin sich dem Praktiker als ein nützlicher und lehrreicher Leit¬ 
faden durch das labyrinthisch verschlungene Gebiet der Nierenkrank¬ 
heiten erweisen. Posner. 


Hermann Triepel: Lehrbich der Entwicklungsgeschichte. Leipzig 1917, 
Georg Thieme. VIII und 224 S. 168 Textfiguren. 

Ein Lehrbuch, das irgend ein Gebiet des medizinischen Wissens be¬ 
handelt, ist nicht wie eine Spezialabhandlung eingehend seinem Inhalt 
nach zu referieren. Denn neue, bisher noch nicht gekannte und darum 
auoh noch nicht allgemein anerkannte Tatsachen dürfte ein solches Buch 
wohl kaum enthalten. Stöhr hat bei einer Auflage seiner Histologie 
einmal darüber mit Recht geklagt, dass neue Befunde, neue An¬ 
schauungen, wenn sie zuerst in einem Lehrbuch der allgemeinen 
Kenntnis zugänglioh gemacht werden, fast unter dem Ausschluss der 
Öffentlichkeit erscheinen. So wird man in dem vorliegenden Werk 
ebenfalls keine neuen, womöglich strittigen Fragen vorgetragen und er¬ 
örtert finden. Wohl aber kann ein Lehrbuch die Gesammtsumme eines 
Wissens in einer Form darstellen, dass dadurch sein Inhalt neu, weil 
neu vorgetragen, erscheint. Diesem Anspruch, den man eigentlich an 
jedes neue Lehrbuch stellen muss und der nichts weiter besagt, als 
dass die Persönlichkeit des Verfassers und seine Lehrbefähigung sich 
klar offenbaren soll, genügt das Triepel’sche Buch in hohem Maasse. 
Der Verfasser, der im Jahre 1902 ein hervorragendes Buch: „Einführung 
in die physikalische Anatomie* veröffentlicht hat, hat es verstanden, in 
dem vorliegenden Werk die Entwicklungsgeschichte in einer Weise vor¬ 
zutragen, dass auch der spezialistischste Spezialforscher aus ihm An¬ 
regung und Belehrung in reichstem Maasse schöpfen wird. Geleitet 
offenbar von dem Spruohe „kurz und bündig* gibt er auf nicht ganz 
14 Bogen eine erschöpfende Einführung in das gewaltige Forschungs¬ 
gebiet der tierisoben und menschlichen Entwicklungsgeschichte und gibt 
sie in so übersichtlicher Darstellung, dass man kein Kapitel ohne Be¬ 
lehrung durcharbeiten wird. Ganz besonders haben dem Referenten 
Kapitel 5, Gastrulation und Chordulation, Kapitel 10, das zentrale 
Nervensystem, und Kapitel 13, intrauterine Ernährung der Säuger, ge¬ 
fallen. Dabei lässt Verf. ahnen, wo hinter den Tatsachen das Problem 
verborgen ist. Die zur Erläuterung beigegebenen Figuren sind gut. 

Somit kann dieses Lehrbuch auch dem praktischen Arzte aufs 
Wärmste empfohlen werden, denn es ist ein Buch, aus dem er Lehre 
schöpfen kann. Und es dürfte keinem Praktiker schädlich sein, ge¬ 
legentlich einen Trunk aus dem kastalischen Quell der reinen Wissen¬ 
schaft zu nehmen. Rawitz. 


Rad. Th. von Jeschke: Physiologie, Pflege ind Ernährung des Neu¬ 
geborenen, einschliesslich der Ernährungsstörungen der Brust¬ 
kinder in der Nengeburtszeit. 480 Seiten. Wiesbaden 1917, Ver¬ 
lag J. F. Bergmann. 

Der soeben erschienene 8. Band der von E. Opitz-Giessen heraus¬ 
gegebenen „Deutschen Frauenheilkunde usw. in Einzeldarstellungen* 
bringt die Physiologie des Neugeborenen usw. aus der Feder eines 
Frauenarztes, im Gegensätze zu dem Handbuche von Döderlein, der 
dieses Kapitel einem Kinderärzte anvertraute. So durfte man von vorn¬ 
herein gespannt sein, wie sich der Verf. mit seiner Aufgabe abfinden 
würde. Es sei gleich vorweg genommen, dass der Versuch im grossen 
und ganzen gut geglückt ist. Verf. bat die pädiatrische Literatur mit 
grossem Verständnis und anerkennenswerter Ausführlichkeit verwertet. 
Er stützt sich auch offensichtlich auf eine reiche eigene Erfahrung. 
Seine Ausführungen zeigen überall Sachkenntnis und Interesse für die 
Physiologie des Neugeborenen. Die eigentliche Physiologie (1. Abteilung) 
ist in ausgezeichneter Weise behandelt und gewährt dem Leser eine 
gute Uebersicht über die besonderen Verhältnisse des Neugeborenen, 
während die „Ernährung des Neugeborenen“ (4. Abteilung), besonders 
die künstliche, etwas knapp „ gehalten ist. Verf. hebt es im übrigen 
auch selbst hervor, und begründet es offenerweise durch seine ver¬ 
hältnismässig geringen persönlichen Erfahrungen. Immerhin ist aber 
doch der heutige Stand der künstlichen Ernährung treffend gezeichnet. 
Einige kleine Ausstellungen seien dem Referenten gestattet. Zur Kon¬ 
trolle des Erfolges der natürlichen Ernährung gehört auch die Berück¬ 
sichtigung des Längenwachstums. Bei der Besprechung der Nährpräpa¬ 
rate zur Verbesserung der Milcbproduktion, die Verf. im übrigen mit 
Recht sehr niedrig einschätzt, wäre es besser, die besonderen Präparate 
nicht mit Namen zu nennen. Eine solche namentliche Hervorhebung 
führt leicht zu einer Ausnützung durch die Firmen. Die häufige Ver¬ 
wendung der Larosan-Miloh zur Einleitung der künstlichen Ernährung 
ist nioht empfehlenswert. Alle Eiweissmilcben sind nur bei kranken 
Säuglingen zu benützen. Senfmehlbäder sind besser durch Senfmehl- 
paokungen zu ersetzen. Doch das sind Kleinigkeiten, die den hohen 
Wert des gross angelegten Buches in keiner Weise herabsetzen sollen. 
Dem Frauenarzt und dem praktischen Arzte wird das Buch ein guter 
Wegweiser sein, nach dem er sich vertrauensvoll richten kann, und der 
Kinderarzt wird sich über die gute Zusammenstellung des Materials 
und die reiche Literatur des Werkes freuen. E. Müller. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


H. Oppeiheim-Berlin: Beiträge inr Kenfiis der Kriegsrerletsugen 
des peripherischen Nervensystems. 1917, Karger. 

Eine Fülle von Einzelbeobachtungen aus der Kriegsneurologie ist in 
dem vorliegenden Bericht niedergelegt. O- verwertet das grosse Material, 
das die Kriegsverletzungen der peripheren Nerven ihm reichlich geboten 
haben. Nur andeutungsweise kann hierüber berichtet werden. 

Im Gebiet der Armnerven wird nachgewiesen, wie diese sich gegen¬ 
seitig vertreten können, (z. B. Ulnaris und Medianus), wie der gelähmte 
Deltamuskel durch den Supraspinatus oder andere Muskeln ersetzt 
werden kann. Es folgen eingehende Untersuchungen über die Wieder¬ 
herstellung nach Lähmungen und die Beteiligung der sensiblen Bahnen, 
(z. B. über die Ausdehnung bei Sensibilitätsstörungen bei Ridialisläbmung), 
ihre Kombination mit Verletzungen der vasomotorischen Fasern. Heftige 
hartnäckige Schmerzen gehören partiellen Nervenverletzungen an (Plexus- 
Ischiadicusschüsse). Im Zusammenhang damit erörtert 0. den Einfluss 
des psychogenen Momentes, die Haltungsanomalien, Girculationsstörungen 
naoh Gefässunterbindungen, weist hin auf die Herabsetzung der Haut¬ 
temperatur um 6—10° und auf den Einfluss der Cyanose auf die elektrische 
Erregbarkeit, auf die Verkleinerung des Pulses, Beobachtung des abnormen 
Haarwachstums. 

Alle diese Ausführungen sind durch 63 Krankengeschichten instruktiv 
belegt, meisterhaft beobachtet und mustergültig beschrieben. 

Ernst Ungar. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

S. Gutmann und 0. Adler: Zur Kenntnis des Blatsnckere. 
(Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 1 u. 2, S. 10.) Nach der von den 
Verff. gewählten Versucbsanordnung Hessen sich im enteiweissten Filtrat 
des Serums von Normalen und von Diabetikern, sowie in enteiweissten 
roten Blutkörperchen von Kaninchen komplexe Kohlenhydrate nicht naoh- 
weisen. Lösungen von komplexen Kohlenhydraten, wie Glykogen oder 
Kartoffelstärkelösung in kleineren Mengen dem Gesaratblut zugesetzt, 
sind nach der Schenk’scben Fällung im Filtrate nicht mehr nachzu¬ 
weisen, wohl aber Zusätze von Kahlbaum’s löslicher Stärke. Die ange¬ 
gebene Methodik gestattet ohne vorausgehende Konzentration der ent¬ 
eiweissten Lösungen und deren ev. Veränderung bei jedem Blutzucker 
eine leioh'e Bestimmung des dazu gehörigen Spaltungsblutzuckers. 

F. Johannessohn: Der Einfluss des Foraaldebyds auf die 
Eiweissverdauang. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 1 u. 2, S. 28.) 
Für die vorliegenden Versuche bediente sich Verf. des Pepsins Finzel¬ 
berg, des Trypsin Merck, sowie des Trypsinogenum activatum (Phar¬ 
makon). Pepsin Finzelberg wird durch eintägige Einwirkung von 
lOproz. Formaldebydlösung nicht gestört. Pankreaspräparate werden 
durch Formaldehyd verschieden stark geschwächt. Trypsin Merck wird 
durch 1 proz. Formaldehyd unwirksam. Hühnereiweiss wird schon nach 
9 tägiger Einwirkung von 1 proz. FormaldehydtÖ9ung fast unverdaulich 
für Pepsinsalzsäure, während es von Trypsin noch zu 4 /s verdaut wird. 
Die Widersprüche in der Beurteilung des Einflusses des Formaldebyds 
auf die Eiweissverdauung hängen von der Verschiedenheit der Ferment¬ 
präparate ab, aber auoh von der verschiedenen Beschaffenheit der Form¬ 
aldehydlösung. Das Formaldehyd schädigt jedenfalls die Eiweissver¬ 
dauung, entweder durch Beeinträchtigung des Ferments (Trypsin) oder 
durch Beeinflussung des Eiweisses, das für Pepsin unangreifbar wird. 
Bei Verwendung von Formaldehyd als Konservierungsmittel dürften 
beide Möglichkeiten vorliegen, da durch Aufnahme so konservierter 
Nahrungsmittel ein Ueberschuss von freiem Formaldehyd in den Ver¬ 
dauungskanal gelangen kann. 

M. Jacoby: Ueber Fermeitbilding. (Bioohem. Zschr., 1917, 
Bd. 83, H. 1 u. 2, S. 74.) Vierte Mitteilung. Bei den bisherigen 
Studien über Fermentbildung hatte es sich gezeigt, dass das Leucin un¬ 
bedingt im Nährboden enthalten sein muss. Die weiteren Untersuchungen 
ergaben, dass asparaginsaures Natron und Leucin, jedes als einzige 
organische Substanz, ausreichend ist, um das Wachstum und die Lebens¬ 
fähigkeit der Bakterien zu erhalten, dass bei Zusatz von einer ge¬ 
nügenden Leucinmenge die Fermentbildung stattfinden kann. Die Ver¬ 
suche lehren auch, dass es möglich ist, die Bakterien sich vermehren zu 
lassen, ohne dass die Fermentbildung stattfindet. Es gelingt, ferment¬ 
freie Bakterien herzustellen, die man dann durch Leucinzusatz zur 
Fermentbildung zwingen kann. 

0. Baudisch und F. Klaus: Die Behandlung der -sogenannten 
„sterischen Hilderang“ bei biochemischen Prozessen. I. Einfluss der 
Kern Methylgmppe. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 1 u. 2, S. 6.) 
Nach Ehrlich und Benda nimmt der therapeutische Wert der Ros¬ 
anilinfarbstoffe mit abnehmender Zahl der Methylgruppen zu. So ist 
der therapeutische Effekt des Trypaflavius dreimal so gross als der des 
Akridiniumgelb’s, das zwei Methylgruppen mehr eri%ält. Verff. unter¬ 
nehmen es nun, diese Erscheinung theoretisch zu begründen, indem sie 
die in der Literatur zu findenden Beispiele antireaktiver Substituanten- 
wirkung des näheren betrachten. Insbesondere werden Unna's For¬ 
schungen über den Unterschied zwischen Rosanilinen und Pararosani¬ 
linen herangezogen. Ueber die Ursachen der antireaktiven Wirkung bei 
Methylgruppen lässt sich Bestimmtes noch nicht aussagen. 


E. Büchner und F. Reischle: Auswaschen von Inyertase iid 
Maltas« ans Acetondanerhefe. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 1 
u. 2, S. 1.) Methodisches. Ein Auswaschen der Maltas« ist möglich. 

0. Gertz: Ueber die vorübergehende Rotfärbnng einiger Blätter 
mit Salpetersäure bei der Xanthoproteinprobe. (Biochem. Zschr., 
1917, Bd. 83, H. 1 u. 2, S. 129.) Die Rotfärbung der Blätter mit 
Salpetersäure bei der Xanthoprotein probe beruht einerseits auf der Re¬ 
generation des Anthocyans, andererseits auf der Entstehung eines nicht 
näher bekannten Nitrosekörpers. 

J. Lifscbütz: Das Cholesterin in den tierischen Organen. 

(IX. Mitteilung.) (Biochem. Z->chr., 1917, Bd. 83, H. 1 u. 2, S. 18.) 
Bei der Isolierung von Cholesterin, besonders aus Blutproben, war es 
Verf. aufgefallen, dass Kristallformen des Cholesterins hierbei zutage 
treten, die von den bekannten Cholesterintafeln wesentlich abweichen. 
Man findet dann meist lange, sternförmig gelagerte Nadelformen oder 
auch feine Kristallaggregate. Verf. hat diese abweichende Kri9tallform 
aus einer Reihe von Organaubstanxen isoliert. Es fand sieb, dass das 
Cholesterin des Blutes fast ausschliesslich aus dem mutmaasslich neuen 
Derivat besteht Das Gehirn enthält den neuen Körper io über¬ 
wiegender Menge und nur zum geringen Teil eigentliches (rhombisches) 
Cholesterin. Die Cholesterinstoffe der für die Fettresorption wichtigsten 
DiÜ9enorgane (Leber und Pankreas) bestehen zum grössten Teil aus 
rhombischem Cholesterin. Nierencholesterin wiederum enthält ausschliess¬ 
lich die andere Kristallform. Verf. ist auf dem Wege, das in Rede 
stehende Umwandlungsprodukt des Cholesterins auch auf künstlichem 
Wege darzustellen. R. Lewin. 


Pharmakologie. 

Franz: Erodinm eicntnrlnm nie Stypticnm. (W.kl.W., 1917, 
Nr. 39.) Erodium cicutarium, der Reiherschnabel, ein in Mittel- und 
Nordeuropa weit verbreitetes Unkraut, ist von verschiedenen Seiten als 
blutstillendes Mittel empfohlen worden. Verf. hat es in Form eines In- 
fuses von 15: 180,0 benutzt, von dem täglich 6 Esslöffel gereicht wurden. 
Es erwies sich aber als unwirksam bei Uterusblutung. 

H. Hirschfeld. 


Therapie. 

H. Strauss-Berlin: Zur Bebaadliag von Folgeziständen der Rnhr. 
(Ther. d. Gegenw., Dez. 1917.) Die chirurgische Behandlung kommt 
nur für solche Fälle in Frage, bei denen eine längere Zeit durebgeführte 
interne Behandlung keinen Erfolg gezeitigt hat- Es sind hier zu nennen: 
Appendicostomie, die Anlegung einer Cöcalfistel, die Anlegung eines 
Anus praeternaturalis. Verf. möchte sich nach seinen jetzigen Erahrungen 
bezüglich der Wahl der Operation mehr für die erstere als die weniger 
gefährliche ausspreohen. Die Lokalbehandlung ist nach den Er¬ 
fahrungen des Verf.’s der internen Behandlung nicht überlegen. 
Letztere besteht in langdauernder Bettrübe mit zarter Diät und An¬ 
wendung von adstringierenden Mitteln per os. Im allgemeinen beschränkt 
Verf. die Lokalbehandiung vorwiegend auf die Erkrankungen des Rektums 
und der Flexura sigmoidea. In vielen Fällen wirkt Entfernung sta¬ 
gnierender Sekrete durch milde Reinigungsklystiere (1 Weinglas Kalk¬ 
wasser auf 1 l Wasser von 40° C oder mit warmem Kamillentee) günstig, 
daneben werden adstringierende Klystiere empfohlen, wie V* pCt. Tannin 
und Vz pM Arg. nitric.-Lösung. Bei den rein im Rektum lokalisierten 
Prozessen verwendet Verf. mit Erfolg Bleibeklystiere, 50—100 ccm, unter 
Zusatz von Bolus alb. Bolusal-Tierkohle, Collargol, V* pCt., Ichthyol 
»/ 2 pCt., Gelatine 5 pCt., Stärkemehlopium. In Fällen von Proctitis am- 
pullaris ist die Trookenbehandlung häufig der feuchten überlegen. 
Verf. benutzt hierzu einen „R j ktalinsufflator“ (Med. Warenhaus). Die 
Aohylie ist bei den chronischen Fäden der Ruhr nicht so häufig, wie 
es nach den bisherigen Untersuchungen schien, dasselbe gilt auch für 
ausgeprägte Herabsetzungen der peptischen Funktion des Dünndarms. 

R. Fabian. 

Justitz: Zur Therapie der Blattern. (W.kl.W., 1917, Nr. 41.) Es 
wird die BlatterbebaodluDg mit frischer gesättigter Kalium-Permanganat- 
lösung empfohlen. 

Gross: Zur Behandlung der Cystopyelitis. (W.kl.W., 1917, Nr. 44.) 
Manche Fälle von Pyelitis und Cystopyelitis, am häufigsten gonorrhoischen 
Ursprunges, erfahren durch intravenöse Injektionen von 3 mal 0,15 g 
Neosalvarsan eine überraschende Besserung und völlig© Heilung, welche 
auf die Formaldebydkomponente des Neosalvarsans zurückzuführen ist. 
Kolierkraukungen der Harnwege scheinen aber nicht beeinflussbar zu sein. 

Leitner: Ueber „Tbeaxyloii“, ein neues Diureticum. (W.kl.W., 
1917, Nr. 40.) Warme Empfehlung dieses neuen Diurelicums, das 
rascher als Diuretin wirkt und auch andere starke kumulative Nachwirkung 
entfaltet. Man soll es nur 6—8 Tage lang in Dosen 3 mal tgl. 1 g ver¬ 
abreichen. Zur Vermeidung von Magenstörungen empfiehlt es sieb, gleich¬ 
zeitig HCl zu gebeD. 

Bachstez; Zur Behandlung der Oonoblenorrhoe des Auges mit 
Milchinjfktionen. (W.kl.W., 1917, Nr. 37.) Eine Abkürzung des Krank- 
heitsverlaufes durch Milchinjektionen neben lokaler Behandlung wurde 
nicht erzielt. • H. Hirschfeld. 

Fr.Kobrak: Versuche zur Otoskleroseabehasdlmig auf ätiologischer 
Ortndlage. (Ther. d. .Gegenw., Dez. 1917.) Die Otosklerose beruht auf 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


119 


einer Spongiosierung der Labyrinthkapsel mit frühzeitiger Stapesankylose. 
Gegen die Spongiosierung wäre daher eine protrahierte reichliche Kalk* 
zufuhr indiziert und gleichzeitig eine Darreichung von Blutdrüsenhormonen« 
um den zugefübrten Kalk zweckmässig zurückzuhalten. Zur Illustrierung 
der Annahme einer Wirksamkeit der Kalktherapie teilt Verf. Stoffwechsel- 
versuche mit. 

A. B lumentbal-Stuttgart: Ueber Pellidol und Aiodolen und ihre 
Anwendung als Keratoplastica zur schnellen Epithelisierung von Wund« 
flachen. (Ther. d. Gegenw., Dez. 1917.) Die Erfahrungen des Verf.’a 
erstrecken sich vorzugsweise auf Fälle von Pruritus« Intertrigo, Ekzeme, 
Ulcerationen und Erosionen der Portio. Gute Erfolge. Im allgemeinen 
wurde Pellidol angewandt, nur in den Eällen, wo auch eine trockene 
und antiseptische Wirkung erzielt werden sollte, wurde das Azodolen 
genommen. Beide Präparate werden von der A.-G. Kalle u. Co. in 
Bribrich hergestellt. * R. Fabian. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

Mühl mann: Bemerkung über die angebliche Immiuität röntgen- 
bestrahlter Mäuse. (W.kl.W., 1917, Nr. 41.) Ein Unterschied im 
Wachstum von Impftumoren vorher bestrahlter und nicht bestrahlter 
Tiere wurde nicht festgestellt. Doch schien es, als ob die Tumoren der 
vorhehandelten Tiere eher zur Nekrosebildung neigten. 

H. Hirschfeld. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Csäpai: Beiträge zur Erläuterung der Weil-Felix’schen ReaktiOB. 
(W.m.W., 1917, Nr. 40.) Theoretisches. 

Löwy: Eine einfache Schale zum Züchten anaerob wachsender 
Bakterien. (W.m.W., 1917, Nr. 39.) Die vom Verf. beschriebene Schale 
ist hier in Berlin seit Jahren vielfach im Gebrauch. Reokzeh. 

Popper: Ueber den Erreger der galisischea Rohr. (W.kl.W., 
1917, Nr. 45.) Verf. fand bei einer in Galizien beobachteten Ruhr¬ 
epidemie eine Amöbe, die sich morphologisch sowohl von der Amoeba 
histolytica wie von der Amoeba coli unterschied, und die er deshalb als 
Eatamoeba dysenterica europaeae bezeichnet. 

H. Langer: Ueber den Einfluss von Metallsalzen auf die Diastaae 
ii lebenden Pflaizeniellen. (W.kl.W., 1917, Nr. 40.) Es konnte eine 
Schädigung der Diastase auch in lebenden Pflanzenteilen durch Kontakt 
derselben mit stark verdünnten Kupfersalzlösnngen bewiesen werden. 

Baumgarten und Lueger: Ueber die Wirkung von Metallen auf 
Bakterien toxine. (W.kl.W., 1917, Nr. 40.) Da nach früheren Fest- 
stelluogen der Verfi Fermente durch Metalle geschädigt werden, unter¬ 
suchten sie jetzt die Frage, wie sich Bakterientoxine Metallen gegenüber 
verhalten. Sie fanden, dass Diphtherie- und Tetanusgift durch 3 bis 
8tägigen Kontakt mit Kupfer in ihrer Giftigkeit sehr stark abgesohwacht 
werden. 

Baum garten und Langer: Ueber den Zackergehalt der ge¬ 
bracht ie hei Nährböden und dessen Bedeutung für die Differential- 
diagiose der Paratyphnsbacillen. (W.kl.W., 1917, Nr. 38.) Aus den 
Versuchen der Verff. geht hervor, dass sowohl im Agar bei längerem 
Koohen als auch im Fleischwasser naoh Kochen bei saurer Reaktion sich 
Spaltungsprodukte (Galaktosen und T’entosen) bilden, die von den ein- 
gesäten Bakterien angegriffen werden können. Ein mit derartigem 
Fleisch wasser bereiteter Nährboden ist zur Differentialdiagnose von 
Paratyphus A und B verwendbar, da der Paratyphus B Bacillus unter 
Rotfärbung des Nährbodens stets reichlich Gas bildet, während der Para¬ 
typhus A den Nährboden entweder unverändert lässt oder unter ge¬ 
ringer Gasbildung leicht rosa färbt. Eine sichere Differenzierung zwischen 
Typhös und Paratyphas A ist wegen der inkonstanten Gasbildung durch 
den Paratyphus A-Bacillus nicht möglich. H. Hirschfeld. 


innere Medizin. 

L. Dünner-Berlin: Plethysmographische Untersnehnngen hei 
Tropfeu herzen. (Ther. d. Gegenw., Dez. 1917.) Verf. fasst seine Unter¬ 
suchungen dahin zusammen, dass für viele Fälle das Vorhandensein 
eines Tropfenherzeos eine körperliche Minderwertigkeit darstellt. Durch 
die Plethysmographie wurde festgesteilt, das9 die Insuffizienz des Herzens 
nicht überall den gleiohen Grad besitzt. Neben Personen mit umge¬ 
kehrter Kurve wurden auch solche mit träger Kurve gefunden, die nur 
auf eine verminderte Kraft des Herzens schliessen lässt. Schliesslioh 
kann ein Tropfenherz auch bypertrophieren, so dass ein normal leistungs¬ 
fähiges Herz resultiert. In bezug auf die militärische Verwendbarkeit 
sind Leute mit normaler oder nacbträglioh ansteigender Kurve als k. v. 
anzusehen, bei träger oder bei umgekehrter Kurve empfiehlt sich an¬ 
fängliche Sohonung und Rücksichtnahme beim Exerzieren und bei 
Märschen. Allmählich kann man in diesen Fällen auf eine Erstarkung 
des Herzens hoffen. R. Fabian. 

Lehndorff und Stiefler: Zytologisohe Blutuntersuchungen hei 
Gaibraud. (W.kl.W., 1917, Nr. 40.) Resultate der Untersuchungen an 
25 Fällen; immer eine böhergradige sekundäre Anämie, konstant eine 
Leukooytose zwischen 15—30 000, Fehlen der Eosinophilen auf der Höhe 
der Erkrankung, oder starke Verminderung, fast stets Neutrophilie, pro¬ 


zentuelle Verminderung der Lymphocyten, keine Vermehrung der Mono- 
nukleäreo, in der Rekonvaleszenz postiofektiöse Lymphocytose. 

H. Hirschfeld. 

E. Benecke- Berlin: Hämorrhagische Dintkese (essentielle 
Thromhopenie) dnreh Milzexstirpation geheilt. (Ther. d. Gegenw., 
Dez. 1917.) Beobachtung im städtischen Kraukenhaus Moabit, Abtlg. 
Geh. R. Klemperer. R. Fabian. 

Popper: Ueber Fleckiieber ohne Exanthem. (W.kl.W., 1917, 
Nr. 44.) 

Freund: Ueber eine eigentümliche im Hinterland beobachtete 
Epidemie mit klinischen Beziehungen zu Paratyphas nnd Fünftage- 
fleber. (W.kl.W., 1917, Nr. 45.) 

Fasohing: Ueber einen Fall von variolaähnlichem pnstnlö'sen 
septischen Exanthem. (W.kl.W., 1917, Nr. 44.) 

Leitner: Ein Fall von schwerer cholämischer Intoxikation nnd 
Myelitis disseminata aeata. (W.kl.W., 1917, Nr. 42.) 

Perutx: Ueber einen Fall von Hydroa vaceiniforme mit Por- 
phyrinogennrie. (W.kl.W., 1917, Nr. 38.) H. Hirschfeld. 

R. Stähelin-Basel: Die Behandlung des Diabetes mellitus. 
(Schweiz. Korr. Bl., Nr. 44.) Vortrag, gehalten in der 88. Versammlung 
des ärztlichen Zentral Vereins in Basel am 3. Juni 1917. R. Fabian. 

Böhler: Ueber epidemisches Auftreten von Schleimbeutel- 
entzüiduigeu am Ellbogen nnd Knie und ihre Behandlung. (W.kl.W., 
1917, Nr. 42.) Es wurde auf einem Hauptverbandplatz in den Monaten 
Dezember und Januar 1916 eine förmliche Epidemie von Schleimbeutel¬ 
entzündungen beobachtet, die zeitlich mit dem massenhaften Auftreten 
von Nierenentzündung zusammenfiel. 

Csöpai: Die Weil-Felix’sehe Reaktion mit Danersnspension und 
einige Beiträge zur klinischen Verwendbarkeit derselben. (W.kl.W., 
1917, Nr. 38.) Vorschrift für die Herstellung einer Dauersuspension 
des für die Weil Felix’sche Reaktion notwendigen Proteusstammes, die 
sich gut bewährt hat. Die Well-Felix’sche Reaktion wird im allgemeinen 
erst am Ende der ersten oder am Anfang der zweiten Woche positiv 
und ist es noch in der 3.—4. Woche der Rekonvaleszenz. 

Gergely: Untersuohungsergebnisse mit der Weil-Felix’schen Fleck- 
fleberagglutination. (W.kl.W., 1917, Nr. 40.) Soblussergebnis. Wir 
besitzen in der Weil-Felix’scben Reaktion zumindestens eine solche 
serodiagnostisohe Stütze bezüglich des Flecktyphus, wie es die Gruber- 
Widal’sche für den Typhus abdominalis ist. 

Kanngiesser: Ein Beitrag zur Vergiftung mit Beeren der Atropa 
belladonna. (W.kl.W., 1917, Nr. 43.) 

Malowan: Versuch zur Herstellung einer Giemsalösug. W.kl.W., 
1917, Nr. 41.) H. Hirsohfeld. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

G. Anton und V. Schmieden: Der Snboccipitalstieh: eine neue, 
druckentlastende Hirnoperationsmethode. (Arch. f. Psyoh., Bd. 58, 
S. 1—30 ) Beschreibung des Suboccipitalstiohs und seiner hirndrnckent- 
lastenden Wirkung bei verschiedenen organischen Gehirnerkrankungen 
wie Tumor, Hydrooephalus, Meningitis, sowie bei Epilepsie und Migräne. 
Durch Oeffnuog und Offenhaiton der Membrana occipito-atlantica wird 
ein freier Abfluss der gestauten Hirnflüssigkeit bewirkt. Durch eventuelle 
Kombination mit dem Balkenstich kann so an zwei entgegengesetzten 
Stellen des Gehirns Druckentlastung erzielt werden. 

W. Utthoff: Kriegsnenrologisch ophthalmologische Mitteilungen. 
(Arch. f. Psyoh., Bd. 58, S. 31—39.) I. Ein Fall von Rückenschuss mit 
Rückenmarksverletzung und einseitiger reflektorischer Pupillenstarre bei 
erhaltener Konvergenzreaktion. Die Pupillenanomalie blieb unerklärlich. 

— II. Fall von psychogener, funktioneller Ophthalmoplegia externa ohne 
Beteiligung des Levator palpebrae und der inneren Augenmuskulatur. 

— III. Bemerkungen zum „Schüttelnystagmus“. W. Seiffer. 

Donath: Schwere Polyueuritis rheumatiea der Plexus brachiales 
bei einem Kriegsteilnehmer. (W. kl. W., 1917, Nr. 41). 

Neutra: Die Hemmungstendenz der Armbewegungen als Symptom 
hei hysterischem und simuliertem Hinken. (W. klin. W., 1917, Nr. 41,) 

Schneyer: Schädigung der peripheren Nerven durch Erfrierung. 
(W. klin. W., 1917, Nr. 39.) Erfrierung kann Neuritis erzeugen, und 
muss demnach unter die biologischen Faktoren der Nervenentzündung 
aufgenommen werden. Diese Erfriernngsneuritis ist durch eine man¬ 
schettenartig verteilte Akroanästhasie mit besonders nächtlichen hef¬ 
tigen Schmerzen charakterisiert. H. Hirsohfeld. 

L. Jacobsohn-Charlottenburg: Salvarsan uud Tabes. (Ther. d. 
Gegenw., Dez. 1917.) Polemik gegen W. Treupel, der bei Tabes eine 
hochdosierte ' Salvarsantherapie als „geradezu geboten“ hält. Eigene 
Untersuchungen haben eine besondere Salvarsan Wirkung nicht feststellen 
können. K. Fabian. 

Runge: Ueber Erfahrungen mit dem Ahderhaldeu’sehen Dialysier* 
verfahreu ia der Psychiatrie uud Neurologie. (Arch. f. Psyoh., Bd. 58, 
S. 71—118.) Eingehende Untersuchungen über die Verwertbarkeit des 
Abderbalden’schen Dialysierverfahrens bei funktionellen Psyohosen nnd 
Neurosen, insbesondere auch bei der Katatoniegruppe, sowie bei orga¬ 
nischen Erkrankungen und bei Epilepsie. Ergebnis im einzelnen hier 


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120 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


nicht anführbar, im ganzen: Das Verfahren kann in der Psychiatrie und 
Neurologie — ohne die Bedeutung der damit erhobenen Befunde und 
die Wichtigkeit des Weiterarbeitens in der gegebenen Richtung zu unter¬ 
schätzen — in seiner gegenwärtigen Form nicht zum klinischen Rüst¬ 
zeug wie etwa die Wassermann’scbe Reaktion gerechnet und zu prak- 
tisohen Zwecken verwandt werden, wie es vielfach geschehen ist. 

K. Bonhoeffer: Die exogenen Reaktionstypen. (Arch. f. Psych., 
Bd. 58, S. 55—70.) B. verteidigt seine Auffassung, dass es bestimmte 
exogene psychologische Reaktionstypen nach äusseren Schädigungen gibt 
gegenüber den Auffassungen anderer Autoren, die sich teils ablehnend 
(z. B. Specht), teils zustimmend und erweiternd (z. B. Knauer) hierzu 
geäussert haben. Verf. präzisiert seine Anschauung schärfer und belegt 
sie mit weiteren Erfahrungen. 

Henkel: Ueber die Notwendigkeit systematischer Durchunter¬ 
suchungen von Irrenanstalten inr Anffindang von Typhnsbaeillen- 
trägern. (Arch. f. Psych., Bd. 58, S. 49—57.) Verf. teilt seine Erfah¬ 
rungen auf diesem Gebiete mit und betont die Wichtigkeit systemati¬ 
scher Durcbuntersuchung der Anstalten auf Bacillenträger, um die Ge¬ 
fahr einer Typhusepidemie zu vermeiden. 

H. Gudden: Poetische Physiologie, Psychologie «ad Psychiatrie 
aus einigen Klassikern. (Arcb. f. Psych., Bd. 58, S. 40—48.) Einige 
Klassikerzitate mit obiger Bezugnahme. W. Seiffer. 


Chirurgie. 

J. F. S. Esser: Dura- und Schädelplastik hei Gehirnprolaps nar 
mit gestieltea Periostlappen ohne Knocnenlanelle. (D. Zschr. f. Chir., 
Bd. 142, H. 5 u. 6.) Verf. wendet sich dagegen, bei Schädelplastiken 
freie Knochentransplantationen vorzunehmen, er empfiehlt zu diesem 
Zweck den gestielten Periostlappen aus der Umgebung und beschreibt 
einen Fall mit gutem Resultat. 

F. Karl-Berlin: Weitere Mitteilungen über „Knochenfisteln nach 
Schossbrtiehei“ und deren Behandlung mit besonderer Berücksichtigung 
der zurück bleibenden Knoobenböhlen. (D. Zscbr. f. Chir., Bd. 142, fl. 5 
u. 6.) In einer früheren Arbeit hatte Verf. darauf hingewiesen, dass 
bei längere Zeit bestehenden Knochenfisteln nach Sohussbrüchen jeder 
grössere Eingriff als unnötig zu vermeiden ist. Ist die Enochenböble 
soweit zugäogig gemacht, dass der Zeigefinger in dieselbe eingeführt 
werden kann, so können alle Sequester gründlichst entfernt werden, 
dabei ist die die Höhle auskleidende Granulationsmembran vor jeder 
Verletzung unbedingt zu schonen. Die zurückbleibende Knochenhöhle 
füllt sich von selbst aus, alle plastischen Operationen sind überflüssig. 
An Hand von Röntgenbildern, die gelegentlich von Nachuntersuchungen 
1—2 Jahre nach der Operation aufgenommen wurden, konnte festgestellt 
werden, dass die Knochenhöhlen mit gleichwertigem Material in der 
idealsten Weise ausgefüllt wurden; der angebaute Knochen unterscheidet 
sich in nichts von seiner Umgebung. 

J. F. S. Esser-Berlin: Sogenannte totale Oesophagasplastik aas 
Hantlappen nach Thiersch ohne Verwendung von Darmschlingen. 
(D. Zschr. f. Chir., Bd. 142, H. 5 u. 6.) An 8 Patienten mit Striktur 
bzw. vollständiger Impermeabilität des Oesophagus wurde die im Original 
genauer beschriebene Metbode, bei der Thiersch’sche Lappen um ein 
Drainrohr gelegt wurden, mit bestem Erfolge angewendet. 

Th. Voeckler-Halle: Zur Kenntnis der Dickdarmlipome, zugleich 
ein Beitrag zur Frage der spontanen Lösung von Darminvaginationen. 
(D. Zschr. f. Chir., Bd. 142, H. 3 u. 4.) Ein sonst gesunder 63 jähriger 
Mann erkrankte aus völligem Wohlbefinden heraus mit mehrtägigen 
Durchfällen, 10 Tage später der gleiche Anfall; einige Tage vor der 
Operation wurde ein grosser Tumor in der Nabelgegend palpiert, das 
Coecum wurde samt einem Stück des angrenzenden Ueum und Colon 
ascendens reseziert, in dessen Wand sass ein kleinhühnereigrosses sub- 
mucöses Lipom. Heilung ungestört, ln der Literatur sind 62 Fälle 
niedergelegt. 

W. Burk-Kiel: Die Empyemfistel und ihre Behandlung. (D. Zschr. 
f. Chir., Bd. 142, H. 3 u. 4.) Das Verfahren, das sich auch bei lange 
bestehenden Pleurafisteln sehr gut bewährt bat, besteht im folgenden: 
Ausspülen der Empyemhöhle mit Dakinlösung, bis die Pleura bakterien¬ 
frei geworden ist; danach Plombierung der ganzen Höhle mit Bismutum 
oarbonioum. Fünf geheilte Fälle. 

K. Stromeyer-Jena: Ueber die Feraschädigang peripherer 
Nerven dnreh SchnssverleUnngea. (D. Zschr. f. Chir., Bd. 142, H. 5 
u. 6.) Die ganze Frage der Fernsohädigung peripherer Nerven durch 
Schussverletzungen wird an Hand der Literatur und auf Grund von drei 
selbst beobachteten Fällen besprochen. Verf. kommt zu folgender Zu¬ 
sammenfassung: Die Nervenfernschädigungen kommen duroh Ueber- 
dehnung des Nerven zustande. Diese Ueberdehnung wird in den aller¬ 
meisten Fällen durch Infanteriegescbosse, die neben dem Nerven hin- 
durobschlagen, bewirkt. Infolge der Ueberdehnung reissen die endo- 
neuralen Blut- und Lymphgefässe, die Folge ist ein endoneuraler Blut- 
und Lympherguss. Wird dieser Erguss resorbiert, dann tritt Spontan¬ 
heilung ein, organisiert er sich, so entsteht eine Narbe. Im Narbenstadium 
erscheint der Nerv entweder äusserlich normal, oder er ist spindelförmig 
aufgetrieben. Die Nervenspindel geht später durch Schrumpfung in das 
Stadium der Induration über. Wird eine endoneurale Narbe festgestellt, 
so ist die Freilegung der einzelnen Nervenkabel angezeigt, der ev. die 


Exzision der Narbe zu folgen bat. Eine endoneurale Narbe ist immer 
zu vermuten, wenn die Nervenfunktion längere Zeit ohne Tendenz zur 
Besserung gestört ist und eine Ursache hierfür sonst nicht gefunden 
werden kann. 

H. Kehl-Marburg: Ueber Betastatische Gasphlegnoaen. (D. Zschr. 
f. Chir., Bd. 142, H. 5 u. 6.) Beschreibung zweier Fälle von metastati¬ 
scher Gasphlegmone, die beide trotz breiter Freilegung letal endigten. 

R. Siegert: Ueber mehrfache Infektion dnreh Gasbaeillei and 
Metastasenbildnng. (D. Zschr. f. Chir., Bd. 142, H. 5 u. 6.) Die in 
der Ueberscbrift gekennzeichneten Kapitel werden an Hand der Literatur 
und auf Grund von einigen selbst beobachteten Fällen ausführlich be¬ 
sprochen. 

G. Nyström-Upsala: Ueber den Sehmen dnreh indirekten Draek 
als Fraktarsymptom. (D. Zschr. f. Chir., Bd. 142, H. 8 u. 4.) Das 
Fehlen von Sohmerz bei indirektem Druck sohliesst eine Fraktur nicht 
aus, spricht aber im allgemeinen dafür, dass entweder keine Fraktur 
vorliegt oder dass, wenn eine solche vorhanden ist, sie unvollständig ist 
oder eine gute Lage hat; bei Frakturen, die die betreffende Druckaobse 
nicht berühren, kann doch Schmerz bei indirektem Druck auch bei 
schwerer Dislokation des abgesprengten Knochenstücks fehlen. Ein 
positiver Ausfall der Untersuchung spricht mit grösster Wahrschein¬ 
lichkeit für eine Fraktur, mit Ausnahme der kleinen Gelenke, wo bei 
indirektem Druok auch bei Distorsionen und Kontusionen so häufig 
Sehmers aufzutreten scheint, dass dies Symptom für die Diagnose einer 
Fraktur bedeutungslos ist. B. Valentin. 

Rychlik: Womit Hesse sich Borsänre ja der Dakinltisang er- 
setxea? (W.kl.W., 1917, Nr. 41.) Es wird für diesem Zweck Natripm- 
bisulfat empfohlen. H. Hirse hie Id. 

M. Linnartz-Oberhausen: Der verschärfte Waadsekats dnreh 
Anstrich des Operationsfeldes mit AlamiBiamhroase. (D. Zschr. f. 
Chir., Bd. 142, H. 3 u. 4.) Empfehlung der Aluminiumbronze als An¬ 
strich des Operationsfeldes. Beschreibung der genaueren Technik. 

B. Valentin. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 9. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Benda. 

Vorsitzender: M. H.l In der ersten Sitzung des neuen Jahres 
heisse ich Sie herzlich willkommen. 

Wir haben jetzt schon wiederholt in der ersten Jahressitzung unserer 
Hoffnung Ausdruck gegeben, dass ein Friedensjahr begonnen hätte. Es 
war immer vergebens, und so halte ich ob für richtig, dieses Mal, wenn 
auch vielleicht die Verhältnisse etwas günstiger liegen, unsere Hoffnung 
nicht speziell zum Ausdruck zu bringen, sondern nur unseren festen 
Willen, mag es kommen, wie es wolle, auch unsererseits durchzuhalten 
und unsere Pflicht bis zum Ende zu tun. (Beifall.) 

Das alte Jahr hat uns noch einen schmerzlichen Verlust gebracht 
durch den Tod von W. A. Freund, den berühmten Erfinder der ab¬ 
dominalen Uterusexstirpation und den Entdecker der Bedeutung, welche 
die Verengerung der oberen Brustapertur für die Lokalisation der Tuber¬ 
kulose in der Luoge besitzt. Als er sein Amt niedergelegt und seinen 
Wohnsitz naoh Berlin verlegt hatte, im Jahre 1901, war er sofort unserer 
Gesellschaft beigetreten und hat sich alsbald eifrig an den Geschäften 
der Gesellschaft beteiligt. Es dauerte auch nicht lange, dass die Ge¬ 
sellschaft ihn unter ihre Würdenträger gewählt hat. Zunächst war er 
Mitglied des Ausschusses, dann Mitglied des Vorstandes als stellver¬ 
tretender Vorsitzender. Leider gestattete es ihm sein körperliches Be¬ 
finden nicht, diese Stellung länger als ein Jahr einzunehmen, und er 
konnte in den letzten Jahren an unserem Gesellschaftsleben nicht mehr 
teilnehmen. Er hatte aber das Glück, dass seine geistige Regsamkeit 
ihm bis zu Ende erhalten geblieben ist Habe ich doch im Oktober 
des vorigen Jahres noch eine von ihm eigenhändig gewidmete kleine 
Schrift bekommen, die nicht im Buchhandel erschienen ist, die aber von 
neuem gezeigt hat, welche vielseitigen Interessen er gehabt hat. Sein 
Name wird in der Geschichte der Medizin erhalten bleiben und auoh 
bei uns in gutem Andenken stehen. Ich bitte Sie, dessen zur Bekräftigung 
sioh zu erheben. (Geschieht.) 

Aus der Gesellschaft ist ausgeschieden Herr Dr. Bokelmann ohne 
Angabe von Gründen. 

Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, muss ich darauf hinweisen, 
dass wir heute den viorten Sitzungstag der Besprechung unseres Themas 
widmen. Es ist unbedingt notwendig, dass wir heute die Besprechung 
zu Ende bringen, da eine grosse Anzahl von Vorträgen für die Gesell¬ 
schaft aDgemeldet ist. loh kann deshalb den Herren Rednern nur die 
satzungsmässigen 5 Minuten gestatten, und ich bitte dringend, dass Sie 
sioh an die satzungsmässige Vorschrift halten. Auf das Schlusswort der 
Herren Referenten hat natürlich diese Bestimmung keine Anwendung. 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


121 


Schliss der Besprechung Aber: Die Srctliehe Uaterbrechug der 
Schwangerschaft. 

Hr. Franz: Herr Bumm hat neulich bemerkt, dass sich im Ver¬ 
laufe der Jahre die Indikationen zur Unterbrechung der Gravidität ge¬ 
ändert hätten, d. b. dass die Indikationen öfter gestellt worden seien. 
Solange meine Erinnerung zurückreicht, hat sich nichts geändert. loh 
weiss wohl, dass es Aerzte gibt, die aus anderen als medizinischen 
Gründen die Gravidität unterbrechen. Das ist eine sehr bedauerliche, 
aber keine tragische Angelegenheit, denn es gibt in allen Berufsständen 
uowürdige Glieder. Ich habe wohl den Eindruck, dass uns öfter 
Schwangerschaftsfälle mit leichten Erkrankungen zur Unterbrechung der 
Schwangerschaft überwiesen werden. Ich möchte aber daraus den 
Aerzten keinen Vorwurf machen, denn von dem Augenblick an, wo sie 
sie uns überweisen, lehnen sie ja die Verantwortung ab, und wir nehmen 
sie auf. 

Ich bin auch der Meinung des Herrn Buram, dass der Anteil der 
Aerzte an der Zahl der Aborte überhaupt gering ist. 

Woher kommt es nun, dass in neuerer Zeit so häufig über die ärzt¬ 
liche Unterbrechung der Gravidität gesprochen wird, ja, mit einer fast 
nervösen Hast? Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, als ob 
hier andere als medizinische Gründe maassgebend seien, und insbe¬ 
sondere bevölkerungs-politische Erwägungen. Uns Aerzten aber gehen 
bevölkerungs-politi8che Probleme nichts an. Unsere Aufgabe sind medi¬ 
zinische Indikationen, und da komme ich auf eine Forderung, die ich 
allerdings nachdrücklich erheben möchte, nämlich die Indikationen der 
Unterbrechung etwas schärfer herauszuarbeiten. Daran fehlt es ganz 
gewiss. Ich habe immer das Gefühl einer gewissen Unsicherheit, wenn 
• ich eine Gravidität, die mit irgendeiner Organ- oder Allgemeinerkran¬ 
kung kompliziert ist, unterbrechen soll. Insbesondere ist es notwendig, 
dass wir Nachuntersuchungen vornehmen und uns über Schicksal der 
Frauen, bei denen wir die Gravidität unterbrochen haben, später genau, 
informieren. Das ist eine Forderung, die ja auch Herr Kraus aufstellt 
Aber auch dann, wenn durch die Mitarbeit unserer Spezialkollegen die 
Indikation für die Unterbrechung der Gravidität noch genauer festge- 
stellt und unsere Kenntnisse vielleicht vertieft werden, wird immer noch 
eine Reihe von Fällen übrig bleiben, wo eben der Freiheit des Arztes 
Spielraum gegeben werden muss, und wo er nach bestem Wissen und 
Gewissen entscheiden muss. Es ist eigentlich eine Banalität, so etwas 
zu sagen, aber ich möchte es doch erwähnen, gerade im Hinblick auf 
den Vorschlag, die Anzeigepflicht des artefiziellen Aborts einzuführen. 
Ich lehne diese Anzeigepflicht ab. Die Schlechten werden sich dadurch 
nicht abhalten lassen und die Gutgesinnten werden unnötig belästigt. 
Dazu kommt, dass mit einer, ich darf vielleicht sagen, polizeilichen 
Maassnahme eine HeilJjestrebung, wie es die Unterbrechung der Gravi¬ 
dität bei komplizierenden Erkrankungen ist, mit dem Odium von etwas 
Bedenklichem belastet wird. 

Noch ein Wort über eugenische und soziale Indikationen. Die 
eugenisohe Indikation muss abgelehnt werden, weil sie wissenschaftlich * 
nicht genügend begründet ist, und die soziale Indikation wird Geltung 
haben je nach dem Begriff, den man mit der sozialen Indikation ver¬ 
bindet. Je weiter man den Begriff ausdehnt, desto mehr wird sie für 
die Indikation der Unterbrechung der Schwangerschaft in Betracht 
kommen. 

Hr. Fritz Strassmann: Der erste Herr Berichterstatter hat seinen 
Bericht in zwei Teile geteilt, die dem geltenden und dem zukünftigen 
Becht gewidmet waren. Auch ich werde mich bei meinen Bemerkungen 
dieser naturgemässen Einteilung anschliessen müssen. 

Was das geltende Recht anlangt, so möchte ioh nur nochmals seine 
Bemerkung unterstreichen, dass die Straffreiheit des künstlichen Abortes 
nicht oder nur ganz ausnahmsweise auf die Straffreiheit der Notstands¬ 
handlung gestützt werden kann. Ich tue das deshalb, weil sogar ein 
Jurist, Justizrat Korn, in einer der letzten Nummern des „Aerztlichen 
Korrespondenzblattes“, bevor unsere Diskussion hier stattfand, sich auf 
diesen Standpunkt gestellt und ausgeführt hat, die Notstandshandlungen 
würden zwar duroh das Gesetz auf die Angehörigen oder auf die eigene 
Person beschränkt, aber die Richter gingen zu Gunsten des Arztes, der 
bei einer Frau die Frühgeburt eingeleitet hat,darüber hinweg. Diese Ansicht 
ist sicherlich irrig. Es ist natürlich ganz unmöglich, dass ein Richter, 
der die Gesetze anzuwehden und eventuell in zweifelhaften Fällen aus¬ 
zulegen hat, sich über die ausdrücklichen Bestimmungen des Gesetzes 
hinwegsetzt und sie erweitert. 

Diese Frage hat doch eine gewisse praktische Bedeutung. Entsprechend 
der Auffassuog, dass Notstandshandlungen hier vorliegen, wird die Ein¬ 
leitung beschränkt auf das Vorhandensein einer Lebensgefahr. Wenn 
man sich dagegen auf den von dem Herrn Vortragenden vertretenen 
Standpunkt des Berufsreohts stellt oder auf den von auderen vertretenen 
Standpunkt des Gewohnheitsrechts oder auf den von Herrn Alexander 
vertretenen Standpunkt des Fehlens der rechtswidrigen Absicht, so ist 
es in allen Fällen klar, dass der Eingriff dann immer zulässig ist, wenn 
er mit der in den Kreisen der Berufsgenossen allgemein herrschenden 
Ansicht übereinstimmt, also — darüber sind wir wohl einig — nicht 
nur bei Lebensgefahr, sondern auch bei schwerer, anders nicht zu be¬ 
seitigender Gesundheitsgefahr. 

Ich kann nicht finden, dass der von Herrn Abel neulioh angeführte 
Fall gegen diese Formel spricht. Wenn eine Frau Gefahr läuft, im 
Wochenbett einer in drei Wochen tödlichen tuberkulösen Lungenschwind¬ 


sucht zu erliegen, so besteht eben bei ihr eine Lebensgefahr, und selbst 
den Ausdruck „sohwerst“ würde ich in diesem Falle für berechtigt halten. 

Was das zukünftige Gesetz an langt, so habe ich selbst früher, ebenso 
wie Herr Kraus und andere Herren, den Standpunkt vertreten, dass 
eine besondere Gesetzesbestimmung auch in Zukunft nicht nötig wäre, 
da wir bei dem bisherigen, wenn ich so sagen darf, gesetzlosen Zustand 
ganz gut gefahren sind, da insbesondere ein Fall noch nicht vorgekommen 
ist, wo ein Arzt, der aus legitimer Indikation den Abort eingeleitet hat, 
nun etwa wegen Abtreibung aDgeklagt oder gar verurteilt worden wäre. 

Ich habe mich inzwischen durch das Studium der Literatur über¬ 
zeugen müssen, dass die Mehrzahl der Kollegen doch eine besondere Be¬ 
stimmung, eine Ergänzung des Gesetzes wünscht, um für ihren Eingriff 
den gesicherten Rechtsboden zu haben, und um durch eine solche Be¬ 
stimmung, die den Eingriff an bestimmte Bedingungen knüpft, Miss¬ 
bräuche möglichst auszuschiiessen. In welcher Form dieser Schutz ge¬ 
schaffen werden soll, ob durch Erweiterung des Notstandsparagraphen 
oder durch eine besondere Ausnahmebestimmung bei dem Paragraphen 
gegen die Abtreibung, ist eine gesetzesteohnische Frage, die für uns trohl 
von geringerem Interesse ist, und für die wir auch nicht kompetent sind. 
Insofern kann ich Herrn Geheimrat Kahl nicht folgen, wenn er uns zur 
Entscheidung darüber aufruft. Wenn der Schutz durch Ausgestaltung 
des Notstandsparagraphen geschaffen werden kann, wenn wir insbesondere 
darauf rechnen können, dass der Begriff „gegenwärtige Gefahr“ immer 
in dem erweiterten Sinne von der Judikatur angewendet wird, wie er 
es hier vorgetragen hat, und das hängt wohl davon ab, ob eine solche 
Erweiterung des Begriffs nicht in anderer Beziehung die Strafrechtspflege 
schädigt, dann würden wir mit dieser Lösung des Problems zufrieden 
sein, während man im andern Falle eine Sonderbestimmung, entsprechend 
dem Gegenentwurf resp. dem österreichischen Entwurf, wird wünschen 
müssen. 

Es ist Ihnen von Geheimrat Kahl vorgetragen worden, dass von 
verschiedenen Seiten für eine Sohutzbestimmung besonders der absolut 
ablehnende Standpunkt angeführt wird, den die römische Kirche gegen¬ 
über dem künstlichen Abort einnimmt. Es ist ausgefübrt worden, dass, 
wenn solche Ansichten auch in einem Richterkollegium Platz greifen, 
ein Arzt wegen Abtreibung verurteilt werden könne, da das Gesetz dem 
nioht ausdrücklich widerspricht. In Holland wäre tatsächlich ein solcher 
Fall vorgekommen. Nun darf ich zur Richtigstellung zunächst bemerken, 
dass der Fall in Holland doch etwas anders liegt. Nicht der betreffende 
Arzt (Treub) hat Unannehmlichkeiten gehabt, vielmehr hat er durch 
eine Anzeige wegen LebensgefäbrduDg dem Geistlichen Unannehmlichkeiten 
gemacht, auf dessen Rat seine Patientin den ihr vorgeschlagenen Abort 
wegen Gewissensbedenken abgelehnt hat. Im übrigen glaube ich, dass 
von Seiten der katholischen Moral-Theologie eine so wesentliche Gefahr 
nicht besteht. Es ist richtig, dass der erwähnte Beschluss des Kardinal- 
Kollegiums, der die Tötung der Frucht auch zur Lebensrettung der 
Mutter für unzulässig erklärt, gelegentlich dahin ausgelegt worden ist, 
dass jeder künstliche Abort zu verurteilen sei. Es scheint aber jetzt 
eine mildere Auslegung Platz zu greifen, über die ioh vor kurzem von 
kundiger Seite eine Mitteilung bekommen habe, die Sie vielleicht 
interessieren wird. Der Betreffende schreibt mir: 

„Der kirchliche Standpunkt ist kurz der, dass jede direkte Tötung 
des Kindes, sei es auch, um das Leben der Mutter zu retten, unerlaubt 
ist (abortus directus). Das indirekte Absterben lassen des Kindes da¬ 
gegen ist erlaubt und kann, wenn auch nicht beabsichtigt, so doch zu¬ 
gelassen werden, wenn es infolge ärztlicher Maassnahmen, die allein die 
Gesundung oder Rettung der Mutter bezwecken, eintritt. Dieser kirch¬ 
lichen Entscheidung liegt das allgemein anerkannte Moralprinzip zu 
Grunde, dass man eine Ursache, die neben einem erlaubten Effekt einen 
an sich unerlaubten erwirkt, aus gewichtigen Gründen setzen darf, falls 
nur die erlaubte Wirkung bezweckt und die an und für sioh unerlaubte 
lediglich zugelassen wird.“ 

Ich glaube, mit dieser Auffassuog könnten wir uns wohl vereinigen, 
denn das ist ja, wie mir scheint, der maassgebende Unterschied 
zwischen dem ärztlichen Eingriff und der Abtreibung. Wir wollen doch 
nur die Schwangerschaft unterbrechen; dass die Frucht dabei zu Grunde 
geht, ist ein unangenehmer, leider notwendiger Nebenerfolg, der, wenn 
es möglich wäre, von unserem Standpunkt aus gewiss vermieden werden 
würde. Die Abtreibung bezweckt gerade, das Leben der Frucht zu ver¬ 
nichten, sei es im Interesse der Mutter, sei es im Interesse der sozialen 
Verhältnisse der Familie oder aus den anderen Gründen, die hier in 
Betracht kommen. Wenn man diese Unterscheidung festhält, dann ist 
ohne weiteres klar, dass, wie der Herr Vortragende gesagt hat, die 
Unterbrechung der Schwangerschaft aus sozialen oder eugenischen Gründen 
eine glatte Abtreibung ist, denn sie zielt auf die Tötung der Frucht hin, 
und das Gleiche gilt auch — insofern hat er mich vollkommen richtig 
verstanden — von der Unterbrechung der Schwangerschaft bei einer 
durch Notzucht bewirkten Schwängerung, wenn nicht eine medizinische 
Indikation hierfür vorliegt. 

Es ist ja die Frage aufgeworfen worden, ob das künftige Gesetz 
nicht die Abtreibung unter solchen Ausnahmebedingungen zulassen soll. 
Bezüglich der sozialen und der rassenhygienischen Indikation möchte 
ioh mich dem ablehnenden Votum fast aller Diskussionsredner an¬ 
schliessen. Anders stehe ich allerdings bezüglich der Unterbrechung 
der Schwangerschaft bei einer duroh Notzucht herbeigeführten Schwän¬ 
gerung. Das ist ja keine rein medizinische Erörterung, aber als Geriohts- 
arzt, dem eine Anzahl solcher Fälle vorgekommen sind, und der sioh 
stets bemüht hat, Beinen Fällen auch menschlich näher zu kommen, 


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122 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


darf ich vielleicht ein Wort zu dieser Frage sagen, die gerade im gegen¬ 
wärtigen Kriege durch Ereignisse gelegentlich der russischen Invasion 
in Ostpreussen akut geworden ist. Ich glaube, es muss dem natürlichen 
Empfinden nicht nur als eine Härte, sondern auch als eine Ungerechtigkeit 
erscheinen, wenn ein weibliches Wesen das Opfer eines solchen Ver¬ 
brechens geworden ist, nun die ganze Last der Schwangerschaft und 
Mutterschaft tragen soll. Die Untersuchung der Schwangeren und die 
Abnahme der Sorge für* das Kind, wie sie Herr Geheimrat Kahl em¬ 
pfohlen hat, scheint mir nicht ausreichend. Der Kostenpunkt ist doch nicht 
die Hauptsache. Ich kenne alle die Einwände, die dagegen gemacht werden, 
besonders den, dass Notzuchtanzeigen häufig unberechtigt erfolgen. Ich 
halte sie nioht für durchschlagend; sonst würde man in logischer 
Konsequenz dazu kommen, die Strafbestimmung gegen Notzucht über¬ 
haupt aufzuheben, was doch kein Mensch will. Es werden sich Mittel 
finden, um die Fälle, die begründet sind, von denen zu trennen, in 
denen die Behauptung unbegründet ist. Der Beweis scheint mir dadurch 
geliefert zu sein, dass das neue schweizerische Gesetzbuch, das auch im 
Kreise unserer Kriminalisten vielen Beifall gefunden hat, wie ich höre, 
dem entsprechenden Verlangen der gerichtlich-psychiatrischen Gesellschaft 
in Zürich nachgeben will. 

Noch ein Wort über die vorgeschlagene Meldepflicht; vom praktisch 
kriminalistischen Standpunkt spricht für sie ein bisher noch nicht geltend 
gemachter Umstand. Es ist gesagt worden, die Verbrecher werden sich 
ihr entziehen; zugegeben, dann wird aber später die systematische 
Unterlassung der Meldung sicher ein schwerwiegendes Verdachtsmoment 
gegen sie sein, das zu ihrer Ueberlührung und Verurteilung, die wir 
doch alle wünschen, beitragen wird. Drakonische Strafen wegen Ueber- 
tretung der Meldepflicht — die Herr Kahl wohl auch gar nicht beab¬ 
sichtigt — sind dazu nicht nötig; bezüglich ihrer Bedenklichkeit würde 
ioh Herrn Alexander beistimmen. Sonst aber, meine ich, dass die 
Gefahren einer solchen Meldepflicht dooh weit überschätzt worden sind; 
dadurch, dass der Arzt nach erfolgtem Eingriff eine Anzeige an den 
beamteten Arzt macht, wird doch nicht- eine behördliche Zwischen¬ 
instanz zwisohen Arzt und Patienten geschaffen, die das Vertrauens¬ 
verhältnis zwischen beiden schädigt und die Kranken dem Kurpfuscher¬ 
tum in die Arme treibt. Und wenn Herr Arthur Meyer es. so dar¬ 
gestellt hat, als wenn der beamtete Arzt, dem diese Meldungen zugehen 
werden, nicht anders als etwa die Meldungen über Infektionskrankheiten, 
auf der Lauer liegen würde, um in jedem Fall, in dem er mit der In¬ 
dikation nicht einverstanden ist, den Arzt wegen Abtreibung zur Anzeige 
und — als ob das so leicht ginge — ins Zuchthaus zu bringen, so ist 
das doch ein Phantasieprodukt, für das jede tatsächliche Unterlage fehlt. 
Mit solchen Uebertreibungen fördert man die Verständigung, nach der 
wir alle streben, nioht. 

Hr. Edmund Falk: Der Erfolg der Diskussion ist, dass uns von 
seiten des inneren Klinikers, von seiten des Nervenarztes und von seiten 
des Augenarztes wesentlich schärfere Indikationen vorgeschrieben worden 
sind, als wir sie im allgemeinen bisher hatten, und unsere Pflicht ist 
es natürlich, uns nach diesen Indikationen streng zu richten. Besonders 
sind die sozialen Indikationen eingeschränkt worden, und zwar mit 
vollem Recht. Sie haben sich ja aber unter dem Namen der kon¬ 
kurrierenden Momente eine Existenzberechtigung bewahrt, die wir Aerzte, 
die sozial denken und fühlen, anerkennen müssen. Denn es ist ein 
wesentlicher Unterschied, ob wir beispielsweise eine Herzkranke aus 
wohlhabender Familie behandeln, die sich sohonen kann, und bei der 
wir daher versuchen werden, die Geburt abzuwarten. In einem gleich¬ 
artigen Falle werden wir die Schwangerschaft unterbrechen müssen, 
wenn durch schwere Arbeit Kompensationsstörungen drohen. Für die 
Tuberkulose ist dies ja von sämtlichen Vorrednern betont worden. 
Ganz besonders schlecht steht hier die Frau des kleinen Mittelstandes, 
der nicht die Gelegenheit gegeben ist, sich in einer Heilstätte zu pflegen. 
Ich glaube wohl, dass durch Heilstätten, in die sich die Frauen nioht 
nur einige Zeit vor der Entbindung aufnehmen lassen, sondern in denen 
sie auch entbunden werden und sich in der ersten Zeit nach der Ent¬ 
bindung aufhalten können, ein wesentlich besserer Erfolg zu erzielen 
wäre, und vielleicht die Unterbrechung mancher Schwangerschaft sich 
verhüten Hesse, um so mehr, da ja doch auch die Kinder bei diesen 
Familien, da sie in der Zeit nach der Entbindung nicht von der 
Mutter getrennt werden können, viel mehr gefährdet sind als in guten 
Familien. 

Aus der Statistik von Herrn Bumm und von Herrn Hirsch geht 
hervor, dass die Zahl der kriminellen Aborte eine erschreckend grosse 
ist. Ich glaube, das liegt vielleicht an einem etwas einseitigen Material. 
Unter über 2500 Fehlgeburten, die ich zu behandeln hatte, war es nur 
eine relativ kleine Zahl von Frauen, bei denen sich naebweisen liess, 
dsss durch einen intrauterinen Eingriff die Schwangerschaft unterbrochen 
worden war. Ein Beweis dafür ist auch, dass die Mortalität in diesen 
Fällen eine sehr geringe war. Sie zählte nicht nach Prozenten, sondern 
nach Promille, und das wäre unerklärlich, wenn die Mehrzahl dieser 
Fälle durch versuchte Unterbrechung der Schwangerschaft beendigt sein 
sollte, denn die Gefahren der Unterbrechung sind, namentlich wenn sie 
von unberufenen Personen vorgenommen wird, sehr gross. 

Wenn ich nun nooh mit einem Wort auf die Indikationsstellung 
zurückkomme, so liegt doch für den Frauenarzt die Sache so, dass er 
vielfach gar nicht in der Lage ist, ohne längere Beobachtung — und 
für eine längere Beobachtung fehlt dem Frauenarzt insofern die Zeit, 
als er, wenn er die Frau erst wochenlang beobachten will, den günstigen 


Moment zur Unterbrechung der Schwangerschaft verfehlt — ein Urteil 
zu fällen, dass er sich also auf das Gutachten des Facharztes resp. auf 
das Gutachten des Arztes, der die Frau längere Zeit beobaohtet hat, 
stützen muss. Hingegen hat der Frauenarzt die volle Verantwortung 
für die gynäkologische Indikation, und hier kommt vor allen Dingen 
Beckenenge in Betracht. Bei Beckenenge stehe ich auf dem Stand¬ 
punkt, dass bei Kaisersohnittbecken — denn um diese handelt es sich 
allein — wir nicht das Recht haben, wenn auch der Kaiserschnitt 
relativ gefahrlos ist, der Frau unter allen Umständen zur Austragung 
der Schwangerschaft zu raten. Ferner kommen Tumoren in Betracht. 
Bei gutartigen Tumoren, bei operablen Uvarial-Tumoren, subserösen 
Myomen ist eine Unterbrechung der Schwangerschaft unter keinen Um¬ 
ständen gestattet. Einzig und allein kommt die Operation der Ge¬ 
schwulst während der Schwangerschatt in Betracht. Ich kann über eine 
grössere Anzahl von Fällen berichten, in denen die Operation während 
der Schwangerschaft ausgeführt und das Kind ausgetragen wurde. Intra¬ 
murale Myome sollen meist während der Schwangerschaft nicht operiert 
werden, sondern man wird möglichst versuchen, die Schwangerschaft 
austragen zu lassen, und nachher operieren. Submucöse Myome können 
natürlich nicht ohne Unterbrechung der Schwangerschaft angegriffen 
werden. In einem Falle habe ich nachträglich bedauert, dass ioh die 
Schwangerschaft nicht unterbrochen habe. Das submucöse Myom ver¬ 
jauchte im Puerperium, die Frau starb. Bösartige Geschwülste müssen 
ohne Rücksicht auf Erhaltung der Schwangerschaft operiert werden. 
Eine falsohe Lagerung der Gebärmutter hat für mich nur in einem ein¬ 
zigen Falle die Anzeige zur Unterbrechung gegeben, bei einer Frau, wo 
es sich um Retroflexio fixata handelte und gleichzeitig eine chronische 
Gallenblasenentzündung bestand. Die Frau war einige Zeit vorher in 
Karlsbad gewesen. Entzündungen, namentlish eitrige Entzündungen in* 
der Umgebung der Gebärmutter werden keine Indikation zur Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft abgeben. Sie sind häufig die Folge eines 
bereits vorgenommenen Versuches, die Schwangerschaft zu unterbrechen. 
Wenn sie Folge von frischer Genorrhoe sind, sind die Gefahren des Ein¬ 
griffes grösser als die eines abwartenden Verfahrens. Erbrechen ohne 
Komplikationen kann nur, wenn es auf toxischen Ursachen beruht, die 
Schwangerschaft zu unterbrechen gestatten. 

Auf eine Indikation möchte ich mit einem Wort noch eingehen, 
weil sie eigentlich keine Indikation ist. Das ist die aus eugenischen 
Gründen vorgenommene Einlegung eines Intrauterin-Stiftes in die Gebär¬ 
mutter, um die Schwangerschaft zu verhüten. Das ist keine Verhütung 
der Schwangerschaft, denn der Stift ist nicht in der Lage, die Schwaoger¬ 
schaft zu verhüten, sondern nur eine junge Schwangerschaft zu unter¬ 
brechen. Ich glaube, dass die Zahl derjenigen Fälle, die durch dieses 
Mittel zur Unterbrechung der Schwangerschaft führen, nicht wesentlich 
kleiner ist als die aus wissenschaftlichen Gründen vorgenommene Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft. 

Hr. Bornstein (a. G.): Ich habe als Gast ums Wort gebeten, 
um für soziale Maassnahmen einzutreten, die eine gewollte Unterbrechung 
der Schwangerschaft zu verhindern imstande sind. Ich hatte als Gründer 
und langjähriger Vorsitzender des Vereins für Mutterschutz in Leipzig 
Gelegenheit, Frauen und Mädchen zu beraten, die in ihrer Not eine 
Unterbrechung der Schwangerschaft erbaten. Ich habe mich nicht be¬ 
gnügt, dieses Verlangen abzuweisen. Sie wären sonst weitergegangen 
und schon zu jemand gekommen, der die Schwangerschaft unterbrochen 
hätte. Mein ärztlich soziales Gewissen verlangte positive Hilfsmaass¬ 
nahmen. Ich habe mich nicht, wie es vom ersten Diskussionsredner ge¬ 
wünscht wurde, gegen dieses Verlangen als unsittlich entrüstet. Man 
muss in die Psyche der Frauen eindringen, um zu wissen, dass ganz 
andere Momente die Frauen zu uns bringen als Momente der Unsitt¬ 
lichkeit. — Ein Dutzend Frauen wenden Präventivmittel an: elf ist es 
gelungen, die zwölfte kommt zu uns. Sollen wir diese für unsittlicher 
halten als die anderen? Oder es kommt eine Frau zu mir, die 6, 
8 Kinder hat. Der Mann verdient kaum soviel, dass es für die 6, 
8 Kinder langt. Er ist vielleicht ein Trinker und hat sie im Rausche 
umarmt. Sie verlangt, dass man die Frucht beseitigt. Woher soll sie 
Nahrung nehmen? Soll ich diese unglückliche Frau für unsittlich halten? 
Oder das Mädchen, das einem Manne blindlings vertraut hat, der sie 
geschwängert hat und verlässt? Sie wünscht von dem nicht gewollten 
Kinde befreit zu werden. — Wenn wir einmal feststellen wollten, wie¬ 
viel Kinder wirklich gewollt, wieviel Kinder wirklich Wunschkinder sind, 
— ich glaube, wir würden eine sehr knappe Zahl zusammenbekommen. 
Die meisten Kinder sind Zufallskinder. Es muss unsere Aufgabe sein, 
in dieser Beziehung aufklärend in den Familien zu wirken. Das wird 
möglich sein, wenn auch die ärmsten Familien in der Lage sind, einen 
Hausarzt zu haben, wenn jede Frau in allen Fällen des Lebens ihren 
Arzt befragen kann, und wenn nicht auch die wichtigste Frage des 
Lebens, die Zeugungs- und Geburtenfrage, ganz dem Zufall überlassen 
sein soll. 

Eine Uneheliche ist am schlimmsten daran. Nach dem Bürger¬ 
lichen Gesetzbuchs, — Herr Geheimrat Kahl wird es mir be¬ 
stätigen — ist der Vater des unehelichen Kindes mit seinem 
Kinde nicht verwandt. Wir müssen darauf dringen, dass dieser 
Paragraph aus dem Gesetze herauskommt, denn wir wissen doch sehr 
gut, dass der Vater mit dem Kinde wirklich verwandt ist. Wenn nun 
ein Mädchen zu uns kommt, das von der Familie vertrieben, von der 
Gesellschaft geächtet, stellungslos ist und verlangt, wir sollen einen 
künstlichen Abort vornehmen, so werden wir uns nicht sittlich ent- 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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rüsten, aber wir Irerden als soziale Aerzte andere Mittel anwenden als 
die gewünschten, wir werden ihr zu helfen suchen, werden an die Be¬ 
hörden, an die Gesetzgebung heran gehen, dass bessere soziale Gesetze 
gegeben werden. Es. muss auch dafür gesorgt sein, dass z. B. eine 
arme tuberkulöse Frau genau wie eine reiche tuberkulöse Frau ihr Kind 
ruhig austragen kann. Es müssen ihr die Mittel von Staats oder Ge¬ 
meinde wegen bewilligt werden, dass sie sich in Davos oder anderswo 
pflegen kann (Zuruf Geheimrat Kraus: Davos ist gar nicht nötig!) 
— sagen wir, in Görbersdorf. Das Kind ist doch, auch menschen¬ 
ökonomisch betrachtet, mehr wert als das, was der Mutter zur Heilung 
bewilligt wird. Treten wir ein für extensive und intensive 
Schwangerenfürsorge, die in Deutschland noch sehr im 
argen liegt. Ich habe das in meiner Leipziger Zeit oft genug ge¬ 
sehen, wo man betteln musste, wenn eine schwangere Frau nur etwas 
Brot- und Milohzulage bekommen sollte. Wie musste sie da mit schwan¬ 
gerem Leibe rennen, ehe sie überhaupt etwas bekam! Anderswo war es 
noch schlimmer. Ich habe aber so lange Eingaben gemacht, bis die 
Frauen Zulage bekamen. Eine Schwangerenfürsorge grösseren Maass¬ 
stabes ist von der Stadt Leipzig eingerichtet und verdient Nachahmung. 
Die Frauen werden dann weniger Grund haben, zu sagen: Befreit mich 
von dem Kinde, denn ich kann es nicht ernähren. Ich habe gelesen, 
dass Kinder von Frauen, die schlecht genährt sind, bei der Geburt nicht 
weniger wiegen, als Kinder von Frauen, die gut genährt sind. Nun, die 
Kinder bekommen ja Nahrung, sie leben vom Blute der Mutter, aber die 
Mütter gehen dabei schliesslich zugrunde. 

Ich glaube, die uns hier beschäftigende Frage ist vor allem sozial¬ 
politischer und ökonomischer Natur: Weit ausgedehnte Schwan¬ 
gerenfürsorge, intensive Ausdehnung des Mutterschutzes, 
des Säuglingsschutzes. Eine Milliarde, wenn sie nötig ist! Diese 
Milliarde würde sich ausgezeichnet rentieren! Und vor alleu Dingen 
nicht mehr das arme Mädchen verfehmen, das von einem 
schlechteren Manne verführt worden ist. Viele Männer kamen 
zu mir und baten mich, ihnen zu raten, wie sie das verführte Mädchen 
vom Kind befreien könnten! Waren diese Männer nicht viel mehr un¬ 
sittlich zu nennen als die Frauen? Ich glaube, hier wie überall müssen 
wir uns vor allem anderen angelegen sein lassen, ärztlich-menseh lieh 
gerecht zu sein und zu handeln, dann werden wir mehr erreichen. 
Ausbau aller sozialen Einrichtungen, soweit wie möglich, 
vor allen Dingen Beseitigung der Aechtung derMutter, das, 
was der deutsche Bund für Mutterschutz seit seinem Be¬ 
stehen auf seine Fahne geschrieben hat; dann werden wir 
mehr das sein, was wir sein müssen: Die Führer des Volkes 
auf allen Gebieten! 

Hr. Julius Uirsohberg: Wer den letzten Sitzungen unserer Ge¬ 
sellschaft beigewohnt, musste die Ueberzeugung gewinnen, dass eine 
ganz neue Sitte oder Unsitte die Frauenwelt heimgesucht, dass 
nämlich viele Frauen die Leibesfrucht nicht mehr austragen wollen, 
oder doch nur selten. 

Da möchte ich Sie doch an ein uraltes Zeugnis erinnern, das 
Ihnen ja wohlbekannt ist, an den sogenannten Eid des Hippokrates, 
dem das ehrwürdige Alter von etwa 2300 Jahren zusteht, und der den 
folgenden Satz enthält: 

„Nicht werde ich irgend einem Menschen ein tödliches Gift verab¬ 
reichen, selbst wenn er es von mir verlangt; und ebenso werde ich einem 
Weibe nicht ein Abtreibungsmittel verabreichen. 8 

Aus diesen klaren Worten ergibt sich, dass Weiber damals und 
dorten ein derartiges Ansinnen an den Arzt stellten, und zwar häufig 
genug, um die Verweigerung in die Satzungen der Asklepiaden-Gilde 
aufzu nehmen. 

Dabei gab es kein Strafgesetz, welches so etwas verbot. Auch 
die öffentliche Meinung, die allgemeine Weltanschauung war läss¬ 
lich und duldsam in dieser Hinsicht, wie aus gelegentlichen Aussprüchen 
der beiden grössten Philosophen des griechischen Altertums, Plato und 
Aristoteles, klar hervorgeht. 

So ist denn jene vornehme Satzung der Asklepiaden ohne äussern 
Zwang entstanden, geboren aus dem Geist der menschenfreundlichen 
Heilkunde. In den Schriften der hippokratischen Sammlung, die ja nach 
Urheber, Stil, Grundanschauungen und Wertigkeit so verschieden sind, 
ist von ärztlicher Abtreibung einer noch hoffnungsreichen Frucht nicht 
die Rede, wohl aber von Praktiken und Kurpfuschereien der Weiber. 
Hierauf hat der berühmte Philologe, Prof. Joh. Ilberg in Leipzig nach¬ 
drücklich hingewiesen, dem wir Aerzte die beste Arbeit über diesen Gegen¬ 
stand verdanken und der auch meiner Bemerkung wichtigen Stoff geliefert. 

Etwa fünfhundert Jahre nach der Abfassung des hippokratischen 
Eides bat bei den Aerzten eine wesentliche Aenderung der Anschauungen 
und der Betätigung Platz gegriffen. Der grosse Ephesier Soranus, der 
unter den Kaisern Trajan und Hadrian in Rom wirkte und den griechi¬ 
schen Kanon der Frauenheilkunde verzeichnet hat, we loh er fast iy 2 Jahr¬ 
tausende in Kraft geblieben, bringt die folgende höchst bemerkenswerte 
Darstellung. 

„Ein Zwiespalt besteht unter den Aerzten. Die einen verwerfen 
die Abtreibungsmittel, nach der Vorschrift des Hippokrates, 
und weil es der Heilkunde eigentümlich ist, das von der Natur erzeugte 
zu bewahren und zu retten. Die andern verordnen sie, aber mit 
Unterscheidung, d. h. nicht, wenn eine wegen Ehebruch die Ab¬ 
treibung der Fruoht wünsoht, oder aus Sorge für ihre Schönheit; sondern 
nur, um eine Gefahr für die Mutter zu verhüten, die bei der Ent¬ 


bindung entstehen kann . . . Dasselbe erklären sie bezüglich der 
Mittel wider die Empfängnis. Diesen stimme ich bei. Sicherer 
ist übrigens Verhinderung der Empfängnis, als Abtreibung. 8 

Also Gefahr für die Mutter gilt als Anzeige für die Abtreibung 
— nicht soziale Verhältnisse. Die hippokratische vollständige Enthaltung 
hat, auf Grund von Erfahrung, der Rücksicht auf das Leben der Mutter 
Platz maohen müssen. 

Was wir nun kürzlich in unseren Sitzungen gehört haben, waren 
noch ganz andere Gefahren für die Mutter; das Entbindungsbindernis 
wurde ja auoh erörtert, hauptsächlich aber Lungenschwindsuoht, Herz¬ 
krankheit, Nierenleiden, auch drohende Erblindung. 

Es wäre wohl angebracht, für jede einzelne dieser Anzeigen Ur¬ 
heber, Zeit und Ort genau anzugeben. Ich muss mich aber auf mein 
eignes Gebiet beschränken. 

Es war im Jahre 1872, wo ein praktischer Azt in Rudolstadt, 
Dr. Sigismund, als erster bei einer 35jährigen im 3. Monat der 
6. Schwangerschaft, wegen Nierenleidens mit Netzhautveränderung uqd 
starker S eh Störung, die künstliche Frühgeburt eingeleitet, mit bestem 
Erfolge, da er schon nach 10 Tagen Verschwinden des Eiweisses aus 
dem Harn und erhebliche Verringerung der Sehstörung feststellen konnte. 

Dieser Fall tat der hauptsächlich für mein Gebiet gebliebene. 
Wie Sie sehen, handelt es sich dabei um zwei Aufgaben: es gilt Leben 
und Sehkraft der Mutter zu retten. „Je früher die Erkrankung der 
Netzhaut einsetzt, je stärker sie ausgeprägt ist, um so dringender scheint 
der Eingriff angezeigt 8 ; mit diesen Worten wird die Frage beurteilt, im 
Jahre 1915, von dem neuesten Schriftsteller auf meinem Gebiet, von 
Th. Leber, einem ebenso erfahrenen wie bedächtigen Forscher. Be¬ 
dächtig soll man Vorgehen. 

Aber man hat auch noch andere Anzeigen von seiten des Seh¬ 
organs aufgestellt. 

Eine junge Frau in England, der man bei ihrer ersten Schwanger¬ 
schaft die künstliohe Frühgeburt verrichtet, wegen starker Kurz¬ 
sichtigkeit mit Veränderungen im Augeninnern, und die, von 
neuem sohwanger geworden, wiederum den Rat der künstlichen Früh¬ 
geburt erhalten, kam herüber, um mich zu befragen. Ich riet ihr, 
ruhig abzuwarten und das ersehnte Kind zur Welt zu bringen. Also 
geschah es. Als sie wieder zu mir kam, nach mehr als einem Jahr, 
sah sie nicht im mindesten schlechter als zuvor, und war hooh 
beglückt ob des Kindes und voll Dankbarkeit gegen die ärztliohe Kunst. 

Zum Schluss noch eine allgemeine Bemerkung. Herr Kollege 
Bumm hat den Aerzten die moralische Beeinflussung der Frauenwelt 
dringend ans Herz gelegt. Mit vollem Recht. 

Bei dieser schwierigen Aufgabe leuchtet uns ein Ideal-Bild ent¬ 
gegen, aus der Morgendämmerung der deutschen Geschichte. Sie wissen, 
was ich meine, jenen Satz aus den Germania des Tacitus*. „Die Zahl 
der Kinder zu beschränken oder einen Blutsverwandten zu töten, 
wird für eine Schandtat gehalten; mehr leisten hier gute Sitten als 
anderswo gute Gesetze. 8 

Hr. Schaeffer: Ich möchte mich nur auf einen Punkt beschränken, 
auf den Vorschlag des Herrn Bumm betreffend die Anzeigepflioht 
der ärztlichen Schwangerschaftsunterbrechung. Dieser Vor¬ 
schlag ist ziemlich allgemein hier abgelehnt werden; ich glaube aber, 
mit aus dem Grunde, weil die Begründung, die bisher gegeben wurde, 
keine ganz glüokliche war. Wenn man diesen Vorschlag überhaupt an¬ 
nehmbar machen will, muss man ihn so begründen, wie es Herr Kr oh ne 
seinerzeit uns in der erweiterten wissenschaftlichen Deputation für das 
Medizinalwesen vorgetragen hat. Er führte aus, dass die Anzeigepflicht 
wesentlich den Zweck habe, sowohl die Aerzte wie die Bevölkerung 
darauf aufmerksam zu machen, dass die Schwangerschaftsunterbrechung 
kein Eingriff ist, der sich rein privatrechtlioh und rein vertrag¬ 
lich zwischen Arzt und Patienten abspielt, sondern dass hier der Staat 
ein kräftiges Wort mitzuspreohen hat. Bei dieser Begründung gewinnt 
der ganze Vorschlag natürlich ein anderes Aussehen. 

Wenn ich aber trotzdem mich nicht sehr begeistert für diese An- 
zeigepfiieht aussprechen kann, so ist es darum, weil nach meiner 
Meinung diese Anzeigepflicht auf halbem Wege stecken bleibt und 
sich ausserdem an eine falsche Adresse wendet. Herr Bumm hat 
in sehr überzeugender Weise ausgeführt, dass die Zahl der ärztlichen 
Schwangerschaftsunterbrechungen nur einen winzigen Bruchteil von der 
riesigen Zahl der verbrecherischen gewollten Aborte überhaupt bildet. 
Wenn also die Anzeigepflicht es auch wirklich mit sich bringen sollte, 
dass die ärztlichen Schwangerschaftsunterbrechungen auf ein sehr ge¬ 
ringes Maass herabgedrückt werden, so würde doch der Enderfolg — 
und dieser Enderfolg kann ja doch kein anderer sein, als dass auf eine 
Vermehrung des Nachwuchses bingezielt wird — immerhin nur sehr ge¬ 
ringfügig sein. 

Ausserdem aber ist es verkehrt, eine solche gesetzgeberische Maass- 
nahme gegen einen einzelnen Stand zu richten, der doch nur in abge¬ 
leiteter und sekundärer Weise an der ganzen Angelegenheit beteiligt 
tat. Vielmehr muss sich eine solche gesetzgeberische Maassnahme an 
den primären Sitz des Uebels wenden, und das ist eben die Be¬ 
völkerung und die Frauenwelt selber. Es muss den Frauen klar- 
gemacht werden, was sie bisher nicht zu wissen vorgeben, dass sie 
keineswegs ein Verfügungsreobt über die Fruoht ihres Schosses haben; 
es muus ihnen klargemaoht werden, dass der Staat in jeder schwangeren 
Frau einen Träger seiner Zukunftshoffnungen erblickt und infolgedessen 
auch das gute Recht, nach dem Verbleib der Fruoht zu fragen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


Aus dieser Erwägung heraus erlaube ich mir, Ihnen den Vorschlag 
su unterbreiten, den ich bereits vor länger als Jahresfrist der Erweiterten 
wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen eingereicht und 
begründet habe. Er lautet folgendermaassen: 

Anmeldepflicht jeder Fehlgeburt. 

Zur Anmeldung verpflichtet ist erstens der Arzt, zweitens 
die Hebamme, drittens der Haushaltungsvorstand. 

Von einer Anmeldepflicht seitens der Sohwangeren selbst würde ich 
aus Zweckmässigkeitsgründen Abstand nehmen. 

Ein ähnlicher Gedanke ist bereits von dem verstorbenen Professor 
Franz von Win ekel im Jahre 1911 in einer kleinen Schrift (Die 
kriminelle Fruchtabtreibung, Verlag Langenscheidt, 1911) ausgesprochen 
worden. Jedoch war er so mit polizeilichen, belästigenden Ausführungs- 
bestimmungen bepackt, dass man seinerzeit und, wie ich meine, mit 
Recht davon Abstand nahm. 

Die Anmeldepflicht, wie ich sie Ihnen vorschlage, hat weder zum 
Zweck noch zum Erfolg hochnotpeinliche Untersuchungen. Die Anmeldung 
ist auch nicht an die Polizeibehörde zu richten, sondern am besten an 
eine staatliche Behörde, die an das Standesamt angeschlossen werden 
kann; und sie stellt auch nichts weiter dar als eine Erweiterung der 
bisher schon bestehenden gesetzlichen Bestimmung, nach welcher auch 
unreife, tote Kinder standesamtlich zu melden sind, wenn sie überhaupt 
extrauterin lebensfähig waren, d. h. von der 26. Sohwangerschafts- 
woche an. 

Diese Anmeldepflicht greift keine Teilerscheinung heraus, wie es 
der Vorschlag des Herrn Bumm tut, sondern sie wendet sich gegen die 
Wurzel und Quelle alles Uebels, das ist nämlich die in weitesten 
Kreisen der Frauen verbreitete und immer und immer wieder ganz un¬ 
verhohlen geäusserte Anschauung, dass die Frau mit ihrer Leibesfrucht 
machen könne, was sie wolle. Demgegenüber betont diese Anmelde¬ 
pflicht in einer klaren, für jedermann verständlichen Sprache das unbe¬ 
dingte Aufsichtsrecht des Staates und sein wesentliches Interesse an der 
Nachkommenschaft. Eine solche Anmeldepflicht ist eben keine kleinliche 
polizeiliche Schikane im einzelnen Falle, zu der sich die Anzeigepflicht 
nach dem Vorschläge des Herrn Bumm unzweifelhaft auswachsen würde, 
auch wenn es Herr Bumm selbstverständlich augenblicklich nicht so 
beabsichtigt, sondern sie ist eine grosszügige gesetzgeberische Maassnahme, 
die selbstverständlich nicht in jedem Falle das Verbrechen verhindert, 
die sich aber an das Volksbewusstsein wendet, unter Zuhilfenahme der 
Oeffentlichkeit. Auf Einzelheiten kann ich leider hier nicht eingehen. 

Indem ich Ihnen den Vorschlag unterbreite, möchte ich nur bitten, 
den einen Gesichtspunkt nicht aus den Augen zu verlieren, der hier in 
der Aussprache allmählich etwas in den Hintergrund getreten ist, dass 
nämlich die erschreckend hohe Zahl der kriminellen Aborte auf alle 
Fälle ein Eingreifen des Staates in seinem dringendsten Lebensinteresse 
erfordert. 

Hr. Fritz Schlesinger: Herr Franz hat mit Recht die Unsicher¬ 
heit der Indikationsstellung bei der Frage der vorzeitigen Beendigung 
der Schwangerschaft betont. Man muss ihm auch darin recht geben, 
dass noch so langatmige Auseinandersetzungen nicht alle Eventualitäten 
erschöpfen können, und dass es immer Fälle geben wird, bei denen der 
Praktiker grosse Gewissensbedenken nach der einen oder andern Richtung 
haben wird. Immerhin, glaube ich, kann man gewisse Richtlinien geben. 
Ich möchte das mit ganz kurzen Worten für die Herzkrankheiten tun, 
da Herr Kraus in seinem allgemeinen Referat nicht auf alle Dinge ein¬ 
gehen konnte. 

Die Herzkrankheiten nehmen eine gewisse Sonderstellung ein. Bei 
den anderen Schwangerschaftskomplikationen, wie z. B. den Lungenkrank¬ 
heiten, haben wir es hauptsächlich mit Befürchtungen bezüglich der 
Schwangerschafts- und Geburtsfolgen zu tun. Bei den Herzkrankheiten 
bietet aber die Schwangerschaft als solche mit ihm wachsenden Wider¬ 
ständen sowie der Partus mit seiner Wehentätigkeit, die das Herz ausser¬ 
ordentlich mitnimmt, und mit den Blutungen eine starke Gefährdung 
für das Herz. Es sind hierbei zwei Punkte von grosser Wichtigkeit. 
Der eine ist der Zeitpunkt der Schwangerschaft, in dem die Patientin 
unseren Rat einholt. Je früher das geschieht, desto leichter werden wir 
uns für eine Unterbrechung der Schwangerschaft entschlossen, immer 
vorausgesetzt, dass wir sie für unbedingt notwendig im Interesse des 
Lebens und der Gesundheit der Patientin halten, ln einem je späteren 
Termin die Patientinnen zu uns kommen, desto zurückhaltender werden 
wir mit der Unterbrechung der Schwangerschaft sein. Der Wendepunkt 
ist etwa der dritte Monat. Vor dieser Zeit kann man eine Unterbrechung 
der Schwangerschaft unter Ausschaltung der Wehen in einer kurzen 
Narkose vornehmen. Wir belästigen damit das Herz sehr wenig, während 
wir nach dieser Zeit, wenigstens bei den üblichen Methoden, die 
Wehentätigkeit nicht ausschliessen können und uns dann fragen müssen, 
ob die Unterbrechung der Schwangerschaft nicht ebenso gefährlich ist, 
wie das Abwarten bis zum Partus selbst. 

Der zweite Punkt ist der, ob es sich um die Unterbrechung der 
Schwangerschaft bei der Erstgebärenden oder bei Mehrgebärenden handelt. 
Bei einer Erstgebärenden dauert der Partus erfabrungsgemäss länger. 
Wir haben auch keine Voraussicht über die Art des Partus. Bei einer 
Mehrgebärenden haben wir, abgesehen von der kürzeren Zeit des Partus, 
doch schon Erfahrungen über Art und Verlauf der Entbindung von 
früheren Entbindungen her. Wenn eine Frau früher schnell und leicht 
geboren hat, werden wir natürlich zurückhaltender mit der Unterbrechung 
der Schwangerschaft sein als bei einer Erstgebärenden. 


Ich komme nun zu den einzelnen Herzerkrankungen und will diese nur 
mit ein paar Worten erwähnen. Selbstverständlich darf ein kompensierter 
Klappenfehler keine Ursache für die Unterbrechung der Schwangerschaft 
sein. Ebensogut wie unserere Krieger mit kompensierten Klappenfehlern 
den Strapazen des Feldes gewachsen sind, kann auch eine Frau ihr Kind 
austragen. Aber auch die Arhythmie—das ist wohl den meisten Praktikern 
nicht so gut bekannt — dürfte kaum je eine Ursache für die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft abgeben. Ich möohte selbst das, was 
Herr Kraus von dem Herzblock erwähnt hat, nicht so ganz unbeschränkt 
gelten lassen. Ich sehe ab von dem vorübergehenden Herzblock; diesen hat 
ja Herr Kraus sicherlich nicht gemeint. Aber auch beim dauernden 
Herzblock bandelt es sich sehr häufig nur um eine winzige anatomische 
Schädigung des Ris’scben Bündels, während das Herz selbst sonst intakt 
ist, und wenn man auch zugeben muss, dass duroh den unzweckmässigen 
Rhythmus die Herztätigkeit erschwert und das Herz eher Gefahr läuft, 
zu erliegen als das gesunde, möchte ich doch nicht für alle Fälle all¬ 
gemein die Unterbrechung der Schwangerschaft empfehlen. Wenn ich 
z. B. eine Patientin in den letzten Monaten der Schwangerschaft in Be¬ 
handlung bekomme, welche die vorhergehende Schwangerschaft gut ge¬ 
tragen und leicht entbunden bat, so sehe ich keinen Grund ein, nicht 
die kurze Zeit zuzuwarten, bis sie ausgetragen hat natürlich unter 

häufiger Kontrolle. Das einzig Maassgebende für die Beurteilung ist 
die Herzkraft. Nun wissen wir ja, dass wir keine Methode besitzen, die 
uns ganz genau Aufschluss über die Herzkraft gibt, aber wir haben 

doch wenigstens ungefähre Richtlinien, wenn wir alle Methoden der 
Untersuchung und Funktionsprüfung zusammenfassen. Auch ein geringer 
Nachlass der Herzkraft ist noch kein Grund zum Einschreiten. Wir 
haben in einem solchen Falle die Verpflichtung, die Frau öfter kommen 
su lassen, können auf der einen Seite die Widerstände der Schwanger¬ 
schaft möglichst herabsetzen, auf der anderen Seite das Herz durch 

medikamentöse und diätische Maassnabmen kräftigen. 

Das einzige, was ich als unbedingt strikte Judikation für Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft bei Herzkrankheiten anerkenne, ist sehr 
schwere Herzmuskelschwäche mit lähmendem Herzen, die sich äussert in 
jagendem, leicht unterdrückbarem Puls, in Cyanose und schwerster 

Dyspnoe. Ich habe einen Fall erlebt, wo die Patientin, die ich vorher 
nicht gesehen hatte, mich mit diesem Zustand überraschte. In einem 
solchen Falle gibt es nur sofortige Entbindung aber nicht mit den 
üblichen Methoden, sondern durch den vaginalen Kaiserschnitt. 

Hr. G. Lennhoff: Mit oto-laryngologiscben Indikationen zur Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft werde ich Sie in diesem Stadium der Dis¬ 
kussion gewiss nicht behelligen. Numerisch und politisch spielen ja 
diese Fälle absolut keine Rolle. Ich habe mich zum Wort gemeldet, 
um auf die soziale Indikation für die küustliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft hinzuweisrn. Ich meine, gerade der Arzt ist imstande, 
die Notlage, die Gründe, welche Mädchen und Frauen mit dem Ver¬ 
langen der künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft zum Arzt 
führen, kennen zu lernen und zu würdigen, und wenn wir uns auoh 
absolut klar darüber sind, dass das Gesetz, wie es heute lautet, uns 
nicht gestattet, auf soziale Indikationen bin eine Schwangerschaftsunter¬ 
brechung herbeizuführen, so meine ich, läge es doch gerade an dem 
Arzte, auf die Gesetzgebung, wie sie sich vielleicht einmal in der Zu¬ 
kunft gestalten wird, einzuwirken, indem er seine Erfahrungen dem 
Gesetzgeber kundgibt. * 

Herr Kollege Bornstein, der heute die sozialen Indikationen schon 
mit warmem Empfinden gewürdigt hat, darf nicht allein stehen, sonst 
könnte es scheinen, als ob die Aerzte im allgemeinen des Mitgefühls 
ermangelten, welches doch eine sehr grosse Zahl von Frauen und Mädchen, 
die in ihrer Not sich an sie wenden, in vollstem Maasse verdienen. 

Ich entsinne mich eines Falles aus der Zeit, in der ich noch all¬ 
gemeine Praxis ausübte, in dem ich aus Respekt vor der Gesetzgebung 
die künstliche Unterbrechung ablehnte. Der Fall bietet vielleicht gar 
nichts Besonderes. Aber gerade, weil es ein häufig wiederkehrender Fall 
ist, verdient er, m. E., erwähnt zu werden. Eine Frau, der ich viermal 
bei ihren Geburten assistiert hatte — zuletzt vor 7 Monaten — kam zu 
mir und sagte, sie sei wieder verfallen; ob ich ihr nicht helfen könne. 
Mit vielem herzlichen Bedauern erklärte ich ihr, ich könne es nicht; 
das Gesetz usw. Die Frau verliess mich weinend und — fand natür¬ 
lich jemand, der ihr half — aber mit dem Resultat, dass ich, als ich nach 
8 Tagen zu ihr gerufen wurde, sie in Fieber fand. Trotz aller Hilfs¬ 
versuche meinerseits, trotz aller Assistenz maassgebender Aerzte, ging 
die Frau nach einigen Wochen ganz jammervoll und elend zugrunde, 
und nicht nur sie, mit ihr ging die ganze Familie zugrunde. Der Mann, 
der vorher ein sehr braver, ordentlicher Mann gewesen war, dessen 
stetigen, wenn auoh durch die schnelle Vergrössernng der Familie lang¬ 
samen Aufstieg ich hatte verfolgen können, ergab sich dem Trünke und 
wurde nachts im Rinnstein liegend aufgegriffen, und die vier Kinder 
wurden vom Staat in Pflege gegeben. 

Es ist ja möglich, dass auf dem Wege der Gesetzgebung in einem 
solchen Falle auch in Zukunft nicht geholfen werden kann. Aber ioh 
meine, es verdient doch wenigstens in Erwägung gezogen zu werden, 
ob nicht aus sozialer Indikation allein eine Unterbrechung der 
Schwangerschaft unter Umständen stattfinden soll. 

Für mich ist es nicht zweifelhaft, dass die Zahl der^Abtreibungen 
proportional ist sozialen Mängeln und Missständen. 

Ist es zu verwundern, dass geschwängerte Mädchen, besonders der 
mittleren und höheren Gesellschaftsschiohten/alle Mittel aufwenden, die 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


125 


Fraoht des Geschlechtsverkehrs zu beseitigen! Solange die Anschauungen 
der Gesellschaft so sind, wie sie nun einmal sind, und solange der Staat 
nioht in weitherziger Weise durch Einrichtung von Findelhäusern dafür 
sorgt, dass die Folgen einer unehelichen Schwangerschaft und unehe¬ 
lichen Geburt nicht geradezu die Vernichtung der bürgerlichen Existenz 
sind, müsste in Erwägung gezogen werden, ob nicht aus sozialen Indi¬ 
kationen allein eine Unterbrechung der Schwangerschaft statthaben sollte. 
Es erscheint mir auch sehr wohl möglich, gegen Missbrauche, wie sie ja 
gewiss zu befürchten wären, Kautelen zu schaffen. Man könnte z. B. 
fordern, dass vor Vornahme der Unterbrechung die Zustimmung eines 
beamteten Arztes eingeholt werde. Jedenfalls meine ich, ist es Pflicht 
der Aerzte, darauf hinzuweisen, dass, wenn der Staat das Verlangen 
stellt, dass jede Schwangerschaft nach Möglichkeit ausgetragen werde, 
wenn der Staat den Frauen die Pflicht auferlegt, einerlei, welches die 
sozialen Umstände seien, das Kind auszutragen, er dann auch die Ver¬ 
pflichtung hat, für die Kinder und für die Schwangeren zu sorgen und 
zwar in ausgiebigster Weise. Tut der Staat das nicht, so treibt er eine 
Bevölkerungspolitik, die, soweit Abtreibungen als den Bevölkerungs¬ 
zuwachs hemmendes Moment in Betracht kommen, zur Fruchtlosigkeit 
verurteilt ist. 

Hr. P. Friedlaender: Herr Bornstein bat gesagt, die Aerzte 
sollen auf die Frauen einwirken und sie belehren. Auch Herr Schaeffer 
hat gesagt, es sollte doch die soziale Frage in dieser Hinsioht mehr er¬ 
fasst werden. Nun, es ist vielleicht notwendig, bei dieser Gelegenheit 
zu erwähnen, dass schon im Jahre 1898 Herr Sanitätsrat Brennicke, 
der leider zu früh verstorben ist, in der Aerztekammersitzung der Pro¬ 
vinz Sachsen ein ausführliches Referat über Hebammen und Wochen¬ 
pflege gehalten hat. Wir haben heute hier gehört, dass die Zahl der 
kriminellen Aborte von seiten der Aerzte eigentlich verhältnismässig 
sehr gering ist, dass aber bei Kurpfuschern, bei Hebammen kriminelle 
Aborte in einer grösseren Zahl Vorkommen. Wünschenswert erscheint 
es gerade in der heutigen Zeit, darauf aufmerksam zu machen, dass 
auch auf die Helfershelferinnen dieser zweifelhaften Aerzte — die Aerzte 
allein pflegen es ja doch nioht zu maohen, sie haben doch immer der¬ 
artige Helfershelferinnen — geachtet wird, dass das ganze Hebammen¬ 
wesen gebessert werden muss. Brennioke hat 1898 bereits hervor¬ 
gehoben, eine Besserung der Verhältnisse sei nur herbeizufübren, wenn 
sich die Hebammen aus gebildeten Familien rekrutierten. Er ist da¬ 
mals vielleicht zu weit gegangen, er hat gewünsoht, dass sie die höhere 
Töohterschale oder wenigstens eine mittlere Schule besuchen, dass sie 
staatlich gut gestellt sind, dass sie ein genügendes Einkommen haben, 
sie invalidisiert werden, dass sie Pension bekommen, Erholung usw. 
Alles das hat sohon damals Brennicke hervorgehoben, und es ist ja 
doch anzunehmen, heute im Kriege, wo wir sehen, wie unsere Frauen 
sioh als Helferinnen, als Schwestern in so ausgezeichneter Weise zur 
Verfügung gestellt haben, und wie der Krieg es mit sioh bringt, dass 
einige zu Witwen oder Waisen geworden sind, dass diese Frauen in der 
Lage sind, sich dem Hebammenberuf zu widmen. Ich bin fest über¬ 
zeugt, dass, wenn der Staat dafür sorgt, dass das ganze Hebammen- 
wesen gefördert wird, die Hebammen, die sich aus guten Kreisen rekru¬ 
tieren, auch zweifellos die besten Beraterinnen der Frauen sein werden, 
und dann ist auoh anzunehmen, dass eine Besserung der Verhältnisse 
eintritt und die Frauen sich gegenüber diesem Rat weniger ungünstig 
verhalten werden als gegenüber den A ersten, wo sie von einem zum 
andern gehen. Wenn verständige Frauen sie darauf aufmerksam machen, 
wie sie sich zu verhalten haben, so ist vielleicht zu hoffen, dass diese 
kriminellen Aborte nachlassen werden, und dass vielleicht auch, wie Herr 
Schaeffer richtig hervorgehoben hat, das Verständnis, dass die Frau 
dem Staate gegenüber Rücksichten schuldet, bei den Frauen mehr und 
mehr durohdringen wird. 

Hr. Finder: loh bedauere, im Gegensatz zu Herrn Lennhoff, Sie 
doch ein paar Augenblicke mit einer laryngologischen Indikation be¬ 
helligen zu müssen. Ich wollte mir erlauben, zu den Aeusserungen des 
Herrn Geheimrats Kraus über die Larynxtuberkulose als Indikation für 
die Unterbrechung der Schwangerschaft ein paar Bemerkungen zu 
maohen. Herr Kraus hat nach dem jetzt gedruckt vorliegenden Referat 
gesagt: „Ablehnen muss ich die vielfach wiederholte Behauptung, dass 
jede Form der Larynxtuberkulose im Beginn der Schwangerschaft die 
künstliche Unterbrechung erfordert. Die Prognose der Larynxtuber¬ 
kulose an sich ist durch die heutige Therapie erheblich geändert worden. 
Allgemeinzustand und Prognose der Tuberkulose entscheiden auch im 
Verhältnis zur Larynmffektion. Es gibt direkt benigne Formen der 
letzteren, welche einen normalen PartuB und spätere Gesundung durch¬ 
aus nioht unmöglich machen.“ 

loh glaube, dass diese Bemerkungen von laryngologisoher Seite 
nicht ganz unwidersprochen bleiben dürfen. Die Larynxtuberkulose als 
Indikation für die Unterbrechung der Schwangerschaft ist seit einer 
Reihe von Jahren Gegenstand sehr sorgfältiger Erörterungen von Seiten 
der Laryngologen, Gegenstand einer sehr grossen Anzahl von Arbeiten 
und auch sehr häufig Thema von wissenschaftlichen Diskussionen und 
von Referaten auf Kongressen gewesen, loh möchte bemerken, dass das 
Verdienst, diese Frage in Fluss gebracht zu haben, meinem Spezial- 
kollegen Kutter in Berlin in erster Linie gebührt. Alle Bearbeiter 
dieser Frage sind sioh nun darüber einig, dass die Larynxtuberkulose 
eine der infaustesten Komplikationen der Schwangerschaft darstellt. Nach 
dem ziemlioh grossen Zahlenmaterial, über das wir jetzt verfügen, 
sterben ungefähr 90 pCt. aller Schwangeren mit Larynxtuberkulose im 


Verlauf der Schwangerschaft oder unmittelbar hinterher, und auch die 
Prognose für die Frucht ist also eine sehr schlechte zu bezeichnen. Ich 
selbst habe vier Fälle von Larynxtuberkukulose bei Gravidiiät gesehen, 
bei denen das natürliche Ende der Schwangerschaft abgewartet wurde. 
Zwei von diesen Frauen sind im fünften respektive sechsten Schwanger- 
sohaftsmonat zugrunde gegangen, eine habe ich intra partum zur Tracheo¬ 
tomie kommen sehen, sie ist ebenfalls kurz nach der Entbindung ge¬ 
storben, und nur die vierte, eine viertgebärende vierzigjährige Frau, hat 
das normale Ende der Schwangerschaft überlebt und ist noch einige Zeit 
hinterher am Leben geblieben. 

Auf Grund dieser Erfahrungen ist der Standpunkt,Tden die Mehrzahl 
der Laryngologen heute in dieser Frage einnimmt, fast allgemein folgender: 
Jede Form sicher festgestellter Larynxtuberkulose in den ersten Monaten 
der Schwangerschaft bildet eine Indikation zur Einleitung eines künstlichen 
Abortes, es sei denn, dass die Erkrankung bereits so vorgeschritten ist, 
dass keine Aussicht mehr besteht, durch den Eingriff die Chancen der 
Mutter zu verbessern. Die Aussichten sind um so besser, je früher der 
Eingriff vorgenommen wird. In den späteren Sohwangerschaftsmonaten, 
d. h. vom vierten, fünften Schwangerschaftsmonat aufwärts, ist die Ein¬ 
leitung des künstlichen Abortes respektive der künstlichen Frühgeburt 
nioht mehr indiziert, weil dann keine Aussicht mehr vorhanden ist, 
durch den Eingriff die Aussichten für Erhaltung respektive Verlängerung 
des mütterlichen Lebens zu verbessern. 

Wenn Herr Kraus gesagt hat, es gibt benigne Formen der Larynx¬ 
tuberkulose, so trifft das gewiss zu. Aber die Erfahrung spricht leider 
dafür, dass sich diese benignen Formen im Verlauf der Schwangerschaft 
sehr bald zu bösartigen gestalten und einen rapiden Verlauf nehmen, 
der unaufhaltsam zum Ende führt. Dasselbe gilt auch von der Therapie. 
Es ist gewiss richtig, dass wir heute nioht mehr gezwungen sind, der 
Larynxtuberkulose gegenüber die Hände in den Schoss zu legen. Wir 
verfügen über ein reichhaltiges und wirksames therapeutisches Rüstzeug. 
Ich möchte hier in erster Linie den galvanokaustischen Tiefenstich er¬ 
wähnen, der uns gestattet, in sehr vielen Fällen die Larynxtuberkulose 
zum Stillstand zu bringen, wenn sie nioht zu weit vorgeschritten ist 
und wenn der Allgemeinzustand und der Zustand der Lungen einiger- 
maassen erträglich sind. Aber leider versagt jede lokale Therapie meist 
gerade in den Fällen von Larynxtuberkulose bei Schwangeren; sie ver¬ 
mag nioht, dem unaufhaltsamen Verlauf der Erkrankung Einhalt zu tun. 
loh glaube daher, dass das, was Herr Kraus hier in Bezug auf die 
Larynxtuberkulose gesagt hat, einer gewissen Korrektur bedarf. Natür¬ 
lich wird es sich als sehr zweckmässig erweisen, wenn in allen hierher 
gehörigen Fällen der Gynäkologie, der innere Mediziner und der Laryngologe 
Zusammenarbeiten werden, um die zur Diskussion stehende Frage dann 
gemeinsam zu entscheiden. 

Hr. Zadek: Herr Bumm hat in der Einleitung seines Vortrages 
davon gesprochen, dass die Indikationsstellung für die Unterbrechung 
der Schwangerschaft' beute eine ganz andere geworden ist als früher. 
Auf die Ursaohen für diese veränderte Stellungnahme ist der Vortragende 
nicht weiter eingegangen. Noch vor einem Menschenalter hat uns mein 
Lehrer Karl Schröder die völlige Gleichwertung des mütterlichen und 
des kindlichen Lebens bei der Indikationsstellung für operative Eingriffe 
gelehrt. Das bat sich seitdem geändert. Das mütterliche Leben wird 
heute wohl auch von dem Gynäkologen nicht mehr dem des Kindes 
gleichgestellt, sondern bei weitem höher eingescbätzt. Die Gründe liegen 
auf der Hand. Die Mutter kann noch mehr Kinder zur Welt bringen,, 
als dieses eine Kind. Die Mutter, das Rückgrat des Hauses, muss ihren 
übrigen Kindern, ihrer Familie erhalten bleiben. Die Mutter ist aber 
auch als Persönlichkeit heute ein anders bewertetes Individuum, als sie 
es vor 80—40 Jahren war, und wenn die Indikationsstellung für die 
Einleitung des Abortes heute eine andere geworden ist, wenn man nioht 
bloss auf die unmittelbar drohende Lebensgefährdung der Mutter hin, 
sondern auch auf die etwaige spätere Verschlimmerung einer bestehenden 
Krankheit oder des allgemeinen Gesundheitszustandes hin eingreift, so 
liegt das auch daran, dass die Stellung der Frau in der Gesellschaft 
beute eine andere geworden ist, dass sie nicht mehr bloss Geschleohts- 
wesen ist, nicht bloss Mutter und Hausfrau, nicht mehr „Eigentum“ des 
Mannes, sondern sozial und wirtschaftlich unabhängig vom Manne ge¬ 
worden ist, dass sie heute bereits beansprucht, ebenso wie der Mann als 
Persönlichkeit gewertet zu werden und demgemäss ihre Ansprüche auoh 
an das Leben stellt — wie der Mann. Wenn Sie sich gegenüber dieser 
Entwicklung, gegenüber der Rationierung des ehelichen Lebens und insbe¬ 
sondere der Berücksichtigung der sozialen Indikation bei der Kindesbe¬ 
schränkung verständnislos zeigen, so spricht das nur dafür, dass der Mann 
und die durch Männer allein bis jetzt beeinflusste Gesetzgebung und 
Rechtssprechung in diesen Fragen völlig versagen. Auoh wenn man 
sich nicht auf den radikalen Standpunkt stellt, jeder Mutter das aus¬ 
schliessliche Recht über das ungeborene"Kind zuzusprechen, auch wenn 
man der Gesellschaft und dem Staat das Recht und die Pflicht gibt, 
da mitzusprechen, so ist doob zweifellos die Belastung der Frau durch 
die Schwangerschaft in gesundheitlicher und wirtschaftlicher, in sozialer 
und moralischer Beziehung so überwiegend, dass sie in erster Reihe 
darüber mit zu entscheiden hat. Selbst bei der Beurteilung der 
gesundheitlichen Schädigung spielen so viel andere Momente, die soziale 
Lage, das häusliche Leben, der Charakter des Mannes, die Einwirkung 
auf die Psyche der Frau usw. mit, dass der Arzt oft genug im Einzelfall im 
Zweifel sein wird, wie er sich zu dem Wunsche der Schwangeren zu stellen 
bat. Es kommt da zu Fragen so subtiler Art, zu Fragen, bei denen die Frau 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


ao ganz besonders ihren Standpunkt ein nimmt, dass ioh es nur bedaure, 
dass keine von den anwesenden Kolleginnen, die doch auch ein Wort 
darüber zu sagen hätten, das getan hat. 

In der ganzen Rationierungsfrage hat sioh aber auch der Standpunkt 
der Gesellschaft, der Standpunkt der Aerzte und. des Staates im Laufe 
von 1—2 Jahrzehnten völlig geändert. Vor gar nioht langer Zeit hat man 
bei uns nicht das Zuwenig-Kinder-bekommen, sondern das Zuviel-Kinder¬ 
bekommen als verdammenswert gerügt und auoh öffentlich gebrandmarkt. 
Ieh entsinne mich noch der Bemerkung, die einmal irgend eine hoch- 
geborene Dame, wenn ioh nicht irre, in der Kreuzzeitung machte, indem 
sie in sehr drastischer Weise den Frauen riet, ihrem Manne mit einem 
Kübel kalten Wassers zu begegnen, wenn er ihnen zu ihren viel zu 
vielen Kindern noch ein neues hinzufügen will. Auch in dieser Be¬ 
ziehung hat sich in der Tat der Standpunkt total geändert. Noch vor 
20 Jahren galt es als selbstverständlich, dass man nur eine bescheidene 
Anzahl von — notabene ehelichen — Kindern bekommen dürfe. In den 
höheren Kreisen ist das auch bis auf den heutigen Tag giltig geblieben, 
und, Hand aufs Herz, wer von Ihnen steht denn nicht heute noch auf 
diesem Standpunkt? Ioh will mich nioht in Ihre Intima hineinbegeben; 
aber wieviel Kinder haben Sie denn im Durohsohnitt? Die meisten von 
Ihnen werden über eins, zwei, höchstens drei Kinder nicht hinausgekommen 
sein. Die höheren Kreise haben für sich selbst längst diese Rationali¬ 
sierung durchgeführt, die auch eine Rationierung ist, und gehen davon 
auoh in Zukunft nicht ab. Wenn Sie die Stat stiker fragen, so werden 
Sie regelmässig finden: je höher der Beamte, je höher der Mensch in 
der sozialen Stufenleiter, je besser situiert, desto weniger Kinder hat er. 
Die höheren Klassen, die Besitzenden, haben diese Konsequenz seit 
langem gezogen. (Widerspruch.) Was sich aber in letzter Zeit verändert 
hat, das ist die Stellungnahme der Gesellschaft und die Stellungnahme 
der Regierung gegenüber den Niohtbesitzenden. Die sind nun auch all¬ 
mählich auf den Geschmack gekommen, die haben nun auoh in dem 
Maasse, in dem sioh ihre Bildungsstufe, ihre Erkenntnis der Zusammen¬ 
hänge gehoben hat, die Ueberzeugung gewonnen, dass sie irrationell, 
dass sie unvernünftig handeln, wenn sie dem Gesohlechtstrieb freien Lauf 
lassen. Der Mensoh ist kein Tier; der Mensoh ist in der Lage, auoh in 
dieser Richtung die Natur zu meistern, sich des Geschleohtstriebes zu 
freuen, ohne seine Folgen zu fürchten. Er modelt die Bevölkerungs¬ 
gesetze, wie er will, in dem Sinne, dass er nicht ein Dutzend Kinder 
in die Welt setzt, von denen er nachher acht oder neun oder zehn 
wieder begräbt. Er rationalisiert, er handelt klüger, vernünftiger, indem 
er nur zwei, drei Kinder bekommt, die aber auch erhält und zu tüohtigen 
Menschen erzieht. Denken Sie an die enormen Verluste an Gesundheit, 
an Zeit, an Mühe, an Geld, die so eine Arbeiterfrau aufwendet, die nun 
wirklich zehn, zwölf, fünfzehn Kinder in die Welt gesetzt hat und Jahr 
für Jahr eins verliert. Es ist ein Kulturfortsohritt, wenn diese 
Mütter und wenn diese Väter zu der Ueberzeugung gekommen sind, 
dass sie rationalisieren müssen. Und dieser Kulturfortsohritt wird 
bleiben trotz aller gesetzlichen Hindernisse, polizeilichen Verbote und 
Strafbestimmungen. Man kann einen Unwissenden wissend, aber nie und 
nimmermehr einen Wissenden wieder unwissend machen. 

Vorsitzender: Verzeihen Sie, es steht nicht zur Frage die Be¬ 
schränkung der Kinderzahl, sondern die Abtreibung der Leibesfrucht. 
Sie haben auoh schon 5 Minuten gesprochen. 

Hr. Zadek: Sie haben ganz recht, Herr Vorsitzender! Aber in dqr 
Praxis wird diese Unterscheidung kaum gemacht, nicht vom Publikum, 
das im Vertrauen auf die Kunst des Arztes zu ihm eilt, sobald die 
Regel trotzdem ausgeblieben, noch von der Gesetzgebung, die nioht bloss 
die Abtreibung der Leibesfrucht, sondern auch den Vertrieb von kon¬ 
zeptionsverhütenden Mitteln und Schriften untersagt und bestraft 
(Widerspruoh). (Zuruf: Wieso denn? Vorsitzender: Bitte, lassen Sie 
den Redner spreohen.) Zum Beispiel habe ioh vor einer Reihe von 
Jahren eine kleine Broschüre über Frauenleiden geschrieben. Ich hätte 
sie gern mitgebraoht und herumgegeben, sie ist aber verboten. Am 
Schlüsse habe ich auf 2—3 Seiten ein kleines Kapitel an gehängt: Die 
Verhütung der Schwangerschaft, worin ich die medizinischen Indi¬ 
kationen aufstellte, wann es im Interesse der Mutter oder des Kindes 
richtig ist, es nicht zur Befruchtung kommen zu lassen, im Anschluss 
daran den Frauen schildere, was für Mittel und Methoden hierfür zur 
Verfügung stehen, und zum Schluss sage: „Schliesslich ist es immer 
noch besser, die Empfängnis zu verhüten, als durch künstliche Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft, wie sie heute so überaus häufig vorge¬ 
nommen wird, gegen das Strafgesetzbuch und — was noch schlimmer 
ist! — gegen Gesundheit und Leben zu sündigen.“ Diese Broschüre ist 
verboten worden. (Zuruf: Mit Recht!) Sie hatte glücklicherweise be¬ 
reits in einigen hunderttausend Exemplaren Verbreitung gefunden, und 
sie wird auch fernerhin, nach Fortlassung des Schlusskapitels, Auf¬ 
klärung über Wesen und Verhütung von Frauenleiden verbreiten helfen. 
(Widerspruch.) 

Verhütung und Unterbrechung der Schwangerschaft, so verschieden 
sie auch zu bewerten sind, haben allerdings das miteinander gemeinsam, 
dass sie einen Eingriff in die Natur, in den natürlichen Ablauf der 
Dinge darstellen, mit dem Ziel der Kinderbesohränkung. Die 
Regierung macht deshalb ganz folgerichtig den Unterschied nicht 
zwischen der Konzeptionsverhinderung und der Abtreibung. Ihr kommt 
es jetzt darauf an, möglichst viele Kinder in die Welt setzen zu lassen, 
um möglichst viele Soldaten wieder zu erhalten als Ersatz für die un¬ 
geheueren Verluste des Weltkrieges, als Objekte für die noch mehr „ver- 


vollkommneten“ Mordwaffen des zweiten und dritten „panischen Krieges. 
(Unruhe und Widerspruch.) Das war ja schon im alten Rom die Taktik 
des immer mehr Soldaten brauchenden Imperiums, und daher stammt 
ja unser Ausdruck: „Proletarier“ von Proles, der zahlreichen Nach¬ 
kommenschaft. Aber damals wurden diese Bürger mit zahlreichen Kindern 
auch prämiiert. 

Vorsitzender: loh bitte, zum Schluss zu kommen. Sie spreohen 
schon 10 Minuten. 

Hr. Zadek: Mit meinen Bemerkungen komme auch ich zu dem 
Schluss, dass in der Tat die Indikationsstellung für den Abort neben 
der gesundheitlichen eine soziale sein darf, wie dies heute zu meiner 
Genugtuung auch von verschiedenen anderen Kollegen hervorgehoben 
worden ist. Und im Gegensatz zu den Herren medizinischen Referenten, 
die uns sehr detaillierte Angaben darüber gemacht haben, wann die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft vorgenommen werden muss, während es 
uns vielmehr darauf ankam, den Kreis zu erweitern und zu erfahren, 
wann die Einleitung des Aborts vorgenommen werden darf. 

Ich möchte dann zum Schluss noch eine Frage an die Herren Refe- 
ferenten richten: Wie es mit der nationalen Indikation für die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft ist, wie Sie sich dazu stellen? Das ist 
eine ganz neue Indikation, die erst der Krieg geschaffen hat Sie haben 
vielleicht davon gehört, dass man in Frankreich bereits dazu über¬ 
gegangen ist, den künstlichen Abort ärztlich zuzulassen, ihn zu legali¬ 
siere»-, indem man gesetzliche Bestimmungen gemacht hat, wonach 
Frauen, die von „Boches“ geschwängert worden sind, sich die Frucht 
abtreiben lassen dürfen und die Aerzte dazu ihre Beihilfe leisten dürfen. 
Das wäre also neben der gesundheitlichen, der sozialen, der eugenisohen 
eine vierte, ganz neue, die nationale Indikation. Wie stellen sich unsere 
Geburtshelfer dazu? 

Vorsitzender: Herr Kollege! Diese Frage ist schon hier be¬ 
handelt worden. Es ist schon von dem Verhalten der Aerzte bei den 
in Ostpreussen durch Kosaken Geschwängerten die Rede gewesen. 

Hr. Zadek: Auch ioh nehme an, dass in der Beurteilung dieser 
Frage der Standpunkt unserer Regierung ein anderer sein wird als der der 
Franzosen — immerhin wäre es doch interessant zu erfahren, wie die 
Herren Referenten sich zu der Frage stellen würden, wenn bei uns 
ähnlich wie in Frankreich diese Indikation als berechtigt angesehen 
würde. Ioh habe immer schon während de9 Krieges gehofft, dass 
durch die jetzige Art und Weise.des Verkehrs, dadurch, dass Hundert¬ 
tausende der verschiedenen Nationen untereinander gewürfelt werden, 
dass Hunderttausende von Russen, Franzosen und Engländern bei uns 
ihre Liebesverhältnisse haben, und dass umgekehrt in Frankreich, Eng¬ 
land, Russland usw. zahllose Frauen und Mädchen mit Deutschen im 
Verkehr gewesen sind, vielleicht einmal ein Ende aller Kriege zu erwarten 
sein wird, weil man den künftigen Kindern nicht mehr ansehen kann, wer 
ihr Vater war — ob Deutscher oder Franzose, Rosse oder Engländer. 

Vorsitzender: loh bitte jetzt Schluss zu machen. 

Hr. Zadek (fortfahrend): Und es würde mir leid tun, wenn durch 
eine gesetzgeberische Maassnahme in dieser Hinsicht dem’ einmal doch 
kommenden Weltfrieden entgegengearbeitet würde. 

Durch die Kürze der dem Diskussionsredner zugemessenen Zeit bin 
ich verhindert fortzufahren. Alle die Vorschläge, die Sie hier gehört 
haben, die Beratung und das Protokoll mehrerer Aerzte vor Einleitung 
des Eingriffs, die obligatorische (nachträgliche) Anzeige aller Fälle usw., 
all solche polizeiliche Maassnahmen halte auch ioh für vollständig ver¬ 
fehlt. Sie werden nur dasjenige herbeiführen, was Sie doch ganz gewiss 
nioht fördern wollen, dass sie diese bedauernswerten Frauen und 
Mädchen aus den Händen der Aerzte in die Hände der Kurpfuscher, in 
die Hände von weisen Frauen bringen und damit sehr viel Unheil an- 
richten. Die Riesenzahlen von Abtreibungen, die heute schon nur zum 
geringsten Teil durch Aerzte vorgenommen werden, haben ihre Ursache 
zumeist in den bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Zuständen und 
werden nur dann mit Aussicht auf Erfolg bekämpft werden, wenn es 
gelingt, diese Ursachen aus der Welt zu schaffen. Heute finden Väter 
mit mehreren Kindern nicht leicht als Portier usw. Beschäftigung, überall 
werden kinderlose Ehepaare gesucht, Familien mit 10 Kindern finden 
überhaupt kaum Wohnungen und die Mietskaserne ertötet alles Familien¬ 
leben und alle Freude an zahlreichen Kindern usw. Demgegenüber sioh 
von verschärften Strafbestimmungen und polizeilicher Chikanierung der 
Aerzte einen Erfolg versprechen, ist ein naiver Glaube, den ioh nioht 
teilen kann. 

Hr. Aschoff: Ich hatte als praktischer Arzt nicht die Absicht, 
das Wort zu ergreifen, tue es aber, um Protest gegen das zu erheben, 
was wir eben gehört haben. Ich könnte dem Vorredner eine ganze 
Reihe von Kollegen, von meinen nächsten Freunden nennen, die 5 und 6 
und mehr Kinder haben. 

Ich erhebe auoh Protest dagegen, dass diejenigen Menschen, welche 
eine höhere gesellschaftliche Stufe einnehmen, 69 immer für ihre Pflicht 
gehalten hätten, nur wenig Kinder zu haben. Ioh habe Gelegenheit, in 
der Praxis auch in die besseren Kreise hineinzukommen und kann nur 
rühmend hervorheben, wie alte preussisohe Beamtenfamilien, die Namen 
und Klang nioht nur in unserem Vaterlande, sondern auoh in der Welt 
haben, und wie Offiziersfamilien mit alten Traditionen ihre Ehre und 
ihren Stolz darein setzen, eine grosse Anzahl von Kindern za haben. 

Was unsere Diskussion selbst betrifft, so möchte ich erwähnen — 


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4. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ich weiss nicht, ob ein praktischer Arzt schon gesprochen hat —, dass 
wir als Praktiker eigentlich im grossen und ganzen sehr wenig Gelegen¬ 
heit haben, den künstlichen Abort einleiten zu lassen. loh entsinne 
sich aus meiner zwanzigjährigen Tätigkeit, vielleicht nur ein- oder zwei¬ 
mal dazu gekommen zu sein. Ich erwähne das nur, um zu betonen, 
wie selten es eigentlich ist, und ich möohte auch hervorbeben, dass wir 
uns bei der Indikationsstellung in der Praxis nicht von dem Gedanken 
leiten lassen: Die Frau hat einen Herzfehler oder eine Nierenentzündung, 
eine leichte Spitzentuberkulose, also muss eingegriffen werden. Sondern 
wir richten uns danach, wie die Krankheit verläuft und stellen danach 
unsere Indikation, und das scheint mir auoh für die Zukunft das Rich¬ 
tige zu sein. Was wir Praktiker schon seit 20—30 Jahren getan haben, 
werden wir auoh in Zukunft tun, d. h., dass wir den Frauen zusprechen. 
Die einen werden wir auf das religiöse Moment hinweisen, die anderen 
auf ihre patriotischen Gefühle, die dritten auf die Tradition ihrer Fa¬ 
milie, und werden so auch weiter dahin wirken, wie ‘es bisher stets 
gewesen ist, dass die Frauen möglichst viele Kinder in die Welt setzen. 

(Schluss folgt.) 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

Sitzung vom 6. Dezember 1917. 

1. Hr. Birk: Der Einflug des Krieges aif die Kinder. 

Die Qualität der Neugeborenen ist im Kriege nicht schlechter als 
im Frieden, vielmehr ist das Geburtsgewicht vielfach durchschnittlich 
höher als im Frieden. Dagegen hat sich die Quantität erheblich ver¬ 
mindert, die Zahl der Geburten ist in Kiel von 5020 im Jahre 1912 
auf 3715 im Jahre 1916 zurüokgegangen, obwohl in Kiel unverhältnis¬ 
mässig viel Männer reklamiert sind. Anderwärts ist der Geburtenrück¬ 
gang, wie z. B. in Altona, noch viel grösser. Die Säuglingssterb¬ 
lichkeit hat sich nioht gesteigert. Die Ernährung der Säuglinge war 
vollauf ausreichend. Die Milobbesohränkung und Verabfolgung einer 
knappen Kohlehydratmenge hat das Schwinden der konstitutionellen 
Säuglingsekzeme wie auoh des Mehlnährschadens zur Folge gehabt. 
Impetiginöse und intertriginöse Ekzeme haben dagegen stark zugenommen. 

Bei den älteren Kindern spielten die Ernährungsfragen die 
grösste Rolle. In der bisher schlimmsten Periode —• März, April, Mai 
1917 — betrug die Zufuhr an Kalorien in Kiel für 3jährige Kinder 
103,4, für 5jährige Kinder 77,7, für 9jährige Kinder 45, für 13jährige 
45,2. In den übrigen Zeiten des Krieges waren die Ernährungsverhält- 
eisse besser. Ein wirklicher Notstand ist bei den Kindern vor der 
Schulzeit nicht vorhanden gewesen. Erheblich schlechter lagen die 
Verhältnisse bei den Schulkindern, die zeitweise wohl nur eine Fristungs- 
diät bekamen. Da die Kriegskost nur ein geringes Sättigungsgefühl 
hinterlies8 und infolgedessen grosse Mengen verzehrt wurden, wurden 
Nieren und Darm überlastet und insufficient, was eine mächtige Zu¬ 
nahme des Bettnässens, der Mastdarmvorlälle, auch eine Zunahme der 
In vagin ationen höherer Darmabschnitte zur Folge hatte. Hautkrank¬ 
heiten traten gehäuft. auf, nämiioh Impetigo, Krätze, Trichophytie, 
ebenso Oxyuren und Askariden. Häufiger waren Ruhr und Typhus sowie 
die Tuberkulose unter den Schulkindern. Im übrigen hatten die eigent¬ 
lichen infektiösen Kinderkrankheiten nicht zugenommen. 

2. Hr. Bell: Danerheilnig der Hyperhydrosis localis. 

Gegen die Hyperhydrosis der Hände, Füsse und Achselhöhlen gab 
es bisher keine erfolgreiche Behandlungsmethode. Auch das bisherige 
Röntgen verfahren in der Form der Oberflächenbestrahlung führte nicht 
zum Ziel: entweder wurde die Heilung nioht erreicht, oder es wurden 
Hypertrophien gesetzt An der Hand der Absorptionstabelle von 
Christen und der Berechnung von Guilleminot weist Vortragender 
nach, dass trotz der oberflächlichen Lage der Schweissdrüsen nur eine 
möglichst harte Tiefenbestrahlung bei gleichzeitiger Sohonung der Haut 
die Sohweissdrüsen veröden und damit die Krankheit heilen kann. 

Von 12 behandelten Fällen sind 9 als abgeschlossen zu betraohten. 
Die Bestrahlung wurde in mehreren Sitzungen mit einer Filterung von 4, 
vereinzelt 6 mm Aluminium ausgeführt. Bis zu einer vorübergehenden 
Lähmung der Soh weissdrüsen (Sistieren des Sohwitzens) bedurfte es in 
günstig reagierenden Fällen einer Dosis von etwa 70 x innerhalb 2 bis 
2 1 /* Monaten, in ungünstigeren Fällen 110 x innerhalb 3Va bis 4 Mo¬ 
naten. ln allen Fällen erwies es sich als notwendig, naoh dem Auf¬ 
hören des Sohwitzens nooh weiter zu bestrahlen, da sich sonst in kurzem 
das lästige Schwitzen wieder einstellte. Zur Erreichung einer Dauer¬ 
heilung (Verödung der Schweissdrüsen) war günstigenfalls eine Röntgen¬ 
dosis von 90 x innerhalb 8 1 /* Monaten, ungüustigenfalls 130 x in 5 Mo¬ 
naten erforderlich. 

Die 6 mm-Filterung wies vor der 4 mm-Filterung klinisch keine 
Vorteile auf. Gegenüber den früheren Ergebnissen muss es als besonders 
wichtig angesehen werden, dass in allen Fällen eine Heilung ohne jede 
Röntgenschädigung erreicht wurde. 

(Erscheint vollständig in der „Strahlentherapie".) 


Aentllcher Verein zn München. 

Sitzung vom 5. Dezember 1917. 

Hr. Miller- Würzburg: Ueber die Behandlssg der Malaria. 

Der Vortr. besprach in ausführlicher Weise die Plasmodien und 
ihre ^Entwicklung, schilderte die Krankheitsbilder der Febris tertiana 


und tropica und behandelte eingehend die Therapie. Als sicherstes und 
bestes Mittel empfiehlt er Chininum hydrochloricum, das in der deutschen 
Armee bei der Nocht’schen Kur verabreicht wird. M. rät, das Chinin 
in längeren Pausen in Verbindung mit Salvarsan zu geben. Um sicher 
zu wissen, ob der Kranke frei von Malariaplasmodien ist, empfiehlt der 
Vortr., künstlich Recidive zu erzeugen durch Injektion von abgetöteten 
Typhusbacillen oder von Milch oder durch Bestrahlung mit Höhensonne. 

Nobiling. 


K. k. Gesellschaft der Aerxte zu Wien. 

Sitzung vom 15. Juni 1917. 

(Eigener Bericht.) 

Hr. Exier führte einen 48jährigen Mann vor, der im Jahre 1916 
wegen akuter Appeadicitis operiert wurde. 

Seither erholte er sich nicht mehr, er litt an Magen- und Darm¬ 
beschwerden ; Februar 1917 wiederholt Erbreohen. Am 10. März trat 
totale Stuhlverhaltung ein. Der Mann war auffallend herabgekommen, 
sehr anämisch. Puls 120, das Abdomen war infolge stark aufgetriebener 
Dünndarmschlingen hochgradig meteoristisoh, in der Oberbauohgegend 
fühlte man einen faustgrossen, nicht verschiebbaren Tumor. Man nahm 
Strangulationsileus an. 

Bei der Operation fand man aber einen Tumor im Pankreas, der 
livid verfärbt war und deutlich fluktuierte. Eine Probepunktion ergab 
jauchige, blutige Flüssigkeit. Die Höhle wurde mit dem Paquelin er¬ 
öffnet, wobei sich stinkende, hämorrhagische Flüssigkeit entleerte, die 
Bacterium coli enthielt. 

Schon wenige Tage naoh der Operation hörte die hämorrhägisohe 
Sekretion auf, und es entleerte sich durch das Drain etwa Vz Liter reiner 
Pankreassaft täglioh. Jetzt ist die Wunde geheilt, der Kranke hat sich 
vollkommen erholt. Es handelt sich demnaoh um die so selten vor¬ 
kommende Apoplexie des Pankreas. 

Hr. Ullmanii demonstrierte eine Frau mit einem Epitheliui auf 
Grund einer Arsenhyperkeratose. 

Hr. Frischeis demonstrierte einen 33jährigen Offizier mit hysterische! 
Aphasie. 

Er verlor durch einen Sohuss das rechte Auge, die Kugel wurde 
aus der Nase entfernt. Anfangs 1917 trat ein epileptischer Anfall nach 
dem Jackson-Typus auf; er erwachte unter völliger Sprachlosigkeit. 
Man fand rechtsseitige Steigerung der Reflexe und diagnosticierte 
motorische Aphasie. Vortr. fand aber, dass die Reflexsteigerung durch 
Mitbewegungen vorgetäuscht war. Pat. konnte nicht einen Laut naoh- 
sprechen, obwohl er volles Sprachverständnis besass. Dieser Befund 
machte die Diagnose: motorisohe Aphasie unwahrsoheinlioh, da die 
schwersten Fälle über einige Laute und Silben verfügen. In Hypnose 
gelang es, die scheinbare Reflexsteigerung zu beseitigen, nach der zweiten 
Hypnose war die Aphasie behoben. 

Hr. Oppenheim erwähnte eine bei Muitiouarbeiteriinei ver¬ 
kommende eigentümliche Hantaffektion. 

Die l Haut des Gesichtes ist braunrot verfärbt; diese Verfärbung er¬ 
streckt sich auch auf die Stirne, den Hals und auf die Hände bis zum 
unteren Drittel der Vorderarme. Die Haut zeigt eine diffuse warzige 
Beschaffenheit der Oberfläche, die braunen Flecke sind über der Haut 
erhaben und haben feinwarzigen Aufbau. Man sieht auf den ersten Bliok, 
dass die unbedeckten Teile der Haut befallen sind, und es liegt der 
Gedanke an eine äussere Schädlichkeit nahe. Die Pat. hat Messing¬ 
zündkapseln auf einer Schleifscheibe zu schleifen, die Haut wird dabei 
von einem Gemenge von sohlechtem Schmieröl und Messingstaub bedeckt 
So wie das jetzt erhältliche Vaselin im Gesicht Erkrankungen verursacht, 
die sich durch warzigen Aufbau auszeichnen, so kann man auch an¬ 
nehmen, dass durch das schlechte Schmieröl die demonstrierte Erkrankung 
hervorgerufen wird. Sie wäre in eine Reihe zu stellen mit ähnlichen 
Hyperkeratosen infolge von Einwirkung von Teer, Pech, Anilin usw. 

Hr. Seherber machte Mitteilung über ein neies Mittel gegei 
Skabies. 

Die von Riehl angegebene Behandlung mit Wilkinson-Salbe hat 
sich als vorzüglich erwiesen. Leider ist Wilkinson-Salbe nicht mehr 
anwendbar, da die hierzu nötigen Ingredienzien kaum zu beschaffen sind. 
Sch. hat ein neues Mittel versucht, das bei Pferderäude vorzüglich 
wirken soll, das Erdöl von Kletschan, ein sehr reines Oel, das kaum 
einen Paraffingeruoh hat. Das Oel darf nicht eingerieben, sondern bloss 
gut aufgestriohen werden. Er lässt an einem Tag 2—4mal das Oel 
aufstreiohen und am nächsten Tag baden. Unter 140 Fällen sah er nur 
ein Reoidiv. Ekzem ist keine Kontraindikation. H. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztliohen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 30. Januar hielt 
Herr Lu barsch den angekündigten Vortrag über Thrombose und In¬ 
fektion (Diskussion die Herren Orth und L. Landau) und Herr Felix 
Hirsohfeld seinen Vortrag über die Wiederherstellung der geschädigten 
Funktionen der Nieren bei chronischen Nephritiden. 


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128 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 5. 


— Am 2. d. M. begeht Prof. James Israel seinen 70. Geburts¬ 
tag — abwesend von Berlin, so dass ihm persönliche Glückwünsche 
nicht überbracht werden können; das aber kann er nicht verhindern, 
dass zahlreiche Beweise der Wertsohätzung und Verehrung ihn erreichen. 
Wie vor 10 Jahren stellt sich auch diesmal unsere Wochenschrift als 
Gratulantin ein: die vorliegende Nummer bringt eine Reihe von Arbeiten 
aus dem Krankenhause, dessen chirurgische Abteilung er bis vor kurzem 
so glänzend geleitet hat. Wir sind den Verfassern zu Dank verpflichtet, 
dass sie hierdurch dem Tage auch eine wissenschaftliche Weihe gegeben 
und Zeugnis dafür abgelegt haben, wie erfolgreich der Geist, in dem 
Israel selber gewirkt hat, dort weiter gepflegt wird. Dem verehrten 
Freunde und Kollegen aber wünschen wir, dass er noch viele Jahre hin¬ 
durch sich seiner wiedergewonnenen Gesundheit erfreuen, und dass seine 
segensreiche Tätigkeit noch zahllosen Leidenden zugute kommen möge! 

Red. 

— Am 25 d. M. ist der ordentliche Professor der Neurologie, Geh. 
Med.-Rat Dr. Ludwig Edinger, in Frankfurt a. M. im 63. Lebensjahre 
verstorben. Sein Hinscheiden bedeutet einen schweren Verlust für die 
deutsche Wissenschaft. Wenn ich, obwohl kein Spezialkollege des Dahin¬ 
geschiedenen, ihm ein Wort des Gedenkens widme, so darf ich das, weil 
mioh seit den Studentenjahren herzliche Freundschaft mit ihm verband, 
die namentlich während unserer gemeinsamen Assistentenzeit in 
Giessen sich vertiefte und bis in die Gegenwart hinein sich erhielt. Ich 
war Zeuge seiner ersten, das Gebiet der Magen- und Darmkrankheiten 
betreffenden Arbeiten in Riegels Laboratorium und gewann schon damals 
den Eindruck, dass Edinger mit ungewöhnlicher Geistesschärfe und um¬ 
fassender Vorbildung an seine wissenschaftlichen Probleme herantrat. 
In Giessen habilitierte er sich auch, ging aber später nach Frankfurt a. M., 
wo er am Senokenbergischen Institut einen ihm zusagenden, grösseren 
Wirkungskreis fand. Dort widmete er sich vor allem neurologischen 
Studien, stets aber mit weitem Blick über sein Sonderfach hinaus, mit 
Vorliebe physiologischen und vergleichenden anatomischen Forschungen 
zugewandt — seine Vorlesungen über den Bau des Nervensytems, seine 
Arbeiten über das Vertebratengehirn, seine Theorie der Aufbrauchs- 
krankheiten, neuerdings nooh seine Versuche über die Heilung von 
Nervenwunden haben seinen Namen weit bekannt gemacht. Lebhaftes 
Interesse brachte er vor Jahren der Reform der Deutschen Naturforscher¬ 
versammlungen entgegen, — die Einführung der kombinierten Sitzungen 
ist zum nicht geringen Teil auf Edingers Bemühungen zurückzuführen. 
In der letzten Zeit beschäftigte ihn — nooh vor zwei Wochen schrieb 
er mir hierüber — der Plan, in seinem Institut eine bibliographische 
Zentralstätte für die gesamte Neurologie zu schaffen. Er war ein Mann, 
der „immer strebend sich bemühte“ — noch viele Leistungen waren 
von ihm zu erwarten; aber nicht bloss dem Gelehrten, auch dem treuen 
Freunde und liebenswerten Menschen gilt unsere Trauer und bleibt 
unsere ehrende Erinnerung! P« 

— Geheimrat Ewald Hering, vormals Professor der Physiologie in 
Leipzig, ist 84 Jahre alt, verstorben. Er war 1865 bis 1870 an der 
medizinisch-chirurgischen Frans Josefs-Akademie in Wien, 1870 bis 1895 
an der Universität Prag tätig gewesen und kam von da als Ludwig’s 
Nachfolger nach Leipzig. Sein vornehmstes Arbeitsgebiet war neben der 
Elektrophysiologie die Psychophysiologie und die physiologische Optik. 

— Geh. San.-Rat Heinrich Rehn, hervorragender Kinderarzt in 
Frankfurt a. M., ist verstorben. 

— In Helsingfors verstarb der bekannte Kliniker, Professor Rune- 
berg, den auch mit den deutschen Fachgenossen seit langer Zeit persön¬ 
liche und wissenschaftliche Beziehungen verbanden. 

— Die Tagung der Aerztlichen Abteilungen der Waffen¬ 
brüderlichen Vereinigung Deutschlands, Oesterreichs und 
Ungarns hat einen nach jeder Richtung hin befriedigenden Verlauf 
genommen; der Besuch war, wenn man die erschwerenden Zeitumstände 
in Betracht zieht, als sehr gut zu bezeichnen — es waren etwa 40 Herren 
aus Oesterreich, 80 aus Ungarn und eine ganze Anzahl türkischer Kol¬ 
legen erschienen. Dank der umsichtigen Geschäftsleitung war es mög¬ 
lich, das ganze umfangreiche Verhandlungsmaterial zu erledigen; die 
wichtigen, auf der Tagesordnung stehenden Fragen wurden in ein¬ 
gehender und anregender Weise besprochen, wie der Bericht, mit dessen 
Abdruck wir in nächster Nummer beginnen werden, erweisen wird. Der 
von Prof. Bruck geleitete Pressedienst funktionierte in vorbildlicher 
Weise. Von grösseren Festlichkeiten war, wie früher schon erwähnt, 
Abstand genommen; auch der geplante Empfang im Rathaus musste 
ausfallen. Der vom Aerzteausschuss Gross-Berlin veranstaltete musi¬ 
kalische Abend aber bot nicht nur erlesene Kunstgenüsse, sondern ver¬ 
einigte auch die zahlreichen Teilnehmer zu fröhlichem, kollegialem Bei¬ 
sammensein. Wir sind sicher, dass der waffenbrüderliche Gedanke auch 
durch diese Veranstaltung von neuem seine Lebens- und Werbekraft 
bewiesen hat; die für September dieses Jahres in Budapest in Aussicht 
genommene Tagung, zu welcher Hofrat v. Grosz freundlioh einlud, wird 
zu seinem weiteren Ausbau beitragen. P. 

— Der Berliner Magistrat hat zur Aufnahme von an „offener 
Tuberkulose“ Erkrankten eine Abteilung in Buch eröffnet. Und da 


die hierbei beabsichtigte Isolierung der an offener Tuberkulose Leidenden 
häufig nur dann durchführbar ist, wenn gleichzeitig für die hilfs¬ 
bedürftigen Familien der Kranken gesorgt wird, wurde ein freier Aus¬ 
schuss gegründet, der unter dem Vorsitz des Geheimen Justizrats Pro¬ 
fessor Mosse aus Mitgliedern der städtischen Körperschaften und aus 
Vertretern der an der Tuberkulosebekämpfung interessierten öffentlichen 
Organisationen und gemeinnützigen Vereine besteht und die Bezeichnung 
„Berliner Tuberkulose - Ausschuss“ führt. Die Bureaugeschäfte des 
Berliner Tuberkulose-Ausschusses werden im Aufträge des Magistrats im 
städtischen Dienstgebäude am Mühlendamm 1, Zimmer 27, geführt. 
(Fernsprecbanschluss: Centrale Mühlendamm Nr. 64.) 

— Prof. Reiohardt-Würzburg, Psychiatrische Klinik, bittet um 
Mitteilung von Fällen, welche in das Gebiet der Hirnschwellung, 
des Pseudotumor cerebri, der Meningitis serosa und nichteitrigen Ence¬ 
phalitis, sowie verwandter, mit Hirndruck einhergehender Zustände ge¬ 
hören, und welche speziell bei Hirnverletzten oder Hirngeschädigten 
aller Art, dann aber überhaupt bei Kriegsteilnehmern beobachtet 
worden sind. 

— Verlustliste. Gefallen: Feldhilfsarzt Walter Fressei- 
Hamburg, Feldhilfsarzt Hubert Kronenberg-Hamburg, Oberarzt d. R. 
Friedrich Löhe-Georgsgmünd, Oberarzt Erich Peucker-Straussberg. 
— Infolge Krankheit gestorben: Landsturm pflichtiger Arzt Moritz 
Falk-Sohneidemühl, Oberstabsarzt d. L. Ludwig Plotke-Borek, Ober¬ 
arzt d. L. Georg Sendel-Altstedt, Stabsarzt d. L. Gustav Winsel¬ 
mann-Thorn.— Verwundet: Feldunterarzt Siegfried Amster-Han- 
nover, Assistenzarzt Kon r ad Ter gast-Emden, Feldhilfsarzt Fried¬ 
rich Thomas-Bur bach, Feldhilfsarzt Franz Winkl er-Breslau. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (13.—19.1.) 
1. — Fleckfieber: Deutsches Reich (13.—19. I.) 9. Kaiserlich 
Deutsches Generalgouvernement Warschau (80. XII.—5. I.) 
1101 und 103 +• Oesterreich-Ungarn (10.—16. XII.) 1. — Rück¬ 
fallfieber: Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement War¬ 
schau (30. XII.—5. I.) 85.— Genickstarre*. Preussen (6.—12. I.) 
6 und 2 f- — Spinale Kinderlähmung: Preussen (30. XII. bis 
5. I.) 1. — Ruhr: Preussen (6.—12. I.) 72 und 13 + und nachträg¬ 
lich gemeldet (80. XII.—5. I.) 9. (Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochsohulnachriohten. 

Breslau. Dr. Robert Hanser, Privatdozent für allgemeine Patho¬ 
logie und pathologische Anatomie, erhielt den Professortitel. — Er¬ 
langen. Prof. Seitz, Direktor der Universitäts-Frauenklinik, hat den 
Ruf nach Freiburg angenommen. — Frankfurt a. M. Zum Abtei¬ 
lungsvorsteher am anatomischen Institut ist Prof. Bluntschli ernannt 
worden. — Tübingen. Dem Oberarzt Prof. August Mayer ist die 
Professur für Geburtshilfe und Gynäkologie übertragen. 


Amtliche Mitteilungen. 

Peraon allen. 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden IV. Klasse: San.-Rat Dr. 
Schwertzel in Altona. 

Charakter als Sanitätsrat: Kantonalarzt Dr. Forrer in Dettweiler, 
Dr. Jahn in Rappoltsweiler, Dr. Rapok in Strassburg, Rantonalarzt 
Dr. Ringeisen in Erstein, Kantonal- und Babnarzt, Bürgermeister 
Dr. Schneider in Drulingen, Dr. Schwamm in Metz, Spital- und 
Bahnarzt Dr. Uhry in Saargemünd. 

Prädikat „Professor“: Priv.-Doz. in der mediz. Fakultät der Uni¬ 
versität in Breslau Dr. Hanser. 

Ernennungen: Prosektor am Anatomischen Institut der Universität in 
Frankfurt a. M. Priv.-Doz. Prof. Dr. Bluntschli zum Abteil.-Vor¬ 
steher an demselben Institut; Dr. M. Zenker in Kattowitz z. Kreis¬ 
ass.-Arzt daselbst unter Ueberweis. an den Kreisarzt des Stadt- und 
Landkreises Kattowitz. 

Niederlassungen: Aerztinnen Dr. Charlottte Jacob und Dr. Marie 
Hensei in Königsberg i. Pr., Aerztin Else Heinrioh in Prenzlau, 
Ernst Copien in Potsdam. 

Verzogen: Gen.-Ob.-A. a. D. A. Hagenah von Wilhelmshaven nach 
Klein Niendorf (Kr. Segeberg), Dr. A. Buschmann von Berlin nach 
Kiel, F. Teudeloff von Harburg nach Fürbtenau (Kr. Bersenbrück), 
Dr. F. Gahrmann von Berlin nach Marburg, Oberarzt Dr. Ernst 
Schneider von Eichberg nach Weilmünster als stellvertr. Direktor 
d. dortigen Prov. Heil- und Pflegeanstalt, Dr. W. Bartel von Bingen 
und Dr. E. Kant von Agra (Schweiz) nach Wiesbaden, Dr. G. Ge- 
baubr und Dr. F. Gain aus dem Felde nach Kreuznaoh, Dr. L. 
Wohlfahrt aus dem Felde nach Rüdersheim, Dr. Kurt Hartmann 
aus dem Felde nach Wallhausen (Kr. Kreuznach), Aerztin Dr. Ma¬ 
rianne Bosshardt von Leipzig nach Königsberg i. Pr., San.-Rat Dr. 
K. Quedenfeld von Königsberg i. Pr. nach Weisser Hirsch bei 
Dresden. 

Gestorben: Geh. San.-Rat Dr. Eduard Huth in Prenzlau, San.-Rat 
Dr. St. Pannek in Potsdam, Heinrich Weber in Isselburg (Kr. 
Rees). 


Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Hans Kohn, Berlin W, Bayreuther Str. 49. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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DI» Berliner Klinische Wochenschrift erseheint Jeden 
Montag ln Nummern von ca. 3—<1 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 7 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen and Postanstalten an. 



Alle Binsendungen fhr die Redaktion und Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirachwald ln Berlin NW., Unter den Linden 
Nr. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nacb amtlichen Mitteilungen« 

Redaktion: Expedition: 

6eh. Mei-R&t Prof. Dr. C. Posoer und Prot Dr. Hans Hohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin 


Montag, den 11. Februar 1918. M 6. 


Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiialiei : Nagel: Laparatomie während der Schwangerschaft. Vier 
Fälle von Exstirpation von Geschwülsten ohne Störung der 
Schwangerschaft. S. 129. 

Voss: Ueber die Unterscheidung organischer und funktioneller 
Nervenkrankheiten. (Illustr.) S. 131. 

Boehncke, Hamburger und Schelenz: Untersuchungen über 
Ruhrimpfstoffe in vivo und vitro. S. 134. 

Urtel: Offene Wundbehandlung im Felde. (Illustr.) S. 137. 
Heinemann: Beiträge zur operativen Behandlung der tuberkulösen 
Peritonitis. S. 140. 

BiiekerbezpreehuBgen: Hopp: Ueber Hellsehen. S. 140. (Ref. Posner.) 
— Uhthoff: Weitere persönliche Erfahrungen und Betrachtungen 
zur Kriegsblindenfürsorge. S. 140. (Ref. v. Sicherer.) 
LiteratBr-ABftzfige; Physiologie. S. 140. — Psychiatrie nnd Nerven¬ 
krankheiten. S. 141. — Kinderheilkunde. S. 142. — Chirurgie. 
S. 142. — Röntgenologie. S. 148. — Haut- und Geschlechtskrank¬ 
heiten. S. 148. — Augenheilkunde. S. 143. 


Laparatomie während der Schwangerschaft 

Vier Fälle von Exstirpation von Geschwülsten ohne 
Störung der Schwangerschaft. 

Von 

Prof. Dr. W. Nagel-Berlin. 

(Vorgetragen in der geburtshilflichen Gesellschaft zu Berlin 
am 14. Dezember 1917.) 

Im Laufe der letzten zwei Jahre habe ich dreimal während 
der Schwangerschaft Bauchgeschwülste (zweimal Ovarialtumoren, 
einmal subseröse Fibrome) durch Laparatomie entfernt und dabei 
die Schwangerschaft erhalten können, ln dem einen Fall starb 
das Rind ab etwa 2 Monate nach der Operation, vielleicht 
infolge paterner Lues, in den beiden anderen Fällen wnrde das 
Rind ausgetragen and lebend geboren. In dem vierten Fall, 
welcher einige Jahre zurück liegt, habe ich im 2. Monat der 
Schwangerschaft eine Pyosalpinx exstirpiert; das Kind wurde 
ebenfalls ansgetragen and lebend geboren. 

In Anbetracht der Seltenheit dieses Vorkommnisses [Flaisch- 
len 1 ) fand unter 17 822 Geburten der Schröder’schen Rlinik 
5 Romplikationen mit Gierstocksgeschwülsten, Löh lein 2 ) oster 
1300 Schwangeren zwei mit Ovarialtumoren] dürfen meine Fälle 
ein gewisses Interesse beanspruchen. 

1. Frau K., eine 37 jährige, sehr blass aussehende Patientin, sucht 
mich auf Veranlassung des Herrn Dr. Schönwitz am 15. X. 1915 auf. 
Sie klagt seit einigen Wochen über Erbrechen und Kopfsohmerzen sowie 
zunehmende Anschwellung des Leibes. Sie hat einmal abortiert vor 
4 Jahren und 3 mal geboren, zuletzt vor 9 Monaten. Letzte Menses am 
30. VIII. Durob die Bauchdecken lässt sich ein mannskopfgTOsser prall¬ 
elastischer Tumor nachweisen; hinter dem Uterus und von diesem ab¬ 
zugrenzen fühlt man von der Scheide aus ebenfalls einen Tumor, welcher 
als ein Absohnitt des grösseren Tumors gedeutet wird. Ob der Uterus 
vergrössert ist, lässt sich nicht bestimmen. Diagnose: Gystoma ovarii. 
Am 20. X. Laparatomie. Nach Eröffnung der Bauchhöhle präsentiert 
sich der Uterus, welcher dem Ende des dritten Schwangerschaftsmonats 
entspricht. Zwischen seinem Fundus und dem Zwerchfell liegt ein 
knabenkopfgrosses, mehrfaeheriges, vom rechten Eierstook ausgehendes 


1) Flaischlen, Zsohr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 29. 

2) Löhlein, Gynäkologisohe Tagesfragen, IV. 


VerhsndloBgei ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Schluss der 
Besprechung über die ärztliche Unterbrechung der Schwangerschaft. 
S. 143. Kausch: Tuberkulöse Lymphangitis. S. 146. Roth¬ 
schild: Plastischer Verschluss grösserer Harnröhrenfisteln. 'S. 146. 
Hamburger: Vorstellung eines Falles von Erblindung durch Likör¬ 
ersatz. S. 146. Schlussworte über die ärztliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft. S. 147. — Aerztlioher Verein zu Hamburg. 
S. 147. 

Bericht über die gemeinsame Tagung der ärztlichen Abteilungen der 
waffenbrüderlichen Vereinigungen Deutschlands, Oesterreichs und 
Ungarns. Berlin, 23.—26. Januar 1918. S. 148. 

Ach, Gedächtnisrede auf Ottmar von Angerer. S. 151. 

Nachtrag bzw. Berichtigung zu Klieneberger: Die Weil’sche Krankheit, 
kritisch-klinische Studie. (Berliner klin. Woohensohr., 1918, Nr. 2.) 
S. 152. 

Tagesgesohiohtl.Notizen. S. 152. — Amtl.Mitteilungen. S. 152. 


Cystom, welches nach Entleerung der Hauptcyste in typischer Weise 
entfernt wird. Hinter dem Uterus, im Cavum Douglasii, zeigt sich jetzt 
ein zweites, kindskopfgrosses, ebenfalls mehrfächeriges Cystom, welohes 
dem linken Eierstock entstammt und in gleicher Weise entfernt wird. 
Bauchnaht. Die Heilung erfolgte per primam, ohne Störung der 
Schwangerschaft, und 20 Tage nach der Operation verliess die Patientin 
die Klinik. Die Schwangerschaft ging ungestört weiter und am 2. bis 
3. XII. wurden die ersten Kindesbewegungen gespürt. Am 8. XII. trat ein 
Schüttelfrost ein, und seitdem verspürte sie keine Kindesbewegungen 
mehr. In den darauf folgenden vier Monaten stellte Pat. sich wieder¬ 
holt vor: Der Uterus nahm nicht an Umfang zu, weder Kindesbewegungen 
nooh Fötaltöne Hessen sich nachweisen, die Frucht war offenbar abge¬ 
storben. Ich leitete deshalb am 2. V. 1916 die künstliche Fehlgeburt 
ein und räumte den Uterus aus. Die etwa 5 Monate alte Frucht war 
von gelblicher Farbe und zeigte eine eigentümliche lederartige Indu¬ 
ration. Ein Jahr darauf, Mai 1917, stellte Pat. sich vor mit zahlreichen 
breiten Condylomen, es erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, dass 
paterne Lues damals den Tod der Frucht verursacht hat 

2. Frau S., 29 Jahre alt hat einmal normal geboren vor 2 Jahren 
und klagt seit 4—5 Wochen über sehr heftige Schmerzen in der rechten 
Seite des Unterleibes. Letzte Menses am 3. IX. 1916. 

Befund am 30. XI.: Der Uterus liegt antevertiert, dem dritten 
Schwangerschaftsmonat entsprechend vergrössert Rechts neben ihm ein 
apfelgrosser, beweglicher, sehr derber Tumor. Diagnose: Orarialtumor, 
wahrscheinlich Dermoid; gravida mens. III. 

2. XU. Laparatomie. Freier Ascites. Der Tumor ging vom rechten 
Ovarium aus, welches zum Teil noch erhalten war, und liess sich leicht 
aus der Wunde emporheben, worauf der Stiel unterbunden wurde. 
Bauchnaht. Am folgenden Morgen trat eine leichte Blutung ex utero 
ein, die aber bald aufhörte, ohne dass Wehen eintraten. Die Wunde 
heilte per primam, und die Kranke stand am 14. Tage auf. Am 
20.1. 1917 wurden die ersten Kindesbenegungen gespürt und am 6. VI. 
abends begannen die Weben. Der Kopf stand tief im Becken, die 
Beckenmaasse waren Sp. 25, Cr. 27, Tr. 30, C. 22 cm. Urin frei von 
Eiweiss. Die Blase sprang vorzeitig, aber am 7. VL, morgens 2 Uhr, 
war der Kopf am Einschneiden und unter leichter Chloroformnarkose 
wurde alsbald ein lebendes, kräftig entwickeltes Mädchen spontan, ohne 
Dammriss, geboren. Placenta folgte auf Crede. Die Narbe hatte keine 
Dehnung erfahren, und das Wochenbett verlief normal. 

3. Frau P., 85 Jahre alt, wähnt sich zum ersten Male schwanger, 
indem die sonst regelmässigen Menses seit dem 10. III. 1917 ausge- 
bliebeD sind. Ende April bemerkte sie eine Geschwulst in der rechten 
Seite, die immer mehr und mehr hervortrat und grosse Sohmerzen ver¬ 
ursachte. 


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130 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Befund am 18. VI.: Uterus entsprechend dem dritten bis vierten 
Sohwangerschaftsmonat vergrößert; über dem reohten queren Scham¬ 
beinast, neben dem Fundus uteri, fühlt man dioht unter den Bauch¬ 
decken einen orangegrossen, verschieblichen, harten und knolligen Tumor, 
welcher den Eindruck eines Ovarialtumors macht. 

20. Yl. Laparatomie. Freier Asoites. Der Tumor präsentierte sich 
als ein subseröses, höckeriges Fibrom, welches mit einem kurzen, etwa 
5 cm breiten und 0,5 cm dicken Stiel von der vorderen reohten Uterus¬ 
wand, etwas unterhalb des Fundus uteri ausging und in zweimarkstück- 
grosser Ausdehnung mit dem Omentum verwachsen war. Das Omentum 
wurde unterbunden und durohtrennt und sodann der Tumor keilförmig 
exzidiert. Nach Vernähung der Wunde mittels Catgut-Knopfnähten 
stand die ziemlich reiohliohe Blutung vollkommen. Etwa 3—4 «m 
unterhalb des grösseren Tumors sass ein zweites, kirschgrosses Fibrom 
mit dünnem Stiel, welches ebenfalls entfernt wurde. Bauohnabt. Die 
Wunde heilte per primam und die Schwangerschaft blieb ungestört. 

Befund am 12. IX.: Kindesbewegungen wurden am 25. VII. gespürt. 
Herztöne sind links zu hören. Beokenmaasse Sp. 28, Cr. 28, Tr. 30, 
C. extern 20. Urin frei von Eiweiss. 

Befund am 8. XI.: Fundus uteri zwei Querfinger unterhalb des 
Proc. xiphoideus. Herztöne links. Kopf tief im Becken. Portio vagi¬ 
nalis halbfingergliedlang. Bauohnarbe fest, aber stark pigmentiert. 
Urin frei von Eiweiss. Am 28. XII. wurde ein lebender Knabe spontan 
geboren. 

4. Frau K., 32 Jahre alt. Die anämisch aussehende Patientin suchte 
mich auf Veranlassung des Herrn Dr. Klasske am 29. X. 1908 auf; 
sie klagte über heftige Schmerzen im Unterleib und Kreuz sowie über 
Drängen nach unten. Die sonst regelmässigen Menses waren seit etwa 
3 Wochen überfällig, indem sie zuletzt am 11. IX. eintraten. Am 1. X. 
stellte sich geringe Blutung ein, und seitdem leidet sie an Ohnmachts¬ 
anfällen. und Erbrechen. Patientin hat 2 mal abortiert und 2 mal ge¬ 
boren, zuletzt vor 2 Jahren. Befund am 29. X.: Uterus anteponiert, 
etwas dextro-vertiert, vergrössert. Vom hinteren Scheidengewölbe fühlte 
man im Cavum Douglasi eine etwa kleinkindskopfgrosse Resistenz, die 
sich besonders nach links erstreckt und weder vom Uterus noch von 
der Beckenwand deutlich abzugrenzen war. Anämie. Temperatur 37°. 
Diagnose. Inkompletter Tubenabort mit Hämatocele. Am l. XI. Laparo¬ 
tomie. Naoh Eröffnung der Bauchhöhle stellte ich fest, dass es sich um 
eine überall verwachsene Pyosalpinx handelte, die in typischer Weise 
exstirpiert wurde und während der Operation Eiter entleerte. Der 
Uterus war vergrössert, aufgelockert und blutreioh. Mit Rücksicht auf 
die ausgedehnten, stark sezernierenden Verwachsungen wurde das Cavum 
Douglasi nach Durchbohrung der Fornix posterior nach der Scheide hin 
mittels Jodoformgaze drainiert und hiernach die Bauohwunde in üb¬ 
licher Weise vernäht. Der Verlauf war ungestört. Am dritten Tage 
entfernte ich den Drain, am fünften Tage erfolgte die erste Stuhl¬ 
entleerung, und Patientin stand am 14. Tage mit geheilter Bauchwunde 
auf. Die Schwangerschaft erlitt keine Störung. Befund am 17. II. 1909: 
Der schwangere Uterus hat sich entsprechend vergrössert, die ersten 
Kindesbewegungen wurden vor 6 Wochen gespürt. Wohlbefinden. Be¬ 
fund am 17. V. und 8. VI.: Der schwangere Uterus hat sich entsprechend 
vergrössert, Herztöne rechts zu hören, Kopf im Beckeneingange. Bauch¬ 
narbe stark pigmentiert, aber fest. Geburt fand am 19. VI. in normaler 
Weise statt; lebendes Mädchen. Das Kind gedeiht prächtig und stellt 
sich zuweilen vor. Die Mutter, welohe anfangs mir Vorwürfe wegen des 
Verlaufes machte, änderte später ihre Ansicht, fühlt sich jetzt gesund 
und liebt ihre Toohter zärtlich. 

Vor nicht allzu vielen Jahren wagte niemand während der 
Schwangerschaft eine Ovarialgeschwulst zu entfernen, ge¬ 
schweige denn während der Geburt. Man leitete die künstliche 
Frühgeburt ein, zog das Kind mittels Zange oder an den Füssen 
an der Geschwulst vorbei, perforierte es eventuell und kümmerte 
sich nicht um die Geschwulst, höchstens punktierte man sie. 
Die Mortalität für Mutter und Kind war infolgedessen erschreckend 
hoch: Nach Heiberg’s 1 ) Zusammenstellung von 271 Fällen be¬ 
trug die mütterliche Mortalität 25 pCt., die kindliche mehr als 
66 pCt. Die wichtigsten mütterlichen Todesursachen waren: 
Ruptur des Tumors, innere Verblutung, Inkarzeration und Ver¬ 
eiterung der Geschwulst, Stieldrehung mit Gangrän der Cysten¬ 
wand, septische Peritonitis. Hand in Hand mit der ständig sich 
bessernden Prognose der Ovariotomie änderten sich indes die 
Ansichten über die Behandlung von Geschwülsten während der 
Schwangerschaft, und heutzutage gilt die Regel, dass man zu 
Anfang 7 der Schwangerschaft jede Eierstockgeschwulst entfernt, 
ohne Rücksicht auf Sitz, anatomische Beschaffenheit und Grösse 
derselben. In den späteren Monaten schreitet man erst nach er¬ 
reichter Lebensfähigkeit des Kindes zur Operation und auch nur 
dann, falls die Geschwulst durch Sitz oder Grösse ein Geburts¬ 
hindernis darstellt oder falls eine Komplikation, vor allem Stiel¬ 
drehung eingetreten ist. Wird man erst zur Geburt gerufen, 
so entferne man die Geschwulst durch Laparatomie, eventuell 
unter Hervorwälzung des Uterus, entbinde aber auf natürlichem 


1) Zitiert bei Webster, Textbook of Obstetrios, 1903. 


Wege mittels Wendung oder Zange, falls nicht eine Dystokie des 
Beckens dieses verbietet. Handelt es sich aber um eine hoch 
im Abdomen liegende Geschwulst, so warte man zunächst die 
Geburt ab und operiere erst im späten Wochenbett. 

Durch die frühzeitige Exstirpation verhütet man vor allem 
die oben erwähnten gefährlichen Komplikationen und zwar ohne 
die Schwangerschaft in höherem Grade zu gefährden, als die 
Geschwulst es tut. ln beiden Fällen beträgt die Häufigkeit des 
Abortus 15—20 pCt. Eine Zeitlang hoffte man auch durch die 
Entfernung der Geschwulst einen drohenden Abort aufzubalten. 
Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass dies nicht möglich sei: 
sobald der Abort im Gange ist, kommt, wie auch ich in einem 
sonst günstig verlaufenen Fall gesehen habe, die Operation zu 
spät, um noch das Kind zu retten. 

Die abdominale Ovariotomie ist die sicherste Methode. 
Nach Gordon’s 1 ) 1894 veröffentlichter Zusammenstellung von 
176 Fällen von Ovariotomie während der Schwangerschaft wurden 
93,2 pCt. geheilt, während die Schwangerschaft in 69 pCt. er¬ 
halten blieb. Nach Fehling’s 2 ) Zusammenstellung von 266 Fällen 
betrug die Mortalität 5,4 pCt., während Abort und Frühgeburt 
in 33 pCt. erfolgte. Nach McKerron’s 8 ) Statistik (862 Fälle) 
betrug die Operationsmortalität 3,3 pCt. Die später veröffent¬ 
lichten Einzelfälle von Prior 4 ), Warzawski 5 ), Mainzer 6 ), 
Retzlaff 7 ), A. Martin 6 ). Cumston 9 ), Nyström 10 ) bestätigen 
die gute Prognose. Die Resultate mit Rücksicht auf Erhaltung 
der Schwangerschaft sind am günstigsten, wenn in den ersten 
vier Monaten operiert wird. 

Der von Staude zuerst ausgeführten vaginalen Ovariotomie 
redet Democh 11 ) das Wort an der Hand von 17, von verschie¬ 
denen Operateuren herrührenden Fällen mit 0 pCt. mütterlicher 
Mortalität und 18.3 pCt. Aborte. Gewiss wird man in geeigneten 
Fällen mit der Kolpotomie zum Ziel kommen, aber die Methode 
der Wahl wird sie wohl nicht werden, weil sie ein Manipulieren 
mit dem Uterus in sich schliesst, die leicht zu einer Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft führen kann. Es erscheint auch 
nicht ganz ausgeschlossen, dass die Narbe, weil sie im Geburts¬ 
kanal sitzt, bei der Entbindung störend wirken kann. Bei der 
abdominalen Ovariotomie dagegen wird der Uterus so gut wie 
gar nicht berührt, die Gefahr der Unterbrechung dürfte deshalb 
geringer sein, und die Narbe sitzt ausserhalb der Geburtswege, 
höchstens könnte sie durch die Pressweben etwas gedehnt werden. 
Bei sorgfältig angelegter Naht wird diese Dehnung jedoch kaum 
dauernde Folgen haben. 

In dem einen meiner Fälle fanden sich doppelseitige 
Cystome, und trotzdem war die Frau schwanger. Solche Vor¬ 
kommnisse sind mehrfach in der Literatur beschrieben und ihr 
Zustandekommen am einfachsten dadurch zu erklären, dass die 
Befruchtung noch vor der vollständigen Zerstörung des Eierstock¬ 
gewebes durch die Geschwulst stattgefunden hat. Die Prognose 
der Ovariotomia duplex ist die gleiche günstige wie bei der 
Ovariotomia simplex. Auf 17 derartige Fälle, welche Mainzer 12 ) 
gesammelt hat, kamen 2 Aborte und 3 Frühgeburten. Seitdem 
sind mehrere ungestört verlaufene Fälle beschrieben (Merkel, 
Morison, Lotheissen, zitiert bei Pfannenstiel 18 ), P. Rüge). 

Mein Fall 4 (Exstirpation einer ausgedehnt verwachsenen 
Pyosalpinx und Drainage nach der Scheide) dient als Beispiel, 
welche energischen Eingriffe der schwangere Uterus unter Umständen 
auszuhalten vermag. Irgendeine therapeutische Schlussfolgerung 
möchte ich jedoch aus dem einen Erfolg nicht ziehen. 

Myome üben je nach Sitz, Grösse und Beschaffenheit einen 
ganz verschiedenen Einfluss auf die Schwangerschaft aus. Kleine, 
subseröse Myome sind meist ganz bedeutungslos; weiche, vor¬ 
wiegend aus Muskelfasern bestehende Geschwülste können mit 
fortschreitender Schwangerschaft vollkommen verschwinden. An¬ 
dererseits können aber Fibrome auch zu schweren Komplikationen 


1) Zitiert bei Webster 1. o. 

2) Fehling, D. m. W., 1888. 

3) Zitiert bei Munro Kerr. Operative Midvifery. 

4) Ugeskrift for Loger, 1898. 

5) Msobr. f. Geburtsh. u. Gyn., Bd. 25. ‘ 

6) Sitzung der Ges. f. Geburtsh. u. Gyn. v. 8. Juli 1904. 

7) Msohr. f. Geburtsh. u. Gyn., Bd. 25. 

8) Ibidem. 

9) Amerik. Journ. o. Obst., 1908. 

10) Msohr. f. Geburtsh. n. Gyn., Bd. 32. 

11) Democh, Msohr. f. Geburtsh. u. Gyn., Bd. 26. 

12) Mainzer, M.ra.W., 1895. 

13) Handb. d. Gyn., herausg. von Veit. 


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11. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


131 


Veranlassung geben. Nach Olshausen 1 ) können selbst ganz 
subserös sitzende (cervikale) Myome eine ganz erhebliche, bis zu 
dreifacher, Vergrösserung in der Schwangerschaft erfahren. Hierzu 
kommt die Gefahr des Abortus. Hofmeier 3 ) berechnet die 
Aborte und Fehlgeburten, veranlasst durch ein Fibrom zu 6,9 pCt. 
Nach Lynch’s 8 ) Berechnung erfolgt Abort in 10 pCt. der Fälle. 
Aeltere Zusammenstellungen haben einen noch grösseren Prozent¬ 
satz, so trat nach Gusserow 4 ) Abort ein in 21 pCt. Ferner 
bilden tiefsitzende intraligamentäre oder supravaginale Cervix¬ 
myome ein absolutes Geburtshindernis, und subseröse Myome, 
besonders die gestielten, verursachen lokale Peritonitis mit heftigen 
Schmerzanfällen und können infolge Stieldrehung brandig werden. 
Aus diesen Gründen kann ein operatives Eingreifen während 
Schwangerschaft und Geburt notwendig werden. Die Art des 
Eingriffes richtet sich nach dem Sitz der Geschwulst. Multiple, 
intramurale und intraligamentäre Fibrome geben die Indikation 
zu Porvo’scher Operation. Bei subserösen Corpusfibromen und 
supravaginalen Cervixfibromen liegen die Verhältnisse günstiger, 
indem man die Geschwülste per laparatomiam oder von der 
Scheide aus enukleieren kann, und zwar ohne die Schwanger¬ 
schaft zu unterbrechen. A. Martin 6 ) und Frank*) sehen sogar 
in der Enukleation ein Mittel den Abort zu verhüten. 

Eine ganze Reihe erfolgreicher Myomektomien während der 
Schwangerschaft sind in den letzten Jahren veröffentlicht worden, 
so von Mendes de Leon 7 ) (faustgrosses Cervikalmyom per 
vaginam enukleiert im vierten Monat ohne Unterbrechung der 
Schwangerschaft), Engström 8 ) (4 Fälle, 1 Exitus, bei zweien 
ging die Schwangerschaft weiter), Brothers 9 ) (abdominale 
Enukleation von sechs kleineren und grösseren Myomen aus dem 
im dritten Monat schwangeren Uterus; Gravidität blieb erbalten), 
Jastrhemsky 10 ) (ein zweifaustgrosses intraligamentäres Myom, 
welches das ganze Becken ausfüllte, wurde im 4. Monat der 
Schwangerschaft per coeliotomiam ausgeschält; Patientin kam am 
Termin spontan nieder), v. Ott 11 ) (4 Fälle mit Erhaltung der 
Schwangerschaft), Howard Kelly 13 ) (6 Fälle von abdominaler 
Myomektomie während der Schwangerschaft, in 2 Fällen trat 
Abortus ein, in 3 Fällen blieb die Schwangerschaft erhalten, ein 
Fall starb), Olshausen 18 ) (23 Fälle, 1 Exitus, eine Patientin 
wurde während der Geburt operiert; von den 21 übrigbleibenden 
abortierten 8), Down es 14 ) (11 subseröse Fibrome und eine 
Ovarialcyste wurden exstirpiert, Abort, Heilung), Webster 18 ) 
(mehrere Myome wurden abdominal enukleiert und das abge¬ 
storbene Ei entfernt. Heilung), L. Meyer 16 ) (rechtsseitiges, ge¬ 
stieltes Fibrom, welches als Ovarialcyste gedeutet worden war, 
abdominal entfernt. Frühgeburt wenige Stunden nach der Ope¬ 
ration. Heilung). 

Wie man sieht ist die Prognose für die Mutter im allge¬ 
meinen günstig, und in der Mehrzahl der Fälle gelang es, die 
Schwangerschaft zu erhalten. Ich halte den Standpunkt Feh- 
ling’s 17 ) und Webster’s 18 ) für den richtigen, dass die Exstirpation 
nur ausgeführt werden soll bei subperitonealen Fibromen, die so 
tief sitzen, dass sie der Geburt gefährlich werden, oder die einen 
so langen Stiel haben, dass sie imstande sind, in das kleine 
Becken berabzusinken, ferner bei Peritonitis in der Umgebung 
des Tumors, die in der Regel, wie in meinem Fall, mit uner¬ 
träglichen Schmerzen einhergeht. 


1) Olshausen, Handb. d. Gynäk., herausg. v. Veit. 

2) Hofmeister, Zbl. f. Geburtsh., Bd. 30. 

3) Lynoh, Fibroid tumors complicating pregnanoy and labor. The 
americ. journ. of obst. and dis. of women and children, 1913, Bd. 68. 

4) Gusserow, Neubildungen des Uterus, 1886. 

5) Pathol. u. Ther. d. Frauenkrankh., 1885. 

6) Frank, Mschr. f. Geburtsh., Bd. 17. 

7) Mschr, f. Geburtsh., Bd. 14. 

8) Engström, Mschr. f. Geburtsh., Bd. 8. 

9) Obst. 800 . New York. Sitzung vom 9. Mai 1905. Mschr. f. Ge- 
burtsb., Bd. 22. 

10) Mschr. f. Geburtsh., Bd. 34. 

11) Mschr. f. Geburtsh., Bd. 34. 

12) Myomate of the uterus, 1909. 

13) Handb. d. Gyn., herausg. v. Veit. 

14) Geb. Ges. zu Philadelphia. Mschr. f. Geburtsh., Bd. 9. 

15) Gynaec. soo. Chicago. Sitzung v. 21. April 1905. 

16) Mschr. f. Geburtsh., Bd. 83. 

17) Fehling, Mschr. f. Geburtsh, Bd. 22. 

18) Webster, Textbook of obstetries. 


Ueber die Unterscheidung organischer und 
funktioneller Nervenkrankheiten. 

Von 

fl. Voss, 

fachirztliehem Beirat für Nervenkrankheiten im Bereiche des VII. Armeekorps. 

(Vortrag, gehalten am 28. Mai 1917 in einem militärärztliohen Fort¬ 
bildungskurse des VII. Armeekorps.) 

Die rasche und sichere Erkennung von Krankheitszuständen 
erlangt in der Kriegszeit eine erhöhte Bedeutung. Nicht nur 
zwingen die Verhältnisse des Krieges den Arzt, häufig Ent¬ 
scheidungen von weittragender Bedeutung, die das Wohl und 
Wehe des einzelnen ausschlaggebend beeinflussen, in kurzer Frist 
zu treffen; besonders beeinflussen auch die äusseren Verhältnisse 
unsere Schritte. Strategische Maassnabmen, rasche Vormärsche, 
Rückzüge, unerwartete Angriffe des Gegners mit einer Häufung 
der Verwundeten können zu einer raschen Entleerung der Lazarette 
und zu Entscheidungen nötigen, die sonst erst nach reiflicher 
Ueberlegung gefällt zu werden pflegen. 

Doch verlangt die heutige Zeit nicht nur eine Berücksich¬ 
tigung der materiellen Verhältnisse, sie stellt dem Arzt auch 
ideelle Aufgaben. Nur durch die richtige Erkennung der Krank¬ 
heit wird er imstande sein, den so notwendigen Einfluss auf den 
Nervenkranken aaszuüben, ohne den die Heilung schwierig, ja 
unmöglich ist. Eine falsche Diagnose bedeutet heute nicht nur 
eine Versäumnis dem Kranken gegenüber, sie bedeutet auch Ver¬ 
lust an Zeit, Raum, Material, vor allem Menschenmaterial, Ver¬ 
luste, die heute nicht hoch genug geschätzt werden können, die 
unnötige Ausgaben und überflüssige Arbeit verursachen. 

Eine der Hauptursachen falscher Diagnosenstellnng ist die 
Verwechselung organischer und funktioneller Erschei¬ 
nungen. Unter organisch wollen wir alle diejenigen Störungen 
zusammen fassen, denen anatomische, chemische oder physi¬ 
kalische Veränderungen zugrunde liegen, die mit unseren 
heutigen Hilfsmitteln erkennbar sind. Alle anderen Störungen 
| gehören in das Gebiet der funktionellen Erscheinungen. 

Die Entwickelung unserer medizinischen Wissenschaft in den 
letzten Jahrzehnten hat uns aufs deutlichste gezeigt, dass die 
Grenzen zwischen „funktionell und organisch“ durchaus keine 
scharfen und bleibenden sind; vielmehr stehen sie in engster Ab¬ 
hängigkeit von der Entwickelung unserer technischen Hilfsmittel. 
Je weiter die mikroskopische Färbetechnik fortschreitet, je mehr 
unsere Kenntnisse auf dem Gebiete serologischer, physiologisch¬ 
chemischer Methoden sich vertiefen, um so weiter verschieben 
sich die Grenzen zugunsten der organischen Krankheiten. 

Gerade auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten hat die For¬ 
schung in den letzten Jahrzehnten besonders grosse Fortschritte 
gemacht. Noch vor hundert Jahren galt die Paralyse als un¬ 
erklärliche Krankheit, deren anatomische Grundlagen noch völlig 
unbekannt waren. Es sind jahrzehntelange Arbeiten notwendig 
gewesen, nm uns den ursächlichen Zusammenhang zwischen der 
Syphilis und der Paralyse klarzulegen, eine Erkenntnis, die durch 
die Entdeckung der Wassermann’schen Reaktion nunmehr zu einer 
unbestrittenen Tatsache geworden ist Aehnlicb verhält es sich 
mit der Epilepsie, die noch vor zwanzig Jahren als eine funk¬ 
tionelle Krankheit galt. Heute wissen wir, dass ihr bestimmte 
anatomische Veränderungen zugrunde liegen, welche uns ihren 
fortschreitenden Verlauf und die mit ihr verknüpfte allmähliche 
Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit erklären. 

Besonders grosse Fortschritte hat uns das Eindringen in die 
Funktionen der sogenannten* endokrinen Drüsen, der Drüsen 
mit innerer Sekretion, gebracht. Noch vor zwanzig Jahren galt die 
Basedow’sche Krankheit bei vielen Aerzten als eine Neurose; 
sie wurde namentlich von französischen Aerzten der Hysterie zu¬ 
gerechnet. Möbius erfasste in genialer Weise den ursächlichen 
Zusammenhang zwischen Störungen der Schilddrüsentätigkeit und 
der Basedowschen Krankheit. Auf seinen Forschungen beruht 
die heutige Lehre vom Thyreoidismus, welche uns die mit Schild- 
drüsenvergrösserung einhergehenden Störungen einwandfrei aus 
einer übermässigen oder fehlerhaften Absonderung des Schild¬ 
drüsensaftes erklärt. 

So sehen wir, dass der Fortschritt der Wissenschaft immer 
neue Krankheitsbilder aus dem Rahmen der funktionellen Er¬ 
krankungen in das Gebiet der organischen binüberleitet, indem 
er ihre Ursachen klarlegt und ihre anatomischen Grundlagen uns 
kennen lehrt. 

Aus den obigen Ueberlegungen ergibt sich, dass für die 

1 * 


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132 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Unterscheidung zwischen organischem und funktionellem Krank¬ 
sein die Erkenntnis der Ursachen von Bedeutung ist. Es fragt 
sich nur, wie weit die Erkenntnis der Ursache uns sichere Rück¬ 
schlüsse auf das Wesen der Erkrankung gestattet. Nehmen wir 
beispielsweise das Trauma, die Verletzung, eine Art der Schädi¬ 
gung, die vor allen anderen heutzutage im Kriege für uns von 
Bedeutung ist. Liegt eine direkte, sehr heftige, mechanische 
Einwirkung vor, mit Zerstörung der Nervensubstauz am zentralen 
oder am peripheren Nervensystem, so ist die Entscheidung der 
Frage leicht. Handelt es sich dagegen um eine Einwirkung 
ebenfalls mechanischer Art, die jedoch keine greifbaren, dem 
Auge oder der fühlenden Hand wahrnehmbaren Veränderungen 
der Gewebe hervorgerufen, wie beispielsweise die Erschütterung 
(Kommotion), so kann die Entscheidung sich ungleich schwieriger 
gestalten. 

Das Verhalten der äusseren Gewebe ist in dieser Be¬ 
ziehung durchaus nicht maassgebend. Um nur ein Beispiel 
anzuführeu: Ich erinnere mich eines Soldaten, der beim Auf¬ 
springen auf die Strassenbahn stolperte und mit der rechten 
Kopfhälfte auf das Strassenpflaster aufschlug. Er konnte sich zu 
Kuss nach Hause begeben, dort stellten sich im Laufe einiger 
Stunden Störungen, Erbrechen, Kopfschmerz und Bewusstlosigkeit 
ein. Als er in das Lazarett eingeliefert wurde, waren an der 
äusseren Haut und am Knochen kaum Veränderungen nach¬ 
zuweisen. Bei Eröffnung des Schädels aber fand sich eine nahezu 
kleinapfelgrosse Blutung, welche die eine Hirnhälfte zunammen¬ 
gedrückt batte. 

Nun brauchen diese nachweisbaren mechanischen Einwir¬ 
kungen nicht einmal sehr erheblicher Art zu sein. Es ist neuer¬ 
dings festgestellt worden, dass Granatexplosionen, die in mehreren 
Metern Entfernung stattfinden, zu punktförmigen Blutungen und 
Erweichungen im Gehirn führen, die ausser geringfügigen Reflex- 
Störungen zunächst kaum irgendwelche objektiv nachweisbare 
Veränderungen bedingen. Schliessen sich später an derartige, 
ich möchte sagen mikrostrukturelle Veränderungen Störungen 
nervöser Natur an, so wird es nicht immer leicht sein, zu ent¬ 
scheiden, inwieweit wir es hier mit organischen, d. h. durch die 
Hirn- oder Rückenmarkverletzung bedingten Störungen oder aber 
mit funktionellen Erscheinungen zu tun haben. So sehen wir, 
dass von den grob mechanischen, auch äusserlich wahrnehmbaren 
Verletzungen des Nervensystems alle Uebergänge bis zu den kaum 
mehr sichtbaren Veränderungen des Zentralnervensystems hinüber¬ 
leiten. Wir lernen aber ferner daraus, dass die äusseren 
Zeichen mechaniscber Schädigungen für den Grad ihrer 
Wirkung auf das Zentralnervensystem durchaus nicht 
maassgebend sind. Völlig unberechtigt sind daher Schlüsse 
wie der folgende, dem wir so oft in Gutachten begegnen: 
„Das Fehlen äusserer Verletzungen lässt mit Sicherheit darauf 
schliessen, dass es sich nur um eine leichte Schädigung ge¬ 
handelt hat. Daher dürfen die vorliegenden Störungen als funk¬ 
tionell oder hysterisch betrachtet werden.“ Wir werden später 
sehen, dass ganz andere Gesichtspunkte für diese Entscheidung 
maassgebend sind. 

Neben den Ursachen der Erkrankung, deren Tragweite für 
die Unterscheidung organischer und funktioneller Störungen, wie 
ich eben gezeigt habe, nur beschränkt ist, sind für die Diagnose 
die Umstände von Wichtigkeit, welche den Eintritt der 
Erkrankung begleiten. Hören wir beispielsweise, dass bei 
einem Mann sich die Lähmung eines Armes im Schlaf eingestellt 
hat, so werden wir von vornherein annehmen können, dass es 
sich nicht um eine hysterische Störung handelt; dagegen treten 
vielfach schwere nervöse Störungen unmittelbar im Anschluss an 
heftige seelische Erregungen auf, an den Schreck, die Angst, die 
Spannung und andere Affekte. Hier liegt der Schluss sehr nahe, 
dass diese Störungen seelisch bedingt, also psychogen, funktionell 
oder hysterisch sind. Es wäre jedoch ein Fehler, diesen nahe¬ 
liegenden Schluss zu verallgemeinern. Wir haben es ja nicht 
nur mit ganz jungen, körperlich intakten Menschen mehr zu tun. 
Vielfach stehen Männer im Felde, die das vierzigste Lebensjahr 
weit überschritten haben, bei denen wir mit Recht an das Vor¬ 
liegen von Veränderungen am Gefässsystem zu denken haben 
werden. Bei solchen Individuen kann sehr wohl eine Blutung 
ins Gehirn als Folge hochgradiger Erregung oder heftiger körper¬ 
licher Anstrengung, wie beim Heben schwerer Gegenstände oder 
beim Laufen, auftreten. 

Durchaus nicht entscheidend sind Angaben und Feststellungen 
darüber, ob etwa das Auftreten der Lähmungen von Störungen 


Nr. 6, 

des Be wu sst sei ns begleitet wurde. Während einerseits kleinere 
Blutungen im Gehirn, wenn auch in seltenen Fällen, ohne Be¬ 
wusstseinsverlust entstehen können, hören wir andererseits bei 
zweifellos hysterischen Individuen von schweren Bewusstseins¬ 
störungen, die das Auftreten einer Lähmung begleiteten. 

Nicht nur die äusseren Umstände können für die Entscheidung 
unserer Frage von Wichtigkeit sein, auch die Stimmung und 
die körperliche Verfassung des Erkrankten kann für die 
Folgen einer äusseren Schädigung ausschlaggebend werden. Ich 
erinnere nur daran, dass es ein grosser Unterschied ist, ob der 
Schreck oder die Verletzung ein vollkräftiges, gut ernährtes Indi¬ 
viduum trifft, oder ob es sich um einen vielleicht tagelang kaum 
ernährten Menschen im Schützengraben handelt: in beiden Fällen 
wird die Widerstandsfähigkeit der Schädigung gegenüber durchaus 
verschieden sein. 

Vielfach wird versucht, aus der Eigenart der Störungen 
selbst einen Rückschluss auf ihr Wesen zu ziehen. Es war 
früher eine allgemein verbreitete Anschauung, dass die Hysterie 
sich durch einen raschen Wechsel der Erscheinungen 
auszeicbnet. Sie wurde mit Vorliebe als „Proteus unter den 
Nervenerkrankungen** geschildert. Ich habe seit vielen Jahren 
diese durchaus falsche Anschauungsweise bekämpft und darauf 
hingewiesen, dass neben flüchtigen, rasch vorübergehenden Störungen 
die schwere Hysterie Erscheinungen zeigt, die genau so hart¬ 
näckig sind, wie organisch bedingte Störungen. Es ist ferner zu 
berücksichtigen, dass im Bilde mancher organischen Erkrankungen 
des Nervensystems kurz dauernde Anfalls- oder Reizsymptome 
durchaus nicht selten sind. Ich nenne nur die rasch vorüber¬ 
gehenden Augenmuskelläbmungen bei der Tabes und entsprechende 
Störungen bei der multiplen Sklerose. Hieraus ergibt sich, dass 
auch die Dauer nervöser Störungen für die Entscheidung der 
Frage, ob organisch oder funktionell, durchaus nicht aus¬ 
schlaggebend ist. Ebensowenig aber ist es ihre Beeinfluss- 
barkeit durch irgendwelche therapeutischen Maass¬ 
nahmen. Wenn es uns gelingt, eine Lähmung durch Suggestion 
in irgendeiner Form, etwa mit dem faradischen Pinsel, zu heilen, 
so braucht es sich nicht um eine hysterische Lähmung gebandelt 
haben. Wir sehen nicht selten verblüffende Wirkungen der 
Suggestion auch bei organischen Nervenerkrankungen. 

So dürfen wir zusammenfassend sagen, dass weder 
die Ursachen einer Erkrankung, noch die ihr Auftreten 
begleitenden Umstände, noch auch ihre Dauer oder ihre 
Beeinflussbarkeit durch bestimmte Maassnahmen uns 
eine sichere Beantwortung der Frage, ob organisch oder 
funktionell, gestatten. 

Wenn die genannten Gesichtspunkte uns für die Entscheidung 
unserer Frage keine ausschlaggebenden Handhaben bieten können, 
müssen wir nach anderen Hilfsmitteln suchen, die uns glück¬ 
licherweise auch zur Verfügung stehen. Es ist die genaue Unter¬ 
suchung, die den gesamten Organismus berücksichtigen soll. 
Die heutige nervenärztliche Untersuchungetechnik kennt eine Reibe 
von Krankheitszeichen objektiver Art, die uns mit völliger Sicher¬ 
heit den Schluss gestatten, dass eine Störung organisch bedingt 
ist Dahin gehören vor allem Abweichungen auf dem Gebiete 
der Reflexe, der Sinnesorgane und der Körperempfindung. Ich 
will versuchen, Ihnen an der Hand der wichtigsten Symptomen- 
komplexe die Unterscheidung organischer und funktioneller 
Störungen mit Hilfe der modernen Diagnostik zu erläutern. Wir 
wenden uns zunächst den Lähmungen zu. 

Da es die Zeit nicht gestattet, auf jeden einzelnen Lähmungs- 
typus genauer einzugehen, beschränke ich mich darauf, Ihnen 
die Hauptkennzeichen einerseits der peripheren, andererseits 
der cerebralen Lähmungen gegenüber ihren hysterischen Ab¬ 
bildern zu schildern. 


Tabelle 1. 


Periphere Lähmungen 


hei Hysterie: 

Fast Btets Lähmung ganzer Glied- 
maassen oder einzelner, in der 
Vorstellung als Ganzes geltender 
Teile. 


bei peripheren Nerven¬ 
verletzungen: 

Lähmungen ganzer Glieder nur bei 
Verletzung von Nervengeflechten, 
sonst aber zusammengehöriger Mus¬ 
kel gruppen der verletzten Nerven. 


Sitz der Verletzung. 

Die Lähmung geht oft centripetal Die Lähmung geht fast stets vom 

über den Sitz der Verletzung Sitze der Verletzung nach der 

hinaus. Peripherie hin. 


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11. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


133 


Störungen der Körperempfindung. 

Herabsetzung bis Aufhebung in Meist Herabsetzung in den Aus¬ 

ganzen, in der Vorstellung zu- j breitungsgebieten einzelner Nerven, 
saramengehörigen Bezirken, oft parallel der Längsachse, nicht 

kreisförmig um das Glied abschnei- ] selten Parästhesien (Kribbeln) und 

dend (Mansch.- o. Gam.-Form). Schmerz. Bei Medianus- und Ti- 

bialisverletzungen besonders oft 
hartnäckige Schmerzen. 

Trophische Störungen. 

Geringe Atrophie der gelähmten Alle Grade der Atrophie, bei langer 

Gliedmaassen, die im ganzen ab- Dauer der Lähmung völliger Mus¬ 
gemagert sind. Bläuliche Ver- kelschwund; Wachstumsstörungen 

färbung, kühle, schwammige Be- an den Nägeln, starke Verände- 

schaffenheit. rungen an der Haut. 

Reflexe. 

Fast ausnahmslos regelrechtes Ver- Sehnenreflexe herabgesetzt oder feh¬ 
halten der Sehnenreflexe, Haut-R. lend. Hautreflexe erhalten, 

häufig, entsprechend den anästheti¬ 
schen Bezirken, herabgesetzt oder 
fehlend. 

Elektrische Erregbarkeit. 

Höchstens Herabsetzung der fara- Alle Grade und Formen der Ver¬ 
diseben Erregbarkeit. Mitunter änderungen von der regelrechten 

Ermüdungsreaktion (Mya R.) Zuckung bis zur völligen Aufhebung 

der Erregbarkeit oder Entartungs¬ 
reaktion (galv.-träge Zuckung). 

Tabelle 2. 

Halbseitenlähmung 

hysterisch: organisch: 

Sitz der Verletzung. 

Oft gleichseitig. | Meist gekreuzt. 

Typus derLähmung. 

Meist schlaff, bei Bewegungen I Anfänglich schlaff, später fast stets 
Schütteln, Zittern oder Spannungen. | dauernde Spannungen, Arm winklig 
Arm hängt schlaff herab, Bein wird gebeugt, Bein im Bogen herum- 

nachgeschleift. | geführt (Mähergang). 

Störungen der Körperempfindung. 

Gleich und halbseitig herabgesetzt, Oft halbseitig gekreuzt, nach der 

selten gesteigert. Tast-E. wenig, Peripherie zunehmend herabgesetzt. 

Schmerz-E. am meisten betroffen, Schmerz-E. wenig, Tast-E. mehr, 

Gesicht einbegriffen. Kälte-E. am meisten betroffen, Ge¬ 

sicht- und Schamgegend oft frei. 

Reflexe. 

a) Sehnen - R.: unverändert oder a) Sehnen-R.: fast stets gesteigert, 

mässig gesteigert; geringer Clonus; oft sehr starker Clonus; 

b) Haut-R.: Sohlenreflexe einseitig b) Haut-R.: Bauchreflexe gleich¬ 

herabgesetzt bis fehlend. Babinski: seitig herabgesetzt bis fehlend, 
fehlt. Russolimo: mitunter -+-. Babinski: -j-, Rossolimo: +. 

Hornhaut-R.: fehlen oft. 

Begleiterscheinungen. 

Zunge meist gerade, Stummheit Zunge weicht ab. Aphasie. Hemian- 

oder Stottern, konzentrische Ge- opsie. Einzelne Fähigkeiten be- 

sichtsfeldeinengung; allgemeinepsy- troffen. Gereizte, aber auch eu- 

chische Hemmung; klagsame Stirn- phorische Stimmung. Epileptische 

mung. Hysterische Anfälle. Anfälle. 

Zur Erläuterung der Tabelle 1 bedarf es nur weniger Worte. 
Die Lähmungen der peripheren Nerven sind stets schlaff. 
Spastische Zustände deuten auf eine Beimischung cerebraler oder 
spinaler Störungen, die durch hysterische Kontrakturen vorgetäuscht 
werden können. Sehr selten finden sich Pseudokontrakturen 
durch Schrumpfung nach Muskelverletzungen oder infolge von 
Gelenk Veränderungen nach unzweckmässigen, zu lange liegen ge¬ 
lassenen Verbänden. 

Die spastische oder echte Kontraktur löst sich nach 
Anlegung des Esmarch-Schlauches. Das Verhalten der 
hysterischen Kontraktur ist wechselnd. Die oft geäusserte An¬ 
schauung, die hysterische Kontraktur verstärke sich beim Ver¬ 
suche, sie gewaltsam zu lösen, trifft für viele Fälle nicht zu. 

Jahrelang bestehende hysterische Kontrakturen lösen sich 
selbst in der Narkose nicht, ebensowenig in jeder Hypnose. Auf 
eine sehr häufige Form der hysterischen Kontraktur möchte ich 
kurz hinweisen: Auf der nachstehenden Abbildung 1 sehen wir 
die drei letzten Finger in leichter Beugestellung; sie lassen sich 
passiv ohne jede Gewalt gerade strecken, dagegen ist eine aktive 
Streckung unmöglich. Die normale elektrische Erregbarkeit und 
die handschuhförmige Sensilibitätsstörung deuten auf die hysterische 


Natur der Lähmung hin. Sie ist entstanden durch psychogene 
Fixation einer infolge schwerer Muskel- und Sehnenverletzung 
entstandenen anfänglichen Schwäche der Streckmuskulatur. 
(Vgl. die Narben auf der Streckseite!) 

Abbildung 1. 



Zu Tabelle 2 sei folgendes bemerkt. Für die Unterscheidung 
organischer und funktioneller Halbseitenlähmung ist das Verhalten 
der Sehnenreflexe von grösster Bedeutung. Ein Babinski über¬ 
hebt uns jedes Zweifels. Aber wann ist dieses Zehenphänomen 
eindeutig vorhanden? Oft glückt es nur nach lange fortgesetzten 
Versuchen bei Anwendung der verschiedenartigsten Reize vorüber¬ 
gehend eine Dorsalflexion der grossen Zehe zu erhalten. Nur 
der erfahrene Beobachter wird ein solches Verhalten richtig ver¬ 
werten können. 

Weniger beweist der von Rossolimo beschriebene Reflex: 
Zehenbeugung mit oder ohne Spreizung beim Beklopfen ihrer 
Ballen. Tritt sie langsam und sehr ausgesprochen auf, so besteht 
kein Zweifel an einer Läsion der Pyramidenbahn. Ebenso be¬ 
weisend, aber nur selten in zweifelhaften Fällen vorkommend 
sind die von Mendel- Bechterew und Oppenheim beschriebenen 
Zeichen. 

Alle diese sog. spastischen Reflexe beziehen sich bekanntlich 
auf die unteren Extremitäten; leider fehlen uns ihre Analoga 
an den Armen. Ich habe mehrfach beim Beklopfen der Beuge¬ 
seite an den Endphalangen eine Beugung der Finger auftreten 
sehen, die in Fällen spastischer Lähmungen dem Rossolimo- 
Reflex zu entsprechen schien. Handclonus tritt wohl nur in 
Fällen auf, die an sich keine diagnostischen Zweifel mehr wach¬ 
rufen. Vielleicht könnte die multiple Sklerose hier eine Aus¬ 
nahme machen; ihre Erkennung und Unterscheidung von hysterischen 
Abbildern ist so schwierig, dass selbst eine kurze Besprechung 
den Umfang dieses Aufsatzes auf das Doppelte steigern würde. 
Ich verzichte darauf und betone nur eindringlich die Schwierigkeit 
und die Häufigkeit dieser diagnostischen Zwickmühle. 

Während das Verhalten der Sensibilität die Unterscheidung 
hysterischer von peripheren Nervenlähmungen fast regelmässig 
erleichtert, lässt uns dieses Unterscheidungsmittel den cerebralen 
Lähmungen gegenüber nicht selten im Stich. Hemianästhesien, 
sogar mit Einschluss des Gesichts und der Schleimhäute, kommen 
bei Erkrankungen und Verletzungen des Gehirns vor; noch 
häufiger erstreckt sich die Herabsetzung der Empfindung auf 
gamaschen- oder manschettenförmige Gliedabschnitte. Auf der 
Tafel (Abbildung 2) finden Sie einige Beispiele solcher Sensibilitäts¬ 
störungen nach Hirnverletzungen, deren Lokalisation auf dem 
Schema angedeutet ist. 

Von Bedeutung ist das gegensätzliche Verhalten der 
Schmerzempfindung: Bei Hysterie ist sie meist am stärksten 
betroffen oder aufgehoben, während sie bei organischer Läsion 
nur herabgesetzt zu sein pflegt oder aber vollkommen erhalten ist. 

Auf das Verhalten der Bauchdeckenreflexe möchte ich noch 
kurz hinweisen. Bei organischen Lähmungen fehlen sie auf der 
dem Herde gegenüber liegenden Seite in der grossen Mehrzahl der 
Fälle. Jedoch können sie zweifellos auch bei starker hysterischer 
Sensibilitätsstörung herabgesetzt sein. Doppelseitiges Fehlen 
der Bauchdeckenreflexe spricht stets für multiple 
Sklerose. 

Das Gegenstück der Lähmungen sind die Krämpfe; sie 
bereiten uns diagnostisch weit geringere Schwierigkeiten, solange 
es sich um örtliche Störungen und nicht etwa um Krampfanfälle 
allgemeiner Art mit Bewusstseinsverlust handelt. Schütteln, 
Zittern, Zucken und Schlagen einzelner Gliedmaassen, des Kopfes, 

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dass er polyvalent ist, d. h. antikörpererzeugende Anteile gegen 
alle in Betracht kommenden Rnhrerreger enthält. 

Den Kreis der Teilantigene über wohlbestimmte Bacillen der 
Psendo- und Dysenteriegiuppe bzw. deren Gift zn erweitern, er¬ 
scheint überflüssig, weil Bakterien anderer Art, die im Kriege 
vielfach ätiologisch für die Rohr in Anspruch genommen wurden, 
nicht in Frage kommen und die Infektion im wesentlichen an 
das Vorhandensein typischer Rubrbacillen geknüpft ist. 

Es lag nahe, um eine antigene Wirkung gegen die Infektion 
mit Ruhrbacillen zu erzeugen, ein wässriges Gemisch von Ruhr¬ 
bacillen prophylaktisch zu verwenden. Da aber nach früheren 
Erfahrungen Aufschwemmungen von Dysenteriebacillen sehr starke 
Lokal- und Allgemeinerscheinungen verursachen können, musste 
diesen Bacillenaufschwemmungen eine antitoxische Quote in Form 
von Dysenterieantitoxin zugefügt werden. Diesen einfachen Ueber- 
legungen verdankt die erste Abteilung der im folgenden besprochenen 
Impfstoffe ihr Entstehen. 

Am besten wird die stufenweise Entwickelung des Dysbacta- 
Impfstoffes an Hand der jetzt zu schildernden Modifikationen klar 
werden. 

A. Bacillär-antitoxischer Impfstoff. 

Mit den vorstehend geschilderten multipartialen Ruhrvaccinen 
wurden Gemische angesetzt, die in verschiedenen Mengenver¬ 
hältnissen Dysenterievaccine, Pseudodysenterievaccine und anti¬ 
toxisches Serum enthielten, z. B. 

Modifikation der Groppe I: Serummenge konstant, fallende 
Pseudodysenterievaccine, steigende Dysenterievaccine. Drei Mi¬ 
schungen a, b, c. 

Modifikation der Gruppe II: konstante Serummenge verringert, 
fallende Pseudodysenterievaccine, steigende Dysenterievaccine. 

Modifikation der Gruppe III: konstante Serummenge weiter 
verringert, fallende Pseudodysenterie vaccine, steigende Dysenterie¬ 
vaccine. 

Diese Gemische erwiesen sich, vorsichtig abgestuft und erprobt, 
als gut verträglich. 

Parallel der Divergenz zwischen Dysenterie vaccine und anti- 
toxischem Serum, die hier in den Angaben über den bacillär- 
antitoxischen Impfstoff zutage tritt, geht nun der Versuch, den 
bacillär-antigenen Anteil des Impfstoffes dadurch zu belasten, 
dass die Emulsion der Dysenteriebacillen dichter gewählt wird 
und die abgeschwemmten Bacillenrasen infolge höheren Alters 
gifthaltiger sind. Während die ersten Emulsionen etwa Oese 
im ccm enthielten, waren wir hier schon auf 8 / 4 — 4 /e Oese, d. h. 
die 3—3Ya fache Menge im ccm, gelangt. In immer neuen vor¬ 
sichtigen Impfreihen bei Prüfung auf Verträglichkeit und Er¬ 
zeugung von Immunkörpern zeigte es sieb, dass auch die Dysenterie¬ 
bacillen Quote mehr, als ursprünglich angenommen werden durfte, 
erhöht werden konnte. Diese Erhöhung der bacillären Quote ist 
aus nabeliegenden Gründen erwünscht. Nach neueren Unter¬ 
suchungen durch von Eisler ergibt sich 1 ), dass leicht assimilier¬ 
bare und resorbierbare Formen des Antigens wie Toxine schon 
nach einmaliger Injektion annähernd gleich starke Antikörper¬ 
produktion hervorrufen wie dieselbe Antigenmenge bei mehreren 
Injektionen, während bei Bakterienaufscbwemmungen durch mehr¬ 
malige -Injektionen und grössere Antigendosen mehr Antikörper¬ 
bildung erzeugt wird, als durch kleine und seltene Dosen. 

Von den vielen erprobten Modifikationen des bacillär-anti- 
toxisehen Impfstoffes sei hier eine Reihe ausführlicher angeführt 
(Tabelle 1). 

Tabelle 1. 



Antitoxisches 

Serum 

Pseudo¬ 

dysenterie- 

Vaccine 

Dysenterie- 

Vaccine 

lo 

8,0 

4.0 

3,0 

II c 

2,0 

5,0 

8,0 

III0 

1,0 

6,0 

3,0 


Zunächst mit schwacher Keimdichte, dann 2—3 mal so stark. 
Dosis: a) 0.5, 0,75, 1.0 in Abständen von je 5 Tagen 
n b) 0.6, 1,0, 1,5 „ „ nenn 

Impfstoffe lc, IIc, IIIc erzeugten in allen Fällen nur geringe 
Fiebererscheinungen bis 37,5*. Die Injektionsstelle an der Brust- 


1) ZbL f. Bakt., Bd. 79, H. 5. 


haut zeigte gewöhnlich leichte Schwellung und Rötung. In¬ 
filtration in der Umgebung äusserst gering. Leichte Beschwerden 
bei Armbewegungen der gespritzten Seite, mitunter wenig Kopf¬ 
schmerz und leichte Abmattung. 

Prüfung auf Agglutinine im Serum der Geimpften. (Ta¬ 
belle 2.) 

Tabelle 2. 


Bezeichnung 

des 

Impfstoffs 

Zahl der 
Blutserum- 
unter- 
suohuogen 

Davon 

positiv 

Titerhöhe der Reaktion: 

Ic 

7 

2 

Bac. Dys.: 1: 50 und 1:100 
„ Flexner: 1:100 
^ Y: 1:200] 

11 c 

9 

5 

Bac. Dys.: 2mal 1:50, 

2 „ 1: 100 
,, Flexner: 1:100 
ff Y:2mal 1:200, 

1 ff 1:400 

III c 

7 

3 

Bac. Dys.: 1:100 
f, Flexner: 2 mal 1:100, 

1 ff 1:200 

„ Y: 2mal 1:100, . 

1 ff 1:200 


Der Impfstoff wurde im ganzen bei 24 Personen gespritzt. 

Die Impfstoffe dieser Art wurden noch in einer Variante 
dahin abgewandelt, dass ihre anfängliche Form, die einen 
starken Ueberschuss von Serum (30 pCt), einen gleichbleibenden 
Pseudodysenterievaccineanteil von 50 pCt. und einen geringen 
Dysenterievaccineanteil von 10 pCt. enthielt, schliesslich so zu¬ 
sammengesetzt wurde, dass sie antitoxisches Serum nur noch in 
5 pCt., Pseudodysenterie-Vaccine in 50 pCt. und Dysenterie-Vaccine 
in 35 pCt. enthielt. Wir führen die Bestandteile der beiden 
Grenztypen auf 10 ccm berechnet an. (Tabelle 8.) 


Tabelle 8. 



Antitoxisohes 

Serum 

Pseudo- 

dysenterie- 

Vaocine 

Dysenterie- 

Vaocine 

Kochsalz¬ 

lösung 

I. 

3,0 

5,0 

1,0 

1,0 

VII. 

0,5 

5,0 

3,5 

1.0, 


Wir sehen hier die Verschiebung der Rollen zugunsten des 
bacillären Dysenterieanteils und zu ungunsten des Serums, die 
schliesslich zu einem bedeutsamen Ueberwiegen des bacillären 
Anteils in diesem Impfstoff führt. Der ursprünglich 3uproz. 
Serumanteil hätte bei der praktischen Verwendung im grossen 
Rahmen geradezu zu einer passiven, kurzdauernden Immunisierung 
der Impflinge durch das Serum führen müssen. Er erinnert an 
den in Japan benutzten Impfstoff, der aus gleichen Teilen Dys¬ 
enterie-Vaccine und Ruhrserum besteht. 

67 Personen wurden mit diesen Impfstoffen gespritzt. Die 
Verträglichkeit war, wie zu erwarten, gut. 

Durch Stabsarzt Prof. Oettinger wurde in einem grossen 
Teil der Fälle im Bakteriologischen Feldlaboratorium zu B. der 
Agglutinationstiter der Impflinge etwa 14—16 Tage nach der 
Impfung geprüft. Vorbemerkt sei noch, dass vom Untersucher 
als positiv nur Werte über 1: 60 notiert sind und in den niederen 
Verdünnungen grobflockige Agglutination verlangt wurde. Von 
9 Personen, die mit Impfstoff I—III (30 bzw 20 bzw. 10 pCt. Anti¬ 
toxingehalt) gespritzt waren, zeigte eine einzige positive Aggluti¬ 
nation (für Bac. dysenteriae). Von 20 mit Impfstoff IV (10 pCt. 
Antitoxin -f- 20 pCt. Dysenterie-Vaccine 50 pCt. Pseudovaccine) 
Gespritzten hatteo positiven Vidal 6 und zwar: 2mal für Kruse-, 
Y- und Flexnerbacillen; 3mal für Krusebacillen und 1 Pseudo¬ 
stamm; einmal für Krusebacillen allein. 

Endlich 32 Sera von Leuten, die mit Nr. V—VII geimpft 
waren (30—35 pCt. Dysenterie-Vaccine und von 10 auf 5 pCt. 
fallender Antitoxingebalt). 

Positiv zeigten sich 13: 5 mal alle 3 Stämme, 2 mal Dys. und 
1 p8eudostamra, 2mal Dys. allein, 4mal Pseudostämme allein. 

Im Zusammenhang mit den späteren Ausführungen sehen wir, 
dass die Erfolge dieser Impfstoffe verhältnismässig gering sind, 

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Nr. 6. 


die Reaktionen durch Verwendung anderer Antigene erheblich 
verschärft und auf die Immunkörper, die uns bei der Bekämpfung 
der schweren Ruhrform neben der der leichteren von Nutzen zu 
sein scheinen, wesentlich zugespitzt werden können. 

B. Toxisch - antitoxischer Impfstoff mit Pseudo¬ 
dysenteriequote. 

Der Wunsch, durch die Ruhrschutzimpfung bei den Geimpften 
eine Antitoxinbildung anzuregen, führte auf der nächsten Stufe 
zum Versuch mit Toxin-Antitoxinimpfstoff. Es zeigte sich, dass 
die Toxin-Antitoxingemenge mit Leichtigkeit eine Belastung mit 
Pseudodysenteriebacillen ertrugen. Die durch Schelenz in praxi 
ausgeführten Prüfungen erfolgten anfänglich mit Gemischen, die 
sich im Tierversuch als mit Gegengift stark überneutralisierte 
Gift-Gegengiftgemische erwiesen hatten. Schliesslich gelangten 
wir zu Gemengen, die Toxin-Antitoxin in vielleicht eben neutralem, 
sogar unterneutralem Verhältnis enthielten. 

Die Injektionsdosis betrug beim Toxin-Antitoxingemisch 
regelmässig 1,0 ccm, beim Toxin-Antitoxingemisch. -|~ Pseudo¬ 
vaccine 2,0 ccm. Die erforderlichen Auffüllungen geschahen mit 
sterilem destillierten Wasser. Begonnen wurde, wie oben be¬ 
merkt, mit stark überneutralem Gemisch: 0,9 A -f- 0,01 T in 
1 ccm; die eben noch ohne Nekrose vertragene Dosis betrug: 
0,01 A -j- 0.2 T in 1 ccm Injektionsmenge. Bei Einverleibung 
der mit Pseudovaccine im gleichen Mengenverhältnis (1,0—1,0 ccm) 
versetzten Toxin-Antitoxingemische zeigte sich zunächst regel¬ 
mässig die örtliche Reaktion stärker ausgeprägt. Erheblichere 
Allgemeinerscheinungen (Auftreten von Durchfall einige Stunden 
post injectiomen) Hessen als Grenzinjektionsdosis gelten: 
0,04 A + 0,2 T -{- 1,0 Pseudovaccine in 2 ccm Gesamtvolumen. 

Hierbei ergab sich die beachtenswerte und wichtige Tatsache, 
dass der Glattwert beim Menschen beim Toxin höher liegt als 
beim kleinen Versuchstier, d. h. also weniger Antitoxin zur Ver¬ 
träglichkeit der toxischen Gemenge benötigt wird als beim Tier. 
Auch wurden stark unterneutrale Gemische über Erwarten gut 
vertragen, wie sich durch unsere Versuche, die sich in feinen 
Abstufungen bewegten, erweisen liess. Diese Beobachtung kam 
besonders der endgültigen Form der Impfstoffe zu gute, deren 
stufenweise Entwickelung unter G beschrieben werden soll. 

Aus den Gifteinstellungsversuchen beim Menschen ergibt sieb, 
dass das Verhältnis Toxin Antitoxin von der Stärke der ver¬ 
schiedenen Präparate bestimmt wird, also nicht konstant ist und 
jeweils, bei neu vorliegenden Giften und antitoxischen Seris neu 
eingestellt werden muss. 

Als Beispiel für die Impfstoffe unter B führen wir eine 
Modifikation IV an, einen toxisch-antitoxischen Impfstoff mit Toxin 
im Üeberschuss und Paeudodysenteriequote. Mit diesem Impfstoff 
wurden acht Personen geimpft, und zwar in den Gaben 
0,5—0,76—1,6 bzw. 1.0—1,5—2,6 am ersten, fünften und zehnten 
Tage. In einem Kubikcentimeter sind enthalten 0,8 Toxin -j- 
0,1 Antitoxin -|- 0,6 Pseudodysenterievaccine. Die Erscheinungen 
bei den Geimpften verlaufen nicht anders als bei den unter A 
geschildeiten Impflingen. Agglutininbildung danach bei der 
Hälfte gegen Pseudodysenterie 1:100—1: &00, gegen Dysenterie 
zwei. 

C. Ruhrbacillen (Dysenterie- und Pseudodysenterie¬ 
bacillen) Dysenterietoxin -{- Dysenterieantitoxin 

(Dys. bac. TA = Dysbacta). 

Bevor wir auf die Schilderung dieses Impfstoffes, seiner 
Wirkungen usw. eingehen, erinnern wir kurz an die Vorstufen. 

A. Dysenteriebacillenvaccine + Pseudodysenterievaccine -f- 
Dysenterieserum (Bacillär-antitoxischer Impfstoff). 

Varianten im Sinne einer Steigerung des Dysenteriebacillen- 
anteils, Verminderung des Dysenterieserums. 

Ergebnisse: Steigerung der Agglutinine im Serum der 
Geimpften bei höherem Bacillenanteil, verringertem Serumanteil, 
Verträglichkeit der Gemische. 

B. Toxin -f- Antitoxin in überneutralen, neutralen und unter¬ 
neutralen Gemischen ohne bzw. mit Pseudodysenteriequote (toxisch¬ 
antitoxischer Impfstoff + Pseudodysenteriequote). 

Ergebnisse: Feststellung des Glattwertes beim Menschen. 
Verträglichkeit. 

Die natürliche Weiterentwickelung des Impfstoffes führte, 
unter Vereinigung beider Prinzipien A—B zum Impfstoff Typ C: 
Dysbacta (bacillär toxisch-antitoxiscber Impfstoff). 

Auch hier begannen die Versüche mit dünnen, kurze Zeit 
(6 Stunden) gewachsenen Dysenteriebacillenaufschwemmungen, z. B. 


1. Modifikation. In 1 ccm 0,76 Pseudodysenterie¬ 
vaccine -f- 0,1 Dysenteriebacillen¬ 
vaccine -f- 0,1 Toxin -j- 0,04 
Antitoxin 

2. Modifikation, ebenso, nur 12—16 ständige 

Dysenteriebacillen, also mehr 
und giftigere 

8. Modifikation, ebenso, in doppelter Konzen¬ 
tration 

0,66 Pseudodysenterievaccine — 
0.2 Dysenterievaccine — 0,1 
Toxin — 0,04 Antitoxin 
In 1 ccm 0,5 Pseusodysenterie- 
vaccine -j- 0,85 Dysenterie¬ 
vaccine -f- 0,1 Toxin -f- 0,06 
Antitoxin 


Dysbacta 
20 pCt., d. h. 
Dysenterie 
bacillen -f- 
Toxin machen 
20pCt. des 
Impfstoffes 
aus. 


80 pCt. 
Dysbacta 45 pCt., d. h. 
Dys.-Bac. -f- Toxin 
machen 45 pCt. des 
Impfstoffes aus. 


Die Keimdichte wurde schliesslich auf das Dreifache in 
einem Kubikcentimeter gesteigert. Das bis dahin unterneutrale 
Giftserumgemisch wurde nun, um die toxische Wirkung durch die 
starke Belastung mit toxischen Dysenteriebacillen' nicht übermässig 
zu steigern, auf ein knapp neutrales Gift-Gegengiftverhältnis ge¬ 
bracht und dieser knapp balancierten Mischung, wie Boehncke 
sagt, eine Giftspitze aus toxischen Dysenteriebacillen aufgesetzt. 

Das Prinzip der endgültigen Zusammensetzung des Ruhrimpf¬ 
stoffes Dysbacta ist hiermit klargelegt. Er entspricht, als selbst¬ 
verständliche Grundlage die Verträglichkeit vorausgesetzt, allen 
Anforderungen, die wir theoretisch an einen Ruhrimpfstoff stellen 
konnten, denn er ist 

1. polyvalent, d. h. die in Frage kommenden Ruhrbacillentypen 
(Dysenterie- und Pseudodysenteriebacillen) sind in ihm reich¬ 
lich enthalten. Von diesem Bestandteil sind baktericide, 
bakteriotrope, bakteriolytiscbe und auch antitoxische Immun¬ 
körper zu erwarten. 

2. Die Bacillenanteile sind multipartial, d. h. aus vielen, ihrer 
geographischen Herkunft verschiedenen Stämmen mit vielleicht 
verschiedenen partialantigener Wirkung zusammengesetzt. 

3. Er enthält Toxin in knappem Dnterplus zur Anregung anti¬ 
toxischer Immunität. 

4. Antitoxin in knapp deckendem Maasse zur Vermeidung über¬ 
mässiger toxischer Wirkungen. 

Mit diesen Gemischen sind bisher etwa 100000 Menschen 1 ) 
in etwa 250000 Einzelimpfungen gespritzt. 

Die Injektionen der Impfstoffe Dysbacta 20—45 pCt. in der 
einfachen Keimdichte erfolgten anfänglich in den Dosen 
1. Tag 6. Tag 10 Tag 

0,26 0,5 1,0 

dann 0,5 1,0 2,0 

1,0 2,0 3,0 


Dm die Zahl der Injektionen und auch die einverleibte 
Flüssigkeitsmenge zu verringern, erfolgte die Verdichtung der 
baci!Liren Quote des Impfstoffes auf das Dreifache. Es wurden 
mit diesem konzentrierten Impfstoff die Dosen 0,5, 1,0, 2,0 mit 
fünftägigem Abstand und 1,0 und 2,0 mit Zwischenraum von 
5 Tagen gespritzt. 

Jetziger Modus: Entweder 1,0 und 2,0 in 6tägigem Intervall 
oder 0,5—1,0, 1,6 5tägig, je nach den Verhältnissen. Die jeder 
Flasche seitens des Herstellers (Serumwerk Ruete-Enoch in Ham¬ 
burg) beigegebene Gebrauchsanweisung lautet: „Injektionsdosis: 
1. Tag 0,5 ccm — 6. Tag 1,0 ccm — 10. Tag 1,5 ccm. — Falls 
besondere Beschleunigung in der Durchführung dringend geboten 
erscheint, kann die Impfung auch zweizeitig geschehen und zwar: 
1. Tag 1,0 ccm — 6. Tag 2,0 ccm. Kinder unter 14 Jahren 
erhalten die Hälfte der vorangegebenen Dosen; Kinder unter 
4 Jahren sind nicht zu spritzen. Der Impfstoff ist kühl aufzu¬ 
bewahren und vor Gebrauch stark zu schütteln. u 

Um den Bericht nicht allzusehr in die Länge zu ziehen, 
wollen wir über die Ergebnisse der Impfungen im Zusammen¬ 
hänge berichten. 

Die Verträglichkeit blieb annähernd die gleiche, wie an¬ 
fänglich berichtet. Leichte lokale Rötungen und Schwellungen 
waren die Regel; es war den Geimpften oft nicht gerade an¬ 
genehm, mit dem Arm der geimpften Seite hantieren zu müssen, 
ähnlich wie bei der Typhusimpfung. In ganz wenigen Fällen 
sah man mässige Schwellung und Rötung in der weiteren Um- 


1) Anm. b. d. Korrektur: Die Zahl hat sioh inzwischen wieder um 
mehrere Tausend erhöht. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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gebung der Impfquaddel, ebenso bei stark empfindlichen Per¬ 
sonen Serumexanthem bei der Wiederholungsimpfung. Mitunter 
wurde über leichte Kopfschmerzen geklagt. Als beweisend für 
die Erträglichkeit möchten wir anseben, dass von Tausenden von 
Geimpften kaum jemand in der Arbeit aussetzen musste. 

Voraussetzung ist natürlich, ebenso wie bei der Typhus- und 
Choleraschutzimpfung ^uch hier eine kunstgerechte Injektions- 
technik. Vereinzelte übermässige Reaktionen Hessen sich, soweit 
feststellbar, unschwer auf fehlerhafte Einverleibung des Impf¬ 
stoffes, nicht aber dessen Zusammensetzung zurückführen. Dazu 
gehört namentlich die leider immer wieder noch beobachtete 
senkrechte tiefe Injektion in die Brustbaut, wobei Verletzungen 
der Muskelfascie und des Brustmuskels erfolgen, Einspritzungen 
in die Mamma unter Läsion der Brustdrüse, Impfungen bei weib¬ 
lichen Personen während der Menstruation usw. Temperatur¬ 
erhöhungen über 87° sind gemeinhin in 25—30 pCt., über 38° 
in 2—7 pCt. der Impfungen beobachtet. Genaue tabellarische 
Uebereichten darüber finden sich in Boehncke’s Publikation: 
„Ruhrschutzimpfung im Kriege 11 in Nr. 41 der M. Kl., 1917. 

Mehrfach worden die Sera der mit Dysbacta Geimpften auf 
Agglutinationsfähigkeit geprüft. Bei 42 im Bakteriologischen 
Feldlaboratorium zu K. geprüften Serie von Personen, die mit 
20proz. Dysbacta einfacher Konzentration gespritzt waren, zeigte 
sich, 14 Tage nach der letzten Impfung, der Agglutinationstiter: 

a) Gegen Dysenteriebacillen: 
bei 10 Personen negativ 

„ 16 „ positiv in 1:50 

„ 9 „ „ „ 1 '• 100 

„ 8 „ „ „ 1:200 

b) Gegen Pseudodysenteriebacillen: 
bei 24 Personen unter 1: 100 

„ 5 „ positiv in 1: 100 

„11 „ „ „ 1:200 

„ 2 „ „ „ 1 :400 

Die Agglutination wurde makroskopisch beurteilt und nur 
deutliche Flockenbildung in Rechnung gezogen. Wiederholt wurde 
gegen mehrere Stämme ausgewertet. 

Im Feldlaboratorium zu M. fanden sich nach der Impfung 
von 114 Personen mit dem gleichen 20proz. Dysbactaimpfstoff 
bei 12 Untersuchten folgende Agglutinationswerte gegen Dys¬ 
enteriebacillen : 

1 mal negativ 

2 „ positiv in 1 :50 

3 „ „ „ 1:100 

4 , „ „1:200 

2 „ „ „ 1:400 

Bemerkenswert erscheinen die Unterschiede, die sich bei der 
Prüfung des Serums Geimpfter vor dem in der Regel inne¬ 
gehaltenen 14tägigen Abstand nach der letzten Impfung im Feld¬ 
laboratorium zu M. ergaben: 

Am 10. Tage ein Serum positiv 1:100, am 15. Tage 1:200, 

„ 10. „ „ „ „ 1:200, „ 16. „ 1:400, 

„ 10. „ „ „ negativ „ 15. „ 1:400. 

Agglutinationsergebnisse bei Seris von Personen, die mit 
30proz. Dysbacta geimpft waren, liegen bisher nicht vor. 

Nach 3 maliger Impfung mit 45proz. Dysbacta einfacher 
Konzentration zeigte sich bei 11 untersuchten Personen 14 Tage 
nach der letzten Impfung der Vidal positiv bei 8, davon 6 mal 
mit Werten über 1:100 bis 1: 400. 

Nach 3 maliger Impfung mit 45proz. Dysbacta dreifacher 
(endgültiger) Keimdichte wurde bei 78 Personen der Agglu¬ 
tinationstiter geprüft. Er zeigte sich positiv 63 mal = 80 pCt.; 
in etwa 26 pCt. dabei Hessen sich Werte über 1:200 bis 1:400 
feststellen, ln der überwiegenden Mehrzahl wurden Dysenterie- 
und Paeudodysenteriebacillen, spärlicher (6 mal) Dysenterie¬ 
bacillen allein und nur vereinzelt (3 mal) Pseudodysenteriebacillen 
allein agglutiniert. 

Mit Ausnahme von 18 Personen war bei sämtlichen vor¬ 
stehend geschilderten Untersuchungen die Agglutinationsprüfung 
auch vor der Schutzimpfung angestellt. Bei 3 vor der Impfung 
mit Agglutinationswerten von 1 :50 positiven Seris zeigte sieh 
nach der Impfung in einem Fall Gleichbleiben des Titers, in 
den beiden anderen Fällen Anstieg des Agglutinationstiters von 
1 : 50 auf 1:100 bzw. 200. 

Kurz erwähnt sei noch ein — wegen der geringen Anzahl 
der untersuchten Fälle zunächst nur vorläufiges — Ergebnis von 


Oberarzt Panofsky im Bakteriologischen Feldlaboratorium zu J., 
der bei 4 mal je 5 Personen den Einfluss der Impfintervalle auf 
die Höbe des Agglutinationstiters im Serum der Geimpften 
prüfte: Während bei kurzen Intervallen (1., 4., 7. Tag bzw. 1., 
6., 10. Tag) bei 2 mal 5 untersuchten Seris der Titer nur 4 mal 
die Verdünnung 1:50 überstieg, war bei längeren Zwischen¬ 
räumen (1., 7., 14. Tag bzw. 1., 10 , 20. Tag) bei ebenfalls 
2 mal 5 Untersuchungen das Agglutinationsergebnis 7 mal positiv 
für Serumverdünnungen über 1: 50. Die Zahl der Untersuchungen 
ist, wie schon gesagt, zu klein, um bindende Schlüsse zu ge¬ 
statten, auch sind ja die Agglutinine gewiss nicht als direkte 
Schutzstoffe zu betrachten, aber die Ergebnisse erscheinen doch 
wichtig genug, um eine Nachprüfung auf breiterer Grundlage 
anzuregen, um für die Zukunft die geeignetsten Intervalle zwischen 
den Einzelimpfungen festzulegen. 

Untersuchungen über die Dauer des Impfvidals sind im Gange 
und werden später bekannt gegeben. 

Nach vorstehenden Ergebnissen gelingt es also zweifellos, 
durch Injektion des Boehncke’schen Dysbactaimpfstoffes, eine 
Agglutininbildung besonders gegen Dysenteriebacillen (Shiga- 
Kruse), die wir vorzugsweise berücksichtigen, hervorzurufen. Wenn 
wir auch aus dem Vorhandensein von Agglutininen keine binden¬ 
den Schlüsse auf die gleichzeitige Bildung andersartiger prak¬ 
tisch wirksamer Schutzkörper ziehen dürfen, so ist doch die 
Agglutininbildung ein sicheres Zeichen dafür, dass die Impf* 
gemiscbe resorbiert werden. Die Aufnahme der toxinhaltigen 
Gemische und Zerlegung der Bakteriensubstanz, die diesem Pro¬ 
zess vorausgehen muss, wird doch aller Wahrscheinlichkeit nach 
auch zur Bildung baktericider, bakteriotroper und antitoxischer 
Immunkörper führen. Dieser Schluss muss aus der Parallele 
bei der Tierimmnnisierung gezogen werden. Allerdings erlaubt 
das Auftreten von Agglutininen keine Rückschlüsse auf die Höhe 
der Bildung sonstiger Immunkörper, wobei zu erwägen ist, dass 
die durch die Impfung erzeugte Agglutininbildung sich nahezu 
in denselben Grenzen bewegt, wie wir sie im Verlaufe einer Ruhr¬ 
erkrankung beobachten. Die nach Typhus- und Choleraschutz¬ 
impfung beobachtete Agglutininbildung bleibt dagegen erheblich 
hinter den im Verlaufe der Erkrankung erreichten Werten zurück. 

Wichtig und interessant erscheint es, am Spiegel der Agglu¬ 
tininbildung, die Ueberlegenheit der Dysbactaimpfstoffe, besonders 
der endgültigen konzentrierten Zusammensetzung, gegenüber den 
bacillär antitoxischen und den toxisch-antitoxischen mit Pseudo¬ 
dysenteriequote zu beobachten. Lassen sie uns auch nur die 
Wirkungen der Vermehrung eines Partialantigens (agglutinogener 
Substanzen) erkennen, so dürfen wir doch aus dieser Wirkung 
und bei ihrer knapp neutralen Toxin-Antitoxinmischung mit voller 
Berechtigung ~ auf die gleichzeitige Entstehung anderer Immun¬ 
körper und damit die Bildung einer praktisch wirksamen kom¬ 
plexen Schutzwirkung gegenüber dem Ruhrinfekt hoffen. 

Untersuchungen über den erzielten Impfschutz im Tierversuch, 
Prüfungen der erzeugten sonstigen Immunkörper Hegen zum Teil 
schon vor, bedürfen aber noch der Erweiterung und sollen später¬ 
hin veröffentlicht werden (H). 

Bei aller gebotenen Zurückhaltung darf erwartet werden, 
dass der hier geschilderte Ruhrimpfstoff dazu beitragen wird, 
den Kampf gegen die Ruhr erfolgreicher zu gestalten. Berichte, 
die bisher über Erkrankungsziffern und Verlauf der Erkrankung 
bei Geimpften vorliegen, klingen jedenfalls ermutigend. 


Offene Wundbehandlung im Felde. 

Von 

Oberarzt d. Res. Dr. Urtel bei einem Feldlazarett. 

Während am Anfang des Krieges auf Grund der Erfahrungen 
im russisch japanischen Kriege sowie im letzten Balkankriege der 
Grundsatz, „alle Schussverletzungen möglichst wenig anzurühren“ 
fast allgemein Geltung hatte, ist man notgedrungen, entsprechend 
den Erfahrungen im jetzigen Kriege, immer radikaler geworden. 
Jedenfalls gilt dies für Artillerie-, Minen- und Handgranaten¬ 
verletzungen. Nur bei den glatten Infanterieschüssen ist man 
konservativ geblieben, während auch bei Infanterienabschüssen 
oder Querschlägern eine Behandlung entsprechend der der Artillerie- 
Verletzungen Platz gegriffen bat. 

Demgemäss werden heute wohl allgemein die^Wunden weit 
im Gesunden Umschnitten, ausgedehnt gespalten, alle Taschen 
freigelegt, Erde und Kleiderfetzen nach Möglichkeit entfernt. Um 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


die Resultate noch weiterhin zu verbessern, wurden mit Wasser¬ 
stoffsuperoxyd oder mit Dakin’scher Lösung durchtränkte Tampons 
eingelegt. Alle diese Verfahren haben den Nachteil, dass die 
Verbände bald durchtränkt sind und, um der Zersetzung vor¬ 
zubeugen, oft erneuert werden müssen, wodurch der Verbandstoff¬ 
verbrauch ein sehr grosser wurde, ein Moment, das unter den 
augenblicklichen Verhältnissen von grösster Wichtigkeit ist. 

Wenn ich nicht irre, hat Schede zuerst bei Kriegsverletzungen 
die offene Wundbehandlung angewandt. Andere sind seinem 
Beispiel gefolgt, teils mit gutem, teils mit weniger gutem Resultate. 
Ich nenne hier Gross 1 )* der ein reseciertes Kniegelenk offen mit 
gutem Erfolge behandelte. Hierselbst wird auch Lenne erwähnt, 
der einen Fall von Dum-Dum-Verletzung offen mit permanenter 
Berieselung behandelte. 

Wenn auch diese Behandlungsweise sich ohne Schwierig¬ 
keiten in Heimats- oder Kriegslazaretten durchführen liess, so 
war es doch zweifelhaft, ob die offene Wundbehandlung in Feld¬ 
lazaretten angewandt werden konnte. 

Da das Feldlazarett zu jeder Zeit mit einem grösseren An¬ 
drang rechnen muss, so bleibt immer nur ein geringer Teil der 
Verwundeten im Feldlazarett, während der grösste Teil nur mit 
Transportverbänden versehen und dann nach rückwärts abgeschoben 
wird. 

Zu den ersteren geboren alle Kopf-, Lungen- und Bauch¬ 
schüsse, die immer längere Zeit verbleiben, dann stark aus¬ 
geblutete Verwundete, deren Zustand einen längeren Transport 
nicht zulässt, sowie ausgedehnte Weichteilverletzungen an den 
Extremitäten, bei denen die Möglichkeit besteht, letztere zu er¬ 
halten, sowie solche Verwundete, bei denen mit dem Ausbruch 
einer Phlegmone oder eines Gasbrandes zu rechnen ist. Diese 
Angaben gelten natürlich nur für die Karapfperiode, während in 
ruhigen Zeiten ein weit grösserer Prozentsatz des Zuganges an 
Verwundeten im Feldlazarett bleibt. 

Die Räumlichkeiten, die im Westen einem Feldlazarett zu¬ 
gewiesen sind, sind in der Regel gut geeignete, enthalten teil¬ 
weise vorzüglich ausgebaute Krankensäle mit guten Operations¬ 
räumen. Aus diesem Grunde werden kaum Schwierigkeiten 
zur Einleitung der offenen Wundbehandlung entstehen. Viel 
wichtiger ist es, mit der in Frankreich in vielen Dörfern üb¬ 
lichen Fliegenplage zu rechnen. Doch lässt sich auch dieses 
Hindernis überwinden, wenn man sich kleiner Hilfsmittel bedient. 
Vorausschicken möchte ich noch, dass für ein Feldlazarett wohl 
kaum die Behandlung der Wunden mit Sonnenlicht in Frage 
kommt. Dazu reichen die Räumlichkeiten und das Personal nicht 
aus, auch verhindert der häufige Wechsel den Bau von Liege¬ 
hallen. Dieselbe wäre nur in ruhigen Zeiten bei geringem An¬ 
drang möglich. Es ist hier daher nur die Rede von der Be¬ 
handlung der Wunden dadurch, dass wir sie dem Licht aus¬ 
setzen und Luftzutritt gestatten. 

Ich habe mir mit Hilfe von Drahtbügeln, Fliegengaze und 
Holzleisten eine Anzahl Schutzhülsen verschiedener Grösse unten¬ 
stehender Abbildung 1 entsprechend angefertigt. 


Abbildung 1. 



^chutzhülse aus Fliegeugaze, Füsse aus Holzleistohen, Stützen aus Draht. 

Verschlossen sind dieselben an beiden Seiten durch ein Tuch» 
das in der Mitte eingeschnitten ist und das länger als die Höbe 
des balbzylindrischen Schutzbügels ist. Das Gewicht dieser Bügel 
ist gering und macht ihrer Mitführung in grösserer Anzahl keine 
Schwierigkeit. Sie werden über die Wunde gelegt, und durch 
die Faltung der Tücher wird ein hinreichender Schutz gegen die 
Fliegen gewährleistet. Bei manchen Verletzungen, z. B. bei solchen 
des Beckens, des Gesässes, des Bauches und der Brust, kann 
man sich mit Leichtigkeit durch zwei kreuzartig angeordnete 


1) Reichs-Medizinal-Anzeiger, 40. Jahrgang, Nr. 13. 


Cramer-Schienen helfen, die miteinander durch Draht von Resten 
von Cramer-Scbienen verbunden werden, und über die man eine 
dünne Zellstoffschicht hinüberlegt. Auch grosse Bügel, ent¬ 
sprechend der Form der Reifenbahre, kann man mit Hilfe von 
Cramer Schienen hersteilen. 

Nachdem diese Vorbedingung erfüllt war, bin ich an die 
offene Wundbehandlung herangegangen. Es sind Wunden aller 
Art offen behandelt worden: Weichteilverletzungen ausgedehn¬ 
tester Art an Brust, Bauch und Extremitäten, Schussbrüche, 
Beckenweichteilwunden, sowie Steckschüsse jeglicher Art. 

Es wurde derart verfahren, dass die Wunden ausgedehnt 
Umschnitten wurden, die Wunde selbst gespalten, Kleiderfetzen, 
stark zerrissene Muskelteile, Erde und, wenn irgend möglich, der 
Splitter entfernt. Fast immer wurde eine Gegenincision am 
tiefsten Punkt angelegt, um jede Verhaltung hintanzuhalten. 
Ich halte diesen letzten Punkt für besonders wichtig, nachdem 
man so oft Gelegenheit hatte, bei Verletzungen des Oberschenkels 
und der Wade, vor allem bei muskelkräftigen Leuten, zu sehen, 
in wie weitem Maasse die Muskulatur zerfetzt und unterwühlt 
ist und wie das Blut nach beiden Seiten die Muskelinterstitien 
anfüllt, obgleich der Einschuss ein winziger war. Einen Rück¬ 
schluss aus der Grösse des Einschusses auf die Schwere der Ver¬ 
wundung zu machen, ist fehlerhaft und führt sehr häufig zu 
üblen Folgen. Ein günstigerer Nährboden für die bei der Ver¬ 
wundung mit hineingelangenden anaeroben Keime als die von der 
Luft abgeschlossenen, mit Blut und Gewebsfetzen angefüllte Höhle 
lässt sich gar nicht ausdenken. 

Nach sorgfältigster Blutstillung wird ein Drain durcbgeführt 
und die Wunde durch Jodoform- oder Mulltamponade ausgiebig 
ausgefüllt. Je nach dem Körperteil wird eine Schienung vor¬ 
genommen. Die Wunde selbst bleibt unbedeckt. Unter dieselbe 
legt man ein Stück wasserdichten Stoffes mit einer Zellstoffschicht, 
der ein Stück Mull aufliegt. Je nach der Stärke der Sekretion 
wird der Zellstoff ein oder mehrere Male am Tage erneuert. Zum 
Schutz gegen Fliegen werden die oben beschriebenen Hülsen 
darübergesetzt. 

Die Sekretion ist je nach der Art der Wunden verschieden 
stark. Während bei den flächenartigen Wunden die Sekretion 
weit stärker ist, ist sie bei den mit Tamponade und Drain be¬ 
handelten Wunden verhältnismässig sehr spärlich. Erstere sind 
bald mit schmierigem Eiter, der über die Ränder der Wunde 
fiiesst, sowie mit schwarz verfärbten Borken bedeckt. Doch wird 
die Sekretion bald serös, und unter den Krusten findet man nach 
einiger Zeit kleine, rosarote Fleischwärzchen. 

Die mit Tampons und Drain versehenen Wunden zeigen 
dagegen eine viel geringere Sekretion. Allmählich werden die 
Tampons gekürzt und das Drainrohr entfernt, undfman sieht am 
Grunde die blass rosaroten'Granulationen mit [geringer, trüb- 
seröser Sekretion. 

In letzter Zeit habe ich auch begonnen, Amputationsstümpfe 
offen zu behandeln, indem ich zugleich mit Hilfe von Cramer- 
Schienen und Trikotschläuchen extendierte, um die Schrumpfung 
des Hantlappens zu verhüten. Der Nachteil bei der Anwendung 
von Trikotschläuchen besteht darin, dass dieselben bald ver¬ 
unreinigt sind und man gezwungen ist, dieselben häufig zu er¬ 
neuern. Man kann sich aber helfen, indem man, wie Professor 
Dr. Tietze uns seiner Zeit riet, kleine Haken anfertigte, die mit 
Heftpflaster oder Mastisolbinden auf der Haut befestigt werden. 
Diese dienen zum Anbringen der Zugvorrichtung. Hat man da¬ 
gegen mehrere Situationsnähte gelegt, so fallen alle Schwierig¬ 
keiten fort. Doch möchte ich bemerken, dass ich mehrmals in 
diesem Falle bei der offenen Wundbehandlung Randnekrosen 
beobachtet habe, die wohl auf eine zu starke Austrocknung 
zurückzuführen sind. Gespült wird bei der offenen Wundbehand¬ 
lung nicht; auch die Schorfe werden nicht entfernt. Nur die 
Umgebung der Wunde wird jeden Morgen gereinigt, zeitweise 
jodiert. Erwähnenswert ist noch, dass bei Wunden mit lang an¬ 
dauernder Sekretion und schlaffen Granulationen Zuckerbehand¬ 
lung die Sekretion bald serös gestaltet, die Wunden reinigt und 
lebhaft granulationsbefördernd wirkt. Die offene Wundbehand¬ 
lung kann noch mit der Behandlung mit Dakin’scher Lösung 
ohne Schwierigkeiten kombiniert werden. Von den behandelten 
Fällen lasse ich von zwei die Krankengeschichte auszugsweise 
folgen: 

1. Ldstrm. Me., 37 Jahre alt, wurde durch Schrapnellschuss am 
12. -V. 1917 verletzt. Bei der Aufnahme wurde folgender Befund 
erhoben: 

Oberflächliche Verletzung im Gesicht und an der Stirn. Auf der 


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11. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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linken Nasenseite Schusskanal, der naoh dem Oberkiefer gegen die 
Mundhöhle führt, Kiefer nicht verletzt. 

Rechter Unterarm: Bohnengrosse Wunde an dem Handgelenk 
(Beuge- und Ulnarseite). Auf der entsprechenden Seite radialwärts ist 
die Sohrapnellkugel zu fühlen. Finger können bewegt werden. Radialis- 
puls nicht fühlbar. Art. radialis liegt vor, thrombosiert. 

Linke Brustseite: Zahlreiche, bohnengrosse, z. T. oberflächliche, 
z. T. in die Tiefe führende Schusskanäle; auoh in der linken Ober- 
sohlüsselbeingrube nach aussen vom Kopfnickeransatz ein ebenso be¬ 
schaffener Einsohuss. Bei dem bedrohlichen Allgemeinzustand, der keine 
genaue Untersuchung der Lungen zulässt, ist eine Lungenverletzung mit 
Sicherheit nioht feststellbar. 

Linker Oberarm: Zahlreiche, in die Tiefe führende, bohnengrosse 
Einschüsse; Oberarm bläulich verfärbt, Knochen frakturiert, Radialispuls 
fühlbar. Art. radialis rechts wird unterbunden, steriler Verband. 
Reinigung der Wunden, Triangel, steriler Verband. Digipurat, NaCl- 
Infusion. 13. V. 1917. ln Chloräthyl-Rausch Entfernung von fünf 
Schrapnellkugeln aus dem linken Oberarm, der linken hinteren Brustseite 
und der linken oberen SchlüsselbeiDgrube. Ausgedehnte Spaltung der 
Schusskanäle am Oberarm. Gegenincision an der Hinterseite, Drain, 
Jodoformgaze-Tamponade, offene Wundbehandlung, Eztension am Ober¬ 
arm. Allgemeinzustand bedeutend gebessert; linksseitiger Hämothoraz. 
15. V. 1917. Geringer Hustenreiz, kein blutiger Auswurf. In der 
linken, hinteren Achselhöhle starke Blauverfärbung, die sich nach hinten 
bis fast an die Wirbelsäule, naoh oben bis an den vorderen Rand des 
linken Trapeoius erstreckt. Die Wunden am Oberarm sehen gut aus, 
spärliche Sekretion, ebenso Brustwunden. Nirgends Gas bemerkbar. 
19. V. 1917. Sekretion minimal. Tampons werden gekürzt, nur aus 
der Wunde am linken vorderen, unteren Deltamuskelrande starke Sekretion, 
reiohlich Eiter. Spaltung, Drain. 21. V. 1917. Nur mässige Sekretion 
aus allen Wunden; Schwellung des linken Oberarmes vollkommen zurück¬ 
gegangen, ebenso die der linken vorderen und hinteren Brustseite. Nur 
die schon oben erwähnte Oberarmwunde zeigt noch reichliohe Sekretion. 
Wunden an der Brust sohon teilweise verklebt. 

Die Aussichten in Bezug auf die Wiederherstellung des Me. waren 
gute, als am 24. V. 1917 eine linksseitige Pneumonie sich bemerkbar 
machte, der Patient am 25. V. 1917 erlag. 

2. Musketier B. Schuss durch den rechten Fuss, der die Absetzung 
im Chopart’sohen Gelenk erforderte, Jodoformdooht, Situationsnaht. 
B. wurde anfangs mit Verband behandelt; da Sekretion sehr stark, später 
offen. In kürzester Zeit fast ohne Sekretion Verkürzung des Dochtes; 
in der Tiefe lebhafte Granulationen. Abgesehen von einer geringen 
Randnekrose keine Komplikation. Nähte werden entfernt. Beim Ab¬ 
transport lebhafte, leiohtblutende Granulationen. Sekretion gleich Null. 

Bemerkenswert ist auch ein Fall, bei dem ich die Sequestro- 
tomie ausführte. 

Patient war vor l 1 /* Jahren durch einen Scbrapnellschuss, der die 
linke Tibia in Höhe der Tuberositas tibiae durohbohrt hatte, verletzt. 
Der Einschuss, eine rote, zehnpfennigstüokgrosse, mit der Unterlage ver- 
waohsene Narbe, befand sich in Höhe der linken Tuberositas tibiae. 
Der Ausschuss an der Innenseite in gleicher Höhe, zehnpfennigstückgross, 
entleerte spärlich Eiter. Die eingeführte Sonde gelangte auf rauhen 
Knochen. Die Röntgenaufnahme ergab einen 3 cm langen, 2 cm breiten, 
zackigen Sequester in einer Abscesshöhle hinter der Tuberositas tibiae. 
Der Abscess wurde von der Innenseite her aufgemeisselt; auoh an der 
Aussenseite wurde naoh Exoision der Narbe ein Stück Tibia weg¬ 
genommen, so dass die Abscesshöhle naoh beiden Seiten geöffnet war. 
Die Tuberositas tibiae blieb stehen. Tamponade, offene Wundbehandlung. 
Die Sekretion wurde bald serös, und nach kurzer Zeit zeigten sich im 
Grunde der Höhle schon rosarote, leioht blutende Granulationen. Keine 
Temperaturerhöhung, Da das Lazarett abgelöst wurde, verlor ich den 
Mann aus den Augen. 

Während der verhältnismässig kurzen Zeit, in der wir die 
offene Wundbehandlung anwenden, hat dieselbe mannigfaltige 
Vorteile geboten, so dass ich sie während des Krieges nicht 
wieder missen möchte. 

Vor allen Dingen sind die Verwundeten mit der Behandlung 
sehr zufrieden. Die Schmerzhaftigkeit ist im allgemeinen geringer, 
am so mehr, als der häufige Verbandwechsel wegfällt. Dafür 
nehmen sie gern den Anblick der für ein Laienauge nicht immer 
angenehmen Wunde in Kauf. 

Daza ist vor allen Dingen heutzutage auch die Verbandstoff¬ 
frage von grösster Wichtigkeit. Seitdem ich die offene Wund¬ 
behandlung anwende, hat der Verbrauch an Mull ganz bedeutend 
abgenommen. Auch der Zellstoffverbraucb ist um ein Beträcht¬ 
liches gesunken. Hand in Hand geht damit eine starke Abnahme 
des Verbrauchs an Mullbinden, der um so umfangreicher ist, 
wenn man die auf den Truppenverbandplätzen und bei der 
Sanitätskompagnie angelegten Binden nach Waschen und Sterili¬ 
sieren wieder benutzt. Nach Angabe der Feldlazarettapotheke 
ist der Zellstoffverbrauch um mindestens 25 pCt. verringert; der 
Mullverbrauch ist auf mindestens 50 pCt. des früheren gesunken; 
der der Mullbinden ist fast gleich Null, wenn man, wie eben 
gesagt, verfährt. 


Da die offene Wundbehandlung zum grössten Teil im Bett 
des Patienten vorgenommen werden kann, so fällt der lästige 
Transport der Verwundeten zum Verbandwechsel fort. Man er¬ 
spart dem Patienten unnötige .Schmerzen, schont seine Kräfte und 
gewinnt selbst viel Zeit, die man den neu Angekommenen widmen 
kann, ein Umstand, der für eine Kampfperiode besonders wichtig 
ist. Das Verbinden lässt sich um so schneller bewerkstelligen, 
wenn man sich aus einfachen Mitteln einen fahrbaren Tisch mit 
zwei übereinanderliegenden Platten herstellt. Auf der oberen be¬ 
finden sich die keimfreien Instrumente und Verbandstoffe, auf der 
unteren Schalen für abgelegte Instrumente, Reinigungsmittel (Tetra¬ 
chlorkohlenstoff, Sol. acid. tartar. usw.) sowie Zellstoff. 

Die offene Wundbehandlung behindert keineswegs den schnellen 
Abtransport. Sollte der Befehl erteilt werden, das Lazarett in 
kürzester Zeit zu räumen, so stösst man auch hier nicht auf 
Schwierigkeiten. Man muss sich aber zur Regel machen, den 
ersten Verband so zu gestalten, dass er zugleich ein Transport¬ 
verband sein kann. Mit Hilfe der Cramer-Schienen lässt sich 
ohne Schwierigkeiten diese Bedingung erfüllen. In kürzester Zeit 
kann dann der grösste Teil der Verwundeten mit Hilfe des 
Sanitätspersonals ohne Unterstützung des Arztes transportfähig 
sein. Bei einem Scbussbruch des Vorderarmes verfahren wir 
z. B. folgenderinaassen: Nach regelrechter Versorgung der Wunde 
wird der Vorderarm entsprechend Abbildung 2 mit Hilfe von 
Gramer-Schienen versehen. Die Ausbuchtung der Schiene ent¬ 
spricht dem Sitz der Wunde und dient bei der offenen Wund¬ 
behandlung zur Aufnahme der Unterlage (wasserdichter Stoff, 
Zellstoff und Mull). Die Schiene bleibt beim Abtransport liegen, 
indem einige Bindentouren um die Ausbuchtung herumgelegt 
werden (Abbildung 3). Nach Ankunft am Bestimmungsort kann 
die Binde abgenommen werden, und die Behandlung wird fort¬ 
gesetzt. Ebenso kann man bei anderen Verletzungen verfahren. 


Abbildung 2. 



Transportverband zu 2. 


Die Bedenken, die man gegen die offene Wundbehandlung 
bei Amputations-Stümpfen hat, indem es zu einer Retraktion des 
Hautlappens kommt, halte ich nicht für stichhaltig. Diese lässt 
sich vermeiden, wenn man beizeiten mit Hilfe von Trikotschläuchen 
oder Häkchen extendiert. 

Auffallend ist bei der offenen Wundbehandlung, wie spärlich 
die Sekretion besonders bei Höhlenwunden bei richtiger Technik 
ist. Ebenso auffallend ist das baldige Versiegen derselben. 
Während z. B. bei der Behandlung mit Verbänden sehr häufig 
der Verband durchtränkt war und somit einen günstigen Nähr¬ 
boden für den Bacillus pyocyaneus bot, ist hier derartiges, auch 
bei angestrengtester Tätigkeit, vollkommen ausgeschlossen. 

Hand in Hand mit der Verminderung der Gefahr der Sekundär- 
infection fällt die Temperatur bald ab, das Allgemeinbefinden 
bessert sich, der Appetit stellt sich ein. Seitdem ich die offene 
Wundbehandluug anwende, habe ich nur verschwindend wenig Fälle 
von Gasphlegmone beobachtet, obgleich häufig mit derselben ge¬ 
rechnet werden musste. Ein endgültiges Urteil kann ich noch nicht 
abgeben, doch glaube ich, dass die offene Wundbehandlung bei 
richtiger Anwendung, d. h. nach sorgfältigster Wundtoilette eine 

3* 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


gute Waffe im Kampfe gegen Gasbrand darstellt, wie auch das 
Garrel-Dakin’sche Verfahren unter denselben Bedingungen Gutes 
leistet. 

Ueber die Endresultate nach offener Wundbehandlung, Be¬ 
schaffenheit der Narben, Consolidierung der Bruchstücke, Trag¬ 
fähigkeit der Stümpfe fehlt mir jede Erfahrung, da ich die 
Patienten in diesem Stadium nicht mehr zu Gesicht bekomme. 

Einen Nachteil hat die offene Wundbehandlung, dass sich 
nämlich trotz aller Sorgfalt eine Verschmutzung der Bettwäsche 
nicht ganz vermeiden lässt. 

Zusammen fassend möchte ich bemerken, dass die offene 
Wundbehandlung sich vollwertig den üblichen Behandlungsarten 
anschliesst, dass sie sogar manche Vorteile ihnen gegenüber 
bietet, die unter den heutigen Verhältnissen doppelt schwer¬ 
wiegend sind. Hierzu rechne ich auch den sparsamen Verbrauch 
von Verbandmaterial. Der offenen Wundbehandlung in einem 
Feldlazarett stehen keine Hindernisse entgegen, auch selbst nicht 
während der Kampfperiode. Sie lässt sich alsdann ebenfalls 
ohne weiteres durchführen. Ich kann daher nur warm ihre An¬ 
wendung im Feldlazarett empfehlen. 

Abgeschlossen Mai 1917. 


Beitrag zur operativen Behandlung der 
tuberkulösen Peritonitis. 

Von 

Sanitätsrat Dr. 0. Heinemann, 

ordin. Arzt der chirurgischen Station am Rescrve-Lazarott Krankerhaus Haifon beide, Berlin. 

Die Heilwirkung der Laparotomie bei der tuberkulösen Peritonitis 
ist unbestritten. Es steht fest, dass man durch Eröffnung des Bauch¬ 
raumes mittelst Schnitt und Ablassen des Wassers noch Fälle heilen 
kann, welche der mehrfach wiederholten Punktion widerstanden. Wie 
diese Heilwirkung zustande kommt, wissen wir nicht. Von Gatti sind 
über 20 Theorien aufgeführt worden, keine hat sich durchzusetzen ver¬ 
mocht. Der folgende aussergewöhnlicbe Fall scheint mir in dieser Be¬ 
ziehung erwähnenswert. 

Der Infanterist 0. wurde wegen einer normal verlaufenden Verwundung 
aufgenommen und zwar am 14. IV. Nach einigen Tagen entstand unter 
Husten und Heiserkeit ein rechtsseitiges Pleuraexsudat, vorn dreifinger¬ 
breit über die Mamilla, hinten bis zur Spina scapulae reichend. Auf der 
linken Lungenspitze verschärftes Atmen, hinten unten gleichfalls Exsudat* 
etwas weniger hochreichend. Auch der Unterleib schwoll an, es bildete 
sieh ein erheblicher Ascites. Dies geschah im Laufe von 2 Monaten. 
Das rechtsseitige Pleuraexsudat wurde dreimal punktiert, es entleerte sich 
jedesmal l 1 /*—2 Liter klarer, seröser Flüssigkeit; doch bildete sich die¬ 
selbe immer wieder von Neuem. Das linksseitige Exsudat wurde in Ruhe 
gelassen. Auch der Ascites wurde zweimal punktiert. Es entleerten 
sich jedesmal etwa 4 Liter klarer Flüssigkeit. Am 28. VII. wurde wegen 
erneuter Fiüssigkeitsansammlung die Laparotomie gemacht. Handlanger 
Schnitt vom Nabel bis zur Symphyse, Entfernung von mehr als 5 Liter 
klarer, seröser Flüssigkeit. Das Peritoneum ist mit zahtlosen bis erbsen¬ 
grossen Tuberkeln oder Tuberkelhaufen übersät, ebenso die gerötete 
Darmoberfläche. Normaler Heilungsverlauf. Zunächst sammelte sioh 
noch etwas Flüssigkeit an, um dann spontan immer mehr zurüokzugehen. 
Am 10. II. des folgenden Jahres wurde folgender Entlassungsbefund 
notiert: Gesundes Aussehen, Gewichtszunahme 16 Pfund, Leib weich, 
nicht aufgetrieben; kein Exsudat nacbzuweisen. LuDgengrenzen hinten 
in der Soapulariinie an 11. Rippe, vorn links an der 6., rechts am unteren 
Rand der 5. Rippe. Atemgeräusch vesiculär, rechts unten etwas ab- 
geschwäoht. Lungengrenzen bei der Atmung nicht verschieblich. Punktion 
beiderseits negativ. Man fühlt, wie die Nadel duroh harte Schwarten dringt. 

Ich glaube, an der taberkulösen Natur beider Pleuraexsadate ist 
nicht zu zweifeln. Ich wollte auch einen direkten Beweis liefern und 
injioierte etwas Exsudat in die Bauchhöhle eines Meerschweinchens, doch 
wurde das Tier vor Ende des Experimentes von den Ratten gefressen. — 
Es liegt somit ein Fall von Tuberkulose der serösen Häute vor. Der¬ 
selbe ist duroh einfache Laparotomie geheilt, nachdem 5 Pleura- und 
Bauobpunktionen erfolglos geblieben waren. Die Laparotomie hat also 
nicht nur eine lokale, sondern auch eine entfernte Wirkung gehabt. 
Wie diese zu erklären ist, vermag ich nicht zu sagen. Allgemein be¬ 
merkt geht es jedoch nicht an, auf Grund dieses Falles der Laparotomie 
lediglich eine lokale Heilwirkung zuzusohreiben. Dadurch erledigen sich 
die Theorien, welche der Laparotomie bei der tuberkulösen Peritonitis 
lediglich eine lokale Wirkung zuschreiben, z. B. vollständigere Entfernung 
des Exsudates duroh den Schnitt, Einwirkung des Lichtes auf das Bauoh- 
innere, und Aehnliohes. 


Bücherbesprechungen, 

Mix Hspp: Ueber Hellsehea. Eine kritisch-experimentelle Untersuchung. 
Berlin 1918, S. Karger. 148 S. 

’ loh habe vor kurzem (vgl. Nr. 50 1917 d. Wsohr.) die Leser auf 
das Werk Dessoir’s „vom Jenseits der Seele“ aufmerksam gemacht; 
wenn dort die gesamten Fragen des Okkultismus, Mystizismus u. a. 
eingehend besprochen sind, so gibt Hopp in seinen Untersuchungen 
über das Hellsehen gewissermaasseii einen Ausschnitt aus dem grossen 
Gebiet: er hat duroh Kritik der früheren Mitteilungen und eine grosse 
Zahl einwandfrei vorgenommener Experimente festgestellt, dass bisher 
ein beweisendes Beispiel einer Hellsebleistung nicht zur Beobachtung 
gelangt ist, und dass alle vorgebrachten Hypothesen unhaltbar sind. 
Unter „Hellsehen“ wird dabei die Fähigkeit verstanden, Schriften oder 
Spielkarten, welche in völlig undurchlässigen Hüllen sich befinden, zu 
erkennen. Es ist auch hier bezeichnend, dass gerade die Personen, 
die sich einer solchen Fähigkeit rühmen und anscheinend auch Proben 
hiervon abgelegt hatten, sich einer mit allen Vorsichtsmaassregeln um¬ 
gebenen Prüfung entzogen oder dabei völlig versagten. Wer an diesen 
Fragen Anteil nimmt, wird die Ho pp'sehen Versuchsprotokolle mit Inter¬ 
esse verfolgen und seinen kritischen Betrachtungen beipflichten. 

P o s n e r. 

W. Ubthoff-Breslau: Weitere persönliche Erfahraigei uad Betrach¬ 
tungen ur Kriegsbliadenfürsorge. Stuttgart 1917, Verlag von Ferd. 
Enke. 85 S. Preis 1 M. 

An der Hand eines grossen eigenen Beobaohtungsmaterials weist 
Uhthoff nach, wie mächtig die Bewegung auf dem Gebiete der Kriegs¬ 
blindenfürsorge eingesetzt hat, wie man überall bestrebt ist, den armen 
Unglücklichen ihr Los zu erleichtern und sie geeigneten Berufen zuzu- 
lühren. Für akademisch gebildete Blinde bildet die Errichtung- einer 
höheren Unterrichtsanstalt lür Kriegsblinde in Marburg ein sehr segensreiches 
Werk, während die übrigen (etwa 85 pCt.) der Blinden in provinzialen, 
städtischen und Landesaustalten ihre entsprechende Vorbereitung finden. 
Einer gewinnbringenden Beschäftigung darf der Blinde erst zugeführt 
werden, wenn er vorher systematischen Unterricht genossen hat. Der 
Verf. gedenkt dann noch der grossen Kriegsblindenstiftung für Landheer 
und Flotte, in der Höhe von 5 Millionen, die einen mächtigen Hilfs¬ 
faktor bildet, und erwähnt die verschiedenen Hilfsmittel, die dazu dienen, 
dem Blinden gewissermaassen seinen Gesichtssinn zu ersetzen, wie das 
Optophon und das Phonoptikum, das Diktaphon und die Schreibmaschine. 
Zum Schluss wird auch der Kriegsblindenhunde gedacht, die den Blinden 
als Schützer und Führer dienen sollen. 

Durch diese umfassende Kriegsblindenfürsorge werden jedenfalls 
auch auf dem Gebiete der allgemeinen Blindenfürsorge neue Bahnen 
und Hilfsmittel erschlossen werden. v. Sicherer-München. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

E. Herzfeld, und R. Klinger: Chemische Studien zur Physiologie 
uud Pathologie. I. Eiweiss-chemisehe Graidl&gei 4er Leieisvor- 
g&age. (Biocbem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 1 u. 2, S. 1—2.) Mit der 
vorliegenden Studie wollen Verff. verschiedene biologische Gebiete auf 
Grund neuer eiweiss-chemischer Vorstellungen und Methoden bearbeiten 
und liefern hier zunächst die chemischen Grundlagen, indem sie ins¬ 
besondere das Eiweiss einer näheren Betrachtung unterziehen. An Stelle 
der früheren Einteilung der Eiweissabbauprodukte nach ihrer Fällbarkeit 
ist nach Verff., besonders für die Betrachtung biologischer Vorgänge das 
Dialysiervermögen als Einteilungsprinzip vorzuziehen, und Verff. unter¬ 
scheiden kolloidales Eiweiss, nicht dialysierbare, polypeptidartige Abbau¬ 
produkte; dialysierbare polypeptidartige Abhauprodukte und niedere 
Peptide, sowie Aminosäuren. Verff. gehen dann auf [die Bedingungen 
für Synthese und Hydrolyse der Eiweisskörper ein und besprechen den 
Einfluss der Erhitzung auf Eiweisslösungen. Die aus diesen Betrach¬ 
tungen folgenden Ergebnisse werden dann auf die allgemeine Physiologie 
der Zelle angewandt. Es wird gezeigt, welohe Bedeutung die Zell¬ 
membran für die Eiweisssynthese in der Zelle hat. Die Membranjhält 
die Eiweisskonzentration aufrecht, die für Eiweisssynthesen notwendig 
ist. Eine andere wiohtige Funktion des Membran ist die Erhaltung der 
Artreinheit, der spezifischen Struktur jeder Eiweissart. Die Eiweiss¬ 
synthese führt zur Vergrösserung der einzelnen Eiweissteilchen und 
damit indirekt der Zelle. Jede Vergrösserung von Teilchen hat eine 
Veränderung des Verhältnisses Oberfläche-Volumen zur Folge, führt also 
zu einer relativen Abnahme der Oberfläche. Ein Teilchen kann aber 
nicht unbegrenzt synthetisch wachsen. Es kommt zum Austritt aus dem 
kolloidalen Zustand, zu Anlagerung an andere Teilohen oder zam Zer¬ 
fall. Auch bei der Zelle muss nun ein bestimmtes Verhältnis zwisohen 
Zellmasse und Zelloberfläche innegehalten werden, und eine Abnahme 
des Verhältnisses Oberfläche : Volumen führt zu gewissen Veränderungen 
im Zellhaushalt. So sind viele Erscheinungen des Zelllebens chemisch 
bedingt, u. a. auch die Vorgänge der Periodizität. Es scheinen den 
Verff. überhaupt besondere Unterschiede zwisohen lebendiger und toter 
Substanz nicht erforderlich. Verff. spreohen soh Hesslieh im besonderen 
über die Vorgänge der Zellteilung, über die Waohstumsfähigkeit der 


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11. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


141 


Zellen im physiologischen wie pathologischen Zusammenhänge, über 
Phagocytose und Sekretion. 

E. Bauer: Uber Agglutination. (Biocbem. Zschr., 1917, Bd. 83, 
H. 1—2, S. 120.) Aus Kolibacillen dargestellte Fette wirken als Agglu- 
tinogene. Spezifische Wirkung haben hierbei die Fettsäuren. Es handelt 
sich hierbei weniger um eine allgemeine Säurewirkung als um die spezi¬ 
fische Anionen-Wirkung, vor allem der drei höheren Fettsäuren. Daher 
schreibt Verf. den Fettsäuren einen Agglutinincharakter zu. Mit dem 
Serum-Petrolätherextrakt agglutininreicher Tiere lassen sich die Agglutinine 
auf Kaninchen übertragen. Die übertragbaren agglutinogonen Substanzen 
gehören vor allem der Gruppe der drei höheren Fettsäaren an. 

M. Ljungdahl: Zur Methodik der Acetonbestimmung. (Biochem. 
Zsohr., 1917, Bd. 88, H. 1—2, S. 103.) Methodik besonders der Aceton¬ 
bestimmung im Harn. 

M. Ljnngdahl: Zur Melhodik der Stickstoffbcstimmnng im Harn. 
(Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 1—2, S. 115.) Im Zusammenhang 
mit der Acetonbestimmung im Harn werden die in der vorigen Arbeit 
angegebenen Vorteile der Methodik und der Apparatur auch für die 
Stickstoffbestimmung nutzbar gemacht. 

J. Fei gl: Ueber das Vorkommen von Phosphaten im mensch¬ 
lichen Blntsernm. II. Säurelöslioher (Gesamt-)Phosphor, vorgebildetes 
Orthophosphat und „Restphosphor“ beim Gesunden. (Biochem. Zschr., 
1917, Bd. 83, Heft 1—2, S. 81.) Im Anschluss an die früheren Unter¬ 
suchungen ermittelte Verf. den „Restphosphor“. Es war beabsichtigt, 
die Beziehung zwischen dem säurelöslichen Phosphor der Eiweissfällung 
bzw. des Extraktions- und Verasohungsvorganges mit dem vorgeblideten 
direkt abscheidbaren Orthophosphat herzustellen. Zunächst wurden die 
Sera nüchterner, gesunder Männer untersucht. Aus grösseren Versuchs¬ 
reihen über den säurelösliohen Phosphor wurden mittlere Fälle ver¬ 
gleichend untersucht. Der Restphosphor beträgt im nüchternen Zu¬ 
stande 0,5 mg für 100 ccm Serum entsprechend im Durchschnitt 15 pCt. 
des säurelöslichen Gesamtphosphors. Dem Restphosphor kommt ge¬ 
legentlich eine besondere Bedeutung zu. 

F. Wrede: Synthese von zwei neuen Disacchariden und ihr 
biologisches Verhalten. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 1—2, S. 96.) 
Dem Verf. gelang die erstmalige synthetische Darstellung von zwei neuen 
Disacchariden, welche die ersten kristallisierten künstlichen Biosen dar¬ 
stellen. Es wurde nun das Verhalten dieser Zucker im Tierkörper und 
ihre Spaltbarkeit durch Enzyme mit Mikroorganismen geprüft. Die Wider¬ 
standsfähigkeit dieser Disaocharide bei der Hydrolyse liess erwarten, 
dass sie auch gegen Enzyme resistent, und dies bestätigte sich auch. 
Die Toxizität der Thio- und auch der Selenoisotrehalose war sehr 
gering. Mäuse und Meerschweinohen vertragen verhältnismässig hohe 
Dosen dieser Zucker. Beim Kaninchen wurde versucht, das Schicksal 
dieser Zucker im Körper zu verfolgen. Ein Teil des Thiodisaccharides 
verlässt den Körper unverändert, und zwar etwa 89 pCt.; die Selenoiso¬ 
trehalose fand sich zu etwa 85 pCt. unverändert im Harn. Durch 
Emulsion und Hefeextrakt wurden die Zucker nioht gespalten. 

Abelin J. und de Corral: Untersuchungen über den Kohl»- 
hydratsteffwechsel an der überlebenden Hnndeleber. (Biochem. Zschr., 
1917, Bd. 83* Heft 1 u. 2, S. 62.) Die Durchströmung der überlebenden 
Kaninchenleher mit einer Peptonlösung ist ohne besonderen Einfluss auf 
den Glykogengehalt der Leber. Dagegen bewirkt die Durchströmuug 
der Hundeleber mit Pepton eine Herabsetzung des Leberglykogens. 
Letztere Tatsache steht wohl im Zusammenhang mit der anderweitig 
gefundenen, dass beim Hunde Pepton zu einer Steigerung der Gallen¬ 
absonderung und zu einer Herabsetzung der Assimilationsgrenze für 
Kohlenhydrate führt, ferner mit den Tatsachen, dass durch Verfütterung 
von Glykogen die Ratten leber praktisch glykogenfrei ist, und dass die 
Peptondurchströmung die Glykogenbildung in der überlebenden Schild¬ 
krötenleber hemmt. Durchströmung der Kaninchen- und Hundeleber 
mit Adrenalin bleibt ohne Wirkung auf den Glykogenabbau. Der Gly¬ 
kogenschwund nach Adrenalininjektion ist somit ein am Gesamtorga¬ 
nismus sich abspielender vitaler Vorgang, der sich an der Säugetier¬ 
leber nicht produzieren lässt. Robert Lewin. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

0. Binswanger und J. Schaxel-Jena: Beiträge zur normalen 
nd pathologischen Anatomie der Arterien des Gehirns. (Arch. f. 
Psyoh., Bd. 58, H. 1—3.) Die Untersuchungen ergaben vor allem scharf 
ausgeprägte Entwicklungsstörungen vom Charakter der Hypoplasie der 
Gefasse, die als konstitutionelle Faktoren den Begriff der konstitutio¬ 
nellen Psychose auf eine gesicherte Grundlage stellen. Solche Gefäss- 
hypoplasien Hessen sich nach weisen 1. bei Fällen von Idiotie mit Epi¬ 
lepsie, 2. bei juvenilen, nervös konstituierten Individuen mit Exitus 
unter stürmischen deliranten Erscheinungen nach körperlichen und 
geistigen Erschütterungen, 3. bei jugendlichen Paralytikern, 4. bei prä¬ 
seniler Demenz. 

F. Reich mann-Königsberg: Zur praktischen Durchführung der 
ärztlichen aad sozial» Fürsorgemaassnahmen hei Hirnschnssver- 
letlten. (Arch. f. Psyoh., Bd. 58, H. 1—3.) Der erste Schritt zur 
sozialen Versorgung der Hirnschussverletzten ist die Uebungsbebandlung 
der aphasischen Symptome. Die zweite Forderung zur Erreichung diese!) 
Zieles ist die Beobachtung und Behandlung in eigenen Uebungswerk- 
stätten, die dritte, die möglichst durchgängige plastisohe Deckung der 


Schädelknochendefekte vor der Entlassung ins bürgerliche Leben. Mit 
der Berufsausbildung und Berufsberatung muss schon im Lazarett be¬ 
gonnen werden. Die Hirn verletzten eignen sich vorwiegend für land¬ 
wirtschaftliche Berufe. 

J. Räcke-Frankfurt a. M.: Die Dementia paralytica, eine 8piro- 
eh&tenerkranknng des Gehirns. (Arch. f. Psych., Bd. 53, H. 1—3.) 
Verf. prüft die Einwände, welche sich noch der Annahme einer direkten 
parasitären HirnerkrankuDg bei dem paralytisohen Prozess entgegen¬ 
stemmen, auf ihre Stichhaltigkeit und wendet sich speziell gegen An¬ 
schauungen von Spielmeyer. 

A. Pelz-Königsberg: Kasuistische Beiträge zur Lehre von den 
Rückenmark8ge8chWülsten. (Arch. f. Psych., Bd. 58, H. 1—3.) 1. Iso¬ 
lierte und sehr ausgedehnte Tuberkulose der Dura, die in ihrer Masse 
und Isoliertheit als extraduraler Tumor imponierte. 2. Chronische 
Entzündung der Pacbymeninx im unteren Rüokenmarksabschnitt von 
unbekannter Ursache. 3. Intramedulläres Angiom des Lumbosacral- 
marks. 

0. Kankeleit-Kiel: Zur Smptomatologie, pathologischen Anatomie 
und Pathogenese von Tumoren der Hypophysengegend. (Arch. f. Psych., 
Bd. 58, H. 1—3.) Zwei Fälle von Hypophysenganggeschwülsten, der 
erste typisch, der zweite mit starker Metaplasie, ln beiden bestanden 
psychische Störungen vom Charakter des amnestischen Syndroms sowie 
Erscheinungen von Dystrophia adiposogenitalis. 

H. 01 off-Kiel: Ueber seltenere Augenbefnnde bei der multiplen 
Sklerose. (Arch. f. Psyoh., Bd. 58, H. 1—3.) Bericht über eine un¬ 
gewöhnliche Sehnervenerkrankung (Stauungspapille), mit der eine mul¬ 
tiple Sklerose akut einsetzte. Im Anschluss daran Ueberblick über 
seltenere Opticusveränderungen und Augenmuskelstörungen bei dieser 
Krankheitsform auf Grund eigener Beobachtungen und der Fachliteratur. 

K. Stargardt-Bonn: Ueber familiäre Degeneration in der Ma¬ 
culagegend des Anges mit nnd ohne psychische Störungen. (Aroh. f. 
Psych., Bd. 58, H. 1—3.) Verf. behandelt die mannigfaltigen als fa¬ 
miliäre Macnlaerkrankungen beschriebenen Krankheitsbilder unter Heran¬ 
ziehung eigener Beobachtungen. Er trennt vier Gruppen: 1. Familiäre 
präsenile Maculadegeneration (Tay); 2. familiäre honigwabenähnliohe 
Maculadegeneration (Doyne); 3. familiäre angeborene Maculadegenera¬ 
tion (Best) und 4. familiäre progressive Maculadegeneration mit und 
ohne psychische Störungen. 

F. Kehrer-Frei bürg: Psychogene Störungen des Anges and des 
Gehörs. (Arch. f. Psych., Bd. 58, H. 1—3.) Eine Arbeit, die sich 
durch Gründlichkeit und Tiefe aus der grossen Masse der kriegsneuro¬ 
logischen Veröffentlichungen heraushebt. Sie beschränkt sich auf ein 
immerhin beschränktes Teilgebiet kriegsneurotischer Störungen, begnügt 
sich hier aber nicht mit der üblichen blossen Beschreibung, sondern 
sucht den Gesamtaufbau der Krankheitsformen zu analysieren. Wie 
dabei im einzelnen psychologische, physiologische und pathologische 
Momente, psychologische Ueberwertigkeiten, Organminderwertigkeiten u. a. 
herangezogen werden, entzieht sich einem kurzen Bericht. Die zum Teil 
ungemein komplizierten Zusammenhänge müssen in der vorbildlichen 
Arbeit selbst nachgelesen werden. 

M. Käst an - Königsberg; Chorea paralytica mit anatomischem 
Herd. (Arch. f. Psyoh., Bd. 58, H. 1—8.) Besondersartiger Fall mit 
den Erscheinungen allerschwerster septikämischer Erkrankung, Vor¬ 
handensein eines Erweiobungsherdes im Gebiet der inneren Kapsel und 
psychischen Störungen (u. a. eigentümlich negativistisohes Verhalten). 

G. v. Rad-Nürnberg: Ueber psychische Störungen bei Tabes. 
(Arch. f. Psych., Bd. 58, H. 1—8) Unter den Fällen mit akuten Geistes¬ 
störungen traten die halluzinatorisch-paranoischen Zustände besonders 
hervor, die überhaupt als eigentliche Tabespsychosen gelten können. 
Daneben wurden kurzdauernde delirante Erregungszustände beobachtet. 
Veränderungen der ganzen psychischen Wesensart zeigten sich in Form 
von Abänderungen der Affektlage oder Defekten des ethisoh-moralischen 
Empfindens. Das Vorkommen einer tabisohen Demenz erwies sich nach 
den Beobachtungen als zweifelhaft. Bei sonstigen im Verlauf einer 
Tabes vorkommenden Geistesstörungen handelt es sich nur um zufällige 
Kombinationen. 

F. Stern-Kiel: Beitrag zur Pathologie der epidemisch» Genick¬ 
starre. (Aroh. f. Psyoh., Bd. 58, H. 1—3.) Berichtet über die Wir¬ 
kung der Serumtherapie an der Hand der Obduktionsbefunde in zwei 
Fällen. Im ersten war trotz des schliesslichen letalen Ausgangs der 
Einfluss des Serums, der nach dem klinischen Verlauf wahrscheinlich 
war, durch den histologischen Befund bestätigt (u. a. Unterdrückung 
stärkerer Leukocytenherde, völliger Einschluss der noch vorhandenen 
Leukocyten in das produktive Entzündungsgewebe). Im zweiten Falle, 
wo schon klinisoh der Einfluss des Serums ein negativer war, bewies 
auch der mikroskopische Befund die zum mindesten viel geringere im¬ 
munisierende Wirkung des Serums. Sie hatte die Neubildung frischer 
unorganisierter Leukocytenhaufen und stärkere phlegmonöse Einsohmel¬ 
zungen der Ventrikelwand nicht verhindern können. 

G. Wickel-Dziekanka: Das Bild der Paraioia als manische Phase 
im Verlaife des manisch-depressiven Irreseins. (Arch. f. Psych., 
Bd. 58, H. 1—3.) Anführung einiger Fälle, in denen die manische 
Phase des manisoh-depressiven Irreseins zeitweise von Sinnestäuschungen 
und systematisch aufgebauten Wahnideen beherrscht war. In den 
einzelnen Anfällen traten im wesentlichen die gleiohen Wahngebilde 
wieder auf. 


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142 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


A. Westpbal-Bonn: Beitrag zur Lehre von der amaurotischen 
Idiotie. (Arch. f. Psych., Bd. 53, H. 1—3.) Auf Grund des histo¬ 
logischen Befunds in einem genau untersuchten Falle kommt Yerf. zu 
dem Schluss, dass die infantile und die juvenile Form der amaurotischen 
Idiotie keine dem Wesen nach verschieden artigen Krankheitszustände sind. 

H. König*Bonn: Beiträge zur 8imulationsfrage. (Arch. f. Psych., 
Bd. 58, H. 1—3.) Drei sehr ausführlich wiedergegebene Fälle, die 
schon deswegen instruktiv sind, weil sie die verschiedenartige psychiatrische 
Beurteilung des gleichen Bildes zeigen. Im übrigen wirken, wie eigent¬ 
lich stets, solche Simulationsfälle wohl nur auf den recht überzeugend, 
der von vornherein zur Annahme von Simulation neigt. Ein einwands¬ 
freier Nachweis der Simulation ist eben, zumal bei solchen Degenerierten, 
bei denen der Uebergang aus dem Simulationsversuch in den psycho¬ 
tischen Zustand spielend erfolgt, überhaupt kaum zu erbringen. 

A. H. Hübner-Bonn: Ueber Kriegs- nad Unfallpsychosen. (Arch. 
f. Psych., Bd. 58, H. 1—3.) Umfassende Darstellung atypischer Psychosen 
nach Unfall, wie sie speziell auch im Kriege hervorgetreten sind. Im 
einzelnen werden behandelt: Dämmerzustände, Hemmungszustände, die 
„Läppischen“, halluzinatorische Zustände, paranoide Erkrankungen, 
hypochondrische Symptomenkompleze, depressive und Erregungszustände, 
pathologische Affekte. 

E. Meyer-Königsberg: Kriegsdieustbeschädigung bei Psychosen 
and Neorosen. (Arch. f. Psych., Bd. 58, H. 1—3.) Dem Kriegsdienst 
kommt für die Dementia praeoox wie das manisch-depressive Irresein 
keine Bedeutung zu. Bei der Paralyse kann man besondere äussere 
Schädigungen als unterstützendes Moment anerkennen, nicht aber die 
allgemeinen Kriegsdienstverbältnisse als solche. Auch für die Epilepsie 
ist der ursächliche Einfluss des Krieges nur gering. Kriegsdienstbeschä¬ 
digung ist in allen diesen Fällen nur anzunehmeD, wenn die Kranken 
über die Maasse der Kriegseinwirkungen hinausgehenden Einzelschädi¬ 
gungen ausgesetzt waren. Bei den psychogenen (hysterischen) Störungen 
ist, da sie nur vorübergehende Steigerungen psychopathischer Konsti¬ 
tutionen darstellen, die Kriegsdienstbeschädigung abzulehnen. ' 

J. Lewin-Leipzig: Ueber Sitnationspsychosea. Ein Beitrag zu den 
transitorisch eD, insbesondere haftpsychotischen Störungen. (Arch. f. 
Psych., Bd. 58, H. 1—8.) Es gibt psychotische Zustände sowohl in der 
Freiheit, wie in der Haft, die allein einer sozusagen zufälligen Kombi¬ 
nation innerer und äusserer Momente ihre Entstehung verdanken und 
nur eine Episode im Leben und Schicksal der Persönlichkeit darstellen. 
Sie verdienen daher zu einer gemeinsamen Gruppe der Situationspsychosen 
zusammengefasst zu werden, die im übrigen verschiedene Bilder der 
Symptomatik und Pathogenese aufweisen. Reiche Kasuistik. 

K. Hermkes-Eickelborn): Aus der Begutachtung psychopathischer 
Persönlichkeiten. (Arch. f. Psych., Bd. 58, H. 1—8.) Eine Anzahl 
forensisch und psychopathologisch interessanter psychopathischer Fälle 
werden ausführlich dargestellt. Erfreulich ist dabei, dass sich die Lehre 
von den haftpsychotisohen Störungen der Entarteten, die früher an¬ 
standslos als schizophrene Erkrankungen gebucht wurden, nun weit¬ 
gehend durchgesetzt hat. 

A. Hoche-Freiburg: Das Berufsgeheimnis des ärztlichen Sach¬ 
verständigen. (Arch. f. Psych., Bd. 58, H. 1—3.) Ausführliche Er¬ 
örterung der aus §§ 800 StGB., 52 StPO., 398 CPO., 385 CPO. sich 
ergebenden Fragen im Hinblick auf die inneren Konflikte, die ei oh 
dabei zwischen ärztlicher Berufspflicht und Sachverständigenpflioht er¬ 
geben. 

E. Meyer-Königsberg: Grab- und Leichenschändung durch Geistes¬ 
kranke. (Arch. f. Psych., Bd. 58, H. 1—8.) Zwei Fälle. Der eine, 
Dementia paranoides, wurde durch seine Wahnideen zu der strafbaren 
Handlung geführt, der andere, ein schwerer Psychopath, handelte aus 
zwangsartigen Zuständen heraus. 

R. Wollenberg-Strassburg: Ein seltenerer Fall psychogener 
Kriegsschädigung. (Aroh. f. Psych., Bd. 58, H. 1—8.) W. gibt eine 
psychologische Analyse eines Falles von Konvergenzkrampf und ptosis- 
artigem Verschluss beider Augen, der mit umschriebener Verletzung des 
Auges nach einem aufregenden und schmerzhaften Unfall aufgetreten 
war. Nach 3jährigen erfolglosen Heilversuchen wurde auf suggestivem 
Wege Heilung erzielt. K. Birnbaum. 


Kinderheilkunde, 

A. Riesenfeld - Berlin: Ueber primäre Herzhypertrophie im 
frühen Kindesalter nnd ihre Beziehung znm Status thymico-lympha- 
tieus. (Jb. f. Kindhlk., 1917, Bd. 86, H. 6, S. 419.) Verf. hatte Ge¬ 
legenheit, in der Berliner Kinderklinik 5 Fälle von Herzhypertrophie zu 
beobachten. Es handelte sich um bis dahin gesunde Säuglinge am Ende 
des ersten und Anfang des zweiten Lebensjahres, die plötzlich an In¬ 
suffizienzerscheinungen seitens des Herzens erkrankten und trotz aller 
therapeutischen Bemühungen kurz darauf zugrunde gingen. Bei der 
Sektion fand sich der Klappenapparat in bester Ordnung, die grossen 
Gefässe desgleichen, ernste Nierenschädigungen nicht vorhanden, die 
Herzmuskulatur bot makroskopisch keinen abnormen Befund. Dagegen 
fand sich bei allen 5 Fällen ein Status thymico lymphaticus. In einem 
dieser Fälle fand Ce eien bei der genauen mikroskopischen Durch¬ 
forschung des Herzens, dass die Herzmuskulatur mit ausgedehnten, rein 
lymphocytären Infiltraten förmlich übersät war. Die Herzmuskulatur 
war stellenweise von den Infiltrationen förmlioh verdrängt und wies, wo 


Nr. 6. 


sie noch vorhanden war, eine fettige Degeneration und Atrophie ihrer 
Fasern auf. Derselbe Befund konnte auch bei den 4 anderen Fällen in 
verschiedenem Grade gefunden werden. Damit scheint erwiesen, dass 
die überwiegende Mehrzahl der Fälle von Herzhypertrophie im frühen 
Kindesalter mit Status thymico-lymphaticus ursächlich zusammenhängt. 
Nur für eine Minderzahl von Fällen wird man zur Annahme embryonaler 
Zirkulationsstörungen, partiellen Riesenwuchses usw. seine Zuflucht 
nehmen müssen. Der Zusammenbruch der geschädigten Herzen erfolgt 
an der Schwelle des zweiten Lebensjahres als B'olge der hohen Kräfte 
und Anforderungen, die die ersten Steh- und Gehversuche an den Körper 
stellen, oder einer interkurrenten geringfügigen Infektion. 

E. Herrmann - Leipzig: Beiträge zur differentialdiagnostisehen 
Verwendung der cutaoen Taberkulinreaktion. (Jb. f. Kindhlk., 1917, 
Bd. 86, H. 6, S. 472.) Verf. fa99t die Ergebnisse ihrer Untersuchungen 
folgendermaassen zusammen: „Bei Verwendung von Alt- und Perlsucht¬ 
tuberkulin zur Cutanreaktion findet man eine kleine Anzahl von Fällen, 
die auch bei mehrmaliger Wiederholung nur auf eines der beiden Tuber¬ 
kuline reagieren. Wiederholt man aber die Cutanreaktion genügend oft, 
so tritt schliesslich doch eine doppelte Reaktion auf. Wir nehmen an, 
dass in diesen Fällen der Organismus anfangs nur spezifische, d. h. 
gegen den Typus des Erregers gerichtete Reaktionskörper und erst 
später Gruppenreaktionskörper zu bilden vermag. Ein ähnliches Ver¬ 
halten der Cutanempfindlichkeit findet sich zuweilenf auch bei Indi¬ 
viduen, deren Allergie im Erlöschen begriffen ist. In beiden Fällen 
scheint es berechtigt, soweit sich das ohne bakteriologischen Beweis sagen 
lässt, aus dem Ausfall der Reaktion auf den Erregertypus zu schliessen. 
Auch bei Individuen, bei denen man nach dem klinischen Befund einer 
aktiven, aber noch nicht weit vorgeschrittenen Tuberkulose eine rege 
Antikörperbiidung anzunehmen berechtigt ist. findet man zuweilen ein 
unzweideutiges Ueberwiegen der einen Reaktion über die andere. Nach 
sicherem Ausschluss eines technischen Fehlers durch Wiederholung und 
mit Berücksichtigung der anderen Daten (Lokalisation der Tuberkulose, 
wahrscheinliche Infektionsquelle) kann auch in einem solchen Falle die 
überwiegende Cutanreaktion als Hinweis auf den Typus des Erregers 
angesehen werden.“ 

E. Schiff-Budapest: Ueber das Verhalten der^H&moglobinkarve 
beim Scharlach. (Mschr. f. Kindhlk., 1917, Bd. 14, Orig., H. 5, S. 273.) 
In den ersten Krankheitstagen beim Scharlach erfolgt ein oft erheblicher 
Abfall des Hämoglobingehaltes. Der Grad des Abfalls zeigt weder sur 
Intensität des Exanthems noch zur Schwere des Krankheitsbildes Be¬ 
ziehung. Es scheint, dass den Grad des initialen Abfalles im Hämo¬ 
globingehalte des Blutes die Mischinfektionen beeinflussen. Die Scharlach¬ 
nephritis verursacht einen steileren Abfall der Hämoglobinkurve. Die 
weiteren zumeist mit Eiterung einhergehenden Komplikationen verzögern 
die Hämoglobinregeneration. Es handelt sich hierbei aller Wahrschein¬ 
lichkeit nach um die Wirkung der begleitenden fieberhaften Zustände. 

R. Spörry-Berlin: Ueber den erzieherischen und gesundheitlichen 
Wert des richtigen Singens. (Mschr. f. Kindhlk., 1917, Bd. 14, Orig., 
H. 5, S. 303.) Das Kind pflegt „selbstverständlich“ beim Singen riohtig 
zu atmen und seine Singmuskeln richtig zu verwenden. Es ist Aufgabe 
seiner Umgebung und der Schule, diesen Zustand durch falsche Maass¬ 
nahmen nicht zu verderben. In dieser Richtung ist das «Anhalten zu 
lautem Singen und das Einreihen von Sopranstimmen in den Alt be¬ 
sonders zu meiden. Gesangunterrioht in kleinen Abteilungen von 6 bis 
8 Kindern durch Lehrer, die selbst über ihre Muskeln verfügen können, 
sind geeignet, das natürliche Können des Kindes zu einer bewussten 
Kunst zu wandeln und die gesundheitlichen und freudebringenden Mo¬ 
mente herauszuholen. R. Weigert. 


Chirurgie. 

Hulles: Indikationen zur operativen Behandlung der Kopfschüsse. 
(W.ra.W., 1917, Nr. 46.) Zunächst ist in jedem Falle eine bis auf den 
Knochen reichende Inzision auszuführen, um sich ein klares Bild von 
dem Grade der Verletzung zu verschaffen. Zeigt es sich, dass auch der 
Knochen verletzt ist, dann kann der operative Eingriff gleich fortgesetzt 
werden, ist jedoch das Schädeldach unverletzt, dann ist mit dem Jodieren 
der Wunde der Eingriff beendet. Auf keinen Fall erleidet durch diesen 
Eingriff der Verwundete einen Schaden. Die sicherlich infizierte Ein¬ 
schussöffnung, bzw. der Sohusskanal liegen durch die Inzision breit offen 
vor uns, Haare, eventuell Stoffteile der Klappe können leicht entfernt 
werden, und wir können einem weiteren Fortschreiten der Infektion Vor¬ 
beugen. Reckzeb. 

Ha berem-Budapest: Paftielle Nascnplasttk mit freier Trans¬ 
plantation ans der Ohrmuschel. (D.m.W., 1917, Nr. 47.) Ausführliche 
Mitteilungen der von ihm angewandten Technik. 

Sohmid-Stuttgart: Gehstörung undGlutäalinsnffiiienz hei schlecht 
geheilten Unterschenkelbrüchen. (D.m.W., 1917, Nr. 47.) Das Geh¬ 
vermögen ist nach Beobachtungen von Sch mid sehr stark beeinträchtigt 
bei schlecht geheilten Unterschenkelbrüchen im proximalen Drittel, 
wenn eine Gesamtverkürzung des Beines besteht, eine Drehung des 
unteren Bruchendes um die Längsachse nach einwärts, eine winklige 
Knickung der Bruchstelle nach hinten aussen, und ein geringer Grad 
von Spitzfussstellung. Durch die abnorme Belastung des Körpers, die 
durch diese Stellung bedingt wird, kommt es zu Gehstörungen and 
Glutäalinsuffizienz. Dünner. 


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11. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


143 


Röntgenologie. 

K. Warnekros: Beseitigung der RSntgeagase durch Absaage- 
eitlflftnng. (M.m.W., 1917, Nr. 50.) Schilderung bewährter technischer 
Einrichtungen an der Berliner Universitäts-Frauenklinik. Geppert. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Sordelli und Fischer: Zur Frage der diagnostischen Seram- 
reaktioa bei Lepra. (W.kl.W., 1917, Nr. 40.) Positiver Ausfall der 
Wassermannprobe und der Gerinnungsreaktion bei negativem Kom¬ 
plementablenkungsversuch mit Tuberkulin weisen auf Lues hin, während 
positive Wassermann’sche Reaktion bei negativer Gerinnungsreaktion und 
positivem Tuberkulinversuch auf Lepra schliessen lassen. Zeigt ein 
Serum bei allen 3 genannten Reaktionen positiven Ausfall, so erscheint 
neben Lepra das Vorhandensein einer syphilitischen Infektion wahr¬ 
scheinlich. 

Kraus: Ungelöste Probleme der Lepraforsehnag. (W.kl.W., 1917, 
Nr. 40.) Referat auf der 1. Konferenz der südamerikanischen Gesell¬ 
schaft für Hygiene usw. in Buenos Aires. Ungelöst sind folgende Fragen 
auf dem Gebiet der Lepra: Die Kultivierbarkeit des Leprabaoillus, die 
Uebertragbarkeit der Lepra auf Tiere, der Mechanismus der Uebertrag- 
barkeit der Lepra von Mensch zu Mensob, die biologische Diagnostik 
der Lepra, die ätiologische Prophylaxe und spezifische Behandlung. 

H. Hirschfeld. 


Augenheilkunde. 

Steindorff: Winpern in der Hornhant und der vorderen 

Karner. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Beim Ein¬ 
dringen eines Infanteriegesobosses in die vordere Kammer wurden 
2 Wimpern mitgerissen, von denen die eine schon in der Hornhautwunde 
festgehalten wurde und dort einheilte, während die andere in die Tiefe 
geriet und sich auf die vordere Linsenkapsel und die Vorderfläche der 
Iris lagerte. Das hochgradig kurzsichtige Auge ertrug die doch nicht 
ganz leichte durohbohrende Verletzung, ohne dass sich im Augeninnern 
schwerere Schädigungen entwickelten. Im vorliegenden Falle liegt keine 
Veranlassung vor, die reizlos in die tiefen Schichten der Hornhaut ein¬ 
geheilte Wimper zu entfernen. 

Hegner: Schwere Hornhautnekrose bei Salvarsan Vergiftung. 
(Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Io dem beschriebenen 
Falle führten einige geringe Dosen Salvarsan, welohe auf Grund wohl¬ 
charakterisierter Merkmale einer Lues oerebrospinalis injiziert wurden, 
zu schweren Komplikationen mit letalem Ausgang. Es handelt sich um 
eine nicht häufige Erscheinung, wo schon relativ geringfügige Dosen 
verhängnisvoll wirken und hochgradige Vergiftungserscheinungen auszu¬ 
lösen vermögen. Der pathologisch-anatomische Befund ergibt zahlreiche 
schwere Veränderungen fast in allen Organen. Vor allem interessant 
aber ist der Umstand, dass im Verlauf einer zum Exitus führenden 
Salvarsaninjektion der Bulbus so gewaltigen Zerstörungen anbeimfallen 
kann. Hervorzuheben ist der geradezu foudroyante Verlauf des nekro¬ 
tischen Prozesses. Der geschwürige Prozess beschränkt sich nicht nur 
auf die Hornhaut allein, er ergreift auch die Gonj. bulbi und die Solera. 
Das ganze klinische Bild gibt den Eindruck, dass die Bulbusverände- 
rungen eine Teilersoheinung der allgemeinen toxischen Hauterkrankungen 
darstellen. 

PIocher: Ueber^Pigmentstreifenbildnng aaeh postoperativer 

Aderhaatablösnng. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Die Pig¬ 
mentstreifen nach Amotio chorioideae können bereits während des Be¬ 
stehens der Ablösung sich bilden; in der Mehrzahl der Fälle werden sie 
erst nach der Wiederanleguog deutlich. In ihrer Entstehung scheint es 
einer gewissen Höhe und Ausdehnung der Ablösung zu bedürfen. Nach 
Glaukomoperationen werden sie leichter zu beobachten sein als im 
aphakischen Auge. Die Streifen zeichnen sich durch ihre rein schwarze 
Färbung, ihre körnige, mitunter rosenkranzförmige Beschaffenheit, ihre 
oft eigenartig gestreckte, oft^aber auch reiserartige odor bogenförmige 
Gestalt aus. Prognostisch sind diese Streifen keineswegs ungünstig; 
besondere ,funktionelle|Störungen waren in ihrem Gebiet nioht nach- 
zuweisen. 

Ohm: Ueber Störungen der labyrinthären aad Hirnrindentetani- 
sieraag der2 Augenmuskeln. (Klin. Mbl., f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) 
Es steht fest, dass die Augenmuskeln von zwei verschiedenen Seiten 
Reize^empfangen, vom Labyrinth und von grösseren Bezirken der Gross- 
hirnrinde (Stirn-, Hinterhauptslappen und Gyrus angularis). Verf. weist 
nun in seiner Arbeit in Erweiterung früherer.Veröffentlichungen kurz 
nach, dass dementsprechend auch zwei ganz verschiedene Arten von 
Nystagmus Vorkommen, ein labyrinthärer und ein Hirnrindennystagmus. 

Weissenbach: Untersuchungen über Häufigkeit aad Lokalisation 
voa Linsentrlbungenl bei 411 männlichen Personen im Alter von 16 
bis 26 Jahren. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Die statistische 
Zusammenstellung ergibt, dass bei 111 Personen krausförmige inter¬ 
mediäre Katarakt gefunden wurde, somit 27 pCt. Wo die Trübungen 
vorhanden waren, waren sie meistens beiderseits. Die Zahl der ein¬ 
seitigen Fälle ist 51. Alle einseitigen Fälle zeigten 2 ganz beginnende 
Trübung. In allen vorgeschrittenen Fällen war die Trübur g beiderseits, 
wenn auch oft in verschiedenem Grade entwickelt. Was die Lage der 
beginnenden Trübungen anbetrifft, so findet sich die Richtung am 


häufigsten nach unten, in überwiegender Häufigkeit temporal-unten. 
Schon junge Personen, welche am Abschlüsse des Wachstums stehen, 
zeigen in ganz ausserordentlich hoher Zahl erworbene Linsentrübungen, 
welche eine ganz charakteristische Form, Anordnung und Lage haben, 
nur den peripheren Linsenabschnitt betreffen. 

Vogt: Ueber Farbenschillern des vorderea Rindenbildes der 
menschlichen Linse. (Klin. Mbl. f. Aughlk. Bd. 59, Nov.-Dez.) Für die 
Erklärung des Farbensohillerns kommen folgende charakteristische Merk¬ 
male in Betracht: 1. Vorkommen im Senium (vornehmlich bei katarak- 
fösen Veränderungen) im Bereich der ganzen Chagrinierung. Bei jugend¬ 
licher traumatischer Katarakt und zwar nur im Bereich des Chagrins 
über den kranken Partien. In allen Fällen von unkomplizierter Cataracta 
secundaria. 2. Sichtbarkeit: Die Farben sind nur bei Einstellung der 
Chagrinierung, und zwar des feinen Felderung, die dem Epithel ent¬ 
spricht, nicht bei Einstellung der reinen Faseroberfläche sichtbar. Am 
deutlichsten sind sie zu beobachten bei Verwendung der Nernstspalt¬ 
lampe. 3. Art der Farben: Regelmässig rot und grün. Die Farben 
zeigen einen metallischen Schimmer. 

Vogt: Das vordere Linsenbild bei Verwendung der Gnllstrand’schen 
Nerastspaltlanipe (Sichtbarkeit des Epithels und einer bei fortgeschrittener 
Katarakt vorhandenen subepithelialen Vakuolenfläche). (Klin. Mbl. f. 
Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Verf. ist es gelungen, das Linsenkapsel¬ 
epithel in vivo zu sehen. Zu diesem Behufe ist etwa 40—60 fache Ver- 
grösserung geeignet und ein Lichtstreifen, der auf der Cornea eine 
Breite von etwa IV 2 —8 mm hat. Den Chagrin sieht man am leich¬ 
testen bei einem Einfallswinkel von etwa 40°. 

Salus: Symmetrische Skotome nach urämischer Amaurose. (Klin. 
Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Verf. veröffentlicht einen Fall 
von bleibender Schädigung des Sehvermögens in Form homonym-bemi- 
anopischer Skotome, zurückgeblieben nach urämischer Amaurose. Es 
ist kaum daran zu zweifeln, dass eine Veränderung, die in ihren Folgen 
so schwerwiegend ist, dass sie vorübergehend die vollkommene Auf¬ 
hebung der Funktion des Sehcentrums verursacht, unter Umständen zu 
bestimmten bleibenden anatomischen Veränderungen führen kann, da¬ 
mit auch zu bleibenden, mehr oder weniger ausgedehnten symmetrischen 
Ausfällen im Gesichtsfelde. Im beschriebenen Falle hat wohl die 
gleiche Ursache, die die urämische Amaurose erzeugt hat, zu einer um¬ 
schriebenen bleibenden Schädigung im Hinterhauptslappen — sei es Blu¬ 
tung oder Erweichung — Veranlassung gegeben. 

Levi-Sander: Bemerkungen zu Patry: Welchen Einfluss hat 
eine Refraktion aaf das Werk eines Malers? (Klin. Mbl. f. Aughlk., 
Bd. 59, Nov.-Dez.) Verf. wendet sich gegen die Auffassung Patry’s: 
„Der Eindruck und Ausdruck des Malers sind hauptsächlich physikalisch 
und müssen in hohem Grade durch die Refraktion beeinflusst werden.“ 

F. Mendel. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft« 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 9. Januar 1918. 

Schluss der Besprechung über: Die ärztliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft. 

Hr. Kahl (Schlusswort): In dem mir verstatteten Sclhusswort möchte 
ich vor allem meiner Genugtuung darüber Ausdruck geben, dass sioh zwischen 
den ärztlichen Herren Mitberichterstattern und mir in zwei grund¬ 
legenden Fragen volle Uebereinstimmung ergeben hat: Erstens, dass 
im Rahmen des geltenden Rechts ein ausreichender Spielraum für die 
ungehinderte ärztliche Tätigkeit gegeben ist. Zweitens, dass die nicht 
medizinischen Indikationen abzulehnen sind. Bloss Herr Bonhoeffer 
hat de lege ferenda iür nützlich gehalten, es möchte bei Idioten eine 
sozikle Indikation zugelassen werdeu. Vom Standpunkte des Gesetzgebers, 
auf den allein ich mich in dieser Frage stellen kann, möchten doch ge¬ 
wisse Bedenklichkeiten dagegen geltend gemacht werden müssen. Vor 
allem wird er sich sagen, dass bei Zulassung auch nur einer Ausnahme 
noch eine Reihe von Anforderungen ähnlicher Art gestellt werden 
können. Namentlich aber müsste, falls eine Ausnahme geschaffen würde, 
notwendigerweise eine gesetzliche Bestimmung, die eben Regel und Aus¬ 
nahme einander gegenüberstellt, geschaffen werden: gerade eine besondere 
gesetzliche Bestimmung wird ja aber — ich werde mir erlauben, darauf 
zuüokzukommen — von der überwiegenden Mehrheit der Aerzte nicht ge¬ 
wünscht. 

Im übrigen hat sich aus den*Ausführungen sowohl der Herren Mit¬ 
berichterstatter, wie auch sonst der Aerzte, selbst dem Laien, der nicht 
auf der Klaviatur der medizinischen technischen Faohausdrücke zu 
spielen versteht, doch soviel mit Sicherheit ergeben, dass in aller Mehr¬ 
zahl der Fälle, vielleicht in den Regelfällen, das Vorliegen einer medi¬ 
zinischen Indikation mit ziemlicher Sicherheit festgestellt werden kann, 
dass also die Grenzlinien zwischen erlaubtem und unerlaubtem Handeln 
des Arztes doch nicht so flüssig verlaufen, wie man manchmal glaubt. 
Insbesdndere hat mir eingeleuchtet, was mein Mitberichterstatter Herr 
Kraus speziell hervorgehoben hat, dass jeder Einzelfall für sich selbst 


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144 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


genommen sein will, dass sich also generelle Regeln für die Indikations- 
stellnng wohl nicht werden aufstellen lassen. Ich bin auch überzeugt, 
dass jeder verständige Richter dem Grundsatz zustimmen wird, dass mit 
generellen Regeln hier nichts zu machen ist, und dass er hiernach dem 
Einzelfall ein besonderes Recht Zuteil werden lassen wird. Dadurch würde 
sicher auch der das letzte Hai erwähnte Sonderfall des Herrn Arthur Maier 
gedeckt sein, in dem durch Unterbrechung zwar nicht mehr eine Abwendung 
der Gefahr möglich ist, wohl aber eine Hinausschiebung des Todes er¬ 
zielt werden kann. Auch das ist für freies richterliches Ermessen 
zweifellos eine „gegenwärtige Lebensrettung“, denn jede Lebensrettung 
ist etwas zeitlich Begrenztes. Auch die schwierigen Konkurrenzfälle 
zwischen, sozialer und medizinischer Indikation würden zuverlässig von 
dem freien richterlichen Ermessen in verständiger Weise gewürdigt 
werden. Namentlich, wenn dem Richter der gemeinverständliche, mir 
darum besonders sympathisch gewesene Maassstab des Herrn Hamburger 
an die Hand gegeben würde, dass neben der sozialen Lage mindestens 
eine „anständige Krankheit" Vorgelegen haben müsse, um die Unter¬ 
brechung zu rechtfertigen. 

Nun einige Einzelfragen. Erstens: Ist eine gesetzliche Sonder¬ 
bestimmung für die Aerzte erwünscht? Nur Herr Fritz Strassmann 
hat sich heute für eine solche ausgesprochen. Sonst hat jedenfalls die 
überwiegende Mehrzahl dagegen Stellung genommen. Herr Kraus hat 
sie ausdrücklich abgelehnt, und hält das heute in der Praxis anerkannte 
Gewohnheitsrecht in Verbindung mit dem künftig zu erweiternden Not¬ 
hilfsrecht für ausreichend. Ebenso Herr Hamburger. Zu dessen Be¬ 
gründung muss ioh mir freilich ein kurzes Wort erlauben. Er sagte, er 
habe bei Olsbausen, Liszt und anderen Kriminalisten den Satz gefunden, 
dass jede pflichtmässige Berufsausübung" straffrei mache. So einfach 
liegt die.Sache nicht. Was dort gesagt ist, bezieht sich auf die Aus¬ 
übung staatlicher Obrigkeitshandlungen, also z. B. Verhaftung durch 
einen Schutzmann, Vornahme einer Pfändung durch einen Gerichtsvoll¬ 
zieher, oder Tötung eines Menschen durch den Scharfrichter und der¬ 
gleichen. Es bezieht sich aber nicht auf freie Berufe. In jenen all¬ 
gemeinen Satz könnte also die Berechtigung des Arztes zur Vornahme 
von Unterbrechung der Schwangerschaft unmöglich eingeschlossen sein. 
Gegen Spezialbestimmungen hat sich weiter Herr Max Hirsch erklärt. 
Ich bedaure ungemein, dass dieser Herr, mit dem ich auch sonst noch 
eine Reihe von Fragen hier gern öffentlich besprochen hätte, nicht zu¬ 
gegen ist. Auch Rechtsanwälte und Pädagogen, sagte er u. a., verlangen 
zum Schutz ihrer Rechtshandlungen keine Spezialbestimmungen. Dem 
möchte ich nur entgegenhalten, dass Rechtsanwälte und Pädogegen sich 
auch nicht berufsmässig mit Tötung der Leibesfrucht beschäftigen, dass 
es sich aber lediglich aus Anlass eben der Tötung der Leibesfrucht 
um die Frage der Notwendigkeit einer gesetzlichen Spezialbestimmung 
handelt. 

Am bestimmtesten hat Herr Alexander sich in der letzten Sitzung 
dagegen ausgesprochen. Er hat die Gründe dargelegt, aus denen 
die ärztlichen Sachverständigen in der zweiten Lesung der Strafreohts- 
kommission sich gegen die Aufnahme einer Spezialbestimmung ausge¬ 
sprochen haben. Selbstverständlich würdige und ehre ich diese Gründe 
in vollstem Maasse. Nur habe ioh mich als früherer Vorsitzender der 
Strafrechtskommission bei meinem Referate vom 5. Dezember vorigen 
Jahres nicht für berechtigt gehalten, die Motive der Aerzte hier meinerseits 
darzulegen. Nicht vollkommen verständlich war mir die von ihm voll¬ 
zogene Gegenüberstellung des Angebots einer Strafbestimmung gegen 
eigenmächtige ärztliche Behandlung auf der einen Seite, und der Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft auf der anderen Seite. Ich kann mit dem 
besten Willen ein Bedingungsverbältnis zwischen jenem Angebot und 
der Unterbrechung der Schwangerschaft nicht herausbringen. Ich kanp 
mioh aber auch jetzt unmöglich hier näher darauf einlassen. Nur daran 
liegt mir allerdings, festzustellen, dass es sich damals unter gar keinen 
Umständen und in gar keinem Sinne um irgendeine Art von Kompensa¬ 
tionsgeschäft gehandelt hat und gehandelt haben kann. Jedenfalls ist 
mir davon nichts erinnerlich, und derjenige meiner juristischen Kollegen 
aus der Strafrechtskommission, mit dem ich am schärfsten damals mich 
gegen den von den Aerzten eingenommenen Standpunkt gewendet habe, 
Herr Reichsgerichtsrat Ebenmeier in Leipzig, würde mir das sicherlich 
bestätigen. 

In der Sache selbst stehe ich nach wie vor sehr unbefangen und 
wünsche hier nichts — wie ich wiederhole — gegen die eigenen Wünsche 
der Aerzte. Herr Fritz Strassmann meinte vorhin, dass diese Ent¬ 
scheidung gar nicht zur Kompetenz der Aerzte, sondern des Gesetzgebers 
allein gehöre. Natürlich meinte ich nicht, dass die Aerzte uns die 
Formulierung dafür geben sollen. Nur darauf lege ich heute noch Gewicht, 
dass der Gesetzgeber sich von der Meinung der Aerzteschaft in der 
Hinsicht mitbestimmen lasse, ob überhaupt von ihnen das Gewohnheits¬ 
recht und das künftige Nothilfsrecht für ausreichend erachtet wird, 
oder ob sie glauben, für ihre weitere Berufsausübung einer besonderen 
Sicherung zu bedürfen. Den tatsächlichen Verlauf der Dinge denke 
ich mir allerdings so, dass man zu einer besonderen Bestimmung sicher 
greifen wird, wenn aus irgendwelchen Vorkommnissen in der Oeffent- 
lichkeit das Vertrauen in den ärztlichen Stand erschüttert wird. 
Dann aber'würde man zu einer Sonderbestimmung lediglich kommen, 
um gesetzlich jede andere, als die medizinische Indikation auszu- 
schliessen. Meine Meinung ist daher: je bestimmter die Aerztesohaft 
ihrerseits ihre Willensmeinung dem öffentlichen Bewusstsein dahin näher 
bringt, dass sie zur Ausübung ihrer heilenden Tätigkeit etwas anderes 
nicht bedarf, als medizinischer Indikationen, um so geringer wird die 


Nr. 6. 


Gefahr sein, dass eine besondere beschränkende Bestimmung über das 
Recht der Aerzte getroffen wird. 

In diesem Zusammenhänge wird nicht wunder nehmen, wenn ich 
mich nachdrücklich gegen die Ausführungen wende, die heute de lege 
ferenda hinsichtlich der Ausdehnung der ärztlichen Erlaubnis auf die 
sozialen Indikationen gemacht worden sind. Herr Lennhoff und der 
vorletzte Herr Redner haben sich vorwiegend nach dieser Richtung 
empfehlend ausgesprochen. In juristischen Kreisen, zumal denen der 
Gesetzgebung, wird eine Aufnahme der sozialen Indikationen unter die 
berechtigten Gründe zur Unterbrechung sicherlich nicht das Wort 
geredet werden. Dass die Anwendung der socialen Indikation in 
manchen Fällen etwas Wünschenswertes sein könne, welcher vernünftige 
Mensch wolle das bestreiten! Aber nioht für alles, was wünschenswert 
ist, können gesetzliche Vollmachten erteilt werdan. Die ärztliche Appro¬ 
bation kann nie eine Befugnis geben, alle diejenigen menschlichen 
Zustände, die dem Arzt nicht wünschenswert erscheinen, mit den ihm 
zur Verfügung stehenden Mitteln, hier sogar mit dem der Tötung der 
Leibesfrucht, zu beseitigen. Auch Juristen sind vielfach in der Lage, 
sociale und Gott weiss welche rechtlichen Zustände als unbefriedigend 
zu erkennen. Aber die Vollmachten des Standes reichen nicht aus, 
sie willkürlich zu beseitigen. Wenn der Staat ein so weitgehendes 
Recht, wie Unterbrechung der Schwangerschaft, gibt — und er muss es 
geben —, dann muss er diesem Recht auch bestimmte Grenzen ziehen. 
Gänzlich unkontrollierte uferlose Vollmachten können dem Aerztestand 
von der Gesetrgebung nicht bewilligt werden. 

Zweitens: die Anzeigepflioht. Da muss ich zuerst einem Miss¬ 
verständnis begegnen. Es sind, abgesehen von einer heute hier bean¬ 
tragten dritten Art der Anzeige, bisher zwei verschiedene Arten von 
Anzeigepflioht behandelt worden. Einmal die Pflicht zur Anzeige einer 
bevorstehenden Unterbrechung mit Zuziehung eines zweiten, wo¬ 
möglich beamteten Arztes, und vorangehenden Beratung. Herr Arthur 
Maier hält das nicht für empfehlenswert, auch Herr Paul Strassmann 
hat sich dagegen gewendet. Der erstere hat noch ausdrücklich her¬ 
vorgehoben, der beamtete Arzt dürfe kein Endurteil in der Sache haben. 
Aber der Redner hat sich zu Unrecht gegen mioh gewendet. Denn 
ich selbst habe die Anzeigepflicht für eine erst bevorstehende Unter¬ 
brechung unbedingt abgelebnt. Die andere Art ist die nachträgliche 
Anzeigepflioht für jeden künstlich ausgeführten Abort. Diese habe ich 
mit Herrn Bum in und einer ganzen Anzahl anderer Aerzte empfohlen. 
Auoh, wie ich jetzt sagen kann, in Uebereinstimmung mit Herrn 
Fr. Strassmann, der mir freundliohst Mitteilung von seiner Auffassung 
gemacht hat, die er vorhin nicht mehr vollständig hier vertreten konnte. 
Ausdrücklich dagegen haben sich erklärt die Herren Max Hirsch, 
Cohn, Paul Strassmann und Alexander, zustimmend wieder, 
wenn ich recht notiert habe, Herr Hamburger. Im allgemeinen ziehe 
ich aber den Schluss, dass eine erhebliche Stimmung dafür in der 
Aerzteschaft nicht vorhanden ist. 

Ioh habe Veranlassung, mich mit zwei der genannten Herren mit 
ein paar Worteu auseinanderzusetzen. Zunächst wieder mit dem leider 
abwesenden Herrn Max Hirsch. Sein Hauptein wand war, dass dadurch 
das ärztliche Berufsgeheimnis verletzt würde. Wäre das der Fall, 
so würde ioh ganz gewiss nicht für diese Anzeigepflioht zu gewinnen sein, 
denn däs ärztliche Berufsgeheimnis steht mir so hoch, wie ich solohes 
auch literarisch vertreten habe, dass ich unter keinen Umständen seine 
Beeinträchtigung oder Beschränkung empfehlen könnte. Aber der Ein¬ 
wand selbst ist unbegründet. Der Arzt sollte nach dem Sinn meines 
Vorschlags natürlich in keiner Weise verpflichtet werden, seine Patienten 
anzuzeigen. Es genügt vollkommen der Bericht über den objektiven 
Tatbestand. Will man weitergehen, so könnte man ihn höchstens ver¬ 
anlassen, dass er etwa die Nummer seines Tagebuches verzeichne; aber 
auch das ist nicht nötig. Die Sache ist von mir nioht bo gedacht, dass 
der Anzeige eine amtliche Inquisition nachfolgen, dass eine Nachprüfung 
eintreten soll. So, wie ich mir die Anzeige denke, hat sie einen doppelten 
Zweck. Erstens soll sie dem Arzt einen Anstoss zu einer gewissenhaften 
Prüfung des Falles geben. Darin liegt nichts Verletzendes oder Be¬ 
drückendes. Man hat hier die Unterscheidung von anständigen und nicht 
anständigen Aerzten mit Beziehung auf diese Anzeigepflicht eingeführt. 
Der erstere, sagt man, bedürfe solcher Mitte Inioht, der andere werde sich 
darüber hinwegsetzen. Diesen Ein wand kann ioh nicht gelten lassen. 
Es handelt sich hier gar nicht um die Differenzierung von „anständigen" 
und „nicht anständigen" Aerzten, sondern — das ist das zweite 
Moment — um etwas viel Wichtigeres, nämlioh um die Deckung eines 
fundamental wichtigen Staatsbedürfnisses, wie ich noch einmal 
betone. Es muss eine zuständige Stelle geben, bei der man weiss, was 
vorgeht und welohe Tatsachen in dieser Beziehung vorliegen. Eben dies 
wird im allerhöchsten Interesse gerade des ärztlichen Standes selbt ge¬ 
legen sein. Nun weiss man, inwieweit wirklich der ärztliche Stand an 
der ganzen Sache beteiligt ist. Nun kann allen den unbegründeten Ver¬ 
dächtigungen, die so häufig in die Oeffentliohkeit gebracht werden, tat- 
sachenmässig entgegengetreten werden. Auch ich habe, wie Sie sich 
erinnern werden, die Beteiligung des ärztlichen Standes an der Ab¬ 
treibung maassvoll eingesohätzt, kann auch dabei bleiben trotz manoher 
Gegenbemerkungen. Aber erst, wenn diese amtliche Unterlage zuver¬ 
lässig beschafft ist, wird man in der Lage sein, allen Verdächtigungen 
entgegenzutreten. 

Nun hat heute noch Herr Schäffer eine Anregung zu einer dritten 
Art,'[einer allgemeinen Meldepflicht für jede Fehlgeburt, gegeben, 
zu der der Arzt, die Hebamme, der Haushaltungsvorstand verpflichtet 


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11. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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sein sollen. Er hat die Güte gehabt — wofür ioh ihm hier noch danke —, 
mir vorher von dieser Absicht Mitteilung zu machen. Ich habe es mir 
eingehend überlegt. Ich kann aber nicht zu dem Ergebnis kommen, 
dass dieses irgendwie dem konkreten Zwecke entspricht, der gerade mit 
dieser Maassregel erreicht werden soll. Ich finde in dem Vorschlag kein 
Mittel gegen Missbrauch. Glaubt man wirklich ernsthaft, dass es 
einen besonderen Eindruck auf die Frauenwelt maohen werde, wenn 
irgendeine Ordnungsvorschrift durch Anzeige bei einer Behörde erfüllt 
werden muss? Haben vielleicht Anzeigen, die beim Standesamt über 
sonstige Veränderungen des Personenstandes erstattet werden müssen, 
auf irgendwelche Familienglieder einen sittlich erziehlichen Einfluss? 
loh habe davon noch nichts gehört. Ich kann also nicht glauben, dass 
eine derartige Maassregel, auch wenn sie grosszügig gedacht ist, gross¬ 
zügig in ihrer Wirkung sein werde. Daher meine ich, es würde nioht 
eben eine Verbesserung sein, wenn an Stelle der Anzeigepflicht, wie ich 
sie hier in Uebereinstimmung mit vielen vorgelegt habe, eine derartige 
Verallgemeinerung der Meldepflicht über jede Fehlgeburt eintreten sollte. 
Soloher Meldepflicht könnten auch manchmal allerlei praktische Schwierig¬ 
keiten entgegenstehen. 

Nun hat aber Herr Alexander, an denn ich bitte, mich noch ein¬ 
mal wenden zu dürfen, nooh viel schwerere Bodenken gegen die Anzeige- 
pflioht vorgeführt. Er hat Ihnen einen energischen Protest gegen 
meinen Vorschlag empfohlen. Er hat mich dabei in sehr gütiger Weise 
überschätzt, indem er meinte, wenn ich mich für die Anzeigepflicht in 
der Art erklärte, würde sie angenommen. Das ist leider nicht der Fall. 
Seit Einstellung der Strafrechtsreform unmittelbar mit dem Beginn des 
Krieges hat -sich nicht nur mein körperliches Gewicht sehr erheblich 
vermindert, sondern auch mein amtliches Gewicht vollständig zu 
bestehen aufgehört. Käme also trotzdem eine Anzeigepflicht zustande, 
so maohen Sie nioht mich dafür verantwortlich und entziehen Sie 
mir darum nioht Ihre Huld. Ich würde aber — im Ernst gesprochen — 
dem empfohlenen Protest meinerseits auf das allerwärmste mich gegen 
mich selbst anschliessen, wenn ich wirklich das gesagt hätte, was Herr 
Alexander infolge eines offenbaren Missverständnisses mir in den 
Mund legt. Es ist mir eine Beruhigung, dass auch nach Ansicht des 
Herrn Fritz Strassmann, wie er mir vorhin mitgeteilt hat, dieses 
Missverständnis bei Herrn Alexander vorliegt. Ich soll die schärfsten 
Strafbestimmungen bei Nichterfüllung der Anzeigepflicht verlangt haben! 
Das ist mir nicht eingefallen. Ich habe vielmehr vorgeschlagen, dass 
die Anzeige unter eidesstattlicher Versicherung abzugeben sei. 
Würden dann in dieser eidesstattlichen Versicherung wissentlich un¬ 
wahre Angaben gemacht, dann sollen für die Verletzung der 
Wahrheitspflicht die Strafbestimmungen des § 156 eintreten. Das 
ist doch wohl ein himmelweiter Unterschied! Mein Vorschlag ist nicht 
in Parallele zu stellen mit der Strafandrohung wegen Nichtanzeige einer 
anzeigepflichtigen Krankheit mit 15 M. u. dgl. Ich habe sogar, aus¬ 
drücklich erklärt, dass hier keinerlei Ordnungsbestimmung helfen könnte, 
sondern dass ein materiell ernsthafte Verpflichtung geschaffen werden 
müsse, verstärkt durch eine strafrechtlich geschützte Wahrheitsver- 
pflicbtung für den Inhalt der Anzeige. Das enthält so wenig etwas Be¬ 
leidigendes oder Zurücksetzendes, als wenn im Interesse der Staats¬ 
sicherheit bei Steuererklärungen oder im Interesse der Wahrheit bei 
Abgabe einer Prüfungsarbeit oder bei sonst irgendwelcher Gelegenheit, 
wie jüngst bei der Angabe der Zimmerzahl zum Zwecke der Kohlenver¬ 
teilung, eine eidesstattliche Versicherung abgegeben werden muss. loh 
sagte damals wörtlich: „Etwas Rechtes oder gar nichts“, ln diesem 
Sinne wollte ich die Erklärung unter die Garantie der eidesstattlichen 
Versicherung gestellt wissen. Wegen Versäumnis einer Ordnungsvor¬ 
schrift dem Arzt eine Gefängnisstrafe anzudrohen, ist mir nie in den 
Sinn gekommen. 

Die sachlichen Einwendungen des Herrn Alexander treffen zum 
Teil mit dem schon Besprochenen zusammen. Besonders betont er aber 
noch die Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und 
Patientin und damit die Gefahr der Flucht der Schwangeren zu 
Pfuschern und Hebammen. Diese Flucht wird eben nicht eintreten, 
wenn das Berufsgeheimnis in dem Sinne gewahrt bleibt, wie das bei 
mir die stillschweigende Voraussetzung bei Empfehlung der Anzeige¬ 
pflicht überhaupt war und ist. Denn naoh wie vor wird der Arzt 
in die Lage gebracht sein, seine vertrauensvolle Belehrung und 
Bekehrung auszuüben. Im übrigen stehe ich auch hier der Sache 
gänzlich leidenschaftslos und unbeteiligt gegenüber, da ich ja 
als Doctor medicinae honoris causa nicht in die Lage komme, 
Schwangerschaften künstlich zu unterbrechen. Ich habe nur das sehr 
bestimmte Gefühl, dass das öffentliche Gewissen gegenüber den 
vorliegenden Tatsachen heute beunruhigt ist. Sie werden es bestätigt 
finden, wenn demnächst der Fall Jena, den wir hier nicht näher be¬ 
rührt haben, noch einmal zur Erörterung kommt. Das öffentliche 
Bewusstsein ist beunruhigt. Das ist eine Tatsache, die gar nicht weg¬ 
zubringen ist. Gegenüber dieser Tatsache erschien mir allerdings ein 
so vornehmes und einfaches Mittel, wie die Einführung einer derart 
gestalteten Anzeigepflicht ein Auskunftsweg zu sein. Er legt jedenfalls 
gewissenhafter Berufsausübung nicht die geringsten Beschränkungen auf. 

Endlich habe ich nooh auf eine in der Sitzung vom 19- Dezember 1917 
an mich gestellte Frage einzugehen. Die gründlich überlegte und daher 
schriftlich formulierte Antwort erlaube ich mir zu verlesen und zu 
Protokoll zu geben. 

Die von Herrn Abel in der Sitzung vom 19. Dezember 1917 
mir vorgelegte Frage lautete zunächst in allgemeiner Fassung: „Kann 


die Frau über ihren Körper verfügen?“, sodann spezieller naoh 
dem mir mündlich bestätigten Sinn: „Kann die Frau die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft verlangen, weil sie sioh 
sonst dem Kaisersohnitt aussetzen würde?“ 

Die Frage scheint nicht ganz unverfänglich upd geeignet, die 
juristische Theorie in einen Widerspruch zu sich selbst zu setzen. Be¬ 
jaht nämlich der Jurist die Hauptfrage mit dem selbstverständlichen, 
in jure begründeten Vorbehalt, dass die Frau zwar über den eigenen 
Körper, nioht aber über ihre Leibesfrucht verfügen kann, so ist der 
Einwand des Mediziners zu gewärtigen, dass, wenn die Frau, wozu sie 
zweifellos berechtigt ist, den Kaiserschnitt verweigert, sie damit 
schon über die Leibesfrucht verfügt hat, die durch Perforation ver¬ 
nichtet werden muss, weil normale oder künstliche Geburt nicht mög¬ 
lich ist. 

Ein Widerspruch hinsichtlich des Verfügungsrechts der Mutter liegt 
gleichwohl nicht vor. 

Vor allem ist klarzustellen, dass nie und unter keinen Umständen 
die Frau eine Unterbrechung der Schwangerschaft verlangen kann. 
Auch dann nicht, wenn ihr aus der zu erwartenden Unmöglichkeit nor¬ 
maler Entbindung Gefahr droht. Ein Rechtsgrundsatz der Unterbrechung, 
soweit ein solcher aus Theorie und Praxis heute überhaupt zu beschaffen 
ist, kann immer nur darin gelegen sein, dass seinerseits der Arzt die 
medizinische Anzeige für gegeben erachtet. Das „Verlangen“ der Frau 
kann so wenig wie ihre „Einwilligung“ jemals ein selbständiger Rechts- 
grundsatz für die Erlaubtheit der Handlung sein. In diesem Sinne gibt 
es kein „Verfügungsrecht“ der Frau. 

Würde man aber den Fall so konstruieren, dass die Frau wegen 
des von ihr gefürchteten Kaiserschnitts sich im Notstände glaubt und 
nun selbst zur Abtreibung der Leibesfrucht schreitet, so könnte zwar 
unter der Voraussetzung, dass alle Erfordernisse des § 54 StGB, vor¬ 
liegen, dass insbesondere nach gegenwärtigem Stande der ärztlichen 
Kunst und Erfahrung der Kaiserschnitt eine unbedingt lebensgefährliche 
Operation darstellt, Straffreiheit für die Frau wohl zu begründen 
sein. Aber selbst durch straffreien Notstand hätte sie kein „Verfügungs- 
reoht“ über ihre Leibesfrucht, kein „Reoht auf Abtreibung“ erlangt, 
sondern nur einen Entschuldigung rund für eine sonst strafbare 
Handlung. Die Notlage gibt ihr weder sich selbst gegenüber ein „Recht“ 
auf Vernichtung der Leibesfrucht, nooh dem Arzte gegenüber einen 
„Anspruch“ auf Unterbrechung der Schwangerschaft. 

Wenn nun andererseits die Frau im Zeitpunkte der zu erwartenden 
Entbindung in Kraft eben der freien Verfügung über ihren eigenen 
Körper die Vornahme des Kaiserschnitts verweigert, so hat sie doch 
damit nioht im rechtlichen Sinne eine „Verfügung über das Kind“ 
getroffen. Sie bezweckt nicht die Tötung des Kindes, sondern die 
Rettung des eigenen Lebens. Der Tod des Kindes ist Naturnotwendigkeit 
geworden durch seine organische Verbindung mit dem Mutterleib. Eine 
„Verfügung“ liegt nur vor, wenn und insoweit der W i 11 e einen Einfluss 
zu üben vermag auf den Eintritt des Erfolgs. Ist dieser aber un¬ 
vermeidliche Selbstfolge der an sich berechtigten Handlung, hier der 
Verweigerung des Kaiserschnitts, so kann er nicht irgendwie als Wir¬ 
kung einer selbständigen Willensmacht zu bewerten sein. Es kann also 
aus der Verweigerung des Kaiserschnitts nicht rückwärts auf ein Ver¬ 
fügungsrecht der Mutter über die Leibesfrucht geschlossen werden. 
Ein Widerspruoh mit der allgemeinen Regel liegt nioht vor. 

loh bitte um Entschuldigung, dass ich Ihre Geduld noch so lange 
in Anspruch genommen habe und schliesse mit einem herzlichen Dank 
dafür, dass ich an dieser Verhandlung habe teilnehmen und in ihr von 
Aerzten wiederum viel habe lernen dürfen. 

Hr. Bumm. Es ist mir bekannt geworden, dass Absichten bestehen, 
die ärztliche Ausführung des Abortus gesetzlich zu regeln. Es scheint 
mir deshalb wichtig, dass die hiesige Medizinische Gesellschaft, als die 
grösste Vereinigung praktischer Aerzte im Deutschen Reich, zu dieser 
Frage Stellung nimmt, und ioh möohte mir erlauben zu beantragen, dass 
wir in dieser Frage eine Erklärung erlassen. Ich bitte, dass ich den 
Antrag und die Begründung in der nächsten Sitzung hier Vorbringen 
darf. (Rufe: Vorlesen!) Ich kann den Antrag auch gleich vorlesen. — 
loh stelle mich dabei auf den Standpunkt, dass eine Anzeigepflicht aus 
den von Herrn Kahl in glänzender Weise vorgetragenen Gründen nicht 
zu umgehen ist. Mein Antrag lautet: 

„Die Berliner Medizinische Gesellschaft hält eine Kontrolle des 
therapeutischen Abortus für wünschenswert. Sie sieht in der Anzeige¬ 
pflicht des künstlich ausgeführten Abortus an den beamteten Arzt keine 
Beeinträchtigung des freien ärztlichen Handelns und, wenn von einer 
Namensnennung der Kranken abgesehen wird, auch keine Verletzung 
des ärztlichen Berufsgeheimnisses.“ 

Ich werde mir erlauben, den Antrag in der nächsten Sitzung noch 
kurz zu begründen, und möchte den Herrn Vorsitzenden fragen, ob er 
geneigt wäre, in dieser Hinsioht eine Abstimmung zu veranlassen, um 
die Meinung der medizinischen Gesellschaft zu erfahren. 

Vorsitzender: Das werden wir in der nächsten Sitzung sehen. 

Hr. Sohäffer: Dann müsste noch eine Diskussion über diesen 
Antrag stattfinden! 


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146 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Sitzung Tom 16. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Israel. 

Vorsitzend,er: Ich habe mitzuteilen, dass Herr Geheimer Sanitäts¬ 
rat Dr. Franz Böhler, Mitglied seit 1906, wegen Versugs nach ausser¬ 
halb, ausgetreten ist. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Kausch: Tuberkulöse Lymphaigitis. 

Wenn Sie den Vorderarm dieses 24 jährigen Mannes betrachten und 
betasten, werden Sie zunächst glauben, es handele sich um eine sehr 
schwere Arteriosklerose. Eine perlsohnurartige Kette von harten erbsen¬ 
grossen Knötchen, dicht aneinandergereiht, liegt genau an der Stelle, wo 
man sonst die Radialis fühlt. Von Pulsation ist aber an diesem Strange 
nichts zu bemerken, und dann fällt auf, dass er zur Innenseite des 
Ellbogengelenks verläuft und von hier aus weiter bis zur Achselhöhle; 
am Oberarm liegen die Knoten weiter auseinander, einige liegen auch 
ausserhalb der Reihe, mehrere sind mit der Haut verwachsen, die ge¬ 
rötet ist. In der Achselhöhle liegen einige baselnussgrosse Lymphdriisen. 
Es handelt sieh um eine tuberkulöse Lymphangitis, die ausgeht von 
einer 10pfennigstückgrossen Borke, die sich an der Innenseite des Grund¬ 
gliedes des Daumens befindet. 

Patient, der anfangs des Krieges 6 Monate im Felde stand, kam 
mit leichten Lungenerscheinungen zurück. April 1916 trat eine fistulöse 
Tuberkulose am rechten Hoden auf, die Fistel besteht jetzt noch und 
sonderte andauernd ein wenig ab. Im Juli 1917 vertrat er sich den 
rechten Fuss, es bildete sich hier eine geschlossene fungöse Sehnen- 
soheidentuberkulose am Mittelfusse. Gleichzeitig damit bildete sich ohne 
jede Verletzung die Borke am linken Daumen; Absonderung bestand 
hier nie, die Borke fiel von Zeit zu Zeit ab, es bildete sich stets eine 
neue wieder. Die rechte Lungenspitze orscheint bei der Durchleuchtung 
etwas verdächtig. Die Pirquet’sohe Reaktion, die vor 11 Tagen vor¬ 
genommen wurde, war sehr stark positiv; Sie sehen sie jetzt noch deutlich. 

In diesem Falle lässt sich das Zustandekommen der tuberkulösen 
Infektion am Daumen mit absoluter Sicherheit nachweisen. Patient hat 
sioh beim Wasserlassen, wozu er, wie alle Männer, die linke Hand be¬ 
nutzt, den Daumen an der tuberkulösen Hodenfistel infiziert. Es handelt 
sich danaoh um ein endogenes Zustandekommen der tuberkulösen 
Lymphangitis. 

Das Leiden ist ein ausserordentlich seltenes; ich habe es noch nie 
gesehen, die meisten von Ihnen auch nicht. Most, der vor kurzem eine 
grosse Abhandlung über die chirurgischen Erkrankungen der Lyraph- 
gefässe geschrieben hat, gibt an, dass es bisher 44 Fälle in der ganzen 
Literatur gibt, etwa die Hälfte davon gehören dsr älteren Literatur an. 

Trotz des günstigen Lungenbefundes ist das Leiden als sehr ernstes 
anzusehen. 

Was die Behandlung betrifft, so gehe ich in Anbetracht der Multi- 
plizität der tuberkulösen Affektionen zunäohst nicht operativ vor, 
sondern habe zur Heifstättenbehandlung geraten in Verbindung mit 
Höhensonne-, Röntgenbestrahlung und Tuberkulinkur. Sollte keine 
Heilung eintreten, so wurde ich sowohl die Lymphangitis wie die beiden 
anderen chirurgischen Afiektionen nacheinander operativ beseitigen, 
erstere durch einen langen Schnitt vom Handgelenk bis zur Achselhöhle. 

Der Fall wird von meinem Assistenzärzte Kipnis ausführlich be¬ 
schrieben werden. 

Hr. Alfred Rothschild: 

Plastischer Verschloss grösserer Harnröhreofisteln. (Mit Kranken¬ 
vorstellung und Lichtbildern.) 

Die fast ideale Methode der Mobilisation und Naht der Harnröhren¬ 
stümpfe ist wegen Zerreissungen, narbiger Veränderungen in der Um¬ 
gebung der Fistel oder anderen Gründen nicht immer möglich', uud die 
Ersatzplastik mit Stücken der Vena saphena, des Ureters, dem Wurm¬ 
fortsatz ist teils nicht sicher im Dauererfolg, teils ist — zur Verwendung 
der letzteren Teile — das nötige Material nicht immer zur VertüguDg. 
Eine stets brauchbare Methode zum Verschluss grösserer Harnröhren fisteln 
fehlt. Ich erlaube mir daher, 2 Fälle hier vorzustellen mit etwa 2*/s cm 
langen Urethraldefekten, bei welchen die oben genannten Methoden der 
Plastik nicht durchführbar waren, und in welchen mir durch breitgestielte 
Hautlappen und breite Hautanfrisohung um die Fistel die Deckung der 
Defekte gelang. Zum Verschluss und zur epithelialen Innendeckung der 
Urethrallüoke benutzte ich torflügeläbnliche, rechteckige Hautlappen aus 
der Haut des Membrum seitlich der Fistel, die ioh über die letztere auf 
einem Nelatonkatheter umklappte Und mit dem angefrisohten Rand der 
Gegenseite vernähte. Die ganze Umgebung der Fistel frischte ioh dann 
durch Ablösung der Haut in etwa 27t cm Breite an. Darüber als äussere 
Deckung benutzte ich im ersten Fall einen breitgestielten Serotalhaut- 
lappen, im zweiten Fall einen 15 cm langen und 5 cm breiten Lappen 
aus der Haut des Oberschenkels. Ich würde für die Zukunft die Ver¬ 
wendung des Oberschenkelbautlappens vorzieben, da die Ernährungs¬ 
verhältnisse der Scrotalhaut weniger gut sind. Nach der Heilung ist in 
meinen beiden Fällen die Haut über dem Defekt weich und elastisch, 
die Miktion gut, die Erektion unbehindert, dis Urethra für Sonde 26 Gh. 
durchgängig. Zur Urinableitung benutzte ich eine vorher angelegte Bauch¬ 
blasenfistel, die ich nach der Heilung der Urethralfistel schloss. Ein 
Ursthralkatbeter lag nur während der Operation. 

(Ausführliche Veröffentlichung in d. Deutsch, med. Wtchenschr.) 


Hr. C. Hamburger: 

Vorstellung eiies Falles voa Erbliuduug durch Likörersatz. 

Der Patient, den Sie hier sehen, ist ein 50jähriger Arbeiter aus 
einer Anilinfabrik. Er war bis jetzt vollständig gesund. Am 27. De¬ 
zember ging er nbch ganz gesund in seine Arbeit, erkrankte dann aber 
mit Erbrechen und Durchfällen. Er ging nach Hause, legte sich schlafen, 
und als er aufwachte, war sein Augenlioht erloschen. 

Solche plötzliohe Erblindungen kommen vor nach starkem Blutver¬ 
lust — davon ist hier keine Rede — oder bei Urämie — das lag hier 
auch nicht vor — oder bei Vergiftungen, z. B. bei unglücklichen Band¬ 
wurmkuren durch Farnwurzeln und 'dergleichen — auch das bestand 
hier nicht. 

Die nähere Nachforschung hat ergeben, dass der Kranke am 25. und 
26. Dezember, also in den Weihnaohtsfeiertagen, eine grosse Menge 
Alkohol getrunken hat — wieviel ist nicht genau zu ermitteln. Er hat 
von einem Händler unbekannter Herkunlt ein Präparat gleichfalls 
zweifelhafter Herkunft erworben, wahrscheinlich 7s bis 1 Liter, dasselbe 
mit Zichorie, mit braunem Zucker und mit Wasser, also mit ganz un¬ 
verdächtigen Ingredenzien zurecht gemacht und davon einen sehr grossen 
Teil selbst getrunken. Auch mehrere andere haben das getrunken, 
denen ist aber nichts passiert. Darunter war auch ein Soldat. Der ist 
gesund geblieben und an die Front zurückgekebrt. Am meisten hat 
allerdings dieser Kranke zu sich genommen. 

Bei dem Patienten zeigt sich eine ausserordentlich starke Erweiterung 
beider Pupillen, die auf Licht nicht reagieren, und im Augenspiegel sah 
man eine ganz unbedeutende Entzündung am Sehnerveneintritt, die 
jedenfalls in keiner Weise ausreicht, um die sohwere Erkrankung auf¬ 
zuklären. 

Sie erinnern sich, dass vor sechs Jahren eine grosse Anzahl von 
ähnlichen Fällen hier im Asyl für Oblaohlose beobachtet wurde. Die 
Diagnose schwankte damals. Man bat aber schliesslich wohl als zu Recht 
erkannt, dass Vergiftungen mit Methylalkohol die Schuld gewesen sind. 
Mangels jeder anderen Aetiologie muss hier wohl angenommen werden, 
dass etwas Aehnliches vorliegt. 

Von dem Präparat habe ioh nichts bekommen können. Es war 
nichts mehr da. Man schwebt also im Dunkeln. Aber es wird wohl 
so sein, wie es damals gewesen ist. Dabei ist es gleichgültig, ob der 
Holzgeist selbst die Sohuld ist oder die ihm bei der Fabrikation ge¬ 
wöhnlich beigemengten Substanzen, wie dies nach den damaligen Aus¬ 
führungen eines so ausgezeichneten Charakters von H. Aronson anzu¬ 
nehmen ist. 

Jedenfalls habe ich es für meine Pflicht gehalten, den Patienten 
hier vorzustellen. Es wäre wünschenswert, wenn das Polizeipräsidium 
vor allen derartigen Ersatzmitteln eine Warnung erliesse. Denn der 
gute Alkohol ist jetzt nicht zu bekommen, er ist beschlagnahmt und 
wird nur auf Rezept abgegeben; was also von Händlern erworben wird, 
ist ausserordentlich zweifelhaft. Diese Substanzen waren bezüglich der Farbe 
und des Geschmacks unverdächtig, aber mau sieht es ihr eben nicht 
an. Es wäre wünschenswert, wenn gewarnt würde, denn das Bedürfnis 
nach Anregungsmitteln ist in dieser Zeit sehr grcss, ganz besonders in 
dieser Jahreszeit. Es handelt sich zwar nur um einen Fall, aber das 
reicht aus, angesichts der furchtbaren Folgen. 

Aussprache. • 

Hr. Bonhoeffer: War sonst neurologisch alles in Ordnung? 

Hr. C. Hamburger: Prof. Kramer, Assistent von Herrn Bon¬ 
hoeffer, hat den Patienten gesehen und hat organisch am Nervensystem 
nichts naohweisen können. 

Ich möchte an Herrn Geheimrat Bonhoeffer in therapeutischer 
Hinsicht die Frage richten, ob die Lumbalpunktion irgend einen Zweck 
hat. Ich habe mich bisher nicht dazu entschliessen können, weil ioh 
der Meinung bin, dass die Substanz doch an Ort und Stelle vollständig 
verankert ist. 

Hr. Bonhoeffer: Ich kann mir nicht denken, dass die Lumbal¬ 
punktion therapeutisch irgend etwas wirken wird. Andererseits glaube 
ioh, dass sie unbedenklich gemacht werden kann. Es wäre vielleicht 
auch diagnostisch ganz wertvoll, um mit Sicherheit auszuschliessen, dass 
irgendein luetischer Prozess vorhanden war. 

Hr. G. Hamburger: Die Wassermann’sche Reaktion habe ioh 
machen lassen. 

Hr. Bonhoeffer: Wichtiger noch als die Blutuntersuchung würde 
die Lumbalpunktion sein, um eine cerebrale luetische Affektion ganz 
sicher auszuschliessen. 

Hr. J. Hirschberg: Ich zweifle nicht im mindesten daran, dass 
hier ein Fall von Methylvergiftung vorliegt. Es ist übrigens nicht der 
einzige. In den letzten Tagen sind noch zwei oder drei Fälle hier in 
einem Krankenhause beobachtet worden. Ich habe ja damals im Februar 1912 
eine genaue Zusammenstellung über Metbylschnaps-Vergiftung veröffent¬ 
licht. Es sollte doch von Seiten der Behörden dafür gesorgt werden, dass 
Methylalkohol-Präparate, wo es möglioh ist, das Giftzeiohen bekommen; 
sonst werden immer wieder unwissende Menschen dieses schreckliche 
Unglück erdulden. 

Tagesordnung. 

Vorsitzender: Wir müssten nun in die Tagesordnung eintreten. 

Der Antrag Bumm ist im roten Blatt bekannt gemacht. Es ist 
mittlerweile ein Gegenantrag von Herrn Schaffer eingelaufen, der 
lautet: 


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11. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


147 


Die Berliner medizinische Gesellschaft gibt ihrer Meinung Ausdruck, 
dass eine Einschränkung der erschreckend hohen Zahl der gewollten vor- 
breoherischen Abtreibungen durch Maasnahmen der Gesetzgebung und 
der Verwaltung in Hinsicht auf die Volksvermehrung dringend wün- 
sehenswert und in gewissem Umfange auch möglich ist; sie lehnt 
aber den von Herrn Bumm eingebrachten Antrag einer ärztlichen An¬ 
zeigepflicht für ärztliche Schwangerschaftsunterbrechungen ab: 

1. weil gerade die verbrecherischen Abtreibungen dadurch nicht ge¬ 
troffen werden würden, 

2. weil es als festgestellt anzusehen ist, dase die ärztlichen Schwanger¬ 
schaftsunterbrechungen nur einen winzigen Bruchteil der gewollt- 
herbeigeiührten Fehlgeburten ausmaohen, 

3. weil bei einer Anzeige mit Nennung des Namens der Kranken, 
die Frauen, in Befürchtung der Anzeige und der damit drohenden 
polizeilichen Belästigungen, den gewissenhaften Arzt meiden und 
noch häufiger zu verbrecherischen Personen ihre Zuflucht nehmen 
würden, wodurch die Volksgesundheit noch grösseren Sohaden litte, 

4. weil bei einer Anzeige ohne Namensnennung die beabsichtigte 
Kontrolle völlig wirkungslos werden würde, 

5. weil die vom ganzen ärztlichen Stande als Misstrauen empfundene 
Kontrolle der bisher freien ärztlichen Berufsausübung keinen nennens¬ 
werten Gewinn für das Volks wohl verspricht. 

Die Berliner medizinische Gesellschaft nimmt davon Abstand, heute 
positive bestimmte Vorschläge au machen, da solohe nur auf Grund aus¬ 
giebiger Sonderberatungen gemacht werden können. 

Ich habe den Antrag Bumm in der Voraussetzung auf die Tages¬ 
ordnung gesetzt, dass Vorstand und Ausschuss vor der Sitzung diesen 
Antrag beraten könnten, und dass hier das Resultat dieser Beratung 
mitgeteilt werden könnte, denn nach unseren Statuten muss diese Vor¬ 
beratung von Vorstand und Ausschuss vorausgehen, ehe ein solcher An¬ 
trag im Plenum verhandelt werden kann. Die einberufene Sitzung von 
Vorstand und Ausschuss war beschlussunfähig. Infolgedessen ist es also 
unmöglich, dass heute über den Antrag gesprochen wird, sondern wir 
müssen ihn von der Tagesordnung absetzen, bis es mir gelungen ist, 
bei diesen Verkehrs Verhältnissen eine beschlussfähige Sitzung von Vor¬ 
stand und Ausschuss zusammenzubringen. 

Wir gehen deshalb zum zweiten Gegenstand der Tagesordnung über: 
Schlussworte über die Besprechung: Die Entliehe Unterbrechung der 
Schwangerschaft. 

Herr Bumm: Mein Schlusswort sollte sich auf den Antrag beziehen, 
der gerade von der Tagesordnung abgesetzt worden ist. Ich habe die 
Ueberzeugung, dass die Besprechung des künstlichen Abortus in dieser 
Gesellschaft nicht durch die Notwendigkeit der Darlegung der einzelnen 
Indikationen bedingt gewesen ist, die schon vielfach beschrieben worden 
sind, und die jeder Arzt in jedem Lehrbuch der Gebuitshilfe lesen kann. 
Wenn ich den Grund recht verstanden habe, der unseren Vorstand 
seinerzeit veranlasst©, die Abortusfrage auf die Tagesordnung zu setzen, 
handelte es sich darum, einmal festzustellen, ob wirklich ein Missbrauch 
mit dem Abortus stattfindet oder nicht und dann, welche Stellung die 
Berliner medizinische Gesellschaft zu dieser Frage nimmt. Darauf kommt 
es an. Die ganze Abortusfrage ist keine Frage der medizinischen 
Wissenschaft, insofern, sls es sich um Können und um Ueberwindung 
besonderer diagnostischer Schwierigkeiten handelt, sondern vielmehr eine 
Frage der Gewissenhaftigkeit und des Pflichtgefühls der Aerzte und ich 
bin der Meinung, dass eine so grosse Vereinigung von Aerzten, wie sie die 
Berliner medizinische Gesellshhait darstellt, jetzt, wo die Sache vor die 
gesetzgebende Faktoren kommt, auch die Pflioht hat, für oder gegen 
Maassnahmen, die die Regelung des Abortus betreffen, einzutreten. Ich 
werde mir erlauben, das nächstens genauer auszuführen, wenn wir bei 
einem vollen Hause tagen und dann eine Entscheidung herbeiführen 
können. Heute hat es keinen Sinn, dasselbe zu sagen, was ich nächstens 
nooh einmal sagen muss. 

Ueber die einzelnen Indikationen sind gewisse Differenzen vorhanden 
gewesen, die aber nicht sehr weit gehen. Soweit ich den Vorträgen 
habe zuhören können, haben im grossen und ganzen fast alle Redner 
eine gewisse UebereinstimmuDg in medizinischer Hinsicht dargeboten. 
Dass der eine die Grenzen ein bisschen weiter zieht, der andere ein 
bisschen enger, macht niohts aus. Alle sind darüber einig gewesen, 
dass nur ernste Erkrankung wirklich einen Grund abgeben darf, an die 
Unterbrechung der Schwangerschaft zu denken. Wir haben ferner die 
Vertreter der sozialen und sozialpolitischen Indikationen hier gehört. 
Es war von grossem sozialpolitischem und vielleicht auch psychologi¬ 
schem Interesse, diese Ausführungen anzuhören. Ein praktische 
Bedeutung haben sie nicht, da vorläufig die Rechtslage eine Anwendung 
des therapeutischen Abortus aus sozialen Gründen verbietet. Immerhin 
ist es möglich, dass in dem sozialen Zukunftsstaat einmal auch diese 
sozialen Indikationen verwirklicht werden. Dann aber, glaube ich, ist 
es besser, wenn man überhaupt von jeder staatlichen Beaufsichtigung 
und Sohutzmaassnahme für das keimende Leben absieht und es den 
Frauen einfach überlässt, ob sie ihre Frucht austragen wollen oder 
nicht. Die Herren Vertreter solcher Ansichten möchte ich aber fragen, 
was aus einem Volke werden soll, das in der von ihnen empfohlenen 
Weise durch Rationalisierung des Geschlechtslebens seine Vermehrung 
um ein Drittel vermindert und auch nooh der Abtreibung freie Bahn 
lässt. Aufsteigende Völker zeigen einen starkeq Trieb zur Vermehrung, 
und es ist immer ein Zeichen des Rüokganges, wenn der Vermehrung 
auf alle mögliche Weise entgegengetreten wird. Der Verfall geht, wie 


die Gesohiohte zeigt, allmählioh vor sioh, es dauert Jahrzehnte, Jahr¬ 
hunderte, bis er ein Volk in seiner Kraft herunterdrüokt. Aber endlich 
gehen mit der Verminderung auch alle sozialen Errungenschaften und 
alles zugrunde, was der einzelne aus der Hemmung des Geschlechts¬ 
lebens für sich und die Seinen an Kultur, an Reichtum erreicht. Das 
sind die Gründe, die ich den Herren Vertretern der sozialen und sozial¬ 
politischen Indikationen hier entgegenbalten wollte. 

Hr. Bonhoeffer: Ich kann mich auf wenige Worte beschränken, 
nachdem in der Diskussion die psychischen und nervösen Krankheiten 
in ihren Indikationen für den künstlichen Abort so gut wie gar keine 
Rolle gespielt haben. Sie sind meines Wissens nur von Herrn Strass¬ 
mann erwähnt worden, der fünfmal bei Psychosen den künstlichen 
Abort eingeleitet hat. Mit der Diagnose Psyohose ist natürlich die Be¬ 
rechtigung des künstlichen Abortes nicht begründet. Herr Strass- 
mann wollte das wahrscheinlich auch nicht. Er hat sioh nur der be¬ 
schränkten Zeit wegen kurz gefasst. Es müssen natürlich ganz be¬ 
stimmte Spezialdiagnosen gestellt werden, und dabei habe ich ja darauf 
hingewiesen, dass für die Mehrzahl der endogenen Psychosen eine Indi¬ 
kation nur in den allerseltensten Fällen vorliegt. 

loh habe dann noch zu dem Schlusswort des Herrn Kahl eine 
Korrektor anzubringen. Herr Kahl hat offenbar meine Ausführungen 
zur eugenisohen Indikation missverständlich aufgefasst. Es hat mir fern 
gelegen, eine gesetzliche Festlegung einer eugenisohen Indikation für 
Idiotie anzustreben. Ich habe lediglich auf die Erfahrung der Praxis 
hingewiesen, dass mehrfaches Vorkommen idiotischer Desoendenz die 
Eltern häufig veranlasst, zum Spezialarzt zu kommen und an ihn die 
Frage zu richten, ob bei einer erneuten Schwangerschaft nicht die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft vorzunehmen wäre. Ich habe in meinem 
Referat, wie ich glaube, keinen Zweifel darüber gelassen, dass wir nach 
dem Stande unserer Kenntnis von den Vererbungsverhältnissen keinerlei 
ausreichende wissenschaftliche Unterlage dafür geben können, um dem 
Gesetzgeber eine derartige exzeptionelle Indikation in Vorschlag zu 
bringen. Ich halte die eugenisohe Indikation naoh dem Stande unserer 
Vererbongskenntnisse nooh nioht für reif für eine gesetzliche Festlegung. 

Wenn ich zu der Frage der Anzeigepflicht meinerseits nooh ein 
Wort sagen darf, so habe ich bei der Abstimmung über diese Frage in 
der Wissenschaftlichen Deputation der Anzeigepflicht zugestimmt erstens, 
weil ich es für am Platze halte, dass der doch exzeptionelle Charakter 
des hier vorliegenden operativen Eingriffs durch eine Sonderbestimmung 
als solcher gekennzeichnet wird. Es hat mich aber vor allem auch ein 
nicht zur Diskussion gekommener Punkt dazu bestimmt. Ich glaube, 
es wäre für uns wissenschaftlich-statistisch von sehr grossem Wert, wenn 
wir auf diesem Wege dazu gelangen könnten, wirklich eine Statistik der 
erfolgreichen und der erfolglosen Schwangerschaftsunterbrechungen zu 
bekommen. Das, was der einzelne sieht, wenigstens in meinem Gebiet, 
ist doch so wenig, dass es für ein abschliessendes Urteil nicht aus¬ 
reicht. loh denke speziell an die Katatonie. Hier gibt es immer nooh 
Fachleute, die meinen, dass bei der Katatonie unter Umstanden die 
Unterbrechung der Schwangerschaft therapeutisch auf den Verlauf der 
Erkrankung günstig einwirkt. Ich halte es für ausserordentlich wahr¬ 
scheinlich, dass sie keinerlei wesentliehen Einfluss bat, aber es wäre 
doch sehr gut, wenn man einmal das ganze Material, das sich in einer 
grösseren Reibe von Jahren ansammelt, katamoestisch-wissenschaftlich 
bearbeitete. loh zweifle nicht, dass wir da zu einer nooh schärferen 
Indikationssteilung kommen könnten. Insofern würde ich mich aus 
wissenschaftlichen Gründen freuen, wenn die Berliner medizinische Ge¬ 
sellschaft dazu kommen würde, dem Anträge des Herrn Bumm zuzu- 
stimmen. 

Der Berichterstatter Herr Kraus hat sich entschuldigt. 


Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 18. Dezember 1917. 

1. Hr. Qnerner zeigt einen Fall von paroxysmaler Hämoglobin¬ 
urie. Der Anfall trat stets nach Erkältungen auf und Hess sich durch 
ein kaltes Fussbad aus!Ösen. Besprechung der verschiedenen bezüglich 
der Pathogenese ausgesprochenen Theorien sowie der Rolle der Sy¬ 
philis in der Aetiologie. Auch im vorliegenden Falle war bei negativer 
Anamnese und körperlichem Befund der Blutwassermann positiv. Spe¬ 
zifische Kur, wie auch sonst in diesen Fällen erfolglos. 

2. Hr. Zeisgier demonstriert zur Widerlegung der von Gonradi 
und Bieling behaupteten Ueberführbarkeit des malignen Oedem- 
baeillns in den FraenkePsehen Gasbrandbacillus die charakteristi¬ 
schen Wuchsformen der beiden Keime auf anaerob gehaltenem 
Menscbenbluttraubenzuckeragar. Der maligne Oedembacillus zeigt ver¬ 
schiedene Wuohsformen, solche mit hämolytischem durchsichtigen Hof 
mit feinen Ausläufern usw., die aber alle von denen des Fraenkel’sohen 
Bacillus deutlich unterscheidbar sind. Die Kolonien des letzteren sind 
viel üppiger, zeigen einen undurchsichtigen, erst sohmutzigbraunen, 
später grünlichen Hof. Diese Eigenschaften blieben in monatelanger 
Weiterkultivierung konstant. Eine Umzüohtung gelang nicht, 
auoh die Urheber der Mutationstheorie kommen von dieser zurück. 

8. Hr. Böttiger berichtet über 8 Fälle operativ behandelter trauma¬ 
tischer Epilepsie, in denen die Anfälle zum Schwinden gebraoht 
wurden. Der eine Kranke ging sogar freiwillig inB Feld. Im zweiten 


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148 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Fall hatte die Nähe des Arm- und Sprachcentrums Bedenken erregt, 
trotzdem auoh hier guter Erfolg. Im dritten Fall bestand ein grosser 
Prolaps am Hinterhaupt, der zu starkem Hirndruck geführt hatte. 
B. spricht sich gegen knöcherne Deckung des Defekts ln Fällen 
von Epilepsie aus. 

4. Hr. Sehmiliisky berichtet über 8 Fälle, in denen er den Duo- 
deaalsaft in den Magen geleitet hat (sogenannte „innere Apotheke“). 
Fünfmal führte er die Operation prophylaktisch bei Gastroentero¬ 
stomie aus. Allen fünf Patienten geht es sehr gut. Dreimal legte 
er die „innere Apotheke“ wegen peptischen Jejunalgeschwürs 
nach Gastroenterostomie an. Von diesen Fällen wurde einer geheilt, 
einer starb im Collaps nach der Operation, ein dritter wurde zunächst 
für 1 j 2 Jahr beschwerdefrei, bekam dann nach Trauma ein perforierendes 
Ulcus, welchem er erlag. Es zeigte sich, dass trotz der grossen Alkali¬ 
menge, die mit Galle und Pankreassaft so dem Magen zugeführt wird, 
doch zuzeiten 3 h nach Probemahlzeit saure Reaktion bestehen, ja 
nach Probefrühstück freie HCl vorhanden sein kann. 

5. Hr. Araing zeigte 2 Fälle schwerer Dermatitis mit Melaiose, 
hervorgerufen durch schlecht raffiniertes Schmieröl. Im einen Fall 
handelte es sich um eine gewerbliche Affektion, im zweiten war 
längere Zeit fortgesetztes Einsalben des Gesichts mit Nivea-Greame 
anzuschuldigen. Als Salbengrundlage dient jetzt, in Ermangelung anderer 
Constituentia, aus den schlecht raffinierbaren rumänischen und galizi- 
schen Erdölen gewonnene Vaseline, die bei längerem Gebrauch zu 
solchen höchst hartnäckigen Dermatitiden führt. Daher ist, bis es ge¬ 
lungen ist, die schädlichen Produkte aus den Erdölen zu entfernen, die 
Anwendung von Salben durch eine solche von Firnissen, Schüttel¬ 
mixturen usw. zu ersetzen. 

6. Hr. Sadeek zeigt im Röntgenbild einen Fall, bei dem freiwilliges 
Hink es, das ja zumeist als Vorläufer einer Goxitis betrachtet wird, 
durch einen tuberkulösen Sequester im Hüftgelenk verursacht 
war. Operative Entfernung befreite den kleinen Patienten endgültig 
von seinen Beschwerden und verhütete die Ausbildung einer Goxitis. 

7. Besprechung des Vortrags des Herrn Hirsch: Ueber die Stellung 
der Radiotherapie unter den therapeutischen Methoden. 

Hr. ^Reiche berichtet über die Erfolge der Röntgentherapie bei 
Lymphosarkomatose, Hodgkin und Leukämie. Der erste Erfolg 
ist bisweilen staunenswert. In einem Fall von Hodgkin, bei dem man 
kaum noch den Transport ins Röntgenzimmer wagen wollte, wurde die 
Bestrahlung lebensrettend. Bei einem Fall von Lymphosarkomatose 
hatte man den Eindruck, als ob die Strahlenwirkung bei ausgesprochenem 
lokalen Nutzen die Metastasenbildung beschleunigte. Ein Fall von 
myeloider Leukämie zeigte jedesmal äusserst günstige Beeinflussung der 
Leukocytenzahlen, ging aber schliesslich ins Bild der Leukanämie über. 

Hr. Sänger berichtet über radiotherapeutische Versuohe bei 
Hirn- und Rückenmarktumor. Von 3 Spinaltumoren wurde 
ein operativ nicht entfernbares intramedulläres Gliom äusserst gut be¬ 
einflusst. Pat. geht jetzt ohne Stock; in einem weiteren Fall Hessen 
die Schmerzen nach, in einem dritten machte das Leiden zum mindesten 
keine Fortschritte. Hirntumoren zeigten mehrfach ebenfalls deutlichen 
Rüokgang oder wenigstens Stillstand der Erscheinungen, ln einem 
Fall von Kleinhirnbrüokenwinkel-(Acusticus-)Tumor erwies das Tumor¬ 
gewebe bei der Obduktion sioh als deutlich erweicht, was S. auf die 
Strahlenwirkung zurückführt. In 2 Fällen kombinierte S. die Radio¬ 
therapie mit der Palliativtrepanation. Ungünstig reagierten Hypo¬ 
physentumoren, so dass S. bei ihnen jetzt von der Radiotherapie 
absieht. 

Hr. Sudeok bespricht die Röntgentherapie bei Basedow’soher 
Krankheit und bei Struma maligna. Während S. bei ersterer in 
der Bestrahlung nur eine gute Vorbereitung für die Operation, keines¬ 
wegs aber ein an Schnelligkeit und Umfang der Wirkung der chirurgi¬ 
schen Behandlung gleichwertiges Verfahren erblickt, erwies sie sich in 
Fällen von maligner Struma der operativen Entfernung, welche zu¬ 
dem^ meist nicht radikal gelingt und die Gefahr einer Epithelkörper¬ 
läsion in sich sohliesst, weit überlegen. S. berichtet über mehrere 
Fälle von Garcinom, Sarkom und Sarkooarcinom der Schild¬ 
drüse, die durch Röntgenbehandlung teils geheilt, teils noch in Be¬ 
handlung, teils an Metastasen verstorben sind. 

Hr. Wichmann wendet sich gegen übertriebenen Optimismus 
bezüglich der Radiotherapie der Tuberkulose. Auch Hautepi¬ 
theliome geben nur dann günstige Aussichten, wenn sie sich auf die 
Gutis beschränken; sonst sind Recidive zu erwarten. Die Radium - 
und Thorium Wirkung ist mit der der Röntgen strahlen nicht zu identifi- 
cieren. Der Unterschied der Strahlen- und chemischer Aetzwirkung wird 
durch das Verhalten herausgesohnittener Hautstüoke demonstriert, welche 
— vom lebenden Organismus getrennt — auf Strahlenwirkung über¬ 
haupt nicht mehr reagieren, der Aetzwirkung aber wohl noch zugäng¬ 
lich sind. Demonstration der Strahlenwirkung an histologischen Haut- 
präparaten. Dieselbe macht sich in erster Linie am Zellkern geltend. 

Hr. Reinhardt: Bei Malaria ist die Röntgentherapie nicht nur 
wirkungslos bezüglich Vermeidung von Recidiven, sondern sogar schäd¬ 
lich, vermutlich durch Schädigung der Milz. Ausserdem sprachen 
die HHr. Taebisoh, Haenisoh und Hirsel (Schlusswort). 


Bericht über die gemeinsame Tagung der ärzt¬ 
lichen Abteilungen der waffenbrüderlichen Ver¬ 
einigungen Deutschlands, Oesterreichs und 
Ungarns. 

Berlin, 23.-26. Januar 1918. 

Theiia I: Vermehrung and Erhaltung des Nachwuchses. 

Hr. Geheimer Ober Medizinalrat Dr. Krohne: Nach dem Kriege ist 
die wichtigste Aufgabe die Heilung der unserem Volkskörper geschlagenen 
schweren Wunden: Wiederaufbau der Volkskraft, in erster Linie Mehrung 
und Erhaltung des Nachwuchses. Zwei Dinge beanspruchen hier unsere 
grösste Aufmerksamkeit: 1. der seit 1900 zu beobachtende bedrohliche 
Geburtenrückgang im Zusammenhang mit den Verlusten von Hundert¬ 
tausenden im Kriege gefallener Männer, 2. die noch immer zu hohe 
Säuglings- und Kleiukindersterblichkeit. 

Der Geburtenrückgang, dessen unaufhaltsames Fortschreiten immer 
ein Zeichen beginnenden Verfalls eines Volkes ist, bildet für uns noch 
keine unmittelbare Gelabr, wenngleich bereits in den letzten Jahren vor dem 
Kriege jährlich 560 000 Kinder weniger geboren wurden, als noch um 1900. 
Immerhin wird durch den weiteren Geburtenrückgang während des 
Krieges und durch die hohe Verlustziffer an Gefallenen die Gefahr einer 
bedenklichen Verlangsamung unserer Volkvermehrung oder gar ein 
Stillstand derselben in greifbare Nähe gerückt. Die Säuglings- und 
Kleinkindersterblichkeit hat sich zwar seit 1900 erheblich verringert, 
ist aber mit 360 000 Todesfällen von Säuglingen und Kleinkindern 
jährlich noch immer zu hoch and beispielsweise noch weit höher als in 
England, Frankreich, Italien, den skandinavischen und einigen 
anderen Ländern. 

Zur Bekämpfung der geschilderten Gefahren ist die Durchführung 
einer grosszügigen Bevölkerungspolitik dringend erforderlich. Die Freude 
am Kinderreichtum muss durch Begünstigung kinderreicher Familien, 
Besserung der Wohnungsverhältnisse für unsere unbemittelten Volks¬ 
schichten, durch umfassende Siedlungspolitik, weitgehende Förderung der 
inneren Kolonisation und vielerlei anderes gepflegt und angeregt werden. 
Weiterhin ist erforderlich umfassender Ausbau aller Bestrebungen auf 
dem Gebiete des Mutter- und Säuglingsschutzes, Reform des Hebammen¬ 
wesens, Ueberwachung des Gesundheitszustandes möglichst aller Säug¬ 
linge und Kleinkinder durch Säuglingsfürsorgestellen, Belehrung der 
Mütter und der gesamten weiblichen Jugend über die Grundsätze der 
Säuglings- und Kleinkinderpflege, Ausbildung einer grossen Zahl von 
Säuglingspflegerinnen für Familie und Gemeinde, verbesserte Fürsorge 
für die unehelichen Kinder u. dgl. m. Die preussisohe Staatsregierung 
hat bereits ein grosses bevölkerungspolitisches Programm aufgestellt und 
wird alles tun, was der Förderung der Bevölkerungspolitik zu dienen 
nur irgend geeignet und durchführbar ist. 

Hr. Hofrat Tandler-Wien behandelt die Frage der Fürsorge für 
unseren Nachwuchs vom rein sozialen Standpunkt. Der Arzt muss 
lernen, sich auch um die Standesangelegenheiten des Volkes und das 
soziale Gefüge der Staaten mehr zu kümmern als bisher. Der enge Zu¬ 
sammenhang zwischen ärztlicher Kunst und Volkswohlfahrt macht die 
Aerzte von vornherein zu aktiven Politikern. Unter dem Gesichtswinkel 
sozialer Bevölkerungspolitik gewinnen die Zahlen der Geburttichkeit und 
Sterblichkeit ein besonderes Aussehen. Aber auch die Einsicht in die 
ursächlichen Momente der Bevölkerungspolitik wird eine andere, wozu 
noch kommt, dass mit der Erkenntnis der Ursachen des gesamten Pro¬ 
zesses die Behandlung in richtige Bahnen gelenkt werden kann. Redner 
bezeichnet die Bevölkerungspolitik als eine WillensäusseruDg des Ge¬ 
samtstaates; er will damit aber nicht etwa sagen, dass diese Bevölke- 
rungspoiitik bis in ihre letzte Aeusserung gleichsam zu verstaatlichen 
sei. Die Menschheit befindet sich augenblicklich in einem Zustande 
grosser Menschenbedürftigkeit, und es ist klar, dass wir alles versuchen 
müssen, um über die kritischste Zeit hinweg zu kommen. Die augen¬ 
blicklich mögliche Hilfe besteht in der Herabdrückung der Sterblich¬ 
keitsziffer. Es handelt sich vor allem dabei um die Säuglings- und 
Kindersterblichkeit, kurz gesagt, um die Aufzuchtsziffer. Die Hebung der 
Aufzuchtsziffer ist aber nicht durch kleinliche Mittelchen zu erreichen, 
wie z. B. durch grössere oder kleinere Prämien, Steuernachlässe usw., 
sondern dazu gehören viel radikalere Mittel. Dazu rechnet Redner in 
erster Linie eine vernünftige Steuerpolitik, ferner eine Aenderung der 
Agrarpolitik. 

Hr. Hofrat Prof. Dr. Wilhelm Tauffer-Budapest: Mutterschutz 
und Säuglingsfürsorge in Ungarn. 

Mutterschutz und Säuglingsfürsorge in Ungarn ist neuerdings vom 
Parlamente und Regierung als Aufgabe des Staates anerkannt. 

Als vorangehende Aufgabe wurde bereits vor 17 Jahren die staat¬ 
liche Fürsorge für jede Schwangere und für das verlassene Kind ge¬ 
setzlich geregelt. Der Staat gewährt jeder Gebärenden in sämtlichen 
Kliniken, Geburtsanstalten und Spitälern unentgeltliche Niederkunft und 
Wochenbettpflege, ohne Reklamation der Verpflegungskosten. — Die Für¬ 
sorge und Erziehung des verlassenen Kindes bis zu seinem 15. Jahre 
besorgt der Staat vermittelst 18 staatlichen Anstalten. Im ersten Zyklus 
der Fürsorge von 15 Jahren sind rund 70 000 Kinder erzogen worden; 
die daraus erwachsenen Kosten eines Jahres (1916) betrugen rund 
10 Millionen Kronen. — Neuerdings, seit 1917, gelten folgende Re- 


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11. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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gieruogsbeschlüsse: 1. Es wird anerkannt, dass Mutterschutz und Säug- 
liogsfürsorge im weitesten Sinne des Wortes Aufgabe des Staates sind. — 
3. Es wird erkannt, dass eine entsprechende Fürsorge der Staat nur in 
Verbindung mit der Gesellschaft zu leisten vermag. — 3. Es wird erkannt, 
dass der Staat mit seiner bureaukratischen Schwerfälligkeit zur Exekutive 
ungeeignet ist, und dass ein Mittelglied bestehen muss, welches mit vom 
Staate liberal übertragener Exekutivgewalt ausgestattet, mit 
dem wogenden Leben in unmittelbarer Berührung steht, und bureaukrati- 
scher Formen bar, die Fürsorge oranisiert, leitet und überwacht. — Dieses 
Mittelglied stellt der Stefanie-Bund dar, welcher unter dem Pro¬ 
tektorate Ihrer kaiserl. und königl. Hoheit der Prinzessin Stefanie ent¬ 
standen, die ganze Intelligenz der Nation in sich vereinigt, und im Auf¬ 
träge, mit übertragener Machtvollkommenheit, die gross angelegte Or¬ 
ganisation de9 Mutterschutzes und der Säuglingsfürsorge betreibt. — 
Eine staatlich organisierte Schwesternschaft, bestehend aus 5—6000 Für¬ 
sorgeschwestern, soll das ganze Land bis zur letzten Hütte umspinnen. 
Die Fürsorgeschwestern geniessen (jetzt in 8, in der näohsten Zukunft 
in 18 Schulen) unentgeltliche Ausbildung. Ihr Jahresgehalt beträgt je 
naoh der Anstellung und dem Wirkungskreise entsprechend: 300 bis 
3500 Kronen. — Im Mittelpunkt der Landesorganisation steht der 
Stefanie Bund für Mutterschutz- und Säuglingsfürsorge in Budapest mit 
dem Präsidenten Grafen A. von Apponyi, zurzeit Minister für Kultus 
and Unterricht und dem Präsidenten stell Vertreter Exz. Szterenyi an 
der Spitze. — Die Organisation geht gradatim vorwärts und ist der¬ 
zeitig in 11 Komitaten unter rund dreieinhalb Millionen Einwohnerschaft 
instradiert und soll innerhalb 5 Jahren im ganzen Lande durchgeführt 
sein. — Die bedeutendste Schöpfung des Stefanie-Bundes ist die 
Königin Zita-Anstalt als Landeszentrale für Mutterschutz 
und Säuglingsfürsorge. Die Anstalt befolgt in ihrer Organisation 
im grossen und ganzen die vorbildlich ausgestalteten Prinzipien des 
Kaiserin Auguste Viktoria Hauses in Cbarlottenburg. — Die Königin 
Zita-Anstalt besteht aus einer sozialpolitischen Abteilung, einer Gebär¬ 
anstalt mit Mütterheim und aus einem Säuglings- und Kleinkinderspital, 
weiterhin aus einer Fürsorgestelle für auswärtige Säuglinge und aus der 
Erziehungsanstalt der Fürsorgeschwesternschaft und Fortbildungsschule 
für Aerzte. — Den einzelnen Abteilungen stehen 3 Fachmänner als 
Direktoren vor. — Die Königin Zita-Anstalt ist somit ein Forschungs¬ 
institut und die Zentrale des hygienischen und sozialpolitischen Mutter¬ 
schutzes und der Säuglingsfürsorge in Ungarn. Der vor 2 Jahren ge¬ 
gründete Stefanie-Bund hat aus privaten Spenden und aus dem Zu¬ 
schüsse der Hauptstadt die nötigen rund 6 Millionen Kronen als Stiftung 
zar Errichtung der Königin Zita-Anstalt bereits erlangt und von Ihrer 
Majestät der Königin die höchste Zustimmung erhalten, ihren Namen 
führen zu dürfen. 

In der Hauptstadt Budapest ist die Fürsorge seit 18 Monaten 
organisiert und hat vermittelst 42 Fürsorgeschwestern bereits 24 000 
Mütter und Säuglinge unter ihre Obhut genommen. 

Hr. Gebeimer Sanitätsrat Dr. Dippe-Leipzig: Säuglings- und 
Kleinkindersohutz, Arzt und Fürsorgerin. 

Er fordert alle Aerzte auf, an den ausserordentlich bedeutsamen 
Fürsorgebestrebungen tatkräftig mitzuarbeiten, aber auch dafür zu sorgen, 
dass ihnen dabei allenthalben die gebührende Stellung eingeräumt, dass 
jede Schädigung der Aerzte an Ansehen und Erwerb sorgsam vermieden 
wird. Den Leiter der Mütterberatungsstelle wollen die ansässigen 
Aerzte aus ihrer Mitte bestimmen, und an allen Stellen des ganzen Aus¬ 
baues, bis hinauf zu dem dringend wünschenswerten Reiohsamte für 
Volksgesundheit, soll den Aerzten Sitz und Stimme ausreichend zuge¬ 
billigt werden. Die Einzel- und Kleinarbeit der Fürsorge soll weiblichen 
Hilfskräften übertragen werden, die möglichst gut ausgebildet und erst 
nach einer strengen Prüfung angestellt werden sollen. Redner hofft, 
dass sich aus allen Schichten des Volkes tüchtige Fürsorgerinnen finden 
werden, und dass die ganze Einrichtung allen unseren Mädohen und 
Frauen hei dem recht wünschenswerten praktischen Dienstjahre zugute 
kommen wird. Bei der Säuglingsfürsorge ist besondere Rücksicht auf 
die Hebammen zu nehmen, die naoh entsprechender Ergänzung ihrer 
Ausbildung zur Mitarbeit heranzuziehen sind. 

Hr. Prof. v. Pirquet-Wien: Ergebnisse der Kinderernäh¬ 
rung nach einem neuen System. 

Redner hat in Wien seit mehreren Jahren ein Ernährungssystem in An¬ 
wendung gebracht, das auf zwei neuen Prinzipien beruht. Als Nahrungs¬ 
einheit wird die Milch benützt und der individuelle Bedarf wird aus der 
Sitzböhe berechnet. Die metrische Einheit des Nährwerts ist 1 g einer Durch- 
sehnittsmiloh von 3,7 pCt. Fettgehalt. Sie heisst Nem (Nahrungs-Einheit- 
Nilch). Die Vielfachen davon sind das Hektonem (100 Nem, der Nah¬ 
rungswert von 100 g Milch) und das Kilonem (1000 Nem, der Nah¬ 
rungswert von 1000 g oder rund 1 Liter Milch). Aus dem Quadrate 
der Sitzhöhe wird ein Maass der Darmfläche berechnet. Entsprechend 
der vom betreffenden Menschen erwarteten Funktion (Waohstum, Fett¬ 
zunahme, Bewegung, körperliche Arbeit usw.) wird für jeden Quadrat- 
centimeter Darmfläche eine bestimmte Anzahl von Milcheinheiten als 
Tagesnahrung gegeben. 

Prof. v. Pirquet zeigt am der Hand einiger Beispiele die Erfolge 
seines Systems, das für alle Altersstufen des Menschen anwendbar ist. 
Er gibt Kurven eines Säuglings, der vom 6. bis zum 24. Monate in Be¬ 
handlung war und von 4 kg auf 12 kg Körpergewicht zugenommen hat, 
eines Jünglings von 16 Jahren, dessen Zunahme 19 kg betrug und eines 


Mädchens von 6 1 /* Jahren, das im Gewichte eines 12monatigen Säug¬ 
lings (8,9 kg) und in der Körpergrösse eines zweijährigen Kindes in die 
Klinik aufgenommen wurde und in Vz Jahren sein Gewicht fast ver¬ 
doppelte (17,1 kg), wobei gleichzeitig ein rapides Nachwaohsen der 
Körperlänge erzielt wurde. Dieser Fall zeigt, dass die Schäden, welche 
langdauernder Hunger auf das Knochenwachstum ausübt, durch richtige 
Ernährung behoben werden können. Weiter bringt er eine Statistik 
über die Massenernährung einer Abteilung von 60 Kindern, bei denen 
mit ganz einfacher, billiger Kost unter genauer Einhaltung des not¬ 
wendigen Nährwerts eine reichliche Gewichtszunahme erzielt wurde. 
Auch bei Erwachsenen ist das System mit gutem Erfolge zur Anwen¬ 
dung gekommen (Nobel). 

Prof. v. Pirquet stellt die Forderung auf, dass der Staat allen 
Staatsbürgern und insbesondere den Kindern die notwendige Nahrungs¬ 
menge garantiert. Als Maasstab bat der Nährwert zu gelten; die Art 
der Nahrungsmittel, die gegeben werden, hängt von der wirtschaftlichen 
Konjunktur ab. Durch Anwendung seines Systems im grossen würde 
unsere Jugend in die Möglichkeit versetzt werden, die Spuren der un¬ 
genügenden Kriegsernährung rasch zu überwinden. 

Hr. Prof. Noeggerath-Freiburg i. B. schickt seinem Referat über 
den gegenwärtigen Stand und den künftigen Ausbau der Kinderheil¬ 
kunde iu Deutschland einen Dank an die Pädiatrie Oesterreich-Ungarns 
voraus für die vielfache Anregung, die von dieser viel früher entwickelten 
zu den Deutschen herüberging. Unser Aufstieg war wesentlich schwieriger. 
Erst seit 25 Jahren besteht die erste deutsche Kinderklinik — Heub- 
ner’s Schöpfung. Als eindrucksvollstes äusseres Zeichen des Fort¬ 
schrittes erwähnt Redner die Umwandlung der offenen und geschlossenen 
Fürsorgestellen für Säuglinge und Sterbeanstalten mit bis zu 90 pCt. 
Mortalität zu lebensbewahrenden Zentren der Volkserhaltung. Ver¬ 
besserung der Anstaltshygiene und der Ernährungstecbnik sind die Ur¬ 
sachen als Folgen konzentriertester wissenschaftlicher Arbeit. Exakte 
klinische Untersuchung führt zur Erkenntnis der Konstitution und des 
eigentlichen Krankheitsbildes. Die wissenschaftliche Paediatrie hat wesent¬ 
lich die Wachstumsverhältnisse, den Stoffweohsel und die Infektions¬ 
krankheiten Btudiert. Von ihnen gibt Redner ein knappes Bild. Die 
äusseren Lebensbedingungen der deutschen Kinderheilkunde sind auch 
heute noch dürftig, dies drückt sich am stärksten in den ungenügenden 
Möglichkeiten zur Ausbildung der Studierenden und Aerzte auf den 
Universitäten aus. Die hierzu notwendigen Vorschläge werden an Hand 
einer Denkschrift der kinderärztlichen Hochschullehrer besprochen und 
für die nicht unerheblichen, aber im Vergleich zu den sonstigen Aus¬ 
gaben des Reiches für Kinderfürsorge doch kleinen Kostendeckung Vor¬ 
schläge gemacht. 

Hr. Prof. Dr. Langstein-Berlin skizzierte in grossen Umrissen die 
Richtlinien für eine zielbewusste Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, 
wie sie in dem Kaiserin Auguste Victoria-Haus zu Charlottenburg er¬ 
probt worden sind. Ein Säuglingssohutz ist ohne Mutter- und ohne 
Kleinkindersohutz unwirksam. Unter den Maassnabmen, die ins Auge 
zu fassen sind, sind solche, die zur Beseitigung der wirtschaftlichen 
Not der Mutter dienen; dahin gehört ferner systematische Belehrung 
und Aufklärung der Bevölkerung, bessere Fortbildung der Aerzte in der 
Säuglingspflege, Zusatzausbildung der Hebammen, Heranziehung tüch¬ 
tiger Fürsorgerinnen und wissenschaftliche ausgiebige Erfahrung der 
Säuglingspflege. 

Thema II: Sehitz nad Kräftigung der jngeadliehen BevSlkernig. 

Prof. Dr. Abel-Jena*. Aufgaben und Wege der gesundheit¬ 
lichen Fürsorge für die Jugend. 

Die starke, durch den Krieg noch sehr vermehrte Abnahme der 
Geburtenziffer, die Verwaisung vieler Kinder, der wirtschaftliche Rück¬ 
gang zahlreicher Familien, die künftigen hohen Auforderungen an die 
Leistungsfähigkeit aller Volksschichten geben erhöhten Anlass zur gesund¬ 
heitlichen Fürsorge für das Jugendalter, dessen gesundheitliche Ver¬ 
hältnisse noch keineswegs befriedigend sind. Von allgemein anzustrebenden 
hygienischen Fortschritten werden besonders schärfere Bekämpfung der 
Infektionskrankheiten und Besserung der Wohnungsverbältnisse dem 
heranwachsenden Geschlecht zu Gute kommen. Die Säuglingsfürsorge- 
stellen sind in solche für Kleinkinder auszubauen, Schulärzte sind für 
Stadt und Land, für Volks- und höhere Schulen und für Fortbildungs¬ 
schulen zu bestellen. Alle bewährten Einrichtungen der Jugendfürsorge 
sind nach Ort und Gelegenheit anzustreben. Unumgänglich nötig ist 
Einführung der Krankenversicherung für die Familien, um ärztliche Be¬ 
handlung kranker Kinder zu siohern, ferner ärztliche Beaufsichtigung 
der Kindergärten usw., Beibehaltung des sommerlichen Landaufenthalts 
für Stadtkinder, körperliche Ausbildung der männlichen Jugend bis zum 
Heeresdienstalter, Unterweisung der weiblichen Jugend in Haushaltskunde 
und Kinderpflege, Alkohol- und Tabak verböte für Jugendliche, Ersatz 
des Schlafstellenwesens durch Ledigen- und Lehrlingsheime, gesundheitlche 
Unterweisung der Jugend wie der Mütter. Die Organisation der ganzen 
Jugendfürsorge kann in der Schaffung von Fürsorge- und Jugendämtern 
ihren Rüokhalt finden, in denen dem Arzt der nötige Einfluss und die 
fachliche Selbständigkeit zu Bichern ist. Zur Aufbringung der Mittel 
sollten neben Gemeinden und privaten Stiftern die Versicherungsanstalten 
und Krankenkassen beitragen, die Erträge aus Ledigen- und Kinder- 
losensteuera dienen, sohliesslioh aber auch Reich und Staat Beihilfen 
leisten. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 6. 


Hr. Reg.-Rat Dr. Leo Burgerstein-Wien: Körperliche Er¬ 
ziehung und Schule. 

Ref. begrüsst die Versammlung seitens der Oesterreichischen Gesell¬ 
schaft für Schulhygiene und streifte einleitend das vorscbulpfliohtige 
Alter hinsichtlich der Einwirkungsmöglichkeit der Schule auf Ver¬ 
minderung der Säuglingssterblichkeit, weiter der sohulverwandten Ein¬ 
richtungen vor der Schulpfliohtigkeit mit besonderer Rüoksicht auf Frei¬ 
luftbewegung. 

Darauf zog er die einzelnen Schulgattungen in Betracht, be¬ 
tonte die Notwendigkeit weniger sohroffen Ueberganges im ersten Volks- 
sohuljahr und genauerer Erforschung der Einflüsse dieses Jahres auf die 
physische Entwicklung des Kindes, sprach weiter über Anerziehung hy¬ 
gienisch korrekter Sitzarbeitshaltungen in dieser Zeit, sowie Anlage je 
einiger Freiluftklassen in neuen städtischen Schulhäusern. Hinsichtlich 
der Fortbildungsschule wies er besonders auf Kaup’s Arbeiten und 
die unabweislichen Reformen bezüglich körperlicher Erziehung der be¬ 
züglichen im Reifungsalter stehenden Jugend hin, auf Notwendigkeit 
und Mittel der Erziehung zu richtigen Berufsarbeitshaltungen und 
Förderung der jugendlichen Vereinigungen zu Zwecken gesunder körper¬ 
licher Uebung. Hinsichtlich der höheren Schulgattungen sprach 
Redner über Konzessionen des Lehrplanes zum Behufe der Förderung 
körperlicher Erziehung und über exakte Feststellungen der bestehenden 
Belastung. Ref. zog dann die einzelnen Arten der körperlichen Uebungen 
in Betracht, im besonderen die schwedische Gymnastik, streifte das 
Turnen für Körperlich-Minderwertige, kritisierte die Atemübungen und 
das Bewegungsspiel, dieses auch im Hinblick auf angeerbte Koordinationen 
und angeerbte soziale Instinkte des Kindes als fördernde Momente, be¬ 
sprach die Gegenwerts- und Zukunftsmöglichkeiten zur Beschaffung von 
Platz in Städten, die Sporte, die besondere Rücksicht auf die weibliche 
Jugend im Alter der Pubertätsentwicklung und darüber hinaus, berührte 
den Holzslöjd und wünschte Heranbildung von Spielleitern und Spiel¬ 
leiterinnen aus der Fortbildungsschülerschaft für die eigenen Genossen. 

Der Kriegseinfluss wurde in Bezug auf die Folgen der Kriegs¬ 
ernährung und den voraussichtlich bleibenden Erfolg hinsichtlich ge¬ 
steigerter Fürsorge für bessere physische Erziehung der Schuljugend be¬ 
merkt. Hinsichtlich der Ferienkolonien und Ferienwanderungen 
schlug Redner Ausnutzung der einschlägigen Wohlfahrtseinrichtungen 
auch zur Verminderung der Landflucht vor und gab die Wege an. Die 
Rolle des Lehrers der körperlichen Uebungen fand ebenso kritische 
Würdigung wie jene des Schularztes, für welchen Ref. seit dreissig 
Jahren in Schrift UDd Wort eingetreten ist. Der Hygiene-Unterricht 
der Lehrer- und Schülerschaft in seiner Beziehung zur körperlichen 
Erziehung wurde für verschiedene Schulgattungen kritisch erörtert. 
Weiter schlug Ref. vor, im Zusammenhang mit dem Charlottenburger 
Laboratorium zur Erforschung des Sportes eine Ausdehnung der 
Aufgaben in dem Sinne ins Auge zu fassen, dass auch das wissenschaftliche 
Experiment sowie die statistische Aufnahme verschiedener mit der 
Schulung zusammenhängender Punkte der Lebensführung, welche für 
die körperliche Erziehung der Schuljugend belangreich sind, Gegenstand 
der Forschung einör besonderen Abteilung des neuen Institus werden 
möge und skizziert durch Beispiele die Aufgaben, welche der Forschung 
hier erwachsen würden. Nach Hinweis auf die Beeinflussung der Rasse 
und auf den Zusammenhang der körperlichen Anlage und Entwicklung 
mit psychischer Regsamkeit erörterte Ref. die moderne Tendenz fort¬ 
schreitender Ausdehnung der Schuleinflüsse auf die physische Er¬ 
ziehung überhaupt und schloss mit dem Hinweis auf die berechtigte 
Hoffnung, dass die neuen österreichischen Ministerien, insbesondere das 
Ministerium für Volksgesundheit auch hinsichtlich der körperlichen 
Erziehung der Schulbevölkerung in der Lage sein werden, Fortschritte 
zu erreichen. Zu den Einzelpunkten seines Referates führte Redner 
jeweils die Bemühungen und Erfolge, welche in Oesterreich zu 
verzeichnen sind, an. Das laut vorliegendem Bericht vielseitige Referat 
hat aus dem überreichen Gebiete des Titels eine Reihe solcher Einzel¬ 
punkte herausgegriffen, zu welchen Erfolg versprechende Anregungen 
vorzubringen waren. 

Hr. Prof. Czerny sprach über normale und abnorm veranlagte 
Kinder. Das normale Kind braucht nur Schutz gegen extreme Armut und 
gegen Infektionskrankheiten; es wächst auoh unterungünstigenVerhältnissen 
auf und entwickelt sich zu einem körperlich und geistig brauchbaren 
Menschen. Das krankhaft veranlagte Kind erfordert den ganzen Apparat 
von Fürsorgeeinriohtungen. Die Fürsorge kann hier aber nur bessern, nie¬ 
mals normale Verhältnisse schaffen. Deshalb warnt Czerny vor der 
Ueberschätzung mancher Fürsorgebestrebungen. Nach Czerny ist die 
Säuglingssterblichkeit eine Auslese; sie betrifft die konstitutionellen 
Minderwertigkeiten. Unsere Fürsorgebestrebungen für diese konstitutionell 
minderwertigen Kinder beziehen sich leider meist nur auf das körper¬ 
liche Wohl, während die Erziehung, die dem Nervensystem der Kinder 
gilt, entschiedene Rückschritte macht. Normale Kinder entwickeln sich 
auch ohne besondere Erziehung; bei abnormen entscheidet die Erziehung 
in der ersten und zweiten Kindheit; das Problem der Kindererziehung 
würde besser gelöst werden, wenn jeder Arzt nicht nur Arzt, sondern 
auch Erzieher wäre. 

Hr. Professor Dr. F. A. Schmidt-Bonn: Körperliche Ertüchti¬ 
gung der schulentlassenen Jugend in den Entwicklungs¬ 
jahren von 14—19. 

Die Uebergangszeit vom 14. bis zum 19. Jahre ist mit ihren be¬ 
sonderen Wachstums Verhältnissen entscheidend für den Bestand an Ge¬ 


sundheit, Leistungs- wie Widerstandsfähigkeit im ganzen späteren Dasein. 
Nach dem 14. Lebensjahre beginnt beim männlichen Geschlecht eine 
ungemein starke Längen- wie Gewichtszunahme (sogenannte „zweite 
Streckung“), die im 15. und 16. Lebensjahre, also mitten in der Lehrlings¬ 
zeit ihren Höhepunkt erreicht. Daher werden auch Störungen und Hem¬ 
mungen des Wachstums durch einseitig gerichtete oder hygienisch bedenk¬ 
liche Berufstätigkeit hier besonders verhängnisvoll. Nach dem 16. Jahre 
tritt immer mehr das Breitenwachstum in den Vordergrund, sowie in 
ursächlichem Zusammenhänge mit der Zunahme des Brustumfanges das 
Wachstum der Lungen, deren Volum um das V» bis Vs fache, sowie des 
Herzens, dessen Volum um das Doppelte zunimmt. Der zeitige Ab¬ 
schluss und die Vollendung dieser Entwicklung bis zum 20. Jahr ist 
gleichbedeutend mit starker Widerstandskraft gegen Erkrankung an 
Tuberkulose. Aus den umfassenden Erhebungen bei unserem Heere 
(von Schjerning) wissen wir, dass von den Leuten, welche infolge 
Verzögerung des Wachstums erst mit 20 und 22 Jahren eingestellt werden 
können, doppelt soviele, die erst nach dem 22. Jahre dienstfähig wurden, 
sogar elfmal soviele an Tuberkulose während der Dienstzeit erkrankten, 
als von denen, die mit 20 Jahren schon voll entwickelt waren. Um die 
vorhandenen Wachstumsanlagen zeitig zur vollen Entwicklung zu bringen, 
bedarf es der entsprechenden Wachstumsanregungen. Diese werden für 
diese Altersstufe gegeben durch ein ausreichendes Maass allseitiger 
Muskeltätigkeit in Form regelmässiger Leibesübungen. Den unmittel¬ 
baren Beweis dafür lieferten sorgfältige, im Laufe eines Jahres mehrfach 
wiederholte Messungen, die Dr. Matthias in Zürich 1913 und 1914 
anstellte. Gemessen wurden über 750 Schweizer Jünglinge im Alter von 
18 und 19 Jahren, verschiedenen Berufsarten angehörig, zur Hälfte etwa 
Handwerker und Fabrikarbeiter. Ein Teil dieser Jünglinge hatte bereits 
längere Zeit stetig geturnt, ein Teil erst seit nur wenigen Monaten. 
Es zeigte sich, dass die Turner in allen Körpermaassen, insbesondere 
aber in Bezug auf den Brustumfang und das Körpergewicht mindestens 
um die Wachstumgrösse eines Jahres den anderen überlegen waren. 
Dazu kommen als Ergänzung die sorgfältigen Messungen des französischen ’ 
Anstaltsarztes Godin bei 100 Internatsschülern im Alter von 14Vs bis 
18 Jahren, also 37t Jahre hindurch. 50 dieser Schüler nahmen an den 
regelmässigen Leibesübungen in der Anstalt teil, 50 nicht. Die Messungen 
ergaben ausserordentliche Unterschiede im Wachstum zu Gunsten der 
turnenden Schüler. Da der Einwurf nahe lag, dass die nicht turnenden 
Schüler von vornherein Schwächlinge gewesen seien, bewog Godin eine 
Anzahl dieser, vom 16. Jahre ab an den Uebungen noch teilzunehmen. 
Der Erfolg war, dass mit einem Schlage bei diesen ein überraschendes 
Wachstum in bezug auf Brustumfang, Breitenentwicklung und Körper¬ 
gewicht eintrat. Das Längenwachstum schritt dagegen auch bei Schwäch¬ 
lingen fort, nur langsamer, so dass es in die Altersstufe hineinragte, 
in der sonst das stärkere Breiten wach st um hätte einsetzen sollen. 

Diese tatsächlichen Feststellungen geben den Bestrebungen zur Er¬ 
tüchtigung unserer Jugendlichen durch wirksame Leibesübungen neues 
Gewicht. Die Bedeutsamkeit der körperlichen Erziehung in den Jahren 
von 14—19 für die gesamte Volkakraft ist aber derart, dass wir die 
Anteilnahme der Jugendlieben nicht weiter als eine freiwillige, dem Er¬ 
messen der jungen Leute überlassen dürfen. Vielmehr ist zu fordern, 
dass ein genügendes Maass körperlicher Uebung allgemein in den Er¬ 
ziehungsplan der Pflichtfortbildungsschule einzubeziehen sei. Dabei 
sollen aber die grossen Verbände für Leibesübungen wie für Jugend¬ 
pflege mitbeteiligt werden, und ihre bewährten Lehrkräfte wie ihre Ein¬ 
richtungen an Plätzen und Hallen zu gemeinsamer Arbeit mit der Fort¬ 
bildungsschule zum Besten der vaterländischen Jugend zur Verfügung 
stellen. 

Hr. Stadtschularzt Prof. Dr. Thiele-Chemnitz: Die Sohularzt- 
einrichtung als Mittelpunkt der körperlichen Jugendfür¬ 
sorge. 

Eine durchgebildete Schularzteinrichtung ist für alle Schulgattungen 
notwendig, für die Mittel- und höheren Schulen um so mehr, je mehr 
die Gedanken der Einheitsschule mit ihrem unanfechtbaren Grundsätze: 
„Jedem das Seine!“ und dem Zweck, dem Tüchtigen freiere Bahn zu 
schaffen, durchdringen. Es ist ein Mangel der jetzigen Scbularzteinrioh- 
tung in der Volksschule, dass sie aufbört, wenn der halbflügge junge 
Mensch in die Lehre und den Erwerb eintritt. Ebenso verlangt die not¬ 
wendige körperliche Ertüchtigung der werdenden Wehrpflichtigen ärzt¬ 
liche Beeinflussung. Sinngemäss ist diese auch für die heran wachsende 
weibliche Jugend nötig. Hier erst liegt die natürliche Grenze der Schul¬ 
arzteinrichtung. Ihr Beginn ist an den äusserlichen Zeitpunkt der 
Schulpflicht geknüpft, deshalb kommt sie für viele und gerade die 
schwersten Fälle körperlicher Schädigung (Rachitis, Skrophulose, Tuber¬ 
kulose) zu spät. Die Kleinkinderfürsorge muss eng mit der Schulgesund¬ 
heitspflege im neuzeitlichen Sinne verbunden werden. Durch die Impf¬ 
pflicht ist es möglich, alle Kinder einer ärztliohen Begutachtung zu 
unterwerfen. An diese müssen sich die schon in der Schulgesundheits- 
pflege erprobten Folgerungen, vor allem die ärztliche Ueberwachung, 
anschHessen. Durch Erweiterung der schulärztlichen „Elternberatungs¬ 
stunden“ zu einer „Kinderfürsorgestelle“, deren Leitung ebenfalls dem 
Schulärzte und seiner Fürsorgerin, der Sohulschwester, zu übertragen 
ist, wird eine zeitig genug beginnende einheitliche ärztliche Ueberwachung 
der Jugend erreicht, die für die kommende kinderarn^e Zeit notwendig 
ist. Damit wird die Schularzteinrichtung zum Mittelpunkte der körper¬ 
lichen Jugendfürsorge und das viel geforderte einheitliche Band für die 
Jugendfürsorge überhaupt. 


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11. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


151 


Hr. Generaloberarzt Leu: Ueber Leibesübungen als Heilver¬ 
fahren für Kriegsbeschädigte. 

Schon vor dem Kriege war sich der kritische Beobachter darüber 
klar, dass die Behandlung Schwerverletzter durch Medikomechanik trotz 
all ihrer zahllosen und kostspieligen Apparate durchaus unzureichend 
war. Dieselbe Erfahrung wurde von dem Redner auoh während nahezu 
dreier Jahrzehnte bei den oft recht schweren Verletzungen der An¬ 
gehörigen der königlichen Feuerwehr Berlins beobachtet. Das mechanische 
Heilverfahren hätte dem Mann weder Muskelkraft noch Gewandtheit, noch 
Vertrauen in seine körperlichen Leistungen wieder gegeben; die Arbeit 
an der Maschine muss vielmehr — im Gegensätze zu den natürlichen 
(aktiven) Körperübungen — als eine (passive) „Schonungstherapie“ auf¬ 
gefasst werden. Alle Bewegungsmöglichkeiten und natürlichen Bewegungs- 
mittel unter Berücksichtigung der statischen Gesetze und des Schwer¬ 
gewichts bei einem freien Gebrauch der Glieder müssen dagegen zu 
einem vollen Erfolg führen. Frühzeitig schon während der chirurgischen 
Behandlung muss mit aktiven Bewegungen begonnen werden; dass der 
arbeitende Muskel um das 4—5 fache blutreicher ist als der untätige, 
erklärt den Heilerfolg. Die Apparatbehandlung erstreckt sich unter 
Ruhigstellung des übrigen Körpers meist nur auf ein einzelnes Gelenk, 
wobei aktive Muskeltätigkeit und die natürliche Belastung der Gelenk¬ 
flächen so gut wie ausgeschaltet werden. Auoh die Massage ist nicht 
geeignet, die natürliche freie Körperarbeit zu ersetzen; sie ist, wie die 
Medikomechanik, nur als ein Behelfsmittel anzusehen. Die Apparat- 
bebandlung arbeitet dem Muskeltonus entgegen und vernachlässigt 
die Nerventätigkeit. Durch aktive Körperbewegungen betätigen 
vir also im Gegensatz zu den passiven Uebungen unser Central¬ 
nervensystem im gleichen Maasse wie unsere Muskeln und Gelenke. 
Die Beherrschung des Bewegungsapparats und die Auslösung will¬ 
kürlicher und unwillkürlicher Bewegung stehen im innigen Zu¬ 
sammenhang mit dem Centralnervensystem und der Förderung rein 
seelischer Eigenschaften. Ebenso unzertrennlich ist die Rückwirkung 
von Leibesübungen auf den Blutkreislauf und den Stoffwechsel, der Zu¬ 
stand des Herzens entspricht der Beschaffenheit der Skelettmuskulatur, 
und die ebenfalls davon abhängigen Fähigkeiten der Stoffwechselorgane 
bedingen einen geregelten Verlauf des Körperhaushaltes, des gesamten 
Zellenlebeos. Der Körperbestand hängt von dem Maasse der Bewegung 
also direkt ab und ist für die Krankheitsbehandlung, namentlich die 
Behandlung von Schussverletzten, von allergrösster Wichtigkeit. Nach 
den Erfahrungen im stellvertretenden III. Armeekorps (Görden) sind die 
Leibesübungen in jeder Form berufen, im Rahmen der in Rede stehenden 
Bestrebungen zur möglichst vollständigen Beseitigung der Kriegsfolgen 
neben uni nach einer sachgemässen Lazarettbehandlung einen breiten 
Raum einzunehmen. Daher hat der Redner als stellvertretender Korps- 
arst die Leibesübungen in dem Heilplan der ihm unterstehenden Laza¬ 
rette entsprechend berücksichtigt. Generaloberarzt Dr. Leu schloss 
unter Hinweis auf die zivile Unfallheilkunde mit dem Heraklit’sehen 
Wort: „Der Krieg ist der Lehrmeister aller Dinge.“ 

Anschliessend daran erläuterte Hr. Stabsarzt Dr. Mallwitz die 
durch anschauliche Films wiedergegebene Behandlungsart Kriegsbe¬ 
schädigter mittels Turnen, Spiel und Sport. Zur Verfügung stehen: 
offene Waldturnhalle, Gehschule, Turn- und Sportplätze mit Lauf-, 
Sprung- und Wurfbahnen, Turngeräte, Nahkampfanlage, Tennisplätze, 
Säle für Fechten, Atmungsgymnastik u. a., Fussballplatz, Schwimm¬ 
anstalt mit Wassersteg (Sprungturm), mit Bootshaus. Leistungsprüfungen 
werden in Form von regelmässigen Wettkämpfen abgehalten, die sich 
zur Funktionssteigerung als sehr wertvoll erwiesen haben. Im Hooh- 
sprung wurden von Beinamputierten Höhen bis zu 1,50 m erzielt, 
Dutzende von Amputierten, die teilweise früher nicht schwimmen konnten, 
haben sich freigesohwommen ( l U Stunde), im Fechten haben es Leute 
mit Gelenk Versteifungen an Armen und Beinen zu achtbaren Leistungen 
gebracht, und schliesslich waren Arm- und Beinamputierte in der Lage, 
in Ruderbooten (Vierern) das oft schwierige Wasser der Havelseen zu 
meistern. Die bildlichen Darstellungen bestätigen, was der Korpsarzt 
in seinen theoretischen Ausführungen entwickelt hatte. 

Hr. Stadtarzt Prof. Dr. Gastpar-Stuttgart: Schularztfragen 
und ihre Lösung in Württemberg. 

Charakteristisch für Württemberg ist die Lösung der sogenannten 
Schul arztfrage durch das Oberamtsarztgesetz vom 10. Juli 1912. Die 
Schularzttätigkeit ist damit den Oberamtsärzten Vorbehalten, eine Rege¬ 
lung, die sich nach den seitherigen Erfahrungen ausserordentlich be¬ 
währt hat. Die Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetz übertragen 
dem Schularzt die Aufsicht über die Kinder in sämtlichen Schulen des 
Landes; ein Unterschied zwischen Volks- und höheren Schulen, Knaben- 
und Mädchenschulen besteht nicht. Die Tätigkeit des Schularztes greift 
über den Rahmen der Schule hinaus durch Einbeziehung der Alters¬ 
klassen vor dem Schulalter (Krippen, Kindergärten, Kinderhorte) und 
erstreckt sich ausserdem auch auf die schulentlassene Jugend (Fort¬ 
bildungsschule). Eine besonders wirksame Ausgestaltung der Fürsorge 
erfolgte einmal durch ihre planmässige Förderung durch die Gemeinden, 
durch die Versicherungsanstalt, durch die Ortskrankenkassen, durch 
Vereine, sowie durch Stiftungen Privater, welohe zahlreiche und wohl¬ 
gegründete Fürsorgeeinrichtungen für die Jugend geschaffen haben, dann 
durch die gesetzliche Uebertragung der ärztlichen Tätigkeit bei dem 
Gemeindewaisenrat und Berufsvormund ebenfalls an den Amtsarzt, end- 
lich in alleijüngster Zeit durch ministerielle Verordnung über die Aus¬ 
bildung der den Fürsorgedienst im einzelnen versehenden Sohwestern 


(Fürsorgerinnen). Die Zusammenfassung aller behördlichen, privaten 
und Vereinsbestrebungen auf diesem Gebiet in einem sogenannten 
Jugendamt hat sich in der Praxis schon seit längerer Zeit in Stuttgart 
vollzogen. 

(Schluss folgt.) 


Gedächtnisrede auf Ottmar von Angerer. 

Von 

Prof. Dr. Alwül Ach-Münohen. 

Am Samstag, den 12. Januar 1918, abends kurz naoh 9 Uhr ist 
Geheimrat Dr. Ottmar von Angerer hier in der Klinik infolge eines 
schweren Herzleidens plötzlich verschieden. Die ersten Symptome dieses 
Leidens machten sich im November 1913 geltend. Nach dem Auftreten 
einer Bronchitis zeigten sich die ersten Erscheinungen einer Dilatation 
und Insuffizienz des Herzens. Naoh einigen Wochen trat vollkommenes 
Wohlbefinden ein und bei Beginn des Krieges zog es die vom Optimismus 
beseelte Soldatennatur Angerers hinaus, um seine reichen Kenntnisse 
und Erfahrungen dem Vaterlande zur Verfügung zu stellen. Den hier 
sich einstellenden Strapazen und Widerwärtigkeiten des Lebens war die 
Gesundheit Angerers nicht mehr gewachsen, und so kehrte er nach 
zweijähriger Abwesenheit zurück. Die vorher so enorme Spannkraft 
hatte einer gewissen Müdigkeit Platz gemacht, pessimistische Ideen 
stellten sich ein, Angerer war ganz anders geworden, er war ein halb 
gebrochener Mann. Er leitete jedoch die Klinik und hielt seine Vor¬ 
lesungen unter leisen Mahnungen der schleichenden, sich weiter ent¬ 
wickelnden Erkrankung, bis im Januar 1917 plötzlich heftige steno- 
kardisohe Anfälle den mit grösster Liebe an seinem Beruf hängenden 
Meister der Chirurgie zwangen, seine Tätigkeit vorläufig aufzugeben. Im 
Laufe der nächsten Monate entwickelte sich seine Krankheit zu einem 
lebensbedrohenden Zustand, aber seine ihm innewohnende zähe Energie, 
der absolute Wille, sich seiner Tätigkeit zu erhalten, drängte förmlich 
die Krankheitsersoheinungen zurück, und so sahen wir Angerer im 
Oktober 1917 beim Wiederbeginn des Wintersemesters eifrig tätig in der 
ihm trautverwandten Klinik. Am 8. Januar 1918 machte sich nach der 
klinischen Vorlesung wieder eine ziemlich erhebliche Kurzatmigkeit 
bemerkbar, weshalb sich Angerer in den nächsten Tagen in der Vor¬ 
lesung vertreten Hess. Eine leichte Bronohitis mit einzelnen bronoho- 
pneumonischen Herden hatte sich eingestellt, so dass Angerer sich am 
Donnerstag, den 10. Januar, zur Durchführung einer exakten Behandlung 
in die Klinik bsgab. Am Samstagmorgen hatte sich der Allgemein¬ 
zustand und der Lungenbefund derartig gebessert, dass Angerer den 
ganzen Tag ausser Bett zubrachte und ihm als leidenschaftlichem 
Raucher seine Zigarre wieder gut mundete. Guter, zum Teil heiterer Laune 
unterhielt er sich mit mehreren Assistenten über seine Assistentenzeit 
und gab noch wissenschaftliche Anregungen. Abends war er mit einem 
seiner Söhne bei Tisch zusammen, und als sich dieser verabschiedete, 
hörte er im Vorzimmer noch einen Ruf, worauf er sofort zurüokeilte und 
seinen Vater schwer atmend, mit der Sauerstoffmaske am Bettrand 
sitzend, vorfand. Der Zustand verschlimmerte sich rapid, und im Zeitraum 
einiger Minuten kam das arbeitsreiche Leben infolge einer Lungen¬ 
embolie zum Abschluss. 

Ottmar von Angerer entstammt der kinderreichen Familie des 
Oberförsters Ludwig Angerer. Er wurde im Jahre 1850 zu Geisfeld 
in Ober franken geboren. Mit 10 Jahren sohon lieferte er einen Beweis 
seiner Energie und Entschlossenheit, indem er bei einem Brand, bei 
welchem seine Familie ihr ganzes Vermögen verlor, seinen um vier Jahre 
jüngeren Bruder aus dem Bette riss und in Sicherheit braohte. Durch 
die nunmehrigen Verhältnisse war seine Erziehung eine einfaohe und 
ernste. Er besuchte das Gymnasium zuerst in München am Hollandeum, 
dann in Amberg, von wo er im Jahre 1868 nach seinem Absolutorium 
die Universität zu Würzburg bezog. Hier führte er ein flottes Korps¬ 
studentenleben und galt als berühmter Fechter. Trotz allem beendigte er 
seine Studien in normaler Zeit bei gutem Examen. Während des Feld¬ 
zuges 1870/71 war er funktionierender Land wehr-Assistenzarzt in Würz¬ 
burg. Im Jahre 1873 wurde er Assistent an der chirurgischen Klinik 
in Würzburg bei Lin hart und war später in gleicher Eigenschaft bei 
Bergmann und Maas tätig. Im Jahre 1879 habilitierte er sich mit 
einer Arbeit: „Klinisohe und experimentelle Untersuchungen über Re¬ 
sorption mit Blutextravasaten.“ 

Im Jahre 1885 wurde er als Vorstand und ausserordentlioher Pro¬ 
fessor an die Universität»-Kinderklinik nach München berufen; von hier 
kam er an die chirurgische Poliklinik in München und wurde 1890 
ordentlicher Professor und Direktor der chirurgischen Klinik und Nach¬ 
folger von Nussbaum’s. 

Naoh seiner Angabe wurde im Jahre 1892 die jetzt noch vor¬ 
handene Klinik gebaut. Als Leiter derselben entfaltete er mit gewissen¬ 
haftester Pflichterfüllung und lebhaftester Kräfteentwioklung ein segens¬ 
reiches Wirken. 

Die Erholung nach angestrengter Arbeit fand er im Kreise seiner 
Familie, in regstem Gesellschaftsleben und auf der Jagd. 

Was seine literarische Tätigkeit anlangt, so entstammen seiner Feder 
eine grosse Reihe von Publikationen, vor allem ausser der oben er¬ 
wähnten Habilitationsschrift „Das Verhältnis der Fermentintoxikation zur 
Septikämie“, „Die chirurgische Behandlung der Kehlkopfkrankheiten“, 


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152 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


Nr. 6. 


„Die neue chirurgische Klinik in München“, „Die Krankheiten der Lymph- 
gefässe und der Lymphdrüsen“, „Die Krankheiten der Brustdrüse“ und 
eine ganze Serie kleinerer Arbeiten über Gelenktuberkulose, Nieren¬ 
chirurgie, die Fortschritte der Hirnohirurgie, zur Operation des Genu 
valgum u. a. 

Anger er war ein stets fesselnder, anregender, begeisternder 
Lehrer, mit seiner ruhigen, vornehmen Ausdrucksweise ein Meister des 
Wortes. Manuelle Fertigkeit kombiniert mit Eleganz der Bewegungen, 
eine rasche Entschlussfähigkeit in Verbindung mit klugem Handeln und 
energischem Wollen gaben ihm das typische Gepräge eines ausgezeich¬ 
neten, zielsicheren Operateurs. Hierbei kam ihm der im hohen Maasse 
ausgeprägte Sinn für Verantwortlichkeit sehr zu statten. Er verfügte 
über eine gute Menschenkenntnis und über grosse weltmännische Er¬ 
fahrung. 

Anger er war eine imposante Persönlichkeit, verbunden mit seltenem 
Charme, mit jederzeit freundlichem, liebenswürdigem, zuvorkommendem 
Wesen, mit selten grosser geistiger Veranlagung und gutem, klarem, 
kritisch sichtendem Blick für Neuerungen. 

Die Wuoht seiner Persönlichkeit verschaffte dem meist ernst ge¬ 
stimmten Mann gegen jeden ein Uebergewioht, und der erste Blick er¬ 
warb ihm das Vertrauen aller. So kam es, dass sich nicht nur die ein¬ 
fachen Patienten, sondern auoh seine früheren Chefs, Lin hart und 
Bergmann in ihrer Erkrankung getrost sich ihm anvertrauten und 
Anger er mit den hohen und allerhöchsten Persönlichkeiten in engste 
Fühlung kam. Angerer war ein populärer und berühmter Arzt von 
seltener Herzensgüte und warmem Mitgefühl, ein königstreuer Mann, der 
reichlichste Anerkennung für seine erspriessliche, segensreiche Tätigkeit 
fand. Zahlreiche höchste Orden, Erhebung in den erblichen Adelsstand, 
die Ernennung zum Leibarzt weiland Seiner Königlichen Hoheit des 
Prinzregenten Luitpold von Bayern und weiland Seiner Majestät des 
Königs Otto von Bayern, sowie hohe Ehrenstellen geben hiervon 
Zeugnis. 

Sein Andenken ist festgelegt in aller Gedäohtnis mit goldenen 
Lettern. 

Nachtrag 

bezw. Berichtigung zu C. Klieneberger: Die WeiTsohe 
Krankheit, kritisch-klinische Studie. (Berliner klin. Wochenschr. 

1918, Nr. 2.) 

1. Der bei Weil’scher Krankheit im akuten Stadium (oft auch in 
der Apyrexie nach dem ersten Fieberstadium) beobachtete abnorme 
Eiweisskörper verhält sich teils wie gewöhnliches Serumeiweiss, teils ist 
er durch besondere Eigenschaften gekennzeichnet: völlige Fällung in 
der Kälte durch schwaches Ansäuern, teilweise Ausfällung durch starkes 
Ansäuern. Beim Kochen scheint dieser Eiweisskörper nicht völlig aus¬ 
zuflocken, während er vollständig bei Vollsättigung mit Kochsalz, weiter 
mit Ferrocyan-Kalium-Essigsäure, mit Esbach usw. ausfällt. Bei Voll¬ 
sättigung mit Ammonsulfat liegen die Fällungsgrenzen zwischen Halb¬ 
sättigung und */• Sättigung. Die Biuretreaktion ist negativ. Es dauert 
mitunter nach schwachem Ansäuern einige Minuten, bis völlige Fällung 
eingetreten ist. Nach Abfiltrieren des Niederschlages kann dann öfters 
nooh Serumeiweiss nacbgewiesen werden. 

2. Ferner als Berichtigung: Eine pathologische Farbreaktion 

wurde mitunter noch nach Monaten bei Untersuchung mit Urobilin- 
ogenreagens angetroffen (S. 29); Gonder (S. 25); Störungen im Stick- 
stoffzerfall (S. 29); Wartung (S. 81). Carl Klieneberger. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 6. Februar wurde, 
in Uebereinstimmung mit einem Beschluss von Vorstand und Ausschuss, 
durch Abstimmung die Besprechung der Anträge Bumm und Schaeffer, 
die Schwangerschaftsunterbrechung betreffend, abgelehnt. In der Dis¬ 
kussion über den Vortrag des Herrn Rosenstein in der vorigen Sitzung 
über die unblutige Bekämpfung eitriger Prozesse durch Morgenroth’sche 
Chininderivate sprachen die Herren Neumann, Morgenroth, Rosen¬ 
stein. In der Diskussion über den Vortrag des Herrn Hirsohfeld in 
der vorigen Sitzung über die Wiederherstellung der geschädigten 
Funktionen der Nieren bei chronischen Nephritiden sprachen die Herren 
Strauss, Hirsohfeld. Hierauf hielt Herr Ceelen den angekündigten 
Vortrag über die Nebenwirkungen des Theacylon (Diskussion: die Herren 
Hirschfeld, Jakob, Saul) und Herr E. Saul seinen Vortrag über 
Untersuchungen zur Aetiologie und Biologie der Tumoren (Diskussion: 
die Herren Orth, Blumenthal, Saul). 

— Der Kaiser hat an seinem Geburtstagsfest aus Mitteln, die ihm 
von freundlichen Gebern für Zwecke der Kriegsfürsorge zur Verfügung 
gestellt wurden, die Summe von 500 000 M. zur Bekämpfung der Säug¬ 
lingssterblichkeit in Ostpreussen gespendet, die der Errichtung einer im 
Regierungsbezirk Gumbinnen gelegenen Anstalt für Mütter- und Säug¬ 
lingsschutz dienen sollen. — Auch im übrigen Königreich soll der Säug¬ 
lingsfürsorge eine erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet werden und sind 


deshalb für die Belehrung der Bevölkerung 500 000 M. im Haushaltsplans 
vorgesehen. Ferner will der Reiohsausschuss für Bevölkerungspolitik, 
dem gleichen Ziele zustrebend, den unehelichen Kindern eine erhöhte 
Fürsorge zugewendet sehen. 

— Herrn Prof. James Israel wurde zur Feier seines 70. Geburts¬ 
tages eine von Freunden, Verehrern und Schülern gesammelte „James 
Israel-Stiftung“ im Betrage von 70 000 Mark übergeben, deren 
Zinsen nach seiner Bestimmung für wissenschaftliche Zwecke verwandt 
werden sollen. 

— Abermals müssen wir vom Tode eines ausgezeichneten Kollegen 
Kenntnis geben: am 4. d. M. ist Prof. Dr. Hugo Lohnstein nach 
längerem Leiden verschieden. Der Verstorbene hat auf urologischem 
Gebiete durch rastlose Arbeit, welche namentlich die Diagnose und Be¬ 
handlung der Harnröhrenerkrankungen betraf, wertvolles geleistet. Lite¬ 
rarisch war er sowohl, gemeinsam mit Casper, als Mitbegründer der 
Monatshefte für Urologie, der späteren Zeitschrift für Urologie, wie auch 
als Redakteur der Allgemeinen medizinischen Gentralzeitung tätig; der 
Berliner urologisohen Gesellschaft gehörte er als Vorstandsmitglied an; 
sie wird dem bescheidenen Manne, der nur seiner wissenschaftlichen und 
praktischen Arbeit lebte, ein ehrenvolles Andenken bewahren. P. 

— In Preussen soll laut Verfügung des Kultusministeriums mit 
Rücksicht auf die Papierknappheit die Aushändigung des Doktor- 
diploms nicht von der Ablieferung der üblichen Dissertationsexemplare 
abhängig gemacht werden. 

— In Bayern ist die Errichtung einer Forschungsanstalt für 
angewandte Zoologie beabsichtigt, die neben den Forst- und land¬ 
wirtschaftlichen Schädlingen die Schädlinge für Industrie und Handel 
umfassen und bakteriologische, chemische und medizinisch-zoologische 
Untersuchungen in ihren Bereich ziehen wird. 

— Am 30. Januar 1918, so schreibt uns ein Mitarbeiter, waren 
40 Jahre verflossen seit dem Tage, an dem Wilhelm Alexander 
Freund an einer 62 jährigen Patientin zum erstenmal die abdominelle 
Totalexstirpation des carcinomatös erkrankten Uterus vorgenommen hat. 
Welche Bedeutung dieses erste wohlgelungene Operationswagnis 
W. A. Freund*s für diese bedauernswerten Garoinomkranken hatte, 
weiss nur der zu würdigen, dem gegenwärtig ist, dass bis zu diesem 
Zeitpunkt ausser durch symptomatische Bekämpfung von Schmerzen, 
Blutungen und Jauchungen nichts zur Linderung des Leidens oder Ver¬ 
längerung des Lebens dieser rettungslos Verlorenen geschehen konnte, 
die sich selbst und ihrer Umgebung eine Qual waren. Welch herrliche 
Erfolge konnte die operative Gynäkologie in diesen 40 Jahren auf diesem 
Grundstein aufbauen, dem in den letzten Jahren allerdings in der Strahlen¬ 
therapie ein hoffentlich noch erfolgreicherer Konkurrent erwachsen ist. Aber 
auch, wenn dieser strahlende Erfolg eintreten sollte, wird die Tat 
W. A. Freund’s nicht an Bedeutung verlieren. Die Papierknappheit 
verbietet heute, auf Näheres einzugehen; doch wollen wir den Tag nicht 
vorübergehen lassen, ohne unsere Leser an dieses wiohtige Datum zu er¬ 
innern. Wer sich über Genaueres orientieren will, dem sei W. A. Freund’s 
Buch „Leben und Arbeit“ (Berlin 1913, Verlag Jul. Springer) und 
Döderlein-Krönig’s „Operative Gynäkologie“ (Leipzig 1912, Verlag 
G. Thieme) zum Nachschiagen empfohlen. h. 

— Das vom Kaiserlichen Gesundheitsamte herausgegebene Gesund¬ 
heitsbüchlein, eine gemeinfassliche Anleitung zur Gesundheitspflege, 
ist jetzt in der siebzehnten, in Einzelheiten geänderten und ergänzten 
Auflage im Verlag von J. Springer erschienen. 

Hoeh8chu ln ach richten. 

Frankfurt a. M. Habilitiert: Dr. Ernst Nathan für Haut- und 
Geschlechtskrankheiten. — München. Habilitiert: Dr. Hermann 
Stieve für Anatomie. 


Amtliche Mitteilungen. 

Person allen* 

Auszeichnungen: Rettungsmedaille am Bande: St.-A. d. R. 
Dr. Bamberg in Berlin. 

Niederlassungen: Dr. P. Küster in Gollnow (Kr. Naugard), Rud. 
Ludw. Kohn in Zanow (Kr. Schlawe), Dr. R. Bio hm in Greifswald, 
Dr. L. Podkomorski in Sohubin, Ob.-St.-A. a. D. Dr. M. Barack 
in Wohlau, Aerztin Dr. Alida Janeoke in Erfurt, Dr. J. Preise 
in Nordhausen. 

Verzogen: St.-A. Augenarzt W. Diebbers von Düsseldorf (Heeresdienst) 
naoh Hammerstein (Kr. Sohlochau), Dr. H. Eichler von Teltow nach 
Zehlendorf (Kr. Teltow), San.-Rat Dr. P. Mosler von Krummhübel 
naoh Berlin - Schmargendorf, Dr. U. Vollrath von Vereinslazarett 
Wilhelmsthal bei Spremberg N. L. nach Görden bei Brandenburg a. H. 
(Prov.-Irrenanstalt), Dr. Wilh. Beyer aus dem Felde nach Pforten 
(Kr. Sorau). v 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. Hans Gün¬ 
ther von Wolkramshausen (Kr. Grafsch. Hohenstein). 

Gestorben: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Mannkopff in Marburg, 
Kreisarzt Med.-Rat Dr. 0. Peschei in Birnbaum, Dr. Karl Barth 
in Wohlau. 


Für die Redaktion .verantwortlich Prot Dr. Ham Kohn, Berlin W., Bayreuther Str.49. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumacher in Berlin N. 4. 


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Original frnm 

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DU Berliner Klinisch« Woeh*n«ehrlft erscheint Jeden ^ ^ ^ Alle Etneendangen fBr die Redaktion and Expedition 

MonUf Id Nummern von cjl 8 —6 Bogen gr. 4. — I I IJ< I I I I I II I W wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 

Preis Tlerteljihrlich 1 Mark« Bestellungen nehmen r\ gif I .1 I W H rC August Hirschwald In Berlin NW., Unter den Linde« 

alle Bnchhandluugen und Postansulten an. j i | J | |j Nr. 68, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

6eL Mei-Rat Prof. Dr. C. Posuer und Prot Dr. Hans Kohn. Angast Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in BerBa. 

Montag, den 18. Februar 1918. Ml. Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiaaliei: K öl liker*. Erfahrungen mit der Tuberkuloseimpfung nach 
Friedmann. (Aus der Universität»-Poliklinik für orthopädische 
Chirurgie und dem Leipziger Heim für gebrechliche Kinder.) S. 153. 

Kühne: Therapeutische Erfahrungen mit dem Friedmann’schen 
Tuberkuloseheilmittel. (Aus dem neuen städtisohen Krankenhaus 
Cottbus.) S. 154. 

Rosenstein: Die unblutige Bekämpfung eiteriger Prozesse durch 
Morgenroth’sohe Chininderivate (Euoupin und Vucin). (Aus der 
chirurgischen Poliklinik des Krankenhauses der jüdischen Ge¬ 
meinde zu Berlin.) S. 158. 

Tobias und Kroner: Zur Frage der Cocainidiosynkrasie. (Illustr.) 
S. 162. 

BfiekerbespreehaigeB : Hensehen: Erfahrungen über Diagnostik und 

Klinik der Herzklappenfehler. S. 164. (Ref. Kohn.) — Dornblüth: 

Kompendium der iuneren Medizin. S. 164. (Ref. Dünner.) — Lipp: 

Taschenbuch des Feldarztes. S. 164. (Ref. Schmitz.) 

Uteratar- Auszüge; Pharmakologie S. 165. — Therapie. S. 165. — 

Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 165. — 


Aus der Universität«-Poliklinik für orthopädische 
Chirurgie und dem Leipziger Heim für gebrechliche 
Kinder. 

Erfahrungen mit der Tuberkuloseimpfung 
nach Friedmann. 

Von 

Geh. Med.-Rat Generalarzt Prof. Dr. Kö‘lliker. 

In den achtziger Jahren, als ich meine Tätigkeit als Chirurg 
anfing, hoffte man durch möglichst zeitige Entfernung des primären 
Herdes bei chirurgischer Tuberkulose auf eine rasche Heilung. 
Ausgedehnte Knochenausmeisselungen and Gelenkresektionen 
wurden damals in der Volkmann’schen Klinik, der ich als 
Assistent angehörte, ausgeführt. Es erfolgte allerdings tadellose 
primäre Heilung. Wenn man aber nach Monaten die Kranken 
nach untersuchte, fand sich mehr oder weniger aasgebreitete 
Fistelbildung teils in den Operationsnaiben, teils als Aasdruck 
erneuter Abszessbildangeu. Verfolgte man alsdann die Kranken 
noch weiter, um das Endresultat nach wiederholten chirurgischen 
Eingriffen festzustellen, waren schwere Gelenkkontrakturen, be¬ 
deutende Verkürzungen, starke Muskelatrophie der wenig er¬ 
freuliche Enderfolg. Man ging also zur konservierenden Be¬ 
händ lang namentlich bei Kindern über. Die Heilungserfolge 
waren bei dieser Behandlung insofern besser, als die Verkürzungen 
als Folge der ausgedehnten Gelenkresektionen in Fortfall kamen, 
die Kontrakturen und Versteifungen der Gelenke blieben aber, 
obgleich die Behandlung in dieser Periode in der Hauptsache in 
permanenter Gewichtsextension und Gipsverbänden bestand. Dann 
kam das Stadium der Hetolinjektionen nach Länderer, die auch 
nicht mehr leisteten, die Injektionen mit Alt-Tuberkulin, mit denen 
ich gar keine Erfolge gesehen habe, nnd schliesslich die klima¬ 
tische Behandlung mit Höhensonne (Leysin). Nach meinen Er¬ 
fahrungen ergibt die klimatische Behandlung für das Allgemein¬ 
befinden die günstigste Wirkung, aber auf die chirurgische Tuber¬ 
kulose an sich wirkt sie eben doch nur durch die Beeinflussung 
des Allgemeinbefindens. 


Parasitenkunde und Serologie. S. 166. — Innere Medizin. S. 166. — 
Chirurgie. S. 166. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 168. — 
Soziale Medizin. S. 168. — Militär-Saoitätswesen. S. 168. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Orth: Ueber 
einige Tuberkulosefragen. S. 169. Lu barsch: Thrombose und 

Infektion. S. 170. Hirsohfeld: Wiederherstellung der geschädigten 
Funktionen der Nieren bei chronischen Nephritiden. S. 170. — 
Verein für wissensehaftliche Heilkunde zu Königs¬ 
berg i. Pr. S. 170. 

Bericht über die gemeinsame Tagung der ärztlichen Abteilungen der 
wafienbrüderlichen Vereinigungen Deutschlands, Oesterreiohs und 
Ungarns. Berlin, 23.—26. Januar 1918. (Schluss.) S. 171. 

Hauptversammlung der Prüfstelle lür Ersatzglieder. 21.—23. Januar 
1918. S. 173. 

Kriegsärztliohe Abende. S. 174. 

Tagesgeschiohtliohe Notizen. S. 175. 

Amtliche Mitteilungen. S. 176. 


Vergleiche ich nnn mit allen diesen vorausgegangenen Er¬ 
fahr ursgei das Friedmann’sche Verfahren, so ist es das einzige, 
dem eine direkte heilende Wirkung zukommt and zwar bei Aus¬ 
schaltung jeden chirurgischen Eingriffes und jeder orthopädischen 
Maassnahme. Dass das Mittel an sich ausserordentlich einschneidend 
wirkt, bat mir die an sich betrübende Erfahrung gezeigt, die wir 
gelegentlich einer Pockenimpfung machten. Nach dieser zeigte 
sich, dass der Körper, der durch die Friedmann’sche Injektion 
zur Antikörperbildung gegen Tuberkelbazillen tätig war, durch 
Einführung eines heterogenen Virus (des Jenner'scben Impfstoffes) 
in dieser gestört wnrde and den Kampf gegen 2 Fronten nicht 
leisten konnte. Das beweist die durchgehende Wieder Ver¬ 
schlimmerung der durch die Friedmann’sche Injektion schon 
gebesserten Tuberkulosen, die durch die Schutzpockenimpfung 
auf das frühere Stadium zurückgeworfen wurden and sich nur 
zum geringsten Teil — es sind inzwischen */ 4 Jahre verflossen — 
wieder haben erholen können, während bei allen injizierten und 
nicht Pocken geimpften Kindern die Heilungen ständig fortschritten 
und nur ein Kind später Wiederverschlimmerung aufwies, nnd 
auch dies, wie zugestanden werden muss, durch direkte Fehler 
in der Nachbehandlung. 

Für ein Urteil über die Leistungsfähigkeit der Friedmann’schen 
Methode ist nun nicht nnr die Technik der Injektion maassgebend, 
sondern vor allem auch die sorgfältigste Beobachtung der Injektions¬ 
stelle. Als selbstverständlich betrachte ich dabei, dass die intra¬ 
venöse Injektion, die nötig wird, wenn das snbkutane Infiltrat rot, 
beiss and schmerzhaft wird, d. h. drohende Perforation zeigt, 
auch technisch richtig, mit anderen Worten, in die Vene und nicht 
neben die Vene erfolgt. Ein vollständig verschwundenes Infiltrat 
kann nach Wochen, Monaten, ja selbst nach Jahren erneut in 
Erscheinung treten, und erfordert die Iojektionsstelle daher ständige 
Kontrolle. 

Wenn nnn schon die Behandlung eines Krankenmaterials, 
wie es die schweren Tuberkulosen in einem Krüppelheim, dem 
meine Fälle zum grössten Teile entstammen, bei denen es sich 
überdies recht häufig um mehrfache Herde chirurgischer Tuber¬ 
kulose handelt, die günstigste Beeinflussung zeigt, um wie viel 
mehr ist dies dann der Fall, wenn die Knochen- und Gelenk- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


NrJ7. 


tuberkulöse in ihrem Anfangsstadium zur Behandlung kommt. 
Dass das Mittel an sich dauernd unschädlich ist, wird durch 
vielfache Experimente am Tier und Erfahrungen am Menschen 
erwiesen. Ausserdem zeigen zahlreiche Fälle anderer Aerzte, die 
ich mit beobachtet habe, diese Unschädlichkeit des Mittels. 

Wenn wir nun unsere Erfahrungen bei der operativen Be¬ 
handlung der chirurgischen Tuberkulose mit der Injektionsbe- 
handlung nach Friedmaun vergleichen, so sind wir genötigt, an 
alle Aerzte die Mahnung zu richten, diese Behandlung einzuleiten 
und zwar möglichst in den Anfangsstadien der Erkrankung. 
Nur durch die Injektionsbehandlung nach Fried mann ist es 
möglich, Gelenke oder auch Organe, wie z. B. den tuberkulösen 
Hoden und Nebenhoden mit voller Funktion und ohne zerstörende 
oder beraubende Operationen zur Heilung zu bringen. Es bleibt 
noch zu erwähnen, dass gewisse operative Eingriffe wie z. B. die 
Operation nach Albee u. v. a. vor der Injektion ruhig ausgeführt 
werden können, während nach der Injektion jeder operative Ein¬ 
griff zu unterbleiben hat. 

Da m^ine Zeit durch meine umfangreiche Tätigkeit als 
Sanitätsoffizier in Dresden sehr in Anspruch genommen ist, habe 
ich meine Beobachtungen zunächst auf eine kleinere Zahl von 
Kranken beschränkt, die ich fortlaufend im Auge behalten kann. 
Aus dem gleichen Grunde muss ich auch vorläufig von einer 
ausgedehnten Publikation und der Veröffentlichung der Kranken¬ 
geschichten absehen. Ich erwähne nur, dass mein Beobachtungs¬ 
material aus folgenden chirurgischen Tuberkulosen sich zusammen¬ 
setzt: Spondylitis, Coxitis, Gonitis, multiple Knochen- nnd Haut¬ 
tuberkulose, Sprunggelenkstuberkulose, Hoden- und Nebenhoden- 
tuberkulöse. 


Aus dem neuen städtischen Krankenhaus Cottbus. 

Therapeutische Erfahrungen mit dem Fried- 
mann’schen Tuberkuloseheilmittel. 

Von 

Dr. Walter Kühne, 

Oberarzt der inneren, Kinder- und Nerven-Abteilnng. 

Wenn auch nicht zn verkennen ist, dass die bisherigen Be¬ 
handlungsmethoden der Tuberkulose beachtenswerte Teilerfolge 
gezeitigt haben, so können doch diese therapeutischen Ergebnisse 
noch bei weitem nicht als befriedigende angesehen werden. Weder 
führen die mannigfachen hygienischen und physikalischen Be¬ 
handlungsmethoden der Lungentuberkulose (Freiluft-, Liege- und 
Mastkur, Atemübungen, Pneumothoraxanlegung, künstliche Hyper- 
ämisierung der Lungen, Hydrotherapie), die medikamentöse Be¬ 
handlung (Kreosot, Ichthyol, Arsen, Zimtsäure, Kieselsäure, 
Kupfer, Gold) oder die Bakterienpräparate (Tuberkuline, Partial¬ 
antigene U8w.) in der Regel zur Ausheilung der Lungentuber¬ 
kulose, noch auch kann die bisherige konservative Therapie der 
chirurgischen Tuberkulosen (Gipsverbände, Jodoformglycerin, 
natürliche nnd künstliche Sonnenbestrahlung, Röntgenstrablen) 
verhüten, dass häufig Resektionen, Amputationen notwendig werden, 
somit Verstümmelungen, Verkrüppelungen und Versteifungen er¬ 
zeugt wurden, ja dass selbst mit diesen operativen Maassnahmen 
keineswegs etwa ein Erlöschen der tuberkulösen Prozesse erzielt 
wird, wie die chronischen Fistelbildungen, die durch schwere 
Eiterungen oft zu Amyloid führen, die multiplen metastatischen 
hämatogenen Tuberkulosen, die nar zu häufig schliesslich mit 
Meningitis und Miliartuberkulose endigen, deutlich zeigen, so dass 
tatsächlich die Tuberkulösen und besonders die an chirurgischer 
Tuberkulose Leidenden jahraus jahrein lange die Krankenhäuser 
bevölkern. Jedes auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende 
Mittel, welches die Möglichkeit eines therapeutischen Fortschrittes 
bietet, muss daher von ans Aerzten sorgfältig geprüft werden. 
So beschloss ich denn vor mehr als einem Jahre in eine Prü¬ 
fung des Fried mann’scben Tuberkulosemittels einzutreten, nach¬ 
dem ich erfahren hatte, dass das Mittel jetzt von Herrn Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. Kruse, dem Direktor des Königl. Hygieni¬ 
schen Institutes der Universität Leipzig, ständig geprüft wird, 
an seiner Reinheit also nicht mehr zu zweifeln ist. Selbst¬ 
verständlich ging ich bei der Anwendung des Mittels von der 
Ueberlegung aus, von vornherein nicht mehr zu verlangen, als 
naturgemä8S vernünftigerweise von einem Heilmittel verlangt 
werden kann. So erwartete ich nicht, dass das Verfahren bei 
zu weit forgeschritteneu Tuberkulosen, die bereits zu nahezu 
vollkommener Zerstörung eines grossen Abschnitts einer Lunge 


oder gar beider Langen bzw. za tiefen Gelenkzerstörungen oder 
gar zur Verallgemeinerung des tuberkulösen Prozesses geführt 
batteD, die also nach menschlichem Ermessen in absehbarer Zeit 
zum Tode führen mussten, noch Wunder wirken und sie zur 
Ausheilung bringen könnte. Derartige hoffnungslose Fälle habe 
ich entsprechend der berechtigten Forderung Fried mann’s grund¬ 
sätzlich ausge«cbaltet und mich überhaupt bemüht, die jetzt für 
das Frtedman.n’sche Mittel vorgesebriebenen Richtlinien möglichst 
streng zu befolgen. Anfangs habe ich, wie wohl auch mancher 
andere Arzt, die dauernde Prüfung der Impfstelle als nicht er¬ 
heblich angesehen, aber bald einseben gelernt, dass die Palpation 
der lojektionsstelle ständig nnd sehr sorgfältig ausgeübt werden 
muss und dass von der Beobachtung des Impfherdes sowie von 
der Entscheidung, ob der Impfstoff von selbst ständig weiter re¬ 
sorbiert wird bzw. ob nnd wann rechtzeitig eine intravenöse 
Nach Injektion weniger Tropfen der ganz schwachen Emulsion 
stattfinden soll oder nicht, oft das gesamte Heilergebnis des 
Falles, Erfolg oder Fehlschlag, abbängt. Herr Fried mann hat, 
als ich ihm schilderte, dass der und jener Patient intravenös 
nachgespritzt sei und ans welchem Grunde, in einer ganzen 
Reihe von Fällen sofort ohne den Patienten gesehen oder etwas 
über das Ergeben desselben gehört zu haben, erklärt, dass hier 
ohne richtige Indikation intravenös naebgespritzt und daher wahr¬ 
scheinlich das Heilergebnis verdorben sei, und er bat recht be¬ 
halten. So waren einmal an einem Tage 7 Patienten mit Hals¬ 
drüsentuberkulose gleichzeitig subentan geimpft und dieselben 
sieben dann an ein und demselben Tage intravenös nachbehandelt 
worden (in meiner Abwesenheit irrtümlich von anderer Seite). 
Es ist ohne weiteres klar, dass dies falsch sein musste, denn da 
bei jedem Menschen die spezifische Reaktion verschieden ist, so 
konnte unmöglich hier bei allen sieben an demselben Tage die 
Indikation zur Nachimpfung vorliegen. Bei genauerer Prüfung 
zeigte sich denn auch, dass kein ausreichender Grund zur Nach¬ 
spritzung Vorgelegen hatte. 

Während sich nach der subentanen Impfung die Drüsen auf¬ 
fällig verkleinerten und schrumpften, so dass die Heilprognose 
eine sehr günstige schien, stand der Heilprozess nach und infolge 
der nicht indizierten intravenösen Nachinjektion sofort still. Im 
Gegensatz zu diesen Fällen blieb überall da, wo das Mittel mit 
richtiger Indikationsstellung angewandt wurde, der Heilerfolg 
nicht ans. 

Am besten ist es, wenn das snbeutane Impfinfiltrat sich 
überhaupt nicht so entzündet, dass eine intravenöse Nachinjektion 
notwendig wird, denn die letztere ist, wie Fried mann sich 
ausdrückt, nur ein notwendiges Uebel. Erwünscht sind vielmehr 
als Zeichen der Reaktionsfähigkeit des Körpers deutliche, in der 
Tiefe liegende, sich aber allmählich von selbst zurückbildende 
Impfinfiltrate. Besonders ist noch zu betonen, dass die mit dem 
Friedmann’schen Impfstoff Behandelten nachher nicht mehr gegen 
Pocken geimpft werden dürfen. Denn die Pockenimpfung hat, 
wie mir Fried mann mitteilte, auf den nach Anwendung seines 
Mittels begonnenen Heilprozess eine ausgesprochen schädigende 
Wirkung. Die seit langem allgemein für tuberkulöse oder tuber¬ 
kuloseverdächtige Kinder geltende Regel, dass sie von der Pocken¬ 
impfung ausgeschlossen werden sollen, will Friedmaon daher 
mit Recht für die mit seinem Mittel Schutz oder Heilgeimpften 
allgemein angewandt wissen. Auch habe ich in einem Falle fest¬ 
gestellt, dass ein interkurrenter Scharlach den nach Friedmann¬ 
scher Impfung begonnenen Tuberkuloseheil verlauf deutlich, wenn 
auch — im Gegensatz zum Pocken- bzw» Schutzpockenvirus — 
nicht dauernd, sondern nur vorübergehend unterbricht. Auch darf 
der Arzt sich nicht durch das Drängen von Patienten zur Wieder¬ 
holung der Impfung verleiten lassen, denn die von Fried mann 
bereits 1914 gemachte Feststellung, dass eine einmalige Injektion 
seines lebenden Impfstoffes ausserordentlich lange (ein Jahr und 
noch viel länger) haftet und fortwirkt, ist von ihm inzwischen 
wesentlich erweitert und von anderen Seiten bestätigt worden. 
Nachstehend folgen sämtliche Krankengeschichten der von mir 
mit dem Friedmann’schen Mittel behandelten Patienten, die mir 
zum Teil von dem damaligen Leiter der chirurgischen Abteilung 
unseres Krankenhauses in liebenswürdigerweise zur Verfügung 
gestellt wurden. 

1. Frl. Sch., 25 Jahre alt. Blasse, elende Person, dankeiumränderte 
Augen, dauernd Husten. Mattigkeit, ständige Gewichtsabnahme, Krank¬ 
heitsgefühl. Vielfache SanatoriumsbehandluDg. Befund, 6. II. 1917. 
Schall Verkürzung beider Lungenspitzen, bei tiefem Einatmen Knacken, 
Ausatmungsgeräusch verschärft. Röntgenaufnahme ergibt deutliche Ver¬ 
schleierung beider Spitzen. 7. II. Intramuskuläre Injektion. 5 Stunden 


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18. Februar 1918. 


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danach Temperatursteigenmg, die 2 Tage au hält. Impfstelle nur einen 
Tag schmerzhaft. In der Folgezeit entwickelt sich bohnengrosses In- 
fitrat. 1. III. Krankheitsgefühl wesentlich verringert. Impfinfiltrat 
nicht mehr gewachsen. 1. IV. Pat. erscheint mit inzwisoben absze- 
diertem und dicht vor Durchbruch stehendem Impfberd; derselbe soll 
vorher niemals nennenswerte Beschwerden gemacht haben. Taubenei- 
grosse Schwellung, Rötung, Fluktuation. Nachinjektion einiger Tropfen 
ganz schwach intravenös. Danach Mattigkeit, Bettlägerigkeit. Durch¬ 
bruch des Abszesses, wie vorauszusehen, nicht verhütet, Sekretion 
seröser Flüssigkeit. 25. V. Husten wesentlich verringert, aber noch 
wenig Appetit, sonst zurzeit keine Beschwerden mehr. Frische Gesichts¬ 
farbe, rechte Lungenspitze ganz frei; links hinten noch leises Knacken. 
Oeffnung an der Durohbruchsstelle des Impfabszesses fest geheilt. 
25. XI. Gewichtszunahme seit Februar ohne jede Veränderung der 
Lebensweise und trotz der jetzt mangelhaften Ernährung 15 Pfund. 
Subjektiv völliges Wohlbefinden. Pat. ist im Vergleich zu den Jahren 
vor der Behandlung widerstandsfähiger gegen Erkältungen geworden. 
Lungen vollkommen frei von krankhaften Nebengeräuschen. Impfstelle: 
kleine, schwach bläulioh verfärbte, völlig beschwerdelose Narbe. Er¬ 
gebnis: Vollständige Ausheilung doppelseitiger Lungen¬ 
spitzen tuberkulöse. 

2. Frl. Dorothea W., Lehrerin, 28 Jahre alt. 3 Geschwister leiden 
an Lungen- bzw. Bauchfelltuberkulose. Pat. 1916 Halsdrüsentuber- 
kulose operiert; seit längerer Zeit Husten, Auswurf, Mattigkeit. Befund 
2. II. 1917. Blasses, krankhaftes Aussehen. Ueber dem linken Ober¬ 
lappen Klopfschall verkürzt, über der Spitze verschärftes Einatmen mit 
Knarren und Knacken, unterhalb des 2. Interkostalraumes grossblasiges 
Rasseln. Röntgenbild: Deutliche Verschleierung und Infiltration des 
ganzen linken Oberlappens. 2. II. Intramuskuläre Injektion. Danach 
geringe Fiebersteigerung und Schmerzen an der Injektionssteile. 16. IV. 
Pat. hatte sich an der Injektionsstelle gestossen, meldete sich 
aber erst nach Tagen mit schmerzhaftem, gerötetem, fast gänseeigrossem, 
schwappendem Infiltrat. 0,2 ganz schwach intravenös. Nach 3 Stunden 
Fieber, das mehrere Tage anhält und Pat. vorübergehend mitnimmt. 
8 Tage später Durchbruch des Infiltrates. 25. V. Subjektiv steigendes 
Wohlbefinden; Husten, Auswurf, Mattigkeit vollständig verschwunden. 
Objektiver Lungenbetund etwas günstiger. Impfstelle noch 1 om 
langes, 2 cm breites, etwas druokschmerzhaftes Infiltrat. Stelle des 
Durchbruchs kleine, braune Narbe, ln den folgenden Monaten dauerndes 
Wohlbefinden, Sohwund aller toxischen Symptome. 25. II. Reines 
bläschenförmiges, nicht verschärftes Atemgeräusch. Pat. sieht gut aus, 
ist dauernd tätig. Ergebnis: Ausheilung einer Oberlappen¬ 
tuberkulose bei sohwerbelasteter Patientin. 

3. Walter M., 37 Jahre alt. Ehefrau schwer lungenleidend. Pat. 
selbst starke Gewichtsabnahme (50 Pfund), Husten, Auswurf, Nacht- 
schweisse, Stiche zwischen den Schulterblättern, Kurzatmigkeit, Mattig¬ 
keit, starkes Krankheitsgefühl, Befund 12. IX. 1917. Blasser, krank 
und matt aussehender Mann, Dämpfung über beiden Lungenspitzen und 
über dem linken Unterlappen, daselbst Giemen und kleinblasige Rassel¬ 
geräusche. Röutgenbild: Verschleierung und Infiltrationen beider Lungen¬ 
spitzen, namentlich der rechten; auch im Bereich des linkeu Unter¬ 
lappens Infiltrationen und peribronchitisohe Herde, beiderseitige, ausge¬ 
dehnte und verwaschene Hiluszeichnung. 12. IX. Injektion 0,5 schwach 
intramuskulär. Darauf keine Temperatursteigerung. 28. X. Pat. gibt 
von selbst an, dass er sich viel wohler fühlt. Kurzatmigkeit fast ganz 
geschwunden, ebenso Nachtschweisse. Husten. Au* Wurf verringert, 
erbsengrosses, nicht schmerzhaftes Iüfiltrat. 25. XI. Weitere Besserung, 
Pat. erklärt, er fühle sich viel lebensfreudiger. Katarrhalische Erschei¬ 
nungen (Husten, Auswurf, Lungengeräusche) viel besser. Impfinfiltrat 
ganz geschwunden. 12. I. 1918. Fühlt sieb gar nicht mehr krank. 
Kein Husten, kein Auswurf mehr. Schulterstiche geschwunden. Fort¬ 
schreitende Gewichtszunahme. Rechte Lunge vollkommen regelrechter 
Befund. Linke Spitze geringe Sjhallverkürzung, Atmungsgeräusch hier 
vielleicht noch eine Spur abgeschvrächt, keine Nebengeräusche mehr. 
Ergebnis: Heilung einer tuberkulösen Erkrankung beider 
Lungen. 

4. Fritz B., 42 Jahre alt. Lungenkrank seit 1896, schwerer krank 
seit 1910, seither Husten, gelbeitrigen Auswurf, der Tuberkelbaoillen 
enthält, Mattigkeit, Gewichtsabnahme, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, 
hin and wieder Nachtschweisse. Seit 1910 viermal in Heilstättenbehand¬ 
lung. Befund 25. VII. 1917. Blasser Mann mit bläulichen Lippen. 
Klopfschall über der rechten Spitze vorn bis zum Schlüsselbein, hinten 
bis zur Schultergräte verkürzt, Ausatmungsgeräusch rechts hinten oben 
verlängert, über der Spitze Bronchialatmen, rechts hinten unten Rasseln. 
25 VII. 0.5 schwach intramuskulär. Darauf kein Fieber, keim Irapf- 
infiltrat. 16. XI. Infiltration der rechten Lungenspitze noch deutlich 
nachweisbar, dagegen rechts hinten unten jetzt frei. Auswurf jetzt nur 
nooh schleimig und enthält, während früher bei sehr häufigen Unter¬ 
suchungen stets Tuberkeibacillen naebgewiesen wurden, jetzt keine Ba¬ 
cillen. Pat. selbst sehr zufrieden, erklärt, dass, während er vorher 
dauernd Rückgang seines Gesundheitszustandes bemerkte, er sich jetzt 
immer besser lühle. 12. I. 1918. Keine Nachtschweisse. Nur noch 
sehr wenig Husten und Auswurf. Gewichtszunahme. Noch Schall Ver¬ 
kürzung über der rechten Spitze, hinten bis Oberschulterblattgräte 
Atmungsgeräusch noch etwas verschärft, aber keine Nebengeräusche mehr. 
Im übrigen Lungeobefund jetzt normal. Ergebnis: Bei der langen 
Daaer des Leidens und der Kürze der seit der Injektion ver¬ 


flossenen Zeit Ist zwar nooh keine Heilung möglich und noch 
kein endgültiges Urteil abzugeben, jedoch naoh dem bis¬ 
herigen Verlauf die Prognose für endgültige Heilung 
günstig. Ich werde über den Fall nooh später berichten. 

5. Heinrich Sch., Gastwirt, 59 Jahre alt. Seit 2 Jahren Husten, 
Auswurf, Mattigkeit, Gewichtsabnahme, Nachtschweisse. Befund 20. III. 
1917. Abgemagerter blasser Mann. Dämpfung und klein blasige Rassel¬ 
geräusche über dem ganzen rechten Oberlappen. Röntgenbild: Ver¬ 
schleierung und Infiltrationen des rechten Oberlappens. 26. III. 0,5 
schwach intramuskulär. In der Folgezeit kirschgrosses allmählich 
schrumpfendes Infiltrat. 2. VII. Wesentliche Besserung. Mattigkeit 
verschwunden, Nachtschweisse, Husten, Auswurf wesentlich verringert. 
25. II. Husten und Auswuof weiter verringert, nur noch geringe Schall- 
verkürzung und hin und wieder leichtes Knacken über der rechten 
Spitze. Krankheitsgefühl völlig geschwunden. Gewichtszunahme 6 Pfund. 
Ergebnis: Seit 2 Jahren bestehende, ständig fortschreitende 
und namentlich in der letzten Zeit vor der Impfung zu 
starker Gewichts re duktion führende Oberlappentuberkulose, 
ist 8 Monate naoh der Impfung so weit gebessert, dass Pat. 
selbst sich für vollkommen gesund hält und objektiv nur 
noch sehr geringe katarrhalische Erscheinungen nachweis¬ 
bar sind. Auch über diesen Fall werde ich später noch berichten. 

6. Margarete H., 14 Jahre alt. Schwere Knochen- und Weichteil¬ 
tuberkulose der linken Handwurzel und Mittelhand. Tuberkulöse infil¬ 
trative druckempfindliche Schwellung der Hohlhand und des Handrückens 
sowie der Beugeseite dos Handgelenks mit mehreren eiternden Fisteln 
auf dem Handrücken im Bereich des 4. uud 5. Mittelhandkooshens. 
Röntgenbild: Atrophie und verwaschene Konturen des Kopf- und Haken¬ 
beines und des angrenzendeu Mittelhändknochens. Trotz mehrfache 
Punktionen, Behandlung mit Schienenverbänden und Röntgenbestrah¬ 
lungen fortschreitende Verschlechterung. Befund 2. 11.17: Blasses körper¬ 
lich zurückgebliebenes Kind. Ganze 1. Hohlhand durch Sohweilung nicht 
nur ausgefüllt, sondern sogar buckelartig vorgewölbt, so dass nichts 
von den Konturen oder von der Zeichnung der Handfläche erkennbar 
ist. Namentlich Gegend des Handwurzelknochens verdickt, entzünd¬ 
lich bläulich-rot, mit mehreren Fisteln; auch auf der Beugeseite des 
Handgelenks stark absondernde, nach einer Punktion zurückgebliebene 
Fistel. Handrücken namentlich auf der Kleinfiogerseite stark geschwollen 
mit Fisteln im Bereioh des 4. und 5. Mittelhandknocbens. Umfang der 
Handgelenke in der Höhe des Daumenwurzelgelenkes links 19,5, rechts 
16 cm, Bewegungsversuohe im Handgelenk schmerzhaft, nur andeutungs¬ 
weise ausführbar, Finger in den Grundgelenken leicht überstreckt, sperren 
beim Versuch der Faustbildung 6—7 cm. 2. II. 1,5 stark intramuskulär. 
Temperatur an demselben Abend 87,6°, am nächsten Tage normal. 11. IL 
Schwellung der ganzen Hand auffallend zurückgegaogen, das früher steife 
Handgelenk jetzt etwas beweglich. Umfang jetzt in der Höhe des 
Wurzel ge lenk es des linken Daumens nur noch 16 cm. 1. IV. Fort¬ 
schreitende Besserung. Alle Fisteln bis auf eine geschlossen. Mittel¬ 
und Eodgelenke frei beweglich, Grundgelenk um 10 9 beweglich, Hand¬ 
gelenk völlig frei. 16. V. Seit kurzem Impfinfiltrat in der Tiefe fühl¬ 
bar: Zweipfennigstückgrosse gerötete, in der Mitte erweichte, nicht 
schmerzende Stelle. Wegen Durchbruchsgefabr 1 Tropfen schwach intravenös. 
Danaoh Rückgang der entzündlichen Schwellung. In der Folgezeit 
weiter fortschreitende Besserung. Schliessung aller Fisteln, Finger im 
Grundgelenk bis zum rechten Winkel beugbar. 25. XI Fisteln fest 
vernarbt, keinerlei Schwellung und Schmerzen mehr. Handgelenke und alle 
Fingergelenke regelrecht schmerzlos, gebrauchsfähig. Ergebnis: Nach¬ 
dem durch längere anderweitige Behandlung fortschreitende 
Versohlimmerung nicht verhütet werden konnte, ist hier 
nach der Friedmann’schen Einspritzung mit einem Schlage 
eine Wendung zum Guten und fortschreitende, auch funk¬ 
tionell vollkommene Heilung erzielt worden, ein Heilergeb¬ 
nis, das durch keine andere Methode, welcher Art sie auch 
sei, erzielbar ist. Wäre aber hier bei dem drohenden Durchbruch 
des Impfherdes nicht rechtzeitig, oder technisch falsch oder zu viel 
intravenös naebgespritzt worden, so wäre der ganze bis dahin erreichte 
Heilerfolg unwiederbringlich vernichtet gewesen. 

7. Paul W., 14Va Jahre alt. Beide Eltern lungenkrank. Pat. vor 
8 Jahren rechten Oberarmbruch, der bis ins Ellbogengelenk reichte und 
Versteifung des Gelenkes hervorgerufen hatte, so dass Beweglichwerden 
des Ellbogengelenks nicht zu erwarten ist. Bald nach dem Bruch ent¬ 
stand infiltrierende Gelenksentzündung, die früher in der Cbaritö lange 
mit Gipsverbänden u.s.w. vergeblich behandelt wurde. Befund: 24.5 1917. 
Rechtes Ellbogengelenk stark geschwollen. Umfang 28 cm, links 24 cm. 
Am Gondylus externus nicht ganz pfennigstückgrosse mit schmierig gelbem 
Belag bedeckte Fistel, deren Umgebung entzündlich gerötet und infiltriert 
ist. Streokung nur bis 120°. Beugung bis 80°. Pro- und Supination 
aufgehoben. Röntgenbild: Ganze Elibogengegeud Konturen verwaschen, 
am Speichenköpfchen auf der Innenseite Knochen usuriert, erbsengrosse 
trübe verdichtete Stelle, Hinterseite des Oberarmkno« hens verdickt. 
25. V. 1,2 stark intramuskulös. 2. VI. Entlassen. Noch keine Aenderung. 
25. II. Wiedervorstellung. Fisteln seit Anfang Oktober vollkommen ge¬ 
schlossen, jetzt fest vernarbt. Schmerzen, S-bWallung und alle entzünd¬ 
lichen Erscheinungen geschwunden. Umfang: Ellbogengelenk rechts 24V*» 
links 24 cm. Streckung nur noch etwas behindert, Beugung normal. 
Pronation in geringem Grade möglich, Supination aufgehoben. Wesent- 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


liehe Zunahme des allgemeinen Ernährungs- und Kräftexustandes. Pat. 
äussert selbst, dass er sieh so kräftig fühle, wie seit Jahren nicht. 

Ergebnis: Ausheilung einer seit 8 Jahren bestehenden 
tuberkulösen abszedierenden Knochen- und Weichteiler- 
krankung innerhalb von 6 Monaten. Die Funktion im Ellbogen¬ 
gelenk hat sich wider Erwarten gebessert, da ein erheblicher Teil der 
BewegüDgsbe8obräokung durch die fungöse Gelenkerkrankung bedingt 
war; dieser Anteil ist nach Heilung der tuberkulösen Entzündlung 
ebenfalls geschwunden, so dass nur die durch dem Knoohenbruch er¬ 
zeugte Bewegungabehinderung zurückgeblieben ist. 

8. Anna G., 46 Jahre alt, schmerzhafte unförmige Sohwellung und 

Rötuog des rechten Eltbogengelenks. Abszedierende Ellbogengelenktuber¬ 
kulose. Nach Inzisionen Eiterentleerungcn. Zur Zeit der Fr.-Injektion be¬ 
stehen in der Umgebung des Ellbogengelenks 4 eiternde Fisteln, die gut 
15 cm den Oberarm hinauf und den Unterarm hinab auf rauhen Knochen 
führen. Ellbogengelenk kann nicht gebeugt und nioht vollständig duroh- 
gedrückt werden. An der Streckung fehlen 20°. Drehung des Vorder¬ 
arms im oberen Ellenspeiohengelenk nioht möglich. Röntgenbild: Ganze 
Oberarmkopf augehellt. Auflagerungen auf Periost im Bereich des ganzen 
unteren Drittels des Oberarms, Aufhellung des Speichenköpfchens und 
des Kronenfortsatzes der Elle. 17. VII. 1917. 1,5 stark intramusk. 

1. VIII. Kein Infiltrat fühlbar. 4. VIII. Fisteln scheinen weniger ab- 
zusondern. 2. VIII. Auf der Vorderseite des Ellbogepg«lenks hat sioh 
ein Abszess gebildet. 26. IX. Noch 4 eiternde Fisteln. 27. XI. Schwellung 
des Ellbogengleenks erheblich zurückgegangen. Es bestehen noch 4 jetzt 
aber wenig sezernierende Fisteln. Schmerzen vesebwunden, Bewegungs¬ 
fähigkeit wesentlich gebessert. 12.1. 1918. Schwellung weiter zurüok- 
gegangen, Beweglichkeit freier. Ergebnis: Fortschreitende objektive 
Besserung, subjektive Beschwerden verschwunden. Ich werde 
über den Fall nach Abschluss berichten. 

9. Gustav Sch., 15 Jahre alt. Tuberkulöse Spondylitis. Beginn 
Juni 1916. Es entwickelte sioh ein stark schmerzender Buckel. Befund: 

2. II. 1917. Schmächtiger blasser Mensch. In der unteren Brustwirbel¬ 
säule springt ein deutlicher Gibbus hervor (8.—10. Brustwirbel), schon 
bei Berührung stark schmerzhaft, äussesrt klopfempfindlich, ständige 
Sohmerzen im Rüoken beim Stehen, Sitzen, Liegen, auch beim Anlehnen 
an die Stuhllehne, kann vor Schmerzen nicht schlafen, Kopfbeugung 
nach vorn schmerzhaft, nur gering möglich, starker Stauohungsschmerz, 
Gehversuche werden mit steifem Oberkörper langsam und unsicher aus¬ 
geführt, stützt sich heim Sitzen mit beiden Händen auf die Oberschenkel, 
heim Aufheben eines Gegenstandes wird Wirbelsäule steif, die Knie ge¬ 
beugt gehalten und beim Aufrichten die linke Hand auf das Knie ge¬ 
stützt. Röntgenbild: 8., 9. und 10 Brustwirbel zeigen verwasohene 
Konturen, auch seitlich von den Wirbeln Sohattenhildung. 

Durch mehrmonatige Gipsbettbehandlung keine Besserung. 2. II. 1917. 
Simultaninjektion. 3. II. Temperatur bis 40,2°. 4.11. Fieber-und Kopf¬ 
schmerzen verschwunden. 11. II. Erbseogrosses Infiltrat an der glu- 
täalen Injektionsstelle. Während Patient früher vor Schmerzen in der 
Wirbelsäule nicht sohlafeu konnte, sohläft er jetzt ohne Schmerzen. 

10. III. Klopf- und Stauohungsschmersen versohwunden, Bewegungen 
der Wirbelsäule schmerzlos geworden, geht beim Aufheben eines Gegen¬ 
standes infolge Versteifung des mittleren Brustabschnittes zwar noch in 
tiefe Kniebeuge, stützt sich aber beim Aufrichten nicht mehr mit den 
Händen, ebenso stützt er sioh beim Sitzen nicht mehr auf die Ober¬ 
schenkel. 7. IV. Beugung des Rumpfes nach vorn 100°, nach hinten 20°, 
seitlich 30° möglich. 22. V. Klopf- und Stauohungsschmerz dauernd ver¬ 
schwunden geblieben. Bücken ganz schmerzlos und jetzt so weit möglich, 
dass Fingerspitzen die Erde berühren. Patient wird entlassen, soll Stütz¬ 
korsett tragen und keinesfalls arbeiten. 25. XI. Patient hat trotz 
Warnung die ganze Zeit sohwer gearbeitet und kein Stützkorsett ge¬ 
tragen, daher hat sioh ein etwas stärkerer Buckel gebildet. Stauchungs¬ 
und Klopfschmerz dauernd geschwunden, Gang unbehindert, mittlere 
Brustwirbelsäule steif, dagegen werden Bewegungen des Oberkörpers 
jetzt uneingeschränkt schmerzlos ausgeführt. Ergebnis: Da seihst bei 
monatelanger schwerster Arbeit keine Sohmerzen mehr be¬ 
stehen, ist die Krankheit selbst als erloschen anzusehen. 
Nach den Friedman n’sohen Vorschriften sollen Patienten mit schmerz¬ 
hafter Gelenk- oder Wirbelsäulentuberkulose, die, sobald sie nach der 
Impfung schmerzlos geworden sind, erfahruugsgemäss die Neigung haben, 
bald wieder herumzulaufen und dadurch die Heilung zu beeinträchtigen, 
dies streng vermeiden und die kranken Gelenke, selbst wenn dieselben 
infolge der Impfung schon ganz schmerzfrei geworden sind, ruhig halten, 
nicht aber durch Bewegung belasten. So ist auch hier infolge vorzeitig 
erfolgter Belastung der natürlich noch nicht wieder gefestigten Wirbel¬ 
säule das Heilungsresultat beeinträchtigt. 

Es sei noch bemerkt, dass ganz frische Fälle von Spondylitis und 
Gelenktuberkulose durch die Friedmann’sche Impfung allein mit voller 
Funktionsfäbigkeit restlos ausheilen können, ohne eines Stützkorsettes 
oder sonstiger orthopädischer Maa9snahmen zu bedürfen, aber nur unter 
der eigentlich selbstverständlichen Voraussetzung, dass den kranken 
Gliedern nach der Impfung mehrere (etwa 6—8) Monate völlige Ruhe 
und Zeit zur Ausheilung gelassen wird. 

10. Wilhelm R., 20 Jahre alt. Tuberkulose des rechten Oberlappens 
und tuberkulöser Brustbeinabszess. Befund 2. V. 1917. Infiltration 
des rechten Oberlappens, Husten, Schmerzen und Stechen in der Brust. 
Ueber der Mitte des Brustbeins faustgrosse Geschwulst, an dessen unteren 
Ende eiternde Fistel. Aeusserste Schmerzhaftigkeit, die Pat. am Arbeiten 


hindert. Röntgenbild: Brauchbares Strukturbild des Brustbeins trotz 
wiederholter Aufnahmen im schrägen Durohmesser nicht zu erhalten ge¬ 
wesen. 2. V. Intramuskuläre Injektion. 25. XI. Tuberkulöser Abszess 
vollständig geschwunden, Fistel nur noch minimal absondered, kein 
Krankheitsgefühl mehr, Schmerzen und Stechen in der Brust waren bereits 
zwei Wochen nach der Injektion versohwunden und sind fort geblieben, 
Pat. arbeitet jetzt (schwere Schmiedearbeit), was ihm vor der Impfung 
unmöglich war. 12. I. 1918. Ergebnis: Blühendes Aussehen. 
Ausser geringem Husten keinerlei Beschwerden mehr. 
Rechter Oberlappen frei von katarrhalischen Erscheinungen. 
Arbeitet ständig als Schmied. 

11. Marie K., 5 Jahre alt Rechtsseitige tuberkulöse Gozitis, 
Sohwellung und starke Schmerzhaftigkeit des rechten Hüftgelenks seit 
sechs Wochen, so dass das Kind zu hiuken anfing und nicht mehr auf- 
treten konnte. Schmerzhaftigkeit in der rechten Leistengegend. (Abszess?) 
Befund am 1. IV. 1917. Beugekontraktur von 60°; bei weiteren Beuge-, 
sowie bei Streck-, An-, Abspreiz- und Drehbewegungsversuchen geht das 
Becken mit, der leiseste Versuch einer Bewegung im Gelenk ist sehr 
sohmerzhaft. Röntgenbild: Konturen der das rechte Hüftgelenk bildenden 
Knoohen unscharf. (Atrophie). Mehrwöchiger Streckverband war 
ohne jeden Erfolg geblieben. Simultaninjektion. 8. IV. Erbsengrosses 
glutäales Infiltrat. 16. IV. Der oben vermutete Drüsenabszess in 
der Leistengegend unter mehrtägiger Fiebersteigerung durchgebrochen. 
22. V. In der rechten Leistenbeuge 4 cm lange glatte Narbe, Hüftgelenk 
vollkommen frei, schmerzlos beweglich. 28. VI. Entlassen. 2. XII. Heil¬ 
erfolg von Bestand geblieben, Kind blühend, läuft wie jedes gesunde, 
hinkt nicht. Rechtes Hüftgelenk nach allen Richtungen hin frei und 
sobmerzlos beweglich, keine Verkürzung des Beines, auch keine messbare 
Atrophie des Oberschenkels, Injektionsstelle nicht mehr auffindbar. 
Ergebnis: Restlose Ausheilung frischer fieberhafter tuber¬ 
kulöser Coxitis mit sekundärer Leistendrüsentuberkulose. 

12. Ilse S., I 1 /* Jahre alt. Rechtsseitige Coxitis, Beginn Herbst 1916* 
Behandlung mit Gips und Streckverbänden. Befund 80. IV. 1917- 
Tritt nur mit dem rechten vorderen Fussteil auf, hält Knie und Hüft¬ 
gelenk gebeugt. Hüftgelenk in Beugekontraktur von 60°; alle Bewegungen 
behindert und schmerzhaft. SO. IV. Injektion 1,4 stark intramuskulär. 
25. V. Keine Beugekontraktur mehr, Hüftgelenk frei, Injektionsstelle 
erbsengrosses Infiltrat. 26. VIII. Bewegung nicht mehr schmerzhaft, 
entlassen. In der Folgezeit hat offenbar bei dem seit drei Monaten 
nioht mehr zur Untersuchung gebrachten Kind ein Durchbruch des Impf¬ 
herdes, der bisweilen ohne grosse Schmerzen erfolgen kann, stattgefunden, 
denn es zeigte sich bei der Nachuntersuchung am 25. XI. an der Impf¬ 
stelle eine übererbsengrosse tief eingezogene Narbe. Die rechtzeitige 
intravenöse Injektion einiger Tropfen ganz schwacher Emulsion ist also 
hier verabsäumt, der Impfstoff nioht, wie zur Heilung not¬ 
wendig, restlos aufgenommen worden und dementsprechend 
der Erfolg unbefriedigend, nämlioh: die Gegend des rechten Hüft¬ 
gelenkes noch verdickt, das rechte Bein steht in Adduktionskontraktur, 
Beuge und Drehbewegungen im Hüttgelenk in geringem Grade ausführ¬ 
bar, bei stärkeren Bewegungen noch Schmerzen, Laufen nicht möglich. 

18. Selma W., 14 Jahre alt. Schwere abszedierende Coxitis. Beginn 
Oktober 1916. Behandlung Streckverbände, dauernde Verschlimmerung. 
Befund 2. II. 1917. Blasses hageres Mädchen. Rechtes Bein im flüft- 
und Kniegelenk gebeugt, liegt in starker nach aussen rotierter Stellung. 
Bei leisesten Bewegungsversuoben, die äusserst schmerzhaft sind, geht 
das Becken mit. Die ganze Hü ft- und Beckengegend ober- und unter¬ 
halb des Poupart’sohen Bandes bretthart infiltriert, druckempfindlicher 
sohwerer Abszess, der sioh bis zur Hällte des Oberschenkels berabzieht 
Tiefe Fisteln, die bis ins Hüftgelenk führen, Drehbewegungen aufgehoben, 
ebenso Anspreisen, Abspreizen und Beugung. Starke tuberkulöse 
Sohwellung der rechten Leistendrüsen. Röntgenbild: Verwaschene 
Gelenklinien, Strukturzeichnnng des Oberschenkelkopfes, Halses und beider 
Trochanteren aufgehoben; Auffaserung der Gelenkpfanne. Injektion 1,5 
stark intramuskulär. 11. 111. Sohwellung in der Leistengegend erheb¬ 
lich surüokgegangen, Darmbeinstaohel vorher versohwollen, jetzt deutlich 
sichtbar. 1. IV. Allgemeinbefinden wesentlich gebessert, keine Schmerzen 
mehr, heitere Stimmung, Schwellung weiterhin stark zurück gegangen. 
25. V. Fortschreitende Besserung, Gewichtszunahme, blühendes Aus¬ 
sehen, tuberkulöse Infiltration in der reohten Leistengegend geschwunden. 
Keine Drüsenschwellungen mehr. Keine Schmerzen, an der Aussenseite 
des reohten Oberschenkels noch eine Fistel, die noch auf Knochen führt 
und heute mit einigen Tropfen starker Emulsion intrafistulär injiziert 
wird. 25. XI. Abszess dauernd geschwunden, keine Schmerzen mehr, 
macht bereits vorsichtig Gehversuche, Fistel führt nicht mehr auf Knochen, 
nur noch 5 cm tief, sezerniert nur noch ganz gering. Blühendes Aus* 
sehen, heitere Stimmung. Ergebnis: Es ist bereits nahezu völlige Aus¬ 
heilung einer schweren Coxitis mit mächtigem Abszess eingetreten, gleich¬ 
zeitig mit dauerndem Schwund der toxischen Symptome: Mattigkeit, 
blasses Aussehen, Unlust sind frischem Aussehen, erheblioher Gewichts¬ 
zunahme und heiterer Gemütsstimmung gewichen. 

14. Erich K., 14 Jahre alt, linksseitige tuberkulöse Coxitis. Seit 
September 1916 zunehmende Sohmerzen in der linken Hüfte, so dass 
Pat. nur mühsam hinkend gehen konnte. Befund 2. II. 1917. Blasser 
Mensch, alle Bewegungsversuche im linken Hüftgelenk schmerzhaft, 
Aussenrotation und Abduktion erheblich eingeschränkt, ÜDke Gesässfalte 
tiefer als rechte. Bei Rückenlage Lordose, die bei Hebung des linken 
Beines um 60° ausgeglichen wird. Beugungsversuch im Hüftgelenk im 


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18. Februar 1918. 


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letzten Abschnitt sohmerzhaft, von 70° an geht das Becken mit. Auch 
die Innenrotation, die bei der Aufnahme ins Krankenhaus (15. XU. 1916) 
nooh frei war, ist jetzt bereits eingeschränkt. Linksseitige tuberkulöse 
Leistendrüsenschwellungen. Infolge des seit 6 Wochen liegenden Streck- 
▼erbandes haben zwar die Schmerzen etwas nachgelassen, jedoch ist es 
bereits zu beginnender Versteifung des Gelenkes gekommen. Röntgen¬ 
bild: verwaschene Gelenkkonturen. Tuberkulöse Knochenatrophie. 2. U. 
Simultaninjektion. 3. II. Temperatur bis 39,7°. Mattigkeit, starke 
Kopfschmerzen. Seit 5. H. Reaktion ganz verschwunden 11. 11. Beu¬ 
gung bis 30° schmerzfrei, Rotation ganz frei, Leistendrüsenschwellung 
erheblich zurüokgegangen, noch Schmerzen im Hüftgelenk. Allgemein¬ 
befinden besser, kräftiger. Infiltrat kaum fühlbar. 21. IL ist gegen 
Anordnung, ruhig liegen zu bleiben, doch umhergegangen, daher in letzter 
Zeit etwas vermehrte Schmerzen. Auf Veranlassung der Kasse entlassen. 
25. V. erhebliche Besserung. Hüftgelenk fast frei beweglich, Becken geht 
nicht mehr mit, Leistendrüsenschwellung ganz geschwunden. 25. XL 
Gang unbehindert, springt vom Untersuchungstisch, selbst tiefe Kniebeuge 
schnell und schmerzlos ausführbar. Drehung im linken Hüftgelenk kaum 
noch minimal eingeschränkt, alle andern Bewegungen ganz frei. Keine 
Verkürzung. Oberschenkelumfang (15 cm oberhalb des oberen Knie¬ 
scheibenrandes gemessen) rechts 357z, links 3572 cm, also keine Atrophie 
eingetreten. Leistet dauernd als Dreher schwere Arbeit. Ergebnis: 
Restlose Ausheilung einer seit 5 Monaten bestehenden tuber¬ 
kulösen Goxitis mit voller funktioneller Wiederherstellung. 
Bei Fortsetzung der Behandlung nach der alten Methode wäre es besten¬ 
falls auch zur Ausheilung der tuberkulösen Entzündung gekommen, aber 
mit Versteifung des Hüftgelenkes and Verkürzung des Beins. 

15. Erich H., 7 Jahre alt. Alte, mindestens seit 5 Jahren be¬ 
stehende, in spitzwinkliger Beugekontratur versteifte Gonitis mit Fisteln. 
Trotz Streckverbänden und Röntgenbestrahlung dauernde Verschlimmerung 
und Fistelbildung. Befund am 2. II. 1917. Linkes Knie stark schmerz¬ 
haft, Kapsel- und Knochenverdickung. Umfang links 28, rechts 25 cm. 
Knie steht in starker Beugekontraktur, Umfang Untersohenkel rechts 
21 cm, links 18 cm. Am unteren Teil des Kniegelenks 5 cm lange, 
3 cm breite Ulceration, in deren Mitte speckig belegte, vor einigen 
Tagen aufgebrochene Fistel in die Tiefe führt. Jeder Bewegungsversuch 
im Knie stark schmerzhaft, Kind humpelt, auf beiden Seiten geführt, 
ängstlich und unter Schmerzäusserungen mit stark gebeugten Beinen. 
Röntgenbild zeigt Kapselverdickung, verwaschene Gelenkiinien und De¬ 
struktion der Kniegelenksknochen. 2. H. 1,0 stark intramuskulär. 
4. II. Temperaeur bis 38,6°, dann langsamer Abfall zur Norm, die am 
7. U. erreicht wird. Wohlbefinden. 11. II. Schmerzen jetzt geringer. 
Die speckigen schmierigen Massen der Ulceration haben sich ganz abge- 
stosseD, so dass jetzt reine Granulationen vorliegen. Infiltrat taubenei¬ 
gross geworden, leicht schmerzhaft. 14. IL Schmerzhaftigkeit des In¬ 
filtrates nachgelassen. 16. II. Hohes Fieber unbekannter Herkunft. 
18. 11. Soharlachexanthem. Infiltrat plötzlich versohwunden. 21. II. 
Zustand des Knies wieder verschlimmert, Abszessbiidung am Knie. In¬ 
zision (Fehler!), Verband mit Jodoformgaze (Fehlerl). 27. II. Neuer 
Abszess am Knie wird ebenfalls gespalten und mit Jodoformgaze ver¬ 
bunden (Fehler!). 3. HL Kniegelenkserguss. 10. III. Punktion des 

Kniegelenks (Fehler!) ergibt keinen Eiter, linke Halsseite Drüsenschwel¬ 
lungen, Uiin enthält Eiweiss. 11. 4. Da sofort nach Scharlaohausbruch 
Heilungsstillstand und Wieder Verschlimmerung des tuberkulösen Pro¬ 
zesses eintrat, so dass vermutlich durch die interkurrente Infektion die 
Wirkung des Mittels aufgehoben wurde, wird neue intramuskuläre In¬ 
jektion vorgenommen. 25. XL In der Zwischenzeit ohne jede Behand¬ 
lung geblieben. Die Ulceration und Fisteln überbautet und vernarbt. 
Keinerlei entzündliche Erscheinungen am Knie mehr, Verdickung nahezu 
geschwunden, Umfang links 25,6 cm, reohts 25,3 cm, Beugestellung un¬ 
verändert geblieben, Aussehen des Pat. erheblich gebessert. Beide In¬ 
jektionsstellen nicht mehr nachweisbar. Ergebnis: Nachdem Streck¬ 
verbände und Röntgenstrahlen hier nicht nur keine Besse¬ 
rung bracht, sondern ständige Verschlimmerung und Fistel¬ 
bildung nicht hatten verhüten können, sind die chronischen 
tuberkulösen Veränderungen durch die Friedmannn’sche 
Behandlung vollständig ausgeheilt (Schwinden der Verdiokung 
des Knies, der Schmerzhaftigkeit, sowie Ausheilung der Fisteln). Dass 
die seit 5 Jahren bestehende Beugekontraktur sich rüekbilden könnte, 
war selbstverständlich von vornherein ausgeschlossen. 

16. Karl K., 31 Jahre alt. Multiple Knochen- und Weiohteil- 
bildung. Befund 2. II. 1917. Tuberkalöse Schwellung des 2. und 3. linken 
Mittelhandknochens, ferner am linken Ober- und Unterschenkel 2 je 
markstüokgrosse und 1 pfennigstückgrosse tuberkulöse Hautabszesse 
(Tuberkulide), 4. MitteIfussknochen des rechten Fusses verdickt, an der 
Aussenseite des linken Fusses mehrere eiternde Fisteln, Knoohenteile 
darunter sehr stark verdickt. Unter dem linken Oleoranon reichlich ab¬ 
sondernde Fistelöffnung, nach oben und aussen gelangt man auf rauhe 
Knochen. 2. II. 1,0 stark intramuskulär. 3. II. Leichte Sohwellung 
und Druckempfindlichkeit der Injektionsstelle. Temperatur 38,4°, seit 
6. II. Temperatur normal. 10. II. Temperatur wieder 37,9° ohne er¬ 
kennbare Ursache. 11. II. Tuberkulöse Schwellung am Ellbogen zurück¬ 
gegangen, ebenso am linken Fuss. 16.11. Scharlachexanthem, Erbrechen, 
starke Durchfälle. 28. II. Abschuppung, Eiweiss im Urin. Noch Durch¬ 
falle. 3. III. Soarlatinöse Mittelohreiterung. 26. IV. Fistel am Ellbogen 
wieder stärker absondernd. Ganze Ellbogengelenksgegend stark ge¬ 
schwollen. 2. V. Fall vom Tisch. Danach blauschwarze Verfärbung 


und Anschwellung der reohten Gesässbacke an der Stelle der Injektion 
bis zu Faustgrösse (Hämatom?). 23. V. Fluktuierende Stellen am rechten 
Glutäus, die durohzubreohen drohen. 25. V. Intravenöse Injektion 0,1 
ganz schwach, darauf 40,7°, Erbrechen. Glutäale Sohwellung geht zu¬ 
rück. 8. VH. Anschwellung unter dem rechten Knie. 9. VII. Hier Durch¬ 
bruch. Fistelbildung. 12. VIL Fistel wieder geheilt. 25. VIL Bei 
gutem Allgemeinbefinden entlassen. Alle Fisteln bis auf die am linken 
Ellbogen geschlossen. 25. XI. Alle Fisteln und Schwellungen ver¬ 
sohwunden bis auf Steoknadelkopfgrösse mit Borke bedeckte Fistel am 
linken Ellbogen, die alle 8 Tage noch etwas absondert. Sonst nirgends 
entzündliche sohmerzhafte Stellen mehr. Gutes Allgemeinbefinden. Er¬ 
gebnis: Der nach der Friedmann’sohen Injektion bereits be¬ 
gonnene Heilverlauf ist durch interkurrenten Scharlach an¬ 
fangs ganz unterbrochen, sodann wesentlich verzögert. 
Immerhin ist es zu nahezu völliger Ausheilung sämtlicher 
tuberkulöser Herde gekommen. 

17. Käthe K., 47a Jahre alt. Fungöse rechtsseitige Kniegelenk¬ 
tuberkulose. Vater an Lungentuberkulose gestorben. Mutter und 
Schwester, sowie Bruder des Vaters ebenfalls lungenkrank. Beginn der 
Krankheit mit Schwellung und Schmerzhaftigkeit des Kniegelenkes, als 
das Kind 6 Monate alt war. Bisherige Behandlung (Bestrahluug 
mit Höhensonne) ohne jeden Erfolg. Befund 2. U. Rechtes Kniegelenk 
durch Kapsel und Knochenverdickung geschwollen (Umfang 257 2 cm, 
linkes 23 cm). An der Innenseite des Kniees und unter der Kniescheibe 
besonders starke Druckempfindlichkeit, Beugestellung im Kniegelenk, 
passive Beugung über 110° unmöglich, Versuch enorm schmerzhaft, 
Gang breitbeinig, tritt mit der Aussenseite des Fusses auf, wobei sie 
die Zehen an den Boden krallt. Rechtes Bein vorgesetzt, linkes nach¬ 
gezogen. Röntgenbild: Kniesoheibe usuriert, Atrophie des Schienbein¬ 
kopfes und Oberschenkelgelenkteiles. 2. U. Simultaninjektion. 8. II. 
Fieber bis zu 40,3°. 23. III. Unzweifelhafte auffällige Besserung, Be¬ 
wegungen im Kniegelenk unter sehr geringen Schmerzen jetzt fast in 
normalem Umfange ausführbar, Schwellung des Gelenkes abgenommen. 
21. V. Vor 8 Tagen (also 16 Wochen nach der Injektion) Schwellung 
der Impfstelle aufgetreten, die in den darauf folgenden Tagen schnell 
bis zu einem kindskopfgrossen, vor dem Durchbruch stehenden Abszess 
anwächst, gleichzeitig Kniegelenk wieder geschwollen, unbeweglich und 
wieder wie vor der Injektion äusserst schmerzhaft. 22. V. Intravenöse 
Naohinjektion einiger Tropfen ganz sohwach. Hierauf geht das vorher rote 
heisse schmerzhafte Infiltrat prompt auf Kleinapfelgrösse zurück, gleich¬ 
zeitig Kniegelenk wieder beweglich, abgeschwollen, ganz schmerzlos. 
In der Folgezeit unter allmählicher Resorption des Infiltrates fort¬ 
schreitende Besserung. 25. XI. Kniegelenk kaum noch verdickt, selbst 
auf stärksten Druck nicht mehr empfindlich, fast keine Behinderung der 
Streok- und Beugefähigkeit mehr, alle Bewegungen werden sohmerzlos 
und schnell ausgeführt, Kind munter, vergnügt, läuft, springt, maoht 
tiefe Kniebeuge. Stelle der glutäalen Injektion soll nach Angabe der 
Stiefmutter bei schlechtem Wetter nachts noch leicht empfindlich sein, 
sonst nicht. Ergebnis: Ausheilung einer bei einem 47*jährigen 
Kind seit den ersten Lebensmonaten bestehenden Knie¬ 
gelenktuberkulose mit nahezu vollkommenem funktionellen 
Resultat. Hier war gleichzeitig mit einer Erweichung des Impfherdes 
die tuberkulöse Gelenkentzündung wieder aufgeflackert: durch die hier 
voll indizierte rechtzeitige intravenöse Naohinjektion einiger Tropfen 
ganz schwacher Emulsion ist die Rückbildung des Impfabsoesses, damit 
die Resorption des Mittels und folglich der weitere Heilverlauf wieder 
angeregt worden. 

18. Johannes Soh., 47 Jahre alt. Elender kaohektisoher Patient. 
Plötzlich unter dem Bilde der Influenza einsetzende multiple Tuber¬ 
kulose. Bisherige Behandlung mit Röntgenstrahlen und Rosenbach¬ 
tuberkulininjektionen. Tuberkulose der rechtsseitigen Hals- und Supra- 
claviculardrüsen. Einige Zeit darauf tritt eine tuberkulöse Erkrankung 
des linken Knies, sodann ein neuer schmerzhafter Herd an der Innen¬ 
seite des rechten Fasses auf. Bereits unter der bisherigen Behandlung 
ist es also unter fortschreitender Verschlechterung des Allgemeinbefindens 
in der Zeit vom Februar bis April 1917 zur Eruption immer neuer 
Knochen-, Drüsen- und Weichteilherde gekommen. Im Stadium hoch¬ 
gradiger Hinfälligkeit wird am 14. VI. eine Injektion gemacht (Fehler!), 
aber auch diese war nicht mehr imstande, die Manifestation weiterer 
vorher latenter Herde (an der Innenseite des Schienbeins, und an den 
Schleimbeuteln des rechten Kniees), sowie den häufigen Ausgang solcher 
hämatogen propagierter Fälle, nämlich die allgemeine Miliartuberkulose 
aufzuhalten, welcher den Patienten nach vorübergehender Besserung 
(Rückbildung der Drüsen, Beweglioherwerden des Bteifen Kniees) am 
15. VIII. erlag. Aller Wahrscheinlichkeit nach war hier von Anfang 
an unter dem Bilde einer plötzlich einsetzenden mit kolossalem Kräfte¬ 
verfall einhergehenden Influenza schon seit längerer Zeit eine Miliar¬ 
aussaat im Anzuge. Eine Röntgenaufnahme der Lungen, wiö sie von 
Friedmann für irgendwie zweifelhafte Fälle auch chirurgischer Tuber¬ 
kulose verlangt wird, wurde leider nicht gemacht. Mit Reoht schliesst 
Friedmann kaohektisohe Kranke sowie solche, bei denen auch nur ein 
Verdacht auf Neigung zur miliaren Aussaat besteht, grundsätzlich und 
unbedingt von der Behandlung aus, da solche Kranke eben selbstver¬ 
ständlich zur Antikörperbildung nicht mehr fähig sind und daher mit 
und ohne Impfung der Allgemein Verbreitung des Tuberkelgiftes er¬ 
liegen. 

19. Heinrioh L., 13 Jahre alt. Linksseitige Sohienbeintuberkulose. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


Seit einigen Monaten zunehmende Sohmerzen im linken Bein und Fuss. 
Auswärts vorgenommene Inzisionen und Tamponade ohne,Erfolg. Be¬ 
fund am 3. IV.: Blasser Junge, dicht oberhalb des Malleolus int. des 
linken Unterschenkels Fistel, Schienbein hier verdickt, Weichteile dar¬ 
über geschwollen, Beweglichkeit im Fussgelenk wegen Schmerzen nicht 
ausgeführt. Temperatur schwankt zwischen 37,5° und 38,5°. Röntgen¬ 
bild: Periostitis, Höhlen im Knochen, zum Teil fleckige Aussohattung, 
Lockerung der angrenzenden Teile der Wachstumslinie. Nachdem am 
3. IV. eine Spaltung und Auskratzung typischer tuberkulöser Knochen¬ 
massen vorgenommen war, wird am 14. IV. 1,5 stark intramuskulär in¬ 
jiziert. Kirschgrosses, schnell verschwindendes Infiltrat. Bereits am 
25. IV. Schmerzhaftigkeit des tuberkulösen Herdes versohwunden und 
daher Beweglichkeit im linken Fussgelenk erheblich gebessert. 15. VU. 
Vollständige Heilung. Keine Schmerzen mehr wiedergekommen, volle 
Beweglichkeit. 30. XI. Ergebnis: Dauernde Heilung: oberhalb 
des Knöchels feste glatte Narbe ohne jeden Entzündungsrest, 
auch beim Beklopfen des Knoohens keine Schmerzhaftigkeit 
mehr, Schienbeinknochen nicht mehr verdickt, Fussgelenk 
vollkommen frei beweglich, volles subjektives Gesundheits¬ 
gefühl. Injektionsstelle nicht mehr auffindbar. 

20. Frieda F., 5 Jahre alt, schwere linksseitige Fusswurzelknochen- 
gelenktuberkulose, seit mehr als einem Jahre bestehend. Befnnd 14.6. 
1916. Linkes Fussgelenk blaurot verfärbt und stark geschwollen. An 
der Innenseite eiternde Fistel, Gelenk äusserst schmerzhaft, fast völlig 
in rechtwinkliger Stellung versteift. Kind kann überhaupt nicht auf- 
treten. Behandlung mit Gipsverbänden, ständige Verschlimmerung. Befund 
1. 4. 1917. Bei Abnahme des Gipsverbandes zeigt sich, dass sich nun¬ 
mehr auch an der Aussenseite des Fusses eine Fistel gebildet hat. 
Röntgenbefund: Erbsengrosser Herd im Sprungbein, Konturen desselben 
verstrichen, Zeichnung undeutlich. 1. 4. 1,0 stark intramuskulär, keine 
sonstige Behandlung in der Folge mehr. 2. 4. Temperatur 38,6<>. 3. 4. 
Temperatur wieder normal. 12. 4. Weil Infiltrat sich etwas vergrössert 
hatte, wurde (in meiner Abwesenheit von anderer Seite) irrtümlich eine 
intravenöse Nachinjektion vorgenommen; das Infiltrat war nämlich grösser 
geworden, zeigte aber keinerlei entzündliche Eigenschaften, geschweige denn 
drohenden Durchbruch, also lag für die intravenöse Nachinjektion keinerlei 
Indikation vor. Tatsächlich war diese Maassnahme falsch. Infolgedessen 
22. 4. Fussgelenkabszess auch noch an der Achillessehne aufgebrochen. 
28. 8. Mässige Absonderung, keine Schmerzhaftigkeit mehr. Spur Be¬ 
weglichkeit. 30. 11. Blühendes Aussehen, Kind munter, fühlt sich gesund, 
läuft nach Angabe der Mutter „schneller als ein gesundes Kind“. Fuss¬ 
gelenk nicht mehr geschwollen, nicht mehr schmerzhaft. Am äusseren 
Knöohel sowie an der Innenseite noch je eine kleine leicht absondernde 
Fistel. Bewegungen im Fussgelenk in massigem Umfange schmerzlos 
ausführbar. Ergebnis: Eine so weitgehende Besserung, dass 
das Kind, welches vor der Friedmann’schen Impfung vor 
Sohmerzen nicht auftreten konnte, jetzt dauernd sehmerz- 
los umherläuft und schon das Fussgelenk in mässigem Grade 
bewegen kann. Hier wäre bei richtiger nicht durch die un¬ 
indizierte intravenöse Naohinjektion künstlich gestörter 
Wirkungsentfaltung des Friedmann’schen Impfstoffes 
zweifellos bereits völlige Heilung eingetreten. 

Zum Schluss erwähne ich noch summarisch 7 Fälle von Halsdrüsen¬ 
tuberkulose und 2 von tuberkulösen Mastdarmfisteln, welche sämtlich nach 
der intramuskulären Injektion eindeutige auffallende Besserungen zeigten: 
es war ständig fortschreitende Furohung und Verkleinerung der Drüsen¬ 
pakete und vollständiges Schmerzloswerden derselben erzielt, ebenso 
war insbesondere bei dem einen seit Jahren bestehenden äusserst hart¬ 
näckigen und keinerlei Heiltendenz zeigenden Fall von Mastdarmfistel 
bereits eine auffallende Besserung durch die Impfung hervorgerufen: die 
tuberkulöse Gewebsinfiltrate in der Umgebung des Afters waren zurüok- 
gegangen, die Fisteln teils schon vertrooknet, teils die vorher reichliche 
eitrige Sekretion in spärliche seröse umgewandelt. Leider wurde in all 
diesen eben erwähnten Fällen durch eine von anderer Seite miss¬ 
verständlich vorgenommene, nicht indizierte intravenöse Nachinjektion 
der schöne Heilerfolg mehr oder weniger aufgehoben. — Was ergibt sich 
nun aus unseren Krankengeschichten? 

Dem Einwurf, dass einige der Fälle vielleicht auch ohne die 
Friedmann’sche Injektion ausgeheilt wären, ist entgegenzuhalten, 
dass wohl gerade jetzt unter den schlechten Ernährungsverhält¬ 
nissen die denkbar ungünstigsten Chancen für die Selbstausbeilung 
bestehen, und dass meine Patienten während der Friedmann’schen 
Behandlung sonst in keiner Weise behandelt worden sind, weder 
eine Heilanstalt noch einen Kurort irgendwelcher Art aufgesucht, 
noch auch orthopädische oder heliotherapeutische Maassnahmen 
in Anspruch genommen haben und dennoch zur Heilung ge¬ 
langt sind. 

Bei einem grossen Teil der Fälle, die vorher längere Zeit 
mit anderen Mitteln (Sanatoriumsaufenthalt, Streckverbänden, 
Röntgenstrahlen, chirurgischen Eingriffen) erfolglos behandelt 
worden waren, setzt erst nach der Friedmann’schen Impfung der 
Heilprozess so regelmässig und augenfällig ein, dass selbst der 
ärgste Skeptiker zu der Annahme eines ursächlichen Zusammen¬ 
hanges zwischen Einspritzung und eintretender Heilung gedrängt 
wird. Vielleicht wäre es in einigen meiner Fälle von chirurgischer 


Tuberkulose ohne die Friedraann’scbe Einspritzung schliesslich auch 
zu einem Stillstand des tuberkulösen Prozesses und zum Schwund 
der Entzündung gekommen, aber auch nur mit schliesslicher 
Versteifung der erkrankten Gelenke. Eine ideale Heilung habe 
ich durch die Friedmann’sche Impfung bei den Lungentuberkulosen 
bisher bereits in den Fällen 1, 2, 3, bei den chirurgischen 
Tuberkulosen mit völliger Wiederherstellung der Funktion in den 
Fällen 6, 11, 14, 16, 17, 19 vollkommen erreicht, in den Fällen 7, 
8, 9, 15 in beschränktem Maasse, aber nur deswegen beschränkt, 
weil ein vollkommenes funktionelles Resultat hier wegen bereits 
vorhandener anatomischer Veränderungen von vorn herein eben 
eine physikalische Unmöglichkeit war. 

Auf Grund der von mir beobachteten Fälle habe 
ich die Ueberzeugung gewonnen, dass bei richtiger, 
rechtzeitiger Anwendung des Friedmann’schen Mittels, 
sowohl bei Lungentuberkulose als auch bei chirurgischer 
Tuberkulose Heilresultate erzielt werden, wie sie bei 
Anwendung der übrigen bisher üblichen Heilmaass¬ 
nahmen nicht zu erreichen sind. 

Aus der chirurgischen Poliklinik des Krankenhauses 
der jüdischen Gemeinde zu Berlin. 

Die unblutige Bekämpfung eiteriger Prozesse 
durch Morgenroth’sche Chininderivate (Eucupin 
und Vucin 1 ). 

Von 

Stabsarzt d. R. Dr. Paul Roseustein, leitendem Arzt. 

M. H.l Das Problem, Wundinfektionen durch direkte Ab¬ 
tötung der Eitererreger an Ort und Stelle zur Heilung zu bringen, 
ist so alt als unsere Kenntnis der Antisepsis selbst. Nachdem 
die Wissenschaft erkannt hatte, dass in den Bakterien die Ur¬ 
sache für die gefürchtete Wundinfektion zu suchen sei, musste es 
das vornehmste Ziel des Arztes sein, diese Lebewesen in der 
Wunde selbst zu vernichten, die Wunde selbst zu sterilisieren. 
Die Unzulänglichkeit all unserer Bemühungen in dieser Richtung 
ist bekannt, haben doch alle Antiseptica schon versagt bei den 
Versuchen, eine offene infizierte Wunde sicher zu reinigen, um 
wieviel weniger sind sie imstande, geschlossene Infektionen, 
Phlegmonen, tief liegende Eiterungen durch Sterilisation des 
Eiterherdes zu heilen. Zum Teil liegt das daran, dass alle Anti¬ 
septica eben Gifte sind und in genügend bakterizider Konzen¬ 
tration das Zellprotoplasma schädigen, anderseits überhaupt ihre 
Desinfektionskraft verlieren, sobald sie mit eiweisshaltigen Körper¬ 
flüssigkeiten in Berührung kommen; so ist jedesmal einem neu 
angepriesenen Allheilmittel gegen die gewöhnlichen Eiterungen 
eine Enttäuschung gefolgt, und die Chirurgie musste bei dem mit 
Recht anerkannten Grundsatz bleiben: Ubi pus, ibi evacua. Nur 
so konnten schwere Gefahren für die Erhaltung des betroffenen 
Gliedes und selbst für das Leben rechtzeitig beseitigt werden, 
und wir könnten uns mit unseren chirurgischen Prinzipien, den 
Eiter auf dem schnellsten Wege durch gründliche Spaltung zu 
entleeren, zufrieden geben, wenn dieser Methode nicht grosse, 
durchaus verbesserungsbedürftige Nachteile anhafteten. Es ent¬ 
stehen oft nicht nur kosmetisch, sondern auch funktionell störende 
Narben, Nekrosen des bei der Operation freigelegten Gewebes, 
z. B. der Sehnen und Fascien, Steifigkeiten der eröffneten Ge¬ 
lenke, Narbenbrüche usw., kurz, es ist kein Zweifel, dass das 
Dogma unserer chirurgischen Lehre verbesserungsbedürftig ist. 

Die erste Bresche in diese Anschauungen hat schon vor vielen 
Jahren Bier gelegt, der uns gezeigt hat, wie heilsam die Ent¬ 
zündung und die mit ihr verbundene Blutüberfüllung sein kann, 
und wie man durch Anregung der Hyperämie und Unterstützung 
der natürlichen Heilbestrebungen in vielen Fällen eingreifende 
Operationen vermeiden kann. Ich verweise diesbezüglich auf sein 
Buch „Hyperämie als Heilmittel 11 und nenne als Paradigma nur 
die Mastitis. Bier kommt bei der eiterigen Entzündung der 
Brustdrüse mit kleinen Einschnitten und Saugen aus, während 
es für jeden, der diese Technik nicht beherrscht, Vorschrift ist, 
ausgedehnte radiäre Einschnitte zu machen und rücksichtslos alle 
trennenden Gewebsbrücken der Drüse zu zerreissen, um eine ein¬ 
heitliche Wundhöhle zu schaffen. Schon in der Diskussion zu 


1) Vortrag, gehalten am 28. November 1917 in der Berliner medi¬ 
zinischen Gesellschaft. 


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18. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


159 


dem Vorträge, den Herr Bier in dieser Gesellschaft im Jnli 
dieses Jahres über die Behandlung von heissen Abszessen usw. 
gehalten hat, habe ich meinen Standpunkt erläutert, dass auch 
mir die Incisionen in gewissen Fällen als sehr eingreifend und 
störend erschienen, und ich berichtete Ihnen über meine Erfah¬ 
rungen, die ich seit vielen Jahren in der Behandlung solcher 
Abszesse und der tuberkulösen Drüsen durch einfache Punktionen 
und nachfolgende Einspritzungen von Jodtinktur gemacht habe. 
Ich konnte in vielen Fällen die Operation vermeiden und erzielte 
durch die Methode eine Heilung ohne Narbenbildung. Die Mög¬ 
lichkeit, ohne Operation auszukommen, beschränkte sich aber nur 
auf abgeschlossene heisse Abszesse und auf solche Fälle, in denen 
es uns gelang, durch abwartende Haltung einen einheitlichen 
Abszess zu schaffen und ihn durch Punktion zu entleeren. Ein 
jeder Arzt weise, dass das im ganzen sehr wenig ist, ist doch 
mit der Bildung eines Abszesses meist die Gefahr der Infektion 
beseitigt und der Körper für jede Unterstützung bei der Ent¬ 
leerung des Eiters (ob durch Punktion oder Incision) dankbar. 
Verschiedentlich ist es uns auch schon, wie bekannt, in Fällen 
von allgemeiner Sepsis, bei denen ein Eiterherd nicht zu finden 
war, durch chemotherapeutische Maasnahmen gelungen, einen 
Abszess an einer Körperstelle zu lokalisieren und durch Ent¬ 
leerung des Eiters ohne Operation Heilung herbeizuführen. Ich 
verweise diesbezüglich auf meine Arbeit über die Wirkung des 
Argatoxyls aus dem Jahre 1912. Immerhin fehlt uns oft eine 
Handhabe bei der gewöhnlichsten uni häufigsten Wundinfektion, 
bei der wir nach einem Eiterherd nicht zu suchen brauche^ 
sondern den infizierten Körperteil vor Augen haben und trotzdem 
nicht imstande sind, ohne tiefe Incisionen oder gar Amputation 
der Infektion Herr zu werden. Die alte Forderung Lister’s 
nach der chemischen Desinfektion der Wunde ist noch immer 
nicht erfüllt. 

Es scheint so, als ob die Morgenroth’schen Präpa¬ 
rate geeignet wären, einen gewissen Umschwung in 
diesen unseren chirurgischen Anschauungen herbeizu¬ 
führen. Es ist Ihnen allen noch aus dem Vortrage des Herrn 
Bier bekannt, dass Morgenroth und Tugendreich Versuche 
bekanntgegeben haben, in denen es ihnen, von dem Optochin aus¬ 
gehend, gelungen ist, in den höheren Homologen der Hydrochinin¬ 
reihe sehr stark wirkende Antiseptica zu finden; besonders siud 
es zwei Derivate aus der Reihe der Chinaalkaloide, die wegen 
ihrer hohen bakteriziden Kraft für uns Interesse haben. Das Iso- 
amylhydrocuprein, unter dem Namen Eucupin bekannt, tötet 
Staphylokokken und Streptokokken noch in einer Konzentration 
von 1: 400Ü0 innerhalb 24 Stunden, das Isoktylbydrocuprein oder 
Vucin erreicht dieselbe Wirkung noch in einer Lösung von 1: 80000. 
Beide Mittel haben die Eigenschaften, die man von einem wirk¬ 
samen chemischen Desinfiziens verlangen muss, und die die bis¬ 
herigen Antiseptica nicht in sich vereinigt hatten; sie sind trotz 
der hohen Desinfektionskraft auch in konzentrierten Lösungen 
(Eucupin 5 pM., Vucin 1 pM.) ungiftig, behalten ihre Wirkung 
auch in eiweisshaltigen Medien, und die pyogenen Kokken be¬ 
kommen gegen Eucupin und Vucin auch bei längerer Anwendung 
keine Festigung. Bier war der erste, der das Eucupin bei dem 
Menschen erprobte und im Juli v. J. dieser Gesellschaft über 
seine Erfahrungen berichtete. Die Technik bei den reifen 
Abszessen gestaltete sich so, dass sie womöglich unter künst 
licher Blutleere punktiert, mit Eucupin gründlichst ausgewaschen 
und mit der Lösung angefüllt wurden. Die Punktionsöffnung 
wurde dann durch eine Naht geschlossen. Alle so behandelten 
20 Abszesse sind ohne Ausnahme ausgeheilt. Bier bezeichnet 
die Heilung auch der grossen Abszesse als geradezu ideal, da¬ 
gegen machte er schlechte Erfahrungen bei der Behandlung der 
Empyeme, ebenso versagte das Mittel bei der Behandlung der 
fortschreitenden Phlegmone, namentlich der der Sehnenscheiden; 
es bewährte sich dagegen gut bei den Gelenkphlegmonen. Alle 
7 Fälle heilten darunter aus. Schliesslich konnte Bier gute Er¬ 
folge erhoffen bei längerer Behandlung schwer infizierter Wunden, 
nachdem es ihm gelungen war, eine septische Operationswunde 
nach Naht eines Aneurysmas der Arteria subclavia durch stünd¬ 
liche Auffüllung der Wunde mit Eucupin, im ganzen 11 mal, zu 
reinigen und schnell zur Heilung zu bringen. Es war also im 
ganzen und grossen aus den Versuchen der Bier’schen Klinik 
soviel zu entnehmen, dass das Eucupinum bihydr. auch in starker 
Konzentration (Ys proz.) unschädlich und in bestimmten Fällen 
Phlegmonen und lokale Wundinfektionen günstig zu beeinflussen 
imstande ist. Im Anschluss daran, berichtet Klapp in diesem 
Monat in der Deutschen medizinischen Wochenschrift über Ver¬ 


suche, die er an der Front mit dem Isoktylbydrocuprein, das er 
Vucin nannte, gemacht hat. Er beschränkte sieb auf Versuche, 
frische Schusswunden durch Umspritzen und Ausschneiden des 
Wundkanals zu sterilisieren und nach nochmaliger Umspritzung 
der Gewebe primär zu nähen. Er benutzte dazu eine sehr 
schwache Lösung von Vucin 1:10000, da er jede Reizung des 
geschädigten Gewebes vermeiden wollte, und fügte der Lösung 
zur Hälfte der Schmerzstillung wegen 1 j 2 proz. Novocain zu. Er 
konnte die überraschende Tatsache mitteilen, dass bei den so be¬ 
handelten Wunden keine Infektion eintrat, sondern dass sie 
primär, hin und wieder unter Durchschneiden einer Naht zu- 
beilten. Klapp sagt wörtlich: „Mit meinen Resultaten können 
alle früheren Versuche auf diesem Gebiete nicht Schritt halten. 
Es handelt sich bei der Antisepsis mit dem Morgenroth’schen 
Chininderivat um eine so weitgehende Umänderung der Wund¬ 
heilung, wie ich sie in den 18 Jahren, seit ich Chirurgie be¬ 
treibe, nicht gesehen habe, und diesem Urteile, dass wir einer 
bedeutenden und günstigen Beeinflussung der Wundheilung im 
Sinne der Bekämpfung der Infektion unter starker Herabsetzung 
der Eiterung gegenüberstehen, stimmen alle Chirurgen bei, die 
bisher die Resultate gesehen und mit dem Mittel gearbeitet 
haben.“ 

Das ist alles, was bisher über das Eucupin und das Vucin 
bei der Behandlung eiteriger Prozesse und zur Vorbeugung der 
Infektion der Schusswunden bekannt geworden ist, und wir können 
als das Ergebnis feststellen, dass das Vucin ungeahnte Dienste 
zu leisten verspricht als Infektionsprophylakticum, dass aber bei 
ausgebildeten Infektionen die Wirkung des Eucupins sich noch 
sehr schwankend erwiesen hat. 

Ich habe mich auf Wunsch von Morgenroth seit ungefähr 

5 Monaten damit beschäftigt, die Brauchbarkeit des Eucupins 
und Vucins in der praktischen Chirurgie zu erproben und habe 
ganz unabhängig von anderen den mir geeignet erscheinenden 
Gebrauch davon gemacht. Die Präparate wurden mir auf das 
bereitwilligste von den Vereinigten chemischen Fabriken Zimmer 

6 Co., Frankfurt a. M., zur Verfügung gestellt, und ich konnte 
bei dem grossen Material der chirurgischen Poliklinik des Kranken¬ 
hauses der jüdischen Gemeinde zu Berlin und eines hiesigen 
Reservelazaretts Erfahrungep an ungefähr 100 Fällen sammeln, 
über die ich Ihnen heute berichten möchte: 

Ich ging ebenfalls zunächst davon aus, die Präparate bei 
heissen Abszessen und Drüseneinschmelzungen zu erproben. Die 
Jodtinktur wurde durch eine l / 2 proz. Lösung von Eucupinum 
bihydrochloricum oder eine 2 prom. Lösung von Vucin ersetzt. 
Diese Konzentration entspricht nach meinen Erfahrungen am 
besten den an die Desinfektionskraft der Lösungen gestellten 
Anforderungen. 

Wenn ich auch mit den Resultaten bei der Anwendung der 
Jodtinktur recht zufrieden sein konnte, so hatte das Präparat 
doch den grossen Nachteil, dass es einen erheblichen brennenden 
Schmerz verursachte. Die Schmerzempfindung war im entzündeten 
Gewebe so gross, dass die Behandlung sich bei Kindern häufig 
gar nicht durchführen Hess, zumal häufige Punktionen und In¬ 
jektionen notwendig waren. Deshalb waren mir die Chininderivate, 
denen der Ruf einer schmerzstillenden Wirkung vorausging, 
ausserordentlich willkommen, und ich habe an der Technik gegen¬ 
über dem Jod nicht viel geändert. Es wurde mit einer ziemlich 
dicken Kanüle der Eiter angesogen, die Einstichstelle womöglich 
durch Chloräthyl noch unempfindlich gemacht und dann genau eine 
der entfernten Eitermenge entsprechende Menge der Lösung von 
Eucupin oder Vucin in die Abszesshöhle eingespritzt. Wenn man 
mehr hineinspritzt, alp man herausgesogen hat, so entsteht ein 
sehr erheblicher Spannungsschmerz. Ferner stellt sich eine starke 
Sensibilität ein, wenn man unnötig stark ansaugt, so dass der 
Eiter sich blutig zu färben beginnt. Beides kann und soll ver¬ 
mieden werden, da es der Behandlung nicht dienlich ist. Ich 
habe zum Unterschied von Bier niemals die Abszesshöhle gespült 
oder die Punktionsstelle vernäht, sondern mich mit Punktion und 
Injektion begnügt, aber je nach Bedürfnis die Behandlung mehr¬ 
fach vorgenommen, immer mit eintägigem Zwischenraum. Zuerst 
stellt sich eine sehr starke lokale und allgemeine Reaktion ein. 
Alle Entzündungserscheinungen ausser dem Schmerz nehmen bis 
zum nächsten Tage zu. Dabei steigt die Körpertemperatur auf 
38—39°; Schüttelfröste wurden nicht beobachtet. Zum Unter¬ 
schiede von dieser objektiven Reaktion ist die subjektive weniger 
gestört. Einige Kranke haben wohl über Kopfschmerzen geklagt, 
niemals aber wurden Uebelkeiten, Ohrensausen oder dergleichen 
angegeben, trotzdem ich recht erhebliche Mengen, in einem Fall 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


bis zu 300 ccm eingespritzt habe. Nur in einem Palle trat bei 
Behandlung eines Erysipels ein einige Tage dauerndes, nicht 
juckendes masernähnliches Exanthem auf, das ohne Zutun wieder 
verschwand. Nachdem die ersten Reizungserscheinungen ge¬ 
schwunden sind, scheint sich zunächst an dem äusseren Bild der 
Erkrankung nichts zu ändern. Die Schmerzhaftigkeit lässt zwar 
in den nächsten Tagen erheblich nach, doch schwappen nach 
einigen Tagen die Weichteile über dem Abszess genau wie vorher, 
und wenn man jetzt wiederum punktiert, so saugt man keinen 
gewöhnlichen Eiter mehr an, sondern eine purulente Flüssigkeit, 
die eine exquisit bräunliche Färbung zeigt und dickflüssiger geworden 
ist. Mikroskopisch besteht sie aus Eiterkörperchen, Blut und 
Detritus. Eine üble Einwirkung des aus der Punktionsöffnung 
heraussickernden Eucupins oder Vucins auf die Haut (Bier spricht 
von einer verdauenden Eigenschaft) habe ich bei diesen Abszessen 
niemals beobachtet. Der weitere Verlauf ist dann so, dass bald 
schneller, bald langsamer die Entzündungserscheinuogen ver¬ 
schwinden, entweder unter Ausbildung einer kleinen Fistel an der 
Punktionsstelle,aus der sich auchNekrosen abstossen,oder unter Um¬ 
wandlung des geschlossen bleibenden Abszesses in einen Sack mit 
blutig-serösem Inhalt, der sich ohne weiteres Zutun aufsaugt. Der 
Abszess heilt auf solche Weise ohne Zurücklassung einer Narbe 
in idealer Weise, und niemals habe ich in diesen Fällen, unter 
denen sich schwere akute Infektionen, namentlich Lymphdrüsen¬ 
vereiterungen von Arm und Bein und am Halse befanden, eine 
Inzision zu machen oder gar zu drainieren brauchen. Die Zahl 
der notwendigen Punktionen schwankte zwischen zwei und acht, 
die der Injektionen war niemals häufiger als vier. Dann war die 
Virulenz, der Bakterien stets bo geschwächt und die Infektions¬ 
kraft so gebrochen, dass man die weitere Erledigung des Abszesses 
den Naturkräften überlassen konnte. Ob man solche Abszesse 
trocken oder feucht verbindet oder unbedeckt lässt, bleibt sich 
gleich. Der subjektiven Beruhigung wegen, und um ein vielleicht 
bestehendes Spannungsgefühl zu beheben, empfehle ich in der 
ersten Zeit einen hydropathischen Umschlag. Schon die zweite 
Punktion hat für die Patienten meist den Schrecken verloren; 
sie wissen, dass die Behandlung ziemlich schmerzlos geschieht 
und lassen sich mehrfache Punktionen, zumal man zweckmässig 
immer dieselbe Einstichöffnung benutzt, ganz gern gefallen. Die j 
Abszesse wurden alle bakteriologisch geprüft und ergaben sowohl 
Staphylokokken wie Streptokokken; in fünf Fällen waren beide 
Eitererreger gleichzeitig vorhanden. Einige Male war der Eiter 
bereits bei der dritten Punktion steril, in anderen Fällen wiederum 
lassen sich auch noch aus den serösen Abszessresten Bakterien 
züchten. Die ersten Untersuchungen hat uns dankenswerterweise 
Herr Dr. Tugendreich gemacht, die späteren habe ich in unserem 
Krankenhaus-Laboratorium vornehmen lassen. Nachdem ich eine 
sehr grosse Anzahl derartiger Abszesse mit dem genannten guten 
Erfolge behandelt und den bestimmten Eindruck gewonnen batte, 
dass die Präparate, gleichgültig ob Vucin oder Eucupin, ungiftig 
sind, selbst bei Anwendung hoher Konzentration und grösserer 
Mengen, fasste ich Vertrauen und entschloss mich, auch noch 
nicht ausgereifte Abszesse und fortschreitende Phlegmone in Be¬ 
handlung zu nehmen. Am geeignetsten erschien mir zunächst 
für diese Versuche die Mastitis, und ich will gleich voraus¬ 
schicken, dass ich diese Versuche nicht bedauert habe, da ich 
in keinem der acht Fälle nötig hatte, eine Inzision zu machen. 
Unter diesen sind sechs Fälle von Brustdrüsenvereiterung säugender 
Frauen, davon fünf geheilt, eine noch in Behandlung, zwei sind 
gesonderte Abszesse der Brustdrüse aus anderer Ursache. Wenn 
sie hier zur Beurteilung ausscheiden, so bleiben fünf abgeschlossene 
Fälle von akuter Mast, lactantium zurück, die unter der Behand¬ 
lung ohne die geringste Inzision zur Heilung gekommen sind. 
Ein Fall darunter bot besonderes Interesse und beleuchtet die 
Wirksamkeit des Eucupins in schöner Weise. 

Bei der Patientin J., bei der es sich nicht um einen einheitlichen 
Abszess der Brustdrüse, sondern um eine vielkammerige Abszesshöhle 
handelte, waren alle Quadranten der Mamma foudroyant ergriffen. Ich 
punktierte mit einer langen dicken Nadel in der unteren Hälfte der 
Brust und aspirierte von dieser Einstichstelle aus, indem ich innerhalb 
des Brustdrüsengewebes mit der Nadel wanderte, allmählich zwischen 
250 und 350 ccm Eiter. Dieselbe Menge Eucupin wurde jedesmal in¬ 
jiziert; es wurde im ganzen 8 mal punktiert, aber nur die ersten 4 Male 
nachgespritzt. Dabei nahm die Menge des Eiters und der notwendigen 
Injektionsflüssigkeit schnell ab, so dass sohon bei der vierten Entleerung 
nur noch 50 ccm einer tomatenfarbigen Flüssigkeit entleert wurden. 
Nach nicht ganz 4 Wochen war eine vollständige Heilung eingetreten. 
Die ganze Brust fühlte sich zwar noch hart an, zeigte aber nirgends 
mehr Druokempfindliohkeit oder Fluktuation. Ich kann Ihnen heute die 


Patientin vorstellen. Die Behandlung begann am 28. September; am 
26. Oktober konnte sie geheilt entlassen werden. Heute, vier Wochen 
später, fühlen Sie nur noch eine kleine Härte neben der Brustwarze 
selbst, sonst hat die Brust ihre normale Weiohheit und Form wieder 
erlangt 

Aehnlich gestalteten sich auch andere minderschwere Fälle der 
Mast, lactantium. Bei einigen aber schloss sich die Punktionsöffnung 
nicht wieder, sondern es sickerte aus der Fistel dauernd Eiter heraus, 
so dass man die Abszesshöhle nur duroh Einsetzen einer Spritze ohne 
Kanüle mit Eucupin ausfüllen konnte. Hier handelte es sich meist um 
Abstossung nekrotischer Massen, die alle aus der Fistel ihren Austritt 
finden. Eine andere Behandlung war auch hier nicht nötig. Die Brust 
wurde jedesmal hochgebunden und zuerst mit feuchten Umschlägen be¬ 
deckt, was subjektiv besonders angenehm empfunden wird. 

Bei phlegmonösen Karbunkeln and Furunkeln möchte ich 
hervorheben, dass ihnen mit der Umspritzung und Unterspritzung 
durch Eucupin oder Vucin jede Neigung oder Fähigkeit zur 
weiteren Ausbreitung genommen wird. Nach der am ersten Tage 
eintretenden Fieberreaktion, die in einzelnen Fällen übrigens 
hierbei ausbleibt, tritt eine Umwandlung der entzündeten Ge- 
webspartie in eine blandere schmerzlose Schwellung ein. Ganz 
frühzeitig behandelte Furunkel können einfach eintrocknen. Da¬ 
gegen habe ich niemals eine Nekrose verschwinden sehen. Sie 
verflüssigt sich schnell und stösst sich schmerzlos ab. 

So zeige ich Ihnen beute einen Soldaten H., den ich mit einem sehr 
üblen Oberlippenfurunkel zur Behandlung bekam. Die Verzögerung 
einer ausgiebigen Inzision hätte ich vor Kenntnis der Chininderivate für 
einen groben Kunstfehler gehalten; ich habe ihm vor 5 Tagen durch 
Cfm- und Unterspritzung des ergriffenen Gebietes den Furunkel behandelt 
und eine Verflüssigung innerhalb 24 Stunden erzielt. Am nächsten Tage 
entleerte sich reichlich dünner Eiter, womit alle Gefahr einer weiteren 
Ausdehnung behoben war. Eine weitere Wunde ist nicht entstanden, 
es ist im Gegenteil die Haut darüber geschlossen geblieben, und man 
fühlt noch eine leichte schmerzlose Fluktuation in der Gegend der 
Nasolabialfalte. Hier scheint sich die in Bildung begriffene Nekrose auf¬ 
saugen zu wollen. 

Da ich schon gleich bei Beginn meiner Versuche die Er¬ 
fahrung gemacht habe, dass die Umspritzungen und Unter¬ 
spritzungen der entzündeten Ge websteile nicht schmerzlos waren, 
so habe ich unabhängig von Klapp ebenfalls schon vor einigen 
Monaten diesen Lösungen l / 2 pro%. Novocain zugesetzt, so zwar, 
dass die Novocainlösung die eine Hälfte des Lösungsmittels dar¬ 
stellte, so dass also die Konzentration des Eucupins unvermindert 
Vaproz. blieb; um eine 2prom. Vucinlösung herzustellen, habe 
ich dementsprechend auf 100 Teile Kochsalz 0,5 Novocain und 
0,2 Vucin verwendet Doch auch bei dieser Anwendung des 
Eucupins und Vucins ist die Schmerzempfindung bei der ersten 
Infiltration des entzündeten Gewebes anfangs recht stark. Die 
erhöhte Spannung der an sich schon geschwollenen Partie löst 
eine starke Sensibilität aus, die allerdings nach einigen Minuten 
erträglich wird und dann bald ganz nach lässt. Ich lege be¬ 
sonderen Wert darauf, dass die furunkulöse Partie, soweit sie 
entzündet ist, und das Furunkelbett durchweg von der Injektions¬ 
flüssigkeit so durchdrungen wird, als ob man unter Infiltrations¬ 
anästhesie die ganze erkrankte Partie herausschneiden wollte; 
dabei hebt sich der Furunkel noch mehr aus dem Hautniveau 
heraus und wird bei genügender Injektion ganz weiss. Spritzt 
man dann noch mehr hinein, so entleert sich Flüssigkeit im 
Strahl aus dem Furunkelköpfchen oder aus den siebartigen Oeff- 
nungen bei dem Karbunkel: dann hört man zweckmässig auf, 
weil eine intensivere Durchtränkung doch nicht erreicht werden 
kann. Ich habe noch keinen so behandelten Furunkel oder Kar¬ 
bunkel zu inzidieren brauchen. Die Progredienz und Bedrohung 
der Umgebung hat jedesmal sofort aufgehört. 

Einen grossen Schritt weiter bedeutete für mich der Ent¬ 
schluss, ausgesprochen phlegmonöse Entzündungen ohne Neigung 
zur Lokalisation nach den geschilderten Prinzipien in Behandlung 
zu nehmen, d. h. die Operation aufzuschieben, womöglich zu 
vermeiden. 

Der erste Versuch, den ich machte, betraf eine Frau C., die mit 
einer harten Geschwulst der linken Halsseite die Poliklinik aufsuchte. 
Die Schwellung nahm die ganze Partie zwischen Unterkiefer, Ohr und 
Brustkorb ein und bot das Bild einer drohenden Angina Ludovici. 
Nirgends war eine Fluktuation zu fühlen oder ein Ausgangspunkt der 
Infektion festzustellen. Mit Wahrscheinlichkeit handelte es sich mit 
Rücksicht auf eine bestehende Kieferklemme um eine besonders schwere 
Parulis. Das Gesamtbefinden war schlecht, hoch fieberhaft, Herunter¬ 
steigen der Infektion in das Mediastinum zu befürchten. Ich machte eine 
Probepunktion und kam in einer Tiefe von 8 cm ungefähr in der Gegend 
der Gefässscheide auf etwas Eiter, dessen Untersuchung Streptococcus 
haemolyticus ergab. Ich spritzte sofort 6 ocm einer l /*P*o*. Euoupin- 


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18. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


lösung ein. Am näobsten Tage konnte ich aus derselben Tiefe bereits 
10 ocm dünnflüssigen Eiters aspirieren und die gleiche Menge Eucupin 
nachfüllen. Nach zwei Tagen war die Kieferklemme geschwunden, und 
durch Punktion konnten nur noch einige Kubikzentimeter fadenziehendeu 
dickflüssigen Eiters entleert werden. Die Patientin wurde nach 10 Tagen 
geheilt aus der Klinik entlassend Hier hatte ich den Eindruck, dass 
eine der Operation verfallene Halsphlegmone durch direkte Herd¬ 
sterilisation ohne Einschnitt schnellstens geheilt worden ist. Nach 
diesem sohönen Erfolg nahm ich progrediente Weichteilphlegmonen der 
Extremitäten in Behandlung, die sämtlioh unter den gewöhnlichen Um¬ 
ständen sofort ausgiebig hätten gespalten werden müssen. Es sind bis¬ 
her im ganzen 7 Fälle, darunter 4 Fälle von stürmischer Zellgewebs¬ 
entzündung (dreimal Bein, einmal Arm) und S Fälle von fortschreitender 
Sehnenscheidenphlegmone. Ferner berichte ich hier über 2 Fälle von 
Erysipel des Armes. Ich habe mich zu der Behandlung dieser Fälle natur- 
gemäss erst sehr spät entschlossen, naohdem ich mich wirklich überzeugt 
hatte, dass die Chininderivate unschädlich und wirksam sind, und nach¬ 
dem ich glauben konnte, das dieser Behandlung eigentümliche Krankheitsbild 
genügend zu beherrschen. Der älteste dieser Fälle ist vier Wochen alt. 
Die ganze Frage befindet sich also noch im Versuchsstadium, und ich bitte 
das, was ich Ihnen gerade über dieses wichtigste aller Kapitel sage, nooh 
nicht als abgeschlossene Erfahrungstatsache zu werten, sondern als 
Mitteilung, die uns den Mut geben soll, die Methode weiter auszuarbeiten. 

Am 2. dieses Monats suchte ein Arbeiter Sch., den ich Ihnen heute 
vorstelle, die Poliklinik auf, nachdem er sioh vor einigen Tagen eine 
bohnengrosse Wunde an der Beugeseite des rechten Handgelenks zu¬ 
gezogen hatte. Die Wunde war bald mit einem trockenen Schorf be¬ 
deckt, aber es entwickelte sich eine Schwellung des ganzen Unterarmes 
und der Aohseldrüsen. Zur Achselhöhle zogen dicke lymphangoitisohe 
Stränge, dabei bestand eine starke Abgeschlagenheit und eine Körper¬ 
temperatur von 89°. Die Berührung des Unterarmes war sehr schmerz¬ 
haft. Im ganzen bot der Patient das Bild einer schweren fortschreitenden 
Phlegmone. In dem Bestreben, das Eucupin lange und möglichst all¬ 
seitig auf das infizierte Gewebe einwirken zu lassen, bitf' ich in diesem 
Falle anders als Bier vorgegangen. Herr Bier hat in Seinem Vortrage 
berichtet, dass er unter Blutleere kleine Incisionen machte, Eucupin 
hineingoss und längere Zeit unter Blutleere einwirken liess. Ich habe, 
ohne diese Methode zu kennen, aber um denselben Zweck der mög¬ 
lichst langen Einwirkung an Ort und Stelle zu erreichen, zunächst um 
den kranken Oberarm eine leicht angezogene Stauungsbinde gelegt; 
neben der allgemein günstigen Wirkung der Stauung sollte daduroh 
hauptsächlich eine Verlangsamung der Zirkulation, ein längeres Stehen- 
bleiben des Desinfektionsmittels in dem kranken Gewebe erzielt werden. 
Dann um- und unterspritzte ich ausgiebig den Infektionsherd und gab 
mehrere Spritzen Eucupin tief in die Weichteile der Beugeseite des 
ergriffenen Unterarmes hinein. Im ganzen wurden 40 com einer V t proz. 
Euoupin-Novooainlösung injiziert. Die Stauungsbinde blieb 24 Stunden 
liegen. Als ioh den Patienten am nächsten Tage sah, erschrak ich zu¬ 
nächst heftig vor dem veränderten Bild. Die Stauung sowohl wie die 
starke lokale Reizung des Euoupins hatten zusammen gewirkt, um eine 
ganz gewaltige Schwellung des Armes hervorzurufen. (Die Reizung war 
so stark, dass ich sie in einem Falle von Pseudarthrose zur Anregung 
der Callusbildung absichtlich mit Erfolg hervorgerufen habe.) Wo die 
Binde gelegen hatte, waren Blasen wie bei einer Verbrennung zweiten 
Grades entstanden. Dabei war das Allgemeinbefinden nicht verschlechtert, 
so dass ich den Versuch, den Arm ohne Inzision zu heilen, nooh nicht 
aufgeben wollte. Ich nahm jetzt in der Gewissheit, dass das Oedem 
dooh nooh einige Tage anhalten würde, die Binde ab und injizierte in 
derselben Weise 30 ccm in die direkte Umgebung der Wunde, und 
50 ocm verteilte ioh in den infizierten Unterarm. Der Kranke erhielt 
also im ganzen 80 com Eucupin. Ich will nooh hervorheben, dass die 
Injektion an beiden Tagen verhältnismässig schmerzfrei war, und dass 
jeden Abend eine Temperatursteigerung auf 39° eintrat. Am 8. Tage 
war das Oedem des Armes nooh erheblicher geworden, aber das All¬ 
gemeinbefinden besserte sich zusehends. Am 5. d. M., also am 4. Tage 
der Behandlung, war das Fieber geschwunden, und unter sehr allmäh¬ 
licher Abschwellung des Armes gingen alle Entzündungsersoheinungen 
zurück, ohne dass sioh an einer Stelle eine Vereiterung ausgebildet 
oder Funktionsstörung eingestellt hätte. Hier ist durch die Behandlung 
mit Eucupin das Ideal der Wundantisepsis, nämlich die Herdsterili¬ 
sation erreicht worden. Zur Technik möchte ioh noch bemerken, dass 
im Vertrauen auf die hohe Desinfektionskraft der Ghininderivate keine 
Desinfektion der zu infizierenden Hautstelle vorgenommen wird. Es 
wird weder rasiert noch gewaschen. 

In einem anderen Falle, der einen Soldaten V. mit infiziertem 
Fussdurchschuss betraf, entstand im Anschluss an den Transport eine 
stürmische Infektion des ganzen linken Beines mit flammenartiger Ent¬ 
zündung der Lymphbahnen bis zur Leistenbeuge und Schwellung der 
Lymphdrüsen. Hier kam es, ohne dass an dem verletzten Fuss ein 
Einschnitt vorgenommen wurde, lediglich durch Umspritzung der ent¬ 
zündeten Gewebspartie am Oberschenkel zu einer schnellen lymphangoi- 
tisohen Einschmelzung und Entleerung der Abszesse durch Punktion 
ohne Einschnitt. Aus dem Eiter wurden Streptokokken gezüchtet. Ich 
zeige Ihnen heute auch diesen Patienten geheilt. Sie erkennen nooh 
die punktförmigen Oeffnungen, aus denen sioh der Eiter mit Nekrosen 
entleert hatte, und nooh heute nach 4 Woohen ist die ganze ergriffene 
Lympfgefässpartie bläulioh rot verfärbt. 

Ein anderer, minder schwerer Fall betraf ein junges Mädchen M., 


181 


das sich eine Verletzung der linken Ferse zugezogen hatte und mit 
einer beginnenden Phlegmone des linken Unterschenkels in Behandlung 
kam. Aus einer über der entzündeten Partie an der Achillessehne ent¬ 
standenen Blase wurden Staphylokokken gezüchtet. Auch hier wurde 
alles mit Vuoin um- und unterspritzt, wodurch eine ausserordentlich 
starke lokale und Allgemeinreaktion entstand. Die Patientin liess ioh 
daher in ein hiesiges städtisches Krankenhaus aufnehmen. Wie ioh 
mich gestern duroh Augenschein und durch Rüokspraohe mit dem be¬ 
handelnden Arzt überzeugen konnte, haben sioh auch hier alle Krank- 
heitsersoheinungen zurüokgebildet, ohne dass ein operativer Eingriff not¬ 
wendig geworden war. Die erste Reaktion war so stark, dass man bei 
der Aufnahme an ein Erysipel glaubte. Ioh bin aber überzeugt, dass 
es sich nur um eine besonders starke Reizung gehandelt hatte. 

Eine weitere Beobachtung machte ich bei dem 0berschenkelampu- 
tierten G. Der Soldat bekam eine Phlegmone ven der Amputations¬ 
wunde aus; die Wunde war nioht vollständig geschlossen worden, trotz¬ 
dem entwickelte sioh an der Aussen- und Rückseite des Oberschenkels 
zur Hütte hin eine Sohwellung, Schmerzhaftigkeit und Rötung mit hohem 
Fieber. Der Oberschenkel wurde allseitig tief mit Eucupin umspritzt, 
im ganzen etwa 80 oom. Wenn sioh auoh aus der Wunde nooh längere 
Zeit Eitermengen entleerten, se war der Fortschritt der Phlegmone 
doch sofort ooupiert und keine weitere Maassnahme mehr nötig. 

Bin besonderes Kapitel nehmen die fortschreitenden Sehnen¬ 
scheidenphlegmonen ein. Ich habe erst drei solcher Fftlle in 
Behandlung genommen, davon den ersten vor 2 1 /» Wochen. 

Eine Frau F., die ich Ihnen heute hier zeigen möchte, kam mit 
einer sehr akuten V*Phlegmone der linken Hand und Sohwellung und 
Rötung des ganzen Unterarmes am 9. d. M. zu mir in Behandlung. Ioh 
wollte auch hier einen Versuch machen, mit der bei anderen Phleg¬ 
monen geglückten Methode der 24 ständigen Stauung und Einspritzung 
von Eucupin ohne Einschnitt auszukommen. Wenn es gelingt, ohne 
Freilegung der Sehnen und ohne Eröffnung der Sehnenscheiden die Eite¬ 
rung zu bekämpfen, so war damit die gefürchtete Nekrose der Sehnen 
hoffentlich vermieden und die Funktion der Hand gesichert. Ioh ver¬ 
suchte zunächst aus der schon in Nekrose begriffenen Kleinfingersehnen¬ 
scheide etwas Eiter zu aspirieren und erhielt nur einige Tropfen Eiter, dessen 
Untersuchung Staphylokokken ergab. Nun ging ich in der sohon ge¬ 
schilderten Weise vor: 24 ständige Stauung am Oberarm, etwa 10 ocm 
Euoupin in die Gegend der betroffenen Sehnenscheiden, wenn möglich in 
die Sehnensoheiden selbst, ferner Injektionen in die Gegend der Bursa und 
tief in die Muskulatur des betroffenen Unterarmes. Am nächsten Tage 
wurde die Stauungsbinde abgenommen und die Injektion wiederholt. Das 
lokale Krankheitsbild, das sich hier in den nächsten Tagen entwickelte, hat 
sich auoh in den beiden anderen Fällen von Sehnenscheidenphlegmonen, 
die ioh erst seit einigen Tagen in Behandlung habe, wiederholt. Es 
stellte sich zusammenwirkend aus Stauung und Reizung eine ausser- 
gewöhnliche Sohwellung ein, in der Hohlhand und an den Fingern traten 
Eiterblasen auf, nach deren Abtragung aus der geröteten Cutis siebartig 
serös-eiterige Flüssigkeit rann. Ich kann das Bild nicht anders be¬ 
zeichnen, als dass die ganze Hand zu kochen schien. Dabei war die 
Schmerzempfindung auffallend gering. Die Umgebung der Bursa und des 
Unterarmes konnten starken Druck vertragen, ja es konnten sogar 
passive Fingerbewegungen ohne nennenswerten Schmerz gemacht werden. 
Eine günstige Beeinflussung konnte unzweifelhaft insofern festgestellt 
werden, als die Progredienz der Erkrankung sofort behoben worden ist. 
Der Unterarm wurde unempfindlich, wenn auch der Nachlass der Eite¬ 
rung unter dem starken Oedem sehr schwer beurteilt werden konnte. 
An den Beugeseiten des kleinen Fingers und des Daumens braohen die 
Punktionsstellen etwas weiter auf und haben sich bis heute nooh nioht 
geschlossen. Aus ihnen sickert beim Verbandwechsel etwas eiteriges 
Sekret heraus. Es wurde ausser den beiden Injektionen kein Ein¬ 
spritzung mehr vorgenommen, sondern der Arm täglich gebadet und auf 
eine Schiene unter einen feuchten Eucupinumschlag gelegt. Täglich 
wurden Bewegungsübungen gemacht. Allmählich trat eine Abschwellung 
des erkrankten Gliedes ein, und es lokalisierte sich ein grosser Abszess 
an dem Unterarm, der ganz oberflächlich wurde und durch Punktion 
entleert werden konnte. Die Oeffnung blieb fast erbsengross bestehen, 
und aus ihr traten massenhaft flüssiger Eiter und viele nekrotische Ge- 
websfetzen aus. Noch vor 5 Tagen wurden Staphylokokken aus dem 
Eiter gezüchtet. Bei all diesen Erscheinungen wurde das Allgemein¬ 
befinden zusehends besser. Die Patientin wurde fieberfrei und lernte 
allmählich selbst Fingerbewegungen zu maohen. Eine Prognose über 
die Funktion der Hand und über die Erhaltung der Sehnen möchte ich 
heute noch nioht stellen, wenn auch die sohmerzfreie aktive und passive 
Beweglichkeit erhoffen lässt, dass der Krankheitsprozess im wesent¬ 
lichsten vorüber ist. — Die beiden anderen Fälle von Tendovaginitis 
sind noch zu jungen Datums, um über Erfolg oder Misserfolg an der 
Sehne selbst urteilen zu können. Bei beiden ist aber das Fortsohreiten 
des Krankheitsprozesses am Unterarm unmittelbar duroh die Einspritzung 
ooupiert worden 1 ). 

1) Die Patientin ist inzwischen gänzlich geheilt, naohdem sioh auch 
an der Hohlhand eine Fistel gebildet hatte, aus der sioh Eiter und Nekrosen 
entleerten. Der kleine Finger steht in Kontraktur, alle übrigen Sehnen 
haben ebenso wie das Handgelenk normale Beweglichkeit wiederbekommen. 
Auoh die beiden anderen Fälle sind geheilt worden; bei einem war eine 
Spaltung des Handrückens notwendig. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


Sohliesslioh möchte ich noch zwei Fälle akuten Erysipels erwähnen, 
der eine im Anschluss an eine infizierte Gelenkwunde bei einem jungen 
Mädchen H., das ich Ihnen hier vorstelle. Das Erysipel reichte zuerst 
nur bis zum Unterarm und war mit der gewöhnlichen Behandlung unter 
unseren Augen am nächsten Tage bis hoch zum Oberarm hinaufge¬ 
klettert. Hier setzte ioh durch Infiltration der Haut an der oberen 
Grenze des Erysipels einen mehrere Zentimeter breiten Eucupinriegel, 
einen künstlichen antiseptischen Filter vor, indem ioh die Haut wie zur 
Anästhesie mit Euoupin infiltrierte. Der Erfolg war sofort da. Das 
Erysipel blasste bis zum nächsten Tage ab und verschwand. Noch heute 
aber nach 16 Tagen sehen Sie die Reste des Euoupinriegels in Gestalt 
einer zirkulären roten, schmerzfreien Schwellung am Oberarm. Eine 
ähnliche Wirkung wurde mit einem Landsturmmann mit Handsohuss und 
akutem Erysipel erzielt, dessen Kurve ich Ihnen herumgebe. Sie ersehen 
aus derselben, dass mit der Eucupinabriegelung das Fieber von 40° I 
innerhalb 2 Tagen auf 36,5° abfiel. Auch hier trat Heilung ein, nach¬ 
dem sich ein kleiner Abszess gebildet hat. Es war der Patient, bei 
dem der obenerwähnte masernähnliche Ausschlag entstanden war. 

Ueber Empyeme habe ich keine Erfahrungen sammeln 
können, da der einzige in Behandlung gelangte Fall infolge des 
besonders schwachen Zustandes des Patienten schleunigste Ope¬ 
ration erforderte. Ich hätte es nicht verantworten können, nach 
den wenig ermutigenden Erfahrungen des Herrn Bier hier einen 
Versuch anzustellen. Ebensowenig kann ich über geschlossene 
Gelenkphlegmonen berichten, da merkwürdigerweise in der ganzen 
Zeit ein solcher Fall nicht zur Beobachtung kam. 

Der Fall von Gasbrand, den ioh in der Diskussion zu dem Vortrage 
des Herrn Bier erwähnte, ist nach der Umspritzung des Oberschenkels, 
wie nach der anfänglichen Besserung zu erhoffen war, geheilt worden. 
Ich zeige Ihnen hier das Röntgenbild vor der Operation; Sie erkennen 
darauf nofch deutlich die Gasblasen. Das zweite Röntgenbild ist vor 
einigen Tagen angefertigt worden. Der Oberschenkelknochen ist in¬ 
zwischen fest konsolidiert. Er ist der einzige zur Behandlung gelangte 
Fall geblieben. 

Die Tuberkelbacillen verhalten sich, wie es scheint, gegen die 
Chinaalkaloide refraktär; ich habe wohl bei ausgebildeten Abszessen 
Heilung nach Punktion und Injektion gesehen, nachdem die bakteriologische 
Untersuchung den Eiter mit den gewöhnliehen Züchtungsmethoden steril 
befunden hatte; es handelte sich also sowohl klinisch wie bakteriologisch 
um Tuberkulose; einige Drüsenabszesse heilten, wie gesagt, aus; andere 
füllten sich immer wieder und mussten operiert werden; ebenso habe 
ich keinen oder nur vorübergehenden Erfolg bei Senkungsabszessen ge¬ 
sehen. Da bleibt man, wenn man nur punktieren will, besser noch bei 
den Jod- oder Jodoformpräparaten. Dagegen hat eine 1 proz. Lösung 
des Euoupinüm basioum bei Blasentuberkulose günstig auf die subjektiven 
Beschwerden, den schmerzhaften und vermehrten Harndrang gewirkt. 

Ein besonderes Kapitel, das ich nur kurz streifen möchte, da es 
eine besondere Darstellung erfordert, bildet die Prophylaxe bei Operationen 
und die Naht vereiterter Wunden nach Sterilisation und Ausschneiden 
der Umgebung. Meine Herren, das ist etwas ganz anderes als die Ver¬ 
suche, die Klapp gemacht hat. Ich habe versuoht, durch ausgiebige 
Umspritzung des benachbarten Gewebes den infizierten Gewebsteil zu 
exzidieren und dann alles primär zu nähen; so trug z. B. ein Mädchen 
seit 3 Jahren einen grossen Holzsplitter im Daumenballen; er hatte sich 
fest eingekapselt und lag als haselnussgrosser fühlbarer Tumor in der 
Muskulatur; in letzter Zeit begann er zu schmerzen; der Fall schien 
mir für einen Versuch besonders geeignet. Ich operierte in Eucupin- 
Novcainanästhesie (Eucupin 1 pM. r Novocain V 2 pCt., eine Lösung, die 
ioh zur Infiltration statt der üblichen einfachen Novooainlösung der vor¬ 
beugenden Fähigkeit wegen allgemein empfehlen möchte); nachdem ich 
das ganze Operationsfeld und die Nachbarschaft infiltriert hatte, exzidierte 
ich den Tumor, der aus 2 Holzsplittern und eitrigen Granulationen be¬ 
stand; dann nähte ioh primär. Es entstand eine heftige Eiterung, so 
dass ich alle Nähte wieder entfernen musste; vielleicht erklärt sich 
der Misserfolg daraus, dass die bakteriologische Untersuchung Bacterium 
coli ergab, das naoh den Untersuchungen von Morgenroth und 
Tugendreioh von den Chininderviaten wenig beeinflusst wird. In 
einigen Fällen, wo ich nicht heilen wollende alte Geschwüre nach der¬ 
selben Vorbehandlung excidierte, hatte ich bessere Erfolge; diese Ver¬ 
suche sind noch nicht abgeschlossen, versprechen aber ohne nachherige 
Naht, lediglich durch Sterilisation mittelst mehrmaliger Infiltration, be¬ 
sonders auch des Wundbettes, gute Heilungserfolge. Die Zahl der 
hierbei auftauchenden Fragen, die Möglichkeit der VerwendDarkeit als 
Prophylaoticum ist unübersehbar und jetzt noch nicht zu prüfen; 
wir können erst allmählich vorwärtsschreiten und müssen das ganz 
gewissenhaft und vorsichtig tun. 

Wenn wir nach dem Gehörten die Erfahrungen, die ich mit 
der Anwendung des Eucupins sowohl wie des Vucins gemacht 
habe, zusammenfassen, so möchte ich soviel sagen, dass den beiden 
Präparaten gleicherweise eine aussergewöhnlich starke, auch im 
menschlichen Körper wirkende antiseptische Kraft innewohnt. In 
einigen Fällen war die Wirkung der Desinfektion innerhalb der 
Gewebe und die daraus resultierende schnelle Heilung ein bisher 
unbekannter und unerhörter Vorgang. Es gehört ein grosses Ver¬ 
antwortungsgefühl dazu, um Infektionen geschilderter Art, die man 


eigentlich sofort hätte operieren müssen, der Behandlung mit 
antisptischen Mitteln zu überantworten und mit der Operation zu 
zögern. Ich habe mich zu dieser Behandlungsweise berechtigt 
geglaubt, nachdem ich in den Ihnen geschilderten Fällen mich 
von der grossen Wirksamkeit der Chininderviate überzeugt habe, 
und ich habe bis jetzt in keinem Falle, den ich in Behandlung 
genommen, einen Nackenschlag bekommen. Es wäre natürlich 
absolut verfrüht, wollte man jetzt schon ein abschliessendes Urteil 
über die Behandlung z. B. fortschreitender Phlegmonen fällen. Aber 
gerade dieses bei weitem wichtigste Gebiet wird uns ins Zukunft 
besonders beschäftigen müssen. Ich glaube, dass ich mit der von 
mir vorgeschlagenen Methode, nämlich der 24 ständigen Stauung 
zur Hemmung der Zirkulation und der damit verbundenen längeren 
lokalen Einwirkung des Antisepticums mich auf dem richiigen 
Wege befinde, und ich glaube ferner, dass man noch viel intensiver 
die Umspritzung und Unterspritzung sowie die Durcbtränkung der 
ganzen infizierten Gewebspartie wird vornehmen müssen, ln 
Fällen, in denen diese Durchtränkung besonders übersichtlich ge¬ 
lingt, z. B. bei Karbunkeln, phlegmonösen Furunkeln und be¬ 
grenzten Eiterungen, ist die kokkentötende Wirkung der Chinin¬ 
derviate so augenscheinlich, dass man sich wohl vorstellen kann, 
dass eine besser ausgebildete Technik auch Eiteruugen der Sehnen¬ 
scheidenphlegmonen allmählich beherrschen lernt Dabei wird zu 
überlegen sein, ob man die Konzentration des Mittels nicht noch 
erheblich wird herabsetzen können. Die starke Reizung, die durch 
die Injektion entsteht, habe ich zum Teil darauf zurückzuführen 
geglaubt, dass es sich um ein saures Salz handelt, und infolge¬ 
dessen hat mir Herr Morgenroth vor ungefähr 14 Tagen china¬ 
saures Eucupin zugehen lassen, das alkalisch reagierte. Ich habe 
es in */ 2 prok. Lösung benutzt und zusammen mit Novocain eine 
geringere subjektive Schmerzempfiopung feststellen können. Die 
lokale Reizung scheint aber dieselbe zu sein. Es ist ferner 
der grösste Wert darauf zu legen, dass Einschnitte ver¬ 
mieden werden, weil nur in geschlossener Wundhöhle auch 
wirklich das eingespritzte Desinfiziens voll und ganz seine Wirkung 
entfalten kann-; in dieser Beziehung gilt das, was Herr Bier über 
die Heilung der mit Haut bedeckten Wunden gesagt und was ihn 
zur Naht auch der Punktionsöffnung veranlasst hat. Schon wenn 
das Eucupin oder Vucin aus der Punktionsöffnung heraussickert 
schon wenn sich eine kleine Fistel bildet, die die Lösung nicht 
lange genug in den Geweben verweilen lässt, habe ich den be¬ 
stimmten Eindruck, dass die Intensität der Wirkung nachlässt, 
während in Fällen, wo sich die Punktionsöffnung wieder scbliesst 
und die ganze Injektionsfiüssigkeit an Ort und Stelle bleibt, 
namentlich in den gestauten Gliedern, ein gewaltiger Kampf der 
Gewebe mit den Bakterien anhebt; welche Rolle dabei das Anti- 
8epticnm allein durch Sterilisierung des Eiterherdes spielt und 
wieviel Anteil die in der Abwehr erheblich gesteigerten natürlichen 
Kräfte des Organismus haben, wird eine genaue Beobachtung und 
Erfahrung uns erst lehren. Jedenfalls geben die Versuche, die 
ich Ihnen heute mitteilen konnte, im Verein mit den Erfahrungen 
Bi er’s und Klapp’s eine günstige und ermutigende Perspektive, 
dass wir auf diesem neuen Wege der Wundbehandlung weiter¬ 
kommen und bessere Resultate erzielt werden, als es bisher mit 
eingreifenden Operationen möglich war. Noch ist grosse Vorsicht 
am Platze; ähnlich, wie Klapp gewarnt hat, die Schusswunden 
gleich anfangs primär zu nähen, möchte ich davon abraten, das 
Eucupin und Vucin bei fortschreitenden Phlegmonen in Gebrauch 
zu nehmen, ohne sich genügend Erfahrung über das dieser Be¬ 
handlung besonders eigentümliche Krankheitsbild durch Inangriff¬ 
nahme einfacher Eiterungen angeeignet haben. Es gehört eine 
sichere Beurteilung der allgemeinen und lokalen Symptome dazu, 
um starke, heilsame, gewollte Reizung von Progredienz der In¬ 
fektion zu unterscheiden, und daher zunächst eine grössere Ver¬ 
antwortung, mit Chininderviaten zu behandeln als zu operieren. 


Zur Frage der Cocainidiosynkrasie. 

Von 

Dr. Ersst Tobias und Dr. Karl Kroner. 

Während, wie die ältere Literatur zeigt, Fälle von Cocain- 
vergiftung bei der ausgedehnten Anwendung des Mittels früher nicht 
selten wareD, sind in dem letzten Dezennium seit Einführung der Ersatz¬ 
mittel, besonders deB Euoain und Novocain, derartige Fälle kaum noch 
bekannt geworden. Eine eigene diesbezügliche Beobachtung verdient 
daher schon wegen ihrer relativen Seltenheit Interesse. Ihre Mitteilung 
erscheint aber auch darum gerechtfertigt, weil sich die recht schwere 


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18. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


163 



Vergiftung in unserem Falle an die Anwendung einer 
geringen, weit unterhalb der Maximaldosis liegenden 
Gabe ansohloss, so dass man eigen tlioh von einer 
Idiosynkrasie zu sprechen berechtigt ist. Die dabei 
beobachteten Symptome erscheinen endlich auch in 
Hinblick auf modernere Probleme bemerkenswert und 
zwar auf Probleme, mit denen sich überhaupt erst in 
neuerer Zeit die medizinische Wissenschaft eingehender 
beschäftigt hat. 

Ueber akute Cocain Vergiftungen^ berichtet am ein¬ 
gehendsten L. Levin 1 )* Die Hauptsymptome sind 
die folgenden: Mattigkeit, Präoordialangst, Kältege¬ 
fühl, Frost, bisweilen subnormale Temperatur, häufiger Tempera¬ 
turerhöhungen, jedoch keine höheren Temperaturgrade, Trockenheit 
im Schlund, Schluckkrämpfe und -lähmung, Uebelkeit, Stuhl- und 
Harndrang, Pulsbeschleunigung mit kleinem Puls, Beengung der At¬ 
mung bis zur Atemlähmung. Von seiten des Nervensystems gibt L. 
besonders noch folgende Symptome an: Hervorrufen latent nervöser 
Zustände, Auftreten von Schwindel, Schlaflosigkeit, Erregung, Erhöhung 
der Reflexe, Muskelstarre, Schwere und Müdigkeit der Glieder, taumeln¬ 
der Gang, Vorbeigreifen, Störung der Artikulation. In eigenartiger Weise 
können Krampf und Lähmung zugleich auftreten. Vergiftungserschei¬ 
nungen können schon nach Gaben von 0,1 g ja sogar nach 0,03 auftreten, 
Nebenwirkungen hat man schon nach 0,0005 g beobachtet. Vergiftungs- 
erscbeinungen wie Nebenwirkungen können Wochen, sogar Monate an¬ 
dauern. Ewald und Hefter 2 ) schildern ungefähr das gleiche Krank¬ 
heitsbild; als geringste Dosis, die Vergiftungen hervorrufen kaun, geben 
sie 0,05 g an. Ewald und Hefter raten zu besonderer Vorsicht be¬ 
züglich der Cocainanwendung bei Zahnoperationen, während nach Levin 
Art und Ort der Anwendung gleichgültig sind. Ueber im wesentlichen 
gleiche Erfahrungen berichten die Lehrbücher der Arzneiverordnungs¬ 
lehre und der Toxikologie von Tappeiner, Jaksch usw. 

Nun zu unserer eigenen Beobachtung. 

Charlotte F., 43 Jahre alt, ledig. Beide Eltern an Herzleiden ver¬ 
storben. Vor mehreren Jahren in Behandlung wegen Sympathicus- 
neurose (Tacbycardie, Schweisse, Neigung zu Durchfällen ....). Sonst 
stets gesund, namentlich keine Zeichen einer allgemeinen Neurose. 

Am 13. XL d. J. 12Vz Uhr mittags Zahnextraktion nach 
Anästhesierung mit Cocain. Von einer lproz. Cooainlösung 
(Cocain, hydrochlor. 1,0, Adrenalin sol. 0,005, Natr. chlor. 0,05, Extr. 
Hamamelid. dest., Aq. dest. ana 50,0) wurde 1 oem injiziert. Bald nach 
der Injektion zeigten sich Zuckungen im linken N. facialis sowie in 
beiden Armen und Beinen. Immerhin konnte sich Patientin noch mit 
Hilfe ihrer herbeigerufenen Schwester in ihre in der Nähe gelegene 
Wohnung zurückbegeben. Um 2V 2 Uhr wird der eine von uns zu der 
Patientin gerufen, wo sich folgendes schwere Krankheitsbild zeigt: 

Pupillen mässig weit, von normaler Liohtreaktion. Hirnnerven frei. 
Augenmuskeln und Augenhintergrund ohne Besonderheit. Keine Areflexie 
der Cornea. Herztätigkeit lebhaft, Herzgrensen normal, Herztöne rein. 
Pulsqualität nicht verändert. Atmung beschleunigt, aber nicht erschwert. 
Lungen o. B. Bauohreflexe fehlen. 

Vollständige Paraplegie beider Arme und beider Beine 
von spastischem Charakter. Reflexe an Armen und Beinen stark 
erhöht, Andeutung von Patellar- und Fussolonus. Keine patho¬ 
logischen Reflexe. 

Sensibilität für alle Qualitäten an den Extremitäten normal. Voll¬ 
ständige Anästhesie in Mund und Rachen. Sprache erschwert, 
ebenso der Sohluckakt. 

Keinerlei Störungen der Urin- und Stuhlentleerung. 

Zwei Stunden später: Patientin kann die Vorderarme leicht an- 
ziehen, desgleichen die Beine etwas bewegen. Sprache etwas leiohter. 

9 Uhr abends: Erneut vollständige Paraplegie. Gesicht 
starr mit einem an Tetanus erinnernden Gesiohtsausdruok. 
Unterkiefer- und Faoialisreflex stark gesteigert; Kiefer 
und Lippen krampfartig geschlossen. Krampf beider Orbi- 
culares oouli. Puls weich, klein, stark beschleunigt Temperatur in 
der Aohselhohle: 37,5° (s. Kurve). 

14. XI. Zustand vormittags unverändert. Nachmittags starker 
Sohweissausbruoh, danaoh langsamer Rückgang der Symptome. Kiefer- 
und Lippenkrampf geringer, desgleichen Orbioulariskrampf. Schlucken 
durch Krampf der Schlundmuskulatur noch sehr erschwert. Starke 
Störung des Lagegefühls, besonders in den Beinen, bei er¬ 
haltener Oberfläohensensibilität. Urin frei von Eiweiss und 
Zucker. 

15. XI. Patientin dauernd vollkommen sohlaflos, dabei 
keinerlei Zeichen von stärkerer Erregtheit, keine Störungen des psychi¬ 
schen Gleichgewichts. Geringe Bewegungsmöglfchkeit der distalen Ex¬ 
tremitätenpartien. Reflexe noch sehr lebhaft, jedoch weniger stark als 
vorher. Kein Glonus mehr. Es fällt auf, dass am Arm wie am 
Bein die Reflexe links stärker sind als rechts. Puls voller; 
Sprache kaum noch erschwert, Schlucken nur wenig behindert. Starkes 
Hungergefühl. 

17. XI. Starker Anfall von Herzschwäche von IV 2 ständiger 
Dauer. Lähmungen gehen distal weiter zurück, Schultergürtel und Hüfte 


1) L. Levin, Nebenwirkungen der Arzneimittel. 

2) Ewald und Hefter, Arzneiverordnuogslehre. 14. Aufl. 


können immer noch nicht bewegt werden. Reflexsteigerung ist 
heute auf der rechten Seite stärker ausgesprochen; an den 
folgenden Tagen ist ein mehrfaches Springen von der einen 
auf die andere Körperseite zu konstatieren. 

20. XI. Wiederholte kleinere Herzschwächeanfälle. Die Lähmung 
geht auch proximal zurück. Vollkommene Kraftlosigkeit beider Arme 
und beider Beine bei sehr gebessertem Allgemeinbefund. Patientin 
kann sioh von selbst im Bett wieder aufrichten. Schlaf sehr gebessert. 

22. XL Patientin klagt über heftige Schmerzen an der Aussenseite 
des oberen Drittels des rechten Oberschenkels. Die Untersuchung er¬ 
gibt eine ausgesprochene Me ralgia paraesthetioa Bernhardt. Zum 
ersten Male angestelite Gehversuche zeigen einen stark taumelnden 
Gang. Subjektiv kein Schwindelgefühl. Lagegefühl jetzt normal. 
Die grobe Kraft hat zugenommen, wenn sich auch schubweise bald in 
dieser, bald in jener Extremität absolute Kraftlosigkeit zeigt. Deut¬ 
liches Abschilfern der Haut an den Fingerbeeren der linken 
Hand. Patientin ist ohne Temperaturerhöhung. 

27. XI. Allgemeinbefinden gut. Patientin ist jetzt dauernd fieber¬ 
frei und ausser Bett. Grobe Kraft und Gehfähigkeit normal. Taumeln 
nur nooh bei komplizierten Gangarten und beim Gehen mit geschlossenen 
Augen. Meralgie subjektiv wesentlich besser, objektiv zeigt sich eine 
lokalisierte Hypästhesie gegen alle Reize. Die Haut hat sieh an den 
linken Fingerbeeren vollkommen abgeschält, jder gleiche Prozess beginnt 
rechts. 

30. XI. Nach 50 g Traubenzucker tritt keine Glykosurie auf. Es 
bestehen nur noch geringe Störungen des Gleichgewichts und die objektiv 
nachweisbare Meralgie, sonst völliges Wohlbefinden. 

Wenn wir das vorstehend geschilderte Krankheitsbild noch einmal 
kurz zusammenfassen, so sehen wir, dass sich bei einer ausser einer ge¬ 
wissen Labilität des Kreislaufssystems bis dahin gesunden Patientin im 
Anschluss an eine geringe, weit unter der Maximaldosis (0,05) gelegene 
Gocaindosis ein schweres Krankheitsbild entwickelt, dessen Hauptsymptome 
sind: eine spastische Paraplegie beider Arme und beider 
Beine mitPatellar- und Fussclonus, aber ohne pathologische 
Reflexe, mit normaler Sensibilität, aber stark gestörtem 
Lagegefühl; Störung der Herztätigkeit mit wiederholten 
Gollapsen; absolute Schlaflosigkeit; Temperaturerhöhung. 
Zu diesen Symptomen der ersten Tage gesellen sich im weiteren Verlauf 
der Beobachtung nach etwa 10 Tagen eine Meralgia paraesthetica 
Bernhardt am rechten Oberschenkel sowie trophische Störun¬ 
gen an den Fingerbeeren erst der einen, dann der anderen Hand. Beim 
Aufstehen der Patientin fallen Gleichgewichtsstörungen auf, die 
sich bis in die letzten Tage der Beobachtung, wenn auoh abgeschwächt, 
so dooh für schwierigere Bewegungen nicht ganz verloren haben. 

Auf einzelne Symptome soll noch in Kürze besonders eingegangen 
werden. Bemerkenswert ist vor allem das Auftreten der Temperatur¬ 
erhöhung. Eine körperliche Ursache für dieselbe liess sioh auf Grund 
sorgfältiger Untersuchung ausschliessen. Nahe liegt der Gedanke an das 
sehr seltene hysterisohe Fieber, welches Kausch 1 ), dem wir eine ein¬ 
gehende Arbeit hierüber verdanken, ebenso wie das bei Halsmarkver¬ 
letzung beobachtete Fieber auf eine Störung des subcorticalen Wärme¬ 
centrums zurüokführt. Wie wir indessen Lew in entnehmen, ist Tem¬ 
peraturerhöhung bei Gocainvergiftung nicht nur nicht ungewöhnlich, 
sondern sie bildet ein häufiges, vielleicht sogar charakteristisches Sym¬ 
ptom. Die Erklärung ist wohl in denselben Momenten zu suchen, die 
Kausch für das hysterisohe Fieber annimmt; daneben könnte man nooh 
als Ursache die vasomotorische Uebererregtheit der Patientin in Betracht 
ziehen, die (s. Oppenheim, 1. c.) gleichfalls eine Disposition zu dem 
sogenannten „kleinen Fieber“ gibt. 

Bei dem Verlauf der Lähmung ist vor allem bemerkenswert, dass 
die Verschlimmerungen schubartig auftraten, sowie ferner, dass Tonus 
und Reflexe sprungartig bald auf der einen, bald auf der anderen 
Körperseite stärker erhöht waren. Eine Erklärung für diese auffallende 
Erscheinung kann wohl nur in der elektiven Wirkung des Giftes auf 
die betreffenden Gentren gesucht werden. Am eigenartigsten zeigte sioh 
dies Verhalten, worauf der zur Konsultation hinzugezogene Prof. Umber 
noch besonders hinwies, im Gebiete der Gesichtsmuskulalur, deren zeit¬ 
weilig vorhandene Starre dem Gesicht oftmals den für Tetanus so 
charakteristischen Risus sardonicus gab. 

Ungewöhnlich und, soweit uns bekannt, bei akuten Vergiftungen 
nicht beschrieben sind dann die trophiseben Störungen, wie sie sioh 
an den Fingetn erst d^r linken, dann der reohten Hand zeigten, be- 


1) Kausch, Das hysterische Fieber. Suppl.-Bd. 3 zu den Grenz¬ 
gebieten, 1906, Siehe auch Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrank¬ 
heiten, 6. Aufl., Bd. 2, S. 1440/41. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


merkenswert ferner — besonders vom ätiologischen Gesichtspunkt — 
das nach etwa 10 Tagen beobaohtete Auftreten der Meralgia par- 
aesthetioa. Unter den vielen ätiologischen Momenten, welche für das 
zuerst von Bernhardt und Roth beschriebene Leiden angegeben 
werden, ist die akute Intoxikation nioht angeführt, während ohronische 
Vergiftungen, wie z. B. Alkoholismus, keine ganz seltene Ursache sind. 
Die Erscheinungen setzten in unserem Falle plötzlich mit intensivsten 
Sohmerzen ein, die nach wenigen Tagen schwanden, während die ob¬ 
jektiv nachweisbaren Sensibilitätsstörungen unverändert fortbestehen. 

Zum Schluss noch einige kurze theoretische Betrachtungen, zu denen 
uns die Inkongruenz zwischen Ursache und Wirkung Veranlassung gibt. 
Das Krankheitsbild, wie es sich zuerst darstellte, konnte zweifellos den 
Eindruck des hysterischen erwecken, um so mehr als die ausser¬ 
ordentlich geringe Cocaindosis, die gegeben war, den Gedanken an eine 
Cocainvergiftung in den Hintergrund drängte. Hysterie liess sich in¬ 
dessen bei der Vorgeschichte der Patientin, bei dem weiteren Verlauf 
und der Analyse der einzelnen Symptome mit Sicherheit aussohHessen, 
trotzdem fast jedes Symptom als hysterisches hätte gedeutet werden 
können. Es ist also im vorliegenden Fall bei einer sicher nicht hyste¬ 
rischen Frau durch eine greifbare toxisohe Ursache ein Krankheitsbild 
erzeugt worden, welches im einzelnen und im ganzen an Hysterie er¬ 
innert. Und ebenso denkbar wäre es, dass nicht nur eine chemisch 
genau definierte exogene toxische Noxe, sondern auch endogene toxische 
Momente ein gleiches oder ähnliches Bild hervorrufen und bei dauernder 
Giftzufuhr unterhalten könnten. Beim gesunden Organismus wird im 
allgemeinen eine derartige Schädigung nicht eintreten, solange die 
Drüsen mit innerer Sekretion den Gleichgewichtszustand erhalten. Ist 
dieser aber gestört, so können die Giftstoffe ungehindert ihre schädigende 
Wirkung entfalten. Auf das Vorliegen einer solchen Störung deutet in 
unserem Falle die von dem einen von uns früher festgestellte Sym- 
pathicusneurose hin. Die kleine, sonst nicht toxisch wirkende Dose 
hätte danach genügt, um das seit Jahren bestehende labile Gleich¬ 
gewicht bei unserer Patientin zu stören. Diese Bogenannte „Idio¬ 
synkrasie“ gegen Gifte dürfte danach vielleicht in derartigen Störungen 
ihre zwanglose Erklärung finden. 

Die vorliegende Beobachtung mahnt, vor Anwendung differenter 
Mittel auf etwaige konstitutionelle Anomalien zu fahnden. Da wir aber 
in bezug auf letztere erst im Anfänge der Forschung stehen, so emp¬ 
fiehlt es sich, auf besonders differente Mittel zu verzichten, wenn wir in 
der Lage sind, an ihrer Stelle von gleich wirksamen Ersatzmitteln — 
wie in unserem Falle von Eucain oder Novocain statt Cocain — Ge¬ 
brauch zu machen. 


BQcherbesprechungen. 

S. E. Heischen: Erfahrenden über Diagnostik nnd Klinik derHerz- 
klappenfehler. Berlin 1916, Julius Springer. Preis 14 Mk. 

Die politischen Verhältnisse brachten es mit sich, dass das vor¬ 
liegende Buch lange unbesprochen liegen blieb. Es wäre aber ein Un¬ 
recht gegen den Verfasser und ein Verlust für unsere Leser, wenn wir 
das Versäumte jetzt nicht naohzuholen uns bemühten. 

An Hand von 300, im Laufe von drei Jahrzehnten klinisch und ana¬ 
tomisch gut beobachteten Fällen bespricht der Stockholmer Kliniker einige 
wichtige Punkte aus der Pathologie der Herzfehler. Dass er sieb hierbei in 
diagnostischer Hinsioht auf die alten Untersuchungsmethoden beschränkt, 
die jedem Praktiker geläufig und zugänglich sind, gereicht dem Buch 
keineswegs zum Nachteil. Und nur solche Fälle sind verwertet, in denen 
die klinische Beobachtung durch die Sektion und gegebenenfalls durch 
die mikroskopische Untersuchung kontrolliert werden konnten. 

In statistischer Hinsioht interessiert vielleicht, dass zwar im 
allgemeinen nach H.’s Zahlen die Frauen und Männer ungefähr gleich 
stark an Klappenfehlern leiden bzw. sterben, dass aber bis zum 40. Jahr 
die Sterblichkeit der Frauen, vom 40. bis zum 60. die der Männer über¬ 
wiegt und dass nachher beide Kurven parallel laufen. Diesem Ver¬ 
hältnis entspricht bei den Frauen eine grössere Neigung zu Mitralfehlern, 
bei den Männern häufigere Erkrankung an Aortenfehlern (Arteriosklerose, 
Lues), entspricht aber auch weiterhin, dass selbst die frische Endocarditis 
eine gleiche Verteilung auf Geschlechter, Alter und Klappen erkennen 
lässt. 

Für die Myooarditis, deren Bedeutung für die Herzfunktion bei 
Klappenfehlern von Rom borg und Krehl seinerzeit sehr hooh, von 
Asch off später ziemlich gering eingeschätzt worden war, glaubt H. aus 
seinen Beobachtungen schliessen zu dürfen, dass die Wahrheit in der 
Mitte liege, dass der akuten diffusen Myooarditis eine grosse Bedeutung 
für die Herzwirksamkeit und den Eintritt des Todes zukomme, die kleineren 
einst von Krehl und Rom borg hooh eingesohätzten Sohwielen aber 
ohne erheblicheren Einfluss seien. 

Die Segmentation, die immer mehr in die Rolle einer bedeutungs¬ 
losen agonalen Erscheinung gedrängt worden ist, meint H. doch als eine 
Folge allmählicher Abnutzung, als „Endkatastrophe einer weit vor¬ 
geschrittenen Ernährungsstörung“ (die aber nichts mit Myooarditis zu 
tun habe, deren Häufigkeitskurve bei Herzfehlern ganz anders verläuft) 
betrachten zu dürfen, ja sogar in vielen Fällen als direkte Todesursache. 
Dass diese Abnutzungshypothese H.’s gegenüber dem bekannten Befund 
von Segmentation bei plötzlichen gewaltsamen Todesfällen Herzgesunder 
versagen muss, sei nicht unerwähnt gelassen. 


Die Häufigkeit der Pericarditis bei Herzfehlern (26,7 pCt.) ver¬ 
dient Beachtung. Sie kompliziert alle (freilich im Beobachtungsmaterial 
nur gering vertretenen) Fälle unter 10 Jahren, was mit der sonstigen 
Erfahrung in der Kinderpraxis wohl überein stimmt, wenn auch einzelne 
Autoren andere Ansichten vertreten haben mögen. Im zweiten Dezennium 
ist diese Komplikation noch in 48,8 pCt. vorhanden, um dann später 
abzufallen. 

„Ruft die Endocarditis an den Mitralklappen ein Ge¬ 
räusch hervor?“ so lautet die Ueberschrift eines weiteren Kapitels. 
Es bringt die Bestätigung der bekannten Tatsache, dass selbst sehr be¬ 
deutende endocarditische Auflagerungen an der Mitralis (übrigens auch 
an anderen Klappen) Geräusche nicht zu verursachen brauchen. Ja, Verf. 
meint, dass nicht die endocarditischen Excreszenzen an und für sich die 
Geräusche hervorrufen, sondern dass diese erst den sekundären Ver¬ 
änderungen ihre Entstehung zu verdanken haben. Unter den Momenten, 
die Verf. als denkbare Ursachen eines Geräusohes bei Endocarditis kritisch 
bespricht und ablehnt, ist die Bildung von Wirbeln im Blute zu ver¬ 
missen, die vom Verf. doch sonst für die Entstehung von Geräuschen 
herangezogen werden, und gerade bei den oft centimeterhohen endocarditi- 
sohen Auflagerungen, dem Verständnis am wenigsten Schwierigkeiten 
bieten würden. Warum solche grossen Auflagerungen nioht immer 
Wirbel und somit Geräusohe erzeugen, ist schwer zu sagen, aber dafür 
immer eine Dilatation der Kammer mit relativer oder muskulärer 
Ostieninsuffizienz zu verlangen, dies dürfte doch vorläufig noch auf 
Widerstand zu rechnen haben. Sollte denn wirklich jede, unter unseren 
Augen entstehende leichte Eodooarditis, z. B. bei Rheumatismus, Angina, 
die wir an einem kleinen Geräusch, schnellerem Puls oder Fieberbewegung 
erkennen, gleich wenn wir sie zu hören bekommen, schon mit einer 
Dilatation verbunden sein? Das gilt ja, wenigstens nach der vor¬ 
läufig herrschenden Meinung, nicht einmal für jeden richtigen Klappen¬ 
fehler, geschweige denn lür jeden Fall von Endocarditis. Und 
man fragt sich, ob diese weitgehende Ansicht des Verf.’s nicht doch 
etwa dadurch beeinflusst sein sollte, dass seine Beobachtungen nur zur 
Sektion gelangtes klinisches Material, also Endstadten umfassen, was 
ihm freilich eine besondere Bedeutung verleiht, aber auch Anlass gibt 
zu einer gewissen Einseitigkeit der Betrachtung. 

Das inhaltsreiche Buch in gleicher Ausführlichkeit noch weiter zu 
besprechen, würde den Rahmen eines Referates um vieles überschreiten, 
zumal die wichtigsten und ausführlichsten Kapitel erst noch folgen: die 
eigentlichen Klappenfehler, ihre Beziehungen zueinander und zu den 
Veränderungen an den Herzhöhlen, der Puls u. a. m. Die physikalischen 
Erscheinungen der Klappenfehler sind in einer ganz ungemein eingehenden 
Weise analysiert, durch Tabellen und Kurven in reichstem Maass erläutert 
und es finden sich stellenweise Resultate dieser Analysen, die geradezu 
überraschend wirken. Man lese z. B. das Kapitel über das präsystolische 
Geräusch, dessen pathognomische Bedeutung vielen so fest zu stehen 
schien, oder was Verf. aus seinen Fällen von funktioneller Mitral¬ 
insuffizienz ableiten zu müssen glaubt: sie zeige akustisch, perkussorisch 
nnd anatomisch, sowie in ihren Folgeerscheinungen an anderen Organen 
die gleichen Erscheinungen wie die organische Insuffizienz, eine Schluss¬ 
folgerung, die, wenn auch vielfach zutreffend, in diesem Umfang sicherlich 
als auffallend empfunden werden wird. Und so noch vieles andere mehr. 

Auch aus diesen kurzen Andeutungen aber wird schon zu entnehmen 
sein, dass es sich wohl verlohnt, das Buch selbst zur Hand zu nehmen 
und ihm ein aufmerksames Studium zuzuwenden. Für die Fachleute 
wird dies gar nicht zu umgehen sein und manche festgegründete Lehr¬ 
buch ra ein an g wird einer erneuten Prüfung, manche einer Ergänzung auf 
Grund der Arbeit Henschen’s zu unterwerfen sein. Hans Kohn. 


Otto Dornbltitk: Konpeaditn der iaaeren Medizin. Für Studierende 
und Aerzte. Siebente, umgearbeitete und vermehrte Auflage. 
Leipzig 1917, Verlag Veit & Co. Preis 10,60 M. 

Das Dornblüth’sche Kompendium ist im Laufe der 7 Auflagen, 
die es seit 1892 erlebt hat, auf 665 Seiten angewachsen. Verf. hat sich 
bemüht, in knapper Form alles Wissenswerte für Studenten und Arzt 
zusammenzufassen. Alle Neuerungen der Diagnostik und Therapie sind 
verwertet. Sehr zweckmässig ist sicherlich, dass auch Behandlungs¬ 
methoden erwähnt, aber nicht empfohlen werden, die sich nicht bewährt 
haben. — Bei der Therapie der Aktinomykose vermisste ich die Röntgen¬ 
therapie. Dünner. 

Haas Lipp: Tasehenbneh des Feldarites. IV. Teil. Empfindliche, ein¬ 
fache und rasch ausführbare Untersuchungsmethoden. München 1917, 
J. F. Lehmanns Verlag. Preis geb. 3,50 M. 

Der beste Beweis für die Güte und Brauchbarkeit des Büchleins 
ist, dass es bereits nach anderthalb Jahren eine Neuauflage erlebte. Die 
vorliegende 2. Auflage ist erheblich umgearbeitet und ergänzt. Die Ein¬ 
teilung ist dieselbe geblieben. Es werden abgehandelt: I. Harnunter¬ 
suchungen, 11. Sperma, III. Punktionsflüssigkeiten, IV.Sputumuntersuchung, 
V. Mageninhalt, VI. Stuhl, VII. Blutuntersuchung. Das Büchlein ist kurz 
und klar abgefasst und verdient vor vielen anderen ähnlichen unstreitig 
den Vorzug. Die Abbildungen sind jedoch zum Teil entschieden ver¬ 
besserungsbedürftig. Schmitz. 


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18. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


165 


Literatur-Auszüge. 

Pharmakologie. 

A. Belak: Ueber Muskel quellung, speziell unter Wirkung des 
Coffeins. (Bioohem. Zsohr., 1917, Bd. 83, H. 3 u. 4, S. 165.) Zur Frage 
der Kontraktion der Muskeln stellte Verf. naoh einem Ueberbliok über 
die verschiedenen Kontraktionstheorien Versuche über die Muskelquellung 
unter der Einwirkung von Coffein an. Frosohmuskeln wurden naoh Be¬ 
handlung mit einer 0,5 proz. Coffeinlösung gewogen. Aus den Versuchen 
ergab sich, dass das erste Stadium der Muskelquellung eine rasche Zu¬ 
nahme des Wassergehalts erkennen lässt. Es handelt sich um eine 
osmotische Quellung, die durch den osmotischen Druck des Muskelinnern 
bedingt wird. Auch die Entquellung ist eine osmotische Erscheinung. 
Gleichzeitig ist die Permeabilität für Salz und Wasser gesteigert. Die 
Moskelmembranen bleiben eine Zeitlang für osmotische Druckunterschiede 
weiter empfindlich. Allmählich geht das Stadium der osmotischen Latenz 
in das Stadium der kolloidalen QuelluDg über. Im Wasserbiodungs- 
vermögen zeigen sich zwisohen den verschiedenen Muskelgruppen Unter¬ 
schiede, die auf der verschiedenen Membranstruktur und auf der sonstigen 
Zusammensetzung aus roten, resp. weissen Fasern beruhen. Das Coffein 
wirkt nun zunächst im Sinne einer Erhöhung der Wasserpermeabilität 
mit einer wahrscheinlich gleichzeitigen Steigerung der Salzpermeabilität. 
Vorübergehend ist auch das Wasserbindungsvermögen gesteigert. Die 
toxische Wirkung des Coffeins besteht in der Koagulation der Muskel¬ 
eiweisskörper, die zu einer Wasserabgabe führt. Die verschiedenen 
Wirkungen des Coffeins kommen je naoh der angewandten Konzentration 
zum Vorschein. Eine 0,1 pCt. Coffeinlösung bewirkt ausgesprochene 
Steigerung der Permeabilität und zeigt eine Andeutung von toxischer 
Wirkung, die sich in einer geringen Herabsetzung des Wasserbindungs¬ 
vermögens äussert. Eine 0,5 proz. Coffeinlösung bewirkt nur eine geringe 
Steigerung der Permeabilität, hat aber eine ausgesprochene toxische 
Wirkung, die schnell zu einer Entquellung führt. Eine 0,0? proz. 
Coffeinlösung bewirkt keine deutliche Muskelquellung. Aus den Ver¬ 
suchen lässt sich sch Hessen, dass die pharmakologische Wirkung des 
Coffeins auf der Steigerung der Wasserpermeabilität und des Wasser¬ 
bindungsvermögens beruht. R. Löwin. 


Therapie. 

Lorey: Zur Bewertung der Röntgenbehandlung bei Myomen and 
Metrorrhagien. (D.m.W., 1918, Nr. 1.) Bemerkungen zu der Arbeit 
von Nagel, der in der D.m.W. 1917, Nr. 46 gegen Myombestrahlung 
eingetreten war. Die Erfahrungen von L. sprechen sehr zugunsten der 
Röntgenbehandlung. Dünner. 

Theilhaber: Die Beeinflussung des Wachstums der Geschwülste 
durch Veränderung ihrer Blutmenge. (W.kl.W., 1917, Nr. 48.) Von 
der Anwendung hyperämisierender Maassnahmen bei Caroinomen, besonders 
in Form der Diathermie, hat Th. meist Verkleinerung der Tumoren gesehen. 
Er empfiehlt auch die Diathermie als prophylaktische Nachbehandlung. 
Dagegen beschleunigt Hyperämie das Wachstum der Uterusmyome. Die 
Rückbildung der Carcinome durch Röntgen- und Radiumstrahlen beruht 
wohl auch zum Teil auf Hyperämisierung. 

M. Oppenheim: Anaphylaktischer Anfall nach Milchinjcktion. 
(W.kLW., 1917, Nr. 48.) Während bisher nooh kein Autor nach Miloh- 
injektionen beunruhigende Symptome hat auftreten sehen, beobachtete 
Verf. nach einer zweiten Milchinjektion einen anaphylaktischen Anfall, 
bestehend in sofort einsetzenden Kopfschmerzen, Cyanose und Oedem 
des Gesichts, Collaps, Temperatursturz auf 35,5°. Patient erholte sich 
aber wieder bald. H. Hirschfeld. 

J. Oelstrcil-Prag: Behandlung der akuten Prostatitis mit Milch- 
injektienen. (Derm. Wsohr., 1917, Nr. 51, Bd. 65.) Verf. empfiehlt 
Injektionen von ungekochter Milch in die Glutuälgegend, beginnend 
mit 2—S com und steigend bis zu 10—15 ocm. Nach der Iujektion er¬ 
folgt gewöhnlioh eine Temperatursteigerung; die nächste Injektion wird 
erst gemacht, wenn die Temperatur zur Norm zurückgekehrt ist. Die 
Erfolge waren zum Teil sehr gute, dooh stehen denselben auoh völlige 
Misserfolge gegenüber. Immerwahr. 

Steiger-Essen: Misserfolge von Mileheinspritzungen bei chirurgi- 
schei Kraokheitea. (D.m.W., 1917, Nr. 52.) Verfasser versuchte die 
Milcheinspritzungen bei örtlichen und allgemeinen Vergiftungen ohne 
jeden Erfolg. Dünner. 

Arzt: Ueber Versuche einer Salvarsantherapie der menschliche! 
Wit. (W.kl.W., 1917, Nr. 48.) Obwohl die Salvarsantherapie in drei 
Fällen menschlicher Wut versagt hat, empfiehlt sie Verf. doch weiter 
zu versuchen, da sie ungefährlich ist und wir andere Mittel gegen diese 
Krankheit nicht haben. Hat doch Tonin in einem Fall mit Neosalvarsan 
Heilung erzielt. H. Hirsch feld. 

P. KazneIson-Prag: Die Proteinkörpertherapie. (Ther. Mb., 
31. Jahrg., Nov. 1917.) Sammelreferat. 

J. Voigt-Göttingen: Ueber die therapeutische Verwendbarkeit 
des kolloiden Jodsilbers in der Form intravenöser Injektionen. (Ther. 
Mh., 31. Jahrg., Nov. 1917.) Nach experimenteller Feststellung der Un¬ 
gefährlichkeit des kolloiden Jodsilbers wurde dasselbe therapeutisch ver¬ 
sackt. Anfangsdosis 5 ccm frisch bereitetes Jodsilberhydrosol von 1 pM., 
allmählich steigend bis 20 ccm. Die Reaktion war im ganzen gering, 


jedenfalls geringer als beim kolloiden Silber. Bei 2 Anginakranken er¬ 
folgte nach der 1. Injektion bereits Temperaturabfall, bei dem einen 
auch Zurückgeben der submaxillaren und cervikalen Drüsenschwellungen. 
Ein erfolglos mit Salioyl behandelter akuter fieberhafter Gelenkrheuma¬ 
tismus entfieberte schnell und dauernd. Nach der 3. Injektion schon 
machte der Kranke spontane Gehversuche. Ebenso Hessen bei 6 Pa¬ 
tienten mit monatelang behandeltem chronischen Gelenkrheumatismus 
schon nach der 1. Injektion die Schmerzen nach, die Gelenkschwellung 
ging zurück, die Bewegungen wurden freier; spontane Gehversuche. Bei 
ausgedehnter Scbwartenbildung nach kürzlioh abgelaufener Pleuritis 
(2 Fälle) wurde bei Besserung des Allgemeinbefindens Aufhellung der 
Dämpfung, Verminderung der Reibegeräusohe erzielt, bei einem Fall 
von exsudativer Pleuritis musste nach erhebliohem Rückgang des Ex¬ 
sudats wegen Symptomen von Jodismus die Behandlung ausgeBetzt 
werden, ebenso bei einem 2. solcher Fälle wegen Verschlechterung des 
Allgemeinbefindens und mehrtägigen Fiebers nach jeder Injektion. Bei 
2 Fällen von chronischer Bronchitis einmal völlige Heilung, einmal 
völlige Beschwerdefreiheit; es blieb nur Verschärfung des Atemgeräusehs, 
die auf Emphysen bezogen wurde. Bei 3 Kropfkranken wurde ein Rück¬ 
gang des grössten Halsumfanges von 0,8 bzw. 6,2 bzw. 4,2 om erzielt. 
Die 1. Patientin lehnte nach der 3. Injektion die Weiterbehandlung ab, 
weil sie danach erbrochen und sich schlecht gefühlt hatte, die 2. wurde 
von den sehr erheblichen Beschwerden völlig befreit, die 3. behielt auch 
nach der später vorgenommenen Strumektomie angeblich ihre Beschwerden; 
sie war den Kollegen als hysterisoh bekannt. Ein hartnäckiges nässendes 
Ekzem der unteren Extremitäten und Nates wurde in 6 Wochen geheilt, 
ein wahrscheinlich luetischer, aus 2 kleinapfelgrossen Knollen bestehender 
Lebertumor wurde sehr erheblich verkleinert. Nach der 1. Injektion 
bekam dieser Kranke einen starken epileptiformen Anfall, dem ein koma¬ 
töser Zustand folgte; hierfür wird „irgendeine »spezifische 4 Reaktion“ 
als Grund angenommen, da ein Fehler in der Injektionstechnik und 
Zubereitung des Jodsilberhydrosols auszuschliessen ist. Die Jodsilber¬ 
therapie käme vielleicht in Frage für die Bekämpfung der Malaria und 
Recurrens, Fleckfieber- und Typhuskranker, und Bacillenträger und 
Dauerausscheider von Typhusbacillen. Bertkau. 

Kenez: Morphium und Digitalistoleranz. (W.kl.W., 1917, Nr. 49.) 
Verf. kann die Angabe Koranyi’s bestätigen, dass manche Herzkranke 
längere Zeit fortgesetzte Digitalis-Morphium therapie nicht vertragen. 
Man soll besonders bei Aortenerkrankungen und Arteriosklerose sowie 
bei chronischer Nephritis mit Neigung zu Dekompensation solange Digitalis 
geben, als man davon Nutzen erwarten kann und statt Morphium andere 
Narcotica wählen. Kann man aber Morphium nicht mehr entbehren, so 
soll man zwisohen Morphium* und Digitalisgaben einige Stunden ver¬ 
streichen lassen. H. Hirsch feld. 

Hesse-Halle a. S.: Eucodal als Narcoticum. (Zbl. f. innn. M., 
1917, Nr. 51, S. 819.) Das Indikationsgebiet des Euoodals deckt sich 
im wesentlichen mit dem des Morphiums und Codeins: dabei übertrifft 
es diese an sedativer und narkotischer Kraft. M. Goldstein. 

H. Stranss: Ameisensäure als Konservierungsmittel. (Zsohr. f. 
physik. diät. Ther., Dezember 1917.) Die Häufung der Kriegsnephritiden 
hatte St. veranlasst, für die Zwecke der salzarmen Ernährung unter den 
für den Koohsalzersatz geeigneten Würzen Umschau zu halten und eine 
Reihe von salzig sohmeokenden Präparaten auf ihre Eigenschaft als 
Kochsalzersatz durchzuprobieren. Dabei hat sich ihm das ameisensaure 
Natrium als besonders brauchbar erwiesen. Er gibt oft Monate hinduroh 
täglich davon 2—4 g, also erheblich grössere Dosen, als sie bei Benutzung 
der Ameisensäure für Konservierungszwecke zugeführt werden, so dass 
er wohl sagen kann, dass zu Besorgnissen hinsichtlich der Benutzung 
kleiner Desen von Ameisensäure für die Konservierung von Nahrungs¬ 
mitteln keinerlei Grund vorliegt. 

E. Roth: Medizinische Verwendung des Erdöls und seiner Ver¬ 
wandten. (Zschr. f. physik. diät. Ther., Dezember 1917.) Erdöl findet 
bei Hautaffektionen und als Desinfektionsmittel Verwendung, andere An¬ 
wendungen kommen wenig in Betracht. Als Salbengrundlage kommen 
verschiedene Derivate und Bestandteile in Betracht. E. Tobias. 

Stühmer: Arsalyt. (D.m.W., 1918, Nr. 1.) Warnung vor Arsalyt 
bei der Behandlung von Syphilis. Es können schwere Schädigungen auf¬ 
treten. 

Rahm-Strehlen: Opsonogenbehandlung der Fnrnnknlnse. (D.m.W., 
1917, Nr. 52.) Glänzende Erfolge bei Furunkulose. Akne und Psoriasis 
wurden nur gebessert, nicht geheilt. Dünner. 

v. Eiseisberg: Zur Wundbehandlung im Wasserbett. (W.kl.W., 
1917, Nr. 49) Das Wasserbett ist geeignet für die Behandlung von: 
ausgedehnten Verbrennungen, des Decubitus, der Kotfisteln, der Blasen¬ 
fisteln, ausgedehnten Granatsplitterverletzuogen. Das Wasserbett wirkt 
in hohem Grade schmerzlindernd. Besprechung der Kontraindikationen. 

Abt: Persönliche Erfahrungen und Anschauungen, die Wirkungs¬ 
weise des Wasserbettes betreffend. (W.kl.W., 1917, Nr. 49.) 

H. Hirschfeld. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

0. Maas: Klinisch-anatomischer Beitrag zur Kenntnis systema¬ 
tischer Linsenkerndegeneration. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 1.) Verf. 
sohildert einen Kranken, bei dem das Zittern das hervortretendste kli¬ 
nische Symptom war, und bei dem er an Pseudosklerose oder diffuse 


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166 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Sklerose dachte. Die histologische Untersuchung des bis zum Tode be¬ 
obachteten Patienten ergab doppelseitige Linsenkerndegeneration, aber 
nichts Pathologisches im Thalamus und Nuoleus caudatus. Klinisch 
bestanden in einzelnen Pünkten Abweichungen von den Wilson’schen 
Befunden. Verf. glaubt, dass Linsenkerndegeneration und Pseudosklerose 
identische Leiden sind. E. Tobias. 

Nowiek i-Linz: Pathologisch • anatomische Veränderungen bei 
schweren Paratyphns B-Fällen. (D.m.W., 1917, Nr. 51 u. 52.) In den 
dargestellten, klinisch schweren Paratyphus B-Fällen muss man folgende 
anatomischen Veränderungen hervorheben: 1. Einnahme des ganzen 
Darmtractus, besonders aber des Iieums und Dickdarmes. 2. Mehr oder 
weniger hämorrhagischer Charakter der Entzündung, verbunden mit be¬ 
deutender Auflockerung der Schleimhaut. 3. Unbedeutender, aber 
ständiger Anteil des lymphatischen Darmapparates (solitäre Follikel) und 
der Mesenteriallymphdrüsen in ruhrähnlichen, ausgesprochener in typhus¬ 
ähnlichen Fällen. 4. Milztumor, der durchschnittlich die Grösse beim 
Typhus nicht erreicht und weniger brüchig ist. 5. Darminhalt bzw. 
Stühle bei Paratyphus B sind mikroskopisch (Eiterkörperchen, Erythro- 
cyten, Epithelien) denen bei Ruhr ähnlicher als beim Typhus. 6. Auf¬ 
treten der hämorrhagischen Diathese in besonders schweren Fällen. 

Bier-Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim Menschen. 
Dt. Abhandlung. Falsche Regeneration: b) Die Narbo. (D.m.W., 1918, 
Nr. 1.) 

Ribbert-Bonn: Die Konstitntion der Menschheit (D.m.W., 1917, 
Nr. 52.) Verf. gibt an, da9s der erbliche Zustand im Beginn eines 
Stammbaumes nicht jedesmal als etwas völlig Neues auftritt, sondern 
selbst auch wieder aus früheren Generationen stammt, dass er aus ihnen, 
wenn er schon vorhanden ist, erblich übernommen wurde. Wir sind 
nicht imstande, die erblichen krankhaften Veränderungen genetisch zu 
deuten. Wahrscheinlich haben sie sich unmerklich ganz allmählich 
herausgebildet wie alle normalen Eigenschaften. Ihre Entstehung muss 
in der gleichen Weise gedeutet werden, wie die allor anderen mensch¬ 
lichen Merkmale. Man kann nicht mehr sagen, dass die Menschheit 
grundsätzlich als gesund anzusehen sei und nur unter der Einwirkung 
äu.< serer Schädlichkeiten in einzelnen Individuen oder in umgrenzten 
Stammbäumen erkranke, vielmehr ist sie von Bause aus phylogenetisch, 
mit bestimmten, vielseitigen, zu funktionellen Störungen führenden 
Mängeln behaftet. Dünner. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Weltmann: Ueber Ruhr. Bemerkungen zu der Arbeit Czaplewski’s 
in Nr. 43. (D.m.W., 1918, Nr. 1.) Verf. bestätigt den Befund von 

Czaplewski, dass sich bei Ruhrerkrankungen häufig Kapselbacillen in 
den Stühlen naohweisen lassen, und nimmt an, dass diesen gelegentlich 
pathogene Eigenschaften zukommen. Er sieht in diesen Kapselbacillen 
nur eine Begleit- bzw. Verdrängungsflora, die in der von spezifischen 
Erregern geschädigten Darmschleimhaut einen besonders zusagenden 
Nährboden findet. 

v. Friedrich-Budapest: Zur Epidemiologie der Shiga-Krase- 
Dyseatorie. (D.m.W., 1917, Nr. 51.) Bei einer leicht auftretenden Epi¬ 
demie gelang es, epidemiologisch aus dem Stuhle die toxinschwerste Ferm 
der Ruhrbacillen zu züchten. 

Fraenkel-Hamburg: Ueber bakteriologische Befinde bei den 
Ctophlegmouen. (D.m.W., 1917, Nr. 52.) Bemerkungen zu der Arbeit 
von Asch off. Dünner. 

K. Futaki, Takaki, Taniguchi und Osumi: Spirocbaeta 
morsus mnris, der Erreger des Ratteahlssfiehers. (Journ. of exp. med., 

1917, Bd. 25, Nr. 1, S. 13.) Verff. haben den Erreger des Rattenbiss¬ 
fiebers in Gestalt einer Spirochäte festgestellt, die in der vorliegenden 
Arbeit genauer geschildert wird. Die Spirochäte findet sioh in den 
lokalen Läsionen der Haut Und in den vergrösserten Lymphdrüsen. Sie 
färben sich leicht nach Giemsa. Zu Inokulationen eignen sich Mäuse, 
Ratten, Affen. Nicht bei allen Ratten findet sich die Spirochäte. In 
gesunden Meerschweinohen und Mäusen war sie nie nachzuweisen. Lässt 
man ein Meerschweinchen von einer infizierten Ratte beissen, so ent¬ 
wickelt ersteres das Rattenbissfieber. Auch bei Menschen, die an 
Rattenbissfieber erkrankt waren, fanden Verff. die Spirochäte. 

R. Lewin. 

Konsohegg-Wien: Zur Komplemeathilduag bei Variola. (D.m.W., 

1918, Nr. 1.) Bemerkungen zu der Arbeit von Hallenberger in der 
D.m.W., 1917, Nr. 35. Hallenberger bat übersehen, dass alkoho¬ 
lische Extrakte, sei es von Pusteln, Haut, Milz oder Leber von an Variola 
Verstorbenen nur wenig bzw. gar nicht wirksam sind. 

Bier-Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim Menschen. 
VIU. Abhandlung. Falsche Regeneration, b) Das geordnete Ersatz¬ 
gewebe. (D.m.W., 1917, Nr. 51.) Dünner. 

Kreibich: Ueber die Natnr der Blntcellengrannla. (W.kl.W., 
1918, Nr. 48.) Verf. vermutet, dass die Granulabildung in den weissen 
Blutzellen dadurch zustande kommt, dass Kernsubstanz den Kern ver¬ 
lässt, sioh dabei an bereits bestehende Bahnen (kariogene Fasern) hält 
oder nach Art eines Sekretes ohne diese in das Protoplasma gepresst 
werden kann, wodurch es zu einer Chromatin Verarmung des netzförmigen 
Kernes kommt. 

v. Jagic: Ueber die Moiocyten (grosse Mononucleäre und Ueber- 
gangsformen Ehrliches.) (W.kl.W., 1917, Nr. 48.) Die Monooyten 


Nr. 7. 


stammen aus dem Knochenmark. Eine Monooytose findet man bei akuten 
und chronischen Infektionskrankheiten, und zwar geht sie meist der Ver¬ 
mehrung der neutrophilen Leukocyten parallel. Die Monocyten sind 
degenerierte Abkömmlinge der Myeloblasten. Auch ein Parallelgehen 
der Monooyten mit den Lymphocyten kommt vor, doch beruht dasselbe 
nicht auf einer genetischen Verwandtschaft beider Zellarten, sondern ist 
nur als eine koordinierte Erscheinung aufzufassen, die besonders in der 
Rekonvaleszenz von Infektionskrankheiten zur Beobachtung kommt. 

H. HirBohfeld. 


Innere Medizin. 

S c h ü 1 e - Freiburg i. Br.: Spoutanpaeamothorax bei Nichttuberknlftei, 

(D.m.W., 1918, Nr. 1.) Zwei Fälle von spontanem Pneumothorax, von 
denen der eine nach Lachen entstand und gesund wurde, bei dem zweiten 
trat der Pneumothorax nach einem Lungeninfarkt im Verlaufe eines 
Typhusfalles auf (Autopsie). Dünner. 

Liles: Ein Fall von Eadocarditis ulcerosa Iota mit embolisoher 
Nephritis und postembolischem Aneurysma der Arteria poplitea. 
(W,kl.W., 1917, Nr. 49.) 

Korkcynski: Eitrige Typhusmeaiagitfc. (W.kl.W., 1917, Nr.49.) 

H. Hirsohfeld. 

Hi lg er mann -Saarbrücken: Behandlung aad Schutzimpfung bei 
Fleebfieber Mittels Vaccinierung Mit Proteas X 19 . (D.m.W, 1917, 
Nr. 51.) Selbst wenn der Proteusstamm als direkter Erreger vollkommen 
abzulehnen wäre, kommt ihm vielleicht zum mindesten eine gewisse Be¬ 
deutung in Symbiose einer anderen Bakterien- oder Chlamydozoenart zu. 
Von diesem Gesichtspunkt ausgehend haben die Verfasser eine Vacci- 
nationstherapie mit X 19 versucht. Die damit erzielten Resultate sind 
zufriedenstellend gewesen. 

Pfeiffer: Ueber die Isolierung bei Fleckfieber. (D.m.W., 1917, 
Nr. 52.) P. bestätigt die Angaben von Martini über die Isolierungs- 
zeit bei Fleckfieber, die Martini in der D.m.W., 1917, Nr. 46 hat. 

Hoerschelmann-Riga: Zur Klinik des Skorbuts ia der russisches 
Armee. (D.m.W., 1917, Nr. 52.) Beobachtungen aus der russischen 
Armee von der Rigaischen Front aus den Jahren 1916 und 1917. Al9 
Ursache wird einseitige Ernährung der Truppen angesehen, welche zu 
einem Mangel an Kalisalzen im Blute führt. Als HilLursachen werden 
angesprochen: Uebermüdung, verkürzter Schlaf, sumpfiger Standort und 
andauerndes Leben in Erdhütten. Als Komplikationen werden innere 
Organblutungen, Hämothorax, Nephritis haemorrhagica scorbutica erwähnt. 
Die Frage der Aetiologie kann klinisch nicht mit Sicherheit entschieden 
werden. Gegen Infektion spricht das Auftreten der Krankheit zu einer 
Zeit, wo kein frisches Gemüse vorhanden ist und ihr Verschwinden mit 
dem reichlichen Verabfolgen desselben; ferner das Fehlen von Beob¬ 
achtungen direkter Uebertragung der Krankheit und schliesslich das 
Verschontbleiben des Offisierkorps, dem bessere Ernährung zur Ver¬ 
fügung steht Dünner. 

Hatiegan: Untersuchungen über die Adrenalin Wirkung auf die 
weissen Blutxellea. (W.kl.W., 1917, Nr. 49.) Die zum Teil wider¬ 
sprechenden Angaben über die Veränderungen des weissen Blutbildes 
nach Adrenalininjektion rühren daher, dass die Autoren das Blut ver¬ 
schieden lange Zeit nach der Injektion untersucht haben. Wie H. zeigt, 
entwickelt sich in der ersten Stunde eine lymphooytäre Leukocytose, 
die gegen das Ende derselben herabgeht, um dann in der zweiten Stunde 
in eine neutrophile Leukocytose überzugehen. In der dritten Stunde 
erreicht sie ihren Höhepunkt, nach sechs Stunden ist wieder das normale 
Blutbild erreicht. . H. Hirschfeld. 

Hirschfeld-Berlin: Die makroskopische Oxydasereaktion als 
Mittel zum Eiternaohweis in pathologischen Körperflüssigkeiten. (D.m.W-, 
1917, Nr. 52.) Eiter lässt sich makroskopisch im Urin, Ascites, Pleura¬ 
exsudate, Sputum mit Hilfe der Oxydasereaktion nachweisen. 

Jo 11 es-Wien: Eiweissuachweis mit Chlorkalklösnag aad Sali* 
säure. (D.m.W., 1917, Nr. 52.) Die von Potjan und Steffenhagen 
in D.m.W., 1917, Nr. 17 angegebene Methode ist von Jolles bereits im 
im Jahre 1890 publiziert worden. Dünner. 


Chirurgie. 

E. Baum an n-Königsberg: Drei seltene Fälle von Schulterluxatioi. 
(Bruns’ Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 110, H. 1.) Der erste Fall, eine 
Luxatio subcoracoidea, entstand lediglich durch tonische Muskelkrämpfe, 
die durch den elektrischen Starkstrom hervorgerufen waren. Zu gleioher 
Zeit war ein Abriss des Tuberculum maj. eingetreten. Bei den beiden 
anderen Fällen handelte es sich um eine Luxation des Sohultergelenkes 
mit Fixierung des Oberarmes in horizontaler Stellung. Der Kopf stand 
bei beiden Fällen nach vorne und unten von der Gavitas glenoidalis. 
Jedoch kann die Luxatio horizontal!s auch bei anderen Stellungen des 
Kopfes zustande kommen. Der zweite dieser letztgenannten Fälle ist 
noch weiter dadurch interessant, dass es sich hier um eine habituelle 
Luxation handelte. W. V. Simon. 

M. Käppis-Kiel: Ueber eigenartige Knorpelverletzungen an 
Capitalam hameri und deren Beziehungen zur Entstehung der freien 
Ellenbogengelenkkörper. (D. Zschr. f. Chir., Bd. 142, H. 3 u. 4.) Es 
werden eine Reihe von Fällen beschrieben, bei denen es im jugendlichen 


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18. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Alter, meist im Anschluss an ganz leichte Traumen, zu einer chronischen 
Erkrankung des Ellenbogengelenkes kommen kann. Es handelte sich 
stets um Knorpelfrakturen am Capitulum humeri, und zwar fast immer 
des rechten. Das Röntgenbild zeigt immer Unregelmässigkeiten oder 
Aufhellungen oder Defekte am Capitulum humeri. Die Therapie besteht 
in der Entfernung der Gelenkkörper, d. h. der traumatisch abgelösten 
Knorpel. Diese Knorpelverletzungen können, wenn nicht frühzeitig be¬ 
handelt, zur Gelenkkörperkrankheit mit allen Folgen, insbesondere auch 
der der Arthritis deformans, führen. B. Valentin. 

v. Baeyer: Bewegungsbehandlung der Oberaratschussfrakturen. 
Bewegungsbehandlung der Oberschenkelschussfraktureu. (Bruns' ßeitr. 
z. klin. Cbir., 1917, Bd. 107, H. 2, 41. kriegschirurgisches Heft), v. B. 
hat sowohl bei der Behandlung der Oberarmschussbrüohe wie auch der 
Oberschenkelschussbrüche das Prinzip verlassen, die der Fraktur be¬ 
nachbarten Gelenke ruhig zu stellen. Vielmehr betont er die Not¬ 
wendigkeit, im Interesse der späteren Funktion möglichst frühzeitig mit 
Bewegungsübungen zu beginnen. Er hat daher für den Oberarm wie 
für den Oberschenkel einfache und billige Schienenapparate angegeben, 
die in Verbindung mit der Eztension ausgiebige und frühzeitige Be¬ 
wegungen der Geleuke zu lassen. Zahlreiche Abbildungen erläutern die 
Einzelheiten der verwandten Schienenapparate sowie die erzielten guteh 
Resultate. 

Schlaaff: Die Behandlung der Oberschenkelfrakturen im Sitzbett, 
ihre Erfolge und praktische Anwendung im Felde. (Bruns 1 Beitr. z. klin. 
Chir., 1917, Bd. 107, H. 2., 41. kriegschirurgisches Heft.) Das Sitzbett 
nach Drüner hat den Vorzug, zu gleicher Zeit die Muskulatur zu ent¬ 
spannen wie auch die Schwere des eigenen Körpers zur Extension aus- 
zunutzen. Die günstigen Erfahrungen, die Verf. mit dieser Methode 
gemacht hat, veranlassten ihn, für die gewöhnliche Truppenkrankentrage 
eine einfach herzustellende und aufzumontierende Vorrichtung anzugeben, 
die eine Lagerung des Verwundeten in gleicher Weise wie im Sitzbett 
gestattet und den Transport von der Truppe ohne Umladung bis in ein 
Speziallazarett der Heimat ermöglichen soll. W. V. Simon. 

W. Burk-Kiel: Betrachtungen zur willkürlich bewegbare! 
kfinstlichen Haid nach Saaerbraeh. Eine Modifikation des Verfahrens. 
(D. Zsohr. f. Chir., Bd. 142, H. 5 u. 6.) Der prinzipielle Unterschied 
zwischen den von B. angeführten und in der Arbeit genauer geschilderten 
Operationsmethoden und denjenigen Sauerbruch’s besteht in 1. Be¬ 
kleidung der Muskelwülste mit normaler Haut und Fascie und Verwendung 
der narbig veränderten Stumpfhaut zur isolierten Khochendeckung. 
2. Verlängerung von unvollkommenen Muskelwülsten durch Belastungs¬ 
sägel. 3. Verwendung des hervorragenden nicht gekürzten Knochen¬ 
stumpfes zur Bewegung der Prothese. Nach der modifizierten Methode 
wurden bisher drei Oberarm- und zwei Unterarmstumpfe umgearbeitet. 

B. Valentin. 

A. Bethe: Beiträge zum Problem der 'willkürlich bewegliches 
Araprothesen. (M.m.W., 1917, Nr. 51.) Die schwierigen technischen 
Erörterungen eignen sich nicht zur kurzen Wiedergabe. Geppert. 

Linsmann: Ergebnisse und Richtlinien bei Gelenkverletzangen 
im jetzigen Kriege. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 2, 
41. kriegschirurgisches Heft.) Unter Mitteilung von 64 eigenen Fällen 
werden die Klinik- und die Behandlungsmethoden der Gelenkverletzungen 
besprochen. Von den 64 Fällen des Verf.’s waren 48 infiziert. 

W. V. Simon. 

Marder: Drei Fälle von Zerreissung einzelner Fasern des M. 
reetas sia. beim Abwurf einer üebungsgranate. (M.m.W., 1917, Nr. 50.) 
Hauptsymptom, schmerzhaftes fühlbares Hämatom im Bereioh der Faser¬ 
ruptur. Es wird der Mechanismus beschrieben, durch den vermutungs¬ 
weise die Zerreissungen gerade des linken Reotus zustande kommen. 

Geppert. 

A. Genewein: Ein Beitrag zur Gastroptose und ihre operative 
Behandlung durch die Gastropexie von Rovsing. (Bruns 1 Beitr. z. klin. 
Chir., 1917, Bd. 110, H. 1.) Bei der Stellung der Diagnose einer 
Gastroptose ist zu bedenken, dass nicht der Tiefstand der grossen Kurvatur 
sich mit dem Begriff der Gastroptose deckt, sondern dass diese einzig 
und allein auf dem Tiefstand der kleinen Kurvatur oder genauer gesagt 
auf dem Tiefstand des Pylorus beruht. Nachdem Verf. auf die Ent- 
stehungsursacben und auf die Differentialdiagnose näher eingegangen ist, 
wird die Behandlung besprochen, wobei die Rovsing’sche Methode, mit 
der an der Münchener Poliklinik in 84,4 pCt. Heilung oder bedeutende 
Besserung erzielt wurde, und die eine breite flächenhafte Verklebung des 
Magens mit der vorderen Bauchwand erzielt, als die Methode angesehen 
wird, deren Resultate von keiner anderen Operation übertroffen wird. 

J. Fi sch er-Heidelberg: Ueber die Behandlung der schweren Fälle 
von Peritonitis, mit besonderer Berücksichtigung der Drainage nach 
dea Rectum and der primären Enterostomie. (Bruns 1 Beitr. z. klin. 
Chir., 1917, Bd. 110, H. 1.) In leichteren Fällen sollte man mehr, als 
bisher im allgemeinen üblich ist, auf die Drainage verrichten und primär 
die Bauchhöhle schliessen. Für die schwereren und schwersten Fälle 
bleiben die Vorteile, die die Drainage bietet, bestehen. Für die letztere 
Art von Fällen ist die Dtainage naoh dem Rectum sehr empfehlenswert, 
die technisch einfach ist und vor allem die Drainage am tiefsten Punkt 
vorstellt. Durch das Drainrohr wird auch die Spülung ausgeführt. 
Eine Infektion der Bauchhöhle mit Bakterien des Mastdarms ist nicht 
zu befürchten. Sohliesslich weist Verf. auf die grossen Vorteile der 
primären Enterostomie hin, die bei vielen Fällen lebensrettend wirkt. 

W. V. Simon. 


W. Pohl: Zur antiseptischen Behandlung des Bauchfells, Spülung 
des Bauchfells mit Dakinlösung bei B^jonettstichverletzung. (D. Zsohr. 
f. Cbir, Bd. 142, H. 3 u. 4.) Bei einem Soldaten lag eine Perforation 

des Dünndarms an zwei Stellen infolge Bajonettstiches fn das Gesäss 

vor. Die Laparotomie fand aoht Stunden nach der Verwundung statt, 
der Darm wurde genäht, die Bauchhöhle mit zwei Liter Kochsalzlösung 
ausgewaschen, dann mit einem Liter Dakin’soher Lösung ausgespült. 

Nach sechs Wochen konnte der Patient als geheilt entlassen werden. 

Bei frischen Perforationen in der Bauchhöhle wird die Desinfektion der¬ 
selben durch Ausspülung mit einer desinfizierenden Lösung empfohlen. 
Besonders geeignet hierzu erscheint die Dakin’sche Lösung. 

B. Valentin. 

Martins: Behaadlaag offener Weicbteil- and Knochenkohlen 
naeh Bier. (D.m.W., 1917, Nr. 50.) Die bisher meist geübte Behand¬ 
lung der fistelnden Weicbteil-Knochenhöhlen ergibt in vielen Fällen 
neben mehrfachen Rezidiven, die das an und für sich schon lange 
Krankenlager ausdehnen, als Endergebnis die eingezogene, unversohiebliohe 
Narbe. Das Bier’sche Verfahren hat dagegen folgende Vorzüge: Die 
unter dem wasserdichten Stoff sich vollziehende Heilung kommt der 
idealen, der subcutanen Regeneration am nächsten und ergibt bei voll¬ 
ständiger Ausfüllung der Lücke eine gut verschiebliche, im übrigen 
Niveau liegende Narbe. Man muss aber vorher für möglichst gesunde 
Verhältnisse und Abflachung der Wundränder sorgen, sonst treten auch 
dabei Misserfolge ein. Der Heilverlauf ist fieber- und schmerzlos. 
Verbandstoffe werden erheblich gespart. Dünner. 

Fr. Geiges-Freiburg i. Br.: Zur Frage der konservativen Be¬ 
handlung periostaler Sarkome der langen Röhrenknochen. (Bruns 1 
Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 110, H. 1.) Mitteilung zweier noch von 
Goldmann operierter Fälle, bei denen naoh der Methode Hahn’s nach 
Resektion des Tumors aus der Tibia das zugespitzte Ende der durch- 
sägten Fibula in die Markhöhle des Tibiakopfes eingekeilt wurde. Die 
beiden Patienten sind naoh 16 und 8 Jahren rezidivirei. Für frühzeitig 
erkannte und abgegrenzte periostale Sarkome ist daher eine konservative 
Behandlung wohl angezeigt, besonders da die radikalen Methoden bei 
dieser Erkrankung auch keine besseren Resultate ergeben. 

J. Züllich-Arosa: Beobachtungen über den Wundverlauf bei 160 
Kropfoperationen ohne Drainage. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, 
Bd. 110, H. 1.) In 116 Fällen (das Material entstammt dem Brunner- 
schen Kantonspital in Münsterlingen) wurde eine glatte ideale Heilung 
erzielt. Im allgemeinen sind jedoch die Störungen des Wundverlaufes 
häufiger als bei den drainierten Fällen, so dass es ratsam ist, die Drainage 
nicht prinzipiell zu verlassen, sondern individualisierend vorzugehen, also 
bei komplizierteren infektionsprädisponierenden Verhältnissen und naoh 
lange dauernden Operationen die Drainage beizubehalten. 

0. Hartmann: Wundbehandlung und Verbandtechnik in einem 
Kriegslazarett mit besonderer Berücksichtigung der durch Granatsplitter 
infizierten grossen Gelenke. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, 
H. 2, 41. kriegschirurgisches Heft.) Die Arbeit hebt die guten Resultate 
hervor, die mit der offenen Wundbehandlung in Verbindung mit Karbol¬ 
wasser- und Wasserstoffsuperoxydspülungen erzielt werden. 

G. Ahreiner: Ueber Behandlung der Schusswunden und den Wert 
der Dakin’schen Lösung. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, 
H. 2, 41. kriegschirurgisches Heft.) Verf. tritt warm für die primäre 
radikale chirurgische Versorgung der Wunden ein, die die Exstirpation 
alles Erkrankten in sich schliesst. Die so vorbehandelten Wunden 
werden mit triefend nassen Datön-Kompressen ausgepolstert, die mit 
Zellstoff bedeckt werden, damit die Austrocknung nicht zu schnell er¬ 
folgt. Duroh eine Oeffnung im Zellstoff wird das Naohgiessen bewerk¬ 
stelligt und so auf ein Drainrohr verzichtet. Die antiseptische Komponente 
der Dakinlösuog tritt gegenüber der vitalen gewebsanregenden Wirkung 
in den Hintergrund. Auch bei Gelenkschüssen wendet A. in jüngster 
Zeit die Dakinisierung an, da er es nicht für unmöglich hält, dass der 
Karbolkampher zuweilen zu Kapselnekrosen Veranlassung geben kann. 
Wenn aach die Dakin’sche Lösung kein Allheilmittel ist, so sind doch 
die mit ihr erzielten Resultate vorzüglich. 

Rogge: Kochsalzlösungen. Kochsalz als Antisepticum und seine 
Anwendung im Tierexperiment. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, 
H. 2, 41. kriegschirurgisches Heft.) Die Abhandlung ist in der Arbeit 
von Rindfleisch: „Ueber die Behandlung frisoher Wunden“ mit ab¬ 
gedruckt. Kochsalzlösungen hemmen die Bakterienentwicklung, und zwar 
je mehr, desto höher die Konzentration ist. Im Tierversuch setzten die 
Kochsalzlösungen über 15 pCt. schon an und für sich erhebliohere 
Schädigungen. Kleinere Konzentrationsmengen riefen bei Injektion von 
5 ccm keine Schädigungen hervor, abgesehen von vorübergehender 
Temperatursteigerung. Die therapeutische Wirkung war aus den bis¬ 
herigen Tierversuchen ausser in einem Falle noch nicht einwandfrei 
festzus teilen. 

Rindfleisoh: Die Behandlung frischer Wunden. Erster Teil. 
(Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 2, 41. kriegsohirurgisches 
Heft.) Vergleichende bakteriologische Versuche mit Kochsalzlösungen 
verschiedener Konzentrationen, die sich z. T. auf eine gleichfalls ab- 
gedruokte Arbeit von Rogge stützen, sowie mit Dakin’scher und Formalin¬ 
lösung ergaben, dass die Dakin’sche Lösung den Kochsalzlösungen (bis 
15 pCt.) gegenüber bezüglich ihrer bakterientötenden Eigenschaft weit 
überlegen ist. Dagegen steht eine Lösung von Formalin 1,0, NaCl 20,0, 
Aqaa 1000,0 in dieser Hinsicht der Dakin’schen Lösung mindestens 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


gleichwertig zur Seite. Es folgt der klinische Bericht über die Wirksam¬ 
keit der Dakin’schen Lösung, als deren Resultat die gestellten Fragen 
dabin beantwortet werden, dass es in der Tat gelingt, infizierte frische 
Wunden keimfrei zu machen, soweit sie in allen ihren Teilen mit der 
Lösung behandelt werden können; dass es weiterhin antiseptisch be¬ 
handelte frische Wunden gibt, welche durch Nabt reaktionslos heilen 
und dadurch den Beweis liefern, dass die in der Wunde vorhanden ge¬ 
wesenen Bakterien durch die Behandlung in ausreichender Weise unschäd¬ 
lich gemacht worden sind. Die Dakin’sche Lösung ist lebenden Ge¬ 
weben gegenüber unschädlich. Verf. gibt zum Schluss eine nähere 
Beschreibung seiner Anwendungsmethode der Dakin’schen Lösung, aus 
der hervorzuheben ist, dass er die mit Dakin befeuchteten Kom¬ 
pressen nicht durch Begiessung feucht erhält, sondern durch Luftabschluss 
mittels wasserdichten Verbandstoffes. W. V. Simon. 

G. Pochai: Anwendung pelyvaleiter Vaecine bei Iafektioten 
und besonders bei Verwindungen. (La presse med., Nr. 65, 22. No¬ 
vember 1917.) Eine polyvalente Vaccine aus verschiedensten Stämmen 
(Staphylococcus, Streptococcus, Pyocyaneus, Proteus, Coli, Tuberkulin) 
bewährte sich in 400 Fällen, subcutan angewendet von 1 j 4 ccm, alle 
drei Tage steigend von V« bis 1 com, dann in gleicher Weise bis auf 
i/ 4 oom fallend unter ev. Wiederholung dieses Tonus, ganz vorzüglich 
bei infizierten Wunden, Pyodermien, Lymphangitis, Adenitis, Phlegmone, 
lokalisiertem Erysipel; drei Pyelonephritiden heilten ohne Operation, 
eine schwere Appendicitis kam nach Abszessbildung zur Heilung, eine 
andere zur Resorption. Die Hinzufügung von Tuberkulin führte durch 
Kutireaktion häufig zur Erkennung latenter Tuberkulose, namentlich 
bei manchen Acne- und Ekzemformen. Sehr häufig rasoher Temperatur¬ 
abfall, schnelle Reinigung und Aufschiessen guter Granulationen. Niemals 
schädliche Nebenwirkungen. Baldige Anwendung ist ratsam. Keine 
Wirksamkeit bei Anaerobeninfektion. Krakauer-Breslau. 

Rogge: Bluttransfusion von Veae n Veie. (M.m.W., 1917, 
Nr. 50.) Beschreibung eines einfachen Glaszwischenstücks, an dem eine 
Spritze anzusetzen ist. Durch Zufluss von Na. citr.- Lösung wird eine 
Gerinnung des Blutes verhindert. Der Apparat ermöglicht eine genaue 
Dosierung des transfundierten Blutes. 

Thomscbke: Anwendung der Sakralaiästhesie im Feldlazarett 
(M.m.W., 1917, Nr, 50.) Schilderung günstiger Erfahrungen mit der 
Methode. Anfertigung der Novocainlösung aus folgendem Pulvergemisch: 
Natr. bicarb. 0,75, Natr. chlor. 0,5, Natr. sulfuros. 0,5, Novocainpulver 1,5. 
Lösung in 100,0 Aq. dastill. Filtrieren und 15 Minuten im Dampf bade 
sterilisieren. Geppert. 

Th. Hagenmiller-Erlangen: Ueber Spina bifida nnd Cephalocele. 
(Bruns* Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 110, H. 1.) Nach Besprechung 
der Entstehungstheorien und der verschiedenen Formen der Spina bifida 
und der Encephalooele werden acht operierte Fälle mitgeteilt. Im un¬ 
mittelbaren Zusammenhang mit der Operation starb nur ein Kind; zwei 
weitere Fälle gingen sechs Wochen nach der Operation an Entkräftung, 
bzw. V* Jahr nach derselben während des Zahnens zugrunde. Von den 
zurzeit noch lebenden fünf Kindern sind zwei völlig gesund und zwar 
eine Myelocystomeningocele (zwölf Jahre nach der Operation) und eine 
Encephalocystocele (fünf Jahre nach der Operation), die übrigen drei 
zeigen Lähmungen. In zwei dieser Fälle hatte die Lähmung bereits vor 
der Operation bestanden, bei dem dritten Fall traten die Lähmungs- 
ersoheinungen erst allmählich im Laufe der Jahre auf. W. V. Simon. 

Bungart-Göln: Bedenken gegen die Bolistherapie bei schweren 
enteritisehen Prozessen. (D.m.W., 1917. Nr. 49.) Bei einer Patientin, 
die einen schweren Darmprozess hatte, der mit Darreichung von Bolus 
behandelt worden war, entwickelte sich ein Ileus, der, wie sich bei der 
Operation herausstellte, durch zusammengeballte Bolusmassen bedingt 
war. Man muss deshalb bei der Bolusbehandlung sehr vorsichtig sein. 

Dünner. 

G. Nyström-Upsala: Ueber den Schnerzsinn des Skelettsjstemi. 
(D. Zschr. f. Chir., Bd. 142, H. 3 u. 4.) Durch Versuohe am eigenen 
Körper (Aufmeisseln der Tibia an zwei verschiedenen Stellen) konnte 
N. über den Sohmerzsinn des Skelettsystems folgendes feststellen: Das 
Periost ist mit Schmerznerven reich versehen, mechanische Eingriffe ver¬ 
ursachen ein intensives Wehgefühl; eine von Periost entblösste Fläche 
der Corticalis ist völlig unempfindlich, es ist daher nicht wahrscheinlich, 
dass tiefere Schichten der Compacta vom Periost Nerven erhalten. 
Die grosse Markhöhle der Tibia sowie die des Femur enthalten Schmerz- 
nerven, mehrere Versuohe deuten darauf hio, dass die Schmerznerven 
in der Spongiosa hauptsächlich in der der Corticalis zunächst liegenden 
Schicht vorhanden sind. Die Knorpel der Gelenke sowie die der Epi¬ 
physen haben keine Schmerznerven. Eine andere Empfindung als Schmerz 
konnte bei den Versuchen weder von Periost, Knochen noch Mark aus¬ 
gelöst werden. B. Valentin. 

Kern-Torgau: Viermaliges Vencblncken einer Metallgabe]. 

(D.m.W., 1917, Nr. 50.) Kasuistik. Bei dem betreffenden Kranken war 
zweimal operiert worden. Zweimal wurde die Gabel per rectum entleert. 
Man muss also nicht immer sofort operieren. Dünner. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

W. B. Trimble und J. J. Rothwell-New York: Eine vergleichende 
Studie über Salvarsan nnd Neosalvarsan bei der Syphilisbeaandling. 
(Derm. Wschr., 1917, Bd. 65, Nr. 50 u. 51.) Eine Serie von 4 Injek¬ 


tionen, ob Salvarsan oder Neosalvarsan, ist eine unzureichende Behand¬ 
lung. Injiziert man Salvarsan, sei es altes oder neues, ohne demselben 
eine Merkurbehandlung folgen zu lassen, so erhält man äusserst selten 
negative Serumreaktionen. Vier bis sechs Salvarsaninjektionen ergeben, 
selbst wenn eine Qnecksilberbehandlung folgt, nur einen verhältnis¬ 
mässig geringen Prozentsatz negativer Serumresultate. Vorliegender 
Arbeit zufolge ist Neosalvarsan dem Salvarsan überlegen, da die An¬ 
wendung des ersteren Präparates einfacher ist, demselben nicht so 
schwere Reaktionen folgen und es einen grösseren Prozentsatz negativer 
Resultate ergibt. Immer wahr. 

Gans-Karlsruhe: Die Anstecknngsqnellen der gesehleefctekrankei 
Heeresangehörigen während des Krieges. (D.m.W., 1918, Nr. 1.) Sta¬ 
tistische Mitteilungen, die die Bedeutung der Infektion in der Heimat 
darlegen. Dünner. 

M. Br. Pedersen-Kopenhagen: Ein Beitrag zum Studium der 
Pathogenese der sekundären f riebephytide. (Derm. Zschr., Dez. 1917.) 
Das Vorhandensein von stärkeren Eruptionen sekundärer Trichophytide 
in und um die Trichophytiefiecken auf der unbehaarten Haut bei Kerion 
Celsi, oder von korymbiformen Trichophytiden darf nicht zugunsten der 
Theorie der ektogenen Sporenzufuhr sprechen, da diese Krankheits¬ 
bilder sieb allein durch die relativ kräftige Umstimmung der Haut er¬ 
klären lassen. 

H. P. Lie Bergen: Einiges von der Uebertragbarkeit der Lepra, 
insbesondere ihrer maculo-anästhetischen Form. (Derm. Wschr., 1918, 
Bd. 66, Nr. 1.) Von den leprösen Flecken der maoulo-anästhetischen 
Form der Lepra droht stets eine Ansteckungsgefahr, was Verf. durch 
5 Fälle belegt. 

Meirowsky-Köln: Das Problem der Pigaentbildnng im Lichte 
der neuen Forschungen Blochs und seiner Mitarbeiter. (Denn. Zschr., 
Dez. 1917.) Die Entdeckung der Oxydase duroh Bloch bedeutet eine 
wichtige Vertiefung unserer Kenntnisse der epithelialen Melaningenese. 

Immerwahr. 


Soziale Medizin. 

Dohm-Wesselburen: Die Ansiedlnng von Kriegsbeschädigten 
auf dem platten Lande. (Zschr. f. Krüppelfürs., 1917, H. 12.) Vor¬ 
wiegend werden Kriegsbeschädigte in Betracht kommen, die schon früher 
auf dem Lande lebten, oder vom Lande stammen. Sorgfältige Auswahl 
der Anzusiedelnden ist nötig, um Rückschläge möglichst zu vermeiden. 
Die Grösse des Besitztums, welche sioh nach Kapitalskraft und Arbeits¬ 
fähigkeit des Erwerbers zu richten hat, wird bei Geestboden etwa V« ha, 
bei Marschland etwa 2 /s dieser Fläche betragen müssen. Auf keinen 
Fall darf unfruchtbares Land genommen werden. Weitere Erfordernisse 
sind: Nähe einer Ortschaft oder eines Bahnhofes, einfaches, praktisches, 
doch behagliches Haus, ausreichende Nebengebäude, nicht zu teurer 
Baupreis (einschl. Grund und Boden etwa 7000 M.). Vorschläge für 
Beschaffung der Geldmittel werden gemacht und vor Ueberstürzung ge¬ 
warnt. Auf 1000 Einwohner werden etwa 4 Ansiedler kommen. 

Gerke-Hannover: Die Wiederertffehtiging deg Kriegsbeschä¬ 
digten im graphischen Gewerbe. (Zschr. f. Krüppelfürs., 1917, H. 12.) 
Im „Schullazarett Hannover, Abteilung Gebrüder Jänecke“, welches 
dem grossen Druckereibetriebe der Firma Gebrüder Jänecke unmittel¬ 
bar angegliedert ist, wurden recht gute Erfolge erzielt, wozu die Viel¬ 
seitigkeit des Betriebes und der Umstand, dass die Beschädigten nieht 
in einer besonderen Lehrwerkstätte, sondern im üblichen Arbeitsraum 
mitten unter gesunden Berufsgenossen beschäftigt sind, viel beigetragen 
haben. Jeder Beschädigte wird zunächst mit den Arbeiten betraut, die 
er vor seinem Eintritt in den Heeresdienst verrichtet hat, und erst, 
wenn sich herausstellt, dass er dazu durchaus nicht mehr fähig ist, er¬ 
folgt seine Umschulung. Ebenso sollen die Beschädigten möglichst 
ohne besondere Hilfsmittel arbeiten. Schasse-Berlin. 


Militär-Sanitätswesen. 

Guggenheimer: Zur Behandlung der akntei Nierenentzündung 
mit besonderer Berücksichtigung der Feldnephritis. (Zschr. f. phys.- 
diät. Ther., 1917, Nov.—Dez.) G. gibt zunächst einen Ueberblick über 
die neueren Anschauungen und Einteilungsprinzipien bei der Nephritis. 
Die ganz überwiegende Mehrzahl der gehäuft auftretenden Nierenerkran¬ 
kungen im Felde entsprach dem Bilde der diffusen Glomerulonephritis. 
Da im Felde das mittlere Lebensalter am meisten von Nephritis be¬ 
fallen wird, muss man an Alteration des Gefässsystems denken und 
auch bei der Behandlung nicht allein bei der kranken Niere, als viel¬ 
mehr dem gesamten oft zur Kreislaufschwäche führenden Symptomen- 
komplex seine Aufmerksamkeit widmen. Erkältung ist oft mitbeteiligt. 
Nur 7,8 pCt. haben früher eine Nephritis durchgemacht Wichtig ist 
möglichst frühzeitige Diagnose, oft ist sie direkt ausschlaggebend. 
Längere Transporte sind bei akuter Nephritis zu vermeiden. Ein solcher 
Kranker ist wie ein Schwerverletzter zu behandeln. Vor allem kümmere 
man sioh um das Hers. Bettruhe und Bettwärme sind bedeutsame 
Faktoren, dann Diät und Herzmittel. Das Flüssigkeitsquantum ist 
niedrig anzusetzen, die Kochsalzzufuhr zu beschränken, die Eiweisszufuhr 
zu vermindern. Keine einseitige Milchernährung! Kohlehydrate sind zu 
bevorzugen. Bei hartnäckigen Fällen leistet die Oarellkur Gutes. 
Schwitzkuren bringen leicht Gefahren für das Herz. Skarifikation und 


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18. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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besser das Drainageverfahren ist bei hartnäckigem, starkem Hydrops 
vorzuziehen. Eingehend wird die Urämie besprochen. Der Nierenkranke 
soll nicht zu früh aus der Behandlung entlassen werden! Eventuell ist 
das Wasserausscheidungsvermögen zu prüfen. Nach Funktionsprüfungen 
ist der Diätplan aufzustellen, wenn die Konzentrationsleistung vermindert 
ist Bei der subakuten Nephritis ist physikalisohe Therapie wirksam. 
Nur herdförmige Nephritiden eignen sich zu baldiger Wiederverwendung 
an der Front. E. Tobias. 

F. Oallomon: Hauttaberkulose and Taberkalide bei Heere*- 
«gehörigen. (Denn. Zsohr., Dez. 1917.) Der vom Verf. in 2 1 /* Kriegs¬ 
jahren beobachtete Prozentsatz von echten Hauttuberkulosen und Tuber¬ 
kuliden ist äussert gering, etwa l 1 /« pCt. Die Beurteilung der Dienst¬ 
fähigkeit der Tuberkulidträger ist wesentlich abhängig von der Aufdeckung 
der zugrundeliegenden Tuberkulose. Immerwahr. 

N. L. Neumayer-Klino (Bosnien): Antiferment and raade* Magen¬ 
geschwür. (Ther. Mh., Dez, 1917.) Heilung eines zweiten Falles von 
„einwandfreiem“ runden Magengeschwür durch Leukofermantin-Merck. 
(Der 1. Fall in Nr. 6 d. Mitteil, des Vereins d. Aerzte in Steiermark, 
1913 veröffentlicht.) Die übliche Gesohwürsbehandlung hatte völlig ver¬ 
sagt. Verf. geht von dem Gedanken aus, dass das runde Magengeschwür 
von dem Ferment, nicht von der Säure des Magensaftes hervorgerufen 
wird und die Uebersäuerung möglicherweise ein Heilbestreben des 
Körpers darstellt. Noch bessere Erfolge als vom Leukofermantin, das 
ein Antiferment gegen Trypsin ist, erwartet Verf. von einem Antiserum 
gegen Pepsin, als dem eigentlichen Magenferment. Aufforderung zur 
Prüfung der Antifermentwirkung. 

Ax hausen-Berlin : Die Behandlung der Kriegsverletzten im Be¬ 
reich der knorpligen Rippen im frischen und späten Stadium. (Ther. 
Mb., Dez. 1917.) Die einzige Gewähr für Dauerheilung der sonst stets 
zu Knorpelfisteleiterung führenden Verletzungen bietet folgende Behand¬ 
lung: Bei leiohten Verletzungen: gediegene Wundanfrisohung, Muskel¬ 
fasziennaht, Hautnaht, Sorge für Sekretabfiuss aus den Wundwinkeln 
abseits des verletzten Knorpels durch Tampon und Drain. Bei schweren 
Verletzungen: primäre totale Entfernung der frakturierten Rippen¬ 
knorpel oder, falls ein langes Knorpelstüok unverletzt gebieben, partielle 
Resektion; dann aber sorgfältige Deckung der Knorpelschnittfläche mit 
gut ernährten voluminösen Muskellappen. Bei schon vorhandener Rippen- 
knorpelflstel genaueste Feststellung des Umfangs der Knorpelerkrankung 
und Fistelausdehnung, minutiös-radikale Entfernung des, oft von 
knöchernem Mantel umgebenen, kranken Knorpels bis in den gesunden 
Knochen unter möglichster Erhaltung des hinteren Perichondrium; falls 
an den langen Knorpeln der äussere Teil auf der Schnittfläche unver¬ 
ändert ist, kann dieser erhalten bleiben, aber Deckung der Knorpelwunde 
durch Muskellappen. Versager dieses an sich absolut sicher erfolgreichen 
Verfahrens sind nicht diesem selbst, sondern einer gelegentlich schwer 
vermeidbaren Unvollkommenheit der Anwendung zur Last zu legen. 
(Stehenbleiben kleiner Knorpelreste, Niohthaften heruntergeschlagener 
Muskellappen, Uebersehen der Miterkrankung benachbarter Knorpel.) 

Bertkau. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Ausserordentliche Sitzung vom 28. Januar 1918 zu Ehren der ärztlichen 
Abteilungen der Waffenbrüderlichen Vereinigungen Oesterreich - Ungarns 
und Deutschlands. 

Vorsitzender: Herr Orth, später Herr Landau. 

Schriftführer: Herr Israel. 

Vorsitzender: Mit einem vorläufigen freundlichen Willkommens- 
gruss an unsere Gäste aus Nähe und Ferne eröffne ich diese ausser¬ 
ordentliche Sitzung, welche die Berliner medizinische Gesellschaft und 
die mit ihr vorläufig vereinigten übrigen Gesellschaften angeordnet haben 
zu Ehren der ärztlichen Abteilung der Waffenbrüderlichen Vereinigungen 
der Vierbundstaaten. Der Vorstand hat mit einer besonderen Begrüssungs- 
ansprache einen der stellvertretenden Vorsitzenden betraut, Herr Kraus, 
der, selbst ein Oesterreicher von Geburt und früher Lehrer an österreichischen 
Hochschulen, jetzt seit längerer Zeit der Unsre ist, und der dadurch 
schon in seiner Person die engen Beziehungen erkennen lässt, welche 
zwischen den Aerzteschaften und speziell den ärztlichen Lehrern der 
Universitäten Oesterreichs und des Deutschen Reiches bestehen. 

loh erteile Herrn Kraus das Wort zu seiner Ansprache. 

1. Hr. Krau8 hält im Auftrag der medizinischen Gesellschaft eine 
Begrüssungsansprache, in welcher er in grossen Zügen auseinandersetzt, 
wie der klinische Arzt am Wiederaufbau der Volkskraft nach dem 
Kriege sich beteiligen kann. 

Hr. Tandler-Wien: Hochansehnliohe Versammlung! Meine Damen 
und Herren! Im Aufträge und im Namen der Fachgruppe der österrei¬ 
chischen Waffen brüderlichen Vereinigung obliegt mir die angenehme 
Pflicht und die Ehre, den Herren für das herzliche Willkomm bestens 
zu danken. 

Unsere Freundschaft zueinander ist ja nioht von heute, sondern 


uralt. Oestetreiohische Aerzte und deutsche Aerzte haben sich des öfteren 
auf allen Gebieten ihrer eigenen Wissenschaft oder der Kultur getroffen. 
Die alte Melodie hat nur einen neuen, einen etwas anders klingenden 
Text bekommen, indem auf der Grundlage der Waffenbrüderlichen Ver¬ 
einigungen Deutschlands, Ungarns und Oesterreichs, nächstens auch 
Bulgariens und der Türkei, wir Aerzte uns zu idealen Handlungen zu¬ 
sammengefunden haben. Eine Manifestation unserer Absichten ist ja 
diese Tagung, aus welcher hervorgehen soll, dass wir Aerzte daran gehen, 
zu beraten, in weloher Art und Weise wir die Hebung der Volkskraft 
zu unterstützen imstande sind. 

Nach den glänzenden Ausführungen meines Herrn Vorredners bleibt 
mir nichts anderes übrig, als zu erklären, dass wir Oesterreicher gemein¬ 
sam mit allen hier erschienenen Waffenbrüdern bereit sind, unser Bestes 
und Möglichstes im Interesse der uns allen herrlichen Sache zu geben. 

Hr. von Grösz: Der Königliche ungarische Minister für Kultus 
und Unterricht Graf Albert Apponyi besuohte eine Schule in Deutsch¬ 
land. Der Lehrer hat die Frage an den kleinen Schüler gerichtet: 
»Wer ein Honvöd ist?“ Der Schüler, ein Sohn eines deutschen Ritt¬ 
meisters, antwortete: »Der Honvöd ist ein ungarischer Soldat, mit dem 
Papa fürs Vaterland gerne kämpft.“ 

Wenn man einen ungarischen Studenten befragt, wie er über den 
deutschen Gelehrten denkt, so wird er antworten, der deutsche Gelehrte 
hat bereits den endgültigen Sieg errungen. 

Vor vielen Jahren hat der englische Admiral Seymour im fernen 
Osten bei der Expedition gegen China den Befehl gegeben: »Germans 
on the Front-(Deutsche voran)“, denn er wusste, dass der deutsche 
Soldat tapfer, aufopfernd, verlässlich ist. Nun sagen wir Verbündete 
mit Recht: die deutsche Wissenschaft voran, denn wir wissen, dass in 
der Kultur die Führerschaft dem deutschen Geist gebührt. 

Der mächtige Stamm der deutschen Wissenschaft steht im grossen 
Gewitter unerschüttert, wertvolle Aeste sind durch die Grausamkeit des 
Weltkrieges abgebrochen, aber immoto stipite steht der mächtige Baum, 
die wertvollste Erbschaft der Vergangenheit, ein unschätzbarer Schatz 
der Gegenwart, eine sichere Bürgschaft der Zukunft. Die deutsohe Wissen¬ 
schaft, die deutsche Kultur — Hoch! 

Hr. Kirohner: Meine hochverehrten Damen und Herren! Im 
Namen der ärztlichen Abteilung der Reichsdeutschen Waffen brüderlichen 
Vereinigung habe ioh die Ehre, der medizinischen Gesellschaft für ihre 
freundlichen Worte der Begrüssung bestens zu danken. 

Kaum ein Jahr ist die Vereinigung alt, und sohon zählt sie weit 
über 3500 Mitglieder. Der waffenbrüderliche Gedanke, der in den letzten 
Jahren im Deutschen Reiche einen so grossen Widerhall gefunden hat, 
hat auch bei den Aerzten den besten Anklang gefunden. Aus allen 
Teilen des Vaterlandes sind Zustimmungserklärungen erfolgt, und wir 
dürfen fest und sicher hoffen, dass wir in Zukunft noch viel mehr 
deutsche Aerzte für unsere Sache gewinnen und mit ihnen und für 
sie Erspriessliches leisten. 

Die Berliner medizinische Gesellschaft ist die stolzeste unter den 
medizinischen Gesellschaften Deutschlands. Sie sieht auf eine lange und 
ruhmreiohe Gesohiohte zurück. Es gibt fast keine Frage der Wissen¬ 
schaft, die hier nicht erörtert worden wäre, keine Frage der Standes¬ 
interessen, die hier nioht eine gedeihliche Besprechung gefunden hätte! 
Die Berliner medizinische Gesellschaft ist die Lehrmeisterin der deutschen 
Aerzte nach mehr als einer Richtung hin geworden. Wenn Sie uns heute 
in Ihrem Kreise freundlioh begrüssen und uns Ihre Mitarbeit zur Ver¬ 
fügung stellen, so erfüllt uns das mit aufrichtiger Genugtuung. Wir 
haben dafür von Herzen zu danken. Wir schliessen in diesen Dank den 
heissen Wunsch für das weitere Wachsen, Blühen und Gedeihen der 
Berliner medizinischen Gesellschaft ein. 

2. Hr. Orth: Ueber einige Tnberkilosefragen. 

(Ist in Nr. 4 dieser Wochenschrift bereits erschienen.) 

Stellvertretender Vorsitzender Herr L. Landau: Verehrte Damen 
und Herren! Die Tagesordnung ist mit dem eben gehörten Vortrage 
erledigt. Mir liegt es nur noch ob, im Namen der Berliner medizinischen 
Gesellschaft Ihnen dafür zu danken, dass Sie der Einladung der Berliner 
medizinischen Gesellschaft Folge geleistet haben, und im Namen der 
Kommission des Langenbeck-Virchow- Hauses die Freude darüber aus¬ 
zusprechen, dass die Deutsch-österreichisch-ungarische Waffenbrüderliohe 
Vereinigung für ihre Tagung die Räume dieses Hauses gewählt hat. 
Auch das Langenbeck-Virchow-Haus ist durch eine Vereinigung 
entstanden, in dem sich die beiden grössten medizinischen Gesellschaften 
Deutschlands, die Berliner medizinische Gesellschaft und die Deutsche 
Gesellschaft für Chirurgie für diesen Bau zusammengesohlossen haben. 
Auch dieses Haus ist erst im Kriege fertiggestellt worden und zwar 
trotz grosser Schwierigkeiten im ersten Kriegsjahre. 

Wir stellen es nunmehr in all seinen Räumen, Sälen, Bibliothek 
usw. der Waffenbrüd er liehen Vereinigung für ihre Tagung zur Verfügung. 

Möge der Kampf, welchen wir Aerzte von jeher, auch schon im 
Frieden ohne Rücksicht auf politische und andere Strömungen gegen 
Tuberkulose, gegen endemische und epidemische Infektionskrankheiten 
zu führen gewohnt waren, nunmehr mit vereinten Kräften und erweiterten 
Zielen fortgesetzt und dabei auch auf die Indolenz mancher Kreise gegen 
unsere gemeinnützigen Bestrebungen ausgedehnt werden. 

Mögen insbesondere gesetzgeberische Maassnahmen, ohne die 
unseren auf die Hebung der Volkskraft notwendigen Maassnahmen nur 
ein teilweiser Erfolg besohieden wäre, unsere Bestrebungen unterstützen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


Mit dem Wunsche, dass die Tagung der Waffenbrüderlichen Ver¬ 
einigung, welche zum Ziele die Hebung der Volkskraft der verbündeten 
Länder hat, reiche Früchte trage, schliesse ich die heutige Sitzung. 


Sitzung vom 30. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Landau, spater Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Genzmer. 

Vorsitzender Hr. L. Landau: M. H.! Wir haben die Freude, 
heute als Gäste begrüssen zu dürfen Herrn General Prof. Dr. Suleim an 
Nouman Pascha, Chef des Feldsanitätswesens der osmanischen Armee, 
und Herrn Generalmajor Dr. Zia Noury Pascha aus Konstantinopel, 
ferner Herrn Geheimrat Quinoke. 

Hr. Lubamh: Thronbose und Infektion. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Aussprache. 

Hr. Orth: Darf ich nur zu einer Frage an den Herrn Vortragenden 
ums Wort bitten. Die Stadtbahn ist schuld, dass ich den Anfang nicht 
gehört habe. Vielleicht haben Sie schon etwas darüber gesagt. Ich 
möchte wissen: Wie denken Sie sich nun den Unterschied zwischen den 
bisher bland genannten Thromben und den Thromben, die die Grund¬ 
lage der Pyämie sind? Wenn auch in den blanden dieselben Mikro¬ 
organismen sind, wie in denen, die wir bisher septisch genannt haben, 
dann muss doch eine Erklärung dafür gegeben werden, warum das eine 
Mal die Fälle ganz gutartig verlaufen und das andere Mal ein schwere 
Pyämie, die tödlich werden kanD, die Folge ist. Vielleicht äussert sich 
der Herr Vortragende über den Punkt noch. 

Hr. L. Landau: Ich möchte an den Herrn Vortragenden, dem wir 
für seinen die Kliniker besonders interessierenden Vortrag dankbar sein 
müssen, die Frage richten, ob er Gelegenheit hatte, auch solche Fälle 
zu untersuchen, bei denen der Tod entweder nach einer Operation oder 
im Wochenbett plötzlich ohne jegliche vorherige fieberhafte Erkrankung, 
ohne die geringsten für eine Infektion sprechenden Erscheinungen 
und ohne das Vorhandensein einer Herzerkrankung plötzlich durch Em¬ 
bolie der Pulmonalarterien erfolgte. Sind die hier doch sicherlich stets 
vorhandenen Thromben im Beckengebiet bakteriologisch untersucht worden? 
Die Vermutung liegt nahe, dass hier bei der Thrombenbildung Bakterien 
keine Rolle gespielt haben. Ich glaube, dass gerade diese besonderen 
Fälle sehr geeignet sind, wenn man da nichts von infektiösem Material 
im Blute findet, die Lehre der Franzosen nicht gelten zu lassen, welche 
die Thrombenbildung nach Operationen und im Wochenbett stets durch 
Infektion bewirkt halten. 

Dann möchte ich noch eine zweite Frage an den Herrn Vortragenden 
richten. Ich selbst hatte schon vor sehr langer Zeit bei der Erörterung 
der Ursachen der Melaena neonatorum Gelegenheit, mich mit der Nabel¬ 
vene zu beschäftigen, und da ist mir aufgefallen, dass ich über den 
Verschluss der Nabelveno, des späteren Lig. teres der Leber, verschiedene 
Ursachen von den Autoren angegeben gefunden habe; bald war der 
Gang erhalten und leer, bald thrombosiert und dann obliteriert. Bleibt 
ein solcher Säugling am Leben, so ist es natürlich sehr unwahrschein¬ 
lich, dass ein in ihm etwa vorhandener Thrombus durch Infektion ent¬ 
standen war. Denn die Infektion pflegt sich durch die Nabelvene ge¬ 
wöhnlich fortzusetzen und die betreffenden Föten pflegen zu sterben. 

Dass bei fieberhafter oder auch nur leicht ansteigender Temperatur 
im Wochenbett und nach Operationen die Thromben infiziert sind und 
Bakterien bei der Thrombenbildung den Hauptgrund abgeben, haben 
wir Gynäkologen und Chirurgen stets angenommen Aber nach 
dem Vorgänge der Franzosen auch bei fieberlosem Verlauf eine In¬ 
fektion anzunehmen, erscheint bis auf weiteres vielleicht nicht gerecht¬ 
fertigt. Vielleicht wird es gestattet sein, in diesen Fällen sich an die 
von unseren Lehrern ausgesprochene Vermutung zu halten, dass hier 
Veränderungen im Endothel der Gefässwand eine Rolle spielen. Das 
normale Endothel schützt die Gefässe vor Gerinnung, ganz wie das ge¬ 
sunde Epithel des Magens seine Wand vor Arrosion durch Salzsäure 
schützt. 

Hr. Lubarsch (Schlusswort): Was zunächst die Frage des Herrn 
Orth betrifft, so habe ich meine Auseinandersetzungen wegen der vor¬ 
geschrittenen Zeit etwas abkürzen müssen. Es ist ja eine durchaus 
naheliegende Frage, dass man sich überlegen muss, wie es zu erklären 
ist, dass das eine Mal wirklich eitrige Prozesse im Anschluss an die 
Anwesenheit von Spaltpilzen in den Thromben entstehen, das andere 
Mal nicht. Nach meiner Meinung kommen hier folgende Dinge in Be¬ 
tracht: erstens die Anzahl der im Blute vorhandenen Spaltpilze, und 
zweitens ihre Virulenz, und drittens dass die eitrig septischen Thromben 
dort entstehen, wo ein Herd von Spaltpilzen in der Blutgefässwand, 
meist eine richtige Thrombophlebitis vorhanden ist. Wir könnten also 
den Unterschied etwa so formulieren: Wenn die Spaltpilze Gelegenheit 
finden, sich örtlich in grösserer Menge anzusiedeln und zu vermehren, 
so wird es zu einer eitrigen, zu einer septischen Thrombose kommen. 
Wenn das dagegen nicht der Fall ist, wenn aus einem Quellgebiet all¬ 
mählich Spaltpilze aufgesogen werden, werden sie eine blande Throm¬ 
bose hervorbringen können. 

Im übrigen möchte ich nochmals betoneD, dass ich nur sage: Es 
gibt Fälle, und zwar nicht wenige — blander Thrombose, wo Spalt¬ 
pilze und ihre Produkte für die Entstehung der Thromben verantwort¬ 


lich zu machen sind, dass ich es aber ablehne, die Lehre von der in¬ 
fektiösen Thrombose zu verallgemeinern. 

Was die erste Frage des Herrn Landau betrifft, so habe ich dar¬ 
über nicht zahlreiche Erfahrungen, aber immerhin doch einige, wo nach 
dem Wochenbett plötzlicher Tod durch Embolie ohne vorausgegangene 
fieberhafte Erkrankung eingetreten war. In solchen Fällen ist gewiss 
das Blut bakteriologisch mit Erfolg untersucht worden, und in einem 
Falle wurde gerade deswegen noch besonders die Uteruswand bakterio¬ 
logisch untersucht und auch hier dieselben Spaltpilze gefunden wie in 
Blut und Thromben. 

Zur Frage über das Verhalten der Nabelvene bemerke ich dass 
schon Virohow darüber Mitteilungen gemacht und besonders betont hat, 
dass es eine physiologische Thrombose der Nabelvene nicht gibt, dass 
hier der Verschluss sehr häufig gar kein vollkommener ist, dass sie 
vielmehr das ganze Leben hindurch offen bleiben kann, dass die Venen¬ 
verengerung vielmehr durch Endophlebitis obliterans erfolgt. 

Was nun die Aeusserung des Herrn Landau bezüglich der Wir¬ 
kung des Endothels betrifft, so kann ich mich seiner Anschauung nicht 
anschliessen, dass das von entscheidender Bedeutung sei; ganz be¬ 
sonders in den Venen nicht. Es gibt zahlreiche Fälle, wo wir z. B. 
sehen: es ist irgendwo ein eitriger oder überhaupt ein infektiöser Pro¬ 
zess vorhanden, z. B. im linken Kniegelenk ausgedehnte Eiterungen, 
die Thromben sitzen auf der linken Seite in der Oberschenkelvene, auf 
der rechten Seite besteht starke Phlebosklerose, schon mit blossem 
Auge sichtbare Veränderungen der Intima, aber hier fehlt Thromben¬ 
bildung, weil eben hier nicht eine Quelle bestand, von der aus die 
Spaltpilze oder ihre Produkte aufgesogen werden konnten. Ich bin ja 
überhaupt auf einzelne Fragen noch nicht eingegangen, deren Erörterung 
von Wichtigkeit gewesen wäre, und die die Anschauung von der infek¬ 
tiösen Thrombose zu erweitern geeignet wären, inwieweit es etwa durch 
die Produkte der Spaltpilze allein zur Thrombenbildung kommen kann. 
Tierversuche liegen nach dieser Richtung auch bereits vor. Sie sind 
aber noch nicht genügend, um ein endgültiges Urteil zu gestatten. 

Hr. Felix liricbfeld: 

Wiederherstellung der geschädigte! Faiktioaei der Niefei hei chro¬ 
nischen Nephritiden. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 


Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg i. Pr. 

Sitzung vom 3. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Winter. 

Hr. Pelz: Demonstrationen: a) Paramyotonin congenita. 

Seit dem 16. Lebensjahre bei Kälte typische Schwäche und Klamm- 
heit, z. B. völlige Unfähigkeit, die Finger zu strecken usw., bei ange¬ 
strengten Bewegungen lange Nachdauer der Kontraktion. Mechanische 
Muskelerregbarkeit ungemein gesteigert, Wulst- und Dellenbildung mit 
langer Nachdauer. Elektrische Neigung zu SzTe. und zu Zuckungs- 
naohdauer, auch beim faradiseben Strom. Bei sehr langer und starker 
Abkühlung in den kleinen Handmuskeln Andeutung von Kadaverreaktion. 
In der Wärme keinerlei Störung ausser sehr gesteigerter mechanischer 
Muskelerregbarkeit mit Dellenbildung und Nachdauer. Familiarität in 
der Familie der Mutter ausgesprochen. Ausserdem bestanden beim 
Patienten Grampi, ebenfalls hauptsächlich in der Kälte, vom Vater 
vererbt. 

b) SehussYerletznng des Rückenmarks okne Verletzung der Wirbel¬ 
säule. 

Brustschuss links, kleiner Einschuss im dritten Intercostalraum in 
der Mamillarlinie, Ausschuss drei Querfinger von der Wirbelsäule links 
entfernt, neben dem 6. bis 7. Dornfortsatz. Anfangs totale Paraplegie, 
zurzeit geringer, aber typischer Brown -Söquard. Röntgenologisch 
Wirbelsäule völlig intakt, ebenso Rippen. Es wird auf die Fälle von 
Schuster u. a. hingewiesen und die praktische Bedeutung des Vor¬ 
kommens solcher Fälle betont, da in diesem Falle von anderen Fach¬ 
kundigen Hysterie und später einmal multiple Sklerose angenommen war. 

Diskussion: Hr. Riedel bat auf seiner Station einen ähnlichen 
Fall von typischer Brown-Söquard’scher LäbmuDg beobachtet, bei dem 
ebenfalls nach dem Verlauf des Schusskanals und dem negativen rönt¬ 
genologischen Befand eine Verletzung der Wirbelsäule auszuschliessen 
war. Der Fall zeigte auoh eine weitgehende Besserung der Lähraungs- 
ersoheinungen. 

Hr. Rosenow: Malaria nid Leukämie. (Demonstration.) 

Der Vortragende stellt einen 29 jährigen Soldaten vor, der im 
Mai 1917 im Feld an Malaria tertiana erkrankt war. Bei der Unter¬ 
suchung im Juli 1917, in einem Heimatslazarett, io das der Mann zur 
weiteren Behandlung seiner Malaria abtransportiert war, fanden sich im 
Blute keine Malariaplasmodien mehr, und es traten auch keine Fieber- 
anfäile auf, dagegen bestand ein grosser, den Rippenbogen um vier 
Querfinger überragender, sehr derber Milztumor. Bei der Blutunter¬ 
suchung wurde das Blutbild einer typischen chronischen, myeloi¬ 
schen Leukämie festgestellt (115 000 Leukocyten, 10,3pCt. neutro¬ 
phile MyelocyteD, 62,7 pCt. polymorphkernige neutrophile Leukocyten, 
3 pOt. eosinophile Leukocyten, 4pCt. Mastzellen, lOpCfc. Lymphocyten). 
Wegen dieses Befundes wurde eine RöntgentiefeDbestrahlung der Milz 
bei dem Kranken eingeleitet. Schon nach den ersten Bestrahlungen 


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18. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


171 


sank die Leukocytenzahl bis auf 12100, jedoch traten nun, offenbar 
hervorgerufen durch den Bestrahlungsreiz, mehrere typische Malaria¬ 
anfälle mit positivem Plasmodienbefund im Blut auf. Der Fall scheint 
nach zwei Richtungen hin bemerkenswert. Zunäohst im Hinblick auf 
die früher von vielen Autoren angenommenen ätiologischen Beziehungen 
der Malaria zur Leukämie. In jüngster Zeit hat v. Hansemann die 
Frage der infektiösen Genese der leukämischen Erkrankungen erneut 
zur Diskussion gestellt. Er hält es für möglich, dass ähnlich, wie bei 
Lues, bei der in den tertiären tumorartigen Bildungen die Erreger nicht 
oder im Verhältnisse zur Menge und Grösse der Wucherungen nur sehr 
spärlich nachweisbar sind, die leukämischen Erkrankungen nur Spät¬ 
folgen einer früher durohgemachten Infektion seien, deren Virus nioht 
unmittelbar Leukämie hervorrief; es würde nach dieser Auffassung also 
die Leukämie nur ein sekundäres bzw. tertiäres Stadium einer chroni¬ 
schen Infektionskrankheit sein. v. Hansemann erwähnt auch den Fall 
eines Kranken, der an Leukämie gestorben ist, bei dem sich diese im 
Anschluss an eine schleichende Malaria entwickelt haben soll. Der vor¬ 
gestellte Kranke ist wohl der erste, bei dem die Entwicklung einer 
chronischen Leukämie zeitlich im Anschluss an eine durohgemaohte 
Malariainfektion einwandfrei beobachtet und verfolgt worden ist. Es soll 
selbstverständlich auf Grund dieser einzelnen Beobachtung nicht be¬ 
hauptet werden, dass in diesem Fall die Malaria die Entstehung der 
Leukämie veranlasst hat. Immerhin wird es sich namentlich auch im 
Hinblick auf die v. Hanse man n’sche Arbeitshypothese empfehlen bei 
der grossen Ausdehnung, die die Malaria in diesem Kriege gewonnen 
hat, sorgfältig auf das Blutbild der Malariakranken auch später zu achten, 
um etwa ähnliche Fälle rechtzeitig zu erkennen. 

Sehr auffällig war die Beeinflussung der Gesamtleukocytenzahl durch 
die Fieberanfälle, die im Laufe der mehrmonatigen klinischen Beob¬ 
achtung noch wiederholt auftraten. Es erfolgte nämlich unmittelbar 
im Anschluss an jeden Fieberanfall eine sehr beträchtliche Reduktion 
der Leukocytenzahl, so dass schliesslich auch ohne weitere Röntgen¬ 
therapie zeitweilig fast normale Leukocytenwerte erreicht wurden, dabei 
blieb aber das pathologische Blutbild als solches erhalten. 

(Ausführliche Veröffentlichung erfolgt an anderer Stelle, siehe auch 
die Dissertation von Lack, Königsberg 1917.) 

Hr. Braun: Ueber Regeneration bei Tieren. 

Vortr. verbreitet sich ausführlich über die wissenschaftlichen Grund¬ 
lagen der bei Tieren zur Beobachtung kommenden Regenerationserschei¬ 
nungen und legt an zahlreichen durch Abbildungen und Präparate an¬ 
schaulich gemachten Beobachtungen dar, wie die Fähigkeit der Regene¬ 
ration mit dem Aufstieg in der Tierreihe allmählich abnimmt. 

Hr. Blohmke: Otosklerose nid Schwangerschaft. 

Vortr. bespricht auf Grund der einschlägigen Literatur und seiner 
eigenen Beobachtungen die in der Gravidität oft festgestellte Ver¬ 
schlimmerung der Otosklerose. Er erörtert im Anschluss daran die Be¬ 
deutung dieser Frage für die künstliche Schwangerschaftsunterbrechung; 
er lehnt dieselbe ab, da die Graviditätsverschlimmerung der Otosklerose 
keine medizinische Indikation für den künstlichen Abort abgibt. 

Riedel. 


Bericht über die gemeinsame Tagung der ärzt¬ 
lichen Abteilungen der waffenbrüderlichen Ver¬ 
einigungen Deutschlands, Oesterreichs und 
Ungarns. 

Berlin, 23.—26. Januar 1918. 

(Schluss.) 

Thema III. Herabsetzung der Sterblichkeit darch zielbewusste Be¬ 
kämpfung der übertragbaren Krankheiten. 

Hr. Professor E. Jendrassik-Budapest: Verhütung und Be¬ 
kämpfung der übertragbaren Krankheiten. 

Die Verhütung der einzelnen übertragbaren Krankheiten kann nioht 
durch einheitliche Maassnahmen geschehen, sondern entsprechend ihrer 
Natur und der Art ihres üebertragungsprozesses. Bei der Erwägung 
dieser Faktoren muss auch jener Umstand in Betracht kommen, dass 
die einzelnen Organe eine von anderen abweichende spezifische, natürliche 
oder erworbene Immunität haben. Diese Immunität schützt die meisten 
Menschen vor der Tuberkulose, deren Mikroben wir alle ausgesetzt sind. 
Eine grosse Gefahr bedeutet das Herein bringen des Strassensohmutzes 
in die Zimmer, wogegen das allgemeine Tragen von Ueberschuhen, wie 
es in manchen Gegenden üblich, Schutz bieten würde. Man hat, da 
Anzeigepflicht und Isolierung gegen dieUebertraguDg von Tuberkulose nicht 
gut durobgeführt werden kann, versucht, die Möglichkeit dieser Infektion 
durch eine intensivere Behandlung der Lungenkranken zu vermindern. 
Leider wird die derzeit einzig wirksame Sanatoriumsbehandlung nie in 
genügender Breite zur Verfügung stehen, Tuberkulin ist kein Heilmittel 
gegen Tuberkulose und taugt nicht zur Verhütung dieser Krankheit. 
Das beste Schutzmittel ist die Kräftigung der Jugend, die Assanierung 
der Wohnungen und Fabrikslokalitäten. Zur Hebung des allgemeinen 
Gesundheitszustandes und Verhütung der übertragbaren Krankheiten ist 
es aber absolut notwendig, dass die Medizinalangelegenheiten ein spezielles 
Ministerium mit eigenen Organen in der Peripherie zur Ausübung der 
Verordnungen erhalten, so wie dies beim Finanzministerium besteht. Es 


geht nioht an, dass von politischen Behörden die Ausführung der nötigen 
Maassnahmen abhängig gemacht wird. 

Hr. Oberstabsarzt Prof. Dr. Hetsoh: Maassnahmen, die die 
Heeresverwaltung bei Beendigung des Krieges zu treffen 
hat, um die Einschleppung von Seuohen in die Zivil¬ 
bevölkerung zu verhüten. 

Der Seuchenstand im Feldheer ist trotz der im Vergleich zu früheren 
Kriegen ungeheueren Kopfstärke und der grossen Seuobengefahr, der 
unsere Truppen auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen ständig aus¬ 
gesetzt waren, ein ausserordentlich günstiger und lässt demnach die 
Besorgnis einer Krankheitsverscbleppung durch das zurückkehrende Heer 
an sich gering erscheinen. Dennoch werden nach der Beendigung des 
Krieges weitgehende Vorsichtsmaassnahmen durobgeführt werden, um 
Ansteckungsstoffe von der Zivilbevölkerung fernzuhalten. Alle Truppen¬ 
teile werden vor ihrer Rückführung einer gründlichen, wenn angängig 
wiederholten Entlausung unterzogen werden, um das Ungeziefer zu be¬ 
seitigen, das das Fleckfieber und das Rückfallfieber überträgt. Die an 
der Ostgrenze des Reiches errichteten grossen Sanierungsaostalten, in 
denen bisher schon über 2 1 /* Millionen Personen und grosse Mengen 
von zurückgeführten Heeresgütern saniert wurden und die auch direkt 
dem Volkswohl dadurch grosse Dienste geleistet haben, dass sie die 
unsere Grenze überschreitenden Kriegsgefangenen und ausländischen 
Saisonarbeiter sowie die aus den besetzten Gebieten kommenden Zivil¬ 
reisenden gesundheitlich kontrollierten und von Läusen befreiten, haben 
dabei eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Vor der Entlassung werden 
alle HeeresaDgehörigen eingehend auf übertragbare Krankheiten unter¬ 
sucht, wobei alle diejenigen, die eine Infektionskrankheit überstanden 
haben, besonders berücksichtigt werdeu. Ob und wielange einzelne 
Truppenteile geschlossen auf Truppenübungsplätzen oder in ihrem Stand¬ 
ort einer Quarantäne zu unterwerfen sind, wird im Emzelfalle vom 
Grade und der Art ihrer bisherigen Verseuchung abhängig zu machen 
sein. Alle Militärpersonen, bei denen eine übertragbare Krankheit fest¬ 
gestellt wird, sollen zur Behandlung so lange zurück behalten werden, bis 
die Ansteckungsfähigkeit der Krankheit erloschen ist. Das gilt insbe¬ 
sondere auch für die venerisohen Erkrankungen und trifft ebenso wie 
für die Soldaten auch für alle Personen zu, die sich in irgend einem 
Dienstvertrags- oder Gefolgverhältnis beim kriegführenden Hoer und der 
Marine befinden. Personen, die Krankheitserreger ausscheiden, ohne 
selbst krank zu sein (sogenannte Keimträger), sollen bei der Entlassung 
den Landespolizeibehörden zwecks weiterer gesundheitlicher Beratung 
namhaft gemacht werden. Bei sachgemässem Zusammenarbeiten der 
Militär- und Zivilbehörden wird die Gefahr einer Verseuchung der Zivil¬ 
bevölkerung durch die rückkehrenden Krieger sicherlich leicht abwend¬ 
bar sein. 

Hr. Prof. Adam-Berlin: Mehr als je ist der Arzt Träger des 
öffentlichen Gesundheitswesens geworden. Der Satz, dass der Bürger 
das kostbarste Gut des Staates sei, hat die sozialen Fürsorgebestrebungen 
geschaffen. Der moderne Arzt darf die Einzelerkrankungen nicht aus 
ihrem Zusammenhang reissen, sondern muss sie in ihren Beziehungen 
zu dem gesamten Volkskörper bewerten lernen. Dazu bedarf es einer 
gut. durchgebildeten Aerzteschaft, vor allem auf dem Gebiete der sozialen 
Medizin. Es ist deshalb in Preussen naoh dem Kriege in Anlehnung 
an die bestehenden lokalen Vereinigungen für das ärztliche FortbilduDgs- 
wesen beabsichtigt, in den einzelnen Provinzen Provinzialkomitees zu 
schaffen. Die Aufgaben, die dem ärztlichen Fortbildungswesen dadurch 
erwachsen, sind die Ausbildung der Zivilärzte für die Aufgaben im 
Kriege, wobei vor allem auch der Spezialarzt Ausbildung in allgemeiner 
Medizin erhalten muss. Was während des Krieges an Kursen und Vor¬ 
trägen seitens des Zentralkomitees für das ärztliche Fortbildungswesen 
in Preussen improvisiert worden ist, muss eine ständige Einrichtung 
werden. Als weitere Aufgabe käme die Fortbildung der Notapprobierten, 
die in dreimonatigen systematischen Kursen zu geschehen hat, und die 
Fortbildung der sonstigen aus dem Felde heimkehrenden Aerzte in Frage. 
Besonders wichtig wird auch die Ausbildung auf dem Gebiete der 
Geburtshilfe, der Frauen- und Kinderkrankheiten sein, da von ihr die 
Zukunft des Volkes wesentlicher beeinflusst wird. Wir hoffen, durch 
Verbindung mit entsprechenden Organisationen in den Ländern unserer 
Verbündeten ein gemeinschaftliches Vorgehen zu schaffen. 

Hr. Geheimrat Prof. Dr. Kraus: Ueber die Bekämpfung der 
Tuberkulose. 

Nach den amtlichen Berichten ist die Tuberkulosesterbliohkeit 
während des Krieges in der Heimat stark gestiegen; dies gilt für alle 
Klassen mit Ausnahme des Säuglingsalters und mit scheinbar etwas 
schwächerer Beteiligung des Kleinkindesalters. Daraus erhellt die Not¬ 
wendigkeit eines schärferen Vorgehens gegen die Seuche. Als Kliniker 
betont Geheimrat Kraus besonders die Bedeutung der Heilfaktoren, was 
wiederum eine sorgfältige Ermittlung der tuberkulös Angesteckten 
nötigenfalls durch die Fürsorgestelle voraussetzt. Die Versicherungs¬ 
gesetzgebung müsste bezüglich der Einleitung des Heilverfahrens auch 
auf Frauen und Kinder ausgedehnt werden. Als Hauptträger der 
Tuberkulosebehandlung können die von den Landesversioherungsanstalten 
unterhaltenen Heilstätten gelten. Mit den duroh die Versicherungsanstalten 
gewährleisteten Heilverfahren können wir uns, soweit die rechtlichen 
Unterlagen in Betracht kommen, zufrieden geben, besonders was Kur¬ 
dauer und Wiederholung der Kur betrifft Im übrigen aber kritisiert 
Kraus manche für die Einleitung des Heilverfahrens gewohnheitsgemäss 
festgehaltenen Grundsätze. Man sollte z. B. den Unterschied zwischen 
offener und geschlossener Tuberkulose nioht bo scharf aufreoht erhalten, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


ud<3 eu empfehlen wäre eine straffere Organisation des Heilverfahrens, 
am besten durch die Städte, natürlich im Zusammenhang mit den 
Landesversicherungsanstalten. Prof. Kraus bekennt sich nach den bis¬ 
herigen Erfahrungen als Anhänger der Tuberkulinkuren. Das Tuberkulin 
müsste in dem Stadium der Erkrankung angewandt werden, wo man 
hoffen kann, Widerstandsfähigkeit gegen eine weitere Verschlimmerung 
eu steigern, und das weist naturgemäss auf die Kinder hin. Aus be¬ 
greiflichen Gründen will Kraus diese Frage nur anregen. Daneben 
sollten auoh andere Heilmethoden auf die Kinder übertragen werden, 
s. B. die Lichtbehandlung, und endlich muss auch die Infektionsmöglioh* 
keit mit allen erdenklichen Mitteln bekämpft werden. 

Hr. Dozent Dr .Teleky: Gab in seinem Bericht einen Ueberblick über 
die Bekämpfung der Tuberkulose in Oesterreich vor dem Kriege 
und während des Krieges. Erst der Krieg hat den Bestrebungen neue 
Impulse und neue Ziele gegeben; auch die Regierung hat sich unter dem ' 
Zwange der Kriegsverhältnisse entschlossen, energisch an der Tuberkulose¬ 
bekämpfung teilzunehmen. Sie hat im Laufe der letzten 2 Jahre etwa 
20 Millionen Kronen hierfür abgegeben. Gegenwärtig bestehen etwa 
230 Heilstättenbetten und naoh Ausführung aller in Angriff genommenen 
Projekte wird Oesterreich über 5 600 Betten und eine grössere Zahl von 
Fürsorgestelien verfügen. 

Hr. San.-Rat Primararzt Dr. Mager-Brünn spricht über das 
Arbeitsgebiet der Fürsorgestellen in Oesterreich. Er tritt 
dafür ein, dass die Tätigkeit der Fürsorgestellen auf eine breitere Basis 
gebracht und in dieser auch die Behandlung der Tuberkulösen aaf- 
genommen und durchgeführt wird, wie das bei den meisten Fürsorge¬ 
stellen in Oesterreich bereits seit Jahren der Fall ist Dieser Forderung 
trägt auoh ein Erlass des österreichischen Ministeriums des Innern vom 
Januar 1917 Rechnung. Die Fürsorgestelle wird mit dieser Erweiterung 
ihrer Tätigkeit zu einer Zentrale im Kampfe gegen die Tuberkulose. 

Hr. Oberstadtphysikus Dr. Böhm-Wien: Bekämpfung der 
Tuberkulose in Wien. Vortr. schildert an der Hand einer bis in 
die jüngste Zeit fortgeführten Statistik den derzeitigen Stand der Tuber¬ 
kulose in Wien. Die Sterblichkeit an Tuberkulose ist während des 
Krieges sprunghaft angestiegen. (Von 3,0 auf 1000 Einwohner im Jahre 
1913 auf 5,2 pro milie im Jahre 1917.) Am empfindlichsten sind von 
dieser Steigerung die Altersgruppen vom 16. bis zum 60. Lebensjahr 
betroffen, was der Vortragende mit den durch den Krieg verursachten 
Mängeln der Ernährung und mit der gesteigerten Erwerbstätigkeit erklärt, 
zu welcher jugendliche Personen und die Frauen infolge Ausfalles männ¬ 
licher Arbeitskräfte gezwungen sind. Im Gegensatz zu dieser Steigerung 
zeigt die Tuberkulosesteigerung der Kinder im ersten Lebensjahr eine 
deutliche Abnahme (von 6,6 auf 1000 der Lebendgeborenen im Jahre 1913 
auf 5,4 pro milie im Jahre 1917). 

Diese erfreuliche Erscheinung findet nach der Ansioht des Redners 
in der zweckmässigen Ernährung und Pflege der Kinder, für welche 
gerade während der Kriegsjahre planmässig und grosszügig gesorgt wurde, 
ihre Erklärung. In Wien standen während des Jahres 1917 mehr als 
17000 Kinder in den ersten sehn Lebensmonaten teils in den Fürsorge¬ 
stellen des städtischen Jugendamtes, teils bei anderen Körperschaften 
und Vereinigungen in Fürsorge. 

Sodann berichtet Dr. Böhm über die in Wien zum Kampfe gegen 
die Tuberkulose bestehenden Einrichtungen. Zur einheitlichen Leitung 
derselben wurde eine Bezirkssentrale für Tuberkulosefürsorge geschaffen, 
welche unter Vorsitz des Bürgermeisters die Vertreter aller an dem 
Kampfe gegen die Tuberkulose beteiligten oder daran besonders inte¬ 
ressierten Faktoren zu gemeinsamer Arbeit vereinigt. 

Diese Zentrale umfasst auch sämtliche Fürsorgestellen für Tuber¬ 
kulose, welchen in Wien ausser der Familienfürsorge auoh die fach- 
ärztliche Behandlung der Kranken obliegt. Zur Unterbringung Tuberkulöser 
sollen für den derzeit erhöhten Bedarf ausser dem normalen Belag für 
Tuberkulose in den Wiener Krankenanstalten die Spitalsanlagen der 
während des Krieges geschaffenen Flüchtlingslager, von welchen einzelne 
in waldiger Umgebung sehr gut gelegeu sind, Verwendung finden. Für 
Leichtkranke sind von der Gemeinde Wien und von der Wiener Bezirks¬ 
krankenkasse ausserdem in dem die Stadt Wien in einer Ausdehnung 
von 4400 ha umgebenden Wald- und Wieseogürtel Walderholungsstätten 
für 1000 Kranke errichtet. Um die Schwierigkeiten der Krankenernährung 
während des Krieges möglichst bald zu verhindern, ist dem Stadtphysikus 
eine Beratungsstelle für Ernährung der Kranken angegliedert. Von 
privater Seite wird an 6 Abgabestellen Krankenkost verabfolgt. In den 
Kriegs- und Gemeinschafsküchen werden täglich etwa 360000 Personen 
gespeist. 

Mit der im Kampfe gegen die Tuberkulose so bedeutungsvollen Für¬ 
sorge für die heranwachsende Jugend ist in Wien eine besondere Amts¬ 
stelle, das städtische Jugendamt, betraut, mit der Lösung der aus der 
Wohnungsfürsorge sich ergebenden Aufgaben eine eigene Magistratsabtei¬ 
lung, das städtische Wohnungsamt, beschäftigt, welchem der amtliche 
Wohnungsnachweis, die Vorbereitungen für die Deckung des Wohnungs¬ 
bedarfs nach dem Kriege, sowie die Organisation einer städtischen Wohnungs¬ 
aufsicht zugewiesen ist. 

Hr. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Lentz, vortr. Rat im Ministerium des 
Innern: Bedeutung und Behandlung der Keimträger. 

Eine der wichtigsten epidemiologischen Tatsachen, die wir der 
wissenschaftlichen Forschung der letzten Jahre verdanken, ist die Kenntnis 
von den Keimträgern. Wir unterscheiden sogenannte „gesunde Keim¬ 
träger“, die Krankheitskeime nur vorübergehend aufnehmen, ohne in 
typischer Weise zu erkranken, und „Dauerausscheider“, die naoh über¬ 


standener Krankheit die Krankheitskeime noch Wochen, Monate, jahre¬ 
lang, bisweilen bis an ihr Lebensende aussoheiden. Bei fast allen 
Krankheiten, deren Erreger wir kennen, sind solche Keimträger naoh- 
gewiesen worden. Ihre Zahl ist bei den verschiedenen Krankheiten ver¬ 
schieden gross. Bei der Cholera, Geniokstarre und Diphtherie stehen 
die „gesunden Keimträger“, bei Typhus, Paratyphus und Ruhr die 
Dauerausscheider im Vordergrund des Interesses. Beide Arten von Keim¬ 
trägern sind für ihre gesunde Umgebung gefährlich und tragen zur Ver¬ 
breitung der Infektionskrankheiten wesentlich bei. Sie sind es, die 
einerseits die Seuchen über weite Strecken hin verschleppen und anderer¬ 
seits die Krankheitskeime in ihren Organen konservieren und auch naoh 
längeren seuchenfreien Zeiten den Wiederausbruoh der Seuohen ver¬ 
ursachen. Typhushäuser, -orte und -gegenden verdanken ihne^n ihre 
Entstehung. 

Die Bekämpfung der von den Keimträgern ausgehenden Gefahr wäre 
leicht, wenn wir Medikamente besässen, durch die es gelänge, die Keim¬ 
träger von ihren Infektionskeimen zu befreien. Leider besitzen wir sicher 
wirkende Mittel noch nicht. Wir müssen daher durch vorbeugende 
Maassnahmen die gesunde Umgebung der Keimträger schützen. Da sie 
im Sinne des Gesetzgebers als krank anzusehen sind, tatsächlich auoh 
häufig leichteste Krankheitszeichen bieten, so könnten sie nach den Vor¬ 
schriften des Reichsseuohengesetzes bzw. des preussischen Gesetzes be¬ 
treffend die übertragbaren Krankheiten behandelt werden. Gegenüber 
Pest- und Choleraträgern kann auoh unbedenklich die Absonderung und 
Desinfektion durchgeführt werden, zumal es sich nicht um nur kurz 
dauernde Ausscheidungen handelt; aber bei den uns heimischen Krank¬ 
heiten ist das nicht durchführbar, da oft wegen der monate- und jahre¬ 
langen Ausscheidung die Durchführung dieser Maassnahme einer ebenso 
langen Freiheitsberaubung bei Tausenden arbeitsfähiger Personen gleich 
wäre und so lange Durchführung der Desinfektion der Abgänge selbst 
von gewissenhaften Menschen nicht erreioht werden kann. Die Praxis hat 
auoh gelehrt, dass wir auch mit milderen Vorschriften auskommen 
können, wenn wir die Keimträger von der Gefahr, die ihr Zustand für 
ihre gesunde Umgebung bedingt, überzeugen können. Für die Keim¬ 
träger, die die Infektionskeime mit dem Stuhlgang aussoheiden, wie bei 
Typhus, Paratyphus und Ruhr, ist die Beobachtung grösstmöglicher 
Sauberkeit, besonders der Hände, sowie sorgfältige Behandlung und 
Auskochen der Leib- und Bettwäsche, bevor sie zum Wasohen gegeben 
wird, geboten; für die Keimträger, deren Keime mit dem Auswurf, 
Speichel oder Nasenschleim ausgesohieden werden, wie bei der Genick¬ 
starre und Diphtherie, häufige Gurgelungen mit desinfizierenden Mund¬ 
wässern, gleiche Vorsicht mit der Wäsche, besonders den Taschentüchern, 
und sorgfältige Reinigung der Gebrauchsgegenstände, insbesondere des 
E88- und Trinkgerätes. 

Hr. Geimrat von Wassermann sprach über die spezifische 
Prophylaxe und Behandlung der Infektionskrankheiten, unter 
besonderer Berücksichtigung der Tuberkulose und der Syphilis. Die 
im Kriege gemachten Erfahrungen haben den wirklichen Wert der Schutz¬ 
impfungen bei Typhus, Cholera und anderen infektiösen Darmerkran¬ 
kungen erwiesen. Die wirksame Bekämpfung der beiden wichtigsten 
Volksseuchen, der Tuberkulose und der Syphilis, ist für uns eine der 
bedeutsamsten Aufgaben nach dem Kriege. 

Was zunächst die Tuberkulose anbetrifft, so erinnerte Wasser¬ 
mann daran, dass der Tuberkelbacillus eine gewissen fettigen Substanzen 
nahestehende Wachshülle besitzt. Es bedarf zur Bekämpfung der 
Tuberkulose daher gewisser fermentartiger Stoffe, die gerade diese wachs¬ 
artigen, fetthaltigen (lipoiden) Stoffe des Tuberkelbacillenleibes anzu¬ 
greifen vermögen. Ein lebender Körper bildet aber um so mehr ferment- 
artige Stoffe, je mehr Fett ihm selbst zugeführt wird. Im Einklang damit 
steht die alte Erfahrung, dass man die Widerstandsfähigkeit eines tuber¬ 
kulosebedrohten Körpers durch reichliche Zufuhr von Fett, Lebertran, 
Milch, Butter usw. oder auch geradezu durch Mastkuren wirksam steigern 
kann. Die Fette dienen hier geradezu als Heilmittel. Das Tuberkalin 
schafft bekanntlich derartige gegen die Tuberkelbaoillen wirksame fer¬ 
mentähnliche Stoffe. Deshalb empfiehlt Wassermann auf das wärmste 
die breiteste Anwendung des Tuberkulins in den Fürsorgestelien, um so 
mehr, als Tuberkulinkuren ohne jede Gefahr ambulant durchgeführt 
werden können. 

Bezüglich der Syphilis kommt Wassermann zu ganz bestimmten 
Vorschlägen. Er empfiehlt, die Blutuntersuchungen innerhalb kurzer 
Zwischenräume bei Prostituierten zwangsweise einzuführen, ferner die 
zwangsweise Untersuchung aller in öffentlichen Entbindungsanstalten 
niederkommenden Frauen und Mädchen vorzunehmen. Dies sei nötig, 
da sich herausgestellt hat, dass rund ungefähr 10 pCt. aller Frauen 
und Mädchen syphilitisch infiziert sind, ohne in den meisten Fällen es 
zu wissen. Fällt die Blutuutersuchung positiv aus, so würde vielleicht 
für das Kind ein Behandlungszwang einzuführen sein. Noch wichtiger 
aber ist die rasche Inangriffnahme der bereits infizierten Fälle. Bereits 
vor dem Kriege, noch mehr aber im Feldzuge selbst, hat sich ergeben, 
dass der syphilitisch Kranke nur innerhalb einer ganz bestimmten, unter 
Umständen sogar nur wenige Tage dauernden Zeit mit fast regelmässiger 
Sicherheit vollständig ausgeheilt werden könne. Es ist dies der Zeit¬ 
raum, wenn nach Auftreten der ersten Krankheitsersoheinungen (Primär¬ 
affekt) Syphiliskeime (Spirochäten) in denselben nachgewiesen werden 
können, während die Blutuntersuohuug noch nicht positiv ist. Wird 
innerhalb dieser kurzen Frist eine spezifische Behandlung energisch ein¬ 
geleitet, so kann die Krankheit örtlich beschränkt und weitere Folgen 
für den Kranken sowie jede Gefahr für andere beseitigt werden. Hier 


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18. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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hat also die eigentliche wissenschaftliche Bekämpfung der Syphilis ein- 
zusetzen, und hierüber muss die Bevölkerung aufgeklärt werden, damit 
— bei Tag und Nacht — in jedem Einzelfalle die nötigen Feststellungen 
gemacht werden können, wenn nicht anders auf jeder Unfallstation oder 
einer anderen sonst zu erreichenden Anstalt. Wassermann regt an, 
diese Bekämpfungsart staatlich oder durch Selbstverwaltungskörper zu 
organisieren. 

Hr.RegierungsratDr.OustavPaul-Wien: Die Pockenepitheliose 
auf der geimpften Kaninchenhornhaut. 

Das von mir entdeckte makroskopische Phänomen des plastischen 
Hervortretens der in vivo durchsichtigen und mit freiem Auge kaum 
wahrnehmbaren Infektionsherde auf der mit Pookeninbalt geimpften 
Kaninchenhornhaut im Sublimatbade hat den Guarnieri’sohen Impfver- 
suoh der diagnostischen Untersuchungspraxis neu gewonnen. Vordem 
galt der Befund der sogenannte Guarnieri’schen Körperchen im infizierten 
Hornhautepithel als das wesentliche und ausschlaggebende Merkmal der 
Eigenart der variolösen Herderkrankung auf der Hornhaut. Durch 
Berücksichtigung der übrigen im histologischen Schnitte weit sinnfälliger 
hervor treten den und daher für die Diagnose bedeutungsvollen Ver¬ 
änderungen in ihrem von mir zum ersten Male erschöpfend beschriebenen 
und photographisch reproduzierten anatomischen Gesamtbilde wurde das 
diagnostische Untersuchungsverfahren (die experimentelle Pockendiagnose) 
auf eine sichere Basis gestellt. Auf Grund meiner zahlreichen mikro¬ 
skopischen Befunde halte ich die Guarnieri’sohen Körperchen als Anfangs¬ 
stadien einer durch den Pockenerreger hervorgerufenen also pathologischen 
endogenen Zellverjüngung. (Diaskopische Vorführung des Untersuohungs- 
verfahrens und der makroskopischen und histologisohen Befunde bei der 
Pockenepitheliose.) 

Hr. Dr. H. A. Gins-Berlin: Neue Ergebnisse der Pocken¬ 
forschung. 

Die Paul’sche experimentelle Pockendiagnose hat uns bei einem 
Material von weit über 1000 Fällen sehr günstige Ergebnisse geliefert. 
An ihrer Spezifität ist ebensowenig ein Zweifel möglich, wie an ihrer 
praktischen Bedeutung für die Erkennung und Bekämpfung der Pocken. 
In sehr seltenen Fällen sind diagnostische Schwierigkeiten aufgetreten: 
bei einigen syphilitischen Hautaffektionen wurde die Paul’sche Reaktion 
beobachtet, und in einigen Fällen, bei denen kleine Abszesse unter dem 
Hornhautepithel vorhanden waren. Die histologische Untersuchung (von 
Paul empfohlene Schneil-Einbettungs- und Flächenmetbode) schützt in 
den letzteren Fällen vor Irrtümem. 

Die mikroskopische Diagnose der Windpocken an der geimpften 
Kaninohenhornhaut konnte weiter ausgebildet werden. Ausser den be¬ 
reits früher beschriebenen Riesenzellen sind bei grossem Material eigen¬ 
artige Zelieinsohlüsse gefunden wordeD, wie sie bisher noch nicht be¬ 
schrieben sind. Sie scheinen für die Windpockeninfektion der Hornhaut 
des Kaninchens charakteristisch zu sein und eine gewisse diagnostische 
Bedeutung zu haben. Mit den Zelleinschlüssen bei Pocken oder Kuh- 
pooken sind sie nicht zu verwechseln. 

Der Nachweis des Variolavirus in Nase und Rachen der Pocken¬ 
kranken und die Feststellung von Dauerausscheiden des Pookenvirus, 
die mit der Paul’schen Methode gelang, haben die Bedeutung der oberen 
Luftwege für die Pockeninfektion und Pookenverbreitung erwiesen. Zur 
weiteren Aufklärung der hier noch offenen Fragen wurden Kaninchen 
durch Inhalation von frischem Vaccinevirus infiziert. Regelmässig trat 
nach 5—7 Tagen eine Temperatursteigerung ein, bei einem getöteten 
Tier fand sich am zehnten Tag naoh der Inhalation eine Entzüodung 
der Luftröhrensoh leim haut. Alle vier Tiere in zwei Versuchen wurden 
immun. An dieser Immunität nahm regelmässig auch die nicht geimpfte 
Hornhaut teil. Damit ist die Aufnahme des Virus durch die oberen 
Luftwege erwiesen. Wo sich das Virus vermehrt hat, ist noch nicht 
aufgeklärt. 

Hr. Prof. Dr. W. Braun-Berlin: Die heutige Diphtherie¬ 
bekämpfung und ihre Erfolge. 

Die hohe Diphtheriesterblichkeit (in Preussen 1904—1913 = 101019 
Todesfälle, in Berlin 1904—1913 = 5377 Todesfälle) macht eine energische 
Bekämpfung notwendig. * Die bisherigen Bekämpfungsversuche erfolgten 
meist von bakteriologisch-hygienischen, selten von seroprophylaktisohen 
Gesichtspunkten aus. Braun ist in Berlin seit einer Reihe von Jahren 
für eine Diphtheriebekämpfung auf breiterer Grundlage eingetreten. Für 
die Hauptaufgaben einer solchen hält er*. 

a) Durchsetzung der frühzeitigen Serumbebandlung der Erkrankten, 

b) frühzeitige, lückenlose Anwendung der hygienischen Hilfsmittel, 

c) Durchsetzung der Schutzimpfung des Gefährdeten. 

Die Organisation und Kosten frage, ist in Berlin gelöst. 

Braun erwartet von der konsequenten, allgemeinen Durchsetzung 
einer derartigen Diphtheriebekämpfung einen wesentlichen Rückgang der 
Sterblichkeit. In Berlin scheint er sich schon zu zeigen. Bis 1912 immer 
über lOpCt. relative Sterblichkeit, in den letzten“ fünf Jahren immer 
unter 10 pCt.; 1916 = 8,1, 1917 = 8,4 pCt. Todesfälle“ 

Hr. Hofrat Prof. Dr. Ernst Finger-Wien: Fürsorgebe¬ 
strebungen für gesohleohtskranke Jugendliche. 

K Als im Frühjahr 1915 die Gefahr der akuten Seuchen gebannt war, 
wandte sich die Aufmerksamkeit den Volksseuchen, der Tuberkulose und 
den Geschlechtskrankheiten zu. Zweifellos festzustellen war die be¬ 
deutende Zunahme der Geschlechtskrankheiten. Die Soldaten bezogen 
ihre Geschlechtskrankheiten zumeist aus dem Hinterlande, aber auch 
die Zivilbevölkerung, besonders die Jugendlichen, wurden schwer heim¬ 
gesucht. So standen bei uns von 1000 geschlecbtskranken Personen 


im Alter von 15 Jahren im Frieden 1, im Kriege 8, im Alter von 
18 Jahren im Frieden 27, im Kriege 68. Das gilt für die männliche 
Bevölkerung. Aehnliches war bei der weiblichen zu beobachten. Um tun¬ 
lichst viele Geschlechtskranke aufzudecken, wurden Streifungen veran¬ 
lasst, besonders in den Wiener sogenannten Stundenhotels. Die so auf¬ 
gegriffenen Weiber wurden zur Ausweisleistung angehalten und, falls sie 
sich nioht ausweisen konnten, dass sie einen Erwerb hatten, untersucht 
und im Falle einer Erkrankung an ein Krankenhaus abgegeben. Es er¬ 
gab sich da der Uebelstand, dass Mädchen, die einen Erwerb hatten, 
ohne Untersuchung entlassen werden mussten. Zur Aufnahme der 
Geschlechtskranken wurden zwei neue Spitäler in Wien errichtet, eines 
für 520 Männer, ein zweites für 560 Weiber. Ferner wurde eine neue 
Abteilung mit 250 Weiberbetten an ein Krankenhaus angegliedert. Die 
Behandlung der Geschlechtskranken wird durch zwei Umstände erschwert, 
einmal durch den meist chronischen Verlauf der Krankheiten, zweitens 
dadurch, dass die Mehrzahl der Patienten auch während der Erkrankung 
erwerbsunfähig ist. Eine Abhilfe könnte dadurch geschaffen werden, 
wenn für die Geschlechtskranken anstelle von Spiiälern Arbeiterkolonien 
geschaffen würden, in denen die Kranken bis zum Schwinden der 
Ansteckungsfähigkeit verbleiben müssten. Im neuen Frauenspital wurden 
die Kranken abgeschlossen und so weit es möglich war, anch beschäftigt. 
Es wurden Arbeiterräume geschaffen, eine Nähschule, eine Schule für 
Waschen und Bügeln eingerichtet. Mit dieser Fürsorge in einem Kranken¬ 
hause ist noch nicht alles getan. Es muss datür Sorge getragen werden, 
die Mädchen naoh dem Spitalaustritt in gesunde Verhältnisse zu bringen. 
Der Vortragende beschäftigt sich mit den Vorkehrungen, die notwendig 
sind, um die Mädchen nach der Entlassung zu schützen. Die Fürsorge¬ 
bestrebungen auf diesem Gebiete haben in neuester Zeit durch den 
Verein „Soziale Hilfe“ eine wesentliche Unterstützung erhalten. Dieser 
Verein hat ein mit gewerblichen Unterrichtsbehelfen ausgestattetes Heim 
und ein Arbeiterinnenheim geschaffen. Es ist zu hoffen, dass wir auf 
diesem Wege zum Abbau der gelegentlichen und geheimen Prostitution 
und zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ein Schärflein beitragen. 


Hauptversammlung der Prüfstelle für Ersatz¬ 
glieder. 

21.—28. Januar 1918. 

In Anwesenheit Ihrer Majestät der Kaiserin, des Herrn Kriegs¬ 
ministers, der Generalstabsärzte der Armee und Marine Dr. Schjer- 
ning und Uthmann wurde am 21. d. M. die auf 3 Tage berechnete 
Hauptversammlung der Prüfstelle für Ersatzglieder, Berlin, im Verein 
mit den österreichischen Prüfstellen eröffnet. Nach einer Eröffnungs¬ 
rede des Senatspräsidenten Dr. Konrad Hartmann ergriff Oberstabs¬ 
arzt Prof. Dr. Schwiening das Wort zu Ausführungen über die Auf¬ 
gaben und Entwicklung der Prüfstelle für Ersatzglieder. Er begründete 
die stiefmütterliche Behandlung der Prothesenkunde vor dem Krieg mit 
der relativ geringen Zahl der Amputierten und die Errichtung einer 
Zentralstelle im jetzigen Kriege damit, dass mit der hohen Zahl der 
Amputierten eine Hochflut von Erfindungen einsetzte. So ist die Prüf¬ 
stelle entstanden als ein Zentrum für die Arbeit von Aerzten, In¬ 
genieuren und Orthopädiemechanikern, ein Zentrum, das jeder Ampu¬ 
tierte passieren muss. : Auf diese Weise sind bis jetzt 694 Arm- und 
1100 Beinamputierte beraten worden. Dazu gesellt sich die Einrich¬ 
tung von Vermittelungsstellen, die für das Unterbringen der Schwer¬ 
beschädigten in Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft sorgen. 

Der Oberingenieur bei der A. E. G. Beckmann redet der Wieder¬ 
ertüchtigung Schwerbeschädigter in der Industrie das Wort. 
Die Anpassung an solche Berufstätigkeit, die sich für den Amputierten 
eignet, muss erstrebt werden und noch während der Lazarettzeit muss 
er Jdazu Gelegenheit bekommen. Die grossen Fabriken der Borsig, 
Ludwig Löwe, Krupp sind diesen Bestrebungen entgegengekommen. 
Bei geschickter Auswahl der Tätigkeit lässt sich die Arbeitsfähigkeit 
eines Schwerbeschädigten auf 8 /« von der eines gesunden Arbeiters er¬ 
höhen. 

Hr. Radike-Berlin spricht über die Leistungen Schwer¬ 
beschädigter in der Landwirtschaft. Hier ist das geeignetste 
Ersatzglied die Kellerhand. Bei systematischer Eingewöhnung kann 
ziemlich der grösste Teil der landwirtschaftlichen Arbeiten getan werden. 
Darum sollen vor allem die schwer beschädigten Landwirte selbst in 
ihren alten Beruf zurückkehren. 

Bei Beginn der Naohmittagssitzung sprioht als erster Hr. 'Prof. 
Schlesinger von der Technischen Hochschule zu Berlin über die 
systematische Nutzbarmachung der Muskelquellen für will¬ 
kürlich bewegte Arme. Prinzipiell müssen 2 Arten von Quellen 
für die willkürliche Bewegung unterschieden werden: die äusseren 
Muskel quellen in der Schulter und im Armstumpf und diejenigen so¬ 
genannten inneren Muskelquellen, die durch Naohoperation am Stumpf 
erschlossen werden. Für die ersteren ist die Grundlage die Bandage, 
ihre Bedingung die freie Beweglichkeit aller Gelenke, der unbelastete 
Stumpf und die Leichtigkeit der Prothese. ’ Der Schulterstoss zur 
Oeffnung und Schliessung der Hand spielt hier eine Hauptrolle, nament¬ 
lich bei den Oberarmamputierten. Die Naohteile der auf die äusseren 
Muskel quellen augewiesenen Prothesen bestehen in einer beschränkten 
Greifbewegung und ihrer unphysiologischen Verwertung. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


Demgegenüber stehen die kinetisehen Arme, die darauf be¬ 
ruhen, dass neue Kraftquellen durch Operationen geschaffen werden. 
Vertreter dieser Typs ist der Arm nach Walcher, der aus dem vor¬ 
deren Ende der Speiche einen starken Daumen durch Herstellung eines 
neuen Gelenkes schafft, der Arm nach Krukenberg, der durch ope¬ 
rative Trennung der Speiohe von der Elle eine Zange bildet und die 
Kanalisation nach Sauerbruch, der die in dem Stumpf vorhaodenon 
Muskeln zu Kraftquellen für die willkürlichen Bewegungen einer künst¬ 
lichen Hand verwertet. Zur Prüfung dieser kinetischen Stümpfe emp¬ 
fiehlt Schlesinger den Zusammenschluss von Aerzten zu einer be¬ 
sonderen Prüfstelle. 

Hr. Länge-München stellt einen willkürlich bewegten Kunst- 
und Arbeitsarm vor, der in der Werkstätte in München bereits zu 
hundert Exemplaren hergestellt worden ist. Ausserordentliche Kraft¬ 
entwickelung, ungemeine Einfachheit, grosse Leichtigkeit des Mecha¬ 
nismus (Celluloid mit Stab lein lagen) stellen die Hauptvorzüge dieses 
Kunstarmes dar, der an Patienten im Film demonstriert wird. 

' Die Diskussion wird von Hr. Sauerbruch-Singen eröffnet. Er 
beschränkt sich auf die Eiörterung der wichtigen Frage der Sperre. 
Er empfiehlt sie bei allen Arbeitshänden, er verwirft sie bei den nach 
seiner Methode operierten Stümpfen der Kopfarbeiter oder derjenigen 
mit leichter Beschäftigung. Seine Sperrhand muss nicht unbedingt 
sperren. Im übrigen weist er auf die Leichtigkeit und Eleganz in dem 
Gebrauoh der Prothesen der nach ihm hergeriohteten Amputierten, deren 
Zahl bereits auf 300 gestiegen ist. 

Hr. Drüner-Q nerschied stellt für die Herstellung der Kanäle nach 
Sauerbrucb, mit denen er nicht immer gute Erfahrungen gemacht 
hat, einige Grundsätze auf: die Haut muss ihre Nerven behalten, der 
Kanal soll soweit wie möglich sein, jede Wulstbildung soll vermieden, 
die Naht darf nicht belastet und der Lappen soll mit rhombenförmiger 
Gestalt entnommen werden. 

Hr. Walcher-Stuttgart hat eine Operation für die Handamputierten 
angegeben, die in Resektion des Ulnaendes und in der Bildung eines 
Gelenkes am distalen Ende des Radius mit Zwischenlagerung von Faszie 
besteht. Dadurch ist ein neues Glied geschaffen, dem er in einer an 
dem Stumpf befestigten Metallplatte ein Gegenlager gibt. So resultiert 
aus der Operation und dem prothetischen Widerlager ein neues Greif¬ 
organ. Auf die Beweglicbmachung der Ulna verzichtet Walcher, weil 
er die Pro- und Supination nicht aufgeben will. Für die kurzen Vorder¬ 
armstümpfe hat er eine künstliche Hand konstruiert und einen Ober¬ 
armamputierten, der im Elienbogengelenk exartikuliert war, durch Ein¬ 
fügung eines Gelenkes zum Vorderarmamputierten gemacht. 

Hr. Spitzy-Wien beschreibt seine mit breiter Hautröhre aus¬ 
geführte Unterfütterung des M. biceps. Der Hautkanal wird mit einem 
Holz- oder Elfenbeinklotz armiert. Er kombiniert diese Methode mit der 
Sauerbruch’s. 80 Operationen sind so ausgefübrt worden, 85 Sauerbruch’s 
45 Unterfütterungen. Die Tricepskanalisation ist aus anatomischen 
Gründen schwierig. Operationen am Vorderarm sollen in Lokalanästhesie 
ausgeführt werden. Der Operationswille ist das wichtige, aus Heerden- 
betrieb kommen sie schliesslich von selbst, und wer sich operieren lassen 
will, soll operiert werden. 

Hr. Wullstein-Bochum empfiehlt Waloher’s und Krukenberg’s 
Operationen nur bei langen Vorderarmstümpfen, wo wir uns im sehnigen 
Teil befinden. Sauerbruch gewinnt sein Bürgerrecht von der Mitte 
des Vorderarms an. Je höher man schulterwärts kommt, um so mehr Kraft¬ 
quellen müssen geschaffen werden. Auch er empfiehlt weite Kanäle. 

Hr. Anschütz-Kiel: Widerspricht der Forderung Schlesinger’s, die 
Herstellung kinetischer Stümpfe zu zentralisieren. Er warnt bei der 
Herstellung der Kanäle vor den Neuromen und dem N. radialis. 

Hr. Bi es alsky-Berlin-Zehlendorf bespricht die von ihm her¬ 
gestellte Prothese für einen Kruken bergarm, ferner die Sperre an den 
Sauerbrucharmen, die er dort notwendig findet, wo fest augegriffen wird. 
Zum Schluss demonstriert er die Fischerhand. , 

Hr. Grätzer-Görlitz zeigt einen Arbeitsarm in der Landwirschaft. 

Hr. LengfeIIner regt die Errichtung einer Institution an, die er¬ 
möglicht, die Stümpfe prüfen zu lassen, und dafür sorgt, dass die Leute 
die nötigen Prothesen erhalten, und unterstützt den Antrag Schlesinger’s. 
Er weist auf seinen Deltoideusersatz durch den M. teres major hin. 

Hr. Bauer-Wien verhütet die Adduktionskontraktur bei den Ober- 
armstümpten durch Triangel schon im Feldlazarett. 

Hr. Leutnant Uli ist Träger eines Carnesarmes, den er äusserst 
günstig kritisiert. 

Hr. Schlesinger scbliesst das Thema mit einigen Bemerkungen: 
Der Meissel soll in der gesunden, nicht in der Kunsthand gehalten werden. 
Die Antipathie gegen die Sperre sei nicht gerechtfertigt. 

Der zweite VerhandlurgTtag beginnt mit einer Diskussion zu dem 
Vortrage Beckmann’s: Schwerbeschädigte in der Industrie und 
Einrichtung von Vermittlungsstellen. 

Hr. Carl Hart mann-Berlin-Steglitz sieht das grösste Hemmnis 
in dem Fehlen einer Arbeitsteilig. Er kommt nach ausführlichen Er¬ 
örterungen zu dem Schluss, dass man die Hoffnung, eine grössere Anzahl 
Schwerbeschädigter im Handwerk zu beschäftigen, merklich herab¬ 
setzen müsse. 

Hr. Dahme-Gleiwitz nimmt zu dem Thema vom Standpunkt des 
Bergmann’s Stellung. Die Schwierigkeiten gründen sich hauptsächlich 
darauf, dass die Arbeitsstätten schwer zu erreichen sind, dass der Weg 
uneben ist und im Dunkel liegt. Auch hier kann eine tatsächliche 


Beschäftigung Schwerbeschädigter nur in verschwindend geringem Maasse 
stattfinden. Immerhin ist Beschäftigung von Amputierten auch unter 
Tag möglich und verwirklicht. Die Aussetzung von Prämien für die 
Unter-Tag-Arbeiter kommt hier in Betracht. 

Hr. Lohmar-Köln fordert zuerst die Beschäftigung in der Lazarett¬ 
werkstatt, dann die im regelrechten Betrieb: Heilbeschäftigung und 
Arbeitsgewöhnung. 

Hr. Wullstein-Bochum tritt für die 100 proz. Arbeitsleistung 
der Schwerbeschädigten ein und will daher jeden Mann, der nicht einen 
bestimmten Beruf hat, in einen Beruf hinüberleiten, den er voll aus¬ 
führen kann. Das schwerbeschädigte Glied müsse ausgeschaltet werden. 
Auf diese Weise bekäme man eine vorzügliche Versorgung auoh 
Schwerbeschädigter. 

Hr. Schleh-Hamburg hält die Unterbringung der Schwerbeschä¬ 
digten für ebenso wichtig wie den Prothesenbau und befürwortet warm 
die Heranbildung vcn Fürsorgern, die selbst in die Betriebe gehen und 
das Passende für jeden einzelnen Amputierten aussuchen. 

Hr. Pokorny-Wien bespricht die einzelnen Schädigungen in bezug 
auf ihre Ausnutzbarkeit für die Landwirtschaft. Für Armamputierte sei 
die Keller Hand die praktischste. Die Oberschenkelamputierten seien 
zum Stelzfuss zurüokgekommen, der viele Vorteile habe und den einen 
Naobteil, dass er im Knie nicht abbiegbar sei. 

Hr. Böhm-Allenstein führt aus, dass, trotzdem der landwirtschaft¬ 
lich beschäftigte Schwerbeschädigte dazu neige, den Beruf aufzugeben, 
es doch die Aufgabe sei, Armamputierte dazu heranzubilden. Es habe 
sich bei dem landwirtschaftlichen Arbeiter herausgestellt, dass die Kraft 
der Schulter das ailerwichtigste sei. B. ist unbedingter Anhänger der 
Kummetbefestigung der Prothese unter Ausnutzung zweier Achsen des 
Schultergelenks, der Abduktion und der Pendelachse. 

(Sohluss folgt.) 


Kriegsärztliche Abende. 

(Eigenbericht der Berliner klinischen Wochenschrift.) 

Sitzung vom 15. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Tiemann. 

Tagesordnung. 

Hr. Ne« fei 4: 

Ueber H&adereiiignig ««d Händedesiafektie« a«f Grmd «eier 
v Versiehe. 

Das Thema der Händedesinfektioh hat eine doppelte Bedeutung, 
für den Chirurgen und Geburtshelfer wegen der Uebertragung der Wund¬ 
infektion und den Arzt nod Hygieniker wegen der Uebertragung 
von Typhen, Ruhr u. a. Immer handelt es sich darum, fremde 
Keime von der Hand zu beseitigen. Für die chirurgische Desinfek¬ 
tion besteht die weitere Aufgabe die „Tageshand* von ihren normalen 
Bewohnern zu säubern. Hier herrscht ein solcher Wirrwarr der 
Meinungen, dass die Mehrzahl von Chirurgen „sich von der Frage 
mit Entsetzen abwendet*. Auch das Ziel der Desinfektion ist noch 
gar nicht klar, ob man die Keime der Hand abtöten oder fixieren, 
d. h. zeitlioh unsohädlioh machen soll. Vortr. stellte daher über 
1000 Versuche mit den nötigen Kautelen an; er benutzte Schumburg’s 
Methode: Die Fingerspitzen werden in geschmolzenem in Schalen be¬ 
findlichem Aggar gepresst und gerieben. Der Aggar gerinnt schnell und 
jeder Keim wächst bald zu einer sichtbaren Kolonie aus. Die den natür¬ 
lichen Bedingungen entsprechende Methode ist sehr empfindlich. In 
Vs Stunde gehen von einer Fingerspitze bis zu 1 Millionen Keime in 
den Aggar über. Die Tiefe der Haut bildet eine unerschöpfliche Brut¬ 
stätte von Bakterien. Die Vermehrung der Keime geht nicht in den 
Drüsengängen vor sich, denn die Fingerkuppen haben keine Talgdrüsen, 
und Menschen, die keine Sohweiss- und Talgdrüsen, also auch kein 
Hautfett besitzen, haben ebenso keimhaltige uud schwer zu desinfizierende 
Hände wie normale. Die Bakterien sitzen mindestens auch in den ein¬ 
fachen mikroskopischen Hautspalten, sowohl die normalen Hautkeime, 
wie die fremden, zumal Eiter- und Sepsis Kokken; sie dringen nicht so 
tief hinein; daher ist ihre Verunreinigung leichter zu beseitigen als die 
Keime der Tageshand. Das ist aber nur graduell verschieden. 

Schnell und sicher dringt in die feinen, lufthaltigen Blindgänge 
der Haut nur der Alkohol (Fürbringer). Die Erklärung bietet sein starkes 
Diffusionsvermögen und die Fähigkeit, die Luft stark zu absorbieren. 
Alkohol wirkt um so stärker, je stärker konzentriert er ist, und nur da, 
wo er hinkommt. In trockene Objekte dringt er konzentriert nicht ein. 
Er ist nicht wie Wasser fähig, die Gegenstände zum Quellen zu bringen. 
Man muss die Hand vor der Alkohol-Anwendung waschen, um Reste zu 
beseitigen, oder anfeuchten, oder man nimmt 70—80pCt. Alkohol. Das 
ist besser, weil es Verseuchung von Waschwasser und Handtuch verhütet. 
Versuche mit der Tageshand liefern mit Alkohol auch ohne vorheriges 
Waschen gute Ergebnisse. Denn hier sind die Keime immer in feuchten 
Medien. Aber es besteht die Gefahr, dass Wundinfektionserreger, an der 
Hand angetrocknet, am Leben bleiben. Das Fett löst Alkohol meist 
nicht. Es spielt bei der Desinfektion keine Rolle; daher siffd auoh 
Aether und Benzin ohne Wert. Alkohol fixiert auch nicht die Keime 
auf der Haut. Denn man braucht nur über eine dünne Blulschioht 
die auf einem Deckglas fixiert ist, mit einem feuohten Finger zu wischen, 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 




18. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


17B 


und sie lost sich völlig auf. Alkohol tötet auch keine Sporen. Auch 
das Mastisol fixiert die Keime nicht. Letzteres lösen Aggar und Serum 
sofort auf; letzteres ist nämlioh lipoidhaltig. 

Die Ansteckung von Mensch zu Mensch durch Kranke und Bacillen¬ 
träger überragt an Bedeutung die duroh Wohnung und Wäsche; das gilt 
für Typhus und Ruhr, die in Stuhl und Harn, wie für Diphtherie und 
Tuberkulose, die in Tröpfchen übertragen werden. Manohe Hand lässt 
sich leicht, manche schwer entkeimen. Da9 beste Mittel ist Seitol, d. h. 
80 pro», Alkohol + Seife aus Rizinusöl. Seifenspiritus, der nur 40pCt. 
enthält, ist unzweckmässig. Aehnliche Resultate erzielte auch reiner 
Alkohol, von dem man 20 com auf einen Wattebausch giesst und 2 Mi¬ 
nuten die Hände abreibt. Sublimat steht in zweiter Reihe; aber im 
Gegensatz zu Alkohol, der wirklich sterilisiert, wird Sublimat von den 
Bakterien absorbiert. Es hemmt nur das Auswachsen der Keime. Su¬ 
blimat zeichnet sich durch starke Dauerwirkung aus. Bis zu 24 Stunden 
nach der Desinfektion lieferte die Hand keine Keime. Aber manohe 
Hände speichern HgCl a besonders gut auf. Sublimat wäre also brauch¬ 
bar, bevor man bei Typhus und Ruhr infektiöses Material anfasst. 
Kresolseife und 5 proz. Karbolsäure waren weniger wirksam, aber sie sind 
da vorteilhaft, wo bessere Mittel fehlen. Denn der Alkohol und die 
Seife siod knapp; das beste also ist Sublimat, das sehr spart; wird es 
nicht vertragen, so eignet sich Beta-Lysol in 3 proz. Lösung. Bürsten 
ist überflüssig; vorheriges Abseifen der Hand verschlechtert die Ergeb¬ 
nisse, weil das in den Hautspalten bleibende Wasser das Mittel ver¬ 
dünnt. Gewöhnliches Waschen mit Seife beseitigt nie völlig die Keime. 
Dazu kommt die Uebertragung der Keime duroh Tröpfchen, Wasser und 
Handtuch. Immer trat nach Waschen mit Gips-(Alabaster)*Pulver, Ton¬ 
seife, aber auch mit blossem Wasser ohne Unterschied ein guter Erfolg 
auf. Die Entfernung von Bakterien aus den tiefen Spalten ist eine ganz 
andere Aufgabe als die Beseitigung von Fett und Schmutz. Das Gefühl 
der reinigenden Kraft eines Waschmittels ist praktisch von Wert; sonst 
würden sich die meisten Leute nicht oder nicht gründlich waschen. 
Daher empfiehlt sich, mit 1 Teelöffell Gipspulver lange und gründlich zu 
waschen. Dann ist der Seifenmangel hygienisch nicht nachteilig. So 
können reinliohe Bacillenträger jahrelang für ihre Umgebung ungefährlich 
bleiben. 

Bei gewöhnlicher Berührung geht nur ein geringer Teil der Keime 
von der einen auf die andere Hand über. Eine sohwaohe keimhaltige 
Hand ist also bei gewöhnlicher Berührung praktisch unschädlich. Nun 
gibt es aber auch eine Selbstreinigung der Haut. Koli- und Ruhr¬ 
bacillen verminderten sich schnell und verschwanden von selbst in 
kurzer Zeit von der Hand. Nach 5 Minuten ist oft nur 1 pCt. der auf¬ 
gebrachten Keime übrig. Manche Hände reinigen sich besonders schnell 
spontan. Das beruht wohl auch auf chemischen Vorgängen. Hände, die 
von vornherein nur wenig inficiert oder durch Waschen gereinigt sind, 
sind praktisch meist unschädlich. Es ist also das einfaohe Waschen 
hygienisch ein wandsfrei. Dadurch und durch Klosettpapier würde, zumal 
auf dem Lande, weit mehr als durch andere Mittel verhütet werden. 

Die Keime der normalen Tageshand sitzen sehr tief. Der Alkohol 
spielt daher eine noch grössere Rolle bei der chirurgischen Desinfektion. 
Ohne ihn gibt es keine wirkliche Entseuchung. Er nimmt aber keine 
beigemengten Stoffe mit in die Tiefe. Manche, durchaus nicht immer 
wohl gepflegte Hände lassen sich besonders gut entseuchen. Bei regel¬ 
mässiger Alkoholsäuberung ändert sich in einigen Tagen die Beschaffen¬ 
heit der Haut. Auch hier waren die Versuche mit Seifol am ergiebigsten; 
aber man muss hier mehr, 30—60 ccm, mit Watte und Gaze füuf Minuten 
lang auf der Haut verreiben; dasselbe leistet gewöhnlicher Alkohol; doch 
ist der Seifenzusatz nicht unwesentlich. Auch bei den besten Mitteln 
gehen noch zahlreiche Keime von der Hand des Chirurgen ab. Trotzdem 
gibt die Methode gute Operationsresultate. Die Hautkeime schaden, in 
die Wunde gelangt, in der Regel nicht. Ein Beweis, dass die Entfernung 
dieser Keime notwendig und zweckmässig ist, ist also nicht zu geben. 
Wenn aber eine grosse Zahl in empfindliche Teile (Gelenkhöhlen) ge¬ 
langen, so sind sie schädlich. Das beweisen auch die Panaritien, 
Furunkel und die Selbstinfektion der Wöchnerinnen. Sublimat wirkte 
wegen geringer Tiefenwirkung ungenügend auf die Keime der Tageshand; 
es wirkt auch schwach auf den Stapbylococous. Das wechselt zudem 
beträchtlich bei den einzelnen Personen. Manche Personen speichern 
HgCl 2 sehr gut auf; diese Kenntnis ist für die Operateure von Bedeutung. 
Es ist unberechtigt vor der Desinfektion die Hände lange mit heissem 
Wasser, Bürste und Seife zu misshandeln. Denn das verringert weder 
die Zahl der Keime noch verbessert es die Wirkung der späteren Ent¬ 
keimung. Kurzes vorheriges Waschen genügt. Chirurg und Geburts¬ 
helfer sollen ihre Hände vor septischen Keimen tunlichst schützen. 

Aussprache. 

Hr. Fürbringer bewertet die Belehrungen des Vortragenden sehr 
hoch. Mit ihm lehnt er eine Bedeutung der fettlösenden Wirkung des 
Alkohols bei seiner allgemeinen Verwendung ab. Doch darf sie bei Heran¬ 
ziehung anderer Desinfirieutien nioht unterschätzt werden. Der von 
diesen eingeschobene Alkohol bahnt ihnen den Weg, indem er duroh 
seine gleichzeitige mit Wasser sich verbindende Eigenschaft die erforder¬ 
liche Adhäsion herstellt im Gegensatz zu dem nicht wasserlöslichen, 
überdies schnell abdunstenden Aether und Benzin. Anders können die 
Ergebnisse sicherer von Fürbringer in Gemeinschaft mit Freyhan 
angestellter vergleichender experimenteller Versuche an der Tageshand 
and am isolierten Nagelsohmutz nicht gedeutet werden. Die besten Er¬ 
folge wurden bei Alkoholvorbereitung erzielt. 


Hr. Hora: Eil hygienisches Feldlazarett-Klosett. 

Vortragender demonstriert das Modell eines von ihm angegebenen 
Klosetts, an dem das Betreten des Trittbretts den Deokel selbsttätig hebt, 
das Verlassen wieder schliesst. Jede Berührung des Deckelknoples u. a. 
wird vermieden, die Uebertragung von Keimen zumal bei Ruhr und 
Typhus verhütet. Das Klosett lässt sich auch im Zimmer schwer kranker 
Soldaten unterbringen, andererseits für private Zwecke mit automatischer 
Auslösung der Wasserspülung und Auswechslung einer erneuerbaren 
Sohutzrolle. 

Hr. Dfioitz- Vonziers: 

Prophylaktische Wssdbehasdlssg mit Vonzis. 

Morgenroth land, dass Chinin in Verdünnung von 1:4000 Bakterien 
abtötete; das von ihm hergestellte Hydrochinin wirkt schon bei 1:8000; 
ersetzt er die Methylgruppe durch C-reichere Gruppen, so steigert sich die 
Wirkung; Optoohin vernichtet die Pneumokokken; die Cs Verbindung wirkt 
bereits in 1: 80000. Höhere Verbindungen verlieren diese Wirkung. Auf 
Bier’s Veranlassung machte Klapp kriegschirurgische Versuche mit diesen 
Präparaten. K. brachte dieselben infiltrierend in die Wunden. Im Gegensatz 
zum Karbol usw. wirken diese Mittel auch in Gegenwart von Eiweiss. Die 
prophylaktische Wirkung ist günstiger als die therapeutische. Vortr. ver¬ 
wendet es bei Weichteil-, Knochen- und Gelenkschüssen. Dem „Vouzin“ 
setzt man zwecks örtlicher Betäubung Novocain zu. Daran schliesst sich die 
Exzision der Wundränder, Entfernung des Geschosses und der Kleider¬ 
fetzen und möglichst die Naht. Die Erfolge sind recht günstig. Die 
Wunde reagiert wenig; sie bleibt frisohrot und sezerniert massig, die 
Granulationsbildung verlangsamt sich. Infektion bleibt aus oder sie ver¬ 
läuft gutartig (sogar in einem Fall von Gasbrand bei Knochensplitterung). 
Fieber tritt immer auf. Die Naht solcher Wunden gelingt sehr oft. 
Viele Wunden konnten von der Sanitätskompagnie zur Truppe direkt 
entlassen werden. Die Wunden sind wenig infiltriert, die Narben ver¬ 
schieblich. Die einfache Exzision ist nicht allein ausreichend. Be¬ 
weisender sind noch die Erfahrungen an den schweren Verletzungen der 
Weichteile und Knoohenbrüohe, zumal des Oberschenkels. Hier muss 
man nicht nur einspritzen, sondern auch weit in die Knochenspalten 
und unter das Periost spritzen. Je eher die Umspritzung, desto günstiger 
die Ergebnisse. Es werden voraussichtlich weniger Knochenfisteln Zurück¬ 
bleiben. Gerade auf die besonders traurig sonst verlaufenden Kniegelenk- 
sohüsse wirkte das Vouzin vorzüglich; das Geschoss wird, sogar mit 
Meissein, entfernt, das Gelenk mit Vouzin umspült, um Gerinnsel und 
Fetzen zu entfernen, dann dioht vernäht; in das Gelenk bringt man 
20 ccm Vouzin 1: 10000. Fast immer folgt Fieber und Gelenkexsudat, 
zumal bei stärkerer Lösung. Das Punktat ist meist steril; etwaige 
Keime erzeugen keine Eiterung. Durch wiederholte Punktion und In¬ 
jektion gelingt es, frühzeitige Beweglichkeit (nach 14 Tagen) zu erzielen. 
Das Vonzin schwächt die Keime ab; es unterstützt die biologischen 
Faktoren im Kampfe. Selbst bei Neigung zu Osteomyelitis, bei ganz 
elenden Verletzten, wo Röntgenuntersuchung noch nicht möglioh ist, wo 
eine Exzision der Wunde nicht überlebt werden würde, hat Vortr. bis 
zu fünf Tagen nach der Verwundung die Infektion eingedämmt, bis die 
Leute aufgepäppelt waren, so dass es möglioh war, die Wunde riohtig 
zu versorgen. Gerade diese Fälle bilden sonst einen grossen Teil der 
Todesfälle. Bei unklaren Fällen wird schon vorn von der Sanitäts¬ 
kompagnie die Umspritzung ausgeführt. Natürlich hat auch dieses Ver¬ 
fahren seine Grenzen; aber trotzdem hat Vortr. auch in den äussersten 
Stadien und Graden von Verletzungen mit Infektion noch Ausnahmen 
(ein soloher Fall wird genauer beschrieben) erlebt, welohe die segensreiche 
Wirkung ,des Vouzins dartun. Mode. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztliohen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschatt) vom 13. Februar demon¬ 
strierte vor der Tagesordnung Herr Hol 1 ander eine subkutane Harn- 
röbrenzerreissung bei einem Hämophilen (Diskussion Herr Rothschild). 
Hierauf hielt Herr Rehfisch den angekündigten Vortrag: Zur Aetiologie 
der Hypertrophie der rechten Herzkammer, besonders bei behinderter Nasen¬ 
atmung (Diskussion die Herren Strauss, Orth, Benda, Rehfisoh). 

— Prof. Dr. H. Thierfelder in Tübingen feiert am 22. d. M. 
seinen 60. Geburtstag; er hat dort den Lehrstuhl für physiologische 
Chemie inne, der seinerzeit für Hoppe-Seyler errichtet wurde, und 
setzt so das Lebenswerk des Meisters fort, dessen bekannte» Lehrbuch 
er wiederholt in neuer Bearbeitung berausgegeben hat. 

— Prof. Dr. Sobernheim, Abteilungsvorsteher am städtischen 
Untersuchungsamt, hat eine Berufung nach Bern als Nachfolger Kolle’s 
angenommen. 

— Die sämtlichen Lehrer der Kinderheilkunde an deutschen 
Universitäts Akademien haben an die zuständigen Behörden eine Ein¬ 
gabe gerichtet, in der sie mit Rücksicht auf die Bedeutung einer guten 
Ausbildung der Aerzte in genanntem Fache für die Bevölkerungs¬ 
fragen folgende Anträge stellen: 1. An allen deutschen Universitäten 
und Akademien für praktische Medizin sind baldigst vollwertige Kinder¬ 
kliniken mit Infektionsabteilungen zu errichten und die vorhandenen 
zeitgemäss auszugestalten. 2. Kinderheilkunde ist zukünftig nioht mehr 
als ein Nebenfach zu betrachten und zu bewerten. Deshalb ist es not¬ 
wendig, die Extraordinariate in Ordinariate umzuwandeln. 3. Die Aus¬ 
bildung der Studierenden in der Kinderheilkunde ist auf 2 Semester zu 


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UNIVERSUM OF IOWA 





176 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 7. 


bemessen. 4. Die Prüfung in der Kinderheilkunde ist auf alle Exami¬ 
nanden auszudehnen und nur durob den Vertreter dieses Faches vor- 
zunehmen. 5. Die Kinderheilkunde hat einen besonderen Prüfungs¬ 
abschnitt im Kreisarztexamen zu bilden. 6. Auch die Schulärzte müssen 
eine besondere Ausbildung in Kinderheilkunde erhalten. 7. Fort- bzw. 
Ausbildungskurse in der Kinderheilkunde für praktische Aerzte sind in 
möglichst vielen geeigneten Anstalten des ganzen Reiches, jährlich 
wiederkehrend, einzurichten. 8. Soll eine weitere Heranziehung der 
Hebammen für die Säuglings- und Kleinkinderfürsorge beabsichtigt und 
damit eine Erweiterung ihrer Ausbildung notwendig werden, so hat 
beim Unterrichte und^bei der Prüfung der Hebammenschülerinnen ein 
Pädiater mitzuwirken. 

— Der seit geraumer Zeit angekündigte Gesetzentwurf zur 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten wird dem Reichstag 
in allernächster Zeit zugehen. Es bandelt sich. nicht nur um gesetz¬ 
geberische Maassnahmen zur Verhütung der Ansteckung und der Ver¬ 
breitung, sondern auch um die Organisation einer planmässigen Be¬ 
handlung uud Heilung nach dem Vurbild der Tuberkulosebekämpfung. 

— Die »Soziale Krankenhausfürsorge“ in Gross-Berlin, Vor¬ 
sitzende Fräulein Dr. Alice Salomon, Geschäftsstelle Berlin W. 80, 
Barbarossastr. 65, versendet ihren 2. Tätigkeitsbericht. Er veranschau¬ 
licht die gedeihliohe Entwicklung in fast 4jähriger Wirksamkeit. Damit 
hat sich der Gedanke, der die »Mädohen- und Frauengruppen für so¬ 
ziale Hilfsarbeit“ veranlasste, die von einigen seiner Mitglieder in der 
„Cbaritö“ und im Krankenhaus Moabit schon seit längeren Jahren aus¬ 
geübte Fürsorge auszubauen, als ein gesunder und dem Bedürfnis ent¬ 
sprechender erwiesen. Mit Genehmigung der städtischen Krankenhaus¬ 
deputationen von Berlin, Charlottenburg und Schöoeberg, und unter 
verständnisvollem Entgegenkommen der Verwaltungen, Aerzte und 
Schwestern könnte die Tätigkeit ausgedehnt werden auf das Rudolf Virohow- 
krankenhaus, das Krankenhaus am Friedrichshain, das Krankenhaus am 
Urban, das Krankeuhaus Gitscbinerstrasse, das Krankenhaus Westend, 
das Krankenhaus Sophie-Charlottenstrasse, das Augusta Victoriakranken¬ 
haus-Schöneberg, das königliche Universitätsinstitut für Orthopädie, die 
königliche Universitäts-Frauenklinik und das Krankenhaus der jüdischen 
Gemeinde. Die bekanntesten Wohlfahrtsorganisationen Gross-Berlins 
stellen die Fürsorgerinnen, während ein Komitee erfahrenster Sozial¬ 
arbeiterinnen die Organisation und den Ausbau der Tätigkeit leitet. 
Die Einheitlichkeit des Gründungsgedankens, dass die Krankenhaus¬ 
fürsorge das lür die' Kranken tun solle, was Arzt und Pflegerinnen 
nicht für sie tun können, wird überall festgehalten. Es gilt, bei 
wirtschaftlichen Sorgen, Rat und Hilfe zu schaffen, alles das aus dem 
Wege zu räumen, was von aussen her den Patienten in Angst und 
Unruhe zu versetzen und somit die Wiederherstellung der Gesundheit 
zu verzögern geeignet ist. Wenn materielle Hilfeleistung notwendig ist, 
werden wie bei den sonstigen meisten Hilfsmaassnabmen die zustän¬ 
digen Wohlfahrtseinrichtungen herangezogen. Die »Soziale Krankenhaus¬ 
fürsorge“ selbst ist kein Unterstützungsverein. Die Geschäftsstelle 
ist schriftlich und mündlich zu jeder Auskunft, sowie zur Uebermitt- 
lung von Drucksachen bereit; Sprechstunden daselbst täglich 107a bis 
117 a Uhr, ausser Mittwoch und Sonnabend. 

— Der Reichstagsausschuss für Bevölkerungspolitik hat kürzlich 
dem Reichstag das norwegische Gesetz ȟber Kinder, deren 
Eltern nicht die Ehe miteinander geschlossen hatten“ vom 
10. April 1915 zur Kenntnis gebracht. Es baut sioh, wie wir der Voss. 
Ztg. entnehmen, auf dem Grundsatz auf, dass das uneheliche Kind die¬ 
selbe Rechtsstellung zum Vater wie zur Mutter hat. Es hat Anspruch 
auf den Namen des Vaters wie auf den der Mutter, auf Unterhalt, Er¬ 
ziehung und auf Beerbung des Vaters. Der Vater hat das Recht, das 
Kind, wenn die Mutter nioht dafür sorgen kann oder es nicht richtig 
behandelt, zu sich zu nehmen, und gibt ihm somit auch Rechte, nicht 
bloss Pfl ohten und Lasten. Die uneheliche Mutter hat sich mindestens 
3 Monate vor der Entbindung an einen Arzt oder eine Hebamme zu wenden 
und den Namen des Vaters anzugeben, der sie schon von dieser Zeit ab 
unterstützen muss, so dass sie nicht bis zum letzten Tage zu arbeiten 
brauoht. Auch muss der Beitragspflichtige, falls er auswandern will, 
vorher die Beitragssumme sicherstellen. — Das ist ein Gesetz, das den 
Geist eohter Sittlichkeit und Wahrheit atmet und ausserdem von grosser 
Bedeutung für die Bevöikerungspolitik zu sein verspricht. 

— Wie in der letzten Nummer der Deutschen medizinischen Wochen¬ 
schrift, so erscheinen heute in unserer Wochenschrift Mitteilungen über 
das Friodmann’sche Tuberkulosemittel. Sie entstammen ge¬ 
meinsamer Beobachtungsstätte und sind geeignet, noch einmal die Auf¬ 
merksamkeit auf dieses Mittel zu lenken. Es ist dringend zu hoffen, 
dass es dieses Mal in weniger aufdringlicher Weise, als das erste Mal 
in die Welt eingeführt werde, um so eine ruhige sachliche Prüfung nicht 
von vornherein zu erschweren. Namentlich wäre zu wünschen, dass sich 
die Diskussion bis auf weiteres nur in den Faohblättern abspielt, damit 
nicht wieder durch vorzeitige Popularisierung Unruhe in die Oeffentlich- 
keit getragen wird. 

— Volkskrankheiten. Fleckfieber: Deutsches Reich (27.1. 
bis 2. II.) 7. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement War¬ 
schau (13.—19. I.) 599 und 67 +. — Rüokfallfieber: Kaiserlich 
Deutsche^ Generalgouvernement Warschau (13.—19. 1.) 29.— 


Genickstarre: Preussen (20.—26. I.) 5 und 8 +• Schweiz (6. bis 
12. I.) 7. — Spinale Kinderlähmung: Preussen (20.—26. I.) 1. 
Schweiz (30. XII.—5. I.) 1. — Ruhr: Preussen (20.—26. I) 88 
und 8 f. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Soharlaoh 
in Graudenz, Diphtherie und Krupp in Wilhelmshaven, Keuchhusten in 
Kaiserslautern, Typhus in Elbing, Hamm. 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochsohulnaohrichten. 

Berlin. Dr. Hoffendahl, Lehrer der Zahnheilkunde an der Uni¬ 
versität, erhielt den Titel Professor. Prof. Dr. Hein, Assistent am ana¬ 
tomischen Institut, ist verstorben. — Freiburg. Prof, de la Camp 
wurde zum Geheimen Hofrat ernannt. — Halle. Habilitiert: DDr. L. 
Grote, 0. Kneise, L. Koeppe. — Heidelberg. Zu Geheimen Hof¬ 
räten wurden die Professoren W. Kümmel und J. Hoff mann ernannt. 
— Leipzig. Habilitiert: Dr. Wolfgang Rosenthal und Dr. Rode- 
rich Sievers für Chirurgie. — Strassburg. Habilitiert: Dr. Eugen 
Lick teig, prakt. Arzt und Zahnarzt für Zahnheilkunde. 


Aufruf an alle deutschen Aerzte und Aerztevereinigungen! 

Der Unterzeichnete Arbeitsausschuss für den Löbker-Denkstein 
hat beschlossen, das geplante Erinnerungszeichen für unseren verstorbenen 
Freund und unvergesslichen Führer noch in diesem Sommer zur Aus¬ 
führung und Aufstellung zu bringen. Er richtet daher an alle Kollegen 
und Vereine, die bisher mit ihren Spenden zurüokgehalten haben, noch¬ 
mals die herzliche Bitte, ihre Beiträge an das »Konto Denkstein der 
Dresdner Bank, Filiale Bochum in Bochum“ einzusenden. Auch die 
kleinste Gabe ist willkommen. Etwaige Uebersohüsse werden als Grund¬ 
stock für eine Löbker-Stiftung verwendet, deren Ausbau jedoch erst 
nach Friedensschluss erfolgen soll. 

Der ansfiihreade Aissehiss: 

Wirklicher Geheimer Obermedizinalrat und Ministerialdirektor Professor 
Dr. Kirchner, Vorsitzender; Dr. Dippe, Geheimer Sanitätsrat, Vor¬ 
sitzender des Deutschen Aerzte Vereinsbundes; Dr. Hartmann, Sanitäts¬ 
rat, Vorsitzender des Leipziger Verbandes; Dr. Stoeter, Geheimer 
Sanitätsrat, Vorsitzender des Preussischen Aerztekammerausschusses; 
Dr. Heinze, Sanitätsrat, früherer Generalsekretär; Dr. Tegeler- 
Boohum, Sohatzmeister; Dr. Herzau, Geheimer Sanitätsrat, Schrittlührer. 


Amtliche Mitteilungen. 

.Person allen* 

Auszeichnungen: Königlich Württembergisches Charlotten¬ 
kreuz: Generalsekretär des Vaterländischen Frauenvereins (Haupt- 
Vereins) Gen. Ob.-A. a. D. Dr. Fried heim in Berlin. 

Ritterkreuz 1. Klasse des Grossherzogi. Hessischen Ordens 
»Stern von Brabant“: Geh. San.-Rat Dr. Gerster in Braunfeld. 

Kaiserl. und Königl. Oesterreichisoh-Ungarisches Kriegs¬ 
kreuz f. Zivilverdienste II. Klasse: San.-Räte Dr. Seeligsohn, 
Dr. Zucker und Dr. Kirstein, Arzt Dr. Fronzig, sämtlich in 
Berlin. 

Versetzung: o. Prof. Geh. Med.-Rat Dr. Jores in Marburg in gleioher 
Eigenschaft in die medizinische Fakultät der Universität in Kiel. 

Niederlassungen:, Aerztin Käthe Nagel und Dr. R. Zimmt in 
Berlin, Aerztin Käthe Gans, geb. Huth und Dr. J. Kalenscher 
in Charlottenburg, Dr. Georg Markuse in Schivelbein. 

Verzogen: Aerztin Dr. Elise Eichmann von Meissen nach Hohen- 
krug (Tuberkulosekrankenhaus der Stadt Stettin), Prof. Dr. E. Blind 
von Strassburg i. E. nach Polzin, Dr. H. Lach aus dem Felde nach 
Schlawe, H. Pfleging von Stettin nach Vitte auf Hiddensoe, Aerztin 
Dr. Gertrud Roegner von Bad Landeck nach Schreiberhau, Dr. 
W. Poth von Rabenstein i. Sa. nach Sorge (Kr. Grafsoh. Hohenstein), 
Aerztinnen Dr. Elisabeth Herberger von Deidesheim, Dr. Selma 
Meyer von Berlin, Frau Hedw. Dibbelt und Frau Elisabeth 
Marx geb. Plank von Giessen sowie Margarete Hamann von 
Kayna nach Düsseldorf, Dr. Aug. Lindemann von Essen nach 
Düsseldorf, Dr. F. Gerwiener von Cöln nach Holsterhausen, Dr. P. 
Schwellenbach von Werries (Kr. Hamm) nach Steele, Dr. P. Stuck- 
hard von Wiesdorf nach Dormagen (Ldkr. Neuss), Dr. F. Lonne 
von Cöln nach Bonn, Dr. H. Luyken von Niedersessmar nach Gum¬ 
mersbach, Dr. F. Senge von Quierschied nach Sohiflweiler (Kr. Ott- 
weiler), San. Rat Dr. E. Birnbaum von Berlin-Friedriohsfelde, Dr. 
W. Buchwald von Pyrmont, Dr. K. Heilbronn und Dr. O. Miohel¬ 
sohn von Berlin-Wilmersdorf, Dr. Emil Hey mann und San.-Rat 
Dr. Max Löwenthal von Berlin, Aerztin Etta Rosenthal von 
Berlin-Schöoeberg sowie Dr. Julius Simon aus dem Felde nach 
Charlotten bürg, Aerztin Hertha Heimann von Berlin nach St. Blasien. 

Praxis aufgegeben: Prof. Dr. H. Venn in Charlotteuburg. 

Gestorben: Dr. Alfred Rudolph in Berlin, San.-Rat Dr. K. Senn- 
witz in Grottkau, San.-Rat Dr. H. Joeckel in Rüdesheim (Kr. 
Kreuznach). 


Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Bane Kohn, Berlin W., Bayreuther 8tr. 43. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumacher in Berlin N. 4. 


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IM« B«rlin«r Kl l nie eh« Woohenaohrift «rachelat Jadea 
Monte,f ia Nummern von ca. 3—6 Bogen gr. 4, — 
Pr«ia vierteljährlich 7 Mark. Beatellungen nehmen 
eU« Buchhandlungen and Poetenaul ten an. 


BERLINER 


Alle Elnaendnngen für die Redaktion and Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagabnehhandlnng 
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Br. 68, adressieren. 


KLINISCHE W(X!HENSCfflaiT. 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

ßth. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Prof Dr. Hans Kohn. August Hirschwild, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 25. Februar 1918. «M 8. Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


I s H 

Origiialiei: Neumann: Die Entwicklung der heutigen Kriegsbeschä¬ 
digtenfürsorge. S. 177. 

Kor ach: Krieg und Magendarmstörungen. S. 181. 

Hei mann*. Uteruscarcinom und Streptokokken. (Aus der Königl. 

Universitäts-Frauenklinik zu Breslau.) S. 188. 

Sohraidt: Ueber Diathermiebehandlung der Gonorrhoe und anderer 
Erkrankungen. (Aus dem früheren Reserve-Lazarett Kaserne 
Eisenbahnregiment Nr. 1 in Schöneberg.) S. 184. 
Bleherkespreehaigea: Sohlesinger: Die Röntgendiagnostik der Magen* 
und Darmkrankheiten. S. 186. (Ref. Groedel.) — Adam: Die 
miiitärärztliohe Sachverständigentätigkeit auf dem Gebiete des Ersatz¬ 
wesens und der militärischen Versorgung. S. 187. Lipmann: Flug¬ 
schriften der Zentralstelle für Volkswohlfahrt S. 187. (Ref. Mörcben.) 
Utera&ir-Aiszflge: Physiologie. S. 187. — Therapie. S. 188. — Para- 
sitenkunrle und Serologie. S. 188. — Innere Medizin. S. 189. — 
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 189. — Chirurgie. S. 190. — 
Röntgenologie. S. 190. — Augenheilkunde. S. 190. 


Die Entwicklung der heutigen Kriegs¬ 
beschädigtenfürsorge. 

Von 

Generaloberarzt Dr. Neman, 

Reserveleterettdirektor in Elberfeld. 

(Nach einem Vortrag für die ärztliche Fortbildung.) 

Die Darstellung der Geschichte der Kriegsbeschädigtenfürsorge 
aller Zeiten verdanken wir dem Oberstabsarzt Dr. Haberling. 
Aus seinen Ausführungen geht hervor, dass der alte Ben Akiba 
recht hat, wenn er safct: Es ist alles schon einmal dagewesen. 
Die Rentenzahlung, die Kapitalabfindang, die Versorgung in der 
Weise der Landbesiedelnng usw. — alles ist schon einmal in 
irgend einer Form vorhanden gewesen. 

Wesentlich ist die heutige moderne Kriegsbeschädigtenfüreorge 
in der Monatsschrift „Die Kriegnbeschädigtenfürsorge“, heraas¬ 
gegeben vom Reichsaus8chass der Kriegsbeschädigtenfarsorge, ent¬ 
halten, wie wir sie schon anfangs Biesalski und Würtz ver¬ 
dankten, die bahnbrechend voran gingen. 

Es ist vielleicht bemerkenswert, dass es gerade sächsische 
Militärärzte gewesen sind, welche in der „Militärmedizin“ eine 
besondere Rolle spielten. Oberstabsarzt Frölich hatte vor einem 
Menschenalter zuerst den Begriff „Militärmedisin“ festgestellt. 
Militärmedizin ist die Anwendung der gesamten medizinischen 
Wissenschaft auf die Verhältnisse der Armee. Dann war es General* 
arzt Roth, der Unvergessliche, der das erste, schon 8 bändige 
Buch nach englischem Muster über Militärhygiene schrieb, noch 
heute eine Fundgrube für militärhygienische Fragen, in dem anch 
die soziale Seite schon berührt wird; Roth’s Erfahrungen sind 
grundlegend gewesen. 

Die Militärmedizin ist an sich soziale Medizin, wie die Militär¬ 
hygiene soziale Hygiene ist. Gerade im Weltkrieg ist der Begriff 
aber erweitert worden. Nicht nur die körperliche Elite der Völker 
steht unter den Waffen: Millionenheere sind aufgestellt. Millionen 
sind kriegsbeschädigt and verwandet, Millionen harren der Ent¬ 
scheidung ihres Rentenverfahrens. So ist die Kriegsbeschädigten¬ 
fürsorge von allgemeinstem Interesse für das ganze Volk. Sie 


ALT. 

Verhaadlugei ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliohe 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft) Aussprache 
über die Vorträge der Herren Ros enstein: Die unblutige Be¬ 
kämpfung eitriger Prozesse durch Morgenroth’sche Chininderivate 
und Hirsohfeld: Ueber die Wiederherstellung der geschädigten 
Funktionen der Nieren bei chronischen Nephritiden. S. 191. 
Ceelen: Die Nebenwirkungen des Theacylon. S. 194. Saul: 
Untersuchungen zur Aetiologie und Biologie der Tumoren. S. 194. — 
Physiologische Gesellschaft zu Berlin. S. 196. — Verein 
für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin. S. 196. 
— K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 197. 
Hauptversammlung der Prüfstelle für Ersatzglieder. 21.—28. Januar 1918. 
(Sobluss) S. 197. 

Kriegsärztliche Abende. S. 198. 

Matthes: Zum 70. Geburtstage Julius Schreibens. S. 199. 
Tage8gescbiohtliohe Notizen. S. 199. 

Amtliohe Mitteilungen. S. 200. 


ist honte ein ganz besonderes Problem geworden; eine grosse 
Frage unserer Zeit. 

Die Kriegsbeschädigtenfarsorge beginnt eigentlich schon im 
Feldlazarett; die Fürsorge setzt ein, wo der Arzt zuerst in die 
Erscheinung tritt. Das war ein Satz, der mir schon klar zum 
Bewusstsein kam, als ich 1914 in dem Reservelazarett Elberfeld 
die ersten Verwundeten sah. Die Arbeitstherapie ist aber ein 
ganz altes Rüstzeug des Militärarztes, was besonders seinerzeit 
der verstorbene sächsische Generalarzt Düms betonte nnd für 
djese in den Friedenslazaretten eintrat, nnd ich habe schon im 
September 1914 die Arbeitsbehandlung hier im Industriebezirk 
durchzuführen begonnen. Anfangs mit argem Widerstreben der 
hiesigen schwer za behandelnden Bevölkerung, die, wie mir ge¬ 
schrieben wurde, es nicht begreifen konnte, dass die „bergischen 
Helden, die ihr Blot für das Vaterland vergossen hatten“, anch 
noch arbeiten sollten. Jetzt, wo der Monatsverdieost meiner haupt¬ 
sächlich bergischen Lazarettinsassen aber mehr als 32000 Mark 
beträgt, haben die Ausstellungen and Anfeindungen nachgelassen. 
Die Kriegsbeschädigtentürsorge hat sich heute zn einem mächtigen 
Baume ausgewachsen. Aber auch für sie gilt das Wort: Si vis 
pacem, para bellum. Wie sie den Weg fand von der einfachen 
Ueberlegung, dass wir Znstände wie nach 1870 mit der Drehorgel 
nicht wieder erleben wollen, so wird sie auch den Weg finden, 
sich für den Uebergang vom Krieg zum Frieden zu rüsten, der 
doch einmal kommen wird. Allseitige Arbeit ist jetzt schon in 
ruhigere Bahnen gelenkt, and die Ziele sind festgesteckt, alles 
zu tun, am den Verletzten and Erkrankten wieder erwerbsfähig 
zn machen, Dinge, anf die ich, weil selbstverständlich, im Einzelnen 
nicht weiter einzngehen brauche. Je mehr wir uns dem Frieden 
nähern, desto grösser wird aber die Zahl derjenigen werden, die 
mit Ansprüchen bervortreter, und mit der Demobilmachung wird 
ein Ansturm auf die Versorgungsabteilungen stattfindeo, die zu¬ 
nächst bestimmnngsgemäss sich der Rentensacher anzunehmen 
haben. 

Wieweit die Belehrung and Aufklärung, von der ich als 
unentwegter Optimist indes sehr viel halte, schon gewirkt hat, 
kann ich als hinter der Front befindlich gewiss nicht beurteilen, 
aber an solchen hat es nicht gefehlt, und ich wünschte nur, dass 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 







178 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


das, was ich selbst in Zeitschriften verschiedener Art darfiber 
schrieb, bis in die Schützengräben gelangt wäre. Man kann 
sich schon einen Begriff machen, wie gross die Arbeit für die 
Versorgungsabteilungeu des Bezirkskommandos später weiden wird. 
Für die einheitliche Zusammenarbeit von Bezirkskommando, Krieg«- 
fürsorgeetelle der bürgerlichen Behörden und Reservelaxarett bin 
ich von Anfang an eingetreten, und bei uns ist die Sache ge¬ 
regelt, wie schon die mustergültigen Bestimmungen des stell¬ 
vertretenden Generalkommandos des VII. Armeekorps zeigen. Ein 
neues gewaltiges Gebiet schliesst sich an die Friedensarbeiterver¬ 
sicherung an, die RVO. erhält einen militärisch sozialen Zuwachs. 

Es liegt mir wesentlich daran, mit diesen Betrachtungen ein 
knappes Bild dessen zu geben, was bis jetzt auf dem Gebiete der 
Kriegsbeschädigtenförsorge; überhaupt getan und erreicht ist. Auf 
Einzelheiten einzugehen fehlt die Zeit. Ich erwähne die Veran¬ 
staltung der Kriegeransiedelungen, wie sie an mehreren Orten 
schon ins Werk gesetzt sind, die Kriegerbeimstätten, die Krieger¬ 
erholungsstätten und die Gesellschaft für Kriegerheime und ähnliche 
Erholungsstätten, ln Sachsen hat die Kriegeransiedelung auch schon 
festen Fuss gefasst. Man erkannte an, dass der grösste Teil der 
Beschädigten die Ansiedelung wünscht. Auf Betreiben des Heimat¬ 
dankes und der Organisation des Klein Wohnungsbaues als der 
Zentralstelle für Wohnungsfürsorge ist die Frage der Krieger¬ 
ansiedelung gefördert worden. Die Regierung legte in Sachsen 
schon einen Gesetzentwurf über die Ansiedelungen von Kriegs¬ 
teilnehmern vor. Man kann sich auch der Hilfe von gemein¬ 
nützigen Gesellschaften und BauvereiniguDgen bedienen, auch 
wurden die Bestrebungen des „Frauendanks“ mit der Stiftung 
„Heimatdank“ verbunden. Auf die private Versicherung gegen 
Haftpflicht und Unfall in der Kriegsbeschädigtenfürsorge kann ich 
hier weiter nicht eingehen. Die sachliche und örtliche Zuständig¬ 
keit der Hauptfürsorgeorganisatiouen sind im Januarheft der Zeit¬ 
schrift „Die Kriegsbeschädigtenfürsorge“ vom Reichsausschuss in 
Leitsätzen zusammengestellt. Hier wird der Personenkreis fest¬ 
gelegt, gesagt, wer Kriegsteilnehmer ist und der Umfang der 
Tätigkeit erörtert. Zuständig für die Fürsorge sind nach diesen 
Leitsätzen diejenigen Hauptfürsorgeorganisationen, in deren Bezirk 
der Beschädigte beim Eintritt in das Heer seinen Wohnsitz ge¬ 
habt bat. Ueberweisungen von Kriegsbeschädigten zwischen den 
Hauptfürsorgeorganisationen sind gestattet. Diese Leitsätze be¬ 
nötigen jedoch noch weiterer Aussprache und vor allem einer 
reicbsgesetzlichen Regelung. Auch soll hier die Heim- und An¬ 
staltsfürsorge des Zentralkomitees der deutschen Vereine vom 
Roten Kreuz nicht vergessen sein. Wie weit die bisherige, durch¬ 
aus erspriessliche Tätigkeit dieses Zentralkomitees evtl, später 
auf die Hauptfürsorgeorganisation überzugehen hat, unterliegt noch 
der Verhandlung. Der Bundesrat erliess von Zeit zu Zeit Bekannt¬ 
machungen über Kriegswohlfahrtspflege während des Krieges, so 
schon am 28. Juni 1915, welche die Vornahme öffentlicher Samm¬ 
lungen zu Gunsten von Kriegswohlfahrtszwecken von behördlicher 
Erlaubnis abhängig machte. Das wäre notwendig, um schwindel¬ 
haften, und zweifelhaften Unternehmungen den Boden abzugraben. 
Naturgemäss konnten alle Auswüchse nicht beseitigt werden. Am 
28. September 1916 legte der Reichskanzler dem Reichstag 
einen Gesetzentwurf zum Schutze der Bezeicbnug Nations- 
Stiftung uud Marinestiftung vor. Dieser Gesetzentwurf wurde 
einer Kommission überwiesen, welche der Ansicht war, dass 
hier ganze Arbeit zu machen sei, und schon damals war man 
sich einig, dass das gesamte Gebiet der Kriegswohlfahrtspflege 
gesetzlich zu regeln sei. Das Plenum des Reichstages schloss 
sich am 8. September 1916 diesen Ansichten an, am 15. Februar 
1917 erging die Bundesratsverordnung, welche sich über die 
Krieg8woblfahrt8pflege äusserte. In dieser Verordnung wurde zu¬ 
nächst gesagt, dass alle öffentlichen Veranstaltungen zugunsten 
der Kriegswoblfahrtspflege einer behördlichen Erlaubnis bedürfen. 
Hauptsächlich sollte der Missbrauch geschäftsgewandter Unter¬ 
nehmer unterbunden werden, welche zur Mitgliedschaft für ihre 
privaten Unternehmen aufforderten. Wesentlich ist, dass eine 
Zersplitterung der Kräfte und Mittel verhütet wird. Auch bei 
anderen Gelegenheiten haben wir die Beobachtungen gemacht, 
dass, sobald etwas Gutes und Erspriessliches auftaucht, oft die 
gute Sache zu Privatzwecken gemissbraucht wird. Auf die juri¬ 
stischen und verwaltungstechnischen Dinge, wie beispielsweise die 
Ausführung eines Rechtsmittel Verfahrens in Militärsachen, kann 
ich hier nicht näher eingehen. Auch hier ist jedoch eine gesetz¬ 
liche Regelung notwendig. Bisher lag die Sache so, dass der 
Kriegsbeschädigte, wenn er sämtliche militärische Instanzen bis 
zum Kriegsministerium durchschritten hatte, ohne im Besitze einer 


Nr. 8. 


angeblichen Dienstbeschädigung zu sein, das Recht hatte, den 
Militäifiskus zu verklagen. Während des Friedens sind gegen 
dieses Verfahren fast keine Beanstandungen laut geworden, aber 
die höchsten Garantien unserer Rechtspflege müssen für die Kriegs¬ 
beschädigten gegeben sein. Die Militärverwaltungsbehörde war 
bisher stets in der Lage, bei vorkommender Dienstbeschädigung 
in äusserst entgegenkommender Weise vorzugehen, auch die Be¬ 
schädigten, wenn Dienstbeschädigung nicht vorlag, in Betrieben 
unterzubringen. Die infolge langer Dauer des Krieges zweifellos 
zunehmende Anzahl der Dienstbeschädigungen wird ein starkes 
Anwachsen der Rentenprozesse vielleicht ergeben. Es kommt 
ganz darauf an, wie die neuen Gesetze sich gestalten werden; es 
wird aber auch hier darauf Rücksicht genommen werden; es muss 
dafür gesorgt werden, dass ein angeblicher Kriegsbeschädigter 
den Prozessweg möglichst nicht beschreitet. Auf dem Gebiete 
der sozialen Friedenspraxis bat sich gezeigt, dass von den Be¬ 
schwerdeführern ungefähr 25 pCt. der Entscheidungen angefochten 
werden. Wenn beispielsweise nach dem Kriege nur etwa 5 pCt. 
Unzufriedenheitseiklärungen abgegeben werden, so würde das bei 
einer Zahl von einer Million Kriegsbeschädigter 50000 Prozesse 
betragen; da die Zahl der Kriegsbeschädigten aber wahrschein¬ 
lich höher ist und manche sie auf drei Millionen schätzen, so 
würde eine Anfechtung der Entscheidung der Militärbehörden in 
geringen Prozentzahlen, etwa nur 8 pCt., schon rund 100000 Pro¬ 
zesse ergeben. Diese grosse Zahl von Prozessen würde nicht nur 
eine überwiegende* Belastung der bürgerlichen Gerichte mit sich 
bringen, sie bringt auch eine nicht zu unterschätzende soziale 
Gefahr mit sich. Wir wissen schon aus der Friedenserfahrung, 
dass der lange Rentenkampf und die grosse Zahl von Renten¬ 
neurasthenikern auf den sozialen Frieden einen schädlichen Ein¬ 
fluss ausübt. Schon jetzt beschäftigen sich die Zeitungen der am 
weitesten links stehenden sozialdemokratischen Richtung mit 
diesen Dingen; zweifellos liegtauch die Gefahr der Verschleppung 
dieser Rentenprozesse vor, so dass ein vereinfachtes Verfahren 
sich als notwendig erweist. Ich bin der Ansicht, dass diese 
Dinge einer besonderen Regelung bedürfen. Die heutigen Be¬ 
gehrungsvorstellungen, wie sie schon Strümpell nannte, gehen 
aus 1. auf die Frontdienstbefreiung, 2. auf die Kriegsrente. Es 
ist schon jetzt vorgekommen, dassJMilitärpersonen, die sich in der 
Kriegsindustrie eine Beschädigung zugezogen haben, keine Militär¬ 
renten erhalten, weil die Militärbehörden das Vorliegen einer militäri¬ 
schen Dienstbeschädigung verneinten, den Beschädigten somit an die 
Unfallversicherung verwiesen und dass dann die Instanzen der 
sozialenVersicherung das Vorhandensein einer militärischen Dienst¬ 
beschädigung angaben und ihrerseits wiederum ihre Unfallrenten 
ablebnten. Es muss also eine Instanz geschaffen werden, welche 
hierüber urteilt. Auch für die RentenLosen muss gesorgt werden. 
Es ist bereits die Regelung getroffen, dass in den Fällen, in 
denen eine Dienstbescbädigung nicht anerkannt werden kann, bei 
der Entlassung jedesmal zu prüfen ist, ob Bewilligung einer Rente 
sich nicht doch noch ermöglichen liesse. § 25 des bisherigen 
Gesetzes gibt dazu die Möglichkeit Es muss dafür gesorgt werden, 
dass kein Kriegsteilnehmer und kein Familienglied eines Kriegs¬ 
teilnehmers mit der Armenpflege in Berührung kommen soll. 
Auch die Rentenlosen dürfen in Zukunft, wenn sie aus Ursachen, 
die lediglich auf ihre militärische Einziehung zurückgehen, hilflos 
bedürftig geworden sind, nicht ohne weiteres mit dem Armenrecht 
als Notbehelf abgespeist werden. Ueber die Ansicht, ein Reichs¬ 
fürsorgeamt zu gründen, das als Reichszentralstelle gedacht ist, 
um allen Kriegsbeschädigten bei der Arbeitsbeschaffung helfend 
zur Seite zu stehen, sind die Ansichten noch sehr verschieden. 
Hier werden noch weitere Erfahrungen gesammelt werden müssen. 
Auf die Berufsberatung und Arbeitsvermittelung für Lungenkranke 
kann ich ebenso wenig eingehen, wie auf die Arbeitsmöglichkeit 
der Kriegsverletzten. Für das Industriegewerbe befindet sich beim 
8. Armeekorps der Provinz Brandenburg schon eine Vermittelungs¬ 
stelle für Schwerkriegsbeschädigte. Auf die Heimarbeit für 
Schwerkriegsbeschädigte wies Dr. Kaethe Gaebel hin. Der 
Weltkrieg hat es mit sich gebracht, dass sich in den Reiben der 
Kriegsbeschädigten Minderbemittelte wie Wohlhabende, gänzlich 
Arme wie höchst Begüterte finden. Schon im Frieden kommt die 
soziale Versicherung wesentlich den Minderbemittelten zugute, 
während die Begüterten in der Lage sind, sich der Privatver¬ 
sicherung zu bedienen. Wie weit man,die Beziehungen zwischen 
Privatversicherung und sozialer Versicherung zusammen fassen 
kann, lässt sich nur auf Grund weiterer Erfahrungen entscheiden. 
Wesentlich wird die Arbeitsbescbäftigung für. Kriegsbeschädigte 
nach dem Kriege in besonderen Arbeitsbetrieben mit gesetzlichem 


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UMIVERSITY OF IOWA 



25. Februar 1018. 


BERLINER KLINISCHE 'WOCHENSCHRIFT. 


179 


Arbeitszwang sein. Eine Statistik in der Rheinprovinz zeigt, dass 
noch nicht 4 pCt. der aas dem Heeresverband Entlassenen arbeits¬ 
los sind. Ein Teil von ihnen ist aber direkt als arbeitsscheu za 
bezeichnen. Aach schon im Frieden gab es Arbeitskräfte, die 
trotz aller Arbeitsgelegenheit nicht zur Arbeit zu bringen waren. 
Aach anter diesen wird es solche Kriegsbeschädigte geben, die 
weder durch den Kriegsdienst, nbch durch den Lazarettaufentbalt 
arbeitsfreudiger geworden sind. Geht der Krieg zu Ende, so wird 
sicher die Zahl der Arbeitslosen, denen es au gutem Willen fehlt, 
steigen. Bisher sind nur 10 pCt. als arbeitsscheu angegeben. 
Die Zahl der Arbeitsscheuen dürfte sich mit Eintritt der Demobil¬ 
machung aber steigern und die Zahl der sogenannten Kriegsrenten¬ 
sucher sich vermehren. Gerade mit diesen Leuten wird es einen 
harten Kampf um die Kriegsrente kosten. Auch der Kampf der 
Gesunden mit den Kriegsbeschädigten um dieselbe Arbeitsstelle 
wird zweifellos gross werden. Landesrat Hör io n in Düsseldorf 
schlägt deshalb vor, eine Zuteilung besonderer Arbeitsgelegenheit 
lediglich für Kriegsbeschädigte, nicht für Gesunde, zu schaffen, 
und zwar einen gesetzlichen Zwang für die Arbeitsgeber zur An¬ 
stellung solcher Kriegsbeschädigter zu erreichen. Wenn also auf 
dem Wege der Freiwilligkeit eine befriedigende Lösung nicht zu 
erreichen ist, so wird der gesetzliche Arbeitszwang für derartige 
Kriegsbeschädigte eintreten. Aber auch wenn es zu einem gesetz¬ 
lichen Anstellungszwang kommt, wird doch der freiwilligen Be¬ 
tätigung immerhin noch ein grosses Arbeitsfeld bleiben. Es wird 
aber die weitgehende Berücksichtigung der Kriegsbeschädigten 
vor den Gesunden maassgebend sein; der Kriegsbeschädigte muss 
ein gewisses Vorrecht gemessen. 

Die bei der Beratung der Gesetze immer wieder scharf be¬ 
tonte Notwendigkeit, sagt Exzellenz Freiherr von Langermann 
u. Erlenkamp, bei der Gewährung der Abfindung, die Kriegs¬ 
beschädigten vor Verlast der Versorgung zu sichern, hat dazu 
geführt, einschneidende Sicherheitsmaassnah men in das Gesetz 
aufzunehmen. Ueber die vorgeschriebene Belehrung der Kriegs¬ 
beschädigten über ihre Versorgungsansprüche verspreche ich mir 
als entschiedener Optimist sehr viel Belehrung schafft Klarheit, 
und schliesslich dringt doch die Wahrheit durch 1 ). Der Härten¬ 
ausgleichsfonds ist geeignet, Zuwendungen in der Höhe der Ver¬ 
stümmelungszulage zu machen, für die das Gesetz noch nicht, oder 
nur bedingt, zutrifft. Auf die Einzelheiten kann ich aber hier 
nicht eingehen. Der Arzt muss aber- die Gesetze kennen, sonst 
kann er nicht militärsozial wirken. Die Rente ist nun einmal 
kein Schadenersatz für verringerten Verdienst, und sie ist kein 
allein unterzulegender Maassstab für die Bewertung der Leistung, 
auf Grund deren sich Gehalt und Lohn bestimmt. Jeder Fall 
ist gesondert zu werten. Schematismus ist vom Debel, ebenso 
jeder Bureaukratismus. Die Fortschritte in der Kriegsbeschädigten¬ 
fürsorge dürfen aber auch nicht verkannt werden. Wir arbeiten 
alle weiter an diesem schweren sozialen Problem im Interesse 
derer, die für uns stritten. Aber Grundsatz und Ziel aller Kriegs 
beschädigtenfürsorge ist, dass der Verletzte und Erkrankte zu¬ 
nächst geheilt wird und zwar mit allen zu Gebote stehenden 
Mitteln, mit dem gesamten Rüstzeug der medizinich-chirurgischen 
Wissenschaft, Dinge, die natürlich selbstverständlich sind. Die 
reiche Erfahrung der Militärmedizin und Militärchirurgie, wie 
wir sie auch schon früher bei den Rentenprüfungsgeschäften ge¬ 
wannen, weist hier die richtigen Wege, und unsere Aerzte des 
bürgerlichen Berufes, von denen ja der grösste Teil (*/ 8 der 
Aerzte8chaft) mit uns Militärärzten zusammen arbeitet, haben jetzt 
schon einen Einblick in den gewaltigen Militär-Sanitäts-Organis¬ 
mus erhalten. Form und Inhalt müssen sich verquicken. 
Organisation und Wissenschaft müssen verschmelzen, aber nur 
eine auf der Höhe stehende Wissenschaft kann das leisten. 
Richtlinie bleibt, dass der Kriegsbeschädigte — ich fasse mit 
diesem Sammelnamen alle die Arten zusammen, die durch den 
Krieg beschädigt sind, also im Sinne des bisherigen Gesetzes eine 
Einbusse an ihrer Erwerbsfähigkeit erlitten haben, selbst dann, 
wenn Kriegsdienstbeschädigung nicht sicher nachgewiesen ist — 
zunächst von der Militärbehörde abgefunden wird, zeitig oder 
dauernd, nachdem, wie gesagt, alles das geschehen ist, was ge¬ 
schehen kann, so z. B. die spezialistiscbe Behandlung, die Ver¬ 
bringung in Bäder, Kuranstalten usw. Inzwischen sind ja schon 
Schritte getan durch Arbeitstherapie und Arbeite Vermittelung. 
Es sind Wege gangbar, die Einschulung und Umschulung einzu¬ 
leiten, so dass für den Mann gesorgt wird, alles Dinge, auf 


1) Verfügung der Minister des Inneren, des Handels, der Finanzen, 
des Krieges vom 8. IX. 1915. 


die ich hier in diesem Rabmen nicht einzugeben brauche. Auch 
die Gewöhnung muss als Besserungstatsacbe anerkannt werden. 
Und doch sind das Fragen, die jedermann interessieren, nicht 
bloss die Heeresverwaltung und die Stadtverwaltungen, sondern 
auch die Aerzte, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer. Gerade 
hier ist eine Aufklärung am Platze. Das Zukunftsbild sollte uns 
jetzt schon deutlich vor Augen stehen. Es kann nur immer 
wiederholt werden, was ja auch schon vor dem Kriege galt, die 
Rente ist nur ein Zuschuss und kann nur ein solcher sein. Erst 
im Erwerbsleben selbst zeigt sich die Anpassung an die Erwerbs¬ 
möglichkeit und die Leistungsfähigkeit. Auch hier sehen wir 
die bekannte Wechselwirkung zwischen Volk und Heer, wie sie 
sich auch auf anderen Gebieten zeigt. Die ältere Friedenspraxis 
hat schon hier der jüngeren der Kriegsbeschädigten fürsorge die 
Wege geebnet. Die Paradebeispiele machen es nicht, und gerade 
beim Gliedersatz zeigt sich, wie kompliziert die Frage der Kriegs¬ 
beschädigtenfürsorge in der nächsten Zukunft und nach dem Kriege 
sein wird. Nie kann die Geldrente, und wenn sie noch so hoch, 
die Erwerbsfähigkeit, die verloren ging, wett machen. Herstellung 
der Erwerbsfäbigkeit ist besser und billiger als eine Geldent- 
schädigung. Der Krieg kostet uns Milliarden an Kriegsrenten auf 
Jahrzehnte hinaus. 

Vor den Schwierigkeiten fürchten wir uns aber nicht. Die 
gesetzliche Regelung der Bezüge nach der RVO. neben der Militär¬ 
rente wird auch noch Gegenstand der Besprechung sein müssen. 
Hier wird vor allem für die „hoffnungslosen Fälle 11 zu sorgen 
sein, die jede „Rentenpsychose 1 * ausschliessen. Es wird eine be¬ 
sondere Aufgabe seht, den Kriegsbeschädigten in erster Linie die 
Stellen zu sichern, damit durch das Zurückströmen gesunder Ar¬ 
beiter nach dem Kriege ihnen keine unliebsame Konkurrenz er¬ 
wächst. Der Kriegsbeschädigte muss ein Ausnahmerecht haben. 
Wirtschaftliche Vereinigungen von Kriegsbeschädigten sind dazu 
nicht notwendig. Maassgebend mnss sein, den Beschädigten den 
grösstmöglichsten Spielraum wirtschaftlicher Selbständigkeit zu 
erhalten. Das bebt sein Selbstgefühl. Er ist dann nicht auf die 
Staatsgnade angewiesen, und wer viel mit Rentenempfängern zu 
tun gehabt hat, der weiss, dass man dieses Selbstgefühl erhalten 
soll. Sehr schwer ist die Beurteilung der Kriegsneurosen. Es 
klingt sehr geistreich, wenn gesagt wurde, dass Kriegsneurose 
dort vorliegt, wo sich eine unbewusste Angst vor der Einziehung 
befindet; wo die Angst bewusst ist, handle es sich um Drücke- 
bergertom. Aber was liegt nicht alles zwischen diesen beiden 
Extremen in der Mitte? Wie steht es mit der vorhandenen 
Ueberlagerung der Kriegsneurosen durch Neurasthenie und durch 
Hysterie? Das sind alles Fragen, die lediglich ein erfahrener, 
älterer Militärarzt beantworten kann. Deshalb wird die Berufung 
solcher als Begutachter in die Provinzialausschüsse für Kriegs¬ 
beschädigte sich als notwendig erweisen. Aber auch die Gesamt¬ 
heit der Aerzte wird hier mitwirken müssen, und die Begut¬ 
achtung durch Spezialärzte wird sich nicht umgehen lassen. Auf 
den Wert des Personalkartensystems brauche ich nur hinzuweisen. 
Die „Rechtsberatung der Kriegsbeschädigten 11 sollte lediglich bei 
den amtlichen bürgerlichen Fürsorgestellen liegen, die sich zu 
selbst eigenen Reichsbehörden vielleicht zu entwickeln haben, deren 
Organisation durch Gesetz festgelegt wird. Hier muss auch zum 
Ausdruck gelangen, wann ein Kriegsbeschädigter aus der Militär¬ 
fürsorge ausscheidet. So klar das bei den dauernd Untauglichen 
erscheint, so schwierig liegt es bei den zeitig Untauglichen, deren 
Zustand noch der Nachprüfung bedarf. Gerade hier wird auch 
nach dem Kriege die Zusammenarbeit der Hauptfürsorgeorgani¬ 
sationen amtlich-bürgerlicher Art mit den militärischen Organi¬ 
sationen unerlässlich sein. Vielleicht schafft das neue Kriegs¬ 
rentengesetz besondere Versorgungsämter, auf deren Einrichtung 
ich schon sehr früh hingewiesen hatte. Oentralisation und Or¬ 
ganisation sind auch hier die maassgebenden Gesichtspunkte. 
Eine reicbsgesetzliche Regelung der Kriegswoblfahrtspflege ist 
dringend erforderlich. Die Kriegsbeschädigten fürsorge ist der 
wichtigste Teil. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der 
Hauptfürsorgeorganisationen ist gesetzlich heute noch nicht ge¬ 
regelt. Der Personenkreis ist grundsätzlich weitzügig zu fassen. 
Im Zweifel soll man sich für den Beschädigten entscheiden. Der 
Kriegsbeschädigte ist von dem Friedensbeschädigten zu trennen. 
Bei Entlassung ohne Versorgung ist stets eine Nachprüfung vor¬ 
zunehmen, was ja auch früher geschah und in den früheren 
Gesetzen vorgesehen ist (§ 110 der alten Gesetze und § 25 des 
Gesetzes 1906). Hier ist auch das wichtig, was Dr. Gerth im 
Aprilheft der Zeitschrift „Die Kriegsbescbädigtenfürsorge 11 gesagt 
hat. Ueber weitere Organisationsfragen möchte ich mich hier 

1 * 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 




180 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


nicht aiislassen. In der Zeitschrift „Die Kriegsbescbädigtenfür- 
8orge u sind ja schon sahireiche Hinweise, i. B. von Dr. Kerschen¬ 
ste iner u. a. gegeben worden. Die kriegschirurgische Technik 
and die Technik des inneren Arstes und des Spesialarttes spielt 
hier dieselbe Rolle wie die ärztliche Tätigkeit in der Unfallheil¬ 
kunde. Den Krieg hat schon Pirogoff eine wesentlich trauma¬ 
tische Epidemie genannt. 

Wesentlich erscheint mir, auch nach dem Kriege die Zu¬ 
sammenarbeit der bürgerlichen Organe der Kriegsbeschädigten¬ 
fürsorge, also der amtlichen bürgerlichen Fürsorgestellen mit den 
Versorgungsabteilungen der Bezirkskommandos, die erheblich be¬ 
lastet sein werden. Es ist fraglich und unterliegt nicht meiner 
Beurteilung, ob sich dort eine Stellenvermehrung des militärärzt- 
lichen Personals ermöglichen lässt. Ich halte es aber für ange¬ 
bracht, nach dem Kriege mit dem Beginn der Demobilmachung 
den Provinzialverbänden, die heute nach dem offiziellen Ver¬ 
zeichnis verschiedene Namen tragen, einen früheren Militärarzt 
zuzuweisen, der Erfahrungen auf dem Gebiet der Kriegsbescbä- 
digtenfürsorge hat. Dieser Arzt ist der facbärztlicbe Beirat für 
den Vorsitzenden der Provinzial Organisationsstelle. Ein früherer, 
älterer Militärarzt soll es deshalb sein, weil dieser auf dem Ge¬ 
biete der Militärrentenfürsorge über Erfahrungen verfügt, prak¬ 
tisch jahrzehntelang sich in der Begutachtung geübt bat und 
Fachmann ist. Man kann die Dienststelle auch „ärztlicher Beirat 
der Hauptfürsorgeorganisation der Provinz u nennen. Es unterliegt 
keinem Zweifel, dass in der Gesetzgebung für die Kriegsbeschä¬ 
digten heute andere Grundsätze Platz greifen müssen, als dies 
bisher geschehen ist. Darauf ist schon von anderer Seite hin¬ 
gewiesen worden, so z. B. von Landesrat Dr. Horion in Düssel¬ 
dorf. Damals handelte es sich wesentlich um junge Soldaten in 
bestimmtem Alter. Der Krieg aber hat jetzt schon gezeigt, dass 
heute Alterszahlen bis 50 Jahre in Betracht kommen. Auch hat 
daö Gesetz von 1906 nur teilweise den Beruf in Betracht ge¬ 
zogen. Ich kann hier auf die Geschichte der Invalidenfürsorge, 
wie sie früher Paalzow dargestellt hat, nicht eingehen. Es er¬ 
scheint mir das wesentlich, was Dr. Schweyer gesagt hat, näm¬ 
lich: das ist durch die Rente zu decken, was „zur Fristung des 
Lebens auf sozialer Grundlage notwendig* 1 ist. Sie kann, wie 
gesagt, nur ein Beitrag zur Sicherung wirtschaftlichen Aus¬ 
kommens sein. Auch das Unfallversicherungsgesetz ersetzt nicht 
das volle Einkommen. Man kommt aber um die Neuregelung der 
Rentenberechnung nicht herum, und das wird noch Kämpfe kosten, 
ein klippenreiches Werk der Zukunft. 

Neben die volkswirtschaftliche Bedeutung der Friedensunfall- 
kunde tritt die neuzeitliche Kriegsbeschädigtenfürsorge: die 
Betriebsunfälle allein kosteten 1914 schon 180 Millionen Mark. 

Ueber die Kriegsneurose darf ich noch etwas anfügen: Die 
Wiederertüchtigung der an Kriegsneurose leidenden Kriegsbeschä¬ 
digten ist ein ganz besonderes und sehr schwieriges Gebiet. Beob¬ 
achtungen bat Prof. Dr. Wilmanns, ebenso die Aerzte Heding, 
Kehrer und Pilzecker mitgeteilt. Diese Beobachtungen sind 
auf der Tagung der Fürsorge für Nervenkranke des beim Reichs- 
ausscbuss der Kriegsbeschädigtenfürsorge bestehenden Sonder¬ 
ausschusses verlautbart worden. Die Beobachtungen sind in den 
Nervenlazaretten Hornberg und Triburg gemacht. Kurz gesagt 
handelte es sich um folgendes: Der Begriff der Neurose ist nie 
scharf. Fasst man den Begriff weit, so kann man die Mehrzahl 
der angeborenen seelischen Regelwidrigkeiten, Psychopathien, 
minderwertige Charaktere und sonstige geistige Störungen, die 
krankhaften Rückwirkungen oder seelischen Erschütterungen mit 
dem Namen Kriegsneurose zusammen fassen. Die Erschöpfung 
und die Verschlimmerung der Zustände haben durchweg günstige 
Heilaussichten. Drei abgrenzbare Formen treten auf: die Schreck- 
neurose, die hysterische Ueberlagerung und die Wundneurose. 
Schreckneurose tritt auf nach Trommelfeuer und heftiger Gemüts¬ 
erschütterung in der Front. Es sind seelische Gedankenstörungen, 
die auch im Frieden bei weiblichen Personen schon beobachtet 
und als Rückwirkung sonst belangloser Schreckwirkung gelten, 
weil auch unter gewöhnlichen Verhältnissen der seelisch gesund 
Veranlagte hysterisch reagiert. Wenn also der auslösende Reiz 
ein entsprechend starker ist, so haben wir hier erfahren, dass 
die Schreckneurosen beiderseitige schwerste Ertaubung der Ohren, 
Muskellähmung, Störungen der Stimme, der Sprache, der Blase usw. 
verursachen. Kopfzittern, Gliederzittern sind nichts Ungewöhn¬ 
liches und oft mit schweren oder leichten Seelenstörungen ver¬ 
einigt. Bei den Gefangenen sind Schreckneurosen fast gar nicht 
beobachtet. Es wird mithin die unumstössliche Tatsache fest¬ 
gestellt, dass die Einflüsse, welche für die Umstände der an sich 


heilbaren Sch reck neurose zu einem dauernden Leiden verantwort¬ 
lich sind, lediglich als Angst Vorstellung vor einer erneuten 
militärischen Verwendung zu betrachten sind. Die Schreck¬ 
neurose, sagt W., ist eine unbewusste Abwebraktion gegen den 
Dienst. Je näher der Heimat, desto länger dauert die Schreck¬ 
neurose. Als Gegenmittel erwähnt W. die Bezeichnung d. a. v. H., 
wonach die Schreckneurose in der Regel schwindet. Die 
Wunschneurose ist oft mit der Schreckneurose vergesellschaftet 
Angst vor erneuter militärischer Verwendung und Rentenbegeh¬ 
rungsvorstellungen wirken mit. Wo keine militärärztlich ge¬ 
schulten Aerzte vorhanden sind, sah man in den Genesenden¬ 
kompagnien epidemisches Auftreten hysterischer Störungen. Bei 
den Besichtigungen wurden bei Beginn des Krieges ganze Nester 
von Zitterern, Bettnässern u. dgl. ausgehoben, die ihr Leiden 
nicht etwa unter den erschütternden Einwirkungen des Feldes 
hatten, sondern in der Rübe des Lazaretts sich erworben haben. 
Das sind reine Wunschneurosen, die durch Verzärtelung und er¬ 
zwungene Untätigkeit im Lazarett entstanden sind. In Vereins¬ 
lazaretten sind sie häufiger beobachtet als in Reservelazaretten. 
Die Ursache ist klar. Es ist daher durchaus richtig, dass man 
diese Kriegsneurotiker zusammenlegt und in Sonderlazaretten 
behandelt. Auf die sonstige Behandlung kann ich hier nicht 
weiter eingeben, Wilmanns schildert, dass die Kranken sofort 
unter den Einfluss des Lazarett ge istes gerate rt. Wie der Lazarett¬ 
geist ist, so auch die Krankenbebandlung, Disziplin ist notwendig, 
sonst steigt die Zahl der neurotischen Rentenempfänger ins Un¬ 
geheure. Nur durch strenge Disziplin, sagt Kehrer, sind wir 
in den Stand gesetzt, die schlechten Elemente, welche sich unter 
der Zahl der Kranken finden, so in Schach zu halten, dass sie 
neurotisch nicht mehr infizierend wirken können. Daher spielt 
die psychopathische Atmosphäre eine grosse Rolle. Sie setzt 
sich zusammen, sagt Kehrer, aus einer gereinigten Kasernenluft 
und einer eigenartigen Dauergestimmtheit, die viel Aehnlicbkeit 
hat mit der sogenannten Lourdesstimmung. Wenn wir, so heisst 
es in einem Bericht aus Homberg, auf die Durchsetzung der 
militärischen Autorität bis in alle Einzelheiten so besonderen 
Nachdruck legen, so geschieht dies nicht aus irgendwelchem 
militärischen Vergnügen, das man nicbtaktiven Sanitätsoffizieren 
von vornherein gar nicht zutraut, sondern aus den wachsenden 
Erfahrungen, dass wir bei unseren neurotischen Soldaten vor 
allem psychopathische Pädagogik zu treiben haben. Was die 
Lourdesstimmung anbetrifft, so wird damit ausgedrückt, dass die 
Erwartung und die sichere Ueberzeugung einer Heilung auf den 
Höhepunkt getrieben wird. So sind auch Spontanheilungen in 
grosser Menge erlebt worden. Das verbotene Mitleid soll nicht 
als „Banngut u in die Lazarette Eingang finden. Die Heilkuren 
bestehen in Zwangsexerzieren, um den Willen zu beeinflussen und 
um in die Gegenpole der hysterisch-mystischen Infektion einzu- 
dringen. So hat jeder Kranke seine bestimmte Persönlichkeits¬ 
formel, und das eine Ziel schwebt vor: Wie lässt sich am 
schnellsten und sichersten unter Einhaltung aller ethisch-ärztlichen 
Gebote die Heilung erreichen? Den Indikationsbereich der Zwangs¬ 
exerzierkuren hält Kehrer für sehr gross. Er hat, wie er sich 
ausdrückt, Tiefenwirkung, und die Beobachtung ist gemacht, dass, 
je länger der Krieg dauert, die Zahl der Erkrankten und Ver¬ 
wundeten, die lediglich auf heilenden Zwang reagieren, zunimmt, 
dass die Gruppe der zart besaiteten Symptomträger, die sich für 
die Hypnose eignen, zurücktritt. Die Kombination von Exerzieren 
und Arbeiten wird eben die Idee des Gesundenmüssens stärken, 
weil das Bewusstsein, noch Soldat zu sein, gestärkt wird. Das 
sind Vorkehrungen einer spezifischen militärisch sozialen Fürsorge, 
die in nutzbringender Weise ausgeübt wird. Ich bin der Ansicht, 
dass dieses günstige Resultat auf der ganzen Linie erzielt werden 
kann, dass die Ueberwindung der Schwierigkeiten pns keine Sorge 
macht, dass die Kriegsneurotiker schnell mit kurzer Uebergangs- 
zeit geheilt werden müssen, damit sie nicht sich selbst, der 
Staatskasse und der Menschheit zur Last fallen. In einem sozialen 
Zeitalter sollte man nicht mit Aengstlichkeiten diesen Leuten 
gegenübertreten, sondern für sie das Biesalski’scbe Wort übrig 
haben: „Der Wille siegt.“ Zu ähnlicher Ueberzeugung kommt 
Prof. Blind und andere. Blind spricht vor allem von der Be¬ 
kämpfung der psychischen Hemmungen und krankhaften Vor¬ 
stellungen sowie der sozialen Kleinarbeit des Arztes. 

Weichliche Menschen in einer stets unzufriedenen Stimmung 
können so wirklich durch die Schule des Militarismus hoch¬ 
gehalten werden, und der Krieger erweist sich auch hier als ein 
Helfer und Heiler in vielseitigem Leiden. Diese Beispiele lassen 
sich leicht vermehren. Mit Recht spricht Blind von einer Ortho- 


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26. Februar 1918J 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


181 


pädie des Willens, wo die psychische Behandlung unter dem 
moralischen Einfluss des militärisch geschulten Arztes Wunder 
wirkt. Auch hier der Anfang mit ganz leichter, müheloser Arbeit 
im Bett bis zur Angewöhnung und Eingewöhnung in die bisherige 
Arbeit; das ist natürlich ein mühsamer Weg, und doch muss er 
gegangen werden, um die trübe Langeweile der Lazarettkranken 
zu zerstören, das Gespenst einer inhaltlosen Zukunft zu ver- 
scheuchen. Die Heilung tritt als eine rein militärisch-energische 
Form in Kraft, welche wesentlich die geistige Fortbildung des 
Kranken im Auge hat. Hier wächst aus der sozialen Kleinarbeit 
des Arztes die Grundlage der Fürsorge im Grossen für unsere 
Kriegsbeschädigten. Mitleid und Verwöhnungen sind falsche 
Mittel. Das echte Mitleid des Arztes nimmt sich des Kranken 
an, aber falsches Mitleid entmutigt den Kranken und bedroht den 
Erfolg sorgsamer ärztlicher Tätigkeit. 

Zwei Fragen stellt der Kriegsbeschädigte: Wie werde ich 
gesund, und wie kann ich meinen früheren Beruf wieder auf¬ 
nehmen? Der echte Kriegsneurotiker kann nicht, der falsche, 
der zum Drückeberger wird, will nicht. Viele Fälle gleiten aber 
auf der mittleren Linie. Trotz alledem werden viele solche Kriegs¬ 
neurotiker als kr.u. zeitig oder dauernd zu entlassen sein, aber nicht 
alle. Viele Kriegsneurotiker könnten auch völlig gesunden. Die 
grundsätzliche Bestimung des Kriegsministeriums vom 21. April 1917, 
wonach die Nachprüfung für diese Kriegsneurotiker möglichst 
6 Jahre weit hinaus geschoben werden soll, ist durch eine Ver¬ 
fügung des Kriegsministeriums vom 7. September 1917 dahin ge¬ 
ändert, dass eine Heilung grundsätzlich versucht werden soll. 
Das ist der richtige Weg. Die Anpassung, sagt Blind, ist die 
wohltätige Fee, die unsere Erfolge begleitet. 

Von der Tändelarbeit im Bett mit Nadel und Wolle, mit Korb¬ 
flechten oder mit der Papparbeit zum Werkstattschullazarett oder 
zur Werkstätte und dann zur gewohnten Arbeit oder zur Ein¬ 
schulung und Umschulung in einen anderen Beruf. Hier sind die 
Berufsberater wertvolle Helfer. Die schon jetzt unübersehbare 
Literatur kann ich hier nur streifen. Auch volkstümliche kleine 
Bücher sind schon in grosser Zahl erschienen, unter Titeln „Wie 
werde ich versorgt?“ und Aehnliches. Exzellenz v. Langermann, 
der Direktor des Versorgungsdepartements im Kriegsministerium, 
hat u. a. im Roten Tag das Ganze der Kriegsbeschädigtenfürsorge 
populär gefasst für die breite Oeffentlichkeit zusammengestellt — 
eine verdienstvolle Arbeit. Adam hat die juristische, Schrakamp 
die ärztliche Seite der Kriegsbeschädigtenfürsorge bearbeitet. 
Gaupp, Tübingen hat die Frage der Verstümmelung bei den 
Nervenkranken und Nerven verletzten des Krieges erörtert und die 
wichtige Frage der DienstbeBchädigung bei den Neurosen als eine 
der schwersten Probleme, das auch u. a. Fla mm er behandelt 
hat, gestreift. Gaupp sagt am Schluss eines seiner Aufsätze 
folgendes: 

„Die Aussagen der Leute über die dienstlichen Ursachen ihrer 
Neurosen sind mit grosser Vorsicht aufzufassen. Granatexplosionen 
mit Verschüttungen werden oft glatt erfunden. Es ist festgestellt, 
dass oft kein Schuss gefallen, dass nichts sich ereignet hat“. 

Je mehr man die Vorgeschichte des Mannas studiert, desto 
mehr fiodet man also den schon früher bestandenen maassgebenden 
Einfluss der psychischen Struktur einer prämorbiden Persönlich¬ 
keit als vorhanden war. Vielleicht geht Gaupp m. E. nach etwas 
zu weit, wenn er auch anderweitige Erkrankungen, wie Magenleiden, 
Herzfehler, Rheumatismus, Ischias u. a. lediglich als abulische 
Hysterie und Psychopathie auffast. Gaupp sagt, dass die Neu¬ 
rologen und Psychiater, die das Elend der traumatischen Neu¬ 
rosen schon kennen, die Forderung stellen sollen, diesem Uebel- 
stand mit allen Mitteln entgegen zu treten. „Die fixe Dauerrente 
ist ja oft nichts anderes“, sagt Gaupp, „als die amtliche Bestätigung 
eines eingebildeten Siechtums“. 

Gewiss kommt für alle, die im Kriegsdienst waren, mit dem 
Frieden zunächst eine Schonzeit. Es ist sicher auch mit Arbeits¬ 
losigkeit zu rechnen, die Industrie wird Zeit brauchen, bis sie 
sich wieder zu Friedenszwecken ummodelt. Vielen wird die Um¬ 
schulung in die FriedenBarbeit schwer fallen, das sind schwere 
Uebergangszeiten. Die Kriegsbeschädigtenfürsorge, über die ich 
einen ganz knappen Ueberblick als ein Ganzes zu geben bemüht 
war, soll an sich ein Beneficium sein. Aber nicht nach dem 
Grundsatz: Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage. Das Recht, 
das mit uns geboren ist, das ist das Recht auf Arbeit, das Recht 
einer freien, auf sich selbst gestellten Persönlichkeit. Dieses 
Recht, als ein freies Selbstbestimmungsrecht, soll auch der Arzt 
dem Kriegsbeschädigten wahren. Viel besser als falsches Mitleid 
ist die Erziehung zur Energie, zum Wiederaufbau unserer Wirtschaft 


schaft und Volkskraft. Wollen die Aerzte, sagt Gaupp, die 
wahren Berater unseres öffentlichen Lebens sein, so müssen sie 
den möglichen Gefahren einer Hysterisierung unserer heimkebrenden 
Männerwelt und ihrer Familien entgegentreten. Wir werden, sagt 
Gaupp schliesslich, vielleicht zunächst keinen Dank, oft sogar 
Missverstehen, ja vielleicht sogar manchmal Feindseligkeiten 
finden — aber ich hoffe, so sagt er, dass wir dann alle so viel 
Charakter haben, um unbeirrt durch alle Anfeindung nur dem 
Grundsatz zu dienen: Salus populi suprema lex. 

Auf die chirurgischen Fälle kann ich hier nicht weiter ein- 
gehen. Wir wissen, dass unsere ärztliche Wissenschaft, mit allem, 
was sie umfasst, den Kriegsbeschädigten zur Verfügung steht. 
Die Ausnutzung der Spezialärzte ist wesentlich. Wir haben das 
Bwusst8ein, dass von Seiten der Aerzte alles geschieht, um zu 
heilen und zu helfen, und die soziale Tätigkeit des Arttes fiudet 
hier ihren schönsten Triumph. Bei der langen Dauer des Krieges 
war man im Anfang weder auf die inneren Krankheiten noch auf 
die Neurotiker gefasst. Wie hat sich das Bild aber geändert 1 
Gerade der Arzt, sagt Prof. Blind, ist berufen, die Lehrlinge 
neuen Lebens in schwerer Uebergangszeit zu neuem Arbeitsmut 
und neuer Tatkraft zu erziehen. So wird auch neben dem Chirurgen, 
als dem ersten sonst unter den Kriegsärzten, jeder Arzt zum 
sozialen Berater und Faktor. 

Zusammengefasst sehen wir in der moderner Organisation 
die Kriegsbeschädigtenfürsorge ein grosses Werk, das sich unseren 
bewährten sozialen Einrichtungen durchaus würdig anreiht, um 
die uns die anderen Staaten beneiden. Auch auf diesem Gebiet 
feiert der viel geschmähte Militarismus seinen Triumph, der nun 
einmal das Rückgrat des deutschen Staates bildet. Vielleicht hat 
Gladstone Recht, der die Aerzte die Führer der Zukunft der 
Völker nannte. Der Ausbau der Kriegsbeschädigtenorganisation, 
der bei uns rüstig vorwärtsschreitet, steht unter dem alten 
preussischen Grundsatz: „Laeso sed invicto militi“ und ist um¬ 
rahmt von den Eingebungen eines sozialen Gewissens, welche 
lediglich den Forderungen einer modernen Gegenwart entsprechen. 
So wird der Militärarzt und alle Aerzte, die im Dienste der 
Militärmedizin stehen, zu wertvollen sozialen Helfern werden, und 
es wird der alte Spruch wahr, der von Freiligrath stammt: 

Das sei dir unverloren 
Fest, tapfer alle Zeit 
Verdien* dir deine Sporen 
Im Dienst der Menschlichkeit. 

Rundum der Kampf aufs Messer, 

Lera du zu dieser Frist, 

Dass Wunden heilen besser 
Als Wunden schlagen ist. 


Krieg und Hagendarmstörungen. 

Von 

8. Koraeh Hamburg. 

Obwohl uns besonders der Bewegungskrieg in den ersten Monaten 
eine grosse Reihe magendarmkranker Soldaten zugeführt und auch während 
des Stellungskrieges die Zahl der Erkrankungen nicht wesentlich ab¬ 
genommen hat, sind auffallenderweise in der feldärztlichen Literatur 
die Magendarmstörungen in ihrem Zusammenhänge mit dem Kriege stief¬ 
mütterlicher behandelt worden, als Herz- und Nierenkraukheiten. Die 
Ursache der im Vergleich zu dem häufigen Vorkommen verhältnismässig 
spärlichen Publikationen rührt wohl zum grossen Teil daher, dass 
magendarmkranke Soldaten während der ersten Kriegsmonate in den 
verschiedenartigsten Lazaretten — auch kleineren Vereinslazaretten — 
zerstreut untergebraoht wurden, in welohen die Möglichkeit einer exakten 
klinischen Untersuchung, einer strikten Durchführung notwendiger Diät¬ 
kuren nicht gegeben war. Soweit mir bekannt, haben sich in den letzten 
Kriegsjahren die Verhältnisse insofern gebessert, als fast in sämtlichen 
Korpsbezirken mit allen modernen Hilfsmitteln ausgestattete Beobachtungs¬ 
stationen für Magendarmkranke eingerichtet wurden bzw. im Entstehen 
begriffen sind. Dass für derartige Einrichtungen ein dringendes Bedürfnis 
vorlag, bewiesen die vielseitigen Klagen der Aerzte über die Magenkranke 
in Lazaretten, in welohen sie meistens nicht in der Lage waren, die für die 
rasche Beseitigung mancher Magendarmaffektionen notwendige diätetische 
Behandlung durchznführen. 

Mein Beobachtungsmaterial entstammt zum Teil der Krankenbaus¬ 
abteilung, die Mehrzahl der Fälle verdanke ich einem Kollegen, der mir 
eine grosse Reihe Magendarmkranker zur Untersuchung ihres Magen¬ 
chemismus überwies. 

Auflallend war die beträchtliche Zahl der Aohylien bzw. 
Aoblorhydrien; während Zweig bis 25 pCt., Heinsheimer bei 
80. pCt magenkranker Kriegsteilnehmer Anaoiditat konstatiert haben, 

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182 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


finde ich unter meinem Beobachtungsmaterial 85pCt. Anaoide gegen¬ 
über 15 pCt. Hyperaoiden. Von den Acblorbydrien bzw. Aobylien 
hatten 25pCt. schon seit Jahren am Magen laboriert uud waren seit 
langer Zeit an eine bestimmte Diät gebunden. Objektiv fand ich in 
einer Reihe von Fällen neben der Anaoidität schleimiges Sekret im 
nüchternen Magen, mikroskopisch Leukocyten und Magenepithelien als 
Zeichen einer Gastritis chronica mucosa, bei der Mehrzahl eine reine 
Achylie; während bei vielen Patienten in Folge vikariierenden Eintretens 
des Darmes wesentliche Ernährungsstörungen ausblieben, traten bei einer 
Minderzahl gastrogene Diarrhoen auf, die ernstliche Ernährungsstörungen 
zur Folge batten; erst nach konsequenter Durchführung bestimmtet 
Diätvorschriften gelang die Sistierung der mitunter recht langwierigen 
Darmstörungen. Weit interessanter erscheint die zweite Gruppe der 
Aobylien, die Kategorie der bis zum Beginn ihrer Fronttätigkeit voll¬ 
ständig Magengesunden, bei welchen sich in den ersten Wochen des 
Bewegungskrieges Magenstörungen einstellte (Druck in der Magengegend, 
Aufstossen, häufiges Erbrechen, Diarrhoen usw.). Wenngleich die An¬ 
nahme einer nervösen Dyspepsie sehr nahe lag — handelte es sich doch 
in der Mehrzahl um konstitutionelle Neurasthenien mit gesteigerter 
Refiezerregbarkeit, Dermographie u. dgl. —, so konnte die klinische 
Beobachtung bei vielen dauernde Sekretionsstörungen feststellen; zur 
Diagnose der Anacidität bzw. Achylie entschloss ich mich erst, nachdem 
wiederholte Untersuchungen des nüchternen Mageninhaltes, Ausheberungen 
nach Probefrübstüok bzw. Probemittagessen und Appetitmahlzeit das 
gleiche Resultat ergeben hatten. Soweit mir bekannt, hat Albu 1 ) zuerst 
auf das Vorkommen dieser akuten Achylien aufmerksam gemacht; das 
gehäufte Auftreten derselben bei bislang magengesunden Kriegsteilnehmern 
während des Bewegungskrieges möchte ich auf mannigfache Ursaohen 
zurüoklühren;vor allem sind das übereilte Essen, ungenügende Zerkleinerung 
der Speisen in Folge Zeitmangels oder schadhaften Gebisses, unmassige-; 
Rauchen, übertriebener Kaffeegenuss als ätiologische Momente anzu- 
sohuldigen, in Betracht kommen ferner beträchtliche Wasserentziehungen 
als Folge starker SchweissabsonderuDgen bei grösseren Märschen, sowie 
tiefere psychische Einwirkungen; traten doch in einigen Fällen Magen¬ 
beschwerden ■*— als deren Ursache sich später Sekretionsstörungen heraus¬ 
stellten — nach einem grossen Schreok, nach heftiger psychischer Er¬ 
regung auf, und man muss dieselben nach dem Vorschläge Albu’s als 
vorübergehende Erschöpfungszustände einer funktions- 
sohwaohen Magenschleimhaut auf fassen. 

Die Wichtigkeit dieser ätiologischen Momente erblicke ich in der 
Heilbarkeit dieser Magenstörungen; auch für die militärärztliche Beurteilung 
erscheint die Trennung der beiden oben skizzierten Gruppen von hohem 
Wert. Während die chronischen Achylien mit gastrogenen Diarrhöen 
an der Front und in der Etappe unbrauchbar sind, steht einer Ver¬ 
wendung derselben als g.v. im Innendienst, in Munitionsfabriken und dgl. 
nichts im Wege, falls ihnen die Möglichkeit der Selbstverpflegung ge¬ 
geben wird; eine längere Lazarettbehandlung halte ich iür vollständig 
zwecklos. 

Weit günstiger liegen die Verhältnisse bei den zur zweiten Gruppe zu¬ 
gehörigen Patienten, den sogenannte akuten Achylien; diese bedürfen 
dringend der Lazarettbebandlung, aber nur einer solchen, in welchen 
Einrichtungen für einen Diättisoh vorhanden sind; mit einer rein vegeta¬ 
bilischen Kost unter Ausschluss der Fleischnahrung hatte ich recht gute 
Resultate. Gute Dienste leisten Trinkkuren mit kühlen Kochsairquellen 
(Homburg, Kissingen). jedoch nur in kleineren Mengen, da grössere 
Flüssigkeitszufuhr auch kochsalzhaltiger Wasser die Magen Sekretion 
hemmen; sind bereits Darmstörungen eingetreten, so kommen Kochsalz¬ 
thermen (Wiesbaden und Neuenahr) in Betracht; doch bleibt Grund¬ 
bedingung für den günstigen Erfolg derartiger Brunnenkuren das Vor¬ 
handensein eines Diättiscbes, ohne welchen eine Kur in den genannten 
Kurplätzen wertlos ist. Der k. v. Erklärung der akuten Aohylien 
nach Beseitigung der Sekretionsstörung steht nichts im Wege. 

Weit seltener, als die durch Sekretionsstörung bedingten Magen¬ 
affektionen kamen ulcerative Prozesse des Magens zur Beobachtung; 
bei allen bestanden schon seit Jahren Magenbeschwerden, einige hatten 
wiederholt Haematemesis, mehrere waren bereits gastroenterostomiert 
worden; hatten dieselben in Friedenszeiten bei Innehalten diätetisoher 
Vorschriften überhaupt keine Beschwerden oder nur in längeren Inter¬ 
vallen, so stellten sich diese kürzere oder längere Zeit, nachdem sie an 
die Front gekommen, wo sie nicht in der Lage waren, Diätvorschriften 
zu befolgen, in verschiedener Intensität ein. 

Bei vielen kam es zu dem gleichen Circulus vitiosus; erst Revier¬ 
behandlung, dann längerer Lazarettaufenthalt, Erholungsurlaub, Dienst 
bei der Ersatztruppe, erneutes Auftreten von Beschwerden, Revier, 
Lazarett, usw. 

Derartige mit einem alten Ulcus ventriouli — und das Gleiche 
gilt auch für die Mehrzahl der Duodenal geschwüre —behaftete Soldaten 
bilden für die Truppe, sowohl an der Front als in der Etappe und im 
Garnisondienst, eine grosse Belastung; dieselben sollten, Bobald sie er¬ 
neute Beschwerden, siohere Zeichen eines Ulcus bzw. perigastritischer 
Verwachsungen einstellen, als d. u. entlassen werden; selbst wenn es 
gelingt den einen oder anderen mit Leube- bzw. Lenhartz’scher 
Kur nach längerer Behandlung beschwerdefrei zu machen, dürfte häufig 
eine im Garnisondienst nicht immer zu vermeidende Diätüberschreitung 
genügen, das duroh einen monatelangen Lazarettaufenthalt mühsam er¬ 
reichte vollständig zu nichte zu maohen. 


1) Albu, Ther. d. Gegenw., 1918. 


Mag manoher Gastroenterostomierter oder an Magenulcus Leidender 
an der Front „durchhalten“, — derselbe bildet eine Ausnahme — auch 
im Interesse der späteren Feststellung der KDB. halte i«h für die 
Mehrzahl eine frühzeitige d. u. Erklärung sehr empfehlenswert. Für 
manchen „früher operierten“ Fall, bei welchem die Felddienstfähigkeit 
„heilend“ gewirkt haben boII, darf man wohl mit Bestimmtheit annebmen, 
dass ein Ulcus ventriouli bzw. duodeni überhaupt nicht Vorgelegen hat und 
die Operation irrtümlicherweise bei einem nervösen Dyspeptiker ge¬ 
macht wurde. 

Recht zahlreich waren die nervösen Dyspeptiker, welche sich 
auf Grund „langjähriger Beschwerden und sehr eingehender ärztlicher 
Atteste“ für jeden Militärdienst „völlig ungeeignet“ hielten. Bereitete 
häufig schon die Diagnose „nervöse Dyspepsie“ bei gesichertem Aus¬ 
schlusseiner ernsteren organischen Magenerkrankung grosse Schwier egkeiten, 
so steigerten sich dieselben nicht selten nach gesicherter Diagnose bei 
der Beantwortung der Frage naoh der Verwendungsfähigkeit (Dientfähigkeit) 
ins Unermessliche. Bei der Beurteilung der Dienstbrauchbarkeit sind 
weniger die mannigfaltigen — oft auch durch ärztliche Atteste glaub¬ 
haft gemachten — Beschwerden zu berücksichtigen als der Ernährungs¬ 
zustand, die Gewiohtskurve, sowie der allgemein psychische Zustand. 
Ausgesprochene Neurastheniker, Hysteriker mit nervöser 
Dyspepsie (nervöse Dyspepsie auf der Basis konstitutioneller und er- 
worbenener Neurasthenie, hysterischer Dyspepsie) sind zweckmässiger 
auf gemischten Krankenabteilungen als auf speziellen Magenabteilungen 
unterzubringen; bei Nachlass der Magenbeschwerden, Besserung des All¬ 
gemeinbefindens, Körpergewichtzunahme können dieselben unbedenklich 
„felddienstfähig“ erklärt werden; habe ich doch ebenso wieviele 
andere die Erfahrung gemacht, dass Neurastheniker, die gewohnt waren, 
einen Magenspezialisten nach dem andern zu konsultieren und sich jahre¬ 
lang sklavisoh an die ihnen gegebenen Diätvorschriften gehalten hatten, 
der körperlichen Anstrengung an der Front, der mitunter sehr erschwerten 
Ernährung in den Schützengräben stand hielten, ohne von Magen¬ 
beschwerden belästigt zu werden. Schwieriger ist die Beurteilung der 
naoh meinen Beobachtungen glücklicherweise nicht sehr zahlreichen 
nervösen Dyspepsieen bei seelischen Depressionszuständen 
und ausgesprochenen Psychopathen (psychogene und cyclothyme 
Dyspepsie), welche weniger unter Berücksichtigung ihrer gastrischen Be¬ 
schwerden, als der dieser zu Grunde liegenden psychischen Alteration 
nach der Methode der Psychoanalyse militärärztlich zu beurteilen sind 
und welche — für jedweden Militärdienst ungeeignet — möglichst bald 
ihrem bürgerlichen Beruf zuzuführen sind; die Prognose dieser Fälle 
halte ich bei längerer Dauer für recht infaust. 

Im Zusammenhänge mit dem häufigen Vorkommen der Achylie bzw. 
Achlorhydrie bei Kriegsteilnehmern interessierte mich die Frage des 
Einflusses der Kriegskost auf die Sekretionsverhältnisse 
des Magens 1 ); waren in den ersten Kriegsjahren durch die Streckung 
des Mehles, Ausschaltung des reinen Weizenmehles die Hyperaciden vor¬ 
zugsweise beeinträchtigt, so trat in den beiden letzten Jahren insofern 
eine Aenderung ein, als die Fleisch-, Eier- und FettnabruDg wesentlich 
in den Hintergrund trat und durch zellulosereiche Gemüse ersetzt wurde; 
wenn auch irgendwelche ernstere Schädigungen der Digestionsorgane 
nicht beobachtet wurden, so traten doch in den Sekretions Verhältnissen 
Störungen ein, die mit Bestimmtheit auf die Ernährungsänderungen 
zurückzutühren sind. 

Entgegen den Ergebnissen älterer aus früheren Jahren stammender 
Versuche — dieselben ergeben bei gemischter, vorwiegend animalischer 
Kost hohe HCl-Werte — fand ich in der letzten Zeit auffallend viele 
Hypoohlorhydrien neben einer relativ grossen Zahl von Aohlor- 
hydrien bzw. Aohylien; die Durchschnittswerte für freie HCl be¬ 
trugen 6—10 bei einer Gesamtaoidität von 15—25; die Ursache 
der Sekretionsstörung ist wohl hauptsächlich in der veränderten Ernäh¬ 
rung begründet; war doch die bei den meisten in Friedenszeiten vor¬ 
wiegend animalische Kost durch eine lakto-vegetabilische bzw. rein vege¬ 
tabilische Ernährung ersetzt worden; nun wissen wir aus den Unter¬ 
suchungen Bickel’s, dass u. a. abgebrühte Gemüse, wie Kartoffeln, 
Wirsingkohl, Spargel, Rotkohl, Blumenkohl und Spinat, weisse Rüben, 
Mohrrüben, Stärke schwache Sekretionserreger sind, während Kaffee, 
Fleischextrakt, Eigelb, rohes und gebratenes Fleisch, Schinken, Pökel¬ 
fleisch, geräucherte Fische — Nahrungsmittel, die bei unseren heutigen 
Ernährungsverhältnissen entweder teilweise aussebeiden oder ganz in den 
Hintergrund treten — zu den starken Sekretionserregern gehören. 

Durch den Ausfall bzw. Reduktion dieser starken Sekretionserreger 
die Sektretionsstörung zu erklären, halte ich deshalb für berechtigt, 
weil der einfache Versuch, diesen Hypo- bzw. Anaciden.für kürzere Zeit 
eine gemischte Kost mit Fleischzulage zu gewähren, häufig die Sekretions¬ 
anomalie zum Verschwinden brachte. 

Dass auch heftige psychische Einwirkungen (wie z. B. plötz¬ 
lich starke Erregung, Schreck u. dgl.) sekretionsstörend — und 
zwar im Sinne einer Hemmung — wirken können, habe ich bereits 
erwähnt. Unter welchen Umständen psychische Alterationen eine 
sekretionssteigernde Wirkung (Hyperacidität), in anderen Fällen wieder 
Achylien hervorzurufen imstande sind, entzieht sich bislang noch unserer 
Kenntnis. 

Einen Teil der während der Sommermonate beobachteten akuten 
Magendarmkrankheiten 1 ) möchte ioh mit den Magensekretionsstörungen 

1) Böttner, M. Kl., 1917, Nr. 15. 

2) Schwalbe, D.m.W., 1917, Nr. 83. 


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25. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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io Verbindung bringen und dieselben als gastrogene Diarrhoen anffassen; 
während aus einigen Städten Dysenteriefälle mit potiitivem Bacillen¬ 
befund (T-Baoillus und Sbiga-Kruse), abortive Ruhrerkrankungen, leichte 
Paratyphusinfektionen gemeldet wurden, führen andere die Darmafiek- 
tionen auf die Ernährung (schlecht gebackenes Brot, nicht einwandfreie 
Fische, Würste, Muscheln) zurück. Die von mir beobachteten Fälle be¬ 
trafen zum grossen Teil familiäre Erkrankungen, welche akut mit 
Schüttelfrost, Erbrechen begannen und sioh sehr bald zu einer Enteritis 
entwickelten; io etwa 80 Fällen konnte ich die Krankheit auf den Ge¬ 
nuss Ton Krabben zurückführen; da fast durchgängig tadelloses Aus¬ 
sehen und Geschmack der Krabben betont wurde, ist die Schädigung 
wohl auf die zur Konservierung benutzte Borsäure zurüokzuführen. Bei 
einer kleinen Zahl von Erkrankungen lagen Diokdarmkatarrhe vor, wie 
wir sie alljährlich während der heissen Sommermonate nach reichlichem 
Genuss halbreifen Obstes zu sehen gewohnt waren. Und wenn auch die 
häufig vorgenommene bakteriologische Untersuchung — auch bei den 
unter den klinischen Erscheinungen der Dysenterie verlaufenden — 
meistens einen vollständig negativen Befund ergab, so gehört sicher die 
Mehrzahl dieser Erkrankungen der eohten Dysenterie an. Da der Baoillen- 
nachweis nur bei einem sehr geringen Prozentsatz gelingt und die von 
Strauas 1 ) als spezifisch angesehene [von Dünner und Friedemann 2 3 ) 
grobklumpigo] Agglutination erst in der zweiten oder dritten Woche auf¬ 
zutreten pflegt, müssen wir zunächst daran festhalten, auch ohne 
Baoillenbefund bei Vorhandensein typischer Symptome „Dysenterie“ zu 
diagnostizieren. Weit schwieriger gestaltet sich die Differentialdiagnose 
zwischen chronischer Colitis baemorrhagica und Dysenteria chronica, die 
noch seltener als die akute Form einen positiven bakteriologischen Be¬ 
fund aufweist, andererseits das gleiche endoskopische Bild darbietet wie 
die chronische Colitis. Differentiatdiagnostisch sind ferner die gastro- 
genen Diarrhoen der Acbyliker zu berücksichtigen, da recht häufig im 
Gefolge der Dysenterie sowie chronischer mit starken Diarrhoen ein¬ 
hergehender Darmkatarrhe Achylie aufzutreten pflegt. 


Aus der Konigl. Universitäts-Frauenklinik zu Breslau 
(Direktor: Geheiinrat Küstner). 

|Uteruscarcinom und Streptokokken. 

Yon 

Prof. Dr. Fritz Heimaan, Oberarzt der Klinik. 

(Vortrag, gehalten in der schlesischen Gesellschaft für vaterländische 
Cultur zu Breslau am 80. November 1917.) 

Vor etwa */ 4 Jahren berichtete ich über Ergebnisse 8 ), die 
sich bei der bakteriologischen Untersuchung des Uternscarcinoms 
heraasgestellt haben. Ich will hier noch einmal knn die Re¬ 
sultate streifen. 

In gleicher Weise wie in der Geburtshilfe muss auch in der 
Gynäkologie mit dem Begriff der „Selbstinfektion“ gerechnet 
werden, d. h. der Möglichkeit einer endogenen Infektion. Auch 
hier sehen wir dasselbe wie in allen geburtshilflichen Fällen, 
Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit des Organismus und er¬ 
höhte Virulenz der Eigenkeime. Auf einer Art von Selbstin- 
fekrion — im strengsten Sinne des Wortes trifft dies für diese 
Fälle nicht zu — beruhen ja auch die Untersuchungen von 
Lieproann, Hannes, Barth, Siegwardt, Bauereisen n. a., 
die beim Carcinom den Keimgehalt der Scheide bzw. des 
carcinomatösen Geschwürs, die ins Operationsgebiet verschleppten 
Keime und schliesslich die Anwesenheit von Bakterien in Para¬ 
metrien und Drüsen feststellten. Durch ihre Forschungen war 
es ihnen möglich, einen Schluss auf die Prognose des Falles za 
ziehen. Damit batte ich mich bei meinen Umersucbnngen nicht 
begnügt. Ich wollte nicht einen Ausblick über den Verlauf des 
Falles gewinnen, sondern versuchen, den Fall selbst zu beein¬ 
flussen. Infolgedessen war es vorteilhafter, das Vorhandensein 
der Spaltpilze vor der Operation festzustellen nnd eine Prognose 
des Falles auszusprechen. Auf Grund der damaligen, sehr aus¬ 
gedehnten' Untersuchungen, die sich auf 65 Fälle erstreckten, 
kam ich zu dem Resultat, dass das Hauptgewicht der Unter¬ 
suchungen nnr auf die Anwesenheit von Streptokokken za legen 
sei. Es spitzte sich alles auf die Frage zu: sind im Cervix- 
sekret und damit in den Lymphspalten der Parametrien Strepto¬ 
kokken vorhanden oder nicht. Hierbei war es tatsächlich, wie 
die einschlägigen Untersuchungen ergaben, ganz gleichgültig, ob 
man es mit hämolytischen Streptokokken zu tun hatte oder mit 
anhämolytiscben. Wir hatten in der ersten Zeit auch auf diese 
Untersuchung Wert gelegt; doch in gleicher Weise wie wir hämo¬ 


1) Strauss, Ther. d. Gegen*., 1917, Nr. 6. 

2) Friede mann, Zsehr. f. ärztl. Fortbild., 1917, Nr. 6. 

3) B.ki.W„ 1917, Nr. 1. 


lytische Streptokokken bei afehrilen Wöchnerinnen und anhämo¬ 
lytische bei schwerstem, sogar tödlichem Verlauf finden, konnte 
bei der bakteriologischen Untersuchung der Carcinome konstatiert 
werden, dass bei Anwesenheit von anhämolytischen Streptokokken 
die Patientinnen zugrunde gingen, während bei hämolytischen 
Streptokokken die eine oder andere mit dem Leben davon kam. 
Wie bereits erwähnt, betrug die Anzahl der damals untersuchten 
Fälle 65, die in zwei Serien von 36 und 29 Fällen besprochen wurden. 
Von den 36 Fällen hatten 18 positive, 18 negative Strep’okokken- 
befunde. Die Mortalität betrug 61,1 bzw. 5.6 pCt. Unter der 
zweiten Serie von 29 Fällen konstatierten wir 24 mal Streptokokken, 
während 5 mal dieselben fehlten. Unter Anwendung der prophy¬ 
laktischen Serumtberapie, wobei den Patientinnen unmittelbar 
nach der Operation 50 ccm Aronson’sches Antistreptokokkenserum 
intramuskulär injiziert wurde, gelang es ans, die Mortalität der 
.Streptokokkenfälle anf 16,öpCt. primäre Mortalität herabzudrücken, 
während von den anderen Parientinnen, die keine Streptokokken 
in ihrem Cervixsekret aufwiesen, keine starb. Abgesehen davon 
zeigte es sich auch, dass der Verlauf nach Anwendung des 
Serums viel besser war. Die Sekretion war geringer, der Drainage¬ 
kanal schloss sich bedeutend schneller als bei den gleichen nicht 
behandelten Fällen der ersten Serie. 

Diese Versuche wurden von mir nun fortgesetzt. Heute kann 
ich über eine zweite Serie von 26 Fällen totalexstirpierter 
Uteruscarcinome berichten. 

Wir wandten die gleiche Technik an, wie sie schon früher 
von mir beschrieben wurde. Der Affekt wird mit grossen Spe- 
kulen freigelegt and dann so lange mit sterilem Wasser berieselt, 
bis alles Blut and Sekret vollständig abgespült ist und das Spül¬ 
wasser absolut klar abläuft. Nun wird direkt aus der Cervix das 
Sekret entnommen, im Ausstrich, in Bouillon und auf der Agar¬ 
platte untersucht. Von den 26 Fällen sind im ganzen 4 Patien¬ 
tinnen gestorben = 15,3 pCt. Mortalität. Hierbei soll jedoch 
hervorgehoben worden, dass nur bei 2 Patientinnen eine Peri¬ 
tonitis festgestellt werden konnte, während bei den beiden 
anderen als Ursache des Todes eine Myodegeneratio cordis bzw. 
Herzinsuffizienz mit Coronarsklerose diagnostiziert wurde. Der 
Befund des Peritoneums fiel bei diesen Parientinnen sowohl ana¬ 
tomisch wie bei einer nachträglichen bakteriologischen Unter¬ 
suchung einwandfrei aus. Die Todesursache bei diesen Patien¬ 
tinnen war so, dass die Operation an sich für den unglücklichen 
Ausgang keineswegs verantwortlich gemacht werden konnte. 
16 mal wurden Streptokokken gefunden, während 10 mal nur 
Staphylokokken,Stäbchen nsw. im Sekret gezüchtet werden konnten. 
Wiederum erhielten sämtliche positiven Fälle unmittelbar nach 
der Operation 50 ccm Antistreptokokkenserum. Auch hier, wie 
übrigens auch bei anderen Fällen, auf die ich später zu sprechen 
kommen werde, stellten wir die gute Einwirkung fest. Bis auf 
die zwei erwähnten Peritonitiden, die selbstverständlich unter die 
positiven Fälle fielen, waren die Verläufe glatt und ohne Kom¬ 
plikationen. Wir haben also an Peritonitis nur eine Mortalität 
von 12,6 pCt. zu verzeichnen, gegen die 16,1 pCt. der früheren 
Serie ein erheblicher Fortschritt. Von den streptokokkennegativen 
Fällen verloren wir an einer peritonalen Infektion nicht eine ein¬ 
zige Patientin. Schliesslich soll hier noch der Vollständigkeit 
halber betont werden, dass die beiden Herzfälle sich auf beide 
Rubriken mit je einem Fall verteilen. Wiederum ist also an 
dieser zweiten Serie von 26 Fällen eklatant zutage getreten, 
welche hervorragende Bedeutung die Anwesenheit oder das Fehlen 
von Streptokokken im Cervixsekret beim Uteruscarcinom besitzt. 
Ich glaube, ich vermag schon jetzt zu sagen, dass es bezüglich 
des unglücklichen Ausganges der Fälle nur auf diese Frage hin¬ 
auskommt, auf welche Weise man der Streptokokken Herr werden 
kann. Schon ist es uns gelungen, die Mortalität der Strepto- 
kokkencarcinome von 61,1 pCt. auf 12,5 pCt. herabzudrücken, 
während ja die Fälle, die keine Streptokokken aufwiesen, eigent¬ 
lich jetzt dauernd eine Mortalität von 0 pCt. aufgewiesen haben. 

Am Schluss meiner letzten Arbeit wies ich darauf hin, dass 
vielleicht die Anwendung von Röntgenstrahlen oder radioaktiven 
Substanzen, die ans dem Geschwür eine epithelbekleidete Fläche 
schaffen, insofern bessernd ein wirken könnte, als ja die Mi¬ 
kroben eine gute Ansiedlungsstätte verlieren, wenn sie nicht so¬ 
gar selbst durch die Strahlen in irgendeiner Weise beeinflusst 
werden. Dies festznstellen, war der weitere Schritt meiner Unter¬ 
suchung. Zu diesem Zwecke musste die bakteriologische Be- 
forscbung auch auf die Carcinome ausgedehnt werden, die lange 
Zeit hindurch der Strahlentherapie unterworfen worden waren, 
ln erster Linie handelt es sich hierbei um inoperable Carcinome, 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


bei denen man den grossen Fortschritt der Strahlentberapie, die 
Verwandlung des Geschwürs in eine völlig epithelialisierte, weder 
blutende noch secernierende Fläche konstatieren konnte. Es 
kam bei diesen Versuchen nicht darauf an, den Verlauf der 
Operation bei Anwesenheit oder Fehlen von Streptokokken zu 
bestimmen, sondern nur das Verhalten der Mikroben unter einer 
fortgesetzten Strahleneinwirkung. Schon Bondy hat sich an 
unserer Klinik mit der Frage der bakteriologischen Wirkung des 
Mesothors beschäftigt. Die Versuche wurden mit Prodigiosus, 
Stapbylococcus pyogenes aureus, vereinzelt auch mit Strepto¬ 
kokken in Bouillonkultur und Tetanusbazillen in hoher Schicht 
ausgeführt. Er benutzte 2 Präparate von 80 bzw. 15 mg Me¬ 
sothor, deren Strahlen mit 0,2 mm Silber bzw. dünner Glimmer¬ 
schicht gefiltert waren. Ich will auf die Einzelheiten dieser Ver¬ 
suche hier nicht näher eingehen, nur soviel sei gesagt, dass sich 
nur eine geringe Tiefenwirkung der Strahlen ergab, dass also 
die Bedeutung dieser für das Uteruscarcinom wahrscheinlich nur 
sehr gering zu veranschlagen sei. Filtrierte man überdies die 
Strahlen noch stärker, so war eine Wirkung überhaupt nicht zu 
beachten. Nur wenn die Präparate ganz nahe an die Kultur 
herangebracht wurden, konnte ein geringer Einfluss konstatiert 
werden. Diese Handhabung fällt ja für die Praxis ganz fort, da 
in sollen Fällen die Schädigung des gesunden Gewebes eine be¬ 
trächtliche wäre. 

Auch sonst liegen über die Wirkung radioaktiver Substanzen 
auf Bakterien eine Reihe von Untersuchungen vor. In eingehender 
übersichtlicher Weise sind diese im Handbuch der Radiobiologie 
von Pfeiffer und Praussnitz geschildert. Es gelang bisher nicht, 
eine schädigende Wirkung der Röntgenstrahlen bei Bakterien 
nacbzuwiesen, während man bei Anwendung des Radiums doch 
hier und da Erfolge konstatierte. Die ältesten Untersuchungen 
liegen etwa 20 Jahre zurück und knüpfen sich an die Namen 
Pacinotti und Porzeili (1899). Später sind mit exakten Me¬ 
thoden Asch ki nass und Gaspari und Pfeiffer und Friedberger 
an diese Versuche herangegangen. Auch von ihnen wurde das 
Präparat der Platte möglichst genähert, und dabei konnte eine, 
mehr oder minder hemmende oder sogar abtötende Wirkung 
beobachtet werden. Auch andere Autoren, Danysz, W. Hof¬ 
mann, Scholz, Strassmaon, Wickham u. a. sind hier zu 
erwähnen. Schliesslich hat Halberstädter Trypanosomen in 
vitro bestrahlt und nahm wahr, dass sie dadurch die Fähigkeit, 
Mäuse zu infizieren, verlieren, während sie ihre Beweglichkeit 
erhalten. 

Alle diese Autoren haben, wie bereits besprochen, nur im 
Experiment diese Frage geprüft. Es kommt jedoch darauf an, 
auch praktisch solchen Untersuchungen näherzutreten, und dazu 
eignet sich besonders das Uteruscarcinom. Natürlich war es, 
wie schon erwähnt, nur in den Fällen möglich, die von Anfang 
an in Beobachtung waren, bei denen die allmähliche Heilung 
des carcinomatösen Geschwürs verfolgt werden konnte. Infolge¬ 
dessen habe ich eine grössere Anzahl von Patientinnen, die meist 
an inoperablen Uteruscarcinomen litten, zu diesen Versuchen 
herangezogen. Es wurden nur gut beeinflussbare Fälle gewählt, 
bei denen die Besserung eben tatsächlich objektiv festgestellt 
werden konnte. Beobachtete man beim Wiederkommen der Pa¬ 
tientin zur nächsten Serie, dass der Affekt sich nicht gebessert, 
sondern entweder auf derselben Stufe stehen geblieben oder gar 
schlechter geworden war, so nahm ich von der weiteren bakterio¬ 
logischen Untersuchung Abstand. Die Technik war stets die 
gleiche, oben geschilderte. Im ganzen wurden 15 derartige Pa¬ 
tientinnen in 42 Untersuchungen in der obengeschilderten Weise 
studiert, und zwar wurden diese Untersuchungen 2-, 3- auch 
4 mal bei derselben Patientin wiederholt. Das Resultat fiel be¬ 
züglich der bakteriologischen Beeinflussung völlig negativ aus. 
Nicht in einem einzigen Falle gelang es, eine Aenderung des 
bakteriologischen Befundes nach der Behandlung zu bemerken. 
Fanden wir bei der ersten Untersuchung Streptokokken, so sahen 
wir dieselben Mikroben auch beim 4. Male, selbst wenn das Ge¬ 
schwür sich noch so schön gereinigt und in eine völlig epitheliali- 
sierte Fläche verwandelt hatte. Umgekehrt konnten wir beim 
Fehlen von Streptokokken und Anwesenheit von Stäbchen, Staphylo¬ 
kokken oder dgl. bei späteren Untersuchungen stets die früher 
gefundenen Bakterien wieder züchten. Dieses Ergebnis ist auch 
für die Praxis von ungeheurer Bedeutung; glaubte man doch 
durch die Bestrahlung vor der Operation auch diese lebens¬ 
sicherer gestalten zu können, dadurch dass man den Bakterien 
den guten Nährboden entzöge. Dies ist nun, wie die Unter¬ 
suchungen ergaben, keineswegs der Fall. Wenn auch aus dem 


Geschwür eine epithelialisierte Fläche geschaffen wird, die weder 
blutet, noch sezerniert, so bleiben doch die Bakterien, die auf 
dem Geschwür bzw. in der Umgebung desselben vegetiert haben, 
auch nach der Bestrahlung in gleicher Weise vorhanden. Weder 
die Entziehung eines* gewissermaassen guten Nährbodens, noch 
die Strahlen selbst haben eine Schädigung der Bakterien, soweit 
man dies infolge des jetzt herrschenden Mangels an Tiermaterial 
ohne Virulenzprüfung sagen darf, herbeiführen können. Von 
diesem Gesichtspunkte also ist die Notwendigkeit einer Bestrah¬ 
lung einer Patientin vor der Operation nicht mehr aufrecht zu 
erhalten. Bleibt also noch der zweite Punkt übrig, auf den 
Küstner zuerst aufmerksam gemacht hat, und der von uns in 
den meisten einschlägigen Fällen beobachtet werden konnte. Es 
handelt sich bei der Infiltration der Parametrien häufig um einen 
entzündlichen nicht carcinomatösen Prozess, der durch Abheilung 
des primären Geschwürs ebenfalls zur Ausheilung kommt. Die 
Parametrien, die vorher hart und infiltriert waren, fühlen sich 
nach der Behandlung zart und weich an. Dieser Umstand allein 
lässt eine Bestrahlung vor der Operation sehr häufig als absolut 
notwendig erscheinen. 

Aas dem früheren Reserve-Lazarett Kaserne Eisen¬ 
bahnregiment Nr. 1 in Schöneberg (Chefarzt: Ober¬ 
stabsarzt Dr. Tarrasch). 

Ueber Diathermiebehandlung der Gonorrhoe 
und anderer Erkrankungen. 

Von 

Dr. H. E. Schmidt, 

«htm&ls leitender Arxt der Diathermie«tatlon im Reservelazarett Kaserne Eisenbahn- 
Regt Nr. 1 in Schöneberg. 

Wohl selten ist eine neue Methode so maasslos überschätzt 
worden wie die Diathermie. Es gibt geradezu Diathermie-Fanatiker, 
die fast jede Erkrankung mit Diathermie behandeln. Dieser 
Ueberwertung auf der einen musste naturgemäss als Reaktion die 
Unterwertung auf der anderen Seite folgen, und so kommt es, 
dass die Zahl der Aerzte, die der Methode heute jede Bedeutung 
absprechen, nicht allzu klein ist. Unrecht haben die Einen wie 
die Anderen, und es soll der Zweck dieser Zeilen sein, zwischen 
beiden zu vermitteln und zu zeigen, was die Methode wirklich 
leistet. 

Zunächst unterscheidet sich die Diathermie von allen anderen 
Wärmeapplikationen dadurch, dass die Wärme nicht von anssen 
an den Körper herangebracht wird, sondern im Körper selbst ent¬ 
steht, indem sich niedergespannte und hochfrequente elektrische 
Ströme im Gewebe selbst in Wärme umsetzen. Daraus resultiert 
die konkurrenzlose Tiefenwirkung, da eben der ganze vom Strom 
durchflossene Körperteil erwärmt wird. Praktisch liegen die 
Dinge allerdings nicht so einfach wie im Experiment, z. B. bei 
der Durchwärmung eines Stückes Rindfleisch, das wir als ziemlich 
homogenen Körper ansehen können. Niemals aber kann man er¬ 
warten, dass die Stromlinien bei der Durchwärmung eines Ge¬ 
lenkes oder eines anderen Körperteiles so schön geradlinig ver¬ 
laufen, wie das die chematischen Abbildungen von Kowarschik 
und Nagelschmidt zeigen. Hier haben wir immer nicht homogene 
Gewebe, also Gewebe von sehr verschiedenem elektrischen Wider¬ 
stande, die teils parallel, teils hintereinander geschaltet sind, 
und der Strom wird sich immer den bequemsten Weg suchen, 
wird also z. B. nicht durch den Knochen, sondern immer hübsch 
um den Knochen herum gehen. 

Sicher ist es trotzdem, dass wir mit keiner anderen Form 
der Wärmeapplikation eine so gute Durchwärmung, eine so gute 
Tiefenwirkung erreichen können wie mit der Diathermie. 

Daraus folgt aber noch keineswegs, dass die therapeutischen 
Erfolge non erheblich besser sein müssen, als nach anderen 
Wärmeapplikationen, wie das die Diathermie-Apostel ohne weiteres 
— eben auf Grund der besseren Tiefenwirkung — annehmen. 
Denn erstens ist die Wärme kein Allheilmittel, ond zweitens 
kommt es schliesslich auch bei anderen Wärmeapplikationen zu 
einer Erwärmung tieferer Gewebsscbicbten, wenn auch nicht in 
dem gleichen Maasse und auf anderem Wege, als bei der Diathermie; 
denn die oberflächliche Hyperämie der Haut muss unbedingt ent¬ 
sprechende collaterale Circulationsänderungen in deii subcutanen 
Geweben zur Folge haben, wie Bucky sehr richtig schreibt 1 ). 


1) Strahlentherapie, 1916, Bd. 7, S. 256. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


185 


36. Februar 1918. 


Mit anderen Worten: es muss auch beim Heissluft- oder 
Dampfbad oder bei der Glühlichtbestrahlung zu einer stärkeren 
Durchblutung tieferer Gewebsschichten und dadurch auch zu einer 
Erhöhung der Temperatur in diesen tieferen Schichten kommen, 
wenn auch nicht in dem Maasse und dadurch, dass den tieferen 
Schichten Wärme als Energie durch die Haut hindurch zugeführt 
wird, wie bei der Diathermie, sondern eben durch die Erzeugung 
einer collateralen Hyperämie in der Tiefe. 

Also: Die Diathermie erzeugt direkt Wärme in der Tiefe 
des Gewebes, der eine Hyperämie folgen muss, die anderen Wärme¬ 
applikationsarten erzeugen in der Tiefe eine collaterale Hyperämie, 
der wiederum eine stärkere Erwärmung folgen muss. 

Praktisch ist also der Endeffekt ziemlich gleich: Wärme und 
Hyperämie. Dass ausser diesen beiden Faktoren noch andere für 
die Wirkung der Diathermie in Betracht kommen, ist nicht nar 
fraglich, sondern sogar sehr unwahrscheinlich. So sehen wir 
denn auch, dass sich die Indikationen für die Anwendung der 
Diathermie mit denen decken, bei denen von jeher die Wärme¬ 
applikation günstig wirkte. Das sind in erster Linie der Muskel¬ 
rheumatismus und der Gelenkrheumatismus. 

In zweiter Linie kommen die Neuralgien und die lancinierenden 
Schmerzen und Krisen der Tabiker, ferner manche Erkrankungen 
innerer Organe, des Herzens, der Lungen, der Nieren und der Blase 
in Betracht, wenn auch gerade bei den Erkrankungen der inneren 
Organe die Erfahrungen noch relativ spärlich, und die Ansichten 
über den Wert der Methode geteilt sind. 

Schliesslich hat man mit gutem Erfolge die gonorrhoische 
Gonitis, Epididymitis und Prostatitis behandelt und auch die 
männliche Urethral-Gonorrhoe mit einem eigens dazu konstruierten 
und Sehr kompilierten Spezialinstrumentarium diathermisch zu 
heilen versucht. 

Speziell auf dem letzteren Gebiet verfüge ich über ziemlich 
reichliche Erfahrung, da ich über 2 Jahre die Diathermiestation 
im Reserve-Lazarett Kaserne Eisenbabn-Rgt. Nr. 1 geleitet und bisher 
über 500 Fälle behandelt habe. Nicht so zahlreich sind meine Er¬ 
fahrungen bei anderen Erkrankungen, die ich — meist in der 
Privatpraxis — mit Diathermie zu behandeln Gelegenheit hatte. 

Deber die spezielle Technik der Harnröhrenbehandlung und 
über die klinischen Erfolge habe ich gemeinsam mit Boerner 
schon an anderer Stelle berichtet 1 ). 

Da die mir unterstellte Diathermiestation die Abladestelle 
für die alten Ladenhüter, d. h. für alle die Fälle bildete, die 
auf den anderen Stationen schon 2—3 Monate behandelt worden 
waren, ohne dass es gelungen war, die Gonokokken zu beseitigen, 
so handelt es sich tatsächlich nur um verzweifelte Fälle, ab¬ 
gesehen von den relativ seltenen Fällen von Epididymitis und 
Arthritis gonorrhoica, die im übrigen meist ambulant behandelt 
wurden. Bei diesen hartnäckigen Fällen ist der gonorrhoische 
Prozess fast immer in der Prostata, bisweilen auch in den Samen¬ 
blasen lokalisiert. Die Fälle, in denen die hartnäckige Gono¬ 
kokkensekretion durch den Sitz in den Lakunen und Drüsen der 
vorderen Harnröhre bedingt ist, sind nach meinen Erfahrungen 
verschwindend gering. 

ln diesen chronischen Fällen von Prostatitis und Spermato- 
cystitis ist es fast immer gelungen, die Gonokokken dauernd zu 
beseitigen. Ein paar Rückfälle sind vorgekommen, und 2 Fälle, 
in denen allerdings ausser der Prostatitis auch noch eine Urethritis 
anterior bestand, habe ich nach Smonatiger Behandlung sogar 
angeheilt als a. v. entlassen müssen, da immer wieder Gono¬ 
kokken im Sekret auftraten. Doch das sind Ausnahmen. 

Gerade bei den alten Prostatitiden und Spermatocystitiden 
bin ich von der günstigen Wirkung der Diathermie überzeugt, 
und gerade diese Formen des gonorrhoischen Krankheitsprozesses 
sind ja wegen der versteckten Lage anderen Wärmeapplikationen 
kaum zugänglich, jedenfalls nicht in so einfacher und so ener¬ 
gischer Weise wie auf diathermischem Wege. 

Recht günstig wirkt die Diathermie auch bei der Epi¬ 
didymitis, der Funiculitis und der Arthritis gonorrhoica, wenn¬ 
gleich ich mich dem Eindruck nicht verschliessen kann, dass 
man mit anderen Methoden (feuchten Dauerverbänden oder heissen 
Breiumschlägen) ungefähr dasselbe erreicht. Ich habe z. B. manchen 
Fall von Gonitis, den ich lediglich mit Priessnitzumschlägen be¬ 
handelte, viel rascher heilen sehen, als andere Fälle von Gonitis, 
die ich im Reserve-Lazarett-Kaserne Bisenbahn-Rgt. Nr. 1 mit 
Diathermie behandelt habe. Sowohl bei der Epididymitis und der 
Funiculitis als auch bei der Arthritis kann mit der Diathermie- 


1) Strahlenthsr., 1916, Bd. 7, S. 266. 


behandlung erst begonnen werden, wenn das akute Stadium vor¬ 
über ist. Andernfalls muss man auf eine Verschlimmerung des 
Krankheitsprozesses gefasst sein. AuszuscbHessen ist ferner von 
der Diathermiebehandlung der Prostataabscess und die eitrige 
Spermatocystitis. 

Dass durch die Diathermie in der Regel keine Abtötung der 
Gonokokken möglich ist, die ja die theoretische Voraussetzung 
der Methode bildet, hat verschiedene Gründe. Erstens sind die 
Gonokokken im lebenden Gewebe wohl weniger thermosensibel 
als auf künstlichen Nährböden. Denn trotz genauer Innehaltung 
der von Börner und Santos experimentell gefundenen Behand¬ 
lungszeiten und Temperaturgrade ist es mir — mit einer Aus¬ 
nahme — nie gelungen, eine Gonorrhoe durch eine Sitzung zu 
coupieren. Darum bin ich auch bald zu kürzeren Behandlungs¬ 
zeiten von 30 Minuten Dauer übergegangen, ohne dass die Erfolge 
dadurch schlechter geworden sind. 

Zweitens vertragen die Patienten vielfach nicht die erforder¬ 
liche Temperatur, bzw. halten sie nicht lange genug aus. 

Drittens gelingt es meist nicht, in allen Abschnitten der 
Harnröhre eine ganz gleichmässige Temperatur zu erreichen, so 
dass Schwankungen von etwa 1° C an einzelnen Stellen der 
Harnröhre nichts Ungewöhnliches sind. Das ist ja aus ana¬ 
tomischen Gründen leicht verständlich. 

Ich habe es — wie gesagt — nur einmal erlebt, dass eine 
Sitzung zur Heilung einer gonorrhoischen Urethritis anterior genügte; 
allerdings betrug die Temperatur an manchen Stellen der Harn¬ 
röhre in diesem Falle über 50° C., ohne dass der Patient über 
Brennen klagte. Es resultierte eine intrauretbrale Verbrennung, 
die einen Monat zur Abheilung brauchte. 

Dieser Fall bestätigt als Ausnahme die Regel, dass die 
Diathermie nicht imstande ist, die Gonokokken abzutöten, sondern 
nur zu einer Hyperämie, zu einer mächtigen Steigerung der 
Sekretion und einer Ausschwemmung der Gonokokken führt. Aus 
diesem Grunde ist es natürlich irrationell, eine Gonorrhoe nur 
mit Diathermie zu behandeln, und es ist durchaus zweckmässig, 
der Durchwärmung der Harnröhre eine Spülung mit einer des- 
inficierenden Lösung folgen zu lassen, um die ausgeschwemmten 
Gonokokken mechanisch zu entfernen. 

Ueberhaupt dürfte sich die Diathermiebehandlung 
der Gonorrhoe in Zukunft vorwiegend auf die hart¬ 
näckigen Prostatitiden beschränken, und in den seltenen 
Fällen von hartnäckiger Urethritis anterior wird man vielleicht 
das ganze komplicierte Instrumentarium, das Börner und Santos 
speziell für die Harnröhrenbehandlung konstruiert haben, ent¬ 
behren können. Jedenfalls habe ich in den letzten Monaten des 
Bestehens der Diathermie-Station die Hamröhrenbehandlung meist 
einfach in der Weise vorgenommen, dass ich den Penis zwischen 
zwei entsprechend geformte starre Metallplatten klemmte, die 
rechts und links angelegt und vom Patienten selbst gehalten 
werden. Messungen mit der Siemens’schen Temperaturmess- 
Vorrichtung ergaben eine Harnröhrentemperatur von 42—45° C. 
im Bereiche des stromdurchflossenen Penisabschnittes, der sich 
vom Orificium bis zur Radix Penis erstreckt. Aber auch der 
nicht direkt vom Strom durchflossene hintere Abschnitt der vor¬ 
deren Harnröhre bis zum Sphincter vesicae zeigt eine Temperatur¬ 
erhöhung, die durch eine collaterale Hyperämie zustande kommt 
und allerdings nur 1 bis l 1 /* 0 C. beträgt Die mit dieser ein¬ 
facheren Methode der Harnröhrendiathermie erzielten Erfolge 
stehen denen nicht nach, welche mit dem Börner-Santos’schen 
Spezialinstrumentarium erreicht werden. Die neuerdings von 
Müller-Pyrmont angegebene Vereinfachung der Börner-Santos- 
schen Apparatur kenne ich nicht aus eigener Erfahrung 1 ). 

Wenn ich noch erwähne, dass es mir häufig gelungen ist, 
sehr enge Stricturen durch Diathermie sehr schnell für stärkere 
Sonden durchgängig zu machen, glaube ich alles erwähnt zu 
haben, was man mit der Diathermiebehandlung bei der männ¬ 
lichen Gonorrhoe erreichen kann. Wenn das auch nicht den 
anfänglich gehegten, hochgespannten Erwartungen entspricht, so 
ist es doch immerhin so viel, dass man die Methode als unter¬ 
stützende Behandlung bei hartnäckigen Gonorrhoefällen empfehlen 
kann. Schädigungen sind — auch durch Einführung der Innen¬ 
elektrode in die Harnröhre — nicht zu befürchten. 

Insbesondere habe ich keinen Fall erlebt, in welchem eine 
Epididymitis oder Prostatitis etwa auf die Einführung der Innen- 
elektrode bezogen werden könnte, wie das Rosenthal 2 ) ver- 


1) Denn. Wschr., 1917, Bd. 65. 

2) B.kl.W., 1917, Nr. 8. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 8. 


mutet. Wohl habe ich gelegentlich auch eine Epididymitis oder 
Prostatitis im Laufe der Behandlung aaftreten sehen, aber doch 
nur selten und keineswegs öfter, als das bei den sonst üblichen 
Methoden der Fall ist. 

Was nun die öbrigen Erkrankungen anbelangt, so habe ich 
gute Erfolge in vielen Fällen von Muskel- und Gelenkrheumatismus 
gesehen, wenngleich gelegentlich auch Versager Vorkommen. So 
konnte ich in einem Falle von hartnäckigen Schmerzen in der 
rechten Schultermuskulatur nach 6 Sitzungen keinen Erfolg er¬ 
zielen, während eine einzige Röntgentiefenbestrahlung die Schmerzen 
prompt zum Schwinden brachte. 

Im allgemeinen aber ist die Diathermie bei Muskel- und 
Gelenkschmerzen von guter Wirkung. Nur muss man bei Gelenk¬ 
entzündungen erst dann mit der Behandlung beginnen, wenn das 
akute Stadium vorüber ist. Ob die Methode mehr leistet als 
andere Wärmeapplikationen, z. B. das Glühlichtbad oder die 
Heissluftbehandlung, ist zum mindesten zweifelhaft. Recht 
günstig wird auch die Bronchitis und die Influenza durch Dia¬ 
thermie beeinflusst. Bei der Influenza kommt natürlich nur die 
Allgemeinbehandlung in Betracht, die im übrigen stets eine sehr 
angenehme und energische Transpiration zur Folge hat. 

Bei den Neuralgien, insbesondere bei der Ischias, bin ich 
von den Resultaten der Diathermie ziemlich enttäuscht. Wenn 
auch in frischen Fällen Erfolge zu erzielen sind, so sind doch 
stets sehr viel Sitzungen erforderlich, während in alten Fällen 
die Methode nach meinen Erfahrungen vollkommen versagt, ob 
man nun die lokale oder die allgemeine Diathermie anwendet. 
Hier leistet die Röntgenbehandlung zweifellos mehr. Es gelingt 
meist, durch eine oder einige wenige Sitzungen eine Ischias 
„rheumatischer“ oder traumatischer Natur zu heilen, mag sie 
nun jüngeren oder älteren Datums sein. 

Gerade bei der Ischias ist m. E. die Röntgentiefenbestrahlung 
die Methode der Wahl. Als ein sehr beliebtes Objekt für die 
Diathermie gelten bekanntlich die gastrischen Krisen und die 
lancinierenden Schmerzen der Tabiker. Auch hier erlebt man 
bisweilen Misserfolge. So habe ich einen Fall von gastrischen 
Krisen gesehen, der von autoritativer Seite in Berlin mit Diathermie 
behandelt worden war. Nach Angabe des sehr intelligenten 
Patienten waren die Schmerzen trotz wochenlanger Behandlung 
nicht nur nicht beeinflusst, sondern sogar erheblich stärker geworden. 
Bei den lancinierenden Schmerzen in den Beinen habe ich recht 
günstige Wirkung nach aiigemeiner Diathermie gesehen, wenn 
auch immer nur für relativ kurze Zeit Schmerzfreiheit erzielt 
werden konnte. Eine merkliche Besserung der Ataxie habe ich 
bisher in meinen Fällen nicht erreichen können. 

Ganz vorzüglich wirkte die Diathermie in einem Falle von 
Hyperästhesie im Gebiete des Nervus ulnaris, die nach einem 
Falle aus beträchtlicher Höhe entstanden war und bisher anderen 
Behandlungsmethoden getrotzt hatte. 

Besonders gut bewährt hat sich mir die chirurgische Diathermie 
zur Ausführung kleinerer Operationen auf dermatologischem Gebiete, 
wo sie mir erhebliche Vorteile vor der Elektrolyse zu besitzen 
scheint. 

Erstens fehlt das sehr unangenehme elektrische Gefühl voll¬ 
kommen, man empfindet nur ein mässig starkes Brennen, das sich 
recht gut ohne jede Lokalanästhesie ertragen lässt. 

Zweitens kann man durch einfaches Auflegen der Elektroden 
kleinere und grössere Tumoren der Haut rasch zur Goagulation 
bringen, ohne eine spitze Elektrode in den Tumor selbst ein¬ 
stechen zu müssen, wie das bei der Elektrolyse nötig ist. Vor 
dem Messer und dem scharfen Löffel besitzt die Methode den 
Vorzug, dass sie unblutig ist, und dieser Umstand fällt ja bei 
messerscheuen Patienten erheblich ins Gewicht. Da es nicht zur 
BlutuDg kommt, ist auch kein besonderer Verband für die be¬ 
handelten Stellen erforderlich. 

Vor allem kommen für die Methode in Betracht: Warzen, 
kleine Fibrome, Pigment- und Gefäss-Naevi, das Xanthoma 
palpebrae, ferner kleine Kankroide und Lupusherde. 

Zusammenfassung. 

Unter allen Formen der Wärmeapplikation nimmt die Diathermie 
eine Sonderstellung ein insofern, als die Wärme auf einem durch¬ 
aus neuartigen elektrischen Wege erzeugt und dadurch auch eine 
direkte Erwärmung tiefer gelegener Gewebsschichten erreicht wird, 
die bei anderen Wärmeapplikationen nur auf indirektem Wege 
durch collaterale Hyperämie und nur in sehr viel geringerem 
Grade möglich ist. 

Trotzdem werden durch die Diathermie praktisch-therapeutisch 


kaum bessere Resultate erzielt als durch andere Arten der Wärme- 
applikation. 

Immerhin ist die Methode eleganter, bequemer und sauberer 
als die meisten anderen thermo-therapeutischen Maassnahmen. 

Besondere Vorzüge besitzt die chirurgische Diathermie auf 
dermatologischem Gebiete, da sie kleinere operative Eingriffe auf 
einem unblutigen und wenig schmerzhaften Wege ermöglicht. 


BQcherbesprechungen. 

Enno Schlesinger: Die Röntgendiagnostik der Magen- and Darm- 
krankheiten. 420 Textabbildungen und 8 Tafeln. Berlin 1917, Urbau 
und Schwarzenberg. 

Schlesinger hat sieh das Ziel gesetzt, „die Ergiebigkeit der 
röntgenologischen Untersuchungsmethoden im Dienste der klinischen 
Diagnose der Magen- und Darmkrankheiten wiederzugeben, aber auch 
die Grenzen, die ihrer Kunst gesetzt sind, scharf und unzweideutig zu 
ziehen/ Dass ihm dies geglückt ist, sei vorausgeschickt. 

Aus dem technischen Teil ist zu erwähnen, dass Sch. sieh als 
Gegner des Aufblähungsverfahrens bekennt. Seine Nomenklatur lehnt 
er an die von Forssell vorgeschlagene an, die seither kaum Anwendung 
gefunden hat. Es ist dies tief bedauerlich, denn die Verwirrung in der 
Magennomenklatur wird immer grösser. Dass man den Magenfundus bei 
Untersuchung im Stehen etwa an falscher Stelle suchen sollte, ist nioht 
zu befürchten. Viel weniger lässt sich dagegen das Magengewölbe 
(Fornix nach Forssell) bei Untersuchung im Liegen auffinden. Dass für 
die Orientierung am Röntgenbild einige neue Bezeichnungen notwendig 
sind, ist nicht zu leugnen. Aber die alten anatomischen Bezeichnungen 
sollten deshalb nicht gleich über Bord geworfen werden. 

Bei Besprechung des normalen Magenbildes ist der Nachweis des 
Magentonus im Röntgenbild besonders eingehend besprochen. Auf diesem 
Gebiete hat Sch., wie bekannt, schon wiederholt wertvolle Beiträge ver¬ 
öffentlicht. Eingehender ist auch die Frage der Magenbewegungen im 
Röntgenbilde behandelt. Sch. bekennt sich als Anhänger der Auspress¬ 
bewegung des Antrum, während er die Misohbewegung nicht anerkennt. 
Interessant sind ferner die Ausführungen über mögliche Divergenz des 
Resultats der klinischen und der röntgenologischen Motilitätsprüfung. 
Das Uebergewioht der letzteren wird bewiesen. Besonders ausiührlioh 
ist die röntgenologische Sekretionsprüfung des Magens an Hand der vom 
Autor zuerst beschriebenen und gedeuteten Intermediärzone besprochen, 
bei welcher Gelegenheit auch über neue noch nicht veröffentliche Ver¬ 
suche berichtet wird, betreffend die sedimentierende Einwirkung einer 
Pepsinsalzsäuremischung auf Röntgenbrei, der zuvor der Einwirkung des 
Speichelferments ausgesetzt war. Bei Besprechung des immer noch zu 
wenig geklärten Bildes der Gastroptose betont Sch., dass erst die 
Röntgenologie uns in den Stand versetzt hat zu unterscheidest, ob Tief¬ 
stand der grossen Kurvatur durch Ptose oder Ektasie hervorgerufen ist. 
Am meisten inkliniert er dazu das Röntgenbild der Ptose als durch 
Dehnung entstanden zu erklären. Die Abtrennung der mechanischen 
Ektasie von der Pyloroptose befürwortet er aber nicht. 

Bei Besprechung der Magenulcussymptome wird gleichzeitig über 
Spasmen und Sanduhrmagen berichtet. Anschliessend ist Pylorospasmus 
und Pylorusstenose in einem kleinen Kapitel behandelt. Ebenso sind 
kurze Abschnitte der Antiperistaltik und den Adhäsionen gewidmet. 
Und in der Tat gelingt es Sch. im Verlaufe dieser Darlegungen, die sich 
auf Selbstbeobachtetes, autoptisch Bewiesenes oder durch typischen 
Verlauf Gesichertes stützen, sioh dabei aber von jedem unbegründeten 
Optimismus fernhalten, den Leser von dem gewaltigen Fortschritt zu 
überzeugen, den gerade auf dem Gebiete des Ulousnachweises die 
Röntgenmethode gebracht hat. Ausführlicher ist dann noch, wie erklärlich, 
der Nachweis des Magencarcinoms besprochen und in einem kurzen 
Anhang der Befund am operierten Magen erörtert. 

Der zweite Teil des Buches ist der Röntgendiagnostik der Darm¬ 
erkrankungen gewidmet. Die Einleitung bringt wieder technische Be¬ 
merkungen mit vielen für den Praktiker wichtigen Einzelheiten. Zur 
Duodenalsondierung verhält sich Soh. mit Recht noch abwartend. Nach 
Besprechung des Bildes des normalen Darmes, seiner Eigenbewegungen 
und seiner Motilität, wird ausführlicher das Ulcus duodeni besprochen, 
wobei die Erfahrungen von 360 selbst beobachteten Fällen mitbenutzt 
sind. Besonders eingehend ist dabei auch die vom Autor anfgestellte 
Theorie der Exzitationsneurose besprochen. 

Die folgenden Kapitel: Darmstenose, Colitis, Lage- und Ferm¬ 
anomalien, enthalten alles bisher in der Literatur hierüber Mitgeteilte. 
Ausführlicher ist wieder das Kapitel: Obstipation gehalten. Als Schluss- 
kapitel folgt noch eine Zusammenstellung der röntgenologischen Be¬ 
obachtungen über die Einwirkung von Arzneimitteln auf den Darm. 

Das Buch enthält viel Selbstgesehenes und viel Selbstgedeutetes. 
Es lässt die Ansichten anderer überall zur Geltung kommen, betont 
dabei aber immer auch die eigene Meinung. Schlesinger bietet daher 
dem Anfänger auf dem Magen-Darm Röntgengebiet eine systematische 
Schilderung, dem erfahrenen Faohgenossen eine anregende Lektüre, die 
in mancher Beziehung zum Weiterdenken und Weiterarbeiten einen 
Anstoss geben wird. Franz GroedeL 


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26. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Die militärärztliehe Saehverständigentitigkoit auf dem Gebiete des 
Smtxwesens and der militärischen Versorgung. Erster Teil. Zehn 
Vorträge, veranstaltet unter Förderung der Medizinalabteilung des 
Kriegsministeriums, vom 30. Oktober bis 18. Dezember 1916 gehalten 
von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bonhoeffer, Prof. Dr. R. Gaipp, Prof. Dr. 
Kart Ooldstein, Generaloberarzt Prof. Dr. A. Köhler, Geh. Med.*Rat 
Prof. Dr. Krückmann, Oberstabsarzt Dr. Martineck, Prof. H. Oppen¬ 
heim, Generalarzt Dr. Schnitzen, Oberstabsarzt Prof. Dr. Ewald 
Stier, Stabsarzt Dr. Witzold. Herausgegeben vom Zentralkomitee für 
das ärztliche Fortbildungswesen in Preussen, in dessen Auftrag 
redigiert von Prof. Dr. C. Adam, Generalsekretär. Jena 1917, Verlag 
Gustav Fischer. 320 Seiten. Preis 5 M. 

Die Herausgabe dieser zehn Vorträge in Form eines verhältnismässig 
recht billigen Buches ist dankbar zu begrüssen. Jedes Lazarett sollte 
den Band besitzen und ihn seinen Aerzton zugänglich machen. Gewiss 
finden in erster Linie Fachärzte in diesen Vorträgen eine reiche Quelle 
der Belehrung für ihre militärärztliche Sachverständigentätigkeit. Aber 
auch Nicht*Fachärzte werden viele Abschnitte des Buches mit Gewinn 
lesen. Vor allem sollte überhaupt jeder Arzt, der im Kriege gutachtlich 
tätig sein muss — und das müssen wohl fast alle — den Vortrag des 
Oberstabsarztes im Kriegsministerium Dr. Marti neck gründlich studieren. 
Er gibt eine vörzügliohe allgemeine Bestimmung der Begriffe der Dienst¬ 
brauchbarkeit (Kriegsbrauchbarkeit), Dienstbescbädigung, Erwerbsunfähig¬ 
keit und Verstümmelung. Nioht nur den Prüfungsstellen für die militär- 
äritliohen Zeugnisse und Gutachten, sondern auch den begutachtenden 
Aerzten selbst würde viel Arbeit erspart bleiben, wenn die Ausstellung 
der Zeugnisse und Gutachten mehr, als es bisher oft der Fall ist, 
erfolgen würde auf Grund einer genaueren Kenntnis des Wesens und 
der Eigenart dieser Begriffe in den verschiedenen Sonderfächern, wie sie 
dnrch diese durchweg sehr anschaulichen und nicht nur militärärztlich 
interessanten Vorträge vermittelt wird. Eine Inhaltsangabe der einzelnen 
Vorträge lässt sich in dem Rahmen einer kurzen Besprechung nicht er¬ 
möglichen. Es sei nur bemerkt, dass in diesem 1. Teil der Vortragsfolge 
die Gebiete der Neurologie und Psychopathologie in ihren wichtigen 
und auch schwierigen Beziehungen zur militärärztlichen Gutachtertätig¬ 
keit besonders eingehend und durchweg sehr fesselnd behandelt werden. 


Flugschriften der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Heft 12, 1917. 
Psychologische Berufsberatung. Ziele, Grundlagen und Methoden von 
Otto Lipmann. Berlin 1917, Karl Heymanns Verlag. 30 Seiten. Preis 
40 Pfennig. 

Hier handelt es sich um einen neuen, noch wenig allgemein be¬ 
kannten, aber jedenfalls wissenschaftlich interessanten Zweig der psycho¬ 
logischen Forschungsarbeit. Die psychologische Berufsberatung soll 
besonders für die Berufszweige, deren Angehörige infolge psychologisch 
nachweisbarer Ungeeignetheit oder mangelhafter Befähigung erfahrungs- 
gemäss stets einem grossen Abgang unterliegen, in scharf umschriebener 
Art die Eignung für die einzelnen Berufsarten feststellen. Dazu gehört 
zunächst die Ausarbeitung einer psychologischen Charakteristik der ver¬ 
schiedenen Berufe. Sodann die Aufstellung einer Frageliste aller in 
Betracht kommenden psychologischen Eigenschaften und Fähigkeiten, 
aus deren Beantwortung für eine bestimmte Berufsart sich dann bis zu 
einem gewissen Grade schematisch ergibt, ob ein Bewerber sioh mit 
seinen ebenfalls psychologisch festzustellenden Anlagen für sie eignet. 
So ist aus dem Ausschuss für Berufsberatung der Zentralstelle für Volks¬ 
wohlfahrt eine Liste mit bereits 105 verschiedenen Fragen hervorgegangen. 
Lipmann berichtet in interessanter Weise über die hier im Einzelnen 
nicht darstellbare Arbeitsmethode mit diesen Berufsfragelisten und den 
ihr entsprechenden „berufspsychologischen Personalbogen“ sowie über 
die bisherigen Ergebnisse dieser Methoden. Zweifellos ist hier schon 
viel wissenschaftlich wertvolle Arbeit geleistet worden. Ob sioh auf 
Grund dieser Arbeiten eine Auslese der Berufsbewerber nach ihren 
psychologischen Fähigkeiten praktisch durchführen lassen wird, ist wohl 
heute noch nicht zu entscheiden. Mörohen-Wiesbaden. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

E. Herzfeld und R. Klinger: Studien zur Chemie 4er Eiweiss¬ 
körper. I. Die Eiwei88fraktioneii des Blutplasmas. II. Zur Theorie 
der Bakterieuagglutination. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 3 u. 4, 
S. 228.) Verff. teilen Versuche mit, aus denen hervorgeht, dass die ver¬ 
schiedenen Eiweisskörper des Plasmas keine Individualitäten im chemi¬ 
schen Sinne sind. Wenn das Fibrinogen ein strukturell gut differenzierter 
Ei weisskörper wäre und das Fibrin niohts anderes als ausgefälltes 
Fibrinogen, so müsste man duroh Wiederauflösung von Fibrin wieder 
zum ursprünglichen Fibrinogen gelangen. Dies ist, wie der Versuch 
zeigte, nicht der Fall. Die Versuche lehren, dass die Grenze zwischen 
Fibrinogen und Serumglobulinen keine chemisch festsetzbare ist, und 
dasselbe zeigen Verff. auch für Globuline und Albumine. Die ver¬ 
schiedenen duroh Salzfällungen und andere Methoden trennbaren Blut¬ 
eiweisskörper sind also nicht chemische Individualitäten, sondern bilden 
eine zusammenhängende Reihe, deren einzelne Glieder gesetzmässig in¬ 
einander übergehen. Die Evolution beginnt bei den niedrigst dispersen 
Teileheu der Fibrinogenstufe und führt über die Globuline und Albu¬ 


mine zu nicht mehr coagulierbaren Körpern. Die Betrachtungen über 
Bakterienagglutination gipfeln darin, dass sich Aufschwemmungen nativer 
Bakterien ganz wie kolloidale Lösungen bestimmter Eiweisskörper ver¬ 
halten und daher ähnlich wie diese durch die bekannten Fällungsmittel 
ausgeflockt werden. Durch Berührung mit antikörperhaltigem Serum 
werden sie physikalisch-chemisch so verändert, dass sie nicht mehr wie 
hydrophile Kolloide, sondern mehr wie Suspensoide sich verhalten. Im 
Gegensatz zu den herrschenden Theorien der Eiweissfällung legen Verff. 
weniger Wert auf die elektrische Entladung als auf die Störung der 
trennenden WasseranziehuDgssphären zwischen den einzelnen Teilchen. 
Die elektrische Entladung spielt nur eine untergeordnete Rolle. 

A. Hunter: Studien zur vergleichenden Biochemie des Purin- 
Stoffwechsels. III. Ueber die Gegenwart von Allantoin im Säugetier- 
blnt. (Journ. of biol. ehern., 1917, Bd. 28, Nr. 2, S. 369.) Im Blute des 
Rindes, des Schweines, des Pferdes und Schafes gelang der Nachweis 
von Allantoin. Im menschlichen Blut fand sich keine Spur von Allantoin. 
Naoh der Menge des Vorgefundenen Allantoin ordnen sich die Blutarten 
absteigend wie folgt: Rinder-, Schweine-, Pferde-, Schafblut. Diese 
Ordnung entspricht auch der Fähigkeit der entsprechenden Tiere zur 
Bildung von Allantoin aus Harnsäure. 

H. Dubin: Ueber den Einfluss von Inosit auf die Ansscheidnng 
von Phenol beim Hände. (Journ. of biol. ehern., 1917, Bd. 28, H. 2, 
S. 429.) Nach den Befunden von Anderson wird Inosit beim Hunde 
zu 77 pCt. mit den Fäces ausgeschieden. Beim Menschen finden sich 9 pOt. 
des aufgenommenen Inosits im Harn. Es lag nun nahe, anzunehmen, 
dass der Rest des Inosits im Darm unter Abspaltung von Phenol zer¬ 
legt werde. Verf. konnte jedoch in Fütterungsversuchen beim Hunde 
keine Zunahme des Phenols feststellen. 

J. Fei gl: Ueber das Vorkommen von PhospbatoD im menschliches 
Blutserum. III. Säurelöslicher (Gesamt-)Phosphor, Orthopbospbat und 
Restphosphor bei Krankheitszustäaden. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, 
H. 3 u. 4, S. 218.) Verf. untersuchte die Seren von Fällen akuter 
gelber Leberatrophie und gewisser der Beriberi ähnlicher Avitaminosen 
auf Restphosphor. Dieser kann bis zum Zehnfachen der Norm an- 
steigen, wie bei Leberatrophie. Der Restphosphor beträgt dann bis zu 
40pCt. des säurelöslichen Gesamtphosphors. Bei echten Avitaminosen 
und ähnlichen Zuständen fand Verf. Werte von 5,0 und 3,0 mg Phosphor. 

J. T. Leary uud S. H. Sheib. Einfluss der Labgerinuung auf die 
Magenverdauung der Proteine der Milch. (Journ. of biol. ehern., 1917, 
Bd. 28, Nr. 2, S. 393.) Verff. bestätigen die Befunde von Abderhalden 
und Kramm, nach denen geronnene Milch leichter verdaut wird als 
Milch, deren Gerinnung durch Oxalat gehemmt wurde. Es ist jedoch 
anzunehmen, dass bei der Oxalatmilch die peptische Verdauung durch 
die Gegenwart der Oxalatlösung bedingt wird. Pepsin wirkt aber jeden¬ 
falls viel kräftiger auf die Proteine der Milch, wenn keine zähen Ge¬ 
rinnsel von Paracasein zugegen sind. Die Bildung eines Paracasein¬ 
gerinnsels hängt ab von der Salzsäurekonzentration des Magensafts und 
der Menge des Lab. Die peptisohe Verdauung gekochter Milch verläuft 
etwas schneller als die von roher Milch. 

H. H. Mc Gregor: Proteine des Zentralnervensystems. (Journ. of 
biol. chem., 1917, Bd. 28, H. 2, S. 403.) Nach einem neuen Verfahren 
des Verf. lassen sich die löslichen Proteine des Nervengewebes direkt 
quantitativ bestimmen. Verf. teilt nach seinen Befunden die im Zentral¬ 
nervensystem vorkommenden Proteine in drei Gruppen. In der ersten 
Gruppe handelt es sich um in destilliertem Wasser lösliche, Phosphor 
und Eisen enthaltende Proteine, die etwa 5pCt. der Trockensubstanz 
des Gehirngewebes ausmachen. Dieses aus der Gehirnsubstanz durch 
Neutralsalze oder destilliertes Wasser extrahierbare Protein wird durch 
Ammoniumsulfat ausgefällt. Globulin ist nicht vorhanden. Das Protein 
ist sehr unbeständig; in Gegenwart schwacher Säuren zerfällt es in drei 
Produkte. Die zweite Gruppe umfasst ein in verdünnten Alkalien lös¬ 
liches Phosphor und Eisen enthaltendes Protein. Die dritte Gruppe be¬ 
steht aus Proteinen, die in neutralen, sauren und alkalischen Solventien 
unlöslich sind. Diese Gruppe macht etwa 20pCt. der Trockensubstanz 
des Gehirns aus. In den Gehirnen des Rindes, Kaninchens, Hundes, 
Schafes und des Menschen verhalten sioh diese Proteine ln gleicher 
Weise. , 

R. M. Bohn: Ueber den Jodgehalt von Nahrungsmitteln. (Journ. 
of biol. chem., 1917, Bd. 28, Nr. 2, S. 375.) Da das Vorkommen von 
Kropf in Zusammenhang gebracht worden ist mit dem Fehlen von Jod 
in der Nahrung, bat Verf. eine Reihe von Nahrungsmitteln auf Jod unter¬ 
sucht, und zwar Maismehl, Fleischkonserven, Kohl. Hafermehl und Hafer¬ 
präparate, Weizenmehl, Zuckerrübe, Milohpulver, Erbsen und eine Reihe 
von Futtermitteln, ferner Mineralwässer. In den meisten Fällen fehlte 
Jod vollständig, in einigen waren Spuren vorhanden. Das Vorkommen 
von Jod in Nahrungsmitteln pflanzlichen Ursprungs ist ohne Bedeutung 
für die nutrititive Funktion der Pflanzen. Der Jodbedarf der Tiers 
muss aus den in den Vegetabilien und in Wässern gefundenen Spuren 
von Jod bestritten werden. 

A. W. Bosworth und H. J. Bowditch: Studien über Säuglings¬ 
ernährung. Die durch Zusatz von Kalkwasser zur Milch bedingten 
chemischen Veränderungen. (Journ. of biol. chem, 1917, Bd. 28, 
Nr. 1.) Der Zusatz von Kalkwasser zur Milch, die normaliter etwas 
unlösliches Dioalciumphosph&t enthält, bewirkt eine Ausfällung von 
Galoiumphosphat. Die hierbei vorhandenen unlösliohen Phosphate sind 
Di- und Trioalcium-Phosphat. Setzt mau zu Milch, die zur Säuglings- 

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ernährang bestimmt ist, Kalkwasser hinzu und verdünnt die Miloh bis 
zum Doppelten des 'ursprünglichen Volumens, so wird der Gehalt an 
löslichem Calcium und Phosphor unter die für die menschliche Milch 
geltenden entsprechenden Werte reduziert. R. Lewin. 

H. J. Hamburger-Groningen: Zur Bestimmung des Schwefels il 
Ham. (Zschr. f. physiol. Chem., Bd. 100, H. 5 u. 6 .) Der als Sulfat, als 
Aethersohwefelsäure und als Neutralsohwefel im Harn vorhandene 
Sohwefel lässt sich getrennt wie auch sämtlich mittels BaCl z and Aceton 
in genauer und einfacher Weise auf mikrovolumetrischem Wege als 
BaSO« bestimmen. Die zur Bestimmung des Gesamtschwefels erforder¬ 
lichen Umwandlungen in SO 4 erfolgen durch Behandeln des Harns mit 
Salpeter-Soda-Gemiscb, und zwar nach einer vereinfachten Methode. 
Dauer der Einwirkung */« Stunde. 

S. G. Hedin und T. Masai: Ueber Erepsin in normalen Ham 
und über dessen Beziehung zu anderen Proteasen. Normaler Harn ent¬ 
hält ein Enzym, das bei Sättigung des Harnes mit SO a zum Teil 
ausfällt und die Fähigkeit besitzt, bei alkalischer Reaktion Peptone 
weiter zu spalten. Es ist also als ein ereptiscbes Enzym zu betrachten. 

E. Salkowski-Berlin: Notiz über den Fettgehalt der mensch¬ 
lichen Gallensteine. (Zschr. f. physiol.Cbem., Bd. 100, H. 5 u. 6 .) Verf. 
untersuchte eine grössere Menge Gallensteine, konnte aber kein Fett 
darin nachweisen. Wohl aber fand er eine harzartige, in ihren Löslich¬ 
keitsverhältnissen dem Fett sich ähnlich verhaltende Substanz. 

Schmitz. 

Th. Bokorny: Aufsicht van Hefe bei Luftzutritt unter Anwendung 
von Harnstoff als N- Quelle und von verschiedenen C-Quellen. Zecker- 
assimilationsqeotieBt. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 3 u. 4, 
S. 133.) Harnstoff ist für Hefe eine günstige Nahrung. Bei Zusatz von 
Zucker als Kohlenstoffquelle zu Harn kann ein intensives Hefewachstum 
beobachtet werden. Bei Versuchen mit Malzabsud fand Verf., dass die 
im Malz enthaltenen Amidokörper manchmal zugleich G- und N- Nahrung 
für die Hefe sind. Die günstigere Wirkung des Malzabsudes gegenüber 
dem Harn -f- Zucker liegt wohl in den besseren organischen Nährstoffen 
des Malzabsudes. Zum Schluss stellte Verf. Versuche an über die 
günstigste Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen gewonnener Hefe- 
trocken Substanz und angewandtem Zucker. Um zu einem günstigeren 
Zuckerassimilationsquotienten zu gelangen, wählte Verf. eine grössere 
Hefeaussaat mit allmählichem Zuckerzusatz. Verf. gelangte nicht zu 
höheren Zuckerassimilationszahlen. 

C. Neuberg, E. Färber, A. Levite und Schwenk: Ueber die 
Hexosediphosphorsfiare, ihre Zusammensetzung und die Frage ihrer 
Rolle bei der alkoholischen G&rung sowie über das Verhalten der Drei¬ 
kohlenstoffzucker zu Hefen. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 3 u. 4, 
S. 244.) Die Hexosediphoaphorsäure wird chemisch charakterisiert. Die 
freie Säure ist dextrogyr. Weder sie selbst, noch ihre löslichen oder 
unlösliohen Alkali- und Erdalkalisalze werden durch lebende Hefe ver¬ 
goren. Eine Giftwirkung der Hexosediphosphorsäure auf die Hefe liegt 
nioht vor. Die Triosen sind nicht als Zwischenglieder des alkoholischen 
Zuokerzerfalles anzusehen. Vielleicht vergären die Triosen unter be¬ 
stimmten Verhältnissen mehr oder minder deutlich, weil auch sie unter 
Umständen in das gärfähige Zwischenprodukt übergeführt werden können. 
Auch die Triosen zeigen keine Giftwirkung auf lebende Hefezellen. 

R. Lewin. 

R. Feulgen-Berlin: Ueber die „Kohlenhydratgrappe“ in der 
echten Nneleias&nre. (Zschr. f. physiol. Chem., Bd. 100, H. 5 u. 6 .) 

' Schmitz. 

G. J. Wiggers undW. L. Mil es. Die Bedeutung der diastolischen 
Wellei des Venenpilses beim Vorhofsflimmern. (Joura. of exp. med., 
1917, Bd. 25, Nr. 1 , S. 21.) Mit der klinischen Erkenntnis, dass ver¬ 
schiedene Grade von Flimmern in enger Beziehung stehen zu einem 
koordinierten Typus von aurikulärer Tacbyrhythmie gelangte man zu 
der Annahme, dass feinere oder gröbere Typen von aurikulärer Be¬ 
wegung an der Amplitude der diastolischen Wellen des Ekg und des 
Venenpulses erkennbar wären. Verff. zeigen in der vorliegenden Studie, 
das dies nioht möglich ist. Es liegt kein theoretischer oder experimen¬ 
teller Grund vor zu der Annahme, dass eine feste Beziehung existiere 
zwisohen der Amplitude der elektrischen Schwankungen des Ekg und 
dem Grade der Kontraktion. Auoh die Wellen des Venenpulses geben 
keinen Anhaltspunkt für die Grösse der Vorhofskontraktionen. Die 
Amplitude der Wellen ist also von gar keinem differentielleu Wert. 

R. Lew in. 


Therapie. 

M. van Roy-Aachen: Einige Bemerkungen zur Arsentherapie. 
(Th. Mh., 81. Jg, Nov. 1917.) Empfehlung des von den Farbenfabriken 
von Friedr. Bayer hergestellten Solarson (heptinchlorarsensaures Am¬ 
monium) für die subkutane Arsentherapie. Es gewährleistet, im Gegensatz 
zu den Arsenpräparaten französischer Herkunft, genaue Dosierung 
(1 ccm =» 8 mg Arsen) und macht weder Schmerzen noch Nekrosen. 

E. Nast- Strassburg i. E.: Zur Fiebertherapie der kindlichen 
Gonorrhoe. (Th. Mh., 31. Jg., Nov. 1917.) Entgegen den von Weiss, 
Engwer, Yllpö (und Bendix, Ref.) veröffentlichten guten Erfolgen 
erlebte Verf. in 7 Fällen ein vollständiges Versagen der Behandlungs¬ 
methode. 


H. Januschke-Wollersdorf: Physikalisch-chemische Wirkvng«- 
bedlngnngen des Broms im Organismus und Schlussfolgerungen für dis 
Therapie. (Tb. Mh., 31. Jg., Dez. 1917.) Da zu kurzem Referat nicht 
geeignet, muss die Lektüre des Originals der interessanten Arbeit, 
namentlich des klinischen Teils, empfohlen werden. Bertkau. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Galli-Valerie-Lausanne: Parasitologisehe Untersuchungen und 
Beiträge zur parasitologischen Technik. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 5.) 
Zum Referate ungeeignet. 

J. Zeissler und G. Gasen er: Ein Ern enernngs verfahren für ge¬ 
brauchten Metaehrengelb-Wasserblau-Dreifarbennihrbedei. (Zbl. f. 
Bakt., Bd. 80, H. 5.) Das Verfahren besteht in der Hauptsache in Aus¬ 
wässern der Zusätze die fast restlos entfernbar sind. 

H. Prell-Ulm: Zur Kenntnis einiger defektiver Coli-Formen. 
(Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 5.) Zu kurzen Referate ungeeignet. 

E. Fraenkel-Hamburg-Eppendorf: Weitere Untersuchung über die 
Menschenpathogenit&t des Baeillns pyocyaneus. (Zschr. f. Hyg., Bd. 84, 
H. 3.) Der Bac. pyocyaneus entfaltet nioht nur toxische Wirkung, 
sondern er vermag in das Innere des Körpers einzudringen, ist also ein 
echt pathogener Bacillus. Hauptsächlich erkrankt die Haut (Ekthyma 
gangraenosum) und die Schleimhaut des Verdauungstractus. Insbesondere 
im Magen kommt es oft zu ausgedehnten Nekrosen. Auch sonstige Schleim¬ 
häute können erkranken, z. B. Auge, Kehlkopf, Luftröhre. Im Lungen- 
gewebe kommt es zu hämorrhagischen Bronchopneumonien. Die Er¬ 
krankung kann ektogen und entogen erzeugt sein. Bei letzterer Art 
fiudet sich der Erreger im Blut. Manchmal kommt es auch zur Er¬ 
krankung der Niere. Die Erkrankungen verlaufen fast ausnahmslos letal. 
Anatomisch ist bei den Organveränderungen Ansiedelung der Bacillen 
in der Wandung der Blutgefässe. 

K. E. F. Schmitz: Ein neuer Typhus aus der Gruppe der Rnhr- 
bacillen als Erreger einer grösseres Epidemie. (Zsohr. f. Hyg., Bd. 84, 
H. 3.) Bei einer grösseren, 815 Fälle umfassenden Epidemie unter Ge¬ 
fangenen konnte ein neuer Bacillus aus der Ruhrgruppe gezüchtet 
werden. Dieser Bacillus vermochte Mannit nicht zu zersetzen, bildete 
aber Indol und war in keinem der vorhandenen Ruhrseren agglutinabel. 
Von diesem Bacillus hergestellte Sera agglutinierten die sämtlichen 
Bacillen der Epidemie stark, jedoch weder den Typus Shiga-Kruse noch 
irgend einen der Pseudodysenteriebacillen. Besonders aber der Ausfall 
von Absättigungsversuchen, die kreuzweise mit den verschiedenen Seren 
angestellt wurden, zeigte die vollkommene Stellung des neuen Bacillus, 
der sozusagan die Lücke zwischen den bisherigen grossen Gruppen aus¬ 
füllt. Dass es sich um einen Ruhrbacillus handelte, bewies der Charakter 
der Epidemie, der Ausfall der Widaluntersuchungen, ferner die Eigen¬ 
schaften des Stäbchens, Unbeweglichkeit und typischer Ruhrgeruch. 

P. Uhlenhut und Ph. Kuhn-Strassburg: Experimentelle Ueber- 
tragung der Weil'sehen Krankheit dnreh die Btalliliege (Stomoxys 
oaloitrans). (Zsohr. f. Hyg., Bd. 84, H. 5) Es gelang den Verfassern 
die Weil’sche Krankheit duroh den Stich der Stallfliege auf Meer¬ 
schweinchen zu übertragen. Von 9 Versuchen haben 4 ein sicheres, 3 
ein unsicheres und 2 kein Ergebnis gehabt. Die Tiere können nooh 
6 Tage nach der Fütterung am kranken Tier ein anderes ansteoken. Gelb¬ 
färbung trat bei den auf diese Weise infizierten Tieren nur selten auf. 
Nach Ansioht der Verfasser ist die Uebertragung duroh Fliegen eine 
rein mechanische. Ein Beweis dafür, dass unter natürlichen Verhält¬ 
nissen dieser Infektionsmodus vorkommt, liegt zurzeit nicht vor. Die 
epidemiologischen Tatsachen schliessen jedoch die Möglichkeit nicht aus. 

W. Pfenninger-Zürich: Beiträge zur Beeinflussung der Resistent 
von Versuchstieren gegenüber Infektionskrankheiten. (Zbl. f. Bakt., 
Bd. 80, H. 5.) Die Gesamtresistenz des Organismus ist eine zusammen¬ 
gesetzte Grösse, bestehend aus der Summe der einzelnen Resistensfaktoren. 
Eine Substanz kann nun auf nur einen oder auf verschiedene oder 
auf alle Faktoren ein wirken. Verf. untersuchte hauptsächlich die Be- 
einfiussbarkeit zweier Abwehrvorrichtungen, Agglutininproduktion und di« 
Phagocytose. Einzelne Salze, die er untersuchte, beeinflussten mehr den 
einen, andere mehr den anderen Faktor. So wird z. B. CaCl a sehr be¬ 
günstigend auf die Phagocytose, SrCI* hemmt sie dagegen und begünstigt 
die Agglutininbildung. Der Endeffekt stuft sich nach der Bedeutung der 
verschiedenen Faktoren ab. 

R. Weber-Berlin: Weitere experimentelle Beiträge zur aktiven 
Immunisierung gegen TyphnB and Cholera. (Zsch. f. Hyg., Bd. 84, 
H. 5.) Ein Impfstoff aus einem alten Gholerastamm wirkte weniger 
immunisierend als solche aus frischen Kulturen, daher sollen zur Impf¬ 
stoffbereitung nur solche verwendet werden. Die Autolyse der ver¬ 
schiedenen Stämme, ist sehr verschieden. Frische Stämme zerfallen 
gewöhnlich leichter als alte, gering autolysierende Stämme sind infolge¬ 
dessen nioht zu empfehlen. Einreibung von abgetöteten Typhusbacillen 
in die Haut von Meerschweinchen wirkte immunisierend. Versuche an 
Mäusen mit Mäusetyphusimpfstoff ergaben, dass ein 3 Tage alter Impf¬ 
stoff zehnmal giftiger war als nach zweimonatelanger Lagerung. 

G. Gassner-Altona: Asparagin als Stieksfoffquelle für Typhns- 
bakterien. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 5.) Asparagin wird nicht nur von 
Bakterium Goli, sondern in hohem Maasse auch von Typbus- und Ruhr¬ 
bacillen angegriffen. Es bestehen auch keine qualitativen, sondern nur 
quantitave Unterschiede. 


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26. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


189 


A. Krauss-Eberswalde: üeber Mittel gegen Mücken und Zecken. 
(Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 5.) Verf. empfiehlt als Mückenschutz das 
Aethrol (bergestellt in Flörsheim.) Insbesondere erprobte er das Wald- 
duftätbrol, das Eucalyptus- und das Fliegenscbutzäthrol. Einreibung 
sohützt l 4 bis 1 Stunde gegen Gestochen wer den. Schmitz. 


Innere Medizin. 

Becher-Giessen: Ueber den Wert der HerKgrdssenbestimmnag 
nach der Lage den Spitzenstosses, demonstriert an Beobachtungen im 
Malariaanfall. (Zbl. f. inn. M., 1917, Nr. 50, S. 803.) Verf. konnte 
bei zahlreichen, zum Teil schweren Malariaanfällen keine akute Herz¬ 
dilatation beobachten. Eine solche wurde im Hitzestadium des Anfalles 
bei vielen Kranken durch eine Verstärkung und Verbreiterung des 
Spitsenstosses nach links vorgetäuscht. M. Goldstein. 

Tar-Budapest: Diagnostische Bedeutung der passive! Lungen - 
versckieblickkeit. (D.m.W., 1917, Nr. 51.) Perkussion der dorsalen 
unteren Lungengrenzen in stehender Stellung bei nicht forcierter Ex¬ 
spiration der Lunge. Die Grenze wird als Linie 1 bezeichnet. Bei 
tiefer Inspiration: (Linie 2). Darauf legt sich der Patient in Bauch¬ 
lage bei seitwärts gelagerten Armen. Bei dieser Lagerung gleitet die 
Lunge ohne Atmungsbewegung sofort auf die Linie 2; wenn man also 
die Ruhigstellungsgrenze — nicht forcierte Exspiration — mit Linie 3 
bezeichnet, so fällt diese normalerweise mit Linie 2 zusammen. Bei 
tiefer Inspiration und Bauchlagerung geht die untere Grenze auf Linie 4, 
die meistens 2 Querfinger unter der Linie 2 liegt. Das beschriebene 
Verfahren ermöglicht den Nachweis der aktiven Verschieblichkeit. 

Dünner. 

H. Lipp-Weingarten: Zur Technik der TnberkelbacillenflrbaBg 
!■ Spntuni und Han. (Derm. Wschr., 1918, Bd. 66, Nr. 2.) Verf. 
empfiehlt die Karbolfuchsin-Tropäolin- und die Karbolfuohsin-Jodmethode 
und auch die Karbolfuchsin-Jodsalzmethode von Perges. Gute Dienste 
zur Differenzierung zwischen den Tuberkelbazillen und anderen säure¬ 
festen Stäbchen leistet die Pappenheim’sche Korallinfärbung. Man färbt 
zunächt 5 Minuten mit Karbolfuchsin und taucht ohne abzuspülen in 
folgende Lösung: Korallin 1 g, alkoholische gesättigte Metbylenlösung 
100 g, Glyzerin 20 g. Das Eintauchen geschieht 3—5mal. Das Ko¬ 
rallin entfärbt alle Stäbchen mit Ausnahme der Tuberkelbazillen. 

Immerwahr. 

Engelsmann - Düsseldorf: Ueber die Leistnngsfähigkeit and 
Grenzen der Aareickerangsmethoden für den Nachweis der Tnberkel- 

baeillen im Answurf. (D.m.W., 1918, Nr. 1.) 1. Im Ausstrichpräparat 
findet man bei richtiger Technik am schnellsten und sichersten auch 
vereinzelte Tuberkelbazillen. 2. Von den Anreioherungsmethoden ist die 
beste das von Ditthorn und Schulz angegebene Verfahren. 3 Das 
Ausstrichpräparat gibt nur einen gewissen Anhaltspunkt für die ab¬ 
solute Bazillenzahl der Tagesmenge, für diesen Zweck sind die An- 
reicherung8methoden unentbehrlich; im übrigen sind sie zur Kontrolle 
des Ausstriohpräparates von Wichtigkeit. 

Brüokner: Zur sogenannten Kriegsnephritis. (D.m.W., 1917, 
Nr. 51.) Die Kriegsnephritis unterscheidet sich nicht nur durch das 
akute Auftreten eines allgemeinen Hydrops von den schleichend be¬ 
ginnenden Friedensnephritiden, sondern führt sohon in den ersten Tagen 
zu den schwersten Komplikationen, bietet aber trotzdem im allgemeinen 
eine günstige Prognose. Daraus schliesst der Verfasser, dass es sich 
bei der Kriegsnephritis um eine akute Intoxikation handelt. Der Kranke 
darf nicht transportiert werden. 

Müh lens: Praktische Winke zur Erkennung und Verhütung von 
Malariagefahren. (D.m.W., 1918, Nr. 1.) 1. Malariaanfälle werden, 

namentlich in Heimatslazaretten und von Zivilärzten, oft nicht erkannt. 
In allen Fieberfällen aus Malariagegenden ist sofortige Blutuntersucbung 
nötig. 2. Malariarückfälle entstehen nach verschiedenen Gelegenheits- 
Ursachen. Man kann sie auch bei latenter Malaria künstlich bervor- 
rufen. — Manifeste Malaria mit Parasiten im peripherischen Blut ist 
sicherer zu heilen als latente Malaria. 3. Bei anscheinend chininresi¬ 
stenter Malaria ist stets an eventuelle Nichtresorption des Chinins in¬ 
folge von Darmkatarrh zu denken. — Chinin selbst kann Diarrhoe ver¬ 
ursachen. 4. In schweren Fällen, besonders solchen mit Gehirn- und 
Darmsymptomen, zögere man nie mit der sofortigen Anwendung von 
intramuskulären oder intravenösen Chinininjektionen. Injektionen sind 
insbesondere auch unbedingt vor dem Abtransport Schwerkranker er¬ 
forderlich. 5. Bei hartnäckiger Chininresistenz sowie auch bei schwerer 
Malariaanämie ohne Blutneubildung ist Chinin-Salvarsanbehandlung zu 
versuchen. 6. Da in manchen Gegenden mit dauernder grosser Infek¬ 
tionsgefahr die Chininprophylaxe versagt, so muss noch mehr als bisher 
der grösste Wert auf die Maassnahmen gegen die Mücken und ihre 
Brut gelegt werden. Ihre Durchführung nach ärztlichen Ratschlägen 
unter Leitung von Ingenieuren ist ebenso wie die CbiDinpropbylaxe 
unter Aufsicht von Offizieren eine militärische Maassnabme. 7. Der 
Mückennetzschutz muss auch militärisch auf sachgemässe Handhabung 
kontrolliert werden. 8. Bei der Abwehr der Malariaeinschleppung in 
Deutschland spielen die frühzeitig zu ergreifenden Antimoskitomaass- 
nabmen eine wichtige Rolle. Dünner. 

Oehn eil-Stockholm: Klinische* Jund bakteriologische Studien bei 
einer nosokomialen Dysenterieepidearfe in Stockholm 1916. (Zbl. f. 
inn. M., 1917, Nr. 49, S. 787.) Bericht entsprechend der Ueberschrift 


bei einer Epidemie von 90 Fällen. Es konnten 80 Stämme Dysenterie¬ 
bakterien und 56 dysenterieagglutinable Colistämme isoliert werden. 

M. Goldstein. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

P. Schröder-Greifswald: Zur Systematik in der Psychiatrie. 
(Mschr. f. Psyoh., Bd. 42, H. 6, S. 366.) Ein Vergleich der Diagnostik 
in der Psycbialrie mit der in der inneren Medizin ist falsch. Denn dort 
wird meist Organ-Diagnostik getrieben, wogegen hier nur ein Organ, 
das Gehirn, io Betracht kommt. Das Suchen nach Krankheitseinheiten, 
das die Psychiatrie zurzeit in hervorragendem Maasse beschäftigt, spielt 
in der inneren Medizin nicht einmal eine solche wesentliohe Rolle. „Die 
Ziele, die wir uns darin stecken, sind viel weiter, als die der Mehrzahl 
der Internisten.“ E. Loewy. 

Noack: Narkolepsie. (Neurol. Zbl, 1918, Nr. 1.) N. schildert 
einen Fall von Narkolepsie, bei dem die beiden Hauptsymptome, die 
Schlafanfälle und die Muskelersohlaffung beim Lachen oder Aerger aufs 
deutlichste ausgeprägt sind. Gemütserregungen sind ohne Einfluss auf 
die Häufigkeit der Anfälle. Patient ist Sohn eines Trinkers. Nichts 
spricht für Epilepsie oder Hysterie. E. Tobias. 

Hauptmann: Zur Frage der Nervenlnos, speziell über den Einfluss 
exogener Momente auf die Paralyse. (Vortrag a. d. Verein südwest¬ 
deutscher Neurol. Baden-Baden, Juni 1917.) (Mschr. f. Psyoh., Bd. 42, 
H. 6, S. 349.) Ein Einfluss exogener Momente auf Ausbruch und Ver¬ 
lauf der Paralyse ist weder bei Berücksichtigung des Alters und des 
Intervalls als Maassstab zu konstatieren. Dienstbeschädigung ist also 
abzulehnen, wenn nur die allgemeinen Schädlichkeiten des Krieges 
eingewirkt haben; entsprechend wäre auch in der zivilen Unfallversiche¬ 
rungspraxis zu verfahren. Zur Beantwortung der Frage nach der Wirk¬ 
samkeit exogener Momente für die Entstehung der Metalues ist weiterhin 
die Feststellung notwendig, ob „Erschöpfte“ ein grösseres Kontingent zu 
den Nervenkranken im sekundären Stadium der Lues stellen. Nach 
dem heutigen Stande der Forschung ist das nicht der Fall. 

F. Förster: Hysterische Reaktion and Simulation. (Mschr. f. 
Psyoh., Bd. 42, H. 5, S. 288, u. H. 6, S. 370.) F. gibt Oppenheim zu, dass 
er die hysterische Reaktion nach Schreck sich als „zweckbewusst gross¬ 
gezüchtete Pseudokrankheit“ denkt. Es wäre aber keine kühle Ueber- 
legung der Hysteriker, sondern diese Persönlichkeiten unterdrücken eine 
an sich angeborene Reaktion nicht nur bewusst nicht („sich gehen 
lassen“), sondern sie bemühen sich obendrein bewusst, das Sichgehen- 
lassen für sich möglichst vorteilhaft zu gestalten. „Von einem ,bissigen 
Schimpfwort 1 Hysterie kann aber trotzdem nicht im geringsten die Rede 
sein.“ Nach F. gibt es keine Hysterie, sondern nur hysterisobe Reaktion, 
zu der jeder Mensch mehr oder weniger neigt. Darauf baut sich seine 
Therapie auf, nicht Suggestionstherapie will er treiben, sondern er will 
ehrlich mit den „Patienten“ die Wahrheit reden. Er erklärt ihnen offen, 
dass er sie nicht „für krank“, sondern für willensschwach und schlecht 
erzogen hält, appelliert an ihre Männlichkeit, ihr militärisches Ver¬ 
hältnis usw. Im Gegensatz zu den meisten Suggestionstherapeuten er¬ 
zielt er gute Resultate in bezog auf FrontdienBtverwendungsfähigkeit. 
Sehr beherzigenswert ist seine Auffassung, dass kein hysterisch reagieren¬ 
der sich zum Vorgesetzten eigne, weder Offizier noch Unteroffizier. Einen 
einzigen Simulationsprozess führt er an, im übrigen versuoht er auch 
bei den (eminent seltenen) echten Simulanten lieber eine heilpädago¬ 
gische als kriminelle Besserung. E. Loewy. 

M. Reichardt: Zur Frage der pathologisch-anatomischen Grund¬ 
lage der reflektorischen Paplilenstarre. (Neurol. Zbl, 1918, Nr. 1.) 
R. hält es für wünschenswert, dass neurologische Forscher bei trauma¬ 
tischen Verletzungen speziell des obersten Halsmarkes und namentlich 
auch bei denjenigen Verletzungen, die in absehbarer Zeit tödlich enden, 
die Pupillen Verhältnisse systematisch und ununterbrochen bis zum Tode 
oder — bei Genesung — bis zum Eintritt des stationären neurologischen 
Zustandes untersuchen. Gegen die Annahme, dass die reflektorische 
Papillenstarre stets nur durch eine Erkrankung im Gebiete der vor¬ 
deren Zweihügel hervorgerufen werde, sprechen mehrere Gründe. So ist 
es auffallend, dass bei der tabischen reflektorischen Pupillenstarre trotz 
der langjährigen Dauer nie Symptome auftreten, die auf ein Weiter¬ 
schreiten des Prozesses im vorderen Zweihügel oder Oculomotoriuskern 
hinweisen. Der Antagonismus zwischen Lichtreflex und Konvergenz¬ 
bewegung spricht ebenso dagegen wie die auffallende Tatsache, dass 
niemals eine umschriebene Erkrankung im vorderen Zweihügelgebiete 
isolierte reflektorische Pupillen starre hervorruft, wenn nicht gleichzeitig 
eine Erkrankung des Rückenmarks oder Rautenhirns besteht. R. nimmt 
an, dass es in dem lebenswichtigen Rautenhirn eine oder mehrere Stellen 
gibt, von denen aus der Pupillenreflex beeinflusst wird. Wegen der 
Lebenswichtigkeit dieser Hirngegenden tritt allerdings meist der Tod ein, 
bevor sich eine deutliche Lichtreflexsteigerung einstellt. Zum Rauten¬ 
hirn ziehen Stellen von den Hirnsträngen des Rückenmarks, worauf R. 
näher eingeht. 

A. Westphal: Ueber das Vorkommen von Stübchenzellen hei der 
maltiplen Sklerose. (Neurol. Zbl.,- 1918, Nr. 1.) W. fand in sklero¬ 
tischen Herden in der Nähe der Ventrikel im Grosshirn bei multipler 
Sklerose Stäbchenzellen. Sie sind in den älteren kernarmen, sub- 
ependymär gelegenen Horden in den grösstenteils aus ungefärbter Grund¬ 
substanz bestehenden Bezirken deutlich zu sehen; sie fehlen in den 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


frischen, sehr kernreichen, vorwiegend aus grossen, oft mehrkernigen, 
fortsatzreichen Gliazellen zusammengesetzten Herden. Charakteristisch 
ist eine Anordnung in Zügen, ähnlich Fischzügen. Das Bild entspricht 
dem Bilde, das Alzheimer hei der Schilderung der Rindenbefunde bei 
progressiver Paralyse entworfen hat. E. Tobias. 

J. H. Schultz: Zur Klinik der Nacbbehnndlnng Kopfverletiter. 
(tfschr. f. Psyoh., Bd. 42, H. 6, S. 325.) Sch. betont die dringende 
praktische Notwendigkeit spezialistisoher Untersuchung und Beratung 
Kopfverletzter. Bei 110 Vorderhirnverletzungen fand sich besonders oft 
die Tendenz zur doppelten oder öfter gleichzeitigen Herabsetzung von 
Haut- und Sehnenreflezen, Romberg nach vorn und Zeigestörungen beim 
Versuche naoh Barany. Traumatisch-epileptische Veränderung nach 
Stirnhirnverletzung war viel seltener als theatralisch funktionell wirkende, 
chronisch und anfallsweise auftretende. Häufig ist eine Trigeminus¬ 
neuralgie. Bei den Seitenschädel verletzten (450) überwog der hemi- 
paretisohe Lähmungstypus Wernieke-Mann. Bei Verletzungen der Hinter- 
Bohädelbasis kam der cerebellare Symptomenkomplex 120 mal zur Beob¬ 
achtung. Lumbalpunktionen hält Sch. nur dann bei Kopfverletzten für 
gestattet, wenn vorher operativ oder durch Hirnpunktion das Vorhanden¬ 
sein infektiösen Materials in der Schädelhöhle ausgeschlossen ist. 

E. Loewy. 

Chirurgie. 

Münich: Neue Formen von Schienenverbinden. (D.m.W., 1918, 
Nr. 1.) 

Wildt-Cöln: Extension der Beinbrüche in Beogestellnng unter 
Vermeidung der technischen Nachteile. (D.m.W., 1917, Nr. 51.) 

Dünner. 

Böhler: Ueber einen Fall von divergierender Verrenkung der 
Mittelfnssknochen. (Zbl. f. Chir., 1917, Nr. 51.) Kasuistischer Beitrag. 
Die Reposition gelang leicht in Narkose und wurde durch eine ent¬ 
sprechende Holzschiene gehalten. Der Mechanismus der Luxation war 
der (der Soldat war aus einem zusammenstürzenden Hause zwei Stock¬ 
werk hoch auf die Strasse gesprungen), dass der Fuss auf einen runden 
Stein derart aufsohlug, dass der zweite bis fünfte Mittelfussknoohen auf 
die Höhe des Steines zu liegen kam, während der erste Mittelfussknoohen 
seitlich abglitt. 

Goebei-Breslau: Sehntn der Arterienstümpfe dnrcb Mnskellappen. 

(Zbl. f. Chir., 1917, Nr. 50.) Mit Erfolg hat Goebel nach Amputationen 
bei eiternden Wunden die unterbundenen Gefässe mit einem Muskel¬ 
lappen aus der Umgebung bedeckt und dadurch jede weitere Blutung 
vermieden. Hayward. 

F. Mommsen-Berlin-Zehlendorf: Die orthopädische Versorgung 
Bnserer Beinamputierten. (Zsohr. f. Krüppelfürs., 1917, H. 12.) Um 
den Beinamputierten möglichst bald von Krücken zu befreien und ihm 
die Wiederaufnahme seiner Berufstätigkeit zu ermöglichen, soll er gleich 
bei der Aufnahme in das orthopädische Lazarett den Sitzstock naoh 
von Baeyer erhalten. Sobald der Zustand des Stumpfes es zulässt, 
gibt Verf. das in der M.m.W., 1917, Nr. 8, beschriebene „Kombinations¬ 
bein 0 , an welchem nur die aus Gipsleim gefertigte, mehrfach zu er¬ 
neuernde Stumpfhülse provisorisch, alles andere endgültig ist. Die 
Amputierten sollen bei der Entlassung aus dem Lazarett sohon ihr 
zweites Kunstbein erhalten, um für alle Fälle von Reparaturnotwendig¬ 
keit usw. gesichert zu sein. Die Methode der Amputiertenversorgung 
am Oscar-Helene-Heim, Zehlendorf, wird kurz geschildert. 

Schasse-Berlin. 

Franz: Müssen arteriovenöse Fisteln operiert werden. (Zbl. f. 
Chir., 1917, Nr. 50.) Die Behandlung der Aneurysmen hat während 
des Krieges eine Wandlung erfahren. Vor Beginn des Krieges war, vor 
allem gestützt auf die Erfahrungen der Balkan-Feldzüge, die Ansicht 
vertreten, dass jedes Aneurysma der Operation zuzuführen sei. Erst in 
der letzten Zeit ist von diesem Dogma abgewichen worden. Eine Reihe 
von Nachuntersuchungen, welche Franz ausgeführt hat, zeigen ihm, dass 
die Indikation zur Operation streng zu stellen ist. Nach wie vor be¬ 
dürfen des operativen Eingriffes alle diejenigen Fälle, bei denen klinisch 
ein aneurysmatischer Sack, sei es in Verbindung allein mit der Arterie, 
oder mit Arterie und Vene zusammen, naobzuweisen ist. Dahingegen 
ist die einfache arteriovenöse Fistel, die sich durch das Fehlen einer 
fühlbaren Geschwulst an der Verletzungsstelle bei sonst deutlich vor¬ 
handenen Zeichen einer Gefässverletzung und dem Vorhandensein des 
peripheren Pulses dokumentiert, nicht Gegenstand der Operation. Dieser 
Standpunkt ist um so mehr beachtenswert, als Zirkulationsstörungen bei 
diesen Kranken nioht vorhanden sind und auch subjektiv keine Beschwerden 
angegeben werden. 

Oljeniok: Ueber die Unterbindung der Arteria vertebralis. 
(Zbl. f. Chir., 1917, Nr. 50.) Anknüpfend an die Veröffentlichungen von 
Köttner in Nr. 15 und Drüner in Nr. 30 des Zbl. über die Unter¬ 
bindung der Arteria vertebralis empfiehlt der Verfasser sein Verfahren, 
welches im Gegensatz zu den anderen Methoden direkt auf die Verletzungs¬ 
stelle selbst eingeht. Es gelingt mit dieser Methode, bei der die 
Knochenspange des Foramen transversum an der Stelle der Läsion ab¬ 
getragen wird, die Gefässe in ihrem Verlaufe in dem Processus trans- 
versus zu erreichen. Die Einzelheiten sind im Original einzusehen. 

Lanz: Temporäre Abtragung des ganien Schädeldaches. (Zbl. 
f. Chir., 1917, Nr. 51.) Trotz der grossen Fortschritte, welche die 


neurologische Diagnostik in der Lokalisation der Gehirogeschwülate ge¬ 
macht hat, werden immer noch Fälle übrig bleiben, bei denen infolge 
von Fernwirkung die vermutete Geschwulst nicht an der Stelle gefunden 
wird, an der trepaniert wurde. In diesen Fällen stösst das chirurgische 
Vorgehen auf grosse Schwierigkeiten, da durch die jetzt allgemein übliche 
lappenförmige Trepanation eine Ausdehnung des Operationsgebietes an¬ 
möglich ist. Lanz versucht das Problem von der chirurgischen Seite 
aus zu lösen und berichtet über das Resultat seiner Untersuchungen, 
die bei Experimenten an Tieren gewonnen wurden. Er spaltet die Kopf¬ 
haut in sagittaler Richtung, klappt die beiden Hälften der Weichteile 
zurück und trägt dann das knöcherne Schädeldach im ganzen ab wie 
einen Deckel, ähnlich dem Verfahren, wie es bei der Sektion geübt wird. 
Das Schädeldach wurde dann steril verwahrt und nach einer viertel 
Stunde wieder aufgesetzt, wobei es einmal genau so zu liegen kam, wie 
es vorher gewesen war, während das andere Mal vorne und hinten mit 
einander vertauscht wurden. Dann wurden die Weichteile wieder voll¬ 
kommen vernäht. Ein Jahr nach dem Eingriff starben die Tiere, das 
eine an Tuberkulose, das andere an einer Lungenentzündung. Es zeigte 
siob, dass eine vollkommen knöcherne Vereinigung eingetreten war. 
Wenn auch weitere Schlüsse zunächst für die menschliche Chirurgie aas 
den interessanten Experimenten nicht zu ziehen sind, so ist es doch von 
Wichtigkeit festzustellen, wie L. betont, dass das ganze Schädeldach, 
zeitlich total aus jedem Zusammenhänge mit Weichteilen und Periost 
gelöst, ohne jede Erscheinung, die auf Resorptionsvorgänge, Ernährungs¬ 
störung, Sequestration hin wiese, völlig reaktionslos wieder einheilt und 
in idealer Weise auf die Dauer eingeheilt bleibt. Hayward. 

Haller: Ueber Oehirnventrikeleitoring und ihre Behandlung. 
(D.m.W., 1917, Nr. 51.) Verf. glaubt, dass die Occipitalinzision zur Be¬ 
kämpfung des Hirnprolapses Vortreffliches leisten wird. 

Salomon: Zur Kritik und Technik der Leistenbrnchoperationen. 
(D.m.W., 1917, Nr. 51.) 1. Nach neueren Statistiken scheint für den 

gewöhnlichen sohrägen Leistenbruch schon die hohe Abbindung des 
Bruchsackes nach vorheriger Torsion desselben zu genügen. Weitere 
Modifikationen der bewährten Methoden des Brucbpfortenverscblusses 
sind für die Mehrzahl der Fälle deshalb unnötig, solange nicht die Frage 
geklärt ist, ob diesem für die Entstehung der Rezidive überhaupt eine 
nennenswerte Bedeutung zukommt. 2. Die Bassini’sche Operation ist 
nur bei direkten und sehr grossen Hernien indiziert. Bei kleinen und 
mittelgrossen indirekten Leistenbrüchen ist sie eine unnötig kompli¬ 
zierte Methode, welche leicht zu Infektionen Veranlassung gibt,- sie ist 
zugunsten der Girard’schen Operation zu verlassen. Der Brucbsack- 
stumpf wird zweckmässig unter die Muskulatur verlagert. 3. Die In- 
vaginationsmethode Kocher’s ist selbst in geübter Hand nicht unge¬ 
fährlich und hat schon in einer Anzahl von Fällen zur Verletzung des 
Netzes und Darmes mit tödlichem Ausgange Veranlassung gegeben. 
4. Zur Vermeidung von Hämatomen sowie zur schonenden Behandlung 
des Samenstranges ist die von Höpfl prinzipiell empfohlene quere Ab¬ 
trennung des Bruchsackes unter Zurücklassung des peripherischen Ab¬ 
schnittes zweckmässig. 5. Der N. ileo inguinalis und spermatious externus 
sind zur Vermeidung von Wundschmersen und Neuralgien nach Möglich¬ 
keit zu schonen. 

Reichenbach: Zur Banduchassfrage. (D.m.W., 1917, Nr. 52.) 
Bei operativer Behandlung der Bauchschüsse erzielte der Verfasser eine 
Heilung in 52,4pCt. 

G i o se f f i - Triest: Perforationsperitonitis bei Typhns abdominalis. 
Operation. Heilung. (D.m.W., 1918, Nr. 1.) Kasuistik. 

Eunike-Elberfeld: Der Volvnlns des ansteigenden Diekdarms. 
(D.m.W., 1917, Nr. 52.) Kasuistik. Bei der Operation fanden sich 
Coeoum und Colon ascendens in der Magengrube liegend, sehr stark ge¬ 
bläht und entzündlich adhärent. Es handelt sich um ein typisches 
Volvulus des aufsteigenden Dickdarms. Dünner. 

Röntgenologie. 

Drüner -Quierschied: Die röntgenoskopische Operation nach 
Orashey. (D.m.W., 1917, Nr. 51.) Dünner. 

Augenheilkunde. 

Peters: Ueber einen Fall von doppelseitiger Eneepbaloeele der 
Orbita. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Verf. veröffentlicht 
einen Fall von doppelseitiger Eocephalocele der Orbita und gibt eine 
Uebersicht über die bisher beobachteten Fälle. Der eigene Fall wurde 
bei einem 8 Wooben alten Kinde beobachtet. 

Augst ein-Freiburg i. Br.: Beiträge zur Kenntnis der diffnsen 
and abgekapselten Angiome der Orbita, des intermittierenden Ex- 
ophthalmns sowie der abgekapselten orbitalen Hämatome. (Klin. Mbl. 
f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Fall I: Pulsierender periodischer Ex¬ 
ophthalmus durch Angiom der Orbita. Fall II: Abgekapseltes Angiom 
hinten im Muskeltrichter. Entfernung nach Krön lein mit voller 
Funktion. Fall 111: Diffuse, die Scbädelknochen durchsetzende Angio¬ 
matose der Orbita. Exitus letalis durch intrakranielle Blutung. Fall IV: 
Periodischer Exophthalmus durch Varicocele orbitalis. Fall V: Tumor¬ 
artiges, spontanes, „abgekapseltes 0 Hämatom der Orbita bei Hämo¬ 
philie. 


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25. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Zlooisti: 8korbnti8che Hornhautgeschwiire. (Klin. Mbl. f. Aughlk., 
Bd. 59, Nov.-Dez.) Bei etwa 150 Skorbutkranken hat Verf. 2 Fälle be¬ 
obachtet, die ein besonders pathognomisohes Interesse beanspruchen. 
Die Krankengeschichten werden genau wiedergegeben. 

Loewenstein: Roseolenähnliche Affektion der Regenbogewhant 
nebea punktförmigen Bindehantblntungen bei hämorrhagischer Dia 
these. (Klin. Mbl. f. Augenhlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Sicherlich sind die 
punktförmigen Bindehautblutungen in eine Reihe zu stellen mit den 
an anderen Stellen des Integumentes aufgetretenen Hämorrhagien. Sie 
wreisen dem Krankheitsbild seine Stellung innerhalb der Gruppe der hä¬ 
morrhagischen Diathesen zu. In dem beschriebenen Falle liegt eine 
durch unbekannte Einflüsse hervorgerufene Getässalteration vor. Diese 
führt in der Bindehaut zu den dargestellten, bald verschwindenden, 
punktförmigen Blutungen aus den sehr erweiterten, schlaffen Gefässen. 

A ugst ein-Bromberg: Ein Fall von schwerer md verderblicher 
NetshaatblntBBg allein dnrch Gravidität hervorgernfeo. (Klin. Mbl. 
f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Der Fall ist dadurch bemerkenswert, 
dass Netzhautblutungen in der ersten Gravidität das eine Auge ver¬ 
nichteten und Enukleation dieses Auges notwendig machten, und dass 
drei Jahre später in der zweiten Gravidität durch ausserordentliche 
schwere Netzhautblutungen Erblindung des anderen drohte, so dass zur 
Einleitung der künstlichen Frühgeburt geschritten werden musste, 
worauf in kurzer Zeit rasche Resorption der Blutungen erfolgte und 
das Sehvermögen normal wurde. Zu keiner Zeit war eine Erkrankung 
anderer Organe vorhanden, namentlich war das Herz normal, der Urin 
stets frei von Eiweiss und Zucker, es war auch keine Arteriosklerose 
vorhanden. 

Wiedersheim: Die Bedeutung des Blinselns für das Sehen des 
Malers. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 59, Nov.-Dez.) Durch Blinzeln 
kommt infolge Ausscheidens scharfer Konturen und störender Einzel¬ 
heiten das für den künstlerischen Genuss Wertwolle zum Bewusstsein, 
das Charakteristische in der Zeichnung, das Wichtigste in der Form, die 
Schönheit der Farben- und Lichteffekte. Wir erreichen durch das Blin¬ 
zeln eine Beeinflussung der Bilder, die derjenigen bei unkorrigierter 
Myopie in ihrer Wirkung auf das Sehen ähnlich ist. Die Erscheinungen 
sind durch Veränderung der Helligkeitsmenge und duroh Lichtbeugung 
der verengten Lidspalte und der Wimpern bedingt. F. Mendel. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom €. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Virchow. 

Vorsitzender: M. H.! Ich habe Ihnen Mitteilung zu machen von 
dem Tode eines unserer älteren Mitglieder, des bekannten Urologen 
Herrn Hugo Lohostein, der seit 1889 unser Mitglied gewesen ist, der 
bekanntlich auch literarisch sich eifrig betätigt hat. Ich bitte, zu seinen 
Ehren sich zu erheben. (Geschieht.) 

Der stellvertretende geschäftsführende Schriftführer unserer Gesell¬ 
schaft, Herr Israel, hat am 2. Februar das 70. Lebensjahr vollendet. 
Da er hier nicht anwesend war, habe ich mit Herrn Ben da zusammen 
ihm im Namen der Gesellschaft ein Glückwunschschreiben geschickt! 
Er* hat uns einen Brief gesandt, worin er sioh lebhaft für die Ehrung 
bedankt. 

Der erste Punkt der Tagesordnung betrifft die Anträge der Herren 
Bumm und R. Sohaeffer, Schwangerschaftsunterbrechung betreffend, 
die Ihnen ja schon bekannt sind. Es hat die vorschriftsmässige Sitzung, 
und zwar diesmal eine gut besuchte Sitzung, des Vorstandes und Aus¬ 
schusses stattgefunden, in der eingehend die Frage beraten worden ist, 
und die zu dem Resultat gekommen ist, der Gesellschaft vorzuschlagen, 
für jetzt von einer Beratung dieser Angelegenheit Abstand zu nehmen, 
einmal, weil augenblicklich vielleicht nicht die geeignete Zeit ist, um 
auf irgendwen einen Eindruck mit einer Eingabe zu machen, denn ein 
Gesetzesvoisohlag ist überhaupt von der Regierung noch nicht vorgelegt 
worden. Wenn das gesohehen ist, dann würde ja vielleicht den An¬ 
regungen, die durch die Anträge gegeben worden sind, gefolgt werden 
können. Dafür wäre es aber, und das ist der zweite Grund, nicht er¬ 
wünscht, wenn die Gesellschaft sich jetzt sobon in einer bestimmten 
Richtung festgelegt hätte. 

Ich möchte aber meinerseits aus dem, was ich vor mir sehe, noch 
einen anderen Grund dafür Vorbringen, von einer Beratung jetzt Ab¬ 
stand zu nehmen. Allein die Berliner medizinische Gesellschaft hat 
16 bis 1700 Mitglieder, und es widerstreitet meinem Gefühl, dass eine 
solche Minorität, wie sie jetzt hier versammelt ist, über eine so wiohtige 
Frage eine Entscheidung treffen sollte. Das würde meines Erachtens 
auch das Gewicht der Entscheidung erheblich herabsetzen. Später — 
und das wird ja nicht so schnell gehen, dass die, wie es scheint, be¬ 
absichtigte Gesetzesvorlage zu einem wirklichen Gesetz wird — kann 
man ja auf die Angelegenheit noch zurückkommen. 

Die Sache liegt also jetzt so, wie es in den Nachträgen zu den Er¬ 


gänzungsbestimmungen unserer Geschäftsordnung vorgesehen ist. Da 
heisst es: 

„Beschliesst er“ — nämlich Vorstand und Aussohuss — „der Ge¬ 
sellschaft die Ablehnung anzuraten, so wird in der nächsten Sitzung 
der Gesellschaft darüber abgestimmt, ob der Antrag znr Verhandlung 
kommen soll.“ 

Wir haben also jetzt darüber abzustimmen, ob überhaupt über 
diese Frage jetzt eine Verhandlung stattfinden soll, und ich bitte die¬ 
jenigen, die dafür sind, dass jetzt nicht in die Verhandlung eingetreten 
wird, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Das ist zweifellos die Majo¬ 
rität. Wir wollen aber die Gegenprobe machen. Ich bitte diejenigen, 
die dafür sind, dass jetzt in die Verhandlung eingetreten wird, die 
Hand zu erheben. (Geschieht.) Das sind 2 Stimmen. Ich bitte, das 
im Protokoll zu vermerken. 

Es ist noch rückständig die Aussprache über den Vortrag des 
Herrn Gas per. Er hat aber mittlerweile einen zweiten Vortrag ange¬ 
kündigt, der sich auch mit dem Dauerkatheter beschäftigt, und ioh halte 
es für zweckmässig, die Besprechung des ersten Vortrages mit der¬ 
jenigen dieses zweiten Vortrages zu verknüpfen, da es sich um ganz 
ähnliche Dinge handelt. (Nachträgliohe Bemerkung: Diese Aeusserung 
beruhte auf einem Missverständnis, trotzdem soll die Besprechung des 
ersten Vortrages mit derjenigen des zweiten verbunden werden.) 

2. Aussprache über die Vorträge der Herren Pani Rosenstein: 
Die unblutige Bekämpfung eitriger Prozesse dnrch Morgenroth’seke 
Chininderivate und Felix Hirschfeld: Ueber die Wiederherstellung 
der geschädigten Funktionen der Nieren bei chronischen Nephritiden. 

Besprechung über den Vortrag des Herrn Paul Rosenstein. 

Hr. Neumann: loh hatte Gelegenheit, in einer Reihe von Fällen 
das Eucupin zu versuchen, jedoch nicht mit einem durchweg so glänzenden 
Resultate, wie es Herr Rosen stein uns berichtet hat. Allerdings 
standen mir nicht die besonders günstigen, weit leichteren Fälle in der 
Poliklinik zur Verfügung, sondern ich musste mir die weniger schweren 
Fälle von Phlegmonen und Abszessen auswählen, die sich zufällig unter 
den vorwiegend schweren und schwersten Krankheitsfällen meiner Ab¬ 
teilung vorfanden. Deswegen kann mein Urteil heute auch durobans 
kein abschliessendes sein. 

Ich kann die Erfahrungen, wie ich sie bisher mit dem Eucupin ge¬ 
macht habe, in wenigen Worten zusammenfassen. Handelte es sich um 
umschriebene Eiterungen, die unter verhältnismässig intakter Haut lagen, 
so hatten auch wir dieselben glänzenden Resultate, wie sie uns Herr 
Rosenstein geschildert hat, d. h. auch wir konnten duroh wenige 
Injektionen von wenigen Kubikzentimetern einer halbprozentigen Lösung, 
zwei- und dreimal in Abständen von 8 Tagen wiederholt, naöh Absaugung 
des Eiters beobachten, dass die Abszesse heilten ohne jede erhebliche 
Reaktion, ohne Schmerzen, ohne akute Fieberbewegung und auch, ohne 
Narben zu hinterlassen. Gerade bei Prozessen, bei welchen wir gewohnt 
sind, zu beobachten, dass selbst kleine Stiebinzisionen nooh einen lang¬ 
wierigen Verlauf nehmen und mit entstellenden Narben heilen, wie z. B. 
bei vereiterten Inguinalbubonen, ist ein derartiger Fortschritt etwas 
Erhebliches und sehr zu begrüssen. Lagen aber die Eiterungen unter 
einer Haut, die schon sehr pathologisch verändert, vor allen Dingen 
sehr verdünnt war, so Hessen sich Nekrosen oder Fistelbildungen auoh 
dann nicht verhüten, wenn man das Eucupin ganz von der Peripherie, 
von der gesunden Haut her in die Abszesshöhle applizierte. 

Bei Phlegmonen haben wir keine guten Erfahrungen gemaoht. Wir 
mussten feststellen, dass im phlegmonösen, mit dem entzündlichen 
Material überladenen Gewebe die Applikation von Euoupin dooh die 
Entzündung zu einem Grade steigern kann, dass mit einer Gefährdung 
der Lebensfähigkeit des Gewebes gerechnet werden musste. Wir konnten 
uns z. B. bei einem Falle von Handrückenphlegmone des Eindrucks nicht 
erwehren, dass die daselbst aufgetretene, sowohl erheblioh in die Breite 
wie in die Tiefe gebende Nekrose zum Teil auf das Eucupin zu beziehen 
war. Jedenfalls wollen wir vorderhand bei Phlegmonen das Euoupin 
nicht mehr anwenden. Dagegen wollen wir es weiter anwenden bei allen 
umschriebenen Eiterungen, bei Abszessen, bei vereiterten Bursitiden, 
bei eitrigen Gelenkentzündungen und verwandten Prozessen, soweit die 
Prozesse unter einer relativ normalen Haut liegen. Wir wollen auch 
den Versuch machen, das Euoupin bei Empyemen anzuwenden, natür¬ 
lich nur bei Fällen, bei welchen ein mehr konservatives Vorgehen erlaubt 
ist. Bisher sind uns zufällig in der letzten Zeit derartige Fälle nicht 
zur Behandlung gekommen. 

Hr. Morgenroth: Für Herstellung, Aufbewahrung und Ge¬ 
brauch der Lösungen des Vnzin bihydroohloricum (auch einfach Vuzin 
genannt) sind gewisse vorläufige Regeln aufzustellen, die den Eigen¬ 
schaften des Präparates, soweit sie bis jetzt genügend bekannt sind, 
Rechnung tragen. 

Lösungen in Wasser bis zur Konzentration 1:500 sind leioht herzu- 
stellen. Man erhitzt zunächst das Wasser in einem Kolben zum Sieden 
und trägt in die siedende Flüssigkeit die abgewogene Vuzinmenge ein, 
z. B. 1 g Vuzin bihydroohloricum in 500 ccm Wasser; es erfolgt sofort 
Lösung, auch nach dem Erkalten tritt keine Trübung ein. Zusatz von 
Säure zur Begünstigung der Lösung ist bei diesen Konzentrationen 
völlig unnötig. Zeigen sioh naoh dem Erkalten einige unlösliche Par¬ 
tikelchen, so kann die Lösung filtriert werden. Erwärmt man das 
Vuzin allmählich mit dem Wasser, so erfolgt die Lösung langsamer 
and schwieriger, da die Teilohen verbacken und in harzartiger Form 


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am Glase feRtkleben. Es ist zweckmässig, die Lösung 1: 500 als Stamm - 
lösung zu benutzen und nach Bedarf zu verdünnen. In 0,85 proz. 
Kochsalzlösung ist das Vuzin bibydrochloricum schwerer löslich als in 
Wasser. Noch Lösungen 1:1000 erscheinen nicht völlig klar. 

KonzentrierteLösungen des Vuzin bihydrochloricum lassen sich 
in Alkohol herstellen, was auoh Klapp schon angegeben hat. So lässt 
sioh eine lOproz. Stammlösung leioht anfertigen, indem man 1 g Vuzin 
bihydroohlorioum mit 10 g Alkohol bei Zimmertemperatur kurze Zeit 
schüttelt. Von einzelnen ungelöst bleibenden Partikelchen kann die 
klare Flüssigkeit abfiltriert werden. Die lOproz. Lösung kann man 
dann naob Belieben mit Wasser verdünnen, also 1 ccm der alkoholi¬ 
schen Stammlösung gibt mit 100 com Wasser eine gebrauchsfertige 
Lösung von etwa 1: 1000. Die alkoholische Stammlösung wird sich 
besonders da bewähren, wo Einrichtungen zur regelmässigen frischen 
Bereitung wässriger Lösungen nicht vorhanden sind. Die Lösungen sind 
nach Möglichkeit kurz vor der Verwendung zu bereiten. 

Insbesondere sollen verdünnte wässrige Lösungen unter allen 
Umständen nur frisch verwendet werden; vor allem ist bei der 
schlechten Beschaffenheit des Glases, mit der jetzt vielfach gerechnet werden 
muss, vor der Aufbewahrung der Lösungen von 1:500 und weniger 
entschieden zu warnen. Die ganze Frage bedarf noch systematischer 
Untersuchung, und bis zu ihrer Klärung ist Vorsicht angebracht. Geben 
doch eine Reihe von Ophthalmologen an, dass selbst lproz. wässrige 
Lösungen des chemisch nahe verwandten Optochin hydrochloricum nach 
kurzer Zeit an Wirksamkeit erheblich verlieren, eine Beobachtung, die 
noch der Aufklärung bedarf. 

Dagegen können die wässrigen Vuzinlösungen, die ja, wie oben an¬ 
gegeben, auch heiss hergestellt werden, der Ritzesterilisation unter¬ 
worfen werden. Einmaliges kurzdauerndes Koohen auf offener Flamme, 
Erhitzen im Dampftopf oder im kochenden Wasserbad ist zulässig. 

Was die Handhabung der Lösungen anlangt, so ist j ede Berührung 
auch mit Spuren von Alkali (Lauge, Soda) zu vermeiden, da hier¬ 
durch aus dem Vuzin hydrochloricum das an sich wirksame Vuzin basicum 
in unlöslicher Form ausgefällt und vor allem an den Glasflächen nieder¬ 
geschlagen wird, so dass die Konzentration der Lösungen an wirksamer 
Substanz abnimmt. Es darf also zum Verdünnen niemals die offizinelle, 
alkalisch reagierende physiologische Kochsalzlösung verwandt werden; 
die Spritzen sind nicht in Sodalösung auszukochen oder, wenn dies ge¬ 
schehen ist, sorgfältig mit sterilem Wasser mehrmals durchzuspülen. 

Hr. Rosen stein (Schlusswort): Ich bin Herrn Neumann sehr 
dankbar, dass er ganz in meinem Sinne zur Vorsicht gemahnt und nicht 
im allgemeinen schon die Anwendung des Eucupins oder des Vuzins bei 
Phlegmonen anempfohlen hat. Ich habe ja bei meinem Vortrage, der 
am 28. November stattfand, also über zwei Monate her ist, noch nicht 
so lange Erfahrungen gehabt, dass ich das Vuzin oder Eucupin schon 
für fortschreitende Phlegmonen durchweg empfehlen konnte, sondern was 
ich hier sagte, waren lediglich Ergebnisse im Versuchsstadium, und die 
Fälle, die ich Ihnen gezeigt habe, haben allerdings bewiesen, dass es 
bei bestimmten Arten von Phlegmonen, fortschreitenden Entzündungen, 
gelingt, den Prozess zum Stillstand zu bringen, ihn zu heilen. 

Ich bin heute, nachdem zwei Monate vergangen sind, schon etwas 
weiter und kann sagen, dass ich von dem, was ich im November hier 
gesagt habe, niohts zurückzunehmen habe, nachdem ich mehr das Vuzin 
gegeben habe, als das Eucupin und nachdem ich auch jetzt die Technik 
sohon etwas besser an wenden gelernt habe, loh habe mich natürlich 
bezüglich der Haltbarkeit des Präparates streng an die Vorschriften ge¬ 
halten, die mir Herr Morgenroth gegeben hat. 

Wenn Herr Neumann sagt, dass ein bedrohlicher Zustand in 
den Geweben entsteht, so dass man den Gewebstod zu fürchten hat 
oder gar ein Fortschreiten des Eiters, so kann ioh nur sagen: es 
entsteht eine für den ersten Eindruck ausserordentlich erschreckende 
Reaktion des Gewebes auf die Einspritzung. Ich brauohte damals den 
Vergleich, dass bei der Sehnenscheidenphlegmone, die ich behandelte, 
die Hand mir am nächsten Tage wie zu koohen schien. Es bildeten sich 
Blasen, die Hand schwoll an, es stellte sich hohes Fieber ein. Trotz¬ 
dem sah ich mich nicht veranlasst, hier zu inzidieren, und tatsächlich 
war das nur eine heilsame Reaktion, die nichts weiter geschadet hat. 

Wenn der Herr Vorsitzende gestattet, so lasse ich die Frau herein¬ 
kommen, die ich damals hier vorstellte. Es handelt sioh um eine V-Phleg- 
mone des Daumens und kleinen Fingers. Als ich die Patientin in Behand¬ 
lung nahm, war die Kleinfiogersehne bereits etwas nekrotisch, stiess sich 
auoh später ab. loh habe weiter niohts gemacht, als an der zentralen 
Grenze der Phlegmone — das war ungefähr die Mitte des Unterarms — 
mehrfach zu injizieren, und habe keine Inzision zu machen brauchen. Es 
hat sich dann in der Mitte der Hand allmählich eine Fistel gebildet, aus 
der Nekrosen herauskamen. Ich will Ihnen heute die Patientin nach 
einer Behandlung von 2 l / 2 Monaten vorführen. Sie sehen, dass der kleine 
Finger, wo die Sehne nekrotisch wurde und sich abgestossen hat, in Beuge¬ 
stellung steht. Die Daumensehne war ebenfalls ergriffen, wie der ganze 
Unterarm. . Es ist dort eine gute, vollkommen bewegliche Funktion. 

loh habe damals gesagt, dass ich hoffte, ich würde das Präparat 
wegen dieser starken Reizung noch etwas verdünnen können. Das kann 
ich nicht aufrecht erhalten. Ich kann zu einer dünneren Konzentration 
als 1: 500 bei Vuzin oder 1: 200 bei dem Eucupin nicht heruntergeben, 
weil ioh bei stärkeren Verdünnungen keine so guten Erfolge gesehen habe. 

Dass zwischen verdünnter und normaler Haut ein Unterschied be¬ 
steht, wie es Herr Neumann betont hat, ist natürlich richtig. Wenn 


Nr. 8. 


die Haut so verdünnt ist, dass sie überhaupt nur noch wie ein Schleier 
über der Hand weg liegt, so wird auoh die Euoupinspritze nicht ver¬ 
hindern können, dass sioh an der Stelle eventuell eine grössere Fistel 
bildet und sich Nekrosen abstossen. loh habe aber niemals gesehen, 
dass bei einem Abszess an der Stelle, wo die Punktion stattgefunden 
hat, eine fortschreitende Nekrose oder eine tiefgehende Nekrose der Ge¬ 
webe stattfindet, die sonst nicht bei dem Prozess einzutreten pflegt 
Ich muss weiter richtigstellen, dass ich nicht etwa nur die leichteren 
poliklinischen Fälle behandelt habe, wie Herr Neu mann sagte: Ich 
habe doch im Reservelazarett schwere Fälle behandelt, die bettlägerig 
waren, und ich habe in der Poliklinik schwere Fälle am Arm behandelt, 
die man sonst ohne weiteres in das Krankenhaus aufgenommen hätte. 
Also, es waren schon schwere Fälle darunter. 

Ich hoffe, dass, wenn die Herren mehr Versuche damit gemacht 
haben, das Vuzin bei der Verhinderung und der Verhütung der üblen 
Folgen der eitrigen Prozesse sich immer mehr Bahn brechen wird. 

Ich habe zwei Soldaten, die augenblicklich in Behandlung sind, die 
ioh vorstellen möchte. Der eine hatte eine Phlegmone des Daumen¬ 
ballens und der Hohlhand, die bis zur Mitte des Unterarms ging. Am 
fünften Tage wurde er ins Reservelazarett eingeliefert. Ich habe eine 
Injektion von Vuzin in die am meisten affizierte Stelle gemacht. Der 
zweite hat eine Dammphlegmone gehabt mit ausserordentlicher Ergriffen¬ 
heit des ganzen Gesässes bis hinauf zu den Leistenbeugen. Er hat vor 
zehn Tagen eine Spritze bekommen. Wenn Sie sich die beiden Fälle 
ansehen, werden Sie sehen, dass ohne Operation solche Resultate sonst 
nicht zu erzielen sind. Die Schmerzen sind versohwunden, das Fieber 
ist heruntergegangen. Es ist natürlich nooh eine Absonderung da. 

Nachträglich sind seitens des Herrn Bier die folgenden Bemer¬ 
kungen zu dem Vortrage des Herrn Rosen stein eingereicht worden: 

Wir haben die Versuche, mit Ghininderivaten Abszesse und In¬ 
fektionen zu behandeln, mit neuen Präparaten fortgesetzt, und zwar 
wurden ausser dem früher sohon beschriebenen Eucupinum in 4 Fällen 
Eucupinotozinum, im übrigen Vucin in einer Lösung von 1 : 5000, be¬ 
sonders aber 1 : 1000 verwandt. Wieder waren die Erfolge bei ge¬ 
schlossenen Abszessen sehr gut, insbesondere auch bei 6 vereiterten 
Brustdrüsenentzündungen säugender Frauen. Ebenso, hat sioh weiter die 
Umspritzung von Karbunkeln und die Behandlung vereiterter Gelenke 
bewährt. Zwei durch Streptokokken infizierte Kniegelenke und ein Ge¬ 
len kpanaritium am Finger heilten gut aus. Damit hat es aber auch sein 
Bewenden. Bei 18 schweren fortschreitenden Sehnenscheidenphlegmonen, 
die nach meiner ersten Mitteilung behandelt wurden, waren die Re¬ 
sultate sehr schlecht, mochten wir vor der Eröffnung einspritzen, oder 
erst spalten und dann einspritzen oder in der desinfizierenden Lösung 
Bäder nehmen lassen oder dauernde Berieselung einleiten, mochten wir 
das Mittel unter Blutleere anwenden, gleichzeitig Stauungshyperämie 
anwenden oder nicht. Auch die naheliegenden Versuche, auf dem Blut¬ 
wege, wie bei der Venenanästhesie, die Mittel in die infizierten Teile zu 
bringen, versagten vollständig. Ich kann also nach weiteren Erfahrungen 
nur dasselbe feststellen, was ich Ihnen im vorigen Jahre hier mitteilte: 
die Chininderivate haben sich bewährt bei geschlossenen Abszessen, bei 
Gelenkeiterungen, soweit es sich für mich im wesentlichen nooh um 
Empyeme und nicht um fortschreitende Phlegmonen handelte, und bei 
Karbunkeln. 

Ferner haben sie sich nach Klapp’s Erfahrungen als Prophy- 
laoticum gegen Infektionen bewährt, was ich in meinem hier gehaltenen 
Vortrage im vorigen Jahr als sehr warsoheinlich hinstellen konnte. 

Bei schweren fortschreitenden Phlegmonen dagegen haben sie ver¬ 
sagt, obwohl eine verhältnismässig grosse Zahl damit behandelt wurde. 
Wenn also nicht gauz andere Methoden, als die bisher angewandten, 
aufgefunden werden, so kann man nur raten, die Chininderivate nicht 
bei fortschreitenden Phlegmonen anzuwenden. Daran ändern anch die 
Erfolge Rosensein’s niohts, denn meiner Meinung nach befand sich 
unter seinen zahlreichen Fällen keine einzige schwere Phlegmone. 

Auch heute wiederhole ich, dass es sich bei der Wirkung der 
Chininderivate keineswegs um eine Vernichtung von Bakterien durch 
die Mittel, vielmehr im wesentlichen um biologische Vorgänge, die 
durch die Chininderivale eingeleitct oder verstärkt werden, handelt. 
Es sind in unserer Klinik Versuche im Gange, diese biologischen Wir¬ 
kungen aufzuklären. 

Aussprache über den Vortrag des Herrn Felix Hirsohfeld. 

Hr. Strauss: Ich möchte mir zu dem Vertrage des Herrn Hirsoh¬ 
feld einige Bemerkungen nur nach der prinzipiellen Seite erlauben. 

Zunächst möchte ich mich gegen ein Vorurteil wenden, das in ver¬ 
schiedenen Kreisen zum Teil sohon vorhanden, zum Teil erst in der 
Entwicklung begriffen ist, nämlich gegen die Auffassung, dass für die 
Beurteilung von Nierenfragen jetzt der Funktionsbefund so gut wie alles 
bedeutet, und dass man einen grossen Teil von dem, was wir von 
unseren Lehrern an diagnostischen Methoden übernommen haben, nun¬ 
mehr einfach zum alten Gerümpel werfen können. Nichts ist m. E. ver¬ 
kehrter, als ein solcher Standpunkt. Im Gegenteil, die Ergebnisse der 
alten Untersuchungsmethoden haben auch heute noch ihren hoben 
Wert und im Lichte neuer Kenntnisse und Erkenntnisse für viele 
Stellen sogar noch eine erhöhte Bedeutung gewonnen. Allerdings geht 
es nicht an, ganz allgemein den Funktionsbefund allein als «in Mittel 
zu benutzen, um anatomische Diagnosen zu stellen. Das geht zwar für 
einzelne Fälle an, aber nieht generell, und aus solchen Erwägungen 


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heraus musste ich auoh gegenüber den Ausführungen von Volhard eine 
Reihe von Bedenken äussern, wie ich sie in meinem Buohe über die 
Nephritiden niedergelegt habe. 

Was nun den Kernpunkt der Ausführungen von Herrn Hirsohfeld 
betrifft, so möchte ich folgendes bemerken: Wenn ioh Herrn Kollegen 
Hirsohfeld richtig verstanden habe, so wollte er sagen, dass häufiger, 
als es allgemein bekannt ist, bei ohronisohen Nephritiden die Möglich¬ 
keit besteht, eine Wiederherstellung der Funktion zu erreichen, und 

dass der Weg hierzu vor allem in der langdauernden Durohführung 

einer von ihm genauer bezeichneten, nur geringe Mengen von Eiweiss 

und Kochsalz enthaltenden Sohonungskost besteht. 

In bezug auf den ersten dieser Punkte muss zunächst jeder, der 
sich viel mit Funktionsprüfungen der Nieren beschäftigt, ausspreohen, 
dass eine weitgehende Restitution gestörten Funktionen auch bei chroni¬ 
schen Nephritiden gar nioht so abnorm selten vorkommt, als Herr 
Hirsohfeld dies andeutete. Es muss nämlich immer wieder betont 
werden — und ich habe dies in meinem Buohe an verschiedenen Stellen 
eindringlich getan —, dass in den Ergebnissen der Funktionsprüfungen 
nur etwas Temporäres, etwas Veränderliches gegeben ist, und 
nioht etwas, was immer stabil ist und Btabil bleiben muss, 

loh kann au9 meiner eigenen Erfahrung eine ganze Reihe 

von Fällen erwähnen, wo sogar sehr hochgradige Retentionen 

unter dem Einfluss einer entsprechenden Behandlung, und zwar 

nicht bloss einer eiweissarmen und salzarmen Kost, sondern auoh 

unter dem Einfluss anderer, d. h. medikamentöser und physikalischer Be¬ 
handlungsmethoden, die kompensatorischen Kräfte mobil gemacht haben, 
wenn auch nioht völlig, so doch ganz erheblich vermindert werden konnten. 
Ausserdem muss betont werden, dass es eine ganze Reihe von chronischen 
Nephritiden gibt, bei welchep überhaupt gar keine Retention zustande 
kommt, wo also weder ein Anlass noch eine Möglichkeit vorliegt, eine 
gestörte Funktion wieder zur Rückbildung zu bringen. Sodann ist der 
Weg, den Herr Kollege Hirsohfeld nannte, der bekannte, der übliohe, 
der allgemein anerkannte Weg der Sohonungstherapie. Es ist selbst¬ 
verständlich, und ich habe dies schon früher an den verschiedensten 
Stellen ausgesprochen, dass auoh ioh ebenso wie andere die Sohonung 
mit eiweissarmer Kost — ioh selbst habe sobon vor vielen Jahren die 
„eiweissarmen Tage* empfohlen — durohführe und ebenso mit salzarmer 
Kost. Doch will ioh über die letztere nioht ausführlich sprechen, weil 
über diese schon sehr viel diskutiert worden ist. Wenn aber Herr 
Kollege Hirsohfeld in seinem Vortrag geäussert hat, dass man nun 
alle ohronisohen Nephritiden ganz allgemein mit der von ihm in Bezug 
auf den Eiweissgehalt und in Bezug auf den Koohsalzgehalt genatfer 
festgesetzten Nahrung behandeln soll, so kann ich mich, so sehr ioh 
mit dem Prinzip der Sohonungskost übereinstimme, dooh mit einem so 
generell gehaltenea Vorschlag nioht einverstanden erklären. Es ist 
ja ganz selbstverständlich, dass auch deijenige, welcher Funktionsproben 
ausführt, die Behandlung von Nephritikern mit einem für bestimmte 
Formen und für bestimmte Stadien der Nephritis auf dem Boden der 
Schonungstherapie aufgestellten allgemeinen Programme beginnt. Er 
wird aber dann auf dem Boden der Kenntnisse, die er im Einzelfalle 
und im gegebenen Zeitmoment duroh die Anstellung der Funktions¬ 
probe gewonnen bat, sein Programm revidieren, um es der Eigenart 
des betreffenden Falles anzupassen. Gerade darin sehe ioh eine der 
wesentlichsten Leistungen der Funktionsproben. Als ich vor mehr als 
20 Jahren angefangen habe, mioh mit diesen Dingen zu beschäftigen, 
war es gerade der therapeutische Hintergrund, der mioh veranlasst bat, 
bei diesen Frasren zu bleiben. Ioh hatte bald gemerkt, dass die Funktions¬ 
probe für die Therapie etwas leisten kann, und ioh möohte jetzt davor 
warnen, wieder in alte Zeiten zurüokzufallen und den Rüokschritt zu 
begeben, wieder alle chronischen Nepbritiker sohematisoh naoh einer 
bestimmten Schablone zu behandeln. Das ist ja gerade «der grosse Fort¬ 
schritt, den wir duroh die modernen Funktionsproben gewonnen haben, 
dass wir beute weit mehr als früher individualisieren können. Der 
Individualismus ist in der Therapie an die Stelle der Sohablone getreten, 
und diesen Fortschritt möohte ich duroh die Darlegungen des Herrn 
Kollegen Hirsohfeld nicht erschüttert wissen. 

Was nuu die Funktionsprüfungen selbst betrifft, so will ioh diesen 
nur ganz wenige Worte vom praktischen Standpunkte widmen. 
Für den Wasserversuoh benutzt Herr Kollege Hirsohfeld 500 ccm 
Wasser. Ich habe dies vor 18 Jahren auoh so gemacht und seinerzeit auoh 
so empfohlen. Ich bin aber in den letzten Jahren zur Benutzung von 
1000 com übergegangen, weil, wenn man mit der Methode des 
spezifischen Gewichtes arbeitet — ioh hatte mich früher der Kryoskopie 
bedient —, das Ergebnis in den einzelnen Fällen dooh durchsichtiger 
wird, al9 wenn man nur einen halben Liter Flüssigkeit verabfolgt. 

Was den Kochsalz versuch betrifft, so habe ich mich schon seit 
über sehn Jahren von der Zulagemethode frei gern acht, und zwar aus 
dem Grunde, weil mit Koohsalzzulagen unter Umständen geschadet werden 
kann. Ioh habe selbst ein paar Falle von Schädigung des Epithelial¬ 
apparates durch grosse Koohsalzgaben erlebt. Allerdings hat man früher 
10 g Kochsalz zugelegt. Will man aber auch bei einer Zulage von 10 g 
ein klares Resultat bekommep, so muss man vorher eine neutrale Aus¬ 
gangsstellung, eine Gleichgewichtslage, schaffen, was ein paar Vortage mit 
genauen Untersuchungen wie bei Stoffweohseluntersuohungen in Anspruch 
nimmt. Unterlässt man dies aber, so hat der Versuch nioht viel Wert, 
und er hat noch weniger Wert, wenn man wie Herr Hirsohfeld nur 
5 g zulegt. Meines Erachtens hat man es aber gar nioht nötig, so kom¬ 
plizierte Untersuchungen anzustellen, denn, wenn man einen Reihenver¬ 


such nach der von mir empfohlenen, an einem einzigen Tage zu er¬ 
ledigenden, Versuohsanordnung ausführt, so genügt es, festzustellen. wie 
sich der Koohsalzgehalt in der Phase der Konzentration gestaltet. Wenn 
ein Patient z. B. 8 pM. oder sogar mehr als 1 pCt. Koohsalz in seinem 
Urin hat, so sieht man, dass seine Fähigkeit, Kochsalz auszusoheiden, 
ausreichend ist. Für unsere praktische Fragestellung genügt eine solche 
Orientierung, die auf viel einfacherem Wege zu erreichen ist, fast immer, 
falls sie nur kritisch verwertet wird, und man hat nioht nötig, Kupfer¬ 
münzen mit der Goldwage zu wiegen. 

Auoh für die Prüfung der Stiokstoffretention benütze ioh in der 
Regel keine Zulagenversuche, weil auch bei diesen eine neutrale Aus¬ 
gangsstellung, die Herstellung eines Gleichgewichts vorher notwendig ist. 
Ich bin vielmehr den Reststickstoffbestimmungen treu geblieben, die ich 
seit über 20 Jahren ausführe, und die sich in der Mehrzahl der Kliniken 
eingebürgert haben und die auch sonst jeder ausfübren kann, genau so 
gut, wie eine Wassermann’sohe Probe, indem er die Untersuchung an 
15 oom Blut von einem Institut ausführen lässt. Die Benutzung der 
Bestimmung des Reststickstoffs im Blut bat sich klinisch bewährt und 
gibt uns jedenfalls auf viel einfacherem Wege Auskunft, als das bei den 
viel umständlicheren und zeitraubenderen Stoffweohselversuchen mit Zu¬ 
lagen von stickstoffhaltiger Substanz der Fall ist. Mehr will ich über 
die Funktionsproben hier nioht sagen, weil ioh über mich diese Frage 
erst vor kurzem gelegentlich eines Referats, das ich dem Wissen¬ 
schaftlichen Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie im Zusammenhang 
mit verschiedenen die Kriegsnephritiden betreffenden Fragen zu erstatten 
die Ehre hatte, genauer geäussert habe, und weil dieses Referat erst in 
den letzten Tagen in den Veröffentlichungen aus dem Gebiet des Militär¬ 
sanitätswesens Heft 70, „Richtlinien für die militärärztliohe Beurteilung 
von Nierenkrankheiten*, erschienen ist 

Hr. Felix Hirsohfeld (Schlusswort): Selbstverständlich wird man 
in der Therapie individualisieren. Dadurch wird aber die Aufstellung 
neuer Grundsätze nioht aufgehoben. Io der bisherigen Therapie der 
Nierenkrankheiten liegt die individualisierende Therapie darin, festzu- 
stellen, ob die Niere funktionell imstande ist, einen Stoff auszuscheiden. 
Ist sie dazu imstande, so soll man diesen Stoff ohne weiteres gestatten, 
während ioh behaupte: Die erkrankte Niere wird nicht allein durch den 
Stoff gesobädigt, den sie nioht imstande ist auszuscheiden, sondern sie 
wird gerade durch die diuretische Reizung, die dieser Stoff auf sie aus¬ 
übt, auoh wenn er gut ausgeschieden wird, doch auf die Dauer ge¬ 
schädigt. Deshalb verlange ioh allgemein eine Schonung der Niere; bei 
der Ausführung der Schonungskur, ihrer Art und ihrer Dauer soll man 
natürlich individualisieren. Jedenfalls genügt die gegenwärtig meist 
den Nierenkranken gestattete Diät nioht, um eine Wiederherstellung der 
Nierenfunktion herbeizufübren, bei der grossen Mehrzahl verschlechtern 
sich die Funktionen allmählich. Herr Strauss, unter dem Bann der 
bisherigen funktionellen Therapie, schien mir den Gedanken einer Heilung 
und Wiederherstellung der Funktion bisher vollständig zu verwerfen 1 )* 
Er hat sich zwar jetzt darauf berufen, dass der Rückgang der N-Retention 
dooh wohl bekannt wäre. Gewiss gehen Retentionen von Stickstoff 
zurüok, wenn die Kranken mit einer eiweissarmen Kost behandelt 
werden. Dies beweist jedoch noch nicht, dass sich die Funktion der 
N-Ausfuhr tatsächlich bei diesen Kranken gebessert hat. Io meinen 
Versuchen waren aber alle Funktionen — die Verdünuungs-, die Kon¬ 
zentrations- und die Ausscheidungsfäbigkeit der festen Stoffe — in mehr 
oder minder hohem Maasse gebessert. In dem jetzigen Vortrag habe 
ich zwar die Funktionen in den Vordergrund gestellt, aber natürlich die 
Reizung des Nierengewebes, die sich durch die Albuminurie verrät, 
ebenso im Auge behalten — auf diesen Punkt hatte ich schon in meinen 
früheren Vorträgen grosses Gewioht gelegt, deswegen jetzt nioht so aus¬ 
führlich dabei verweilt. 

Ueber den Wasserversuch möchte - ich noch bemerken: 500 ocm ge¬ 
nügen in jedem Falle bei einer gesunden Niere, um eine starke Er¬ 
niedrigung des spezifischen Gewichts herbeizuführen. Ist dies nioht der 
Fall, so liegen pathologische Veränderungen vor — auf die ich an 
anderer Stelle noch ausführlioh eingehen will; hier will ich nur er¬ 
wähnen, dass es sich um alte gichtische oder arteriosklerotische Prozesse 
handelt —, oder es hat sohon vorher eine Ueberladung der Gewebe mit 
Wasser stattgefunden, wie bei Diabetikern. Dann können 500 ccm 
allerdings keine charakteristische Kurve liefern. Andernfalls reicht die 
kleinere Wassermenge sohon so. Da es so leicht mögliob ist, die kleinere 
Wassermenge häufig nehmen zu lassen und sich so interessante Ein¬ 
blicke in den Krankheitsverlauf zu verschaffen, siebe ioh dieses Ver¬ 
fahren der Verabreichung grösserer Flüssigkeitsmengen dooh entschieden 
vor. Was dann Herr Strauss über den Vorzug der Reststickstoff- 


I) Eine Stelle in seinem Buch „Die Nephritiden*, S. 101, lautet: 
„Manche Autoren scheinen sogar geglaubt zu haben, die Kochsalz¬ 
entziehung befördere die Abheilung des nephritisoben Prozesses selbst 
und wirke nur auf diesem Wege*. Daher sollen unter den Nephritikern 
alle die Fälle duroh spezielle Untersuchungen ausfindig gemacht werden, 
die die Neigung zur Kocbsalzretention und damit zu eventuellem Hydrops 
zeigen. Wenn Strauss auoh bei anderen Gelegenheiten eher für eine 
Beschränkung der Kochsalzverabreichung einzutreten scheint, so kann 
eine solche Auffassung meiner Ansicht naoh doch wenig wirken, da er 
an anderer Stelle (S. 273) auch bei der Eiweisszufuhr auf dem Boden 
der funktionellen Therapie steht und bemerkt, hierüber könne nur das 
funktionelle Verhalten des betreffenden Falles entsoheiden. 


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194 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


bestimmung vor der Bestimmung daroh Stoff weohselbeobaohtungen er¬ 
wähnte, ist seine Ansicht. Andere Autoren haben die Unsicherheit der 
Methode schon hervorgehoben. Ich erinnere nur an Monakow, der 
sehr genaue, monatelang ausgeführte Versuche im Archiv für klinische 
Medisin im Bande 102, 115 und 116 veröffentlichte, und seigte, dass 
grosse Retentionen von Stickstoff Vorkommen, ohne dass dabei der 
Reststiokstoff sich wesentlich erhöht. Monakow hat klar dargelegt, 
dass, wenn ein Stoff im Organismus surückbleibt, er nicht sofort ins 
Blut übergeht, wo er natürlich leicht naohsuweisen ist, sondern er tritt 
in die Gewebe über, und nur ein kleiner Bruchteil, der eben in den 
verschiedenen Fällen ganz unbestimmt ist, geht in das Blut über. 
Monakow hat dies in vielen Fällen durchgerechnet und das Unzuver¬ 
lässige der Reststickstoffbestimmung für die Praxis erwiesen. Findet 
man daher einen hoben Reststickstoff, so ist das natürlich für eine 
schwere Störuog im Stickstoffwechsel beweisend; aber die vielen Fälle 
von massiger Retention bleiben unklar, und hier stellt man meiner An¬ 
sicht nach sicherer eine Störung in der N-Ausfuhr fest, wenn man eine 
Stoffwechseluntersuohung vernimmt. 

8 . Hr. Ceelei: 

Die Nebenwirkungei des Theaeyloi. (Kurze Mitteilung mit Demon¬ 
strationen.) 

Es gibt Arzneimittel* ja, es gehören eigentlich die meisten und 
auch die besten und nützlichsten dazu, die gelegentlich Versager auf¬ 
weisen, nicht nur in dem Sinne, dass mit ihrer Anwendung kein Erfolg 
erzielt wird, sondern dass sogar andere krankhafte, eventuell selbst 
lebensbedrohende Erscheinungen in ihrem Gefolge auftreten. Und 
trotzdem wird es sicher niemand einfallen, einer Streichung dieser Mittel 
aus der Pharmakopoe das Wort zu reden. Wir brauchen sie eben und 
haben keinen gleichwertigen Ersatz. 

Anders steht es mit einer zweiten Gruppe, deren Verwendung in 
der Praxis keine unbedingte Notwendigkeit ist, namentlich, wenn mit 
ihrem Gebrauch gewisse Gefahren verknüpft sind, die also nicht harmlos 
sind, und für die wir vollwertige andere Präparate haben. Unter diese 
Gruppe gehört das Theaeylon. 

Gerade die Tatsache, dass dieses Mittel in neuerer Zeit in der 
klinischen Literatur sehr angepriesen wird, fordert dazu heraus, auch 
die Erfahrungen am Sektionstisch zur Kenntnis zu bringen, damit der 
Praktiker weiss, dass er es nicht mit einem Mittel zu tun hat, das sich 
im ungünstigsten Falle indifferent verhält, sondern das geeignet ist, 
unter Umständen schwere körperliche Schäden hervorzurufen. 

Das Theaeylon ist nach Angabe der Merck’schen Berichte ein 
Derivat des Tbeobromins. Es soll den Magen im allgemeinen unzersetzt 
passieren und erst im alkalischen Darmsaft in seine therapeutisch wich¬ 
tigsten Komponenten, Theobromin und Salicylsäure, zerfallen. Es dient 
in Tagesdosen von 1 bis 4 g als Diureticum. 

Io dieser Eigenschaft wurde das Mittel auch versuchsweise auf der 
hiesigen zweiten medizinischen Klinik angewandt, zum Teil nach Aus¬ 
sage der Kliniker mit recht gutem Erfolg, zum Teil mit derartigem Miss¬ 
erfolg, dass eine Eliminierung des Präparates aus dem Arzneisohatz der 
Klinik geboten erschien. 

Im ganzen kann ich Ihnen über vier Fälle beriohten, bei denen die 
Einverleibung des Mittels mehr oder weniger direkt den Tod der’be¬ 
treffenden Patienten veranlasst hat. Es handelt sich um männliche 
-Individuen im Alter zwischen 38 und 58 Jahren. Ein gemeinsamer Be¬ 
fund bei den vier Kranken war der starke Ascites und eine allgemeine 
Oedembildung, besonders in den unteren Extremitäten. Bei keinem der 
Fälle war, um das vorweg zu nehmen, eine Nierenerkrankung die Ur¬ 
sache der Wassersucht, wenigstens gab die anatomische Untersuchung 
keine Berechtigung zu dieser Annahme. Die Erwähnung dieser Tat¬ 
sache scheint mir von Wichtigkeit zu sein mit Rücksicht auf die bis¬ 
herige Theacylonliteratur, in der zum grossen Teil über günstige Er¬ 
folge bei renaler Oedembildung berichtet wird. Bei drei der Patienten 
war eine syphilitische Infektion durch anamnestische Erhebungen oder 
Wassermann’sobe Reaktion festzustellen. Zweimal hatte sie eine Leber- 
cirrhose verursacht, einmal eine starke syphilitische Aortitis mit Aneu- 
rysmabildung und Herzhypertropbie. Im vierten Falle bestand ein 
schwerer postrheumatiseber Herzklappenfehler. Alle vier Patienten 
wurden nun wegen ihrer Oedeme mit den üblichen Dosen Theaeylon be¬ 
handelt, und es zeigte sieb, dass, wie uns die Klinik jedesmal mitteilte, 
in unverkennbarem Zusammenhang mit der Verabreichung des Mittels 
Icterus auftrat, und bei zunehmender Verschlechterung des Allgemein¬ 
befindens der Tod erfolgte. 

Bei der Sektion faod sich in allen Fällen übereinstimmend als 
letzte Todesursache eine schwere parenchymatöse Degeneration der 
Leber, die mikroskopisch in den beiden Herzfällen, also dem syphi¬ 
litischen und dem rheumatischen, das Bild der beginnenden akuten 
gelben Leberatrophie bot, bei den beiden Lebercirrhosen eine hoch¬ 
gradige Nekrose der erhaltenen Leberzellkomplexe zeigte. Es waren 
zwar auch die Nieren in drei oder vier Fällen deutlich im Sinne einer 
ausgedehnten Parenchym Verfettung verändert, diese Veränderung konnte 
aber mit ziemlicher Bestimmtheit als sekundäre Affektion aufgefasst 
werden. 

Ich möchte Ihnen uun von dem letzten sezierten Fall, einem 
88 jährigen Arbeiter, Leberpräparate hier demonstrieren, damit Sie sich 
über die Veränderungen orientieren können. (Projektion!) Es ist 
eine Leber, deren Schnitte nach van Gieson gefärbt sind, und Sie 
werden ohne weiteres erkennen, dass hier eine ausgesprochene Leber- j 


Nr. 8. 


cirrhose vorliegt, und zwar sind durch das rotgefärbte Bindegewebe diese 
atrophischen Lebersellenkomplexe in verschiedener Grösse abgeschnürt. 
Es wird Ihnen nun schon bei dieser Vergrösserung auffallen, dass das 
Lebergewebe sehr verschiedenartig gefärbt erscheint, und zwar sind ein¬ 
zelne Stellen mehr brauDgrün, andere mehr hell, blassgelb. Ganz 
besonders habe ich Ihnen hier (zeigend) eine Stelle markiert, wo sehr 
schön die Bogenannten Leberzellinseln, vom Bindegewebe aus dem 
Zusammenhang herausgelöste und abgeschnürte Parenchym¬ 
komplexe, zu sehen sind. Sie werden erkennen, das Parenchym ist 
hier sehr gut gefärbt, da ist keinerlei regressive Ernährungsstörung zu 
bemerken. Daneben finden wir ein kleineres derartiges Leberläppchen 
odör Pseudolobulus, in dem überhaupt kein Kern mehr gefärbt ist, wo 
also eine ausgesprochene Nekrose vorhanden ist. 

Dass das nicht an der Färbung oder am Schnitt liegt, soll Ihnen das 
nächste Präparat beweisen, an dem eine andere Färbung vorgenommen 
ist, und zwar Hämalaen und Eosin. Hier ist im grossen und ganzen 
dassslbe zu sehen, und man kann bei schwacher Vergrösserung erkennen, 
dass hier wieder diese beiden Pseudolobuli deutlich in der Färbung 
hervortreten, während in der Nachbarschaft ein auffallend hell gefärbtes, 
blassrotes Gewebe vortritt. Ich habe Ihnen hier zwei ähnliche Präparate 
aufgestellt, und zwar eins mit schwacher Vergrösserung, an dem Sie 
sehr schön den Unterschied zwischen einem nekrotischen, blassen Pseudo¬ 
lobulus und einem gut gefärbten Leberabschnitt sehen, und eins mit 
starker Vergrösserung, wo Sie in der linken Hälfte des Gesichtsfeldes 
die gut gefärbten Leberzellen, die etwas ikterisch sind, erkennen, und 
direkt daneben die nekrotischen Partien. Am besten kommt der Unter¬ 
schied heraus bei einer Färbung mit Kresylviolett. Da sehen Sie, dass 
sioh nur eigentlich die erhaltenen Leberpartien färben, während die 
Degenerierten ungefärbt erscheinen. Man kann hier sehr schön fest¬ 
stellen: Die Randpartien der erhaltenen Leberzellkomplexe sind gefärbt, 
die Mitte ist nicht gefärbt. Dann betrachten Sie die Naobbarpartien. 
Offenbar beginnt, wie bei der akuten Leberatrophie, der Prozess in den 
zentralen Abschnitten und geht von hier allmählich auf die Peripherie 
über. An einzelnen Stellen hat er die Peripherie erreicht, so dass hier 
überhaupt keine Leberzellen mehr gefärbt sind. 

loh will Ihnen nun von demselben Falle die Niere projizieren, damit 
Sie sich überzeugen, dass hier in der Tat ausser einer Verfettung keine 
nennenswerte Veränderung vorliegt. Die Glomeruli sind im allgemeinen 
intakt. Es sind keine nennenswerte Schrumpfuogserscheinungen, keine 
entzündliche Herde da; die Marksubstanz der Niere ist ebenfalls intakt. 

Wenn man mit starker Vergrösserung nachsieht, kann man auch 
feltstellen, dass neben der Verfettung eine leichte parenchymatöse 
Degeneration dabei ist, die aber sicherlich sekundär und vielleicht auch 
auf Kosten des Theacylons zu setzen ist. Das kann man aber nicht be¬ 
weisen. In dem einen Falle fehlte sie, in dem andern war sie vorhanden. 

Hier ein Stück von der anderen Niere, auch mit einer Sudanfärbung. 
Sie werden auch hier die reichliche Rotfärbung erkennen. Es sind 
massenhaft Fetttröpfchen, die ganz besonders in den Tubuli contorti 
und den aufsteigenden Sohenkeln der Hen le’schen Schleifen liegen. 

Ein ganz entsprechender Leberbefund wurde auch in den anderen 
Fällen erhoben. 

Wir sehen also die wichtigste Körperscbädigung und die letzte 
Todesursache in allen vier Fällen in einem auf die Verabreichung von 
Theaeylon hin akut einsetzenden Leberzerfall. Das Warum lässt sich 
aus den Beobachtungen nicht sicher ergründen. Zweifellos ist bei Er¬ 
örterung dieser Frage in Betracht zu ziehen, dass es sioh bei dem vor¬ 
liegenden Material um Menschen bandelte, deren Lebern nicht ganz 
normale Beschaffenheit zeigten. Zweimal bestand eine schwere primäre 
Erkrankung in Form einer Cirrhose, in den beiden anderen Fällen war 
die Leber sekundär durch Zirkulationsstörungen, (Stauung!) in Mit¬ 
leidenschaft gezogen. Vielleicht spielt auch das Verhalten des Darmes 
eine Rolle. Auch der Darmtraktus wies, wie das ja bei Leberoirrbosen 
und Herzfehlern in der Regel der Fall ist, sekundäre, hauptsächlich 
zirkulatorisohe Störungen auf. Da der Zerfall des Mittels im Darm er¬ 
folgen soll, ist vielleicht dessen Intaktheit eine Voraussetzung 
für die regelrechte Zerlegung des Präparates, während man bei krank¬ 
haften Zuständen und Insuffizienz der Darmschleimhaut, an eine Ent¬ 
stehung von toxischen Stoffen durch regelwidrige Spaltung des Mittels 
denken könnte. Ob eine ganz gesunde Leber auch den Einwirkungen 
des Theacylons unterliegen kann, vermag ich nioht mit Bestimmtheit 
zu sagen. 

Der pathologische Anatom sieht gewöhnlich nur die schlechten 
Resultate. Es liegt mir fern, die günstigen Erfolge des Mittels, die in 
vielen anderen Fällen mitgeteilt worden sind, schmälern zu wollen, nur 
ist Vorsicht bei Anwendung des Mittels geboten, zum. mindesten bei 
bestimmten Erkrankungen, und Sie von der Berechtigung dieser Warnung 
zu überzeugen, sollte der Zweck meiner Darlegungen sein. 

Hr. Hirsohfeld: Ich wollte nur die Frage stellen, wieviel Theaeylon 
die betreffenden Patienten bekommen haben. 

Hr. Ceelen: 1 bis 4 g. Das ist die regelrechte Dosierung. (Zuruf: 
Und wie lange?) Ungefähr 2 bis 3 Tage, also keine übermässigen Dosen. 

4. Hr. E S&il: 

Uitennckugea nr Aetiologie ind Biologie der Tauerei. 

(Mit Lichtbildern.) 

Der Vortragende ergänzte seine vorjährigen Bemerkungen bezüglich 
des Pflanzentumors (Smith). Ferner erörterte er die Pigmentproduktion 
der Coccidien, die im Hinbliok auf die Pigmentproduktion der Melano- 


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UMIVERSITY OF IOWA 



25. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


195 


sarkome für die Tumorforschung Interesse besitzt. Alsdann sobilderte 
der Vortragende die Morphologie und Aetiologie der Verruca contagiosa 
(Vemica vulgaris) des Menschen. Zum Sohluss erörterte er die Vitalität 
der Tumorsellen. 

I. Der Pflanzentumor (Smith). 

Smith behauptete, dass der Pflanzentumor, der mit Reinkulturen 
des Bacillus tumefaoiens hervorgerufen werden kann, ebenso wie die 
Tumoren des Menschen und der Tiere metastasiere. Demgegenüber ist zu 
bemerken, dass der pflanzliche Organismus keine Zirkulation besitzt, 
und das die Zellen der Getässbündel, die der Leitung des Saftstromes 
dienen, frei von Plasma sind. Da sie infolge dessen keine Proliferations- 
fähigkeit besitzen, so können sie die „Tumorstrangs“ nicht bilden, die 
nach den Angaben von Smith die Verbindung zwischen dem Primärtumor 
und seinen Metastasen bedingen sollen. Blumenthal bekundete, er 
habe mit Kokken und Subtilisbaoillen, die er als Verunreinigungen von 
Kulturen des Bacillus tumefaciens fand, Tumoren auf Mohrrübenscheiben 
hervorgerufen. Der Vortragende betonte, dass es sich bei den Wahr¬ 
nehmungen Blumenthal’sum Caliuswucherungen gehandelt hat, die un¬ 
abhängig von der Impfung auftraten. Daher beobachtete Blumenthal 
die betreffenden Tumoren gelegentlich nicht auf der geimpften, sondern 
auf der nicht geimpften Fläche der Mohrrübenscheiben. Die Regel¬ 
mässigkeit, mit der die Galluswucherungen diejenigen Schichten des 
pflanzlichen Gewebes betreffen, die erfahrungsgemäss auch auf die In¬ 
fektion des Bacillus tumefaciens hauptsächlich reagieren, legt die Ver¬ 
mutung nahe, dass sie durch Mikroorganismen hervorgerufen werden, 
die sich spontan auf Mohrrübenscheiben ansiedeln. Der Vortragende 
konnte in Ausstrichpräparaten von Galluswucherungen regelmässig gram¬ 
positive Bacillen und grampositive Kokken nachweisen. An Schnitt¬ 
präparaten von Galluswucherungen demonstrierte der Vortragende, dass 
die betreffenden Mikroorganismen intracellular gelagert sind. Je älter 
die Mohrrüben, desto geringer ist die Fähigkeit ihres Gewebes, Gallus- 
wucherungen zu produzieren. 

II. Die Pigmentproduktion der Goccidien des Kaninchens. 

ln früheren Veröffentlichungen hat der Vortragende nacbgewiesen, 

dass die Goccidien unter geeigneten Bedingungen, ähnlich wie Epithelien, 
sich in Reihen anordnen und gegenseitig abplatten, dass sie ver¬ 
möge ihrer Stoffweohselprodukte infiltrierend wachsen und eine Stroma¬ 
reaktion des periportaien Bindegewebes der Leber hervorrufen. Der 
Vortragende bekundete, dass die Goccidien auch die Fähigkeit der 
Pigmentproduktion besitzen. Richard Hertwig hat als erster Pig¬ 
mentproduktion der Protozoen beschrieben. Er beobachtete bei Aktino- 
spbärium, dass Nuklearsubstanzen, die vom Kern in das Protoplasma 
aasgestossen werden, sich daselbst in Pigment verwandeln. Demnächst 
bekundete Rössle, dass bei Melanosarkomen die Pigmentierung in der¬ 
selben Weise geschieht. Wenngleich bei den Goccidien irgendwelche 
Beziehungen zwischen Kern und Pigment nicht nachweisbar sind, so re¬ 
sultiert dennoch auch bei ihnen das Pigment aus einem metabolischen 
Vorgang. Die Erscheinungen, welche die Pigmentcoccidien darbieten, 
können zugunsten derjenigen Autoren verwertet werden, die die Pigment¬ 
zellen der Metazoen nicht als Pigmentsammler, sondern als Pigment- 
produzenten betrachten. 

III. Die Verruoa contagiosa (Verruca vulgaris) des 
Menschen. 

Dieser Tumor stellt ein Epitheliom im strengsten Sinne des Wortes 
dar, weil sein epitheliales Gewebe keine Stützsubstanzen besitzt und 
weder Blutgefässe noob Lympbgefässe enthält. — Seit den positiven 
Uebertragungsversuchen von Lanz und Jadassohn ist die parasitäre 
Aetiologie der Verruoa contagiosa allgemein anerkannt. In Ausstrich¬ 
präparaten der Verruca contagiosa hat der Vortragende regelmässig 
Kokken nachgewiesen, die kurze Ketten bilden; er fand sie gelegentlich 
in grossen Mengen und in Reinkultur. In Sohnittpräparaten der Ver¬ 
ruca contagiosa konnten sie von histologischen Zellderivaten niemals 
unterschieden werden. Da Streptokokken auch als Erreger des Mollu¬ 
scum contagiosum und der Papilloma acuminatum (spitzes Gondylom) 
in Betracht kommen, wie der Vortragende bei früherer Gelegenheit 
zeigte, so dürften die genannten Tumoren eine gemeinsame Aetiologie 
besitzen. Diese Auffassung wird durch die klinischen Erfahrungen von 
A. Neisser, Jadassohn und Thibiörge bestätigt. 

IV. Die Vitalität der Tumorzellen. 

Bei dem Studium morphologischer Erscheinungen, welche die Bak¬ 
terienkolonien auf der Höhe ihrer Entwicklung darbieten, batte der Vor¬ 
tragende die Vorstellung gewonnen, dass die Primärtumoren und ihre 
Metastasen Kolonien von Metazoenzellen darstellen, die ebenso wie Bak¬ 
terienkolonien unizentrisch wachsen. Er wünschte nun zu erfahren, wie 
sich Tumorzellen verhalten, wenn sie ebenso wie Bakterien in Agar 
kultiviert werden. Der Vortragende konstatierte, dass Tumorzellen noch 
im 6. Monat der Kultivierung deutliche Mitosen zeigen, wenn man die 
Eintrocknung des Nährbodens verhindert. Später hat Garrel die Vita¬ 
lität der Tumorzellen nach ähnlichen Gesichtspunkten geprüft. In 
Garrel’s Versuchen vermehrten sich Metazoenzellen auf Plasmanähr¬ 
böden so erheblich, dass sie den Nährboden völlig überwucherten. 
Epithelzellen erwiesen sich bei Garrel bis zum 20. Tage, Bindegewebs¬ 
zellen bis zum 60. Tage der Kultivierung vermehrungsfähig. Der Vor¬ 
tragende implantierte umfängliche Tumorstücke in geschmolzenes Agar, 
das er nach der Erstarrung mit einer hohen Bouillonsohicht bedeckte, 
nm die Eintrocknung des Nährbodens zu verhindern. Da bei dieser 
Versuohsanordnung die Zellvermehrung nioht erkannt werden konnte, 


so beurteilte der Vortragende die Vitalität der kultivierten Tumorzellen 
naoh dem Befunde der Mitosen. Letztere wurden noch in Tumorstüoken 
naohgewiesen, die 6 Monate in Agar kultiviert waren. Es ist daher zu 
folgern, dass die Tumorzellen eine Autonomie besitzen, die an die¬ 
jenige der Protozoen und Bakterien erinnert. Ihren prägnantesten Aus¬ 
druck findet die Autonomie der Tumorzellen bei dem Prozess der Meta¬ 
stasierung, da für die Entwicklung metastatisoher Tumoren die An¬ 
wesenheit der primäreu Tumorerreger mögen sie belebt oder unbelebt 
sein, nicht erforderlich ist, wie der Vortragende in früheren Veröffent¬ 
lichungen dargelegt hat 

Hr. Orth: loh möchte mir erlauben, in bezug auf die letzte Mit¬ 
teilung an eins zu erinnern. Ich habe vor langen Jahren in Göitingen 
Untersuchungen darüber machen lassen, wie lange sich Karyomitosen 
an exstirpierten Geschwülsten halten. Da haben wir festgestellt, dass 
man naoh 6 bis 7 Wochen noch Karyomitosen sehr schön selbst an ganz 
fauligen Geschwülsten sehen kann. Dass da von einer Vitalität 
der Zellen keine Rede sein kann, ist selbstverständlich. Der Prozess 
der Karyomitose wird duroh den Tod unterbrochen. Die Figuren er¬ 
halten sich. Das ist aber kein Beweis dafür, dass die Zelle noch 
lebendig ist. 

Hr. Saul: Das ist die Arbeit von Herrn Heinrich Wolff. Sie 
ist mir bekannt. Ich habe sie bereits in meinen ersten Mitteilungen 
zitiert und habe sie auch jetzt zitiert. Natürlich können wir nicht 
entscheiden, ob die Mitose anzeigt, dass die Zelle noch proliferationstäbig 
ist. Dazu treten als Ergänzung die Versuche von Gareil, der*ja nun 
ausdrücklich auf Grund seiner Versuchsanordnung darauf hinweisen konnte, 
dass sowohl Bindegewebszellen, wie Epithelzellen auf Plasmanäbrböden 
sich so erheblich vermehren können, dass sie den Nährboden völlig über¬ 
wuchern. Das war in den Versuchen von Gareil noch nach 60 Tagen 
der Fall. Damit ist die Frage zu Gunsten der Aulfassung entschieden, 
dass die Mitose hier nicht einfach fixiert ist, sondern dass sie in der Tat, 
wenn wir die Versuche von Gar eil mit heranzuziehen, als Symptom 
der erhaltenen Vitalität gedeutet werden darf. 

Hr. Orth: Dann müssen sich die Zellen vermehren. Bei Ihren 
Tumoren haben Sie nichts von Vermehrung der Zellen gesagt, sondern 
immer nur gesagt: Es sind Mitosen darin. Das beweist nichts. 

Hr. Saul: Ganz recht. Diese Versuchsanordnung deckt diese Tat¬ 
sache nicht. 

Hr. Orth: Das wollte ich nur festgestellt haben. 

Hr.Saul: Dann tritt als Ergänzung die Untersuchung von Gar eil dazu. 

Hr. Blumenthal: Ich bin erstaunt — und spreche auch im Namen 
meines Mitarbeiters Hans Hirschfeld —, dass Herr Saul behauptet, 
wir hätten Metastasen von Pflanzen krebs in Mobrrübenscheiben beschrieben. 
Wir haben niemals solche beschrieben. Bei lebenden Pflanzen, 
z. B. Chrysanthemen, natürlich nicht auf MohrrübeDscheiben, sind wieder¬ 
holt sogenannte Metastasen von Smith gefunden und abgebildet worden, 
übrigens auch von anderer botanischer Seite bestätigt worden. Man 
sollte übrigens von Smith, der einer der bedeutendsten Botaniker ist 
und auf dem Gebiet der Pflanzentumoren hervorragende Verdienste hat, 
nicht so sprechen, wie dies eben geschehen ist 

Nun hat Smith Tumorstrands, wie Herr Saul berichtet hat, be¬ 
schrieben; er hat geschildert, wie die Tumoren die Pflanzen strangartig 
durchwachsen und dann an anderer Stelle eine Tumorbildung erzeugen 
können. So etwas haben wir auch gesehen. Ob man die auf solche 
Weise sekundär sich bildenden Tumoren auch als Metastase bezeichnen 
darf oder nicht, das ist eine Frage der Nomenklatur. Auch wir sind 
der Ansicht dass dieser Ausdruck, namentlich wenn man an menschliche 
Verhältnisse denkt, nicht riohtig ist. 

Nun hat Herr Saul dann weiter gesagt, dasjenige, was wir mit 
den Bakterien, die wir aus Kulturen der Pflanzenkrebsbazillen gezüchtet 
hätten, wäre Gallusbildung und keine echten Tumorbildungen gewesen, 
loh habe in der letzten Sitzung in der Diskussion über den Vortrag 
des Herrn Saul mich überhaupt dagegen ausgesprochen, dass wir beim 
Pflanzenkrebs etwas haben, was mit dem menschlichen Krebs ver¬ 
glichen werden kann, wie das etwa bei den tierischen Krebsen der 
Fall ist. Ich verweise auf meine damaligen Ausführungen. 

Darin aber hat Herr Saul recht: Wenn die Tatsache stimmt — 
ich habe das nur bedingt vorgetragen — dass man aus Verunreinigungen 
des Bacterium tumefaciens Mikrobien züchten kann, welche ähnliche 
Eigenschaften aufweisen wie die ursprünglichen Tumefacienskulturen, 
dies in der Tat eine biologisch höchst interessante Tatsache ist, die 
verdient, weiter verfolgt zu werden, das heisst die Frage, ob Bakterien 
anderen Bakterien ihre Eigenschaften übertragen können, wobei man 
denken kann, dass ein Ferment von dem Bacillus tumefaciens abge¬ 
sondert wird, das nun in den Kulturen ist und sich dann weiter auf 
neue Generationen beim Züchten mit übertragen lässt. Wir haben 
natürlich alle möglichen Kon trollversuche gemacht, insbesondere die 
üblichen Methoden der Reinzüchtung; aber neuerdings ist die Frage 
dadurch in 1 ein neues Stadium gekommen, dass es Zettnow und 
Friedemann gelungen ist, mit einem ganz besonderen Nähiboden nach¬ 
zuweisen, dass schon das Baoterium tumefaciens eine nicht einheitliche 
Kultur darstellt, sondern aus zwei Bakterien arten besteht, von denen 
die eine Tumoren bildet, die andere nicht. Aber das ist ein Nähr¬ 
boden, den wir bisher noch nicht zu unserer Verfügung hatten, und 
wir konnten deswegen nicht feststellen, ob bei unseren Kulturen etwas 
Aehnliohes vorliegt. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 





196 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. S. 


Nud bin ioh auf die ganze Frage des Pflanzenkrebses bei dem 
letzten Vortrage des Herrn Saul in der Diskussion nur deshalb ein¬ 
gegangen, um gerade darauf hinzuweisen, dass wir hier bei den Pflanzen 
Verhältnisse vor uns haben, die von dem menschlichen Krebs durchaus 
verschieden sind. Das muss ganz besonders betont werden, denn Smith 
sowohl wie auch Jensen und der Botaniker Werner Magnus sind 
der Ansioht, dass das Studium der Pflanzenkrebse uns gewissermaassen 
die Lösung des Krebsproblems bringen wird. Smith und Magnus 
ziehen aus der Tatsache, dass wir beim Pflanzenkrebs eine parasitäre 
Wucherung vor uns sehen, mehr oder weniger den Sohluss, dass auoh 
der menschliche Krebs eine parasitäre- Erkrankung sei. Da habe ich 
darauf hingewiesen, dass ein fundamentaler Unterschied sei. Beim 
Pflanzenkrebs sind es Bakterien, die den primären Tumor machen und 
auoh die neuen Wucherungen, die wir sehen, wenn wir die Tumorstrands 
verfolgen, oder die Metastasen, die Smith bei lebenden Pflanzen ge¬ 
funden hat. Immer sind in den sogenannten Metastasen dieselben 
Bakterienarten, welche die primären Tumoren erzeugt haben, nach¬ 
weisbar. Also ich habe damals gesagt: Beim Pflanzen krebs wird die 
Krebszelle nicht metastasiert, sondern der Erreger ist überall da, wo 
eine Tumorbildung statifindet; genau wie bei der Tuberkulose nicht ein 
Tuberkel metastasiert. Tuberkel ohne Tuberkelbacillus können niemals 
eine Tuberkulose hervorruten, aber der Tuberkelbacillus kann überall 
da, wo er hin kommt, Tuberkulose machen, ln ähnlicher Weise, habe 
ioh gesagt, ist es auoh beim Pflanzenkrebs. Das alles hat Herr Saul 
missverstanden. 

Hr. Saul (Schlusswort): Herr Blumenthal beruft sich auf die 
Autorität des Herrn Smith. Ioh habe nicht die Ehre, Herrn Smith 
persönlich zu kennen, aber mit Autoritäten maoben wir in der Forschung 
bekanntlich nichts. Es kommt darauf an, ob hier die histologischen 
Grundlagen gegeben sind, die eine Metastasierung des Pflanzentumors 
möglich erscheinen lassen. Das ist eben nicht der Fall. Dass die 
Wucherungen, die Herr Blumenthal mit den Subtiiisbaoillen und 
Kokken, die er als Verunreinigungen der Bacillus tumetaciens-Kulturen 
fand, unabhäpgig von den Impfungen aultreten, geht für jeden Unbe¬ 
fangenen daraus hervor, dass Herr Blumenthal ausdrücklich hervor¬ 
hebt, dass gelegentlich die Wucherungen nicht auf der geimpften, 
sondern auf der nichtgeimpften Fläche der Mohrrübenscheibe auftieten. 
Die Vermutung, die Herr Blumenthal bezüglich eines Ferments 
äusserte, das die Kokken und die Subtilisbacillen, die zusammen mit 
dem Baoilius tumetaciens gewachsen sind, dem Bacillus tumetaciens ent¬ 
lehnen, ist etwas so Hypothetisches, dass jeder, der die Fundamental¬ 
sätze der Bakteriologie kennt, derartige Hypothesen ab lehnen wird. 
Denn damit würden wir alles erschüttern, was in der Bakteriologie als 
Grundsatz gilt; und wenn Herr Blumenthai heute sagt, dass für die 
Metastasierung des Pflanzentumors Smith lediglich eine Wanderung 
des Baoilius tumefaciens in Frage kommt, so würde es sich da eben 
um eine Metastasierung nach der Art handeln, wie wir sie bei den 
Granulomen sehen. Das wissen wir ja alle, dass, wo ein Tuberkel¬ 
bacillus oder eine Syphilisspiroohäte duroh die Zirkulation hingelangt, 
wiederum ein Granulom entstehen kann. Das punctum saliens ist aber, 
dass Smith behauptet, dass die Metastasierung des Pflanzentumors 
Smith ebenso erfolge wie die Metastasierung der Tumoren von Mensch 
und Tier. Das ist unmöglich, wie ich eben auseinandergesetzt habe, 
denn die pflanzlichen Organismen haben keine Zirkulation und die Ge- 
fässstränge besitzen keine Zellen, die proliferationslähig sind. Sie können 
auch die Tuniorstrangs nicht bilden. Herr Magnus, der ja Spezialist 
auf pflanzenpathologischem Gebiet ist, hat auoh ausdrücklich hervor¬ 
gehoben, dass er bei seinen vielen Versuchen nichts gesehen hat, was 
auf die Existenz von Tumorstrangs hinweist. 


Physiologische Gesellschaft in Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 25. Januar 1918. 

Hr. P. Bona: 

Flocknngserscheiiiniigei vom kolloidchenischei Staidpaikt. 

Der Vortragende gibt zunächst eine Uebersicht über unsere bis¬ 
herigen Kenntnisse der Flockung der Kolloide unter der Einwirkuog der 
Elektrolyte- Dass hierbei elektrochemische Kräfte die Hauptrolle spielen, 
zeigt auch die bisher herrschende Auffassung, dass Nicht-Elektrolyte 
keinen Einfluss auf die FlookungBvorgängo ausüben. Die Unter¬ 
suchungen des Vortr. mit H. Freundlich haben jedoch gezeigt, dass 
das Fällungsvermögen des Ci' (wie auch von Br', J') auf kolloidales 
Eisenhydroxyd bei Anwesenheit von capillaraktiven Nicht-Elektrolyten 
in der Lösung: (Gampbor, Thymol, Urethane usw.) bedeutend erhöht wird, 
d. h. schon viel niedrigere Konzentrationen an dem betreffenden ein¬ 
wertigen Anion zu der Flockung des Kolloids hinreichen als in rein 
wässerigen Lösungen. Die Elektrolyte werden duroh den Nioht-Elektro¬ 
lyten „sensibilisiert**. Diese „Sensibilisierung** ist wohl auf eine Aen- 
derung — Verringerung — der Dielektrizitätskonstante der Lösung 
(bzw. der die Kolloidteilchen umgebenden Flüssigkeitsschicht) zurück¬ 
zuführen. Hierfür spricht, dass die Wanderungsgeschwindigkeit der 
Kolloidteilcben bei Gegenwart der Nicht-Elektrolyte geringer ist als bei 
Abwesenheit derselben. — Vortr. bespricht weiterhin die biologische 
Bedeutung der gefundenen Tatsachen. 


Verein für innere Medizin nnd Kinderheilkunde in Berlin. 

Sitzung vom 3. Februar 1918. 

1 . Hr. Libnneh: 

Demonstration anatomischer Präparate von Xanthoma diabetienm. 

Die demonstrierten makroskopischen und mikroskopischen Ptäp&rate 
stammen von einem 26 jänrigen Soldaten mit schwerem Diabetes, Lipämie 
und Leberschwellung, der im Januar dieses Jahres auf der ersten medi¬ 
zinischen Klinik starb. Die Sektion ergab eine generalisierte Xantho¬ 
matose. Die sehr grosse Leber zeigte eine starke gelb gefärbte ausser¬ 
ordentlich deutliche Streifung und NetzbilduDg, die stark vergrösserte 
Milz bot einen ähnlichen Befund, auch sämtliche Lymphknoten und 
lymphatisohen Apparate, besonders der Wurmfortsatz waren von gelben 
Streifen und Zügen durchsetzt und das Knochenmark hatte ein ganz 
buntscheckiges Aussehen. Die mikroskopische Untersuchung zeigte, dass 
es sich um eine ungewöhnlich starke Ablagerung von Lipoid bandelte, 
das teils die Zellen infiltriert, teils lediglicn die Lymphbahneu verstopft 
hatte. Das häufig beobachtete Verschwinden und Wiederauftreten von 
Xanthomen hängt offenbar mit der Verstopfung der Lymphkapillaren zu¬ 
sammen, die begreiflicherweise rückbildungslähig ist. Wie in einigen 
anderen bekannt gewordenen Fällen konstatierte man auch hier neben 
der Xanthomatose eine ziemlioh ausgedehnte Tuberkeleruption. 

2. Hr. Kftltier: 

Die Erkrazkangez des Msgeis, iihesezdere das Mageagesehw&r, 
während des Krieges. 

Allgemein wird die Ansicht vertreten, dass die Magendarmkranken 
im Krieg besonders stark geschädigt sind, und man führt diese Tatsache 
teils auf die Unzugänglichkeiten der Ernährung, teils aut psysiscbe Ein¬ 
wirkungen zurüok. Ganz zweifellos sind Magen- und Darmaffektionen, 
abgesehen auoh von den eigentlichen Seuchen, im Kriege häufiger ge¬ 
worden. Im allgemeinen scheint der Darm mehr betroffen zu sein als 
der Magen, was sowohl von den akuten wie den chronischen Erkrankungen 
gilt. Von den chronischen Magenerkrankungen sind sicherlich die 
Sekretionsstörungen besonders häufig geworden, sowohl die Hyper- 
ohlorhydrie, wie die Sub- und Achlorbydrie. Die Diagnose ckromsoher 
Gastritis wurde, sowohl in Friedenszeiten wie auoh jetzt im Krieg, ent¬ 
schieden zu häufig gestellt Man sollte sich zu ihr ohne exakte Unter¬ 
suchung des Mageninhaltes niemals entschliessen. Es verbergen sich 
dahinter häufig ganz andere Affektionen. Bei den im Krieg vorkommenden 
chronischen Gastritiden ist es mit Sicherheit unmöglich zu entscheiden, 
ob sie erst im Krieg entstanden sind, oder sohon vorher latent vorhanden 
waren. K. neigt zu der Annahme, dass in den meisten Fällen Ver¬ 
schlimmerungen latenter Leiden vorliegen. Zu den Erkrankungen, in 
deren Gefolge sich eine Anaoidität entwickeln kann, gehört in erster 
Linie die Dysenterie. Nach den Erfahrungen K.’s ist die pernioiöse 
Anämie im Kriege häufiger geworden. Eine Atrophie der Magenschleim¬ 
haut findet man hier so gut wie immer, während Atrophien der Darm- 
schleimhaut seiten sind. Sehr unterschätzt wird die Häufigkeit der 
gastrogenen Diarrhöen. Man sollte in jedem derartigen Falle Mageninhalt 
und Blut untersuchen. Das beste Mittel gegen solche gastrogenen Dia- 
rhöen, die auf Achylie beruhen, sind grosse Dosen Salzsäure, 30 bis 
50 Tropfen 3—4 mal täglich, die olt allein genügen, oder zugleich mit 
Tanninpräparaten zu verabreichen sind. Sehr eingehend eiörtert Vor¬ 
tragender dann die Frage, ob die malignen Geschwülste des Magens und 
Darms im Kriege häufiger geworden sind. Er kommt auf Grund eines 
grossen statistischen Materials zu dem Resultat, dass bisher kein wesent¬ 
licher Einfluss des Krieges hier festzustellen ist, dass man aber erst nach 
dem Kriege ein abschliessendes Urteil wird fällen können. Er weist mit 
Nachdruck darauf hin, dass schon in Friedenszeiten die Fälle von Magen¬ 
krebs bei Individuen unter 50 Jahren häutig waren. Einmalige Traumen 
können kein Magencaroinom erzeugen. Wohl aber wachsen schon vor¬ 
handene Tumoren unter dem Einfluss von Traumen und unzweokmässiger 
Ernährung stärker. Am ausführlichsten wird dann auf das Ulcus venlriculi 
eingegangen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Diagnose Ulcus viel 
zu häufig gestellt wird. Es gibt auoh Uloera ventriculi ohne Hyperaoidität. 
Blutbreohen und der Nachweis oooulten Blutes spricht nicht unbedingt 
für Magengeschwüre. Er selbst hat 12 Fälle tödlicher Magenblutung 
ohne Ulcus gesehen. Es werden eine gzosse Zahl anatomischer Präparate 
demonstriert, die zeigen, bei wie zahlreichen Prozessen Bluterbreohen 
und occultes Blut Vorkommen können, nämlich: Varicen, Soor, tuberkulöse 
Geschwüre, Traktionsdivertikel und Myome des Oesophagus, im Magen 
Gastritis proliferans, Gastritis mit Erosionen, Gastritis polyposa, Anadenie 
mit Erosionen und Polypen, Papillome, tuberkulöse und syphilitische 
Ulcera. Im Darme Varicen, Polypen, Myome und Divertikel. Anderer¬ 
seits ist auch der negative Blutbefund mit Vorsioht zu verwerten. Es 
wird dann die Differeutialdiagnose des Magengeschwürs sehr eingehend 
erörtert und kurz die nervösen Magenaffektionen besprochen. Je mehr 
sich unsere diagnostischen Hilfsmittel verfeinern, desto seltener kommt 
man noch in die Lage ein nervöses Magen leiden anzunehmen. Es sollen 
Beobaohtungsstationen für magenkranke Soldaten eingerichtet werden, 
weil sich eine richtige Beurteilung solcher Kranken nur mit allen 
spezialistischen Hilfsmitteln bewerkstelligen lässt. Die Fragen der 
soldatischen Verwendungsiähigkeit der verschiedenen Formen von Magen 
darmkrankheiten wird gleichfalls erörtert. 

Vortragender kommt zu dem Schluss, dass der Krieg neue Krankheits- 
bilder im Bereich des Magendarmtraktus nioht hervorgebracht hat. Doch 
kommt eine Versohlimmerung bereits bestehender latenter Leiden häufig 
unter der Einwirkung des Krieges vor. H. Hirschfeld. 


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26. Februar 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


197 


K. k. Gesellschaft der Aerxte zu Wien. 

Sitzung vom 22. Juni 1917. 

(Eigener Bericht) 

Hr. Fischer demonstrierte eine Vorrichtug, die ai jeder Pretkese 
flr Oherscheakelampitierte angebracht werden kann und einen leichten 
Gang mit Bewegung im Kniegelenk Bowie Arbeit bei gebeugtem Knie er¬ 
laubt. 

Die Vorrichtung besteht in einer halbkreisförmigen Platte, die am 
Gelenk zwischen Ober- und Untersohenkelschiene angebracht ist, und 
einem gezahnten Hebel darunter, der bei Belastung der Prothese die 
Platte fixiert, bei Aufhören der Belastung das Gelenk frei lässt. 

Hr. Redlich stellt einen Mann vor, der seit einiger Zeit an SehBeraei 
ll des Beinea leidet. 

Dezember 1916 trat Ataxie und zunehmende Schwäche des rechten 
Beines hinzu und Sensibilitätsstörung des linken Beines. Dann kam es 
zur Lähmung beider Beine und zu Sensibilitätsstörungen vom 8. Brust¬ 
wirbel abwärts. Es wurde ein Duratumor in der Höbe des 6. Brust¬ 
wirbels angenommen und bei der Operatron an der angegebenen Stelle 
ein Eodotheliom mit Sandkörperbilduog, also ein Psammon der Dura 
gefunden. 

Pat. ist vollkommen geheilt. Bei der Diagnose von Duratumoren 
des Rückenmarkes ist das Verhalten des Liquors wichtig. Mao erhält 
bei Punktion Stauungsl quor, das heisst der Liquor ist eiweissreioher als 
normal, enthält ott auch Globulin und Xantochronin, immer auch Fibrin. 
Ein wichtiges Symptom ist aber, dass bei Kompression am Halse der 
Liquordruok bei nicht gehinderter Kommunikation im Araohnoidealraum 
gewaltig in die Höhe geht, bei Kompression des Aracbnoidealraumes 
durch einen Tumor gar nicht oder sehr langsam und wenig steigt. 

Hr. T. Eiseisberg zeigt eine Frau mit einer Verletzung, die bei 
Arbeiterinnen an Bügelmaschinen häufig vorkommt. 

Sie geraten mit der Hand zwischen die beiden Walzen der Maschine, 
die Hand wird skalpiert, dabei entsteht durch die heisse obere Walze 
eine ausgedehnte Verbrennung, die zu grossen Nekrosen der Haut und 
vieler Sehnen führt. 

Im vorgestellten Falle war die Haut bis zur Hälfte des Vorder¬ 
armes nekrotisiert. Durch Autoplastik gelang es, die Hand zu erhalten, 
der funktionelle Erfolg ist aber gering. 

Hr. Rauzi stellt 2 Fälle von Hypophyseitinoren vor, welche er 
mit Aufklappung der Nase operiert hat. Der kosmetische Effekt ist voll¬ 
kommen zufriedenstellend. 

Hr. Gatscher führt einen Soldaten vor, der nach seiner Angabe am 
16. Juni 1916 durch eineu Sehrapaellschass verletzt wurde. 

Er war angeblich danach bewusstlos, konnte längere Zeit nicht 
schlucken und hatte hohes Fieber. Dezember 1916 kam er auf die Ab¬ 
teilung. Man fand eine kleine Narbe links an der Lippe, an der Zunge 
und im Rachen. Das Böntgenbild zeigte einen Gesohosssplitter hinter 
dem Oesophagus, in der Höhe des 8. Brustwirbels. 

Ende Januar Sohmerzen beim Schlucken, kein Fieber, am 11. April 
wieder Schmerzen ohne Fieber. Die Röntgenuntersuchung zeigte jetzt 
keinen Geschosssplitter mehr. Die Oesophagoskopie ergab 25 cm von 
der Zahn reihe eine 1 cm lange Narbe der Schleimhaut, sonst die 
Schleimhaut normal. 

Es handelte sioh offenbar um Durohbruch eines aseptischen, durch 
den Splitter verursachten Abszesses in den Oesophagus ohne Mediastinitis. 

Hr. Kaufmann zeigt eine Reihe von Röatgeobilder des Herzens, 
die er mit der photographischen Teleaufoabme gemacht hat. 

Diese Bilder beweisen deutlich, dass Herzdilatationen bei Kriegs¬ 
teilnehmern sehr häufig sind. Dass es sich um Dilatation, nicht um 
Hypertrophie des Herzmuskels handelt, ist daraus ersiohtlich, dass bis¬ 
weilen die Vergrösserung des Herzens schon bei Ruhe, fast immer aber 
unter der Therapie in 8 bis 4 Wochen zurückgeht, was bei Hypertrophie 
des Muskels unmöglich wäre. 

Der Unterschied zwischen Dilatation und Hypertrophie ist wiohtig. 
Bei Dilatation handelt es sioh um ein funktionsuntücbtiges, aber sonst 
gesundes Herz, der Zustand birgt Gefahr in sich und ist therapeutisch 
beeinflussbar, Herzhypertrophie ist ein Dauerzustand, der einige Zeit 
wenigstens keine Beschwerden macht und keine Behandlung braucht. 

Redner hat in kurzer Zeit während der militärischen Ausbildung 
Herzdilatation entstehen gesehen, die dann zurückgegangen ist. Es 
handelte sich um gesunde Herzen. Die Therapie besteht nach dem Vor¬ 
schlag von Meyer in langdauernder Verabreichung von grossen Digitalis¬ 
dosen, 60 Tropfen Digipuratum täglich, eine Dosis, die sonst als Maximal¬ 
dosis bei insuffizienten Herzen durch einige Tage gegeben wird. Bei 
800 so behandelten Fällen sah Redner keine unangenehme Akzidens, 
die Pulsfrequenz wurde nicht beeinflusst. Die Digitalis wirkt direkt 
günstig auf den Tonus des Herzmuskels. H. 


Hauptversammlung der Prüfstelle für Ersatz¬ 
glieder. 

21.—23. Januar 1918. 

(Schluss.) 

Es sprechen weiter über die Beschäftigung der Schwerbeschädigten 
in der Landwirtschaft: HHr. Mosberg*Bethel, Martius, Spitzy, 
Schulze-Pillot. 


Hr. Schlesinger tritt den Wullstein'sohen Ausführungen ent¬ 
gegen, indem er betont, dass niemals ein Beruf für die Schwerbe¬ 
schädigten ausgewählt werden darf, in der das verletzte Glied ganz aus¬ 
geschaltet wird. 

Die Diskussion sohliesst mit Dankesworten des Generalarztes 
Schultzen vom Kriegsministerium für all die gebrachten Anregungen 
und bittet, mit aller Tatkraft dafür zu sorgen, dass die Schwerbeschädigten 
wieder zur Erwerbstätigkeit kommen. Er empfiehlt übrigens, jeden Fall 
an den Pranger zu stellen, wo von den Arbeitgebern die Rente dazu 
benutzt wird, um den Lohn zu drücken. 

In Vertretung von dem duroh Krankheit verhinderten Geheimrat 
Payer in Leipzig hält dann Hr. Sonntag, Privatdozent an der Leip¬ 
ziger Klinik, einen Vortrag über die Behandlung der pathologi¬ 
schen Stümpfe. Dreierlei soll erreicht werden: Schmerzlosigkeit, 
Protbesenreife und Tragfähigkeit. Er bespricht nacheinander die ver¬ 
schiedenen Stumpfsobäden, die Stumpfgeschwüre, die Verwachsungen und 
SchwielenbilduDgen an den Muskeln und Sehnen, die Amputations¬ 
neurome, die trophisoh-neurotischen Störungen, die Sequesterbildung. 
Primäre Wundheilung an operierten Stümpfen ist an Kriegs verletzten 
schwer zu erzielen. Die Hauptsaohe bleibt hier neben längerem Warten, 
die Operationswunden nioht exakt durch Naht zu schliessen, sondern 
48 Stunden für freien Abfluss zu sorgen. Mit der Reamputation soll 
man so sparsam wie möglich sein und viel Gebrauch machen, nament¬ 
lich bei Stumpfkontrakturen, von der plastischen Verlängerung der er¬ 
haltenen Gebilde. Et belegt dies alles mit Beispielen. Was die direkte 
Prothesenbelastung betrifft, so empfiehlt er die Technik von Bunge 
und die Abhärtung durch Hirsch. Bei schlechten Hautverbältnissen 
soll die Reamputation zurücktreten vor den Plastiken. Was die kine¬ 
tischen Operationen betrifft, so konkurriert mit ihnen die sogenannte 
Differenzierungsplastik, die darin besteht, das Stumpfende so zu ver¬ 
bessern, dass sioh höhere Nutzeffekte ergeben; z. B. Bildung von Mittel- 
handfiogern, Verlängerung des Amputationsstumpfes, Daumenplastiken. 
Den Schluss seiner Ausführungen bildet die Vorführung von Bildern. 

Diskussion. 

Hr. Gooht-Berlin zeigt die Prothesen und den Gang von fünf 
Patienten mit ganz kurzen Obersohenkelstümpfen. 

Hr. Föderl-Wien weist auf die habituell fehlerhafte Stellung der 
Oberschenkelstümpfe hin. 

Hr. Dreh mann-Breslau auf die Behandlung der Stump fgeschwüre 
mit der zirkulären Umschneidung. 

Hr. Hartwig, ein Assistent Spitzy*s, bespricht die Erfahrungen 
an den Amputierten der Invalidenschulen zu Wien. 

Hr. Borchardt-Berlin spricht über die Beurteilung der langen 
Unterschenkelstümpfe (Pirogoff, Syme, Choppart) vom Standpunkt 
der Ersatzglieder und stellt zwei Patienten vor, bei denen die kleine 
Prothese in den Stiefel eingearbeitet und deren Gang kaum von dem 
normalen zu unterscheiden ist. 

Die Naobmittagssitzung eröffnet Hr. Dubois-Reymond mit einem 
Vortrag über den Gang mit Kunstbeinen. Er hat für seine Unter¬ 
suchung das Verfahren von Otto Fischer benutzt, die Ober- und 
Unterschenkel mit Geissler’sohen Röhren armiert und den Gang in 
Momentaufnahme festgebalten. Man bekommt dann die Stellungen, die 
der Untersuchte beim Gehen eingenommen hat, in Strichen auf die 
Platten und kann die Stellungen des gesunden und des Kunstbeines 
auf diese Weise vergleichen. Der Hauptuntersohied gegenüber dem Gang 
des normalen Beines ist, dass das Kunstbein von dem Augenblick an, 
wo es aufgesetzt, bis zu dem, wo m abgehoben wird, völlig gestreokt 
bleibt. Er zeigt die verschiedenen Kunstbeine in Jhrem Verhalten bei 
dieser Anordnung des Versuohes. 

Hr. Bloch-Berlin spricht über die Körperbewegung der Kunst¬ 
beinträger: ob der Gang als gut oder schlecht zu bezeichnen ist, 
hängt auch von der Rumpfbewegung ab. Untersuchungen von Weber 
und Fisoher haben festgestellt, dass die einzelnen Punkte des Körpers 
Raumkurven beschreiben. Festgestellt werden diese an den vier End¬ 
punkten des Körpers, den beiden Schulter- und den beiden Hüftgelenken, 
die mit Geisslerröhren versehen sind. An Kurven werden die Körper¬ 
bewegungen der Gesunden und der Beinamputierten gezeigt und zu- 
sammenfassend ergeben sioh als typisch für den Amputierten die über¬ 
mässig grosse Bewegung nach vorn und die rückwärtige Bewegung bei 
der Schwingung des Kunstbeines, die übermässig grosse seitliche 
Sohwankbewegung nach der gesunden Seite und ebenso nach der Seite 
des Kunstbeioes hin, die Drehung des Körpers um das Hüftgelenk in 
der Frontalebene, das stärkere Anheben des Körpers beim Durch- 
sohwingen des Kunstbeines. 

Hr. Schede-München zeigt ein Kunstbein, das dem Träger gewähr¬ 
leistet, das gebeugte Knie zu belasten und das gebeugte belastete Knie 
zu strecken. Es ist ein Arbeitsbein, speziell für die Werkbank. 

Hr. Katzenstein-Berlin schildert sein Verfahren, auoh eiternde 
Stümpfe plastisch zu decken, indem er das Transplantat vorher im¬ 
munisiert 

Hr. Kausoh-Soböneberg redet der Extension in der Behandlung 
der Stümpfe energisoh das Wort 

Hr. Barth Berlin hält dann seinen Vortrag über das Brems¬ 
knie. Sein Zweck ist, beim Gehen und Stehen das Abknicken zu ver¬ 
meiden. Für Amputierte mit schlechtem Stumpf, für Doppelamputierte 
kann der Fall eintreten, dass das Bremsknie die einzig mögliche Lösung 
wird. Die Bremsvorrichtung kann betätigt werden duroh Fersendruok 


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198 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


durch Körpergewicht, durch Schalterzug. Er stellt daun in Bildern die 
verschiedenen Bremsvorrichtungen vor, die elastische, die Momentan¬ 
bremse, die Klotz- und die Bandbremse. 

Zu diesem Thema entwickelt sich eine lebhafte Diskassion. 

Hr. Engels-Hamburg stellt die Forderung auf absolute Sicherheit 
und auf Freibleiben des Fusses von der Betätigung der Bremse, damit 
dem Fusse die physiologischen Bewegungen bleiben. Ferner nehmen an 
der Besprechung teil die Herren Masohek-Wien, Mosberg-Bethel, 
Rosenfelder-Nürnberg, Lengfellner, Hasslauer, Quarts-Stettin, 
Seme 1 eder-Wien, Grats und Fischer-Poszony. Sie alle treten für 
die Bremsvorrichtung ein und zeigen Modelle oder Abbildungen, in denen 
die technische Seite und die funktioneile Auswertung hervortritt. 

Bei Beginn der Sitzung des dritten Tages hält Herr Geheimrat 
Lexer-Jena einen Vortrag über die operative Behandli/ng der 
Pseudarthrosen. Er stellt an die Spitze seiner Ausführungen den 
Satz, dass man jede Pseudarthrose bestimmt beseitigen kann, aber nur 
operativ. Die Verbindung der Knochenstücke wird durch die Ein¬ 
schaltung homöo- oder sicherer und meistens autoplastischen frischen 
Materials erreicht. Trotz eventuellen Auftretens von Eiterungen tritt 
Festigung der Stümpfe doch ein, wenn der Eiter guten Abfluss hat. 
Hier spielen sich der osteomyelitischen Eiterung ähnliche Vorgänge 
mit Bildung von Sequestern und Totenlade ab. Von Fremdkörpern 
wird allerböchstens eine Drahtschlinge benutzt. Ein Jahr nach dem 
Schluss der letzten Fistel soll bei den Schu9spseu^larthrosen vergangen 
sein, bevor man zur Operation schreitet. Sind in die Narbe viel Fremd¬ 
körper eingeheilt oder bestehen dauernd schlechte Wundverhältnisse, 
so exzidiert Lexer und behandelt offen, d. h. mit Tamponade. Erst 
Bpäter nach Abheilung erfolgt die Knoohenoperation. Was die Erfolge 
betrifft, so ist die Operation stets erfolgreich bei richtiger Technik und 
richtiger Indikation. Lexer geht dann auf seine Technik ein. Allge¬ 
meiner Grundsatz ist: sehr breite Angriffsflächen zu schaffen zwischen 
angefrischtem Knochen und Transplantat. Der Knochen muss fest ein¬ 
gefügt werden und wird niemals durch Sägen gewonnen, sondern durch 
eine besondere Technik des Meisseins. Die Entnahme findet, wenn sub¬ 
periostal, aus der Fibula, wenn Periost gebraucht wird, aus der Tibia 
statt. Zwei Tage vor der Operation wird eine Röntgenreizdosis gegeben. 
— Denn Schluss des Vortrags bildet die Demonstration von Bildern, 
grösstenteils Röntgenphotographien, die seine vorzüglichen Resultate be¬ 
weisen. 

Die Diskussion zu diesem wichtigen Thema nimmt die ganze Vor¬ 
mittagssitzung in Anspruch. Nach Radike-Berlin, der die Apparat¬ 
behandlung der Pseudarthrosen bespricht, treten die Herren Hohmann- 
München, Ringel-Hamburg, Ludloff-Frankfurt a. M. in ihren Aus¬ 
führungen und Demonstrationen im wesentlichen dem Worte Lex er *8 
bei, dass jede Pseudarthose heilbar sei. 

Hr. Hohmann berichtet, dass er an der einknochigen Extremität 
nicht transplantiert, sondern verkürzt und anfrischt, dagegen die Ver¬ 
kürzung an der doppelknochigen Extremität für diejenigen Fälle reserviert, 
wo die Pseudarthrose ganz nahe am Gelenk sitzt. 

Im Gegensatz zu diesen Autoren, zu denen sich noch Herr Spitzy- 
Wien gesellt, kann sich Herr Brun-Luzern einem besonderen Opti¬ 
mismus bezüglich der Dauerresultate nioht hingeben. Er bringt die 
Besprechung von 126 Fällen, die Rolle des Transplantats erblickt -er in 
einer rein mechanischen. Allgemeine Grundsätze: Herstellung eines ge¬ 
sunden Lagers, Vermeidung toter Räume, stärkste Späne, die eine weit¬ 
gehende Belastung vertragen. Mit den Bolzen bat er keine guten Er¬ 
fahrungen gehabt. Man schädigt dadurch das Mark, die Endostkompo¬ 
nente des Erfolges. Mit der Einklemmung, mit der Anlagerung bat er 
bei guter Anfrischung bis ins Mark hinein und guter primärer Stabili¬ 
sierung der Fragmente die besten Erfolge erzielt. 

Der Vorsitzende, Geheimrat Borchardt, spricht Herrn Brun für 
seine verdienstvolle Tätigkeit zum Wohle- der Schwerbeschädigten 
internierten Deutschen in Luzern den Dank der Gesellschaft aus. 

Hr. Bier-Berlin erinnert daran, dass unter dem Namen Pseud- 
artbrose die verschiedensten Dinge gehen. Es gibt solche, die nie heilen, 
bei denen sich Vorgänge abspielen, die an die Regeneration von Ge¬ 
lenken erinnern. 

Noch eine Reihe von Autoren ergreifen zu diesem Thema das Wort, 
so die Herren Wullstein-Bochum, Anschütz-Kiel, Franke-Heidel- 
betg, G u I e k e - Strassburg, Sehe de-München, Roh ler-Botzen. Letzterer 
legt den Hauptwert auf die Verhütung der Pseudarthrosen durch strenge 
Spezialisierung von Aerzten und Lazaretten für die Frakturbehandlung 
und sieht den Hauptgrund für ihre Entstehung darin, dass zu viel 
Splitter entfernt werden. 

Bei Beginn der Nachmittagssitzung des 23. Januar richtet Herr 
Spitzy-Wien an die Teilnehmer die Einladung, im September d. J. in 
Wien zu einer Tagung der österreichischen Prüfstelle zu erscheinen. 
Er hält dann seinen Vortrag über die Behandlung der trotz Nerven¬ 
naht verbliebenen Radialislähmung. Die Naht hat hier besonders 
gute Resultat zu verzeichnen: 75pCt. Besserungen. Es hat sich heraus¬ 
gestellt, dass der Satz unrichtig war, dass das, was sich nicht nach 
einem Jahr erholt, sich überhaupt nicht erholt. Er hat Besserungen 
nach 25 bis 30 Monaten beobachtet. Da, wo die Nervennaht nicht ge¬ 
lungen ist, sollen plastische Operationen gemacht werden, hauptsächlich 
nm die Fallhand zu beseitigen. Es handelt sich hier um dauernde Fixa¬ 
tionen in leichter Streckstellung, um den Faustsohluss kräftig machen 
zu können, und ferner um eine muskuläre Uebertragung von der Beuge- 


auf die Streckseite, so dass der Daumen und die Hand gestreckt werden 
können. Dabei kommt es darauf an, die Beuger nicht zu sehr zu schwächen. 
Er rät, diese Operation in Lokalanästhesie auszuführen, um durch will¬ 
kürliche Bewegungen die Plastik zu kontrollieren und korrigieren. 

Hr. Iogenieur Volk-Berlin von der Beutbsohule erläutert die Prin¬ 
zipien der Radialissohienen. Je nach dem Beruf muss die richtige 
Schiene ausgesucht werden, für kräftigen Faustschluss oder für feine 
Fingerarbeit. Es gibt 50—60 Radialisstützen. Die beste ist die, die 
die geschädigten Muskeln am besten ersetzt und den Mann bei seiner 
Arbeit am wenigsten stört. 

Hr. Stoffel-Mannheim betont die hohe Bedeutung der Sehoen- 
plastiken bei Radialislähmungen, die er in derselben Sitzung ausführt, 
wenn sioh bei der Nervenoperation ein Defekt herausstellt. Er stellt 
die Grundsätze auf: einfacher, klarer Operationsplan, alle wichtigen 
Funktionen ersetzen, also: Streckung der Hand, Strecken der Finger' 
und Abspreizen, Strecken des Daumens. Er operiert wie folgt: 1. Flexor 
carp. rad. auf Eltens, carp. rad. brev. 2. Flexor digit. subl. 111 auf 
Abduot. poll. long. et extens. poll. brev. 3. Flexor carp. uln. auf Ex- 
tens. digit. commun. et extens. poll. long. 

Nach den HHr. Hob mann-München and Mosberg-Bethel tritt 
Hr. Perthes-Tübingen warm für die Sehnenoperationen bei irreparabler 
Radialislähmung ein. Sie leisten mehr als alle Behandlungen mit Ra- 
dialisschiene. Er hat 31 Fälle operiert nach dem Prinzip: Tenodese 
der Handstrecker und Niooladonische Sehnenüberpflanzung der Beuger 
auf die Strecker. Er hat da9 in der Form der bereits von ihm be¬ 
schriebenen supravaginalen Sehnentransplantation ausgeführt. Da wir 
über kein sicheres Mittel der Nervenüberbrückung verfügen, will er 
diese Operation auch ohne lange zu warten in all den Fällen gleich 
ausführen, wo sehr ausgedehnte narbige Verwachsungen oder hartnäckige 
Knochenfisteln bestehen. Es nehmen zu diesem Thema weiter das 
Wort die HHr. Muskat-Berlin, Sehe de-München, Becher-München. 
Letzterer empfiehlt auf jeden Fall die Nervennaht auch mit Resektion 
des Humerus bis zu 5 cm. 

Hr. Blanko-Magdeburg sprioht über die Behandlung der trotz 
Nervennaht verbliebenen Peroneuslähmungen, und zwar durch Schienen, 
von denen er eine grosse Anzahl verschiedenster Konstruktion in Licht¬ 
bildern vorführt. Ob eine Peroneuslähmung operiert wird oder nicht, 
stets muss eine zweckmässige Schiene verordnet werden. Eme Einheits¬ 
schiene für Peroneusgelenke gibt es nicht, es muss individualisiert 
werden, ob es schwere oder leichte Lähmungen waren, ob Kontrakturen 
vorhanden sind oder nicht, ob es sich um Kopf- oder Schwerarbeiter 
bandelt. Bei funktionellen Peroneuslähmungen sollen alle Apparate 
weggelassen werden, da man häufig die Leute nicht von ihnen los¬ 
bekommt, auch wenn die LähmuDg geschwunden ist. 

Hr. Lengfellner kommt in fast allen Fällen mit orthopädischen 
Stiefeln aus. Er henutzt die Lasche des Stiefels gleich als Zug, indem 
er sie vorn an der Spitze anbringt. 

Hr. Leymann-Berlin-Lichterfelde bespricht die Normalisierung von 
Einzelteilen. Normalien sind gleich gebaute Ersatzteile der Prothesen, 
so dass, falls letztere beschädigt werden, sie überall repariert werden 
können, ohne dass es nötig ist, die Reparatur an dem Herstellungsort 
vorzunehmen. Er zeigt Normalien für den Anschluss der Arme an die 
Bandage. 

Hr. Bewitt-Berlin spricht vom Standpunkt des Chirurgiemecha¬ 
nikers zum selben Thema. Verbesserungen an den Einzelteilen führen 
die HHr. Alsberg-Cassel, Bauer-Wien, Sohlesinger-Berlin an. 

Hr. Iogenieur Maohau-Wien bringt eingehende Untersuchungen 
zur Statik der Traggerüste vor. Er hat genaue Berechnungen über die 
Tragfähigkeit der Schienen angestellt, die durch gehäuftes Auftreten 
von Brüohen an den Sohienen notwendig werden. — Der Vortrag musste 
wegen vorgerückter Zeit abgebrochen werden. 

Hr. Senatspräsident Hartmann-Berlin schliesst dann die Ver¬ 
sammlung. 

So hat die Tagung der Prüfstelle für Ersatzglieder eine reiohe 
Fülle von Vorträgen und eine sehr belebte Diskussion gebracht. Sie 
hat ihre Forderung nach Besprechung besonders aktueller Themen aus 
der Extremitätencbirurgie, der Chirurgiemechanik und der sozialen Fürsorge 
für die Schwerbeschädigten voll erfüllt. Aus dem Ueberbliok, den die 
Teilnehmer über die Arbeit der Prüfstelle gewinnen konnten, kann man 
mit Reoht sohliessen, wie segensreioh and fruchtbar ihre Tätigkeit ist 

C. Hirsch mann-Berlin. 


Kriegsärztliche Abende. 

(Eigenbericht der Berliner klinischen Wochenschrift.) 

Sitzung vom 29. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Tiemann. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Stalfeld: 

Demonstration von Patienten mit Schwarifftrbuug dea Gesiebte 
nebst Bemerkungen über Hautkrankheiten im Kriege. 

Vortr. bespricht zunächst die Riehi’sehe Melanose. Es ist eine 
SohwarzfärbuDg des ganzen Gesichtes; doch sind die mittleren Teile des 
'Gesichts minder gefärbt. Die Gesichtshaut ist pastös verdickt; an der 
Brust wird die Haut wieder normal. Naoh Riehl ist sobald vermutlich 


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26. Februar 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


199 


eine mit der jetzigen Ernährung eingeföhrte Substanz, ähnlich wie bei 
Pellagra. 

Im Kriege kommen ferner vor die infiltrative Dermatitis über den 
Glutäen, vermutlich eine mechanische Hautreiiang infolge Fettschwundes, 
Dermatitiden naoh Saocharingenuss (z. B. Erythema vasculosum Lip- 
sohütz), Oelkrätze, welche wegen der sohlechten Beschaffenheit des 
Schmiermittelersatzes stark um sioh gegriffen hat, und die Pulverkrätze, 
die bei der Munitionsherstellung durch die Pikrinsäure hervorgerufen 
wird. Die Psoriasis verläuft jetzt meist milder, vermutlich weil wir hier 
wie schon im Frieden lacto-vegetabilisohe Diät anstrebten.. 

Impetigo contagiosa hat im Kriege erheblich zugenommen, ebenso 
natürlich Scabies und Pediculosis, ferner Furunkulose. Ausserordentlich 
um sich greift die schwer zu bekämpfende Trichophytie. Es sollte jeder 
Urlauber wie auf Läuse so auch auf Tryohophyton untersucht werden. 

Tagesordnung. 

Hr. Katxeistein: 

Kieekenflsteln aad Haitgesehwüre aaeh Schnssverletzuagea aad ihre 
Heilung vermittelst Deeknng durch inmaaisierte flaut. 

Vortr. immunisiert zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit und Be¬ 
kämpfung der Eiterung in dem unbedeckten Gewebe gestielte Haut¬ 
lappen durch Hervorrufen einer künstlichen Eutzündudg. Ausserdem 
soll die Deckung der KnocheDfisteln und Hautdefekte mit diesen vor¬ 
behandelten Hautlappen die Eiterung durch Gewebsimmunität heilen. 
Auch Torbehandelte Thiersoh’sche Läppchen wurden in gleicher Weise 
widerstandsfähiger gemacht Die Erfolge bestanden in Deckung grosser 
Wundflächen noch während des Eiterstadiums. 

Hautmuskelgeschwüre, Hautknochengesohwüre, vielfach vergeblich 
behandelte Knochenfisteln wurden in grosser Zahl durch gestielte, vor¬ 
behandelte Hautlappen zur Ausheilung gebracht. Die mehrfaoh in 
anderen Lazaretten schon operierten Knochenfisteln enthielten keine 
Sequester; aber es fand sich, dass Vorhandensein von Periost im 
Knoohenmarkraum zur Bildung pathologischen weichen Knoohens führt. 
Vielleicht erklärt sich so die Entstehung der Pseudartbrose. 

Lichtbildervorlührung von schwersten Hautknochengesohwüren, deren 
Heilung allen bisherigen Eingriffen zum Teil in mehrjähriger Lazarett¬ 
behandlung widerstanden hatte und nunmehr in wenigen Wochen aus¬ 
heilte. 

6 Oberarmfisteln, verschiedene Vorderarm- und Handfisteln, 19 Unter¬ 
schenkelfisteln und 4 Fussgelenkfisteln heilten trotz 27t jährigen Be¬ 
stehens in durchschnittlich 2 Monaten. 

Ausspraohe. 

Hr. Bier betont auoh hier, dass weitgehende Regeneration verloren 
gegangener Gewebe, selbst des Knoohens unter gesunder Haut statt¬ 
findet. Das Neuber'sche Verfahren der Einstülpung von Hautlappen in 
den Knochendefekt, das K. anwendet, ist nicht zweckmässig. Bedeckte 
er den Knoohendefekt mit undurchlässiger Substanz, z. B. Bi Stroth battist, 
so erfolgte darunter weitgehender Knoohen ersetz. Selbst weitreichender 
Muskelersatz ist möglich. Gerade gegenüber Herrn Katzenstein weist er auf 
die Heilung geeignet geschnittener Hautlappen, die nicht im voraus 
immunisiert wurden. 

Hr. Esser betont ebenfalls die Bedeutung der guten Lappenbildung 
für den Erfolg. Der Lappen braucht nicht vorher eine Infektion über¬ 
standen zu haben, da die sekundäre Bindegewebsbildung im Lappen die 
Cirkulation stört und die Verhältnisse bei der Anheilung kompliziert. 

Hr. Bier sah in den Küoohenhöhlen, die er mit wasserdichtem 
Stoffe überzogen hatte, geradezu riesengrosse, frisohrote Granulationen 
aufschiessen. 

Hr. Weiss betont auf Grund seiner Erfahrungen auf der Borchardt- 
sohen Abteilung im Virchow-Krankenhause ebenfalls, dass es sich vor 
allem darum handelt, dem Lappen gute Ernährungsbedingungen zu 
schaffen. 

Hr. Katzenstein (Schlusswort) verteidigt sein Verfahren. Die 
Deckung der Kriegswunden ist nicht einfach. Denn zahlreiche Chirurgen 
hatten mit diesen Deckungen ohne immunisierende Vorbehandlung keinen 
Erfolg. In loco infiziert, erleidet der Hautlappen oft so starke Reaktionen, 
dass es zweifelhaft ist, dass eine Anheilung erzielt worden wäre, wenn 
der Lappen die Reaktion naoh der Transplantation hätte durohmaohen 
sollen. 

Hr. Esser: 

Ueker plastische Operatioaei des Gesichts dsreh Rotation der Waage. 

(Mit Krankendemonstrationen.) 

Das Verfahren ist durohaus keine Universalmethode und erfordert 
Uebung im plastischen Ersatz; Plastik ist oft bei Lupus indiziert, zumal 
wenn naoh der Abheilung verloren gegangene Teile Ersatz erhalten 
sollen. Schwierige Plastiken sind häufig notwendig bei Schuss Verletzungen. 
Erfolge sind nur zu erwarten, wenn alles Kranke entfernt ist. Naoh 
schweren Strassenverletzungen hat die direkt durcbgeführte Plastik gute 
Erfolge und bietet eine gute Prognose. Auch nach Tumorexoisionen 
soll die plastische Deckung sofort erfolgen. Dabei ist darauf zu achten, 
dass Parotis, Ductus Stenonianus und Facialisäste nicht verletzt werden. 
Der einzuheilende Lappen muss gerade an den Randteilen vorSpannung 
bewahrt werden; eher ist das am Stiele, wo die Ernährungsverhältnisse 
günstiger sind, zulässig. Für die Rotation sind die Verhältnisse be¬ 
sonders günstig am Gesichte, weil es reioh an Gefässen ist. Die funk¬ 
tioneilen und ästhetischen Ergebnisse sind sehr gute. Letztere werden 
dadurch erzielt, dass die Naht in die Nasolabialfalte oder in die Wimper¬ 
linie gelegt wird. Mode. 


Zum-70. Geburtstage Julius Schreiber’s. 

Am 28. Februar vollendet der Direktor der Medizinischen Universitäts- 
poliklinik in Königsberg Geheirarat Julius Schreiber sein 70.Lebens¬ 
jahr in voller Rüstigkeit und ungeschväohter Arbeitskraft. 

Es ziemt sioh deshalb wohl einen Rückblick auf das Leben und die 
wissensohaftlioben Leistungen dieses um die innere Medizin wohl ver¬ 
dienten Mannes zu tun und ganz besonders sieht das der Unterzeichnete, 
als Sohreiber’s nächster Kollege für seine Ehrenpflicht an. 

Schreiber ist als Assistent Naunyn’s in Königsberg wissen¬ 
schaftlich aufgewachsen, und er ist sein ganzes Leben der Albertina treu 
geblieben, war doch der Osten auch seine Heimat. 

Als Lehrer von seinen Schülern verehrt, als Arzt weit über die 
Grenzen Deutschlands, besonders auch in Russland geschätzt, hat 
Schreiber in unermüdlichem Fleisse trotz der grossen Arbeitslast, die 
ihm die Poliklinik und die Praxis auferlegte, nie aufgehört wissen¬ 
schaftlich produktiv tätig zu sein. Die Zahl seiner Arbeiten (48) nicht 
allein sprioht für seinen ausserordentlichen Fleiss, sondern in viel 
höherem Maasse ihr Inhalt. Es finden sich nur wenige kleinere Mit¬ 
teilungen unter ihnen. Schreiber’s Art war es nicht unbedeutende 
Dinge zu publizieren, alle seine Veröffentlichungen tragen den Stempel 
der Reife und der sorgfältigen Durcharbeitung. Im Anfang stand er 
naturgemäs8 unter dem Einfluss seines Lehrers Naunyn. Arbeiten zur 
Lehre von der Aphasie und über den Einfluss des Gehirns auf die Körper¬ 
temperatur, die er schon vor seiner, die artefizielle Tuberkulose be¬ 
handelnden Doktordissertation verfasste, bezeugen dies und ebenso die 
grössere Arbeit über den Einfluss der Atmung aut den Blutkreislauf 
und die mit Naunyn gemeinsam verfasste Monographie über den Hirn- 
. druck. Später ging Schreiber eigene Wege. Es sollen hier nur die 
Hauptgebiete genannt werden, die seine wissenschaftliche Arbeit be¬ 
fruchtete. Es sind dies die Erkrankungen der Speiseröhre mit den ver¬ 
dienstvollen Arbeiten über den Schluckmechanismus. Die Beschäftigung 
mit den Erkrankungen der Speiseröhre brachten als praktische Frucht 
die Konstruktion eines der ersten Oesophagoskope und die heute noch 
unübertroffene Schreiber’sche Dilatationssonde. Es sind weiter die Arbeiten 
über die Pathologie des unteren Darmabschnittes zu nennen. Die Ein¬ 
führung der Rektoromanoskopie ist Schreiber’s Verdienst. Weitere 
Arbeiten waren der Nierenpatbologie gewidmet. Die Entdeckung der 
Albuminurie nach Thoraxkompression, die Erkennung der diagnostischen 
Bedeutung der renopalpatorischen A lbuminurie sind Ergebnisse Sobreiber- 
scher Arbeit von bleibendem Wert. 

Wichtig und für die damalige Zeit ausschlaggebend waren Schreiber’s 
Studien über die Sekretionsanomalien des Magens. Nennen wir endlich 
noch seine Arbeiten über die Pate Harr eflexe und seine therapeutischen 
Vorschläge zur Behandlung der Erkrankungen des Respirationsapparates, 
so geht aus dieser kurzen, lange nicht vollständigen Aufzählung hervor, 
wie vielseitig und fruchtbringend Sohr eib er's wissenschaftliches Lebens¬ 
werk ist. 

Pflichttreue hat Schreiber zu jeder Zeit ausgezeichnet. Während 
des Feldzuges war er und ist er bis beute der fachärztliohe Beirat des 
ersten Armeekorps und leistet als solcher eine Arbeit, die bei den 
schwierigen Reiseverhältnissen in Ostpreussen die volle Kraft auch eines 
jüngeren Mannes in Anspruch genommen hätte. Sein Verdienst um das 
Heer wurde mit Recht durch die Verleihung des eisernen Kreuzes an¬ 
erkannt. 

So kann Schreiber heute auf ein erfolgreiches Leben zurückblicken, 
in dem Bewusstsein, dass er wissenschafilioh Bleibendes geschaffen hat. 
Wenn wir ihn heute zu seinem 70. Geburtstage herzlich beglückwünschen, 
so kann das in der berechtigten Hoffoung geschehen, dass seine Rüstig¬ 
keit und seine Arbeitsfreude ihm erlaubt noch lange weiter zu schaffen. 

M. Matthes-Königsberg. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft), vom 20. Februar fand die 
Generalversammlung der Berliner medizinischen Gesellschaft statt. Ausser 
der Erstattung der Jahresberichte wurde der bisherige Vorstand wieder¬ 
gewählt. Ausserhalb der Generalversammlung hielt Herr Alfred Roth¬ 
schild den angekündigten Vortrag: Zur Aetiologie der gegenwärtig 
stark verbreiteten Enuresis und Pollakurie (Diskussion die Herren Willy 
Hofmann [alsGast], Freudenberg, Fürbringer, Aufrecht, Fuld, 
Strauss, Hirschteld). 

— Dem Reichstage sind Gesetzentwürfe zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten und der Geburtenverhinderung zu¬ 
gegangen, über die folgendes bekannt gegeben wird: 

Um der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten duroh 
gewissenlosen Leichtsinn entgegenzutreten und in den Erkrankten das 
Verantwortungsgefühl für die Gefährlichkeit ihres Zustandes zu schärfen, 
bedroht § 2 des Gesetzentwurfs zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten denjenigen mit schwerer Gefängnisstrafe, der den Geschlechts¬ 
verkehr ausübt, obwohl er weiss, oder den Umständen nach annehmen 
muss, dass er an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet. 

Die Bestimmungen des § 8 wenden sich gegen die Kurpfuscher. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 8. 


Verboten ist die gewerbsmässige Behandlung von Geschlechtskrankheiten 
sowie von Krankheiten oder Leiden der Geschlechtsorgane allen Nicht- 
ärzten. Verboten ist ihnen auch, sich öffentlich oder durch Verbreitung 
von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, wenn auch in ver- 
sohleierter Form, zur Behandlung von solchen Krankheiten oder Leiden 
zu erbieten. Verboten ist endlich jede Fernbehandlung von Geschlechts¬ 
krankheiten sowie — § 4 — die öffentliche Ankündigung oder An¬ 
preisung von Mitteln, Gegenständen oder Verfahren zur Heilung oder 
Linderung von solchen Krankheiten und die Ausstellung von solchen 
Gegenständen an allgemein zugänglichen Orten. 

Durch die Bestimmungen der §§ 5 und 6 wird eine Sanierung des 
Dirnentums angestrebt, mit dem Ziele, möglichst alle Personen, die 
gewerbsmässig Unzucht treiben, einer fortlaufenden, soweit angängig frei¬ 
willigen und unauflälligen ärztlichen Ueberwachung zuzufübren. Naoh 
den Bestimmungen des § 5 können indes diese Personen auch zwangs¬ 
weise auf das Vorhandensein von Geschlechtskrankheiten untersucht und 
m Erkrankungsfalle zwangsweise einer Heilbehandlung insbesondere auch 
in einem Krankenbause zugeführt werden. § 6 sohränkt den sogenannten 
Kuppeleiparagraphen (§ 180 des Strafgesetzbuches) dahin ein, dass 
dessen Vorschriften keine Anwendung fioden sollen auf das Gewähren 
von Wohnungen an Personen über 18 Jabre, wenn damit weder ihre 
Ausbeutung noch ein Anhalten zur Unzucht vorhanden ist. 

Um die Uebertragung von Geschlechtskrankheiten auf Kinder zu 
verhindern, sind in § 7 nähere Bestimmungen für Ammen usw. getroffen. 

In dem Entwurf de? Gesetzes gegen die Verhinderung von 
Geburten sind im § 1 Handhaben gegeben, um das gewerbsmässige 
Herstellen, das Vorrätighalten und luverkehrbringen von Mitteln oder 
Gegenständen, die geeignet sind, die Empfängnis zu verhüten oder die 
Schwangerschaft zu beseitigen, zu verbieten oder zu beschränken; jedoch 
soll hierbei, soweit solche Mittel zugleich der Verhütung von Geschlechts¬ 
krankheiten dienen, auf die Bedürfnisse des Gesundheitsschutzes Rück¬ 
sicht genommen werden. 

Verboten ist weiterhin, in § 8, empfängnisverhütende oder frucht¬ 
abtreibende Mittel, Gegenstände oder Verfahren öffentlich oder durch 
Verbreitung von Sohritten usw. anzukündigen oder solche Mittel und 
Gegenstände an allgemein zugängigen Orten auszustellen. Straflos bleibt 
ihre Ankündigung an Aerzte und Apotheker oder in ärztlichen Fach¬ 
zeitschriften. 

§ 4 wendet sich"mit schweren Strafandrohungen’gegen jedes öffent¬ 
liche Anbieten eigener oder fremder Dienste zur Vornahme oder 
Förderung zur Beseitigung der Schwangerschaft. Sohwerer Strafe unter¬ 
liegt gleichfalls, wer gewerbsmässig Mittel, Gegenstände oder Verfahren 
zur Verhütung der Empfängnis bei anderen Personen anwendet oder 
seine eigenen oder fremden Dienste hierfür anbietet. 

— Auch der bevölkerungspolitische Ausschuss des Abgeordneten¬ 
hauses, der zur Beratung eines Antrages Dr. Porsch (Zentr.) über 
Maassnahmen gegen den Geburtenrückgang eingesetzt worden 
ist, hat seine. Beratungen aufgenommen. Das Ministerium des Innern hat 
eine Denkschrift über diese Frage ausgearbeitet. Im Ausschuss kündigte 
die Regierung an, dass dem Reichstage eine Vorlage betr. die Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten zugehen werde. Sie teilte auch 
mit, dass der Geburten ausfall im Kriege höher sei als die Zahl der Ge¬ 
fallenen und dass die Geburtenzahl auch nach dem Kriege den früheren 
Stand niobt erreichen dürfte. Als notwendige Maassnahmen werden an¬ 
geregt: Besoldungsreform, Wohnungsfürsorge, Lieferung wohlfeilen Haus¬ 
rats an junge Ehepaare, Kinderprämien. Für die Frage der Möbel- 
beschaffung wurde ein Unterausschuss eingesetzt. 

— Im Senat der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliobe 
Büduhgswesen sind zu ausseretatsmässigen Mitgliedern ernannt: v. Krehl- 
Heidelberg, L. As oho ff-Freiburg, W. Koerte-Berlin, v. Wassermann- 
Berlin. 

— Prof. Dr. Ernst Edens ist für seine Arbeit über „Digitalis¬ 
behandlung* ein Preis aus der Erich-Rathenau-Stiftung zuerkannt worden. 

— Der Leiter der Königl. Klinik für Ohren-, Nasen- und Hals¬ 
krankheiten Prof. Hinsberg ist aus dem Felde naoh Breslau zurüok- 
gekehrt und hat seine Tätigkeit wieder aufgenommen. 

— Die Medizinalabteilung des Kriegsministeriums hat die Verfügung 
getroffen, dass Dr. Graf v. Wiser, gegen dessen Tätigkeit alR Augenarzt 
im vergangenen Jahre eine Reihe deutscher Ordinarien schwere Bedenken 
erhoben, aus dem Vereinslazarett „Herzogin Charlotte-Augenheilanstalt* 
in Liebenstein ganz ausscheidet und voraussichtlich auch in Zukunft 
nicht wieder für die Heeresverwaltung beschäftigt werden wird. 

— Der von der Fürsorgestellenkommission des Deutschen Zentral¬ 
komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose veranstaltete Lehrgang in 
der Tuberkulosefürsorge beginnt erst Freitag, den 22. Februar. 
Anmeldungen werden noch in der Geschäftsstelle, Berlin, Linkstr. 29, 
angenommen. 

— Der akademische Hilfsbund beabsichtigt/ ’in Helmstedt ein Ge¬ 
nesungsheim für etwa zwanzig kriegsbeschädigte Studenten 
einzurichten. Es sollen dort auch Alt-Akademiker, falls Platz, auch 
nicht kriegsbeschädigte, aufgenommen werden. Dozenten der benach¬ 
barten Hochschulen in Braunschweig, Göttingen und Halle werden für 
die Insassen des Heims Kurse abhalten. 


— G. Klemperer’s klinische Diagnostik ist soeben bei 
August Hirschwald in 20. Auflage erschienen. Diese ganz ungewöhnliche 
Auflagezahl beweist die grosse Beliebtheit, dessen sich das Werk in den 
Kreisen der Studierenden und Aerzte erfreut. Es ist mit der ganzen 
Frische und Darstellungskunst geschrieben, die G. Klemperer anerkannter- 
maassen zu eigen ist und ihm mit Recht den Ruf eines hervorragenden 
klinischen Lehrers verschafft hat. H. K. 

— Verlustliste. Gefallen: Feldunterarzt Hermann Bauer- 
Freising, Feldunterarzt Hermann Brian - Karlsruhe, Feldhilfsarzt 
Hermann Er dt-Partenkirchen, Assistenzarzt Hans Feige-Nieder- 
rengersdorf, Oberarzt d.R. Eduard Kiderlin-München, Stabsarzt d.R. 
Fritz Lomme 1-Velbert, Stabsarzt d. R. August Rieth-St. Martin, 
Stabsarzt d. R. Hermann Schubert-Gitschkau, Feldunterarzt Helmut 
Schulze-Frauenhain, Assistenzarzt d. L. Ernst Stuhl-Lollar. — 
Infolge Krankheit gestorben: Feldhilfsarzt Gotthold Friedei- 
Osterfeld, Oberarzt d. R. Alexander Graesel-Halle, Assistenzarzt 
Max Kaiser-TÖlz, Stabsarzt Ludwig Koppen-Heiligenstadt, Assistenz¬ 
arzt d. R. Fritz Nagel-Karlsruhe, Landsturmpfl. A*rzt Bernhard 
Schlüchterer-Heilbronn, Stabsarzt d. R. Richard Schmitz-Rhein¬ 
berg, Oberstabsarzt d. L. Alfred Sinz-Meerane, Landsturmpfl. Arzt 
Erich Starke-Naumburg. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (S. bis 
9. II.) 1. — Fleckfieber: Deutsches Reioh (27.1.—2. II.) 10 und 
2 +. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau 
(20.—26. I.) 1109 und 99 f. — Rüokfallfieber: Kaiserlich Deut¬ 
sches Generalgouvernement Warschau (20.—?26. I.) 14. — 
Genickstarre: Preussen (27.1.—2. II.) 9 und 5 f. Schweiz (20.bis 
26. I.) 1. — Ruhr: Preussen (27. I.—2. II) 198 und 10 +. Mehr 
als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Typhus in Elbing. 

(Veroff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hoohschulnachrichten. 

Breslau. Der Privatdozent Dr. Bittorf wurde zum ao. Professor 
für innere Medizin ernannt. — München. Prof. Spielmeyer wurde zum 
ordentlichen Honorarprofessor für Psychiatrie ernannt. Der Ophthalmologe 
Prof. v. Sicherer und der Privatdozent für innere Medizin Dr. Frei¬ 
herr v. Staufenberg sind gestorben. — Würzburg. Prof. v. Baeyer 
erhielt einen Ruf nach Heidelberg als Direktor des neu errichteten ortho¬ 
pädischen Instituts. — Erlangen. Prof. Seitz hat den Ruf nach 
Freiburg abgelehnt, naohdem die Firma Reiniger, Gebbert & Schall ihm 
die Angliederung eines reich dotierten Instituts für Röntgenforschung 
angeboten hat. — Tübingen. Prof. Rudolf Weinland erhielt einen 
Ruf 'als Ordinarius und Direktor des pharmazeutischen Instituts in 
Strassburg. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien. 

Auszeichnungen: Königl. Kronenorden III. Klasse: o. Prof, 
in der mediz. Fakultät der Universität in Berlin Geh. Med.-Rat Dr. 
Krückmann. 

Ernennungen: Geh. Rat Gen.-A. Prof. 1)r. von Krehl, Direktor der 
medizin. Klinik an der Universität in Heidelberg, Geh. Hofrat Ob. SL-A. 
Prof. Dr. Asohoff, Direktor der patholog. anatomischen Anstalt an 
der Universität in Freiburg i. B., Geh. San.-Rat Gen.-A. Prof. Dr. 
Koerte, dirigier. Arzt der Chirurg. Abteil, d. städtischen Kranken¬ 
hauses am Urban in Berlin und Geh. Med.-Rat Ob.-St.-A. Prof. Dr. 
v. Wassermann, Direktor des Kaiser Wilhelms Instituts für exper. 
Therapie in Berlin-Dahlem zu ausseretatsmässigen Mitgliedern des 
Wissenschaft 1. Senats bei der Kaiser Wilhelms-Akademie für das mi- 
litärärztl. Bildungswesen; Priv.-Doz. in der medizin. Fakultät der 
Universität in Breslau Prof. Dr. Bittorf, Ob.-A. an der medizin. 
Klinik daselbst, zum ao. Prof, in ders. Fakultät; Kreisass.-A. Dr. P. 
Beitzke in Tuohel zum Kreisarzt daselbst, Kreisass.-A. Dr. H. Dem- 
bowaki in Danzig zum Kreisarzt in Reppen <Kr. Weststernberg), 
Stadtass.-A. Dr. E. Goetze in Altona zum Kreisarzt in Spremberg; 
Ob.-A. d. R. Dr. H. Boden stein, zurzeit im Felde, zum Kreis- 
aBsistenzarzt in Waldenburg in Sohl, unter Ueberweis. an den Kreis¬ 
arzt des Kreises Waldenburg. 

Niederlassungen: Dr. R. Jentzen in Schenefeld (Kr. Rendsburg), 
Dr. H. Dettmer in Hannover, Dr. W. Feilbaoh in Bad Homburg 
v. d. H., Ismar Mühsam in Idstein (Kr. Untertaunus). 

Verzogen: Dr. M. Morris von Berlin naoh Weimar, Dr. W. Un- 
verrieht von Berlin nach Berlin-Schöneberg, Dr. H. Fahr aus dem 
Felde nach Elberfeld, Dr. K. 0. Jaenicke von Steinhorst nach Ham* 
bürg, Dr. J. Nesemann von Steinhorst naoh Braunschweig, Dr. 
Ludw. Böhm aus dem Felde naoh Unterlüss (Ldkr. Celle), Dr. J. 
Heil mann von Riemsloh (Kr. Melle) nach Iburg. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. Arthur 
Hirsohfeld von Hannover. 

Gestorben: Geh. San.-Rat Prof. Dr. A. Nolda in Berlin-Wilmersdorf, 
Dr. K. Grulioh iu Berlin-Friedenau, Geh. San.-Rat Dr. E. Sand- 
berg in Breslau. 


Fftr die Bedaktfoo verantwortlich Prof. Dr. Han* Kohn, Berlin W. s Ba7renther8v.it. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF IOWA 






Di« Berliner Al in fache Wochenschrift erscheint Jeden 
Monteg ln Nummern von cs» 8—6 Bogen gr. 4 — 
Prefa Tlerteljihrlich 7 Merk. Bestellungen nehmen 
alle Bachhandlungen and Poitanitalten an. 


BERLINER 


Alle Binsendnngen fOr die Redaktion and Bxpedltfoa 
wolle man portofrei an die Verlagibachhandlang 
Aagast Hiraehwald in Berlin NW., Unter den Linden 
Nr. 68, adreiaieren. 



Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

fleh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Posner und Prot Dr. Haas Rohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 

Montag, den 4. März 1918. M 9 . Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiialiei: Hannes: Wiederholte familiäre Hydrocephalie; zugleich 
ein Beitrag zur Frage der Geschlechtsbestimmung. (Aus der Kgl. 
Universitäts-Frauenklinik zu Breslau.) S. 201. 

Ritter: Zur Behandlung eitriger Gelenkergüsse. (Aus der chirurgi¬ 
schen Abteilung des städtischen Krankenhauses in Posen.) S. 203. 
Guggenheimer: Wasseraussoheidungs- und Konzentrationsvermögen 
im Rekonvalescenzstadium der akuten Kriegsnephritis. (Illustr.) S.203. 
Schultz: Ueber orthostatische Purpura. (Aus der II. inneren Ab¬ 
teilung des Krankenhauses Charlottenburg-Westend.) S. 208. 
Peretti: Ueber den RüokgaDg der Alkoholistenaufnahmen in den 
Anstalten seit dem Kriegsbeginn. S. 211. 

Holländer: Bemerkungen zu der Mitteilung von Dr. Wederhake: 
Die Verwendung des menschlichen Fettes in der Chirurgie. S. 213. 

Bicherbesprechniigei : Helmoke, Panconcelli-Calzia und Wey- 
gandt: Die phonetische Behandlung von stimm- und sprachbescbä- 
digten Kriegsverwundeten und -Erkrankten. S. 213. Jahresbericht 
der Oösterreichisohen Gesellschaft für experimentelle Phonetik. S. 214. 
(Ref. Liebmann.) — Arzneipflanzen-Merkblätter des Kaiserliohen 
Gesundheitsamts. S. 214. (Ref. Beokstroem.) 


Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Breslau 
(Direktor: Geheimrat Küstner). 

Wiederholte familiäre Hydrocephalie; zugleich 
ein Beitrag zur Frage der Geschlechts¬ 
bestimmung 1 ). 

Von 

Professor Dr. Walther Hannes, Oberarzt der Poliklinik. 

M. H. Dieser mittelgrosse männliche Hydrocephalas, der 
einen Kopfamfang auch jetzt noch von 47 cm hat and sonst am 
KOrper keinerlei Missbildungen zeigt, stammt von einer 28 jährigen 
3 parst, die bereits einmal beim zweiten Kinde von einem Wasser¬ 
kopf entbanden wurde. 

Die Wiederholang der Hydrocephalie bei mehreren Kindern 
einer Matter ist an sich kein häufiges Ereignis, wenn auch 
Göhlis über einen Fall mit sechsmaligerund Frank einen solchen 
mit siebenmaliger Wiederholung dieser Missbildung bei den Kindern 
einer Frau berichten. Birnbanm bringt in seinem Buche der 
Missbildungen die einschlägigen Beobachtungen der Göttinger 
Klinik und teilt dabei mit, dass dort unter der Geburt nur ein¬ 
mal eine Wiederholung der Hydrocephalie zur Beobachtung kam. 
Die bei uns hier in Klinik und Poliklinik von Oktober 1893 bis 
Oktober 1911 beobachteten Hydrocephalen sind in den Disser¬ 
tationen von Hoff mann und Herfurth zusammengestellt. Es 
sind 28 Fälle; in einem davon handelte es sich um wiederholte 
Hydrocephalie. 

Sie können sich denken, dass ioh hier infolge der Vorgeschichte 
besonders frühe an Hydrocephalas dachte. Die Diagnose war recht er¬ 
schwert, weil der heim knapp Fünfmarkstück grossen Muttermunde ins 
kleine Becken sich einsenkende Schädelteil, das Scheitelbein, fest und 
hart and der abtastbare Teil der Pfeilnabt keineswegs breit and klaffend 


1) Vortrag gehalten am 30. November 1917 in der medizinischen 
Sektion der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. 


Literatir-Anszttge: Physiologie. S. 214. — Pharmakologie. S. 214. — 
Therapie. S. 215. — Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. S. 216. — Parasitenkunde und Serologie. S. 217. — 
Innere Medizin. S. 217. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 
S. 218. — Kinderheilkunde. S. 218. — Chirurgie. S. 218. — Tropen¬ 
krankheiten S. 218. 

Verhandlnigei ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Holländer: 
Ein Fall von subkutaner Harnröhrenzerreissung bei einem Hämo¬ 
philen. S. 219. Rehfisoh: Zur Aetiologie der Vergrösserung der 
rechten Herzkammer, insbesondere bei behinderter Nasenatmung. 
S. 219. — Medizinische Sektion der schlesischen Gesell¬ 
schaft für vaterländische Cultur zu Breslau. S. 220. — 
Medizinische Gesellschaft zu Kiel. S. 222. — Aerztlicher 
Verein zu München. S. 222. — Naturhistorisoh-medizini- 
scher Verein zu Heidelberg. S. 223. — Freiburger medi¬ 
zinische Gesellschaft. S. 223. 

Tagesgeschiohtliohe Notizen. S. 224. 

Amtliche Mitteilongen. S. 224. 


war; Fontanellen waren bei stehender Blase nnd nioht beträchtlich 
erweitertem Muttermunde nicht zu tasten. Gleichzeitig bestanden Krampf¬ 
wehen, die mit Morphium bekämpft wurden, und die bei der äusseren 
Untersuchung einen eindeutigen Befund zu erheben, hinderten. Der 
Kopf imponierte sogleich als gross and hart, doch nicht als Wasserkopf. 

Nach Blasensprung trat nach wenigen Stunden eine auffallende 
Dehnung der Cervix ein; aber auch bei handtellergrossem Muttermunde 
gelang es erst bei Exploration in Narkose mit der halben Hand zur 
grosslüokigen sich ein wenig vorwölbenden kleinen Fontanelle zu kommen, 
so die Diagnose zu klären und zu sichern. Sofortige Perforation, hei 
welcher sich weit mehr als ein halber Liter heller Flüssigkeit entleerte, 
langsame Kranioklasie des zusammengefallenen aber harten Schädels. 
Keine Blutung; Uterus gut kontrahiert, nach etwa 30 Minuten leiohte 
Expression der gelösten und vollständigen Placenta. Keine Nachblutung. 

Gegen Abend bei gutem Puls und normaler Temperatur Schmerzen 
links neben dem gut kontrahierten und nach rechts gelegenen Uterns; 
hier ist eine deutliche aus dem Becken aufsteigende leicht schmerzhafte 
Resistenz zu tasten, die sich in den nächsten Tagen stetig becken¬ 
schaufel- und lendenwärts vergrössert. Es war sofort klar, dass es sich 
nur um ein von einer inkompleten Ruptur herrührendes subperitoneales 
Hämatom handeln könnte. Das Bauchfell war klinisch völlig unbeein¬ 
flusst; kein Singultus oder Erbrechen, keine Fiatusverhaltung; dagegen 
infolge grosser Schmerzen beschleunigte flache Atmung. Puls um 
90 = 100. Am 3. Tage abends Temperaturanstieg bis auf über 38, 
am 4. und 5. Tage höheres Fieber und Verschlechterung des Allgemein¬ 
befindens, namentlich des Pulses und der Atmung. Dabei ist der Tumor 
in der linken Unterbauchseite sehr deutlioh konturiert und bei Be¬ 
tastung recht sohmerzhaft. Lebhafte Schmerzen im Kreuz. 

Am Morgen des 6. Tages machte die Patientin einen höchst desolaten 
Eindruck, und ioh beschloss, wenn irgend möglioh, dem so offenkundig 
infizierten Hämatom Abfluss zu verschaffen. Die auffallende Deutlichkeit 
des Tumors von den Bauchdeoken her, und die circumskripte Schmerz¬ 
haftigkeit der über dem Affekt gelegenen Bauchdeoken bezirke legte die 
Vermutung nahe, dass hier vielleicht eine Verklebung des subperitonealen 
Prozesses mit dem parietalen Bauchfellblatt sioh bereits anbahne. 
Vaginal tastete man einen links hoch hinaufreichenden Gervixspalt, also 
die Rupturstelle. Der Affekt im Ligament selbst lag aber dem Scheiden- 
gewölbe nicht so deutlioh und prominierrnd an wie etwa ein Beoken- 
exsudat. Ioh ging deswegen zunächst von oben ein fand da aber sofort, 


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202 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


dass ein extraperitoneales Gelangen zum Affekt unmöglioh sei. Ein 
kleiner ins Peritoneum gemachter Schnitt bestätigte die Diagnose; es 
zeigte sich den zwei zur Tastung eingeführten Fingern der nach oben 
und rechts verlagerte Uterus, hinter ihm und links ein mächtiger retro- 
peritonealer Affekt. Peritonealhöhle frei von Blut und Entzündnngs- 
erscheinungen. Naht der Inzision. Nunmehr gelang es, von der Scheide 
aus und zwar stumpf von dem Cervixspalt aus das infizierte Hämatom 
zu eröffnen und durch die Cervix ein breites Glasdrain in den Affekt 
zu legen. Es lief alsbald langsam und stetig übelriechendes Blut ab. 
Augenfällig war die sohon in den nächsten Stunden einsetsende und 
in den darauf folgenden Tagen allmählich immer deutlicher werdende 
Besserung. Nach etwa zwei Wochen wurde die Drainage dann weg¬ 
gelassen und trat völlige zu Beschwerdefreiheit führende Ausheilung ein. 

Die Uterusruptur, die ja leider, wie eben auch dieser noch 
glücklich ausgegangene Fall zeigt, beim Hydrocephalus auch 
heute noch nicht stets zu vermeiden ist, ist wohl als richtige 
Zerdehnung der Cervixsubstanz im vorliegenden Falle aufzufassen. 
Fraglos ist die Disposition dazu durch die bei der vorigen Geburt 
schon ebenfalls durch Hydrocephalus bedingte übermässige Deh¬ 
nung geschaffen und begünstigt worden. Auffallend schnell war 
diesmal nach Blasensprung die Dehnung aufgetreten und fort¬ 
geschritten. Es mag sein, dass dann die sehr langsame und be¬ 
wusst schonend ausgeführte Ausziehung des perforierten Schädels, 
der immer noch recht umfänglich und für einen Hydrocephalus 
ganz auffallend hart war, den letzten Anstoss zum Auseinander¬ 
weichen der Cervixsubstanz gab. Das Fehlen jeglicher foudroyanten 
Erscheinung post partum, wie Blutung und Kollaps, scheint mir 
auch darauf hinzuweisen, dass es sich beim Zustandekommen 
dieser inkompletten Ruptur um ein als Zerdehnung aufzufassendes 
allmähliches Auseinanderweicben des wohl an sich brüchigen 
Cervixsubstanzgewebes anzusprechen ist. Wenn wir in Fällen 
stärkerer Cervixdehnung den extraperitonealen cervikalen Kaiser¬ 
schnitt ausführen, so kann man nach Freilegung der Cervix ja 
auch oft beobachten, wie jetzt schon bei leichtem Druck, wie er 
zur weiteren Dislokation der peritonealen Umschlagfalte einerseits 
und der von ihr getrennten Harnblase andererseits notwendig ist, 
die verdünnte Cervixwand von innen nach aussen auseinander¬ 
weicht, fast ohne zu bluten, und der vorliegende Kindesteil sich 
frei in der Wunde präsentiert. Ganz ähnlich stelle ich mir das 
Zustandekommen der snbperitonealen Ruptur in solchen Fällen 
wie in meinem durch die Ausziehung vor; und es erscheint mir 
klar, dass dann auch gar keine alarmierenden Symptome, wie 
Kollaps oder Blutung, in die Erscheinung zu treten brauchen. 
Entgegen den Beobachtungen Band Ts, der beim Hydrocephalus 
die grösste Ausdehnung der Risse auf der Seite des Hinter¬ 
hauptes fand, sei bemerkt, dass sich hier bei 2. Lage der Riss 
links ereignete. 

So interessant der klinische Verlauf dieses Falles, in welchem 
meines Erachtens der gemachte vaginale Eingriff richtig lebens¬ 
rettend wirkte, auch ist, so scheint mir ihm noch eine andere 
prinzipiell vielleicht ungleich wichtigere Bedeutung innezuwohnen. 

Gerade durch die Anregung und die Beobachtungen Siegel’s 
u. a. ist ja momentan die Frage der Geschlechtsbestimmung, die 
Frage der möglichen Geschlechtsbeeinflussung durch bestimmte 
Kohabitationstermine, worauf ja doch Siegel im wesentlichen 
herauskommt, wieder einmal brennend, ganz besonders brennend 
auch durch die Kriegszeit und ihre massenhaften Opfer blühenden 
Manneslebens. Die Altmeister der modernen Gynäkologie, ihnen 
voran B. S. Scbultze, huldigten der Anschauung, dass das 
menschliche Ei seine absolute Geschlechtsanlage bereits vor der 
Befruchtung besitze, dass es männliche und weibliche Eier gäbe. 
Auch Ahlfeld und H. Bayer sind Anhänger dieser Anschauung. 

Die moderne Zoologie hat nun in der Tierwelt verschiedene 
Beobachtungen gemacht, nach welchen es den Anschein hat, als 
gäbe es kein im Ei präformiertes. Geschlecht. Entweder die Art 
des befruchtenden Spermas oder der Zeitpunkt, wann das reife, 
an sich geschlechtlich neutrale Ovulum nach seiner Lösung aus 
dem Eierstock vom Samenfaden imprägniert werde, sei maass- 
geblich für die Art des erzeugten Geschlechtes. 

Nach Poll sind nun auch für die menschliche Samenbildung 
Anhaltspunkte gefunden worden, denen allerdings auch nach ihm 
noch nicht abschliessende Beweiskraft zugesprochen werden kann, 
die aber dafür sprechen können, dass im menschlichen Hoden 
zweierlei verschiedene Arten von Samenfäden gebildet werden. 

Nach Hertwig gibt es keine männlichen oder weiblichen 
Eier, sondern das Geschlecht wird aus dem Zeitpunkt der Kopu¬ 
lation bestimmt. Auf das Alter des reifen befruchtungsfähigen 
Eies im Moment seiner Imprägnierung komme es an. Auf dieser 
Anschauung basiert nun Siegel mit seinen schon gestreiften 


Anschauungen über die Geschlechtsbestimmung. Er glaubt ja 
doch ganz offensichtlich nachgewiesen zu haben, dass in den 
sicher erweislichen Fällen, wo die befruchtende Kohabitation 
zwischen dem 1. und 9. Tage nach Einsetzen der Menstruation 
stattfand, vorwiegend Knaben erzeugt werden. Der Hinweis, dass 
jedoch auch diese Anschauung nicht unwidersprochen blieb, 
möge hier genügen. So glaubt z. B. Pryll, dass seine Fälle 
keine Beeinflussung des Geschlechtes ans' dem Alter des Eies 
bei seiner Befruchtung erkennen lassen. 

Nach Keibei ist die Frage der Progamie für den Menschen 
und die Wirbeltiere zurzeit noch nicht sicher entschieden, dagegen 
ist es zweifellos, dass bei vielen Wirbellosen das Geschlecht in 
den Eiern bereits bestimmt ist. 

Die Frage, ob Progamie, d. h. jedes Ei hat von Beginn fest¬ 
gelegtes Geschlecht, oder Syngamie, d. h. das neutrale Ei erhält 
durch die Befruchtung seinen Geschlechtscharakter, beim Menschen 
anzunehmen ist und vorliegt, ist auch jetzt noch im Fluss. Jedes 
Moment, das geeignet sein könnte, klares eindeutiges Material 
zur Stütze der einen oder der anderen Anschauung zu bringen, 
erscheint darum wichtig. 

Meines Wissens als erster hat Sippel im Jahre 1906 auf 
die mögliche Bedeutung familiärer Missbildungsreihen zur Lösung 
der hier interessierenden Frage hingewiesen, und zwar unter Ver¬ 
öffentlichung einer einschlägigen Beobachtung. Ein Mann zeugte 
in erster Ehe mit einer gesunden Frau 12 gesunde Kinder, 
5 Knaben und 7 Mädchen; in zweiter Ehe heiratete er die ge¬ 
sunde Schwester seiner gestorbenen Frau und hatte mit ihr ein 
gesundes Mädchen, dann vier anomale Knaben, dann wieder 
zwei gesunde Mädchen. 

Der erste Knabe zeigte eine Spina bifida, der zweite eine 
bald nach der Geburt zum Erstickungstode führende persistierende 
übergrosse Thymus, der dritte, äusserlich wohlgebildet, kam tot 
zur Welt, der vierte hatte angeborenes Myxödem und wurde Idiot. 
Da dieser Mann in erster Ehe gesunde Knaben gezeugt hatte, 
so muss nach Sippel in der zweiten Ehe eine anomale mütter¬ 
liche Einwirkung bei denjenigen Eiern zustande gekommen sein, 
aus denen sich die Knaben entwickelten. 

Anschliessend an diese Mitteilung berichtete dann 1907 
Schirmer über ein Elternpaar, dem nach drei gesunden Knaben 
ein weiblicher Hemicephalus und nach je einem weiteren ge¬ 
sunden Knaben je ein weiblicher zweiter und dritter Hemicephalus 
geboren wurden. 

Sippel hat fraglos recht, dass diese Schirmer’sehe Beob¬ 
achtung nicht widerspruchslos für das Vorhandensein männlicher 
und weiblicher Eier gedeutet werden könne, da ja auch eine 
gleichartige und gleichbleibende väterliche Einwirkung diese stets 
gleiche Missbildung verursacht haben könne. 

Viel beweiskräftiger im Sinne Schultze’s, Ahlfeld’s, 
Sippels und anderer, dass es doch beim Menschen männliche 
und weibliche Eier gibt, liegt die Sache in diesem Falle hier. 
Diese Frau hat ein lebendes gesundes Mädchen vor nahezu 
4 Jahren geboren. Ihr zweites und dieses hier ihr drittes Kind 
sind Knaben, und zwar mussten beide wegen Hydrocephalie per¬ 
foriert werden. Dies ist zweifellos an sich schon auffallend, dass 
bei der Tendenz zur Wiederholung der Hydrocephalie das gesunde 
Kind anderes Geschlecht zeigt als die missbildeten. Hierzu kommt 
noch, dass die Literaturdurchsicht, namentlich der Göttinger 
und unserer Bresjauer Fälle zeigt, dass beide Geschlechter 
ziemlich gleichmässig teilhaben an dieser Missbildung, dass 
keineswegs hinsichtlich der Frequenz das männliche Geschlecht 
überwiegt. 

Und nun gibt die Familienanamese unserer Kranken folgende 
sehr beachtenswerte weitere Aufklärung. Ihre Mutter hat 4 Kinder 
geboren und zwar 3 gesunde Mädchen und 1 Knaben, der wegen 
Hydrocephalie perforiert werden musste. 

Hier liegt es doch ausserordentlich nahe, anzunehmen, dass 
es sich um eine ausschliesslich in den männlichen Eiern gelegene 
und auf diese vererbte Anomalie handle. Suchen wir diesen 
eigenartigen Fall auf der Basis der Syngamie zu erklären, so 
wäre es doch unendlich weit hergeholt anzunehmen, dass das vom 
Sperma in das neutrale Ei eingeführte geschlechtsbestimmende 
Moment bei Mutter und Tochter gerade so anomal gestaltet ge¬ 
wesen sei, dass die gleichen männlichen Missbildungen erzeugt 
wurden. Dagegen wird der Fall klarer, wenn wir annehmen, 
dass es männliche und weibliche Eier gibt, und dass hier eine 
Anomalie in den männlichen Eiern vorliegt. Plate stellt sich 
in seiner Vererbungslehre auf den Standpunkt, dass alle reifen 
Geschlechtszellen getrenntgeschlechtlicher Tiere eine männliche 


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und eine weibliche Anlage aufweisen. Und auch da, wo nach 
den Untersuchungen der Zoologen und Züchter eine syngame 
Geschlechtsbestimmung angenommen werden kann, bandelt es 
sich nach Plate streng genommen um Progamie, da es in 
diesen Fällen auch verschiedene geschlechtlich differenzierte 
Spermien gibt. Hinsichtlich des Menschen ist Plate geneigt, mit 
Gutherz anzunehmen, dass es bei diesen zwei Sorten Spermien 
nicht gibt 

So ist denn dieser Fall vererbter wiederholter Hydrocephalie 
unzweifelhaft geeignet, die Anschauung der Progamie im mensch¬ 
lichen Ei auch gerade den klinischen Erfahrungen SiegeTs 
gegenüber, die eine Betonung der Syngamie ergeben, zu stützen. 

Leider habe ich die in der Literatur niedergelegten Fälle von 
Göhlis und Frank, in denen sich 6- und 7 mal die Hydro¬ 
cephalie bei den Kindern einer Frau wiederholten, mir bisher 
nicht im Original zugängig machen und so auch nicht feststellen 
können, ob auch in diesen Fällen etwa die Hydrocephalen immer 
gleiches Geschlecht hatten. 

Aus der chirurgischen Abteilung des städtischen 
Krankenhauses in Posen (Direktor: Prof. Dr. Ritter). 

Zur Behandlung eitriger Gelenkergüsse. 

Von 

C. Ritter. 

Vor acht Jahren habe ich in dieser Wochenschrift empfohlen 
bei eitrigen Gelenkergüssen sich statt der Inzision der wieder¬ 
holten Entleerung durch Punktion zu bedienen. Ich 
konnte zeigen, dass sämtliche so behandelten Gelenke 
glatt ausheilten, ohne dass nachträglich eine Operation 
(Inzision, Resektion, Amputation) nötig wurde und dass 
die Funktion voll erhalten blieb. Die Zahl der so be¬ 
handelten Fälle war damals nicht allzu gross, ist aber seitdem 
gewaltig gewachsen, so dass ihre Beweiskraft sich erhöht hat. 
Schon damals waren neben harmloseren eitrigen Ergüssen im 
Gelenk einige schwerere, sogenannte Gelenkphlegmonen. Gerade 
sie habe ich dann später häufig gesehen und auch bei ihnen die 
Ueberlegenheit der einfachen Punktion gegenüber der sonst 
üblichen Inzisionen beobachten können. Allerdings allein 
mit der Punktion kommt man bei ihnen oft nicht zum 
Ziel. Und wenn ich schon damals bei den Gelenkphlegmonen 
die absolute Ruhigstellung mit der Punktion verband, so ist das 
allmählich für mich das typische Verfahren geworden. Dabei 
zeigte sich dann, dass selbst die häufige Entleerung des Exsudates 
nicht unbedingt nötig ist. Schon der Gipsverband allein 
ist oft imstande, auch schwerste, septische Gelenk¬ 
entzündungen rasch in günstigster Weise zu beeinflussen. 
Ich pflege deshalb jetzt nur im Anfang das Gelenk zu punktieren, 
schon um die Art der Erkrankung feststellen zu können, und tue 
es weiterhin nur dann, wenn sich der Erguss nicht bald zurück¬ 
bilden will. Der Gipsverband umgibt zirkulär das Gelenk, das 
sorgfältig, aber nicht zu dick mit Watte oder Holzwolle gepolstert 
ist und reicht etwa von der Mitte des oberen bis zur Mitte des 
unteren Gliedteiles. Anfangs hat man sich vor zu festem Verband 
zu hüten. Später, wenn die Gefahr einer nachträglichen Weichteil¬ 
oder Gelenkschwellung gering ist, lege ich Wert darauf, dass 
er möglichst exakt den Gliedteilen anmodelliert wird. Dass die 
absolute Ruhigstellung auf alle Entzündungen günstig einwirkt, 
ist ja eine alte Erfahrung. Wohl nirgends fällt sie aber so in 
die Augen, wie gerade hier. Die Festigkeit des Verbandes nimmt 
sofort alle Schmerzen, was überaus angenehm empfunden wird. 
Das Fieber fällt meist rasch, oft ist nach acht Tagen die Ab¬ 
schwellung an der Runzelung der Haut deutlich zu erkennen. 
Manchmal bleibt der Gelenkerguss selbst noch länger bestehen, 
wird eitrig serös, dann serös, um schliesslich ebenfalls nach 
weiteren Gipsverbänden zu verschwinden. Io der Regel genügen 
8—4 Wochen, um die Erkrankung zu heilen, wobei ich im all¬ 
gemeinen alle acht Tage den Verband, der nie in Schalen, stets 
vollkommen zirkulär anzulegen ist, zu wechseln rate. Auch nach 
Verschwinden aller Symptome lasse ich noch für kurze Zeit Gips¬ 
verbände tragen, aber dabei fleissig umhergehen, weil man so am 
schnellsten und sichersten die unangenehmen sekundären Oedeme 
und Gelenkergüsse vermeidet, die sonst beim Aufstehen infolge 
Schlaffheit der Gelenkkapsel sich so schwer vermeiden lassen. 

Eine solche Behandlung des eitrigen Gelenkergusses mit 
festem Verband verstösst scheinbar gegen das doch jetzt so all- | 


gemein gültige Prinzip, nicht nur die Heilung, sondern auch vor 
allem die Funktion zu berücksichtigen. Aber der Gipsverband 
steht bei den meisten in falschem Verdacht. Es ist unrichtig, 
wenn behauptet wird, dass dadurch Versteifungen entstehen, wenn 
man ein Gelenk für einige Zeit m einen Gipsverband packt. Das 
ist nur dann der Fall, wenn man den Gipsverband viel länger 
liegen lässt. Ich habe die volle Beweglichkeit stets erhalten 
bzw. wiederkehren sehen. Nach meinen Erfahrungen ist 
der Gipsverband die beste, einfachste und sicherste 
Methode, auch der schwersten Gelenkeiterung gegen¬ 
über. Dass der Kranke dabei transportfähig ist, ist eine weitere 
Annehmlichkeit, die sich mir im Kriege besonders bemerkbar 
machte. 


Wasserausscheidungs- und Konzentrations¬ 
vermögen im Rekonvalescenzstadiumder akuten 
Kriegsnephritis 1 ). 

Von 

Dr. Hans fiuggeiheimer, 

Assistent am medizinischen poliklinischen Institut der Universität Berlin, 
Asstatenxarzt der L. I. 

Ausführlichere Mitteilungen über Funktionsprüfungen bei dea 
akuten Nephritis der Kriegsteilnehmer liegen bisher nur spärlich 
vor. Verfügen wir auch über genügend einfache Methoden, die 
ohne umständlichen Laboratoriumsapparat diese Untersuchungen 
vornehmen lassen, so waren es häufig äussere Gründe, die es in 
den Frontlacaretten nicht gestatten, den Kranken zu diesem Zwecke 
lange genug zu beobachten. Dennoch sind gerade umfassende 
Untersuchungen an diesen Stellen, wo auch die leichteren Fälle 
gleichmässig mit vertreten sind, wünschenswert, wollen wir ein 
allgemeines Urteil über die Funktionsstörungen bei der akuten 
Feldnephritis gewinnen. In mit Laboratoriumseinrichtungen und 
Hilfskräften manchmal besser ausgestatteten Heimatslazaretten 
überwiegen meist die schwereren langwierigen Fälle, die auch 
oft schon einem mehr subchronischen bzw. chronischen Stadium 
angehören. Auch zur Beurteilung der Prognose des Einzelfalles, 
der Notwendigkeit einer Diätbeschränkung, seiner Transportfähig¬ 
keit und zur späteren endgültigen Entscheidung über seine weitere 
Kriegsverwendung ist als Vervollständigung der übrigen Kranken- 
uutersnehung die Funktionsprüfung mit Nutzen heranzuziehen. 
Dabei interessiert uns in erster Linie die Fähigkeit der Niere, 
die körpereigenen, harnfähigen Stoffe auszuscheiden. 

Bruns*) verdanken wir eingehende Untersuchungen über 
das funktionelle Verhalten der Niere bei akuter Kriegsnephritis, 
vor allem über die wichtige Stickstoffausscheidung. Im Stadium 
der Oedembildung fand Bruns in 39 pCt. normalen Rest N-Geb alt 
des Blutes, in 61 pCt. war derselbe erhöht (60—150 mg auf 
100 ccm Serum). Nur */ 8 der meist urämischen Patienten hatte 
Reststickstofferhöhung, und zwar ging diese nicht parallel der 
Stärke der urämischen Beschwerden. Diese Tatsache bestätigt 
die Berechtigung einer Trennung der urämischen Zustände, wie 
sie z. B. in klarer Form von Volhard 3 ) durchgeführt wird. Die 
echte, stets mit Stickstoffretention einhergehende Urämie ist zu 
unterscheiden von der eklamptischen Urämie, der sogenannten 
Krampfform, die wieder mit dem von Traubje zuerst beschriebenen 
Hirnödem in Zusammenhang gebracht wird. Es ist charak¬ 
teristisch, dass gerade im Blutserum der vier von Bruns unter¬ 
suchten Patienten mit eklamptischen Krampfanfällen erhöhte 
Rest-N-Werte vermisst werden. Ueber ähnliche Beobachtungen 
berichtet Nonnenbruch 4 ). Im Ausschwemmungsstadium der 
Oedeme war nach Bruns der k Rest*N des Blutes bei vereinzelten 
Fällen noch erhöht, im Reparationsstadium fanden sich stets 
normale Verhältnisse. Die Kochsalzausscheidung betrug im Oedem- 
stadium bei einem durchschnittlichen Kochsalzgehalt der Nahrung 
von 5 g in über der Hälfte der Fälle 3 g und darüber. Sie war 
auch im oligurischen Stadium niemals 'ganz aufgehoben. Im Aus¬ 
schwemmungsstadium stieg die prozentuale Kochsalzausscheidung 
deutlich an. Es wurde in dieser Zeit häufig etwa das Dreifache 


1) Die Veröffentlichung der bereits 1915/16 im Feld vorgenommenen 
Untersuchungen hat sioh aus äusseren Gründen verzögert. 

2) Zsohr. f. klin. M., Bd. 83, H. 3 u. 4. 

3) Volhard und Fahr, Die „Bright’sohe Nierenkrankbeit Berlin 
1914, J. Springer. 

4) Feldarztl. Beil, zur M.m.W., 1916, Nr. 31. 

1 * 


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UNTVERSITY OF IOWA 






204 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


der täglich zugeführten Kocbsalzmenge eliminiert, also retiniertes 
Kochsalz ansgeschieden. Auch im Reparationsstadium fanden sich 
im 24 ständigen Urin noch höhere Kochsalzwerte, als der Tages¬ 
einnahme entsprachen, was so gedeutet wird, dass nach Oedem- 
entleerung unter Umständen Kochsalz auch trocken im Körper 
angehäuft blieb. Neisser und Hei mann 1 ) sahen häufig Retention 
von Kochsalz und Wasser, Stickstoffretention nur in den seltensten 
Fällen. C. Hirsch 2 ) erwähnt, dass der Wasserversuch nach 
völliger Oedementleerung manchmal [noch erheblich verlangsamt 
ausfiel, ebenso liess sich noch eine Störung der Konzentrations¬ 
fähigkeit nachweisen. Auch J. Schütz 3 ) berichtet von mässiger 
Einschränkung der Wasseraussscheidung und Konzentrationsfähig¬ 
keit bei einem Teil der untersuchten Fälle. Die Jodausscheidung 
war fast ausnahmslos normal. 

Bei den von mir in einem Kriegs- und in Feldlazaretten 
beobachteten Fällen von akuter diffuser Glomerulonephritis habe 
ich in einer grossen Anzahl das Ausscheidungsvermögen für 
Wasser und die Konzentrationsfähigkeit geprüft. Der Wasser¬ 
versuch verbietet sich natürlich von selbst im Stadium der Oedem- 
bereitschaft zu Anfang der akuten Nephritis- sowie in der Periode 
der Oedemausschwemmung, da dabei extrarenale Faktoren das 
Bild verschleiern würden. Ich setzte deshalb gleichmässig 
den Versuchstag etwa eine Woche nach Verschwinden 
der Oedeme fest, und habe im ganzen bei 56 Nieren¬ 
kranken derartige Funktionsprüfungen vorgenommen. 
Eine Zusammenstellung soll zeigen, welcher Prozentsatz und Grad 
der Störung der Wasserausscheidung und des Konzentrationsver¬ 
mögens vorlag. Im Verein mit den sonstigen klinischen Befunden 
wird die prognostische Bewertung des Ausfalls dieser Funktions¬ 
probe zu erörtern sein. 

Wir führten den Wasserversuch nach der von Volhard befolgten 
Anordnung aus. Der Patient erhält nüchtern 1500 com Wasser mit 
etwas Himbeersaft, das er zwischen 7 und 8 Uhr auszutrinken hat. Ab 
8 Uhr wird er angehalten, bis 12 Uhr jede halbe Stande Urin zu lassen. 
Bestimmung von Menge und spezifischem Gewicht aller Einzelportionen. 
Dann fand die erste Nahrungsaufnahme statt, und zwar wurde gleich der 
Konzentrationsversuch an geschlossen. Zu diesem Zwecke durfte der 
Kranke bis zum nächsten Morgen um 7 Uhr keine Flüssigkeit mehr zu 
sioh nehmen. Die zur Prüfang der Konzentrationsfähigkeit herange¬ 
zogenen Urinmengen wurden nachmittags um 1, 3, 5, 7 und 9 Uhr sewie 
am anderen Morgen um 9 Uhr entleert. Die Nahrungsaufnahme während 
des Konzentrationsversuchs bestand zwar nicht aus einer absoluten 
Trockenkost. Doch dürfte der Wassergehalt von Reis und Kartoffelbrei, 
der neben Weissbrot, Keks und Eiern an diesem Tage gereichten Speisen 
auf das Versuohsresultat keinen Einfluss haben. Es folgen nunmehr 
einige Beispiele über den Ausfall des Wasserversuchs bei normaler und 
pathologischer Ausscheidung in Kurven form. Auf der Abszisse ist die 
Zeit in */, stündlichen Intervallen angegeben, auf der Ordinate die Menge 
ausgeschiedener Flüssigkeit in Kubikzentimetern und die Höhe des spe¬ 
zifischen Gewichts. Die Kurve der ausgeschiedenen ürinmenge bildet 
eine zusammenhängende Linie, die Kurve des spezifischen Gewichts ist 
gestrichelt gezeiohnet. Unter jeder Versuchskurve ist noch die Menge 
des in 4 Stunden ausgeschiedenen Urins als Resultat des Wasserver- 
suchs angegeben. Ihr entsprechen auf der Zeichnung die schwarz ein¬ 
gefassten Flächen, wobei ein kleines Quadrat 50 ccm bedeutet. 

Kurve 1 soll als Beispiel eines normalen Wasserversuchs 
dienen. Sie wurde bei einer leichten, rasch wieder abklingenden 
Glomerulonephritis erhalten. In 4 Stunden ist die verabreichte 
Flüssigkeitsmenge durch den Urin bereits vollständig eliminiert. 
Dabei steigt die Kurve zu Beginn steil an, so dass schon in den 
ersten 2 Stunden die weitaus grösste Menge wieder ausgeschieden 
ist. Um den Ausfall eines Wasser Versuchs als gut bezeichnen 
zu können, ist zu fordern, dass nicht nur die 1% Liter Flüssig¬ 
keit in der Zeit von 4 Stunden, sondern dass davon mindestens 
über die Hälfte bis zwei Drittel in den beiden ersten Stunden 
wieder ausgeschieden ist. Die Kurve des spezifischen Gewichts 
ist in ihrem Verlauf der Flüssigkeitskurve entgegengesetzt und 
gibt Zeugnis für die vorhandene Variabilität der Konzentrations¬ 
fähigkeit. Das Maximum der Verdünnungsfähigkeit wurde mit 
der Urinportion um 87 8 Uhr mit spezifischem Gewicht 1002 er¬ 
reicht. Es sei nur erwähnt, dass in diesem Falle der an¬ 
schliessende Konzentrationsversuch als höchstes spezifisches Ge¬ 
wicht 1042, also eine sehr gute Konzentrationsfähigkeit ergab. 

Kurve 2 kennzeichnet den Ausfall eines sehr schlechten 
Wasserversuchs. Insgesamt werden in 4 Stunden nur 472 ccm 
Urin ausgeschieden, die höchste Einzelmenge betrug dabei 78 ccm. 
Näheres Über diesen Fall Sw. von akuter diffuser Glomerulo¬ 


1) Verh. d. Deutsch. Kongr. f. inn. Med., Warschau 1916. ^ 

2) Verh. d. Deutsch. Kongr. f. inn. Med., Warschau 1916. 

3) D.m.W., 1917, Nr. 5. 


nephritis mit rezidivierender Hämaturie findet sich in der fol¬ 
genden Tabelle 1. Das spezifische Gewicht bewegt sich um 1010 
herum, wobei als höchster Verdünnungsgrad das spezifische Ge¬ 
wicht von 1008 zu verzeichnen ist. Im nachfolgenden Konzen¬ 
trationsversuch überschritt das spezifische Gewicht nicht 1015, 
eine, wie noch später auseinander zu setzen ist, ganz mangelhafte 
Konzentrationsleistung. 

Kurve 8 veranschaulicht eine Schädigung des Wasseraus¬ 
scheidungsvermögens erheblich geringeren Grades wie bei Kurve 2. 
Die Gesamtmenge 1850 der in 4 Stunden ausgeschiedenen Flüssig¬ 
keit bleibt etwas hinter den aufgenommenen 1% Litern zurück. 
Charakteristisch für diese Art der Störung der Wasserausscheidung 
ist aber vor allem der Umstand, dass im Vergleich zu Kurve 1 
der steile Anstieg innerhalb der ersten 2 Stunden fehlt und die 
ausgeschiedene Urinmenge sich mehr gleichmässig auf die 
4 Stunden der Versuchsdauer verteilt. 


Kurve 1. (Fall 3 Kr.) 




9 3 10 H 11 

in 4 Stunden 472 ccm, schlechter 
Wasserversuch. 


Kurve 3. (Fall 32 Go.) 


Kurve 4. (Fall 22 Wi.) 


mo 
mo 
1030 300 
1020 200 
1010 100 . 
1000 0 











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jj *| 8 3 10 ft 11 

^ j | • in'4 Stunden 1350 ccm, mehr 
.| ^ gleichmässige, nicht ganz 
<§“1 & genügende Ausscheidung. 



in 4 Stunden 2020 ccm, über* 
sohiessender Wasser versuch. 


Kurve 4 schliesslich kann als Beispiel der leichtesten 
Schädigung der Wasserausscheidung gelten im Sinne eines über- 
schiessenden Wasserversuchs. Man kann eine gewisse Ueber- 
erregbarkeit der wasserausscheidenden Nierenelemente annehmen, 
wenn ein Stadium der Oedemausschwemmung nicht mehr in Be¬ 
tracht kommt und die in 4 Stunden produzierte Urinmenge 
2 Liter überschreitet. 

Dies wären die vier hauptsächlichsten Typen, wie sie sich 
bei Ausführung des Wasserversuchs ergaben. Von den Versucbs- 
resultaten bei 56 Nierenkranken im Stadium der Rekonvaleszenz 
nach erfolgter Oedementleerung fiel bei 8 Fällen der Wasser- 
versucb überschiessend, bei 17 Fällen schlecht bzw. 
nicht ganz genügend, bei den übrigen 31 Fällen nor¬ 
mal aus. 

Zunächst sollen die 17 Fälle, bei denen der Wasserversuch 
im Zeitraum von 4 Stunden ungenügende Urinmengen ergab, unter 
Berücksichtigung der dazu gehörigen klinischen Daten näher be¬ 
sprochen werden. 


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Go gle 


Original from _ 

UNIVERSITY OF IOWA 

^_j 






4. Mär* 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


205 


Tabelle 1. 





Wasserversuch 

GO 

«n ® 

Woch 

e der 







t-4 




s. 

l| s 

sc 


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DiuuLurpei uuou 



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niedrigste 
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3 

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Lazarett 

behandlui 

2 w 
Sfl 
- a 
m 

GO 

.2 

’S 

► 

W 

rote 

weisse 

Cylinder 

Komplikationen 

1 

Fall 

11 Gr. 

410 

1021 

1030 

4. 

3. 

138 

4 

+++ 

+++ 

++ 

Rezid. Hämaturie, Herzschwäche 
nach Endocarditis. . 

2 


70 Sw. 

472 

1008 

1015 

9. 

8. 

128 

*u 

+++ 

0 


Rezid. Hämaturie. Bei 2 u. 3 von 

3 


69 Me. 

493 

1004 

1020 

4. 

4. 

112 

Spur 

0 

+++ 

++ 

10 g Kochsalzzul. 7 g retiniert. 

4 


8 Ba. 

568 

1018 

1021 

<7. 

5. 

— 

V, 

+++ 

0 

+ 

Eklamptische Krampfanfälle in 
3. Woche. 

5 


31 Kr. 

625 

1015 

1022 

<3. 

2. 

— 

5 


++ 

+++ 

Rezidivierende Hämaturie. 

6 

n 

10 Gr. 

792 

1007 

1030 

<6. 

4. 

— 

1 

+++ 

“b 

+++ 

Dazwisch. rezidivierende Hämat¬ 


14 Tage vorher 

1771 

1007 

1025 

<4. 

2. 

— 

2 

0 

++ 

+++ 

urie. 

7 

Fall 

3 Tw. 

936 

1010 

1036 

<5. 

3. 

— 

Va 

++ 

0 

0 

Bereits chronisches Stadium. 

8 

n 

15 Ro. 

1045 

1005 

1045 

7. 

5. 

150 

13 

+ 

+++ 

-*-++ 


9 


16 Bi. 

1088 

1005 

1045 

<6. 

5. 

— 

Spur 

+ 

0 

0 

Bereits chronisches Stadium. 

10 


37 Ca. 

1095 

1006 

1043 

2. 

1 . 

185 

1 

“b 

0 

0 

Hochgradige Arteriosklerose. 

11 


35 Bö. 

1110 

1011 

1018 

5. 

3. 

145 

Spur 

+-b+ 

0 

++ 

Rezidivierende Hämaturie. 

12 


68 Fw. 

1125 

1001 

1016 

14. 

12. 

117 

2 

H—b 

++ 

+ 

Rezidivierende Hämaturie. 

IS 


34 Sia. 

1130 

1006 

1033 

5. 

4. 

— 

12 

+++“ 

+ 

++ 

Rezidiv. Hämaturie, eklampt. 
Krampfanfälle in 1. Woche. 

14 

j) 

54 My. 

1140 

1012 

1030 

<8. 

7. 

148 

4 

+ 

: ++ 

++ 

Rezidiv. Hämaturie, eklampt. 
Krampfanfälle in 3. Woche. 

15 

n 

56 Bi. 

1270 

1009 

1040 

5. 

4. 

150 



+++ 

+++ 

Vereiterndes Erysipeloid. 

16 

TJ 

32 Go. 

1350 

1001 

1042 

6. 

3. 

124 

Spur 

0 

0 

+ 

Seit 1908 mehrmals rezidivie¬ 
rende Glomerulonephritis. 


In der ersten Zahlenkolonne ist die in 4 Stunden ausgeschiedene 
Urinmenge in Kubikzentimetern angegeben, in der zweiten der dabei er¬ 
reichte höchste Verdünnungsgrad nach der Zahl des niedrigsten spe¬ 
zifischen Gewichts. Dann folgt der Vollständigkeit halber das Ergebnis 
des anschliessenden Konzentrationsversuohs, das maximal erreichte spe¬ 
zifische Gewioht. Zur Beurteilung der Schwere des Einzelfalles kann 
die Dauer der Erkrankung bzw. Lazarettbehandlung herangezogen werden, 
wenn man berücksichtigt, dass der Versuchstag im allgemeinen etwa 
eine Woche nach der Entleerung der sichtbaren Oedeme angesetzt 
war. Die Blutdruckhöhe sowie die Menge des Eiweisses im Urin und 
die Beschaffenheit des Harnsediments am Versuchstag folgt in den 
nächsten Reihen. Dabei bedeutet bei den geformten Nierenelementen 
+ wenig, -f-f- viel, +++ sehr viel. In der letzten Rubrik sind 
einige Besonderheiten der betreffenden Fälle verzeichnet. (Tabelle 1.) 

Wenn wir zunächst lediglich das Ergebnis des Wasser- 
Versuchs besprechen — die Resultate des Konzentrationsversuchs 
bei diesen Fällen sollen ausführlicher später erörtert werden —, 
so ergibt sich aus Tabelle 1 eine sehr starke Schädigung der 
Funktion der Wasserausscheidung bei den ersten 7 Fällen, die 
in 4 Stunden nur 410—936 ccm Urin entleerten. Bei 10 weiteren 
Kranken mit Urinmengen von 1045—1350 ccm und zum Teil 
mehr gleichmässig über die 4 Stunden verteilter Wasserausschei- 
dung, wie in Kurve 3, kann man noch von einer deutlicheren 
Beeinträchtigung der Wasserausscheidung sprechen. Es sei hier 
erwähnt, dass diese Schädigung keine absolute ist, insofern es 
sich nicht so sehr um eine Insuffizienz der Wasserausscheidung 
überhaupt als vielmehr nur am eine verlangsamte Wasserausscbei- 
dung handelt. In 24 Stunden wird der Nierenkranke im Stadium 
der Rekonvaleszenz, in dem wir unsere Untersuchungen anstellten, 
mit der Ausscheidung von durchschnittlich 1%—2 Litern fertig, 
nur bei der genauer dosierten Versuchsarbeit, die, wie es nor¬ 
malerweise der Fall ist, die völlige Ausscheidung von P/z Litern 
Flüssigkeit in 4 Stunden verlangt, versagt ein Teil der Patienten. 
Nur zwei in Tabelle 1 aufgezählte Nierenkranke brachten es am 
ganzen Versuchstage — nach den ersten 4 Stunden wurde ja 
wegen des sich anschliessenden Konzentrationsversuchs keine 
Flüssigkeit mehr zugeführt —, also innerhalb 24 Stunden, nicht 
einmal zuwege, die verabreichten l x / 2 Liter völlig auszuscheiden. 
Es ist dies Nr. 1, Fall Gr., der am ganzen Tag nur 1310 ccm 
und Nr. 3, Fall Me., der 1250 ccm Urin entleerte. Es wird 
sich zeigen, dass bei beiden besondere Verhältnisse eine Rolle 
spielten. 

Wir müssen uns nämlich von vornherein die Frage vorlegen, 
ob nicht das Ergebnis des Wasser Versuchs überhaupt verschiedene 
Deutungen zulässt. Dürfen wir ein schlechtes Resultat des 
Wasserversuchs immer allein auf eine mangelhafte Wasseraus- 
scheidung der Nieren beziehen? Können nicht auch extrarenale 
Faktoren die Resultate unter Umständen sehr beeinflussen? Es 


wurde von Anfang an erwähnt, dass die Ausführung des Wasser¬ 
versuchs im Stadium der Oedembereitschaft aus solchem Grunde 
zu unterlassen ist. Ein zweites Moment, das berücksichtigt 
werden muss, ist das Verhalten der Herzkraft. Besteht in der 
Versuchszeit noch eine Herzinsuffizienz, so vermag 
auch diese zu einer mangelhaften Wasserausscheidung 
Veranlassung geben. Wissen wir doch, dass das hervor¬ 
stechendste Merkmal der Stauungniere gerade diese gestörte 
Funktion der Wasserausscheidung ist. Dass hier eine rein renale 
Retention des Wassers unwahrscheinlich, vielmehr das Wasser 
vermutlich im Körper anderswo schon zurückgehalten wird, soll 
hier nicht näher besprochen werden. Nonnenbruch 1 ) konnte 
nachweisen, dass bei Stauungsniere die Wasserretention auch die 
Ursache aller anderen Nierenfunktionsstörungen darstellt. Mit 
Besserung der Wasserausscheidung wurden auch diese gleichzeitig 
behoben. Solche Verhältnisse müssen wir bei Nr. 1, Fall Gr., 
annehmen, einer schweren mit rezidivierender Hämaturie ver¬ 
bundenen Glomerulonephritis, die ausserdem durch eine Staphylo- 
kokkenendocarditis mit Herzschwäche kompliziert war. Zur Zeit 
des Wasserversuchs hatte sich die Herzkraft noch nicht richtig 
erholt, so dass der sehr schlechte Ausfall durch beide Momente 
— kardiale Stauung und renale Insuffizienz — bedingt sein 
dürfte. Dies ist aber auch der einzige Patient unter unseren 
Nierenkranken, bei dem im Versuchsstadium noch eine deutliche 
Herabsetzung der Herzleistung in Betracht kommt. Bei allen 
übrigen, auch den in einer anderen Veröffentlichung 2 ) angeführten 
Fällen mit anfänglichen Zeichen von Herzinsuffizienz wurde der 
Wasserversuch zu einem Zeitpunkt ausgeführt, da die Herz¬ 
störungen bereits wieder behoben waren. Wir dürfen daher bei 
den übrigen 16 Fällen der Tabelle 1 stets eine gestörte Nieren¬ 
funktion als die Urache des schlechten Wasserversuchs annehmen. 
Ob allerdings dabei tatsächlich die Wasserretention durch die 
kranke Niere das Primäre ist — man muss auch an primäre 
Kochsalzretention denken — sei einstweilen dahingestellt. 

Wie überhaupt bei den von uns beobachteten Fällen von 
Kriegsnephritis, handelt es sich auch bei den in Tabelle 1 ange¬ 
führten Kranken um eine akute diffuse Glomerulonephritis. 
Nur Tabelle 1, Nr. 15, Fall Gr. macht eine Ausnahme. Bei 
diesem Kranken waren wir nach dem sonstigen klinischen Bilde 
geneigt, eine herdförmige Glomerulonephritis anzunehmen. Voraus 
g£ng ein Mandelabszess mit Temperatursteigerung, der Blutdruck 
war von Anfang an nicht erhöht, wiederholt trat stärkerer Blut¬ 
harn auf. Der Wasserversuch wurde kurz nach einem solchen 
Nachschub von Hämaturie angestellt. Während sonst bei herd- 

1) D. Arch. f. klin. M., Bd. 110. 

2) Erscheint demnächst in der Zschr. f. klin. M. 

2 


□ igitized by Gougle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



206 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


förmiger Glomerulonephritis nach Volhard’s Angaben Funktions¬ 
störungen fehlen, mag die in diesem Fall vorhandene Schädigung 
der Wasserausscheidung mit dieser vor zwei Tagen voraus¬ 
gegangenen rezidivierenden Hämaturie Zusammenhängen. Alan 
könnte sich vorstellen, dass durch die Exazerbation des lokali¬ 
sierten Entzündungsprozesses vorübergehend funktionell auch be¬ 
nachbarte Glomerulusapparate in Mitleidenschaft gezogen wurden. 

Der nachteilige Einfluss von innerhalb einer kurzen Zeit 
rezidivierender Hämaturie auf die Wasserausscheidung der Niere 
ergibt sich auch sonst bei weiteren 8 Fällen der Tabelle 1. 
(Nr. 1, 2, 5,. 6, 11, 12, 13, 14.) Bei sämtlichen von mir 
überhaupt beobachteten Fällen von akuter diffuser 
Glomerulonephritis, bei denen durch rezidivierende 
Hämaturien sich kundgebende Nachschübe auftraten, 
war auch das Ergebnis des Wasserversuchs mehr oder 
weniger mangelhaft. Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung 
Nr. 6, Fall Gr. Derselbe hatte bereits in der 2. Woche der 
Lazarettbehandlung einen guteu Ausfall des Wasser Versuchs 
(1771 ccm Urin in 4 Stunden). Eine Woche später wieder Auf¬ 
treten von Blutharn. Die Wiederholung des Wasserversuchs in 
der 4. Woche ergab jetzt eine starke Herabsetzung des Wasser¬ 
ausscheidungsvermögens auf 792 ccm. 

Wenn wir auch über den anatomischen Sitz der verschiedenen 
Funktionsstörungen in der Niere noch nicht hinreichend unter¬ 
richtet sind, so steht doch so viel fest, dass für die Wasser¬ 
ausscheidung ein intakter Glomerulusapparat von grosser Be¬ 
deutung ist. Andere Nierensysteme mögen bei Schädigung der 
Glomeruli zum Aufrechterbalten der Wasserausscheidung in ge¬ 
wissem Maasse kompensatorisch eintreten können. Hämaturie 
weist nicht nur auf Erkrankung der Gefässschlingen der Glome 
ruli, sondern auch der Gefässkapsel hin. Die schwersten Pro¬ 
zesse dieser Art führen zu der nach Volhard und Fahr 1 ) als 
„extrakapillär“ bezeichneten Form der Glomerulonephritis. 
Dabei kommt es zur Ausbildung der bekannten Halbmonde im 
Kapselraum und schliesslich zur Obliteration der ganzen Kapsel. 
Es ist einleuchtend, dass Prozesse, die zu solch schweren ana¬ 
tomischen Veränderungen führen können, bei der akuten diffusen 
Glomerulonephritis zu den ernsteren zu rechnen sind und daher 
begreiflich, wenn wir gerade bei diesen hartnäckig hämorrhagi¬ 
schen Fällen durchweg eine mehr oder weniger erhebliche Stö¬ 
rung der Wasserausscheidung finden. Damit steht in gutem Ein¬ 
klang, dass bei den nicht seltenen Formen von akuter Glomerulo¬ 
nephritis, die auch nach Monaten noch einen pathologischen 
Urinbefund aufweisen, gerade die lange Anwesenheit von roten 
Blutkörperchen im Harnsediment ein auffälliges und zur Vorsicht 
mahnendes Symptom ist. 

Bei 3 anderen Kranken mit verzögerter Wasserausscheidung 
Tabelle 1 Nr. 4, 13, 14, waren 4—5 Wochen vor Ausführung 
des Wasserversuchs schwere eklamptische Krampfanfälle voran¬ 
gegangen, bei den beiden letzten kamen noch rezidivierende 
Hämaturien dazu. Ein vierter Patient Bö., der ebenfalls 4 Wochen 
vor Ausführung der Funktionsprüfung schwere Krampfanfälle über¬ 
standen hatte, — wir sahen solche unter 73 Fällen von Kriegs¬ 
nephritis 4mal auftreten —, zeigte einen normalen Ausfall des 
Wasserversuchs. Es geht daraus hervor, dass mit der 
eklamptischen Form der Urämie keine lange Zeit an¬ 
haltende Schädigung der Nierenfunktion einherzugehen 
braucht. Bereits nach einigen Wochen kann das Wasser¬ 
ausscheidungsvermögen wieder normal sein. 

Von weiteren Komplikationen wäre Tabelle 1 Nr. 11 Fall 
Ca. zu nennen, bei dem eine erhebliche Arteriosklerose (Blut¬ 
druck 188 mm Hg) und eine fieberhafte Pleuritis vorlag. Bei 
Nr. 16, Fall Bi., mit der leicht herabgesetzten Wasserausschei¬ 
dung war noch ein Erisypeloid, das in Vereiterung überging, 
vorhanden. 

Die beiden Fälle Tabelle 1 Nr. 7 und 9, bei denen die 
anamnestischen Angaben über den Beginn ihrer Erkrankung nach 
dem ganzen klinischen Bild nicht zutreffen dürften, waren schon 
mehr dem chronischen Stadium einer Glomerulonephritis zuzu¬ 
rechnen. Bei beiden bestanden starke Hinfälligkeit und Anämie, 
ausgeprägte Herzhypertrophie und starke Schmerzen in der Nieren¬ 
gegend. 

Unter meinen insgesamt 73 klinisch beobachteten Kranken mit 
akuter Glomerulonephritis war bei 5, also in6,8pCt., mitSicherheit in 
früheren Jahren bereits eine ähnliche Nierenerkrankung aufgetreten. 
Nur einer von diesen (Tabelle 1 Nr. 17 Go.) wies eine ganz leichte 

1 ) 1. c. 


Störung der Wasserausscheidung auf. Er hatte seit 1908 fast 
alljährlich neue Rezidive einer akuten Nephritis. Bei einem 
anderen Fall, Be., der vor. 4 Jahren an Nierenentzündung er¬ 
krankt war, war der Wasserversuch überscbiessend. Die anderen 

3 Patienten, von denen einer vor 12 Jahren, ein zweiter vor 

4 Jahren, und der dritte vor 4 und vor 3 Jahren an Nieren¬ 
entzündung behandelt worden ist, zeigten einen normalen Wasser- 
versucb. Alle diese 5 Patienten rechneten auch bei ihrer jetzigen 
Erkrankung zu den leichteren Fällen. Es ist demnach wohl 
im allgemeinen der Schluss gestattet, dass in späteren 
Jahren rezidivierende Glomerulonephritis an sich die 
Prognose noch nicht zu verschlechtern braucht. 

Bleibt nur noch ein Fall Nr. 3, Fall Mey. von akuter diffuser 
Glomerulonephritis (anfänglicher Blutdruck 150 mm Hg, mässige 
Oedeme, Hämaturie), der in der 4. Krankheitswoche bei längst 
verschwundenen sichtbaren Oedemen, bei einem Blutdruckwert 
von 112 mm Hg, mit nur Spuren Eiweiss im Urin, daneben zahl¬ 
reichen weissen Blutkörperchen und wenigen Zylindern ein sehr 
schlechtes Resultat des Wasser- und auch des Konzentrations¬ 
versuchs zeitigte. Dieser bisher ohne weitere Komplikationen ver¬ 
laufende Fall vermochte in 4 Stunden nur 493 ccm Flüssigkeit 
auszuscheiden, in den ganzen 24 Stunden des Versuchstages nur 
1250 ccm. An den vorangegangenen Tagen schien seine Wasser¬ 
bilanz im Gleichgewicht zu sein. Doch war dies, wie wir sehen 
werden, nur eine Pseudonormalurie im Sinne von Schlayer 1 ). 
Eine 8 Tage vorher mittels einer Kochsalzzulage von 10 g an- 
gestellte Prüfung der Kochsalzausscheidung hatte ergeben, dass 
davon 7 g retiniert wurden. Wir werden daher nicht feblgehen, 
wenn wir in diesem Fall vor allem eine primäre Schädigung 
der Kochsalzausscheidung für die Wasserretention verant¬ 
wortlich machen. Die Gewichtszunahme von 2 kg nach der 
Kocbsalzzulage, wobei es nicht zu sichtbaren Oedemen kam, 
spricht ebenfalls für diese Auffassung. Eine derartige Störung 
der Kocbsalzausscheidung mag häufiger an der schlechten Wasser¬ 
ausscheidung in den Fällen von Tabelle 1 beteiligt sein. Bei 
Nr. 2, Fall Sw., wurde von mir ebenfalls eine erhebliche Koch¬ 
salzretention im Versuch nachgewiesen. 

Die Aufzeichnung der Eiweissmenge und des Gehalts an ge¬ 
formten Nierenelementen des jeweiligen Tagesharns am Versuchs¬ 
tag lässt so viel erkennen, dass wir aus diesen, früher prognostisch 
etwas überschätzten einfachen Harnuntersuchungen wohl im all¬ 
gemeinen auf eine noch nicht abgeheilte Nierenerkrankung 
schliessen dürfen. Den Grad der noch vorhandenen Funktions¬ 
störung lassen diese Befunde aber nicht erkennen. Wir sahen 
einerseits das Bestehen von starker Albuminurie, ohne dass sich 
die Niere bei der Funktionsprüfung noch als geschädigt erwies, 
andrerseits können Fälle wie Nr. 3 Mey. mit nur Spuren 
von Eiweiss im Urin eine ganz hochgradige Schädigung 
der Wasserausscheidung und des Konzentrationsver¬ 
mögens aufweisen: 

Die Blutdruck werte waren zum Teil bei den Fällen von 
Tabelle 1 zur Zeit des Wasser Versuchs noch erhöht, bei 5 Patienten 
über 140 mm Hg., bei anderen 6 Kranken normal. Bei ersteren 
dürfen wir darin wohl ein Zeichen mehr erblicken, dass der 
akute Nierenprozess noch nicht abgelaufen war. Von verschiedenen 
Autoren wird die Meinung vertreten, dass die Blutdruckerhöhung 
und die bisweileu bei längere Zeit bestehender Hypertonie sich 
entwickelnde Herzhypertrophie in gewissem Sinne einen Kom¬ 
pensationsvorgang darstellt. Die durch Erkrankung der Glomeruli 
bewirkte Kreislauferschwerung in der Niere soll durch Erhöhung 
des Filtrationsdrucks ausgeglichen werden. Dass damit noch keine 
normale Bewältigung der im Wasserversuch gereichten Flüssigkeits¬ 
menge verbunden zu sein braucht, zeigt folgende Zusammenstellung. 
Ich habe bei einer durchschnittlichen Beobachtungsdauer der 
akuten Nephritis von 4—6 Wochen unter 73 Fällen 6 mal eine 
Hypertrophie des linken Ventrikels gesehen. Von diesen Fällen 
war 2 mal der Ausfall des Wasserversuchs ungenügend (936 und 
1088 ccm) 3 mal normal und einmal überscbiessend. (2500 ccm 
Tabelle 2 Nr. 2) Fall B). 

ln der folgenden Tabelle 2 sind ebenfalls unter Berück¬ 
sichtigung der für den Versuchstag geltenden klinischen Befunde 
die Fälle von Kriegsnephritis zusammengestellt, bei denen der 
Wasserversuch überschiessend ausfiel. 

Es bandelt sich hier durchweg um leichtere Fälle von akuter 
diffuser Glomerulonephritis. Dies möge man schon daraus er¬ 
sehen, dass meist bereits in der 3. Krankheitswoche die anfangs 


1) Beihefte z. M. Kl., 1912, Nr. 9. 


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4. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


207 


Tabelle 2. 


u 

S5 

2 


Was 

vers 

ccm 

ser- 

uch 

ca 

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03 

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Blutdruck * 

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30 

CO 

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Blu 

per 

03 

O 

tkör- 

ehen 

CD 

CO 

03 

s 

Cylinder 1 

Durchschnittliche 
Urinmenge von | 
ii Tagen vor dem 1 
Wasserversuch j 

1 

Fall Re. 

2750 

1002 

1031 

3 

2. 


Spur 

0 

0 

0 

ccm 

2600 

2 

„ Be. 

2750 

1001 

1040 

4 

2. 

148 

D/4 

0 

+ 

+ 

3000 

3 

» Jo. 

2400 

100J 

1030 

4 

3. 

120 

V* 

+ 

++ 

++ 

2400 

4 

, Sk. 

2350 

1003 

1017 

2 

1. 

138 

0 

0 

0 

0 

2500 


1 Woche spät. 

1430 

1005 

1028 

3 

2. 

124 

0 

0 

0 

0 

1000 

5 

Fall Pie. 

2250 

1001 

1027 

3 

2. 

155 

Spur 

0 

0 

0 

2000 

6 

* Zie. 

2200 

1003 

1026 

3 

2. 

117 

0 

0 

0 

0 

2000 

7 

* Ma. 

2150 

1005 

1043 

3 

2. 

— 

x u 

0 

0 

0 

2250 

8 

. Kr. 

2100 

1002 

1030 

3. 

1 2. 

145 

0 

0 ! 

! 0 

0 

3700 


bei einem Teil der Fälle gar ■ nicht unbeträchtlichen Oedeme 
völlig verschwunden waren, dass in derselben Zeit der Urinbefund 
wesentlich günstiger war als bei den Fällen in Tabelle 1, die 
sich dabei schon in einer späteren Krankheitswoche befanden. 
Die Hämaturie war fast stets auch mikroskopisch nicht mehr 
nachweisbar. Dass trotzdem der akute Krankheitsprozess noch 
nicht abgelaufen war, lässt auch der in der Hälfte der Fälle 
noch erhöhte Blutdruck wert vermuten. Diese leichteste Störung 
der Was8erausscheidnng ist wohl mit Schlayer 1 ) so zu deuten, 
dass »ich die Niere so kurz nach Abklingen der akuten 
Erscheinungen, wenigstens was die Funktion der 
Wasserausscheidung anlangt, noch in einem Stadium 
der Uebererregbarkeit befindet. Nach einiger Zeit können 
sich schon ganz normale Verhältnisse einstellen, wie Nr. 4 
Fall N. zeigt, bei dem eine Woche später der anfänglich über- 
schiessende Wasserversuch normal ausfiel. Diese auf Uebererreg¬ 
barkeit der Nierengefässe zurückzuführende Polyurie kommt auch 
in der durchschnittlichen Tagesmenge der drei letzten Tage vor 
dem Wasserversuch zum Ausdruck, die bei allen diesen Patienten 
mehr oder weniger erhöht war. Wie bei allen unseren Fällen 
waren auch hier zur Zeit des Wasserversuchs die sichtbaren 
Schwellungen bereits verschwunden. Vielleicht befand sich trotz¬ 
dem der eine oder andere Kranke noch im Stadium der Aus¬ 
schwemmung latenter Oedeme. Auch eine interessante Mitteilung 
von E. Meyer 2 ) ist hier zu berücksichtigen. E. Meyer konnte 
mittels refraktometrischer Untersuchungen noch lange Zeit, wenn 
Oedeme nicht mehr sichtbar waren, das Bestehen einer aus¬ 
gesprochenen Hydrämie feststellen. Wir werden bei Besprechung 
der Ergebnisse des Konzentrationsversucbs, die bei diesem bis¬ 
weilen noch zutage tretenden Polyurie zu erwähnen haben, der 
ähnliche Ursachen zugrunde liegen dürften. 

Das Resultat des Wasserversuchs war etwa bei 17 Fällen von 
akuter diffuser Glomerulonephritis im Rekonvaleszenzstadium ein 
schlechtes, achtmal war der Wasserversuch überschiessend. Bei 
über der Hälfte der untersuchten Fälle war die Wasserausscheidung 
kurz nach Abklingen der akuten Erscheinungen eine vollkommen 
normale. Wenn wir uns erinnern, dass starker Haut- und Höhlen- 
hydrops bei der akuten Kriegsnephritis geradezu die Regel bildet, 
so lässt schon die Tatsache der meist bald wieder völlig her¬ 
gestellten Funktion der Wasserausscheidung der Niere vermuten, 
dass • extrarenale Momente, vorwiegend Kapillarschädigungen der 
peripheren Hautgefässe, an der Genese dieses Hydrops wesentlich 
beteiligt sein dürften. 

Einen gewissen Schluss anf den Grad der gestörten Konzen¬ 
trationsfähigkeit gestattet manchmal schon die Feststellung des 
spezifischen Gewichts im Stadium der Oligurie. Werden bei einer 
Herabsetzung der Urinmenge auf 300—500 ccm nicht höhere 
Werte als 1020 spezifisches Gewicht erreicht (völlige Anurie wie 
nicht selten bei der Glomerulonephritis nach Scharlach sahen 
wir nie), so liegt sicherlich eine ernstere Schädigung vor. Der 
wenigstens in unkomplizierten Fällen relativ gutartige Charakter 
der Kriegsnephritis kommt auch darin zum Ausdruck, dass der¬ 
artig schlechte Konzentrationsfähigkeit im Stadium der 
Oligurie sehr selten zu beobachten war. Häufig fand sich 
sogar in dieser Zeit ein spezifisches Gewicht zwischen 1030 und 
1040, in mehreren Fällen noch über 1040. Wie ich an anderer 


1 ) 1 . c. 

2) Kriegspathologische Tagung, Berlin 1916. G. Fischer, Jena. 


Stelle auseinandergesetzt habe, ist in solchen Fällen an das Be¬ 
stehen einer gleichzeitigen Herzinsuffizienz zu denken. Doch 
mögen auch lokale Stauungserscheinungen in der Niere, hervor¬ 
gerufen durch Behinderung des venösen Abflusses infolge der 
Nierenschwellung, in Frage kommen. Jedenfalls ist aber der 
Nierenprozess dabei von Anfang an nicht so schwerer Natur, dass 
die Konzentrationsfähigkeit,die sonst bei diffuser Glomerulonephritis 
sehr beeinträchtigt sein kann, bereits stark in Mitleidenschaft 
gezogen ist. An eine kardiale Insuffizienz muss auch gedacht 
werden, wenn im Wasserversuch die Prüfung der Verdünnungs¬ 
fähigkeit ein sehr schlechtes Resultat ergibt. Dies trifft z. B. im 
ausgesprochenen Maasse für Tabelle 1 Nr. 1 Fall Gr. zu, der, 
wie schon erwähnt, auch klinisch noch Zeichen von Herzinsufficienz 
aufwies. Hier war 1021 das niedrigste spezifische Gewicht, das 
in einer' Einzelportion des Wasserversuchs erreicht wurde. Im 
allgemeinen lassen sich durch Vergleichung der im Wasserversuch 
erreichten niedrigsten Werte des spezifischen Gewichts mit den 
maximalen Werten im Konzentrationsversuch gewisse Schlüsse 
über den Grad der erhaltenen Akkommodationsbreite zu ziehen. 
Der gesunden Niere ist je nach der Wasserzufuhr ein grosser 
Spielraum in der Produktion eines hochkonzentrierten wie eines 
stark verdünnten Urins gegeben. Andererseits wissen wir ja, 
dass sich die schwere Niereninsuffizienz der chronischen Nephritis 
in der Produktion eines stets gleichmässig etwa um 1010 spezi¬ 
fisches Gewicht konzentrierten Urin kundgibt. Die Verdünnungs¬ 
kraft war meist auch bei den von uns untersuchten 
Fällen von Kriegsnephritis so stark, dass im Wasser- 
versucb spezifische Gewichte, die an 1000 grenzten, 
erreicht wurden. Doch zeigt Tabelle 1 bei manchem Fall die 
Akkommodationsbreite der Niere mehr oder weniger deutlich ein¬ 
geschränkt. 

Eine erhebbiche Schädigung des Konzentrations¬ 
vermögens darf man annehmen, wenn im Konzentrationsversuch 
keine Einzelportion ein spezifisches Gewicht von 1025 über¬ 
schreitet. Eine derartige Schädigung liegt ausser bei dem oben 
als kompliziert durch Herzinsuffizienz erklärten Fall Nr. 1 bei 
sieben anderen Fällen von Tabelle 1 vor (Nr. 2, 3, 4, 5, 11, 
12, 15). Die maximale Konzentrationsfähigkeit war dabei auf 
1015—1022 spezifischen Gewichts herabgesetzt. Bei fünf dieser 
Kranken waren recidivierende Hämaturien vorangegangen, bei 
einem eklamptische Krampfanfälle. Für zwei dieser Fälle ist 
allerdings der Ausfall des Konzentrationsversucbs insofern nicht 
einwandfrei, als bei demselben eine erhebliche Polyurie zutage 
trat (bei Tabelle 2 Nr. 11 Fall Bö. 2540 ccm, bei Nr. 4 
Fall Ba. 2276 ccm Urin). In ähnlicher Weise ist auch bei vier 
anderen Fällen mit gutem Wasserversuch eine Polyurie von 1750 
bis 2000 ccm Urin im Konzentrationsversuch dafür anzuschuldigen, 
dass nur maximale spezifische Gewichte zwischen 1018 und 1023 
erreicht wurden. Es dürfte hier die Verabreichung der grossen 
Flüssigkeitsmenge im vorhergehenden Wasserversuch noch als Reiz 
gewirkt und eine längere Zeit anhaltende Polyurie hervorgerufen 
haben. Um eine derartige Beeinflussung zu vermeiden, wird es 
sich empfehlen, Wasser- und Konzentrationsversuch lieber an 
verschiedenen Tagen vorzunehmen. 

Im übrigen fiel der Konzentrationsversuch bei der über¬ 
ragenden Mehrzahl der Fälle sehr gut aus, auch viele Fälle von 
Tabelle 1 zeigten trotz schlechten Wasserversuchs noch ein gutes 
Konzentrationsvermögen — maximale spezifische Gewichte 
zwischen 1030 und 1045. 

Die aus dem Ausfall dieser FunktionBprüfungen zu ziehenden 
therapeutischen Konsequenzen sind klar. Wir werden das Yer- 
suchsergebnis als Richtschnur zu nehmen haben, ob für die weitere 
Behandlung des einzelnen Kranken noch Vorsicht mit der Flüssig¬ 
keitszufuhr am Platze und auf ein mangelhaftes Konzentrations¬ 
vermögen Rücksicht zu nehmen ist. Darauf soll an anderer 
Stelle 1 ) noch näher eingegangen werden. Es sei nur nochmals 
darauf hingewiesen, dass in vereinzelten Fällen erst diese 
Funktionsproben in der Rekonvaleszenz noch bestehende 
Störungen der Harnausscheidung aufdecken, die, wenn 
man sich nach dem Verhalten von Harnbefund und Blut¬ 
druck richtet, manchmal nicht mehr in diesem Maasse 
vermutet werden. Ein3 Uebersehen dieser Funktionsbeein- 
trächtigungen ist natürlich bei dann versäumter Diätbeschränkung 
von sehr ungünstigem Einfluss. Andererseits können wir für eine 
grosse Zahl von Nierenkranken bei gutem Ausfall dieser Unter¬ 
suchungen rigorosere Einschränkungen des Speisezettels fallen 


1) Zschr. f. physik. diät. Ther., 1917, Bd. 21, H. 11 u. 12. 

2 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


lassen nnd dadurch die für eine allgemeine Kräftigung so wichtige 
Ernährung erheblich abwechselungsreicher gestalten. 

Zusammenfassung: Wir fanden demnach im Rekon- 
valeszenzstadium der akuten Kriegsnephritis bei etwas 
weniger als einem Drittel der Fälle das Wasserausschei¬ 
dungsvermögen mehr oder minder herabgesetzt, die 
Konzentrationsfähigkeit war nur bei einem Achtel er¬ 
heblich beeinträchtigt. Diese Funktionspröfungen wurden in 
einem Stadium vorgenommen, in dem sich nach Bruns’ 1 ) Unter¬ 
suchungen Störungen der Stickstoffausscheidung bereits nicht mehr 
nachweisen Hessen. Auch diese im Wasser- und Konzentrations¬ 
versuch zu Tage getretene Funktionsschädigung dürfte sich bei 
einem Teil der Fälle im Laufe der weiteren Behandlung noch 
ausgeglichen haben. Da in unseren Untersuchungen auch die 
leichteren, schneller abklingenden Fälle von akuter diffuser 
Glomerulonephritis miteinbezogen sind, die in den mehr rück¬ 
wärtigen Lazaretten oft nicht mehr in demselben Prozentsatz ver¬ 
treten sind, gestatten sie gewisse allgemeine Schlüsse über den 
Charakter der Kriegsnephritis. Sie bestätigen den klinischen 
Eindruck, dass die Mehrzahl der Erkrankungen, wenn keine Kom¬ 
plikationen hinzutreten und die Patienten frühzeitig einer sach- 
gemässen Lazarettbehandlung zugeführt werden, gutartig ist. 
Getrübt wird die Prognose vor allem durch die nicht 
so seltenen Nachschübe, die in kürzeren Zwischen¬ 
räumen als recidivierender Blutharn in Erscheinung 
treten und auch bei sorgsamer Pflege bisweilen nicht vermieden 
werden. Bei diesen Fällen ergab der Wasserversuch durchweg, 
meist auch der Konzentrationsversuch ein mangelhaftes Resultat. 

Wenn die Wasserausscheidung auch nur eine Seite der Nieren¬ 
funktion darstellt und zu einem vollständigen Urteil über die 
Leistungsfähigkeit der kranken Niere noch weitere Prüfungen an- 
zuschliessen sind, so gab uns doch dieser mit io einfachen Mitteln 
auszuführende Versuch recht instruktive Resultate. Im Verein 
mit dem Ausfall des Konzentrations versuche bildet er eine wert¬ 
volle Ergänzung zur Beurteilung der Schwere des 
Einzelfalles und gibt uns wichtige Hinweise auf die 
Notwendigkeit einer weiteren Diätbeschränkung. 


Aus der II. Inneren Abteilung des Krankenhauses 
Charlottenburg-Westend (Oberarzt Dr. W. Schultz). 

Ueber orthostatische Purpura. 

Von 

Weraer Schnitz. 

Der orthostatische Charakter einer Purpuraerkrankung 
stellt ein Symptom dar, welches wohl jeden Beobachter eines 
dieser verhältnismässig seltenen Krankheitsfälle stutzig macht 
und zu Kombinationen anregt. 

Ich gebe im Folgenden die Krankengeschichte einer der¬ 
artigen Beobachtung wieder: 

Anna R., Arbeiterin, 21 Jahre, aufgenommen am 24. Januar 1917, 
entlassen am 18. März 1917. 

Anamnese: Vater an Lungenleiden gestorben. Uebrige Angehörige 
gesund. Pat. hatte als Kind Masern, will aber sonst nie ernstlich krank 
gewesen sein. Als Kind litt Pat. bisweilen an stärkerem Nasenbluten. 
Später kein Nasenbluten mehr. Menses regelmässig. Dauer 4—5 Tage. 

Am 21. Januar erkrankte Pat. mit Schwellung und einer starken 
Schmerzhaftigkeit bei Druck und Bewegungen des linken Knies und 
beider Fussgelenke. Am folgenden Tage traten rote und bläulich Flecken 
verschiedener Form und Grösse an beiden Ober- und Unterschenkeln auf, 
auch hatte Pat. etwas Fieber und Kopfschmerzen. Kurz vor der Er¬ 
krankung hatte eine starke Erkältung bestanden. Stuhl regelmässig. 
Appetit ausreiohend. Wegen genannter Beschwerden wird Pat. jetzt vom 
Arzt ins Krankenhaus geschickt. 

Status praesens: Grazil gebaute blasse Patientin. Genügender 
Ernährungszustand. An beiden Ober- und Unterschenkeln ausgebreitete 
Purpuraflecken, teils bräunlich, teils bläulich-rot von Pfennig- bis Fünf¬ 
markstückgrösse mit zum Teil hellerem Zentrum. Knöchelgegend des 
linken Fusses zeigt eine fast handgrosse bläülioh-rot verfärbte Haut- 
hämorrhagie; ferner an beiden Unterschenkeln zahlreiche kleinere 
Petechien. Das linke Kniegelenk ist geschwollen und schmerzhaft. 
Keine Fluktuation. Beide Fussgelenke ebenfalls leicht geschwollen, be¬ 
sonders das rechte, und schmerzhaft bei Bewegungen. 

Keine Hämorrhagien der siohtbaren Schleimhäute. Keine Drüsen- 
schwellungen. ZuDge, Raohen frei. 

Temperatur früh 37° C, abends 38° (rektal). 

1) 1. c. 


Gor: Nicht verbreitert, leises systolisches Geräusch. 2. Pulmonalton 
nicht aocentuiert. Puls: 84 Schläge in der Minute, der Palpation nach 
keine Druckerhöhung. 

Lungen: Keine Dämpfung. Untere Grenzen normal, verschieblich. 
Ueberall Vesikuläratmen. 

Abdomen: Leber nicht palpabel. Milz in rechter Seitenlage eben 
unterm Rippenbogen fühlbar, 11,5: 6,5. Keine Druckempfindlichkeit. 
Pupillen und Patellarrefleze: normal. 

25. I. Blutbefund: Erythrozyten 4 472 000, Hämoglobin (Sahli) 
74/82. Leukozyten 6000. Keine Nachblutung aus der Ohrstichwunde. 
Ausstrich: Reichlich Plättchen, sonst o. B. 

26.1. Temperatur 36,4—37°. Gelenkschmerzen geringer. Purpura- 
fieoken abgeblasst, gelblich. 

28. I. Epistaxis. Harnuntersuchung: Eiweiss in Spuren, Zucker —, 
Urobilinogen —, Sediment: o. B. 

29.1. Epistaxis: Gelenke frei, Purpuraflecken kaum noch sichtbar. 

2. II. Blutgerinnungszeit (Vene) 8—12 Minuten (Hohlperlenkapillar¬ 
methode bei Zimmertemperatur), also normal. 

3. II. Milz nicht mehr palpabel. 

4. II. Nach Rückgang der Hauterscheinungen Aufstehen. Sofort 
wieder Schmerzen im rechten Fussgelenk und Auftreten von 
neuen Petechien am Unterschenkel. 

6. II. Gelenke frei. 

7. II. Augenhintergrund: o. B. 

10. II. Naoh erneutem Aufstehen wieder zahlreiche Hä¬ 
morrhagien an beiden Unterschenkeln. Zahnfleisch ohne Besonder¬ 
heiten. 

11. II. Milz: 9,0 6,3. Blutausstrich: Differentialzählung: Poly¬ 
nukleäre 63,6 pCt., Lymphozyten 28,2 pCt. (davon 4,7 pCt. Plasmazellen), 
Monozyten 6 pCt., Eosinophile 1,2 pCt., Megakaryocyten 0,6 pCt., Türkische 
Reizungszellen 0,3 pCt. Plättchen: 634 500. 

12. II. Es wird eine venöse Stauung am rechten Arm ange¬ 
legt. Danach ganz vereinzelt Peteohien und diffuse Rötung im 
Stauungsgebiet, die sich durch intraoutane Adrenalininjektionen 
(3 Teilstriche) nicht beseitigen liess. 

Ein kräftiger Schlag mit dem Perkussionsbammer auf das Sternum 
bat keine Blutung zur Folge. 

14. II. Epistaxis. Milchkaffeeartige Verfärbung der Haut 
am gestauten Arm, die unmittelbar unter der Einschnürung 
beginnt. Distalwärts unterhalb des Ellenbogengelenks nimmt die Ver¬ 
färbung der Haut rasch ab. Durch Streichen oder Kompression lässt 
sich die Verfärbung nicht beseitigen. Die Farbe des Stauungsbezirkes 
stimmt gut mit den an den Unterschenkeln noch befindlichen Resten 
der Flecken überein, die nach Aufstehen neu auftraten. 

20.11. Von 7—8 Uhr Strammstehen. Danach an den Beinen 
hellrote Flecke, die das Niveau der Haut kaum überragen, aber dem 
Finger den Eindruck einer leichten Infiltration machen. Sie finden sich 
vorzugsweise in der Gegend der Knien beiderseits, verlieren sich an den 
Oberschenkeln nach oben und nach unten bis etwa zum oberen Drittel 
des Unterschenkels. 

22. H. Es finden sich noch vereinzelte Blutflecken an der Vorder¬ 
fläche des linken Fussgelenks. Desgleichen rechts und links neben der 
Achillessehne. Im Stehen treten die Flecken ein wenig über das Niveau 
der Haut. 

1. III. Pat. beginnt aufzustehen. 

6. III. Wiederholt erbrochen. 

8. III. Epistaxis. Minimale Erythrozytenresistenz (nach Ham¬ 
burger) 0,42 pCt. NaCl (normal). 

10. III. Nach Aufstehen keine Petechien mehr. Noch Epistaxis. 
Wohlbefinden. 

18. III. Geheilt entlassen. 

Nachuntersuchung am 8. VIII. 1917. Nach der Entlassung aus 
dem Krankenhaus stets gutes Befinden. Niemals Blutungen, speziell 
auch keine Epistaxis. Niemals Magendarmerscheinungen. Zunächst hielt 
sich die Pat. einige Wochen bei der Mutter auf, arbeitete dann als 
Heimarbeiterin (Strumpfwarenfabrikation). Seit dem 8. IV. ihrer Angabe 
nach gravide. 

Status: Pat. sieht gegenüber dem Entlassungsbefund weiter be¬ 
kräftigt aus, und hat zweifellos an Gewicht zugenommen. Die Gesichts¬ 
farbe ist der Norm entsprechend. Lippen und Schleimhäute ebenfalls. 
Keinerlei Hautblutungen. Keine abnormen Lymphdrüsenschwellungen. 

Warzenböfe braun tingiert, auf Druck kommt etwas Colostrum. 

Beiderseits Spur Tibiaödem (zirkuläre Strumpfbänder!). 

Pulmones: Lungen-Leberrand an der VI. Rippe. Atemgeräusch 
rechts oben ein wenig schärfer als links. Bei sehr lauter Perkussion 
linke Spitze etwas höher als rechts, bei leiser keine Differenz. 

Thorax-Röntgenbild: Strangförmige Verschattungen, die vom 
rechten Hilus in diejrechte Spitze ziehen. 

Gor: [Schwaches systolisches Geräusch an der Mitralis. Leicht ge¬ 
spaltener und etwas accentuierter II. Pulmonalton. 

Perkussion nach rechts normal, nach links wegen der stark ent¬ 
wickelten Mamma^nicht sicher möglich. Keine Herzvergrösserung nach 
dem Röntgenbefund. Milz: in Rückenlage nicht fühlbar, in Seitenlage 
ebenso, perkutorisch nicht abgrenzbar. Fundus uteri: im oberen Drittel 
zwischen Symphyse und Nabel. Reflexe: Patellarreflexe beiderseits vor¬ 
handen. Pupillenreflexe beiderseits normal. Urin: Albumen —, Sac- 
charum —, Sediment o. B. 

Blut: Blutungszeit (Ohrstich) normal. Blutgerinnungszeit: (Vene, 


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4. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


209 


Zimmertemperatur) 14 Min. +,15 Min. +++ (normal). (Hohlperlen- 
kapillarmetbode). Retraktilität des Blutgerinnsels normal. Hb. (Sahli) 
70 pCt. (unkorrigiert). Rote: 4 270 000. Weisse: 9400. Plättchen 
356 900. Differentialzählung: Polynukleäre 80 pCt., Lymphozyten 12pCt., 
Mononukleäre 7 pCt., Eosinophile 1 pCt. 1 ). 

Kurs zusammengefasst handelt es sich um den Krank¬ 
heitsfall einer 21jährigen, väterlicherseits mit „Lungenleiden“ 
belasteten Arbeiterin, die, angeblich im Anschluss an eine Er¬ 
kältung, zunächst mit Gelenkschwellungen and Gelenk¬ 
schmerzen im^Bereiche beider Beine erkrankt. Tags darauf 
stellen sich Hauthämorrhagien, ebenfalls im Bereiche 
der Unterextfemitäten ein. Der Verlauf ist nur anfangs 
leicht febril (gemessen bis 38° C. rektal). Vom 5. Krankheits¬ 
tage ab liegt die Temperaturkurve nahezu ständig normal. Die 
Krankheit, welche bezüglich des Blutverhaltens den Charakter 
der anaphylaktoiden Purpura (siehe unten) zeigt, verläuft 
in Schüben, deren charakteristisches Merkmal ihre Abhängig¬ 
keit von der aufrechten Körperhaltung ist. Wiederholt 
kommt Nasenbluten zur Beobachtung. Auch mehrfaches Er¬ 
brechen ist bemerkt. Nach nicht ganz 2 Monaten tritt völlige 
Genesung ein, die eine Bestätigung in der Nachuntersuchung 
nach 4 2 / 8 Monaten erfährt. Gleichzeitig deckt diese aber ein 
tuberkuloseverdächtiges Röntgenogramm des rechten 
Lungenhilus und der rechten Spitze auf. 

Nosologisch imponiert der Pall in seinen wesentlichen Zügen 
als Peliosis rheumatica (Schönlein). Wir sind uns dabei 
bewusst, dass uns die unvollkommene Ueberlieferung dieses 
Krankheitsbildes nur die Feststellung der Kongruenz in groben 
Zügen erlaubt. Schönlein’s allgemeine und spezielle Patho¬ 
logie und Therapie ist nach dessen Vorlesungen nicht von ihm 
selbst, sondern von „einigen seiner Zuhörer“ niedergeschrieben 
• und herausgegebenen und von Schön lein, soweit die Ueber¬ 
lieferung reicht, nicht in allen Teilen gebilligt. 

Die Komplikation mit Nasenbluten berechtigt nicht, den 
Fall in die Purpura haemorrhagica einzureihen, die ausser mit 
Hauthämorrhagien mit solchen der Schleimhäute und inneren 
Organe verläuft und zur Gruppe Morbus maculosus Werlhofii 
nach der weiter unten aufgeführten Einteilung gehört. Eher 
noch kann man aus dem vorübergehenden Auftreten von Er¬ 
brechen eine nähere Beziehung zur Purpura abdominalis (Henoch) 
konstruieren, bei der nach v. Dusch und Ho che 2 ) auch Nasen¬ 
bluten, wenn auch nur ausnahmsweise, vorkommt. Die Charakte- 
ristica dieser Form sind ausser Purpura der Haut und Gelenk¬ 
erscheinungen: Erbrechen, blutige Stühle und Koliken, zusammen 
oder einzeln auftretend. Das Vorkommen solcher scheinbaren 
Uebergänge und Mischformen zwischen den verschiedenen Purpura¬ 
erkrankungen veranlasste ältere Autoren, eine umfassende Ein¬ 
heit der verschiedenen Formen anzunehmen. Einer der besten 
Kenner und erfahrensten Aerzte auf diesem Gebiet, Litten 8 ), 
steht noch in seiner Darstellung vom Jahre 1903 auf dem Stand¬ 
punkt, dass es sich bei den einzelnen Purpuraerkran¬ 
kungen, von denen er die Hämophilie und den Skorbut ab¬ 
trennt, „lediglich um gleiche, nur graduell verschiedene, d. h. 
auf der Intensität beruhende Erkrankungen handelt“. Trennen 
wir aus seiner Darstellung die Möller-Barlow’sche Krankheit 
heraus, so haben wir in der restierenden Gruppe das strittige 
Gebiet vor uns. 

Gegen diese unitarische Auffassung ist nun von gegnerischer 
Seite Front gemacht und ausgeführt, dass Uebergänge und Misch¬ 
formen noch kein Beweis für die Identität der Krankheitsformen 
in pathogenetischer Beziehung sind. 

Die neuere Forschung rückt wenigstens die Peliosis 
rheumatica und die Purpura abdominalis nahe zusammen. 
Hutinel 4 ) teilt die „idiopathischen“ oder „primitiven“ Purpura¬ 
erkrankungen ein in: 1. Purpuras rhumatofdes; 2. Purpuras 
infectieux; 3. Maladie de Werlhof. 

Zu den Purpuras rhumatoides gehört die Peliosis 
rheumatica (Schönlein). Auch von Fällen, in denen 
gastrointestinale Symptome die Szene beherrschen, ist 
die Rede — es handelt sich also um unsere Purpura abdo¬ 
minalis —, jedoch wird der Name Henoch’sche Purpura in 
Frankreich für eine andere Form, die „Purpura infectieux fou- 
droyant“ reserviert. 


1) Anmerkung bei der Korrektur. Nach brieflicher Mitteilung am 
3. I. 1918 normaler Partus. 

2) v. Dusch und Hoche, Festschrift für Henoch. Berlin 1890. 

3) Litten, Die deutsche Klinik. IH. 1903. 

4) Hutinel, Maladies des enfants. Paris 1909, T. II. 


In Deutschland fallen sowohl Peliosis rheumatica wie 
Purpura abdominalis nach der neuen auf Eduard Krauss 1 ) 
zurückgreifenden Glanzmann’schen 2 ) Einteilung gemeinsam in 
die Gruppe der anaphylaktoiden Pnrpura, die Glanzmann 
im Gegensatz zur Gruppe: Morbus maculosus Werlhofii setzt. 
Die „chronisch intermittierende Form“ der anaphylaktoiden Pur¬ 
pura hat nach ihm folgende Unterabteilungen: a) Purpura Sim¬ 
plex; b) Purpura urticans erythematosa; c) Purpura mit Oedemen; 
d) Purpura mit Gelenkerscheinungen; e) Purpura mit Poly¬ 
neuritis; f) Purpura mit intestinalen Blutungen und Ko¬ 
liken; g) Purpura mit Albuminurie und hämorragischer Ne¬ 
phritis. 

Auf die Berechtigung der Aufstellung des Begriffs der ana- 
phylactoiden Purpura soll hier nicht eingegangen werden. 
Die kontroversen Punkte treten in der Diskussion zwischen 
Bessau und Glanzmann 8 ) zutage. Glanzmann’s Vorstellung 
fusst auf Analogien zwischen den Purpuraerkrankungen einer¬ 
seits und Erscheinungen der Serumanaphylaxie und Serumkrank¬ 
heit andererseits, die, wie zuletzt H. Widmer 4 ) gezeigt hat, 
mit Purpuraausbruch einbergehen kann. 

Der Begriff der anaphylaktoiden Purpura setzt in erster 
Linie eine infektiöse Ursache voraus, umfasst aber noch 
andere Möglichkeiten, die nach der Seite des nicht bakteriellen 
Antigens liegen. Ihre blutphysiologischen Characteristica 
sind: Normale Blutungszeit (durch Abtupfen mit einem Fliess¬ 
papierstreifen an der Ohrstichwunde geprüft), normale Blut¬ 
gerinnungszeit (Vene), normale Retraktion des Blut¬ 
gerinnsels. Morphologisch werden angegeben: Neigung zu 
leichten neutrophilen Leukocytosen und Eosinophilie. Myelo¬ 
zyten, Metamyelozyten und Normoblasten könne Vorkommen. In 
vielen Beobachtungen sind nennenswerte Abweichungen des Blut¬ 
bildes von der Norm überhaupt nicht gefunden. Die Eosino¬ 
philen fehlten in einem Falle Allarias (zit. nach Glanzmann). 

In den typischen, chronisch intermittierenden Fällen besteht 
Vermehrung der Plättchen, in akuten und fulminanten 
Fällen Verminderung, aber nie so hochgradig wie beim Morbus 
Werlhofii, für den die Plättchenarmut das am meisten charakte¬ 
ristische Blutsymptom darstellt. 

Die nosologische Stellung meines Falles dürfte hiermit 
genügend klar Umrissen sein. 

Es sind nun einige Einzelheiten der von mir mit¬ 
geteilten Beobachtung näher zu erörtern. Der Blutbefund 
weicht von den für die anaphylaktoide Purpura als charakte¬ 
ristisch angegebenen Punkten nicht ab. Die Plättchen waren 
vermehrt. Die Erythrozytenresistenz, die allerdings erst 
in einem vorgerückten Krankheitsstadium (47. Tag) untersucht 
wurde, erwies sich als normal. Die minimale Grenze lag nach 
der Hamburger’schen Blutkörperchenmetbode bei 0,42 pCt. 
CINa. Silbermann 8 ) fand in zwei Fällen von Henocb’scher 
Purpura abdominalis Herabsetzung der Erythrozytenresistenz. Die 
Feststellungen wurden aber nach den jetzt nicht mehr in Ge¬ 
brauch befindlichen Methoden von Maragliano vorgenommen. 
Bei der Peliosis rheumatica sind mir Erythrozytenresistenzbestim¬ 
mungen bisher nicht begegnet. 

Im Mittelpunkt des Interesses steht der orthostatische 
Charakter der Hautpurpura. Dreimal wurde nach Aufstehen 
das Neuauftreten der Blutflecken beobachtet, beim ersten Male 
verbunden mit erneuten Gelenkschmerzen. Dass es im wesent¬ 
lichen die aufrechte Körperhaltung war, welche das Phänomen 
bewirkte, und nicht das Aufstehen überhaupt, zeigte die beim 
3. Versuch erhobene Feststellung, dass einstündiges Stramm¬ 
stehen genügte, um es auftreten zu lassen. Für die Erklärung 
der Pathogenese gibt uns der Armstauungsversucb einen wich¬ 
tigen Fingerzeig. Am 12. Februar wurde am rechten Arm kurze 
Zeit eine venöse Stauung angelegt. Im Stauungsgebiet trat 
eine diffuse Rötung, besonders in der der Binde peripherwärts 
benachbarten Partie auf, nur ganz vereinzelte kleinste „Floh- 
stich“-Blutungen waren makroskopisch erkennbar. Es ist anzu- 
nehmeo, dass diese Rötung neben Ektasien aus zahllosen kapillären 
und der Diapedesegrenze nahestehenden feinsten Blutungen unter¬ 
halb der makroskopischen Sichtbarkeit bestanden hat. Dies be¬ 
weist einmal ihre Konstanz, weiterhin aber ihre Umwandlung 
im milchkaffeefar benes Aussehen. Es handelte sich dem- 


1) Eduard Krauss, Inaug.-Diss. Heidelberg 1883. 

2) Glanzmann, Jb. f. Kindhlk., 1916, N. F. 83. 

3) Bessau, Jb. f. Kindhlk., 1916, Bd. 84, ebenda: Glanzmann. 

4) H. Widmer, M. Kl., 1917, Nr. 39. 

5) Silbermann, Festschrift für Henoch. Berlin 1890. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. ö. 


oach um ein hämorrhagisches „Pseudoery,them Ein ähn¬ 
liches Verhalten wiesen die zuletzt orthostatiech entstandenen 
Flecken der Beine auf. 

Ich ziehe hieraus den Schluss, dass die pathogenetische 
Ursache der Blutungen in einer allgemeinen Blutgefäss¬ 
schädigung, insbesondere Irresistenz derGefässe gegen 
natürliche und künstliche Stauung zu suchen ist, der 
in meinem Falle zuletzt im wesentlichen capillare 
Gefässabschnitte, auf der Höhe der Erkrankung wohl 
aber auch etwas grössere Gefässkaliber unterlagen. 

Bemerkenswert ist noch, dass am Tage des erfolgreichen 
Stauungsversnchs ein kräftiger Perkussionshammerschlag auf 
das Brustbein bei der Patientin keine Hämorrhagien ver¬ 
ursachte, wie wir dies in ausgedehntem Maasse bei einem überaus 
starke Plättchenarmut zeigenden Fall von symptomatischen Morbus 
Werlhof bei akuter myeloischer Leukämie sahen. 

Ich verlasse nun die Besprechung meines Falles und wende 
mich der Literatur zu. 

Bei älteren Autoren auf orthostatisohe Purpura zu fahnden, ist 
schwierig, weil die Klassifikation früher noch weniger geklärt war als 
heute und infolge fehlender Blutbefunde auoh nicht genügend rekon¬ 
struiert werden kann. Nach einer Notiz von Scheby-Buch 1 ) (1874) 
war aber bereits von Sohönlein, Fuchs, Hebra, Niemeyer u. a. 
hervorgehoben, dass bei Peliosis rheumatioa Purpura nach Auf- 
stehen auftrat. Scheby-Buch macht für 6 Fälle seiner Sammlung im 
Kapitel „Purpura haemorrhagica mit Gelenkaffektionen“ auf ein solches 
Verhalten aufmerksam. Meines Erachtens würde man diese Fälle heute 
zur Purpura abdominalis (Henoch) rechnen. Io den Fällen von Purpura 
haemorrhagica ohne Gelenkaffektionen“ fand sich keine Notiz darüber. 

Bemerkenswert sind 2 Fälle von Scbeby-Buoh, in denen von 
orthostatisoh auftretender Urticaria die Rede ist, einer Eigen¬ 
tümlichkeit, die der Urticaria bekanntlich sonst fehlt. Der erste Fall 
gehört nach diesem Autor zur Purpura haemorrhagica mit Gelenkaffektkmen. 
Im zweiten, allerdings nicht genügend eingehend beschriebenen, soll 
Purpura haemorrhagica ohne Gelenkaffektionen Vorgelegen haben. 

Von neueren deutschen Autoren fand ich nur eine Mittei¬ 
lung, deren Titel sich mit dem von mir gewählten berührt. Sie 
behandelt orthostatiscbe Symptome bei Purpura mit 
Tuberkulose hereditär belasteter Kinder, die auf der Ab¬ 
teilung Baginsky’s behandelt und 1908 von Max Wolf 2 ) 
publiziert worden sind. 

Die Beobachtungen betreffen 8 Kinder: einen 9 jährigen 
Knaben, ein 12 jähriges Mädchen und einen 11jährigen Knaben. 
In allen 3 Fällen handelt es sich klinisch um Henoch'sehe 
Purpura abdominalis. Feststellungen über Plättchen, ßlut- 
gerinnungszeit und Blutungszeit fehlen allerdings. Hereditäre 
Belastung liegt in jedem der 3 Fälle vor. In 2 der Fälle 
konnten keine einwandfrei für Tuberkulose verdächtigen Symptome 
naebgewiesen werden. Im Falle des 12 jährigen Mädchens traten 
nach 5 mg Tuberkulol-Merck lokale und Allgemeinerscheinungen 
auf. Rechts hinten in der Fossa supraspinata wurden Schall- 
verkürzung und verlängertes Exspirium nachgewiesen. Keine 
Tuberkelbacillen im schleimig-eitrigen Auswurf. Der Verlauf der 
Krankheit ist in allen 3 Fällen durch das Neuauftreten von 
Purpuraerscheinungen nach Aufstehen gekennzeichnet. Im 
letzten der 8 Fälle wurde bei einer Blutentnahme die Einstich¬ 
stelle der Vena mediana cubiti mit einer zu fest gewickelten 
Binde statt eines Pflasters gedeckt. Am nächsten Morgen be¬ 
steht „bis zur oberen Verbandgrenze dichte Purpura an der 
Streckseite des Unterarmes und des Handrückens. Die Hand ist 
rechtwinklig im Wurzelgelenk fixiert, die Finger gestreckt. Die 
Beugeseite des Unterarmes ist io ihrem unteren Drittel von einer 
undeutlich fluktuierenden, diffusen Schwellung eingenommen 1 *. 

Wolf gelangt zu der Ansicht, dass es sich bei diesen Er¬ 
krankungen um eine Insuffizienz der kleinsten Gefässe dem Blut¬ 
druck gegenüber handeln muss, deren Ursache er mit der hereditär¬ 
tuberkulösen Konstitution der Patienten in Beziehung bringt. Er 
stützt sich auf die Analogie mit der orthostatischen Eiweiss¬ 
ausscheidung aus der Niere, welche ein französischer Forscher 
für ein prätuberkulöses Symptom erklärt, eine Anschauung, 
die auch in Deutschland Anhänger gefunden hat. 

Wolf erinnert weiterhin an die Beziehungen zwischen Pur¬ 
pura und Erythema nodosum und letzterer Affektion und 
Tuberkulose. Hildebrandt (cit. nach Wolf) will in einem 
Falle von Erythema nodosum Tuberkelbacillen nachgewiesen 
haben. 


1) Scheby -Buoh, Arch. f. kl. M., 1874, Bd. 14. 

2) Max Wolf, Arch. f. Kindhlk., 1908, Bd. 47. 


Weiter ist der Fall Gossner’si) anzuführen, der bei einem 
an einseitiger Genitaltuberkulose leidenden Grenadier 
orthostatisch auftretende Purpura sah, die nach der Kastration 
verschwand. Der erste Purpuraausschlag entwickelte sich unter 
Diarrhoen und Schmerzen im Grundgelenk der rechten grossen 
Zehe. 

Aus der französischen Literatur führt Hutioel für die 
Gruppe der Purpuras rhumatoides aus: Es scheint, als 
ob sie orthostatisch ist. Hutinel meint, dass eine Beob¬ 
achtung von Mosny und Har vier eine ätiologische Deutung 
liefert, die in einer grossen Zahl von Fällen Geltung haben 
könnte. Diese Autoren haben eine P. rheumatica in einem Falle 
einer beginnenden Tuberkulose beobachtet. Sie injizierten Tuber¬ 
kulin, und auf jede Injektion folgte ein Purpuraaus¬ 
bruch. Vielleicht ist hiernach eine gewisse Zahl von Pseudo- 
rbeumatismen mit Purpura als tuberkulöser Pseudorheumatismus 
anzusprechen, lautet Hutin eis Folgerung. Zu bemerken ist in¬ 
dessen, dass die angeführte Beobachtung von Mosny und Harvier 
bisher vereinzelt dasteht und Bestätigung verdiente. 

Von besonderem Interesse sind noch Beobachtungen Grenet’s 2 ), 
welche Lumbalpunktionen berücksichtigen. Von diesen betraf Fall 3 
einen Tuberkulösen, bei dem wiederholt kleine Blutflecken an 
den Unterextremitäten auftraten, wenn er aufstand. Im Lumbal¬ 
punktat: Zahlreiche Lymphozyten und Mononukleäre. 

Im 4. Fall, ebenfalls eines Phthisikers mit Purpura von 
orthostatischem Charakter fand sich Lymphozytose des Lumbal- 
punktates und starke Eiweisstrübung des Liquors bei Erhitzen und 
Essigsäurezusatz. Diese Beobachtungen korrespondieren mit der An¬ 
nahme aDderer französischer Forscher (Couty, Faisans), welche für 
das Zustandekommen der Purpura dem Centralnervensystem (Sympathious, 
Rückenmark) eine vermittelnde Rolle eingeräumt wissen wollen. 

Nach den Ergebnissen meiner Beobachtung und denjenigen 
der Literatur, die indessen noch sehr klein an Zahl sind, liegt 
die ätiologische Erklärung nahe, dass es sich bei der ortho- 
statischen Purpura Tuberkulosebelasteter um eine Manifestation 
einer latenten, scheinbar inaktiven Tuberkulose handelt. Die von 
Hutinel zitierte Beobachtung von Mosny und Harvier vor 
allem würde hierfür sprechen. Allein sie steht vereinzelt da, 
und im Wolf’schen Fall verursachte Tuberkuloi keinen Purpura¬ 
ausbruch. Eine andere Möglichkeit wäre die, dass ein Accidens 
unbekannter, infektiöser oder allgemeiner gesagt „anaphylaktoider 11 
Natur, Purpura herbeiführt, während eine latente Tuberkulose 
dem Ablauf der Erkrankung eine bestimmte Note gibt. 

Aus meiner Zusammenstellung ist ersichtlich, dass besonders 
mit Gelenksymptomen eiuhergehende Fälle von anaphylaktoider 
Purpura ein orthostatisches Verhalten zeigen. Ob dies seine 
Deutung dadurch finden kann, dass die Gefässe, welche die Ge¬ 
lenke versorgen, einer ähnlichen Art von Irresistenz gegen 
Stauung unterliegen wie diejenigen der Haut, müssen weitere Er¬ 
fahrungen lehren. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Gelenk¬ 
ergüsse blutige sind. Jedenfalls zeigte sowohl mein Fall, wie 
diejenigen Wolf’s, ebenfalls Abhängigkeit der Gelenksymptome 
von der aufrechten Körperhaltung. 

Für die Behandlung der Peliosis rheumatica ist Bettruhe 
erforderlich. Zur Vermeidung der Purpurarecidive ist beim Auf- 
stehen die Bindenein Wickelung der Beine zu empfehlen. C. Koch 8 ) 
will nach warmen Bädern neue Purpnraeruptionen haben auf- 
treten sehen, eine Bemerkung, 1 die Beachtung verdient. 

Was die medikamentöse Therapie betrifft, so wurde in 
meinem Falle, abgesehen von gelegentlichen kleinen Aspirin- oder 
Pyramidongaben, vom 28. Krankheitstage ab Sol. Fowleri ge¬ 
geben, beginnend mit 3 mal 1 Tropfen, jeden zweiten Tag steigend 
bis 3 mal 10 Tropfen, dann abwärts bis 3 mal 2 Tropfen. 

Ueber die Anwendung eigentlicher Haemostyptica drückt 
sich schon Wolf sehr skeptisch ans. Er hält sie für kontra¬ 
indiziert, da ihr Einfluss auf der Kontraktion der Gefässmus- 
kulatur beruht und durch die Verengerung - des Strombettes den 
Blutdruck nur noch mehr steigert. „Ein Versuch der Ver¬ 
abreichung von Secale cornutum hatte auch die theoretisch voraus- 
gesehene Wirkung. Starke Blutausscheidung im Urin, beträcht¬ 
liche Störung des Allgemeinbefindens und Fieber war der Erfolg.“ 
„Der gleiche Erfolg ist auch von Hydrastis canadensis und den 
Nebennierenpräparaten zu erwarten.“ Ich kann dies nach der 
Seite der praktischen Erfahrung insofern bestätigen, als ich in 
einem Falle von Masern am Tage nach einer Adrenalin- 


1) Gossner, M.m.W., 1902, Nr. 11, S. 451. 

2) Grenet, Gazette des höpitaux, 1904, S. 868. 

3) G. Koch, Jahrb. f. Kinderhlkde., 1890, Bd. 80. 


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4. Mir* 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


211 


injektion das Exanthem hämorrhagisch werden sah. 
Das Adrenalin hat das Hämorrhagisch werden des Ausschlags also 
entweder nicht verhütet oder direkt hervorgerufen. Die Analogie 
passt insofern, als der hämorrhagische Masernausschlag noch 
verhältnismässig ungezwungen als anaphylaktoides Phänomen ge¬ 
deutet werden kann. Vermutlich handelt es sich um eine Addition 
von Giftwirkungen. 

Im übrigen muss die Therapie als noch ziemlich proble¬ 
matisch bezeichnet werden. Da wir nicht bestimmt wissen, 
welcher Faktor als Agent provocateur der „Anaphylaxie 11 , wenn 
wir dem Gedankengang Glanzmanns folgen, für unsere Purpura¬ 
fälle verantwortlich zu machen ist, so kommen therapeutisch 
lediglich Substanzen in Frage, die nach dieser Richtung einen 
unspesifischen Schutz gewähren, also Pepton, artfremdes 
Serum, z. B. Pferdeserum in Dosen von 10—20 ccm, am besten 
intravenös. Pepton wird nach Nolf 1 ) als 5 proz. Witte-Pepton¬ 
lösung in 0,5 proz. Kochsalzlösung appliziert: Pepton (Witte) 5,0, 
Natriumchlorid 0,5, Aq. dest. ad. 100,0. Dosis: 4—10 ccm, 
subkutan. 

Aber auch intravenöse Applikationen von menschlichem Blut 
oder Serum sind zu versuchen. Eine echte „Desensibilisierung“ 
könnte unter Berücksichtigung des früher Ausgeführten wohl 
nur unter besonderen Voraussetzungen durch eine sehr vorsichtige 
Tuberkulinkur in Fällen erstrebt werden, für deren Pathogenese 
eine Tuberkulose supponiert wird. 


Ueber .'den Rückgang der Alkoholisten- 
aufnahmen in den Anstalten seit dem Kriegs' 
beginn. 

Von 

Geh. Sanitätsrat Prof. Dr. Peretti- Düsseldorf-Grafenberg. 


ln den ersten Monaten naoh dem Ausbruch des Krieges fiel es aaf 
dass bei den in die hiesige Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Auf¬ 
genommenen seltener als bis dahin in den für die Statistik vorge- 
sohriebenen Zählblättchen das Zeichen „P“ anzumerken war. Im Ver¬ 
lauf des Krieges nahm dann die Verhältniszahl der aufgenommenen 
Trinker mehr und mehr ab. In der folgenden Tabelle sind die bezüg¬ 
lichen Zahlen aus den beiden letzten Jahren vor dem Krieg und aus 
den 2*/* Kriegsjahren August 1914 bis Januar 1917 aufgeführt und auoh 
für die Wehrpflichtigen und die Nichtwehrpflichtigen getrennt. Die Zahl 
der alkoholsüchtigen Frauen_war für eine Verwertung zu gering (Tabelle). 


Männeraufnahmen in Grafenberg. 


August 
bis Juli 

Sämtliche 

Aufnahmen 

Darunter 

Alkoholisten 

pOt. 

ünter 

45 Jahren 

Darunter 

Alkoholisten 

pCt. 

Ueber 

45 Jahren 

Darunter 

Alkoholisten 

pCt. ‘ 

1912/13 

466 

119 

25,5 

351 

79 

22,2 

115 

40 

34,8 

31,3 

1913/14 

471 

115 

24,4 

337 

73 

21,7 

184 

42 

1914/15 

407 

62 

15,2 

307 

42 

13,7 

100 

20 

20,0 

1915/16 

622 

59 

9,5 

532 

42 

7,9 

90 

17 

18,9 

August 1916 
bis Januar 1917 

311 

24 

7,7 

261 

14 

5,4 

50 

10 

20,0 


Es lag nahe, weiter die Frage zu prüfen, ob und inwieweit ins. 
besondere die direkt auf Alkoholmissbrauch beruhenden akuten Geistes 
krankheiten abgenommen haben. Darüber gab für die Zeit bis Ende 
März 1917 der Verwaltungsbericht über die 8 Rheinischen Provinzial- 
Heil- und Pflegeanstalten einigen Aufsohluss. In diesen kamen von 
eigentlichen Alkoholpsychosen (Delirium, Hallucinose, abnorme Rausch¬ 
zustände) zur Aufnahme: 


im Rechnungsjahr 1912/13 unter 2638 

Männern 

183 d. 

i. 7,0 pCt. 

w w 1913/14 „ 2433 

n 

184 d. 

i. 7,6 „ 

„ „ 1914/15 „ 2639 

n 

162 d. 

i. 6,1 * 

„ „ 1915/16 , 2889 


77 d. 

i. 2,7 „ 

„ „ 1916/17 „ 2552 

■ » 

38 d. 

i. 2,5 „ 


Das Rechnungsjahr 1914/15 mit seinen 8 Kriegsmonaten brachte 
also bereits eine merkliche Abnahme, die im 2. Kriegsjahre dann auf¬ 
fallend in die Erscheinung trat. 

Die Anstalt Grafenberg allein bot insofern ein günstiges Vergleiohs- 
material, weil auf Grund eines mit der Stadt Düsseldorf abgeschlossenen 
Vertrags seit 1912 alle solohe Personen der Anstalt von der*Polizei vor¬ 
läufig zugeführt werden, die in einem Zustande von Bewusstseinstrübung 


1) Nolf und Herry, Revue de mtdeoine, 1909. 


oder Erregung betroffen werden und hilfsbedürftig erscheinen. Unter 
diesen befinden sich natürlich zahlreiche Alkobolkranke, aber auch ein¬ 
fach Betrunkene. Für Grafenberg stellen sich nun die Zahlen für die 
Alkoholpsyohosen und die Rauschzustände 

in dem Rechnungsjahr 1912/18 unter 500 Männern auf 85 d. i. 17 pCt 


» » 

91 

1918/14 . 

480 „ 

,, 84 d. i. 17,5 


V 

1914/15 , 

419 

* 53 d. i. 12,6 

yi fi 

» 

1915/16 . 

535 „ 

„ 15 d. i. 2,8 

fi » 

Jl 

1916/17 , 

678 „ 

* 14 d. i. 2,1 


Vor allem sind hier die Fälle von Delirium tremens fast ganz ge- 
sohwunden. In der Zeit von August bis Juli waren es 


1912/13 

34 oder 7,8 pCt. 

1913/14 

28 „ 

5,9 ff 

1914/15 

20 n 

4,9 ff 

1915/16 

2 „ 

0,3 „ 

Von Aug. 1916 
bis 31. Januar 1917 

1 „ 

0,3 ff 


Aehnliche Erfahrungen hat man in anderen Grossstädten gemacht. 
Römer 1 ) beobachtete im Hamburger Krankenhaus St. Georg im August 
1914 einen plötzlichen Abfall der Alkoholistenaufnahmen. Während 
1913 wegen Trunkenheit, Alkoholdelirien, Alkoholneuritis und chroni¬ 
schem Alkoholismus 456 Männer aufgenommen wurden, waren es 411 
im Jahr 1914 und nur 157 in der ersten Hälfte des Jahres 1915. 

Die Münchener Irrenanstalt Eglfing, in der sich ebenfalls sohon 
in den ersten 5 Kriegsmonaten ein grosser Rückgang der Aufnahmen 
wegen Alkoholismus bemerkbar machte, hatte 1913 unter 288 männ¬ 
lichen Aufnahmen 15,6 pCt. Alkoholpsychosen, 1915 unter 308 nur 
5,5 pCt. Auoh aus der Münchener psychiatrischen Klinik berichtete 

Weiler in der Jahresversammlung abstinenter Aerzte im September 
1916, dass die Alkoholerkrankungen bedeutend abgenommen hatten. 

Nach den Jahresberichten der städtischen Heilanstalt in Breslau 
stellten sich dort die wegen Delirium tremens, Alkoholhalluoinose, ein¬ 
fachem oder pathologischem*Rausch Aufgenommenen: 

1912/13 boi 766 Männern auf 26,2 pCt., bei 337 Frauen auf 5,9 pCt. 
1913/14 « 714 „ 30,7 „ „ 871 „ „ 3,8 „ 

1914/15 ,, 670 „ „ 18,8 „ » 430 „ „ 0,9 „ 

1915/16 „ 782 „ g 8,3 g . 363 g * 1,4 „ 

Nach Abschluss dieser Zusammenstellung kam mir die Veröffent¬ 

lichung von Bonhoeffer über die Abnahme des Alkoholismus während 
des Krieges 2 ) zur Kenntnis. Er fand gleichfalls einen erheblichen Rüok- 
gang des Prozentsatzes des Alkoholismus unter den Aufgenommenen. 


Alkoholismus bei 


Deliranten innerhalb der 
wegen Alkoholismus aufgen. 



M. 

Fr. 

M. 

Fr. 

1911 

16,8 

2,1 

29,5 

25 

1912 

13,7 

2,6 

25,8 

10 

1913 

12,8 

2,9 

27,0 

19 

1914 (bis August) 

14,0 

2,8 

28,0 

0 

1914 (letzt. Drittel) 

6,4 

1,4 

29 

0 

1915 

7,2 

1,8 

25,5 

0 

1916 

3,3 

0 

9,0 

0 


Selbstverständlich stellt man beim Suchen naoh den Gründen für 
die Abnahme des Alkoholismus obenan die Abwesenheit der zum Heeres¬ 
dienst einberufenen Männer. Bonhoeffer weist aber darauf hin, dass 
der Rückgang auch bei den Frauenaufnahmen stattgefunden hat. Dies 
zeigte sich in gleicher Weise auch für Breslau (s. obige Tabelle). In 
den Rheinischen Anstalten betrug der Prozentsatz der wegen Alkohol¬ 
psyohosen Angenommenen, an Zahl allerdings weniger Frauen: 

1912/18 20 = 1,1 

1913/14 15 = 0,8 

1914/15 18=1,1 

1915/16 8 = 0,5 

1916/17 2 = 0,1. 

Demgegenüber ist auffallend, dass manche Trinkerfürsorgestellen 
von einer Zunahme der trunksüchtigen Frauen berichten, so in Stutt¬ 
gart, wo bei sonst gleiohem Personenstand 1915 viermal mehr Frauen 
behandelt wurden als 1914. Der grössere Alkoholkonsum der Frauen 
in den Industriegegenden ist nicht sehr überraschend, da die Frauen 
mit der Uebernahme der sonst von Männern ausgeführten Arbeiten auch 
die Gepflogenheiten der Männerwelt annehmen, in erster Linie den 
Alkoholgenuss, zu dem der ungewohnt reichliche Gelderwerb verlockt. 
Wenn trotzdem keine Vermehrung der Alkoholpsychosen bei den Frauen 
beobachtet wird, so erklärt sich dies daraus, dass solohe zur Anstalts- 
unterbringung führenden Störungen ausschliesslich auf dem Boden eines 
längeren, nicht erst in letzter Zeit aufgenommenen gewohnheitsmässigen 
Alkoholmissbrauchs entstehen. 

Römer führte den Rückgang der wegen akuter Betrunkenheit 
in das Kranhenhaus aufgenommenen so gut wie allein auf das Fehlen 
der eingezogenen jungen Männer zurüok. Denn seine Zahlen für die 
Männer über 40 Jahre waren nur unbedeutend kleiner als in den Vor¬ 
jahren. Dagegen hatte die Zahl der wegen chronischem Alkoho¬ 
lismus behandelten Männer nicht nur für die unter 40 Jahre, sondern 


1) Referat in B.kl.W., 1915, Nr. 88. 

2) Msohr. f. Psyoh., 1917, Juniheft. 

3* 


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Original frn-m 

UNIVERSUM OF IOWA 




212 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


auch für die älteren erheblioh abgenommen. Diese Beobachtung wird 
in meiner ersten Tabelle bestätigt, in welcher die Trinker unter und 
die über 45 Jahre gegenübergestellt sind. Bei den ersteren sank die 
Prozentzahl bis auf den vierten Teil, bei den letzteren zwar nicht so 
stark, aber doch bis unter zwei Drittel der Zahl vor dem Krieg. 

Die Zahlen für die an Delirium Erkrankten betrugen: 


unter 45 Jahr 

45 und mehr Jahre 

1912/18 28 = 6,5 pCt. 

11 = 9,6 pCt. 

1913/14 15 = 4,4 „ 

13 = 9,7 „ 

1914/15 16 = 5,5 „ 

4 = 4 „ 

1915/16 2 = 0,5 „ 

- » 

1916/17 — = — „ 

1=2 „ 


In dem ersten Kriegsjahre war keine Verminderung der jüngeren 
Deliranten zu verzeichnen, aber von den 16 wurden 4 im August, 8 in 
den Monaten September bis Dezember und nur 4 in den ersten 7 Mo¬ 
naten des Jahres 1915 aufgenommen, so dass man den rapiden Abfall 
der Delirantenaufnahme von Januar 1915 ab feststellen konnte. Aehn- 
lich waren die Erfahrungen Bonhoeffer’s 1 ), wonach bis Mitte Oktober 
1914 verhältnismässig viele Fälle von Alkoholismus, 16 pCt., zur Auf¬ 
nahme kamen und es fast ausschliesslich die ersten Mobilmaohungstage 
waren, in denen Deliranten zugingen, während später kaum noch Deli¬ 
ranten aufgenommen wurden. Es handelte sich bei diesen Deliranten 
um Reservisten und Landwehrleute, die im Zivilberuf dem Alkoholismus 
verfallen und in dem Stadium waren, dass die Gemütsbewegungen und 
Strapazen der langen Eisenbahnfahrten, bei denen das Alkoholverbot auf 
den Bahnhöfen den gewohnten Alkoholkonsum plötzlich unterbrach, aus¬ 
reichten, um das Delirium auszulösen. Auch Wollenberg 2 3 ) sah 
während der Mobilmachungsperiode in Strassburg zahlreiche Alkohol¬ 
delirien; sie waren ausgezeichnet durch besonders tiefe Bewusstseins¬ 
störung und starke motorische Erregung beim Fehlen von Tiervisionen. 

Wir sehen also während des Krieges eine Abnahme des Alkoho¬ 
lismus im allgemeinen bei Männern unter und über 45 Jahre, sowie bei 
den Frauen. Das Fehlen der zum Heeresdienst Einberufenen gibt somit 
keine genügende Erklärung für die Abnahme. Dass die günstigere 
Arbeitsgelegenheit für die zurückgebliebenen Männer die NeiguDg zum 
Alkoholmissbrauch, wie Römer meint, einschränkt, scheint mir nicht 
von allzu grosser Bedeutung. Das Bummeln ist gewiss oft mit Potus 
verbunden, der Alkoholist findet jedoch ausser der Arbeitszeit noch hin¬ 
reichend Zeit, das vermehrte Einkommen zu einem beträchtlichen Teil 
in Bier und Schnaps umzusetzen. Die Gelegenheit dazu darf ihm natür¬ 
lich nicht von aussen behindert werden. Das letztere ist meines Er¬ 
achtens der springende Punkt. In der Beschränkung des Schnapsver¬ 
kaufs, in der Verteuerung und dem verminderten Alkoholgehalt der Ge¬ 
tränke haben wir die wesentliche Ursache für den Rückgang der 
Alkoholpsychosen zu erblicken. 

Die grosse Bedeutung, die der Beschränkung des Sohnapsausschanks 
zukommt, wird aus letzter Zeit durch die Erfahrung nach Einführung 
des sog. Stockholmer Systems (Einschränkung des Flaschenverkaufs) in 
Schweden am 1. Januar 1913 bewiesen. In 3 Jahren sanken die 
Fälle von Delirium tremens von 623 auf 362 im Jahre und die von den 
Bezirksärzten gemeldeten Fälle von chronischem Alkoholismus von 500 
auf 178*). 

Bonhoeffer weist auf die Stärke des Rückgangs der Alkohol¬ 
psychosen während des Krieges als deshalb bemerkenswert hin, „weil 
mit zwingender Deutlichkeit die ganz überwiegend soziale Bedingtheit 
auch der schweren Alkoholismusformen bewiesen wird entgegen der Auf¬ 
fassung, dass bei diesen der endogene Faktor von ausschlaggebender 
Bedeutung sei“. Gegen diese Beweisführung kann ein Einwand nicht 
erhoben werden. Ist aber der exogene Faktor von so überwiegender 
Bedeutung, wie es jetzt wieder durch die Tatsacheu bewiesen wird, dann 
erwächst daraus die Pflicht, die Frage zu erwägen, ob nicht die günstige 
Wirkung der jetzt bestehenden Maassnahmen gegen die Alkoholmiss¬ 
stände auf die Zukunft ausgedehnt werden könne. Dass das gehen 
würde, steht ausser Zweifel; ob es geschehen wird, ist mehr als zweifel¬ 
haft. Denn das zuversichtliche Wort des Vizeadmirals von Lans aus 
dem Oktober 1914: „Dieser Krieg wird bei Umwertung aller Werte auch 
der Alkoholfrage zum Siege helfen“, erlitt eine Dämpfung durch die 
Aeusserungen des Präsidenten des Kriegsernährungsamts im Reichstag 
Ende 1916: „Die absoluten Temperenzler glauben jetzt ihre Zeit ge¬ 
kommen. Der Krieg ist nicht die Zeit, unsere ganzen Volkssitten zu 
ändern.“ Nun braucht man durchaus nicht absoluter Alkoholgegner zu 
sein, wenn man nicht begreifen kann oder will, dass der Schnaps zu 
den unentbehrlichen Lebensbedürfnissen gehört, und dass die etwaigen 
Schädigungen, welche die Erzeuger von Kartoffel- und Kornschnaps 
durch eine Einschränkung des Brennens erleiden würden, schwerer 
wiegen sollen als die Gesundheit und das Wohl unzähliger Menschen. 

Angesichts des Rückgangs der Alkoholpsyohosen ist der Schluss 
berechtigt, dass auch andere Folgen des Alkoholismus zurückgetreten 
sind. So sind auch die zu mindestenst in 60 pCt. mit Trunk zusammen¬ 
hängenden Roheitsverbrechen während der Kriegsjabre auffallend selten 
geworden. Diese Erfahrungen drängen zu der Forderung, die den Aus¬ 
schank und die Erzeugung der geistigen Getränke einschränkenden 
Verordnungen mit dem Kriegssohluss nicht aufzuheben. Das Gute, das 


1) Mschr. f. Psych., 1914, Bd. 36, S. 487. 

2) M.m.W., 1914, Nr. 44. 

3) Psyoh.-neurol. Wsohr., 9. Sept 1916. 


erzielt worden, darf in der Friedenszeit nioht wieder preisgegeben werden. 
Selbst nach einem für uns glücklichen Ausgang des Krieges werden die 
Zeiten ernst bleiben. Es werden schon Stimmen laut, die einen Verlust 
des im Laufe der letzten Jahre im Kampf gegen den Alkoholismus ge¬ 
wonnenen und eine Steigerung der Alkoholschäden nach dem Kriege 
befürchten. 

„Die Zahl der Alkoholiker wird voraussichtlich nach dem Kriege 
grösser werden als vor dem Kriege“, sagt der Vorsitzende der Kriegs¬ 
konferenz für Trinkerfürsorge im Jahre 1916 zu Berlin, Senatspräsident 
Dr. von Strauss und Torney in seiner Eröffnungsansprache. Zum 
Teil verknüpfen sich diese Befürchtungen mit dem Heimkommen der 
Kriegsteilnehmer, die „mit erhöhtem Freiheitsdrang und starkem Gennss- 
willen heimkehren“ (Dessoir). Freiheit und Genuss sind nun einmal 
für viele Menschen nicht denkbar ohne tüchtiges Trinken. „Auoh fürs 
Geniessen brauoht der Mensch eine Erziehung“ und die Regelung des 
Triebes zum Alkoholgenuss wird ohne äusseren Einschränkungen nicht 
zu erzielen sein. 

Weiohselbaum 1 ) will als festgestellt ansehen, dass im gegen¬ 
wärtigen Kriege infolge der schwierigen Beschaffenheit ein wandsfreien 
Trinkwassers und weil der moderne Artilleriekampf mit seinen Nerven¬ 
erschütterungen das Verlangen nach einem Beruhigungsmittel anregte, 
der Alkoholismus stark zugenommen hat, dass ausserdem viele Soldaten 
erst während des Kriegdienstes den Alkohol kennen gelernt haben und 
ihn nach ihrer Rüokkehr weiter trinken werden. Die Anschauung, 
viele Soldaten seien im Kriege Trinker geworden, musste natürlich 
Widerspruch erregen. Andererseits wäre es unrecht, zu verschweigen, 
dass der Missbrauch geistiger Getränke im Heere keineswegs ausgeschaltet 
ist. Es gibt jedenfalls zu denken, dass Levy-Suhl 2 ) in einem Kriögs- 
3ararett unter 75 Psychosen den Alkoholismus mit 28 pCt. an erster 
Stelle fand, dass nach Kastan 8 ) unter 96 Fällen von strafrechtlichen 
Handlungen psycbiscbkranker Heeresangehöriger in 50 pCt. Potus in 
Rechnung zu ziehen war und Baller 4 ) in einem Festnngslazarett bei 
den Psychosen 14,3 pCt. Alkoholismus beobachtete, während von den 
anderen Formen nur die Dementia praecox mit 17,4 pCt. höher'stand. 
Baller erklärt die zahlreichen Fälle von Alkoholismus und die grössere 
Prozentzahl gegenüber der Friedenszeit, die für das Heer 8,8 pCt. beträgt, 
aus der Zusammensetzung des Kriegsheeres, das aus Leuten des Lebens¬ 
alters, in welchem der Alkobolismus auch im bürgerlichen Leben seine 
Hauptverbreitung hat, und aus der Gelegenheit zum Alkoholismus in 
der Garnison. 

Hübner 6 ) sah bei den von ihm strafrechtlich begutachteten Heeres¬ 
angehörigen zwei ausgebildete junge Leute (Psychopathen), die unter 
dem Einfluss der Feldzugsstrapazen, insbesondere des länger dauernden 
Artilleriefeuers zu Trinkern geworden waren und eine ausserordentlich 
stark hervortretende ethische Depravation zeigten. 

Es lässt sich also nicht bestreiten, dass unter den Psychosen der 
Kriegsteilnehmer der Alkoholismus eine erhebliche Rolle spielt, und dass 
die Soldaten trotz aller Disziplin und trotz aller Vorschriften nioht 
gerade als Mässigkeitsfreunde in die Heimat zurückkehren werden. Von 
mehreren Trinkerfürsorgestellen wird beklagt, dass geheilte Alkohol¬ 
kranke im Heeresdienst rückfällig wurden. 

Des Weiteren liegt eine wohl zu beachtende Gefahr in der grossen 
Zahl der Kriegsbeschädigten, vor allem der Kopfverletzten, die intolerant 
gegen Alkohol geworden sind. Ganz gewiss werden manche von ihnen, 
da sie in ihrer Arbeitsfähigkeit beschränkt die Zeit mehr als ihnen zu¬ 
träglich hinter dem Glase und unter mitleidigen Spendern zubringen 
werden, den Alkoholwirkungen unterliegen und später dazu beitragen, 
die Anstalten zu füllen. 

Ungleich besser wird es sein, wenn die Kriegsteilnehmer bei ihrer 
Rückkehr eine weniger alkoholfeuohte Heimat antrefien; sie werden sioh 
daran ebenso rasch gewöhnen, als es die Zurückgebliebenen zum Nutzen 
der eigenen Person und der Allgemeinheit getan haben. Kein ver¬ 
nünftig denkender Mensch wird sich zu der Ansicht bekennen, dass die 
Schnapsflasche in der Tasche, der Alkoholgenuss Jugendlicher, die 
Animierkneipen, das Trinken über Mitternacht hinaus zu den Lebens¬ 
no twendigkeiten oder zu berechtigten Genüssen gehörten. 

Wir werden auch nach Friedensschluss nicht nur zweckmässig, 
sondern auch notgedrungen Kartoffeln und Getreide mehr als in früheren 
Zeiten zur Ernährung ausnützen müssen, die Erzeugung alkoholischer 
Getränke, die als Nahrungsmittel nicht ernstlich in Betracht kommen, 
hat zurückzutreten. Hier ist nicht der Ort, auf diese Fragen näher 
einzugehen. Trommershausen hat sich darüber, welche alkohol¬ 
gegnerische Maassnahmen der Behörden in der Kriegszeit sich bewährt 
haben und in welchem Umfange sich diese in die Zeit nach dem Kriege 
übertragen lassen, in den beiden letzten Heften des Jahrgangs 1916 der 
„Alkoholfrage“ treffend und ausführlich ausgelassen. 

Nun noch eine Bemerkung über die für viele Menschen mehr als 
ethische und gesundheitliche Erwägungen überzeugend wirkende Geld¬ 
frage. Mag den Steuerzahler die Tatsache, dass die deutsche Bevölke¬ 
rung in der letzten Zeit vor dem Kriege jährlich annähernd 4 Milliarden 
Mark für den Genuss geistiger Getränke ausgab, kühl lassen, da es vor¬ 
nehmlich die Einzelnen angeht, wie sie ihr Geld verwenden, so kann es 


1) W.m.W., 1916, Nr. 16. 

2) Neurol. Zbl., 1916, Nr. 23. 

3) Arch. f. Psych., Bd. 56, H. 3. 

4) Allg. Zsohr. f. Psych., Bd. 73, H. 1. 

5) Aerztl. Sachverst. Ztg., 1917, Nr. 11 u. 12. 


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4. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


218 


ihnen doch nicht gleichgültig sein, welche Ansprüche die grosse Menge 
der Trinker an das Gemeinwesen stellt. Man hat versucht, zu berechnen, 
wie hoch sieh die den Verwaltungen aus dem Alkoholismus erwachsenden 
Kosten belaufen. So wurde z. B. festgestellt, dass die Allgemeine Orts¬ 
krankenkasse für die Stadt Leipzig im Jahre 1918 eine Summe von 
32 404 Mark allein an Spitalgeldern für Alkoholkranke aufbringen 
musste. Man glaubt zu der Annahme berechtigt zu sein, dass die 
deutschen Städte bis zu einem Drittel ihres Armenhaushalts durch den 
Alkoholismus belastet werden, und dass die betreffenden Armenausgaben 
des Deutschen Reiches mit jährlich etwa 50 Millionen Mark anzusetzen 
sind. Was insbesondere die Geisteskranken betrifft, so bezahlte München 
allein für ihre in der Anstalt Eglfing untergebrachten geisteskranken 
Alkoholisten im Jahre über 80 000 M. Vor einigen Jahren hatte ich 
ausgerechnet, dass die in den Rheinischen Provinzial-Heil- und Pflege¬ 
anstalten untergebt achten infolge von Trunksucht geistig Erkrankten 
den Kommunalverbänden einen Kostenaufwand von jährlich- rund 
200000 M. aufbürden. 

Nach der letzten Veröffentlichung des Preussischen statistischen 
Landesamtes belief sioh der Tagesbestand der wegen Alkoholismus und 
Säuferwahnsinn in allgemeinen Heilanstalten und Irrenanstalten Unter¬ 
gebrachten am 1. Januar 1913 auf 2329 Männer und 254 Frauen, am 
31. Dezember 1918 auf 2250 Männer und 309 Frauen; man kann also 
auf einen täglichen Durchschnittsbestand von 2500 Alkoholkranken 
schliessen. Die Verpflegungskosten für sie belasten, unter Zugrunde¬ 
legen eines gewiss niedrig angenommenen Tagessatzes von 2 Mark, den 
preussischen Staat mit mehr als 1 8 / 4 Million Mark im Jahr. Auf das 
ganze Deutsche Reich berechnet würde sioh die Summe, die der Anstalts¬ 
aufenthalt der geisteskranken Trinker verschlingt, auf über 2 x /s Millionen M. 
belaufen. Nach den während des Krieges gemachten Anstaltserfahrungen 
muss sich diese Summe bis auf eiu Drittel, wenn nicht mehr, vermindert 
habeq^ Im Falle des Fortbestehens der jetzt getroffenen Alkoholmaass¬ 
nahmen nach dem Kriege wurde sich daher eine Ersparnis an Anstalts¬ 
kosten erzielen lassen, deren Höhe nicht im voraus abgeschätzt werden 
kann, die aber, selbst wenn sie nur die Hälfte der jetzigen ausmachte, 
als erheblich anzusehen wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit 
den Anstalts- und Krankenhauskosten die Geldfrage bei weitem nicht 
erschöpft ist. Es sei noch erinnert an die Ausgaben, die entstehen 
durch die häufigen Erkrankungen infolge des Trinkens, die keinen An¬ 
staltsaufenthalt notwendig machen, duroh die verminderte Arbeitskraft 
und die früher eintretende Invalidität der Pototaren, durch die Unter¬ 
bringung in Trinkerheilstätten, durch die Unterstützung der Familien 
der Trinker, duroh die auf Alkoholgenuss zurückzuführenden Unfälle und 
Schädigungen von Personen und Saohen, duroh die Straffälligkeit der 
Alkoholisten. 

Weit höher als die Geldfrage muss die physische, sittliche und 
geistige Gesundheit, die naoh dem Fürsten von Bülow der grösste 
Volksreichtum ist, bewertet werden. Zu einer Vermehrung dieses Reich¬ 
tums würde eine den Krieg überdauernde Einschränkung des Alkohol¬ 
konsums wesentlich mithelfen. Eine geringe Beschneidung der persön¬ 
lichen Freiheit müssen wir in den Kauf nehmen. Bei der Bekämpfung 
der ansteckenden Krankheiten tun wir es schon ohne Murren. Warum 
sollten wir es nicht auch bei dem Kampfe gegen die für die Kraft und 
die Moral des Volkes in so hohem Maasse unheilvollen Alkoholseuche. 
Schritte für das Bestehenbleiben der wirklich nicht schwer drückenden 
Maassnahmen nach dem Kriege einzuleiten, ist ein Gebot der Stunde, 
darf nioht eine Frage der Zukunft sein. 

Anmerkung bei der Korrektur. Es sei noch hingewiesen auf die 
inzwischen erschienene Arbeit von Weiohbrodt (Mscbr. f. Psych., 1917, 
Bd. 42, H. 4) und die Ende 1917 gedruckte Inaugural-Dissertation von 
Robert aus der Kieler Klinik. 


Bemerkungen 

zu üer Mitteilung von Dr. Wederhake: Ueber die Verwen¬ 
dung des menschlichen Fettes in der Chirurgie. (Berliner klin. 

Wochenschrift vom 21. Januar 1918.) „ 

Von 

Geh. San .-Rat Prof. Dr. Eigei Holländer. 

Seit etwa 12 Jahren kämpfe ich für die Einführung des ausgelassenen 
menschlichen Fettes in die Chirurgie. Dieses bei Zimmertemperatur 
immer im gleichen flüssigen Zustande, wie Olivenöl aussehend, kaun mit 
der Injektionsspritze überallhin gebracht werden. Einmal sterilisiert 
hält es sich viele Jahre lang unverändert. Ich habe das Material viel¬ 
fach den Aerzten demonstriert. Ich begann die Verwendung vor etwa 
12 Jahren mit der Injektion grösserer Mengen (etwa 100 g täglich) zur 
subkutanen Ernährung naoh eingreifenden Operationen am Magen. 
Sodann benutzte ich das Material als Lösungs-, Isolierungs- und 
Unterfütterungsmittel. Knochenadhärente Narben unterspritzte ich 
mit und ohne voraufgegangener subcutanen Durchtrennung: Abbildung 
eines solchen Falles in der kosmetisohen Chirurgie 19120- 1909 2 ) zeigte ich 
in der Berliner medizinischen Gesellschaft die Verwendung des Mittels 


1) Joseph’s Handbuch der Kosmetik, 1912. 

2) B.kl.W., 1909, Nr. 18. 


bei Patienten, bei welchen Niveaudifferenzen ausgeglichen werden sollten. 
Zum Beispiel Ausfüllung des Mammarestes naoh Carcinomoperation oder 
zum Ausgleich angeborener verschiedener Grösse der weiblichen Brust. 
Das brachte mir ein Spottgedicht in der Jugend (1909, Nr. 22) ein; der 
Titel „Frauen formrestauration“ mit dem Hinweis auf die Publikation in 
der Berliner klinischen Wochenschrift popularisierte die Methode in dem 
Maasse, dass nun sioh Bedürftige aus entfernten Weltteilen meldeten. 
1910 veröffentlichte ich l 2 ) einen Fall von fortschreitendem Schwund des Fett¬ 
gewebes und seines kosmetischen Ersatzes durch Menschenfett. Gelegentlich 
einer Demonstration eines operierten grossen retroperitonealen Lipoms 
demonstrierte ich 2 ) das ausgelassene Menschenfett und empfahl es als Isolie¬ 
rungsmittel und als Füllmittel nach Gelenkmobilisationen und als Ver¬ 
hütungsmittel erneuter Narbenverwachsung, z. B. nach Neurolysen. In 
vieler Beziehung ist wegen der Einfachheit der Anwendung der Verwend¬ 
barkeit an allen Stellen des Körpers, wohin man mit der Injektionsnadel 
gelangen kann, wegen seiner Reizlosigkeit und der fehlenden Gefahr der 
Nekrose die Fettinjektion der Fetttransplantation vorzuziehen! In einel 
grossen Anzahl von Fällen habe ich bei Operationen von diesem Mitter 
Gebrauch gemacht. Wundkomplikationen habe ich nie gesehen. Den 
Erfolg der Isolierung bei Nervennähten konnte ioh wegen der meist 
fehlenden Möglichkeit, das Endresultat abzuwarten, bei den Verwundeten 
nicht studieren. In einem Fall von Radialisnaht nach ausgedehnter 
Schrot8chussverletzung beim eigenen Jagdaufseher habe ioh auoh den 
positiven Erfolg beobachtet. 

Ioh sehe in den offenbar ganz unabhängig gemachten Erfahrungen 
des Herrn Kollegen Wederhake eine glückliche und erfreuliche Be¬ 
stätigung meiner Mitteilungen. Neu sind mir seine günstigen Resultate 
bei der Dupuytren’schen Kontraktur, welche zur Nachprüfung auf¬ 
fordern. Da das ausgelassene menschliche Fe^ mit der Verwendung 
des Fettgewebes leicht verwechselt wird und>das Material durch seinen 
niedrigen Schmelzgrad und flüssigen Charakter dem Oel gleichsieht, so 
habe ich das Material Humanol genannt. Dem Worte Menschenfett, 
obwohl man es nur durch Operationen gewinnt (Lipomen, Netz), haftet 
für den Patienten zunächst ein unangehmer Nebenwert an. Dem 
Chirurg, der mit allem möglichen tierischen und organischen Material 
arbeitet, liegt eine gleiche Antipathie ferner. Das lateinische,Wort ist 
eine Konzession an das Gefühl. Meine auffallend günstigen Re iltate in 
der Verwendung des Humanols in der Knochenchirurgie verlang i einen 
eigenen Bericht, welcher demnächst erfolgt. 


Bacherbesprechungen. 

Die phonetische Behandlung von stimm- nnd spraehbesehädigten 
Kriegsverwundetei nnd -Erkrankten. Bericht der Sprachstation des 
stellvertr. IX. A.-K., Res.-Laz. Wandsbeck. Herausgegeben von 
Dr. Helmeke, Dr. Panconcelli-Callia und Prof. Dr. Weygandt. Berlin, 
Verlag von Fischer’s medizinischer Buchhandlung. 

Der Bericht gibt eine Casuistik von 78 Fällen, die im 1. Tätigkeits¬ 
jahre der Sprachstation behandelt wurden. Davon waren 16 Fälle 
organischer Natur, die übrigen 62 funktionelle Störungen. Die meisten 
Fälle kamen erst viele Monate naoh ihrer Entstehung in die Spraohstation. 

Bei den organischen Fällen sind 6 Kopfschüsse mit mo¬ 
torischen und sensorischen Sprachstörungen, die duroh monate¬ 
lange Artikulations-, Sprech-, Lese-, Schreib- und Gehörübungen meist 
geheilt oder doch bedeutend gebessert wurden. 

Es folgen drei Fälle von Rekurrenslähmung, einer durch Ope¬ 
ration entstanden, die beiden anderen durch Halsschuss. Es bestanden 
Aphonie bezw. Falsett- oder heisere Stimme. Die Behandlung geschah 
mit Kehlkopfkompression (Gutzmann), Atmungs-, Lippen-, Zungen- 
und Kieferübungen. 

In einem Falle von Hypoglossusiähmung (Kieferschuss) wurde 
die unverständliche Sprache durch Artikulationsübungen erheblich gebessert. 

Fälle von Schwerhörigkeit (alte Mittelohraffektionen) wurden er¬ 
folgreich durch Gehörübungen mit dem Phonographen behandelt. 

Bei den funktionellen Störungen handelte es sich in 16 Fällen 
um Aphonie infolge von Gasvergiftung, Strapazen, Erkältung, Ver¬ 
schüttung, Explosion. In diesen Fällen gab die Gutzmann’sche 
Kehlkopfkorapression meist ein gutes Resultat, so dass es meist gelang, 
schon in den ersten Sitzungen einen Stimmklang hervorzurufen. Daneben 
wurden auch Atem-, Kiefer-, Lippen- und Zungenübungen vorgenommen. 
Stimmübungen wurden durch Angabe eines Tones auf Flügel oder Har¬ 
monium unterstützt. 

In 15 Fällen lag Stummheit vor, die häufig mit Aphonie und 
Taubheit verbunden war. Als ätiologische Momente werden angeführt: 
Sturz, Verschüttung, Strapazen, seelisohe Erregungen. Häufig konnten 
diese Patienten die einfachsten Lippen- und Zungenbewegungen nicht 
nachmachen. Die meisten hatten auch das Pfeifen verlernt. Die stumme 
Atmung war sehr frequent und unregelmässig. Auch die Sprechatmung 
zeigte irreguläre Kurven und war oft nasal. Die Sprechversuche waren 
meist von krampfhaften Verzerrungen des Gesichts, von Schluck¬ 
bewegungen und krampfhaften Bewegungen des ganzen Körpers begleitet. 
Atmungsübungen, unterstützt durch das Spirometer und die Ott 1 sehe 
Atmungsmaschine, Artikulations- und Flüs^erübungen, Stimmübungen 


1) M.m.W., 1910, Nr. 34. 

2) B.kl.W., 1917, Nr. 1. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


mit Gutzmann’soher Kehlkopfkompression, Benutzung der Musik als 
suggestiven Mittels, Uebungen nach den Liebmann’sohen Tafeln, vor 
allem geeignete psychische Beeinflussung, hatten in den meisten Fällen 
nach Monaten Erfolg. Bemerkenswert ist, dass diese stumme Patienten, 
bevor sie fliessend spreohen lernten, zunächst eine Weile stotternd sprachen. 

In 21 Fällen handelte es sich um Stottern. Sechs Patienten hatten 
das Stottern erst im Kriege erworben durch Schlag auf den Kopf, Granat¬ 
explosion, Verschüttung, Gelbsucht. Die andern 15 Patienten stotterten 
schon seit ihrer Kindheit, dooh hatte sich das Uebel im Felde ver¬ 
schlimmert nach Granatexplosion, Verschüttung, Strapazen, Malaria und 
seelischen Erregungen. In einigen Fällen war auch Tremor der Arme 
und Beins, Kopfschütteln, Gedächtnisschwäche vorhanden. 

Die Stotterer wurden erfolgreich durch Atmungs- und Artikulations¬ 
übungen, durch Mitlesen und Mitsprechen, Vokaldehnungen, psychische 
Beeinflussung und Hypnose behandelt. 

Es folgt ein Fall von Aphonia spastica nach zweimaliger Ver¬ 
schüttung. Das Charakteristische dieser Sprachstörung ist eine Vox in- 
terrupta. Durch Atmungsübungen mit und ohne Atmungsmaschine ge¬ 
lang es, den Zustand erheblioh zu bessern. 

Es folgen 3 Fälle Ton erschwerter, verlangsamter, abge¬ 
hackter Sprache mit erheblicher Gedächtnisschwäche und 
schwerer seelischer Depression. Die Sprache war in dem einen 
Fall nur möglich bei der Inspiration mit schluchzenden Lauten. Die 
Behandlung bestand in systematischen Atmungsübungen und in Lese- 
und Sprechübungen nach Anschauungsbildern. 

Den Schluss bildet ein Fall von Worttaubheit. Es handelt sich 
um einen Erschöpfungszustand mit psychischen Hemmungen. Der Pa¬ 
tient versteht nicht, was man zu ihm sprioht, trotz guten Gehörs. 
Uebungen mit 8 Tonerregern waren erfolgreich, dooh wurde die Be¬ 
handlung unterbrochen. _ 


Jahresbericht der Oesterreiehischen Gesellschaft für experimentelle 
Phonetik. IV. Vereinsjahr 1916—1917. 

Der Bericht enthält 5 Vorträge. 

1. Pöoh: Technik und Wert des Sammelns von Sprach- 
proben mit dem Phonographen. 

Der Vortragende, Anthropologe und Ethnograph, empfiehlt vor allem, 
für den Phonographen auf Reisen eine feste, nicht resonierende Unter¬ 
lage zu wählen, etwa vollgepackte Kisten. Ferner sollen die phono- 
graphisoh aufgenommenen Texte vorher nioht nur wörtlich genau, sondern 
auch in phonetischer Umschrift niedergeschrieben werden. Man spreche 
zunächst einzelne Worte vor und lasse sie mehrmals wiederholen; dann 
aber auch kurze Sätze (z. B. Redewendungen des täglichen Verkehrs) 
und kleine Erzählungen (Märchen, Fabeln, Mythen). Wenn die Sprachen 
nicht schon ein Alphabet haben, benutze man das phonetische Anthropos- 
Alphabet von W. Schmidt. Der Erfolg der phonographischen Auf¬ 
nahmen hängt ab von der richtigen Auswahl des Individuums (geeignete 
Stimme, deutliche Artikulation, Intelligenz, Kenntnisse). 

2. Ettmayer: Prinzipielle Fragen in der Phonetik. 
Ueber „Laute“ und „Lautgesetze“. 

Der Vortragende erklärt den „Sprachlaut“ als ein Element der Rede 
für ein Vorurteil, hervorgerufen durch die Buchstabenschrift, die uns 
gewöhnt, bestimmte Sprachbewegungen unter je einem Schriftsymbol in 
willkürlicher Weise zusammenzufassen. * Auch die sog. phonetischen 
Alphabete sind Buchstabenalphabete und stehen auf einer willkürlichen, 
unexakten, psychologischen Basis. Ebenso dürfen die Schallwellen¬ 
kurven des Sprachzeichners mit den sog. Spraohlauten nicht identifiziert 
werden, da die eingetragenen Lautgrenzen willkürlich sind. Die Zunge 
muss beim Uebergang von a zu i oder von u zu a die ganze Stufenleiter 
der dazwischenliegenden Vokale durchlaufen, beim Uebergange von s zu 
k die Lautstellung des oh passieren usw. Das Detonieren der Vokale 
und die Gleitlaute der Konsonannten hören wir nicht, da das Bewusst¬ 
sein nicht imstande ist, alle Reize des Gehörsnerven in Gehörsempfin¬ 
dungen umzusetzen. Der sog. Sprachlaut ist eine psychologische Be¬ 
griffsbildung. Er stellt genetisoh kein einheitliches, physikalisches 
Sprachelement dar, wohl aber akustisoh. Die Sprachartikulatfon löst 
akustische Sprachlautempfindüngen aus, deren Anzahl bedingt ist duroh 
unser psychisches Unterscheidungsvermögen, indem die Detonierungen und 
Gleitlaute unter der Bewusstseinsschwelle verharren. 

3. Frösohels: Einige phonetische Beobachtungen an 
einem sprechenden Hunde. 

Der sechsjährige Hund konnte einige Photographien und Fahnen 
heraussuchen, doch lagen nach Beobachtungen des Vortragenden nur 
reflexartige Aktionen auf die Stimme der Dresseurin, kein wirkliches Er¬ 
kennen der Photographien bzw. Fahnenfarben vor. Das Tier sprach die 
Worte „Mama“, „Hunger“, „hab“, „Omama“ ziemlich deutlich, wenn man 
sie ihm vorsagte; mitunter erfolgten die Worte auch auf eine stereotype 
Frage, z. B.: „Wer bin ich?“ (Mama). Mit den Worten verband der 
Hund keine Bedeutung der betreffenden Vorstellungen; er sprach auch 
nicht spontan. Zum Nacbsprechen anderer Worte als der genannten 
war der Hund nicht zu bewegen. Der Hund sprach aber immer das 
eben vorgesprochene Wort nach, keins von den andern, woraus hervor¬ 
geht, dass er das vorgesproohene Wort als Klang erfasste. Das Tier 
spraoh hauptsächlich inspiratorisch, ähnlich wie das Wiehern der Pferde 
und der erste Laut beim J • a des Esels inspiratorische Phänomene sind. 

4. Fröschels: Einiges über die Spraohentwicklung des 
Kindes. 

Das erste Schreien erfolgt unbewusst als Reflex auf Temperatur¬ 


veränderungen, Hunger, Sohmerz usw. Bald aber schreit der Säugling j 

absichtlich, um die Umgebung herbeizurufen. Das Schreien ist für die \ 

Sprachentwicklung von Bedeutung, weil «es die Kehlkopfmuskulatur übt 
und weil der Säugling durch das Schreien auch die Spreohatmung 
(schnelle Inspiration, verlangsamte Exspiration) erwirbt. Der Säugling 
muss dann lernen, die verschiedenen Sprachlaute mit dem Gehör von¬ 
einander zu unterscheiden. Jeder Sprachlaut besteht aus verschiedenen 
Einzeltönen, und das Verhältnis dieser Einzeltöne zueinander ist für j 
die einzelnen Laute charakteristisch. Der Vortragende berichtet von j 
einem stummen II jährigen, körperlich und scheinbar auch geistig nor¬ 
malen Knaben, bei dem die Hörprüfung mit der Urbantsohitsohen 
Harmonika und der Edelmann’schen Stimmgabelreihe ein fast normales 
Gehör für Einzel töne ergab. Aber der Knabe konnte viele Sprachlaute 
nicht erkennen, wenn er nicht auf den Mund des Vorsprechenden sehen 
durfte. In Anbetracht des guten Gehörs für Einzeltöne verlegt der Vor¬ 
tragende den Defekt des Knaben in das gleichzeitige Erfassen von Ton¬ 
kombinationen. 

Zum Spreohenlemen kommt ferner noch die Fähigkeit des Sprechens 
selbst, d. h. nioht nur überhaupt eine feine Beweglickeit der Spraoh- 
organe, sondern auch die Gabe, die Sprachorgane genau so einzustellen, 
dass sie den Höreindruck nachahmen. 

Von nun an beruht die übrige Sprachentwicklung auf Nachahmung. 

Aber ein Wort naohsprechen bedeutet noch kein Sprachverständnis. 
Dieses erfordert die Verbindung des Gehöreindruokes mit dem ent¬ 
sprechenden Ding oder Vorgang. 

5. Hüsing: Zur Lautlehre toter Sprachen. 

Bei den toten Sprachen sind die Träger der Laute nicht Ansatzrohr 
(Sprachorgane) und Ohr, sondern Schrift und Auge. Unter den toten 
Sprachen haben wir überlieferte und entzifferte zu unterscheiden. 

Bei den überlieferten (Latein, Griechisch, Hebräisch, Sanskrit, Tschi- 
nesich usw.) sind die Laute unsicher, weil sie sich im Munde der Ueber- 
lieferer allmählich stark zu verändern pflegen. Bei den entzifferten 
Sprachen gibt es zwei Möglichkeiten der Bestimmung: 1. durch Ety¬ 
mologie (nach Urverwandtschaft). 2. Durch Wiedergabe von Eigen- , 

namen in fremden Texten (Entlehnung). Die Vereinigung beider Me- v 

thoden führt, wie der Vortragende an verschiedenen Beispielen zeigt, | 
zur Aufstellung von Lautgesetzen, die es ermöglichen, die einzelnen Laute j 
in fremden Texten genauer zu bestimmen. Lieb mann-Berlin. j 


Arineipilansen-Merkbl älter des Kaiserliche! Gesundheitsamts. Be¬ 
arbeitet in Gemeinschaft mit dem Arzneipflanzen-Aussohuss der 
deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft Berlin-Dahlem. Berlin 1917, 
Verlag von Julius Springer. Preis 1,80 M. 

Die mit sehr guten farbigen Abbildungen versehene Beschreibung 
von 30 der wichtigsten, bei uns wild wachsenden Arzneipflanzen soll 
dazu beitragen, die Kenntnis derselben zu verbreiten und die Sammel¬ 
tätigkeit anzuregen. Nicht unerhebliche Geldmittel, die für den Ankauf 
von Drogen ins Ausland wanderten, können dem Heimatlande erhalten 
werden, wenn die einheimische Flora ausgiebiger als bisher ausgenutzt 
wird. Referent möchte den praktischen Aerzten warm ans Herz legen, 
diese kleine preiswerte Schrift in ihrem Wartezimmer auszulegen. Mancher 
Patient wird nicht nur mit Interesse einen Blick hineinwerfen, sondern 
auch auf ein Gebiet aufmerksam gemacht werden, auf dem er sioh zum 
Wohle der Allgemeinheit gelegentlich betätigen kann. 

B e c k s t r o e m - Charlcttonburg. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

M. T. Burrows und’Cl. A. Neymann: Studien] über den Stoff¬ 
wechsel von Zellen in vitro. I. Die Giftigkeit von a-Aminosäuren für 
embryonale Hühnerzellen. (Journ. of exp. med., 1917, Bd. 25, H. 1.) In 
vitro-Kulturen von Hühnerembryonalzellen wurden durch Zusatz von 
a-Aminosäuren im Wachstum gehemmt. Als toxisch] erwiesen sich 
Glykokoll, Alyiu,Valin,Leucin,Cystin, Phenylalanin, Tyrosin,Tryptophan, 
Oxyprolin und Asparagin. Verbindungen von höherem Molekulargewicht 
wie Peptone und Proteine waren nicht toxisch. R. Lewin. 

Pharmakologie. 

Dakin und Dunham: Antiseptica der Chlorgrippe und gewisse 
Farbstoffe in ihrer keimtötenden Kralt. (Brit. med. journ., Nr. 2968.) 
Auf Grund zahlreicher Versuche wird -festgestellt, dass Ghloramin-T, 
Diohloramin, Eusol u. a. Mitglieder der Chlorgruppe den ebenfalls als 
Antiseptica gebrauchten Farbstoffen Acriflavin, Proflavin usw. entschieden 
überlegen sind. Sie töten Staphylokokkenkulturen in viel kürzerer Zeit 
als die genannten Farbstoffe. Die von Browning aufgestellte Behaup¬ 
tung, dass das Acriflavin dem Chloramin-T in seiner keimtötenden 
Kraft um das 800fache überlegen sei, ist irrig und beruht auf Fehler¬ 
quellen in der Anordnung der Versuche. Schreiber. 

H. Schaeffer: Die Desinfektionswirkung der Chininderivsto 
gegenüber Diphtheriebacillen. (Bioohem. Zsohr., 1917, Bd. 83, H. 5 u- 6, 
S. 269.) Zur Prüfung der Desinfektionswirkung der Chininderivate be¬ 
diente sich Verf. der Methode von Rideal und Walker mittele Eia- 


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4. Mtre 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


215 


gut in grosse Mengen flüssigen Nährbodens. Die Chininderivate Methyl-, 
Aethyi-, Propyl-, Bntyl-, Amyl-, Hexyl-, Octyl-, Deoyl-, Dodecyl- nnd 
Cetylbydroouprein zeigen gegenüber Diphtberiebacillen eine desinfizie- 
rende Wirkung. Chinin wirkt hemmend auf das Wachstum der Di¬ 
phtheriebacillen noeh bei einer Verdünnung von 1: 10 000. Das Hydro- 
eoprein, das Methyl-, Aethyi- und Isopropylbydrocuprein zeigen gegen¬ 
über dem Chinin keine Steigerung ihrer Hemmungswirkung. Aber sohon 
das Isobutylbydroouprein ist wirksamer. Von diesem Präparat wirken 
noeh Verdünnungen von 1:50 000 antiseptisoh. Noch wirksamer sind 
Isoamyl-, Hexyl-, Heptyl- und Octylhydrocuprein. Für letzteres liegt 
die Hemmungsgrenze bei einer Konzentration von 1:750 000. Vom 
Deeylhydrocuprein ab nimmt die hemmende Wirkung ab. Die Ein¬ 
führung der verschiedenen Alkoholradikale beeinflusst also in erheb¬ 
lichem Maasse die antiseptische Wirkung. Mit steigendem Kohlenstoff¬ 
gebalt der Alkoholradikale nimmt die Wirkung zunächst zu, um dann 
wieder abzunehmen. Auch bei der Untersuchung dieser Desinfektionsmittel 
geigte es sieb, dass die hemmende Wirkung eines Desinfektionsmittels 
unabhängig von der abtötenden sein kann. Das Hexylhydrocuprein 
bildet eine Ausnahme. Trotz beträchtlicher antiseptischer Wirkung, die 
grösser ist als die des vorhergehenden Homologons, des Isoamylhydro- 
cnpreins, ist die Desinfektionswirkung desselben viel geringer. Eine 
wichtige Rolle bei der Desinfektionswirkung spielt die Säure. Die ein¬ 
fachsauren Salze sind wirksamer als die doppeltsauren Salze. Der Säure- 
oharakter hat auf die Desinfektionswirkung keinen aussschlaggebenden 
Einfluss. Die Chinasäure, die ein schlechtes Desinfektionsmittel dar¬ 
stellt, gibt Salze von hoher Desinfektionskraft. Die Wirkung der Al¬ 
kohole der aliphatischen Reihe gegenüber Diphtheriebacillen nimmt mit 
dem Molekulargewicht vom Methyl- bis Decylalkohol zu, und zwar so¬ 
wohl die antiseptische als auch die Desinfektionswirkung. Es besteht 
also ein Parallelismus zwischen der Wirkung der Alkohole und der der 
Chininderivate, die durch Einführung der Alkoholradikale entstanden 
sind. Man könnte daran denken, durch Einführung bekannter Des¬ 
infektionsmittel, z. B. Phenolen oder Thymol, die Desinfektionswirkung 
der Chininderivate zu steigern. Im Menschenserum zeigen die Derivate 
des Hydrocupreins eine Abschwächung ihrer abtötenden Wirkung. Sie 
wirken aber doch noch gut. Eucupin und Isoctylhydrocuprein sind z. B. 
im Menschenserum noch in der Verdünnung von 1:500 in 10 Minuten 
sioher bakterizid. Welches von den geprüften Chininderivaten am meisten 
Aussicht bei Behandlung der Diphtherie bietet, lässt sich auf Grund 
von Reagensglasversuchen nioht entscheiden. R. Lewin. 

Dreser-Düsseldorf: Zum Argentum eolloidale des Arzneibuchs. 
(Zschr. f. exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 285.) Die Ar¬ 
gentum colloidale-Präparate des Handels weisen erhebliche Verschieden¬ 
heiten unterei nander auf. Zur Vermeidung von Lungenembolien dürfen 
nur frisch filtrierte Lösungen intravenös injiziert werden. 

Holste-Jena: Zur Strophantinfrage. (Zschr. f. exper. Path. u. 
Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 153.) Verf. hat die Veränderlichkeit von 
Lösungen des k-Strophantins aus der Fabrik Boehringer & Söhne wie 
des g Strophantins aus der Chemischen Fabrik Güstrow nach einer von 
ihm ausgearbeiteten Methode am isolierten Froschherzen eingehend ge¬ 
prüft. Dadurch ist von ihm der Beweis gebracht worden, dass die g- 
Strophantinlöaungen ihren Valor mehrere Jahre unverändert halten, 
während diejenigen des k-Strophantins ungefähr nach Ablauf eines 
Jahres an Wertigkeit verlieren. Deshalb wird gefordert, dass sämtliche 
Strophantinlösungen nioht nur physiologisch auf einen bestimmten 
Valor eingestellt, Bondern auch auf die dauernde Konstanz desselben 
nachgeprüft werden müssen. Die maximale Strophantindosis für intra¬ 
venöse Injektionen ist auf 0,5 mg herabzusetzen. M. Goldstein. 

G. Giemsa und J. Halberkan: Üeber das Verhalton des Chinins 
im menschlichen Organismus. (Arch. f. Schiffs u. Trop. Hyg., 1917, 
Bd. 21, H. 20 u. 21, S. 333—349.) Die Kaliumquecksilberjodidmethode 
zur Prüfung des Harns auf Chinin ist qualitativ ausgezeichnet, quanti¬ 
tativ aber unbrauchbar. Quantitativ muss das Chinin vielmehr isoliert 
und ge wichts/maly tisch bestimmt werden. Die lediglich auf Grund der 
Kaliumquecksilberjodidprüfung gewonnenen Angaben von Teich mann 
(D.m.W., 1917, S. 1092) und auch von Neuschlosz (M.m.W., 1917, 
Nr. 37 u. 39), dass die Chiningewöhnung zu einer Abnahme der Aus¬ 
scheidung dieses Alkaloids führe, fanden sich bei exakter quantitativer 
Feststellung nioht bestätigt. Damit entfällt die begründende Voraus¬ 
setzung für die Teichmann’sohe neue Chinintherapie. Ebensowenig ist 
die Annahme von Neuschlosz riohtig, dass der Nutzen kombinierter 
Chinin-Arsenbehandlung bei chronischer Malaria auf einer Einschränkung 
der Chininzerstörungskraft des Organismus durch das Arsen beruhe. 
Eine vermehrte Chininaussoheidung durch den Harn findet nach Arsen¬ 
gaben nicht statt. Weber. 

Impens-Elberfeld: Ueber die Einwirkung der Snbstansea der 
DigitaUnreihe anf die Oxydasegrannia des Sängetierherxens. (Zschr. 
L exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 205.) Aus den Unter¬ 
suchungen des Verfs. ergibt sich, dass eine Schädigung der Granula mit 
dem typischen Herzstillstand und mit dem spezifischen Toxizitätsmeoha- 
nismus der Substanzen der Digitalinreihe nioht in unmittelbaren Zu¬ 
sammenhang zu bringen ist, denn trotz akuten Stillstands weisen 
manche Herzen Granulabilder auf, die von den normalen nicht ab- 
veichen, und dass in Anbetracht des in weiten Grenzen wechselnden 
Bildes der Oxydasegranula des normalen Herzens die Frage noch offen 
bleibt, ob die Digitalinsubstanzen überhaupt eine Schädigung der Gra¬ 
nula sekundär hervorrufen. 


Rotter-Breslau: Zur Kenntnis des Atophans und einiger Atophan- 
derivate. (Zschr. f. exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 176.) 
Versuche des Verf. am Kaltblüter (Rana temporaria) haben gezeigt, dass 
Atophan bei diesem schon in geringen Dosen deutlich toxisoh wirkt. 
Das käufliche Atophan-Schering erwies sich weniger toxisch als das 
Atophan-Natrium. Da die Angriffspunkte das Zentralnervensystem und 
besonders der nervöse Apparat des Kalkblüterherzens, die beide duroh 
das Atophan gelähmt werden, bilden, musste mit der Möglichkeit ge¬ 
rechnet werden, dass Behandlung der Tiere mit herzerregenden Mitteln 
(Calcium, Coffein, Atropin) die Atophan-Wirkung aufheben oder mindern 
könne. Keine der angeführten Substanzen erwies sioh aber als geeignet, 
die typische Wirkung des Atophans im intakten Tier oder am isolierten 
Froschherzen aufzuheben. Was das Verhalten der mannigfachen Atophan- 
derivate anbetrifft, so hat sich durch Experimente erkennen lassen, dass 
der Grad der Wirksamkeit von der Substitution einerseits am Chinolin* 
kern, am Benzolring andererseits abhängig ist. Die Ungiftigkeit des 
Hexophans beruht auf der Anwesenheit der zweiten Carboxylgruppe. Es 
gelang nicht, einen die Atophanwirkung antagonistisch beeinflussenden 
Körper zu finden. Weitere Versuche zeigten, dass die Bildung und 
Mobilisation der Harnsäure mit der Oxydation des Atophand im Organis¬ 
mus zeitlich zusammenfällt. Wahrscheinlich kommt es erst duroh die 
Oxydationsprodukte (Oxyphenylchinolinkarbonsäure) sekundär zur ver¬ 
mehrten Harnsäureausscheidung. 

Pohl: Die physiologischen Wirknngen des Hydroatoph&as. 

(Zschr. f. exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 198.) An der 
Hand von Tierexperimenten wird gezeigt, dass die Beziehungen des 
Atophanmoleküls zum Herzen durch die Hydrierung völlig sohwinden 
und dafür eine intensive spinale und periphere Erregungswirkung ein- 
tritt. Gleichseitig liess sich naohweisen, dass der Tetanus spinalen, 
die fibrillären Zuckungen peripheren Ursprungs sind. M. Goldstein. 


Therapie. 

Wilms: Hei! sag der Trigeminnsneoralgie durch Röntgen¬ 
bestrahlung. (M.m.W., 1918, Nr. 1.) Besonders geeignet für Röntgen¬ 
bestrahlung sind Fälle von Neuralgie, die nach Entzündungen auftreten 
(Parulis, Kieferhöhlenentzündung, Influenza, Angina), aber auch die rein 
rheumatischen Formen bieten Aussicht auf Erfolg. Bisweilen kommt es 
anfangs zu einer Verstärkung der Schmerzen. * Technik: Auf jede 
Schläfen- und Wangengegend je eine Tiefendosis von 30—40 x mit 3 mm 
Aluminiumfilter. Vorsicht vor Sekundärstrahlen, die Haarausfall be¬ 
wirken. Vor jeder chirurgischen Behandlung oder Alkoholeinspritzung 
sollte ein Versuch mit Röntgenbehandlung gemacht werden. Auch bei 
anderen Neuralgien (Oooipitalneurose) empfiehlt sich die Röntgenbehandlung. 

Geppert. 

E. C. Cutler und B. H. Alton: Ueber die Heaanng tob Stryehnin- 
k rümpfen durch intraspinale Injektionen von Magnesiumsulfat. (Journ. 
of exp. med., 1917, Bd. 25, H. 1.) In einem Falle von Stryohninvergif- 
tung bei einem Kinde verabfolgten Verff. 0,9 ccm einer 25 proz. Magnesium¬ 
sulfatlösung intraspinal. Die Krämpfe liessen darauf sofort nach und 
kehrten nicht wieder. Auch an Katzen konnten Verff. die lebensrettende 
Wirkung von intraspinalen Injektionen von Magnesiumsulfat bei experi¬ 
menteller Strychnin Vergiftung feststellen. Für klinische Zwecke emp¬ 
fehlen Verff. als Dosis 1 ccm einer 25 proz. Magnesiumsulfatlösung auf 
20 Pfund Körpergewicht bei Erwachsenen, die Hälfte dieser Dosis bei 
Kindern. Intravenös sollte man gleichzeitig 200—300 com Salzlösung 
injizieren. Bei Wiedereintritt von Krämpfen kann die Injektion von 
Magnesiumsulfat wiederholt werden. R. Lewin. 

A. Renault: Die Behandlnng der Männlichen Bleanorrhagie. 
(La presse m6d., 1917, Nr. 66.) Polemik gegen eine Arbeit 
Chevalliers in der gleichen Zeitschrift. Im Gegensatz zu letzterem sind 
nach R. Säuren, Essig, Salat, Zitronen, Spargel (Asparagin) usw. kontra¬ 
indiziert. Ebenso am Beginn der Behandlung der Balsamica, die auoh 
reizen. Vermehrte Flüssigkeitszufuhr ist erst nach Abklingen des ersten 
Stadiums angebracht, wenn die Miktion nicht mehr schmerzhaft ist. 
Andererseits ist auch diese ohne Lokalbehandlung duroh Balsamica 
heilbar. Da diese schnell den Sphinkter überschreiten, genügt die Aus¬ 
spritzung der vorderen Urethra nicht; Blasenspülungen sind notwendig. 
Zeichen der Heilung sind: Ausbleiben jeden Ausflusses, auch des Morgen¬ 
tropfens (die Urethra muss ausgedrückt werden); negativer Ausfall der 
2 Gläserprobe. Bei Rezidiven sind die Balsamica wirkungslos, angebracht 
vielmehr lediglich,grosse Spülungen bis in die Blase, am besten täglich 
mit Kal. hyperm. oder mit Arg. nitr. 0,02—0,025: 1000, dazu Prostata¬ 
massage alle 3 Tage; weichen Go. und Ausfluss auch dann nicht, so 
bewährt sioh jeden zweiten Abend die Einführung medikamentöser 
Bougies (Jodotannin oder Tannin). Nützlich ist vor der Spülung die 
Erweiterung mit starken Benique-Sonden. Endoskopie und Kauterisation 
ist nur sehr selten nötig. Alkohol und Geschlechtsverkehr sind auch 
bei der chronischen Go. zu meiden. Krakauer-Breslau. 

Gould: Moderne Antiseptica. (Brit. med. journ., Nr. 2869.) Zwei 
neue Arten, schwer infizierte Wunden zu rascher Heilung zu bringen. 
Die eine, von Carrel angegebene, besteht in einer sorgfältigen, zwei¬ 
stündigen Berieselung des ganzen Wundbezirks mit einem starken Anti- 
septicum, genannt Eusol oder Dakin’sohe Lösung, und täglicher Zäh¬ 
lung der Bakterien, die aus einem von dem Wundsekret gemachten 
Ausstrioh gewachsen sind; sobald deren Zahl auf ein gewisses Mindest- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


maass heruntergegangen and an 3 aufeinander folgenden Tagen so 
niedrig geblieben ist, wird die Wunde geschlossen. Empyeme und 
komplizierte Knochenbrüche heilten auf diese Weise ausgezeichnet. — 
Die zweite, sog. Morison’sche Methode besteht in dem Aufstreichen 
einer antiseptischen Paste (bipp) auf die vorher peinlichst gesäuberte 
Wundoberfläche und Einreiben der Paste in letztere. Dann sofortiger 
Schluss der Wunde und Anlegung eines Verbandes, der etwa 12 Tage 
liegen bleibt. Auch diese Methode liefert glänzende Ergebnisse. 

Schreiber. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

E. Neumann-Königsberg: Zur Verständigung über Fraget der 
Entzündiingslehre. (Ziegl. Beitr. z. path. Anat., 1917, Bd. 64, H. 1.) 
Verf. formuliert das Verhältnis zwischen Entzündung und Regeneration 
entgegen einer früheren Arbeit in folgender Weise: Die Entstehung einer 
Entzündung nimmt ihren Ausgangspunkt stets von einer Läsion im Ge¬ 
webe, welche entweder in einer Kontinuitätstrennung oder in einer irgend¬ 
wie bedingten Auslösung von Gewebsteilen im Innern oder an der Ober¬ 
fläche besteht. Die auf diese Läsion folgende Reaktion setzt sich aus 
einem entzündbaren und einem regenerativen Prozess zusammen, welohe 
gemeinsam die Heilung der Läsion herbeiführen. Beide Prozesse ent¬ 
wickeln sich nebeneinander oder so, dass anfänglich nur die Entzündungs¬ 
erscheinungen auftreten. Es gibt zwar keine Entzündung ohne Regene¬ 
ration, wohl aber eine Regeneration ohne Entzündung. Des ferneren 
geht Verf. auf die von ihm bezeichnete „fibrinoide Regeneration“ des 
Bindegewebes mit einigen Worten ein. Schönberg. 

H. Olivecrona: Eine vereinfachte Methode zur Darstellung der 
Markscheiden an Gefrierschnitten. (Zbl. f. Path., 1917, Bd. 28, Nr. 21.) 
Angaben über eine rasche und einfache Darstel längs weise der Mark¬ 
scheiden an formolfixiertem Material mittels Weigert’schem Hämatoxylin. 

Socin. 

St. Lipoka-Mlodowska-Bern: Zur Kenntnis des Muskelglykogezs 
und seiner Beziehungen zum Fettgehalt der Muskulatur. (Ziegl. Beitr. 
z. path. Anat., 1917, Bd. 64, H. 1.) Die Verteilung des Glykogens auf 
die einzelnen Muskeln sowie auf seine Fasern ist verschieden und zum 
Teil abhängig von der Spezies. Dasselbe gilt vom Glykogengehalt des 
Herzmuskels, der in seinem Glykogenreiohtum keine Abhängigkeit zeigt 
von der übrigen Muskulatur. Zufuhr von Kohlenhydraten vermehrt den 
Glykogengehalt der Skelettmuskulatur, während am Myocard ein solcher 
Einfluss nur beim Kaninchen beobachtet wurde. Fett- und Glykogen¬ 
gehalt kann nebeneinander in der gleichen Faser sich finden und hängt 
ab von der Zufuhr von Kohlenhydraten resp. von Fett. 

G. Haller-Königsberg: Beitrag zur Erkenntnis der Erkrankungen 
der Schleimbentel. (Virch. Arch., 1917, Bd. 224, H. 1.) An Hand 
eines Falles von Schleimbeutelerkrankung der Kniekehle konnte Verf. 
aus dem histologischen Befund den Schluss ziehen, dass die Synovia 
durch Abstossen, Zerfall und Auflösung der Zellen der Innenhaut der 
Synovialmembran entstehe. Im beschriebenen Falle fand die Auflösung 
der abgestossenen Zellen nur teilweise statt; die nicht aufgelösten Ge¬ 
bilde haben sich zusammengebacken und feste Körper im Innern des 
Schleimbeutels gebildet. 

E. Meyer-Mannheim: Die Thoraxform bei Skoliosen nnd Kypho¬ 
skoliosen und ihr Einfluss auf die Brustorgane. (Ziegl. Beitr. z. path. 
Anat., 1917, Bd. 64, H. 1.) Neben einer Veränderung des Zwerchfell¬ 
standes sehen wir bei Skoliosen und Kyphoskoliosen eine Beeinflussung 
des Herzens in der Lage, Grösse und Funktion, bedingt durch Deformität 
und Einengung des Thorax sowie durch die erschwerte Zirkulation im 
kleinen Kreislauf, bedingt durch die atelektatischen und emphysematosen 
Partien in den Lungen. 

D. v. Hansemann-Berlin: Ueber Pneumoeephalus. (Virch. Arch. 
1917, Bd. 224, H. 1.) Bei der Sektion eines Soldaten mit Schussver¬ 
letzung in der Hinterhauptgegend daroh Granatsplitter fand sich an den 
Seitenventrikeln eine Dilatation durch Luftansammlung. 

C. Hart-Berlin-Sohöneberg: Thymusstudien. VI. Eine menschliche 
Hongerthymns. Virch. Arch., 1917, Bd. 224, H. 1.) Die Befunde an 
der menschlichen Hungerthymus decken sich mit den beim Tierexperiment 
beobachteten und entsprechen durohaus denen, die bei der physiologischen 
und pathologischen Thymusinvolution angetroffen werden. Es findet sich 
ein zum Zelluntergang führender Verfettungsprozess, dem ein Zerfall 
und Schwund kleiner Thymuselemente parallel geht. Das Gewicht der 
ganzen Thymus ist sehr niedrig. , Schönberg. 

Edw. A. Park: Ueber Thymus-Exstirpation beim Meerschweinchen. 
(Journ. of exp. med., 1917, Bd. 25, H. 1.) Beim Meerschweinchen 
fand Verf. stets in der Nähe der Parathyreoideae akzessorische Läppchen 
der Thymus. Für die vollständige Exstirpation dej Thymus ist das 
Meerschweinchen daher ein ungeeignetes Objekt, und die Exstirpations¬ 
versuche früherer Autoren müssen als unzuverlässig angesehen werden. 
Des Verfaseers Exstirpationsversuche an der Thymus von Meerschweinchen 
verursachten keine der beschriebenen typischen Veränderungen. 

K. Motzfel dt: Experimentelle Studien über die Beziehung der 
Glandula pitnitaria zur Nierenfunktion. (Journ. of exp. med., 1917, 
Bd. 25, H. 1.) An Kaninchen studierte Verf. die Wirkung von Hypo¬ 
physenextrakten auf künstlich hervorgerufene Polyurie. Extrakte der 
Pars intermedia und des Hinterlappens der Hypophyse hemmten die 
Polyurie bei dualer, intravenöser und subkutaner Verabfolgung. Ex¬ 


trakte des Vorderlappens wirkten ähnlich, dooh nur bis zu einem ge¬ 
wissen Grade. Dieser antidiuretische Effekt der Hypophysenextrakte 
ist unabhängig von Veränderungen im Blutdruck, von der Darmresorption 
und von der Wirkung der Vagi. Nach Durchtrennung der Nervisplanchnici 
wird der antidiuretische Effekt verzögert, auch nach Durchtrennung der 
renalen Nerven. In ähnlicher Weise antidiuretisch wirken auoh /Mmid- 
azolylätbylamin, p-Oxyphenylätbylamin, Secale cornutum, Nikotin, 
Coffein in grossen Dosen und Extrakte der Nebennierenrinde. Strychnin, 
Morphin, Adrenalin, Extrakte der Thyreoiden, der Thymus, der Gl. 
pinealis, des Pankreas und der Corpora lutea bleiben ohne Wirkung 
auf die Polyurie. Bei Tieren unter Chloral- oder Paraldehydnarkose 
beobachtet man eine kurze initiale Zunahme der Harnabsonderung. Die 
antidiuretische Wirkung der Hypophysenextrakte kommt durch Reizung 
des Sympathicus zustande, wobei das renale- vasomotorische System die 
Hauptrolle spielt. R. Lewin. 

A. Guillebleau-Bern: Desquamation aad Sekretion in der Glan- 
dnla thyreoidea. (Virch. Arch., 1917, Bd. 224, H. 2.) Bei lebensfrischen, 
in der von Gley und fcctfrwy angegebenen Lösung 24—48 Stunden im 
Brutschrank aufbewahrten Schilddrüsenstückchen von gesunden Rindern, 
Pferden und Schweinen fand sich bei histologischer Untersuchung im 
Vergleich zu Kontrollpräparaten, die sofort in Fixationsflüssigkeiten ge¬ 
bracht wurden, eine Proliferation des Follikelepithels. Wie in der Milch¬ 
drüse durch Desquamation des Epithels das Milchferment, so entsteht 
in der Thyreoidea das Kolloidferment aus dem zu diesem Zwecke ab- 
gestossonen Epithel. Es verwandelt die transsudierten Blutbestandteile 
in Schilddrüsensekret. Zur Entstehung des Ferments ist eine normale 
Zirkulation notwendig. Bei Stauungszuständen oder Anämie kommt es 
zu einer Anhäufung von Epithelien in den Follikeln; es gelangt zu 
wenig Bluttranssudat zu den abgelösten Epithelien, um sie rasch zur 
Eoschmdzucg zu bringen. 

W. M. de Vries-Amsterdam: Ueber Abweichungen, in der Zahl 
der Semiloaarklappei. (Ziegl. Beitr. z. path. Anat., 1917, Bd. 64, H. 1.) 
Unter einem Material von 3600 Sektionen fand sich 12 mal eine Re¬ 
duktion und einmal eine Vermehrung der Aortenklappen, 3mal eine 
Reduktion und 9mal eine Vermehrung der Pulmonalklappen. In einem 
Falle bestand eine kombinierte Form. Eine einheitliche Erklärung dieser 
Missbildung ist noch unmöglich. Die Pulmonalreduktion ist auf Ver¬ 
änderungen in der Zeit vor oder während der Truncusteilung, die 
Aortenreduktion teilweise auf solche in der Zeit nach der Trunous- 
teilung zurückzuführen. Schönberg. 

Kaufmann und Rothberger - Wien: Experimentelle Unter¬ 
suchungen über die Inäqnalität des Pulses bei der Arrhythmia per- 
petaa. (Zscbr. f. exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 251.) 
Versuche an narkotisierten Hunden haben gezeigt, dass die bei Vorhof¬ 
flimmern nach kurzen Diastolen und grossen vorhergegangenen Pulsen 
auftretenden kleinen Pulse nur zum Teil auf ungenügende Füllung 
der Herzkammern zurückzuführen sind. Eine bisher sicher unterschätzte 
Rolle spielt der Umstand, dass nach einer kurzen Diastole und nach 
einem vorhergehenden kräftigen Schlage die Kontraktilität des Herz¬ 
muskels noch nicht so weit wiederhergestellt ist, um ihn wieder einen 
kräftigen Schlag ausführen zu lassen. Der Beweis wurde durch den 
Nachweis erbracht, dass nach einer weiteren Beeinträchtigung der Kon¬ 
traktilität diese schwachen Herzschläge auch nach viel längeren Diastolen 
auftreten, welche den Einwand einer zu geringen Füllung nicht mehr 
zulassen. — Die Umformung der Kammerelektrogramme beruht auf par¬ 
tiellen Leitungsstörungen, d. h. auf Block in einzelnen Aesten des 
Reizleitungssystems in den Kammern. — Da bei Alternans Unterschiede 
in der Grösse und Form der Zacken des Elektrogramms der grossen 
und kleinen Systolen Vorkommen können, müssen auch beim experi¬ 
mentellen Alternans neben der wechselnden Pulshöhe sicher oft Stö¬ 
rungen der Reizleitungen bestehen. Wo die Leitungsstörung beim 
Alternans aber vorhanden ist, kann sie vielleicht für sich allein manche 
Fälle aufklären, in welchen die einzelnen Tätigkeitsäusserungen des 
Herzens gegensinnig alternierten. M. Goldstein. 

B. v. Eutz: Lebergelenkkrankheit des Menschen mit bili&rer 

Cirrhose. (Zbl. f. Path., 1917, Bd. 28, Nr. 20.) Bei einem 24jährigen 
Mann, welcher klinisch Lebervergrösserung und Ascites aufgewiesen hatte, 
ergab die Autopsie eine typische biliäre Cirrhose mit Lebergewebs- 
nekrosen und starker inter- und intraacinöser Bindegewebswucherung, 
bedingt durch die Anwesenheit zahlreicher Exemplare von Fasciola hepatica 
in den Gallenwegen. Die parasitenhaltigen Gallengänge sind erweitert 
und enthalten ausser den Würmern eiteruntermischte Galle und zum 
Teil Charcot-Neumann’sche Kristalle. Die Infektionsquelle liess sich in 
diesem Falle nicht feststellen. Socin. 

G. Lepehne-Freiburg: Milz und Leber. Ein Beitrag zur Frage 
des hämatogenen Ikterus, zum Hämoglobin- u. Eisenstoffwechsel. (Ziegl. 
Beitr. z. path. Anat., 1917, Bd. 64, H. 1.) Zwischen Milz und Leber 
bestehen, innige Beziehungen in der Hämoglobinverarbeitung und Eisen- 
speicherung, indem die Kupffer’schen Sternzellen der .Leber die Milz bei 
den Vögeln schon normalerweise, bei den Säugetieren nach hämo¬ 
lytischer Vergiftung unterstützen und nach Milzexstirpation deren Funktion 
ersetzen und rote Blutkörperchen phagocytieren und Eisen in sich auf¬ 
speichern. Diese Funktion der K.’schen Sternzellen konnte durch 
Collargolspeicherung verhindert werden, wobei es bei arsenwasserstoff¬ 
vergifteten Tauben zu eigenartigen Verklumpungen freigewordener roter 
Blutkörperchen innerhalb des strömenden Blutes kam. Bei vergifteten 


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4. Mär* 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Collargoltauben blieb der sonst auftretende Ikterus aus und war bei 
gleichseitiger Milzexstirpation nur schwach ausgebildet. Eisenausscheidung 
in der Niere trat nur bei oollargolgespeicherten Kaninchen auf, hingegen 
bei gleichzeitiger Collargolspeioherung, Entmilzung und Vergiftung be¬ 
stand rasche Eisenausscheidung bei Tauben, Enten, Kaninchen und 
Ratten. Sohönberg. 

Weiland: Ueber den Einfluss wechselnder Anssentemperatnren 
aif die Zaekeraasseheidnngen phloridiindiabetischer Hude. (Zschr. 
f. exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 211.) Es ist möglich, 
bei gleichbleibender Aussentemperatur bei phloridzindiabetischen Hunden 
bei gleicher Ernährung konstante Zuokerausscheidungen hervorzurufen. 
Der Einfluss der umgebenden Aussentemperatur ist in allen unter¬ 
suchten Fällen deutlich erkennbar, tritt jedoch nicht in so grossem 
Unterschied hervor und auch nioht so ganz konstant, wie bei pankreas¬ 
losen Hunden. Beeinflussung durch Ernährungszustand und Nahrungs¬ 
zufuhr besteht nicht. Als hauptsächliche Ursache für die wechselnde 
Ausscheidung ist der wechselnde Blutzuckergehalt anzunehmen. 

M. Goldstein. 

C. H. Bailey: Ueber die Erzeagaig voa Arteriosklerose aad 
8lener«!onephritis beim Kaninchen durch intravenöse Injektionen von 
Diphtherietoxin. (Journ. of exp. med., 1917, Bd. 25, H. 1.) Duroh intra¬ 
venöse Injektion von DiphtherietoxiD entsteht bei Kaninchen eine vas¬ 
kuläre Degeneration der ganzen Aorta, der Garotiden und anderer 
grosser Gefässe. Die Läsionen bestehen in einer fettigen Degeneration 
und einer Nekrose der glatten Muskulatur. Bei Kaninchen, die gleich¬ 
zeitig mit dem Diphtherietoxin Pituitrininjektionen erhalten hatten, 
bildete sich eine ausgedehnte Verkalkung in den degenerierten Gebieten 
aus. Verfi. glauben aber, dass das Pituitrin nicht von unmittelbarem 
Einfluss bei der Entstehung der Verkalkung sei. Diphtherietoxin erzeugt 
bei intravenöser Injektion in grossen Dosen in den Nieren der Kaninchen 
eine ausgesprochene vaskuläre und parenchymatöse Degeneration. 

R. Lewin. 

Lipproann und Brückner-Berlin: Experimentelle Untersuchungen 
über die lokale Entstehung lynphocyteiähalieher lalle« im Kaninehen- 
a«ge. (Zschr. f. exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 321.) 
Im Auge völlig blutleukozytenfreier Tiere lässt sich duroh Einführung 
entzündungerregender Substanzen in das Auge die Bildung blutzellähnlicher 
Exsudatzellen hervorrufen. Die Punktion der vorderen Augenkammer 
erlaubt, die Zellen, die sich ablösen und in das Kammerwasser über¬ 
treten, unter Zuhilfenahme der spezifischen Blutfärbemethoden zu unter¬ 
suchen. Die isolierte Reaktion der Cornea gestattet, die im Kammer¬ 
wasser auftretenden Zellen als Derivate des Hornhautendothels zu identi¬ 
fizieren. Bei stärkere^ Reiz gibt auch die Iris Entzündungszellen ab. 
Die beiden Zellarten sind mit Sicherheit voneinander zu unterscheiden. 
Dass nicht ausschliesslich die Adventitia bzw. die Klasmatozyten für 
lokal entstandene Exsudatzellen als Mutterboden in Frage kommen, be¬ 
weisen die Versuche der Verf. am Endothel der gefässlosen Hornhaut. 
Neben den Leukozyten und Lymphozyten des Blutes gibt es noch eine 
dritte Art freier Zellen, die Histiozyten. M. Go Idstein. 

F. S. Jones und P. Rous: Ueber die phagozytäre Kraft der 
Biadegewebszellen. (Journ. of exp. med., 1917, Bd. 25, H. 1.) 
Die in vitro kultivierten Bindegewebszellen vom Bindegewebe von Vögeln 
und Säugetieren sind imstande, Bakterien zu pbagozytieren, doch nur in 
Gegenwart von Serum. Sie bedürfen also der Mitwirkung von Opsoninen. 
Die phagozytierenden Zellen sind * wahrscheinlich endothehialer Natur. 
Die Fibroblasten sind nicht phagozytär. R. Lewin. 


Parasitenkunde und Serologie. 

L. Berozeller*. Untersuchungen über die Wassennana’sche Re- 
aktii«. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 83, H. 5 u. 6, S. 315.) Die sehr 
umfangreiche Arbeit zerfällt in 4 grosse Abteilungen, die allgemeine 
Methodik, Beiträge zur Kinetik der Wassermann’schen Reaktion, Spe¬ 
zielles über das Verhalten des Menschenserums in der Wassermann- 
sehen Reaktion und Beiträge zur Topographie der Wassermann’sohen 
Reaktion. In der allgemeinen Methodik bringt Verf. eine Vereinfachung 
der Wassermann’schen Reaktion, schildert die Benutzung von Tropf¬ 
pipetten bei serologischen Arbeiten und gibt die Darstellung einer 
Mikromethode zur Ausführung der Wassermann’schen Reaktion. Zur 
Kinetik der Wassermann’schen Reaktion bringt Berozeller eine Unter¬ 
suchung des Gleichgewichts und mit seinem Mitarbeiter Heller eine 
Untersuchung über den Mechanismus der Einwirkung des Antigens, des 
syphilitischen Serums und des Komplements aufeinander. Sodann folgt 
gemeinsam mit Heller eine quantitative Untersuchung der Wasser¬ 
mann’schen Reaktion. Mit Stänker und Staffen untersucht Verf. 
dann die hämolytische Wirkung des menschlichen Serums gegenüber 
einigen Blutkörperchenarten. Wegen der Besonderheiten muss auf die 
Originalarbeit verwiesen werden. R. Lewin. 


Innere Medizin. 

Ohm-Berlin: Ueber praktische Verwertung der Registrierung des 
Herisehllls. (Zschr. f. exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, 
S. 299.) Die Registrierung der mechanischen, den Herzschall ergänzenden 
Schwingungen ist im allgemeinen ergiebiger als die Auskultation. Es 
lassen sich Schwingungen zur sichtbaren Darstellung bringen, die als 


Sohallersoheinung entweder gar nicht oder doch nur undeutlich wahr¬ 
genommen werden können — nämlich die Vorhofschwingungen. Einzelne 
Soballerscheinungen können mit Hilfe von Registrierung der entsprechenden 
mechanischen Schwingungen genauer in die Phasen der Herzrevolution 
zeitlich lokalisiert werden. Die Bilder sind sowohl der Zeitdauer der 
Schwingungen wie ihrer Form nach für die typischen Vitien charakteristisch. 

M. Goldstein. 

J. Tr aut wein-Kreuznach: Die Pnlswelie, ihr Entstehen und Ver¬ 
gehen und ihre Bedeutung für den Blutkreislauf. (Virch. Arob., 1917, 
Bd. 224, H. 1.) In dieser Arbeit werden die vom Verf. früher im gleichen 
Arohiv mitgeteilten physikalischen Beobachtungen zur Erklärung des 
Blutkreislaufs herangezogen. Die ausgedehnten Betrachtungen eignen 
sich nicht für ein kurzes Referat. Verf. schliesst seine Abhandlung mit 
folgenden Worten: „Soviel soheint mir aber nach meinen vorliegenden 
Untersuchungen festzustehen, dass der Vitalismus aus der Dynamik des 
Blutkreislaufes vollständig verdrängt ist, dass alle Vorgänge im Blut¬ 
gefässsystem sich nach einfachen hydrodynamischen Gesetzen erklären 
lassen.“ Schönberg. 

H. Friedenthal: Ueber Kapillardruckbestinnug. (Zschr. f. 
exper. Path. u. Ther., 1917. Bd. 19, H. 2, S. 222.) Der Kapillardruck 
ist keine schlechthin messbare oder verwertbare Grösse, sondern jeder 
Messwert bedarf einer kritischen Analyse. Verlängerung, dauernde Ver¬ 
engung oder Erweiterung von Haargefässen, sowie andauernde Peristaltik 
oder Wechsel der Gefässweite könnten bei genauerem Studium sehr wohl 
bei einer Reihe von Krankheiten zu wichtigen Ergebnissen führen, 
namentlich wäre auf gleichmässige Veränderungen im Kapillarsystem, 
die sich nicht auf einzelne Körperstellen beschränken, zu fahnden. 

M. Goldstein. 

Levy-London: Zahl der rote« Blatzellen und Blutfarbstoffgehalt 
bei. Sehwächeznstäade« des Herzens. (Brit. med. journ., Nr. 2970.) 
L. untersuchte 15 Soldaten, die an leichten, mittleren und schweren 
Graden von Herzschwäche litten, nnd fand durchgehend eine erhebliche 
Vermehrung der roten Blutzellen, bei fünf der Untersuchten sogar über 
6 000 000 im Kubikmillimeter. Demgegenüber war der Blutfarbstoff¬ 
gehalt etwas geringer als normal. Die Fälle waren nicht ausgesucht! 
Das durchschnittliche Alter der Kranken betrug 28 Jahre. 

Schreiber. 

Sohenitzky-Prag: Das Blutbild bei Lungentuberkulose und seine 
Beeinflussung durch Tuberkulinpräparate. (Zschr. f. exper. Path. u. 
Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 228.) Die Lungentuberkulose zeigt im 
initialen Stadium meistens ein normales Blutbild mit fast stets redu¬ 
zierten Hämoglobin werten und Erythrozyten zahlen, oft finden wir auch 
mehr oder weniger deutliche Lymphozytose. Bei fiebernden Lungen¬ 
tuberkulosen sieht man ziemlich oft Neutrophilie. Die Uebergangsformen 
und Monozyten sind meistens vermehrt, die Eosinophilen normal oder 
häufig vermindert. Nach Tuberkulininjektion tritt meistens schon naoh 
kleinen therapeutischen Dosen Neutrophilie als Ausdruok der begleiten¬ 
den reaktiven Erscheinungen ein. Auch Lymphozytose oder Eosinophilie 
sieht man nach Tuberkulininjektion. Eosinophilie kann immer als Zeichen 
der Besserung aufgefasst werden, ihr Fehlen ist aber, entgegen Brö- 
samlen, nicht an und für sich ein Zeichen der Verschlimmerung oder 
schlechter Bedeutung. Nur in leichtesten Fällen ist die Indikation zu 
einer vorsichtig geleiteten Tuberkulinkur gegeben, bei schwereren 
Kranken wurden nie Besserungen, höchstens Verschlimmerungen gesehen. 

M. Goldstein. 

F. Franke: Behandlung der Pneumonie mit Salicyl und Anti- 
pyrin. (M.m.W., 1918, Nr. 1.) Wenn sich Verf. wundert, dass seine 
übrigens keineswegs originelle Empfehlung, Pneumonien mit Salicyl und 
Antipyrin zu behandeln (Mixtur mit Inf. fol. digit.), keine besondere 
Naohahmung gefunden hat, so mag daran erinnert sein, dass nach der 
Einführung der Derivate der Salicyl- und Antipyringruppe an allen 
grossen Kliniken diese auch bei Pneumonie angewandt wurden, aber von 
den meisten Klinikern bekanntlich wieder verlassen worden sind. Die 
angeführten Fälle wirken auch kaum überzeugend, besonders der eine, 
bei dem es sich um ein Empyem handelte. 

Scbittenhelm und Schlecht: Ueber eine grippenartige In¬ 
fektionskrankheit (Pseudogrippe). (M.m.W., 1918, Nr. 3.) Epidemisch 
auftretende Massenerkrankungen mit folgenden charakteristischen Sym¬ 
ptomen. Beginn plötzlich ohne Prodrome, bisweilen mit Schüttelfrost. 
Anfangs bei kontinuierlichem Fieber schwer infektiöser Zustand. Fieber¬ 
dauer durchschnittlich 4—6 Tage, lytischer Abfall, bisweilen darauf 
nochmals Erhebung (Relaps), sattelförmiger Fieberkurventyp. Katar¬ 
rhalische Lun gen Symptome nur selten, häufig Druckempfindliohkeit des 
Abdomen, keine Milzscbwelluog, vielfach Albuminurie mit Cylindrurie, 
Conjunctivitis. Von seiten des Nervensystems während der Fieber¬ 
periode Benommenheit und Delirien. Kein bakteriologischer Befund. 

Geppert. 

Alfred E. Cohn und R. A. Jamieson: Ueber die Wirkung der 
Digitalis bei der Pneumonie. (Journ. of exp. med., 1917, Bd. 25, H. 1.) 
An einem klinischen Material von 105 Fällen von Pneumonie verfolgten 
Verff. die Wirkung oraler Verabfolgung von Digitalis. Beurteilt wurde 
die Wirkung nach dem Verhalten des Ekg. Digitale wirkt während 
der febrilen Periode, besonders günstig bei Vorhofsflimmern. 

R. Lewin. 

Bouty: Vineent’sche Halsentzündung unter den Truppen in Frank¬ 
reich. (Brit. med. Journ. Nr. 2969.) Diese Erkrankung hat in den letzten 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


zwei Jahren immer mehr zugenommen. Während ihre Verbreitung in 
Friedenszeiten nur 2—3 pCt. aller Halskrankheiten im französischen 
Heere ausmachte, haben neuerliche Zählungen in einem englischen 
Lazarett in Frankreich eine Häufigkeit von 23pCt. ergeben. Die Er¬ 
krankung ist ernster, als gewöhnlich angenommen wird, insbesondere 
sind Nieren-ReizuDgen nicht selten. Auch echte Nieren-Entzündungen 
kommen in ihrem Gelolge vor. Schreiber. 

H. Öhnell-Stockholm: Seohs Fälle von intern behandeltem Ulc«8 
veitrieali mit röntgenologischer Nischenbildung. (Arch. f. Verdauungskr., 
Bd. 23, H. 6.) 0. hat unter interner Ulcuskur röntgenologisch sicher 

erwiesene Nischenbildungen versohwinden sehen unter gleichzeitiger 
Besserung der Beschwerden. Alle Möglichkeiten von Fehlerquellen sind 
kritisch erwogen. So nimmt Verf. z. B. an, dass in einzelnen Fällen 
keine Perforation bestand, sondern temporäre Ausbuchtungen infolge ge¬ 
schwächter Muscularis (analog einem Aneurysma. Ref.) das Nischen¬ 
symptom hervorgerufen hatten. Dass das eigentliche Ulcus callosum 
auf interne Therapie ausheilt, will auch Verf. wohl kaum behaupten. 

H. Strauss: Ueber Sekretion®- und MotilitStspriifnngen mittels 
des Zuckerfrühstücks. (Arch. f. Verdauungskr, Bd. 23, H. 6.) St. er¬ 
hebt Einwände gegen das von Räuber in der gleichen Zeitschrift emp¬ 
fohlene Zuckerprobefrüstück und zwar auf Grund bereits vor 20 Jahren 
angestellter Versuche mit einer ähnlichen Methode. St. konnte damals 
feststellen, dass aus einer Zuokerlösung Zuckermoleküle verschwinden 
können und zwar auf dem Resorptionswege. Die Annahme Räuber’s, 
aus der Konzentrationsvermiuderung der Zuckerlösung auf einen Flüssig¬ 
zuwachs (Sekretion) schlossen zu können, erweise sich also als irrtüm¬ 
lich. St. bemängelt ausserdem das Fehlen einer Angabe, wie Räuber 
den Rückstand im Magen gemessen habe: der „Inhalt* des Magens und 
Menge des „Ausgeheberten“ sind nicht identisch. Flüssige Probefrüh¬ 
stücke bewirken ausserdem häufig einen Rückfluss von Galle oder 
Duodenalinhalt, was gerade für die Bestimmung des Stickstoffgehalts des 
Ausgeheberten sehr zu beachten ist. 

K. W. Gras mann-München: Beiträge zur Pankreasdiagaostik 
mittels der Duodenalsondierung. (Arch. f. Verdauungskr., Bd. 23, H. 6.) 
Der mittels eines Schlauches ausgepumpte Inhalt des Duodenum wird 
auf Reaktion, Diastase, Trypsin, Steapsin und physikalische Eigen¬ 
schaften untersucht. Normale Untersuchungswerte sind folgende: Titra¬ 
tionsacidität gegen Phenolphthalein 8—16 ccm V, 0 N. Natronlauge; 
gegen Dimethylamidoazobenzol 20—40 ccm Vio N. CHI. Diastase: 
Duodenalsaft soll noch in Verdünnung von 1 : 250 bis 1 : 500 in 
V 2 Stunde 1 ccm 0,5 proz. Stärkelösung aufspalten. Trypsin: 1 : 16 bis 
1 : 32 verdünnter Duodenalsaft soll in V 2 Stunde 1 ccm einer 1 proz. 
Kaseinlösung aufspalten. Die Steapsinbestimmungen geben praktisch 
nicht brauchbare Resultate. Normalerweise besteht der Duodenalinhalt 
aus einem zähflüssigen, fadenziehenden, klaren oder leicht flockig ge¬ 
trübten goldgelben bis dunkelbraungelben Saft. Diastase- und Trypsin¬ 
wirkung muss in jedem Falle gesondert untersucht werden, da von der 
Anwesenheit des einen Fermentes auf die des anderen kein Schluss ge¬ 
zogen werden kann. Geppert. 

B. U11 m a n n - Berlin: Beobachtungen an lebenden Malariaplasvodie«. 
(Viroh. Arch., 1917, Bd. 224, H. 1.) Verf. konnte in frischen Blut¬ 
präparaten von Malariakranken einige Beobachtungen an den Plasmodien 
machen, die sich in vielen Punkten mit denen deoken, die er füher beim 
Studium an lebenden Blutzellen gemacht hatte. Einmal konnte Verf. 
naohweiseh, dass das „Schwärmen“ der Pigmentkörnchen im Plasmodium 
keine Molekularbewegung, sondern eine Lebenserscheinung darstellt 
Ferner fanden sich im Bau der Malariaplasmodien Strukturähnlichkeiten 
mit dem bei roten Blutkörperchen und Leukozyten, und Verf. konnte 
am Plasmodium Vorgänge beobachten, die analog waren dem von 
Brücke beschriebenen „Zerplatzen“ der Speichelkörperchen. Auch 
Phagozytosevorgänge konnte Verf. beobachten. Ein Plasmodium wurde 
durch die Tätigkeit von Leukozyten in zwei Teile gesprengt. Der eine 
Teil w s urde durch die Tätigkeit von Leukozyten aktiv aufgenommen, 
während der andere durch ein zweites weisses Blutkörperchen ohne 
Aufnahme in einen Haufen von Erythrozyten verschleppt wurde. 

Schönberg. 

W. H. Jansen: Untersuchungen über Stofftmsats bei Oedem- 
kraiken. (M.m.W., 1918, Nr. 1.) Die Untersuchungen führten zu dem 
Ergebnis, dass bei Fällen von Oedemkrankheit eine kalorische Insuffizienz 
der Nahrung vorliegt. Die Bilanz der einzelnen Nahrungsstoffe (Eiweiss, 
Kohlehydrate, Fette) spielt keine wesentliche Rolle. Geppert. 

Be oh er-Giessen: Ueber die Bewertung des Wasser- und Kon- 
zentrationsyersuehes im ö'demfreien Stadium der Nephritis. (Zschr. 
f. exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 19, H. 2, S. 162.) Das Resultat der 
Wasser- oder Konzentrationsprobe kann, jedes für sich betrachtet, keinen 
sicheren Aufschluss über die Nierenfunktion geben. Durch Kombination 
der Resultate beider Versuche wird diese in ihrer Gesamtheit besser 
berücksichtigt. Die aus der Kombination zu ziehende Funktionszahl 
ist besonders bei Nephritiden ohne Oedembereitsohaft zu einer Orien¬ 
tierung über die Nierenfunktion geeignet. Sie erlaubt eine Einteilung 
der Fälle in solche mit guter, herabgesetzter und schlechter Nieren¬ 
funktion und lässt, wenn sie sehr niedrig ist, eine Niereninsuffizienz mit 
Retention im Blute vermuten. M. Goldstein. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Williamson-London: Behandlung der Neurasthenie uid Psyth- 
a8thenie nach Granatkontusion. (Brit. med. Journ., Nr. 2970.) 
Empfiehlt Verlegung dieser Kranken in die Heimat. Von der Erfahrungs¬ 
tatsache ausgehend, dass die meisten dieser Kranken schlecht schlafen, 
und dass durch Regelung des Schlafes auch eine Besserung der übrigen 
Beschwerden eintritt, ordnet W. zunächst eine sich über mehrere Tage 
erstreckende Schlafbehandlung an, so zwar, dass die Betreffenden nicht 
nur die ganze Nacht, sondern auch einen Teil des Tages schlafend zu- 
bringen. Ist die erwartete Besserung eingetreten, so werden die Kranken 
langsam an die Arbeit gewöhnt. Bevorzugt wird eine solche Tätigkeit, 
die volle Aufmerksamkeit erfordert, die dauernd fesselt und die niemals 
mechanisch ausgeübt werden kann, z. B. Steuern von Motorwagen, Aus¬ 
bildung von Soldaten usw. 

Mott-London: Mikroskopische Veräuderuugeu am Gehirn nach 

Granatkontusion. (Brit. med. Journ. Nr. 2967.) Beschreibt an der Hand 
von 2 Todesfällen, die sich kurze Zeit nach Granate^plosion — ohne 
dass sichtbare Verletzungen Vorlagen— ereigneten, die mikroskopischen 
Veränderungen in verschiedenen Gehiinteilen, bestehend in' einer Blut¬ 
leere der Arterien und Kapillaren, und eine Blutüberfüllung der Venen, 
ferner in einer Erweiterung der perivaskulären Räume, in vereinzelten 
kleinen Blutungen in die Gefässscheiden und das umliegende Gewebe 
und endlich in chromatolytischen Veränderungen der Zellen. Namentlich 
sind es die kleineren Zellen, die letztere Veränderungen zeigen. In den 
kleinen Zellen ist die basophile Substanz ganz oder teilweise ge¬ 
schwunden; in den grösseren Zellen sind die Nissl’schen Granula kleiner 
als normalerweise und liegen nicht so dicht zusammen. — Die Blutungen 
machten einen frischen Eindruck. Die Gasvergiftung kennzeichnenden 
punktförmigen Blutungen in die weisse Substanz, die auf einer hyalinen 
Thrombose der Endarterien beruhen, fanden sich nicht. Schreiber. 


Kinderheilkunde. 

F. Rost-Heidelberg: Ueber HarBverkalting hei Kinder« ohne 
mechanisches Hindernis. (M.m.W., 1918, Nr. 1.) Bei 3 Fällen von 
länger dauernder, fast völliger Harnverhaltung, die auf einer Funktions¬ 
störung des Sphinkter internus beruhte, konnte durch Lokalanästhesie 
des N. pudendus an der Spina ischiadica bezw. der sympathischen Aeste 
um die Prostata herum Besserung erzielt werden. Auch Dehnung des 
Sphinkter wird empfohlen. Geppert. 


Chirurgie. 

H. Coenen-Breslau: Die lebensrettende Wirkung der vitale« Blit- 
traisfasioi im Felde auf Grund von 11 Fällen. (M.m.W., 1918, Nr. 1.) 
Als Methode wurde die Gefässnaht gewählt und in der üblichen Weise 
die A. radialis des Spenders mit der V. median cub. des Empfängers 
vereinigt. Die Transfusion war in allen Fällen, bei denen es sich um 
starke Blutverluste nach Verletzungen handelte, von lebensrettender 
Wirkung. Technisch hinderlich ist oft die verschiedene Weite von Vene 
und Arterie, sowie der nach einiger Zeit sich einstellende Gefässkrampf, 
der das Ueberfliessen des Blutes stark hemmt. Auch die quantitative 
Bestimmung des Blutes stösst auf grosse Schwierigkeiten. Die vom Verf. 
angegebene Methode zur Berechnung der übergeleiteten Blutmenge scheint 
uns insofern illusorisch zu sein, als sie sich auf die Kenntnis der in dem 
Ausgebluteten noch vorhandenen Blutmenge stützt. 

E. v. Redwitz: Die Physiologie des Magens nach Resektio« aus 
der Kontinuität. (Mitt. Grenzgeb., Bd. 29, H. 4 u. 5.) Der Arbeit 
liegen sehr exakt und mit kritischem Urteil durchgeführte Versuche zu 
Grunde. Die sich ergebenden Schlussfolgerungen sind kurz die, dass 
eine gürtelförmige Resektion des Magens aus seiner Kontinuität in Bezug 
auf Motilität und Sekretion gute Erfolge gibt. Da Gründe vorhanden 
sind, dass die Verhältnisse sich mit gewissen Einschränkungen auch auf 
den Menschen übertragen lassen, so erscheint die cirkuläre Resektion die 
„konservativste Operationsmethode“ zu sein. Geppert. 


Tropenkrankhelten. 

H. Schröder: Die älteste Kunde von Moskitonetzen. (Arch. f. 
Schiffs u. Trop. Hyg., 1917, Bd. 21, H. 20 u. 21, S. 350—351.) Nach 
einer Reisebeschreibung Marco Polos aus dem 13. Jahrhundert gab es 
damals schon Moskitonetze in Indien, deren vollkommene Beschaffenheit 
den Zeitpunkt ihrer Erfindung noch viel weiter zurüokzuverlegen scheint 

Weber. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 13. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Ben da. 

Vorsitzender: Herr Bier hat sich das vorige Mal zur Aussprache 
gemeldet. Ich habe ihn damals nicht aufgerufen, weil ich gesehen hatte, 


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4. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


219 


dass er nicht da war. Er ist nachher gekommen, da war aber die Dis¬ 
kussion bereits geschlossen. Wir haben beschlossen, ihm su gestatten, 
die Bemerkungen, die er machen wollte, als Anhang zu dem in der 
Berliner klinischen Wochenschrift zu veröffentlichenden Protokoll schrift¬ 
lich su geben. Dort werden Sie also lesen können, was er sagen 
wollte. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Holl äi der: 

Eia Fall vei sibkntaaer Hararöhreizerreisiing bei einen 
Hämophilen. (Regeneration der Harnröhre.) 

ln einer der vorigen Sitzungen der Gesellschaft hat Herr Gasper 
eine akademische Apologie zugunsten des Dauerkatheters gehalten. Er 
hat — wahrscheinlich mit Absicht, nehme ich an — eine Seite ganz 
überschlagen, nämlich die über den Wert des Dauerkatheters bei Ver¬ 
letzungen der Harnröhre. Wir besitzen ja eine grosse Erfahrung, in der 
Literatur und persönlich, darüber, dass man bei Verletzungen der Harn¬ 
röhre, bei Urinabszessen usw. nach vorhergegangener chirurgischer Be¬ 
handlung derselben durch das Liegenlassen des Katheters den Defekt 
der Harnröhre zum Schluss bekommt. Es wirkt da der Katheter offenbar 
nioht nur im Sinne der Harnableitung, sondern auch im Sinne Bier’s 
als Erhalter einer Lücke, so dass man bei längerem Liegenlassen 
eine gute Narbe mit Epithelbedeckung, eine Art von Regeneration der 
Harnröhre erlebt, dies namentlich bei Kindern, und dann, wenn die 
Harnröhre nicht durch vorangegangene Gonorrhöe naohhaltig infiziert 
worden ist. 

Der Knabe, den ich heute wiedersah, bietet hierfür eine 
besonders interessante Illustration. Er kam im September 1915 in die 
Charite, nachdem er acht Tage vorher eine stumpfe Pfählung erlitten 
hatte. Beim Spielen war er auf den Damm gefallen und hatte sich ein 
faustgrosses Hämatom des Dammes, des Skrotums und des Penis zu¬ 
gezogen. Ich muss noch bemerken, dass sich bei vorangegangenen Ope¬ 
rationen sein hämophiler Charakter unzweideutig gezeigt hatte. Er wäre 
bei einer Tonsillotomie beinahe verblutet; er hatte grosse Nachblutungen 
bei der radikalen Operation einer Hernie und auoh bei Inzisionen. 

Damals nun, bei dem ersten Akt dieser stumpfen Pfählung, hatte 
er wohl schon Beschwerden beim ürinlassen, aber keine komplette Urin¬ 
verhaltung. Dann aber bekam er aoht Tage später beim Spielen — er 
und seine Hutter beschreiben das so, dass ein Kind ihn von hinten 
umriss — ein neues Hämatom und von diesem Moment eine vollkommene 
Harnverhaltung. Diese dauerte zwei Tage. Sowohl ausserhalb wie in 
der Charite wurden Versuche gemaoht, den überaus peinlichen Zustand 
des Knaben su lindern. Aber bei allen Versuchen, zu katheterisieren, 
entstanden nur neue Blutungen. Es blieb niohts anderes übrig, als 
zunächst eine Punktion vorzunebmen und naohher eine Fistula supra- 
pubica anzulegen. Man hat dann in den drei Monaten, in denen er zu¬ 
nächst in der Charitö lag, mehrfach wieder versucht, durch feinere und 
gröbere Instrumente die Harnröhre wegsam. zu machen — ohne Erfolg. 
Er wurde fieberhaft und wurde am 5. Januar 1917 auf meine Abteilung 
verlegt. Er zeigte damals ein über mannsfaustgrosses Hämatom am 
Damm, welches wiederholt in diesen drei Monaten seines Aufenthalts 
ohne nachweisbare Ursache sich vergrössert hatte und dann wieder ein- 
gesohrumpft war. Es lag die Vermutung nahe, dass dieses Hämatom 
duroh die Harnwege infiziert war. Daraufhin versuchte ich die Frei¬ 
legung der Harnröhre vom Damm aus, um auch eventuell die Fistel 
zu beseitigen. Nach Ausräumung des frischen, aber nioht infizierten Blutes, 
stiess ich nun auf organisierte Biutkoagula, bei deren Ausräumung eine 
derartige Blutung entstand, dass ich bald davon absehen musste, die 
Harnröhre aufzusuchen. Es kostete viel Mühe, die Blutung su stillen. 
Es gelang nur im letzten Moment dadurch, dass man einen festen 
Tampon gegen die diffus blutenden Gewebe andrüokte und darüber die 
Haut ganz dicht vernähte. 

Ich will Sie nicht damit aufhalten, was weiter alles geschah, Kooh- 
salsinfusionen, Serumeinspritzungen usw. Kurz und gut, der Junge kam 
über diesen bedrohlichen Zustand weg, der noch ausserdem durch typische 
epileptische Anfälle kompliziert war. 

Nach weiteren drei Monaten war der Junge nun so weit, dass das 
Hämatom sich vollkommen resorbiert hatte. Die Dammwunde war ver¬ 
heilt. Ich ging nun daran, erneut einen Versuch zu machen, die Harn¬ 
röhre wegsam zu machen. Es zeigte sich nach Freilegung der Harnröhre 
bis zum Blasenhal8, dass solche Schwarten vorhanden waren, dass es 
mir effektiv nach längerem Suchen nicht möglich war, den proximalen 
Teil der Harnröhre aufzufinden. Mittlerweile war die Blutung wieder 
so stark geworden, dass ich von neuem von dem Versuch Abstand 
nehmen musste. Nach Heilung der Wunde, aus der nie ein Tropfen 
Urin die Harnröhrespur verriet, wird er mit Urinal entlassen. Er 
kam aufs Land und erholte sich. Nach acht Monaten nahm ich ihn 
erneut auf und ging nun folgendermaassen vor: Ich versuchte durch die 
Fistula suprapubioa auf dem Wege der Ureterkatheterisation zunächst das 
proximale Ende zu entrieren. Darauf wurde die Harnblasenvunde er¬ 
weitert und mit dem Metallkatheter das Orificium intern um passiert. 
Darauf legte ich den Knaben in Steinschnittlage, und präparierte den 
Blasenhals frei; fand das vollkommen verschlossene seitlich verschobene 
Harnröhrenende und versuchte nun nach Durchziehen eines langen Katheters 
die Harnröhrenenden aneinander zu bringen. Das gelang nur in un¬ 
vollkommener Weise. Das rote Gummidrain sah überall heraus. Es 
blieb ein Defekt von ca Vs cm an «i.ner Seite, da Schleimhaut nicht 
mehr vorhanden war. Ich habe dann die Blase zunächst weiter drainiert; 
nachdem dap Drain SVs Wochen liegen geblieben war, habe ich die 


Blasendrainage allmählich sich sohliessen lassen und über das Drain einen 
Petzerkatheter geschoben — der Petzerkatheter folgte, nach 4Vs Wochen 
wurde der Dauerkatheter vollkommen entfernt. Die Dammwunde hat sich 
vollkommen geschlossen. Der Junge urinierte zuerst alle halbe Stunde, 
dann seltener, und ich habe die Freude, ihn heute als ganz gesund vor¬ 
zustellen. Die Urinentleerung ist ganz normal und das Sekret selbst 
ist frei von allen vorher vorhandenen pathologischen Beigaben. Er be¬ 
sucht wieder die Schule. 

Hr. Alfred Rothschild: Ich möohte den Herrn Vortragenden 
fragen, wie lange es her ist, dass der Katheter, der in der Urethra lag, 
weggelassen worden ist. 

Hr. Holländer: Das ist jetzt ungefähr IV 2 Jahre her. 

Hr. Alfred Rothschild: Das Lumen ist weit geblieben? 

Hr. Holländer: Der Knabe hat, als er vor etwa 4 Wochen zuletzt 
bei mir war, mit normalem Strahle uriniert. Nach Entfernung des 
Dauerkatheters hat kein Instrument die Harnröhre mehr berührt. 

Tagesordnung. 

Hr. Rehüseh: 

Zar Aetiologie der Vergrüsseraag der rechtes Herzkinner, ins- 
besoadere bei behinderter Naseintmnng. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Aussprache. 

Hr. Strauss: Die Betrachtungen, welohe der Herr Vortragende zu 
Beginn seines Vortrages über das Zustandekommen der Hypertrophie 
des rechten Ventrikels bei Nephritikern angestellt hat, sind durchaus 
einleuchtend. Trotzdem erscheint es aber doch die Frage, ob man 
daneben von den früheren Theorien wenigstens diejenige ausser Acht 
lassen darf, welche die Erscheinung vom* toxisch-chemischen Stand¬ 
punkt erklärt. Wie der Herr Vortragende auseinandergesetzt hat, steht 
Krehl auf dem Standpunkt, dass die Hypertrophie des linken und 
des rechten Ventrikels eine gemeinsame, vom vasomotorischen Zentrum 
veranlasste, Genese hat. Ich selbst habe gleichfalls schon vor Jahren 
eine ähnliohe, auf dem Boden chemischer Betrachtungen stehende, Auf¬ 
fassung ausgesprochen. Nach den Feststellungen der modernen Forschung 
darf man die Quelle der Vergrösserung des linken Ventrikels meines 
Erachtens in der Wirkung gewisser Retentionsstoffe, speziell stickstoff¬ 
haltiger Retentionsstoffe, infolge von Niereninsuffizienz auf den Kreislauf 
suchen. Auf eine solche Auffassung wird man hingewiesen nicht bloss 
darch die Erfahrung, dass bei akuten Glomerulonephritiden die Blut¬ 
drucksteigerung und die konsekutive Herzhypertrophie in der Zeit vor¬ 
handen ist, in welcher eine Vermehrung der stickstoffhaltigen Retention 
zu beobachten ist, und dass die Hypertonie zurüokgeht, sobald wieder 
eine Nierensuffizienz vorhanden ist, in welcher die stickstoffhaltigen 
Retentionsstoffe aus dem Körper verschwinden, sondern auch durch die 
Beobachtungen, welche wir in vorgerückten Stadien chronischer 
hypertonischer Nephritiden machen können. Wird doch die Hypertrophie 
des linken Ventrikels hier vor allem bei den echten Glomerulonephritiden 
gefunden, insbesondere bei den vorgeschrittenen Fällen von sekundärer 
Sohrumpfnieie, die zur Obduktion gelangen. In diesen Fällen, bei 
welchen sich meist beträchtlich erhöhte Werte für den Reststickstoff 
finden, kann bei einem ziemlich hohen Prozentsatz der Fälle auch eine 
Hypertrophie des rechten Ventrikels festgestellt werden. Wenn man 
nun auf dem Standpunkt steht, dass chemische Körper, die im Blut 
kreisen, den Anreiz zur Hypertrophie geben, ist es wenigstens a priori 
schwer verständlich, warum der reohte Ventrikel nioht auoh hyper¬ 
tropheren soll, und man muss sich zunächst fragen, ob bestimmte 
Momente vorhanden sind, welche es veranlassen, dass die Einwirkung 
der Retenta aut den kleinen Kreislauf, sei es auf dem Umwege des 
vasomotorischen Zentrums oder sonstwie, anders ausfällt als auf den 
grossen Kreislauf. Muss man sich doch vorstellen, dass die hier ins 
Auge gefassten Retenta auf die Gefässe in vasokonstriktorisohem Sinne 
einwirken. Rein theoretisch betrachtet scheinen mir keine zwingenden 
Gründe dafür vorzuliegen, dass wir für die Gefässe des kleinen Kreislaufs 
etwas anderes als wahrscheinlich ansehen müssen, als dasjenige, was für 
die Gefässe des grossen Kreislaufs allgemein angenommen wird. 

Was dann die Ausführungen des Herrn Vortragenden über das 
Kugelherz betrifft, so habe ioh ein solches bei Soldaten häufiger 
gesehen, als ioh dies aus der Friedenszeit gewöhnt war, wenigstens bei 
jungen Männern der arbeitenden Klassen. Es ist dabei besonders be¬ 
achtenswert, dass wir Dilatationen des rechten Ventrikels bei Soldaten oft 
unter klinischen Bedingungen zu sehen bekommen, wo der erste Ein¬ 
druck gar nicht der ist, dass wir es mit einem Menschen mit einem 
insuffizienten Herzen zu tun haben. Man kann im Röntgenbild leiohte 
Dilatationen unter Bedingungen finden, wo die Suffizienz an der Grenze 
der Insuffizienz steht. Es war mir deshalb sehr interessant, aus den 
Ausführungen des Herrn Vortragenden und speziell aus den Bemerkungen, 
die er über den Zusammenhang von behinderter Nasenatmung mit Herz¬ 
störungen gemacht hat, bestätigt zu hören, dass auch diese Patienten 
meist so gut wie keine ausgeprägten klinischen Symptome gezeigt haben, 
die auf eine Insuffizienz des rechten Ventrikels hingewiesen haben. 
Meines Erachtens stellen Kugelherzen nur zum Teil tonogene Erweiterungen, 
zum Teil aber auoh myogene, bzw. nach der früheren Nomenklatur 
passive Dilatationen d. h. Stauungsdilatationen dar. In vielen dieser 
Fälle, jedoch keineswegs in allen, habe auoh ich einen niedrigen Blut- 
druok beobachtet. Ich glaube deshalb, dass diese Erscheinungen vorwiegend 
auf Ermüdungszustände, auf Erschlaffungszustände des gesamten Herzens, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


d. h. auch des rechten Ventrikels, zurückzuführen sind, und zwar auch 
deshalb, weil man bei derartigen Patienten nicht selten auch allgemeine 
Ermüdungserscheinungen findet. Sind mir doch einige Fälle in Erinnerung, 
bei welohen sich das Kugelherz nach längerer Behandlung zurückgebildet 
oder vermindert hat. Die Pulszahl war in den betreffenden Fällen, 
soviel ich mich erinnere, häufig, aber nicht konstant erniedrigt. Wenn 
ich mich recht erinnere, habe ioh auch einige Fälle gesehen, wo Tachy¬ 
kardie vorlag. Kugelherzen habe ioh auch öfter bei jungen Mädchen ge¬ 
sehen, die den Verdacht einer engen Aorta erweckten, und ich darf hier 
daran erinnern, dass auch in Zusammenhang mit der engen Aorta Er¬ 
schlaff ungszustände nicht bloss des linken Ventrikels, sondern auch des 
rechten Ventrikels von mehreren Seiten beobachtet worden sind. Auch 
ich habe einige Beobachtungen dieser Art seinerzeit in den Charitö- 
Annalen Bd. 29 beschrieben. Rein heuristisch betraohtet, halte ich des¬ 
halb die Ausführungen des Herrn Vortragenden für eine grosse Gruppe 
von Herzen, die an der Grenze der Leistungsfähigkeit stehen, in hohem 
Grade der Beachtung wert, und glaube ich, dass die Summe der Faktoren, 
welche bei einer schwachen Anlage des Herzens imstande sind, Dilatationen 
des rechten Ventrikels zu erzeugen, viel grösser ist, als in der Praxis an 
manohen Stellen berücksichtigt wird. 

Hr. Orth: Audi mir war es aufgefallen, dass der Herr Vortragende, 
als er von Hypertrophie des rechten Ventrikels bei Nephritikern sprach, 
auf die Retention harnfähiger Stoffe im Blute gar nicht eingegangen ist. 
Ich habe meinen Studenten immer dargelegt, dass wenigstens auch für 
die Hypertrophie des rechten Ventrikels die Veränderung des Blutes 
maassgebend sei, und ich möchte daran erinnern, dass Grawitz und 
Israel bei Kaninchen durch Injektion von Harnstoff ins Blut nicht nur 
eine Hypertrophie des linken, sondern auch des rechten Ventrikels, eine 
Hypertrophie des ganzen Herzens hervorgerufen haben. Ich bin der 
Meinung, dass man nicht ausschliesslich nur einen Grund für die 
Hypertrophie sowohl des linken, wie des rechten Ventrikels angeben 
darf, dass da sicherlich mehrere Momente Zusammenwirken. Das, was 
der Herr Vortragende dargelegt hat, war ja einleuchtend, ich will nichts 
dagegen sagen; aber ioh glaube, dass man doch auf die genannten Blut¬ 
veränderungen auch Rücksicht nehmen müsste. , 

Hr. Ben da: Ich wollte auch auf die Frage der Herzhypertrophie 
bei Nierenerkrankungen eingehen. Wenn der Einfluss der Biutstoffe das 
Maassgebende für die Hypertrophie des rechten Ventrikels wäre, müsste 
man doch wohl in jedem Falle diese Hypertrophie des rechten Ventrikels 
erwarten können. Aber das ist ja nicht der Fall, sondern wir haben 
viele Beobachtungen, wo ausschliesslich der linke Ventrikel betroffen 
ist, so dass, wie mir scheint, doch in den meisten Fällen die An¬ 
schauungen des Herrn Vortragenden zu Recht bestehen und erst ein 
sekundärer Einfluss auf den rechten Ventrikel ausgeübt wird. 

Nun muss ioh offen gestehen, dass mir aber die Unterschiede seiner 
Anschauungen gegen die Pässler’sche nioht ganz aufgegangen sind. 
Im wesentlichen kommt es doch wohl auch bei ihm darauf hinaus, dass 
der rechte Ventrikel erst hypertrophisch wird, wenn der linke insuffizient 
wird. Das hat er weiter ausgeführt und genauer definiert als Pässler. 
Aber der Kern seiner Ausführungen liegt dooh auoh darin, dass, wenn 
der linke Ventrikel allein die Arbeit nicht leisten kann, eben der rechte 
Ventrikel dann mithelfen muss und die Durchblutung des linken Ven¬ 
trikels besorgt. Das würde allerdings auch mit den Fällen überein¬ 
stimmen, wo ich den rechten Ventrikel bei reiner Nephritis erheblich 
hypertrophisch gefunden habe. 

Hr. Rehfisch (Schlusswort): Zunächst danke ich den Herren 
Rednern für ihr freundliches Interesse an dem Thema. Wenn nun Herr 
Strauss gemeint hat, dass die Vorstellung dooh plausibler wäre, mit 
Erehl anzunehmen, dass zunäohst das Vasomotorenzentrum zur Regu¬ 
lierung der dynamischen Vorgänge in Aktion tritt, so läuft die inter¬ 
essante Anregung des Herrn Strauss auf die allgemeine Frage physio¬ 
logischer Natur hinaus, wann und unter welchen Bedingungen überhaupt 
das Vasomotorenzentrum eingreift. Soweit ich mich in diesem Augen¬ 
blick überhaupt zu dem Thema zu äussern vermag, so möchte ich nur 
daran erinnern, dass unsere Organe, vor allem unser Herz selbst, von 
Hause aus mit der Fähigkeit ausgestattet sind, Mehrarbeit zu leisten, 
und dass, wenn sie hierzu, was wohl für gewöhnlich der Fall sein dürfte, 
der Unterstützung seitens der Gefässe bedürfen, diese dann auch durch 
das Vasomotoren Zentrum die notwendige Innervation erfahren. Somit 
würde ich wenigstens annehmen, ist der primäre Vorgang in der Regu¬ 
lierung der Organe selbst zu suchen, zu der erst sekundär die Unter¬ 
stützung seitens des Vasomotorenzentrums hinzutritt. Würden wir da¬ 
gegen der Vorstellung folgen, dass bei der chronischen Nephritis das 
arterielle und pulmonale System gleichzeitig zu stärkerer Kontraktion 
durch des Vasomotorenzentrum innerviert werde, so bliebe die Frage 
unbeantwortet, weshalb dann der rechte Ventrikel erst soviel später als 
der linke zur Hypertrophie gelangt. So schien mir daher eine Erklärung 
dynamischer Natur näher zu liegen, d. h. anzunehmen, dass zuerst der 
linke Ventrikel seine erhöhte diastolische Anfangsspannung erlange, 
dass hierdurch in allmählicher Entwicklung des Prozesses die Blutdruck¬ 
steigerung in der Pulmonalis erfolgen müsse, der sich dann der rechte 
Ventrikel, indem er hypertrophiert, anpasst. 

Was sodann das Kugelherz anbetrifft, so stimme ich darin mit 
Herrn Strauss überein, dass es immer noch den besseren Typus eines 
an und für sich konstitutionell schwachen Herzens darstellt, da es nicht, 
wie das minder leistungsfähige Herz eine myogene, sondern eine tonogene 
Dilatation erfährt, die zur Hypertrophie führen kann. 


Auf den Ein wand des Herrn Orth, dass ich jene Veränderungen 
im Blute bei der chronischen Nephritis nicht erwähnt hätte, die durch 
Retention von regressiven Stoffwechselprodükten zu Blutdrucksteigerung 
und Hypertrophie des Herzens führen, so möchte ich hierauf erwidern, 
dass ich sie insofern doch gestreift zu haben glaube, als ich sagte, es 
wäre für unsere Betrachtung über die Aetiologie der Konstriktion der 
Gefässe, als Ursache der folgenden Hypertrophie, gleichgültig, ob sie 
reflektorisoh durch das Vasomotorenzentrum erfolge, oder durch Hormone, 
wie etwa duroh das Renin. 

Wenn ich auch zugebe, dass Renin und Retentionsstoffe im Blute 
ganz differente Dinge sind, so dürfte doch ihre Wirkung in derselben 
Richtung liegen, d. h. in der Kontraktion der Gefässe. Wohl aus diesem 
Grunde ist ihre Erwähnung unterblieben. Dass, wie Herr Orth weiter 
annimmt, wohl verschiedene Ursachen für die Entwicklung der Hyper¬ 
trophie der rechten Kammer in Frage kommen können, ist leicht möglich, 
nur glaube ich gerade in der erhöhten diastolischen Anfangsspannung der 
linken Kammer ein besonders greifbares Moment gefunden zu haben. 

Auf die Bemerkung des Herrn Ben da, dass er eigentlich keinen 
wesentlichen Unterschied zwischen den Anschauungen von Pässler und 
den meinen finden kann, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass 
die Differenz darin zu suchen ist, dass Herr Pässler nur dann eine 
Hypertrophie des rechten Herzens festgestellt zu haben glaubt, wenn 
gleichzeitig eine braune Induration der Lunge vorhanden war, also ein 
Zeichen chronischer Insuffizienz der linken Herzkammer, ich selbst da¬ 
gegen den Standpunkt vertreten habe, dass die rechte Kammer nicht 
hypertrophiert, um Insuffizienzerscheinungen der linken Kammer zu be¬ 
seitigen, sondern um bei hohem arteriellen Blutdruck die'. Leistungs¬ 
fähigkeit des linken Ventrikels zu ermöglichen. Dass es letzten Endes 
schliesslich doch nur darauf hinauskommt, das Schlagvolumen des linken 
Ventrikels aufrecht zu erhalten, und das wird wohl Herr Ben da ge¬ 
meint haben, ist selbstverständlich. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Cnltnr zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 30. November 1917. 

Vorsitzender: Herr Küstner. 

Hr. Hanes: Hydroeephaliis. 

(Ist unter den Originalien dieser Nummer abgedruckt.) 

Diskussion. 

Hr. Küstner möchte sich den Ausführungen des Herrn Vortragenden 
in dem Punkte völlig anschliessen, dass derartige Beobachtungen, wie 
sie von ihm mitgeteilt sind, von hoher Bedeutung sind für die Ent¬ 
scheidung der Frage, ob das Geschlecht primär im Ei angelegt ist, d. h. 
ob es männliche und weibliche Eier gibt. Die Morphologie scheint uns 
auf diesem Gebiete nicht weiter zu bringen, sofern morphologische Unter¬ 
schiede weder am unbefruchteten Ei noch nach der Befruchtung, noch 
selbst nach der ersten Anlage der Geschlechtsdrüsen an diesem zu ge¬ 
wahren sind. 

Hr. Kflltier stellt ein Individunm vor, bei denen der nach Schuberts 
Methode die Nenkonstriktioi einer Vagina vorgenommen hat. 

Es handelt sich um die 33 jährige E. L., bei welcher die äusseren 
Genitalien hermaphroditischer Bildung — sehr grosses Geschlechtsglied, 
Labia majora, Fehlen eines Introitus aufweisen, welche de facto aber ein 
homo mentrius generis war. Aus diesem Grunde war vom Redner vor 
b / 4 Jahren bereits eine Ovarialtransplantatiou vorgenommen, bei welcher 
Gelegenheit das Abdomen eröffnet und das Fehlen jeder Andeutung einer 
Geschlechtsdrüse, vorher auf Grund recto-abdominaler Untetsuchung ver¬ 
mutet, bestätigt worden war. Nach der 0variaItransplantation ist be¬ 
obachtet worden, dass der Bartwuchs, der vorher ein zweimaliges Rasieren 
wöchentlich benötigte, so weit zurückging, dass E. L. sich nunmehr alle 
3 Wochen zu rasieren brauchte. 

Die Schubert’sohe Operation hatte hier ebenso, wie in einem früher 
vom Redner operierten Ifalle, zu vollbefriedigendem Erfolge gelührt. Die 
neue Vagina ist über 2 Fingerglied lang. 

Hr. Fritz Heimani: Uterascarciiom nid Streptokokken. 

(Ist in Nr. 8 dieser Wochenschrift bereits abgedruokt.) 

Hr. Küstner: Totalexstirpatioi bei Myom. 

Heimann’s Untersuchungen über den Streptokokkengehalt der 
Collumcarcinome reohtfertigen, wenn ich so sagen soll, nachträglich unser 
Verfahren bei der abdominalen Totalexstirpation des Uterus, besonders 
des krebsigen. 

Das Spezifische besteht darin, dass wir nach der Exstirpation und 
nach der Peritonealnaht unter allen Umständen einen Mikulicztampon 
bis auf den Grund des Beckenperitoneums führen und in üblicher Weise 
dann offen behandeln. 

Zu diesem Verfahren, welches ich schon früher einmal eine Zeitlang 
an wendete, kehrte ich zurück auf Grund von Hannes’ bakteriologischen 
Untersuchungen und klinischer Beobachtungen, besonders derer, dasB, 
wenn nicht so verfahren wird, sich nicht selten eine solche schleichende 
Peritonitis entwickelt, welche von einer mikrobenhaltigen Sekretmasse 
ausgeht, die sich unterhalb der Peritonealnaht und oberhalb des Scheiden¬ 
stumpfes ansammelt. Mit einer solchen muss man also rechnen, ihrer 


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Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 




4. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


221 


verhängnisvollen Wirkung Vorbeugen. Bumm glaubt es durch eine 
besonders dichte Doppelnaht des Peritonomus zu können — wir machen 
Doppelnaht und legen ausserdem noch Mikulicztampon ein. Der Mikulicz¬ 
tampon ist das Sichere. Das demonstriert gut dieser Fall. 

Hier war wegen eines weit ans der Cervix in die Vagina hinab- 
reiohenden Myoms nicht die supravaginale Amputation, sondern die 
Totalexstirpation gemacht und ebenso wie beim Krebs verfahren worden. 

Als etwa 8 Tage nach der Operation der Mikulicztampon entfernt 
wurde, fanden sich unter ihm etwa 1—2 Teelöffel Eiters. Dieser wurde 
ausgetupft und weiter tamponiert. Hier hatte also der Tampon den 
Eiter abgefangen, seine Wirkung auf das Gesamtperitoneum verhindert. 

Der Verlauf war auch weiterhin ungestört. Das Verfahren ist sicherer 
und trifft den schwachen Punkt der Operation — die Infizierbarkeit des 
Peritoneums von der Tiefe aus — besser als die neuerdings von 
Sellheim empfohlene Hartert’sche Koohklemme. 

Hr. Küster: Ueber Trichomonaavaginitis. 

In einer Anzahl von hartnäckigen, recidivierenden Fällen von Colpitis 
ohne Beteiligung der Cervix — in einem Falle war der Uterus vaginal 
exstirpiert —, die mit Gonorrhoe sicher nichts zu tun hatten, wurde 
regelmässig Trichomonas in zahlreichen Exemplaren gefunden. Nach der 
von Höhne angegebenen Behandlungsmethode mit 10proz. Sodaglycerin 
und vorheriger Sublimatauswaschung der Scheide wurde schnelles Ver¬ 
schwinden der Trichomonaden und der Leukocyten beobachtet, auch 
rasohes Abklingen der Eatzündungserscheinungen. Schneller nooh wirkt 
nach Sublimatwaschung der Scheide 24 stündige Tamponade mit 12 proz. 
Alumnolglycerin, die mit Zwischenräumen von 2 Tagen nur zweimal 
wiederholt werden musste, um in einer Reihe von Fällen einen bis jetzt 
Monate dauernden Erfolg zu sichern. 

Ob die Trichomonaden Erreger der Colpitis sind oder nur unter 
den besonderen örtlichen Verhältnissen günstige Vermehrungbedingungen 
finden, ist nicht zu sagen, jedenfalls braucht die Therapie nicht gegen 
diese Protozoen gerichtet zu sein, sondern es genügt, ihnen den Woh¬ 
nungsboden durch geeignete Behandlung ungeniessbar zu machen; ich 
habe übrigens auch von 24 ständiger Tamponade mit 10 proz. Soda¬ 
glycerin in einem Falle guten Erfolg und keine Reizung der Scheide 
gesehen, hatte aber den Eindruck, als ob die stark adstringierende Wirkung 
des Alumnols der erweichenden der Soda vorzuziehen sei, und empfehle 
daher mehr das erstgenannte Verfahren. 

Hr. Heimain: 

Extraperitonealer Kaiserschnitt bei verschleppter Querlage. 

Vortr. berichtet über zwei von ihm ausgeführte einschlägige Ope¬ 
rationen. Im ersten Falle hat es sich um eine zweite dorsoanteriore 
verschleppte Querlage mit lebendem Kind gehandelt, im zweiten Falle 
um eine zweite dorsoposteriore verschleppte Querlage mit Armvorfall 
und lebendem Kind. Iu beiden Fällen konnte das Kind gerettet werden. 
Der Verlauf bei den Müttern war im ersten Falle einwandfrei, obwohl 
ein positiver Gonokokkenbefund vorlag; im zweiten Falle ging die Mutter 
am vierten Tage zugrunde. Als Ursache stellte sich bei der Sektion 
eine inkomplette Üterusruptur heraus, die draussen von einem Arzt, der 
eine Wendung versucht hatte, gemacht worden war. Das Loch im 
Uterus konnte bei der Operation nicht gesehen werden. Die Frau selbst 
kam schon infiziert auf den Operationstisch; dafür spricht, dass das 
Kind am dritten Tage an einem Pemphigus neonatorum erkrankte, einer 
Infektion, die es sicherlich in utero akquiriert hatte. Die v Operation 
selbst, wie die Entwicklung des Kindes, boten keinerlei Schwierigkeiten. 

(Erschien als Original artikel im Zbl. f. Gyn., 1917, Nr. 45.) 

Hr. Schöps: Ueber zwei Kaiserschnitte an der Toten. 

Heutzutage tritt die Sectio caesarea an der Toten an Zahl ganz in 
den Hintergrund gegen die an der Lebenden ausgeführten Kaiserschnitte. 
Selten genug wird ja auch beim Eintreffen des Arztes noch auf ein 
lebendes Kind zu rechnen sein. Am sichersten lässt sich ein noch 
lebendes Kind erwarten, wenn die kindlichen Herztöne nooh zu aus¬ 
kultieren sind. Aber auoh wenn es vielleicht durch die Ungunst äusserer 
Verhältnisse unmöglich oder unsicher ist, den Herzschlag des Kindes zu 
hören, wird man sioh zur Sectio ad mortuam entschliessen, wenn noeh 
die Möglichkeit kindlichen Lebens besteht. Wie lange noch eine solohe 
Möglichkeit besteht, das hängt sehr wesentlich von der Todesart der 
Mutter ab. Tierexperimente haben gezeigt, dass ein plötzlioh ©inge¬ 
tretener Tod der Mutter ein längeres Ueberleben des Fötus bedingt als 
eine sich längere Zeit hinziehende Agonie. Die früher berichteten Er¬ 
folge des Kaiserschnittes an der Toten sind reoht schlechte. So be¬ 
richtet Schwarz über 107 Fälle aus den Jahren 1836—1846 aus Kur¬ 
hessen, bei denen es in keinem einzigen Falle gelang, ein lebendes Kind 
zu extrahieren. Ein ebenso schlechtes Resultat ergibt die Statistik von 
Dohrn über 90 Fälle aus den Jahren 1852—1868. Statistiken der 
neueren Zeit ergeben etwas bessere Resultate. Wenn es in den 32 Fälllen 
von Winkels 11 mal, in den 15 Fällen von Bauer lOmal und in den 
34 Fällen von Dicke 19 mal gelingt, ein lebendes Kind zu extrahieren, 
so sind dies schon recht gate Erfolge. In letzter Zeit hatten wir an 
unserer Klinik zweimal Gelegenheit, die Sectio an der Toten vorzunehmen. 
Wegen der Seltenheit dieser Fälle sollen sie im folgenden berichtet 
werden. 

Die geburtshilfliche Poliklinik wird am 23. Juni d. J. wegen 
Krämpfe einer Kreissenden angerufen. 6 Uhr nachmittags trifft die Poli¬ 
klinik ein. Die 47 jährige Erstgebärende hat nach Aussage der Heb¬ 
amme um 5 Uhr einen eklamptiBchen Anfall gehabt, aus dem sie bisher 


noch nicht erwacht ist. Sie reagiert nicht auf Anruf, ist cyanotisch. 
Röchelnde Atmung. Puls gespannt, 84 pro Minute. Die Frau soll erst 
einige Wöben gehabt haben. Die äussere Untersuchung ergibt, dass es 
sich um eine erste Schädellage handelt. Der Kopf steht beweglioh über 
dem Becken. Sehr adipöse Frau, starke Oedeme an beiden Beinen und 
Oedeme an den Bauohdecken. Es wird die Oeberführung der Kreissenden 
mittels Krankenauto nach der Klinik aDgeordnet. 

6 Uhr 35 Min. ist die Patientin im Krankenwagen. Die Atmung 
hat ausgesetzt. Kein Puls zu fühlen, Herzschlag eben noch zu hören. 

6 Uhr 38 Min. Kein Herzschlag mehr. Mutter ist sicher tot. 

6 Uhr 49 Min. Ankunft in der Klinik. Mutter sicher tot. Kein 
Herzschlag wahrzunehmen. Die kindlichen Herztöne sind kaum wahr¬ 
nehmbar, betragen vielleicht 60 pro Minute. loh nehme daher die 
Sectio bei der Toten vor. Einschnitt in der Mittellinie in den Fundus uteri. 

6 Uhr 55 Min. ist das Kind an einem Fusse aus erster Sohädellage 
extrahiert. Es ist bleich, asphyktisch, Herzschlag noch vorhanden. So¬ 
fortige Abnabelung. Sohultze’sche Schwingungen, warmes Bad -usw. 
Nach einer Stunde kommt die Atmung langsam in Gang. 

Nach Extraktion des Kindes wurde die Placenta manuell heraus¬ 
geholt, Uterus und Bauchdecken vernäht. 

Die Sektion der Frau ergab einen für Eklampsie typischen Befund 
an Herz, Nieren und Leber; fettige Degeneration und Blutungen, be¬ 
sonders ausgedehnt in der Leber. 

Das Kind konnte leider nur 2 Tage am Leben erhalten werden. 
Am ersten Tage wurden öfters leichte krampfartige Zuckungen des 
rechten Armes bemerkt, die rechte Faust ist dabei geballt, der Daumen 
ein geschlagen. Während der Zuckungen im Arm Blick nach rechts oben. 
Hin und wieder ängstliches Aufschreien. Am folgenden Tage ver¬ 
schlechterte sich der Zustand des Kindes. Es werden viermal allge¬ 
meine klonische Krämpfe beobachtet. Nach jedem Anfall sichtliche Ver¬ 
schlimmerung des Allgemeinbefindens. Urin: Albumen schwach positiv, 
keine Formbestandteile. Die Kinderklinik hält eine Hirnblutung für 
möglioh. Ara 25. Juni, I Uhr 15 Min. vormittags, kommt das Kind in 
einem Krampfanfalle ad exitum. 

Die Sektion kann keine anatomische Todesursache feststellen. Es 
bleibt also anzunehmen, dass das Kind derselben Intoxikation erlag wie 
die Mutter. 

Im zweiten Falle handelt es sich um eine 22jährige Zwergin 1,20 
gross, die angeblich seit Kindheit an herzkrank gewesen ist. Die 
Patientin ist in der 38. Woche schwanger. Sie kommt am 20. August 1917 
morgens 8 Uhr in die Klinik wegen hochgradiger Atemnot, Herzbeklemmung 
und geschwollener Beine. Die Herzuntersuchung ergibt, dass es sich mit 
grosser Wahrscheinlichkeit um einen Septumdefekt handelt. Die zurzeit 
bestehende Kompensation — Cyanose, Oedeme usw. — ist bedingt durch 
die Schwangerschaft und hat angeblich seit gestern bedrohlichen Charakter 
angenommen, so dass eine sofortige künstliche Entbindung in Frage 
kommt. Nach Beurteilung des Herzzustandes durch die medizinische 
Klinik wird aber von einem sofortigen Eingriff Abstand genommen, in 
der Annahme, dass durch medikamentöse Behandlung sich die Herzkraft 
bessern würde. Digifolin intravenös, Diuretin, Milchdiät. Naohdem es 
der Patientin vormittags leidlich gegangen ist, verschlimmert sioh nach¬ 
mittags der Zustand wesentlich. Die Patientin, ringt mühsam nach Luft 
mit röchelnder Atmung. Um 3,22 erfolgt trotz intravenöser Digifolin- 
injektion und Sauerstoffinhalation der Exitus letalis. Die Herztöne des 
Kindes waren im Laufe des Vormittags immer gut zu hören. Kurz vor 
dem Tode konnten sie vom Arzt nicht mehr festgestllet werden. Die 
Hebamme jedoch gibt an, sie noch kurz vorher gehört zu haben. Infolge¬ 
dessen unternimmt drei Minuten nach dem Tode der Mutter Professor 
Heimann noch einen Versuch zur Rettung des kindlichen Lebens durch 
die Sectio ad mortuam. In noch nicht einer Minute ist das Kind extrahiert. 
Das Kind zeigt jedoeh schon Totenstarre, ein Zeichen dafür, dass es 
doch schon längere Zeit abgestorben sein muss. Die Placenta wird 
mit entfernt. Uterus und Bauckdecken werden geschlossen. 

In diesem Falle war offenbar der Gasaustausch zwischen Mutter und 
Fötus infolge der darniederliegenden Herzkraft der Mutter schon einige 
Zeit vor dem Tode der Matter für den Fötus ein so ungenügender, dass 
das Kind schon vor dem Tode der Mutter starb, während im ersten Falle 
es noch 17 Minuten nach dem Tode der Mutter gelang, ein lebendes 
Kind zu erzielen. 

Hr. Kästner: Kaiserschnitt bei Placenta praevia. 

Vortr. demonstriert eine Frau, bei der er vor zwei Wochen wegen 
Placenta praevia den tiefen transperitonealen Kaiserschnitt gemacht hat. 

42jährige Erstgebärende kommt am Ende der Gravidität, bald nach 
Weheneintritt, mit erhebliohen Blutungen in die Klinik. Eine Unter¬ 
suchung ausserhalb hat nicht stattgefunden. Cervix 1 om lang, gerade 
für den Finger durchgängig, allenthalben von Placenta bedeckt, Kopf 
über dem Becken ein gang, Becken normal, Kind gross, ungesohädigt. In 
Anbetracht der Sachlage schien der abdominale Kaisersobnitt erlaubt 
und indiziert, weil die Hystereuryse zu lange Zeit in Anspruch genommen 
haben würde, als dass man mit Sicherheit auf ein lebendes Kind hätte 
rechnen können. 

Vortr. machte einen tiefen transperitonealen Schnitt. Ihm entsprach 
ein longitudinaler Uterusschnitt, der zur Hälfte im Corpus, zur anderen 
Hälfte in der Cervix (Isthmus) lag. Die Placenta wurde vom Schnitt 
nioht getroffen, sie inserierte an der hinteren Wand des Isthmus (oberen 
Cervixsegmentes), des unteren Cervixsegmentes und zu einem geringen 
Teil oberhalb des Kontraktionsringes, im Corpus. 


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222 BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nr. 9. 


Das Kind wurde mit der Zange entwickelt, war lebensfrisch, gegen 
4000 g schwer. Die Placenta wurde sohliesslioh manuell gelost. Keine 
Nachblutung. Die Nabelschnurinfektion befand sioh an dem Teile der 
Placenta, der im Corpus inseriert war. 

Die Konvaleszenz war uogestört. 

Redner sieht im Kaiserschnitt eine vorteilhafte Ergänzung der Therapie 
der Placenta praevia, als welche prinzipiell nicht die kombinierte 
Wendung, sondern die Hystereuryse, bei Placenta praevia lateralis in 
geeigneten Fällen die Blasensprengung in Betracht kommt. 

Hr. Heimati: Zur Eklampsietherapie. 

M. H.! Ich möchte mir gestatten, mit kurzen Worten auf ein Prä¬ 
parat aufmerksam zu machen, das sich, wie aus den bisherigen Ver¬ 
suchen herworgeht, bei der Eklampsie zu bewähren scheint. Ich bin 
mir voll bewusst, dass ich nur eine Anregung gebe, dass ich auf Grund 
der wenigen Versuche, die mir vorzunehmen möglich waren, kaum eine 
Kritik auszusprechen wage. Doch gerade bei der Eklampsie, wo ja auch 
heut noch der Streit, ob „Abwarten“ oder „aktiv Eingreifen“, so heftig 
wogt wie in früheren Jahren, soll man jeder Spur, die Erleichterung auf 
dem schwierigen Wege des therapeutischen Handelns bringt, naohgehen. 
Von vornherein müssen wir uns darüber klar sein, dass, wie Hannes 
dies bereits zahlenmässig nachgewiesen hat, die Statistik der Eklampsie 
uns keinen Einblick über die guten oder schlechten Wege der Therapie 
gibt. Wir haben grosse Serien gesehen, wo wir nich einen Todesfall zu 
beklagen hatten, gleichgültig, welche Mittel angewendet wurden. Zu 
anderen Zeiten, wo die Eklampsie ausserordentlich schwer auftrat, war 
die Mortalität bei derselben Therapie eine ausserordentlich hohe. Diese 
Tatsache muss man sich klar machen, wenn man gerade bei dieser Er¬ 
krankung ein neues Mittel empfehlen will. 

Soviel ist jedooh sicher, dass zuweilen der einzuschlagende thera¬ 
peutische Weg recht grosse Schwierigkeiten bereiten kann. Haben wir 
es mit einer Erstgebärenden zu tun, die gerade im Anfang der Geburt 
steht, so ist der aktive Weg, die Geburt zu beenden, d. h. der vaginale 
Kaiserschnitt, eine recht eingreifende und schwierige Operation. Beweisen 
ja doch die vielen abwartenden Methoden, die angegeben worden sind, 
dass man nur zu gern der aktiven Therapie aus dem Wege gehen will. 
In letzter Zeit hat sioh Rissmann 1 ) besonders mit dieser Frage be¬ 
schäftigt. Bisher hatte man bei der exspektativen Therapie, abgesehen 
von der intralumbalen Magnesiumsulfat-Einspritzung, die gewisse Ge¬ 
fahren in sich birgt und nur als Ultimum refugium benutzt werden soll, 
sich hauptsächlich nach den Anweisungen von Stroganoff auf die 
Darreichung von Morphin und Chloralbydrat in bestimmten Abständen 
und Dosierungen beschränkt. Daneben waren eine Reihe anderer im 
Privathaus nicht ganz leicht durohzuführender Maassnahmen notwendig. 
Morphin setzt zwar, wie Riss mann erklärt, die Sohraerzempfindung 
herab, nicht aber die Erregbarkeit des Grosshirns und Rückenmarks in 
solchem Grade, wie es bei allgemeinen Krämpfen notwendig ist, da die 
Medulla und das Atemzentrum schon recht schwer geschädigt Bind. 
Auch das Kind wird durch Morphin in Gefahr gebracht. Chloralbydrat 
ist für Herz und Nieren nicht ganz gleichgültig, abgesehen davon, dass 
zur Bekämpfung der Krämpfe viel höhere Dosen als die maximale Dosis 
notwendig sind, so dass also beide, Morphin und Chloralhydrat, nach 
Ri asm an n sich für die Behandlung der Eklampsie nicht sehr eignen. 
Dagegen gelang es demselben Autor nach den Erfahrungen der experi¬ 
mentellen Pharmakologie, im Luminalnatrium ein Mittel zu finden, 
welches gerade die eklamptisohen Krämpfe in ausgezeichneter Weise 
beeinflusst. Rissmann berichtet über 8 Fälle, in denen die intra¬ 
muskuläre Applikation des Präparats sioh sehr gut bewährte. Auch wir 
hatten Gelegenheit, in den 3 letzten Fällen von Eklampsie — das Auf¬ 
treten dieser Erkrankung ist ja im Kriege viel seltener geworden — 
Luminalnatrium mit sehr gutem Erfolge anzuwenden. Ich will Sie nicht 
mit ausführlichen Krankengeschichten behelligen, sondern nur hervor¬ 
heben, dass es sich in allen 3 Fällen um Erstgebärende mit schweren 
eklamptisohen Erscheinungen (Anfällen, Benommenheit, schwerer Ne¬ 
phritis) gehandelt hat, bei denen sämtlich bei Ausbruch der Eklampsie 
die Geburt im Anfangsstadium sich befand, die Entbindung durch 
vaginalen Kaiserschnitt also einen schweren Eingriff darstellte. In 
2 Fällen konnte die Geburt spontan zu Ende gebracht werden, im 
3. Falle wurde bei völlig erweitertem Muttermund wegen schlechter 
Herztöne eine leichte Zange gemacht. Die Frauen konnten am 7., 10. 
bzw. 14. Tage gesund entlassen werden. 

Was die Anwendung anbetrifft, so haben wir von der von der Firma 
Beyer & Go. hergestellten Lösung stets 2 ccm = 0,4 Luminalnatriam 
muskulär verabreicht. 

Es sei schliesslich noch einmal hervorgehoben, dass diese 3 Fälle 
nach dem oben Auseinandergesetzten eigentlich nicht viel bedeuten. 
Sie sollen jedoch die Anregung geben, sich dieses Mittels, welohes 
sicherlich keine Schädigung hervorruft, im Bedarfsfälle zu bedienen. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

Sitzung vom 20. Dezember 1917. 

1. Hr. Fslek spricht über einige chemische Gegengifte, die für die 
Behandlung akut Vergifteter zu empfehlen sind. Um Mineralsäuren un¬ 
wirksam zu machen, verwende man im Hause des Vergifteten in erster 

1) Zschn f. Geb. u. Gyn., Bd. 78; Zbl. f. Gyn., 1916, Nr. 19. 


Linie Seifenlösung, dann, aus der Apotheke geholt, Magnesiamilch, 
eine Mischung- von Bittersalzlösung (30 g Salz in 600 Wasser) und 60 g 
Natronlauge. Oxalsäure führe man in das unlösliche Salz über durch 
eine aus Chloroalcium und Natronlauge hergestellte Kalkmilch, die 
auch bei Carbo 1 Vergiftung nützlich sei; bei dieser könne auch Per¬ 
manganat verwendet werden, das aber auf Phosphor im allgemeinen 
zu träge wirke. Hierbei seien Kupfersalze, besonders das Sulfat, 
vorzuziehen. 

2. Hr. 0. Meyerhof: 

Neuere Untersuchungen über die Beiiehnngen zwischen Atmung ni 
Gärung. 

Die von Büchner angegebenen Methoden, die Herstellung von Hefe¬ 
presssaft sowie die Tötung und Trooknung der Hefe mit Aoetonätber, 
lassen sich ebenso dazu benutzen, einen Teil der Sauerstoffatmung der 
Hefe vom Leben und der Struktur zu trennen, wie einen Teil der 
Gärung. Wäscht man atmende Acetonhefe mit Wasser, so erlischt die 
Atmung, kehrt aber zurüok, wenn man den an sich nicht atmenden 
Wasserauszug zu der extrahierten Acetonhefe wieder hinzugibt. Die 
wasserlösliche Komponente der Atmung, der „Atmungskörper“, ist koch¬ 
beständig, durch Alkohol fällbar, geht teilweise durch ein ültrafilter aus 
Kollodium hindurch. Dagegen geht aus Lebedew’scher Trocken¬ 
hefe die ganze Atmung in den wässerigen Auszug über. Hier aber ist 
wieder eine Trennung in eine kochunbeständige Komponente und den 
Atmungskörper möglich: durch Ultrafiltratäon und anschliessende gründ¬ 
liche Waschung des Rückstandes. Dann ist der Atmungskörper im 
Ultrafiltrat. Durch Zugabe desselben oder des erhitzten und filtrierten 
Macerationssaftes („Kochsaft“) wird die Atmung im inaktiven Ultra¬ 
filtrationsrückstand wieder hervor gerufen. Von chemischen Substanzen 
ist nur Hoxosephosphat, der von Harden und Young nachgewiesene 
Zwischenkörper der Gärung, imstande, die Atmung des inaktiven Rück¬ 
standes in sehr ähnlicher Weise wieder hervorzurufen, wie es der 
„AtmuDgskörper“ tut. Prinzipiell gleich wie die AtmuDg der getöteten 
Hefe verhält sich nun die Atmung zerkleinerten Muskelgewebes. Auch 
hier ist eine Trennung in die beiden Komponenten möglich, die wasser¬ 
lösliche, kochbeständige lässt sich extrahieren, dadurch sinkt die Atmung 
des ausgezogenen Muskelgewebes auf 0, durch Zugabe des Muskelaus¬ 
zuges und besonders ,des heissen Extraktes („Muskelkochsaft“) wird sie 
aber wieder hervorgerufen. Man kann nun einerseits durch Zu¬ 
gabe desJMuskelkochsaft zum Rückstand des Macerations- 
saft, wie andererseits durch Zugabe des Hefekochsaft zur 
extrahierten Muskulatur die Atmung in beiden wieder her- 
vorrufen. Die „Atmungskörper“ in beiden verhalten sioh also gleich. 
Die weitgehende chemische Uebereinstimmung des Atmungskörpers mit 
dem von Harden und Young entdeckten Koferment der Gärung legt 
den Gedanken nahe, dass hier eine enge Verwandtschaft, wenn nioht 
Identität bestehen muss. Als Wahrscheinlichkeitsbeweis für diese An¬ 
nahme ist die Tatsache von grosser Bedeutung, dass das Koferment 
der Gärung im Muskelextrakt enthalten ist. Tatsächlich lässt 
sich das Koferment der Gärung in allen untersuchten Organen von Frosch 
und Kaninchen (Muskel, Leber, Lunge, Niere, Ovarien) naobweisen. Die 
Bedeutung des Koferments der Gärung in den Organen der höheren Tiere 
liegt offenbar in der Rolle, die es als „Atmungskörper“ spielt Dies 
spricht sehr dafür, dass die ersten Phasen der Atmung und Gärung 
ohemisoh nahe verwandt, vielleicht identisch sind. Runge. 


Aerztlicher Verein zu München. 

Sitzung vom 11. Dezember 1917. 

1. Hr. Hohmann München: „ . . 

Ueber die operative Behandlung der Kontrakturen und Ankylosei 
der Gelenke. 

Als Methoden wenden wir je nach der Art des Hindernisses das 
Redressement, einfaohe oder Z-förmige Tenotomie, Myotomie, Sehnen¬ 
lösung, Kapseldurchschneidung, parartikuläre Osteotomie und schliess- 
lioh die blutige Gelenkmobilisierung mit Interposition an. 

Vom Redressement maohen wir nur beschränkten Gebrauch wegen 
der sekundären Blutung und des Wiederaufflackerns alter Eiterungen. 
Einen Fortschritt bedeutet das Lange’sefie Redressieren bei Blutleere, 
das bei sorgfältiger Technik, namentlich an den Fingergrundgelenken 
erfolgreich ist. Bei zu grosser Verkürzung der Kapsel empfiehlt sich 
eher die blutige Erweiterung derselben. 

Die Tenotomie wenden wir beim Spitzfuss an der Achillessehne, 
Flexor hallucis und Fascia plantaris bei Hohlfuss und Grosszehenbeuge¬ 
kontraktur an, die der Peronei und des Eitensor digitorum beim kon¬ 
trakten Plattfuss; bei Adduktionskontraktur des Schultergelenks die 
Durchschneidung des Pectoralis und Latissimus, bei Hüftadduktions- und 
Beugekontraktur die Tenotomie der Adduktoren des Tensor fasoiae und 
des iliopsoas, bei Kniebeugekontraktur die der Kniebeugesehnen. 

Bei Ellenbogenbeugekontraktur kommt teils die Tenotomie der 
Bicepssehne und des Lacertus fibrosus, teils die von Hohmann ange- 
gebene Durchschneidung des viel mehr als der Bioeps die Streckung 
hindernden Braohialis internus, bei Kniestreckkontrakturen, in deren 
anatomische Verhältnisse Payr Licht gebracht hat, die „Z -förmige 
Verlängerung der Quadricepssehne in Betracht. Bei der Kniebeugekon¬ 
traktur, wenn die verkürzte Kapsel das Streckhindernis ist, ist die quert 
Durchsohneidung der Kapsel an den Condylen in der Kniekehle uaen 
Spitzy erfolgreich. Wenn der Spitzfuss durch Narben in der Waden- 


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4. März 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


223 


Muskulatur bedingt ist, wobei gleichzeitig meist Kniebeugekontraktur 
besteht, ist oft wirksamer als die Tenotomie der Achillessehne die tiefe 
Aussohneidung der Narben aus der Wadenmuskulatur. Bei Kniebeuge¬ 
kontrakturen empfiehlt sioh in den Fällen, wo das Gelenk geschont 
werden muss, die parartikuläre Osteotomie. 

Bezüglich der Gelenkankylosen arbeiten wir auf den von Payr ge¬ 
schaffenen Grundlagen. Wir interponieren meist Fascie. Einen be¬ 
sonderen Vorzug des von Lex er empfohlenen Fettgewebes fanden 
wir nicht. 

Es erfolgte die Demonstration einer grossen Zahl von Patienten 
und Lichtbildern von geheilten Kontrakturen und Ankylosen der ver¬ 
schiedensten Gelenke. 

2. Hr. Nandelbaam. 

Mittelbare and unmittelbare Folgen von Lues. 

Viele Fälle von Epilepsie, Erkrankungen des Herzens und der Ge- 
fässe, Infantilismus, Augen- und Zahnerkrankungen haben einen positiven 
Mandelbaum, eine Modifikation der Wassermann’scben Reaktion, ergeben, 
wo letztere negativ war. 

An Hand von Bildern zeigt Vortr. Stigmata von Syphilis heredi- 
taria tarda: So Asymmetrie des Gesichts und Schädels, Stirnhöcker, 
transversale Verbreiterung des Schädels, angeborene und erworbene Miss¬ 
bildungen der Nase, die aus Verbreiterungen des NaseDgrundes und 
Eingesunkensein des Nasengerüstes bestehen. Folgen von sichtbaren 
Augenveränderungen, wie Strabismus convergens,’ Nystagmus, Residuen 
von Corneal- und Irisaffektionen, Tieferstehen eines Auges als Folge der 
Missbildung des Sohädels, die zur Asymmetrie der Orbita führt. 

Als Folgen der Lues sind ferner die Dystrophie der Zähne anzu¬ 
sehen: beiderseits fehlen die oberen zweiten Schneidezähne, wobei diese 
entweder in der Anlage fehlen oder im Kiefer stecken bleiben und nicht 
zum Durchbruch kommen. Oft sind einer oder mehrere Schneidezähne 
abnorm klein (Mikrodontismus); eine häufige Erscheinungsform ist das 
Verbleiben der Milchzähne und abnormer Abstand zwischen den Schneide¬ 
zähnen; Erosionen. 

Unter den Neurosen ist insbesondere auch die Epilepsie häufiger als 
eine Folge der Lues anzusehen. 

Ferner werden häufig Infantilismus — mangelnde Behaarung des 
Moos pubi8, Atrophie und Entwicklungsfehler des Hodens, rudimentärer 
Penis Lues hereditaria als Ursache haben. 

Diskussion. 

Hr. Höflmeyer weist darauf hin, dass die Frauenärzte bei Endo- 
metritiden und Erkrankungen der Adnexe usw. zu wenig Wert auf die 
Diagnose Lues legen. 

Hr. Plaut empfiehlt die Stern’sche Modifikation der Wassermann¬ 
soben Reaktion. 


Natnrhistorisch-medizinigcher Verein zu Heidelberg. 

Sitzung vom 4. Dezember 1917. 

I. Hr. Beek: Demonstrationen: 

1. Sogenannter typischer Nasen- Rachenpolyp bei 22 jährigem Mann, 
der ausser Nase und Nasenrachenraum den ganzen Mund ausfüllt. Der 
weiche Gaumen ist weit nach vorn bis hinter die oberen Schneidezähne 
gedrängt. Therapeutisch wird die konservative Methode (Elektrolyse, 
galvanokaustische Schlinge) empfohlen. Die radikale Methode, die nicht 
ungefährlich ist, ist hierdurch sehr in den Hintergrund gedrängt worden, 
da selbt die grössten derartigen Tumoren mit der konservativen Methode 
beseitigt werden können. 

2. Oesophagospa8mii8. 48 jähriger Mann, der von jeher schreckhaft 
und ängstlich war. Vor 2 Jahren einmal wahrscheinlich bysterisohen 
Anfall. Seitdem Schluckbeschwerden; er muss würgen, bis er die 
Speisen in den Magen bekommt, bedarf oft als Nachhilfe eines Schlucks 
Wasser. Hin und wieder aber bekommt er selbst Flüssigkeiten nioht 
hinunter. Es besteht keine auffallende Macies. Bei der Oesophago- 
skopie ausgesprochener Spasmus des Oesophagusmundes beobachtet; der¬ 
selbe löste sich nur langsam. Es handelt sioh in diesem Falle um 
einen ausgesprochen hypochondrischen Neurastheniker. Die nervöse Ver¬ 
anlagung spielt bei der Entstehung dieses Zustandes eine erhebliche 
Rolle. Vortr. wird einen Versuch mit Hypnose machen zur Beseitigung 
des Spasmus. 

3. Zwei Ausgüsse des Oesophagus, der eine aus Blut, der andere 
aus geronnener Milch bestehend. Beide waren von ösophagusgesunden 
Patienten erbrochen worden. Der erstere hatte kurz zuvor eine Nach¬ 
blutung nach Nasenoperation, der andere erbrach den Ausguss nach 
Milcbgenuss. Die Entstehung dieser Ausgüsse könnte man nur mit der 
Annahme erklären, dass auch bei Oesophagusgesunden hin und wieder 
ein Spasmus der Gardia auftritt. In der Literatur findet sioh dar¬ 
über nichts. 

II. Hr. Gross*. Pathologisch »natomisehe Demonstrationen. 

1. Frische Glomerulonephritiden. Zum Verständnis der Glomerulo¬ 
nephritiden sind die ganz frischen, 2—5 Wochen alten Fälle wertvoller 
wie die späteren Zustandsbilder, die pathologisch-anatomisch verwickelter 
sind. Die Glomerulusschlingen der frischen Fälle sind sehr kernreioh 
und enthalten hauptsächlich sehr grosse endothelartige Gebilde, die zum 
Teil noch deutlich in der Schlingenwand liegen, seltener finden sioh 
freie Blutelemente. Die Sohlingen selbst sind entweder sehr eingeengt 
oder vollkommen undurohgängig. Siohere Veränderungen der Kapsel- 


endothelien fehlen. Frische und heilende Fälle zeigen oft Risse der 
Glomerulusoapillaren und dementsprechend Kapselblutungen in die 
Rindenkanälchen. So kann das Auftreten von Blut im Urin beginnende 
Heilung, das Verschwinden von Blut im Urin Verschlechterung, d. h. 
Undurchgängigwerden von Capillaren bedeuten. Woher die bei der 
Glomerulonephritis auftretenden Zellen und Kerne kommen, ist unklar. 
Die normale Histologie führt die Glomerulusschlingen als kernlose 
Häutchen an. Aber auch die Kanälchen sind erkrankt; meist findet sich 
starke Erweiterung der Lumina und hyalintropfige Entartung bei gut 
erhaltenem Bürstensaum. Diese Degenerationserscheinungen sind sehr 
verschieden in den einzelnen Fällen, und sie können bei älteren Er¬ 
krankungen geringer ausgebreitet sein wie bei frisohen. Hyaline Gylinder 
zeigen jedenfalls immer die Beteiligung der Kanälchen an. Prognostisch 
kommt vor allem der Zustand der Glomeruli in Frage; für die Funktions¬ 
störung ist die rasoh rückgängige Entartung der Kanälchenepithelien 
ebenso wichtig. Wir finden Fälle, die eine schwere Schädigung aller 
Glomeruli aufweisen, aber keineswegs Anurie fläben, wenngleich sie 
Oedeme und verringerte Wasseraussoheidung zeigen. Diese frisohen 
Fälle haben bei ganz normalen Arterien Blutdruoksteigerung und Herz¬ 
hypertrophie. Diese Hypertrophie braucht aber nicht unbedingt Folge 
der Nierenerkrankung zu sein, wie gerade Fälle zeigten, die, ohne sioh 
vorher krank zu melden, plötzlich unter Erscheinungen von Lungen¬ 
ödem in wenigen Stunden starben. Die frische Glomerulonephritis kann 
hier unmöglich an der Herzhypertrophie schuld sein. Diese Fälle weisen 
vielmehr darauf hin, dass die hypertrophischen Herzen weniger wie die 
normalen zu leisten vermögen. 

2. Ruhr. Demonstration makroskopischer und mikroskopischer Prä¬ 
parate von Ruhrdärmen in verschiedenen Stadien der Erkrankung, be¬ 
sonders auch heilende Fälle mit narbiger Veränderung der Submucosa. 
Kennzeichen für die Bacillenruhr im soharfen Gegensatz z. B. zum Typhus 
abdominalis ist die Beschränkung auf die Darmschleimhaut, die im Dick¬ 
darm oft nahezu nekrotisch wird, während die Submucosa nur ödematös 
ist mit Infiltrationswall an der Grenze des Nekrotischen. Bei den un¬ 
komplizierten Fällen fehlen Lymphdrüsenschwellungen und Milztumor; 
Leberabszesse werden nicht beobachtet; Perforationen in die Bauchhöhle 
selten. Dieses Verhalten ist am ehesten verständlich bei der Annahme, 
dass die Sohleimhautnekrose verursacht ist durch Toxine oder Endo¬ 
toxine der Erreger, die dann selbst rasch zugrunde gehen. Die klinischen 
Erscheinungen der späteren Ruhrstadien wären dann nur auf die nar¬ 
bigen Veränderungen der Darmwand zurückzuführen. Damit stimmen 
die Ergebnisse der bakteriologischen Untersuchungen überein, bei denen 
im Darm nur ausnahmsweise, in den anderen Organen nie Ruhrerreger 
gefunden wurden. Steckelmacher. 


Freiburger medizinische Gesellschaft« 

Sitzung vom 11. Dezember 1917. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung Begrüssung der anwesenden 
Sanitätsoffiziere durch den Vorsitzenden Geh.-Rat v. Kries. 

Hr. Rost: Bericht über einen Fall von leukämischen Timoren der 
Haut, die an einer Stelle in Krebs übergegangen sind. Projektionsbilder 
und Wachsnachbildungen. Ausserdem Vorstellung eines Falles von 
Darrier’seher Erkrankuig. 

Diskussion: Hr. Ziegler. 

Hr. Äsehoff: 

Untersuchungen über Skorbut. (Unter Demonstration zahlreicher Prä¬ 
parate.) 

Die früheren Arbeiten, besonders der französischen Pathologen aus 
dem belagerten Paris, haben ganz entsprechende Erscheinungen be¬ 
schrieben, wie sie der Vortragende während des Krieges beobachten 
konnte. Unter Skorbut verstehen wir jetzt einen Symptomenkomplex, 
gekennzeichnet durch 

1. Purpura und rheumatische Schmerzen, besonders der Beine. 

2. Subcutane Blutungen am ganzen Körper, auch in die Gelenke, be¬ 
sonders das Kniegelenk („Tänzerstellung“), Zahnfleischblutungen 

und Exsudate. 

Die Purpurablutungen finden sioh hauptsächlich an den Streck¬ 
seiten der unteren Extremitäten als kleinfleckiges perifollikulär ange¬ 
ordnetes und als grobfleokiges nicht perifollikuläres Exanthem. (Licht¬ 
bilder.) 

Die häufig beobachtete Keratosis ist an sich wohl nicht spezifisch 
für den Skorbut, aber vielleicht eine einleitende Ernährungsstörung 
dieser Krankheit. 

Die suboutanen Blutungen finden sioh in grosser Mächtigkeit in den 
Muskeln und Muskelscheiden und in der Tiefe der grossen Muskulatur, 
besonders in Kniekehle, Waden und vorzugsweise am Sartorius in den 
Fällen des Vortragenden. Ebenso beobachtete er Blutungen an den 
Nervenscheiden, vielfach auch Venenthrombosen (Abscheidungsthromben 
mit Blutplättchen), die wohl als Ursaohe der Stauungsblutungen anzu- 
sehen sind. 

Als wiohtige Beobachtungen konnten auch Knoohenblutungen in 
Epiphysen und Gelenken konstatiert werden und hierdurch eventuell 
veranlasste Epiphysenlösung bei 19—20jährigen Menschen. Aehnlioh 
beobachtete der Vortragende auch einen auf Blutungen in die Knorpel- 
knoohengrenze der Rippen zurückzufübrenden pseudoracbitisohen Rosen¬ 
kranz bei jugendlichen Individuen unter 20 Jahren. Hierdurch wurde 
die Identität des Skorbuts mit der Möller-Barlow’schen Krankheit bei 


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UMIVERSITY OF IOWA ' 


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224 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 9. 


Kindern erviesen, bei der die Blutungen ebenfalls an die Persistenz 
der Wachstumsgrenze von Knorpel und Knochen gebunden sind. 

Auch Oedeme, Bauchwassersucht und Herzwassersuoht gelangten 
vielfach zur Beobachtuog auf rein skorbutischer Basis. Blutige Ergüsse 
waren meist auf eine gleichzeitig bestehende Tuberkulose zurückzuführen. 

An SchleimhauterkraDkungen trat die Lookerung des Zahnfleisches 
in den Vordergrund und die dadurch veranlasste Blutung bei Berührung, 
das Entstehen von Zahr-fleischgesohwüren und Alveolarpyorrhoe durch 
Sekundärinfektion mit Spirochäten und langen Bacillen. Dieses In¬ 
fektionsmaterial konnte auch im weiteren Verlauf des Verdauungstraktes, 
besonders im Colon, Geschwüre mit dem gleichen bakteriologischen Be¬ 
fund veranlassen (gangränescierende Colitis). Der Ausgang erfolgt durch 
Herzstillstand unter starker Dilation der rechten Herzhälfte und Ver¬ 
fettung der Herzmuskulatur. Die zahlreichen Blutungen, die die Sektion 
zutage fördert, sind zweifellos auf mechanische Ursaohe zurückzuführen 
und entstehen an den Stellen, wo in der mechanisch angestrengten 
Muskulatur die geschädigte Gefässwand nachgibt. 

Als Ursache ist mit Sicherheit eine einseitige Ernährung mit Mehl 
und Reis anzuschuldigen, bei der die Gemüse, das Sauerkraut, vor allem 
die Kartoffel und Zwiebel fehlt. 

Diskussion: Die Herren Rost, Noeggerath, v. Kries, Sohot- 
telius. E. Schottelius. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 27. Februar demon¬ 
strierte vor der Tagesordnung Herr Max Zondek Patienten mit Quer¬ 
resektionen des Magens. Hierauf hielt Herr Holländer den angekün¬ 
digten Vortrag: Zur Pathologie des Fingerskeletts und Herr Sticker 
seinen Vortrag über weitere Erfahrungen in der Radiumbestrahlung des 
Mundhöhlenkrebses. 

— Geheimrat Prof. Dr. G. Fritsch, der seit dem Jahre 1869 dem 
Lehrkörper unserer Universität angehört, feiert am 5. d. M. seinen 
80. Geburtstag. Wer seinen Namen aussprioht, denkt dabei zunächst 
an die epochemachenden Entdeckungen über die Funktionen des Gross- 
hirns, die er mit Hitzig gemeinsam veröffentlichte; aber diese hirn- 
physiologischen Forschungen erschöpfen keineswegs den reichen Inhalt 
dieses Gelehrtenlebens: war Fritsch doch auch einer der ersten Ver¬ 
treter der Photographie zu wissenschaftlichen Zwecken und dankt ihm 
doch die Anthropologie und Ethnologie wichtige Befunde. Möge er sich 
noch lange seiner ungebrochenen Arbeitskraft erfreuen! 

— Wir haben einen herzlichen Glückwunsch nachzuholen: Geheimer 
San.-Rat Stadtrat Dr. Ferdinand Strassmann, Ehrenbürger von Berlin, 
feierte am 25. d. M. seinen 80. Geburtstag. Was er für das Gesundheits¬ 
wesen unserer Stadt seit vielen Jahren geleistet, wie er noch in seinem 
hohen Alter den verdoppelten Anforderungen der Kriegszeit in erstaunlicher 
Jugendfrische sich gewachsen gezeigt hat, ist allseits auf das wärmste 
anerkannt worden und der Dank hierfür fand in zahlreichen Ehrungen, 
die dem Jubilar zu Teil wurden, erneuten Ausdruck. 

— Am 22. d. M. ist, 63 Jahre alt, naoh längerem Leiden der der¬ 
zeitige Vorsitzende der Berliner urologisohen Gesellschaft, Geb. San.-Rat 
Prof. Dr. Hans Wossidlo verstorben. In ihm ist einer der rüstigsten 
und fleissigsten Arbeiter auf dem Gebiete der Urogenitalerkrankungen 
dahingegangen, der sich insbesondere um die Erforschung und Behandlung 
der Harnröhrenleiden grosse Verdienste erworben hat. Wossidlo, ur¬ 
sprünglich Militärarzt, praktizierte längere Zeit in Afrika, wurde später 
Mitarbeiter Oberländer’s in Dresden und siedelte 1893 nach Berlin 
über; während des Krieges war er als fachärztlicher Beirat des Garde¬ 
korps und ordinierender Arzt einer Reservelazarettabteilung tätig. Zahl¬ 
reiche wertvolle Werke, insbesondere sein Buch über die chronische 
Gonorrhoe werden seinen Namen lebendig erhalten; persönlich genoss 
Wossidlo ausserordentliche Beliebtheit unter den Kollegen und das 
grösste Vertrauen seiner Patienten. P. 

— Die bisherigen Oberärzte am Berlin-Schöneberger Krankenhause 
Dr. Glaser (2. innere Abteilung) und Nordmann (2. chirurgische 
Abteilung), wurden zu dirigierenden Aerzten ernannt. 

— Nach Mitteilung des Reichskanzlers (Reichswirtschaftsamt) haben 
in der letzten Zeit die Anforderungen bei der Kontrollstelle für frei¬ 
gegebenes Leder an Leder für die Herstellung von orthopädischem 
Sohuhwerk einen derartigen Umfang aogenommen, dass ihre Befriedigung 
mit Rücksicht auf die allgemeine Lederknappheit kaum zu ermöglichen 
sein wird. Die Kreisärzte sind deshalb angewiesen worden, Be¬ 
scheinigungen, die zur Entnahme von Leder berechtigen, nur dann aus¬ 
zustellen, wenn das Fussleiden die Anfertigung von orthopädischem 
Schuhwerk unbedingt erfordert. Das wird insbesondere dann der Fall 
sein, wenn es sich um auf besonderen Leisten angefertigte Stiefel oder 
Sohuhe handelt, die entweder zum Ausgleich von Beinverkürzungen 
dienen, mit Schienen oder Hülsenapparaten usw. verbunden sind, oder 
für die infolge von Fussverkrüppelungen eine von der gewöhnlichen ab¬ 
weichende Herstellungsart notwendig ist. 


— Versorgung der Medizinalpersonen und Krankenan¬ 
stalten mit 40proz. Feinseife. Um die Medizinalpersonen undKranken- 
anstalten mit einer guten Seife zu versorgen, hat, wie die M.m.W. berichtet, 
die Seifenher8tellungs- und Vertriebs-Gesellschaft der Hageda, Handelsge¬ 
sellschaft Deutscher Apotheker, eine grössere Menge 40proz. Feinseife zum 
Vertrieb übergeben. Diese Seife soll auf folgende Weise verteilt werden: 
1. Aerzte, Zahnärzte, Tierärzte, Hebammen sowie sonstige nach § 2 Ziff. Ia 
der Bekanntmachung vom 21. Juni (R.G.B1. S. 366) berechtigte Medizinal- 
personen wollen sich zwecks Erlangung der Seife an ihre zugehörige 
Apotheke wenden. 2. Krankenanstalten ohne eigenen angestellten 
Apotheker wollen ihren Seifenbedarf ebenfalls in einer Apotheke anmelden, 
die ihnen die bestellte Seife alsdann liefern wird. 3. Krankenanstalten 
mit eigenem angestellten Apotheker können ihren Lieferungsantrag direkt 
an die Hageda, Handelsgesellschaft Deutscher Apotheker, Berlin NW. 21, 
Dortmunder Str. 12 richten. Ein Stück der Seife (im Gewicht von 100 g) 
kostet in den Apotheken 0,80 M. Für die Belieferung von 40proz. 
Feinseife gilt folgende Bestimmung. Die betreffenden Aerzte, Medizinal¬ 
personen sowie Krankenanstalten ohne eigenen angestellten Apotheker 
geben beim Empfang der Seife die Abschnitte ihrer Seifenzusatzkarte 
in ihrer zugehörigen Apotheke ab. Die Abschnitte müssen äusserlich 
durch die verausgabende Kommunalbehörde als für Medizinalpersonen 
bestimmt gekennzeichnet sein bzw. ist ein Ausweis des Besitzers über 
die Eigenschaft als Medizinalperson erforderlich. Krankenhäuser mit 
eigenem angestellten Apotheker übergeben selbst die Abschnitte der zu¬ 
ständigen Seifenstelle des betreffenden Kommunalverbandes, welche eine 
Empfangsbestätigung über die abgegebene Menge ausstellt. Diese 
Empfangsbestätigung wird der Hageda, Handelsgesellschaft Deutscher 
Apotheker m. b. H., bei erneuter Bestellung eingeschickt. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (10 bis 
16. II.) 1. — Fleckfieber: Deutsches Reich (10. bis 16. II.) 4. 
Ungarn (1. bis 6.1.) 3 und 1 f. (7. bis 13.1.) 1. — Geniokstarre: 
Preussen (3. bis 9. II.) 10 und 4 f. Schweiz (27.1. bis 2. II.) 4. — 
Ruhr: Preussen (3. bis 9. II.) 113 und 13 f. Mehr als ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp in Berlin-Lichterfelde, 
Plauen. (Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hoohschulnaohrichten. 

Bonn: Geheimrat F. Schnitze, Direktor der inneren Klinik, trat 
mit Schluss dieses Semesters vom Lehramt zurück. — Als Leiter des 
zahnärztlichen Instituts wurde der Privatdozent für Zahnheilkunde 
Dr. Kantorowicz in München berufen. — Giessen: Prof. Opitz hat 
einen Ruf als Ordinarius für Gynäkologie und Geburtshilfe nach Freiburg 
erhalten. — Würzburg: Prof. Lobenhoffer wurde zum Direktor der 
chirurgischen Abteilung des städtischen Krankenhauses in Bamberg er¬ 
nannt. — Basel: Als Ordinarius für Chirurgie wurde Prof. Hotz in 
Freiburg ernannt. — Habilitiert: Dr. Birk h aus er für Ophthalmologie. 
— Wien: Habilitiert: DDr. L. Hess und Saxl für innere Medizin 
und Bauer für Pathologie. Verstorben: Hofrat Prof. Dr. Kolisko. 


Amtliche Mitteilungen. 

Perison allen, 

Auszeichnungen: Sohwerter zum Roten Adlerorden II. Klasse 
mit Eichenlaub und Stern mit Schwertern zu diesem Orden. 
Ob.-Gen.-A. z. D. Prof. Dr. Scheibe. 

Roter Adlerorden III. Klasse mit der Schleife: Gen.-A. a. D. 
Dr. Wenzel und Mar.-Gen.-A. a. D. Dr. John. 

Schwerter zum Königl. Kronenorden II. Klasse: Mar.-Ob.-Gen.-A. 
a. D. Koenig. 

Königl. Kronenorden II. Klasse mit Schwertern: Gen.-A. Prof. 
Dr. Schumburg. 

Kreuz der Ritter des Königl. Hausordens v. Hohenxollern 
mit Schwertern: St.-A. d. R. Dr. Hartmann und St.-A. d. L. a. D. 
Dr. Engels. 

Kreuz des Herzogi. Sachsen-Meiningensohen Ehrenzeichens 
für Verdienst im Kriege am Bande für Nichtkämpfer: Reg.- 
und Geh. Med.-Räte Dr. Krause in Potsdam und Dr. Meyen in 
Liegnitz. 

Niederlassung: Dr. A. Biermans in Steinhorst. 

Verzogen: Dr. Karl Meyer aus dem Felde nach Celle, Dr. W. Lipp- 
mann von Leipzig, Dr. Wilh. Classen, Dr. Alb. Krüger und Dr. 
H. W. H. Helle von Bonn sowie Aerztin Frau Dr. Gräfin Johanna 
von Königsmarck von Hörde naoh Dortmund, Dr. E. Bellwinkel 
von Oberhausen nach Bochum, Priv.-Doz. Dr. E. Feiler von Breslau, 
Karl Böhm von Sulzbach, Dr. Edwin Reinhardt von Ludwigs¬ 
hafen, Dr. Ludwig Schmidt von Berlin und Priv.-Doz. Dr. Simon 
Isaac aus dem Heeresdienste nach Frankfurt a. M., Dr. H. van der 
Würst de Vries von Wiesbaden nach Utrecht, Dr. 0. Seemann 
von Bonn nach Koblenz. 

Gestorben: Am Herzschlag der Kreisarzt Dr. Dietrich Sohmidt in 
Hoya als Stabsarzt bei einem Truppenteil im Felde, Geh. San.-Rat 
Dr. Herrn. Hirsch in Charlottenburg, Geh. San.-Rat Dr. Louis Ma- 
retzki in Berlin, Geh. San.-Rat Dr. Chr. Martens in Hadersleben. 


Ffir die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Hane Kohn, Berlin W, Bayreather 8tr.41. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumacher in Berlin N. 4. 


Digiti re:: by 


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Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 










Dl« Berliner Klinisch« Woehensohrift erscheint Jeden ■ ■« ■ v All« Btnscndnngcn ftr dl« Redaktion and BxpedMen 

Montag ln Nummern von oa. t —6 Bogen gr. 4. — I I I 1 I m 1% 1 Iji 1 I wolle man portofrei an die Verlagfbuchhandlang 

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Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Sek Mei-Rat Prof. Dr. C. Posner and Prot Dr. H&ds Kolm. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in ßtirik 

Montag, den 11. März 1918. «M. io. Fünfundfönfzigster Jahrgang. 


i n H 

Orlgiaalien: Lub&rsoh: Thrombose and Infektion. S. 225. 

Fel dt: Die spezifische Behandlung ansteckender Krankheiten, ins¬ 
besondere der Tuberkulose. S. 229. 
von Zielinski: Ein neues therapeutisches Vorgehen beim Fleok- 
fieber. S. 233. 

Rusznyäk: Sepsisfälle verursacht durch den anaeroben Bacillus 
von Buday. (Aus dem k. u. k. Reservespital in Zsolna, Ungarn.) 
S. 234. 

Schweriner: Zur Diagnose und Epidemiologie der Ruhr. (Aus 
einer bakteriologischen Untersuobungsstelle.) S. 236. 

Bleherhespreehnageii : Mayer: Die Unfallerkrankungen in der Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie. S. 239. Walther: Zur Indikations¬ 
stellung und Prognose bei den geburtshilfliohen Operationen des 
praktischen Arztes. S. 239. (Ref. Zuntz.) — Pikier: Sinnes¬ 
physiologische Untersuchungen. S. 239. (Ref. du Bois-Reymond.) — 
Trendelenburg: Stereoskopische Raummessung an Röntgenauf¬ 
nahmen. S. 239. (Ref. Hessmann.) 


Thrombose und Infektion. 

Von 

0. Lubarseh. 

(Naoh einem in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 80. Januar 
gehaltenen Vortrag.) 

Als Virchow in den vierziger Jahren des vorigen Jahr¬ 
hunderts die Lehre von der Thrombose von Grund aus unge¬ 
staltete und die von der Embolie schuf, wurde die wissenschaft¬ 
liche Medizin noch vollkommen von der französischen Lehre von 
der Hämitis nnd der Phlebitis beherrscht. Ganz besonders alle 
diejenigen Prozesse, die wir heutzutage als pyämische bezeichnen, 
wurden in erster Linie von den französischen Autoren auf Ent¬ 
zündungen zurückgefübrt, die sich io den Venen abspielen sollten, 
nnd es war ihre Auffassung, dass die Eitermassen, die man im 
Blut findet, nichts weiter wären als ein Exsudat der Venenwand. 
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Virchows ganzes Be¬ 
streben bei der Begründung seiner neuen Lehre von der Throm¬ 
bose und Embolie darauf hinausging, zu zeigen, dass es sich hier 
nicht um eine Exsudation ans der Blutaderwand handle, sondern 
dass die Pfropfbilduugen und Verschlösse grundsätzlich uberein- 
stimmten mit den Vorgängen bei der Blutgerinnung. Infolgedessen 
hat er auch den Beziehungen zwischen den Vorgängen der 
Tbrombenbildnng nnd der Infektion keine besondere Beachtung 
geschenkt, trotzdem schon ans seiner ganzen Einteilung der 
Thrombosen hervorgeht, wie viele Beziehungen da eigentlich zum 
mindesten versteckt liegen. 

Er unterscheidet in dem grossen Aufsatz aber diese Frage, der 
auch in seinen gesammelten Abhandlungen abgedrnckt ist, sieben 
Arten von Thrombose: l. die marantische Thrombose, die Siechtums¬ 
thrombose, 2. die Kompre8sioDstbrombo8e, 3. die Dilatations¬ 
thrombose, 4. die traumatische Thrombose, 5. die Thrombose bei 
Neugeborenen, 6. die puerperale Thrombose und 7. die sekundäre 
Thrombose nach Entzündungen der Venenwand. Namentlich bei 
den drei letzten, aber auch schon in einigen der anderen Gruppen 
sind starke Beziehungen zu Infektionen vorhanden. Auch hat 
Virchow selbst Beziehungen zwischen Infektion und throm¬ 


A L T. 

Literatar-Aiszüge; Physiologie. S. 240. — Therapie. S. 240. — Innere 
Medizin. S. 240. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 241. — 
Chirurgie. S. 242. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 243. 
— Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 243. — Augenheilkunde. 
S. 243. 

Verkandlingei ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Ordentliche 
Generalversammlung der Berliner medizinischen Gesellschaft. S. 243. 
Israel: Geschäftsbericht des Vorstandes. S. 243. Stadelmann: 
'Bericht über die finanziellen Verhältnisse und Entlastung des Vor¬ 
standes. S. 244. Landau: Berieht des Geschäftsführers für das 
Laogenbeck-Virchow-Haus. S. 244. Architekt Wähnelt: Bericht 
über die Baukosten-Abrechnung. S. 246. Kohn: Bibliotheksberioht. 
S. 247. Wahl des Vorstandes. S. 247. 

Tagesgesohiohtliohe Notizen. S. 247. 

Amtliche Mitteilungen. S. 248. 


botischen Vorgängen insofern erörtert, als er in einem besonderen 
Aufsatz über Embolie und Pyämie die Beziehungen zwischen den 
embolischen Vorgängen nnd den pyämischen Eiterungen in Be¬ 
tracht zog, wobei er freilich zu Auffassungen gelangte, die wir 
jetzt nicht mehr als zu Recht bestehend anseben können, die dann 
erst später von Rindfleisch, Recklinghausen, Klebs und 
Orth darch den Nachweis der kapillären Spaltpilzembolie in 
vieler Hinsicht verändert worden sind. 

Es sind nun wiederum in erster Linie französische Gelehrte, 
die in den letzten zwei Jahrzehnten die Frage aufgeworfen haben, 
welche Beziehungen denn zwischen der blanden (nicht eitrigen) 
Thrombose und Infektionen bestehen. Widal, Cornil, Vaquez 
vertreten die Auffassung, dass es keine Thrombenbildung gibt 
ohne Infektion. Die überwiegende Anzahl der deutschen Patho¬ 
logen hat sich dieser Auffassung gegenüber stark ablehnend ver¬ 
halten. Aschoff hat sich scharf dagegen ausgesprochen; der 
neueste Bearbeiter der Lehre von der Thrombose in dem grossen 
Marchand-Krehl’schen Handbuch, Benecke, hat sich ebenfalls fast 
ganz ablehnend dazu gestellt nnd sogar die nnr sehr bedingt zu- 
stimmende Auffassung, die ich in meiner allgemeinen Pathologie 
entwickelte, mit mannigfachen Gründen zu bekämpfen gesucht. 
Nur Kretz ist für die Lehre eingetreten nnd ist ebenso weit ge¬ 
gangen, wie die genannten französischen Antoren, dass er sagte: 
Es gibt eigentlich keine Thromben ohne Infektion. Die Stellung 
der Praktiker ist nicht viel günstiger, namentlich die deutschen 
inneren Kliniker haben sich der Lehre wenig geneigt gezeigt. 
Aoch Gynäkologen, wie Krönig, gehen höchstens soweit, In¬ 
fektionen eine beschränkte Bedeutung für die Entstehung der 
Thromben luzuerkennen, indem sie sagen: Diejenigen Thromben, 
die sich in unmittelbarer Nachbarschaft von infektiösen Prozessen 
entwickeln, wie wir sie mitunter auch bei postoperativen Throm¬ 
bosen beobachten, mögen mit infektiösen Prozessen in Zusammen¬ 
hang stehen, während alle andern, die sich erst später an anderen 
Stellen entwickeln (Fernthrombosen), wenn sie auch im Anschluss 
an Operationen eintreten, mit Infektionen nichts zu tun haben; 
nnr einige Chirurgen haben sich der Lehre freundlicher gegen¬ 
übergestellt. 


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226 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Es ist deswegen nicht bloss von theoretischem, sondern auch 
von praktischem Interesse, einmal anf Grund möglichst eingehender 
und nach allen Richtungen hin vorgenommener Untersuchungen 
die Frage der Beziehungen zwischen Infektion und Thrombose 
zu erörtern. Wenn wir zunächst diejenigen Gründe kurz skizzieren 
wollen, die für einen Zusammenhang zwischen Thrombose und 
Infektion aufgestellt worden sind, so sind das in der Hauptsache 
sechs verschiedene Gründe. Man hat 1. gesagt: Es gibt wenig 
Thrombosenfälle oder vielleicht # so gut wie gar keine, bei denen 
wir nicht in der Leiche eine Anzahl von infektiösen Grundleiden 
finden, von denen aus eventuell die Thrombenbildung abgeleitet 
werden könnte. 2. Man findet die Thromben vor allem dort, wo 
infektiöse Prozesse sich abgespielt haben oder noch nachweisbar 
sind oder wenigstens vermutet werden können. 8. ln den Varicen 
bleibt das Blut gewöhnlich flüssig, solange noch keine infektiösen 
Prozesse in ihrer Nähe sich abspielen. Sind aber z. B. bei den 
Varicen am Unter- oder Oberschenkel kleine Defekte an der Haut 
eingetreten, so dass Spaltpilze leicht hineingelangen können oder 
in die Nachbarschaft gelangen, so kommt es zur Thrombenbildung. 
4. wird darauf hingewiesen, dass bei der postoperativen Thrombose, 
besonders mit dem Beginn der Thrombose, auch Fiebererscheinungen 
auftreten. 6. Die bakterioskopische und bakteriologische Unter¬ 
suchung der Thromben hat ergeben, dass in ihnen Spaltpilze Vor¬ 
kommen können, nnd endlich 6. ist es auch gelungen oder soll 
es gelungen sein, im Tierversuch durch Einbringung von Spalt¬ 
pilzen Thromben zu erzeugen. 

Bevor ich nach dieser Richtung hin die ganze Frage be¬ 
leuchte, möchte ich noch auf einen Punkt eingehen, der die Frage 
über die Häufigkeit der Thrombose überhaupt betrifft. Hier be¬ 
stehen zwischen den Angaben der pathologischen Anatomen und der 
Einiker erhebliche Unterschliede, die auch für die Stellungnahme 
zu den Fragen der Entstehung und der Ursachen der Thromben 
bedeutungsvoll sind. Das kommt in der Hauptsache daher, dass 
bei der Untersuchung während des Lebens nur diejenigen Thromben¬ 
bildungen wahrgenommen werden können, die entweder irgend¬ 
welche Krankheitserscheinungen machen, oder die derart be¬ 
deutungsvoll, so gross oder so oberflächlich sind, dass sie eventuell 
sogar gefühlt werden können, während alle diejenigen Tbromben- 
bildungen, bei denen das nicht der Fall ist, natürlich der Beob¬ 
achtung entgehen müssen. Der pathologische Anatom hat dagegen 
die Möglichkeit, vor allem wenn er sein Augenmerk in jedem ein¬ 
zelnen Fall ganz besonders auf diese Frage richtet, genau die Häufig¬ 
keit der Thrombenbildung überhaupt festzustellen. Dabei ist er 
natürlich auch von der Besonderheit seines Materials abhängig, und 
alle Zahlen, die man da angeben kann, sind selbstverständlich 
nicht als absolute anzusehen, aber sie geben doch, wenn sie auf 
einem grossen Material beruhen, ein annäherndes Bild von der 
Häufigkeit und besonders auch der Verteilung der Thrombosen. 
Trotzdem kommen auch bei einem und demselben Untersucher 
nicht unbeträchtliche Unterschiede vor. So bin ich z. B. bei 
meinen früheren Untersuchungen, bei einem Material von nicht 
ganz 2000 Sektionen in Posen, zu einem Satz von etwa 82 pCt. 
Thrombenbildungen gekommen, während ich bei meinem Kieler Ma¬ 
terial einen geringeren Prozentsatz fand, denn unter 8634 Sektionen 
von Neugeborenen bis zu Leuten von über 90 Jahren fanden sich 
im ganzen 766 Thrombosenfälle, also 21,48 pCt. mit 854 Thromben 1 ). 
Diese Unterschiede beruhen zum grössten Teil darauf, dass in 
meinem Kieler Material die Anzahl der Kinder — besonders der 
Säuglinge — erheblich grösser war als in Posen, und mehr als 
den dritten Teil aller Sektionen betrug (1293 im Alter von 0—16 
Jahre, davon allein 900 im ersten Lebensjahre). Hinsichtlich der 
Verteilung der Thromben auf Blutadern und Schlagadern sind da¬ 
gegen die Unterschiede sehr geringfügige; bei meinem Posener 
Material fielen 80 pCt. auf die Blutadern, 20 pCt. auf Schlagadern 
und linkes Herz, während im Kieler Material 743 Fälle im Venen- 
Bystem, gleich 87 pCt., 111 im grossen Kreislauf, wovon 86 im 
Arteriensystem, 25 im linken Herzen vorhanden waren. 

Wichtiger für die Theorie der Thrombose und damit auch für 
die Frage der Beziehungen zur Infektion ist noch die Verteilung 
auf die einzelnen Lebensalter, und auch hierbei wieder die Ver¬ 
schiedenheiten in der Verteilung auf Blut- und Schlagadern, 
worüber nachstehende Zusammenstellung Aufklärung gibt. 

1) Das heiBst, es waren in 88 Thrombosenfällen Thromben sowohl in 
Blutadersystem, wie in den Schlagadern oder linkem Herzen vorhanden. Die 
mehrfachen Thromben in verschiedenen Abschnitten des Blut- oder Schlag¬ 
adersystems sind nicht besonders gezählt, also wenn auch in einem Fall 
Thromben in der Jugularis, Femoralis, Renalis und Mesenterialvenen vor¬ 
handen waren, ist dies nur als eine Thrombose gerechnet worden. 


Nr. 10. 


Alter 

Zahl der 
Leichen¬ 
öffnungen 

Zahl der 
Thrombose¬ 
falle 

Zahl der 
Blutader¬ 
thrombosen 

Zahl der 
Sohlagader- 
thrombosen 

0- 1 

900 

25= 2,9 

pCt. 

22 = 

71 pCt. 

9 = 29 pCt. 

1— 5 

214 

13= 6,08 


12 = 

92,3 


1= 7,7 


5—10 

96 

9= 9,35 


8 = 

88,9 


1 = 11,1 


10-16 

83 

11 = 14,2 


11 = 

91,66 


1= 8,33 


15—20 

176 

32= 18,18 


32 = 

100 


0 


20—25 

188 

45 = 24,04 


45 = 

100 


0 


25-80 

245 

44 = 18,0 


44 = 

97,8 


1= 2,2 


80-35 

189 

53 = 28,04 


52 = 

96,8 


2 -= 3,7 


85-40 

219 

63 = 28,76 


61 = 

89,7 


7 = 10.8 


40-45 

227 

71 =81,28 


66 = 

89,2 


8 = 10,8 


45-50 

217 

67 = 30.87 


65 = 

95,7 


8= 4,3 


50-55 

205 

83 = 40.73 


76 = 

83.5 


15 = 16,5 


55-60 

195 

67 = 34,36 


62 = 

84,92 

19 

11 = 15,08 


60-65 

152 

56 = 36,84 


53 = 

86,9 

» 

8 = 18,1 


65—70 

130 

| 51 = 89,2 

19 

47 = 

88,68 

9 

6 = 11,32 


70-80 

121 

69 = 57,03 

9 ) 

61 = 

86 0 

9 

10= 14,0 


über 80 

45 

7 = 15,5 

9 

7 = 

87,5 

9 

1 = 12,5 



Es ergibt sich daraus, wie mit zunehmendem Lebensalter 
die Zahl der Thrombosefälle immer häufiger wird, dabei aber 
das Verhältnis zwischen Venen- und Arterienthrombosen in den 
Altersstufen von 35 bis 90 Jahren annähernd das gleiche bleibt, 
während in den Altersstufen von 15—35 Jahren Arterientbrom- 
ben überhaupt nur ausnahmsweise Vorkommen. Dass im ersten 
Lebensjahre eine verhältnismässig grosse Zahl von Arterien¬ 
thromben beobachtet wurde, hängt damit zusammen, dass viel 
Säuglinge mit Nabelinfektionen zur Sektion gelangten, bei denen 
sich eine teils eitrige, teils blande Thrombose von Nabelvenen 
und -arterien fand. — Hier sehen wir also schon im Säuglings¬ 
alter Beziehungen zu Infektionen. 

Dass in den Leichen von Menschen, die thrombotische Ver¬ 
änderungen zeigen, meist auch infektiöse Veränderungen gefunden 
werden, wird auch von Gegnern der Infektiofislehre, wie B'eneke, 
zugegeben, aber mit Recht bemerkt, dass das kein entscheidender 
Beweis sei, da ja überhaupt nur in wenig Leichen keine infek¬ 
tiöse Erkrankungen angetroffen würden. Immerhin würde es be¬ 
merkenswert sein, wenn die Verhältnisse so lägen, wie Kretz 
behauptet, der angibt, dass er bei 6500 Leichenöffnungen keinen 
einzigen Fall von Thrombenbildung gefunden habe, wo nicht 
eine infektiöse Krankheit nachweisbar gewesen wäre oder wenig¬ 
stens als vorangegangen hätte erwiesen werden können. Ich 
habe bei meinem Material derartige Zahlen nicht nachweisen 
können, sondern es haben sich immerhin 18 pCt. der Throm¬ 
bosefälle als solche erwiesen, bei denen irgend etwas von in¬ 
fektiösen Veränderungen im Körper nicht nachweisbar war und 
auch nichts darauf hin wies, dass infektiöse Vorgänge voran¬ 
gegangen sein könnten. Dabei besteht noch insofern ein Unter¬ 
schied zwischen den thrombotischen Vorgängen im Blut- und 
Schlagadersystem, dass bei den Thromben dieses 28 pCt. ohne 
Infektionen, bei denen jenes dagegen nur 10 pCt. ohne Infek¬ 
tionen gefunden wurden. Immerhin ist diese Zahl von 87 pCt. 
Tb rombosefällen, in denen infektiöse Veränderungen in der 
Leiche nachweisbar waren, deswegen nicht ganz bedeutungslos, 
weil sie fast genau übereinstimmt mit den Ergebnissen meiner, 
Posener, z. T. doch auf anders geartetem Material beruhenden 
Untersuchungen, wo ich einen Prozentsatz von 85,8 feststellen 
konnte. Sicher ist aber mit diesen Zahlen allein nicht allzu viel 
anzufangen. Sondern ob gehört noch der Nachweis dazu, 1. dass 
die infektiösen Veränderungen sich in unmittelbarer Nachbarschaft 
oder wenigstens in dem Quellgebiet der Blutgefässe abspielten, 
die Sitz der Thrombose sind; 2. dass die Thromben nicht älteren 
Datums sind, als die infektiösen Erkrankungen. Sichtet man 
mein Material nach diesen Gesichtspunkten, so wird allerdings 
das Ergebnis schon ein wesentlich anderes. Da fanden sich näm¬ 
lich nur 430 von den 766 Thrombosefällen, bei denen die in¬ 
fektiösen Herde im Quellgebiet der Thromben oder in ihrer un¬ 
mittelbaren Nachbarschaft sassen, also ungefähr 55 pCt. der 
Fälle, oder immerhin mehr als die Hälfte. Diese Zahl ver¬ 
ringert sich noch um ein geringes dadurch, dass die genaue 
Untersuchung der einzelnen Fälle ergab, dass die Tbromben- 
blldung wahrscheinlich älter war als die infektiösen Verände¬ 
rungen; doch sinkt der Prozentsatz dadurch nur auf 62,6, so 
dass immerhin mehr als die Hälfte der Thrombosefälle übrig 
bleibt, in denen die Beziehungen zwischen Thrombose und In¬ 
fektion auffallende sind. Und man wird zugeben müssen, dass 


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11. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


227 


es sieh hier um Mindestzahlen handelt, da hierbei ja zunächst 
die Frage der Fernwirkung der Spaltpilze durch ihre Gifte ganz 
ausser acht gelassen ist. Auch bedürfen diese Gesamtzahlen 
noch einer Betrachtung im einzelnen, denn die örtlichen Be¬ 
ziehungen zwischen Thrombose und infektiösen Herden liegen 
keineswegs für alle Gefäsagebiete gleichmässig. Zunächst be¬ 
stehen auch hier wieder Unterschiede zwischen Arterien- und 
Venentbromben; bei jenen waren nur in 41 pCt. der Thrombose¬ 
fälle infektiöse Veränderungen in der Nachbarschaft oder im Quell- 
gebiet nachweisbar. Im Venengebiet bestehen in den einzelnen Ab¬ 
schnitten erhebliche Unterschiede: bei den Thrombosen des Pfort¬ 
adergebietes (28 Fälle) war nur 8 mal = 10,6 pCt. keine Infektion 
in der Nachbarschaft oder im Quellgebiet vorhanden, und es be¬ 
stätigte sich wieder die schon früher von mir gemachte Erfah¬ 
rung, dass auch bei älteren Pfortaderthrombosen meist eine in¬ 
fektiöse Darmerkrankung — am häufigsten Appendicitis — mit 
anschliessender (mitunter nur mikroskopisch nachweisbarer) Mesen¬ 
terialvenenthrombose als Qaelle anzusehen ist. Aehnlich liegen 
die Verhältnisse bei den Thrombosen der Gehirnhautvenen und 
-blutleiter und der Vena jugularis, wo unter 49 Fällen nur 9 mal 
keine unmittelbaren Beziehungen zu infektiösen Vorgängen ent¬ 
deckt werden konnten (18,3 pCt.). Dagegen ist bei der Behr 
grossen Zahl der Thrombosen der kleinen Beckenveoen ver¬ 
hältnismässig häufig das Suchen nach Beziehungen zu Infektions- 
Vorgängen erfolglos, z. T. wohl deswegen, weil die Thromben hier 
oft ziemlich alt sind, z. T. aber auch allein schon die Aufsaugung 
giftiger Stoffe aus den anliegenden Därmen die Entstehung der 
Thrombose begünstigt. — Auf der anderen Seite steigt aber 
wieder die Zahl der mit Infektionsvorgängen in Zusammenhang 
zu bringenden Thromben, wenn man auch noch die nur mikro¬ 
skopisch nachweisbaren hyalinen Thromben der Lungen- Ge¬ 
hirn- und Nierenkapillaren mitrechnet. Alles in allem wird man 
wohl zugeben müssen, dass das hier mitgeteilte Material ge¬ 
eignet ist, die Ansicht zu stützen, dass infektiöse Vorgänge für 
die Thrombenentwicklung bedeutungsvoll sind. — Von viel ge¬ 
ringerer Bedeutung sind dagegen die unter 8 und 4 genannten 
Punkte. Dass Varicen, auch ohne dass in ihrer Nachbar¬ 
schaft sich infektiöse Prozesse abspielen, thrombosieren können, 
ist zweifellos, und ebenso ist auf die Angabe, dass man im 
Begino von postoperativen Thromben öfter Fieber beobachtet, 
wenig zu geben. Zunächst gehen hier schon die Angaben der 
Kliniker erheblich auseinander, so dass die einen angeben, es 
bei 50 pCt. der Fälle gefunden zu haben, andere dagegen, dass 
sie nur in 5 pCt. der Fälle bei postoperativen Thrombosen 
Fieber beobachtet haben wollen, und zweitens ist das Auftreten 
von Fieber nach Operationen, selbst wenn es mit dem Throm¬ 
bosenbeginn zusammen fällt oder kurz voraufgeht, ausserordentlich 
mehrdeutig und kann nicht ohne weiteres auf die Thrombose be¬ 
zogen werden und noch weniger auf Beziehungen zwischen Throm¬ 
bose und Infektion. 

Wenden wir uns nun zum fünften Punkt und fragen, wie es 
mit dem Nachweise von Spaltpilzen in den Thromben steht, so 
ist ja auch diesem Nachweis keine allzugrosse Bedeutnug bei¬ 
zumessen, weder dem positiven Nachweis noch etwa einem nega¬ 
tiven Ergebnis, denn es besteht die Möglichkeit — und alle diese 
Einwände sind gemacht worden: besonders Aschoff hat sie ge¬ 
macht —, dass, selbst wenn man in einem blanden Thrombus 
Spaltpilze findet, damit noch nicht bewiesen ist, dass sie von 
vornherein darin waren, und nicht etwa erst später dorthin ein¬ 
gewandert sind. Diesen Einwand wird man als zulässig betrachten 
dürfen, wenn man die Spaltpilze nur an der Oberfläche des 
Pfropfes findet, wohin sie aus dem noch vorbeiströmenden Blut 
gelangt sein können. Auf der anderen Seite wird man aber auch 
einem negativen Ergebnis entscheidende Bedeutung nicht zuerkennen 
dürfen, denn wir wissen, dass Spaltpilze in Thromben leicht zu¬ 
grunde gehen können, wie sie ja auch in den Blutgerinnseln sich 
nicht so gut halten wie im flüssigen Blot. Wenn wir also durch 
die mikroskopische Untersuchung in Thromben Spaltpilze nicht 
nachweisen können, so ist daraus doch keineswegs mit Sicherheit 
zu schliessen, dass sie für die Entstehung der Thromben ohne 
Bedeutung gewesen sind. Man braucht in dieser Hinsicht nur 
an die Erfahrungen über die Herzklappenentzündungen zu er¬ 
innern, wo man auch eine Zeitlang geneigt war, für die produk¬ 
tiven (verrukösen) Formen, in denen oft bei der mikroskopischen 
Untersuchung Spaltpilze vermisst oder in geringer Anzahl nur an 
der Oberfläche gefunden werden, eine infektiöse Entstehung ab- 
zulehnen, während heutzutage niemand mehr daran zweifelt. 

Deswegen ist auch kein allzugrosses Gewicht darauf zu 


legen, dass der mikroskopische Nachweis von Spaltpilzen nament¬ 
lich in den Kernen der Thromben nicht allzu häufig gelingt 
Auch meine eigenen Untersuchungen haben gezeigt, dass man 
eine grosse Anzahl von Thromben untersuchen kann, und zwar 
gerade auch solche, die in der Nachbarschaft von infektiösen 
Herden sitzen, die aus dem Quellgebiet von infektiösen Herden 
stammen, in denen man durch die mikroskopische Untersuchung 
Spaltpilze nicht nachweisen kann. 

Anders liegt nun freilich die Sache, wenn man sich nicht 
auf mikroskopische Untersuchungen beschränkt, sondern Kultur- 
vereucbe anstellt. Ich habe nicht systematische Untersuchungen 
über den Spaltpilzgehalt des Blutes in allen Tbrombenfällen 
machen können, verfüge aber doch immerhin über 132 Thrombose¬ 
fälle, in denen eine bakteriologische Untersuchung teils des 
Herzbluts, teils der Milz, teils des Bluts des thrombosierten Ge- 
fässes, teils des Kernes der Thromben selbst vorgenommen wurde. 
Dabei kam ich zu folgenden Ergebnissen: 87 mal wurde der 
Streptococcus pyogenes gefunden, 23 mal Stapbylococcus aureus 
(19 mal) und albus (4 mal), 18 mal Pneumokokken, 5 mal 
Streptococcus viridans, 8 mal Streptococcus haemolyticus und 
3 mal Streptococcus mucosus. Im ganzen wurden also in 111 Fällen 
Streptokokken gefunden — wenn ich die Pneumokokken, die ja 
tatsächlich Streptokokken sind, mitrechne, in 23 Fällen Staphylo¬ 
kokken; 12 mal fand sich Bacterium coli commune, davon aller¬ 
dings nur 3 mal rein, 1 mal mit Pneumokokken und 8 mal mit 
Streptokokken zusammen, 8mal Bacterium coli haemolyticum, 
davon 4 mal rein, 4 mal mit Streptokokken zusammen. 8 mal 
konnten überhaupt keine Spaltpilze gefunden werden. 

Rechnet man nun selbst diese 28 Fälle, wo wir Bacterium 
coli commune, Bacterium coli haemolyticum und 8 mal gar keine 
Spaltpilze fanden, ab, so würden doch immerhin noch 104 Fälle 
übrig bleiben, in denen Spaltpilze gefunden worden sind. Es 
scheint aber nicht berechtigt, alle Fälle mit Bacterium coli- 
Befund abzurechnen, sondern höchstens die, in denen sie als 
einzige Spaltpilze gefunden wurden, das sind 7 Fälle. Es würden 
also mit den 8 Fällen von Keimfreiheit des Blutes nur 15 Fälle 
sein, die abgerechnet werden können, und somit 117 Fälle unter 
den 132 Fällen vorliegen, in denen ein Spaltpilzgehalt des Bluts 
nachgewiesen wurde, und zwar solcher Spaltpilze, von denen wir 
wissen, dass sie geeignet sind, schwere Veränderungen im Körper 
hervorzurufen. 

Nun beweist freilich der Spaltpilzgehalt des Blutes nicht 
mehr, als dass eine schwere, nicht allein örtlich beschränkte 
Infektion vorlag, und es ist für die Thrombosefrage von grösserer 
Bedeutung, festzustellen, wie es sich mit dem Spaltpilzgehalt der 
Thromben selbst verhält. Die bakteriologische Untersuchung der 
Thromben konnte nicht in allen Fällen uod vor allen Dingen 
auch nicht so vorgenommen werden, wie es nötig ist, dass man 
nämlich nicht die Oberfläche, sondern den Kern untersucht.' Aber 
immerhin habe ich doch feststellen können, dass in allen Fällen, 
in denen die Kerne untersucht werden konnten, und in denen im 
Blut Spaltpilze gefunden wurden, in den Thromben die gleichen 
Spaltpilze vorhanden waren, also vorwiegend Streptokokken in 
ihren verschiedenen Spielarten und Staphylokokken. 

Das ist ein Ergebnis, das in der Hauptsache mit meinen 
früheren übereinstimmt, so dass wohl kein Zweifel mehr darüber 
herrschen kann, dass auch in durchaus blanden Thromben in der 
Tiefe die gleichen Spaltpilze Vorkommen können, die das Gesamt¬ 
blut verunreinigen. Wie häufig das der Fall ist, darüber können 
selbstverständlich noch Zweifel bestehen, und fortgesetzte Unter¬ 
suchungen wie sie in meinem Institut im Gange sind, müssen darüber 
noch weitere Klarheit schaffen. 

Wenden wir uns nun zu den Ergebnissen der Tierversuche, 
so kann ich mich da ziemlich kurz fassen. Es liegen ja eine 
ganze Anzahl von Tierversuchen vor. Ich erwähne hier nur die 
von Jakowski, von Talke, von Rubesch, Heller und meine 
eignen. Im grossen und ganzen sind sie aus verschiedenen 
Gründen trotz der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der 
Versuchsanordnung nicht sehr brauchbar. Wenn in der einen Gruppe 
von Versuchen verschiedene Spaltpilze (Staphylokokken, Bacterium 
coli) in die Nähe der Blutgefässe eingefübrt oder dicht zwischen 
Venenwand und Umgebung ansgestrichen wurden (Talke, 
Rubescb) und dann verhältnismässig häufig Thrombosen ent¬ 
standen, so sind diese Ergebnisse zum mindesten für die Beziehungen 
der Fernthrombose zu Infektionen nicht zu verwerten uud lehren 
nicht vielmehr, als was wir schon mit Sicherheit aus den Erfah¬ 
rungen der menschlichen Pathologie wisseo, dass nämlich an einen 
infektiös-entzündlichen Vorgang von Blutgefässwandungen blande 

!• 


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228 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Thrombose anscbHessen kann. Warden die Versuche aber anders 
angestellt — anmittelbare Einspritzung der Spaltpilze ins Blut 
(Jakowski) oder, wie ich es machte, Einspritzung der Spaltpilze 
in die Bauchhöhle oder eine entfernte Vene nach vorheriger Ein¬ 
engung und vorübergehender Unterbindung einer anderen Vene, 
so waren die Ergebnisse recht mangelhafte — es kam nur aus¬ 
nahmsweise zur Tbrombenbildung, am häufigsten namentlich dann, 
wenn man Abklemmuogen und Kompressionen der Venen daneben 
vornahm. Im grossen und ganzen sind also die Tierversuche 
nicht gerade sehr ermutigend ausgefallen. Das liegt aber in der 
Hauptsache an folgenden Umständen: 1. bat man die Unterschiede 
zwischen den Verhältnissen von Menschen und den Tieren nicht 
genügend berücksichtigt. Von selbst kommen ja Thrombosen bei 
unseren gewöhnlichen Versuchstieren (Meerschweinchen, Kaninchen, 
Hunden) äusserst selten vor, wie ja aach bei den grösseren Haus¬ 
tieren Thrombenbildung nicht annähernd so häufig ist wie beim 
Menschen. Dann sind auch die zu den Versuchen benutzten Spalt¬ 
pilze (Strepto- und Staphylokokken, Diphtheriebacillen, Bacterium 
coli) gerade für die Tiere wenig schädliche Spaltpilze, die oft 
genug in sehr grossen Mengen ohne weiteres ertragen werden. 
Sehr auffallend ist es ja in dieser Hinsicht, dass, worin alle 
Experimentatoren übereinstimmen, die besten Ergebnisse bei Be¬ 
nutzung von Staphylokokken erzielt wurden, während nach meinen 
Untersuchungen beim Menschen Streptokokken die Hauptrolle bei 
der infektiösen Thrombose spielen. 2. ist es nicht zweckmässig 
gewesen, wie es meist geschah, grössere Mengen von Spaltpilzen 
einzufübren und möglichst frische und giftige Kulturen zu benutzen. 
Denn auch das entspricht nicht den Verhältnissen der menschlichen 
Pathologie, wo für die Bildung blander Thromben die allmähliche 
Aufsaugung von Spaltpilzen aus entfernten Spaltpilzanhäufungen 
in erster Linie in Betracht kommt. 3. sind auch insofern im 
Tierversuch die Verhältnisse beim Menschen nicht genügend nacb- 
geahmt worden, als man gesunde kräftige Tiere zu den Versuchen 
benutzte. 

Denn wenn ich auch keineswegs behaupten will, dass jede 
Thrombose beim Menschen als eine sogenannte marantische, als 
eine Siechtumsthrombose angesehen werden muss, so ist doch 
kein Zweifel, dass Thromben sich beim Menschen um so leichter 
und häufiger entwickeln, je mehr die betreffenden Individuen 
durch die verschiedensten Krankheiten geschwächt und besonders 
in den der Schwerkraft am stärksten ausgesetzten Teilen der Blut¬ 
umlauf durch das längere Verweilen auf dem Krankenlager er¬ 
schwert ist. 

Ich habe nun kurz vor Beginn des Krieges eine Reihe von 
Tierversuchen nach dieser Richtung hin begonnen, in denen alle 
diese Punkte Berücksichtigung fanden und deren Ergebnisse auch 
ganz verbeissungsvoll erschienen, die aber während des Krieges 
nicht fortgesetzt werden konnten. Jedenfalls 'bedarf die experi¬ 
mentelle Seite der Frage noch sehr der Ergänzung. 

Trotzdem können mir, wie ich meine, auch jetzt schon auf 
Grund der umfangreichen hier erörterten Tatsachen zu gewissen 
bestimmten Schlüssen kommen: 1. lässt sich die Ansicht der 
französischen Autoren und von Kretz, dass es keine Thrombose 
gibt, die nicht in ursächlichen Beziehungen zu Infektionskrank¬ 
heiten steht, nicht gut aufrecht erhalten, 2. kann es als fest¬ 
gestellt betrachtet werden, dass in sehr vielen Fällen von Throm¬ 
bose, besonders der Blutadern, der Sitz der Thrombenbildung dort 
ist, wo in der Nachbarschaft oder im Quellgebiet infektiöse Pro¬ 
zesse sich abspielen, somit ursächliche Beziehungen zum min¬ 
desten sehr wahrscheinlich sind. 

Danach ergibt sich die weitere Aufgabe, zu erörtern: wie kann 
man die Wirkungsweise der Spaltpilze und eventuell der von ihnen 
abgesonderten Stoffwechselprodukte erklären und mit den sonstigen 
Auffassungen über die Entstehung der Thrombose in Einklang 
bringen? Hier bestehen drei Möglichkeiten: Erstens sind in Betracht 
zu ziehen die Einwirkung der Infektionserreger auf das Herz und die 
Kreislaufszentren, zweitens die Einwirkung der Spaltpilze auf das 
Blut und die blutbereitenden Organe, ganz besonders auf das Knochen¬ 
mark, drittens die Wirkung auf die Blutgefässwandungen. Hierbei 
sind die wesentlichsten Anschauungen, die über die Entstehungsweise 
der Thrombose geäussert und zum Teil noch umstritten sind, be¬ 
rücksichtigt, und es scheint mir kein Zweifel, dass die Lehre von 
der infektiösen Thrombose mit allen diesen Auffassungen ziemlich 
gleich gut in Einklang zu bringen ist. Stellt man sich auf den 
Standpunkt Virchow’s, dass das Entscheidende die Verlang¬ 
samung des Blutstroms ist, so wird man die schädigende Wirkung 
der Spaltpilze auf das Herz und die Kreislaufzentren bervorheben 
und darauf hinweisen, wie gut der vorliegende Befund von 


Streptokokken damit flbereinstimmt, da diese ja die Kreislauf¬ 
organe besonders stark zu schädigen geeignet sind. Legt man 
dagegen, wie es ja vor allem in Anschluss an die Erfahrungen 
über die Fibrinfermentthrombose einst sehr verbreitet war, das 
Hauptgewicht auf die chemischen und morphologischen Verände¬ 
rungen des Blutes, so wird man zwei Punkte hervorbeben müssen: 
einmal die blutkörperzerstörenden Wirkungen dieser Spaltpilze, 
ferner ihre Wirkung auf das Knochenmark, besonders die Riesen¬ 
kernzellen (Megakaryozyten). Denn als Spender der Blutplättchen, 
deren Bedeutung für die Thrombenbildung zweifellos ist, kommen 
ja ganz vorwiegend rote Blutkörperchen und Riesenkernzellen des 
Knochenmarks in Betracht, gleichviel ob man sie als Absonde¬ 
rungs- oder Zerfallsprodukte dieser Zellen auffasst. Und dass 
einerseits durch das Hineingelangen von Spaltpilzen in die Blut- 
bahn rote Blutkörper zerstört, andererseits Riesenkernzellen aus 
dem Knochenmark in oft recht erheblicher Weise ausgeschwemmt 
werden, wie sich aus der häufigen kapillaren Riesenkern- und 
Riesenzellenembolie ergibt, ist eine gesicherte Tatsache. Auch 
mit dieser Auffassung würden unsere Befunde von der über¬ 
wiegenden Bedeutung der Streptokokken gut in Einklang zu 
bringen sein, da gerade diese besonders stark zerstörend auf rote 
Blutkörper und reizend auf das Knochenmark wirken. 

Nicht ganz so leicht ist es, die immer noch — namentlich 
bei den Praktikern, weniger den Pathologen — beliebte Lehre 
von der Bedeutung der Bndothelveränderungen der Blutgefäss- 
wände mit der Infektionslehre in Einklang zu bringen. Denn, 
dass durch die Anwesenheit von Spaltpilzen gerade die Deck- 
zellen der Blutgefässe erheblich geschädigt würden, ist zum 
mindesten nicht bewiesen. 

Aber es ist wohl überhaupt überflüssig, gerade auf diesen 
Punkt näher einzugehen, weil die scharfe Gegenüberstellung der 
3 Theorien über das Zustandekommen der Thrombose etwas ver¬ 
altet und überwunden sein dürfte und ziemlich allgemein anerkannt 
wird, dass es in der Hauptsache zwei Umstände sind, die zur 
Tbrombenbildung führen, nämlich Veränderungen des Blutumlaufs, 
die mit Blutstromverlangsamung und Wirbelbildung verbanden 
sind, und Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes, 
während wir den Veränderungen der Blutgefäss wand ungen vor¬ 
wiegend für die Lokalisation, die Oertlichkeit, wo die Pfropf¬ 
bildung erfolgt, eine gewisse Bedeutung zuerkennen müssen. Es 
macht daher zweifellos keine Schwierigkeiten, die Lebre von der 
infektiösen Entstehung der Thromben der herrschenden Auffassung 
über den Mechanismus der Thrombose in Einklang zu bringen. 

Eine andere Frage ist es freilich, ob das ebenso gut gelingt 
hinsichtlich des Chemismus der Thrombose. Kretz bat die 
Wirkungsweise der Spaltpilze in ihren unmittelbar gerinnungs¬ 
befördernden Einflüssen sehen wollen, und das mag vielen als 
besonders naheliegend und einleuchtend erscheinen, zumal sich 
danach ja auch die verschiedene Wirkungsweise der verschie¬ 
denen Spaltpilze leicht erklären Hesse, je nachdem sie gerinnungs¬ 
befördernde oder gerinnungsbemmende Eigenschaften besitzen. 
Diese Auffassung geht nun allerdings von der Voraussetzung aus, 
dass Thrombenbildung und Fibringerinnung des Blutes chemisch 
gleichartige Vorgänge sind und der ganze Unterschied zwischen 
Blutgerinnung und der Tbrombenbildung darauf beruht, dass diese 
im zirkulierenden, noch lebenden Blut, jene dagegen in dem ab¬ 
sterbenden Blut nach Aufbören der Zirkulation erfolgt. Dem 
steht ja nun seit Eberth und Schimmelbusch die Ansicht 
gegenüber, dass man zwei verschiedene Arten von Thrombose 
zu unterscheiden habe, zu denen neuerdings Beneke noch eine 
dritte zugefügt hat, nämlich 1. die mit starker Fibringerinnung 
einhergehende Thrombose (Gerinnungs- oder Koagulations¬ 
thrombose), 2. diejenige Art, bei der Gerinnungsvorgänge eine 
ganz untergeordnete oder gar keine Rolle spielen, sondern die 
Pfröpfe lediglich durch eine Abscheidung einer Verklebung oder 
Aneinanderhäufung der Blutplätchen entstehen, weswegen von Ab¬ 
scheidungsthrombose, Konglutinätionsthrombose oder 
in Anlehnung an die in der Bakteriologie oder Serologie üblichen 
Beziehungen von Agglutinationsthrombose gesprochen wird. 
3. Die von Beneke als Konglutinationsthrombose bezeicbnete 
Bildung hyaliner Kapillarpfröpfe, die, wie oben schon erwähnt, 
sich gerade besonders häufig im Anschluss an infektiöse Vorgänge 
bilden. 

Danach würde alBO ein wirklicher Blutgerinnungsvorgang 
nur bei den sogenannten Koagulationsthromben, die vorwiegend 
durch die roten und gemischten Thromben vertreten sind, vor¬ 
liegen. Und es fragt sich, ob und wie die Blutgerinnung durch 
Spaltpilze und ihre Absonderungen .befördert werden^kann. Man 


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11. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


229 


hat hier früher, als man im Anschluss an A. Schmidt das 
Fibrinferment unmittelbar und so gut wie ausschliesslich aus den 
weissen Blutzöllen entstehen liess, an die Wirkung der Spalt¬ 
pilze auf diese Zellen gedacht. Die neuzeitliche Lehre von der 
Blutgerinnung lässt dies aber nichts mehr zu. Schon A. Schmidt 
hat ja im Jahre lb92 seine Lehre in mancher Richtung ab¬ 
geändert und den GerinnungsVorgang in 3 Abschnitte zerlegt: 
1. Bildung des Thrombins (Fibrinferment) entweder unmittelbar 
als Abbau- und Zerfallsprodukt verschiedener Zellen (Endo- 
thelien, Leukozyten, Epitdelien) oder mittelbar aus einer im 
Blute stets vorhandenen Vorstufe, dem Prothrombin, durch Ein¬ 
wirkung der in allen Gewebs- und Blutzellen sich findenden zymo- 
plastischen Substanzen. 2. Spaltung des Paraglobuiins (fibrino- 
piastische Substanz) in Metaglobulin (fibrinogen) und Umwand¬ 
lung dieses in flüssigen Faserstoff. 3. Fällung des flüssigen zu 
festem Faserstoff durch die Plasmasalse. Diese Lehre ist dann 
von Morawitz und anderen dahin vereinfacht und verändert 
worden, dass eine unmittelbare Entstehung des Thrombins nicht 
mehr angenommen, sondern nur durch Einwirkung der Thrombo- 
kinase (bchmidt’s zymoplastische Substanzen) aus einer Vorstufe 
von Thrombogen zugelassen wird; das so entstandene Thrombin 
erzeugt dann bei Anwesenheit von Calciumionen den festen 
Fasterstoff. — Es ist klar, dass auch diese Anschauungen sich 
in unsere vorher entwickelten Ansichten über die Bildung der 
infektiösen Thromben unschwer eiufügen. 

Aber wenn man auch zugeben muss, dass zwischen den ein¬ 
zelnen Thrombosearten untereinander sowohl, als auch zwischen 
Thrombose und Blutgerinnung gewisse Unterschiede in histolo¬ 
gischer, chemischer und geneuscner Beziehung bestehen, so trifft 
das doch insofern den Kern der Sache nicht, als in biologischer 
Hinsicht das Wesen sowohl der Thrombenbildung als der Blut¬ 
gerinnung in einem Absterbe Vorgang des Bluts besteht, bei dem 
es aus dem flüssigen in den festen Aggregatzustand umgewandelt 
wird, und wobei Fibrin bald in grösseren, bald in kleineren 
' Mengen oder überhaupt nicht gebildet und niedergeschlagen wird. 
Genau so, wie wir auch bei dem Gerinnungstod der Zellen fest¬ 
stellen können, dass in manchen Fällen der flüssige Zellinhalt 
einfach fest oder selbst durchscheinend (hyalin) wird, während 
es in anderen Fällen zum mindesten zur Bildung fibrinähnlicher 
Stoffe kommt, was man besonders bei Niereninfarkten verfolgen 
kann, wo, wie schon Oskar Israel nachgewiesen bat, sich in 
den absterbenden Nierensellen unter Umständen festes fädiges 
Fibrin bildet, das dann in die Harnkanälchen übergeht und dort 
liegen bleibt. Genau so, wie demnach das Wesen des Gerinnungs¬ 
todes der Zellen in dem Festwerden des flüssigen Zellinhalts 
liegt und das Auftreten des fädigen Faserstoffs eine entbehrliche 
Begleiterscheinung darstellt, genau so ist das eigentliche Wesen 
der Türombose und der Blutgerinnung ein durch Absterben von 
Blutbestandteilen bedingtes Festwerden des flüssigen Blutes, das 
allerdings häufiger als der Gerinnungstod der Gewebszellen mit 
Auftreten fädigen Faserstoffs verbunden ist. Der Hauptunterschied 
zwischen Thrombose und eigentlicher Blutgerinnung sowohl, wie 
auch zwischen den verschiedenen Thrombenarten besteht in dem 
Verhalten der Blutströmung im Zeitpunkt der Absterbe Vorgänge 
im Blut, dass sie das eine Mal bei noch erhaltener, mehr oder 
weniger verlangsamter, das andere Mal bei erloschener Blut¬ 
strömung sich ausbilden. Noch mehr fast wird der Unterschied 
verwischt, wenn man selbst in der Ftbringerinnung nur eine 
Verdichtung des im Plasma gelösten Fibrinogens durch „engere 
Verschiebung seiner Molekularteilchen u (Beneke) oder eine gegen¬ 
seitige Austäilung mehrerer Kolloide (Nolf) sieht. Jedenfalls 
scheint es danach nicht berechtigt, die Wirkungsweise der Spalt¬ 
pilze bei der Thrombose davon abhängig zu machen, ob sie 
fibrinbildend wirken können oder nicht. 

Endlich möchte ich kurz noch auf zwei Punkte eingehen, 
die mit der Infektionslehre in Zusammenhang zu bringen sind: 
1. Welche Bedeutung haben die hier entwickelten Ansichten über 
die Beziehungen zwischen Infektion und Thrombose zu der Lehre 
von der Thrombophilie und 2. welche zu der Lehre von der 
postoperativen Thrombose? 

Der Begriff der Thrombophilie ist ja von Mendel so gefasst 
worden, dass es sich nicht etwa um die häufigen Fälle mehrfacher 
Thrombenbildung handelt, sondern, dass nach einmal voraus- 
gegangener örtlicher Thrombose eine erworbene Disposition zu 
ausgebreiteter Thrombenbildung bei Infektionskrankheiten bestehen 
soll, so dass bei erneuten Infektionen irgendwelcher Art es regel¬ 
mässig zur Thrombose oft in sehr ausgedehntem Maasse kommt. 
Es liegt auf der Hand, wie sehr diese Lehre mit der Annahme 


einer infektiösen Entstehung von Thromben in Zusammenhang 
steht; es würde sich dann um eine veränderte Empfindlichkeit 
(Allergie), eine Ueberempfindlichkeit handeln. Aber ich glaube 
nicht, dass wir berechtigt sind, derartige Annahmen zu machen, 
da das Tatsachenmaterial keinen Anlass dazu gibt. Es genügt ja 
nicht, dass man sich etwas derartiges auf Grund anderer moderner 
Annahmen vorstellen kann, sondern man müsste zeigen, dass diese 
Annahme für die Erklärung bestimmter Fälle unentbehrlich oder 
wenigstens besonders einfach ist. Das ist aber kaum der Fall, 
und ich selbst habe niemals Fälle von Thrombenbildung gesehen, 
wo es nicht naheliegender gewesen wäre, die zahlreichen 
in den verschiedensten Gefässabschnitten gefundenen Tbrom- 
bildungen durch lokale Veränderungen mit zu erklären, oder wo 
nicht der Zustand des Herzens oder sonstige allgemeine, das 
Zustandekommen von Pfropfbildung begünstigende Zustände eine 
genügende Erklärung für die Massenhaftigkeit der Thrombose 
zwanglos ergeben hatten. Ich meine daher, dass es nicht angebt, 
die Lahre von der Thrombophilie durch die immerhin nur be¬ 
dingte Zustimmung zu der Lehre der infektiösen Natur der 
Thromben zu stützen. 

Auch hinsichtlich postoperativer Thrombosen möchte 
ich betonen, dass wir sie nicht lediglich unter dem Gesichtspunkt 
infektiöser Entstehung betrachten dürfen. Schon deswegen, weil 
es sich dabei keineswegs um etwas Einheitliches handelt und der 
Gesichtspunkt, unter dem man diese Thrombosen vereinigt hat, 
ein äu8serlicher ist und darauf beruht, dass man oft sehr schmerz¬ 
lich beobachtet hat, dass es im Anschluss an Operationen zur 
Thrombenbildung kam oder, wie man vielleicht besser und vor¬ 
sichtiger sagen sollte, Thrombenbildung in die Erscheinung trat. 
Denn wie oft wirklich die Thrombose erst nach und infolge des 
operativen Eingriffs entstand und nicht vielmehr eine versteckte 
Thrombose bereits bestand, das ist noch gar nicht genügend ent¬ 
schieden, und jedenfalls können wir schon deswegen auch nicht 
sagen, dass es etwa möglich wäre, durch peinlichste Asepsis und 
Antisepsis und dadurch bewirkte vollkommene Ausschaltung von 
Infektionen eine postoperative Thrombose zu vermeiden. Schon 
deswegen nicht, weil ja die Bedingungen für die Thrombenbildung 
verwickelte sind und bei aller Anerkennung infektiöser Einflüsse 
diese nicht allein entscheidend sind, sondern den Verhältnissen 
der Blutstörung daneben noch erhebliche Bedeutung zukommt. 
So ist denn sicher manches von dem, was als postoperative 
Thrombose bezeichnet wird, im wesentlichen mit auf die zur 
Operation führende Grundkrankheit, auf die vorausgegangene 
Schädigung des Herzens zurückzuführen U^a in dieser Hinsicht 
möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass in den ver¬ 
schiedenen Lebensaltern die Grundkrankheiten, die wir bei Throm¬ 
bose finden, recht verschiedenartige sind, ln meinem Material 
finden wir z. B. bis etwa zum 30., 40. Lebensjahre ganz über¬ 
wiegend die akuten Eiterungen und die ulceröse Lungen- und 
Darmtuberkulose, während, von da an immer steigend, die zer¬ 
fallenen Krebse über wiegen, so dass wir in manchen Jahresgruppen 
bei weitem die Hälfte aller Fälle von Thrombose in Zusammen¬ 
hang mit zerfallenen Krebsen der verschiedenen Organe finden. 
Bei allen diesen Fällen ist nun selbstverständlich wieder zu be¬ 
rücksichtigen, dass der Allgemeinzustand der Kranken ein ganz 
verschiedenartiger ist, je nachdem es sich um akute oder mit 
langwieriger Abzehrung einhergehende Fälle handelt, und das 
sind gerade die Fälle, bei denen operative Eingriffe vorgenommen 
werden und eine postoperative Thrombose beobachtet wird. Ich 
komme daher zu dem Ergebnis, dass die Beziehungen der infektiösen 
Thrombose zur postoperativen Thrombose sicherlich noch nicht 
genügend geklärt sind; und es scheint mir daher eine lohnende 
Aufgabe gemeinsamer Arbeit zwischen praktischem Arzt, Kliniker 
und pathologischen Anatomen zu sein, die Frage der postoperativen 
Thrombose unter Berücksichtigung der hier entwickelten Gesichts¬ 
punkte weiter zu erforschen. 


Die spezifische Behandlung ansteckender Krank¬ 
heiten, insbesondere der Tuberkulose. 

Von 

Adolf Feldt-Frankfurt a. M. 

I. Die Mechanik der Wirkungsweise der Spezifica im 
* allgemeinen. 

Es bahnt sich eine allmähliche Wandlung und Klärung des 
Begriffes „spezifisch an, soweit er auf chemische Heil' 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


mittel von ansteckenden Krankheiten und'die Mechanik 
ihrer Wirkungsweise im erkrankten Körper angewandt wird. 

Denn während man bisher nur diejenigen Präparate als 
Spexifica gelten lassen wollte, bei denen eine direkte Abtötnng 
der Erreger im infizierten Organismus, eine direkte innere Steri¬ 
lisation, stattfindet, zeigt es sich immer deutlicher, dass dieses 
Kriterium nicht allen Mitteln zukommt, die auf Grund klinischer 
Erfahrung als spezifische bezeichnet werden. Der Begriff eines 
spezifischen Heilmittels ist also nicht gleichbedeutend mit 
„bakterizid“, sondern ist weiter zu fassen. 

Eigentlich scheinen nur noch Chinin, Salvarsan und Optoohin 
dieser Forderung, „innere Desinfizientien“ zu sein, zu genügen. Vom 
Chinin gilt seit Binz, dass es ätiotrop wirkt, und Ehrlioh und 
Morgenrot deuten die Heilwirkung ihrer Präparate in dem Sinne, dass 
die chemische Affinität zum Erreger diejenige zum kranken Organismus 
überwiegt, dass eine Verankerung des Heilmittels an „haptophore 
Gruppen* der Mikrobien stattfindet, woduroh letztere abgetötet werden. 

Kann die Annahme einer direkten Verankerung des 
therapeutischen Mittels an den Erreger aber auoh nooh bei 
den anderen chemischen Körpern aufrecht erhalten werden, 
die wir unter die typisohen „Spezifioa“ einzureihen pflegen? 
Bei der Analyse der Heilung des akuten Gelenkrheumatismus durch 
Salicylsäure und ihre Abkömmlinge, bei Heilung der Lues durch 
Jod und Queoksilber, sind gewichtige Gründe geltend gemacht worden 
dafür, dass andere Kräfte die Verteilung im Organismus und die Heilung 
herbeiführen, als die chemische Verwandtschaft zwisohen Erreger und 
Heilmittel. 

Die Wirkung der Salioylsäure auf den akuten Gelenk¬ 
rheumatismus galt bisher als eine ätiotrope. Es ergab sich jedooh eine 
Schwierigkeit bei dieser Annahme, dünn die Salioylsäure ist ein all¬ 
gemeines Protoplasmagift, und die Giftigkeit für Bakterien im all¬ 
gemeinen ist keineswegs sehr viel grösser als für die giftempfind lieben 
Gewebe des Wirtskörpers (Meyer und Gottlieb). Die von Jaooby 
und Biondi bereits im normalen Tierkörper gefundene Speicherung in 
den Gelenken, die besonders deutlich wird bei Infektion mit Staphy- 
locooous aureus, schien eine Stütze zu sein für die Annahme, dass in 
den Gelenken eine Konzentration des Mittels erreicht wird, die zur 
direkten Abtötung der Erreger hinreicht. Ein Beweis für diese Hypothese 
ist nioht erbracht worden, um so weniger, als der Erreger mit Sicherheit 
nicht bekannt ist 

„Es ist nun schon wiederholt der Gedanke ausgesprochen worden, 
dass die bisherige Annahme einer spezifischen Wirkung der Salioyl- 
präparate auf die rheumatische Polyarthritis im Sinne einer anti¬ 
bakteriellen Wirkung den klinischen Beobachtungen nicht genüge, und 
dass man eine indirekte Wirkung derselben über das Nervensystem zum 
Verständnis des pharmakodynamischen Effektes heranziehen müsse 
(Weintraud, Klemperen, Zadek, Janusohke). Diese Heilmittel 
entfalten nach den Anschauungen der Autoren ihre Wirksamkeit durch 
Aufhebung der durch die sensiblen rezeptorischen Nervenfasern über¬ 
mittelten Reflexe, i. e. durch Erzeugung einer Narkose der sensiblen 
Perzeptionsapparate, woduroh der erwünschte Erfolg erzielt werden 
kann* (Gaisbök). 

Die Lehre von der Entzündungshemmung durch lokale und all¬ 
gemeine (Morphium) Anaesthetioa ist durch Spiess begründet worden. 
Auf Grund klinisoher Beobachtungen folgerte er, „dass eine Entzündung 
nicht zum Ausdruck kommt, wenn es gelingt, duroh Anästhesierung 
die von den Entzündungsherden ausgehenden, in den zentripetalen 
sensiblen Nervenfasern verlaufenden Reflexe auszusohalten. Ferner, dass 
eine schon bestehende Entzündung durch Anästhesierung des Ent¬ 
zündungsherdes rasch der Heilung entgegen geführt wird.* „Die An¬ 
ästhesie hat allein die sensiblen Nerven zu beeinflussen und darf das 
normale Spiel der sympathischen (Vasomotoren) nicht stören.* 1 2 ) 

Duroh Tierexperimente ist die Entzündungshemmung infolge An¬ 
ästhesierung überzeugend dargetan worden. (H. H. Meyer, Bruce, 
Januschke). Einen Sohulfall von Heilung eines schwersten akuten 
Rheumatismus mit Beteiligung fast sämtlicher Gelenke durch Aus¬ 
schaltung der in den zentripetalen sensiblen Nervenfasern verlaufenden 
Reflexe beschreibt F. Gaisbök.*) Es handelt sich um eine Hemiplegie 
mit Leitungssohädigung der sensiblen Bahnen. Verf. bespricht weiter 
die entzündungshemmende Wirkung der Salioylsäure, des Atophans 
und Suprarenins und führt ihre heilende Wirkung im wesentlichen 
auf die typische schmerzstillende Wirkung dieser Mittel zurück. 

Bei der Frage der Wirkungsweise der entzündungswidrigen Mittel 
ist weiter die Wechselwirkung zwischen den Zellfermenten 
und dem chemisohen Heilmittel in Betracht zu ziehen. Bei der 
Entzündung, zum mindesten bei ihrem Ausgange, d. h. bei der Lösung 
und Resorption der pathologischen Zellmassen, spielen die autolytischen 
Fermente eine grosse Rolle. „Wo immer im Körper Einschmelzungen 
grösserer Mengen von Zellaggregaten in Frage kommen, da wirken 
autolytische Fermente mit. Es handelt sioh immer um Beseitigung 


1) Lit. 8. bei Spiess und Feldt, Die Bedeutung der Anästhesie 
in der Entzündungsther. D. m.W., 1912, Nr. 21, Beiheft. * 

2) Gaisbök, Akuter Gelenkrheumatismus und Hemiplegie. 
D. A. f. kl M., 1917, Bd. 121, S. 889. 


überschüssiger Zellmassen durch Verdauung der Proteine mittels Zell¬ 
proteasen und Resorption der Spaltprodukte, die schliesslich zur Aus¬ 
scheidung gelangen.* Die Autolyse wird durch eine Reihe von chemischen 
Mittelu gesteigert. Zu ihnen gehört nach den Untersuchungen von 
Laqueur 1 ) auch die Salicylsäure. „Entsprechend der Tatsache, dass 
salicylsaures Natrium in grossen Dosen die Stiokstoffiausscheidung stei¬ 
gert, bewirkt es bei kurzer Einwirkungsxeit Förderung der Autolyse 
der Leber.“ 

Ebenso wie die Salizylpräparate hat auoh ein dieser Gruppe chemisch 
weitstehender Körper, das Melubrin, eine ausgesprochene „spezifische* 
Wirkung auf den akuten Gelenkrheumatismus. Es «ist ein Abkömmling 
des Antipyrins; duroh seine Verkettung mit der Amidomethansulfongruppe 
hat die therapeutische Wirksamkeit sozusagen eine Inversion erfahren, 
der antipyretisohe Effekt ist gemildert, der antineuralgische ausgeprägter 
im Vordergründe. Die Wirkung des Melubrins bei Polyarthritis führen 
wir gleichfalls auf die Speicherung und Erzeugung von Anästhesie in den 
erkrankten Gelenken zurüok. Am sichersten und schnellsten gelingt 
die Heilung des akuten Gelenkrheumatismus bei intravenöser Zufuhr, 
wobei bisweilen 1—2 Melburininjektionen genügen 1 ), um die subjek¬ 
tiven und objektiven Erscheinungen zum Schwinden zu bringen. Man 
ist versucht zu sagen, dass eine „Therapia sterilisans magna* vor¬ 
getäuscht wird, während tatsächlich Entzündungshemmung durch An¬ 
ästhesie vorliegt. 

Als ein typisches „Spezificum* bei sekundärer und tertiärer Syphilis 
gilt das Jod. Eine endgültige Heilung wird duroh Jod nicht erreicht, 
daher wird ihm eine direkte Einwirkung auf den Erreger nicht zuge- 
sohrieben (Meyer-Gottlieb). Dieses Halogen bildet aber den Ueber- 
gang zur pharmakologischen Wirkung der Metalle, denn unter seinem 
Einflüsse fallen die syphilitischen Neubildungen beschleunigter Ein¬ 
schmelzung und Resorption anheim, eine Wirkung, wie sie den metallischen 
Katalysatoren in charakteristischer Weise eigen ist. In chemischer Hin¬ 
sicht ist das Jod ein typischer katalytischer Sauerstoffüber¬ 
träger, auf welche Eigenschaft seine pharmakologische Wirkung in 
erster Reihe zurüokgeführt werden kann (vgl. auch Schade.) 

Als typisches Spezificum gilt weiter seit Jahrhunderten das Queck¬ 
silber, durch welches in besonders deutlicher Weise nicht nur ein 
Sohwinden der Symptome der Syphilis, sondern eine Heilung, ein Ver¬ 
hüten weiterer Rezidive erzielt wird. Ob die Wirkung des Quecksilbers 
„in strengem Sinne ätiotrop gegen die Spirochaete pallida gerichtet ist, 
ist noch nicht mit Sicherheit erwiesen, auch eine indirekte Wirkung durch 
Anregung der Antikörperbildung erscheint denkbar* (Meyer und 
Gottlieb). 

Was die Heilung ansteckender Krankheiten duroh Metalle anbelangt, 
so lassen sioh in den neuzeitlichen Versuchen einer Erklärung der 
Wirkungsweise im kranken Organismus folgende drei Typen 
unterscheiden: die chemische, physikalische und immuno-biologische. 

Durch Ehrlioh ist die rein chemische Betrachtungsweise begründet 
worden, die augenblicklich als allgemein anerkannt anzuBehen ist 
Salvarsan ist danach auf die Treponemen chemisch eingestellt, die 
Seitenketten des Salvarsans reagieren mit baptophoren Gruppen des 
Erregers, es kommt zur chemisohen Bindung, Verankeruug des chemischen 
Mittels an den Mikrobienleib. Ausserdem ist durch die Seitenketten die 
chemische Affinität zu den Körpersellen herabgesetzt, die Bakteriotropie 
überwiegt die Organotropie um ein Vielfaches, dar therapeutische 
,. . heilende Dosis . ... . ^ . 

Quotient = ——--~—:— stellt ein Optimum dar. 

todiiode Dosis 

Es ist ohne weiteres klar, dass diese chemischen Ueber- 
legungen auf die Quecksilbertherapie nicht anwendbar sind. 
Queoksilber wirkt auf die Lues heilend, in jedem angeführten Aggregat- 
zustande, in Dampfform, als flüssiges Metall, als festes chemisches 
Präparat. Von einem Einflüsse irgendwelcher Seitenketten kann infolge* 
dessen keine Rede sein, es kommt offenbar nicht auf irgend ein zusammen¬ 
gesetztes Molekül an, sondern nur auf Zuführung des Metalles in be¬ 
liebiger Form. Aus rein klinisch-technisohen Gründen (Depotlegung) 
zieht man physikalische Eigenschaften in Betracht bei Auswahl des 
Präparates, z. B. die Lösliohkeitsverhältnisse bei subkutaner und intra¬ 
muskulärer Darreichung. Es drängt sich unabweisbar die Notwendig¬ 
keit eines veränderten, von rein chemischer Betrachtungsweise ab¬ 
weichenden Standpunktes auf, will man in der Erkenntnis der Wirkungs¬ 
weise der Quecksilbertherapie zu klarer und fruchtbarer Fragestellung 
gelangen. 

Hier setzen die Untersuchungen Schade’s ein, die ein neues Licht 
auf die Frage der Quecksilberwirkung geworfen haben, und die durch 
experimentelle Begründung bereits sichere Grundlagen für eine zureichende 
Theorie erbracht haben. Schade geht von der klinischen Beobachtung 
aus, dass die Menge des zugeführten Metalles in dosierbarer Form, also 
bei Injektionen, sich auf das Körpergewicht berechnet in Brüchen von 
1:1 Million und darüber bewegt. Bei nicht kontrollierbarer Form der 
Zufuhr (Merkolintschurz, Inhalation eines Syphilitikers von dampfförmigem 
Quecksilber, das von einem geschmierten Nachbarn im Nebenbette aus- 
geht) handelt es sich um noch geringere spurenhafte Mengen des Metalles, 
die eine heilende Wirkung ausüben. Eine chemische Bindung, eine Ver- 


1) Laqueur, Ueber den Einfluss des salioylsauren Natriums auf 
die Autolyse. Zsoh. f. phys. Chemie, 1912, Bd. 79, S. 88. 

2 ) Hahn, Ueber intravenöse Melubrintherapie. M.m.W., 1918, Nr. 40; 
Riedel, M.m.W., I 0 I 8 , Nr. 44 u. a. 


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11. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ankerung des Metall es an den Erreger als Ursache der Heilwirkung au- 
zunebmen, ist dadurch unstatthaft geworden 1 2 )« 

Schade weist daher auf den chemisch-physikalischen 
Weg snr befriedigenden Losung der vorliegenden Frage hin, 
anf den die typische Grössenanordnung hinführt, nämlich die 
Auslösung nachweisbarer chemischer Wirkung durch minimale Metall¬ 
mengen, die zur Menge des ausgelösten Umsatzes in keinem Verhältnis 
stehen, eine Grössenanordnung, wie sie für den Vorgang der Katalyse 
kennzeichnend ist. Denn für diese Art Vorgänge ist gerade das Miss¬ 
verhältnis zwischen der Menge der Zusatzsubstans und der Grösse der 
erzielten Wirkung charakteristisch. Der Frage, in welcher Form das 
Hg sich im Körper befindet und in Wirksamkeit tritt, kommt eine 
wesentliche Bedeutung offenbar nicht zu, da die Befähigung zu 
katalytischen Wirkungen sowohl den Quecksilberalbu- 
minaten, wie den Hg-Salzen, als wie sohliesslioh auoh dem 
Metall eigen ist. 

In den mannigfachen Symptomen der Lues herrscht derselbe Grund¬ 
zug vor, der sich dahin charakterisieren lässt, dass es sich um regressive 
Stoffwechselveränderungen handelt, die sich sowohl im ge¬ 
störten Stoffwechsel des Gesamtorganismus, als auch in den 
regressiven, zu ausgedehntem Zerfall neigenden zellulären 
Prozessen äussern. 

Sie sind der Ausdruck von Störungen im normalen Verlaufe der für 
alles Organische so wesentlichen fermentativen (katalytischen) 
Vorgänge. Das Hg setzt die gestörten Oxydationen und Reduzierungen 
wieder in den rechten Gang, wie Eisen und Silber. Gestützt wird 
diese Anschauung durch Versuohe von Stassano, der feststellte, dass 
kleinste Dosen Sublimats die Fermentwirkungen von Laccase, Tyro¬ 
sin ase, Organextrakten, Drüsensekreten, Enterokinase und und der Blut¬ 
gerinnung in hohem Maasse steigern, während grössere Dosen hemmend 
wirken. Bekannt sind die Untersuchungen Bredig’s, in denen durch 
anorganische Zusätze ganz ähnliche Aktivierungen und Hemmungen der 
Quecksilberkatalyse dargetan werden. Am interessantesten sind die 
Beeinflussungen, die Schulz in der lebenden Zelle duroh Quecksilber 
erreicht bat. So wird die Kohlensäureproduktion der Hefesellen durch 
Hg-Verdünnungen von 1 : 700 000 erheblich gesteigert, in grösserer Kon¬ 
zentration gehemmt. Ebenso wird die Milchsäurebildung durch gewisse 
Bakterien von HgCI ( in Lösungen von 1 : 2 Millionen befördert. Aehn- 
1 ioh dürfte die Hg-Wirkung im Organismus teils auf direkte 
katalytische Einwirkung, teils auf indirekte Katalyse, auf 
Aktivierung der intrazellulären Fermentprozesse zurück¬ 
zuführen 9ein. Die Erscheinungen der Hypersalivation, der gesteigerten 
Darmtätigkeit, der Diurese werden als Folgezustände einer Aktivierung 
normaler physiologischer fermentativer Prozesse betrachtet, die in den 
Orten der Ausscheidung durch Anhäufung des Metalles besonders intensiv 
sind. Die durch das Metall bewirkte Katalyse ist nicht der einzige 
Einfluss, der im Organismus ausgelöst wird, sondern nur die das Bild 
der pharmakologischen Wirkung beherrschende Komponente. Damit 
die heilende Wirkung auf die Lues zustande kommt, halten wir 
das Hinzutreten immunisatorischer Vorgänge für wesentlich. 

Besonders eindeutig sprechen hierfür jene Fälle maligner und 
torpider Lue9, die sich der Quecksilberhehandlung gegenüber refraktär 
verhalten. Das deutet darauf hin, dass zum Zustandekommen der Heil¬ 
wirkung des Metalles eine zweite Komponente notwendig ist, die Bildung 
spezifischer Antikörper von seiten des erkrankten Organismus. So¬ 
bald diese Antikörperbildung insuffizient ist, versagt auoh das Metall. 
Besonders interessant ist das Verhalten der Lues maligna, bei der Hg 
versagt, wo aber eklatante Heilerfolge durch Salvarsan erzielt werden. 
Aber auoh die Aetiotropie des Salvarsans ist nicht ausschlaggebend, 
denn es kommen Fälle von Lues vor, die auch auf Salvarsan nioht an¬ 
sprechen. — Also auch bei diesem anscheinend spezifisch auf den Er¬ 
reger eingestellten Präparate muss die aktive Mitwirkung des kranken 
Körpers hinzukommen. Die Heilung der Lues erfolgt auch bei 
spezifischer Behandlung letzten Endes nur bei vorhandener 
Heilungstendens, nur bei genügender Antikörperbildung des 
erkrankten Organismus 1 ). 

An den Beispielen der Heilwirkung der Salicylsänre auf die 
Polyarthritis, des Jods und Quecksilbers auf die Lues, lernen 
wir, dass die augenblicklich alles beherrschende Lehre Ehrlich’s, 
dass bei der Verteilung von chemischen Präparaten im Körper 
und bei der Unschädlichmachung der Krankheitserreger aus 
schliesslich chemische Affinitäten eine Rolle spielen, jedenfalls 
keine allgemeine Gültigkeit besitzt. Derselbe Effekt, d. h. Ab¬ 
heilung der Eutzündungs- und Granulationsherde und Verschwin¬ 
den des Erregers kommt bei Zuführung chemischer Mittel im 
Organismus auf die verschiedenste Weise zustande, vielleicht dty'ch 


1) Nach Lomholt und Kissmeyer, M.m.W., 1917, S. 1292 beträgt 
der Hg-Gehalt im Blut auf dem Höhepunkt einer Hg Kur nur 1—8 mg 
per Liter. Spirochaete pallida wächst auf AscitesbouilloDsubstrat noch 
bei Zusatz von 5—20 mg per Liter reichlich. Diese Beobachtungen 
„sprechen wohl im allgemeinen überhaupt stark gegen die Annahme 
einer direkten Einwirkung auf die Spirochaete pallida*. 

2) Zu ähnlicher Schlussfolgerung gelangt auf Grund klinischer Beob¬ 
achtung Perutz, Zur Theorie der Hg-Wirkung usw. Derm. Wsohr., 
1917, Nr. 65, S. 86. 


chemische Kuppelung an den Leib des Erregers, sicher aber 
durch Ausschaltung rezeptorischer Nervenelemente im Entzündungs¬ 
herde, durch chemisch-physikalische Aenderung des Reaktions- 
ablaufes, durch Katalyse, und endlich durch Beschleunigung der 
Bildung von spezifischen und normalen Antikörpern. Der Be¬ 
griff „spezifisches Heilmittel* ist also ein rein klinischer 
und lässt sich dahin definieren, dass es sich um chemische 
KOrper handelt, die die Produktion der normalen und 
spezifischen AbwehrkOrper steigern, die histologischen 
Krankbeitsprodukte (Entzündungs-, Grann 1 atkonsherde) 
zur Abheilung bringen und die Erreger 'unschädlich 
machen, und zwar in Dosen, die für die übrigen Körper¬ 
sellen nicht nur nicht giftig sind, sondern (wie die 
Metallpräparate) einen roborierenden'Einfluss ausüben. 

II. Ueber die katalytische Wirkung des Goldes im 
tuberkulösen Organismus. 

Somit hätten wir einen vorurteilsfreien Standpunkt gewonnen, 
um an eine Analyse der Wirkung von Goldpräparaten auf die 
Tuberkulose herantreten zu können. Die Forderung, die wir an 
ein spezifisches Heilmittel dieser Krankheit stellen, scheint vom 
Golde, insbesondere vom Krysolgan, klinisch erfüllt zu sein, 
denn es bringt die tuberkulösen Herde zur Abheilung, 
macht dadurch den Erreger unschädlich und zwar in 
Dosen, die für die gesunden Organe nicht nur ungiftig 
sind, sondern sie ausgesprochen roborierend beein¬ 
flussen. Es sei sofort betont, dass nicht alle Fälle von Tuber¬ 
kulose in gleicher Weise auf die Goldbehandlung ansprechen, es 
gibt alle Uebergänge von eklatanter Wirkung in kurzer Zeit mit 
einigen wenigen Dosen bis zu Fällen, wo das Mittel gänzlich 
versagt. 

Gerade aus diesen negativen Fällen hoffen wir, wie beim 
Quecksilber und Lues, fruchtbaren Aufschluss darüber zu er¬ 
langen, wie die Mechanik der Goldwirkung gedeutet werden muss. 

Das klinisohe Bild der Beeinflussung des tuberkulös erkrankten 
Menschen durch Goldinjektionen von beispielsweise 0,1 g Krysolgan wird 
von den der Goldwirkung zugänglichen Fällen mit einer objektiv und 
subjektiv wahrnehmbaren Herd- und Allgemeinreaktion, die wir kurz als 
tuberkulinähnliche Reaktion kennzeichnen können, beantwortet. 
Durch angepasste Dosierung lässt sich eine Dissoziation von Herd- und 
Allgemeinreaktion erzielen in dem Sinne, dass nur eine ausgesprochene 
Herdreaktion erfolgt, ohne dass die Allgemeinwirkungen, Fieber und 
gestörtes Befinden, in Erscheinung treten. Ein umgekehrtes Verhalten 
wird dagegen nioht beobachtet, d. h. Temperatursteigerungen ohne nach¬ 
weisliche Herdreaktion kommen nicht vor. Es lässt sich also zwanglos 
eine ursächliche Verknüpfung annehmen dahingehend, dassdie Allge¬ 
meinreaktion die Folge der Herdreaktion ist. 

Wie kommt die Herdreaktion zustande? 

Als erstes Glied in der dazu führenden Tatsachen reihe ist die 
Speicherung des Goldes im tuberkulösen Herde anzusehen. 
Bereits diesen Vorgang müssen wir uns als einen komplizierten, durch 
die verschiedensten Momente bedingten vorstellen. Das Goldpräparat 
wird in irgend eine oberflächlich gelegene Vene, meist eine Armvene, 
injiziert. Das goldhaltige Blut der Armvene gelangt auf einem Um¬ 
wege in die Leber und wird hier zu einem grossen Teile zurückgehalten. 
Bereits hier zeigt es sich, dass Krysolgan wesentlich ungiftiger ist als 
Aurocantan, welches in einem grösseren Prozentsatz von Fällen eine 
„Leberreizung* hervorrief, die sich klinisch in Icterus äusserte. Ioterus 
ist aber auoh naoh Darreichung der Maximaldosis (0,4 für den er- 
waohsenen Mensohen) nach Krysolgan nie beobachtet worden (es handelt 
sich bisher um etwa 8000 Injektionen). 

Naohdem das goldführende Blut das Arterien$ystem passiert hat, 
gelangt es zu den tuberkulösen Herden und tritt durch die Wandung 
der Kapillaren in der Peripherie des Herdes in das Gewebe über. 

Der vermehrte Durchtritt durch die Gefässwand, der eine 
Speioherung im kranken Gewebe zur Folge hat, ist eine all¬ 
gemein von im Blute kreisenden chemischen Mitteln gel¬ 
tende Tatsache. Goldpräparate nehmen darin durchaus keine Sonder¬ 
stellung ein. Bekannt ist, dass Jodkali, Quecksilberpräparate, Salvarsan, 
Borcbolin u. a. kliniseh in tuberkulösen Geweben eine entzündliche 
Reaktion hervorrufen können. Auf Grund von Tierversuchen ist dann 
auch von Jaooby das „Grundgesetz der Verteilung von Giften im 
tierischen Körper* ausgesprochen worden dahin lautend, dass sie im 
pathologischen Gewebe gespeichert werden. Loeb und Mich and haben 
in Versuchen an tuberkulösen Tieren nachgewiesen, dass Jod im tuber¬ 
kulösen Gewebe angehäuft wird. 

Ueber die Ursache der Speicherung ohemischer Mittel im tuber¬ 
kulösen Herde sind die verschiedensten Hypothesen aufgestellt worden. 
Eine rein chemische Bakteriotropie als Ursaohe der Herdanreioherung 
im Sinne Ehrlich’s ist bei der Tuberkulose auszuschliessen. Ist der 
Tuberkelbaoillus von Kapillaren umflossen, wie es bei primärer Infektion 
der Fall ist, so liegt er reaktionslos da (von Baumgarten u. a.). Ist 
er aber beim überempfindlichen, d. h. relativ immunen Körper von nioht- 

2 * 


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232 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSurittiüT. 


Nr. 10. 


durchblutetem Granulationsgewebe eingesohlossen — und darum handelt 
es sich stets bei klinisch nachweisbaren tuberkulösen Herden —, kommt 
eine chemisohe Affinität für ein im Blute kreisendes Mittel als eine Art 
Fern Wirkung nicht in Betraoht. Oswald verlegt die ganze Frage in 
das Gebiet der physikalischen, und zwar der Kolloidchemie, indem er 
Veränderungen in den Diffusionsprozessen annimmt, die in kolloidalen 
Strukturveränderungen der Membran- und Grenzschichten der Zellen 
begründet ist. Stern sieht als entscheidende Ursache des gesteigerten 
Uebertrittes aus der Blutbahn das rein mechanische Moment der Stauuug 
in 'den entzündlich erweiterten Gefässen des tuberkulösen Gewebes an, 
die eine Verlangsamung des Blutstromes und daduroh erleichterten 
Durchtritt durch die Gefässwand bedingt. 

Der vermehrte Durchtritt chemischer Mittel 1 duroh die Wand der 
Gefässe im Bereiche tuberkulöser Herde und als Folge davon die 
Speicherung im kranken Gewebe hat offenbar verschiedene Ursachen. Da 
jedoch dieser Vorgang nicht spezifischer Natur ist, hat er für die 
Frage nach der den anderen entzündungssteigernden che¬ 
mischen Mitteln überlegenen Wirkung des Goldes auf den 
tuberkulösen Herd kein prinzipielles Interesse und lassen 
wir daher die Frage offen. 

Als Folge der Speicherung des Goldes im Herde treten klinisch 
zwei entgegengesetzte Erscheinungen zutage, entweder Rötung und 
Schwellung bzw. eine Zunahme dieser bereits bestehenden entzündlichen 
Symptome, die die eigentliche typische Herdreaktion bilden, oder 
aber das paradoxe Phänomen der Abblassung und Absohweilung 
entzündlich geröteten und angesohwollenen Gewebes (Schnaudigel), 
die als besondere Reaktion des Körpers, als zweiter,TypusderHerd- 
reaktion anzusehen ist. 

Die Herdreaktion ist das Hauptmoment der duroh Gold 
bewirkten Veränderungen im tuberkulösen Organismus, denn 
an ihr Auftreten ist die Beschleunigung der Heilungsvorgänge geknüpft. 
Gelingt es, duroh ihre Analyse Aufschluss zu erlangen über die ihr 
zugrunde liegenden chemisch-physikalischen Vorgänge, so ist damit das 
Wesen des heilenden Momentes der Goldwirkung ausgedrüokt. 

NachHeubner ist Gold, wie alle Schwermetalle, ein „Kapillargift“, 
d. h. bei mit Gold vergifteten Tieren zeigen sich makro- und mikro¬ 
skopisch Blutaustritte aus den Gefässen in das umliegende Gewebe, die 
Wand der Kapillaren wird duroh Gold geschädigt. Die entzündliche 
Reaktion im tuberkulösen Herde glaubt Heubner duroh diese Eigen¬ 
schaft des Metalles erklären zu können, indem er annimmt, dass Gold¬ 
präparate in Dosen, die die Gefässe der gesunden Organe nicht schädigen, 
die ohnehin entzündlich veränderten Kapillaren im Bereiohe des tuber¬ 
kulösen Herdes zur vermehter Erschlaffung bringen. 

Dagegen ist einzuwenden, dass rein toxikologische Gesichtspunkte, 
Sohlüsse von Ergebnissen, die mit tödlichen Dosen an normalen Tieren 
erzielt sind, zur Deutung der chemotherapeutischen Wirkung der Metalle 
im infizierten Organismus im allgemeinen unfruchtbar sind. Wie ist 
Heubner dazu gekommen, die Metalle als „Kapillargift“ zu bezeichnen? 
Er ging von der Feststellung Sohmiedeberg’s aus, dass Arsen in 
toxischen Dosen Blutaustritte in inneren Organen erzeugt. Dasselbe 
Vergiftungsbild, Schädigung der Kapillaren, fand er naeh tödlichen 
Dosen der Schwermetalle. Arsen ist also das Schulbeispiel eines 
„Kapillargiftes“. Was ist aus dieser Tatsache für die Erkenntnis der 
Heilwirkung der organischen Arsenpräparate, im besonderen desSalvarsans, 
auf treponemeneninfmerte Tiere gewonnen? Niohts. Ebenso unzureichend 
und irreführend ist es, die Heilwirkung des Goldes auf den tuberkulösen 
Herd mit der primitiven Annahme, dass sie die Folge der Vergiftung 
der Kapillaren sei, erklären zu wollen 1 ). Dagegen sprechen auoh noch 
besonders zwei klinische Beobachtungen. Nicht jeder tuberkulöse Herd 
reagiert auf Goldinjektionen (wie das auch beim Tuberkulin der Fall ist). 
Entzündlich veränderte Gefässe liegen aber auch hier mit Sicherheit vor; 
käme der Giftigkeit für die Kapillaren entscheidende Bedeutung zu, so 
wäre das Ausbleiben einer Reaktion völlig unerklärlich. Ebenso ein¬ 
deutig spricht gegen die Heubner’sohe Hypothese die Schnaudigel- 
sche Reaktion: Auf Goldzufuhr nicht vermehrte Erschlaffung der ent¬ 
zündlich veränderten Gefässe, sondern das Gegenteil, Abblassung und 
Abscbwellung, also Rückkehr zur Norm der Kapillaren! DieHeubner- 
sohe Hypothese hatte Geinitz und Unger-Laissle, Erfahrungen mit 
Aurocantan, D.m.W., 1917, S. 526, zur Auffassung verleitet, den Eiweiss¬ 
befund im Harm dreier >Tuberkusöser von 12 Behandelten auf eine 
Sohädigung der Nieren duroh das „Kapillargift“ zurüokzuführen. Eiweiss 
im Harn nach Aurocantan ist entweder gutartige tuberkulös-toxisohe 
Albuminurie oder Symptom einer ^spezifischen Reaktion eines latenten 
tuberkulösen Nierenherdes. Eine Schädigung der Nieren findet nicht 
statt, wie Geinitz und Unger sich auch dureh den Tierversuch über¬ 
zeugten,9 wo zehnfach höhere Dosen von Aurocantan, als klinisch an- 

1) Die Kennzeichnung' 1 des" Goldes als Kapiliargift ist nur unter 
Einschränkung zulässig. Denn eine Kapillarerschlaffung fand Heubner 
nur nach akutem Tode „binnen weniger Minuten“, wenn die tötende 
Goldmenge schnell injiziert wurde. „Bei der Sektion und mikroskopischen 
Untersuchung der Tiere, die nach Einführung von Goldzalz später 
starben oder auoh absichtlich getötet werden, findet man niemals die 
früher geschilderten Zeichen der Kapillarerschlaffung“. Also sogar unter¬ 
tödliche toxisohe Zeichen wirken nicht mehr nachweisbar auf die Ka¬ 
pillaren! Das Charakteristische der Goldvergiftung ist in erster Reihe 
ein anderes, offenbar die zentrallähmende Wirkung. Daher die bei 
toxischen Dosen erhaltene Giftwirkung auf die nervösen Zentren. 


gewandt werden, keinerlei, auoh mikroskopisch oder funktionell nach¬ 
weisbare Nierenreizungen machten. 

An die entzündliche Herdreaktion, sei sie duroh Gold oder Tuberkulin 
hervorgerufen, sohliessen sich Ei n sch me 1 zun gs Vorgänge an, d. h. 
die Zellen des Herdes verfallen einer regressiven Metamorphose, der 
Nekrobiose, und vermehrter Resorption. Dieser Prozess des beschleunigten 
Unterganges des pathologischen Gewebes schreitet bei den infanRten 
Fällen unaufhaltsam weiter. Bei den der Heilung zuneigenden Fällen 
werden die Einsohroelzungsprozesse abgelöst duroh vermehrte Bildung 
von faserigem Bindegewebe, es vollzieht sich der typisohe Heilungsvor¬ 
gang der Tuberkulose, der auf die Ausbildung einer bindegewebigen 
Narbe hinzielt, die die nicht abgetöteten Kooh’sohen Baoillen einschliessen 
kann. Wesentlich ist dabei, dass die spontane Heilung der Tuberkulose 
nicht, jedenfalls nicht notwendig erfolgt unter Abtötung der Bacillen, 
sondern darauf hinausläuft, duroh eine gesetzmässige Reihenfolge von histe- 
logisohen Abwehrvorgäogen 1 ), nämlich Produktion von tuberkulösem Ge¬ 
webe und Uebergang in narbiges Bindegewebe, den Erreger unschädlich 
zu machen. Durch die bindegewebige Abkapselung wird der Bacillus von 
der Zufuhr des Nährmaterials blockiert, daduroh der Vermehrungsfähigkeit 
beraubt, andererseits der Organismus vor dem Uebertritt der Gifte des 
Erregers in die Gewebssäfte, die Lymph- und Blutbahn geschützt. Diesen 
pathologisch-anatomischen Heilungsvorgängen trägt die Klinik dadurch 
Rechnung, dass eine Tuberkulose niemals als „geheilt“, sondern 
als „klinisch geheilt“ betraohtet wird. Eine absolute Heilung 
gibt es bei der Tuberkulose nioht, jeder scheinbar geheilte Fall 
kann jederzeit rezidivieren, d. h. die bindegewebig abgekapselten lebenden 
vollvirulenten Baoillen können eine neue Vermehrung erfahren und da¬ 
mit die Auslösung einer tuberkulösen Neuerkrankung verursachen. Die 
seltenen Fälle scheinbar restloser Ausheilung, wenn die 
Widerstandskraft des Körpers hervorragend, die Virulenz und Zahl des 
Erregers gering gewesen ist, bilden die überall in der Biologie vor¬ 
handenen Grenzfälle, keine Ausnahmen von der Regel, dass die Tuberkulose 
in pathologisch-anatomischer Beziehung im Gegensatz zur'Lues niemals 
eine restitutio ad integrnm, niemals unter Sterilisation des erkrankten 
Körpers abheilt Unbewusst oder vielmehr unausgesprochen liegt dieser 
Gedankengang der modernen Auffassung der Phthise als einer Kindbeits- 
infektion zugrunde. Streng genommen ist die Tuberkulose eine 
unheilbare Krankheit, wenn Heilung der Befreiung des befallenen 
Organismus vom Krankheitserreger gleichgesetzt wird. 

Es ist notwendig, in dieser unzweideutigen Form das Kennzeichnende 
der Tuberkulose, das sie von anderen Infektionskrankheiten Unter¬ 
scheidende, zu betonen. Damit wird die Aussichtslosigkeit, das Fehler¬ 
hafte der Forderung, wie sie immer wieder erhoben wird, eine „Tberapia 
sterilisans magna“ in der Chemotherapie dieser Krankheit anzustreben, 
in das richtige Lioht gerückt. Denn ärztliche Kunst kann bestenfalls 
nur die natürliche Heilungstendenz bei Tuberkulose, die auf Abkapselung 
oder Ausstos8ung des Erregers nach Einscbmelzung des Gewebes abzielt, 
unterstützen, nioht einem Soblagworte zuliebe gegen die Natur ankämpfen. 
Eine „sterilisierende Therapie“ der Tuberkulose ist ein f täuschendes 
Irrlicht, nicht etwa ein in ferner Zukunft winkendes Ideal. 

Die klinische Heilung der Tuberkulose wird durch die der Herd¬ 
reaktion folgenden Einschmelzungsprozesse eingeleitet. Die 
Wirkunng des Goldes ist dabei offenbar eine katalytisohe, 
teils direkt duroh Uebertragung aktiven Sauerstoffes auf die labilen 
oxydablen Substanzen der zerfallenden Zellen*), teils ine indirekte 
Katalyse, eine Beschleunigung des fermentativen Abbaues duroh 
autochthone Enzyme der Zellen im Herde. 

Während im allgemeinen die fermentativen intrazellulären Prozesse 
im lebenden Organismus noch kaum über den ersten Anfang des Ver¬ 
stehens, über Hypothesen hinaus gediehen sind, ist beim Vorgänge des 
vermehrten Zugrund «geh ens pathologischen Gewebes, bei der intravitalen 
Autolyse eine gewisse Klärung der Vorstellungen zu verzeichnen. 6s 
ist ein steter Uebergang von experimenteller Forschung in vitro, an 
überlebendem und zertrümmertem Gewebe und an Tieren bis zu klinischen 
Beobachtungen am Menschen erreicht worden. „Wo immer im Körper 
Einschmelzungen grösserer Mengen von Zellaggregaten in Frage kommen, 
da wirken autolytische Fermente mit.“ „Es lässt sich nicht mit Sicher¬ 
heit abgrenzen, inwieweit im einzelnen Falle es sich um die Proteasen 
der Leukooyten handelt, inwieweit um echte Zellfermente der Gewebe 
selbst. Aber das ist in den meisten Fällen in-elevant. Es handelt sich 
immer um die Beseitigung überschüssiger Zellmassen durch Verdauung 
der Proteine mittels Zellproteasen und Resorption der Spaltprodukte, 
die sohliesslich zur Ausscheidung gelangen. Unter dem Sammelbegriff 
der Autolyse verstehen sich aber ebensowohl lipolytische, wie kohlehydrat¬ 
spaltende Wirkungen der Nukleasen, Purinamidasen urw. Immerhin 
spielen doch die Proteasen dabei die hervorstechendste Rolle und viel¬ 
fach ist fälschlich der Begriff Autolyse fast der Eiweissspaltung in den 
„überlebenden“ Organen gleichgesetzt worden“. „Sobald aber gesteigerter 
Eiweisszerfall eistritt, tritt auch eine Intensivierung der Autolyse ein“ 
(Oppenheimer). 

Die Autolyse^in vitro und im Tierkörper wird gesteigert 
durch eine ganze Reihe von physikalischen und chemischen 

1) Ranke spricht daher sehr treffend von „histologischer Allergie* 
des Tuberkulösen. 

2) Vgl. Spiess und Feldt, Ueber die Wirkung von Aurooantan 
und strahlender Energie auf den tuberkulös erkrankten Organismus. 
B.kl.W., 1915,(Nr. 15. 


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11. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


283 


Faktoren. Die Optimaltemperatur beträgt etwa 40°. Gefördert wird 
die Selbstverdauung durch strahlende Energie (Röntgenstrahlen, Radium). 
Eine besondere Bedeutung konftnt der Reaktion des Mediums zu, eine 
schwache Säuerung ist notwendig. Von chemischen Mitteln wird 
die Autolyse bei mit Jodkali längere Zeit vorbehandelten Tieren stark 
erhöht. Phosphor beschleunigt, arsenige Säure in sehr kleinen Mengen 
ebenso, in grosseren wirkt sie hemmend. Ebenso ist der die Autolyse 
fordernde Einfluss der Salicylsäure naohgewiesen. Hess und Saxl 
fanden, dass Toxine und Tuberkulin erst (hemmen, dann aktivieren. 
Besonders wird die Autolyse beschleunigt durch kolloidale Metalle, aber 
in verschiedenem Ausmass (Ir, Te, Cu, Ag, Pb, Al, Au, Pt, Pd). Salze 
von Pb, Ag, Hg, Fe, U, Al, Co wirken in geringen Mengen fördernd, in 
grossen hemmend (Lit. bei Oppenheimer). 

Diese experimentellen Ergebnisse stehen mit den diesbezüglichen 
klinisohen Erfahrungen in bestem Einklang. Die Heilwirkung der 
resorbierenden Mittel beruht auf katalytischer Steigerung der fer¬ 
mentativen Vorgänge bei der Einschmelzung pathologischen Gewebes, 
bekannt ist die resorptionsbefördernde Wirkung von Jod und Queck¬ 
silber auf luetische Gummata, von Arsen auf Lymphome, von Salvarsan 
auf luetisohe Neubildungen. Durch die Versuche von Luithlen mit 
Unterbindung der Gefässe der Milz ist die resorptionssteigerndo Wirkung 
des Salvarsans auf das Gewebe der absterbenden Milz im Kaninchen¬ 
versuch dargetan worden. 

Wir stehen somit bei der Wirkung des Goldes auf die 
beschleunigte Einschmelzung tuberkulösen Gewebes 
einer allgemein gültigen pharmakologischen Gesetzmässigkeit gegen¬ 
über, die dabin präzisiert werden kann, dass durch chemische 
Körper aus den verschiedensten Gebieten der anor¬ 
ganischen und organischen Chemie der fermentative 
Abbau pathologischen Gewebes, die intravitale Auto¬ 
lyse aktiviert wird. Es ist klar, wie aussichtsreich die Er¬ 
forschung der Metallwirkung auf den lebenden Organismus da¬ 
durch geworden ist, dass wir nicht mehr auf die veralteten 
unfruchtbaren Bezeichnungen wie „gewebsumstimmend“, „Proto¬ 
plasmagifte 11 , Kapillargifte“ angewiesen sind, die uns keinen 
Schritt in der Erkenntnis vorwärts gebracht -j haben. Mit der 
Einsicht, dass es sich um biologische Fälle von Katalyse 
handelt, ist ein bestimmter [chemisch-physikalischer Begriff ein¬ 
geführt und damit die Möglichkeit gegeben, systematische Experi¬ 
mente anzustellen, d. h. den Weg zu gehen, der allein in der 
Wissenschaft einen Fortschritt gewährleistet. 

Ist es somit wahrscheinlich geworden, dass als eine wesentliche 
Komponente in der Wirkung des Goldes auf den tuberkulösen 
Herd und als Folge davon auf die tuberkulöse Erkrankung über¬ 
haupt die katalytische Eigenschaft des Metalles anzusehen ist, so 
ist damit die Frage seiner heilenden Wirkung noch nicht er¬ 
schöpfend gelöst ' worden. Denn es bleibt die Schwierigkeit 
bestehen, wie die refraktären*Fälle von Tuberkulose zu deuten 
sind, in denen Herdreaktionen und eine Heilung ausble.iben. Der 
Erreger ist derselbe, das Metall ist dasselbe — warum versagt 
es? Es soll in einer nachfolgenden Arbeit untersucht werden, 
ob die weitere Analyse der Wechselwirkung zwischen Gold und 
den Selbstheiiung8vorgängen bei Tuberkulose diese Frage der 
Lösung näher zu bringen vermag. 


Ein neues therapeutisches Vorgehen beim 
Fleckfieber. 

(Kurze Mitteilung.) 

Von 

Dr. Kasimir von Zielinski, 

ClicfarEt des Krankenhauses St. Adalbert für Infektionskrankheiten in Praga bei Warschau. 

(Nach einem Vortrag, gehalten in der Warschauer Aerztegesellschaft am 
19. Juni 1917.) ' * 

Obwohl das Fleckfieber, wie es aus der jetzt herrschenden 
Epidemie ersichtlich ist, nicht zu den schwersten Infektionskrank¬ 
heiten gerechnet werden kann, da es sich meistenteils mit einer 
Mortalität von höchstens lOpCt. auszeichnet 1 ), zwingt uns die 
Hoffnungslosigkeit in einzelnen Fällen, besonders bei älteren 
Individuen, nach anderen Heilverfahren zu forschen, welche im¬ 
stande wären, auch die jetzige Mortalität beim Fleckfieber noch 
weiter zu beschränken. 

Alle Heilverfahren, welche zurzeit zum Behandeln des Fleck¬ 
fiebers den Aerzten zur Verfügung stehen, seien es interne Medi- 


1) Nach meiner auf 406 beobachteten Fällen begründeter Statistik, 
welche ich im „Przeglad pedjatryczny“, 1915—1916, Bd. 7 publiziert 
habe, beträgt die Mortalität 9,3 pCt. 


kamente, Mittel zu subkutanen oder intravenösen Injektionen 
(Elektrargoi, Aurol, Karbol), seien es andere therapeutische Ver¬ 
fahren (Hydrotherapie) können nicht als spezifisch angesehen 
werden, und sie lassen in den meisten schweren Fällen im Stiche. 

Mein neues Vorgeben, welches ich jetzt mitteilen will, habe 
ich aus folgender Ueberlegung aufgebaut: Wir wissen doch ganz 
genau, dass der Selbstschutz des Organismus bei Infektionskrank¬ 
heiten darauf beruht, dass im Blute des Kranken Antikörper ent¬ 
stehen, welche die in den Organismus eingedrungenen Mikro¬ 
organismen oder die von ihnen produzierten Gifte unschädlich 
machen. 

Aus weiteren Ueberlegungen ausgehend, dass diese Anti¬ 
körper sich in grösseren Mengen in der Lumbalflüssigkeit der 
Kranken sammeln können, habe ich versucht, die letztere als 
Heilmittel zu gebrauchen; der Vorstoss dazu war um so kräftiger, 
als die Ansammlung von Lumbalflüssigkeit beim Fleckfieber so 
reichlich ist wie kaum bei irgend einer anderen Infektionskrank¬ 
heit, auch in den ganz leicht verlaufenden Fällen. 

Den Gedanken, die Lumbalflüssigkeit als Heilmittel zu ge¬ 
brauchen, habe ich aus einer Analogie genommen und habe die 
Methode aus der gut bekannten und erfolgreichen Autoserotherapie 
bei pleuritischen Exsudaten und Ascites hervorgeführt. Die 
letztere kenne ich als ein aasgezeichnetes Heilverfahren aus der 
Literatur, wie auch aus meiner Praxis und habe mit ihr niemals 
schlechte Erfolge erlebt. 

Zum Ausfuhren der Versuche beim Fleckfieber habe ich den 
Oberarzt Herrn Dr. Jan Rostkowski angeregt, welcher schon 
seit längerer Zeit Lumbalpunktionen bei allen Schwerkranken 
des Krankenhauses St. Adalbert vorgenommen hatte und die 
Technik des Eingriffes ganz genau kennt. 

Die ersten Versuche haben wir ausschliesslich bei solchen 
Schwerkranken vorgenommen, bei welchen, unserer Erfahrung 
nach, ein letaler Ausgang zu erwarten war. 

Die Injektionen worden aus Furcht vor einer etwaigen Ver¬ 
unreinigung der punktierten Flüssigkeit sofort nach erfolgter 
Punktion ausgeführt und zwar mit derselben Spritze und Nadel, 
mit welchen die Punktion ausgeführt worden war. Injiziert 
wurde unter die vorher desinfizierte Haut in der Nähe der Punktions¬ 
stelle. Die Punktion wurde stets in Seitenlagerung des Patienten 
vorgenommen und die Menge des Punktates betrag höchstens 
20 ccm. 

In den ersten Fällen wurden je 2 ccm subcutan injiziert; 
erst nachdem ich mich von absoluter Unschädlichkeit des Ver¬ 
fahrens überzeugt hatte, haben wir die injizierten Mengen all¬ 
mählich bis auf je 16 ccm vergrössert. Intravenöse Injektionen 
haben wir auch später vorgenommen, wobei dieselben Vorsicbts- 
maassregeln, wie vorher, verfolgt wurden. 

Das Resultat des seit April d. J. geübten Verfahrens ist das 
folgende: 1. Subcutan haben wir die punktierte Lumbalflüssig- 
keit in 14 Fällen eingespritzt. Ich betone hier nochmals, dass 
diese Fälle sehr schwer waren and boten alle sehr wenig Hoff¬ 
nung auf guten Ausgang. Drei Todesfälle. 2. Intravenös wurden 
Injektionen sechsmal vorgenommen und zwar in Fällen, welche 
klinisch identisch mit den vorigen waren. Zwei Todesfälle. 

Das Resultat des seit April d. J. geübten Verfahrens ist ans 
den Krankengeschichten der auf diese Weise behandelten Fällen 
ersichtlich, daher erlaube ich mir ausführlichere Auszüge aus 
denselben der Mitteilung zuzufügen. Der Leser möge sich ein 
besseres Urteil über diejenigen Fälle verschaffen, welche zu den 
ersten Versuchen ausgewählt worden waren. 

Diese kleine Mitteilung publiciere ich, um weitere Aerzte- 
kreise zu Versuchen in dieser Richtung anzuregen. Diejenigen 
Fälle, die ich selbst auf diese Weise behandelt habe, erlauben 
mir za hoffen, dass diese Methode andere Klinizisten interessieren 
wird. Weitere Literaturmitteilungen werde ich erwarten. In¬ 
zwischen bin ich bereit, weitere Beobachtungen zu machen, zur 
besseren Begründung meiner Methode. 

Fall 1. F. H., Mann, 50 Jahre, wurde in das Krankenhaus am 
6. Krankheitstage aufgenommen. Sehr schwerer Zustand. Im Laufe der 
nächsten Tage erlitt sein allgemeiner Zustand eine allmähliche Ver¬ 
schlimmerung. Am 14. Krankheitstag erhebliche allgemeine Zyanose, 
Konjunktiven injiziert, Bewusstlosigkeit, Meteoriamus. Puls 142, kaum 
fühlbar. 72 Atemzüge in der Minute. Temperatur 87,0. Mittels 
Spritze wurden 20 ccm LumbalflÜ9sigkeit gewonnen, wovon 2 oem sub¬ 
kutan injiziert wurden. Am selben Abend Temperaturerhöhung bis 88,2. 
Am nächten Tage, 24 Stunden nach der Injektion ist der Kranke voll¬ 
kommen bewusst, er trinkt, Temperatur 86,2, Puls 92, 28 Atemzüge. 
Seit der Zeit allmähliches Verbessern, obwohl die erhöhte Temperatur 
noch zwei Tage anhielt. 


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234 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Fall 2. N. A., Mann, 37 Jahre. Aufnahme am 6. Rrankheitstage. 
Allmähliche Versohlimmerung bis zum 14. Krankheitstage. Puls 128, 
kaum fühlbar. Temperatur 38,8. Es wurden 20 ccm Lumbalflüssigkeit 
gewonnen, wovon 3 com subkutan injiziert wurden. Am nächsten Morgen 
Temperatur 37,6, Puls 105. Allgemeiner Zustand erheblioh verbesseit. 
Der Kranke ist vollkommen bewusst, er trinkt gern. Am selben Abend 
Temperatur 36,6. Allmähliche Genesung. 

Fall 3. W. S., Mann, 28 Jahre. Aufnahme am 7. Krankheitstage. 
Schwerer Zustand. Allmähliche Verschlimmerung. Am 11. Krankheits¬ 
tage Puls 132—148 kaum fühlbar. Allgemeine Gyanose. Bewusstlosig¬ 
keit. Unwillkürlicher Stuhlabgang. Temperatur 88,7. Lumbalpunktion 
— 25 ccm. 1 oom Lumbalflüssigkeit subkutan. Am selben Abend 
Temperatur 39,2. Am 12. Krankheitstage Puls 124. Der Kranke ist 
bewusst, erkennt seine Pfleger und mich. Am 14. Krankheitstage 
Puls 182. Temperatur 88,2. Der Kranke ist wieder schwach. Neuerlich 
Lumbalpunktion — 20 ccm. 2 com Lumbalfiüssigkeit subkutan. Lang¬ 
samer Temperaturabfall mit einzelnen Erhöhungen bis 38,4 am 27. und 
29. Krankheitstage. Diese Temperaturerhöhungen können mit den grossen 
Deoubitusgeschwüren in Zusammenhang gebracht werden. Nachher glatte 
Heilung. 

Fall 4. M. S., Mann, 48 Jahre. Aufnahme am 3. Krankheitstage. 
Zunehmende Verschlimmerung bis zum 10. Krankheitstage. Temperatur 
39,2, Puls 128. Lumbalpunktion 20 ocm. 2 ccm Punktat unter die 
Haut. Nächsten Morgen erhebliche Besserung. Bewusstsein ungestört. 
Temperaturabfall bis 38,6, Puls 100. Am 12. und 13. Tage neuerlich 
Verschlimmerung. Wiederholung des Vorgehens. Am 14. Krankbeits¬ 
tage Temperaturabfall bis 88.0, seitdem langsame Genesung. 

Fall 5. B. J., Mann, 37 Jahre. Aufnahme am 5. Krankheitstage. 
Am 9. Tage ungewöhnlich schwerer Zustand: Bewusstlosigkeit, Zyanose. 
Temperatur 39,2, Puls 104, kaum fühlbar. Lumbalpunktion — 20 ccm. 

3 ccm subkutan. Seit dem 10. Krankheitstage lytischer Temperaturab¬ 
fall. Vom 14. Tage ab — fieberfrei, Genesung. > 

Fall 6. B. I., Mann, 50 Jahje. Aufnahme am 7. Krankheitstage. 
Bis zum 12. Krankheitstage erhebliche Verschlimmerung. Eiweisshaltiger 
Urin. Bewusstlosigkeit. Puls 142, klein, kaum fühlbar. Punktion — 20ccm. 

3 ccm Punktat unter die Haut. Am 18. Tage Puls 100, Temperatur 87,8. 
Sensorium frei. Allgemeinbefinden — besser. Am 14. Tage status idem. 
Am 15. Verschlimmerung. Zweite Punktion und Injektion. Am 16. Krank¬ 
heitstage Temperaturabfall bis 37,2. Puls bis 100. Am nächsten Tage 
fieberfrei. Puls klein, vollkommene Appetitlosigkeit. Der Kranke weist 
jede Nahrungsaufnahme mit Widerwillen ab. Nährklystiere. Am 
23. Kränkheitstage letaler Ausgang bei einer Temperatur von 37,8. 

Fall 7. G. S., Mann, 24 Jahre. Aufnahme am 7. Krankheitstage. 
Sehr schwerer Zustand. Am 9. Tage Temperaturabfall und Verschlimmerung 
des Allgemeinbefindens. Am 10. Tage eine nochmalige Verschlimmerung. 
Morgens Lumbalpunktion 20 ccm. 3 ccm subkutan. Am selben Abend 
Temperatur 40,0. Am nächsten Morgen Temperatur 39,0. Nachher 
Temperaturabfall. Seit dem 16. Krankheitstage — fieberfrei. 

Fall 8. S. H., Mann, 40 Jahre. Aufgenommen am 5. Krankheits¬ 
tage. Am 8. Tage Temperaturabfall. Am 10. Tage neuerlich Temperatur¬ 
erhöhung und allmähliches Verschlimmern des Allgemeinzustandes bis 
zum 14. Krankheitstage. Temperatur 39,4. Puls 128, kaum fühlbar. 
Lumbalpunktion 20 com. 4 ccm Punktat unter die Haut. Am selben 
Abend Temperaturerhöhung bis 40,0. Am nächsten Morgen Temperatur¬ 
abfall bis 38,6. Puls 88. Nach einer nochmaligen Temperaturerhöhung 
endgültige Eutfieberung am 20. Krankheitstage. 

Fall 9. P. W-, Mann, 41 Jahre. Aufnahme am 8. Krankheitstage 
in einem sehr schweren Zustande. Benommenheit, Zyanose, Puls kaum 
fühlbar. Ara 10. Krankheitstage Lumbalpunktion — 20 ccm. 3 ccm 
Punktat unter die Haut. Am 11. Tage erhebliche Besserung des 
Allgemeinbefiudens. Am Abend desselben Tages Temperaturerhöhung 
bis zu 40,0. Am 12. Tage merkliche Verschlimmerung. Am 13. Tage 
neuerlich Punktion und Injektion von 3,5 ccm Flüssigkeit unter die Haut. 
Am nächsten Tage esserung. Am 15. Tage nochmalige Verschlimme¬ 
rung, worauf am 16. Tage nochmals Punktion und Injektion von 2 ccm 
Flüssigkeit. Am 17. Krankheitstage — Tod bei einer Temperatur von 37,0. 

Fall 10. B. C., Frau, 58 Jahre. Aufgenommen am 5. Krankheits¬ 
tage. Sehr schwerer Zustand. Am 9. Krankheitstage Puls nicht zu 
fühlen. Temperatur 38,2. Lumbalpunktion — 20 ocm. Injektion von 
5 ccm Lumbalflüssigkeit subkutan. Am 10. Krankheitstage Temperatur¬ 
abfall bis 37,2. Am 11. und 12. Krankheitstage zur Norm. Die Kranke 
ist bewasst, Durst und Appetit normal. 

Fall 11. K. W., Mann, 25 Jahre. Aufnahme am 3. Krankheits¬ 
tage. Schwerer Zustand. Benommenheit. Von da ab stetiges Ver¬ 
schlimmern bis zum 11. Krankheitstage. Lumbalpunktion — 20 ccm. 
4 ccm Punktat subkutan. Temperatur vor der Einspritzung 88,6, Puls 
140. Am nächsten Tage erhebliche Besserung. Der Kranke ist voll¬ 
kommen bewusst, er erkennt mich. Temperatur 38,0, Puls 124. Zyanose 
weniger ausgesprochen. Am nächsten Tage Verschlimmerung. Zyanose 
wieder hochgradig. Herztätigkeit immer schwächer. Allmähliches Ent¬ 
wickeln eines Hautödems. Tod am 14. Krankheitstage. 

Fall 12. M. Z., Mann, 52 Jahre. Aufnahme am 3. Krankheitstage. 
Lumbalpunktion — 20 ccm. Subkutane Injektion von 5 ccm Flüssigkeit 
bei einer Temperatur von 39,8. Am selben Abend Temperaturabfall bis 
36,8. Am 13. Tage neuerlich Temperaturerhöhung bis 38,0, worauf stets 
fieberfrei. Schnelle Genesung. 

Fall 13. Z. E., Frau, 20 Jahre. Aufnahme am 5. Krankheitstage. 
Verschlimmerung des schweren Zustandes bis zum 22. Tage. Lumbal¬ 


punktion — 20 ccm. 5 com Punktat subkutan. Langsames Verbessern 
des Allgemeinzustandes. Genesung. 4 

Fall 14. H. M., Mann, 63 Jahre. Aufnahme am 5. Krankheitstag. 
Schwerer, jedoch nicht hoffnungsloser Zustand. Am *6. Krankheitstage 
Lumbalpunktion und 6 com Punktat subkutan. Am 6. und 7. Tage 
nooh geringe Temperaturerhöhungen. Vom 9. Tage ab fieberfrei. Rasche 
Genesung. 

Fall 15. W. L., Mädchen, 17 Jahre. Aufmahme am 3. Krankheits¬ 
tage. Sehr schwerer Zustand. Hirnhautsymptome deutlich ausgesprochen. 
Genickstarre. Symptome von Brudzinski und Kernig vorhanden. Am 
11. Krankheitstage ungewöhnlich schwerer Zustand. Zyanose. Injizierte 
Konjunktiven. Temperatur 39,0. Lumbalpunktion — 20 ccm. 2 ccm 
Punktat intravenös. Am 12. Krankbeitstage Temperatur 39,6 und 38,2. 
Am 18. Krankbeitstage Temp. 37,2 und 38,4. Am 14. Tage Temp. 36,4. 
Die Hirnsymptome haben am 12. Tage nachgelassen. Genesung. 

Fall 16. P. J., Frau, 25 Jahre. Aufnahme am 6. Krankheitstage. 
Schwerer Zustand. Am 10. Krankheitstage Punktion und intravenöse 
Injektion von 5 ocm Lumbalflüssigkeit bei einer Temperatur von 89,8 
und Puls 128. Am 11. Tage Temperatur 37,8, Puls 94. Bewusstsein 
kehrt zurück. Seit dem 14. Tage fieberfrei. 

Fall 17. S. B. Frau, 32 Jahre. Aufnahme am 8. Krankheitstage. 
Schwerer Zustand. Am 10. Tage 1,5 com punktierter Lumbalflüssigkeit 
intravenös. Puls 134. Am 13. Tage Temperatur 36,2, Puls 92. Von 
da ab fieberfrei. 

Fall 18. R. M., Mann, 50 Jahre- Aufgenommen am 7. Krankheits¬ 
tage in sehr schwerem Zustande. Temperatur 89,2, Puls 104, kaum 
fühlbar, allgemeine Zyanose, Konjunktiven injiziert, unwillkürlicher Stuhl¬ 
abgang. Benommenheit. Am 8. Krankheitstage merkliche Verschlimme¬ 
rung. Temperatur 38,5, Puls 104. Lumbalpunktion — 20 oom und 
5 ccm Punktat intravenös. Am selben Abend Temperatur 87,4. Am 
9. Krankheitstage Temperatur 37,4, Puls 84, am selben Abend Tempe¬ 
ratur 39,0, am nächsten Morgen Temperatur 38,0. Am 12. Krankheits¬ 
tage Temperatur 37,0 und 37,2, am 13. Tage Temperatur 36,0. Rasche 
Genesung. 

Fall 19. W. M., Frau, 45 Jahre. Aufgenommen am 6. Krankheits¬ 
tage. Sehr schwerer Zustand. Benommenheit. Temperatur 39,0, Pols 
100, kaum fühlbar. Am 8. Krankheitstage Punktion — 20 ccm. 5 ccm 
Punktat intravenös. Am nächsten Tage geringe Besserung. Temperatur 
39,0, Puls 100. Am 11. Tage Wiederholung des Vorgehens. Am 
13. Tage dritte Punktion und Injektion. Am 14. Tage Exitus letalis. 

Fall 20. S. F., Mann, 63 Jahre. Aufnahme am 18. Krankheitstage 
in einem ungewöhnlich schweren Zustande. Am 19. Tage Lumbal¬ 
punktion — 20 ccm and intravenöse Injektion von 7 ccm Lumbalflüssig- 
keit. Am Morgen des 20. Krankheitstages Besserung des Allgemein¬ 
befindens. Am selben Abend — Exitus letalis. 

Es sei bemerkt, dass infallen^oben^angeführteo Fällen die 
punktierte Lumbalflüssigkeit, wie auch das Blut der Kranken auf 
die Reaktion von Weil-Felix geprüft worden waren. Im Blute 
war die genannte Reaktion in allen Fällen positiv, dagegen in 
der Lumbalflüssigkeit war sie negativ, ausgenommen den Fall 
Nr. 11, wo sie auch in der Lumbalflüssigkeit positiv ausfiel. 
Dieses interessante Verhalten der Lumbalflüssigkeit in bezug auf 
die Reaktion Weil-Felix erlaubt hier eine Analogie der Wasser- 
mann’scher Reaktion anzunehmen, welche bei alten Luetikern in 
der Lumbalflüssigkeit positiv auszufallen pflegt, und zwar auch 
in diesen Fällen, wo sie im Blute schon negativ geworden ist 
I (Paralysis progressiva). 

Was die allgemeine Therapie anbetrifft, haben wir den oben¬ 
genannten Kranken keine antipyretischen Mittel verabreicht. Als 
Zusatz haben die Patienten nur Kampfer per os bzw. in sehr 
schweren Fällen subkutan bekommen. In einzelnen Fällen wurde 
nebst Campher Natrium benzoicum 0,15 pro dosi gegeben. Bei 
Temperaturen über 40,0 wurden ausserdem Hautabreibungen mit 
Wasser und Weingeist vorgenommen. 


Aus dem k. u. k. Reservespital in Zsolna, Ungarn. 

SepsisfäUe verursacht durch den anaeroben 
Bacillus von Buday. 

Von 

Dr. Stefan Rusznyäk. 

Die neue Sepsisform über welohe Buday 1 ) und Bogdan a ) berichtet 
haben, wurde bisher anderswo nicht beobachtet. In letzter Zeit hatte 
ich Gelegenheit im k. u. k. Reservespital in Zselna (Ungarn) einige 
Kranke zu beobaohten, welche klinisch eine weitgehende Aehnliohkeit 
mit jenen aas Balassagyarmat boten. Die pathologisch-anatomische und 
die bakteriologische Untersuchung ergab die Identität dieser Erkrankungen 
mit den erwähnten. Es handelt lieh um 7 Verwundete, die nach einer 


1) Buday, Zbl. f. Bakt., 1916, I. Abtl., Bd. 77, H. 7. 

2) Bogdän, M. Kl., 1916, Nr. 15. 


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11. Marx 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


235 


Schussverletzun g an metastatischen Abscessen in verschiedenen Organen 
(hauptsächlich in der Leber und Lunge) erkrankt und sämtlich der 
Krankheit erlegen sind. Die Diagnose konnte, die beiden ersten Fälle 
ausgenommen, schon in vivo gestellt werden. Ich lasse hier einige kurze 
Auszüge au9 den KrankheitssVfzzen folgen und will dann die haupt¬ 
sächlichen Erscheinungen dieser interessanten neuen Krankheit zusammen¬ 
fassen. 

Fall I. Ch., Stefan, Infanterist, 23 Jahre alt. Verwundet am 
21. VIII. 1916. Durchschuss der linken Sohulter mit Humerusfraktur. 
Zugegangen am 31. VIII. 1916. Ein- und Ausschussöffhungen heller¬ 
gross, massige Eitersekretion. In den Monaten September und Oktober 
fieberfrei. Die Fraktur heilt mit guter Callusbildung. Am 1. XI. 
Schüttelfrost und Temperatursteigerung bis zu 40° C, dann folgen 
täglich Schüttelfröste und intermittierendes Fieber. An der Wunde und 
an den inneren Organen keine nachweisbare Veränderung. Blutunter- 
suohung auf Malariaplasmodien und Rekurrensspirillen negativ. Chinin¬ 
therapie ohne Erfolg. Im Urin Eiweissspuren, mikroskopisch Blut. Am 
11. XI. Empfindlichkeit der linken Schulterblattspitze. Am 14. XI. an 
derselben Stelle ein nussgrosser fluktuierender Abscess. Incision. Am 
15. XI. Dämpfung und abgeschwächt's Atmen über den unteren Teilen 
der rechten Lunge. Probepunktion ergibt eitriges Exsudat. 500 ccm 
werden abgelassen. Am 16. XL Exitus. Die Sektion ergibt multiple 
Abscesse der Leber und der beiden Lungen. Rechts eitrige Pleuritis. 
Milzerweiohung und trübe Schwellung der parenchymatösen Organe. 

Fall II. M., Ivan, rumänischer Kriegsgefangener, 28 Jahre alt. 
Verwundet am 26. IX. 1916. Durchschuss des rechten Unterschenkels 
mit Fraktur der Tibia. Zugegangen am 3. X. Am 9. XI. Schüttel¬ 
frost und hohe Temperatur. Wunde unverändert. Geringe Bronchitis, 
etwas vergrösserte Milz. Tägliche Schüttelfröste. Blutuntersuchung auf 
Malaria negativ. Am 19. XI. Linksseitfge eitrige Pleuritis. Rippen¬ 
resektion. Am 20. XI. Exitus. Sektionsbefund: Leber- und beider¬ 
seitige Lungenabscesse. Beiderseitige eitrige Pleuritis. Geringer Milz¬ 
tumor. 

Fall III. Cz., Gordei, russischer Kriegsgefangener, 22 Jahre. Ver¬ 
wundet am (?) August 1916 am linken Arm. In einem uns unbekannten 
Spitale wurde sein lioker Oberarm im unteren Drittel amputiert Zu¬ 
gegangen am 18. IX. Am 25. IX. Schüttelfrost, hohe Temperatur. 
Phlegmone an linker Schulter, Gelenke frei. Incision, Drainage. Nach 
4 Tagen fieberfrei. Neuerlicher Fieberanfall am 5. X. Von dieser Zeit 
an tägliche Schüttelfröste und Fieber, Wunde reaktionslos. Am 25. XI. (!) 
Dämpfung an der rechten Brustseite. Am 27. XI. Exitus. Die Sektion 
ergibt Abscesse der rechten Lunge mit eitriger Pleuritis derselben Seite. 

Fall IV. T., Stefan, Infanterist, 42 Jahre. Verwundet am 24. X.. 
1916. Schussfraktur des rechten Unterarms. Zugegangen am 1. XI. 
Am 3. XI. hohe Temperatur, Phlegmone am rechten Unterarm. In- 
oision. Drainage. Vom 4 XL bis 15. XI. fieberfrei, von dieser Zeit an 
täglich 2—3 Schüttelfröste und intermittierende Temperatur. Wunde 
dauernd reaktionslos, an den inneren Organen keine nachweisbare Ver¬ 
änderung. Am 22. XI. Leber vergrössert und schmerzhaft. Subikterisohe 
Hautfarbe. Weisse Blutkörperchenzahl 10 200. Am 28. XL Bauch¬ 
schmerzen, Erbrechen, Meteorismus. Weisse Blutkörperchenzahl 6800. 
Am 29. XL Exitus. Sektionsbefund: Drei grosse Leberabscesse, von 
welchen der eine in die freie Bauchhöhle perforiert und eine diffuse 
Peritonitis verursacht hat. Nussgrosser subcutaner Abscess an der 
VIII. Rippe links. Kleine, makroskopisch normale Milz. 

Fall V. K., Inon, rumänischer Kriegsgefangener, SO Jahre. Ver¬ 
wundet am 27. IX. 1916. Durchschuss des linken Unterschenkels mit 
Verletzung der Tibia. Zugegangen am 9. X. Phlegmone des Unter¬ 
schenkels. Incisionen, Drainage. Unregelmässiges Fieber. Vom 27. X. 
fieberfrei, Wunde reaktionslos. Am 25. XL Schüttelfrost, hohes Fieber. 
Wiederholte Incisionen und hohe Chinindosen haben keinen Einfluss auf 
die Temperatur. Am 8. XII. Zahl der weissen Blutkörperchen 7500. 
Am 9. XII. Dämpfung an der rechten Lunge, hinten von der 7. Rippe 
abwärts. Probepunktion ergibt Eiter. Am 11. XII. Rippenresektion. 

6 Stunden nachher weisse Blutkörperohenzahl 11 700. Am 13. XII. an¬ 
dauernde Schüttelfröste, höbe Temperatur. Ikterische Hautfarbe. Weisse 
Blutkörperchenzahl 8100; am 17. XII. 6700. Am 20. XII. Exitus. Die 
Sektion ergibt beiderseits abscedierende Lungeninfarkte mit beider¬ 
seitiger eitriger Pleuritis. Die Umgebung der Wunde vollkommen 
reaktionslos. Geringe Vergrösserung der Milz. 

Fall VI. M., Johann, Infanterist, 32 Jahre. Verwundet am 
80. IX. 1916. Sohussfraktur des linken Unterschenkels. Zugegangen 
am 3. XI. Umgebung der Wunde reaktionslos, aus den Schussöffnungen 
mässige Eiterung; fieberfrei bis 6. XII. Von dieser Zeit an tägliche 
Schüttelfröste und hohes, intermittierendes Fieber. Am 9. XII. weisse 
Blutkörperchenzahl: 5600, Blutuntersuchung auf Malaria negativ. Zwerch- 
fellstand rechts dreifingerbreit höher als links. An der unteren Grenze 
der rechten Lunge kleinblasige Rasselgeräusche. Lebergegend druck¬ 
empfindlich. Am 13. XII. Icterus, Urin enthält starke Spuren von Ei- 
weiss. Weisse Blutkörperchenzahl: 8100. Am 19. 12. wird die Mark¬ 
höhle der Tibia in grosser Ausdehnung aufgemeisselt, die Höhle zeigt 
makroskopisch keine Veränderung. Weisse Blutkörperohenzahl: 6000. 
Am 21. XII. Röntgenbefund: Umschriebener Schatten im rechten Unter¬ 
lappen, rechts hochstehendes Zwerchfell. Wiederholte Probepunktionen 
der Pleura und der Leber ergeben keinen Eiter. Weisse Blutkörperohen- 
zahl: 6700. Am 25. XIL Exitus. Obduktionsbefund: Multiple Abscesse 


der Leber. Vereiternde Infarkte der Lungen und der Milz. Beiderseitige 
eitrige Pleuritis. 

Fall VII. L., Franz, Infanterist, 84 Jahre. Verwundet am 
18. X. 1916. Sohussfraktur des rechten Oberarms. Zugegangen am 
1. XI. Fieberfrei bis 5. XII. Von da an hohe Temperatur, zuweilen 
Schüttelfrost. Milzdämpfung von der aohten bis zur elften Rippe. 
18. XII. Geringe Bronchitis, Ioterus, weisse Blutkörperchenzahl: 15500. 
Am 19. XII. eitriger Erguss im rechten Schultergelenk. Incision, 
Drainage. Am 23. XII. Exitus. Sektionsergebnis: Leberabscesse. 

Die Krankheit wird, wie Buday gezeigt hat, duroh einen anaeroben 
Bacillus verursacht, welcher gramnegativ ist und sioh duroh bipolare 
Färbung auszeiohnet. Die Kulturen waohsen am besten auf mit Serum 
vermischten Nährböden und werden sowohl duroh vollkommenen Oxygen- 
mangel wie duroh den gewöhnlichen Oxygengehalt der atmosphärischen 
Luft in ihrer Entwicklung gehemmt. Es gibt für sie eine optimale 
Oxygenkonzentration, da in den Stichkulturen ein Waohstum von etwa 
2 cm unterhalb der Oberfläche bis zu einer Tiefe von etwa 10 cm beob¬ 
achtet werden kann. In Pyrogalluskulturen kommt es zuweilen infolge 
von zu geringem Oxygengehalte zu keinem Wachstum. Nach wiederholtem 
Ueberimpfen nimmt die Empfindlichkeit der Kulturen gegen Oxygen er¬ 
heblich ab, wie mir Professor Buday mitteilte. 

In Strichpräparaten aus den eitrigen Exsudaten wird der Bacillus 
oft in sehr grossen Mengen gefunden, zuweilen nur schwach gefärbt 
und mit nur angedeuteter Bipolarität. Vielleicht handelt es sich hier 
um Involutionsformen. Grampositive Kokken lassen sich niemals naoh- 
weisen. Dass die Bacillen nicht erst postmortal eingewandert sind, 
wird duroh ihren Naohweis in den Probepunktionsflüssigkeiten bewiesen. 
Professor Buday hatte die Güte, einige meiner Fälle kulturell zu unter¬ 
suchen und sie mit seinen eigenen zu identifioieren; hierfür spreche ich 
ihm auch hier meinen ergebensten Dank aus. 

Was die Frage des Infektionsweges betrifft, müssen wir uns voll¬ 
kommen der Ansicht Buday’s anschMessen. Alle beobachteten Fälle 
waren Verwundete mit Knochenverletzungen, mit kleinen Ein- und relativ 
kleinen Ausschussöffnungen. Wenn dieser Umstand auch einen anderen 
Infektionsweg, z. B. durch den Magen-Darmkanal, nicht ausschliesst, so 
wäre doch schwer verständlich, warum unter den vielen innerlich Kranken 
(etwa 400) keine ähnlichen Fälle vorgekommen sind. 

Das Reservespital in Zsolna * besteht aus Holzbaraoken und ist in 
9 Kranken ab teilun gen eingeteilt. Sämtliche sieben Fälle stammen aus 
drei Baracken einer und derselben Abteilung. Die Verwundeten dieser 
Abteilung werden in einem gemeinsamen Verbandsaal behandelt. Da 
in den anderen Abteilungen keine solche Erkrankungen auftraten, kann 
die Quelle der Infektion nur in diesem Verbandsaal gesucht werden. 
Wie der erste Fall entstanden ist, lässt sich natürlich nur schwer be¬ 
antworten. Wenn man annimmt, dass die Bacillen längere Zeit als 
Saprophyten zwischen den Holzfugen der Baracke hausten, so bleibt es 
unerklärt, wieso sie plötzlich, nach fast zweijährigem Bestehen des 
Spitals, pathogen wurden. Ob der erste derartige Kranke die Infektion 
von auswärts eingeschleppt hat (er kam aus dem K. u. K. Reservespital 
in Lemberg), lässt sich nioht nachweisen, der Umstand, dass er volle 
zwei Monate vor seiner Erkrankung im Reservespital in Zsolna auf¬ 
genommen wurde, spricht sehr gegen diese Annahme. Am wahrschein¬ 
lichsten ist meiner Ansicht nach, dass unbekannte Baoillenträger, in 
deren Wundsekreten die Bacillen als Saprophyten lebten, die Infektion 
eingeschleppt haben, wo sie dann bei besonders empfänglichen Individuen 
zum Ausbruche kam. Der Naohweis des Buday’schen Bacillus in den 
Wandsekreten erscheint leider wegen dessen schwieriger Züchtbarkeit 
und wegen der mannigfachen Misohinfektionen nur sehr schwer durch¬ 
führbar 1 ). 

Im pathologisch-anatomischen Bilde sind natürlich die Abscesse am 
auffallendsten. Betreffs der Beschaffenheit der Abscesse sei auf die Arbeit 
Buday’s verwiesen. Eine Abweichung von seinen Befunden war nur 
bei zwei Fällen zu konstatieren, wo trotz gründlichen Suchens Leber¬ 
abscesse nicht zu finden waren. Durch- diese Beobachtung erscheint die 
Annahme, als ob die Leberabscesse spezifisch für diese Krankheit und 
die am frühesten auftretende .Lokalisationen wären, unbegründet. Auch 
bei Kaninchen versuchen konnte ich Lungenabscesse ohne Lebererkran¬ 
kung beobachten. Interessant ist das Verhalten der Milz. Bei einer 
septischen Erkrankung, welche oft 2—3 Wochen dauert und zu ausge¬ 
dehnten Eiterungen in den inneren Organen führt, wäre eine grosse, er¬ 
weichte, septische Milz zu erwarten. In 1—2 Fällen war die Milz tat¬ 
sächlich um ein geringes vergrössert und auoh etwas erweicht, in der 
Mehrzahl der Fälle dagegen fanden sich makroskopisch normale Milze 
mit runzeliger Kapsel und mit normaler Konsistenz. Die übrigen paren¬ 
chymatösen Organe bieten allgemein das Bild der trüben Schwellung. 
Die Umgebung der Schusswunden war in meinen Fällen stets reaktions¬ 
los, die Bruchenden zeigten eine gute CallusbilduDg und auch die Mark¬ 
höhlen waren frei von makroskopischer Veränderung. In einem einzigen 
Fall war an einem Bruchende ein erbsengrosser abgesackter Abscess im 
Markraum zu finden. Leider wurde bis jetzt die systematische mikro¬ 
skopische Untersuchung des Knoohenmarks nicht durchgeführt. 

Die ersten Zeichen der Infektion traten bei den Kranken etwa 8 bis 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Nach Abschluss des Aufsatzes 
kamen noch 3 weitere Fälle zur Beobachtung. Die Endemie von im 
anzen 10 Fällen erlosch im Februar 1917 naoh gründlicher Desinfektion 
es Verbandsaales. 

3* 


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236 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


5 Wochen nach ihrer Aufnahme in Zsolna auf. Bei 2 Kranken jedoch 
erst nach 2 Monaten. Da nur schwer zu vermuten ist, dass sich die 
Verwundeten stets schon bei dem ersten Verbandswechsel inficiert hätten, 
wird man die Inkubationszeit mit ungefähr 3 Wochen oder etwas weniger 
annehmen können. 

Die Krankheit fing in meinen Fällen stets plötzlich, bei bestem 
Wohlbefinden, mit starkem Schüttelfrost und nachfolgendem Fieber an, 
dann fällt die Temperatur unter starkem Schweissausbruche zur Norm 
zurück. Der Fieberanfall kann sich innerhalb 24 Stunden wiederholen, 
während in anderen Fällen nur ein täglich einmaliger Anfall zu beob- 
achten ist. Die Anfälle treten in diesen Fällen gewöhnlich in derselben 
Tageszeit auf, wenn auch nicht so pünktlich wie bei einer Quotidiana, 
sondern unberechenbar 2—3 Stunden ante- oder postponierend. Der 
weitere Verlauf der Krankheit entspricht einer schweren septischen Er¬ 
krankung. Die Fieberanfälle kehren täglich wieder und vermehren sich 
sogar. Die Kranken werden dadurch sehr mitgenommen und lühlen sich 
bald auch in der fieberfreien Zeit unwohl. Schon in einigen Tagen entwickelt 
sioh bei ihnen eine ziemlich hochgradige Anämie und eine subikterische 
Hautfarbe. Die Klagen bestehen in der ersten Zeit in Schwächegefühl 
und Kopfschmerzen während der Fieberanfälle. Nie klagen sie über 
Schmerzen an ihren Wunden. So wie die Klagen nur unbestimmt sind, 
so findet auch die objektive Untersuchung in der ersten Zeit keine 
wesentlichen Veränderungen. Anämie und Tachycardie, hie und da eine 
katarrhalische Bronchitis, eine minimale Milzvergrösserung sind die ein¬ 
zigen nachweisbaren Symptome. Erst relativ spät kommt es zu Abscess- 
bildungen und damit zu lokalen Erscheinungen. In zwei von unseren 
Fällen gingen periphere Metastasen den nachweisbaren Abscessen der 
inneren Organe um einige Tage voraus. Vielleicht liegt das nur in der 
leichteren Auffindbarkeit der subcutanen Abscesse. Die Dauer der 
Krankheit schwankte bei meinen Fällen zwischen 7 bis 52 Tagen, in 
den meisten Fällen dauerte'sie 2—2 l / 2 Wochen. Der Tod tritt gewöhn¬ 
lich in Folge von Perforation der Abscesse in die grossen Körperhöhlen 
und der sich entwickelnden eitrigen Pleuritis oder Peritonitis ein. 

Was die einzelnen Organe betrifft, so ist das Verhalten der Milz 
und des Blutes am interessantesten. Die Milz ist, wie schon bei den 
pathologisch-anatomischen Befunden erwähnt, nicht oder nur sehr wenig 
vergTÖssert. Das Blutbild entspricht auch nicht unseren Erwartungen 
bei einer septischen Erkrankung. Die. Zahl der roten Blutkörperchen 
ist stark- verringert und schwankt um 3 Millionen herum; die Zahl der 
weissen zeigt, entgegen unserer Erwartung, keine Vermehrung. Nur bei 
einem meiner Fälle konnte die für eine Sepis keine grosse Vermehrung 
auf 15500 beobachtet werden, alle die übrigen Fälle weisen normale, ja 
sogar subnormale Werte auf. Die prozentuale Verteilung der einzelnen 
Leukocytenarten erwies sich ebenfalls normal, bei dem erwähnten 
Ausnahmefall fand sich eine Vermehrung der neutrophilen Polynukleären. 
Es ist sehr auffallend, dass eine septische Krankheit, die mit ausge¬ 
dehnten Eiterungen einhergeht, zu keiner Leukocytose führt. Es sind 
dafür verschiedene Erklärungen denkbar. Man kann annebmen, dass 
durch die Bakterientoxine die leukopoetische Funktion des Knochen¬ 
marks gelähmt wird, oder dass die weissen Blutkörperchen in grossen 
Mengen zugrunde gehen; andererseits wäre bei dieser Art von Infektion 
auch das Fehlen des chemotaktischen Reizes denkbar, welcher sonst zu 
einer massenhaften Neubildung der Leukocyten führt. Hier muss auch 
auf den Befund Buday’s verwiesen werden, nach welchem bei den 
Abscessen die Nekrose im Vordergründe steht und die eitrige Ein¬ 
schmelzung erst sekundär ist. Man könnte sich vorstellen, dass die durch 
die Bacillen lädierten Gewebe wie ein Corpus alienum für die Leuko¬ 
cyten nur einen lokalen Reiz bedeuteten, ohne, wie bei Infektionen mit 
anderen pyogenen Mikroorganismen, zu einer generalisierten Leukocytose 
zu führen. 

Die Leber ist das Organ, welches durch die eitrigen Lokalisationen 
am häufigsten betroffen wird. Vergrösserung, Druckempfindlichkeit und 
Ikterus sind dabei gewöhnlich die klinischen Erscheinungen. Den 
Lungeninfarkten folgt die eitrige Pleuritis so rasch, dass sich in vivo 
gewöhnlich nur diese naoh weisen lässt. 

Der Puls ist schon nach den ersten Tagen auch in der fieberfreien 
Zeit sehr beschleunigt, wenig gespannt' und leicht unterdrückbar. 
Spezifische Nieren Veränderungen wurden nicht beobachtet; der Urin ent¬ 
hielt gewöhnlich Spuren von Eiweiss und zuweilen auch rote Blutkörper¬ 
chen. Die Haut und die Conjunctiven sind stets subikterisch, auch in 
den Fällen, wo sich kein Leberabscess findet. Das Nervensystem zeigt 
keine Veränderung, das Sensorium ist fast bis zur letzten Minute un¬ 
getrübt. 

Die Diagnose ist in den ersten Tagen nur schwer zu stellen. Bei 
dem ersten Schüttelfrost denkt man auch an ein sich entwickelndes 
Erysipel. Tiefe, versteckte Eiterretentionen sind oft auch nur schwer 
auszuscbHessen. Malariaverdacht wird durch die negative Blutunter¬ 
suchung und durch die Erfolglosigkeit der Chinintherapie ausgeschlossen. 
Naoh 3—4 Tagen gewöhnlich, wenn die Umgebung der Wunde noch 
immer reaktionslos ist, neigt man zur Ansicht, dass es sich um eine 
generalisierte Infektionskrankheit handelt. Andere Infektionen, welche 
auch zu einer Sepsis führen können, wie die mit gewöhnlichen Eiter¬ 
kokken, Dysenterie, Recurrens usw. müssen ausgeschlossen werden. 
Einen wichtigen Fingerzeig erhält man nach meinen Erfahrungen durch 
die Blutuntersuchung. Sepsisfälle mit eitrigen Lokalisationen ohne 
Leukocytose sind sonst eine Seltenheit, während bei dieser Infektionsart 
normale oder gar verringerte Zahlen die Regel sind. Die bakteriolo¬ 
gische Frühdiagnose, weiche allenfalls anzustreben wäre, ist mir bis 


jetzt nicht gelungen, erst in den eitrigen Metastasen konnte der Bacillus 
festgestellt werden. 

Alle meine Fälle endeten letal, geheilte Fälle mit sichergestellter 
Diagnose wurden nicht beobachtet. 

Die Therapie ist bis jetzt machtlos. Durch Medikamente habe ich 
uicht einmal vorübergehenden Erfolg gehabt, eine chirurgische Therapie, 
z. B. Amputation der verwundeten Extremität kommt wegen der 
Schwierigkeit der Frühdiagnose zu spät. Weitere Untersuchungen werden 
zeigen, ob eine Vaccinbehandlung mehr Erfolg hat. 

Ans einer bakteriologischen Untersuchungsstelle. 

Zur Diagnose und Epidemiologie der Ruhr 1 ). 

Von 

Dr. F. Schweriner, Leiter einer Untersuchungsstelle. 

Die bakteriologische Ruhrdiagnose ist im Laufe der während 
des Krieges gemachten Beobachtungen stark in Misskredit ge¬ 
kommen. Allgemein wurde über kleinere oder grössere Epidemien 
fieberhafter Durchfälle berichtet, bei denen die bakteriologische 
Stuhluntersucbung ganz im Stiche liess oder nur in einem ver¬ 
schwindend kleinen Prozentsatz Ruhrbacillen nachwies. So beob¬ 
achteten Dorendorf und Ko Ile 2 ) eine Epidemie in Galizien, 
bei der aus über 1000 Schleimstühlen nur 6 mal Bacillen vom 
Typ Shiga-Kruse nacbgewiesen werden konnten. F. Meyer 8 ) 
berichtet über eine grosse Zahl von ruhrähnlicben Darmerkran- 
kungen mit nur verschwindend kleinem Prozentsatz positiver 
bakteriologischer Ergebnisse. Aehnlich Handmann 4 ), Arneth 5 ) 
und andere. 

Die Folgerungen, die hieraus gezogen werden, sind ver¬ 
schieden. Während Dorendorf und Kolle an der ätiologischen 
Bedeutung der Y-, Flexner- und Strongstämme zweifeln und 
die „galizische Ruhr 11 weder auf eine Amöbe noch auf einen 
Bacillus zurückfübren wollen, nimmt Grundmann 4 ) eine Infektion 
durch virulent gewordene Darmbakterien, Coli oder Streptokokken, 
an. Arneth nimmt für seine Fälle einen unbekannten Erreger 
in Anspruch. Köhlich 7 ) stehtauf dem Standpunkte, dass ruhr- 
ähnliche Erkrankungen durch alle möglichen Bakterien hervor¬ 
gerufen werden können, und glaubt an eine Umwandlung von 
Colibacillen in echte Ruhrbacillen. Kruse 8 ) dagegen lehnt trotz 
der oft geringen bakteriologischen Ergebnisse die Annahme un¬ 
bekannter Ruhrerreger ebenso ab wie eine Verwandlungsfähigkeit 
der bekannten Stämme. Allgemein wird betont, dass die Diagnose 
„Ruhr“ in erster Linie nach der klinischen Beobachtung zu stellen 
und dementsprechend das Verhalten in hygienischer Beziehung 
einzurichten sei. 

Unsere Untersucbungsstelle hatte in der zweiten Hälfte 1916 
eine grössere Zahl von Untersuchungen auf Ruhr auszuführen. 
Ich habe dieses Material zusammengestellt nicht nur nach dem 
Prozentsatz der positiven Ergebnisse, sondern auch nach den 
näheren Umständen, unter denen diese zustande gekommen sind. 
Daneben konnte von einer Zusammenstellung der Krankheits¬ 
bilder diagnostisch Brauchbares erwartet werden. Denn der 
klinische Beobachter sieht unter vielen ruhrähnlichen Bildern 
nur immer wenige, durch bakteriologischen Befund sichergestellte. 
Hier konnten die klinischen Bilder einer grossen Reihe von 
ätiologisch sicheren Ruhrfällen verglichen werden. 

Hervorgehoben sei, dass nur ein Teil der Mannschaften, deren 
Stühle zur Untersuchung kamen, zur Zeit wirklich an Ruhr litt. 
Vielmehr wurden, als einige Ruhrfälle aus dem Felde in die 
Garnison eingeschleppt worden waren, alle Leute mit leichten, 
klinisch unverdächtigen Durchfällen, wie sie zur Zeit der be¬ 
ginnenden Obsternte häufig sind, sowie eine grosse Zahl von 
Rekonvaleszenten, die bereits seit längerer Zeit geformte Stühle 
hatten, bakteriologisch untersucht. In der Zusammenstellung 
werden ferner auch alle Mannschaften berücksichtigt, deren Ma 
terial ohne nähere klinische Angaben zur Untersuchung „auf 
Typhus und Ruhr“ gesandt wurde. 


1) Abgeschlossen März 1917. 

2) Dorendorf und Kolle, D.m.W., 1916, Nr. 19. 

3) F. Meyer, B.kl.W., 1916, Nr. 39 u.40. 

4) Hand mann, D.m.W., 1916, Nr. 30. 

5) Arneth, B. kl. W., 1916, Nr. 9. 

6) Grundmann, B. kl.W., 1915, Nr.42—44. 

7) Köhlisch, B.kl.W., 1916, Nr. 14. 

8) Kruse, D.m.W., 1915, Nr. 36. 


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II. März 1918. BERLINER KLINISCHEgWOCHENSCHRlFT. 237 


Die Untersuchung ging in der üblichen Weise vor sich: Die 
Stahlprobe wurde aaf je eine grosseDrigalski- and Bndoplatte 
aasgestrichen, nach 24 Standen die verdächtigen Kolonien der 
orientierenden Agglutination in einem Mischsernm aas Shiga- 
Kruse-, Y- and Flexnerserum in der Verdünuung 1:30 unter¬ 
worfen. Die agglutinierenden Kolonien wurden auf Mannit- und 
Maltoseagar überimpft, die Gasbildner durch Stichkulturen in 
Neutralrottraubenzuckeragar erkannt. Schliesslich wurden die 
Stämme in hochwertigem Immunserum austitriert. Nicht berück¬ 
sichtigt wurden die Gasbildner als „paragglutinierende Coli 4 * und 
die nicht agglntinablen Stämme, die nach 24 ständigem Aufenthalt 
im Brutschrank nicht mindestens bis zu l / 10 der Titerhöhe zu¬ 
sammengeballt wurden. Dadurch ging für die Diagnose eine 
geringe Zahl von Stämmen verloren, bei denen es sich nach den 
neueren Untersuchungen Seligmann's 1 ) wahrscheinlich um 
spezifische Krankheitserreger handelte, Es scheint jedoch nicht 
angängig, einen nicht agglntinablen Stamm, der vielleicht auch 
noch in seinem Verhalten auf einem Kontrollnährboden von den 
bekannten Typen abweicht, als Ruhr anznsprechen. Patienten¬ 
serum zur weiteren Prüfung solcher Stämme steht nur selten zur 
Verfügung. 

Einige Flexnerstämme worden von Y Serum höher als von 
Flexnerserum agglutiniert. Mischformen zwischen Sbiga-Kruse 
und Flexner oder Y wurden nicht beobachtet. 

Von den auf diese Weise isolierten Ruhrstäiümen gehörten 
83 pCt. zum Typ Y, 4 pCt. waren Flexner, 13 pCt. Shiga- 
Krusestämme. Von der Angabe absoluter Zahlen muss abgesehen 
werden, es werden daher im folgenden alle Zahlen auf Hundert 
zuröckgeführt. 

Bei 18 pCt. der untersuchten Mannschaften wurde ein positiver 
Befund erzielt, und zwar bei den Einheimischen (17,8 pCt.) etwas 
weniger als bei den Auswärtigen (18,5 pCt). Dies wird jedoch 
ohne weiteres aus der bei weitem grösseren Zahl der am Ort der 
Ontersuchungsstelle durchgeführten Umgebungsuntersuchungen 
erklärt. 

Der Prozentsatz positiver Ergebnisse bei den von ausserhalb 
gesandten Proben verteilt sich auf die einzelnen Monate wie folgt: 

Juli 8 pCt., August 18 pCt, September 13,7 pCt., Ok¬ 
tober 17,6 pCt. November 26 pCt., Dezember 28 pCt. 

Nun war zwar von Anfang an den auswärtigen Stellen geraten 
worden, die Proben durch Boten zu senden, damit sie möglichst 
schnell verarbeitet werden könnten. Dies wurde aber doch nur 
von verhältnismässig wenigen befolgt. 

Allenthalben findet man in der Literatur die Angabe, dass 
die Ruhrbacillen gegen Abkühlung sehr empfindlich seien. Trotz¬ 
dem die Abkühlung bei den hohen Aussentemperaturen im Sommer 
nicht erheblich sein kann, wird sie doch für das schlechte Er¬ 
gebnis bei den nach längerem Transport zur Untersuchung 
kommenden Stuhlproben allgemein neben der Ueberwucherung 
durch Sapropbyten verantwortlich gemacht. Dementsprechend 
schlägt Hand mann vor, aus dem verdächtigen Stuhl im Kranken¬ 
bett Schleimflocken herauszusuchen, in warmer physiologischer 
Kochsalzlösung zu spülen und in Thermosflasche zu versenden. 
Ebenso will v. Stark 3 ) die Abkühlung durch Versand in Thermos¬ 
flaschen vermeiden. 

Das auffällige Steigen unserer positiven Hundertzahlen in 
den Wintermonaten veranlasste mich, dieser Frage durch Versuche 
näberzutreten. 

Ein flüssiger, reichlich Schleim, geringe Mengen Blut ent¬ 
haltender Stuhl wird in zwei Hälften von gleicher Beschaffenheit 
geteilt. Die eine wird im Brutschrank (37°) aufgehoben, die 
andere in einem Erlenmeyer Kölbchen zuerst fünf Stunden direkt 
auf einen Eisblock gestellt, dann im Eisschrank weiter aufgehoben. 
Die im Brutschrank aufgehobene Probe ergibt, nach 12 Stunden 
ausgestrichen, spärliche Kolonien von Y-Ruhr. Nach 24stündigem 
Brutscbrankaufenthalt der Stuhlprobe ist auf den angelegten 
Platten Y-Ruhr nicht mehr nachweisbar. Von der im Eisschrank 
aufgehobenen Probe ergeben die nach 24 Stunden ausgestrichenen 
Platten reichlich Y-Kolonien, ebenso die nach 48 Stunden ange¬ 
legten Platten. Ein Vergleich beider zeigt, dass das Verhältnis 
zwischen Y- und anspezifischen Kolonien annähernd dasselbe ge¬ 
blieben ist. Ein zweiter, mit einem flüssigen, viel Schleim, kein 
Blot enthaltenden Stuhl angesetzter Versnch ergibt dasselbe 
Resultat. Es handelt sich wieder um Y-Ruhr. 

Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass bei längerem 


1) Seligmann, Zbl. f. Bakl, Orig., Bd. 79, H. 2. 

2) v. Stark, M.m.W., 1915, Nr. 49. 


Transport im Sommer in den Stuhlproben gerade infolge der 
Wärme die Ruhrkeime überwuchert wurden, und dass man diese 
Ueberwucherung noch begünstigen würde durch Versand in warmen 
Flüssigkeiten oder Thermosflaschen. Erheblich verbessern könnte 
man vielmehr das Untersuchungsergebnis in diesen Fällen, wenn 
es möglich wäre, die Proben in Eis verpackt einzusenden. Da dies 
praktisch oft auf Schwierigkeiten stossen wird, mus8< ein Mittel 
gesucht werden, die Ueberwucherung der Ruhrbacillen durch 
Saprophyten auf andere Weise hintanzubalten. 

Es wurde nun versucht, die näheren Umstände, unter denen 
unsere Befunde erhoben wurden, kennen zu lernen. Es gelang, 
von 57 pCt. der bakteriologisch gesicherten Ruhrkranken die 
Krankenblätter zur Einsichtnahme zu erlangen. Die betreffenden 
Krauken stammen nicht aus einer Epidemie, sondern aus den 
verschiedenen Garnisonen unseres Bezirks und einem Gefangenen¬ 
lager. 

Von diesen näher analysierbaren Fällen wurde der Bacillen¬ 
nachweis in den ersten 4 Krankheitstagen geführt bei 57 pCt. 

Zwischen dem 4. und 12. Krankheitstage bei 28 pCt. 

Bei 12 pCt. wurde der Bacillennachweis lange nach ab¬ 
gelaufener Erkrankung geführt. Auf diese Fälle soll später näher 
eingegangen werden, ebenso auf 8 Bacillenträger, die zufällig ge¬ 
funden wurden. 

Die Kranken, bei denen die Stuhlproben in den ersten 
4 Krankbeistagen zur Untersuchung kamen, waren gewöhnlich 
einen Tag vorher in Lazarettbehandlung genommen. Jedenfalls 
hatten sie höchstens einen Tag die bei Ruhr gewöhnlich ver¬ 
abfolgten Medikamente erhalten. Nach der bakteriologischen 
Feststellung begann bei allen die übliche Behandlung mit Tier¬ 
kohle, Bolus, Wismut oder Tannalbin. Häufig wurden mehrere 
Mittel kombiniert. Der grössere Teil erhielt ausserdem noch 
Kalomel und Knoblauch in Oblaten. Während die Leute unter 
dieser intensiven Behandlung standen, wurden die Proben für die 
vorgeschriebenen Schlussuntersuchungen eingesandt, und bei 86 pCt. 
wurden sofort — meist schon nach 8 Tagen beginnend — die 
gewünschten negativen Ergebnisse in Zwischenräumen von 2 bis 
3 Tagen erreicht. Nur bei ganz wenigen konnte der Bacillen¬ 
befund unter diesen Umständen noch einmal erhoben werden. 

Von den Kranken, bei denen der bakteriologische Rubr- 
nachweis zwischen dem 4. und 12. Krankheitstage erfolgte, waren 
76 pCt. vorher nicht mit den oben erwähnten Mitteln behandelt. 
Der Rest hatte vor Einsendung der Probe schon Tierkohle, Bolus, 
Wismut oder Kalomel erhalten. Die Höchstzeit dieser Behand¬ 
lung vor der Entnahme der Probe betrug 4 Tage. Nach der 
Feststellung der Ruhr setzte durchweg die obige Behandlung ein. 
Erneuter Bacillennachweis gelang bei 19 pCt. dieser Gruppe. Im 
übrigen gaben die nach 2—3 Tagen eingesandten Schlussproben 
sofort ein negatives Resultat. 

Das Ergebnis dieser Zusammenstellung ist, dass nur bei 
7,8 pCt. der untersuchten Kranken die bakteriologische Ruhr¬ 
diagnose nach Einsetzen der bezeichneten Therapie gestellt 
werden konnte, und zwar auch hier nur bei einer Höchstbeband- 
lungszeit von 4 Tagen. Bei 14 pCt. konnte der Nachweis trotz 
länger durebgeführter Behandlung mit diesen Mitteln noch einmal 
erfolgen, bei allen anderen wurde das Untersuchungsergebnis so¬ 
fort negativ. Die Bacillen wurden also bei dem allergrössten 
Teil während der Behandlung mit Tierkohle, Wismut u. ä. der 
Feststellung entzogen. Die bakteriologische Untersuchung mit 
diagnostischem Zweck ist nur aussichtsvoll, wenn das Material zur 
Stuhluntersuchung vor Beginn der Behandlung entnommen wird. 

Noch wichtiger ist aber ein zweiter Punkt: Will man durch 
die vorgeschriebenen Schlussuntersuchungen Dauerausscheider 
auffinden, so dürfen nicht, wie das durchweg geschieht, die 
Proben zur Untersuchung gesandt werden, solange der Kranke 
unter oben erwähnter Therapie steht. 

Die Frage nach Vorkommen und Häufigkeit der Dauer¬ 
ausscheider bei Ruhr ist epidemiologisch von Interesse, wenn 
es sich darum handelt aufzuklären, auf welche Weise das in 
jedem Sommer beobachtete Aufflackern der Ruhr zustande kommt. 
Nun sind nach den Untersuchungen von Mondschein 1 ) sowie 
von Verzar und Weszeczky 2 ) und anderen Autoren Dauer¬ 
ausscheider, die man als Urheber neuer Epidemien in Anspruch 
nehmen könnte, ziemlich häufig. Dagegen berichtet Selig¬ 
mann 2 ), dass er unter einer grossen Zahl von Rekonvaleszenten 


1) Mondschein, W.m.W., 1916, Nr. 17. 

2) Verz&r und Weszeozky, M.m.W., 1916, Nr. 8. 

3) Seligmann, Zbl. f. Bakt., Orig., Bd. 79, H. 2. 


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298 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


keine Dauerausscheider gefunden habe. Er schliesst daraus wie 
aus seinen gleichzeitig veröffentlichten Beobachtungen über 
atypische Stämme, dass nicht durch Dauerausscheider neue Epi¬ 
demien gesetzt würden, sondern dass unter der Wirkung noch 
unbekannter Faktoren aus gewöhnlichen Saprophyten des Darms 
die bekannten Formen der Ruhrbacillen sich entwickeln und zu 
weiteren Ansteckungen führen. Daher möchte ich auf die Fälle 
eingehen, bei denen längere Zeit nach ihrer klinischen Genesung 
Ruhrbacillen im Stuhl festgestellt wurden. Es waren 12 pCt. 
der Mannschaften mit positivem Befund. 

Die Erkrankung selbst war bei */ 8 von ihnen leicht ver¬ 
laufen, mit Temperaturen bis 38° und Durchfällen, die bei einigen 
weder Blut noch Schleim enthielten. Der Bacillennachweis er¬ 
folgte mindestens 15, durchschnittlich 40 Tage nach Abklingen 
der klinischen Erscheinungen. Es wurden in 55 pCt. Y-, in 
11 pCt. Flexner-, in 33 pCt. Shiga-Krusebacillen nach¬ 
gewiesen. Der grösste Teil der Leute hatte während der Er¬ 
krankung Kohle, Wismut, Tanninpräparate u. ä. erhalten, welche 
Behandlung nach erneutem Bacillennachweis wieder eins,etzte. 
Wenn unter diesen Umständen bei der Hälfte der Fälle 3 nega¬ 
tive Schlussuntersucbungen erreicht wurden, so darf nach dem, 
was oben über die Wirkung dieser Mittel ausgeführt wurde, be¬ 
zweifelt werden, dass diese Leute nun dauernd bacillenfrei sind. 
Sie würden sich dann nur als Spät- nicht als Dauerausscheider 
charakterisieren. Jedenfalls ist es nötig, dass jede derartige 
Behandlung ausgesetzt wird, wenn am Schlüsse der Krankenhaus¬ 
behandlung festgestellt werden soll, ob der Rekonvaleszent nun 
wirklich dauernd frei von Ruhrbacillen ist. Da bei Ruhr im 
Gegensatz zum Typhus von den Dauerausscheidern nur spärlich 
Bacillen ausgeschieden werden und das Ergebnis der Stuhlunter- 
8uchuog sehr wechselt, erscheint eine dreimalige Schlussunter¬ 
suchung nötig. 

Während demnach mit einem häufigen Vorkommen von 
Dauerausscheidern gerechnet werden muss, kann über die Be¬ 
deutung von Bacillenträgern nichts ausgesagt werden. Dazu 
müsste eine grössere Zahl Gesunder untersucht werden. Unsere 
3 Bacillenträger wurden zufällig entdeckt. Der eine kam aus 
der Umgebung eines Typhuskranken in Quarantäne und daher 
zur Untersuchung. Es fanden sich Y-Bacillen. Der 2. kam 
wegen Anämie und Bronchitis ins Lazarett und wurde bakterio¬ 
logisch untersucht, da er aus einer ruhrverdächtigen Umgebung 
kam. Auch er trug Y-Bacillen. Der 3. befand sich in der Re¬ 
konvaleszenz nach einem klinisch durch Milztumor und Roseolen, 
bakteriologisch durch Bacillennachweis im Stuhl sichergestellten 
Typhus. Nachdem bei mehreren vorhergehenden Untersuchungen 
niemals Ruhrbacillen gefunden waren, erhielt der Mann wegen 
Bandwurmsymptomen Ricinus. Danach wurden 2mal in Zwischen¬ 
raum von 14 Tagen Y-Bacillen festgestellt. Wie mir bekannt 
wurde, wird bei der Typhusbekämpfung im Südwesten Deutsch¬ 
lands schon lange zum Auffinden von Bacillenträgern Stuhl nach 
Gabe von Ricinus untersucht. Ich habe kürzlich in einem Falle, 
wo nach anfänglichem Nachweis von Y-Bacillen die folgenden 
Untersuchungen negativ waren, nach Gabe von Ricinus wieder 
reichlich Bacillen nachweisen können. Durch Anwendung dieses 
Mittels wäre es demnach vielleicht möglich, bei älteren Fällen 
mit geformtem Stuhl häufiger ein positives Ergebnis zu erlangen. 

Es bleibt noch übrig, an der Hand unseres Materials der 
Frage näher zu treten, ob es möglich ist, die durch die bekannten 
Ruhrerreger hervorgerufene Erkrankung nach ihren klinischen 
Symptomen einerseits von den akuten, durch Ernährungsstörungen 
hervorgerufenen, nicht infektiösen Magendarmkatarrhen, anderer¬ 
seits von anderen Infektionskrankheiten mit Sicherheit abzu¬ 
grenzen. 

So hat z. B. F. Meyer 1 ) aus seinen zahlreichen klinischen 
Beobachtungen eine Gruppe hervorgehoben, deren Erkrankungen 
er nicht auf Infektionen, sondern auf ungewohnte grobe Kost 
zurückführt. Ihre hervorstechenden Symptome sind plötzlich ein¬ 
setzendes, etwa 3 Tage dauerndes Fieber bis 40°, Beginn häufig 
mit Erbrechen, Durchfälle, die nur in etwa V 3 der Fälle blutig 
sind. Es fragte sich, ob sich ähnliche Bilder auch unter den mir 
zugänglichen sicheren Ruhrfällen finden. 

Von den nach Abzug der Bacillenträger bleibenden Fällen, 
deren Krankenblätter mir zur Verfügung standen, kennzeichnen 
sich 12,5 pCt. als sicher von Anfang an fieberlose Durch¬ 
fälle, grösstenteils von Y-Bacillen, nur vereinzelt von Shiga- 
Kruse-Bacillen hervorgerufen. Nur etwas mehr als die Hälfte hatte 


1) F. Meyer, B.kl.W., 191$, Nr. 39 u. 40. 


sicher blut- und schleimhaltige Durchfallstühle. Die Höchstdauer 
dieser Durchfälle betrug 14 Tage, Allgemeinerscheinungen fehlten. 
Der grössere Teil der Leute war nach einigen Tagen wieder be¬ 
schwerdefrei, bei einem ging das akute Stadium in eine chro¬ 
nische Colitis mit breiigen Stühlen über. Bei ihm waren noch 

6 Wochen nach Krankheitsbeginn Y-Bacillen nachweisbar. 

Mit Fieber über 89° erkrankten 29 pCt., und zwar fieberten 

7 pCt. anfangs bis 40°. Aus dieser Gruppe hatten annähernd 
30 pCt. uncharakteristische Durchfälle. 

Die Mehrzahl der Erkrankten (58 pCt.) wies mittlere Fieber¬ 
höhe um 38° auf, von einer Durcbschnittsdauer von 4—5 Tagen, 
oft noch während einiger Wochen von subfebrilen Temperaturen 
gefolgt. Von ihnen hatten nur 7 pCt. uncharakteristische, 62 pCt. 
bluthaltige Durchfallstühle. 

Schwere Allgemeinerscheinungen traten im Beginn der 
Erkrankung bei 29 pCt. zutage, nicht immer mit der Fieberhöhe 
parallel gehend. Häufig sind im Beginn Ohnmächten, Schüttel¬ 
frost und grosse Schwäche, in leichteren Fällen Kopfschmerzen, 
Unbehagen, Appetitlosigkeit und Magenschmerzen. Bei 86 pCt. 
dieser Kranken wurden Y-Bacillen, bei 14 pCt. Shiga-Kruse- 
Bacillen festgestellt. 

Erbrechen, in manchen Fällen wiederholt und sehr heftig, 
wurde bei 15 pCt. beobachtet. Ein Milztumor, der später 
wieder zurückging, fand sich in 5 pCt. der Fälle. Einige Kranke 
boten ein dem ADdominaltyphus sehr ähnliches Bild. Kurz er¬ 
wähnt seien folgende: 

1. Patient wird in elendem Zustand, mit kleinem Puls und 
beschleunigter Atmnng eingeliefert. Fieber beginnt mit 40°, 
dauert 6 Tage. Stuhl durcbfällig, fäkulent. Es wurden Y-Ba- 
cillen nachgewiesen. 

2. Krankheitsbeginn plötzlich mit heftigen Leibschmerzen, 
Schwäche und erheblich gestörtem Allgemeinbefinden. Tem¬ 
peratur 40°. Stuhl durchfällig ohne Blut und Schleim, Unter¬ 
suchung ergibt Y-Bacillen. 

8. Beginn mit starkem Krankheitsgefühl. Gesicht verfallen, 
Zunge belegt, Milz palpabel. Temperatur 38,8°. Stühle durch¬ 
fällig, schleimhaltig, ohne Blut. Untersuchung ergibt Shiga- 
Kruse- Bacillen. 

Das Symptomenbild, das diese Fälle bieten, ist demnach ein 
sehr wechselvolles. Neben ganz leichten, fieberlosen Erkran¬ 
kungen mit uncharakteristischem Durchfall finden sich andere mit 
plötzlich einsetzendem hohen Fieber und erheblich gestörtem 
Allgemeinbefinden. Häufig sind diese Kranken nach 3 Tagen 
entfiebert und bei leidlichem Befinden. Erbrechen ist im Beginn 
nicht selten, Milztumor findet sich io einigen Fällen. Anderer¬ 
seits ist zu berücksichtigen, dass infolge der Impfung häufig 
leichte Typhusfälle Vorkommen, die der Ruhr klinisch sehr ähn¬ 
lich sind. Im Herbst 1915 erhielt ich zur Untersuchung Stuhl¬ 
proben von 2 Kranken mit fieberlosem Durchfall und ungestörtem 
Allgemeinbefinden. Klinisch wurde Ruhrverdacht ausgesprochen. 
Es bandelte sich um Cholera asiatica. 

Nach allem dürfte die klinische Beobachtung nicht hinreichen, 
um Fälle nichtinfektiösen Dnrmkatarrhs bzw. anderen Darminfek¬ 
tionen von der durch Ruhrbacillen hervorgerufenen Erkrankung 
zu unterscheiden. Dies gilt besonders im Hinblick auf die in 
hygienischer Beziehung zu treffenden Maassnahmen. 

Zum Schlüsse sei zum Vergleich noch die Leistungsfähigkeit 
der bakteriologischen Stuhluntersuchung auf Typhusbacillen heran¬ 
gezogen. K. E. F. Schmitz 1 ) berichtet, dass bei der jüngsten 
Jenenser Typbusepidemie aus dem Stuhl der Typhuskranken 
der Bacillennachweis in 14 pCt., aus dem Blut in 80,6 pCt. ge¬ 
lang. Demgegenüber dürfte unser Ergebnis mit 18 pCt. bei 
Mannschaften, von denen ein Teil sicher nicht ruhrkrank, ein 
anderer in der für den Nachweis sehr ungünstigen Zeit der Re¬ 
konvaleszenz war, nicht erheblich zurückstehen. 

Zusammenfassung: 

Die Ruhrbacillen werden in Stublproben schnell von Sapbro- 
phyten überwuchert und entgehen so dem Nachweis. 

Diese Ueberwucherung wird durch Wärme begünstigt, kann 
durch Kältewirkung erheblich gehemmt werden. Es empfiehlt 
sich, Stühle zur Untersuchung in Eis verpackt einzusenden. 

Durch Behandlung der Kranken mit Calomel, Wismut, Bolus, 
Tierkohle, Tannalbin u. a. wird der Bacillennachweis im Stuhl 
nahezu unmöglich gemacht. 


1) K. E. F. Schmitz, Centralbl. f. Bakt., Orig., Bd. 78, Heft 4. 


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11. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


289 


Dauerausscheider werden in einem erheblichen Prozentsatz 
gefunden. Sollen durch Schlussuntersucbungen Dauerausscheider 
festgestellt werden, so ist die Behandlung mit obengenannten 
Mitteln zu unterbrechen. Empfehlenswert ist, vor der Entnahme 
des Probematerials Verabreichung eines Abführmittels. 

Das klinische Bild der ätiologisch sichergestellten Ruhrfälle 
ist sehr mannigfaltig. Neben fieberlosen Durchfällen (12 pCt.) 
finden sich Erkrankungen mit erheblich gestörtem Allgemein¬ 
befinden (29 pCt.), plötzlichem Fieberanstieg bis 40°, nicht selten 
Erbrechen, einige Male Milztumor. 

Die Leistungsfähigkeit der bakteriologischen Stuhlunter¬ 
suchung ist bei Ruhr zum mindesten nicht schlechter als beim 
Typhus. Sie könnte noch erheblich verbessert werden durch 
möglichst frühzeitige und schnelle Einsendung des Untersuchungs¬ 
materials. 


BQcherbesprechungen. 

Aigist Mayer- Tübingen: Die Uifallerkranknngen in der Geburtshilfe 
und Gynäkologie. Leitfaden zur Begutachtung für Studierende und 
Aerzte. Stuttgart, Verlag von F. Enke. Preis 10 M. 

Mit der Steigerung, die schon vor dem Kriege, namentlich aber 
während desselben, die berufliohe Arbeit der Frau erfahren hat, wird 
die so schwierige Aufgabe der Beurteilung des Zusammenhangs gynäko¬ 
logischer Leiden mit einem erlittenen Unfall noch wesentlich häufiger 
als bisher an den Praktiker herantreten. Eine zusammenfassende Bear¬ 
beitung dieses schwierigen Gebietes, auf dem viele Fragen noch durch¬ 
aus strittig sind, von gynäkologischer Seite lag bisher nicht vor. So 
entspricht das Buoh einem wirklichen Bedürfnis. 

Nach einer allgemeinen Einleitung behandelt es im speziellen Teil 
die Erkrankungen der verschiedenen Teile des Genital- und Harn¬ 
apparats in ihrem Zusammenhang mit Traumen. Dabei nehmen ent¬ 
sprechend ihrer praktischen Bedeutung und der Schwierigkeit der Beur¬ 
teilung die Retroflexio, der Prolaps und die Schwangerschaft einen be¬ 
sonders breiten Raum ein. Eine reiche, gut gewählte Kasuistik ergänzt 
die theoretischen Ausführungen. Ein Literaturverzeichnis von 35 Seiten 
bildet den Schluss des Werkes, das jedem Arzt aufs wärmste empfohlen 
werden kann, an den die Aufgabe herantritt, als Gutachter in gynäko¬ 
logischen Fällen tätig zu sein. 


H. Walther- Giessen: Znr Indikntionsstellnng nnd Prognose hei den 
geburtshilflichen Operationen des praktischen Arztes. Berlin-Wien 
1917, Urban A Schwarzenberg. Preis 4 M. 

Das kleine Büchlein bringt zahlreiche für den Praktiker wichtige 
Punkte zur Spraohe, deren Nichtbeachtung erfahrungsgemäss besonders 
häufig zu Schädigungen von Mutter und Kind führt. Es enthält aber 
kaum etwas, was nicht in den einschlägigen Lehrbüchern und selbst 
Kompendien auch zu finden wäre, abgesehen etwa von den instruktiven 
Krankengeschichten. L. Zuntz. 


J. Pikier: Sinnesphysiologisehe Untersnchungen. Leipzig 1917. 516 S. 

Verf. gesteht in der Vorrede zu, dass sein Buch mehr psychologi¬ 
schen als physiologischen Inhalt habe, und dass er die Ueberschrift mehr 
aus äusseren Gründen gewählt habe, als zur genauen Bezeichnung des 
Inhalts. Dies geht auch aus einem Eigenbericht hervor, den Verf. am 
Schluss des Werkes abdruckt, indem er hinzusetzt, dass darin „im Um¬ 
riss auch der ganze Inhalt des vorliegenden Buches" enthalten sei. Verf. 
sagt: „Man ist heute allgemein der Ansicht, dass unsere Empfindungen, 
unser Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Kalt- und Warmempfinden 
solchen Vorgängen anhaften, welche von aussen zu unserem Körper, d. h. 
zu unseren Augen, Ohren usw. gelangen und von dort zu unserem Ge¬ 
hirn fortschreiten. Es kann sogar gesagt werden, dass man in diesem 
Satz allgemein eine der sichersten Wahrheiten der Psychologie und 
Physiologie erblickt. Nach den meisten Psychologen sind, ohne dass sie 
dies bemerken würden, jene Vorgänge ziemlich leblos: die Aussenreize 
teilen nach ihnen dem Gehirn etwas „mit" [machen einen Eindruck]. 
Die Physiologen charakterisieren jene Vorgänge schon als — aber immerhin 
nur in geringem Maasse — lebendigere; nach ihnen lösen jene Vorgänge 
in den Nerven und im Hirn Energie aus, auf eine ähnliche Weise, wie 
wir durch ein brennendes Streichholz Schiesspulver zur Explosion 
bringen oder einen Körper duroh Zerschneiden des ihn haltenden Seiles 
fallen maohen. In dem Buche, welches ich plane (das jetzt vorliegt, 
Ref.), beabsichtige ich nun, diesen Lehren zu widersprechen: hauptäch- 
lieh hierauf weist der Titel des Buches hin (er sollte „Umkehrung der 
Psychologie" lauten, Ref.). Natürlich will ich es nicht bestreiten, dass jene 
Empfindungen [normal] auch von aussen kommen, aber ich behaupte, dass 
diese Vorgänge zum Empfinden nicht genügen, und dass das Empfinden 
nicht diesen anhaftet. Sondern — dies ist meine Ansicht — gegen die 
von aussen kommenden Vorgänge, welche die Sinnesorgane deformieren 
wollen, bereitet der Organismus — und zwar, man wird durch diese An¬ 
sicht überrascht sein, jenes organisierende und vermehrende, auch den 
Geschlechtsorganen ihren Keimstoff verleihende Kraftcentrum, welches 


schon in der ersten Zelle des Organismus vorhanden war, den Körper 
organisierte und bis zu Ende in demselben da ist — widerstehende, zu¬ 
sätzlich organisierende Vorgänge, welche die Sinnesorgane in ihren Ori- 
ginalformen enthalten (lies: erhalten, Ref.), gegen den Angriff stärken, 
spannen, und diesen nach aussen gehenden Vorgängen haftet meines 
Erachtens die Empfindung an. Die Frage, ob diese Ansicht oder die 
herrschende die richtige ist, hat nicht nur an sich, sondern für die 
ganze Psychologie grosse Bedeutung. Heute nämlioh, und dies wird all¬ 
gemein anerkannt, kann die Psychologie es nicht begreiflich maohen, 
wie aus den Empfindungen ein höheres Seelenleben entsteht, was z. B. 
bei der Vergleichung zweier Farben geschieht, oder warum die Linien 
eines Gebäudes nicht ohne Ordnung, sondern als Form gesehen, die 
Töne eines Liedes nicht im formlosen Nacheinander, sondern als Melodie 
gehört werden, um noch von höherem Seelenleben zu schweigen. Nach 
meiner Ansicht kann die auf Grund der heute gangbaren Lehre vom 
Empfindungsvorgang auch begriffen werden, denn von aussen kommende 
Vorgänge können kein höheres Lebendiges ergeben; nach meiner An¬ 
schauung vom Empfindungsvorgange hingegen wird die Erklärung jenes 
höheren Lebens überaus einfach. Unser Organismus (unser organi¬ 
sierendes Kraftcentrum, unser loh) geht, wenn er zur selben Zeit oder 
auch nacheinander mehrere Farben, Linien, Töne herzustellen, d. b. den 
entsprechenden Reizen die Wage zu halten hat, auf eine dem Fall ent¬ 
sprechende, kluge, systematische, lebendige, stete, eben organisierende 
Weise vor; er verwendet die Maassnahme, welche er gegen einen der 
Reize ergreift, soweit als möglich, auoh gegen die anderen, eventuell 
jene Maassnahme modifizierend, er verfährt dem ähnlich, wie wir 
Agenden, die in einem Wege zu verriohten sind, in eine zweckmässige 
Ordnung oder Verbindung zueinander bringen. In solchem lebendigen 
Verfahren besteht das Vergleichen, die Gestaltwahrnehmung, das Denken.“ 
Wie man sieht, ist dem Physiologischen in dem Buche zum 
mindesten viel Psychologisches beigemengt. Verf. beginnt mit einer 
Betrachtung des Wachzustandes, in der er der Hypothese, der Schlaf 
beruhe auf Ausschaltung der Sinnesreize, mit strenger Kritik gegenüber¬ 
tritt und sie sehr überzeugend zerpflückt. Die Erörterung geht dann 
auf das Wesen der Empfindungsvorgänge über, das in der oben be- 
zeiohneten Weise erklärt wird, und darauf folgt der Bericht über eine 
Reibe psychologisch-physiologischer Versuche, die des Verf. Anschauungen 
bestätigen sollen. Daran schliessen sich Angaben über die geometrisch¬ 
optischen Täuschungen, und ein Aufsatz über den Zeitsinn, der als Be¬ 
standteil des allgemeinen Waohtriebes gedeutet wird, der die Grundlage 
des Bewusstseins überhaupt bildet. Zum Schlüsse weist Verf. noch 
darauf hin, dass Le Dantec in mehreren Schriften mit den seinigen 
übereinstimmende Ansichten über das Wesen der Empfindungsvorgänge 
ausgesprochen‘hat. R. du Bois-Reymond. 


W.Trendelenbnrg Tübingen: Stereoskopische Ranmmessing an Röntgen¬ 
aufnahmen. Mit 39 Textabbildungen. Berlin 1917, Julius Springer 
136 S. Preis 6 M. 

Verf. gibt zunächst das Wesentliche über die vorhandenen Methoden 
der Raumbestimmung wieder und zwar auch die nicht stereoskopischen. 
Neben dem mit vollem Reoht betonten Wert der Röntgendurchleuchtung 
zum Zweck lokalisatorischer Orientierung weist Verf. auf die zahlreichen 
geometrisch-rechnerischen Verfahren hin, die sämtlich eine unmittelbare 
räumliche Anschauung nicht vermitteln können. Dagegen wird der Unter¬ 
suchende durch die Stereoskopie zur reinen Anschauung zurückgeführt, 
sofern er natürlich stereoskopisch sehen kann. Zudem hat der Be¬ 
trachtende bei des Verfassers Methode noch den Vorteil, dass die 
Messungen am Raumbild selbst vorgenommen werden können. Hierzu 
hat Trendelenburg einen besonderen von der Firma Leitz in Wetzlar 
ausgeführten Aufnahmeapparat nach dem Prinzip der Parallelverscbiebung 
der Röntgenröhre konstruiert. Die gefertigten Röntgenbilder werden 
dann mit Hilfe eines Spiegelstereoskops betrachtet, dessen Spiegel durch¬ 
sichtig sind. Auf diese Weise ist der Ort des. stereoskopischen Bildes 
für Messinstrumente — in dem Fall ein Zirkel mit kleinen Messing¬ 
knöpfen — im Raum erreichbar, und der Beobachter kann das zu lokali¬ 
sierende Objekt im Raumbild umfahren sowie dessen Entfernung von 
anatomisch bzw. chirurgisch wichtigen Punkten direkt abmessen. 
Zweifellos kann sich dabei der Chirurg zugleich am besten über die 
Frage orientieren, ob eine Operation nach Lage des Fremdkörpers ange¬ 
zeigt ist oder nicht. 

Mit der Methode Trendelenburg*s haben wir wieder eine 
Stereoskopvorrichtung mehr. Sicherlich ist sie gut, ob auch mit nicht 
zu grossen Kosten verknüpft, geht leider aus dem Mitgeteilten nicht 
hervor. Da aber schon anerkannt leistungsfähige Lokalisationsvorrich- 
tungen in hinreichender Zahl vorhanden sind, so können neue Appara¬ 
turen auf dem Gebiet der Lokalisationsaufnahmetechnik, nur wenn sie 
billig zu haben sind, auf eine allgemeinere Einführung in die Röntgen¬ 
praxis rechnen. Vom Standpunkt des Praktikers könnte nunmehr das 
Kapitel des Lokalisationsaufnahmeverfahrens endlich als geschlossen be¬ 
trachtet werden, sofern nicht wesentlich neue Gesichtspunkte in der 
Konstruktion der Apparate erscheinen. Dagegen möchte Ref. erfinderi¬ 
schen Köpfen aüf dem Gebiete der Röntgenstereoskopie empfehlen, die 
praktisch ungemein wichtige Methode der stereoskopischen Durch¬ 
leuchtung weiter auszubauen im Sinne einer Vereinfachung und Ver¬ 
billigung. Hessmann. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

L. Wacker-München: Ueber einige Modelle zur Demonstration der 
MiiskelkoBtraktfoB aaeh der Drncktheorie. (Pflug. Arch., Bd. 169, 
H. 10—12.) Betrifft die Demonstration der vom Autor in früheren 
Arbeiten, zuletzt in Pflüg. Aroh. Bd. 168 ausführlich gegebenen chemo- 
dynamischen oder Kohlensäuretheorie der Muskelkontraktion an Kautschuk- 
schläuohen und -ballons. 

R. H. Kahn-Prag: Ueber Bau und Bedeutung der dekabarea 
BasehmiskelsehBen der Frb'sehe als Geschlechtsmerkmal. (Pflüg. 
Arch., Bd. 169, H. 10—12.) Die zufällig festgestellte auffallende, 
ohne Analogie dastehende Rotfärbung dieses Gewebes in Formalin wies 
auf besondere Eigenschaften beim Männchen hin. K. erblickt auf Grund 
genauerer Untersuchung der Vorgänge einer rhythmischen Mechanik der 
Bauchmuskeln beim Quaken dies Besondere in der Fähigkeit der be¬ 
treffenden Muskeln zu tonischen Dauerzuständen. 

E. Naumann-Wien: Untersuchungen über den Gaag der Toten¬ 
starre. (Pflüg. Arch., Bd. 169, fl. 10—12.) Als Material dienten 
Kadaver von blausäurevergifteten Hunden, Pferden, Kaninchen und 
Katzen. Das Herz erstarrt schon zu einer Zeit, wo andere Muskeln es 
nicht tun. Als Methode diente die Verfolgung des Ausschlages und 
Stillstandes einer 20 cm langen in situ eiogestocheneu Nadel, auch des 
Druckmanometers in den Körperhöhlen (z. B. für das Zwerchfell). Die 
Resultate werden in Beziehung gebracht zu den herrschenden Theorien 
der Totenstarre. 

J. Matula-Wien-Neapel: Untersuchungen über LeistBBgen der 
Nerreaieatren bei Deeapodea. (Pflüg. Arch., Bd. 169, H. 10—12.) 
Naoh anatomischen und technischen Vorbemerkungen werden für die 
Sohwimmbewegungen die Leistungen der Abdominal-Thorakal- und 
Cerebralganglien durch systematische Durchschneidungen am Bauchstrang 
usw. mit anschliessender Prüfung der reflektorischen Erregung des resp. 
Pleopodenpaares genauer untersucht auf ihr coordiniertes Zusammen¬ 
arbeiten. Die Abdominalganglien vermitteln im wesentlichen die 
Coordination, die Thorakal- und Cerebralganglien beherrschen mehr die 
Intensität der Reflexerregbarkeit. 

J. S. Szmanski-Wien: Untersuchungen über den biologisch richtigen 
Verlaaf des Leravorgaagea bei weisaea M&asea. (Pflüg. Arch, 
Bd. 169, H. 10—12.) Untersuchungen über die Associationsbildung. 
Die Tiere befanden sich in einem Glaskäfig mit Leitern, Bändern usw., 
deren Benutzung die Tiere „lernen“ mussten, um zum Futtertiscbe zu 
gelangen. Durch Signale und mechanische Registrierung der benutzten 
richtigen und falschen Wege konnten die näheren Bedingungen der 
Entstehung der „Gewohnheit“ in einer „Lernkurve“ graphisch fest¬ 
gehalten werden. Aus den tierpsyohologisch interessanten Einzelergeb¬ 
nissen ist wohl als am wichtigsten abzuleiten, dass die Mäuse — und 
wahrscheinlich auch andere Tiere — fähig sind, neue Verknüpfungen 
verblüffend rasch zu bilden, und dass möglicherweise diese Fähigkeit in 
einem „biologischen Gedächtnis“ liegt, das eine sehr sohneile 
„Anpassung“ an neue Reize ermöglicht. Näheres muss im Original 
studiert werden. 

H. Straub-München: Das Arbeitsdiagramm des SäBgetierherzeos. 

(Pflüg. Arch., Bd. 169, H. 10—12.) Mit Hülfe einer böchstausgebildeten 
Registriertechnik wurde die Konstruktion des exakten Arbeits- 
diagrammes möglich, das den Druck als Funktion des Volums nach 
dem Verfahren der desoriptiven Geometrie darstellt, wenn auch zunächst 
noch für beide Kammern zusammen. Die geleistete Arbeit des Herzens 
während eines Schlages ist gleich der Fläche, der von der geschlossenen 
Kurve des Arbeitsdiagrammes umgrenzt wird. Für den Kliniker sind 
aus der Fülle der Ergebnisse folgende Punkte bervorzuheben: 8 /b des 
Sohlagvolums werden bei sinkendem Druck ausgeworfen, indem zum Teil 
der Abfluss aus den Kapillaren grösser ist als der Zufluss zur Aorta. 
Während der Diastole besteht — was bisher klinisch kaum berücksichtigt 
worden sein dürfte — noch ein Kontraktionsrückstand, gegen den 
die Füllung Arbeit zu leisten hat. Diese Energie muss vom Venensystem 
mit aufgebracht werden. Der Kontraktionsrückstand ist nicht ohne Be¬ 
deutung für die nächste Systole durch Beeinflussung der Erschlaffung. 
St. weist in dieser Beziehung auf den Einfluss hin, unter dem auch der 
Digitalis alternans entsteht. Dieser kann hiernach nicht mehr als 
Hypodynamie oder Adynamie aufgefasst werden. Bemerkenswert ist, 
dass die Zeitdauer der Systole nioht mit deijenigen der Kontraktion 
zusammenfällt, wie man bisher annahm, und dass daher die T-Zacke 
des E. K. nicht als äquivalent der Kontraktion aufgefasst werden kann. 
Im zweiten Teil der Arbeit werden die Beziehungen des Schlagvolums 
und Widerstandes auf das Arbeitsdiagramm analysiert. Sogar 
die sogenannte Kammerstauungswelle vor der Oeffnung der Atrioventricular- 
klappen konnte in dieser Abhängigkeit registriert werden, ebenso die 
Grösse der Füllungsarbeit bei grossem und kleinem Schlagvolumen. 
Wichtig ist der Nachweis, dass die Arbeit bei wachsendem Widerstand 
annähernd proportional dem Widerstand ist und dass die Berechnung 
der Arbeit als Produkt des Schlagvolums mit dem mittleren Druck der 
Austreibungszeit zu hohe Werte liefert. Hinsichtlich der Dehnungskurven 
von Maximum und Minimum der Herzzuokung liess sich feststellen, dass 
die konstante Wirkung eine Schädigung des Herzmuskels eine Senkung 
der Maxima ist und nicht ein Nachlass des „Tonus“. Hasebroek. 


Salomon-Wien: Ueber Holsbrot und seine Verdailichkeit. 

(W.m.W., 1917, Nr. 51.) So gut in gewissen Grenzen der Holzzusat* 
zur Bekämpfung chronischer Obstipation nutzbar gemacht werden kann, 
so wenig kann er uns als neue Nahrungsquelle dienen in Anbetracht 
seines so gut wie völligen Abgehens mit dem Kote. 

Nobel-Wien: Praktische Durchführung des Era ihm gssy Sterns 
tob Pirquet in einem Militärspitale. (W.m.W., 1917, Nr. 51.) Nach 
diesem System wurde die Milch als Nahrungseinheit eingeführt, alle 
Nahrungsmittel werden in Beziehung zur Milch gebracht. Der Nährwert 
von 1 g Milch = 1 Nem (Nahrungs-Einheit-Milch), von 10 g Milch = 
10 nem = 1 dn (Dekanem), von 100 g Milch = 100 n = 1 hn (Hektonem), 
von 1000 g Milch = 1000 n = 1 kn (Kilonem); 1 g Mehl enthält 5n, 
1 g Zucker 6 n usw. Die einzelnen Lebensmittel werden in ihrem 
Nährwerte mit der als Grundlage dienenden Milch verglichen. Ein Fett¬ 
minimum existiert nach v. Pirquet überhaupt nicht, von Eiweiss genügen 
10 pCt. der gesamten täglichen Nährwertmenge. Das neue Ernährungs¬ 
system v. Pirquet wurde praktisch durcbgeführt und hat sich bewährt. 

Reckzeh. 


Therapie. 

F. Mendel-Essen-Ruhr: Bulbus scillae, ein zu Unrecht vernach¬ 
lässigtes Herzmittel. (Ther. d. Gegenw., Jan. 1918.) Günstige Erfah¬ 
rungen. Verf. verwendet folgende Kombination 
Bulb, scillae pulv. 0,3 
Codein phosph. 0,08 

Sacch. alb., 0,5 M. f. pulv. DS. 8 mal tgl. 1 Pulver. 

R. Fabian. 

D. Mandl-Besztercebanyaer Krankenhaus: Calciam iu der Thera¬ 
pie der Tuberkulose. (Zschr. f. Tbc., Bd. 28, H. 5, S. 824—339.) 
Calcium per os oder per elysmam verabreicht, gibt gute Erfolge bei 
den Durchfällen Tuberkulöser. Das zuverlässigste Verfahren ist die 
intravenöse Einspritzung von Chlorcalciumlösung, 5 pCt., wenn man die 
Technik völlig beherrscht (Nekrose!). Das Schwitzen wird gleichfalls 
durch Calcium beeinflusst. Ebenso ist bei intravenöser Gabe eine Ein¬ 
wirkung auf Lungenblutung auffällig. H. Gr au -Honnef. 

K. Klare und E. Drexel-Hohenlychen: Zur Kalktherapie im 
Kindesalter mit besonderer Berücksichtigung der Skrophulose. (Ther. 
d. Gegenw., Jan. 1918.) Zur Unterstützung der allgemein üblichen 
hygienisch-diätetischen Behandlung der Skrophulose wählten Verff. den 
Kalk als Calcium lacticum, weil dieses die Kalkretention hebt. Für die 
Kinderpraxis eignet sich besonders wegen seines angenehmen Geschmacks, 
und seiner bequemen Darreichungsform das Kalzan in Tablettenform 

J. Forschbach-Breslau: Die spezifische Therapie der Malaria. 
(Ther. d. Gegenw., Jan. 1918.) Nach den Erfahrungen des Verf. sollen 
die schweren Fälle aller Formen, namentlich der Tropica, sofort ohne 
Rücksicht auf das Fieber mit höheren Einzel- und Tagesdosen des Chi¬ 
nins angegriffen werden. Chiningewöhnte Leute mit irregulärem Fieber¬ 
typ dürfen dieser Kur erst nach mehrwöchiger Pause unterworfen 
werden. Für das Gros der leiohteren typischen Fälle aber scheint das 
Nocht’sehe Verfahren seinen Wert behalten zu sollen. Inbezug auf die 
Anwendung des Optochins erscheint nach Ansicht des Verf. zunächst 
noch eine abwartende Stellung geboten. Bei frischen schweren Tro- 
picafällen, wo Magendarmstörungen, Erbrechen usw. die Resorption in 
Frage stellen, können intramuskuläre Injektionen mit Hydrochininum 
hydrochl. vorgenommen werden, die chronischen Fälle der Heimat eignen 
sich nicht durchweg für diese Methode. Von anderen Heilmitteln bat 
sich vorläufig nur noch das Salvarsan bzw. Neosalvarsan einen beachtens¬ 
werten Platz in der Malariatherapie erobert, insbesondere bei der Tertiana. 

Hoppe-Uchtspringe: Zbbi StrogaaofTschen Verfahrca bei der 
Eklampsie. (Ther. d. Gegenw., Jan. 1918.) Verf. empfiehlt bei der E. 
das StroganofiPsche Verfahren in der Weise vorzunebmen, dass ausser 
dem Aderlass statt Chloralhydrat: Amylenhydrat 2—8 g im Einlauf und 
statt* Morphium: Ureabromin 6—8 g intravenös gegeben werden. 

R. Fabian. 

Odstrcil*. Ueber moderne BehaBdlaBgsarteB der BBboaei nach 
Ulcera mollia. (W.m.W. Nr. 52.) Zur nichtoperativen Behandlung von 
Bubonen werden Injektionen mit a) Staphylokokkenvakzine, b) steriler 
Na. nucleinicum-Lösung, intragluteal oder intravenös appliziert, und 
c) mit steriler Milch empfohlen. Die temperaturerhöhende und die die 
Leukozystose fördernde Komponente können allein Heilung nioht be¬ 
wirken. Es dürften noch andere Faktoren bei der oben geschilderten 
Restitutio mitspielen. _ Recks eh. 


innere Medizin. 

F. Kraus-Berlin: Bemerkungen betreffend die DiagBOStik BBd 
Therapie der ekrooiscbeB, progressives destruierendea Fermes der 
Polyarthritis. * (Ther. d. Gegenw., Jan. 1918.) K. empfiehlt folgende 
Klassifikation der chronischen Polyarthritiden. Zu der ersten Gruppe 
zählt er die infektiöse Polyarthritis, speziell charakterisiert nach 
dem eventuell nachweisbaren Erreger. Meistens handelt es sioh, wie bei 
dem subakuten und chronischen Rheumatismus, um Streptokokken. 
Vorhanden ist eine allgemeine lymphatische Diathese. Die Erkrankung 
beginnt in der Synovialis mit entzündlicher Verdickung der Gelenk¬ 
kapseln. Der Knorpel erfährt eine Degeneration und wird durch Binde¬ 
gewebe ersetzt. Es kommt schliesslich zu einer Obliteration des Recessus 


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11. Märt 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


241 


and der Gelenkspalte. Im Anfang ist ein Exsndat im Gelenk nach¬ 
weisbar, später bildet sich eine starke Knochenatrophie. Zar zweiten 
Gruppe gehört die gichtische Polyarthritis, die chronische, pro¬ 
grediente destruierende Arthritis urica. Charakteristisch sind hier die 
Tophi und der Röntgenbefund. An den Enden der Gelenkknochen 
zeigen sich entkalkte Stellen, welche wie Zysten ausseben. Manchmal 
sieht der Knochen gebläht aus wie bei der Spina ventosa. Der Harn¬ 
säurebefund im Venenblut bei purinfreier Diät dient zur Sicherstelluug 
der Diagnose. Die dritte Gruppe findet sich häufig bei ganz jugend¬ 
lichen Personen und bei Frauen um die Zeit der Menopause. Im Ver¬ 
lauf der Erkrankung kommt es zu Anämie, Kachexie mit Milztumor. 
Verf. bezeichnet diese Erkrankung als primäre chronische progressive, 
deformierende schliesslich atropbierende Polyarthritis. Der Prozess spielt 
sich zuerst hauptsächlich in den Weiohteilen ab, die knöchernen Gelenk¬ 
enden scheinen ebenso wie der Knorpel lange Zeit völlig intakt. Der 
Knorpel stellt sich auffallend verdickt dar, es kommt zu Subluxationen 
und Deviationen. Röntgenologisoh findet man in den Gelenkknochen 
eine Art von Auftreibung sowie eine Atrophie, eine Dekalzination in 
Form ganz feiner Spalten. Später kommt es zu Knorpelusur und zur 
Ankylose. Die vierte Gruppe bildet die Lues. Die typischsten osteoarti- 
kulären syphilitischen Gelenkprozesse sind die der Tabischen. Bei der 
Therapie kommt für die chronische infektiöse Polyarthritis zunächst 
eine ätiologische in Frage. Die Gaumenmandeln werden exstirpiert. 
Gegen alle einschlägigen Gelenkerkrankungen verwendet Verf. seit Jahren 
die radioaktiven Stoffe. Die innere Anwendung als Inhalation der 
Emanation, als Trinkkur und als Injektion, die äussere Anwendung als 
Bäder und Umschläge. Die besten Erfolge der radioaktiven Therapie 
hat Verf. beim chronischen sekundären Gelenkrheumatismus erzielt. 
Viel weniger gut sind die Erfolge bei der dritten Gruppe und bei den 
Formen, die auf Lues und Tuberkulose beruhen. Bei der dritten Gruppe 
werden jedoch durch diese Therapie die Anämie und Kachexie wesent¬ 
lich gebessert. Bei der uratischen Polyarthritis stellen die radioaktiven 
Stoffe ein gutes symptomatisches Mittel dar. R. Fabian. 

C. Hart: Ueber die Beziehungen der Bronchitis mneinosa plastica 
bzw. essentiellen Bronchitis fihrinosa zur taberkaläsea Luagenphthise. 
€ Abbild. (Zsohr. f. Tbc., Bd. 28, H. 5, S. 805 — 826 ) Besprechung 
eines Falles von mucinösen Gerinnseln bei einer alten fibrinösen Phthise. 
Die Bronohitis fibrinosa ist meist eine sekundäre Krankheit. Die Ergüsse 
können bald muciDÖser, bald fibrinöser Art sein. Die mucinösen Formen 
entstehen durch Ueberabsonderung von Schleim im Epithel. Die fibri¬ 
nöse Exsudation kann aus den Alveolen oder aus verletzter Bronchial¬ 
schleimhaut stammen. Die Form der Gerinnsel entsteht durch die 
Atmungsbewegung der Bronchien. Die Erkrankung ist klinisch wiohtig 
(Wechsel der physikalischen Erscheinungen). 

E. Hartung-Bonn: Leber and Tuberkulose. (Zschr. f. Tbo., Bd. 28, 
H. 5, S. 827—333.) Die Prüfung dnr Leberfunktion bei 28 Tuberkulösen 
mittels der Lävuloseprobe ergab bei allen Lungentuberkulosen einen 
positiven Ausfall, also den Beweis einer Störung der Lebertätigkeit. Da¬ 
gegen war die Untersuchung auf Urobilin und Urobilinogen negativ. 

H. Gr au-Honnef. 

S. Sohönberg: Die Beziehvugea der Tuberkulose n Schrump- 
faagsprosessea ii Leber und Niereu. (Schweiz. Korr. Bl., Nr. 50.) 
Vortrag, gehalten an der 99. Jahresversammlung der Schweizer natur- 
forschenden Gesellschaft, Zürich 1917. R. Fabian. 

Richtlinien für die ■ilitärärztlieke Beurteilung Nierenkraiker. 
Mit besonderer Berücksichtigung der Nierenentzündungen. (D. militär- 
ärztl. Zschr., 1918, H. 1 u. 2.) Auf Grund von Beratungen des 
Wissenschaftlichen Senats bei der Kaiser Wilhelm-Akademie für das 
militär ärztliche Bildungswesen. In einem allgemeinen Teil wird mit¬ 
geteilt, dass nicht nur auf Grund der Kriegserfahrungen die Behandlung, 
sondern auch die Beurteilung Nierenkranker in Nieren-Sonderlazaretten 
oder in Nierenkrankenabteilungen erfolgen soll, und dass für das Sohluss- 
urteil auoh bestimmte Belastungsproben maassgebend sein sollen. An¬ 
gaben über Aufgabe der Sonderlazarette, darüber, dass Verlegung in ein 
Nierenlazarett erst stattfinden soll, wenn Schädigung durch Transport 
nicht mehr zu befürchten ist, ferner über die Bestimmungen, die der 
Chef des FeldBanitätswesens für den Bereich des Feldheeres erlassen 
hat, über Belastungsproben in ausführlichster Weise, über enges Zu¬ 
sammenarbeiten zwischen Nierenlazarett und Truppenarzt, von Lazarett¬ 
arzt und Truppenarzt, über Gesichtspunkte bei der Entscheidung, ob 
ein Nierenkranker als kv. u. zu entlassen oder sonst noch militärisch 
zu verwenden ist, über dabei notwendige Zeugnisse, über Nachunter¬ 
suchungen entlassener Nierenkranker, endlich über evtl. Lazarettbeob- 
aebtung vor der Heranziehung zum Dienst bei der Wiedereinstellung 
zeitig kv. u. entlassener Nierenkranker. In einem besonderen Teil wird 
gesprochen über erstmalig akut entstandene Nierenentzündungen bei 
Heeresangehörigen (ganz leiohte, im Anschluss an akute Infektionen auf¬ 
getretene Fälle, typische Fälle von akuter Kriegsnephritis) über Nieren¬ 
erkrankungen mit unbekanntem oder weit zurückliegendem Krankheits¬ 
beginn, die bei der Musterung, bei oder nach der Einstellung entdeckt 
werden, über Versohlimmerung schon vor der Einstellung vorhandener 
Nierenentzündungen während des Dienstes und über militärärztliche Be¬ 
urteilung der Erwerbsfähigkeit entlassener Nierenkranker. In einem 
Anhang ist die Rede von Belastungsproben im Lazarett (sog. Lazarett¬ 
proben). 'Zu unterscheiden sind Nahrungs-, Bewegungs-, Kälte- und 
Arbeitsbelastung. Schilderung des Zweokes derselben. Sohnütgen. 


G. A. Waetzoldt-Berlin: Die Oedeakraakkeit (Ther. d. Gegenw., 
Jan. 1918.) Zusammenfassende Uebersioht und Sammelbericht. 

R. Fabian. 

A. Goldscheider: Typheid und 8ehutziaipfaug. Auf Grund der 
Kriegserfahrungen. (D. militärärztl. Z*chr., 1918, H. 1 u. 2.) Eine 
Reihe von vom Verf. vorgebraebten Beweisführungen lassen erkennen, 
dass prinzipiell die Zugehörigkeit leichtester, kurzdauernder Fälle, welche 
man am besten als Typhoid oder mitigiertes Typhoid zusammen fasst, 
zur Typhusgruppe feststeht. Ihre Erkennung ist infolge der Schutz¬ 
impfung erschwert, da die Agglutination wenig verwertbar und die 
Bakterizidie erhöht ist. Sie kommen auch innerhalb von Gruppen un¬ 
zweifelhafter Typben vor; das spricht auoh in eindringlicher Weise für 
die typhöse Natur der fraglichen Krankheiten. Nur das Verhältnis der 
Mischung hat sich geändert. Widerlegung der Auffassung, solche frag¬ 
lichen Fälle als Influenza, Paratyphus- oder Fünftagefieber zu be¬ 
zeichnen. Die relative Zunahme der leichten typhoiden Erkrankungen, 
der relative und absolute Rückgang der ausgebildeten Typben, sehr 
wahrscheinlich auch der absolute Rückgang der Gesamtzahl an typhösen 
Erkrankungen ist zu einem erheblichen Anteil der Wirkung der Schutz¬ 
impfungen zuzuschreiben. Gleichwohl hat die Schutzimpfung neuerdiDgs 
von. fachmännischer S'ite (Friedberger) einen besonders heftigen An¬ 
griff erlitten. Genaue Mitteilungen darüber. Dem werden die von 
Hünermann und vom Verf. gemachten Erfahrungen gegenübergestellt, 
welche das Gegenteil der Friedberg er* sehen Behauptung beweisen. 

Sohnütgen. 

His-Berlin: Bäder- und Klimabehaidlong der Erkraakangea der 

Haraorgaie. (W.m.W., Nr. 50.) Den Mineralwasserkuren kommt eine 
spezifische Wirkung weder anf die Diurese, noch auf die Abscheidung 
harnfähiger Bestandteile zu. Deunoch wird man die schwach minerali- 
sierten Quellen als leicht resorbierbare Wässer im Lazarett wie am 
Kurort gern verwenden. Eine Einwirkung trockenwarmen Klimas im 
Sinne einer Kompensation der Nierentätigkeit durch die Haut kann 
heute nicht mehr anerkannt werden; die günstige klimatische Wirkung 
liegt in der Fernhaltung thermischer Schädlichkeiten und in der Mög¬ 
lichkeit, auch in der ungünstigen Jahreszeit frische Luft zu gemessen. 

Reckzeh. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

A. Pick: Historisches zur Lehre von der topographisehea Au¬ 
ffällig ii dea Sehlahaeu ud -zeitrea. (Neurol. Zbi., 1918, Nr. 2.) 
Bemerkungen zu Ausführungen von S. E. Hensehen. P. hat sich noch 
vor Wilbrand für ganz regelmässige topographische Beziehungen 
zwischen Retina und den Zentren im Hinterhauptslappen ausgesprochen. 

M. Nonne: Ueber die Frage der Heilbarkeit der Dementia para- 
lytiea. (D. Zschr. f. Nervhlk., Bd. 58, 1. u. 2. Jahrg.) Wir befinden 
uns auf dem Gebiet der Paralyse nicht nnr in klinischer, anatomischer, 
serologischer, biologischer, sondern auch in prognostischer Hinsicht 
gegenwärtig wieder auf Neuland. N. teilt 3 Krankengeschichten mit, 
die zu dem Schlüsse berechtigen, das die Symptome der Dementia para- 
lytioa, soweit sie nur klinisch, serologisch, physikalisch und chemisoh 
bekannt sind, verschwinden können, dass somit praktisch die Heilung 
einer Paralyse möglich erscheint. Voraussetzung ist dabei, dass uns 
weitere Erfahrungen nicht dahin belehren, dass auoh der Umschlag im 
Liquor zur Norm wieder zu krankhaftem Verhalten des Liquors Um¬ 
schlagen kann. 

A. Boettiger, Zum Kapitel der Hiratumoreu. (D. Zsohr. f. Nervhlk., 
58 Bd., 1. u. 2. Jahrg.) B. teilt aus seinem Beobaohtungsmaterial von 
ungefähr 100 Hirntumoren, von denen ungefähr 35 zur Operation ge¬ 
langten, einige diagnostische und therapeutisch interessante Beob¬ 
achtungen mit. In seinen Schlussfolgerungen hebt er hervor, dass das 
Trauma in der Aetiologie der Hirntumoren eine zweifelhafte Rolle spielt. 
Naoh der Radikaloperation von Hirnsarkomen ist ein Knoohenventil zu 
belassen. Die Einzelzentren des Beines liegen in der vorderen Zentral¬ 
windung genau so aufsteigend wie die des Arms. Das Broca’sche Zen¬ 
trum ist kein Aphasiezentrum im strengeren Sinne des Wortes. 

Wallenberg: Neue Beiträge zur Diagnostik der HirastaMerkraa- 
kllgea. (D. Zschr. f. Nervhlk., Bd. 58, 1. u. 2. Jahrg.) Im ersten mit¬ 
geteilten Falle handelt es sich um ein Psammom der Dura am Clivus 
Blumenbachii, Kompression der Oblongata, sekundäre Höblenbildung im 
Hals- und obersten Brustmark bei klinischem Verlauf eines Halsmark¬ 
tumors. Die beiden weiteren Fälle betreffen eine Läsion im Bereiche 
eines frontalen Astes der Art. communicans posterior dextra sowie eine 
Embolie der Arteria oerebelli inferior posterior dextra. 

R. Cassirer: Ueber Nachbarschaft and Fonnsymptoae bei Ver- 
letzuagea der Hals Wirbelsäule and des Halsmarks. (D. Zsohr. f. 
Nervhlk., Bd. 58, 1. u. 2. Jahrg.) In dem ersten der beiden mitgeteilten 
Fälle handelt es sich um eine partielle Verletzung des oberen Hals¬ 
marks in der Höhe des 5. Halswirbels mit spastischer Parese des rechten 
Arms und Beins mit entsprechender kontralateraler SeDsibilitätsstörung 
und einer atrophisch degenerativen Parese im Cucullaris. Der zweite 
Fall ist bemerkenswert durch eine Mitbeteiligung des Trigeminus, auch 
hier bestand eine hochsitzende Affektion des Zervikalmarks auf luetischer 
Basis. Die Operation ergab das Vorhandensein einer Verdickung und 
Verwachsung der harten und weiohen Häute, die Sektion eine luetische 
| Erkrankung des obersten Zervikalmarks, die die harten und weichen 


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242 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Rüokenmarkshäute und das Rückenmark selbst sa gleicher Zeit in Mit¬ 
leidenschaft gesogen hatte. 

Reitsoh and Roper: Sehassverletznag des aateren Halsmarkes 

günstiger Operationserfolg. Einseitige, willkürliche Pupillenerweiterung. 
(Neurol. Zbl., 1918, Nr. 3.) Verletzung durch Gewehrschuss am 5. bis 
7. Halswirbelbogen. Sofort vollständige linksseitige Lähmung und erheb¬ 
liche Schwäche des rechten Armes und Beines. Dazu Priapismus, Incon¬ 
tinentia urinae et alvi und Gefühlsstorungen yon der Brust abwärts. 
Naoh etwa 12 Stunden Laminektomie, Entfernung des 5. bis 7. Hals- 
wirbelbogens. Ein Splitter des 6. Halswirbelbogens drückt auf das 
Rückenmark. Die intakte Dura wird eröffnet. Rückenmark anscheinend 
unyerletst. Nach 8 Tagen schon Rückgang der rechtsseitigen Lähmung 
sowie der Blasen- und Mastdarmlähmung und teilweise der Gefühls¬ 
störungen. Sympathiouslähmung links (Horner’scher Symptomen- 
komplex); mässige Erweiterung der Hautgefässe; Anhidrosis, weicherer 
Puls. Die anfangs schlaffe Lähmung ging nach einigen Monaten in eine 
teilweise spastische über; auch sonst zeigten sich Reizerscheinungen. 
Etwa gleichzeitig hiermit konnte bei positiven Bewegungen des linken 
Armes eine maximale Pupillenerweiterung links beobachtet werden 
(auch Lidspalterweiterung und Transpiration der anhidrotischen Gesichts¬ 
hälfte). Die willkürliche, durch Bewegung des Armes hervorgerufene 
einseitige Sympathiousreizung kommt durch spinale Reizübertragung 
und vermutlich an der Stelle zwischen 7. Hals- und 1. Dorsalsegment 
zustande. 

L. Edinger: Untersuchungen über die Neabildaag der darch- 
treniten Herren. (D. Zschr. f. Nervhlk., Bd. 58, 1. u. 2. Jahrg.) Die 
neue Nervenfaser entsteht dadurch, dass aus der Ganglienzelle aus- 
wachsende Fasern in den Schwannzellen des peripheren und des zentralen 
Stückes die Elemente finden, welche ihnen ein Weiterwachsen ermög¬ 
lichen. E. studierte die Schwannzellen an der freien Oberfläche von 
Agarmaassen, in die der zentrale Stumpf eingesenkt war. Die Heryen¬ 
faser ist plurizellulären Ursprungs. 

K. Mendel: Seltene periphere NenrealMmiBgeii. (D. Zschr. f. 
Neryhlk., H. 58, 1. u. 2. Jahrg.) Vier seltene periphere Lähmungen 
und zwar eine Lähmung des Neryus glutaeus superior, eine Verletzung 
des Nervus saphenus major, eine isolierte Lähmung des Muskels iliopsoas 
sowie eine isolierte Lähmung des Neryus musculo-cutaneus. In dem 
Falle der Verletzung des Nervus saphenus major ist bemerkenswert die 
Art der Gefühlsstörungen und zwar eine Umkehr der dissoziierten Emp¬ 
findungslähmungen : Herabsetzung des Gefühls für feine Berührung, 
Ueberempfindliobkeit bzw. paradoxes Empfinden für Schmerz und Tem¬ 
peratur. Nachdem duroh Operation der Nerv exzidiert war, waren sonder¬ 
barerweise naoh etwa 2 Monaten Gefühlsstörungen überhaupt nicht mehr 
vorhanden. 

y. Malaizä: Zur Pathologie der Plantaraervea. (D. Zschr. f. 
Nervhlk., Bd. 58, 1. u. 2. Jahrg.) Es kommen Neuritiden vor, die sioh 
auf die Plantarnerven beschränken. Sie können rheumatischen Ursprungs 
sein, in anderen Fällen scheint die Planovalgität an sich zu Entzün¬ 
dungen in diesem Nervenabschnitt und zu degenerativen Erscheinungen 
an den Fusssohlenmuskeln zu führen. Zu dieser letzteren Auffassung 
wird man durch den Nachweis geführt, dass die Sohmerzen beim Platt¬ 
fass gleichfalls in einer nicht geringen Anzahl der Fälle auf entzünd¬ 
liche Veränderungen der Plantarnerven zurüokzuführen sind. Man findet 
bei solchen Kranken quantitative und qualitative elektrische Veränderung 
an den Fusssohlenmuskeln, bzw. an einem Teil derselben, welche darauf 
hinweisen, dass früher überstandene Sohmerzattaken ihre Ursache in 
einer Neuritis plantaris gehabt haben. 

G. Bikeles: Bemerkung zum toaisehea Patellarsehieareflex hei 
Chorea uiaor. (Neur. Zbl., 1918, Nr. 2.) Fall von Chorea minor, bei 
dem sich bei ausgesprochen herabgesetztem Patellarreflex bei Bnklopfen 
der Quadrizepasebne zeitweilig rechts wie links eine tonische, über eine 
Sekunde andauernde komplette Streckung im Kniegelenk zeigt, die auch 
manohmal spontan auftritt und durch passive, uowillkürliohe Bewegungen 
an den unteren Extremitäten produziert werden kann. 

H. Bäcker: Ueber Behaadlaagserfolge bei dea faaktioaellea 
Erkrankungen unserer Soldaten. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 2.) B. wendet 
vornehmlich die Rothmann’sohe Narkosebehandlungsmethode bei den 
funktionellen Erkrankungen an, zeitweilig die Hypnose, kaum die Kauf¬ 
männische Behandlung. Das Ergebnis war in 48 Fällen = 96 pCt. völlige 
oder fast völlige Symptombeseitigung, in 2 Fällen völliger oder fast 
völliger Misserfolg. Irgendwelche Schädigungen wurden nicht beobachtet. 
Von 10 Fällen heilten 8 trotz ausgesprochener mala voluntas. Aus der 
Tatsache, dass trotz häufiger „Hysteriefähigkeit* nur relativ wenige 
Kriegsteilnehmer erkrankten, entnimmt B., dass es sioh um „individuelle 
Reaktionen* auf der Grundlage neuro- bzw. psychopathischer Anlage 
handelt, dass man. es mit einer negativen Auslese in bezug auf die 
nervöse und psychische Widerstandskraft zu tun hat. Die übrigen Aus¬ 
führungen decken sich im ganzen mit den bekannten Anschauungen. 

E. Tobias. 


Chirurgie. 

Hirsch: Die Desinfektion der Hilde mit Thyvelspiritns. (Zbl. 
f. Cbir., 1918, Nr. 3.) Nach kurzer Reinigung der Hände mit Wasser 
und Seife werden sie mit 3proz. Tbymolspiritus für 8 Minuten gewaschen. 
Das Verfahren wird allen Anforderungen der Asepsis gerecht 


Linnartz: Eine unbekannte Art des Catgatspareas. — Böhler: 
Ueber eateatspareade UaterbiadiBgea. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 2.) Die 
von den beiden Verff. angegebenen Methoden müssen im Original naoh- 
gelesen werden, da sie nur durch die dort niedergelegte Technik ver¬ 
ständlich sind. 

Wilms: Das Sekrt’sehe KoapressoriiM als Ersatz bei der 
E8maroh’6ohen Konstriktion. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 3.) Technische 
Mitteilung. 

Kulemkampff: Die Freudktfrper-Exstirpatioa. (Zbl. f. Chir., 
1918, Nr. 8.) Mit Rücksicht auf das nach der Entfernung von Fremd¬ 
körpern wiederholt beobachtete Wiederauf flackern der Infektion empfiehlt 
es sich, bei der Entfernung von Geschossen das Projektil wie einem 
Tumor samt seiner Umgebung, d. h. mit der Narbe geschlossen, zu ex- 
stirpieren. 

Walsberg: Ueber Sehwssverletsnngea des sakkapsalarea Raaaies. 

(Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 1.) Die Schussverletzungen des subkapsularen 
Raumes sind dann besonders gefahrvoll, wenn grössere Gefässe angerissen 
sind, welche gelegentlich zu Nachblutungen führen, denn es gelingt 
zumeist nicht, durch Tamponade die Blutung endgültig zum Stehen zu 
bringen, da der Zugang zu den blutenden Gefässen zum Zwecke der 
Unterbindung sehr schwierig ist. In solohen Fällen kann man sich 
dadurch helfen, dass man die Arteria subcapsularis an ihrem Austritt 
aus der Arteria subclavia unterbindet. 

Borchers: Zur Mobilisieriag der Maskeleadea bei Bildung Sauer- 
bruoh’scher Amputationsstümpfe. (Zbl. f. Chir., 1917, Nr. 52.) Nach¬ 
dem Sauerbruoh seine ursprüngliche Methode der Bildung von Kraft¬ 
wülsten aus der erhaltenen Muskulatur des Stumpfes dahin abgeändert 
hat, dass er nur durch die betreffende Beuger- oder Streckergruppe einen 
Kanal bohrt, der später mit Haut ausgekleidet wird, entstehen mitunter 
Schwierigkeiten in der hei der Nachbehandlung so ausserordentlich wich¬ 
tigen Mobilisierung der Muskeln von den darunterliegenden Knoohen. 
Diese Komplikation tritt vor allem dann ein, wenn die ursprüngliche 
Heilung nach der Amputation durch langdauernde Eiterung, Fistel- oder 
Sequesterbildung verzögert war. Da nun andererseits für den funktio¬ 
nellen Erfolg der Sauerbruch-Methode gerade die volle Gebrauchsfähig¬ 
keit des erhaltenen Muskelrestes von besonderer Bedeutung ist, empfiehlt 
es sich, in diesen Fällen eine Mobilisierung der Muskeln vom Knochen 
vorzunehmen. Das erhaltene Resultat hat B. dadurch gesichert, dass er 
zwischen Muskel und Knochen einen freien Fettlappen eingepflanxt hat, 
weloher neue Verwachsungen verhindert. Das Verfahren verdient für 
die entsprechenden Fälle Beachtung. 

Bähr: Die Fltxloasstellaag der kokea UateraekeakelBtlaipfe. 
(Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 1.) Man findet verhältnismässig häufig noch die 
Amputation des Unterschenkels am Orte der Wahl ausgeführt, duroh die 
ein kurzer Unterschenkelstumpf erzielt wird. Das frühere Verfahren 
hatte nur dann einen Zweck, wenn der Amputierte mit Knielauf auf 
einem Stelzbein geht. Da diese Art der Prothese heute längst verlassen 
ist, sollte auch endlich mit diesem Stumpf aufgeräumt werden. 

Hay ward. 

Kropao-Szatmar-Nemeti: Dilaeeratio ossis froatalii, temporalis 
et orbitae pariet. anter. post vulnus sclopet. Encephalitis gangraenosa. 
Debridement, resectio oerebri, plastica, musculocutanea, Drainage, Hei¬ 
lung. (W.m.W., 1917, Nr. 50.) Den geschilderten guten Erfolg schreibt 
Verf. der ausgiebiegen Drainage und hauptsächlich der Muskelhaut¬ 
lappenplastik zu. Namentlich die Bedeckung grösserer, mit Gehirn¬ 
prolaps verbundener Knoohendefekte hat sich auch bei späteren operierten, 
infektiösen Sohädelverletzungen gut bewährt und kann wärmstens emp¬ 
fohlen werden. Reckzeh. 

Pflaumer: Ueber das lystoskopiscke Bild der BlaseaBehleiabaat 
(Zbl. f. Chir., 1917, Nr. 52.) Bei der Beurteilung von krankhaften Zu¬ 
ständen der Biasensohleimhaut pflegt man allgemein von der Norm aus¬ 
zugeben. Diese ist dahin festgelegt, dass die Schleimhaut weiss, spiegelnd, 
völlig glatt, von mehr oder weniger zahlreichen feinen Gefässverästelungen 
der Arterien durchzogen erscheint. Abgesehen von geringen Unter¬ 
schieden, die sioh durch die Lampenstellung erklären lassen, wird dann 
eine stärkere Rötung in* der Gegend des Trigonums als normal ange- 
sprocben. Demgegenüber hat Pf. die Blase bei verschiedenem Füllungs- 
zustand untersucht und dabei festgestellt, dass die weissgelbliche Farbe 
lediglich eine Folge der durch die erhebliche Füllung bedingten Anämie 
ist. Untersucht man denselben Patienten an verschiedenen Tagen bei 
verschieden gefüllter Blase, so sind die Bilder jedes Mal anders, indem 
mit zunehmender Blasenfüllung die Farbe der Bl äsen sch leimhaut von 
rosarot bis weissgelb wechselt. Hay ward. 

Wilms: Einfache Fixieraag des Katheters in der Harnröhre. 
(Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 3.) Der Katheter wird duroh einen Faden an 
einem Bindenzügel fixiert, der seinerseits in einer Aohtertour um Sorotum 
und Penis geschlungen ist. 

V. Pauchet: Prostatektomie. Systematischer Verschluss der sapra- 
pabischea Waade. (La presse m6d., 1917, Nr. 72, S. 729.) Bei schneller 
Vernarbung der Operationswunde wird der Uebelstand vermieden, dass 
die Kranken monatelang Urin durch die Wunde entleeren. Schliesst 
man die Wunde, so erreicht man nach 20—21 Tagen Vernarbung und 
normale Miktion. Daher schreitet P. zur sekundären Naht, nachdem er 
den Verweilkatheter 12 Tage liegen liess; letzterer wird gleiqhzeitig mit 
dem Nähen gewechselt und nach 9—10 Tagen, gleichzeitig mit Ent¬ 
fernung der Fäden, ganz fortgelassen. In Lokalanästhesie geht man 


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11. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


243 


sohiohtweise präparatorisoh vor. Bei der Naht der Blasenwand wird die 
Schleimhaut nicht mitgefasst Etagennähte mit Catgut. Die Haut wird 
mit Michel’sohen Klammern vereinigt, die Fäden der Muskel* und Unter- 
bautsohioht werden über diese und über längliche Gazestreifen geknüpft. 
Wichtig für die Nachbehandlung ist, keine Prostatareste rurüoksulassen. 

K r a k a u e r - Breslau. 

Franke: Bebandlug der Hydroeele mit Forwilia. (Zbl. f. Chir., 
1918, Nr. 2.) In Fällen, in denen eine Radikaloperation aus irgend* 
welchen Gründen nicht in Frage kommt, hat F. Sproz. Formalinlösungen 
eingespritzt nach vorheriger Anästhesierung mit Novocain. Das Formalin 
lässt man nach einigen Minuten wieder ablaufen. Hayward. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

K. Pändy: Die Leakoplakie des Maades als Zeichen überstandener 
Lues. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 2.) Die Leukoplakie der Mundhöhle ist 
das unzweideutigste, am leichtesten sichtbare und häufigste Zeichen der 
überstandenen Lues. In dem Material von P. haben von 100 männ¬ 
lichen Paralytikern 62, von 40 weiblichen 20 Leukoplakie des Mundes 
gehabt. Bei niohtparalytischen Männern ohne Rücksicht auf Alter und 
Krankheit fand P. in 150 Fällen 69 mal, bei 100 weibliohen Fällen 
28 mal Leukoplakie. Er untersuchte auch die Pupillen in allen Fällen 
und gibt zum Schluss einige kasuistische Beiträge. E. Tobias. 

Seidl-Wien: Ueber extragenitale Syphlisinfektioiei zur Kriegs¬ 
zeit. (W.m.W. Nr. 50.) Eine ernste Beachtung unter den extragenitalen 
Primäraffekten verdienen die Tonsillarsklerosen; inwieweit der physio¬ 
logische Schluck- und Saugakt bei der Infektion beteiligt ist und die 
natürliche Prädisposition der Tonsille als primärer Sitz sehr zahlreicher 
Infektionskrankheiten eine Rolle spielt, sind Dinge, die noch einer 
näheren Aufklärung bedürfen. Reckzeh. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Hans Guggisberg-Bern: Ueber Maternit&tstetaaie. (Korr.Bl. 
f. Schweiz. Aerzte, Nr. 50.) Vortrag, gehalten auf dem schweizerischen 
Gynäkologentag in Basel. 

Walther-Giessen: Zur Kasaistik der Gebartsstffraagea darek 
Aaonaliea der weichen Gebnrtswege. (Ther. d. Gegen w.* Jan. 1918.) 
Verf. beschreibt einen Fall, er betraf eine 28 jährige llpara, bei welcher 
der untere Eipol durch starke, strangförmige Adhäsionen mit der Um¬ 
gebung des Carvicalkanals fest verwachsen war. Nach digitaler Lösung 
der derben Membran und nach Sprengung der Blase erfolgte die Geburt 
spontan. R. Fabian. 


Augenheilkunde. 

Lindn er: Zur Diagnose des frischen Trachoms. W.m.W., 1918, Nr. 1. 
Die Bindehaut des oberen Tarsus darf diagnostisch als der wichtigere 
Teil gelten. Sie zeigt dieselben Veränderungen wie die Bindehaut des 
unteren Tarsus, nur in ausgeprägterer Form. Die papilläre Hypertrophie 
ist deutlicher ausgesprochen als am Unterlid. Naoh Abtupfen der 
Tränenfiüssigkeit sieht die Bindehaut meist diffus rot und rauh aus. 
Im Gegensatz zu der gleicbinässig griesartigen Hypertrophie, wie sie bei 
anderen Bindehauterkrankungen beobachtet wird, sind hier die hyper¬ 
trophischen Exkreszenzen sehr fein und unregelmässig. Von manchen 
Formen der Mollikulosis kaum zu trennen sind chronische Traohome, 
wo einzelne grössere Körnerbildungen in der Bindehaut als Reste der 
Erkrankung zurückgeblieben sind. Reokzeh. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Yereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 20. Februar 1918. 

Ordentliohe Generalversammlung der Berliner medizinischen 
Gesellschaft. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Genzmer. 

Vorsitzender: Ich habe zunächst von zwei Schreiben Kenntnis 
zu geben, die von dem Medizinalamt der Stadt Berlin gekommen sind. 
In einem Schreiben wird der Dank dafür ausgesprochen, dass auoh in 
diesem Winter wieder volkstümliche Vorträge hier im Hause für die 
Stadt Berlin gehalten worden sind, und in einem zweiten Schreiben, 
das eigentlich die Verwaltung des Langenbeck-Virchow- Hauses angeht, 
wird für die Ueberlassung dieses Raumes zur Belehrung von Kranken¬ 
wärtern gedankt. 

Dann habe ich weiter mitzuteilen, dass Herr Dr. Ernst Rosenberg, 
Mitglied seit 1908, ohne Angabe eines Grundes ausgeschieden ist 

Für die Bibliothek ging ein: von Herrn Heymann: Tissot: 
Aviso a los literatos, y a las personas de vida sedentaria, sobre su salud. 
Zaragoza 1771. 


Vorsitzender: Ich stelle zunächst fest, dass naoh den Vorschriften 
unseres Statuts die Generalversammlung richtig eingeladen worden ist. 
Die Versammlung ist also regelrecht konstituiert. Ich habe weiter mit¬ 
zuteilen, dass gemäss dem § 28 der Vorstand im Laufe des Januars 
dem Ausschüsse einen Geschäftsbericht über das abgelaufene Geschäfts¬ 
jahr erstattet und über die Verwaltung Rechnung abgelegt hat. Naoh 
einem mir hier vorliegenden Schreiben des Herrn Fürbringer haben 
die Herren Fürbringer und- Borohardt die Kasse revidiert, die Bücher 
geprüft und dem Vorstande Entlastung erteilt, vorbehaltlich der Geneh¬ 
migung der Generalversammlung, um die ich Sie nachher bitten werde, 
wenn Sie die Berichte gehört haben. 

Tagesordnung. 

Geschäftsbericht des Vorstandes. 

Hr. J. Israel: Es wurden 54 Vorträge gehalten und 86 Vorstellungen 
von Kranken und Demonstrationen von Präparaten vor der Tagesord¬ 
nung veranstaltet. Davon entfällt ein Vortrag auf die Berliner uro- 
logische Gesellschaft Aussprachen fanden 86 mal statt. 

Der Vorstand hielt 3 Sitzungen ab; davon 1 in Verbindung mit 
dem Ausschuss. — Die Aufnahmekommission nahm in 3 Sitzungen 
18 Mitglieder auf. 

Von wichtigen Begebenheiten sind zu .erwähnen, dass an Se. Majestät 
den Kaiser gelegentlich der kraftvollen Abweisung unserer Feinde im 
Namen der Gesellschaft eine Dankeingabe übersandt wurde. 

Im Namen der Gesellsobat beglückwünschte der Vorstand zum 
50 jährigen Jubiläum als Lehrer an der Tierärztlichen Hochschule 
Herrn Schütz, zum 50 jährigen Doktorjubiläum Herrn Selb erg, 
das Ehrenmitglied den Vorsitzenden unserer Gesellschaft, Herrn J. Orth, 
den stellvertretenden Vorsitzenden Herrn L. Henius, sowie die Mit¬ 
glieder Herren: J. Lazarus und A. Martin zum 70. Geburtstag. 

Dem Vertrage mit dem Magistrat der Stadt Berlin entsprechend, 
wurden drei volkstümliche Vorträge gehalten, nämlich von Herrn Orth 
über Bekämpfung der Tuberkulose, von Herrn Blasohko über Bekämp¬ 
fung der Geschlechtskrankheiten, von Herrn Blumenthal über den 
Krebs und seine Bekämpfung. 

Zufolge eines Antrages der Herren Hans Berliner, H. Schilling 
und W. Schütz wurde beschlossen, den Beginn der Sitzungen wieder 
auf 7'/z statt 8 Uhr zu verlegen. 

Durch den Tod verlor die Gesellschaft das Mitglied des Ausschusses 
und der Abnahmekommission, Herrn D. Munter. 

Duroh den Feldzug erlitt unsere Gesellschaft, soweit dies mitgeteilt 
wurde, 4 Verluste; es sind dies die Herren: Viktor Cohn, Fromme, 
Artur Pappenheim und Wunsch. 

Die Mitgliederzahl verhielt sich folgendermaassen: 

Die Gesellschaft zählte am Schlüsse des Jahres 

1916 .. 1725 Mitglieder 

Sie verlor: 

a) durch den Tod: das Mitglied des Aus¬ 
schusses und der Aufnahme Kommission 
Herrn D. Munter, die Mitglieder: Herren 
Geh. San.-Rat E. Arendt, Geh. Sam- 
Rat S. H. Belgard, San.-Rat H. Ber¬ 
liner, Viktor Cohn, Carl David¬ 
sohn, Geh. Med.-Rat A. Eulenburg, 

Oberstabsarzt a. D. Geh. San.-Rat 
J. Falkenstein, San.-Rat A. Friede¬ 
berg, Prof. Fromme, M. Horbs? Geh. 

San.-Rat G. Herzfeld, Geb. Med. Rat 
E. Heyl, Geh. San.-Rat H. Hirsch, 

Geh. San.-Rat Joh. Krause, Geh. San.- 
Rat J. Lasch, Geh. San.-Rat Prof. 

J. Lazarus, San.-Rat Paul Meyer I, 

San.-Rat Ch. Miohelet, San.-Rat 
H.Oltendorf, Geh. San.-Rat L.Plotke, 

Gerb. Salomon, Geh. San.-Rat 

G. Sohmidtlein, Geh. San.-Rat 

H. .Settegast, R. Soldan, Geh. San.- 
Rat E. Stern, Geh. San.-Rat W. Wille, 

Max Wunsch, Exz. Wirkl. Geh. Rat 


E. Z u n k e r.29 

b) duroh Verzug naoh ausserhalb ... 16 

o) anderweitig.. . . 3 48 „ 

somit verblieben. 16.77 , 

aufgenommen wurden .... . . 18 „ 

so dass am Sohluss des Jahres die Zahl 1695 Mitglieder 

betrug, und zwar: 

Ehrenmitglieder. 20 

Lebenslängliche Mitglieder ... 5 

Mitglieder. 1670 

Summa: 1695 


loh habe noch zu bemerken, dass die Verhandlungen leider w v egen 
Mangels an Personal und Papier nioht fertiggestellt werden konnten. 

Vorsitzender: loh darf dem Herrn geschäftsführenden Schrift¬ 
führer und den anderen Herren Schriftführern den Dank für ihre Mühe¬ 
waltung seitens der Gesellschaft zum Ausdruck bringen. 


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244 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Bericht über die fiianxiellen Verhältnisse und Entlastung des Vorstandes 

(§ 25 der Statuten). 

Hr. Stadelmann: Unsere Geldverhältnisse im Jahre 1917 haben sich 
folgendermaassen gestaltet: 


Einnahmen. 

L Mitgliedsbeiträge: 

1. Restanten von;19l4, 1915 und 1916 = 598 Bei* 

träge tulOM.M. 5 980,— 

2. 1250 Beiträge vom I. Halbjahr 1917 zu 10 M. n 12 500,— 

3. 1090 „ B IL 1917 a ulOM. w 10 900 — 

Summa M. 29 380,— 

U. Zinsen .....: .' M. 19 427,25 

IlL Verschiedenes: 

1. Zahlung Grosser .... M. 4 000,— 

2. » Hirsohwald ... „ 5 000,— 

3. Einnahmen der Bibliothek 
(Zahlungen der verschied. 

angeschlossenen Vereine) . „ 8 095,— „ 12 095,— 

IV. Zahlung der Stadt Berlin. . . . » 10000,— 

Summa der Einnahmen M. 70 902,— 

Dazu Kassenbestand vom 31. XII. 1916 . . . . „ 14 298,70 

Summa M. 85 200,95 

Ausgaben. 

I. Geschäftsführung.M. 1049,55 1 /* 

IL Stenograph. * 1048,60 

HL Bibliothek. * 3 404,75 

IV. Effektenankäufe. „ 28 835,40 

V. Zahlungen an das Langenbeck-Virchow-Haus . „ 36 500,— 

VI. Gemeinde-Einkommensteuer.. 316,80 

VII. Unkosten der volkstümlichen Vorträge für die 

Stadt Berlin. „ 32,— 

VIH. Unkosten bei der Discontogesellschaft (Porto, 

Spesen, Depotverwaltung usw.) nach Abzug der 
Rontokorrentzinsen.. . »_35.65 


Summa der Ausgaben M. 71222,70V* 
d. h. ohne die Effektenankäufe = 42 387,35 M. 


Bilanz. 

Summe der Einnahmen.M. 85 200,95 

Summe der Ausgaben. . 71 222,75 

Demnach verbleibt ein Kassenbestand für 1918 mit . . M. 13 978,20 


Zu diesen Zahlen hätte ich folgende Ausführungen zu maohen: 

I. Einnahmen. 

1 . Mitgliedsbeiträge. Im Jahre 1916 kamen 31 570 M. ein, im 
Jahre 1917 dagegen 29 380, so dass die Einnahmen aus diesem Titel um 
etva 2000 M. zurückgegangen sind, d. h. es wurden etwa 200 Mit* 
gliedsbeiträge zu 10 M. weniger bezahlt. 

2. Zinsen. Im Jahre 1916 kamen rund 21 580 M. ein, 1917 rund 
19 430, d. h. circa 2000 M. weniger. Das Defizit ist aber nur ein schein¬ 
bares und rührt daher, dass in den Zinsen eine Verschiebung einge¬ 
treten ist, indem 1916 aut Wunsch der Bank unter Gewinn einer 
grösseren Summe 90 000 M. I. Deutsche Reichsschatzanweisungen in die 
gleiche Summe 11. Deutsche Reichsschatzanweisungen umgetauscht wurden. 

3. Verschiedenes. Die Zahlungen von Grosser und Hirsohwald 
blieben die gleichen, ebenso die Bibliothekseinnahmen. Dieser ganze 
Titel brachte 1916 12150 M. und 1917 12 095 M. 

4. Von der Stadt Berlin gingen wiederum 10 000 M. ein. 

II. Ausgaben. 

1. Geschäftsführung 1916 982 M.; 1917 rund 1040 M., d. h. kaum 
ein Unterschied. 

2. Stenograph 1916 M., 807 gegen 1050 M. 1917. 

3. Bibliothek 1916 4040 M. und 1917 3404 M. Es sind die Bücher- 
ansohaffungen während des Krieges naturgemäss nooh weiter gesunken. 
Auch fiel in das Jahr 1916 eine grössere Summe für Anschaffung einer 
Schreibmaschine. Viele ausländische Journale sind lortgefallen, da die 
Bibliothek, wie vorher erwähnt, 3095 M. einnahm, so hat sie nur 3- bis 
4000 M. Zuschuss erfordert. 

4. Es wurden 30 000 M. 5proz. Kriegsanleihe gezeichnet und über¬ 
nommen und dalür rund 28 800 M. ausgegeben. 

5. An das Langenbeck-Virchow-Haus wurden 86 500 M. gezahlt teils 
für Baukosten, teils zu lautenden Ausgaben und Zinszahlungen. Diese 
Ausgabe konnte aus den laufenden Einnahmen geleistet werden, Wert¬ 
papiere brauchten nicht verkauft zu werden, ja trotz dieser bedeutenden 
Zahlungen konnten noch, wie vorher erwähnt, 30 000 M. Kriegsanleihe 
ängeschafft werden. Ueber die Verwendung der an das Langenbeck- 
Virchow Haus gezahlten Summen kann ich keine nähere Auskunft geben, 
Sie werden darüber Genaueres von unserem Geschäftsführer, Herrn 
Landau hören. Ich möchte nur erwähnen, dass meine vorjährige Hoff¬ 
nung eingetroffen ist, dass die Baurechnungen abgeschlossen und be¬ 
zahlt sind, dass also Ausgaben für den Bau nicht mehr zu leisten sind, 
sondern nur nooh Ausgaben für die bauliche Unterhaltung und den 


Diese 
Papiere 
liegen bei 
der Reichs ¬ 
bank. 


Betrieb, so dass von diesem Jahre an die Zahlungen unsererseits an 
das Langenbeok-Virchow-Haus sich wesentlich geringer belaufen werden. 
Ueber die weiteren Titel der Ausgaben ist nichts weiter zu bemerken. 

Zusammenfassend betone ich nur noch, dass trotz der extraordinären 
Ausgaben für den Bau sich im Berichtsjahre unser Vermögen um circa 
30 000 M. erhöht hat, und dass ausserdem ein jederzeit verfügbarer 
Kassenbestand von 18 978,20 M. vorhanden ist. 

Die Gesellschaft besitzt folgende Wertpapiere: 

1 . 6 000 M. 4 proz. Preussische Konsols 

2. 11800 , SV, „ 

3. 7 600 „ 3 V, , 

4. 6 000 „ 4 „ Pfandbriefe der Preuss. Central- 

Boden-Kredit- Aktiengesellschaft 

5. 15 000 » 3 1 /* » Kommunalobligationen der Preuss. 

Central-Boden-Kredit- Aktiengesellschaft 
Bei der Diskonto-Gesellschaft liegen folgende Papiere: 

1. 15 000 M. 4 proz. Preuss. Pfandbriefbank-Komm.-Oblig. 

2 . 20 000 „ 4 „ Central-Boden-Kreditbank-Komm.-Oblig. 

3. 4 000 „ 3V* 9 Münchener Stadtanleihe 

4. 6 000 ^ 3 l /t 9 Mannheimer , 

5. 10 000 „ 3V* 9 Nürnberger „ 

6 . 80 000 , 4 „ Preuss. Pfandbriefbank-Komm-Oblig. 

7. 10 000 9 4 „ Badisohe Anleihe 

8 . 6 000 „ 4 „ Bayerische Staatsanleihe 

9. 10 000 9 4 „ Bremer Staatsanleihe 

10 . 10 000 g 4 „ Deutsche Hypotheken-Bank-Komm.-Oblig. 

11 . 10 000 , 4 „ Preuss. Konsols 

12 . 10 000 ,4 „ Westfälische Provinzial-Anleihe 

13. 10 000 „ 4 „ Preuss. Pfandbnetbank-Komm.-Oblig. 

14. 10 000 „4 „ Neue Berliner Pfandbriefe 

15. 60 000 „ 5 9 I. Deutsche Kriegsanleihe 

16. 150 000 n 5 * IL 9 ReicbsschatzanWeisungen 

17. 20 000 9 5 9 V. 9 Reichskrieg 8 anleihe 

18. 15000 , 5 9 VI. 9 

19. 15 000 * 5 9 VII. 9 


d. h. wir besitzen 260 000 M. 5proz. ReiohskriegsschatzanWeisungen und 
Reichskriegsanleihe. 

Der effektive Wert dieser Papiere wird sioh zurzeit auf circa 
485 000 M. belaufen. 

In diesen Werten sind auch enthalten folgende Schenkungen: 
Heinrich Strassmann (300 M.), Lassar (1000 M.), Littten (1000M.), 
Wiesenthal (1000 M.), Dittmar (5000 M.), He nooh (5000 M.), Mosse 
(100 000 M.) und die zum Erwerb der immerwährenden Mitgliedschaft 
des verstorbenen Geh. San.-Rats Dr. Marcus gestifteten 1000 M. 

Meine Herren! Nachdem der Bau des Langenbeck-Virchow-Hauses 
nunmehr abgeschlossen ist, gereicht es mir zur grossen Freude, fest¬ 
stellen zu können, dass wir die grossen Bau lasten nicht nur, sondern 
auch die schweren Rückschläge des Krieges ohne jede Erschütterung 
unserer finanziellen Kraft ertragen haben, und dass nach menschlichem 
Ermessen auch weiterhin unsere Finanzen in blühendem Zustande bleiben 
werden, besonders wenn, wie es ja zu hoffen ist, der Krieg bald ein 
Ende nimmt und damit wieder normale Verhältnisse auoh bei uns Platz 
greifen. Allerdings haben wir alle Veranlassung, wie bisher, in spar¬ 
samer Weise weiter zu wirtschaften und alle unnötigen Ausgaben zu 
vermeiden. Der Bau unseres Hauses ist fertig gestellt, nun gilt es, 
Kapitalien zu sammeln, um die grossen Summen, mit weichen das Haus 
belastet ist, abzutragen, damit wir mit unserem Sohwesterverein zu¬ 
sammen möglichst bald im schuldenfreien Besitze unseres Hauses sind. 
Wir dürfen nicht vergessen, dass 1 Million und 100 000 M. Schulden 
auf unserem Hause lasten, die nicht nur, wenigstens zum bei weitem 
grössten Teile verzinnst, sondern auch amortisiert werden müssen. 

Am 29. d. M. haben Herr Borchardt und ich in der Wohnung 
des Herrn Schatzmeisters die Revision vorgenommen. Es wurden die 
Einnahmen, Ausgaben, der Bestand, die Abrechnungen der Diskonto- 
Gesellschaft und die Depotscheine geprüft. Da wir alles richtig be¬ 
funden haben, erteilt der Ausschuss gemäss § 23 des Statuts dem Vor¬ 
stände die Entlastung vorbehaltlich der Genehmigung der General¬ 
versammlung. 

Berlin, den 30. Januar 1918. Fürbringer. 


Vorsitzender: Sie werden sioh mit dem Vorstande darüber freuen, 
dass die finanzielle Lage trotz der Kriegsverhältnisse so gut ist und 
werden mit mir dem Herrn Sohatzmeister für seine Bemühungen den 
besten Dank aussprechen. 


Bericht des Geschäftsführers für das Lasgeibeek-Virchow-Haas. 

Hr. L. Laidau: Zum dritten Mal nach der am 1. August 1915 
erfolgten Eröffnung des Langenbeck-Virchow-Hauses ist es mir, dem vom 
Vorsitzenden unserer Gesellschaft bestellten Geschäftsführer des Langen- 
beck-Virohow-Hauses, gestattet, über die Tätigkeit der Bau- und Ver- 
waltungskommission im vergangenen Jahr zu beriohten. 

Die Bau- und VerwaltuDgskommission tagte im Jahre 1917 viermaL 
Die Geschäftsführer selbst kamen durchschnittlich monatlich einmal zur 
Regelung der Angelegenheiten zusammen. 

Der Betrieb des Langenbeck-Virchow-Hauses war im ganzen Jahre 
ein regelmässiger, die mit der Berliner medizinischen Gesellschaft ver- 


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11. Mär* 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


245 


einigten ärztlichen Gesellschaften tagten mit Ausnahme der Ferien fast 
alle Woche einmal. 

Gemäss der Vereinbarung zwischen dem Magistrat der Stadt Berlin 
und der Berliner medizinischen Gesellschaft wurde der grosse Saal drei¬ 
mal zu volkstümlichen Vorträgen benutzt, und zwar hielten Vorträge die 
Herren J. Orth: Die Bekämpfung der Tuberkulose. — Blasohko: 
Neue Wege zur Bekämpfung der Gesohleohtskrankheiten. — Blumenthal: 
Ueber Krebskrankheiten. 

Ausserdem war der grosse und kleine Saal an einigen Abenden an 
andere Gesellschaften vermietet. 

Infolge der Kriegsverhältnisse konnten die Räume während der 
grossen Kälte nicht so ausreichend geheizt werden wie in den Vorjahren, 
stehen uns doch nur 50 pCt. des vorjährigen Verbrauchs an Heizmaterialien 
zur Verfügung; auoh sind nach behördlicher Vorschrift 20pCt. des vor¬ 
jährigen elektrischen Liohtverbrauchs zu ersparen. Duroh diese Be¬ 
stimmungen sind wir veranlasst, den Lesesaal schon um sieben Uhr statt 
am neun Uhr zu schliessen. 

Dieses Jahr bildet insofern einen Absohnitt in der Geschichte des 
Hauses, als- die Prüfung der Baureohnungen, welche infolge der Ungunst 
der Kriegs Verhältnisse und des Umfanges des zu bearbeitenden Materials 
etwa 27z Jahre in Anspruch nahm, am Schluss des vergangenen Jahres 
beendigt und infolge der Schlussabrechnung alle Ausgaben für Grund¬ 
stück und Bau geleistet wurden. Nach der Abrechnung ergab sich, wie 
der Bericht des prüfenden Architekten zeigt, dass wir den Voranschlag 
trotz der Kriegsverhältnisse nicht überschritten haben, obgleich eine 
Reihe von der Baukommission im Voranschlag nicht vorhergesehenen 
Förderungen an dem Innenausbau erhoben und erfüllt worden sind. 

Der Betrag für den Bau und die innere Architektur beträgt 
1009 951,78 Mk., rechnen wir hinzu die Grundstüokskosten mit 
620400,00 Mk. Zinsverluste, Abrechnungshonorur usw. 59700,23 Mk., 
so beträgt die Gesamtsumme 1690052,01 Mk. 

Verschuldet ist das Grundstück durch Belastung mit einer Hypothek 
von Seiten der Stadt Berlin von 1000000 Mk., für welche wir nur 
4 pCt. Zinsen an^die Stadt Berlin zu zahlen haben, und mit 100000 Mk. 
von Herrn Aber, welche von ihm auf 30 Jahre der Gesellschaft zinslos 
geliehen sind. 

Die detaillierten Angaben über die Ausgaben sind in dem Bericht 
des prüfenden Architekten enthalten, welcher meinem Bericht beigegeben 
werden soll. Die Bau- und Verwaltungskommission hat es nioht unter¬ 
lassen, nach Prüfung der Baurechnungen dem Baumeister Herrn Dernburg, 
der bereits seit August 1914 ununterbrochen und gegenwärtig als Haupt- 
mann in der Front steht, den wärmsten Dank für sein gelungenes Werk 
abzustatten, ebenso Herrn Architekten Wähn eit, der unverdrossen in 
Abwesenheit Dernburg’s den Bau in seinem Sinne und nach seinen 
Anordnungen geleitet und sich durch sorgfältige Prüfung der Baurechnungen 
ein grosses Verdienst um die Gesellschaft erworben hat. 

Die Verwaltungsausgaben im vergangenen Jahre, welche gleichfalls 
im einzelnen dem Bericht anliegen, betrugen 83806,65 Mk., denen als 
Einnahme 34,715,96 Mk. gegenüben stehen, so dass sie im ganzen rund 
50000 Mk. betragen. An dieser Ausgabe ist wie sonst bei allen Ein¬ 
nahmen und Ausgaben unsere Gesellschaft mit der Hälfte, also 25000 Mk., 
beteiligt 

Duroh eine Reihe glücklicher Umstände ist es den beiden grössten 
mecljzinischen Gesellschaften Deutschlands, der Berliner medizinischen 
Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, gelangen, ein 
Werk zu schaffen, welches nicht bloss zwei ihrer grossen Vorsitzenden 
Langenbeok und Virohow verewigt, sondern den deutschen Aersten 
und den Berliner medizinischen Gesellschaften ein hervorragend künst¬ 
lerisches, dauerndes, eigenes Heim für ihre Wirksamkeit geschaffen hat. 

Diese glücklichen Umstände waren die Hergabe der Hypothek von 
seiten der Stadt Berlin, der Beginn des Baues nooh vor Ausbruch des 
Krieges, die Fortsetzung und Beendigung des Baues unter den schwierigsten 
Verhältnissen während des ersten Kriegsjahres, die Vermietung der 
Vorderräume an grosse Firmen schon vor Beginn des Baues, so dass die 
Rentabilität gesiohert war. Ohne alle diese zusammenwirkenden Momente 
wäre die Errichtung dieses Baues unmöglich gewesen. Auoh der Still¬ 
stand des Baues zu Kriegsbeginn hatte die Vollendung des Baues in 
absehbarer Zeit unmöglich gemacht, da die hierfür jetzt erforderlichen 
Kosten schon das Zweieinhalbfaohe der vor dem Kriege erforderlichen 
Steuern überschreiten müssten. 

Aber die Zukunft des Hauses, die Sicherheit des Betriebes ist in 
finanzieller Beziehung nur dann gesichert, wenn auf. das Sparsamste ge- 
wirtschaftet, wird und wenn wir rechtzeitig darauf Bedacht nehmen, 
unsere Schuld von 1 Million zu tilgen und im Bereiche der Verwaltung 
sparsam wirtschaften. Daran zu erinnern halte ich in jedem Bericht 
für meine Pflicht. 

Die Unterlagen sind duroh regelmässige halbjährlich erfolgte Revisionen 
von der Firma Arthur und Herbert 0. Schmidt nach den Kosten- 
und Bankauszügen geprüft und in Ordnung befunden worden. 

Die Geschäftsführer Landau und Köhler haben der Bau- und 
Verwaltungskommission den Bericht am 29. I. d. J. vorgelegt, und die 
Bau- und Verwaltungskommission hat den Geschäftsführern Entlastung 
erteilt. 

Unter Zugrundelegung des Etats 1917, welcher der folgenden Auf¬ 
stellung über die Einnahmen und Ausgaben für das Langenbeok-Virohow- 
Haus für das Jahr 1917 als Anstalt beigefügt ist, stellen sich diese 
wie folgt: 


Etat 1917 Einnahmen 1917 
I. Mieten: Siemes £ Halske M. 25 000,— M. 25 000,— 


, Ciba . . . . B 

7 500,— „ 

7 500,- M. 

32 500,— 

I. Saalmieten.. 

2 500,— 

n 

770 — 

IIL Miete f. Projektionsapparat . 



50,— 

I?. Zinsen. 

. 


429,65 

IV. Verschiedenes: 




Gastgebühren (Bibliothek) M. 

100,— M. 

154,48 


Krankenk., Invalid. u.An- 




gestellten-Versicherung M. 

840,— M. 

382,26 


Anderes. 

• • • > 

429.57 M. 

966 31 


in 

Summa: M. 

34 715,96 

Etat 1917. Ausgaben 1917 

I. Zinsen.M. 

40 000,— M. 

40 313.50 


Inventar.. 

743,- „ 

1 291,55 


Heizung.* 

9 600— „ 

9 610,47 


Beleuchtung . . . . , 

2 700,— „ 

1 704 94 


Aufzüge inkl. Reparatur „ 

1000,— * 

1 047.63 M. 

53 968,09 

II. Grundsteuer für ein Jahr „ 

4 650,— M. 

3 487.50 



für 

8 /i Jahr 


Wasser. . 

370,— M. 

358,— 


Kanalisation . . . . „ 

1436,— . 

1 518.95 M. 

5 364,45 

III. Feuerversich.(Städt.Soz.) „ 

700,— M. 

542 52 


Mobilienversicherung . „ 

245,- „ 

294,20 


Wasserschadenversichg.. „ 

123- „ 

198 — 


Haftpflichtversicherung . „ 

152,- „ 

216,03 


Krankenkasse, Invalid.- 




u. Angest.-Ver8ichg. . 

1200,- * 

1 180 77 M. 

2 381,52 

IV. Gehälter.. 

13 500,— M. 

13 040,— 


Kriegszulage . . . . r 

1 240.- „ 

1 960,— 


Kriegsunterstützung . . „ 

960— * 

960 — M. 

15 960,— 

V. Fernspreoher . . . . „ 

800 — 

M. 

727,03 

VI. Fensterputzer . . . . „ 

1 020,- „ 

1 070,— 


Materialien z. Reinigung „ 

335,- ff 

281,79 


Löhne für Reinemaobefr. „ 

2 184,- „ 

2 297,— 


Waschgelder . . . . „ 

108- „ 

68,34 


Müll- u. Schlaokenabfuhr „ 

147,- „ 

198 25 M. 

3,915,38 

VII. Reparaturen .... 


M. 

758 85 

VIII. Bureaubedürfnisse . . „ 

250,— M. 

155.91 M. 

155,91 

IX. Verschiedenes . . . . „ 

1 537,— 

M 

522.86 


in Summa: M. 83 754.02 


Sa. der Ausgaben: M. ß3 754,09 
„ a Einnahmen: M. 34 715 96 
abgerundet: M. 50 OoO,— 

wovon auf jede Gesellschaft ... M. 25 000,— kommen. 

Für Grundstück wurde verausgabt.M. 33 559,60 

Im Anschluss an meinen Bericht folgt eine Erläuterung über den 
Bau des Hauses seitens des Bauführers, Architekt Herrn Wähn eit. 

An Vermögenswerten besitzt die Langenbeok-Virchow-Haus-Gesellschaft: 
die Erwerbskosten laut Voranschlag (siehe Bericht des Herrn Direktors 

A. Schmidt vom 23. X. 1913).M. 620 000,— 

Bis jetzt verauslagte Bau- und Einriohtungskosten laut 
Aufstellung vom 81. XII. 1916 . . M. 653 451.71 

in 1917 Grundstück., 38 795,60 

„ „ Hauseinrichtung .... „ 1 *356 95 

M. 693 604 26 

Zinseneinnahmen. . . . M. 434 65 M. 693 169,61 

Bankguthaben laut Rechnungsauszug. M. 2104Ü,iO 
Kassenbestand in Händen des Herrn 
Melzer laut Aufstellung vom 31. XII. 

1916.M. 192,37 

Kasseneinnahmen in 1917 M. 20 537 61 
M. 20 729,98 

Kassenausgaben in 191 7 M 20 808,41 

Herrn Melzer noch zurüokzuerstatte n M. 78 43 M. 20 961,67 

Zuschuss zur Verwaltungsreohnung 

in 1915.M. 40 511.97 

„ 1916 . . . ..M. 44 785,72 

„ 1917. M. 48 454 73 M. 138 752,42 

Nach dem Voranschlag nooh ungefähr zu bucüen . . M. 393 819 02 

M. 1 861 702,72 

Die Sohulden betragen: 

Hypothek der Stadt Berlin.M. 1000 000,— 

Deutsche Gesellschaft für Chirurgie 
in 1915 . . . . M. 827 351,36 

* 1916 . . . . * 67 000,— 

„ 1917 .... „ 36 500,— M. 480851,36 

Berliner medizinische Gesellschaft 
in 1915 .... M. 327 351,86 

„ 1916 . . . . » 67 000,— 

„ 1917 . . . . „ 86 500— M. 430 851.86 M. 861 702.72 

M. 1861702,72 


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246 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


An Betriebseinnahmen und Ausgaben des Hauses ?om 1. Januar 1917 


bis 81. Dezember 1917 sind vorhanden: 

An Soll 

Zinsen.M. 40 818.50 

Beleuchtung, Heizung u. a. . * 18 145,51 

Hausverwaltung.»28 222.68 

Ausbesserungen.* 715.50 

M. 82 897,14 

Demgegenüber steht ein Haben an 

Vereinnahmte Mieten . . . M. 38 378,— 
Verschiedene Einnahmen . . „ 564,41 

Zusohuss.» 48 454 78 

M. 82 397,14 

Hinzu kommen die Ausgaben 

für Hauseinriohtungen . . M. 1 856.95 
M. 83 754,09 


Vorsitzender: loh darf wohl in Ihrem Sinne auch Herrn Landau, 
dem Geschäftsführer der Gesellschaft für das Lan gen beok-Virchow-Haus 
für seine ununterbrochene Tätigkeit den Dank aussprecben. 

loh habe sohon vorher gesagt, dass der Ausschuss für die Geschäfts¬ 
führung des Vorstandes Entlastung erteilt hat, vorbehaltlich der Ge¬ 
nehmigung duroh die Generalversammlung, loh frage, ob die General¬ 
versammlung diese Genehmigung erteilt. Wenn kein Widerspruoh erfolgt, 
darf ioh annehmen, dass die Genehmigung erteilt ist. (Widerspruch 
erfolgt nicht.) 

Bericht über die Baukosten-AbrechBUg.*) 

Hr. Wlknelt (Architekt): Bei den Bauten, welche in der Kriegszeit 
errichtet wurden, hat die fiaanzielle Seite des Unternehmens eine Be¬ 
deutung gewonnen, welche weit über das übliche Maass dessen hinaus¬ 
geht, was sohon in Friedensseiten für die Rentabilität eines Bauwerks 
gefordert werden muss. 

Der ersten im Jahre 1907 gewählten Bankommission für ein Rudolf- 
Virchow Haus (Vorsitzender Herr Geheimrat Landau) gebührt das Ver¬ 
dienst, das Unternehmen von vornherein auf eine gesunde finanzielle 
Grundlage gestellt zu haben. 

Die glänzende Lösung der ganzen Finansierungsfrage, die sohon an 
anderen Orten erwähnt wurde, war die Vorbedingung für die In¬ 
angriffnahme, Fortführung und Vollendung des ganzen Werkes auch 
während der Kriegszeit. 

Die Innehaltung der festgesetzten Bausumme aber war die Sorge 
des Baumeisters. 

Mit den gegebenen Mitteln und ohne grosse Uebersohreitungen das 
Werk in festumgrenzten Linien und in gewolltem Umfange vollständig 
zu erstellen: „Diese Aufgabe wird der Bauleiter nie aus dem Auge lassen.* 

Wachsen sich nun aber wie bei Errichtung dieses Hauses und 
während der Ausführung einzelne Teile des Bauprogramms weiter aus, 
vergrössern sich die Wünsche für die reiohere Ausstattung bevorzugter 
Teile des Baues, und haben Baukommission und Bauleiter überhaupt das 
Ziel, ein so hervorragendes Bauwerk nun auch bis ins Kleinste würdig 
zu gestalten, so ergibt sioh zumeist der Konflikt: „Ueberschreitung der 
Bausumme oder entwürdigende Beschränkung.* Beides ist beim Bau 
dieses Hauses durch gute Disposition und Ausnutzung aller wirt¬ 
schaftlichen Möglichkeiten zugleioh mit steter Beachtung der ästhetischen 
Werke vermieden worden. 

Es gereicht mir zur besonderen Genugtuung, dass ich auoh beim 
Abschluss der Baukosten-Abrecbnung, wie s. Zt. bei der Uebergabe des 
Hauses, ein erfreuliches Bild entrollen kann. 

Trotz Erfüllung aller Wünsche inbezug auf die würdige Gestaltung, 
trotz bedeutender Erweiterung des Bauprogramms durch den Ausbau von 
Keller und drei Etagen für die im Laufe des Baues vermieteten Räume, 
welche in der ursprünglicheu Bausumme nicht enthalten waren, und 
vor allen Dingen, trotz der enormen Steigerung aller Löhne und Bau¬ 
materialien duroh die Kriegsteuerungszuschläge bleibt die Bau¬ 
schlusssumme im Rahmen des Voranschlages, einzig undallein 
vermehrt duroh die Kosten, welche ausdrücklich von der Kommission für 
reichere Ausstattung und Ausbau der Etagen genehmigt worden sind. 

Hierbei mag erwähnt werden, dass die eingereichten Baurechnungen 
zunächst eine bedeutende Ueberschreitung aufwiesen. In zweijähriger 
Tätigkeit ist es mir, dem als bauleitenden Architekt auch die Prüfung 
der Baukosten oblag, jedoch gelungen, durch eingehendste Revision Ab¬ 
striche in Höhe von etwa Mk. 45000,— zu erzielen! Duroh diesen Er¬ 
folg wurde es ermöglicht, den ursprünglich festgelegten Finanzplan trotz 
aller Erweiterungen aufrecht zu erhalten. 

loh lasse nun die Zahlen selbst folgen. 

I. Kostenvoransohlag. 

Es waren zugrunde gelegt: 

Die Bauarbeiten mit.M. 750000,— 

Die Innenausstattung mit.. 140000,— 

hierzu Arohitektenhonorar. „ 45 OOP — M. 985000,— 

Hierzu kamen die Kosten für Aasbau 
der Etagen 

Siemens & Halske mit aus. rund . . „ 25000,—' 

1) Die Abrechnung über den Bau findet sioh ausführlich in 
den Verhandlungen. 


Uebertrag 

Oiba n. Etage, Keller u. Tierstall mit 

aus. rund. 

An besserer Ausstattung wurden von 
der Baukommission ausdrücklich bewilligt: 

Wersteinputz der Halle. 

Forderungen der Bibliothekare für das 
Einbauen der alten Bibliotheksohränke 
einsohl. Abnahme und Ueberführung 
Ausstattung des kleinen Vorstanda- 

zimmers in Birkenholz. 

Zusohuss zur Holztäfelung des grossen 
Hörsaales anstelle der Stuokierung . 
Deckenmalerei nnd antiker Bilderfries 

im grossen Saal. 

Sohleiflack-Ausführung und Vergoldung 

der Saaltäfelung. 

Ueberführung und Einbau des Virohow- 

Sohrankes . 

Vereinheitlichung des Bildersohmuoks 
im grossen Saal duroh Goldrahmungen 
4 scballdiohte Telephonzellen . . . 
Wandfliesenbekleidung für alle Heiz¬ 
körper flächen . 

Besondere Entlüftungsvorriobtung f. die 

Wandelhallen. 

Heizkörperteilungen u. Verbesserungen 
Schattenvorhänge des Glasdaches . . 

4 Strassenlaternen. 

Verbot der freitragenden Treppen durch 
die Baupolizei, Mehrkosten . . . 
Gesamtsumme des Voranschlages . . 


M.* 55 000,— M. 985 000,— 

„ 14000,— 

» 4500,- 

» 2000 ,- 

„ 8500,— 

„ 10000 — 

„ 6500,— 

„ 8000,— 

» 500,- 

„ 1000 ,- 

» 950,— 

» 1200 ,- 

» 1400,- 

» 900,- 

» 1075,- 

» 1800, 

„ 4000,— „ 85825,— 

M. 1020825,— 


II. Abrechnung. 


Dieselbe ergibt nach Revision der sämtliohen von den Unternehmern 
eingereichten Unterlagen folgendes Bild: 

L Rohbau einschl. Bücherregale, Heizung, Stück¬ 
arbeiten, Fliesenfussböden u. Wandbekleidung, 

Linoleum, Marmorarbeiteo, Be- u. Entwässerung, 

Aufzüge, Tischler-, Schlosser-, Glaser-, Maler-, 

Töpferarbeiten, Beleuchtung, Normaluhren, Haus- 

. . • ^ n i* If AAA^/lA 4 0 


telephon, Gartenanlagen und Sonstigem . . . M. 820762,18 

n. Architektenhonorar.. 45000,— 

HI. Besondere Innenausstattung, Wandtäfelungen der 

Hörsäle, grosses Vorstandszimmer, Garderoben- 
einrichtung, Beleuchtungskörper, Gestühl, Vor¬ 
hänge und Gardinen, Kinematograph u. Epi¬ 
diaskop . 139548,85 

IV. Diverse kleinere Arbeiten.. 2785,80 

V. Vergütung an Siemens & Halske für Innenausbau 

in eigener Regie. . . . • » 1860.— 

Gesamtausgabe zusammen M. 1009951,78 


Die bewilligte Summe ist also nicht voll in Anspruch genommen 
worden, es sind im Gegenteil rund 11000,— M. erspart, wobei noeji zu 
berücksichtigen ist, dass eine Reihe von Mehrbewilligungen, wie An¬ 
schaffung der Virchowbüste, Veränderung der Büsten an der Front, 
Marmorpostamente in der Halle, Erdgeschoss, nieht in Ansatz ge¬ 
bracht sind. 


Dieser gute Abschluss der Bauabrechnung ist nun gewissermaassen 
die Einfügung des Schlusssteins zum neuen Langenbeck-Virchow*Hause. 

Bei dieser Gelegenheit kann ioh es mir nicht versagen, sämtlicher 
Herren der Baukommission zu gedenken, welche mit weitausschauendem 
Blick und mit feinem Gefühl für die Bedeutung und Erfordernisse dieses 
Werkes auch in künstlerischer Beziehung allezeit den Baugedanken und 
seine Ausgestaltung gefordert haben. 

Hier mag an jene denkwürdige Sitzung vom 15. August 1914 er- . 
innert werden. 


Duroh den Kriegsausbruch war die Bautätigkeit völlig ins Stocken 
geraten. Der Initiative des Vorsitzenden der Bau- und Verwaltungs¬ 
kommission Herrn Gebeimrat Landau ist es besonders zu danken, dass 
trotz aller Schwierigkeiten unter seiner Führung die Frage entschieden 
wurde: „Einstellung der Bauarbeiten bis zum Friedensschluss oder 
Weiterbauen trotz der Kriegsschwierigkeiten* mit absoluter Bestimmtheit 
im Sinne des „Durohhaltens* entschieden. 

Wäre der Beschluss anders ausgefallen, so wären die folgenschwersten 
Komplikationen unausbleiblich eingetreten: Die Fertigstellung des 
Hauses war in Frage gestellt, die Langenbeck-Virohow Haus-Gesellschaft 
ohne Heim, die Mieter hätten bei Nichtinnehaltung der Termine nicht 
einziehen können, die Kontrakte wären verfallen, die Baukosten hätten 
bei späterer Fertigstellung eine ungeheure Erhöhung erfahren, Zinsverlnste 
und Mietsausfälle wären hinzugetreten. 

Alles Umstände, die, schon einzeln genommen, Vermögen und Bestand 
einer Gesellschaft empfindlich angreifen können,die aber in ihrem Zusammen¬ 
wirken zu einer katastrophalen Entwicklung der Dinge geführt hätten. 

Dank der weisen Voraussicht und zielbewussten Leitung, welch ein 
erfreuliches Bild der Entwicklung naoh der anderen Richtung! Rechtzeitige 
Fertigstellung und termingemässe Uebergabe des Hauses, Eingang der 
Mieten lant der seinerzeit unter normalen Verhältnissen vor- 


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11. MArz 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


247 


gesehenen Rentabilitätsberechnung sohon ab 1. April 1915. 
Vermietung auch der zweiten und dritten Etage des Vorderhauses, Ein¬ 
nahmen duroh Vermietung des grossen Horsaales. Vermeiden der grossen 
Kriegsteuerungszusohläge für den Bau. 

Gegenüber vielen Staats- und sonstigen Bauten der Kriegsjahre, die 
unter gleichen Bedingungen begonnen wurden, ist also duroh riohtige Ent¬ 
scheidung und Zusammenwirken aller Beteiligten, einsohliesslich der Bau¬ 
leute, eine für die Kriegszeit glänzend zu nennende wirtschaftliche Lage 
geschaffen, wie sie auch in Friedensseiten nicht glänzender hätte aus- 
fallen können. 

Es sei auch darauf hingewiesen, dass die ausserordentlioh solide und 
kunstgerechte Ausführung der einzelnen Arbeiten im Verein mit der 
praktischen Durchbildung und die Verwendung allerbester Baustoffe 
die Rentabilität des Hauses auf Jahre hinaus sichert und die Erhaltung 
auf ein Minimum an Kosten beschränken wird. 

Man kann getrost behaupten, dass Bauten soloher Art in Jahr¬ 
zehnten weder vom Staat, noch von einzelnen Körperschaften, weder 
was Ausstattung nooh Solidität betrifft, in gleioher Vollendung errichtet 
werden können. 

Möge die glüokliohe Gestaltung auch der finanziellen Seite des 
Unternehmens, die trotz aller Kriegsschwierigkeiten erkämpft wurde, ein 
gutes Omen für die weitere wirtschaftliche und ideelle Entwicklung des 
Hauses bleiben 1 

Bibliothekstarieht 

Hr. Hais Kohlt: Gegenüber den glänzenden Berichten des Herrn 
Schatzmeisters und des Herrn Vertreters in der Verwaltungskommission 
des Langenbeok-Vircbow-Hauses über unsere Finanzlage wird sich mein 
Bericht über das abgelaufene Geschäftsjahr bescheidener ausnehmen. 
Dies um so mehr, als der einzige Glanzpunkt, mit dem ich dienen könnte, 
schon von dem Herrn Schatzmeister vorweggenommen wurde, nämlioh die 
Tatsache, dass die Ausgaben unserer Bibliothek dank den Verträgen 
mit den uns angeschlossenen Gesellschaften von den Einnahmen fast 
vollkommen gedeckt werden konnten. 

Ich will aber nicht versprechen, dass dies auch künftighin so bleibe; 
im Gegenteil ich beabsichtige in Zukunft von der günstigen Finanzlage 
unserer Gesellschaft reoht ausgiebigen Gebrauch zu machen und hoffe, 
dass wir uns bald nicht bloss auf das Halten von Zeitschriften be¬ 
schränken müssen, sondern endlioh daran gehen können, auoh wichtige 
Neuerscheinungen auf dem Büoh er markt anzuschaffen, wenn dieser 
erst nach Eintritt friedlicher Verhältnisse wieder mehr belebt sein wird. 

Im einzelnen habe ich zu berichten: 

Die Benutzung unserer Bücherei war folgende: 

Der Lesesaal wurde besucht 

2 488 mal von Mitgliedern 
1551 „ „ Gästen 

Im ganzen 4 089 mal gegen 4484 mal im Jahre 1916 und 
22 977 mal im letzten Friedensjahr 1915. 

Verliehen wurden an Mitglieder 1016 Bände (gegen 950 im Jahre 1916). 
Es wurden somit 66 Bücher mehr ausgeliehen als im Vorjahr. Angesichts 
der Knappheit von Verpaokungsgegenständen sehe ich von meiner sonstigen 
Gewohnheit ab, die Herren Mitglieder aufzufordern zu ausgiebigster Aus¬ 
nutzung der Gelegenheit, sich die Bücher doch ins Haus schicken zu lassen. 

An Emzelgeschenken erhielten wir im Laufe des Jahres 74 Bücher, 
5 Bände Zeitschriften, 50 Sonderabdrücke und 97 Dissertationen. Sie 
sind sohon im Laufe des Jahres in den Sitzungsprotokollen aufgeführt, 
doch seien die Namen der freundlichen Geber hier nochmals genannt. 

Es sind dies die Herren Eugen Cohn, Fuld, Görges, J. Hirsoh- 
berg, Kastan, A. Lazarus, J. Orth, H. Schlesinger-Wien, 
J. Sohwalbe, H. Strauss, ferner die Berliner klinische Wochen¬ 
schrift und die Bibliothek des Kaiserlichen Gesundheitsamts. 

Regelmässig erhält unsere Bibliothek geschenkweise, wie ioh hier 
nicht unterlassen möohte mit Dank anzuführen, von: 

Herrn F. Blumenthal: Medizinische Klinik. 

„ J. Boas: Archiv für Verdauungskrankheiten. 

„ Brieger: Zentralblatt für die gesamte Therapie. 

„ Franz: Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

„ Graeffner und Herrn Kaminer: Zeitschrift für Balneologie. 

„ A. Grotjahn und Herrn F. Kriegei: Jahresbericht über die 
Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der sozialen 
Hygiene und Demographie. 

„ Heinrich Joachim: Berliner Aerzte*Korrespondenz. 

„ G. Klemperer: Die Therapie der Gegenwart. 

„ R. Lennhoff: Medizinische Reform. 

9 v. Schjerning, Exzellenz: — Veröffentlichungen auf dem Ge¬ 
biete des Sanitätswesens. 

0 Lohnstein: Allgemeine medizinische Zentralzeitung. 

0 George Meyer: Zeitschrift für Samariter- und Rettungswesen. 

0 Petz old: Balneologische Zeitung. 

0 Wolffberg - Breslau: Wochenschrift für Therapie und Hygiene deB 
Auges. 

Ferner von folgenden Verlegern: 

Hirschwald'sehe Buchhandlung: Archiv für klinische Chirurgie. — 
Archiv für Gynäkologie. — Archiv für Laryngologie. — Archiv 
für Psychiatrie. — Berliner klinische Wochenschrift. — Inter¬ 
nationales Zentralblatt für Laryngologie. — Vierteljahrsschrift 
für gerichtliche Medizin. — Zeitschrift für klinisohe Medizin. 


Herrn A. Barth - Leipzig: Zentralblatt für Chirurgie und Zentralblatt 
für innere Medizin. — Journal für Physiologie und Neurologie. 
Herrn J. F. Bergmann-Wiesbaden: Archiv für Augenheilkunde. 
Fischer's medizinische Buchhandlung (H. Kornfeld), Berlin: Berliner 
Klinik. 

Herrn Gustav Fischer-Jena: Korrespondenzblatt des allgemeinen ärztl. 

Vereins von Thüringen. — Zeitsohr. f.d. ärztl. Fortbildungswesen. 

0 Johndorf & Co. - Berlin: Fortschritte der Medizin. 

0 Riohter: Archiv für physikalisoh-diätetische Therapie. 

0 Sohötz: Aerztliche Saohverständigen-Zeitung. — Archiv für 
Rettungswesen und erste ärztliche Hilfe. 

0 Springer: Therapeutische Monatshefte. 

0 Staude: Allgemeine deutsche Hebammenzeitung. 

0 Thieme: Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. 

0 Schmidt u. Herrn Bukofzer: Deutsche zahnärztl. Wochenschrift 

Der Bestand unserer Bibliothek ist folgender: 

I. Fortlaufende Zeitschriften: Wir halten jetzt 222 Zeitschriften, 
von denen 98 abonniert sind, 46 duroh Tausch und 78 durch Ge¬ 

schenke uns zugehen, hierzu kommen nooh 172 Zeitschriften der uns 
angegliederten Gesellschaften, woraus sich ergibt, dass die vereinigten 
Bibliotheken zusammen jetzt über 394 Zeitschriften verfügen. Hierzu 
kommen aber jetzt die im gleichen Lesesaal aufliegenden 56 Zeitschriften 
der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, so dass jetzt rund 450 ver¬ 
schiedene Zeitschriften zur Verfügung stehen. 

n. Fester Bestand: 

a) Zeitschriften-Bände.15192 gegen 15 025 (1916) 

b) Diverse Bücher. 10 249 , 10175 (1916) 

o) Dissertationen (lose) .... 10810 9 10213 (1916) 

d) Sonderabdrücke.8 914 „ 8 864 (1916) 

e) Geheftete Diss. u. Sonderabdrüok e 5 000 

49 665 gegen 49 277 (19l6) 

Hierzu kommen die andern uns an¬ 
geschlossenen Bibliotheken mit 

insgesamt rund. 21 750 Nummern 

und die Bücherei der Deutschen Ge¬ 
sellschaft für Chirurgie mit rund 44 250 „ _ 

Im ganzen also. 115 665 Nummern. 

Der Katalog, über dessen Anlage ich im vorigen Jahr berichtete, 
ist in Arbeit. Einstweilen sind die Bücher und Dissertationen auf¬ 
genommen. Im Laufe des neuen Jahres werden wir voraussichtlich mit 
der Bestandsaufnahme zu Ende kommen. 

Die geschäftsordnungsmässige Revision der Bibliothek wurde von 
den Herren Würzburg und Heymann vorgenommen. Die darüber aus¬ 
gestellte Erklärung übergebe ich hiermit zu Händen des Vorstandes: 

„Die laut § 2 Nr. 1 der Satzungen der Bibliotheksordnung vorzu- 
nebmende Revision der Bibliothek ist am 4. und 5. Februar 1918 von 
den untenstehenden Herren vollzogen worden. Dieselben haben sich 
von dem ordnungsmässigen Zustand der Bibliothek sowie von dem 
Vorhandensein der Bücher und Zeitschriften durch Stichproben überzeugt 
und diesen Revers darüber ausgestellt. 0 

Würzburg (4. II. 1918). P. Hey mann (5. II. 1918). 

Vorsitzender: Auoh dem Herrn Bibliothekar spreohe ich namens 
der Gesellschaft den Dank für seine erfolgreiche Tätigkeit aus. 

Wahl des Voritaades (1 Vorsitzender, 3 Stellvertreter desselben, 
4 Schriftführer, 1 Schatzmeister, 1 Bibliothekar); der Aufnahme¬ 
kommission für 1918 (18 Mitglieder). 

Die Wahl des Vorsitzenden erfolgt satzungsgemäss durch Stimm¬ 
zettel. Abgegeben werden 73 gültige Stimmzettel, davon lauten 71 auf 
Herrn Orth, der somit gewählt ist. 

Vorsitzender: loh danke für das mir bewiesene Vertrauen und 
bin gern bereit, meine Kräfte auoh weiter in den Dienst der Gesellschaft 
zu stellen. 

Duroh Zuruf werden wiedergewählt zu Stellvertretern des Vorsitzenden 
die Herren L. Landau, F. Kraus, L. Henius; zu Schriftführern die 
Herren J. Israel, C. Benda, H. Genzmer, H. Virehow; zum Schatz¬ 
meister Herr E. Stadelmann, zum Bibliothekar Herr H. Kohn; zu 
Mitgliedern der Aufnahmekommission die bisherigen Mitglieder, die 
Herren A. Bier, A. Blasohko, M. Borohardt, P. Fürbringer, 
Th. Goerges, J. Hirsohberg, Th. Landau, M. Mosse, A. Neu¬ 
mann, D. Schwabach, J. Sohwalbe, F. Selberg sen., M. Stadt¬ 
hagen, ILStrauss, F. Umber, G. Werner, Max Wolff,L. Zuntz sen. 

(Schluss folgt.) 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 6. März hielt Herr 
Emmo Schlesinger den angekündigten Vortrag: Ueber einen Fall von 
enteraler tabisoher Krise und Herr Dorendorf seinen Vortrag: Ueber 
Diagnose der latenten Malaria und Salvarsantherapie der Tertiana. 
(Diskussion die Herren Plehn, Zuelser, Wolff-Eisner.) 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


— Düsseldorfer Akademie für praktisohe Medisin. Kursus 
über Erkrankungen des Hersens und der Gefässe mit beson¬ 
derer Berücksichtigung der Kriegserfahrungen, an Sonntag 
Nachmittagen vom 14. IV. bis 7. V1L 1918. 14.1V. Prof. Dr. Mönoke¬ 

berg-Stransburg: 4—6 Ohr: Die normale und pathologische Anatomie 
der spezifischen Muskelsysteme des Herzens. — PI. IV. Oberstabsarzt 
Dr. Haberiing: 4—5 Uhr: Geschichtliches über Herzerkrankungen. — 
21. IV. Prof. Dr. Joh. Müller: 5—6 Unr: Regulation der Blutver¬ 
teilung und Blutzusammensetzung. — 28. IV. Prof. Dr. Joh. Müller: 

4— 5 Ohr: Regulation der Blotverteilung und Blutzusammensetzung. — 
28. IV. Prof. Dr. Dreser: 5—6 Uhr: Pharmaka des Kreislaufs. — 
5. V. Prof. Dr. Dieser: 4—5 Uhr: Pharmaka des Kreislaufs. — 5. V. 
Priv.-Doz. Dr. Fleischhauer: 5—6 Uhr: Röntgenuntersuchungen des 
Herzens. — 12. V. Prof. Dr. von den Yelden: 4—5 Uhr: Klinisoh- 
pbysikalische Diagnostik. — 12. Y. Prof. Dr. von den Yelden: 5 bis 
6 Uhr: Dynamische Diagnostik. — 19. V. 1918. Pfingsten. — 26. V. 
Geh. Med. Rat Prof. Dr. Ho ff mann: 4—6 Uhr: Graphische Diagnostik, 
Elektrocardiogramm, Unregelmässigkeit der Herztätigkeit, funktioneile 
Erkrankungen. — 2. VI. Geh. Med. Rat Prof. Dr. Hoff mann: 4 bis 
5 Uhr: Organische Herzkrankheiten und Herzinsuffizienz. — 2. VI. Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. Hoffmann: 5—6 Uhr: Erkrankungen der Gefässe 
und allgemeine Therapie. — 9. YI. Priv.-Doz. Dr. Fleischhauer: 4 bis 

5 Uhr: Physikalische Therapie. — 9. YI. Prof. Dr. Schlossmann: 

5— 6 Uhr: Ueber Herzkrankheiten und Angioneurosen im Kindesalter. — 
16. YL Prof. Dr. Pankow: 4—5 Uhr: Herz- und Gestationsvorgänge. 

— 16. VL Prof. Dr. Stern: 5—6 Uhr: Haut und Kreislaufstörungen. 

— 28. VI. Prof. Dr. Oertel: 4—5 Uhr: Hals-, Nasen- und Ohren¬ 
krankheiten bei Kreislaufstörungen. — 28. VI. Prof. Dr. Krauss: 5 bis 

6 Uhr: Ueber die Beziehungen der Herzkrankheiten zu den Erkrankungen 
der Sehorgange. — 80. VI. Prof. Dr. Fromme: 4—5 Uhr: Die Be¬ 
deutung bakteriologischer und serologischer Untersuchungen bei Herz¬ 
krankheiten. — 7. VH. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Witzei: 4—6 Uhr: 
Chirurgische Operationen an den Kreislauforganen. 

— Die Niederländische Vereinigung zur Bekämpfung des 
Aussatzes in Utrecht will im April d. J. ihr erstes Aussätzigenheim 
eröffnen. Insgesamt sind der Vereinigung bereits mehr als 100 Aus¬ 
sätzige im Lande bekannt geworden. 

— Für das nächste Rechnungsjahr werden die Reichsmittel zur 
Förderung der Erforschung und Bekämpfung der Tuberkulose 
von 150000 M. auf 200000 M. erhöht. 

— Nach dem Bericht des Kuratoriums für Kriegsentschädigung 
Gross-Berliner Aerzte für das dritte Geschäftsjahr 1917, der vor 
kurzem erschienen ist, sind von 17 eingegangenen Gesuchen von Kollegen 
an 14 Antragsteller insgesamt 8851 M. als Vorschüsse für eine zukünftige 
Entschädigung im Geschäitsjahre gezahlt worden. Das Gesamtvermögen 
beträgt am 1. Januar 1918 rund 900000 M. 

— Die medizinische Fakultät der Universität Freiburg hat den Ersten 
Generalquartiermeister Ludendorff anlässlich der Wiedergewinnung der 
Universität Dorpat zum Ehrendoktor ernannt. 

— Der Oberbefehlshaber in den Marken hat für das Gebiet der Stadt 
Berlin und der Provinz Brandenburg folgende Maassregeln zur Be¬ 
kämpfung der Kurpfuscherei getroffen: 

I. Es ist verboten: 1. Den Personon, die sieb gewerbsmässig mit 
der Behandlung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden an Menschen 
befassen, ohne die entsprechende staatliche Anerkennung (Approbation) 
zu besitzen, ihren Gewerbebetrieb anders als durch Bekanntgabe am 
Wohnhaus, im Adress- oder Fernsprechbuoh anzukündigen. Zahntechniker, 
Bandagisten und Hühneraugenoperateure sowie Personen, die Turn- und 
Gymnastikunterricht erteilen, werden von diesem Verbot nicht betroffen. 
2. Gegenstände, Mittel oder Verfahren, die zur Verhütung der Empfängnis 
oder zur Beseitigung der Schwangerschaft oder von Menstruationsstörungen 
usw. bestimmt sind, öffentlich auszustellen, anzukündigen in der Tages¬ 
presse, in Zeit- und Druckschriften aller Art zu beschreiben sowie im 
Umherziehen solohe Gegenstände usw. anzubieten oder Bestellungen 
darauf zu sammeln. 8. Die unter Ziffer 1—2 bezeichneten Handlungen 
sind auch in jeder irgendwie verschleierten Form verboten. 4. Gestattet 
ist die Ankündigung, Beschreibung und Anpreisung von Arzneien und 
Heilmitteln, Verlahren, Apparaten oder sonstigen Gegenständen, die zur 
Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten, Leiden oder Körper- 
schäden bei Menschen bestimmt sind, in der Tages- und Fachpresse und 
in Zeit- und Druckschriften, sofern das betreffende Mittel nicht in der 
unter Mitwirkung der Oberzensurstelle aufgestellten Liste der allgemein 
verbotenen Heilmittel usw. enthalten ist. 5. Die Aufgeber von Anzeigen 
haben die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass das angezeigte 
Mittel nicht auf der Verbotliste der Oberzensurstelle steht. 6. Für 
Mittel usw. der in Nr. 4 bezeichneten Art, deren Öffentliche Ankündigung 
vor dem Erlass dieser Verfügung noch nicht erfolgt ist, ist die Erlaubnis 
hierzu bei der Oberzensursteile nachzusuchen, und zwar durch die Zensur¬ 
stelle, in deren Bereich der Auftraggeber wohnt. 7. Die Listen der 
Oberzensurstelle sind maassgebend und verbindlich für alle Zensurstellen. 
8. Auf die medizinische und pharmazeutische Fachpresse finden diese 
Bestimmungen keine Anwendung. II. Ferner ist den unter I Z ff er 1 
genannten Personen verboten: 1. Eine Behandlung, die nicht auf Grund 


eigenerWahrnehmungen an dem zu Behandelnden erfolgt (Fernbehandlung), 
2. die Behandlung mittels mystischer Verfahren, 3. die Behandlung von 
gemeingefährlichen Krankheiten (Aussatz, Cholera, Flecktyphus, Gelb¬ 
fieber, Pest und Pocken) sowie von sonstigen übertragbaren Krankheiten, 
4. die Behandlung aller Krankheiten oder Leiden der Geschlechtsorgane, 
von Syphilis, Schanker und Tripper, auch wenn sie an anderen Körper¬ 
stellen als an den Geschlechtsorganen auftreten, sowie jede Behandlung 
von Frauenkrankheiten, insbesondere auch die innere Massage der weib¬ 
lichen Unterleibsorgane, 5. die Behandlung von Krebskrankheiten, 6. 
die Behandlung mittels Hypnose, 7. die Behandlung unter Anwendung 
von Betäubungsmitteln, mit Ausnahme solcher, die nicht über den Ort 
der Anwendung hinauswirken, 8. die Behandlung unter Anwendung von 
Einspritzungen unter die Haut oder in die Blutbahn, soweit es sich nicht 
um eine in Nr. 7 gestattete Anwendung von Betäubungsmitteln bandelt. 
IIL Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen in Ziffer I und H 
werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre, bei Vorliegen mildernder 
Umstände mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 1500 M. bestraft. 
IV. Diese Verordnung tritt mit dem 15. Februar 1918 in Kraft. Mit dem 
gleichen Tage treten die Verordnungen, betreffend die Behandlung 
von Geschlechtskrankheiten durch nicht approbierte Personen, vom 
23. November 1914 (Hb Nr. 8982) und vom 20. März 1915 (Hb 
Nr. 22438) ausser Kraft. 

— Volkskrankheiten. 1 Fleokfieber: Deutsches Reioh 
(17. bis 23. II.) 5, ferner 1 unter Kriegsgefangenen im Reg.-Bez. Königs¬ 
berg. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warsohau 
(27. I—2. II.) 1558 und 140 +. (3.-9. II.) 1418 und 109 +. Ungarn 
(14.—20. I.) 6. Rüokf&llfieber: Deutsches Reioh (17.—28. U.) 
1 unter Kriegsgefangenen im Reg.-Bez. Posen. Kaiserlich Deutsches 
Generalgouvernement Warschau (27. I.—2. II.) 18 und 1 f. 
Genickstarre: Preussen (10.—16. II.) 4 und 8 f. Schweiz (3. bis 
9. II.) 6. Spinale Kinderlähmung: Preussen (10—16. II.) 1. 
Schweiz (8.-9. II.) 1. Ruhr: Preussen (10.—16. II.) 98 und 10 f. 
Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp 
in Brandenburg a.H., Herne; Typhus in Hamm. 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochs ohulnaohriohten. 

Freiburg: Der Privatdozent für Kinderheilkunde Dr. Sohelble 
erhielt den Tietel eines ausserordentlichen Professors. — Halle: Der 
ausserordentliche Professor der Anatomie Dr. Walter Gebhardt, Ab¬ 
teilungsvorsteher des anatomischen Instituts der Universität, ist als 
leitender Arzt eines Feldlazaretts gestorben. — Basel: Der Privat¬ 
dozent für Neurologie Dr. Bing wurde zum ausserordentlichen Professor 
ernannt. — Genf: Die Privatdozentin für physiologische Chemie Fräulein 
Dr. Lina Stern wurde zur ausserordentlichen Professorin ernannt. 


Amtliche Mitteilungen. 

.Personalien« 

Auszeichnungen: Charakter als Geheimer Medizinalrat: Ab- 
teiluogsvorsteber bei dem Institut für Infektionskrankheite. „Robert 
Koch“ in Berlin, Prof. Dr. R. Otto; Kreisärzte, Medizinalräte: Dr. K. 
Richter in Berlin, Dr. L. von Fisoher-Benzon in Flensburg, Dr. 
H. Schaefer in Gumbinnen, Dr. G. Meyer in Hann.-Münden, Dr. 
G. Kaempfe in Karthaus, Dr. A. Hausohild in Breslau, Dr. Fr. 
Barth in Bassum, Dr. G. Hasse in Flatow, Dr. P. Telschow in 
Spandau, Dr. A. Elten in Fieiburg a. E., Dr. W. Sudhoelter in 
Minden, Dr. A. Nickel in Perleberg, Dr. H. Eilers in Schleusingen, 
Dr. E. Wachs in Wittenberg, Dr. R. König in Soldin, Dr. H. Peter¬ 
möller in Meppen; Gorichtsarzt: Dr. K. Roth in Frankfurt a. M. 

Charakter als Medizinalrat: Kreisärzte Dr. A. Boretius in Ryb- 
nik, Dr. E. Engels in Buer i. W., Dr. K. Hagemann in Essen 
(Ruhr), Dr. G. Werner in Frankfurt a. M., Dr. K. Reck mann in 
Geldern, Dr. CL Ocker in Lichterfelde. 

Charakter als Geheimer Sanitätsrat: Sanitätsräte Dr. G. Backen¬ 
köhler, Direktor der Prov.-Heilanstalt in Aplerbeck, Dr. Ph. Bie¬ 
derbeck in Niedermarsberg, Dr. Th. Biel in Bergen auf Rügen, Dr. 
Br. Bode in Thale a. H., Dr. H. Draeck in Wachtendonk, Dr. Joh. 
Elle in Frankfurt a. M., Dr. K. Everke in Bochum, Dr. H. Far¬ 
wick, Oberarzt an der Prov.-Heilanstalt in Münster i. W., Dr. W. Flas¬ 
kamp in Duisburg-Ruhrort, Dr. F. Fränkel und Dr. P. Gast in 
Berlin, Dr. M. Hbrabowski in Wanzleben, Dr. H. Kunz in Wilmers¬ 
dorf, Dr. Ed. Lampö in Frankfurt a. M., Dr. E. Mangold in Lauch¬ 
hammer, Dr. E. Meyer in Bergen i. Hann., Dr. A. Nourney in Mett¬ 
mann, Dr. E. Pohlmann in Meinerzhagen, Dr. A. Proebsting in 
Wiesbaden, Dr. K. Saenger in Neumühlen-Dietrichsdorf, Dr. B. 
Schaefer in Charlottenburg, Dr. B. Schauen, Direktor der Prov.- 
Heilanstalt in Neustadt (Westpr.), Dr. W. Schräder in Quedlinburg, 
Dr. F. Simm in Breslau, Dr. Fr. Staffel in Wiesbaden, Dr. 0. Stein- 
brüok in Quedlinburg* Dr. G. Stille in Stade, Dr. B. Stranz in 
Breslau, Dr. J. Weiler in Charlottenburg. 


Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Hane Koks, Berlin W, Bayrenther Ihr.4t. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 








Dl« B«rl!ne r KllnUch« Woch.nsehrift erscheint jedes 
Montag in Nummern von ca. 8—6 Bogen gr. 4. — 
Preis vierteljährlich 1 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Buchhandlungen und Postanstalten an. 


BERLINER 


Alle Blneendungen {Br die Redaktion und Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hinchwald ln Berlin NW, Unter den Linden 
Nr. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen.- 

Redaktion: Expedition: 

(roh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posoer and Prof Dr. Hans Kohn. August Hirschwald, Verlagsbachhandlnng io Berlin. 


Montag, den 18. März 1918. 


M II. 


Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiialiei: Jacobsthal und Kafka: Eine Methode der Untersuchung 
der Rückenmarksflüssigkeit mit kolloidalen Mastixlösungen. (Ans 
den serologischen Laboratorien des Allgemeioen Krankenhauses 
St. Georg und der Staatsirrenanstalt Friedriohsberg in Hamburg.) 
(Illustr,) S. 249. 

Peltesohn: Ueber Otosklerose. S. 252. 

Halle: Intranasale Tränensaokoperation bei einem Säugling von 
8 l /i Monaten zur Entfernung einer hineingeglittenen Dauersonde. 
Die intranasale Tränensaokoperation und ihre Erfolge. (Illustr.) 
S. 256. 

Wertheim: Ueber militärärztliohe Gehörprüfung. (Aus dem 
Festuogslazarett Breslau, Abteilung Allerheiligen - Hospital.) 
S. 260. 

Port: Ueber dipbtherieähnliohe Bazillen im Auswurf. (Aus der 
inneren Abteilung des Städtisohen Krankenhauses Augsburg.) 
S. 262. 


BlekertaspreckiBge«: Galambos: Kriegsepidemiologische Erfahrungen. 
S. 263. Plotz, Olitzky und B&ehr: Die Aetiologie des Fleck¬ 
fiebers. S. 263. (Ref. Jürgens.) — Stimmei: Kriegsneurosen und 
„psychisches Trauma“. S. 263. (Ref. Birnbaum.) 

Li toraltr-Aiszüge; Physiologie. S. 264. — Pharmakologie. S. 265. — 
Parasitenkunde und Serologie. S. 265. — Cnirurgie. S. 265. — 
Röntgenologie. S. 266. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 266. 
— Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 266. — Augenheilkunde. 
S. 266. — Hygiene und Sauitätswesen. S. 267. — Schiffs- und 
Tropenkrankheiten. S. 267. 

Verkudlugen ärxtlieker Gesellschaft«!: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Roth¬ 
schild: Zur Aetiologie der gegenwärtig weitverbreiteten Enuresis 
und Pollakurie. S. 267. — Verein deutscher Aerzte zu Prag. 
S. 271. 

Tagesgesohiohtl. Notizen. S. 271. — Amtl. Mitteilungen. S. 272. 


Aus •den serologischen Laboratorien des Allgemeinen 
Krankenhauses St. Georg und der Staatsirrenanstalt 
Friedrichsberg in Hamburg. 

Eine Methode der Untersuchung der R&cken- 
marksflüssigkeit mit kolloidalen Mastixlösungen. 

Von 

E. Jacobsthal und V. Kafka. 

Trotzdem die Liquordiagnostik im Laufe der Zeit sich be¬ 
deutend erweitert und verfeinert hat, besteht aus praktischen wie 
theoretischen Gründen das Bedürfnis, weitere Ergänzungen der 
bisherigen Methoden zu finden. Es ist ausserdem wünschens¬ 
wert, komplizierte und unübersehbare sogenannte biologische 
auf einfache physikalisch-chemische Vorgänge zurückzuführen. 
Bedeutungsvoll ist auf diesem Gebiete die Einführung des 
Goldsols in die UntersuchBtechnik der Rückenmarksflüssigkeit 
durch G. Lange gewesen. Die Erfahrungen mit dieser Reaktion 
haben uns wertvolle Aufschlüsse für die Liquordiagnostik ge¬ 
winnen lassen. Wohl alle Nachprüfer haben aber gewisse 
Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei der an sich aus¬ 
gezeichneten Methode festgestellt; insbesondere ist es auch hei 
peinlichster Sorgfalt schwer, eine sicher brauchbare Goldsollüsung 
herzustellen. So kommt es nicht selten vor, dass mehrere gut 
und untereinander gleich aussehende Losungen sich in ihrer 
Empfindlichkeit vollkommen verschieden verhalten. Es war daher 
zu begrüssen, als Emanuel die kolloidale Mastixlösung in die 
Liquordiagnostik ein führte. Unsere Nachprüfungen der Emanuel- 
scben Reaktion zeigten aber bald, dass die von dem erwähnten 
Autor gefundene Technik nnr in manchen Fällen diagnostisch 
Wertvolles leistete, in vielen anderen aber zu Fehldiagnosen 
führen musste. Wir gingen daher daran, den wertvollen Kern 
der Reaktion auszuschälen, mussten aber bald einsehen, dass es 
notwendig war, prinzipielle Aenderungen der Technik vor¬ 
zunehmen. So waren wir genötigt, eigene Wege einzuschlagen, 
nnd als Ergebnis theoretischer Versuchsreihen und praktischer 
Proben an Rückenmarksflüssigkeiten stellte sich folgende Aus- 
führungsweise dar. 


Zur Reaktion wird möglichst blutfreie Rüokenmarksflüssigkeit 
gewählt; einzelne mikroskopisch nachweisbare rote Blutzellen schaden 
nicht, ebenso konnten wir selbst durch bakterielle Verunreinigungen des 
Liquors keine Beeinträchtigung des Resultates bervorgerufen finden; auch 
ältere Flüssigkeiten sind verwendbar. Die Herstellung der Mastix¬ 
stammlösung geschieht genau nach Vorsohritt Emanuel’s: es werden 
10 g Mastix in 100 eom absoluten Alkohols gelöst, wenn nötig mehrere 
Stunden im Sohüttelapparat geschüttelt und 48 Stunden im Eissohrank 
stehen gelassen. Dann wird filtriert und das Filtrat in dunkler Flasche 
bei Zimmertemperatur aufbewahrt. Zur Untersuchung eines Liquors 
wird nun immer eine frische Versuchslösung hergestellt und zwar in 
der Weise, dass man 1 ccm der Stammlösung mit 9 ccm absoluten 
Alkohols mischt. Diese Lösung tragen wir unter Zuhilfenahme der 
Stoppuhr tropfenweise in 40 oom frisch und zweimal destillierten Wassers 
ein, so zwar, dass die Mischung in 50—60'Sekunden vollzogen ist. Wir 
lassen dabei die 10 ocm alkoholischer Mastixlösung aus der Pipette in 
die 40 ccm destillierten Wassers unter leichtem Umschwenken des 
MisohuDgskolbens eiotropfeo. Die so hergestellte Versuohslösung lassen 
wir Vs Stunde bei Zimmertemperatur stehen („Reifungszeit“;. Nach 
Ablauf dieser Zeit wird die Empfindlichkeit der Versuchslösung durch 
den Vorversuch festgestellt; mau beginnt mit 0,lproz. Kochsalzlösung 
und steigt immer um 0,1—1 pOt., ein elftes Röhrchen enthält l 1 /«, ein 
zwölftes lV*proz. Kochsalzlösung und zwar in jedem 1 ccm. Die be¬ 
treffenden Kochsalzlösungen stellen wir aus lOproz. Kochsalzlösung nach 
einem bestimmten Plan her; die lOproz. Kochsalzlösung wird so aoge- 
setzt, dass eine bestimmte Menge Kochsalz abgewogen, dann so lange 
destilliertes Wasser hinzugesetzt wird, bis das bestimmte 10fache Ge¬ 
wicht erreicht ist. Zu jeder Koohsalzverdüonung wird dann 1 ccm der 
Mastixversuohslösung hinzugesetit; dann wird jedes Röhrchen aus dem 
Handgelenk 4mal geschüttelt — wobei es wichtig ist, dass man sich 
gewöhnt, das Schütteln bei allen Untersuchungen gleiohmässig aus¬ 
zuführen —, da sonst ungleiche Resultate entstehen können. Es bilden 
sich nun mit steigender Koohsalzkonzentration wachsende Trübungen und 
Ausfällungen, die schon nach wenigen Minuten deutlich sind. Die Beur¬ 
teilung des Vorversuches geschieht am besten durch Besichtigung gegen 
diffuses Tageslicht; künstliches Licht ist nicht zu empfehlen. Es werden 
nun zwei Grenzkonzentrationen festgesetzt, nämlich das letzte 
Röhrchen, das gegenüber den vorangehenden noch nicht getrübt erscheint, 
so wie das erste, in dem deutliche Ausfüllung aufgetreten ist. Mit diesen 
beiden Kochsalzkonzentrationen wird nun der Hauptversuch angesetzt. 
Beim Hauptversuche werden für jede Konzentration 12 Verdünnungen 
angesetzt. Man füllt in das erste Gläschen 1,5, in die übrigen elf 1,0 der 
betreffenden Koohsalzkonzentration. Die Liquorverdünnungen werden 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


nun so hergestellt, dass man in das erste Röhrchen jeder Reihe 0 5 ccm 
Liquor einpipetiert und nach Mischung 1 ccm in das nächste Gläschen 
überträgt usw. 1 ccm aus dem letzten Röhrchen wird weggegossen. Dann 
kommt in jedes Röhrchen 1 ccm der Mastixversuchslösung; hierauf wird 
in der schon beschriebenen Weise geschüttelt und möglichst ohne weitere 
Erschütterung bei Zimmertemperatur und nicht im Sonnenlichte 
stehen gelassen. Man kann zwar das Resultat schon nach einiger Zeit 
abschätzen, wir empfehlen aber die Ablesung am nächsten Tag (nach 
18—24 Stunden), weil dann das Ergebnis sich nicht mehr verändert. 
Erfahrungsgemäss lässt sich auch nach längerer Zeit (2mal 24 Stunden, 
3 mal 24 Stunden usw.) das Resultat einwandsfrei ablesen. Als Kon¬ 
trollen dienen die betreffenden Röhrchen des Vorversuches, die während 
des ganzen Versuches aufzubewahren sind. Wir benutzen zur Ein¬ 
zeichnung und Ablesung des Ergebnisses ein gedrucktes Schema, das sich 
an das von Lange angegebene anlehnt. Obwohl wir uns bewusst sind, 
dass die Ablesung im 4. Quadranten des Koordinatensystems eigentlich 
unlogisch ist, haben wir dooh daran festgehalten, weil man sich an das 
Kurvenbild der Lange’schen Reaktion gewöhnt hat und wir vergleich¬ 
bare Bilder erhalten wollten. Wir unterscheiden eine Zone der Trübung 
(Abbildung 1) und eine der Ausfüllung. Die Grade der Trübung gehen, 


Abbildung 1. 



wie die Abbildung zeigt, von 0_bis' 4, jene der Ausfüllung von zt bis 
+-1—K Bei den Ausfüllungen gibt es wieder zwei Grade (in der Ab¬ 
bildung bei -j- : VII und VIII, bei -J—j- : IX und X, bei -J—|—|- : XI und 
XII), je nachdem die überstehende Flüssigkeit mehr oder weniger ge¬ 
trübt ist; letzteres stellt natürlich den stärkeren Grad der Auslällung 
dar. Die Kontrollen werden auf der vorletzten Linie vermerkt. Die 
Verdünnungsgrade des Liquors erstrecken sich bei unserer Anordnung 
bis etwa 1:8000, in seltenen Fällen waren noch weitere Verdünnungen 
notwendig. In dem Schema (Abbildung 2) bezeichnet die obenstehende 
Reihe (4, 8, 16 usw.) den Verdünnungsgrad des Liquors, die untere die 
Röhrchennummer. 

Vergegenwärtigen wir uns nun die Technik, wie sieEmanuel 
in seiner Veröffentlichung angibt, so zeigen sich folgende prinzi¬ 
pielle Unterschiede der beiden Methoden. Emanuel hat 
nicht genügend in Rechnung gesetzt, dass jede Mastixlösung in 
ihrer Salzempfindlichkeit nicht nur ein Individuum ist, sondern 
dass ihre individuelle Empfindlichkeit gleich nach ihrer Her¬ 
stellung sich ändert. Untersucbungsreihen, die wir hier nicht 
anführen können, haben uns schon vor dem Erscheinen derSachs- 
schen Arbeit über die Mastixreaktion gezeigt, dass ein schnelles 
Emblasen der alkoholischen Mastixlösung in das destillierte Wasser, 
wie es Emanuel empfiehlt, zu unstabilen und überempfindlichen 
Versuchslösungen führt; um dies zu vermeiden und nach Möglich¬ 
keit gleichmässige Lösungen zu erhalten, haben wir den oben er¬ 
wähnten Mischungsmodus eingefübrt. Um eine weitere Stabilisierung 
der Mastixversucnslösung herbeizuführen, haben wir die mindestens 
halbstündige Reifungszeit als notwendig anerkannt. Die 
trotzdem noch bestehenden Unterschiede in der Salzempfindlichkeit 
werden durch unseren Vorversuch aufgedeckt. Die Durchsicht unserer 
vielen Vorversuche ergibt, dass durchschnittlich für die Reaktion 
mit der noch nicht trübenden Kochsalzkonzentration ein 0,2 bis 
0,9 proz., für die Reaktion mit der ersten ausfällenden Kochsalz¬ 
konzentration eine 0,6 —0,9 proz., seltener bis 1,26 proz. Kochsalz¬ 
lösung erforderlich ist. Emanuel aber hat bekanntlich sche¬ 
matisch die 1,25 proz. Kochsalzlösung zur Verdünnung verwendet. 
Der praktische Vorteil unserer doppelten Versuchsführung mit 
zwei verschiedenen Kochsalzkonzentrationen, die auch theoretisch 
begründet ist, wird sich aus den folgenden Ausführungen ergeben. 
Die eigentliche Bewertung des Reaktionstypus ist aber nnr dann 
möglich, wenn man nicht, wie Emanuel, nur 4 Verdünnungen 
ansetzt, sondern nach unserem Vorschläge mindestens zwölf fort¬ 
schreitende Verdünnungen herstellt. Auf die Wichtigkeit der 
Beachtung scheinbar nebensächlicher Handgriffe, wie z. B. des 
Schüitelns, hat Emanuel nicht geachtet, wie auch seine Art der 


Aufzeichnung des Ergebnisses nicht übersichtlich ist und durch 
unsere Kurvenscbreibung für praktische und theoretische Zwecke 
erst brauchbar gestaltet wurde. 

Es werden nun auch tatsächlich, wie Emanuel’s Arbeit selbst 
zeigt, durch seine Methode unspezifische (z. B. bei Dementia'praecox, 
traumatischer Neurose) positive uud ungleichmässige Resultate 
erhalten, die durch unsere Technik so gut wie ausgeschaltet 
werden. Die alleinige Anwendung der Reaktion nach Emanuel 
würde daher, wie uns viele Beispiele gezeigt haben, die Mastix¬ 
reaktion in den Fachkreisen, z. B. im Betriebe einer psychiatrischen 
Klinik, diskreditieren. 

Wir kommen nun zur Darstellung typischer Kurvenbilder, 
die mit unserer Methodik erhalten worden sind, wobei unsern 
Versuchen über 400 Rückenmarksflüssigkeiten zugrunde lagen 1 ). 
Der Einfachheit halber wollen wir die mit der letzten noch 
nicht trübenden Salzkonzentration erhaltene Kurve die 
a-Kurve, die mit der ersten ausflockenden Salzkonzen¬ 
tration die b-Kurve nennen. Die ganz genau nach Erna- 
nuel’scher Technik erhaltene und in unser Schema ein¬ 
gezeichnete Kurve sei als c-Kurve bezeichnet. Vorausgeschickt 
muss hier werden, dass, da die b Kurve mit einer Kochsalz¬ 
konzentration angesetzt ist, bei der eine Ausflockung statifindet, 
zu erwarten ist, dass in den Konzentrationen, wo der Liquor 
sehr stark verdünnt ist, Ausflockung sichtbar wird. Diese Zone 
pflegt beim 8. Röhrchen anzufangen und dann fortzuschreiten. 
Dieser Kurventeil ist in den meisten Fällen diagnostisch wertlos. 

Typische Kurven finden sich also: 

1. beim normalen Liquor. Das Schema der Kurve bietet 
uns Abbildung 2. Es ist dadurch ausgezeichnet, dass die a-Kurve 

Abbildung 2. 



vollständig, die b Kurve in ihrem vorderen Teile sich ausschliess¬ 
lich in der Trübungszone bewegt. Leichte Absenkungen der Kurven 
in den ersten Verdünnungen, aber nur innerhalb der Trübungszone, 
kommen vor; 

2. beim Paralytikerliquor (Abbildung 3). Hier zeigen sich 
die stärksten Grade der Ausflockung in den ersten Röhrchen; 


Abbildung 8. 



die a-Kurve erhebt sich mehr oder weniger steil zur Trübungszone; 
die b Kurve zeigt dieses Charakteristikum viel stärker, so dass 
der Anfangsteil, in manchen Fällen sogar ihr grösserer Teil eine 
gerade Linie in der Zone stärkster Ansfällung bildet. Manchmal 
kommt es vor, dass das Maximum der Fällung erst im 2. Röhrchen 
erreicht ist; 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Seither ist die Anzahl der 
von uns untersuchten Rückenmarksflüssigkeiten auf 700 gestiegen; die 
Resultate sind die gleichen. 


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18. März 1918. 


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3. beim Liqaor der infektiösen Meningitis (Abbildung4). 
Hier zeigt sich das Maximum der Ausflockung erst bei höheren 


Abbildung 4. 



Verdünnungen (Vib* V 25 )’ der Anfang liegt meist noch innerhalb 
der Trübungszone; am deutlichsten ausgesprochen ist dieser Typus 
bei der b Kurve. Bei der a Kurve kann es Vorkommen, dass 
sich der gebildete Kurventypus noch innerhalb der Trübungszone 
entwickelt; 

4. Beim Liquor vieler/Fälle von Lues ohne deutliche 
klinische Erscheinungen von Seiten des Zentralnerven¬ 
systems (Abbildung 5). Hier zeigt sich nicht selten die Lues- 


Abbildung 5. 



zacke, d. b. eine schwache Ausflockung im zweiten and dritten 
Röhrchen, die aber in der b-Kurve meist nur bis -f- reicht. In 
der a Kurve ist sie oft nur innerhalb der Trübungszone angedeutet; 

5. beim Liqaor frischer, Tabes- und Lues cerebrospinalis 
Fälle (Abbildung 6). Hier bietet die Kurve oft eine vertiefte 


Abbildung 6. 



and verbreiterte Lueszacke dar: die Ausflockung erreicht Grad VIII 
und IX der Kurve und erstreckt sich oft auf das 2.-6. Röhrchen. 
Bei älteren Tabes und Luescerebri-Fällen sehen wir oft keine 
typischen Bilder, häufig leichte Ausflockung in den ersten Röhrchen. 

Im obigen sind vor allem die typischen Kurven beschrieben. 
Aus der b-Kurve lassen sich mehr Einzelheiten ablesen als aus 
der viel weniger empfindlichen a Kurve. Diese letztere soll aber 
trotzdem immer mit angestellt werden; sie bildet gewissermaassen 
eine Kontrolle der b Kurve, da sie in verkleinertem Maassstabe 
meist das Charakteristische der b Kurve hergibt, sie zeigt, wenn 
sie stark über das Trübungsgebiet hinausgeht, eine mit starker 
Eiweissveränderung einhergehende Erkrankung an (Paralyse, 
Meningitis) und ist auch aus theoretischen Gründen bedeutungsvoll. 


Wir haben, wie schon hervorgehoben, in einer grösseren 
Reihe von Fällen auch die Reaktion nach Emanuel ausgeführt 
und als c-Kurve in unser Schema eingetragen. Es zeigte sieb 1., 
dass absolute negative Rückenmarksflüssigkeiten, die auch normale 
a- und b-Kurven boten, Ausfällungen zeigten und zwar bei ver¬ 
schiedenen Versuchen in verschiedener Weise, während die a- und 
b-Kurve sich gleich bilden; 2. dass ein besonderer Kurventypus 
meist nicht zu erhalten war (Beispiele: Abbildung 7 und 8). 

* 

Abbildung 7. 



Es ist klar, dass bei der Feinheit der Reaktion die Kurven 
nicht immer so typisch verlaufen. Das galt in unseren Versuchen 
besonders von mit der Gennerich'schen Methode endolumbal 
behandelten Fällen. Hier konnte aber aus der Stärke der Reaktion 


Abbildung 8. 



in ungemein dankbarer Weise die Veränderung der Rückenmarks¬ 
flüssigkeit abgelesen werden. Ferner ist zu verzeichnen, dass 
auch hier nicht erwähnte Erkrankungen des Zentralnervensystems, 
die mit einer Vermehrung der Liquorglobuline einhergehen, mit 
der Mastixreaktion schwache oder stärkere Ausfällung zeigen können, 
die meist nicht charakteristisch, in seltenen Fällen aber auch eine 
der obigen Kurven naebahmen können. Es ist eben auch hier 
notwendig, die übrigen Liquorbefunde (PhaseI, Wassermannreaktion, 
Hämolysinreaktion) mit zu verwerten und auch die Klinik ge- 
nauestens zu berücksichtigen, dann wird der diagnostische Wert 
der Reaktion erst recht in den Vordergrund treten. 

Gegenüber der Goldreaktion hat die Mastixreaktion in der 
von uns geübten Form den grossen Vorteil, dass die Schwierigkeit 
der Herstellung gebrauchsfähiger Lösungen wegfällt und die Ab¬ 
lesung bedeutend vereinfacht ist, dass ferner unspezifische Aus¬ 
fällungen nicht auftreten und das diagnostische Gebiet zu mindest 
ebenso gross ist, wie bei der Goldreaktion. Ausserdem bat sie 
auch theoretische Vorteile, indem sie uns für viele Fragen der 
Kolloidchemie besser als die Reaktion mit kollodialem Golde 
Antwort erteilt. 

Es ist hier nicht der Ort auf unsere theoretischen Unter¬ 
suchungen über das Wesen der Mastixreaktion einzugehen. Jeden¬ 
falls spielen hier mehrere gleichzeitig wirksame Faktoren eine 
Rolle. So sehen wir bei der b-Kurve in den ersten Röhrchen 
keine Ausfüllung. Wir nehmen an, dass hier die an sich aus¬ 
fällende Wirkung der Salzionen durch die im normalen Liquor 
schon vorhandenen Kolloide/ [die also 'hier als „Schutzkolloide“ 
wirken, aufgehoben wird. Demgegenüber ist die Ausfällung bei 
Lues ganz anderer Natur. Die Identifizierung des dabei wirkenden 
Agens und besonders sein Verhältnis zum Wassermann’schen 
Reaktionskörper, ist ^zweifellos das schwierigste Problem. Wir 
haben den Eindruck gewonnen, dass zwischen der Kurve bei 
Lues II, bei Tabes, Paralyse und Meningitis kein qualitativer, 

1 * 


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Nr. 11. 


sondern lediglich ein quantitativer Unterschied besteht. Anders 
ansgedrückt heisst das, dass die Kurve 5, 6 and 4 nur eine fort¬ 
schreitende Verschiebung der Ausfällungszone von links nach 
rechts darsteilt. Die Art der Ausfällung des Mastix durch 
Salzionenwirkung und durch den Lueskürper zeigt ihre Ver¬ 
schiedenheit auch in der Reversibilität. Durch Schütteln der aus¬ 
gefallenen Mastixemulsion wird nämlich die durch den Lueskürper 
hervorgerufene Ausfällung zunächst zum Verschwinden gebracht, 
die andere Form bleibt bestehen. Auf das Verhältnis der Gold- 
solreaktion, der Mastixreaktion und der ßerlinerblaureaktion zu¬ 
einander ist der eine von uns (K.) an anderm Orte eingegangen. 

Literatur. 

Emanuel, B.kl.W., 1915, Nr. 30, S. 792, und 1916,Nr. 12, S. 327. — 
Jacobsthal u. Kafka, Hamburger Aerztekorrespondenz, 1916, Nr. 2. — 
Jaoobsthal u. Kafka, B.kl.W., 1916, Nr. 4, S. 98. — Jaoobstbalu. 
Kafka, B.kl.W., 1916, Nr. 12, S. 327. — H. Sachs, B.kl.W., 1916, 
Nr. 25, S. 690. 


Ueber Otosklerose. 

Von 

Dr. Felix Peltesohn. 

Lange Jahre hatte man die nicht auf Grund akut katarrha¬ 
lischer Prozesse des Mittelohrs auftretende Schwerhörigkeit als 
„trockenen Mittelohrkatarrh“ abgehandelt und sich vorgestellt, 
dass im Verlauf eines solchen Katarrhs die entzündlichen Reizungen 
der Mittelohrscbleimbaut sich auf die Labyrinthkapsel fortsetzten 
und damit jene Schwerhörigkeit hervoriefen, deren auffälligstes 
Symptom die Unbeweglichkeit der Steigbügel platte im ovalen 
Fenster war. Aber seit v. Tröltsch auf die Mangelhaftigkeit 
unserer anatomischen Kenntnisse dieser Krankheit hingewiesen 
batte, ist eine grosse Reihe ausgezeichneter histologischer Unter¬ 
suchungen über diesen Gegenstand veröffentlicht worden und diese 
haben zu einer neuen Auffassung von dem Charakter dieser Art 
von Schwerhörigkeit geführt. — Der dafür gewählte neue Name 
„Otosklerose“ ist jedoch ein unglücklicher und geeignet, Ver¬ 
wirrung anzuricbten: Scheinbar ist er der Ausdruck einer patho¬ 
logisch-anatomischen Eigentümlichkeit der Krankheit. In Wirk¬ 
lichkeit entsprechen aber die anatomischen Befunde absolut nicht 
dem Begriff einer Sklerose des Knochens, sondern stellen aus¬ 
nahmslos eine in der Labyrintbkapsel sich entwickelnde Knochen- 
wucherung dar, welche aus vaskularisiertem jungen Knochen her- 
vorgegangen ist und das normale Knochengewebe der Labyrinth¬ 
kapsel verdrängt bat. 

Man muss daher immer wieder mit Entschiedenheit darauf 
hinweisen, dass „Otosklerose“ einzig und allein der Name für 
ein nunmehr in seiner Eigenart deutlich begrenztes klinisches 
Krankheitsbild ist. 

Die Knochenerkrankung tritt meist in multiplen Herden 
auf, die gegeneinander abgeschlossen und von ganz unregel¬ 
mässiger Gestalt sind. Sie bestehen aus neugebildetem Knochen¬ 
gewebe ohne lamellöse Struktur und haben plumpe, ungeordnete 
und besonders in der Nähe des normalen Knochens dichtgelegene 
Knochenkörperchen. Die neue Knochenmasse wird durch Karmin 
und Hämatoxylin viel stärker gefärbt als die normalen Knochen¬ 
partien und ist häufig schon mit unbewaffnetem Auge dadurch 
als pathologisch zu eikennen. Auch ist ihr Gewebe so kalk¬ 
reich, dass bei Entkalkungen des Labyrinths zu histologischen 
Zwecken es zu einer Zeit noch deutlich Kalk enthält, wo die 
normalen Partien schon völlig entkalkt sind. — In den frühen 
Stadien der Neubildung sieht man neugebildete, weite, von Blut¬ 
körperchen strotzende Kapillaren in auffallend erweiterten Knochen¬ 
räumen. Zwischen Knochen und Blutgefässen ist ein ziemlich 
dichtes Netz von Bindegewebe ausgespannt. In den späteren 
Stadien enthält das pathologische Kuochengewebe Kapillaren, die 
sich in allen Richtungen kreuzen und nur wenige Blutkörperchen 
enthalten. Daneben finden sich in wechselnder Menge Riesen¬ 
zellen, Osteoklasten und Osteoblasten. Danach scheinen die neu¬ 
gebildeten Kapillaren in den primären Herden den normalen 
Knochen zum Schwund zu bringen und ihn maschig und schwammig 
zu machen. Später können diese schwammigen Hohlräume mit 
Hilfe von Osteoblasten sich wieder mit Knochenmaterial erfüllen 
und steinhaat werden oder ausnahmsweise gelegentlich auch nur 
mit Bindegewebe oder noch seltener mit Fettmark (Siebenmann) 
ausgefüllt bleiben. 

Am häufigsten und wohl auch am frühesten finden sich die 
pathologischen Knochenherde in der Gegend der Labyrinthfenster 


und führen daselbst zu einer schlitzartigeu Verengerung des 
runden Fensters und zu einer Fixation der Steigbügelplatte im 
ovalen Fenster. Je nach der Lage, der Ausdehnung und dem 
Alter des Knochenprozesses daselbst ist die Steigbügelplatte in 
ihrer Beweglichkeit beschränkt, fest fixiert oder wie eingemauert. 
Von dem Knochenrande des ovalen Fensters dringen osteoide 
Körperchen in das Ringband der Steigbügel platte und verknöchern 
es nach und nach. Der Knorpel des Steigbügels geht langsam 
verloren, die Platte und die beiden Schenkel des Steigbügels 
unterliegen demselben Prozess, werden unregelmässig verdickt 
und verwachsen sowohl auf der tympanalen wie vestibulären 
Seite mit der Umgebung. Bisweilen fiodet dabei noch eine par¬ 
tielle Luxation der Steigbügelplatte statt. 

Zugleich mit diesen Veränderungen an den Fenstern, aber 
auch isoliert kommen dieselben Prozesse im knöchernen Gerüste 
der Schnecke und der Bogengänge (Siebenmann) vor, sel¬ 
tener ausserhalb der Labyrinthkapsel, z. B. in dem inneren 
Gehörgange, an den Ossiculis, der äusseren Wand des Atticus, 
ja selbst im äusseren Gehörgange. Nach Siebenmann, 
Manasse, Schütz u. a. entwickeln sich diese Herde mit Vorliebe 
da, wo nicht selten die bekannten Reste primären Knorpels noch 
vorhanden sind. Durch das Wachstum dieser Herde an der 
knöchernen Kapsel der Schnecke, des Vorhofs, der Bogengänge 
können die Nervenendigungen des Cochlearis und Vestibularis ge¬ 
schädigt, die Quantität und Qualität der Endo- und Perilymphe 
beeinträchtigt werden. Durch die Unbeweglichkeit der Stapes- 
platte kann der Musculus stapedius zu einem bindegewebigen 
Strange degenerieren, ln einem Falle von Katz erstreckte sich 
die pathologische Markraumbildung bis zum Semicanalis 
teusoris tympani und zum facialis und kann gegebenenfalls 
damit auch die Funktionen des Musculus tensor tympani stören. 
— Wir werden später sehen, wie wichtig diese Feststellungen 
für die Therapie der Krankheit sein können. — Die Schleimhaut 
des Mittelohrs ist bis auf eine stärkere Vaskularisation und 
Durchfeuchtung an der Promontorialwand regelmässig bei der 
typischen Otosklerose normal. Auch das Trommelfell ist gänz¬ 
lich unverändert und bekommt nur in seinem mittleren Teile 
einen von der veränderten Promontorialwand herrührenden rosigen 
Schimmer. Sind tiefergehende Veränderungen vorhanden, so 
müssen sie auf vorangegangene Otitiden bezogen werden. 

Die Aetiologie der Otosklerose ist völlig unbekannt. Alle 
Versuche, die als eine metaluetische oder hereditär-luetische Er¬ 
krankung zu deuten sind, sind gescheitert. Arzt, v. Beck u. a. haben 
den Gegenbeweis durch ihre sorgfältigen Untersuchungen geführt. 
Die Behauptung der englischen Aerzte, dass die Otosklerose auf 
Gicht und gichtische Veranlagung zurückzuführen sei, bat sich 
gleichfalls nicht beweisen lassen. Es gibt ungezählte schwere 
Gichtiker, die niemals über Schwerhörigkeit zu klagen hatten, und 
eine Legion von Schwerhörigen, die nicht die kleinsten Zeichen 
typischer oder atypischer Gicht aufweisen. t v * 

Katz, der auch an eine gichtig-rheumatische Aetiologie der 
Otosklerose glaubte, beschuldigt daneben eine Reihe anderer 
Dyskrasien als Ursachen der Otosklerose: die skrophulöse, syphi¬ 
litische, unbekannte Alterserscbeinungen, neuro-paralytische oder 
trophoneurotiscbe Anlage. Doch konnte er für diese Anschauungen 
keine zwingenden Beweise erbringen, ln unserer Zeit, die die 
ungeahnte Bedeutung der endokrinen Drüsen aufzudecken be¬ 
ginnt, lag es nabe, die Hyper- oder Hypofunktion einiger dieser 
Drüsen mit der Otosklero.se in Zusammenhang zu bringen. In 
erster Linie musste natürlich diejenige Drüse in Frage kommen, 
deren Einfluss auf das Knochenwachstum unverkennbar ist: die 
Hypopbysis. Auch die Geschlechtsdrüsen, die Thyreoidea 
und die Glandula pinealis wurden auf ihre Beziehungen zur 
Otosklerose angesehen. Da nun gerade die Symptome der Oto¬ 
sklerose während der Pubertät manifest werden und sich bei 
den Frauen im Puerperium und den Wechseljahren besonders 
verschlimmern, so schienen die Forschungen nach dieser Richtung 
hin einigen Erfolg zu versprechen. Doch hat das Experiment 
wie der therapeutische Versuch mit Drüsenextrakten bisher keine 
ermunternden Erfolge gezeitigt. Das häufige Zusammentreffen von 
Otosklerose und Ozäna wird zwar behauptet. Doch liegt die 
Statistik der Ozäna noch im Argen und wird erst nach Veröffent¬ 
lichung der Resultate der grossen Sammelforschung brauchbare 
Zahlen abgeben, die den Grad und die Häufigkeit dieses Zusammen¬ 
treffens der beiden Krankheiten entscheiden werden. 

Nach den Befunden an der Labyrintbkapsel gewisser kon¬ 
genital Tauber und Kretinen, wo sich neben anderen schweren 
I Anomalien dieselben Knochenveränderungen vorfinden wie bei der 


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18. Harz 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRUT. 


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Otosklerose, ist es am wahrscheinlichsten, dass bei der Otosklerose 
es sich nm kongenital angelegte Knocbenherde handelt, die lange 
Zeit weder die innere noch die äussere Kapsel des Labyrinths 
oder die Fenster erreichen und erst durch eine Reihe von schäd¬ 
lichen Gelegenheitsnrsachen xu einem stärkeren Wachstum er¬ 
wachen. Solche Gelegenheitsarsachen können nun sein: 

Die Pubertät, die Schwangerschaft, die Katamenien, 
das Senium (Wirkung der endokrinen Drusen), körperliche 
und psychische Traumen, wie sie sich gerade während des 
Krieges gexeigt haben, fernei 1 alle Infektionskrankheiten, akute 
and chronische Otitiden, Rhinitiden,Intoxikationen mitAlkohol, 
Nikotin usw. und die oben von Katx fälschlich als eigentliche 
Ursachen der Otosklerose angeführten Dyskrasien, xu denen 
auch alle Blntkrankheiten wie Anämie, Chlorose, Leukämie hinzu- 
kommen dürften. 

Für den konstitutionellen Charakter der Krankheit spricht 
die Doppelseitigkeit des Prozesses, die allerdings das Labyrinth 
nicht an denselben Stellen und nicht in demselben Grade xu be¬ 
fallen braucht. Sehr lehrreich sowohl für die kongenitale Anlage 
als Aetiologie, als für die Ungleichartigkeit der Erkrankung auf 
beiden Seiten ist eine Beobachtung von Kalenda: 28jähriger 
Sohn einer otosklerotischen Mutter. Rechts Ohrensausen, Schwer¬ 
hörigkeit, Schwindel beim Aufsteben morgens, Störung von Schall¬ 
leitung and Schallempfindung. Promontorialschimmer beiderseits. 
Links nur Schallempfindung gestört, also wahrscheinlich nur 
otosklerotische Herde an der Labyrinth wand, rechts dagegen 
Ankylose des Steigbügels und otosklerotische Prozesse an der 
knöchernen Wand der Bogengänge. 

Solche Differenzen lassen sich bei genauer Prüfung überaus häufig 
feststellen. Jedenfalls ist die Otosklerose der Typus einer vererb¬ 
baren Krankheit, und jeder erfahrene Ohrenarxt, der eine nicht fluk¬ 
tuierende Klientel hat, kann ohne Mühe eine Reihe von Familien 
nennen, deren Mitglieder in mehreren Generationen an Otosklerose 
leiden. Dass gelegentlich auch eine Generation übersprungen wird 
oder einige Mitglieder derselben Generation gesund bleiben, entspricht 
nur den allgemeinen Regeln der Vererbbarkeit. Die Statistiken 
von Hammerschlag, Körner u. a., die ganze Stammbäume 
umfassen, haben nach dieser Richtung hin unwiderlegbare Beweise 
gebracht. Nach Hammerschlag ist die Otosk^rose bisweilen 
auch eine Teilerscheinung hereditärer Degeneration am Zentral¬ 
nervensystem. Auch finden sich nach ihm psychische Störungen 
und Otosklerose in der Deszendenz derselben Familien vor. Ans 
diesem Grunde schlägt Hammerschlag für Otosklerose den 
Namen „hereditär-degenerative Schwerhörigkeit“ vor. Genauere 
Untersuchungen der Otosklerose auf andere Degenerationszeichen 
wie Asymmetrien des' Schädels, spitzen Gaumen, Henkelohren, 
angewachsene Ohrläppchen, Sprachgebrechen usw. dürften eine 
weitere Befestigung dieser sehr plausiblen Vorstellung zustande 
bringen. 

Macht man sich nun die Vorstellung zu eigen, dass die 
kongenital angelegten Knochenherde, erst in Folge bestimmter 
Gelegenheitsursachen zu wuchern beginnen, so wird man ohne 
Weiteres verstehen, warum die Otosklerose in ganz verschiedenen 
Lebensjahren in die Erscheinung tritt. Man weiss jetzt, dass 
die ersten Zeichen der Otosklerose schon im 10.—14. Lebens¬ 
jahre manifest werden können, während es wiederum Fälle gibt, 
die erst zehn und zwanzig Jahre später auftreten, dass einige 
viele Jahre stabil bleiben und sich nur auf einem Ohr bemerkbar 
machen, andere wiederum in ganz kurzer Zeit zu einer Schwer¬ 
hörigkeit stärksten Grades führen können. Der Beginn der 
Otosklerose wird eben von der Zeit abhängen, zu der die schäd¬ 
lichen Gelegenheitsursachen die Wachstumsenergie der kongenital 
angelegten Knochenherde anfegen, die Verschiedenheit im 
Verlauf von der Reizstärke der jedesmaligen, auslösenden Ursache, 
der besonderen Ausdehnung und eigentümlichen Lage der Knochen- 
herde im Labyrinth abhängen. 

Das erste, häufigste und quälendste Symptom der Otosklerose 
sind die subjektiven Geräusche, deren Charakter am häufigsten 
ein hoher ist, etwa in der Höhe von c 4 . Doch wird auch über 
Sausen, Brausen, Zischen, Knattern, Klopfen häufig geklagt. Mit 
-der Verschlechterung des Gehörs nimmt auch die Intensität der 
Geräusche zu und hört häufig erst nach völliger Ertaubung auf. 
Bisweilen aber überdauert das Geräusch selbst die völlige Taub¬ 
heit und bringt den unglücklichen Kranken zur Verzweiflung. 
Während manche Kranke sich mit der Zeit' an ihre Geräusche 
gewöhnen, sie im Laufe des Tages überhören und nur in der 
Stille der Nacht von ihnen gequält werden, gibt es andere, deren 
Psyche durch das beständige Klingen, Dröhnen, Sausen in 


schwerster Weise angegriffen wird. Schwere neurasthenische Zu¬ 
stände, Menschenscheu, Lebensüberdruss sind nicht selten die 
Folgen dieser* Plage. Körperliche und psychische Aufregungen, 
Ueberanstrengung jeder Art, Blutverluste usw.’steigern die sub¬ 
jektiven Geräusche. Besonders schädlich wirkt das scharfe Hin¬ 
hören bei undeutlichem Sprechen z. B. im Theater oder im rollenden 
Wagen. Auffallend früh und viele Jahre hindurch wird über 
Schmerzen geklagt, die in der Tiefe des Ohrs empfunden werden, 
häufig nur blitzartig durchzuckend sind oder nur eine kurze Zeit 
an dauern und in der Wärme wieder leicht verschwinden, deswegen 
bei den Patienten leicht in Vergessenheit geraten und bei der 
Aufnahme der Anamnese meist nicht angegeben werden. Bei den 
meisten Otosklerotikern tritt mit der Zeit eine auffällige Ueber- 
empfindlicbkeit gegen laute Geräusche ein — Hyperaesthesia 
acustica —. Ein lauter Pfiff, ein Peitschenknall, ein starkes 
Geschrei kann solche Patienten auf Stunden verstimmen und 
bei ihnen ein Gefühl von Schwere des Kopfes und Eingenommen¬ 
heit d<?8 Ohrs hervorrufeo, während der Aufenthalt in einem voll¬ 
kommen ruhigen Raum sie in eine beglückende Behaglichkeit 
versetzt. Wahrscheinlich wird diese Ueberempfindlichkeit durch 
eine Atrophie der Binnenmuskel hervorgerufen, die im gesunden 
Ohr und bei beweglicher Steigbügelplatte die Schalldämpfung 
besorgen. Die Beobachtung Bing’s, dass Otosklerotiker fast nie 
8chwitzen, habe ich nicht bestätigen können. Dagegen geben 
sie fast alle an, an kalten Füssen zu leiden, und eine auffallend 
grosse Anzahl von weiblichen Otosklerotikern klagt über 
Neigung zu Migräneanfällen. Das weibliche Geschlecht 
soll nach Angabe vieler Beobachter das männliche erheblich 
bei der Erkrankung an Otosklerose über wiegen. Ich kann mich 
nur dem Urteil Politzer’s anschliessen, der die Frauen nur um 
ein Geringes hierbei die Männer überwiegen lässt. Der Gehör¬ 
gang ist häufig auffallend trocken und ohne Cerumen. Nach 
Froeschels ist das Kitzelgefühl im Gehörgange (N. trigeminus) 
oft herabgesetzt oder aufgehoben. 

Das Gehör wird, wie schon oben erwähnt, in ganz wechseln¬ 
der Weise ergriffen und kann ganz langsam oder auch sprung¬ 
weise beeinträchtigt werden. Nach jahrelangem Stillstehen der 
Hörstörung können geistige und körperliche Ueberanstrengungen, 
Traumen, Gemütsaffekte, interkurrente Krankheiten, Intoxikation 
mit Alkohol, Tabak, Arsen usw. das Gehör vorübergehend, aber 
auch bleibend verschlimmern Bei dem weiblichen Geschlecht 
ist namentlich die Schwangerschaft und die Zeit der Kata¬ 
menien als gefährlich zu bezeichnen. Bei der 0. mit unbeweg¬ 
licher Stapesplatte wird Musik noch zu einer Zeit sehr gut ge¬ 
hört, wo das Sprachverständnis schon stark gelitten hat. Treten 
jedoch labyrinthäre Störungen hinzu, so werden die musikalischen 
Töne wahrscheinlich durch den Verlust gewisser Obertöne 
als misstönend, blechern, klimperig empfunden und ängstlich ge-- 
mieden. — Die merkwürdige Erscheinung, dass Otosklerotiker 
mit starkem Gehörverlust bei Trommelwirbel, im Gerassel eines 
fahrenden Wagens und anderen starken Geräuschen (Paracusis 
Willisii) vorübergehend besser hören, ist wohl auf eine Erschütte¬ 
rung der Nervenendigungen 'des Acusticus und eine stärkere Be¬ 
weglichkeit der starr gewordenen Gehörknöchelchen zurückzu¬ 
führen. Die gelegentlich auffällige Zunahme des Gehörs nach 
den Erschütterungen mitteTh der Pneuraomassage ist wohl ein 
Analogon dazu. 

Viele Jahre hindurch bleibt das Gehör für die Sprache 
auf einer Seite oder auf beiden Seiten auf mittlerer Höhe und 
wird von denjenigen Patienten, die das Gehör weder im Berufe 
noch im Gesellschaftskreise viel zu benutzen haben, nicht weiter 
beachtet, oder seine Schwäche nur als unbedeutende Störung 
empfunden. Am meisten klagen diese Art von Patienten noch 
über Störung des Sprachverständnisses bei Nebengeräuschen, wie 
sie in einem grossen Kreise von durcheinander sprechenden Per¬ 
sonen entstehen oder bei dem Zwange, an einem Gespräch teii- 
nehmen zu müssen, das über den Tisch geführt wird. Patienten 
dagegen, die mit dem Publikum verkehren müssen, wie Bank-, 
Post-, Telepbonbeamte, Verkäufer in Warenhäusern, Kellner usw. 
empfinden schon frühzeitig den Verfall ihres Gehörs und büssen 
durch das anstrengende Hinhören sehr bald ihr nervöses Gleich¬ 
gewicht und ihre Hörfähigkeit ein. 

Die Diagnose der typischen Otosklerose, d. h. einer reinen 
Fixation des Steigbügels ist mit grosser Sicherheit zu stellen; 
Der Patient klagt über Schwerhörigkeit und subjektive Geräusche. 
Das Trommelfell ist normal mit oder ohne rosig durchschim¬ 
mernder Promontorialwand. Die Tube erweist sich beim Ka¬ 
theterismus als völlig durchgängig. Die Knochenleitung ist 


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254 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


Nr. 11. 


verlängert. Eine auf den Warzenfortsatz aufgesetzte Stimm¬ 
gabel wird dort länger als vor dem Obr gehört Der Schall 
einer auf den Scheitel aufgesetzten Stimmgabel wird bei Ver¬ 
dichtung der Luft im äusseren Gehörgange nicht abgeschwächt 
(Gelle’scher Versuch). Während die tiefsten Töne durch die 
Luft gar nicht mehr oder nicht bis Ausklingen gehört werden, 
ist die obere Tongrenze normal. 

Die diagnostischen Schwierigkeiten entstehen erst, wenn die 
Knochenwucherung sich nicht mehr auf das ovale Fenster be¬ 
schränkt, sondern auch das Labyrinth ergriffen hat, oder wenn 
nur das labyrinthäre Knochengewebe gelitten hat — ohne Fixa¬ 
tion der Steigbügelplatte. Im ersteren Falle ist auch die obere 
Tongrenze nach unten verrückt, die Knochenleitung durch den 
Schädel nicht verlängert oder auch schon verkürzt, der Rinne 
nicht mehr negativ. Im letzteren Falle ist nur die obere, nicht 
die untere Tongrenze verrückt, kann der Rin ne’sehe Versuch 
positiv werden, und beim Geloschen Versuch wird der Schall 
einer auf den Scheitel aufgesetzten Stimmgabel abgeschwächt 
werden. 

Am schwierigsten wird eine exakte Diagnose, wenn infolge 
vorangegangener Mittelohrerkrankungen Adhäsionen in der 
Paukenhöhle entstanden sind oder durch Diphtherie, Scharlach, 
Lues usw. Schädigungen des Acusticus stattgefunden haben. 
Unter solchen komplizierenden Umständen ist es bisweilen un¬ 
möglich, den otosklerotischen Kern aus den Symptomen heraus¬ 
zuschälen. Der Nachweis eines rötlichen Schimmers hinter dem 
Umbo, einer hereditären Veranlagung wird dann eine Rolle 
spielen. Ferner einige spezifische Eigentümlichkeiten der Oto- 
sklerose wie das Kitzelsymptom Froeschels, die Paracusis 
Willisii usw. — Froeschels hat übrigens ein weiteres, von 
anderen noch nicht bestätigtes, Symptom beobachtet: Die Vibra¬ 
tion eines Holzbügels, der durch einen elektrischen Vibrator be¬ 
wegt und auf den Schädel aufgesetzt wird, wird nur von Oto- 
Sklerotikern falsch lokalisiert, d. h. stets in das bessere 
Ohr. Eine weitere Schwierigkeit entsteht namentlich für eine 
frühe Diagnose im Kindesalter bei jenen selteneren Fällen, wo 
der Beginn der Otosklerose durch einen sekretorischen Katarrh 
des Mittelohrs provoziert wird. Die Diagnose wird sich hier erst 
stellen lassen, wenn trotz Beseitigung des Exsudats durch Luft¬ 
eintreibungen, Parazentese usw. die Hörschärfe nur wenig oder 
gar nicht wächst. 

Die Prognose der Otosklerose muss stets mit grosser Vorsicht 
gestellt werden, weil man selbst bei den scheinbar günstigen 
Fällen mit unvorhergesehenen Schädlichkeiten rechnen muss, die 
das Fortschreiten der Schwerhörigkeit begünstigen und beschleu¬ 
nigen. Günstig ist die Prognose bei allen lange bestehenden 
Fällen, wo der Grad der Hörstörung ein geringer, die Schall- 
leitung durch den Schädel verlängert und nur die Grenze 
für die tiefen Töne in die Höhe gerückt ist. Otosklerose, die 
schon in jungen Jahren auftritt, womöglich bei einem Mitgliede 
einer hereditär belasteten Familie, gibt eine schlechte Prognose. 
Dasselbe gilt für alle Personen mit erworbenen oder ererbten 
Dyskräsien jeder Art und für diejenigen, die gezwungen sind zu 
einem übermässigen Gebrauch der Ohren im Beruf oder zum 
Aufenthalt in geräuschvollen Fabrik- und Maschinenräumen ver¬ 
urteilt sind. Ungünstig ist die Prognose zu stellen ferner bei 
frühzeitigem Verlust der Perzeption für hohe Töne, bei früh¬ 
zeitiger Verkürzung der Knochenleitung und bei beständigen, 
intensiven, subjektiven Geräuschen. Nach den Erfahrungen des 
Krieges hat sich die Prognose für diejenigen Otosklerotiker als 
ungünstig herausgestellt, die am Frontdienst teilnehmen mussten 
und dort ungeheuren Detonationen, Schädeltraumen, Ohrver¬ 
letzungen, Verschüttungen, körperlichen Ueberanstrengungen, 
psychischen Erschütterungen ausgesetzt waren. Sie alle kehren 
mit erheblicher Verschlechterung des Gehörs und Verstärkung 
der subjektiven Geräusche zurück. — Die in Unfall Streitsachen 
häufig angezweifelte Verschlechterung der Otosklerose durch 
körperliche und psychische Traumen wird wohl nach den Er¬ 
fahrungen, die uns der Krieg beschert hat, nicht mehr bestritten 

werden 1 ). 

Die Prognose einer bestehenden Otosklerose wird nach 
dem Urteile der meisten Ohrenärzte durch den Eintritt einer 
Schwangerschaft ungünstig beeinflusst. Nach den Aeusserungen 
Kümmere auf dem Kieler Otologenkongress, der eine Statistik 
über die Häufigkeit und den Grad dieser Verschlimmerung durch 
Gravidität vermisst, muss man annehmen, dass auf Grund dieser 


1) Vergl. auoh Doelger, D. militärärztl. Zsohr., 1913, H. 20. 


Befürchtung Schwangerschaften häufig unterbrochen werden. 
Ich selbst habe nur in einem einzigen Falle, in dem das 
eine Ohr in der ersten Schwangerschaft sehr gelitten hatte, als 
das Gehör auf dem zweiten Obr in der zweiten Schwangerschaft 
rapide abnahm, zum künstlichen Abort geraten. Doch hat er 
den Verfall des Gehörs nicht mehr aufhalten können. Danach 
scheint es mir wichtiger, otosklerotisChe Frauen vor Schwanger¬ 
schaft zu behüten, als die eingetretene Gravidität zu unter¬ 
brechen. 

Nach der oben gegebenen Darstellung von dem Wesen der 
Otosklerose — kongenital angelegte Knochenherde, die auf 
Grund von örtlichen und allgemeinen Schädlichkeiten zu wachsen 
beginnen — ist die Möglichkeit für eine erfolgreiche örtliche 
Therapie eine verhältnismässig geringe. Dementsprechend 
haben sich auch die hochgespannten Ei Wartungen, die man an 
die lokalen Maassnahmen zur Besserung der Schwerhörigkeit ge¬ 
knüpft batte, im allgemeinen nichterfüllt. Lufteintreibungen 
in das Mittelohr, die Anwendung der Pneumomassage, des 
RarefacteUV Delstanche, der Lucae’schen Drucksonde sind 
diejenigen Mittel, die bei frischen Fällen mit noch beweglicher 
Steigbügelplatte am meisten nützen und bei vorsichtigem, genau 
dosiertem Gebrauch auch die Beschwerden auf längere Zeit lindern 
und beseitigen können. Man wird jedoch in jedem einzelnen 
Fall durch ein tastendes Probieren feststellen müssen, wie oft, 
wie stark und wie lange die genannten Mittel anzuwenden sind. 
Katheterismus und Luftduscbe sollen nicht wochenlang täglich 
gemacht werden, sondern in Zwischenräumen von einigen Tagen, 
namentlich wenn man findet, dass die Hörverbesserung eine Zeit¬ 
lang anhält. Dasselbe gilt von der Pneumomassage, die niemals 
länger als eine Minute angewendet werden soll und niemals mit 
einem zu starken Kolbenausschlag. Der, wahrscheinlich durch 
eine Zerrung der Gehörknöchelchen zu beginn der Massage ein¬ 
tretende Schmerz gibt dafür einen gewisseu Maassstab. Doch 
wird man bei alten Adhäsionen und stark eingezogenen Trommel¬ 
fellen etwas brüsker und energischer Vorgehen dürfen als bei 
den unkomplizierten Fällen von Otosklerose. Von Wasserstrahl¬ 
gebläsen oder von unter hohem Druck stehender Luft bei der 
Lufteintreibung habe ich nie besondere Vorteile gesehen. Diese 
Apparate machen zwar auf die Patienten grossen Eindruck, geben 
ihnen neue Hoffnung und verursachen ihnen während des Ein 
blasens ein Gefühl von Frische, das dem Organ abhanden ge¬ 
kommen war. Doch ist damit auch ihre Wirkung erschöpft. — 
Die Extraktion der Steigbügelplatte, die eine Zeitlang 
häufig geübt 'wurde, hat sich als ein gefährlicher und nutzloser 
Eingriff .erwiesen und ist seit Jahren fallen gelassen worden. 
Dem Vorbilde Jenkins’ (17. Internat. Kongress io London), 
der in einer Verdickung der Labyrinthflüssigkeit den Grund 
für die Schwerhörigkeit bei Otosklerose sucht und daraufhin 
zweimal vom äusseren Bogengänge aus den perilymphatischen 
Raum eröffnet hat, wird wohl in Deutschland niemand folgen. 
Seine Patienten sind zwar am Leben geblieben, aber die in den 
ersten Tagen erzielte Hörbesserung verlor sich in den nächsten 
Wochen fast vollständig. Merkwürdig und zum Nachdenken an¬ 
regend bleibt immerhin die Tatsache, dass überhaupt durch Liquor¬ 
abfluss eine so auffällige Hörbesserung (8-—15 Fass) eintreten 
konnte. 

- Dass die Labyrinthflfissigkeit in Quantität und Qualität durch 
den otosklerotischen Prozess eine Veränderung erfahren kann, ist 
schon vor Jahren von Siebenmann behauptet worden. Neuer¬ 
dings hat Wittmack 1 ) der Physiologie und Pathologie der 
Labyrinthflüssigkeit seine Aufmerksamkeit zugewendet und dabei 
auch die Veränderung des Liquors bei der Otosklerose ge¬ 
streift. Nach einer sehr verlockend klingenden Hypothese ist die 
gleichmäs8ige Beschaffenheit des Liquor labyrinthii abhängig von 
einer im Gefässnetz der endolymphatischen Membranen sich ab¬ 
spielenden Diffusionskomponente und von einer Sekretions- 
komponente, die an den mit höher differenzierten Epithel aus¬ 
gestatteten Sinnesendstellen vor sich geht. „Mit Rücksicht auf 
das Verhalten dieser Komponenten an den Maculae und ihrer Mit¬ 
beteiligung beim Otolithenersatz liegt es ausserordentlich nahe, 
ein gewisses antagonistisches Verhalten dieser beiden Komponenten 
vor allem bezüglich der Reaktion der ausgeschiedenen Flüssigkeit 
zu vermuten. Ich erblicke hierzu eine Vorrichtung, die es dem 
Organismus ermöglicht, in ganz bewundernswertem Maasse über 
die Konstanz in der Reaktion des Liquor zu wachen und evtl, durch 
zufällige Schwankungen der AlkaleszeDz im Blute bedingte 


1) Arch. f. Ophthalm., Bd. 99, S. 92 ff. 


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18. Dl ärz 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


255 


Störungen sofort wieder auszugleichen“. Die Möglichkeit einer 
solchen Säureprodnktion, die die Alkaleszenz des Liquors herab¬ 
setzen kann, nimmt er neben anderen Fällen — Eiter, Cholesteatom 
— auch bei der Bildung der otosklerotischen Knochen¬ 
herde an, besonders wenn sie bis an das Endost heranreichen. 
Die dadurch antagonistisch bedingte Vermirderungder Sekretions¬ 
komponente verursacht eine Herabsetzung der Flüssigkeitsstörung, 
die den Turgor der Membraoa Corti aufhebt und eine Ver¬ 
minderung des Druckes im Ductus cochlearis, die zu einer Schädigung 
der Membrana Reissneri führt. 

Vielleicht ist diese neue Auffassung vom Wesen der Sekretion 
des Liquor labyrinthii geeignet, uns neue therapeutische Winke 
oder auch nur ein besseres Verständnis für die Wirkungsweise 
der bisher zur Anwendung gekommenen Medikamente zu geben. 
Es geht nicht an, wie das die Gegner der inneren Therapie bei 
Otosklerose tun, bei den Erfolgen der Therapie immer an zufällige 
Remissionen der Krankheit zu glauben, wie sie gelegentlich auch 
von selbst Vorkommen mögen. — Von inneren Medikamenten erfreut 
sich die Jodtherapie und die Darreichung von Phosphor vieler 
Anhänger. Politzer hat Jodkalium oder Jodnatrium Va - 1 g 
pro die etwa einen Monat hindurch gegeben zwei bis drei mal 
jährlich — bei nicht vorgeschrittenen Fällen. Siebenmann 
empfiehlt auf das wärmste Phosphor in Leberthran (0,1:100) 
täglich .einen Esslöffel. Andere haben von dem Pfianzenphosphor 
in Form von Phytin Erfolge gesehen. Alexander hat gelegentlich 
Erfolge von der Einspritzung von 3—4 Tropfen einer 1 proz. Lösung 
von Pilocarpin muriatic. in die Tuba Eustachii gesehen. Auch 
innerlich ist dasselbe Medikament gegeben worden. Das mit grossen 
Erwartungen empfangene Thyreoidin hat nach den Unter¬ 
suchungen Hammerschlag’s auf Politzer’s Klinik wohl nnr in 
Folge seines Jodgehalts einige Wirkung. Der Hypophisisextrakt, 
der von Gitelli versucht wurde, scheint nur die Srärke der sub¬ 
jektiven Geräusche ein wenig zu vermindern. Ich habe in einer 
kleinen Zahl von Fällen von Otosklerose, die mit Trübung und 
Einziehung des Trommelfells kompliziert waren, recht gute 
Erfolge nach subkutanen Injektionen von Jodätby 1-Thiosinamin 
gesehen. Die Einspritzung ist schmerzlos, wird gut vertragen. 
Die Patienten spüren nur einige Tage hindurch einen deutlichen 
Jodgescbmack im Munde. Schmerzen und Schwere im Kopf 
verschwanden dabei häufig. Das Gehör besserte sich auf dem 
weniger schlecht hörenden Ohr um einige Meter und blieb 
einige Monate gebessert. Ich habe gewöhnlich 12 Injektionen 
gemacht und sie auf 6 Wochen verteilt. 

Die Röntgenbestrahlung des Ohres ist bei der Aussprache 
auf dem Kieler Otologenkoogress mit Ausnahme von Sieben- 
mann, der ihr aber auch nur ein sehr bedingtes Lob zu Teil 
werden liess, als wirkungslos verworfen worden. Bin ähnliches 
Schicksal hat bei dieser Gelegenheit die Behandlung mit Meso¬ 
thorium gehabt. Ebenso wirkungslos ist die unter dem Namen 
Otothermie in die Behandlung der Otosklerose eingeführte 
Diathermie befunden worden. Maljutin hat die erkrankten 
Ohren mit Schlammpackungen behandelt und danach Besserang 
gesehen. Der Vollständigkeit halber erwähne ich noch die Em¬ 
pfehlung der Arsonvalisation und die Einspritzung von Diplo¬ 
kokkenserum in die Tube und subkutan (Ferreri). Eine so¬ 
genannte Wiedererziehung des Gehörs haben Zünd-Burguet 
und Dr. Maurice — beide in Paris, der erstere kein Arzt — zur 
Behandlung der 0. vorgeschlagen. Die sehr teuren Apparate 
sind eine Anzahl elektrisch zum Tönen gebrachter Stimmgabeln, 
deren Töne durch ein Telephon in die Ohren des Kranken ge¬ 
leitet werden und täglich Sitzungen einige Wochen hin¬ 
durch mehrmals im Jahre erfordern! Die wenigen Anhänger 
dieser Methode in Frankreich und Belgien führen die Wirkung 
auf eine wohltätige Massage der durch Nichtgebrauch atrophisch 
gewordenen Binnenmuskel zurück. Auf dem Kieler Otologen- 
kongress haben Ivo Wolf uud ein Dr. Stoltenberg-Lerche 
ihre Erfahrungen mit diesen Apparaten mitgeteilt. Danach 
scheinen die Reste des Gehörs bei denjenigen Patienten, welche 
die akustische Seite des Sprachverständnisses völlig vernachlässigt 
hatten, unter der Zufuhr der Stimmgabeltöne zu neuem Leben 
zu erwachen — also ein minimaler Erfolg mit zeitraubenden 
und kostspieligen Mitteln. Flatau erklärt, das er dieselben Er¬ 
folge' auf der Abteilung für phonetische Behandlung in der 
Berliner Cbaritö durch seine Uebungstherapie mit elektrischen 
Hörapparaten erzielt habe. 

Gegen die quälenden subjektiven Geräusche haben sich 
mir nur starke Dosen von Brom bewährt. Man muss von der 
bekannten Mixtura nervina 3 mal täglich einen Esslöffel geben 


und mindestens drei Flaschen verbrauchen lassen. Alle Baldrian¬ 
präparate, wie Valyl, Valisan, Bornyval, ferner Isopral- 
dragees (Lucae), Otoskierol (Brom 86,3 pCt., Phosphor 13,52, 
Cimifugin 6,66 pCt.) nützen .nur in leichteren Fällen, während 
sie in schweren versagen. Bisweilen werden die Geräuscho ver¬ 
mindert durch den Aufenthalt in Höhenluftkurorten, ebenso 
durch eine Massage des Halses — streichende Bewegungen im 
Verlauf des Masc. sternocleidomastoideus. Bei pulsierendem Ge¬ 
räusch auf arteriosklerotischer Basis wirkt auch bei Otosklerose 
Digitalis, Strophantus und Diuretin. Zu einer Zerstörung 
des Labyrinths, wie es Matte und andere getan hahen, wird man 
sich wohl nur in einem ganz verzweifelten Falle entschliessen 
dürfen. 

Findet eine Beteiligung der knöchernen Bogengänge bei der 
Otosklerose statt, so können Anfälle von Schwindel auftreten, 
die den Patienten vollkommen unfähig zur Arbeit und sein Leben 
zur Qual machen. Diese Anfälle — zum Glück ein verhältnis¬ 
mässig seltenes Ereignis bei der Otosklerose — können sich durch 
viele Tage hinziehen, sind von Erbrechen begleitet, verschwinden 
zwar in der Ruhelage, erscheinen aber bei der leisesten Bewegung 
des Kopfes von neuem. Sie werden fälschlich häufig als 
Menier’scher Anfall oder als* Zeichen eines beginnenden Hirn¬ 
tumors aufgefasst. Sie sind es auch, die in einigen Fällen zu 
einer operativen Zerstörung des Labyrinths Veranlassung gegeben 
haben. Die Behandlung besteht in absoluter Ruhigstellung des 
Kopfes, Ableitung auf den Darm und die äussere Haut und grosse 
Dosen Brom. Die langsam zur Heilung kommenden Fälle hinter¬ 
lassen eine völlige Unerregbarkeit des Bogengangapparates auf 
kalorische und andere Reize. 

Die Behandlung der Otosklerose wird jedoch stets unzu¬ 
reichend und unvollkommen bleiben, wenn man nicht für jeden 
Fall das besondere schädliche Moment zu entdecken imstande sein 
wird, das den Anlass zur Wucherung der Knochenherde im 
Labyrinth gegeben bat. Hat man eine solche Ursache entdeckt, 
so wird man, soweit das überhaupt möglich ist, diese zu bessern 
oder zu heilen suchen. Vor Alkohol, Nikotin, Arsen wird 
gewarnt werden müssen, bei der Berufswahl müssen alle die¬ 
jenigen Berufe ausgeschaltet werden, die das Gehör zu sehr in 
Anspruch nehmen oder erregen, wie überhaupt auch im gewöhn¬ 
lichen Verkehr das Maass der akustischen Reize beschränkt 
werden soll. Frauen wird man auf die Gefahren der Schwanger¬ 
schaft hin weisen müssen, Kinder schon frühzeitig dem Einzel¬ 
unterricht oder dem Unterricht für Schwerhörige zuführen. 
Durch Beseitigung der adenoiden Wucherungen, hyper¬ 
trophischen Tonsillen und Nasenenge wird man für Lüf¬ 
tung der Tube und des Mittelohrs sorgen und damit nach Kräften 
der Möglichkeit von Entzündungen und Katarrhen des Mittelohrs 
Vorbeugen. Hydrotherapeutische Kuren und der Aufenthalt 
an der Nordsee gelten als*schädlieh bei Otosklerose. Gegen 
die Neigung der Otosklerotiker zu kalten Füssen sind weite 
Stiefel und geleimte Strümpfe zu empfehlen 1 ). 

Bei vorgeschrittener Schwerhörigkeit wird ein vom Ohrenarzt 
sorgfältig ausgesuchtes Hörrohr oder ein elektrischer Hör¬ 
apparat von Nutzen sein. Da der Erfolg des letzteren meist 
vom Fabrikanten übertrieben dargestellt wird, muss man gleich 
auf den wirklichen Grad der zu erwartenden Hörverbesserung 
hin weisen, um den ohnehin argwöhnischen Patienten vor Ent¬ 
täuschungen zu bewahren und ihn zum Weitergebrauch dieses 
Hilfsmittels anhalten. 

So ersteht für den Ohrenarzt in der Behandlung der Oto¬ 
sklerose eine reiche Gelegenheit und ein weites Feld, sich als 
ein wahrer Helfer seiner Kranken zu bewähren. Nur ist in 
vielen Fällen der Otosklerotiker leider sein eigener Feind. So¬ 
lange er im Sprachverständnis nicht erheblich beschränkt ist, 
nimmt er — ganz im Gegensätze zum Augenkranken —sein Ge¬ 
brechen nicht ernst und entzieht sich nur zu bald der ärztlichen 
Kontrolle. Ist dagegen sein Gehör schon stark herabgesetzt und 
wird er obendrein noch von Geräuschen gepeinigt, so wird er 
bald argwöhnisch, menschenscheu und zieht marktschreierisch 
angepriesene Mittel dem Rate berufener'Ohrenärzte vor. 

(Literatur, soweit nicht im Text angegeben, io dem Lehrbuch von 
Politzer und Gustav Alexander.) 


1 ) Siehe Unna, B. kl. W., 1915, Nr. 22. 


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266 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Intranasale Tränensackoperation bei einem 
Säugling von 3V* Monaten zur Entfernung einer 
hineingeglittenen Dauersonde 1 ). 

Die intranasale Tränensackoperation and ihre Erfolge. 

Von 

Dr. Halle-Ch&rlottenbarg. 

M. H.! Der Fall, aber den ich Ihnen beate berichten möchte, 
steht meines Wissens bisher einsig da. 

Es handelt sich am einen Säugliog, der wegen Tränensackeiterung 
von einem unserer bekanntesten Augenärzte behandelt wurde. Der 
Tränensack wurde bougiert, und da dies nicht recht zum Ziele führte, 
wurde eine Dauersonde eingelegt. Der Erfolg erschien so befriedigend, 
dass die Sonde naoh einigen Wochen fortgelassen wurde. Da aber die 
Eiterung von neuem einsetzte, sollte die Sonde wieder eingelegt werden. 
Der Tränenkanal hatte sich jedoch so verengt, dass wohl einige Kraft 
dabei angewandt werden musste, und da gesohah es, dass die Sonde 
durch den Ganaliculus hindurcbglitt und im Tränensack verschwand. 
Alsbald angestellte Versuche, die Sonde von oben zu erreichen, blieben 
ergebnislos. Das Kind wurde mir zugeschickt, doch gelang es auch mir 
im Aetherrausch und mit den feinsten Instrumenten nicht, die Sonde zu 
erreichen. 

Es fragte sich, was am besten geschehen konnte. Liess man die 
Sonde im Tränensack, so war bei der sohon bestehenden Eiterung mit 
grosser Wahrscheinlichkeit ein starkes Aufflackern des Prozesses zu er¬ 
warten. Machte man die bei dem jungen Kinde sicher nicht leichte 
äussere Operation, so musste unter allen Umständen die Entfernung des 
Saokes angesohlossen werden, wobei man, abgesehen von den äusseren 
Narben, die Gefahr des dauernden Tränenträufelns auch bei bestem Ge¬ 
lingen mit in den Kauf nehmen musste. Deswegen entschloss ich mich, 
die intranasale Freilegung des Tränensackes und Entfernung des Fremd¬ 
körpers zu versuchen, wobei ich mir der ausserordentlichen Schwierig¬ 
keiten des Eingriffes wegen der Enge der anatomischen Verhältnisse wohl 
bewusst war. Aber ich hatte vor einigen Jahren ein Kind von 2’/* Jahren, 
Patienten des Kollegen Türk, mit gutem Gelingen operiert und hatte 
seitdem mehr als 280 intranasale Tränensaokoperationen ausgeführt. 
So glaubte ich, den Versuch wagen zu dürfen. 

Die Operation wurde in Aethernarkose gemaoht, das Kind von einer 
Wärterin mit erhöhtem, etwas zurückgebogenen Kopf gehalten. Ein 
Wattebausch mit Suprarenin wurde für 10 Minuten in das rechte Nasen- 
looh gelegt entsprechend dem vorderen Ansatz der mittleren Musohel 
und der Nasenseiten wand, deren Schleimhaut und Haut mit 
Novocain-Suprareninlösung infiltriert wurde. Während der durch die 
unterbrochene Aethernarkose bedingten Pausen der Operation wurde er¬ 
neut ein Wattebausch mit Suprarenin eingelegt. 

Der Tränensack wurde nach der von mir zuerst in der Berliner 
laryngologischen Gesellschaft am 12. Mai 1911 angegebenen Methode 
freigelegt. Es gelang über Erwarten gut, in der recht engen Nase den 
Schleimhautperiostlappen zu umsohneiden und abzulösen. Ebenso glatt 
ging die Durchmeisselung des Knochens der Nasenseitenwand. Der 
Tränensack lag frei. Er wurde am unteren Pol eröffnet, mit einer feinen 
FasszaDge die mediale Wand festgeklemmt und medialwärts vorgezogen. 
Ein Messer Umschnitt die WaDd an der Umschlagfalte nach der seitlichen 
Wand, und die mediale Hälfte des Sackes wurde entfernt. Der Sack 
lag nunmehr offen. Aber die Sonde war nicht darin! 

Ich hatte von dem einen zum andern Tag kein Röntgenbild an¬ 
fertigen lassen, zumal nach den Angaben des Augenarztes ein Zweifel 
nicht bestehen konnte, dass die Sonde hineingeglitten war. Nach 

der ersten Ueberrasohung schloss ich deswegen, dass die Sonde 

eben noph tiefer liegen müsse, und legte den oberen Teil des Ductus 

frei. Und in der Tat kam ich jetzt sehr bald auf den Sonden¬ 

kopf. Die Entfernung war nunmehr einfaoh. Die Schleimhaut wurde 
über die Seitenwand zurückgebreitet, so dass die laterale Sackwand durch 
die vorher angelegte Oeffoung in der Schleimhaut hindurchsah, und ein 
lockerer Tampon, der die Schleimhaut leicht andrückte, beschloss die 
Operation. Sie hatte vom ersten Schnitt ab kaum 25 Minuten gedaaert. 

Die Sonde ist 23 mm lang, der Schaft 1 mm, der Kopf 2 l f t mm im 
Durchmesser. 

Die Grösse der Sonde setzte mich einigermaassen in Erstaunen. 
Ich batte ein abgebrochenes Stück einer feinen Silbersonde erwartet und 
war sehr überrascht, dass eine Sonde mit so dickem Kopf bei einem so 
jungen Kinde überhaupt hatte hineingleiten und bis in den Duotus 
hinabsinken können. 

Der Heilverlauf war erwartungsgemäss. Nach zwei Tagen warde 
der Vioformgazetampon entfernt, and nach weiteren zwei Tagen war von 
irgend welcher Eiterung aus dem wochenlang vergeblioh behandelten 
Saok keine Rede mehr. Die Herren Augenärzte wollen sich an dem 
Kind überzeugen, dass der Sack heute, sieben Wochen naoh der Operation, 
endgültig als geheilt zu betrachten ist. 

Dieser Fall gibt mir Veranlassung, noch einmal auf die Operation 
des Tränensackes einzugehen und über meine Erfahrungen zu berichten. 


1) Nach einer Krankenvorstellung in der Berliner medizinischen Ge¬ 
sellschaft am 7. November 1917. 


Die äussere Operation des Tränensackes hat den Augenärzten nicht 
sehr günstige Erfolge gegeben. Musste man sioh zur Operation des Saokes 
entschlossen, so kam lange nur die totale Entfernung in Frage, und 
damit wurde die physiologische Entleerung der Tränenflüssigkeit naoh 
der Nase dauernd unterbrochen. Es kam zu dem die Patienten oft be¬ 
lästigenden Tränenträufeln, das so unangenehm werden konnte, dass 
die Entfernung der entsprechenden Tränendrüse vorgeschlagen und aus¬ 
geführt wurde. 

Einen prinzipiell anderen Weg ging Toti (1), der die verstümmelnde 
Operation in eine physiologische umzugestalten suohte. Er entfernte 
nicht den ganzen Sack, sondern nur die mediale Hälfte. Die laterale 
Hälfte pflanzte er sorglich in die seitliche Nasenwand ein, nachdem er 
die seitliche Nasenwand durchmeisselt und die Knochen- und Schleim¬ 
haut in genügendem Umfange abgetragen hatte. So sicherte er den 
normalen Abfluss der Tränenflüssigkeit und der Sekrete. Seine Heil¬ 
erfolge waren naoh seiner Angabe vorzügliche. Auch von anderer Seite 
wird über gute Heilerfolge berichtet (2). 

Die Methode erscheint prinzipiell gut. Sie ist aber nicht immer 
leicht auszuführen, manchmal überhaupt nioht, zumal bei Fistelbildungen 
und Abszessen, und in einer Reihe von Fällen wird sie versagen, weil 
sich das Hineinfügen der seitlichen Sackwand in die Nasenwand nicht 
immer mit genügender Sicherheit wird ausführen lassen. Einkrempelungen. 
Granulationsbildung und Narbenzüge werden das Resultat beeinträchtigen, 
wenn nicht illusorisch machen. 

Von rhinologischer Seite hat man seit langem versuobt, eine Heilung 
der Erkrankung der Tränenwege von der Nase aus zu erzielen. Polyäk 
gab eine genaue Methodik der Sondierung des Ductus vom unteren 
Nasengang her an. Caldwell, Killian, Passow operierten den 
Ductus vom unteren Nasengang her. Wenn sie die Methodik nioht weiter 
ausbildeten upd nioht über grosse Erfolge berichten konnten, so lag das 
wohl zum Teil am Mangel an geeignetem Material. 

Methodisch am Fortschritt der Technik der intranasalen Operation 
an den Tränenwegen haben zuerst Polyäk und West gearbeitet 
Polyäk gibt an, seinen ersten Fall von umfangreicher Freilegung des 
Ductus im März 1909 operiert zu haben. West hat im Jahre 1910 in 
der Berliner laryngologischen Gesellschaft über die „Fensterresektion des 
Ductus nasolacrimalis“ berichtet Er inaugurierte damit einen neuen 
Abschnitt in den Bemühungen, die Erkrankungen der ableitenden Tränen¬ 
wege von der Nase aus zu heilen. Er hat später, ebenso wie Polyäk, 
an einem grossen Material weiter gearbeitet und wiederholt über seine 
Erfahrungen berichtet. 

Bald naoh der ersten Veröffentlichung von West hatte ich Gelegen¬ 
heit, meinen ersten gleichartigen Fall zu operieren, den ioh Herrn 
Schweigger verdanke. Ich hatte mich aber nioht entschliessen können, 
in gleiober Weise vorzugehen wie West Um den Duotus freizulegen, 
ist die Durchmeisselung des Nasenbeins bzw. des frontalen Astes des 
Oberkieferknochens notwendig. Dabei muss aber naoh dem Verfahren von 
West ein grosses Stück der Nasenschleimhaut mit fortgenommen werden, 
und Granulations- und Narbenbildung sind die unausbleiblichen Folgen, 
wodurch das endgültige Resultat ungünstig beeinflusst werden muss. Des¬ 
wegen entschloss ich mich gleich in diesem ersten Falle, einen 
Schleimhautperiostlappen zu bilden, den ich vor Durchmeisselung des 
Knochens zurückklappte und nachher in geeigneter Weise wieder über 
die Wunde zurücklegte. Auch habe ich sogleich in diesem Falle aus 
Gründen der Zweckmässigkeit den Tränensack eröffnet. loh habe darüber 
am 12. Mai 1911 in der Berliner laryngologischen Gesellschaft berichtet 
und den Fall vorgestellt. 

Etwa um dieselbe Zeit hat auob Polyäk sich der Operation des 
Tränensackes zugewandt und darüber im Jahre 1912 in seinem Sammel¬ 
referat als vorläufige Mitteilung berichtet (3). Später (4) hat er seine 
Methode eingehender publiziert. 

Wie ich schon an anderer Stelle ausgeführt habe, hat 
West später meine Methodik der Sackoperation mit Rildung 
eines Hautperiostlappens angenommen und genau das von 
mir in der Berliner laryngologischen Gesellschaft im Januar 
1912 beschriebene erste Verfahren veröffentlicht (5), dabei 
allerdings vergessen, zu erwähnen, dass diese Methode in 
Fortbildung seines ersten Verfahrens von mir angegeben 
worden ist. Auch hat er in weiteren Veröffentlichungen 
trotzmeiner mit genauen Daten belegten Vorhaltungen (6) 
verabsäumt, diese Tatsache zuzugeben. loh sehe mich des¬ 
halb genötigt, hier noch einmal darauf hinzuweisen, dass 
das von West im 27- Band, Heft 3 des Archivs für Laryngologie 
veröffentlichte Verfahren mit dem zwei Jahre vorher von 
mir beschriebenen fast Zug um Zug. identisch ist. Dagegen 
hat Polyäk eine eigene Methodik ansgebildet, bei der er 
später einzelne meiner Vorschläge verwandte. 

Ich gehe hier noch einmal auf die Technik der intranasalen Tränen¬ 
sackoperation genauer ein, weil sie sich im Laufe der Jahre noch etwas 
vereinfacht und verbessert hat, und weil eine grosse Anzahl von Ope¬ 
rationen mir heute ein sicheres Urteil über ihren Wert gestattet. 

Das Operationsgebiet ist der vorderste Teil der Nase unmittelbar 
vor der mittleren Muschel, der in Abbildung 1 mit d bezeichnet ist. 
Dieses Gebiet kommt sonst für operative Eingriffe in der Nase nicht in 
Betracht und hat erst in den letzten Jahren an Bedeutang gewonnen 
lür die von mir angegebene intranasale Operation der vordersten Sieb¬ 
beinzellen und der Stirnhöhle. 


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18. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


257 


Abbildung 1. 



1 obere, 2 mittlere, S untere Muschel. 


Technik der Operation 1 ). 

Unmittelbar vor der mittleren Muschel wird die Schleimhaut und 
das Periost in einem Viereck Umschnitten (Abbildung 2 d), das in dir 
Grösse schwankt, aber meist dem Kopfe der mittleren Muschel an 
Grösse entspricht. Gemäss dem Verlauf des Saccus geht es ein wenig 
von vorn oben nach hinten unten. Es geht nicht ganz bis zum 


Abbildung 2. 



mittleren Nasengang herab. Der umschnittene viereckige Schleimhaut- 
Periostlappen wird mittels feinen Elevatoriums abgehebelt und entfernt, 
so dass der Knochen bloss liegt. Die vor der mittleren und oberen 
Muschel - gelegene Schleimhaut wird in ihrer Totalität Umschnitten, so 
dass das Messer am inneren Nasendach entlang geführt wird, so hoch 
man nach oben kommen kann. Der Schnitt endet dicht über der Apertura 
piriformis und biegt von hier nach hinten, um etwas unterhalb des 
mittleren Nasenganges am Kopfe der unteren Muschel zu endigen. Es 
entsteht so etwa ein Dreieck (a, b, c), das aus Schleimhaut und Periost 
besteht. Dieses wird abgehebelt und nach hinten geschlagen (a, b, c), 
so dass man den Agger narium, der von Kopsch anch Torus lacrymalis 
genannt wird, völlig übersehen kann (Abbildung 3). Der ganze das 
Operationsfeld bildende seitliche Nasenwandknochen muss klar über¬ 
sichtlich sein. Gegen meine frühere Methode hat sich die jetzige inso¬ 
fern vereinfacht und verändert, als ich nicht mehr einen türflügelartigen, 
sondern einen annähernd dreieckigen Hautperiostlappen bilde und den 
Ausschnitt für den Durchtritt des Tränensackes grösser und viereckig 
gestalte und ihn weiter herabführe. 

Die knöcherne freigelegte Wand wird nun durchgemeisselt. Die 
hintere Begrenzung des etwa viereckigen Knochenfensters (e, f, g, h) 
(Abbildung 4) liegt dicht vor der mittleren Muschel, die untere etwas 
oberhalb der Apertura piriformis, ein -wenig höher als die Grenze des 
Schleimhautperiostlappens, die vordere Grenze geht parallel dem inneren 
Nasendach und etwa l / 2 cm hinter ihm. Nach Durchmeisselung des 
Knochens hebelt ein kräftiges Elevatorium die äussere Haut und das 


1) Die weiteren Abbildungen sind nach eigenen Photographien von 
Präparaten meiner Sammlung halbschematisch durch den Zeichner Herrn 
Helbinp hergestellt. 


Abbildung 3. 



Aussenperiost von dem Knochen ab. Oben wird der Knochen ein¬ 
gebrochen, nötigenfalls naohdem der Meissei die Stelle angeschlagen 
hat. Sie entspricht etwa dem oberen Nasengang. Das ausgemeisselte 
Knochenstück hat naturgemäss verschiedene Grösse, weil das Operations¬ 
feld vorn an Grösse ziemlich stark wechselt. Es hat oft eine Länge 
von etwa 2 cm und eine Breite von 1 cm. 

Nunmehr liegt der Tränensack völlig frei (Abbildung 4). Man kann 
ihn nachPolyäk von aussen duroh das Knochenfenster hindurchdrücken 


Abbildung 4. 



und eröffnen. Uebersichtlicher erscheint mir, wenn man eine dünne 
Tränensacksonde durch einen der Tränenkanälchen hindurchfübrt und 
die mediale Sackwand nach innen vordrängt (Abbildung 5 bei o). Man 


Abbildung 5. 



Schematische Skizze der Tränenwege. a,b = mediale Sackwand. a,c,b = die 
duroh die eingeführte Sonde S nach medial vorgewölbte mediale Sackwand. 

kann den Sondenknopf meist gut hindurchschimmern sehen. Die Ein¬ 
führung bietet um so geringere Schwierigkeiten, al9 in vielen Fällen der 
Augenarzt schon die Schlitzung eines Tränenkanälchens vorgenommen 
hat. Ist der Tränenpunkt, wie in einigen seltenen Fällen, so eng, dass 
selbst die dünnste Sonde sich nicht einführen lässt, so genügt eine 


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258 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


minimale Erweiterung mittels des Schlitzmesserchens. Eine grössere 
Schlitzung habe ich nie nötig gehabt. Eine blosse Dehnung, wie West sie 
vorschlägt, genügt vielfach für die Dauer nicht, da hin und wieder eine 
spätere Kontrolle mit der Sonde erforderlich ist, und dann erneut eine 
Dehnung gemacht werden muss. 

Dass die Einführung einer dünnen Sonde durch ein Tränenkanälchen 
irgendeinen Schaden für die Funktion anrichten könnte (Polyäk), habe 
ich nie gesehen, erscheint mir auch theoretisch unwahrscheinlich. 

Die Sonde drängt also die mediale Sackwand (a, b der Skizze) nach 
innen und unten vor. Am tiefsten Punkte b, an dem Uebergang des 
Sackes in den Ductus, wird der Sack mittels eines feinen Messers an¬ 
geschnitten. Die mediale Sackwand wird mit einer dünnen Fasszange 
angeklammert, wofür sich mir eine zarte Klemme sehr bewährt hat, die 
ähnlich wie ein Pöan konstruiert ist (Abbildung 6). Während man 

Abbildung 6. 



jnit der Klemme die mediale Sackwand leicht nach innen zieht, schneidet 
das Messer sie an der Uebergangslinie zur Seitenwand scharf ab. Eine 
Kontrolle überzeugt, ob keine vorstehenden Sackteile übrig geblieben 
sind, die sonst mit dem Messer, einem feinen Ohr- oder Nasendoppel¬ 
löffel abgetragen werden. Deutlich sieht man die Schleimhaut der seit¬ 
lichen Sackwand, sieht die gemeinsame Mündungsstelle der beiden 
Canaliculi und erkennt etwaige wesentliche krankhafte Veränderungen 
(Abbildung 7). 


Abbildung 7. 



Während noch die Sonde in die Nase frei hineinragt, wird der 
Schleimhautperiostlappen über die seitliche Saekwand und die Wunde 
ausgebreitet. Man überzeugt sich, dass die zu Beginn der Operation 
angelegte viereckige Oeffnung gross genug ist, um die seitliche Sackwand 
völlig frei hindurchsehen zu lassen. Sonst muss sie noch ein wenig 
erweitert werden, damit sich keine Recessus bilden, die den Er¬ 
folg beeinträchtigen könnten (Abbildung 8). Der Schleimhautperiost¬ 
lappen wird mittels Killian’schen Nasenspiegels leicht an seiner Stelle 
angehalten und ein kleiner Vioformgazetampon dagegen gelegt, der den 
Lappen an der richtigen Stelle festhält. Bei einiger Vorsicht lässt sich 
eine unbeabsichtigte Verschiebung sicher vermeiden. 

Ueber die Form des Schleimhaut-Periostlappens erscheinen einige 
Bemerkungen am Platze. Der erste von mir vorgeschlagene Lappen 
hatte eine Türflügelform mit der Basis nach hinten und unten 1 ). Nach 
Freilegung des Sackes nahm ich den oberen Teil des Lappens fort und 
liess dort den Sack frei in die Nase hineinsehen. Diese Lappenbildung 
hat auch West angenommen. Hierbei musste ich aber oft zu viel 
Schleimhaut oben fortnehmen, weil der Sack keineswegs dem obersten 
Abschnitt der Nase entspricht, sondern, wie gesagt, etwa dem Kopf der 
mittleren Muschel. Selbst wenn er, wie Polyak riohtig augibt, des 
Oefteren von vordersten Siebbeinzellen überlagert ist, kann er zwar tief 
in der angelegten intranasalen Wunde liegen, aber — entsprechend 

1) Sitzungsbericht der Berl. laryng. Ges. vom 12. Mai 1911 und 
Abbildung 1 meiner Arbeit in Arch. f. Laryng., Bd. 28, H. 2. 


Abbildung 8. 



seiner anatomischen Lage am medialen unteren Winkel der Orbita — 
nicht höher hinaufragen, als der vordere Ansatz der mittleren Muschel. 
Der Sch leimhaut-Periostschnitt aber muss zweckmässig das ganze vor¬ 
derste Operationsgebiet freilegen und geht vom Nasendach bis etwa zur 
Apertura piriformis. 

Der durch meine Lappenbildung erzielte Vorteil besteht darin: 

1. Man gewinnt ein klares und übersichtliches Operationsfeld. 

2. Es wird nicht überflüssigerweise funktionstüchtige Schleimhaut ge¬ 
opfert, wie bei den vor meinem Vorschlag beschriebenen Methoden. 

3. Der relativ grosse Lappen schmiegt sich gut in die ausgemeisselte 
Knochenwunde hinein und bedeckt sie bis auf das für den Durchtritt 
der seitlichen Tränensackwaud ausgesparte Fenster, dessen Grösse 
man nach einiger Erfahrung ziemlich richtig schätzen kann. Falls 
nötig, kann man das Fenster später unschwer noch etwas vergrössern. 

4. Dadurch, dass die ganze Knochenwunde sofort wieder gedeckt ist, 
vermeidet man am sichersten die Bildung von Granulationen und 
Narben und späteren Verziehungen und Verwachsungen. Die Heilung 
wird dadurch also ungemein beschleunigt und gesichert. 

Wenn nun West und auch Polyäk, wie ich es früher tat, den 
oberen Abschnitt des Lappens abschneidet, so begibt er sich dadurch 
eines wesentlichen Teils der durch die Lappenbildung angestrebten 
Vorteile gerade in der unmittelbaren Umgebung der seitliohen Sackwand. 

Die neue Form des Lappens, die ich vorschlage, entspringt dem 
Streben nach einfacherer Linienführung, weil ich mich überzeugen musste, 
dass die Kollegen sioh im obersten vordersten Teil der Nase nicht gut 
zurecht fanden und der obere Schnitt des Türflügellappens ihnen schwer 
fiel. Der vordere Schnitt am Nasendach entlang ist einfacher und ge¬ 
nügt für alle Fälle, umfasst auch manchmal noch besser die ganze 
Schleimhaut. Der viereckige Ausschnitt vor dem Kopf der mittleren 
Muschel entspricht besser der anatomischen Form des Sackes als die 
Kreisform, die sich ja auch nicht genau einhalten lässt. 

Die Operation wird in örtlicher Betäubung ausgeführt. Ich pinsele 
die seitliche Nasenwand mit einem Wattepinsel voll lOpCt. Cocain mit 
Suprareninzusatz und spritze dann eine Vz proz. Lösung von Novocain 
mit Suprarenin in die Schleimhaut der Nase und von dort aus an der 
Apertura periformis vorbei in das äussere Periost bis zu den Canaliculi 
hinauf. Beginn der Operation nach 5—10 Minuten oder etwas später. 
Sie ist dann immer völlig schmerzlos und zuweilen mit wenigen Tropfen 
Blutverlust durchzuführen. Nur das Meissein wird als unangenehm 
empfunden. Macht man aber vorher darauf aufmerksam, so begegnet 
man kaum jemals irgendwelchen Schwierigkeiten. 

Nicht selten kommt es vor, dass die Nase im oberen Teil gerade 
der kranken Seite verengt ist. Dann muss man sich vorher durch sub- 
mucöse Septumoperation den nötigen Platz schaffen. Von der mittleren 
Muschel habe ich nur dann etwas fortnehmen müssen, wenn sie nennens¬ 
wert am Kopf vergrössert war. Sonst hat man immer genügend Platz davor. 

Die Dauer der Operation ist nach entsprechender Uebung eine relativ 
kurze. Nach genügender Vorbereitung und bei nicht gerade ungewöhn¬ 
licher störender Blutung habe ich seit langem ohne jedes Hasten nicht 
mehr als 10—15 Minuten gebraucht. Muss vorher die Septumoperation 
gemacht werden, so kann die doppelte Zeit nötig sein. Doch habe ich 
doppelseitige Tränensackoperationen mit vorangehender Septumoperation 
und Abtragung etwaiger Schwellung der unteren oder mittleren Muschel 
vielfach in 30—40 Minuten ausgetührt. Es wird also an die Wider¬ 
standskraft der Patienten keine beträchtliche Anforderung gestellt, und 
ich habe auch nachher keine Klagen darüber gehört. 

Die Narkose habe ich für die Operation nur dreimal nötig gehabt; 
einmal bei einer überaus ängstlichen jungen Dame, die sich durch 
keinerlei Zureden zu einer Operation bei örtlicher Betäubung entschliessen 
wollte, einmal bei einem Kinde von 2 y 4 Jahren und bei dem oben be¬ 
schriebenen Säugling. Die Narkose erschwert natürlich die Operation 
bedeutend und verlängert ihre Dauer. Legt man aber vorher Suprarenin 
ein und umspritzt das Operationsgebiet, so lässt sich der Eingriff auch 
in Narkose ohne zu grosse Schwierigkeiten durchführen. 


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18. Mftrs 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


259 


Die Vorteile der yod mir vorgeschlagenen Methode liegen besonders 
in der Operation am Tränensack und in der Bildung des Schleimhaut- 
Periostlappens. 

Die Operation am Sack hat den Vorteil, dass man an das wesent¬ 
lich für Erkrankungen in Frage kommende Organ direkt herangeht. Die 
Erkrankungen des Duotus, meist Stenosen am Uebergang zum Saccus 
oder fortgeleitete eitrige Katarrhe, werden ausgeschaltet. Der als unge¬ 
nütztes Rohr zurückbleibende Ductus wird praktisch gleichgültig, heilt 
überdies nach der Saccusoperation von selber aus. Die Entfernung der 
medialen Sackwand lässt die seitliche Saokwand offen in die Nase mün¬ 
den. Wenn die Bildung von Recessus vermieden wird, so kann sich 
keinerlei Sekret hier mehr ansammeln, die kranke Sohleimhaut wird 
von dem vorüberstreichenden Luitstrom der Atmungsluft getroffen, der 
in dieser Gegend besonders stark wirkt, und in kürzester Zeit durch 
Austrocknung geheilt. 

Es kommt darauf an, Verhaltungen, Verziehungen, Narbenbildung 
zu vermeiden. Dies tut aber der Schleimhaut-Periostlappen. Wird er 
sorglioh abpräpariert und gut erhalten, so legt er sioh sogleich nach der 
Operation schützend über die ganze Wunde, und nur in der Gegend des 
vorgesehenen viereckigen Fensters bat er eine Unterbrechung, duroh die 
der Rest des Sackes, die seitliche Saokwand hindurohsieht. Daraus 
folgt, dass das Fenster gross genug sein muss, aber nicht zu gross. Ist 
die Oeffnung des Lappens nur wenig grösser, so schadet der sohmale 
neben dem Sack verbleibende Wundrand nichts. Er überhäutet sich 
sehr schnell. Nur muss man darauf achten, dass die Oeffnung nicht zu 
klein ist, damit sich keine Buchten und Nischen bilden können. Das 
kann aber bei einiger Uebung leicht vermieden werden. 

Es kann nun nach den bekannten Daten der Literatur keinem 
Zweifel unterliegen, dass ich sowohl als erster die intranasale Operation 
des Saccus ausgeführt als auch die Bildung des Schleimhaut Periost¬ 
lappens angegeben habe. West sprach 1910 nur von der Duotus- 
operation und nahm mit dem Knochen die ganze Schleimhaut fort. Ich 
stellte im Jahre 1911 meinen ersten Fall von Tränen sack Operation vor 
und beschrieb gleichzeitig die Bildung des Sobleimhaut-Periostlappens. 
Poly&k veröffentlichte (8) unabhängig von mir 1912 eine vorläufige 
Mitteilung über seine ersten Operationen am Saccus und arbeitete später 
eine eigene Methodik aus. Und erst im Herbst 1913 veröffentlichte 
West (5) seine Erfahrungen an ISO Fällen aus der Silex’scben Augen¬ 
klinik. In dieser Arbeit spricht er eingehend über die Operation des 
Sackes und beschreibt die Bildung eines Schleimhaut-Periostlappens, der 
mit meinem zuerst 2 1 / 2 Jahre früher vorgeschlagenen Zug um Zug 
identisch ist. Er erwähnt meinen Namen aber nur in einem ganz 
anderen Zusammenhänge, indem er eine von ihm völlig missverstandene 
Lappenbildung am Sack bzw. Duotus (s. u.), die ich aus ganz anderen 
Gründen empfohlen hatte, angreift. Doch will ich hierauf nicht weiter 
eingehen, da es in diesem Zusammenhänge gleichgültig ist ünd ioh schon 
an anderer Stelle darauf hingewiesen habe (6). 

Fern liegt es mir, die Verdienste West’s schmälern zu wollen, 
der zuerst an einem sehr grossen Material mit vieler Mühe die 
Operation erprobt und duroh Publikation an verschiedenen Stellen für 
ihr Bekanntwerden gesorgt hat; wie ioh auch gern betone, dass ich erst 
durch seine erste Publikation zu eigenen Arbeiten angeregt worden bin. 
Das gleiohe Verdienst gebührt aber auch Poly&k, der seit langem und 
länger als West an der Ausbildung und Vervollkommnung der Methodik 
gearbeitet hat. Wenn dieser jedoch im Arch. f. Laryng., Bd. 27, S. 501 
ausführt, ich hätte den Duotus und facialen Teil des Saccus, nicht 
aber die mediale Saecuswand fortgenommen, so verwechselt er eine 
von mir am unteren Saccusteil in bestimmten Fällen vorgesohlagene { 
Ventilbildung (s. o.) mit gleichzeitig beschriebener Fortnahme der 
medialen Saecuswand, wie ioh das schon früher dargetan habe (6). 

Das für die Operation benötigte Instrumentarium ist überaus ein¬ 
fach. Man gebraucht ein Hartmann’aehes Nasenspeculum, das ich hand¬ 
licher und für Operationen zweckmässiger gestaltet habe; eine feines 
und ein stärkeres Elevatorium nach meinem Modell, ein langes Nasen¬ 
messer am besten mit kurzer Klinge; einen über die Fläche gebogenen 
geraden Meissei (gut ist der von West), oder besser zwei mit breiterer 
und schmalerer Sohneide; eine silberne Tränensack-Doppelsonde und 
eine Tränensaokfasszange zum Festhalten der medialen Saokwand. Hier¬ 
für kann ioh das von mir konstruierte Modell empfehlen, das ich seit 
mehreren Jahren mit bestem Erfolg benutze. (Abbildung 6). Stanzen 
nach Polyak habe ioh nie, Fräsen nur gelegentlich zur Glättung der 
Knoohenwunde nötig gehabt. Die Erfolge der Operation sind grössten¬ 
teils glänzende, zum Teil verblüffende. Man kann bei richtiger Aus¬ 
führung des Eingriffs eine praktische Heilung in 5—6 Tagen ver¬ 
sprechen. Als sehr charakteristisch führe ich nur 2 Fälle an. Der eine 
ist ein Analogon zu dem oben beschriebenen Säugling. Es handelte 
sich um einen Jüngling von 18 Jahren, der seit seinem zweiten Lebens¬ 
jahre, also 16 Jahre laog, wegen Tränensaokeiterung und -erweiterung 
behandelt worden war. Er war jahrelang sondiert worden und trug 
während 9 Jahren eine Dauersonde, ohne dass eine Heilung erreioht 
werden konnte. Duroh einen unglücklichen Zufall wurde eines Tages 
die Dauersonde in den Tränensack bineingedrückt und war nicht mehr 
herauszubekommen. Der Patient wurde mir zugesohickt. Ich riet zu 
der intranasalen Operation und versprach dem augenärztlichen Kollegen 
nicht nur die Entfernung der Sonde, sondern auch eine Heilung des Saok- 
leidens binnen 5—6 Tagen I loh habe mein Versprechen halten können. 

Einen zweiten sehr interessanten Fall verdanke ich Herrn Professor 
Gutmann. Es handelte sioh um eine alte Frau, die seit 32 Jahren an 


Trachom litt Der Prozess in der Conjunctiva war durch Herrn Pro¬ 
fessor Gut mann beseitigt, aber flackerte immer wieder auf duroh eine 
Eiterung des Tränensackes, die von Herrn Prof. Gutmann als tracbo- 
matös angesehen wurde. Ioh operierte die Patientin. Die mediale Sack¬ 
wand zeigte mikroskopisoh schwerste Veränderungen, die der Pathologe 
als auf Trachom beruhend bezeichnete. Der Erfolg war auch hier ein 
vollständiger. Die Eiterung des Sackes hörte natürlich sofort auf. 
Aber damit verschwand auch die noch bestehende ohronische Conjuncti¬ 
vitis und die Blepharitis, und die überaus entstellte, triefäugige Frau war 
in kaum 4 Wochen völlig geheilt, und in jahrelanger Beobachtung ist 
kein wesentliches Reoidiv auch der Conjunotivitis und Blepharitis wieder 
aufgetreten. 

Besonders günstige Prognosen geben chronische Eiterungen und 
Ektasien des Saokes. Da die zurückbleibende seitliche Sackwand frei 
in die Nasenhöhle hineinragt, so wird sie von dem besonders nach oben 
wirkenden Luftstrom der Atmung getroffen und duroh Austrocknung 
schnell geheilt. Wenn richtig operiert worden ist und sioh keine Re¬ 
cessus bilden, so kann man, wie gesagt, eine sichere Heilung in wenigen 
Tagen erwarten. Auoh Fisteln des Sackes selbst nach vorangegangener 
äusserer Operation geben gute Prognosen. Sie heilen nach innerer Frei¬ 
legung in kürzester Zeit, oft innerhalb einer Woohe. Gleich gute Er¬ 
folge erzielt man bei Phlegmonen in der Umgebung des Saccus, bei 
Stenosen des Duotus. Durch Ausschaltung des Duotus kommt seine ab¬ 
leitende Funktion nicht mehr in Frage, und eine schnelle Heilung 
wird unsohwer erreicht werden. Auch bei Schussverletzungen hat sieh 
die Operation durchaus bewährt, wenu nioht umfangreiche Zerstörungen 
eingetreten waren. Dann war natürlich jeder intranasale Eingriff ausge¬ 
schlossen. 

Die Indikation zur intranasalen Tränensaokoperation wird selbstver¬ 
ständlich am zweokmässigsten von dem behandelnden Augenarzt gestellt. 
Man wird mit fortschreitender Uebung diese Indikation recht weit stellen 
können. Nur sehr wenige Fälle wird es geben, wo die Operation keinen 
Erfolg verspricht. 

Der Prozentsatz der Heilungen ist für Entzündungen und Stenosen 
in den unteren Tränenwegen ein sehr grosser. Bei genügender Uebung 
bleibt er kaum viel unter 100 pCt. zurück. Nicht ganz so günstig sind 
die Erfolge in einzelnen Fällen von einfachem Tränenträufeln. Dabei 
kommt es sehr auf die Mechanik der ursächlichen Momente an, und es 
kann wohl Vorkommen, dass nach bestens gelungener Operation das 
Tränenträufeln wenig oder gar nioht gebessert ist. Hier werden noch 
weitere Erfahrungen gesammelt werden müssen, bevor man den besten 
Weg erkennt. Eine Reihe von Versuchen lassen mich hoffen, auch in 
diesen Fällen bald bessere Erfolge erzielen zu können. 

Wenn von einigen Seiten über weniger günstige Erfahrungen mit der 
intranasalen Operation gemacht worden sind, so kann dies nur an nicht 
genügender Technik liegen. Ioh habe bisher 285 Fälle von Tränensack¬ 
erkrankung operiert, davon 81 Fälle doppelseitig, also 816 Fälle von 
Tränensackoperation. Diese haben mit einigen wenigen Ausnahmen, 
die auf die erste Zeit der Operation fallen, so gute Erfolge ergeben, 
dass ein Zweifel an dem Werte der Operation heute nicht mehr möglich 
ist (nach meinem Vortrag habe ioh weitere 23 Fälle erfolgreich operiert). 

Vergleiche mit der Toti’schen Operation habe ich wenig Gelegen¬ 
heit gehabt anzustellen. Ich habe nur zwei Fälle nach Toti operiert. 
Den ersten mit völligem Misserfolge wegen starker Blutung trotz ent¬ 
sprechender Vorbereitung, den zweiten mit gutem Gelingen. Doch 
batte sich bei diesem später die nasale Oeffnung erheblich verengt. 
Weitere Versuche habe ich aus theoretischen und praktischen Gründen 
aufgegeben. Theoretisch musste ich mir sagen, dass die ausgelöste seit¬ 
liche Saokwand sich niemals von aussen so gut in die neu geschaffene 
Oeffnung nach der Nase hineinfügen lassen könnte, wie bei der inneren 
Operation die fest mit der Seitenwand in Verbindung gebliebene. Und 
dann musste immer die Bildung des geeigneten Knochen- und Periost¬ 
schleimhautfensters von aussen her grössere Schwierigkeiten bieten als 
die von innen, wo der Ueberblick jeden Augenblick gewährleistet blieb. 
Praktisch aber überhoben mich meine Erfolge durchaus jedem Wunsobe, 
die theoretischen Bedenken durch weitere Versuche vielleicht einzu¬ 
schränken. 

Wenn an anderer Stelle vergleichende Versuohe zu¬ 
gunsten der Toti’sohen Methode ausgefallen sind, so kann 
das meines Erachtens nur an nioht riohtig ansgeführter 
intranasaler Operation liegen. 

Zum Schluss bleibt mir noch der herzliche Dank an die Augenärzte 
Geheimrat Sohöler, Prof. Gutmann, DDr. Türk, Schweigger, 
Lewin, Hildesheimer, May übrig, die duroh freundliche Zuweisung 
von geeigneten Patienten meine Versuche ermöglicht haben. 

Literatur. 

1. Toti, Nouvelle möthode conservative de traitement radioal de 
suppurations du sao laorymal. La olinica moderna, 1904, Nr. 8. — 
2. Drei Arbeiten aus der Prager Klinik Elschenig’s: a) R. Salus, 
Ueber die Dacryocystorhinostomie nach Toti. Klin. Mbl. f. Aughlk., 
1909. Bd. 47, H. 1. b) Derselbe, Erfahrungen über Daoryocystorhino- 
stomie nach Toti. Klin. Mbl. f. Aughlk., 1911, Bd. 49. o) Löwen¬ 
stein, Dacryocystorhinostomie naoh Toti oder Eröffnung des Tränen¬ 
sackes von der Nase aus (West-Poly&k). Prag. m. Wschr., 1914, Bd. 89, 
Nr. 88. — 3. Poly&k, Die rhinologische Behandlung von Erkrankungen 
des Tränenapparates. Semon’s Zbl. f. Laryng. usw., Sept. 1912. Vgl. 

8 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


hier auch bzgl. früherer Arbeiten. — 4. Polyak, Die Technik der 
intranasalen Daoryocystorhioostomie. Arch. f. Laryng., Bd. 27, H. 8. — 
5. West, Eröffnung des Tränensackes von der Nase aus. Aroh. f. 
Laryng., Bd. 27, H. 8. — 6. Halle, Zur intranasalen Operation am 
Tränensaok. Arch. f. Laryng., Bd. 28, H. 2. 


Aus dem Festungslazarett Breslau, Abteilung Aller¬ 
heiligen-Hospital. (Ohrenstation: Primärarzt 
Dr. Görke.) 

Ueber militärärztliche Gehörprüfung 1 ). 

Von 

Dr. Edmund Wertheim. 

Die jetzt so überaus häufig vorzunebmenden militärärztlichen 
Hörprüfungen unterscheiden sich nicht unwesentlich von den 
sonstigen Gehöruntersuchungen, bei denen — abgesehen von 
den Unfallverletzten Rentenaspiranten — die untersuchten Er¬ 
wachsenen in der Regel eifrig bestrebt sind bei der Prüfung 
mittels Stimme und Summgabeln dem Arzte das Optimum ihrer 
Hörfähigkeit kundzotun. Die jetzige militärärztliche Gehör 
prüfung im Kriege spitzt sich zumeist auf die Feststellung der 
Frage zu, ob dasjenige Quantum von Hörvermögen vorhanden 
ist, das die Kriegsverwendungsfähigkeit bedingt, oder im Nicht¬ 
falle, welche sonstige Verwendungsfähigkeit aus dem vorhandenen 
Hörquantum resultiert, zweitens aber oft auf die Beurteilung der 
Frage, ob und inwieweit die Angaben des Untersuchten auf voller 
Wahrheit beruhen, ob also etwa Aggravation oder Simulation 
bei seinen Angaben im Spiele sind. Ausser diesen beiden wichtigen 
Gesichtspunkten, die einen bestimmten Modus procedendi vorn 
schreiben, ist bei den Höruntersuchungen der Heeresangehörige¬ 
häufig von wesentlicher Bedeutung die Beurteilung der Frage, ob 
eine Schädigung der Hörnerven durch Kriegsverletzung, durch 
Artilleriefeuerwirkung, durch Granatkommotion oder Verschüttung, 
ferner ob eine psychogene Hörscbädigung durch traumatische 
Hysterie vorliege, ob und inwieweit bei schon früher vorhandenen 
Hörleiden, z. B. professioneller Schwerhörigkeit oder Otosklerose 
durch Schädlichkeiten des Heeresdienstes oder durch Kriegsver¬ 
letzung eine Verschlimmerung des Leidens zu konstatieren ist. 
Indes auch in allen diesen Fällen werden die beiden obenge¬ 
nannten Fragen nach dem Grade der Verwendungsfähigkeit und 
nach evtl. Aggravation unser Vorgeben und unser Ziel bei der 
Untersuchung sehr wesentlich bestimmen. 

Bei den militärischen Hörprüfungen ist meines Erachtens fast ebenso 
wichtig, wie die angewandten Methoden zur Feststellung des Hörvermögens 
diePersöulicbkeit des untersuchenden Arztes, bei dem genügende Erfahrung, 
Menschenkenntnis und psychologisches Verständnis und Beobachtungs¬ 
vermögen unentbehrliche Eigenschaften sind, die ihn oft in wenigen 
Minuten einen Fall richtig erkennen und beurteilen lassen, den ein in diesen 
Dingen ungeschulter Untersucher selbst bei längerer Beobachtangszeit und 
unter Anwendung komplizierter Untersuobungsmethoden kaum richtig zu 
deuten vermag. Freilich gibt es Fälle, in denen auch geübte Untersucher 
nur durch mehrfache Untersuchungen oder gar erst durch genauere 
klinische Beobachtung zu einer richtigen Auffassung gelangen können. 
Jedenfalls muss man zur Erzielung einer gerechten Beurteilung, durch 
die man der Militärbehörde und den Untersuchten in gleicher Weise 
zu ihrem Recht verhilft, unbedingt bestrebt sein, sich in die Psyche 
der zu Untersuchenden, soweit es die oft nur karg bemessene Zeit 
gestattet, einzufühlen. 

So darf man von vornherein eine geringfügige, ja leicht begreifliche 
und verzeihliche Aggravation dem Untersuchten nicht zu schwer an¬ 
kreiden und für die Gesamtbeurteilung nicht überwerten. ln den 
folgenden Ausführungen ist darum unter Aggravation stets ein stärkerer 
Grad von Uebertreibung zu verstehen. 

Was nun die Untersuchung selbst anlangt, so wird man schon aus 
der ganzen Art des äusseren Benehmens des zu Untersuchenden, aus der 
Form, in der er auf Fragen reagiert, wie er antwortet bzw. nicht ant¬ 
wortet, wertvolle Anhaltspunkte für die Glaubwürdigkeit seiner späteren 
Angaben gewinnen. Man wird beobachten lernen, wie der Aggravant 
oft durch mancherlei künstliche Mittel seine Schwerhörigkeit dem Arzt 
besonders sinnfällig zu machen sich bemüht, wie er zwar bei absichtlich 
leisem Fragen sofort aufhorcht, dabei aber durch Annähern des Kopfes 
an den prüfenden Arzt bzw. an die vorgehaltenen tönenden Stimm¬ 
gabeln, an die er dann oft mit seinem Kopfe anstösst, ferner durch 
Anlegen der Hohlhand an die Ohrmuschel oder duroh mehrfache Be¬ 
teuerungen, dass er zwar höre, aber nichts verstehen könne, einen 
hohen Grad von Hörstörung glaubhaft machen will, während der wirklich 
hochgradig Schwerhörige kaum die Frage vernimmt, sie naoh Wieder¬ 
holung — wobei er bei längerem Bestand einer sohweren Hörstörung 

1) Der Redaktion im Mai 1917 eingereicht. 


sich abzulesen bemüht — mit charakteristischer, monotoner, lauter, 
eigentümlich harter Stimme beantwortet, im übrigen zumeist gleichsam 
keinen „unnützen Aufwand vertut“, sondern im Bewusstsein seines 
Rechtes die Dinge einfach für sich selbst sprechen lässt. Es wird dem 
aufmerksamen Untersucher ferner nicht entgehen, wie der Aggravant beim 
Nachsprechen beliebiger geflüsterter Zahlen oft nur die Einer oder nur die 
Zehner naohspricht; wie er oft bei Zahlen mit gleicher Ziffer im Zehner 
und Einer dieselbe Ziffer nur im Zehner oder nur im Einer hören will, 
also z. B. statt 66 etwa 65 oder bei Wiederholung 67 usw., statt 88 
z. B. 78 oder bei Wiederholung 83 usw. nachspricht, wie er ferner oft 
plötzlich beim Nachsprechen leicht stottert oder bisweilen mit den Lippen 
unbewusst schon leise die richtige Zahl andeutet, ohne Bie laut zu sagen, 
wie er infolge entsprechender Ermahnungen oft bei Wiederholung der 
gleichen Zahl aus der gleichen oder sogar aus einer grösseren Entfernung 
— bisweilen sogar bei absichtlich viel leiserem Flüstern 1 — doch prompt 
nachspricht. Sehr verdächtig wirkt es auch, wenn der zu Untersuchende 
den Arzt, ohne über dessen Rang und Titel unterrichtet zu sein, dauernd 
mit „Herr Professor“ oder „Herr Oberstabsarzt“ anredet. 

Bei den Stimmgabelprüfungen kommt man nach längerer Erfahrung 
zu der Erkenntnis, dass die zu Untersuchenden Bich deutlich in 
zwei Kategorien gliedern. Die der einen Zugehörigen geben kurz und 
bündig ihre wirklichen Sinneseindrüoke an, während die der anderen 
entweder ihre Angaben aaf „logische“ Ueberlegungen aufbauen oder 
wenigstens ihre akustischen Wahrnehmungen duroh Anstellung solcher 
Erwägungen färben und trüben. Das geht bei den letzteren bisweilen 
so weit, dass sie z. B., falls sie einseitig sehr schwerhörig oder taub zu 
sein vorgeben, beim Weber’schen Versuch nach längerem Zögern 
und sichtlichem Ueberlegen direkt den Arzt fragen: „das kann ich 
doch nur in diesem Ohr hören, wenn das andere Obr taub ist?“ oder 
wenn man bei diesem Weber’schen Versuche das eine Ohr verstopfen 
lässt, mit der Frage antworten: „Wenn ich dieses Ohr verstopfe, muss 
ich es doch wohl im anderen Ohr hören?“ 

Es ist ohne weiteres klar, dass man bei der Stimmgabeluntersuchung 
gegenüber den zur zweiten Kategorie Zugehörigen weit mehr aufmerk¬ 
same Vorsicht walten lassen muss, um zu einer richtigen Verwertung 
der Angaben zu gelangen. 

Beachten muss man allerdings, dass die Stimmgabeluntersuchungen 
von dem Prüfling immerhin ein gewisses Maass von Fähigkeit zur 
Selbstbeobachtung und von Intelligenz erfordern. So wird bekanntlich 
hierbei öfter das Fühlen der Stimmgabelvibrationen mit dem Hören 
des Stimmgabeltones verwechselt. Hier und in ähnlichen Punkten 
wird eine ruhige, sachliche Belehrung oft Irrtümer ausschalten können. 
Am vorsichtigsten wird man m. E. bei den einseitig Schwerhörigen oder 
tauben Prüflingen in der Verwertung des Weber’schen Versuches sein 
müssen, der ja an sich schon mit gewissen Fehlerquellen behaftet und 
nur unter bestimmten Kautelen verwertbar ist. Hier hat der an ein¬ 
seitiger nervöser HörstöruDg leidende Aggravant bzw. Simulant das Glück, 
dass die Angabe, die er auf Grund seiner Ueberlegungen macht, zu¬ 
treffend ist. Man wird also bei solchen Aggravanten die Lateralisation 
ins gesunde Ohr beim Weber’schen Versuch diagnostisch nicht über¬ 
werten dürfen, kann zudem oft sofort Aufklärung schaffen, wenn man 
den bekannten kleinen Ergänzungsversuch ausführt: man lässt, falls 
z. B. ins guthörende linke Ohr lateralisiert wurde, nun das linke Ohr 
verstopfen, fragt, wo der Ton jetzt gehört werde, und erlebt es überaus 
häufig, dass entweder sofort oder erst nach längeren Ueberlegungen ge¬ 
antwortet wird: „Nun höre ich es natürlich im anderen Ohre.“ Es ver¬ 
steht sich, dass dieser Versuch — wie schon oben angedeutet — weit 
häufiger bei den zur zweiten Kategorie Gehörigen gelingt. Diese Er¬ 
gänzung des Weber’schen Versuches ist jedenfalls nützlioh für die Be¬ 
urteilung der Glaubwürdigkeit des Prüflings. Einen weiteren Hinweis 
auf die Zuverlässigkeit der Angaben gibt eventuell öfters die Prüfung 
mit hohen Stimmgabeln bei einseitiger starker Schwerhörigkeit oder 
Taubheit: wird z. B. die laut tönende e 4 -Stimmgabel vor das schlechte 
Ohr gehalten, so ist die Angabe, dass von dem Tone überhaupt nichts 
gehört werde, unzutreffend, weil der hohe Ton ja mit dem anderen 
Ohre perzipiert wird. 

Am schwersten gestalten sioh natürlich die Untersuchungen bei ein¬ 
seitig Tauben und bei doppelseitig hochgradig Schwerhörigen oder 
Tauben. Den letzteren wird man schon von vornherein mit ge¬ 
wissem Misstrauen begegnen müssen, wenn sie trotz längeren Be¬ 
standes der Hörstörung sich in keiner Weise bemühen die Worte des 
Arztes von den Lippen abzulesen. Der einseitige Taubheit markierend# 
Prüfling entlarvt sich bisweilen gleich zu Beginn der Hörprüfung dadurch, 
dass er bei verstopftem guten Ohr auch laut ins angeblich taube Obr 
geschrieene Zahlen und Worte nicht nachsprechen zu können vorgiebt. 
Tatsächlich hört der einseitig Taube auch bei Verschluss des hörenden 
Ohres laute Umgangssprache auf etwa 7s m, Flüstern auf etwa 20 cm. 

Eine diagnostische Unterstützung und Aufklärung suchten wir uns 
bei Kochleariserkrankungen auch durch die Funktionsprüfung des Ramus 
vestibularis nervi octavi zu verschaffen, von der Vorstellung ausgehend, 
dass bei erheblicher Schädigung oder völliger Afunktion des Schnecken- 
astes wohl auch der — allerdings weniger vulnerable — Vorhofsast 
des Hörnerven nicht völlig intakt geblieben sein würde. Tatsächlich 
hat uns auch der Nachweis der Vestibularisschädigung durch die kalo¬ 
rische Prüfung naoh Barany in vielen Fällen geholfen die durch un¬ 
zuverlässige Angaben bzw. Aggravation etwas zweifelhafte Diagnose der 
Kochlearisaffektion erheblich zu stützen bzw. zu sichern. Allerdings ist 
hier nur der positive Befund von Wert und dürfen aus dem Fehlen 


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18. Mär« 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


261 


einer Vestibularisschädigung keinerlei wesentliche Schlüsse gesogen 
werden, da Eoohlearisaffektionen erfahrungsgemäß häufig isoliert auf- 
treten. Ueberhaupt mahnen die nach unseren Beobaobtnogen sehr 
wechselnden Vestibülarisbefnnde bei Eoohlearerkrankung zu möglichst 
vorsichtiger diagnostischer Verwertung: fanden wir dooh bei einseitiger 
Eochlearissohädigung bald völlig normale Erregbarkeit, bald Unter¬ 
erregbarkeit, bald Uebererregbarkeit des gleichseitigen Vorhofsastes, 
nicht selten aber auch die vestibulären Reaktionsstörungen entweder 
hochgradiger auf der kontralateralen Seite entwickelt oder sogar allein 
anf sie beschränkt. 

Was die eigentlichen Simulationsproben anlangt, so sind sie zumeist 
verwertbar nur bei einseitiger Taubheit. Wir haben sie früher wohl 
alle häufig genug angewandt, so die Probe mittels T-Schlauohes, ferner 
das Verfahren, bei dem zwei Untersucher verschiedene mehrstellige Zahlen 
gleichzeitig durch 2 Schläuohe in die Ohren hineinsprechen, den bekannten 
Bürstenversucb, den Versuch mit der Barany’sohen Lärmtrommel („Lese¬ 
probe“), den Sten ger’schen Versuch mit zwei gleichen Stimmgabeln, die in 
verschiedenem Abstand tönend vor die Ohren gehalten werden usw. Es 
bat sich uns indes wie auch anderen Untersuohern ergeben, dass diese 
Proben alle mit erheblichen Fehlerquellen behaftet sind, dass vor allem 
der Prüfling duroh Uebung es lernen kann, die Gehörseindrüoke des 
einen Ohres willkürlich zu unterdrücken. Wir haben die Richtigkeit 
dieser Beobachtung durch Nachprüfung an Aerzten und Schwestern be¬ 
stätigt gefunden. Das wirkt um so störender, als viele Prüflinge schon 
in anderen Lazaretten mehrfach untersucht wurden, so dass sie diese 
Uebung oft schon besitzen, duroh die genannten Proben also nicht 
mehr überrascht werden können. 

In manchen Fällen verfängt noch das alte Mittel, dass man, wenn 
der Prüfling absolut gar nichts hören will, plötzlich mit halblauter 
Stimme von der Schwester ein Instrument für eine Ohroperation, die 
man schnell ausführen wolle, erbittet. Ich erlebte erst kürzlich, dass 
der plötzlich hörend gewordene Patient ausrief, er lasse sich nicht 
operieren, weil das Leiden dadurch sich noch verschlimmern könne. 

In besonders schwierigen Fällen ist dann die stationäre Aufnahme 
bohufs klinischer Beobachtung erforderlich. Bei der letzteren ist das 
Wesentlichste vielleicht die Möglichkeit der gründlicheren Erfassung 
der Persönlichkeit des der Simulation Verdächtigen duroh den Arzt, 
durch verständiges Wartepersonal und durch die übrigen Eranken. Die 
Rolle der doppelseitigen Taubheit ist ja bekanntlich unter diesen Be¬ 
dingungen nicht leicht durchzuführen. Dazu kommt für den Arzt 
in manchen Fällen, besonders bei einseitiger Taubheit, die Vergleichs¬ 
möglichkeit verschiedener Angaben, die zu verschiedenen Zeiten bei den 
gleichen bezw. absichtlich ein wenig modifizierten Versuchen gemacht 
werden. Von Bedeutung ist evtl, auch die Anfertigung eines genauen 
Hörreliefs. Bekanntlich ergibt das taube Ohr, das ja die Töne von Oj 
aufwärts — wenn auch wesentlich verkürzt — trotz Verschluss des ge¬ 
sunden Ohres perzipiert, ein Spiegelbild des Hörreliefs des gesunden 
Ohres. Wichtig ist eine den Simulationsverdächtigen gut beobachtende 
Schwester bezw. Wärterin, noch nützlicher aber ist es bisweilen unter 
den übrigen Eranken der Station eine verständige Vertrauensperson zu 
besitzen, die über Simulationsverdäohtige dem Arzt in diskreter Weise 
Mitteilung machen kann. Eine derartige Vertrauensperson gab uns 
beispielsweise über eipen groben Simulanten die Aufklärung, dass 
er, wenn gelegentlioh eine Ordonnanz oder einer der Patienten auf 
der Abteilung die Briefe verteilte, obwohl er Taubheit markierte, bei 
Nennung seines Namens sofort sich meldete, trotzdem er nicht von den 
Lippen ablesen konnte. Manchmal hilft auch hier bei ganz verstookten 
Sündern eine mehr oder weniger sanfte Drohung mit der Meldung an 
die Militärbehörde und mit der damit verbundenen Bestrafung. Ver¬ 
suchen kann man in ganz obstinaten Fällen dem angeblich Tauben bei 
Tagesgrauen beim Aufwecken aus tiefem Schlaf sohnell einen kleinen 
Auftrag zu erteilen oder eine alarmierende Nachricht zu überbringen; 
doch setzt dies Intelligenz und Gesehicklichkeit der prüfenden Per¬ 
sönlichkeit voraus. Die Entlarvung in der Narkose ist meines Erachtens 
aus mehrfachen Gründen durohaus zu verwerfen. 

Seit längerer Zeit nun können wir in der überwiegenden Mehrzahl 
aller dieser Fälle der genannten Proben entraten, seit wir folgende ein¬ 
fache, in ähnlicher Form wohl vielfach ubliohe Prüfung anstellen: Will 
der Untersuchte Flüstern und mittellaute Umgangssprache gar nicht 
hören oder mit einem Ohr gar nichts oder nur lautestes Sohreien hören, 
so gibt man ihm — in letzterem Falle natürlich bei verstopftem gesunden 
Ohre — unvermittelt während der Prüfung ziemlioh leise einen Auftrag, 
z. B. die Augen zu sohliessen. Wird er, was sehr häufig geschieht, prompt 
erledigt, so liegt Aggravation vor. Manchmal gelingt dies weit besser 
während einer genaueren statischen GleicbgewichtsprüfuDg durch die 
Ablenkung bezw. anderweitige Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit. 
In unvergleichlich viel höherem Prozentsatz der Fälle aber 
konnte ich die rasche Entlarvung der starken Aggravation 
bezw. Simulation durch folgende Art der Prüfung herbei¬ 
führen: Die Hörprüfung mittels Sprache und Stimmgabeln 
wird in gehöriger Weise genau durohgeführt, dann lässt 
man eine angemessene Pause eintreten, um dadurch den 
Glauben zu erwecken, als sei die Untersuchung des Ge¬ 
hörs nunmehr völlig abgeschlossen. Jetzt fragt man, ob der 
Prüfling an Schwindel leide, ob er gut sehen könne, und 
fordert nun auf, den vorgehaltenen Finger zu fixieren, den 
man jetzt sur Prüfung auf Spontannystagmus etwa je Vs m 


nach rechts und links bis in die Endstellungen führt. Man 
diktiert laut, ob Spontannystagmus vorhanden ist oder 
nioht, lässt indem man vom Untersuchten nach rückwärts 
zwei bis vier Meter sich langsam entfernt, den Finger in 
der genannten Weise weiter fixieren und befiehlt jetzt 
plötzlioh mit absichtlich, möglichst unauffällig gesenkter, 
leiser Stimme, die Augen zu sohliessen. 

Diese Methode hat sich mir im Militärambulatorium mit seinem 
ungewöhnlich reichen Erankenmaterial ganz erstaunlich gut bewährt. 
Verblüffend wirkt die ungewöhnlich schnelle, glatte Art der Entlarvung. 
Mit einer solchen Methode ist bei der notwendigen schnellen Abfertigung 
im überfüllten Ambulatorium viel gewonnen. Ziemlich häufig sieht 
man, wie der „einfache Mann“ bei dem Befehl des Augenschlusses 
die Augen sofort mit den Fingern verschliesst bezw. die Hände auf 
die Augen legt. Bei einer weiteren Anzahl von Untersuchten sieht 
man, wie sie die Augen zu schliessen beginnen, sie aber momentan duroh 
blitzartiges Erfassen der Situation mittels willkürlicher Unterdrückung 
des Schliessmuskelimpulses dooh weit geöffnet erhalten. 

Das Verständnis des grossen Erfolges dieser einfachen Prüfungs¬ 
methode ist nur auf Basis psychologischer Erwägungen zu gewinnen: 
Versteht es der Arzt, in dem Untersuchten die Vorstellung zu erwecken, 
dass die Hörprüfung beendet ist und nun eine ergänzende kurze Augen- 
prüfung vorgenommen wird, so entfällt für den Prüfling die Notwendig¬ 
keit, seine Aufmerksamkeit weiter auf die von vornherein intendierte 
Aggravation einzustellen. Er wird dann im Moment den Befehl, die Augen 
zu schliessen, keineswegs mehr als eine plötzlioh wieder aufgenommene 
Form der Hörprüfung auffassen — tatsächlich ist er in diesen Fällen in 
einer Beziehung sogar die entscheidende Hörprüfung! — oder wird 
dooh erst einige Momente zu spät, nachdem er vom Arzt schon 
überführt wurde, den wahren Sinn dieser Augenuntersuohung er¬ 
kennen. Die Prüfung dokumentiert sich damit als eine exquisite 
Intelligenzprüfung, misslingt demnach in ganz auffallender Weise bei 
weitem am häufigsten bei geistig höherstehenden Prüflingen. Freilich 
haben wir auch bei anscheinend sehr verständigen und gebildeten 
Prüflingen ihn öfters prompt gelingen sehen, was wohl daran 
liegt, dass der Versuch, psychologisch betrachtet, auch eine Prüfung 
der Aufmerksamkeit, der Eonzentrationsfähigkeit, der Geistesgegen¬ 
wart darstellt, Eigenschaften, die bei quantitativ genügendem Vor¬ 
handensein den Untersuchten davor bewahren, sich „verblüffen zu 
lassen“. Wie schon angedeutet, merkt eine Reihe von Untersuchten, 
bei denen das im Augenblick aufgewendete Quantum der psychischen 
Erfordernisse nur um ein weniges zu gering ist, schon kurz nach 
erteiltem Befehl (anfängliches Zukneifen wollen der Augen, die aber doch 
nioht geschlossen werden), mancher erst später, dass er seiner Ueber- 
treibungen überführt wurde. Das ist der Grund, weshalb nicht selten 
dieser Versuch bei dem gleichen Heeresangehörigen, falls er uns später 
wieder zur Untersuchung zugescbickt wurde, beim zweiten Male miss¬ 
lang. Das Gros der Heeresangehörigen, das sich der Gehörprüfung nicht 
mit irgendwelchen psychologischen Vorstellungen unterzieht, wird, falls 
der Arzt und die übrigen Personen der Umgebung bei der Unter¬ 
suchung den nötigen Ernst bewahren, und die Fiktion von der Prüfung 
der Augen, z. B. durch Hinweis auf ihren günstigen Zustand oder event. 
auf die Notwendigkeit einer genaueren augenärztlichen Untersuchung 
noch besonders aufrecht erhalten wird, von dem Zweck der fingierten 
Augenuntersuchung nichts merken. Am besten gelingt nach meinen 
Erfahrungen der Versuob, wenn ausser dem untersuchenden Arzt niemand 
den Prüfling beobachtet; vor allem wird er misstrauisch, wenn ein 
zweiter Arzt ihn gleichzeitig fixiert. . 

Ein naheliegender Einwand, der mir gegenüber auch schon erhoben 
wurde, ist der, dass der Prüfling den Befehl nur darum prompt aus¬ 
führt, weil er ihn von den Lippen des Arztes abliest. Allein, dass er 
abliest, würde der Arzt ja längst bei dem anfänglichen Erankenexamen 
und bei der eigentlichen Hörprüfung bemerkt haben, also vor Anstellung 
des in Rede stehenden Versuches. Ueberdies kann man ja im Zweifels¬ 
falle nach erfolgtem Augenschluss mit ebenso leiser Stimme das Wieder¬ 
öffnen der Augen oder das Herausstrecken der Zunge usw. befehlen. 
Solche früher von mir häufig erteilten Aufträge wurden dann bei diesem 
Versuohe genau so prompt ausgeführt wie der Augenschluss, woduroh 
allein die Hinfälligkeit jenes Einwandes erwiesen ist. 

Der Wert des Verfahrens besteht, abgesehen von dem Vorzug der 
Einfachheit und der raschen und bequemen Ausführbarkeit, vor allem 
darin, dass mit ihm gleichzeitig ein doppeltes Ziel erreioht wird: 
der gelungene Versuch beweist nämlioh einmal, dass der 
Mann aggraviert bzw. simuliert und zeigt zweitens, dass der 
Mann, der ja aus mehreren Metern Entfernung leise erteilte 
Befehle prompt auszuführen in der Lage ist, bezüglich der 
Ohren bzw. des Hörvermögens, kriegsverwendungsfähig ist. 

Zu betonen ist noohmals, dass sich natürlich der Ver¬ 
such stets erst an die voraufgegangene genaue Funktions¬ 
prüfung der Ohren ansohliessen darf. Schliesslich sei hervor¬ 
gehoben, dass der Versuoh auch bei der Begutachtung von Unfallverletzten 
Rentenaspiranten und bei der Untersuchung Simulationsverdächtiger für 
forensische Zwecke sur Verwendung gelangen kann. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Aus der inneren Abteilung des Städtischen Kranken¬ 
hauses Augsburg. 

Ueber diphtherieähnliche Bazillen im Auswurf. 

Von 

Professor Port. 

In Nr. 19 des Jahrganges 1917 dieser Wochenschr. berichtet 
Landau Aber einen Pall von chronischer Bronchitis mit zahlreichen 
dipbtherieähnlichen Bazillen im Aaswarf bei wiederholten Unter¬ 
suchungen. „Die Bazillen waren der echten Diphtherie so ähnlich, 
dass sie, wenn sie aus einem Tonsillenabstrich stammten, bei der lau¬ 
fenden Untersuchung gewiss überall ohne weiteres als solche dia¬ 
gnostiziertworden wären. u Die Bazillen erwiesen sich im Tierversuch 
avirulent. Aehnliche Beobachtungen sind bisher nur spärlich mit¬ 
geteilt. Ehret 1 ) hat auf die Symbiose von Pseudodiphtherie¬ 
bazillen mit Tuberkelbazillen hingewiesen; er konnte bei 5 tuber¬ 
kulösen Diabetikern Pseudodiphtberiebazillen aus dem Sputum 
züchten. In einem dieser Fälle gelang es ihm, bei der Autopsie 
auch aus dem Kaverneneiter und den Lungenstückchen Pseudo- 
dipbtheriebazillen zu züchten und sie sogar im Schnitt direkt 
nachzuweisen. Aach Schütz 2 * ) fand unter 30 untersuchten Fällen 
von Lungentuberkulose mit positivem Bazillenbefund 18 mal diph¬ 
therieartige Bazillen im Sputum und zu wiederholten Malen auch 
in der Lunge der Leiche (neben Staphylokokken und Streptokokken), 
ln ihrem morphologischen und biologischen Verhalten zeigten diese 
Stämme eine fast vollständige Uebereinstimmung mit den Löffler- 
schen Bazillen; zam Teil waren sie tierpathogen. Keiner der 
Kranken hatte an Diphtherie gelitten. Die Beobachtungen von 
Ehret und Schütz scheinen in der Folgezeit keine Nachprüfung 
erfahren zu haben, wenigstens konnte ich keine weitete Mit¬ 
teilung über das Vorkommen dipbtherieäbnlicher Bazillen im Aus¬ 
wurf Tuberkulöser finden. Dagegen erwähnt Petrusch ky # ) bei¬ 
läufig 2 Fälle, bei denen er mehrere Monate lang im Auswurf 
Diphtheriebacillen fand, ohne dass auf den Lungen krankhafte 
Veränderungen nachweisbar waren; eine akute Halserkrankung 
war nicht unmittelbar vorausgegangen, so dass weder der Ur¬ 
sprung der Diphtheriebazillen noch die Zeit, seit welcher die 
Betreffenden Keimträger waren, auch nur annähernd festgestellt 
werden konnte. Petruschky verweist auf die Bedeutung dieser 
Beobachtungen für die Frage der Bazillenträger. Beyer 4 ) be¬ 
richtet über einen Fall von akuter fötider Bronchitis mit viru¬ 
lenten Diphtheriebazillen im Auswurf und weiter 5 ) über einen 
Fall von fibrinöser Entzündung der Trachea mit avirulenten 
Diphtheriebazillen im Auswurf. In beiden Fällen sieht er die 
Diphtheriebazillen als die Erreger der betreffenden Krankheit an. 
Auch A. Schmidt 6 ) teilt einen Fall von chronischer interstitieller 
Pneumonie mit, bei dem seit einer Reihe von Jahren konstant 
avirulente Dipbtheriebazillen in Reinkultur im Auswurf gefunden 
wurden, während der Tonsillenabstrich frei davon war. Aus diesen 
allerdings nicht sehr zahlreichen Mitteilungen kann man doch 
schliessen, dass der Nachweis von dipbtherieähnlichen Stäbchen im 
Sputum wohl öfters gelingen würde, wenn nur mehr darauf geachtet 
würde. Da ich über mehrere diesbezügliche Beobachtungen ver- 
füge, gibt mir die Veröffentlichung von Landau Veranlassung, 
sie hier mitzuteilen. Meine ersten positiven Befunde habe ich 
schon erhoben, bevor die Mitteilung von Landau erschienen ist. 

Bei der Färbung eines Sputums auf Tuberkelbazillen fiel meinem 
Laboratoriumsdiener die Anwesenheit zahlreicher zarter Stäbchen mit 
kolbenförmiger Auftreibung an den Enden auf; sie zeigten bei Neisser- 
Färbung ausgesprochene Polkörnchen, dagegen gelang es mir nicht, die 
Stäbchen auf Löffler-Serum zu züchten. Tuberkelbazillen wurden nicht 
gefunden. Das Sputum stammte von einem Kranken mit chronischer 
Bronchitis. Leider ist mir der Name des Kranken verloren gegangen, 
so dass ich eine ausführliche Krankengeschichte nicht mitteilen kann. 
Seit diesem auffallenden Befund lasse ich bei der Färbung auf Tuberkel¬ 
bacillen auch stets auf diphtherieähnliohe Stäbchen achten, und es ist 
auoh gelungen, sie nooh in mehreren Fällen zu finden. Bei der Ziehl- 
schen Färbung treten die diphtherieähnlichen Stäbohen schon sehr schön 
hervor. 

In dem zweiten Fall bandelt es sich um einen 56 Jahre alten Tag¬ 
löhner, der am 29.1.1917 aufgenommen wurde und erst seit kurzem krank 
war. Bei der Aufnahme bestand Fieber (39,5), Schallverkürzung über 


1) M.m.W., 1897, Nr, 52. 

2) B.kl.W., 1898, Nr. 14. 

8) Gesundheit, 1912, H. 1 u. 2. 

4) M.m.W., 1914, Nr. 1. 

5) B.kl.W., 1912, Nr. 40. 

6) M.m.W., 1913, Nr. 1. 


dem rechten Oberlappen mit abgesohwäohtem Vesikuläratmen. Ueber 
dem linken Unterlappen ebenfalls Schallabsobwäcbung, daneben Knister¬ 
rasseln. An den übrigen Organen war kein abnormer Befund zu er¬ 
heben. Bei der Untersuchung des eitrigen Auswurfs auf Tuberkelbazillen 
wurden keine gefunden, dagegen fielen neben verschiedenen anderen 
Bakterien zahlreiche Stäbchen auf, die in Form und Lagerung voll¬ 
kommen Diphtheriebazillen glichen und bei Neisser-Fäibung Polkörnchen 
aufwiesen. Auf Löffler-Serum wuchsen die Stäbohen in Reinkultur; auch 
sie zeigten bei Neisser-Färbung Polkörnchen. Dagegen wuchsen auf 
gewöhnlichem Agar nur plumpe Stäbohen ohne Polkörnchen. Hervor- 
heben möchte ich noch, dass der Kranke keinerlei klinische Erscheinungen 
von Rachen- und Nasendiphtherie bot. Nasen- und Rachenabstriche 
wurden niobt gemacht. Aus dem weiterem Verlauf sei erwähnt, dass 
der Kranke an den folgenden Tagen remittierendes Fieber batte bis zu 
39,7, am 3. II. entfiebert war. Am 5. II. trat nochmals ein Fieber¬ 
anstieg bis 38,2 auf; vom 7. ab war der Kranke dauernd fieberfrei. 
Die Rasselgeräusche über der Lunge verschwanden, ebenso die Dämpfung 
über dem linken Unterlappen, während die SchallabschwächuDg über dem 
rechten Oberlappen bestehen blieb. Auswurf war später nicht mehr 
vorhanden. Wegen der Eigenart des Falles habe ich mir seinerzeit die 
Präparate aufgehoben. Bei nochmaliger Durchsicht bin ich auoh jetzt 
zu dem Resultat gelangt, dass die Stäbchen vollkommen Diphtherie¬ 
bazillen gleichen. 

8. Fall: 58 jährige Frau (F. W.) am 18. V. 1917 aufgenommen. Sie 
war vor kurzem erst wegen Arteriosklerose im Krankenhaus. Diesmal 
war sie vor 8 Tagen mit Schüttelfrost erkrankt und bot bei der Auf¬ 
nahme die Erscheinungen einer linksseitigen Unterlappen-Pneumonie, 
sowie eine Verdichtung in den untersten Partien des rechten Unter¬ 
lappens. Nach 7 Tagen trat kritischer Temperaturabfall ein, die Ver- 
dichtungsersoheinungen auf den Lungen lösten sich, doch blieben lange 
Zeit Rasselgeräusche zurück. Da immer wieder Temperatursteigerungen 
zum Teil bis zu 39,3 auftraten, wurde das Sputum wiederholt auf 
Tuberkelbazillen untersucht, jedoch stets mit negativem Ergebnis. Am 
13. IV. wurden im Auswurf neben zahlreichen anderen Bakterien und 
Kokken diphtherieähnliche Stäbchen gefunden, die bei Neisser-Färbung 
ausgesprochene Polkörnchen zeigten. Im Nasenabstricb, der jetzt ge¬ 
macht wurde, waren ebenfalls Diphtheriebazillen vorhanden, dagegen 
nicht im Rachenabstrich. Am 20. VI. wiederum im Sputum diphtherie¬ 
ähnliohe Stäbchen, die auch auf Löffler Serum gezüchtet werden konnten. 
Nasenabstrich diesmal negativ auf Diphtheriebazillen. In der folgenden 
Zeit vorübergehend noch leichte Temperaturerhöhungen. Objektiv war 
über den untersten Teilen des linken Unterlappens nooh Dämpfung mit 
verlängertem Ezspirium und einzelnen Rasselgeräuschen zu hören. Am 

3. VII. konnten aus dem Sputum abermals diphtherieähnliohe Stäbchen 
(mit Polkörnchen) gezüchtet werden. Der weitere Verlauf war fieberfrei, 
es blieb eine schlechte Verschieblichkeit der linken unteren Lungen¬ 
grenze zurück. Am 28. VII. konnten keine diphtherieähnlichen Stäbchen 
im Auswurf naobgewiesen werden; am 2. VIII. wurde die Patientin ent¬ 
lassen. 

4. Fall: 88jährige Frau (R. H.), am 28. VI/1917 aufgenommen; sie 
klagte über Magenbeschwerden, ohne dass ein objektiver Befund zu er¬ 
heben war. Auch die physikalische Untersuchung von Lunge und Herz 
ergab nichts Abnormes. Wegen der Magenbeschwerden wurde eine 
Durchleuchtung vorgenommen, die nichts Wesentliches ergab. Dagegen 
fanden sich bei der gleichzeitigen Durchleuchtung der Lunge'zahlreiche 
verkalkte Drüsen beiderseits im Hilus mit Strangbildung naoh oben und 
unten und Marmorierung des rechten Unterlappens. In Anbetracht 
dieses Röntgenbefundes wurde der spärliche Auswurf auf Tuberkelbacillen 
untersucht, doeh konnten keine gefunden werden ;* dagegen neben zahl¬ 
reichen Kokken dipbtherieähnliehe Stäbchen mit Polkörnchen, die auf 
Löffler-Serum gezüchtet werden konnten. Im sofort vorgenommenen 
Rachenabstrich ebenfalls Diphtheriebazillen. Im Nasenabstricb zahl¬ 
reiche Stäbchen in Reinkultur mit für Diphtherie charakteristischer 
Lagerung, jedoch zeigten die Stäbohen bei Neisser-Färbung keine Pol¬ 
körnchen, dagegen zum Teil innerhalb des Zelleibes'kleine blaue Körnchen. 
Die Stäbchen erwiesen sich bei gewöhnlicher Gramfärbung (Färbung, 
Lugol, Entfärbung, Fuchsin) als grampositiv, die aus dem Sputum ge¬ 
züchteten dipbtherieähnlichen Stäboben dagegen als gramnegativ, ebenso 
die aus dem Rachenabstrich gezüchteten. Irgendwelche klinische Er- 
soheinuugen von Diphtherie waren nicht vorhanden. Wenige Tage später 
wurde die Kranke beschwerdefrei entlassen, und es konnten deshalb keine 
weiteren Untersuchungeu des Sputums vorgenommen werden. 

5. Fall: 22 jähriges Mädchen (E. 0.), am 18. VII. 1917 aufgenommen. 
Die Kranke zeigte einen ausgesprochenen rechtsseitigen Lungenspitzen¬ 
befund (Scballverkürzung, Rasselgeräusche). Bei der ersten Sputum- 
untersuohung worden Tuberkelbazillen gefunden, bei der zweiten, die 
am 26. VIII. zwecks Einreichung eines Heilverfahrens vorgenommen 
wurde, waren keine Tuberkelbazillen mehr nachweisbar, dagegen diph¬ 
therieähnliche Stäbchen mit Polkörnchen bei Neisser-Färbung. Die 
Stäbchen waren nioht so reichlich vorhanden als in den früheren Beob¬ 
achtungen; auoh gelang es nicht, sie auf Löffler-Serum zu züchten. 
Nasen- und Rachenabstrich fielen negativ auf Diphtheriebazillen aus. 
Im klinischen Verlauf bot der Fall nichts Besonderes; bei einer späteren 
Untersuchung des Sputums wurden keine dipbtherieähnlichen Stäbehen 
mehr gefunden. 

In allen 5 Fällen fanden sich demnach im Sputum Stäbchen, 
die in Aussehen, Lagerung und färberischem Verhalten vollkommen 


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18. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Diphtheriebaxillen glichen; in 3 Fällen konnten sie aocb auf 
Löffler Serum gezüchtet werden. In 3 Fällen wurden gleichseitig 
Abstriche vom Nasenrachenraum gemacht, und in 2 Fällen gelang 
es, Diphtheriebazillen nachzuweisen. Ich halte es jedoch für 
ausgeschlossen, dass sich die diphtherieähnlichen Bazillen erst 
mit dem Speichel dem Ausworf beigemengt haben. Ein Tier¬ 
versuch wurde in keinem Fall angestellt, ebensowenig wurde auf 
Säurebildung und Trübung im Th i ersehen Nährboden oder auf 
anaerobes Wachstum untersucht. Ich muss es daher offen lassen, 
ob man die gefundenen diphtherieähnlichen Stäbchen als Pseudo¬ 
diphtheriebazillen oder avirulente, bzw. atypische Diphtherie¬ 
bazillen ansprechen darf, und ob sie in epidemiologischer Hin¬ 
sicht von Bedeutung sind. Bekanntlich sind dies aber Fragen, 
die überhaupt noch nicht endgültig entschieden sind. Die gene¬ 
tische Einheit von Diphtheriebazillen und Pseudodipbteriebazillen 
wird noch ebenso lebhaft bestritten, wie sie von anderer Seite 
verfochten wird. Ich verweise in dieser Hinsicht nur auf die in 
letzter Zeit erschienenen Arbeiten von Langer und Krüger 1 ), 
sowie von Schmitz 2 * ) und Jakobitz 8 ). Immerhin scheint der 
unitaristische Standpunkt, dass Pseudodiphtheriebazillen Umwand- 
langsformen der echten Diphtheriebazillen vorstellen, bei den 
Bakteriologen mehr und mehr an Boden zu gewinnen. Von 
klinischer Seite wird man sich ihm leicht und gerne anschliessen. 
Wiederholt habe ich die Beobachtung gemacht, dass bei Kranken 
(z. B. Soldaten), die an echter Diphtherie erkrankt waren und 
die noch wochen-, ja monatelang als Bazillenträger aus prophy¬ 
laktischen Gründen im Krankenhaus behalten wurden, die Bazillen 
allmählich immer mehr atypische Formen annahmen und schliess¬ 
lich auch die Polkörnchenfärbung vermissen Hessen. Was die 
von mir im Sputum naebgewiesenen diphtherieähnlichen Bazillen 
betrifft, so kann ich nur die Worte Landau’s wiederholen, dass 
sie in ihrem Aussehen „echten Diphtheriebazillen so ähnlich 
waren, dass sie, wenn sie nur aus dem Tonsillenabstrich stammten, 
bei der laufenden Untersuchung gewiss überall ohne weiteres als 
solche diagnostiziert worden wären u . In keinem der Fälle war 
anamnestisch das Ueberstehen echter Diphtherie in letzter Zeit 
sn ermitteln. 

ln allen Fällen, in denen mir der Nachweis von diphtherie¬ 
ähnlichen Bazillen im Auswurf gelang, lagen mehr oder weniger 
stark ausgeprägte chronische Lun gen Veränderungen vor, die aller¬ 
dings zum Teil durch akute Prozesse überlagert waren. Der 
klinische Verlauf der einzelnen Fälle berechtigt wohl zu der An¬ 
nahme, dass in keinem der Fälle die diphtherieähnlichen Stäbchen 
an dem eigentlichen Krankheitsprozess beteiligt waren, sondern 
dass es sich dabei lediglich um einen zufälligen Nebenbefund ge¬ 
handelt hat. Auch für die von Ehret und Schütz mitgeteilten 
Fälle dürfte dies zutreffen. Schütz schreibt ausdrücklich, dass 
bei keinem seiner Fälle die tuberkulöse Lungenaffektion durch 
irgendwelche Eigenart bezüglich des Beginnens, des ganzen Ver¬ 
laufs oder in Fieberbewegung, Allgemeinbefinden ausgezeichnet 
war. Ob in den Fällen von Beyer, Schmidt, Landau den 
gefundenen avirulenten Diphtheriebazillen eine grössere ätiologische 
Bedeutung für den eigentlichen Krankheitsprozess zugesprochen 
werden darf, erscheint mir fraglich, vielleicht hat es sich auch 
in diesen Fällen nur um einen zufälligen Nebenbefund gehandelt. 
Die Untersuchungen von Reye 4 ) haben gezeigt, dass im An¬ 
schluss an eine Diphtherie Diphtheriebazillen in der Lunge längere 
Zeit gedeihen können; er fand bei 12 Fällen abgelaufener 
Diphtherie, die an den Folgezuständen dieser Krankheit (Herz- 
muskelVeränderungen) starben, in den Lungen, trotzdem sie makro¬ 
skopisch intakt schienen, Diphtheriebazillen. Es ist wahrschein¬ 
lich, dass sie sich auch, ohne dass eine echte Diphtherie voran¬ 
gegangen ist, in der Lunge ansiedeln können, ln zwei meiner 
Fälle weist das gleichzeitige Vorkommen der Diphtheriebazillen 
im Nasenrachenraum deutlich den Infektionsweg nach den Lungen 
an. Besonders chronisch erkrankte Lungen bilden anscheinend 
einen günstigen Boden für die Entwicklung diphtherieähnlicher 
Bazillen, wie wir dies auch für andere Bazillen und Kokken 
kennen; ich erinnere nur an das häufige Vorkommen von In¬ 
fluenzabasillen bei chronischen Lungenerkrankungen (Tuberkulose, 
Bronchiektasien, chronischer Bronchitis). Im klinischen Sinn 
wird man aber in solchen Fällen nicht ohne weiteres von einer 
Komplikation mit Influenzabazillen sprechen, sondern die ln- 


1) D.m.W., 1916, Nr. 24, bzw. B. kl. W., 1916, Nr. 31. 

2) Zbl. f. Bakt., Bd. 77; B.kl.W., 1917, Nr. 6. 

B) B. kl. W., 1917, Nr. 6. 

4) M.m.W., 1912, Nr. 14. 


fluenzabazillen lediglich als Saprophyten betrachten. Und das 
Gleiche scheint mir auch für diphtherieähnliche Bazillen zu 
gelten. Jedenfalls möchte ich meine Beobachtungen in diesem 
Sinne aufgefasst wissen. Für die Frage der Bazillenträger sind 
sie insofern von Bedeutung, als sie zeigen, dass die Schleimhaut 
des Nasenrachenraumes und des Konjunktivalsackes nicht der 
einzige Herd ist, an dem wir suchen müssen, um Bazillenträger 
aufzudecken. Ich glaube, dass wir in Zukunft mehr als bisher 
das Sputum in den Bereich unserer Untersuchungen und Des¬ 
infektionsmaassnahmen bei der Prophylaxe der Diphtherie ziehen 
müssen. 


Bücherbesprechungen. 

A. Galambos: Kriegsepidemiologisehe Erfahrungen. Wien und Leipzig 
1917, Alfred Holder. 

Verf. hat im Felde reiohe Gelegenheit gehabt, Erfahrungen über 
Kriegsseuchen und epidemische Krankheiten zu sammeln und berichtet 
über diese Beobachtungen und ihre Deutung. Dabei kommt es dem 
Verf. weniger auf eine kritische Sichtung und eine abgeschlossene Dar¬ 
stellung des Materials an als vielmehr auf eine Erweiterung des wissen¬ 
schaftlichen Gebietes und auf den Ausbau einer bakteriologisoh be¬ 
gründeten Begriffsbestimmung der Infektionskrankheiten. Ob damit der 
praktischen Medizin ein guter Dienst geleistet wird, kann nicht ohne 
weiteres anerkannt werden. Der innere Ausbau der Lehre von den In¬ 
fektionskrankheiten erfordert noch sorgfältige Arbeit, und sie wird nicht 
dadurch gefördert, dass das Arbeitsgebiet immer weiter umgrenzt wird. 
Auch haben die Verhältnisse des Krieges uns eindringlichst und wieder¬ 
holt daran erinnert, dass eine Seuchenbekämpfung nur dann praktische 
Bedeutung hat, wenn sie am kranken Menschen unmittelbar einsetzt. 
Der bakterielle Infekt hat nicht die Bedeutung einer Infektionskrankheit, 
und eine schematische Erweiterung des von den Vorgängen im kranken 
Organismus losgelösten Krankheitsbegriffes auf jeden bakteriellen In¬ 
fekt kann leicht zu Auffassungen führen, die der praktischen Medizin 
nicht förderlich sind. Als Beweis hierfür mag das gelten, was der 
Verf. über den Paratyphus sagt. Eine Unterscheidung vom Typhus 
liegt nur im bakteriologischen Befund, und diesem Bakteriennachweis 
misst Verf. eine solche Bedeutung bei, dass alle klinisohen Bedenken 
zur Seite geschoben werden, und dass bei solchem Infekt jede Krauk- 
heitserseheinung als Paratyphussymptom angesprochen wird. So werden 
z. B. (S. 124) drei Erkrankungen von oroupöser Pneumonie mitgeteilt, 
die als typhöse bzw. paratyphöse Pneumonien gedeutet werden, weil 
die bakteriologische Untersuchung diese Bazillen naohweisen konnte. 
Weder das Fehlen typhöser Veränderungen auf dem Sektionstisch noch 
der für Pneumonie typisohe und eindeutige Krankheitsverlauf kennen 
dem Autor den Glauben an einen Paratyphus nehmen, und der dritte 
Fall seines Paratyphus zeigt dazu noch die bemerkenswerte Erohei- 
nung, dass er auf Optochin prompt heilte. Dieses Bestreben, einen 
bakteriologisch positiven Befund ohne weiteres in kausalen Zusammen¬ 
hang mit den gerade vorliegenden Krankheitsprozessen zu bringen, gibt 
dem Buche ein eigenartiges Aussehen, das auf den Arzt nicht gerade 
anziehend wirkt Zweifellos ist aber anzuerkennen, dass es dem Verf. 
geglückt ist, die eigenen reichen Erfahrungen und die mit Sorgfalt von 
anderen Autoren übernommenen Mitteilungen zu einem Gesamtüberblick 
über die epidemiologischen Erfahrungen des Weltkrieges zusammenzu¬ 
fassen. 


Plstz, Olitzky «ad Baehr: Die Aetiologie des Fleekflekers. Ueber- 
setzung aus dem Englischen von Dr. Friedrich Schwarz. Berlin 
und Wien 1917, Urban & Schwarzenberg. 

In 11 Fallen von europäischem Fleckfieber (Balkan) und in 40 Fällen 
der amerikanischen Form der Krankheit haben die Autoren aus dem 
Blute nach einem Zeitraum von 8—16 Tagen einen kleinen, pleomorphen, 
grampositiven anaerob wachsenden Bacillus gezüchtet, den sie als Er¬ 
reger des Fleokfiebers anspreohen. Sie stützen sich dabei auf den 
Nachweis komplementablenkender Antikörper gegen diesen Baoillus im 
Blute Fleckfieberkranker und auf den Bazillennachweis aus dem Blute 
fleckfieber-infizierter Tiere. Vermisst wird dagegen eine Erklärung 
über den Zusammenhang dieser angeblichen bakteriellen Ursache mit 
der Fleckfieberübertragung duroh Läuse. Jede ätiologische Fleckfieber¬ 
untersuchung aber, die Anspruch auf Beachtung machen will, wird zu 
dieser Frage Stellung nehmen und sich diesem epidemiologischen Gesetz 
einpassen müssen. _ Jürgens. 


Erast Simmel: Kriegsneurosen ud „psychisches Trauma“. Ihre gegen- 
seitigen Beziehungen dargestellt auf Grund psycho-analytischer, 
hypnotischer Studien. Leipzig 1918 (Nemnich). 84 Seiten. 

Der Versuoh, gewisse psychogene Mechanismen im Sinne Freud¬ 
scher Anschauungen klinisch-ätiologisch wie therapeutisch an den 
kriegsneurotischen Störungen zu erproben, liegt um so näher, als in der 
Tat im militärischen Milieu, zumal im Felde, manche günstige Vor¬ 
bedingungen für deren Wirksamkeit gegeben zu sein scheinen. Es 
brauoht nur auf die Hemmung der natürlichen Affektreaktion duroh die 
militärische Disziplin, auf das Zusammentreffen starker Affekte mit 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Zuständen beeinträchtigten Bewusstseins im Gefolge von Granatexplosionen 
und dergleichen verwiesen werden. Simmel hat nun in umfassender 
Weise die Freud’sohen Lehren für die Kriegsneurosen fruchtbar zu machen 
gesucht, indem er von ihnen aus sowohl den Gesamtaufbau des Emzelfalles 
psyohogenetiaoh zu erfassen, wie seinen „Abbau“ zu Heilzwecken durch¬ 
zuführen strebte. Assosiationsprüfung, Traumanalyse, freie Aussprache 
und Hypnose zog er für diese Zwecke heran. An einzelnen instruktiven 
Beispielen erläutert er Verfahren, Zweck und Ergebnisse. Die Darstellung 
ist anschaulich und hält sich in der Annahme und Ausdeutung psy¬ 
chischer Zusammenhänge in maassvollen Grenzen. Damit gewinnt die 
Arbeit an Interesse auoh bei denjenigen, die den psychischen Traumen 
des Vorlebens (speziell der Kindheit) und der Verdrängung affektvoller 
Erlebnisse ins Uubewusste nicht diese Bedeutung lür die Kriegsneurosen 
beizumessen vermögen wie Verfasser. K. Birnbaum. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

L. Berczeller: Zur physikalischen Chemie der Zellmembranen. 
(Bioohem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 1—2, S. 59.) Verf. bespricht hier 
im besonderen die Bedeutung der Oberflächenspannung der tierischen 
Säfte, die mit der Bildung der Zellen eng zusammenhängt. Von Wich¬ 
tigkeit ist hierbei, dass die zwei Phasen: lnterzellularflüssigkeit und Zelle 
durch Oberflächen getrennt sind. Zellinhalt und umgebende wässrige 
Flüssigkeit stellen ein zweiphasiges System dar. Aus dieser Auffassung 
folgt, dass wir nioht von „Wänden**, „Häutchen“, „Membranen“ sprechen 
müssen. Vielmehr haben wir es mit Flüssigkeitsoberfiächen zu tun, die 
in manchen Fällen auch eine festere Form annehmen können. Nach 
dem Gibbs-Thomsen’sohen Prinzip sind in der Grenzfläche besonders 
jene Substanzen konzentriert, die die Grenzflächenspannung herabsetzen. 
Welche Substanzen dies tun, kann nur auf indirektem Wege ermittelt 
werden, etwa durch Messung der Grenzflächenspannung von ähnlichen 
Systemen. Diese Methode führt aber zu falschen Schlüssen. Ein anderer 
Weg basiert darauf, dass die verschiedenen Substanzen die Oberflächen¬ 
spannung von Wasser/Luft ungefähr in derselben Reihenfolge herab¬ 
setzen wie die anderen Grenzflächen. Aus diesem Satze können wir 
schliessen, welche Stoffe sich in der Grenzfläche Aussenflüssigkeit/Zell- 
inhalt konzentrieren. Diese sind in erster Linie manche Lipoide, Pep¬ 
tone, in geringerem Grade auch Ei weisskörper. Diese Substanzen bilden 
also in wechselnder Menge die Zeilenoberflächen. Wieviel von je einer 
Substanz sich in der Oberfläche befindet, das hängt ab von der Kon¬ 
zentration der betreffenden Substanz in der Innen- und Aussenflüssigkeit 
und von anderen Substanzen, die in der Zelloberfläche, in der Aussen- 
oder Innenflüssigkeit vorhanden sind. Letzteres besonders spielt im 
Tierkörper eine hervorragende Rolle. Ein Stoff kann den anderen aus 
der Oberfläche verdrängen. Die Verschiebung im Verhältnis der Sub¬ 
stanzen wird auch bedingt durch Veränderung der Wasserstoffionen¬ 
konzentration der Lösung und durch Adsorption, ferner durch Zustands¬ 
änderung der Kolloide. Der Nachweis und die ungefähre Schätzung der 
oberflächenaktiven Substanzen gelingt am besten durch Messung der 
Oberflächensubstanz von Organextrakten. Verf. hat wässrige Extrakte 
aus den Organen hergestellt und deren Oberflächenspannung stalagmo- 
metrisch nach Traube bestimmt. Es fand sich, dass die verschiedenen 
Organextrakte derselben Tiere eine sehr abweichende Oberflächenspan¬ 
nung zeigen, in jedem Falle eine geringere als die des Wassers. Bei 
Dialyse der Extrakte durch Pergamenthülsen gegen destilliertes Wasser 
wird die Obeifläohenspannungserniedrigung der Extrakte durch Kolloide 
verursacht. Weiter zeigten die Versuche des Verf.’s, dass im Tierkörper 
sehr viele kolloide oberflächenaktive Substanzen vorhanden sind, die eine 
wichtige Rolle in der Bildung der Zelloberfläohen spielen müssen. Sehr 
oberflächenaktiv sind z. B. Eiweisskörper und Lipoide. Es gibt aber 
kein Kohlehydrat, das die Oberflächenspannung in stärkerer Weise er¬ 
niedrigt. Gifte und Arzneimittel spielen natürlich auch eine wichtige 
oberflächenaktive Rolle. 

L. Berczeller und E. Seiner: Ueber die OberfläehenspaBBnng 
von Alkaloidlösungen. (Bioohem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 1—2, S. 80.) 
Diese Arbeit gilt vor allem dem Zusammenhang von pharmakologischer 
Wirksamkeit und Oberflächenspannung. Verff. untersuchten, wie bei 
ähnlich wirkenden Alkaloiden sich die Oberflächenspannung der Lösungen 
verhält. Zur Untersuchung gelangten die Salze der Chiningruppe, der 
Morphingruppe, der lokalanästhetischen Gruppe und salzsaures Akonitin. 
Die salzsauren Chininlösungen erniedrigen die Oberflächenspannung des 
Wassers. Ein Ueberfluss des Chininsalzes beeinflusst sehr stark die Er¬ 
niedrigung der Oberflächenspannung durch Lauge. Bei der Erniedrigung 
der Oberflächenspannung von Alkaloidsalzlösungen durch Serum spielen 
die Hydrokarbonate eine wichtige Rolle. Cinchonin und Cinohonidin sind 
bedeutend weniger wirksam als Chinin. Bei der Morphingruppe zeigte 
sich besonders deutlich der Zusammenhang zwischen Giftigkeit und Ober¬ 
flächenspannungserniedrigung. Am giftigsten ist Peronin, das in alkali¬ 
scher Lösung auch am meisten die Oberflächenspannung erniedrigt, dann 
kommt das weniger giftige und auoh eine höhere Oberflächenspannung 
besitzende Heroin. Diese beiden sind viel giftiger als Dionin und Kodein, 
welche auch eine viel höhere Obeiflächenspannung haben. Ebenso deut¬ 
lich wird der Parallelismus zwischen pharmakologischer Wirkung und 
Oberflächenspannungserniedrigung bei der Gruppe der Lokalanästhetioa. 
Kokain ist giftiger als Tropokokain; dementsprechend beobachtet man 


in verdünnten Lösungen eine stärkere Erniedrigung der Oberflächen¬ 
spannung auf Zusatz von Lauge bei Kokain als bei Tropokokain. Auch 
ein anderer Umstand zeugt von besagtem Zusammenhang. Entsprechend 
der bekannten Inkonstanz der Kokainwirkung verändert sich die Ober¬ 
flächenspannung der alkalischen Kokainlösungen sehr schnell mit der Zeit. 

L. Berczeller und St. Hetönyi: Untersuchungen über Ad- 
gerptioBsverhiBdangCB aad Adsorptioi. 8. Mitteilung. Ueber die 
Beeinflussung der Adsorption einiger Substanzen durch Alkohole. 
(Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 8—4, S. 137.) Bei Versuchen über 
Verdrängung aus der Oberfläche durch Alkohole wurde gefunden, dass 
isokapillare Lösungen nicht die gleichen Wirkungen ausüben. Diese 
Verhältnisse untersuchten Verff. nun auch bei fest flüssiger Oberfläche, 
und zwar wurde die Adsorption des Jodes untersucht. Die Jodadsorp¬ 
tionsversuche mit Stärke ergaben eine Parallelität mit den Versuchen 
über die Verdrängung aus der flüssig-gasförmigen Oberfläche. Das 
Gleiche ergab der Adsorptionsversuoh mit Kohle. Versuche mit Alkoholen 
ergaben, da^s Methyl-, Aethyl- und Propylalkohol die Adsorption von 
Stärke und Kohle lördern. Ferner wurden Adsorptionsversuche mit Essig¬ 
säure, Buttersäure und Methylenblau angestellt, ln jedem Falle fand 
sich, dass, wenn eine Hemmung der Adsorption stattfindet, qualitativ 
dieselben Gesetzmässigkeiten gelten wie bei der Verdrängung aus der 
flüssig-gasförmigen Oberfläche. Findet aber eine Förderung der Ad¬ 
sorption duroh Alkoholzusatz statt, so sind diese Gesetzmässigkeiten 
nicht gültig. 

L. Berczeller: Kolloidohemisches zur HärtcbestiBunug des 
Wassers. (Bioohem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 3—4, S. 149.) Die Be¬ 
stimmung der Härte des Wassers mittels Bestimmung des Eintritts des 
Schäumens auf Zusatz von Seifenlösung beruht auf dem Umstande, dass 
Kalzium- und Magnesiumsalze die Fettsäuren fällen. Die Oberflächen¬ 
spannung der Lösungen spielt eine grosse Rolle bei der Schaum bi Idung. 
Verf. untersuchte die Wirkung von Kalzium- und Magnesiumsalzen auf 
die Oberflächenspannung der Seifenlösungen und verglich die Ergebnisse 
mit denen der Härtebesiimmungen. Die Ergebnisse lassen hoffen, dass 
man eine Methode der Härtebestimmung auf Grund der Bestimmung der 
Oberflächenspannung wird ausarbeiten können. 

L. Berczeller: Ueber die Ultrafiltration übersättigter Lösnngen. 
(Bioohem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 3—4, S. 156.) Verf. konnte früher 
nachweisen, dass Alkaloidsalzlösungen kolloid sind. Da es sich um über¬ 
sättigte Lösungen handelte, war an einen Zusammenhang zwischen 
Kolloidzustand und Uebersättigung zu denken. Verf. bat übersättigte 
Lösungen ultrafiltriert und nachher den Gehalt der Lösung bestimmt. 
Untersucht wurden Lösungen von Thymol, Menthol und a-NaphthoL Es 
stellte sioh heraus, dass der übersättigte Teil der Lösungen kolloid ist. 

L. Berczeller: Ueber Farbe and Dispersitätsgrad. (Biochem. 
Zsohr., 1917, Bd. 84, H. 8—4, S. 160.) Zur Frage des Zusammenhanges 
zwischen Farbe und Dispersitätsgrad hat Verf. eine Reihe von Substanzen 
untersucht, die physiologisches Interesse besitzen. Die Farbenreaktionen 
wurden studiert an Lanthanhydroxyd, an Kupferverbindungen, an Gallen¬ 
farbstoffen, Furfurol und an verschiedenen Farbstoffen. Es Hessen sich 
dieselben Farbveränderungen beobachten, wie sie bei den kolloiden Me¬ 
tallen Vorkommen. 

L. Berczeller: Zur ReaktioBskiaetik der Bildung und Flockung 
kolloider Lösungen. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 3—4, S. 175.) 
Im tierischen Organismus beobachtet man ein stetes Umwandeln von 
Kolloiden und Kristalloiden, ein Auflösen, Gelatinieren und Ausflooken 
der Kolloide. Verf. studierte die Bedingungen, unter denen die zur 
Bildung von kolloiden Lösungen führenden Reaktionen beteiligt sind. 
Untersucht wurde die Bildung von kolloiden Lösungen, die Flockung bei 
Gold-, Silber-, Stärke- und Eiweisslösungen. Beim Zustandekommen und 
bei der Fällung einer kolloiden Lösung spielt die Obeifläohenspannung 
der Lösung eine sehr wichtige Rolle. Je kleiner die Oberflächenspan¬ 
nung des Lösungsmittels ist, um so weniger geeignet erweist es sich 
zur Herstellung kolloidaler Lösungen. 

A. Szili: Untersuchungen über die Reaktion der Franenniilek. 
(Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 3—4, S. 194.) Verf. berichtet über 
eine grössere Zahl von Untersuchungen an Frauenmilch, in denen deren 
Wasserstoffionengehalt sich im Laufe der Laktationsperiode verändert. 
Die Wasserstoffionenkonzentration der Milch vom 1. bis 7. Tage ist im 
Mittel 0,75 X 10— 7 . Die Milch besitzt also einen Wasserstoffionengehalt, 
der dem des destillierten Wassers gleicbkommt. Sie ist demnach im 
physikalisch-chemischen Sinne neutral, wie das Blutplasma. Bezüglich 
des BasenbinduDgsvermögens fand Verf., dass 1 Liter Milch im Mittel 
166 ccm NaOH bindet. In den späteren Tagen der Laktation beträgt 
der Mittelwert der Wasserstoffionenkonzentration 0,55 X 10— 7 , ist also 
etwas geringer als der von den ersten 8 Tagen der Laktation. Der 
Unterschied fällt also innerhalb der Fehlergrenzen der Methode. Es 
konnte also keine Veränderung der Wasserstoffionenkonzentration im 
Verlaufe der Laktation nachgewiesen werden. Mit dem Fortschreiten der 
Laktation nimmt die Menge der abspaltbaren Säure zu. 

F. Tangl und K. Bodon: Beitrag zur physikalisches Chemie der 
wdmm Blutkörperchen und des Eiters. (Biochem. Zschr., 1917, 
Bd. 84, H. 3—4, 8.183.) Es lag den Verff. vor allem daran, zu prüfen, 
wie sich die elektrische Leitfähigkeit der weissen Blutzellen im Vergleich 
mit den roten Blutkörperchen unter verschiedenen Bedingungen verhält. 
Entgegen den Befunden Hamburger’s, der eine weitgehende Analogie 
zwischen roten und weissen Blutkörperchen mit bezug auf deren physi- 


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18. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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kalisoh chemische Eigenschaften feststellte, haben Veiff. einen nicht un¬ 
wichtigen Unterschied im elektrischen Verhalten der roten und weissen 
Blutkörperchen ermittelt. Die Leitfähigkeitsmessungen wurden auch an 
einer Reihe von Eiterproben vorgenommen. Die elektrische Leitfähigkeit 
des Eiters entspricht derselben Qrössenordnung wie die des Blutes. Das 
Eiterplasma leitet den elektrischen Strom besser als der vollständige 
Eiter; es verhält sich wie das Blutplasma gegenüber dem Blut. Die 
Leitfähigkeit der Eitersellen ist stets geringer als die des vollständigen 
Eiters. Nach diesen Versuchen ist es wahrscheinlich, dass die Leuko¬ 
zyten den elektrischen Strom besser leiten als die roten Blutkörperchen. 
Verff. möchten annehmen, dass die Verschiedenheit der Leitfähigkeit 
duroh Unterschiede in der Struktur der beiden Zellarten bedingt ist, 
nicht durch Verschiedenheit des Elektrolytgehalts. Versetzt man rote 
Blutkörperchen mit Wasser, so erhöht sich anfangs die Leitfähigkeit, um 
bei weiteren Verdünnungen abzunehmen. Bei den Leukozyten tritt keine 
Erhöhung der Leitfähigkeit, sondern sofort auch bei geringem Wasser- 
susata eine Abnahme der Leitfähigkeit ein; je grösser der Wasserzusatz, 
desto grösser die Abnahme. Bei den Leukozyten bewirkt das Wasser 
keinen plötzlichen Austritt der Elektrolyte in grösserer Menge. Die Ver¬ 
teilung von Nioht-Elektrolyten auf „Gerüstsubstanz“ und „Zwiscben- 
substanz“ muss in den Leukozyten eine andere sein als in den roten 
Blutkörperchen. Es ist somit sicher, dass ausser dem Hämoglobingebalt 
noch andere Unterschiede in der Protoplasmastruktur der beiden Zell¬ 
arten bestehen. R. Lew in. 


Pharmakologie. 

W. Autenrieth: Bestimmung und Verteilung des Broms i» 
Organen und im Blwte nach Einnahme von Bromnatrinm. (M.ra.W., 
1918, Nr. 2.) A. hat eine kolorimetrisohe Methode des Bromnachweises 
ausgearbeitet, die sich praktisch sehr gut bewährt hat. Das in Form 
von Bromnatrium eingenommene Brom wird im Organismus lange Zeit 
zurückgehalten, besonders wenn eine ohlorarme Ernährung durchgefübrt 
wird. Bei einem Nephritiker mit ohlorarmer Ernährung und Brom¬ 
medikation wurden post exitum, nachdem bereits fast vier Wochen vorher 
kein Brom mehr eingenommen war, in inneren Organen deutlich nach¬ 
weisbare Brommengen gefunden, wobei festgestellt wurde, dass- das 
Gehirn keine besondere Affinität zum Brom besitzt. Bromretention er¬ 
folgt in um so stärkerem Maasse je chlorarmer die Ernährung. Geppert. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Hallenberger-Kiel: Bemerkungen zu der Arbeit Paul’s: Ent¬ 
wicklungsgang der Pockenepitheliose auf der geimpften Kaninchen- 
horahait. (D.m.W., 1918, Nr. 8.) Bemerkungen zu der Arbeit von 
Paul in der D.m.W., 1917, Nr. 45. 

Fauth: Eine Modifikation der Färbung naeh Gram. (D.m.W., 
1918, Nr. 2.) Man kann den Wert der Grammethode dadurch erhöhen, 
dass man die Gonokokken durch Naohfärben von Metbylgrün-Pyronin 
von der Umgebung deutlich hervorhebt. Dünner. 

W. Die tri oh-Berlin: Morphologisohe^und biologische Beobachtun¬ 
gen an der Spirochäte der Weü’schen Krankheit. (Zschr. f. Immun. 
Forsch., Bd. 26, Nr. 6.) Die Züchtung der Weil-Spiroohäte ist nach 
dem Ungermann’schen Verfahren leicht, sowohl aerob wie anaerob. Die 
Virulenz bleibt nach langen Kulturpassagen erhalten, etwaige Abnahme 
ist durch Meerschweinchen - Zwischenschaltung schnell Wieder auszu- 
gleiohen. Morphologisches: sehr feine, starre, „primäre“ Spiralwindungen, 
wahrscheinlich um einen Achsenfaden herum (täuschen das Bild von 
Perlsohnüren vor). Fortbewegung duroh propellerähnliche Wirkung der 
umgebogenen Enden, auch durch Sohlängelung. Vermehrung duroh 
Querteilung Die Knospen, Knötchen oder Körnchen, die man besonders 
in älteren Kulturen beobachten kann, sind Degenerationsprodukte. Nur 
Körnchen enthaltendes Material ist nioht infektiös. Die Spirochäten 
gehen durch Reichelkerzen, nioht aber durch Berkefeld- und Chamber- 
landfilter, in Saponin- und taurocholsaurem Natrium werden sie auf¬ 
gelöst. Rekonvaleszentenserum hat sohützende Kraft im Tierversuch, 
mikroskopisch wirkt es auffasernd. (Diagnostisch verwertbar.) Ueber- 
tragung von Meerschweinchen zu Meerschweinchen gelingt durch Blut¬ 
igel und Kleiderläuse. Das Kulturverfahren führt beim Nachweis von 
Spirochäten aus sterilen Flüssigkeiten schneller zum Ziel als der Tier¬ 
versuch. 

A. F.elix: Serologische Untersteh Bügen an Fleekfleberkranken 
aus der asiatischen Türkei. (Zschr. f. Immun. Forsoh., Bd. 26, Nr. 6.) 
Die Untersuchungen an Patienten, die an „asiatischem“ Fieckfieber 
litten, brachten eine volle Bestätigung der am russischen Fleckfieber 
entdeckten »serologischen Beobachtungen. Die Weil-Felix’sche Reaktion 
fiel auch hier zu 100 pCt. positiv aus. Die Kurventypen der Aggluti¬ 
nation verhielten sich wie die früher beschriebenen. Die Serodiagnostik 
konnte daher auch in dieser Epidemie mit Erfolg angewendet werden. 
Abweichungen in der Reaktion (Hemmungserscheinungen, Ausfallen der 
Agglutination mit X 3 ) haben keine prinzipielle Bedeutung. Das Wesen 
der Reaktion wird so erklärt: Die Agglutination fällt positiv aus, weil 
der spezifische Proteus im Organismus des Fleckfieberkranken — und 
ausschliesslich dort — vorkommt und daselbst eine spezifische 
Tätigkeit entfaltet. Paragglutination und Polyagglutination als Erklä¬ 
rung werden abgelebnt. 


Picke und W. Mäscher: Komplementaehwnad bei nnbehandelter 
8pätflyphilis. (Zschr. f. Immun. Forsch., Bd. 26, H. 6.) Frisch unter¬ 
suchte Hera zeigen fast alle gleichen Komplementgehalt. In wenigen 
Stunden bis zu 1 Tage tritt häufig Komplementschwund extra oorpus ein, 
besonders bei zerebraler Lues (diagnostisch bedeutsam). Bei veralteten, 
ungenügend behandelten Luesfällen ist der Komplementschwund fast 
regelmässig. Da gleichzeitig die Wassermann’sche Reaktion fast immer 
positiv und sehr hartnäckig ist, so kommt dem Komplementschwund 
auch eine prognostische Bedeutung zu. 

E. Nathan-Frankfurt a. M.: Ueber die Zerstörung der Extrakt-' 
fnnktion bei der Wassermanfi’schen Reaktien durch Cobragift. II. Mit¬ 
teilung. Der Einfluss des Kalziumchlorids auf die Zerstörung der Extra¬ 
funktion duroh Cobragift. (Zschr. f. Immun. Forsch., Bd. 26, Nr. 6.) 
Cobragift hat zerstörende Wirkung auf die Funktion alkoholischen Herz¬ 
extraktes bei der Wassermann’schen Reaktion. Diese Eigenschaft geht 
parallel der lezithinspaltenden Fähigkeit. Die Lezithinase wird durch 
Kalziumchlorid begünstigt. Gleiche Begünstigung erfährt auch die extrakt¬ 
zerstörende Eigenschaft duroh Kalziumchlorid. Der Gehalt der Versuchs¬ 
sera an Kalksalzen ist daher von Bedeutung für die extraktzerstörende 
Wirkung des Cobragifts im Versuch. 

Rössle-Ulm: Ueber Anaphylaxie. (Zschr. f. Immun. Forsch., 
Bd. 26, Nr. 6.) Verf. geht vom klinischen Bilde der Gebärparese, die 
vielfach als anaphylaktischer Vorgang gedeutet wurde, aus und versucht 
eine Erklärung dieser Krankheit, der Eklampsie und ganz allgemein der 
Anaphylaxie. Er betraohtet sie als eine Kohlensäurevergiftung, ausge¬ 
löst durch eine Reizung der vasomotorischen Zentren, die durch Gefäss- 
kontraktionen usw. zur Koblensäurestauung führen. Eiweissüberschuss, 
Säurekolloide, Gerinnungsvorgänge führen zur Viskositätserhöhung des 
Blutes, und diese übt den verhängnisvollen Reiz auf das Vasomotoren¬ 
zentrum aus. Seligmann. 


Chirurgie. 

Vieser: OperaGoistiseh. (D.m.W., 1918, Nr. 2.) 

Debrunn er -Berlin: Zur Kasuistik des schnellenden Fingers. 
(D.m.W., 1918, Nr. 2.) Eigenbeobachtung. Eine oberflächliche Schnitt¬ 
verletzung muss in dem vorliegenden Falle als Ursache eines vorüber¬ 
gehenden Fingerschnellens angesehen werden. Therapie: Schonung und 
Ruhe. 

Eunike-Elberfeld: Zwei Fälle von doppelseitiger traumatischer 
Hfiftlnxation. (D.m.W., 1918, Nr. 2.) Kasuistik. Dünner. 

Jüngling: Histologisohe und klinische Beiträge zur anaeroben 
Wundinfektion. (Bruns’ Beitr. zur klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 3, 
42. kriegschirurgisches Heft.) Es ist nicht möglich, die Diagnose klassischer 
Gasbrand oder klassisches malignes Oedem aus dem klinischen Bilde zu 
stellen. Klinisch lässt sich nur das Vorliegen einer anaeroben Wund¬ 
infektion feststellen. Bezüglich ihrer Lokalisation besteht die Bier’sche 
Anschauung zu recht, dass es sich im wesentlichen um eine Muskel¬ 
erkrankung bandolt; von hier aus erfolgt die Vergiftung des Organismus. 
In den Gefass- und Lymphscheiden findet man die Bazillen nur spärlich, 
während sie in der Muskulatur selbst lebhaft wuchern. Ein sehr be¬ 
zeichnendes Frühsymptom ist der Schmerz. Die Virulenz der Bakterien 
und der Grad der primären Gewebsschädigung bedingen den klinischen 
Verlauf, der sich als örtlich anaerobe Wundinfektion (Gasabszess) und 
als fortschreitende anaerobe Wundinfektion kennzeichnen kann. 
Die Gangrän ist durch primäre Gefässverletzung oder duroh sekundäres 
Befallensein der Gefässe bedingt. Die Ausbreitung von Gas erfolgt nach 
rein mechanischen Gesetzen und entspricht nicht der Ausbreitung der 
Erkrankung. Die hämolytischen Flecken sind nur Diffusionsfieoken und 
nioht der Ausdruck eines aktiven Krankbeitsvorganges. 

Hanusa: Die Infektion frischer Kriegswunden mit Gasbrand- 
erregern und die daraus zu ziehenden Folgerungen. (Bruns 1 Beitr. zur 
kl. Chir., 1917, Bd. 107, H. 3, 42. kriegschirurgisches Heft.) Die beste 
Prophylaxe gegen die Infektion mit Gasbranderregern, die Verf. in 
20 von 43 daraufhin bakteriologisch untersuchten Fällen fand, ist die 
radikale Anwendung des Messers bei der Wundversorgung. In der Nach¬ 
behandlung der breit ausgeschnittenen Wunden bat H. sowohl mit dem 
trockenen Verband, wie mit der Dakin’schen Methode, als auch mit der 
von Cetto angegebenen halboffenen physikalischen Wundbehandlung gute 
Resultate erzielt. 

Brüning: Ueber grosse lufthaltige Gebirnsyste nach Schassver- 
letzang. Operation. Heilung. (Bruns 1 Beitr. zur klin. Chir., 1917, 
Bd. 107, H. 3, 42. kriegschirurgisches Heft.; Mitteilung eines sehr 
interessanten Falles, bei dem es bei einem glatten Hirndurcbschuss zu 
einer auffallend grossen, lufthaltigen intraxerebral gelegenen Zyste ge- 
gekommen war. Die in ihr enthaltene Luft entstammte wahrscheinlich 
der Nasen- bzw. Stirnhöhle. Br. schlägt vor, die nach Schussverletzungen 
auftretenden Zystenbildungen einxuteilen io 1. Zystenbildungen an der 
Hirnober fläche im Bereich der Hirnhäute* die fast immer Liquorzysten 
der Arachnoidea sind, und 2. in Erweichungszysten der Hirnsubstanz 
selbst, die meist Liquor cerebro-spinalis enthalten, oft noch Fibringerinnsel 
und Reste von Blutungen oder zertrümmertes Hirngewebe, vereinzelt 
auch Luft. Die HeiluDg grosser Zysten erfolgt* wie in diesem Falle, 
durch Fortnabme eines entsprechend grossen Knoohenstückes aus dem 
Schädel, wodurch das Einsinken der Zystenwandung ermöglicht wird. 


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266 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Kausch: Ueber koiservatives Ampatierea. (Bruns* Beitr. zur 
kl. Chir., 1917, Bd. 107, H. 8, 42. kriegscbirurgisches Heft.) K. ist 
▼eit davon entfernt, die von ihm inaugurierte Amputationsmethode des 
einzeitigen Zirkelschnittes für alle Fälle empfehlen zu vollen; er macht 
jedooh auf die Vorzüge aufmerksam, die 'diese Amputation in gewissen 
Fällen aufweist. Er führt die Operation jetzt derart aus, dass er zu¬ 
nächst die Haut nur zirkulär durchtrennt, dann die Muskulatur an der 
Stelle der spontanen Hautretraktion, schliesslich den Knochen an der 
Stelle der spontanen Muskelretraktion. Wichtig ist es, möglichst bald 
«inen Hautzugverband anzulegen. Auch Nachamputationen lassen sich 
leioht vermeiden, wenn man nach Mobilisierung der Weiohteile eine 
kräftige Extension anlegt. K. geht näher auf die Indikationen ein, unter 
denen er empfiehlt, seine Methode auszuführen, und bespricht im Hinblick 
hierauf die verschiedenen Extremitätenabschnitte auf ihre Wertigkeit bin. 
Im allgemeinen soll man mit Amputationen möglichst zurückhaltend 
sein. W. V. Simon. 

W. Schlüter-Berlin: Kriegsbesehädigteafürsorge in Algerien. 
(Zschr. f. Kröppelfürs., Bd. 11, H. 1.) Ein Spiegelbild der algerischen 
Kriegsbeschädigtenfürsorge, das trotz vieler Zensurlücken dieselbe 
phrasenreiohe und oberflächliche Art wie die französische und italienische 
Fürsorge erkennen lässt, findet man im „Mutil6 de l’Algörie“, nur dass 
dort noch weniger positive Arbeit geleistet wird wie in Frankreich und 
Italien. 

Mall witz-Görden: Leibesübungen als Heilverfahren für Kriegs - 
beschädigte. (Zschr. f. Krüppelfürs., Bd. 11, H. 1.) Im Reservelazarett 
Görden bei Brandenburg sind mit sportlicher Betätigung von Kriegsver¬ 
letzten gute Erfahrungen gemacht worden, die zur Nachahmung auf- 
fordern. Indem die eigentliche Gesundheitspflege sich mit der Abwehr 
von Schädlichkeiten beschäftigt und den Körper vor Gefahren schützt, 
verweichlicht sie ihn noch mehr statt seine aktiven Schutz- und Trutz¬ 
kräfte anzuregen. Deshalb soll man neben der negativen Hygiene nioht 
die positive Gesundheitspflege vergessen, die Entwicklung möglichst vieler 
vorhandener Körperanlagen zu einer der jeweiligen körperlichen Erb¬ 
schaft entsprechenden Vervollkommnung. Für Kriegsbeschädigte sind 
Leibesübungen im Freien eine wertvolle Ergänzung des mechanischen 
Heilverfahrens. Sohasse^ 

Gussmann: Ueber die in den württembergischen Heimatslazaretten 
beobachteten Tetaaasfälle seit Kriegsbeginn bis zum 80. April 1916. 
(Bruns* Beitr. zur klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 3, 42. kriegschirurgisches 
Heft.) In seiner umfangreichen Arbeit bearbeitet G. ein Material von 
etwa 400 in württembergisohen Heimlazaretten beobachteten Tetanus¬ 
fällen. Wenn sich auch die Heilerfolge im Laufe des Krieges nicht 
wesentlich erhöht haben, so ist doch dank der Prophylaxe und der 
radikalen Wundbehandlung eine starke Abnahme der Erkrankung zu 
konstatieren. Allerdings beobachtet man auch bei prophylaktisch Ge¬ 
impften gelegentlich schwerste Erkrankungen. Vor jedem erneuten 
operativen Eingriff sollte man eine prophylaktische Serumdosis geben. 
Die beeten Heilerfolge weisen die Fälle auf, die mit Serum intralumbal 
und intravenös gespritzt wurden. Das Auftreten eines anaphylaktischen 
Schocks ist verhältnismässig selten. Gleichzeitig sollte man Magnesium¬ 
sulfat unter Beobachtung der von Kocher gegebenen Vorschriften an¬ 
wenden. W. V. Simon. 


Röntgenologie. 

" H. Wachtel: Röatgeno logische Lagekestimmaag der Steck- 
geschosse mit Hilfe des faradischen Stromes. (M.m.W., 1918, Nr. 2.) 
Da# Prinzip der eigenartigen Methode beruht darauf, dass man während 
der Röntgendurchleuohtung einzelne in Frage kommende Muskeln der 
Reihe naoh von markierten Nervenpunkten aus faradisch reizt. Aus 
der Mitbewegung des Geschosses kann man dann schliessen, in welchem 
Muskel dasselbe lokalisiert ist. Geppert. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Werther-Dresden: Kontagiosität der kongenitalen Lues. (M.m.W., 
1918, Nr. 3.) Es werden 10 Fälle angeführt von nachweislicher Ueber- 
tragung der Syphilis von kongenital luetischen Säuglingen auf gesunde 
Kinder und Erwachsene. Nach Ansicht des Verf. besteht die Meinung 
Pfaundler*s, dass Ansteckungen von seiten der 1. c. Kinder nur äusserst 
selten vorkämen, zu Unrecht. 

L. v. Zumbusch-München: Geschleehtskrankheitenbekämpfnng 
und Strafrecht. (M.m.W., 1918, Nr. 2.) Scharfsinnige Ausführungen, 
die sehr einleuchtend beweisen, dass der sogenannte Gefährdungsparagraph 
(Bestrafung bei bewusster Uebertragung von Geschlechtskrankheiten) 
bezüglich Einschränkung der Geschlechtskrankheiten keinen wesentlichen 
Nutzen stiftet, dagegen eine positive Gefahr in sich birgt, indem er 
Erpressungsversucben usw. Tür und Tor öffnet. Anführung von Belegen 
aus der Praxis, die die Ansioht des Verf. treffend zu beweisen scheinen. 

_ Geppert. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

P. W. Siegel-Freiburg: Tausend schmerzlose Entbindungen im 
vereinfachten, schematischen Dämmerschlaf. (Mscbr. f. Geburtsh., 
Bd. 46, H. 6.) Die Methode des Dämmerschlafs, wie sie von Gauss 
angegeben wurde, erfordert eine sehr grosse Erfahrung zu ihrer Aus- 
führuug und war deshalb für den über kein grosses Material verfügen¬ 


den Arzt schwer verwendbar. Deshalb hat der Verf. nach langen Ver¬ 
suchen eine schematische Anwendungsweise erprobt, die ihm in tausend 
Fällen gute Resultate gegeben bat. Die genaue Angabe der einzelnen 
Phasen ist im Original nachzusehen. In der Beschreibung der Einzel¬ 
resultate fällt die grosse Häufigkeit oligopnoisch geborener Kinder auf; 
der Verf. ist der Ansicht, dass diese durch die Methode verursachte 
Oligopnoe völlig unbedenklich ist und sogar ohne irgendwelche Behand¬ 
lung innerhalb 25 Minuten post partum zurückgeht. Sie dürfte viel¬ 
leicht doch in praxi etwas alarmierend wirken. Versager nur in 1,6 pCt.; 
die veröffentlichten Resultate sind sehr bestechend. 

H. Rütt er-Marburg: Ein Fall von Uleis rodeas VtlVM. (Mschr. 
f. Geburtsh., Bd. 46, H. 6.) Ein Fall sohweren Ulcus, bei dem sich im 
Probescbnitt Langbans’sche Riesenzellen nach weisen Hessen, aber keine 
Tuberkelbazillen. Die Krankheit trotzte jeder Behandlung, es trat eine 
als tuberkulös angesehene Bauchfellerkjankung auf. Tod unter Erschei¬ 
nungen von Sepsis. Sektion ergab generalisierte Tuberkulose. Der 
Fall gibt einen neuen Beweis für die Ansicht mancher Autoren, die das 
Ulcus rodens meist als auf tuberkulöser Basis entstanden annehmen. 

P. Hüssy-Basel: Zwei Jakre Radinm im Fraaeaspital Basel. 
(Mschr. f. Geburtsh., Bd. 46, H. 6.) Eine elektive Wirkuug der Strahlen 
auf das Karzinomgewebe nimmt der Verf. nioht an, sondern es sind 
zwischen der Einwirkung auf das kranke und das gesunde Gewebe nur 
Gradunterschiede anzunehmen. Daher auch die vielen Nebenschädi- 
gUDgen, weil man heute noch keine sichere Grenzdosierung hat. Die 
Erfolge des Verfs. lassen ihn jedenfalls operable Karzinome operieren 
uod die Strahlenbehandlung nur als eine palliative auffasseu, die aller¬ 
dings in manohen Fällen Vorzügliches leistet. Leider hat man aber 
keinen Anhaltspunkt, um vorher bestimmen zu können, welche Fälle 
sich günstig beeinflussen lassen. Mit der Annahme einer völligen Hei¬ 
lung muss man sehr zurückhaltend sein, da Rezidive noch sehr spät 
eintreten können. F. Jacobi. 


Augenheilkunde. 

As eher-Prag: Erfahrungen an einem grösseren Traehommaterial. 
(W.m-W., 1918, H. 1.) Als entlassungsfähig galten Leute mit reizlosen 
Augen ohne besondere Papillarhypertrophie, ohne Sekretion und ohne 
Körner in den Uebergangsfalten. Die Superarbitrierungen erfolgten 
grösstenteils wegen Hornhautkomplikationen (74,6 pCt.), seltener wegen 
Lid- oder schwersten Bindehautveränderungen (14,8 pCt.), in einigen 
Fällen (0,4 pCt.) wegen unheilbarer Störungen der Tränenwege, ferner 
wegen internet oder chirurgischer Leiden als Nebenbefund neben 
Trachom (5,2 pCt.). Der Rest (5 pCt.) waren Iris*, Linsen- oder Netz¬ 
hauterkrankungen. 

Wöben stein-Prag: Die Organisation der Trachombekämpfaag in 
Bosnien-Herzegowina und Dalmatien. (W.m.W., 1918, H. 1.) Es gelingt nicht 
leicht, den Begriff nicht infektiöses Trachom scharf zu fassen. Der 
Nachweis von Pro wazek*schen Einschlüssen — auch der Initialformen — 
muss als Beweis für die Infektionsfähigkeit eines Falles gelten. Doch 
muss zugegeben werden, dass auch negative Befunde keineswegs gegen 
Rezidive siohern. Die Hauptentscbeidung muss klinishh erfolgen. 

Horniker-Triest: Ueber einige organisatorische nnd klinische 
Erfahrungen an Trachomformationen im Frontbereiohe der ... ten 
Armee. (M.m.W., 1918, H. 1.) Die erste Untersuchung muss eine all¬ 
gemeine und sehr genaue sein und darf sich nicht auf die blosse Vor¬ 
nahme von .Stichproben beschränken. Verwendbar sind dabei aus¬ 
schliesslich solche Untersuchungsmethoden, welche'die obere Uebergangs- 
falte der Bindehaut in dem grössten Teile ihrer Ausdehnung der In¬ 
spektion zugänglich machen. Die allgemein übliche Methode des ein¬ 
fachen Umstülpens des Oberlides ist als vollständig unzulänglich zu 
verwerfen. 

Beykovsky: Eine neue Vorrichtung zum Schatze des liehtneheven 
and operierten Aages. (W. m. W., 1918, Nr. 1.) Beschreibung einer 
„Klappenschutzbrille“. 

v. Grosz: Die angenärztUche Tätigkeit im Felde. (W.m.W., 1918, 
H. 1.) Die im Felde stehenden Trachombataillone sind mit Augenärzten vor¬ 
züglich versehen und der glänzende Erfolg, dass 78 pCt. vollkommen 
genesen sind, bei 21 pCt. in absehbarer Zeit eine Heilung zu erwarten 
ist und nur 0,3 pCt. infolge Trachoms kriegsdienstuntauglich gefunden 
worden sind, ist ein Beweis, dass die Armee für kranke Soldaten dies¬ 
bezüglich vorzüglich sorgt. 

Honig: Erfahrungen auf dem Gebiete der Aageaheilkaado im 
Kriege. (W.m.W., 1918, Nr. 1.) Die direkten Augenverletzungen waren 
zumeist durch Splitter von Explosivgeschossen verursacht. Schon mit 
kleiner lebendiger Kraft sich fortbewegeude Splitter hatten schwere, oft 
zur Erblindung führende Verletzungen zur Folge. 

Hanke-Wien: Ueber Kriegsverletzaagea des Aages durch ge¬ 
steigerten Luftdrnck platzender Geschosse. (W.m.W., 1918, Nr. 1.) Wir 
können die Augenverletzungen saohgemäss einteilen: 1. in direkte Ver¬ 
letzungen. 2. in indirekte Verletzungen, mit der Unterteilung der fort¬ 
geleiteten Verletzungen. Als 3. Gruppe kommen die anfangs viel um¬ 
strittenen Verletzungen des Auges zur Erörterung, die durch den enorm 
gesteigerten Luftdruck zustande kommen, der in der Bahn grosskalibriger, 
nahe dem Auge vorübergehender Geschosse oder beim Platzen krepierender 
Granaten in näohster Nähe des Verwundeten Btattfindet. Mitteilung 
von drei einwandfreien hierhergehörigen Fällen eigener Beobachtung. 


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18. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


267 


Beykovsky: üeber Minenverletingeii des Auges. (W.m.W., 1918- 
H. 1.) Von den beobachteten 21 Fällen wurden 10 in kurzer Zeit diensttaug¬ 
lich mit guter Sehschärfe entlassen, in 3 Fällen kam es zur Linsen, 
extr&ktion. 3 Falle zeigten grosse Narben und chronische Entzündungen, 

2 Fälle mussten enuklpiert werden und 3 endeten mit vollständiger 
Erblindung, im allgemeinen hat bei Steinsplitterverletzungen die kon¬ 
servative Behandlung gegenüber der operativen, speziell was die Enu¬ 
kleation und Eviszeratien des Bulbus betrifft, die Oberhand gewonnen. 

Bergmeister-Leibach: Wann und wo kann im Felde die Ein- 
kleitid kllbi vorgenommen werden ? (W.m.W., 1918, Nr. 1.) Die Evis- 
ceration bei Panophthalmitis sollte im Ineresse des Kranken (zur Ab¬ 
kürzung der Schmerzen und des Fiebers) sofort auch in den vordersten 
Sanitätsanstalten vorgenommen werden. Ganz anders liegen die Ver¬ 
hältnisse bei den schleichenden Iridozyklitiden oder bei der Endoph¬ 
thalmitis, welche in verletzten Augen schliesslich zur Atrophia bulbi 
führen. Augen mit schleichender Iridozyklitis (Endophthalmitis, Glas¬ 
körper- Abzess oder Iridochorioiditis suppuiativa) dürfen unter keinen 
Umständen der Ersatzopei ation der Enukleation, der Evisceratio bulbi 
anheimfallen. Reokzeh. 

Ueber Kriegsbliadenhuide. Auszug aus einem dem Sanitäts¬ 
departement des Kgl. Preuss. Kriegsministerium erstatteten Bericht. 
(D. militärärztl. Zschr., 1918, H. 1 u. 2.) Er enthält Mitteilungen über 
die Führung Kliegsblinder durch dazu abgerichtete Kriegsblindenhunde. 
Der Hund setzt sich vor jedem Hindernis und macht seinen Herrn so 
darauf aufmerksam. Schilderung der Abrichtung. Sie hat sich aus¬ 
gezeichnet bewährt. Die Hunde sind so gut abgerichtet, dass sie auf 
ein bestimmtes Befehlswort, z. B. „nach Haus“, „Post“ usw. die Blinden 
an den gewünschten Ort geleiten. Schnütgen. 

Alexius Pichler-Klagenfurt: Ueber simulierte Gesiehtsfeldein- 
sehr&lkug. (Aroh. f. Ophthalm., 1917, Bd. 94, H. 3—4.) Im Anschluss 
an die Arbeit Klien’s über die psychisch bedingten Einengungen des 
Gesichtsfeldes, denen die Vorstellung des Schlechtsehens zugrunde liegt, 
bringt P. weitere Beiträge experimenteller und klinischer Natur zu dieser 
Frage, die des näheren zeigen, wie solche Gesichtsfeldstörungen (konzen¬ 
trische Gesichtsfeldeinengungen, Forst er’scher Verschiebungstyfcus) 
simuliert werden können. 

A. de Kleyn und W. Strom v. Leemoen-Utrecht: Ueber 
vestibuläre Augenreflexe« I. «Ueber die Entstehungsursache des 
kalorischen Nystagmus, nach Versuchen an Katzen und Kaninchen. 
(Arch. f. Ophthalm., 1917, Bd. 94, H. 3—4.) Die Experimente wurden zur 
Entscheidung der Frage angestellt, ob der als Folge einer Ausspritzung 
des Gehörganges mit kaltem Wasser (11—12 °C) auftretende kalorische 
Nystagmus mit einer Ausschaltung des Labyrinths der ausgespritzten 
Seite zu erklären sei. Bei den variierten Versuchen wurde der Nystagmus 
durch die Spülung einerseits und durch Labyrinthexstirpation anderer¬ 
seits in ungleichartiger Weise beeinflusst. Obige Frage wird daher ver¬ 
neint. 

E. v. Hippel-Göttingen: Ueber einen Fall von ungewöhnlich schwerer 
gonorrhoischer Iridoeyelitis und Neuritis optica. (Arch. f. Ophthalm., 
1917, Bd. 94, H. 3—4.) Bei dem 18 jährigen Kranken trat 4 Wochen nach 
der Tripperinfektion auf beiden Augen Iridoeyelitis • und Conjunktivitis 
metastatisch gleichzeitig mit Schwellung des linken Fussgelenkes auf. Nach 

3 Monaten konnte beiderseitige Papillitis mit zentralen Skotomen fest¬ 
gestellt werden, später traten RindentrübuDgen der Linsen hinzu. Nach 
2 1 /* Jahren waren diese Trübungen nicht fortgeschritten, die zentralen 
Skotome aber geblieben, so dass das zentrale Sehen dauernd verloren 
war (RS = 2 /so» LS = 2 / l0 ). Die Iris war, besonders rechts, atrophiert 
nur mit der Linsenkapsel verwachsen. 

K. Engel brecht: Zur Entfernung von nichtmagnetischen Fremd¬ 
körpern aus dem Innern des Auges. (Arch. f. Ophthalqi., 1917, Bd; 94, 
H. 3—4.) Unter 32 Fällen nichtmagnetischer intrabulbärer Splitter ge¬ 
lang die Ausziehung 16 mal. Dies günstige Resultat schreibt Verf. im 
wesentlichen der sorgfältigen LagebestimmuDg zu, die nach Rassel¬ 
wander und Drathkreuzprothese stereoskiographisch vorgenommen wurde 
und kurze Schnittführung in möglichster Nähe der Fremdkörpers ermög¬ 
lichte. Bei nichtmagnetischen, im hinteren Drittel des Glaskörpers 
liegenden Splittern erscheint die Operation aussichtslos. Den Endausgang 
konnte Verf. zwar nicht beobachten, doch zeigten die Fälle in den 
2—3 Wochen nach der Operation ungestörten Wund verlauf.' 

_’ Ginsberg. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Kaiser-Triest: Zur Spntnmdesinfektion. (D.m.W., 1918, Nr. 3.) 
Angabe eines Verfahrens, das darauf beruht, dass auf dem Zusatz von 
frischem ungelöschten Aetzkalk und heissem Wasser sich Wärmegrade 
entwickeln, die es ermöglichen, das Sputum zu desinfizieren. Dünner. 

H. Hetsoh: Ungeziefer dnreh Blausänregas. (D. militärärztl. 
Zschr., 1918, H. 1 u. 2.) Zur Ungeziefervernichtung (besonders Läuse 
und Wanzen) lässt sich Blausäuregas (Cyanwasserstoff) recht gut ver¬ 
wenden: Hauptvorteile sind völlige Unschädlichkeit für alle Rohstoffe, 
Einfachheit der Handhabung, Ersparnis an Heizmaterial, Schnelligkeit 
und Zuverlässigkeit der Wirkung. Sein einziger Nachteil ist die grosse 
Giftigkeit für den Meeschen. Angabe der Vorsiohtsmaassnahmen, welche 
mit Sicherheit Unglücksfälle vermeiden lassen. Genaue Schilderung des 
Verfahrens. Alles muss locker auf Bügel hängen in gut abgediohteten 


Räumen. Zur Erzielung einer Blausäurekonzentration von 2 Volum¬ 
prozent (man muss 2 Volumprozent 1 Stunde einwirken lassen) muss 
man auf jeden Kubikmeter nehmen: 140 ccm Wasser, 70 com 60gradige 
rohe Schwefelsäure Und 46 g Cyannatrium. Das Verfahren darf nur 
unter ärztlicher Verantwortung und nur von zuverlässigem, geschultem, 
überwachtem Personal ausgeführt werden. Das Heeres-Sauerstoff-Schutz¬ 
gerät muss dabei stets bereit stehen. Besonders wichtig sind die Maass¬ 
nahmen nach Beendigung der Durchgasung. In bewohnten oder Wirt¬ 
schaftszwecken dienenden Räumen wird Ungeziefer mit 1 Volumprozent 
in 6 Stunden vernichtet. Cyannatrium und Abfallsäure sind getrennt 
zu versenden und getrennt und unter Verschluss aufzubewahren. 

_ Schnütgen. 


Schiffs- und Tropenkrankheiten. 

D. J. Hülshoff-Pol.: X-8flure als Heilmittel gegen Polynenritis 
gallinaram. (Arch. f. Schiffs- u. Trop.-Hyg., 1917, Bd. 21, H. 22, S. 365 
bis 376.) Forschungen in Niederländisch-Ostindien hatten den Verf. eine 
günstige Wirkung des Dekokts einer Bohnenart (Phaseolus radiatus) auf 
die Beriberi finden lassen. Reinigung und Eindampfung dieses Dekokts 
ergab eine kristallinische Masse, die er in Unkenntnis ihrer näheren Art 
einstweilen als X-Säure bezeichnet. Mit diesem Stoffe hatte Gryns in 
Versuchen bei der der Beriberi nahe verwandten Polyneuritis gallinarum 
keinen Erfolg gehabt und daraus geschlossen, dass die X-Säure nicht 
das wirksame Prinzip in den Phaseolusbohnen sein könne. Verf. wider¬ 
legt diese Annahme durch neue Versuche an Hühnern bei veränderter 
Methodik und Menge, die bei frühzeitiger Anwendung und ausreichender 
Dosierung eine gute Heilwirkung ergaben. Die Versuche, die zum Teil 
in Eykmann’s Laboratorium in Utrecht ausgeführt wurden, werden im 
einzelnen aufgeführt. Weber. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 20. Februar 1918. 

(Schluss.) 

< Tagesordnung. 

Hr. Alfred Rothschild: 

Zur Aetiologie der gegenwärtig weitverbreitetei Eniresis nid 
Poflaknrie. 

Aus meinen eigenen Erfahrungen im Feld im ersten Kriegswinter 
1914, wie der über die Blasenfunktionsstörungen seitdem entstandenen 
Literatur geht hervor, dass es über die Aetiologie dieser in der Kriegs¬ 
zeit entstandenen, gehäuft vorkommenden Störungen der Blasenfunktion 
bei den Fronttruppen keine vollständig befriedigende Erklärung gibt. 
Wahrscheinlich ist, dass es sich bei der Störung häufig um eine Neurose 
handelt. Die Therapie bat im allgemeinen bisher bei dieser Störung 
wenig Erfolg gehabt. 

Ich untersuchte daher seit einem halben Jahr den Harn bei den 
in der zivilen Heimatbevölkerung seit einiger Zeit ebenso gehäuft auf¬ 
tretenden Fällen von derartiger Blasenschwäche uud bei älteren ähnlichen 
Fällen, die in der Kriegszeit eine Verschlimmerung des Leidens erfahren 
hatten, nur Fälle mit klarem Urin, ohne Eiweiss und Zucker und ohne 
objektiv nachweisbare Erkrankungen der Blase und Niere and Umgebung 
derselben. loh fand bei allen untersuchten Fällen eine dauernd enorme 
Polyurie (z. B. 3750 ccm Urin bei einem , 17jähr. Mann) mit relativ 
hohem spezif. Gewicht, das zwischen 1010 und 1018 bei der 24stündiger Ge¬ 
samtmenge lag, und dauernd abnorm hohe Kochsalzausscheidung (bis 
36 g pro die) bei massiger Harnstoffausscheidung. Der hohe Kochsalz¬ 
gehalt erklärt das relativ gute spez. Gewicht dieses polyurischen Harns. 
Demonstration der Befunde an 7, aus der grösseren Reihe der Unter¬ 
suchungen in einer Tabelle zusammengestellten Fällen. Die Einzel¬ 
entleerungen stellen dabei meist relativ kleine Mengen (fast alle unter 
300 ccm) dar, zumeist mit einem Kochsalzgebalt über 1 pCt. bis 1,54 pCt. 

Die Polyurie genügt daher nicht zur Erklärung des gebieterischen 
Harndrangs, auch nicht der Kochsalzgehalt der Einzelportion als lokaler 
Blasenreiz. loh bin der Auffassung, dass in diesen Fällen eine renale 
Ursache vorliegt, dass die duroh die ständig enorm gesteigerte Wasser- 
und Kocbsalzausscheidung bedingte, dauernd abnorme Steigerung der 
Nierenarbeit eine primäre Ursaohe, d. h. eine der Ursachen der gegen¬ 
wärtig gehäuften Blasenfunktionsstörungeb ist. Diese dauernd grosse 
Beanspruchung der Nieren erzeugt bei einzelnen Menschen einen Reis¬ 
zustand der Nieren, welcher sieb, analog den Verhältnissen bei Nephritis, 
auf die Blase reflektorisch überträgt. Die letzte Ursache liegt in den 
gegenwärtigen Ernährungsverhältnissen. 

Ich habe in solchen Fällen danaoh Heilung duroh längere Zeit duroh- 
geführte kochsalzarme Ernährung erzielt, wenn die sog. Blasensohwäohe 
erst in der Kriegszeit aufgetreten war; und mindestens Besserung, wenn 
das Leiden schon immer bestanden bat, aber in der Kriegszeit stärker 
aufgetreten war. Dieser thearpeutisohe Erfolg bekräftigt die Richtigkeit 
meiner Auffassung über die Ursache des jetzt weit verbreiteten Leidens, 
soweit es in der Heimat auftritt. , 

(Der Vortrag erscheint ausführlich in der D.m.W.) 


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UNIVERSUM OF IOWA 




268 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Aussprache. 

Hr. W. Hofmann: Auch wir haben an der urologischen Abteilung 
der chirurgischen Klinik des Herrn Geheimrats Bier während des Krieges 
eine ganz erhebliche Zunahme der Fälle von Bettnässen zu ver- 
zeichnen gehabt. 

Bezüglich der Aetiologie habe ich nun mein spezielles Augenmerk 
auf einen Symptomenkomplex gerichtet, der seinerzeit zuerst im Jahre 
1909 von Fuchs in Wien 1 ) angegeben worden ist. Fuchs machte da¬ 
mals mit Mattauschek zusammen systematische Untersuchungen an 
den Rekruten und Soldaten der Wiener Garnison und fand, dass sich 
sehr oft bei den Bettnässern eine Spina bifida ocoulta vorfindet. 

Ich habe ebenfalls sämtliche Fälle von Enuresis, die uns zur Be¬ 
handlung vorkamen, röntgenologisoh durohunlersucht, vor allem die¬ 
jenigen, bei denen sich sonst keine andere Aetiologie für das Bettnässen, 
wie z. B. Würmer oder pathologische Befunde im Urin, finden liesu. Es 
wurden im ganzen 108 Fälle untersucht, und unter diesen fand sich 
bei 67 eine Spina bifida occulta; 25 waren negativ, und bei 16 Fällen 
war die Platte undeutlich, sodass der Befund zweifelhaft ist. Ich komme 
somit zu dem Ergebnis, dass sich bei diesen Kranken — es waren auch 
einige Erwachsene darunter — in 62 pCt. der Fälle eine Spina bifida 
ocoulta naohweisen lässt. 

Die Befunde von Fuohs sind später noch von einigen anderen be¬ 
stätigt worden, besonders von Peritz 2 ;. Während nun Fuchs damals 
angegeben hat, dass sich ausser der Spina bifida ocoulta noch besondere 
Degenerationszeichen vorfinden, z. B. Syndaktylie, trophoneurotische 
Störungen — dann ist von orthopädischer Seite darauf aufmerksam ge¬ 
macht worden, dass sich vor allen Dingen Bildungen von Klauen-, 
Hohl- und Plattfüssen zeigen, ferner abnorme Behaarung der Lenden¬ 
wirbel- und der Kreuzffeingegend — ist fast bei allen unseren Fällen, 
mit wenigen Ausnahmen die Untersuchung auf derartige Befunde negativ 
gewesen. Dasselbe hat übrigens auoh Graessner angegeben in einer 
Arbeit über den Röntgenbefund bei Spina bifida occulta in der Fest¬ 
schrift der Akademie für praktische Medizin in Cöln 1915. 

Ich möchte mir zunächst erlauben, Ihnen einige dieser Bilder hier 
in der Projektion vorzulühren. 

Dies (Bild) ist das Röntgenbild einer normalen Lendenwirbelsäule 
und eines normalen Kreuzbeins eines 14jäbrigen Kindes. Ich bitte Sie, 
besonders auf den fünften Lendenwirbel und den 1. Sakralwirbel zu 
achten. Die Spina bifida occulta kann sich in zweierlei Formen geltend 
machen. Es können entweder nur die Processi spinosi gespalten sein, 
oder die Spaltung kann sich auch auf die Wirbel bögen erstrecken. In 
unseren Fällen sind durchweg die ganzen Wirbelbögen gespalten gewesen. 

(Bild). Hier ein ganz extremer Fall einer Spina bifida occulta, die 
sich fast über die ganze Lendenwirbelsäule und das gesamte Kreuzbein 
erstreokt. Der fünfte Lendenwirbel, der ganze Sakralkanal ist vollständig 
gespalten. Die Spaltung hat eine trichterförmige Gestalt. Sie erstreokt 
sich auch weiter auf den vierten Lendenwirbel bis zum dritten. Sie 
sehen die Teile des Bogens sohräg übereinander gelagert. 

Die häufigste Form, die sich bei der Spina bifida occulta vorfiodet, 
ist die Spaltung des Bogens des ersten Sakral Wirbels. Ich habe sie in 
42 Fällen unter meinen 67 gefunden. (Bild) 

Danaoh kommt nun die Spaltung des fünften Lendenwirbels allein. 
Diese habe ich in 7 Fällen gefunden. In den anderen Fällen fanden 
sioh Kombinationen vor, also z. B. eine Spaltung des fünften Lenden¬ 
wirbels und des ersten Sakralwirbels oder mehrerer Sakralwirbel. 

Robinsohn, der die Fälle von Fuchs untersucht hat, unter¬ 
scheidet verschiedene Formen der Spaltung, eine mediane Spaltung und 
eine schräge Spaltung. Er. macht darauf aufmerksam, dass sich die 
einzelnen Teile der Bögen untereinander schieben können, wie das hier 
zu sehen ist. (Bild.) Dieser Fall ist eine Spina bifida ooculta des 
gesamten Kreuzbeins. Robinsohn unterscheidet hier einen Hiatus superior 
und inferior; superior, wenn die drei ersten Kreuzbeinwirbel, inferior, 
wenn die unteren gespalten sind. 

Ein grosser Teil unserer Patienten ist neurologisch durchuntersuoht 
worden. Es haben sich keinerlei sonstige Veränderungen gefunden. Io 
einigen wenigen wurde eine geringe Herabsetzung des Temperatur¬ 
empfindens an den Zehen festgestellt, wie dies mehrfach beschrieben ist. 

Was die Ursache der durch die Spina bifida occulta bedingten 
Enuresis anlangt, so ist zunächst klar, dass wir es mit einer Hemmungs¬ 
missbildung zu tun haben. Fuchs führte damals den Begriff der Myelo¬ 
dysplasie ein, und zwar sagt er, genau so, wie wir sehen, dass der 
knöcherne Teil der unteren Wirbelsäule missbildet ist, weist auch der 
untere Teil des Rückenmarks und seiner Ausläufer, also im Bereich des 
epiduralen Kanals, eine Missbildung auf. 

Welcher Art diese Missbildung sei, darüber gehen die Ansichten 
auseinander. Es stehen sich zwei Meinungen gegenüber. Nach der einen 
handelt es sich darum, dass das Medullarrohr sioh im unteren Teile 
nicht vollständig geschlossen habe, nach der anderen — dieser Ansicht 
huldigen Virohow und Cruveilhier — ist dieser Schluss wohl erfolgt, 
es haben sioh aber sekundäre Entzündungserscheinungen eingestellt, die 
zu Strängen und Verwaohsungsbildungen geführt haben. Diese Stränge 
und Verwachsungen sollen dann auf die unteren Teile des Rückenmarks, 
vor allem, auf die kaudalen Nerven, die hier ausgehen, drücken und die 
Enuresis hervorrufen. Für diese letztere Ansicht spricht übrigens auch 


1) W.m.W., 1909. , 

2) D.m.W., 1911. 


ein operativer Fall, den Katzenstein 1 ) beschrieben hat In einem Falle 
von Spina bifida ooculta mit schweren Nerven- und Blasenstorungen ist 
es ihm gelungen, duroh Lösung der Stränge eine Restitutio ad integrum 
herbeizuführen. 

Ich möchte übrigens nooh bemerken, dass Graessner und ver¬ 
schiedene andere zur Erhärtung, dass es sioh hier wirklioh auch um 
eine Spina bifida occulta handele, Röntgeophotographien von anatomischen 
Präparaten aogefertigt haben. Diese Rontgenpbotographien zeigten die¬ 
selben Befunde, wie wir sie hier am Lebenden gesehen haben, so dass 
wir also auch rückschliessend sagen können, es liegt hier eine Spina 
bifida ooculta vor. 

Was die Therapie anlangt, macht Peritz darauf aufmerksam, dass 
sich vielleicht die Erfolge der Cathelin’sohen epiduralen Iojektion, 
wobei in den Epiduralkanal je nachdem Koohsalz oder auch* in Kom¬ 
bination mit Novokain oder Kokain eingespritzt wird, dadurch erklären 
lassen, dass Narbenstränge gelöst werden und auf diese Weise die 
Drucksymptome aulhören. Allerdings gehen die Ansichten auch hier 
wieder auseinander. Nach anderen Autoren wirken diese Injektionen 
so, dass sie auf die Nervenstämme drücken und eine sekundäre Blut¬ 
überfüllung des kleinen Beckens hervorrufen. Ich möobte jedenfalls 
bemerken, dass auoh wir in sehr vielen Fällen mit der Oathelin’schen 
epiduralen Iojektion sehr gute Resultate bei der Behandlung der 
Enuresis erhalten haben. 

Hr. A. Freu den borg: Ich möchte mir gestatten, einige Bemer¬ 
kungen zur Pollakiurie zu machen, wobei ich vorausschicke, dass meine 
Erfahrungen sich auf däs Heimatsgebiet beschränken. 

Herr Rothschild hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, sehr 
grossen Wert auf den hohen Kochsalzgehalt des Urins gelegt und eine 
gewisse Reizwirkung des Kochsalzes angenommen. Ich halte es für 
möglich, dass das für seine Fälle zutrifft, glaube aber allerdings auoh 
hier nicht, dass es das Primäre ist. Aber für eine ganze Zahl von 
Fällen trifft es m. E. sicher nicht zu. Hier kommen, glaube ioh, andere 
Verhältnisse in Betracht, und ich möobte Sie bitten, einmakauf die 
Reaktion des Urins ;in diesen Fällen zu achten. Sie werden bei einer 
grossen Zahl derselben entweder ganz sch wachsauren oder neutralen 
oder sogar alkalischen, resp. ammoniakalischen Urin finden. Das 
hat mich dazu geführt, mich an frühere Beobachtungen zu erinnern, 
über die ich am 4. Mai 1903 in eigem Vortrage vor dem Verein für 
innere Medizin berichtet habe 2 ), und die ish seitdem in einer sehr 
grossen Zahl von Beobachtungen immer aufs neue bestätigt gefunden 
habe. Ich habe damals darauf aufmerksam gemacht, dass bei Pbosphaturie 
sich im Harn stets eine ammoniakalisohe Reaktion findet, wobei es 
natürlich möglich ist, dass diese ammoniakalische Reaktion, d. h. die 
Ausscheidung von Ammoniak, insbesondere wenn man den Urin erwärmt, 
ebensowohl direkt durch vermehrten Ammoniakgehalt zustande kommen 
kann, wie indirekt durch eine Vermehrung der übrigen, also der fixen 
Alkalien, welche eben das sonst gebundene Ammoniak leichter frei werden 
lässt, als es sonst der Fall wäre. Ich habe ferner darauf aufmerksam 
gemaoht, dass es einen geringeren Grad der Phosphaturie gibt, den ich 
als w latente Phosphaturie* bezeichnet habe, und der dadurch 
charakterisiert ist, dass hier defürin nicht bereits phosphatisoh getrübt 
entleert wird, sondern sich erst beim Kochen trübt; und ich habe end¬ 
lich einen dritten und geringsten Grad unterschieden, bei dem auoh 
diese phosphatische Trübung beim Kochen nicht mehr eintritt, aber sich 
immer noch, ebenso wie bei der manifesten und der latenten Phosphaturie, 
reichlich Ammoniak ausscheidet. loh habe diesen geringsten Grad als 
„ Ammoniurie“ bezeichnet. 

Die Fälle der Pollakiurie fallen, soweit ich sie gesehen habe, 
fast alle unter den Begriff der Ammoniurie: sie haben klaren 
Urin, haben aber eine sehr starke Ammoniakaasscheidung aus dem Urin 
und der Urin reagiert meist entweder sohwaohsauer oder neutral oder 
alkalisch; ausnahmsweise kann er allerdings, wie ioh das 1903 bereits 
hervorgehoben habe, auch trotz starker Ammoniakausscheidung stark 
sauer reagieren. Wir wissen nun, dass Ammoniak einen sehr starken 
Reiz für che Harnorgane darstellt, wie man das bei dem ammoniakalischen 
Blasenkatarh der Prostatiker sehen kann. Unsere Kranken mit Prostata¬ 
hypertrophie haben, soweit sie sich selbst katheterisieren, fast alle einen 
mehr oder weniger starken Grad von chronischer Cystitis; es handelt 
sich meist um einen sauren, durch Colibacillen bedingten Katarrh, und 
dieser saure Katarrh belästigt sie fast gar nicht; belästigt werden sie 
durch ihre Harnretention, aber nicht durch den Katarrh. Wenn aber 
aus dem sauren Katarrh, meist duroh den Zutritt von Staphylokokken, 
ein ammoniakalisoher Katarrh wird, stellen sich sofort die stärksten 
Reizerscheinungon ein. Derselbe Patient, der sich bisher vielleicht 
zweimal oder dreimal am Tage katheterisierte und inzwischen vielleicht 
gar nicht Urin zu* entleeren brauchte oder ohne Beschwerden urinierte, 
muss jetzt alle Augenblicke urinieren oder katheterisieren und klagt 
über hochgradige brennende Schmerzen. Er spricht vielfach überhaupt 
jetzt erst von Blasenkatarrh, und es ist oft schwer, ihm beizubringen, 
dass er schon vorher einen Katarrh gehabt hat und dass das bloss eine 
andere Art Katarrh ist, den er jetzt hat. So stark ist der Unterschied! 

Ich glaube non, dass in verkleinertem Maasse eine ähnliche Wir¬ 
kung des Ammoniaks für die Fälle von Pollakiurie in Betracht kommt. 

1) Arch. f. klin. Chir., Bd. 64. 

2) Siehe D.m.W., 1903, Jahrg. 39, S. 682. — Diskussion Vereins¬ 
beilage, S. 171* 


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UNIVERSITV OF IOWA 



18. März 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


269 


Selbstverständlich handelt es sich dabei um auf andere Weise und an 
anderer Stelle entstandenes Ammoniak. Das eine Mal, bei der Cystitis, 
bildet sich das Ammoniak in der Blase daroh Umsetzung von Harnstoff 
in kohlensaures Ammoniak; das andere Mal, bei den vorliegenden Fällen, 
handelt es sich um Ammoniak, das aus dem Blut stammt und das be- 
reits in dem Nierenurin vorhanden ist. Jedenfalls besteht zum mindesten 
die Möglichkeit, dass wir in diesem Ammoniak den Träger der Reiz- 
Wirkung zu sehen haben, die wir jetzt bei unseren Patienten mit Pollaki- 
urie beobachten. 

Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht nun, dass ich in einer 
grossen Zahl von Fällen von einer auf dieser Auffassung aufgebauten 
Therapie sehr gute Erfolge gesehen habe. Diese Therapie besteht in 
der Darreichung von Mineralsäuren und speziell von Phosphorsäure 
in grossen Dosen. Ich gebe den Patienten zwei bis drei, unter Um¬ 
ständen sogar vier Teelöffel Aoid. phosphoric. pro Tag, gelöst in dreiviertel 
bis ein Liter Wasser, eventuell versüsst duroh Zucker, Himbeersaft oder 
Saccharin, und lasse das im Laufe von 24 Stunden als Limonade trinken und 
diese Behandlung meist wochenlang fortsetzen. Selbstverständlich schränkt 
man dafür die sonstige Flüssigkeitszufuhr entsprechend ein, beträchtlich 
braucht diese Einschränkung aber absolut nicht zu sein. Alkalische 
Mineralwässer, mit denen unter der Firma „Tafelwässer“ häufig ein 
grober Uofug getrieben wird, sind hier natürlich als direkt schäd¬ 
lich gänzlich zu meiden. Jedenfalls erzielt man dadurch häufig ganz 
ausgezeichnete Erfolge und ich hoffe, dass die Kollegen sowohl diese 
Therapie, wie die ihr, zur Grundlage dienende Theorie einer Nach¬ 
prüfung für wert halten werden. Insbesondere möchte ich aber die 
Herren, die grössere Chemiker sind als ich, bitten, auf die Sache 
einmal ihr Augenmerk zu richten, und zwar io dieser Beziehung 
nicht bloss don Urin, sondern auch das Blut zu untersuchen, 
zu prüfen, ob eine verstärkte oder qualitativ veränderte 
Alkaleszenz vorhanden ist, ob eine wirkliche Vermehrung des Ammoniak¬ 
gehaltes vorhanden ist usw. Das letztere ist ja nicht nötig. Es kann 
sich, wie schon oben gesagt, dämm handeln, dass der Gehalt an fixen 
Alkalien vermehrt (oder qualitativ verschoben) ist und dass dadurch die 
Ausscheidung und das Freiwerden des Ammoniaks erleichtert wird. 

Dass unsere durch den Krieg bedingte, grossenteils vegetabilische 
Ernährung, ebenso wie die Einflüsse, die der Krieg auf das Nervensystem 
ausübt, Beziehung zu den Momenten haben muss, die ich Ihnen hier als 
ätiologisch in Betracht kommend vorgetragen habe, leuchtet wohl ohne 
weiteres ein. Speziell in bezug auf das Nervensystem bitte ich Sie, 
das nachzulesen, was ich 1903 in der oben zitierten Arbeit über 
„Phosphaturie und Ammoniurie als objektive Symptome der Neurasthenie“ 
gesagt habe. 

Hr. Fürbringer: Ich darf zunächst fragen, aus welchem Grunde 
der Herr Vortragende die Schreibart „Pollakurie“ dem üblichen Terminus 
„Pollakiurie* vorgezogen hat. Erstere unterschlägt zwei Buchstaben 
gegenüber der wieder häufiger angewandten Bezeichnung „Pollakisurie“. 
Die systematischen Untersuchungen des Herrn Rothsohild machen den 
Eindruck einer wertvollen Ersohliessung des aktuellen Themas. Es kann 
aber die neue Theorie nur für einen Teil der zurzeit fraglos stark ge¬ 
häuften Fälle von Pollakiurie Geltung beanspruchen, am wenigsten für 
die nicht mit Polyurie einhergehenden. Ieh finde den speziellen urologischen 
Standpunkt zu stark betont. Für den abnorm vermehrten Harndrang 
muss eine ganze Reihe von ätiologischen Gruppen verantwortlich gemacht 
werden. Ich verweise auf das treffliche, über 700 Abhandlungen um¬ 
fassende Sammelreferat des kürzlich verstorbenen Kollegen Lohnstein, 
der als letztes Vermächtnis in der Zeitschrift für Urologie die „Deutsche 
Urologie im Weltkrieg“ bearbeitet hat. Für unsere Störung nehmen 
u. a. die Neurosen einen ziemlich breiten Raum ein. Das entspricht 
auoh meinem Beobaohtungsmaterial. Nicht wenige Neurotiker, Träger 
von Neurasthenie, Psychasthenie und Hysterie klagen über Pollakiurie, 
ohne dass auch nur der Schatten eines Organleidens nachgewiesen 
werden kann, unabhängig auch von der Kriegskost, Erkältungen und 
Verletzungen. Wie die einen an reizbarer Schwäche des Nervensystems 
unter besonderer Ausprägung von Herzneurose, die anderen von sexuellen 
Störungen mit dem Grundzug der krankhaften Pollution und Ejaculatio 
praecox leiden, so tritt bei unserer Gruppe die reizbare Blase mit ihrem 
vornehmsten Symptom der Harnfrequenz in den Vordergrund, so dass 
man mit Recht den Ausdruck Blasenneurasthenie geprägt hat. Da nun 
die Einwirkungen der Eigentümlichkeiten des Krieges innerhalb weiter 
Grenzen allgemeine Neurosen in der Richtung der Auslösung und Ver¬ 
schlimmerung daheim wie im Felde zu züchten geeignet sind, so begreift 
sich eine wesentliche Beteiligung der Gegenwart an der Cystoneurose. 
Nach meinen Beobachtungen ist die Pollakiuria diurna annähernd ebenso 
häufig als die Nykturie; oft vereinigen sich beide. Diese ist, weil 
schlafraubend — in schweren Fällen wird 6—8mal zum Nachtgesohirr 
gegriffen — bedenklicher, jene wird aus Anlass der Missliohkeit der 
Teilnahme an langfristigen Sitzungen und sonstigen Veranstaltungen 
störend. Es fehlt nicht an Virgines intaotae; also hat das viel zitierte 
„Castus raro mingit“ nur beschränkte Geltung. Die meisten Kranken 
glauben an Blasenkatarrh zu leiden, welohe irrige Diagnose bedauerlich 
oft auch ärztlicherseits gestellt wird. Ein Beweis der Abhängigkeit der 
Pollakiurie vom Begriff der Neurose muss in der Besserung und Heilung 
der ersteren nach sachgemässer Behandlung des Grundleidens erblickt 
werden. 

Hr. Aufrecht: Der Herr Vortragende hat mit einigen Worten an¬ 
gedeutet, dass möglicherweise die Pollakisurie Beziehungen zu Nieren¬ 
erkrankungen haben könne. Ich bin nach meinen Beobachtungen in 


der Lage, die Behauptung aufzustellen, dass die Pollakisurie von hoher 
Bedeutung für das Auftreten der Kriegsnephritis ist. Nur dürfen wir 
nicht jede im Felde aufgetretene Nephritis als Kriegsnephritis ansehen. 
Bekanntlich hat schon Beitzke festgestellt, dass unter 20 Fällen von 
Nierenerkrankungen, die im Felde eingetreten sind, nur 7 die charakte¬ 
ristischen Zeichen derjenigen Veränderung zeigten, die wir als Kriegs¬ 
nephritis ansehen müssen. Ich selbst bin in der Lage gewesen, im hie¬ 
sigen Vereinslazarett in der Kleiststrasse 15 Fälle von im Felde auf¬ 
getretenen Nephritiden zu sehen. Nach meinen Beobachtungen gehörten 
8 zur sogenannten Nephrose und nur 7 zu dem, was man als Kriegs¬ 
nephritis ansehen muss, d. h. zu derjenigen Form, bei welcher die 
Glomeruluserkrankung das hervorstechende Symptom ist. In diesen 
7 Fällen habe ich duroh Befragen der Patienten erfahren, dass sie alle 
an Pollakisurie und Polyurie gelitten haben, und zwar einige mehrere 
Wochen lang, einer sogar monatelang mit einzelnen zeitlichen Unter¬ 
brechungen. Besonders charakteristisch war die Angabe eines Patienten. 
Er sagte, er habe häufig genug keine Gelegenheit gefunden, den Harn 
zu entleeren. Der Drang war so heftig, dass der Harn ins Beinkleid 
ging, und in der Zeit sei der Hosenboden zweimal durchgefault, so dass 
er erneuert werden musste. 

Nun habe ioh mich gefragt: Wie kann eigentlich der Zusammen¬ 
hang zwischen dieser Pollakisurie und dem späteren Auftreten von 
Nierenerkrankungen bei diesen Patienten gedeutet werden? Da kam ioh 
denn zu dem Ergebnis: Die Pollakisurie ist ja überhaupt bei Nieren¬ 
erkrankungen nicht etwas ganz besonders hier aufgetretenes, sondern 
wir wissen, dass auch bei der chronischen Nephritis, bei der arterio¬ 
sklerotischen Schrumpfniere entweder im Anfang oder im Verlauf der 
Krankheit solche Pollakisurien auftreten. Ich musste mir also sagen, 
wenn ich den Zusammenhang zwischA Pollakisurie und dem späteren 
Auftreten von Nierenerkrankungen mit Albuminurie und Oedemen bei 
den Kranken festgestellt habe, so muss doch die Pollakisurie jedenfalls 
von Bedeutung für das Auftreten sein. Ioh musste es mir aber so er¬ 
klären: Zunächst ist die Pollakisurie ein Zeichen, dass die Gefässe, und 
zwar die kleinen Gefässe, welche zu den Glomerulis führen, erkrankt 
sind, genau so, wie bei der arteriosklerotischen Schrumpfniere erst die 
Erkrankung der kleinsten Gefässe, der Vasa afferentia der Niere eintritt 
und dann die Glomeruli leiden. 

Diese Beobachtung liess mich nutimehr weiter erforschen, welohe 
Gründe wohl zu der Pollakisurie Veranlassung gegeben haben können, 
und da kam ioh zu dem Ergebnis, dass die Betreffenden mir ausnahms¬ 
los sagten, sie hätten lange Zeit für die Reinlichkeit der Haut nicht 
genügend sorgen können, sie hätten häufig genug infolge der Anstren¬ 
gungen, die sie durchmachten, ungeheuer viel transpirieren müssen und 
hätten das Schweisssekret nicht beseitigen können, sie seien häufig der 
Kälte und dem Regen ausgesetzt gewesen, so dass ich der Meinung sein 
möchte, diese Behinderung bat zu einer Störung der Hautfunktion ge¬ 
führt, und die Störung der Hautfunktion ist die Veranlassung zunächst 
zur Pollakisurie und zu der später hinzutretenden Nephritis gewesen. 

Sehr für diese Ansicht sprechen die Beobachtungen von Kays er. 
Er hat festgestellt, dass bei solchen Patienteo, die diese Pollakisurie 
und dann eine Nephritis mit Oedemen und Albuminurie bekommen 
haben, nach der Beseitigung der Oedeme im Lazarett, eine Haut¬ 
abschuppung, besonders im Gesicht aufgetreten ist. Um sich darüber 
zu vergewissern, ob das nur bei diesen Nierenkranken eingetreten ist, 
hat er nachher in den übrigen Abteilungen, wo keine Nierenkranken 
untergebracbt waren, alle auf das Vorkommen dieser Hautabschuppung 
untersucht und in diesen übrigen Abteilungen 3 Patienten gefunden, 
welche solche Hautabschuppungen hatten, und als er nun den Ham 
untersuchte, stellte sich heraus, dass bei ihnen die bis dahin ( unerkannte 
Nephritis vorhanden war. 

Ich möohte also zum Schluss sagen: Ich bin der Meinung: Die 
Pollakisurie im Felde ist der Vorläufer der im Felde eintretenden Ne¬ 
phritis, die sich zunächst in einer Erkrankung der zuführenden Ge¬ 
fässe, der Vasa afferentia, zu den Glomerulis bekundet, und erst, wenn 
diese Gefässe erkrankt sind, gesellt sich dazu eine Erkrankung des tubu¬ 
lären Apparats der Niere, welohe die Grundlage für das Auftreten von 
Eiweiss, Zylindern und Oedemen ist. 

Hr. Fuld: Angesichts der bekannten Konstanz der Blutalkaleszenz 
kann ich mir von einer Bestimmung derselben im Gegensatz zu Herrn 
Feudenberg nichts versprechen. Auch glaube ioh nicht, dass die Um¬ 
setzung zwischen Kochsalz und Kaliumphosphat die Rolle spielt, welche 
der Herr Vortr. im Anschluss an Bunge ihr zuschreibt: Nach wie vor 
bleiben die gleiohen Ionen in Lösung und es verändert sich nichts. 

Hr. Strauss: Der Herr Vortr. hat sich u. a. auoh auf eine Be¬ 
merkung von mir berufen, in der ich mich über die lokale Reizwirkung 
des Kochsalzes auf die Nieren geäussert habe. Der Herr Vortr. hat 
dabei richtig hervorgehoben: bei kranken Nieren. Ich betone die 
Richtigkeit dieser Erwähnung deshalb, weil erst jüngst von Herrn Hirsoh- 
feld aus einer Bemerkung von mir, die ich gelegentlich einmal in 
anderem Zusammenhang gemacht habe, dadurch, dass sie aus dem Zu¬ 
sammenhänge herausgenommen wurde, Schlüsse auf Anschauungen von 
mir gezogen worden sind, die ich da, wo ich mich ausführlich über Kooh- 
salzfragen und speziell über die lokale Reizwirkung des Kochselzes auf 
die Nieren geäussert habe, niemals entwickelt habe. Aus diesem Grunde 
lege ich Wert darauf, um jedwedes Missverständnis auszuschliessen, noch 
einmal zu betonen, dass ioh nie behauptet habe, dass Kochsalz für jede 
Niere ein Gift ist. Wohl aber habe ich auf dem Wege tierexperimenteller 
Untersuchungen sowie klinischer Feststellungen und schliesslich auoh 


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UMIVERSITY OF IOWA 





270 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


an der Hand von Obduktionen vor vielen Jahren als meinen Eindrook 
geschildert) dass schwerkranke Nieren, insbesondere an ihrem 
Epitbelialapparat geschädigte NiereD, unter Umständen durch reich¬ 
liche Kochsaismengen geschädigt werden können. Ich habe daraufhin 
den Rat gegeben, der auch an vielen Stellen befolgt wurde, dass man 
in allen denjenigen Fällen, in welchen mit der Möglichkeit einer schweren 
Epithelial läsion der Niere zu rechnen ist, die Kochsalzzufubr auch 
für subkutane und intravenöse Infusionen einschränkt und in solchen 
Fällen Traubenzuokerlösungen injiziert. Dieses Vorgehen hat jetzt auch 
bei gewissen im Felde notwendig gewordenen Infusionen Anwendung 
gefunden. Wenn ich ferner gesagt habe: Sch werkranke, am Epithelial¬ 
apparat geschädigte Nieren sind in bezug auf die Kochsalzzufubr einer 
besonderen Schonung bedürftig, so lässt sich in letzter Konsequenz 
einer solchen Auffassung allerdings vermuten, dass unter Umständen 
auch nichtkranke Nieren duroh eine reichliche Koohsalzzufuhr geschädigt 
werden können. Aber ich habe es nirgends ausgesprochen, dass man nötig 
hat, bei nichtkranken Nieren mit der Kochsalzzufubr ängstlich zu sein. 
Noch mehr als früher stehe ich heute auf Qrund meiner Erfahrungen 
auf dem Boden, dass eine gesunde Niere oder eine N<ere, deren 
Epithelialapparat nur wenig erkrankt ist oder eine nur am Gefässanteil 
erkrankte Niere ohne Schaden recht viel Kochsalz vertragen kann. 
Es kommt mir deshalb nicht als sehr wahrscheinlich vor, dass die Koch- 
salzmengen, von denen hier die Rede ist, bei einer grösseren Zahl von 
Menschen im Sinne der Erzeugung einer Nephritis wirken dürften. Ich 
unterschreibe aber alles, was Herr Kollege Rothschild über den diureti 
sehen Reiz grosser Mengen von Kochsalz auf die Nieren gesagt hat. Wären 
die grossen Kochsalzmengen geeignet, im Sinne einer Krankheitserzeugung 
zu wirken, so müsste doch bei der langen Dauer der zurzeit 
herrschenden Kriegsernährung Erlangt werden, dass jetzt unendlich 
viel mehr Menschen aus der Zivilbevölkerung Nephritiden oder Albumin¬ 
urien oder andere klinisch nachweisbare Reizwirkungen der Nieren dar¬ 
bieten müssen, als dies tatsächlich der Fall ist.' So sehr ich also 
anerkenne, dass für das Zustandekommen der Diuresewirkung des Koch¬ 
salzes die Vorstellungen des Herrn Rothschild zutreffen, so wenig 
glaube ich, dass wir Anlass haben, zu befürchten, dass duroh die hier 
in Frage kommenden Kochsalzmengen bei einer irgendwie in Betracht 
kommenden Anzahl von Menschen Nephritiden erzeugt werden. 

Was die Entstehung der Pollakiurie selbst betrifft, so glaube ich, 
dass für dieselbe eine Summe von Faktoren eine Rolle spielt. Ins¬ 
besondere. glaube ich, dass neben dem Kochsalz vor allem das neurotische 
Moment, wie dies ja Herr Geheimrat Fürbringer hervorgehoben hat, 
intensiv mit zu berücksichtigen ist. Ganz allgemein glaube ich, dass in 
den einzelnen Fällen verschiedenartige Momente eine Rolle spielen und 
dass sich bei ein und demselben Fall verschiedene Momente addieren. 
Unter anderem möchte ich auch daran denken, dass die vielen Ersatz¬ 
mittel, die wir jetzt zu uns nehmen, so z. B. die verschiedenen Tees, 
Kaffeeersatz, Gewürzersatz, Bouillonwürfel und ähnliches, eine ganze Menge 
von ungewohnten diuretisch wirkenden Substanzen in den Körper bringen, 
die m. E. neben den anderen Faktoren in dem vorliegenden Zusammen¬ 
hänge Beachtung verdienen. 

Auoh der Angriffspunkt des Reizes zur Pollakiurie mag in den ein¬ 
zelnen Fällen verschieden sein. Es mag Fälle geben, wo die Blase selbst 
den Angriffspunkt darstellt. Daneben mag es aber auch Fälle geben — 
über die Zahl derselben möchte ich mich nicht äussern —, in welchen 
die Niere den Angriffspunkt darstellt. Gerade die Erfahrungen über 
die Kriegsnephritis, auf die schon Herr Geheimrat Aufrecht hin¬ 
gewiesen hat, können uns hier als Wegweiser dienen, in dem Sinne, 
dass man annehmen darf, dass der Komplex der Dysurie und der 
Pollakiurie, der bei einer Reihe von Kriegsnepbritiden — auch nach 
meinen Erfahrungen ist er nur bei einem gewissen Prozentsatz derselben zu 
beobachten — festgestellt worden ist, und der in den letzten Jahren 
wiederholt Gegenstand der Diskussion gewesen ist, auch von den Nieren 
ausgehen kann. Ich selbst möchte ihn aber für die hier in Rede stehenden 
Fälle fast stets nur als Ausfluss einer einfachen Nierenanscboppung, 
einer Nierenkongestion, nioht aber immer als Ausdruck einer entzündlichen 
Hyperämie anspreeben. Ich halte dies auch deshalb für gerechtfertigt, 
anzunebmen, weil man auch bei einer ganzen Reihe von Fällen der vor¬ 
liegenden Art Klagen über Nierenschmerzen und Nierendruck äussern 
hört, welche als Ausdruck einer Nierenhyperämie angesehen werden 
können. Man hat derartige einfache Anschoppungen u.a. auch als Vorstadien 
der Kriegsnephritis beobachtet. Man hat sie ferner, was hier besonders 
interessieren dürfte, bei Tieren mittelst Onkometrie bei Diureseversuchen 
nachweisen können und Neisser in Stettin hat Experimente mitgeteilt, 
in welchen er bei Kaninchen durch Kälteeinwirkung ähnliche Zustände 
erzeugt hat. Es dürfte sich aber aus dem einfachen Kongestivzustand 
der Nieren der einfachen Nierenbyperämie, die, wie gesagt, auch nur bei 
einem Teil der Fälle eine Rolle spielen dürfte, m. E. doch nur höchst 
selten eine echte Nephritis entwickeln, weil wir eben, wie ich schon er¬ 
wähnt habe, Nephritiden als Folge des vorliegenden zurzeit recht häufigen 
Symptomenkomplexes bis jetzt nur höchst selten beobachtet haben. 
Mit diesen Betrachtungen will ich dem Grundtone der Auffassung des 
Herrn Rothschild jedoch nioht entgegentreten. Denn wenn Herr 
Rothschild ausgeführt hat, dass er durch Kochsalzentziehung einen 
therapeutischen Effekt erreicht hat, so spricht das sicher dafür, dass 
seine Annahme, dass Kochsalz auch auf dem vorliegenden Gebiet eine 
Rolle spielt, zutrifft, allerdings mit der Einschränkung, dass eine reichliche 
Koohsalzzufuhr nicht in allen Fällen die alleinige Ursaohe des Symptomen¬ 
komplexes darstellen dürfte. 


Hr. Felix Hirsohfeld: Die diuretisohe Wirkung des Kochsalzes 
scheint mir ebenfalls für das Zustandekommen der jetzt bo verbreiteten 
Polyurie im Vordergrund zu stehen; vorzugsweise macht sich diese 
diuretisohe Wirkung bei einer im leichten Reizzustand befindlichen Niere, 
so bei leichter Pyelitis oder bei beginnender Prostatabypertrophie be¬ 
merkbar, natürlich auch bei Nierenkranken. Alsdann antworten die 
Nieren auf vermehrte Kochsalzzufuhr mit einer stärkeren Wasseraas¬ 
scheidung, während unter normalen Verhältnissen eine grössere Menge 
Salz in der Kost nur eine geringe Vermehrung der Harnmenge herbei¬ 
führt. Die gesunde Niere macht, wie bekannt ist, von ihrem Kon¬ 
zentrationsvermögen einen stärkeren Gebrauch. So sah ich in Familien, 
die sich ganz gleich ernährten, oft nur bei einem Familienmitglied ans 
diesem Grund die Polyurie auftreten. 

Diese Erfahrung möchte ich auch Herrn St raus s entgegensetzen. 
Es glaubt wohl niemand, dass Kochsalz, in etwas reich Hoher Menge ge¬ 
nossen, Nephritiden hervorzurufen imstande ist. Trotzdem bin ich dafür, 
das Kochsalz nicht allein bei den Nephrosen zu beschränken, bei denen 
es schlecht äusgesohieden wird, sondern auch bei den übrigen Nephri¬ 
tiden, bei denen seine Ausfuhr zwar auf keine Schwierigkeiten stösst, 
bei denen es aber diuretisch wirkt und dadurch eine Schonung und Er¬ 
holung der Nieren erschweren muss. In diesem Punkt berühren sich 
meine Erfahrungen, die ioh bei der Behandlung chronischer Nieren¬ 
entzündungen machte und die ich vor kurzem hier mitteilte, mit denen, 
die Herr Rothschild soeben schilderte. 

Hr. Alfred Rothschild (Schlusswort): Ich möchte Herrn Hof¬ 
mann zunächst erwidern, dass ioh nicht die Absicht hatte, die ganze 
Literatur, die über dieses Thema schon vorhanden ist, hier anzuführen. 
Natürlich ist mir bekannt, dass die Spina bifida oooulta auoh als eine 
mögliche Ursache für diese Vorgänge angesehen wird, ebenso, dass 
andere kongenitale Anomalien damit in ätiologische Beziehung gebracht 
wurden. Aber ich frage, ob denn diese Degenerationszeichen oder diese 
kongenitalen Fehler nicht schon vor dem Kriege vorhanden waren, und 
ob die damit behafteten Personen damals auch schon an dieser Blasen- 
schwäohe so häufig gelitten haben? Diese Häufigkeit der Blasenstörungen 
ist doch erst im Kriege manifest geworden, also können diese kongeni¬ 
talen Anomalien und DegenerationserBoheinungen nicht von dieser aus¬ 
schlaggebenden Bedeutung sein. Alle anderen Momente, die in der 
Literatur niedergelegt sind, habe ich mir versagt, hier anzufahren, um 
Sie nicht zu lange aufzuhalten. 

Was die Bemerkungen des Herrn Freuden borg angeht, so sind 
sie meiner Meinung nach sehr beachtenswert. Indes, mir fehlt darüber 
deshalb jede Erfahrung, weil ich bei meinen Fällen immer einen aus¬ 
gesprochen sauren Urin beobachtet habe. Es muss naohuntersucht 
werden, ob in anderen Fällen diese Verhältnisse vorliegen, die Herr 
Freudenberg angeführt bat. 

Herrn Fürbringer möohte ich auf seine erste Frage antworten, 
dass ich, wie viele andere, von Anfang an gewöhnt bin, die Bezeich¬ 
nung „Pollakurie“ zu benutzen; sie soheint mir ebenso berechtigt wie 
das Wort „Pollakisurie“. Da das Wort „Pollakiurie“ sieh einer ge¬ 
wissen Verbreitung erfreut, bo möchte ich auch gegen diese Bezeich¬ 
nung nichts ein wenden, halte es aber mit Herrn Fürbringer für 
wünschenswert, dass alle Aerzte das Wort in genau gleioher Weise an¬ 
wenden. 

Meine Ausführungen in bezug auf die Bedeutung der Polyurie und 
des hohen Kochsalzgehalts galten auch cur, wie Herr Fürbringer 
richtig bemerkte, vorläufig für einen Teil der Fälle, d. h. für diejenigen, 
die ich untersucht habe. Ich sehe ihre Geltung für alle Fälle nur als 
eine Möglichkeit und diese übermässige Nierenbeanspruohucg nur als 
eine der Ursachen der BlasenfuDktionsstörungen an. Dass die Neurosen 
der Blase eine grosse Gruppe daneben^darstellen, gebe ich vollständig 
zu. Ich habe ja auoh in meinem Vortrage bemerkt, dass ich für die 
im Felde draussen beobachteten Polyurien und Pollakiurien das Be¬ 
stehen einer Neurose für die wahrscheinlichste Ursache halte. Mir ist 
aber, wie ich in meinem Vortrag bemerkte, draussen im Kriegslazarett, 
solange ioh dort gearbeitet habe, ein Erfolg mit der lokalen Therapie 
gegenüber der supponierten Neurose nicht gegeben gewesen; auch andere 
Autoren berichten ähnliches. 

Herrn Aufrecht möchte ich folgendes erwidern: Ich habe absicht¬ 
lich vermieden, von der Nephritis hier etwas zu sagen; aber mein.Ge¬ 
dankengang hat mich natürlich auch zur Nephritis her über geführt, und 
es ist bei mir auch die Frage aufgetauebt, ob diese in meinem Vortrag 
geschilderten Verhältnisse nicht Vorstufen von Nephritis seien. Ich habe 
bis jetzt darüber keine Erfahrung. Ioh habe aber, nachdem meine Unter¬ 
suchungen gemacht waren, physiologische Stimmen in der Literatur ge¬ 
funden, und zwar von dem Physiologen G. v. Bunge und G. v. Wendt. 
Der erstere sagt in seinem Lehrbuch der Physiologie 1905: Sollte mit 
dieser grossen Kochsalzzufubr für die Niere — nota bene*, er spricht 
zuvor davon, dass Kochsalz ja nioht nur ein Nahrungsmittel, sondern 
auch ein Genussmittel ist, das leicht in übermässigen Mengen genommen 
wird —; „sollte damit nicht eine Gefahr verbunden sein?“; und der 
letztere sagt betreffs der Neigung zur Steigerung der täglichen Kocb- 
salzzufubr in Oppenbeimer’s Handbuch der Biochemie 1911: „Dies 
kann kaum gesund sein.“ Bunge sagt ausserdem: „Kein Organ unseres 
Körpers wird so erbarmungslos misshandelt, wie die Niere,“ und der¬ 
selbe Phy&iologe erörtert kurz auch die Möglichkeit eines Zusammen¬ 
hanges der grossen Kochsalzzufubr mit der Entstehung der Nephritis. 

In bezug auf die Erkrankung der kleinsten Gefässe habe ich einen 
ähnlichen Gedankengang gehabt. Ich habe mir gedacht, dass die dauernde 


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UNIVERSUM OF IOWA 



18. Märs 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


271 


übergrosae Koohsalxxufuhr, die Ueberarbeitung der Niere, eine Kongestion 
der Niere erzeuge und dass der Ausdruck davon der Reisxustand sei, 
und ioh habe auch das Moment der Erkältung in diesem Zusammenhänge 
in die Erwägung gesogen. Nach den Experimenten, die s. B. von 
Wertheimer vorliegen, wo eine Yolumabnahme der Niere (Gefäss- 
kontraktion) durch Erkältung beobachtet worden ist, habe ioh mir vor- 
gestellt, dass, wenn eine Kongestion der Niere durch eine seit Jahr und 
Tag bestehende Ueberladung der Niere mit der Kochsalxarbeit vorhanden 
ist, die hinxutretende Erkältung hier eine Verstärkung dieses Reis- 
sustandes hervorrufen kann, indem die Kongestion sunächst einmal 
künstlioh verkleinert und dann wieder als Reaktion daraui vermehrt wird. 

Was Herrn Fuld angeht, so dürfte die Ionentheorie nichts an den 
in Bunges Erklärungen angelührten chemischen Tatsachen ändern. 

Dass Herr Strauss eine Reiswirkung des Koohsalses nur bei kranken 
Nieren annimmt, glaube ich in meinem Vortrag genügend betont su 
haben. Auch ich unterschreibe vollständig, dass Kochsais kein Gift für 
jede Niere ist und bin der Meinung, dass die gesunde Niere recht viel 
Koohsalx für einige Zeit vertragen kann. Die Niere aber über Jahr und 
Tag mit Kochsais su überladen, scheint mir nioht gaus unbedenklich. 
Im übrigen ist aber der Begriff „gesunde Niere* ein etwas vager Begriff; 
wir sind uns in den lotsten Jahren besonders darüber einig geworden, 
dass es sehr viel schwache Nieren gibt, die sich an der Grense des 
Gesunden befinden. 

Das neurotische Moment hat ja auch Herr Strauss für die Polla- 
kiurie heran gezogen Ich bin selbstverständlich der Ansicht, dass das neu- 
rotisohe Moment, wie ich schon vorhin erwähnte, auch eine Rolle spielt. 
Wenn er aber die Ersatzmittel, die Tees, Bouillonwürfel usw. als Reizmittel 
noch in Erwägung zieht, so möchte ich sagen, dass gerade bei sogenannten 
Ersatzmitteln häufig sehr viel Kochsalz verwendet wird. Der Ausdruck 
der Debereinstimmung mit der Deutung meiner Untersuchungsresultate 
seitens Herrn F. Hirsohfeld war mir erfreulich. 

Ich möchte sum Schluss nooh bitten, meine vorläufig mitgeteilten 
Beobachtungen gerade in Hinsicht auf den möglichen Zusammenhang 
derartiger Erscheinungen mit dem Anfang einer Nephritis nachsuprüfen, 
da diese Frage, wie schon erwähnt, sich mir bei meinen Untersuchungen 
aufgedrängt hat. _ 


Verein deutscher Aerzte zu Prag. 

Sitzung vom 9. November 1917. 

Hr. F. Piek demonstriert im Anschluss an früher gezeigte Fälle mit 
dem Verletzen nioht bewussten Projektilen im Körper, einen 24jährigen 
Soldaten mit Lähmung des linken Beines nach Durchschuss des linken 
Oberschenkels. Bei dem Kranken besteht gegenwärtig in der linken 
Iliacalgegend ein deutliches Schwirren mit auskultatorischem lauten 
Sausen, offenbar ein Aneurysma der Arteria iliaoa als Folgesustand der 
vor 3 Jahren erlittenen Sohussverletzung. 

Hr. E. I. Kraus berichtet über die Sektion eines Soldaten mit der 
klinischen Diagnose Sepsis nach Onterschenkelrissqnetsehwwnde durch 
Aufschlag. Aeusserlioh zeigte die Leiche eine ältere Risswunde mit 
zirkumskripter, eitriger Osteomyelitis des Gondylus ext. der linken Tibia. 
Die Sektion ergab einen vollständig versteckten pflaumeBgrossen Zell- 
gewebsabszess zwischen Aorta und Pulmonaris, multiple septische In¬ 
farkte in der Milz und diffuse eitrige Peritonitis. Erst eine ganz gründ¬ 
liche Untersuchung des Herzens ergab, dass aus einer stecknadelkopf¬ 
grossen Durchbruchstelle in der linken Vorhofwand auf Druck etwas 
Eiter hervorkam und erst beim Durohtrennen der Vorhofwand stiess man 
auf den oben erwähnten Abszess. Bakteriologisch: Baot. ooli im Eiter 
dos Abszesses und der Peritonitis in Reinkultur. Es bandelt sich dem¬ 
nach um eine pyämische Allgemeininfektion durch Bact. coli, ausgehend 
von einer eitrigen Osteomyelitis. 


Sitzung vom 7. Dezember 1917. 

Hr. Hilgcuraincr: 

Kuocheuutrophie nach 8chussfraktureu der Extremitäten. 

Solche Atrophien werden relativ häufig beobachtet und können so 
hohe Grade erreichen, dass im Röntgenbilde der Knochenschatten kaum 
mehr von den Weichteilsohatten zu unterscheiden ist. Zeit des Auf¬ 
tretens und Lokalisation und Vorkommen werden eingehend besprochen. 
H. sieht in der Knochenatrophie eine der Hauptursacben iür die ver¬ 
zögerte und ausbleibende Konsolidation der Fragmente sowie für die 
schlechten operativen Resultate derartiger Pseudarthrosen. Er macht 
sie ferner für die grosse Fragilität der Knochen und für manche später 
anftretende Deformität verantwortlich. Als Ursache dieser schweren 
Knochenatrophie kommt vor allem Inaktivität in Betracht. In anderen 
Fällen mit ausgesprochener Atrophie der peripheren Fragmente sind Er¬ 
nährungsstörungen durch Ischämie die Ursache. Bei manchen Fällen 
akut einsetzender Knochenatrophie spielen auch individuelle, prädis¬ 
ponierende Momente eine Rolle. Eine reflektorische trophoneurotische 
Knochenatrophie im Sinne Sudeok erkennt Vortr. nioht an. 

0. Wiener. 


Tagesgeschlchtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärstliohen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 13. Märs hielt Herr 
C. Hamburger den angekündigten Vortrag: Vorschläge zur hygienischen 


Ausnützung grossstädtischer Freiflächen, erläutert an dem Beispiel der 
Stadt Berlin (Diskussion die Herren Bornstein, Hans Kohn, Leop. 
Landau, Weber; Schlusswort Herr Hamburger) und Herr Leopold 
Casper seinen Vortrag: Ueber die Cystoskopie bei peri- und para- 
vesikalen Erkrankungen (mit Lichtbildern). 

— Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, wie not¬ 
wendig eine Beteiligung der Aerzte am parlamentarischen Leben ist, 
so wäre er durch die letzten Verhandlungen des Abgeordnetenhauses 
über das Salvarsan erbracht worden. Einzig durch den Umstand, 
dass unser geschätzter Kollege Mugdan der Kammer angebört, konnten 
die sachgemässen und unparteiischen Regierungierklärungen aus der 
Mitte des Hauses selbst in eindrucksvoller Weise bestätigt und erweitert 
werden; und es ist wohl seinen Ausführungen zu danken, dass die be¬ 
kannte Petition der Regierung wenigstens nur zur Erwäguog, nicht zur 
Berücksichtigung überwiesen wurde. Aber, wenn es im Abgeordneten¬ 
hause immer dem Zufall überlassen sein wird, ob gerade ein mit der 
Materie vertrauter Arzt sich unter den Mitgliedern befindet, so wird 
man um so mehr Wert darauf legen müssen, dass in dem künftigen, 
berufsständisch gegliederten Herrenhaus die Aerzteschaft durch ver¬ 
fassungsmässig ernannte Mitglieder ihrer Organe vertreten werde. Leider 
ist die dahin gehende Petition des Aerztekammerausschusses in der Kom¬ 
mission nicht berücksichtigt worden; wir hoffen, dass damit das letzte 
Wort noch nicht gesprochen ist, sondern dass bei den weiteren Be¬ 
ratungen sich die Einsicht Bahn brechen wird, dass eine solche Forde¬ 
rung nicht etwa einseitigen, ärztlichen Standesinteressen, sondern dem 
Volkswobl zuliebe erhoben wird. Wie man nicht aufhören wird, auf 
Errichtung eines Ministeriums für das öffentliche Gesundheitswesen zu 
dringen, so wird auch die Entsendung medizinischer Sachverständiger 
in die erste Kammer immer aufs neue verlangt werden müssen 1 P. 

— Prof. Finkeistein, Oberarzt am Waisenhaus und Kinderasyl der 
Stadt Berlin, wurde an Stelle des ausscheidenden Geheimrat Baginsky 
sum Direktor des Kaiser Friedrich-Kinderkrankenhauses gewählt. 

— Den Abteilungsvorstehern am Institut für Infektionskrankheiten 
„Robert Koch* in Berlin Prof. Riohard Otto wurde der Charakter als 
Geheimer Medizinalrat und Prof. Lookemann als Geheimer Regierungs¬ 
rat verliehen. 

— In Bamberg starb Hofrat Jungengel, Direktor des allgemeinen 
Krankenhauses, im Alter von 55 Jahren. Zu seinem Nachfolger wurde 
Prof. Dr. Lobenhoff er in Würzburg erwählt. 

— Die Berliner Dermatologisohe Gesellschaft veranstaltet 
am 26. und 27. März d. J. im Kaiserin Friedrich-Haus zu Berlin eine 
ausserordentliche Kriegstagung, zu der sämtliche deutsche Dermato¬ 
logen eingeladen werden sollen. Die Tagung soll ausser der Vorstellung 
eines reichen Krankenmaterials in erster Linie der Aussprache über 
einige wichtige Kriegsdermatosen sowie über Fragen der Syphilisbehand¬ 
lung gewidmet sein. Da die Adressen zahlreicher im Felde stehender 
Dermatologen nicht bekannt sind, so ergeht an diese hiermit eine öffent¬ 
liche Einladung. Anmeldung zur Teilnahme an Herrn San.-Rat Dr. 
Ledermann, Berlin, Mobrenstrasse 7/8, erbeten. An die Dermato¬ 
logentagung schliesst sich am 27. Märs, abends, im Kaiserin Friedrioh- 
Haus die Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten an. Auf der Tages¬ 
ordnung stehen Referate von Herrn Dr. Struve über das neue Gesetz 
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und von Herrn Landriohter 
Dr. Bozi über neue Wege der Prostituiertenfürsorge. 

— In Bern bat sich unter dem Vorsitz von Piof. Bloch in Zürich 
ein Schweizerischer Verein zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten gebildet. 

— Aus dem Berichte des Kaiserin Auguste Victoria-Hauses 
zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen' 
Reiche vom 1. April 1916 bis 31. März 1917 (8. Geschäftsjahr) ist 
su ersehen, dass im klinischen Betriebe 293 Frauen zur Aufnahme ge¬ 
langten, 192 verheiratete und 101 ledige. In die geburtshilfliche Abteilung 
wurden 251 Frauen bei einem Anfangsbestande von 22 neu autgenommen. 
Von 293 Entbundenen waren 92,05 pCt. voll, 7,53 teilweise stilltähig, 
0,42 stillunfähig. 27 Ammen wurden durch Vermittlung des Hauses 
abgegeben. Kinder wurden einschliesslich der im Hause geborenen 
853, 667 eheliohe und 186 aussereheliche, aufgenommen; die Zahl ihrer 
Pflegetage betrug 51622. Lediglich zum Zwecke der Pflege waren 
158 Kinder vorhanden, deren Gesundheitszustand im allgemeinen gut 
war. Von den 671 kranken Kindern starben 14,9, abzüglich der in den 
ersten 24 Stunden verstorbenen 9,69 pCt. 370 dieser Kinder kamen zu¬ 
nächst auf die BeobachtuDgsstation, wodurch es gelungen ist, das Auf¬ 
treten von Keuchhusten, Scharlach, Masern und von Diphtherieepidemien 
auf den allgemeinen Krankenabteilungen zu vermeiden. In der Poli¬ 
klinik wurden 1801 Kinder behandelt, 329 im 1. Lebensjahr stehende 
und 1472 über ein Jahr alte Kinder. Die Mehrzahl von ihnen wurde 
von den Fürsorgestellen zugewiesen. Die Zahl der poliklinischen Be¬ 
ratungen betrug 7221, für das Kind durchschnittlich 4. 

— Zur Ernennung zu Feldhilfsärzten können diejenigen Feld¬ 
unterärzte vorgeschlagen werden, die bei Kriegsausbruch 5 Semester 
studiert hatten, infolge ihrer Einziehung zum Heere jedooh ihr Physikum 
nach dem 31. III. 1915 ablegen konnten. 

— Die von Medizin studieren den, die sich beim Heere be¬ 
finden, verschiedentlich vorgebrachte Klage, dass sie nioht in etats- 
mässige Stellen befördert werden, so lange anderes Sanitätspersonal vor¬ 
handen sei, besteht nach einer Erklärung des Kriegsministeriums zu 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 11. 


Unrecht. Es sollen nunmehr besondere ergänzende Bestimmungen für 
die Beförderung getroffen verden, um alle Härten zu vermeiden. 

— Die Senckenbergisohe Naturforschende Gesellschaft 
schreibt zum 1. September 1920 zum erstenmal einen Preis von 
15 000 Mark für Arbeiten über bioohemische Ursachen bösartiger 
Geschwülste aus. Bewerbungen sind bei dem Vorsitzenden des wissen¬ 
schaftlichen Ausschusses der Oscar - Löw - Beer - Stiftung, Professor 
Dr. A. Knoblauch-Frankfurt a, M., einzureichen. Der Ausschuss be¬ 
hält sich vor, den Preis unter höohstenB zwei Bewerber zu teilen. Vom 
1. September 1918 ab können an einen oder mehrere Forscher, die mit 
aussiobtsvollen Untersuchungen im Sinne des Preisausschreibens be- 
schättigt sind, jährlich bis zu 5000 Mark als Beitrag zu den Kosten der 
Materialbeschaffung, des Aufenthalts an biologischen Stationen usw. ver¬ 
geben werden. 

— Verlustliste. Gefallen: Assistenzarzt d. L. Harry Freuden¬ 
thal- Kattowitz. — Infolge Krankheit gestorben: Unterarzt Max 
Al big-Schonen, Bataillonsarzt Adolf Blitz, Feldunterarxt Rolf Blooh- 
Strassburg, Oberarzt d. Res. Albert Dahlmann-Magdeburg, Stabsarzt 
d. L. Rudolf Eyfrig-Eibenstook, Stabsarzt a. D. Robert Gollmer- 
Quedlinburg, Obergeneralarzt Karl Grossheim-Scbönlanke, Oberarzt 
d. Res. Hans Her mann-Memmingen, Stabsarzt d. L. Franz Hertwig- 
Berlin, Oberstabsarzt d. L. Ernst Heydweiller-Frankentbal, Dr. Willy 
Hinriehs-Hamburg, Feldunterarzt Karl Krause-Friesack, Stabsarzt 
a. D. Max Papendieok-Rastenburg, Stabsarzt Otto Remertz- 
Düsseldorf, Marineoberstabsarzt Paul Reuter-Lübeck, Feldhilfsarzt 
Julius Sachs-Hindenburg, Stabsarzt Ernst Schramm-Berlin, Stabs¬ 
arzt d. R. Otto Schulze-Behnsdorf, Oberarzt Hans Steffensen- 
Hellinghausen, Landsturmpfl. Arzt Johannes Stock-Sachsendorf, Feld¬ 
unterarzt Otto Winkler-Remagen. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (24. II. 
bis 2. III.) 1. Nachträglich gemeldet (17.—28. II.) 4. Kaiserlich 
Deutsches Generalgouvernement Warschan (10.—16. II.) 1. 
Deutsche Verwaltung in Litauen (27. I.—2. II.) 9. (8.—9. II.) 8. 
Fleokfieber: Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 

Warsohau (10.—16. II.) 1168 und 111 f* Deutsche Verwaltung 
in Litauen (27. I.—2. II.) 878 und 18 f. Deutsche Kreisver- 
waltuog Suwalki (8.—9. II.) 1. Ungarn (21.—27. II.) 7. Rüok- 
fallfieber: Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 

Warschau (10.—16. II.) 81. Genickstarre: Preussen (17.—28. II.) 6. 
Schweiz (10.—16. II.) 5. Ruhr: Preussen (17.—28. II.) 90 und 9 f. 
Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln in 
Rüstringen; Diphtherie und Krupp in Eisenach, Flensburg, Wilhelms¬ 
haven; Keuchhusten in Berlin-Friedenau; Typhus in Gotha. 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochsohulnachrichten. 

Breslau: Die Heidelberger medizinische Fakultät hat Geheimrat 
Pfeiffer, dem Direktor des hygienischen Instituts, die Kussmaul-Medaille 
verliehen. — Königsberg: Geheimrat Neu mann, der ehemalige 
Direktor des pathologischen Instituts, ist im Alter von 85 Jahren ge¬ 
storben (Nekrolog folgt).— Marburg: Geheimrat Ahlfeld, der emerit. 
Ordinarius für Gynäkologie, feierte sein 50jähriges Doktorjubiläum. 


Amtliche Mitteilungen. 

Person allen, 

Auszeichnungen: Königl. Bayerisches König Ludwigkreuz 
für Heimatverdienst während der Kriegszeit: Ministerial¬ 
direktor im Minist, des Innern Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. 
Kirchner in Berlin. 

Kreuz des Herzogi. Saohsen-Meiningischen Ehrenzeichens 
für Verdienst im Kriege am Bande für Niohtkämpfer: San.- 
Räte Dr. Freund und Dr. Ressel sowie Arzt Dr. Friedemann, 
sämtlich in Breslau. 

Ernennung: St.-A. d. L. Dr. Arnold Reischauer, zurzeit im Felde, 
zum Kreisass.-Arzt unter Ueberweis. an den Kreisarzt des Stadtkreises 
Stettin. 

Ausgeschieden aus dem Staatsdienste: Kreisass.-Arat Dr. Zenker 
in Kattowitz. 

Charakter als Sanitätsrat: Aerzte Dr. 0. Abraham in Berlin, 
Dr. A. Altehoefer in Soest i. W., Dr. J. Altendorf in Bonn, 
Dr. E. Alterthum in Charlottenburg, Dr. J. Amberger in Frank¬ 
furt a. M., Dr. J. Anders in Gnesen, Dr. J. Auerbaoh in Berlin- 
Schöneberg, Dr. Kl. Bah 1 mann in Hamburg, Dr. B. Bauer in 
Gronau i. W., Dr. L. Baurmann in Aachen, Dr. H. Bayer in Saar¬ 
brücken, Dr. A. Behrens in Berlin-Treptow, Dr. W. Bertholdt in 
Berlin-Wilmersdorf, Dr. E. Bierbaum in Recklinghausen, Dr. K. 
Birnbach in Bitburg, Dr. W. Bloch in Cöln a. Rh., Dr. Fr. Bod.e 
in Bad Homburg v. d. H., Dr. Fr. Böhmann in Asseln, Dr. Br. 
Bohl in Berlin-Wilmersdorf, Dr. M. Borchardt in Neukölln, Dr. 
J. van den Bosch in Hüsten, Dr. S. Boss in Breslau, Dr. H. 
Braeker in Lemförde, Dr. G. Brasch in Wannsee, Dr. H. Breuer 
in Bonn, Dr. E. Breustedt in Berlin, Dr. W. Briese in Deutsch 
Krone, Dr. M. Bringmann in Rheydt, Dr. J. Bulang in Rötgen, 


Dr. E. Busaok in Neuwarp, Dr. W. Buss in Münster i. W., Dr. J. 
Christ in Wiesbaden, 0. Christlich in Jöllenbeck, Dr. W. Chrze- 
litzer in Posen, Dr. F. Dieckerhoff in Cöln a. Rh., Dr. W. Du- 
brow in Brandenburg a. H., Dr. J. Dürsch in Prettin, Dr. A. 
Dütschke in Charlotten bürg, Dr. 0. Echtermeyer in Berlin, Dr. 
P. Eilers in Nordhausen, Dr. M. Fleischer in Zeitz, Dr. R. Gast- 
reioh in Cöln a. Rh., Dr. P. Geelvink und Dr. E. Gelhaar in 
Frankfurt a. M., Dr. W. Gerdeck in Elberfeld, Fr. Giese in Tilsit, 
Dr. 0. Gleue in Minden i. W., Dr. B. Glückstein in Berlin, Dr. 
A. Goette in Burgsteinfurt, Dr. G. Grässner in Wilhelmsburg, 
Dr. O. Gross in Frankfurt a. M., Dr. P. Guradze in Wiesbaden, 
Dr. A. Guthmann in Potsdam, Dr. E. Hager in Erfurt, Dr. A. 
Hammesfahr in Bonn, Dr. 0. Hannemann in Berlin, Dr. W. Ha¬ 
noi? in Charlotten bürg, Dr. L. Hasslauer in Frankfurt a. M., Dr. 
W. Heerlein in Bonn, Dr. A. Heine in Dortmund, Dr. P. Hert- 
manni in Godesberg, Dr. L. Hirsch in Charlotten bürg, Dr. V. Hirsch 
in Biesenthal, Dr. W. Hirsch 1 aff in Berlin-Gruoewald, Dr. Fr. Hüner- 
hoff in Lilienthal, Dr. P. Jaoob in Charlotten bürg, Dr. P. Jacobs 
in Trier, Dr. A. Jacobsohn in Wormditt, Dr. G. Jacobsohn und 
Dr. J. Jacobsohn in Berlin, Dr. A. Jacoby in Lichterfelde, Dr. 0. 
«Jarke in Flensburg, Dr. Fr. Iblitz in Saarlouis, Dr. K. Jenner in 
Breslau, Dr. 0. Joachim in Sohwalbach, Dr. fi. Joseph in Schöne¬ 
berg, Dr. H. Kantorowiox in Berlin, Dr. H. Kantorowiox in 
Spandau, Dr. E. Kniokenberg in Frankfurt a. M., Dr. W. Koeppel 
in Horstmar, Dr. K. Koering in Brakei, Dr. Th. Körner in Wilmers¬ 
dorf, Dr. 0. Krekels in Frankfurt a. M., Dr. R. Laspeyres in 
Bonn, Dr. A. Lehnerdt in Palmnioken, Dr. A. Levison in Cöln 
a. Rh., Dr. M. Lewitt in Schöneberg, Dr. S. Lichtenstein in Bonn, 
Dr. P. Lindemann in Berlin, Dr. E. Loewenstein in Tilsit, Dr. 

L. Löwenstein in Trier, Dr. A. Mandowski in Breslau, Dr. K. 
Mandowsky in Berlin, Dr. S. Marcus in Breslau, Dr. Al. Marcuse 
in Charlottenburg, Dr. J. Mau oh in Breslau, Dr. Ed. Melchers in 
Golkrath, Dr. H. Meyer in Berlin, Dr. W. Meyer in Hagen in W^ 
Dr. P. Mohr in Bonn, Dr. R. Moser in Weilburg, Dr. Fr. Müller 
in Charlottenburg, Dr. R. Müller in Blumenthal, Dr. H. Müller de 
la Fuente in Sohlangenbad. Dr. J. Neuberger in Frankfurt &. M., 
Dr. R. Niendorf in Rhinow, Dr. 0. Noelke in Halle a. S., Dr. M. 
Oppenheim in Petershagen a. W., Dr. G. Oppenheimer in Halle 
a. S., Dr. A. Packeiser in Uckerath, Dr. E. Pancritius in Schmal¬ 
kalden, Dr. W. Peters in Buer i. W., Dr. G. Petriok in Adelsdorf, 
Dr. P. Peyser in Harburg, Dr. J. Pfahl in Bonn, Dr. W. Pfann- 
müller in Bierstadt, Dr. R. Pomtow in Artern, Dr. L. Pulver- 
maoher in Berlin, Dr. H. Reinioke in Nordleda, Dr. E. Rieok in 
Nümbrecht, Dr. E. Rosenberg und Dr. P. Rothe in Charlottenburg, 
Dr. K. Rother in Laubegast, Dr. J. Rülf in Bonn, Dr. H. Rumpf 
in Frankfurt a. M., Dr. A. Runge in Kiel, Dr. G. Rusche in Hagen 
L W., Dr. P. Ruth in Chajrlottenburg, Dr. M. Sachs in Frankfurt 
a. M., Dr. Fr. Sohädrich in Halle a. S., Dr. F. von Sobeibner in 
Ambrock, Dr. A. Sohlottmann in Buchholz i. H., Dr. R. Schma- 
löwski in Insterburg, Dr. E. Schmidt, Oberarzt an dem Prov.- 
Landarmenhause in Wunstorf i. H., Dr. K. Schmitz in Rheydt, Dr. 

M. Schmitz in Bollendorf, Dr. A. Schmüoker in Gelsenkirohen, 
Dr. K. Schramm in Reichthal in Schl., Dr. E. Schütte, Oberarzt 
an der Prov.-Heilanstalt in Lüneburg, Dr. H. Sohütze in Berlin, 
Dr. W. Sohulze in Schneidemühl, Dr. M. Schultz in Berlin-Frie¬ 
denau. Dr. W. Sohumaoher in Niederembt, Dr. P. Sohumann in 
Halle a. S., Dr. K. Seil in Ottweiler, Dr. G. Siepmann in Kiroh- 
linde, Dr. M. Skalier und Dr. L. Spicker in Charlottenburg, Dr. 
H. Steinmann in Lengerich, Dr. H. Stempel in Wiesbaden, Dr. J. 
Sternberg und Dr. W. Sternberg in Berlin, Dr. J. Störkel in 
Bingerbrück, Dr. P. Stolle in Görlitz, Dr. S. Stranx in Breslau, 
Dr. K. Strübe in Cöln a. Rh., Dr. A. Theben in Münster i. W., 
Dr. A. Thiel in Rheydt, Dr. K. Tschentsoher in Zossen, K. Vi 
gelius in Berlin, Dr. W. Voigt in Bad Oeynhausen, Dr. Fr. War- 
burg und Dr. Th. Weischer in Cöln a. Rh., Dr. J. Westhofen in 
Bonn, Dr. L. Wien in Wusterhausen a. D., Dr. E. Will in Königs¬ 
berg i. Pr., Dr. E. Wille in Wilmersdorf, Dr. A. Wisselinck in 
Gumbinnen, Dr. D. Wittkowski in Charlottenburg, Dr. L. Wolff 
in Schleswig, Dr. M. Wollenweber in Bonn, Dr. K. Wollseifen in 
Randerath, Dr. G. Zimmermann in Charlotten bürg. 

Bestätigung: Wahl des San.-Rats Dr. Maurer in Saarbrücken als 
unbesoldeter Beigeordneter der Stadt Saarbrücken für die gesetzliche 
Amtsdauer von 6 Jahren. 

Niederlassung: Dr. J. Dreising in Charlottenburg. 

Verzogen: Aerztin Dr. Helenefriederike Stelzner geb. West¬ 
mann von Charlottenburg nach Ahrweiler, Dr. W. Zumpff aus dem 
Felde nach Saarlouis, Dr. Paul Bergmann von Berlin Schöneberg 
nach Berlin; Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat Dr. H. Flatten, Geh. 
San.-Rat Dr. Max Aug. Fritsche, Aerztin Dr. Felicia Froböse 
geb. Thiele, Dr. Edwin Silbermann und Aerztin Else Weil von 
Berlin, Aerztin Dr. Käte Frankenthal von Hamburg sowie Aerztin 
Dr. Herta Schulz von Berlin-Lichtenberg nach Charlotten bürg. 

Gestorben: San.-Rat Dr. Arthur Frankel und Geh. San.-Rat Dr. 
Georg Herzfeld in Berlin. 

Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Hane Kohn, Berlin W., Bajrenther Bor.iS. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druok von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF IOWA 







01« Burliner Kllnleche Woehenaehrift erscheint Jaden 
llontug In Nummern von ca. 8—6 Bogen gr. 4. — 
Preis Tierteljlbrlieh 7 klark. Bestellnngen nehmen 
alle Bachbandlungen und Postanstalten an. 


BERLINER 


▲Ile Einsendungen (Br die Redaktion and Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden 
Nr. 68, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Bet Met-Rat Prof. Dr. G. Posaer und Prot Dr. Bans lohn. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin 


Montag, den 25. März 1918. 12 . Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


I N H 

Origiiali«: Siemerling: Spirochäten im Gehirn eines Falles von 
multipler Sklerose. (Illustr.) S. 278. 

Freund: Ueber die tuberöse Hirnsklerose und über ihre Beziehungen 
zu Hautnaevi. (Illustr.) S. 274. 

Hanser: Nieren- und Herzgesohwülste bei tuberöser Hirnsklerose. 
S. 278. 

Posner und Langer: Eingeklemmter Zwerchfellbruch nach ge¬ 
heiltem Brustbaucbscbuss. (Aus einem Feldlazarett.) S. 282. 

Biekerbespreehugen : Schäfer: Geländespiele, den Söhnen unseres 
Vaterlandes zugedacht. S.283. Dominious, Schmidt und Kohl- 
ransoh: II. Kriegsjahrbuch für Volks- und Jugendspiele. S. 283. 
(Ref. Lewandowski.) — Schrottenbach: Studien über den Hirn¬ 
prolaps. S.283. Krukenberg: Ueber plastische Umwertung von 
Armamputationsstümpfen. S. 284. (Ref. Adler.) 

Literatar-Aigiüge : Physiologie. S. 284. — Therapie. S. 285. — Allge¬ 
meine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 285. — Parasiten¬ 
kunde und Serologie. S. 285. — Innere Medizin. S. 285. — Psy- 


Spirochäten im Gehirn eines Falles von multipler 
Sklerose. 

Von 

E. Siemerlisg. 

Auf Grund der klinischen und pathologischen Befunde, 
welche in acht Fällen von multipler Sklerose erhoben werden 
konnten, haben Ra ecke und ich uns für eine infektiöse Grund¬ 
lage bei der Entstehung der multiplen Sklerose ausgesprochen. 
Die Frage hat mich seitdem unausgesetzt beschäftigt. Die Impf¬ 
versuche mit Liquor cerebrospinalis von Patienten mit multipler 
Sklerose an Kaninchen, welche Herr Dr. Wagner am hygienischen 
Institut die Freundlichkeit hatte, auszuführen, haben keinen Erfolg 
gezeitigt. Im Juni 1914 wurden zwei Rhesusaffen mit Lumbal¬ 
punktat eines sklerotisch Kranken geimpft (Lumbalsack und 
ischiadicus). Bei dem einen Affen zeigte sich nach 3 Wochen 
ein Zurückbleiben der Beweglichkeit im linken Hinterbein. Nach 
14 Tagen hatte sich diese wieder ausgeglichen. Die Untersuchung 
des Augenhintergrundes, welche Herr Professor Oloff die Freund¬ 
lichkeit hatte auszuführen, ergab keine Besonderheiten. 

Der Affe wnrde ein Jahr später getötet. Die Untersuchung 
des Zentralnervensystems auf Schnitten ergab keine Spur von 
sklerotischen Herden. Auch an den Gefässen im Gehirn und 
Rückenmark fanden sieb keine Veränderungen. 

Vor kurzem haben Kuhn und Steiner ihre beachtenswerten 
Ergebnisse mitgeteilt 1 }: sie beobachteten nach Verimpfung von Blut 
und Liquor aus frischen Fällen von multipler Sklerose eine mit 
Lähmungen zum Todes führende weiterübertragbare Erkrankung 
von Meerschweinchen und Kaninchen, bei denen der Nachweis 
einer Spirochäte gelang, d. h. die Spirochäten fanden sich bei 
der Untersuchung der Organe der verwendeten Tiere nur in den 
intrahepatischen Pfortaderästen. Sie liegen nicht im Gewebe, 
sondern in den Blutgefässen. 

Herrn Dr. Steiner, welcher die Freundlichkeit hatte, mir 
ein Präparat zuzuschicken, möchte ich auch an dieser Stelle 
meinen ergebensten Dank sagen. 

1) M. KL, 1917, Nr. 38. 


ALT. 

ohiatrie und Nervenkrankheiten. S. 286. — Chirurgie.. S. 286. — 
Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 287. — Geburtshilfe und 
Gynäkologie. S. 287. — Augenheilkunde. S. 287. — Hygiene und 
Sanitätswesen. S. 288. — Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 
S. 288. — Schiffs- und Tropenkrankheiten. S. 289. 

Verhandlungen ftritlleher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Zondek: 
Demonstration von Querresektion des Magens. S. 289. Holländer: 
Zur Pathologie des Fingerskeletts. S. 289. Stioker: Weitere 
Erfahrungen in der Radiumbestrahlung des Mundhöhlenkrebses. 
S. 289. — Laryngologische Gesellschaft zu Berlin. S. 290. 
— Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königs¬ 
berg i. Pr. S. 294. — Natu'rhistorisoh-medizinisoher Verein 
zu Heidelberg. S. 295. — Freiburger medizinische Gesell¬ 
schaft. S. 295. 

Kriegsärztliohe Abende. S. 295. 

Tagesgesohiohtl. Notizen. S. 296. — Amtl. Mitteilungen. S. 296. 


Die Untersuchung des Nervensystems auf Spirochäten von 
2 Fällen von multipler Sklerose, welche 1916 und August 1917 
zur Sektion kamen, wurde nach der Methode von Jahnel vor¬ 
genommen. Sie hatte ein negatives Resultat. Herr Dr. Jahnel, 
welcher sich auch der Mühe unterzog, Präparate von diesen 
Fällen anznfertigen, gelangte gleichfalls zu einem negativen Er¬ 
gebnis. Für seine freundliche Unterstützung danke ich ihm 
bestens. 

Die eingehenden Forschungen von Jahnel über das Vor¬ 
kommen von Spirochäten bei der progressiven Paralyse nnd 
seine vortrefflich ausgebaute Methode der Beobachtung im 
Dunkelfeld haben uns gezeigt, wie überlegen die Dnnkelfeld- 
untersncbuDg für den Nachweis der Spirochäten gegenüber der 
anderen Methode ist. 

Mit Hilfe dieser Methode gelang es mir, in einem frisch 
sezierten Fall von multipler Sklerose im Dunkelfeld 
lebende Spirochäten nachzuweisen. 

Der Fall ist folgender: 

H. B,, 36jähriger Arbeiter, aufgenommen. 20. X. 1917, gestorben 
8. II. 1918. 

Keine Heredität. Keine luetische Infektion, im Alter von 12 Jahren 
Diphtherie. Nach der Schule in Landwirtschaft gearbeitet. 1908 Heirat, 
ein gesander Knabe. Frau keine Aborte, gesund. Seit 1914 krank: 
zunehmende Schwäche der Beine, seit Winter 1916/17 wiederholtes Ein¬ 
nässen. Seit 1916 kann er nicht mehr gehen, seitdem Waokeln des 
Kopfes, Sprache sohlechter, langsamer geworden. Seit wann er schiele, 
weiss er nicht. Status: beide Bulbi in deutlicher Auswärtsschieisteilung, 
besonders links. Einwärtsbewegung der Augäpfel, besonders des linken, 
gelingt nur unvollkommen. Auf der linken Hornhaut eine mit der 
Regenbogenhaut verwachsene Narbe, die offenbar von früherer Eröffnung 
des Augapfels herrührt. Papillen im ganzen blass (Prof. Oloff). Beider¬ 
seits deutlicher Nystagmus, besonders bei Bewegungen. Lichtreaktion 
erhalten. Konvergenzreaktion nicht zu prüfen. Lidschluss links besser 
als rechts. Schlucken gestört. Im Liegen dauerndes seitliches Wackeln 
des Kopfes, bei Aufrichten zunehmend und auf den Oberkörper sich er¬ 
streckend. Rechter Mundwinkel hängt etwas. Nasolabialfalte rechts 
verstrichen. Spraohe langsam, skandierend. Beim Heben der Arme 
starkes Schütteln des linken Armes. Beiderseits Intentionstremor, links 
sehr stark. Grobe Kraft herabgesetzt. Abdominalreflex fehlt. Knie¬ 
phänomene reohts mehr wie links, nioht gesteigert. Grosser Zeheorefiex 


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UNIVERSSTY OF IOWA 







BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


dorsal beiderseits. Oppenheim rechts an ge deutet. Starke Parese der 
unteren Extremitäten, nur leichtes Beugen im Kniegelenk möglich. 
Stehen, Gehen unmöglich. Beiderseits leichte Spasmen, besonders rechte. 
Sensibilität nicht gestört. Wassermann in Blut und Liquor negativ. 
Liquor: Eiweissgehalt vermehrt. 1—2 Lymphozyten im Kubikmillimeter. 

Euphorische Stimmung, selten Klagen. 

5. II. 1918. Gesichtserysipel. 

8. II. Exitus morgens 8 1 /* Uhr. IO 1 /* Uhr Herausnahme des Ge¬ 
hirns. -Das Gehirn wiegt 1270 g. Die weichen Häute sind etwas ver- 
diokt, die Seiten Ventrikel und der 8. Ventrikel sind erweitert. 

Auf dem Frontalschnitt finden sich ungemein zahlreiche 
grossere und kleinere Herde in der Rinde und im Mark. Ein¬ 
zelne Herde sind mehr rOtlich aussehend, andere grau durch¬ 
scheinend. Es wurden aus verschiedenen Herden Stückchen für 
Dankeifelduntersuchung entnommen, besonders aus den rötlich 
aus8ehenden Stellen. In zwei Präparaten zeigten sich lebende 
Spirochäten. Es fanden sich 4—5. Die meisten liessen eine 
lebhafte Bewegung in Schraubenform erkennen, wiesen eine 
deutliche Schlängelung auf. Bei zwei Spirochäten, einer längeren 
und kürzeren, von mehr gestrecktem Verlauf erschien das eine 
Ende etwas verdickt, stärker lichtbrechend. Es konnte deutlich 
beobachtet werden, wie diese beiden sich einander näherten, be¬ 
rührten, sich dann wieder voneinander entfernten. 

Mit Kol largo Höhung und Giemsafärbung gelang es nicht, 
Spirochäten zur Darstellung zu bringen. 

Von einer geschickten Laborantin, Fräulein Kraus, die mit 
der Beobachtung von Spirochäten im Dunkelfeld vertraut ist, ist 
beistehende Zeichnung angefertigt. 



Spirochäten im Dunkelteld. 

Wenn ich mir auch des noch Unzulänglichen dieser Beob¬ 
achtung bewusst bin, so gewinnt doch dieser Befund im Hinblick 
auf die pathologisch-anatomischen Untersuchungen der früheren 
Fälle und auf das Ergebnis der Tierexperimente an Bedeutung. 
Es ist ja keineswegs ausgeschlossen, dass bei der multiplen 
Sklerose ausser Spirochäten noch andere Erreger in Wirksamkeit 
treten können. Herr Kollege Runge hat sich gleichfalls von 
der Anwesenheit der Spirochäten im Präparat überzeugt. Ueber 
Tierversuche, welche von Herrn Kollegen Wagner vom hygie¬ 
nischen Institut angestellt sind, und über Färbung im Schnitt 
nach Jahnel’scher Methode werde ich später berichten. 

Nach Abschluss dieser Mitteilung lese ich die Arbeiten von 
A. Simons: „Zur Uebertragbarkeit der multiplen Sklerose im Neurol. 
Zbl., 1918, Nr. 4. Er zeigte, dass Liquor eines an einem frischen Schub 
von multipler Sklerose Erkrankten, Kaninchen subkutan und intradural 
eingespritzt, nach einer Inkubation zu Lähmungen und bei einem Tiere 
weiter zum Tode führte. Der makroskopische und bakteriologische Be¬ 
fund des Blutes, Liquor, der inneren Organe und des Nervensystems 
war bei der Sektion der Tiere normal. Der Liquor wirkte noch 10 Tage 
nach seiner Entnahme vom Menschen: die Krankheit verlief anscheinend 
ebenso wie nach den vonBullook, Kuhn und Steiner vorgenommenen 
Impfungen. 

Simons weist auf eine Arbeit von Spill er hin, nach dem die 
Malaria klinisch als multiple Sklerose oder Pseudosklerose verlaufen 
kann, und auf die Beobachtungen von H. Dürck (Ueber die bei Malaria 
pernioiosa comatosa auftretenden Veränderungen des Zentralnervensystems, 
Aroh. f. Schifft- u. Tropenhyg., 1917, Bd. 21), dem der Naohweis von 
Malariagranulomen im Zentralnervensystem gelang. 


Ueber die tuberöse Hirnsklerose und Ober ihre 
Beziehungen zu Hautnaevi. 

Von 

Primärarzt Dr. C. 8. Freuid-Breslau. 

(Vortrag in der medizinischen Sektion der Schlesisohen Gesellschaft für 
vaterländische Cultur am 14. Dezember 1917.) 

Auf der im Herbst 1913 in Breslau tagenden Versammlung 
der Gesellschaft deutscher Nervenärzte hatten besonders zwei 
Vorträge allgemein medizinisches Interesse, nämlich der Vortrag 
des Herrn Geheimrat von Strümpell: „Ueber Pseudosklerose“ 
und der des Herrn Prof. Schuster-Berlin: „Beiträge zur Klinik 

1) D. Zschr. f. Nervhlk., 1913, Bd. 50, S. 46. 


der tuberösen Sklerose des Gehirns“ 1 ). Bei beiden Hirnkrank- 
heiten wird der Hinweis auf die Diagnose in erster Reihe durch 
Nichtnervensymptome gegeben. Bei der Pseudosklerose findet 
sieb fast konstant ein Symptom am Auge, nämlich eine grün¬ 
liche Verfärbung des Hornhautrandes, und Veränderungen an den 
inneren Organen, speziell eine zirrhotische Verkleinerung der 
Leber und eine Vergrösserung der Milz, und bei der tuberösen 
Sklerose eigenartige Hautanomalien, vor allem das Adenoma 
sebaceum im Gesiebt und noch andere Hautaffektionen, vor¬ 
wiegend Naevi und ähnliche Geschwulstbildungen an den inneren 
Organen, besonders an den Nieren und am Herzen. 

Einige Zeit später entdeckte ich unter den Insassen des unter 
meiner ärztlichen Leitung stehenden Städtischen Siechenhauses 
an einem mit Krämpfen behafteten 33jährigen Idioten im Gesicht 
eine an das sogenannte Adenoma sebaceum erinnernde symme¬ 
trisch lokalisierte Hautaffektion und am übrigen Körper eine 
Reihe so eigenartiger Hautanomalien, dass ich mich veranlasst 
sah, den Fall in der Breslauer Psychiatrisch-neurologischen Ver¬ 
einigung am 25. Mai 1914 als Fall von tuberöser Hirnsklerose 
vorzustellen *). 

Es fanden sich zahlreiche rötliche Hautwärzohen symmetrisch 
gruppiert in den Nasenlippenfalten und in der das Kinn von der Unter¬ 
lippe abgrenzenden Falte teils flach, teils knospeniörmig hahnkammartig 
dicht aneinandergestellt; ferner ein kleinpflaumengrosser, gelbbraun-. 
Hoher, leicht erhabener Fleck rechterseits an der Stirn nahe der 
Haargrenze, eine Anzahl kreisrunder 1—2 markstückgrosser kahler 
Flecke an der hinteren Hälfte deB Schädels, kleine gestielte Haut¬ 
fibrome beetartig gruppiert in der Mitte und an den Seitenrändern der 
Nacken-Rückengrenze, und schliesslich eine fläohenhafte Hautver- 
dickung in einem handtellergrossen Bezirk der unteren Lendengegend, 
von derselben Farbe wie die Umgebung, von seichten Furchen durch¬ 
zogen und mit zahlreichen comedoähnlichen Punkten durchsetzt. Die 
Sektion am 8. Dezember bestätigte die Richtigkeit meiner Annahme. 
Herr Privatdozent Dr. Hans er und ich fanden an der Hirnobeifläche 
eine Anzahl mehr oder minder scharf begrenzter Partien, welche sich 
von ihrer Umgebung durch ihre hellere, grau-weissliehe Farbe und beim 
Abtasten durch festere Konsistenz unterschieden. Wir fanden ausserdem 
noch Geschwülste an beiden Nieren. Sie wurden von Herrn Prof. Henke 
als Fibromyome diagnostiziert. Das Gehirn sandte ich unversehrt nach 
Berlin in das unter Leitung von Prof. Oskar Vogt stehende Neuro- 
biologisohe Institut zu Herrn Prof. MaxBielsohowsky. Er bestätigte 
die Richtigkeit der Diagnose auch durch die mikroskopische Unter¬ 
suchung. 

Bei dem Studiam der Literatur war ich überrascht' durch die 
vielen Beziehungen, die die tuberöse Hirnsklerose zu den ver¬ 
schiedensten Disziplinen besitzt. Die Tatsache, dass bei ihr 
schwere Hirnveränderungen in fast gesetzmässiger Verbindung mit 
Hautanomalien zumeist Naevi und mit geschwulstbildenden Pro¬ 
zessen in anderen Organen auftreten, gibt ihr ein besonderes Ge¬ 
präge. Unsere heutige Tagesordnung, auf welcher ich als Nerven¬ 
arzt die Beziehungen der tuberösen Sklerose zu den Hautnaevi 
erörtern will und Herr Privatdozent Dr. Hanser über Nieren- 
und Herzgeschwülste bei tuberöser Sklerose sprechen wird, soll 
dies zum Ausdruck bringen: Nicht nur die Neurologen und patho¬ 
logischen Anatomen, sondern auch die Hautärzte, die internen 
wie die Chirurgen sollen bei ihren diagnostischen Erwägungen 
mit der tuberösen Hirnsklerose rechnen. Eine besondere Be¬ 
achtung muss das Leiden auch bei den Kinderärzten und den 
Schulärzten finden. 

Der Schwerpunkt der bisherigen wissenschaftlichen Untersuchung 
hat bisher auf hirnhistologischem Gebiete gelegen. Besonders in 
den letzten 10 Jahren sind dadurch ungeahnte Einblicke und Ausblicke 
gewonnen worden für die Lehre von den Missbildungen und Neu¬ 
bildungen, für das gleichzeitige Vorkommen von Missbildungen und Neu¬ 
bildungen an demselben Gehirn und auch für die engen verwandtschaft¬ 
lichen Beziehungen zwischen der tuberösen Hirnsklerose und der als 
Reckiinghausen’sohe Krankheit bezeiohneten Neurofibromatose. 

Eine genaue Durchforschung des Systems der Drüsen, die der 
inneren Sekretion dienen, müsste in künftigen Fällen vorgenommen 
werden [Gallus] 1 ). Dies erheischt die Minderwertigkeit der gesamten 
Anlage, die in manchen dieser Fälle besteht, insbesonaere die mangel¬ 
hafte Genitalentwicklung, ln zwei Fällen fand sich Aplasie der Ovarien, 
in einem dritten Infantilismus des Uterus und Bchliesslioh einmal 
Atrophie der Testikeln und Ausbleiben der Pubertätserscheinungen 
[Gallus] 1 ). 

1) D. Zschr. f. Nervhlk., 1918, Bd. 50, S. 96. 

2) Vgl. Sitzungsbericht, Punkt 4 der Tagesordnung. B.kl.W., 1914, 
Nr. 86. 

3) M. Bielschowsky und Gallus, Ueber tuberöse Sklerose. 
Journ. f. Psych. u. Neurol., Bd. 20, ErgänzuDgsh. 1. 


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UNiVERSITY OF IOWA 







25. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


275 


Uusere klinischen Kenntnisse bedürfen noch sehr der Ver¬ 
tiefung. Wir wissen noch sehr wenig über die Häufigkeit der 
einzelnen Symptome, den Zeitpunkt ihres ersten Auftretens, über 
die Fähigkeit und die Art der Weiterentwicklung der Krank¬ 
heitserscheinungen. Ich bringe Ihnen deshalb noch sehr viel 
Unfertiges. Trotzdem halte ich mich verpflichtet und ebenso 
auch Herr Kollege Hanser, in einer nicht fachärztlichen Ver¬ 
sammlung über das Thema zu sprechen, weil wir den einzigen 
aussichtsvollen Weg zu weiteren Fortschritten sehen in einer ge¬ 
meinsamen Bearbeitung des Krankheitsgebietes durch alle be¬ 
teiligten Disziplinen. Bisher stammte das klinische Material aus 
den Pflegeanstalten für Epileptiker und Idioten und zum kleineren 
Teil aus Siechenhäusern. Auch in der Zukunft werden diese 
Anstalten die Hauptfundorte für unser Material bilden. Aber es 
gibt rudimentär entwickelte Fälle, bei denen die Intelligenz¬ 
störung wenig ausgebildet ist oder ganz fehlt und die Krampf 
anfälle sehr selten auftreten oder ganz ausbleiben. Solche Fälle 
dürften nicht so selten sein, als es nach ihrem Vorkommen in 
der Literatur den Anschein hat, da sie ohne Beschwerden ver¬ 
laufen und deshalb unbeachtet bleiben. Es gilt unseren Blick 
zu schärfen besonders für die in Frage kommenden Hautanomalien. 
Dieser Aufgabe gilt im wesentlichen mein heutiger Vortrag. 

M. H ! Das Krankheitsbild der tuberösen Sklerose wurde 
1880 durch eine Veröffentlichung Bourneville’s 1 )-Paris be¬ 
kannt. ln demselben Jahre erschien auch eine durch ihre ge¬ 
diegene histologische Untersuchung ausgezeichnete Arbeit des 
deutschen Forschers Hartdegen 2 ). Die tuberöse Sklerose stellte 
im ersten Jahrzehnt lediglich einen anatomischen Begriff dar. 
Man hatte in dem Sektionsmaterial der grossen Irrenanstalten 
bei den Epileptikern und Idioten Gehirnbefunde erhoben, welche 
im wesentlichen durch das Vorhandensein ziemlich scharf um¬ 
schriebener verhärteter, manchmal geschwulstartiger Bildungen 
in der Hirnrinde und durch das Auftreten kleiner etwa gersten- 
korn- bis erbsengrosser Tumoren in den Seitenventrikeln charak¬ 
terisiert waren. 

An der Hirnrinde unterscheidet man (Pellizzi, Geitlin, H. Vogt, 
Bielsohowsky u. a.) einmal hypertrophische bzw. hyper¬ 
plastische Windungsabschnitte, welche im wesentlichen die Form 
und den Verlauf der betreffenden Windung beibehalten und bei nur 
leichter Vorwölbung mehr durch ihre hellere grau-weissliche Farbe und 
derbere Konsistenz auffalleu, und dann zirkumskripte grössere 
oder kleinere Knoten, welche sich durch Randfurchen gegen die 
Umgebung scharf absetzen und die fast konstant auf ihrer Höhe nabel¬ 
oder kraterförmige Einziehungen erkennen lassen, deren Tiefe zwischen 
wenigen Millimetern oder mehreren Zentimetern schwanken kann. Es 
gibt Uebergangsformen zwischen beiden Herdarten: seichte Dellen¬ 
bildungen auf der Kuppe der Oberfläche hypertrophischer Windungs¬ 
abschnitte. 

Alle Hemisphärenabschnitte können von solchen Herden betroffen 
sein, besonders häufig finden sie sich in den Stirnlappen, fast immer 
auch Herde aa der medialen Fläche der obersten Stirnwindung und am 
Gyrus Cinguli. (Abbildung 1.) 

Mit ihren klinischen Kennzeichen beschäftigt man sich erst 
später. Die Versuche, unter den epileptischen Erscheinungen und In¬ 
telligenzdefekten derartig charakterisierte Merkmale herauszufinden, dass 
sich die an tuberöser Sklerose Leidenden aus der grossen Gruppe der 
Idiotie und Epilepsie herausheben Hessen, erwiesen sich als unzulänglich. 
Berg 3 ), einer der jüngsten Bearbeiter der Klinik der tuberösen Sklerose, 
kommt zu folgendem Standpunkt: 

Weder die Art noch das Auftreten der epileptischen Anfälle, weder 
die Form nooh die Entwicklung des Verblödungszustandes haben für die 
tuberöse Sklerose etwas Kennzeichnendes. Wir finden hier die ver¬ 
schiedensten Grade des Schwachsinns und die mannigfaltigsten Bilder 
der epileptischen Anfälle, wie wir sie auch sonst bei der Idiotie und 
Epilepsie sowie bei organischen Gehirnerkrankungen beobachten. Es 
Hess sich dies auch nicht anders erwarten, da von dem Krankheits¬ 
prozess die verschiedensten Teile des Gehirns, insbesondere die ver¬ 
schiedensten Bezirke der Grosshirnrinde in geringerem oder stärkerem 
Maasse in Mitleidenschaft gezogen werden können. — Demnach ist auch 
der körperliche Nervenbefund ein sehr wechselnder. In einigen Fällen 
ist er vollkommen negativ. Häufig treffen wir eine Monoparese oder 
Hemiparese oder eine fortschreitende beiderseitige spastische Lähmung. 
Ao Schädelmissbildungen kann sich ein Hydrocephalus finden oder ein 
Turmschädel oder ein Microcephalus, eine Hasenscharte oder ähnliches. 
In jüngster Zeit ist von Schuster und von Kaufmann je ein Fall 
beschrieben worden, die unter dem Bilde eines Hirntumors verliefen, 
und bei denen die Gehirnsektion, abgesehen von typischen tuberösen 


1) Arcb. de neurol., 1880, S. 81. 

2) Arch. f. Psych., Bd. 11, S. 117. 

3) H. Berg, Ueber die klinische Diagnose der tuberösen Sklerose 
und ihre Beziehungen zur Neurofibromatose. Zschr. f. d. ges. Neurol., 
1914, Bd. 25. 


Abbildung 1. 



Seitenansicht der linken Grosshirnhemisphäre meines Falles. 
(Die Pfeilspitzen zeigen auf tuberöse Herde.) 


Herden in der Grosshirnrinde, eine vom Corpus striatum bzw. Thalamus 
opticus ausgegangene und in den Seitenventrikel hineinragende Ge¬ 
schwulst ergab. 

Ein wesentlicher Fortschritt in der klinischen Diagnose 
wurde erst erreicht, als man anfing nicht allein die zerebral¬ 
bedingten Erscheinungen zu beachten sondern sein Augenmerk 
auf andere Organe richtete. 

Als weitaus wichtigste^iBegleiterscheinungen der tuberösen 
Sklerose sprechen wir jetzt die Veränderungen an der Haut 
an. Sie gehören in die grosse Gruppe der Naevi. 

Am meisten augenfällig sind die symmetrischen Naevi sebacei 
des Gesichts, 1891 von Pringle 1 ) zuerst beschrieben, nach seinem 
Entdecker auch Pringle’sohe Krankheit genannt, im Gesicht lokalisiert 
in Form kleiner, gelblicher oder kupferbrauner bzw. dunkelroter steck- 
nadelkopf- bis hanfkorn-liDsengrosser, mehr oder weniger stark hervor¬ 
ragender Knötchen zu beiden Seiten der Nase und auf den Wangen in 
grosser Zahl symmetrisch ausgesät. Pringle hat sie mit progressiven 
Veränderungen an den Talgdrüsen in Zusammenhang gebracht und des¬ 
halb als Talgdrüsenadenom (Adenoma sebaceus) bezeichnet 
(Abbildung 2). 

Abbildung 2. 



’ t Symmetrischer Gesichtsnaevus in meinem Falle. 


Spätere Beobachter erkennen den Adenomcharakter dieser Erkrankung 
nicht an, sondern rechnen sie in die grosse Gruppe der Naevi, und zwar 
hat mit Nachdruck zuerst Jadassohn den Standpunkt vertreten, dass 
derartige Aflfektionen weder als Adenome noch als Hyperplasien der 


1) Mschr. f. prakt. Derm., 1890, Bd. 10, H. 5. 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Talgdrüsen aufzufassen sind, sondern «lediglich auf einer abnormen 
Reimesanlage beruhen, für die wir einen pathologisch-anatomischen 
Namen nicht besitzen, höchstens nooh den Begriff Naevus“. 

Unter dem gleichen klinischen Bilde treten fibroangiomatöse 
Naevi (Darrier’s Naevi verrucosi) auf, diese können mit den Talg¬ 
drüsennaevi kombiniert sein, die letzteren können vielleicht auch in die 
ersteren übergehen. Es können auch Schweissdrüsenhyperplasien und 
Aplasien vorhanden seio, Atrophien und Wucherungen der Haarfollikel, 
Epithelwuoherungen, weiche Naevusmassen. In ein und demselben Falle 
können sich verschiedene solcher Gebilde in verschiedener Zahl und An¬ 
ordnung vorfinden. 

Bosellini 1 ) erklärt deshalb die Unterscheidung von verschiedenen 
Typen des symmetrischen Gleichtsnaevus, wie sie üblich war, für un¬ 
nötig und zwecklos. 

Die Follikel sind meist missbildet und verkleinert, das 
Bindegewebe in ihrer Umgebung ist vermehrt. Die Bildung 
zeigt im ganzen den Charakter einer Missbildung. 

Den Dermatologen ist seit Anfang dieses Jahrhunderts bekannt, dass 
unter den Individuen mit Pringle’scher Krankheit besonders zahl¬ 
reiche mit mangelhafter Intelligenz und mit epileptoiden Zuständen 
waren, ohne dass man sich über die Bedeutung dieser Beobachtung 
klar war. 

Nach Jadassohn*) haben Pelagatti und Harbitz 1905 die 
ersten Fälle von Pringle’scher Krankheit mit tuberöser Hirnsklerose und 
Herz- und Nierengeschwülsten veröffentlicht. 

Mit vollem Nachdruck sind diese Beziehungen erst von Seiten der 
Neurologen betont worden, und zwar von Heinrich Vogt 1908 in seinem 
zusammen fassenden kritischen Referat „Zur Pathologie und pathologischen 
Anatomie der verschiedenen Idiotieformen“*). 

Einen Ueberblick über die bisher bei tuberöser Sklerose angetroffenen 
Naevi gewinnt man am besten aus den Arbeiten der Neurologen 
Schuster 1918*), Kufs 1918«) und von H. Berg 1914«}. 

Schuster unterscheidet 

1. solche Naevusarten, die an keinen bestim mten Sitz gebunden 
sind und sich über die ganze Körperhaut zerstreut finden, 
darunter rechnet er 

a) die in der Haut liegenden flaohen ganz scharf umgrenzten runden 
oder ovalen, linsengrossen tiefbraunen oder fast schwarzen Pigmentflecke, 
die sogenannten Lentigenes 7 ), 

b) die das Hautniveau etwas überragenden, stecknadelkopf- bis 
linsengrosse graugelblichen Milchkaffeeflecke [Caf6 au-lait Flecke 1 )], 

o) ausgeprägte, manchmal behaarte warzenförmige Naevi und 

2. Hautanomalien, die wie der symmetrische Gesichtsnaevus sioh an 
bestimmte Körperregionen halten, nämlich 

a) in der Nacken- und Halsgegend kleinste weiche stecknadel- 
,kopf- bis erbsengrosse pendelnde Fibrome. Sie sind entweder wie 
* in meinem Falle {s. o.} beetartig gruppiert in der Mitte und an den 

Seitenrändern der Nacken-Rückengrenze oder wie in zwei der von Kufs 
mitgeteilten Fälle halskrausenförmig angeordnet rings um den Hals 
herum und besonders dicht in der Nackengegend. 

b) in der Becken- und unteren Lenden^egend, meist in Höhe 
der Darmbeinkämme flächenhafte Hautverdiokungen, nach 
Schuster von parallelen seichten Furchen durchzogen wie Chagrinleder 
oder konfluierende Quaddeln aussehend, sie heben sioh von der gesunden 
Haut wenig ab, haben die Farbe der normalen Haut, keine abnorme 
Rötung, höchstens gelegentlich einen Stich ins Bläuliohe und werden 
infolgedessen leicht übersehen. Sie setzen sioh zusammen aus Haut¬ 
partien von der Grösse eines 2—5-Markstückes. (Abbildung 8.) 

Es scheint eine Verschiedenartigkeit in dem Aussehen dieser flächen¬ 
haften Hautverdickungen zu bestehen. In meinem Falle (s. o.) war 
der etwa handtellergrosse Bezirk von derselben Farbe wie die Umgebung, 
von ganz seichten Furchen durchzogen und mit zahlreichen komedo- 
ähnlichen Punkten durchsetzt. Kufs fand in dem einen Falle in einem 
14,5 cm breiten und 5 cm hoheo, in transversaler Richtung in der untern 
Lenden- und oberen Kreuzbeingegend sich ausbreitenden Areal die Haut 
diffus höckerig und runzlig, livide rötlich, auf der Höhe der Erhaben- 
^ heiten von wachsartigem Glanze. In einem anderen Falle von Kufs 
fand sioh in einem grösseren Bezirke (9:7 cm) die Haut mit vielen 
flaohen, weichen, zum Teil ganz konfluenten blassroten oder wachsartig 
glänzenden Wülsten bedeckt. In einem Falle Berg’s fand sich in der 
Lendengegend eine über handflächengrosse Partie, die aus kleineren, 
quer verlaufenden Streifen zusammengesetzt und deren Oberfläche grau¬ 
blau, leicht gefältet und mit feinen kleinen Härchen besetzt war; ihre 
Umgebung war unbehaart. In einem anderen Falle Berg’s befand sich 
links von der Lendenwirbelsäule eine handtellergrosse Gruppe von 
höckerigen, zum Teil zusammenfliessenden Erhabenheiten, die die Farbe 
der Haut batten. 


1) MBchr. f. prakt. Denn., 1910, Bd 51. 

2) Die benignen Epitheliome. Aroh. f. Derm. u. Syphilis, 1914, Bd. 117. 
8) Mschr. f. Psych., Bd. 24, S. 106 ff. 

4) 1. c. 

5) Zschr. f. d. ges. Neurol., Bd. 18. 

6) 1. o. 

7) Nach der augenblicklich gültigen Nomenklatur der Dermatologen 
sind Lentigenes kleine flache oder auch ganz leicht erhabene Flecke; die 
Caf6-au-lait-Flecke sind immer ganz glatt, blassbraun und haben sehr 
verschiedene, oft sehr stattliohe Grösse. 


Abbildung 8. 



Flächenhalte Hautverdiekung in der Leudengegeud meines Falles. 

Kufs sah in zwei seiner Fälle neben einem typischen symmetrischen 
Gesichtsnaevus einen sehr ausgeprägten, zum Barlow’schen Typus ge¬ 
hörigen Naevus an der Stirn; der eine Fall kam zur Obduktion und 
erwies sich als tuberöse Hirnsklerose. Es fand sioh über der Nasen¬ 
wurzel in der Mitte der Stirn ein 5 cm langer, 3 cm breiter, durch 
Querfurchen in drei Lappen geteilter, fieischroter derber, in vertikaler 
Richtung bis über die Haargrenze binausreichender Hauttumor, der auf 
der Unterlage in geringem Grade verschieblich war. In dem anderen 
Falle eine dicke, längliche, durch mehrere tiefe Einziehungen gefelderte, 
lappige Hautgeschwulst, 6 cm lang,, 3,5 cm breit, das Niveau der Haut 
1 cm überragend, livide rötlich gefärbt, von mittelderber Konsistenz 
und auf der Unterlage in massigem Grade verschieblich. Auch in meinem 
Falle (s. o.) fand sich an der Stirn nahe der Haargrenze ein kleinpflaumen¬ 
grosser, gelb-bräunlicher, leicht erhabener Fleck. Berg berichtet, in 
sieben Fällen Pringle’scher Krankheit dreimal eine bandartige blassbraune 
erhabene Hautpartie in der Stirngegend beobachtet zu haben. 

Weygand hat in der Diskussion zum Schuster’sohen Vortrage 
(s. o.) hingewiesen auf weitere Hauterscheinungen bei tuberöser Sklerose: 
1. auf „starke Komedonen in der charakteristischen Ausbreitung des 
Adenoma sebaceum, 2. diffuse kleine Naevi verrucosi in der Richtung 
der Haarpapillen, 3. halbseitige Fibrome“. 

Kufs berichtet von seiner Meinung nach den äusseren Hautverän¬ 
derungen des Gesichts adäquaten Effloreszenzen in der Mundhöhle. 
In dem einen seiner Fälle ist „die Oberfläche der Zunge in der vorderen 
Hälfte mit roten derben, himbeerartigen Wucherungen dioht besetzt. 
Die grössten Knoten sind erbsengross und befinden sich in der Mittel¬ 
linie. Aehnliche, aber etwas flachere Knoten finden sich am harten 
Gaumen neben der Raphe und seitlich, einige am Prozessus alveolaris 
des linken Oberkiefers. Flaohe papilläre Wucherungen zeigt gleichfalls 
noch in grosser Zahl die Schleimhaut der linken Wange“. 

Berg, dessen Arbeit als letzte 1914 erschienen ist, vertritt die Auf¬ 
fassung, dass „diese mannigfachen Hautgebilde für den Psychiater und 
Nervenarzt von besonderer Bedeutung sind, da sie bei fehlendem oder 
noch schwach ausgebildetem Naevus Pringle zuerst den Verdacht auf eine 
tuberöse Sklerose lenken können“. 

Ist dieser Standpunkt hinreichend begründet? 

Gallus 1 ) teilte einen durch die Sektion bestätigten Fall von 
tuberöser Sklerose mit, bei dem nur Fibrome in der Kreuzbeingegend 
gefunden wurden. In dem von Jacob*) veröffentlichten Fall von 
„abortive tuberöse Sklerose“ lautete die Diagnose bis zur Sektion 
„genuine Epilepsie mit fortschreitendem Schwachsinn“ und war der 
klinische Befund an den inneren Organen und Gehirnsymptomen völlig 
negativ („nur die körperlichen Bewegungen bei sonst ungestörter Mo¬ 
tilität äusserst linkisch und ungeschickt und die Sensibilität anscheinend 
herabgesetzt“), und an der Haut fanden sich nur auf dem Rücken und 
auf der rechten Brustseite einige erbsen- bis bohnengrosse pigmentierte 
Naevi. Bei der Sektion erwiesen sich Herz, Nieren, Nebennieren und 
Genitalorgane völlig normal und frei von Tumoren. Die Hirnsektion 
ergab als einzig bemerkenswerten Befund einen hyperplastisch - sklero¬ 
tischen Windungsabsohnitt am oberen vorderen Pole der 2. rechten 


1) Bielsohowsky und Gallus (l. c.) 

2) Jacob, „Zur Pathologie der Epilepsie“, Zschr. f. d. ges. Neurol., 
1914, Bd. 23, S. 2 ff. 


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25. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


277 


Stirn Windung von hellerer Färbung und derberer Konsistenz, der mikro¬ 
skopisch die oharakteristisoheu Kennzeiehen der tuberösen Hirnsklerose 
zeigte. Dieser Fall beweist einerseits die Wichtigkeit von Hautunter- 
suohungen bei Epileptikern, andererseits zeigt er, wie sorgfältig die 
Hirnrinde abgesucht werden muss, damit nioht derartige kleine Herde 
bei der Sektion unbemerkt bleiben. 

Das gleichzeitige Vorkommen der verschiedenen Hautanomalien mit 
der tuberösen Sklerose lässt sich entwioklungsgesohichtlich dadurch er¬ 
klären, dass sowohl die Hirnrinde wie die äussere Haut sich aus dem¬ 
selben Keimblatt, nämlich aus dem Ektoderm, entwickelt und eine Fehler¬ 
haftigkeit in der embryonalen Anlage dieses Keimblattes besteht. Es 
ist auffallend, dass alle diese im weitesten Sinne als Naeyi aufzufassenden 
Gebilde sich mit Vorliebe immer an denselben Hautbezirken (im Gesicht, 
an Hals und Schulter, sowie in der Lendengegend) lokalisieren. Jadas- 
8oh® s ) weist darauf hin, dass die Häufigkeit der Epitheliome im Gesicht 
auf die dort besonders komplizierten Entwioklungsbedingungen, Gesichts- 
spaltenyerschluss, Isolierung yon Gewebskeimen, durch Verschiebungen 
an der Oberfläche zuraokgeführt worden ist. Naoh Berg 2 ) kann man 
sich vorstellen, dass an diesen Hautpartien, an denen sich der Körper 
einerseits zum Hals, andererseits zu den Extremitäten verjüngt, die 
Entwicklungsvorgänge der Haut sich besonders schwierig gestalten und 
hier deshalb in erster Linie sich Störungen bemerkbar machen. 

Ein Bedenken haben Sie gewiss gegen diese hohe dia¬ 
gnostische Bewertung der Naevi. Die tuberöse Hirnsklerose und 
ähnlich geartete Hirnleiden sind so seltene Krankheiten und die 
Naevi so überaus häufige Befunde. Dieser Einwand ist durchaus 
berechtigt, denn die Haut des erwachsenen Menschen ist nur in 
den seltensten Fällen frei von Naevi. Ich habe dies bestätigt ge¬ 
funden nicht nur bei 46 Idioten und Epileptikern im Städtischen 
Pflegehause zu Herrnprotsch bei Breslau, die ich gemeinsam mit 
dem hiesigen Dermatologen Herrn Dr. Wilhelm Perle untersucht 
habe, sondern auch bei Serien von Kriegsverletzten im Festungs- 
lazarett, Heilanstalt für Unfallverletzte und auch an den Insassen 
des unter meiner ärztlichen Leitung stehenden Claassen’schen 
Siechenhanses. Bei letzteren fand ich wie bei allen über 40 Jahre 
alten Menschen 8 ) viele senile Warzen und sogenannte Kapillar¬ 
varizen. 

Uebrigens ist auoh Schuster von der diagnostischen Bedeutung 
der Lentigenes (der sogenanten Leberflecke) durchaus nioht sehr über¬ 
zeugt, eben weil sie so häufig sich auoh bei ganz Gesunden vorfinden. 
Auoh die übrigen Formen der Hautnaevi kommen bei völlig normalen 
Individuen vor. Selbst wenn sie häufig sind, sind sie noch nicht als zu 
spät zu bezeichnen. Nur einzelne besondere Formen sollten unbedingt 
den Verdacht auf das Vorhandensein einer tuberösen Sklerose erwecken, 
und dazu scheinen mir bisher nur zu gehören die multiplen sym¬ 
metrischen Gesiohtsnaevi, die halskrausenartig gruppierten 
Fibrome am Halse, die fläohenhaften Hautveränderungen 
in der Lenden-Kreuzbeingegend, die von Rufs beschriebenen 
(s. o.) Hautgeschwülste an der Stirn und wohl aueh die ja sonst 
ausserordentlich seltenen Fibrome und Papillome an Fingern 
und Zehen [Reitmann 4 ), Hintz“)]. 

Eine Belehrung finden wir in einer Arbeit aus der Jadas- 
sohn’schen Schule, nämlich in der 1898 in Bern veröffentlichten 
Inauguraldissertation von Ed. Michel „Beiträge zur Kenntnis 
der Naevi“. 

Michel hat 1000 Individuen der verschiedensten Altersstufen, 
Pfleglinge der Berner Krankenanstalten, auf die Zahl und die Art und 
Lokalisation der Naevi untersucht. Von 29 Säuglingen hat er alle 
ohne Naevi (einschliesslich Lentigenes) gefunden. Das jüngste Kind, das 
einen flaohen pigmentierten Naevus an der Stirn aufwies, war allerdings 
nur einen Monat alt; dieser Naevus wich aber von den alltäglich beob¬ 
achteten ab, weil er die gewöhnlichen flaohen pigmentierten Naevi an 
Grösse mehr als zehnmal übertraf. Das zweite Kind, das einen der 
Norm entsprechenden Naevus auf wies, war schon 1 / 4 Jahr alt, das dritte 
*/t Jahr alt. Die Naevi vermehren sich im Kindesalter kontinuierlich 
und erreichen zur Zeit der Pubertät die für die Erwachsenen gefundene 
Durchschnittszahl (12—18 Naevi pro Person). — Die Anzahl der 
naevusfreien Personen beträgt im ersten Lebensmonat 100 pCt. (die 
seltenen „abnormen Naevi“ abgerechnet), sie ist im ersten Lebensjahre 
noch sehr gross, nimmt vom zweiten zum dritten sehr rapide ab und 
sinkt von da bis zum 8. Jahre auf Null herunter. Nach dem 8. Lebens¬ 
jahre sind naevusfreie Personen sehr selten. 

Nach Mio hei überwiegt die Zahl der pigmentierten Naevi die der 
niobtpigmentierten kolossal (97,6 pCt. : 2,4 pCt). Unter den pigmen¬ 
tierten sind die flaohpn Pigmentflecke, das sind die sogenannten Lentigenes, 
ausserordentlioh häufig (95,8 pCt.), die warzenförmigen Formen und die 


1) 1. c. (Sonderabdruok S. 17.) 

2) 1. o. 

8) Raff, M.m.W., 1902, Nr. 18. 

4) Reitmann, Aroh. f. Derm., Bd. 88, S. 177 (zitiert bei Jadas- 
sohn, L o., Sonderabdruck, S. 28.) 

5) Hintz, Aroh. f. Denn., Bd. 106, S. 277 (zitiert bei Jadassohn, 
1. o., Sonderabdruok, S. 38.) 


pigmentierten Haarmäler sehr selten (je 0,9 pCt.) und die leicht er¬ 
habenen Pigmentflecke in 2,4 pCt. 

Sehr beachtenswert ist für uns die Feststellung Michel’s, dass er 
unter seinen 1000 Fällen „die sogenannten systematisierten Naevi, 
welche sich an bestimmte Linien auf der Haut anschliessen (speziell an 
die Voigt’schen Grenzlinien — und an die Grenzlinien der Haarströme), 
ferner die multiplen glatten Fleckenmäler, welche charakteristisch ein¬ 
seitig sind, und auoh die multiplen Talgdrüsennaevi (sogenannte 
Adenomata sebacea) mit ihrer speziellen Prädilektion für die mittleren 
Partien des Gesichts“ nioht angetroffeir hat (l. o., Seite 41). 

Michel unterscheidet die typischen und die atypischen Naevi. 
Unter die typischen reohnet er auoh die so zahlreichen Lentigenes. 
Die atypisohen weichen von den anderen ab durch ihre Grösse, durch 
ihre Farbe und ihr starkes Hervorragen und sind sehr selten. 

Wenn man bedenkt, dass die bei der tuberösen Hirnsklerose 
anzutreffenden Naevusarten mit Ausnahme der Lentigenes zum 
überwiegenden Teile zu den seltenen atypischen Naevi zu rechnen 
sind, so dürfte man doch berechtigt sein, in ihrem Vorkommen 
einen Hinweis auf das Bestehen analoger Hirnveränderungen zu 
erblicken. 

Zur Prüfung des diagnostischen Wertes der verschiedenen 
Naevusarten für die tuberöse Hirnsklerose sind neue, auf ärzt¬ 
liche Beobachtungen zu stützende Sammelforschungen notwendig, 
sowie weitere Obduktionsbefunde mit genauesten hirnhistologischen 
Untersuchungen. Besonders dürftig sind unsere Kenntnisse über 
den Zeitpunkt des ersten Sichtbarwerdens der Naevi, über ihr 
Aussehen und ihre Gruppierung in der ersten Zeit und über ihr 
weiteres Wachstum.* Wir waren hierbei bisher fast immer nur 
auf unkontrollierbare Angaben der Angehörigen angewiesen. 

Hier müssten uns die Kinderärzte und die Schulärzte, insbesondere 
die Aerzte an den Hilfsschulen, Hilfe leisten durch das Auffinden 
suspekter Falle und deren Zuweisung an Dermatologen und Neurologen. 
Sie könnten ferner durch Ausfragen der Eltern und Untersuchung der 
Geschwister und der Aszendenten auf Naevi und auf zerebrale bzw. 
psychisohe Krankheitszeicben wertvolle Beiträge zur Kenntnis der Ver¬ 
erbbarkeit der Naevi sowie der tuberösen Hirnsklerose liefern. Wiobtig 
wären auch ärztliche Nachfragen nach den ersten Zeiohen von Störungen 
der geistigen Entwickelung und von Bewusstseinstrübungen speziell von 
Krämpfen. Durch eine solche Arbeitsgemeinschaft werden unsere Kennt¬ 
nisse von den „Formes frustes“ der hierher gehörigen Haut- und Gehirn¬ 
krankheiten eine wesentliche Bereicherung ertahren. 

Ich möchte einen Fall nicht unerwähnt lassen, der mir An¬ 
fang November 1917 von der Kgl. U^veraitäts Kinderklinik durch 
die Herren Professor Stolte und Professor Aron zur Untersuchung 
geschickt wurde. 

Ein SVsjkhr. Mädchen mit zwei schwarzen unbehaarten Pigment¬ 
flecken, von denen der eine — linsengross — an der hinteren Fläche 
des rechten Oberarmes, der andere — über haselnussgross — hinten in 
Höhe des rechten Hüftgelenks sass. Naoh Angabe der Mutter waren 
beide Fleoke schon bei der Geburt vorhanden gewesen, aber erheblich 
kleiner, „nur steoknadelkopfgross“, und waren erst in den letzten Mo¬ 
naten deutlioh gewachsen. Die Geburt war normal leicht. Das Kind 
ist sprachlich verkümmert (spricht erst seit einigen Wochen „Papa*, 
„Mama“), geht breitbeinig, etwas unsicher schwankend, bevorzugt das 
Laufen auf allen Vieren. Keine Chorea, keine Krämpfe oder Abszenzen. 
— Am 21. Dezember 1917 bemerkte ich eine Anzahl neuer Naevi und 
zwar zwei schwarze, kaum stecknadelkopfgrosse 1 bzw. 3 om nach hinten 
von dem oben erwähnten Naevus am rechten Hüftgelenk entfernt, ferner 
einen gleichen dicht nach oben und vorn vom rechten Troohantt r major, 
ferner einen in der Mitte der linken Leistenbeuge, und schliesslich einen 
in der rechten mittleren Achsellinie zwischen Rippenbogen und Darm¬ 
beinkamm, steoknadelspitzengross und tiefschwarz. — Der ursprüngliche 
Pigmentfleok am rechten Oberarm (s. o.) ist linsengross (7 :5 mm) und 
nicht behaart. Der zweite, am rechten Oberschenkel (s. o.) 20:12 Vs mm, 
trägt etwa ein Dutzend sehr zarte helle Härchen. — Am 5. Februar 
d. J. Status idem. 

In den letzten Jahren hat von den Dermatologen Hintz 
Erscheinungen der Recklinghausen’schen Krankheit bei der 
Pringle’schen beobachtet nnd Jadassohn auf. die Analogien 
beider Anomalien hingewiesen. Besonders aber sind von neu¬ 
rologischer Seite [OTzechowski und Nowicki 1 ), Bielschowsky 
und Gallus, Schuster, Kufs und Berg) die nahen Beziehungen 
der tuberösen Hirnsklerose zur Neurofibromatose 
(Recklinghauseo’sche Krankheit) betont worden. Nach den 
letzterwähnten Autoren zeigen die Hautanomalien an der Rumpf¬ 
haut und am Halse und Nacken überraschende Aehnlicbkeiten: 
bei beiden Krankheiten sollen sich analoge Pigmentflecke, be¬ 
sonders Cafe-au-lait-Flecke, weiche Fibrome, pendelnde Papillome 
am Halse finden. Auch das sogenannte Adenoma sebaceum 
Pringle’s wurde als ein beiden Krankheiten gemeinsames Kenn- 

1) Zsohr. f. d. ges. Neurol„ Bd. 11. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


seichen erkannt. Histologische Untersuchungen sollen die Zu- I 
sammengehörigkeit dieser Hauterkrankungen nachgewiesen haben. 
Die Pr in gleichen Tumoren sollen hinsichtlich ihres histologischen 
Baues nicht wesentlich verschieden sein von den subkutanen 
Fibromen bei Recklinghausen’scher Krankheit und sich nur 
durch ihre oberflächliche Lage und ihren Gefässreichtum .aus¬ 
zeichnen. Die Beziehungen zwischen beiden Krankheiten siud 
noch inniger geworden, seitdem sowohl Dermatologen wie Neuro¬ 
logen darauf aufmerksam wurden, dass auch bei der Reckling- 
h ausen "sehen Krankheit öfters eine angeboreue geistige Schwäche 
vorkommt und seitdem bei ihr durch die histologische Forschung 
(Henneberg, Verocay, Orzechowski und Nowicki, Biel¬ 
schowsky) in einschlägigen Fällen zahlreiche, wenn auch mikro¬ 
skopisch kleine geschwulstartige Rinden Veränderungen nach¬ 
gewiesen worden sind, die in ihrer feineren Struktur — grosse 
plasmareiche Gliazellen — den Befunden bei tuberöser Sklerose 
ähnlich sind. Die gemeinsame Wurzel beider Krankheiten besteht 
in einer kongenitalen Entwicklungsstörung. 

Ein weiteres Argument für die inneren Beziehungen zwischen 
beiden Krankheiten lieferte der von Orzechowski und Nowicki 
1912 durch die histologische Untersuchung geführte Nachweis, 
dass beide Krankheiten in ausgeprägter Form an einem und dem¬ 
selben Individuum auftreten können. 

Das 18jährigo imbeoille Mädchen zeigte klinisch die Erscheinungen 
eines linksseitigen Aousticustnmors. Der Exitus erfolgte nach einem 
Exstirpationsversuch dieser Geschwulst. Es wurden Herde im Zentral¬ 
organ und in den peripheren Nerven gefunden. *Am Gehirn fand sich 
im linken Gyrus lingualis ein markstückgrosser Enoten makroskopisch 
und mikroskopisch von der Art der Herde der tuberösen Hirnsklerose, 
und ausserdem eine grosse Zahl kleiner Herde, die aus Anhäufung 
grosser atypischer Zellen bestanden, stellenweise mit einer.Vermehrung 
von Gliakernen und Gliafasern. Es kann nach Bielschowsky’s An¬ 
sicht kein Zweifel darüber auftauchen, dass die kleinen Herde in diesem 
Falle Vorstufen des grossen Knotens darstellen, obgleioh Uebergangs- 
formeh nicht beschrieben werden. 

Orczechowski und Nowicki ziehen aus ihren Befunden 
den Schluss, dass die Recklinghausen’sche Krankheit und die 
tuberöse Hirnsklerose wesensgleiche und vom pathologischen 
Standpunkt betrachtet vollkommen identische Prozesse sind. 

Ein geschlossenes Bild von dem Wesen der tuberösen Hirn¬ 
sklerose gewinnt man aus den Ergebnissen der hirnhistologischen 
Forschung. Im engen Rahmen meines Vortrages kann ich mich 
nur auf die wichtigsten Punkte beziehen und beschränke mich 
deshalb im wesentlichen auf die Mitteilung der Anschauungen 
von Max Bielschowsky, da er seinen Vorgängern durch die 
Beherrschung der modernsten Färbemethoden weit überlegen ist 
und ihre Befunde und Theorien in gerechter Würdigung ihrer 
Verdienste einer eingehenden kritischen Prüfung unterworfen hat. 

Die prägnanteste Seite des Krankheitsprozesses besteht 
in einer geschwulstmässigen Entwickelung der Neuro^ 
gliaelemente. Es handelt sich nicht um eine primäre Störung 
in der Struktur und Orientierung der nervösen Parenchym bestand- 
teile. Vielmehr kommt es zu einer enormen Produktion faseriger 
Gliasubstanz durch Vermittelung faserbildender als Astrozyten be¬ 
im ebne ter Gliazellen, besonders zu einer starken Verbreiterung 
der gliösen Randschicht. Man findet ferner als charakteristischen 
Befand zahlreiche sogenannte grosse undifferenzierte Zellen, die 
sogenannten plasmareichen Riesengliazellen. Es finden sich ferner 
ganz atypische grosse und fortsatzreicbe Ganglienzellen. In den 
tuberösen Herden der Grosshirnrinde ist die Schichtung der 
Ganglienzellen und Markfasern nur dann gänzlich verwischt, wenn 
es zu einer derben Verfilzung der Glia durch die ganze Breite 
der Rinde gekommen ist. Das ist meistens der Fall in den 
zirkumskripten knotenförmigen Herden, besonders in den krater¬ 
förmigen Einziehungen. In den hypertrophischen bzw. hyper- 
plastischen Windungsabschnitten bleibt der zyto- und myelo¬ 
architektonische Bauplan des entsprechenden Windungsgebietes 
immer erkennbar. In der herdfreien Rinde sind nennenswerte 
Verschiebungen gegenüber dem normalen Schichtungstypus der 
entsprechenden Zone nur selten vorhanden. 

Die Atypien in der Anordnung und Formgestaltung der 
Ganglienzellen sind nach Bielschowsky die Folgen einer über¬ 
mässigen Raumentfaltung der Glia. Unter dem Einfluss der 
proliferierenden Stützelemente geht ein Teil der bereits richtig 
orientierten und geformten Ganglienzellen zugrunde. Ein Teil von 
ihnen hält der Ungunst der Verhältnisse stand und entwickelt 
sich in morphologischer Hinsicht über das Maass der normalen 
Differenzierung hinaus. Es ist anzunehmen, dass diese fötalen 
Rindenzellen auf Veränderungen in ihrer Umgebung in einer für 


das reife Gehirn ganz ungewöhnlichen Weise reagieren: im 
Zentralgebiet der Proliferationszone werden die Ganglienzellen 
vernichtet, in einiger Entfernung von ihr, wo die Ernährongs- 
bedingungen günstiger blieben, wurden sie zu atypischen Wider¬ 
standsreaktionen veranlasst. 

Die früheren Forscher Fellini, Geitlin, H. Vogt, batten den 
tuberösen Rindenprozess im Fötalleben oder in den ersten postfötalen 
Lebensmonaten als abgeschlossen bezeichnet Bielschowsky sieht 
häufig Zeichen einer andauernden Weiterentwicklung, ein Nebeneinander 
von Missbildung und Neubildung. Die Weiterentwicklung manifestiert 
sich vornehmlich in dem Vorhandensein faserbildender Astrozyten in 
allen Schichten der Herde, besonders häufig in der Randzone. Auch 
A. Jakob vermutet in seinem Falle 1 ) aus manchen histologischen Er¬ 
scheinungen (zahlreiche Kernfiguren in den Gliazellen, gestipptes Plasma 
der grossen atypischen Gliazellen, reiche Granulierung ihrer Kerne, Ab¬ 
schnürung von Kernen), dass der gliöse Wucberungsprozess in solchen 
Herden nicht stillsteht und einer Weiterentwicklung im postembryonalen 
Leben fähig ist. Bielschowsky betont, dass, wie schon Cohn heim 
gelehrt hat, Missbildung und Neubildung ihrem Wesen nach eng mitein¬ 
ander verwandt sind, dass Cohn heim jede Geschwulst. als atypisch© 
Gewebsneubildung auf Grund einer embryonalen Anlage definiert und 
die Ansicht vertreten hat, dass die Mehrzahl der Missbildungen bereits 
mit auf die Welt gebracht wird, eine kleine Minderzahl sich aber später 
entwickelt. 

Als Termin für die erste Manifestation des'Krankheitsprozesses 
der tuberösen Hirnsklerose glaubt Bielschowsky in voller 
Uebereinstimmung mit Hartdegen, Pellizzi und H. Vogt die 
letzten Monate des Fötallebens annehmen zu müssen. Die An¬ 
regung zu der abnorm starken Gliawucherung steht nach 
Bielschowsky möglicherweise mit einer Störung in der Mark¬ 
reifung der Nervenfasern in Zusammenhang, denn an mittels der 
Fibrillenfärbung gewonnenen Präparaten sah er im Bereich vieler 
Herde die Achsenzylinder marklos oder markschwach. 

Zum Schluss möchte ich ganz kurz die anatomische und 
klinische Eigenart meines Falles(s. o.) skizzieren, dessen histologische 
Bearbeitung Herr Prof. Bielschowsky geleistet hat. Der Fall 
zeigt histologisch Uebergänge zur Westphal-Strümpei Pechen 
Pseudosklerose und beweist, dass auch die Pseudosklerose, der 
gleichfalls eine fötale Entwicklungsstörung zugrunde liegt, in 
naher verwandtschaftlicher Beziehung zur tuberösen Hirnsklerose 
steht. Ferner unterscheidet sich mein Fall von allen bisher 
histologisch untersuchten Fällen dadurch, dass bei ihm die 
Ventrikeltumoren nur schwach entwickelt und nicht in die 
Ventrikelhöhle hineingewachsen sind, sondern den Nucleus caudatus 
an seiner Oberfläche durchsetzt haben. Der Fall war klinisch 
eigenartig durch bisher bei keinem Falle von tuberöser Hirn¬ 
sklerose beobachtete Symptome, nämlich eine Pseudoflexibilitas 
cerea und passagär auftretende atypische Fingerhaltungen, deren 
Hauptkennzeichen eine Ueberstreckung der ersten Articulatio 
interphalangea ist. Wir betrachten diese Symptome als Herd¬ 
symptome des Corpus Striatum. Dies gilt besonders für die aktiven 
Fingerverbiegungen, welche sehr ähnlichen Bewegungsstörungen 
beim progressiven Torsionsspasmus zur Seite zu stellen sind; 
analoge Fingerhaltungen habe ich auch bei einigen Fällen von 
vorgeschrittener Paralysis agitans angetroffen. Die nähere Be¬ 
gründung für diese Annahme in meinem Falle wird in einer von 
Bielschowsky und mir gemeinsam erfolgenden Publikation in 
dem nächsten Heft des Journals für Psychologie und Neurologie 
geliefert werden. 


Nieren- und Herzgeschwülste bei tuberöser 
Hirnsklerose. 

Von 

Frivatdozent Prof. Dr. Robert Hanger. 

(Nach einem am 14. Dezember 1917 in der medizinischen Sektion der 
Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur gehaltenen Vortrag.) 

Im Anschluss an die Ausführungen Dr. Freund’s über das 
Krankheitsbild der „tuberösen Hirnsklerose“ gestatte ich mir 
folgende ergänzende Bemerkungen. 

Die eigene Beobachtung betraf einen 35jährigen Mann. Es 
verdient diese Tatsache besonders hervorgehoben zu werden, da 
in der Regel an tuberöser Hirnsklerose Erkrankte das 20. Lebens¬ 
jahr nicht erreichen oder doch nur wenig überschreiten. Man 
könnte hieraus die Schlussfolgerung ziehen, dass das fragliche 
Krankheitsbild auch die schliessliche Todesursache bedeutet. Die 


1) 1. c., S. 25. 


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26. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


279 


Sehwere der klinischen Symptome wie die weitgehenden makro¬ 
skopisch sichtbaren Gehirnveränderangen legen diesen Gedanken 
nahe. Wir müssen zu dieser Annahme greifen, wenn der Tod 
klinisch n im Anfall“ eingetreten ist. Der pathologisch-ana¬ 
tomische Befand beschränkt sich in einem solchen Falle allein 
aaf den Nachweis der spezifischen, eben das Bild der tuberösen 
Hirnsklerose charakterisierenden Veränderungen. Irgendeine Todes¬ 
ursache in Form einer begleitenden Erkrankung eines anderen 
Organs fehlt in solchen Fällen. Aber auch morphologisch nach¬ 
weisbare Abweichungen, die den „Anfall“ erklären könnten, ent¬ 
liehen sich bisher unserer Feststellung. Eine Zusammenstellung 
W. Fischer’s 1 ), die 68 einschlägige Fälle umfasst, berichtet 
vcto 8 Todesfällen im Anfall. Wie auch sonst beim Epileptiker 
— um solche Kranke handelt es sich hier — in der Regel ander¬ 
weitige Organerkrankungen zur Todesursache werden, so ist auch 
bei tuberöser Hirnsklerose in der Regel in Lungenentzündung, 
Tuberkulose, Hirnhautentzündung oder dergl. in letzter Linie die 
Todesursache zu suchen. Auch in der eigenen Beobachtung 
handelt es sich um eine schwere, mit ausgedehnter Kavernen¬ 
bildung verbundene Lungentuberkulose, die schliesslich mit Pneu- 
monie^einhergehend zum Tode führte. Wir können also ganz 
allgemein sagen, dass die tuberöse Hirnsklerose an sich keine 
tödliche Erkrankung ist, wenn auch keineswegs geleugnet werden 
kann, dass derartig geschädigte Individuen eher einer inter¬ 
kurrenten Erkrankung erliegen als sonst gesunde Menschen. Wir 
werden mithin in klinisch einschlägigen Fällen nicht nur nach 
den makroskopisch erkennbaren Gehirnveränderungen zu fragen 
haben, sondern auch nach der eigentlichen Todesursache suchen 
müssen. 

Das bei gewissenhafter Obduktion feststellbare pathologisch¬ 
anatomische Bild kann hiermit bereits ein vollständiges sein. 
Im Vordergründe stehen klinische Symptome gestörter Gehirn- 
funktion. Die nachweisbaren Tuberositäten 'der Hirnoberfläche 
sind als morphologischer Ausdruck dieser Symptome anzusehen. 
Im Rahmen der hier beabsichtigten Besprechung sei nochmals 
hervorgehoben, dass heute allgemein in diesen Gehirnverände¬ 
rangen eine kongenitale Affektion, eine Missbildung, erblickt wird. 

Aber auch der Nachweis von Gehirnveränderung und scbliess- 
licher Todesursache erschöpft das bei der Obduktion gewonnene 
Bild keineswegs immer. Es ist bereits darauf hingewiesen 
worden (Dr. Freund), dass eigenartige Hautveränderungen das 
klinische Bild vervollständigen können. Es sind, wie auch in 
unserem Falle, mehrere Mitteilungen bekannt geworden, bei 
denen gerade diese Hautaffektionen im Falle von eigenartiger 
mit epileptischen Symptomen einhergehender Idiotie bereits intra 
vitam die später bestätigte Diagnose der tuberösen Hirnsklerose 
gestatteten. Diese sog. „Adenomata sebacea“ werden von Jadas- 
sohn 2 ) in die Gruppe der Organnaevi eingereiht, womit zum 
Abdruck gebracht werden soll, dass es sich um Bildungen 
handelt, die auf kongenitaler Grundlage beruhen und aus an 
sich normalen Hautorganen bestehen. Diese sind jedoch für 
ihren Standort abnorm gross oder zahlreich, können selbst im 
eigentlichen Sinne heterotop sein. 

Von besonderer Bedeutung sind für diese „multiplen sym¬ 
metrischen Gesichtsnaevi“ folgende drei Tatsachen: 

1. Ihre Kombination mit anderen Tumoren von Naevusnatur 
am übrigen Körper, wie weiche Naevi, Atherome, milienartige 
Gebilde, Fibrome, Angiome, Papillome, 

2. ihre Heredität und 

8. ihr Vorkommen bei tuberöser Sklerose. 

Zum ersten Punkte wäre für den eigenen Fall zu bemerken, 
dass die im Gesicht festgestellten Veränderungen die Bezeich¬ 
nung Adenoma sebaceum ebensowenig verdienen, wie anders lo¬ 
kalisierte Knötchen; Untersuchung exzidierter Hautpartien vom 
Rücken ergaben einfache papilläre, ^fibroepitheliale Bildungen, in 
denen Talgdrüsen Veränderungen nicht nachweisbar waren. Auch 
sonst werden unter gleichem Bilde Schweissdrüsenhyperplasien 
(Naevi), Epithel Wucherungen, fibroangiomatöse Naevi usf. ge¬ 
funden. 

Als das Wesentlichste sei betont, dass es sich um „kon¬ 
genitale Difformitäten“ handelt, dass mithin auch dieses klinische 
Symptom genetisch auf gleicher Stufe steht wie die das Krank¬ 
heitsbild beherrschenden Gehirnanomalien. 

Diese Erklärung findet aber noch weitere Stützen in eigen¬ 
artigen Tumorbildungen, wie sie insbesondere in Nieren und 


1) Fischer, Ziegler’s Beitr., Bd. 50, S. 277. 

2) Jadassohn, Aroh. f. Derm. u. Syphilis, 117. Jahrg., Bd. 7—9, H. 11. 


Herz zu finden sind. Wohl entziehen sie sich in der Regel der 
klinischen Diagnose. Tatsache ist, dass sie bei tuberöser Hirn¬ 
sklerose in einem solch hohen Prozentsatz gefunden werden, 
dass ihre Zugehörigkeit zum gesamten Krankheitsbild ausser 
Frage steht. Ja wir dürfen sogar so weit gehen, dass wir die 
Forderung für den Pathologen aufstellen, dass er bei zufälliger 
Feststellung derartiger multipler Tumoren an das Vorliegen 
einer tuberösen Hirnsklerose denkt und die Gehirnobduktion aus¬ 
führt, auch wenn ihm klinische diesbezügliche Daten nicht zur 
Verfügung stehen. Bei Todesfällen in den ersten Lebensjahren 
kann es zudem möglich sein, dass psychische Veränderungen 
noch nicht festzustellen waren, so dass klinisch an tuberöse 
Hirnsklerose nicht gedacht werden konnte. In diesem Zusammen¬ 
hang sei erwähnt, dass Stertz 1 ) bei einem an Masern und 
Bronchopneumonie verstorbenen 6 Monate alten Kinde als zu¬ 
fälligen Befund ausgesprochene Gehirnknoten fand, während u. a. 
Ponfick 2 ) (1901) bei einem 7 Monate alten Kinde Rhabdo- 
myome des Herzens und tuberöse Hirnsklerose feststellen konnte. 

Wie also die Haut Veränderungen dem Kliniker bei ent¬ 
sprechenden Idiotieformen Hinweise geben können, so verfügt 
auch der Pathologe über Befunde, die ihn ohne weiteres tube? 
röse Hirnsklerose vermuten lassen. 

Zuerst sei der in den Nieren lokalisierten Tumoren gedacht. 

Die eigene Beobachtung betraf wie gewöhnlich beide Nieren. Die 
Grösse der Nieren überschritt um ein Geringes das Normalmaass. Die 
Kapsel war im wesentlichen gut abziehbar, erwies sioh nur an wenigen 
Stellen adhärent und konnte hier nur unter leichtem Einreissen der 
Nierenoberfläche abgelöst werden. Es konnte sofort festgestellt werden, 
dass diese Stellen umschriebener Adhärenz auf kugelsegmentartige Vor¬ 
buckelungen der Nierenoberfläche beschränkt blieben. Diese hoben sioh 
durch ihre blassrote bis gelbliche Farbe deutlich von der Umgebung 
ab und imponierten als mässig derbe Gesohwülste. Daneben Hessen 
sich schon oberflächlich eine grosse Zahl in Farbe und Konsistenz gleich¬ 
artiger Einlagerungen nachweisen, die das Nierenniveau gar nicht oder 
doch nur wenig überragten. Die Grösse dieser kugeligen Knoten 
wechselte von Hirsekorn- bis Kirschgrösse. Auch auf der Nierenschnitt- 
fläche fanden sich diese Einlagerungen in grosser Zahl. Hinsichtlich 
ihrer Lage konnte festgestellt werden, dass sie auf die Nierenrinde be¬ 
schränkt blieben. Die von Tumoren freie Rinde war gut gezeichnet, 
wenn auch leicht getrübt. Eine Abweichung von der Norm konnte 
makroskopisoh nicht gefunden werden. 

Die histologische Untersuchung ergab ein verhältnismässig einheit¬ 
liches Bild. Zur Bearbeitung gelangten Knoten verschiedenster Grösse. 
Gröbere Unterschiede waren schon nach dem makroskopisoh gleich» 
massigen Befunde nicht zu erwarten, da die Schnittfläche kleiner wie 
grosser Knoten überall festes Gefüge zeigte, Nekrosen oder dergleichen 
Veränderungen nicht Vorlagen. 

Schon bei schwacher Vergrösserung überraschte die unscharfe Ab¬ 
grenzung der Knoten gegen das benachbarte Nierengewebe, das, abge¬ 
sehen von einer geringen Quellung, Trübung und unscharfen Kontu¬ 
rierung der Epithelien der Harnkanälchen Veränderungen nicht erkennen 
Hess. Das Tumorgewebe bestand, abgesehen von einfachen Fibromen, 
aus einem zellreichen, sich stark durohflechtenden Material. Die spinde- 
ligen Zellen besassen einen stäbchenartigen, dicken, an dem Ende leioht 
abgerundeten Kern und erinnerten an glatte Muskelelemente. Die Länge 
der Fasern wechselte. Zellreicbtum und hierdurch bedingte Unruhe des 
Bildes Hessen maligne Bildung vermuten. Mitosen fanden sioh jedoch 
nicht. Auch Metastasen in anderen Organen fehlten. In den Rand¬ 
partien der Knoten lagen vom übrigen Nierenparenchym durch Tumor- 
gewebe getrennte Harnkanäloben, die teils deutlich als solche zu er¬ 
kennen waren, entsprechendes Epithel und Lumen aufwiesen, zum Teil 
aber auoh, namentlich in mehr zentralen Gesohwulstteilen, nur nooh 
angedeutet waren. Es fanden sich hier kleinere Gruppen sonst isoliert 
Hegender epithelialer Zellinseln, die durch Vergleich als Harnkanäloben- 
teile angesprochen werden konnten. Nekrosen fehlten, ebenso in den 
Randpartien entzündliche Infiltrate. Mitten in dem Tumorgewebe fanden 
sich an manchen Stellen oft einzeln, häufig in Gruppen gelagerte, 
relativ grosse, auffallend dickwandige Gefässe, deren Waod ganz all¬ 
mählich in die erwähnten Züge glatter Muskelfasern überging. Die 
Media war oft eigenartig verändert, indem sie kernreich war, die Kerne 
unbestimmt angeordnet waren und auoh die Muskelfibrillen nioht völlig 
ausgebildet erschienen. Biudegewebszüge in breiteren oder Bohmäleren 
Geflechten durchzogen den Tumor. 

Zell Verfettung fehlte. Dagegen fand sioh da und dort, insbesondere 
in den Randpartien, Fettgewebe. Teils waren es isolierte Fettzellen, 
teils grössere Inseln. Das oben charakterisierte Tumorgewebe durchzog 
die Fettmassen in mehr oder minder breiten Strassen. 

Ausserdem sind Zystenbildungen verschiedener Grösse'zu erwähnen, 
die von einem epithel- bzw. endothelähnlichen Belag ausgekleidet sind 
und homogene Massen enthalten. Kalkablagerungen fanden sich nioht. 

Der Tumor imponiert somit als Fibro-Lipo-Leio-Myom bzw. 
Sarkom. 

1) Stertz, Ziegler'S Beitr., Bd. 37, S. 185. 

|2) Ponfick, Verhandl. der Deutschen P&th. Gesellsch., Bd. 4, S. 226. 


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280 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Dieser Befand reiht sich in die bereits literarisch festgelegten 
ohne weiteres ein. Als Besonderheit wäre vielleicht zu erwähnen 
der histologisch maligne Charakter, auf den in der Regel nicht 
hingewiesen wird. 

Das Vorkommen der Nierengeschwölste bei tuberöser Sklerose 
ist relativ häufig. 

Vogt und Neurath berechnen etwa 40pCt. sämtlicher Fälle, 
während W. Fischer diese Zahl als zu niedrig beseichnet. Er selbst 
konnte bei 8 Beobachtungen 7 mal Nierengesohwülste feststellen. Ihr 
Sitz ist in der Regel doppelseitig; ihre Lage subkapsulär, jedoch häufig 
derart, dass beim Ablösen der Kapsel innige Verbindung mit den Tu¬ 
moren nachweisbar wird, die häufig völlig oder teilweise aus der Niere 
ausgelöst werden. Ihre Grösse wechselt. Fischer konnte hühnerei- 
grosse Tumoren beobachten. Ihre Abgrenzug gegen die Umgebung ist 
scharf, ohne dass etwa eine besondere Bindegewebskapsel besteht. Je 
nach dem Gehalt an Fett, Bindegewebe und Muskulatur wechselt der 
makroskopisch feststellbare Farbton, der hin und wieder an versprengte 
Nebennierenkeime erinnert und auf diese Weise diagnostische Irrtümer 
veranlasst. Zystenbildungen deutet z. B. Bundschuh 1 2 * * ) als Glomerulus- 
zysten. Sitz der Geschwülste ist mit wenigen Ausnahmen die Nieren¬ 
rinde. Stets handelt es sioh um multiple Einlagerungen. Trotzdem ist 
in den meisten Fällen das Organ von normaler Grösse, doch konnten 
z. B. Bielschowsky und Gallus*) selbst dreifache Vergrösserung 
naoh weisen. 

Der histologische Aufbau ist nach den bisherigen Unter¬ 
suchungen ein sehr mannigfacher. 

Wir finden die verschiedenartigsten Kombinationen von Fett, 
Bindegewebe, Muskulatur und Gefässen, so dass wir je nachdem Be¬ 
zeichnungen wie Lipom, Fibrolipom, Leiomyom, Fibrolipomyom, Angio- 
fibrom usw. antreffen, ferner Diagnosen wie Angiosarkom, Liposarkom, 
wobei jedoch mehr dis histologische Verhalten hinsiohtlich Zellreichtum 
und Beziehung zur Umgebung zum Ausdruck kommen soll als eine 
klinische Malignität, die in ausgesprochen destruktivem Wachstum und 
vor allem Metastasenbildung zu erblicken wäre. Es sei bereits hier er¬ 
wähnt, dass trotz der sehr zahlreichen einschlägigen Untersuchungen 
bisher nur ein einziger Fall bekannt geworden ist, der infolge weit¬ 
gehender Metastasierung sioh tatsächlich als maligne erwies. Es handelt 
sioh um eine Mitteilung Kirpicznik’s 8 ), die einen 28jäbr. Patienten 
betraf, der nach operativer Entfernung der rechten, von Tumoren durch¬ 
setzten Niere, nach 8 Tagen infolge völliger Anurie verstarb. Die 
Sektion ergab gleiches Verhalten der linken Niere und dabei ausgedehnte 
Metastasen in Milz, Lymphdrüsen und Lungen. 

Ohne auf die feinere Histologie eingehen zu wollon, sei kurz er¬ 
wähnt, dass Fett, glatte Muskulatur, Bindegewebe, Kapillaren (meist 
arterielle Gefässe) in wechselnder Zusammensetzung den Tumor auf¬ 
bauen. Dazu kommen dann noch, wie auch im eigenen Fall, hin und 
wieder epitheliale Einsprengungen, die entweder ohne weiteres an Tubuli 
oontorti erinnern, oder aber in Form rundlicher Haufen oder kurzer 
Streifen, die von jungem, kornreichem Bindegewebe abgegrenzt werden, 
sioh durch Vergleich- und Uebergangsbilder als Harnkanälchenteile er¬ 
weisen. Dass hier insbesondere an den Randpartien eine sekundäre 
Einbeziehung in den Tumor vorliegen kann, ist selbstredend nicht ab¬ 
zulehnen. Doch gibt es Stellen, wo ein Zusammenhang derartiger 
Kanälchen oder Kanälchenanlagen mit den fertigen Kanälchen des um¬ 
gebenden Nierenparenohyms mehr als unwahrscheinlich gelten muss. 

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang eine Mit¬ 
teilung Bundschuhes 1 ). 

Der Nierenbefund bei dem dreijährigen Kinde war in Kürze der, 
dass bei völlig normalem Bau der Marksubstanz in der Rinde, in der 
Umgebung zahlreicher Glomeruluszysten Herde unregelmässig gelagerter 
Zellen angetroffen wurden, die den Eipthelien der Tubuli contorti völlig 
glichen, jedoch nicht mit Nierenkörperchen in Verbindung standen und 
auch nicht in 'normale Harnkanälchen übergingen. Sohon makroskopisch 
erkennbare, graugelbe Einlagerungen zeigen, die grössten Einlagerungen 
sohon in den Arteriae areiformes, die kleineren erst in den Interlobular¬ 
arterien, eine verdickte Arterienwand, zunächst besonders durch Vermeh¬ 
rung der glatten Muskelfasern in der Media und Verbreiterung der fibrösen 
Adventitia. Aus dem engen, zentralen Lumen dieser Arterien zweigen 
Kapillaren ab, die im Bogen in die eigentliche Media ziehen und hier 
von massig hohen epithelähnlichen Zellen überzogene, knäuelartige Schlingen 
bilden. Diese Bildungen ragen später in ein zellreiches Gewebe hinein, 
dessen Zellen den Epithelien der gewundenen Harnkanälchen ähneln. 
Die Knäuel geben Kapillaren ab, die ihr Blut in abnorm gebaute Venen 
ergiessen. Die Venen bestehen aus Endothel, dem aussen Züge epithel¬ 
ähnlicher Zellen und weiter aussen Fettgewebe anliegen. Beide Schichten 
werden von den veränderten Blutgefässen durchzogen. Dieser Befund 
ist so zu erklären, dass den anormalen Nierenrindenarteiien ent¬ 
sprechende und aus ihnen hervorgehende arterielle Blutgefässe knäuel¬ 
artige Kapillaren abgeben, denen nach dem inneren Blatt der Bo wm an - 


1) Bundschuh, Ziegler’s Beiträge, Bd. 54. 

2) Bielsohowsky und Gallus, Journ. f. Phys. u. Neurol., 1913, 

Bd. 20, 1. Ergänz.-H. 

8) Kirpicznik, Viroh. Arch.,_1910, Bd. 202. 


sehen Kapsel ähnliche Zellen aufliegen, z. T. führen sie auch in Herde 
grösserer epithelähnlicher Zellen. Eine normale Glomerulusbildung kommt 
jedoch nicht zustande. Die Kapillaren ergiessen ihr Blut in entsprechende 
Interlobularvenen. Zwischen diesen Blutgefässen fehlen nun die Tubuli 
contorti. An ihrer Stelle liegen unregelmässige, manchmal in Zügen 
geordnete Massen grosser Zellen, die an die Epithelien der gewundenen 
Kanälchen erinnern, und lipomatöses Gewebe. Es handelt sieh also, 
abgesehen von dem Fettgewebe, um dieselben Elemente wie in der 
normalen Rinde, dooh sind sie in ihrem Aufbau und der gegenseitigen 
Anordnung gestört. 

Um die Genese dieser Entwicklungsstörung zu erklären, greift 
Bundschuh auf die diskontinuierliche Anschauung der Nierenentwicklung 
zurück. Naoh Kupffer kommt es am Ende des Wolf ’sohen Ganges zu 
einer dorsalen Ausstülpung, die Harnleiter und Nierenbecken bildet, 
das seinerseits wieder Sammelröhren und gerade Kanälchen entstehen 
lässt. Bowman’sche Kapseln und Tubuli oontorti entwickeln sioh 
aus einem gesonderten Nierenblastem und treten erst sekundär mit den 
erstgenannten Gebilden in Verbindung. Wenn die Glomeruli schon 
längst gebildet sind, stellen die Tubuli oontorti noch solide Zellstränge 
dar, die allmählich gegen die Tubuli recti fortschreiten und ein Lumen 
bekommen. Das aus intensiv gefärbten, dicht gedrängten Zellen be¬ 
stehende Nierenblastem umgibt den Niererenkanal, der die Sammelröhren 
bildet, etwa in der Mitte bis zur Oberfläohe herauf, während das distale 
Ende nur aus einem einfachen Zylinderepithel besteht. Von der Mitte 
des Kanals ab wird der Bau des Epithels komplizierter (drei bis vier¬ 
fache Lage), die Grenze gegen das Blastem sohwankt. Nach Hamburger 
enden die Ureterzweige (Sammelröhren) der fötalen Niere mit einer 
Erweiterung der sogenannten Ampulle, die von einem Zellmantel über¬ 
kleidet ist. Aus diesem entwickeln sioh die Tubuli oontorti dadurch, 
dass einige Zellen sioh enger aneinander schliessen, dass diese Zell¬ 
gruppen an Grösse zunehmen, sioh radiär anordnen und in der Mitte 
ein Lumen erhalten. An einer Stelle kommt es zur Kompression der 
infolgedessen einsinkenden Wand. Das Lumen wird zu einer halbmond¬ 
förmigen Spalte. In diesen Hohlraum hinein entwickeln sioh dann 
die Glomerulusschlingen. 

Die Ansicht Bundsohuh’s geht nun dahin, dass die naohgewiesenen 
ungeordneten Zellmassen den unvollständig entwickelten Tubuli contorti 
entsprechen, mithin dem Nierenblastem und zwar der Hamburger- 
sehen Zellsohioht. Es handelt sioh iemnaoh um eine unvollständige 
Differenzierung, die ihrerseits einen regelrechten Anschluss an die Tubuli 
reoti verhinderte. Normale Glomeruli konnten nicht entstehen, da ja 
die Kanälchenbildung unvollständig blieb, mithin eine aus äusserem 
und innerem Blatt bestehende Bowman’sohe Kapsel nicht gebildet 
werden konnte. Es blieb infolgedessen seitens der Gefässe bei den beob¬ 
achteten Knäuelbildungen. Die Kapillarschlingen wuchsen ohne weiteres 
in das Nierenblastem hinein. Es handelt sioh also um eine Entwiok- 
lungsanomalie, eine Missbildung, deren teratogenetisoher Termmations¬ 
punkt etwa in den dritten Embryonalmonat zu verlegen ist. 

Auch Fischer versteht sioh zu einer gleichen Deutung der Genese, 
dooh bringt er ausserdem diese Tumorbildungen in Verbindung mit den 
Misohtumoren der kindlichen Niere. 

Konnten somit die epithelialen Beimischungen der Tumoren gene- 
tisoh erklärt werden, so bleibt noch die Frage nach der Herkunft der 
Muskulatur und Fettsellen. Der bindegewebige Anteil kann ohne weiteres 
auf die normal vorhandene Stützsubstans des Organes zurückgeführt 
werden: 

Was Fett und Muskel betrifft, so führte u. a. Fischer beide auf 
Bestandteile der Nierenkapsel zurüok. Wohl gibt Fischer zu, dass 
die glatte Muskulatur von den Gefässen abstammen könne, entsoheidet 
sioh jedooh in Berücksichtigung des gleichzeitig vorhandenen — naoh 
seiner Ansicht, aus der Kapsel stammenden Fettgewebes, — ebenso wie 
u. a. Lubarsch auch hinsichtlich der Muskulatur für diese Genese. 

Demgegenüber kann allerdings nicht geleugnet werden, dass eine 
Ableitung der Muskelzellen von den entsprechenden Zellen der Gefässe 
sehr wohl in Frage kommen kann. Vielfach lassen sich, wie auch in 
unserem Falle, entsprechende Uebergangsbilder feststellen. Will man 
also diese Genese gelten lassen, so wäre es erzwungen, bei dem innigen 
Nebeneinander des Vorkommens von Muskelzellen und Fett für letzteres 
trotzdem eine Abstammung aus dem Kapselfett anzunehmen. Bund¬ 
schuh denkt an metaplastische Vorgänge; das Fettgewebe entsteht 
nach seiner Meinung aus dem in seiner Entwicklung gestörten Blastem- 
gewebe. Gerade das Vorkommen isolierter Fettzellen mitten in den 
epithelähnliohen Zellmassen des Nierenblastems spricht gegen eine 
Einwanderung von anderer Stelle her. Zudem verlangt Bundsohuh 
für verlagerte Zellen Lipombildung. Bundschuh seinerseits macht 
nun wieder den Fischer gegenüber gegenteiligen Rückschluss, dass 
man das Muskelgewebe nicht auf Kapselelemente zurüokzuführen braucht, 
da ja das Fett an Ort und Stelle entstanden sei. Er entsoheidet sioh 
demnaoh auoh hinsichtlich der Muskulatur für eine Entstehung aus den 
Gefasswänden. 

Es handelt sioh hier um theoretische, vorerst unbeweisbare Er¬ 
wägungen. Wie dem auch sei, für uns kommt es darauf an, auoh für 
dieses Symptom der tuberösen Hirnsklerose, ebenso wie bei den be¬ 
reits genannten, die Annahme einer Entwioklungsstörung begründet zu 
haben. 

Es ist verständlich, dass diese Nierentumoren in der Regel klinisoh 
unbemerkt bleiben, ihre Entdeokung mithin dem Obduzenten Vorbe¬ 
halten bleibt. Auf der anderen Seite aber leuohtet ein, dass bei Zu- 


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25. Märs 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


281 


nähme an Zahl und Grösse diese Missbildungen sehliesslioh dooh auf 
die Funktionsfähigkeit der Nieren Einfluss gewinnen müssen. Und so 
kann in seltenen Fällen auoh der Naohveis einer Nierensohädigung in 
entsprechenden Idiotieiällen auf die Diagnose tuberöse Hirnsklerose hin- 
weisen. So erlag z. B. der Patient Kirpiczniks einer völligen Anurie. 
Vogt 1 ) beriohtet über Hydrops in zwei Fällen, Bonfigli (zit. nach 
Bundsohuh) über Urämie. Im allgemeinen kann gesagt werden, dass 
es darauf ankommt, wie weit der Krankheitsprozess in der Niere vor¬ 
geschritten ist. 

Nicht viel anders liegen die Verhältnisse in den ebenfalls 
bei tuberöser Hirnsklerose beobachteten Tumoren des Herzens. 

Diese wurden bisher nur bei Individuen beobaohtet, die sohon in 
den ersten Lebensjahren ad exitum kamen. Der Gedanke liegt nahe, 
dass gerade der Sitz soloher Tumoren im Herzmuskel die Lebensfähig¬ 
keit beeinträchtigt. Nach Vogt tritt allein infolge dieser Tatsache der 
Tod so zeitig ein, dass eine Erkennung des psyohisohen Bildes vorher 
nioht möglich ist. Hierdurch erklärt sich die Tatsache, dass bisher 
seitens der Psyohiater nur sehr wenig Fälle mit Herzturaoren bekannt 
wurden. Auf der anderen Seite dürfte manche Mitteilung derartiger 
primärer Herzgesohwülste im Rahmen unserer Besprechung als ein¬ 
schlägig gelten, wo Gehirn Veränderungen nioht erwähnt wurden. Auch 
bei zufällig gefundenen Herztumoreu muss eben an das Vorliegen einer 
tuberösen Hirnsklerose gedacht werden. 

Im Vergleiche mit den Nierentumoren muss die Zahl der 
beobachteten Herzgeschwülste als selten bezeichnet werden. 

Von historischem Interesse dürfte sein, dass bereits im Jahre 1862 
v. Recklinghausen (zitiert nach Vogt) einen Fall von kongenitalen 
Herztumoren beschrieben hat, der mit zahlreichen Sklerosen des Gehirns 
vergesellschaftet war. Jonas 2 3 ) zählt sieben einschlägige Beobachtungen 
unter 43 Fällen tuberöser Sklerose, während Abricossoff 8 ) unter zehn 
Fällen von Herzrhabdomyomen sechsmal ein Zusammentreffen mit tuberöser 
Hirnsklerose feststellen konnte. Dreimal faudeu sich diese Tumoren bei 
Neugeborenen (Bundschuh). 

In der Regel handelt es sich um multiple Knoten,.die subepi- bzw. 
endokardial liegen und scharf gegen die Umgebung abgegrenzt sind. 
Der Rand kann in seltenen Fällen (Jonas) durch eine Lage faserigen 
Bindegewebes besonders markiert sein. Die Grösse der Knoten schwankt 
zwischen mikroskopisch nachweisbaren und walnussgrossen Gebilden. 
Ihre Farbe ist weiss, weissgelb, blassrot, ihre Form rund bis oval, viel¬ 
fach auch birnenförmig. Hinsichtlich des Sitzes im Herzen schwanken 
die Angaben. Nach Vogt und Neurath 4 5 ) kann eine Bevorzugung der 
rechten Herzhälfte festgestellt werden, nach Bundsohuh werden beide 
Ventrikel befallen, wobei das Septum besonders häufig betroffen wird. 
Das histologische Bild ist in den mitgeteilten Fällen sehr ähnlich und 
durchaus charakteristisch. Im Vordergrund des Bildes steht eine eigen¬ 
artige Maschenstruktur, eine Erscheinung, die früher als Kunstprodukt, 
als Folge der Zellsohrumpfung naoh Fixierung des Materials gedeutet 
wurde. Erst Kolisko 6 ) bracüte das gefundene Bild in Beziehung mit 
der embryonalen Entwicklung des Herzens, konnte er dooh im Herz¬ 
muskel eines vier Monate alten menschlichen Embryos zahlreiche Lumina 
nachweisen, die von plattenförmigen mit Fortsätzen versehenen Muskel¬ 
zellen begrenzt waren. Kolisko brachte nun das Bild des Rhabdomyoms 
mit diesem Befunde embryonalen Herzmuskelgewebes in Zusammenhang 
und deutete infolgedessen die gefundenen Räume als interzelluläre Spalten, 
die von den Muskelzellen und ihren Fortsätzen ausgekleidet werden. 

Diese Höhlen sind teils rund, teils oval, teils spaltförmig ausgezogen. 
In der Mitte oder mehr peripher liegt ein zellenartiges, fein-fibrilläres 
Gebilde von zuweilen körnigem Bau, das nach allen Seiten hin Fortsätze 
aussendet und so dem Ganzen ein spinnenartiges Aussehen verleiht. 
Der Kern dieser Zellen liegt im Zentrum oder an der Peripherie des 
Zellkörpers. Tropfenartige Bildungen in diesen Räumen'ergaben positive 
Giykogenreaktion. Die erwähnten Fibrillen lassen nun in besonders 
dünnen und infolgedessen geeigneten Schnitten deutliche Querstreifung 
erkennen, aber nicht allein diese, sondern auoh die genannten grossen 
Zellen und ihre Fortsätze zeigten Querstreifung, selten in der ganzen 
Zelle, häufig nur auf die Zellperipherie oder gar nur auf die Fortsätze 
beschränkt. Da nun letztere unmittelbar in das eigentliche fibrilläre 
Grundgewebe übergehen, erweisen sich die grossen Zellen, ihre Fortsätze 
und das fibrilläre Grundgewebe als ein untrennbares Ganzes. Ein 
bindegewebiges Stroma ist nirgends zu finden, höchstens in Begleitung 
der Blutgefässe. Nach Abricossoff stellt sich der ganze Knoten dar 
als eine Neubildung, die sioh aus einem Konglomerat grosser Zellen 
zusammensetzt, in deren Protoplasma eine Differenzierung quergestreifter 
Fibrillen stattgefunden hat, die undifferenzierten Teile zerfallen und 
bilden Vakuolen mit Glykogentropfen. Die Testierenden Fibrillen stellen 
das Grundgewebe der Neubildung dar. Nach Seif fort zeigt die embryo¬ 
nale Herzmuskelzelle das Aussehen einer Röhre, die mit Sarkoplasma, 
das einen Kern enthält, gefüllt ist. („Primitivröhren“, Felix, Kölliker.) 
An der Peripherie differenzieren sich die quergestreiften Fibrillen, 
während das den Kern umgebende Sarkoplasma undifferenziert bleibt. 


1) Vogt, Mschr. f. Psych. u. Neurolog., Bd. 24, S. 106. 

2) Jonas, Frankf. Zschr., Bd. 11, S. 105. 

3) Abricossoff, Ziegler’s Beitr., Bd. 14, S. 376. 

4) Vogt u. Neurath, Lubarsch Ostertag, 1908, Bd. 12, S. 732. 

5) Kolisko, zitiert nach Seiffert, Ziegler's Beitr., Bd. 27. 


ln den Rhabdomyomen kommt es nun durch Zerfall des undifferenzierten 
Protoplasmas zu den genannten Höhlenbildungen und eine ins Riesenhafte 
gehende Vergrösserung der Zeilen. Abricossoff kommt daher zu dem 
Schlüsse, dass es sich bei diesen Herzknoten um eine Entwicklungs- 
Störung handelt, die in eine frühe Periode des embryonalen Lebens zu 
verlegen ist, und von der angenommen werden muss, dass eine weitere 
Entwicklung bei der Reife des Organs ausbleibt. Gegen ein späteres 
Wachstum spricht das Fehlen jeglicher Kompression des Herzmuskels 
und jeglicher Reaktion seitens des Herzmuskels. Also auch bei den 
HerzgeschWülsten eine Entwioklungsstörung. Erwähnt sei ferner, dass 
in seltenen Fällen (Bundsohuh) auch im Herzen Lipome gefunden 
werden, deren Entstehung auf das subendokardiale Fettgewebe zurück¬ 
geführt wird. Doch bestehen auch hier andere Meinungen. Naoh 
Ribbert kann auch verlagertes epikardiales Bindegewebe m Fett über¬ 
gehen, während Thorei 1 ) in jenen „kleinen meist nicht begrenzten, 
runden oder ovalen Fettträubchen“, tue er unter dem Endokard des 
rechten Ventrikels oder des Septums, selten des linken Ventrikels nach¬ 
weisen konnte, den Ausgangspunkt erblickt. 

Neben diesen Geschwülsten fiuden sich relativ häufig noch 
Tumoren in den Ventrikeln, die meist breitbasig aufsiizena unter 
gut erhaltenem Ependym in den Seitenhöhlen angetroffen werden. 

In einem Falle Geitlin’s war der vierte Ventrikel am Uebergang 
vom Goll’schen Strang in die Glava Sitz der Prominenz. Ohne auf 
histologische Einzelheiten einzugehen, sei erwähnt, dass auch diese 
Bildungen als „echte abgegrenzte, mit deutlichen Wachstumsersoheinungen 
versehene Tumoren* anzusprechen sind (Vogt). Vogt fasst seinen 
Befund dahin zusammen, dass unter dem normalen oder verdickten 
Ventrikelependym scharf getrennt von der Umgebung und in eine gewisse 
Tiefe des unterliegenden Gehirngewebes hinabreichend, gewebliche 
Elemente gefunden werden, die morphologisch den Gewebseinheiten der 
Rindenknoten anscheinend analog zu setzen sind. Es ist demnach anzu¬ 
nehmen, dass diese Ventrikel tumoren nichts weiter darstellen als eine 
wesensgleiche Teilerscheinung des übrigen Hirnbefundes. Mithin käme 
auoh für die Frage der Genese gleiches in Betracht. 

Auch Nebennierentumoren mit völligem Fehlen des Neben¬ 
nierenmarkes sind beobachtet worden (ßielschowsky u. Gallus). 
Jedoch dürften dieser Befund, ebenso wie kleine Knötchenbildungen 
in der Leber (Fall IV Bielschowsky u. Gallus), Knoten in der 
Duodenalschleimhaut [Sailer 2 )], Duragliome usw. als rein zufällige 
Befunde zu gelten haben. 

Anders liegen die Verhältnisse bei den erstgenannten Haut-, 
Nieren- und Herztumoren. Eine Zusammenstellung Fisch er’s 
ergibt unter 58 Fällen 53 Ventrikeltumoren, 36 Nierengeschwülste, 
22mal Adenoma sebaceum bzw. sonstige Hautveränderungen und 
12mal Rhabdomyome des Herzens. Bielschowsky und Gallus, 
die über 78 einschlägige Fälle berichten, fanden 41 Nierentumoren, 
28 mal Adenoma sebaceum allein, 35mal verbunden mit anderen 
Hauttumoren und 11 mal Herzgeschwülste. Dabei kombinierten 
sich Hirn-, Haut- und Nieren Veränderungen in 25 Fällen, Hirn, 
Haut und Herz in 3, Hirn, Herz und Nieren in 1, und Hirn und 
Herz in 8 Fällen. Hier kann von einem rein zufälligen Zusammen¬ 
treffen nicht mehr die Rede sein. Und diese Zusammengehörigkeit 
dürfte auch bei Erörterung der Genese eine Rolle spielen. 

Bereits bei Besprechung der Einzelbefunde sahen wir, dass 
es sich um kongenitale Bildungen handelte. Abgesehen von den 
genannten Momenten sprechen hierfür u. a. Tatsachen, wie die, 
dass Hartdegen (zitiert nach Vogt) im Jahre 1880 Ventrikel¬ 
tumoren bei einem 2 Tage alten Kinde fand, dass Nieren- und 
Hautgeschwülste in den ersten Lebensjahren angetroffen werden, 
dass Herzgeschwülste auf diese früheste Lebensperiode beschränkt 
bleiben. Nach Yogt war es Pellizzi, der im Jahre 1901 als 
erster den Schwerpunkt der Betrachtungen in die Entwicklungs¬ 
störungen verlegte. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass 
hier eine jener Störungen vorliegt, die das Kapitel von Miss¬ 
bildung und Geschwulst betreffen. Gestatten schon die Einzel¬ 
befunde die Annahme embryonaler Entwicklungsstörungen, so 
darf auch das Gesamtbild des Krankheitsprozesses in diesem Sinne 
genetisch gedeutet werden. Die zahlreichen Fälle, die die früheste 
Jugend betreffen, lassen durch Vergleich diese Annahme auch 
für Fälle zu, bei denen das Alter an sich dagegen sprechen 
könnte. Ausserdem unterstützen diese Auffassung sonstige Zeichen 
der Minderwertigkeit der gesamten Anlage wie Aplasie der Ovarien, 
Infantilismus des Uterus, Atrophie der Testikel, Ausbleiben der 
Pubertätserscheinungen usw. (Bielschowsky). Eine restlose 
Beantwortung dieser Frage ist unmöglich. Die Frage der kausalen 
Genese, nach dem Warum? bleibt unbeantwortet. Aber auch die 
Beantwortung der formalen Genese bereitet grösste Schwierig- 


1) Thorei, Lubarsch Ostertag, 1903, Bd. 9. 

2) Sailer, Journ. of nerv and mental diseases, 25. VI. 1898 
(Neurath). 

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282 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


keiten. Wir haben verschiedentlich gesehen, dass sich hier Ent¬ 
wicklungshemmung und Geschwulstbildung kombinieren, dass 
bald die Hemmung, bald die Tumorbildung in dem einen oder 
anderen Organ in den Vordergrund tritt. Dieses Nebeneinander 
beweist die nahe Verwandtschaft beider Prozesse und bedeutet 
eine Stütze der Cohnheim’schen Theorie, nach der jede Geschwulst 
im Sinne einer atypischen Gewebsneubildung auf embryonaler 
Grundlage zu deuten ist. Es erweist sich die Entwicklungs¬ 
störung in der Hirnrinde als eine Hemmung in der Differenzierung 
der spezifischen Nervenzellen unter gleichartiger abnormer 
Wucherung der falsch differenzierten Zellen, in der Niere besteht 
falsche Differenzierung des spezifischen Nierenblastems, Ventrikel - 
und Herztumoren beruhen auf Wucherung der in ihrer Entwicklung 
gehemmten, ungenügend differenzierten, zum Teil versprengten 
Zellmassen. Wir können mithin sämtliche Prozesse in einem 
einheitlichen Sinne deuten und mithin das Krankheitsbild der 
tuberösen Sklerose auf eine mit Geschwulstbildung verbundene 
Entwicklungshemmung zurückführen. Von verschiedener Seite 
ist darauf hingewiesen worden, dass in Gehirn, Herz und Niere 
gerade die wichtigsten und kompliziertesten Organe von der 
Entwicklungsstörung betroffen seien. 

Schliesslich sei noch darauf hingewiesen, dass ebenso wie 
wir es für die Hautveränderungen betont haben, auch die tuberöse 
Sklerose als solche vererbt werden kann. Wir verdanken H. Berg 1 ) 
eine diesbezügliche interessante Mitteilung. Es handelt sich um 
eine direkte Vererbung durch zwei bzw. drei Generationen. Der 
Grossvater, der ein Alter von 66 Jahren erreichte, geistig stets 
rege war, erkrankte in hohem Alter an einem durch Laparotomie 
erwiesenen, linksseitigen Nierentumor. Der Sohn (von Kirpicznik 
beschriebener Fall) hatte seit seinem 3. bis 4. Lebensjahr einen 
typischen Gesichtsausscblag vom Typus Pringle, litt später an 
epileptischen Anfällen und starb nach Operation eines kindskopf¬ 
grossen, rechtsseitigen Nierentumors im 28. Lebensjahr. Dessen 
Tochter, hochgradig idiotisch und körperlich minderwertig, litt 
seit dem 4. Lebensmonat an Krampfanfällen. Es bestand Naevus 
sebaceus. Tod im Alter von 8 Jahren. Die Sektion ergab eine 
hochgradig entwickelte Form der tuberösen Sklerose, während 
Herz- und Nierentumoren zwar vorhanden waren, aber gegenüber 
dem Hirnbefund zurücktraten. Es ist dies bisher der einzige mit- 
geteilte Fall von Vererbung des hier interessierenden Krankheits¬ 
bildes; immerhin Grund genug, auch dieser Frage fernerhin Be¬ 
achtung zu schenken. Es handelt sich hierbei gewiss um Fragen 
mehr theoretischen Interesses. Da aber meines Erachtens eine 
restlose Beantwortung der Frage der Vererbbarkeit von Miss¬ 
bildungen und Krankheiten in rassenhygienischer Hinsicht der¬ 
einst von Bedeutung werden kann, dürften die hier gemachten 
Ausführungen auch praktisches Interesse beanspruchen. Dürfte 
doch mit Kenntnis der klinischen und pathologisch anatomischen 
Veränderungen vom Arzt und Obduzenten die Diagnose des in 
Frage stehenden Krankheitsbildes in Fällen möglich sein, die 
sich sonst der Feststellung entziehen. Je höher aber der Prozent¬ 
satz richtiger Diagnosen in einschlägigen Fällen ist, desto grösser 
ist die Aussicht, die Frage der Vererbbarkeit zu beantworten. 


Aus einem Feldlazarett. 

Eingeklemmter Zwerchfellbruch nach geheiltem 
Brustbauchschuss. 

Von 

Stabsarzt Dr. Posner und Oberarzt d. Res. Dr. Langer. 

Zwerchfellhernien, die von den anatomisch gegebenen oder 
infolge Missbildung präformierten Spalten in den Brustraum aus¬ 
treten, sind nicht allzu selten. Ueber solche, die sich nach 
Schussverletzungen des Zwerchfells bilden, existieren bisher 
nur wenige Arbeiten. Als Spätfolge von BrustbaucbSchüssen 
werden Diapbragmahernien sicher aber häufiger in Zukunft zur 
Beobachtung gelangen. 

Aus den bisher vorliegenden Veröffentlichungen tritt bereits 
ein enger umschriebenes Krankheitsbild immer mehr zu Tage. 
Zur Klärung diene auch ein von uns kürzlich beobachteter Fall. 

Aus der Vorgeschiohte sei erwähnt: 

21 jähriger Musketier, M., am 20. VIII. 1916 durch „Lungenschuss“ 
verwundet, kurze Zeit in einem Kriegslazarett behandelt und dann in 
ein Vereinslazarett transportiert, wo er bis zum IS. VII. wegen „links- 

1) H. Berg, Zsohr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie, 1918, Bd. 19, S. 528. 


seitigemOberarm-Rüoken(Lumbalgegend)GewehrdurchschusB 
mit Bruch der 6., 7. und 11. Rippe, (hinten) und geringem 
Hamatothorax“ behandelt wurde. Während dieser Zeit — am 5. IX.— 
Blinddarmoperation. Am 18. X. als ztg. g. v. entlassen und seit dem 
22. III. 1917 wieder als k. v. Infanterie im Felde; er hat seinen 
Dienst draussen gut versehen können. 

Jetzige Erkrankung: Am 31. X. 1917 abends mit sehr starken 
Leibsohmerzen besonders links, die in den linken Hoden und das linke 
Sohulterblatt ausstrahlten und anfallsweise aultraten, ölterem Erbrechen 
und Husten erkrankt; Stuhlverhaltung und keine Winde. Am 1. XL 
nachmittags Aufnahme ins Feldlazarett mit der Diagnose des Truppen¬ 
arztes: Perforiertes Darmgeschwür? 

Der hier erhobene Aufnahmebefund ergab als Wesentliches: Kräftiger, 
junger, wohlaussehender Mann mit unruhigem Gesichtsausdruck. Als 
äusseres Zeichen der alten Schussverletzung findet sich eine etwa ein¬ 
pfennigstückgrosse, weisse, verschiebliche Narbe am linken Oberarm, 
zwei Querfioger neben und etwas oberhalb der hinteren Aohselfalte, und 
eine grössere, ebenfalls reizlose Narbe in der linken Lendengegend, halb¬ 
handbreit neben der Mittellinie. Zunge: feucht, etwas belegt. Leib: 
Alte Blinddarmnarbe. Bauch nicht aufgetrieben, eher einge¬ 
zogen, überall weich, in dem linken Mittelbauch &tark druck¬ 
empfindlich, besonders auch bei Betastung vom Rücken her; nirgends 
Dämpfung, keine Resistenz auoh bei bimanueller Untersuchung, keine 
Darmsteifungen, auskultatorisch Darmgeräusche, die keinen metallischen 
Beiklang haben. Leberdämpfung normal, Milz nicht tastbar. Bei After¬ 
untersuchung in der Ampulle Stuhlbröckel. Sonst kein Befund. Lungen: 
Die linke Brusthälfte schleppt bei der Atmung deutlioh nach. Der 
Klopfschall ist links in den unteren Partien gedämpft, darüber 
deutlich tympanitisch. Auskultatorisch abgeschwächtes Bronchial¬ 
atmen, keine Rasselgeräusche. Herz: Nach rechts 1 Querfinger verbreitert 
mit systolischem Geräusch an der Spitze, ln dem hellgelben, klaren 
Urin kein Zucker, kein Eiweiss und kein Indikan. Temperatur 87,5. 
Puls kräftig, gleichmässig, 58. 

Zu einer bestimmten Diagnose gelangten wir nicht. Auszuschliessen 
war von vornherein die Perforation eines Ulcus. Als Wegweiser für die 
Diagnose mussten sowohl die Blinddarmnarbe wie die alte Schussverletzung 
dienen. Es bestanden zweifellos gewisse lleussymptome, jedoch war 
kein Anhalt für kompletten Darmverschluss vorhanden. Die ausge¬ 
sprochene Lokalisation der Schmerzaniälle auf die linke Bauchseite sprach 
gegen Zusammenhang mit der Blinddarmoperation. Mehr Wahrscheinlich¬ 
keit hatte Narbenzug von der alten Schussverletzung her, über deren 
Topographie uns allerdings damals nichts Näheres bekannt war. Oder 
aber handelte es sich um eine akute Erkrankung! Beginnende Pneumonie 
mit den bekannten heftigen Baucherscheinungen? Nephrolithiasis mit 
ihren kolikartigen UDd ausstrahlenden Schmerzen? Jedenfalls lag zu¬ 
nächst für uns kein Grund vor, operativ vorzugehen. Wir beschränkten 
uns auf Versuche, die Darmtätigkeit durch Einläufe wieder in Gang zu 
bringen und auf Narkotica. 

Auch in den näohsten Tagen gewann das Krankbeitsbild nicht an 
Deutlichkeit. Winde und schalkotähnlicher Stuhl erfolgten jedes Mal 
auf Einlauf. Im Vordergrund standen die starken dyspnoischen Be¬ 
schwerden und die anfallsweise auftretenden Leibschmerzen. Der dauernd 
normale Urinbefund schied das Bestehen einer Nephrolithiasis aus. Nur 
spärlicher, schleimiger Auswurf sprach gegen Pneumonie. 

Erst in der Nacht vom 3. zum 4. Krankheitstage schwoll 
der Leib auf, und der Puls ging in die Höhe. Trotz auch jetzt noch 
durch Einläufe erzielter Erleichterungen verfiel Patient nun rapide, und 
es war eine Indicatio vitalis, am näohsten Tage die Laparotomie vorzu¬ 
nehmen, nachdem nun auch Erbrechen (gallig) für kompletten» Darm- 
Verschluss sprach. 

Operationsbefund: Medianschnitt oberhalb des Nabels. Bei 
Eröffnung des Peritoneums quillt sofort stark geblähter, geröteter Dünn¬ 
darm hervor, der keine Spur von Peritonitis aufweist; kein Exsudat. 
Orientierung in der Bauchhöhle zeigt bald, dass ein Hindernis unterhalb 
des Querkolons sitzen muss: sämtliohe aufsteigenden Diok- und Dünn¬ 
darmschlingen sind stark erweitert. In der Blinddarmgegend gefundene 
Verwachsungen können nicht das Hindernis bilden. Ais Ursache des 
Darmversohlusses wird ein kinderarmdicker, gefässreioher 
Strang getastet, der von der Flexura lienalis des Querkolons 
zum Zwerchfell zieht und mit diesem fest verwachsen ist, so 
dass ein Knickungsileus an der Flexur entstanden ist. In der Hoffnung, 
das Hindernis radikal beseitigen zu können, wird dem ersten Sohnitt ein 
zweiter, dazu senkrechter hinzugefügt. Eine stumpfe Ablösung des 
Stranges vom Zwerchfell gelingt nioht. Da der Zustand des Kranken 
sich momentan verschlechtert, wird von weiteren Versuchen der Lösung 
abgesehen, und die Anlegung des Anus praeternaturalis am Querkolon 
beschlossen. Noch vor Beendigung der Operation Exitus. 

Aus dem Obduktionsbefund heben wir hervor: keine Peritonitis; 
in der linken Brusthöhle sehr reichlich blutig-seröse etwas riechende 
Flüssigkeit. Linke Lunge bis auf kleine Stellen völlig atelektatisch und 
karnifiziert, ohne Schussnarben, mit pleuralen bindegewebigen Verdickungen 
und Strängen. Im linken Brustraum eine 15 cm lange geblähte 
Dickdarmschlinge in beginnender Gangrän. 

Der gesamte Inhalt der Brust- und Bauchhöhle einschliesslich 
parietalem Pleurablatt wird in toto herausgenommen. Durch Gallus 
dokumentiert sich als Einschuss eine Narbe im 5. Intercostalraum in 
der hinteren Axillarlinie, als Ausschuss eine gleiche im 11. Interkostal¬ 
raum über der Spitze der 12. Rippe. 


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25. Mär* 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


283 


Es zeigt sich, dass der bei der Operation gefühlte StraDg der zu- 
und abführende Schenkel der Flexura lienalis ist, die in 
einer aas Narbengeirebe bestehenden, zehnpfennigstückgrossen Oeffnung 
des sehnigen Diaphragmaanteils im linken hinteren Quadranten dicht 
neben dem muskulären Teil inkarzeriert ist. Durch Spaltung des 
Bruobringes ist die Inkarzeration der Dickdarmschlinge, die deutliche 
Sohnürfurchen zeigt, zu beseitigen, nicht aber ein gleichzeitig durch¬ 
getretener Netzzipfel, der mit der pleuralen Zwerchfellseite fest ver¬ 
wachsen ist. 

Die Milz ist mit ihrer diaphragmalen Fläche an das Zwerchfell an¬ 
gelötet. Beim Ablösungsversuoh reisst dort die Kapsel in etwa 3 om 
Länge und Vs Breite ein. 

Sonst nichts Erwähnenswertes ausser bindegewebigen Strängen 
am appendektomierten Coecum und erheblicher Dilatation und Hyper¬ 
trophie des rechten Ventrikels. 

Rückschauend stellt sieb der Krankheitsverlauf folgender- 
xnaamen dar: Durchschuss der Brust- und Bauchhöhle mit 
Pneumohämatotborax; Perforation des Zwerchfells im sehnigen Teil; 
Streifschuss der Milz. Ausheilung der Brustverlefz'ing bei völliger 
Atelektase der linken Lunge, Resorption und Organisation des 
Ergusses, Verschluss des Zwerchfellrisses durch Netz, 
Vernarbung der Milzkapselwunde. Nach Monaten durch Aspiration 
vom Brustraum her, unter Leitung des eingewachsenen Netzes, 
langsames Hineinsaugen der Flexura lienalis coli durch 
den Zwerchfellriss mit allmählicher Inkarzeration und Ileus. 
Die während der ersten Ausheilung (1916) aufgetretenen „Blind- 
darm8chmerzen u , die zur Appendektomie führten, sind vielleicht 
schon Ileusattacken gewesen (Netzeinklemmung), obwohl sich nach 
dem uns überlassenen Krankenblatt Oxyuren im Wurmfortsatz 
fanden. Auch damals wurden die Schmerzen zunächst links und 
in der Magengend angegeben. 

Erstaunlich ist, dass bei diesem Befunde der Patient sieben 
Monate Dienst bei der Feldtruppe tun konnte, bis die unerwartete 
Darmiokarzeration die so gut intendierte Heilung seiner schweren 
Verletzung zu Schanden machte. 

Wir müssen uns fragen, ob die Möglichkeit bestand, aus den 
vorhandenen Symptomen frühzeitiger eine exakte Diagnose 
zu stellen. 

Röntgenuntersuchungen, die hier leider nicht vorzu¬ 
nehmen waren, hätten uns wohl- die nötige Klarheit gebracht, 
wie es die Fälle von Freund, Schwaer, Nabe, von Bonin, 
Davidsohn, Damarus und Salomon beweisen. 

Aber auch sonst scheint sich ein pathognomonisches 
Zeichen für Zwerchfellhernien aus allen Veröffentlichungen 
herauszuschälen, nämlich: das gleichzeitige Auftreten von 
Ileuserscheinungen und Dyspnoe (Marke witsch, von 
Bonin, Wieting-Pascha, Davidsohn). Und noch eine dritte 
Beobachtung ist wohl diagnostisch beachtenswert: der im 
Anfangsstadium nicht gespannte, eher weich einge- 
zogene Leib, ein von Wieting-Pascha angegebenes Symptom, 
von Schmidt bestätigt. Trotz allem bleibt die Schwierigkeit 
der Diagnose bestehen, da das Krankheitsbild verwischt ist durch 
die meist schweren Veränderungen der Lunge und des 
Pleuraraumes. 

Der Mechanismus der Einklemmung an der Hand eines 
Netzzipfels als Leitband ist ebenfalls schon vor uns beobachtet 
worden (Wieting-Pascha, Rochs), ein Modus, der ja auch von 
sonstigen Hernien bekannt ist. 

Von Bedeutung erscheint die Grösse des Zwerchfell¬ 
risses (Orth). Gerade die wie im vorliegenden Falle mittel¬ 
grossen Löcher sind die gefährlichsten. Es ist anzunehmen, 
dass zum Ileus nach Schuss Verletzungen diese am häufigsten 
führen werden, da die ganz grossen zu frühzeitigem Prolaps, die 
ganz kleinen zur Spontanheilung neigen. Bei diesen mittelgrossen 
Oeffoungen erfolgt, wie schon Rochs angibt, und wie es von den 
verschiedensten Seiten bestätigt wird, die Einklemmung erst nach 
Monaten. Rochs führt dieses einleuchtend auf den anfangs 
elastischen, später narbig-schrumpfenden Wundrand zurück. 

Es ist ersichtlich, dass Leute nach geheilten Brustbauch- 
schössen, anfangs gar nicht oder nur über geringe und unbestimmte 
Schmerzen zu klagen brauchen. Trotzdem wird man bei der Be¬ 
urteilung dieser Fälle in bezug auf die Dienst- und Arbeitsfähig¬ 
keit vorsichtig sein müssen. 

* 

Literatur. 

1. Orth, Demonstration eines Falles von Hernia diaphragmatica. 
B.kl.W., 1872. — 2. M. S. Marke witsch, Ueber Zwerchfellbrüohe im 
allgemeinen mit Beschreibung eines Falles von chronischem Zwerohfell- 
brach traumatischen Ursprungs. Russki-Wratsch 1913, ref. Zbl. f. Chir., 
1914, Nr. 16. — 3. Wieting, Zur Kasuistik der Zwerchfellhernien. Ein 


Fall von eingeklemmter Zwerfellhernie. D. Zsohr. f. Chir., 1906, Bd. 82. 

— 4. Wieting-Pascha, Ueber Zwerchfellschussverletzungen mit Ileus. 
D. Zschr. f. Chir., 1915, Bd. 134. — 5. Rochs, Zur Kenntnis der 
traumatischen Zwerohfellhernien nach Gewehrechussverletzungen. B.kl.W., 
1917, Nr. 4. — 6. John Olow, Thoraxschuss mit Läsion von Lunge, 
Zwerchfell und Bauohorganen. Nord. med. Arch., 1915, Abt. 1, Bd. 48. 

— 7. Freund u. Schwaer, Zwerchfellhernie und Pyopneumothorax 
nach Lungensohuss. M.m.W., 1916, Nr. 43. — 8. Nabe, Zur Kasuistik 
der Zwerchfellschussverletzungen. D. Zschr. f. Chir., 1916. — 9. v. Bonin, 
Ueber chronische Zwerchfellberoien nach SohuBsverletzungen. Bruns 1 
Beitr. z. kl. Chir., Bd. 103, H. 5. — 10. J. E. Sohmidt, Ueber einige 
Zwerohfellsohussverletzungen. Feldärztl. Beil. z. M.m.W., 1917, Nr. 2. — 
11. H. Davidsohn, Hernia diaphragmatica vera. B.kl.W., 1917,Nr.41. 

— 12. Damarus u. Salomon, Beitrag zur Kenntnis der Zwerohfellhernie 
nach Schassverletzung. Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 33. 


BQcherbesprechungen. 

Paul Georg Schäfer, Seminaroberlehrer am Kgl. Lehrer-Seminar Rooh- 
litz in Sachsen. Geländespiele, den Söhnen unseres Vaterlandes 
zogedaeht. Kleioe Schriften des Zentralaussohusses zur Förderung 
der Volks- und Jugendspiele Deutschlands, Band 8, 4. Auflage, mit 
23 Abbildungen im Text. Leipzig-Berlin 1916. Druck und Verlag 
von B. G. Teubner, Preis M. 0,80. 

Io dem kleinen Büchlein finden die Geländespiele, die einen wich¬ 
tigen Teil unserer Leibesübungen seit langem bilden, eine eingehende, 
liebevolle, fachmännische Darstellung. Mit Reoht betont Verfasser die 
Bedeutung der Geländespiele für die harmonische Ausbildung der Jugend¬ 
lichen, für die die Spiele niemals zu einer Spielerei werden dürfen. 
Scharfes Gesicht, bewusstes Sehen im Gelände, Augengewöhnung, feines 
Gehör besonders für die Nacht, Ortssinn, Ortskunde, Geländekenntnis 
und -Verständnis, dazu die besonderen körperlichen Fertigkeiten, wie 
Laufen, Kriechen, Springen, Werfen, Klimmen, Steigen, Schwimmen usw. 
bilden die Erziehungsbahn, auf der Geist und Körper und auch das 
Gemütsleben der Jugendlichen in gleicher Weise zu den hohen vater¬ 
ländischen Aufgaben geführt werden sollen. 27 Geländespiele werden 
anschaulich beschrieben, so dass jeder Führer und Leiter von Jugend¬ 
abteilungen danach für seine besonderen Zwecke Stoff und Anweisung 
findet. Das herzhaft und klar geschriebene Büchlein sei alten Inter- 
esssenten warm empfohlen. _ 

II. Kriegsjahrbuch für Volks- nid Jagendspiele. In Gemeinschaft mit 
dem Vorsitzenden des Zentralausschusses für Volks- und Jugendspiele 
in Deutschland. A. Domlniens, Oberbürgermeister in Schöneberg und 
Prof. Dr. med. F. A. Schmidt, Sanitätsrat in Bonn a. Rh. heraus¬ 
gegeben von Prof. Dr. E. Kohlransch, Gymnasialoberlehrer in Hannover. 
Fünfundzwanzigster Jahrgang 19J 6. Mit 2 Bidnissen und 23 Ab¬ 
bildungen. Leipzig-Berlin 1916. Druck und Verlag von B. G. Teubner. 

Der Zentralausschuss arbeitet bekanntlich mit und neben der 
Deutschen Turnerschaft und dem Sport unermüdlich und erfolgreich an 
der Erstarkung der Deutschen Jugend. Das Jahrbuch bietet eine Fülle 
von Anregungen aus den umfangreichen Gebieten der Jugendbewegung 
in Form von Rückblicken, Schilderungen und Ausblicken in die Zukunft 
der Jugend. Jugend und Wehrkraft, Sport und Krieg, Krieg und Heimat 
werden in gleicher Weise behandelt. Dabei findet das schwerwiegende 
und drängende Problem der militärischen Vorbereitung der Jugend in 
erster Reihe Berücksichtigung von berufener Seite durch den Direktor 
der Grossherzoglichen Badischen Turnlebrer-Bildungsanstalt in Karlsruhe 
Eiohler, der die Bewegung rückschauend betrachtet und durch den 
Stadtschulrat in Mannheim, Sickinger, der Ausblicke in die Zukunft 
eröffnet. Der Belehrungskursus des Kriegsministeriums über militärische 
Jugendvorbereitung, in dem Referent die Darstellung der ärztlichen 
Fragen übertragen war, hat in Kohlrausch-Hannover einen besonders 
sachverständigen und urteilsfähigen Berichterstatter gefunden. Die 
schweren persönlichen Verluste an führenden Männern der Jugend¬ 
bewegung durch den Tod vom Generalfeldmarsohall von der Goltz 
und dem Vorsitzenden der Deutschen Turnerschaft, Ferdinand Götz, 
werden in warmherzigen Nachrufen von Dominicas-Schöneberg und 
Kohlrausch-Hannover beklagt und gewürdigt. So bietet das 2. Kriegs¬ 
jahrbuch für jeden, dem das Wohl der Jugend und damit die Zukunft 
des Vaterlandes am Herzen liegt, — und wer möchte wohl jetzt noch 
abseits stehen wollen? — Belehrung und Förderung. Den Heraus¬ 
gebern und Mitarbeitern sei ein herzlicher Dank gesagt. 

Alfred Lewandowski-Berlin. 


Heinz Schrotten back: Studien über den Hirnprolaps. Mit besonderer 
Berücksichtigung der lokalen posttraumatisohen Hirnschwellung nach 
Schädelverletzungen. (Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neu¬ 
rologie und Psychiatrie, herausgegeben von M. Lewandowsky und 
K. Willmans, Heft 14.) Berlin 1917, Jul. Springer. 80 S. Preis M. 7,60. 

Das überaus reiohe Material von'Sohädelschüssen, bedingt duroh die 
moderne Kampf weise und die Eigenart der Kampfmittel, hat Verf. in 
den Stand gesetzt, durch sehr exakte histologische Untersuchung ein¬ 
wandsfrei festzustellen, dass die Pathogenese des sekundären Hirnprolapses 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


von derjenigen des primären grundverschieden ist. Der primäre, sofort 
oder bald nach Eröffnung der Schädeldurakapsel entstehende Hirn¬ 
prolaps verdankt seine Entstehung der lokalen Druckdifferenz am Orte 
der Eröffnung. Der Vorg&Dg würde ebenso ablaufen, wenn lebloses 
Gewebe unter dieselben physikalischen Bedingungen gestellt würde. 
Im Gegensatz hierzu sind beim sekundären, immer allmählich und oft 
erst lange Zeit nach dem Trauma auftretenden Hirnprolaps nicht 
physikalische, sondern vitale Vorgänge tätig, welche die zum 
Auftreten nötige Volnmsvermehrung des Schädelinbaltes erst schaffen. 
Ausnahmslos konnte Verf. in diesen sekundären Hirnprolapsen lokalisierte 
enzephalitisohe Prozesse, bedingt durch septische oder aseptische Ent¬ 
zündung feststellen. Hier handelt es sich also nicht um eine intra¬ 
kranielle Druoksteigerung, sondern um eine lokale entzündliche Hirn¬ 
schwellung. _ 

H. Krnkenherg: Ueber plastische Umwertung vom Armamputationg- 
stünpfen. Mit 44 Abbildungen nach Originalzeichnungen und Auf¬ 
nahmen des Verfassers. Stuttgart 1917, Ferd. Enke. 56 S. Preis M. 2,00. 

Verf. bemängelt an der Sauerbruoh’schen willkürlich bewegbaren 
künstlichen Hand das Fehlen von Tastgefühl, Lagefühl und Muskelsinn; 
die erzielten Bewegnngsmöglichkeiten seien verhältnismässig sehr gering, 
die Bewegungen der Kunsthand infolgedessen ziemlich primitiv. Bei 
mangelnder Gelegenheit, die Stümpfe zu üben, müsse eine Schrump¬ 
fung der Kraftwülste eintreten. Infolge dieser vermeintlichen Mängel 
hat Verf. versucht, auf einem gänzlich neuen Wege einen willkürlich 
bewegbaren Ersatz der Hand zu schaffen, indem er durch eine 
plastische Operation den Vorderarm zu einem beweglichen Greiforgan 
umgestaltet, so dass eine Prothese garnicht mehr nötig ist. Er er¬ 
reicht dies durch eine sehr sinnreiche Ausnützung aller in dem Vorder¬ 
armstumpfe noch schlummernden physiologischen Bewegungsmöglich¬ 
keiten. Trennt man Radius und Ulna durch-Spaltung des Ligamentum 
interosseum des Radie-Ulnargelenks, sowie der zusammengehörigen 
Muskel gruppen, so entsteht nach Ueberdeckung der nun vorhandenen 
zwei beweglichen Stümpfe eine lebendige Zange, ein wirklioh brauch¬ 
bares Greiforgan. 

Obwohl nun die Einwände des Verf.’s gegen die Sauerbruohhai^d 
in ihrer gegenwärtigen vollendeten Form sicher nicht zutreffen, so ist 
es doch höchst erfreulich zu sehen, wie es Verf. auf einem durchaus 
orginiellen Wege gelungen ist, aus dem Stumpfe auf plastischem Wege 
ein sehr leistungsfähiges, lebendiges Greiforgan zu schaffen, welches — 
wie die beigegebenen Illustrationen zeigen — die vielseitigste Ver¬ 
wendung gestattet und den Träger von den Tücken der Prothese und 
damit auch vom Bandagisten unabhängig macht. 

Adler- Berlin - Pankow. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

L. Berozeller und E. Szegö: Die Antooxydation der Zuckerarten. 
(Biocbem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 1—2) Die vorliegenden Unter¬ 
suchungen haben zum vornehmsten Ziel die Klarstellung der Analogien 
der Oxydation der Zuckerarten in vitro und in vivo, somit also die 
Aehnlichkeiten biologischer Vorgänge mit anorganischen Katalysen dar¬ 
zulegen. Verff. teilen zunächst die gefundenen Analogien in chemische 
und physikalische. Dazwischen gibt es zahlreiche UebergäDge der kata¬ 
lytischen Beeinflussungen. Lävulose wird viel schneller oxydiert als 
Dextrose. Rohrzucker und Stärke werden unmittelbar im Tierkörper 
nicht oxydiert, nur nach vorangegangener Hydrolyse. Bei der Oxydation 
in vitro werden sie nur ganz minimal oxydiert. Die Autooxydation der 
Zuckerarten gelingt nur in alkalischen Medien. Die hemmende Wirkung 
des CN besteht bei der Autooxydation wie bei den Oxydationsvorgängen 
im Organismus. Verff. konnten nachweisen, dass bei den verschiedensten 
Mechanismen der Oxydationsbeschleunigungen die gleiche Hemmung 
stattfindet. Bezüglich der physikalischen Analogien stellten Verff. die 
wichtige Rolle fest, die die Vergrösserung der Oberfläche spielen kann. 
Die Glykolyse schwindet bei eintretender Hämolyse, ist also an die 
Oberfläche der unverletzten Blutkörperchen gebunden. So kann auch 
die Oxydation der Zuckerarten im alkalischen Medium durch Kohleober¬ 
flächen beschleunigt werden. Auch die Wirkung der Alkaloide erklärt 
sich durch Oberflächenadsorption. 

L. Berozeller: Ueber die' Reversion der diastatischei Wirkung. 
(Biochpra. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 1—2, S. 87.) Verf. erklärt auf Grund 
seiner Versuche die Bildung des Niederschlages bei der Hydrolyse durch 
Dialyse durch rein kolloidchemische Ursachen. Es handelt sich bei der 
diastatischen Wirkung nicht um eine reversible Reaktion. Die soge¬ 
nannte Reversion der diastatischen Wirkung kommt lediglich durch Aus¬ 
fällung der zuvor gelösten Stärke zustande. 

L. Berozeller und E. Fodor: Ueber die Wirkung von oxydieren¬ 
den nnd reduzierenden 8nhstanzen anf die Diastasen. (Biochem. 
Zschr.. 1917, Bd. 84. H. 1—2. S. 42.) Untersucht wurde die Wirkung 
von KMn0 2 , Jod, H 2 0 2 und Na 2 S,0 8 auf Diastase. Es wird bewiesen, 
dass mit der oxydierenden Wirkung der hier untersuchten Substanzen 
ihre hemmende Wirkung auf die Diastase zusammenhängt. 

L. Berozeller: Ueber die Oberflächenspannung von Ferment- 
Iflgnngen. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 1—8, S. 50.) Mit den 


vorliegenden Untersuchungen beweist Verf., dass die Veränderung der 
Oberflächenspannungserniedrigung von Fermentlösungen, die man beim 
Inaktivieren derselben beobachtet, auf Veränderungen znrückzuführeo 
ist, welche die darin vorhandenen Eiweisskörper beim Inaktivieren er¬ 
fahren. Es entstehen nämlich hierbei hochmolekulare Eiweissabbau¬ 
produkte, deren OberflächenspannuDgserniedrigung sich zu der Ober- 
flächenspannungserniedrigung addiert, die durch das reine Ferment erzeugt 
wird. Bei Trypsin und Papayotin lässt sich ein sehr schnelles Wachsen 
der Oberflächenspannung beobachten, bei Pepsin und einer Diastase war 
die Vergrösserung etwas kleiner. 

L. Berozeller: Ueber die Ausscheidung vo« körperfremdes Sub¬ 
stanzen im Harn. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 1—2, S. 75.) 
Die im tierischen Organismus vorkommenden Paarungen mit Schwefel¬ 
säure, Glykuronsäure und Glykokoll wurden vom Verf. unter dem Ge¬ 
sichtspunkt der Oberflächenspannung betrachtet. Die Messung der Ober¬ 
flächenspannung gestattet Dach Verf. ein Urteil darüber, wie sich diese 
Substanzen in den dünnen Lösuogen, in denen sie im Organismus Vor¬ 
kommen, verhalten. Es wurde die Oberflächenspannung solcher körper¬ 
fremden Substanzen mit derjenigen ihrer gepaarten Verbindungen ver¬ 
glichen, in welchen sie aus dpm Organismus ausgeschieden werden. 
Benzoesäure erniedrigt die Oberflächenspannung des Wassers bedeutend, 
desgleichen die Salze der Benzoesäure. Hippursäure beeinflusst die 
Oberflächenspannung des Wassers nicht, Glykokoll kaum. Menthol setzt 
die Oberflächenspannung des Wassers stark herab. Durch Paarung mit 
Glykuronsäure wird diese Wirkung sehr erheblich vermindert. Auch die 
Paarung mit Sohwefelsäure übt eine Wirkung auf die Oberflächen¬ 
spannungserniedrigung aus. Die Veränderung der Oberflächenspannung 
spielt demnach eine wichtige Rolle beim Zustandekommen der Paarungen. 
Untersucht wurde ferner das Verhalten des Phenol-Pyrocatechin-Hydro¬ 
chinon. Phenol wird ja teilweise im Organismus in Pyrocatechin und 
Hydrochinon übergeführt. Die Veränderung der Oberflächenspannung 
der Lösung liegt auch hier in derselben Richtung. Zwischen der Ent¬ 
giftung im Organismus und dem Verschwinden der oberflächenspannuDgs- 
erniedrigenden Wirkung findet nun Verf. folgenden Zusammenhang. Der 
tierische Organismus hat in seinen Zellen und Strukturen eine ausser¬ 
ordentlich grosse Oberfläche. Wenn eine Substanz die Oberflächen¬ 
spannung erniedrigt, so wird sie in diesen Oberfläohen angehäuft. Wenn 
sie diese Wirkung verliert, so wird sie in geringerer Konzentration jvor- 
kommen, sie hören dann auf, Gifte zu sein. Auch auf den Mechanismus 
der Ausscheidung körperfremder Substanzen werfen diese Untersuchungen 
ein Licht. Wenn wir eine grosse Oberfläche, etwa Kohlepulver, mit 
einer Lösung versetzen, die gut absorbierbare Substanzen enthält, dann 
können wir die Substanz entweder duroh viel Wasser auswaschen. Dies 
entspricht im Organismus der Diärese. Oder wir verändern die adsor¬ 
bierbare Substanz derartig, dass sie möglichst wenig adsorbiert wird. 
Dies geschieht im Organismus duroh Herabsetzung der oberfläohen- 
spannungserniedrigenden Wirkung der Substanz. Indem diese Sub¬ 
stanzen von ihrer Oberflächenaktivität verlieren, werden sie weniger 
adsorbierbar. Die Oberflächenaktivität ist demnach eine wesentliche 
Eigenschaft differenter Substanzen, weil diese duroh solche Eigenschaft 
erst im Organismus wirken können. 

L. Berozeller: Untersuchungen über Adserptionsverbindungen 
und Adsorption. 1. Mitteilung: Ueber Jodstärke. (Biochem. Zschr., 
1917, Bd. 84. H. 1—2, S. 106.) Das Verhalten der Stärke als feines 
Pulver gegenüber adsorbierbaren Substanzen wurde mit dem Verhalten 
ähnlicher feiner Pulver (Kohle. Quarz, Kuolin) verglichen. Auch mit 
dem Verhalten von Dextrin, Zellulose und Glykogen wurden Vergleiche 
angestellt. Vom kolloidchemischen Standpunkte wurde das Verhalten 
der pulverförmigen Stärke mit dem der gequollenen und gelösten ver¬ 
glichen. Bei Stärke und bei Kohle verläuft die Adsorption qualitativ 
und quantitativ parallel, es handelt sich also wohl um den identischen 
Adsorptionsvorgang. 

L. Berozeller und St. Hetönyi: Untersuchungen über Adserp- 
tionsverbindungeu nnd Adsorption. 2. Mitteilung: Ueber die Ver¬ 
drängung aus der Oberfläche. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 1—2, 
S. 118.) Eine Reihe von Alkoholen in isokapillaren Lösungen wurde 
daraufhin untersucht, wieweit sie die Oberflächenspannung verschiedener 
Substanzen beeinflussen. Von solchen Substanzen wurden untersucht 
Azeton. PheDol, Valeriansäure, Natriumglykocbolat, Thymol, Kampfer 
und Chinin. Die verdrängende Wirkung der Alkohole wird Dicht allein 
durch ihre Oberflächenspannung bestimmt. Die Veränderung in der 
Konzentration verschiedener Stoffe in der Oberfläche durch Alkohole 
bängt von der Konzentration der Alkohollösungen ab. Durch verdünnte 
Alkohollösungen werden Kolloide viel mehr aus der Oberfläche verdrängt 
als die Kristalloide. Diese Erscheinung bängt mit der Diffusion in die 
Oberfläche zusammen. Die verdrängende Wirkung von verdünnter äqui¬ 
molekularen Alkohollösungen ist proportional der Oberfläohenspannungs- 
erniedrigung der Alkohollösungen. 

'J. Goldberger: Ueber die Aenderung der Wasscrstofnouenkonzen- 
tration des Muskels während der Arbeit. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, 
H. 8—4, S. 201.) Die elektrometrisch bestimmte Reaktion der Muskel¬ 
substanz ist schwach sauer. Der WassertsoffioneDgehalt nimmt bei der 
Muskelarbeit zu. Die titrierte Azidität des Muskels ist in allen Fällen 
7—10 tausendmal höher als die elektrometrisch gemessene. Die Zunahme 
des Wasserstoffionengehaltes bei der Muskelarbeit wird zum grossen Teil 
bedingt durch Produktion flüchtiger Säuren, hauptsächlich durch Kohlen¬ 
säure. 


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UNIVERSUM OF IOWA 



26. Mär* 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


286 


J. Fei gl: üeber das Vorkommen von Phosphaten in menschlichen 
Blatserum. IV. Ortbophosphat und Restphosphor bei Morbns Brigbtii. 
Zusammenfassung bisheriger Ergebnisse. (Biochem. Zsohr., 1917, Bd. 84, 
H. 8—4, S. 281.) Nach der früher besprochenen Methodik bat Verf. 
den säurelöslichen Phosphor, Orthophosphat und Restphosphor des Blut¬ 
serums bei Morbus Brighthii untersucht. Bei typischen akuten Glome¬ 
rulonephritiden bleibt die Fraktion des Restphosphors annähernd normal. 
In Prozenten des säurelöslichen Phosphors ausgedrückt, erhält sich der 
Restphosphor im Durchschnitt auf einem Drittel der Norm. Anders ver¬ 
hält es sich bei der chronischen Glomerulonephritis, vo der Restphosphor 
absolut und relativ die Mittel- und Grenzwerte der Norm überschreitet. 
Dieses Verhalten bietet günstige Aussichten für eine etwaige differential' 
diagnostische Verwertung. Nach dem gegensätzlichen Verhalten der 
zwei Formen von Nierenstörungen muss der Restphosphor im zweiten 
Falle als Destruktionsprodukt bzw. als Ausdruck gestörter Abbauverhält¬ 
nisse angesehen werden. R. Lewin. 


Therapie. 

Schellenberg-Frankfurt a. M.: Nirvanol, ein neues Sohlafmittel. 
(D.m.W., 1918, Nr. 4.) Soh. sieht in dem Nirvanol ein unschädliches 
Sohlafmittel, das von guter Wirkung ist. 

Pfeiffer-Frankfurt a. M.: Ortizon-Kieselsänrepräparate bei Hals-, 
Nasen- und Ohrenleiden. (D.m.W., 1918, Nr. 2.) Die Kieselsäure „K“ 
und das Salusil „C“ der Elektro-Osmose A.-G. erhält, in einer Menge von 
lOpCt. dem gepulvertem Ortizon zugesetzt, das Präparat in lockerem 
Zustande, ohne es erheblioh zu zersetzen. Das Anwendungsgebiet der 
Salusil-Ortozonmisohung betrifft alle Krankheitsprozesse in den oberen 
Luftwegen, bei denen eine schonende mechanische Reinigung und eine 
wirksame Desinfektion erwünscht ist. Verf. hat noch vergleichende 
Untersuchungen mit anderen Wasserstoffbyperoxydpräparaten gemaoht, 
über die er beriohtet. 

Grünebaum: Zur Behandlung torpider Geschwüre. (D.m.W., 
1918, Nr. 2.) Nach Reinigung des Geschwürs infiltriert man mit einer 
verdünnten Lösung (8—5 Tropfen auf 10 com) 2—4 ccm entsprechend 
der Grösse der Geschwulstfläohe. Durch die verdünnte Jodtinktur¬ 
infiltration erfährt das vorher regenerationsunfäbige Gewebe anscheinend 
eine völlige Aenderung seiner Lebensbedingungen und einen starken 
Anreiz. Dünner. 

Klingmüller-Kiel: Saure Bäder. (Derm. Zsohr., Jan. 1918.) 
Bäder mit Essigsäurezusatz beginnend mit 1 : 6000 und steigend bis 
1: 2000 empfiehlt K. gegen Entzündungen und ekzematöse Erkrankungen 
der Haut. Um Teerbädern diesen Vorzug zu ermöglichen, bat er von 
der chemisohen Fabrik Flössheim ein „Balnacid für saure Teerbäder* 
genanntes Präparat herstellen lassen, mit welchem er in geeigneten 
Fällen sehr gute Resultate erzielt hat. 

Richter: Kalihypermanganbehandlung der Bartflechte. (Derm. 
Wschr.;' 1918, Bd. 66, Nr. 7.) R. empfiehlt Pinselungen mit Kalium 
hyp. 5.0, Acid. boric. 8,0, Aq. dest. 100,0, ferner Anstrich mit Kalium 
hyp. 1,0, Acid. boric. 1,0, Natr. bioarb. 1,0, Natr. ohlorai 0.2, Aq. dest. 
100.0, bei ekzematösen Formen nachfolgender feuchter Umschlag mit 
Kalium hyp. 1,0, Acid. borio. 2,5, Natr. bicarb. 5,0, Natr. chlorat. 0,2, 
Aq. dest. 500,0. Immer wahr. 

Kruse-Leipzig: Die Friedmanu’sche Heil- und Schutzimpfung 
gegen Tuberkulose. (D.m.W., 1918, Nr. 6.) Die seinerzeit von Fried - 
mann zur Behandlung der Tuberkulose benutzte Soffildkrötenkultur 
unterscheidet sich durch ihre Wachstumsweise von den für Säugetiere 
und Menschen gefährlichen Tuberkelbacillen. Sie ist nicht imstande, 
Tuberkulose bei Meerschweinchen zu erzeugen oder diese etwa durch 
Vergiftung zu töten. 

Goepel -Leipzig: Vierjährige Erfahrungen mit'dem Friedmann- 
sehen Tnberkniosemittel. (D.m.W., 1918, Nr. 6.) G. bat in zahlreichen 
Fällen von chirurgischer und auoh Lungentuberkulose mit dem Friedmann- 
schen Mittel therapeutische Versuche gemacht, die nach seinem Bericht 
günstig ausgefallen sind. 

Mühl mann-Stettin: Die Behandlung'der Lymphdrüsentuberkulose 
Erwachsener. (D.m.W., 1918, Nr. 2.) Die entzündliche byperplastische 
Drüse spricht auf die Röntgenbestrahlung am besten an. Langsamer 
reagieren verkäste Drüsen. Vereiterte Drüsen verhalten sich verschieden. 
Bestehen schwappende Drüsenabszesse, so kommt es unter der Bestrahlung 
zum schnelleren Einschmelzen. Breite Inzisionen müssen hier vermieden 
werden. Es genügen Stiobinzisionen. Bezüglich der Technik hält M. 
härteste Strahlung für notwendig, erzeugt durch Filtrierung durch 
wenigstens 8 mm Aluminium und 10—12 Wehnelt-Röbren. Hiervon 
werden soviel auf, die Drüsentumoren appliziert, * als die'Haut vertragen 
kann. 

Lennö-Neuenahr: Zur Fermentbehandlang 9 de8’Diabete8 T mellitü8, 
speziell des Kriegsdiabetes. (D.m.W., 1918, Nr. 2.) Verf. kann nicht 
die guten Erfahrungen, die andere Autoren mit Diabetylintabletten zur 
Bekämpfung von Diabetes gemaoht haben, bestätigen. Dünner. 

M. Laoombe: Behandlung der ‘männlichen**blennorrbagisehen 
Urethritis mit Schwefel anbydrid (S0 2 ). (La presse m6d., 1918, Nr. 1.) 
Die schlechten therapeutischen Ergebnisse bei Behandlung des männlichen 
Trippers beruhen auf der Schwierigkeit, diese in der Tiefe abzutöten. 
Dies versuchte L. durch Verwendung eines bakteriziden Gases in statu 


nascendi zu erreichen. Er verwandte hierzu S0 2 , das er durch Mischung 
von Pikrinsäure mit Natriumbyposulfit nach der Formel 

C«K 2 (ArO*) 8 OK-fSjOgNaj = C 0 Na a (Ar0 2 )* 0H+S0 2 (+S+H 2 0) 
darstellte, wobei er folgendermaassen verfährt: 4 ccm einer 0,6proz. 
Pikrinsäure und 1 ccm 1,7 pCt. Natriumhyposulfits werden zusammen 
injiziert, wobei einige ccm S0 2 entstehen und zwar — wenigstens im 
Reagenzglas bei 87° — einige Minuten lang. Derartige Gemische, die 
völlig reizlos sind, werden dreimal täglich — bei g. post, oder chronic. 
4,8 oom Pikrinsäure -f- 6,2 ccm Na^Og; bei g. anter. entspr. 4 und 
1 oem injiziert. Ausserdem Ruhe, Suspensorium nach Jan et. Bei 
180 so behandelten Fällen fällt die Schnelligkeit der Heilung tind das 
Ausbleiben von Rüokfällen auf. Genauere Angaben über diese Fälle 
fehlen. Krakauer-Brealau. 

A. Heymann-Düsseldorf: Das Bettnässen. (M.m.W., 1918, Nr. 2.) 
Referat über Aetiologie und Therapie mit besonderer Berücksichtigung 
der epiduralen Injektionen, mit denen Verf. 80pCt. Heilungen erzielt 
hat. In den Sakralkanal werden 30 oom folgender Lösung injiziert: 
NaCl 0,2, Cocain, mur.^0,01, Aq. dest. ad 100,0. Dreimalige Wieder¬ 
holung mit einem Tage" Zwischenraum. Geppert. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

Bi er-Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim Menschen. 
X. Abhandlung. Schluss des allgemeinen Teiles. Einige allgemeine 
Folgerungen aus den bisherigen Abhandlungen. (D.m.W., 1918, Nr. 6.) 

Ha eck er-Halle: Eine medizinische Formulierung der entwicklungs¬ 
geschichtlichen Vererbungsregel. (D.m.W., 1918, 9 Nr. 5.) Zu kurzem 
Referat nicht geeignet. Dünner. 


Parasitenkunde und "Serologie. 

J. Sch uh mach er -Berlin: Ueber den Nachweis, des Bakterienkerns. 
(Derm. Wsohr., 1918, Bd. 66, Nr. 2 u. 3.) Verf. hat in einem grossen 
Coocus durch verschiedene histochemisohe Methoden bis jetzt mit Sicher¬ 
heit drei chemische Körper naobgewiesen: 1. das allen ohemisohen 
Reagentien widerstehende, wasserunlösliche, mit allen basischen Farb¬ 
stoffen darstellbare Protoplasma; 2. die wasserunlöslichen, alkalilöslichen, 
durch Kochen mit verdünnter Salpetersäure chemisch in Nukleinsäure 
und Eiweiss spaltbaren Nukleoproteide, die mit der Albargin-, Pyrogallol- 
und Salvarsan-Albarginmethode darstellbar sind, und 3. eine wasserlös¬ 
liche Kernsubstanz, die durch kombinierte Gentianaviolett-Phosphinfarbung 
darstellbar ist. Immerwahr. 

Arneth: Zur Auffassung der*Typhusimmuuität. rr (D.m.W., 1918, 
<Nr. 5.) A. knüpft an die Arbeit von v. Liebermann und Aoöl an, 
die glauben, dass der Immunitätsvorgang bei Typbus sich nicht im Blute 
abspielt. Verf. weist darauf hin, dass an den Zellmassen des Blutes 
sich bei der natürlichen und künstlichen Infektion und Intoxikation 
objektive Veränderungen, insbesondere nach der qualitativen Seite hin, 
abspielen, die seiner Meinung'naoh gegen die Ansichten von v.* Lieb er¬ 
mann und Aoöl sprechen. 

Herzfeld und Klinger-Zürich: Serologische' 1 Untersuchungen 
zur Frage der Krebsdisposition.* 1 (D.m.W., 1918, Nr. 5.) Es zeigt sich, 
dass bei Krebskranken ein deutlich herabgesetztes Abbauvermögen be¬ 
steht, ferner bei Wöchnerinnen unmittelbar nach der Geburt. Die Verf. 
lehnen die Beteiligung spezifischer, d. h. in erster Linie gegen Krebs¬ 
zellen geriohtete Stoffe, ab. Das von ihnen bestimmte Abbauvermögen 
ist nicht gegen „Krebseiweiss“ besonders, sondern gegen Eiweiss über¬ 
haupt gerichtet. 

de Haan-Groningen (Holland): Ueber die Phagozytose befördernde 
bzw. vermindernde Wirknag von Snbstanzen. Kritisch-experimentelle 
Bemerkungen. (D.m.W., 1918, Nr. 5.) Verf. meint, dass das Hamburger¬ 
sohe Verfahren für biologische Phagozytoseuntersuchungen vollkommen zu¬ 
verlässig ist und genaue Resultate liefert, welohe durch die gewählte 
Zählmethode in keinerlei Weise ungünstig beeinflusst werden. Uebrigens 
ist die Methode der Zählung nur ein Unterteil des Verfahrens im ganzen, 
das wie kein anderes imstande ist, geringfügige Einflüsse auf den 
Phagozytosegrad scharf zu dosieren. Dünner.“! 


Innere Medizin. 

W. Mül ler-Sternberg: Bchandlaag der Lungentuberkulose mit 
isolierten Partialantigenen und mit dem Partial antigengemisoh M. Tb. R. 
(M.m.W., 1918, Nr. 2.) Lungentuberkulose sind im allgemeinen * albu¬ 
mintüchtig“, dagegen 'zeigen sie eine Schwächung der Fettantikörper¬ 
bildung. Beraerkenswerterweise "wird nun** die Fettantikörperbildung 
durch eine F.-Kur weniger angeregt als durch eine Kur mit den ge¬ 
samten Teilantigenen A. F. und W. Verf. erklärt diese paradoxe Er¬ 
scheinung damit, dass allem Anscheine nach bei der Gewinnung der 
Fettsäurelipoide eine Absohwäohung ihrer biologischen Reaktivität erfolgt. 

Geppert. 

Thiele-Chemnitz: Die Ergebnisse der neuzeitlichen Tnberknlose- 
forschnng and das Mannschaftsversorgungsgesetz vom 31. Mai 1906. 
(D.m.W., 1918, Nr. 3.) Wenn auch das Mannschaftsversorgungsgesetz 
zugunsten 'tuberkulöser ’Heeresent lassen er in weitgehender Weise An¬ 
wendung findet, ist eine grundsätzliche Berücksichtigung der Ergebnisse 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


der neuzeitlichen Tuberkuloseforscbung bei einer Neubearbeitung des 
Gesetzes dringend ervünsoht. Schwer! ranke Tuberkulöse sind im Hin* 
bliok auf den Schutz der Kinder vor Ansteckung so lange als möglich 
oder dauernd in Heimstätten zuriiokzuhalten. Den Angehörigen soll 
eine „Heimstättenzulage" gewährt werden. Dünner. 

Jessen-Davos: Zar Behandlung der Lungenschwindsucht, (Zbl. 
f. inn. M., Bd. 89, Nr. 1. S. 17.) Die Behandlung eines Phthisikers 
muss sich aus folgenden Stufeu zusammensetzen: 1. Bekämpfung der 
Begleitinfektion, 2. spezifische Behandlung der Vischinfektion, 8. Be¬ 
kämpfung der tuberkulösen Komponente, das schwierigste, oft aber 
durchaus nicht das wichtigste Kapitel, da man bei vorurteilsfreier kli¬ 
nischer, bakteriologischer und pathologisch*anatomischer Betrachtung 
der Lungenschwindsucht zu der Erkenntnis kommen muss, dass es sioh 
bei dieser Krankheit um etwas anderes handelt als um Lungentuber¬ 
kulose allein. Mit Vaccine von aus dem Sputum gezüchteten nicht 
tuberkulösen Mikroorganismen erreicht man oft ganz wesentliche Besse¬ 
rungen. Einreibungen in die Haut der Ellenbogenbeuge scheinen wirk¬ 
samer zu sein als subkutane Injektionen, da die Haut eine besondere 
Fähigkeit der Antitoxinbildung zu haben scheint. M. Goldstein. 

Fortmann-Zürich: Zur praktische» Diagnostik aigehoreier 
Herzfehler. (D.m.W., 1918, Nr. 3.) Besprechungen mehrerer ange¬ 
borener Herzfehler. Dünner. 

J. Fi sch er-Nauheim: Herzstörangen hei wolfaynischea Fieber. 
(M.m.W., 1918, Nr. 8.) Die bei der Febris wolhynioa auftretenden 
HerzgefässBtörungen sind fast ausschliesslich funktioneller Natur im 
Gegensatz zu denen anderer Infektionskrankheiten. Die Prognose ist 
dementsprechend günstig. Wichtig ist diese Feststellung vor allem auoh 
für'die!!Bewertung späterer Ansprüche. 

E. Weil und A. Felix: Merkblatt K«r serologische» Fleckfieber- 
diagiose »ach Weil-Felix. (M.m.W., 1918, Nr. 1.) Präzisierung der 
Methode und genaue Angabe einwandfreier Ausführung. Sehr wichtige 
Kautelen, deren Wiedergabe in kurzem Referat nicht möglich. 

Geppert. 

Braun und Salomon-Frankfurt a. M.: Ein Beitrag zum Wesen 
der Weil-Felix'sehen Reaktion anf Fleck fl eher. (D.m.W., 1918, Nr. 3.) 
Untersuchungen, die die Frage beantworten sollten, ob die Fleckfieber- 
Proteusbazillen zu anderen beim Menschen vorkommenden Proteus¬ 
stämmen in bestimmtem Verhältnis stehen. In kultureller Hinsicht 
konnten zwischen den Fleckfieber-Proteusstämmen und den anderen 
vom Menschen gezüchteten Proteusbazillen keine wesentlichen Unter¬ 
schiede nachgewiesen werden. Bei den Fleckfieber-Proteusstäramen fiel 
besonders die starke Indolbildung auf, die bereits nach 24 Stunden 
nachweisbar war. Bei den Immunisierungsversuchen zeigte sioh, dass 
bei den verschiedenen, beim Mensohen vorkommenden Proteusbazillen 
eine grosse Mannigfaltigkeit auf Agglutinogene besteht, dass ferner die 
Fleckfieber-Proteusstämme in ihrem Bau, ihren Agglutinogenen nicht 
identisch sind, dass sie in verschiedenem Maasse mit beim Menschen 
vorkommenden Proteusbakterien in verwandtschaftlicher Beziehung 
stehen. Da zwischen Fleckfieberkrankenserum und künstlichem Infek¬ 
tionsserum ausser gemeinsamen Eigenschaften auch Unterschiede be¬ 
stehen, so erhebt sich die Frage, ob man daraus den Schluss ziehen 
darf, dass die Fleokfieberagglutination beim Menschen nicht durch vor¬ 
herige Infektion mit spezifischen Fleckfieber-Proteusbazillen bedingt wird. 

Uffeno,rde und Much: Eine kriegsepidemiologische Beob- 
aekt»»g. I. klinischer Teil. (D.m.W., 1918, Nr. 8 u. 4.) Beob¬ 
achtung einer Erkrankungsform, die im wesentlichen als eine ausge¬ 
sprochene typhoide Allgemeininfektion mit schwerer Prostration gekenn¬ 
zeichnet wird, bei der in erster Linie ein starkes Betroffensein des 
Nerven-, besonders des Ge fassnerven Systems hervortritt. Ausserdem ist 
das uropoetisohe System in allen Fällen in Mitleidenschaft gezogen. 
Die einzelnen Systeme werden besprochen. Von ihnen ist besonders zu 
bemerken, dass es auf der Höbe der Erkrankung zu somnolenten, be¬ 
drohlich scheinenden, typhösen Zuständen kommen kann. Der Urin 
enthält dann granulierte Zylinder, Leukozyten, Schleim usw. Mit dem 
Abfall der Temperatur nach 3—10 Tagen weicht das gesamte Krank¬ 
heitsbild, ohne aber einer Genesung Platz zu machen. Die vielseitigsten 
Reizerscheinungen durch Störungen seitens des Nervensystems mani¬ 
festieren sich in fortwährendem Wechsel. Selbst nachdem der Urin¬ 
befund sioh gebessert hat, bleibt noch lange Zeit die Schmerzhaftigkeit 
der Nieren^'bestehen. Verf. glaubt, dass bei der geschilderten Erkran¬ 
kung die” Infektion durch Insekten (vielleicht durch eine besondere im 
Sumpf lebeude Art) auf den Menschen übertragen wird. Bakteriologisch 
fand Much ausser'Spaltpilzen einen Mikroorganismus, den er Bacterium M. 
nannte.^'Für ^'eine gewisse Verwandtschaft mit Fleckfieber spricht der 
Ausfall der Weil’schen Reaktion. Mit ihren eigenen Stämmen gaben 
die Kranken im Anfänge keine Reaktion. Später wurden die Stämme, 
besonders'wenn sie länger fortgezüohtet waren, von dem Krankenserum 
ausgeflockt, aber" nicht in allen Fällen. Für den Zusammenhang des 
Bacterium M. mit der Krankheit spricht der Umstand, dass eine Vaccine¬ 
behandlung den Krankheitsverlauf günstig beeinflusst. Die Keime werden 
nicht unmittelbar, sondern mittelbar, wahrscheinlich durch * 'eine be¬ 
sondere, bläulich schillernde Mückenart, übertragen. Immerhin muss 
mit der unmittelbaren Uebertragung aus dem Sumpfboden ;gedacht 
werden. 

STJSchilling: Periodische Fieber (Maltafieber, septikimisehes 
Fieber, Malaria, Bekam»«, Ffiaftage- [Wolhynisches] Fieber, Papa- 


taeifieber). (D.m.W., 1918, Nr. 2.) Referat, gehalten auf dem Verein 
für innere Medizin in Berlin am 19. November 1917. (Siehe Gesellschafts¬ 
bericht der B.kl.W., Nr. 49.) 

Wiese-Landshut i. Schl.: Zur Uebertragung de« Rfiekfallfiebers. 
(D.m.W., 1918, Nr. 3.) Untersuchungen über die Rolle der Wanze als 
Ueberträgerin von Rückfallfieber zeigen ein negatives Resultat. Es 
empfiehlt sich daher nioht, der Wanzenvertilgung im Felde, die viel 
Mühe und Zeit erfordert, aus Rücksicht auf eine eventuelle Infektion 
mit Rüokfallfieber besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. 

Lehotay-Budapest: Zur Diagnose und Behandlung der Malaria 
tropiea. (D.m.W., 1918, Nr. 3.) 1. Bei der Diagnose wie bei der Be¬ 
handlung der Malaria tropica sind die Temperaturverbiltnisse unter 
37* einer besonderen Aufmerksamkeit zu unterziehen. 2. Ist die Tem¬ 
peratur (das Minimum) über 36° und zeigen sioh keine grösseren 
Schwankungen, fühlt sich der Patient dabei wohl, so kommt man mit 
Chinin allein aus. 8. Ist die Temperatur dauernd unter 86° oderseigen 
sich grössere Schwankungen, fühlt sioh der Patient schlecht usw., so 
weist dies auf eine Störung der Bluterzeugung hin, und man verwendet 
neben Chinin auoh Salvarsan. 

Chajes: Zur Kenntnis der Schlstosomiatis (Bilharziosis). (D.m.W., 
1918, Nr. 3.) Der mitgeteilte Fall betrifft einen Patienten, der im 
Alter von 12 Jahren die Schistosomiasis in Südafrika erworben batte 
und 20 Jahre später mit deutlichen Symptomen, die sich an der Blase 
dokumentierten, erkrankte. Dünner. 

Schilling-Leipzig: Ehrlich*« Urobiliaogenaachweis im Urin, ein 
Diagnosticum für gestörte Leberfaaktiou »ad Iatestiaalkrebs, ins- 
besoadere des Magens. (Zbl. f. inn. M., Bd. 39, Nr. 1, S. 1.) Die 
Probe erweist sich als ein ausserordentlioh empfindliches Reagens für 
Diagnose und Prognose der genannten Krankheiten. M. Goldstein. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

F. Sohlesinger: Ueber den Nachweis des Bleisehadeas »ach 
Stecksehass. (M.m.W., 1918, Nr. 2.) Die Arbeit aus der Neisser- 
sohen Klinik in Stettin enthält die beachtenswerte Mitteilung von drei 
Fällen, bei denen man von Steckgesohossen resorbierte Bleimengen im 
Liquor cerebrospinalis naohweisen konnte, während im Urin der Naoh- 
weis auch mit der Lewin* sehen Probe nicht gelang. Bei den 3 Fällen 
standen allgemeine neurasthenische Beschwerden im Vordergründe, die 
bei dem auffälligen Liquorbefunde einen Zusammenhang mit Bleiintoxi¬ 
kation wahrscheinlich maohten. Ob die Fälle naoh Entfernung der Ge- 
sohosse geheilt wurden, erfahren wir leider nioht. Geppert. 

Boas: Zur forensischen Bedeataag der geaniaen Narkolepsie. 
(Aerztl. Saohverst. Ztg., 1917, Nr. 23.) Mitteilung eines solchen Falles 
bei einem Soldaten. Derartige Kranke fallen unter § 51 des StGB., 
wenn sie im Zustand der Narkolepsie Verstösse oder Verbrechen begehen. 
Der Mann wurde für g. v. erklärt, doch sind solche Leute nur für den 
Innendienst verwendbar, nioht für Wachtposten. H. Hirschfeld. 


Chirurgie. 

Moses-Charlottenburg: Ein Haadoperatloastiseh für Krieg und 
Frieden. (D.m.W., 1918, Nr. 6.) 

Loeffler-Balle a. S : Ein einfacher, schonender Eitensioasver 
baad, besonders bei Kindern. (D.m.W., 1918, Nr. 6.) 

Münch- Kaiserslautern: Eine neae Stfitxschieae für Radialislähmung. 
(D.m.W., 1918, Nr. 6.) 

Ehebald-Erfurt: Eine neae Peroaeasfeder. (D.m.W., 1918, Nr. 5.) 

Dünner. 

Schmieden: Aaswechslaag der Fragmente bei Pseadarthrose 
der Clavicnla. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 5.) Die typische Dislokation, 
welche die Fragmente bei dem Schlüsselbeinbruoh zeigen und die durch 
den Zug der verschiedenen Muskelgruppen hervorgerufen wird, hat. S. 
auf den Gedanken gebracht, eine operative Auswechslung der Fragmente 
vorzunebmen. Zu diesem Zweck werden sie treppenförmig angefrischt 
und dann so aneinandergelegt, dass das distale Fragment, das durch 
den Pektoraliszug vorher nach unten verschoben Var, kopfseits, 
und das proximale Fragment, das durch die Halsmuskulatur naoh 
oben disloziert war, fusswärts zu liegen kommt. Auf diese Weise zieht 
der Muskelzug die Fragmente in die richtige Stellung. 

Franz: Ueber Geräusche bei Aaenrysmea and Pseadoanenrysme». 
(Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 5.) Mitteilung von Tierexperimenten über den 
Zusammenhang der Gefässgeräusche und der Art der Aneurysmen. Die 
alte Anschauung, dass Verletzungen der Arterie ajlein ein diskonti¬ 
nuierliches und Verletzungen von Arterie und Vene ein kontinuierliches 
Geräusch erzeugen, besteht beute nicht mehr zu Recht. 

Wilms: Gastroenterostomie bei Ulcus des Magenfnudus. (Zbl. 
f. Chir., 1918, Nr. 4) Wilms benutzt die Oeffnung, die das Ulcus in 
der Magenwand hervorgerufen hat, direkt zur Anlage der Gastroenterostomie, 
wobei er den Schnitt vom Ulcus aus soweit nach unten verlängert, dass 
er den unteren Magenrand erreicht. Hayward. 

Stapelmohr-Göteborg: Ueber eine Form von Soheingeschwülsten 
im Magen. (Gastritis phlegmonosa circumscripta.) (D.m.W., 1918, 
Nr. 5.) Bericht über mehrere Fälle, die klinisch den Eindruck von 


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25. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Magentumoren machten, in Wirklichkeit sich als Gastritis phlegmonosa 
ciroumsoripta herausstellten und durch Operation geheilt wurden. Verf. 
erörtert die Möglichkeit, ob Fälle, die als Magentumoren klinisoh an* 
gesehen und später geheilt werden, nioht in diese Krankheitsgruppe 
gehören. Dünner. 

F. König: Zur Frage der Reiidive von Leiatenbrüchen. (Zbl. 
f. Chir., 1918, Nr. 4.) Im Gegensatz zu Plenz, der bei Nachunter¬ 
suchungen zu dem Sohlusse gekommen ist, dass nach der Bassini’schen 
Methode Rezidive recht häufig sind, rät König dringend, Leistenhernien 
weiter nach Bassini zu operieren. Natürlich muss eine korrekte Technik 
und sichere Asepsis garantiert sein. 

Perthes: Zur Frage der Rezidive auch Leiateabrucboperationen. 
(Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 4.) Auch Perthes kann genau wie F. König 
den Vorwurf, der der Bassini-Methode gemacht wird, nioht anerkennen. 
Er hält den Bassini, bzw. die Modifikation nach Hackenbruch,, der 
bekanntlich die Eztemusaponeurose als tiefe Schioht verwendet, für die 
beste Methode. 

Kuder: Zur Frage nach der Entatehungsurs&ehe der Pneumat08ia 
eyatoidea iateatiai hominis. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 5.) Zwei Ursachen 
werden für das merkwürdige Leiden angegeben. Ein Teil der Autoren 
glaubt, dass es sich um einen bakteriologischen Prozess handelt, der zu 
der Bläschenbildung in der Wand des Darms lühzt, während die anderen 
annehmen, dasB die Luft nur mechanisch eingepresst wird. Eine genaue 
Untersuchung eines an der Tübinger Klinik beobachteten Falles spricht 
für die zweite Auffassung. Hayward. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Muijs-Amsterdam: Endomyzea albicans, als Ursache einer Epi- 
dermomycoals inguinalis. (Dem. Wsohr., 1918, Bd. 66, Nr. 5.) In 
beiden Fällen des Verf. r s handelte es sich um eine intertrigo- und tricho- 
phytieähnliohe Affektion. Als Erreger ergab sioh Endomyzes albicans. 

F. v. Veress: Ueber Acne cachectieoram im gegenwärtigen Kriege. 
(Derm. Wsohr., 1918, Bd. 66, Nr. 7.) Gegen einen Zusammenhang der 
Fälle des Verf.’s mit den Tuberkuliden sprechen die verschiedensten 
Gründe, er kann deshalb Merk’s Ansicht, dass es sich um Acne 
cacheoticorum gehandelt hätte, nicht ohne weiteres teilen, nahm aber 
keinen bestimmten Standpunkt der Affektion gegenüber ein und liess 
es deshalb bei der anatomischen Benennung „Exanthema folliculare 
acnei forme“. 

M. L. Ravitoh-Louisville, Kentucky: Die Herdinfektion in ihrem 
Zusammenhang mit gewissen Hautkrankheiten. (Derm. Wschr., 1918, 
Bd. 66, Nr. 4.) Es ist kaum daran zu zweifeln, dass das Bestehen 
einer beständigen Infektionsquelle gewisse Reaktionen und Entzündungen 
in anderen Körperteilen hervorruten kann, in denen die Bakterien eine 
verminderte Widerstandskraft oder einen günstigeren Boden finden. Die 
Herdinfektion muss nicht im Munde oder im Gaumen sitzen, sondern 
dies kann in jedem Körperteil der Fall sein. 10 derartige Fälle gibt 
Verf. bekannt, bei welohen der Infektionsherd in 7 Fällen auf den 
Tonsillen sass, wodurch teils Urticaria, Roseola, skarlatiniformes 
Erythem und Eczema bullosum- aufgetreten war, in einem Falle war ein 
epitheliomähnlioher Tumor der Wange infolge einer Zahnfistel entstanden. 
Ein Fall von rezidivierendem Ekzem war durch eine ohronische Appen- 
dicitis veranlasst, und schliesslich ein ebensolches durch eine Vesioo- 
Vaginalfistel. 

M. Brun-Pederse e Kopenhagen: Syphilis 16 Jahre aaeh ier In¬ 
fektion aaf dei Fötus Überträge!. (Derm. Wschr., 1918, Bd. 66, 
Nr. 6.) Es handelt sich um eine Frau, die vor 16 Jahren syphilitisch 
an gesteckt war; dieselbe hatte 4 nichtsysphilitische Kinder von einem 
wahrscheinlich gesunden Manne zur Welt gebracht, nun bekam sie 
16 Jahre nach der Infektion jmn einem anderen, vermutlich auoh ge¬ 
sunden Manne ein Kind, dar ausgeprägte Zeichen einer angeborenen 
Syphilis aufwies. 

V. L. Neumayer-Kljuo: Rund 10 Jahre amtlicher Syphilis- 
tilgUBg. (Derm. Wschr., 1918, Bd. 66, Nr. 5u. 6.) Das fernere Schicksal 
der Syphilitiker scheint sich nioht wesentlich von dem der andern Be¬ 
völkerung zu unterscheiden. Eine Uebersterblichkeit der Syphilitiker 
hat sich nicht ermitteln lassen. Die im Gefolge der Lues auftretenden 
Nervenkrankheiten spielen in Bosnien überhaupt keine Rolle. Die 
Salvarsanbehandlung hat eine entschiedene Besserung in Beziehung auf 
die Raschheit der Heilung und Rückfallsfreiheit gebracht. Eine wahr¬ 
haft verheerende Wirkung entfaltet die Syphilis unter den kleinen und 
kleinsten Kindern. Die Sterblichkeit unter den syphilitischen Kindern 
ist beängstigend, die Mehrzahl derselben stirbt innerhalb der ersten drei 
Jahre nach der Ansteckung, das gilt sowohl von den mit, als auoh von 
den ohne Salvarsan behandelten Kindern. Eine Besserung dieser Ver¬ 
hältnisse bat sich zum Teil durch eine gründliche Durchforschung und 
Behandlung der weiblichen islamitischen Bevölkerung durch die Gattin 
des Verf.’s erreichen lassen. Die bosnische Syphilis ist weniger heim¬ 
tückisch als die ausserbosnisohe und mit einem anderen Maassstab zu 
messen. 

P. Wich mann-Hamburg: Geachwürige Tuberkulose der Vulva 
auf luetischer Basis. (Derm. Wschr., 1918, Bd. 66, Nr. 8.) Es handelt 
sich um eine Kombination von Tuberkulose und Lues. Wahrscheinlich 
hat sich die Infektion mit Tuberkulose auf dem Boden einer papulösen 
Lues angesiedelt. 


A. Perutz-Nyitra Molnos, Ungarn: Ueber einen Fall von Gingivitis 
goiorrhoiea. (Derm. Wsohr., 1918, Bd. 66, Nr. 7.) Bei einem an 
Harnröhrengonorrhoe leidenden Patienten wurde eine Erkrankung des 
Zahnfleisches gefunden, die wegen ihres klinisohen Bildes, wegen ihres 
Verlaufes, wegen ihres mikroskopischen Befundes und wegen ihres Ver¬ 
haltens gegenüber der Gonokokkenvakzine als Gingivitis gonorrhoica be¬ 
zeichnet werden kann. Immerwahr. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Hi rs eh-Berlin: Die soziale und eugenetiseke ludikatioi für die 
Unterbrechung der Schwangerschaft. (D.m.W., 1918, Nr. 5.) Im An¬ 
schluss an die Diskussion in der „Medizinischen Gesellschaft“ in Berlin 
über die Unterbrechung der Schwangerschaft, behandelt H. die sozialen 
und eugenetisohen Indikationen. 

Hofmeier: Nochmals zur Frage der Säuglingspflege in den Frauen¬ 
kliniken. (D.m.W., 1918, Nr. 6.) Erwiderung aut die Arbeit von Lang¬ 
stein in der D.m.W., 1917, Nr. 48. 

Opitz-Giessen: Ueber die Säuglingspflege in Frauenkliniken. 
(D.m.W., 1918, Nr. 3.) Verf. behandelt die in letzter Zeit vielfach dis¬ 
kutierte Frage über die Säuglingspflege in geburshilflichen Kliniken. 

U h 1 i r z -Wien: Zur Bewertung der Bestrahlung und der Myomotomie. 
(D.m.W., 1918, Nr. 8.) Bemerkungen zu der Arheit von Nagel in der 
D.m.W., 1917, Nr. 46.) Dünner. 

L. Seitz und H. Würtz: Für und wider die Ovarialdosis in einer 
Sitzung und in einer Serie. (M.m.W., 1918, Nr. 2.) Entgegnung einer 
Arbeit von Loose, der sioh scharf gegen die Methode der Ovarialdosis 
wendet. Die Ovarialdosis wird neuerdings auf 2—3 Tage verteilt. 
Vorteile: Vermeidung der Regeneration von Ovarialzellen und daduroh 
sichere Wirkung. Verbilligung der Methode. Eine momentane Um¬ 
stimmung des Organismus erfolgt nicht, wenn man zwischen zwei Men- 
Btruationsterminen bestrahlt. Die Praxis lehrt, dass die Ausfalls¬ 
erscheinungen nach angewandter Ovarialdosis auffallend gering sind. 

H. Menzi: Vorläufige Mitteilung über die Behandlung weiblicher 
Gonorrhoe mit intravenösen Kollargol Injektionen. (M.m.W., 1918, 
Nr. 3.) Es wurden Injektionen von 2—10 ccm einer 2 proz. Aufschwemmung 
mehrmals vorgenommen. Am besten reagierten frische Urethrögonorrhoen, 
dann Zervixkatarrhe; während bei Adnexerkrankungen keine Erfolge nach¬ 
weisbar wurden. Geppert. 

Eich: Atresia hymenalis. (D.m.W., 1918, Nr. 2.) Kasuistik. Ausser 
der Atresia hymenalis, die beseitigt wurde, bestand eine Teilung der Vagina. 

Dünner. 


Augenheilkunde. 

Oppenheimer-Berlin-Zehlendorf: Ein nener, einfacher nid spar¬ 
samer Angenverband. (D.m.W., 1918, Nr. 2.) Dünner. 

Uhthoff: Ein Fall von typischer bandförmiger.Trübung der Horn¬ 
haut anf beiden Angen bei einem 8jährigen Mädchen mit teilweise er¬ 
haltener Sehkraft und hinieren Synechien. Anatomische Untersuchung. 
(Kiin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, Jan.) Bemerkenswert ist die Jugend 
der kleinen Patientin, die schon im frühen Kindesalter von einer doppel¬ 
seitigen bandförmigen Hornhauttrübung befallen wurde und zwar bei 
nooh sehenden Augen. Anatomisch decken sich die Befunde des Verfs. 
ganz mit denen, wie sie an degenerierten Augen mit bandförmiger 
Hornhauttrübung auch sonst vielfach beschrieben worden sind. Hervor¬ 
zuheben ist ferner für den vorliegenden Fall, dass auch vereinzelte 
Riesenzellen naohgewiesen werden konnten, gleichsam Fremdkörper- 
riesenzellen, die sich in der Nähe von Bruohstüoken der verkalkten 
Bowman’sohen Membran entwickelten. Der Fall beweist, dass gelegent¬ 
lich eine Abtragung der oberflächlichen degenerierten Hornhautschichten 
mit einem dünnen sohmalen Messer Nutzen stiften kann. 

E. v. Hippel: Ueber die Behandlung des Keratokonus mit 
Müller’sehen Kontaktgläsern. (Elin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, Jan.) 
Die Patientin, über die Verf. berichtet, hat über ein Jahr ohne Unter¬ 
brechung die Sohalen getragen, ihr psychisches Verhalten hat unver¬ 
kennbar grosse Fortschritte gemacht,^sie ist in keiner Beschäftigung 
mehr gehindert. Der objektive Befund, soweit die Trübungen in Be¬ 
tracht kommen, hat sich bestimmt zum Besseren verändert, und es ist 
wahrscheinlicher, dass dies auf die Schutzwirkung der Prothesen zu be¬ 
ziehen ist, als dass ein Ergebnis der längere Zeit fortgesetzten Organo¬ 
therapie vor liegt. Von einem Hämosiderinring war nichts zu finden. 
Verf. operiert keinen Fall von Keratokonus mehr, ehe sich die Prothesen¬ 
behandlung als nutzlos erwiesen hätte. 

Vogt: Faltenartige Bildungen in der senilen Linse, wahrschein¬ 
lich als Ausdruck lamellärer Zerklüftung. (Klin. Mbl. f. Aughlk., 
Bd. 60, Jan.) Nach den Beobachtungen des Verf. hält derselbe es für 
wahrscheinlich, dass die beschriebene, im Senium häufige Soheinfaltung 
ein Ausdruck lamellärer Zerklüftung der Linse ist, indem beim katarak- 
tösen Zerfallsprozess Flüssigkeit nicht nur die Nähte zu Spalten aus¬ 
weitet, sondern auch die Lamellen auseinanderdrängt und zwar haupt¬ 
sächlich die konzentrischen, seltener die Radiärlamellen. Man wird daher 
vielleicht künftig die geschilderte „scheinbare Faltung“ besser als 
„Lamellierung“ bezeichnen. 

Pichler: Ueberstreuung der Regenbogenhaut mit Steinataub. 
(Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, Jan.) Der Gebirgskrieg mit seinen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


vielen Splitter?esletzungen hat gezeigt, dasr Steinsplitter von der Regen¬ 
bogenhaut häufig gut vertragen werden und aut ihrer 0 bei fläche oder 
in ihrem Gewebe ohne Sohaden belassen werden können. Ueberrasohe id 
und ungewöhnlich ist aber das Missverhältnis, welches zwischen der 
geringen Zahl der Verletzungsstellen der Hornhaut und der ungemein 
grossen Zahl der im Augeninnern befindlichen Sprengsiücke ?ioh zeigt. 
Verf. veröffentlicht 9 Fälle. Den Fällen 1—VI ist gemeinsam die Ent¬ 
stehung duroh Steinsprengung in einer Steinhöhle, und zwar handelte 
es sioh bei allen um devonische oder dolomitische Kalkgesteine, also 
sehr brüchiges, leicht splitterndes Material. 

Uhthoff: Ein Fall von Gumma des Uvealtraetas mit Darckbraek 
aaeh aissea darek die Selera nebst anatomischer Untersuchung des 
Bulbus. (Kiin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, Jan.) Es handelt sich um 
eine spezifisch infizierte Patientin mit positivem Wassermann, welche 
etwa 1 Jahr vor ihrer Aufnahme schon einmal wegen einer doppel¬ 
seitigen spezifischen Augenerkrankung antispezifisch behandelt worden 
war, bis dann nach etwa Jahreslrist auf dem reohten Auge abermals 
eine heftige Iritis die Kranke in klinische Behandlung führte. Trotz 
der eingeieiteten antispezifischen Behandlung nahm das Leiden zu, und 
es entwickelte sioh eine ausgedehnte gummöse Neubildung, weh he die 
Enukleation notwendig machte. Der vorliegende Fall ist dadurch be¬ 
sonders bemerkenswert, dass der gummöse Prozess von den äquatorialen 
Teilen der Chorioidea ausging und hier die Sklera durch Eiuschmelzung 
perforierte. Die Ausdehnung des gummösen Prozesses war eine sehr 
erhebiiohe, und dieselbe nahm fast die ganze äussere Hälfte und die 
anliegenden unteren Teile des Bulbus ein. 

Wirtz: Die entzündliche! Erkrankungen des Sehorgans Infolge 
V01 Z&haieidea. (Klio. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, Jan.) Aus den 
zahlreichen mitgeteilten Beobachtungen geht hervor, dass Zahnleiden im¬ 
stande sind, aut den Augapiel überzugreiten und äussere Entzündungen 
desselben hervorzurufen. Der Beweis hierfür ist der Erfolg dtr Zahn¬ 
behandlung. In allen IPällen wurde innerhalb 8—12 Tagen voll¬ 
kommene Heilung erzielt. Die Heilung war auch von Dauer, wie jahre¬ 
lange Beobachtungen mehrerer Fälle beweisen. Die Augenerkrankungen 
wurden durch die Zahnwurzelentzündung entweder allein und unmittel¬ 
bar hervorgerufen oder mittelbar durch sie in ihrer Entstehung begün¬ 
stigt. Die. häufigsten unmittelbaren dentalen Augenentzündungen sind 
Erkrankungen der Uvea, besonders ihres vorderen Abschnittes der Iris. 
Unter ihnen lassen sioh zwei Typen unterscheiden: L. Iritis acuta mit 
Beteiligung des Strahlenkörpers und starken Ausschwitzungen in die 
brechenden Medien. Sie entstehen plötzlich und vernichten in wenigen 
Tagen das Sehvermögen bis auf Lichtschein. Die gebräuchliche pallia¬ 
tive Behandlung hat auf dtn Krankheitsverlauf keinen Einfluss; 2. Iritis 
chronica beschränkt sioh meist auf das Iritisdiaphragma und zeigt 
wenig Neigung von Exsudationen, so dass auch nach langjährigem Be¬ 
stehen die brechenden Medien wenig getrübt weiden und das Seh¬ 
vermögen wenig leidet. Ihr Verlauf ist gekennzeichnet durch eine 
grosse Zahl der Rezidive, die auf palliative Behandlung abzuheilen 
pflegen. 

Fuchs: Ueber Schleife! der Zilianervei. (Klin. Mbl. f. Aughlk., 
Bd. 60, Jan.) Die vom Verf. gesehenen Nervenschleifen sind zufällige 
Befunde an Augen, welche zu anderen Zwecken untersucht wurden. 
Im ganzen wurden in 13 Augen Schleifen gefunden. Die Sohleifen lassen 
sich aus einer abnormen Wachstumstendenz erklären. Der Nerv wächst 
stärker als die Sklera und gleicht die grössere Länge in Form einer 
Dupiikatur aus, welche gerade nach der Seite des stärksten Widerstandes, 
in die Sklera, geht. Ein ähnliches, aus mechanischen Ursachen nioht 
erklärbares, abnormes Wachstum von Nervenfasern kommt auch im Seh¬ 
nerven vor, indem von demselben abirrende Bündel in die Sehnerven- 
soheiden wachsen und sich dort verlieren. 

Axenfeld: Zur Teohnik der Nenreetonria optieo-eiliaris. (Klin. 
Mbl. i. Aughlk., Bd. 60, Jan.) Die tiefe Leitungsanästhesie duroh In¬ 
jektion einiger Tropfen Novocain-Adrenalin in die Spitze der Orbita 
verhütet bei der Operation die Blutung. Eine weitere technische Ver¬ 
besserung besteht in der Galvanokaustik der den Ziliarnerven dienenden 
skleralen Eintrittsöffnungen in der Umgebung des Sehnerven. Die 
Galvanokaustik soll aber nicht tief die Sklera zerstören; denn die duroh 
das derbe Skieralgewebe denw^rven entgegengestellte Schranke wird 
man nioht schwächen wollen. 

Vogt: Ueber eine vertikale lineare Streifsag, welche an der 
Vorderfl&che der Netzhaut jüngerer Individne! im retfreien Lieht 

wahrgenommen wird. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, Jan.) Im Laufeder 
letzten Jahre sah Verf. bei sehr vielen etwa unter 30 Jahre alten ge¬ 
sunden Personen bei Untersuchung im rotfreien Licht eine schöne und 
feine vertikale Linienbildung, welche unmittelbar vor der Nervenfaserung 
und vor den Gefässen der Netzhaut liegt. Die lebhaft weissen Linien 
verlaufen gerade und durchaus parallel. Sie übertreffen die Nerven¬ 
fasern der Netzhaut an Feinheit, oft aber auch an Glanz und Deutlichkeit. 

Schwel er: Experimentelle Erzeugung von Aderhant-Netzhait- 
eitzüidaBg dnreh Kohlensäureschnee. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, 
Jan.) Verf. ist es gelungen, durch extraokulare Einwirkung mit gering¬ 
fügigen Reizzuständen ohne Veränderung derPelluzidität derbrechenden 
Medien adhäsive Aderhaut-Netzhautentzündung zu bewirken. Wenn¬ 
gleich der Naohweis bisher nur am Tier erbracht ist, so erscheint der¬ 
selbe durch Analogieschluss für den Mensohen gesichert. Auf diesem 
Wege könnte duroh Kohlensäureschnee-Einwirkungen Netzhautablösung 
wie bakterielle Noxen beeinflusst werden. 


Birch-Hirsohfeld: Einige Bemerkungen zur Uatersuehuig Nacht- 
bliader. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, Jan.) Verf. verteidigt das 
von ihm konstruierte 5-Punkt-Adaptometer gegen e>ne „abfällige, auf un¬ 
richtigen Voraussetzungen beruhende Beurteilung*, die von Dr. Haass 
stammt, und widerlegt die drei erhobenen Bedenken. Als Hauptforde¬ 
rung bei der Lichtsinnprüfung, welchen Apparat man auch zur Messung 
der Reizschwellen beuutzen mag, ist jedenfalls festzubalten, dass man 
mit gleichen Reizfläohen die Empfindiichkeitszunahme bestimmt und die 
Reizschwelle des normalen Auges, die unter denselben Bedingungen wie 
diejenige des nachtblinden Auges festgestellt wurde, zum Vergleiche 
benutzt. 

Ischreytt: Ueber drei Fälle, von Tirmsehidel mit Augen- 
störuagen. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, Jan.) Genaue Ver¬ 
öffentlichung der Krankengeschichten mit Epikrise über Schädelmaasse, 
ophthalmoskopische Untersuchung, Sehschärfe und Gesichtsfeld. 

F. Mendel. 


Hygiene und Sanitfttswesen. 

Neu fei d und Kar 1 bäum-Berlin: Vergleichende Desinfektioni- 
versache mit Fawestol, Betalysol aad KresotiakresoL (D.m.W., 1918, 
Nr. 5.) Die Untersuchungen fielen nicht so günstig für das Fawestol 
aus, wie sie seinerzeit von Ditthorn berichtet wurden, der Fawestol 
als vollwertigen Ersatz der Kresolseifenlösung empfohlen hatte. Betalysol 
ist dem Kresotinkresol überlegen, dazu kommt noch, dass Kresotinkresol 
teurer ist. Dünner. 

L. Lewin-Berlin: Das Verhalten von Kugeln aus einer Bleiaatriam- 
legieraag gegen Wasser. (M.m.W., 1918, Nr. 2.) Natrium wird bei 
der Herstellung von Geschossen dem Blei zur Härtung beigefügt. Bleiben 
Bleinatriumkugeln längere Zeit mit Feuchtigkeit in Berührung, so bilden 
sich unter dem Einfluss des Alkalis relativ reichliche Mengen von Blei¬ 
oxydhydrat, das sich in Form eines feinen Schlammes abtrennt. Deshalb 
spielen Bleinatrium-Schrapnellkugeln vom toxikologischen Gesichtspunkt 
eine besondere Rolle. Die Extraktion der Geschosse ist deshalb geboten, 
bevor Intoxikationserscheinungen durch Resorption von Bleioxydhydrat 
eingetreten sind. Geppert. 

Hanauer: Wohaungsfärsorge aad Krieg. (Aerztl. Sachverst. 
Ztg., 1917, Nr. 24.) 

Schneiokert: Die Bek&mpfaag der Geschlechtskrankheiten im 

Heer und in der GesamtbevölkeruDg. Geschichtliche Rückblicke. (Aerzt. 
Saohverst. Ztg., 1917, Nr. 24.) H. Hirschfeld. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

E. Martin: Die Bedeutung der ReichsversicherangBOrdnuag für 
den Frauenarzt. (Aerztl. Sachverst. Ztg., 1917, Nr. 22 u. 23.) Bei der 
ständigen Zunahme der im Erwerbsleben tätigen Frauen gewinnen auch 
die speziell die Genitalien treffenden Unfälle an Interesse. Verf. gibt eine 
zusammenhängende Uebersicht über alle hier in Betracht kommenden Ver¬ 
letzungen. Er bespricht die offenen Scheidenverletzungen, die traumatisch 
bedingten Aborte, die Verlagerungen der Gebärmutter, Vorlälle derselben, 
entzündliche Erkrankungen, Geschwülste und zitiert lehrreiche Fälle 
aus der Unfallpraxis. 

Eckert: Neuwertungen des Begriffes Erwerbsunfähigkeit im Be¬ 
reiche der sozialen Unfallversicherung. (Aerztl. Sachverst. Ztg., 1918, 
Nr. 1.) Besonders die Erfahrungen des Krieges haben gezeigt, dass die 
Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit bisher vielfach von zu milden Ge¬ 
sichtspunkten aus erfolgte. 

Pickenbaoh: Allgemeine Betrachtungen über den Wert der Eaergie 
bei Uafallkraakea. (Aerztl. Sachverst. £tg., 1918, Nr. 8.) Besonders 
die Erfahrungen des Krieges zeigen, wm die Energie bei Unfallkranken 
in der Ueberwindung leichter Beschwerden leisten kann. 

Beyer: Abfiadnag oder SuggeBtivbehandlung. (Aerztl. Sachverst 
Ztg., 1918, Nr. 2.) Suggestivbehandlung in irgendwelcher Form vermag 
die funktionellen Bewegungsstörungen der Unfallneurosen ausnahmslos 
zu beeinflussen und dadurch einen Teil der Kranken zu heilen. Ergänzt 
werden muss sie aber meistens nooh durch weitere Behandlung, Be¬ 
schaffung lohnender Arbeit oder durch Abfindung. 

Becker: Stelzfuss oder künstliches Bein. (Aerztl. Sachverst. Ztg., 
1918, Nr. 1.) Die Frage, ob für Amputierte ein Stelzfuss oder ein künst¬ 
liches Bein zweokmässiger ist wurde schon vielfach diskutiert. Nach einer 
Entscheidung des R. V. A. ist die Regelung von Fall zu Fall zu ent¬ 
scheiden, da für manche Berufe ein Stelzfuss, für andere ein künstliches 
Bein nützlicher ist. B. kommt zu dem Resultat, dass in Folge der 
technischen Fortschritte der letzten Jahre in allen Fällen künstliche 
Beine vorzuziehen sind. 

Meisner: Verschüttaag aad Lähmung. (Aerztl. Sachverst. Ztg., 
1918, Nr. 3.) Die Folge einer Verschüttung durch Granatexplosion war 
eine psychogene Lähmung. Trotz Fehlens innerer Verletzung war ein 
Spiegel und das Glas einer Tasohenuhr, welche der Verletzte bei sich 
trug, völlig zersplittert. Eine bald danach einschlagende zweite Granate 
führte trotz des Schrecks, den sie verursachte, nioht wie in ähnlichen 
Fällen zu einer Heilung, die vielmehr erst später allmählich auf 
suggestivem Wege erfolgte. H. Hi rach fe Id. 


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$&. Mftrz 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


289 


Schiffs* und Tropenkrankhelten. 

Mayer and Reinhard-Hambarg: Zwei Fälle von Kala-azar 
(Leishmaniose) bei Deutschen (aus Nordafrika bzw. Kleinasien). (D.m.W., 
1918, Nr. 5.) Es wurden zwei Fälle von Kala-azar bei Deutschen beob¬ 
achtet, von denen der eine die Infektion in Algier, wohin er als Kriegs¬ 
gefangener verschleppt wurde, erworben hat. Er stellt deu fünften in 
Algier beobachteten Fall, davon den ersten bei einem Erwachsenen, dar. 
Der zweite Fall ist der erste sichere aus Kleinasien bekannt gewordene. 
Die Behandlung mit intravenösen Injektionen von Tartarus stibiatus ist 
bis jetzt von günstigem Erfolg. Dünner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 27. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Ben da. 

Vorsitzender: M. H.! Ich habe Mitteilung von dem Absterben 
eines unserer ältesten Mitglieder, des Herrn Geheimrats Wossidlo, zu 
machen, der zuerst im Jahre 1883 unser Mitglied wurde, 1885 aus- 
sohied, ich vermute, weil er eine Zeitlang in Afrika tätig gewesen ist. 
Dann ist er seit 1893 bis jetzt unser Mitglied gewesen. Sie wissen, 
dass er sich grosse Verdienste um die Urologie erworben hat. Er hat 
neue Methoden, neue Instrumente angegeben und ist von den Fach- 
genossen dadurch anerkannt worden, dass man ihn zum Vorsitzenden 
der Urologischen Gesellschaft gewählt hat. Auoh in ihrem Namen bitte 
ich, sich zu seinen Ehren zu erheben. (Geschieht) 

Es ist ausserdem ausgeschieden wegen Verzugs nach ausserhalb, 
Herr Geheimrat Bern heim, der seit 1876 unser Mitglied gewesen ist. 

Sie werden wissen, dass vor einigen Tagen Herr Stadtrat Geheimrat 
Strassmann 80 Jahre alt geworden ist. Es ist ihm telegraphisch der 
Glückwunsch der Gesellschaft zu diesem Tage ausgesprochen worden. 

Herr Hirsohberg überreicht die letzten drei Bände seiner Ge¬ 
schichte der Augenheilkunde. 

Vor der Tagesordnung: 

Hr. M. Zendek: Demonstration von Qierresektion des Magens. 

loh möohte mir erlauben, Ihnen 5 Fälle von Querresektion des 
Magens vorzustellen. Es handelt sich um Ulcus chronicum mit indurativer 
Bindegewebswucherung, wobei es zu Tumoren bis zu Apfelgrösse und 
Penetration in benachbartes Gewebe bzw. Organe gekommen war. 
4 Patienten sind geheilt, bei der 5. Patientin heilte zwar die Resektion, 
sie ging aber später an einem Oesophaguskarzinom, das bis in die 
Oardia hinabreichte, zugrunde. In allen Fällen war ein anatomischer 
Sanduhrmagen vorhanden; in einem Falle war die Enge so hochgradig, 
dass sie gerade noch für einen dünnen Bleistift durchgängig war. Da 
ich beabsichtige, später, gegebenenfalls in Gemeinschaft mit Herrn 
Kollegen Arthur Fraenkel, der die meisten meiner Magenfälle 
röntgenologisch bearbeitet hat, ausführlich zu berichten, möchte ich 
mich nur auf die Demonstration der vor den Operationen hergestellten 
Röntgenbilder, der bei den Operationen gewonnenen Präparate, der 
Röntgenbilder naoh der Operation und der Patientinnen beschränken. 
(Demonstration.) Zusammen fassend möchte ich nur bemerken, dass in 
allen Fällen die Beschwerden etwa zwei Jahrzehnte zuvor eingesetzt 
hatten und zuletzt so hochgradig geworden waren, dass die Patienten 
trotz interner Behandlung vollkommen erwerbsunfähig geworden waren 
und all ihre Lebensfreude verloren hatten. 

Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung hinsiohtlioh der Indikation 
zur Operation. Es besteht eine Divergenz der Auffassungen, ob man bei 
Ulcus callosum die Gastroenterostomie oder die Resektion vornehmen 
soll. Die Resektion ist zweifellos die grössere Operation, sie dauert länger 
und ist gefährlicher als die Gastroenterostomie, liefert aber weit günstigere 
Ergebnisse. Ferner ersohien die Resektion deswegen angezeigt, weil 
man glaubte, dass ein Ulcus schliesslich häufig karzinomatös wird. Diese 
Auffassung ist aber nach Orth, Aschoff u. a. nicht richtig. Es dürfte 
vielmehr die karzinomatöse Degeneration eines gutartigen Ulous selten 
Vorkommen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass ein Ulous, wenn 
es auoh nooh so gutartig aussieht, sich doch mikroskopiroh als karzinomatös 
erweisen kann. Ich gehe nun so vor: 

Bei Pylorua nahem Ulous callosum, das gewöhnlich mehr oder 
weniger hochgradige Stenose des Pylorus verursacht, mache ich, voraus¬ 
gesetzt, dass die klinische Diagnose (lange Anamnese usw., Röntgen¬ 
befund) zur Annahme eines gutartigen Ulous geführt hat, wenn bei der 
Operation palpatorisch keine unregelmässig gestaltete, dellenartige, 
sondern eine scharf umrandete, grubenartige Vertiefung festgestellt wird, 
wenn die Untersuchung der dem Ulous nahe gelegenen Lymphdrüsen 
keine karzinomatöse Veränderung ergeben hat, die Gastroenterostomie. 
Hierbei möohte ioh hervorheben, dass ioh in allen Fällen naoh der 
Operation die Patienten palpatorisch beobachte, ob sich 
der Tumor verkleinert. Bleibt aber der Verdacht auf Malignität 


des Ulcus bestehen, mache ioh naoh dem Vorschläge von Kümmell naoh 
2—3 Wochen nochmals die Laparotomie. Hat sioh dann der Tumor nooh 
nioht ausreichend zurüokgebildet, so nehme ich die Resektion vor, die 
gewöbnlioh leicht auszuführen ist. Bei Pylorus fernem Ulous maohe ich 
im allgemeinen die Resektion. Nur bei besonders ungünstiger Lage des 
Ulous, z. B. dicht an der Cardia (Demonstration), fahre ich nioht die 
hierbei recht gefährliche Resektion aus, sondern mache die Gastro¬ 
enterostomie. In dem zuletzt demonstrierten Falle war die ganze hintere 
Magenwand mit der hinteren Bauchwand verwachsen. Es war die 
Gastroenterostomie nioht wie gewöhnlich als retrocolioa möglich, sondern 
wurde mehr an der grossen Kurvatur angelegt. Die Beschwerden sind 
hier zwar erheblich gebessert, aber nicht, wie bei den Fällen von Re¬ 
sektion, völlig gesohwunden. 

Aussprache. 

Hr. Orth: Ich möohte mir erlauben, eine teohnische Bemerkung zu 
machen. Wenn man Röntgenpbotogramme projizieren will, soll man 
Diapositive nehmen. Dann kommt alles ganz gut heraus. Wenn man 
aber Abdrücke nimmt, dann treten, wie die Herren sich haben über¬ 
zeugen können, die Bilder so schwaoh hervor, dass man wenig sieht. 
Also für die Zukunft möchte ioh da warnen und bitten, Diapositive zu 
machen. Dann kann man alles schön sehen. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Wahl des Ausschusses für 1918 (§ 20 der Statuten.) 

Durch Stimmzettel werden aus der Vorschlagsliste, die 27 Namen 
enthält, wiedergewählt die Herren: Franz, Fürbringer, Waldeyer, 
S. Alexander, His, J. Hirsohberg, M. Borchardt und Zinn; für 
den verstorbenen Herrn Munter wird neu gewählt Herr E. K äh ler. 

Tagesordnung: 

1. Hr. E. Helllader: Zar Pathologie des Fiagerskeletts. 

a) Sarkom. 

Ich möohte Ihnen heute einen kleinen Beitrag zur Pathologie des 
Fingerskeletts bringen, und zwar zunäohst einen Fall von myologenem 
Sarkom einer Phalange. Die primären Sarkome der Fingerknoohen sind 
sehr selten. Ueber die Häufigkeit wird weniger der pathologische Anatom 
als die chirurgische Poliklinik Auskunft geben. Unter 36000 Patienten 
der Leipziger Poliklinik z. B. gab es im ganzen 7 Fälle von Sarkom an 
der Hand. Inder bekannten Statistik von Gurlt sind unter 16000Tu¬ 
moren überhaupt ungefähr 60 Tumoren an der Hand, davon 13 Sarkome. 

Es ist aber weniger die Seltenheit dieses Vorkommens Veranlassung, 
dass ich Ihnen diesen Fall heute demonstriere, als die Geschichte der 
Erkrankung. Am besten schildere ich das direkt am Röntgenbild. 

Die Dame von 80 Jahren erkrankte vor Weihnachten 1914 an einer 
Schwellung dort, wo sie den Ehering trug. Sie hatte dann nooh einen 
kleinen Unfall im Schlitten. Der Finger wurde danaoh sehr dick, schwoll 
wenig ab, und sie wandte sich nun an den Kollegen K aus oh, der 
(Bild) an der Basis der 4 Phalange des Fingers diesen Tumor feststellte. 
Unter Ausschluss anderer Diagnosen kam er zu dem Schluss, dass es 
ein myologenes Sarkom war. Er sohlug der Patientin die Exartikulation 
des Fingers vor, die sie aber absolut ablehnte. Er liess sioh darauf 
auf eine konservative Operation ein (Bild) und hat der Dame auto- 
plastisch eine Phalange der 2. Zehe implantiert und dabei ein sehr sohönes 
operatives Resultat erzielt. Nicht nur, dass der Knochen einheilte, 
sondern er hatte auch noch das Glück, einen etwas beweglichen Finger 
zu erreichen. 

Die Patientin bekam nun nach 3 Monaten, trotzdem etwa zwanzig 
Röntgenbestrahlungen gemacht wurden, ein subkutanes Rezidiv. Ioh 
schlug der Patientin noobmals vor, sieb den Finger wegnehmen zu lassen. 
Sie weigerte sich absolut und ich exstirpierte nur den Tumor. 

Naoh wenigen Monaten kam sie wieder und zeigte nun folgendes 
Bild. (Demonstration.) Sie sehen hier ein sehr ausgesprochenes 
Rezidiv in dem Implantat. Ob dasselbe per continuitatem von 
aussen hereingewaebsen ist, wie ja naoh Vorhandensein des Unterhaut¬ 
rezidivs wahrscheinlich ist, oder ob es sich wieder in der Epiphysengend 
des Implantats entwickelt hat, wie das aus der Betrachtung des Präparats 
als wahrscheinlich erscheint, darüber kann ich nichts Bindendes aussagen. 
Jedenfalls habe ioh nun sehr energisoh, da sich auch im Metakarpal¬ 
knochen Tumoren zeigten, die Exstirpation des Fingers verlangt. Da 
die Dame auch jetzt die Wegnahme des Fingers absolut verweigerte, so 
war ich gezwungen, noch einmal eine konservative Operation vorzu¬ 
nehmen. Nach Wegnahme von Phalange und Metakarpalknochen mit 
allen anhängenden Weichteilen ergänzte ich den fehlenden Knoohen 
durch eine 10 cm lange Tibiakante ;j[die Wundheilung erfolgte per pr. i-, 
die Fingerstellung ist eine gute. Seit 2 V 4 Jahren ist jetzt ein Rezidiv 
ausgeblieben und die Dame in voller Gesundheit. 

b) Brachydactylie und Hyperphalangie als Familien- 
eigentümliohkeit. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

2 . Hr. Sticker: 

Weitere Erfahruigei ii der Radiamhestrakluir des 
Maadkffhleakrebfles. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Laryngologfeche Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung Tom 8. Juni 1917. 

Vorsitzender: Herr Killian. 

Schriftführer: Herr H. Gutzmann. 

1. Diskussion über die Referate der Herren Knttier und Laiten- 
seMSger: Zar Ozaenafrage. 

Vorsitzender Herr Killian: Es ist vorgeschlagen, die Diskussion 
naoh einer bestimmten Ordnung zu führen. Unter 1 heisst es: Ozaena 
und ozaenaartige Erkrankungen. Ozaena vera seu genuina; 
Ozaena symptomatioa seu comitans. 

Hr. Kuttner: M. H.! Sie alle wissen, dass die bisherige Nomen¬ 
klatur der ozaenaartigen Erkrankungen uns mancherlei Schwierigkeiten 
bereitet. Alles Mögliohe wird unter diesem Namen zusammengefasst: 
ozaenaartige Erkrankungen auf Grund von Syphilis und Nebenhöhlen¬ 
erkrankung wurden mit Fremdkörperozaena und genuiner Ozaena zu¬ 
sammengeworfen. loh glaube, dass es die Verständigung sehr erleichtern 
würde, wenn man 2 Gruppen soharf auseinanderhält. Auf der einen 
Seite diejenigen ozaenaartigen Erkrankungen, die nur symptomatisch, 
nur als Begleiterscheinungen auftreten bei Syphilis, Tuberkulose, Fremd¬ 
körpern, bei Lupus, bei Nebenhöhlenerkrankungen usw. Ich würde Vor¬ 
schlägen, diese Fälle unter dem Namen als „Ozaena symptomatioa seu 
comitans* zusammenzufassen. Durch diese Bezeichnung wird m. E. die 
Eigenart dieser Krankheitsform gut charakterisiert. Denn sie betoDt, 
dass die Nasenerkrankung nioht das Grundübel, nicht die eigentliche 
Erkrankung darstellt, sondern nur ein Symptom, eine Begleiterschei¬ 
nung einer anderen ätiologisch genau bekannten Grundkrankheit. In¬ 
folgedessen kommt den Ozaenaerscheinungen in diesen Fällen auch nur 
eine symptomatische Bedeutung zu. Ihr gegenüber würde die genuine 
Ozaena stehen. Diese ist dadurch charakterisiert, dass bei ihr die 
ozaenaartigen Erscheinungen das Uebel selbst sind, und dass uns bis 
jetzt die Aetiologie dieser Erkrankung unbekannt ist. 

Hr. Sturman n: M. H.! Ich habe mir gestern, nachdem ich die Ein¬ 
ladung zu dieser Sitzung bekommen batte, den Vortrag von B. Fränkel 
zu seinem 70. Geburtstag angesehen. Er benutzte diese Gelegenheit, um 
festzustellen, dass man unter Ozaena immer noch dasselbe verstünde 
wie BO Jahre zuvor, wo er zum ersten Male dieses Krankheitsbild be¬ 
schrieben habe, und er sagte auoh, dass man die schmückenden Bei¬ 
namen, die man der Ozaena gegeben, allmählich fallen gelassen habe, 
nachdem man eingesehen hatte, dass Ozaena diejenige wohlcharakteri¬ 
sierte Erkrankung ist, die aus unbekannter Ursache die bekannten 
S Symptome hat. Wenn immer wieder von Ozaena syphilitica usw. ge¬ 
sprochen wird, so muss ich sagen: ich habe die Empfindung, dass der 
aus der Nase dringende unangenehme Foetor die Logik verwirrt; denn 
schliesslich handelt es sich dabei um ganz andere Erkrankungen. E9 
hat übrigens Leute gegeben, die behaupten, dass der Gestank der 
eigentlichen Ozaena ein ganz anderer ist als der von Syphilis oder 
anderen Erkrankungen der Nase. Wenn man derartige Nasenkrank¬ 
heiten mit Ozaena bezeichnet, so könnte man mit gutem Recht irgend¬ 
einen stinkenden Prozess an anderer Körperstelle auoh Ozaena nennen. 

Also: es gibt erstens eine genuine Ozaena und zweitens verschiedene 
Erkrankungen der Nase, die Borken oder Gestank maohen, ähnlioh wie 
die Ozaena und die nur eine Ozaena Vortäuschen. 

Hr. Heymann: Ich stimme Herrn Sturmann zu. Wir Aelteren 
wissen ja nooh, dass man sioher alles Mögliche Ozaena nannte, das mit 
üblem Geruoh aus der Nase einherging, und wir haben es als einen 
grossen Fortschritt empfunden, dass wir jetzt nur nooh das Ozaena 
nennen, was eine selbständige Krankheit darstellt. Wenn wir nun den 
Begriff der Ozaena comitans einführen, stiften wir Verwirrung und kehren 
auf den Standpunkt zurück, den wir vor Jahren glücklich überwunden 
haben. loh würde empfehlen, nur das unter Ozaena zu verstehen, was 
Herr Kuttner als genuine Ozaena usw. bezeichnet hat. 

Hr. Kuttner: Dann möohte ich fragen, wie die Herren die ozaena¬ 
artigen Erkrankungen bei Tuberkulose, Syphilis usw. zu bezeichnen Vor¬ 
schlägen? Würden Sie nicht einen Sammelnamen für diese Falle für 
wünschenswert erachten? (Zuruf: Als Tuberkulose der Nase, Syphilis 
der Nase usw.) 

Hr. Sturmann: Wenn ein Tuberkulöser eine Ozaena hat, so ist 
das deswegen noch keine Ozaena tuberculosa, wenn an der Nase eines 
Syphilitikers nichts von syphilitischen Veränderungen — Caries, Se¬ 
questerbildung usw. — oder in der Nase eines Tuberkulösen nichts von 
tuberkulösen Geschwülsten, Zerfallsersoheinungen usw. zu sehen ist, so 
ist das eine Ozaena bei einem Tuberkulösen oder eine Ozaena bei einem 
Syphilitiker, und es besteht gar kein Grund für die Behauptung, das 
sei Ozaena, bedingt durch Tuberkulose oder durch Syphilis. 

Hr. Kuttner: Also danach würden wir nur eine genuine Ozaena an¬ 
nehmen und die anderen bisher hierher gerechneten Fälle als ozaenaartige 
Erscheinungen bei Lues, Tuberkulose, Nebenhöhlenerkrankungen usw. 
zu bezeichnen haben. 

Hr. Killian: Naoh meinem Gefühl ist es das Richtige, die Haupt¬ 
krankheit anzugeben und hinzu zusetzen: „mit ozaenaartigen Erscheinungen*. 
Das Wort „Ozaena* bleibt für die typische Erkrankung reserviert. (Zu¬ 
stimmung.) Also müssten wir Herrn Kuttner bitten, es in Zukunft auoh 
so zu maohen. (Herr Kuttner: Sehr gern!) 

Nun kommt die Frage 2: Ozaena nasalis et traohealis. Wir 
wollen also darüber sprechen, inwiefern wir Ozaena trachealis bei Ozaena 


nasalis beobachtet haben. Nun wird von Herrn Kuttner auf die Mit¬ 
teilung Zarniko’s von isolierter Ozaena trachealis hingewiesen. loh 
muss gestehen, dass ich etwas Derartiges nie gesehen habe, und ioh habe 
auoh gewisse Zweifel, obwohl ioh überzeugt bin und weiss, dass Zarniko 
ein ausgezeichneter Beobachter iBt. Hat denn einer der Herren auch 
einmal eine isolierte Ozaena traohealis gesehen? (Ja.) 

Hr. Kuttner: Ausser von Zar niko ist ein solcher Fall auch von 
B. Baginsky beschrieben, und ioh selbst habe einen dritten längere 
Zeit beobachtet. Es handelt sich um einen Bonst ganz gesunden Arbeiter 
Mitte der zwanziger Jahre, mit durchaus normalem Befund in Nase und 
Rachen, dessen Luftröhre, vom subglottischen Raum des Kehlkopfes an¬ 
fangend, mit graugrünen Borken ausgekleidet war, die einen typischen 
Ozaenagestank verbreiteten. Diesen Kranken habe ich viele Monate hin¬ 
durch beobachtet, der Befund war immer derselbe. Tuberkulose und 
Lues waren bestimmt auszusobliessen. 

Hr. Lautenschläger: loh bitte um Demonstration eines jeden 
Falles von Ozaena traohealis. Bis jetzt ist in dieser Gesellschaft noch 
kein derartiger Fall gezeigt worden. Ich kann Ihnen demnächst eine 
Kranke vorstellen, die vielleicht für die Genese der Ozaena traohealis 
von Wichtigkeit ist. Bei der Kürze der Zeit konnte ich sie nicht mehr 
benachrichtigen. An ihr sehen Sie die Zeichen einer eitrigen Traoheitis 
sicca, die subglottisch beginnt und sich ziemlich weit in die Trachea 
hinein erstreckt. Ich beobachte die Patientin jetzt vier Jahre. Sie hatte 
früher eine Kieferhöhleneiterung auf der linken Seite und eine Nasopharyn- 
gitis sicca. Letztere ist verschwunden, auch die Nebenhöhleneiterung 
ist ausgeheilt, die Borkenbildung in der Trachea besteht aber weiter. 
Andere ähnliche Fälle, die ich früher beobaohtet habe, waren auoh von 
der Nase her fortgeleitet. Demnach wäre die Ozaena traohealis eine 
sekundäre Erkrankung. 

Hr. Killian: M. H.! loh möohte sagen, dass das eine in theoretischer 
Hinsicht ungeheuer wichtige Frage ist, ob es eine isolierte Ozaena der 
Traohea gibt, denn dann müssen die Herren, die Theorien aufgestellt 
haben, diese so einrichten, dass sie auf diesen Fall passen. Es ist also 
ausserordentlich wichtig, dass jeder Fall dieser Art vorgestellt und genau 
untersuoht wird. 

Ioh wollte nur noch, was die differentielle Diagnose angeht, sagen, 
dass es auoh eine Lues der Traohea gibt mit zahlreichen flachen 
Ulzerationen, bei der sich Borken bilden und die unter Umständen mit 
Ozaena trachealis verwechselt werden könnte. 

Hr. A. Meyer: loh möchte auf die Zusammenhänge der Ozaena 
trachealis mit dem sehr ähnlichen Symptomenkomplex bei bestimmten 
Formen von Sklerom hinweisen. Bei Sklerom beobachten wir bei voll¬ 
ständig normaler Nase und vollständig normalem Rachen subcortioal 
eine übelriechende Borkenbildung, die mit den charakteristischen Ver¬ 
änderungen des Skleroms einhergeht. Man muss jedenfalls bei isolierten 
Tracheaerkrankungen an Sklerom denken. Das ist etwas, was leicht 
übersehen wird, da diese Formen des Skleroms bei uns selten Vor¬ 
kommen. 

Hr. Lautensohläger: Wir müssen auch die pathologischen Anatomen 
darauf aufmerksam machen, damit wir eine Ozaena trachealis zur Sektion 
bekommen. Bis jetzt haben wir leider noch keinen ausführlichen Sektions¬ 
befund. 

Hr. Killian: Ausserdem müssen die Borken und Sekrete unter¬ 
sucht werden. Das muss sioh decken. 

Hr. Kuttner: Der Fall, von dem ich eben gesprochen habe, ist 
der einzige, den ich gesehen habe; aber dieser Fall ist von mir und 
meinen Assistenten nicht einmal, sondern viele, viele Male auf Nefeen- 
höhleuerkrankungen, Nasopharyngitis, Lues, Tuberkulose und Sklerom 
untersucht worden, und es hat sioh nie auch nur der geringste Anhalts¬ 
punkt für eine dieser Erkrankungen ergeben. Die Stimmbänder waren 
grau-weiss, zeigten derbe chronische paobydermisohe Natur, aber frei 
von Borken, die erst unterhalb der Glottis begannen und die ganze 
Trachea bis zur Bifurkation bedeckten. Es waren dicke, schwarz-grüne, 
übelriechende Krusten, welche die Traohea röhrenförmig ausgossen, 
Waren sie durch Inhalation entfernt, so sah man eine blasse, atrophische 
sonst aber ganz normale Schleimhaut. Nie wurde in der monatelangen 
Behandlung ein Ulcus oder Gumma gesehen. 

, Hr. Killiau: Wir kommen zu Punkt 8: Heredität. 

Hr. Kuttner: loh darf vielleicht die folgenden Punkte des Pro¬ 
gramms: Familienozaena und Kinderozaena (Häufigkeit) zu¬ 
sammenfassen. (Vorsitzender Herr Killian: Bitte.) Es scheint mir 
wichtig, Erfahrungen darüber zu sammeln, ob es wirklich eine hereditäre 
und eine familiäre Ozaena gibt; es würde das von Wichtigkeit sein für 
die Frage nach der Vererblichkeit der Anlage und der Kontagiosität 
Ferner würde ich gern Ihre Erfahrungen darüber hören, ob Sie im ersten 
Jahrzehnt bei Kindern reine Ozaena häufig gesehen haben. 

Meine Erfahrungen sind auf diesem Gebiete negativ. Ioh habe keinen 
einzigen Fall erlebt, wo ioh mit Sicherheit sagen könnte: hier liegt 
Heredität vor. Zweimal habe ich eine gleichzeitige Erkrankung der 
Mutter und einer Tochter gesehen. Aber das ist doch angesichts der 
ungezählten anderen Ozaenafälle, wo die Mütter gesund waren, nioht 
ausreichend, um von einer hereditären Veranlagung zu sprechen. Bei 
Kindern unter 8—9 Jahren habe ioh nie eine genuine Ozaena ge¬ 
sehen. Was ich gelegentlich einmal dafür angesprochen habe, hat sich 
bei längerer Untersuchung immer wieder als Nebenhöhlenerkrankung 
mit ozaenaartigen Erscheinungen herausgestellt. 

Hr. Sturmann: loh habe nur selten mehrfaches Auftreten der 
Ozaena in derselben Familie gesehen. Ich habe ungefähr seit einem 


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26. März 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


291 


Jahre zwei Rieder io Beobachtung, von denen das ältere jetzt 9 Jahre 
alt ist. Es hat ausgesprochene Ozaena mit fürchterlichem Geruch und 
enormer Borkenanhäufung trotz täglicher Reinigung. Dieses Kind, das 
zweifellos an typischer Ozaena leidet, hat eine Schwester yon 4 Jahren, 
die eine nicht enge Nase und fast stets Schnupfen hat. Ich stimme mit 
Herrn Lauten Schläger überein: man sieht häufig Kinder, die einen 
hartnäckigen Katarrh, vermehrte Absonderung, einen etwas trockenen 
Raohen und vielleicht auch schon eine nicht sehr enge Nase haben, und 
von denen man sagen muss: das scheinen üzaenakandidaten zu sein. 
Yon diesem zweiten Kinde möchte ioh dasselbe behaupten. 

Hr. Kirscbner: Ich möchte nur fragen, ob es nicht möglich ist, 
dass der Gesellschaft das Material zugängig gemaoht wird, das seiner¬ 
zeit durch die systematischen Schulkinderuntersuchungen von Herrn 
Alexander und dem verstorbenen Herrn Grabower gesammelt worden 
ist. Ich habe mich damals an den- Untersuchungen in einigen Schulen 
beteiligt. Es wurden sehr genaue Protokolle geführt, und ich denke, 
es muss doch da ein wertvolles Material vorhanden sein. 

Hr. Lautenschläger: Ozaena im frühen Kindesalter habe ich auch 
nicht gesehen. Die jüngsten Patienten, die ioh operiert habe, waren 
zwei 9 und 12 Jahre alte Geschwister. Sie hatten beide Nebenhöhlen¬ 
eiterungen und eine Rhinitis atrophioans mit Foetor, Atrophie und 
Borkenbildung. Beide haben in früher Kindheit eine Infektionskrankheit 
gemeinschaftlich durohgemacht und von dieser scheint die gemeinsame 
.Ozaenaerkrankung herzustammen. 

Hr. Killian: Den Ausdruck Nebenhöhlenozaena möchte ich bitten, 
jetzt zu vermeiden; statt dessen wollen wir sagen: Ozaena mit Betei¬ 
ligung der Nebenhöhlen, wobei wir unentschieden lassen, was zuerst da 
war, oder Nebenhöhlenleiden mit ozaenartigen Erscheinungen. Beides 
darf nicht duroheinandergehen. 

Hr. Lautenschläger: Vor der Operation ist es oft unmöglich, zu 
entscheiden, ob Neben höhlenerkrankun gen da sind, oder ob es sich um 
sogenaqpte reine Ozaenen handelt. Ioh habe eine Reihe von Ozaenen 
operiert, die von mehreren Kollegen als genuine angesehen waren, bei 
denen sioh bei der Operation doch Nebenhöhlenerkrankungen heraus¬ 
stellten. 

Hr. Killian: Wenn man Röntgenbilder macht, so kann man daran 
oft die Nebenhöhlenerkrankungen nachweisen. Bei der typischen Ozaena 
sind die Nebenhöhlen meistens verschleiert. (Zuruf: Nicht immer.) — 
loh möchte cur sagen, dass ich die gleichzeitige Erkrankung von Mutter 
und Kind doch recht oft gesehen habe, weil ioh nämlich seit Jahren immer 
danaoh frage, und ich habe auch Kinder im Alter von 4 Jahren und dar¬ 
unter mit ausgesprochener Ozaena gesehen. Das unterliegt gar keinem 
Zweifel. Natürlich, wenn man plötzlioh vor eine solche Frage gestellt wird 
und aus seiner Erinnerung heraus alles Zusammentragen soll, so ist das 
etwas Unsicheres. Man müsste in seinem Material nachsehen, danach 
suchen und sioh dann äussern. 

Wünscht nooh jemand etwas zu der Hereditätsfrage zu sagen? 

Hr. Kuttner: Ich möchte das Ergebnis über diese Punkte kurz 
zusammenfassen. Ozaena im jugendlichsten Alter, also unter 8 Jahren, 
ist von mir versohwindend selten gesehen worden, ebenso die familiäre 
Häufung von Ozaena oder Fälle, die als hereditär angesehen werden 
können. 

Hr. Killian: Wir kommen zu Punkt 6: Prodromalstadium. 
Wer darüber etwas zu berichten weiss, den bitte ioh, das Wort zu 
nehmen. 

Hr. Bturmann*. M. H.! ioh glaube, dass das hier der geeignete 
Punkt ist, um auf die Hypothese des Herrn Kuttner einzugehen, denn 
diese beschäftigt sich eigentlich nur damit, wie sioh die Krankheit ent¬ 
wickelt, ohne etwas über die Ursache der Krankheit sagen zu können. 
Es kann richtig sein, wie er annimmt, dass ein chronischer Reizzustand 
vorhergeht; es kann auch richtig sein, dass dieser hyperplastischer Natur 
ist, obgleich ich nicht weiss, wie man gerade zu dieser Annahme ge¬ 
kommen ist. Aber nuu kommt das Allzuhypothetisohe. Er sagt: nun 
entwickelt sioh durch eine „besondere Veranlagung“ daraus eine Ozaena. 
Da wir zahlreiche Fälle kennen, bei denen die abnorme Weite einer 
Nasenseite die Erscheinungen im wesentlichen nur auf dieser Seite her¬ 
vortreten lässt, und da wir weiter eine Verbesserung der operativen Ver¬ 
engerung der Nasenhöhle, über die ioh später sprechen will, erzielen, 
da also die Weite der Nase eine höohst wichtige Rolle spielt, möohte 
ich vielmehr annehmen, dass die genuine Ozaena sich aus einem chro¬ 
nischen Reizzustand entwickelt, der schon frühzeitig zu einer Atrophie 
der Schleimhaut führt. Dieses Initialstadium zeigt nooh nicht die 
charakteristischen Ozaenasymptome; aber wir können uns sehr wohl vor¬ 
stellen, dass auf Grund einer solchen frühzeitigen Atrophie die Aus¬ 
trocknung der Sekrete durch die vermehrte in die Nase dringende Luft¬ 
masse und die Unmöglichkeit, die Sekrete auszuschneuzen, diesen Zu¬ 
stand allmählich in den typischen Ozaenazustand überleitet. 

Hr. Kuttner: Ich wollte bei diesem Punkt (Prodromalstadium) nur 
die Frage zur Diskussion stellen, ob einer der Herren die Entwickelung 
eines Ozaenafalles von Anfang an beobachtet hat, um festzustellen, wie 
die Nase ausgesehen hat, bevor die Ozaena manifest wurde. In der 
Literatur fiiidet man nur verschwindend wenig Angaben über diesen 
Punkt. Aus der Anamnese der Kranken kann man sohliessen, dass 
dem Manifestwerden der Ozaena ein chronischer Reizzustand voraus¬ 
gegangen ist. Sie alle geben an, dass sie sehr oft an Schnupfen ge¬ 
litten haben, der allmählich immer häufiger aufgetreten sei. Ob derselbe 
immer hypertrophischer Art ist und sein muss, lasse ich dahingestellt. 
Wenn nun Herr Stur mann meint, es sei ein chronischer Reiz oder ein 


häufiger Schnupfen, der nachher zur Atrophie führe, so frage ich — und 
das ist ja eben der springende Punkt —: weshalb kommt es gerade in 
diesen Fällen zur Entwickelung der Ozaena? Kennt doch jeder von 
uns zahlreiche Kinder, die an chronischen Rhinitiden leiden, die aber 
diesen Zustand allmählich überwinden und schliesslich eine leidlioh ge¬ 
sunde Nase aufweisen. Weshalb und warum ist bei einem Bruchteil 
dieser chronischen Kinderrhinitiden die Entwickelung eine ganz andere? 
Weshalb wird hier, im Gegensatz zu jenen anderen Fällen, aus der 
chronischen Rhinitis eine Ozaena? Aus dieser Betrachtung ergibt sich 
die Frage: Besteht hier eine besondere Veranlagung, oder tritt ein neues 
ätiologisches Moment hinzu, das aus dieser so häufigen und meist so 
harmlosen Kinderrbinitis Ozaena ersteben lässt? Oder ist die Ozaena 
bei diesen Kindern als Krankheit sui generis von vornherein angelegt? 
Mit anderen Worten: Ist dieses Prodromalstadium eine indifferente 
Rhinitis, aus der sich erst durch irgendein Aooidenz nachher die 
typische Ozaena entwickelt, oder ist es selbst bereits eine latente 
Ozaena? 

Hr. Jansen: loh möchte an dem Ausdruok „Prodromalstadium“ 
einen gewissen Anstoss nehmen. Es ist das Initialstadium. Auf der 
Höhe der Entwicklung sehen wir die drei Symptome scharf ausgeprägt; 
aber wir haben im jugendlichen Alter, auoh im späteren jugendlichen 
Alter — ich meine nach dem 12. Jahre — sehr häufig Zustände, wo wir 
nur eine Andeutung von Atrophie haben, wo aber schon eine deutliche 
Borkenbildung vorhanden ist. In anderen Fällen haben wir nur eine 
Andeutung von Borkenbildung, aber bereits eine deutlichere partielle 
Atrophie. Geruch belästigt nooh nicht. Im weiteren Verlauf kommt es 
allmählich zu den starken Graden der Atrophie und der Borkenbildung, 
ohne dass sie immer einander im Grade entsprechen. 

Hr. Kuttner: loh habe gerade über diese Frage viel naohgedacht, 
ob man besser von einem Prodromalstadium oder von einem Initial¬ 
stadium spricht. Es wird das davon abhängen, ob man die Ozaena als 
ein von vornherein als Krankheit sui generis angelegtes Leiden betrachtet; 
in diesem Falle würden alle die Nasenerscheinungen, die dem Manifest¬ 
werden der Ozaena vorhergehen, als Initialstadium aufzufassen sein. 
Nimmt man aber an, dass die chronische Kinderrhinitis ein indifferentes 
Leiden ist, das sich erst infolge irgendeines Accidenz zu einer typischen 
Ozaena umwandelt, so muss man von einem Prodromalstadium sprechen. 
Ich persönlich neige auoh mehr zu der ersteren Anschauung, dass die 
Ozaena von vornherein als Krankheit sui generis angelegt ist. 

Hr. Killian: Ich kann natürlich zu dieser Frage auoh nichts Ent¬ 
scheidendes mitteilen; aber ich hatte gerade neuerdings Gelegenheit, die 
Tochter eines Kollegen zu untersuchen. Der Kollege war dabei, und 
ich dachte: das ist jetzt eine Gelegenheit, einmal zu ergründen, wie die 
Ozaena entsteht. Der Vater hat auch den Fall gut beobachtet. Ioh 
habe ihn auf das genauste ausgefragt — es war leider kein Nasen¬ 
spezialist —, wie denn eigentlich die Sache entstanden ist, uDd da kam 
heraus, dass die Patientin an vielfachem Sohnupfen gelitten hat, .dass 
aber die eigentlichen Ozaenaerscheinungen doch verhältnismässig rasch 
aufgetreten sind. Also es kam in einer gewissen Zeit ein Umsohwung, 
und von diesem Zeitpunkt an konnte jeder sagen: es ist eine. Ozaena 
da. Das ist dooh etwas sehr Beachtenswertes. 

Dann möchte ich darauf hinweisen, dass es mir selbst passiert ist, 
dass ich einen Fall als Ozaena notiert hatte, und dass ich, als er nach 
einiger Zeit wiederkam, nicht begriff, wie ich damals die Diagnose Ozaena 
habe hinschreiben können. Auch das Umgekehrte ist mir vorgekommen: 
ioh hatte in einem Falle Rhinitis notiert, und naoh verhältnismässig 
kurzer Zeit sagte ioh mir: das ist ja eine Ozaena. Es scheint also in 
der ersten Zeit ein Wechsel der Erscheinungen möglioh zu sein, was die 
Atrophie angeht, oder wenigstens das, was wir als Atrophie bezeichnen. 
Wenn Sie in einer Nase starke Cocain- oder Adrenalin Wirkung erzeugen, 
können Sie unter Umständen eine solohe Konstriktion der Gefässe und 
der Schleimhaut herbeiführen, dass Sie, wenn Sie nichts von dem Mittel 
wissen, sagen: hier liegt eine Atrophie vor. Ich dachte mir: es muss 
da irgendein Umstand mitwirken, und da käme vielleicht in Betracht, 
ob denn die Gifte, die in der Ozaenanase entstehen, etwa vssokon- 
striktorisch wirken — das wäre einmal zu untersuchen —, ob sie eine 
dauernde Gefässkontraktion herbeiführen, die dann die Ursache für die 
Rückbildungsprozesse in der Nasenschleimhaut werden könnten. 

Dann möchte ich noch auf eines hinweisen. Sie haben doch auoh 
gewiss den Unterschied bemerkt zwischen einer Ozaena, die einen aus¬ 
gesprochen entzündlichen Charakter hat, und einer Ozaena, wo gar keine 
Spur von eigentlicher Entzündung mehr besteht. Z. B. bei älteren 
Ozaenen. Hier ist die Schleimhaut unter Umständen ganz blass und 
ohne Iojektion. Die Patienten haben hochgradigste Atrophie und Borken¬ 
bildung. Bei jüngeren Individuen dagegen findet man die Ozaena oft 
mit hochgradiger Entzündung der Schleimhaut, starker Hyperämie, da 
und dort auch Schwellungszuständen und starker Sekretion. Es gibt 
also wahrscheinlich zwei Stadien im Verlaufe der Ozaena: ein ent¬ 
zündliches und ein nicht entzündliches. Auf Grund dieser Wahr¬ 
nehmungen bin ich früher zu der Annahme gelangt, das entzündliche 
Stadium müsste das Vorstadium sein, und von dem Moment an habe 
ich in Fällen mit stark sekretorischem Nasenkatarrh ohne ausgesprochene 
Nebenhöhlenerkrankung den Verdacht gehabt, dass sie sioh vielleicht zu 
einer Ozaena ausbildeten, und ich habe gemeint, dass man das als Vor¬ 
stadium bezeichnen könnte. 

Hr. Claus: Mir ist bei der Anamnese, die ioh bei Ozaenakranken 
aufgenommen habe, auch mehrmals aufjgefallen, dass die Patienten mir 
auf die Frage, wann denn der Geruch eigentlich aufgetreten sei, wann 


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' 292 


BERLINER KLTNISOiiE WOüiifeNSdlKiyr. 


l*r. 12. 


sie Ton der Umgebung darauf aufmerksam gemaeht worden seien, gesagt 
haben, er wäre sohon früher zeitweilig vorhanden gewesen, und zeit¬ 
weilig wäre er dann wieder verschwunden gewesen und der Umgebung 
nicht aufgefallen. Es wäre wohl möglich, dass auf Grund der von Herrn 
Killian geschilderten eigenartigen Verhältnisse vollständig geruobfreie 
Zeiten mit Zeiten abweohseln, in denen Geruch vorhanden ist. 

Hr. Jansen: loh komme deswegen noch einmal darauf zurück, 
weil mir die Sache wegen der Diagnose von praktischer Wichtigkeit zu 
sein scheint, loh betrachte diesen ganzen Prozess als einen einheitlichen 
und nehme die Ozaena sohon als vorhanden an, wenn, wie Herr Kuttner 
sagt, das Prodromalstadium vorliegt. Ich glaube nicht, dass eine Anlage 
wenigstens nicht im anatomischen Sinne hinzukommt. Jedenfalls müssen 
wir diesen Prozess, bei dem die Borkenbildung und die Atrophie noch 
im Beginn der Entwicklung steht, und noch nioht für jedermann über¬ 
zeugend darzustellen ist, schon als eine Ozaena bezeichnen. 

Hr. Killian: Ich möchte zu dem vorhin Erwähnten noch eines 
sagen: es kann bei einer leichten Ozaena duroh einen frischen Schnupfen 
oder duroh irgendeine Therapie, die entzündungserregend gewirkt hat, 
der Ozaenacharakter verwischt werden. Das ist Ihnen ja bekannt. 

Hr. Sturmann: Ich weiss nicht, was aus den Untersuchungen 
des Herrn Kollegen Alexander geworden ist. Aber es bleibt doch 
gar niohts anderes übrig, als dass einige Laryngologen sich dazu bereit 
finden lassen, tausende Kinder von Gemeindeschulen einfach vom ersten 
bis zum letzten Schuljahr regelmässig jedes Vierteljahr zu untersuchen. 
Das wäre keine sehr umfangreiohe Arbeit, wenn man sie einteilt. Auf 
diese Weise würde man eine ganze Anzahl Kinder finden, die einfache 
Katarrhe usw. haben, und sehen, was sioh daraus entwickelt. Anders 
ist die Sache nicht möglioh. Denn dem Einzelnen von uns fehlt die 
Gelegenheit, eine so grosse Zahl von Kindern dauernd zu beobachten, 
dass ausreichende Erfahrungen Zustandekommen. 

Hr. Killian: M. H.! loh möchte davor warnen, namentlich in 
Gressstädten. Das hat nur dann Aussicht auf etwas Erfolg, wenn ein 
Spezialist in einer ganz kleinen Stadt lebt, dort ein Jahrzehnt oder 
zwei Jahrzehnte zubringt und das ganze Material wirklich kennt. Nimmt 
ein solcher Spezialist Sohuluntersuchungen vor, und' verfolgt er die 
einzelnen Fälle — dreiviertel werden ihm trotz aller Achtsamkeit in 
kurzer Zeit durohgehen —, so kann er vielleicht einmal etwas Brauch¬ 
bares feststellen. Verfährt man anders, so bemüht man sich, glaube 
ioh, umsonst: Viel Arbeit, wenig Nutzen. 

Hr. Lautensohläger: Es genügt sohon, die Kinder mit Neben¬ 
höhlenerkrankungen jahrelang zu beobachten. Bei ihnen kann man 
häufig sehen, dass zu gewissen Zeiten die Pharyngitis sieca verschwindet, 
während sie wenige Woohen später wieder vorhanden ist. loh beobachte 
einzelne Fälle dieser Art seit aoht oder neun Jahren, bei denen auch 
die atrophischen Zustände wechseln, aber immer wieder, und jedes Jahr 
stärker, auftreten. Andererseits habe ich Fälle gesehen, bei denen 
Pharyngitis sicca und die atrophischen Zustände in der Nase dauernd 
verschwanden. loh glaube, dass diese Fälle für uns besonderes Interesse 
haben, und dass es gut ist, wenn wir uns in der Beobachtung gegen¬ 
seitig unterstützen. 

Hr. Killian: M. H.l Vielleicht können uns die Hausärzte helfen. 
Ein Hausarzt hat dooh ein Kind zehn oder zwanzig Jahre lang vor 
seinen Augen, während der Spezialist es eigentlich nur gelegentlich und 
kurze Zeit hindurch sieht. Wenn wir die Hausärzte interessieren, Hesse 
sioh vielleicht etwas erreichen. (Hr. H. Gutzmann: Gibt es die 
noch?) In der Kleinstadt sicher! 

Hr. Kuttner: Es scheint mir aus der Diskussion hervorgegangen 
zu sein, dass die Herren die Ozaenaerkrankung als ein von vornherein 
als Erkrankung sui generis angelegtes Leiden betrachten, und dass das 
Initialstadium charakterisiert wird durch häufige sub akute Reiserscheinungen 
der Schleimhäute mit oder ohne Hypertrophie, und dass, wie ioh in 
meinem Referate betonte, den Kranken meist erst in dem AugenbUck, 
wo der Ozaenagestank bemerkbar wird, die Besonderheit ihrer Erkrankung 
zum Bewusstsein kommt. Ich sagte damals: „Zum vollen Bewusstsein 
ihres Leidens kommen die Patienten erst, wenn sich übler Geruch ein¬ 
stellt, der anfangs nur zeitweise auftritt, bald aber die Szene dauernd 
beherrscht.“ Dass die Ozaenasymptome in ihrer Intensität wechseln, 
kann man recht häufig beobachten. Schiokt man Ozaenakranke an die 
Nordsee, so bessern sich unter dem Einfluss der dauernden Salzinhalation 
ihre Beschwerden sehr wesentlich. Andererseits sieht man die Borken¬ 
bildung und den Fötor stärker werden, wenn die Kranken lange in 
heisser, troekner, unreiner Luft leben. Auch die Menstruation hat oft 
einen Einfluss auf das Krankheitsbild. 

Hr. Killian: Ich glaube, wir können, indem wir weitergehen, einiges 
züsammenfassen. Unter 7 steht: Grössere Häufigkeit beim 
weibliohen Geschlecht und bei unbemittelten Kreisen. Die 
grössere Häufigkeit beim weiblichen Gesohlecht wird niemand bestreiten. 

Hr. Sturmann: Was ich sagen will, gehört ebenso gut zu dem 
vorhergehenden wie zu dem jetzt zur Besprechung stehenden Punkte. 
Es ist klar, dass wir eine grössere Häufigkeit beim weibliohen Geschlecht 
sehen. Es steht auoh fest, dass wir die Ozaena selten bei Kindern und 
bei Männern sehen. Auffallend ist aber: wir sehen sie bei Soldaten 
recht häufig. (Zustimmung.) Es besteht eben ein grosser Irrtum in 
bezug auf das Maass der Häufigkeit bei den verschiedenen Kategorien. 
Das hat seinen Grund. Die Kinder werden, besonders bei armen Familen, 
nieht genügend beobaohtet und auoh, wenn sich ein übler Geruch ent¬ 
wickelt, nur selten zum Arzte gesohickt. Das junge Mädchen dagegen 
geht zum Arzt, wenn es resp. seine Mutter sioh des Weibwerdens be¬ 


wusst wird und die weibliohe Eitelkeit sich geltend macht. Es ist dooh 
auffallend, dass unter 100 Ozaenakranken, die sich melden, vielleicht 
95 Mädchen im Alter von ungefähr 15 Jahren sind. Wenn Sie heute 
eine Frau von 25 Jahren zum ersten Male in Behandlung bekommen, so 
ist sie sicher schon zehn Jahre früher beim Arzt gewesen. Weshalb 
meldet sich nie eine Patientin von 25 Jahrein zum ersten Male? Weil 
sie ihre Ozaena seit Jahren hat und sinn Arzt ging, als sie sie als 
hässlich empfand. Anders ist es bei den Männern und besonders bei 
denen vom Lande. Sie machen sich nicht viel aus dem Zustand ihrer 
Nase, aber das eine wissen sie jetzt: dass die Ozaena eine Krankheit 
ist, die kriegsunbrauchbar macht. Daher plötzlich die Erkenntnis, dass 
die Ozaena auch beim Manne nioht selten ist. Die Leute, bei denen 
Ozaena festgestellt ist, werden auch nach den neuesten Bestimmungen 
kriegsunbrauchbar erklärt Dabei kann es gesobehen, wie bei einem 
meiner Patienten, der keine Ozaena, aber durch eine Verletzung eine 
ganz flachgedrückte Nase hat, dass der musternde Arzt dekretiert: u$4, 
das heisst: unangenehme, ekelerregende Krankheit in der Nase. Also 
die Ozaena tritt uns zwar am meisten bei jugendlichen Patientinnen 
entgegen, sie ist aber auch sehr häufig bei Männern und wahrscheinlich 
bei Kindern häufiger, als wir bisher angenommen haben. 

Hr. Killian: Herr Stnrmann bat schon über den nächsten 
Punkt gesprochen: Grössere Häufigkeit beim weiblichen Geschlecht und 
bei unbemittelten Kreisen. Ich hatte nur vorschlagen wollen, dass 
man auch das letztere dazu nimmt. 

Hr. A. Meyer: Herr Sturmann erwähnte, dass Ozaena bei Soldaten 
ausserordentlich häufig vorkommt. Ich habe bei dem grossen Material, 
das ich in Warschau beobachtet habe, ungeheuer viel Ozaenafälle gesehen. 
Das ist vielleicht auch so zu erklären, dass Leute, die jede Gelegenheit 
benutzen, um sich von vorn naoh den Lazaretten zu drücken, auch die 
Ozaena dazu benutzen. 

Hr. Killian: Ich kann auch nur bestätigen, dass ich eine grosse 
Anzahl gesehen habe. Auf 2000 Fälle 50 Ozaenakranke = 2 1 /» pCt. 

Wir gehen weiter: 8. Einseitige Ozaena. Wünscht jemand dazu 
etwas zu sagen: 

Hr. Kuttner: Wer hat einseitige typische Ozaena gesehen? 
Ich stehe jeder einseitigen Ozaena skeptisch gegenüber. Meines Erachtens 
sind solche Fälle fast immer die Folge von Nebenhöhlenerkrankungen, 
Lues, Tuberkulose usw. 

Hr. Killian: Ich möchte allerdings hervorheben, dass ioh in einer 
ganzen Reihe von Fällen auf der einen Seite leichte Zeiohen von Krusten- 
Bildung gefunden habe, manchmal aber auch nichts. Mir soheint, dass 
es tatsächlich eine einseitige Ozaena gibt. 

Hr. Kuttner: loh habe mich in 32 jähriger Praxis nicht davon über¬ 
zeugen können, dass es eine typische einseitige Ozaena gibt. 

Hr. Lautenschläger: Meine Erfahrungen über diesen Gegenstand 
sind bereits niedergelegt. Ioh habe in engen Nasenhälften chronische 
Nebenhöhlenerkrankung ohne ozaenaartige Symptome gefunden, in der 
weiten Seite desselben Patienten dagegen Sklerosierung und typische 
Ozaena ohne Nebenhöhleneiterung. Ausserdem habe ich mehrere Fälle 
von Syphilis der Nase gesehen, ohne irgendwelche Ulzerationen, die 
Sie sicher als einseitige Ozaena bezeichnet hätten. (Zuruf.) Ioh 
habe Jod gegeben; danach versohwand die einseitige Ozaena. (Vor¬ 
sitzender Herr Ki Uian: Das wäre dann keine Ozeana, sondern Syphilis 
mit ozaenaartigen Erscheinungen.) Dann müssen Sie mir zunächst sagen, 
was Sie unter einer genuinen Ozaena verstehen. Bis jetzt habe ioh 
nur gehört, was sie nioht ist. 

Hr. Killian: Wir wollen diese Trennung zunächst festzuhalten 
suchen. 

Hr. Jansen: Ich glaube mich sicher zu erinnern, verschiedentlich 
einseitige Ozaena gesehen zu haben. Aber ioh möchte Herrn Lauten- 
sohläger fragen, da er den Ausdruck gebraucht hat, auf der anderen 
Seite wäre eine Sklerosierung gewesen: Ist die Diagnose erst nach der 
Operation gestellt worden oder nie schon vorher? (Hr. Lauten- 
Schläger: Nachher.) Das finde ioh seltsam. Im allgemeinen soll man 
doch die Diagnose Ozaena vor der Operation stellen. Herr Lauten¬ 
sohläger: Wenn Sie es können. Herr Killian: Also, ioh möohte bitten, 
auch einseitige Ozaenafälle hier vorzustellen, damit auoh die Frage ein¬ 
mal geklärt wird. 

9. Ozaena im Greisenalter. Ist dazu etwas Besonderes [zu 
bemerken? Herr Kutaner*. Ioh habe naoh dem 50. oder 60. Jahre keine 
Ozaena mehr gesehen. Ich habe viele im Greisenalter gesehen. Herr 
Lautenschläger: loh auch. 

Hr. Jansen: Ich habe viele sehr weite Nasen gesehen, wo ich mir 
gesagt habe: hier muss Ozaena bestanden haben; aber von Ozaena, von 
Borkenbildung war nichts mehr wahrzunehmen. 

Hr. Sturmann: Meistens bildet sich im Alter mit etwa 40 Jahren 
die Ozaena zurück. Das war bisher bei der Erfolglosigkeit der Therapie 
der einzige Trost, den ich meinen Patienten gegeben habe, dass sich 
das Leiden allmählich von selber verlieren würde. Erst heute habe 
ich eine 42 jährige Dame mit hochgradiger Atrophie gesehen, die früher 
Borken und üblen Geruch hatte. Alte Leute mit Ozaena, bekommt man 
nicht zu sehen, weil in der Mehrzahl der Fälle vorher tier [Gestank 
aufhört und die Borkenbildung naoblässt; die Atrophie bleibt natürlich 
bestehen. 

Hr. Killian: Das kann ich auch bestätigen, dass ein Zustand 
eintritt, der eigentlich keiner Behandlung mehr bedarf. Die Patienten 
haben sich an die weite Nase gewöhnt. Es wäre wohl der Mühe wert, 
reoht alte Leute mit Ozaena herzubringen. 


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25. Hirt 1916. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Hr. Kuttner: Es herrscht also darüber Uebereinstimmung, dass 
in den Jahren, in denen der Rüokbildungsprozess in dem Organismus 
beginnt, — dieser Zeitpunkt ist bei den verschiedenen Individuen 
ein verschiedener —, die Borkenbildung und die Sekretion naohlässt 
Die Atrophie bleibt natürlich bestehen. 

Hr. Killian: Wir müssten bei dieser Frage untersuchen, ob 
Osaenakranke alt werden. In diesem Falle müssten dooh eigentlich im 
späteren Alter gerade soviel da sein wie vorher. Ist das nicht der 
Fall, dann sind sie eben ungewöhnlich stark ausgestorben, durch 
sekundäre Erkrankungen z. B. der Lungen. 

(Zuruf: Sie sind es müde, zum Arzt zu gehen.) Kann auch sein! 

Hr. Jansen: Bei den Fällen, die ioh im Auge hatte, hat die 
Anamnese ergeben, dass sie früher an Borkenbildung gelitten haben. 
Dessen erinnere ich mich mehrfaoh. Das wird Ihnen auch so gegangen sein. 

Hr. Killian: Wir können weitergehen: 10. Weite der Nasen- 
höhle. 

Hr. Kuttner: Es steht zur Besprechung die Frage, welchen Ein¬ 
fluss die Weite der Nasenhöhle auf die Ausbildung der Ozaena hat. Ich 
habe mich, wenn ioh das kurz rekapitulieren darf, dabin geäussert, dass 
die Weite der Nasenhöhle zwar die Sekretion beeinflusst — wir sehen 
das ja ganz unzweideutig nach grösseren Nasenoperationen; die Schleim¬ 
haut wird blass und atrophisob, es bildet sioh eine Schicht von ein¬ 
getrocknetem Schleim; aber niemals habe ich in solchen Fällen Foetor 
gefunden. Infolgedessen glaube ioh nicht, dass die Weite der Nase die 
Grundursache der Erkrankung ist. Ich sehe vielmehr in der Weite der 
Ozaenanase immer nur eine Erweiterung infolge des Krankheitsprozesses, 
also eine Folgeerscheinung. 

Hr. Killian: Ich bitte, nur das Wort zu ergreifen, wenn jemand 
anderer Ansicht ist als der eben von Herrn Kuttner geäusserten. 

Hr. Sturmann: loh bin ebenfalls davon überzeugt, dass die Weite 
der Nase etwas Sekundäres ist. Trotzdem aber haben wir — und nun 
sehe ioh von aller Thöorie ab — in dieser Weite der Nase einen An¬ 
griffspunkt für die Therapie. Sie haben das schon von Herrn Lauten- 
sohläger gehört, der mit Erfolg versucht hat, durch Verlagerung der 
lateralen Nasenwand und eventuell ihre Fixierung am Septum den Pro¬ 
zess zur Besserung oder Heilung zu bringen, und auch ich habe mich 
seit einiger Zeit damit beschäftigt, eine Nasenverengerung herzustellen, 
und zwar (Herr Killian: Ueber Therapie sollten wir eigentlich nicht 
diskutieren!) die Nase durch operative Einpflanzung von Gewebstücken 
zu verengern. Ioh habe ganz auffallende Resultate erzielt und glaube, 
dass weitere Versuche gemacht werden sollten. Da der Eingriff einfach 
ist und nur eine kurze Nachbehandlung erfordert, kann man sioh ja 
sehr schnell ein Urteil darüber bilden. Man sieht schon 14 Tage oder 
3 Wochen, nachdem die Patienten operiert worden sind, dass in ganz 
auffallender Weise der Geruch und die Borkenbildung gebessert sind. 
Ich habe nun zuerst Tibia in die Nase eingepflanzt, und zwar in der 
Weise, dass ioh, wie bei meiner Kieferböhlenoperation, vor der unteren 
Musobel einen Schnitt anlege, der auf die Apertura pyriformis geht. 
Dann löse ioh die Schleimhaut einsobliesslioh der unteren Muschel von 
der lateralen Wand der Nase ab, so dass ioh eine bequeme Tasche er¬ 
halte, und nachdem ich die Tasche auf jeder Seite hergestellt habe, 
meissle ioh ein breites Stück von der Tibia ab, halbiere es und schiebe 
jederseits ein Knoohenstück mit Periost ein; hinterher werden die 
Sohnitträoder durch eine Naht vereinigt und die Tasche so geschlossen. 

Da die Verwendung eines Stückes von der Tibia deshalb ein 
bisschen unbequem ist, weil die Operierten ungefähr 3 Wochen liegen 
müssen, so habe ioh auoh ein Stück einer Rippe verwendet und gleich¬ 
zeitig, um zu probieren, ob das Periost zur Einheilung nötig ist, was 
man vielfach behauptet hat, das Rippenstück der Länge nach so durch¬ 
schnitten, dass ioh auf der einen Nasenseite ein Stück mit Periost, auf 
der anderen ohne Periost einpfltfbzte. Beides heilte in derselben Weise 
sehr gut ein. Schlieaslioh habe ich von anderen Patienten Material ge¬ 
nommen, weil das sehr viel bequemer ist. Ioh habe zunächst bei einem 
Patienten Muscheln und Septum reseziert, natürlich nur, wenn es nötig 
war, und sofort hinterher bei einem Ozaenakranken das gewonnene Ma¬ 
terial eingepflanzt, nachdem ioh es inzwischen in körperwarmer physio¬ 
logischer Kochsalzlösung aufbewahrt hatte. Wenn die Tasohe nioht 
weit genug ist, um soviel Material einzulegen, dass eine genügende 
Verengerung erzielt wird, so kann man ohne weiteres in derselben Sitzung 
auoh etwas Material in das Septum hineinbringen, naohdem man vorn 
einen Schnitt angelegt hat wie zur Septumresektion. Was Sie von 
lebendem Material hineinstecken, ist ganz gleichgültig. Von den Musoheln 
schneide ioh die oberste Sohleimhautsobicht ab, weil ich fürchte, dass 
sonst keine Einheilung geschieht. Aufpassen muss man auoh, wenn 
man die Schleimhaut der lateralen Wand ablöst, dass man sie nioht 
hinten durohstösst oder zerreisst, weil dann der Fremdkörper wieder 
ausgestossen wird. Ich habe z. B. einen Fall operiert, wo hochgradige 
Deviation und Leiste rechts vorlag und daher auch rechts die Borken¬ 
bildung sehr viel geringer war. Naohdem ich in der linken weiten 
Seite die Einpflanzung vollzogen hatte, sah ioh ein, dass die Verengerung 
nicht ausreiohen würde. Deshalb habe ich eine Septumresektion an- 
gesohlossen und das Material so innerhalb der Septumschleimhaut auf 
beiden Seiten in gleiohmässiger Weise verteilt, dass beiderseits eine ge¬ 
nügend grosse untere Muschel und ein nach beiden Seiten verdicktes 
Septum zustande kam und damit eine ausreichende und beiderseits 
gleichmässige Verengerung. 

Hr. Jansen: loh möchte nur kurz darauf hinweisen, dass ich häufig 
Fälle von Ozaena gesehen habe, wo die eine Seite sehr weit, die andere 


sehr eng war, z. B. duroh Deviation. In der engen Seite habe ich auch 
viel Borkenbildung gesehen, so dass ioh immer zweifelhaft gewesen bin, 
ob eine Verengerung der Nase eine so erhebliche Rolle in der Frage 
des Besserwerdens der Ozaena spielen könnte. 

Bezüglich der plastischen Operation des unteren Nasenganges möchte 
ioh darauf hinweisen, dass die Anlänge der Ozaena bei jugendlichen 
Individuen mehr im oberen Teile der Nase zu sehen sind, so dass mir 
der untere Teil ao Wichtigkeit eher zurückzutreten scheint. Schliess¬ 
lich habe ich die Borkenbüdung vorzugsweise an der lateralen Wand 
der Nase, weniger am Septum gesehen, so dass die Septumstellung für 
die Frage der Ozaena unwesentlich zu sein scheint, abgesehen von der 
Frage der Reinigung. 

Hr. Killian: M. H.! Wir wollen nicht zu sehr auf die Therapie 
eingehen. Ich möchte jedoch einiges zu dem bemerken, was Herr 
Sturmann mitgeteilt hat. Ioh habe doch gewisse Bedenken, dieses 
Verfahren zu verallgemeinern. Erstens bin ich nioht ganz überzeugt, 
dass es ein Dauerresultat gibt, weil die Zeit doch wohl etwas kurz sein 
dürfte und implantierte Knochen und derartiges immer wieder heraus¬ 
eitern kann. Das müsste also abgewartet werden. Zweitens habe ioh 
die grössten Bedenken, Material von anderen Patienten zu implantieren. 
Es ist ja wohl wahr, dass die Chirurgen hier uud da etwas Derartiges 
gemacht haben. Wenn aber ein soches Verfahren allgemein zur An¬ 
wendung kommen sollte, so würden wir die übelsten Sachen erleben; 
denn wer kann garagieren; dass das Material frei von Syphilis, Tuber¬ 
kulose oder irgendwelchen anderen derartigen Keimen ist. Also davor 
möchte ich dooh warnen. Die Idee ist ja wohl zu begrüssen; aber man 
soll dann doch wenigstens Material von demselben Patienten nehmen. 

Hr. Lautensohläger: loh wollte nooh hervorheben, dass es auoh 
enge Nasen mit Ozaena gibt. Ich habe eine ganze Reihe von Fällen 
gesehen, bei denen die Muscheln verhältnismässig gut erhalten waren 
und doch eine sklerosierende Ozaena bestand. Auch hier hat die Ope¬ 
ration den sklerosierten Knochen aufgedeokt und damit den Nachweis 
geliefert, dass es sich um eine „genuine“ Ozaena handelte. 

Hr. Killian: Wir kommen zu 11. Epithelmetaplasie. 

Hr. Kuttner: Ich weiss nioht, ob einer von den Herren über eigene 
mikroskopische Untersuchungen verfügt. (Zuruf: Sekundär!) 

Hr. Killian: Darin sind wir einig. 

12. Schwund der Bowmann’schen Drüsen. Das.ist eine histo¬ 
logische Saohe. 

13. Nebenhöhlenerkrankungen und Ozaena.. 

14. Atrophie der Schleimhaut und Veränderungen des 
Knoohengewebes. 

Hr. Lautensohläger: Naoh meinen Erfahrungen ist das Charak¬ 
teristische bei der genuinen Ozaena der sklerosierte Knochen. Wenn 
Nebenböhleneiterungen da sind, ist er nicht oder wenig sklerosiert. Die 
Sklerosierung des Knochens lässt sich im Röutgenbild nicht ohne weiteres 
naohweisen. Auoh die Punktion vom unteren Nasengange aus gibt 
keinen sioheren Anhaltspunkt dafür, denn man hat auch bei nicht 
sklerotischen Knoohen oft Schwierigkeiten bei der Punktion. Der 
Knochen erscheint hart, ist aber nioht sklerosiert.> Die Sklerosierung 
kann man nur durch Aufdeckung des Knoohens mit Sicherheit nach- 
weisen. 

Hr. Killian: loh möobte aus meiner Erfahrung sagen, dass ioh in 
Freiburg Präparate hatte, an denen man diese Sklerosierung und Ver¬ 
dickung der Kieferwände deutlich sah. Es wird auoh jedem bei Punk¬ 
tionsversuchen aufgefallen sein, dass der mittlere Nasen gang sehr tief 
nach aussen geht, so dass man oft nicht durchkommt — beim unteren 
Nasengange oft ebenfalls nioht —, wenn man nioht mit dem Troicart 
mit grösserer Gewalt vorgebt. Das habe ich immer als Verdiokung der 
Wände gedeutet. Verschleierungen im Röntgenbild sind auf Knooben- 
verdiokungen zurückzuführen, wenn duroh Ausspülungen bewiesen ist, 
dass keine ausgesprochene Nebenhöhlenaffektion besteht, namentlich 
keine, die viel Sekret liefert. Aus früheren Darlegungen des Herrn 
Lautensohläger geht ja hervor, dass er viele Operationen bei Ozaena 
gemacht hat und grosse Erfahrungen darin besitzt. Bei der Operation, 
bei der ioh zugegen war, habe ich gesehen, dass die Wände der Kiefer¬ 
höhle auf beiden Seiten stark verdickt waren. Damit muss man über¬ 
haupt bei den operativen Eingriffen rechnen. 

Hr. Kuttner: Dann würde bloss noch die Frage zu erledigen sein, 
ob diese Sklerosierung des Knochens eine primäre oder sekundäre ist. 
(Herr Lautensohläger: Ich halte sie für sekundär.) Ioh habe in 
meinem Referat darauf hingewiesen, dass auch schon von anderer Seite 
der Ozaenagestank auf eine Einbeziehung des Knoohens in dem Krankheits- 
prozess zurückgeführt wurde. Neufeld berichtet, dass ihm wieder 
holt die Aehnlichkeit des Ozaenageruches mit dem Geruch von zer¬ 
setztem Leim aufgefallen ist, und das hat ihn wohl zu der Annahme ge¬ 
führt, dass das Ozaenasekret einen typischen Gestank annimmt, sobald 
die Erkrankung der Schleimhaut auf den Knochen und Knorpel über¬ 
greift und hier einen veränderten Chemismus hervorruft. Man würde 
also danach die Eigenart des [Ozaenaprozesses darin zu sehen haben, 
dass hier, im Gegensatz zu den namenlosen Kinderrbinitiden, die sub¬ 
akuten Reizersoheinungen durch die Schleimhaut und das Periost bzw 
Perichondrium hindurob, auf den Knochen und Knorpel übergreifen 
Schwund auf der einen Seite, Sklerose auf der andern, und endlich der 
typische Foetor müssen dann als Folgen des veränderten Chemismus in 
Knoohen und Knorpel anzusehen sein. 

Hr. Killian: loh möchte hier sowohl zu der Ansicht des Herrn 
Kuttner wie zu der des Herrn Lautensohläger einiges bemerken. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


loh glaube, dass es Herrn Lautensohläger nioht möglich ist, bei einer 
solchen Operation zu unterscheiden, ob der Knochen riecht. Das ganze 
Operationsfeld ist doch mit dem Ozaenasekret überschwemmt. Wie will 
man da auseinanderhalten, ob es der Knochen ist, der riecht, oder das 
Sekret, das das Gebiet überschwemmt? (Herr Lauten Schläger: Die 
Nasenhöhle ist vollständig austamponiert.) Das Sekret bleibt ja an den 
Fingern haften. Man kann es doch, wer weiss wie lange, riechen! Das 
Sekret ist von überaus durohdringendem Geruch. (Herr Lautenschläger: 
Es ist eben ein anderer Geruch als aus der Nase.) Ich möchte da 
widersprechen. 

Was den Versuch des Herrn Kuttner angeht, für die Entstehung 
des Gestankes bestimmte körperliche Eigenschaften, eine Art Diathese, 
vorauszusetzen, so möchte ich dem doch entgegenhalten, dass mir dieser 
Gestank an einen bestimmten Bacillus geknüpft zu sein scheint; denn 
Sie können doch in den Kulturen, worin gar nichts von Knochen, von 
Leim und dergleichen ist, wenn Sie Ozaenasekret verimpfen, den typischen 
Ozaenagestank sehr leicht erhalten. Es ist eine eigenartige Zersetzung, 
die durch den Bacillus foetidus herbeigeführt wird. ^ Damit soll nicht 
gesagt werden, dass dieser der Erreger der Ozaena sei. Er kann sich 
ja auoh sekundär angesiedelt haben. Aber durch ihn kommt erst der 
Gestank zustande. 

Hr. Kuttner: Es ist ja natürlich durchaus möglich, dass der 
spezifische Geruch auf einen spezifischen Bacillus zurückzuführen ist. 
Es fehlt eben nur der Nachweis dieses Bacillus; und es ist doch immer 
etwas auffallend, dass wir so unendlich viele eitrige Nasenerkrankungen 
haben, bei denen dieser ubiquitäre Bacillus nicht wirksam wird. Um 
dieser Tatsache gerecht zu werden, müssten wir annehmen, dass das 
Sekret derOzaenakranken eine ganz besondere, von anderen Naseneiterungen 
abweichende chemische Zusammensetzung hat r die diesem Bacillus erst 
seine Weiterentwicklung ermöglicht. Diese Annahme ist gewiss diskutier¬ 
bar, aber wir müssen uns darüber klar sein, dass wir damit die ganze 
Frage nur um einen Sohritt weiter rücken. Es würde sich sogleich die 
neue Frage aufwerfen, worin besteht die Besonderheit des Ozaenasekretes? 
Hier konnten nur die Neufeld Lautenschläger’sohen Mitteilungen weiter- 
helfen, welche die Eigenart des Ozaenasekretes auf die Neuerkrankung 
des Knochens und Knorpels zurückführen. Wonach dann in letzter Linie 
noch die Frage zu beantworten wäre, wie kommt es, dass in wenigen 
Fällen die chemischen Reizersoheiuungen in Kindernasen so weit in die 
Tiefe dringen und dooh so starke Veränderungen auBlösen, während sie 
in ungezählten anderen Fällen oberflächlich bleiben und harmlos ver¬ 
laufen, womit wir dann wieder bei der leider immer noch nicht beant¬ 
worteten Frage nach der Grundursache der Ozaena angekommen sind. 

Hr. Killian: Ich glaube bestimmt daran, dass das ein ganz 
typischer Bacillus ist, der den Geruch macht. Ich erinnere mich auch, 
dass — ich weiss nicht, von wem die Untersuchung gemacht wurde — 
(Zuruf: Von Friese in Halle!) festgestellt wurde, dass das frische 
Sekret geruchlos ist und der Gestank erst eintritt, wenn das Sekret eine 
Zeitlang in der Nase verweilt hat und Zersetzungen stattgefunden haben. 
Ich stelle mir nicht, wie Herr Kuttner, vor, dass der Bacillus foetidus 
überall vorhanden ist. Er wird wahrscheinlich nur von den Bazillen¬ 
trägern verbreitet. 

Wünscht noch jemand das Wort? Das ist nicht der Fall. Dann 
können wir diese Diskussion abschliessen. Ich glaube, sie war ziemlich 
anregend und wird eine gewisse Klärung herbeiführen. Es sind vielleicht 
auch einige neue Momente zum Vorschein gekommen. loh möchte den 
Herren Lautenschläger und Kuttner unsern besondere Dank dafür 
aussprechen, dass sie sich so viel Mühe in dieser Frage gegeben haben. 

(Schluss folgt ) 


Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg i. Pr. 

Sitzung vom 17. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Winter. 

Hr. Kwasek: 

Demonstration eines Falles von Eventratio diaphragmatica. 

Linksseitiger Zwerohfellhochstand mit Rechtslagerung des Herzens 
und Lagerung des Magens in der Medianlinie. Zufallsbefund gelegent¬ 
lich einer Herzuntersuchung. Anamnestisch fanden sich keine dies¬ 
bezüglichen Beschwerden. 

Diskussion. 

Hr. Frohmann kommt im Anschluss an seinen vorjährigen Vor¬ 
trag nochmals auf die Differentialdiagnose zwischen Hernia und Even¬ 
tratio diaphragmatica zu sprechen. Er weist auf die neueren Unter¬ 
suchungen betreffs Feststellung des positiven oder negativen Druckes 
im Magen hin, sowie auf die differentialdiagnostisch zu verwertenden 
Befunde bei Reizung des Nervus phrenicus. Demonstration eines Falles 
im Röntgenbild. 

Hr. E. Meyer: Psychosen und Schwangerschaft. 

Die Häufigkeit der Generationspsychosen im allgemeinen wurde 
früher auf etwa 10 pOt. der Frauenaufnahmen in Anstalten eingeschätzt. 
Jetzt beträgt. sie nur etwa 4—5 pOt., in erster Linie wohl wegen der 
besseren Hygiene des Wochenbettes. Unter Wöchnerinnen erkranken 
etwa 0,2 pCt. an psyohischen Störungen, doch sind die Angaben dar¬ 
über schwankend. 


Meyer behält die Einteilung: Graviditäts-, Puerperal- und Lakta- 
tionspsyohosen bei, hebt jedoch hervor, dass die von Olshausen schon 
1890 gemachte Trennung in Intozikations-, Infektions- uod idiopathische 
Psyohosen von prinzipieller Bedeutung sei. Nach den früheren Arbeiten 
treten die Graviditätspsychosen an Zahl zurück, während Runge und 
besonders neuerdings Siemerling erheblich mehr Graviditätspsyobosen 
aufführen. Es beruht dies darauf, dass bei diesen Statistiken die Fälle 
psychopathischer Konstitutionen mehr berücksichtigt sind. Auch M. 
würde jetzt zu ähnlichen Resultaten kommen. Es ist nötig, die psycho¬ 
pathischen Konstitutionen — darunter auch die Hysterie und Neur¬ 
asthenie — mit heranzuziehen. 

Was die Gravidität angeht, so führen leichte Schwankungen in der 
normalerweise bestehenden Stoffwechsel Wandlung zu den sogenannten 
Sohwangerschaftsbeschwerden, bei denen man, falls sie auf nervösem 
Gebiet vorwiegend liegen, eine Disposition voraussetzen wird. Störungen 
des Nervensystems, die als toxische aufzufassen sind, sind in der Gra¬ 
vidität häufig: Eklampsie, Chorea, Neuritis usw. Die leichteren und 
schwereren psychischen Erscheinungen, die dabei nie fehlen, sind In- 
toxikationspsyebosen im Sinne Ohlshausen’s oder symptomatische 
Psychosen (Bon ho eff er). Sie bilden nur ein Symptom. Entscheidend 
ist die Grundkrankheit auoh für die Frage des künstlichen Abortes. 
Ihre Differentialdiagnose ist aber schwierig. Diagnosen wie Mania puer- 
eralis sind zu vermeiden. Es stehen also symptomatische psychische 
törungen auch in der Zeit der Gravidität den anderen Psychosen gegen¬ 
über. Es gibt somit keiue spezifischen Puerperalpsychosen, was für die 
Frage des künstlichen Abortes von grösster Bedeutung ist. 

Bei der Besprechung der einzelnen Krankheitsformen geht M. zu¬ 
nächst auf die „angeborenen Anlagen und konstitutionellen Zustände* 
ein, wobei er zuerst des Eifersuohtswahnes gedenkt. Manisch depressives 
Irresein hat M., entgegen den Angaben anderer Forscher, selten beob¬ 
achtet. Anhaltspunkte für einen engeren Zusammenhang desselben mit 
der Gravidität ergeben sich nicht, so dass kein Anhalt für den künst¬ 
lichen Abort gegeben ist. Ein grosser Teil der als Melancholie oder 
DepresBionszustände beschriebenen Krankheitsfälle gehören nach M.’s 
Ansicht zu den psychogenen oder ideoplastischen Depressionen der 
Psychopathen. Bei so veranlagten Frauen kommt es in der Gravidität 
zu ausgesprochenen Depressionszuständen, in deren Mittelpunkt aus¬ 
schliesslich stark affektbetonte Ideen stehen, die an die Schwangerschaft 
und ihre Folgen anschliessen (Schwangerschaftskomplex). Dieser ganze 
Vorstellungskomplex ist mit starkem depressiven Affekt und Angst¬ 
gefühl verbunden, auch mit Selbstmordideen und mit Selbstmord¬ 
versuchen. 

In den Jahren 1904—1917 wurde M. in 28 Fällen die Frage des 
künstlichen Abortes, meistens von gynäkologischer Seite bzw. vom Haus¬ 
arzt vorgelegt. Unter ihnen waren 28mal die Erkrankungen der psycho¬ 
pathischen Konstitution zuzurechnen, 6 mal war die Unterbrechung der 
Schwangerschaft wegen ausgesprochener Schwangerschaftsdepression an¬ 
gezeigt (der Prozentsatz erscheint etwas zu hoch, da die Gesamtzahl zu 
gering ist und die Prozentzahl auch in den einzelnen Jahren erheblich 
voneinander abwioh). Tatsächlich sind die Fälle, in einem Grade 
wenigstens, dass die Indikation zum künstlichen Abort gegeben ist, 
nach M.’s Beobachtungen sehr selten. 

Die Indikationsstellung wird naturgemäss stets eine schwierige sein. 
Sie erfordert nicht nur die Abwägung der Sohwere des einzelnen Falles, 
sondern auch einen Ueberblick über die ganze Persönlichkeit und die 
ganze Entwicklung der Kranken. 

Der neurasthenische und ebensowenig der hysterische Typus der 
psychopathischen Konstitution geben keinen Anlass zur Unterbrechung 
der Schwangerschaft. Ebensowenig kommt beim angeborenen Schwach¬ 
sinn derselbe in Frage, wenigstens nioht unter dem Gesichtspunkt einer 
schweren, sonst unabwendbaren Gefahr für die Mutter. Eher könnte 
man hier den künstlichen Abort aus den Lehren der Eugenetik her¬ 
leiten wollen, dooh reichen bisher die wissenschaftlichen Grundlagen 
nioht aus, um die Unterbrechung der Schwangerschaft zu rechtfertigen. 
Immerhin ist zu betonen, dass die Lehre* der Eugenetik eine grössere 
Beachtung verdient, als sie bisher im allgemeinen in Deutschland im 
Gegensatz zu anderen Ländern gefunden hat. 

Zu einer Unterbrechung der Schwangerschaft geben auch die Para¬ 
lyse und die symptomatischen Psychosen keinen Anlass. Die Dementia 
praecox weist, falls sie in den Generationspbasen auftritt, keine Be¬ 
sonderheiten auf, wird auch nicht durch die Geburt in ihrem Verlauf 
beeinflusst. Daher lehnen die Mehrzahl der Psychiater und auch M. 
einen Eingriff ab. Die von Lien au und Sänger vertretene Anschauung, 
dass durch rechtzeitigen Abort manche Frauen vor dauernder Geistes¬ 
krankheit bewahrt bleiben können, kann nicht als berechtigt anerkannt 
werden. Eher erscheint der künstliche Abort begründet, wenn eine 
Frau, die schon einmal eine Dementia praecox, speziell in der Gravi¬ 
dität, durebgemaobt hat, in der neuen Schwangerschaft Zeichen der be¬ 
ginnenden geistigen Erkrankung zeigt. M. hat in den letzten Jahren 
2 mal den künstlichen Abort in entsprechenden Fällen für angezeigt 
erachtet. Dann streift M. auoh die Frage der Sterilisierung. Für Fälle 
von Schwangersohaftsdepressionen rät er davon ab, während sie bei 
solohen Kranken mit Dementia praecox eventuell in Betracht kommt. 

Es bedarf bei der Frage des künstlichen Abortes stets des Zu¬ 
sammenwirkens der Gynäkologen mit dem Psychiater und Neurologen, 
um auf Grund einer möglichst genauen Diagnose die Entscheidung zu 
treffen. In allen Fällen ist eine stationäre Beobachtung anzustreben, 
wenn nicht zu verlangen. Der Grad der Depression, die Sohwere der 


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UNIVERSUM OF IOWA 





25. M&rz 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Suioidgefahr and die Möglichkeit, ob eicht eine weitere Behandlung 
Besserung bringt, sind daduroh am besten zu übersehen. Auf diese 
Weise wird man sich am besten überzeugen, ob das Fortbestehen der 
Schwangerschaft die dringende Gefahr einer dauernden ernsten psyohi- 
sohen Störung mit sioh bringen würde, die auf keine andere Weise zu 
beseitigen ist, und von der mit Bestimmtheit zu erwarten ist, dass sie 
durch den künstlichen Abort geheilt, bzw. für die Dauer wesentlich 
gebessert wird. Riedel. 


Naturhistorisch-medizinischer Terein zu Heidelberg. 

Sitzung vom 18. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Braus. 

Schriftführer: Herr Homburger. 

1. Hr. Oertel: 

Die vordere Kommissar des Gehiris'und die Hethode ihrer Dar- 
stellmg. 

Im Heidelberger anatomischen Institut wird zurzeit wieder in grösserer 
Ausdehnung die Faserungsmethode zur Darstellung der Hirnbahnen an¬ 
gewandt. Es gelingt gut, die vordere Kommissur des Gehirns in ihrer 
wahren Gestalt und in ihrem* torquierten Fasernverlauf darzustellen. Es 
wird ein Hirnbahnenmodeli demonstriert, in das sich das Modell der 
vorderen Kommissur einsetzen lässt. 

2. Hr. Tachai: 

(Jeher das chemische nid biologische Verhaltes der bei der Paenmo- 
thoraxtherapie in die Pleirahühle eiigefihrten Gase. 

Bei künstlichem Pneumothorax erleidet die Zusammensetzung des 
eingeblasenen Gases chemische Veränderungen. Schon im Jahre 1828 
war ein Unterschied in der Zusammensetzung der Pneumothoraxluft der 
Atmungsluft gegenüber festgestellt worden (8 pCt. C0 2 kein 0 2 , 92 pCt N.); 
Levy, der diese Differenz iestgestellt hatte, zog daraus den Schluss, dass 
0 2 der Luft vom Pleuraepithel verbraucht wurde unter GO s -Bildung. 
Vortragender neigt mehr der Ansicht zu, dass es sich um einen Gas¬ 
austausch handelt, der io den Geweben statthat, was folgender Versuch 
demonstriert: künstlicher Pneumothorax bei einem Hunde mit 20pCt. 
C0 2 . Die C0 2 vermehrt sich nun nicht, wie erwartet werden sollte, 
sondern sie vermindert sich. Auch der Umstand, dass von den ver¬ 
schiedenen Untersuchern bei Einblasung verschiedenster indifferenter 
Gase immer dasselbe Gasgemisch gefunden worden war, weist auf einen 
Gasaustausch hin. Eigene Untersuchungen des Redners beziehen sioh 
auf den Pneumothorax bei Phthisikern. Es standen hierbei immer relativ 
hohe C0 2 Werte niederen 0 2 Werten gegenüber; bei Exsudat-Pneumothorax 
waren die C0 2 -Werte am höchsten. Zur Nachfüllung wird statt N oder 
Luft „körperadäquates Gas“ empfohlen, wodurch eine Aenderung des ein- 
geblasenen Gasvolums sowie Reizwirkungen vermieden werden sollen. 
Bei 50 pCt. der Fälle mit künstlichem Pneumothorax entstanden Exsudate, 
die durch Einblasung „körperadäquater“ Gase hätten eventuell vermieden 
werden können. 

8. Hr. Heizeke: 

Ueber h&iflg Wiederkehreide Pehldiagzosen: (Erfahrungen der Be¬ 
obachtungsabteilung für innere Krankheiten.) 

60pCt. der als tuberkulös eingewiesenen Soldaten erwiesen sich 
als nicht tuberkulös. Der Grund liegt nach dem Vortragenden meist 
in falscher Ausdeutung physikalischer Befunde. Er empfiehlt, mehr die 
Röntgendurchleuchtung heranzuziehen. Steckelmacher. 


Freiburger medizinische Gesellschaft. 

Sitzung vom 8. Januar 1918. 

Hr. Rest: 

Ueber die kombinierte Strahlenbehandlung der Tuberkulose der Haut 
und der visceralen Tuberkulose. (Mit Krankenvorstellungen und Licht¬ 
bildern.) 

Der Vortragende hat eine grössere Reihe von über 250 Fällen von 
Haut- und Eingeweidetuberkulose mittels ultravioletter Strahlen be¬ 
handelt. Da9 wesentliche Moment der Heilungswirkung erblickt er in 
einer allgemeinen Reaktion der Haut in Form des Erythems, das duroh 
die Bestrahlung ausgelöst wird. Die Eindringungsfähigkeit der Strahlen 
ist je nach ihrer Wellenlänge verschieden, immer aber sehr gering, 
!/ 10 —1 mm. Demnach treten die Wirkungen nur in der eigentlichen 
Oberhaut, in den Nerven, Gefässschlingen und Zellen derselben auf. 
Kontrolliert werden diese Wirkungen durch die von den Basalzellen aus¬ 
gehende Pigmentbildung. Nach den Beobachtungen des Vortragenden 
ist die Stärke der Reaktion umgekehrt proportional der Pigmentierung, 
und der Heilungseffekt wird mit zunehmender Pigmentierung abge¬ 
schwächt. Nach der Stärke der Reaktion und der Pigmentierung lassen 
sich zwei verschiedene Klassen von Kranken unterscheiden. Wesentlich 
ist in jedem Fall für die Wirkung der'Lichteinfluss auf die Gapillaren 
der Haut und ihren Inhalt. Viel bestrahlte Hautstellen werden naoh 
einigen Bestrahlungen unempfindlich und gewinnen ihre frühere Emp¬ 
findlichkeit erst naoh einer längeren Ruhepause wieder. Die duroh das 
Blut in den Gapillaren vermittelte Allgemeinwirkung zeigt sich durch 
Erfrischungsgefühl, Appetit und Gewichtszunahme beim Kranken. Ge¬ 
legentlich können jedoch auch entgegengesetzte Wirkungen, Aufregungs¬ 
zustände, Kopfschmerz, Fieber und Eiweiss ausgelöst werden.. Neben der 


allgemeinen lässt sich eine Herdreaktion konstatieren, die bei tuberkulös 
Erkrankten duroh Fieber, Rasselgeräusche, Gelenksohmerzen, Sekretion 
aus Fisteln usw. gegeben ist. Das im weiteren Verlauf der Bestrahlnng 
erfolgende Verschwinden der Tuberkulide ist sicher nicht nur Resultat 
der AllgemeiDbestrahlung, wie sich aus der Erhöhung des spezifischen 
Immunitätstiters ergibt. 

Die Methodik der Bestrahlung sucht starke Hautreaktionen zu er¬ 
zielen unter möglichster Abkürzung der Bestrahlungszeit und Vermeidung 
von Schädigungen des Kranken. So wird der Körper, nur im Gesicht 
und an den Augen geschützt, dem Licht zweier 50 om vom Körper 
entfernten und 80 cm voneinander abstehenden sogenannten elektrischen 
Höhensonnen ausgesetzt, im Beginn nur Vs—1 Minute, am Schluss der 
Behandlung nicht über SO Minuten. Naoh einer längeren Depigmen¬ 
tierungspause wird wieder mit verkürzter Bestrahlungszeit angefangen. 
Neben der Allgemeinbestrahlung mittels der Höhensonnen erfahren die 
spezifischen Krankheitsherde eine lokale Bestrahlung mit der Kromayer- 
achen Quarzlampe. 

Zur Bestrahlung tiefliegender Herde bedienen wir uns der Röntgen- 
und Radiumstrahlen, die entsprechend gefiltert sein müssen, um eine 
Verbrennung der Haut zu vermeiden. Die Therapie bei Lupus beginnt 
mit einer Röntgenbehandlung mit Filter und Allgemeinbestrahlung mit 
Böbensonne. Nach 10 Tagen folgt Blaulichtbestrahlung des ganzen 
Körpers. Die Röntgenbehandlung wird nach 6—8 Wochen wiederholt, 
bei Lupus der Schleimhäute fällt die Blaulichtbehandlung weg. Die 
Erfolge zeichnen sioh vor allem durch gute kosmetische Resultate aus, 
die schmerzlos und in kurzer Zeitdauer erzielt wurden. Die Zahl der 
Rückfälle war sehr gering. Zur Behandlung kamen 180 Fälle von Lupus; 
9 Fälle von verrucöser Hauttuberkulose wurden mit der Behandlung in 
wenigen Woohen geheilt. Aehnlich gute Erfolge erzielte die Bestrahlung 
bei visceraler und Drüsentuberkulose, sowie bei Blasentuberkulose. 
Demonstration zahlreicher Wachsnachbildungen und Vorführung von Pro¬ 
jektionsbildern und Kranken. E. Schottelius. 


Kriegsärztliche Abende. 

(Eigenbericht der Berliner klinischen Wochenschrift.) 

Sitzung vom 26. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Kraus. 

Tagesordnung. 

Eiliges ans der Kriegsschiff-, Unterseeboots- and Luftschiff-Hygiene. 

Hr. Uthemann bespricht die Verhältnisse der zum Leben notwendigen 
Loft in den obengenannten Fahrzeugen. Der Grad der Luftverderbnis 
richtet sioh nach der Zahl der Personen, mannigfachen Gerüchen, die 
meist unangenehmer Art sind, und zahlreichen anderen Faktoren. Grösse, 
Zweck und Bauart des Fahrzeuges spielen eine ausschlaggebende Rolle. 
Der Schiffsraum, der der Besatzung zukommt, wird entsprechend den 
neuen Anforderungen gemä9B oftmals kleiner, die Kopfzahl der Besatzung 
dagegen grösser. Zu erwähnen ist die Luftzuführung in den modernen 
Kampfschiffen: Bewegung der Luft macht schlechte Lutt oft noch erträg¬ 
lich. Doch darf man die Gefahren der schlechten Luft niemals über¬ 
treiben. Kriegsschiffe sind eben Wohn- und Arbeitsräume und stellen nur 
einen geringen Luftraum zur Verfügung. Der Baustoff (Eisen) hat nur 
geringe Wärmeleitung und geringe spezifische Wärme. Dazu kommt 
die Neigung zu Schmutzwasserbildung. Die Hauptquelle der Luftver¬ 
schlechterung ist die Besatzung. Dazu kommt die Nahrungsbereitung, 
die Speisegerücbe, die Beleuchtung und die Heizung, ferner die Reinigung 
des Schiffes, die Maschinenanlagen, die Heizräume und die Rauchent¬ 
wicklung. Schädliche giftige Gase bilden sich in den kleinen Neben¬ 
betrieben. Quecksilberdämpfe und Ozon bilden sioh in den Funkspruch¬ 
kammern, H 2 SO a -Dämpfe in den Akkumulatoren-Räumen, CO s in den 
Sodawasser-HerstelluDgsräumen usw. Wesentlich wird die Luft ver¬ 
schlechtert durch das Abblenden. des Schiffes, durch Pulvergase und 
ausbrechendes Feuer. Die Gase, die bei Detonation und Deflagration 
enstehen, wechseln: G0 2 und Nitrose-Produkte Bind die schlimmsten. 

Daher ist die Zutünrung frischer Luft von erheblicher Bedeutung. 
Besonders in der Handelsmarine sind Luitkanäle eingeführt; wesentlich 
verbessert wurde die künstliche Lüftung durch den elektrischen Motor. 
Jetzt sind die Zentrifugal-Ventilatoren in Gebrauch. Fast alle Räume 
besitzen Zu- und Ablüfcung. Der Lüftuogibedarf hängt von zahlreichen 
Momenten ab. Oft müssen 1,2—2.5 cbm Luftraum pro Kopf ausreichen. 
Eine Lüftungsordnung regelt die notwendigen Arbeiten. Verhältnismässig 
einfach ist die Ventilation der U-Boote. Für die Unterwasserfahrt allein 
bedarf die Besatzung der Lufterneuerung. Kali, in Patronen mitgeführt, 
bindet die G0 2 ; 0 wird in Flaschen vorrätig gehalten. Riech- und 
Reizstoffe werden eingeschränkt und beseitigt. So ist der Gesundheits¬ 
zustand der U-Boots-Mannschaften überraschend gut, auch ln Hinsicht 
auf das Nervensystem. 

Auch für die Flieger und Luftscbiffer ist die Lufterneuerung von 
Bedeutung, In Hohe von mehr als 5000 m kommt es zur Höhen¬ 
krankheit, im Gebirge schon in geringeren Höhen; das Gegenmittel be¬ 
steht in Atmung von reinem 0. Die Scbiffsbygiene soll niemals hemmen, 
sondern helfen. Mode. 


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UMIVERSITY OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 12. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 20. März fand zu¬ 
nächst eine Aussprache über 2 Vorträge des Herrn Leopold Casper 
über Cystoskopie bei peri- und paravesikalen Erkrankungen und über 
Indikation und Nutzen des Veiweilkatheters statt. (Beteiligt die Herren 
Zondek, Kausch und Rothschild.) Hierauf demonstrierte Herr Martin 
Präparate von Regeneration quergestreifter Muskeln bei Schuss Verletzung. 
(Aussprache die Herren H. Coün, Benda, Schlusswort: Herr Martin.) — 
Alsdann hielt Herr Friedberger (Greifswald) seinen Vortrag: Ueber die 
Fleoktyphusepidemie 1917 in Pommern. (Aussprache die Herren Jür¬ 
gens und Zülzer, Schlusswort: Herr Friedberger). 

— Zu Mitgliedern des Reichsgesundheitsrates wurden ernannt 
die Geheimräte Lesser-Berlin, Ko Ile-Frankfurt a. M. und Neufeld- 
Berlin. 

— Am 20. d. M. feierte Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Paul Silex seinen 
60. Geburtstag. Abgesehen von seinen zahlreichen wissenschaftlichen 
Arbeiten auf dem Gebiete der Augenheilkunde hat sich Silex in jüngster 
Zeit die grössten Verdienste um Förderung und Ausgestaltung der Für¬ 
sorge für die Kriegsblinden erworben, die ihm die Dankbarkeit weitester 
Kreise unserer Bevölkerung sichern. — Das gleiche Fest begeht am 
28. d. M. Geh. San.-Rat Prof. Dr. J. Boas, dessen Forschungen im Faohe 
der Magendarmkrankheiten gerade unsern Lesern durch zahlreiche, in 
unserer Wochenschrift erschienene Arbeiten wohl bekannt sind. Beiden 
Herren sprechen wir unsere besten Glückwünsche aus. 

— Geh. San.-Rat S. Davidsohn feierte am 18. d. M. unter leb¬ 
hafter Anteilnahme der Berliner Aerztesohaft seinen 70. Geburtstag. Ein 
grosser Teil seiner Lebensarbeit gehört seit Jahrzehnten dem ärzt¬ 
lichen Unterstützungswesen, das zu fördern und immer weiter 
auszubauen, sein erfolgreiches Bestreben war. So ergab es sich, dass 
jetzt um seinen Namen für alle Zeiten mit dem ärztlichen Unterstützungs- 
wesen zu verbinden, ihm zahlreiche ärztliche Vereinigungen und noch mehr 
Kollegen als Einzelspender an seinem Geburtstage eine grössere Summe 
überreichten, damit so die von D. ins Leben gerufene UnterstützuDgskasse 
für ärztliohe Kriegshinterbliebene auf eine breitere Grundlage ge¬ 
stellt werden könnte. Wie sehr ihm das Unterstützungswesen ans Herz 
gewachsen, erhellt vielleicht noch mehr aus einem Zuge seines Familien¬ 
lebens: auch die Geburtstagsgabe seiner Kinder hatte als Ziel den weiteren 
Ausbau seiner Unterstützungskasse für die Kriegshinterbliebenen. Dass 
ein allerseits so geschätzter Kollege seit Anbeginn dem ärztlichen 
Ehrengericht angehört, bedarf kaum noch der Erwähnung; auch hier 
hat er sich in verdienstvollster Weise betätigt. Mit den Wünsohen der 
Grossberliner Aerzteschaft und der vielen, denen er ein Helfer in leib¬ 
licher oder sozialerNot gewesen, vereinigen sich auch die Wünsche der 
Redaktion unserer Wochenschrift. Möge es ihm vergönnt sein, noch 
recht lange in gleicher Frische am Werk der kollegialen Nächstenliebe 
fortzuwirken Und möge das Schicksal ihm weitere Opfer, als das auf dem 
Altar des Vaterlandes schon dargebrachte, auch im weiteren Verlauf des 
Kriegs ersparen. H. K. 

— Friedrich Hessing, der weltbekannte Autodidakt auf dem 
Gebiete des orthopädischen Apparatebaus, ist im 80. Lebensjahre ver¬ 
schieden. 

— Der Deutsche Verein für Psychiatrie hält seine 2. Kriegs¬ 
tagung am 25. und 26. April 1918 in Würzburg ab. Tagesordnung: 
Vorabend, Mittwoch, 24. April, von 8 Uhr ab: Begrüssungsabend im 
Bahnholhotel (Haugerring 21—22). Donnerstag, 25. April, von 9 Uhr 
ab, und Freitag, 26. April, von 9 Uhr ab im physiologischen Institut, 
Pleicherring 9 (unweit des Bahnhofs): 1. Berichte über Folgen der Hirn¬ 
verletzungen und ihre Behandlung. I. Kl eist-Rostock: Lokalisation. 
II. Förster-Berlin: Psychische Folgen der Hirnverletzungen. III. Gold¬ 
stein-Frankfurt a. M.: Behandlung und Fürsorge. IV. Reiehardt- 
Würzburg: Hirnschwellung. 2. Vorträge (falls nach Besprechung der 
Berichte noch Zeit zur Verfügung steht): I. Anton-Halle: Entwick¬ 
lungsstörungen am Schädelröntgenbilde (mit Projektionen). II. Brod- 
mann-Halle: Individuelle Variationen der Sehsphäre und ihre Bedeu¬ 
tung für die Klinik der Hinterhauptschüsse. Ausserdem hat Herr Prof. 
0. Schnitze, Vorsteher des anatomischen Instituts, sich erboten, kurz 
über eine neue Methode zur Darstellung des feineren Baues des Nerven¬ 
systems (mit Demonstrationen) im anatomischen Institut vorzutragen. 
Anfragen und Wünsche, namentlich etwaige Voranmeldungen zur Aus¬ 
sprache über die Berichte, nimmt entgegen Prof. Reichardt, Psychi¬ 
atrische Klinik-Würlburg. 

— Die Stadt Cöln wird ein Institut für soziale Forschung 
errichten, das an die Gölner Handelshochschule angegliedert werden soll. 
Die jährlichen Kosten betragen 120000 Mark. 

— Graf Valentin v. Balestrem überwies dem St. Hedwigj-Frauen- 
verein in Ruda (Oberschlesien) eine Schenkung von 850000 M. zur Förderung 
der Säuglingspflege durch Errichtung eines Kinderheims in Ruda. 

— Das von W. Roux herausgegebene Archiv für Entwicklungs- 
mechanik geht mit Band 44 in den Verlag von Julius Springer in 
Berlin über. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reioh (8. bis 
9. III.) 1. Deutsche Verwaltung in Litauen (10.—16. H.) 3. 
Fleokfieber: Deutsches Reioh (8.—9. III.) 2 und 1 unter Kriegs¬ 


gefangenen im Reg.-Bez. Münster. Kaiserlich Deutsches General¬ 
gouvernement Warschan (17.—28. II.) 1466 und 89 f. Deutsche 
Verwaltung in Kurland (10.—16/11.) 2. Deutsche Verwaltung 
in Litauen (10.—16. II.) 279 und 10 f. Ungarn (28. I.—. 8. IL) 8. 
Rüokfallfiebert Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau (17.—26. II.) 5. Genickstarre: Preussen (24. II. bis 
2. III.) 5. Schweis (17.—28. H.) 1. Spinale Kinderlähmung: 
Schweiz (17.—28. II.) 1. Ruhr: Preussen (24. IL—2. HL) 64 und 
10 t- Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Kindbettfieber 
in Gladbeck; Diphtherie und Krupp in Fürth, Hildesheim. 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

HoohsohulnaohriehteiL 

Berlin: Geheimrat Lübars oh wurde zum ordentlichen Professor an 
der Kaiser Wilhelms-Akademie ernannt. Dem Privatdosenten für Urologie 
Dr. Ringleb ist der Professortitel verliehen worden. — Bonn: Als Nach¬ 
folger von GeheimratSohultse wurde Geheimrat A. Schmidt in Halle be¬ 
rufen. — Leipzig: Als Nachfolger des verstorbenen Anatomen Rabl ist 
Prof. Held in Aussicht genommen, dem kürzlich das Ordinariat für Histolo¬ 
gie in Leipzig übertragen wurde. — Marburg: Zum Nachfolger von Leon¬ 
hard Jores ist Professor Dr. Max Löhlein, Prosektor am Krankenhause 
Westend, berufen. — München: Prof. Sauerbruoh in Zürich ist sum 
Nachfolger von Geheimrat von Angerer berufen worden. — Tübingen: 
Der ausserordentliche Professor Rudolf Weinland hat den Ruf als 
Ordinarius für Pharmazie und Direktor des pharmazeutischen Instituts 
in Strassburg abgelehnt. Regierungsdirektor Eberhard v. Faloh in 
Stuttgart wurde für seine Verdienste um die Wohltätigkeit, die Volks¬ 
gesundheit und Jugendfürsorge und die Beratung unserer verwundeten 
und erkrankten Krieger von der Universität der medizinische Ehrendoktor 
verliehen. — Würzburg: Privatdozent Dr. v. Redwitz wurde an 
Stelle von Professor Lobenboffer zum Leiter der chirurgischen Poli¬ 
klinik ernannt. Der ausserordentliche Professor für Chirurgie Ferdinand 
Riedinger erhielt anlässlich seines Ausscheidens den Titel Geheimer 
Hofrat. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien, 

Gewählt als Mitglieder des Reiohs-Gesundheitsrats: Geh 
Med.-Rat und vortr. Rat im Minist, des Innern Dr. Benin de in Berlin, 
Direktor des Instit. für exp. Therapie Univ.-Prof. Geh. Med.-Rat Dr. 
Ko Ile in Frankfurt a. M., ordentl. Univ.-Prof. Geb. Med.-Rat Dr. 

Le88er in Berlin, Direktor des Instit. für Infekt.-Krankh. „Robert 
Koch 0 Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Neufeld in Berlin, Reg.- und Geh. 
Med.-Rat beim Polizeipräsidium Dr. Schlegtendal in Berlin. 
Ernennungen: Geh. Med.-Rat und Direktor des patholog. Instit. beim 
Kgl. Charitökrankenhause Prof. Dr. Lubarsch in Berlin zum ordentl. 
Prof, an der Kaiser Wilhelpisakademie für das militärärztl. Bildungs¬ 
wesen, Arzt Dr. W. Klimm in Landeshut i. Schl, zum Kreisass.-Arzt 
daselbst unter Ueberweis. an den Kreisarzt des Kreises Landeshut 
Niederlassungen: Dr. G. Goerdeler und Dr. Wilh. Schmidt in 
Oliva, Aerztin Anna Fibelkorn in Berlin. 

Verzogen: Prof. Dr. H. Börger aus dem Felde und Aerztin Emmy 
Schlüter geb. Haarstick von Berlin naoh Berlin-Schöneberg, Geh. 
San.-Rat Dr. F. Puch st ein von Berlin naoh Berlin-Liohtenberg, 
Priv.-Doz. Dr. E. Feiler von Breslau nach Frankfurt a. M., Dr. K. 
Kröber von Grossmövern (Lothr.) nach Saarbrücken, Dr. Heinr. 
Lange von Hamburg nach Schwalbaoh (Kr. Saarlouis), Dr. A. Erler 
von Kolberg nach Kortau, St.-A. Dr. H. Sack aus dem Felde nach 
Osterode in Ostpr., Max Heinrich von Bischofsburg naoh Allenstein; 
Dr. Arthur Friedländer von Berlin-Frieden au, Dr. Felix Königs¬ 
berger und A. Strobel von Berlin-Sohöneberg, Aerztinnen Dr., 
Marie Schuster geb. Atteslauder und Dr. Rose Thesing geb. 
Löwenger sowie Dr. A. Gorodiski von Berlin und Alfred Sommer¬ 
feld von Berlin-Britz nach Charlottenburg; Dr. R. Riegner von 
Berlin-Wilmersdorf nach Berlin-Sohöneberg, Dr. Willy Schmitz von 
Beelitz (Kr. Zauch-Belzig) nach Wald (Ldkr. Solingen). 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. K. Hersohel 
von Berlin-Sohöneberg auf Reisen. 

Gestorben: Geh. San.-Rat Prof. Dr. Jul. Lazarus in Berlin-Lank¬ 
witz, Geb. San.-Rat Dr. L. Plotke in Hermsdorf bei Berlin, Geh. 
San.-Rat Dr. Georg Hagemann und San.-Rat Dr. Herrn. Delius 
in Hannover, Dr. H. Jacubasoh in St. Andreasberg, San.-Rat Dr. 
H. Frankenberg in Bergen (Kr. Hanau), San.-Rat Dr* A. CoII- 
m mann in Witzenhausen, Dr. H. Salie in Rohren a. 0. (Kr. Grafsch. 
Sohaumburg), Dr. 0. Wien in Bad Homburg v. d. H., Dr. Wilh. 
Hubert in Neuerburg (Kr. Brtburg), San.-Bat Dr. Josef Classen in 
Aachen, Geh. San.-Rat Dr. M. Althaus in Danzig, Gen.-Ob.-A. a. D. 
Dr. F. Fritzsohen in Berlin, Geh. San.-Rat Dr. G. Miessner in 
Charlottenburg, San.-Rat Dr. K. Bühlmeyer in Barmen, Dr. K. 
Zeppenfeld und San.-Rat Dr. Rieh. Hesse in Duisburg, San.-Rat 
Dr. M. Polzin in Issum (Kr. Geldern). 

Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr Hans Kohn, Berlin W., Bajreather 8tr.4S. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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IM« Berliner Klinische Woehenschrift erscheint Jede» 
Montag in Nammern tob ca. S—6 Bogen gr. 4. — 
Frei« vierteljährlich 1 Mark. Beatellnngen nehmen 
alle Buchhandlungen und Pottanaulten an. 


BERLINEß 


Alle Einsendungen ffir die ftedaktlon and fixpedittoi 
wolle man portofrei an die Yerlagsbuehhandinng 
Aogoat Hirschwald in Berlin IW, Unter den Linden 
Br. 69, ad r w M e r tn. 


KLINISCHE WOOHENSCHRIPE 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Art. Moi-Rtl Prot Df. C. Posner Md M Br. Hans Kok _ Aagast linchvald, Yerla gsbnchhaadlnng ii Btrik 

Montag, den 1. April 1918. JV£ 13* Funfund fünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originalien: Holzknecht:Röntgenoperation. (AusdemZentr&l-Röntgen- 
laboratorium im k. k. allgemeinen Erankenhauae in Wien [Vorstand: 
Professor G. Holzkneeht].) (Illustr.) S. 297. 

Gräfin von Linden: Erfüllt das Kupfer die Forderungen eines 
spezifisch wirkenden chemotherapeutischen Heilmittels gegen 
Tuberkulose? S. 298. 

Schmitz: Nochmals über die Alkoholfestigkeit der Diphtherie* und 
Pseudodiphtheriebazillen. S. 804. 

Roth: Auftreten von Milchsekretion bei einem*an Akromegalie 
leidenden Patienten. (Aus der medizinischen Abteilung des 
Kantonspitals Winterthur). (Illustr.) S. 805. 

Albu: Zur Diagnostik der Pankreaszysten. (Illustr.) S. 807. 

Bffeherbespreefcnngen : Zuntz: Ernährung und Nahrungsmittel. S. 808. 
Sohall-Heisler: Nahrungsmitteltabelle zur Aufstellung und Be¬ 
rechnung von DiätverordnuDgen. S. 808. (Ref. Albu.) — Zur Verth: 
Bettungsgeräte auf See unter besonderer Berücksichtigung des See¬ 
krieges. S. 308. (Ref. George Meyer.) — Neustätter: Kurierzwang 
und Eurpfuschereifreiheit. S. 308. Eantor: Freie Bahn für die 
Kurpfuscher? S. 808. (Ref. Vollmann.) 


Litmtar-Auiige: Physiologie. S. 309. — Allgemeine Pathologie und 
pathologisch) Anatomie. S. 811. — Parasitenknnde und Serologie. 
S. 312. — Innere Medizin. S. 312. — Psychiatrie und Nerven¬ 
krankheiten. S. 312. — Rinderhel*künde. Si313.— Chirurgie. S. 818. 
— Röntgenologie. S. 314. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. 
S. 814. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 815. — Hals-, Nasen- 
und Ohrenkrankheiten. S. 315. — Unfallheilkunde und Versicherungs¬ 
wesen. S. 315. — Schiffs- und Tropenkraokheiten. S. 315. 

Verband]BBgei ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft) Schle¬ 
singer: Ueber die Beobachtung eines schweren Eolospasmns und 
eines Vorstadium desselben im Röotgenbilde während einer ente- 
ralen tabischen Krise. S. 815. Dorendorf: Zur Diagnose der 
latenten Malaria- und Salvarsantherapie der Tertiana. S. 315. — 
Laryngologische Gesellschaft zu Berlin. S. 317. — Gynä¬ 
kologische Gesellschaft za Berlin. S. 318. — Aerstlicher 
Verein zu Hamburg. S. 319. 

Tage9geschichtliche Notizen. S. 319. 

Amtliche Mitteilungen. S. 320. 


A us dem Zentral-Röntgenlaboratorium im k. k. allge¬ 
meinen Kranken hause in Wien (Vorstand: Profeaeor 
G. Holzknecht). • 

R&ntgenoperation. 

Weitere Anwend angsmögliehkeiten der Röntgendurch¬ 
leuchtung als Behelf chirurgischer Eingriffe. 

Von 

Prof. G. Belsknecht. 

Die Einsicht, dass der rationelle Weg zur Fremdkörper- 
aufenchung die röntgenoskopische Operation ist, gewinnt jetzt 
beständig Boden. In Österreich ist die sechste derartige An¬ 
lage im Werden. Die Bilder 1—6 vergegenwärtigen eine solche. 
Die Kosten sind geringer als diejenigen einer gewöhnlichen für 
alle röntgenologischen Zwecke[dienenden Röntgeneinrichtung. 

Die Röntgeneinrichtuog kann aber nicht bloss während der 
Fremdkörperoperation, sondern auch bei vielen anderen chirurgi¬ 
schen Eingriffen gute Dienste leisten. 

HfcDie Stellungskorrektur bei Frakturen bedient sich 
seit langem in mehr minder improvisierter Weits der Durch¬ 
leuchtung. Die Effekte sind sehr befriedigend, wenn die instru¬ 
mentale Vorbereitung gut ist und eine sinngemässe Dnrcbleueh- 
technik angewendet wird. Meist ist dies nicht der Fall. Man 
glaubt vielmehr alles aus den Röntgenstrahlen herausgeholt zu 
haben, wenn man das Schirmbild der verletzten Stelle gesehen 
hat. Eine befriedigende Durchführung der in Rede stehenden 
Absicht bedarf aber einer besonderen erst in Ansbildnng befind¬ 
lichen instrumentellen Zurichtung. 

Die Operation der infektiösen K ochenaffektionen 
würde durch die Durchleuchtung nur in manchen Punkten ge¬ 
winnen, weil die photographische Aufnahme und nachträgliche 
Durchleuchtung im Röntgenlaboratorium die hier in Betracht" 
kommenden wenig labilen Verhältnisse aufzuklären vermag und 
gestattet, alle vom Chirurgen als Eingangspforten und Zielpunkte 
gewählten Oertlichkeiten am und im Knochen vorher auf der 


Körperoberfiäche durch Markierung und Tätowierung kenntlich 
zu machen. Oft freilich überlegt der Chirurg den Operationsplan 
erst kurz vor der Operation, so dass sich die dabei auf tauchen¬ 
den Fragen nicht mehr röntgenologisch behandeln lassen. Oft 
liegen auch nur Röntgenbilder vor und keine röntgenoskopischen 
Hautmarken, und es ist nicht immer möglich, aus den Bildern zu 
entnehmen, welcher als Inzisionsort geeigneter Oberfiächenstelle 
die im Köntgenbilde als Kloakenmündongen erkennbaren Knochen- 
Öffnungen und Vorsprünge oder Calluslücken oder die im Knochen 
oder in den Weichteilen sichtbaren Sequester entsprechen. Die 
Bilder sind in der Regel von vorn oder von der Seite aufge¬ 
nommen. Eine durch awei Knochenwälle erkennbare Kloake 
scheint daher genau vorn oder hinten, rechts oder links zu liegen. 
Die Bilder verleiten geradezu zu dieser schematischen Auffassung. 
In Wirklichkeit beweist ein solches Bild bloss, dass der Knochen¬ 
vorsprung nicht so weit seitlich liegt, dass er in der Aufnahme 
von vorn sichtbar würde. Er kann aber vorne rechts oder vorne 
links liegen und auch genau vorne, also auf dem vorderen Viertel 
der 860gradigen Zirkumfereni. Die Irrtumsmoglichkeiten um¬ 
fassen daher einen Bereich von 90°, was bei vielen Teilen, z. B. 
dem Oberschenkel und bei der Notwendigkeit, den Gefässregionen 
ausznweichen, schon zu vollständigen Fehlresultaten führen kann, 
denn es ist unmöglich, am Grande eines viele Zentimeter tiefen 
Wnndschachtes die Präparationsrichtung am einen rechten Winkel 
za wechseln, am eine andere Stelle der Knochenoberfiäche aufxu- 
suchen Und dort überdies wieder in zentripetaler Richtung in die 
Tiefe zu gehen. Die Durchleuchtung vor und während der Ope¬ 
ration ermittelt jedoch hier die Hautstelle, welche dem auf den 
Röntgen platten gewählten Zielpunkt entspricht,. sowohl hinsicht¬ 
lich der Zirkumferenz als auch in axialer Richtung and ver¬ 
hindert das Abkommen von dem einzuschlagenden Weg. Die 
daher notwendige Geduld wird reichlich entschädigt. Das rnhige, 
gleichmftssige, kontrastreiche Schirmbild der neuen gasfreien 
Röhren wird dem hier stärker als bei Fremdkörpern empfundenen 
Bedürfnis nach einem platten ähnlichen Durcbleucbtungsbild sehr 
entgegenkommen. Auch sollten nach Beendigung der Operation 
das Knochen- und Weichteilgebiet derselben nach freien Se¬ 
questern und MmssetspAnen abgesncht werden. 


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UNIVERSUM OF IOWA 



BERLINER KLINISCHE WOCHEN SCHROT. 


Nr. 13. 


298 


Abbildung 1. 


Abbildung 2. 



Abbildung 6. 



Viele Fälle von Pneumotomien bei Lungenabsiessen 
würden ebenfalls durch die Beihilfe guter Schirmbilder hinsicht¬ 
lich der Wahl der chirurgischen Eingangspforte gewinnen. Denn 
die Lungenteile erleiden selbst bei bestehenden pleuralen Ad¬ 
häsionen durch den Wechsel der Körperlage grosse Ortsverände¬ 
rungen. So rücken die unteren Lungenteile bei Bauch- und 
Rückenlage gegenüber der aufrechten Körperstellung um Hand¬ 
breite und mehr kranialwärts, während bei Seitenlage sich nur 
die des tischwärtigen Lungenflügels ebensoviel höher einstellen, 
während diejenigen Lungenteile, welche dem von der Unterlage 
abgewendeten Lungenflügel angehören, maximal tief eingestellt 
werden; eine Tatsache, die wenig Verbreitung gefunden hat. 1 ) 

Operationen am Verdauungstrakt treffen nach der 
Durchtrennung der Bauchdecken keineswegs immer ohne weiteres 
die in Frage kommende Stelle des Intestinalschlauches. Der 
Ort seiner einzelnen Teile wird hier nicht nur durch die Körper¬ 
lage, sondern vielfach auch durch die Einzelbewegungen im Be¬ 
reich der normal- und pathologisch langen Gekröse beeinflusst, 
und der Gewinn kann nicht gering sein, wenn die Leibeshöhle 
genau dort und im kleinen Umfang eröffnet wird, wo der be¬ 
treffende Magen- und Darmteil liegt, statt dort, wo er statistisch 
am häufigsten liegt. Teile des Colon, besonders das Sigma und 
das Quercolon, haben grosse individuelle und dietäre Lagediffe¬ 
renzen, und die rechte Flexur kann beim gleichen Individuum 
hinter dem Rippenbogen und im Darmbeinteller gefunden werden. 
Die häufig zu hohen und dann insuffizienten Gastroenterostomien 
bei Pylorusstenose könnten durch bessere Lageübersicht nur ge¬ 
winnen. Es verschlägt nichts, dass zur Sichtbarmachung dieser 
Teile die Einbringung von besonderen Ingesten nötig ist. Zwar 
trachten die Chirurgen, die Verdauungswege vor der Operation 
leer zu halten. Allein von wirklicher Leerheit kann nicht die 
Rede sein, und die geringen Mengen der nötigen Konstrastmittel- 
wasseraufschwemmuogen (20—GO g) mit ihrer dem Röntgeno¬ 
logen wohlbekannten spasmophilen und sedativen Wirkung können 
in keinem Belange störender sein als die natürlichen Leersekrete 
der einzelnen Abschnitte. Auch die Sicherheit, einen bestimmten 
Abschnitt des Verdauungstraktes zu einer bestimmten Stunde ge¬ 
füllt zu erhalten, ist nach unseren heutigen Kenntnissen eine 
sehr grosse. Magen, Duodenum und oberer Dünndarm einerseits, 
Ileum und Coecum andererseits, drittens die rechte, viertens die 
linke Flexur sind nach unmittelbar bzw. 4 — 6, 12, 24 Stunden 
vorher verabreichtem Trünke sichtbar, das Sigma und Colon 
descendens durch ein kleines Klysma. 2 ) 

Allgemein ausgedrückt ist die Röntgenoperation überall 
anwendbar, wo das Operationsiiel röntgenoskopisch sichtbar ist. 
Die Grenze ist durch die gasfreien Röhren weit über das bis¬ 
herige Maass hinausgeschoben. 

Sie wird überall nützlich sein, wo das Ziel entweder 
Wechsel und Wanderung unterworfen oder wo es zwar fest liegt, 
wie bei der Osteomyelitis, jedoch der für die Inzision nötige 
korrespondierende Obeiflächenpunkt nicht vorbestimmt war und 
in der Tiefe keine seitliche Verschiebung der Teile möglich ist. 
Gelegenheit zur Anwendung der Durchleuchtung während der 
Operation bieten die für die Fremdkörperoperation ge¬ 
schaffenen Anlagen, deren Erhaltung für den Frieden daher 
nicht nur für die Fremdkörper nötig ist. Die neuen Röntgen¬ 
tische für Operationszwecke sind nicht mehr unhandlich breit, 
die übrige Einrichtung hat den chirurgischen Erfordernissen 
schon bisher entsprochen. 


Die Lithotrypsie, die Sectio alta und die Nephro¬ 
tomie wegen Steinen werden nicht selten unvollständig ausge- 
führt, indem Steine Zurückbleiben. Die Chirurgen wissen, wie 
schwer es oft ist, in der elastischen Niere alle vom Röntgenbild 
ausgewiesenen Steine zu finden, und so manche Niere mag dem 
Suchen nach dem zweiten, dritten oder vierten Stein zum Opfer 
fallen. Die Röntgenologen wissen von Nierensteinen von be¬ 
trächtlicher Grösse, welche bald nach der Operation in der Niere 
oder Blase, in letzterer besonders oft, in Divertikeln gefunden 
werden. 

Urethrotomien sind nicht selten wegen Wanderung der Steine 
ergebnislos. Die Misserfolge konnten grösstenteils vermieden 
werden und müssen es daher auch. Die gasfreien Röhren liefern 
auch dazu die guten Schirmbilder. Für die Nephrotomie muss 
wegen der dabei in Anwendung kommenden Körperlage eine 
besondere Durchleuchtungsvorrichtung geschaffen werden. 


Erfüllt das Kupfer die Forderungen eines 
spezifisch wirkenden chemotherapeutischen 
Heilmittels gegen Tuberkulose? 

Von 

Prof. Dr. Gräfin von Linden-Bonn. 

Seitdem wir bei der 10. internationalen Tuberkulosekonferenz 
und dem 7. internationalen Tuberkulosekongress in Rom im Jahre 
1912 unsere ersten Erfahrungen über die Heilwirkung des Köpfers 
bei den verschiedenen tuberkulösen Erkrankungsformen veröffentlicht 


1) Hoffbauer und Holzknecht, Mitteilungen aus den Röntgen¬ 
laboratorien. 

2) Die rückläufige Fortbewegung ist keine mechanische, sondern 
eine tonisch-peristaltische. 


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1. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


209 


haben J ), beschäftigt die Diskussion nicht nur die Frage, ob dem 
Rupfer eine grössere Heilwirkung bei tuberkulösen Erkrankungen 
zukommt als anderen bisher gebräuchlichen Heilmitteln spezifischer 
und nicht spezifischer Natur, es steht auch im Mittelpunkt der 
Erörterung, ob das Kupfer die Forderungen eines spezifischen 
chemotherapeutischen Heilmittels der Tuberkulose er¬ 
füllt. Diese letztere Frage wird z. B in den Ausführungen 
Lewandowsky’s über die Therapie des Lupus in seinem Lehrbuch 
„Die Tuberkulose der Haut“ berührt (Berlin, 1916) und bildet 
auch den Kernpunkt der Diskussion des Vortrages Strauss: „Die 
Erfolge und Aussichten der Chemotherapie des Lupus u 
in der Sitzung des Lupusausschusses während der 21. General¬ 
versammlung des „Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung 
der Tuberkulose“ in Berlin am 23. Mai dieses Jahres. Während 
Strauss den Standpunkt vertritt, dass sowohl die Versuche am 
Tier bei experimenteller miliarer Tuberkulose wie auch zum Teil 
die Behandlungsresultate bei innerer Tuberkulose des Menschen 
und ebenso seine eigenen reichen, schon jahrelangen Erfahrungen 
bei der inneren sowie der äusseren Behandlung der Haut^ und 
chirurgischen Tuberkulose des Menschen die Annahme einer 
Spezifität der Kupferwirkung zur logischen Forderung machen, 
treten Wichmann-Hamburg und Lesser-Berlin dieser Anschauung 
auf das Entschiedenste entgegen. Beide Herren, die zwar ihre 
Anschauung nicht auf eigene Erfahrungen gestützt haben, be¬ 
haupten, dass das Kupfer bei der Lupushehandlung nur die Rolle 
eines elektiv wirkenden Aetzmittels spiele. Im Einzelnen führte 
Wichmann aus, der Beweis fürdie Behauptung, das Mittel 
wirke spezifisch, d. b. bakterizid gegen Tuberkelbazillen, 
stehe aus. Für die Beurteilung der Wirkung müsse als 
wichtigste Forderung betont werden, dass das Mittel auf 
dem Blutweg eingefübrt werde, denn sonst sei ein 
Beweis, dass es im Sinne der modernen Chemotherapie 
wirke, nicht zu erbringen. 

Wenn auch für die Praxis der Lupusbehandlung und namentlich 
vom Standpunkt der Kranken aus weniger wichtig ist, wie ein Mittel 
wirkt, als dass es wirkt, und dies letztere bat Strauss nicht nur 
bei über 300 eigenen, sondern in allererster Linie bei der jedenfalls 
zeitweiligen Befreiung sämtlicher ihm von der Lupuskommission 
zugewiesenen schweren und schwersten Fälle von ihrem jahre- und 
jahrzehntelang bestehenden, mit allen modernen Methoden ver¬ 
geblich behandelten Leiden gezeigt, so ist die Frage doch von 
ausserordentlicher theoretischer Bedeutung, ob das Kupfer als 
Spezifikum bei Tuberkulose zu betrachten ist oder nicht. Es kann 
ja auch von vornherein angenommen werden, dass die bleibende 
Ueberlegenheit eines Mittels gegenüber andern eben auf seiner 
spezifischen Arznei Wirkung beruht. 

Um diese Frage für das Kupfer zur Entscheidung zu bringen, 
müssen wir uns in erster Linie klar darüber sein, was man 
unter der spezifischen Arznei Wirkung eines Mittels ver¬ 
steht. Nach Ehrlich, dem Begründer der modernen Chemo¬ 
therapie, spricht für die spezifische Arzneiwirkung des Salvarsans: 

1. Seine parasitizide Wirkung, die sich darin äussert, dass 
es einerseits die Spirillen und Spirochäten abtötet, andererseits 
ihre Vermehrung verhindert. 

2. Dass durch die Injektion des Mittels offenbar im Körper¬ 
gewebe Produkte frei werden, die als Antikörper zu bezeichnen 
sind (Verschwinden der Wassermann’schen Reaktion.) 

3. Dass von den Spirochäten Reizstoffe ausgehen, die eine 
Verwandtschaft zum Dioxydiamidoarsenobenzol haben und von 
ihm gebunden werden, so dass das Präparat als Syphilisantitoxin 
wirken kann 2 3 ). 

Als nichtspezifisch bezeichnet Ehrlich die wunderbar 
schnelle Heilung, die gerade bei den schweren ulzerösen Prozessen 
bei der malignen Syphilis beobachtet worden ist und von Krö¬ 
nt ay er*) dahin zusammengefasst wurde: „Das Präparat bringt das 
pathologische Gewebe, das Syphilom, zur raschen Resorption, 
es regt das Epithel zur Proliferation und raschen Ueberhäutung 
von Geschwüren an.“ 

Es interessiert uns nun zunächst festzustellen, auf welche 
Weise der Beweis für die parasitizide Wirkung des Salvarsans 
gegenüber Spirillen und Spirochäten erbracht worden ist, und 
welche Tatsachen auf eine vom Salvarsan ausgehende immu¬ 
nisierende Wirkung gegen Spirillen- und Spirochätenerkrankungen 

1) Beiträge für Chemotherapie der Tuberkulose in „Beiträge zur 
Klinik der Tuberkulose“, 1912, Bd. 23, H. 2. 

2) Ehrlioh-Hata, Die experimentelle Chemotherapie der Spirillosen. 
Berlin, 1910. 

3) B.kl.W.,1910, Nr. 34. 


schliessen lassen. In zweiter Linie werden wir zu untersuchen 
haben, ob zwischen Kupfer und Tuberkelbazillus ähnliche Be¬ 
ziehungen bestehen. 

Ueber das Verhalten des Dioxydiamidoarsenobenzols gegenüber 
Spirillen und Spirochäten geben uns die Experimente H ata's 
Aufschluss 1 ). Hata stellte fest, dass das Salvarsan die Spirillen 
im Reagenzglas nur bewegungslos macht, aber nicht abtötet, dass 
dagegen seine parasitiziden Eigenschaften sich im Tierkörper 
geltend machen. Wenn nämlich Spirillen in einem Salvarsan 
enthaltenden Blutgemisch von der Konzentration von 1:10000 
bis 1 :40000 in den Körper der Maus eingespritzt werden, so 
kommt die Infektion bei der Maus gar nicht oder nur spät zum 
Ausbruch, auch wenn die Spirillen beim Einspritzen noch 
beweglich waren. Je niedriger indessen die Konzentration des 
Salvarsans war, desto früher geht die Infektion an, bei einer 
Verdünnung von 1:100000 am selben Tag wie bei den Kon¬ 
trollen. Bei genügender Konzentration des Medikamentes büsst 
somit der grösste Teil der Spirillen seine Vermehrungsfähigkeit 
im Tierkörper ein, so dass nur noch wenige resistentere Parasiten 
fortpfianzungsfähig bleiben. 

Wie äussert sich nun die abtötende Wirkung des Kupfers 
auf den Tuberkelbazillus? Meine Versuche haben gezeigt, dass 
die Tuberkelbazillen in wässrigen Kupferlösungen bei nicht zu 
hoher Virulenz des Stammes und im Verhältnis zu der Bazillen- 
zahl genügendem Kopfergehalt abgetötet werden 2 ). Stark virulente 
Stämme werden dagegen durch ihr Verweilen in Kupferlösungen 
nur abgeschwächt, so dass die Erkrankung der Meerschweinchen 
später einsetzt und langsamer und weniger stürmisch verläuft als bei 
den Kontrollen. Eine ausgesprochen bakterizide Wirkung 
hat das Kupfer hingegen in vitro auf den Tuberkel¬ 
bazillus, wenn es als Kupferlezithin-Lebertranemulsion 
mit ihm in Berührung kommt. Eine Infektion mit 0,25mg 
Tuberkelbazillen Typus humanus, die bei den Kontrollieren 
durchschnittlich in 10 Wochen zum Tode führte, wurde durch 
Sstündige Einwirkung von Lekotyllebertran mit einem Kupfer¬ 
gehalt von 1,8 mg auf die Bazillen in eine chronisch verlaufende 
Erkrankung verwandelt, die nicht den Tod des Versuchtieres 
herbeiführte. Das Meerschweinchen erlag 44 Wochen nach der 
Infektion einer Dipiokokkensepsis und zeigte in allen Organen 
viel geringere tuberkulöse Veränderungen als die Kontrollen. 
Ein zweites Versuchstier wurde mit derselben Menge Tuberkel¬ 
bazillen infiziert, die aber 24 Stunden in Lekutyllebertran ge¬ 
legen waren. Dieses Versuchstier erkrankte überhaupt nicht, es 
lebte 68 Wochen und zeigte nach seinem Tod keinerlei tuber¬ 
kulöse Veränderungen. 

Es ist aus diesen Versuchen zu schliessen, dass das Kupfer 
in geeigneter Lösung und bei genügend langer Ein¬ 
wirkungsdauer und Konzentration auch schon im Reagenz¬ 
glas abtötend auf den Tuberkelbazillus ein wirkt, jeden¬ 
falls ihn so sehr schwächt, dass er sich, in den Tier¬ 
körper eingeführt, avirulent zeigt. Unter weniger günstigen 
Verhältnissen erfährt er eine Verminderung seiner Virulenz, die 
in dem späteren Einsetzen und dem langsameren Verlauf der 
Krankheit zum Ausdruck kommt. Es verhält sich also hier 
das Kupfer beim Tuberkelbazillus genau so wie das 
Salvarsan bei den Spirillen. 

ln höchstem Maasse empfindlich gegen sehr grosse Ver¬ 
dünnungen des Kupfers zeigen sich Tuberkel bazil len in Kultur 
auf eiweisshaltigen Nährböden. Hier genügen schon Ver¬ 
dünnungen von 1:1500000 auf Kupfer berechnet, um das, 
Wachstum der Bakterien dauernd zu hemmen. Um das 
Wachstum von Bakterienhänfchen zu vernichten, reichen Ver¬ 
dünnungen des Kupfers im Nährboden von 1:150000 noch aus. 
Nach längerer Einwirkungszeit im Brutschrank lösen sich die auf 
den Kupfernährböden befindlichen Tuberkelbazillenhanfen in grün¬ 
lich gefärbte schmierige Massen auf, die mit Ferrozyankalium 
Kupferreaktion zeigen, und in denen färberisch keine Bazillen 
mehr nachweisbar sind*). Aus diesen Versuchen ersehen wir, 
dass die abtötende Wirkung des Kupfers auf den 
Tuberkelbazillus besonders gross ist, wenn dieser das 


1) Ehrlioh-Hata, Die experimentelle Chemotherapie der Spirillosen. 
Berlin, 1910. 

2) Beiträge zur Klinik der Tuberkulose, Bd. 84, H. 1.: „Experimental- 
Forsohungen zur Chemotherapie der Tuberkulose mit Kupfer- und 
Methylen blausalsen*. 

3) Vgl. meine Arbeit „Experimentalforsohungen zur Chemotherapie 
der /.Tuberkulose mit Kupfer- und Methylenblausalzen“ in Beitrag zur 
Klinik der Tuberkulose, Bd. 34, H. 1. 

1 * 


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800 


HEBLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Metall in seinem Nährboden Torfindet, aas dem er es 
im Laufe seiner Entwicklung sogleich mit den Nähr¬ 
stoffen aufnimmt. Die Mengen, die genügen, am den 
Tuberkelbazillus dauernd io seiner Entwicklung su hemmen, sind 
hier noch sehr viel kleiner als die Spirillen abtütenden Salvarsan- 
dosen, aber es bedarf, der verschiedenartigen Natur der beiden 
Lebewesen entsprechend, läogerer Zeit, bis der in seiner Ent¬ 
wicklung und Lebensäusserung träge Tuberkelbazillus das Gift 
in seinem Plasma fixiert bat, als bei der beweglichen schnellebigen 
Spirille. In den Mantel des Tuberkelbazillus werden, wie ich 
gezeigt habe, die Kupfersalse aus Lösungen schon nach wenigen 
Minuten aufgenommen, aber nicht so momentan erfolgt der 
Durchtritt in den Bakterien leib. Bei den Spirillen und Spiro¬ 
chäten steht kein schützender Mantel im Wege, und ausserdem 
ist der Stoffwechsel dieser verhältnismässig hoch organisierten 
Parasiten ein so viel rascherer, dass nicht nur die von ihnen 
in der Zeiteinheit aufgenommenen Nahrungsstoffe, sondern auch 
die resorbierten Giftmengen grössere sind. Der in der Zeiteinheit 
aufgenommenen Giftmenge entspricht aber auch die Giftwirkung. 

Zusammenfassend können wir sagen, dass das Kupfer auch 
noch in minimalen Dosen den Tuberkelbazillus in vitro 
und in der Kultur abtötet,bzw. seiner Entwicklungsfähig¬ 
keit beraubt, wenn es ihm in leicht resorbierbarer Form 
gereicht wird. Es besitzt also eine ausgesprochene bakte¬ 
rizide Wirkung auf den Tuberkelpilz und erfüllt damit 
die erste Bedingung eines spezifischen Arzneimittels. 

Das Dioxydamidoarsenobenzol wirkt aber nicht nur 
parasitixid, wenn es gleichzeitig mit den Spirillen, auf die es ia 
vitro eingewirkt hatte, dem Tierkörper einverleibt wird, es ent¬ 
faltet auch noch eine Spirillen abtötende Wirkung, wenn es in 
den Tierkörper eingeführt ist and die Infektion erst 
später erfolgt. Hata stellte fest, dass die mit Salvarsan vor¬ 
behandelten und später infizierten Versuchstiere später erkranken 
als die Kontrollen, dass sogar, wenn die Salvarsandosis gross 
genug ist, die Erkrankung ganz aasbleibt. Bei Ratten ist die 
Sterilität erzeugende Dosis 0,06—0,06 Dioxydamidoarsenobensol. 
Diese Vorbehandlung zeigte sich auch noch wirksam, wenn 
48 Stunden zwischen Vorbehandlung und Infektion verstrichen 
waren. Waren 4—5 Tage verlaufen, so zeigte sich eine leichte 
Erkrankung, die ohne Rezidiv blieb, läge« 7 Tage zwischen 
Vorbehandlung und Infektion, so stellte sieb ein leichtes Rezidiv 
ein, und selbst nach einem Zwischenraum' voo 10 Tagen war immer 
noch ein Unterschied zwischen den vorbehandelten Tieren und 
Kontrollen zu konstatieren. Das Salvarsan entfaltet somit 
eine ausgesprochene Schutswirkung gegen Rattenrekur- 
rens, die auch dann noch nicht völlig erlischt, wenn 
zwischen Vorbehandlnng und Infektion ein Zwischen¬ 
raum von 10 Tagen liegt. So laoge kreist offenbar das Dioxy- 
diamidoarsenobenzol im Rattenblut und entfaltet seine parasitizide 
Wirkung. Bei Hühnern hält die Schadwirkung noch länger vor, 
sie ist auch hier noch nach 20 Tagen zu erkennen. Bei Mäusen 
ist sie erheblich geringer. 

Eine ganz analoge Schutzwirknng beobachtet man, 
wenn man Kaninchen mit Kupfer vorbehandelt und 
nach einiger Zeit mit Tuberkelbazilleu (Typus bovinus) 
infiziert 1 ). Wie die Vorbehandlung mit Salvarsan den Aus¬ 
bruch der Spirillose verzögert oder ganz verhindert, so verschiebt 
oder verhindert die Vorbehandlung mit Kupfer den Ausbruch der 
Tuberkulose bei Kaninchen in sehr auffälliger Weise. Das Maass 
der Schutzwirkung ist hier besonders von der dem Körper ein¬ 
verleibten Kupfermenge, auch von der Art der Einverleibung 
(intravenös oder intern) aber merkwürdig wenig von dem zwischen 
Vorbehandlung und Infektion liegenden Intervall abhängig. Schon 
bei kleinen Kupfermengen von 12—25 mg und einem Intervall 
von 8—18 Wochen verschiebt sich der Ansbruch der Erkrankung 
um 14 Wochen, so dass die vorbehandelten Tiere, wenn die 
Kontrollen bereits der Infektion erlegen sind, noch lange Zeit 
einen klinisch vollkommen normalen Eindruck machen. Diese 
kleiuen Dosen reichen aber nicht aus, um die schliessliche mi¬ 
liare Verbreitung der Tuberkulose zu verhindern. Bei Anwendung 
noch grösserer Kupfermengen, 88—327 mg, wird das Leben der 
Versuchstiere um 16—75 Wochen verlängert, mithin bis zu 
1% Jahr, und die tuberkulösen Veränderungen, die sich in dem 
einen oder anderen Organ meist in der Lunge finden, sind ioka- 

1) Gräfin v. Linden, Erfahrungen der Kupferbehandlung bei der 
experimentellen Tuberkulose des Meerschweinchens und bei den ver¬ 
schiedenen Formen der Tuberkulose des Menschen. In: Veröffent¬ 
lichungen aus dem Gebiete der Medizmalvenraltuug, Bd. 4, H. 6. 


liefert, es bat keine miliare Aussaat der Krankheitserreger mehr 
stattgefunden und die Taberkulose wird nicht mehr zur alleinigen 
Todesursache. Die Intervalle waren zwischen Vorbehandlung and 
Infektion 0—80 Wochen. Es ist also anzunehmen, dass noch 
*/* Jahre nach abgeschlossener läogerer Vorbehandlung so viel 
Kupfer in den Organen abgelagert ist und im Blut kreist, dass 
die in diesem Fall wirklich verblüffende Schutzwirkung zustande 
kommt. Die chemischen Analysen haben gezeigt, dass der Haopt- 
speicherungsort für das Kupfer die Leber ist, aus dessen Vor¬ 
räten das Blut seinen Kupfergehalt schöpft. So weit zu immuni¬ 
sieren, dass überhaupt kein tuberkulöser Herd zur Aus¬ 
bildung kommt, ist mir bis jetzt noch nicht gelangen, 
während Hata bei Spirillose durch eine einmalige Injektion von 
0,1 Salvarsan bei seinen Versuchstieren völlige Sterilität er¬ 
reichte. Nach neuen Versuchen ist durch Kupfervorbehandlung bei 
akuten Infektionskrankheiten (Paratyphus - B) bei Mäusen unter Um¬ 
ständen ebenfalls vollkommene Sterilität zu erzielen, obwohl der 
Paratyphusbacillus in der Kultur weniger kupferempfindlich ist als 
der Tuberkelbazillus und grössere Kupfermengen nötig sind, um 
ihn zum Absterben su bringen. Dafür entfaltet das Kupfer 
der tuberkulösen Infektion gegenüber eine viel längere 
6chutzwirkung, die sieh aneb, wie wir sehen, dann 
noch geltend macht, wenn zwischen Vorbehandlung 
und Infektion */* J*hre verstrichen sind. Dieses ab¬ 
weichende Verhalten in der Momentan- und Dauerwirkung der 
beiden Präparate bei Spirillose bzw. Tuberkulose ist einmal in 
dem verschiedenen physiologischen Verhalten der beiden Krank¬ 
heitserreger, schnellere Resorption des Giftes durch die Spirillen, 
dann aber auch darin begründet, dass das Kupfer im Körper dsr 
Versuchstiere länger zuröckgebalten wird als das Dioxydiamido- 
arsenobenzol. Ein prinzipieller Unterschied zwischen der 
durch Kupfer ausgelösten Schutzwirkung gegen die 
tuberkulöse Infektion und der durch Salvarsan bedingten 
Immunisierung gegen Spirillose besteht aber nicht. 

Es bleibt uns noch übrig festcustellen, wie sieh das 
Salvarsan gegen Spirillen und das Kupfer gegen Tuberkelbazilleu 
verhält, weoB die Behandlung der Tiere nach der In¬ 
fektion erfolgt. Es sind natürlich in beiden Serien nur die 
Versuche heranzuziehen, bei denen es sich um Infektionen bandelte, 
die so stark waren, bei den Kontrollen stets tödlich verlaufende 
Krankheit zu erzeugen. Dieses war bei den Experimenten Hata’s 
der FaN, in denen er sich einer etwa 40mal stärkeren Infektions¬ 
dosis bediente als in Vorversuchen mit sehr günstigen Heii- 
resultaten, wo aber die Kontrollen auch nur eine Sterbliehkeits- 
ziffer von 80—40 pCt. aufgewiesen hatten. Jedem Versuchstier 
wurden 0,2 ccm einer Blutverdönnung, welche 15—20 Spirilko 
in einem Gesichtsfeld enthielten, intraperitoneal eingespritzt. 
Schon am nächsten Tag erschienen die Spirillen im Blut der 
Mäuse in der Zahl von 8—5 in einem Gesichtsfeld, am zweiten 
Tag in der Zahl von 50 und am dritten Tag in zahlreichen 
Haufen. Fast alle Tiere starben, wenn sie nicht behandelt 
wurden, in der Krisis, widerstandsfähige Exemplare auch im Re¬ 
zidiv. Die Behandlung setzte am ersten Tag nach der Infektion 
ein. Die Dosis schwankte innerhalb sehr weiter Grenzen 1:500 
bis 1: 10000. Die höheren Dosen wurden auch wiederholt an- 
gewendet, um w sehen, ob dadurch eine dauernde Sterilisierung 
zu erreichen sei. Dies erwies sich aber mit wenigen Aus¬ 
nahmen als unmöglich, fast sämtliche Tiere bekamen 
ein oder mehrere Rezidive. Was durch die Behandlung er¬ 
zielt werden konnte, war nur eine ganz bedeutende Herab¬ 
setzung der Mortalität der behandelten Tiere im Ver¬ 
gleich zu den Kontrollen. Das Resultat war um so gün¬ 
stiger, je grösser die zur Behandlung verwendete Dosis war. Bei 
Dosen von 1: 500—1: 3000 starb nur eine Maus an Spirillose, 
bei Dosen von 1:4500—1:10 000 starben 6 Mäuse während «der 
unmittelbar nach der Krise und eine Maus nach längerer schwerer 
Erkrankung. Hier zeigte sich also eine Mortalität von 4:16 
oder 44 pCt., während sie bei den Kontrollen 100 pOt. betrog. 

Was durch die Behandlung mit Salvarsau erreicht wurde, war 
somit keine sofortige Abtötung aller Spirillen, sondern 
nur eine Abschwächung der Krankheitserreger und 
eine Verwandlung des akuten schnell zum Tode führen¬ 
den Krankheitsverlaufes in einen protrahierten, chroni¬ 
schen, in dem die Schutzkräfte des Körpers schliess¬ 
lich den Sieg über die Krankheitserreger davontrugen. 

ln ganz ähnlicher Weise beeinflusst die Behandlung mit 
Kupfersalzen den Verlauf der mit tödlichen Dosen ausjgefübrteii 
tuberkulösen Infektion beim Meerschwein. Die Infektion wurde 


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r 1. April 1918. 

mit einer bestimmten Gewichtsmenge ( ] /s bis mg) einer 
virulenten Tuberkelbazillenkultur Typus bumanus subkutan vor¬ 
genommen, und es wurde mit der Behandlung begonnen, sobald 
die Veränderungen an der Infektionsstelle und der benach¬ 
barten Drüsen erkennen liessen, dass eine Vermehrung und 
Verbreitung der Krankheitserreger im Organismus stattgefanden 
hatte. Die Dosieruog war eine verschiedene, sie betrug pro Tier 
0,001—0,005 g auf Kupfer berechnet. Die Einspritzungen wurden 
subkutan ausgeführt und meist in Intervallen von 14 Tagen wieder¬ 
holt. Auf einmal konnte nicht mehr Kupfer zugeführt werden, 
wegen der örtlichen Reizwirkung des Präparates. Trotz der 
geringen Kupfermenge hatte man schon nach der ersten Ein¬ 
spritzung mit den grösseren Dosen 0,003—0,005 g den Eindruck, 
dass die weitere Ausbreitung der Erkrankung bei den behandelten 
Tieren zum Stillstand gekommen war, und dieser Eindruck ver¬ 
stärkte sich bei jeder weiteren Behandlung, indem die Einstich- 
absesse heilten, die DrüsenschWellungen nicht weiter Zunahmen, 
zurückgingen oder skierotisierten, kein Fieber einsetzte und 
das Körpergewicht Zunahmen statt Abnahmen zeigte. Das End¬ 
ergebnis verschiedener Versuchsreihen war, dass bei 30 pCt. 
aller Fälle und bei 50 pCt. der mit grösseren Dosen 
behandelten Meerschweinchen ein Stillstand der Er¬ 
krankung in frühen Stadien der Infektion erreicht 
wurde, wenn die Behandlung 14 Tage nach der Infektion 
einsetzte. Bei Infektionen mit 100 pCt. Mortalität bei den 
Kontrollen wurde keine völlige Abtötung der Tuberkelbazillen 
im Tierkörper erreicht, so dass die abgekapselten Herde in dem 
einen oder anderen Organ, "wenn auch mikroskopisch weder 
Riesenzellen noch Tuberkelbazillen nachzuweisen waren, demnach 
auf gesunde Meerschweinchen öberimpft, eine langsam verlaufende 
tuberkulöse Infektion zur Folge hatten. Nur in einem Versuch, 
in dem ein weniger virulenter Stamm verwendet worden war, 
waren die Organe der durch Kupfer geheilten Tiere von 
virulenten Bakterien frei geworden. Die Behandlungsergebnisse 
nach vorhergegangener Infektion sind somit für das Kupfer 
und die Tuberkulose ganz ähnlich denen der Spirillosebehandlung 
durch Salvarsan. Auch Hata erreichte bei tödlichen Spirillose- 
infektionen keine völlige Abtötung der Spirillen, wohl aber eine 
solche Herabsetzung ihrer Vermehrungsfähigkeit, dass sie wohl 
noch die Ursache von Krankheitsschüben — Rezidiven — wurden, 
aber mindestens bei 56 pCt. der Versuchstiere keine tödliche 
Erkrankung zur Folge batten. Wenn wir nun die in beiden 
Versuchsreihen zur Behandlung angewandten Dosen vergleichen, 
so ergibt sich aus den Ausführungen Hata’s, dass bei Behand¬ 
lung mit 0,1—0,017 pro Kilogramm Körpergewicht die Mehrzahl 
der Mäuse rezidivierte, aber am Leben blieb, bei Dosen, die 
unter diesen lagen, wurden nur 56 pCt. gerettet. Bei den Tuber¬ 
kuloseversuchen hatte ich bei Anfangsdosen von 0,014 g pro Kilo¬ 
gramm Körpergewicht bei 50 pOt. der Versuchstiere einen Still¬ 
stand der Erkrankung erreicht, aber keine völlige Sterilisierung 
des infizierten Organismus, bei Anfangsdosen unter 0,003 g pro 
Kilogramm wurde ein Stillstand der Infektion nur in 12 pCt. der 
Fälle beobachtet. Es ergibt sich somit aus dieser Berechnung, 
dass der therapeutische Effekt sowohl beim Salvarsan gegen¬ 
über der Spirillo8e wie der des Kupfers bei der Tuberkulose in 
unmittelbarer Abhängigkeit zu der eingeführten Menge des Medi¬ 
kamentes steht. Es zeigt sich aber auch, dass die abtötende 
Wirkung des Salvarsans auf die Spirillen, die des Kupfers den 
Tuberkelbazillus übertrifft, weil die Spirillen empfindlichere 
Organismen sind, ausgesprochene Immunität erzeugen, und weil 
es auch möglich ist auf einmal grössere Salvarsanmengen einzu¬ 
spritzen, da die Kupfersalze subkutan eine noch stärker reisende 
Wirkung entfalten als das Sarvarsan. Bei der Tuberkulose lässt 
sich natürlich nicht wie bei der Spirillose oder den Spirochäten¬ 
erkrankungen aus der Abnahme der Parasiten im Blut 
bzw. in dem GewebsBaft ein Schluss ziehen auf die bakterizide 
Wirkung eines Präparates. Die Tuberkelbazillen sind, soweit 
sie überhaupt im Blute kreisen, schwer nachzuweisen, die in den 
Zellen und Zelllücken des Tuberkels liegenden Bakterien 
entziehen sich der sicheren mikroskopischen Kontrolle. Es 
kann also nur aus den Reaktionen des infizierten Tieres, aus dem 
Sektionsbefund und dem Ergebnis der Uebertragung verheilter 
Herde ein Schluss auf die bakterizide Wirkung gezogen werden. 
Es ist anzunehmen, dass eine Abtötung und Entwicklungshemmung 
von Infektionserregern stattfindet, wenn die tödliche Infektion, 
die normaler Weise zu einer akut verlaufenden Miliartuberkulose 
führt, in einen später einsetzenden, chronisch verlaufenden, auf 
wenige Herde beschränkten Krankheitsprozess verwandelt wird, 


der für den Tod des Versuchstieres nicht ursächlich ist. Da bei 
einer nicht sofort nach der Infektion einsetzenden Behandlung 
die Krankheitserreger über den ganzen Organismus verschleppt 
sind, und bis das Mittel seine Wirksamkeit entfaltet, die An¬ 
fänge tuberkulöser Veränderungen bereits vorliegen, so werden 
wir kaum bei virulenter Infektion, auch wenn die Behandlung wirk¬ 
sam war, nach dem Tode der Tiere ganz unveränderte Organe finden. 
Es genügt aber schon zum Beweis, dass eine Abtötung der 
Tuberkelbazillen stattgefunden hat, wenn wir Tuberkel¬ 
knoten antreffen, die nur vereinzelt stehen, keine mi¬ 
liare Aussaat zeigen, aus denen die Bazillen ver¬ 
schwunden, in denen die Riesenzellen zerfallen und 
resorbiert sind und in denen die Wucherung des Binde¬ 
gewebes den fibrösen Umwandlungsprozess erkennen 
lässt. Und die Erfahrung zeigt, dass je frischer und je weniger 
weit fortgeschritten die krankhaften Veränderungen beim Ein¬ 
setzen der Behandlung waren, desto deutlicher der Erfolg der 
Behandlung ist. Ferner zeigen meine Versuche, dass die Wir¬ 
kung des Mittels um so grösser ist, je näher es von dem tuber¬ 
kulösen Herd dem Körper einverleibt wird, d. h. um so schneller 
vollzieht sich die Abtötung der Bakterien und die Heilung. So 
sehen wir z. B., dass bei subkutaner Kupferbehandlung der 
Versuchstiere die tuberkulösen Primäraffekte, die Abszesse 
an der Infektionsstelle, in */ 8 aller behandelten Fälle zur Ab¬ 
heilung und glatten Vernarbung kommen, während eine Beein¬ 
flussung der Lunge in weniger als */s der Fälle, eine solche der 
Drüsen und Leber in der Hälfte und eine solche der Milz nur in 
y 8 der Fälle beobachtet wurde. Die Abheilung des Infektions¬ 
abszesses, der wie der Primäraffekt bei der syphilitischen Infek¬ 
tion ein Depot von Krankheitserregern darstellt, zeigt, wenn er 
sich aucti wesentlich langsamer vollzieht, ausserordentlich viel 
Aehnlichkeit mit der Abheilung des experimentellen Schankers 
wie aus dem Vergleich der Protokolle der Versuche Hata’s und 
meiner Experimente ersichtlich ist. 

I. Verheilung des experimentellen Schankers bei 
Kaninchen. 

1. 31. VIII. Status: Beiderseits grosse Geschwüre mit indoriertem 
Rand; rechts Geschwür oval 2 cm breit, 2,4 cm lang, links rund 2,1 cm 
Durchmesser; zahlreiche Spirochäten. Gewicht 2380 g. Iojektion: 
0,04 pro Kilogramm Tier intravenös. 

1. IX.. Rand weicher, keine Spiroohäten mehr nachweisbar. 

4. IX. Noch wenig Iofiltration am Rand. 

8. IX. Kruste abfallend; Spirochätenbefund negativ. 

13. IX. Kruste abgefallen, neue dünne Kruste gebildet; Infiltration 
fast verschwunden. Narbenbildung. 

18. IX. Kein Sohorf mehr, nur Narbe bleibt zurück. 

4. X. Narbe kaum noch sichtbar. 

80. XI. Gans glatt. 

2. 9. V. 1910. Status: Rechts 4,0, 4,2 cm grosser Schanker, 
links 8,5, 3, 1,5 cm grosser Schanker mit dicker Kruste, kolossal zahl¬ 
reiche Spiroohäten. 

10. V. Gewicht 2200 g. Injektion: 0,025 g pro Kilogramm Tier 
intravenös. 

11. V. Induration etwas weioher, noch viele Spirochäten, aber alle 
ganz unbeweglich. 

12. V. Induration bedeutend weicher und kleiner, Spiroohäten 
linksseitig negativ, rechts nooh wenige unbewegliche. Gewicht 2150 g. 

2. Injektion 0,01 pro Kilogramm Tier intravenös. 

13. V. Schanker immer kleiner, Spirillenbefund wie gestern. 

15. V. Schankergrösse rechts 3,4, 8,2 1,1, links 2,5, 3,1, 1,0. Keine 
Spirillen mehr. 

16. V. Induration fast verschwunden, Kruste ganz trocken. 

18. V. Induration verschwunden, Kruste deckt die ganze flache 
granulierende Schicht. 

21. V. Gewebe stark zusammengezogen, Kruste im Abfallen begriffen. 

23. V. Kruste abgefallen, es bildet sich aber ein neuer dünner 
Sohorf auf dem vernarbenden Gewebe. 

26. V. Nur erbsengrosser Schorf. 

2. VII. Ganz glatt. 

3. 20. III. 1910. Status: Beiderseits 1,5, 2,2, 0,7 om grosser 
Sohanker, beide Inguinaldrüsen angeschwollen. Sehr zahlreiche Spirochäten 
im Sohanker. Gewicht 2260 g. Injektion 0,004 g pro Kilogramm Tier 
intravenös. 

81. III. Noch keine Veränderung. Zahlreiche bewegliche Spiroohäten. 

1. IV. Nooh ziemlioh gleich, nooh viele bewegliche Spiroohäten. 

2. IV. Induration dünner und weicher, noch viele Spirochäten, aber 
etwas weniger als gestern. 

3. IV. Induration noch weicher, links noch viele, rechts nur wenige 
Spirochäten, alle beweglich. 

5. IV. Unverändert. 

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Nr. 18. 


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8. IV. Schanker rechts etwas flacher und Kruste abgefallen, links 
unverändert, Spirillen rechts sehr wenige, links sehr viele. 

11. IV. Schanker wieder etwas dicker, Kruste wieder gebildet, 
beiderseits wieder viele Spirillen. 

18. IV. Schanker noch dicker, viele Spirillen. 

Bei Tieren, die mit noch kleineren Dosen behandelt worden sind, 
waren die Spiroohäten einmal etwas vermindert, später wieder etwes ver¬ 
mehrt. Der Schanker blieb fast unverändert. 

Wir ersehen aus dieäen Protokollen, dass die AbtötuDg der 
Spirochäten und die daran anschliessende Heilung des Schankers 
von der Menge des injizierten Salvarsans abhängig ist, dass bei 
Dosen von 0,04—0,035 (je zweimal) die Spirochäten in kurzer 
Zeit, fast momentan, vernichtet wurden und der Schanker inner¬ 
halb Von 2—3 Wochen zur glatten Heilung kam, während Dosen, 
die unter 0,004 lagen, keinen dauernden Einfluss auf den Krankheits¬ 
prozess auszuüben vermochten. Vergleichen wir mit diesen Er¬ 
gebnissen die Aufzeichnungen, die über die Abheilung des Impf¬ 
abszesses tuberkulöser Tiere Aufschluss geben, so finden sich viele 
Analogien: 

II. Verheilung experimenteller tuberkulöser Abszesse 
beim Meerschweinchen. 

a) Behandlung mit grosson -Dosen. 

1. 1. IX. 1910. Status: An der Infektionsstelle, rechte Bauch¬ 
seite, befindet sich eine erbsengrosse Schwellung. 

2. IX. Gewicht 475 g. Injektion 0,005 Cu=0,0l Cu pro Kilo¬ 
gramm Tier, subkutan auf der entgegengesetzten Bauchseite. 

13. IX. Das Infiltrat ist erweicht, sichtlich verkleinert und entleert 
bazillenfreien Eiter. 

16. IX. Gewicht 515 g. Injektion 0,0005=0,001 auf 1 Kilogramm 
Tier, subkutan wie vorher. 

23. IX. Infiltrat vollkommen abgeflacht, Fistel geschlossen, am 
Einstich noch eine kleine, etwa linsengrosse VerdickuDg. 

80. IX. Gewicht 570 g. Injektion 0,001=0,0019 g auf 1 Kilogramm 
Tier wie vorher. 

2. X. Wie am 23. IX. 

8. X. Linsengrosses Infiltrat verschwunden. Es ist ein ganz dünner 
härterer Strang entlang des Einstichkanales fühlbar. Bei der fünf 
Monate später ausgeführten Sektion des Tieres erweist er sich als binde¬ 
gewebiger Narbenstrang. Einstichabszess war rezidivfrei geheilt. 

2. 1. IX. An der Infektionsstelle hat sich ein Infiltrat von Erbsen¬ 
grösse entwickelt. 

2.-1X. Gewicht 485 g. Injektion 0,005=0,01 g Cu pro Kilogramm 
Tier subkutan auf der der Infektionsseite entgegengesetzten Bauchseite. 

16. IX. Keine merklichen Veränderungen. Gewicht 540 g. Injektion 
0,0005=0,001 pro Kilogramm Tier subkutan. 

23. IX. Infiltrat an der Infektionsstelle hat sich vollkommen 
resorbiert. 

30. IX. Gewicht 608 g. Injektion 0,001=0,0016 pro Kilogramm 
Tier subkutan. 

2. X. An der Infektionsstelle ist die Haut noch etwas verdickt. 

14. X. Gewicht 660 g. Injektion 0,0005=0,00085 pro Kilogramm 
Tier subkutan. Dieselbe Behandlung am 28. II. 

3. XI. Die Infektionsstelle ist so glatt verheilt, dass sie nicht mehr 
aufzufinden ist. Kein Rezidiv, was die Sektion nach vier Monaten 
bestätigt. 

b) Behandlung mit kleinen Dosen. 

3. 1. IX. An der Infektionsstelle befindet sioh ein Infiltrat von 

etwa Haselnussgrösse. 

2. IX. Gewicht 450 g. Injektion 0,0005=0,001 Cu auf 1 Kilogramm 
Tier subkutan. 

8. IX. Abszess hat sioh geöffnet und entleert. 

13. IX. Fistel geschlossen, Abszess bedeutend kleiner. 

16. IX. Gewicht 515 g. Injektion 0,0005=0,001 auf 1 Kilogramm 

Tier. 

23. IX. Der Abszess ist geschlossen geblieben, die Stelle ist aber 
noch mässig infiltriert. 

30. IX. Gewicht 595 g. Injektion 0,001=0,001 pro Kilogramm Tier. 

8. Abszess schön abgeflacht, ein neuer Fistelgang entleert eiterig 
seröses Sekret. 

Trotz weiterer Behandlung dieses Meerschweinchens mit zum Teil 
steigenden Dosen verheilte der Abszess nicht vollkommen. Auch die 
Organtuberkulose maohte weitere Fortschritte, im Gegensatz zu den 
beiden ersten mit hohen Anfangsdosen behandelten Meerschweinchen. 

Wir ersehen aus diesen Protokollen, dass Anfangsdosen 
von 0,010 auf das Kilogramm Tier berechnet zur 
völligen rezidivlosen Heilung des Infektionsabszesses 
führen bei Infektionen, wo die Einstichabszesse der 
Kontrollen in keinem einzigen Fall zur Heilung ge¬ 
kommen sind. Diese Heilung vollzieht sich allerdings nicht 
so schnell wie bei der Salvarsanbehandlung des Schankers. 
Während letztere 2—3 Wochen in Anspruch nahm, bedurfte es 


bei dem tuberkulösen Abszess eines Zeitraumes von 4—8 Wochen. 
Es muss dabei berücksichtigt werden, dass bei dem syphilitischen 
Primäraffekt bei Einzel fällen der Behandlung noch eine lokalisierte 
Erkrankung vorlag, während sich die Heilwirkung bei den tuber¬ 
kulös infizierten Meerschweinchen bereits auf eine allgemeine 
Organerkrankung zu erstrecken hatte. Auch die Dosierung war 
in den Salvarsanversuchen eine höhere, d. h. die den Meer¬ 
schweinchen subkutan verabreichte Kopfermenge entsprach der 
untersten Grenze der wirksamen Salvarsan dosen bei der experimen¬ 
tellen Syphilis. 

Man kann also von keiner prinzipiell verschiedenen 
Wirkung des Salvarsans auf den experimentellen 
Schanker und des Kupfers auf den tuberkulösen 
Infektionsabszess sprechen, in beiden Fällen erfolgte 
die Abtötung der Krankheitserreger und die Heilung 
des Krankheitsherdes. Dass die Ausheilung bei dem 
primären syphilitischen Herd schneller erfolgt als bei dem 
tuberkulösen, erklärt sich einmal aus der weniger grossen Wider¬ 
standsfähigkeit der Spirochäten und der geradezu ausserordentlich 
grossen Zähigkeit des langsam assimilierenden Tuberkelbazillus. 
Ein zweiter Grund scheint mir auch darin zu liegen, dass für 
die im Blut und dem Gewebssaft frei beweglichen 
Spirillen und Spirochäten die intravenöse Zuführung 
des Salvarsans eine Lokalbehandlung bedeutet, die 
die wirksame Substanz auf direktestem und schnellstem 
Weg den Parasiten zuführt. Um den Tuberkelbazillus zu 
erreichen, muss das intravenös oder subkutan eingespritzte Kupfer 
durch Gewebe „und Zellen, in denen der Bazillus eingeschlossen 
ist, aus dem Blute erst herausgeholt werden, was nur dann in 
ausgiebiger Weise geschehen kann, wenn die tuberkulösen Herde 
reichliche Blutversorgung zeigen. Wird bei der Behandlung der 
Spirillen- und Spirochätenerkrankungen das Moment der Resorption 
durch Gewebe eingeschaltet, indem die Injektionen nicht intra¬ 
venös, sondern subkutan oder intramuskulär erfolgen, so ist die 
Wirkung ebenfalls eine langsamere, sie ist aber auch nachhaltiger, 
weil die Ausscheidung des wirksamen Medikamentes eine lang¬ 
samere ist. Es gibt aber auch Fälle von syphilitischer Erkrankung, 
wo sich das Salvarsan als gänzlich unwirksam erweist, wenn es 
auf den Blutbahnen eingeführt wird. Als Beispiel führt Ehrlich 
die Keratitis parenchymatosa an, bei der durch die un¬ 
genügenden Zirkulationsverhältnisse die in der veränderten Horn¬ 
haut befindlichen Spirochäten sich dem Einfluss des Mittels ent¬ 
ziehen. Meist versagt ja auch das Salvarsan bei der Syphilis 
des zentralen Nervensystems. Es kann also sehr wohl ein durchaus 
spezifisch wirkendes Mittel Krankheitsherde unbeeinflusst lassen, und 
in diesen Fällen, wo das Blut als gangbarer Transportweg versagt, 
schlägt Ehrlich die lokale Behandlung vor. Er als Begründer 
der modernen Chemotherapie sieht es nicht als deren End¬ 
ziel an, die parasitiziden oder bakteriziden Substanzen 
wahllos in das Blut einzuspritzen, sondern sie auf 
irgend einem gangbaren Weg möglichst unabgesch wächt 
an den Ort gelangen zu lassen, wo die Krankheits¬ 
erreger zu treffen sind, in das Blut, wenn sie sich in 
diesen Bahnen befinden, in das erkrankte Gewebe, 
wenn sie von dem Gefässsystem aus nur schwer zu er¬ 
reichen sind. 

Wenn wir, von diesem Grundsatz ausgehend, ein Behandlungs- 
Schema für die verschiedenen Formen der menschlichen Tuberkulose 
aufstellen, so gelangen wir zu dem Ergebnis, dass die meisten 
Aussichten für die Behandlung auf dem Wege der Blut- 
bahnen die Tuberkulose der Lungen und der Nieren haben 
müsste, während für die Behandlung der Darm¬ 
erkrankungen eine interne, für die der Haut und 
Knochen eine lokale als die wirksamste in Frage 
kommt. 

Wir haben im Vorhergehenden die Beobachtungen zusammen¬ 
gestellt, die beweisen, dass nicht nur im Reagenzglas und nicht 
nur in der Kultur der Tuberkelbazillns durch Kupfer abgetötet 
oder in seiner Entwicklung gehemmt wird; wir haben auch ge¬ 
zeigt, dass diese spezifische Arzneiwirkung auf ihn ausgeübt wird, 
wenn er das Kupfer in dem Körper seines Wirtes antrifft, oder 
wenn nachträglich dem Körper Kupfer zugeführt wird, von dem 
der Tuberkelbazillus bereits Besitz ergriffen hatte. Damit fällt 
der eingangs erwähnte Einwand Wichmann’s in sich zu¬ 
sammen: es sei kein Beweis erbracht für die Behauptung, 
das Kupfer wirke spezifisch, d. h. bakterizid auf Tuber¬ 
kelbazillen. Diesen Beweis hatte ich übrigens schon längst 
geführt, aber Wichmann scheinen meine ausführlichen Pu- 


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blikationen darüber entgangen zu sein. Auch der in den Augen 
Wichmann’s wichtigsten Forderung: für die Beurteilung 
der Wirkung des Mittels müsse es in die Blutbahnen 
eingef&hrt werden, ist in den Experimenten genügt, da 
die Behandlung eine subkutane, perkutane, intravenöse 
oder interne war. Es bleibt Wich mann nur noch der Einwand, 
dass alle erwähnten Experimente cum Nachweis der spezifischen 
Kupferwirkung am Tier und nicht am Menschen vorgenommen 
worden seien, dass die experimentelle Tuberkulose des 
Meerschweinchens und des Kaninchens, eine von der 
beim Menschen beobachteten tuberkulösen Erkrankung 
abweichende Krankbeitsform ist. Dieser Einwand ist inso¬ 
fern berechtigt, als wir bei der experimentellen Tuberkulose eine 
viel akutere, viel mehr zur miliaren Ausbreitung 
neigende Infektion haben, die vielleicht gerade aus diesem 
Grund vom Blutwege aus leichter erreichbar und zu beein¬ 
flussen ist. DieTuberkulosebeim Menschenkönnteausanatomischen 
oder physiologischen Gründen einen speziellen Fall bilden, in dem 
sich die spezifische Arzneiwirkung des Kupfers auf den Tuberkel¬ 
bazillus nicht entfalten kann, wie es bei einzelnen syphilitischen 
Erkrankungsformen gegenüber dem Salvarsan der Fall ist. Damit 
wäre natürlich theoretisch an der Spezifität der 
Kupferwirkung nichts geändert. Wir haben aber nach den 
bisherigen Ergebnissen der Kupferbehandlung der menschlichen 
Tuberkulose keinerlei Anhaltspunkte, dass dieselbe hier prinzipiell 
versagt, im Gegenteil, es sprechen eine ganze Anzahl von Beob¬ 
achtungen dafür, dass auch im menschlichen Organismus das in 
genügender Menge zugeführte Kupfer ein Absterben der Bakterien 
zur Folge hat, wenn die Herde so beschaffen sind, dass sie für das 
Medikament erreichbar bleiben. Für diese Annahme sprechen 1 ) 

1. die Reaktionen lokaler und allgemeiner Art, wie sie 
nach Zuführung grösserer Kupfermengeu, namentlich 
wenn dieselben unmittelbar in das Blut erfolgen, von 
den verschiedensten Aerzten, die jahrelange Er¬ 
fahrungen hinter sich haben, beobachtet wurden 2 3 ). 

2. DasScbwinden derBakterien aus demSputumbei 
Lungenherden, das nach den Beobachtungen von Scheibner’s 
bei Einspritzung von sehr hohen Dosen schon manchmal nach der 
zweiten oder dritten, gewöhnlich nach der vierten Einspritzung 
erfolgen soll. 

3. Die nach Kupferbehandlung einsetzenden Heilungs¬ 
prozesse in tuberkulösen Herden: Lunge, Kehlkopf, 
Nieren, Blase. 

Die Allgemein- und Herdreaktionen, die bei Lungentuberkulösen 
beobachtet wurden und der Tuberkulinreaktion analog verlaufen, 
deuten darauf hin, dass durch die Einverleibung des Kupfers in den 
Säftestrom Tuberkelbazillen absterben, und dass die resorbierten 
Toxine derselben gerade so wirken, als ob dem Körper Tuber¬ 
kulin von aussen zugeführt würde, das, zum Tuberkulopyrin 
(Sahli, Ebers) abgebaut, die Ursache bestimmter klinischer 
Symptome wird. Diese Reaktionen sind um so grösser und deut¬ 
licher, je höher die eingespritzte Kupfermenge war, und je akuter 
der Krankheitsprozess verläuft. 

Andere Beobachtungen haben gezeigt, dass die Antikörper¬ 
bildung durch Kupfer im Körper Tuberkulöser angeregt 
wird, und dass es z. B. zu einem Wiederaufflammen einer abge¬ 
klungenen Pirquetreaktion kommen kann (Bodmer, Kögel). Auch 
dies ist nach Ehrlich als spezifische Arznei Wirkung anzu¬ 
sehen, wie auch die Fähigkeit des Kupfers, Tuberkulin zu 
binden 8 ). Wenn nun das Kupfer bei der experimentellen 
Tuberkulose und bei der inneren Tuberkulose des 
Menschen Wirkungen entfaltet, die nach den An¬ 
schauungen Ehrliche denjenigen eines spezifisch 
wirkenden Arzneimittels entsprechen, weshalb sollten 
dann die Reaktionen und Heilungsvorgänge, die Strauss 
und andere bei der Behandlung der äusseren Tuber¬ 
kulose nach intravenöser, subkutaner und interner 
Darreichung Von Kupfer gesehen haben, nicht als Folgen 
einer spezifischen Wirkung angesehen werden? Warum sollten 
die verblüffenden Erfolge bei lokaler Kupferbehandlung des Lupus 
der Haut und der Schleimhäute unspezifiscb, reine Aetzwirkungen 
sein, warum sollte das Kupfer bei lokaler Applikation nun 
plötzlich seine spezifischen Eigenschaften verlieren? Die Gegner der 
Kupfertherapie führen an, es spräche gegen eine spezifische 

1) Vgl. Beitr. s. Klin. d. Tbc., Bd. 34, H. 1. 

2) Vgl. meine Arbeit in den „Veröffentlichungen &U9 dem Gebiet 
der Medizinalvenraltung“, Berlin 1917, Bd. 6, H. 6. 

3) Vgl. Beiträge f. Klinik der Tuberkulose, Bd. 34, H. 1. 


Arznei Wirkung des Kupfers bei Tuberkulose, speziell 
bei Lupus, dass Strauss bei allgemeiner und nicht 
örtlicher Kupferbehandlung keine völligen Heilungen 
gesehen habe. Dieser Einwand ist aber unter keinen Umständen 
stichhaltig, weil er erstens in leichteren Fällen, wo Patient und 
Arzt die Geduld hatten, die subkutane Behandlung längere Zeit 
durchzufübren, und die Verhältnisse günstig lagen, tatsächlich Ab¬ 
heilungen der Herde beobachtet bat, und ausgesprochene Heil¬ 
wirkungen auch von anderen Forschern (Linser, Jungmann) sogar 
bei interner bzw. perkutaner Behandlung gesehen wurden. Aber selbst 
wenn bei Lupus bei einer anderen als örtlichen Behandlung gar keine 
Reaktionen in den Herden auftreten würden, so dürfte diese Beob¬ 
achtung noch längst nicht als Beweis gegen eine spezifische Arznei¬ 
wirkung des Kupfers bei Tuberkulose angeführt werden. Wir wissen 
ja, dass es auch syphilitische Herderkrankungen gibt, die wegen 
ungenügender Gefässversorgung vom Salvarsann unbeeinflusst 
bleiben, und es wird deshalb doch niemandem einfalleo, dem 
Salvarsan seine spezifische Arzneiwirkung auf Spirochäten abzu¬ 
sprechen. Ferner wird man nicht behaupten wollen, das Tuber¬ 
kulin wäre kein spezifisches Reagens auf Tuberkulose, weil Lupus¬ 
herde, deren Ausgangspunkt in der Haut zu suchen ist, nach 
Einspritzungen von Tuberkulin keine Reaktion zeigen. Wir wissen, 
dass unter Umständen bei einer Tuberkulinbehandlung guter All¬ 
gemeinerfolg neben gänzlichem Versagen der Behandlung auf das 
Hautleiden beobachtet wird. Dies beweist z. B. ein von Sahli 
mitgeteilter Fall, wo bei demselben Patienten eine Lungentuber¬ 
kulose sehr gut, ein Lupus gar nicht durch Tuberkulinbehand¬ 
lung beeinflusst wurde. Es sind eben hier wie auch bei der 
Syphilis die Zirkulationsverhältnisse in den Lupusherden maass¬ 
gebend, die es dem Tuberkulin geradeso unmöglich machen, zur 
Wirkung zu kommen, wie dem Kupfer. In beiden Fällen mangelt 
es eben an der Grundbedingung, für das Zustandekommen einer 
spezifischen Wirkung, nämlich an der Zuleitung des Spezi¬ 
fikums an die Herde. Iq solchen Fällen, in denen die Tuber¬ 
kulin reaktioo bei Lupusberden versagt, wenn das Tuberkulin den 
Blutbabnen durch subkutane Injektion zugeführt wird, tritt sie 
bei lokaler Anwendung sofort in die Erscheinung. Das Tuber¬ 
kulin, das jetzt die Krankheitsherde erreichen kann, löst die 
Bildung chemolytischer Antikörper an Ort und Stelle aus, und 
da der Uebertritt der toxisch wirkenden Abbauprodukte des 
Tuberkulopyrins in die Blutbabnen ebenfalls infolge der mangel¬ 
haften Zirkulationsverhältnisse erschwert ist, so bleibt eine All¬ 
gemeinreaktion aus, die spezifische Reaktion wird auf den Krank¬ 
heitsherd beschränkt. Sie äussert sich hier iu hochgradiger 
Entzündung, Hyperämie, Oedem, fibrinöser Exsudation und Lympho¬ 
zytose. 

Ganz analog ist die Wirkung auf die lupösen Herde bei 
lokaler Anwendung von Kupferpräparaten, die sich eben dadurch, 
dass sie eine reaktive Entzündung in den Krankheitsherden er¬ 
zeugen, aber kein Absterben des gesunden Gewebes bewirken, 
von den blossen Aetzmitteln unterscheiden. Während das Pyro- 
gallol durch seine Sauerstoffgier dem Blut und Gewebe sein 
Lebenselement raubt und Gesundes und Krankes zum Absterben 
bringt, so dass im Verlaufe der Reaktion grosse Geschwürs¬ 
flächen mit grauem schmierigen Belag entstehen, lässt das Kupfer 
die Krankheitsherde allein meist schon am ersten Tage an- 
scbwellen und wie bei lokaler Tuberkulinanwendung unter hoch¬ 
gradiger Entzündung, Hyperämie und Exsudation unter Ab- 
8tos8ung des tuberkulösen Gewebes in kurzer Zeit abheilen. Diese 
Reaktion, die in den ersten Tagen mit starken Schmerzen ver¬ 
läuft, ist auch bei wiederholter Salbenanwendung nicht mehr 
auszulösen, sobald das tuberkulöse Gewebe, die Krankheitsherde, 
verschwunden sind, sie ist also als eine für das tuberkulöse Ge¬ 
webe durchaus spezifische anzusehen. Bei Hauterkrankungen 
syphilitischer Natur tritt sie z. B. nicht ein. Auch die unter 
Kupfersalbe ausserordentlich schnell sich vollziehende Abheilung 
der Phtyriasis versicolor erfolgt ohne irgendwelche entzündliche 
Reizung der Haut. Hier nehmen nur die erkrankten Stellen 
Grünfärbung an, die sich nicht abwaschen lässt. Nach einigen 
Tagen blassen die Flecken ab, zuerst im Zentrum, dann an der 
Peripherie und verschwinden schliesslich ganz, langsamer, wenn 
sie nur einmal, schneller, wenn sie wiederholt mit Salbe behandelt 
werden. Ein Schälen der erkrankten Stellen, das auf eine ent¬ 
zündliche Reizung der Haut schliessen liesse, findet nicht statt. 
Wenn nun die Kupferlezithinsalbe weder auf die gesunde Haut, 
noch auf die erkrankte, d. h. nicht tuberkulöserkrankte Haut 
ätzend einwirkt, warum sollte dann der Effekt bei tuberkulösen 
Erkrankungen auf ihrer Aetzwirkung beruhen, um so weniger, da 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


die Salbe in ihrer heutigen Zusammensetzung gar kein hydro¬ 
lytisch dissoziiertes Kupfersalz enthält, von deren Anwesenheit 
die Aetzwirkung der Kupfersalse abhängt. Liegt es dem unbe¬ 
fangenen Beurteiler nicht viel näher anzunehmen, dass die lokale 
Applikation der Kupfersalben auf Lupusherde dem 
Kupfer ermöglicht, seine spezifische Arzneiwirkung zu 
entfalten, wie bei örtlicher An Wendung des Tuberkulins 
die ebenso stürmisch verlaufende Tuberkulinreaktion 
entsteht Die Erscheinungen bei der lokalen Behandlung des 
Lupus sind ja auch prinzipiell gar nicht verschieden von den 
Reaktionen innerer tuberkulöser Herde bei intensiver intravenöser 
Kupferbehanalung, auch da entsteht Hyperämie mit nachfolgender 
Gewebseinschmelzung und Abstossung. Die Kavernen reinigen 
sich. — Auch die Ausheilung der ^tuberkulösen Drüsen und des 
Infektionsabszesses beim Tier infolge subkutaner Kupferbehandlung 
vollzieht sich nach demselben Schema, nur nicht so schnell und 
stürmisch, entsprechend der viel allmählicheren Zuführung des 
Spezifikums. Zusammenfassend können wir L sagen, dass, wenn 
wir die Anschauungen Ehrlich’s, die er von einem 
spezifisch wirkenden Arzneimittel hatte, zugrunde 
legen, das Kupfer den Forderungen eines solchen dem 
Tuberkelbazillus und den tuberkulösen Erkrankungen 
gegenüber genau so entspricht wie das Salvarsan, bei 
Spirillen und Spirochäten und den von diesen hervor¬ 
gerufenen Erkrankungen. Dass die Beeinflussung des tuber¬ 
kulösen Krankheitsprozesses durch Kupfer keine so verblüffend 
schnelle ist, wie bei einem Teil der syphilitischen Er¬ 
krankungen durch Salvarsan, liegt nicht an der mangelnden 
Spezifität des mittels bzw. an einer „zu geringen chemo¬ 
therapeutischen Wirksamkeit“, sondern einerseits an den 
von den Spirillen und Spirochäten ganz verschiedenen biologi¬ 
schen Verhältnissen des Tuberkelbazillus, nooh viel mehr aber 
an physiologischen und anatomischen Momenten, die den tuber¬ 
kulösen Herd unter Umständen zu einer sogar für das Tuberkulin 
unbezwinglichen Feste gestalten. Man kann auch nicht sagen, 
dass wir bis jetzt ausser Stand sind, genügende Kupfermengen 
dem Körper einzuverleiben, um die Tuberkelbazillen dort zum 
Absterben zu bringen, denn wie wenig Kupfer dafür schon ge¬ 
nügt, zeigen die prophylaktischen Erfolge. Auch die meist auf¬ 
fallend schnelle und günstige Beeinflussung der Nieren- und 
Blasentuberkulose, für die immer neue einwandsfreie Beweise 
mitgeteilt werden, zeigt, dass z. B. die per os zugeführte Menge 
von 80 mg Kupfer täglich schon ausreicht, innerhalb von wenigen 
Monaten die tuberkulösen Geschwüre der Blasenschleimbaut zur 
Abheilung und die krankhaften Nierensymptome zum Schwin¬ 
den zu bringen. Da ein Teil des durch den Darm eingeführten, 
in das Blut anfgenommenen Kupfers mit dem Urin ausgeschieden 
wird, so liegen die Verhältnisse in der Blase besonders günstig, 
da die tuberkulösen Herde dort eigentlich ständig unter Kupfer¬ 
lösung gehalten werden. Die interne Behandlung führt hier zu 
einer fortgesetzten lokalen Behandlung der Blasenschleimbaut 
mit stark verdünnten Kupferlösungen. Von einer Aetzwirkung ist 
auch hier nicht die Rede, wenn man den Begriff der Aetzwirkung 
nicht soweit ausdehnen will und sagt: dass die spezifischen 
bakterientötenden Eigenschaften des Kupfers eben auf 
seiner Aetzwirkung, d. h. auf seiner Fähigkeit für die 
Bakterien giftige Verbindungen mit ihrem Körperplasma 
einzugehen, beruht. Auf alle Fälle zeigen auch die Erfolge 
bei der Kupferbebandlung der Nieren und Blasentuberkulose, dass 
es unsere wichtigste Aufgabe sein muss, die Kupferbehandlung 
der tuberkulösen Herde, sitzen sie, wo sie wollen, zu einer 
möglichst lokalen zu gestalten, je kürzer dabei der Umweg 
durch den Körper, desto besser. 


Nochmals über die Alkoholfestigkeit der 
Diphtherie- und Pseudodiphtheriebazillen. 

Von 

Privatdozent Dr. K. E. F. Sekaits. 

In Nr. 89 des Jahrgangs 1917 dieser Zeitschrift, S. 948, gibt Langer 
eine Wiederholung seiner Ansichten über die Alkoholfestigkeit der Gram¬ 
färbung bei Diphtherie- und Pseudodiphtheriebazillen und ihre praktische 
Bedeutung. 

Er setzt sich dabei mit meinen Einwänden auseinander, die ioh in 
dieser Zeitschrift Nr. 6 an der Hand einer länger dauernden Nachprüfung 
erhoben hatte. Er glaubt, dass die Unterschiede in der Feststellung 


lediglioh auf die Färbetechnik zurüokzuführen seien, und gibt noohmals 
eine genaue Vorschrift. 

Diesem habe ich folgendes zu erwidern: 

1. kann eine ungenügende Färbe-Technik doch nur eine zu 
schwache Färbung geben. Wie ist es aber dann möglich, dass ioh bei 
den Diphtheriebazillen stärker haftende Färbung erzielte wie Langer? 

2. kann eine schlechte Entfärbung doch nur zu wenig Farbe 
herausholen. Wie ist es da möglich, dass ioh bei den Pseudodiphtherie¬ 
bazillen stärkere Entfärbung beobachtete wie Langer? 

Aber ich möchte noch näher auf meine Färbetechnik eingehen. Es 
ist in meinem Laboratorium von jeher üblich, dass die Gramfärbungen mit 
der grössten Vorsicht und Genauigkeit mit der Uhr in der Hand aus¬ 
geführt werden. Bei jeder Gramfärbung wird auf demselben Objekt¬ 
träger eine sicher negative und eine sicher positive Kontrolle verstrichen. 
Das Anilinwasser wird jedesmal frisch und sehr sorgfältig unter 10 Minuten 
langem Schütteln hergestellt, sehr sorgsam durch verschiedene Filter 
filtriert. Als Farbe wird nach der Originalvorsohrift Gram’s Gentianaviolett 
genommen. Langer benutzt jetzt Brillantgrün. In seiner ersten Mit¬ 
teilung war nur Gentianaviolett erwähnt. 

Für die Entfärbung wird für jedes Präparat frischer Alcohol. abs. 
verwandt. Ja, dieser sogar mehrfach gewechselt, so dass die Angabe 
Langer’s, dass durch gebrauchten Alkohol schlechtere Entfärbung ein- 
tritt für meine Versuche nicht angenommen werden kann. 

Nun gibt Langer an, dass mit sorgfältiger Färbung und Entfärbung 
es ihm stets gelungen sei, die Diphtheriebazillen vollständig zu entfärben, 
insbesondere auch die Degenerationskeulen, während die Diphtheroiden 
die Farbe behielten. 

Um mich persönlich von der Wichtigkeit der Färbetechnik zu über¬ 
zeugen, übersandte mir Dun Herr Langer in dankenswerter Weise bereits 
vor längerer Zeit im Anschluss an meine Veröffentlichung einige Präparate 
von Diphtherie- und Pseudodiphtheriebazillen. Obwohl diese Präparate 
doch wohl von Herrn Langer ausgesucht und als gut angesehen sein 
mussten, konnte ich in denselben doch wieder dasselbe beobachten 
wie in meinen eigenen Präparaten. Ein grosser Teil der Degene¬ 
rationskolben erschien in der Grarafarbe, hatte sich also als alkoholfest 
erwiesen, und bei den Pseudodiphtheriebazillen war eine ganze Anzahl 
rot, hatte sich also entfärbt! Wie gesagt, man muss doch annehmen, 
dass in diesen Präparaten von Langer’s eigener Hand einwandfreie 
Färbungen Vorlagen. Es sei bemerkt, dass ein Teil der Präparate auch 
mit Brillantgrün hergestellt war. 

Bestätigte somit Herrn Langer’s eigener Versuch meine Anschauungen 
vollkommen, so wurde es mir klar, dass der Unterschied der Auffassung 
nicht in der Färbetechnik, sondern in der Beobachtung liegen musste. 
Es ist doch als sicher anzusehen, dass das individuelle Untersoheidungs- 
vermögen für Farben auch bei der Beurteilung der Grampräparate eine 
ebensogrosse Rolle spielt, wie bei verschiedenen anderen Berufen. Um 
eigene Beobacbtungsfehler vollkommen auszuschliesseD, legte ich die 
Präparate Langer’s nooh anderen sachverständigen Personen vor und 
bat, das gesehene zu beschreiben. Zweck, Sinn und Herkunft der Präparate 
war diesen Personen dabei zunächst unbekannt. Alle sahen dabei das 
gleiche, was ich beobachtet hatte, also z. B. an einem roten Stäbchen 
eine grampositive Degenerationskeule. 

Weiter schreibt Langer S. 944: „Im übrigen aber erfüllt die Methode 
in Kulturpräparaten nach meiner Erfahrung tatsächlich das, was Schmitz 
von ihr erwartet hat. Sie erlaubt häufig eine leichtere und schnellere 
Auffindung vereinzelter Diphtheriebazillen, sie klärt fraglich Befunde 
(Säuglingsfiora) und sie führt zur sicheren* Identifizierung atypischer 
Diphtheriebazillen ohne Polkörperchen und anderer Abwandlungsformen, 
so dass nach unserer praktischen Erfahrung durch ihre Anwendung die 
Zahl der positiven Ergebnisse erhöht wird." 

Allen diesen Angaben muss ich auf Grund meiner Beobachtungen 
ganz entschieden widersprechen. Was erwartete ioh denn von der ver¬ 
längerten Entfärbung? Dass vereinzelte Diphtheriebazillen unter gram¬ 
positiven Kokken und Heubazillen leiohter zu finden seien. Ioh zeigte 
in meiner Arbeit, dass diese Hoffnung dadurch zunichte gemacht wird, 
dass auch Kokken und Heubasillen bei längerer Entfärbung den Farbstoff 
zum grossen Teil abgeben. Und nun die sichere Identifizierung atypisoher 
Diphtheriebazillen? Auch hier hat mich die Methode wiederholt im Stieh 
gelassen! 

Erst jüngst hatte ich folgenden Fall; in der 18 stünd. Kultur fast 
eine Reinkultur eines Stäbchens, das sehr zweifelhaft aussah. Es bestand 
Parallel- und Winkellagerung, die Neisserfärbung war sehr schlecht. Und 
Langer’s Entfärbungsmethode braohte die Entscheidung auch nicht. 
Bant durcheinander war die eine Hälfte im Ausstrich schon grampositiv, 
die andere gramnegativ. Da stand ich also wieder vor drei Möglichkeiten: 

1. Mischkultur von Pseudodiphtherie und Diphtherie. 

2. Diphtheriereinkultur, von der aussergewöhnlioh viel Bazillen die 
Gramfarbe halten. 

3. Pseudodiphtheriekultur, von der aussergewohnlich"viel Bazillen 
die Gramfarbe abgeben. 

Ich entschied mioh sohliesslich für die 3. Auffassung und zwar aus 
dem Grunde, weil die durohaus gleichmässige Morphologie der 
positiven und negativen Bazillen vorwiegend für Reinkultur 
spraoh, und weil eben diese Morphologie mir zu wenig typisch 
vorkam. 

Die allerälteste Methode der Formbetrachtung führte also allein 
zum Ziel. Das war aber mit der einfachen Fuohsinfärbung genau so 
gut zu maohen. Langer gab s. Zt. an, auch zwischen Pseudodiphtherie- 


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bazillen lvürdeo echte Diphtberiebazillen leichter za finden sein. Gewiss» 
wenn diese typische Gestalt haben! Nur aas der Färbung lässt sich 
gar nichts sohiiessen. Es finden sioh eben in fast jeder Pseudodiphterie- 
reinkultur auch enttärbte Individuen. 

Solche Fälle und Beobachtungen lassen mich also wohl mit Recht 
daran zweifeln, dass das Ziel Lang er’s, „ konstante Merkmale der 
Diphtheriebazillen hervor treten zu lassen“, mit seiner Methode erreichbar 
ist. 

Er hat es diesmal streng vermieden auf die theoretischen Fragen 
einzugehen. Ich möchte doch darauf hinweisen, dass dieselben auch 
bei der praktischen Frage nicht unberücksichtigt bleiben können. Wenn 
Diphtheriebazillen in Pseudodiphtheriebazillen umgewandelt werden können, 
wie Bernhardt und Paneth zuerst zeigten, wenn ich diese Umwand¬ 
lungen in langen Versuchsreihen nicht nur lür jeden Bacillus hervorbringen 
konnte, sondern auch die Zwischenstufen in manigtaltigster Weise erhielt, 
dann ist es klar, dass uns kein Mittel eine Grenze aufzeigen kann, die 
nicht besteht. Und dass solche Zwischenstufen auoh beim kranken 
Menschen Vorkommen, das ist schou lange bekannt. Ich verweise auf 
meine Arbeit in der Zeitschr. f. Hyg. 1918. Bd. 75. Dort findet sioh 
alles wissenswerte der Literatur und einige eigene Beobachtungen. 

Noch ein Wort über die „Gramfestigkeit“ des Diphtheriebazillus als 
solche. Es sei darauf hingewiesen, dass die Diphtheriebazillen nach wie 
vor als grampositiv zu betrachten sind, denn die Stahr-Langer’sche 
Methode sagt nichts über die Gramfärbung. Sie sagt uns nur etwas 
über die Möglichkeit mit Alkohol noch gewaltsam Farbe herauszuholen. 
Das kann man mit stärkerer Entfärbung, wie gezeigt, bei fast allen gram¬ 
positiven. Auch Stahr (s. u.) irrt in diesem Punkte. Es muss hier 
darauf hingewiesen werden, dass die echten gramnegativen Bazillen 
den Farbstoff überhaupt nicht halten, sondern ihn blitzschnell abgeben. 
Deshalb nimmt man ja auoh an, dass es sioh hier nicht um eine chemische 
Bindung des Jodgentianavioletts an das Protoplasma handelt. Der 
Diphtheriebazillus dagegen bindet den Gramiarbstoff. Nur äusserst 
widerwillig bei schärfster Entfärbung gibt er ihn wieder ab und auch 
da bleibt immer noch ein Teil des Farbstoffes haften, wie ich ja bei 
allen Stämmen bei schwacher Gegentärbung oder ohne Gegenlärbung 
sehen konnte. Deshalb sprechen wir hier am besten von geringerer 
Alkoholfestigkeit wie es jetzt auch Langer tut. (Allerdings nicht 
in der Ueberschrift seines Artikels.) 

Dass die Alkoholfestigkeit des Pseudodiphtheriebazillus grösser ist, 
könnte ja z. B. an einer anderen, dichteren Schichtung des Ektoplasmas 
gelegen sein. Dass etwas ähnliches in Frage kommt sehen wir ja auch 
an den grampositiven Keulen der Diphtheriebazillen. Diese pflegen 
ja auch bei gewöhnlicher Färbung, wenn sie überhaupt gut gefärbt sind, 
nicht so lückenhaft gefärbt zu sein, wie die gewöhnlichen Stäbchen. 

Dass der Diphtheriebazillus bei verlängerter Entfärbung die Gram¬ 
farbe zum grossen Teil verliert (aber nur zum Teil!), ist von Stahr 
schon seit geraumer Zeit erkannt und wie er in einer Arbeit, die ungefähr 
zur gleichen Zeit, wie die von Langer und Krüger erschienen ist 
(M. m. W. 1916. Nr. 29) schildert, zur Diagnosenstellung benutzt worden. 
Auch dieser Autor, dessen Arbeit mir bei meiner Nachprüfung der 
Langer’sohen Methode unbekannt war, fand die Degenerationskeulen 
immer blau. 

Langer stützt sioh in seiner jüngsten Veröffentlichung in einer 
Naohsohrilt auf eine Arbeit von Münz borg (D. M. W. 1917. Nr. 34), 
der die Angaben über die Diphtheriebazillen bestätige und nur 8 Aus¬ 
nahmen bei Pseudodiphtheriebazillen gefunden habe. Ohne Herrn Münz¬ 
berg vorgreifen zu wollen muss ich sagen, dass mich dies Zital sehr 
erstaunte. 

Münzberg gibt zu, dass die Pseudodiphtheriebazillen die echten 
Diphtheriestäbchen in ihrer Gramfestigkeit bedeutend übertreffen, wie 
ich es auch tat. Da aber Ausnahmen auftreten, so hält er das nicht 
als ein sicheres Kriterium. Er hebt mit Sperrdruck hervor: 

„Naoh unsern Beobachtungen können wir also eine ab¬ 
solute Spezifität der Langer’sohen Differenzierungsmethode 
nicht anerkennen.“ 

Auch spricht er klar und deutlich aus, dass er ihm nicht bei¬ 
pflichten könne, wenn Langer meine, dass auf diesem Wege eine leichte 
und eindeutige Unterscheidung in zweifelhaften Fällen möglich wäre. Als 
differeotialdiagnostisohes Mittel käme also der Methode keine wesentliche 
Bedeutung zu. Münzberg bestätigt auch meine Beobachtung, dass die 
verlängerte Entfärbung auch die übrigen Mundbakterien zum Teil gram¬ 
negativ macht. 

Schliesslich findet sich neuestens im Zbl. f. Bakt., 1917, Bd. 80, 
S. 15, eine Arbeit ven Burokhardt und Enriques, die sich in aus¬ 
gedehnter Weise mit Langer’s Methode besohäuigt. Auf S. 17 ist da 
zu Hoden: 

„Wir selbst färbten genau nach den von Langer und Krüger 
angegebenen Zeiten, Anilinwassergentianaviolett 2 Minuten, Gram 5 Mi¬ 
nuten (die Resultate waren mit unserem Anilinwassergentianaviolett und 
einem zur Kontrolle vom Spitalapotheker bezogenen genau gleich). Die 
Entiärbung versuchten wir zunächst mit Ale. absol. (99,5 pCt.), dann 
mit Spiritus reotificatus (95 pCt.) der schweizerischen Pdarmakopoe, 
konnten aber dadurch Diphtberiebazillen in 15—20 Minuten kaum ent¬ 
färben. Mit dem gewöhnliohon, durch Methylalkohol und Aoeton denatu¬ 
rierten 92,5 proz. Spiritus gelang die Methode mit den unten angegebenen 
Ausnahmen besser, und die Resultate der Tabelle I entsprechen einer 
Entfärbung mit diesem Spiritus während 15 Minuten.“ 


In dieser benannten Tabelle findet sioh bei fast allen eohten 
Diphtheriebazillen (Gruppe 1) die Bemerkung, dass die Degenerations¬ 
keulen grampositiv blieben. Unter der Gruppe 111 (Pseudodipbtherie- 
bazillen) finden sich 4 Stämme mit der Bemerkung „alle negativ“, die 
übrigen sind gewöhnlioh mit „meist -f- und +“ bezeichnet, unter den 
insgesamt 15 Pseudodiphtheriestämmen fand sich nur einer mit der 
Bemerkung „alle +“. 

In der Besprechung dieser Negativität so vieler Pseudodiphtherie¬ 
bazillen gehen die Verff. auf den Einwand, es sei vielleicht zu stark 
entfärbt worden, wie folgt ein: 

„Auoh in Gruppe Ul finden wir einige fast oder ganz negative 
Stäbchen. Rein positive Stäbchen sind nur selten, die meisten zeigen 
eine grössere Zahl von positiven und fraglichen, daneben aber auoh 
einzelne negative Stäbchen. (Man könnte einwenden, wir hätten eben 
zu stark entfärbt oder vielleicht zu stark überfärbt; wenn wir aber 
kürzere Entfärbungen anwandten oder die in der Einleitung be¬ 
schriebenen anderen Alkoholsorten, so fanden wir auch die echten 
Diphtheriebazillen fast in der Gesamtheit grampositiv. Bei Gegen¬ 
färbung mit Bisroarckbraun waren sie, wie dies auch Stahr und 
Schmitz bemerkten, sehr oft fraglich oder in einzelnen Partien des¬ 
selben Stäbohens verschieden.)“ 

Sie lehnen infolgedessen den von Langer konstituierten Unter¬ 
schied ab und bestätigen in Uebereinstimmung mit mir und Münz- 
berg, dass auch die anderen Rachenbakterien sich teilweise mit¬ 
entfärben. 

Aus allen diesen Beobachtungen”lässt sich der Schluss ziehen, dass: 

1. Die Methode der verlängerten Alkoholentfärbung für 
die präktisohe Diphtheriediagnose keinen grossen Wert be¬ 
sitzt, denn gerade da, wo uns eine neue gute Methode will¬ 
kommen wäre, bei den zweifelhaften Bazillen, lässt sie uns 
vollkommen im Stich. 

2. Bei der wissenschaftlichen Prüfung von Reinkulturen 
scheint sie mir erheblich an Wert hinter den 5 seinerzeit von 
mir als am geeignetsten zur Diphtherieprüfung erwiesenen 
Punkten (Morphologie und Lage, Neisserlärbang, Wachstum 
in Anaerobiose, Säuerung des Thiel’sohen Nährbodens und 
Virulenz) zurüokzustehen, da sie bei verschiedenem Alter 
der Kultur auch verschiedene Resultate gibt. 


Aus der medizinischen Abteilung des Kantonsspitals 
Winterthur. 

Auftreten von Milchsekretion bei einem an 
Akromegalie leidenden Patienten. 

Von 

Privatdozent Dr. 0. Rotk. 

Trotz der, vor allem in der jetzigen Zeit mehr als berechtigten 
Tendenz, die kasuistische Literatur möglichst einzuschränken, möchte ich 
mir dooh erlauben, die folgende Beobachtung in kurzen Zügen zu 
schildern, da das Auftreten von Milchsekretion im Verlauf der Hypo¬ 
physenerkrankung des Mannes, meines Wissens, noch kaum je besohneben 
worden ist, und diese Tatsache schon an sich doch wohl auoh etwelche 
allgemeinere theoretische Bedeutung beanspruchen dürfte. 

Die Krankengeschichte des Patienten ist folgende: 

L. Emil, 28 Jahre alt, Elektrotechniker. 

Anamnese (14. V. 1917): Ein Bruder des Patienten leidet an 
chronischem Gelenkrheumatismus; im übrigen stammt er aus einer voll¬ 
kommen gesunden Familie. Auoh will er selbst früher stets gänzlioh 
gesund gewesen sein. Im Verlaufe des Jahres 1914 fiel es dem Patienten 
auf, dass die Hände und Finger allmähiioh auffallend dick und fest 
wurden; er glaubt, dass in dieser Zeit auch die Füsse etwas grösser 
geworden seien, vor allem aber habe sioh die Nase ebenfalls merkwürdig 
stark entwickelt Während der Zeit von August 1914 bis Mitte 1915 
leistete er Militärdienst bei der Festungsartillerie und zwar ohne alle 
Beschwerden. Während desselben sei er seinen Kameraden seiner grossen 
Hände wegen aufgefallen. Subjektive Beschwerden stellten sich jedoch 
erst etwa im September 1915 ein: ganz allmählich maohte sioh eine 
auffallende Appetitlosigkeit bemerkbar, und zugleich eine ihm bis dahin 
völlig ungewohnte nervöse Erregbarkeit. Zu diesen immer deutlicher 
werdenden Erscheinungen gesellte sich nach und nach eine zunehmende 
Ermüdbarkeit hinzu, so dass es ihm manchmal tagelang unmöglich war, 
seiner Arbeit nachzugehen. Seit dieser Zeit leidet Patient auch an 
einer heftigen Verstopfung, so dass er auch jetzt noch nur alle 3 bis 
4 Tage Stuhentleeruugen bat, während dieselben früher regelmässig 
jeden Tag aufgetreten seien. Seit Dezember 1915 wird er auch von 
Kopfschmerzen, hauptsächlich in der Schläfen- und Hinterhauptsgegend 
gequält, die anfänglich mehr anfallsweise auftraten, seit etwa einem Jahr 
jedoch sozusagen ohne Unterbrechung vorhanden Bind. Endlich haben 
sich seit etwa 3 Monaten auch Sehstörungen eingestellt, und zwar an¬ 
fänglich hauptsächlich am linken Auge. 

Die jetzigen Beschwerden des Patienten sind folgende: Gefühl von 
allgemeiner Müdigkeit, verbunden mit hochgradigem Schlafbedürfnis; zu- 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


nehmende Abnahme der Körperkraft, trotzdem die Muskulatur kaum an 
Umfang abgenommen habe; Verstopfung; konstante Kopfschmerzen von 
stechendem Charakter, hauptsächlich in der rechten Schläfengegend, ge¬ 
wöhnlich verbunden mit einem dumpfen Druck in der Hinterhaupts¬ 
gegend. Die sexuelle Potenz hat in hohem Maasse abgenommen; 
Erektionen treten nur noch ganz selten auf. 


Abbildung 2. 



28 Jahre. 



Abbildung 1. 


Status praesens (s. auch Abbildung 2): Ziemlich grosser Mann 
von auffallend plumpem Körperbau. Vor allem ist das Knochengerüst 
ungewöhnlich stark und massig entwickelt. Kräftige, voluminöse Mus¬ 
kulatur. Dichter Haarwuchs am behaarten Teile des Kopfes, geringes 
Haarwachstum an Ober- und Unterlippen sowie Wangen. Sehr grosse 
und ziemlich breite Nase, was vor allem bei einem Vergleich mit einer 
Photographie aus dem Jahre 1911 (siehe Abbildung 1) sehr deutlich auf¬ 
fällt. Lippen eher etwas wulstig, Unterkiefer sehr kräftig entwickelt. Kein 
Auseinanderweichen der Zähne; die beiden Zahnreihen liegen schön über¬ 
einander. Zunge fraglos vergrössert. Oberextremitäten lang, Hände tatzen¬ 
artig, die Finger auffallend breit, dick und plump. Auch die Füsse sind 
sehr gross und lang und ebenso die Zehen, speziell die Grosszehe. Pupillen 
beiderseits gleich gross, auf Licht gut reagierend. Tonsillen nicht ver¬ 
grössert. Hals ziemlich kurz; beiderseits ein etwa pflaumengrosser 
Schilddrüsen lappen von mässig harter Konsistenz. Wirbelsäule gerade. 
Thorax sehr kräftig gebaut, gut gewölbt, breit, symmetrisch, bei tiefer 
Atmung sich beiderseits gleichmässig ausdehnend. Ziemlich starke Fett- 
ansaramlung in der Warzengegend. Lungen o. B. Herz nicht ver¬ 
grössert, Herztöne rein, deutlich, keine Geräusche. Puls 72, regelmässig, 
gut gefüllt und gespannt. Blutdruck 105 mm Hg. Abdomen von nor¬ 
maler Wölbung, die Bauchdecken nirgends auffällig gespannt. Deutliche 
Fettansammlung in der Schamgegend, daselbst gute, bis zum Nabel auf¬ 
steigende Behaarung. Leber, Milz nicht vergrössert. Nirgends abnorme 
Dämpfungen oder palpable Resistenzen. Eher etwas übermässige Ent¬ 
wickelung des Fettpolsters in der Glutealgegend und an den Ober¬ 
schenkeln. Penis etwas klein, die Testikel erreichen kaum Kirschgrösse. 
Patellarreflexe vorhanden, ebenso Bauchdeckenreflexe. Kein Babinski, 
keine Sensibilitätsstörungen. Im Urin weder Eiweiss noch Zucker. 

Maasse: Körperlänge 171,5 cm, Spannweite 179,5 cm, Länge des 
rechten Armes 78 cm, Länge des rechten Mittelfingers 11 cm, Umfang 
der Grundphalanx des rechten Mittelfingers 7 cm, Jugulum-Symphyse 
50 cm, LäDge des rechten Beines 93 cm, Länge des rechten Fusses 
28 cm, Länge der rechten Grosszehe 7,5 cm, fronto-oceipitaler Umfang 
des Kopfes 58 cm, Halsumfang 41cm, Brustumfang (Warzenhöhe) 101 cm, 
Bauchumfang (Nabelhöhe) 89 cm. 

Augenuntersuchung: Ophthalmoskopisch sind keine Verände¬ 
rungen am Augenhintergrund nachweisbar. Dagegen ergibt die Gesichts¬ 
feldprüfung eine fast vollständige bitemporale Hemianopsie, und zwar 
für alle Farben. 


Blutuntersuchungen: 7. VI. 1917 

Hämoglobin 90 pCt. 

Leukozyten. 6560 

Neutrophile Leukozyten .... 53,5 pCt. 

Eosinophile Leukozyten .... 1,1 pCt. 

Lymphozyten. 37,2 pCt. 

Grosse Mono- und Uebergangsformen 7,9 pCt. 

Mastzellen. 0,3 pCt. 


10. IX. 1917 
85 pCt. 
8020 
60,4 pCt. 
1,2 pCt. 
34,8 pCt. 
3,6 pCt. 


18. V. 1917: Die Röntgenuntersuchung ergibt eine deutliche Ver- 
grösserung der Sella turcica, wobei vor allem der Eingang zur Sella 
ausgesprochen erweitert erscheint. 

Auf Grund dieses Röntgenbildes wurde dem Patienten die Vornahme 
einer Operation vorgeschlagen, wozu er sich jedoch nicht entschlieesen 
konnte. 

15. VI.: Io der letzten Zeit sind die Kopfschmerzen eher nooh 
stärker geworden. Heute morgen zum ersten Male plötzliches heftiges 
Erbrechen. Wassermann negativ. 

29. VIII.: Während der vergangenen zwei Monate hat sich 
/Patient bei mehreren Aerzten Rat geholt wegen seines Zustandes; seine 
Beschwerden haben sich jedoch, besonders während der letzten zwei 
Wochen sehr verschlimmert; die allgemeine Erschlaffung hat in hohem 
Maasse zugenommen, die Körperkraft ist zunehmend geringer geworden; 
ununterbrochen wird er von Kopfschmerzen gequält. 

Seit einigen Tagen verspürt er leicht ziehende Schmerzen in der 
Warzengegend. Bei der Inspektion der Mamillargegend fällt auch jetzt 
wieder die ausgesprochene FettpolsteransammluDg sofort auf. DieWarzen 
springen deutlich vor inmitten des auffallend stark und in weiter Aus¬ 
dehnung pigmentierten Warzenhofs. Im Bereich desselben ist bei der 
Palpation deutlich etwas Drüsengewebe zu fühlen, und zwar etwas aus¬ 
gesprochener links als rechts. Bei mässig starkem Druck auf das¬ 
selbe entleert sich, zuerst im dünnen Strahl, nachher nur 
mehr tropfenweise, aus der Warze ein dünnflüssiges weisses 
Sekret, das schon makroskopisch absolut als Milch imponiert. 

Diese Auffassung wurde sofort bestätigt durch die mikroskopische 
Untersuchung, bei welcher nichts anderes als eine Unmenge verschieden 
grosser Fettkügelchen nachgewiesen werden konnte. Weder im un¬ 
gefärbten noch im gefärbten Präparat fanden sich Leukozyten oder 
Colostrumkörperchen. 

5. IX.: Nachdem etwa 4 Tage lang nicht an den Brustwarzen 
gedrückt worden war, erhält man heute aus denselben ziemlich genau 
V* ccm dieser Milch, welche nach zweitägigem Stehenlassen geronnen 
war. Die mikroskopische Untersuchung ergab auch an diesem Tage 
wieder eine Unmenge verschieden grosser Fettkügelchen. 

16. XL: Die chemische Untersuchung des heute gewonnenen 
Sekrets, ausgeführt von Herrn Privatdozent Herzfeld, Leiter des 
chemischen Laboratoriums der medizinischen Universitätsklinik in Zürich, 
ergab folgendes Resultat: 

Menge 0,45 ccm. Spezifisches Gewicht 1,026. Reaktion schwach 
alkalisch. Breohungsindex dd 1,3518 (18°C). NaCl 0,85 pCt. Casein 
positiv. Fett und Lipoide positiv. Milchzucker positiv. 

Fassen wir die bei unserem Patienten gemachten Beobachtungen 
kurz zusammen, berücksichtigen wir vor allem das Vorhandensein von 
Hirndrucksymptomen, verbunden mit ausgesprochener bitemporaler 
Hemianopsie und der röntgenologisch nachweisbaren Erweiterung der 
Sella turcica einerseits, die eigentümliche Form des Gesichts (dessen 
Veränderung speziell durch den Vergleich der Photographien aus den 
letzten 6 Jahren deutlich wird [s. Abbildungen 1 und 2]), sowie das 
Vorhandensein ausgesprochener Tatzenbände und auffallend grosser Füsse 
anderseits, endlich auch das geringe Volumen der Testikel und die Ab¬ 
nahme der Potenz, alles Erscheinungen, welche sich im Verlauf der 
letzten 3—4 Jahre entwickelt haben, so ist die Diagnose einer echten 
Akromegalie infolge Hypophysentumors wohl kaum zu bezweifeln. Dabei 
handelt es sich hier um diejenige Form dieser Krankheit, welche sich 
weniger in der Längenzunahme als vielmehr vorwiegend im Breiten- 
waohstum äussert. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass es sich viel¬ 
leicht doch nicht nur um eine reine Akromegalie handelt, sondern eher 
um eine Kombination mit hypophysärer Dystrophie, wie solche Fälle 
schon mehrmals und von verschiedenen Autoren beschrieben worden 
sind 1 ). Darauf deutet vor allem die, allerdings nicht sehr hochgradige, 
aber immerhin doch deutlich ausgesprochene Fettansammlung in der 
Mammar- und Scharagegend, sowie an den Nates und den Oberschenkeln 
hin. Sollte diese letztere Annahme zutreffen, so ist jedoch ohne weiteres 
klar, dass die akromegalen Züge im ganzen Krankheitsbild weitaus über¬ 
wiegen. 

Was aber der Beobachtung ganz spezielles Interesse verleiht, ist 
das Auftreten von Milchsekretion im Verlauf der Erkrankung, denn 
daran, dass eine echte Milchsekretion hier aufgetreten ist, dürfte auf 
Grund des mikroskopischen Befundes und der chemischen Analyse doch 
wohl kaum zu zweifeln sein. Damit zeigt diese Beobachtung in erster 
Linie eindringlich, dass drüsige Organe, welche schon in der Säuglings¬ 
periode definitiv in ihrer Funktion und auch in ihrem histologischen 
Aufbau abgetan erscheinen, unter Umständen und zwar wahrscheinlich 
unter dem Einfluss endokriner Drüsen selbst in relativ späten Jahren 
wieder zur Funktion gelangen können, was doch wohl auch für andere 
Organe, z. B. die Thymus, gelegentlich zutreffen könnte. 

Des Ferneren ist die Tatsache, dass bei einem erwachsenen Manne 
die Brustdrüse ihre sekretorische Funktion wieder aufnehmen kann, auch 
nicht unwichtig hinsichtlich der Entstehung der Mitcbsekretion. Natur¬ 
gemäss ist es niemals gestattet, aus einem solchen Einzelfall weitgehende 
Schlüsse zu ziehen, auf Grund unserer Beobachtung, z. B. etwa in bezug 
auf die Entstehung der Milchsekretion der Frau während der Laktations¬ 
periode. Umgekehrt wird man ihr aber kaum eine gewisse Bedeutung 


1) Siehe Peritz, Akromegalie, in Kraus und Brugsch. Spezial 
Pathologie und Therapie innerer Krankheiten, 1916. 


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1. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


307 


abstreiten können für die Auffassung der Milchsekretion, welche nicht 
direkt mit der Saugung in Zusammenhang steht, mit anderen Worten 
also für die Auffassung des Auftretens von Hexenmilch, mit welchem 
Vorgang die Milchsekretion bei unserem Patienten fraglos in naher Be¬ 
ziehung steht. 

Iu bezug auf das Auftreten von Hexenmilch wird zurzeit angenommen, 
dass es sich dabei um einen wirklichen Sekretionsvorgang der fötalen 
Brustdrüse handelt, entsprechend demjenigen in der mütterlichen Brust. 
„Wahrscheinlich liegt die Ursache der Erscheinung darin, dass Spuren 
des laktogonen, den Ovarien und dem Uterus entstammenden Stoffes, 
der naoh neueren Untersuchungen die Milchabsonderungen der Schwan¬ 
geren und Wöchnerinnen anregt, durch die Placenta in den kindlichen 
Körper übergehen, und hier gleichfalls eine spezifische Wirkung ent¬ 
falten“ 1 ). Knöpfelmacher 2 ) sucht mit Halban die wirksamen Stoffe 
für das Auftreten der Hyperplasie der Brustdrüsen in einem Sekretions¬ 
produkt der Chorionzellen. Die Ausscheidung der Milch selbst wird 
wieder auf anderen Wegen erzeugt, wobei aber, wie die Ausführungen 
dieses Autors zeigen, stets die Vorgänge in der weiblichen Genitalsphäre 
(mit eventueller Uebertragung des betreffenden Agens auf den Fötus 
durch den Plazentarkreislauf) die auslösende Rolle spielen. 

Darüber braucht wohl kaum ein Wort verloren werden zu müssen, 
dass all diese Theorien unmöglich für unsere Beobachtung zutreffen 
können. Vielmehr zeigt dieselbe, dass für das Auftreten von funk¬ 
tionierendem Mammargewebe sowie das Auftreten von Milchsekretion 
die weiblichen Genitalorgane und deren innere Sekrete unter Umständen 
gar keine absolute Notwendigkeit bilden müssen, sondern dass dies alles 
auch ohne dieselben, aller Wahrscheinlichkeit nach rein auf dem Wege 
über die Hypophyse zustande kommen kann. Gerade ein solcher Vor¬ 
gang könnte auch für das Auftreten der Hexenmilch das auslösende 
Moment bilden, wobei es nicht von vornherein gesagt sein muss, dass 
die Hypophyse des Kindes selbst diese Wirkung auszuüben braucht, 
sondern auch bei einer solchen Auffassung kann es sich eventuell um 
eine Uebertragung von seiten der Mutter auf dem Wege des Plazentar¬ 
kreislaufes auf letztere handeln (was mir persönlich allerdings gerade nicht 
sehr wahrscheinlich erscheint). Es liegt nun auf der Hand, sich auch daran 
zu erinnern, dass bei Schwangeren und Wöchnerinnen gerade in letzter 
Zeit ganz bestimmte anatomische Veränderungen der Hypophyse nach¬ 
gewiesen worden sind, welche allerdings mit denjenigen bei unserem 
Akromegalen wohl kaum identisch sind, trotzdem eventuell die Rück¬ 
wirkung auf die Funktion der Hypophyse eine ganz ähnliche sein kann. 
Doch werden erst weitergehende Erfahrungen die Inangriffnahme der 
Frage einer Verwandtschaft dieser beiden Vorgänge gestatten, um so 
mehr als unsere Beobachtung nicht einmal einen bindenden Schluss in 
der Richtung 'gestattet, ob die Milchsekrektion eine Folge der Akro¬ 
megalie, resp. der Hyperfunktion des Vorderlappens, oder etwa der 
hypophysären Fettsucht, resp. der Hypofunktion des Hinterlappens ist. 


Zur Diagnostik der Pankreaszysten. 

Von 

A. Albu-Berlin. 

Im allgemeinen gilt die Erkennung von Pankreaszysten mit 
Recht als schwierig. Es bedarf in der Regel des ganzen Auf¬ 
gebots der klinischen Untersuchungsmethoden zur Sicherstellung 
der Diagnose. Ausschlaggebend für dieselbe ist noch immer das 
topographische Verhalten des Tumors, d. h. das Lageverhältnis 
der Geschwulst zu den Nachbarorganen, besonders zu Magen und 
Kolon. In meinen „Beiträgen zur Diagnostik der inneren und 
chirurgischen Pankreaserkrankungen“ (Halle 1911) habe ich das 
nachdrücklich betont. Meine neuerlichen Erfahrungen an fünf 
weiteren Fällen haben das durchaus bestätigt, aber mich noch 
ein neues wertvolles diagnostisches Hilfsmittel kennen gelehrt, 
auf das hier in Kürze hingewiesen werden soll: nämlich die 
charakteristische Gestalt des Röntgenbildes, die in neben¬ 
stehenden Zeichnungen wiedergegeben ist. Seitdem in meiner 
Klinik zur Erleichterung der Differentialdiagnose bei Abdominal¬ 
tumoren fast stets die Radiographie zur Anwendung gebracht 
wird, hat sich in allen fünf Fällen von Pankreaszyste folgender 
Befund des Röntgenbildes ergeben: der Magen ist stark nach 
links verdrängt, seitlich flach zusammengepresst und umlagert 
kranzförmig die Geschwulst, von links oben beginnend, um die 
untere Zirkumferenz derselben herumgehend und dieselbe meist 
vollständig einrahmend. Das Lageverhältnis des Magens zur 
Geschwulst kann man sich auf der Platte noch deutlicher ver¬ 
anschaulichen, wenn man die Peripherie des Tumors mit schmalen 
Bleimarken kennzeichnet. Das Zustandekommen einer derartigen 
Magenform dürfte sich so erklären, dass die meist in der Tiefe 


1) Finkeistein und Meyer in Feer, Lehrbuch der Kinderheil¬ 
kunde, 1917. 

2) Knöpfelmaoher, Handbuch der Kinderheilkunde. 


Abbildung 1. 



• = Magenblase, -+- = Duodenum, X = Nabel. 

(Zeichnung von M. Landsberg.) 


Abbildung 2 (Diapositiv). 



der Bauchhöhle gelegenen und aus der Bursa omentalis nach 
vorn heraufwachsenden Pankreaszysten den Magen dabei vor sich 
herschieben und gleichzeitig seitlich verdrängen und zusammen¬ 
pressen, und zwar um so stärker, je grösser die Geschwulst wird 
und den Platz in der vorderen Bauchhöhle in Anspruch nimmt. 

Das Röntgenbild ist so charakteristisch, dass in den neueren 
zur Beobachtung gekommenen Fällen schon bei der Durchleuch¬ 
tung sofort die Diagnose gestellt werden konnte. Andererseits 
konnte sie abgelehnt werden in einem Falle eines mannskopf¬ 
grossen zystischen Tumors der oberen Bauchhöhle, weil das 
Röntgenbild die eben erwähnte charakteristische Gestaltung ver¬ 
missen liess, vielmehr nur eine mässige seitliche Verschiebung 
des Magens zeigte und vor allem eine noch fast vollkommene 
Entfaltung des Magenschlauches, die unter der Druckwirkung der 
Pankreaszysten aufgehoben wird. Im letztgenannten Falle lag 
ein grosser multilokulärer^Leber-Echinococcus vor, dessen kli¬ 
nische Diagnose durch die chirurgische Autopsie (Dr. Unger) 
bestätigt worden ist. Da gerade Leber Echinokokken die häu¬ 
figste Veranlassung zur diagnostischen Verwechslung mit Pan¬ 
kreaszysten geben, so wird da gerade das Röntgenbild immer 
gute Dienste zur Entscheidung leisten. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Abbildung 3 (Diapositiy). 



X Tumor von Bleimarken umgrenzt. 


Auch in einem weiteren Falle einer mehr als kindskopf- 
grossen, weichen, stellenweis fluktuierenden Geschwulst in der 
linken oberen Bauchhälfte, die über den Nabel nach rechts und 
unten herüberreichte, konnte die Annahme einer Paukreaszyste 
abgelehnt werden, weil die gekennzeichnete Konfiguration des 
Magenschattens im Röntgenbilde fehlte. Es stellte sich später 
heraus, dass eine riesenhafte Hydronephrose, verbunden mit einem 
Nierenkarzinom, vorlag. 


BQcherbesprechungen. 

N. Zantz: Ernährung und Nahrungsmittel. 3. Auflage mit 6 Abbil¬ 
dungen im Text Und 1 Tafel. (Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 19.) 
136 Seiten. Leipzig und Berlin 1918, Verlag von B. G. Teubner. 
Preis 1,20 M. 

Die populär-medizinische Schriftstellerei, deren literarisches Niveau 
in den letzten Jahrzehnten sich wesentlich gehoben hat, wird die volle 
Höhe ihres Wertes und ihrer Bedeutung erreichen, wenn sioh ihr Meister 
der Wissenschaft widmen, wie es Zuntz in dem vorliegenden Werkchen 
tut. Es ist eine mustergültige gemeinverständliche Darstellung: klar 
und bestimmt, kurz und dabei doch erschöpfend, alles Tatsächliche zu¬ 
sammenfassend unter Benutzung auch der neuesten wissenschaftlichen 
Erkenntnisse. An vielen Stellen werden auch die Erfahrungen der 
Kriegsernährung kritisch bewertet. So legt z. B. Zuntz den Eiweiss¬ 
bedarf für den erwachsenen, gesunden Menschen auf 60 g fest und be¬ 
tont verschiedentlich mit Nachdruck die erstaunlich grosse Anpassungs¬ 
fähigkeit des Verdauungskanals und des Stoffwechsels an erhebliche 
Veränderungen der Ernährungsweise. Dem Vollkornbrot wäre für die 
Volksernährung wohl eine noch energischere Empfehlung zu wünschen. 
Das Büchlein eignet sich u. a. ganz vorzüglich als Grundlage für den 
Schulunterricht. 


Scball-Heisler: Nahrnngsmitteltabelle zur Aufstellung und Berech¬ 
nung von Diätverordnungei. Fünfte Auflage. Würzburg 1917, Ka- 
bitzsch Verlag. 64 S. 

Das Lob, das wir den früheren Ausgaben dieses Büchleins spendeten, 
kann heute nur wiederholt werden. Es ist praktisch ausserordentlich 
gut brauchbar und kann in jeder Diätküche vorzügliche Dienste leisten. 
Auch über die Diabetikerpräparate, über den Lezithin-Extraktivstoff 
und Mineralstoffgehalt der meisten Nahrungsmittel geben die Tabellen 
schnellen und zuverlässigen Aufschluss. Albu. 


Zur Verth: Rettungsgeräte auf See unter besonderer Berücksichti¬ 
gung des Seekrieges. Berlin 1917, Schoetz. 95 S. mit 25 Ab¬ 
bildungen. 

Die ausführliche Arbeit ist als Abdruck aus dem „Archiv für 
Rettungswesen und erste ärztliche Hilfe“, Bd. 3, H. 7 im Buchhandel 
erschienen. Sie enthält eine genaue Inhaltsübersicht, auf welche eine 


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„Begriffsbestimmung“ folgt, in der die Rettungseinrichtungen und Rettungs¬ 
geräte, die für die Rettung auf See im Gebrauch sind, aufgeführt sind. 

Die Ursachen bzw. Arten des Todes im Wasser sind der Schock¬ 
tod, Ertrinkungstod, Tod durch Erstarren. Nicht sehr häufig ist der 
Tod durch Verhungern oder Verdursten, am häufigsten bei Schiff¬ 
brüchigen durch Ertrinken. Der Schocktod erfolgt so schnell, dass 
Rettungsmaassnahmen, „die eine Mitwirkung der Schiffbrüchigen ver¬ 
langen“, zwecklos sind. Die wichtigsten Rettungsmaassnahmen für Schiff¬ 
brüchige bestehen in der Verhütung des Ertrinkungstodes. Um Ein¬ 
richtungen zur Verhinderung des Untersinkens zu bewirken, ist die 
„Höhe des künstlich zuzuführenden Auftriebs“ wichtig, durch den der 
Mensch im Wasser oben bleibt. Für alle Schwimmvorrichtungen gilt 
der Grundsatz, dass nicht Durchschnittszahlen, sondern die ungünstigsten 
Verhältnisse maassgebend sind. Der erforderliche Auftrieb ist versuchs¬ 
weise schwer festzustellen. Ein Auftrieb von 10 kg hält längere Zeit 
einen vollständig bekleideten Nichtschwimmer, der sich nicht bewegt, 
frei mit dem Mund über Wasser. Die Zahl ist aber nur ein Anhalts¬ 
punkt, und nicht maassgeblich „für die Bestimmung des Mindestaultriebs 
von Rettungskörpern“. „Von der Masse der Wasserverdrängung des 
menschlichen Körpers“, seinem und dem spezifischen Gewicht des Wassers 
hängt der Auftrieb des Menschen im Wasser ab. „Um einen bekleideten 
Menschen schwimmend zu erhalten“, genügt theoretisch ein Auftrieb 
von etwas mehr als 8 kg. Der Mensch kann bei günstigem Wärme- 
verbältnis 72 Stunden und länger im Wasser verbleiben. Zuführung 
von Wärme und Beschränkung des Wärmeverlustes schützt vor Er¬ 
starren. Zwar sind die Kleider beim Schwimmen hinderlich, ihr Ab¬ 
legen, besonders in kaltem Wasser, ist aber für einen Schiffbrüchigen 
mit Schwimmgerät dringend zu widerraten. Bewegungen im Wasser, die 
nicht zum Schwimmen dienen, sind zu vermeiden, da der Luftgehalt der 
Kleider ab- und der Wassergehalt zunimmt. Zur Verhütung des Ver¬ 
hungerns und Verdurstens können am Schwimmkörper Nahrungsmittel 
mitgelührt werden. Als Nahrungsmittel sind Hartbrot und Tee mit 
etwas Rum wohl zu benutzen. Der Tee ist in gereinigte Flaschen zu 
füllen, nach vorläufigem Verschluss mit Wattebäuschen zu sterilisieren, 
mit abgekochtem Kork zu verschliessen und mit Lack zu versiegeln. 

Sehr eingehend behandelt Verf. die Schwimmstoffe, Luft und Gase, 
Kapok, Kork und Zellgummi. Nach zahlreichen Untersuchungen mit 
diesen drei Stoffen kommt Verf. zu dem Ergebnis, dass der Zellgummi 
am zweckmässigsten zu sein scheint. Andere Schwimmstoffe, wie Bambus, 
Renntierhaare, Kamelhaare, Sonnenblumenmark sind veraltet oder ört¬ 
lich beschränkt. Der zweckmässigste Schwimmstofi ist voraussichtlich 
der Zellgummi, der noch nicht erprobt ist, demnächst der Kork. Luft 
als Schwimmstofi für Einzelschwimmkörper ist nicht zu benutzen, jedoch 
für Massenrettungsgeräte anderen Schwimmstoffen vorzuziehen. Die 
Schwimmkörper sind Schwimmwesten, Rettungsbojen oder Rettungsringe. 
Die Rettungsgeräte sind Flösse oder Halbflösse, die stets gebrauchs¬ 
fertig sein müssen. Es werden auch Rettungsmatratzen benutzt. In 
der Handelsmarine auf dem Bodensee und an der Mündung der Elbe 
sind Tische und Bänke vorhanden, unter deren Platten sich Luftkästen 
befinden, die für die hohe See nur als Behelfsrettungsmittel anzusehen 
sind. Gute Behelfsschwimmkörper sind festgezurrte Hängematten. Auch 
die Munitionsbuchsen der Artillerie sind nach Generaloberarzt Staby 
brauchbare Behelfsschwimmkörper, ebenso leere Kartuschen der Ge¬ 
schütze, ausserdem jeder schwimmfähige Stoff. Sehr wichtig ist die 
Bereitstellung von Nachtrettungsgeräten, mit denen zahlreiche Versuche 
gemacht worden sind. In vortrefflicher Weise behandelt Verf. die Arten 
und den Bau der verschiedenen Rettungsboote. Sonstige Rettungshilfs¬ 
geräte sind Rettungsschlingen, -haken, -leitern und -körbe. Ein Ent¬ 
wurf zu einem kurzen leichtverständlichen Merkblatt für das Verhalten 
und die Benutzung der Rettungsgeräte bei Ertrinkungsgefahr, sowie die 
Literatur der durch wissenschaftliche Untersuchungen bemerkenswerten 
Darstellung ist beigefügt. George Meyer. 

0. Neustätter: Knrierzwang and Kurpfnschereifreiheit. Berlin 1917, 
Verlag von Julius Springer. 16 S. 

Auf Grund eingehender geschichtlicher Untersuchung weist Verf. 
nochmals die immer wieder auftauchende Auffassung zurück, als hätte es 
sich bei der Einführung der Kurierfreibeit, die dem Eintreten ideal ge¬ 
sinnter Aerzte zu verdanken ist, um eine unwürdige „Do-ut-des“ Politik 
gehandelt, um den Kurierzwang für Aerzte zu beseitigen. Ein Wechsel¬ 
verhältnis zwischen diesen beiden Dingen hat weder innerlich noch ge¬ 
setzgeberisch-geschichtlich bestanden. Auch handelte es sich nie 
um einen Kurierzwang im strengen Sinn, sondern nur um gesetzliche 
Pflicht zur Schlichtung in gefahrdrohenden Fällen, wie sie als standes¬ 
ethisches Gebot ohnehin im Aerztestand lebendig ist und von den 
Ehrengerichten hocbgehalten wird. Ein Notstand für Kranke durch 
Verbot der Kurpfuscherei ohne gleichzeitige gesetzliche Einführung des 
Kurierzwangs sei also eine reine Konstruktion der Kurpfuscher zu agi¬ 
tatorischen Zwecken. — Die Schrift ist sehr lesenswert und in ihrer 
überzeugenden Darstellung wohl geeignet, jene selbst von manchen 
Aerzten geglaubte Legende gründlich zu zerstören. 


H. Kantor: Freie Bahn für die Knrpfnseher? Mit einem Geleitwort 
von Dr. Otto Neustätter. Berlin, Verlag von Julius Springer. 55 S. 
Der im Kampf gegen die Schäden der Kurpfuscherei seit Jahr¬ 
zehnten in vorderster Reihe stehende Verfasser gibt hier in treffsicheren 
Strichen einen Ueberblick über Geschichte, Organisation, Spielarten, 


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1. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Praktiken und Gefahren des Kurpfuschertums. Aus seiner grossen Er¬ 
fahrung heraus belegt er seine Ausführungen überall mit beweiskräftigen 
Zitaten aus Zeitungen und Schrifttum, sowie aus der Strafpraxis. Die 
Schrift gewährt einen tiefen Einblick in die verschlagenen Methoden 
der Afterheilkundigen und legt durch das Tatsachenmaterial allein 
überzeugend dar, wie notwendig zumal im Hinblick auf die durch den 
Krieg so schwer geschädigte Volkskraft ein energisches gesetzgeberisches 
Eingreifen gegen diese Freibeuter der Volksgesundheit ist. Ihrem un¬ 
heilvollen Einfluss auf den Geburtenrückgang ist ein ausführliches 
Sohlusskapitel gewidmet. Möchte das Büchelohen im Interesse der Auf¬ 
klärung auch von recht vielen Nichtärzten gelesen werden! Wir können 
es zur Auslage im Wartezimmer nur angelegentlich empfehlen. 

Vollmann. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

Fr. A. Csonka: Ueber das Schicksal eiageführter Stärke kein 
Phloridzin-Diabetes. (Journ. of Biol. Chem., 1916, Bd. 26, H. 2, S. 327.) 
Nach Verfütterung von Stärke an Hunden wurde diese als Extraglukose 
quantitativ ausgeschieden. Zwischen Stärke von Weizenmehl und solcher 
von Hafermehl bestand hierin kein Unterschied. 

F. Röhmann: Ueber die durctfpareaterale Rohrzucker isjektionea 
„hervorgeloekten" Fermente des Blutserums von trächtigen Kaninchen. 
(Bioohem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 5 u. 6, S. 382.) Wie Verf. früher ge¬ 
meinsam mit Kumagai zeigen konnte, treten nach der parenteralen 
Zufuhr von Rohrzucker im Blutserum neben einem rohrzuokerspaltenden 
Fermente neue bisher völlig unbekannte Enzyme auf, die den Rohr¬ 
zucker bzw. seine Spaltungsprodukte, d Glukose und d-Fruktose, in 
Milchzucker verwandeln. Da es sich hier um milchzuckerbildende Fer¬ 
mente handelte, lag es nahe, die Untersuchung an säugenden Tieren 
vorzunehmen. An trächtigen Kaninchen fand Verf., dass die gesuchten 
Enzyme prompt nach Injektion von Rohrzucker im Blutserum auftreten. 
Die Anwesenheit der Enzyme im Blute bekundete sich auch durch die 
Harnbefunde. Der Harn enthielt neben Rohrzucker auch Invertzucker 
und weiterhin Milchzucker. Auch das Blut der Föten enthielt dieselben 
Enzyme wie das des Muttertieres. Verf. nimmt an, dass die milch- 
zuokerbildenden Fermente aus der Milchdrüse stammen. In der Tat 
fand Verf. im wässrigen Extrakt der frischen Milchdrüse eine deutliche 
Wirkung auf Rohrzucker. Man muss weiterhin annehmen, dass die 
milchsuckerbildenden Enzyme schon unter normalen Verhältnissen in 
der Milchdrüse gebildet werden. Duroh den Reiz der Rohrzuckerinjek¬ 
tion wird die Milchdrüse zur gesteigerten Bildung dieser Fermente an¬ 
geregt, ebenso wie der Darm zur Bildung von Invertin und Diastase. 
Verf. spricht daher hier von hervorgelockten Fermenten, entsprechend 
den Ehrlich’schen Nutrizeptoren. Auffallend war es, dass die Kaninchen 
meist unter dem Einflüsse der Rohrzuokerinjektion zugrunde gingen. 
Die Art, wie sich die Blutveränderung allmählich ausbildete, und die 
toxisohe Wirkung der zweiten Injektion einer kleineren Menge erinnerte 
an eine Anaphylaxie. 

F. Röhmann: Ueber die Bildung von Milehzacker aus Stärke 
duroh die „hervorgeloekten" Fermente des Rohrznekenernms. (Biochem. 
Zsohr., 1917, Bd. 84, H. 5 u. 6, S. 399.) Mit Bial gemeinsam hatte 
Verf. gezeigt, dass das Blutserum ein diastatisches Ferment enthaft, das 
Stärke und Glykogen unter Bildung von Dextrinen verzuckert, und dass 
der hierbei gebildete Zucker Traubenzucker ist. Verf. studierte nun 
weiter, wie das nach parenteraler Injektion von Rohrzucker gewonnene 
Serum auf Stärke wirkt und wie die Umwandlung der Stärke in Milch¬ 
zucker vor sich geht. Einen Einblick in diesen Vorgang konnte man 
noch nicht gewinnen. Wahrscheinlich handelt es sich hier um ein Zu¬ 
sammenwirken stärkespaltender Diastasen, bauändernder Stereokinasen 
und aufbauender Synthesen. 

W. R. Bloor: Die Lipoide des Blutes keim Diabetes. (Journ. of 
Biol. Chem., 1916, Bd. 26, H. 1, S. 417.) Beim schweren Diabetes sind 
die Lipoide des Blutes bedeutend vermehrt, während man in leichten 
Fällen annähernd normale Lipoidwerte findet. Je schwerer und von je 
längerer Dauer der Diabetes war, desto ausgesprochener ist die Lipämie. 
Aber trotz des hohen Lipoidwertes ist das Verhältnis der Lipoide zu¬ 
einander fast wie bei den normalen Individuen, ein Beweis, dass der 
Fettstoffwechsel annähernd normal ist. Es besteht allerdings eine 
Neigung zur vorwiegender Anhäufung von Fett im Blut. Die Ansammlung 
der Lipoide im Blut findet fast ausschliesslich im Plasma statt; die 
Zusammensetzung der Blutkörperchen bleibt annähernd normal. Chole¬ 
sterin nimmt im diabetischen Blut durchaus parallel mit dem Fett zu; 
es spielt also hier eine wiohtige Rolle im Fettstoffweohsel. Zwischen 
den hohen Lipoidwerten und dem Vorkommen von Azetonkörpern be¬ 
stand kein Zusammenhang. Unter seinen 36 Fällen fand Verf. nur in 
zweien eine Lipämie, und zwar bei zwei nicht behandelten Fällen. Die 
diabetische Lipämie rührt in der Hauptsache vom Fett der Nahrung her. 
Das Erscheinen von Fett im Blute der Diabetiker beruht auf dem Un¬ 
vermögen des diabetischen Organismus, Fett zu assimilieren. Cholesterin 
nimmt im gleichen Sinne wie Fett zu, während Lezithin nur wenig ver¬ 
mehrt wird. Da Lezithin ein Frühstadium im Fettumsatz ist, kann man 
annehmen, dass die Unfähigkeit, Lezithin zu bilden, einer der Faktoren 
in der Enstehung der Lipämie ist. 


F. A. Csonka: Ueber den Einfluss von eiageffihrtea Kohle¬ 
hydrates und Proteinen mit Fetten anf den Blntsiekergekalt beim 
Phleridxindiabetes. (Journ. of Biol. Chem., 1916, Bd. 26, H. 1, S. 93.) 
An Hunden studierte Verf. den Einfluss von Kohlehydraten, Protein und* 
Fett auf den Blutzucker bei Phloridzindiabetes. Nach Injektion von 
20 g Glukose erreichte der Blutzucker ein Maximum nach zwei Stunden 
und sank in der vierten Stunde auf das ursprüngliche Niveau. Als Wir¬ 
kung der Zufuhr von Zuoker zeigte sich nur eine verlängerte Periode 
der Hyperglykämie. Nach Injektion von Protein wird der Blutzucker 
vermehrt, doch nioht nach Zufuhr von Fett. 

H. B. Lewis und W. G. Karr: Ueber Verindernngea im Harm- 
stoffgehalt des Blates und der Gewebe des Meerschweinchens bei aus¬ 
schliesslicher flafereroähroig. (Journ. of Biol. Chem., 1916, Bd. 28, 
H. 1, S. 15.) Durch aussohliessliohe Haferfütterung wurden beim Meer¬ 
schweinchen Erscheinungen von Skorbut hervorgerufen. Der Harnstoff¬ 
gehalt im Blut und in den Geweben dieser Tiere war gegenüber der 
Norm um ein Vielfaches gesteigert. Wurden zu der Hafernabrung ge¬ 
ringe Mengen Kohl oder Orangen zugelegt, so entwickelten sich in 
diesen Fütterungsperioden keine pathologischen Erscheinungen, und der 
Harnstoffgehalt von Blut und Geweben blieb normal. Natriumzitrat als 
Zugabe zum Hafer hat nioht diese wohltätige Wirkung. Verff. glauben 
nicht, dass die Veränderungen im Harnstoffgehalt des Blutes und der 
Gewebe durch das Hungörn oder den Wassermangel bedingt sfeien, 
wenigstens sollen diese Faktoren keine ausschlaggebende Rolle spielen. 

A. A. Epstein, J. Reiss und J. Branower: Ueber die Wirkling 
chirurgischer Eingriffe anf den Blntsncker nnd die renale Permea¬ 
bilität. (Journ. of Biol. Chem., 1916, Bd. 26, H. 1, S. 25.) In früheren 
Untersuchungen hatte Epstein gefunden, dass der Blutzucker nach 
Operationen vermehrt wird. Verff. untersuchten nun, wieweit die Nieren¬ 
funktion hierbei beeinflusst wird, ln einer Reihe chirurgischer Fälle 
wurde die Nierenfunktionsprobe mit Phenolsulphonphthalein angestellt. 
Es fand sich nach operativen Eingriffen neben der Zunahme des Blut- 
zuokers eine Sohädigung der Nierenfunktion. Die Seltenheit der Aus¬ 
scheidung von Zucker durch den Harn nach Operationen erklärt sich 
also aus der herabgesetzten Permeabilität der Nieren. 

H. G. Wells: Ueber die Anhäufung von Hansänre in den Ge¬ 
weben während der Unterdrückung der Harnabsondernng. (Journ. of Biol. 
Chem., 1916, Bd. 26, H. 1, S. 319.) Nach Beobachtungen von Schitten- 
helm und Wiener (Zschr. f. exp. M., 1914,) an einem Falle von sechs¬ 
tägiger kompletter Anurie, soll der menschliche Organismus die Fähig¬ 
keit besitzen, Harnsäure zu zerstören. Hauptsächlich stützte sich dieses 
Ergebnis auf die negativen Befunde in verschiedenen Organgeweben. 
Verf. bestreitet, dass der negative Befund von Harnsäure in den Ge¬ 
weben ein Kriterium für deren Zerstörung abgeben könne. Er beob¬ 
achtete einen Fall von Sublimatvergiftung, bei dem innerhalb 9 Tagen 
nur 96 com ausgeschieden wurden. Von dem zur Autopsie gelangten 
Falle wurden auf Harnsäure untersucht Blut, Leber, Augen, Lunge, Milz 
Niere, Uterus und Ovarien. Aus den verschiedenen Geweben Hessen sich 
beträchtliche Mengen Harnsäure isolieren. Dass die Harnsäure nicht 
postmortal gebildet worden war, schliesst Verf. aus verschiedenen 
Umständen. Erstens enthielt die Leber, die doch in vitro Xanthin in 
Harnsäure zu verwandeln vermag, am wenigsten Harnsäure; zweitens 
ergaben Untersuchungen an anderen Leichen in den gleichen Organen 
wenig oder gar keine Harnsäure. Verf. glaubt auch nicht, dass etwa 
das Sublimat die Zerstörung der Harnsäure verhindert habe. Der Haupt¬ 
sitz der Urikolyse ist ja die Leber, die vom Sublimat relativ wenig 
beeinflusst wird. Die Leber von Hunden und Katzen, die durch Sublimat 
vergiftet wurden, zerstört Harnsäure so gut wie normale Lebern. Auch 
verliert die Leber nicht ihre urikolytische Eigenschaft, selbst wenn sie 
der Sitz schwerster fettiger Degeneration ist. Der hier beobachtete Fall 
hatte bei fast vollständiger Anurie, bei purinfreier Diät während der 
neun Beobachtungstage und bei fast vollständigem Fasten relativ hohe 
Mengen von Harnsäure in den Geweben. In vier anderen zur Sektion 
gelangten Fällen ohne Nierensohädigung konnte Verf. nur Spuren von 
Harnsäure in den Geweben nachweisen. Diese Beobachtungen unter¬ 
stützen nioht die Anschauung, dass der Körper das Vermögen besitzt, 
Harnsäure zu zerstören, wenn auch nach Verf. das Gegenteil hiermit 
nicht streng bewiesen ist. Widerlegt wird aber die Anschauung von 
Schittenhelm und Wiener, dass bei Unterdrückung der Harnaus¬ 
scheidung keine Harnsäureretention vorkomme. 

M. Bienenstock u. L. Csäki: Physikalisch-ohemische Unter¬ 
suchungen über experineatelle Urämie. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, 
H. 3 u. 4, S. 210.) In der vorliegenden Arbeit wurden die physikalisch¬ 
chemischen Eigenschaften des Blutserums bei Urämie untersucht. Die 
Versuche wurden an Hunden vorgenommen, denen beide Nieren aus- 
gesohaltet wurden. Im Verlaufe der Urämie macht sioh eine starke 
Konzentrationsänderung des Serums bemerkbar. Die Viskosität verhielt 
sioh ungleichmässig. Die Oberflächenspannung des Serums nahm ab. 
Mit dem Harn werden nämlich oberflächenaktive Substanzen ausgeschieden, 
die, wenn ihre Ausscheidung unmöglich ist, sich im Blute ansammeln, 
ln der Refraktion zeigte sich kein Unterschied gegenüber der Norm. 
Die Gefrierpunktserniedrigung nahm stets zu. Es werden also krystalloid 
gelöste Substanzen im Serum angehäuft. Die Leitfähigkeit des Serums 
nimmt stets ab. Die Zahl der gelösten Moleküle und Ionen, also dei 
gesamte Molekülekonzentration ist demnach vermehrt, die der anorganischen* 
Moleküle vermindert. Es erfolgt also eine grosse Zunahme in der 
organischen Molekülekonzentration. Die Wassorstoffionenkonzentration 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


zeigte nur eine innerhalb der Fehlergrenze liegende Zunahme. Die 
Serumasohe nimmt zu, und zwar hauptsächlich der in Wasser lösliche 
Anteil. Blutkörperchenvolumen und Blutkörperohenzahl nahmen ab. 
•Der Gl-Gehalt des Serums zeigte eine Abnahme. Es verschwinden also 
während der Urämie Cl-Ionen aus dem Blutserum. Ein Teil der Cl-Ionen 
verlässt das Blut und gelangt in andere Gewebe, die sich an Gl an- 
reiohern. Auoh den Kohlensäuregehalt bestimmten Verff. im Serum und im 
Blut und fanden, dass die Kohlensäure im Serum bedeutend abnimmt. 
Im Blute dagegen steigt zuweilen der Kohlensäuregehalt. Diese Zunahme 
betrifft die roten Blutkörperchen. Die Chlorverteitung ist auoh im 
urämisohen Blute auf eine Säurevermehrung im Serum zurüokzuführen. 
Die wichtigsten Veränderungen im Serum und in den Blutkörperchen 
bei der Urämie sind auf eine grössere Anhäufung von Säuren im Serum 
zurückzuführen. Wahrscheinlich handelt es sich hier um organische 
Säuren. 

H. D. Haskins: Ueber die hanisäiireldseBde Kraft des aormalcB 

Haras. (Journ. of Biol. Chem., 1916, Bd. 26, H. 1, S. 205.) Schüttelt 
man Harn bei 87° C 20 Minuten lang mit Harnsäure, so nimmt der 
Harn, wenn leicht sauer, stets, wenn er neutral oder alkalisoh ist, Harn¬ 
säure auf. Je weniger sauer der Harn ist, um so mehr Harnsäure löst 
er. Verdünnte Harne zeigen ein grösseres Lösungsvermögen für Harn¬ 
säure als konzentrierte Harne. Manche Harne lösen so viel Harnsäure, 
dass sie mehr davon enthalten als in einer gesättigten Lösung von Mono¬ 
natriumurat enthalten ist. In diesen Fällen ist die Harnsäure wahr¬ 
scheinlich teilweise in kolloidaler Lösung. 

B. Sjollema und C. W. G. Hetterschy: Ueber mikrochemische 
Stickstoff bestimmssg. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 5 u. 6, 
S. 359.) Verff. geben der von ihnen modifizierten Mikro Kjeldahlmethode 
gegenüber der nach Folin und Denis den Vorzug. 

B. Sjollema und G. W. G. Hetterschy*. Ueber die Bestimmungen 
von Reststickstoff in Blute. (Biochem. Zschr., 1917, Bd.*84, H. 5 u. 6, 
S. 371.) Die drei Methoden zur Bestimmung des Reststiokstoffs im 
Blut durch Präzipitation mit Pbosphormolybdänsäure, Metaphosphor¬ 
säure und Trichloressigsäure sind nicht gleichwertig. Unterschiede 
finden sich bei einzelnen Blutarten, besonders bei venösem Blut. Diese 
Unterschiede entstehen wahrscheinlich in der Hauptsache dadurch, dass 
Phosphormolybdänsäure und auoh Metaphosphorsäure einen Teil der 
Abbauprodukte von Eiweiss niederschlagen. 

W.D enis: Kreatin in nenschlieben Muskel. (Journ. of Biol. Ghem., 
1916, Bd. 26, H. 2, S. 379.) Bei Erwachsenen beträgt der Kreatingehalt 
des Psoasmuskels 360—421 mg pro 100 g Muskel. In einer Reihe von 
zur Sektion gelangten Fällen fand Verf. bei verschiedenen pathologischen 
Zuständen den Kreatingehalt des Psoasmuskels relativ und absolut her¬ 
abgesetzt. In den meisten Fällen handelte es sich um einen schwer 
kachektisohen Zustand. Aber nicht immer waren die Kreatinwerte er¬ 
niedrigt. Bei vielen Individuen, die an akuten Krankheiten gestorben 
waren, fand Verf. normale Kreatinwerte. Andere Fälle, besonders septi- 
kämisohe, wiesen reduzierte Kreatinwerte auf. Es bestätigt sich, dass 
die Muskeln von Kindern viel weniger Kreatin enthalten als die der 
Erwachsenen. Die vorliegenden Befunde scheinen den Zusammenhang 
zwischen Muskelkreatin und Harnkreatin zu bestätigen, denn im all¬ 
gemeinen kann man annehmen, dass bei den schwachen und abgemagerten 
Individuen mit meist niedrigen Kreatinwerten im Muskel auoh der Kreatin¬ 
wert im Harn niedrig gewesen sei. 

W. C. Rose, Fr. W. Dinmit und P. N. Gheatham: Experi¬ 
mentelle Stadien über Kreatin nnd Kreatinin. V. Proteinfütterung und 
Kreatinaussoheidung bei pankreatischem Diabetes. VI. Proteiofütterung 
und Kreatinaussobeidung bei fastenden Männern. VII. Das Schicksal 
des Kreatins und Kreatinins nach Verabfolgung beim Menschen. (Journ. 
of Biol. Chem., 1916, Bd. 26, H. 2, S. 331, 339, 345.) Nach Protein- 
fütterung bei Hunden, denen das Pankreas vollständig exstirpiert worden 
war, verschwindet das Kreatin nicht aus dem Harn, wie dies bei nor¬ 
malen Hunden der Fall ist. Die Ausscheidung von Kreatin war nur ein 
wenig herabgesetzt. Das Verhalten der Kreatinausscheidung bei Phlo¬ 
ridzin- und Pankreasdiabetes liefert neue Beweise dafür, dass die Kreatin¬ 
ausscheidung vom Kohlehydratstoff Wechsel abhängig ist. Beim hungernden 
Mensohen wird die Kreatinausscheidung im Verlaufe von Proteinnahrung 
auf Null herabgedrückt. Nach Einnahme von grossen Mengen Kreatin 
(20 g) fiadet sich beim Menschern eine bedeutende Zunahme der Kreatin- 
aüsscheidung (0,3—0,49 g). Diese Zunahme beziehen Verff. nicht auf 
die Ausscheidung von endogenem Kreatinin. Bei Zufuhr grosser Dosen 
Kreatinin (16 g) erscheint kein Kreatin im Harn. Es ergibt sich also, 
dass die Reaktion Kreatin und Kreatinin 4- Wasser wahrscheinlich im 
Organismus nicht reversibel ist. Es fand sich kein Anhaltspunkt dafür, 
dass Kreatin oder Kreatinin in Harnstoff umgewandelt werden; letzterer 
ist wahrscheinlich kein Abbauprodukt der ersteren Substanz. 

J. Feigl: Ueber das Vorkommen von Kreatinin nnd Kreatin im 
Blnte bei Gesnnden and Kranken. II. Beobachtungen bei Jugendlichen. 
(Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, H. 3 u. 4, S. 264.) Bei jugendlichen 
Individuen bis zu 10 bzw. 15 Jahren liegt der Kreatininspiegel des Blutes 
niedriger als bei erwachsenen Männern. Kinder unter 5 Jahren und 
Säuglinge wurden bisher nicht berücksichtigt. 

J. Feigl: Biochemische Untersuchungen über den Einfluss von 
MarschaastreagniigeD auf die Zasammeasetzaag des Blntes. Beob¬ 
achtungen an Gesunden und Rekonvaleszenten. (Biochem. Zschr., 1917, 
Bd. 84, H. 5 u. 6, S. 332.) Die Untersuchungen wurden an Rekon¬ 


valeszenten gewisser Nieren Störungen vom Typus des Morbus Brightii 
an gestellt. Eine Gruppe der Versuchspersonen war als fast gesund an- 
zusehen. Die über das Verhalten des Reststiokstoffs bei massigen 
Marsohanstrengungen bei den fast Gesunden gefundenen Werte sind so¬ 
mit als Grundlage für die Leistung von Gesunden anzusehen. Verf. 
gibt Werte über die Fraktion des Harnstickstoffs, der Aminosäuren, des 
Kreatinins, der Harnsäure und des Ammoniaks. Es ergab sich, dass 
Personen, [die bei statischer Prüfung bereits in der Stickstofffunktion 
normal reagieren, durch mässige Marschleistungen Störungen erleiden. 
Der Reststiokstoff kann bei mehr oder minder leicht gestörter Nieren¬ 
funktion ansteigen; dies gilt auoh vom Kreatinin. Zuweilen ist auch 
die Harnsäure gesteigert. Gleichzeitig zeigt das präformierte Ammoniak 
einen Anstieg, den Verf. nooh nicht zu deuten vermag. Es zeigte sich 
vor allem, dass Marschleistungen, die Gesunde und Geübte kaum be¬ 
lasten, bei Leuten, die auoh mit verfeinerten Methoden der Funktions¬ 
prüfung normal reagieren, beachtenswerte Symptome hervorrufen. 

W. G. Bateman: Ueber die Verdanlichkeit und die Ausnutzung 
von Eier*Proteiaea. (Journ. of Biol. Chem.yl916, Bd. 26, H. 1, S. 262.) 
Rohes Eier-Eiweiss ist schwer verdaulich. Es kann bei Hunden, Ratten, 
Kaninchen und Menschen bei Zufuhr in grösseren Mengen Diarrhoen 
hervorrufen. Es wird nur zu 50^70 pCt. ausgenutzt. Manche Iodividuen 
können dem nativen Eiweiss gegenüber eine gewisse Toleranz erwerben, 
wobei die Ausnutzung etwas besser wird. Durch Hitzegerinnung wird 
das Eiweiss verdaulicher, desgleichen durch Fällung mittels Alkohol, 
Chloroform, Aether, durch Inkubation mit Säuren und Alkalien, durch 
partielle Pepsinverdauung, durch Verwandlung in Alkalienmetaprotein. 
Die Unverdaulichkeit des nativen Eiweiss des Eies ist wahrscheinlich 
bedingt durch seinen Gehalt an Antitrypsin oder durch seine chemische 
Konstitution. Die physikalische Beschaffenheit scheint eine geringere 
Rolle zu spielen. Wahrscheinlich ist die Albuminfraktion die unverdau¬ 
liche Komponente. Das Eiereiweiss des Hühnereies und des Enteneies 
sind in gleioher Weise unverdaulich. Dotter wird roh sowohl wie gekocht 
gut ausgenutzt. Bei Hunden bewirkt es, wahrscheinlich wegen seines 
hohen Fettgehaltes, zuweilen Verdauungsstörungen. 

T. B. Osborne und L. B. Mendel: Ueber die Wirkung des Amiao- 
siareagehalts der Diät aaf das Wachstam von Hühners. (Journ. of Biol. 
Ghem., 1916, Bd. 26, H. 2, S. 293.) Verff. konnten schon früher in 
Fütterungsversuchen an Albinoratten zeigen, dass zum Wachstum 
adäquate Mengen gewisser Aminosäuren unbedingt erforderlich sind, vor 
allem Tryptophen, Lysin, Zystin. Zum Verfolg weiterer Studien haben 
Verff. besonders Nahrungsgemisohe gewählt, deren Lysingehalt genau 
bekannt war. Die Resultate stimmen mit den an Ratten gewonnenen 
überein. Getreide gl uten fördert das Wachstum der Hühnchen nur in 
sehr geringem Grade. Das an Tryptophen und Lysin reiche Laktal¬ 
bumin förderte bedeutend das Wachtum. Die im Wachstum zurück¬ 
gebliebenen Hühnchen boten sonst kein Zeichen mangelhafter Ernährung 
dar. Es zeigte sioh also hier die verschiedene Wertigkeit der Proteine 
hinsichtlich ihres Vermögens, das Wachstum zu fördern. Wie bei Ratten 
war Baumwollsamenmehl ein geeignetes Adjuvans zur Förderung des 
Wachstums. Es bestätigte sich im allgemeinen, dass die Tiere zum 
normalen Waohstum einer bestimmten Menge Lysin bedürfen. 

Th. B. Osborne und L. B. Mendel: Ein quantitativer Vergleich 
zwischen Kasein, Laktalbumin nnd Edestin mit bezug auf das Wachs¬ 
tum und den Erhaltungsstoffweohsel. (Journ. of Biol. Ghem., 1916, 
Bd. 26, H. 1, S. 1.) Im Anschluss an frühere Versuche über den ver¬ 
gleichsweisen Nährwert verschiedener Proteine haben Verff. auf exakterer 
Basis ihre quantitativ vergleichenden Versuche fortgesetzt. Die Haupt¬ 
frage, ob das Tier wächst, weil es mehr isst, lässt sich nur dann exakt 
beantworten, wenn man in der gleichen Zeit die genau gleiche Menge 
Nahrung von Tieren essen lässt, die eine entsprechend gleiche Körper¬ 
grösse zeigen. Die zur Einstellung einer normalen Waehstumsgeschwin- 
digkeit nötige Nahrungsmenge wurde in Fütterungsversuchen an jungen 
Ratten ermittelt. Bei Tieren von gleichem Gesohlecht mit gleichem 
Anfangsgewicht und genau den gleichen Nahrungsmengen erwies sioh 
Laktalbumin als am besten waobstumsfördernd. In den vergleichenden 
Versuchen fanden Verff., dass, um den gleiohen Anstieg im Wachstum 
zu erreichen, 50 pGt. mehr Kasein erforderlich sind als Laktalbumin und 
fast 90 pGt. mehr Edestin als Laktalbumin. Eine Zulage von Zystin 
kann den Nährwert des Kaseins erhöhen. 

M. Rhein: Ueber die Bildung von Phenol im menschlichen Darm. 
(Biochem. Zsoh., 1917, Bd. 84, H. 8 u. 4, S. 246.) Ursache der im 
menschlichen Darm stattfindenden Bildung von Phenol ist nach den vor¬ 
liegenden Untersuchungen eine besondere Rasse desBaoterium coli commune, 
das Verf. Baoterium coli phenologenes nennt. Bei Gegenwart von Zucker¬ 
arten, die durch das Bakterium vergoren werden, findet keine Phenol¬ 
bildung statt. Aus Paraoxybenzoesäure erzeugt das Bakterium auoh 
Phenol. Man kann also annehmen, dass der Abbau des Tyrosins zu 
Phenol über diesen Körper stattfindet. 

H. Dubin: Ueber die Physiologie der Phenole. (Journ. of Biol. 
Ghem., 1916, Bd. 26, H. I, S. 69.) Verf. untersuchte an Hunden mit 
Eok’scher Fistel, mit Darm verschloss, mit Abschluss der Galle vom Darm, 
Abschluss der Pankreassekretion vom Darm das Verhalten der Phenole. 
Die Ausscheidung der Phenole zeigt eine ziemliche Konstanz. Durch 
wasserarme Ernährung wird die Ausscheidung von Phenolen gesteigert. 
Bei bestehender Eok’soher Fistel bilden die freien Phenole 97 pCt. der 
Gesamtphenole. Nach Darmversohluss nehmen freie und Gesamtphenole 
zu, wobei die freien Phenole 55 pCt. der Gesamtphenole ausmachen. 


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1. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Bei Pankreasinsufficienz nehmen ebenfalls freie und Gesamtphenole zu, 
wobei auch der Prozentsatz der freien Phenole sinkt. Nach Abschluss 
der Galle sind ebenfalls die Phenole Termehrt, doch nehmen nun die 
freien Phenole prozentualiter zu. Fütterung von Phenol und p-Kresol 
führt in der Norm zur Ausscheidung von etwa 65 pCt. bzw. 40 pCt. 
Dieses Verhältnis bleibt auch bei Eck’soher Fistel annähernd das gleiche. 
Nach Darm Verschluss, Pankreasinsuffizienz und Gallenabschluss zeigt sich 
eine Abnahme in der Ausscheidung der verfütterten Phenole und Eresole. 
Fütterung von Tyrosin führt in der Norm zur Ausscheidung von etwa 
14 pCt. in Form von Phenolen, was bei bestehender Eck’scher Fistel 
ebenfalls gilt. Nach Gallenabschluss mit Pankreasinsuffizienz werden 
etwa 20 pCt. des eingeführten Tyrosios eliminiert. Uoverändertes Tyrosin 
wird nicht ausgeschieden. Bei fastenden Tieren wird die Phenolaus- 
soheidung sehr niedrig, wird aber durch Injektion von Phloridzin während 
des Fastens gesteigert. Duroh Verabfolgung von Ealomel kann man den 
Harn nicht frei von Phenolen bekommen. Galle scheint einigen Einfluss 
auf die entgiftende Wirkung der Leber zu haben. Man kann die Phenole 
als Index für Fäulnisprozesse im Darm betrachten. 

Ito Hiiza: Ueber die Wirkung der Temperatur und des Fiebers 
auf die Synthese von Aethersehwefelsfinree nnd von (Jrochlorals&nren 
im Organismus. (Journ. of Biol. Chem , 1916, Bd. 26, H. 2, S. SOI.) An 
Kaninchen untersuchte Verf. die Wirkung von Temperaturschwankungen 
auf die Synthese der Aetherschwefelsäuren und der Urochloralsäure im 
Organismus. Während der Versuchsdauer wurden die Kaninchen mit 
Tofukara gefüttert, einem Rückstand aus gekochten und gequetschten 
Sojabohnen. Wurden abnorme Temperaturen durch Abkühlung in 
kaltem Wasser, duroh Erhitzen in heissem Wasser, duroh Erregung von 
Fieber ezzeugt, so sank die Fähigkeit der Paarung von Aetherschwefel- 
säure und von Urochloralsäure. Je grösser die Temperaturschwankungen 
waren, desto weniger erfolgte im Organismus die Synthese der gepaarten 
Säuren. 

H. B. Lewis: Ueber den Sehwefelstoffweehsel. I. Die Ausschei¬ 
dung von Schwefel und Stickstoff beim Hunde während des Hangens 
und darauffolgender Fütterung. (Journ. of Biol. Chem., 1916, Bd. 26, 
H. 1, S. 61.) Verf. hat an einem Hunde in langdauerndem Hunger- 
versuohe, gefolgt von kürzeren Perioden der Fütterung, abwechselnd mit 
kurzen Hungerperioden die Ausscheidung von Schwefel beobachtet, um 
ein Urteil darüber zu gewinnen, wie weit der Schwefel des Protein¬ 
moleküls eine Rolle spielt beim Wiederaufbau des Proteinmoieküls. 
Verf. fand keine Andeutung einer gesteigerten Schwefelretention. In der 
Hungerperiode schwankte das Verhältnis von Stickstoff zu Sohwefel nur 
innerhalb geringer Unterschiede. 

L. Kare zag: Notizen über die ßreBitraabens&are. (Biochem. 
Zsohr., 1917, Bd. 84, H. S u. 4, S. 225.) Zur Frage des Schicksals der 
Brenztraubensäure im Tierkörper hat Verf. Ritten mit Brenztrauben säure 
subkutan injiziert. Die Dosis letalis betrug 0,5 g. In 1—2 Tagen 
starben die Tiere an Dyspnoe und zeigten postmortal maximal dilatierte 
Vorhöfe und starke Hyperämie der parenchymatösen Organe. Im Harn 
fanden sich nicht Traubenzucker, Milchsäure, flüchtige Fettsäuren und 
Brenztraubensäure. Auffallend war die starke alkalische Reaktion des 
Harnes und das Vorhandensein von Karbonaten in grossen Mengen. 
Dies scheint auf eine Oxydation der Brenztraubensäure hinzudeuten. 
Die Blutzuckerwerte waren stets normal. Im Organismus der Ratte und 
des Meerschweinchens erfährt somit die Brenztraubensäure eine andere 
Umwandlung als bei Hunden und Kaninchen. Die Brenztraubensäure 
wurde im Organismus zerstört. Verf. berichtet noch über Vergärungs¬ 
versuche mit Brenztraubensäure duroh Bakterien. Die Bakterien greifen 
die Brenztraubensäure nur an, wenn als Nährsubstrat Bacillon ver¬ 
wendet wurde, im Gegensatz zur Hefe, die ohne Zutat einer Nährsubstanz 
die freie Brenztraubensäure vergärt. Dies scheint dafür zu sprechen, 
dass die Bakteriengärungen vielmehr unter dem Einfluss von vitalen 
Prozessen der Bakterienzelle verlaufen, während die Hefegärungen in 
erster Linie auf Fermentwirkungen beruhen. 

W. J. Crozier: Ueber das Eindringen von S&nren in Zellen. 
II. Weitere Beobachtungen über das blaue Pigment von Ghromodoris 
cebra. (Journ. of Bio). Chem., 1916, Bd. 26, H. 1, S. 217.) Bei dem 
Nudibranohier Cbromodoris cebra kommt in den Geweben ein blaues 
Pigment vor, dass man als intrazellularen Indikator für Säuren wählen 
kaon. Beim Eintritt von Säuren in Gewebe wird das Pigment rosa¬ 
farben. Verf. fand, dass die Eindringungsfähigkeit einer Säure von zwei 
Faktoren abhängig is f , nämlich von dem Grade der Ionisierung und von 
der Verbindung der Säure mit einem der Bestandteile der Zelloberfläche. 

H. Euler, Hj. Ohlsön und D. Johansson: Ueber Zwisehen- 
reaktioaen bei der alkoholischen Gärung. (Biochem. Zsohr., 1917, 
Bd. 84, H. 5 u. 6, S. 402.) Das Enzym, welches das bekannte Zymo- 
phospbat der Hefe synthetisiert, die Pbospbatese, ist von anderen Teil¬ 
enzymen der Zymase abtrennbar. Im Zymophospbat besitzt die Hexose 
nach den Verff. die Konfiguration der Fruktose; erstere ist also als 
Fruktosediphosphat anzusehen. Die Hexose des Zymophosphats steht 
jedenfalls der Fruktose entschieden näher als der Glukose hnd Mannose. 
Vor allem erfolgt die Bildung des Zymophosphats aus Fruktose leiohter 
als aus Glukose. Für die Zymophosphatbildung aus Fruktose ist wahr¬ 
scheinlich die Mitwirkung einer Fruktase nioht erforderlich. 

W. Salant und L. E. Wix: Ueber die Wirkung von Natriani zitrat 
nid Beiae ZerlegBBg im Körper. (Journ. of Biol. Chem., 1916, Bd. 28, 


H. 1, S. 27.) Verff, geben in der Einleitung eine Methodik des quanti¬ 
tativen Nachweises von Zitraten in Blut und Harn, basierend auf der 
Reaktion von Deniges. Natriumzitrat verschwindet sehr rasch aus der 
Zirkulation nach intravenöser Iojektion in Katzen und Hunde. Bei 
wiederholten Injektionen wird das Verschwinden des Zitrats verzögert. 
Werden grössere Dosen in häufigen Intervallen gegeben, so verlangsamen 
sich wahrscheinlich Oxydation und Elimination des Zitrats. Bei Kanin¬ 
chen aber ist die Geschwindigkeit der Oxydation bedeutend grösser als 
bei Katzen. Bei Kaninchen betrug die Menge des duroh den Harn nach 
subkutaner Injektion ausgescbiedenen Zitrats 12 pCt., bei Katzen 30pCt. 
Hämorrhagien beeinflussen bei Kaninchen nicht die Ausscheidung des 
Zitrats. Werden grosse Dosen Natriumzitrat per os verabfolgt, so wird 
der Harn alkalisch. Nach der oralen Einverleibung des Zitrats finden 
sich nur Spuren davon in Blut und Harn. Die Toxizität des Natrium¬ 
zitrats ist bei intravenöser Iojektion abhängig von der Geschwindigkeit 
der Injektion. Die letale Dosis liegt zwischen 0,4 und 1,6 g pro Kilo 
Körpergewicht. Aber sohon 70 mg können Symptome hervorrufen. Bei 
Ingestion sind nur grosse Dosen giftig. Die subkutane Injektion grosser 
Dosen lässt einen kumulativen Effekt erkennen. Wurden Dosen unter 
0,5 g pro Kilo Körpergewicht intravenös injiziert, so fand sich kein Zitrat 
im Harn. Die Giftigkeit des Natriumzitrats ist abhängig von der Ge¬ 
schwindigkeit seiner Oxydation im Körper. Es ist giftiger bei Tieren, 
die grössere Mengen unverändert ausscheiden. Natriumzitrat verhindert 
nach Zusatz zu Blut im Verhältnis von 1 : 100 die Gerinnung vier Tage 
lang bei einer Temperatur von 10° C. 

M. Jacoby: Ueber eine einfache und siohere Methode der Urease- 
darstellnng aus Bakterien. (Biochem. Zsohr., 1917, Bd. 84, H. 5 u. 6, 
S. S54.) Aus harnstoffspaltenden Bakterien konnte Verf. ein Pulver 
darstellen, das auch in Gegenwart von antiseptisohen Stoffen Harnstoff 
spaltet. 

M. Jacoby: Ueber Fermenthildnng. (Biochem. Zschr., 1917, Bd. 84, 
H. 5 u. 6, S. 858.) Aus den früheren Versuchen des Verf. folgt, dass 
Leuzin nur auf die Fermentbildung bei der Entstehung der Urease wirkt, 
nioht aber auf die Fermentwirkung selbst. Dies fand Verf. auch bei 
Versuchen mit dem von ihm hergestellten Fermentpulver bestätigt. Das 
Leuzin hat auf die Fermentwirkung der harnstoffspaltenden Bakterien 
keinen Einfluss. 

E. M. Frenkel: Eine vergleichende Studie des VerhalteiB ge¬ 
reinigter Proteine gegenüber proteolytischen Eniynei. (Journ. of 
Biol. Chem., 1916, Bd. 26, Nr. 1, S. 82.) Zum besseren Verständnis 
der Proteinverdauung hat Verf. in vitro Versuche über Proteolyse ange¬ 
stellt. Es zeigte sich, dass bei der Pepsinhydrolyse das Pepsin selbst 
der wirksame Faktor ist, da HCl allein nur einen ganz geringen pro¬ 
teolytischen Effekt ausübt. Vergleichende Untersuchungen über Proteo¬ 
lyse sind nur möglich, wenn die Substrate in Lösung sind. Bei Ver¬ 
gleich von 18 verschiedenen Proteinen fand sich in den proteolytischen 
Kurven völlige Uebereinstimmung, wenn man als Maass für die Proteo¬ 
lyse die zu einer gegebenen Zeit freigewordene Menge Amino-N annahm. 
Pepsin + HCl kann etwa 20 pCt. des gesamten Amino-N eines Proteins 
in weniger als 100 Stunden freimachen. Trypsin spaltet von teilweise 
mit Pepsin verdautem Protein ungefähr 70 pCt. Erepsin spaltet nach 
Einwirkung von Pepsin Trypsin, und Erepsin macht etwa 85—90 pCt. 
des Gesamt-Amino-N des Proteins frei. R. Lewin. 

v. Brücke-Innsbruck: Neuere Anschauungen über den Maskel- 
tOBBS. (D.m.W., 1918, Nr. 5 u. 6.) Die tonische Kontraktion der 
Körpermuskulatur während der Enthirnungsstarre (Durchschneidung des 
Hirnstammes in der Gegend des hinteren Vierhügelpaares) ist der Prozess, 
den wir als einen Tetanus bezeichnen dürfen, der also jenen Vorgängen, 
die sich während der normalen Körperbewegungen des Tieres in seinen 
Mnskeln abspielen, zum mindesten äusserst ähnlich, vielleicht aber nicht 
völlig gleich ist. Man muss, wie die Erfahrungen über die tonusartigen 
Verkürzungszustände der Skelettmuskulatur lehren, unterscheiden zwischen 
lange anhaltenden echten Kontraktionsvorgängen und einer ohne die 
normale Erregung der Muskelfasern einbergehenden Ruheverkürzung der 
Muskeln. Was die Verhältnisse bei der glatten Muskulatur anlangt, so 
zeigen Untersuchungen von v. Brücke, dass bei bestimmten Muskeln 
mit glatter Muskulatur der Tonus einer Summe einzelner Erregungen 
entspricht, so dass man ihn also als einen Tetanus auffassen kann. 
Was die Frage anlangt, ob der Tonus der Skelettmuskulatur von den 
zerebrospinalen motorisohen Nerven unterhalten wird, oder ob auch die 
quergestreiften Muskeln unter dem Einflüsse des sympathischen Nerven¬ 
systems stehen, so kommt Verf. zu dem Sohlusse, dass ein sicherer 
Beweis für die Annahme einer sympathischen Inervation der quergestreiften 
Skelettmuskulatur nicht vorliegt. Dünner. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Fahr-Hamburg-Barmbeck: Beiträge zur Pathologie der Hypophyse. 
(D.m.W., 1918, Nr. 8.) Ebenso wie Simmonds und Fränkel hat F. 
einen Fall von schwerer Kachexie beobachtet, bei dem im Vordergrund 
eine schwere Zerstörung des drüsigen Hypophysenanteils bestand. Er 
berichtet ferner über einen Fall von Hypophysentumor, bei dem keine 
Ausfallserscheinung aufgetreten war, da noch genügend Hypopbysen- 
elemente vorhanden waren. Dünner. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Parasitenkunde und Serologie« 

Iokert Presshefe «nd Befeextrakt sar Nfthrbodenhereitaag. 

(D.m.W., 1918, Nr. 7.) Ausser der von Reiter beschriebenen Trocken¬ 
hefe haben wir in der Presshefe einen vollwertigen Ersatz für das 
Fleisch in der Nährbodenküche. Die Möglichkeit des Bezugs von der 
nächsten Bäckerei macht die bakteriologischen Laboratorien unabhängig 
von dem Zufall der Versorgung mit Fleisch, auch unabhängig von jed¬ 
weder Fabrik. Wer gern mit Fleischeztrakt arbeitet, findet in dem 
Stock’sehen Hefeextrakt einen ausreichenden Ersatz für Fleisohextrakt. 

Asch off-Freiburg i. B.: Ueber bakteriologische Befände bei dea 
Gasffdemen. (D.m.W., 1918, Nr. 7.) Scblussbemerkung zu der Arbeit 
Eugen Fraenkel’s in der D.m.W., Nr. 52. Dünner. 

G. Salus: Die Bakterieaadsorptioa durch Bolus. (Bioohem. Zschr., 
1917, Bd. 84, H. 5 u. 6, S. 878.) Nach Untersuchungen von Kuhn 
werden aus einem Gemisch von Koli- und Typhuskeimen im Stuhl durch 
Bolus alba weit mehr Typhus- als Kolikeime absorbiert, während durch 
Tierkohle eine solche Scheidung nicht vollständig möglich ist. Im 
Wasser gelang dem Verf. auch diese Scheidung. Einer Anregung von 
Michaelis und seinen Schülern folgend, prüfte Verf. die Adsorbierbar¬ 
keit von Koli und Typhus durch das elektropositive kolloidale Eisen¬ 
hydroxyd. Ferner wurde untersucht, ob die Adsorbierbarkeit der Typhus¬ 
keime durch Bolus abnimmt, wenn sie auf einem Nährboden gezüchtet 
werden, wo sie, wie B. ooli, Säure bilden. Es ist nach diesen Ver¬ 
suchen anzunehmen, dass die säurebildenden Bakterien von der ge¬ 
bildeten Säure die Ladung annehmen. Die untersuchten Mikroben sind 
als amphotere Kolloide mit einseitig betonter positiver oder negativer 
Ladung anzusehen. R. Lewin. 

Otto-Berlin: Ueber Immnnitätsreaktioien mit dem Basillu 
Weil Felix und über seine ätiologische Bedeutung für das Fleckfleber. 
(D.m.W., 1918, Nr. 7.) Bemerkungen zu der Arbeit von Friedberger 
in der D.m.W., 1917, Nr. 42—44. F. hat seinerzeit behauptet, dass 
das Fleckfieber eine bakterielle Infektion ist, für die als Erreger neben 
anderen Bakterien hauptsächlich der Bazillus von Weil und Felix in 
Frage kommt. 

Brieger-Berlin: Eine neue Fällungsreaktion beim Blnt ud 
Blnteernm. (D.m.W., 1918, Nr. 7.) Der Luesleberextrakt, wie er zur 
Wa.R. gebraucht wird, wird mit 3proz. Pyrogallol in Substanz ver¬ 
setzt. Von dem Reagens werden bestimmte Mengen zu Serum zugesetzt, 
die Mischung wird entweder gänzlich oder nur wenig flüssig oder erstarrt. 
B. hat nun das Serum von verschiedenen Kranken benutzt. Eine spe¬ 
zifische Reaktion konnte bisher damit noch nicht erzielt werden. 

Abderhalden-Halle: Zum Nachweis der Abwehrfermeate im 
Bltttsemm. (D.m.W., 1918, Nr. 8.) Bemerkungen zu dem Aufsatz von 
Berthold Oppler in der D.m.W., 1917, Nr. 51. Dünner. 

G. Kam in er und 0. Morgenstern: Ueber Beziehungen zwischen 
Tbymis and Karzinom. 2. Mitt. (Bioohem. Zschr., 1917, Bd. 84, 
H. 5 u. 6, S. 281.) Den Verff. war es aufgefallen, dass der Abfall der 
Zerstörungsfähigkeit des Serums gegenüber Karzinomzellen mit steigen¬ 
dem Alter parallel gehe mit der Rückbildung der Thymusdrüse. Verff. 
studierten daher den Zusammenhang zwischen der Freund-Kaminer’schen 
Reaktion und der Thymus, indem sie Versuche mit Thymusextrakten an¬ 
stellten. Bei den Extrakten von Thymus lässt sich das Zerstörungs¬ 
vermögen gegen Karzinomzellen in wesentlich höheren Verdünnungs¬ 
graden nach weisen als beim Serum und bei den Extrakten anderer Or¬ 
gane. Beim Kaninchen gelang es, das an sich geringe Zerstörungsver¬ 
mögen des Blutserums gegen Karzinomzellen dnroh subkutane Injektion 
von Kalbsthymus vorübergehend bedeutend zu erhöhen. Wird bei jungen 
Hunden die Thymus exstirpiert, so sinkt das vorher hohe Zerstörungs¬ 
vermögen des Serums gegen Karzinomzellen ganz bedeutend. Anderer¬ 
seits zeigen Individuen mit Thymuspersistenz ein höheres Zerstörungs¬ 
vermögen ihres Blutserums gegen Karzinomzellen als Normale. Bei In¬ 
dividuen, deren Blutserum eine positive Freund-Kaminer’sche Reaktion 
zeigt, besitzt auch die Thymus ein die übrigen Organe übertreffendes 
Zerstörungsvermögen. Beim Fötus, dessen Blutserum Krebzzellen nicht 
zerstört, besitzt auch die Thymus kein nachweisbares Zerstörungsver¬ 
mögen gegen Karzinomzellen. Bei Karzinomatösen, deren Serum Kar- 
zinomzellen nicht zerstört,, besitzt auch die Thymus kein nachweisbares 
Zerstörungsvermögen. Nach all diesen Befunden muss ein Zusammen¬ 
hang bestehen zwischen dem die Krebszellen zerstörenden Prinzip der 
Thymusdrüse und dem die gleiche Zerstörung ausübenden Prinzip des 
Blutserums. R. Lewin. 

Reiter: Ueber Milehtherapie. (D.m.W., 1918, Nr. 7.) Die für 
alle möglichen Krankheiten in jüngster Zeit empfohlene Milchtherapie 
entbehrt jeglicher Grundlage. Ein Vergleich mit der Proteintherapie 
ist nioht möglich, weil die Milch Bestandteile wie Fette, Kohlehydrate 
in schwankenden Mengen enthält, deren Wirkung unregelmässig sein 
muss. Man sollte deshalb die ganze Milehtherapie erst experimentell 
sicher legen, ehe man sie therapeutisch an wendet. Dünner. 


Innere Medizin. 

K. F. Wenokebaoh: Ueber die Behandlung herzkranker Soldaten 
in Karortea mnd Heilstätten. (Zschr. f. physik. u. diät. Ther., Jan. 1918.) 
W. gibt zunächst einen Ueberbliok über die in Frage kommenden Herz¬ 
krankheiten, um sodann den Wert der einzelnen Prozeduren einer Be¬ 


sprechung zu unterziehen. Die Beurteilung der Wirksamkeit der kohlen¬ 
sauren Bäder ist schwierig. Den besten Erfolg haben sie bei den Herz¬ 
kranken, bei denen ein erhöhter Blutdruck die Hauptursache der Herz¬ 
beschwerden ist, ferner bei Herzinsuffizienzen in der Rekonvaleszenz 
— besonders bei Kombination mit vorsichtiger Uebungstherapie. Bei 
Hypotonie findet W. sie nicht wirksam. Sauerstoff- und Luftzellbäder, 
hydroelektrische Bäder, elektrische Behandlungsmethoden haben nur zu¬ 
weilen und zum Teil auch nur subjektive Wirkung, hingegen »stellt die 
Hydrotherapie in ihrem ganzen Umfang ein hochwichtiges Hilfsmittel 11 
dar. Diese Ausführungen Wenokebaoh’s dürften vielleicht den Kern¬ 
punkt der ganzen Arbeit bedeuten, W. ist (mit Recht — D. Ref.) der 
Ansicht, dass die kohlensauren Bäder die Hydrotherapie (wohl überhaupt 
alle anderen physikalischen HeilfaktoreD. D. Ref.) zurückgedrängt haben. 
Besonderen Wert legt W. auf UebuDgstherapie. 

Z. v. Dalmady: Die Nachbehandlung rhenmatiseher and ähn¬ 
licher Kriegserkrankungen in Bädern and Heilanstalten. (Zschr. f. 
physik. u. diät. Ther., Febr. 1918.) Den Unterschied gegenüber der 
Friedenspraxis bietet wohl im wesentlichen die grössere Anzahl der 
Kranken. Unter „Rheumatismus“ geht eine UomeDge von mehr oder 
weniger genau zu präzisierenden Krankheitszustäoden, auf die D. näher 
eingeht — Plattfuss, Tarsalgien, Gelenkerkrankungen, Neuritiden, die 
seltenen Myositiden, . Neuralgien . .. Meist handelt es sioh um Erkran¬ 
kungen der unteren Extremitäten. Eingehend wird die Therapie be¬ 
sprochen. E. Tobias. 

v. Kor an y -Budapest: Zur Methode der Lungenspitienperkiuion. 
(D.m.W., 1918, Nr. 7.) Bestimmung der Erönig’sohen oder Gold¬ 
scheid er’schen Spitzenprojektion bei aufrechter Körperhaltung, dann 
starke Beugung, bi's der Kopf in Höhe der Hüfte steht. Sind die Lungen¬ 
spitzen gesund, so bleiben die perkutorischen Ergebnisse fast vollkommen 
dieselben, während die oberen Grenzen erkrankter Lungenspitzen ab¬ 
wärts rücken, wenn man ihre Lage auf die Dornfortsätze bezieht. 

Werdisheim: Das Tar’sehe Symptom bei Zirka!ationratff ringen. 
(D.m.W., 1918, Nr. 8.) Die Methode von Tar hat sich diagnostisch dem 
Verfasser bei Zirkulationsstörungen als brauchbar erwiesen. 

Goldscheider, Kraus-Czerny-Berlin: Diagnose und Prognose 
der Lungentuberkulose vom Standpnikt des Praktikers. I. Diagnose 
der Lungentuberkulose. (D.m.W., 1918, Nr. 4.) Siehe Gesellschafts¬ 
bericht des Vereins f. innere Med. der B.kl.W., 1917, Nr. 53. 

Kwasek und Tan er 6-Königsberg: Zur Taberkalosehehaadlaag 
mit Partialantigen nach Deycke Mach. (D.m.W., 1918, Nr. 7.) Es 
wurden mit der Methode 4 Heilungen erzielt. Bei 10 vorher fiebernden 
Patienten Temperaturabfall zur Norm, 9 Gewichtszunahmen. Die Erfolge 
werden der spezifischen Behandlung zugeschrieben. Bemerkenswert er¬ 
scheint den Verfassern die Einwirkung der Partialantigene auf das Fieber. 

Dünner. 

E. Wossidlo: Zur eiweissarmen Diät bei akater Nierenentxän- 

dnng. (Zschr. f. physik. u. diät. Ther., Jan. 1918.) Bei Beurteilung der 
ei weissarmen Kost und ihres Erfolges kommt es darauf an, dass keine 
Harnstoffretention im Körper stattfindet. Andererseits wollen wir aber 
gerade bei derartigen Kranken den Körper an der Speioherung des 
Stickstoffes hindern und möglichst niedrige Stiokstoffwerte des Blutes 
erzielen, indem wir dem Körper möglichst wenig Ei weis zuführen. Dabei 
besteht die Gefahr, dass Körperei weiss unnötig abgebaut wird. W. schiebt 
wiederholt Tage mittlerer Nierendät mit einem Eiweissgehalt von etwa 
50 g ein. Auch an den eiweissarmen Tagen soll die Kalorienzahl wo¬ 
möglich 2000 Kalorien enthalten. Beim Beginn jeder Nierenerkrankung 
soll etwa 10 Tage eiweissarme Diät gewählt werden, in den ersten 
Tagen Zuckerdiät, danaoh Griessdiät; dann folge erst eine Uebergangs- 
diät — eine eiweissarme Gemüsediät. E. Tobias. 

Zöllner: Ein Fall von Pilsvergiftung. ^ [(D. m. W. 1918, Nr. 8.) 
Ganz besonders brauchbar erwies sich die Sauerstoffeinatmung bei dem 
stark zyanotischen Patienten. 

Katznelson: Zur Pathogenese des | hämorrhagischen Typhus. 
(D.m.W., 1918, Nr. 5.) Die hämorrhagisohe Diathese (Haut- und Schleim¬ 
hautblutungen) beim Typhus abdominalis beruht auf einer exzessiven 
Thrombopenie, wie Verf. an drei Fällen zeigen konnte. Diese Thrombo- 
penie ist nicht eine Folge einer mittelbaren oder unmittelbaren Knochen¬ 
marksschädigung im Sinne einer Hemmung des blutplättchenbildenden 
Apparates, sondern nur die Folge der nach Bernhardt schon beim 
gewöhnlich verlaufenden Typhus abnorm gesteigerten Thrombozytolyse, 
die auch in der Milz eines vom Verf. geschilderten Falles zu konstatieren 
war; dementsprechend zeigt der blutplättohenbildende Riesenzeliapparat 
des Knochenmarkes Zeichen einer starken Aktivität sowohl beim ge¬ 
wöhnlich verlaufenden Typhus, als auch in dem vom Verf. untersuchten 
Falle von hämorrhagischem Typhus. 

Beyer-Polzin: Erfahrungen über Rthr «ud Rahnerem. (D.m.W., 
1918, Nr. 4.) B. glaubt an eine günstige Wirkung des Ruhrserums. 

Dünner. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

M. Hirschfeld: Zwei neue Fälle von Geschleehtsberiehtiguig. 
(Neurol. Zbl., 1918, Nr. 4.) 2 neue Fälle von Gesohlechtsberichtigung. 
H. unterscheidet den genitalen, den somatischen, den psychischen und 
den psyohosexuellen Hermaphroditismus. Dazwischen gibt es Kora- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


81S 


1. April 1918. 

binationen, die innersekretisohen Konstitutionsanomalien, za denen das 
Zwittertum gehört, kommen sehr häufig mit einer leichten oder schwereren 
psychopathische« Konstitution vergesellschaftet vor. Oft ist es schwer 
zu unterscheiden, welches die primäre von beiden konstitutionellen 
Störungen ist. Das gemeinsame Agens dürfte wohl auf degenerativem 
Gebiet zu suchen sein. E. Tobias. 

E. Stier-Berlin: Wie kann der Eatstehaag toi Kriegsaearosea 
bei der Feldarmee vorgebengt werden? Um eine solche „Affekt- 
fixierung zu verhindern, muss man so schnell als möglich eingreifen 
und duroh kräftige Gegensuggestion einen seelischen Zustand schaffen, 
der nicht Raum lässt für die Fixierung von Wünschen und der Hoffnung, 
dass durch das Fortbestehen solcher „Krankheitsersoheinungen * die 
Heimat und Dienstbrauchbarkeit oder gar die Rente erreicht werden 
könnten. Der Psychiater braucht zum frühen Einsetzen der Behandlung 
die verständnisvolle Mithilfe der nicht-psychiatrischen Kollegen bei der 
Truppe und den vordersten Formationen und ausserdem geeignete 
organische Maassnahmen der militärärztlischen und militärischen höheren 
Vorgesetzten. Schnütgen. 

M. Raether: Ueber die Heilung von funktionellen psychischen 
Stäraagea nach der sog. Kanfmann-Metbode. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 5.) 
R. behandelt ähnlich wie hysterogene körperliche nun auch hysterogene 
psychische Störungen nach der Kaufmann-Methode. Er setzt mit einer 
kräftigen Verbalsuggestion sofort ein, wenn die Ströme den Patienten 
„überrumpelt“ haben und dieser psychisch wieder in der Lage ist, eine 
suggestive Beeinflussung in sich aufzunehmen und für sich heilsam zu 
verarbeiten. Der praktische Wert des Verfahrens beruht in der Ab¬ 
kürzung derBehandlungzeit, Vorbeugung der Wiederkehr der bysterogenen 
Geistesstörung, Entlastung der Irrenanstalten, sozialen Prophylaxe, in 
der Nutzbarmachung vieler Kräfte für die menschliche Gesellschaft; 
dazu kommen die forensischen Vorteile. Voraussetzung der Behandlung 
ist peinlich genaue Indikationsstellung, Klärung derDifferentialdiagnose und 
nicht zuletzt das Postulat, dass die Behandlung nur in psychiatrischen 
Kliniken oder Anstalten von erfahrenen Psychiatern ausgeübt wird. 

A. Si mo n 8: Zur Infektiosität der multiplen Sklerose. (Neurol. Zbl., 
1918, Nr. 4.) S. hat bereits vor dem Kriege Versuche vorgenommen, 
wie sie Steiner und Kuhn mitgeteilt haben, in der Frage der Infek¬ 
tiosität der multiplen Sklerose. Die Versuche von Simons zeigen, dass 
Liquor eines an eifern frischen Schub von multipler Sklerose Erkrankten, 
Kaninchen subkutan und intradural eingespritzt, nach einer Inkubation 
zu Lähmungen und bei einem Tiere weiter zum Tode führte. Der 
makroskopisoh und bakteriologische Befund des Blutes, Liquor, der 
inneren Organe und des Nervensystems war bei der Sektion der Tiere 
normal. Der Liquor wirkte noch 10 Tage nach seiner Entnahme vom 
Menschen; die Krankheit verlief anscheinend ebenso wie nach den von 
Bullock, Kuhn und Steiner vorgenommenen Impfungen. 

J. Koelichen und B. Szerszyii ski: Ueber einen Fall von Läsioa 
des Halsrückeamarks mit eigenartiger SensibilitätsdisseiiatfoB. 
(Neurol. Zbl., 1918, Nr. 4.) Der Fall ist dadurch bemerkenswert, dass 
nach einer Stichwunde des Halses, die das Rückenmark lädierte, nicht 
wie üblich eine Lähmung vom Brown-Söquard’sohen Typus, sondern 
ein davon völlig abweichendes klinisches Bild sioh zeigte. Das Wärme- 
und Schmerzgefühl blieb erhalten, die Berührungsempfindlicbkeit und 
tiefe Sensibilität wurden aufgehoben, eine ungewöhnliche Form von 
Sensibilitätsdissoziation. E. Tobias. 

Cahn-Strassburg i. E.: Seltenere Folgen und Begleiterscheinungen 
pestdiphtheritiseher Lähmaagen. (D.m.W., 1918, Nr. 4.) Bei dem 
ersten mitgeteilten Falle war bei einem erwachsenen Menschen eine 
Atrophie der ganzen Extremitäten, die auoh in ihrem Wachstum zurück¬ 
geblieben waren. Der Prozess hatte sich im Anschluss an eine in der 
Jagend überstandene Diphtherie entwickelt. Als Ursaohe muss die 
Polyneuritis angesehen werden. Beim zweiten Falle war ein starkes 
Oedem des Armes, das gleichzeitig mit der Lähmung infolge von 
Diphtherie sich entwickelt hatte, auffallend. Es bestand Entartungs¬ 
reaktion. Dünner. 


Kinderheilkunde. 

M. J. C ombyf Die Dosieraag des Diphtherieserams. (La presse 
möd., 1918, Nr. 5, S. 46.) Von dem Roux’schen Serum injiziere man 
20—50—100 com und wiederhole die Dosis, wenn die klinischen Er¬ 
scheinungen es nötig machen. Anaphylaxieerscheinungen können auf- 
treten (in ungefähr 15 pCt.), aber sie sind leicht und vorübergehend. 
Die Einspritzung soll vor dem Ergebnis der bakteriologischen Unter¬ 
suchung gemacht werden; der leiseste Verdaoht genügt. 

Krakauer-Breslau. 


Chirurgie. 

E. Gelinsky: Der Einfluss der Sekretioasableitaag, der Hyper¬ 
ämie aad der Rahehediagaagea aaf die Wandiafektioa. (Bruns’ Beitr. 
z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 4, 48. kriegsohirurgisches Heft.) Die 
beste Unterstützung des Sekretionsvorganges, den wir als natürlisbste 
Abwehrmaassregel des Körpers gegen die Infektion ansehen müssen, ge¬ 
schieht durch den angefeuohteten Verband und duroh die Tropfberieselung 
der Wanden mit sterilen reizlosen Flüssigkeiten. Von der einfachen 
offenen Wundbehandlung unterscheidet sioh die feuchte Methode duroh 


die gute Einwirkung der letzteren auf die Granulationsbildung. Verf. 
weist ferner auf die Bedeutung der physiologischen Blutversorgung, auf 
das Zustandekommen der Infektion hin, sowie auf den verderblichen 
Einfluss, den mangelnde Rwhigstellung des verletzten Gliedes auf das 
Zustandekommen der Infektion ausüben kann. Bei den Entzündungs¬ 
erregern, duroh deren Tätigkeit es nie zur Hyperämie- und Oedembildung 
kommt, erzielt man Heilung duroh künstliche Vermehrung der vorhandenen 
Hyperämie und Ruhe. Bei manifester Eiterbildung muss nach Oeffnung 
des Herdes durch den angefeuchteten Verband und Tropfberieselung für 
Sekretableitung gesorgt, werden. Künstliche Hyperämie naoh Oeffnung 
der Abszesse unterstützt das Niederkämpfen der Infektion. Beim malignen 
Oedem und der Gasphlegmone muss die fehlende Hyperämie künstlich 
hervorgerufen werden, nachdem die ergriffenen Partien breit freigelegt 
und die Zertrümmerungsherde gründlich entfernt sind. W. V. Simon. 

G. Schöne-Greifswald: Ueber den Zeitpaakt des Aasbraches der 
Waadiafektion nach SebussverletEaagea und rechtzeitige vorbeugende 
Wundbehandlung. (D. Zschr. f. Chir., Bd. 134, H. 1 u. 2.) Es ist eine 
der wichtigsten Aufgaben der Kriegschirurgie, den Ausbruch der Wund¬ 
infektion durch rechtzeitige, energische Maassnahmen zu verhüten. Aus 
der grossen Zahl der bei der operativen Autopsia in vivo erhobenen 
Befunde gewinnt S. den zuverlässigen Eindruck, dass zu jeder Stunde 
des ersten Tages nach der Verletzung — ja auch noch wesentlich später — 
der Zeitpunkt der vollendeten Infektion der Wundinfektion im klinischen 
Sinne gekommen sein kann, und dass die Zahl der Fälle nicht gering 
ist, für welche die Stunden der zweiten Hälfte des Tages gelten. 
Praktisch wichtig ist es, festzustellen, dass die grosse Mehrzahl der 
primären Infektionen innerhalb des ersten und zweiten Tages in Fluss 
kommt, wenn auch das klinische Urteil oft nachschleppt. Die Gefahr, 
die einer Infektion zuerkannt werden muss, ist nicht nur von dem Grade 
ihrer Entwicklung abhängig, sondern vor allem auch von ihrer Lokalisation. 
Es ist ohne weiteres klar, dass die Länge der Inkubationszeit einmal 
von der Qualität und Quantität des infizierenden Materials, dann aber 
auoh von der Beschaffenheit der Wunde und vom Allgemeinzustand des 
Verwundeten abhängen muss, endlich davon, ob der Wunde Ruhe ge¬ 
gönnt wird oder nicht. In den ersten Stunden naoh einer Verletzung 
der Weiohteile, der Knochen oder Gelenke ist wenig Verlass auf Temperatur 
und Puls, wenn es sich darum handelt, ein Urteil über die Frage der 
Infektion abxugeben. Die lokale Veränderung ist stets der Allgemein¬ 
reaktion weit voraus. Glücklicherweise lässt sioh auf Grund des objektiven 
Befundes und unserer allgemein-chirurgischen und Kriegserfahrung die 
Diagnose der drohenden Infektion in vielen Fällen stellen. Bei der ge¬ 
samten operativen prophylaktischen Wundbehandlung mache man es sich 
zum Grundsatz, wenn irgend möglich reinen Tisch zu machen und Wund¬ 
verhältnisse zu schaffen, welche einen vollständig glatten Wundverlauf 
mit Bestimmtheit in Aussicht stellen. Im grossen und ganzen gilt die 
Regel, dass der erste Eingriff die Infektionsgefahr derart erschöpfen soll, 
dass es nicht noch einmal des Messers bedarf, um die Wunde in das 
ruhige Stadium der vollendeten Granulationsbildung hinüberzuleiten. 
Die Granatwunden sind ein Hauptobjekt der vorbeugenden operativen 
Wundbehandlung, denn für sie vor allem gilt die Diagnose: drohende 
Infektion. Der Arzt wird es sioh unter allen Umständen zum Grundsatz 
machen müssen, den etwa angezeigten operativen Eingriff niemals un¬ 
nötig, auoh nur um Stunden zu verschieben. Es unterliegt keinem 
Zweifel, dass das Heil einer grossen Zahl unserer Verwundeten in der 
rechtzeitig mit der nötigen Kritik und Zurückhaltung, aber auoh mit 
Energie durohgeführten vorbeugenden operativen Wundbehandlung liegt. 
Entscheidend ist und wird es für das Schicksal unserer Verwundeten 
bleiben, dass wir während der ersten Tage, in klarer Erkenntnis der 
Geschwindigkeit, mit der die Infektion sich entwickelt, die Zeit, welche 
seit der Verwundung verstrichen ist, nicht nur im Falle der Bauch¬ 
schüsse, sondern auoh bei der grossen Masse der übrigen Verletzungen 
nach Stunden anstatt nach Tagen rechnen, dass wir jede Zeit Versäumnis 
in der ersteu Versorgung der Wunden peinlich vermeiden, und dass wir 
uns bemühen, sie, wenn irgend möglich, zu einer definitiven und ab¬ 
solut zuverlässigen zu gestalten. Zu immer besseren Erfolgen wird der 
Arzt fortsohreiten, welcher sich in jedem einzelnen Falle von doch ein¬ 
getretener Wundinfektion rücksichtslos die Frage vorlegt, ob der Aus¬ 
bruch dieser Infektion wirklich als unvermeidbar anzusehen war. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

A. Laqueur: Ueber die Verweadaag der Dampfdaseke' aar 
Waadbehaadlaag. (Zschr. f. physik. diät. Thor., Januar 1918.) L. wandte 
die Dampfdusche in der Wundbehandlung in drei Kategorien von Fällen 
an :* bei frischen Verletzungen der Weichteile mit und ohne Beteiligung 
des Knochens, welche aber schlechte Heilungstendenz zeigen; bei älteren 
Weiohteilverletzungen mit schlechter Heilungstendenz, vorwiegend auf 
Narben befindlichen Substanzverlusten; bei ebensolchen Knochenver¬ 
letzungen mit Sekretion und schlechter Heilungstendenz. Ferner kommen 
noch dazu Ulzerationen, die spontan auf krankhaft verändertem, schlecht 
ernährtem Gewebe entstanden sind. Der Dampf wird bei einer Temperatur 
von 88°—45° C täglich 10—15 Minuten auf die offene Wunde appliziert. 
Zahlreiche Beispiele illustrieren die Wirksamkeit des Verfahrens, besonders 
auch bei tiefer reichenden älteren Wunden. E. Tobias. 

Fründ-Bonu: Primäre Waadaaht bei Sebassverletsaagea. 
(D.m.W., 1918, Nr. 7.) Unter den primär genähten Wunden von F. 
fanden sich 15 Knochenverletzungen mit 8 Versagern und 9 grosse Ge¬ 
lenke mit 1 Versager. Die Sohussfrakturen betrafen Ulna bzw. Radius 
viermal, Fibula bzw. Tibia viermal, Humerus sechsmal, Rippen mit 


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314 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


Pneumothorax dreimal, Femur Tiermal. Von 184 genähten Wunden 
mussten wegen nachträglicher Eiterung 14 wieder geöffnet werden. 
Genaue Beschreibung des Vorganges. Er vermeidet Fremdkörper, wie 
Drains oder Tampons einzulegen. Ausser daai Verdacht einer Gasinfektion 
sieht er in der Grösse des Defektes eine absolute Kontraindikation, wenn 
die Vereinigung nur unter einer Spannung erfolgen kann, ferner näht 
er nicht mehr Wunden an den Füssen, namentlich an den Zehen und 
der Sohle. Wenig geeignet sind Oberschenkelfrakturschüsse. Dünner. 

Böhler: Anatomische und klinische Studien über die Notwendigkeit 
und den Wert frühzeitiger aktiver Bewegungen bei Verletzungen der 
Gliedmaaseen. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 6.) Bei einem grossen Material, 
sowie bei den Erfahrungen, die er an aus anderen Lazaretten zu ihm 
verlegten Fällen sammeln konnte, hat B. interessante Studien über die 
anatomischen Veränderungen bei Gelenkversteifungen gemacht. Hierbei 
fand er, dass die Verschiebung der Muskeln und Sehnen an den einzelnen 
Gelenken nach der jeweiligen Stellung des Gelenkes unter Umständen 
ganz erhebliche Werte annebmen kann. So zeigte sich z. B., dass ein 
Punkt des Oberschenkels 10 cm oberhalb des Kniegelenkes auf der 
Streckseite sich gegen den entsprechenden Punkt auf der Beugeseite 
beim Beugen des Gelenkes um 20 cm verschiebt. Wenn man nun, wie 
das leider noch vielfach geschieht, die verletzten Gliedmaassen zu lange 
fixiert, dann ist allein schon aus dem angeführten Beispiel ersichtlich, 
welch grosser Mühe es bedarf, das Gelenk wieder wie früher beweglich 
zu machen, wenn erst narbige Veränderungen der Weichteile ein¬ 
getreten sind. 

Böhler: Ueber einen Abrisshroeh des Wadenbeinköpfchens. 

(Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 7.) In einem Falle von Abriss des Wadenbein¬ 
köpfchens beim Skilaufen wurde erfolgreich die Naht ausgeführt. Eine 
gleichzeitig bestehende Lähmung des Peroneus ging von selbst wieder 
zurück. 

Förster: Ueber Verbandtechnik bei KaoebeabrUehea. (Zbl. 
f. Chir., 1918, Nr. 7.) Es wird eine speziell für die Verletzungen des 
Oberarmes konstruierte modifizierte Cramerschiene empfohlen. 

Hay ward. 

Drüner-Quiersohied: Ueber die bewegliehe künstliche Haid. 
(D.m.W., 1918, Nr. 7.) Das Verfahren von Sauerbruch, das er selbst 
auch anwendet, bedarf noch der Verbesserung, da die Hautschläuche 
leicht schmerzen und wund werden. Die Erfolge sind bisher noch nicht 
zufriedenstellend. Dünner. 

E. Mohr u. P. Seeger-Cöln: Das Mohr-Seeger’sehe Lagebe- 
ntimmnngsverfahren nebst Beschreibung einer neuen Vorrichtung zur 
Normalstrahlführung. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 4, 
43. kriegsohirurgi8chea Heft.) Genaue Beschreibung des Verfahrens. 
Zum kurzen Referat nicht geeignet. W. V. S i m o n. 

Brandenburg-Cassel: Neue Wege in der 8chtefnasenpla8tik. 
(D.m.W., 1918, Nr. 7.) Beschreibung der von B. angewendeten Technik, 
bei der keine operative Entfernung des Nasenseptums vorgenommen wird, 
sondern lediglich durch Zureohtbiegen und Anlegen eines von ihm her¬ 
rührenden Apparates vorgegangen wird. Dünner. 

M. Brandes-Kiel: Sehüsse des Schädeldaches mit isolierter 
indirekter Basisfraktnr. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, 
H. 4, 43. kriegschirurgisches Heft.) Verf. weist auf das Vorkommen 
der obengenannten Frakturform hin und teilt einige Fälle mit. 

Guleke-Strassburg i. E.: Ueber da9 Schicksal bei Schüdelplastiken 
verpflanzter Gewebe. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 4, 
43. kriegschirurgisches Heft.) Die Untersuchung eines verhältnismässig 
grossen Transplantates zehn Monate nach der ausgeführten Sohädelplastik 
bestätigt aufs neue die Geeignetheit der freien Fettlappen als Trans¬ 
plantationsmaterial. Das Fett passt sich dem Defekt in idealster Weise 
an, behält seine ursprüngliche Grösse und verändert sich nicht derart, 
dass eine Schädigung des umgebenden Bindegewebes eintreten kann. 
Allerdings erhalten sich nur die Randpartien dauernd am Leben, wo¬ 
gegen die zentralen Partien absterben. Hier sind zwar die Fettzellen 
zum grossen Teil unverändert, sind aber kernlos. Der Abbau des im¬ 
plantierten Knochens erfolgt sehr viel rascher als der Anbau. Es empfiehlt 
sich das Knochentransplantat aus der Tib'a zu nehmen und so abzupassen, 
dass seine Ränder die Defektränder allseitig berühren und dass seine 
Dicke der des Schädeldaches entspricht, damit das Periost möglichst 
gleiohmässig an seiner Aussen- und Innenseite hinwegziehen kann. Weiter 
muss das Transplantat mit der Periostseite nach innen eingepflanzt 
werden und auf der Vorderfläche mit einem Periostlappen aus der 
Nachbarschaft gedeckt werden. 

W. Leb mann-Göttingen: Zur Frage der neurotischen Knochen- 
atrophie, insbesondere der nach Nervenschüssen. (Bruns* Beitr. z. klin. 
Chir., 1917, Bd. 107, H. 5, 44. kriegschirurgisches Heft.) Das Zustande¬ 
kommen der Atrophie nach Nervenverletzungen erklärt sich nicht durch 
die Inaktivität des Gliedes. Vielmehr hängt die Atrophie mit dem 
inneren Aufbau des Nerven und zwar seinem Gehalt an bestimmten 
zentripetalen wahrscheinlich schmerzleitenden Fasern zusammen, wie 
auoh die ausgeprägtesten Atrophien bei so lohen Fällen zu finden sind, 
die mit Neuralgien einhergehen. Die Annahme spezifisoh trophischer 
Nervenfasern ist zur Erklärung des Zustandekommens der Atrophie nicht 
notwendig. Vielmehr ist diese die Folge der reflektorischen Veränderung 
des Vasotonus, die ihrerseits auf Blutverteilung, Blutkonzentration und 
somit auoh auf die Knochenernährung wirkt. 


I. Künzel: Zur Prognose der Nervenschissverletf nagen. (Bruns 1 
Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 5, 44. kriegschirurgisches Heft.) 
Die Prognose der hohen, dem Rückenmark nahen Verletzungen sind 
günstig, während die peripher gelegenen wesentlich ungünstiger sind. 
Zur Umscheidung wurde transplantierte Faszie benutzt. Nähere Angaben 
über die erzielten Resultate findet man in der der Arbeit beigegebenen 
Tabelle. 

R. Porges u. A. Fuchs: Chinrgiseh-neirologisehe Grenifftlle. 
(Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 5, 44. kriegschirurgisches 
Heft.) 

M. Borchardt u. Wjasmenski: Der Nervns medianas. (Bruns 1 
Beitr. z. klin. Chir., 1917, Bd. 107, H. 5, 44. kriegschirurgisches Heft.) 
Die Verff. haben in äusserst einhergehender und verdienstvoller Arbeit 
die Anatomie des Nervus medianus klar gelegt. Von den Ergebnissen 
ihrer Untersuchungen sei als praktisch am wichtigsten nur erwähnt, 
dass ihre Befunde in der Frage der sogenannten typischen Lagerung 
und der Topographie der Bahnen zum Teil wesentlich von den Stoffel- 
sehen Untersuchungen abweichen. Die motorischen Bahnen liegen erst 
kurz vor ihrem Abzweigen vom Stamme, also im unteren Teil des distalen 
Oberarmdrittels mehr oder weniger konstant, während sie sonst eine 
grosse Variabilität in ihrer Lagerung aufweisen. Fallen bei Operationen 
grössere Stücke vom Nervenstamm fort, so ist es unmöglich, die Quer¬ 
schnitte so zu vereinigen, dass die korrespondierenden Bahnen genau 
aneinanderliegen. Man muss sich mit der möglichst exakten Vereinigung 
einander entsprechender Stellen des Nervenstammes begnügen. 

W. V. Simon. 

Erk es: Zur Chirnrgie der Bauchschüsse. (Zbl. f. Chir., 1918, 
Nr. 6.) Nach den schlechten Erfahrungen, die namentlich bei den durch 
Granatsplitter hervorgerufenen Darmverletzungen, welche mit Resektion 
und sofortiger Darmnaht behandelt wurden, gemacht worden sind, 
empfiehlt Verf. die von Ru pp angegebene Methode, die Darmenden nicht 
zu vereinigen, sondern in die Bauchdecken einzunähen. Hierdurch wird 
einmal die Stauung des Darminhaltes und die hierdurch bedingte 
Sterknrhämie verhindert, dann die Dauer des Eingriffs verkürzt und end¬ 
lich durch die Ausschaltung der peritonitisoh erkrankten Schlinge eine 
Infektionsquelle beseitigt. Das angegebene Verfahren hat in einem Falle 
ausgezeichnet gewirkt. 

Erk es: Ueber Darehwandernngsperitonitiden bei akitei Er- 
kraiknagen der Darmschleimhait. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 7.) Es 
gibt Fälle von Peritonitis, in welchen bei der Laparotomie eine Infektions¬ 
quelle nicht gefunden wird. Nach der Ansicht verschiedener Autoren 
sind diese Erkrankungen sls Durchwanderungsperitonitiden aufzufassen 
und kommen demgemäss in der Hauptsache im Anschluss an infektiöse 
Darmerkrankungen vor. Die Sterblichkeit dieser Fälle ist trotz Operationen 
eine unverbältnismässig hohe, was seine Ursache darin hat, dass es 
hierbei nicht gelingt, die Infektionsquelle zu beseitigen. Hay ward. 

F. Danziger-Berlin: Harnröhren Verletzungen infolge Verachtung 
ohne Beckenbruch. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Cbir., 1917, Bd. 107, H. 4, 
43. kriegschirurgisches Heft.) Mitteilung zweier Fälle. Zurzeit der 
Verletzung hatten sioh beide Patienten in Seitenlage befunden. Ausser 
der Verletzung der Harnröhre bestanden keinerlei Nebenverletzungen. 
Verf. ist der Ansicht, dass es wahrscheinlich jetzt öfter Verletzungen 
ähnlicher Art gibt, die aber zum Teil wegen der schnell schwindenden 
Symptome nioht diagnostiziert würden. Meist sind diese Verletzungen 
leichterer Art und bestehen in Zerreissung der Mukosa. 

, W. V. Simon. 


Röntgenologie. 

Zoll sch an-Karlsbad: Zum rontgenologisehen Nichweis des Uleis 
peptienm jejnni. (D.m.W., 1918, Nr. 7.) Bei einer Reihe von Patienten, 
bei denen die Gastroenterostomie gemacht worden war, und bei denen 
sich im Laufe der Jahre wieder Ulkusbeschwerden einstellten, hat Z. 
Röntgenaufnahmen gemacht und den Beweis erbringen können, dass 
sioh neue peptisebe Geschwüre gebildet hatten. 

Goldberg-Wildungen: Zur Radiographie der Steine der Bari¬ 
blase. (D.m.W., 1918, Nr. 7.) Bei einer Reihe von Fällen erhält man 
ein deutliches Bild von Blasensteinen bei der einfachen Sondierung. 
Die Radiographie ist besonders angezeigt in Fällen, bei denen die Harn¬ 
röhre schwer für Kystoskopie durchgängig ist. 

Rosen thal - München: Ueber Präzision Rüntgendnrehleiehtugei. 
(D.m.W., 1918, Nr. 7.) Die Durchleuchtungsröhre ist von R. in letzter 
Zeit derartig verbessert worden, dass man jetzt damit Präzisionsdurch- 
leuchtungen vornehmen kann. Sie besitzt eire Antikathode aus reinem 
Iridium, ist mit Wasserkühlung versehen. Dünner. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Lohmayer-Budapest: Streptokokkenbazilleainfektion (Ducrey) 
am Finger. (D.m.W., 1918, Nr. 8.) Ein Panaritium erregte den Ver¬ 
dacht von weiohem Schanker. Mikroskopisoh wurden Streptobazillen 
gefunden. In diesem Falle darf nicht operativ vorgegangen werden, 
da man dadurch nur die Geschwürsfläche vergrössert. 

Notthafft-München: Zum „Wasserfehler“ bei Eingiessungen von 
Aitsalvarsan nebst Bemerkungen über Salvarsantkerapie. (D.m.W., 


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1. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


815 


1918, Nr. 8.) Die unangenehmen Nebenerscheinungen bei Salvars&n sind 
nicht auf den „Wasserfehler“ zu beziehen, sondern auf andere Ursachen. 
N. hat genügend sterilisiertes Wasser ohne Zwischenfälle bei einer grossen 
Reihe von Patienten benutzt. Dünner. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Fürbringer-Berlin: Zur Frage der Sexualperiodiiität beim 
weiblichen Geschlecht. (Msohr. f. Geburtsh., Bd. 47, H. 1, Festsehr, 
f. Paul Rüge.) Iu dieser durch persönliche Erfragung bei den Pa¬ 
tientinnen nur mit Vorsicht zu lösende Frage, kann der Verf. der An¬ 
schauung Kossmann’s, Havelocks, Ellis’ u. a. von einer bestehenden 
Periodizität des Geschlechtstriebes beim Weibe nicht beistimmen. Im 
besonderen muss er jede Erhöhung des Geschlechtstriebes während der 
Periode ablehnen; auch Empfiadung beim Verkehr während der Periode 
bei sonst frigiden Frauen ist ihm nie bekannt geworden. Gesuchte oder 
beobachtete Zusammenhänge mit der Brunst der Tiere oder mit ge¬ 
wissen Jahreszeiten lassen sich auch nicht mit Sicherheit auf eine Stei¬ 
gerung der Sexualität zurückführen, sondern sind leichter durch ein¬ 
fachere Begründung zu erklären. 

A. Martin-Berlin: Der sogenannte Wigand-A.Martin-v. Winckel- 
sche Handgriff. (Msohr. f. Geburtsh., Bd. 47, H. 1, Festsohr. f. Paul 
Rüge.) Nochmaliges Hervorheben der prinzipiellen Unterschiede des 
von dem Verf. angegebenen Handgriffes gegenüber dem Verfahren 
V. Win ekel’s. Dem Verf. kommt es darauf an, durch die Einführung 
des Fingers io den Mund dem Köpfchen die denkbar beste Einstellung 
zum Passieren der Beokenenge zu geben, d. h. den bitemporalen Durch¬ 
messer in die Konjugata zu legen. Den nach v. Win ekel anzu wen¬ 
denden Zug durch den in den Mund eingeführten Finger lehnt er als 
gefährlich ab. Die Angaben des Verf. sind geeignet, in dem wieder 
auflebenden Streit über die, Frage der Anlegung der Zange am nach¬ 
folgenden Kopf verwendet zu werden. 

G. Rüge II.-Berlin*. Ueber Lebereklampsie. (Mschr. f. Geburtsh., 
Bd. 47, H. 1, Festsohr. f. Paul Rüge.) Sichere klinische Zeichen für 
das Eintreten einer Lebereklampsie haben wir nicht; die Krankheit hat 
eine schlechte Prognose, den Grad der Leberveränderungen können wir 
nicht sicher erkennen. Auoh haben wir noch keine Methode, die uns 
erlaubt, den Zustand der Leberfunktion festzustellen. So lange uns 
also die Untersuohungsmethoden noch im Stich lassen und auch die 
klinische Diagnostik keine Gewähr für sichere Maassnahmen zur Rettung 
der Erkrankten gibt, sind wir noch völlig auf die Prophylaxe ange¬ 
wiesen, die nach den Erfahrungen mit der Kriegsernährung in einer Ver¬ 
ringerung der Fett- und Eiweissnahrung besonders bei dicken, muskel¬ 
kräftigen Frauen zu bestehen hat. 

G. Ruge-Zürich: Haarrichtnngslinien im Bereich des Mamma¬ 
apparates bei menschlichen Embryonen. (Mschr. f. Geburtsh., Bd. 47, 

H. 1, Festschr. f. Paul Rüge.) Die Riohtungslinien der Haare beim 
menschlichen Fötus lassen noch einen Bildungszusammenhang mit den 
Anlagen von Milchdrüsen erkennen. Aus vergleichenden Beobachtungen 
mus9 man annehmen, dass der menschliche Fötus ein Marsupialstadium 
durohmaoht, in dem eine Haarrichtungslinie an der Stelle des Brut¬ 
beutels der Beuteltiere angelegt wird. Wirbel oder Kreuzungen treten 
an den Stellen auf, die den ursprünglichen Mammaanlagen bei niederer 
stehenden Saugetieren in der sogenannten Milchleiste entsprechen. 

C. Rüge I.-Berlin: Fehldiagnosen and anfällige Befände. (Mschr. 
f. Geburtsh., Bd. 47, H. 1, Festschr. f. Paul Rüge.) Interessante An¬ 
gaben über eine Reihe von Fehl- und FalBchdiagnosen, die den schmalen 
Weg zeigen, der oft zwischen physiologisch normalem und pathologisch 
verändertem Befund geht. Nur die Beherrschung der normalen Befunde 
kann nach Möglichkeit Irrtümer ausschHessen. 

H. Lieske-München: Der Operateur and sein Recht im neuen 
Strafgesetibnch. (Msohr. f. Geburtsh., Bd. 47, H. 1, Festsohr. f. Paul 
Rüge.) Auch nach dem neuen Entwurf wird eine Operation noch als Körper¬ 
verletzung angesehen; auch die Frage der Einwilligung des Patienten oder, 
im Falle der Unmündigkeit, des gesetzlichen Vertreters ist durchaus nicht 
in klarer Weise gelöst, so dass der Arzt nach wie vor schwere Gefahren 
läuft, wenn er den landläufigen Begriffen von schneller Nothilfe folgt. 
Er kann in die Lage geraten, für ärztlich richtiges und sogar erfolg¬ 
reiches Handeln schwer bestraft zu werden. Die Abhandlung und die 
dort gemachten Vorschläge sind im einzelnen nachzulesen. F. Jacobi. 


Häls-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Eobrak-Berlin-Sohöneberg: Zur Pathogenese nnd Therapie der 
ahnten otogenen Infektion, zugleich ein Beitrag zur postoperativen 
Vakiinetherapie der akuten otogenen Infektion. (D.m.W., 1918, Nr. 7 
u. 8.) Aufführung einer grossen Reihe von Krankengeschichten, bei denen 
K. häufig Vakzineinjektionen gemacht hat, die anscheinend günstig ge¬ 
wirkt haben. Dünner. 

W. Alexander: Zur Behandlung der hysterischen Taubheit. 
(Zscbr. f. phys. diät. Ther., Febr. 1918.) Die suggestive Heilung der 
hysterischen Taubheit ist schwierig, weil das gesprochene Wort nicht 
wirkt. A. empfiehlt die Behandlung mit der Stimmgabel durch Knochen¬ 
leitung nach genauer Untersuchung und schriftlicher Vorbereitung des 
Patienten. Von 13 Fällen heilten 12. Die Methode ist zur Unterschei¬ 
dung gegenüber Simulation sowie gegenüber organischen Krankheiten zu 
verwerten. _ E. Tobias. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen* 

Geipel: Bestehen einer Gehirugesehwulst bereits 5 Jahre vor dem 
Tode. (Mschr. f. Unfallhlk., 1917, Nr. 10.) 

Lehmann: Ueber einen Fall von Tod durch Blutvergiftung nach 
Unfall (Rentenstreitfall). (Mschr. f. Unfallhlk., 1917, Nr. 9.) 

H. Hirschfeld. 

Schiffs- und Tropenkrankheiten. 

Brack: Papataci m ficken und Papataclerkraakuugen. (Arch. f. 
Schiffs u. Trop. Hyg., 1917, Bd. 11, H. 23 u. 24, S. 381—398.) B. beob¬ 
achtete eine mehr als 150 Fälle umfassende Epidemie von Papataoifieber 
im Juni 1917 in einem Truppenlager an der türkischen Küste und 
schildert nun seine Wahrnehmungen hinsichtlich der Morphologie und 
Biologie der übertragenden Mücken, der höchst lästigen Wir¬ 
kung ihrer Stiche und der Klinik der durch sie vermittelten Krank¬ 
heit. Die Mitteilungen bestätigen im wesentlichen Bekanntes. Die 
charakteristische Injektion der Augenbindehäute sah er nur in 
etwa */s der Fälle. Hauterscheinungen wurden, abgesehen von 
seltenem Herpes labialis, vermisst. In 33 pCt. der Erkrankungen trat 
ein Fieberrückfall auf, gewöhnlioh innerhalb der ersten beiden 
Wochen, doch auoh noch nach 2 Monaten und später. Diese Rückfälle 
wiederholten sich vereinzelt bis zu viermal. Auch sonst fand sich die 
bekannte Langwierigkeit der Rekonvaleszenz bestätigt. Einige 
Beobachtungen scheinen dafür zu sprechen, dass mit einer Immuni¬ 
sierung durch Ueberstehen der Krankheit doch nicht ganz sicher zu 
rechnen ist. Therapeutisch bewährten sich relativ am meisten 
Schwitzbäder (Brustumschlag, heisser Tee und Aspirin), gegen die Ver¬ 
stopfung Kalomel, gegen die Gliederschmerzen heisse Sandsäoke und 
Sonnenbestrahlung. Der prophylaktische Mückenschutz (Gaze¬ 
netze, Ventilation usw.) zeitigte einige Erfolge. Immerhin bemerkens¬ 
wert ist die Beobachtung, dass mehrere Pferde, in deren Stall sich 
viel Papatacimücken fanden, an zweitägigem Fieber mit Sohwäohe- 
ersoheinuDgen erkrankten, und dass die ersten 4 Fälle der Epidemie bei 
Leuten aultraten, die im Pferdestall und in dem benachbarten Hand¬ 
werkerzelt, etwas abseits vom übrigen Lager, beschäftigt waren. (Be¬ 
kanntlich sind der Literatur nach auch sonst schon Haustiere [Rindvieh] 
mit der Krankheitsvermittelung in Beziehung gebracht. Ref.) 

E. Martin: Mischinfektion mit Rückfall- und Fleekfieber. (Arch. 
f. Schiffs u. Trop. Hyg., 1917, Bd. 21, H. 23 u. 24, S. 398—402.) Durch 
die Ueberschrift genügend gekennzeichnete kasuistische Mitteilung. 

Weber. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigt« ärztliche Gesellschaften* 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. März 1918. 

Vorsitzender: Herr L. Landau. 

Schriftführer: Herr Israel. 

Vorsitzender: M. H.! Die in den Aasschuss gewählten Herren 
haben sämtlich schriftlich die Annahme der Wahl erklärt. 

Herr Geheimrat Strassmann bedankt sich für die Glüokwünsohe 
zu seinem achtzigsten Geburtstage. 

Ia der letzten Sitzung der Aufnahmekommission wurden auf¬ 
genommen : 

1. Herr Dr. Rioh. Rost, 2. Herr Dr. Willy Hofmann, 3. Herr 
Dr. Karl Bornstein, 4. Fräulein Dr. Margarete Levy, 5. Herr 
Dr. Kurt Tittel, 6. Herr Dr. med. et phil. Johannes Jost, 7. Herr 
Dr. Heinrich Koch, 8. Herr Professor Dr. Max Stickel, 9. Herr 
Friedrich Wilhelm Guhrauer, 10. Herr Dr. Arthnr Mallwitz, 
11. Herr Sanitätsrat Dr. Strueh, 12. Fräulein Dr. med. Käthe 
Frankentbal, 13. Herr Geh. San.-Rat Dr. Joh. Jacob. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Emmo Schlesinger: 

Ueher die Beobachtung eines schweren Kolospasmus und eines Vor¬ 
studium desselben im Rtintgenbilde während einer euteralei tabisehei 
Krise. (Kurze Mitteilung mit Lichtbildern.) 

(Erscheint unter den Originalien dieser Woohensobrift.) 

2. Hr. Doresdorf: 

Zur Diagnose der latenten Malaria- nnd Salvarsantherapie der Tertiana. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Woohenschrift) 
Aussprache. 

Hr. Plehn: Ich möchte den Herrn Vortragenden zunächst fragen, 
ob er nicht bei den Tertiaoafällen versucht hat, erst die altbewährte 
Gbinintherapie anzuwenden? Soviel ich verstanden habe, hat er von 
vornherein Salvarsan, möglichst schon beim Erstlingsfieber, gegeben. 
Sollten sich die Tertian&fälle aus Polen bsw. aus dem Osten, so wesent¬ 
lich von denen aus anderen Gegenden unterscheiden, dass die definitive 


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816 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Heilung durch einige gleich anfangs zur riohtigen Zeit, gegebene Chinin¬ 
gaben aussichtslos erscheint und man mit Sicherheit da auf Rückfälle 
rechnen muss? - Eine richtig behandelte Tertiana heilt hier in Deutsch¬ 
land, wenigstens meiner Erfahrung nach, fast stets, eventuell bei ge¬ 
eigneter Rezidivprophylaxe, einfach auf Chinin, so dass man nicht nötig 
hat, zum Salvarsan zu greifen. 

Ich habe bei den nicht gerade zahlreichen Tertianafällen, die ich 
jetzt hier in Berlin gesehen habe, auch sehr gute Wirkungen mit Sal¬ 
varsan gehabt, wo das Chinin versagt hat, und wende es da weiter an. 
Aber es wäre mir sehr interessant, zu hören, ob das Chinin in solchen 
Fällen von vornherein nicht wirkte. Ich würde doch empfehlen, es 
anfangs zunächst mit dem immerhin unschuldigeren Chinin zu ver¬ 
suchen. 

Dann möchte ich fragen, woraus geschlossen wird, dass die pro¬ 
vozierten Malariarückfälle einer Therapie besser zugänglich seien als 
die unerwünschterweise von selbst eintretenden? Ich kann mir keine 
Vorstellung davon machen. Dementsprechend stehe ich auf dem Stand¬ 
punkt, dass es unstatthaft ist, Malariarüokfälle zu provozieren. Erstens 
beweist der vergebliche Versuch der Provokation nicht, dass der be¬ 
treffende Patient wirklich malariafrei, dass die latente Infektion er¬ 
loschen ist. Das hat der Herr Vortragende ja selbst anerkannt. Ist 
aber die Provokation erfolgreich, so würde ioh sie als sehr unerwünscht 
für den Patienten betrachten. Uebrigens würde ich ein Rezidiv nur dann 
auf die provokatorische Maassnahme zurückzuführen wagen, wenn es 
innerhalb derselben Zeit eintritt, in welcher natürliche Rückfälle einer 
Schädigung folgen, also innerhalb von längstens 3 Tagen. Nach den 
bisherigen praktischen Erfahrungen darf man annehmen, dass die In¬ 
fektion erloschen sein wird, wenn der Infizierte unter Cbininrezidiv- 
prophylaxe volle sechs Monate fieberfrei geblieben ist. Das ist eben 
Erfahrungssache; beweisen können wir es nicht. Alle die ver¬ 
schiedenen Kennzeichen, die wir haben, beweisen das Vorhandensein 
latenter Malaria, wenn sie positiv • ausfallen; sie beweisen aber nicht 
das Erloschensein der Malaria, wenn sie negativ ausfallen. Das mag 
* vielleicht bei Tertiana, wie wir jetzt hören, bezüglich der Mononukleose 
anders sein, aber für die noch hartnäckigeren Tropicafälle gilt jedenfalls, 
dass Leute viele Mnnate lang vollkommen normal in jeder Beziehung 
sein und dann dooh ihren Rückfall haben können. 

Dass alle Mittel einen Rückfall provozieren können, sofern sie den 
Organismus kräftig genug erschüttern, ist anerkannt. Der eine gibt 
Milch, der andere Serum, der dritte bestrahlt mit Röntgen, der vierte 
mit Höhensonne, der fünfte duscht die Milz. Es ist ganz gleich. Wir 
kennen ja die Rückfälle nach Eisenbahnfahrten. Ich stehe aber auf 
dem Standpunkt, dass man Rückfälle tunlichst vermeiden soll, um 
nicht eine vielleicht dem Erlöschen sich nähernde latente Infektion 
wieder *frisch aufflammen zu lassen. Denn der Beweis, dass mit dem 
provozierten Malariarückfall die gesamte Infektion sich rascher und 
leiohter heilen lässt, wird kaum zu erbringen sein. 

Die Feststellung des Herrn Vortragenden, dass das Salvarsan auch 
auf die Tertianagameten anscheinend ebenso wirkt, wie auf die Mero- 
zoiten, kann ich bestätigen. Das ist sehr wesentlich. Es wird nament¬ 
lich gegenwärtig wichtig auoh für diejenigen sein, die es überwiegend 
mit Tropica zu tun haben. Es tritt nämlich jetzt das ein, was ioh im 
Herbst, als wir aus Mazedonien nur Malaria tropica-Fälle naoh Berlin 
bekamen, voraussagte: Jetzt haben wir hier allgemein Tropicaparasiten; 
aber von Februar, März ab, dann werden dieselben Leute, die früher 
, naoh ihrer Anamnese Tropica hatten, Tertiana mitbringen. Das fängt 
jetzt an, einzutreten. Wir haben aber auch eine Reihe von Fällen, die 
bei der Aufnahme und bei den nächsten Rezidiven im Oktober und No¬ 
vember ihre typischen Tropicaparasiten mit den bekannten halbmond¬ 
förmigen Gameten hatten, und die jetzt bei ihren Rüekfällen Tertiana- 
Parasiten zeigen. 

Das gibt einen Fingerzeig für die Therapie; denn während sich die 
Rückfälle mit Tropicaparasiten, für welche das Salvarsan bekanntlich ein 
sehr ungenügendes Heilmittel darstellt, dem Chinin gegenüber vielfach 
rebellisch erweisen, scheinen sie der Salvarsantherapie zugänglich zu 
werden, sobald die grossen Tertianaparasiten aufgetreten sind. Wieweit 
es gelingt, durch Salvarsanbehandlung in Verbindung mit Chinin als 
Rezidivprophylaktikum in den grossen Tertianaparasiten und ihren Gameten, 
die gesamte Infektion zu verniohten, das muss sich erst zeigen. 

Ich möohte noch auf eine Beobachtung hinweisen, die, soweit ich 
die Literatur kenne, noch nicht bekanntgegeben ist, und die, wenigstens 
zurzeit sich rasoher folgender Rückfällen, also kürzere Zeit nach der 
Infektion, eine diagnostische Bedeutung für die latente Malaria besitzt. 
Das ist das starke Herabgehen des Blutdrucks. Der Blutdruck 
ist hier so niedrig, wie man ihn bei reifen Männern sonst überhaupt 
kaum findet Der Maximaldruck beträgt, nach Riva-Rocoi in bekannter 
Weise bestimmt, fast stets unter 100, Minimaldruok stets unter 60. 
In der Regel ist der Maximaldruck unter 90, Minimaldruck unter 50. 
Wir haben aber auch nicht wenige Fälle gehabt, wo der Maximaldruck 
sich in den Siebzigern bewegte und der Minimaldruck gleich Null war. 
Dies dauert so lange, wie die Patienten in längeren oder kürzeren 
Zwischenräumen ihre kleinen Rückfälle oder gelegentlich Parasiten im 
Blute haben. Am niedrigsten ist der Druok in der Regel in den Tagen 
naoh einem solchen Rückfall. Es gehört bei uns jetzt bereits zu den 
Erfordernissen für die Entlassung, dasB der Maximaldruck 120 bis 130 
und der Minimaldruck wenigstens 60 erreicht hat. Die Sache hat viel¬ 
leicht ein gewisses allgemeines Interesse. Es ist doch sehr wahrschein¬ 
lich, dass wir es bei der Entstehung des Malariafiebers mit einem ana¬ 


phylaktischen Vorgang zu tun haben; ein starkes Herabgehen des Blut¬ 
drucks ist aber bekanntlich auch ein Hauptsymptom des „anaphylaktischen 
Choks 0 bzw. der künstlich hervorgerufenen Anaphylaxie. Auch insofern 
ist diese Erscheinung von Interesse, als sie zeigt, wie unberechtigt es 
ist, einen niedrigen Blutdruck als Symptom eines schwachen Herzens 
anzusehen. Ich habe mich ja schon lange dagegen gewandt. Es 
bandelt sich vielmehr um einen veränderten Gefässtonus, eine andere 
Einstellung der tonischen Gefässinnervation, aber nicht um ein schwaches 
Herz. Der Vorgang stellt vielmehr eine nützliche Reaktion des Organis¬ 
mus dar, welche das Herz entlastet. Es ist mir immer aufgefallen, dass 
selbst die schworst Malariakranken sich stets, oder fast stets, einer aus¬ 
gezeichneten Herztätigkeit erfreuten. Ich denke dabei nicht nur an 
unsere hiesigen Fälle, sondern auch an die tropischen. Man findet 
auoh dort fast niemals eine Störung des Herzens. 

Vielleicht ist die starke Blutdruoksenkung auch an der blassen 
Gesichtsfarbe der Malarischen mit schuld, soweit sie nicht durch 
Anämie zu erklären ist. Für die Tropiker ist diese Blässe ja ganz 
charakteristisch, und es ist auch von holländischen Forschern schon 
darauf hingewiesen worden, dass sie nioht immer auf Anämie zurück- 
zuführen ist — denn solche Leute haben manchmal 90 pCt Hämoglobin, 
so viel wie irgendein Gesunder — sondern auf eine „veränderte Blut¬ 
verteilung“. Das Herabgehen des Blutdrucks dürfte mit einer Er¬ 
weiterung der Gefässe des Splanchnicusbereichs verbunden sein, und 
ich denke dabei auch an die Milztumoren, an gewisse Formen von 
Leberschwellung, die im Fieberanfall oft so plötzlich entstehen, dass die 
in den ohronisoben Fällen dafür verantwortlichen Entzündungszustände, 
Pigmentanhäufungen, chronische Reiszustände usw. als Ursache kaum 
in Betraoht kommen können. Man kann das anatomisch in den Tropen 
feststellen in Fällen, wo die Kranken zuweilen im ersten Fieberanfall 
innerhalb dreier Tage akut zugrunde gehen. Diese haben auch Milz¬ 
tumoren, und wenn man die Milz anatomisch untersucht, so findet man 
eine solche Blutüberfüllung der Milz, dass vor roten Blutkörperchen kaum 
noch Milzstruktur zu erkennen ist. 

Hr. Zuelzer: Auoh naoh meinen Erfahrungen hat das Salvarsan 
bei der chronischen oder rezidivierenden Tertiana meist versagt; ebenso 
wenig kommt man mit der Ghininbehandlung bei den hartnäckigen 
Fällen von Tertiana zum Ziel. 

WaB die provokatorischen Injektionen anbelangt, so hat Geh.-Rat 
Plehn sie in Bausch und Bogen verdammt. Ich glaube, er geht darin 
zu weit und ich möchte es eher mit Dank begrüssen, dass der Vortr. 
diese Frage so ausführlich besprochen hat. Bei dem Umfange, den die 
Malaria angenommeu hat, werden bald ausserordentlich viele latente 
Malariafälle in Deutschland herumlaufen, die sicher nicht immer richtig 
erkannt werden; da aber wahrscheinlich überall — für die Maik ist es 
nachgewiesen — Anopheles vorhanden ist, muss man mit der Möglichkeit 
rechnen, dass die latenten Malariaträger eine ernste Infektionsquelle 
bilden können. Den Beweis für eine derartige Möglichkeit gibt die von 
Umber mitgeteilte Tatsache einiger zweifelloser derartiger Heimats¬ 
infektionen. Deshalb erscheint es doch wichtig, dass wir in der provo¬ 
katorischen Iojektion ein Mittel haben und auoh benutzen, um die Latenz 
der Malaria festzustellen und die Soldaten erst naoh wirklicher Heilung 
zu entlassen. Die Scheu vor einer Provokation erscheint um so weniger 
begründet, als nach anderweitiger Erfahrung — und auoh ioh habe diese 
Beobachtung machen können — irgendwelche interkurrente Infektions¬ 
krankheiten wieder bei einer latenten Malaria einen Ausfall auslöson 
können. Bezüglich der Art der Provokation ist in der Tat jeder Reiz 
der Milz geeignet, einen Malariarückfall zu provozieren. Gegen die Milch¬ 
injektion hat Reiter mit Recht geltend gemacht, dass wir damit nicht 
nur Proteinstoffe, sondern Zucker, Fett, alle möglichen Einschlüsse, 
kurz ein nioht gleiohmässiges und nioht ganz gleichgültiges Mixtum 
compositum injizieren. Ioh verwende zur Provokation das aus der Milz 
hergestellte und spezifisch darauf wirkende Hormonal. In derBarden- 
heuer’schen Klinik war schon gezeigt worden, dass die Hormonal¬ 
injektion im Tierversuch eine Anschwellung, eine direkte Erektion der 
Milz zur Folge hat. Bei latenten Malariafällen wird diese Anschwellung 
besonders sinnfällig; während der Injektion kann man eine Vergrösserung 
der Milz um 4—6 cm perkutorisch nachweisen. In 5 von 8 verdächtigen 
Fällen traten nach der intravenösen Injektion Temperaturen von 38 bis 
39° G auf, in 2 Fällen wurden Plasmodien nachgewiesen. Bei Gesunden 
beobachtet man keine derartigen Temperaturanstiege. In 3 Fällen trat 
etwa Vs Stunde anhaltende Quaddelbildung und Injektion der Kon¬ 
junktiven auf, die ich auoh im Plehn'sehen Sinne als Anaphylaxie¬ 
symptom auffassen möohte. 

Hr. Wolff-Eisner: loh wollte mir erlauben, mit kurzen Worten 
auf die hämatologischen Ausführungen einzugehen. Es kann gar keinem 
Zweifel unterliegen — das zeigt fast jedes Malariapräparat —, dass bei 
Malaria eine sehr erhebliche Mononukleose besteht und dass diese für 
die Protozoenkrankheiten (Malaria, Trypanosomiasis usw.) charakteristisch 
zu sein scheint. Jedooh ist diese Mononukleose nicht für diese Er¬ 
krankungen spezifisch, und ich möchte das darum hervorheben, weil 
man sonst leicht zu falschen Schlussfolgerungen kommen kann. So 
findet man die Mononukleose bis zu 30 und 35 pGt. bei schwerer Anämie, 
häufig bei Ghlorosen und ganz besonders häufig bei Karzinomachexie. 
Ich entsinne mich u.a. zweier Fälle, eines, den ioh in der Liohthein'schen 
Klinik monatelang gesehen habe, und eines weiteren aus der Senator'schen 
Klinik, bei dem 30—40 pCt. Mononukleose bestand und die Diagnose 
sehr lange Zeit in dubio war, bis die Sektion dann Magenkarzinom als 
Grundursache ergab. 


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1. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Die interessanten praktischen Mitteilungen des Herrn Vortragenden 
verden natürlich hierdurch in keiner Weise beeinflusst, soweit bei seinen 
Fällen die Mononukleose verschwindet. Man wird in der Lage sein, aus 
dem Verschwinden der Mononukleose einen Schluss zu ziehen, dass die 
Malaria als geheilt anzosehen ist. Aber schwierig ist doch die Situation, 
wenn man umgekehrt aus dem Vorhandensein einer Mononukleose auf 
das Vorhandensein der Malaria sohliessen soll, da bei sehr vielen anderen 
Krankheiten als Malaria — die Mononukleose ebenfalls vorkommt. 


Laryngologisclie Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Juni 1317. 

(Schluss.) 

2. Hr.H. Gitiuani: Ueher die Beieuiing der Kriegsapheiiei. 

Die kurze Benennung einer Krankheit deckt sich mit dem, was wir 
bei der praktischen Ausübung unserer Kunst unter dem Begriffe einer 
vollständigen Diagnose verstehen, durchaus nicht immer. Es ist oft nicht 
leicht, das Krankbeitsbild, das uns vor Augen tritt, in allen seinen 
mannigfaltigen Erscheinungen mit einem kurzem Ausdruck ganz zu um¬ 
fassen. Am schwierigsten wird dies bei allen jenen Leiden, die man von 
altersher mit Beiworten wie „funktionelle“, „psychische“, „psychogene“ 
zu bezeichnen pflegt, wobei man gewöhnlich sagen will, dass man für 
die jeweiligen klinischen Symptome eine anatomisch-mechanische Ursache 
nicht, finden konnte. Sie haben also eine rein negative Bedeutung. 

Hierher gehören auch die Benennungen der jetzt so zahlreichen 
Stimmstörungen die ich kurz unter dem Sammelnamen „Kriegs¬ 
aphonien“ zusammenfassen möchte. 

Es könnte nun scheinen, als ob der Ausdruck „Kriegsaphonien“ 
bereits die Frage der Benennung und damit zugleich der Auffassung 
und Beurteilung der überaus zahlreichen einzelnen Stimmstörungen, die 
wir während des Krieges beobachtet haben, entschieden hätte. Ich will 
aber damit"nur die Gesamtheit der im Kriege entstandenen Stimm- 
Störungen, für welche ein anatomisch-mechanischer Befund nicht erhoben 
werden kann, umfassen. Wollte man diese Kollektivbezeichnung 
als Benennung der einzelnen Störung gebrauchen, so wäre das nicht 
besser, als die bis jetzt leider fast allgemein üblichen Krankheitsbe- 
zeichpungen: „funktionelle“, „psychische“, „psychogene Stimmstörung“. 
Sie sind viel zu allgemein und haben gerade deshalb zu wenig greifbaren 
Inhalt; freilich sind sie bequem. Nicht selten aber führen sie zu völlig 
falscher Auffassung des Einzelfalles und dadurch auch zu falschen 
therapeutischen Maassnahmen. 

Dass die Aerzte in ihrer Allgemeinheit mit Stimmstörungen jetzt 
näher bekannt geworden sind, wird aneh für die Zukunft hoffentlich 
Nutzen bringen; vor dem Kriege war Interesse dafür nur bei wenigen 
vorhanden. Zum grossen Teil kam das wohl daher, dass man weit 
weniger Stimmstörungen dieser Art beobachten konnte und zu beurteilen 
hatte. Die notwendige Folge war, dass viele dieser jetzt so zahlreichen 
Störungen so wenig in ihren verschiedenartigen besonderen Formen be¬ 
kannt waren, dass man sie nicht selten unrichtig benannte und dem¬ 
entsprechend unrichtig bewertete. Dafür einige Beispiele: 

Besonders deutlich zeigt sieh dies z. B. in der immer nooh vor¬ 
kommenden Krankheitsbezeiohnung „Taubstummheit“, wenn sich bei 
einem Soldaten neben der Stummheit nooh Taubheit findet. 

Im Kriege erworbene „Taubstummheit“ gibt es nicht. 
Gewiss tritt manchmal zugleich mit Taubheit auch Stummheit ein. 
Dieser Zustand weicht aber sehr wesentlich von der wirklichen Taub¬ 
stummheit ab. Vor allem befindet sich jeder Taubstumme im Gebrauch 
seiner Stimme ; auf die Aufforderung zum Nachahmen der Stimme, deren 
Vibrationen durch seine aufgelegte Hand leicht tastbar sind, wird er 
stets Stimme von sich geben. Selbst der nicht unterrichtete Taub¬ 
stumme ist zwar sprachlos, aber nicht stimmlos. Das lässt sich sogar 
bai den nooh nicht in der Lautspraohe unterrichteten 4—5 jährigen 
Kindern leicht zeigen. Der taubgewordene Soldat, der zugleich stumm, 
d..h. sprachlos ist, ist dagegen stets auch stimmlos. Schon damit kenn¬ 
zeichnet sich wenigstens seine Stimmlosigkeit als eine thymogene, 
oder bei Vorhandensein allgemeiner hysterischer Anzeichen als hyste¬ 
rische. In gleicher Weise ist seine Sprachlosigkeit einzuschätzen. 

Auch seine Taubheit ist in letzterem Falle gewöhnlich hysterischen 
UrspnmgB, muss «s aber nicht immer sein; denn ioh weieB keinen 
Grund, warum man den ungeheuren, kaum unterbrochenen Lärm der 
heutigen Artillerietätigkeit kaum mehr als „akustisches Trauma“ ansehen 
will, während man früher den weit geringeren Schall in der Kesselschmiede 
so häufig als ein starkes akustisches Trauma ansab, das imstande war, 
organische Schädigungen des Labyrinths hervorzubringen. 

Hysterische Stimmlosigkeit ohne Verlust der Spraohiähigkeit und 
hysterische absolute Stummheit habe ioh auch neben einer durch nach¬ 
weislich schwere organische Schädigungen des Gehörs erworbene Taub¬ 
heit im Kriege entstehen sehen. 

Keinesfalls sollte aber die Krankheitsbezeiohnung „Taubstummheit“ 
bei Kriegsbeschädigten gebraucht werden; es muss statt dessen heissen: 
„Taubheit und Stummheit“. 

Vielleicht empfiehlt sich eine andere Zusammensetzung der beiden 
Hauptwörter zu „Stummtaubheit“. Hier steht „stumm* voran, 
weil betont werden soll, dass eine absolute Stummheit, d. h. Sprach 
Mgksit und Stimmlosigkeit vorhanden ist Das jetzt mehrfach ge¬ 
brauchte Wort „Kriegstaubstummheit“ ist weit weniger zutreffend, da 


die gleiche Störung auch im Frieden vorkommt, und auch sieht bei 
Soldaten allein. An sieh heisst „stumm“, wer überhaupt keinen Laut 
hervorbringen kann; man pflegt aber aueh den Menschen, der nicht 
sprechen kann, „stumm“ zu nennen, selbst wenn er Stimme heraus- 
bringt (Taubstummheit). Die Bedeutung des Wortes „Stummheit“ ist 
in dar gewöhnlichen Verkehrssprache also unsicher; es*kann damit bloss 
„Stimmlosigkeit“ oder „Sprachlosigkeit* oder in der medizinischen Nomen¬ 
klatur beides zusammen „Stimm- und Sprachlosigkeit* gemeint sein 1 ). 

Wenn der Hysterische weder Stimme hervorbringen, noch Spreoh- 
bewegungen machen kann, sprechen wir von „hysterischer Stimm- und 
Sprachlosigkeit“ oder wählen meist das zusammenfassende Wort „hyste¬ 
rische Stummheit“. Während das Eigenschaftswort „hysterisch“ die 
zugrunde liegende Ursache der Störung klar bezeichnet, benennt das 
Hauptwort (Dingwort) das Ding, die Sache, die wahrnehmbaren Ersehei- 
nnngen, d. h. das klinische Symptom, hier also die Stimm- und Spraofc- 
losigkeit. Hier ist Klarheit nnd Kürze des Ausdruckes das Kennzeichen 
einer guten, vollständigen Krankheitsbenennung. Diesem Beispiele ent¬ 
sprechend sollte grundsätzlich stet9 verfahren werden. 

Wo wir keine anatomisch-mechanische Unterlagen, für krankhafte 
Erscheinungen auffinden können, sind wir zunächst immer darauf an¬ 
gewiesen, die mit Sicherheit feststellbaren klinischen Symptome der 
Krankheit anzugeben; über die ergänzende Bezeichnung der festgestellten 
oder angenommenen Ursache ihrer Entstehung kann man allerdings öfter 
im Zweifel sein. 

Aus diesem verschiedenen Grade der Sicherheit des Urteils folgt: 

In der Bezeichnung der klinischen Symptome durch ein Hauptwort 
sollte ein Widerspruch oder eine Unklarheit nioht Vorkommen; und das 
kann, wenn man hinreichend genau untersucht, auch wohl vermieden 
werden. 

Ueber die Wahl des die Aetiologie kennzeichnenden Aus¬ 
drucks, was gewöhnlioh mittelst eines Eigenschaftswortes geschieht, 
können dagegen die Meinungen manchmal weit auseinander gehen. 

Die ätiologische Bezeichnung kann man entweder aus der Vor¬ 
geschichte der Krankheit entnehmen, aber auch durch Nennung einer 
allgemeinen Krankheit, als deren hervorstechendes Symptom die Stimm- 
Storung angesehen wird, ausdrücken. J 

Woher man das betreffende Beiwort aber anoh nehmen mag, es 
sollte stets klar die Ansioht des untersuchenden Arztes wiedergeben." 

„Hysterische Stimmlähmung“ ist im Beiwort und Hauptwort eine 
begrifflich klare und hinreichend kurze Benennung. Prüfen wir aber 
andere, eingangs schon angeführte und oft gebrauchte Benennungen 
daraufhin, ob sie den obigen Grundsätzen einigermaassen entsprechen, 
bo finden wir recht oft sehr unbefriedigende Ergebnisse. 

Da heisst es am Kopfe des Krankenblattes: „psychische“ oder 
„psychogene Stimmstörung“. Kurz ist das freilich, aber ist das auch klar? 

Mit dem Beiwort „psychogen* oder „psychisch“ kann ich jedenfalls 
eine einfache, bestimmte und klare Vorstellung der ätiologischen Be¬ 
zeichnung nicht verbinden. Der Begriff „psychisch“ ist so unendlich 
weit und schwer zu umgrenzen, dass selbst die grössten Philosophen 
sich über seine Definition bisher nicht völlig einig wurden. Die Krank- 
heitsbenennung „psychische Stimmstörung“ sagt ätiologisch sogar nooh 
weniger, als die entsprechende Bezeichnung einer organisoh verur¬ 
sachten Stimmstörung besagen würde— „körperliche“ oder „physische“ 
bsw. „pbysiogene Stimmstörung“. Dabei kann ioh mir ebenfalls keine 
einfache, bestimmte Vorstellung machen, obgleich der Kreis der mit dem 
Beiwort verbundenen möglichen Eiuzelvorstellungen immer noch enger 
ist, als bei „psychogen“ und „psyohisoh“. Ebensowenig aber wie 
jemals „physiogene“ Stimmstörung als Diagnose geschrieben worden ist, 
sollten wir die Bezeichnung „psyohogene“ Stimmstörung gebrauchen. 

Wenn wir versuchen die „Psyche“ zu analysieren, so finden wir 
eine Anzahl von Eigenschaften, die voneinander ganz verschieden sind, 
unter anderem: das Gemüt, das Denken," den Willen. Eine Willens- 
störung ist daher zwar eine „psychische Störung“, aber eine ganz be¬ 
sondere Art von psychischer Störung, sie ist ihrem Wesen nach ganz 
anders als eine Störung der Vorstellungen, anders als eine Gemüts¬ 
störung, anders als eine Störung des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit, 
des Denkens usw. 

Glauben wir, es mit einer Stimmstörung zu tun zu haben, die ätiologisch 
in dieses weit umgrenzte Gebiet gehört, so müssen wir ihre besondere 
Art mindestens so weit angeben, wie sie aos Vorgeschichte und Befund 
entnommen werden kann. Daher habe ioh schon vor Jahren den Aus¬ 
druck „thymogen“ für diejenigen Krankheitserscheinungen vorgeschlageo, 
welche auf Störungen des Gemüts beruhen, und welche der Mediziner 
von jeher ganz besooders als „psychische“ zu bezeichnen pflegt. Mein 
Vorschlag hat nioht nur seinerzeit bei den Psychologen 1 ), sondern inzwischen 
auch bei den Klinikern Anklaog gefunden. So unterscheidet neuerdings 
auch Gau pp mit Recht dis „thymogenen“ Stimmstörungen von den 
„ideagenen“, d. h. von solchen, die aus Störungen der Vorstellungen ihren 
Ursprung nehmen. 

Wie bei der Krankheitsbenennung das Beiwort „psyohisoh“ oder 
„psychogen“ zu allgemein und nichtssagend ist und duroh sin Wort mit 


1) Genau genommen müsste der Taubstumme, da er Stimme hat, 
„Taubspraohlos“ genannt werden. Taub stpht voran, weil das der 
Grund der Sprachlosigkeit ist. 

ß *z2) Siebe [mein Referat auf dem Kongress f. ezper. Psychologie, 
Göttingen 1914. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


enger begrenztem Begriffe ersetzt werden muss, so ist auch das Haupt¬ 
wort „Stimmstörung“ aus demselben Grunde abzuändern. 

Ein meiner Meinung nach ebensowenig enthaltendes Beiwort ist das 
sehr beliebte „funktionell“. Man will damit sagen, dass man für die 
Funktionsstörung keine organisch-mechanische Ursache finden kann, 
„funktionell“ hat- also nur negative Bedeutung. Als ätiologisches Bei* 
wort ist es daher völlig unbrauchbar, denn es gibt uns überhaupt keine 
Aetiologie an. Deshalb sollte auch dieses Woxt vermieden werden. 

Fasse ich nun meine Vorschläge für eine exakte Benennung der 
einzelnen Stimmstörungen kurz zusammen, so würden die ätiologischen 
Bezeichnungen duroh die voran stehenden Eigenschaftswörter: 
„thymogen“, „ideagen“, „habituell“, „hysterisch“ dem Gesagten ent¬ 
sprechen, da sie einen eindeutigen, klaren Sinn haben; vorausgesetzt 
natürlich, dass sie auch an richtiger Stelle angewendet werden. Wer 
allerdings auf dem Standpunkte steht, dass „psychisch“ oder „psychogen“ 
dasselbe bedeutet wie „hysterisch“, mit dem lässt sich weiter nicht 
verhandeln. 

Will man die fremdsprachlichen Eigenschaftswörter nach Möglichkeit 
vermeiden, so kann man statt „thymogen“, „ideagen“, „habituell“ hinter 
der Hauptbezeichnung die Worte setzen: „durch Schreck“, durch Störung 
der Vorstellung, bzw. „des Willens“, „durch Gewohnheit“ (vorangestellt: 
gewohnheitsmässig“). Auch Ausdrücke wie „Schrecklähmung der Stimme“, 
oder „Stimmlähmung durch Schreck“ sind kurze und klare Krankheits¬ 
bezeichnungen. 

Was nun die Wahl der Hauptwörter für die festgestellten 
klinisohen Symptome anbetrifft, so gilt hier derselbe Grundsatz: 
das Wort soll einen klaren, festumsohriebenen Krankheitszustand kurz 
bezeichnen. So kennzeichnen Stimmlähmung und Stimmkrampf 
(Aphonia paretioa und Aphonia spastica) das klinisohe Haupt¬ 
symptom. Das Hauptwort sollte sich aber möglichst nicht auf „ A p h on ie“, 
„Stimmlosigkeit“ oder sogar nur „Stimmstörung“ beschränken. Manche 
nehmen an dem Ausdruck „Stimmlähmung“ Anstoss; wie mir scheint, 
nicht mit Recht. Denn wir bezeichnen doch auch andere Ausfall¬ 
erscheinungen als „Lähmungen“, die ihnen ätiologisch wie klinisch gleich¬ 
wertig sind, z. B. hysterische Lähmungen des Armes, des Beines usw. 
„Lähmung“ heisst zunächt nichts weiter als das Bestehen einer Ausfall¬ 
erscheinung in den Stimmlippenbewegungen; ihnen gegenüber werden 
Reizersoheinungen als „Krampf“ oder „Spasmus“ bezeichnet. Da 
das Bild besonders bei der hysterischen Form der Störungen leicht 
wechselt, so würde man sich mit dem immerhin noch etwas za allgemeinen 
Ausdruck „Stimmlähmung“ oder „Stimmkrampf“ zunächst begnügen 
können; es sollte aber wenigstens die Unterscheidung zwischen „hysterischer 
Stimmlähmung“ und „hysterischem Stimmkrampf“ bei der Benennung 
der einzelnen Krankheiten durchgeführt werden. Allerdings kann es 
auch hier noch Vorkommen, dass im Laufe der Behandlung an die Stelle 
einer ursprünglichen Stimmlähmung der Stimmkrampf tritt, was dann 
Aenderung der Krankheitsbezeichnung auf dem Kopfe des Krankenblattes 
erfordern würde. 

Besser ist es jedenfalls, stets die besondere Art der Ausfalls- oder 
der Reizersoheinung anzugeben. 

Mit Recht haben wir zwar von jeher bei den Stimmneurosen Hyper-, 
Hypo- und Parakinesien unterschieden. Diese Bezeichnungen waren 
jedoch Kollektivbezeichnungen, umfassten demnach verschiedene 
einzelne Arten solcher Dyskinesien. So kann der Krampf ein tonischer 
oder ein klonischer sein, der Ausfall sich auf eine besondere Bewegung 
bei Stimmschluss oder Stimmöffnung beschränken. So können die ver¬ 
schiedenartigsten und manchmal sehr seltsamen Absonderlichkeiten, 
„Perversitäten“, bei dem Versuche Stimme zu machen, entstehen: 
inspiratorische Stimme und Sprache, Fistelstimme, Tasohen- 
bandstimme, Presstimme, sogar Bauchrednerstimme usw. 
Alles das sind gute, klare und kurze Benennungen, sie sollten weit mehr 
als wie bisher an den Kopf der Krankenblätter zu steben kommen. 
Statt der üblichen „Flüsterstimme“ würde ieb, weil'dabei überhaupt 
kein Stimmton, sondern Flüstern oder gar nur Hauchen entsteht, 
„Flüstersprache“ statt „Hauchstimme“ (= Apsithyrie), entsprechend 
„Hauchsprache“ empfehlen. 

Auch für dieErmüdungsersoheinungen der Stimme (begleitende 
Phonasthenie), wie sie unter den Kriegsaphonien nioht selten sind, 
dürfte man wohl eine besondere Bezeichnung verlangen. Die phon¬ 
asthenischen Störungen der soldatischen Berufsstimme, die wir im Frieden 
öfters sehen, stellen sich jedoch anscheinend im Kriege nioht ein; ioh 
habe bei einem reichlichen Beobachtungsmaterial keinen einzigen daran 
leidenden aktiven Offizier oder. Unteroffizier zur Behandlung bekommen, 
aber einige Reserveoffiziere, deren bürgerlicher Beruf die Stimmanwendung 
besonders fordert, so Schauspieler, Prediger usw. 

Mit dem, was ich'ausgeführt habe, werde ich den meisten von Ihnen 
als Laryngologen kaum etwas Neues gesagt haben. Trotzdem glaube 
ich, die Frage der Krankheitsbenennung dieser Gruppe von Stimmstörungen 
gerade hier j und gerade jetzt Vorbringen zu sollen, weil durch die an 
einigen Stellen vorhandene Neigung und Gewohnheit, diese Störungen 
samt und sonders als eine einzige wesensgleiche Art anzusehen und 
sie kurzweg als „psychische Stimmstörung“ zu bezeichnen, Schaden an¬ 
gerichtet werden kann und auch angerichtet worden ist. Die Benennung 
gibt stets den Hinweis auf den Weg der Behandlung, und dass dieser 
bei ganz verschiedenartigen Ausfalls- und Reizerscheinungen, und vor 
allem bei gänzlich verschiedenen Entstehungsursaohen nicht überall der 
gleiohe Weg sein kann und darf, das brauche ioh wohl im einzelnen 
nicht auszuführen. 


Nur noch gegen eine irrtümliche Auffassung, die besonders unter 
Neurologen und Psychiatern verbreitet zu sein scheint, will ich, da 
dies im engen Zusammenhang mit dem Vortrag steht und die eigentliche 
Veranlassung zu ihm gab, Einspruch erbeben. Man nimmt nämlich an, 
dass die Stimm- und Sprachärzte einer „psychischen“ Behandlung, 
diesen Störungen von vornherein ablehnend gegenüberstehen. Diese 
Ansicht kann nur jemand gewinnen, der von der Art Hnd Weise, wie 
Stimm- und Sprachärzte verfahren, keine hinreichende Kenntnis hat. 
Oder will man der Uebungstherapie keinerlei „psychische“ Einwirkung 
zuerkennen, während man Verfahren, wie Anwendung stärkster, schmerz¬ 
hafter und wie sich gezeigt hat, äusserst geiäbrlicher elektrischer Ströme 
u. a. „psychische Behandlungsmethoden“ nennt? 

Warum soll ferner die Ablenkung der Aufmerksamkeit von einer 
durch Vorstellungshemmungen gestörten Funktion eine richtigere 
psychische Behandlungsmethode sein, als die bei der Uebung erforderliche 
Hinlenkung seiner Aufmerksamkeit auf das Zustandekommen, das 
Wiedergewinnen der physiologisch richtigen Funktion? Die normalen 
Vorgänge erfolgen hierbei durch bewusstes Wollen, wenn man von den 
einzelnen Komponenten der betreffenden koordinierten Bewegung aus¬ 
geht, und wenn diese unter aufmerksamer optischer, akustischer und 
taktiler Kontrolle gemacht werden. Warum das schädigend wirken soll 
und hierbei sogar die Störung noch mehr gefestigt und hartnäckiger 
werden soll, wie man gegen die Uebungstherapie behauptet, das ver¬ 
stehe ich nicht. Ein Beweis dafür fehlt bisher und es wird für die Be¬ 
hauptung kein Grund angegeben. 

Die tatsächlichen Ergebnisse sprechen für die psychische Wirksamkeit 
der Uebung. Jede psychische Behandlung erstrebt eine bestimmte 
Suggestionswirkung, sei es durch Suggestion in der Hypnose oder durch eine 
im wachen Zustande. Dass zu letzterer unschädliche Mittel von jedem 
Arzte gerne gebraucht werden, wenn sie nur zur Heilung der Kranken 
führen, halte ich für selbstverständlich; auch Stimm- und Sprachärzte 
tun dies, und dafür habe ich in meinen vielen Arbeiten so oft Belege 
gegeben, dass ich eine nochmalige Aufzählung für überflüssig halte. Die 
Erfahrung hat mir aber gezeigt, dass Suggestionen, deren Einfluss dem 
Kranken mehr oder weniger mystisch erscheint, weniger Vorhalten als 
eine Suggestion, die in ihm dadurch bewirkt wurde, dass er die Ueber- 
zeugung gewann, durch bewusste Uebung die Fähigkeit wieder erlangt 
zu haben, die richtige Bewegung jederzeit ausführen zu können und 
durch Aufmerksamkeit und seinen Willen zu beherrschen. 

(Die Diskussion wird vertagt.) 


Gynäkologische Gesellschaft zu Berlin. 

Sitzung vom 11. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Mackenrodt. 

Hr. Mackenrodt hält einen Naohruf für den jüngst ver¬ 
storbenen Wilh. Alexander Freund. 

Hr. Pratt zeigt einen Tamor, welcher von dem einen Labium maius 
einer Patientin exstirpiert wurde. Der Tumor wurde zunächst als 
Carcinom angesprochen. Bei der mikroskopischen Untersuchung wurde 
die Diagnose aber zweifelhaft. Das mikroskopische Präparat maohte 
zwar im allgemeinen den Eindruck eines Carcinoma, jedoch fehlte die 
Anordnung der Zellen zu ganzen Nestern. Nun hat aber Unna schon 
vor längerer Zeit mitgeteilt, dass diese Eigentümlichkeit für die Carcinome 
der äusseren Haut charakteristisch ist. Es muss also danach auch dieser 
Tumor als Carcinom angesehen werden, obgleich diese eine Eigenschaft 
der Carcinome fehlt. 

Hr. P. stellte ferner zwei Fälle von Blasenscheidenfistel vor, die 
durch Operation geheilt sind. Er beschreibt eingehend die dabei auf¬ 
tretenden Schwierigkeiten und erwähnt, dass das später vorhandene 
gute Resultat sich immer erst einige Zeit nach der Operation zeigt. Es 
liegt das daran, dass die Patienten sich erst aufs neue an ihren Zu¬ 
stand gewöhnen müssen, und dass der Schliessmuskel erst allmählioh 
wieder mit der nötigen Kraft zu wirken lernt. Das gute Resultat tritt 
aber stets ein, wenn man einige Zeit abwartet. 

Hr. Mackenrodt: 

1. Ueber Vermehrung nnd Entkeimung von Darmzwirn fCatgnt). 

2. Ueber den Einflug des Krieges anf den Operationsbetrieb 

nnd -erfolg. 

1. Naoh jahrelangen Versuchen, ein gutes und haltbares Material 
zu erhalten, ist M. zu dem Schluss gekommen, dass das Nahtmaterial 
möglichst dünn sein und in möglich geringer Meoge beim Versenken 
angewendet werden muss. Es muss nicht nur keimfrei, sondern auofa, 
wo möglich, direkt keimwidrig sein. Die Entkeimung auf kaltem Wege 
ist ausser der Jodisierung unsicher. Diese hat aber den Fehler, dass 
sie das Catgut brüchig macht. Auch die trockene Hitze ist unzuver¬ 
lässig und macht ebenfalls brüchig. Sie muss mit der Oelung verbanden 
werden, wie dies beim Cumolcatgut geschieht. Gut ist die von Schaffer 
angegebene Methode, bei welcher der Karbolspiritus in Kochhitze an¬ 
gewendet wird. Aber das Cumolcatgut ist teuer, und das bei der 
Sohäffer’schen Methode erzielte nicht sehr lange haltbar. t M. wendet 
daher Aceton im Druokregulator bei Dreiatmosphärendruok unter Hinzu¬ 
fügung von 5 pCt. Karbolspiritus an, und zwar den Karbolspiritus 
80 prozentig. 


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1. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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2. Was den Einfluss des Krieges auf Operationsbetrieb und -erfolg 
betrifft, so hält sich M. in seinem Vortrag an die Erfolge, die er in der 
von ihm geleiteten Anstalt erzielt hat. Das geburtshilfliche Material ist 
sehr klein, und es hat sich dabei ein Einfluss des Krieges eigentlich 
nicht feststellen lassen. Die Wochenbetten verliefen normal, und trotz 
der Magerkeit der Mütter waren die Kinder kräftig und die Laktation 
unverändert gut. Gonorrhoe und Lues fanden sich selten, dagegen 
waren verhältnismässig häufig die'tödlichen, septischen Fälle, die Abszess- 
bildungen und die Pelveoperitonitis, namentlich in den arbeitenden 
Ständen. Erheblioh zugenommen haben die unehelichen Geburten und 
die Aborte, und ganz auffallend ist die Zunahme der grossen und totalen 
Prolapse, auch bei Nulliparen, was wohl auf die grössere Arbeitsleistung 
zurückzuführen ist. Auch die vielbesprochene Kriegsamennorrhoe wurde 
beobachtet, die M. der Hauptsache nach für psychisch hält. Myome 
waren häufig und ih gleicher Ansahl wie früher vorhanden; trotz An¬ 
wendung der Bestrahlung zeigten sie ein bedeutendes Wachstum. Die 
Bestrahlung versagte überhaupt öfters. Alle tuberkulösen Erkrankungen 
sind in gleicher Anzahl bestehen geblieben. Die Zahl der Caroinome 
hat dagegen entschieden abgenommen, wofür der Grund wohl die jetzige 
Ernährung ist. Schwer ist Assistenz zu haben. Man muss sich mit 
einem Assistenten begnügen. Das genügt aber im allgemeinen auch. 
Das öfters verwandte Tupfermaterial ist unzuverlässig. Wenn septische 
und aseptische Operationen nebeneinander gemacht werden, ist keine 
Asepsis zu erreichen. Sehr zu beklagen ist das Fehlen der Handschuhe 
und des Ricinusöls. Trotzdem sind aber die Endresultate gut. 

Diskussion. 

Hr. Schaffer teilt mit, dass er seit 23 Jahren dieselbe Gatgut¬ 
sterilisierung verwendet, nur nimmt er jetzt 90 prozentigen Spiritus. Zu 
dem Aufbewahrungsspiritus, rät er, 10 pCt. Tannin hinzuzufügen. Das 
gebrauchte Tupfermaterial lässt sich unter allen Umständen steril 
machen. Der Dampf mit Ueberdruck ist absolut sicher (1,5 Atmosphären). 

Hr. Schülein: Die Häufigkeit der Operationen hat zugenommen, 
namentlich die der grossen Prolapse. Die Kriegsamenorrhoe betrug 
71 Fälle. Dieselbe ist auf Unterernährung und psychische Einflüsse 
zurückzuführen. Ebenso die Myome und Ovarialtamoren. Das ist aber 
nur scheinbar. Infolge der Abmagerung achten die Frauen mehr auf 
ihren Leib und erkennen das Vorhandensein eher. Nephritis, Eklampsie 
und Diabetes sind seltener geworden. Die Zahl der Geburten hat er¬ 
heblich nachgelassen. 

Hr. Ko blank glaubt auch, dass die Geburten erheblich zurüok- 
gegangen sind. Die Stillfäbigkeit der Mütter und Kraft der Kinder sind 
unverändert. Die Vorfälle sind auf das Vierfache gestiegen. Dasselbe 
konnte Koblank im Gegensatz zu Mackenrodt auch bei den Carci- 
nomen feststellen. Auch er glaubt, dass sich das wiederholt gebrauchte 
Tupfermaterial vollständig steril machen lässt. 

Hr. Strassmann hält die Amenorrhoe für eine Folge des grösseren 
Gehaltes des Brotes an Secale. Die Prolapse sind auch seiner Ansicht 
naoh eine Folge der schweren Arbeit. 

Hr. Mackenrodt bestreitet im Schlusswort, dass sohon gebrauchtes 
Tupfermaterial sich sterilisieren lässt, und erwähnt noch, dass man in 
jüngster Zeit den Erreger des Garcinoms gefunden haben will, was er 
aber nicht anerkennen kann. Siefart. 


Aerstlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 8. Jänuar 1918. 

1. Hr. Knack zeigt die Kurven von zwei Fällen, bei denen Neuro - 
pathen bzw. Hysteriker Fiebersteigerongen vorgetäuscht hatten, 
der eine, indem er die brennende Cigarette an das Thermometer hielt, 
der andere vermittelst des Thermophors. K. bespricht eingehender die 
Frage des hysterischen Fiebers. Ferner zeigt K. eine Tempe¬ 
raturkurve mit leichten Zacken alle 5 Tage. Er spricht den Fall als 
„Fünftagefieber“ an und teilt mit, dass dies seines Wissens der 
erste Fall in der deutschen Zivilbevölkerung sei. 

2. Hr. Nonne berichtet über den weiteren Verlauf in einem der 
drei Fälle von Dystrophia adiposogenitalis auf Grund von Lues 
congenita, die er vor zwei Jahren in seinem Vortrag im Hamburger 
ärztlichen Verein besprochen hat. Alle drei wurden kombiniert anti- 
sypbilitisch und mit Hypophysenpräparaten behandelt. Zwei 
kamen N. aus den Augen. Der dritte zeigt weitgehende Besserung: 
Abnahme des Fettpolsters, Wachsen der Scham- und Achselhaare, Ent¬ 
wicklung der Genitalien. Von femininem Habitus ist nichts mehr er¬ 
kennbar. N. zeigt Photographien, die den Pat. vor und naoh der Be¬ 
handlung darstellen. 

3. Hr. Sinmonds zeigt makroskopische und mikroskopische Präparate 
von Nierenbyperuephronei, bei welchen Metastasen eher zur klini¬ 
schen Beobachtung kamen als Symptome von seiten des t 
Primärtumors. 1. Metastasen in den Leistendrüsen. Vor 8 Jahren 
einmal Nierenbluten. 2. Metastasen im Oberarm. Resektion. Später 
Exitus. Erst die Sektion liess das vermutete Hypernephrom erkennen, 
das klinisoh symptomlos geblieben war. 3. Ulzerativer Prozess am 
Sternum, klinisch auf Lues suspekt. Mikroskopisch: Hypernephrom. 
Trotz genauester Untersuchung keine renalen Symptome nachweisbar. 
Später Metastasen in andern Knochen; Kompressionsmyelitis. 4. und 
5. Gehirnmetastasen. Im 4. Fall lagen die Erscheinungen einer 


Apoplexie, im 5. die eines Hirntumors vor. Bei letzterem liess 
sich durch Trepanation eine Hypernephrommetastase entfernen. Die 
Sektion ergab, dass solohe multipel vorhanden waren. 6. In diesem 
Fall bestand das sehr Ungewöhnliche darin, dass die Krankenhaus¬ 
aufnahme wegen eines mächtigen Priapismus erfolgte. Die Unter¬ 
suchung der geschwollenen Leistendrüsen ergab: Hypernephrom. 
Nunmehr fand man auch einen grossen Nierentumor. Bei der Sektion 
ergab sich, dass die Penisschwellkörper mit Hypernephrom¬ 
metastasen durchsetzt waren. Nach Erfahrungen von R. Paschen 
ist ein Versuch einer Exstirpation des primären Tumors in diesen Fällen 
auch noch berechtigt, wenn einzelne Metastasen vorliegen. 

4. Hr. Kümmell bespricht das Verfahren der Dekortikation in 
Fällen nicht spontan heilender Pleuraempyeme. Die Operation, 
welche hauptsächlich in der Befreiung der Lunge von den vielen 
Schwarten besteht, ist zwar schwierig; bei Blutungen muss man sie 
unterbrechen. Sie ist aber wohl ausführbar und hat vor der Schede- 
schen Thorakoplastik den Vorzug, dass sie nicht nur eine Aus¬ 
heilung der Höhle, sondern auch eine Wiederherstellung der 
Lungenfunktion herbeiführt und keine Deformität hinterlässt. 
Demonstration eines auf diesem Wege geheilten Patienten. 

5. HHr. Fahr und Sndeck: „lieber Typhlitis.“ 

Hr. Fahr bespricht die pathologisch-anatomischen Verhält¬ 
nisse der Typhlitis. Dieselben zeigen weitgehende Aehnlichkeiten mit 
denen der Appendicitis. Auch bei der Entzündung des Goecums, 
welches ebenso wie das S romanum denen des Proc. vermiformis ähn¬ 
liche Bedingungen für Kotstauungen u. dgl. bietet, kann man vor¬ 
wiegend die tiefen Wandschichten betreffende phlegmonöse und 
vorwiegend die Schleimhaut betreffende ulzeröse Formen unter¬ 
scheiden. F. konnte von beiden ein Beispiel untersuchen. Das erste 
Präparat, welches durch Operation wegen Garoinomverdaohts gewonnen 
war, zeigte Lymphozyten- und Plasmazelleninfiltrate in der Schleimhaut 
und der Serosa, Nekrosen und Bindegewebswucberung in der Musoularis, 
das zweite, welohes einen Nebenbefund bei einer Sektion darstöllte, liess 
vor allem eine narbige Verödung der Submucosa erkennen. Im ersten 
Fall war der Wurmfortsatz in den Verwachsungen nicht mehr nach¬ 
weisbar, im zweiten zeigte er chronische Entzündung, ohne jedoch mit 
dem Goecum verwachsen zu sein. F. glaubt daher, dass die Typhlitis 
nicht durch Uebergreifen der Entzündung vom Wurmfortsatz auf das 
Goecum entstanden ist, sondern beide Prozesse parallel gehen. 
F. weist zum Sohluss nach, dass spezifische Prozesse wie Tuber¬ 
kulose — auch deren strikturierende Form — oder Syphilis (gegen 
welche auch die Lokalisation spricht) nach dem histologischen Befund 
auszusohliessen sind. Die Erreger dürften dieselben sein wie die 
der Appendicitis. Praktisch wichtig ist die Neigung zu Strikturen. 

Hr. Sudeck erörtert die klinisohen Verhältnisse der entzünd¬ 
lichen Prozesse am Goecum sowie der diesen analogen an anderen 
Abschnitten des Dickdarms. S. sah diese Zustände 2mal am 
Goecum, 3mal am Golon ascendens dioht unterhalb der Flexura 
hepatica, lmal am Uebergang der Flexura lienalis ins Colon ascendens 
und 7mal am S romanum. Eine grosse Rolle bei diesen Prozessen 
spielt die entzündliche Infiltration des umgebenden Fettgewebes, 
welches oft allein den palpablen Tumor bedingt. Nioht selten kommen 
mit erbsengrossen Kotsteinen gefüllte kleine Darmwanddivertikel 
ätiologisch in Betracht; sie lassen sich auch röntgenologisch nach- 
weisen. Daneben Hessen sich Dysenterie, Appendicitis, Typhus, Caroinom 
als veranlassende Momente nachweisen. Die Symptome scheiden sich in 
solche, die duroh die Entzündung, und solche, die durch die Stenose 
bedingt sind. Die Entzündung weist alle Grade von einfacher Druck- 
empfiodlichkeit bis zur Perforationsperitonitis auf. Der meist palpable 
Tumor ist je frischer desto druokschmerzhafter. Dies und spontane 
Schmerzhaftigkeit geben in akuten Fällen ein gutes Unterscheidungs¬ 
merkmal gegenüber dem Garcinom. In chronischen Fällen ist 
jedoch die Unterscheidung äusserst schwierig oder unmöglich. Für 
Entzündung spricht — ohne ausschlaggebend zu sein — das Bestehen 
von Divertikeln, röntganologisch oder romanoskopisch nachweisbar — 
und das Fehlen von Blutungen bei grossem Tumor, sowie Fieber. 
Für die Behandlung ist diese diagnostische Unsicherheit nicht be¬ 
sonders verhängnisvoll, da auch die entzündichen Affektionen meist 
chirurgische Eingriffe erfordern. Ist aber der Leib offen, so muss die 
Diagnose unbedingt gestellt werden — was auch nicht immer ganz leicht 
ist —, da das Garcinom ein möglichst radikales, die Entzündung ein 
möglichst schonendes Vorgehen erheischt. Bei letzterer hat, wenn die 
Lokalisation es erlaubt, die Anastomose den Vorzug vor der Resektion. 

Fr. Wohl will*Hamburg. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 27. März hielt 
1. Herr A. Weber (a. G.) seinen angekündigten Vortrag: Untersuchungen 
über den photographisch registrierten Venenpuls und 2. zeigte Herr 
Ohm (a. G.) photographische Venenpulskurven und gab diagnostische 
Erläuterungen dazu. (An der Aussprache zu 1. und 2. beteiligten sioh 
die Herren: Schrumpf, Rautenberg, Kraus und Hans Kohn; 
Schlusswort: Herr Ohm und Herr Weber.) 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 13. 


— Geh. Rat Prof. Fasbender beging am 29. Marz seinen 75. Ge¬ 
bartstag. Er habilitierte »ich an der hiesigen Universität im Jahre 1869 
und wurde im Jahre 1871 a. o. Professor iür Geburtshilfe und Gynä¬ 
kologie. Seine Veröffentlichungen liegen auf dem Gebiet der Geburts¬ 
hilfe, anoh der Geschichte seines Faches wandte er sein Interesse zu. 

— Am 27. März beging der Hygieniker R. Pfeiffer seinen 60. Ge¬ 
burtstag. Seine Verdienste om die Bekämpfung der Seuchen wurden 
erst kürzlich durch die Verleihung der goldenen Kussmaul-Medaille an¬ 
erkannt; sie gründen sich auf die Entdeckung der bakterienlösenden 
Immunkörper bei Cholera, Typhus und anderen Infektionskrankheiten. 
Auch ist er der Entdecker des Influenzabazillus. Unter seinen Ver¬ 
öffentlichungen ragt besonders sein mit C. Fraenkel herausgegebener 
mikrophotographischer Atlas der Bakterienkunde hervor. 

— Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten wurde am 18. und 14. d. M. von der zuständigen Reiobs- 
tagskommission beraten. Eine eingehende Würdigung dieses einschnei¬ 
denden Gesetzes werden wir von maassgebender Seite in der nächsten 
Nummer dieser Wochenschrift bringen. Für heute sei nur auf zwei 
wichtige Zusatzanträge hingewiesen, die in der Kommission angenommen 
wurden, ln den ersten Paragraphen sei ein zuschalten: „Wer ge- 
sohlechtskrank ist, hat die Pflicht, sich von einem staatlich ge¬ 
prüften Arzt behandeln zu lassen. Wer weiss, dass er geschlechts¬ 
krank ist und es unterlässt, sich von einem staatlich geprüften Arzt 
behandeln zu lassen, wird mit Geldstrafe bis zu 1000 M. oder mit Ge¬ 
fängnis oder Haft bis zu 6 Wochen bestraft.“ Während die Regierung 
sioh diesem Antrag lebhaft widersetzte, drängten die Sozialdemokraten, 
National liberalen und ein Teil des Zentrums auf seine Annahme. Von 
seiten der Sozialdemokraten wurde das Unterlassen der Behandlung in 
strafrechtlicher Beziehung verglichen mit Abtreibung und anderen ge¬ 
meingefährlichen Handlungen. Der Antrag wurde schliesslich mit 16 
gegen 2 Stimmen angenommen, unter Herabsetzung des Strafmaasses 
naf 500 M. bzw. 4 Woche i Haft. Dann wurde der Kurpfuscher- 
nntrag der Regierung verhandelt, der Personen, die nicht die staat¬ 
liche Anerkennung als Arzt besitzen, die gewerbsmässige Behandlung 
von Geschlechtskranken bei Strafe bis zu 10 000 M. oder 1 Jahr Ge¬ 
fängnis verbietet. Die Regierung erklärte, dass mit diesem Antrag für 
sie das ganze Gesetz stehe oder falle. Dieser Antrag wurde von unserem 
Kollegen Struve (Volksp.) lebhaft begrüsst; aber die Sozialdemokraten 
Dr. Landsberg und Davidsohn wandten sich getreu dem früheren 
Verhalten ihrer Partei in Fragen der Kurpfuscherei und Kurierfreiheit 
and in nicht zu verstehendem Widerspruch gegen ihre Stellung zum 
vorangehenden Zusatzantrag, gegen den Antrag der Regierung. Trotzdem 
wurde er schliezslich mit 18 gegen 7 Stimmen angenommen. 

— Das österreichische Abgeordnetenhaus hat kürzlich die Regierungs¬ 
vorlage betreffend die Errichtung eines Ministeriums für Volks¬ 
gesundheit endgültig angenommen. 

<— Das Wiener medizinische Doktorenkollegium hat auf Anregung 
seines Präsidenten Dr. R. Jahn die Gründung eines sozial-hygie- 
niachen Ausschusses, einer Vereinigung für soziale Hygiene und 
Medizin, beschlossen. Zum Präsidenten wurde Hofrat E. Finger, zu 
dessen Stellvertretern Oberstadtphysikus Dr. A. Böhm und Priv.-Doz. 
Dr. A. Bum, zum Schriftführer Med.-Rat Dr. H. Haase, zum Säckel¬ 
wart Dr. G. Götzl, zum Büoherwart Med.-Rat Dr. L. Frey gewählt 
und in den Arbeitsausschuss wurden zahlreiche Mitglieder berufen. 

— Hofrat Hessing bat in seinem Testamente sur alleinigen Erbin 
seinen Vermögens eine Stiftung eingesetzt, die den Namen „Hofrat 
Friedrich Hessing Orthopädische Heilanstalt in Göggingen-Augsburg“ 
tragen soll. Das hinterlassene Vermögen beträgt etwa 11V* Mill. Mark. 
Zweck der Stiftung ist die Fortführung der orthopädischen Anstalt in 
Göggingen und die Vervollkommnung aller Erindungen des Verstorbenen. 
Die Stiftung soll ausschliesslich wohltätigen nod gemeinnützigen Zwecken 
dienen. 

— Bs darf wohl als bekannt vorausgesetzt werden, dass sich im 
Laufe des Krieges in Deutschland und England auf Anregung hoch¬ 
herziger Männer und Frauen je eine Vereinigung gebildet hat, die u. a. 
den kriegsgefangenen Akademikern Gelegenheit zur Weiterbildung 
hi ihrem Berufe schaffen will und sie mit Fachschriften und Instru¬ 
menten zu versehen sucht. Die in Berlin bestehende Leitung, die Aus¬ 
kunft- und Hilfsstelle für Deutsche im Ausland und Ausländer in Deutsch¬ 
land, Monbijouplatz 8, ist an die Bibliothek der Berliner medizinischen 
Gesellschaft mH dem Ersuchen berangetreten, den gefangenen Medizinern 
iw Ruhleben Bücher leihweise zur Verfügung zu stellen, und ich bin 
diesem Wunsche mit Zustimmung des Vorsitzenden der Gesellschaft selbst¬ 
verständlich gern nachgekommen. Ich habe aber auch darüber hinaus 
mich erboten, da der Bücherbestand unserer Bibliothek ein beschränkter 
ist und von den gewünschten Büchern gleich das erste Mal nicht alle vor¬ 
handen waren, die Kollegen auf das genannte menschenfreundliche Werk 
hinzuweisen und jeweils die Bücher; die von uns erbeten werden, aber 
in der Bibliothek nioht vorhanden sind, in den Spalten dieser Wochen¬ 
schrift bekannt zu geben, damit den Besitzern der gewünschten Werke 
Gelegenheit gegeben werde, ihrerseits an der Linderung der geistigen 
Not der Gefangenen mitzuwirken. Diese ist, wie sich jeder leicht aus- 
malen kann, gross, und daher werden auch andere medizinische Bücher 


als die verlangten mit herzlichem Dank angenommen. So hat vor einigen 
Tagen das Sanatorium Meyer, Granewald, eine Anzahl älterer Böeber 
und Zeitschriften, die ich für unsere Bibliothek nioht annehmen konnte, 
meiner Anregung folgend dem genannten Komitee angeboten und damit 
die grösste Freude erregt. Ich richte deshalb an die Kollegen die Bitte* 
nioht erst anf die Anforderung von Büohern zu warten, sondern sehen 
jetzt aus ihren Beständen Entbehrliches — und wer hätte dies nioht — 
aussuchen und liefern zu wollen. Jedes Buch enthält etwas, das die 
armen Kiegsgefangenen zur Auffrischung ihrer Kenntnisse und ihrer 
Weiterbildung benutzen können und alles wird dankbarst angenommen. 
Es ist sicherlich nicht nötig, daran zu erinnern, wie sehr jeder damit 
auch das Los unserer in Englands Gefangenschaft befindlichen Brüder, 
Söhne und Freunde erleichtert. Alle Sendungen sind an obige Aus¬ 
kunftsstelle zu richten. Grössere Lieferungen werden abgeholt werden. 
Für diesmal wird erbeten: Bournville, Reoberches oiinique et thöra- 
peutiques sur l’dpilepsie, hyzterie et l’idiotie, Paris 1882 undAsehoff, 
Lehrbuch der allgemeinen und spezieilen Pathologie, 1. Band. H. K. 

— Verlustliste. Infolge Krankheit gestorben: Oberarzt 
p. R. Oskar Gerstle-Berlin. Stabsarzt Dr. Ernst Meyer-Lübeck. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (10. bie 
16. III.) 1 und 1 unter Kriegsgefangenen im Reg.-Bes. Merseburg. 
Deutsohe Verwaltung in Litauen (17.—28.11.) 5. Fleckfieber: 
Deutsches Reioh (10.—16. III.) 8 und 2 unter Kriegsgefangenen im 
Reg.-Bez. Marienwerder. Kaiserlich Deutsches Generalgouver¬ 
nementwarschau (24. II.—2. III.) 1820 und 137 f. Deutsohe Ver¬ 
waltung in Litauen (17.—28. II.) 856 und 15 +. Deutsche Kreis¬ 
verwaltung inSuwalki (17.—28. II.) 11 und 1 +. Rüokfallfieber: 
Deutsches Reioh (10.—16. III.) 14 unter Kriegsgefangenen im Reg.- 
Bes. Posen. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau (24. II.—2. IIL) 7 und 1 +. Genickstarre: Prenssen 
(8.-9. III.) 7 und 1 f. Schweiz (24. IL—2. IU.) 6. Spinale 
Kinderlähmung: Prenssen (8.-9. IIL) 1. Schweiz (24. II. bis 
2. UI.) 1. Ruhr: Preussen (3.-9. 111.) 92 nnd 12. f. Mehr als 
ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln in Pforzheim; 
Diphtherie und Krupp in Rheydt, Wilhelmshaven. 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochsohul nach richten. 

Breslau: Prof. Oettioger erhielt eine Ernennung als Assistent 
im städtischen Untersuehungsamt für ansteckende Krankheiten m Char¬ 
lotte d bürg. — Giessen: An Stelle des nach Freiburg berufenen Prof. 
Opitz wurde ausserordentlicher Prof. Edler von Jaschke zum Or¬ 
dinarius für Geburtshilfe und Gynäkologie ernannt. — München: Ha¬ 
bilitiert: DDr. Rom eis für Anatomie, Broemser für Physiologie. — 
Strass bürg: Geheimrat Ewald hat aus Gesundheitsrücksichten seinen 
Abschied genommen. — Budapest: Habilitiert: Dr. Reuter für Psy¬ 
chiatrie. — Wien: Der Ophthalmologe Prof. Bernheimer ist gestorben. 


Amtliche Mitteilungen. 

Femonallen, 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden IV. Klasse mit der Konigl. 
Krone: San.-Rat Dr. Spindler in Freiburg-Güntherstal, bisher in 
Münster im Eisass. 

Fürstl. Lippisches Kriegsverdienstkrems am weitsen Bande: 
Geh. San.-Rat Dr. Löwenthal in Berlin. 

Hambnrgisohes Hanseatenkreus: Minist-Direktor im Minist, des 
Innern Wirkt Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner. 

Prädikat „Professor“: Priv.-Doz. in der mediz. Fakultät d. Univer¬ 
sität in Berlin Dr. Ringleb. 

Ernennung: Priv.-Doz. Prof. Dr. Hoehns in Kiel zum erdentl. Pro¬ 
fessor in der mediz. Fakultät der Universität in Greifswald. 

Niederlassungen: Dr. R. Dieuemann in Grüoaa in der Mark (Kr. 
Teltow), Aerztin Dr. Emmy Grein-Bäumer in Halle a. d. S. 

Verzogen: Dr. P. Haink von Sohivelbein naeh Oranienburg, Dr. K. 
v. Leupoldt und Dr. Felix Grossmann von Teopitz naeh Görden 
bei Brandenburg a. d. H., Prof. Dr. Adolph Ho ff mann von Greife¬ 
wald nach Guben, Aerztin Dr. Marianne Franz von Berlin nach 
Breslau, Aerztin Elisabeth Schmidt von Breslau nach Münehen, 
Gerhard Schreiber aus dem Felde nach Sanatorium Altheide (Kr. 
Glatz), Dr. Erich Weiss aus dem Felde nach Glatz, Dr. G. Kaspa- 
rek von Breslau nach Reinerz (Kr. Glatz), Dr. G. Hirte von Nieder¬ 
walluf nach Sanatorium Ulbriehaböh (Kr. Reieheabaeh in Sehl.), Paul 
Sohwarze von Ober-Salsbrunn nach Schweidnitz. 

Gestorben: Dr. Alfred Hirschfeld in Cottbus, San.-Rat Dr. F. 
Kobes in Barth (Kr. Franzburg), San.-Rat Prof. Dr. L. Stanke in 
Erfurt. 


Ffir dl« RedaMon v*santw«rtll«h Prof. Dt. Han« Koha, Borlin WmfiiiHäu «v.A 


Verlag nnd Bigentnm von August Hiraohwald in Berlin. — Drude wen L. Sokumacher in Berlin N. 4. 


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Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

Geh. Mei-Rat Prof. Dr. C. Posner und Prot Dr. Hans Kahn. 


Expedition: 

AagQst Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin 

Montag, den 8. April 1918. 

Jȣ14. 

Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Orlginalici: 

Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 

I. Kahl: Geh. Justizrat Prof. D. Dr.: Juristisches Referat. S. 321. 

II. Brühns: Prof. Dr. C.: Aerztliohes Referat. S. 324. 

Groedel: Die Dimensionen des normalen Aorten-Orthodiagramms. 
(Aus der Röntgenabteilung des Hospitals zum heiligen Geist in 
Frankfurt a. M. [Vorstand: Dr. Groedel].) (Illustr.) S. 827. 
Zondek: Lungenresektion. (Aus dem Barackenlazarett auf dem 
Tempelhofer Felde [Chefarzt: Oberstabsarzt Sanitätsrat Dr.Cramm].) 
(Illustr.) S. 332. 

Helling: Ueber die Titration der freien Salzsäure im Mageninhalt 
unter Zurückdrängung der Dissoziation organischer Säuren mittels 
Alkoholzusatzes. S. 334. 

Bfieherbespreehnngen : Finkelnburg: Die Therapie an den Bonner 
Universitätskliniken. (Ref. Dünner.) S. 336. — Untersuchungen über 


Serumschutz bei Gasödem (Veröffentl. aus dem Gebiete des Militär- 
saoitätswesens, Heft 68). S. 336. Messerschmidt: Baubygienische 
Erfahrungen im waldreichen Hochgebirge (Veröffentl. aus dem Gebiete 
des Militärsanitätswesens, Heft 69). (Ref. Schnütgen.) S. 337. 

Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 337. — Pharmakologie. S. 837. — 
Therapie. S. 337. — Allgemeine Pathologie und pathologische Ana¬ 
tomie. S. 338. — Innere Medizin. S. 839. — Psychiatrie und Nerven¬ 
krankheiten. S. 339. — Kinderheilkunde. S. 339. — Chirurgie. S. 839. 
— Hygiene und Sanitätswesen. S. 341. — Unfallheilkunde und 
Versicherungswesen. S. 341. — 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Medizinische Sektion der 
schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur zu 
Breslau. S. 341. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 
S. 342. 

Kriegsärztliche Abende. S. 343. 

TagesgeBchichtliohe Notizen. S. 344. 

Amtliche Mitteilungen. S. 344. 


Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Gesehleehtskrankheiten. 


I. Juristisches Referat 1 ). 

Von 

Geh. Justizrat Prof. D. Dr. Kahl-Wilmersdorf. 

Der Gesetzentwurf ruft Mediziner und Juristen gleichzeitig 
auf den Plan. Ueber seine Veranlassung gibt die Begründung des 
Entwurfs eingehenden Aufschluss. In die vorderste Linie stellt 
sie den staatlichen Schutz gegen den durch Geschlechtskrankheiten 
in gefahrvoller Weise mitbeeinflussten Rückgang der Geburten 
und weist darauf hin, dass unvermeidlich durch die Kriegsereignisse 
jene Gefahren noch erheblich gesteigert sein werden. Auf die 
wechselvolle Geschichte der Gesetzgebungsversuche auf diesem 
Gebiete näher einzugehen, ist hier nicht die Zeit. Ich verweise 
auf den ausführlichen und sachkundigen Vortrag von Kirchner 
über „Neue Wege für die Bekämpfung der übertragbaren Geschlechts¬ 
krankheiten 11 , mitgeteilt in der Zeitschrift für ärztliche Fort¬ 
bildung, 1917, Nr. 12. 

Zur Uebersicht sei vorausgeschickt, dass io 7 Paragraphen 
der Entwurf 1. die kontrollpflichtigen Geschlechtskrankheiten, 
2. die Beischlafsverübung durch Geschlechtskranke, 3. das Verbot 
der Fernbehandlung und Kurpfuscherei, 4. das Verbot der öffent¬ 
lichen Propaganda für Heilmittel gegen Geschlechtskrankheiten, 
5. die Gesundheitskontrolle über Prostituierte, 6. einige not¬ 
wendige Aenderungen des St.G.B. und 7. das Stillen durch 
Geschlechtskranke behandelt. 

Aus dieser Paragraphenfolge fallen für mich als Juristen von 
vornherein die §§ 1 and 7 aus. Zu den §§ 8 und 4 beschränke 
ich mich auf wenige kurze Bemerkungen. Dagegen bedürfen die 
§§ 2, 5 und 6 vom juristischen Standpunkte aus einer näheren Er¬ 
örterung. 


1) Gehalten ia der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Berlin 
am 5. März 1918. 


Absatz 1 des § 3 enthält das Verbot der Fernbebandlung, 
sowohl für Arzte als für Nichtärzte. Ueber die Berechtigung dieses 
Verbotes besteht kein Zweifel. Absatz 2 aber verbietet Nicht¬ 
ärzten auch „jede andere Behandlung von Geschlechtskrankheiten 
and Krankheiten oder Leiden der Geschlechtsorgane, sofern die 
Behandlung gewerbsmässig erfolgt“. Dass endlich durch diese Be¬ 
stimmung der Kurpfuscherei bestimmte Grenzen gezogen werden, 
ist hocherfreulich. Bedenken habe ich nur gegen den ein¬ 
schränkenden Zusatz „sofern die Behandlung gewerbsmässig erfolgt“. 
Nach der Begründung ist „gewerbsmässig“ durchaus im Sinne 
des geltenden Rechts zu verstehen. Hiernach bedeutet es die Be¬ 
gehung in der Absicht, sich dadurch eine Einnahmequelle zu 
verschaffen. Nun wird allerdings die Kurpfuscberbehandlung in 
aller Regel eine in diesem Sinne gewerbsmässige sein. Gerade 
bei Geschlechtskrankheiten aber kommt es vor, dass die Behand¬ 
lung durch Pfuscher nicht notwendig in der Absicht, sich dadurch 
eine Einnahme zu beschaffen, geschieht. Der Trieb der Geheim¬ 
haltung veranlasst den Patienten, von irgend jemand Ratschläge 
über Behandlungsmethoden zu erfordern und anzunebmen, von dem 
er vermutet, dass er Erfahrung in dieser Sache haben könne. 
Die Praxis kennt Fälle, in denen solche Leute sich aufdrängen, 
aus Wichtigtuerei, aus Freundschaft, selbst aus Lüsternheit. Sie 
teilen Rezepte mit, nehmen die Sache bis zu einem gewissen 
Grade in die Hand und halten dadurch ab von rationeller ärzt¬ 
licher Behandlung. Auch dies sollte vollkommen ausgeschlossen 
bleiben. Das Ziel muss sein: Nichtärzte überhaupt die Hand ab 
von jeder Einmischung in die Behandlung von Geschlechtskrank¬ 
heiten oder von Krankheiten an den Geschlechtsorganen. Ich 
würde daher empfehlen, den Vorbehalt zu streichen. 

§ 4 verbietet sehr zweckmässig jede öffentliche Propaganda 
für Mittel, Gegenstände oder Verfahren zur Heilung oder Linderung 
von Geschlechtskrankheiten, nur mit selbstverständlichen Aus¬ 
nahmen für Ankündigungen an Aerzte, Apotheker, Handeltreibende 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


oder io Fachzeitschriften. Hier sei Dar darauf hingewiesen, dass 
dieses Verbot selbstverständlich nichts so tun hat mit dem be¬ 
kannten and lebhaft bestrittenen Verbote von antikonzeptionellen 
Mitteln, die zugleich dem Zwecke der Verhütung von Geschlechts¬ 
krankheiten dienen können. Dieser Mittel gedenkt ein zweiter 
gleichzeitig dem Reichstage mitvorgelegter Entwurf gegen die Ver¬ 
hinderung von Geburten. In dessen § 1 sind beide Mittel derart 
in ein Verhältnis gestellt, dass der Bundesrat ermächtigt wird, 
das gewerbsmässige Herstellen und Verbreiten von empfängnis¬ 
verhütenden Mitteln zwar zu verbieten und zu beschränken, gleich¬ 
seitig aber angewiesen wird, „auf die Bedürfnisse des Gesundheits¬ 
schutzes Rücksicht zu nehmen, soweit solche Mittel und Gegen¬ 
stände auch geeignet sind, die Entstehung von Geschlechtskrank¬ 
heiten zu verhüten“. 

1. Ich wende mich zu § 2. Hiernach wird mit Gefängnis 
von 1 Tag bis za 8 Jahren bedroht, „wer den Beischlaf ausübt, 
obwohl er weise oder den Umständen nach annehmen muss, dass 
er an einer mit Ansteckungsgefahr verbundenen Geschlechts¬ 
krankheit leidet“. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 

Die Bestimmung richtet sich also gegen unmittelbare Ueber- 
tragung der Krankheit durch Beischlaf. Völlige Schutzlosigkeit 
dagegen besteht auch im geltenden Recht keineswegs. Ist viel¬ 
mehr durch Geschlechtsverkehr eine Ansteckung, also eine Ge¬ 
sundheitsbeschädigung wirklich erfolgt, so kann Bestrafung wegen 
vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung, unter Umständen 
sogar Bestrafung wegen schwerer Körperverletzung eintreten, falls 
nämlich die Beschädigung den Verlust der Zeugungs- oder Gebär¬ 
fähigkeit zur Folge hatte. Indessen hat sich dieser Rechtsschutz 
nur als ein unvollkommener erwiesen. Schon darin, dass der 
Versuch der einfachen Körperverletzung nicht strafbar ist. So¬ 
dann dadurch, dass dieser Schutz ein zu versteckter ist. Es 
machen wenige davon Gebrauch, weil sie nicht ahnen, dass das 
St.G.B. auch gegen syphilitische Ansteckung schützt. Wissen 
sie es aber, so stehen die Betroffenen vor der sehr schwierigen 
Beweisfrage des Kausalzusammenhanges, d. h. des Zusammenhanges 
gerade des bestimmten Verkehrsaktes mitder bestimmten Erkrankung. 

Daher das Verlangen nach einer Sonderbestimmung gegen 
diese Spezialität von Körperverletzung. Neu ist dieser Gedanke 
nicht. Schon das Preussische Allgemeine Landrecht von 1794 
enthielt in TI. II, Tit. 20, § 1026 darüber eine originelle Be¬ 
stimmung. Ihm nachfolgend einige deutsche Partikularstrafgesetz¬ 
bücher des 19. Jahrhunderts. Vom Ausland wären vereinzelte 
Kantonalstrafgesetzbücher der Schweiz zu nennen, ferner die heute 
geltenden Strafgesetzbücher von Norwegen und Dänemark, endlich 
der kurz vor dem Kriege vom Herrenhaus bereits angenommene 
Entwurf eines österreichischen Strafgesetzbuches. Im Reiche redet 
man seit 25 Jahren von der Sache. Eine Sonderbestimmung war 
mehrfach in den Sessionen des Reichstages zwischen 1892 und 
1900 zur Sprache gekommen. Seit 1903 ist sie in Anträgen der 
deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
mehrfach angeregt und häufig in der fachwissenschaftlichen Literatur 
erörtert worden. Zuletzt hat die allgemeine Reform des deutschen 
Strafrechts das Problem wieder ausgepackt. Der im Justiz¬ 
ministerium ausgearbeitete offiziöse Vorentwurf von 1909 batte 
eine Sonderbestimmung mit näherer Begründung ausdrücklich ab¬ 
gelehnt. Umgekehrt war eine solche in den von v. Liszt, 
Lilientbal, Goldschmidt und mir aufgestellten Gegenentwurf 
von 1910 ausdrücklich eingestellt. In der im Reichsjustizamt 
einberufenen Strafrechtskommission zur Aufstellung eines amtlichen 
Entwurfes hat wiederum der Antrag auf Aufnahme einer solchen 
Bestimmung lebhaften Widerspruch erfahren. Ich begrüsse 
meinerseits, dass eine solche in den gegenwärtig zur Verhandlung 
stehenden Entwurf wieder aufgenommen worden ist. Es kommt 
nur darauf an, dass wir sie im Gesetzentwurf zu weit gefasst 
hatten. Io dem vorliegenden § 2 ist sie zweckmässig beschränkt. 
Indem ich diese kurz erkläre, versuche ich zugleich einige 
weiter verbreitete Bedenken zu zerstreuen. 

a) Gestraft wird hiernach nicht erst die wirkliche Ansteckung, 
also die eingetretene Körperverletzung, sondern bereits die Ge¬ 
fährdung mit Ansteckung durch Beiscblafsverübung. Dadurch sind 
die Beweisschwierigkeiten ausgescbaltet. Ein Kausalzusammen¬ 
hang zwischen Handlung und Erfolg kommt überhaupt nicht mehr 
in Frage. Die beiden Beweispunkte sind lediglich die Tatsache 
der Beischlafsverübung und die Tatsache einer bestehenden ge¬ 
schlechtlichen Erkrankung eben zu dieser Zeit. Einem solchen 
Tatsachen beweise wird in der Regel die Technik unseres Straf¬ 
prozesses gewachsen sein, zum zweiten Punkt, wenn es nötig ist, 
unter Zuziehung ärztlicher Sachverständiger. 


b) Gestraft wird nur diejenige Gefährdung, die durch einen 
Beiscblafsakt bewirkt worden ist. Hier ist der Punkt, an dem 
unser Gesetzentwurf zweifellos zu weit gefasst war. Er bedrohte 
jeden, „der einen anderen der unmittelbaren Gefahr der Ansteckang 
mit einer Geschlechtskrankheit aussetzt.“ Darunter war zunächst 
auch die Gefährdung durch Stillen, die der Entwurf zweckmässig 
in den § 7 selbständig verwiesen hat, mit inbegriffen. Ferner 
wäre aber auch nach unserem Vorschlag bereits eine unzüchtige 
Berührung mit unmittelbarer Ansteckungsgefahr, ja sogar der 
Kuss eines Erkrankten unter die Strafbestimmung gefallen. Der 
vorliegende Entwurf beschränkt sich verständig auf den praktisch 
wichtigsten Fall der Gefährdung durch Beischlaf. 

c) Subjektiv ist erfordert, dass der Täter weiss, dass er an¬ 
steckend geschlechtskrank ist, oder dass er es „den Umständen 
nach annehmen muss“. Ersteres macht kaum eine Schwierigkeit 
Der Täter^weiss es, wenn ein äusseres Krankheitsbild am eigenen 
Körper es ihm offenbart, oder wenn er wegen Geschlechtskrank¬ 
heit in ärztlicher Behandlung steht. Die zweite Alternative kann 
Zweifel auslösen. „Wann muss er es den Umständen nach an¬ 
nehmen?“ Hier wäre ich für Aufklärung dankbar: welche Kenn¬ 
zeichen kommen hierfür in Betracht? gibt es eine bestimmbare 
Zeitgrenze nach der Beischlafsverübung, von der an der Täter 
des guten Glaubens sein kann, keine Ansteckungsgefahr für andere 
mehr zu bilden? kann insbesondere bei syphilitischer Erkrankung 
eine derartige zeitliche Gefahrenzone mit einiger Sicherheit ab¬ 
zustecken sein? Mein juristisches Interesse an der Sache liegt 
darin, ob nicht die blosse Annahme, ansteckend geschlechtskrank 
zu sein, an sich etwas so Dehnbares sei, dass dadurch erhebliche 
Beweisschwierigkeiten entstehen, sei es, dass dadurch ein Schul¬ 
diger sich durch Ausflüchte der Strafe entziehen, sei es ein Nicbt- 
schuldiger durch unsichere Vermutucgen der Strafe verfallen 
könne. Wäre das eine oder andere zu befürchten, würde ich 
Streichung der zweiten Alternative empfehlen. 

d; Die Verfolgung soll nur auf Antrag eintreten. Auch hier 
hatten wir im Gesetzentwurf einen anderen Standpunkt eingenommen 
und die Voraussetzung eines Antrages nur auf den Fall beschränkt, 
dass die Handlung von einem Ehegatten gegen den anderen be¬ 
gangen war. Ich gebe aber auch hier dem vorliegenden Entwurf 
den Vorzug. Jedes polizeiliche Spionieren soll ausgeschlossen 
sein. Der weite Strafrahmen ermöglicht dem Richter die Berück¬ 
sichtigung der leichteren und schwersten Fälle. 

Nun aber noch zwei Haupteinwendungen. 

Der eine geht dahin, dass eine solche Bestimmung nur den 
Anstoss zu Erpressungsversuchen geben werde. Ich vermag diesem 
Einwande ein besonderes Gewicht nicht beizulegen. Er würde 
bei zahlreichen anderen Tatbeständen aus dem Gebiet der Sitt¬ 
lichkeitsdelikte mit gleicher Berechtigung zu erheben sein, ohne 
dass es darum dem Gesetzgeber einfallen kann, solche ausser 
Strafe zu lassen. Gegen die Pönalisierung der Homosexualität 
wird der gleiche Einwand erhoben. Man hat aber die Erfahrung 
gemacht, dass nach einigen ernstlichen Bestrafungen die Neigung 
zum Erpressen erheblich abgenommen hat. Hier kommt noch 
besonders in Betracht: Würde das Vergehen als Erfolgsdelikt 
konstruiert, dass in der ungemeinen Schwierigkeit des Gegen¬ 
beweises gegen die Behauptung des Kausalzusammenhanges zwischen 
Beischlaf und Ansteckung ein gewisser Reiz zu Erpressungsver¬ 
suchen gelegen sein kann. Beim blossen Gefährdungsdelikte mit 
seinen einfachen Beweistatsachen , ist dies nicht der Fall. Im 
übrigen kommen zwei Möglichkeiten in Betracht. Entweder die 
Dirne lügt: dann muss man von dem Manne verlangen können, 
sie unerbittlich dem Staatsanwalt ans Messer zu liefern. Dagegen 
richten sich nun freilich absolut unbegründete Bedenken eines 
einseitigen Männerstolzes. Es soll dem Manne schon nicht zu¬ 
zumuten sein, vor Gericht nur überhaupt angeben zu müssen, 
dass er mit der Dirne verkehrt habe. Ich lege gegen diese Auf¬ 
fassung, wie und in welcher Form immer sie auftrete, den aller- 
schärfsten Widerspruch ein. Es ist die himmelschreiende Un¬ 
gerechtigkeit und Einseitigkeit der gegenwärtigen Rechtslage, 
dass Polizei- und Strafrecht sich ausschliesslich und immer nur 
gegen das weibliche Geschlecht kehren. Damit muss um der Ge¬ 
rechtigkeit willen gebrochen werden. Gestattet sich der Mann, 
mit einer Dirne zu verkehren, so muss auch an ihn die Zumutung 
gestellt werden, dass er das vor Gericht vertrete, dass er also 
im gegebenen Fall zwar seinen Geschlechtsverkehr als solchen 
ehrenhaft einräumt, aber im allgemeinen Interesse sich gegen die 
Erpresserin wendet, falls er wirklich nicht geschlechtskrank war. 
Oder aber die Dirne bat die Wahrheit gesprochen und vermag 
zu beweisen, dass der Mann zur Zeit des Verkehrs geschlechts- 


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8. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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krank gewesen ist. Dann empfängt auch jener mit Recht den 
Lohn der Strafe. Denn er hat so ziemlich die gemeinste Hand¬ 
lang begangen, die begangen werden kann. 

Der andere Einwand ist der, eine solche Strafbestimmung 
nütze nichts. Das ist ein beachtenswerter Standpunkt überhaupt 
nicht. Sie gehört wie manche andere Strafgesetze zu der Gruppe 
von Bestimmungen, die schon durch ihr Dasein von Nutzen sind, 
weil sie eine generalprävenierende Kraft und Wirkung haben. 
Das ist deshalb nicht weniger wahr, weil eine solche Bestimmung 
vielleicht nicht häufig zur Anwendung kommt. Denn vor den 
Richter kommen nur die Fälle, in denen die abschreckende 
Kraft versagt hat. Die zahlreichen anderen, in denen sie ab¬ 
gehalten, also genützt hat, kennt man nicht. 

Aus allen diesen Gründen halte ich die Bestimmung des 
§ 2 für gerechtfertigt und für gut. 

2. Ich wende mich nun zu den §§ 5 und 6, die gemeinsame 
Bestimmungen über die Prostitution enthalten. Sie behandeln 
entfernt nicht das ganze Gebiet der Prostitution. § 5 stellt in 
der unscheinbaren Verkleidung einiger Vorschriften über Gesund¬ 
heitskontrolle nur einen neuen Grundsatz für die Behandlung der 
Prostitution auf. § 6 räumt die im geltenden St.G.B. bestehenden 
Hindernisse für die Durchführung dieses neuen Grundsatzes hin¬ 
weg. Alles übrige ist der Verordnungsgewalt des Bundesrats 
oder der Regelung der Landesbehörden anheimgestellt. 

Nach geltendem Rechte ist die gewerbsmässige Unzucht als 
solche eine durch § 361 Ziff. 6 des St.G.B. mit Haft bis zu 6 Wochen 
bedrohte Uebertretung. Straflos wird sie nur dann, wenn die 
Dirne, freiwillig oder gezwungen, einer polizeilichen Aufsicht 
untersteht und den in dieser Hinsicht ihr erteilten polizeilichen 
Vorschriften Folge leistet. Unter dieser allgemeinen Norm hat 
sich eine wahrhaft wilde Mannigfaltigkeit von landesrechtlichen 
Bestimmungen, Gewohnheiten und Systemen hinsichtlich der recht¬ 
lichen Behandlung der Prostitution entwickelt. Ein Misserfolg 
war allen Systemen gemeinsam. Dass nämlich neben dem poli¬ 
zeilich kontrollierten Dirnentum sich ein zehnmal stärkeres heim¬ 
liches entwickelte, d. h. ein solches, das sich der Aufsicht der 
Polizei und namentlich der von ihr verordneten Gesundheits¬ 
kontrolle zu entziehen wusste. Wenn ich sage, zehnmal so stark, 
so ist das wörtlich zu nehmen: in Berlin 5500 kontrollierte, über 
50 000 unkontrollierte Dirnen. 

Die Bemühungen der Landesregierung gingen also dahin, 
dieses heimliche Dirnentum zu erfassen. Den verschlungenen 
Wegen, die man überall für diesen Zweck einschlug, kann ich 
hier nicht nacbgehen. Auch nicht im einzelnen den gesetz¬ 
geberischen Unternehmungen in Preussen. Hierfür dient die an¬ 
gegebene Abhandlung von Kirchner als zuverlässiger Weg¬ 
weiser. Die letzte Etappe in Preussen vi(ar der im Anschluss an 
§ 9 des preussischen Seuchengesetzes von 1905 ergangene Mini¬ 
sterialerlass vom 11. Dezember 1907. Dieser Erlass hatte in vor¬ 
trefflicher Absicht und in kluger Erkenntnis des unmittelbar 
Notwendigen vorgesehen, dass durch Vereinbarungen zwischen 
Ortspolizei und Aerzteschaft öffentliche ärztliche Sprechstunden 
eingerichtet werden sollten. Die erstmalig polizeilich sistierten 
Dirnen sollten dorthin überwiesen werden, polizeilich bisher nicht 
kontrollierte sollten sich freiwillig dort einer regelmässigen ärzt¬ 
lichen Untersuchung stellen können und dann, wenn mit einem 
Ausweise hierüber versehen, von der polizeilichen Kontrolle be¬ 
freit sein. Von den vielen sonstigen wohlwollenden Einzel¬ 
bestimmungen des Erlasses muss ich absehen. Der Hauptzweck 
war, durch Ueberführung der die Dirnen abschreckenden poli¬ 
zeilichen Kontrolle in ein freier gestaltetes ärztliches Ueber- 
wacbung8system das heimliche Dirnentum so weit als möglich 
zu erfassen. 

Der Fehler des Erlasses war der,1 dass er sich der Reichs¬ 
gesetzgebung mit einer gewissen Souveränität Tgegenübergestellt 
hatte. So musste eine wirkungsvolle Durchführung an dem be¬ 
stehenden Recht und an dem Rechtsgewissen der Polizei selbst 
scheitern. Denn, wie erwähnt, ist nach § 361 die gewerbs¬ 
mässige Unzucht als solche strafbare Handlung, falls nicht die 
Dirne polizeilicher Aufsicht untersteht. Die Polizei konnte und 
darfte also nicht die frei gewählte ärztliche Untersuchung als 
vollgültigen Ersatz einer polizeilichen Aufsicht anerkennen, sie 
konnte insbesondere auch heimliche Dirnen, die sich nur dem 
Arzte unterstellten, nicht straflos lassen. Fernerhin war die 
Erfassung des polizeilich unkontrollierten freien Dirnenturms aus 
dem Grunde nicht durchführbar oder mindestens erheblich er¬ 
schwert, weil nach reichsgerichtlicher Anwendung von § 180 des 
St.G.B. schon das Vermieten einer Wohnung an eine Prostituierte j 

feasil 


als Gewährung von Gelegenheit zur Unzucht, also als einfache 
Kuppelei strafbar ist. Da aber die Dirne wohnen muss, so muss 
sie heimlich wohnen und ihr Geschäft dem Einblick der Polizei 
entziehen. Das Bemühen, sie in Luft und Licht der freien ärzt¬ 
lichen Kontrolle herauszuziehen, konnte nicht gelingen, die Mit¬ 
wirkung der Polizei zu dem wohlgemeinten Erlass von 1907 musste 
scheitern. Gegenüber dieser tatsächlichen Wirkungslosigkeit hatte 
schliesslich der Umstand, dass mit Kriegsausbruch auf Grand 
des Belagerungszastandsgesetzes der Erlass von der Militärgewalt 
für die Kriegszeit suspendiert wurde, kaum noch eine praktische 
Bedeutung. 

Geht man nun also daran, im Wege der Reichsgesetzgebung 
auf der für richtig erkannten Grundlage des Erlasses von 1907 
die Prostitution vor allem unter dem Gesichtspunkte der Krank¬ 
heitsverhütung und Gesundheitspflege zu regeln, so wird es vor 
allem notwendig sein, dass jene beiden Hindernisse einer durch¬ 
greifenden ärztlichen Wirksamkeit [aus dem Wege geräumt werden. 
So erklärt sich, und dies ist der Zweck von § 6 des Entwurfes, 
Ziffer 1 und 2. 

§6 Ziffer 1 ändert das St.G.B. dahin: „Die Vorschrift des 
§ 180 findet keine Anwendung auf das Gewähren von Wohnung 
an Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, wenn da¬ 
mit weder ein Ausbeuten der Person, der die Wohnung gewährt 
ist, noch ein Anhalten dieser Person zur Unzucht verbunden ist. w 
Diese Strafloserklärung der sogenannten Wohnungskuppelei haben 
ausnahmslos schon alle neueren Strafgesetzentwürfe vorgesehen. 
Der Vorbehalt — ohne Ausbeuten und ohne Anbalten zur Un¬ 
zucht — ist selbstverständlich nur zu billigen. Damit ist dem 
schamlosen Unwesen der Bordelle vorgebeugt, die stets ein Aus¬ 
beuten und ein Anhalten zur Unzucht betreiben. Zu bemerken 
ist, dass selbstverständlich nur das Vermieten einer wirklichen 
Wohnung straffrei gelassen ist, nicht aber die Einrichtung so¬ 
genannter Absteigequartiere zur Verübung vofi Unzucht. Da aber 
durch findige Personen die Grenzen flüssig gemacht werden 
können, so würde sich m. E. empfehlen, ausdrücklich auszu¬ 
sprechen, dass die Bereitstellung von Absteigequartieren zur 
Unzuchtsverübung nicht straffrei ist. Endlich ist freigegeben nur 
das Vermieten einer Wohnung an 18jährige und darüber; an 
jugendliche Dirnen unter dieser Altersgrenze würde also nach 
wie vor das Vermieten einer Wohnung als Kuppelei strafbar sein. 

Durch § 6 Ziffer 2 wird § 361 Ziffer 6 des St.G.B. dahin 
geändert: „Eine* weibliche Person, die gewerbsmässig Unzucht 
treibt, wenn sie die zur Ueberwachung der gewerbsmässigen 
Unzucht erlassenen Vorschriften Übertritt.“ Strafbar ist hiernach 
nicht mehr die gewerbsmässige Unzucht als solche, sondern viel¬ 
mehr nur, wenn eine weibliche Person, die gewerbsmässig Un¬ 
zucht treibt, die zur Ueberwachung erlassenen Vorschriften Über¬ 
tritt. Damit ist ein richtiger grundsätzlicher Standpunkt ge¬ 
wählt, auf den ich zum Schlüsse meiner Ausführungen noch 
zurückkomme. 

Nun erst ist sozusagen die Bahn freigemacht für die gesetzliche 
Einführung des neuen Grundgedankens, der das Schwergewicht 
der staatlichen Tätigkeit in die allumfassende Gesundheitskontrolle 
des gesamten Dirnentums verlegt. Diesem Zwecke entspricht 
der Inhalt des § 5. Er stellt die drei Grundsätze, 1. der unbe¬ 
schränkten Möglichkeit gesundheitlicher Beobachtung jeder weib¬ 
lichen Person, die gewerbsmässig Unzucht treibt, auf, 2. der Mög¬ 
lichkeit einer zwangsweisen Untersuchung auf das Vorhandensein 
von Geschlechtskrankheiten, 3. der Möglichkeit der zwangsweisen 
Unterwerfung unter ein Heilverfahren, insbesondere auch der 
Ueberführung in ein Krankenhaus, wenn dies zur wirksamen Ver¬ 
hütung der Ausbreitung der Krankheit erforderlich erscheint. Ob 
und inwieweit diese humanen Vorschriften Erfolge zeitigen 
werden, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Manche Er¬ 
fahrungen sprechen dafür, dass auch ihnen gegenüber sich manche 
geschlecbtskranke Personen zurückhaltend verhalten werden. 
Jedenfalls aber ist erreicht, dass keine Dirne mehr Anlass hat, 
aus Angst vor der Polizei und nachfolgender Bestrafung sich vor 
den gesundheitlichen Maassnahmen verstecken zu müssen. 

So kann ich im wesentlichen dem Entwurf nur zustimmen 
und finde, dass er die Sache am richtigen Ende aufgezogen hat 
Insbesondere muss ich billigen, dass er siqh auf da9 Grundsätzliche 
und Notwendige beschränkt, die Ausführungsbestimmungen aber 
dem Bundesrate überlässt. Prof. Blaschko hat in der Voss. 
Ztg. vom 21. Februar ernsthafte Beschwerde darüber geführt, 
dass dem Reichstage ein Einfluss darauf nicht zusteben solle. 
Ich würde umgekehrt für nicht glücklich halten, die Ausführungs- 
hestimmungen auf den Weg der Gesetzgebung hinüberiuleiten. 

tes i* 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Eid solcher Ausführangsapparat muss mehr beweglich sein, muss 
sich rasch den wechseludeu Praktiken des Tages anschiiesseD 
können und wird daher zweckmässiger dem Verordnungswege 
überlassen. Der Entwurf der Bundesratsverordnung ist dem 
Gesetzentwurf an den Reichstag nicht beigelegt. Ich kenne ihn, 
bin aber nicht berechtigt, über seinen Inhalt im einzelnen hier 
zu referieren. Nur soviel darf ich im allgemeinen sagen, dass 
er nach meinem Urteil die erforderlichen Maassnahmen zur 
Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des An¬ 
standes, sowie zur Sonderbehandlung der einer polizeilichen Auf¬ 
sicht auch weiterhin bedürftigen Dirnen nach beiden Seiten, der 
Freiheit und des Zwanges, richtig trifft und begrenzt. 

Eine Beteiligung des Reichstages an der Kasuistik der Aus¬ 
führungsbestimmungen würde ich um so weniger gut heissen können, 
als dann unvermeidlich zu erwarten wäre, dass bei dieser Gelegen¬ 
heit die alten unversöhnlichen Gegensätze über die grundsätzliche 
Stellungnahme zur Prostitution sich wiederum hart stossen und 
je von ihrem Standpunkte aus praktischen Einfluss zu gewinnen 
suchen würden, was der Einheitlichkeit des Unternehmens 
natürlich Eintrag tut. Ich meine die Gegensätze einerseits des 
gesetzlichen Verbotes der Prostitution mitdem Aufwaude drakonischer 
Strafbestimmungen und der Einmischung sittlich-religiöser Momente, 
andererseits des Abolitionismus, des Systems der Freierklärung 
und des Gehenlassens. 

Könnten Ethik, Religion und Strafrecht helfen, so hätten sie 
längst helfen müssen. Das muss jeder wissen, der sich in der 
Notwendigkeit befunden hat, sich wissenschaftlich mit der Ge¬ 
schichte der Prostitution befassen zu müssen. Die grössten Gesetz¬ 
geber haben sich an ihr versucht. Ueberall Kampf und zuletzt 
die Notwendigkeit der Duldung. Moses wollte sie ausrotten und 
musste sie gestatten. Solon wollte sie unterdrücken und hat sie 
organisiert. Im alten Rom waren die Bordelle der Aufsicht der 
Aedilen unterstellt/ Die christlich gewordenen römischen Kaiser 
kämpften, gaben den Kampf auf und duldeten. Die von hohen 
Idealen getragene Gesetzgebung der Päpste hatte keinen Erfolg; 
unter den Augen und in den Städten eines ökumenischen Konzils 
wagten sich die Dirnen zu versammeln. Trotz der Verbote Karls 
des Grossen wurde und blieb die Prostitution im Westfranken¬ 
reich, im heutigen Frankreich, schon seit dem 12. Jahrhundert 
eine sozusagen legale Einrichtung. Im Ostfrankenreich, im alten 
deutschen Reich, war es praktisch nicht wesentlich anders. In 
Nürnberg bildeten im 15. Jahrhundert die Freudenmädchen eine 
Zunft mit besonderen Rechten und Gebräuchen. Im Reichsheere 
war das „Hurenweibel“ eine Art militärische Aufsichtsperson. 
Luther tobte und wetterte in seiner Art dagegen; die ganz ge¬ 
ringen und lokalen Erfolge der Reformation wurden durch den 
dreissigjährigen Krieg hinweggeschwemmt. Maria Theresia er- 
öffnete den Kampf auf Leben und Tod; dafür zählte die damalige 
Mittelstadt Wien zu ihrer Zeit 14000 Dirnen. Und so weiter. 
Wenn je aus einer ununterbrochenen Kette geschichtlicher Tat¬ 
sachen und Erfahrungen ein Schluss gezogen werden darf, so hier 
der: die Prostitution ist unausrottbar. Das kann anders auch 
nicht seio. In ihr treibt und wirkt die Gewalt von Naturtrieben. 
Naturtriebe lassen sich durch Ethik, Religion und Recht wohl 
einigermaassen regulieren, aber nicht überwältigen. 

Ebenso gross und in den Wirkungen nur noch verderblicher 
Ist der Wahnwitz der absoluten staatlichen Freierklärung der 
Prostitution. Sie ist ihrem Wesen und ihren Wirkungen nach 
Dicht Privatsache der rein individuellen Verantwortlichkeit. Ich 
brauche nur zu erwähnen ihre Einwirkungen auf die Ehe, auf die 
Bevölkerungspolitik, auf die Volksgesundheit, auf das Verbrecher¬ 
tum. Die Prostitution in Verbindung mit dem davon untrennbaren 
Zuhältertum ist einer der Sümpfe, aus denen die Miasmen des 
Verbrechertums aufsteigen. Alle diese Wirkungen gehen aufs 
Ganze, und es kann nicht davon die Rede sein, dass man den 
beliebigen Gebrauch und Missbrauch der Geschlechtsorgane 
gewiBsermaassen als ein unveräusserliches Grundrecht jedes 
Staatsangehörigen bezeichne. Ein Staat, der seiner sittlichen 
und sozialen Verantwortlichkeit in einem Maasse sich bewusst 
geworden ist, wie seit den Tagen Wilhelms I. und Bismarcks 
das Deutsche Reich, kann nicht die Dinge gehen und laufen lassen 
bis zum Unglück und zur Versumpfung des Ganzen. Er muss 
ordnend eingreifen. Man nennt dies mit oft abschätzigem Bei¬ 
geschmack „Reglementierung“ der Prostitution. Es fragt sich nur, 
mit welchen Mitteln reglementiert werde. Nicht das Ob, sondern 
das Wie ist der allein entscheidende Punkt. Die Frage so ge¬ 
stellt, kann ich in nochmaliger kurzer Zusammenfassung die Wege 
des Entwurfs nur billigen: möglichste Zurückhaltung von Straf¬ 


recht und Polizei, im beherrschenden Mittelpunkte des Ganzen 
die Gesundheitspflege, diese in der doppelten Richtung des 
Schutzes gegen persönliche UebertraguDg und des zwangsweisen 
Zugriffes für die Heilung! 

Ich verzichte meinerseits auf die von Aerzten früher oder 
heute erhobenen besonderen Einwände und gemachten Gegenvor¬ 
schläge. Nur zur Wahrung meines Standpunktes lehne ich jetzt 
schon zwei Mittel grundsätzlich ab. Zum ersten jede Pflicht der 
Selbstanzeige oder jede ärztliche Anzeigepfiicht, die das Berufs¬ 
geheimnis verletzt. Zum andern das erforderte Gesundheitszeugnis 
für Brautleute vor der Ebeschliessung. Dieser letztere Gedanke 
erscheint mir nicht nur als eine soziale Ungeheuerlichkeit für 
unsere Frauenwelt, sondern auch als ein nur sehr unvollkommenes 
Schutzmittel für die allergröbsten Fälle. Doch mag es sich wohl 
geziemen, wenn ich über diese von Aerzten gemachten Vorschläge 
dem Arzte selbst das Wort lasse. 


II. AerztUches Referat. 

Von 

Prof. Dr. C. Brnhas-Charlottenburg. 

Die Themata, auf denen sich der neue Entwurf aufbaut, sind 
in den vergangenen 10—20 Jahren wiederholt Gegenstand ein¬ 
gehendster Diskussion und Beratungen gewesen. Blasch ko, 
Kirchner, E. Lesser, Neisser und viele andere, vor allem 
auch die ausführlichen Besprechungen der Sachverständigenkom¬ 
mission der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten haben die Materie von den verschiedensten 
Seiten aus beleuchtet und geprüft, so dass wir heute mit Neisser 1 ) 
bekennen müssen, dass Neues kaum noch gebracht werden kann. 
Alles, was irgend in Betracht kommt, ist schon gesagt worden, 
man kann nur zu den einzelnen Punkten kritisch Stellung nehmen. 
So werden auch dem Spezialisten, der sich mit dieser Materie 
immer befasst bat, die folgenden Erläuterungen bekannte Dinge 
bringen. Die Ausführungen sollen besonders denen, welchen diese 
Dinge nicht so geläufig sind, zur Erklärung dafür dienen, in¬ 
wieweit wir durch den Entwurf einer wirksamen Bekämpfung 
der Gefahren der Geschlechtskrankheiten näher gebracht sind. 

Der § 1 des Gesetzentwurfes besagt nur, dass als Geschlechts¬ 
krankheiten Syphilis, Tripper und Schanker aufzufassen seien 
und bedarf keines Kommentars. 

Beim § 2, nach dem derjenige mit Gefängnis bedroht wird, 
der den Beischlaf ausübt, obwohl er weiss, dass er ansteckend 
krank ist oder es den Umständen nach annehmen muss, hat 
Herr Kahl vom juristischen Standpunkt aus Bedenken geänssert, 
ob der Zusatz „oder den Umständen nach annehmen muss“, dass 
er krank sei, nicht zu dehnbar wäre. Ich fasse diesen Zusatz nur 
in dem Sinne auf, dass niemand, der z. B. offensichtliche syphilitische 
Erscheinungen oder ausgesprochene frische Trippersymptome an 
sich zeigt, sich damit herausreden kann, er habe doch nicht wissen 
können, dass es sich hier um solche Erkrankungen handelte. 
Der Richter muss ihm in den ohne weiteres klar liegenden Fällen 
sagen können, dass er nach dem, was jeder nur einigermaassen 
intelligente Mensch wissen kann und muss, sehr wohl „den Um¬ 
ständen nach annebmen konnte“, dass er krank sei. Entfiele 
dieser Zusatz, so könnte sich jeder zu leicht dem Strafantrag 
entziehen. Dass es aber neben den ohne Weiteres klar liegenden 
Fällen recht viele geben wird (chronische Gonorrhoe, ältere Syphilis), 
bei denen auch der Zusatz im Text des Entwurfes es durchaus 
unentschieden lassen wird, ob der Täter als strafbar anzusehen 
ist oder nicht, ist von Zumbusch 8 ), der sich neuerdiDgs — auch 
wegen der Gefahr der Erpressungen — scharf gegen diesen sog. 
Gefährdungsparagraphen wendet, ohne weiteres zuzugeben 

Sehr zu begrüssen ist vom ärztlichen Standpunkt aus das 
Verbot der Fernbehandlung und der Behandlung durch nicht- 
approbierte Personen (§ 3). Ist doch speziell das Kurpfuscherei- 
Verbot schon längst von den Aerzten ersehnt. Mit Herrn Kahl 
möchte auch ich für Wegfall der Einschränkung eintreten, dass 
Kurpfuscherei nur verboten sei, „sofern die Behandlung gewerbs¬ 
mässig erfolgt“. Wir Aerzte wissen ja zur Genüge, wie oft schon 
Behandlung durch nichtapprobierte Aerzte, auch die aus 
Freundschaft oder Gefälligkeit geleistete unentgeltliche, Schaden 
angestiftet hat, schon allein dadurch, dass nicht selten der richtige 

1) „Die Gesohleohtskrankheiten und ihre Bekämpfung“. Berlin 1916. 
Vorwort. 

2) M.m.W., 1918, Nr. 2. 


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8. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


326 


Zeitpunkt zum Einsetzen der notwendigen energischen thera¬ 
peutischen Maassnahmen versäumt wird. Dass der § 4 (Verbot 
von öffentlicher Anpreisung und Ausstellung von Mitteln zur 
Heilung oder Linderung von Geschlechtskrankheiten) den Vertrieb 
von Präservativmitteln zur Verhütung von Ansteckungen nicht 
mit betrifft, ist im juristischen Teil schon auseinandergesetzt. 
Es wäre das ja auch ein grosser Fehler gewesen, diese Mittel in 
ihrer Anwendung zu verbieten. Die Einführung von Schutzmitteln 
hat nach den Erfahrungen in der Marine, im Heer und nach den 
sonstigen ärztlichen Beobachtungen ganz zweifellos sehr oft Gutes 
gewirkt. Trotz der vielfach geltend gemachten ethischen Bedenken, 
ist die möglichst weite Verbreitung dieser Schutzmittel vom 
ärztlichen Standpunkte ans dringend zu befürworten. 

Wenn so die ersten 4 Paragraphen dem Arzt durchweg wohl 
sehr einleuchtend erscheinen können, so gilt das auch ohne 
weiteres von dem § 7, welcher der Ansteckung der Ammen oder 
der gestillten Kinder durch die Ammen, ferner der Pflegeeltern 
geschlechtskranker Kinder Vorbeugen soll. Danach soll jede 
Amme, die ein fremdes Kind stillt, ein vor Antritt der Stellung 
ausgefertigtes Gesundheitszeugnis vorweisen. Damit würde also 
auch die Wassermann’sche Untersuchung in jedem Falle gesetzlich 
verlangt, die bisher gewiss nicht allgemein durchgeführt wurde. 
Ferner soll bestraft werden eine weibliche Person, die wissend, 
dass sie an einer Geschlechtskrankheit leidet, ein fremdes Kind 
stillt, ebenso die Person, die ein syphilitisches Kind, für dessen 
Pflege sie zu sorgen hat, in Kenntnis der Erkrankung von einer 
anderen Person als der Mutter stillen lässt und endlich derjenige, 
der ein geschlechtskrankes Kind in Kenntnis der Erkrankung in 
Pflege gibt, ohne die Pflegeeltern von der Krankheit des Kindes 
zu benachrichtigen. Dagegen bleibt straflos das Stillen oder 
Stillenlassen eines syphilitischen Kindes durch eine weibliche 
Person, die selbst an Syphilis leidet. Auch dieser § 7 bringt nur 
Dinge, denen alle Aerzte sehr gern zustimmen werden. 

Weniger klar liegen aber nun die auf so viel besprochenen 
Streitfragen aufgebauten sehr wichtigen §§6 und 6. Die juristische 
Notwendigkeit, nach unseren heutigen Anschauungen die § 180 a 
und 361, 6 des Strafgesetzbuches zu ändern, ist oben eingehend 
auseinandergesetzt. Dadurch soll ja vor allem eine Verbesserung 
unseres heutigen Reglementierungssystems erreicht werden. Eine 
vollkommene Aufhebung jeder Reglementierung halten wir für 
nicht möglich, der Staat muss, da er die Prostitution nicht 
beliebig ihre Wege gehen lassen kann, sie unter eine gewisse 
Aufsicht stellen, d. h. sie reglementieren. 

Nun zeigt sich aber zweifellos, dass das starre polizeiliche 
System unseren heutigen im ganzen humaneren Auffassungen 
nicht mehr entspricht und auch vor allen Dingen nicht das er¬ 
reicht, was der Staat bei einer Sanierung der Prostitution bezweckt. 
Fast alle bei der Beaufsichtigung der Reglementierung beteiligten 
Kreise, soweit sie überhaupt für die Reglementierung sind, sind 
heute darin einig, dass von den zwei Faktoren des Reglementierungs- 
Systems, der Sittenkontrolle und der gesundheitlichen Aufsicht, 
die polizeiliche Kontrolle immer weiter zurücktreten müsse, sich 
nur auf das allernotwendigste beschränken solle, dass dagegen 
die sanitäre Beaufsichtigung einen breiteren Raum einnehmen 
müsse. Dadurch will man vor allen Dingen auch dem — man 
kann wohl sagen — schwerwiegendsten Einwand, den man heute 
noch gegen die Reglementierung machen kann, nach Möglichkeit 
begegnen. Bei der Reglementierung hat die Polizeibehörde gerade 
hinsichtlich der sanitären Ueberwachung nur Einfluss auf den ge¬ 
ringen Bruchteil der eingeschriebenen Prostituierten. Es ist nun 
schon seit langem der Angelpunkt der ganzen Erwägungen, wie 
man neben dieser geringen Zahl die in Berlin etwa zehnfach 
grössere Zahl der heimlichen Prostitution, die ja betreffs An¬ 
steckung viel gefährlicher ist als die vielfach schon älteren ein¬ 
geschriebenen Prostituierten, fasst. 

Aus diesem Grunde ist auch der Erlass von 1907 geschaffen 
worden. Was dieser Erlass neben einigen sittenpolizeilichen Vor¬ 
schriften, wie Verbot des Wohnens der Prostituierten in bestimmten 
Strassen und Häusern, in Familien mit schulpflichtigen Kindern 
usw. hauptsächlich bestimmte, ist oben in den juristischen Er¬ 
klärungen erwähnt. Vor allem sollte die ärztliche Ueberwachung 
für die sich Prostituierenden in schonenderer Weise als bisher 
gestaltet werden. Durch die Einrichtung der öffentlichen ärztlichen 
Sprechstunden sollten alle die Personen, die sich regelmässig in 
diesen öffentlichen Sprechstunden untersuchen und behandeln 
Hessen und dies durch die ärztliche Bescheinigung auf einer Karte 
nach weisen können, von allem Eingreifen der Polizei solange be¬ 
freit sein. Vorausgesetzt, dass sie nicht durch ihr sonstiges Be¬ 


nehmen Asstoss erregten, oder dass sie wegen ihrer Krankheit 
einem Krankenhause zugewiesen werden müssten. 

Man hoffte, dass durch diese mehr freiwillige Untersuchung 
und Behandlung, die auf der andern Seite ein Befreitbleiben von 
polizeilicher Verfolgung gewährleisten sollte, die heimliche 
Prostitution sich jetzt viel mehr in ärztliche Ueberwachung be¬ 
geben würde, die für sie jetzt nicht mehr das drückende wie bei 
der polizeilichen sanitären Kontrolle der eingeschriebenen Dirnen 
hätte, und dass somit eine Sanierung der heimlichen Prostitution 
bis zu einem gewissen Grade erfolgen würde. Warum der Erlass 
damals nicht ausführbar war, hat Herr Kahl aiiseinandergesetzt. 
Nach dem jetzigen Entwurf würde das ja nun eher möglich sein. 
Freilich ist aber meines Erachtens auch derWirksamkeit dieser Maass¬ 
regel eine Grenze gezogen, die nicht allzuweit gesteckt ist. Zu¬ 
nächst kommt die Indolenz aller dieser weiblichen Wesen sowohl 
gegen Neueinrichtungen wie auch gegen ihren eigenen Gesundheits¬ 
zustand in Bezug auf Geschlechtskrankheiten in Betracht. Aber diese 
Indolenz würde vielleicht überwunden werden durch allmähliche 
Erkenntnis des Vorteils, bei dem Besuch dieser Behandlungsstellen 
von polizeicher Verfolgung befreit zu sein. Viel schwerwiegender 
ist die Erwägung, dass man erkrankte und meist dabei ansteckende 
Prostituierte nicht einer ambulanten Behandlung überlassen sollte, 
vielmehr sie in ein Krankenhaus internieren soll, weil die Ueber- 
wachung daraufhin, dass die Betreffenden nicht neben der Behand¬ 
lung doch den Geschlechtsverkehr weiter ausüben, zu schwer ist. 
Mit Zinsser 1 ) und andern bin ich der Ansicht, dass ansteckende 
sich prostituierende Personen unbedingt ins Krankenhaus gehören. 
Wenn die betreffenden weiblichen Kreise nun merken werden, 
dass sie bei Feststellung einer Erkrankung in solch einer unent¬ 
geltlichen öffentlichen Sprechstunde doch ins Krankenhaus ge¬ 
schickt werden und von dort im günstigsten Fall wieder heraus¬ 
gelassen werden, wenn sie keine ansteckenden Symptome mehr 
zeigen, so werden doch viele von ihnen versuchen, lieber wie 
früher möglichst ganz im Verborgenen zu wirken. 

Nach § 6 würde das Zusammenwohnen von Prosti¬ 
tuierten in Bordellen in Zukunft verboten sein. Dieses Verbot 
ist zweifellos zu begrüssen, die Ausbeutung der Insassinnen solcher 
Bordelle durch die Eigentümer oder die Bordellwirtinnen ist ja 
bekannt. Durch pekuniäre immer weitergreifende Verschuldung 
werden die Prostituierten den Wirten dieser Häuser oft förmlich 
versklavt. Es ist ja eine alte Streitfrage, in welcher Weise die 
Wohnungsfrage für die Prostituierten zu regeln sei. Ist es besser, 
sie nur auf gewisse wenige Häuser in engeiem Zusammenwohnen 
zu beschränken (d. h. zu kasernieren) und dadurch das Strassenbild 
frei zu halten, damit auch die Schäden, die durch die Verführung 
anderer weiblicher zum Teil minderjähriger Personen seitens der 
Prostituierten beim Wohnen in Bürgerquartieren sich ergeben 
können, zu vermeiden? Oder soll man die Betreffenden beliebig 
in soundsoviel dafür freigegebenen Strassen eingemietet in Bürger¬ 
häusern wohnen und sie die Anlockung der Männerwelt auf der 
Strasse ausüben lassen? 

Nun ist gerade in letzter Zeit als Mittelweg zwischen dem 
oben erwähnten zn verwerfenden System des Bordellwesens und 
dem Freiwohnen bzw. dem dabei sich ergebenden Herumflanieren 
auf der Strasse das System der Kontrollstrassen sehr 
empfohlen worden. Das Prototyp dafür ist die bekannte Bremer 
Kontrollstrasse, die Helenenstrasse. Die Grundsätze des sogenannten 
Systems sind in erster Linie Kasernierung, dabei aber vollständig 
freiwilliger Aufenthalt der Prostituierten in der betreffenden 
Strasse. 

Nach der Schilderung von Tjaden 2 ) hat jede Prostituierte 
ihre eigene Wohnung. Der Besitzer der Häuser darf mit den 
Prostituierten in keinerlei geschäftliche Beziehung treten, ausser 
dass er die tägliche Miete einzieht. Jede Wohnung enthält 
ein Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche. Die Prostituierten 
haben vollständige Bewegungsfreiheit und können jeden Tag ihre 
Mietswohnung aufgeben. Sie machen selbst ihre Einkäufe und 
versorgen sich vollkommen selbst, können also nicht ausgebeutet 
werden. Die Strasse ist so gelegen, dass sie eine Sackgasse mit 
26 Häusern bildet, sie ist eine Seitenstrasse eines der belebtesten 
Verkehrswege, von diesem aber durch ein Eingangstor so getrennt, 
dass es von aussen nicht auffällig ist und doch den Einblick in 
die Strasse bindert. In einem der Häuser sind Bäder einge¬ 
richtet, jede Prostituierte muss zweimal in der Woche baden, die 
ärztliche Untersuchung findet zweimal wöchentlich in der Strasse 
selbst in einem besonderen Untersuchungsraum statt. 

1) Zschr. z. Bekämpf, d. Geschleohtskrkh., Bd. 8. 

2) Zschr. z. Bekämpf, d. Geachlechtskrkh., Bd. 17, S. 11—12. 

2 


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326 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Nach diesen Ausführungen bat in der Tat das System der 
Kontrolistrassen etwas Bestechendes. Vor allem sind die sani¬ 
täre Ueberwachnng und die hygienischen Bedingungen des Wohnens 
bessere, und man kann wohl annehmen, dass die aus der Kon¬ 
trollstrasse hervorgehenden Infektionen einen geringeren Prozent 
satz ausmachen als die durch die vagierende Prostitution verur¬ 
sachten Infektionen. Ich sage, „man kann wohl annehmen u , 
denn die Statistik kann dies kaum beweisen. Es sprechen da 
zu viel verschiedene Faktoren mit, der Umstand z. B., dass in 
der Bremer KontrolLstrasse mehr ältere, und daher in bezug auf 
Luesinfektionen ungefährlichere Prostituierte untergebracht sind, 
der Faktor ferner, dass sich unmöglich feststellen lässt, wie 
häufig im Verhältnis zur freiwohnenden Prostitution der Ge¬ 
schlechtsverkehr in der betreffenden Strasse ausgeübt wird. Und 
ohne solches Prozentverhältnis lässt sich gar keine Statistik auf¬ 
stellen. 

Festzuhalten ist, dass die Kontrolistrassen nicht etwa in der 
grossen Zahl anzulegen wären, dass sie alle Prostituierten beher¬ 
bergen können. Es würde immer nur eine verhältnismässig 
kleine Zahl in einer solchen Strasse wohnen können, und die 
andern würden sich doch auf den Strassen herumtreiben. Die 
Kontrolistrassen etwa in grösserem Maassstab in jeder Stadt an¬ 
zulegen, würde doch vollkommen unmöglich sein, es würden in 
jeder grossen Stadt natürlich auch eine grössere Anzahl solcher 
Strassen nötig sein. In der Peripherie der Stadt gelegene Kon- 
trollstrassen würden ihren Zweck vollkommen verfehlen. Wo sollte 
man nun diese veischiedenen Kontrolistrassen mehr im Innern 
der Stadt bernebmen? Durch Aufkauf der Häuser würden — 
zunächst einmal ganz abgesehen von den Kosten — nicht nur 
die betreffenden Strassen, sondern auch die ganze Umgebung 
plötzlich erheblich entwertet werden. Niemand würde in der 
Nähe einer solchen Kontrollstrasse gern wohnen wollen. So ist 
das System der Kontrolistrassen in kleineren und mittleren Städten 
gelegentlich wohl ausführbar und dann auch zu empfehlen, 
aber keineswegs durchgängig möglich. Schliesslich möchte ich 
aber noch einen Grund gegen die Kontrolistrassen geltend machen, 
der gegen sie ebenso anzufübren. ist, wie er gemacht wird 
[Wagner-Altona 1 2 ) u. a.] gegen die Bordelle. Es ist bekannt, 
wie nach grösseren Versammlungen usw., aber auch schon nach 
kleineren Vereinigungen von Männern, studentischen Kneipen usw. 
unter dem Einfluss des Alkohols nicht ganz selten die Versamm¬ 
lung damit beschlossen wird, dass die Männerwelt durch die 
Bordelle, wo es solche gibt, zieht, oft nur des Anreizes wegen, 
von vornherein gar nicht immer mit der Absicht, den Geschlechts¬ 
verkehr auszuüben. Die Verführung ist dann hier in solchen 
Häusern eine ganz andere als beim „Ansprechen“ auf der Strasse, 
mancher kommt zum Geschlechtsverkehr und damit eventuell zur 
Ansteckung, der nicht dazu gekommen wäre, wenn er erst die 
Anknüpfung auf der Strasse suchen muss. 

Zwei Punkte muss ich noch erwähnen, die nicht in die 
Paragraphen des Gesetzentwurfes aufgenommen, aber in der bei¬ 
gegebenen Begründung zum Entwurf mit aufgeführt worden sind. 
Es ist dabei ausdrücklich gesagt, dass diese Punkte nicht mit 
in den Gesetzes Vorschlag aufgenommen wurden, weil über ihre 
Zweckmässigkeit noch grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten 
bestehen. Es sind dies die von manchen Seiten geforderte An¬ 
zeigepflicht aller Geschlechtskrankheiten und ferner die 
Frage der Forderung eines vor der Eheschliessung zu 
erbringepden Gesundheitsattestes. 

Die Anzeigepflicht der Geschlechtskrankheiten ist z. B. in 
neuester Zeit wieder von der Kommission des ärztlichen Vereins 
in München unter Führung von Zumbusch und Dyroff*) u. a. 
gefordert. Diejenigen, die die Anzeigepflicht vertreten, gehen 
eben von der Ansicht aus, dass der Einzelne sich dem Wohle der 
Allgemeinheit beugen müsse, da die Geschlechtskrankheiten für 
das gesamte Volk eine schwere Schädigung bildeten. Betreffs 
der Anzeige sind verschiedene Vorschläge gemacht worden, ent¬ 
weder in dem Sinne, dass der Arzt die von ihm Behandelten 
melden soll, oder auch dass jeder Geschlechtskranke die Pflicht 
habe, sich selbst anzumelden. Auf die näheren technischen Details 
will ich gar nicht eingehen. Jedenfalls sollte die Behörde, so¬ 
bald Vernachlässigung der Behandlung einträte, die Zwangs¬ 
behandlung z. B. in einem Krankenhause vornehmen lassen 
können. 


1) Denn. Wschr., 1917, S. 1008. 

2) If.m.W., 1916, S. 1692. 


Diese Vorschläge müssen aber meines Erachtens als eine in 
die persönliche Freiheit des Einzelnen viel zu tief einschneidende 
Maassnah me abgelehnt werden. Es ist von jemand, der von 
selbst seine Erkrankung gewissenhaft behandeln lässt, doch recht 
viel verlangt, wenn er einer Behörde mit ihrem ganzen Stab von 
Beamten und Schreibern mit Nennung seines Namens seine Ge¬ 
schlechtskrankheit mitteilen soll. Dazu kommt, dass diejenigen, 
die ihre Krankheit überhaupt nicht behandeln, sondern sie ein¬ 
fach sich selbst überlassen, gar nicht gefasst werden können, weil 
die erste Anzeige des Arztes fehlt. Und auf diese Kranken kommt 
es ja hauptsächlich an. Zu bedenken ist noch, dass der Meldezwang 
natürlich gar keinen Einfluss darauf hat, dass nicht doch der 
Gemeldete durch leichtsinnigen weiteren Geschlechtsverkehr seine 
Krankheit weiterträgt, und das wäre doch gerade von grösster 
Wichtigkeit. Und schliesslich als schwerster Gegengrund ist an- 
zuführen, dass viele, die eben die Anzeige seitens des Arztes 
scheuen würden, sich lieber bei einem Kurpfuscher, dessen Ge¬ 
werbe trotz des heute vorliegenden Entwurfs in diesem Falle 
sehr lebhaft heimlich blühen würde, behandeln lassen würden. 
Ich glaube daher wohl, dass man eine Anzeigepflicht der Ge¬ 
schlechtskranken seitens des Arztes vollkommen ablehnen sollte. 
Ein gewisses Anzeige recht des Arztes bei gewissenhafter Durch¬ 
führung und auch bei einer Ueberwachung daraufhin, dass der 
Arzt wirklich nur Begründetes meldet, was natürlich nicht immer 
ganz leicht sein würde, wäre dagegen viel eher zu empfehlen. 

Wie steht es nun mit der so vielfach vorgeschlagenen ge¬ 
setzlichen Einführung des Gesundheitsattestes vor der Ehe? Wäre 
sie nicht sehr erstrebenswert? Rein theoretisch betrachtet, könnte 
man die Frage gewiss bejahen. Aber nun sehe man sich ein¬ 
mal die praktische Ausführbarkeit an. Mit Blaschko 1 ) möchte 
ich hier nur die folgenden Punkte betonen: 

Die Untersuchung müsste sich doch auf beide Geschlechter 
erstrecken. Wenn nun schon mancher Mann, der vielleicht nie¬ 
mals an einer Geschlechtskrankheit gelitten hat und in dieser 
Beziehung nicht so medizinisch denken gelernt hat, wie wir 
Aerzte, eine solche Untersuchung peinlich empfinden würde, soll 
man sich einmal vorstellen, was das für junge Mädchen aus den 
gebildeten Ständen, denen der Begriff der Geschlechtskrankheit 
meist ganz oder fast ganz fremd zu sein pflegt, bedeuten würde. 
Eine solche Untersuchung, die sich auf die eingehendste Genitai- 
inspektioa mit Anlegung mikroskopischer Präparate usw. ausdebnen 
müsste, halte ich für praktisch vollkommen unangängig. 

Ferner wissen wir Aerzte alle zur Genüge, dass zur Unter¬ 
suchung auf Gonorrhoe oft sehr häufige, zu verschiedenen Zeiten 
vorgenommene Untersuchungen notwendig sind. Es handelt sich 
doch bei diesen Feststellungen viel mehr um chronische als um 
akute Erkrankungen, deren Nachweis mit Sicherheit oft über¬ 
haupt unmöglich ist. Bei Lues ist man noch ganz besonders 
auch auf die Anamnese angewiesen, wenn jemand nicht gerade 
ausgesprochene syphilitische Symptome zeigt. Wir wissen, dass 
wir die Syphilis in der Regel 3—4 Jahre lang als infektiös ansehen 
müssen, auch wenn keine Erscheinungen vorhanden sind, der 
negative Wassermann beweist in solchen Fällen nichts. Jeder, 
dem daran gelegen wäre, ein Gesundheitsattest zu erhalten, 
könnte mit grösster Leichtigkeit den untersuchenden Arzt über 
die vorangegangene Erkrankung täuschen. 

Und noch mancherlei andere Gründe Hessen sich gegen diese 
Eheatteste anführen. Die praktische Durchführung würde ganz 
unmöglich sein. Zur Verhütung der Ansteckung in der Ehe ist 
vielmehr eine weitestgehende Aufklärung anzustreben. Zu be- 
grossen ist es sicher, wenn der Vater der zu verheiratenden 
Tochter so weit über die Gefahren der Geschlechtskrankheiten 
aufgeklärt ist, dass er von seinem Schwiegersohn vor der even¬ 
tuellen Verlobung privatim die Bestätigung verlangt, dass der 
Betreffende gesund sei. Diese Kenntnis ist es, die in allen 
Kreisen verbreitet werden muss, und es ist zu dem Zweck auch 
von verschiedenen Seiten eine Verteilung von darauf hinweisenden 
Merkblättern vorgeschlagen. Die Merkblätter sollen aber nicht 
etwa bloss von den Gefahren der Geschlechlecbtskrankheiten für 
die Ehe sprechen, sondern sollen diese Krankheiten neben den 
Gefahren der Lungen krank beiten, der psychischen Defekte usw. 
in nicht besonders auffälliger Weise mitaufführen, sie sollen die 
Notwendigkeit, in jeder Hinsicht gesund an Körper und Geist in 
die Ehe zu treten, betonen. Solche Merkblätter wären zweifellos 
sehr gut, es fragt sich nur, wann soll man sie verteilen? Diese 
Frage ist kaum zu lösen. Die Berliner Gesellschaft für Rassen- 


1) Mitt. d. Ges., Bd. 14, Nr. 3 und 4, S. 42. 


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8, April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


327 


hygiene hat im Verein mit 18 sozialhygienischen nnd sozial¬ 
politischen Gesellschaften ein derartiges Merkblatt (auf Anregung 
von J. Schwalbe 1 2 ) abgefasst and die Eingabe an die Bundes¬ 
regierungen gerichtet, zu genehmigen, dass dies von den Standes¬ 
beamten an die Brautleute bei der Anmeldung ihres Aufgebotes 
aasgegeben werden sollte. Nun wird man sagen, dass das Merk¬ 
blatt dann schon etwas spät kommt. Immerhin wurde ein solches 
Merkblatt bei geeigneter Verbreitung doch allmählich zur Folge 
haben, dass auch der Laie immer mehr davon überzeugt wird, 
von welch grosser Wichtigkeit es ist, dass bei der Verheiratung 
beide Teile gesund in die Ehe treten. 

Ceberblicken wir zum Schlüsse die einzelnen 
Punkte des Gesetzentwurfes noch einmal, so erscheinen 
mir besonders aussichtsreich die Verbote der Kurpfuscherei, 
der Fernbehandlung, der öffentlichen Anpreisung von Mitteln 
gegen die Geschlechtskrankheiten. Auch die gesetzliche Ver¬ 
fügung über die obligatorisch^ Ammenuntersuchung und der 
Schutz der Ammen bzw. Pflegeeltern ist überaus wertvoll. Inwie¬ 
weit der Gefährdungsparagraph (§ 2) und die Verfügungen, die 
die freiwillige Unterwerfung von Prostitution Treibenden unter 
sanitäre Aufsicht bezwecken, den geplanten Erfolg haben werden, 
lässt sich heute schwer Voraussagen. Als einen wichtigen Schritt 
vorwärts auf dem Gebiet der gesetzlichen Verfügungen zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten dürfen wir immerhin den 
Entwurf sicher begrüssen. 

Festzuhalten ist aber auch, dass die gesetzlichen Vorschriften 
immer nur bis zu einer gewissen Linie die Schäden der Prosti¬ 
tution und der sexuellen Infektionen erfassen werden. Ueber 
diese Linie hinaus müssen soziale Maassnahmen (z. B. Hebung 
des materiellen Loses gewisser Berufe, um sie vor Hinabgleiten 
zur Prostitution zu schützen, Sanierung der Wobnungsverhält- 
nisse u. a.) behördliche Einrichtungen (Beratungsstellen, unent¬ 
geltliche Behandlungsgelegenheiten), vor allem aber die Auf¬ 
klärung des Publikums über die Ansteckungsfähigkeit und über 
die Gefahren der Geschlechtskrankheiten, über die Möglichkeiten 
der Verhütung und vor allem auch über die Notwendigkeit 
sofortiger Behandlung bei erfolgter Infektion das Ihre tun. 
Aufklärung durch Bild und Wort, durch die Presse, durch Vor¬ 
träge für die verschiedenen Klassen der Bevölkerung, Beleh¬ 
rung für die heran wachsende Jugend und für den Sohn, der 
aus dem Elternhause ins Leben tritt. Dieser Faktor, die ge¬ 
schickte und immer wiederholte Aufklärung, ist es, der neben 
den gesetzlichen Verfügungen in allererster Linie stehen und 
unermüdlich immer weiter ausgebaut werden muss. 


Aus der Röntgenabteilung des Hospitals zum heiligen 
Geist in Frankfurt a. M. (Vorstand: Dr. Groedel). 

Die Dimensionen des normalen Aorten- 
Orthodiagramms*). 

Von 

Dr. Franz M. Groedel, Frankfurt a. M.-Bad Nauheim. 

In seinen Publikationen „Ueber das Volumen des Herzens 
und die Umfänge der grossen Arterien des Menschen in den ver¬ 
schiedenen Lebensaltern 11 sagt F. W. Beneke 3 ), sie nimmt „von 
Anfang bis zu Ende des Lebens ständig an Umfang zu. u „Trotz 
gleicher und mehrfach selbst grösserer Körperlänge der Mädchen, 
sind die beiden grossen Gefässstämme bei diesen etwas enger als 
bei den Knaben. u In diesen Sätzen ist das wichtigste Ergebnis 
der Untersuchungen dieses fleissigen Forschers zusammengefasst. 
Ein im wesentlichen gleiches Resultat zeitigten 30 Jahre später 
auch die Untersuchungen des Japaners Iwakichi Kam 4 ). 

Die Mittelzahlen in mm für den Umfang der Aorta, 1 cm 
oberhalb des Klappenrandes gemessen, seien für einige Alters¬ 
gruppen nach Beneke’s Zahlenmaterial hier zusammengestellt. 


1) D.m.W., 1917, Nr. 45, S. 1428. 

2) Vortrag, gehalten im Aerztliohen Verein in Frankfurt a. M. am 
1. Oktober 1917. 

3) Schriften der Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Natur¬ 
wissenschaften zu Marburg. Bd. 11, Sapplem.-H. 2, 3, 4. Kassel 1881, 
Verlag Theodor Kay. 

4) Viroh. Arob. f. pathol. Anat., 1910, Bd. 201. 


Tabelle I. 

Aertenumfang lern oberhalb des Klappenrandes naohBeieke. 


Ende des 1. Lebensjahres 

m. 

30,0 

w. 

28,3 

* , 3. 

91 

» 

35,6 

91 

84,6 

, . 7. 

9) 

9» 

48,0 

* 

42,2 

» * 15 - 

91 

91 

49,0 

n 

49,6 

y> • 17 . 

9t 

91 

55,1 

91 

49,6 

- „ 19 . 


n 

57,8 

99 

53,8 

. . 20 . 

91 


57,8 

99 

53,5 

, . 21 . 


9 

62,0 

* 

56,2 

SO.—40. 

9) 

91 

65,2 

99 

60,6 

40.—50. 

91 

99 

72,1 


65,8 

50.—60. 

99 

f| 

75,4 

91 

74,8 

60.—70. 

91 

99 

80,8 

99 

75,6 

70.—80. 


99 

82,7 


— 


Fast identische Zahlen findet auch Suter 1 ) auf Grund von 
2500 Messungen. 

Dass aber die anatomische Messung des Aortenumfanges 
nicht absolut zuverlässig ist, dass speziell das Untersuchungs- 
material nicht einwandfrei ist, das erhellt aus den Erörterungen 
Suters. Ferner ist der Hinweis Suters sehr berechtigt, dass, 
wie stets bei derartigen statistischen Messungen, den Durchschnitts¬ 
zahlen nur relative Bedeutung zukommt. Fand er doch z. B. bei 
21—30 jährigen Individuen den Umfang der weitesten Aorten 
mehr wie doppelt so gross als denjenigen der engsten. 

Für die nachfolgenden Ausführungen ist nun zunächst die 
Frage zu erörtern, ob wir überhaupt intra vitam gleichsinnige 
Werte für den Aortenumfang erwarten dürfen, resp. ob bei der 
Postmortem-Untersuchung die Aorta nennenswerte morphologische 
Veränderungen im Vergleich zur Intravitam-Untersuchung aufweist. 

In dieser Beziehung ist eine Erfahrungstatsache besonders 
wichtig, die mir immer wieder bei anatomischen Vergleichsunter¬ 
suchungen aufgefallen, die von anderer Seite aber seither nicht 
gewürdigt worden ist. 

Am Röntgenschirm sehen wir bei Kindern meist, bei Erwach¬ 
senen jenseits des 18. Lebensjahres aber stets — bei Untersuchung 
in vertikaler Körperstellung noch regelmässiger als bei solcher 
im Liegen — die Aorta ascendens die Vena cava derart über¬ 
lagern, dass wir die letztere unter normalen Verhältnissen nie 
zu Gesicht bekommen. Sehen wir uns aber einen anatomischen 
Brustsitus an, so überragt die Vene den lateralen Aortenrand 
fast stets um ein beträchtliches Stück. Das gleiche Ergebnis 
zeitigten auch meine Jnjektionsuntersuchungen am aneröffneten 
Brustkorb*). 

Die Erklärung für diese Erscheinung ist leicht zu geben, 
von klinischer Seite seither aber noch nicht gesucht worden. 
Intra vitam steht die Aorta unter einem Druck von etwa 170 
bis 200 mm Hg. In der Agonie fällt dieser Druck auf 0 und 
das, besonders bei jugendlichen Individuen hochelastische Aorten¬ 
rohr kontrahiert sich. Die Vena cava des Lebenden dagegen 
steht nur unter dem Druck einiger mm Hg. In der Agonie staut 
sich in ihr das Blut. Der schlaffe Venenschlauch wird also 
dilatiert. 

Auch von seiten der Anatomen ist dieses Moment früher nicht 
beachtet worden. Zwar liegen zahlreiche Mitteilungen über die 
Dehnbarkeit resp. die Elastizität der Arterien vor. Die Frage: 
„wie stark zieht sich die Aorta zusammen, wenn der intra vitam 
sie ausdehnende Blutdruck beim Stillstand des Herzens zu wirken 
aufhört? 11 hat aber erstmalig Suter gestellt und teilweise be¬ 
antwortet. 

Wie hochgradig die Volumverminderung der Aorta post 
mortem gegenüber dem Leben sein muss, können wir aus den 
Tabellen Suters erkennen. 

Auf Grund von Debnungsversuchen hat dieser Autor den 
wahrscheinlichen Aortenumfang für die unter Aortendruck stehende 
Aorta aus seinen anatomischen Zahlen errechnet. Er findet bei¬ 
spielsweise bei einem anatomischen post mortem Aortenumfang 
von 63,0 mm für .die gleiche (intra vitam) unter einem Druck 
von 170 mm Hg. stehende Aorta 105,6 mm Umfang. Wir können 
also wahrscheinlich für die Aorta jugendlicher (!) Individuen 
folgendes Grössen Verhältnis ansetzen: intra vitam 5 zu post 
mortem 3. 

Es ergibt sich aus diesen Betrachtungen jedenfalls, dass wir 
bei der klinischen Untersuchung wesentlich andere Werte wie 
auf dem Sektionstisch finden werden. 


1) Aich. f. exper. Path. u. Pharm., 1897, Bd. 39, S. 289. 

2) Rontgenanatomisohe Situsuntersuohungen des Herzens und der 
grossen Gefasse. D. Arob. f. klin. K., 1913, Bd. 3. 

2 * 


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•328 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Dass ausserdem die intra vitam beim Erwachsenen ungefähr 
gleichweiten Aorten nach Suters Berechnungen mit dem Alter 
die Fähigkeit verlieren, sich nach Aufhören des Blutdrucks, also 
post mortem, zusammenzuziehen, entspricht durchaus meinen ver¬ 
gleichenden röntgenologisch-anatomischen Erfahrungen. 

Auf welche Weise können wir uns am Lebenden ein Bild 
der Aortendimensionen verschaffen 

Die Perkussion versagt, wie selbst der erfahrenste Unter¬ 
sucher zugeben wird, bei der Ermittelung der Aortengrösse noch 
häufiger als bei der Herzgrössenbestimmuug. Das Röntgenver¬ 
fahren ist auf den ersten Blick sehr vielversprechend, hat aber 
seither das noch nicht gehalten, was man anfangs von ihm er¬ 
wartete. 

Noch vor fünf Jahren sagte ich 1 ), dass der Versuch, die 
Aortenweite orthodiagraphisch, d. h. exakt zu ermitteln, keinen 
grossen Zweck hat, dass wir auf die Schätzung am Orthodiagramm 
angewiesen sind. 

Die meisten Autoren übergehen überhaupt die Frage der 
normalen Aortendimensionen und begnügen sich mit der Fest¬ 
stellung jener Symptome, die für eine Aortenverbreiterung 
sprechen. 

So finden wir bei Schwarz 2 3 ) die Behauptung, die Aorta 
ascendens dürfe normalerweise im Sagittalbild nicht sichtbar sein. 
Arnsperger 8 ) sagt: „An der rechten Grenze des Median¬ 
schattens wird normalerweise niemals die Aorta sichtbar. Wenn 
wir dort also eine pulsierende Hervorwölbung finden, so handelt 
es sich immer um etwas Pathologisches.“ Dietlen 4 ) weist 
darauf hin, dass bei Untersuchungen im Stehen die Aorta ascendens 
häufig randbildend ist. im Liegen dagegen meist die Vene. „Von 
Dilatation der Aorta kann man röntgenologisch ganz allgemein 
dann sprechen, wenn bei sagittaler Durchleuchtung beiderseits 
deutlich pulsierende, nach aussen konvexe Gefässbogen über dem 
Herzen sitzen.“ „So leicht die Röntgendiagnose der hochgradigen 
Aortendilatation ist, so schwierig gestaltet sie sich bei mässigen 
Erweiterungen.“ Ferner sei erwähnt, was Köhler 5 * ) sagt: „Der 
Anfangsteil der Aorta tritt normalerweise auf Ventral- wie Dorsal¬ 
bildern rechts über den Wirbelsäulenschatten nie weiter als 1 x j t cm 
heraus. Tritt über dem rechten Vorhofschatten ein deutlicher 
Bogen mehr als 2 cm über den Wirbelsäulenrand heraus in den 
Lungenschatten, dann bandelt es sich in der Regel um Dilatation 
des Anfangsteils des Aortenbogens.“ 

Während also von verschiedenen Autoren die Sichtbarkeit 
der Aorta ascendens im Sagittalbild überhaupt als pathologisch 
bezeichnet wird, schliessen andere aus dem Grade der Ueber- 
lagerung des Wirbelsäulenschattens durch den Ascendenzschatten 
auf die Breite der Aorta. Und während meiner Erfahrung nach 
der Schatten der Vena cava unter normalert Verhältnissen und 
beim erwachsenen Menschen den Schatten der Aorta ascendens 
nicht überragt, wird dies immer noch von mancher Seite als 
Seltenheit, von anderer Seite sogar als pathologisches Symptom 
bezeichnet. Aber so viele Photogramme anderer Autoren ich 
auch durchgesehen habe, niemals fand ich die Vene bei normalem 
Herzen die Aorta überragen. 

Ein weiteres Eingehen auf diese Frage an dieser Stelle würde 
zu weit führen. Ich muss meine auf grosser klinischer Erfahrung 
beruhende Ansicht als Grundlage der folgenden Ausführungen 
nehmen. 

Nur am Orthodiagramm lassen sich die Aortenmaasse er¬ 
mitteln. Dass die mit zentraler Projektion arbeitenden röntgeno¬ 
graphischen Methoden für eine metrische Untersuchung der Aorta 
unbrauchbar sind, bedarf keiner besonderen Betonung. Aber 
auch für die schätzungsweise Feststellung der Aortendimensionen 
sind sie nicht zu verwerten. Hier machen sich die Schwierig¬ 
keiten, die der Wechsel volle Verlauf speziell des Aortenbogens 
und die Distanzunterscbiede der einzelnen Aortenteile von der 
Brustwand schon für die orthoröntgenographischen Methoden 
bedeuten, noch verstärkt geltend. 


1) Die Röntgendiagnostik der Herz- und GefässeTkrankungen. Berlin 
1912, Hermann Meusser. 

2) G. Schwarz, Die Röntgenuntersuobung des Herzens und der 
grossen Gefässe. Leipzig und Wien 1911. Franz Deuticke. 

3) H. Arnsperger, Die Röotgenuntersuohung der Brustorgane. 
Leipzig 1909, F. C. W. Vogel. 

4) H. Dietlen, Die Röntgenuntersuchung von Herz, Gefassen und 
Perikard. In: Rieder-Rosenthal, Lehrbuch der Röntgenkunde. Leipzig 
1912, J. A. Barth. 

5) A. Köhler, Lexikon der Grenzen des Normalen und der An¬ 

fänge des Pathologischen im Röntgenbilde. Hamburg 1910, Gräfe & Sillem. 


So ist besonders darauf hinzuweisen, dass im sentralproji- 
zierten Röntgenbild die Tiefenlagd des Aortenbogens für die 
Schattengrösse der Aszendens je nach der Tiefe des Brustkorbs 
mehr oder weniger deutlich hervortreten kann. In den schrägen 
Durchmessern können wir, wie bekannt, stärkere Aortenverände- 
rungen meist sehr gut nachweisen. Aber gerade die normale 
Aorta oder das nur leicht veränderte Gefäss bietet der Dar¬ 
stellung grosse Schwierigkeiten. Auch hier sind die Verlaufe- 
bzw. Projektionsvarietäten so zahlreich, dass feinere Abweichungen 
von der Norm nicht nachweisbar sind. Hierüber findet sich 
näheres in meinem oben zitierten Buch und bei P. Krause 1 ). 

Endlich ist die frontale Röntgenuntersuchung zu erwähnen. 
Sie würde selbstredend die günstigsten Bedingungen für die 
Messung der Aorta fast in ihrem ganzen Verlauf bieten. Für die 
orthoröntgenographischen Verfahren kommt sie jedoch vorläufig 
technischer Schwierigkeiten wegen noch nicht in Betracht. Die 
zentralprojizierenden Methoden kranken, abgesehen von den 
gleichen technischen Schwierigkeiten, gerade beim frontalen 
Thoraxbild an der zu grossen Verzeichnung. 

Es ist Bonacb die orthoröntgenograpbische Messung der im 
Sagittalbild sichtbaren Aortenteile das einzige zur Zeit anwend¬ 
bare Verfahren zwecks Ermittelung der normalen Aortendimen¬ 
sionen am Lebenden und demzufolge zur Feststellung geringer 
oder beginnender Dimensionsäoderungen. 

Sichtbar ist im Sagittalbild des gesunden Menschen nur der 
Teil der Aorta, der an der Bildung des dem Herzen aufsitzenden 
sogenannten Gefässchattens bzw. Gefässbandes beteiligt ist. Die 
Zergliederung des Gefässchattens ist sonach unsere erste Aufgabe. 

Wenn auch hierbei nur die Grössenverhältnisse des Anfangs¬ 
teiles der Aorta (bis zum Uebergang in die Deszendenz) zu er¬ 
mitteln sind, so genügt dies doch vollauf, denn in der Mehrzahl 
der Fälle beginnen die Aortenerkrankungen in der Nähe des 
Aortenostiums. 

Ich kann nun hier nicht auf die Varietäten des normalen 
Gefässchattens im Sagittalbild eingehen. Es. soll dies vielleicht 
in einer späteren Arbeit geschehen. An dieser Stelle interessiert 
uns nur die Frage, wie für gewöhnlich der Anfangsteil der Aorta 
vom Herzen aus verläuft, und wie weit wir die einzelnen Aorten¬ 
teile im sogenannten Gefässscbatten des Sagittalbildes differen¬ 
zieren können. 

Ich verweise auf die zahlreichen schematischen Abbildungen 
in meinem Atlas und Grundriss der Röntgendiagnostik, sowie auf 
meine oben zitierte Arbeit über Herzsitusuntersuchungen und be¬ 
gnüge mich mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten 
Momente. 

Der Aortenschatten wird rechts oben über dem rechten Vor¬ 
hof- und Veotrikelschatten sichtbar. Die Aortenwurzel wird an 
ihrem medialen Rande von der Pulmonalarterie beträchtlich 
überdeckt. An ihrem lateralen Rand legt sich zwar der rechte 
Vorhof bzw. das Herzohr etwas über das Gefäss. Es wird hier¬ 
durch jedoch nur ein ganz unbeträchtliches Stück bedeckt. Die 
Aszendens verläuft dann in sanft auswärts gebogener Linie zum 
Arkus. Ihr lateraler Rand überragt in vivo — wie oben erörtert 
und begründet — die Vena cava beim berzgesunden erwachsenen 
Menschen stets. Die Aszendens verläuft in den Aortenbogen, der 
von rechts vorne nach hinten links zieht und in die Deszendens 
einmündet. Während die aufsteigende Aorta rechts neben der 
Körpermittellinie verläuft, ist die absteigende Aorta in ihrem 
Anfangsteil links derselben gelagert. 

Der laterale Rand der Deszendens ist unterhalb des Arkus 
noch eine Strecke weit in den an den Aortenbogen anstossenden 
Pulmonalbogen bzw. Schatten zu verfolgen, verschwindet aber 
bald vollkommen. Im allgemeinen kann man sagen, dass im 
Orthodiagramm des sagittalen Herzbildes die Aorta descendens 
nicht wesentlich randbildend ist. Nur so weit sie an der Bil¬ 
dung des Aortenbogens beteiligt ist, hilft sie zur Bildung der 
Schattenkonturen. Sichtbarkeit der Deszendens ist vermutlich 
stets ein pathologisches Symptom oder mindestens ein Alters¬ 
symptom. 

Wir können also sagen, dass die Summe der beiden grössten 
Entfernungen des rechten oberen (sogenannter Gefässbogen) und 
des linken oberen Bogens (sogenannter Aortenbogen) von der 
Mittellinie der orthodiagraphisch gewonnenen Herzgefässilbouette 
etwa dem Durchmesser von Aorta ascendens plus descendens ent- 


1) Paul Krause, Die Röntgenuntersuchung der Gefässe. F.Groedel, 
Röntgendiagnostik in der inneren Medizin. 2. Aufi. München 1914, 
J. F. Lehmann. 


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830 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


breite abnimmt, eine Frage, die bei den Leichennntersnchangen, nie 
schon gesagt, seither leider nicht berücksichtigt worden ist. 

Dass die Zunahme der Aortenbreite in den ersten Lebensdezennien 
eine stärkere als in den späteren ist, ergibt sich aus meinen Tabellen 
in gleicher Weise, wie aus denen Suter ’s und bedarf wohl keiner be¬ 
sonderen Begründung. 

Tabelle IV. 

Die Dimensionen des Aorten-Orthodiagramms bei verschie¬ 
denen Grössengruppen. 


Anzahl 

Alter 

Grösse 

AT 

AL 

AT + AL 

19 

18—24 

193—185 

5,4 

7,8 

18,2 

34 

18—24 

184-175 

5,4 

7,7 

18,1 

29 

18—24 

174—165 

5,6 

7,5 

13,1 

14 

18-24 

164—155 

5,9 

6,9 

12,8 


Das sehr einheitliche Untersuchungsmaterial von 100 hersgesunden 
18 bis 24 jährigen Rekruten wurde dann weiterhin dazu benutzt, den 
Zusammenhang zwischen Körpergröße und Aortendimensiooen zu er¬ 
mitteln. Tabelle IV enthält das Schlussergebnis dieser Berechnung. 
Wir sehen die Transversaldimension des Aortensohattena bei der grössten 
Gruppe etwas kleiner als bei der Gruppe der kleinsten Leute. Dagegen 
nimmt die Länge des Aortenschattens bei steigender KörperläDge nicht 
unbeträchtlich zu, so dass die Summe von AT und AL proportional 
der Körpergrösse ansteigt. Es beweist dies wiederum, wie berechtigt 
bzw. wie notwendig es ist, auch die Aortenlänge auszumessen, und dass 
der Einfluss der Körper- bzw. Thoraxform auf die Aortenbreite auf diese 
Weise bei der Messung ausgeschaltet wird. 

Suter hat allerdings in Uebereinstimmung mitBeneke 1 ) ein ent- 
gegengesetzes Resultat bei der Postmortem-Messung erhalten. Er kommt 
zu dem Schlüsse, dass grosse Individuen im allgemeinen weitere Aorten 
haben als kleine und errechnet den Aortenumfang (in mm) bei ver¬ 
schiedener Körpergrösse für einen Druck von 171 mm Hg wie nachstehend: 

Tabelle V. 

Aortenumfang bei verschiedener Körpergrösse nach Suter. 


Körpergrösse 

Aortenweite 

141—150 cm 

101,3 mm 

151—160 „ 

106,8 „ 

161—170 „ 

110.6 „ 

171—180 „ 

117,3 „ 


Abgesehen von der Verschiedenheit des untersuchten Materials — 
wobei das unsere überlegen sein dürfte — mag auch die Untersuchungs¬ 
methode Suter’s hier insofern versagen, als möglicherweise bei grösserer 
Körperläoge die Breitendehnbarkeit der Aorta intra vitam auf Kosten 
einer dauernden Längsdehnung abnimmt. Und wir würden aus dieser 
Schlussfolgerung auoh für die Pathologie folgern können, dass das in 
vielen Fällen röntgenologisch zu beobachtende Tiefertreten des Aorten¬ 
bogens im höheren Alter als ein Selbstschutz des Körpers anzusehen ist, 
als eine dauernde Erweiterung des Aortenumfanges auf Kosten der 
Asiendenslänge, bei verminderter Dehnbarkeit bzw. Anpassungsfähigkeit 
der Aorten wand. 

Uebrigens scheint auoh bei der Leiohenmßsung eine Zunahme der 
Aortenbreite bei zunehmender Körperlänge doch nicht regelmässig nach¬ 
weisbar zu sein. Daher sagt auch Suter: „Ein Fehler ist es auf jeden 
Fall, eine direkte Abhängigkeit von Körpergrösse und Aortenumfang 
zu erwarten, wie es Beneke tut.“ 

Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Aortenmaassen und Körper¬ 
gewicht zu ermitteln, war mein Material, weil zu gleicbmässig, nicht 
geeignet. 

Jedenfalls scheint mir der bedingte Versuch Suter’s, den durch¬ 
schnittlich geringeren Aortenumfang der Frauen gegenüber gleichaltrigen 
Männern durch das durchschnittlich geringere Körpergewicht zu erklären, 
ebenso verfehlt, wie die Begründung dieser Tatsache mit dem häufigen 
Vorkommen bestimmter Formen von Anämie bei Frauen. 


Tabelle VI. 

Die Dimensionen des Aorten-Orthodiagramms bei verschie¬ 
dener Bl utdruokhöhe. 


Anzahl 

Blutdruck 

H,0 

AM r 

AMI 

AT 

AL 

AT-f AL 

11 

—134,5 

2,2 

2,8 

5,0 

7,6 

12,6 

17 

— 144,5 

2,4 

2,9 

5,3 

7,5 

12,8 

38 

— 154,5 

2,4 

2,9 

5,3 

7,5 

128 

22 

—164,5 

2,5 

2,9 

5,4 

7,5 

12,9 

9 

—174,5 

2,4 

3,1 

5,5 

7,4 

12,9 

4 

— 200,0 

2,6 

8,5 

6,1 

7,8 

13,9 


1) Beneke, Die anatomischen Grundlagen der Konstitutions¬ 
anomalien des Mensohen. Marburg 1878. 


Vom physiologischen Standpunkte aus und für die Verwertung der 
Messung beim pathologischen Z rkulationsapparat scheint Tabelle IV 
fast noch wichtiger zu sein als die vorhergehenden. Wir sehen in der¬ 
selben die Aortendurchsohnittswerte nach steigenden Blutdruckwerten 
geordnet. Der Blutdruck war bei den auch für diese Tabelle benutzten 
Untersuchungsresultaten der 100 Rekruten nach der auskultatorischen 
Methode des Reoklinghausen’schen Apparates ermittelt worden und ist 
in cm H 2 0 notiert. Wir sehen bei steigendem Blutdruck ein gleich¬ 
sinniges Steigen von AT und AL, so dass die Summe der Breite und 
Länge des Aortenschattens entsprechend der Blutdruokzunahme eben¬ 
falls eine deutliche Steigerung zeigt. 

Ich glaube, das Resultat dieser Tabelle bedarf keiner weiteren 
Erörterung. Es entspricht unseren Erwartungen. Jedoch dürfte die 
Relation zwischen Blutdruok und Aortendimensionen bei verschiedenen 
Altersgruppen verschieden ausfallen und sollte daher bei umfang¬ 
reicheren weiteren Untersuchungen ebenfalls mitberücksichtigt werden. 

Die Beziehungen zwischen Answurfsmenge des Herzens und 
Aortendimensionen konnte ich leider nicht ermitteln. Hier ist 
jedenfalls ein besonders inniges Abhängigkeitsverhältnis zu er¬ 
warten, und diesbezügliche Untersuchungen wären besonders be- 
grüssenswert. 

Sehr interessant ist schliesslich der Vergleich der Aorten- 
und der Herzdimensionen. Denn von den Herzmaassen wissen 
wir ja bereits durch nunmehr langjährige Erfahrung, dass sie 
normalerweise in einem ziemlich konstanten Abhängigkeitsver¬ 
hältnis zu Alter, Kürpergrösse, Körpergewicht usw. stehen. 

Tabelle VII. 

Relation zwischen Herztransversaldimension und Aorten¬ 
maassen bei 100 gesunden Rekruten. 


T Herz 

Zahl 

der Fälle 

T Aorta 

Aszendens¬ 

länge 

AT + AL 

11 

10 

5,3 

7,7 

13,0] 

12 

36 

5,3 | 

7,7 

13,0 

13 

34 

5,3 

7,8 

13,1 

14 

12 

5,7 

7,7 

13,4 

15 

8 

6,2 

7,1 

13,3 


Wir sehen in Tabelle VII ein deutliches Steigen der Aorten- 
transversaldimension bei steigender Herztransversaldimension. Da¬ 
gegen verändert sich die Aszendenslänge nicht gleichsinnig, sie 
zeigt eher die Tendenz bei zunehmender Grösse der Herztransversal¬ 
dimension zu fallen. Daher nimmt auch die Summe: Aorten- 
transversaldimemion plus Aszendenslänge nicht im gleichem 
Maasse wie die Herztransversaldimension zu. 

Endlich ist ein ausgesprochener Parallelismus zwischen ba¬ 
saler Lungenbreite und Aortendimension zu erwarten, der ja auch 
für Herzdimensionen und basale Longenbreite besteht 

Und in der Tat ersehen wir aus Tabelle VIII, dass bei zu¬ 
nehmender basaler Lungenbreite in erster Linie die Aszendens¬ 
länge nicht unbeträchtlich steigt. Dagegen steigt die Aorten¬ 
breite nur bis zur Durchschnittszahl der basalen Lungenbreite; 
dann hält sie sich auf ziemlich konstanter Höhe, zeigt sogar 
geringe Neigung, wieder etwas zu fallen. Trotzem vergrössert 
sich auch die Summe: Aortentransversaldimension plus Aszen¬ 
denslänge synchron mit der basalen Lungenbreite. 

Tabelle VIII. 

Relation zwischen basaler Lungenbreite und Aortenmaassen. 


Basale 

Lungen breite 

Zahl 

der Fälle 

AT 

AL 

AT+AL 

22 

6 

4,6 

7,0 

11,6 

23 

11 

5,4 

7,0 

12,4 

24 

16 

5,6 

7,4 

13,0 

25 

28 

5.5 

7,6 

13,1 

26 

19 

5.5 

7,6 

13,1 

27 

15 

5,5 

8,0 

13,5 

28 

5 

5,4 

8,5 

13,9 


Wir können ferner aus Tabelle VIII entnehmen, dass sich 
die Summe Aortentransversaldimension plus Aszendenslänge zur 
basalen Lungenbreite etwa wie 1 zu 2 verhält, also ähnlich wie 
Herztransversaldimension zur basalen Lungenbreite, aber doch 
nicht so konstant wie diese. 

Es wurde schon eingangs erwähnt, dass die Maasse des nor¬ 
malen Aortenschattens seither noch nicht exakt festgestellt worden 
sind. Ich sehe dabei von einer kurzen Bemerkung Zehbe’s 1 ) 

1) Zehbe, Beobachtungen am Herzen und an der Aorta. D.m.W., 
1916, Nr. 11. 


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8. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


831 


ab, der für die Breite der Aorta, gemessen unterhalb des Aorten¬ 
knopfs, für Männer bis 25 Jahre 4,6 - 4,9 cm, von 26—35 Jahre 
5,0—5,4 cm. von 36—50 Jahre 6,5—6,9 cm fand. — Nur Va- 
quez und Bordet 1 2 ) scheinen der Frage näher getreten zu sein. 
Jedoch kann ich weder die Methode noch die Resultate dieser 
Autoren anerkennen. 

Zur „volumetrischen Analyse“ der Aorta wollen sie die 
Aorta in drei Dimensionen ausmessen: 

1. Die Untersuchung im ersten schrägen Durchmesser soll 
die Breite der Aszendens zu ermitteln gestatten. Hierzu ist zu 
bemerken, dass wir leider im schrägen Orthodiagramm die Ver¬ 
hältnisse zu schwer übersehen können, als dass eine genaue 
Messung möglich wäre; zentral projizierte Bilder aber lassen 
natürlich eine Messung nicht zu. Besonders muss noch daran 
erinnert werden, dass in den schrägen Durchmessern die Pulmonal¬ 
arterie und die Vorhöfe an der Bildung des keilförmigen Auf¬ 
satzes des Herzscbattens mitbeteiligt, äber nicht differenzierbar 
sind und sonach eine Ausmessung sehr hindern. 

2. Am Sagittalortbodiagramm soll der Querdurchmesser des 
Aortenbogens (?) festgestellt werden, indem man etwa in der 
oben von mir geschilderten Weise den rechten und linken Me¬ 
dianabstand des Aortenschattens ermittelt. Es ist jedem, der 
mit der Anatomie des Aortenbogens vertraut ist, klar, dass dieses 
Maass in gar keiner Relation zum anatomischen Aortenbogen 
stehen kann, denn gerade zur Frontalebene des Körpers, also im 
sagittal-projizierten Schattenbild der Brustorgane, verläuft der 
Aortenbogen sehr ungünstig, etwa in einem halben rechten 
Winkel und wird daher stark verkürzt piojiziert. 

3. Ebenfalls am sagittalen Orthodiagramm soll die Sehne 
des Aortenbogens ausgemessen werden, i. e. die Linie, welche 
wir erhalten, „wenn wir den Punkt, in welchem die konvexe 
Randlinie des Aortenbogens den Mediastinalschatten verlässt und 
sich eben im linken Lungenfeld abhebt, verbinden mit dem 
Schnittpunkt des Aortenbogens mit dem Pulmonalarterienbogen“. 
Diese Definition allein genügt, die Methode zu verwerfen. Ich 
glaube auch nicht, dass es praktisch durchführbar ist, die „Höbe 
des Aortenbogens“ nach irgendeinem Prinzip exakt auszumessen, 
denn gerade hier sind die Verlaufsvarietäten ausserordentlich 
zahlreich. 

Wenn auch die Methode von Vaquez und Bordet sonach 
abzulehnen ist, so seien doch ihre offenbar an nur kleinem Ma¬ 
terial und bei Rückenlage des Patienten ermittelten Zahlen auf¬ 
geführt 

Tabelle IX. 


Alter 

Transversal¬ 

durohmesser 

Sehne des 
Aortenbogens 

Durchmesser der 
Aorta ascendens 

16—20 Jahre 

5,4 om 

0 — 2,5 om 

1,5—2 om 

20-30 „ 

5 „ 

2,5 „ 

2 , 

80-40 „ 

5,6 „ 

2,5-3 „ 

2 -2,5 „ 

40-50 „ 

5,5-7 „ 

2,5-3,5 „ 

2,5—2,8 „ 

50—60 „ 

6 -7,5 „ 

3 -3,7 „ 

2,5-3 „ 

60- 

6 -8,5 „ 

3 -4 „ 

3 , 


Trotz der Divergenz der Methodik und Deutung ergibt sich aus 
dem Vergleich dieser mit meinen Tabellen eine gewisse Uebereinstimmung, 
wenigstens für die Maasse der Transversaldimension, bei Untersuchung 
im Liegen und Sitzen. 

Aus allerletzter Zeit ist ferner noch eine Arbeit v. Teu¬ 
bern’s*) über „Orthodiagraphische Messungen des Herzens und 
des Aortenbogens bei Herzgesunden“ zu erwähnen. Aber auch 
diese Messungen kann ich nicht anerkennen, da ich das ange¬ 
wandte Messverfahren für nicht einwandfrei halte. 

v. Teubern hat bei den von ihm untersuchten 272 Sol¬ 
daten (Rekonvaleszenten nach infektiösen Krankheiten) den Aorten¬ 
längsdurchmesser und die Aortenbreite gemessen. 

Als Aortenlängsdurchmesser (A L) bezeichnet er die Ver¬ 
bindungslinie zwischen Schnittpunkt des rechten Vorhof- und 
Gefässbogens mit dem entferntesten Punkt des Aortenbogens. 
Die Aortenbreite misst er durch eine Horizontale am Uebergangs- 1 
punkt des linken Aortenbogens in den Pulmonalbogen. 

Bedenkt man, wie oft der Pulmonalbogen auch bei normalen 
Fällen nicht sichtbar ist, wie häufig andererseits die Aorta de- 
scendens bei älteren Individuen und bei pathologischen Fällen 

1) H. Vaquez und E. Bordet, Le coeur et l’aorte. Paris 1913, 
J. B. Bailli&re & fils. 

2) v. Teubern, Orthodiagraphische Messungen des Herzens und 
des Aortenbogens bei Herzgesunden. Fortsohr. d. Röntgenstr., Bd. 24. 


den Pulmonalschatten verdeckt, so kann man dieser Definition 
der röntgenologischen Aortenbreite nicht gut beipflichten. Aber 
abgesehen von der exakteren Durchführbarkeit der Transversal¬ 
dimensionbestimmung nach meinem Vorschlag, würde die v. Teu¬ 
bern * sehe Methode die häufigen Veränderungen deB Aorten¬ 
bogens, wie auch isolierte Aszendenserweiterungen nicht zahlen- 
ra&ssig angeben. 

Bezüglich der Ermittlung der AortenläDge nach v. Teubern’s 
Vorschlag sei nur bemerkt, dass die häufige Verkürzung des ver¬ 
breiterten Aortenbandes bei diesem Vorgehen nicht ermittelt 
werden kann, im Gegensatz zur Messung der Aszendenslänge 
nach meinen Angaben. 

Trotzdem sind die Ergebnisse der fleissigen Arbeit v. Teu¬ 
bern’s sehr bemerkenswert und verdienen beachtet zu werden. 

„Der Längsdurchmesser des Aortenbogens (soll wohl heissen 
des Aortenschattens) beträgt bei 268 Fällen im Durchschnitt 
AL = 8,7 cm, die Aortenbreite (AB) (oben) 4,6cm.“ Aus 
v. Teubern’s Tabelle 17 ist zu ersehen, dass AL mit dem Alter 
zunimmt, A B dagegen nicht, was im Gegensatz zu meinen Be¬ 
fanden steht und auf das ungeeignetere Messverfahren v, Teu¬ 
bern’s zurückzuführen ist. Dagegen findet v. T. in Ueberein¬ 
stimmung mit meinem Resultat „einen Parallelismus zwischen 
Körper- und Aortenlänge“ (richtiger Aszendenslänge). Dass „die 
Länge des Aortenbogens (man lese Aszendensscbatten) unabhängig 
von der Herzgrösse“ ist, muss dagegen auf Grund meiner Be¬ 
funde wieder bestritten werden. 

Zum Schlüsse sei nochmals die Frage angeschnitten, ob die 
halbe Transversaldimension des dem Herzscbatten aufsitzenden 
Gefässschattens annähernd dem Durchmesser des Aortenanfangs 
entspricht. 

Berechnen wir nach Suter’s Methode für einen anatomi¬ 
schen Aortenumfang von 63 mm (21jährige) einen solchen von 
105,7 mm, falls die Aorta unter 170 mm Druck steht, so ent¬ 
spricht dem anatomischen Aortenumfang von 57,8 mm der 20jäh- 
rigen ein Umfang von 97,5 mm für die unter Druck stehende 
Aorta. Die entsprechenden Durchmesser lassen sich mit 3,4 
bzw. 3,1 cm ermitteln und stimmen also mit der von uns ortho- 
diagraphisch festgestellten halben Transversaldimension von etwa 
2,8 cm leidlich überein. 

Aber wie man sich zu dieser Frage auch stellen mag, ob 
man die Durchschnittszahlen als anatomische Maasse oder nur als 
Durchnittswerte des Orthodiagramms bezeichnet, in jedem Fall 
bietet uns der hier ein geschlagene Weg die Möglichkeit, patho¬ 
logische Dimensionsveränderungen des Anfangsteiles der Aorta 
mit einiger Exaktheit festzustellen und bei fortlaufender Beob¬ 
achtung am selben Fall protokollarisch festlegbare Daten zu er¬ 
halten. * 

Für die Untersuchung mittels Fernphotographie sind die 
Tabellen ohne weiteres zu benutzen. Für zentralprojizierende 
Verfahren und die leider immer noch nicht ganz verschwundene 
Methode der Fernzeichnuug haben sie keine Geltung. 

Als Schlussergebnis der vorstehenden Erörterungen er¬ 
gibt sich: 

Die einzigen Untersuchungsmethoden, welche eine Beurteilung 
der Aortendimensionen intra vitam ermöglichen, sind die lege 
artis aasgeführte Orthodiagraphie und Fernphotograpbie. 

Am (sagittalen) Aortenortbodiagramm ist für die Beurteilung 
der Aortendimensionen zu ermitteln: der Abstand des (rechten) 
Gefässbogens und des (linken) Aortenbogens von der Mittellinie 
= Medianabsfand des Aortenschattens links und rechts (A M r 
und A MI), bzw. deren Summe = Transversaldimension des 
Aortenscbattens (AT), sowie die Höhe resp. Länge des Aorten- 
schafcteUs (A L) bezogen auf die Mittellinie. Diese beiden Maasse 
zusammen ergeben ein ziemlich eindeutiges Bild des Volumens 
der Aszendens. 

Die Durchschnittswerte(AMr = 2,5, A M l = 8,1, A T = 5,6, 
AL = 7,3, A T -f- A L = 12,9) sind natürlich mit der üblichen 
Reserve zn verwerten und relativ grosse Abweichungen nach 
oben und unten nicht ohne weiteres als pathologisch zu be¬ 
zeichnen. Auch hier gilt wie bei jeder klinischen Einzel¬ 
bestimmung, dass nur das Gesamtresultat aller klinischen Einzel- 
untersuebungen für die Diagnosestellung den Ausschlag geben kann. 

Die Frage, welche äusseren Momente die Aortenweite beein¬ 
flussen, ist noch nicht ganz spruchreif. Eine Kongruenz zwischen 
Alter und Aortenweite ergeben die post mortem und intra vitam 
vorgenommenen Messungen gleichermaassen. Der Einfluss von 
Körpergrösse und Körpergewicht und Geschlecht auf die Aorten- 
maasse ist dagegen noch nicht genügend geklärt. Von physio- 

8 * 


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logischen Momenten, die auf die Aortendimensionen bestimmend 
wirken, ist besonders der Blutdruck zu nennen. Die Aorten- 
maasse steigen proportional der Blutdruckzahl; ihre Relation zur 
Auswurfsgrosse des Herzens muss noch ermittelt werden. Endlich 
besteht ein deutlicher Parallelismus zwischen Aortentransversal¬ 
dimension und Herztransversaldimension, noch ausgesprochener 
zwischen Aortenmaassen und basaler Lungenbreite. 


Aus dem Barackenlazarett auf dem Tempelhofer Felde 
(Chefarzt: Oberstabsarzt Sanitätsrat Dr. Gramm). 

Lungenresektion. 

Von 

Professor Dr. M. Zondek, Stabsarzt d. L. 

Aus der grösseren Reihe von Lungenschussverletzungen, die 
ich seit Beginn des Krieges beobachtet habe, und bei denen ge¬ 
wöhnlich nur friedenschirurgische Maassnahmen erforderlich waren, 
möchte ich hier kurz über einen Fall berichten, der zu einigen 
allgemeinen Bemerkungen über Lungenchirurgie Veranlassung gibt. 

Patient 27 Jahre alt. Rechtsseitiger Brustdurchschuss, Gewehrkugel, 
ungelähr 200 m Entfernung. Einschussöffnung: Hinten in der Höhe der 
11. Rippe, etwa handbreit von der Mittellinie entfernt. Ausschuss¬ 
öffnung: Vorn etwa daumenbreit unterhalb und nach innen von der 
Brustwarze. Am rechten Brustbeinrand neben der durchschossenen 
4. Rippe eine etwa 3—4 cm lange, 2 cm breite und ebenso tiefe Wunde, 
aus der sich eine grosse Menge übelriechenden Eiters entleert. Hohes 
Fieber und Schüttelfröste. Drei Monate nach der Verwundung Empyem 
in der rechten Pleurahöhle. Rippenresektion. Danach Besserung. Die 
Eiterung aus der Operationswunde und der Ausschussöffoung wird all¬ 
mählich geringer und weniger übelriechend. Der quälende Husten 
lässt nach. 

Sieben Monate nach der Verwundung wird Patient auf meine Station 
im Barackenlazarett verlegt. Sehr elendes Aussehen. Rechtes Auge 
durch Granatsplitter erblindet, wird exstirpiert. An der Ausschussöffnung 
an der vorderen Brustwand ein etwa zweimarkstückgrosses und etwa 
zwei fingerbreit tiefes Loch. In der Tiefe schleimigeitriges Sekret. Bei 
starker Expektoration ein deutliches zischendes Geräusch. Nach Ent¬ 
fernung des Sekrets zeigt sich in der fibrösen Schwarte ein etwa feder¬ 
kieldickes Loch, aus dem, insbesondere nach längerem Pressen, schleimig- 
eitriges Sekret unter zischendem Geräusch hervordringt. 

Es fragt sich also: Liegt die Fistel nur in der Schwarte, oder er¬ 
streckt sie sich bis in die Lunge? Denn auch bei unversehrter Lungen¬ 
oberfläche konnte aus einem zwischen den Schwarten gelegenen Hohl¬ 
raum Luft herausgepresst werden. 

Zur Entscheidung dieser Frage machte ich folgendes: Ich liess den 
Patienten Zigarettendampf verschlucken und sah zu, ob dieser aus der 
Fistel herauskam. Das geschah nicht, zumal ich bei der bestehenden 
Lungenerkrankung das Experiment nicht forcieren wollte. 

Erfolg hatte folgender Versuch: Ich spritzte in die Fistel schwach 
gesättigte Indigkarminlösung ein. Das bald danach ausgehustete Bronchial¬ 
sekret war blau gefärbt. Kein Zweifel also, dass hier eine Lungenfistel vorlag. 

Darauf Operation: In leichter Chloroformnarkose — Aether konnte 
man bei der Lungenerkrankung nicht nehmen, und die Lokalanästhesie 
wurde verweigert — resezierte ich nach Abpräparierung eines oberen 
bogenförmigen Hautlappens ein etwa 5 cm langes Stück der 4. Rippe, 
löste die Lunge aus ihren Schwielen heraus, resezierte durch einen 
schräg ovalen Schnitt in einem keilförmigen Stück die Umgebung der 
Fistel und vernähte die Wundflächen. Wegen der noch bestehenden 
Spannung wurde die Lunge lateralwärts noch etwas abgelöst. Dabei 
stiess man auf eine Abszesshöhle, aus der sich etwa zwei Esslöffel Eiter 
entleerten. Dränage der eiternden Höhle. Trockener Verband. 


Abbildung 1. 



Nach der Operation erholte sich der Patient. Die Empyemhöhle 
zwar schloss sich. Es zeigte sich aber folgendes Bild: 

In der Tiefe, etwa zwei Finger breit, unterhalb der die Wundhöhle 
zum Teil überragenden Rippenenden deutliches Lungengewebe, kennt¬ 
lich durch die eigentümliche grau-rötliche mit einem Stich ins Blaue 
gehende Farbe und die charakteristisch vorspringenden Kanten (Ab¬ 
bildung 1). Medialwärts freiliegend das Perikard in einer etwa zwei 
Finger breiten Ausdehnung. An diesem kann man deutlich die Pulsation 
des Herzens sehen. An der Lungenoberfläche eine grössere Fistel. In 

Abbildung 2. 



diese kann die gekrümmte Sonde tief eindringen. Danach stets starker 
Hustenreiz. Die Lunge wölbt sich vor (Abbildung 2). Ferner mehrere 
stecknadelkopfgrosse Oeffnungen, aus denen bei starkem‘Pressen Luft 
herausstreioht. 

Giesst man steriles Wasser in die Wundhöhle auf die Lungenober¬ 
fläche, dann entstehen beim Pressen zahlreiche Blasen, die bald springen. 

Ich versuchte nun zunächst die Fisteln nach Kokainisierung der 
Lungenobetfläche mit dem spitzen Brenner des Pacquelin zum Verschluss 
zu bringen. Nach mehrfachen Versuchen trat eine stärkere Blutung auf, 
die aber durch Tamponade sofort gestillt wurde. Ich ätzte darauf die 
Fisteln mit Argent. nitr. in der Weise, wie ich es seinerzeit bei meinem 
Chef Mikulicz in Breslau gelernt hatte. Das Argent. nitr. wird an 
eine glühend gemachte Sonde angelötet, der man die dem Fistelgang 
entsprechende Krümmung gegeben hat. So gelingt es, tief in die Fistel 
hinein zu ätzen. Indes alle Versuche, die Fisteln zu schliessen, blieben 
erfolglos. Ich entschloss mich daher zu einem grösseren operativen Ein¬ 
griff. Der Patient bekam vorher von neuem ein Empyem der rechten 
Pleurahöhle, das ich nach Rippenresektion beseitigte. Nachdem sich der 
Patient danach vollkommen erholt hatte, nahm ich die Operation vor. 

Die Nähe des Perikards, mit dem die Lunge ebenso verwachsen war 
wie mit dem Zwerchfell, gebot besondere Vorsicht. Ich entfernte die 
Rippen, soweit sie einen Teil des Hohlraumes über der Lunge über¬ 
dachten, löste die Lunge aus ihren Adhäsionen heraus, entfernte die im 
Bereich der Wunde liegenden Adhäsionen soweit als möglich, schälte 
dann die fibröse Schicht an der Oberfläche der Lunge ab und resezierte 
die Umgebung der Lungenfistel in der Form eines abgeplatteten Kegels. 
Die Basis des Kegels an der Lungenobeifläche mit ihrem grössten Durch¬ 
messer in einer Richtung von vorn nach hinten. Die Längsachse des 
Kegels in der Richtung von aussen und unten nach innen und oben. 
Danach nähte ich die Wundflächen aneinander. 

Nach Ablösung der Lunge vom Perikard hatte sich ein eigentüm¬ 
licher Befund geboten. Lag vorher das Perikard in einer Ausdehnung 
von etwa 2—3 Finger Breite frei, so war jetzt die laterale Wand des 
Perikards in ganzer Ausdehnung zu übersehen, und man konnte an ihm 
die Kontraktionen des ganzen Herzens betraohten. 

Um die sehr grosse Wundfläche zu verkleinern, nähte ich die Lunge 
an einer am Perikard nahe befindlichen fibrösen Schwarte an. Nunmehr 
ging ich daran, die frei liegende Wundfläche mit Haut zu bedecken. Ich 
verwendete dazu einen grossen gestielten Hautiappen aus der Umgebung 
der Wunde. Einige Zeit nach der Operation zeigte sich jedoch, dass 
trotz der Grösse des überpflanzten Lappens ein verhältnismässig kleiner 
Teil der Wunde nicht mit Haut bedeckt war. Diesen überpflanzte ich 
in einer späteren Sitzung mit einem weiteren gestielten Lappen. Danach 
trat volle Heilung ein (Abbildung 3), und der Patient erholte sich sehr. 
Während unmittelbar nach der Operation die Grube an der vorderen 
Wand der Operationsstelle etwa mannsfaustgross war, war sie bald nach 
Entfernung der Tamponade fast um die Hälfte verkleinert. 

Der Fall bietet Veranlassung zu Betrachtungen von allgemeinem 
Interesse. Zur Heilung der Fistel war zweierlei notwendig: erstens 
die Aushülsung der Lunge aus ihrer dicken, schwartigen Um¬ 
hüllung, und zweitens die Resektion eines Teils der Lunge. 

Was die Resektion der Lunge betrifft, so erscheint es zweck¬ 
mässig, sie auf anatomischer Basis aufzubauen. Die Resektion 
ist m. E. den Formen der Verzweigungsgebiete der 


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Bronchien und der sie begleitenden Arterien 
anzupassen. Die Verzweigungsgebiete sind an Bronchial¬ 
ausgüssen gut zu erkennen. Vom Standpunkte des 
inneren Klinikers aus hat bereits früher B irch-H i rsch- 
feld einige publiziert; andere, die bisher noch nicht 
veröffentlicht worden sind, habe ich vor ungefähr 
15 Jahren hergestellt. Wie die beiliegenden Ab¬ 
bildungen (Abbildung 4 und 5) zeigen, insbesondere 
die schematische Abbildung (Abbildung 6), die auf 
Grund von Betrachtungen von drei Lungenausgüssen 
ausgeführt worden ist, gleichen die Gebiete der 
grösseren Verzweigungen der Bronchien abgeplatteten 
Kegeln, deren Basis an der Oberfläche der Lunge und 
deren Spitzen nach innen gerichtet sind. An der Basis 
jedes abgeplatteten Kegels liegt der grösste Durchmesser 
von vorn nach hinten, der kleinste von oben nach unten 
gerichtet, den oberen Pol dagegen von aussen nach innen 
gerichtet. Die Verzweigungsgebiete der Bronchien am 
oberen Lungenlappen haben einen etwa fächerförmigen 
Verlauf, das der obersten Bronchien in mehr verti¬ 
kaler, das der untersten in annähernd horizontaler Rich¬ 
tung. Am mittleren und unteren Lungenlappen sind die 
Verzweigungsgebiete der Hauptbronchien schräg von 
innen und oben nach aussen UDd unten gerichtet, nach 
unten zu in immer zunehmendem Grade. Die Spitzen 
der kegelförmigen Verzweigungsgebiete liegen hier aber 
nicht wie am oberen Lappen dicht nebeneinander, sondern 
eine Strecke voneinander entfernt. Es handelt sich hier, 
wie gesagt, im wesentlichen um die Verzweigungsgebiete der 
grösseren Bronchien, die von Arterien begleitet werden. Eine 
Gesetzmässigkeit in der Gestalt der VerzweiguDgsgebiete der 
kleineren Bronchien ist hier nicht festzustellen. Darauf dürfte 
es auch im allgemeinen nicht ankommen. Von wesentlicher Be¬ 
deutung scheint mir nicht so sehr die Form der Basis des kegel¬ 
förmig zu resezierenden Stückes, wo nur die Alveolen und die 
kleinsten Endverzweigungen der Arterien sind, sondern die Rich¬ 
tung der Längsachse des Kegels, denn nach der Tiefe hin nehmen 
die Bronchien und Arterien an Lumen erheblich zu. Hervorheben 
möchte ieh nochmals, dass die Richtung am mittleren und be¬ 
sonders am unteren Lungenlappen in immer zunehmendem Grade 
schräg von aussen und unten nach innen und oben gerichtet sind. 
Legt man, den anatomischen Verhältnissen entsprechend, die 
Schnittrichtung nach der Lage und Richtung der Verzweigungs¬ 
gebiete der Bronchien an, so dürfte möglichst viel Parenchym 
geschont werden. Die Verzweigungsgebiete der einzelnen Arterien 
in ihrer Gesamtheit dürften an frischen Infarkten der Lungen zu 
sehen sein, deren Formbestimmung für die vorliegende Frage 
nützlich wäre. 

Zu beachten ist selbstverständlich noch der gute Verschluss der 
Hauptbronchien bei Resektion grosser Lappen. Nach Garre frischt man 
deu Bronchusstumpf nach innen an, vernäht und übernäht ihn mit 
Lungengewebe. Tiegel, Friedrich legen proximalwärts eine Schnur¬ 
ligatur an. Willy Meyer empfiehlt auf Grund experimenteller Erfah¬ 
rungen den Bronchus auf mehrere Zentimeter zu quetschen, abzütragen, 
das nachgiebige gequetschte Gewebe einzustülpen und darüber zu ver¬ 
nähen. 

Die Indikation zur Lungenresektion ist bisher noch sehr be¬ 
grenzt. In einigen Fällen von frischen tuberkulösen Herden, die, 
wie solitäre Hirntuberkel, das Aussehen einer Geschwulst haben, 
ist die Resektion erfolgreich ausgeführt worden (Tuffier,Lawson). 
Das ist aber nur sehr selten. Die meisten derartigen Operationen 
verliefen trotz Anwendung des Druckdifferenzverfahrens tödlich. 
Sie sind daher im allgemeinen aufgegeben worden, zumal, da man 
einerseits uie wissen kann, ob nicht neben dem zu entfernenden 
tuberkulösen Herd noch andere vorhanden sind, und da überdies 
gewöhnlich nicht die Möglichkeit einer spontanen Heilung aus¬ 
zuschalten ist. 

Auch die Erfahrungen, die man mit Resektionen von Lungen¬ 
tumoren gemacht hat, sind bisher sehr wenig erfreulich. Auch 
sie sind nur selten ausgeführt worden und zumeist tödlich ver¬ 
laufen. Ihre Frühdiagnose ist trotz aller Fortschritte in der 
Untersucbungstechnik kaum zu stellen, und sie metastasieren 
sehr frühzeitig (Seydel fand unter 55 Fällen 4 zur Operation 
geeignet). 

Anders aber verhält es sich mit der Operation bei Lungen¬ 
fisteln. Der Eingriff ist oft wenig gefährlich und von vielem 
Nutzen. Man muss nur hierbei streng individualisieren. Es gibt 
Lungenfisteln, bei denen die Operation kontraindiziert ist. Sind 
sie durch ausgebreitete Bronchiektasien oder multiple Abszesse 


Abbildung 4. Abbildung 5. 




verursacht, so darf man gewöhnlich die Fistel nicht verschliessen. 
Man muss sie vielmehr offen halten, damit das Sekret aus der 
offenen Höhle, oder auch fortgeleitet aus benachbarten, frei ab- 
fliessen kann, sich nicht etwa in ihnen staut und durch die 


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Atmung in weitere Bronchien verbreitet wird und sie infiziert. 
Ist dagegen der Prozess in der Lunge, der die Fistelbildung ver¬ 
ursacht hat, im wesentlichen abgelaufen, dann ist der operative 
Eingriff gewöhnlich geboten. Denn für die Dauer würde die Fistel 
dem Patienten vielerlei Nachteile bringen: die stetige, mehr oder 
weniger starke Sekretion aus der Fistel ist sehr lästig. Die Er¬ 
werbsfähigkeit des Patienten wird behindert. Er kann nicht, 
wie physiologisch nach Schluss der Glottis, den Brustkorb voll¬ 
kommen komprimieren und die Bauchpresse in ganzem Umfang 
anwenden. Das Ausstreichen von Luft aus der Fistel verhindert 
dies. Dadurch ist auch die Stimme gewöhnlich matt, kraftlos 
und zuweilen fast aphonisch. Schliesslich verursacht das direkte 
Eindringen kalter, ungereinigter Luft in den Bronchien entzünd¬ 
liche, katarrhalische Veränderungen. Die Operation ist also in 
solchen Fällen indiziert und dann ganz besonders, wenn, wie so 
oft, ausgedehnte Adhäsionen vorhanden sind, die eine gleich¬ 
zeitige Oeffnung der Pleurahöhle verhindern. Aber auch, wenn, 
wie im vorliegenden Falle, die Pleurahöhle eröffnet wird, bedeutet 
dies vornehmlich bei Anwendung des Druckdifferenzverfahrens 
keinen schweren Eingriff. Besondere Vorsicht war hier bei der 
Entfernung der Adhäsionen vom freiliegenden Perikard geboten, 
um es nicht zu verletzen. Während der Operation lag die äussere 
Wand des Perikards in ihrer ganzen Ausdehnung frei, ohne dass 
dadurch der Zustand des Patienten in der Narkose ungünstig be¬ 
einflusst worden wäre. 

Die operative Behandlung der Lungenfistel und Resektionen 
an der Lunge dürften wohl in Friedenszeiten sehr selten Vor¬ 
kommen. ln der Jetztzeit aber, bei der sehr grossen Zahl der 
Verwundungen und, was hier interessiert, der Lungenscbüsse, 
dürfte sie öfter notwendig werden. Die Resektion ist dann so 
auszuführen, wie sie die anatomischen Verhältnisse, die Form der 
Verzweigungsgebiete der Bronchien und Lungenarterien es gebieten. 

Die Gestalt der Bronchien bat m. E. ferner ein physiologisches 
Interesse. Sie entspricht der funktionellen Aufgabe der Lunge, 
der gleichmässigen Absonderung des Sekrets nach aussen. Die 
oberen Bronchien, die in vertikaler Richtung nach unten verlaufen, 
sind nämlich verhältnismässig eng. Nach den unteren Partien 
der Lunge hin werden die Bronchien länger und weiter. Bei der 
Absonderung des Sekrets aus den oberen Lungenpartien wirkt 
nicht allein der Sekretionsdruck, sondern auch gleichzeitig das 
Moment der Schwere. 

Nach unten hin nimmt das Moment der Schwere allmählich 
ab, um schliesslich in den unteren Bronchien der Sekretions¬ 
absonderung entgegen zu wirken: hier muss das Sekret nach oben 
hin herausgetrieben werden. 

In dem geschilderten Bau der Bronchien an den verschiedenen 
Teilen der Lunge sehe ich demnach eine physiologische An¬ 
lage zur Erzielung einer gleichmässigen Ableitung des 
Sekrets aus der Lunge. 

Sicherlich dürften kongenitale Abweichungen in Form 
und innerer Architektur der Lungen, insbesondere in der Weite 
der Bronchien, eine innere Ursache abgeben für die Entstehung 
verschiedener Erkrankungen, insbesondere der Tuberkulose. 

Was die Aushülsung der Longe aus ihrer schwartigen Um¬ 
hüllung betrifft, so erscheint es mir zweckmässig, sich hierbei 
nicht aaf die Aushülsung der Lunge zu beschränken, sondern 
auch gleichzeitig die Schwarten zu entfernen. Nur in der un¬ 
mittelbaren Umgebung der Fistel lässt Garr& ein spindelförmiges 
Stück der verdickten Pleura stehen, um in ihr für die durch¬ 
greifenden Nähte einen festen Halt zu haben. Durch Entfernung 
der Schwarten wird zwar ein Raum frei. Es ist dies aber kein 
„toter Raum“, da sich die Lunge ausdehnt und den durch die 
Entfernung der Schwarten frei gewordenen Raum ausfüllt. Es 
erwächst dadurch für den Patienten der grosse Vorteil, dass sich 
die Lunge besser entfalten kann. Die Atmungskapazität wird 
vergrös8ert. Im Hinblick auf die von Delorme angegebene 
Dekortikation der Lunge und die Mitteilung Kümmells auf dem 
letzten Chirnrgenkongress, dem durch Entfernung von Schwarten 
gelungen war, die Sehede’sche Thorakoplastik zu umgehen, habe 
ich im vorliegenden Fall im Anschluss an die Resektion der 
Lunge die Schwarten entfernt. Es trat auch hier nach der 
Operation Vermehrung der Lungenkapazität ein. Die nach der 
Transplantation vorhandene Grube an der vorderen Brustwand 
hat sich sehr bald ausserordentlich verkleinert. 


Ueber die Titration der freien Salzsäure im 
Mageninhalt unter Zurückdrängung der 
Dissoziation organischer Säuren mittels 
Alkoholzusatzes. 

Voa 

Prof. Dr. med. Georg Keil lag-Dresden. 

Es ist festgestellt, dass die Reaktion auf freie Salzsäure mit 
Dimethylamidoazobenzol, Kongorot und Tropaeolin beeinträchtigt 
wird durch grössere Mengen organischer Säuren und auch durch 
locker gebundene Salzsäure. Bei diesen Farbstoffen kann sowohl eine 
Reaktion auf freie Salzsäure vorgetäuscht als auch eine vorhandene 
verstärkt werden, wodurch der Titer erhöht wird. 

Am besten ist von den einfachen Methoden die Titration 
der freien Salzsäure nach Günzburg mittels Tüpfelmethode. 
Die Resultate dieser Methode entsprechen am ehesten der Kon¬ 
zentration der freien Wasserstoffionen. Die durchschnittliche Ab¬ 
weichung ist hier gleich einem Aziditätswerte von etwa 3. Bei 
hohen Werten von HCl sind die Günzburg-Werte etwas zu hoch, 
bei niedrigen Werten etwas zu niedrig 1 ). Diamidoazobenzol gibt 
für die Wasserstoffionen der freien HCl zu hohe Werte; der 
durchschnittliche Fehler beträgt 12. Kongopapier ergibt noch 
grössere Fehler — die Werte sind durchschnittlich um 20 zu hoch — 
und dabei ist der Fehler in der Grösse sehr wechselnd bei gleichen 
Mengen freier Salzsäure. Die Methode nach Günzburg ist ziem¬ 
lich umständlich. Das Reagens muss farblos sein; es muss des¬ 
halb in schwarzen Flaschen aufbewahrt werden, zersetzt sich aber 
auch darin. Ein Tropfen des Reagens wird in eine weisse 
Porzellanschale gebracht 2 ), wo es über einer Spiritusflamme ein¬ 
getrocknet wird. In diesen eingetrockneten Fleck wird ein Tropfen 
des Mageninhaltes gesetzt und vorsichtig erwärmt. Ist Salzsäure 
vorhanden, so entsteht ein roter Fleck oder Strich. Es ist wich¬ 
tig, dass die Tropfengrösse des Mageninhaltes immer die gleiche 
ist. Ferner ist wichtig, dass nicht zu stark erwärmt wird, da sonst 
eine, die Reaktion verdeckende, dunkelbraune Färbung eintritt, 
welche von der Verbrennung des Zuckers herrührt. 

In der Anwendung dieser Methode, bei welcher durch Er¬ 
wärmen der Mageninhalt konzentriert wird, liegt der Grund der 
Abweichung der Günzburg’schen Methode von der wirklichen 
Konzentration der Wasserstoffionen. Ist freie Salzsäure im Ueber- 
schuss, so wird beim Erwärmen die Salzsäurelösung konzentrierter. 
Rühren aber die freien H-Ionen mit von der Dissoziation der Ver¬ 
bindung der HCl mit schwachen Basen her, so tritt bei der Er¬ 
wärmung Erhöhung der Konzentration und neue Bindung ein; 
infolgedessen fallen hier die Werte leicht zu niedrig aus. Die 
Abweichungen betragen nach J. Christiansen 8 ) durchschnittlich 3, 
aber auch weniger oder mehr (von 0—6, höchstens 8). 

Diese Tüpfelmethode für das Günzburg’sche Reagens ist zu 
zeitraubend, und deswegen wird fast immer die Methode der 
Titration mit Diamidoazobenzol oder Kongorot vorgezogen, trotz¬ 
dem die Werte der freien Salzsäure bei diesen Farbstoffen zu hoch 
und —l was noch Jstörender'[ist — trotz gleicher Aziditätsgrade 
recht verschieden hoch sind. Besonders tritt dieser Uebelstand 
bei Gärung des Mageninhaltes (Pylorusstenose) auf, und bei 
solchen Fällen, wo mit dem Probefrühstück organische Säuren 
eingeführt werden. 

Es kommt in der Praxis häufig vor, dass Patienten zur 
Sprechstunde kommen, die von auswärts sind, und die wir nicht 
ohne weiteres wieder £ bestellen können. Sie haben aber einige 
Stunden vorher gegessen, und A es würde wertvoll sein, auch unter 
solchen Umständen eine Untersuchung des Mageninhaltes vor¬ 
nehmen zu können. 

Neuerdings abeitet man aber gern mit Probefrühstücken, wie 
z. B. Bouillon mit^Semmel, Fleisch, weil diese die Salzsäure¬ 
sekretion besser anregen und demnach leichter Störungen der 
Drüsenfunktion erkennen lassen; nämlich ob nur die Empfäng¬ 
lichkeit für den Anreiz zur Sekretion herabgesetzt ist, oder ob 
schon ein bestimmter Grad von Erschöpfbarkeit oder gar eine 
Funktionsunfähigkeit der Drüsen selbst vorliegt (relative und 
absolute Insuffizienz). 

Mein Bestreben ging dahin, ein einfaches Titrationsverfahren 
zh finden, welches für die Praxis genügend genau arbeitet. Zu 


T) Nach Johanne Christiansen, Biochem. Zschr., Bd. 46, S. 41 
bis 42. 

2) Nach Steensma, Biochem. Zschr., 1908, Bd. 8, S. 210. 

S) 1. «., S. 41. 


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diesem Zweck sachte ich die Fehlerquellen, welche die organischen 
Säaren bei den gebräuchlichen Farbstoffen geben, auszuschalten. 
Da der Dissoziationsgrad der organischen Säaren viel geringer ist 
als der Dissoziationsgrad der Salzsäure, so konnte man versuchen 
durch Zusati geeigneter neutraler Stoffe die Dissoziation der 
organischen Säuren soweit zurückzudrängen, bis man brauchbare 
Werte für die Titration der freien Salzsäure erhält. Ich prüfte 
zu diesem Zweck den Einfluss der verschiedenen Alkohole, und 
zwar Methyl-, Aethyl , Propyl- und Amylalkohol. Die Prüfung 
der verschiedenen Alkohole für den beabsichtigten Zweck der 
Titration der freien Salzsäure neben organischen Säuren kann 
man so vornehmen. Man stellt sich eine N/10-Milchsäurelösung 
her und setzt zu einer bestimmten Anzahl ccm — etwa 3—5 ccm — 
1—2 Tropfen einer 1 / i proz. Diamidoazobenzollösnng in 90 proz. 
Alkohol. Man probiert dann, wieviel ccm der verschiedenen 
Alkohollösungen man zusetzen muss, bis die rote Färbung ins 
Gelbe umschlägt. Man braucht dazu von Methylalkohol das doppelte, 
von Aethylalkohol das l 1 /* fache, von Propylalkohol das 1 fache 
Volumen; von Amylalkohol genügt die geringe^. Menge von 1 j 60 , 
zu welcher er in Wasser löslich ist. 

Bestimmt man nun, bis zu welchem Verdünnungsgrade die 
freie HCl mit Diamidoazobenzol noch nachweisbar ist, indem man 
das auf die angegebene Weise bestimmte Volumen des betreffenden 
Alkohols zasetzt, so verdeckt Methylalkohol am wenigsten, Aethyl¬ 
alkohol mehr und Amylalkohol am meisten die HCl. Ausserdem 
beobachtet man noch, dass der Farbenumschlag gelb zu rot 
reversibel ist, d. h. wenn man zu den Mischungen von N/10 Milch¬ 
säurelösung und dem bestimmten Volumen des betreffenden Al¬ 
kohols, welcher die Reaktion auf freie Säure eben verdeckt, im 
Ueberschuss Wasser zusetzt, so kommt die Reaktion wieder hervor. 
Sie erscheint auch ohne Zusatz von überschüssigem Wasser, wenn 
man den Farbstoff im Ueberschuss zusetzt. Daraus ergibt sich 
schon die Form, in welcher dieses Verfahren nur anwendbar ist. 
Man dürfte z. B. nicht gleiche Teile Mageninhalt und Propyl¬ 
alkohol nehmen, und den Rest, der im Maasszylinder vorhanden 
ist, mit Wasser ausspülen und hinzuschütten. Man darf nur so 
viel von dem Farbstoff vorsichtig zusetzen, bis die Färbung am 
lebhaftesten ist, aber nicht hinterher noch von neuem. Ausser¬ 
dem ist ein Unterschied für die Menge der Titrierflüssigkeit, die 
man bis zum Umschlag der Farbreaktion braucht, ob man z. B. 
aus dem Gelben nach dem Roten hin mit N/10-HCl-Lösung 
titriert oder umgekehrt mit l / 10 KOH. Es ist auch nicht gleich¬ 
gültig, in welcher Reihenfolge die Stoffe: Mageninhalt, Alkohol und 
Farbstoff, zusammengemischt werden. Dimethylamidoazobenzol 
ist im Prinzip dem Kongorot vorzuziehen, weil an und für sich 
schon die Fehler geringer sind, und weil eine karmoisinrote 
Färbung die Anwesenheit freier HCl im Mageninhalte beweist. 
Im Gegensatz dazu ist die Blaufärbung bei der Kongoreaktion 
gar nicht für freie HCl beweisend. 

Es fragt sich nun, welchen Alkohol man am besten wählt, 
nnd wie man die Einstellung machen soll, denn es ist ein¬ 
leuchtend, dass man es ganz in der Hand hat, wie weit man 
die H- Ionen der organischen Säuren, damit aber auch die der 
HCl zurückdrängen will. Natürlich muss man sich von vorn¬ 
herein darüber klar sein, dass eine Bestimmung der Ionen der 
freien HCl allein, wie man sie in chemisch reinen Lösungen 
erreichen kann, in einem so komplizierten Gemisch, wie es der 
Magensaft gewöhnlich darstellt, nicht absolut genau möglich ist. 
Dies gelingt auch nicht mit der elektrometrischen Gasketten¬ 
methode. ■ Der Fehler dieser Methode beträgt allein schon 5 bis 
7 Aziditätsgrade. Auch in einem Gemisch verschiedener Säuren kann 
von einer analytischen Trennung derselben mit dieser Methode 
nicht die Rede sein, nicht einmal bei der elektrometrischen 
Titration — ganz abgesehen von der grossen Umständlichkeit 
dieser Methode 1 ). Deswegen ist es zweckmässig, wenn man sich 
von praktischen Gründen leiten lässt. Es ist am besten, einen 
Alkohol zu wählen, der sich leicht beschaffen lässt und auch 
nicht allzu kostspielieg ist. Als solcher empfiehlt sich etwa 
95 proz. Spiritus = Aethylalkohol. Ausserdem ist es praktisch, 
die Menge des Alkohols, die man zasetzt, so zu nehmen, dass 
die damit bestimmte Menge der freien HCl übereinstiromt mit den 
Resultaten guter Methoden, die man sonst zur Bestimmung der 
freien HCl verwendet. In dieser Beziehung empfiehlt es sich 
am meisten, die Werte zu wählen, die man durch exakte Titration 
des Mageninhaltes nach der Tüpfelmethode mit dem Gflnzburg- 
sehen Reagens erhält. Diese Werte stimmen auch nach den 

1) Vgl Michaelis, Bioohem. Zsohr., Bd. 75, S. 11 u. 16. 


Untersuchungen von Johanne Christiansen mit der Wasser¬ 
stoffkonzentration überein — mit geringen Abweichungen, wie 
sie schon oben erwähnt und begründet worden sind, und die man 
berücksichtigen muss. Diese Kontrolle mit Günzburg’s Reagens 
lässt sich jederzeit leicht ausführen, zumal wenn man die zu er¬ 
wartenden Werte schon ziemlich genau kennt.. Herr Prof. Waentig 
von der Universität Leipzig unterstützte mich mit seinen chemischen 
Kenntnissen freundlichst, wofür ich ihm bestens danke. 

Das Verfahren, welches ich gewählt habe, ist folgendes: 
Man nimmt eine kleine Menge Mageninhalt — 5 ccm — und 
setzt vorsichtig-2 Tropfen einer 1 / 2 proz. Lösung von Dimetbyl- 
amidoazobenzol in 90 proz. Alkohol zu. Eine intensiv karmoisin¬ 
rote Färbung ist schon an und für sich beweisend für freie HCl. 
Nun setzt man zu dem ganzen Volumen das 1% fache von 96 proz. 
Spiritus (= 7,5 ccm) zu, und dann titriert man mit einer N/10- 
KOH-Lösung zurück, bis ein rein gelber Farbenton eintritt. 
Braucht man über 2,5 ccm, so halte man darauf, dass' die Menge 
des zugesetzten Alkohols immer ungefähr die Hälfte der wässrigen 
Flüssigkeit beträgt. Man tropft also mit einem kleinen Tropf¬ 
glas so viele Tropfen Alkohol nach, als man N/10-KOH über 
2,5 ccm gebraucht hat, was aber sehr selten nötig ist. Man 
bestimmt den Aziditätswert für 10 ccm durch Multiplikation mit 
2 und rechnet 3 zu. Das Zuzählen von 8 ist deswegen notwendig, 
weil der zugesetzte Alkohol die freie HCl für das Reagens 
Dimethylamidoazobenzol durchschnittlich bis zu diesem Aziditäts¬ 
wert zurückdrängt, wenn man überschüssige HCl mit Kalilauge 
titriert. Wenn nun keine freie HCl vorhanden ist, und man will 
das HCl-Defizit bestimmen, so verfährt man genau so, nur dass 
man mit einer N/10 HCl-Lösung unter Zusatz von genau der¬ 
selben Menge Alkohol, wie angegeben, bis zur beginnenden röt¬ 
lichen Färbung titriert. Ich empfehle dann zurückzutitrieren 
mit N/10-KOH-Lösung bis zur beginnenden Gelbfärbung. Man 
zieht nun die beiden Aziditäbswerte voneinander ab, berechnet 
den Aziditätswert für 10 ccm und zählt wieder 3 zu. 

Die Wirkung des zugesetzten Alkohols besteht darin, dass 
er sämtliche organische Säuren für die Reaktioo vollkommen 
zurückdrängt; Milchsäure sogar bis zu einem Aziditätsgrad von 
100, der praktisch im Magen nicht vorkommt. Freie Milchsäure 
in stärkerer Konzentration gibt mit Dimethylamidoazobenzol eine 
Rotfärbung, die von der durch HCl nicht zu unterscheiden ist. 
Was nun die gelbrote Färbung anbetrifft, so kann sie sowohl von 
freien organischen Säuren als auch von Salzsäure in Gegenwart 
organischer Basen herrühren. Das Reagens gibt also in rein 
wässriger Lösung keine Garantie, was man vor sich hat. Was 
Phosphorsäure anbetrifft, so kommt sie im Magen in so geringer 
Menge vor, dass sie ebenfalls vollständig für die Titration unter 
Alkoholzusatz ausfällt. Dass die Pbosphorsäure eine geringe 
Rolle spielt, ist bewiesen worden durch die Untersuchungen von 
Tabora 1 ). Für die Milchsäure kann man sich sehr leicht dadurch 
überzeugen, dass man bei dieser Versuchsanordnung durch Zusatz 
von Alkohol aus einer Mischung von N/10 -HCl und Milchsäure 
die Salzsäure allein heraustitriert. Z. B. wurden gleiche Teile 
einer etwa 1 proz. Milchsäurelösung mit gleichen Teilen N/10 HC1- 
Lösung versetzt. Die Azidität betrug mit Dimethyl- bis zur Gelb¬ 
färbung bestimmt = 70; unter Zusatz von Alkohol titriert erhielt 
man 52. Der richtige Wert ist = 50. Wenn man Mageninhalt 
einmal mit und einmal ohne Zusatz von Alkohol titriert, so 
findet man eine ganze Anzahl von Fällen, bei denen die Werte 
ziemlich genau übereinstimmen. Das sind diejenigen, bei denen 
freie HCl im Ueberschuss vorhanden nnd keine organischen Säuren 
zugegen gewesen sind. Andererseits findet man auch solche mit 
ziemlich starken Differenzen. Das sind solche Fälle mit orga¬ 
nischen Säuren oder auch mit lockerer organischer Bindung der Salz¬ 
säure, deren Dissoziation durch Alkohol ebenfalls zurückgedrängt 
wird. Gerade erstere Fälle zeigen den Wert des Alkohol Zusatzes, z. B. 
wenn man Bestimmungen macht nach der Methode von Gluzinski, 
wo man einmal ein Probefrühstück aus Semmel und einmal eine 
Probemahlzeit aus Beefsteak usw. gibt, und dann die Menge der 
freien HCl beidemale bestimmen muss, um aus den Differenzen — 
ob sie nach der Probemablzeit grösser oder geringer sind — eine 
Diagnose zu machen, (Steigen der HCl spricht mehr für Ulkus, 
Fallen mehr für Karzinom). Wenn dabei durch Stenosenerschei¬ 
nungen desPylorus Gärungen vorhanden sind, so erhält man, wenn 
man nur mit Dimethyl oder Kongorot titriert, erst recht keine 
brauchbaren Werte. Trotzdem sind derartige Untersuchungen von 
verschiedenen Autoren gemacht worden. & ist gar keine Frage, 
dass durch grössere Mengen organischer Säuren die Reaktionen auf 

1) Zsohr. f. kl. M., Bd. 56, S. 869. 


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UMIVERSITY OF IOWA 




336 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Dimethyl, Kongorot usw. positiv werden können und freie HCl 
in einer Menge Vortäuschen, in der sie gar nicht vorhanden ist. 

Die Zuruckdrängung der Dissoziation der organischen Säuren 
ijBt sehr einfach zu machen. Es geht das nicht nur bei Dimetbyl- 
amidoazobenzol, sondern auch bei Kongorot und Tropaeolin. Man 
könnte auch mit diesen Farbstoffen in analoger Weise titriereo. 
Koogopapier wird oft blau gefärbt, ohne dass freie HCl vorhanden 
ist. Boas empfiehlt zur Kontrolle Ausschütteln in Aether; viel 
besser ist Ausschütteln in Alkohol — besonders gut ist Propyl- 
alkobol. — Die von organischen Säuren herrührende Verfärbung 
schwindet sehr bald, die von HCl bleibt bestehen, wenn man das 
Papier einigemale hin und her schwenkt. 

Ich bringe jetzt eine Anzahl Bestimmungen und gebe zur 
Kontrolle die Günzburgzahlen. 


1. Ulcus ventriculi 

Dimethyl 4- 1*/* Alkohol 

10 (Günzburg 7). 

2. Neurose 

do. 

do. 

33 

do. 

36. 

3. Ulous Ventr. bei 






Tuberkulose 

do. 

do. 

6—8 

do. 

4-5. 

4. Karzinom 

do. 

do. 

negat. 

do. 

negat. 

d. Pylorus 

do. 

allein 

pos. 

do. 

negat. 

5. Ulcus duodeni 

do. 

4- l »/ 2 Alkohol 

54 

do. 51—53. 

6 . Ulcus des Magens 

do. 

do. 

33 

do. 

31. 

7. Gastritis 

do. 

do. 

15 

do. 

11 . 

8 . Hypersekretion 

do. 

»do. 

72 

do. 

70. 

9. Atonie 

do. 

do. 

50 

do. 

44. 

10. Atonie des Magens 

do. 

do. 

30 

do. 

28. 

11. Pylorusstenose 

do. 

do. 

48 

do. 

52. 

12. Ulcus 

do. 

do. 

30 

do. 

27. 

13. Neurose 

do. 

do. 

17 

do. 

15. 

14. Neurose 

do. 

do. 

41 

do. 

38. 

15. Pylorusstenose 

do. 

do. 

25 

do. 

25. 

16. Schleim. Magenkatarrh do. 

allein 

12 

do. 

— 6 . 

(Zusatz von •/» Alkohol: HCl-Defizit): —3 


do. 

— 6 . 

17. Aohylie 

Dimethyl ohne Alkohol - 

- 5 




do. 

-f D /2 Alkohol - 

- 9 

do. 

— 13. 

18. Kardia-Karzinom 

do. 

do. — 

-40 

do. 

— 39. 

(ohne Alkohol) 

do. 

HCl-Defizit: - 

-30 



19. a) 5 ccm dünnes Hühnereiweiss + Aq. auf 100 verdünnt und filtriert 


HCl-Defizit -f 8/2 Alkohol — 9 (Güozburg — 9). 
b) Die Eiweisslösung mit einer Milchsäurelösung von 75 Azidität mit 
Phenolphthalein zu gleichen Teilen verdünnt: 

HCl-Defizit 4- IV 2 Alkohol — 5 (Günzburg — 6 ). 
Dimethylreaktion ohne Alkohol -f- 22 (bis zur Reingelbfärbung). 
20. Eine reine Milchsäurelösung von 75 Azidität gegen Phenolphthalein 
mit Wittepepton zu etwa 2 pCt. versetzt, gibt mit 

Dimethyl allein von der Orangefärbung bis zum reinen Gelb 


titriert = 25; 

dasselbe mit l>/a Alkohol ergibt ein HCl-Defizit von —25. 
(Günzburg: HCl-Defizit — 28—29.) 
ln den Fällen 16, 19 und 20 ergibt Dimethylreaktion allein 
positive Reaktion. Nach Zusatz von */ 2 Alkohol musste noch 
überschüssige HCl zugesetzt werden, um eine positive Reaktion 
zu erzielen, d. b. es bestand ein Defizit von — x, wo x die Anzahl 
ccm der N/10-HCl-Lösung bedeutet, welche zugesetzt werden 
mussten, um eine positive Reaktion zu erzielen. Namentlich die 
letzten Fälle zeigen den Wert des Verfahrens sehr instruktiv. 

Man sieht, dass alle Werte genügend gut übereinstimmen. 
Die Abweichungen sind gering und spielen für die Praxis keine 
Rolle; man muss dabei auch bedenken, dass die H-Ionen der 
HCl, welche allein die Reaktion bedingen sollen, schwerlich mit 
einer anderen Methode genauer zu bestimmen sind. Für die Praxis 
ist wichtig, dass das Optimum an HCl für die peptische Ver¬ 
dauung der Günzburgzahl 280 entspricht, = 30 für die Titration 
mit Diamidoazobenzol unter. Aikoholzusatz. 

Ich kann die Methode der Titration der freien HCl unter 
Alkoholzusatz nach meinen Untersuchungen empfehlen. Vielleicht 
hat das Verfahren auch Wert für die Nahrungsmittelanalyse, 
wenn man z. B. verschiedene Mineralsäuren neben organischen 


Säuren austitrieren muss. Natürlich muss man die Zusätze dem 


jeweiligen Bedürfnis entsprechend anpassen. 


Bacherbesprechungen. 

R. Finkelnburg - Bonn *. Die Therapie an den Bonner Universitäts¬ 
kliniken. Zweite stark vermehrte Auflage. Bonn 1917*, Verlag von 
A. Marcus & E. Weber. Preis 15,50 M. 

Wir besitzen meines Wissens ausser der vorliegenden Therapie nur 
nooh die der Berliner Kliniken von Croner, deren Vorzüge ich beim 
Erscheinen der letzten Auflage in dieser Wochenschrift besprochen 


1) Vgl. J. Christiansen, Bioohem. Zsohr.. Bd. 46, S. 285. 


habe. Die Anlage des Bonner Therapiebuches ist eine andere. Sie ist 
wesentlich ausführlicher; es werden auch therapeutische Versuche er¬ 
wähnt, die nicht zum Ziele führen. Ausserdem findet der Leser viel¬ 
fach diagnostische Hinweise oder Anführen der Gründe, warum die ein¬ 
geschlagene Therapie versagt. Die einzelnen Kapitel sind entweder von 
dem Direktor der Spezialklinik selbst oder einem seiner langjährigen 
Mitarbeiter dargestellt. Es ist einleuchtend, dass das Werk für den 
Leser durch die genannten Eigenschaften äusserst wertvoll ist. Anderer¬ 
seits darf man sich nicht verhehlen, dass der Praktiker, der sich schnell 
Rat holen will, nicht gern 1 oder 2 eng gedruckte Seiten lesen will, um 
seinem Kranken die Therapie vorzuschreiben. Für ihn ist die knappe, 
kurzgefasste Aufzählung bequemer und weniger zeitraubend. Deshalb 
erfreut sich ja seit langem die Croner’sche Therapie grosser Beliebtheit 
Damit soll, wie ich nachdrücklich betonen möchte, über das Bonner 
Buch nichts Abfälliges gesagt sein. Es eignet sich zum Studium aus¬ 
gezeichnet. Jeder, der sich über den derzeitigen Stand der Therapie 
orientieren will, wer wissen möchte, was therapeutisch gut oder sohlecht 
ist, wird in dem Werke der Bonner Kliniker Aufklärung finden. Die 
Bonner Therapie wird über die lokale Bedeutung hinaus für jetzige und 
ehemalige Studenten Bonns auch anderen ein guter Ratgeber sein. 
Sicherlich werden der zweiten noch viele Neuauflagen folgen; sie dürfen 
aber nicht mehr n stark vermehrt* sein. Dünner. 


Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Militärsanitäts- 
wesens. Herausgegeben vom Sanitätsdepartement des Kgl. Preuss. 
Kriegsministeriums. Heft 68 . 

Untersuchungen über Serimschnti bei Gnsffdem. Zusammengestellt 
im Sanitätsdepartement des Kgl. Preuss. Kriegsministeriums. Berlin 1918. 
Preis 6 M. 140 S. Verlag von August Hirschwald, Berlin. 
Nachstehend angegebene Arbeiten über die Gasödemerreger und die 
Gewinnung eines Sohutzserums gegen dieselben stellen das Ergebnis der 
im Aufträge des Chefs des Feldsanitätswesens an den verschiedensten 
Stellen der Front wie auch in der Heimat ausgeführten Untersuchungen 
über die genannte Wundinfektion dar. Sie sind noch kein abgeschlossenes 
Ganze, sondern nur eine Zusammenfassung der bis Frühjahr 1917 ge¬ 
wonnenen Kenntnisse und sollen die Grundlage für weitere Forschung 
bilden, für die eine besondere Abteilung an der Kaiser Wilhelms- 
Akademie errichtet wurde. 

L. Aschoff: Zur Frage der Gasödemerreger und ihrer Be¬ 
deutung für die Gewinnung eines Gasödemschutzserums; 
Nach einer kurzen historischen Uebersioht bis zum Kriegsbeginn 
gibt Verf. einen jetztzeitigen Bericht über den Erreger und das Schuts¬ 
serum des Gasödems. 

F. Klose: Bakteriologisch-serologische Grundlagen zur Frage 
der Herstellung eines Gasbrandserums. 

Verf. glaubt, dass mit dem Gasödemserum „Höchst“ dem Chirurgen 
eine wirksame Waffe im Kampf gegen die durch die Gasödembazillen 
bedingte anaerobe Wundinfektion in die Hand gegeben ist, seine An¬ 
wendung aber nur in Verbindung mit saohgemässen chirurgischen Maass¬ 
nahmen uns auch diese Kriegskrankheit meistern lassen wird. 

Rumpel: Bericht über die praktischen Erfahrungen mit der 
Serumbehandlung der Gasphlegmone. 

Die klinisch-praktischen Ergebnisse der prophylaktischen Anwendung 
des Gasödemserums sind derartig günstige, dass eine allgemeine An¬ 
wendung im Feldheere im Sinne der vom Verf. geschilderten Ausführung 
ausdrücklich empfohlen werden kann. 

v. Wassermann: Bemerkungen zur Frage der Herstellung 
eines Gasödemserums. 

Verf. weist darauf hin, dass das Höchster Serum in seiner jetzigen 
Gestalt noch nicht das best Erreichbare darstellt; das vom Verf. aus¬ 
geprobte Höchster Serum wirkt nach seiner Ansicht nicht breit genug. 
Dennoch soll man das Serum jetzt bereits weitestgehend praktisch ver¬ 
wenden. 

E. Fränkel (Heidelberg): Beiträge zur Aetiologie und Prophy¬ 
laxe des Gasödems. 

Verf. veröffentlicht seine bakteriologischen Untersuchungen über dit 
Art des Erregers, schildert dessen morphologisches Verhalten, das kul¬ 
turelle Verfahren, die serologische Differenzierung und den Tierversuch. 
Dann erörtert er Immunitätsfragen beim Gasödem und schliesslioh in 
einem chemischen Teil chemotherapeutische Versuche. 

Heddäus: Ueber Serumbehandlung des Gasödems. 

Bericht über 94 Fälle. Von diesen wurden 69 mit Serum Klose be¬ 
handelt, und zwar therapeutisch und prophylaktisch, der Rest mit 
Höchster Gasödemserum, ebenso geschah die Behandlung intravenös, 
intraarteriell und intramuskulär. Allgemein prophylaktische Anwendung 
erscheint in hohem Grade aussichtsvoll. Nach Verf.’s Ansicht sind beide 
Sera hinsiohtlich der Wirksamkeit ungefähr gleichwertig. Am meisten 
wird jedoch das Höchster Serum angewandt. Am meisten beweisende 
Resultate wurden bei den frühzeitig behandelten Fällen erzielt. 

Schnütgen. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





8. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


387 


Veröffentlichungen ans dem Gebiete des Militärsanitäts- 
wesens. Herausgegeben vom Sanitätsdepartement des Kgl. Preuss. 
Kriegsministeriums. Heft 69. 

Th. Mossersehmidt, Strasburg i. E. Baubygieiisehe Erfahrungen im 
waldreichen Hochgebirge. Mit 83 Abbildungen im Text. Berlin 1918. 
Verlag von Aug. Hirschwald. Preis 2,80 M. 

Ausführliche Mitteilungen über Schaffung bewohnbarer und gesunder 
Unterkünfte, selbst im dichten Urwald mit den einfachsten Hilfsmitteln. 
Soweit militärische Verhältnisse es gestatten, sind für die Auswahl eines 
Bauplatzes folgende Gesichtspunkte zu beachten: Geschützte Lage gegen 
Lawinen und heftige Winde. Die Unterkünfte müssen der Vormittags¬ 
und Mittagssonne möglichst lange zugänglich, der Naohmittags- und 
Abendsonne weniger ausgesetzt sein. Sie sollen in der Nähe und 
unterhalb von Quellen liegen. Möglichste Sicherung vor feindlichem 
Feuer ist anzustreben. Eingehende Ausführungen über die angegebenen 
Gesichtspunkte, ferner über Kennzeichen der Windrichtung, Rücksicht 
auf Konstruktion der Seitenwände, Errichtung auf den seitlichen Hängen 
der Täler (am besten!), Möglichkeit, stets Vergrösserungen vornehmen 
zu können, Baugrnnd, Anlage grösserer Mannschaftsunterkünfte, Ent* 
Wässerungsgräben, Wahl und Herrichtung des Bauholzes (Rundhölzer, 
Baumstämme usw.), der Fussböden, über Wichtigkeit und Gründe für 
kleinere Unterkünfte, über Zweckmässigkeit der Baracken, Einteilung 
und Inneneinrichtung derselben, unzweckmässige Bauart eines Block¬ 
hauses, über Eckpfeiler an denselben, Nagelung, zweistöckige Bauten, 
über SohindelbekleiduDg, Lehmverputz, Doppeldach (von dem das untere 
leicht einseitig geneigt sein soll), Fenster, Oefen, Waschanlagen, Ent* 
lausungsanstalten usw. 

Die Forderungen für Anlage von Magazinen und Schlächtereien sind 
anderer Art. Sie sollen dort gebaut werden, wo sie wenig Sonne er¬ 
reicht (an nördlichen und östliohen Abhängen). Wärme beschleunigt 
die Zersetzung der Nahrungsmittel. Der Baugrund muss unbedingt 
trocken sein, aber doch in nächster Nähe von starken, einwandfreien 
Quellen liegen und auch die Abfuhr der meist reichlichen Abfallstoffe 
ermöglichen. Sohnütgen. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

v. Kries-Freiburg i. Br.: Neuere Untersuchungen zur Moskelt&tig- 
keit (D. m. W., 1918, Nr. 8.) Die mit der MuskeTätigkeit verknüpfte 
Wärmebildung tritt zum Teil nioht während, sondern nach der Zuckung 
ein (sogenannte verzögerte Wärmebildung), und es werden die nament¬ 
lich von Hill und Weizsäoker hieran geknüpften Folgerungen über 
die energetischen Verhältnisse der Muskeltätigkeit erörtert. Es wird an¬ 
genommen, dass die Muskeltätigkeit im ganzen sich aus zwei verschieden¬ 
artigen, auch zeitlich auseinanderfallenden Vorgängen zusammensetzt. 
Der eine, unmittelbar durch den Reiz ausgelöste umfasst die sichtbare 
Tätigkeit (Spannung oder Verkürzung); der andere stellt eine Vor¬ 
bereitung für jenen dar. Er verläuft unter Wärmebildung und Sauer¬ 
stoffverbrauch; es muss also dabei die von Hause aus gegebene chemische 
Energie in eine andere, vorderhand nioht genauer bekannte Energieform 
umgewandelt werden. Dünner. 

H. Siegmund-München: Untersuchungen über den Einfluss der 
Miliezstirpation anf den Fettgehalt des Blutes. (Vircb. Aroh. f. pathl 
Anat., 1917, Bd. 224, H. 3.) Um die Rolle der Milz im Fettstoffwechse. 
darzutun, prüfte Verf. den Einfluss, welchen die Entfernung der Milz 
auf den Lipoidgehalt des Blutes ausübt. Nach Splenektomie bei Kaninchen 
und Meerschweinchen erfolgt eine bis zum 96. Tage noch erkennbare 
Erhöhung der Gesamtfettmenge des Blutes, welche im wesentlichen in 
der Zunahme des freien Cholesterins besteht. Nach Cholesterinfütterung 
zeigen entmilzte Tiere eine anfänglich stärkere Zunahme des freien 
Cholesterins im Blute als nicht entmilzte Tiere. Diese Erhöhung ist 
nach Ansicht des Verf. vielleicht nioht allein auf Reohnung der 
Cholesterinfütterung zu setzen. Sohönberg. 


Pharmakologie. 

Dakin und Dunham: Lösungsmittel für Dichloramia-T. (Brit. 
med. journ., Nr..2976.) Dichloramin-T. ist eine schwach gelbliche 
Masse, die sich in den meisten organischen Lösungsmitteln leicht löst; 
doch hat die Mehrzahl dieser keinen praktischen Wert, im Gegessatz zu 
Oel. Bisher verwendete man gewöhnlich Eukalyptol, ein gutes Lösungs¬ 
mittel von hinreichender Beständigkeit, wenn vor Lioht geschützt; es 
hat jedooh zwei Nachteile, es ist sehr kostspielig und kann hautreizend 
wirken. Als Ersatz eignet sioh vortrefflich gechlortes Paraffinwachs. 
Das auf diese Weise erhaltene Präparat nannte man Chlorcosan. Hier¬ 
von ist zur Wundbehandlung wie auch zur Desinfektion der Nasenraohen- 
höhle eine 7—8proz. Lösung am vorteilhaftesten. Aufbewahrung in 
bernsteingelben Flaschen, Schutz vor Sonnen lioht und unnötiger Er¬ 
wärmung. Da Chlorcosan sehr dickflüssig ist, ist es für den Handspray 
nur zu gebrauchen, wenn ihm 10 pCt. Kohlenstoff-Tetraohlorid zugesetzt 
wird. Letzteres hat auf die Wirksamkeit des Mittels keinen nach¬ 
teiligen Einfluss. Sohreiber. 


Therapie. 

J. Heller- Berlin -Charlottenburg: Ueber medizinische Toawaseh- 
mitiel und fettlose Salbengrundlagen. (Der®, Zsohr., Februar 1918.) 
Die medizinischen Ton Waschmittel erfüllen die Erwartungen in sehr be¬ 
scheidenem Maasse. Als Salbengrundlagen sind die von Addy Salomon 
in Charlottenburg hergestellten „Nihilol* und „Pauperol* als Kriegsersatz 
zu empfehlen. 

P. Jaoob-Charlottenburg: Erfahrungen mit der Granugenpaste. 
(Derm. Wschr., 1918, Bd. 66, Nr. 9.) J. empfiehlt die Kroll’sohe Granugen- 
paste bei Ulcera cruris, Impetigo contagiosa und Verbrennungen. 

Immerwahr. 

Rubens- Gelsenkirchen : Die Ersetzung französischer Arsenpriparate 
durch deutsche. (D.m.W., 1918, Nr. 7.) Solarson eignet sich auch zur 
intravenösen Behandlung. 

Siegfried-Potsdam: Das neue Narkotika* Eakodal. (D.m.W., 
1918, Nr. 7.) Das neue Narkotikum Eukodal hat sich besonders vor 
der Narkose gut bewährt. Die Kranken kommen in schläfrigem Zustand 
auf den Operationstisch, das Exzitationsstadium ist abgesohwächt und 
das postoperative Erbrechen selten, wenn nicht völlig aufgehoben. 

Dünner. 

A. Wildt: Erfahrungen über Wundbehandlung mit Suprareaia. 
(M.m.W., 1918, Nr. 5) Konzentration mit Borsalbe 1:10000 bis 1:100000, 
Verhinderung von Granulationswucherungen, infolgedessen Heranziehung 
der umgebenden Haut, Bildung schmaler Narben. Beschränkung der 
Sekretion. Geppert 

Marris: Zur Behandlung der Thrombose. (Brit. med. journ., 
Nr. 2973.) Gegen die bei Typhus und ähnlichen Erkrankungen nicht 
seltenen Verstopfungen der Beinvenen wird als sehr wirksames Mittel 
zitronensaures Natron empfohlen, und zwar sowohl innerlich eingegeben 
als auch in Form von Adereingiessungen. Die günstige Wirkung der 
Zitronensäure beruht darauf, dass das Blut periphere Neigung zur Ge¬ 
rinnung zeigt; dadurch wird verhindert, dass der einmal entstandene 
Thrombus an Ausdehnung gewinnt, und erzielt, dass er sioh schneller 
auflöst. Innerlich verabfolgt wurde das Mittel in Mengen von 40,0 am 
Tage (bei milchfreier Kost); zur Adereingiessung verwendete man eine 
V 2 proz. Lösung in destilliertem Wasser: im allgemeinen genügen 1—2 Ein¬ 
giessungen von je 0,2—0,3 1. Schüttelfröste wurden bei sorgsamster 
Herstellung der Lösung stets vermieden. Die intravenös behandelten 
Kranken konnten im Durchschnitt 19 Tage nach Einsetzen der Behand¬ 
lung aufstehen, die anderen erst naoh durchschnittlich 32 Tagen. 

Schreiber. 

F. Mendel-Essen-Ruhr: Bulbus Scillae, ein zu Unreoht vernach¬ 
lässigtes Herzmittel. Erste Fortsetzung. (Ther. d. Gegenw., Februar 1918.) 
Verf. empfiehlt bei Versagen der Systole, also bei arterieller Stauung, 
Digitalis, bei Versagen der Diastole, bei venös-lymphatischer Stauung, 
die sioh besonders im Pfortader*Lebersystem abspielt, Bulbus Soillae 
zu verabfolgen. R. Fabian. 

Rose: Zur Behandlung der Melaena neonatorum. (Brit. med. journ., 
Nr. 2971.) Beschreibung eines Falles von Melaena neonatorum, geheilt 
durch Einspritzen von 10 ccm menschlichen Blutserums unter die Bauch¬ 
haut, nachdem Kalziumchlorid und Gelatine vollkommen versagt hatten. 

Schreiber. 

L. R. Müller-Würzburg: Ueber die Behandlung des Wechselfieberi. 
(M.m.W., 1918, Nr. 5.) Zusammenfassende,Darstellung. Geppert. 

Lambert: Behandlung der Amöbendysenterie. (Brit. med. 
journ., Nr. 2978.) Bericht über 40 mit Emetin und Wismutjodid erfolg¬ 
reich behandelte Fälle von Amöben-Rubr. Kombination beider Mittel 
erwies sich als bedeutend zweckmässiger, als Emetin allein. Letzteres 
wirkte in den kleinen Gaben, in denen es verabreicht wurde, bei den 
Kranken (Indern) nicht brechenerregend. — Einläufe wurden so gut wie 
gar nioht gemacht. — Naoh 1—2 Wochen, oft schon früher, waren die 
Stühle amöbenfrei. Sohreiber. 

Wasicki: Wien: Der Ersatz von Folia ivae mrsi darch Arbatns 
nnedo and von Radix ratanhiae darch einheimische Gerbstoffdrogen. 
(W.m.W., Nr. 4.) Es kann Arbutus unedo wie Uva ursi verwendet werden 
und an Stelle fehlender Bärentraubenblätter sind in gleicher Weise die 
Folia arbuti unedinis zu verschreiben. Auoh sind weder die ausländische 
Radix ratanhiae noch ihre Präparate zu verordnen, sondern an ihrer Stelle 
einer der bedeutend wirksameren einheimischen Gerbstoffdrogen Radix 
tormentillae, Radix bistortae oder Radix geranii. Reokzeh. 

E. Hesse-Düsseldorf: Bewertung der epidoralea Injektion bei 
Enarc8i8 nocturna. (M.m.W., 1918,. Nr. 5.) Verf. teilt die Enuresis 
nocturna ätiologisch in drei Groppen. Erste Gruppe: allgemeine Neurose 
(monosymptomartige Hysterie), zweitens bei nervösen, zurückgebliebenen 
Kindern als funktionelles DegeneratioDszeiohen (neuropathisches Stigma 
bereditalis), bei der dritten Gruppe finden wir sehr häufig neben der 
Enuresis nocturna organische Veränderungen in Form von Störungen 
der Sensibilität und der Reflexe und Degenerationszeicben der Kreuz¬ 
beingegend: Hypertriohosis, fistelartige Einziehungen, Verkrümmungen, 
Syndaktylie und vor allem eine Spina bifida occulta (weit offener Spalt 
am unteren Kreuzbeinende). Die epiduralen Injektionen (10—30 ccm 
Koohsalz-Novokain-Lösung in der Canalis saoralis) wirken häufig in Fällen 
aller drei Aetiologien günstig, teils auf suggestive teils auf mechanische 
Weise (Entspannung von Nerven). Geppert 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 





838 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


H.Röder-Elberfeld: Dysmenorrhoe. (Ther.d.Gegen*.,Februar 1918.) 
(Unter Benutzung eines auf der Naturforscher- und Aerzteversammlung 
1918 in Wien in der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie ge¬ 
haltenen Vortrages.) Nach Ansicht des Verf. wirkt eine Verbesserung 
des Lymphkreislaufes und eine Funktionsherstellung der Handeln, die 
ein Ausscheidungsorgan der Lymphe darstellen, günstig auf die Gesamt¬ 
gesundheit und auf die Funktion der Unterleibsorgane. Die Gesundungs¬ 
bestrebungen des Verf. erstrecken sich auf die Mandeln durch geeignetes 
Saugen, Massieren usw., ferner auf den lymphatischen Raohenring ein¬ 
schliesslich der Nase. Anführung verschiedener Fälle von dysmenorrhoischen 
Beschwerden, die anfangs mit lokaler Therapie ohne Erfolg behandelt 
wurden und die später durch die Methode des Verf. äusserst günstig 
beeinflusst wurden. R. Fabian. 

R6thi-Wien: Zur Radiambehandlang der bösartigen Neubildungen 
des Rachens und des Nasenrachenraumes. (W.m.W., 1918, Nr. 4.) 
Die elektive Wirkung des Radiums erhellt auch daraus, dass inoperable 
Fälle durch Bestrahlung mitunter operabel werden, und es liegen auch 
Beobachtungen vor, in denen inoperable Fälle duroh Bestrahlung allein 
zur vollständigen Heilung gekommen sind. Die noch operablen Fälle 
sollen zunächst operativ angegangen und nicht von vornherein mit Radium 
behandelt werden; nur inoperable Neubildungen sind von vornherein zu 
bestrahlen. Reokzeh. 

L. Seitz u. H. Würtz: Grundsätze der Röntgenbestrahlung des 
Gebärmutterkrebses and des Kariiaoms im allgemeinen, die Karzinom¬ 
dosis. (M.m.W., 1918, Nr. 4.) In der Erlanger Frauenklinik hat man 
mittels eines abgeänderten Iontoquantimeters genaue Messung der 
Röntgendosis vorgenommen, die genügt, um Karzinomzellen zu vernichten« 
Um eine biologische Maasseinheit zu gewinnen, wurde diese Karzinom¬ 
dosis in Beziehung zur Hautdosis gebracht und gefunden, dass die 
Karzinomdosis 100—110 pCt. der Hauteinheitsdosis beträgt. Es werden 
in kritischer Weise alle die Schwierigkeiten beleuchtet, die einer so 
intensiven Bestrahlung von in der Tiefe gelegenen Karzinomzellen ent¬ 
gegenstehen. Der Hauptfehler bei Bestrahlung von vielen Feldern aus 
ist der, dass die kleineren Strahlenbündel nicht alle den Karzinomherd 
treffen und deshalb häufig noch Reizdosen appliziert werden. Verff. be¬ 
strahlen deshalb nur von grösseren 6—8 qcm Feldern aus, drei von 
vorne und zwei von hinten und erreichen dadurch gerade eine 100—110 proz. 
Hautdosis. Ein starkes Ueberscbreiten dieser Dosis führt ebenfalls zu 
Schädigungen (Darm, Blutlymphapparat usw.). Weit vorgeschrittene, im 
Kaohektstadium befindliche Fälle können auch durch Bestrahlung nicht 
im günstigen Sinne beeinflusst werden. Geppert. 

Axmann-Erfurt: Lymphombehandlnng ud Lupus. (D.m.W., 1918, 
Nr. 8.) Eintreten für die Strahlenbehandlung von Lymphomen, durch 
die auch das Entstehen von Lupus, der sich gewöhnlich durch Kratzen 
in der Umgebung der Wunde einstellt, verhütet wird. Dünner. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

0. v. Fi sch er-Genf: Ueber die Lymphknötchen im menschlichen 
Hamerns-, Wirbel- and Rippenmark. (Frankf. Zschr. f. Path., 1917, 
Bd. 20, H. 8.) Die Verfasserin fand bei ihren Untersuchungen von 
61 Fällen 38 mal oder fast in 2 /s der Fälle Follikel in den verschiedenen 
Knochen. Bei reichlicher Anwesenheit von Follikeln konnte man eine 
deutlich herdförmige zum Teil gesetzmässige Verteilung derselben im 
Mark naohweisen, welche gewöhnlicherweise mit der Verteilung der 
Markgefässe zusammenhängt. Man fand eine gesetzmässige Lokalisation 
der Follikel um die arteriellen Kapillaren zum Teil in der Nähe des 
Ueberganges der Arterien in die arterielle Kapillare. Keimzentren konnte 
sie bei ihren Fällen nicht nachweisen. Einen bestimmten Zusammen¬ 
hang der Follikel mit Krankheitsprozessen fand die Verfasserin nicht, 
ebensowenig konnte sie Follikel in einem Fall von Status thymioo- 
lymphaticus und in zwei Fällen von Status lymphaticus nachweisen. 

S. Uemura-Basel: Zur normalen und pathologischen Anatomie der 
Glandula pinealis des Menschen und einiger Haustiere. (Frankf. Zschr. 
f. Path., 1917, Bd. 20, H. 3.) Beim Menschen beträgt das mittlere Ge¬ 
wicht der Epiphyso 0,157 g, ein Gewicht von über 0,3 g ist ausschliess¬ 
lich jenseits des 40. Lebensjahres zu finden. Die ersten Zeichen der 
Involution der Zirbel in Form eines Ersatzes des Parenohyms durch 
Gliaplatten, Erweichung und sekundäre Zystenbildung, Vermehrung des 
Bindegewebsgerüstes, Auftreten von Kalkablagerung kann man schon 
im 4. bis 6. Lebensjahre erkennen. Die Involution vollzieht sich in der 
Jugend etwas rasoher, später langsamer und zieht sioh dann durch das 
ganze Leben hindurch. Sie erreicht aber nie solche Grade, dass das 
Organ völlig funktionslos wird. Man kann auch im Alter histologisch 
Zeiohen von Sekretion naohweisen. Unter den Parencbymzellen kann 
man hell- und dunkelkernige Drüsenzellen und Neurogliazellen unter¬ 
scheiden. Die dunkelkernigen Zellen sind im allgemeinen als Jugend¬ 
stadium zu bezeichnen. Die helleren Kerne zeigen homogene, kolloid¬ 
artige Einschlüsse, die sehr wahrscheinlich duroh Kernruptur nach aussen 
entfernt werden. Ein Teil der Drüsenzellen erholt sich nach der Ent¬ 
fernung der Kerngranula, ein anderer Teil ist wohl dem Untergang ver¬ 
fallen. In der Epiphyse verschiedener Haustiere und des Menschen 
konnte Uemura sowohl Neurogliazellen vom Typus der Lang- und 
Kurzsternstrahler und Nervenfasern naohweisen. Der Verfasser berichtet 
im ferneren über drei Geschwülste der Glandula pinealis, von denen eine 
ein Fibrosarkom, die zweite ein Gliom und die dritte endlich ein Adenom 


der Glandula pinealis darstellte. Uemura konnte auoh einen Fall von 
multipler Blutdrüsensklerose bei einem 29 jährigen Manne mit hyper¬ 
trophischer Leberzirrhose untersuchen. Die Zirbeldrüse erwies sich in 
diesem Falle ebenfalls hoohgradig atrophisch. Diese Beobachtung von 
Mitbeteiligung der Epiphyse bei der pluriglandulären Erkrankung hat 
die grosse Bedeutung, dass sie wie ein Experiment die Stellung der 
Glandula pinealis als innersekretorische Drüse dokumentiert. In aus¬ 
gedehnten Untersuchungen versuchte der Verfasser eventuelle Beziehungen 
zwischen Epiphyse und Hypophyse des Menschen festzustellen. Im all¬ 
gemeinen gelang der Nachweis bestimmter Beziehungen nicht. Interessant 
ist, dass in drei Fällen von Fettsucht sowohl die Epiphyse als die 
Hypophyse recht grosse Dimensionen aufwiesen. Ferner konnte man 
Fälle von hochgradiger Atrophie der Zirbeldrüse nachweisen, bei denen 
auch die Hypophyse in ihrem glandulären Teile sehr stark reduziert 
war, während die Neurohypophyse auffallende Dimensionen erreichte. 

Y. Sakaguohi und S. Sobönberg-Basel: Der Einfluss der 
Kastration anf die Hypophyse des Riades. (Frankf. Zschr. f. Path., 
1917, Bd. 20, H. 3.) Die Autoren untersuchten an einem grösseren 
Material den Einfluss der Kastration auf die Hypophyse des Rindes. Es 
fanden sich keine konstanten durchgreifenden Unterschiede. Makro¬ 
skopisch ist allerdings die Hypophyse beim Stier kleiner als diejenige 
der Kuh und des Ochsen, auch das Gewicht ist im allgemeinen kleiner. 
Mikroskopisch ist die Hypophyse des Stieres, wenn auch nicht konstant, 
ausgezeichnet durch das Vorherrschen von schwach azidophilen Zellen, 
während bei den Kühen meistens die chromophoben Zellen überwiegen. 
Die Ochsenhypophyse kann sioh in ihrem histologischen Aufbau eventuell 
mit derjenigen der Kühe und Stiere decken, in vielen Fällen ist sie 
aber duroh das Auftreten von Strängen und Gruppen stark azidophiler 
Zellen sehr wohl charakterisiert. Diese azidophilen Zellen zeigen oft 
Kernveränderungen, die am ehesten als die Produkte von regressiven 
Prozessen angesprochen werden können. Hedinger. 

K. Dressei: Inwiefern gelten die Mendel’sehen Vererbungsgesetie 
in der menschlichen Pathologie. (Virch. Arch. f. path. Anat., 1917, 
Bd. 224, H. 3.) Eignet sich nicht für ein kurzes Referat. Schönberg. 

E. Bej ach-Berlin: Beiträge zur Statistik des Karsinems. (Zsch. 
f. Krebsfofsch., 1917, Bd. 16, H. 2, S. 159.) Zusammenstellung der am 
pathologischen Institut des Krankenhauses Moabit-Berlin in den Jahren 
1908—1913 obduzierten Karzinomfalle unter verschiedenen Gesiohts- 
punkten. Im Vergleich mit Statistiken aus dem gleichen Institut in 
zwei vorhergegangenen Jahrfünften ergibt sich eine leichte prozentuale 
Abnahme der Karzinomtodesfälle, berechnet auf die Gesamtzahl der 
Sektionen Erwachsener. So ein. 

A. Reinhardt-Bern: Ueber Kombination von Krebs and Kropf 
mit Tuberkulose. (Virch. Arch., 1917, Bd. 224, H. 3.) Bei der Unter¬ 
suchung des Verhältnisses zwischen Krebs und Tuberkulose am Berner 
Sektionsmaterial des pathologischen Instituts fand Verf., dass eine Kom¬ 
bination beider Krankheiten relativ häufig vorkommt, dass aber niemals 
eine ausgebreitete Tuberkulose neben einem Karzinom konstatiert wurde; 
es handelte sich stets um eine inaktive, ausgeheilte oder in Ausheilung 
begriffene Tuberkulose. Verf. zieht daraus den Sobluss, dass zwischen 
Karzinom und progredienter Tuberkulose ein Antagonismus besteht. Die 
Beziehungen zwischen Schilddrüse und Tuberkulose werden in folgenden 
Schlusssätzen wiedergegeben: 1. Die Schilddrüse erkrankt äusserst selten 
an chronischer Tuberkulose von progredientem Charakter. 2. Zwischen 
Struma und Tuberkulose besteht kein Antagonismus. Sohönberg. 

R. Klinger und F. Fourm an-Zürich: Beobachtungen über eine 
Krebsepidemie unter Mäusen. (Zschr. f. Krebsforseh., 1917, Bd. 16, 
H. 2, S. 231.) In einem durch Inzucht vermehrten Stamm weisser Mäuse, 
dessen Stammutter an einer bei Mäusen ganz ungewöhnlichen Krebs¬ 
form, einem Talgdrüsenkarzinom der Schwanzwurzel gestorben war, traten 
im Verlauf von drei Jahren auffallend reichlich typische Mammakarzinome 
auf. Die letzten Tiere dieses durch die Inzucht unfruchtbar gewordenen 
Stammes wiesen zur Hälfte multiple papilläre Hauttumoren auf, die 
histologisch grosse Aehnlichkeit mit dem Analtumor des Stammtieres 
zeigten. Ueberimpfungen dieser Talgdrüsengeschwülste gingen nicht an, 
auch Hessen sich keine Parasiten darin nachweisen. 

H. Marcus-Heidelberg: Krebszellen im strömenden Blut? (Zsch. 
f. Krebsforsch., 1917, Bd. 16, H. 2, S. 217.) Bei einem 42jährigen Mann 
mit epithelialem malignen Tumor des Mediastinums, der in den reohten 
Herzvorhof eingebrochen war (wahrscheinlich primäres Bronchialkarzinom) 
fanden sioh im Blut fünf Tage vor dem Tode unter den weissen Zellen 
1 pCt. abnorme Zellformen, bei sonst annähernd normalem Leukozyten¬ 
bild. Diese abnormen Zellen zeigen im Kern und Zellplasma grosse 
Aehnlichkeit mit den Zellen des Tumors; es handelt sich offenbar um 
losgerissene Karzinomelemente, welche fähig waren, die Lungenkapillaren 
zu passieren. 

K. Sech er-Kopenhagen: Kasuistische Beiträge zur Kenntnis der 
Gesehwülste bei Tierea. (Zschr. f. Krebsforsch., 1917, Bd. 16, H. 2, 
S. 297.) Verf. beschreibt einen kystadenomatösen Hauttumor beim 
Frosch, Metaplasie des Drüsenmagenepithels eines Huhnes zu Platten¬ 
epithel bei Gegenwart eines Rundwurmes, ein Rundzellensarkom des 
Drüsenmagens beim Huhn, ein Ovarialteratom und eine Ductus thyreo- 
glossuskyste bei der Maus, ein Fibrosarkom der Sohwanzwurzel und ein 
perivaskuläres Knochensarkom bei der Ratte. 

Th. v. Wasielewski und G. Wülker-Heidelberg: Zur Kenntnis 
der Dispharagusinfektiou des Geflügelmagens und der dadurch be- 


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8. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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dingten geschwulstartigen Scbleimhautwucberungen. (Zschr. f. Krebsforsh., 
1917, Bd. 16, H. 2, S. 250.) Bei einer Taube iand sich im Drüsen¬ 
magen eine geschwulstartige, zum Teil papillomalöse Wucherung des 
Epithels der tubulösen Oberflächendrüsen mit fraglichem Tiefenwaohstum. 
In den Geschwulstmassen, teilweise völlig eingeschlossen, fanden sich 
Rundwürmer der Gattung Dispharagus. Experimentelle Untersuchungen 
mit diesen Würmern konnten nicht angestellt werden. 

0. Teutschländer-Heidelberg: Regelmässige Kombination des 
„Epithelioma coitagiosoin“ mit echtem Sarkom in Form multipler 
Hantknoten bei einer Tanbe. (Zsohr. f. Krebsforsch., 1917, Bd. 16, H. 2, 
S. 279.) Eine Taube wies zahlreiche geschwulstförmige üautknoten auf, 
die sich mikroskopisch als regelmässige Kombination von Epithelioma 
contagiosum mit einer zirkumskripten sarkomatösen Unterlage erwiesen. 
Ausserdem in der Lunge zahlreiche reine Sarkomknötohen. Verf. nimmt 
an, dass es sich bei den Hautknoten um gleichzeitige Einschwemmung von 
aus der Lunge stammenden Sarkomkeimen mit den vielleicht vom Darm 
aus eingetretenen Erregern des Epithelioms in die Haut handelt. 

S o c i n. 

L. v. Szöllösy-Budapest: Epithelmetaplasie in einem Fall von 
Lungentuberkulose. (Virch. Arch. f. path. Anat., 1917, Bd. 224, ,H. S.) 
Mitteilung eines Befundes von Metaplasie eines Zylinderepithels in 
mehrschichtiges Plattenepithel in der Wand einer tuberkulösen Lungen¬ 
kaverne. 

IT. Bergstrand-Stockholm: Beitrag zur Pathologie der primären 
Bndokardtumoren. (Virch. Arch. f. path. Anat., 1917, Bd. 224. H. 3.) 
Bei einer 25 jährigen Frau fand sich im linken Vorhof ein taubenei¬ 
grosser Tumor, dessen unterer Teil in das Atrium atrioventriculare 
hineinhing. Die histologische Untersuchung ergab eine echte Geschwulst 
aus myxomatösem Gewebe. Für die Annahme eines organisierten Thrombus 
bestanden keine Anhaltspunkte. Schönberg. 

0. Ewald-Heidelberg: Ein Fall von primärem Halssarkom mit 
Metaatasenbildung in Lungen und Nieren bei der Katze. (Zschr. f. 
Krebsforsoh., 1917, Bd. 16, H. 2, S. 276.) Rundzellensarkom mit 
Metastasenbildung auf dem Lymphwege. 

H. Sohöppler: Ein primäres Sarkom der Prostata. (Zschr. f. 
Krebsforsoh., 1917, Bd. 16, H. 2, S. 245.) Ein Fall von primärem klein¬ 
zelligen Sarkom der Prostata. Der Tumor batte sich einen Monat nach 
einem Trauma der Dammgegend zuerst stärker bemerkbar gemaoht; 
Ted naeh etwa zwei Monaten an Kystopyelitis. So ein. 


Innere Medizin. 

Siegmund-Danzig: Zur Statistik des Hercspitzenstosses. (Zbl. f. 
Herz- u. Gefässkrkh., Bd. 24.) Der Herzstoss ist bei vollkommen ge¬ 
sunden Mensohen wahrscheinlich sehr viel seltener nachweisbar als bei 
kranken Personen. Er fehlt bei männliohen Nervenkranken häufiger als 
im Durohschnitt bei Nervenleidenden (= 39 pCt.), und er wird bei 
nervenkranken Frauen viel seltener (in 27,3 pCt.) vermisst als bei 
nervenkranken Männern (in 49,8 pCt.). Mit der Aufstellung der neuro¬ 
genen Herzstosstheorie ist Verf. zu der Auffassung gelangt, dass der 
neurogene ebenso wie der mechanische Herzstoss nicht zu den physio¬ 
logischen, sondern grundsätzlich zu den pathologischen Bewegungsersohei- 
nungen gehören. 

Freiherr v. Chiari: Ueber die Beziehungen der Tuberkulose zu 
Typbus und Ruhr. (W.m.W., 1918, Nr. 2.) Grosse Gefahr droht nach 
überstandenem Typhus oder Ruhr den Rekonvaleszenten oder auch 
sichtlich Geheilten von einer Disposition zur Tuberkulose. Es wird 
demnaoh sich notwendig erweisen, einer katarrhalischen Affektion bei 
einem Individuum, das vor mehr weniger langer Zeit eine dieser Er¬ 
krankungen durohgemacht hat, eine besondere Aufmerksamkeit zu 
sohenken und solche Individuen möglichst rasch einer Spitalbehandlung 
zuzuführen. 

Schütz: Organisation der Kur- und Bäderbehandlung in der 

österreichisoh-ungarischen Armee. (W.m.W., 1918, Nr. 3.) In der 
Etappe werden die Nierenkranken in eigenen Nierenstationen gesammelt 
und daselbst so lange behandelt, bis ein Transport in das Hinterland mit 
keinerlei Gefahren der Verschlimmerung ihres Zustandes verbunden ist. 
Die wichtigste Aufgabe der Nierenstation liegt jedoch nioht nur in der 
Behandlung, sondern in der endgültigen Klassifikation. Diejenigen Pa¬ 
tienten, deren Beruf ein derartiger ist, dass derselbe durch den jeweiligen 
Grad des Nierenleidens nicht behindert wird, werden, wenn möglich, 
versuchsweise in einem Hilfsdienst im Spital beschäftigt, weloher dem 
Zivilberuf ähnlich ist. Während dieser probeweisen Dienstleistung findet 
eine strenge periodische Untersuchung statt, so dass eine Korrektur 
jederzeit möglich ist. Patienten, deren Gesundheitszustand ein der¬ 
artiger ist, dass dieselben voraussichtlich ihren .Zivilberuf nioht werden 
wieder ausüben können, werden nach vorheriger Berufsberatung in einer 
Invalidensohule bzw. Spitalwerkstätte in den neuen Beruf eingeführt 
und während dieser Zeit periodisch überwacht, so dass siob auch hier 
jederzeit eine Korrektur durchführen lässt. Bezüglich der anderen 
Krankheitsgruppen Magen- und Darm-, Herz-, niohtinfektiöse Lungen» 
erkrankuDgen usw. ist eine derartig subtile Abgrenzung nicht unbedingt 
erforderlich. Der Hauptanteil an der Behandlung dieser Krankheiten 
fällt den Sanitätsanstalten in den Kurorten zu. Reokzeh. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Kraepel in-München: Geschlechtliche Verirrungen nnd Volks- 
vermehrnng. (M.m.W., 1918, Nr. 5.) Ungünstig in Bezug auf die 
Volksvermehrung wirken besonders Homosexualität und Onanie. Die 
Homosexualität entsteht bei psychopathischen Persönlichkeiten durch 
Einwirkung ungünstiger geschlechtlicher Erlebnisse bei unreifem, früh 
erwachendem, schlecht beherrschtem Geschlechtstrieb. Den Anstoss zur 
Homosexualität gibt oft die Onanie bei geschlechtlicher Frühreife mit 
späterer psychischer Impotenz. Verführung spielt eine grosse Rolle, 
ebenso der ungünstige Einfluss des Alkohols. Zur Bekämpfung kommen 
in Betracht erzieherische Maassnahmen, Abhärtung, Stählung des Willens 
durch Leibesübungen, rechtzeitige vorsichtige Aufklärung. Förderung 
kameradschaftlicher Beziehungen zwischen beiden Geschlechtern zur Ein¬ 
dämmung der Homosexualität. Erörterung zweckmässiger strafrechtlicher 
Maassnahmen. Geppert. 

Symmers: Zur Kasuistik der GehirahautentiftidaMg. (Brit. med. 
journ., Nr. 2972.) Einer der nicht seltenen Fälle von Gehirnhautentzündung, 
die in raschem Verlauf tödlich enden, ohne dass es zur Ausbildung von 
Zeiohen seitens der Gehirnhäute kommt. Im vorliegenden Falle handelte es 
sich um einen 16jährigen Knaben, der unter heftigen Leib- und Rüoken- 
schmerzen plötzlich schwer erkrankte, ohne Steigerung der Körperwärme und 
ohne eine Spur von Kopfschmerz. 20 Stunden nach dem ersten Auftreten 
von Krankheitszeichen erfolgte der Tod. Bei der Sektion fand sich als 
einzige, mit blossem Auge sichtbare Veränderung am Zentralnerven¬ 
system eine geriDgtügige Trübung der Gehirn-Rückenmarksfiüssigkeit. 
Aus dieser konnten alsdann Reinkulturen von Meningokokkus gezüchtet 
werden. Schreiber. 

M. Nonne: Ueber Heilung der hypophysären Form der Lnes 
congenita (Lues congenita pituitaria) durch kombinierte antisyphilitische 
und Organtherapie. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 6.) Es handelt sich um 
einen 16jährigen Patienten mit Lues congenita und zwar Lues here- 
ditaria in dritter Generation. Wassermann stark positiv. Daneben 
ausgesprochene Züge eines psychischen Infantilismus, Polyurie, Habitus 
adiposus und Zurückbleiben der genitalen Entwicklung. Es handelt sich 
um eine Lues congenita pituitaria. Behandlung innerlich mit Jodqueck¬ 
silber und Hypophysistabletten. Nach 6 Monaten: normaler Jünglings¬ 
habitus, normal entwickelte Genitalien mit normaler Behaarung, keine 
Polyurie mehr, fast normaler psychischer Habitus. 

A. Hauptmann: Isolierte Oedembildnng bei Läsion eines peri¬ 
pheren Nerven. Ein Beitrag zum organischen Anteil psyohogener 
Störungen. (Neurol. Zbl., 1818, Nr. 6.) H. schildert einen Fall, bei 
dem es im Anschluss an einen Sturz auf den Ellenbogen zu einer vaso¬ 
motorischen Störung, einem Oedem im AusbreituDgsbezirk des N. ulnaris 
gekommen war, ohne dass irgendwelche motorische oder sensible Stö¬ 
rungen konstatiert werden konnten. Es muss ausschliesslich eine Läsion 
der dem Sympathikus angebörenden Teile des peripheren Nerven statt¬ 
gefunden haben. Daraus kann man entnehmen, dass es peripher-organisch 
bedingte vasomotorische Störungen geben kann ohne gleichzeitige moto¬ 
rische und sensible Ausfallserscheinungen des betreffenden Nerven. H. 
hält den Fall für besonders wichtig, weil er geeignet ist, den Streit um 
„funktionell“ oder „organisch“ auf gesicherter Basis zum Austrag zu 
bringen. 

0. Maas: Zur Kenntnis des Verlaufs der Dystoiia m senior IV 
deforvans. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 6.) Eigenartiger Fall von Dystonia 
mu8culorum deform ans. Das klinische Bild der Dystonie hat einige Be¬ 
ziehungen zur Paralysis agitans (Pillendrehen, Verschwinden des Tremors 
beim Finger-Nasenversuch, Starre des Gesichtsausdrucks). Zu dem 
Krankheitsbild können auch psychische Symptome gehören. Im Verlauf 
des Leidens kommen sehr erhebliohe Besserungen vor. E. Tobias. 


Kinderheilkunde. 

A. Y1 p p ö - Charlottenburg: Ueber das familiäre Vorkommen von 
Icterus neonatornm gravi«. (M.m.W., 1918, Nr. 4.) Bis jetzt wenig 
beachtete Fälle von Icterus neonatorum gravis kommen familiär zur 
Beobachtung. Es handelt sich bei ihnen keineswegs um eine septische 
Infektion, sondern vielmehr um einen Fehler der Anlage, der darin be¬ 
steht, dass die Leber noch nach der Geburt, sowie die Fötalleber, 
weiterhin einen Teil des Gallenfarbstoffs direkt ins Blut abgibt. 

Geppert. 


Chirurgie. 

Wederhake: Vergleichende Untersuchungen über die Desiufektiou 
der Hände nnd der Haut. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 143, H. 3—6.) 
W. rühmt den von ihm bereits vor 10 Jahren eingeführten Jodtetraohlor- 
kohlenstoff als das beste und sicherste Händedesinfektionsmittel. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

Epitzy: Chirurgische Nachbehandlung. (W.m.W., Nr. 4.) Je 
einfacher und scheinbar primitiver der Apparat, desto mehr Aufsioht 
verlangt er durchschnittlich und desto gebildeteres Aufsiohtspersonal. 
Je universeller ein Apparat ist, desto längere Zeit beansprucht seine 
Einstellung. Das Wichtigste bei der Einrichtung von mediko-mechanischen 
Anstalten ist ein mit allen Methoden und ihren Eigenheiten vertrauter 
Arzt, ein ordentlieh geschultes Hilfspersonal, und dann erst kommen die 
Apparate. Reokzeh. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


A. T r o e 11 • Stockholm: üeber die sog. Teadovagiaitis erepitans. 
(D. Zsohr. £ Chir., Bd. 143, H. 8—6.) An einem Material von 74 Fällen 
von Tendovaginitis crepitans aas der chirurgischen Poliklinik in Stock¬ 
holm konnte nachgewiesen werden, dass die Krankheit meistens als 
traumatisch oder als eine Ueberanstrengungskrankheit aufzufassen ist; in 
mehr als V 10 der Fälle haben sich die Symptome in direktem 
Anschluss an ein Trauma entwickelt. Ausserdem hat eine Analyse der 
Fälle mit Rücksicht auf die Lokalisation des Prozesses dargetan, dass 
er an so gut wie jeder beliebigen Stelle der Extremitäten und zumeist 
ohne nachweisbaren Zusammenhang mit den anatomischen Sehnenscheiden 
vorkommt. Es kann daher kaum berechtigt sein, das Leiden in der 
Regel als eine wirkliche Sehnenscheidenentzündung aufzufassen. Die 
anatomische Natur dieses Prozesses ist noch nicht klar dargelegt, aber 
es sind Umstände vorhanden, die dafür sprechen, dass er weniger eine 
Entzündung im gewöhnlichen Sinne als vielmehr die Reaktion gegen einen 
mässigen, anhaltenden mechanischen Insult in Form von Rissen im 
Gewebe mit Austritt von Blut und Lymphe bildet. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

Rebulla: Zur operative! Behandlung des harten Oedems des 

Handrückens. (W.kl.W., 1918, Nr. 2.) Aus den Ergebnissen der bisher 
chirurgisch behandelten Fälle geht hervor, dass im Frühstadium gewöhn¬ 
lich eine einfache, tiefe Längsinzision am Handrücken über den verletzten 
Bezirk genügen wird, dass man aber audh bei veralteten Fällen mit 
einer jedoch radikalen Operation eine Besserung, ja sogar eine völlige 
Heilung erzielen kann. Man muss dann die bindegewebige Schwarte 
entfernen. 

Lossen: Oberarmbrüehe beim Haadgranatenwerfen. (Msch. f. 
Unfallblk., 1917, Nr. 12.) Ebenso wie gelegentlich bei anderen Wurf- 
Übungen neben Zerrungen, Zerreissungen und Auskugelungen der Schulter 
Oberarmbrüohe als typische Sohleuderverletzungen Vorkommen, hat man 
sie jetzt auch im Kriege bei Handgranatenwerfen auftreten sehen. Zu 
den bereits in der Literatur mitgeteilten Fällen gibt Verf. 4 neue hinzu. 
Während des Absohleuderns der Stielhandgranate sinkt der Arm plötzlich 
mit einem für die Umgebung deutlich hörbaren Knacken wie gelähmt 
herab. Gleichzeitig fühlen die Verletzten einen starken, meist als stechend 
bezeichneten Schmerz. Eine Veranlagung zur Knochenbrüchigkeit mag 
bisweilen vorliegen, doch können sicherlich auch ganz gesunde Knochen 
auf diese Weise brechen. H. Hirsohfeld. 

K. Schläpfer-Leipzig: Die Benaet’sehe Fraktur. (D. Zschr. f. Cbir., 
1918, Bd. 148, H. 3—6.) Unter Bennet’soher Fraktur versteht man 
einen Bruch am proximalen Ende des Metakarpus I. In den letzten 
20 Jahren kamen an der Leipziger Klinik (Payr) 40 Metakarpalfrakturen 
zur Aufnahme, darunter 3Fälle von Bennet’scher Fraktur, deren Kranken¬ 
geschichten und Röntgenbilder mitgeteilt werden. Für die meisten Fälle 
genügen Extensionsverbände während 3—4 Wochen. In wenigen Fällen, 
wo der Erfolg durch blosse Extension ausbleibt, muss Komplikation an¬ 
genommen werden durch Interposition. In solohen Fällen ist blutige 
Eröffnung des Gelenkes und Exstirpation des interponierten Kapselab¬ 
schnittes, evt. volaren Fragmentes angezeigt. Exakte Kapselnaht evt. 
Interposition von Fett zwischen Metakarpus und Multang. maj. (Gelenkspalt). 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

Ada ms-London: Einfache Methode zur mechanischen Befestigung 
TOB Knochenbrnchstficken. (Brit. med. journ., Nr. 2975.) Besteht in 
der Anlegung von stählernen Klammern, die an die Bruchstücke herum- 
gelegt werden, so dass der Knochen etwa zu 2 /a seines Umfanges von 
ihnen umfasst wird. Die Anbringung der Klammern geschieht nach 
vorheriger Freilegung des Knochens und Ablösung der Knochenhaut und 
erfolgt mittels eines besonderen Einführers, der, wie eine geburts- 
hifliche Zange, aus zwei auseinanderzunehmenden Teile besteht. An 
der Spitze letzterer befinden sich Stifte, die in die Oesen der Klammern 
eingreifen. Jede Berührung der Klammern mit der Hand des Arztes ist 
wegen der Gefahr von Eiterungen strengstens zu vermeiden. Ein Ab¬ 
sterben des Knochens wurde nicht beobachtet. Heilung innerhalb vier 
Wochen. Geeignet ist diese Methode nur. für die langen Knochen, so¬ 
wohl bei Schräg- wie auch bei Querbrüoheo, besonders auch für kom¬ 
plizierte Brüche. Am besten eignen sich für diese Art der Behandlung 
Oberschenkelbrüche wegen des kreisförmigen Umfanges dieses Knochens; 
aber auch Schienbeinbrüche wurden mit gutem Erfolg damit be¬ 
handelt. Da, wo eine beträchtliche Lücke im Knochen besteht, lässt 
sich diese Behandlungsart nicht anwenden. Schreiber. 

Wederhake: Nene und alte Methode! der Behandlung der 
chirurgischen Tuberkulose. (D. Zschr. f. Chir., Bd. 148, H. 8—6, 

S. 228.) Die in der Arbeit verwerteten Beobachtungen stammen aus 
Russisch-Polen, die jüdische Bevölkerung war von der Tuberkulose der 
Knoohen, Gelenke und Weichteile in gleicher Weise befallen wie die 
polnische. Die Erkrankung wird als eine Schmutzkrankheit aufgefasst, 
kleine Wunden an Händen und Füssen waren vielfach die Eingangs¬ 
pforten für den Tbo.-Bazillus; nicht der Blutweg führte meistens zur 
Ansteokung, sondern der Lymphweg. Die geschlossenen tuberkulösen 
Abszesse wurden niemals drainiert, niemals tamponiert, niemals ein 
Jodoformstreifen eingelegt. Niemals wurden auch bei tuberkulösen 
Abszessen der Knochen Sequester entfernt, weder durch den scharfen 
Löffel noch duroh den Meissei. W. verwendet die Zimmtsäure in Form 
des zimmtsauren Natrons (Hetol Länderer) schon lange zur Behandlung 
der Lungentuberkulose, aber auch das Pinen, der Hauptbestandteil des 
Terpentinöls, geht durch Oxydation in Zimmtsäure über. Das Terpentinöl 
wird intramuskulär eingespritzt. B. Valentin -zurzeit im Felde. I 


Bonsfield: Hautverpflanzung bei eiternden Winden. (Brit. med. 
journ., Nr. 2974.) Die zu überhäutende Wundfläche wird, bevor die 
Hautübertragung stattfindet, einige Zeit hindurch mit Verbänden von 
reinem, keimfrei gemachtem, flüssigem Paraffin vorbehandelt Die über¬ 
pflanzten Hautstückchen werden durch je eine Naht auf dem Granulations¬ 
gewebe befestigt, wodurch eine Verschiebung derselben nicht möglich ist, 
und der Verband wird mit flüssigem Paraffin getränkt, um ein Ankleben 
der Hautstückchen am Verbände zu verhindern. In dem einen aus¬ 
führlich beschriebenen Falle waren nach 12 Tagen die verpflanzten 
Hautläppchen nicht nur sämtlich angewachsen, sondern hatten sich auch 
um mehr als das Doppelte vergrössert. Schreiber. 

E. Bau mann-Königsberg: Isoliert« Tuberkulose der Dura mater 
Spinells mit totaler Querschnittslähmung. (D. Zschr. f. Chir., 1918, 
Bd. 143, H’ 8—6.) Die neue Krankengsschichte mit Operations- und 
Sektionsbefund eines Falles von primärer, isolierter Duratuberkulose 
mit Kompression des Rückenmarks wird ausführlich mitgeteilt. Die Dora 
wies eine hartnäckige Geschwulstbildung auf, in deren Bereich das 
Rückenmark sattelartig äusserst stark plattgedrückt war. 

Haasler: Hirnchirurgie im Kriegslazarett. (D. Zsohr. f. Chir., 
1918, Bd. 143, H. 3—6.) H. empfiehlt, besondere Stationen für Kopf¬ 
verletzte einzurichten. In der Arbeit wurden viele Einzelbeobachtungen 
verwertet, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Schluss¬ 
satz: „Die Chirurgie der frischen Hirnschüsse ist — fast ausschliesslich — 
Grosshirnchirurgie, Ihre wesentliche Aufgabe ist Schutz der Hirnseiten- 
kammern, ihre weitere Entwicklung liegt in der Ausbildung der Ventrikel- 
Chirurgie.“ 

P. Manasse: Erfahrungen über Sehidelplaatik nach Kriegs¬ 
verletzungen. (D. Zschr. f. Chir., Bd. 143, H. 3—6.) Die Deekung 
von Schädeleffekten soll recht spät nach der Verletzung vorgenommen 
werden, die Wunde muss längere Zeit völlig vernarbt sein. Es sollen 
im 'allgemeinen nur diejenigen Fälle gedeckt werden, bei welchen die 
Röntgenaufnahme keine Fremdkörper im Gehirn oder an den Hirnhäuten 
mehr erkennen liess. Was die speziellen Indikationen anbetrifft, so 
richtet sich M. im wesentlichen nach 2 Punkten: 1. nach den klinisohen 
Erscheinungen, 2. nach dem anatomischen Verhalten der Narbe. Die 
Technik war meist die v. Haoker’sche Methode. M. rät auf Grund 
seiner Erfahrungen, alle Fälle, bei welchen die Hirnnarbe zu exzidieren 
und die Knochenöffnung zu erweitern ist, also besonders die Epilepsie¬ 
fälle, mit Tibiastücken zu decken, diejenigen dagegen, bei welchen die 
Hirnhautnarbe stehen bleibt, also nur der Knoohen defekt zu decken ist, 
nach dem etwas modifizierten v. Hacker’sehen Prinzip. Bei der 
Beurteilung der endgültigen Resultate von operierten Fällen muss man 
sehr vorsiohtig sein, da nach einem langen Intervall und nach voll¬ 
ständiger Heilung doch stets wieder Epilepsie sich einstellen kann. 

B. Val ent in-zurzeit im Felde. 

Ro bson: Zur Behandlung von Räckenmarksverletcten. (Brit. med. 
journ., Nr. 2974.) In einem Falle von fast vollständiger Zerreissung 
des Rückenmarks nähte R. die beiden Teile wieder zusammen nnd er¬ 
hielte ein sehr gutes, funktionelles Ergebnis. Bei einem Kriegsverletzten, 
dessen Rückenmark durch eine Gewehrkugel teilweise durchtrennt war, 
pflanzte er ein Stück Rückenmark von einem frisoh getöteten Kaninchen 
ein und erreichte dadurch eine Heilung der durchgelegenen Steile, eine 
Besserung der Mastdarm lähmung, eine Wiederkehr der Reflexe und eine 
gelinge Beweglichkeit der Beine. Schlägt vor, weitere derartige Versuche 
zu machen, da er schon vor mehr als 20 Jahren naohgewiesen hat, dass 
solche Rückenmarksverpflanzungen von Tier auf den Menschen gelangen. 

Schreiber. 

Pfänner: Zur Lokalanästhesie in der Abdominalchirurgie. 
(W.kl.W., 1918, Nr. 8.) Obwohl die Lokalanästhesie bei Laparotomien 
oft Vorzügliches leistet, wird sie doch niemals die Allgem'einnarkose ver¬ 
drängen dürfen. H. Hirsohfeld. 

Will an-Newcastle: Kennzeichen für den Darehbraeh von Magen- 
Darm- 6 esehwären. (Brit. med. journ., Nr. 2979.) W. beobachtete drei 
gleichartige Fälle von durchgebrochenem Magen- oder Duodenal-Geschwür, 
die neben anderen kennzeichnenden Merkmalen einen ausgesprochenen 
Schnürriog an der vorderen und seitlichen Bauchwand in der Nähe des 
unteren Rippenbogen-Randes zeigten. Schreiber. 

Rost: Dauererfolge bei der Behandlung des Mastdamvorfalles 
im Kindesalter. (M.m.W., 1918, Nr. 5.) Heftpflasterverbände, die in 
leichteren Fällen zur Anwendung kamen, ergaben 86 pCt., der Thier¬ 
sohe Ring bei schweren Fällen 83 pCt. Dauerheilung. Der Ring wurde 
bei 6 Fällen innerhalb der ersten 2 Monate, bei 4 Fällen innerhalb 
eines Vierteljahres entfernt. Geppert. 

Slawinski: Zu dem Aufsatz von Burian: Zur Behaadlaag von 
Leistenbräehen. (Zbl. f. Chir., 1917, Nr. 45, Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 8.) 
S. ist ähnlich wie Burian vorgegangen und hat sein Verfahren 1917 
bereits in der polnischen Zeitschrift Gazeta Lekarska veröffentlicht. 

E. Hayward. 

C. Rosenberger-Cöln: Zwei Fälle von Schassverletnag des 
Harnapparates. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 143, H. 3—6.) Im ersten 
Fall handelte es sich um einen Schuss, der duroh die Glutäalmuskuiatur 
drang und im Beokenbindegewebe stecken blieb; ein Tampon blieb 
versehentlich in der Wunde liegen und führte duroh Eiterung zur Ein- 
sohmelzung der Blasenwand, so dass zwischen Einschusswunde und Blase 
I eine Verbindung geschaffen wurde, durob die der Harn aus der Gefass- 


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8. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


841 


wände abfliessen konnte. Durch Urethrotomie wird der Fremdkörper 
entfernt, danach trat bald völlige Heilung ein. Im zweiten Fall, der 
letal verlief, war das Projektil in der Nähe des Afters eingedruogen, 
batte des Kreuzbein und den Mastdarm durchschlagen und war im 
hinteren Abschnitt der Prostata stecken geblieben. Es bildete sich eine 
Urinfistel, die sich operativ nicht schliessen liess, der Kranke ging an 
aufsteigender Infektion der Nieren zugrunde. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Weiohselbaum: Wie soll die Tuberkulose iu unseren Staate 
bekämpft werden? (W. m. W., Nr. 2.) Verfasser fordert sofortige gründ¬ 
liche und rationelle Verbesserung der gegenwärtigen ErnähruDgsverhält- 
nisse der Bevölkerung; Erlassung eines modernen Sozialversicherungs- 
gesetzes; Gewährung von Geldmitteln seitens der staatlichen und auto¬ 
nomen Behörden zur Errichtung einer ausreichenden Zahl von Tuber- 
kulosen-Fürsorgestellen sowie zur Schaffung von Anstalten und Einrich¬ 
tungen, die speziell der ärztlichen Behandlung und Pflege von unbe¬ 
mittelten Tuberkulösen oder dem Schutze vor tuberkulöser Infektion 
und tuberkulöser Erkrankung dienen; Subventionierung aller der öffent¬ 
lichen Wohlfahrt und insbesondere der Bekämpfung der Tuberkulose 
dienenden privaten Organisationen; Erlassung von Gesetzen und Ver¬ 
ordnungen bezüglich der Bodenreform, der Verbesserung der Wohnver¬ 
hältnisse der unbemittelten Bevölkerung und bezüglich der Wohnungs* 
aufsieht; finanzielle Unterstützung gemeinnütziger Baugesellsohaften durch 
den Staat. Reckzeh. 


Unfallheilkunde und Versicherungswesen. 

H. Müller: Die Gefahren der gewerblichen Arbeit nnter künst¬ 
lich erhöhten Lnftdruck und die Maassnahmen zur Verhütung dieser 
Gefahren. (Mschr. f. Unfallhlk., 1917, Nr. 11 u. 12, 1918, Nr. 1.) Verf. 
kommt zu folgenden Schlusssätzen: Die Drucklufterkrankungen sind 
ätiologisch und pathologisch anatomisch vollständig klargestellt. Eine 
Vermeidung derselben ist vollkommen möglich. Das souveräne Mittel 
gegen die Drucklufterkrankungen ist die Rekompression. Neben der 
Rekompression ist die Einatmung von Sauerstoff dringend zu empfehlen. 
Bei schweren zerebralen und spinalen Erscheinungen, bei denen eint 
Rekompression nioht möglich oder erfolglos ist, wird der Vorschlag einer 
Lumbalpunktion gemacht: Von einem Ueberdruck von 1,5 Atmosphären 
an wird ständige ärztliche Ueberwachung gefordert. Die Rekompression 
erscheint hierbei nach der modifizierten Haldane’schen Methode am 
zweokmässigsten. Für Betriebe mit Drucksteigerungen bis 1,5 Atm. 
Ueberdruck werden zur Gewährleistung eines gleichmäßigen, langsamen 
Druckabfalles selbstregulierende Hähne in der Schleuse für notwendig 
erachtet. Die Arbeitszeit ist nach der Höhe des Ueberdruckes zu regeln. 
Bei undurehlässigem Boden ist die Arbeitszeit entsprechend zu kürzen. 
Die bestehenden Vorschriften sind ungenügend. Daher wird dringend 
die Einbringung eines Gesetzentwurfes für Arbeiten unter künstlich er¬ 
höhtem L uftdruck gefordert. 

H. Engel: Multiple Sklerose durch eine FussVerstauchung nicht 
verschlimmert. (Msch. f. Unfallklk., 1918, Nr. 1.) 

Kohlmeyer: Krampfaderleiden und Invalidenversicherung. (Msoh. 
f. Unfallhlk., 1917, Nr. 11.) Ausführliche Schilderung der Gesichtspunkte, 
die bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit Krampfaderleidender nach 
den umfangreichen Erfahrungen des Verfassers als 14 Jahre lang amtie¬ 
render Vertrauensarzt der Landesversioherungsanstalt Schlesien in Be¬ 
tracht kommen. Hirsohfeld. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Cultur zu Breslau. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Pohl. 

Schriftführer: Herr Tietze. 

1. Wahl der Sekretäre. Zum ersten Vorsitzenden wird Herr * 
Uhthoff, zum zweiten Herr Bumke, zu Sekretären die Herren 
Minkowski, Partsch, Röhmann, Rosenfeld und Tietze gewählt. 

2. Hr. Forschbaeh: Einige Fragen zur Klinik der Lyssa. 

Bericht über zwei Fälle von aufsteigender Paralyse und einen Fall 

von akut auftretender Paraparese mit Blasen- und Mastdarmstörungen, 
die sich im Verlaufe der Wutschutzimpfung ereignet haben. Ausserdem 
wird über sechs andere Fälle referiert, bei denen im Verlauf der Impfung 
leichtere Störungen in Form von Parästhesien, Reflexverlust an den 
unteren Extremitäten und Fiebererscheinungen auftraten. Die Frage 
der Impflyssa wird bei dieser Gelegenheit besprochen. (Ausführliohere 
Veröffentlichung an anderer Stelle.) 

Diskussion. 

Hr. R. Pfeiffer: M. H.! Ich muss dem Herrn Vortragenden reoht 
geben in seiner Auffassung, wonach derartige Fälle von Lähmungen, die 
während oder kurz nach der antirabisohen Immunisierung auftreten, 


wenigstens zum Teil auf das Konto des Virus fixe zu setzen sind; aber 
ich möchte betonen, dass derartige an sich gewiss beklagenswerte Vor¬ 
kommnisse doch höchst selten sich ereignen, und dass infolgedessen 
daraus ein Gegengrund gegen die Pasteur’sche Immunisierung nioht 
hergeleitet werden darf. Mit demselben Recht könnte man das Chloro¬ 
form perhoreszieren, weil gelegentlich Unglücksfälle bei den Narkosen 
Vorkommen. Ob es möglich ist, wie der Herr Vortragende meint, durch 
eine andere Methode der Immunisierung z. B. durch die Högyes’scbe 
Verdünnungsmetbode das Eintreten von Lähmungen einzuscbränken, er¬ 
scheint mir fraglich. Man wird sich schwer entsohliessen können, eine 
als wirksam erkannte und relativ unschädliche Immunisierungsart durch 
eine andere bisher nur an wenigen Instituten erprobte Methode zu 
ersetzen. 

Hr. Kallina: 

Die Entwicklungsgeschichte einigerlTeile der Mundhöhle. 

(Erscheint im Zusammenhang mit einem zweiten Vortrage unter 
den Originalien dieser Wochenschrift.) 


Sitzung vom 14. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Pohl. 

Schriftführer: Herr Tietze. 

1. Hr. C. J. Frennd: 

Ueber die tuberöse Hirnsklerose und über ihre Beziehungen zu Naevis 
nad Hantgeschwülsten. 

(Ist unter den Originalien dieser Wochenschrift erschienen.) 

2. Hr. Hanser: 

Nieren- nnd Herzgesehwfilste und tuberöse Hirnsklerose. 

(Ist unter den Originalien dieser Wochenschrift erschienen.) 

Diskussion. 

Hr. Jadassohn bemerkt, dass der Ausdruck „Adenoma sebaceum" 
nioht zutreffend ist, denn es handelt sich bei den Geschwülstchen um 
nur für die betreffende Lokalisation zu grosse und zu zahlreiche Talg¬ 
drüsen mit ganz normalem Bau. Ausserdem ist der Name „ Adenom“ 
für die zahlreichen Kombinationsformen nicht brauchbar, die hier wie bei 
anderen Naevis auch Vorkommen. Man müsste dann auoh wieder 
ganz andere Namen für die in gleicher Weise lokalisierten, aber anders 
gebauten Geschwülste der Pringle’sohen Krankheit benutzen, und des¬ 
wegen kommt man um den Ausdruck „Naevus“ hier nicht herum, wenn 
man nicht für diese, wie für die ganz analogen, auf kongenitalen 
Störungen beruhenden Bildungen der inneren Organe nach Albrecht’s 
Vorschlag die Bezeichnung „Hamartome“ benutzen will. 

Die comedonartigen Bildungen am Rücken des Patienten von Herrn 
Dr. Freund sind keine Talgdrüsen-Naevi, sondern sogenannte follikuläre 
Naevi. Auch bei den strichförmigen Naevi sebacei sind Kombinationen 
mit anderen Naevusformen häufig. Sie haben mit der tuberösen Sklerose 
sicher nichts zu tun, ebensowenig wie sonstige atypische Naevi. Die 
letzteren sind nur im Verhältnis zu den gewöhnlichen weichen Naevi, 
die ja fast jeder Mensch im erwachsenen Alter an sich trägt, selten; 
absolut sind sie noch immer häufig genug. Die senilen Angiome und 
die manchmal auch als Naevi angesehenen senilen Warzen, sind bei 
fast allen, über 40 Jahre alten Individuen vorhanden. Aus ihnen kann 
man also keinerlei Schlüsse ziehen. 

Die Multiplizität der Veränderungen an der Haut ist analog der 
bei der Recklinghausen’schen Krankheit. Bei beiden kommen auoh 
rudimentäre Formen vor, daher sind auoh die geistig Normalen bei der 
Pringle’schen Krankheit keineswegs sehr selten. Aber es würde doch 
zu weit führen, wenn man diese Krankheiten als wesensgleich bezeiohnen 
wollte. Wie bei anderen auf kongenitalen Störungen beruhenden 
Anomalien gibt es auch bei diesen naevusartigen Bildungen bestimmte 
Typen, die durch eine Kombination verschiedener einzelner Hautsymptome 
charakterisiert sind. Das sind die zuerst beschriebenen charakteristischen 
Krankheitsbilder. Dann aber kommen noch abweichende Kombinationen 
der einzelpen Läsionen vor, wie das natürlich ist bei Entwicklungs- 
anomalien, die verschiedene Gewebsbestandteile zu gleicher Zeit im Laufe 
ihrer zeitlich verschiedenen Entwicklung treffen; diese abweichenden 
Kombinationen sind dann die atypischen, gleichsam Uebergangsfälle 
zwischen den Haupttypen darstellende Bilder. 

Interessant ist die histologische Struktur besonders der Nieren¬ 
tumoren, welche in ihrem Gemisch von verschiedenem Gewebsmaterial 
an manche Naevusformen erinnern, speziell auch an die weichen Naevi 
mit ihren viel bestrittenen, manobmal ebenfalls so sehr sarkomähnliohen 
Bildern. 

Die haarlosen Stellen bei dem Freund’soben Falle erinnern— wenn 
es sich nicht um eine einfache Area celsi handelt — an haarlose Stellen, 
wie sie Redner bei Hautpsammomen am Hinterkopfe gesehen hat. 


Sitzung vom 22. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Pohl. 

Schriftführer: Herr Tietze. 

Hr. Coenea: 

Die lebeisretteade Wirkung der vitaleu Blittraisfusleu" i* Felde. 

Vortragender bespricht seine Ergebnisse von elf vitalen Bluttrans¬ 
fusionen bei Kriegsverwundungen. Zwei dieser Transfusionen geboren dem 
griechisch-türkisohen Kriege 1912/18 an und wurden in Athen ausgeführt. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


Obwohl das anmittelbare Resultat der Ueberleitung lebensfriseben Blotes 
von einem Gesunden auf den aufs äusserste ersoböpften Verwundeten vor¬ 
trefflich war, ging doch der endgültige Erfolg verloren, und zwar in dem 
einen Falle durch septische Nachblutung, im anderen durch Infektion 1 )* 
Aus diesen beiden Beobachtungen wurde die Indikation hergeleitet, dass 
die vitale Bluttransfusion nur anzuwenden ist in Fällen, wo glatte, 
nicht mehr der Nachblutungsgefahr, unterliegende und nicht infizierte 
Wunden vorliegen, so dass das übergeleitete Blut weder durch Blutver¬ 
luste wieder verloren geht, noch durch Eitertoxine aufgelöst wird. Diese 
Indikationsstellung hat sich dem Vortragenden für den jetzigen Welt¬ 
krieg bewährt und wurde aufs Neue bestätigt durch eineD Fall schwerer 
Granatverletzung am Oberschenkel, der aus besonderen Gründen trotz 
der bestehenden Infektion mit Gasbrandbacillen vital transfundiert wurde 
und durch fortschreitenden Gasbrand tödlich endete 2 ). Es müssen dem¬ 
nach infizierte und leicht nachblutende, zerrissene Wunden ausgeschaltet 
sein, wenn man das erwähnte Verfahren anwenden will. Dieses eignet 
sich also ganz besonders für Extremitätenzertrümmerungen mit Gefäss- 
verletzung nach der Amputation, wenn von Seiten der Wunden und 
auch anderweitig keine Komplikationen zu erwarten sind, zur Beseitigung 
des tödlichen Collapses und der durch den Blutverlust bei der Ver¬ 
wundung erzeugten gefahrdrohenden Anämie. Zur Ausführung der 
vitalen Bluttransfusion stellte Goenen durch die Gefässnaht eine arterio¬ 
venöse Anastomose zwischen der Speichenarterie des Spenders und der 
Vena mediana des Empfängers her. Bei elf derartigen Blutüberleitungen 
versagte diese Methode nie. Die Durchgängigkeit der Anastomose kann 
leicht geprüft werden durch einen kleinen Versuch, der darin besteht, 
dass man aus der anastomosierten Gefässstreoke das Blut ausstreicht, 
die Vene zentral abklemmt und jetzt die Füllung beobachtet, dabei 
muss, solange die Vene zentral abgeklemmt ist, die ganze Gefässstrecke 
mit der Anastomosenstelle sich aufrichten und rückwärts, also entgegen 
der Richtung des Blutstroms, verlängern. Die Dauer der Ueberleitung 
betrug V 2 — 2 V 2 Stunde und ist abhängig von dem Kaliber der Gefässe 
und von der Weite der Anastomose. Diese war in einem Falle ganz 
ausserordentlich eng, so dass das Blut nur tropfenweise übertreten 
konnte. Ein Blutdruckapparat zur Beobachtung der Senkung des Blut- 
druokes stand im Felde nicht zur Verfügung. Die Indikation zur Unter¬ 
brechung der Prodezur musste also direkt durch die klinische Beobachtung 
vom Spender hergeleitet werden. Es wurde die vitale Bluttransfusion 
beendigt, wenn die ersten objektiven anämischen Vorboten erschienen, 
als Hinaufgehen des Pulses auf 110—120, und tiefere Atmußg. Meist 
konnte man als allererstes Zeichen der beginnenden Blutverarmung beim 
Spender einen tiefen blasenden Atemzug beobachten. Wenn dieser erste 
tiefe blasende sporadische Atemzug erschien, so war dies ein Signal zur 
Vorsicht und eine Mahnung, jetzt über dem Spender mit verstärkter 
Aufmerksamkeit zu wachen, damit er nicht zu viel Blut hergäbe. Alle 
Blutspender haben, nachdem sie einen Teil ihres Blutes an die schwer¬ 
verwundeten Kameraden abgegeben haben, keine Nachteile gehabt und 
wurden wieder dienstfähig zur Truppe entlassen; einige Blutspender 
legten sich nachher nicht einmal zu Bett. Bei einem entstand ein vorüber¬ 
gehender Collaps, der schnell beseitigt wurde, so dass der Blutspender 
eine Stunde nach Beendigung der Transfusion sich schon wieder mit 
seinen Kameraden unterhielt. Nach der Kapillarröte des Gesichtes kann 
man sich bezüglich des Erfolges der Transfusion nicht richten, denn die 
Kapillaren des Spenders halten das Blut sehr lange fest, um es schliess¬ 
lich mit einem Mal abzugeben, und die Hautkapillaren des Gesichtes 
des Empfängers zeigen sich erst ganz am Schlüsse der Transfusion ge¬ 
rötet und röten dann stärker nach. Offenbar findet das übergeleitete 
lebensfrische Blut erst seinen Weg in die lebenswichtigen inneren Organe 
und dann seinen Auslauf in die Kapillarbezirke der Haut. Die Wirkung 
des fremden Blutes bemerkt man im Organismus zuerst an dem Ver¬ 
halten des Pulses und gleichzeitig, oder etwas eher nooh, an der 
Psyche. Der Puls geht von seiner hohen Frequenz oft während der 
Transfusion zur Norm herab, beispielsweise von 120 auf 88, von 130 auf 
87, von 154 auf 118. Die Psyche ändert Bich in der Weise, dass der 
somnolente oder sich unruhig hin und her werfende anämische Verwundete 
ruhig und gelassen wird, vernünftig spricht, und, wie es scheint, aus 
einem tiefen Traum erwacht. Das Nachröten der Wangen beim Blut¬ 
empfänger zeigt sich in den ersten Tagen nach der Transfusion sehr 
deutlich, insbesondere füllen sich die abhängigen Partien des Gesichtes 
stark mit Blut, das dann einen zyanotisohen Charakter annimmt. Da 
sich in einigen Fällen mehrere Tage nach der Transfusion Icterus aus¬ 
bildete und die Zählung der Erythrozyten einige Tage nach der Ueber¬ 
leitung eine Abnahme erkennen liess, die aber schnell wieder einer Zu¬ 
nahme Platz machte, so erscheint es sioher, dass das übergeleitete Blut 
sich im fremden Organismus nur einige Tage hält, den ganzen Organismus 
wieder zum Leben entfacht und dann spurlos verschwindet. Für den 
Patienten ist dies angenehm, denn das Bewusstsein, mit fremdem Blut 
zu leben, möchte vielleicht später unangenehm berühren. Einige Er¬ 
fahrungen bei der homoplastischen Knoohentransplantation sprechen für 
diese Annahme. Durch Ausrechnung der übergetretenen Erythrozyten¬ 
zahl und Reduktion auf die normale Blutmenge wurde ermittelt, dass 
in den meisten Fällen etwa 1 Liter Blut vom Spender auf den Empfänger 
übergeflossen war. Die Resultate der vitalen Transfusion werden an der 
Hand von im Felde verfassten Protokollen dargestellt, aus denen hervor¬ 

1) Beitr. z. Kriegshlk., Balkankrieg 1912/13, S. 347 und 364. 
Verlag von Julius Springer, Berlin 1914. 

2) Siehe B.kl.W., 1917, Nr. 16, S. 380, Fall 15. 


geht, dass die Patienten sich alle im prämortalen Stadium'befanden, 
bei der die gebräuchlichen Analeptica versagten; die vitale Bluttransfusion 
hatte fast eine wundersame Wirkung. Coenen berichtet über acht 
schöne bleibende Erfolge unter elf vitalen Bluttransfusionen bei fünf 
schweren Zertrümmerungen der Extremitäten mit grossen Blutverlusten 
infolge Gefässverletzung und mit tiefstem Collaps, und bei drei durch 
Oberschenkelamputation und Hüftexartikulation behandelten schweren 
Gasphlegmonen 1 ). Es ereignete sieh kein technischer Misserfolg und 
das unmittelbare Resultat der Operation war in allqn Fällen vortrefflich, 
wenn es auch in drei Fällen durch Nachblutung und Infektion wieder 
verloren ging. Diese drei Fälle haben aber die Indikation zur vitalen 
Bluttransfusion aufgestellt und gefestigt, so dass man bei sorgfältiger 
Auswahl der Patienten zwar nicht so häufige, aber um so schönere 
Resultate haben wird, für die den deutschen kameradschaftlichen Blut¬ 
spendern der Dank gezollt wird. (Demonstration der im Felde auf dem 
Hauptverbandplatz und im Feldlazarett hergestellten Photographien im 
Lichtbild.) 

Diskussion. 

HHr. Pohl, Rosenfeld, Coenen. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 19. Oktober 1917. 

Hr. Porges bat eine Behaidliigsmethode der LugeBfoberkalese 

demonstriert, bei welcher durch eine Bandage eine RuhigstelluDg des 
Thorax bewirkt und die Heilung befördert werden soll. 

P. hat Versuche aDgestellt, welche die günstige Wirkung der Bandage 
beweisen, und demonstriert 2 Fälle, welche ohne Bandage laDge gefiebert 
hatten, nach Anlegen der Bandage aber sofort entfiebert wurden. Sobald 
die Bandage abgelegt wurde, trat das Fieber wieder auf, um nach Wieder¬ 
anlegen der Bandage prompt zu schwinden. 

Hr. Richard Kraemer demonstriert einen 24 jährigen Mann mit 
einer exzessiven Hypermetropie. 

Die Augen erscheinen klein, sind anscheinend kugelförmig, die Horn¬ 
hautkrümmung ist vergrössert, der Krümmungsradius beträgt 7,3 mm 
gegen 7,7 normal. Mit 20 Dioptrien konvex kann Sehschärfe e /i 0 erzielt 
werden. Augenhintergrund normal. Die tatsächliche Hypermetropie muss 
mit 30 Dioptrien berechnet werden. 

Hr. Wilhelm Falta: Zur Pathologie des Kriegsüdems. 

Das Symptomenbild ist einförmig, es ist charakterisiert durch die 
Wassersucht, die ganz dasAussehen der Nephritis hat, durch Polyurie 
und Polakisurie', Bradykardie und grosse Hinfälligkeit. Grosse 
Neigung zu Rezidiven, besonders wenn die Kranken die alte Arbeit auf¬ 
nehmen und die Ernährung schlecht ist. 

Redner glaubt, dass Oedembereitschaft vorhanden ist. Es finden 
sioh bemerkenswerte Analogien mit den Oedemen bei schwerem Diabetes. 
Bei Diabetikern treten die Oedeme nur auf bei Zufuhr von grossen Natrium 
bicarbonioum-Mengen. Es tritt Retention von Kochsalz auf und später, 
bei Aussetzen des Natrium bicarbonioum, werden grosse Mengen von 
Kochsalz ausgeschwemmt. Die Oedeme traten aber bei Natrium bicar¬ 
bonioum-Zufuhr nur auf, wenn die Nahrung einigermaassen reich an 
Koohsalz ist. Bei Kriegsödem hat Redner nach der Entwässerung 
ebenfalls durch Zufuhr von Natrium bicarbonicum experimentell Oedeme 
erzeugt. Das Kriegsödem ist eine Ernährungsstörung, die bedingt sein 
könnte durch Infektionskrankheiten. Das ist nach den jetzigen Erfahrungen 
aber ausgeschlossen, obwohl zugegeben werden kann, dass Infektions¬ 
krankheiten die Krankheit begünstigen können. Ferner kann mangelhafte 
oder schlechte Ernährung die Ursache sein. Diese Anschauung ist aber 
nicht richtig, da im Frieden chronische Inanition keine Oedeme erzeugt. 
Es kann ferner Mangel an nötigen Stoffen in der Nahrung schuld sein, 
an den sog. Vitaminen. Alle Kranken waren lange Zeit unterernährt, 
sie haben sehr wenig Eiweiss und Fett zu sich genommen, im ganzen 
1200—1400 Kalorien täglich. Man hat geglaubt, dass der Krieg bewiesen 
hat, dass der Mensch mit weniger Kalorien und weniger Eiweiss aus- 
kommen kann, als man früher*;angenommen hat. Aber diese Unterer¬ 
nährung rächt sioh schliesslich, wie man an der jOedemkrankheit sieht. 
Eine einfache Inanition ist dasjj[Kriegsödem nicht**! Der Stickstoffumsatz 
ist bei Inanition eingeschränkt, 3—4 g' Stickstoffaussoheidung täglich, 
das Ammoniak und der aminose Stickstoff wie bei Oedem, ebenso besteht 
Bradykardie ganz wieder Kriegsödem, nur das Oedem fehlt. Die Erklärung 
liegt in der eigentümlichen Kost. Die Kranken haben eine sehr' fiüssigkeits- 
reiohe Kost lange Zeit 'genommen, Brot und Gemüse in Suppenform, 
und viel Kochsalz eingeführt, um die Suppe geniessbar zu machen. 
Durch Brot und Gemüse kann man bei diesen Kranken das Oedem nicht 
erzeugendas Oedem wird aber sofort wieder erzeugt, wenn man diese 
Kost in Suppenform gibt. Für diese Erklärung spricht auch der grosse 
Kochsalzgehalt der Oedemfiüssigkeit. Die Oedembereitschaft ist eine 
Erscheinung der chronischen Inanition, wie es Versuche im Frieden an 
abstinenten Geisteskranken beweisen. Die Auffassung dieser Aetiologie 
zeichnet den Weg für die Therapie vor. 


1) Siehe B.kl.W., 1. c., S. 380, Fall 12. 


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8. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


843 


Kriegsärztliche Abende. 

(Eigenbericht der Berliner klinischen Wochenschrift.) 

Sitzung vom 12. Mars 1918. 

Vorsitzender: Herr Tiemann. 

Vor der Tagesordnung. 

Ueher die Verwendung des Humanol* (ausgelassenes Menschen fett) 
in der Chirurgie, insbesondere bei Knoehenoperationen 

(mit Demonstrationen). 

Hr. Eugen Holländer verwendete heisses Menschenfett zunächst 
zu kosmetischen Zwecken bei progressiver Atrophie des Fettgewebes des 
Gesichts in subkutaner Infusion, die allerdings nach 8—9 Monaten wieder¬ 
holt werden muss, sodann bei schweren Knocbenschussverletzungen mit 
ausgedehnten Höhlenbildungen, Sequestrierungen und Abszessen. Der 
Knochen wird freigelegt, die Granulationen ausgeschabt. Das Humanol 
wird mit einem sterilen Trichter heiss in die Knochenhöhle bis zur Aus¬ 
füllung des Raumes gegossen, die ganze Knochenhöhle, auch wenn vor¬ 
her langwierige starke Eiterung bestand, durch tiefe Nähte völlig ver¬ 
schlossen. Eine völlige Heilung per primam wurde nur in einzelnen 
Fällen beobachtet; meist hält die Wundnaht; aber an einzelnen Stellen 
geht die Naht auf, oder es bildet sich eine fade riechende, blande 
Eiterung; trotzdem war ohne Verbandwechsel naoh 14 Tagen die Wunde 
völlig geschlossen, die Narbe war nicht mehr knochenadhärent. Das 
Humanol wirkt wie ein Blut- oder ein lymphatischer Erguss im Bier’schen 
Sinne autoplastisch; es ist das einzige Material, das Jahre lang aufbe- 
wahrt werden kann und bei häufiger Sterilisierung doch seinen Charakter 
behält. 

Diskussion über Psychotherapie (1. Abend). 

Kritische Uebersieht über die verschiedenen Methoden der Psycho¬ 
therapie. 

Hr. Friedländer-Hohemark (a. G.): Die Geschichte der Psycho¬ 
therapie wird dem Skeptiker und Satiriker eine Quelle der Befriedigung 
sein; aber das künftige Geschlecht der Aerzte wird nicht verstehen, dass 
es eine Zeit gab, wo die medizinische Psychologie keine oder nur eine 
Gastrolle gab, dass die Vertreter der einzelnen psychotherapeutischen 
Systeme einander bekämpften, ohne in die fremden Methoden Einblick 
genommen zu haben. Vortr. lernte vor mehr als zwanzig Jahren in Jena 
Kranke ausfragen und behandeln; es gelang ihm, einen schweren Fall 
bei einem schon zum Selbstmord bereiten Kollegen durch Hypnose in 
wenigen Sitzungen zu heilen. Nur Fälle mit Katamnese, deren Beob¬ 
achtung sich auf zwanzig Jahre erstreckt, eignen sich für die wissen¬ 
schaftliche Deutung. Bei der Wiedergabe der Erinnerung verweist Vortr. 
auf die Erfolge der Jenenser Schule (Binswanger u. a.); doch gingen 
ihr andere Bestrebungen voraus; Rosenbach wies schon 1886 auf die 
Anrufung des Willens bei Nerven- und psychisch Kranken hin, Brissot 
und Meige begründeten die psychomotorische Disziplin. Buttersack- 
Berlin mahnte die Aerzte, die Kranken auch psychisoh zu behandeln; 
1904 wollte Dubois (Die Psychoneurose) alle Kranken durch die 
intellektuelle Methode ohne Hilfe der Suggestion heilen. Breuer-Wien 
fand, dass manche Neurosen auf einem „eingeklemmten Affekt“ beruhen. 
Diese Affekte müsse man in der Hypnose ausgraben, „abreagieren“; dann 
ist der Kranke gesund. Freud schloss sich ihm an. Schon Kant und 
Hufeland predigten die Macht des Gemüts. Seneoa sagte: Jeder 
Schmerz ist leicht, wenn er nicht durch stetes Denken an ihn vergrössert 
wird. Budda lehrte: Alles Leben ist Leiden; alle Leiden werden durch 
Leidenschaft erzeugt; alles Leid besiegen wir, indem wir der Leidenschaft 
Herr werden. Der Weg dazu heisst Ethos. 

Unverständlich ist, wo die grosse Masse der Hypnose-Literatur 
in der Vorkriegszeit schlummerte. Denn 1915 machte Nonne’s Ver¬ 
öffentlichung über Heilung der Kriegsneurosen ausserordentliches Auf¬ 
sehen. Lange bekannt ist, dass es gelingt, alle an Disziplin Gewöhnten 
zu hypnotisieren. Nonne’s Verdienst ist es, der Hypnose wieder zur 
Auferstehung verholfen zu haben. Von der nie bewiesenen Schädlichkeit 
der Hypnose wurde es stiller. Aber die Ansicht blieb, dass sie den 
Willen schwäche und nur auf Willensschwäche passe. Dagegen wandte 
sich Nonne temperamentvoll; es ist praktisch leioht zu widerlegen. 
Misserfolge gibt es nur, wenn der Kranke durch Aerzte, Bücher und 
Schaustellungen Hemmungen erfahren hat. Auch Kaufmann’s Methode 
war nicht neu. Neu war die militärische Art der Anwendung, die Dauer 
und die Stromstärke. Kehrer bildete dann das Zwangs- oder besser 
Heilexerzieren aus. Dazu gehört die Erzeugung des Eratickungsgefühls 
durch Einführung einer Kugel in den Kehlkopf (Much) und die Ein¬ 
führung der Sonde in die Tuba Eustachii. Beides übt Vortr. nicht aus. 
Dazu kommt die Scheinnarkose für eine angebliche Operation. Gegen 
die psychoanalytische Behandlung Freud’s, der die Traumdeutung als 
sioheres Mittel zur Aufdeckung neurotischer Erscheinungen ansieht, hat 
das Kriegsexperiment entschieden. Anders liegt es mit den Begriffen 
Freud’s, der dem Unterbewusstsein die lange vernachlässigte Bedeutung 
verschaffte, die ihm gebührt. Wenn heute mit den Begehrungsvorstellungen, 
Flucht in die Krankheit u. a. gearbeitet wird, so ist es ein Gebot der 
Objektivität, sich bewusst zu bleiben, dass Freud die Psychologie des 
Unbewussten zuerst fruchtbringend gestaltetew Weichbrod empfiehlt 
das Dauerbad, Nesnera das Röntgenen. 

Zurzeit stehen im Vordergründe die Ueberrumplungsmethode und 
die Hypnose. Kaufmann’s Verfahren lehnt Vortr. nicht völlig ab. 
Die Behandlung ist dem Falle anzupassen. Die Forderung, das Symptom 


in einer Sitzung zu beseitigen, ist aufzugeben. Anders ist es bei der 
Hypnose. Hier tobt der Kampf. Die partielle und totale Anamnesie 
vieler Aerzte ist schuld daran, dass die medizinische Psychologie in 
ihrer Bedeutung für die Heilung der Neurotiker zurückgeblieben ist. 
Die alte Geschichte ist ein Tummelplatz für Kritiklosigkeit und Schauer¬ 
romane, von denen die besten immer noch Verwirrung anstifteten. 

Die Kommando Hypnose ist abzulehnen, sie erinnert an das 
Spezialitäten-Theater. Andere Einwände sind unberechtigt. 

Kriegsneurosen sind Kriegsbesohädigungen des Nervensystems. Alle 
Behandlung wirkt hier durch Suggestion. Genaue Erhebung der Kranken¬ 
geschichte und eingehende Untersuchung ist nötig, um die häufigen 
Fehldiagnosen und falsche Behandlung zu vermeiden. Sonst wandern 
die Kranken monatelang von Lazarett zu Lazarett. Der körperlichen 
Untersuchung folgt die seelische. Der Kranke muss Vertrauen zum Arzte 
gewinnen. Festzustellen ist, ob der Kranke wehleidig, schlapp oder 
energisch ist, welches Verfahren indiziert ist. Die Wachsuggestion ohne 
elektrischen Strom umgreift das Gebiet der psychogenen Lähmungen, 
Zittern, Tics und Zwangshaltungen, frische wie veraltete Fälle, die nicht 
zu eingehend vorbebandelt sind. Das kranke Glied wird fremdtätig be¬ 
wegt und dem Kranken bewiesen, dass Muskeln und Gelenke gesund 
sind, ihm aber erklärt, dass er das Gefühl und den Gebrauch verlor; 
es sei leicht durch bestimmte Uebungen den Gebrauch des Gliedes wieder 
zu erlangen. Es folgen Bewegungen mit Lösung der Kontraktur. Der 
Kranke, der das Glied für viele Monate nicht bewegt sah, sieht, dass es 
passiv beweglich ist. Bei steter Aufmerksamkeit wird der Spasmus ge¬ 
ringer. Eine aktive Bewegung tritt, zunächst unbewusst, auf. Das 
wiederholt man und bringt es dem Kranken zum Bewusstsein; das eine 
reisst die anderen Muskeln fort. Der Kranke ist verblüfft; er wird auf¬ 
merksam auf die Fortschritte. Die Vorstellung der Uuheilbarkeit gerät 
ins Wanken. Es folgen ausgedehnte Uebungen und Heil exerzieren. 

Nimmt man den elektrischen Strom zu Hilfe, so erzeugt man eben 
gerade eine Muskelzuckung; nachher erfolgt dauernde Suggestion. 

Wie erklärt sich die Heilung? Der Kranke, bei dem wir eine heil¬ 
bare Störung vermuten, muss so angefasst werden, dass ein Zweifel an 
der Heilung bei Arzt und Krankem nicht bestehen kann. Münsterberg 
sagt 1914 in der Psyohotechnik: Die Quellen von Lourdes fliessen 
überall. Von mangelndem Gesundungswillen können wir oft nicht 
sprechen. Bei elektrischer Behandlung und Kaufmann’s Verfahren 
ist hauptsächlich die Suggestion wirksam. Stromstärke und Ort der An¬ 
wendung ist unerheblich. Die Suggestion hat mit simplem oder hoch¬ 
entwickeltem Seelenleben gar nichts zu tun. Sie wirkt bei jedem. Die 
Behandlung muss individualisieren. Ein guter Menschenkenner muss die 
Reize abstufen. Auch dem Vorgesetztenverhältnis kommt besondere Be¬ 
deutung nicht zu; der Mann lässt sich stärkere Ströme gefallen, wenn 
sie befohlen werden. Die Ueberrumplung, die Anwendung starker 
schmerzhafter Ströme, Erzwingung der Heilung in einer Sitzung sind 
möglichst einzuschränken, aber nicht gänzlich abzusetzen. Vortr. hatte 
praktische Erfahrungen teilweise recht unerfreulicher Art. Für die 
Hypnose ist die Auswahl der Fälle wichtig. Kranke, welche ruhig 
Auskunft erteilen, sind tauglicher als zerstreute, unwillige Naturen. 
Jeder der Suggestion zugängliche Fall ist auch so zu behandeln; das 
Gegenteil ist aber nioht zutreffend. Die Hypnose soll beruhigen, die 
Suggestibilität erhöben und krankhafte Erscheinungen beseitigen sowie 
unbewusste Vorstellungen zum Bewusstsein bringen. Das hypermnestisoh- 
kathartische Apperzeptionsverfahren soll den Willen bilden und erziehen. 
Der Kranke soll auch im Wachzustände leisten lernen, was er im Schlaf 
erlernte. Die bewusste Unterdrückung von Affekten, z. B. perversen 
sexuellen Trieben ist nötig. Im Frieden arbeitete Vortr. nur mit dem 
Willen der Kranken und klärte sie entsprechend auf; ersteres unterlässt 
er bei Soldaten, letzteres tut er bei inneren Widerständen. Die Leute 
kommen aufs Ruhebett: „Denken Sie an nichts anderes als an die 
Heilung! Wollen Sie gesund werden? Achten Sie nioht auf die Um¬ 
gebung, sondern nur auf das, was ich Ihnen sage! Ihre Augenlider 
werden schon müde. Sehen Sie mich an!“ Meist ist bei diesen Worten 
die Hypnose schon eingetreten. Auf den Einwand, dass die Hypnose 
den Willen sohwäche und geistig hochstehende Personen sie fürchten, 
heisst es: „Die Hypnose ist passend für Sie, wenn Sie nur geheilt werden 
wollen! Ich werde Sie nur scheinbar beeinflussen. loh brauche Ihre 
Mitarbeit. Sonst breohe ich meine Bemühungen ab. Das hat mit 
Willenskraft insofern etwas zu tun, als jede Heilung bei starken Menschen 
Aussicht auf Erfolg hat. Dazu ist keine dauernde Abhängigkeit vom 
Arzte nötig. Eben mit der Heilung hört diese Abhängigkeit auf.“ 

Kräftigungsmittel und Beruhigung durch Schlafmittel bringen ohne 
innere Beruhigung keinen Erfolg. Alle Fälle sind nur seelisch zu heilen. 

Dazu kommt die Aufklärungsbehandlung,die vernunftgemässe Methode, 
autosuggestive Psychopädagogik. Man sucht dem Kranken seinen Zu¬ 
stand klar zu machen, wenn er dafür geeignet ist. Diesem Verfahren 
ist eine -selbständige Stellung in der Psychotherapie ebensowenig wie 
den anderen einzuräumen. Jede Methode ist „vernunftgemäss“. Jede 
klärt auf. Sie Btärkt wie jede psychotherapeutische Methode den Willen. 

Mancher Psychotherapeut wird Dubois darin beipflichten, t wenn es 
sein Ideal ist ohne Hypnose, Abreaktion uod Ueberrumplung auszu¬ 
kommen. Daher sollte der Streit „ob psyohische Behandlung mit oder 
ohne Suggestion“ begraben werden. Die Aufklärung ist die schönste 
Methode. Sie treibt mathematisch das Krankheitsgefühl durch die 
Dialektik aus; der eigene Geist soll sich mit der Macht der Krankheit 
messen. Sohön ist es, aus einem Lebensverneiner einen Bejaher zu 
schaffen! Aber das Anwendungsgebiet ist bei den Kriegsneurosen be- 


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844 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 14. 


schränkt. Das Wesentliche ist wohl: der grössten psychischen Vertiefung, 
der feinsten Ausarbeitung ist die Aufklärungsmethode zugänglich. Aber 
sie setzt voraus und verlangt in besonderem Maasse Selbstbeherrschung 
nnd Geduld sowie Ausdrucksformen. Nötig ist dazu, dass die praktische 
Psychologie in die Schule, Familie und in die Aerztescha^t eindringt, 
dass wir die Macht und Bedeutung der Suggestion, für welche gerade 
dieser Krieg uns ein gewaltiges Beispiel liefert, besser ein- und absohätzen 
lehren. Wir können viele vor Erkrankungen bewahren, indem wir ihnen 
zeigen, wie sie Schädlichkeiten vermeiden. Mode. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der vergangenen Woche hielten die Berliner dermato- 
logisohe Gesellschaft unter dem Vorsitz von 0. Rosenthal, die 
Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten unter Blaschko’s Präsidium Tagungen ab, in denen 
u. a. auch zu den grossen Fragen Stellung genommen wurde, über welche 
unsere Leser sachkundige Erörterungen aus der Feder des Herrn Geheimrat 
Kahl und des Herrn Kollegen Bruhns an anderer Stelle dieser Nummer 
finden. Der Krieg hat, wie schon oft betont wurde, die ungeheure 
Wichtigkeit der Geschlechtskrankheiten für unser Volkswohl auch den¬ 
jenigen klar gemacht, welche sonst gerade an diesem Gegenstände 
gleichmütig vorbeigingen. Niemand täuscht sich mehr über die 
Gefahr, die uns bedroht, wenn nach der Demobilisierung etwa infizierte 
Feldzugsteilnehmer die Ansteckung in ihre Familien hineintragen, — alle 
Kreise sind sich daher darüber einig, dass es eine der wichtigsten Auf¬ 
gaben der Heeresverwaltung bildet, die vorzeitige Entlassung Erkrankter 
zu verhüten, eine der dringendsten Pflichten der Aerzte, die hier in Be¬ 
tracht kommenden Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und saoh- 
gemäss zu behandeln. Zur rechtzeitigen Erkennung besitzen wir, namentlich 
was die Syphilis betrifft, seit der Entdeckung der Spirochäte neue Me¬ 
thoden; zur frühzeitigen Behandlung sind wir daher auch nunmehr be¬ 
fähigt — und die Hoffnung Ehrlich’s auf eine „Therapia sterili- 
sans magna“ scheint gerade hierdurch jetzt der Erfüllung näher gerückt: 
die Mitteilungen, die A. v. Wassermann, wie schon bei der Tagung der 
ärztlichen Abteilung der Waffenbrüderlichen Vereinigung, so auch dies¬ 
mal machte, sprechen zu laut in diesem Sinne, als dass sie ungehört 
verhallen dürften. Wenn es unwiderleglich ist, dass die Spirochäten im 
Beginn der Erkrankung den Arzneimitteln, insbesondere dem Salvarsan 
weit zugänglicher sind als in späteren Stadien, wo sie bereits in den 
Geweben „sesshaft“ geworden sind, so liegt darin die Mahnung, so früh 
wie möglich einzugreifen — es kann, wie das F. Lesser und Pinous 
ausdrückten, das Schicksal des Kranken in der Tat von einigen Stunden 
mehr oder weniger abhängen! Da ergibt sich denn die Notwendigkeit, 
einmal, dass die Kranken möglichst rasch ärztlichen Rat einholen — 
und hierfür haben sich, nach den bekanntgegebenen Erfahrungen, die 
Beratungsstellen bereits vorzüglich bewährt; dann aber, dass möglichst 
viele Aerzte in Stand gesetzt werden, die moderne Diagnose und Therapie 
völlig zu beherrschen. Letzteres soll, soweit die Ausbildung in Frage 
kommt, durch obligatorische Prüfung in Syphilidologie erreicht 
werden — dahin zielt eine Eingabe der Deutschen Hochschullehrer, der 
sich auch die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten angeschlossen hat; aber — es tut Eile not, und daher ist 
nach einem Vorgehen, welches seitens der Heeresverwaltung bereits 
durohgeführt wird, auch die Einrichtung kurzfristiger Kurse für 
Aerzte seitens der Spezialisten in Aussicht genommen und in manchen 
Städten (z. B. durch Galewski-Dresden) bereits getroffen. Letzteren 
Kursen ist eine möglichst weite Verbreitung zu wünschen — können 
auch nicht sämtliche Aerzte sofort befähigt werden, alle neuen Methoden 
selbständig zu beherrschen und auszuüben, so müssen sie doch über 
deren Wert und Wesen aufgeklärt werden, um wenigstens, wo sie selbst 
nicht eingreifen können oder Sollen, das dringend Notwendige zu ver¬ 
anlassen. P. 

— Die ausserordentliohe Kriegstagung der Berliner 
Dermatologischen Gesellschaft, zu weloher die Mitglieder der 
Deutschen Dermatologischen Gesellschaft eingeladen waren, war von 
161 Teilnehmern besucht. Am Vorstandstisohe Herr 0. Rosenthal, 
der den Kongress an Stelle des abwesenden I. Vorsitzenden Herrn 
E. Lesser leitete, ferner die Herren Blasohko, Heller und der Schrft- 
führer R. Ledermann. Zu Ehrenvorsitzenden wurden während der 
Dauer der Sitzungen Herr Riehl-Wien und Herr Veiel-Cannstatt er¬ 
nannt. An beiden Verhandlungstagen wurden zuerst Kranke von Frau 
Kaufmann-Wolf, den Herren E. Hoffman n - Bonn, Bruhns, Saalfeld, 
Alexander, Franz Blumenthal, L. Pulvermaoher, Blasohko, 
Heller, Wechselmann, Kromayer, H. Isaac, Geburt und R. 
Ledermann vorgestellt. An das Referat des Herrn Blaschko über 
Kriegsmelanosen schloss sich eine Aussprache der Herren Ga- 
1 ewsky-Dresden, Riehl-Wien, E. Hoffmann-Bonn, Jadassohn- 
Breslau, SchoItz-Königsberg, Ledermann, Arning-Hamburg, 0. 
Rosenthal, Saalfeld, Pulvermaoher an. Im Anschluss an das 
Referat des Heim Buschke „Ueber die Trichophytieepidemien 
und deren Bekämpfung“ demonstrierte Herr W. Fisoher nach einem 
Vortrag „Ueber die kulturellen Eigenschaften der Triohophytenpilze“ 


Reinkulturen derselben. An der Aussprache beteiligten sich die Herren 
Veiel, Scholtz, Galewsky, Blumenthal, Jadassohn, Bruhns, 
E. Hoffmann, Müller - Mainz, Delbanco - Hamburg, Saalfeld, 
Sachs-Frankfurt a. M., Fritz M. Meyer, der „Ueber die Terpentin¬ 
behandlung der Trichophytien und anderen Hauterkrankungen“ sprach, 
Ghajes, Klingmüller-Kiel und Buschke. Ia der Sitzung am 
27. März hielt Herr Ledermann und Herr Hirschmann einen Vor¬ 
trag über die Orientbeule mit Demonstrationen der Krankheitserreger 
(Leishmania) und histologischen Präparaten. An der Aussprache be¬ 
teiligten sich die Herren Bettmann-Heidelberg und Jadassohn. 
Hieran schlossen sich Demonstrationen von Moulagen durch die Herren 
E. Hoffmann, Jadassohn, Bruhns. Dann folgten die Vorträge der 
Herren E. Hoffmann „Ueber Frühbehandlung der Syphilis“, v. Wasser¬ 
mann „Ueber die verschiedenen biologischen Stadien der Lues und 
deren Beziehungen zur Wassermannreaktion“, und Brieger „Ueber eine 
neue Gerinnungsreaktion bei Lues“. An der Aussprache beteiligten sich 
die Herren 0. Rosenthal, Fritz Lesser, Generalarzt Sch ul tzen, 
Bruhns, Scholtz, Müller-Mainz, Arning, Moritz und E. Hoff¬ 
mann. Zum Schluss hielt Herr Müller-Mainz den angekündigten 
Vortrag „Ueber Neisser’s urtikarieiles Ekzem, eine Kriegsdermatose“. 
In den Nebenräumen waren in grosser Anzahl mikroskopische Präparate, 
Moulagen und Diapositive, sowie Röntgenbilder (Heller) ausgestellt. 

— Am 2. und 8. April tagte unter Vorsitz des Herrn Geh. Rat 
Dietrich im Herrenhause zu Berlin der Gesundheitsaussohuss der 
deutschen Zentralstelle für Jugendfürsorge; die Verhandlungen wurden 
mit Referaten der Herren Dr. Tugendreich und Prof. Grotjahn einge¬ 
leitet, in denen die sozialbygienischen Aufgaben der neu zu schaffenden 
Jugendämter dargelegt wurden. 

— Der Magistrat Berlin hat beschlossen, der Stadtverordneten¬ 
versammlung vorzuschlagen, die Bezüge der Schulärzte an den 
Gemeindeschulen von 2000 M. auf 3000 M. zu erhöhen. 

— Auswärtige Patienten in Krankenanstalten beziehen nicht von 
ihrem Wohnsitze ihre Reisebrotmarken und Lebensmittelkarten, sondern 
vom Kommunalverbande der Anstaltsorte. Nur die Brotzulagen, die 
den in Lungenheilstätten überwiesenen Schwerstarbiitem bewilligt sind, 
müssen vom Betriebsorte bewirkt werden. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reioh (17. bis 
23 III.)4. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau 
(8.-9. III.) 1. Deutsche Verwaltung in Litauen (24. II.—2. III.) 1. 
Fleckfieber: Deutsches Reich (17.—23. III.) 22. Kaiserlich 
Deutsches Generalgouvernement Warschau (3.-9. III.) 1428 
und 185 f. Deutsche Verwaltung in Kurland (24. II.—2. III.) 9. 
Deutsche Verwaltung in Litauen (24.11.—2. III.) 409 und 17 1*. 
Deutsche Kreisverwaltung in Suwalki (24. II.—2. III.) 18 und 2 
Ungarn (4.—10. II) 3 und 1 +. (11.—17. II.) 1. (18.—24. II.) 8. 
Rüokfallfieber: Deutsches Reioh (17.—23. III.) 84 unter Kriegs¬ 
gefangenen in den Reg.-Bez. Marienwerder und Posen. Kaiserlich 
Deutsches Generalgouvernement Warschau (8.—9. III.) 18. 
Genickstarre: Preussen (10.—16. III.) 6 und 2 +. Schweiz (3. bis 
9.111)2. Spinale Kinderlähmung: Preussen (10.—16. III.) 1. 
Sohweiz (3.-9.111.) 1. Ruhr: Preussen (10.-16. III.) 104 und 12 t- 
Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp 
in Wilhelmshaven; Keuchhusten in Regensburg. 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochschulnachriohten. 

Halle a. S.: Habilitiert: Dr. 0. David für innere Medizin. — 
Königsberg: Den Titel Professor erhielten der Privatdozent Dr. Rhese 
und Oberstabsarzt Dr. Fick. — Wien: Privatdozent Dr. Biach ist 
gestorben. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien, 

Auszeichnungen: Königl. Kronenorden III. Klasse: Mar.-Ob.- 
St.-A. a. D. Dr. Buchinger. 

Ritterkreuz I. Abteil, des Grossh. Säohsischen Hausordens 
der Wachsamkeit oder vom weissen Falken: ordentl. Prof, in 
der mediz. Fakultät der Universität in Kiel Geh. Med.-Rat Dr. Hel- 
ferich in Eisenach. 

Ernennungen: Kreisass.-Arzt San.-Rat Dr. A. Brieger in Cosel zum 
Kreisarzt in Landeshut in Schl., Stadtass.-Arzt Dr. F. Ebner in Kiel, 
zurzeit in Warschau, zum Kreisarzt in Falkenberg O.-Schl., Kreisass. - 
Arzt Dr. W. Zimdars in Strasburg (Westpr.) zum Kreisarzt daselbst. 

Versetzungen: Kreisarzt Med.-Rat Dr. Eschricht in Berlin-Wilmers¬ 
dorf aus dem bisher vereinigt gewesenen Kreisarztbezirk der Stadt¬ 
kreise Berlin-Schöneberg und Berlin-Wilmersdorf in die davon abge¬ 
zweigte Kreisarztstelle Stadtkreis Berlin-Wilmersdorf; Kreisarzt Dr. 
Hüttig von Berlin in den Kreisarztbezirk Berlin-Schöneberg mit dem 
Amtssitz daselbst; Kreisarzt Dr. Grimm von Beeskow nach Berlin; 
Kreisarzt Dr. Bethge von Fraustadt nach Duisburg; Kreisarzt Dr. 
Mohr von Strasburg (Westpr.) nach Fraustadt; Kreisarzt Dr. Wo da 
von Lin gen nach Pyritz. 

Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Hane Kohn, Berlin Bajreuther 8tr.4t. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druok von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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W* Berliner Klinische Wochenschrift «rsehelnt Jeden ■ ^ ■ l ■ ■ ■ ■ ■ v Alle Einsendunge n fQr dl* Redaktion and Bxpedltfoe 

Montag in Nummern von ca. I—6 Bogen gr. 4. — I 1 Ijllll I I I f 1 I 1 wolle man portofrei an die Verlagsboehhandlnng 

Praia Tlerteljihrlieh 1 Mark. Bestellungen nehmen H 1-C I I |%l M August Biraehwald ln Berlin NW., Unter den Linden 

alle Bachhandlungen und Postanstslten an. | |M Jl lll ^1 1 1 j J B jj Nr. 68, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

(Ml Mtd.-Rit Prof. Pr. C. Posner and Prot Pr. Hang Kob. _ August Hirsehwald, Verlugsbuchbuodlung iu Berlin 

Montag, den 15. April 1918. M 15 . Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originalton : Voelckel: Störungen der inneren Sekretion bei Eunuchoiden. 
S. 345. 

Borchardt: Ueber Hypogenitalismus und seine Abgrenzung vom 
Infant’lismus. (Aus der medizinischen Klinik zu Königsberg und 
einem Feldlazarett.) (lllustr.) S. 348. 

Hirschlaff: Gibt es eine Fliegerkrankheit? S. 350. 

Bokelmann und Nassau: Blutbild Veränderung (Lymphozytose) 
beim Gesunden. (.lllustr.) S. 353. 

Uddgren: Milchinjektionen und Wassermann’sche Reaktion. S. 854. 
Cursohmann: Zur Tuberkulosebehandlung mit Nastin Chinolin¬ 
phosphat. (Aus der Lungenheilstätte Luisenheim in Baden.) S. 354. 

Btteherbesprechnngen : Siemerling: Psychosen und Neurosen in der 
Gravidität und ihre Anzeichen zur künstlichen Unterbrechung der 
Schwangerschaft. S. 355. (Ref. T. Cohn.) — Biesalski Gesammelte 
Arbeiten über Prothesenbau. S. 355. Guleke und Dietlen: Kriegs- 


Störungen der inneren Sekretion bei 
Eunuchoiden. 

Von 

Oberarzt Dr. E. Voelckel. 

Io der älteren Literatur wurden des Öfteren Fälle von kon¬ 
genitaler Hodenaplasie beschrieben, die aber einer wissen¬ 
schaftlichen Kritik nicht standhalten [Tandler und Grosz 1 )]: eine 
angeborene beiderseitige Anorchie ist in keinem einzigen Falle 
sicher nachgewiesen. Dagegen häufen sich in letzter Zeit die Be¬ 
richte über Hypoplasie der Hoden, Krankheitsfälle, die unter den 
verschiedensten Namen, je nach den im Vordergrund stehenden 
Symptomen, beschrieben wurden (Dystrophia adiposo-genitalis, 
Hyporchismus, Gigantisme eunuchoide, Hypogenitalismus, Gero- 
derma genito-distrophico u. a.),für die jetzt aber allgemein wegen der 
Aehnlichkeit mit dem Bunucbentypus die Bezeichnung Eunuchoid ie 
eingeführt ist [zuerst von Griffiths 2 ) angewendet]. Während man 
früher die Entstehung dieses Symptomenkomplexes auf die Hypo- 
funktiou der Geschlechtsdrüsen zurückführte, geben in 
jüngster Zeit einige Autoren der Ansicht Ausdruck, dass mau 
eine Beteiligung mehrerer Drüsen mit innerer Sekretion, 
bzw. eine mangelhafte Anlage des gesamten Drüsenapparates innerer 
Sekretion annehmen müsse. Diese Annahme gründet sich auf die 
Tatsache, dass man ähnliche Symptome wie bei Eunuchoiden auch 
bei Funktionsstörungen anderer endokriner Organe findet.- Die 
bei Eunuchoiden beschriebenen Symptome wären demnach zu er¬ 
klären entweder als Ausfallserscheinungen oder als Folgen einer 
Hyper- bzw. Dysfunktion einiger Drüsen mit innerer Sekretion. 
Wenn wir unter diesem Gesichtspunkt die bei den bis jetzt publi¬ 
zierten Fällen beschriebenen Erscheinungen überblicken, so 
ergibt sich.folgendes: 


1) Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlechtscharaktere. 
Berlin 1913. 

2) The journal of anal and phys. 28. 


chirurgisoher Röntgenatlas. S. 355. (Ref. Max Cohn.) — Rapp: 
Keimfreimachung von Arzneistofilösungen. S. 355. (Ref. Beckström.) 
Literatur-Auszüge: Pharmakologie. S. 355. — Physiologie. S. 355. — 
Therapie. S. 355. — Allgemeine Pathologie und pathologische Ana¬ 
tomie. S. 855. — Innere Medizin. S. 356. — Chirurgie. S. 356. — 
Röntgenologie. S. 358. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 359. 
Augenheilkunde. S. 860. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Berliner Gesellschaft 
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 360. — Medi¬ 
zinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft zu Jena. 
S. 862. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 363. — 
Kriegsärztliche Abende. S. 364. 

Baumgarten: Zum Gedächtnis an Ernst Neumann. S. 364. 
Tagesgeschiohtliobe Notizen. S. 368. 

Amtliohe Mitteilungen. S. 368. 


Tandipr und Grosz unterscheiden zwei Formen des Eunu¬ 
choidismus: eunuchoiden Hocbwuchs bzw. Disproportion und 
eunuchoiden Fettwuchs. 

Falta 1 ) beschreibt eine multiple Blutdrüsensklerose 
beim Eunuchoid (Späteunuch). 

Ebstein 2 ) stellt einen Zusammenhang zwischen Diabetes 
insipidus und Eunuchoidie fest. 

Guggenheimer 8 ) weist in drei von ihm beobachteten Fällen 
eine Veränderung des Blutbildes nach: Vermehrung der Lym¬ 
phozyten (in einem Falle 75 pCt). Bei zwei Fällen von eunu¬ 
choiden Fettwuchs findet er beträchtliche Hyperglobulie. 

C'lerc 4 ) bespricht die Wachstumsstörung (Gigantisme eunu¬ 
choide) bei einem Fall von Hodenhypoplasie. Auch 

Rebattn und Gravier 5 ) beschreiben deo Gigantisme eunu¬ 
choide in ihrer Arbeit über die Störungen der inneren Sekretion 
des Hodens. 

Goldstein 0 ) bringt einen Beitrag über familiäres Auftreten 
von Entwicklungsstörungen der Drüsen mit innerer Sekretion. 

Wiesel 7 ) bezeichnet in seiner Abhandlung über Agenita¬ 
lismus und Hypogenitalismus die Bindegewebsdiathese als 
die Ursache multiglandulärer Störungen. 

Sterling 8 ) berichtet über den Zusammenhang des Eunu¬ 
choidismus mit verwandten Krankbeitsbildern: dem Späteunu- 
choidisraus (Falta) und der Degeneratio genito-sclerodermica 
(Noorden). 

Bartolotti 9 ) beschreibt die mit Hypogenitalismus verbundene 
Störung des Fettstoffwechsels(Distrophia endocrino-simpathica). 


1) B.kl.W., 1911. 

2) Milteil. Grenzgb. d. Md. u. Chir., 1912, Bd. 25. 

3) D. Arch. f. kl. M., 1912, Bd. 107. 

4) Bull, et m6m. soc. med. hop., Paris 1913. 

5) Nouv. Icon. Salpetr., 1913, Bd. 26. 

6) Arch. f. Psych., 1913. 

7) Hb. d. Neurol., Berlin 1913, Bd. 4. 

8) Zachr. f. d. ges. Neurol., 1913. 

9) Rif. med., 1913, Bd. 29. 


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346 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16 


Sänger 1 ) teilt 6 Fälle von Eunuchoidismus mit, die be 
sonders Störungen des Stoffwechsels, des Wachstums und 
der Behaarung zeigen. 

Hermann 2 ) veröffentlicht einen Fall von hochgradiger Hoden-* 
atroph ie, hei ^em auffallender weise die sekundären Ge¬ 
schlechtsmerkmale vollständig normal waren. 

Im Anschluss an diese bisher in der Literatur bekannt ge¬ 
wordenen Fälle möchte ich zunächst einen weiteren Fall von 
Eunuchoidismus beschreiben, der zufällig auf meiner Station 
eingeliefert wurde. Er ist nach verschiedenen Richtungen 
hin mit den zu Gebote stehenden Mitteln (Stoffwechsel, sym¬ 
pathische und parasympathische Reizmittel) untersucht 
und längere Zeit beobachtet worden. Mein Chefarzt, Herr Stabs¬ 
arzt Professor Dr. C. Klieneberger, bat mir diesen Fall in 
liebenswürdiger Weise überlassen, wofür ich ihm auch an dieser 
Stelle meinen verbindlichsten Dank aussprecben möchte. 

Es handelt sich um einen vierzigjährigen sächsischen Landsturmmann, 
der seit einigen Monaten bei einem Feldrekrutendepot ausgebildet wurde 
und im November 1916 wegen Nervenleidens (hysterische Krampfanfälle) 
einem Feldlazarett überwiesen wurde. Von hier kam er anfangs Dezember 
wegen Paratyphus-Verdacht (der übrigens weder klinisch noch bakterio¬ 
logisch bestätigt werden konnte) zu unserm Lazarett. 

Aus der Anamnese geht hervor, dass Patient einer nervösen 
Familie entstammt (Mutter, ein Bruder, eine Sohwester nervenleidend). 
Er selbst habe in seiner Kindheit Masern. Scharlach und Diphtherie 
überstanden; später war er nie ernstlich krank, doch sei er stets etwas 
schwächlich und nervös gewesen. Er besuchte mit gutem Erfolg die 
Vo!ks c chuie und kam dann in die Lehre als Drogist. In diesem Berufe 
ausgebildet, übernahm er mit 25 Jahren selbstständig eine Drogen¬ 
handlung. Viel arbeiten habe er nie können, da er körperlich nicht 
sehr leistungsfähig sei. ln den letzten Jahren bemerkte er ausserdem, 
dass sein Gedäohtnis nicht mehr so gut wie früher sei, und dass er 
besonders beim Rechnen oft Schwierigkeiten habe. 

Ueber die Libido sexualis befragt, gibt er an, dass er nie geschlecht¬ 
liche Neigungen gehabt habe. Er habe zwar geheiratet, aber nur, wie 
er sagt, um eine Frau fürs Geschäft zu bekommen; Kinder habe er keine. 
Zu einem richtigen geschlechtlichen Verkehr sei es nie gekommen, da 
er höchst selten (alle 2 bis 3 Monate) und nur ganz kurz dauernde 
(einige Sekunden) Erektionen gehabt habe. Er habe hierbei auch manch¬ 
mal einen Coitus mit seiner Frau versucht, doch sei die Erektion meist 
schon vor dem Introitus wieder verschwunden. Zu einem Erguss kam 
es nie, doch habe er manchmal das Gefühl, als ob „der Same in der 
Mitte der Harnröhre stecken bleibe“. 

Patient ist von mittlerer Größe, mit gering entwickelter Muskulatur 
und reichem Fettpolster. Die Fettanhäufung ist besonders stark an 
den Mammae (weiblicher Typus), Mons veneris (querer Fettwulst und 
scharf ausgeprägte Falte) und den Nates. Die Haut ist zart (durch¬ 
scheinende Venen), trocken, von gelblichweisser Farbe (geringe Pigmen¬ 
tierung) und zeigt sehr spärliche Behaarung: kein Schnurrbart (Pat. 
lässt sich nie rasieren), Wangen und Kinn sind von weichen Flaum- 
h&aren bedeckt, Aohselhaare fehlen fast völlig; Schamhaare sind nur 
ganz gering entwickelt und gegen die Unterbauchgegend horizontal 
abgegrenzt. 

Der Knochenbau weist weiblichen Typus auf (breites Becken mit 
Michaeli’scher Raute in der Kreuzbein gegen d; der Steiss ragt weit 
nach hinten; Genu valgum). Die Körperlänge beträgt 169 cm bei einem 
Gewicht von 84 kg, und zwar: Entfernung vom Scheitel bis zur Symphyse 
80 cm, von hier bis zur Ferse 89 cm (die Unterläoge überragt also die 
Oberlänge um 9 cm). Die übrigen Körpermaasse sind folgende: Kopf¬ 
umfang 54 cm, Halsumfang 38 cm, Brustumfang (Mammae) 109 cm, 
Bauchumfang (in Nabelhöhe) 105 cm. Oberschenkelumfang 64 cm, Spann¬ 
weite 172 cm. Das Röntgenbild der Röhrenknochen ergibt normale 
Befunde. 

Kopf: Hoher Kurzschädel, vorspringende Jochbögen, scharf aus¬ 
geprägte Nasolabialfalte, ziemlich lange Ohren, Fettansammlung an den 
Oberlidern und an dem Kinn (Hängekinn). Die Konjunktiven zeigen 
deutlich ausgebildeten Lymphapparat und geringe Injektion der Blut¬ 
gefässe. Sehvermögen normal, Augenhintergrund ohne Besonderheit. 
Hörorgan ohne Besonderheit. Tonsillen ziemlich gross (Patient neigt zu 
Halsentzündungen); Zungenfollikel deutlich ausgeprägt. Zähne grössten¬ 
teils kariös. 

Hals: Schilddrüse nicht vergrößert, Stimme normal. 

Brust: Lungen ohne krankhafte Veränderungen; Herzgrenzen nicht 
verbreitert, leises systolisches Geräusch an der Herzbasis, Aktion regel¬ 
mässig, Pulsfrequenz 88. Blutdruck (naoh Recklinghausen) 180 
(180 cm Wasserhöhe = 131 mm Q lecksilber). Eine Tbymuspersistenz 
ist perkutorisch nicht nachweisbar. 

Bauchorgane: Nicht krankhaft verändert, Milz nioht fühlbar. 

Genitalien: Penis sehr klein (etwa 2 1 /* cm), darunter eine 
skrotumähnliche Hautfalte, in der zwei ungefähr erbsengrosse Knoten 
fühlbar sind (atrophische Hoden). Bei rektaler Untersuchung ist die 
Prostata nioht zu fühlen. 


1) D. Zschr. f. Nervhlk., 1914, Bd. 51. 

2) Mitt. d. Ges. f. inn. M., Wien 1914. 


Extremitäten: Infolge des reichlichen Fettgewebes sind alle 
Konturen abgerundet, Knochenvorsprünge treten nicht hervor. — Anlage 
zu Pes planus. 

Nervensystem: Die Sehnenreflexe sind etwas gesteigert; Rachen- 
und Kornealreflex stark herabgesetzt, ebenso Bauchdeckenrefiex. Die 
Prüfung der Sensibilität ergibt eine Herabsetzung für feine Berührung, 
Temperatur- und Sohmerzempfindung im Bereich der gesamten linken 
Körperhälfte. Die lioke Hand macht grobsohlägige Zitterbewegungen, 
die jedoch bei Ablenkung verschwinden (während der Lazarettbeband- 
lung wurde diese nervöse Störung durch psychische Beeinflussung völlig 
geheilt). 

Die Vasomotoren der Haut zeigen gesteigerte Erregbarkeit: Dermo¬ 
graphismus. 

Die Urinuntersuchung ergab keine pathologischen Bestandteile. 

Blutuntersuchung (mittlere Werte, aus mehreren Untersuchungen 
berechnet): Hämoglobingehalt 71 pCt. (nach dem Hämometer von Sahli). 
Zahl der Erythrozyten 5 350000. Zahl der Leukozyten 10000. Poly¬ 
morphkernige Leukozyten 61 pCt. Eosinophile Leukozyten 2 pCt. Grosse 
Lymphozyten 10 pCt. Kleine Lymphozyten 25pCt. Uebergangsformen 
1,5 pCt. Mastzellen 0,5 pCt. 

Das Blutbild zeigt also eine Vermehrunng der Lymphozyten, 
der allerdings unter den jetzigen Verhältnissen des Krieges nicht die 
Bedeutung beizumessen ist wie im Frieden. „Auffallend viel Menschen 
haben jetzt relative Lymphozytose (K re hl, Kongress für innero Medizin, 
Warschau 1916). An unserem Lazarett hat Professor Klieneberger 1 ) 
durch methodische Untersuchungen bei Gesunden (Aerzten, Schwestern, 
Burschen usw) festgestellt, dass das jetzige Blutbild gegenüber den 
Normen des Friedens erheblich verändert ist: die absolute Leukozyten¬ 
zahl ist erhöht (ungefähr 10000, zuweilen 12000 und mehr), die 
Lymphozytenzahl des cmm beträgt 3000 bis 5000 (etwa 40 pCt). 
Das lymphozytäre Blutbild, die Lymphozytose, ist also augenblick¬ 
lich als „normal“ anzusehen. (Als Ursache dieser „Lymphozytose¬ 
umstellung“ nimmt Klieneberger die wiederholte Schutzimpfung mit 
Typhusimpfstoff an.) 

ZusammenfasseDd ergeben sich also als Hauptsym¬ 
ptome: Hypoplastische Hoden, mangelhaft ausgebildete 
sekundäre Gescblecbtscharaktere, Störungen des Län¬ 
genwachstums, adipöser Habitus, (Veränderungen des Blut¬ 
bildes im Sinne einer Lymphozytose). Diese Erscheinungen 
sind in gleicher Weise bei fast sämtlichen oben genannten Fällen 
beschrieben worden. Aus diesen übereinstimmenden Befunden 
lassen sich auf Grund der uns bis jetzt bekannten Funktionen dar 
Drüsen mit innerer Sekretion gewisse Beziehungen zu diesen Or¬ 
ganen feststellen. 

Die einzelnen Di Ösen mit innerer Sekretion stehen unter¬ 
einander in innigem Zusammenhang, insbesondere lassen sich, 
wie neuere Untersuchungen gezeigt haben, bestimmte Be¬ 
ziehungen der Keimdrüsen zu anderen endokrinen Or¬ 
ganen feststellen. So wissen wir von der Hypophyse, dass 
sie durch die Vorgänge an den Sexualorganen in bestimmter 
Weise beeinflusst wird; sie verändert sich während der Gravi¬ 
dität [Engelhorn 2 ;] und hypertrophiert nach der Kastration 
[v. Tandler und Grosz, sowie v. Rössle 8 ) in mehreren Fällen 
bei der Sektion nachgewiesen]. Die Vergrösserung des Organs 
betrifft hauptsächlich den Vorderlappen: es tritt infolgedessen 
abnormes Längenwachstum auf. Die Exstirpation des Mittel¬ 
lappens, der mit dem Stoffwechsel im Zusammenhang steht, ruft 
vermehrte Fettablagerungen und Steigerung der Assimilations¬ 
grenze für Kohlehydrate hervor, ln Verbindung mit einer Ver¬ 
grösserung der Hypophyse entsteht das Krankheitsbild der 
Dystrophia adiposo genitalis, bei der eine Hypoplasie des 
Genitales besteht [A. Fröhlich 4 )]. Bei Eunuchoiden konnte bis 
jetzt eine Hypertrophie der Hypophyse nicht nachgewiesen werden, 
auch röntgenologisch Hess sich eine Veränderung der Sella 
turcica (die Vergrösserung der Hypophyse hat eine Erweiterung 
der Sella turcica zur Folge) nicht nachweisen [Peritz] 5 ). In 
unserem Falle zeigt das Röntgenbild ebenfalls normale Verhält¬ 
nisse der Schädelbasis. — Die Exstirpation der Hypophyse verur¬ 
sacht eine Hodenhypoplasie bzw. Atrophie [Biedl®,]. 

Auch die Zirbeldrüse steht im Zusammenhang mit den 
Keimdrüsen. An Tierversuchen wurde nachgewiesen, dass bei 
zirbellosen eine raschere Entwicklung der Keimdrüsen und der 
sekundären Geschlechtsmerkmale wahrzunehmen ist [Foä 7 )] Bei 
Menschen wurde durch Sektion jugendlicher Individuen (Knaben 


1) M.m.W., 1917, Nr. 23. 

2) Sitzungsbericht der pbys.-med. Sozietät. Erlangen 1911. 

3) M.m.W., 1907. 

4) Wien. klin. Rdsch., 1901. 

5) Neurol. Zbl., 1910, Nr. 28. 

6) Innere Sekretion. Wien 1913. 

7) Ipertrofia dei testicoli .... Path., 1912, Nr. 90. 


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vor dem 7. Lebensjahr) festgestellt, dass in Fällen von Zirbel- 
geschwalst abnormes Längenwachstum, prämature Genitalentwick¬ 
lung und Frühreife eingetreten ist [Gutzeii 1 ), v. Frankl- 
Hoch wart 9 ) u. a.] Es geht also anscheinend von der Zirbel¬ 
drüse ein hemmender Einfluss auf die Entwicklung der Keimdrüse 
und die sekundären Stxualmerkmale aus, der jedoch nach der 
physiologisch eintretenden Involution (ungefähr 7. Jahr) zu 
schwinden beginnt (Biedl). 

Von der Schilddrüse ist bekannt, dass sie grossen Einfluss 
auf den gesamten Stoffwechsel ausübt. Eine Hypersekretion ruft 
eine Erhöhung der Verbrennungsvorgänge hervor, ausserdem 
alimentäre Glykosurie und Vermehrung der Lymphozyten im Blut, 
sowie Veränderung der sexuellen Funktionen. Bei Hypofunktion 
finden wir eine Verminderung der Oxydationsvorgänge des Stoff¬ 
wechsels, sowie Hemmung des Knochenwachstums bei jugend¬ 
lichen, noch wachsenden Individuen. Experimentell ist fest¬ 
gestellt, dass der Wegfall der Schilddrüse Atrophie der Keimdrüse 
zur Folge hat (v. Eiseisberg). Bei Kastraten und Eunuchoiden 
ist die Schilddrüse sehr klein (Tandler und Grosz). 

Die Thymus scheint insofern mit den Keimdrüsen in Ver¬ 
bindung zu stehen, als sie mit dem Beginn der Geschlechtsreife 
zu atrophieren pflegt. Man nimmt an, dass der Einfluss der Ge 
schlechtsdrüsen die Altersinvolution der Thymus hervorruft 
[Gellin s )]. Die Kastration verursacht eine Gewichtszunahme des 
Organs; auch bei Eunuchoiden ist eine Vergrößerung der Thymus 
nachgewiesen. 

Beim Pankreas tritt nach der Kastration eine Hypertrophie 
der Langerbans’schen Inseln auf [Rabaudi 4 )], also der Zell¬ 
gruppen, die mit dem Kohlebydratstoffwechsel in Verbindung 
gebracht werden (bei Erkrankungen oder Exstirpation derselben 
tritt Diabetes auf). 

Die Nebennierenrinde weist je nach Alter, Geschlecht 
und Zustand des Genitalapparats deutliche Veränderungen auf 
[Kolmer 5 )J. Nach der Kastration wurde eine Verbreiterung und 
Gewichtszunahme der Rindeosubstanz festgestellt [Schenk 6 )]. 
Apert 7 ) hat nach den in der Literatur vorliegenden Fällen die 
Hypertrophie bzw. Hyperfunktion der Rinde in Verbindung gebracht 
mit einem Symptomenkomplex, bestehend in prämaturer Ent¬ 
wicklung, Störungen in der Sexualsphäre, Fettansatz, starker Be¬ 
haarung („Hirsutisme“). Im Gegensatz zu der Hyperplasie der 
Rinde ist das andere Krankheitsbild [von Cbarcot als Gero- 
morpbismus bezeichnet]: frühzeitiges Altern, unbehaaite Haut, 
gering entwickeltes Fettpolster, auf eine Hypofunktion bzw. Hypo¬ 
plasie der Nebeonierenrinde zu beziehen. Die Marksubstanz der 
Nebenniere wird im Gegensatz zur Rinde verringert gefunden. 
Wenn wir daraus in Analogie zu anderen Organen auf eine ver¬ 
minderte Sekretproduktion (Adrenalin) oder auf eine allgemeine 
Unterfunktion des chromaffinen Systems schliessen, so könnten 
wir eine Hyperfunktion der Antagonisten, also Vagotonie, er¬ 
warten. Nach der Auffassung von Eppinger und Hess 8 ) ist 
die Vagotonie der klinische Ausdruck einer anatomisch nach¬ 
weisbaren lymphatischen Konstitution (Status thymico-lym- 
phaticns), und andererseits wurde aus der Persistenz der 
Thymus und anderer Symptome bei Eunuchoiden der Schluss 
gezogen, dass die Hypoplasie der Hoden zum Gesamtbild des 
Status tbymico-lympbaticus gehöre (Biedl). Untersuchungen 
darüber, ob bei Eunuchoiden eine gesteigerte Erregbarkeit des 
parasympathischen Systems (Vagotonie) besteht, liegen bis jetzt 
noch nicht vor. Hingegen konnte Adler 9 ) in analogen Fällen 
bei Frauen (nach der Kastration, bei genitaler Hypoplasie und 
im Klimakterium) eine erhöhte Adrenalinempfindlicbkeit (also 
einen gesteigerten Sympathicus Tonus) feststellen. In unserem Fall 
wurden ebenfalls Untersuchungen angestellt zur Feststellung, in 
welcher Weise das vegetative Nervensystem von der Hypo- 
funktion der Keimdrüsen beeinflusst werde: es wurden 
0,01 Pilocarpin, bydrocblor. subkutan injiziert, es trat aber 
während der zweistündigen Beobachtung kein Schweissausbruch 
auf (also keine gesteigerte Erregbarkeit des parasym¬ 
pathischen Systems). Ferner wurde eine lprom.-Lösung von 


1) Königsberg 1896. Dissert. 

2) D. Zschr. f. Nervhlk., 1909, Bd. 37. 

3) Zschr. f. exper. Path. u. Ther., 1910, Bd. 8, H. 1. 

4) Zbl. f. Gyn., 1908. 

5) Zbl. f. Physiol., 1914, Bd. 29, Nr. 4. 

6) Beitr. z. klin. Chir., Bd. 67. 

7) Bullet, soc. P6d. Paris 1910. 

8) Sml. klin. Abh. f. Path. u. Ther. d. Stoffw. Berlin 1910. 

9) Aroh. f. Gynäk., 1911. 


Adrenalin in den Konjunktivalsack ein geträufelt, aber es trat 
keine Pupillenerweiterung auf [uach Meyer-Gottlieb 1 ) ruft 
die Einträufelung von Adrenalin bei erhöhter Erregbarkeit 
sympathischer Innervation deutliche Mydriasis hervor]. 

Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, dass einige Sym¬ 
ptome, die bei Eunuchoiden festgestellt sind, bei Funktions¬ 
störungen gewisser Drüsen mit innerer Sekretion auftreten, 
andererseits kann aber auch, wie experimentelle Untersuchungen 
und klinische Beobachtungen gezeigt haben, der Ausfall der 
Keimdrüsentätigkeit derartige Erscheinungen hervorrufen. So 
verursacht die Exstirpation der Hoden Störungen des Längen¬ 
wachstums: Infolge einer verspäteten Verknöcherung des Epi- 
pbysenkernes wachsen die Extremitätenknochen im Verhältnis 
zum Rumpf stärker, daher Unterlänge grösser als Oberlänge 
(Tandler und Grosz). Auch beim Becken macht sich das ge¬ 
steigerte Knochenwacbstum bemerkbar und führt zu einer grösseren 
Breite. Auf den Stoffwechsel wirken die Hoden im Sinne 
einer Steigerung (therapeutisch erzielt man bei Kastraten durch 
Einverleibung von Hodensubstanz eine Steigerung des Stoffwechsels 
um 30 —50 pCt.). Bei Eunuchoiden und Kastraten ist regelmässig 
der Fett Stoffwechsel gestört: Es erfolgt vermehrter Fettansatz an 
charakteristischen Stellen (besonders Mammae, Mons veneris, 
Nates;. Der Eiweissstoffwechsel ist nicht gestört [Lüthje] 2 3 ), 
dagegen fand man in einzelnen Fällen für Kohlehydrate eine 
Herabsetzung der Assimilationsgrenze, manchmal auch Glykosurie 
[Stolper] 8 ). Auch der Kalk- und Phosphorstoffwechsel wird 
durch die Keimdrüsentätigkeit beeinflusst (therapeutische Anwen¬ 
dung der Kastration bei Osteomalazie). 

Ferner wird dem inneren Sekret der Keimdrüsen neben 
der die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale fördernden 
Wirkung ein auf die Entwicklung der heterosexuellen Charaktere 
hemmender Einfluss zugeschrieben [Herbst 4 )], auf Grund der 
beim Wegfall der Keimdrüsentätigkeit (Kastration und Enuchoi- 
dismus) auftretenden scheinbaren heterosexuellen Merkmale, ins¬ 
besondere mit Rücksicht auf die Disproportion des Skeletts, die 
nach Ansicht einiger Autoren ein Umschlagen in d.en hetero¬ 
sexuellen Typus bedeutet; doch ist, wie Tandler und Grosz 
gezeigt haben, die veränderte Körperform als Ausdruck der pro¬ 
trahierten Unreife nnd nicht als eine Annäherung an die hetero¬ 
sexuelle Körperform zu betrachten. „Das männliche Kastraten¬ 
becken ist nicht etwa ein weibliches, sondern eine asexuelle Form, 
gleichsam eine Jugendform. M 

Bei der innigen Wechselbeziehung der Drüsen mit innerer 
Sekretion ist es im einzelnen Falle sehr schwer nacbzuweisen, 
welche Drüsen erkrankt sind. Im allgemeinen ist die isolierte 
Erkrankung einer Drüse äusse r st selten (Biedl), meist handelt 
es sich um eine kombinierte Affektion mehrerer endokriner 
Organe. Auch bei unserem Patienten untersuchten wir, ob sich 
ausser der objektiv nachweisbaren Hypoplasie der Hoden für eine 
Erkrankung anderer Drüsen Anhaltspunkte finden Hessen. Die 
oben beschriebene Wachstumsstörung könnte in Zusammenhang 
mit einer Hypophysenerkrankung gebracht werden; es Hess 
sich aber im Röntgenbild keine Veränderung der Sella tnrcica 
feststellen, ausserdem fehlten die sonstigen Symptome einer Hypo- 
pbysiserkrankung (akromegaliscbe Symptome, Druckerscheinung 
des Chiasmas, Polyurie u. a). Io Hinsicht auf den anormalen 
Fettansatz in unserem Falle könote man ferner an eine Stoff- 
wechselstörung infolge Erkrankung der Schilddrüse oder der 
Hypophyse denken. Um einen Einblick in die Art der Störung 
zu bekommen, nahmen wir deshalb an unserem Patienten ein¬ 
gehende Stoffwecbseluntersuchungen vor. Zunächst erhielt 
Patient bei geringer körperlicher Bewegung und mässiger Arbeit 
pro Tag etwa 3000 Kalorien (also 36 Kalorien pro Kilogramm 
Körpergewicht) bei gemischter Kost; z. B.: 

750 g Brot . . . . = 1793 Kalorien, 

20 g Butter. . . . = 158 „ 

200 g Graupensuppe . = 44 „ 

400 g Kartoffeln . . = 488 „ 

160 g Fleisch . . . = 264 „ 

100 g Blutwurst . . = 254 „ 

Bei dieser Ernährung, die mehrere Tage hindurch fortgesetzt 
wurde, blieb das Gewicht konstant (84 kg). . Dann wurde ihm 
einige Tage lang eine gemischte Kost von je 1700 bis 1900 Kalorien 


1) Die experimentelle Pharmakologie. Berlin 1914. 

2) Arch. f. exper. Path. u. Pharm., 1903. 

3) Zbl. f. d. ges. Phys. u. Path. d. Stoffw., 1911, Nr. 21. 

4) Formative Reize in der tierischen Ontogenese. Leipzig 1901. 

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(also 20 bis 22 Kalorien pro Kilogramm Körpergewicht) gereicht. 
Darauf nahm er sechs Tage lang 3 Pfund ab. Hierauf erhielt er 
bei gemischter Kost pro Tag 2600 bis 3000 Kalorien, worauf 
wieder Gewichtszunahme zu seinem früheren Gewicht eintrat. Es 
ergibt sich also eine Gewichtskonstanz bei normaler Ernährung, 
eine Gewichtsabnahme bei Unterernährung. Aus diesen Unter« 
suchungen geht demnach hervor, dass der Kalorienbedarf des 
Patienten seinem Gewichte entspricht, und dass sich eine 
Störung der Oxydationsvorgänge nicht nachweisen lässt. 

Es wurde sodann auch der Zuckerstoffwechsel untersucht. 
Dabei ergab sich vollständige Verbrennung, keine Glykosurie; 
auch die Flüssigkeitsausscheidungen zeigten normale Werte (keine 
Polyurie). 

Zusammenfassend ergeben sich also für eine Miterkran¬ 
kung anderer Drüsen mit innerer Sekretion keine sicheren An¬ 
haltspunkte, andererseits lässt sich aber auch eine Beteiligung 
anderer Drüsen nicht mit Bestimmtheit ausschHessen, da einige 
Symptome sowohl durch den Ausfall der Keimdrüsentätigkeit als 
auch durch Funktionsstörungen* anderer endokriner Organe her- 
vorgerufen werden können. Unter Zugrundelegung der an unserem 
Fall gemachten Beobachtungen und der in der Literatur beschrie¬ 
benen Symptome bestehen demnach m. E. für das Krankheitsbild 
des Eunuchoidismus folgende Erklärungsmöglichkeiten: 

1. Der Ausfall des Hodensekretes bedingt unmittelbar die 
beschriebene Störung; diesem Schluss liegt die Annahme zugrunde, 
dass normalerweise von den Hoden ein Hormon ausgeht, das einen 
direkten Einfluss auf Stoffwechsel, Wacbstumsvorgänge, Bil¬ 
dung der sekundären Geschlechtscharaktere usw. ausübt. 

2. Die Hypoplasie der Hoden ruft Veränderungen an anderen 
endokrinen Organen hervor, und erst diese sekundär ver¬ 
änderten Drüsen erzeugen die bei Eunuchoiden geschilderten 
Symptome. Es ist bekannt, dass die Drüsen teils hemmend, teils 
fördernd sich gegenseitig beeinflussen. Die Keimdrüsen beein¬ 
flussen in hemmender Weise z. B. die Thymus (folglich beim 
Ausfall: Hyperplasie, bzw. Persistenz der Thymus; Lymphozytose?) 
und Hypophyse (also beim Ausfall: verstärkte Sekretion; ge¬ 
steigertes Längen Wachstum?), ausserdem anscheinend das Pankreas 
(bei Kastration: Hypertrophie der Langerbans’scben Zellen) und 
die Nebennierenrinde (bei Kastration: Verbreiterung derselben); 
in förderndem Sinne die Schilddrüse (also beim Ausfall: 
Hypofunktion; Verminderung der OxydationsVorgänge?), und an¬ 
scheinend das Nebennierenmark (bei Kastration: Marksubstanz 
verringert). 

3. Die Keimdrüsen sind sekundär unter dem Einfluss einer 
anderen Drüse mit innerer Sekretion verändert; das primäre 
könnte beispielsweise die Erkrankung der Hypophyse sein (die 
Exstirpation der Hypophyse hat eine Hypoplasie der Hoden zur 
Folge, s. o.). 

4. Mehrere Drüsen sind gleichzeitig pathologisch 
verändert. Die Franzosen sprechen von einer Insufficiance 
pluriglandulaire [Claude, Gougerot 1 )]. Durch Obduktion 
wurde in mehreren Fällen eine Atrophie und bindegewebige 
Sklerose mehrerer Drüsen festgestellt. Falta (s. o.) spricht von 
multipler Blutdrüsensklerose, Wiesel (s. o.) von Bindegewebs- 
diathese als Ursache multiglandulärer Störungen. Nach anderen 
Autoren (Biedl) gehört die Unterentwicklung der Hoden zum 
Gesamtbild des Status thymico lymphaticus, den Bartel 2 ) als 
Teilsymptom einer allgemeinen hypoplastischen Konstitution auf¬ 
fasst. 

Welche von diesen Möglichkeiten im einzelnen Falle vor¬ 
liegt, kann nach dem heutigen Stand unseres Wissens von dem 
Drüsensystem innerer Sekretion nicht festgestellt werden. Auch 
in unserem Falle lässt sich auf Grund des klinischen Bildes das 
Kausalverhältnis zwischen der Hypoplasie der Hoden und den 
Symptomen innersekretorischer Störungen nicht erklären. Sichere 
Ergebnisse in dieser Frage sind nur zu erwarten, wenn bei 
klinisch untersuchten Fällen später autoptische Kontrollen an- 
schliessen. 


1) Comptes reudas de la soci6t6 de biologie 1907. 

2) W. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 22. 


Aus der medizinischen Klinik zu Königsberg und 
einem Feldlazarett, 

Ueber Hypogenitalismus und seine Abgrenzung 
vom Infantilismus. 

Von 

Prof. Dr. L. Borchardt. 

Nachdem das Studium der innersekretorischen Drüsen, ins¬ 
besondere auch bezüglich ihrer Bedeutung für die Pathologie in 
den letzten Jahren vor dem Kriege einen ungeahnten Aufschwung 
genommen hat, ist für das Studium der durch Ausfall bestimmter 
Blutdrüsenfunktionen bedingten Krankheitsbilder eine Grundlage 
geschaffen, die eine genauere Analyse der Krankbeitsbilder ge¬ 
stattet. Dennoch stehen die Erfahrungen am Krankenbett mit 
denen des Experiments vielfach nicht in vollem Einklang. Reine 
Krankheitsbilder sind selten; meist sind andere innersekretorische 
Drüsen in Mitleidenschaft gezogen. Ihre Miterkrankung beeinflusst 
das ganze Krankheitsbild. Oder es erkranken gleichzeitig mehrere 
Drüsen mit innerer Sekretion. Auch die allgemeinen Vegetations- 
Störungen, die sich bei Blutdrüsenerkrankungen so sehr häufig 
finden, Status thymicus und Status lymphaticus, Vagotonie und 
Asthenie, Konstitutionsstörungen und Diathesen leihen den inner¬ 
sekretorischen Krankbeitsbildern Züge, die nur zu oft fälschlich 
auf Funktionsstörungen solcher Drüsen direkt bezogen wurden. 
So hat man früher die dem Kretinismus oder der parathyreopriven 
Tetanie zugehörigen Krankheitssymptome dem Myxödem zuge¬ 
schoben, bis das Studium reiner Krankheitsbilder im Verein mit 
dem Studium der rein tbyreopriven Kachexie allmählich Klärung 
brachte. 

Für die durch Ausfall der Genitalfunktionen bedingten 
Krankheitszustände liegen die Verhältnisse ähnlich. Neben der 
Kombination mit einer Unterfunktion der Hypophyse, die der 
Dystrophia adiposo genitalis zugrunde liegt, sind vor allem die 
Beziehungen des Hypogenitalismus zum Infantilismus bisher noch 
ungeklärt. Nachdem Lorain ein regelmässiges Zurückbleiben 
der Genitalentwicklung beim Infantilismus beschrieben hatte, 
glaubten sich viele Autoren zu der Annahme berechtigt, dass 
die Unterentwicklung des Geschlechtsapparates lediglich als Teil¬ 
erscheinung des Infantilismus vorkomme. So trennt Anton vom 
generellen Infantilismus den partiellen durch Fehlen oder Ver¬ 
kleinerung des Genitalis bedingten ab. Und Peritz 1 ) sieht den 
Eunuchoidismus an „als die reinste Form des Infantilismus, bei 
dem die kindliche Eigenart des Wachsens über die .Zeit hinaus 
bestehen bleibt, in der der gewöhnliche Mensch wächst“. Damit 
drohte der von Tandler und Gross geschaffene Begriff des 
Eunuchoidismus als Abart des Infantilismus seine Selbständigkeit 
wieder zu verlieren. Demgegenüber bezeichnet es Falta 2 ) als 
„eine vollkommene Begriffsverwirrung, wenn Peritz den Eunucho¬ 
idismus als reinste Form des Infantilismus bezeichnet“. Die von 
Falta vorgebrachten Beweisgründe für das selbständige Vorkommen 
des Hypogenitalismus ohne Infantilismus werden von Peritz in 
seiner neuesten Abhandlung 8 ) nicht anerkannt. Insbesondere be¬ 
gründet er seinen Standpunkt mit der Behauptang, dass die Psyche 
dieser Kranken in allen Fällen infantil sei. 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Unterent¬ 
wicklung des Geschlechtsapparates und das damit verbundene 
Zurückbleiben der sekundären Geschlechtsmerkmale zu den 
häufigsten Teilerscheinungen des Infantilismus gehört. Nichts¬ 
destoweniger finden sich aber auch Fälle, bei denen die Unter- 
entwicklung des Geschlechtsapparates als selbständige Erkrankung 
vorkommt und deren körperliche und psychische Veränderungen 
nicht ohne weiteres der kindlichen Sphäre zugeschrieben werden 
dürfen. Allerdings wissen wir aus den Untersuchungen von 
Tandler und Gross, dass nach frühzeitiger Kastration ein Zurück¬ 
bleiben gewisser Organe auf kindlicher Stufe beobachtet wird, 
dass z. B. der Kehlkopf und. die Stimme auf dieser Stufe stehen 
bleiben. Für den nicht operativen Hypogenitalismus liegen die 
Verhältnisse aber anders. Auf Grund der Erfahrungen im Tier¬ 
reiche ist Herbst (cit. nach Biedl) zu der Hypothese gelangt, 
dass neben der'positiven, die Ausbildung der homologen Geschlechts¬ 
merkmale fördernden eine negative, die Ausbildung heterosexueller 
Merkmale hemmende Wirkung von der Keimdrüse ausgehe. 

1) Erg. d. inn. M. u. Khlk., 7, 1911. 

2) Die Erkrankungen der Blutdrüsen, Berlin, 1918. 

8) Kraus-Brugsoh, Spez. Path. u. Ther. inn. Krankb., 1917, 
Bd. 1, H. 2. 


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Diese heterosexuellen Merkmale müssen dann beim Hypogenitalismus 
deutlicher zum Vorschein kommen als nach der Kastration, bei 
der ja das ganze Keimdrüseugewebe entfernt wird. Aus Unter¬ 
suchungen von Smith und Petts (cit. nach Biedl) wissen wir, 
dass parasitär kastrierte Krebsmännchen weibliche Sexualcharaktere 
annehmen. Und Steinach zeigte, dass die Implantation von 
Ovarien auf kastrierte Männchen von Meerschweinchen und Ratten 
hemmend auf die männlichen, fördernd auf die weiblichen 
Geschlechtscharaktere dieser Tiere wirkten. Man muss daher an¬ 
nehmen, dass — wie Biedl sich ausdrückt — „in der sexuell 
differencierten Keimdrüse schon de norma mehr oder weniger 
ausgedehnte Reste heterosexueller innersekretorischer Gewebs- 
elemente vorhanden sind, welche unter gewissen Bedingungen 
das Uebergewicht erlangen können“. Nach alledem bedarf die 
Frage erneuter Prüfung, inwieweit die beim Hypogenitalismus des 
Menschen auftretenden Veränderungen als heterosexuelle zu deuten 
sind. Zur Lösung dieser Frage sollen die folgenden Fälle einen 
Beitrag liefern: 

Fall 1. B. M., 28 Jahre, Gerber, zurzeit als Unteroffizier im Felde. 
Beobachtung Oktober 1917. In der Familie keine Entwicklungs¬ 
störungen. Eine Schwester starb an Schwindsucht. M. weiss, dass er 
schon immer auffallend kleine Hoden hatte; irgend einen Fehler sieht 
er darin nicht. Er will sich auch sexuell normal entwickelt haben, hat 
vor 3 Jahren geheiratet, kann den Coitus ausüben und bringt es auch 
in der Regel zur Ejakulation. Frau gesund. Ehe blieb steril. M. hat 
sich bei der Infanterie wiederholt hervorgetan, wurde deshalb August 

1914 zum Gefreiten, April 1915 zum Unteroffizier befördert. August 

1915 erwarb er sich bei einer Patrouille das Eiserne Kreuz I. Kl. Er 
geriet damals mit 4 Mann, die er befehligte, in russische Gefangenschaft. 
Die feindliche Patrouille von 14 Mann, in deren Gefangenschaft er ge¬ 
raten war, machte er mit seinen 4 Kameraden mit Gewehrkolben nieder 
und brachte deren Führer und ein Maschinengewehr als Beute zu¬ 
rück. September 1915 Verwundung durch Brustleberschuss, längere 
Lazarettbehandlungi Jetzt in Behandlung wegen akuter Nierenentzün¬ 
dung. — Gewicht 65 kg. Grösse 169. Kopfumfang 54. Brustumfang 
94V2/89. Bauchumfang 80. LennhofFscher Index 60. Spannweite 182. 
Spin. il. ant. sup. bis Mall. int. 9172- — Lebhafter intelligenter Ge¬ 
sichtsausdruck. Haut weich, samtartig, lässt im Gesicht wie am Stamm 
und Gliedmaassen jegliche Behaarung vermissen. Kopfhaar reichlich. 
Wimpern und Brauen normal entwickelt. In Achselhöhlen nur einzelne 
spärliche Härchen. Schamhaare genügend entwickelt. Horizontale Haar¬ 
grenze; oberhalb davon in der Linea alba ganz vereinzelte Haare bis 
zum Nabel hinauf. Analgegend und Damm unbehaart. Keine Oedeme. 
Fettpolster gut, aber nicht üppig entwickelt. Nur oberhalb des Scham¬ 
beins ein etwas reichlicherer querer Fettwulst. Keine vermehrte Fett¬ 
verteilung auf Hüften und Brüsten. Mammila klein. Knochenbau gracil. 
Dementsprechend zeigt auch das Gesicht fast weibliche Züge, die mit 
dem intelligenten energischen Gesichtsausdruck etwas kontrastieren. 
Hände gleichfalls zierlich. Beckenform männlich. Muskulatur ziemlich 
kräftig. Keine Lymphdrüsenschwellungen. Kehlkopf 0 . B. Pomum 
Adami nicht vorspringend. Stimme männlich. Puls regelrecht, 80. 
Spannung nicht vermehrt. Innere Organe 0 . B. Im Hodensack zwei 
höchstens kirschgrosse weiche Hoden. Nebenhoden und Samenstrang 
nicht tastbar. Keine Bruchanlage. Penis von fast normaler Grösse. — 
Urin Spur Eiweiss. Spärliche hyaline Cylinder. Blut: 92 pCt. Hb., 
4 220 000 R., 13 800 W., 65,5 pCt. polyn., 28 pCt. kl. Lymph., 1,5 pCt. 
gr. Lymph., 0,5 eosinophile Z , 1 pCt. Mastz., 3,5 pCt. Uebgz. Nerven¬ 
system 0 . B. Intelligenz und psychisches Verhalten durchaus normal. 

Fall 2. (Abb. 1—3.) H. W., Kaufmann, 23 Jahre, Beobachtung 
Januar 1913. Aus gesunder Familie. Bei der Beschneidung angeblich 
starke Blutung, soll sich fast verblutet haben. Als Kind englische 
Krankheit und Masern. Sonst nie ernstlich krank. In der Schule etwas 
schwer gelernt, insbesondere Auswendiglernen schwer. Gedächtnis gut. 
Später im Kaufmannsberuf gut vorwärts gekommen. Kam Oktober 1912 
zum Militär, wurde aber bereits 26. XII. 1912 wegen allgemeiner Körper¬ 
schwäche entlassen. Er ist unverheiratet, hat selten geschlechtlich ver¬ 
kehrt; dabei sei es zu Erektionen und Ejakulationen gekommen. Im 
allgemeinen mache er sioh aus Mädchen nichts. — Gewicht 57,6. Körper¬ 
länge 159. Kopfurafang 57. Spin. ant. sup. bis Mall. int. 86. Brust¬ 
umfang 80. Bauchumfang 88. Spannweite 180. Haut weich und dünn, 
blassrosa, im Gesicht etwas lederartig (Geroderma). Kopfhaar reichlich, 
Schnurr- und Barthaare, Aohselhaare, Behaarung an Rumpf und Glied¬ 
maassen fehlen völlig. Schamhaare spärlich, horizontale Begrenzung. 
Damm und Analgegend unbehaart. Fettpolster keinesfalls üppig, an 
Hüften und Unterbauchgegend etwas reichlicher. Knochenbau gracil. 
Genua valga. Auffallende Extremitätenlänge. Ausgeprägte weibliche 
Beckenform. Brüste klein, von männlicher Form. Muskulatur gracil. 
Puls 72, regelmässig, gut gefüllt und gespannt. Hochstand des Gaumens. 
Am Hals, besonders rechts, zahlreiche erbsengrosse Lymphdrüsen tastbar. 
Keine Nackendrüsen. Kehlkopf 0 . B. Adamsapfel nicht vorspringend. 
Stimme wie beim Stimmumschlag. Blutdruck 80/50. Innere Organe 0 . B. 
Penis klein, ebenso der Hodensack. Hoden beiderseits fühlbar, von 
Kirschkerngrösse. Blutbild: 92 pCt. Hb., 4 940 000 R., 6800 W., 65 pCt. 
polyn. Z., 31 pCt. kl. Lymph., 0,5 pCt. gr. Lymph., 1,5 pCt. mon. u. 
Uebgz., 1,5 eos. Z., 0,5 Mastz. — Nervenbefund 0 . B. — Psychisches 


Abbildung 1. 



Verhalten: Selbständige Lebensführung und selbständiges Auftreten 
(Patient ist zurzeit Reisender). Daneben fällt eine gewisse Flatterhaftig¬ 
keit im häufigen Wechsel der Stellung auf. Im Verkehr mit Kameraden 
gleichon Standes liebt er es aufzuschneiden, aber nicht auf sexuellem 
Gebiet. Ausgeprägter Hang zum Merkantilen. 

Fall 3. (Abb. 4—5.) A. M., Landarbeiterin, 17 Jahre, Beob¬ 
achtung Juli 1914. Aus gesunder Familie. Keine Kinderkrankheiten. 
Seit einem Jahr wegen linkem Lungenspitzenkatarrh in poliklinisoher 

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350 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Behandlung. Noch nicht menstruiert. Gewicht 49 kg. Körperlänge 162. 
Spin. ant. sup. bis Mall. int. 89. Haut ziemlich derb. Arbeitsschwielen 
an den Händen. Ausser den Kopfhaaren und vereinzelten spärlichen 
Schamhaaren keinerlei Behaarung am Körper. Ganz geringes Fettpolster. 
Keine Fettansammlung an Bauch, Hüften und Brüsten. Mamilla von 
weiblicher Form. Brustdrüsenkörper nicht fühlbar. Knochenbau ziem- 


Abbildung 4. Abbildung 5. 



lieh robust. Lange Eztremitätenknochen. Costa decima fluctuans. 
Beckenform nicht weiblich. Brustkorb langgezogen. Katarrh der linken 
Lungenspitze. Tropfenherz und deutlicher Thymusschatten bei der 
Durchleuchtung. Blutdruck 105. Blut: 70 pCt. Hb., 3 560 000 R., 
6800 W., 47 V 2 pCt. polyn. Z., 4472 pCt. kl. Lymph., 672 pCt. eos. Z., 
l l / 2 mon. u. Uebgz. — Genitaluntersuchung zeigt kleine Labien, Clitoris 
von normaler Grösse, Scheideneingang sehr eng, Hymen gut erhalten. 
Vom Mastdarm aus fühlt man einen pflaumengrossen Uterus, keine Ad¬ 
nexe. — Psychisches Verhalten dem sozialen Stande entsprechend normal. 

Die hier mitgeteilten Fälle von Hypogenitalismus haben ge¬ 
meinsam eine Reihe heterosexueller Eigenschaften, die bei den 
zwei männlichen Individuen so deutlich sind, dass man wohl von 
einem Feminismus sprechen dürfte. Die weiche samtartige Haut, 
deren an sich nicht übermässig üppiges Fettpolster dem Körper 
doch gewisse rundliche Formen verleiht, die Haar- und Fett¬ 
verteilung, der gracile Bau von Knochensystem und Muskulatur 
mischen der äusseren Körperform ausgeprägt weibliche Züge bei. 
Weit weniger deutlich ist das umgekehrte bei dem weiblichen 
Individuum festzustellen. Zwar fällt auch hier die derbe Haut, 
das Fehlen eines ausgleichenden Fettpolsters, der grobe Knochen 
bau, die unweibliche Beckenform auf, doch muss man bedenken, 
dass es sich um ein in der Entwicklung befindliches Mädchen 
handelt, das aus der arbeitenden Klasse stammt und bereits 
schwer arbeiten gelernt hat. Zudem sind Fälle von ausgeprägtem 
Hypogenitalismus bei Frauen bisher nur ganz spärlich beschrieben. 
Es fehlen in der Literatur weitere Angaben, die mit Sicherheit 
für das Auftreten männlicher Züge bei weiblichen Hypogenitalen 
sprechen. Ausserdem fehlt beim weiblichen Geschlecht fast voll¬ 
ständig die experimentelle Grundlage. Die Kastration weiblicher 
Tiere zu Zuchtzwecken ist regelmässig misslungen; auch beim 
Weibe ist die frühzeitige Kastration nicht geübt worden. Wir 
werden also weitere Beobachtungen abwarten müssen, bevor wir 
es als erwiesen ansehen, dass auch beim weiblichen Hypogenita¬ 
lismus das Auftreten heterosexueller Charaktere die Regel ist. 


Sicher ist dagegen, dass beim männlichen Hypogenitalismus regel¬ 
mässig heterosexuelle Charaktere auftreten, ohne dass eine völlige 
Umwandlung der sekundären Geschlechtscharaktere in den weib¬ 
lichen Typus erfolgt. Dazu scheinen die im Genitalapparat vor¬ 
handenen heterosexuellen Hormone doch nicht wirksam genug zu 
sein. Und dann kommt es zum Stehenbleiben von Organen oder 
Körperteilen wie Kehlkopf und Becken auf der neutralen Stufe, 
die der kindlichen gleicht. So mischen sich den femininen 
Zügen bei männlichen Eunuchoiden gewisse neutrale bei, deren 
Zurechnung zum Infantilismus an sich naheliegen mag. Wenn 
man aber bedenkt, dass diese Symptome in der Minderzahl sind 
und völlig fehlen können, so liegt es auf der Hand, dass eine 
Unterordnung solcher Fälle unter den Infantilismus doch zu 
falchen Vorstellungen führt. Zu dieser Unterordnung hat offen¬ 
bar die Verkennung der femininen Charaktere viel beigetragen. 

Es bedarf zum Schluss noch einer Bemerkung, inwiefern es 
berechtigt ist, beim Hypogenitalismus von einem psychischen In¬ 
fantilismus zu sprechen. Dass unter den von Psychiatern und 
Neurologen beobachteten Fällen solche mit geistigen Fehlern 
überwiegen, kann ja nicht wundernehraen. Komplikation mit 
Hirnatrophie und schweren geistigen Defekten, wie in den von 
Goldstein beobachteten Fällen dürfte aber doch zu den Selten¬ 
heiten gehören. Sterling gibt zu, dass in einem Teil der Fälle 
gröbere intellektuelle Abweichungen von der Norm fehlen. Falta 
sagt: „Der geistige Zustand der Eunuchoide ist jedenfalls nicht 
als infantil zu bezeichnen. Es fehlt ihnen nur die Männlichkeit.“ 
Peritz äussert sich ausführlich über diesen Gegenstand; er sieht 
die Art der Assoziationen, die Wertbegriffe und die Suggesti- 
bilität als charakteristische Momente dafür an. Seine Beweis¬ 
führung erinnert an die bekannte Schrift von Möbius „Ueber 
den physiologischen Schwachsinn des Weibes“. Zweifellos steht 
die weibliche Psyche der kindlichen sehr nahe. Eine sichere 
Abgrenzung wird bei den grossen individuellen Verschiedenheiten 
kaum je gelingen. Dass die psychischen Eigenschaften beim 
Hypogenitalismus auch ausgesprochen männliche sein können, 
zeigt unser Fall 1. Und bei Fall 2 liegen die vorhandenen Ab¬ 
weichungen mehr nach der weiblichen als nach der kindlichen 
Seite. Aber auch bei den in der Literatur mitgeteilten Fällen 
scheint uns das psychische Verhalten als Ausdruck des Auf¬ 
tretens heterosexueller Charaktere anzusehen zu sein. 

So sehen wir die reine Form des Hypogenitalismus als 
ein Krankheitsbild an, bei dem die Unterdrückung der 
Geschlechtscharaktere zum Auftreten heterosexueller 
Charaktere auf somatischem und psychischem Gebiete 
führt, bei dem es zu einer Komplikation mit Infanti¬ 
lismus kommen kann, aber nicht notwendig kommen 
muss. 


Gibt es eine Fliegerkrankheit?') 

Von 

Dr. Willy Hirschlaff Berlin, 

zurzeit Bataillonsarzt bei der Flieger-Beobachterschule Königsberg i. Pr. 

Als Arzt der Flieger-Beobachterschule hatte ich Gelegenheit, 
eine grössere Anzahl von Beobachtungen an Fliegern zu sammeln, 
über die ich mir erlauben möchte, hier eine Gesamtübersicht zu 
geben. 

Ich möchte zuerst schildern, welcher Art das Material war, 
an dem die Untersuchungen angestellt werden konnten. 

Es handelt sich 1. um eine grosse Anzahl von Offizieren und 
Unteroffizieren, die als Flugzeugführer oder Beobachter aus der 
Front direkt als Lehrer oder zu Erholungszwecken zur Schule 
kommandiert wurden; 2. um junge Flugzeugführer, Flugschüler 
und Beobachter. Also ein sehr gemischtes Menschenmaterial, bei 
dem in reicher Abwechselung eben ihre ersten Flüge machende 
mit seit Jahren als bewährte Flieger und Beobachter tätigen ab¬ 
wechselten. Meine Untersuchungen an Fliegern dürfte ein Menschen¬ 
material von weit über 1000 Flugzeugführern und Beobachtern 
umfassen. 

Bevor ich auf die Einzelheiten dieser Untersuchungen ein¬ 
gehe, erscheint es zweckmässig, die Frage zu prüfen, welche 
Aenderungen der physiologischen Bedingungen für den mensch¬ 
lichen Organismus das Fliegen an sich mit sich bringt. Hier 
liegen eine grössere Anzahl von Untersuchungen über die Ein¬ 
wirkung des Aufenthalts in grösseren Höhen vor, die teils im 

1) Vortrag, gehalten im Verein für wissenschaftliche Heilkunde in 
Königsberg. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


351 


15. April 1918. 

Gebirge, teils im Freiballon gewonnen worden. Ich erinnere hier 
an Untersuchungen von Zuntz, Löwy und von Sehr Otter. Be¬ 
sonders grosse Erfahrungen hat der in allen Flugsportarten tätige 
Stabsarzt Koscbel gesammelt, die auch der klinischen Beob¬ 
achtung an Fliegern zugute gekommen sind. Der vor dem Kriege 
eigentlich nur als Sport betriebene dynamische Flug hat durch 
die ungeheure Ausbreitung und Wichtigkeit im Kriege erst Ge¬ 
legenheit zum Studium der physiologischen Bedingungen und 
etwaiger pathologischer Folgen gegeben. Die Geschwindigkeit 
der Flugzeuge, die Schnelligkeit ihres Steigens zu den erzwungener¬ 
weise immer grösseren Höhen hat dem Physiologen nnd Arzte 
ganz neue Aufgaben gestellt. 

Die Aenderung der physiologischen Bedingungen, denen der 
Flieger ausgesetzt ist, liegen besonders 

1. in dem Wechsel des Luftdrucks, 

2. in der Verminderung der Sauerstoffmenge, 

3. in dem Wechsel der Temperatur. 

In einer Höhe von etwa 5000 m (nur in wenigen Fällen 
müssen Höhen aus militärischen Gründen von 6000 m aufgesucht 
werden) ist der Luftdruck gegen den auf unserer Erdoberfläche 
um 1 / 2 Atmosphäre herabgesetzt. Keine Beobachtung spricht 
dafür, dass die Herabsetzung des mechanischen Druckes für den 
menschlichen Körper nachweisbare Schädigung hervorzurufen im¬ 
stande ist. Koscbel und andere Autoren machen darauf auf¬ 
merksam, dass die Darmgase bei Vz'A.tmosphärendruck ein doppeltes 
Volumen einnehmen als auf der Erde, so unter Umständen ein 
Hocbdrängen des Zwerchfells und eine Atembehinderung herbei¬ 
führen können. 

Jedem Flieger ist der Wechsel des mechanischen Luftdrucks 
durch die Einwirkung auf das Ohr bekannt, die sich durch 
Schmerzen in demselben bemerkbar macht. Beim Steigen wird 
die Veränderung weniger empfunden, desto mehr aber beim 
Herabgehen. Die meisten Flieger lernen den Druckausgleich 
durch die Tuben selbst herzustellen durch Ausübung von Gähn- 
oder Schluckbewegungen. Die hie und da einige Zeit nach dem 
Fluge noch bestehende Schwerhörigkeit durch die noch nicht 
völlig erfolgte Einstellung des Trommelfells gebt meist bald 
vorüber; nur in Fällen, in denen eine Tubenveränderung bzw. eine 
mangalnde Kommunikation der Stirn- und Kieferhöhle mit der 
Nase besteht, treten danach dauernde Beschwerden auf, ja ganz 
erhebliche Schmerzen in der Gegend dieser Höhlen. 

Den wichtigsten Einfluss auf das Befinden des Fliegers bat 
die Verminderung des Sauerstoffgehaltes. Die Höhen, bei denen 
der Teildruck des Sauerstoffes so niedrig ist, dass er für das 
menschliche Leben nicht mehr ausreicht, liegen über der Grenze 
der kriegsmässigen Betätigung. Jedoch ist die Höhengrenze für 
den Eintritt von Beschwerden durch Sauerstoffmangel eine indi¬ 
viduelle. 

Die Erfahrung lehrt, dass die meisten Flieger ein körper¬ 
liches Unbehagen auch bei Flügen in Höhen von 5000 m nicht 
angeben. Dies ist um so auffallender, als grosse Höhen heute 
mit märchenhafter Geschwindigkeit erreicht werden; es muss also 
die physiologische Einstellung des Körpers auf die geringere 
Sauerstoffzufuhr automatisch schnell erfolgen. 

Der Wechsel der Temperatur ist ein ganz ausserordentlicher 
infolge der Schnelligkeit des Flugzeuges. Ein Temperatur fall von 
6 Grad auf je 1000 m ist nichts Ungewöhnliches. Temperatur¬ 
schwankungen von 25 Grad zwischen der auf der Erdoberfläche 
und der in kriegsmässiger Höhe sind keine Seltenheit. Wenn auf 
der Erde angenehme Temperaturen von —10 — 15 Grad herrschen, 
gelangt der Flieger bereits in geringen Höhen oft in winterliche 
Kälte. Die Schnelligkeit des Flugzeuges, je grösser sie ist, um 
so mehr, bringt einen stark abkühlenden Luftzug obendrein noch 
hervor, der selbst einer Sonnenbestrahlung überlegen ist. 

Hier möchte ich gleich bemerken, dass es fast ausreichend 
gelingt, den Einfluss der Temperaturschwankungen durch die 
Sonderbekleidung der Flieger auszuschalteu. Trotz des Schutzes 
sind aber natürlich Erfrierungen des Gesichtes und der Hände, 
die zu gewissen Hantierungen nicht zu stark eingehüllt werden 
können, ausserordentlich häufig. 

Die Frage, welche pathologischen Störungen die Tätigkeit 
als Flieger auf Grund der veränderten physiologischen Bedingungen 
hervorruft, ist das Thema meiner heutigen Ausführungen. Der 
Aufenthalt in den Höhen ist genau wie beim Erreichen grosser 
Berghöhen bzw. bei der Fahrt im Freiballon oder Motorluftschiff 
imstande, die bekannten Symptome der Berg- oder besser aus¬ 
gedrückt, Höhenkrankheit hervorzurufen. Es ist eine überraschende 
Tatsache, dass, trotzdem die kriegsmässig zu erreichenden Höhen 


andauernd steigen und die Notwendigkeit, in 5000 m Höhe zu 
fliegen, nicht selten vorkommt, die Höhenkrankheit den meisten 
Fliegern etwas völlig Unbekanntes ist. Klagen über Beschwerden 
bei zahlreichen Flügen in Höhe von 4000 bis 5000 m sind ver¬ 
schwindende Seltenheiten. Die meisten Flieger kennen nur theo¬ 
retisch die Einrichtung der Sauerstoffapparate und haben die¬ 
selben nie gebraucht. Diese Erfahrung ist besonders überraschend, 
da vor dem Kriege auf Grund der spärlichen Erfahrungen aller¬ 
dings, die damals gesammelt werden konnten, das Gegenteil wahr¬ 
scheinlich erschien. 

Der Organismus ist in der Lage, durch Kompensation die 
Schädigungen, die der veränderte Luftdruck und die verminderte 
Sauerstoffzufuhr mit sich bringt, durch eine erhöhte Tätigkeit der 
Arbeit der Lungen und des Herzens völlig auszugleichen. Die 
Atmung wird beschleunigt, ebenso die Tätigkeit des Herzens. 

Ich habe in 214 Fällen Blutdruckuntersuchungen mit dem 
Riva-Rocci’schen Apparate unmittelbar vor und nach dem Fluge 
ausgeführt. Der maximale Druck ist bei Flügen über 2000 m, 
auch wenn das Landen des Flugzeuges im schnellen Gleitfluge 
erfolgte, durchschnittlich um etwa 20 mm gegen den Anfangsdruck 
erhöht. Diese Erhöhung hält meist noch etwa 1 / 2 Stunde nach 
der Landung an. Derartige Blutdruckmessungen zeigen ausser¬ 
ordentliches individuelles Schwanken, insbesondere beobachtete 
ich einige jugendliche Flieger, bei denen selbst nach Flügen in 
4000 m Höhe nach schnellem Abstieg gar keine Druck Veränderung 
vorhanden war. 

Ferry’s Blutdruckuntersuchungen ergaben eine Abnahme des 
maximalen Drucks um 5 mm beim Aufstieg, dann zur Norm zurück¬ 
kehrend. Bei schnellem Abstieg fand er den maximalen Druck 
abnehmend, was mit den Untersuchungen Schrumpf’s im Hoch¬ 
gebirge übereinstimmt. Meine Resultate stimmen mit denen von 
Crouzon, Cruchez und Moulinier erhobenen überein, die 
ebenso wie ich nach dem Abstieg eine Erhöhung des Anfangs¬ 
druckes fanden. 

Uebereinstimmend stellten alle Beobachter bei der Landung 
eine Erhöhung der Pulsfrequenz um 20—80 Schläge gegen die 
vor dem Start fest. 

Ich möchte hier erwähnen, dass von einzelnen Autoren, z. B. 
Federn, der Blutdruckerniedrigung als deren Hauptursacbe der 
Sauerstoffmangel angegeben wird, eine grosse Rolle bei der Berg¬ 
oder richtiger Höhenkrankheit zugewiesen wird. 

Als konstante Erscheinung ergaben meine Untersuchungen 
aber bei über 30jährigen Fliegern eine grössere Blutdruckerhöhung, 
einige Male 40 mm überschreitend, nahezu eine Stunde anhaltend. 
Die Labilität des Blutdruckes ist bei Fliegern, deren Nerven¬ 
system bereits Abnutzungserscheinungen zeigt, eine ganz ausser¬ 
ordentlich grosse, so dass bei diesen Messungen sehr wechselnde, 
nicht verwertbare Resultate erzielt wurden. 

Es erscheint verwunderlich, dass die Höhenkrankheit bei 
Fliegern fast gar keine Rolle spielt, wenn man bedenkt, mit 
welcher ungeheuren Schnelligkeit Höhen erreicht werden im Ver¬ 
gleich zum alpinen Sport, bei dem die Muskelanstrengung wiederum 
hinzutritt. 

Es fragt sich nun, ergibt die klinische Untersuchung der 
Flieger Anhaltspunkte, dass die eigenartigen physiologischen Be¬ 
dingungen dauernde pathologische Veränderungen am Herzen 
hervorzurufen imstande sind. Diese Frage muss auf das Ent¬ 
schiedenste verneint werden. Es kommt perkutorisch, ebenso 
durch Röntgenaufnahme nachweisbare Verbreiterung des linken 
Herzens vor, die völlig unter den Begriff des Sportberzens fällt. 
Ein fortschreitendes Krankheitsbild, welches bei sonst gesundem 
Körper, mit einer derartigen Arbeitshypertropbie beginnend zu 
Insuffizienzerscheinungen führte, habe ich nie beobachtet und 
möchte ich als durch das Fliegen entstanden ätiologisch bezeichnen. 
Die Beschwerden, über die Flieger nicht selten klagen, wie Herz¬ 
klopfen, Stiche in der Herzgegend, Beklemmungsgefühl finden 
sich stets vergesellschaftet mit den Erscheinungen allgemeiner 
nervöser Schwäche. Alles, was der Krieg an Erfahrungen über 
das sogenannte Kriegsherz, wie es von vielen Autoren, insbesondere 
von Goldscheider und Kraus beschrieben wurde, bekannt ist, 
trifft auf diese Herzen, zu. Es handelt sich in solchen Fällen um 
ein Arbeitsherz, das keine Erkrankung an sich ist, sondern bei 
der die Arbeitshypertropbie zurückgeht, wenn die Bedingungen 
fortfallen, unter denen sie entstanden ist. In drei Fällen habe 
ich im Verlauf von 8, 4 oder 5% Monaten klinisch den Nach¬ 
weis führen können, dass bei einfacher garnisondienstlicher Be¬ 
schäftigung bei äusserst seltenen Flügen die Hypertrophie ver¬ 
schwand. Der einzige Fall, bei dem ich eine wirkliche Insuffizienz 


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352 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


des Herzens sah, betrifft einen 39jährigen Flagzeugführer, der 
infolge ausserordentlicher Passion für den Flugsport mehrere Tage 
hintereinander eine ungewöhnlich grosse Anzahl von Flügen ge¬ 
macht hatte. Ohne früher Krankheitserscheinungen gehabt zu 
haben, landet er eines Tages aus 2800 m Höhe unter Erscheinungen 
akuter Herzschwäche, fast pulslos, mit Zyanose des Gesichtes, aus¬ 
gesprochenen Erscheinungen akuten Lungenödems, eisigen Extremi¬ 
täten, erholt sich erst nach etwa einer Stunde. Mehrwöchentliche 
Beobachtung ergab nur, auch im Röntgenbilde, eine sehr geringe 
Hypertrophie des linken Herzens. Nach einigen Wochen Ruhe 
ist er seit einem Jahre dauernd in der Heimat als Einflieger bzw. 
als Fluglehrer, täglich fliegend, ohne gesundheitliche Störungen 
beschäftigt. 

An dieser Stelle möchte ich auch erwähnen, dass ich bei 
zwei Fliegern, einem 40jährigen und einem 42jährigen, eine 
zylindrische Erweiterung des Anfangsteils der Aorta zu beobachten 
Gelegenheit hatte. In beiden Fällen war Lues nicht vorangegangen, 
auch Wassermann negativ. Ich bin weit entfernt, einen ätiologischen 
Zusammenhang zwischen der Ueberanstrengung des Zirkulations- 
Systems dieser älteren Flieger mit der Entwickelung des Aneurysma 
für gesichert zu halten, immerhin doch aber nicht für unwahr¬ 
scheinlich, und der Aufmerksamkeit wert. 

Die weitaus häufigste Schädigung, die der Flieger davonträgt, 
liegt auf ganz anderem Gebiete und ist hervorgerufen durch die 
ausserordentlichen Anstrengungen, die an sein Nervensystem beim 
Fliegen gestellt werden. Die Anspannung der Aufmerksamkeit, 
die das Fliegen unausgesetzt erfordert, der Kampf mit den Elementen, 
mit der Tücke des Objekts, zumal bei den immer mehr gesteigerten 
feindlichen Einwirkungen, üben einen ausserordentlich erregenden 
und abspannenden Einfluss aus. Die Erscheinungen nervöser Er¬ 
schöpfung in ihren verschiedenen Abstufungen bis zur Neurasthenie 
sind sehr häufig. Das Fliegen an sich übt schon einen sehr er¬ 
müdenden Einfluss aus und ruft ein grosses Schlafbedürfnis hervor, 
was jeder schon nach kurzen Flügen empfindet. Die häufigste 
Klage solcher nervös Abgespannter ist daher mangelnder Schlaf, 
dauernde Unruhe. Sie fangen an Unsicberheitsgefühl, Angst und 
Beklemmungszustände beim Besteigen des Flugzeuges zu bekommen, 
das sich allmählich steigert; sie zeigen die typischen Erscheinungen 
Neurastheniker, erhöhte Reflexerregbarkeit und haben fast alle 
eine ausserordentliche Labilität ihres Herzens, natürlich überzeugt, 
dass die Fliegerei ihnen ein Herzleiden verursacht hat, was ihnen 
schwer auszureden ist. 

Besonders auffallend ist, dass selbst Flieger nach grösseren 
Unfällen über die Erscheinungen einer traumatischen Neurasthenie 
hinausgehende Erscheinungen kaum zeigen, jedenfalls von mir 
nicht beobachtet wurden. Ich selbst sah zahlreiche, durch Flug¬ 
unfälle zum Teil Schwerverletzte, niemals mit Symptomen einer 
traumatischen Hysterie: Zitterer, Schütteier und funktionell Ge¬ 
lähmte scheinen unter Fliegern nicht vorzukommen. Bei dieser 
aus Freiwilligen bestehenden Truppe zeigen sich keine Kriegs¬ 
neurotiker. Die Passion reisst alle mit sich fort; hier zeigt sich, 
wenn auch in negativer Weise, zur Evidenz, welchen Wert ätiologisch 
die Macht des Willens bei der Entstehung der Kriegsneurosen be¬ 
sitzt. Allerdings haben bereits bei der Meldung zur Fliegerei 
die strengen Vorschriften über die Annahme eine furchtbare 
Musterung unter den Freiwilligen getroffen, mit Ausmerzung aller 
körperlich und in ihrem Nervensystem schwächlichen Elemente. 

Unter den Symptomen der nervösen Erschöpfung sind einige 
bemerkenswert: Ich erwähne hier die sehr häufige, bei ganz 
jungen Individuen auftretende sexuelle Impotenz, frühes Ergrauen 
der Haare und insbesondere aber ein häufiger Urindrang beim 
Fliegen, über den etwa 30 pCt. der Flieger klagen, bis zur völligen 
Incontinentia urinae führenden Blasenschwäche. Hier sah ich 
fünf Fälle, in denen weder Gonorrhoe voraufgegangen war, noch 
sorgfältigste Untersuchung irgendeine objektive Krankheitsursache 
ergab. Bei allen fünf waren vor der Aufnahme der Flieger¬ 
tätigkeit niemals Harnbeschwerden vorhanden gewesen. In zwei 
Fällen wurde unabhängig voneinander mitgeteilt, dass — trotz 
der selbstverständlich gewohnten Harn- und Kotentleerung vor 
dem Fluge — unmittelbar beim Besteigen des Flugzeuges Harn¬ 
drang auftrat. Sehr viele Flieger geben übereinstimmend an, 
während des Fluges unwiderstehlichen Harndrang zu haben. In 
Fällen nervöser Erschöpfung bleibt dieser Harndrang auch ausser¬ 
halb der Flugzeit bestehen. 

Nicht selten ist eine Ueberempfindlichkeit gegen die Geräusche 
des Motors, an die sich jeder Anfänger erst gewöhnen muss, und 
auch gegen die Gerüche von Oel und Benzin vorhanden. 

Eine sehr bemerkenswerte Beobachtung ist bei den nervös 


Erschöpften eine auffällige Blässe, die mich zu der Vermutung 
anämischer Zustände führte. Die Bestimmung des Hämoglobin¬ 
gebaltes, die Zählung der roten Blutkörperchen ergab ein über¬ 
raschendes Resultat. Ich hatte diese Blutuntersuchungen gerade 
beendet, als von Meyer und Seyderhelm die gleichen Resultate 
publiziert wurden. 

In 37 von mir untersuchten Fällen, insbesondere über ein 
Jahr Fliegender, fand ich den Hämoglobingehalt, bis auf einen 
Fall stets über 100 pCt., in 14 Fällen über 110 pCt. 

Die Zähluug der roten Blutkörperchen ergab Werte zwischen 
5300000 und 6500000. Es ist ganz zweifellos, dass eine längere 
Zeit des Fliegens auf die blutbildenden Organe wie das Höhen¬ 
klima als Reis wirkt. 

Im Gegensatz zu jenen Untersuchern fand ich wie Gaule, 
Zuntz, von Schrötter, Jolly und Bensande niemals kern¬ 
haltige rote Blutkörperchen, wohl aber eine Vermehrung der 
Lymphozyten. Leber- und Milzschwellung sah ich nie. Ich be¬ 
merke, dass es sich natürlich um keine Fälle bei den Untersuchten 
handelt, in denen etwa Verwundungen oder Erkrankungen kurz 
vorauf gegangen waren. Die bei den nervös Erschöpften be¬ 
stehende, ausserordentlich auffällige Blässe muss ihren Gruod in 
peripheren vasomotorischen Störungen haben. 

Eine interessante Störung ist die Angabe erprobter Führer 
und Beobachter, insbesondere aber der Ersteren, dass sie das 
Gleicbgewichtsgefühl im Flugzeug verloren hätten, d. h. dass sie 
nicht mehr imstande wären, die Lage ihres Flugzeuges zur Erde, 
auch bei klarem Wetter, zu beurteilen. Hier muss ich Bezug 
nehmen auf die sehr interessanten Untersuchungen Gartens über 
die Orientierung des Menschen im Luftraum. Aus seiner alle bis¬ 
herigen Veröffentlichungen umfassenden Uebersicht geht hervor, 
dass die Orientierung durch den Druck, Muskel, statischen Sinn 
im Felsenbein und durch das Auge erfolgt. Die Wichtigkeit des 
Auges wird besonders betont, auch das Unterlegensein des mensch¬ 
lichen Auges gegen das Vogelauge. Kein Anfänger kann die 
optische Täuschung überwinden, die bei Herabseben aus einer 
Kurve vom Flugzeug eintritt. Ich selbst z. B. kann in der Kurve, 
neben dem ausgesprochenen Gefühl, mich wie in einem Karussel 
zu drehen, die Täuschung nicht überwinden, dass die Erde auf 
der konkaven Seite der Kurve steil ansteigt, und auf der konvexen 
sich senkt. Wie wichtig das Auge für die Lageempfindung im 
Luftraum ist, geht am besten aus der Schwierigkeit für den 
Flieger hervor, sich im Nebel zu orientieren, wo die Erkennung 
der Lage des Flugzeuges eine so unsichere wird, dass der Unter¬ 
schied, wo Himmel und Erde liegt, nicht mehr gemacht werden 
kann. 

Ich sah drei Fälle, bei denen geklagt wurde, dass das früher 
sicher vorhandene Gefühl für die Lage des Flugzeuges unsicher 
geworden sei. Bei allen waren allgemeine nervöse Erscheinungen 
vorhanden, insbesondere häufige Mouches volants; es liess sich 
an den vorhin Genannten für die Orientierung im Luftraum 
wichtigen Sinnen bei sorgfältiger Untersuchung objektiv nichts 
feststellen. Es kam auch die Sicherheit des Gleichgewichtsgefühls 
nach Schwinden ihrer nervösen Erschöpfung zurück. Offenbar 
hat es sich um funktionelle Störungen gebandelt. 

Fälle von Steigerung bestehender Unruhe im Flugzeuge bis 
zu Schwindel mit Angst- oder Zwangsvorstellungen oder einer 
seelischen Depression infolge Einsamkeitsgefühls beim Alleinfliegen, 
wie Friedländer angibt, habe ich nie zu beobachten Gelegen¬ 
heit gehabt. 

Meine Ausführungen hatten den Zweck, auf Grund von Beob¬ 
achtungen bei einer grossen Anzahl von Fliegern den Nachweis 
zu führen, dass alle pathologischen Erscheinungen bei Fliegern 
auch sonst Vorkommen und die Einführung eines besonderen 
Namens für diese Erscheinungen in keiner Weise rechtfertigen. 
Eine Fliegerkrankheit aufzustellen, wie es insbesondere von von 
Schrötter, Friedländer und neuerdings M. G. Ferry geschah, 
auf Grund von Beobachtungen meistens vor dem Kriege, wo nur 
ein Bild aus einer kleinen Anzahl von Einzelfällen gewonnen 
werden konnte, erscheint nicht berechtigt. Die Erscheinungen, 
die beim Fluge auftreten, fallen unter den Begriff der Höhen¬ 
krankheit und befallen den Menschen in gleicher Weise auf Bergen, 
im Freiballon, Motorluftschiff und Flugzeug. Die Pathologie hat 
kein neues Kapitel erhalten. Die Existenz der Fliegerkrankheit 
erscheint heute, nachdem das Fliegen durch die Beschäftigung 
vieler Tausender mit demselben in fast beruflicher Art erfolgt, 
und die Mystik der sieghaften Eroberung des Luftraums ge¬ 
schwunden ist, sozusagen nur wie eine historische Erinnerung. 
Es scheint so, als wenn der Glaube bestand, dass die Eroberer 


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15. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


353 


der Lüfte, wie Ikarus sein Streben nach der Sonne mit dem 
Leben bezahlte, eine ernsthafte Schädigung ihres Körpers davon¬ 
tragen müssten. Die nüchterne Prüfung hat den Fliegern keine 
klinische Sonderstellung in Bezug auf die interne Medizin einzu- 
ränmen vermocht, aber leider ist ja die Zahl der Opfer durch 
Unglücksfälle, abgesehen von Verlusten beim Kampfe, noch immer 
eine erhebliche. 


Blutbildveränderung (Lymphozytose) beim 
Gesunden. . 

Von 

0. Bokelmani, Feldhilfsarzt, und E. Nassau, Feldarzt. 

Bei einer Reihe von Kriegserkrankungen, z. B. Kriegsnierenentzüodung, 
Fünftagefieber, Malaria, deren Blutbild man verfolgte, war der Befund 
einer Lymphozyten Vermehrung auffallend. Diesen Befund als pathogno- 
monisch zu verwerten, schien man um so mehr berechtigt, da das Blutbild 
des gesunden erwachsenen Menschen bisher als in engen Grenzen konstant 
galt. So ist insbesondere die Lymphozytose im Intervall des Fünftage¬ 
fiebers von Benzler, Linden, Stintzingund anderen als diagnostisches 
Merkmal angesehen worden; Linden schreibt in seiner Arbeit über 
Fünftagefieber: dass „in den fieberfreien Stadien auch noch vierzehn 
Tage nach dem letzten Anfall die Zahl der Lymphozyten auffallend ver¬ 
mehrt war. Wir stellten eine Lymphozytose von 50—68pCt. fest.“ 
Auch in eigenen Untersuchungen fanden wir in zwölf Fällen von Fünf¬ 
tagefieber die Lymphozytenvermehrung als regelmässige Erscheinung 
(Durohschnitt 40 pCt.). Bei der Kriegsnierenentzündung fanden wir in 
drei untersuchten Fällen eine Lymphozytose von durchschnittlich 40,8 pCt. 

Es fiel uns weiterhin auf, dass diese Verschiebung im Blutbild auch 
bei längerer Beobachtungszeit nach Monaten noch bestehen blieb. Diese 
Erscheinung gab uns Anlass, Untersuchungen über das Blutbild des ge¬ 
sunden Erwachsenen in der jetzigen Zeit in grösserer Zahl anzuatellen. 

Die Technik war die übliche: In düonen Ausstrichen, die mit 
May-Grünwald’schem Farbgemisch gefärbt waren, wurden 100 bis 500 
weisse Blutkörperchen ausgezählt. In einer Reibe von Fällen wurde die 
absolute Zahl der weissen Blutkörperchen mit der Töoma Zeiss’schen 
und der Bürker’schen Zählkammer bestimmt. Das Untersuchungsmaterial 
stammte von 70 gesunden Erwachsenen, darunter 59 Männern im mittleren 
Alter. Die Untersuchungen erstreckten sich auf Soldaten (Offiziere und 
Mannschaften) der ersten Linie, auf Offiziere und Mannschaften der 
Etappe (Feldlazarett), Zivilpersonen der Heimat und des besetzten Gebiets. 
Die untersuchten Soldaten standen zum Teil seit Beginn des Krieges im 
Felde, zum Teil war es junger, eben ins Feld gerückter Ersatz. In 
allen Fällen handelte es sich um Personen, die nicht unter dem Einfluss 
irgendeiner bestimmten Lebensweise standen, die organisch gesund, 
insbesondere frei von Drüsenschwellungen waren. Es wurde stets Wert 
darauf gelegt, dass die Blutentnahme wenigstens vier Stunden nach der 
letzten Mahlzeit erfolgte, um die physiologische Verdauungs-Lymphozytose 
auszuschalten. 

Das Ergebnis unserer Untersuchungen war folgendes: Die absolute 
Zahl der Leukozyten lag meist an der oberen Grenze der Norm 
(8000—9000 Zellen im cmm); in einem Teil der Fälle war eine mässige 
Hyperleukozytose (10000 — 12000 Zellen im cmm) vorhanden. In anderen 
Fällen fanden sich Werte von 5000—6000 Zellen weisser Blutkörperchen 
im ccm. 

Die Differenzierung der Leukozyten dagegen ergab durchweg die 
gleiche Verschiebung des Blutbildes, die man für die vorhergenannten 
Erkrankungen als typisch anzusprechen geneigt war: Ausgesprochene 
Vermehrung der Lymphozyten auf Kosten der polymorph¬ 
kernigen Leukozyten. 

Die Lymphozytose schwankte zwischen 25,2 pCt. und 72,4 pCt., sie 



Polymorph¬ 

kernige 

Leukozyten 

Eosinophile 

Leukozyten 

a 

t 

N 

O 

J3 

Q , 

s 

Grosse Mono¬ 
nukleäre und 
Uebergangs¬ 
formen 

Mastsellen 


pCt. 

pCt. 

pCt. 

pCt. 

pCt. 

Normal nach Meyer- 




Rieder . 

70-75 

0,5-4 

22-25 

2-3 

0,5 

Im Durchschnitt . . 

72 

2,5 

22 

3 

0,5 

Unsere Befunde im 






Durchschnitt . . . 

49 

2,5 

43 

5 

0,5 


betrug im Durchschnitt aller untersuchten Fälle 43 pCt. Es fanden sich 


zwischen: 


25—30 pCt. Lymphozyten 4 mal 


80-40 
40-50 
50-60 
60—70 
über 70 


19 mal 
30 mal 
12 mal 
3 mal 
1 mal 


Die absoluten Zahlen der Lymphozyten betrugen bei normalen 
Leukozytenwerten (5000—8000) 2000—3000 Lymphozyten im cmm. Bei 
erhöhter absoluter Leukozytenzahl (etwa 10000) 5000 Lymphozyten im cmm. 

Die Gegenüberstellung des normalen Blutbildes mit dem von uns 
gefundenen ergibt: 


Die Verteilung der weissen Blutzellen entspricht der eines Kindes 
von 4—5 Jahren. Nach Schloss ist das Blutbild in diesem Alter 


Polymorph¬ 

kernige 

Leukozyten 

Eosinophile 

Leukozyten 

Lymphozyten 

Grosse mono¬ 
nukleäre und 
Uebergangs¬ 
formen 

Mastzellen 

48,5 pCt. 

2,6 pCt. 

42,1 pCt. 

6 pCt. 

0,3 pCt. 


oder schematisch dargestellt: 

72% 


2.st *2%. Jtqsl 


'F(ut6i/ct des /trw*cfsr/fe/T rordini A£/e£e 

*79%. Art. VS%. 




2?2u76e/d </es Srwacfsenen wJjfrenc/ des /£r/e£es 
2.6 7. *72 t 7% 


It lui6t Id fernes *7 &is 5Jdfingen Kjndes ( Sc/j/ofi}*) 

□ Polymorphkernige Leukozyten. |||| Eosinophile. ■■ Lymphozyten. 
//// Grosse Mononukleäre und Uebergangsformen. | Mastzeilen. 

Bei den einzelnen untersuchten Berufsklassen gestaltet sich das Er¬ 
gebnis der Zählung wie folgt: 




Polymorphkernige 

Leukozyten 

Lymphozyten 

Eosinophile 

Grosse mononukleäre 
Uebergangsformen 

Bas. 



Max. 

Min. 


Max. 

Min. 

Durch¬ 

schnitt 

Max. 

Min. j 

Durch¬ 

schnitt 

Max. 

Min. 

| Durch¬ 
schnitt 

Durch¬ 

schnitte 


1 Mannschaften der 

I. Linie (30 Fälle) 

68,0 

30,0 

46,6 

62,5 

28,5 

44,8 

10.0 

0,0 

2,9 

12,3 

3,4 

5,1 

0,6 


| Mannschaften 

1 ein. Feldlazaretts 

66,6 

38,0 

53,2 

55,5 

25,4 

37,7 

9,2 

1,0 

4,0 

6,3 

2,4 

4,5 

0,6 

1. Soldaten ( 

1 (8 Fälle) 




(45 Fälle) 

] Offiziere,l Front 

1 Aerzte ) 3 Fälle 

57,8 

53,0 

54,8 

40,5 

37,5 

39,0 

2,0 

1,5 

1,6 

5,0 

4,0 

4,8 

0,3 


Beamte ( 4 pgfj® 

52,3 

33,5 

45,1 

56,5 

40,7 

45,3 

3,75 

2,0 

2,8 

7,5 

8,7 

6,2 

0,6 

H. Zivil- 1 

[ Heimat (11 Fälle) 

68,6 

33,5 

51,5 

58,5 

27,2 

41,7 

4,0 

1,0 

2,4 

5,5 

2,0 

3,8 

0,6 

bevölkerung 
(25 Fälle) 

1 

| Besetztes Gebiet 

1 (14 Fälle) 

59,0 

22,25 

45,9 

72,5 

33,5 

44,8 

8,0 

1,0 

3,8 

7,0 

3,0 

4,8 

0,7 


3 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


Die Zunahme der Lymphozyten geschah auf Kosten der polymorph¬ 
kernigen Zellen. Die Vermehrung der Mononukleären und Uebergangs- 
formen war sehr gering (5 pCt. gegen 3 pCt.) und innerhalb normaler 
Grenzen. Eosinophile Leukozyten und Mastzellen hatten sich in ihren 
Werten nicht verändert. 

Wir sind damit unabhängig von Klieneberger 1 2 3 ) im wesentlichen 
zu den gleichen Ergebnissen gelangt, wie er. Klieneberger berichtet 
über die „Lymphozytose-Umstellung“ des normalen Blutbildes: Die 
absolute Zahl der Lymphozyten beträgt 3000—5000 bei meist erhöhter 
Gesamtleukozytenzahl, eosinophile Leukozyten sind „relativ durchweg 
erhöht.“ Prozentisch ausgedrückt fand er bei Gesunden 40 pCt. Lympho¬ 
zyten und mehr. Schon vorher hat Krehl 8 ) auf der Warschauer Inter¬ 
nistentagung von der auffallenden Häufigkeit der relativen Lympho¬ 
zytose gesprochen. Auch Moewes 8 ) hob die Häufigkeit der Vermeh¬ 
rung der einkernigen weissen Blutkörperchen beim Gesunden hervor. 

Nach diesen Ergebnissen der Blutbilduntersuchungen am gesunden 
Erwachsenen möchten wir die Befunde beim Fünftagefieber und der 
Kriegsnierenentzündung nicht mehr als Besonderheiten der vorliegenden 
Erkrankung ansehen. Es ist vielmehr das zurzeit normale Blutbild des 
gesunden Erwachsenen, das uns hier entgegentritt. 

Die Ursache dieser auffallenden Blutbildverschiebung beim Er¬ 
wachsenen sieht Klieneberger in der vorhergegangenen Schutzimpfung 
mit Typhusimpfstcff. Dagegen spricht, dass die letzte Impfung bei den 
von uns untersuchten Soldaten lange Zeit zurücklag (6—8 Monate), 
während nach Reichmann die Lymphozytose der Typhusschutzimpfung, 
die auch Ziersch 4 5 * * ) und andere beobachteten, nach längstens zwei 
Monaten geschwunden ist. Vollends nimmt die bei nicht geimpften 
Zivilpersonen der Heimat und des besetzten Gebietes von uns regel¬ 
mässig festgestellte Lymphozytose der Annahme Klieneberger’s die 
Stütze. 

Man muss vielmehr nach anderen Erklärungen des Phänomens 
suchen, die auf Militär- und Zivilpersonen der Heimat und des besetzten 
Gebietes gleichmässig zutreffen. An einen Einfluss der veränderten Er¬ 
nährung zu denken: mehr Kohlehydrate — weniger Fette und Eiweiss 
liegt hier nahe. Der Einfluss der Ernährung auf die Lymphozyten ist 
bekannt (Verdauungslymphozytose). Insbesondere sollen die Lymphozyten 
bei der Fettverwertung im Organismus von Bedeutung sein. Aufnahme 
von Fett verursacht (zitiert nach Moewes) Lymphozytose. Dass bei 
der relativ fettarmen Kost, aus der der Organismus zurzeit seinen Be¬ 
darf deoken muss, eine vermehrte Umwandlung von Kohlehydraten in 
Fett stattfindet, wäre denkbar. Bei dieser Umwandlung könnte vielleicht 
die Lymphozytenvermehrung von Bedeutung sein. 


Milchinjektionen und Wassermann’sche 
Reaktion 1 ). 

Kurze Mitteilung 

▼on 

Dr. 8 . Uddgren. 

Seit April dieses Jahres wende ich die zuerst in der Ophthalmologie 
von Müller undThanner geprüften Milchinjektionen bei verschiedenen 
Augenkrankheiten (Blennorrhoe, Tuberculosis iridis, Frübjahrskatarrh, 
Keratit. parenchymat. u. a.) an und habe in einem grossen Teil der 
Fälle gute, ja sogar überraschende Resultate gehabt. 

Während der Anwendung der Injektionen ist ganz zufällig eine 
hochinteressante Veränderung der Wasa ermann ’sohen Reaktion gefunden 
worden. In 6 Fällen war die Reaktion vor den Injektionen negativ, nach 
den Injektionen positiv geworden. 

Fall I (Ende Mai.): Die Mutter eines 5 jährigen Knabeü, mit Keratit. 
parenchymat. und positiver Wassermann’scher Reaktion, zeigte vor den 
Injektionen negative und nach den Injektionen positive (+) Reaktion. 

Fall II: Ein 13 jähriger Knabe mit typisoher Kerat. parenchymat. 
ohne hereditär-luetischen Habitus zeigte vor den Injektionen negative, 
nach den Injektionen stark positive (+ + -f-) Reaktion. 

Fall III: Ein 40 jähriger Mann mit Kerat. parenchymat., kein here¬ 
ditär- luetisoher Habitus, Lues wurde negiert, zeigte vor den Injektionen 
negative und nach den Injektionen stark positive (-f- -f- +) Reaktion. 

Fall IV: Ein 9 jähriges Mädchen mit Macul. corneae post Kerat. 
parencbym. und hereditär-luetischem Habitus zeigte vor den Injektionen 
negative und nach den Injektionen stark positive (-+- -f- -f-) Reaktion. 

Fall V: Eine 26 jährige Dame, welche einer Iritis wegen antirheuma¬ 
tisch lange behandelt war, bekam eine Milchinjektion, welche eine ganz 
überraschend gute Wirkung hatte, und nach dieser Injektion wurde die 
Wassermann’sche Reaktion ziemlich stark (-{- -f~) positiv. Andere 

1) Klieneberger, M.m.W., 1917, Nr. 23. 

2) Krehl, Verhandlungen d. Deutschen Kongr. f. inn. Med. Warschau 
1916, S. 194. 

3) Moewes, B.kl.W., 1917, Nr. 16. 

4) Ziersch, M.m.W., 1915, Nr. 39. 

5) Erwähnt in der Gesellschaft schwedischer Aerzte (Sitzung am 

11. September 1917) in einem Vor trage und in den „Verhandlungen der 

Gesellschaft schwedischer Aerzte“ gedruokt. 


luetisch zu deutende Symptome hatten die Patientin nie gehabt. Aeltestes 
Kind immer sehr anämisch gewesen, beide Eltern aber waren an Leber- 
krankheit bei bzw. 52 und 53 Jahresalter verstorben. 

Fall VI: Eine 31 jährige Frau, welche seit 4 Monaten ein grosses 
progredientes Ulcus hatte und keine anderen luesverdächtigen Symptome 
zeigte, bekam eine Milchiijektion, um die Wasserman’sche Reaktion 
möglicherweise zu provozieren. Sie bekam, ohne Fieber gehabt zu haben, 
nachher stark positive (+ + ~H Reaktion. 

Die allermeisten Wassermann’schen Reaktionen sind im Kranken¬ 
haus St. Göran (Klinik der Syphidologie in Stockholm) ausgeführt worden. 

25 Patienten, welche gar nicht luesverdächtig waren, wurden 
serologisch untersucht; in keinem Falle konnte eine positive Wasser- 
mann sehe Reaktion nach den Injektionen konstatiert werden, weder am 
Tage nach den Injektionen, noch einige Tage später, noch 14 Tage nach¬ 
her, (die Zeit einer eventuellen Serumkrankheit). 

Nachdem ich meine ersten 3 Fälle observiert habe, hat Dozent 
Scherber bei 3 hochfiebernden latent-luetischen Patienten einen Ueber- 
g&ng von negativer zu positiver (gewöhnlich schwächer) Reaktion kon¬ 
statiert und in der W. m.W. Nr. 27 dieses Jahres veröffentlicht. Er hat 
keine Kontrolluntersuchungen bei Nicht Luetischen gemacht. 

Alle, welohe die Milchinjektionen bis jetzt angewendet haben, er¬ 
zählen, dass die Patienten in der Regel mehr oder weniger hohes Fieber 
bekommen. Professor Schmidt spricht von „der Milcbkrankheit als 
einem monotonen und von Fall zu Fall eigentlich nur quantitativ ge¬ 
ändertem Bilde durch Temperaturanstieg eigentlich nur am Tage der 
Injektion; Kälte und Hitzgefühl event. nächtlichem Schweissausbruch, 
Cephalalgie charakterisiert.“ 

Nachdem ich selbst unter so sterilen Kautelen wie möglich gemelkt 
habe, die Milch von derselben geprüft gesunden Kuh genommen und 
unmittelbar nach dem Melken die Milch auf Eis gestellt und von dieser 
Milch den Patienten Injektionen gegeben, blieben sowohl das Fieber wie 
auch alle anderen Beschwerden aus. Das Fieber und das allgemeine 
Unwohlsein glaube ich aus guten Gründen als „Toxinwirkung“ erklären 
zu können. Wird aber auch durch die Injektionen von dieser „toxin¬ 
freien“ Milch die Wassermann’sche Reaktion verändert? Ich glaube 
so: im Falle VI habe ich, trotzdem ich „toxinfreie“ Milch angewendet 
habe, doch die Reaktion provozieren können. 1 ) 

Wenn man den Patienten keine Beschwerden mit den Injektionen 
verursacht, darf man wohl die Milchinjektionen als billiges und leicht 
zu verwendendes Mittel, die Wassermann’sohe Reaktion in zweifelhaften 
Fällen zu provozieren, anwenden können. 


(Aus der Lungenheilstätte Luisenheim in Baden.) 

Zur Tuberkulosebehandlung mit Nastin-Chino- 
linphosphat. 

Von 

Med.-Rat Dr. Cnrschmani. 

In Nr. 43 der Berliner klin. Wochenschrift vom Jahr 1916 
veröffentlichte Feldarzt Dr. Eyers eine Abhandlung über die 
Behandlung der verschiedensten Tuberkulosen mit Injektionen 
von Nastin-Deyke in Kombination mit Chinolinphosphat. Die 
in den angeführten Krankengeschichten mitgeteilten Erfolge 
waren so überwältigend gute, dass man annehmen musste, es sei 
nun endlich das Mittel für die Tuberkulosebehandlung gefunden. 

Wir hielten uns daher für verpflichtet, auch unsererseits die Be¬ 
handlung bei unseren Lungentuberkulosen damit aufzunehmen, zumal 
auch die theoretische Begründung mehr oder weniger zutreffend sein 
konnte. Selbstverständlich haben wir uns genau au die von Dr. Evers 
gegebenen Vorschriften gehalten und dazu nur Kranke mit mittel- 
schweren Lungentuberkulosen ausgewählt, 2. und leichtere 3 Stadien. 
Die Behandlung war jedoch nicht so ganz einfach, selbst bei unseren 
folgsamen Frauen. Denn allwöchentlich 4 Einspritzungen, davon 2 grosse 
intramuskuläre (5—10 ccm), die trotz des zugefügten Antipyrins durch¬ 
aus nicht ganz schmerzlos waren, während der ganzen Kur auszuhalten, 
erfordert immerhin einen gewissen Opfermut, zumal auch ab und zu 
allerdings schnell vorübergehende Temperatursteigerungen bis 39° ein¬ 
traten. Sechs Patientinnen haben denn auch naoh wenigen (1—8) 
Doppeleinspritzungen versagt. Hierdurch sowohl, als durch den völligen 
Misserfolg der Behandlung selbst konnten wir eine grössere Reibe von 
Fällen nicht zusammen bringen. Unser einziger und bester Erfolg war 
der folgende: A. D. 8748. Anfangsbefund: R. bis 3. Rippe und Spina, 
sowie L. H. bis unterhalb Spina spärliches zum Teil feuchtes Rasseln, 
Atmung daselbst bronchovesikulär. Entlassungsbefund: R. in Spitze 
spärliches, trockenes Rasseln und Knacken mit bronchialer Atmung. 
Kurdauer 113 Tage. 26 Doppeleinspritzungen. Tuberkelbaiillen im Ver¬ 
lauf der Kur zweimal im Auswurf gefunden, zu Anfang and zu Ende 
der Kur nicht. In einem anderen Fall, der nie Tuberkelbazillen im 
Auswurf hatte (L. H. 8763), hat sich bei 22 Doppelinjektionen während 
der Kur ein neuer Herd in der linken Spitze etabliert. In allen übrigen 

1) Seitdem untersuchte Fälle bestätigen diese meine Meinung. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


855 


Fällen, bei denen wir eine grossere Anzahl von Doppeleinspritzangen, 
21—28, beibringen konnten, haben wir leider niemals einen erhebliohen 
Erfolg konstatieren können, trotz meist sehr langer Kurdauer, bis 
137 Tage; alle mussten noch mit grösseren Krankheitsherden entlassen 
werden, bei keinem verschwanden die Tuberkelbazillen aus dem Sputum 
bis zum Schluss der Kur. Feinere Proben auf Tuberkulose durch Tuber* 
kulin anzustellen, war dadurch nicht nötig. Ich muss noch hinzufügen, 
dass keiner der behandelten Fälle von vornherein etwa eine durchaus 
ungünstige Prognose gegeben hätte, es war z. B. kein einziger Fall so 
schwer, wie der von Dr. Evers unter Nr. 6 angeführte. 

Wenn daher auch die Reihe unserer mit Nastin Chinolin 
behandelten Fälle nur eine kleine ist, nämlich 10 völlig durch¬ 
geführte und urteilsberechtigte, so war doch das Resultat der 
Behandlung ein so eindeutig negatives, dass ich mich nicht 
für berechtigt halte, weitere Versuche damit anzustellen. 


Bacherbesprechungen. 

E. Siemerling: Psychosen und Neurosen in der Gravidität nnd ihre 
Anzeichen znr künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft. 

Berlia 1917, S. Karger. 79 Seiten. 

Psychosen und Neurosen geben zur Schwangerschaftsunterbrechung 
selten Veranlassung, am ersten noch Depressionszustände auf psycho¬ 
pathischer Grundlage und „Situationsmelancbolien“. Bestimmend sind 
lediglich medizinische Gründe. Genaueste Kenntnis der Persönlichkeit 
und Erforschung des E nzelfalles, am besten nach Beratung mehrerer 
Aerzte und unter Umständen Beobachtung bind nötig. Verf. berichtet 
über 89 eigene Beobachtungen. T. Cohn. 


ßiesalski: Gesammelte Arbeiten über Prothesenban. Stuttgart 1917, 
Verlag von Ferdinand Enke. Preis 44 M. 

Das umfangreiche Werk — es umfasst 833 Seiten — stellt einen 
Sonderband der Zeitschrift für orthopädische Chirurgie dar. 40 Autoren 
haben sich zusammengetan, um ihre Erfahrungen anf diesem wichtigen 
Gebiete der Kriegsbeschädigtenfürsorge bekannt zu geben. Eigenartiger¬ 
weise finden sich darunter auch Arbeiten, die in ihrem ganzen Umfang 
nichts mit Prothesenbau zu tun haben und nur in einem sehr lookeren 
Zusammenhang damit stehen, wie z. B. die Arbeit Falk’s: „Welchen 
Einfluss haben angeborene Wirbelsäulenverkrümmungen auf die Kriegs¬ 
brauchbarkeit.“ Während in den ersten 2 Kriegsjahren auf dem be¬ 
handelten Spezialgebiet ein ausserordentlicher Optimismus herrschte, so 
dass z. B. der Herausgeber des Werkes immer und immer nieder betonte: 
„Es gibt keine Krüppel mehr,“ weht in vielen Arbeiten des Bandes ein 
nioht gerade geringer Skeptizismus. Die Frage des Beinersatzes wie des 
Armersatzes gilt vielen noch keineswegs als gelöst, doch steht zu hoffen, 
dass durch die regen Arbeiten, die allerwärts betätigt werden, recht 
bald Resultate gezeitigt werden, die Arzt, Staat und Kriegsbeschädigte 
in gleicher Weise befriedigen. Aufgefallen ist dem Referenten, dass in 
vielen Fällen mässige Erfolge in allzu hohem Maasse auf das Nicbt- 
wollen der Verstümmelten zurückgeführt werden. Unter den konstruk¬ 
tiven Lösungen ist viel Kleinarbeit. Neues und Ueberragendes scheint 
duroh das Bremsknie von Schäfer, das ausführlich beschrieben wird, 
und die Schnlteraufhangung beim Armersatz von amputierten Land¬ 
wirten von Max Boebm geliefert zu sein. In neuerer Zeit scheint 
dem künstlichen Arm, der die Funktion der menschlichen Hand selbst¬ 
tätig nachzuahmen strebt, auch von Orthopäden neben der Versorgung 
mit Arbeitsarmen mehr Beachtung geschenkt zu werden. Selbst Bie- 
salski widmet diesem Teil seiner Abhandlung einen grossen Umfang. 
Die Ausstattung des Buches, das mit 750 Textabbildungen sehr reich 
illustriert ist, ist ausgezeichnet. Aerzte, welche sich über das, was im 
Prothesenbau jetzt in Dentschland geleistet wird, unterrichten wollen, 
werden des Stadiums des vorliegenden Buches kaum entraten können. 


Gnleke und Dietlen: Kriegsrhirnrgiseher Röntgenatlas. Verlag von 
Julius Springer 1917. Preis 66 M. 

Die Verff. haben in dem vorliegenden Atla9 ein bleibendes Doku¬ 
ment des Weltkrieges geliefert, wohl geeignet, für spätere Zeiten im 
Unterricht zu Demonstrationen sowohl als auch für Projektionen ver¬ 
möge der starken Verkleinerung verwendet zu werden, ln einem all¬ 
gemeinen Teil werden die Wirkungen der gebräuchlichsten Kriegs¬ 
geschosse besprochen, die Heilungsvorgänge und die spezielle Röntgen- 
teohnik auf diesem Gebiete erörtert. Die Bedeutung, welche der Ge¬ 
schosswanderung zukommt, wird auf das ihr gebührende geringe Maass 
zurückgeführt, wobei natürlich hervorgehoben wird, dass in den Körper¬ 
höhlen selbst, wenn das Geschoss in einem freien Raum liegt, eine Ver¬ 
lagerung nach dem Gesetze der Schwere möglich ist. Der röntgeno¬ 
logische Nachweis, dass in einem bestimmten Falle Dum-Dum-Gesohosse 
verwandt worden seien, wird als nicht zu Recht bestehend hiDgestellt. 
Der spezielle Teil steht auf ausserordentlicher technischer Höhe. Wenn 
die Verff. ira Vorwort sich in dieser Hinsicht zum Teil entschuldigen, 
so kann der Referent nur ihre übergrosse Bescheidenheit bewundern. 
Ein reichhaltiges Material aus allen Gebieten der Kriegschirurgie ist 
auf zahlreichen Tafeln, gleichwertig fast den Röntgenorigiualen, wieder¬ 
gegeben. Die Lokalisation der Geschosse wird neben den sonst üblichen 


Methoden besonders durch die beigegebenen Röntgenstereogramme unter¬ 
stützt. Das Einzige, was nicht zu loben ist, ist der hohe Preis. Doch 
daran trägt eben, wie an so vielem anderen, der Krieg, die letzte Ur¬ 
sache dieses Werkes, seine Schuld. Max Cohn. 


Rapp: Keimfreimaehnng voi Arzneistofflifenngen. Angabe des Ver¬ 
fahrens, der Zeitdauer und der Haltbarkeit. Leipzig 1917, Verlag 
von F. Leineweber. 16 Seiten. Preis 1 M. 

In dem Hefte sind für etwa 100 Arzneimittel Angaben über die 
Art des Keimfreimachens und ihre Haltbarkeit gemacht. Da diese bis¬ 
her in der Literatur verstreut, zum Teil auch noch nicht veröffentlicht 
waren, wird die Zusammenstellung für denjenigen, der häufiger in die 
Lage kommt, keimfreie Arzneimittellösungen herzustellen, von grossem 
Nutzen sein, zumal auch die Konzentration und Zusammensetzung der 
gebräuchlichen Lösungen angeführt ist. Als Beilage sind die Vorschriften 
noch in einer Tabelle zusammengestellt, die für den Arbeitsraum auf 
Pappe aufgezogen werden kann. Die Herstellung von Autovakzine naoh 
Wright und Reiter von Koch-Stuttgart beschliesst das dem Prak¬ 
tiker zugedachte und diesem sehr zu empfehlende Heft. 

B e o k 81 r ö m - Charl Ottenburg. 


Literatur-Auszüge. 

Pharmakologie. 

W. Straub-Freiburg: Die Mengen der digitalisartig wirkende! 
Substanzen im Oleanderblatt. (Arch. f. exper. Path. u. Pharm., Bd. 82, 
H. 5 u. 6.) Das Oleanderblatt enthält 2,5 mal soviel Wirksamkeit wie 
das Digitalisblatt. Die wirksamen Substanzen sind löslich. Ausser 
Aktivglykosiden enthalten die Blätter einen eisengrünenden Stoff wie 
Digitalisblätter; dieser Stoff ist wahrscheinlich ein Phenolglykosid. 

_ Geppert. 

Physiologie. 

H. Rnos8-Ludwigsburg-Stuttgart: Die Bestimmung der Eigen¬ 
redaktion nnd der Dextrose im Urin mit alkalischer Glyzerinkupfer¬ 
lösung. (Zschr. f. physiol. Chem., Bd. 101, Nr. 8 u. 4.) 

J. Lifschütz: Ueber das Fett des Blutes bei gesunden und 
kranken Pferden. (Zschr. f. physiol. Chem., Bd. 101. Nr. 8 u. 4.) Verf. 
bestimmte die Mengen Fett die sich bei gesunden und an verschiedenen 
kranken Pferden im Blute fanden, und konnte feststellen, dass sich diese 
Menge bei den verschiedensten Krankheiten verändert. Er schliesst aus 
seinen Befunden sogar, dass verschiedene Krankheiten auch verschiedene 
Veränderungen in den Fettsubstanzen hervorrufen und zwar auch solche 
Krankheiten, die man nicht unter die Stoffwechselkrankheiten zu zählen 
pflegt. 

H. Kylin-Upsala: Zur Kenntnis der wasserlöslichen Kohlehydrate 
der Lanbbl&tter. (Zschr. f. physiol. Chem., Bd. 101, Nr. 3 u. 4.) ‘ 

W. H. Jansen-München: Kalkstadien am Menschen. (Zschr. f. 
physiol. Chem., Bd. 101, Nr. 3 u. 4) 

0. Meyerhof-Kiel: Ueber das Vorkommen des Kofermentes der 
alkoholischen Hefegärung im Muskelgewebe und seine mutmaassliche 
Bedeutung im Atmungsmechanismns. (Zschr. f. physiol. Chem., Bd. 101, 
Nr. 3 u. 4.) _ Sohmitz. 


Therapie. 

E. Bundschuh: Ueber die Erfrierungen III. Grades der Finger, 
Zehen, Hände und Füsse. (K.m.W., 1918, Nr. 6.) Bei sachgemässer 
Behandlung kann man viele Erfrierungen vor folgender Nekrose schützen. 
Anfangs Bad in kaltem Brunnenwasser, das allmählich (eine Stunde) 
auf Körperwärme erwärmt wird. Dann vorsichtige zentripetale Massage 
und Anwendung von Glasglocken mit rhythmischer Saugwirkung, in der 
Absicht die Zirkulation der Gliedmaassen wiederherzustellen. Bleibt 
längere Zeit eine venöse Stase besteben, so werden an den Fingern bzw. 
Zehen Einschnitte gemacht in der Anordnung wie bei phlegmonösen Ent¬ 
zündungen, dann Hoohlagerung der Gliedmaassen und weitere rhythmische 
Stauung. 

G. Loose-Bremen: Der Sieg der Rüntgenstrablen über den Brust¬ 
krebs. (M.m.W., 1918, Nr. 7.) Loose hat mit seinem allzu poetisohen 
Ausspruch die Kritik anderer Forscher herausgefordert, der er in 
seiner Veröffentlichung entgegen zutreten sacht. Die günstige Wirkung 
der Röntgenstrahlen auf Geschwulstbildungen in der Nähe der Körper¬ 
oberfläche ist allgemein bekannt. L. mag auch recht haben, wenn er 
die primäre Bestrahlung der Operation vorzieht, „aber einen Sieg der 
Röntgenstrablen über den Brustkrebs“ vermag auch die neuerliche Ver¬ 
öffentlichung nicht zu verkünden. L. bekennt sieb zu einem gesunden 
Optimismus! Uos dünkt, bei einem schwerwiegenden Urteil ist Skepsis 
mehr am Platze. _ Geppert. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Hülse: Pathologisch-anatomische Untersuchungen über die Ur¬ 
sachen der Oedemkrankheit. (W.kl.W., 1918, Nr. 1.) Eingehende Be¬ 
schreibung der pathologisch-anatomischen Befunde bei Oedemkrankheit 
auf Grund von Erfahrungen an über 100 Sektionen. H. Hirschfeld. 

3 * 


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UMIVERSITY OF IOWA 





366 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


P. y. Baumgarten: Kriegspathologische Mitteilungen. (M.m.W., 
1918, Nr. 7 u. 8.) Berioht über das grosse anatomische Material des 
Tübinger pathologischen Instituts; ist zum Referat nioht geeignet. 

R. Seyderhelm-Strassburg: Ueber die Eigenschaften und Wirkungen 
des Oestrins und seine Beziehungen zur perniziösen Anämie der Pferde. 
(Arcb. f. exper. Path. u. Pharm., Bd. 82, H. 5 u. 6.) Oestrin wird der 
toxische Bestandteil der Gasstrophiluslarven der Pferdebissfliege (Oestrus 
equi) genannt. Die interessanten Ergebnisse der Forschung müssen im 
Original gelesen werden. _ Geppert. 


Innere Medizin. 

Gyenes und Weissmann: Ueber die Häufigkeit der inaktiven 
Tnberknlose. (W.kl.W., 1918, Nr. 8.) Mit Hilfe der von Hamburger 
ausgearbeiteten Methode der Stichreaktion wurden 477 auf aktive Tuber¬ 
kulose unverdächtige Kranke untersucht. Nur 10 Fälle reagierten nicht, 
es waren somit 98 pCt. schon mit Tuberkulose infiziert. 

Jankoviob: In die Arteria pnlmonalis perforierende Aorten¬ 
aneurysmen. (W.kl.W., 1917, Nr. 8.) 

Weiss: Ueber Beobachtung der Bantkapillaren und ihre klinische Be¬ 
deutung. (W.kl.W., 1918, Nr. 2.) Nach Besprechung der Methodik und 
Wahrung von Prioritätsansprüchen werden kurz Art und Natur der 
beobachteten Gelässe, sowie die Anwendungsgebiete der Methode dar¬ 
gelegt. Veränderungen an den Kapillaren findet man auf diese Weise 
bei vielen Kreislaufstörungen, bei Arteriosklerose, Präsklerose, juvenile 
Sklerose, Sklerodermie, Raynaud, Vasoneurosen, bei Gefässschädigungen 
des Alkoholismus, Leberzirrhose, Lues und durch thyreotoxische Faktoren. 
Bei den verschiedenen Formen von Nephritis, bei Diabetes und endlich 
bei Exanthemen, namentlich infektiöser Art. Die Beobachtungen und 
Kreislaufstörungen führten zur Ausarbeitung einer neuen Methode der 
Insuffizienzprüfung des Kreislaufes. H. Hirschfeld. 

Th eis-Strassburg i. E.: Zur Frage der primären Lebervenen¬ 
thrombose. (Zbl. f. Herz- und Gefässkikh., November.) Nach mehr 
oder weniger bestimmten Beschwerden in der Leber- und Magengegend 
setzt ziemlich rasch eine starke Kreislaufstörung ein im Gebiet der 
Vena portae, die zu starken hydropischen Ergüssen in den Körperhöhlen 
und zu Oedemen führt, je nach dem auch die Vena cava von der Kreis¬ 
laufstörung betroffen wird. Organveränderungen finden sich klinisch nur 
an Leber und Milz im Sinne einer Vergrösserung. Vielleicht wäre 
bei den Fällen, in denen die Aetiologie ganz unklar ist, an eine Ver¬ 
einigung der verschiedensten ätiologischen Faktoren zur Entstehung der 
Thrombose zu denken: sowohl an allgemeine Ursachen, wie Veränderungen 
in der Gerinnungsfähigkeit des Blutes oder in seiner chemischen Zu¬ 
sammensetzung (Toxinbildung) bei Infektionskrankheiten, Besonderheiten 
des mit Verdauungssäften beladenen Leberblutes, als auch an örtliche 
Einflüsse, die für den so selten vorkommenden Sitz der Thrombose 
in den Lebergefässen verantwortlich zu machen wären. Reckzeh. 

Schlayer und Beckmann: Zur Prttfong der Nierenfnnktion bei 
kranken Nieren. (M.m.W., 1918, Nr. 4.) Leichtere oder beginnende 
Insuffizienzersoheinungen der Nieren können durch einfachen Konzen¬ 
trations- bzw. Wasserbelastungsversuch nicht festgestellt werden. ln 
diesen Fällen können bei den erwähnten Versuchen die spezifischen 
Gewiohte sowie die Ausscheidungsmengen sioh absolut normal verhalten; 
hingegen findet man dann bei einer geeigneten Nierenprobemahlzeit 
bei einer Flüssigkeitszufuhr von 1800 ccm bei Urinportionen von ganz 
ungleicher Menge eine auffallende Starrheit der spezifischen Gewichte. 
Es werden zwei Nierenprobemahlzeiten, eine diuretisch- und eine nicht 
diuretisch-wirken de mitgeteilt. Geppert. 

Oliver: Zur Frage der Kriegsnephritis. (Brit. med.journ., Nr. 2971.) 
Als Ursache für die Kriegsnephritis kommt auch nach der Ansicht der 
englischen Aerzte die Durchnässung des Körpers in erster Linie in 
Betracht. Weitere Untersuchungen führten zu dem nicht eben seltenen 
Nachweis von Blei im Harn. Es kommt zweifellos mitunter zu einer 
Aufsaugung von Blei aus Sohrapnellkugeln. Deshalb ist die Entfernung 
letzterer bei Nierenkranken zu empfehlen. Besonders lehrreich in dieser 
Hinsicht war ein Fall, wo mit der Entfernung der Geschossreste die 
Eiweissaussoheidung dauernd verschwand. Schreiber. 

G. A. Waetzoldt-Berlin: Die Oedemkrankheit. (Ther. d. Gegenw., 
Februar 1918.) Sammelbericht und zusammenfassende Uebersicht. 

G. Klemperer: Bemerkungen über Wanderniere. Klinischer Vor¬ 
trag. (Ther. d. Gegenw., Februar 1918.) Verf. behandelt an der Hand 
eines Falles von eingeklemmter Wanderniere, dessen bedrohliche Er¬ 
scheinungen durch Reposition beseitigt wurden, die Symptome und Be¬ 
handlung dieser Erkrankung. R. Fabian. 

Neuschloss: Ueber die künstliche Anssehwemmng der Malaria¬ 
parasiten im Blut. (M.m.W., 1918, Nr. 4.) Neuschloss glaubt fest¬ 
gestellt zu haben, dass Mittel, die auf glatte Muskulatur kontrahierend 
wirken (Sekale, Adrenalin, Hypophysin), eine Ausschwemmung von 
Malariaplasmodien im Blut veranlassen können und zwar „durch Kon¬ 
traktion der Milzmuskulatur". Bei kombinierter Neosalvarsan -Chinin¬ 
therapie soll zweckmässigerweise das Chinin erst fünf Tage nach dem 
Neosalvarsan gegeben werden, weil das Arsen erst allmählich aus dem 
Neosalvarsan frei wird. 

G. L. Mönck: Ueber eine Nebenwirkung der Tierkohle. (M.m.W., 
1918, Nr. 5.) Verf. machte bei mehreren Kranken die Beobachtung, 
dass nach Einnahme von Tierkohle mit darauf folgendem Genuss von 


mässigen Mengen Alkohol in Form von Bier oder Wein vasomotorische 
Störungen ausgelöst wurden. Stauungen im Kopf, Händen und Füssen, 
Herzklopfen, beschleunigte Atmung. Die Erscheinungen traten regel¬ 
mässig auf. Es handelt sich nicht um eine Idiosynkrasie, da versuchs¬ 
weise auch bei anderen Personen die gleichen Symptome hervorgsrufen 
werden konnten. 

Bai sch: Ueber chronischen Totanis. (M.m.W., 1918, Nr. 5. Be¬ 
schreibung eines Falles von chronischem lokalisierten Tetanus mit 
mehreren Rezidiven, die allmählich an Stärke abnahmen und duroh 
intraneurale bzw. intralumbale Injektionen von Novokain oder Stovain 
gebessert werden konnten. Die ersten lokalen Erscheinungen traten 
8 Monate nach der Verwundung auf, dann 4 und 7 Monate nach der 
Verletzung Tetanusanfälle mit typischen Erscheinungen. Nach Heilung 
der akuten Symptome blieb ein Dauerkrampfzustand bestimmter Bein¬ 
muskeln bestehen. Diese Muskelstarre glaubt Baisoh ebenso wie Meyer 
und Fröhlich als gangliogene, durch eine dauernd gewordene Störung 
der Rückenmarksfunktion bedingt auffassen zu müssen. Geppert. 

Kabelik: Ueber Rekoivaleszentenbliittransfnsion bei Typhös exan- 

theBiatiCBS. (W.kl.W., 1918, Nr. 2 ) Es wird über 6 mit Rekonvaleszenten¬ 
bluttransfusion behandelte Fälle von Flecktyphus berichtet. Je früher 
die Transfusion angewendet ist, desto wirksamer ist sie. Ist das Exanthem 
noch nicht eniwickelt, so erfolgt prompte und definitive Entfieberung im 
Sinne der Therapia magna sterilisans. Bei schon entwickelten Exanthem 
kann man mindestens Erleichterung oder Verkürzung der Krankbeits- 
dauer erwarten. Es müssen mindestens 20 com Blut transfundiert werden. 

H. Hirschfeld. 


Chirurgie. 

R. Fiok-Berlin: Ueber die Länge der Mnskelbfindel und die Ab¬ 
handlung Murk Jansen’s über diesen Gegenstand. (Zschr. f. orthop. 
Chir., Bd. 38, H. 1 u. 2.) F. weist energisch die von Jansen in seiner 
Arbeit (Zschr. f. orthop. Chir., Bd. 36) gegen Eduard Weber und 
A. Fick erhobenen Vorwürfe unrichtiger Angaben in ihren Arbeiten zu 
obigem Thema zurück. 

J. Dubs-Winterthur: Zur Kenntnis der kongenitalen radioalnarem 
Synostose. (Zschr. f. orthop. Chir., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Den in der 
Literatur bisher vorhandenen 41 Fällen kongenitaler Synostose zwischen 
Radius und Ulna fügt Verf. einen weiteren hinzu, wo das Leiden doppel¬ 
seitig bestand und die Patientin sich schon derartig an den Zustand 
gewöhnt hatte, dass von einem operativen Eingriff Abstand genommen 
wurde, zumal die Aussichten der Operation nicht günstig sind, da ja 
neben der knöchernen angeborenen Verwachsung meistens auch Ver¬ 
bildungen der Muskulatur zu bestehen pflegen. Schasse-Berlin. 

Elias: Ein Fall von Fissnrn Stern alis congenita eompleta Simplex. 

(W.kl.W., 1918, Nr. 4.) H. Hirschfeld. 

K. Schläpfer-Leipzig: Ein Fall von kompletter dorsaler Lnxation 

des Danmen-Metacarpns. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 143, H. 3—6.) 
Bei einer 71jährigen Frau wurde eine seit 10 Jahren bestehende dorsale 
Luxation des Daumen-Metacarpus als Nebenbefund erhoben. Die Luxation 
war beim Wäschewringen entstanden. Da keine Beschwerden bestanden, 
bedurfte es keiner Therapie. B. Valentin-zurzeit im Felde. 

L. Bo eh ler: Ein Fall von doppelseitiger habitneller Patellar- 
lnxation. Zugleich ein Beitrag zur Mechanik und Statik des Knie¬ 
gelenkes. (Zschr. f. orthop. Chir., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Sobald der Pa¬ 
tient sich bei der Kniebeuge dem rechten Winkel des Kniegelenkes 
näherte, rutschten beide Kniescheiben nach lateral ab, und er stürzte 
zusammen. Der Vastus medialis fehlte bei ihm beiderseits. In der 
Jugend hatte er 2 mal einen Sturz auf je ein Knie mit Luxation der 
Patella erlitten. Wahrscheinlich bestand angeborene Aplasie des Vastus 
medialis, woduroh die Luxation infolge Zuges des Vastus lateralis be¬ 
günstigt wurde. Eine Operation wurde nicht vorgenommen, da beim 
Gehen auf ebenem Wege keinerlei Beschwerden bestanden. Die Auf¬ 
gabe des Vastus medialis besteht nicht in einer Kniestreckung, wie sein 
Faserverlauf und die Versuohe Duchenne's beweisen, sondern darin, 
ein Abrutschen des Streckapparates nach lateral bei Kontraktion des 
sehr kräftigen Vastus lateralis zu verhüten, welohe sonst infolge des 
Achsen Verlaufes der Knochen und Zugrichtung ein treten müsste. Eine 
X-Beinstellung wird verhütet daduroh, dass die am Pes anserinus an¬ 
setzenden Beugemuskeln den Unterschenkel nach innen halten. 

K. Gaugele-Zwickau: Zur Anatomio nnd Röntgenologie dos 
oberen Femnrendes bei der angeborenen HfiftgeieBksverrenkniiBg. 

(Zschr. f. orthop. Chir., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Auf Grund eingehender 
Studien an Röntgenbildern vom normalen Skelett und einem Zinkleim¬ 
modell kommt G. zu dem Schluss, dass die sehr sohwer zu deutenden 
Hüftaufnahmen in verschiedenen Stellungen des Beines vielfach Anlass 
zu falschen Deutungen gegeben haben. Zum Beispiel gibt eine Aussen- 
rotation dasselbe Bild wie eine Antetorsion. Noch schwieriger als beim 
Erwachsenen sind die Bilder beim Kinde in verschiedenen Lebensaltern 
zu deuten, weil hier das Missverhältnis zwischen Kopf und im Röntgen¬ 
bild sichtbaren Knochenkern berücksichtigt werden muss und besonders 
auch der „obere Schenkelhalsring“ (d. h. die unmittelbar unter der 
Epiphyse liegende Partie des Halses) grösste Verwirrung anriohten kann, 
namentlich bei nicht ganz scharfen Aufnahmen. Im zweiten Teil seiner 
sehr lesenswerten, duroh zahlreiche Röntgenpausen illustrierten Arbeit 
behandelt er die Verhältnisse bei den Hüftluxationen und weist naoh, 


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UNIVERSUM OF IOWA 




15. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


867 


dass die vielfach angenommene Antetorsion und Goxa vara-Bildung auf 
falschen Deutungen verschiedener durch Abduktion, Flexion und Aussen- 
rotation bedingter Bilder beruht, wobei er auf mehrere Arbeiten anderer 
Autoren näher eingeht und als wirklich nachgewiesene Veränderungen 
am oberen Femurende bei angeborener Hüftluxation lediglich Abplat¬ 
tungen und Abschleifungen des Kopfes (und Schenkelhalses) sowie all¬ 
gemeines Zurückbleiben der Gesamtentwicklung der betreffenden Seite 
(Femur und Becken) anerkennt. Die als Spätfolgen nach der Einrenkung 
auftretenden Bewegungsstörungen und Schmerzen sind entzündlicher 
Natur (Arthritis deformans infolge Trauma bei der Einrenkung). Da 
heute die Einrenkung viel schonender ausgeführt wird als in früheren 
Jahren, besteht die Aussicht, dass solche Spätfolgen in Zukunft nicht 
mehr auftreten werden. 

Fr. Wob lau er-Berlin, zurzeit Hannover - Sch wanenburg: Merk¬ 
würdige Deformierung des Caleanens hei tahischer Osteoarthropathie. 
(Zsohr. f. orthop. Chir., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Eine stark deform, aber 
restlos ausgeheilte Galcaneusfraktur mit sekundären Veränderungen bei 
einer Tabes, die an anderen Knochen desselben Fusses noch floride 
schwere Zestörungen macht. Es besteht also an demselben Glied neben¬ 
einander fortschreitende Zerstörung und Ausheilung. Schasse-Berlin. 

Schmid: Drahtsehlingenzng am Caleanens aus dringlicher Indikation. 
(W.kl.W., 1918, Nr. 4.) H. Hirschfeld. 

F. Loeffler-Halle a. S.: üeber isolierte Kahnbeinverrenknngen 
des Fusses nebst kasuistischem Beitrag. (Zschr. f. orthop. Chir., Bd. 38, 
H. 1 u. 2.) Isolierte Kahnbeinverrenkungen kommen am häufigsten durch 
indirekte Gewalteinwirkungen zustande, welche aus ziehenden, beugenden, 
drehenden Komponenten bestehen und mit grosser Kraft oder lang an¬ 
dauernd wirken. Bleibt der Patient mit der Fussspitze hängen und 
fällt mit dem ganzen Körpergewicht zuerst nach hinten und dann zur 
Seite, so kommt es infolge starker Plantarfiexion im Talokruralgelenk, 
falls die Bandverbindungen reissen, unter nachfolgender Abduktion des 
Vorderfusses und Distraktion der Gelenkfläohen im Talonavikular- und 
Navikularkuboidgelenk im Sinne der Pronation zur Verrenkung des 
Navikulare, wobei noch das Keilbein als Hypomochlion wirkt. Der mit¬ 
geteilte Fall entspricht diesem Luxationsmechanismus. 

L. Mayer-New-York: Beitrag zur Pathologie und Therapie des 
Haekeihohlfnsses. (Zschr. f. orthop. Chir., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Bei 
der anatomischen Untersuchung eines Hackenboblfusspraparates eines 
an Spondylitis und Phthise verstorbenen 18jährigen Mädchens, welches 
seit dem fünften Lebensjahre an spastischer Hemiplegie litt, fand sich 
an den Muskeln fettige Degeneration des Triceps surae (Achillestenotomie), 
Schwäche der Peronei, besonders gute Entwicklung der kleinen Fuss- 
muskeln. Als wesentlichstes Hindernis für die Korrektur konnte neben 
Plantarfaszie und kurzen Fussmuskeln das Ligamentum plantare longum 
festgestellt werden, nach dessen Durchtrennung die Korrektur mit 
Leichtigkeit gelang, weshalb man bei der Operation stets dieses Band 
mit durchschneiden sollte. Die Untersuchung der Knochen ergab, dass 
der Kalkaneus steiler steht als der Talus, was nicht auf einer Formver¬ 
änderung des Kalkaneus beruht, sondern auch auf einer pathologischen 
Bewegung in der Sagittalebene zwischen Talus und Kalkaneus. Die 
Hohlfussbildung ist auf der Aussenseite ausgesprochener als auf der 
Innenseite, weil Taluskopf und vordere Gelenkfiäche des Kalkaneus nach 
unten verlagert sind. Die Degeneration der Gelenkknorpel zeigte genau 
den durch die Deformität entstandenen Grad der Gelenkflächeninkon¬ 
gruenz an. 

K. Tb. Petersen-Lehe: Ueber Verhütung ud Behandlung des 
statischen Plattfnsses durch Regelung der Funktion nebst Beobachtungen 
zur Statik und Mechanik des normalen Fusses und des Plattfusses. 
(Zsohr. f. orthop. Ghir., Bd. 38, H. 1 u. 2.) Aus Beobachtungen der 
einzelnen Knochen des Fusses bei der Belastung gebt hervor, dass der 
Fus8 nicht als ein einheitlicher Gewölbebau, der die Körperlast trägt, 
aufgefasst werden darf, dass vielmehr in den verschiedenen Stellungen 
des Fusses die einzelnen Teile des Skeletts und ihre Gewölbeverbin¬ 
dungen in ungleicher Weise an der Aufnahme der Last beteiligt sind. 
Hierbei ist die Muskulatur in hervorragender Weise tätig, die auch das 
(im Gegensatz zu den Anschauungen anderer Autoren) nicht vorhandene 
Quergewölbe der Metatarsalköpfchen wohl herzustellen vermag. Für den 
Gang des Plattfüssigen ist charakteristisch, dass er seine Muskulatur für 
Bewegungen des Fusses wenig gebraucht. P. konnte an sich selbst 
die Wirkung der Muskulatur auf den Plattfuss beobachten. Er 
litt als Student an beiderseitigem erheblichen sohmerzhaften Plattfuss, 
den er durch systematische Muskelübungen beim Gang, wobei er be¬ 
sonders auf Betätigung aller Fussmuskeln (kräftige Dorsalflexion beim 
Aufsetzen und energisches Abrollen) Wert legte, funktionell heilen und 
auch anatomisch bedeutend bessern konnte, ohne dass er jemals eine 
Einlage getragen hätte. Die Erhaltung des Fussgewölbes ist nicht 
die Leistung einer einzelnen Muskelgruppen, sondern eine Gesamt¬ 
wirkung der Fussmuskulatur. Von grosser Bedeutung auf die Plattfuss- 
bildung ist der Einfluss der Fussbekleidung, die Schuhe sollten so ge¬ 
baut sein, dass der vordere Teil der Sohle an der Innenseite nicht mehr 
als 10° von der an Ferse und Sohle angelegten Geraden abweicht. Auf 
Turn- und Sportplätzen, vor allem auch beim Heere sollte statt des un¬ 
physiologischen Parademarsches eine systematische Uebung der Fuss¬ 
muskeln im natürlichen Gange (Aufsetzen der Ferse, Abrollen) im aus¬ 
gedehnten Maasse Anwendung finden. Die Hauptaufgabe der funktio¬ 
nellen Behandlung des Plattfusses ist in der Prophylaxe für die Jugend 


zu suchen. Auf rachitischen und paralytischen Plattfuss beziehen sich 
diese Ausführungen nicht. 

W. Greilinger-Winterthur: Beitrag zur Lehre von der ankylo¬ 
sierenden Spondylitis mit besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen 
zur Spondylitis deformans. (Zsohr. f. orthop. Ghir., Bd. 38, H. 1 u. 2.) 
Nach einem historischen Ueberblick über die Frage der chronisch pro¬ 
gredienten Wirbelsäulenversteifung teilt Verf. aoht eigene Beobachtungen 
mit, auf Grund deren er, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der 
neueren Literatur, feststellt, dass weder in symptomatischer noch in 
ätiologischer Beziehung eine Abtrennung der von Beohterew’schen 
Steifigkeit der Wirbelsäule von der chronisch ankylosierenden Versteifung 
Strümpell’8 und Marie’s Spondylose rhizomelique möglich ist. Wenn 
auch nicht nur die Spondylitis deformans klinisch den Symptomen- 
komplex der chronische Wirbelsäulen Versteifung darbieten kann, sondern 
auch diese anatomischen Erscheinungen zeigt, wie sie der deformierenden 
Spondylitis eigen sind, so darf man doch nicht daraus den Schluss 
ziehen, dass die ankylosierende Wirbelentzündung nur eine Abart der 
Spondylitis deformans sei. Das Wesen des Prozesses ist Ankylosierung 
der Gelenke, einhergehend mit gleichzeitiger Bandverknöcherung. Am 
besten trifft die Bezeichnung Ziegler’s zu: Spondylarthritis ohronioa 
ankylopoetica. Ein ausführliches Literaturverzeichnis bildet den Schluss 
dieser sehr interessanten Arbeit. Schasse-Berlin. 

Th. Gümbel: Beitrag zur Beurteilung der Payr’sehen Pheiiol- 
kaupferbehandlnBgfrischerGelenkverletznngen durch Artilleriegesohoss. 
(D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 143, H. 3—6.) Schon in dem Augenblick 
der Verwundung wird die Infektion in das Gelenk hinein getragen. Es 
gibt keine Verwundung durch Sprenggeschoss irgendwelcher Art, die 
nicht infiziert ist. Die erste chirurgische Behandlung soll zugleich die 
endgültige sein und hat nicht erst die Infektion des Gelenkes zu ver¬ 
hüten, sondern die schon bestehende Infektion unschädlich zu machen. 
Dieses Ziel können wir sicher erreichen mit der Phenolkampferbehandlung 
naoh Payr. Eine gute Funktion kann nur erreicht werden durch die 
Wiederherstellung des Gelenkes. Erst wenn das Gelenk geschlossen ist, 
kann sich der Kapselschlau oh entfalten und entfaltet bleiben. Die Er¬ 
haltung des Gelenkes ist nur möglich nach leichteren Verwundungen: 
Aufreissung, Steckschuss und Durchschuss ohne grobe Zertrümmerung. 
Verletzungen mit schwerer Zertrümmerung der Gelenkenden erfordern 
primäre Resektion. B. Valentin-zurzeit im Felde. 

Kreglinger: Zur Klinik der Kriege! en^sehfisse. tM.m.W., 1918, 
Nr. 6.) Glatte Infanterie- bzw. Masohinengewehrschüsse werden prophy¬ 
laktisch mit Phenolkampfer injiziert und sonst konservativ behandelt. 
Steckschüsse werden sobald wie möglich operiert und ebenfalls mit 
Phenolkampfer behandelt. Bei Verletzungen mit scharfkantigen Geschossen 
erfolgt eine Exzidierung des Schusskanals, dann ebenfalls Phenolkampfer 
oder Heilung mit 2proz. Karbolsäure und nachfolgender Koohsalzaus- 
waschung. Fixierung und Nachbehandlung erfolgen anfangs auf Gramer¬ 
schiene in Semiflexion, später in Gipshülse mit Mobilisierungsbügel. 

Geppert. 

W. Stemmler-Jena: Die Differentialdiagnose des Gasbrandes. 

I. Die putride Wundinfektion und ihre Behandlung. (D. Zschr. f. Chir., 
1918, Bd. 143, H. 3—6.) Die Literatur über „Gasbrand“ hat zu einer 
Unklarheit des klinischen Begriffes geführt; St. versucht, hier Klarheit 
zu schaffen, indem er die einzelnen, von früher her bekannten Infektionen 
abschält, um zum eigentlichen Kern zu gelangen und den Gasbrand in 
seiner wahren Gestalt kennen zu lernen. Er beginnt mit der putriden 
Wundinfektion; die Erreger sind Anaerobier, stets handelte es sich um 
Mischinfektion mit Streptokokken und anderen pyogenen Erregern. Die 
Prognose ist in jedem Fall sehr ernst zu stellen. Naoh St. bestehen 
zwischen Gasbrand und putrider Wundinfektion so grundlegende Ver¬ 
schiedenheiten, dass sich einem die Ansicht aufdrängt, es müsse sich 
hier um zwei voneinander unabhängige Wundkrankheiten handeln. 
Der Gasbrand schreitet innerhalb der Muskeln fort, er ist also eine 
primäre Erkrankung der Muskeln, während die putride Infektion sich 
ihren Weg wie eine gewöhnliche Phlegmone längs der Zwischenräume 
und Scheiden sucht, die jauchige Einschmelzung der Muskeln beschränkt 
sich nur auf die unmittelbar durch das Geschoss zertrümmerten Teile. 
Eine später eventuell auftretende Einschmelzung vorher gesunder Muskeln 
hat sekundären Charakter. B. Valentin-zurzeit im Felde. 

H. Meybürg-Trier: Behelfsprothesen. (Zschr. f. orthop. Ghir. 
Bd. 38, H. 1 u. 2.) Die Prothesen sind eine Modifikation der Hoeft- 
mann’sehen Behelfsprothesen. Vom Stumpf wird über Filz ein ganz 
dünner Gipsabguss genommen, der mit Trikot-Zelluloid verstärkt den 
Stumpftrichter gibt. An Stelle der Sohlenplatte wird ein Holzfuss mit 
zwei keilförmigen Ausschnitten (Zehengelenk und Mittelfusswurzelgelenk) 
benutzt, der besseres Abrollen gestattet. Das Knie ist leicht naoh rück¬ 
wärts verlagert und hat Anschlag gegen Beugung und Streckung. Die 
Befestigung geschieht mittels Trochantergurtes und bei Obersohenkel- 
amputierten ausserdem eines Sohultergurtes, der, am Unterschenkel quer¬ 
bügel befestigt, durch Schulterhub ein leichtes aktives Strecken des 
Knies ermöglicht 

Sch eil mann-Düsseldorf: Heilwerkstätten. (Zsohr. f. Krüppelfürs., 
1918, Nr. 2.) Die Ansicht Beckmann’s, dass in Hei (Werkstätten weniger 
der Arzt als der Ingenieur die Leitung haben müsse, trifft nicht zu, 
denn in der Heilwerkstatt kommt es nicht darauf sn, technisch einwand¬ 
freie Arbeit zu leisten, sondern den Körper durch die Ausübung der 
Beschäftigung wieder an die im Wirtschaftsleben nötige Uebung und 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


Beweglichkeit zu gewöhnen. Der Arzt muss also die Leitung der Heil¬ 
werkstätten in Händen haben, der. Ingenieur und Techniker muss ihm 
natürlich in verständiger Mitarbeit zur Seite stehen. Die Heil Werkstätten 
sollen auch nicht in Fabriken oder Schulen untergebracht sein, sondern 
mit dem Lazarett oder Krankenhaus in engstem Zusammenhang stehen, 
damit die Ausbildung in ihnen schon frühzeitig beginnen kann und nicht 
nur Leiohtkranke darin arbeiten, wie das jetzt der Fall ist, wenn die 
Patienten zur Werkstatt hingehen müssen. Sohasse-Berlin. 

G. v. Lobmayer: Die kriegechirargische Bedeutung des Skorbits. 
(D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 143, H. 3—6.) Der Skorbut gehört in die 
Gruppe der hämorrhagischen Diathesen, Funk rechnet ihn zu den 
Avitaminosen. Er hat meistens endemischen Charakter, die einförmige 
Ernährung, die besonders frische Gemüsesorten entbehrt, ist ein haupt¬ 
sächliches schädigendes Agens. Das Krankheitsbild ist ausserordentlich 
vielseitig und bunt, vor allem treten Blutungen in der Haut, in den 
Weichteilen und im Zahnfleisch auf. Die Diagnose ist, abgesehen von 
Schulfällen, sehr schwer. Es gelang, den Skorbut auch experimentell 
an Tieren zu erzeugen. Im Verlauf der Krankheit kann man drei Ab¬ 
schnitte unterscheiden, die Heilung kann in jedem Stadium erfolgen, 
ln der Türkei ist der Skorbut ziemlich häufig, die Prog »ose ist gut, 
namentlich bei entsprechender Behandlung. Ein anerkanntes Antiscor- 
buticum ist der Zitronensaft. 

J. F. S. Esser-Berlin: Gestielte lokale Nasenplastik mit zwei¬ 
zipfligem Lappen, Deckung des sekundären Defektes vom ersten Zipfel 
duroh den zweiten. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 143, H. 3—6.) Bei 
einem Kinde von sechs Jahren war die Nasenspitze samt dem häutigen 
Septum durch Biss eiiies Hundes vor Jahren vernichtet worden und die 
Wunde narbig geheilt. Ein entsprechender Lappen aus der seitlichen 
Nase wurde um 90pCt gedreht und auf die angefrischte Wunde gelegt, 
der entstandene Defekt wurde durch einen Lappen vom Nasenrücken 
her gedeckt. Io noch zwei andern Fällen wurde die gleiche Methode 
angewendet, das Resultat war stets ein gutes. (Abbildungen.) 

Th. Voeckler-Halle: üeber plastische Operationen bei Gesiebte- 
nnd Kieferverletznngen. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 143, H. 3—6.) 
An Hand von zahlreichen Bildern werden die verschiedenen Operations¬ 
methoden sowohl bei Weichteil- als auch Knochenverletzungen von 
Gesichts- und Kieferverletzungen besprochen. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

Flörcken: Therapie von 62 Langeflschüssea im Feldlazarett, 
einige Komplikationen bei Lungenschüssen. (M.m.W., 1918, Nr. 6.) Als 
Behandlungsmethoden wurden geübt: konservative Funktionen, Punktion 
und Resektion, Naht eines Pneumothorax, primäre Lungennaht, trans¬ 
thorakale Laparotomie. Mortalität 37 pCt. Als Komplikationen werden 
angeführt echte Perikarditis auch ohne Verletzung des Perikards (dreimal 
unter 62 Fällen), Pneumonien, die im allgemeinen selten nach Lungen- 
sohüssen beobachtet wurden, traten in vier Fällen auf. Anführung eines 
Falles mit Autopsiebefund von Aktivierung einer latenten Tuberkulose 
nach Lungenscbuss und Exitus an Meningitis. Geppert. 

von Hacker: Lebende Tamponade. Bemerkung zur Mitteilung 
Doz. Dr. Vidakovich’s, (Zbl. f. Chir., 1917, Nr. 45). „Zur Frage der 
plastischen Ausfüllung von Hohlräumeu bei der Operation chronischer 
Empyeme*. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 8.) Hinweis auf eine frühere Mit¬ 
teilung von Hacker’s, in der berichtet war, dass durch entsprechende 
Plastik in Form gestielter Lappen Empyeme zur Ausheilung gebraoht 
werden können. 

Goebel: Zur Frage der plastischen Füllung alter Empyemböhlen. 
Bemerkungen zur Veröffentlichung von Vidakowich’s. (Zbl. f. Chir., 
1918, Nr. 8.) Die Deckung der Empyemhöhlen mit Muskellappen ist 
vor etwa 20 Jahren schon von Friedrich mit Erfolg vorgenommen 
worden. Auch Goebel hat gute Resultate zu verzeichnen. Es ist 
gleichgültig, wo man den Lappen hernimmt, und in entsprechenden 
Fällen soll man sich nicht scheuen, den Lappen in seiner Längsrichtung 
nochmals zu teilen, um das Wiederentstehen toter Räume zu verhindern. 

E. Hayward. 

H. F. Brunzel-Braunschweig: Die Resektion als Methode der 
Wahl beim Volvnlns der Flexur nnd bei der Invagination vom 

technisch-chirurgischen Standpunkt. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 143, 

H. 3—6.) An der Hand von fünf selbst operierten Fällen von Volvulus 
der Flexur und von Invagination werden folgende Leitsätze aufgestellt 

I. Die Achsendrehung der Flexur und die Invagination führen leicht zu 
Rezidiven, wenn die anatomischen Vorbedingungen für ihr Zustande¬ 
kommen bei konservativem chirurgischen Vorgehen bestehen bleiben. 

2. Daher ist die beste Behandlungsmethode, die mit Sicherheit ein Dauer¬ 
resultat gewährleistet, die Resektion der Flexur bzw. der Invagination. 

3. Nicht nur deswegen sollte die Resektion das Verfahren der Wahl in 
allen nur irgend noch zur Operation geeigneten Fällen sein. Als be¬ 
sonders mitbestimmender Faktor sollte auch der Umstand berücksichtigt 
werden, dass bei beiden Erkrankungsformen für die Resektion technisch¬ 
chirurgisch regelmässig die günstigsten Vorbedingungen anzutreffen sind, 
auch für das einzeitige Verfahren beim Diokdarm. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

A. Stoffel-Mannheim: Ueber den Mechanisnut der Nerven- 
verletsingen. (Zschr. f. ortbop. Chir., Bd. 38, H. 1 u. 2) Die Tat¬ 
sache, dass die Schwere der Nervenverletzung oft in auffallendem Gegen¬ 
satz zur Schwere der begleitenden Weichteil- und Knochenverletzung 
steht, erklärt sich zum grossen Teil aus der Mechanik des Nerven und 


der umliegenden Gewebe (besonders der Muskeln), welche das eine Mal 
dem Nerven ein Ausweichen vor. der verletzenden Gewalt (Geschoss, 
Knochensplitter) gestattet, das andere Mal nicht. Um die lebenswahren 
Zustände des Nerven bei passiver Ruhelage der Glieder und bei aktirer 
Kontraktion der Muskeln zu erforschen, hat St. an narkotisierten Affen 
die Haut entfernt, die Extremität in die gewünschte Stellung gebracht 
und dann den Affm in ein Formalinbad gelegt, io dem er starb. Nun 
werden noch die Gefässe von den Körperhöhlen aus mit schwacher 
Formalinlösung injiziert, so dass dann das ganze Glied in gewünschter 
Stellung gehärtet war. Um die aktive Muskelkontraktion hervorzarufen, 
wird unverdünntes Formalin injiziert, nachdem die gewünschte Lage der 
Glieder am narkotisierten Tier hergestellt ist. Bei Streckstellung und 
Beugestellung der einzelnen Gelenke ergaben sich ganz verschiedene 
Zustände für die einzelnen Nerven, mal waren sie gespannt, mal so 
schlaff, dass sie völl'g geschlängelt verliefen oder sogar wirkliche Ab¬ 
knickungen erfuhren. Bei aktiver Muskelkontraktion findet man am 
Nerven auch noch Abplattungen, Kantenbildungen durch modellierenden 
Muskeldruck. Mikroskopisch zeigte sich der Nerv bei der Verkürzung 
lampionartig in seinen einzelnen Strängen zusammengeschoben, bei der 
Dehnung liefen die Stränge völlig glatt nebeneinander. Bei einigen Nerven 
findet sich jedoch auch dann noch eine Spur von Zusammenschiebung 
(Reservezusammenschiebung), welche eine Ueberdehnung des Nerven bei 
extremen Gliedstellungen verhütet. Durch Zugbelastungen der Nerven 
in situ hat St. analoge Feststellungen über die Ausweichfähigkeit der 
Nerven nach vorn (d. h. in der Richtung des Geschosses) und durch 
Versuche mit durch Federkraft angetriebenen scharfen Knochensplittern 
über die Zerreissungsmöglichkeit der Nerven gemacht. Weitere Experi¬ 
mente befassten sich mit der Möglichkeit des Nerven, nach der Seite 
auszuweichen und mit dem Einfluss des Innervationszustandes der Musku¬ 
latur (wobei festgestellt wurde, dass der Nerv bei kontrahierten Muskeln 
schlechter auszuweichen vermag als bei schlaffen Muskeln). Auf diese 
Weise lassen sich für jeden grösseren Nerven die günstigsten und un¬ 
günstigsten Bedingungen betreff* Geschossverletzung finden. 

A. Biencke-Magdeburg: Ueber meine bei den ersten 250 Opera¬ 
tionen am peripheren Nerven gemachten Erfahrungen. (Zschr. f. 
orthop. Chir., Bd. 38, H. 1 u. 2) Ueber eingehende Würdigung der 
Erfolge kann Verf. in dieser, bereits April 1916, vollendeten Arbeit 
noch nichts sagen, da die Beobachtungszeit noch zu kurz war, zumal 
ja bei Nerven Operationen der Erfolg oft erst nach längerer Zeit, nach 
Jahren eintritt. Schasse-Berlin. 

Melchior: Fuso-Spirit lose des Halses unter dem Bilde der 
Aktinomykose. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 8.) Die Differentialdiagnose 
zwischen der Aktinomykose und den Spirillosen am Halse ist öfter zu 
stellen, als gemeinhin angenommen wird. Es ist darum verdienstvoll, 
dass in der vorliegenden Arbeit an Hand des siebenten in der Breslauer 
Chirurgischen Klinik beobachteten Falles nochmals auf das Krankheits¬ 
bild eingegaogen wird. Bei dem letzten Kranken entstand drei Monate 
vor der Aufnahme in die Klinik ohne äussere Ursache eine Anschwellung 
der linken Halsseite. Vor drei Wochen wurde diese Anschwellung 
schmerzhaft, und es entwickelte sich eine Eiterung, welche zur Perforation 
führte. Bei der Aufnahme des 54jährigen Kranken bestand, wie auch 
aus der beigegebenen Abbildung ersichtlich ist, eine ausgedehnte, bläulich 
rötliche Verfärbung der Haut, die durch einige Fisteln durchbrochen 
war, in Querwülsten. Das Bild erinnerte vollkommen an die typische 
Aktinomykose, auch war schon mit blossem Auge in dem Eiter eine 
Anzahl kleiner weisser Körnchen sichtbar. Bei der bakteriologischen 
Untersuchung ergab sich jedoch, dass es sich um fusiforme Bazillen 
handelte. _ E. Hayward. 


Röntgenologie. 

A. Lorey-Eppendorf: Ueber die Entstehung von nitrosen Gas«! 
im Röntgenbetrieb nebst Vorschlägen zu deren Unschädlichmachung. 
(Fortschr. d. Röngenstr., Bd. 25, H. 3.) Die dauernde Einatmung der 
in den Röntgeninstituten entstehenden salpetrigen Säure kann zu Ge¬ 
sundheitsschädigungen führen. Diese Schädlichkeiten lassen sich durch 
einfache Mittel, wie Herausnehmen der Böntgenapparate aus dem Arbeits¬ 
raum, besonders der Gleichrichter, Einschliessen der Funkenstreoken, 
Aufstellen von Schalen mit verdünnter Natronlauge, Anstrich der Wände 
mit Kalk, gute Lüftung vermeiden oder doch sehr vermindern. 

A. Schönfeld-Wien: Aufn&hmetechnik, Spannungsschwauknng 
nnd Transfomatorklenmenspannnng. (Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, 
H. 3.) Verf. stellt eine Reihe von Betrachtungen an, welche die Wechsel¬ 
wirkung zwischen primärer Spannung und Aufnahmetechnik klarer und 
verständlicher machen. Die Aufnahmetechnik wurde durch die Mil¬ 
liamperemethode, die Methode der steigonden Röhrenbelastung nach 
Holzknecht und die vom Verf. angegebene Methode der gleichmässigen 
Röhrenbelastung verbessert. Alle 3 Methoden geben gute Resultate, 
wenn die primären elektrischen Grössen, Spannung und Strommenge bei 
der bestimmten Schalterstellung und ihrer Beziehung zu den sekun¬ 
dären Grössen unverändert bleiben. Genauere Mitteilungen über die 
Spannungsschwankungen des Netzstromes (periodische und stossweise 
Schwankungen!), Netzklemmenspannung, und über die Transformator¬ 
klemmenspannung. Die Differenz zwischen beiden ist eine ganz wesent¬ 
liche. Die primäre Induktorklemmenspannung ist bei einer bestimmten 
Netzklemmenspannung ein Indikator für die Härte der Röhre. Ein¬ 
gehende Angaben darüber. Verf. empfiehlt, namentlich bei Weohsel- 


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15. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Stromapparaten neben dem Netzklemmenvoltmeter das Transformator- 
klemmen Voltmeter anzabringen. 

A. Pagen Stecher-Brannschweig: Ueber die Filter in der Strahlen¬ 
behandlung. (Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 3.) Die Wahl des 
Filters ist nach Yerf. Ansioht, unter der Voraussetzung, dass Schwer¬ 
filter (Zink, Kupfer, Blei) benutzt werden, gleichgültig. Verf. verwandte 
Blei. Schilderung des Vorzugs und des Nachteils bei Bieifilteranwendung; 
evtl, ist deshalb Vereinigung des Bleis mit Aluminium zweckmässig (und 
zwar V 4 mm Blei auf 1 mm Aluminium), letzteres zur Vermeidung der 
Sekundärstrahlung des Bleis. Weder das Bauer’sche Quantimeter noch 
das von Holzknecht modifizierte Sabouraud-lnstrument gewähr¬ 
leisten genügend die Messung, vor allem der härtesten Strahlen. Die 
Löwenthal’sche elektrometrische Messung ist zurzeit die einzig brauch¬ 
bare. Darum ist die Löwenthal’sche vergleichende Messung der ver¬ 
abreichten Röntgenstrahlenmenge naoh Radiumeinheiten mittels des elek¬ 
trischen Messinstrumentes in den Bereich der Diskussion zu ziehen. 
Das von Löwenthal gezeigte Jonometer ist weiter auszuproben. 

E. Regen er-Berlin: Ueber die Perspektive der Röntgenbilder. 
(Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 8.) An der Hand beschriebener 
Bilder (Doppelaufnahmen verschiedener Skeletteile) wird die Forderung 
erläutert, dass die Platte in einer solchen Entfernung und in einer 
solchen Stellung zum Auge betrachtet wird, wie sie bei der Aufnahme 
zur Röhre gestanden hat. Bei der Röntgenaufnahme ist es möglich, 
die Platte von beiden Seiten zu betraohten, sie in richtiger oder in 
falscher Perspektive zu sehen. Nioht so bei der Durchleuchtung. Hier 
ist man darauf angewiesen, das auf dem Schirm erscheinende Schatten¬ 
bild von der der Röhre abgekehrten Seite, also in verkehrter Perspek¬ 
tive zu betraohten, ein Umstand, der die Lokalisation mit Hilfe der 
Durchleuchtung keineswegs unterstützt. Ein Mittel zur Abhilfe ist 
durch die stereoskopisohe Durchleuchtung gegeben. Durch geeignete 
Vorrichtungen kann man erreichen, das Durchleuchtungsbild auf dem 
Schirm räumlich, objekttreu und in einer Perspektive zu sehen, die dem 
Röhrenstandpunkt entspricht, die also richtig ist und in Ueberein- 
stimmung mit der Tiefenrichtung steht. 

W. Neumann-Baden-Baden: Ueber das „Os acromiale“. (Fortschr. 
d. Röntgenstr-, Bd. 25, H. 3.) Der bisher im allgemeinen „Os acro- 
miale benannte Knochen stellt eine Folge von Entwicklungshemmung 
dar. In seinem Wesen ist er nicht verschieden von dem bisher als „Os 
acromiale accessorium sive seoundarium“ bezeichneten anormalen Ge¬ 
bilde. Beide sind als nicht untereinander oder mit der Akromiondia- 
physo knöchern verschmolzene Verknöcherungszentren der Akromion- 
epiphyse anzusprecben. Es können an einer Schulter so viele Ossa 
aoromialia gefunden werden als Knochenkeme in der knorpligen Akro- 
mionepiphyse auftreten. Das Name Akromiospinalgelenk wird dem¬ 
nach zweckmässig ersetzt durch die allgemeine Bezeichnung Intra- 
akromialgelenk. 

W. Fischer-München: Die dorsale Absprengnng am Triqietrnm 

und ihre Entstehung. (Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 8.) Dorsale 
Absprengung kommt öfter allein, seltener in Gesellschaft mit anderen, 
spezifischen Radiusbrüchen vor. Auf unscharfen Bildern wird sie leicht 
übersehen, ist aber auf guten, rein radioulnaren Aufnahmen deutlich 
zu sehen; die Zugehörigkeit des abgesprengten Stückchens zum Tri- 
quetrum ist aus schrägen Hilfsaufnahmen zu ermitteln. Die Absprsngung 
kommt durch Abriss des an der Frakturstelle an setzenden Ligamentum 
oarpi dorsale zustaude. 

H. Engels-Berlin: Ueber das Blntergelenk und sein Röntgenbild. 
(Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 3.) Charakteristisch sind die 
scholligen und flockigen Kapsel- und Weichteilschatten (Ossifikationen), 
die man auch bei Tuberkulose (Differentialdiagnose!) leichter, dichter 
aber auch bei Tabes in späteren Stadien findet mit dem Unterschied, 
dass bei Hämophilie Aussparungen mit ihren Umrahmungen vorhanden 
sind. Bei der seitlichen Aufnahme glaubt man z. B. an eine Knochen¬ 
brücke zwischen Tibia und Femur, aber die Beweglichkeit im Gelenk 
ist erhalten. 

E. F. Müller-Hamburg: Perikarditische Verkalkungen. (Fortschr. 
d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 3.) Verf. sagt zur Frage der Diagnosen- 
stellung von Verkalkungen am Herzbeutel durch das Röntgen verfahren, 
dass, da durch die anatomische Untersuchung der Beginn einer Herz¬ 
beutelverkalkung an der Aussen- oder Vorderseite des rechten Ven¬ 
trikels zu suchen ist, bei der klinischen Möglichkeit einer solchen Er¬ 
krankung versucht werden muss, diese rechte Aussenseite des Herzens 
möglichst vom Zwerchfellschatten frei auf die Platte zu bringen. Ist 
das nicht möglich, kann am Lebenden beginnende Herzbeateiverkalkung 
nicht sicher ausgeschlossen werden. Zeigt die Röntgenaufnahme schon 
auf der linken Seite des Herzens Kalkherde am Perikard, liegt relativ 
vorgeschrittener Krankheitsprozess vor, selbst dann, wenn man über 
der rechten Seite Kalkherde nicht sichtbar machen kann. Selbst in den 
allerersten Anfängen kann man diesen Inkrustationsprozess des Panzer¬ 
herzens therapeutisch nicht beeinflussen. Dagegen kann die Unter¬ 
stützung des Körpers bei der Bildung eines möglichst starken, wenn 
auch hypertrophischen Herzmuskels die drohende Dekompensation hinaus¬ 
schieben und so das Leben vielleicht verlängern. 

J. H. Gerd ei ros-Basel: Die Bronchialdrüsen im Röntgenbilde. 
Vergleich zwischen Röntgenbefund und Sektionsergebnis. (Fortschr. d. 
Röntgenstr., Bd. 25, H. 3.) An Hand vieler Fälle werden Vergleiche 
zwisohen Röntgenbefund und Sektionsergebnis der Bronohialdrüsen ge¬ 


zogen. Die Intensität des Hilusschattens ist im ganzen recht verschieden, 
die tuberkulösen Drüsen geben durchaus nicht die stärksten Schatten. 
Zu warnen ist vor der Ueberschätzung und kritiklosen Verwertung der 
Röntgenaufnahmen. Ausdehnung und Intensität des Hilusschattens wird 
in stärkerem Maasse als durch die Grösse der Drüsen beeinflusst duroh 
Stauung in der Lunge, durch Kompression infolge Zwerchfellhoohstands, 
durch pleuritische Schwarten. Es kommen bei der Sektion sehr selten 
Fälle von Tuberkulose zur Beobachtung, die mehr oder weniger auf die 
Hilusgegend beschränkt ist. 

Fr. He Im-Prag: Zur Röntgendiagnostik interlobärer Proiesse. 
(Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 3.) Massige interlobäre Prozesse 
erweisen sich oft der Perkussion und Auskultation zugänglicher als der 
Radiologie, während gerade frische und geringfügigere Veränderungen in 
den Interlobärspalfen, die der klinischen Untersuchung eventuell ganz 
entgehen können, dankbares Gebiet der Röntgendiagnostik sind, nament¬ 
lich die eitrige Form der Pleuritis interlobaris, bei der die Durchleuch¬ 
tung mehr Bedeutung hat als die Photographie. Schnütgen. 

H. Strauss-Berlin: Röntgenuntersuchung der Fnndnsrregion des 
Magens. (M.m.W., 1918, Nr. 4.) St. hat die Methoden der röntgeno¬ 
logischen Magenuntersuchung um eine Finesse bereichert. Er verwendet 
ein sogenanntes „Drahtröhrchen“, eine mit einem Draht versehene Duo¬ 
denalsonde, durch welche Luft in den Magen eingeblasen werden kann, 
zur stärkeren Sichtbarmachung der Magenblase. Ausserdem wird die 
Untersuchung des Fundus ventriculi zweckmässig durch Beckenhoch¬ 
lagerung gefördert. Mitteilung eines Falles von Pneumatose bei steno- 
sierendem Darmtumor. Geppert. 

Fr. Helm-Prag: Der tabische Magei in der Perspektive der 
Radioskopie. (Forts« hr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 8.) Da in Tabes¬ 
fällen, bei denen der Magen in den Bereich der Icnervations Körungen 
einbezogen ist, die Störungen auch die motorische Sphäre in Mitleiden¬ 
schaft ziehen, ergibt sich die Möglichkeit, auch am Röntgenschirm An¬ 
zeichen zu finden, die das Bestehen einer spinalen Erkrankung des 
Magens nahelegen. Literaturangaben und Mitteilung von Kranken¬ 
geschichten darüber. Anhaltspunkte für eine organische Erkrankung 
(Geschwür) des Magens oder seiner Nachbarorgane Hessen sich nicht 
finden; weiterhin kommen für diese Fälle andere spasmenbildende Noxen 
(Nikotin, Morphium, Tetanie) differentialdiagnostisch in Betracht. In be¬ 
zug auf die Sekretion bietet die Röntgenuntersnohung bei gastrischen 
Krisen nichts, was nicht auch durch die übrigen Methoden zu er¬ 
mitteln wäre. 

J. Schütte: Was bedeutet im Röntgenbild die Zähnelnng der 
grossen Knrvatnr des Magens? (Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, 
H. 3.) Was bei starken geschwürigen Prozessen der stark eingezogene 
Spasmus der grossen Kurvatur an einer besonderen Stelle bedeutet, das 
bedeutet bei geringerem Reiz in geringerem Grade ihre stellenweise 
Zähnelung, die differentialdiagnostisch nicht mit dem Bilde eines Skirrhus 
der grossen Kurvatur (dort ist sie selten!) verwechselt werden darf. 
Die Zähnelung stellt ein in verschieden starkem Grade auftretendes, 
mehr oder weniger tief einschneidendes, nicht ganz regelmässig in seiner 
Aufeinanderfolge sich zeigendes, aus zahlreichen kleinen Zackenbildungen 
bestehendes Aussehen der Seitenkontur der grossen Kurvatur dar, wo¬ 
bei es sich um kleine spastische bzw. hypertonische Einziehungen ent¬ 
lang dem Verlauf der grossen Kurvatur handelt, durch welche die in 
der Längsrichtung des Magens laufenden Schleimhautfalten teilweise in 
geringer Ausdehnung quer gestellt werden. 

M. Netousek-Prag: Diagnose der Miliartuberkulose. (Fortschr. 
d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 3.) In 2 Fällen von Miliartuberkulose war 
es möglich, den Verdacht auf miliare Eruption durch ausschlaggebenden 
skiagraphischen Befund zu begründen. Schnütgen. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Luithlen: Die Schmerzstilliing als Behandlung der Hautent¬ 
zündung. (W.kl.W., 1918, Nr. 2.) Verf. hält es auf Grund seiner 
Untersuchungen für angezeigt, Entzündungen der Haut sowohl durch 
örtliche Schmerzstillung, wie durch innerliche Darreichung der Nervina 
zu beeinflussen. H. HirschfeId. 

Galenberg-Dresden: Ueber das gehäufte Auftreten der Tricho¬ 
phytie. (Denn. Wschr., 1918, Bd. 66, Nr. 10.) Am besten wäre eine 
Aufnahme der Trichophytiekranken in ein Lazarett, was sich aber nioht 
durchführen lässt. Jedoch müsste das Rasieren hautkranker Soldaten 
den Barbieren verboten werden; das Haar- und Bartschneiden derartiger 
Kranker müsste in den Kasernen oder besonderen Barbierstuben statt¬ 
finden, mit Reinigung der dazu verwendeten Instrumente nach bestimmten 
Vorschriften. Therapeutisch empfiehlt G. Epilation, Pinselung mit Jod¬ 
tinktur und nachfolgendem 2proz. Naphtholschwefelsalbenverband, oder 
ähnliche antiparasitäre Behandlungsmethoden. 

A. Blasehko-Berlio: Die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten 
in Berlin. (Derm. Zschr., Januar und Februar 1918.) Die Geschlechts¬ 
krankheiten waren im Jahre 1918 unter einer Bevölkerung von vier 
Millionen in Gross-Berlin in etwa 2,5 pCt. verbreitet, und zwar entfallen 
auf Syphilis 5pCt., auf Gonorrhoe 17,5 pCt. Jedoch sind diese Zahlen 
nur auf ungefähren Schätzungen begründet* 

H. Hecht-Prag: Untersuchungen über Sitz der genitalen Ge¬ 
schwüre heim Manne. (Derm. Wach., 1918, Bd. 66, Nr. 9.) Dreiviertel 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


aller Geschwüre kommen an der Eiohelrinne, der Vorhaut and dem 
Bändchen vor. Es wäre also besonders auf die Unversehrtheit dieser 
Teile zu achten. Die Reinigung; dieser Stellen naoh einem verdächtigen 
Verkehr müsste sehr sorgsam vorgenommen und schützende Salben 
hier ausgiebig angewendet werden. Vielleicht wäre bei der ungeheueren 
Steigerung der Geschlechtskrankheiten in und naoh dem Kriege eine 
Beseitigung der Vorhaut und des Bändchens zu empfehlen. 

Immerwahr. 

Mo. Donald: Akute gelbe Leberatropbie bei Syphilis. (Brit. 
med. journ., Nr. 2977.) Kurze vorläufige Mitteilung über fünf Fälle von 
akuter Lebernekrose, die innerhalb von zwei Monaten zur Sektion kamen. 
Es handelte sich in sämtlichen Fällen um Syphilitiker, die mit Salvarsan 
und Quecksilber behandelt worden waren. Ohne besondere Vorboten 
trat plötzlich schwere Gelbsucht auf, mit Erregungszuständen und Blut¬ 
brechen. Die Kranken verfielen rasch in tiefe Bewusstlosigkeit, und der 
Tod erfolgte binnen weniger Tage. Ob ein minderwertiges Salvarsan- 
präparat oder aber ein Keim der Coli-Gruppe, dessen Züchtung in 
sämtlichen fünf Fällen gelang, an diesem gehäuften Vorkommen des im 
allgemeinen recht seltenen Krankheitsbildes die Schuld getragen hat, ist 
Gegenstand weiterer Untersuchung. Schreiber. 

S. Lomholt-Kopenhagen: Ueber eine palmoiale Form der Neo- 
salvarsanintoxikation. (Derm. Zsch., Februar 1918.) Nach einer intra¬ 
venösen Injektion von 0,9 Neosalvarsan traten Vergiftungserscheinungen 
auf, welche zum Tode der Frau führten. Die Sektion ergab in der 
Haut, in den Nieren und im Gehirn die für Salvarsanvergiftung 
charakteristischen zerstreuten kleinen Blutungen, und in den Lungen 
zahlreiche miliare Infiltrate, zum Teil mit Nekrose, aber ohne Bakterien, 
welche in ihrer Verteilung den obenerwähnten Blutungen in den Organen 
entsprachen, und nur auf hämatogenem Wege entstanden sein können. 
Dieser Umstand deutet an und für sich direkt auf das Salvarsan als 
Ursache hin, da die Lunge das Organ war, das zuerst von der intravenös 
eingespritzten Neosalvarsanlösang durchströmt wurde. Immerwahr. 


Augenheilkunde. 

Weigelin. Ein Fall von spontaner Lnxation des Balbas. (Klin. 
Mbl. f. Aughlk., Februar 1918, Bd. 60.) Bei dem mitgeteilten Fall kann 
jede auoh geringfügige Verletzung ausgeschlossen werden. Die Luxation 
ist allein bei etwas heftigen und ungewohnten Bewegungen des Kopfes, 
bei etwas vermehrtem Pressen, z. B. beim Bücken entstanden und hat 
sich im Verlauf von einem halben Jahr im ganzen siebenmal wiederholt. 
Als Ursache muss die kariöse Erkrankung der Gesichtsknochen mit Ver- 
grösserung der Orbitalöffnung durch Defekte am unteren Orbitalrand und 
narbige Einziehung am äusseren Augenwinkel angenommen werden. Da 
eine öftere Wiederholung dieses für den Patienten recht lästigen Vor¬ 
kommens zu befürchten war, wurde eine Verengerung der Lidspalte durch 
Ausführung einer Tarsorhaphie vorgenommen, welche kosmetisch nicht 
störte. Seitdem hat sich der Vorgang der Spontanluxation nicht wiederholt. 

Salus: Doppelseitiger pulsierender Exophthalmns. (Klin. Mbl. 
f. Aughlk., Februar 1918, Bd. 60.) Der veröffentlichte Fall des 22jährigen 
Kriegsinvaliden zeigt den ausgeprägten Symptomenkomplex des pulsierenden 
Exophthalmus, ein Krankheitsbild, das von seltenen Ausnahmen abgesehen, 
durch Ruptur der Carotis interna im Sinus cavernosus hervorgerufen 
wird. Relativ selten ist die Doppelseitigkeit der Symptome, wie sie im 
beschriebenen Falle vorhanden ist. Die Doppelseitigkeit setzt nioht un¬ 
bedingt eine Verletzung beider inneren Karotiden voraus. In dem ver¬ 
öffentlichten Falle lässt sich eine solche mit Sicherheit aussohliessen. 

0. Blegvad: Ueber die Progression der Myopie. (Klin. Mbl. f. 
Aughlk., Februar 1918, Bd. 60.) Unter dem grossen Material des Verf. 
zeigte sich, dass die durchschnittliche Progression pro Jahr für Voll¬ 
korrigierte: 0,55 Dioptrien, für Unterkorrigierte: 0,33 Dioptrien war. 
Hier zeigt es sich also auch, dass die nützliche Wirkung der Vollkorrektion 
ausbleibt und die Zahlen eher für Unterkorrektion sprechen. Es findet 
sich auoh eine Reihe von Fällen, die gleichgültig, ob sie vollkorrigiert 
oder unterkorrigiert werden, stationär bleiben. Die Korrektion hat kernen 
Einflass auf die Progression der Myopie. Auch die allgemeine Annahme 
findet sich bestätigt, dass es sich bei der Myopie um eine Vererbung 
handelt. 

Rönne: Ueber die praktische Bedeutung der Zeiss’schen Pnnktal- 
nnd KatraiglBser. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Februar 1918, Bd. 60.) Zum 
Referat nicht geeignet. 

v. Rohr: Zur Entwicklung der Fachaasbildung von Brillenoptikern. 
(Klin. Mbl. f. Aughlk., Februar 1918, Bd. 60.) Verf. hält es für wichtig 
und auoh für zweckmässig, die Optiker in ihrem Streben nach einer 
besseren Ausbildung in ihrem Fach zu unterstützen, in der Voraussetzung, 
dass die Optiker selbst von einer zu weiten Ausdehnung ihrer Tätigkeit 
Abstand nehmen. 

Kren ger: Untersuchung über Häufigkeit und Lokalisation von 
Linsentrübungen bei 401 Personen von 7—21 Jahren. Zur Kenntnis 
des Kataraktbeginns. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Februar 1918, Bd. 60.) 
Die vorliegende Arbeit zeigt an Hand der Untersuchungen von 800 Augen, 
bei denen ausnahmslos mit Homatropin und Kokain die Papille ad 
maximum erweitert wurde, dass die als krautförmige Katarakt bezeiohnete, 
in einer intermediären Zone gelegene Trübungsform vor dem Pubertäts¬ 
alter nicht vorkommt, während und naoh demselben aber in einem grosssen 
Prozentsatz der Fälle nachweisbar wird. Die Trübungen sind je naoh 


ihrer Dichte in auffallendem Tageslichte bläulichgrau bis grau, stehen 
flächenförmig mehr oder weniger parallel zur'Kernoberfläche und nehmen 
axialwärts an Zahl und Grösse ab. Bei 297 Kindern im Alter von 7 
bis 13 Jahren fand sich diese Trübungsform nie. Bei 104 Personen 
dagegen im Alter von 14 bis 21 Jahren fand sie sich in 17,2 pCt. der 
Fälle. In allen diesen Fällen war die Pubertät entweder erreicht oder 
überschritten. Die vorliegende Arbeit zeigt daher die bisher nicht be¬ 
kannte Tatsache, dass die von Vogt als Koronarkatarakt bezeichnet«, 
äusserst häufige Starform in der Pubertätszeit ihren Anfang nimmt. 

H. Gjessing: Ueber Tnberknlose als Aetiologie bei der sogenannten 
Febris uveo-parotidea (Heerfordt). (Klin. Mbl. f. Aug., Februar 1918, 
Bd. 60.) Verf. beschreibt einen Fall von Iridocyolitis tuberculosa mit 
Mitaffektion der Ohrspeicheldrüsen. Es ist das Bild der Heerfordt’achen 
Erkrankung. Der ganze Habitus der Patienten, ihre Ekzematosa, die 
schleichende subfebrile Entwicklung der Krankheit wie auch die typische 
Reaktion auf Tuberkulin sowohl lokal als fieberhaft spricht dafür. 

Eppenstein: Neuritis optiea nnd Iridoeyelitis infolge von 
Masern. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Februar 1918, Bd. 60.) Beide Fälle ent¬ 
stammen derselben kleinen Epidemie von acht Erkrankungen. Beide Male 
trat die Augenerkrankung naoh vollständig abgeheilten Masern, vier 
Wochen nach deren Beginn auf. Der Verlauf beider Fälle war sehr 
rasch, die Heilung vollständig bis auf eine leichte Sehstörung durch 
Pigmentbeschläge auf der Linse in dem einen Falle. Mendel. 

Kirk-Edinburg: Angen Veränderungen bei Kriegsnephritis. (Brit. 
med. journ., Nr. 2975.) Bericht über einige 70 Fälle dieses Leidens, 
von denen 72 pCt. Augen Veränderungen darboten. Diese waren erst in 
späteren Stadien der Erkrankung nachweisbar und bestanden bei leichteren 
Fällen in einigen wenigen kleinen Exsudaten und vereinzelten punkt¬ 
förmigen Blutungen, bei schwereren Fällen ausserdem in Schwellung und 
Unschärfe der Sebnervensoheibe. Manchmal kam es auch zu geringen 
Oedemen längs des Verlaufes der Gefässe. Die Exsudate bevorzugten 
die Nachbarschaft der Sehnervenscheibe und die Makulagegend. Die 
Blutungen waren stets punktförmig. Alle Veränderungen sind nieht 
bleibend und unterscheiden sich daduroh streng von denjenigen bei 
chronischer Nierenentzündung. Schreiber. 

Gutfreund: Ein Fall von beiderseitiger pulsierender Vortex- 
veue. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Februar 1918, Bd. 60.) Bei dem 21jährigen 
Patienten findet sich beiderseits im temporalen Teile der Chorioideal- 
atrophie eine quer verlaufende, am Papillenrande verschwindende Vortex¬ 
vene, deren Fortsetzung und baumartige Verzweigung in der Chorioidea 
sich ziemlich gut verfolgen liess. Innerhalb des temporalen atrophischen 
Areales sah man an diesem Gefässe ein rhythmisch wechselndes Dunkler- 
und Hellerwerden, und zwar verlief diese Art der Pulsation in analogem 
Rhythmus mit dem Karotispulse (76 Schläge in der Minute), jedoch um 
ein geringes später als dieser und zwar sichtlich vom temporalen Rande 
gegen die Papille hin. 

P. v. Szily u. A.Sternberg: Bakteriotherapie uud Cbemotlaerapie 
in der Augenheilkunde. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Februar 1918, Bd. 60 ) 
Durch parenteral zugeführte unspezifische unterschädliehe Giftreize können 
bei lokalen Entzündungszuständen des Auges bis zu einer zurzeit nicht 
messbaren Grenze unspezifische Abortivwirkungen hervorgerufen werden. 
Ein voller adäquater Giftreiz kann dem Organismus auch durch physiko¬ 
chemische Variationen der Zusammenstellung von anorganischen Proto¬ 
plasmagiften zugeführt werden. 

T. Chotzen u. E. Kuznitzky: Die Strahlenbebandlnng des 
Auges. 1. Mitteilung. Experimentelle und klinisohe Beiträge zur Be¬ 
strahlung der Kornea mit nltraviolettem Licht. (Klin. Mbl. f. Aughlk., 
Februar 1918, Bd. 60.) Die Anwendung der Quarzlichtbestrahlung der 
Hornhaut erscheint kontraindiziert bei akuten Sohwellungskatarrhen, da¬ 
gegen ist sie geboten bei allen torpide verlaufenden chronischen Formen 
der Keratitis. Sie leistet besonders dann, wenn alle bisher angewendeten 
Mittel erfolglos gewesen sind, sehr gute Dienste, indem sie den Heilverlauf 
beschleunigt. Das ultraviolette Licht Lt in therapeutischer Dosierung 
absolut gefahrlos für das Auge und ziemlich einfach in seiner Anwendung. 

F. Mendel. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie nnd Nervenkrankheiten. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 10. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Bonhoeffer. 

Schriftführer: Herr Henneberg. 

1. Hr. Kramer: Ueber eine eigenartige Mnskelerkranknng. 

Vortr. demonstriert anschliessend an seine Demonstration vom 
9. VII. 1917 (vergl. diese Wochensohr., 1917, Nr. 38) zwei Patienten, 
die mit dem damals gezeigten weitgehende Aehnliohkeit darbieten. In 
beiden Fällen hat sich das Krankheitsbild im Laufe mehrerer Jahre 
unter zunehmender Schwäche ausgebildet. Im ersten Falle finden sich 
ausgesprochene Pseudohypertrophien der Muskulatur, die vor allem die 
Extremitätenmuskeln, von den Rumpfmuskeln insbesondere den Erector 
trunoi betreffen. Im zweiten Fall sind nur die Wadenmuskulatur und 
die Kniebeuger in mässigem Grade pseudohypertrophisch. In beiden 


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UMIVERSITY OF IOWA 




15. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


301 


Fällen fallt die Langsamkeit and Schwerfälligkeit der Bewegungen auf, 
auch die Sprache ist deutlich verlangsamt. Sämtliche Bewegungen sind 
in der Kraft herabgesetzt, ohne dass lokalisierte Lähmungen bestehen. 
Die Reflexe zeigen eine erhebliche Verlangsamung des Verlaufs, insbe¬ 
sondere ist die Erschlaffungsphase verlängert (Demonstration einer gra¬ 
phischen Aufnahme des Patellarrefiexes). Diese Veränderungen zeigen 
in gleicher Weise die Sehnen- und Hautreflexe. Dieselbe Veränderung 
des Kontraktionsverlaufes zeigt sioh bei mechanischer Reizung der 
Muskeln. Die elektrische Untersuchung ergibt ebenfalls eine Verlang¬ 
samung des Kontraktionsverlaufes sowohl bei faradischer wie bei galvani¬ 
scher, bei direkter und indirekter Reizung. Die Trägheit der Zuckung 
ist ausgesprochener bei direkter als bei indirekter galvanischer Reizung 
und entspricht hier durchaus der Verlangsamung bei Entartungsreaktion 
(Demonstration einer graphischen Aufnahme bei indirekter Reizung durch 
Oeffnungs-Induktionssohlag). Das bei dem früher demonstrierten Pat. 
nachweisbare Anwachsen der Kontraktion bei faradisoher Reizung Hess 
sich in dem ersten Fall angedeutet nachweisen. Die Aufnahme des 
Aktionsstromes mit dem Seitengalvanometer ergab beim Patellarreflex 
und bei der durch Oeffnungs-Induktionsschlag hervorgerufenen Reizung 
eine diaphasische Schwankung von normalem Verlauf. 

Es handelt sioh um ein Krankheitsbild, das vor allem charakterisiert 
ist durch die Verlangsamung des Kontraktionsverlaufes der Muskeln bei 
jeder Reizart. 

Es ist wahrscheinlich, dass es sioh um eine primäre Muskelerkran¬ 
kung handelt. Hierfür spricht insbesondere auch der normale Verlauf 
der Aktionsstromkurve bei verlängertem Kontraktionsverlauf. Es weist 
dies darauf hin, dass der Innervationsvorgang den Muskel in normaler 
Weise erreicht, und dass dieser erst in veränderter Weise darauf reagiert. 

Bei der weitgehenden Uebereinstimmung der drei Fälle erscheint 
die Annahme gerechtfertigt, dass es sich um ein einheitliches Krankheits¬ 
bild handelt, das, wie auch schon bei der früheren Demonstration hervor¬ 
gehoben Wurde, zwar Aehnlichkeit mit der Dystrophie einerseits und mit 
der Myotonie andererseits aufweist, indessen von diesen sich in so 
wesentlichen Zügen unterscheidet, dass es keiner von diesen Krankheiten 
zugeordnet werden kann. (Eigenbericht.) 

2 . Hr. Kramer: 

Myasthenische Reaktion hei postdiphtherischer Lähmung. 

Vortr. demonstriert einen Soldaten, der im Juli vorigen Jahres eine 
Diphtherie durchgemacbt hat. Im Anschluss daran stellte sioh eine 
Gaumensegellähmung ein, späterhin auch Sohwäche in den Armen und 
Beinen verbunden mit Parästhesien. Die Gaumensegellähmung besserte 
sioh, ist jedooh auch jetzt nicht ganz versohwunden, und Pat. klagt 
darüber, dass Schluokstörungen in wechselnder Intensität noch immer 
aaftreten; ferner klagt er über eine starke Ermüdbarkeit beim Gehen. 
Er gibt an, dass alle Beschwerden nach stärkerer Ermüdung zunehmen. 

Die Untersuchung ergibt ausser einer geringfügigen Gaumensegel¬ 
parese beiderseits, Lasegue’schem Symptom, geringer diffuser Parese in 
den Beinen eine ausgesprochene myasthenische Reaktion, die fast in der 
gesamten Körpermuskulatur nachweisbar ist. 

Dieser Befund veraulasste die Untersuchung von anderen Patienten 
mit postdiphtherischen Lähmungen bezüglich der myasthenisohen Reaktion. 
Während zwei Kinder mit postdiphtherischen Lähmungen nichts davon 
darboten, fand sich bei einer Patientin, die vor einem Jahr nach einer 
Diphtherie Lähmungserscheinungen gehabt hatte und die Klinik jetzt 
vregen hysterischer Symptome aufsuchte, ausgesprochene myasthenische 
Reaktion, desgleichen bei einem Pat., der vor drei Wochen eine Diphtherie 
durohgemaoht hat und über ausgesprochene Lähmungserscheinungen, 
über Schwächegefühl und leichte Schmerzen in den Extremitäten klagt. 
Der Befund ist bemerkenswert im Hinblick auf die vor einem Jahr von 
Gereon 1 ) mitgeteilten Beobachtungen. Dieser fand in zwei Fällen mit 
rezidivierenden bulbären Lähmungen, die an das Krankheitsbild der 
myasthenischen Bulbärparalyse erinnerten, dass es sich um Diphtherie¬ 
basillenträger bandle. Inwieweit diese Befunde einen Rückschluss auf 
eine toxisch-infektiöse Aetiologie der Myasthenie erlauben, möchte Vortr. 
noch dahingestellt sein lassen. Die myasthenische Reaktion wird ja auch 
sonst nicht allein bei der Myasthenie, sondern auch bei anderen Krank* 
heitsbildern beobachtet, und es ist wahrscheinlich, dass wir es hier auch 
nur mit einem Symptom der postdiphtherischen Polyneuritis zu tun 
haben, das nach den mitgeteilten Beobachtungen nicht selten dabei vor¬ 
zukommen scheint. Jedenfalls geben die Befunde Veranlassung, noch 
weitere Untersuchungen in dieser Richtung anzustellen. (Eigenbericht.) 

3. Aussprache zu Cassirer: Wolhynisehes Fieber nid Neuritis 
der Cawda equina. (Sitzung vom 12. November 1917). 

Hr. Friedrioh Leppmann demonstriert einen Fall von „Schien¬ 
beinsohmerz* nach wolhynischem Fieber. Erkrankung im Felde vor 
9 Monaten, Schmerzen im linker Untersohenkel seitdem dauernd. Ueber- 
empfindliohkeit gegen Bestreichen der Haut über dem Schienbein und 
den angrenzenden Weiohteilen, nicht in der ganzen Ausdehnuug des 
Schienbeins. Leichte Gebstörung, Entlastung des linken Beins. Der 
Befund ist seit Monaten konstant. Sonst keine objektiven Nervenstörungen. 
Röntgenbefund negativ. In den letzten Wochen nach monatelanger 
Besserung wieder Fieberzacken und sehr heftige Sohmerzanfälle. Diese 
anhaltenden Schmerzen sind organischer Natur, ihre Deutung ist im 
Uebrigen noch ungewiss. (Eigenbericht.) 


1) B.kl.W., 1916, Nr. 51. 


Hr. Sohuster hat in der letzten Zeit wiederholt Neuritiden der 
Gauda equina gesehen bei Leuten, die vorher Fieber hatten. Ob das 
wolhynisohes Fieber gewesen ist, kann er nicht sagen, da er keine 
genauen Temperaturkurven der Leute zur Verfügung hatte, die zur Be¬ 
urteilung bezüglich wolhynischen Fiebers erforderlich sind. 

Hr. Cassirer bemerkt, dass Knochensohmerzen nicht absolut charakte¬ 
ristisch für wolhynisohes Fieber sind, sondern auch bei anderen Infektions¬ 
krankheiten, besonders bei Typhus vorkommt. Die Röntgenuntersuchung 
ergibt manchmal positive Befunde, so eine eigenartige Knoohenwucherung, 
die naoh dem Innern der Spongiosa hingeht. 

Hr. Bonhoeffer hat auch viel Fälle von Knochensohmerzen gesehen 
bei Erkrankungen, die für leichte Typhusfälle angesprochen wurden. 

4. Hr. L. Borehardt: 

Deaoastrationen *ar diagnostisches Abgrenzung der Paralyse. 

Vortr. demonstriert zuerst eine 34 jährige Frau, die im 16. Jahre 
Lues durohgemacht hat, mit 25 Jahren lanzinierende Sohmerzen bekam 
und von deren 3 Kindern nur 1 schwachsinnig, wahrscheinlich hereditär 
luisohes, Kind lebt. In der letzten Zeit vor der Aufnahme (vor 2 Jahren) 
wurde Bie nachlässig, unsauber, klagte über Händezittern* und Stottern. 
Bei der Aufnahme war sie im neunten Monat gravide, gebar bald darauf 
ein gesundes Kind (das später an Diphtherie starb). Es bestand 
Euphorie, schlechte Merkfähigkeit, sohwere Ataxie mit Unfähigkeit zu 
gehen, Pupillenstarre, Sprachstörung und Arthropathien. Das klinische 
Bild war das einer Paralyse, aber der Wassermann im Blut und die 
Liquorreaktionen ergaben mehrfach negative Resultate, auoh Lymphozytose 
fehlte damals; eine geringe Pleozytose ist erst neuerdings aufgetreten. 
Vor einem Jahr erlitt sie eine schmerzlose Oberschenkelfraktur durch 
adäquates Trauma, die zur Wiederaufnahme führte. Es stellte sioh 
nun nach und naoh eine weitgehende Besserung ein. Sie läuft abgesehen 
von den Folgen des Bruches gut. Auch beim Kniehakenversuch besteht 
keine Ataxie, die hochgradige Besserung der Ataxie wird an Schrift¬ 
proben der verschiedenen Zeiten demonstriert. An der Sprache fällt 
jetzt kaum eine Störung auf. Sie ist psychisch etwas gebessert, auch 
die Merkfähigkeit gebessert, wenn auch noch gestört. Die Pupillenstarre 
ist geblieben, Reflexstörungen haben immer gefehlt. Eine spezifische Kur 
ist seit Beginn der Beobachtung nicht gemacht worden. Es fragt 
sich nun, handelt es sich um eine echte Paralyse mit Remissionen oder 
um eine syphilitische Pseudoparalyse. Auf Grund der mehrfachen 
negativen Wassermann- und Liquoruntersuchungen dürfte man* eher 
an eine Pseudoparalyse denken. Eine sichere Entscheidung lässt sioh 
aber nach Ansicht des Vortr. nicht treffen. 

Bei der 2. Patientin handelt es sich um eine 28jährige Frau, bei 
der eine Infektion zweifelhaft ist, und die im 19. Jahr vorübergehend 
Doppelsehen und einmal ein schiefes Gesicht gehabt hat. Während sie 
früher in Vertrauensstellungen war, ist seit einem Jahr ein Rückgang der 
psychischen Funktionen und ein ethischer Defekt eingetreten, so dass 
sie die Stellen schnell weohseln musste und immer sofort entlassen wurde. 
Eigentlich Klagen hatte sie bei der Aufnahme nicht. Die Pupillen 
reagierten normal, es bestand eine doppelseitige H. Atrophie, zentrales 
Skotom, Nystagmus, die Bauchreflexe waren schwach, in den Beinen 
Hypotonie und Absohwächung der Reflexe, in Armen und Beinen Be¬ 
wegungsataxie. Dabei besteht bei allen Bewegungen, auoh beim Gang eine 
eigenartige Mischung von Ataxie und Maniriertheit. Abgesehen von einer 
leichten Lymphozytose waren die Liquorreaktionen und der Wassermann 
im Blut und Liquor negativ. Im Gespräch ist sie absohweifend, kritiklos, 
mischt sioh in alles hinein und bekommt viel Streit. Auf eine Bemer¬ 
kung einer Stubengenossin hin, dass sie gravide sei, glaubte die Pat. 
es. An harmlose Bemerkungen knüpft sie Wahnideen. Es besteht 
Affektsohwäohe, Urteilslosigkeit nnd deutliche psyohomotorisohe Störungen. 

Ohne organischen Befund würde man das psychisohe Bild für das 
einer Hebephrenie halten, die organischen Erscheinungen entsprechen 
der multiplen Sklerose. Es ist also wohl anzunehmen, dass das Krank¬ 
heitsbild eine Kombination von Schizophrenie und multipler Sklerose 
darstellt. 

5. Hr. Heueberg: Gehirnzystizerkose (?) mad Taenia soliwm. 

80 jähriger Reservist, war lange Zeit im Westen' und im Osten, 
erkrankte im Felde mit epileptischen Anfälle und massigen Kopf¬ 
schmerzen. Die Untersuchung ergab Neuritis optica, baträchtliche Seh¬ 
schwäche rechts, geringfügiger Nystagmus beim Blick naoh links, im 
übrigen keinerlei Lokalsymptome, kein Erbrechen, keine Pulsverlang¬ 
samung, überhaupt wenig gestörtes Allgemeinbefinden, in letzter Zeit 
keine Verschlechterung. Patient hatte einen Bandwurm, der abgetrieben 
sich als Taenia solium erwies. H. stellt vermutungsweise die Diagnose 
auf Gehirnzystizerkose, da keine Anhaltspunkte für Lues bestehen und 
der Verlauf gegen Tumor zu sprechen scheint. Das gleichzeitige Vor¬ 
kommen von Gehirnzystizerkose und Taenia ist sehr selten beobachtet. 
H. vermutet, dass die Seltenheit daduroh zu erklären ist, dass Band¬ 
wurmträger eine relative Immunität gegen Infektionen mit Zystizerken 
haben. Biologisch wäre dies verständlich, da die Fortentwicklung des 
Zystizerkus zum Bandwurm den Tod des Bandwurmwirtes zur Voraus¬ 
setzung haben würde. Zystizerken der häufigen Taenia saginata kommen 
anscheinend überhaupt niemals im Menschen zur Entwicklung. Die 
Taenia solium hat in den letzten Jahrzehnten derart an Häufigkeit ab¬ 
genommen, dass sie als aussterbender Parasit galt. Zystizerkenfälle 
beim Menschen waren sehr viel seltener geworden, immerhin wurden sie 
noch wesentlich öfter beobachtet als der Bandwurm. Es musste somit 
eine Verschleppung der Bandwurmeier aus Gegenden, wo die Taenia 


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UNIVERSUM OF IOWA 





362 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


solium noch häufiger ist, stattgefunden haben. Näheres ist darüber 
nioht bekannt. Roh zu essendes Gemüse kommt in erster Linie in 
Frage. Man muss mit der Möglichkeit rechnen, dass infolge des Krieges 
(Verschiebung grösserer Bevölkerungsteile, Geheimsohlachtungen, Schleich¬ 
handel mit Fleisch) die Taenia solium wieder häufiger wird. Der Gegen¬ 
stand verdient Beachtung. H. nimmt in dem vorliegenden Falle Dienst- 
besohädigung an im Hinblick auf die gestellte Diagnose. Bei Tumor 
oder Lues würde DienstbesohädiguDg nicht anzunehmen sein. Die Taenia 
hat der Patient infolge der Verhältnisse im Felde bekommen. Er gibt 
an, dass er sehr oft rohes Schweinefleisch gegessen hat. 

Aussprache*. Hr. Hebold weist darauf hin, dass Infektion durch 
Zystizerken dann eintrete, wenn reife Proglottiden dhroh den Brechakt 
in den Magen gelangen. 

Hr. Henneberg (Schlusswort): Ein derartiges Vorkommnis dürfte 
äusserst selten sein. Auffallend bleibt, dass Selbstinfektion des Band¬ 
wurmträgers durch Unsauberkeit (Eier im Kot) nicht sehr viel häufiger 
ist, als die Erfahrung ergeben hat. 


Medizinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft za Jena. 

(Sektion für Heilkunde.) 

Sitzung vom 13. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Lexer. 

1 . Hr. Eden: Ueber freie Moskeltransplantation. 

An der Hand der in der Literatur festgelegten Erfahrungen und 
eigener Beobachtungen am Menschen werden die Bedingungen und Aus¬ 
sichten der freien Muskeltransplantation besprochen. Die Untersuchungen 
ergaben, dass auch am Menschen völlig frei transplantiertes Muskel¬ 
gewebe nioht erhalten bleibt. Die Muskelfasern gehen zugrunde und 
werden durch Bindegewebe ersetzt. Erhaltene oder gewucherte Muskel¬ 
elemente am Rande des Transplantates waren zwar vorhanden, sie 
können aber, selbst wenn sie dauernd überleben bleiben, die Funktion 
des verlorengegangenen Muskelgewebes nicht ersetzen. Zur erfolgreichen 
Verpflanzung von Muskelgewebe sind gute Ernährung, Funktionsreiz und 
Erhaltung oder schnelle Wiederherstellung der Nervenversorgung Be¬ 
dingung. Keine dieser Voraussetzungen kann bei der freien Muskel¬ 
verpflanzung erfüllt werden. Es ist daher die Brauchbarkeit der freien 
Muskeltransplantation für klinische Zwecke abzulehnen. Ebenso ist die 
Verwendung des Muskeltransplantates als Bau- und Gerüstsubstanz zur 
Ausfüllung und Deckung von Defekten oder zur Blutstillung nicht emp¬ 
fehlenswert, da es sich um ein Gewebe handelt, welches hohe Ansprüche 
an die Ernährung stellt, unter Bildung von Toxin der Nekrose anheim¬ 
fällt und endlich bindegewebig ersetzt wird. Es eignen sich für solche 
Zwecke besser die Gewebe der Bindegewebsgruppe und das Fettgewebe. 

Aussprache. Hr. Lexer: Die Empfehlung von Muskelstückchen 
zur Blutstillung setzt besonders blutstillende Stoffe, ebenso wie beim 
Fettgewebe voraus. Dies ist jedoch nicht richtig, denn den homoplasti¬ 
schen Muskelstüokchen kommt ebensowenig wie bei anderweitiger Homo¬ 
plastik eine blutstillende Eigenschaft zu, die letzere ist nur Folge des 
Verklebungsvermögens der Transplantate, jedoch nur bei Autoplastik. 

2. Hr. Spiethoff stellt vor: a) Syringom bei einem 50jährigen 
Manne in typischer Anordnung auf der Brust. Histologisch zeigt das 
Bild eineB Geschwulstknötchens einige Abweichungen vom gewöhnlichen 
Bau, insofern nur ein schmaler Streifen des Koriums von der Gesohwulst 
eingenommen wird und Zysten mit einem kolloiden Inhalt den Haupt¬ 
teil ausmachen, neben denen sich noch einige grössere volle Zellhaufen 
und ganz vereinzelt kurze Stränge als ihr schwanzartiger Anhang finden. 
Zwischen den vollen Zellhaufen und den fertigen Zysten vermitteln 
einige Bilder den Zusammenhang. 

b) Mulago eines klinisch eigenartigen Falles von Epitheliom der 
Talgdrüse. An der linken Seite der Stirn gruppiert stehende sohwarze 
Pünktchen, die in der Hautebene liegen oder allerkleinsten Knötchen 
aufsitzen. Der erste Eindruck ist der aggrepiert stehender Komedonen. 
Bedingt ist das eigenartige Bild durch grossen Pigmentreichtum. (Fall 
wird in der Dermatologischen Zeitschrift ausführlich beschrieben.) 

o) Zahlreiche, in der Achselgegend sitzende, bis haselnussgrosse 
Epidermoide zusammen mit zahlreichen Pigmentarsei am Bauch einer 
älteren, geistig wenig entwickelten Frau. Den Inhalt der Zyste bildet 
ein knorpelharter Körper, der sich in Alkohol vollständig auflöst und 
im Gefrierschnitt durch Sudan III ganz gleiohmässig gelb-rötlich färbt. 

d) Myeosis fangoideo, unter dem Bilde zahlreicher runder oder 
länglichrunder, die Hautebere überragender, kutaner Infiltrate, besonders 
am Rumpf. Während einer mehrmonatigen Beobachtung haben sich 
unter der Behandlung nur einige Herde mehr oder weniger zurück¬ 
gebildet. Ebenso hartnäckig ist das sehr heftige Jucken. Das Blutbild 
zeigte bisher bei zahlreichen Untersuchungen nie Abweichungen. Im 
Gewebe wurden entsprechend der fehlenden Bluteosinophilen die Eosinen 
vermisst oder waren nur spärlich vorhanden. Erörterung der Differential¬ 
diagnose zwischen Leukämie, Pseudoleukämie und besonderen persistie¬ 
renden Formen von Urtikarien. 

e) Acrodermatitis atrophicans zusammen mit makulöser Atrophie 

bei einem Manne. Daneben bestand das Bild der sklerotischen Atrophie 
an den Unterschenkeln und als das Belangreichste an dem Fall ein 
Knötohenaus8chlag. Er erstreokte sich von der Glutäalgegend, hier in 
das Gebiet der diffusen Atrophie übergreifend, bis zur mittleren Rücken¬ 
höhe und setzte sich aus einzelnen oder in Gruppen stehenden rötlichen, 


derben Knötchen zusammen. Die Gewebsuntersuchung erwies die Zu¬ 
sammengehörigkeit der diffusen auftretenden Atrophie mit den Knötchen; 
in beiden Herden lag das Bild einer schleichenden produktiven Ent¬ 
zündung bei Unversehrtheit der elastischen Fasern vor. Die Knötchen 
wären sonach als primäre Bffloreszenzen der Jadassohn’sohen maku¬ 
lösen Atrophie anxusehen. Nach mehrmonatiger Beobachtung konnte 
der Uebergang der Knötchen in mehr oder weniger blassrötliche Atrophien 
festgestellt werden. 

f) Epidermolysis bullosa heredltaria dystrophica bei einem Manne. 
Belangreich ist ein anormaler Blutbefund, nicht nur beim Vorgestellten, 
bei seinem Vater und einigen Geschwistern, die dasselbe Krankheitsbild 
aufweisen, sondern auch bei seinen Geschwistern, dem Bruder und einer 
Nichte des Vaters des Vorgestellten, die frei von Hauterscbeinungen 
sind. Die Grundzüge des gestörten Blutlebens bestehen in einer Störung 
des neutrophilen Bildes — Herabsetzung, Verschiebung des neutrophilen 
Bildes nach links oder rechts — in einer oft wesentlichen Erhöhung des 
Wertes an grossen mononukleären Zellen und einer oft wesentlichen 
Erhöhung der Lymphozyten. Die Blutveränderungen erinnern an die 
Befunde bei Störungen der inneren Sekretion; Status lymphaticus, hypo¬ 
physärer Dystrophie usw. und legen die Frage einer ähnlichen Ursache 
bei der Epidermolysis bullosa hereditaria nahe. Auch E. Hoffmann 
teilte kürzlich einen gleichen Fall mit Leukopenie und Hämopylie mit. 

g) Lokomotivheizer mit Gewerbedermatose, nach Gebrauch von 
Gaswasser. Vor einem Jahr Beginn mit stark entzündlicher Schwellung 
des Gesiohts ohne äussere exsudative Erscheinungen. Nach einigen 
Wochen waren die akut entzündlichen Vorgänge zurückgetreten, und es 
stellte sich im Gesicht eine starke Pigmentierung und an den beiden 
Vorderarmen ein deutlich netzartig angeordnetes lichenoides Exanthem 
ein. Nach einigen Monaten langsame Umwandlung des lichenoiden Aus¬ 
schlags in eine netzartige Melanose, die ebenso wie die Melanose im 
Gesicht auch heute noch besteht, obwohl Pat. seit dem Auftreten der 
Entzündung in der Werkstatt nur mit guten Oelen zu tun hat. 

h) Zwei Lipaskranke, welche die ausserordentlich guten Erfolge 
allgemeiner offener Kohlenbogeilifhtbäder nach Reyn und gleich¬ 
zeitiger örtlicher Behandlung mit Pirqnet’schen Impfungen zeigen. 
In einem Fall handelte es sich um einen vorher nicht durchgreifend 
behandelten Lupus, der in diffuser Ausbreitung das ganze mittlere Ge¬ 
sicht einnahm. Nach 107 Stunden Bogenlichtbädern in 75 Sitzungen 
und 122 Pirquet-Impfungen in 14 Sitzungen innerhalb von 3 Monaten 
erfolgt ein selten schönes kosmetisches Abheilen. Im anderen Falle trat 
die Wirkung der Pirquet’schen Impfungen in Verbindung mit allge¬ 
meinen Lichtbädern um so mehr hervor, als die vorausgegangene Allge¬ 
meinbelichtung mit gleichzeitiger örtlicher Quarzkompressionsbehandlung 
wenig Erfolg hatte. Der Lupus trat hier in Form derber Knötchen auf 
der Nase und den angrenzenden Wangenteilen auf. Abheilung nach 
102 Stunden Bogenlichtbädern in 73 Sitzungen und 45 Pirquet-Imp¬ 
fungen in 5 Sitzungen. Nach 5 Monaten einzelne neue Knötchen auf¬ 
getreten, die örtlich mit Pirquet behandelt werden sollen. Geimpft 
wurde stets mit Original-Alttuberkulin Kooh. Bei Lupusfällen mit 
innerer Tuberkulose empfiehlt sich im Anfang halbe Verdünnung unter 
Beobachtung etwaiger allgemeiner Reaktionen. Es gibt Fälle, bei denen 
allgemeine Reaktionen oder zu starke Herdreaktionen, die nicht in 
Besserung ausklingen, die weitere Anwendung unratsam machen. In 
den Pirquet’schen Impfungen besitzen wir ein Mittel zur örtlichen 
Lupusbehandlung, das io Verbindung mit offenen Kohlenlichtbädern in 
manchen Falle, namentlich in kosmetischer Beziehung, sehr gute Erfolge 
haben wird. Auch der Wechsel zwischen örtlicher Licht- und Tuber¬ 
kulinbehandlung, nachdem diese oder jene eine Zeitlang angewendet 
wurde, dürfte in gewissen Fällen von Vorteil sein. 

3. Hr. Keysser: 

Zar Radinmbehandlang des operablen Peaiskarzinons. 

Vorstellung eines seit 8 1 /* Jahren geheilten, mit Radium behandelten 
operablen Peniskarzinoms nach vorheriger exakter Ausräumung der 
Leistendrüsen und Demonstration von Farbphotographien, die die ver¬ 
schiedenen Stadien der Heilung erkennen lassen. An der Hand dieses 
Falles führt Vortragender aus, dass sein Standpunkt, den er mit Vor¬ 
behalt auf dem Ghirurgenkongress 1914 vertreten hat, jetzt endgültig 
dahin festgelegt werden kann, dass bei jedem operablen Peniskarzinom 
zur Vermeidung der schweren Verstümmelung der Versuch der Radium¬ 
behandlung nach vorheriger radikaler Ausräumung der Inguinaldrüsen 
gerechtfertigt ist. 

4. Hr. Eden: a) Vollständige Magenresektion. 

Es handelte sioh um einen 46 jährigen Patienten mit einem infil¬ 
trierend wachsenden Adenokarzinom des Magens, welches nur kleine 
Teile am Fundus freigelassen hatte. Drüsenmetastasen nur im grossen 
und kleinen Netz. Das Duodenum wurde blind verschlossen, der Magen 
mitsamt den Drüsen und 2 om von dem unteren Teil des Oesophagus 
vollständig entfernt. Vereinigung des Oesophagusstumpfes mit einer 
etwa 80 cm langen Jejunumsohlinge End zu Seit durch dreifache ein¬ 
stülpende Naht. Nahtsicherung durch einen Netzzipfel. Glatte Wund¬ 
heilung ohne Fistelbildung. Die mikroskopische Untersuchung des Prä¬ 
parates ergab, dass das Karzinom genau bis zum Oesophagusansatz 
reichte, noch nioht auf das Plattenepithel übergegangen war. Anfangs 
bestanden etwa 3 Wochen lang mässige Durchfälle, jetzt ist die Nah¬ 
rungsaufnahme und die Verdauung annähernd normal, und der Patient 
kann mit verheilter Wunde ohne Beschwerden in leidlichem Ernährungs¬ 
zustand etwa 10 Wochen nach der Operation entlassen werden. An der 


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Stelle der Einmündung des Oesophagus ins Jejunum hat sieh, wie das 
Röntgenbild zeigt, die Darmschlinge sohon etwas erweitert. Von der 
Darreichung von Salzsäure wurde guter Einfluss auf Appetit und Darm¬ 
tätigkeit gesehen. 

d) Habituelle Sebnlterlixatioi. In vielen Fällen ist der Abriss 
der Gelenkkapsel mit Knocbenabsprengungen und -abschliffen vom vor¬ 
deren Pfannenrande Grund des Wiedereintritts der Luxation. Hierbei 
kann nicht Kapselraffung, Vornähung der Aussenrotatoren oder Muskel¬ 
plastik die Reluzation verhüten, sondern es muss die Gelenkkapsel wieder 
an ihrer Stelle befestigt und die Gestalt der Pfanne möglichst wieder 
hergestellt werden. Dieses wurde dadurch erreicht, dass der verloren 
gegangene vordere Pfannenrand durch ein Stüok Tibia ersetzt wurde, 
welches zugleioh eine Hemmung und einen Widerrist für den austretenden 
Kopf bildete. Die abgerissene Gelenkkapsel wurde durch Nähte in ihrem 
alten Lager wieder befestigt. Bisher (etwa 8 Monate nach der Wund¬ 
heilung) ist der Erfolg gut geblieben. Der vorgestellte Patient kann 
seinen Arm in der Schulter annähernd normal bewegen und hat keine 
Beschwerden im Sohultergelenk. (Erscheint ausführli<& in der Deutschen 
Zeitschrift für Chirurgie.) 

5. Hr. Leier: Zur Gefäuehirnrgie. 

a) Erfolgreiche Gefässtrusplantatioi. Am rechten Oberarm ist 
die Arterie seit dem 9. Mai 1917 abgesohossen mit Vernarbung, ohne 
Aneurysma, ausserdem Ulnarislähmung. Starke ischämisohe Erscheinungen 
der Hand und der unteren Hälfte des Vorderarmes. 6. November 1917 
Freilegung. Arterie abgeschossen, an beiden Stümpfen vernarbt. Aus¬ 
lösung der Stümpfe und Anfrischung. Danach ergibt sich ein Defekt 
von 12 cm, welcher durch ein Stück der Vena saphena ersetzt wird. 
Am 6. November 1917 gute Heilung. Völlige Durchgängigkeit des Ge¬ 
lasses bewiesen durch Lexer’sohes Symptom. 

b) Ringförmige Naht der linken Arteria subclavia bei Operation eines 
arterio-venöson Aneurysmas. Arterio-venöse Fistel mit kleinfaustgrossem 
Sack an der Vene, 8 Monate 10 Tage nach einer Granatsplitterverletzung. 
Operiert nach dem Verfahren von Lexer. (S. Deutsch. Zschr. f. Chir., 
1916, Bd. 135, S. 439.) Nach Ausschälung des Sackes und Resektion 
des zugehörigen Teiles der Vene mit Unterbindung zeigt sich eine un¬ 
regelmässige, zackige, 2 cm lange, mehr als die Hälfte des Umfanges 
der Arterie einnehmende Arterien Verletzung am unteren Rande der 
Subolavia, etwa in der Mitte zwischen Scalenus und Proc. ooracoideus. 
Der verursachende Granatsplitter, welcher am oberen Rande des Schlüssel¬ 
beines, im inneren Drittel eingetreten war, sass am Beginn der Achsel¬ 
höhle, neben der Vene. Nach der Resektion des verletzten Arterien- 
abschnittes gelang die ringförmige Arteriennaht. Heilung ohne Störung 
und Folgen. 

c) Ringförmige Naht der linken Car. comm. nach arterio-venösem 
Aneurysma infolge Granatverletzung vor 4 Woohen. Es handelte sich 
um eine arterio-venöse Fistel mit grossem, bis ins Jugulum reichendem 
Sack, dessen Innenwand von Fibrin gebildet wird. Die Umgebung ist 
stark schwielig. Die Vena jugularis hat an der Vorder- und Hinter¬ 
wand einen 2 om grossen Schlitz. Die Arterie hat einen ebenso langen 
unregelmässigen Defekt, der für die seitliohe Naht nicht geeignet ist, 
daher Resektion von 3 cm. Ringförmige Naht der Arterie unter Seit- 
wärtsneigung des Kopfes, Unterbindung der Vene. Zur Sohnittführung 
war wegen Ausdehnung des Aneurysmas ein bogenförmiger Schnitt ge¬ 
wählt worden, welcher hinter dem Kieferwinkel begann, bis nahe an den 
Kehlkopf nach vorne verlief, von hier nach unten und über dem Sterno- 
klavikulargelenk wieder zurück nach aussen umbog. Der Kopfnicker 
wurde vom Sternum am Schlüsselbein abgetrennt. Vollständige Heilung. 
Interessant ist der Fall deshalb, weil die während der Operation 1 Stunde 
lang notwendige Abschliessung der Car. comm. genügte, um den rechten 
Arm und das rechte Bein parethisch zu machen. Das Bein erholte sich 
schon am selben Abend wieder, dagegen brauohte der Arm 4 Woohen 
bis zum Beginn von Bewegungen. 

Lexer warnt vor der Unterbindung der Car. comm. an Stelle der 
idealen Aneurysmaoperation mit Wiederherstellung des Kreislaufes 
wegen der gelegentlich auch im jüngeren Alter auftretenden sehr schweren 
Folgen, wie folgender Fall zeigt: 

Sohussaneurysma der Car. comm. (1 Jahr 8 Monate alt) mit sehr 
grosser Sackbildung bis zur Schädelbasis. Wegen dieser Ausdehnung 
war die ideale Operation des Aneurysmas unmöglich. Nach der zentralen 
Ligatur der Car. comm. und der peripheren der Car. int. stand die Blutung 
aus dem Sack vollständig. Die Vena jugularis wurde unterbunden. Es 
trat vollständige Lähmung der rechten Körperbälfte und Aphasie auf. 
Nach 5 Monaten noch völlig schlaffe Lähmung des reohten Armes und 
spastische Lähmung des rechten Beines. Sprache verlangsamt. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 26. Oktober 1917. 

Hr. Reiwail demonstriert einen Soldaten, der im August 1916 einen 
Sehftdelsehass erlitten hat und mehrfach operiert wurde. 

Er hatte einen handtellergrossen Knochendefekt und einen faust¬ 
grossen, pulsierenden Gehirnprolaps. Ausser Sehstörungen hatte er keine 
Beschwerden. Man entschloss sich zur Behandlung mit systematischer 
Kompression. Zuerst wurde nur wenige Minuten komprimiert, da die 
Kompression anfangs sehr sohleoht vertragen wurde. Nach einiger Zeit 


vertrug er die Kompression besser, endlich konnte man 2 Monate durch 
mehrere Stunden komprimieren, und der Prolaps konnte vollständig 
reponiert werden, kam aber immer wieder bald heraus. Es wurde daher 
eine ergiebige Lumbalpunktion gemacht; der Prolaps liess sich hierauf 
leicht zurüokbringen und kam nicht mehr heraus. Nach 3 Tagen wurde 
durch einen Knoohenperiostlappen aus der Tibia der Defekt gedeckt, 
ein Teil knöchern, ein Teil nur mit Periost. Heilung per primam. 

Hr. Maximilian Sternberg seigt ein Mädchen, das sioh eine doppel¬ 
seitige Plexuslähmung durch Tragen eines Rucksaokes mit 25 Kilo 
Kartoffeln zugezogen hat. 

Hr. Otto v. Frisch : Ueber Pseudarthrosenbehandluig. 

Die Pseudarthrosen können durch keine unblutige Behandlung be¬ 
seitigt werden. Pseudarthrosen der Ulna und der Fibula stören die 
Funktion oft gar nioht und sollen daher überhaupt nicht angegangen 
werden. Man soll nur bei aseptisohen und subkutanen Pseudarthrosen 
operieren. Die Resektion des Knochens allein führt nicht zum Ziel. 
Wenn man so weit ist, dass man den Knochen resezieren kann, soll 
man die Knoohenenden so miteinander verbinden, dass ein Auseinander- 
weiohen nioht möglich ist. Es entsteht sonst eine neue Pseudarthrose, 
da das Gewebe um eine Pseudarthrose die Neigung hat, immer wieder 
Pseudarthrosen zu bilden. Man kann eine Verbolzung oder Verschraubung 
machen oder eine Verzapfung, indem man ein Ende zuspitzt und io den 
Markraum des anderen Endes eiDpflanzt. Wenn ein Frakturenende spitz 
ist, ist letztere Methode zu empfehlen. 

Vielfach ist die Verbolzung gemaoht worden. Man nimmt hierzu 
lebenden Knochen. Diese Methode eignet sich nur in exzeptionellen 
Fällen. Vorzüglich bewährt hat sich die Methode nach Lehn mit Eisen¬ 
plättchen, die verschraubt werden. Sehr wichtig ist die Nachbehandlung. 
Manche Misserfolge sind darauf zurückzuführen, dass nicht genug Geduld 
verwendet worden ist. Eine so behandelte Pseudarthrose muss so lang 
fixiert bleiben, bis die Fraktur geheilt ist, was 5—10 Monate dauert 


Sitzung vom 9. November 1917. 

Hr. Maximilian Hirsch stellt einen Soldaten vor, der durch eine 
Handgranate eine tiefe lmpressioisfraktnr des Scheitelbeines in aus¬ 
gedehntem Umfang erlitten hatte. Eine Hebung der Impression war 
nioht möglich, die vollständige Entfernung des imprimierten Knochens 
hätte einen sehr grossen Defekt ergeben. Man hat daher das imprimierte 
Knochenstück in toto herausgesägt, umgedreht und mit der Konvexität 
nach innen wieder in die Lücke hineingefügt. Der Erfolg ist tadellos, 
die Beschwerden des Patienten sind vollständig geschwunden. 

Hr. Maximilian Hirsch stellt ferner einen Mann vor, der einen 
Steoksohuss des rechten Unterschenkels mit Verletzung der Arteria und 
Vena tibialis antica erlitten hat. Es bildete sich ein Anearysma arterio- 
veaosMi. 

Die Venenpulsation beweist, dass das periphere Venensystem arte¬ 
rielles Blut führt, von Zirkulationsstörung ist keine Spur. Es muss 
durch die Venen rückläufig arterielles Blut in die Arterien kommen. 
Der Vorschlag, im Falle der Störung der arteriellen Zirkulation eine 
Kommunikation zwischen Arterie und Vene herzustellen, erscheint durch 
diesen Fall nicht aussichtslos. 

Hr. 8. Erdheim demonstriert die Röntgenbilder eines Falles von 
Pseidarthrose der Ulaa mit sehr grossem Defekt. 

Der Defekt wurde durch einen aus der Tibia entnommenen Knoohen- 
span überbrückt. Man sieht deutlich, wie schon nach 3 Wochen die 
Kallusbildung an beiden Enden ziemlich gut entwickelt war, die Kallus¬ 
bildung nimmt immer mehr zu, der Knocbenspan wird stärker. Nach 
9 Monaten sieht man den vollkommenen Erfolg. 

Hr. Hans Spitxy seigt 2 Patienten, denen er eilen Dainei operativ 
hergestellt hat. 

In dem einen Falle hat er den Daumen aus dem Metakarpus des 
Zeigefingeis hergestellt. Der Metakarpus wurde durchsägt, der zentrale 
Teil versorgt, der periphere in den Metakarpus des Daumens implantiert. 
Später wurde das ganze gespalten und mit Bauchbaut ausgefüttert. 
Der Patient kann mit dem Daumen recht gut greifen. 

Im zweiten Falle, wo der Daumen durch eine Maschine herausgerissen 
wurde, wurde zuerst ein Hautdaumen von der Bauchhaut gemacht Als 
derselbe nach einigen Monaten verheilt war, wurde er inzidiert und in 
den sohon früher ausgehöhlten Markraum des Metakarpus des Daumens 
das Ende der 12. Rippe eingefügt. 

Hr. R. Gräibam zeigt neue, von Ing. Silvester hergestellte zwei¬ 
teilige Protheoeigeleike anstatt der bisher in Gebrauch gestandenen 
dreiteiligen. 

Hr. B. 8perk: Ueber Malaria. 

Die Schwierigkeit, wirksames Chinin zu beschaffen, wird immer 
grösser. Redner hat daher das Merok’sohe Methylenblausilber bei 
Malaria versucht. Methylenblausilber bewirkte prompte Entfieberung 
und Sohwinden der Parasiten. Die Dosis schwankt zwischen 1—3 g, 
die Gesamtdosis soll nicht unter 1 g betragen. Die Lösung muss genau 
nach der Vorschrift gemacht werden mit destilliertem Wasser, die Spritze 
muss mit destilliertem Wasser durcbgespritzt werden, es darf keine Spur 
von Salz vorhanden sein. Wesentlich ist die Zeit der Injektion. Man 
muss im Stadinm der Entfieberung oder kurz nach dem Anfall injizieren. 
Die intravenöse Injektion ist ein harmloser Eingriff. Naoh Injektion von 
0,2—0,8 tritt prompt Entfieberung ein, aber naoh 8—14 Tagen meist 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 15. 


Rezidive. Redner injiziert daher 8 mal in Zwischenräumen von 8 Tagen 
und erreicht in vielen Fällen Heilung der Malaria. Er hat auch versucht, 
3 mal hintereinander zu injizieren und hat damit gute Erfolge erzielt. 
Allerdings muss gesagt werden, dass in einzelnen Fällen Rezidive auf¬ 
traten. Wenn etwas von Methylenblausilber nicht in die Vene, sondern 
in das Gewebe injiziert wird, so entstehen starke Infiltrationen, die 
Phlegmonen ähnlich sehen, aber nie vereitern. Es tritt dabei auch 
Fieber auf. Auch Versuche mit der internen Verabreichung des Mittels in 
Gelatinekapseln haben Erfolg gehabt. Allerdings waren im Blute längere 
Zeit Plasmodien nachweisbar als nach der intravenösen Behandlung, die 
Injektion ist daher die bessere Methode. 


Sitzung vom 16. November 1917. 

Hr. Maximilian Hirsch demonstriert einen Mann mit schweren 
Kontrakturen der beiden interen Extremitäten. 

Beide Kniegelenke sind in Beugestellung, die Fussgelenke in Spitz- 
fussstellung. Der Mann kann mit Krücken ziemlich gut gehen. Die 
Kontrakturen sind muskulärer Natur, was die brettharte Waden muskulatur, 
welche jede Streokung im Kniegelenk hindert, beweist. Als Ursache gibt 
der Mann starke Kälte an, da er bei 40° in Sibirien an einem Bahnbau 
arbeiten musste. 

Hr. L. Rdthi führt einen Mann vor, bei dem vor einem Jahre wegen 
eines Tumors des Nasenrachenraumes eine Operation gemacht wurde. 

Vor einem halben Jahre kam Patient wieder zur Beobachtung. 
Man fand an der rechten Seite und an der hinteren Rachenwand einen 
Tumor, der in den Nasenrachenraum hinaufreiohte und diesen vollständig 
ausfüllte. Ein Drüsenpaket sass hinter dem Kieferwinkel. Die histo- 
logisohe Untersuchung ergab ein Lymphosarkom. 

Ein Teil des Sarkoms wurde operativ entfernt und dann mit Radium 
bestrahlt. Man legte 2 mal 48 Stunden lang einen Radiumträger mit 
14 mg Radium ein, ausserdem Bestrahlung des Drüsenpaketes. Der 
Tumor im Rachenraume schwand hierauf vollständig. 

Nach einem Vierteljahre kam Patient mit Paketen von schmerzhaften 
Submaxillar- und Subklavikulardrüsen. Die Drüsen wurden soweit als 
möglich entfernt und Radium vor einigen Tagen eingelegt. Derzeit der 
Rachen frei. 

Redner hat nooh bei 2 anderen ähnlichen Fällen, die 11—12 Jahre 
zurück liegen, Erfolg gehabt. 


Kriegsärztliche Abende. 

(Eigenbericht der Berliner klinisohen Wochenschrift.) 

Sitzung vom 18. März 1918. 

Vorsitzender: Herr Ti em an n. 

Diskussion über Psychotherapie. (Zweiter Abend.) 

Ueber Psychotherapie (mit Filmvorführungen und Lichtbildern). 

Hr. Nonne-Hamburg: Theorie und Therapie der Kriegsneurosen 
sind leider noch immer nicht allgemein genügend bekannt. Schon 1915 
trug er trotz Widerspruches hervorragender Fachgenossen die Ansicht 
vor, dass die Hypnose ein wertvolles Mittel zur Bekämpfung der Neurosen 
ist. Der Krieg hat bewiesen, dass dieses Mittel wirksam ist, dass jeder 
Mensch hysteriefähig ist, d. h. Hysterie erwerben kann. 

Kaufmannes Verdienst ist es, der aktiven oder Ueberwältigungs- 
therapie Bahn gebrochen zu haben. Erhebliohe Erfolge wurden erzielt. 
Jede Neurose der Soldaten ist heilbar, sofern schädliohe endo- und 
exogene Faktoren nicht in zu starkem Maasse vorhanden sind. Vortr. 
machte 90—95 pCt. seiner Fälle symptomfrei. „Flucht in die Krankheit“ 
ist ein Trieb, der die ethischen und intellektuellen Hemmungen fortreisst. 
Freud’s Lehre ist bestätigt worden; doch hängen keineswegs alle be¬ 
wegenden Phänomene mit sexuellen Motiven zusammen. 

Praktisch sind diese Zustände einzuteilen in 1. Schreckneurosen 
(phylogenetische Grundlage), 2. Erschöpfungsneurosen, 3. ideogene, 
4. organische (z. B. thyreotoxische), 5. Abwehrneurosen (besser so statt 
Wunschneurosen zu nennen). Es sind durch krankhaften Affekt bedingte 
Abwehrfunktionen des Zentralnervensystems; dazu gehören Unfall- und 
Kassenneurosen. 

Die verschiedenen Gruppen unterscheiden sich durch das Verhalten 
des Blutdruckes. Es gibt Uebergänge zur Simulation. Das Trauma ist 
mit dem Auftreten der Neurose nioht identisch; 60pCt. der Kranken 
ist hereditär oder anamnestisch belastet. 

1870 wurden nur 6—8 Fälle für organische Affektionen gehalten; 
Ischias und Rheumatismus wurden nach Vortr. Erfahrungen in 50—60 pCt 
falsch diagnostiziert; sie werden, oft selbst nach vielen Monaten Lazarett¬ 
lebens, in einer Sitzung durch aktive Therapie beseitigt. 

Mit Hellpach ist Vortr. der Meinung, dass Neurastheniker von 
Hysterischen gesondert werden müssen. Dagegen bewährt sich die 
Mischung von Geheilten und Ungeheilten. Das Milieu ist wiohtig. Die 
Binswanger’sohe seelische Abstinenz ist zu verwerfen. Die Hypnose 
ist die schonendste und wirksamste; doch ist jede Methode, die der Arzt 
beherrscht, wirksam. Soldaten sind meist leicht zu behandeln, selten 
dauern nach der Hypnose die alten Beschwerden fort. Der Geheilte 


vermag nicht die frühere Erkrankung wieder vorzuführen, wohl aber, 
wenn in der Hypnose die entsprechende Suggestion gegeben wird. 

(Es folgt Vorführung von Photogrammen und von Hypnosen mit 
Rückversetzung in die Krankheit und erneuter Heilung.) 

Die Psychotherapie in ihren Beziehungen nnr Gesamtmedizin. 

Hr. Mohr-Coblenz sucht die Vorgänge bei der Neurose und Hypnose 
klar zu legen. Die Krankheit, zumal die affektbetonte, überdauert die 
Gefahr der Automatisierung, die auf Grund konstitutioneller Faktoren 
und des gesamten Zusammenhanges zur Fixierung führen kann. Ausser 
den psychomotorischen Störungen sind auch die andern durch Psycho¬ 
therapie zu heilen, sogar Phobien und den Psychosen verwandte Zustände. 
Nach einem Ueberblick über seelische Einwirkungen auf motorische und 
sekretorische Magen-Darmsymptome betont Vortr. die grosse Bedeutung 
der Psychotherapie. Das kardiovaskuläre Gebiet hat zahlreiche Be¬ 
ziehungen zum psychogenen Apparat (Ernst Weber’s Versuohe). 

Sogar bei Diabetes erzielte die Suggestion von psychischer Ruhe die 
Herabsetzung der Zuckerausscheidung; ähnliches gilt von Gallenstein- 
und Stoffwechselleiden. Hier ist die Psychotherapie gleichsam eine 
Operation am Zentralorgan. 

Aussprache. 

Hr. Wiszwianski unterscheidet psychomotorische und sensible 
Neurosen; bei den motorischen ist die Hypnose, bei den sensiblen 
Nervenmassage am Platze. 

Hr. Friedländer hält zur Vermeidung von Rückfällen nach der 
Heilung eine „Massage* des Willens für notwendig. Mode. 


Zum Gedächtnis an Ernst Neumann. 

Von 

Pa«l Banmgarten-Tübiogen. 

Am 6. März d. J. verschied Ernst Neu mann, der Senior 
der deutschen pathologischen Anatomen, eine Leuchte der medi¬ 
zinischen Wissenschaft, nach kurzem Leiden im 85. Lebensjahr. 
Er war ein Sohn des grossen Königsberger Physikers Franz 
Neu mann, der in körperlicher und geistiger Rüstigkeit das un¬ 
gewöhnlich hohe Alter von 97 Jahren erreichte. Wie die hervor¬ 
ragende geistige Begabung, so hat sich auch die körperliche 
Kraft und Dauerhaftigkeit vom Vater auf die Kinder (1 Tochter 
und 4 Söhne) übertragen. Ernst Neumann war der zweite Sohn, 
sein älterer Bruder ist der noch jetzt lebende berühmte Leipziger 
Mathematiker Karl Neumann, sein jüngerer Bruder war der her¬ 
vorragende Tübinger Nationalökonom Julius v. Neumann, der im 
75. Lebensjahre starb. Die einzige, jetzt auch noch lebende 
Tochter, Luise Neumann, geschätzt als treffliche Porträtmalerin, 
ist in weiteren Kreisen bekannt geworden durch ihr wertvolles, 
dem Andenken ihres Vaters gewidmetes Buch „Erinnerungsblätter 
an Franz Neumann“. Nur der jüngste Bruder, Gustav Neumann, 
starb schon im besten Mannesalter als Königlicher Baumeister in 
Posen an den Folgen einer Lungen- und Rippenfellentzündung, 
die er im Feldzug 1870/71 erworben hatte. 

Ernst Neumann’s Mutter, Florentine, eine Tochter von Karl 
Gottfried Hagen und eine Schwester des bekannten verdienst¬ 
vollen Königsberger Kunsthistorikers Aug. Hagen, war eine Frau 
mit den edelsten Eigenschaften des Geistes und Herzens, die 
Gatten und Kindern das schönste häusliche Glück bereitete. 
Leider starb die junge Fraq nach kurzen Jahren ihrer Ehe; aber 
in Wilhelmine Hagen, einer Kusine der verstorbenen Mutter, 
fanden die Kinder eine treffliche, feinsinnige zweite Mutter. 

Aus solchem Stamm und in solcher Umgebung wuchs Ernst 
Neumann, geboren am 30. Januar 1834, heran. Nach absolviertem 
Gymnasium studierte er in Königsberg Medizin, um sich be¬ 
reits im Alter von 21 Jahren (1855) den medizinischen Doktor¬ 
grad mit einer Dissertation „Experiments quaedam de venenis, quae 
dicuntur narcotica“ zu erwerben. Nachdem er dann 1 Semester 
in Prag und 3 Semester in Berlin weiteren medizinischen Studien 
obgelegen, habilitierte er sich 1859 in Königsberg mit der Schrift 
„Disquisitiones nonnullae de histogenesi carcinomatis institutae“ für 
das Fach der pathologischen Anatomie und eröffnete von da ab den 
Reigen seiner selbständigen, von keinem Meister als ihm selbst beein¬ 
flussten wissenschaftlichen Publikationen, die ihm rasch einen 
solchen Ruf verschafften, dass er bereits im Jahre 1866,32 Jahre alt, 
als Nachfolger v. Recklinghausen^, Direktor des Königsberger 
pathologischen Instituts und 1869 ordentlicher Professor der 
Pathologie daselbst wurde. Neumann war hierdurch in die Lage 
gesetzt, seine Braut, Anna König, eine Schwester des 1901 in 
Paris verstorbenen hervorragenden Akustikers Rudolf König, heim¬ 
zuführen und damit einen langen, überaus glücklichen Ehebund 


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iu schliessen. Der Ehe entsprossen 5 Kinder, von welchen aber 
leider der älteste and der jüngste Sohn im Kindesalter starben. 
Der nunmehr älteste Sohn Paal hat sich mit Erfolg dem ärzt¬ 
lichen Beruf zugewendet, während der zweite Sohn Ernst in 
frühen Jahren bereits eine ordentliche Professur für Mathematik 
in Marburg erlangte. Die Tochter Helene ist, wie ihre Tante 
Luise, als talentvolle Malerin bervorgetreten und bat, ähnlich 
wie diese, dem Vater nach dem Tode der Mutter treue Gefolg¬ 
schaft geleistet. 

Neumann ist, wie sein Vater, trotz wiederholt an ihn heran- 
getretener Versuche, ihn für andere Universitäten zu gewinnen, 
Königsberg treu geblieben. Er hing an seiner Heimat und zog 
einen kleinen Wirkungskreis, in welchem er sich ganz seinen 
wissenschaftlichen Arbeiten hingeben konnte, einem grösseren mit 
vielfach mehr äusserlicher, vom Innenleben ablenkender Tätigkeit 
vor. Er liebte es auch nicht, an die Oeffentlichkeit zu treten 
und eine Rolle zu spielen, aus welchem Grande er auch nur 
selten wissenschaftliche Kongresse besuchte. Er neigte auch sonst 
zur Zurückgezogenheit und hielt sich fern von geräuschvoller 
Geselligkeit. Wenn und wo er aber als Redner auftrat, da bannte 
er die Zuhörer durch seine eindrucksvolle, besondere Persönlich¬ 
keit und durch die Macht des Inhaltes seiner Rede, wie er ja 
auch ein ausserordentlich wirkungsvoller, geradezu vorbildlicher 
akademischer Lehrer war. Bei den Studenten genoss er daher 
die höchste Verehrung, seine Vorlesungen waren immer lückenlos 
von andächtig lauschenden Zuhörern besucht. Auch auf seine 
Assistenten wirkte er durch sein Beispiel und durch seine Lehre 
bildend ein; doch liess er ihnen, der eigenen Selbstentwicklung 
gedenkend, in ihren Untersuchungen und Schlussfolgerungen voll¬ 
kommene Freiheit und erzog sie dadurch zu selbständigen For¬ 
schern. Menschlich war und blieb er ihnen ein gütiger Freund 
und Berater; auch im Institut trat das förmliche Verhältnis 
zwischen Chef und Assistenten ganz zurück. 

Ausser der sein Wesen ganz durchdringenden Liebe zu seiner 
Wissenschaft und der zärtlichen Liebe zu seiner Familie hatte 
Neumann keine eigentlichen „Passionen 11 ; er war aber ein grosser 
Naturfreund, das „Reisen 11 bereitete ihm daher hohen Genuss. 
Auch an den Künsten, besonders guter Schauspielkunst, erfreute 
er sich sehr und verfolgte alle Neuerscheinungen auf poetisch¬ 
literarischem Gebiet mit regem Interesse, wie er auch am poli¬ 
tischen Leben lebhaften Anteil nahm. Man wird daher begreifen, 
wie ihn, den Achtzigjährigen, der Krieg, den er an der gefäbr- 
detsten Stelle des Reiches in allen seinen Schrecken aus nächster 
Nähe miterlebte, erregte und seinen Geist beschäftigte. Wie in 
der Wissenschaft und auf anderen geistigen Gebieten besass er 
aach in politischen Dingen ein klares und sicheres, fast voraus¬ 
schauendes Urteil. So gab er von Anfang an und unbeirrt durch 
die immer schwerer Jsich gestaltende zahlenmässige Uebermacht 
der Feinde der Zuversicht Ausdruck, dass eine russische Revolution 
und der Zusammenbruch des russischen Reiches viel dazu bei¬ 
tragen werde, uns zum Siege zu verhelfen. 

Sein Charakter war rein wie lauteres Gold, echteste Herzens¬ 
güte und ein feines, zartes Empfinden zeichneten ihn besonders 
aus. Armen und Bedrückten zu helfen, war ihm Bedürfnis, er 
verschloss sich keinem fremden Leid. Er hatte Nachsicht mit 
menschlichen Schwächen, nur Ueberhebung, Ueberschätzung der 
eigenen Leistungen tadelte er an anderen, weil ihm dieser Fehler 
selbst so gänzlich fremd war. Eine Natur, wie er, konnte keine 
Feinde haben. Gegner batte er wohl auf literarischem Gebiete, 
er schlug in der wissenschaftlichen Debatte eine scharfe Klinge, 
aber Feinde batte er trotzdem auch aus diesem Anlass nicht, 
weil ihm selbst seine^Gegner^die unbedingte Hochachtunginicht 
versagen konnten. Mochte auch er wohl von sich selbst mit dem 
Dichter sagen: „Nichts, was menschlich£acht’ ich mir als fremd 4 , 
wir aber würden einschränkend binzufügen: alles unedle Mensch¬ 
liche war ihm fremd. Er entsprach voll und ganz der Goethe’schen 
Forderung: Edel sei^der Mensch, hilfreich und gut. 

CJ| Neumann’s Konstitution^war nicht ganz so 'kräftig wie die 
seiner Geschwister, aber er besass dieselbe hohe und straffe Ge¬ 
stalt wie Vater und Brüder und war, gleich ihnen, von Haus aus 
eine kerngesunde Natur. In den vierziger Jahren seines Lebens 
befiel ihn eine schwere Grippe, nach deren Ueberstehen eine 
Neigung zu fieberhaften Bronchialkatarrhen in ihm zurückblieb. 
Im Jahre 1903 zog er sich vom Lehramte zurück, setzte aber 
seine wissenschaftliche Tätigkeit erfolgreich bis ans Ende fort. 
Im Sommer 1917 erlitt er, der über 83 jährige, einen besonders 
schweren Grippeanfall, von dem er sich nicht wieder völlig er¬ 
holte. Eine ständige Abnahme der Körperkräfte war seitdem 


sichtbar, und er bemerkte das selbst. Aber erst in der letzten 
Woche vor seinem Tode traten Erscheinungen von Herzschwäche 
auf, die ihm, der den Tod und seine Ursachen so genau- kannte, 
keinen Zweifel über das drohende Ende lassen konnten. Noch 
drei Tage vor seinem Tode war er aber imstande, mir einen fast 
vier Seiten langen Brief zu schreiben. Er spricht am Schlüsse 
desselben von seinem körperlichen Zustand und die letzten Zeilen 
lauten: „Jedenfalls ist es wohl klar, der Anfang der Katastrophe 
steht bevor. Mit herzlichen Grüssen Ihr E. Neumann. 11 

Wenn ich nun nach dem Menschen den Forscher und Ge¬ 
lehrten Neumann ins Auge fasse, so wird man von mir, seinem 
langjährigen Assistenten und ältesten Schüler, eine eingehende 
Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen erwarten und 
berechtigt finden. 

Neumann war von der Natur eine hervorragende Beobachtungs¬ 
gabe und eine hohe kritische Begabung verlieben worden, Eigen¬ 
schaften, die nicht immer miteinander verbunden siud. Ihre ver¬ 
einte Betätigung macht aber erst den grossen, bahnbrechenden 
Forscher. Wo Neumann den Hebel der Untersuchung ansetzte, 
da machte er meist auch eine „Entdeckung 4 , weil er stets nach 
einem wohlerwogenen Plan mit der Richtung auf ein bestimmtes 
Ziel untersuchte und den Befund richtig einzuschätzen wusste. 
Diese Entdeckerfähigkeit offenbarte sich bereits in seinen früheren 
Arbeiten. Ich führe als Beleg hierfür an seine Entdeckung des 
Vorkommens der Amyloiddegeneration in der Muscularis des 
Darms (1860), ferner seine Ermittelungen über die Struktur des 
Knochen- und Zahnbeingewebes (1863) und über die Wirksam¬ 
keit elektrischer Ströme auf rote und weisse Blutkörperchen, so¬ 
wie auf kranke bzw. absterbende Muskeln und Nerven (1864). Neu¬ 
mann’s Untersuchungen erbrachten den Nachweis, dass die bisher 
für anastomosierende sternförmige Hohlzellen bzw. röhrenförmige 
Zellausläufer gehaltenen „Knochenkörperchen 11 bzw. Zahnröhrchen, 
durch welche sich der Saftstrom intracellulär hindurchbewegen, 
sollte, nicht die Knochenzellen bzw. Zabnbeinfasern, sondern deren, 
aus verdichteten Teilen der Grundsnbstanz gebildete und mit ihr 
gemeinsam verkalkte „Kapseln 11 (entsprechend den zu den 
Knorpelzellen gehörenden Knorpelkapseln) sind. Neumann ist 
sich der weittragenden Bedeutung dieses seines Nachweises voll 
bewusst gewesen, indem er, auf die nahen Beziehungen zwischen 
Knorpel-, Knochen- und Bindegewebe hinweisend, es für wahr¬ 
scheinlich erklärt, dass auch in letzterem ein ähnliches Verhältnis 
zwischen Grundsubstanz und Zellen bestehen werde, wie in Knorpel 
und Knochen, eine Voraussicht, die durch die späteren Ermitte¬ 
lungen v. Recklinghausen’s über das „Saftkanalsystem 11 im 
fibrillären Bindegewebe und in der Hornhaut bestätigt wurde. 

Die elektrophysiologischen Untersuchungen Neumann’s zeigten, 
dass durch die Einwirkung sowohl des konstanten Stroms als 
auch der Induktionsströme auf rote Blutkörperchen eine echte 
Hämolyse herbeigeführt wird, welcher Erscheinung eine Ver¬ 
klebung der Körperchen vorausgeht, Beobachtungen, die für das 
mehrere Jahrzehnte später so vielfach diskutierte Verhältnis 
zwischen Hämagglutination und Hämolyse durch die giftigen 
Pbytalbumosen, Zootoxine und Serumhämolysine von grossem 
Belange sind, worauf näher einzugehen ich mir hier versagen muss. 

Grundlegend und auch von erheblichem klinischen Interesse 
sind Neumann’s Ermittelungen hinsichtlich der sogenannten Ent¬ 
artungsreaktion, welche zeigten, dass es allein die längere 
Dauer des konstanten Stromes, gegenüber der des induzierten 
Stromes ist, welche die Zuckung der gelähmten Muskeln zulässt. Es 
kommt also bei der Erregung von Muskeln und Nerven nicht allein auf 
die Stärke, sondern auch auf die Dauer der Ströme an, wie auch 
die Ablenkung der Boussole von beiden Momenten abhängig ist. 

Im Jahre 1868 veröffentlichte Neumann die erste ausführ¬ 
liche Abhandlung über seine Entdeckung der blutbildenden Tätig¬ 
keit des roten Knochenmarkes, einer der grossartigsten und folgen¬ 
reichsten Erkenntnisfortschritte auf naturwissenschaftlich-medizini¬ 
schem Gebiete. Während bisher das Problem der Neubildung 
roter Blutkörperchen im extranterinen Leben mit einem non liquet 
beantwortet worden war, wies Neumann nach, dass in dem roten 
(lymphoiden) Knochenmark, einem früher in betreff seiner physio¬ 
logischen Bedeutung gänzlich missachteten OrgaD, während der 
ganzen Lebensdauer kernhaltige rote Blutzellen, die Embryonal¬ 
formen der ausgebildeten kernlosen Formen, vorhanden sind, und 
dass eine stetig fortgesetzte Neubildung (Vermehrung) dieser Zellen 
und Einfuhr derselben ins Blut zum Wiederersatz der physio¬ 
logisch verbrauchten oder pathologisch zugrunde gegangenen far¬ 
bigen Zellen stattfindet. In weiteren, auf fortgesetzte Beobach¬ 
tungen und auf Tierexperimente gestützten Mitteilungen ergänzte 


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366 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Neumann seine Entdeckung dahin, dass das rote Knochenmark 
nicht nur eine, sondern die einzige Q teile der extrauterinen 
Blutneubildung beim Menschen und den meisten Wirbeltieren ist. 
Im Embryo funktionieren, wie Neumann feststellte, ausser dem 
Knochenmark auch noch die Leber und bis zu einem gewissen 
Grade auch die Milz als erythroblastische Organe, aber im post¬ 
embryonalen Leben versiegt diese ihre Funktion. Von diesen 
Feststellungen ausgebend, legte der Forscher ferner die Beziehungen 
des Knochenmarkes zu den pathologischen Zuständen der Anämie 
und der Leukämie dar. Jede wie immer entstandene Anämie 
ruft eine kompensatorische Hyperplasie des roten Knochemarkes 
hervor, die so weit gehen kann, dass das reine Fettmark der 
Extremitätenknocben vollständig in hämatopoetiscbes rotes Mark 
zuröckverwandelt wird, wobei der Umwandlungsprozess gesetz« 
saässig vom Stamm nach den Spitzen (zentrifugal) kontinuierlich 
fortschreitet, im Gegensatz zu der Umbildung des jugendlichen 
roten Maikes in Fettmark, die in umgekehrter Richtung (zentri¬ 
petal) stattfindet. Auch die bei progressiver perniziöser 
Anämie in der Regel vorhandene Hyperplasie und Neubildung 
des roten Knochenmarkes ist als eine kompeosatorische Erscheinung, 
nicht, wie Cohn heim glaubte annehmen zu sollen, als eine 
primäre Erkrankung mit Herabsetzung der physiologischen 
Erythropoese des Knochenmarkes aufzufassen. 

Die Annahme nun, dass das rote Knochenmark nicht nur 
Bildungsstätte der roten, sondern auch der farblosen Blutzellen 
sei, war Neumann bereits durch die Beobachtung eines bisher 
nicht bekannten Reichtums der Knochen venen an farblosen Zellen 
nahegelegt worden; wichtige weitere Stutzen ergaben sich dann 
aus seinen grundlegenden Beobachtungen über myelogene 
Leukämie. Er konnte zeigen, dass sich das rote Knochenmark 
in allen Fällen von Leukämie durch eine hyperplastischeWuche 
rung seiner farblosen Parenchymzellen beteiligt, und dass ferner 
Fälle Vorkommen, in welchen nur das rote Knochenmark eine 
Markzellenbyperplasie aufweist, während Lymphdrüsen und Milz 
unverändert sind; er konnte schliesslich zeigen, dass das histo¬ 
logische Bild der leukämischen Blut Veränderung sich in jedem 
Fallein bezug auf die morphologische Qualität der vorherrschenden 
farblosen Elemente mit dem histologischen Bilde der leukämischen 
Knochenmarks Veränderung deckt. Daraus und in Anbetracht 
der bekannten Erfahrung, dass bedeutende hyperplastische Milz- und 
Lymphdrüsentumoren bestehen können, ohne zur Leukämie zu 
führen, gelangte Neumann zu dem Schluss, dass wahrschein¬ 
lich sämtliche Leukämien, auch die lymphatischen, myelogenen 
Ursprungs und dass reine lienale und reine lymphatische Leukämien 
nicht erwiesen sind. In die klinische Diagnostik der Leukämie 
hat später die Einführung der von P. Ehrlich begründeten 
farbenanalytischen Untersnchungsmethoden erhebliche Fortschritte 
gebracht, die Lehre Neumann’s von dem einheitlichen Ursprung 
der Leukämien im Knochenmark ist aber dadurch nicbt verändert 
worden. 

Mit der Frage nach dem Ursprungsort der Leukämie hängt 
die nach dem genetischen Verhältnis zwischen den verschiedenen 
Leukozyten formen zusammen. Nach Neumann leiten sich alle 
diese Formen von einer gemeinschaftlichen, auch extrauterin 
vorhandenen Stammzelle, dem Lymphomyeloblast, ab, während 
die jetzt herrschende Dualitätslehre zwei spezifisch differenzierte 
und lokalisierte Stammzellen, einen Lymphoblasten für die Lympho¬ 
zyten und einen Myeloblasten für die Myelozyten und die granu¬ 
lierten farblosen Blutzellen (Leukozyten im engeren Sinn) an¬ 
nimmt. Neumann hält die für die Existenz zweier Stammzellen 
angegebenen Beweise für unsicher und beharrt nach sorgfältiger 
Abwägung aller einschlägigen Beobachtungstatsachen auf dem 
unitarischeu Standpunkt. Hierin etwa eine „Rückständigkeit“ 
Neumann’s erblicken zu wollen, wäre verfehlt. Auch jüngere 
kompetente Forscher, wie Weidenreich und Maximow, haben 
sich sehr entschieden gegen die Ehrlich’sche Lehre von der 
Spezifität zweier verschiedener Gruppen von Leukozyten aus¬ 
gesprochen, und F. Marchand betont in seinem bekannten 
mustergültigen Referat „Ueber die Herkunft der Lymphozyten usw.“ 
(Verhandlungen der Deutschen pathologischen Gesellschaft, 
31. März 1913), „dass ihm das starre Festhalten an der dualisti¬ 
schen Lehre ein Hindernis für die Forschung zu bilden scheine.“ 

Ein wertvolles Zeugnis für die Abhängigkeit der Leukämien 
vom Knochenmarke erbringt noch die Anwesenheit eigentümlicher 
farbloser, in Form von sechseckigen Doppelpyramiden auftretender 
Kristalle im Blute Leukämischer. Dieselben waren zwar schon 
vor Neumann von Cbarcot im Blute und in der Milz von 
Leukämikern gesehen worden; ihre Beziehung zum Knochen¬ 


mark deckte aber erst Neumann auf. Die Substanz, aus welcher 
sich die Kristalle bilden, findet sich nämlich konstant im nor¬ 
malen Knochenmark, sonst in keinem anderen normalen Organ. 
Die Kristalle scheiden sich erst nach dem Tode, bzw. Entfernung 
des Blutes oder von Organstückchen aus dem lebenden Körper, 
aus. Im leukämischen, insbesondere im pyoid-leukämischen 
Knochenmark wird jene Substanz in vermehrter Menge gebildet 
und geht ins Blut und damit in alle gefässhaltigen Organe über, 
daher die in Rede stehenden Kristalle ganz konstant im Leichen¬ 
blut und in den Leichenorganen Myelämischer, selten Lympbämi- 
scher, anzutreffen sind. Nach diesen Feststellungen kann Neu¬ 
mann wohl mit Fug und Recht als der eigentliche Eutdecker 
dieser Leukämiekristalle angesehen werden. Es mag aber hin¬ 
gehen, sie als Cbarcot-Neumann’sche Kristalle bezeichnet zu 
hören. Durchaus unangemessen aber erscheint es, ihnen den 
Namen Cbarcot-Leyden’sche Kristalle zu geben. Wenn auch 
die von Leyden u. a. im Sputum, namentlich bei Asthma 
bronchiale, gefundenen Kristalle chemisch und kristallographisch 
mit den Leukämiekristallen übereinstimmen, so haben sie doch 
eine ganz andere klinische Bedeutung. Jedenfalls darf aber 
Neumann bei der Benennung der Kristalle nicht einfach aus¬ 
gemerzt werden, es müsste mindestens heitsen: Cbarcot-Neu¬ 
mann-Leyden’sche Kristalle. 

Die Arbeiten Neumann’s über Blutbildung im Knochenmark 
und über den myelogenen Ursprung der Leukämie erhoben ihn 
mit in die erste Reihe der führenden Pathologen Deutschlands 
und damit der Welt. Er war aber keine Natur, um auf Lor¬ 
beeren auszuruhen. Unermüdlich griff er neue Probleme auf 
und rastete nicht, bis er sie gelöst oder der Lösung möglichst 
nahe gebracht hatte. So erfuhr zunächst im Anschluss an die 
Arbeiten über physiologische und pathologische Blutbildung; die 
Lehre von den pathologischen Blutpigmenten durch ihn her¬ 
vorragende Förderung. Die beiden Umwandlungsprodukte des 
Hämoglobins, das eisenhaltige, von Neumann „Hämosiderin" 
genannte und jetzt allgemein so bezeichnete nichtkristallinische 
Pigment einerseits und das eisenfreie kristallinische Häma¬ 
toidin entsprechen nicht, wie früher angenommen wurde, nur 
verschiedenen Stadien der Umbildung, sondern scbliessen sich 
aus und entstehen aus verschiedenen chemischen Prozessen. Zur 
Entstehung des Hämosiderins gehört die Einwirkung lebenden 
Gewebes, die Hämatoidinbildung stellt dagegen einen von vitaler 
Gewebstätigkeit unabhängigen chemischen Zersetznngsprozess dar. 
Die Bildung des sogenannten Pseudomelanin ist kein einfacher 
Fäulnisvorgang, sondern setzt stets die Bildung von Hämosiderin 
voraus, was auch gerichtsärztlich von Bedeutung ist. Die schwarze 
Farbe des Pseudomelanin beruht auf der Bildung von Scbwefel- 
eisen. Das Hämosiderin geht spontan niemals in schwarzes 
Pigment über. Das Malariamelanin entsteht im Leibe der Ma¬ 
lariaplasmodien direkt aus dem Hämoglobin, ohne Hämosiderin 
als Zwischenstufe, und gibt keine Berlinerblaureaktion wie dieses. 
Die Malariaprotozoen haben also nicht die gleiche Fähigkeit wie 
die lebenden Zellen der Metazoen, aus Hämoglobin ein eisen- 
oxyd oder -oxydulhaltiges' Pigment zu bilden. 

Da das Bilirubin mit dem Hämatoidin identisch ist, und 
dieses, wie gesagt, unabhängig von jeder Zellen- oder Gewebs¬ 
tätigkeit entsteht, so hält es Neumann für unwahrscheinlich, 
dass der Gallenfarbstoff in der Leberzelle entsteht, verlegt daher 
seine Bildung ins Blut und überlässt der Leber nur seine Aus¬ 
seheidung. (Ob Neumann diese im Jahre 1888 ausgesprochene 
und begründete Anschauung dauernd festgehalten hat, vermochte 
ich nicht zu ermitteln. Gegenwärtig dürfte wohl allgemein die 
Leber als Bildungsstätte des Gallenfarbstoffs anerkannt sein.) 

Im Zusammenhang mit den Forschungen über hämatogene 
Pigmente stehen Neumann’s Beobachtungen über den Icterus 
neonatorum, bei welchem, im Gegensatz zum Icterus adultorum, 
der im Blute, in den Transsudaten und in den Geweben vor¬ 
handene Gallenfarbstoff eine ausgesprochene Neigung hat, sich 
post mortem in körniger oder kristallinischer Form auszuscheiden. 
Von allgemeinerem Interesse ist nun der weitere Nachweis, dass 
nicht nur beim eigentlichen Icterus neonatorum, sondern schon 
zur Zeit der Geburt bei vielen, übrigens normalen Kindern ein 
gewisser, zur makroskopischen Färbung nicht ausreichender Grad 
von Ikterus vorhanden ist, der sich nach dem Tode durch Aus¬ 
scheidung von Bilirubinkristallen in den Fettzellen, namentlich 
denjenigen des Netzes, offenbart. Der eigentliche Icterus neo¬ 
natorum ist hiernach „nicht mehr als eine durch den Uebergang 
in das extrauterine Leben hervorgerufene Krankheit, sondern viel¬ 
mehr nur als eine Steigerung gewisser innerhalb der physio- 


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15. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


367 


logischen Grenzen gelegener Vorgänge des fötalen Lebens“ zu 
betrachten. 

Bedeutungsvoll und umfassend waren weiterhin Neumann’s 
Forschungen auf dem Gebiete der Entzündungslehre. Er hat 
durch seine Beobachtungen über „flimmernde Biterzellen“ seit Auf¬ 
stellung der Cohn heimischen Lehre, dass alle Eiterkörperchen 
ah aus den Blutgefässen au^gewanderte farblose Blutkörperchen 
anzu8ehen seien, den ersteo unverwerflichen Beweis geliefert, 
dass auch fixe Gewebszellen, hier Flimmerepitbelien, zu „Eiter¬ 
zellen“ im weiteren Sinne werden können, wenn auch diese 
histogenen Eiterzellen niemals die Form der „typischen“ Eiter¬ 
körperchen, der polymorphkernigen, granulierten Leukozyten an¬ 
nehmen. Er machte ferner die überraschende Beobachtung, dass 
bei an lymphozytärer Leukämie leidenden Individuen, deren farb¬ 
lose Blutzellen grösstenteils aus kleinen einkernigen Lympho¬ 
zyten, unter völligem Zurücktreten der grösseren muhinukleären 
Formen, bestanden, die entzündlichen Transsudate dennoch 
ausschliesslich die letzteren Formen enthielten. Neumann ist 
geneigt, entsprechend seinem unitarischen Standpunkt in der Ab¬ 
stammungsfrage der Leukozyten, die genannte Beobachtungstat¬ 
sache so zu deuten, dass sich die ausgewanderten „Lymphozyten“ 
in der diese Umwandlung begünstigenden Transsudatflüssigkeit 
in „Leukozyten“ umformen. 

Einen wesentlichen Fortschritt erbrachten sodann Neumann’s 
Untersuchungen über entzündliche Bindegewebsneubildung in 
pleuritischen Schwarten (1869). Die Bindegewebsneubildung geht 
von den vorhandenen Bindegewebszellen, nicht von ausgewanderten 
farblosen Blutzellen aus. Die Bildungszellen des Bindegewebes 
sind grössere einkernige, rundliche oder rundlich-eckige Zellen, 
die sich alsbald zu spindeligen Formen strecken, um schliesslich 
an den Enden eine pinselartige Zerspaltung in ein Büschel feiner 
Fibrillen zu erfahren. Für diene und die ganz damit überein¬ 
stimmenden, in Fibrillen sich auffasernden Zellen in den Fibro- 
sarkomen führte Neumann die Bezeichnung «Fibroblasten“ als 
Bildungszellen des fibrillären Bindegewebes ein. 

Das fibrilläre Bindegewebe erfährt sehr häufig bei den ver¬ 
schiedensten Entzündungsprozessen eine „fibrinoide Degeneration“ 
(oder „fibrinoide Nekrose“), welche an der Bildung der fibri¬ 
nösen Pseudomembranen an der Oberfläche seröser Häute sowie 
insbesondere auch an der Entstehung fibrinähnlicher Massen bei 
Sehnenscheiden- und Gelenkentzündungen in der Gestalt der so 
genannten Corpuscula oryzoidea hervorragenden Anteil nimmt. 

In bezug auf die Theorie der Entzündung kann Neumann 
als einer der Begründer und wirkungsvollsten Vertreter derjenigen 
Auffassung angesehen weiden, welche in der Entzündung eine 
zweckmässige Einrichtung erblickt, die dahin wirkt, eine primäre 
Gewebsläsion („Mikronekrose“) zu heilen, eventuell den erlittenen 
Gewebsverlust durch eine Neubildung zu ersetzen. Noch neuestens 
(Ende des vorigen Jahres) ist Neumann auf diese ihn lebhaft 
beschäftigende Frage zurückgekommen. Währeud er früher bei 
der Zusammenfassung der nach Gewebaläsionen sich entwickelnden 
Vorgänge unter dem Gesichtspunkt ihrer Heiltendenz, Entzündungs¬ 
und Regenerationsvorgänge nicht trennte, tut er dies jetzt, indem 
er die auf eine Gewebsläsion folgende Reaktion aus einem ent 
zündlicbem und einem regenerativen Prozess zusammengesetzt 
sein lässt, welche gemeinsam die Heilung der Läsion herbeiführen. 
„Das Verhältnis zwischen Entzündung und Regeneration würde 
sich also auch so ausdrücken lassen: es gibt zwar keine Ent¬ 
zündung ohne Regeneration, wohl aber eine Regeneration ohne 
Entzündung“. Mit dieser Modifikation seiner früheren Formulierung 
hat er in der so schwierigen Verständigung über den Entzündungs¬ 
begriff einen Schritt vorwärts getan. 

Auch in der Lehre von den Geschwülsten zeitigten seine 
Forschungen wichtige Ergebnisse. So begründete er zuerst durch 
Darstellung beweisender Isolationspräparate den Typus der 
„Sarkome mit endothelialen Zellen“ (1872), wie er über¬ 
haupt die Endothel frage und die Frage des Verhältnisses 
zwischen Endothel und Epithel durch verschiedene ausgezeichnete 
normal- und pathologisch histologische Untersuchungen gefördert 
hat. Gediegene Arbeiten verdanken wir ihm in diesem Zusammen¬ 
hang auch über die Histogenese der Sarkome und Karzinome hnd 
über Entstehung verschiedener pathologischer Zystenbildungen 
(Kiemengangzysten, Ovarialzysten, heterotope Flimmerzysten, 
Myelomeningocele, Ranulazysten). Ich will hier nur in betreff 
der letzterwähnten Zysten hervorheben, dass es ein Verdienst 
Neumann’s ist, die mit Flimmerepithel ausgekleidete Gruppe 
dieser Zysten von dem Flimmerepithel tragenden Bochdalek’schen 
Drüsenapparat in der Zungenwurzel abgeleitet zu haben. Ein 


Versuch v. Recklinghausen’s, diese Ableitung zugunsten der 
Blandin-Nuhn’schen Zungenspitzendrüse zu bestreiten, kann 
nicht als geglückt angesehen werden, wie Neumann noch 
kürzlich — 1 Jahr vor seinem Tode — überzeugend nachge¬ 
wiesen bat. 

Auf die grosse Zahl wertvoller kasuistischer Beiträge 
zur Geschwulstlehre aus der Feder Neumann’s kann ich hier 
nur hinweisen, wie ich auch auf viele andere seiner Arbeiten, 
teils normalhistologi8cben teils pathologisch-anatomischen Inhalts, 
wie die Untersuchungen über die Entwickelung der Spermatozoiden, 
über die Beziehungen des Flimmerepithels der Bauchhöhle zum 
Eileiterepitbel beim Frosche, über „die Metaplasie des fötalen 
Oesophagusepitbels“, auf die Vircbow gewidmete Abhandlung 
über „Darmdivertikel und persistierende Dottergefässe als Ursache 
der Darminkarzerationen“ und auf die zum Teil experimentellen 
Arbeiten über „Peptische Magengeschwüre, postmortale und 
pseudovitale Autodigestion“, trotz ihrer Wichtigkeit einzugehen 
mir hier versagen muss. 

Dagegen kann ich nicht ohne einige begleitende Worte an 
den histologischen Untersuchungen Neumann’s über die Regene¬ 
rationsprozesse der Muskeln und namentlich der Nerven 
vorübergehen, weil es sich hier um eine Lebensarbeit des Forschers 
von grundlegender und bahnbrechender Bedeutung handelt. Er 
war der Erste, dem es gelang, die Neubildung junger Muskel¬ 
fasern, in Form der von ihm sogenannten Muskelknospen, und 
die Neubildung von jungen Nervenfasern aus den zentralen Stümpfen 
der durchschnittenen Muskel- bzw. Nervenfasern, das Hervorwachsen 
der jungen Nervenfasern („Nerveuknospen“) aus den Schnittenden 
der zentralen Stümpfe in die Lücke und das Auftreten neugebildeter 
Nervenfasern innerhalb der degenerierten (entdifferenzierten) Fasern 
der peripheren Nervenenden zu beobachten und durch klare Ab¬ 
bildungen überzeugend zu veranschaulichen. Die später von 
anderen Forschern über denselben Gegenstand angestellten zahl¬ 
reichen Untersuchungen haben den durch Neumann gewonnenen 
Besitzstand der Lehre wohl zu ergänzen, aber nicht umzustossen 
vermocht. Ja, es darf gesagt werden, dass, je mehr und ein¬ 
gehender die Frage auch von Seiten anderer Forscher geprüft 
worden ist, sich nicht nur die unumstössliche Richtigkeit seiner 
mikroskopischen Befunde berausgestellt, sondern auch seine 
Deutung der Befunde im Sinne der Neuroblastentheorie 
mehr und mehr Anhänger gefunden hat. Ich glaube das nicht 
besser als dadurch bezeugen lassen zu können, dass die in der 
neuesten Auflage des bekannten Asch off’sehen Lehrbuches der 
pathologischen Anatomie von Borst gegebene Darstellung der 
Nervenregeneration in den wesentlichen Punkten mit Neumann’s 
Auffassung übereinstimmt. 

Dass ein nicht unbeträchtlicher Teil von Neumann’s Arbeits¬ 
kraft und Arbeitsleistung in den unter seiner Leitung entstandenen 
sehr zahlreichen Dissertationen enthalten ist, darf nicht un¬ 
erwähnt bleiben. Die aus Neumann’s Institut herausgekommenen 
Dissertationen sind sämtlich sehr gründliche Arbeiten von ent¬ 
schieden wissenschaftlichem Wert und bilden wichtige Er¬ 
gänzungen zu dem Arbeitsschatz des Meisters. 

So blicken wir mit Verehrung und aufrichtiger Bewunderung 
auf sein herrliches, unvergängliches Lebenswerk, wie es in gleicher 
Reichhaltigkeit und Bedeutung auf medizinisch-naturwissen¬ 
schaftlichem Gebiet nur wenige erlesene Geister aufzuweisen haben. 
So sehr dieses Urteil über den Wert seiner wissenschaftlichen 
Leistungen von Neumann’s engeren Facbgenossen einmütig ge 
teilt werden wird, so ist doch sein Name in weiteren Kreisen 
und im grossen ärztlichen Publikum nicht so bekannt geworden, 
wie nach seinen grossen und anerkannten Verdiensten um die 
medizinische Wissenschaft zu erwarten gewesen wäre. Hiermit 
steht im Einklang, dass, meines Wissens, Neumann niemals einen 
„Preis“ oder eine ähnliche Auszeichnung für seine hervorragenden 
wissenschaftlichen Arbeiten erhalten hat Der Grund hierfür 
dürfte wohl einerseits in seiner grossen Bescheidenheit und An¬ 
spruchslosigkeit liegen, derzufolge ihm, wie Beneke gelegentlich 
der Feier von Neumann’s 70. Geburtstag ausgesprochen hat, 
«die Sorge um Anerkennung seiner persönlichen Leistung gänzlich 
fern lag“, andererseits aber in dem Umstand, dass viele gerade 
seiner bedeutendsten Arbeiten in einer wenig verbreiteten, später 
eingegangenen und schliesslich vergriffenen Zeitschrift veröffentlicht 
waren. Es war daher eine glückliche, leider nur zu spät gefasste 
Idee, die über diese und andere Zeitschriften verstreuten und 
über 50 Jahre sich ausbreitenden Arbeiten Neumann’s in Neu¬ 
druck als „gesammelte Abhandlungen mit Zusätzen versj^en“ 
herauBzugeben. Der das Blut und die Pigmente betreffende Teil 


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368 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


dieser Arbeiten ist gegen Ende des Jahres 1917 (bei Gustav 
Fisch er-Jena) erschienen. Diese Freude hat Neamann noch er¬ 
lebt, auch wohl die anerkennende Anzeige des Werkes in dieser 
Zeitschrift durch Hart noch gelesen; dagegen ereilte ihn der Tod 
noch vor dem Erscheinen der eingehenden Besprechung Ernst’s 
(in der Müncher medizinischen Wochenschrift), die ihn sehr erfreut 
haben würde. 

Nun ist seine edle reine Seele und sein unermüdlich schaffender, 
nach Wahrheit und Klarheit strebender Geist dahin; in seinen 
Werken aber wird er fortleben und noch späteste Geschlechter 
mit seinen Strahlen erleuchten. 

„Es kann die Spar von seinen Erdentagen nicht in Aeonen 
untergehn.“ 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Prof. Dr. Max Lewandowsky, Privatdozent für Neuro¬ 
logie an der Universität Berlin, ist am 4. d. M. den Folgen einer schweren 
typhösen Erkrankung, die er sich im Felde zugezogen hatte, erlegen. 
Zahlreiche Einzelarbeiten auf neurologischem Gebiete sowie seine redak¬ 
tionelle Tätigkeit als Herausgeber der Zeitschrift für die gesamte Nerven¬ 
heilkunde, hatten den Namen des noch jugendlichen Forschers — er hat 
nur ein Alter von 41 Jahren erreicht — aufs vorteilhafteste bekannt 
gemacht und rechtfertigten die grossen Hoffnungen, die man auf seine 
weiteren wissenschaftlichen und praktischen Leistungen setzte. 

— Am 9. April feierte in Cassel der auch den Lesern dieser 
Wochenschrift durch seine Arbeiten zur Geschichte der Medizin be¬ 
kannte Hermann Sohelenz den 70. Geburtstag. Früher Apotheken¬ 
besitzer in Rendsburg lebt Sch. seit der Aufgabe der Apotheke nur 
der Geschichte seines Faches und der verwandten Gebiete. Sein Haupt¬ 
werk ist die Gesohiohte der Pharmazie, die als umfassendes Nach¬ 
schlagewerk gelten muss. 1914 erschien der erste Band „Shakespeare 
und sein Wissen auf dem Gebiete der Arzenei- und Volkskunde*. 

— Die deutsche Forschungsansta.lt für Psychiatrie in 
München wurde am 1. April eröffnet. Leiter der Anstalt ist Prof. 
Kraepelin. Die Abteilung für Histologie übernimmt Nissl-Heidel- 
berg, die für topographische Rindenhistologie Brodmann -Halle, die 
serologische Plaut-München, die pathologisch-anatomische Spielmeyer- 
Münohen und die demographisch-genealogische Rüdin-München. 

— Die Stadt Frankfurt a. M. will die Kuranstalt Hohemark, die 
Prof. Friedländer gehört, ankaufen und auf dem etwa 40 Morgen 
grossen Gelände ein Mittelstandssanatorium erriohten für solohe Pa¬ 
tienten, deren Nervensystem durch körperliche oder geistige Ueber- 
anstrengung Schaden genommen hat. 

— Die Medizinalabteilung des preussischen Ministeriums des Innern 
gibt in den „Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung* 
eine Uebersicht über die Tätigkeit der Medizinaluntersuchungsämter, 
deren es im ganzen 30 in Preussen gibt, in den Jahren 1913 und 1914. 
In beiden Jahren hat eine Zunahme der Untersuchungen stattgefunden, 
aber der Krieg hat eine Veränderung insoferen herbeigeführt, dass 
bei den bakteriologischen Untersuchungen die chronischen Infektions¬ 
krankheiten mehr in den Hintergrund treten. So ist die Zahl der 
Untersuchungen auf Tuberkulose um 3500 gesunken, dagegen die auf 
Ruhr um ebensoviel gestiegen. Die Zahl der im Jahre 1914 amtlich 
gemeldeten Fälle von übertragbarer Ruhr beträgt 5893 gegenüber 604 
im Jahre 1913. Auoh die Zahl der gemeldeten Diphtherietälle ist um 
4000 im Jahre 1914 gestiegen, die Zahl der Untersuchungen im gleichen 
Zeitraum um ebensoviel gesunken, was zweifellos auf die Einberufung 
zahlreicher Aerzte zum Heeresdienst zurückzuführen ist. Erwähnt wird 
auch, dass in Berlin kein Genesender nach Diphtherie oder verdächtiger 
Halsentzündung früher zur Schule zugelassen wird, ehe nicht eine zwei¬ 
mal hintereinander negativ ausgefallene bakteriologische Untersuchung 
das Fehlen der Diphtheriebazillen gewährleistet hat. 

— Im Gesundheitsausschuss des österreichischen Abgeordnetenhauses 
war vor einiger Zeit ein Antrag auf Einführung der fakulta¬ 
tiven Leichenverbrennung fast einstimmig angenommen worden. 
Aber das Ministerium des Innern hat sich gegen die Leichenverbrennung 
ausgesprochen, da die Erdbestattung allen hygienischen Anforderungen 
genüge und die Feuerbestattung, selbst wenn sie nur fakultativ ist, 
das religiöse Empfinden einen grossen Teil der Bevölkerung verletze. 

— Preisträger an dem grossen Osirispreis in Paris sind u. a. 
die Mediziner Chantemesse, Vidal und Vincent wegen ihrer Verdienste 
um die Typhusschutzimpfung. 

— Der Kaiser hat in Anerkennung der grossen Verdienste, die sich 
das weibliche Krankenpflegepersonal in der Kriegszeit erworben hat, 
seine Zustimmung zur Gründung der Kaiser Wilhelmssohule 
deutscher Krankenpflegerinnen gegeben und eine Beihilfe von 
einer Million Mark aus der Kaiser Wilhelmspende deutscher Frauen in 
Aussicht gestellt. In der Anstalt sollen Schwestern für die mannigfachen 
Aufgaben der Gemeindepflege, der Kriegsbescbädigtenfürsorge, des Mutter- 
und Säuglingsschutzes usw. ausgebildet werden. Mit dem Institut soll 
ein Krankenhaus zum Gedächtnis der Gefallenen verbunden werden. 


— Verlustliste. Gefallen: Feldunterarzt Ernst Doctor- 
Breslau. Stud. med. Juüub Euer st-Königsberg. — Infolge Krank¬ 
heit gestorben: Professor Max Lewandowsky-Berlin. Oberstabsarzt 
Paul Mosberg-Berlin. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (24. bis 
80. III.) 2. Fleokfieber: Deutsches Reich (24.—30. III.) 15 und 1 f. 
Rüokfallfieber: Deutsches Reich (24.—80. III.) 23. Genick¬ 
starre: Preussen (17.—23. III.) 6 und 1 f. Schweiz (10.—16. III.) 4. 
Spinale Kinderlähmung: Preussen (17.—23. III.) 1. Schweiz 
(10.—16. III.) 1. Ruhr: Preussen (17.-23. III ) 79 und 7 f. 

(Veroff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochsohulnaohriohten. 

Jena: Der Privatdozent für Chirurgie Dr. Eden erhielt den Titel 
Professor. — Leipzig: Privatdozent Dr. Stieve in München wurde 
als zweiter Prosektor an das anatomische Institut berufen. — Münster: 
Der Ordinarius für Anatomie Prof. Ballowitz erhielt den Titel Geheimer 
Medizinalrat — Würzburg: Gebeimrat F. Riedinger ist im Alter 
von 73 Jahren gestorben. 


Amtliche Mitteilungen. 

Pergonalien, 

Auszeichnungen: König!. Krone zum Roten Adlerordeu 
IV. Klasse: Ob.-St.-A. d. R. Dr. Pep lau in Potsdam. 

Roter Adlerorden IV. Klasse: Geh. San.-Räte Dr. Keipen in Cöln- 
Kalk und Dr. Rheins in Neuss. 

Charakter als Geh. Medizinalrat: o. Prof, in der philosophischen 
und naturwis8enschaftl. Fakultät der Universität in Münster Dr. Bal¬ 
lowitz. 

Ernennungen: Stadtass.-Arzt Dr. K. Puppel in Duisburg zum Kreis¬ 
arzt in Johannisburg, Kreisass.-Arzt Dr. K. Roos in Berlin zum 
Kreisarzt in Beeskow (Kreis Beeskow-Storkow). 

Niederlassungen: Aerztin Anna Ganz in Marburg, Aerztin Luise 
Kemmer in Bebra, Dr. Gustav Roth, Aerztin Dr. Selma Wert¬ 
heimer und Aerztin Delia Kaltwasser in Frankfurt &. M., Heinz 
Brenner in Cöln Deutz, Dr. Ewald Kleine in Bonn, Dr. P. Rül- 
lers in Trier. 

Verzogen: Dr. A. Liebeck von Berlin nach Krummhübel, Dr. H. Buss¬ 
mann von Gross Salze nach Magdeburg, Dr. P. Taube und Dr. V. 

E. Holstein aus dem Felde nach Asohersleben, Dr. F. Lauw von 
Langwedel nach Harsefeld (Kr. Stade), Mar.-Ob.-St.-A, Dr. G. Moli¬ 
nari aus dem Felde (Flandern) nach Wilhelmshaven, Dr. Friedr. 
Marggraff von Homburg in der Pfalz nach Ratzeburg, Dr. K. Os¬ 
wald von Elberfeld nach Minden, Aerztin Hedwig Klammer von 
Frankfurt a. M. nach Marburg, Dr. K. Flamm von Berlin nach Gross 
Nenndorf (Kr. Grafsch. Schaumburg;, Dr. K. Hieronymus aus dem 
Felde (vorher in Jasberg) nach Rotenburg a. F., Dr. F. Noll von 
Oberstein nach Hanau, Dr. H. Helle von Dortmund, Dr. Richard 
Stephan von Leipzig, Richard Wendorf von Mörfelden und Dr. H. 
Dohnsen von Marburg nach Frankfurt a. M., Dr. Ernst Schneider 
von Eichberg nach Weilmünster, Dr. Richard Asch von Merxheim 
nach Kirn (Kr. Kreuznach). 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Mar.-Ob.-St.-A. 
Dr. K. Ploeger von Wilhelmshaven, Dr. Felix Bachmann von 
Bad Oeynhausen. 

Gestorben: San.-Rat Dr. A. Hesselbach in Hameln, San.-Rat Dr. 

F. Hecker in Harsewinkel (Kr. Warendorf), Kreisass.-Arzt Dr. H. 
von Hove 11 in Cbarlottenburg an einer bei Ausübung seiner amt¬ 
lichen Tätigkeit erfolgten Fleckfieberinfektion. 


Aufruf! 

Im ärztlichen Erholungsheim in Marienbad „Aerzteheim* 
gelangen für die Monate Mai bis September 1918 65 Plätze — je 13 
im Monat — an Aerzte der österreichisch - ungarischen Monarchie und 
des Deutschen Reiches zur Vergebung; damit ist verbunden: Aufnahme 
im Aerzteheim bis zu einem Monat gegen Entrichtung eines geringen 
Erhaltungsbeitrages, Befreiung von der Kur- und Mu&iktaxe, freie Bäder¬ 
benutzung, Preisermässigung in Restaurationen und im Theater u. a. m. 
Bewerber (nur Aerzte) um die Plätze wollen ihre Gesuche mit Angabe 
des Monates, in welchem sie den Platz benutzen wollen, an den gefertigten 
Vorstand richten. Mitglieder des Vereines (mindestens 5 Kronen 
Vereinsbeitrag) haben nach § 8 der Statuten den Vorrang bei der 
Vergebung der Plätze. Frauen von Aerzten finden nur in Begleitung 
und zur Pflege ihrer Ehegatten Aufnahme. Insbesondere sollen 
jene Aerzte Berücksichtigung finden, die an den Folgen ihrer 
Tätigkeit im gegenwärtigen Kriege leiden und nach Kriegs¬ 
verletzungen, rheumatischen Erkrankungen, Herzaffektionen 
u. a. Moorbäder oder Kohlensäurebäder u. dergl. gebrauchen 
sollen. Gesuche, Anfragen und Beitrittserklärungen (Retourmarke 
beilegen!) an den Vorstand des Vereins Aerztliches Erholungs¬ 
heim in Marienbad. 


Für die Redaktion ▼exantwortlich Prof. Dr. Hane Kohn, Berlin W., Bayreuther 8tr.43. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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Original fro-m 

UNIVERSUM OF IOWA 




IM« Berliner Kliniaehe Wocheneohrift erscheint jeden 
Montag in Nummern von ea. 8—6 Bogen gr. 4 — 
Preis Tiertelj&hrlleh 1 Mark. Bestellungen nehmen 
alle Bnchhaadlungea and Postanstalten an. 


BERLINER 


Alle Binsendangen für die Redaktion and BxpedHfoa 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
Angast Hirsehwald io Berlin NW., Onter den Linden 
Nr. 68, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

M. Mei-Rat Prof. Dr. C. Posoer and Prol Dr. Hins Koht _August Hirschwild, Verlagabachhaadlimg in Bedia. 


Montag, den 22. April 1918. Jfä 16 . Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiaaliei: Touton: Ueber die willkürliche Erzeugung von Hautkrank¬ 
heiten besonders bei Wehrpflichtigen. S. 369. 

Erensoher: Gibt es ausser den Weil-Felix’sohen Proteusstämmen 
andere durch Fleckfieberblut spezifisch agglutinable Bakterien? 
(Aus dem Deutschen Boten-Kreuz- Lazarett in Konstantinopel.) S.374. 

Neukirch: Ueber Versuche prophylaktischer Impfung gegen Fleok- 
fieber. (Aus dem Deutschen Roten-Kreuz-Lazarett in Konstanti- 
nopel.) S. 376. 

Neukirch: Sind Darmflagellaten harmlose Sohmarotzer? (Aus dem 
Deutschen Boten-Ereuz-Lazarett in Konstantinopel.) S. 877. 

Mayer: Ueber gehäuftes Auftreten von Gelenkerkrankungen nach 
Colitis haemorrhagica. S. 37S. 

Sohlomer: Ueber Mageninsuffizienz bei Botulismus. (Aus der 
inneren Abteilung des städt. Krankenhauses Neukölln.) S. 380. 

Fehling: Die Frage des künstlichen Aborts vor der Berliner medi¬ 
zinischen Gesellschaft. S. 881. 


Bücherbesprechligei : Aufrecht: Zur Pathologie und Therapie der 
diffusen Nephritiden. S. 382. Fürbringer: Zur Frage der trauma¬ 
tischen Nierentuberkulose. S. 382. (Bef. Posner.) 

Literatur-Auszüge : Physiologie. S. 383. — Pharmakologie. S. 883. — 
Therapie. S. 383. — Allgemeine Pathologie und pathologische Ana¬ 
tomie. S. 884. — Parasitenkunde und Serologie. S. 384. — Innere 
Medizin. S. 386. — Chirurgie. S. 387. — Augenheilkunde. S. 887. 
— Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 387. — Hygiene und 
Sanitätswesen. S. 387. — Tropenkrankheiten. S. 888. 

Verfcaadliogea ärztlicher Gesellschaften: Laryngologisohe Gesell¬ 
schaft zu Berlin. S. 388. — Medizinische Gesellschaft zu 
Göttingen. S. 390. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 
S. 891. 

Tagesgesehiohtliche Notizen. S. 392. 

Amtliche Mitteilungen. S. 392. 


Heber die willkürliche Erzeugung von Haut¬ 
krankheiten besonders bei Wehrpflichtigen 1 )» 

Von 

Prof. Toitoi-Wiesbaden, 

sunelt fach&ritiioher Beirat im Bezirke des XVJULI. Armeekorps. 

M. H.l Becker 2 ) sagt in dar Einleitung zu seinem Werk 
über die Simulation: „Die Simulation ist so alt wie die Lüge; 
und Fälle von Vortäuschung von Krankheiten finden sich schon 
in der ältesten Geschichte der Menschheit, aber die erste and 
vornehmste Veranlassung und Gelegenheit zu diesen Täuschungs- 
versnehen gab wohl der Militärdienst“. Und im Anfang des 
zweiten Viertels des vorigen Jahrhunderts wurde geschrieben: 

„Ob es aber wohl immer Verhältnisse gegeben hat, die die 
Menschen verführten, solche Betrügereien zu spielen; so ist doch 
immer eine Zeit reicher an solchen Erscheinungen als die andere, 
and in neueren Zeiten mögen wohl die Kriege, die stets zur 
Ausbildung der Medizin und Chirurgie gedient haben, sowohl den 
Menschen Veranlassung gegeben haben, die Krankheiten auf eine 
feinere and geschicktere Weise zu erkünsteln, als auch den Scharf¬ 
sinn der Aerzte mehr als sonst angespornt haben, diese Betrügereien 
zu enthüllen; jetzt aber verleiten die sich immer mehr verbreitende j 
Armut upd die Arbeitsscheu viele Menschen, durch erdichtete 
Krankheiten einen höheren Anspruch auf die Mildtätigkeit mit¬ 
leidiger Personen, sowie auf eine grössere Unterstützung aus den 
Armenkassen zu machen, and die Neigung der Menschen, auf diese 
Weise arbeitsfreier und sorgenloser zu leben, ist so allgemein 
verbreitet, dass anch die Physiker in kleinen Landstädten nie 
sicher sind, dass ihr Zeugnis wegen Untüchtigkeit zur Arbeit von 
verschmitzten Betrügern erschlichen wurde, die sich dadurch eine 
Befreiung oder eine Unterstützung zu verschaffen suchen wollen“. 

M. H.l Dies schrieb der herzogliche Sächische Amts- nnd 
Stadtphysikus Dr. Franz Christian Karl Krügelstein in 
Ohrdruff im Anfang seines Büchelchens „Erfahrungen über die 
Verstellungskunst in Krankheiten“, das 1828 in Leipzig bei 

1) Nach einem am 23. Januar 1918 vor den Militärärzten der Garnison 
und dem Verein der Aerzte Wiesbadens gehaltenen Vortrage. 

2) Die Simulation von Krankheiten und ihre Beurteilung. Leipzig 1908. 


Brockhaus erschien. Es könnte znm Teil aber ebensogut für die 
heutige Zeit geschrieben sein und findet eine Bestätigung in dem 
Erlass der Medizinalabteilang des Kriegsministeriums 
vom 14. Februar 1917, der manchem von Ihnen bekannt ist und 
mir Teranlassung zur Wahl meines heutigen Themas gab. Ich 
werde später Gelegenheit nehmen, auf diesen für ans alle sehr 
wichtigen Erlass genauer einzugehen. 

Der Gegenstand hat natürlich seine grösste Bedeutung durch 
die Aufdeckung betrügerischer Manipulationen zwecks Dienst¬ 
befreiung evtl, auch Rentenerlangung für uns Aerzte und unser 
Ansehen gegenüber den — wie es aus dem Erlass hervorgeht — 
in bestimmten Korps- und Aushebungsbezirken in grösseren Mengen 
auftretenden — man möchte fast annehmen — organisierten Be* 
trägem und ihren Mitwissern und Helfershelfern. Denn gelingt 
diesen ihr Betrug und erreichen sie ihren Zweck, so hat die 
Armeeverwaltung den Schaden, und wir Aerzte brauchen für den 
Spott nicht zu sorgen, dessen Schale bereits Martial in einen 
Epigramm 1 ) über die Kollegen ausgiesst, die einen Gourmand, 
der, um Leckerbissen zu erhalten, sich krank stellte, auf ein 
Tertianfieber kurierten. „0 stulti, febrim creditis esse? Gula est“. 

Es wäre daher natürlich sehr verlockend, weiter in die Tiefen 
der Geschichte hinabzusteigen nnd nachzuweisen, wann tatsächlich 
zuerst die künstliche Erzeugung und Vorspiegelung von Krank¬ 
heiten geübt wurde, um Nachteile zu umgehen oder Vorteile zn 
erzielen; doch gestattet es unsere Zeit nicht. 2 ) Und das Resultat 
einer derartigen Nachforschung würde doch kein anderes sein, 
als dass auch in dieser Beziehung wie fast in allen eine Höher¬ 
züchtung des Menschengeschlechtes, nach der Seite der Ethik im 
Laufe der historischen Entwickelung nicht festzustellen ist, sondern 
dass wir heute in den meisten Beziehungen noch gerade so schlecht 
sind wie vor 1000 und mehr Jahren. Positiv lehrreich in 
praktischer Hinsicht wäre aber ein derartiges, vertiefteres 
historisches Studium, weil wir nur durch die genaue Kenntnis 
sowohl der künstlich erzeugten Krankheitsformen als auch ganz 


1) Lib. n, 40. 

2) Brauer (Aroh. f. Denn., 1918, Bd. 124, H. 4) gibt an, dass 
Galen als erster Arzt vor etwa 2000 Jahren über simulierte Krank¬ 
heiten schrieb (Anm. bei der Korrektur). 


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370 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


besonders der hierzu verwandten Mittel die Fähigkeit erlangen, 
die Fälle zu erkennen und den Schwindel aufzudecken. 

Dies wird tatsächlich um so leichter gelingen, je mehr 
Einzelheiten, je mehr beobachtetes Tatsachenmaterial uns zur 
Verfügung stehen. Sie werden mir später zugeben, dass man 
nicht im entferntesten au die Mittel und Wege denken kann, die 
schon angewandt und betreten wurden, um die Täuschungen zu 
vollziehen, wenn man nicht schon aus der Literatur Hinweise 
darauf hat und sie bei der Entlarvung verwerten kann. 

Mit Rücksicht auf diesen praktischen Zweck schicke ich 
einige kurze historischen Vorbemerkungen voraus, die uns aber 
unmittelbar medias in res führen werden. Dies erachte ich um 
so mehr geboten, als heute noch in manchen Ländern im Gebrauch 
befindliche Mittel schon vor mehreren hundert Jahren anderwärts 
in Gebrauch waren, dann lange Zeit vergessen scheinen und später 
in den obengenannten kritischen Perioden der Kriege, der Not 
und Armut wieder auftauchen. 

Ein alter Kollege mit Namen Fortunatus Fidelis widmet 
der Simulation von Krankheiten in seinem Werk „de relationibus 
medicorum u im zweiten Buch (erschienen in Leipzig 1574) vier 
ganze Kapitel. Da ist unter anderem die Rede von Hautgescbwüren, 
die durch Thapsia oder Clematis — ich komme später darauf 
zurück — erzeugt und unterhalten werden. DieResina Thapsiae 
war und ist auch heute noch besonders in Frankreich — sie ent¬ 
stammt der Wurzel einer algerischen Umbellifere — als Ableitungs- 
mutel, z. B. bei Bronchitis im Gebrauch, wo sie — nur kurz auf¬ 
gelegt als Pflaster — eine erysipeloide Rötung und Schwellung 
mit rasch in Pusteln sich umwandelnden Bläschen macht, ähnlich 
wie Krotonöl. Dazu bemerkt der alte Autor, dass die durch die 
absichtlich übertriebene Wirkung des Mittels erzeugten Geschwüre, 
da sie durch eine äussere Ursache entstanden seien und nicht 
„die Schärfe eines inneren Saftes spüren M , nach Belieben heilen, 
d. h. wenn die Anwendung des äusseren Reizmittels unterbleibt. 
Der oben zitierte Physikus Krügelstein berichtet von einer 
Bettlerbande, deren Mitglieder sich gegenseitig durch ungelöschten 
Kalk und Branntwein schauderhafte Geschwüre ätzten. Ferner 
wurden solche Geschwüre durch Reiben mit Scheuersand unter¬ 
halten. Wieder andere schnitten sich ein Stück Haut mit der 
Schere oder dem Messer ab und beitzten die Stelle mit un¬ 
gelöschtem Kalk oder Mineralsäuren. Zur weiteren Unter¬ 
haltung wurden Fremdkörper wie z. B. Kupfermünzen zwischen 
Haut und Muskeln gebracht. Die „Justiz- und Polizeifama u vom 
Dezember 1820 erzählt, dass Bettler in einer Stunde ein Glied 
so verunstalten können, dass es mit ekelhaften Geschwüren be¬ 
deckt erscheint. Sie vermischen Kalk, Seife und Eisenrost, streichen 
die Masse auf Leder, legen sie auf das Bein und umwickeln es 
möglichst fest. Nach dem Abnehmen des Verbandes wird das 
Glied mit Blut beschmiert und sieht dann durch eigens in die 
Strümpfe geschnittene Löcher ganz schwarz aus. Andere machen 
sich auf ähnliche Art künstliche Kopfwunden. Ich übergehe 
Fälle, wo von Bettlern durch ein aufgeleimtes Stück Milz oder Frosch¬ 
haut, unter die ein kleiner blutgetränkter Schwamm gelegt wurde, 
und so eine blutende Wunde vorgetäuscht werden sollte, ebenso 
noch kompliziertere auf die Ausbeutung des Mitleides von Laien 
gerichtete, aber ganz plumpe Manipulationen. Man erkennt an 
diesen Beispielen aus der Vergangenheit übrigens auch gleichzeitig 
die grössere Naivität des auszubeutenden Publikums und vielleicht 
auch der Aerzte, die ja auch in der Diagnose der Hautkrankheiten 
noch nicht sehr fortgeschritten waren. Krügelstein berichtet 
weiter über einen Spitzbuben in Köln, der einen Lepraausschlag 
erkünstelte, und sah selbst während der Kriegszeit einen Burschen, 
der sich durch Waschen mit einer wässerigen Arseniklösung am 
Hinterkopf einen dem Favus ähnlichen Zustand beigebracht hatte. 
Ein alter englischer Autor Marshai 1 ) gibt an, dass die Stellungs¬ 
pflichtigen Nahrungsmittel zu sich nehmen, die einen vorüber' 
gebenden Ausschlag hervorbringen, gleichzeitig würden auch 
äusserlich Säuren und andere scharfe Substanzen angewendet. 
Der Herpes tonsurans des Kopfes wird durch Salpetersäure 
vorgetäuscht und der zur völligen Täuschung erforderliche Haar¬ 
ausfall durch Auflegen verschiedener Depilatorien erzielt. 

Sie sehen an dieser kurzen Auslese, dass man bereits vor 
100 Jahren recht fortgeschritten war und recht abwechselungs¬ 
reiche Methoden zur Herstellung von Hautaffektionen kannte 
und übte. 

1) Praktische Bemerkungen über die Inspektion der Rekruten und 
über simulierte Krankheiten, von Heinrich Marshai, Stabsohirurg zu 
Dublin. In Horn’s Archiv, Januar 1827 (zitiert bei Krügelstein, 1. e., 
S. 5u. ff. u. S. 84). 


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Ich gehe nun zu einigen allgemeinen Punkten über, zu¬ 
nächt zu den Motiven. Uns interessieren zwar heute in erster Linie 
die Fälle, in denen die Befreiung vom Militärdienst entweder 
schon die Vermeidung der Einstellung oder das Loskommen nach 
erfolgter Einstellung oder die Ueberfübruog aus dem Militär¬ 
gefängnis in das Lazarett, wo die Verpflegung besser sein soll, 
Hauptzweck der betrügerischen Manipulationen ist, allein wir 
müssen doch auch, wenn wir die Psyche solcher Betrüger 
durchaus verstehen wollen, was ganz unerlässlich zur richtigen 
Beurteilung ist, Simulanten aus anderen Kategorien in den Kreis 
unserer Betrachtungen ziehen, also solche, die sich einen Geld¬ 
vorteil verschaffen wollen, die sich vor der Arbeit drücken wollen, 
die Mitleid erregen wollen und nicht zuletzt solche, die unter 
einer Art Zwang handeln oder interessant erscheinen wollen, also 
Hysteriker, ja sogar solche, die aus reinem Vergnügen, die Aerzte 
irre zu führen, handeln 1 ). Wir müssen dies schon deshalb, weil 
ja die Simulanten zur Entziehung vom Militärdienst, diese Simulation 
einfach als Fortsetzung früher zu anderen Zwecken geübter 
Täuschungen weiter betreiben oder erneut wieder aufnehmen 
können. Insofern besteht also ein enger Zusammenhang in den 
aus den verschiedensten Motiven — Caspar-Liman zählt allein 
etwa 20 auf — vorgenommenen Täuschungsversuchen. Besonders 
einleuchtend ist es, dass der Hysteriker, der schon jahrelang 
seine Künste übte aus den der Hysterie zukommenden Motiven, 
nun, wenn plötzlich die Frage des Militärdienstes an seine schwache 
Psyche herantritt, natürlich jetzt erst recht alle Hebel in Bewegung 
setzt, um neben der Erregung des Interesses auch noch den 
greifbar praktischen Zweck der Dienstbefreiung zu erreichen. 
Der wehrpflichtige Simulant ist also letzten Endes doch nur eine 
Varietät des zivilen Simulanten. Abgesehen von dieser psychischen 
Disposition, die eng zusammenhängt mit der Frage nach den 
Motiven, müssen wir gleichzeitig auch stets an gewisse somatische 
Dispositionen denken, also allgemein gesprochen in der Körper¬ 
anlage enthaltene Schwächezustände und geringere Widerstands¬ 
kraft der Haut. Dass die mögliche Ausnutzung dieser einen 
mächtigen Anreiz zur künstlichen Erzeugung von Hautkrankheiten 
bildet, liegt auf der Hand. Noch mehr aber zur künstlichen 
Steigerung und Unterhaltung ursprünglich spontan entstandener 
Affektionen. Und, was wir bereits in der alten Literatur betont 
finden, trifft auch heute für die simulierten Hautfälle zweifellos 
zumeist noch zu, dass es nämlich leichter ist, eine vollständig dem 
Organismus neue und fremde Affektion als willkürlich hervor¬ 
gerufen zu erkennen, wie eine künstlich gemachte Steigerung 
einer bereits spontan entstandenen oder wenigstens nicht absichtlich 
gemachten. Es ist dies derselbe Fall wie bei den Uebertreibungen 
z. B. im Bilde der Hysterie, die schwerer nachweisbar sind, als 
ganz fingierte Symptome. Zachias*) nennt dies Simulatio 
latens und erklärt sie schon für viel schwerer zu entdecken als 
eine wirklich ganz erkünstelte Krankheit. 

Gerade dieser Teil des ganzen Problems hat allmählich im 
Laufe der Zeit noch eine besondere Komplikation erlitten dadurch, 
dass die artifiziellen — aber zunächst nicht beab¬ 
sichtigten — auf äusseren Einflüssen beruhenden Affektionen 
ausserordentlich zugenommen und an Bedeutung gewonnen haben 
— ich meine hier insbesondere die gewerblichen Hautkrank¬ 
heiten. In der Art, wie hier einfach durch die äussere Ein¬ 
wirkung schädlicher Stoffe oft sehr intensive und langdauernde — 
letzteres besonders bei Fortsetzung der schädlichen gewerblichen 
Tätigkeit — Hautreizungen und -entzündungen entstehen, wird 
ja den zur Drückebergerei Disponierten gewissermaassen das Vor¬ 
bild geliefert, wie man es machen muss, ebenso wie durch die 
Beobachtung der hautschädigenden Wirkung von Medikamenten. 
Wenn Herxheimer 8 ) bereits 1911 allein über 80 Arten „Gewerbe¬ 
ekzeme 11 kennt und daneben noch eine grössere Zahl Formen von 
gewerblicher Akne, Rosacea, Pernionen, Hautgeschwüren und 
pemphigoiden Blasenbildungen durch Glasstaub, in Ohrombetrieben, 
bei Gerbern, Maurern, Gipsern, ferner Hyperkeratosen, Pigment¬ 
anomalien, Hyperhydrosis, Pyodermien und Furunkel, gutartige 
und bösärtige Tumoren aufzäblt, so erkennt man leicht, dass durch 

1) Ich weise hier hin auf Dien lafoy, Multiple rezidivierende Schorfe 
auf beiden Armen und Füssen. Amputation des linken Armes: Pathomimie 
(Acad. de m6d, 9. VH. 1908, Ref. Mh. f. pr. Dermat., 1908, Bd. 47, 
S. 425). Eingeständnis des Artefaktes durch Kali caustio. Motiv: 
Zwangsidee oder reines Vergnügen, die Aerzte irrezuführen. 

2) Pauli Zachiae quaestiones medico-legales. Lib 8, Titel 2, 
Qaaest. 1 (zitiert bei Krügeistein, S. 5.) 

3) Ueber die gewerblichen Erkrankungen der Haut (D.m.W., 
1912, Nr. 1). 


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22. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


871 


diese zunächst unabsichtlich im Berufe entstandenen, nnd dann 
oft sehr peinlich empfundenen Erkrankungen für empfängliche 
Gemüter ein mächtiger Anreiz erwachsen kann, im Bedarfsfälle 
auf die dabei gemachten Erfahrungen zurückzukommen und sich 
ihrer gelegentlich entweder zur Vermeidung eines grosseren Nach¬ 
teils, als welcher bei ihnen z. B. der Militärdienst gilt, oder zur 
Erlangung eines Vorteils (Rente) zu bedienen. Man achte des¬ 
halb auch immer auf den Zivilberuf des Simulanten. 
Ganz besonders verlockend wird es sein, durch Einwirkung dieser 
äusseren Schädlichkeiten im Betrieb zunächst spontan, d. h. un¬ 
absichtlich entstandene Hautaffektionen entgegen etwa den ärztlichen 
Anordnungen oder unter Weglassung der von den Gewerbe¬ 
inspektoren geratenen Vorsichtsmaassregeln nun absichtlich in 
Permanenz zu erhalten. In solchen Fällen einwandsfreie Be¬ 
urteilungen zu geben ist ausserordentlich schwer schon allein des¬ 
halb, weil es keinen Arzt, nicht einmal Spezialarzt gibt, der 
alle hier fn Betracht kommenden ursächlichen Momente aus den 
einzelnen Gewerbebetrieben und die von ihnen hervorgerufenen, 
speziellen Hautreaktionen kennen kann und kennt. Hier kann 
meist nur eine längere Krankenhaus- bzw. Lazarettbeobachtung 
unter den später zu besprechenden Vorsichtsmaassregeln definitiven 
Aufschluss geben. Dazu wird es im einzelnen Falle oft noch 
notwendig sein, sich über den betreffenden Betrieb, aus dem der 
Patient oder Simulant stammt, durch Augenschein und Nachfragen 
genauer zu orientieren, um das richtige Verständnis und eine feste 
Grundlage zur Beurteilung der willkürlich erzeugten oder will¬ 
kürlich unterhaltenen Hautaffektion zu erlangen. 

Eine weitere nnd meines Erachtens die bei weitem grösste 
Schwierigkeit ist mit dem Problem der willkürlich hervorgerufenen 
Hautkrankheiten dadurch verknüpft, dass ein ausserordentlich 
grosser Prozentsatz der gekünstelten Dermatosen bei echten j 
Hysterikern auftritt, die deutlich hysterische Stigmata in grösserer j 
oder geringerer Zahl darbieten. Nun simulieren aber auch 
Hysteriker und zwar bewusst. Die Simulation der Hysteriker 
aber ist der Ausdruck krankhafter Charaktereigen¬ 
schaften auf Grund eines krankhaften Seelenlebens, 
ebenso wie auch ihre einfachen Uebertreibungen. Als Motiv steht 
hier im Vordergrund der Drang, die Leiden recht ungewöhnlich 
und quallvoll erscheinen zu lassen. Der Kranke findet eine ge¬ 
wisse perverse Wollust darin, sein Märtyrertum möglichst grell 
darzutun oder sich mit seinen ungewöhnlichen Störungen interessant 
zu machen. Der krankhafte Seelenzustand bei der 

Hysterie ist der Kernpunkt für die Differentialdiagnose 
zwischen Krankheit auf der einen und reiner Simulation 
auf der anderen Seite. Sein Nachweis wird also auch für die 
Beurteilung der Leitungsfähigkeit auf der einen, der strafrechtlich- 
disziplinaren Probleme auf der anderen Seite ausschlaggebend 
sein. Der ausgesprochene Hysteriker ist ein Kranker, in seiner 
Leistungsfähigkeit herabgesetzt aber nicht eigentlich strafwürdig, 
der echte Simulant ohne tief wurzelnde Abnormitäten des 
Seelenlebens ist nicht in der Leistungsfähigkeit herabgesetzt, aber 
straffällig. Nun gibt es aber Grenzzustände zwischen 

Krankheit und Gesundheit auch hier, Verwischung der Grenzen 
durch Uebergangsfälle, die Täuschungen selbst geübter Aerzte 
unausbleiblich werden lassen. Um so notwendiger aber erscheint 
es auf Grund der psychologischen Gesetze, den Seelenzustand 
des Hysterikers möglichst scharf zu charakterisieren und ihn 
dem des reinen Simulanten gegenüberzustellen. 

So wichtig gerade für unser vorliegendes Thema diese neuro- 
psychologischen Gesichtspunkte zur Beurteilung der sogenannten 
hysterischen Hautaffektionen sind, würde mich ein genaueres Ein¬ 
gehen doch zu weit führen. Ich lasse mir daher mit diesen An¬ 
deutungen genügen und verweise auf den von Fritz Leppmann 
behandelten Abschnitt „Simulation und Hysterie** in Becker’s 
eingangs zitiertem Werk, wo auch die somatischen Stigmata ein¬ 
gehend behandelt sind. 

Ohne selbst dazu Stellung nehmen zu wollen, erscheint mir, 
und zwar, weil es die einzige von mir gefundene hierhergehörige 
Aeusserung eines Dermatologen ist, erwähnenswert, wie ein ameri¬ 
kanischer Autor To wie 1 ) den Anlass zur Erzeugung der hysteri¬ 
schen Hautartefakte, speziell der Hautgangrän, gewissermaassen 
den zugrunde liegenden psychoneurotischen Mechanismus in seinem 
Zusammenhang mit dem Hautartefakt erklärt. Er schreibt: „Wir 
können die Fälle von bekannt artifizieller Entstehung klinisch 
nicht unterscheiden von solchen sogenannter spontaner Entstehung 

1> The journ. of out. diseases 1907, Bd. 21, S. 11 (Ref. im Arob. 
f. Derm.) 


und müssen für beide die gleichen Ursachen, nämlich artifizielle 
Entstehung annehmen. Die Hysterie als klinischer Begriff er¬ 
klärt die Selbstverstümmelung und auch die Tatsache, dass die 
Patienten selbst nichts von ihrem eigenen Zutun wissen (? T.), 
indem sie im Zustande des Somnambulismus die Suggestion einer 
eigenen oder fremden Verwundung haben. Die Idee wird zur 
alleinherrschenden und führt zur Selbstbeschädigung, welche 
wegen der somnambulistischen Anästhesie nicht gefühlt wird. 
Die einzige Therapie der hysterischen Gangrän besteht in der 
Beeinflussung der Hysterie.** Dies käme dann auf eine Ent¬ 
stehung der Hautartefakte durch eine Art hypnotischer Auto¬ 
suggestion heraus und erinnert an die Doswald nnd Kreibich- 
scben 1 ) Experimente mit posthypnotischer Suggestion. 

Spezielle Symptomatologie und Aetiologie der Arte¬ 
fakte. 

Ich wende mich jetzt nach einigen allgemeinen Vorbemer¬ 
kungen über das Vorkommen und die Häufigkeit zur speziellen 
Aufzählung der Hautaffektionen, die willkürlich zum Zweck der 
Täuschung, zur Erreichung eines Vorteils oder zum Vermeiden 
eines vermeintlichen Nachteils besonders von Wehrpflichtigen 
hervorgerufen werden, und zu den Mitteln, womit dies geschieht. 

In dem etwa 1000 Seiten umfassenden Werke von Villaret 
und Paalzow: Sanitätsdienst und Gesundheitspflege im deutschen 
Heere, das 1909, also nur 5 Jahre vor Kriegsbeginn erschien, 
sind im Abschnitt 11 b) Selbstverstümmelung und c) Vorgetäuschte 
Krankheiten und zwar aller Art zusammen mit folgenden drei 
Sätzen erledigt (S. 982): „Beide Groppen spielen in unserer 
Armee keine Rolle. Im Jahrzehnt 1897—1906 kamen zu b) im 
ganzen 68 Fälle vor, von denen 45 dienstfähig blieben. Zu c) 
wurden in den 10 Jahren nur 25 Fälle beobachtet mit 23 mal 
voll erhaltener Dienstfähigkeit.** Was hier der Krieg für Wand¬ 
lungen schuf, geht eklatant aus dem Erlass vom 14. Februar 1916 
hervor. Ganz im Gegensatz zu dem von Villaret und Paalzow 
für die deutsche Armee abgegebenen optimistischen Urteil steht 
dasjenige eines österreichischen Militärarztes Derblich, der 1880 
eine Monographie von fast 200 Seiten mit dem Titel: „Die simu¬ 
lierten Krankheiten der Wehrpflichtigen** herausgab und in der 
Einleitung sagt: „Jeder Wehrpflichtige übertreibt und kann in 
diesem Sinne fast immer als Simulant betrachtet werden. Es 
gibt keinen Wehrpflichtigen, der nicht irgendeinen Fehler, irgend¬ 
ein Gebrechen anzugeben hätte, und kein Rekrut legt frohen 
Mutes das Militärkleid an. So ist der Gebrauch bei den neueren 
Vaterlandsverteidigern, so war es auch seit Olim’s Zeiten.** Da 
auch eine Durchsicht des „Sanitätsberichts über die preussische 
Armee** seitens eines Berliner Militärarztes nur einen Fall von 
willkürlich erzeugter Krotonöldermatitis ergab, so bleibt uns 
neben der Derblich’schen Publikation über die Form der will¬ 
kürlich erzeugten Hautaffektionen zunächst hauptsächlich der 
eingangs erwähnte kriegsministerielle Erlass. Aus diesem ergibt 
sich der Osten als Sitz der Selbstverstümmelungen: Landgrenze, 
Küstenorte nnd 4 Kreise, von denen je 2 dicht zusammen, alle 
vier aber im Regierungsbezirk Danzig liegen 2 ). Nun ist uns 
| aus der russischen militärärztlichen Literatur bekannt, dass in 
dieser Armee ganz besonders diese Unsitte vorkommt. Besonders 
der Obermilitärarzt Violin 8 ) hat wiederholt über solche Fälle 
aus der russischen Armee berichtet, zuletzt noch 1910 aus dem 
Garnisonlazarett SmolenBk über 4 Fälle, davon 3 aus dem Gou¬ 
vernement Lublin und zwar auch aus demselben Kreise, ein Um¬ 
stand, der auch hier, wie wohl auch in den zu dem Erlass 
Veranlassung gebenden Fällen, zur Sicherstellung des künstlichen 
Ursprungs mitwirkte. In allen Fällen handelte es sich um tiefe 
gangräneszierende Unterschenkelgeschwüre mit teils 
blasig abgehobener, teils frisch exkoriierter Umgebung, deren 
Grösse bis zu 10:8 cm variierte, und welche das Gemeinsame 
zeigten, dass sie stellenweise von einer 1 cm breiten, [0,5 cm 
tiefen Forche oder Rinne umgeben waren; in einem Falle war 
sogar die dicke glänzende Faszie bis auf den darunterliegenden 
Muskel scharf durchtrennt. Das Glied war ödematös, um 3 cm 
verdickt im Umfang, zum Teil lividel verfärbt, die Geschwüre 
sonderten Jauche und nekrotische Fetzen ab. Zwei Patienten 
fieberten längere Zeit bis 39,8. Die Heilung per granulationem 

1) Mh. f. prakt. Denn., 1906, Bd. 48,^S. 634. 

2) Während des Druokes erschien: Br au er-Danzig, Absichtlich 
erzeugte Hautkrankheiten (Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4). Leider 
für den Text nicht mehr zu benutzen. Anm. bei der Korrektur. 

IfrÜ (8) Militärs«. Zschr., 1911, H. 7, of. auch Wieworowski, ebenda 
H...12 (Zusammenstellung aus russischen Arbeiten). 

1 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


dauerte 40—100 Tage. Die Entstehung ist wahrscheinlich auf 
Verbrennung mit einem glühend heissen Samowardeckel zurück- 
zufübren. Dass in Russland während des Krieges geradezu 
eine Militärbefreiungsindustrie besonders unter Mithilfe der 
Feldschere im Schwünge ist, ersehen wir aus einem kürzlich er¬ 
schienenen Artikel in der Wiener med. Wochenschrift. 1 ) Bei Be¬ 
trachtung der im Erlass erwähnten und dieser letzten Fälle 
drängt sich Einem unwillkürlich der Gedanke an eine Art psy¬ 
chischer Infektion auf, die zu kleineren oder grösseren En¬ 
demien willkürlich hervorgerufener Hautaffektionen zum Zwecke 
der Dienstbefreiung führt. Ich lasse dahingestellt, ob dabei, wie 
es schon angenommen wurde, förmliche Simulantenschulen 
im Spiele sind, oder ob nur ein kluger Mann oder eine weise 
Frau in einem Bezirk die Kenntnis der Technik zunächst an 
einzelne übermittelt, von denen aus sie sich weiter und weiter 
in den interessierten Kreisen verbreitet. 2 * ) Als weitere Illustration 
diene hierzu, was in der Strassburger Tr üb n er’ sehen Bibliothek 
in einem vom Verband deutscher Vereine für Volkskunde 1917 
herausgegebenen Heftchen mit dem Titel „Soldätenbrauch und 
Soldateng!aube u von Hans Bächtold auf Seite 11 berichtet 
wird. Wir lesen dort unter 4.: „Von Frankreich her ist in den 
Schweizer Jura der Gebrauch von Ranunculus acer zur Erzeugung 
von Geschwüren gekommen.“ So pflanzen sich wie Traditionen 
und auf dem Wege des Grenzschmuggels diese Zeugnisse ethischer 
Minderwertigkeit fort, um in Zeiten grosser seelischer und gemüt¬ 
licher Verrohungen Gipfelpunkte zu erreichen. — Tbibierge 8 ) 
betont auch ganz besonders die „contagion morale“ und das 
„enseignement mutuel“, wie z. B. in der französischen Armee 
zeitweise wahre Epidemien der später zu schildernden erysipel- 
artigen Affektion durch das obengenannte Tbapsiapflaster auf¬ 
traten. Auch die Blätter der Clematis dienten uud dienen noch 
dazu, wurden aber ursprünglich von Bettlern berufsmässig be¬ 
nutzt, um mitleiderregende Geschwüre zu provozieren und biessen 
deshalb in Frankreich „herbe aux gueux“, Bettlerkraut. 

Wir kommen nun zur speziellen Betrachtung der Arte¬ 
fakte. Ich beginne mit den verbreitetsten Formen, den Ver¬ 
ätzungen der Haut, die je nach der Art des Aetzmittels, seiner 
Konzentration, der Dauer seiner Einwirkung, der Häufigkeit der 
wiederholten Einwirkung auf die gleiche Stelle und der Emp¬ 
findlichkeit der Haut manchmal nach einem kurzen erythema- 
tösen, urtikariellen oder auch pemphigoiden Vorstadium als 
Schorfe mit dem Charakter oberflächlicherer oder tieferer Ex- 
koriationen, die mit lockerer oder fester anhaftenden, dünneren 
oder höheren Krusten bedeckt sind, in Erscheinung treten, oder 
gangränöse und nekrotische Herde darstellen, die nach der De¬ 
markation und Abstossung tieferen Ulzerationen Platz machen. 
Manchmal schreiten diese verschiedenen Intensitätsgrade von der 
Peripherie nach dem Zentrum fort, in anderen Fällen, in denen 
anstatt flüssiger Mittel mehr konsistente Salben oder Pflaster 
angewandt wurden, sind sowohl alle Herde von mehr gleich- 
mässigem Aussehen untereinander als auch die einzelnen Herde 
selbst in ihren Elementen von mehr einheitlichem Charakter 
und scharf begrenzt. Gerade die oberflächlicheren Exkoriationen 
und Nekrosen, die ohne scharf geschnittenen Rand mehr all¬ 
mählich nach der Mitte zu muschelförmig sich vertiefen, sind 
oft von besonders hohen Krusten bedeckt. Die eigentlichen Ge¬ 
schwüre mit steil abfallendem, scharf geschnittenem Rand, die 
am häufigsten an dem linken Unterschenkel und häufig auf alten 
Narben verschiedener Provenienz sitzen, erregen schon durch 
ihren Sitz in ganz gesunder Haut, die nicht von erweiterten oder 
varikösen Venen durchsetzt ist, Verdacht, um so mehr, wenn 
ihnen auch die llvide Umgebung, der kallöse Rand und die 
schlaffen energielosen schwammigen Granulationen des Grundes 
fehlen, wie sie dem spontanen Ulcus cruris eignen. Auch all¬ 
gemein blühendes gesundes Aussehen, Fehlen serpiginös fort¬ 
schreitender Ränder mit spontaner Abheilung im Zentrum und 
Neigung zur Bildung dünner weisser Narben lässt den Verdacht 
sich bestärken, indem konstitutionelle Ursachen wahrscheinlich 
auszuschliessen sind. Das Fehlen eines speckigen Belages, von 
seröser und jauchiger Sekretion kann eventuell auch den Ver¬ 


1) Ueber Simulation in ärztlicher und % über Dissimulation in ver¬ 
sicherungsärztlicher Hinsicht, von Dr. Julius Flesch (W.m.W., 1917, 
Nr. 44). 

2) Es besteht auch begründeter Verdacht, dass die Präparate von 

bestimmten Personen, vielleicht Agenten feindlicher Länder gewerbs¬ 

mässig vertrieben werden. 

8) La pratique dermatologique, 1901, Tome 2, p. 497, „Eruptions 

simuläes*. 


dacht auf Artefakt bestärken. Alle diese Momente aber 
besonders im einzelnen sind nicht ausschlaggebend, 
da sie auch bei Artefakten Vorkommen können. Dies beweist 
z. B. wieder ein Fall Erich Hoffmann’s 1 ) von unserer Bonner 
dermatologischen Herbstversammlung, in dem es sich um schwere 
Hysterie mit serpiginösen Infiltraten und Geschwüren — bei 
starker Hypalgesie — handelte. Die Patientin wurde von mehreren 
Aerzten als syphilitisch angesehen, der Wassermann war negativ, 
die Behandlung mit Salvarsan war erfolglos. Trotz der Aehn- 
liebkeit mit Gumden hielt Hoffmann die Hautaffektion für 
hysterische Selbstverletzungen. 2 ) 

Die Bezeichnungen aller in diese grosse Gruppe gehörigen 
Artefakte, die alle einmal für spontane Affektionen gehalten 
wurden, sind ausserordentlich zahlreich je nach der Verschieden¬ 
heit des klinischen Bildes. Die. oberflächlicheren, häufig auch 
in zahlreicheren Exemplaren gleichzeitig vorhandenen Exkoria¬ 
tionen wurden von Wilson als „neurotic exeoriations“ be¬ 
zeichnet und von ihm sowie besonders englischen Autoren wie 
Fox, Sangster u. a. als äusserst interessante Spontankrankheit 
immer wieder von neuem eingehend beschrieben. Die grösseren, 
tieferen, weniger zahlreichen, aus Nekrosen hervorgegangenen Ge¬ 
schwüre tragen die Bezeichnungen: Spontangangrän, Gan- 
graena cutis hysterica, multiple neurotische Haut¬ 
gangrän, auch symmetrische Gangrän. Fälle mit zahl¬ 
reichen aus kleineren Einzelschorfen und Resten bläschen- und 
pustelartiger Gebilde bestehend und scheinbar öfter nach einem 
gewissen Nerventypus angeordnet, wobei die Einzelschorfe zu 
grösseren Herden mit zackigen oder figurierten Rändern kon- 
fluieren, gingen unter dem Namen: Zoster hystericus, gan- 
graenosus, atypicus. Sie treten besonders häufig nach vor¬ 
ausgegangenen, meist leichteren Verletzungen, z. B. mit Nähnadeln, 
zunächst unabsichtlichen Aetz- oder Brandwunden auf und 
täuschten jahrelang die gewiegtesten Fachgenossen. Wenn an¬ 
statt Gruppen von kleineren Bläschen überwiegend einzeln stehende 
grössere Blasen vorhanden sind, spricht man von Pemphigus 
hystericus oder neuroticus. Eine scharfe Abgrenzung aller 
dieser Formen ist für die Mehrzahl der Fälle nicht angängig, 
da meistens Bläschen, Blasen, Nekrosen und Schorfe wenn auch 
nicht gerade immer gleichzeitig nebeneinander, so doch in zeit¬ 
licher Folge nacheinander vorhanden sind. Die sogenannten 
atypischen Zosteren sind eben keine dem Herpes Zoster spon¬ 
taner Entstehung zuzurechnenden Fälle. Denn kaum eine 
andere Hautaffektion verläuft so typisch, wie gerade der auf 
der Läsion eines intrakraniellen oder intervertebralen Ganglion 
beruhende, scharf halbseitige, in seinen Gruppen den Ausbrei¬ 
tungen der kleinen Endästchen der Hautnerven entsprechende 
Zoster, dessen Einzeleffloreszenzen dicht gedrängt, jeweilen einem 
Schub entsprechend von gleichem Alter und in gleicher Ent¬ 
wicklung die einzelne Gruppe bilden. Beim spontanen Zoster 
können aber, wie bekannt, auch die Effioreszenzgruppen gangrä¬ 
nös werden. Besonders klärend wirkte hier die Wandlung, die 
Rona 8 ) — zuerst auch ein Anhänger der spontanen Natur dieser 
Fälle — durchgemacht hatte, der schliesslich den Irrtum einsah 
und 5 Fälle auf einmal veröffentlichen konnte, in denen die will¬ 
kürliche Erzeugung seitens der Patienten nachgewiesen werden 
konnte. Es unterliegt für ihn wie die meisten von uns keinem 
Zweifel, dass sich unsere bedeutendsten Autoren haben täuschen 
lassen. Selbst das feine, von Kaposi angegebene Merkmal für 
Spontanerkrankung, das Durchscheinen des Schorfes durch die 
intakte Bläschendecke, konnte dies nicht verhindern, auch nicht 
andere Angaben, die sicher für Selbstbeschädigung sprechen sollen: 
1. vor allem die Zerstörung der obersten Hautschichten; 2. die 
stärkere Reizung der Umgebung; 3. Blutaustritt und Exkoriationen; 
4. die Farbe der Schorfe; 5. die ganz unregelmässige zackige 
Umrandung der einzelnen Herde; 6. die verschiedene Tiefe der 
Substanzverluste und daraus resultierende Verschiedenheit der 
Entwicklungsstadien der einzelnen Herde; 7. Streifen von 
herabfliessender Flüssigkeit 4 * * ). Aetzalkalien, Krotonöl, Authen- 


1) Zsohr. f. Denn., 1917, Bd. 24, H. 11. 

2) Man vergleiche dazu den äusserst interessanten Fall von Dultz 
(Inaug.-Dissert., Jena 1909, Ref. Mh. f. prakt. Derm., 1906, Bd. 4S, 
S. 36), der von einem bedeutenden Fachgenossen zuerst als Versuch 
der Dissimulation von Lues aufgefasst wurde. 

3) Zur Aetiologie der sogenannten spontanen oder multiplen spon¬ 
tanen oder neurotischen und hysterischen Gangrän auf Grund von 
5 Fällen (Arch. f. Derm., 1905, Bd. 75, S. 257). 

4) Lewontin, Inaug.-Dissert., Berlin 1904, Ref. Mh. f. prakt. Denn. 
1905, Bd. 40, S. 853. 


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22. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


373 


rieth’sche Brechweinsteinsalbe scheinen die Hauptmittel für die 
als atypischer Zoster bezeichneten Fälle, Kantharidensalbe 
oder -pflaster mehr für die pemphigusartigen zu sein. Eine zu¬ 
nächst als Dermatitis herpetiformis, die ja mit dem Pem¬ 
phigus nahe verwandt ist, imponierende Affektion wurde später 
als Artefakt durch mechanisches Reiben mit Bimstein erkannt. 1 ) 
Ich bemerke übrigens, dass unter dem Namen Pemphigus neu- 
roticus oder hystericus auch Spontanfälle beschrieben sind, 
z. T. sogar solche mit zentraler Ursache, wie der von Neisser- 
Neuberger 8 ), der auf Syringomyelie beruhte. Einfache 
Blasen werden auch gebrannt mit heissen Metallinstrumenten, 
brennenden Zigarren usw. Ich erwähnte schon, dass im Beginn 
aller dieser Fälle eine meist leichtere Verletzung oder eine un¬ 
absichtliche Hautverätzung steht, die aber nicht, wie vielfach ge¬ 
glaubt wurde, auf dem Umweg einer fortgeleiteten trophoneuro- 
tischen oder angioneurotischen Störung die greifbare materielle 
Ursache des Leidens ist, sondern offenbar hinterliessen die mit 
der Heilung verbundenen ärztlichen Besichtigungen und Mani¬ 
pulationen in der hysterischen Psyche den Rückstand, dass man 
eben durch solche Wunden im ganzen interessanter wird und 
man sie sich dann nachher zur Wiedererreichung dieses Zieles 
auf anderem Wege selbst beibringt. 

Sehr häufig wandeln sich die Narben der Aetz-Artefakte in 
Keloide um. — Ich reihe hier nun eine Gruppe von Artefakten 
an, denen das bei unserer bisherigen Betrachtung wesentlich 
hervorstechende Moment der Verätzung, Verschorfuog, des ober¬ 
flächlichen-oder tieferen Substanzverlustes, der Gangrän, des Ge¬ 
schwüres fehlt, dafür aber die Symptome der Entzündung mit 
und ohne Eiterbildung dominieren, das sind die mit Rötung, 
Schwellung, Hitze, Exsudation in Bläschen-, Blasen- oder Pustelform 
einhergehenden ekzemartigen Dermatitisformen. 

Das echte Ekzem so zu sagen von neuem oder aas heiler 
Haut zu erzeugen, wird wohl schwer gelingen, wenn nicht gerade 
eine zu Ekzem disponierte Haut voriiegt. Bereits vorhandene 
Ekzeme dagegen zu unterhalten und zu verschlimmern ist ebenso 
leicht für den Träger als schwierig für den Beurteiler nachzu¬ 
weisen. Es geschieht ja schon so häufig mehr unabsichtlich oder 
reflektorisch durch Kratzen und Reiben, durch Waschen mit und 
ohne Seife, durch im gegebenen Augenblick unzweckmässige, 
reizende Medikamente. Ob anstatt der letzteren nun eines der 
zur Erzeugung von Artefakten im Schwünge befindlichen Dinge 
angewandt wird, kommt im Effekt auf dasselbe hinaus. Die 
artefiziellen ekzemartigen Dermatitiden bestehen aus mehr oder 
weniger dicht gedrängten Bläschen und Pusteln auf roter, ent¬ 
zündlicher Haut, die unter Eintrocknung zu Krusten wieder ab¬ 
heilen, wenn die provozierende Schädlichkeit wegfällt. Es fehlt 
ihnen aber die grosse Vielgestaltigkeit des wahren Ekzems oft 
auf einem kleinen Bezirk von den initialen diffusen Papel- 
eruptionen an über deren Umwandlung durch das Bläschenstadium 
hindurch zur diffusen roten nässenden Fläche, dem charakteristi¬ 
schen Stadium des Eczema rubrum madidans, was seinerseits 
wieder hinüberleitet zu dem chronisch infiltrierten, schuppenden 
Endstadium. Die der disponierten Ekzemhaut innewohnende 
Labilität der Oberhaut gegenüber dem aus der Kutis andrän¬ 
genden Flüssigkeitsstrom prägt eben dem wahren Ekzem seinen 
Charakter auf, der sich auch ganz besonders in der ausserordent¬ 
lichen Neigung zur Chronizität, zu stetigen Rezidiven zeigt. 
Beim Ekzem ist der äussere Reiz nur der Anstoss, um die im¬ 
manente wesentliche Ursache, d. h. die Schwäche der Oberhaut¬ 
decke in Erscheinung zu rufen. Bei dem Artefakt auf gesunder 
normaler Haut, sei es nun durch Krotonöl, Seidelbast, Schwefel, 
Jod, Brechweinstein, Quecksilbersalben oder Teerpräparate er¬ 
zeugt, ist die dadurch hervorgerufene Reaktion alles, und sie 
schwindet nach dem Wegfall des Reizes unter zweckmässigen 
Maa8snabmed rasch. Hierzu liegt ein Fall des Stabsarztes Eber¬ 
lin g in dem Sanitätsbericht der preussischen Armee 1898/99 vor, 
bei dem die Ueberführung durch Auffinden eines Fläschchens mit 
Krotonöl im Brustbeutel gelang. 

Besondere Erwähnung verdient als Unikum ein Fall von 
Heidingsfeld 8 ), in dem eine Furunkulosis bzw. multiple 
oberflächliche Abszesse aus Gründen selbstquälerischer Fröm¬ 
melei und zur Erweckung des Anscheines einer Märtyrerin von 
einer Hysterischen, die sich mehr als 70 Nähnadeln oder ihres 


1) Adamson, Brit med. journ., 2. Juli 1910, Ref. Mh. f. prakt. 
Denn., 1911, Bd. 52, S. 139. 

2) Ref. Mh. f. prakt. Denn., 1892, S. 623. 

8) Dermatologioal Malin gering. The Lancet-Clinic, 29. April 1905. 


Kopfes beraubter Stecknadeln unter die Haut einführte, vorge¬ 
täuscht wurden. 

Blasige Erytheme werden gemacht, um den Eindruck 
des Erysipels vorzutäuschen. Hier spielt das Thapsiaharz, 
was ich schon in der Einleitung erwähnte, eine grosse Rolle. 
Es wird aus der Wurzelrinde einer algerischen Umbellifere, der 
Tbapsia garganica gewonnen. Es enthält einen kristallinischen, 
auf der Haut blasenziehenden Stoff, macht, in Pflasterform auf¬ 
gelegt, eine lebhafte Rötung mit einer sehr intensiv „Miliaria¬ 
eruption 44 , ähnlich wie beim Krotonöl, von dessen Ausschlag sich 
das Thapsiaartefakt, aber durch grössere Einheitlichkeit und Regel¬ 
mässigkeit unterscheiden soll, ausserdem durch die grosse Zahl 
der Pusteln und der raschen Umwandlung des Blaseninhaltes. 
Von den französischen Autoren wird übereinstimmend betont, dass 
der Thapsiaausschlag leicht mit Erysipel verwechselt werden 
kann, was man bei dem Ausdruck Morrow’s in seinem „Drug- 
eruptions“: „Miliariaeruption 44 nicht annehmen sollte. Auch 
Thibierge 1 ), der besonders den uns von anderen Mitteln bekannten 
springenden Charakter des Thapsiaausschlages hervorhebt, betont 
die äussere Aehnlichkeit mit Erysipel, auch ist beim Auftreten im 
Gesicht wie bei allen akuten Dermatididen desselben ein starkes 
Oedem der Lider dabei. Thibierge 1 ) meint übrigens, dass die 
heftigsten Reizerscheinungen durch Verfälschung mit Euphorbia- 
harz hervorgerufen würden. — Ohne genau die einzelnen klinischen 
Formen der Hautartefakte von bestimmten Mitteln herzuleiten, gibt 
Cisterne 2 * ) unter den letzteren an: Vesikantien, kaustische Alkalien, 
Säuren, Hitze, alkalische Salben und Bäder, ferner andere blasen¬ 
bildende Substanzen wie Terpentin, schwefelhaltige Kompositionen, 
Pflaster von Burgunder Teer, von Opium, Quecksilbersalben, 
Krotonöl, Brechweinsteinsalben, arsenhaltige Salben, Lebertran. 
Besonders erörtert er noch zirkumskripte Verbrennungen am Penis 
zur Vortäuschung des Schankers. Gross erwähnt noch das 
Schweinfurter Grün sowie Chloroforminjektionen, führt aber das 
Aetznatron als das häutigst gebrauchte Mittel an. Derblich 
nennt noch Aetzkalk, Ammoniak, Spiessglanzbutter 8 ) Seidel¬ 
bast, Wolfsmilch; J ulius Flesch (1. c.): Helleborus niger, Tabak¬ 
blätter, Phosphorzündköpfe und Radium; Hollstein 4 ) 50proz. 
Chlorzink. 

Auch einfache Erytheme können durch die Nägel der 
Finger, durch verschiedene Alkalien, Säuren, durch strahlende 
Wärme und bei manchen Leuten durch Genuss mancher Speisen 
und Getränke hervorgerufen werden und sollen in Oesterreich 
von Wehrpflichtigen vor der Musterungskommission als Grund 
für die Befreiung vom Militärdienst herangezogen worden sein, 
wie die Urtikaria, die, unter Ausnützung einer immanenten, 
inneren Idiosynkrasie durch Genuss von Erdbeeren und Krebsen 
oder durch äussere Kratzreize bei Urticaria factitia ad hoc 
rechtzeitig gemacht wird. Ich sah im letzten Jahre einen Fall, 
wo alle paar Tage eine oder einige, meist sehr grosse und hohe 
Quaddeln an verschiedenen zugänglichen Körperteilen auftraten, 
die angeblich gar nicht juckten. Der junge Mann hatte eine 
angioneurotische Reizbarkeit der Haut und will zuerst eine aus¬ 
gebreitete akute Urtikaria monatelang vorher nach dem Genuss 
von Fischen gehabt haben. Dass er aber diese bis zu 3—5 mark¬ 
stückgrossen, etwa 3 mm hohen Quaddeln, die oft ganz isoliert waren, 
künstlich machte, unterliegt für mich keinem Zweifel, besonders 
auch wegen der ganz bestimmten Angabe, er habe kein Jucken. 
Da ich ihn nur einige Male bei mir in der Sprechstunde sah, 
kam ich nicht hinter das Mittel. Sein Bruder ist Chemiker. 
Möglicherweise wandte er aber nur mechanische Reize an. 

Der grossartigste Fall, der hierher gehört, ist von Thibierge 5 ) 
berichtet. Ein früherer Krankenwärter, der auf verschiedenen 
Stationen Dienst gehabt hatte, war selbst mit Dermographismus 
(Urticaria factitia) begabt und hatte es gelernt mit einem 
eigens erfundenen, ralfinierten Instrumentarium die dort gesehenen 
Krankheiten auf seiner Haut nachzuahmen. Darch energische 
Reibung der Haut mittelst eines Pinsels oder einer Bürste aus Quecken¬ 
gras gefolgt von mehrfachem Aufdrücken desselben Pinsels machte 
er das Scharlachexanthem, durch wiederholte Druckwirkungen 
mit den Zinken einer Gabel einen masern- oder rölelähnlichen 
Ausschlag. Die gedellten Variolaeffioreszenzen machte er durch 


1) La Pr&tique dermatologique, Bd. 2, 1901. 

2) Von den simulierten Hautkrankheiten (These de Paris, 1887, Ref. 
in Mh. f. prakt. Derm., 1889, Bd. 8, S. 96. 

3) = Liquor Stibii ehlorati = Antimontriohlorid in roher Salz¬ 
säure gelöst. 

4) D.m.W., 1904, Nr. 48. 

5) 1. o., S. 497, 

2 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Rotieren eines fest aufgedrückten Uhrschiösseis täuschend nach. 
Nachdem er dreimal verschiedene Aerzte getäuscht, einmal in¬ 
folgedessen sogar als Variolakranker isoliert war, gab er später 
zur Belehrung der Kollegen eigene „Seances de Simulation“. 
Thibierge sagte von ihm, dass er in seiner Art geradezu ein 
Talent darstellte. Erwähnenswert aus der Kategorie des Dermo 
graphismus scheint mir noch ein Fall von Renaut 1 ) zu sein, 
in dem die grossen Urtikariaausbrüche immer wieder zurückgingen, 
ausser einer grösseren Quaddel, die übrig blieb und besonders 
hyperämisch bis dunkelpurpurn wurde. Nach einigen Tagen tritt 
im Zentrum ein schwarzer gangränöser Fleck mit einem folgenden 
kleinen Geschwür auf. Diese Urticaria gangraenosa betraf einen 
22jährigen, sehr nervösen Menschen. Hier spricht meines Erachtens 
der Umstand, dass jeweilen von dem ganzen verbreiteten Aus¬ 
bruch nur eine Effioreszenz diesen merkwürdigen Verlauf durch¬ 
machte, für ein selbst erzeugtes Artefakt, zumal ja trotz der sehr 
grossen Zahl der Urtikariafälle Anzeichen von Gangrän uns 
sonst nicht bekannt sind. 

Geschickte Betrügerinnen können auch ohne die Neigung zu 
Dermographismus durch kurze Einwirkung der Aetzmittel z. B. 
der rohen Salzsäure, Erythem und typische Urtikariaquaddeln 
machen, wie die Patientin von Gross 2 ) mit roher Salzsäure, die 
bei etwas längerer Einwirkung aber immer zur Nekrose führte. 

Nach Derblich 8 ) sollen durch Quecksilber, Arsen, Jod 
und Brom innerlich die ihnen adäquaten Hautausschläge auch 
zum Zwecke der Dienstbefreiung gemacht werden. 

Intertrigo 8 ) wird künstlich wenigstens zur vorübergehenden 
Dienstbefreiung gemacht und unterhalten, auch zwischen den Zehen 
durch das Tragen schlechter, oft noch mit Urin verunreinigter 
Fusslappen. 

Psoriasis 8 ) soll nacbgeahmt worden sein, indem zunächst 
durch Vesikantien oder durch Verbrühung Blasen abgehoben 
wurden und dann nach Entfernung der Oberbaut und der serösen 
Flüssigkeit verschiedene weisse Pulver auf die feuchte und ent¬ 
zündete Hautstelle gestreut wurden, um die perlmutterglänzenden 
Schuppen nachzuahmen. Hierauf hereinfallen kann meines Er¬ 
achtens nur ein Arzt, der noch keine Psoriasis gesehen hat. Ein 
englischer Autor Sniker (zitiert Vichow-Hirsch, 1913, Bd. 2, 
S. 324) berichtet auch über Psoriasis, anscheinend durch ätzende 
Säuren oder Laugen. Auch diesem Falle stehe ich sehr skeptisch 
gegenüber. Ganz anders aber verhält sich die Sache mit der 
Simulatio latens bei schon spontan vorhandener Psoriasis. Wir 
kennen alle Fälle von aussergewöhnlich reizbarer Psoriasis, be¬ 
sonders sehr ausgebreiteter Art, die auch die Gelenk beugen be¬ 
fällt. Diese komplizieren sich öfter durch die gewöhnliche, ja 
immer kräftige Psoriasisbebandlung mittels Chrysarobin, Pyrogallol 
oder Teer, auch Präzipitat mit einer ekzemartigen Reizung oder 
besser einer Dermatitis. Der Zustand kann bei Befallensein der 
Gelenkbeugen den Nichtgebrauch der Glieder zur Folge haben, 
ebenso wie schon eine gewöhnliche sehr inveterierte und infiltrierte 
Psoriasisplaque auf der Beugeseite eines Gelenkes durch die starke 
Spannung. Macht sich einer hier seine Erfahrungen von früher 
zunutze, so kann er sich leicht durch die verschiedenartigsten 
Mittel in den Zustand der Dienstunfähigkeit versetzen. 

Elephantiasis einzelner Teile, besonders der Unterschenkel 
und der Arme, kann durch Abschnürung und Stauung mit Draht 
und Stricken oder, wie an den Ohren, durch wiederholte künst¬ 
liche Reizungen erzielt werden, auch durch fortgesetzte Selbstquet¬ 
schungen, fortgesetzes Beklopfen, z. B. der Hände. Hierher ge¬ 
hören auch die wiederholt festgestellten Injektionen von Paraf¬ 
fin zur Vortäuschung von Verdickungen und Geschwulst¬ 
bildungen. Goldenberg 4 ) erwähnt aus Breslau zwei Russen, die 
sich grosse Mengen Paraffin hatten ins Skrotum spritzen lassen 
und tatsächlich wegen „Elephantiasis scroti“ freigekommen waren. 
In Breslau iiessen sie sich, nachdem sie ihren Zweck erreicht batten, 
die Paraffingeschwulst wieder herausoperieren. 

Auch Sekretionsanomalien werden simuliert, z. B. Fuss- 
schweiss durch Macerierung der Fussohlen und Wundmachung der 
erweichten und mit übelriechenden Substanzen beschmierten Füsse. 

Die farbigen Sch weisse (Ohromidrosis) gehören mehr dem 
Gebiete hysterischer Weiber an. Crocker berichtet von einem 
derartigen Fall, der mit Reissblei erzeugt war. 

Natürlich werden hier nicht die an sich ja vorkommenden 
farbigen Schweisse nacbgeahmt, sondern die Haut wird einfach 

1) Ref. Mh. f. prakt. Denn., 1890, Bd. 10, S. 521. 

2) D. Arch. f. kl. M., Sep.-Abdr. ohne Angabe des Jahrgangs. 

8) 1. o., S. 139 u. ff. 

4) Zitiert bei Beoker, Die Simulation us▼., S. 20. 


mit Farbe angestrichen, es wird, wie Thibierge 1 ) sagt, eine 
Epichromie erzeugt und zwar schwarz, grau, blau, gelb, rot und 
grün besonders im Gesicht und an den dem Rand nahen Teilen der 
Lider, Wangen, Ohren, um den Busen, Nabel, über dem Mons 
veneris und am Skrotum. Diese Epicbromien haben meist 
auch geometrische Konturen, auch abenteuerliche, wie z. B. halb¬ 
mondförmige, die wohl schon einen gewissen transzendentalen Ein¬ 
druck auf den naiven Beschauer machen sollen. 

Künstliche Kahlköpfigkeit, die, spontan entstanden, 
militärfrei machte, wurde durch Epilation oder verschiedene 
Deplilatorien vorgetäuscht, kann aber bei einmal entstandenem 
Verdacht natürlich leicht nachgewiesen werden. 

Derblich 2 ) gibt das genauere Rezept für artifiziellen Favus 
an. Man träufelt etwas Schwefel- oder Salpetersäure zwischen 
die Haare, wodurch dieselben brüchig werden und ausfallen, der 
Haarboden aber bedeckt sich mit Geschwüren and grünlich gelben 
Borken. Oder das Kopfhaar wird mit einer Pomade aus alter 
Seife, Honig, Schwefel, Krotonöl, BrechWeinstein, Kanthariden¬ 
pflaster bestrichen. Die Haare werden verfilzt, die Kopfhaut 
ulzerös. Natürlich kann diese Täuschung besonders einem mit 
dem Mikroskop bewanderten Beobachter gegenüber nicht lange 
standhalten. 

Neuerdings scheinen auch vermittelst Tätowierungen aller¬ 
hand Krankheitsbilder von Wehrpflichtigen geradezu künstlerisch 
vollendet vorgetäuscht zu werden, wotür wir kürzlich bei einer 
Dermatologenzusammenkunft in Bonn ein Beispiel sahen. Wenigstens 
fasste Hoffmann 3 ) den Fall von Riesenkomedonen, die in Huf- 
eisenform an der Vorderfläche des Oberschenkels weiter wunderten, 
so auf. Es handelte sich um einen geschickten Feinmechaniker. 

(Schluss folgt.) 


Aus dem Deutschen Roten-Kreuz-Lazarett in Kon¬ 
stantinopel (Chefarzt: Dr. Th. Zlocisti). 

Gibt es ausser den Weil-Felix’schen Proteus¬ 
stämmen andere durchFleckfleberblutspezifisch 
agglutinable Bakterien? 

Von 

Gand. zool. A. Kreischer. 

Im Winter 1916—1917 war das Deutsche Rote-Kreuz-Lazarett 
in Konstantinopel vorwiegend mit Fleckfieberkranken belegt, und 
die Hauptaufgabe des Laboratoriums bestand daher in der Vor¬ 
nahme der Weil-Felix’schen Reaktion. Angesichts der Unklar¬ 
heit über das Wesen dieser praktisch bereits unentbehrlichen 
Methode lag es nahe, zu untersuchen, ob neben Proteusbakterien 
im Blute oder in den Ausscheidungen von Fleckfieberkranken 
noch kulturell andersartige Stämme von ähnlichen serologischen 
Eigenschaften Vorkommen. 

Dabei fand sich nach viel vergeblichem Suchen ein Keim 
aus der Pyozyaneusgruppe, der in auffallender Weise vom 
Serum verschiedener Fleckfieberkranker agglutiniert wurde, während 
ihn gleichzeitig angesetzte Kontrollsera: Agglutinierende Typhus- 
und Paratyphussera, Normalserum vom Pferd und Sera nicht 
fleckfieberkranker Patienten auch nach 24 Stunden nicht agglu- 
tinierten. Es galt, diese Erscheinung vor allem wegen ihrer 
theoretischen Bedeutung weiter zu verfolgen. Der leitende Ge¬ 
sichtspunkt war festzustellen, ob eine vergängliche Paraagglu¬ 
tination vorliege, oder ob es sich nm eine spezifische Eigenschaft 
wie bei dem Proteus X 19 bandele; ferner, in welcher Beziehung 
die Agglutination beider Keime zueinander ständen. Ehe auf 
das serologische Verhalten'des Pyozyaneusstammes, der der Kürze 
halber Z x heissen mag, näher eingegangen wird, sollen kurz seine 
morphologischen und kulturellen Eigenschaften dargestellt werden. 

Der Stamm wurde am 10. V. 1917 aus dem Stuhl eines kurz 
darauf verstorbenen Fleckfieberkranken gezüchtet. Das Wachstum 
auf der Agarplatte ist üppig gelbgrün mit typischem Geruch nach 
Pyozyaneuseiter; auf Drigalskiagar wächst er blau. Die Einzel¬ 
individuen sind kurze, gramnegative, sehr bewegliche Stäbchen. 
Sie bilden in Peptonwasser kein Indol, in Traubenzucker- und 
Milchzuckeragar kein Gas, bringen Milch zur Gerinnung. Lackmus- 

1 ) 1. c. 

2) 1. o., S. 147. 

3) Denn. Zschr., 1917, Bd. 24, H. 11, S. 683. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


bemerkenswerter, als Z x in seinen kulturellen Eigenschaften ein 
sehr labiler Stamm ist. 

Es gelang, durch Tierpassage und längeres Zuchten in mit 
Fleckfieberblut versetzter Gallenbouillon den ursprünglichen gelb¬ 
grün wachsenden Zx so zu beeinflussen, dass er mit dunkelblau¬ 
grüner Farbe wuchs und diese neuerworbene Modifikation bei 
zahlreichen Weiterimpfungen dauernd beibehielt. Der Parallel- 
versuch mit X ig ergab, dass X 10 nach längerem Züchten in Fleck¬ 
fieberblutgallenbouillon vollständig die für ihn charakteristische 
Eigenschaft des progressiven Wachstums verlor und sie auch 
nach mehrfacher Weiterimpfung auf Schrägagar nicht wieder er¬ 
langte. Dass es sich aber noch um den serologisch einwandfreien 
X 19 handelte, zeigte die unveränderte Agglutinabilität durch Fleck¬ 
fiebersera. Nur das Fleckfieberserum, das der Gallenbouillon 
beigefügt war, agglutinierte den modifizierten X 19 nicht, während 
dasselbe Serum den ursprünglichen Stamm X 19 1: 800 agglutinierte. 

Die Versuche zeigen, dass es ausser den Wei 1- Fel ix’ sehen 
Proteusstämmen noch mindestens einen gar nicht der Proteus¬ 
gruppe angehörigen, sondern dem X 19 im System sehr fern¬ 
stehenden, der Pyozyaneusgruppe zuzurechnenden Stamm gibt, 
der durch Serum Fleckfieberkranker oft hoch (über 1:1000) 
agglutiniert wird. Inwieweit der Vorgang streng spezifisch ist, 
bleibt weiteren Untersuchungen und Kontrollen Vorbehalten. 

Da eine Paraagglutination im Sinne Kuhn und Woithes als 
vergängliche Eigenschaft für Zx nicht in Frage kommt, so liegt 
der Gedanke nahe, dass es sich um eine serologische Dauer¬ 
modifikation eines saprophytischen Pyozyaneusstammes handelt. 
Dass Zx wie auch Xx 9 kulturelle Dauermodifikationen annehmen 
können, zeigen die angegebenen Versuche: X 19 hat unter äusseren 
Einflüssen sein progressives Wachstum aufgegeben, Zx hat seinen 
Farbstoff dauernd verändert. 

Diese Untersuchungen wurden unter Benutzung der Kranken¬ 
geschichten des Deutschen Roten-Kreaz Lazaretts in Konstantinopel 
im Bakteriologischen Laboratorium dieses Lazaretts unter Leitung 
des Herrn Dr. Paul Nenkirch ausgefübrt. Weitere Untersuchungen 
und erweiterte Nachprüfungen werden zurzeit von Neukirch und 
Kreuscher gemeinschaftlich ausgeführt. Die bisherigen Resultate 
werden veröffentlicht, um auch anderwärts Nachprüfungen des 
Stammes zu ermöglichen. 


Aus dem Deutschen Roten-Kreuz-Lazarett in Kon¬ 
stantinopel (Chefarzt: Dr. Th. Zlocisti). 

Ueber Versuche prophylaktischer Impfung 
gegen Fleckfieber. 

(Zweite Mitteilung.) 

Von 

Dr. P. Neukirch. 

In der „Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten u 
1916, Bd. 82, hat Ham di-Haidar-Pascha über Versuche prophy¬ 
laktischer Impfung gegen Fleckfieber berichtet. Er hat im Winter 
1914—1915 in Ostanatolien bei gefährdeten Personen Injektionen 
von defibriniertem Blut Fleckfieberkranker vorgenommen, das teils 
durch Erwärmung auf 60°, teils durch 24 ständige Abkühlung 
im Schnee seiner Infektiosität beraubt worden war. — Die Wirkungs¬ 
weise defibrinierten, aber sonst nicht vorbehandelten Blutes wurde 
damals in Erzindjan, wo unsere Abordnung zu jener Zeit arbeitete, 
durch die Impfversuche eines jungen türkischen Arztes demon¬ 
striert, der, wie bereits Ham di berichtet hat, eine Serie von 
174 Erkrankungen durch derartigen Impfstoff verursachte. 76 
der durch seine Impfungen erkrankten Leute standen während 
ihrer Erkrankung in unserer Behandlung. Obwohl diese Patienten 
fast sämtlich junge kräftige Soldaten unter 20 Jahren waren, 
starben doch 19 davon oder 25 pOt. Bei dem betreffenden Arzt 
wurde später Geisteskrankheit festgestellt. 

Dieser traurige Versuch hat mehrere wichtige Tatsachen ge¬ 
zeigt: Einmal war die Inkubationsdauer aufs genaueste zu er¬ 
kennen; es ergab sich, dass sie weitaus am häufigsten 12 Tage 
beträgt. Weiter war festzustellen, dass die Injektion virulenten 
Pieckfieberblutes keinerlei Lokal- oder Allgemeinreaktionen ver¬ 
ursacht, dass vielmehr der meist stürmische Ausbruch der Krank¬ 
heit das erste ist, was danach zur Beobachtung gelangt. 

Gleichzeitig mit den unglücklichen Impfversuchen jenes Arztes 
hatten auch wir nns mit serotherapeutischen Studien bei Fleck¬ 
fieber beschäftigt. Wir batten Fleckfieberkranke mit mehrfachen 


Injektionen von frischem Rekonvaleszentenblot zu beeinflussen 
gesucht, batten aber keinen Erfolg gesehen. Wir wandten uns 
daraufhin im März 1915 prophylaktischen Impfungen zu, die ich 
in einem im Dezember 1915 der „Medizinischen Klinik“ ein¬ 
gesandten, aus besonderen Gründen aber erst im April 1917 ab¬ 
gedruckten Aufsatz kurz dargestellt habe. Ich impfte damals mit 
Krankenserum, das durch Schütteln und 24 ständiges Stehenlassen 
mit Chloroform seiner Infektiosität beraubt war. Die Erfolge 
waren bei der allerdings nur kleinen Zahl von Impflingen doch 
so, dass wir im Jahre darauf in Konstantinopel das Verfahren 
erneut aufgriffen. Durch Zerreiben des Speckgerinnsels im Sernm 
wurde der Leukozytengehalt aus theoretischen Gründen erhöht. 
Mit diesem Impfstoff sind bisher in Konstantinopel 840, an anderen 
Orten wohl die gleiche Zahl von in Kontrolle stehenden Leuten 
prophylaktisch geimpft worden. Bei allen denen, die im Winter 
in das Innere Anatoliens gingen, musste das Interesse an einem 
wenn noch wenig erprobten Schutz gegen die möglichen Folgen 
unvermeidlicher Läusebisse reger sein als bei den Forschern und 
den Behörden in der Heimat, die unter prinzipiell anderen Be¬ 
dingungen gerade dabei waren, das |Fleckfieber (daheim mit 
glänzendem Erfolg durch radikale Entlausung zu beseitigen. So 
kam es denn zu einer immerhin so grossen Zahl * freiwilliger 
Impfungen, dass es angebracht erscheint, über den bisher ge¬ 
wonnenen Eindruck zu berichten. 

Die Herstellung des Impfstoffes geschieht folgendermaassen: 
Kranken wird zwischen dem 7. Krankbeitstage und^der' Entfieberung 
aus der Armvene etwa 250 emm Blut entnommen. Man lässt es 
24 Stunden absetzen, giesst das Serum ab und bringt die obersten 
Schichten des Koagulums, die grosse Mengen Leukozyten, aber 
wenig rote Blutkörperchen enthalten, durch Verreiben in einem 
mit steriler Gaze ausgelegten Trichter unter Nacbgiessen des 
Serums in Emulsion. 

Die so ethaltene Flüssigkeit wird mit Chloroform im Ueber- 
schoss versetzt und durchgeschüttelt. Nach 24 Stunden wird der 
Impfstoff so in eine andere sterile Flasche gegossen, dass der 
Flaschenhals nicht benetzt wird. Nach weiteren 24 Stunden ist 
er gebrauchsfähig. Verfügt man über einen Brutschrank, so kann 
man den zum sofortigen Gebrauch bestimmten Impfstoff vor der 
Injektion in eine Petrischale bei etwas geöffnetem Deckel eine 
halbe bis eine Stunde bei 87 0 stehen lassen. Das Chloroform 
verdampft dann fast vollständig. Injektionen mitsamt Chloro¬ 
form sind oft etwas schmerzhaft. Abgesehen von gelegentlichen 
Ohnmachtsanfällen, wie sie ja als psychische Shockwirkung auch 
bei anderen Impfungen beobachtet werden, habe ich von den 
Injektionen chloroformbaltigen Impfstoffes keinen Nachteil gesehen. 
Die Injektionen werden am besten ins Fettpolster der oberen 
äusseren Glutäalgegend vorgenommen. Es hat sich bewährt, mit 
2 bis 8 Tagen Abstand 2 mal 2 emm zu verimpfen. Man mischt 
am besten Impfstoff, der von mindestens 3 verschiedenen Personen 
von verschiedenen Krankheitstagen stammt. 

Nie ist durch die Impfung ein nennenswerter Schaden ent¬ 
standen, weder sofort, noch auf den den Impflingen mitgegebenen 
Fragebogen derartiges gemeldet, mit Ausnahme vereinzelter, offen¬ 
bar recht gutartiger Abszesse, die die Dienstfähigkeit nicht'beein- 
trächtigten. — Lokalreaktionen habe ich nie gesehen. Bei einem 
bestimmten Impfstoff traten bei etwa der Hälfte der damit Ge¬ 
impften 10—12 Tage nach der ersten, 5—6 Tage nach der zweiten 
Impfung Allgemeinerscheinungen auf: Kopfweh, Rückenschmerzen, 
Abgeschlagenheit und Temperaturen bis 88°. Bei einzelnen war 
eine deutliche Injektion der Konjunktiven zu erkennen. Alle 
Reaktionen verschwanden nach 2—3 Tagen wieder spurlos. Irgend¬ 
welche bindenden Schlüsse möchte ich aus diesen Vorkommnissen 
nicht ziehen. Weitaus die Mehrzahl der Geimpften hat keine 
Allgemeinreaktion beobachtet. Ueber den Nutzen der Impfung 
lässt sich folgendes sagen: 

Schon bei der ersten Serie der in Erzindjan Geimpften war 
unter 7 Erkrankten niemand gestorben. In ähnlicher Weise er¬ 
krankten in einem von Fleckfieber verseuchten Distrikt im Innern 
unter 300 Geimpften 12, die ebenfalls sämtlich am Leben blieben. 
Berichte von geimpften Personen, die während der Fleckfieberzeit 
Läuse gehabt haben, aber nicht erkrankt sind, sind ziemlich 
zahlreich eingelaufen. Im ganzen scheinen von den in Kon¬ 
stantinopel nach meiner Methode geimpften Leuten nur sehr 
wenige an Fleckfieber erkrankt zu sein. Gestorben sind, abge¬ 
sehen von andersartigen Todesursachen, 2 Geimpfte, einer 4 Wochen, 
ein anderer 2 Monate nach der Impfung, bei denen als Todes¬ 
ursache Fleckfieber angegeben wurde; doch habe ich über die 
Art der klinischen Beobachtung nichts erfahren können. Ange- 


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22. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


377 


nommen, die Methode führe im allgemeinen zur Gewinnung eines 
wirksamen Impfstoffs, so können aus wenigen Fällen erwiesener 
Unwirksamkeit keine besonderen Schlüsse gezogen werden; da es 
vorläufig noch keine Methode der Wertbestimmung des Impfstoffs 
gibt, so besteht die Wahrscheinlichkeit, dass man Impstoffe' ganz 
verschiedener Wirksamkeit herstellt. Andrerseits darf der Nutzen 
der Impfung trotz der günstigen Statistik nicht als sicher er¬ 
wiesen gelten. Diejenigen, die sich freiwillig impfen liessen, 
haben auch wohl den übrigen prophylaktischen Maassnahmen 
mehr Aufmerksamkeit gewidmet als andere. Sie waren teilweise 
als Offiziere, Beamte usw. weniger gefährdet als die übrigen, 
wennschon letzteres für die sehr zahlreich geimpften Aerzte nicht 
zutrifft. 

Theoretisch kann man sich die Wirkung der Impfung in ver¬ 
schiedener Weise erklären: Einmal kommt passive Immunisierung 
in Frage; Schatz durch Rekonvaleszentenserum hat man im Affen¬ 
experiment demonstrieren können. Die Dauer der Schutzwirkung 
war aber nur kurz. Die Impfung mit reinem Rekonvaleszenten- 
serum empfiehlt sich demnach nicht. Zweitens kommt aktive 
Immunisierung in Frage durch Injektion abgetöteter Erreger. 
Drittens ist der Fall denkbar, dass die beobachteten Reaktionen 
durch den stark abgeschwächten Erreger verursacht wurden. Be¬ 
weisen lässt sich diese Annahme aber bisher nicht. Bei den 
Geimpften wird die Weil-Felix’sche Reaktion nicht positiv; 
dagegen gibt der Impfstoff selber diese Reaktionen noch nach 
mehreren Monaten. 

Bei der Wahl der Methode war für mich seinerzeit maass¬ 
gebend, dass einfache und sichere Herstellung des Impfstoffs 
auch im primitiven Feldlaboratorium das erste Erfordernis war. 
Aber auch heute noch spreche ich der Chloroformmethode Vor¬ 
züge vor anderen zu und zwar folgende: Vor der Hamdi’schen 
Methode der Kältebehandlung hat sie die ja nunmehr an einem 
grossen Material durch kulturelles Verfahren und durch Impfung 
am Menschen erwiesene Sicherheit in der Abtötung der Bakterien 
voraus. Denkbar wäre nur das Lebenbleiben resistenter Sporen. 
Wir haben aber noch nie überhaupt einen Bazillus aus dem 
48 Stunden mit Chloroform versetzten Impfstoff mehr wachsen 
sehen. Bei der jetzt viel angewendeten Methode der Abtötung 
des Virus durch halbstündige Erwärmung des Blutes auf 68 Grad 
wird keineswegs die Abtötung aller Bakterien garantiert. Selbst 
wenn die zur Prüfung angesetzte Kultur steril bleibt, so sind 
noch Verunreinigung des nicht mit Desinfiziens versetzten und 
einen ausgezeichneten Bakteriennährboden bildenden defibrinierten 
Blutes durch spät, etwa nur bei niederer Temperatur auskeimende 
Sporenträger oder durch Bakterien, die auf künstlichen Nähr¬ 
böden nicht wachsen, denkbar. War die Abtötung der Bakterien 
durch Chloroform leicht zu erweisen, so musste das Verhalten der 
Spirochäten in gesättigter Chloroformlösung erst studiert werden. 
Einer der ersten Fleckfieberimpfstoffe wurde aus dem Blut eines 
Patienten hergestellt, der an Fleckfieber und Rekurrens litt. Bei 
keinem der Geimpften trat Rückfallfieber auf. Der Verfasser hat 
später ungemein spirillenhaltiges Blut eines Rekurrenskranken 
mit Chloroform behandelt und dann sich und einer zweiten Person 
je 2 cmm injiziert. Die Rekurrensinfektion blieb, wie unbedingt 
zu erwarten war, aus. Nach den Versuchen von Ehrlich und 
Hata ist es unwahrscheinlich, dass die Spirochäte der Syphilis 
eine höhere Resistenz gegenüber Chloroform besitzt als die des 
Rückfallfiebers. Auch ist von Dauerformen der Syphilisspiro¬ 
chäte bisher nichts bekannt und keine einzige klinische Erfahrung 
spricht gegen die Annahme, dass die Spirochaete pallida 
ausserhalb des Organismus ein äusserst hinfälliges Gebilde ist. 
Man könnte gegen die Chloroformmethode geltend machen, der 
Impfstoff müsse vor der Injektion entchloroformt werden, das 
Impfverfahren sei daher umständlich. Ich habe viel Personen 
mit chloroformhaltigem Impfstoff geimpft. Wie oben erwähnt, 
ohne anderen Nachteil als dem eines kurzen lokalen Schmerzes. 
Man kann demnach unter zwingenden Umständen auf die Ver- 
jagung des Chloroforms verzichten. 

Ich ziehe aus meinen Versuchen folgende Schlussbemerkungen: 
Eine prophylaktische Fleckfieberimpfung sollte überall da ver¬ 
sucht werden, wo die Unterdrückung des Fleckfiebers mit Hilfe 
der allgemeinen EntlausuDg unmöglich ist, ferner bei den mit 
der Entlausung beschäftigten Personen. Bereitung des Chloro¬ 
formfleckfieberimpfstoffes ist in jedem einfachen Feldlaboratorium 
am Orte der Fleckfieberepidemie möglich. Die Anwendung ist 
leicht und, wie die Erfahrung an ausreichendem Material gezeigt 
hat, völlig unschädlich. Der Nutzen ist mit einer gewissen 
Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die Darstellung des Impfstoffes 


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könnte in der Richtung verbessert werden, dass das Blut mit 
Natriumzitrat oder Hirudin ungerinnbar gemacht und dann mit 
grosser Zentrifuge ausgeschleudert würde. Die mit Virus be¬ 
hafteten Leukozyten liessen sich dann in grösserer Zahl aus dem 
Blute gewinnen als bei der bisherigen, allerdings wesentlich ein¬ 
facheren und überall anwendbaren Methode. 

Aus dem Deutschen Roten - Kreuz - Lazarett in Kon¬ 
stantinopel (Chefarzt: Dr. Th. Zlocisti). 

Sind Darmflagellaten harmlose Schmarotzer? 

Von 

Dr. P. Neakirch. 

Neben ausgesprochenen Fällen von Ruhr finden sich überall 
im Orient viel häufiger als bei uns leichte Darmerkrankungen, 
die man, da bakteriologische Laboratorien oft schwer erreichbar 
sind oder nicht hierfür in Anspruch genommen werden, als 
„Darmkatarrhe“ registriert. Auch von ernsthaften Aerzten werden 
solche Diarrhöen noch zuweilen als Folgen klimatischer Einflüsse 
betrachtet, und der Laie entschliesst sich meist gar nicht, den 
Arzt aufzusuchen. Immerhin hatten wir im Laufe dreijähriger 
Tätigkeit an unserem Infektionslazarett in Ostanatolien und Kon- 
stantinopel Gelegenheit, auch solche Darmkatarrhe in grosser 
Menge bakteriologisch untersuchen zu können. Eine Anzahl ent¬ 
puppte sich als Dysenterie Y. Auch Fälle von Shiga-Kruse- 
Ruhr sahen wir in Form unblutiger, ganz harmloser Diarrhöen 
verlaufen, die nach wenigen Tagen verschwanden. Gerade bei 
solchen Leuten konnten wir mehrfach noch wochenlang die Er¬ 
reger im Stuhl nachweisen. Auf die zu Epidemiezeiten häufigen 
Choleradiarrhoen braucht hier kaum hingewiesen zu werden. Auch 
Paratyphus A und B sahen wir oft in Form recht unscheinbarer 
Durchfälle sich abspielen. Zuweilen stellten die Patienten die 
Sache so dar, als habe im Anschluss an eine kleine fieberhafte 
Erkältung sich Abweichen eingestellt. Gerade bei solchen ab¬ 
ortiven Paratyphusfällen fanden mir mehrfach, dass die Stühle 
noch wochenlang fast Reinkulturen der Erreger darstellten. Bei 
den im Orient äusserst häufigen kurzdauernden Brechdurchfällen 
und Diarrhöen der Europäer sind wir fast stets den Nachweis 
des Erregers schuldig geblieben. Meist gab der akute Beginn 
einige Stunden nach Aufnahme einer gemeinsamen Mahlzeit bei 
mehreren Leuten gleichzeitig die Sicherheit, dass eine Schädigung 
durch Nahrungsmittel vorlag. Da die Erscheinungen nach wenigen 
Stunden den Höhepunkt erreichten und ohne Rekrudeszenz nach- 
liessen, so dürften diese so häufigen Fälle sämtlich auf Schädi¬ 
gung durch Toxine beruhen. Die Art des Betriebes orientalischer 
Schlachthöfe, Metzgereien, Molkereien und Gastwirtschaften er¬ 
klärt diese meist leichten Schädigungen überaus vollständig. 

Ausser den bisher aufgezäblten Arten von Diarrhoe kamen 
noch bei Türken wie bei Europäern eine grosse Reihe von 
„chronischen Darmkatarrhen“ zur Beobachtung, die ausnahmslos 
vom Patienten folgendermaassen dargestellt wurden: ohne akuten 
Beginn seien die Stühle breiig oder auch flüssig geworden. Fieber 
sei nicht aufgetreten. Das allgemeine Behageu sei, abgesehen 
von etwas Kolik vor den Stuhlentleerungen, nicht gestört worden. 
Die Diarrhoen bestünden seit Wochen oder Monaten und seien 
durch Stopf- und Abführmittel nur vorübergehend beeinflussbar. 
Bei einer Reihe solcher Patienten war starke Gewichtsabnahme 
erkennbar, bei einigen hatte sich, offenbar auf schon vorhandener 
Basis, eine starke Nervosität herausgebildet. Die körperliche 
Untersuchung solcher Leute ergab keinerlei pathologischen Be¬ 
fund. Die bakteriologische Untersuchung der Dejekte auf patho¬ 
gene Bakterien verlief ergebnislos. Dagegen fanden sich in den 
Stühlen der Patienten bei mikroskopischer Betrachtung im Nativ¬ 
präparat zahlreiche Flagellaten vom Typus Trichomonas oder 
Chiloma8tix. Fassend auf dem ausgezeichneten Erfolg, den ich 
an der Kgl. Medizinischen Klinik in Kiel bei der Behandlung 
einer durch ein anderes Protozoon — Balantidium coli — ver¬ 
ursachten lebensbedrohenden Kolitis gesehen hatte, behandelten 
wir alle solche Fälle mit Einläufen von 1—2 p.M. Chinin, denen 
meist noch 1 p.M. Kresol zugesetzt wurde. In der Mehrzahl 
der Fälle ergab sich zweierlei: Die Flagellaten verschwanden nach 
3—14 Tagen, oft sogar sofort aus dem Stuhl, und die Diarrhoen 
blieben weg. Die Patienten erholten sich unter Gewichtszunahme. 

Die ätiologische Bedeutung von Infusorien bei Darmer¬ 
krankungen steht wohl nur für die Ruhramöbe und für das 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16 . 


Balantidium coli fest. Dagegen werden die Flagellaten, besonders 
der Groppe Trichomonas, im allgemeinen als harmlose Schmarotzer 
angesehen. Bestärkt wurde man in dieser Ansicht durch ihr 
häufiges Vorkommen bei anders bedingten Darroerkrankungen wie 
Rnhr, Karzinom nsw. und bei Gesunden. Ich gebe zu, dass wir 
auch in der Türkei, wenn aoch sehr selten, Flagellaten im Stuhl¬ 
gang gesunder Leute, hie and da auch bei sonstwie verursachter 
Ruhr gefunden haben. Ob diese Protozoen aber identisch sind 
mit den fast regelmässig bei chronischer Diarrhoe gefundenen, 
dürfte zunächst schwer beweisbar sein. Für die Harmlosigkeit 
der^Flagellaten hat man angeführt, dass sie sich nur von Bakterien 
ernähren. In einem Fall von massenhaftem Vorkommen von 
Flagellaten bei einer bakteriellen Dysenterie sahen wir im Innern 
derfProtozoen trotz ihrer geringen Grösse verspeiste Erythrozyten 
und Leukozyten. Die in diesem Fall beobachteten Flagellaten 
besassen nur einen Kern und eine ondulierende Membran. Sie 
setzten]ihre schnellen Wanderungen auch bei Zimmertemperatur 
fort. Einige Exemplare zeigten, wenn ohne Ortsbewegung, amöboide 
Bewegungen, die lebhafter waren als die von Amöben. Die Zahl 
der Geissein war offenbar zwei bis drei. 

ln den letzten Jahren hat man begonnen, die 1879 von 
Lenkart aufgestellte Gattung Trichomonas in drei bis vier neue 
Gattungen aufzulösen, deren Unterscheidung nach Zahl der Geissein, 
nach Vorhandensein eines Achsenstabes und einer undulierenden 
Membran vorgenommen wird, und die daher nur dem geübten 
Protozoen forscher unter den günstigsten Bedingungen möglich ist. 
Die Bakteriologie hat hundertfach gezeigt, wie die Morphologie 
ans im Stiche lässt, wenn pathogene von saprophytische Mikro¬ 
organismen unterschieden werden sollen. Kein Forscher wird 
nur auf Grund des nativen oder gefärbten Präparates einen Bact. 
alcaligenes vom Bact. typhi, oder Cholera von Wasser Vibrionen 
unterscheiden wollen! Die morphologische Auflösung der Gattung 
Trichomonas begann erst 1911 unter Anwendung der feinsten 
Fixations- und Färbemethoden. In der gesamten älteren Literatur 
sind daher verschiedenerlei Gebilde unter dem Namen Trichomonas 
beschrieben, auch sind identische Infusorien uuter verschiedenen 
Namen dargestellt. Es liegt sehr nahe, dass morphologisch sich 
ganz nahestehende, vielleicht mit den heutigen Hilfsmitteln über¬ 
haupt nicht unterscheidbare Flagellaten hinsichtlich ihrer patho¬ 
genetischen Bedeutung völlig verschieden sind. Es ist nicht ge¬ 
langen, eine morphologisch bestimmte Gattung als Erreger 
chronischer Darmkatarrhe festzustellen. Wir können nur sagen, 
dass die beobachteten Infusorien wohl sämtlich der Gattung 
Trichomonas angehörten, und dass sie im Nativ- und Giemsa- 
präparat nicht voneinander unterscheidbar waren. Aber unsere 
klinischen Erfahrungen sprechen unbedingt dafür, dass im Orient 
pathogene Darmflagellaten Vorkommen. Das klinische Bild ist so 
charakteristisch, dass nicht nur wir vor der Stuhluntersuchung 
meistens klinisch die Diagnose stellten, sondern dass z. B. auch 
der K. u. K. Garnisonarzt Dr. Johann Neuberger, der die 
Krankheit in unserem Lazarett kennen gelernt hatte, uns vier aus 
dem Innern zurückkehrende Patienten mit der klinischen Diagnose 
„Flagellatendiarrhoe“ zuschickte. Bei allen bestätigten die mikro¬ 
skopische Stuhluntersuchung und der Erfolg der Behandlung die 
Diagnose. 

Es ergibt sich die Schlussfolgerung, dass bei allen Durch¬ 
fällen im Orient oder bei aus dem Orient Zurückkehrenden, die 
chronisch und fieberlos ohne gröbere Störung des Allgemein¬ 
befindens verlaufen, der Stuhl frisch mikroskopiert werden sollte. 
Findet man Flagellaten, so sollten unverzüglich Chinin-Kresol- 
Einläufe, die man durch Verabreichung von Tierkohle per os 
unterstützen kann, Anwendung finden. Auf diese Weise wird sich 
vorläufig allein die Erregernatur der Flagellaten klären lassen, 
und vor allen Dingen wird man viele Patienten mit einer durch 
das „Klima“ geschädigten Verdauung von ihren Beschwerden be¬ 
freien können. 

Ueber gehäuftes Auftreten von Gelenkerkran¬ 
kungen nach Colitis haemorrhagica. 

Von 

Dr. Arthur Mayer. 

Es ist allgemein bekannt und auch jetzt während des Krieges 
mehrfach beschrieben worden, dass im Anschluss an Ruhr hart¬ 
näckige Gelenkerkrankungen auftreten. [Fr. Meyer 1 ), Doren- 

1) Fr. Meyer, B.kl.W., 1916, Nr. 89. 


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dorf 1 ), Cahn*), Stettner*) und andere.] Nun sind zum Teil 
in grösseren Epidemien ruhrartige Erkrankungen beobachtet worden, 
bei denen zwar alle klinischen Symptome der Ruhr bestehen, aber 
niemals Ruhrbazillen oder andere spezifische pathogene Keime 
gefunden wurden. Für diese Dickdarmerkrankungen, die offenbar 
viel häufiger als die echte Ruhr sind, ist die Bezeichnung Colitis 
haemorrhagica eingeführt und gebräuchlich geworden. Es ist 
nun eine in mehrfacher Beziehung bemerkenswerte Tatsache, dass 
Rheumatoide, wie sie bisher nur bei der Ruhr bekannt 
waren, auch bei diesen scheinbar nicht spezifischen 
Kolitiden Vorkommen, ja sogar sehr viel häufiger zu 
sein scheinen als bei der bazillären Ruhr. 

Ueber 87 derartige Fälle soll in folgendem berichtet werden. 

Sie haben alle zunächst gemeinsam, dass in keinem Falle, 
auch nicht nach mehrfacher Untersuchung Ruhrbazillen in den 
Fäzes gefunden wurden. Auch die spezifische Agglutination 
des Serums, auf deren Bedeutung zur Entleerung postdysenterischer 
Erkrankungen neuerdings wieder mit Recht H. Strauss 4 ) hin¬ 
gewiesen hat, war durchaus negativ. Auch andere pathogene 
Keime konnten nicht in einer Form gefunden werden, die io 
ätiologische Beziehungen gebracht werden konnten. Auffallend 
oft fanden sich nur, was bei den zum Teil erheblichen ulzerösen 
Prozessen nicht überraschend ist, Streptokokken neben Kolistämmen 
der verschiedensten Art. 

Die Darmerkr&Dkung selbst verlief reoht verschieden. In den meisten 
Fällen bestanden zwar die bekannten Symptome der Ruhr, aber fast 
immer in wenig charakteristischer Form. Vor allem war eigentlicher 
Tenesmus nur in einigen Fällen merklioh vorhanden, in vielen nur an¬ 
gedeutet, in manchen überhaupt nicht nachweisbar. Manche Kranke 
klagten viel mehr über Magen- und „Leibschmerzen" als über Tenesmen. 

Auch die Entleerungen boten durchaus nicht immer das typische 
Bild der Ruhr; häufig war der Stuhl weder spritzig noch blutig; in 
anderen Fällen fand sich zwar Blut, aber nur wenig Schleim. Häufig 
standen auch hier gastro-intestinale Erscheinungen viel mehr im Vorder¬ 
grund als wirkliche Kolonsymptome. Die Temperatur war häufig er¬ 
höht, oft aber auch nur mässig gesteigert. Die Diazoreaktion war nur 
in einigen Fällen positiv. 

Die Mehrzahl aller Fälle verlief bei den verschiedenen Epidemien, 
die ich zu beobaohten Gelegenheit hatte, durchaus günstig, wie das ja 
auch von Ad. Schmidt, Quinoke, Strauss, Leschke*) u. a. angegeben 
wird. Viele Fälle waren ganz flüchtig und abortiv. Leider waren aber 
auch einige Fälle letal. Die Autopsie ergab ein Bild des Darms, wie 
man es bei schwerster Ruhr findet; in einigen Fällen reichten die 
Geschwürsbildungen bis weit in den Dünndarm, ja sogar bis in den 
Magen hinein. 

Die Gelenkerkrankungen traten niemals auf der Höhe 
der Darmerkrankung sondern immer erst während des Abklingens 
auf. In den meisten Fällen waren die Stühle noch schleimig, 
der Darm noch empfindlich. Aber in einer ganzen Reihe von 
Fällen waren alle Darmsymptome bereits völlig entschwunden. 
Die Patienten waren schon wieder darmgesuud und hatten sich 
bereits ordentlich gekräftigt, als die Gelenkschmerzen und Schwel¬ 
lungen einsetzten. Manche Kranke sind mit der Diagnose: 
„Gelenkrheumatismus“ . eingeliefert worden; erst die genaue 
Anamnese ergab, dass die Kranken kurz vorher eine typische 
Kolitis durchgemacht hatten. In der Mehrzahl der Fälle (26) 
konnte der Beginn der Gelenkerkrankung unmittelbar im Anschluss 
an die Darmerkrankung im Lazarett beobachtet werden. 

Die Zeit, die zwischen dem Beginn der Kolitis und dem 
Anfang der Gelenkerkrankungen lang, schwankte zwischen 4 und 
29 Tagen. Es war dabei auffallend, dass sich weitaus die meisten 
Gelenkerkrankungen an kurze Darmstörungen schlossen; nur in 
fünf Fällen folgten hartnäckigeren Kolitiden Polyarthritiden. 

In den von mir beobachteten Fällen begann das Rheumatoid 
4— 6 Krankheitstage 9 mal 


W n u n 

20-23 „ 3 „ 

24-27 „ 2 „ 

27-29 „ 2 „ 

Am häufigsten war also der Beginn innerhalb der ersten 
14 Tage nach der Erkrankung. Die Verhältnisse scheinen hier 
anders zu liegen als bei den Beobachtungen von Dorendorf 

1) Dorendorf, M. Kl., 1917, Nr. 19. 

2) Cahn, B.kl.W., 1916, Nr. 24. 

3) Stettner, M.m.W., Feldärztl. Beilage, Nr. 26. 

4) H. Strauss, D.m.W., 1915, Nr. 86. 

5) Lesohke, B.kl.W., 1915, Nr. 24. 


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22. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


379 


beim Ruhrrheumatismus, der noch vereinzelte F&lie zwischen 
dem 51. nnd 70. Tage anftretei and die Mehrzahl der Fälle in 
der vierten, viele auch noch in der fünften Woche auftreten sah. 
Aach Stettner gibt an, dass die Frist zwischen dem Ablauf der 
Darmerscheinungen bis zam Einsetzen der rheumatischen Be¬ 
schwerden zwischen drei and vier Wochen and nar einigen Tagen 
schwankte. Die nicht spezifische Colitis baemorrhagica war eben 
— das kommt sehr in Betracht — vielfach so leicht, dass die 
Darmerscheinnngen nar einen oder zwei Tage dauerten and vor 
Beginn des Rheamatoids dementsprechend früh in die Er¬ 
scheinung trat. 

Auffallend war ferner, dass in diesem Sommer diese Gelenk¬ 
erkrankungen zweifellos viel häufiger sind als in den vorigen 
Kriegsjahren, während 1915/16 derartige Polyarthritiden selten 
waren — wenigstens in den Frontabschnitten, die ich zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatte —, sehr häufig, ja, wie bereits gesagt, 
häufiger als bei der bazillären Ruhr. Nach meinen Zählungen 
kam es etwa in 10 pCt. zu rheumatischen Beschwerden, in 
mindestens 5 pCt. zu wirklichen Arthritiden. 

Die Schwere der vorangegangenen Darmkrankheit steht — 
wie bei der bazillären Ruhr — in keiner Beziehung zur folgenden 
Gelenkerkrankung. Sehr hartnäckige Arthritiden traten nach ganz 
leichten Darmaffektionen auf, während schwere Kolitiden ohne 
Gelenkkomplikationen blieben; ja es schien gerade, als ob die 
leichten Darmerkrankungen in besonderer Weise zu späteren 
Arthritiden disponierten. 

Mehrfach konnte beobachtet werden, dass gewisse Traumen 
eine disponierende Rolle zu spielen schienen, z. B. grössere 
Märsche, anstrengender Innendienst. Erkältungen und Durch- 
nässungen kamen indessen kaum als beförderndes Moment in 
Betracht, da die Mehrzahl der von mir beobachteten Kranken 
ihre Gelenkerkrankungen im Lazarett in der Darmrekonvaleszenz 
bekamen. 

Das klinische Bild der Erkrankung zeigt nun ganz be¬ 
stimmte Eigenarten. 

In der Mehrzahl der Fälle gehen der eigentlichen Gelenk¬ 
erkrankung ziehende rheumatische Schmerzen voraus, die aber 
durchaus nicht an den Gelenken, die später erkrankten, lokalisiert 
waren. In einigen Fällen blieb es bei diesen Arthralgien. In 
der Mehrzahl kam es aber innerhalb weniger Stunden zu Gelenk¬ 
entzündungen mit Exsadatbildung. Auffallend und charakteristisch 
ist, dass die Haut über den erkrankten Gelenken gar nicht oder 
nur wenig gerötet ist. 

Die Entzündung ist — und das hat diese Polyarthritis mit 
dem Gelenkrheumatismus gemeinsam — nicht nur auf die Gelenke 
beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf Schleimbeutel und 
Sehnenscheiden, auch auf benachbarte Muskeln und Faszien. Ja, 
das periartikuläre Oedem scheint in manchen Fällen stärker als 
der Gelenkerguss zu sein. Ein ausgesprochenes Tanzen der Knie¬ 
scheibe fand ich nur 14mal; in der Mehrzahl der Fälle Hess sich 
kein deutliches Tanzen feststellen. Aehnliche Beobachtungen hat 
Dorendorf bei dem Ruhrrheumatismus gemacht. 

Wiederholt kam es nach vorübergehender Abschwellung zu 
neuen Ergüssen; besonders die Exsudate des Kniegelenkes scheinen 
eine gewisse Neigung zu haben, leicht zu rezidivieren. 

Was nun die Beteiligung der einzelnen Gelenke betrifft, so 
hatten zweifellos die grossen Gelenke der unteren Extremität eine 
besondere Tendenz zur Erkrankung; vor allem war es das Knie¬ 
gelenk, das ganz besonders häufig betroffen war. 

Nächst den grossen Gelenken der unteren Extremitäten kamen 
die grossen Gelenke der oberen Extremität. 

Aber auch die Gelenke des Stammes bleiben nicht verschont. 
Hier zeigte wieder die Articulatio sacro-iliaca eine gewisse Prä- 
dilektion. Dass auch beim Ruhrrheumatismus die Kniegelenke be¬ 
troffen werden, wird vielfach angegeben. 

Als ein besonders charakteristisches Merkmal dieser 
Gelenkerkrankungen muss die ausserordentlich geringe 
Flüchtigkeit der Erkrankung angesehen werden. Also 
auch in dieser Beziehung verhalten sich die Arthritiden — sehr im 
Gegensatz zum Gelenkrheumatismus — wie die Gelenkentzündungen 
nach Sepsis oder Ruhr. Das einmal betroffene Gelenk bleibt 
während der ganzen Erkrankung erkrankt und erholt sich erst 
mit dem Rückgang aller anderen Polyarthritiden. In ganz be¬ 
sonderem Maasse gilt das von den grossen Gelenken. 

In einer Anzahl von Fällen blieb die Erkrankung auf ein 
Gelenk beschränkt, das dann, wie die folgende Zusammenstellung 
zeigt, fast stets das Kniegelenk war. Aber diese Monarthritiden 
waren doch immerhin nicht allzuhäufig. Oefter wurden schon 


Erkrankungen zweier Gelenke beobachtet. In der Mehrzahl der 
Fälle handelte es sich aber um wirkliche Polyarthritiden. 


Es wurden betroffen: 

1 Gelenk.5 mal 

(davon 1 Kniegenk .4 mal) 

2 Gelenke =.8 mal 

(davon 1 Kniegelenk .6 mal 

2 Kniegelenke.5 mal) 


In den anderen Fällen (24 mal) wurden mehrere Gelenke be¬ 
troffen. Hierbei war 22mal 1 Kniegelenk erkrankt; 19mal waren 
beide Kniegelenke entzündet. 

ln einigen Fällen wurde der Gelenkerguss untersucht. Er 
war stark eiweisshaltig, stark getrübt, reich an Leukozyten, aber 
steril. Eine Agglutination mit Ruhrbazillen konnte nicht nach¬ 
gewiesen werden. 

Im allgemeinen gehen die Gelenkergüsse in 3—4 Wochen 
zurück, kleinere schon etwas früher, grössere bisweilen, wenn 
auch nicht immer, später. Die Grösse des Ergusses steht nicht 
in Beziehungen zu der Dauer der Erkrankung. In zwei Fällen 
waren sehr starke Ergüsse des Kniegelenkes, in einem anderen 
ein grosses Exsudat des Fussgelenkes, schon nach 15 bzw. 17 Tagen 
völlig resorbiert, während mehrfach kleine Ergüsse über 5 Wochen 
unverändert bestehen blieben. Kommt es nar zu Arthralgien, so 
ist die Dauer der Erkrankung im allgemeinen kürzer; nur in einem 
Falle bestanden Gelenkschmerzen an Gelenken, die objektiv nicht 
deutlich verändert waren, über 4 Wochen. In den von mir 
beobachteten Fällen dauerte die Krankheit 


7 Tage 1 Fall (nur Arthralgien) 

8—14 „ 2 Fälle (einer nur mit Arthralgien) 

14-21 „ 10 „ 

22-28 „ 16 „ 

29—36 „ 3 „ 

37-44 „ 2 „ 

45—62 „ 2 „ 

63-60 n 2 „ 


In der Mehrzahl der Fälle dauerte die Krankheit also nur 
8—4 Wochen. Sie verlief demgemäss durchgehend viel milder als 
in den von Dorendorf beobachteten Fällen von Ruhrrheumatismus, 
der nur 2 Fälle innerhalb von 7 Monaten endigen sah. 

In etwas mehr als der Hälfte aller Fälle (20 Fälle) stieg die 
Temperatur nur zu Beginn der Erkrankung. 9 Fälle aber — und 
das ist besonders auffallend — verliefen völlig afebril. Hiervon 
waren 4 mal sehr erhebliche und langwierige Schwellungen nach¬ 
weisbar. 

Dieser relativ häufige afebrile Verlauf scheint ein 
besonderes Charakteristika m der Erkrankung zu sein. 
Aber auch in Fällen mit Temperatursteigerungen war das Fieber 
nie besonders hoch. Meist bewegen sich die Temperaturen zwischen 
38° und 39,5°. Hyperpyretiscbe Temperaturen wie beim Gelenk¬ 
rheumatismus kamen nie zur Beobachtung. 

Das Herz wurde im Gegensatz zu einigen Mitteilungen 
über Ruhrrheumatismus in keinem Falle in Leidenschaft 
gezogen, niemals kam es zu Endokarditis. 

Albuminurien wurden nicht beobachtet. 

Dagegen kam es in einer Anzahl von Fällen zu ganz eigen¬ 
artigen Komplikationen, die auch bei dem Ruhrrheumatismus be¬ 
schrieben worden sind, und zwar zu Konjunktivitis und Ure¬ 
thritiden. 

Entzündungen der Bindehaut als Nachkrankheit der Ruhr 
sind ja vom Frieden her bekannt; die Angaben über ihre Häufigkeit 
schwanken. Während des Krieges scheinen aber in jedem Falle 
Ruhrkonjunktividen häufiger und besonders oft mit Rheumatismus 
vereinigt zu sein. Stettner sah sie in der Hälfte seiner Rheuma¬ 
tismusfälle; in 80 pCt. stellte sie das erste Symptom der Erkrankung 
dar. Bei den 37 von mir beobachteten Kranken fanden sich 7 mal 
Konjunktividen, also wesentlich weniger als bei den Stottn er'sehen 
Fällen. Sie traten immer nur während der Gelenkerkrankungen, 
nie vorher auf. Die Entzündungserscheinungen waren in allen 
Fällen ganz leicht und gingen ohne Komplikationen zurück. 
Die bakteriologische Untersuchung des Sekretes ergab niemals 
Ruhrbazillen; nur in einem Falle fanden sich Diplobazitlen; in 
allen anderen Fällen war das Sekret überhaupt steril. Auch 
Agglutinationsproben mit Rubrbazillen blieben negativ. 

Die zweite eigenartige Komplikation war eine Urethritis. Sie 
kam 6 mal zur Beobachtung. Es entstand nach leichtem Brennen 
in der Harnröhre ein eitriger Ausfluss wie bei der Gonorrhoe 


5 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Die Harnröhennmündung rötete sich and verklebte. Seitdem ich 
bei einem Kranken eine derartige Urethritis gefunden hatte, die 
sicher keine Gonorrhoe, wie man zunächst natürlich annehmen 
musste, gefunden hatte, achtete ich bei allen derartigen Patienten 
auf diese Komplikation, fand sie aber, wie gesagt, nicht öfter. 
Heftige Leibschmerzen waren mehrmal mit der Urethritis ver¬ 
bunden. Die Kranken klagten nur über geringe Beschwerden 
beim Wasserlassen. Gonokokken, worauf natürlich mehrfach 
gefahndet wurde, fanden sich nie. In allen 4 Fällen heilte die 
Urethritis spontan in kurzer Zeit völlig aus. Auch im Urin dieser 
Kranken fanden sich ebensowenig wie im Harnröhrensekret 
Ruhrbazillen. 

Zweimal war die Urethritis mit einer Konjunktivitis vereinigt. 

Ganz ähnliche Beobachtungen bat Stettner bei seinen Ruhr* 
rbeumaiismen gemacht; nur scheinen auch die Urethitiden wie die 
Konjunktividen häufiger gewesen zu sein. 

Der Verlauf der Krankheit war, wie aus diesen Angaben 
hervorgeht, ein gutartiger. Die Gelenkerkrankungen mit ihren 
Komplikationen gingen in allen Fällen, wenn auch bisweilen 
etwas langsam zurück. Chronische Veränderungen wurden nicht 
beobachtet. 

Mehrfach traten nach anfänglicher Resorption der Ergüsse 
und Nachlassen der Beschwerden, wie bereits erwähnt, zwar 
kleinere Nachschübe auf, die aber den gutartigen Verlauf der 
Erkrankung nicht aufhalten. 

Die Prognose ist demgemäss, besonders da das Herz schein¬ 
bar nicht zu erkranken pflegt, günstig. 

Die Entstehung dieser so gehäuften Gelenkerkrankung ist 
schwer zu erklären. Handelt es sich trotz des negativen bak¬ 
teriologischen und des atypischen klinischen Verlaufes um Ruhr¬ 
rheumatismus? 

Diese Frage setzt naturgemäss die Entscheidung voraus, ob 
diese so gehäuften Darmerkrankungen als Ruhr anzusehen sind. 

Beitzke bat gute Gründe dafür angeführt, dass es sich bei seinen 
zur Obduktion gekommenen Fällen trotz aller negativen bakteriologischen 
Befunde tatsächlich um Ruhr gehandelt bat. Unser armeepathologischer 
Oberstabsarzt Prof. Dr. Pick hat ferner in einer ganz erheblichen Zahl 
derartiger Fälle Ruhrbazillen nachweisen können. (Mbndliche Mitteilung.) 
Es kann demnach nicht bestritten werden, dass es sich zweifellos, 
wenigstens bei den zum Tode führenden Fällen, in einem beträchtlichen 
Prozentsatz um Ruhr gehandelt hat. Aber diese bei der Leiche er¬ 
hobenen Befunde scheinen mir noch nicht zu beweisen, dass bei diesen 
Massenerkrankungen, von denen ja nur sehr wenige tödlich, viele sehr 
leicht verlaufen, Ruhrbazillen als ätiologisches Moment in Betracht 
kommen. Die Kranken, die gestorben sind, sind eben der Ruhr er¬ 
legen, aber die zahlreichen Leichtkranken haben zum grössten Teile 
irgendwelche anderen Darmsohädigungen gehabt! Wenn man — alle 
Schwierigkeiten der bakteriologischen Ruhrdiagnose zugegeben — bei so 
zahlreichen Untersuchungen, wie ich sie unter allen technischen Vor¬ 
sichtsmaassregeln angestellt habe, so gut wie nie Ruhrbazillen findet, 
muss man eben an andere ätiologische Ursachen glauben! Diese Ver¬ 
hältnisse scheinen auch bei den Massenerkrankungen, die ich zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatte, genau so zu liegen, wie sie von Dorendorf 
und Kölle 1 ) bei der „galizisohen Ruhr tf beschrieben worden sind. 
Dorendorf und Kolle kommen auch da zu dem Schluss: „Einer der 
bekannten Bazillen ist also jedenfalls der der galizisohen Ruhr nicht." 

So wenig also Ruhrbazillen für diese ruhrartigen Erkrankungen und 
die mit ihnen verbundenen Gelenkentzündungen beschuldigt werden 
können, so auffällig war doch die weitere Analyse der Darmflora. Es 
zeigte sioh nämlich, worüber an anderer Stelle ausführlich berichtet 
werden wird, dass bei allen schweren Fällen von Kolitis und bei den¬ 
jenigen mit Gelenkerkrankungen die Kolibazillen weitgehendsten Varia¬ 
tionen unterlagen und sioh bisweilen in einer geradezu pathologischen 
Weise von der Stammform des gewöhnlichen Koli entfernten. Gegenüber 
diesem auffallenden Mutieren der bazillären Flora zeigte sich eine eigen¬ 
artige Persistenz und Konstanz der Streptokokkenflora, wie man sie nie¬ 
mals bei anderen Formen von Darmerkrankungen zu sehen gewohnt ist. 

Zwischen diesen Variationen der Kolistämme und der Konstanz der 
Kokkenflora scheinen gewisse Beziehungen zu bestehen, sei es, dass die 
Produkte der Kokken selbst oder durch sie andere Stoffe die Mutation 
begünstigen. 

Wie weit ausserhalb des Körpers derartige Variationen durch ver¬ 
schiedene Bedingungen erreicht werden können, ist ja vielfach gezeigt 
worden (Massini, Brück, M. Neisser). Neuerdings hat Köhlisch 2 ) 
mit besonderem Nachdruck auf weitgehende Uebergänge hingewiesen. 

Ob die Toxinbildung der Streptokokken durch die Mutation 
ihrer symbiotisohen Kolibazillen begünstigt wird, oder ob die Gelenk¬ 
schwellungen ihre Ursache in einer durch diese Variationen gesteigerten 
Koligiftigkeit haben, kann ich zurzeit noch nicht entscheiden. Experi¬ 
mentelle Arbeiten sind in dieser Richtung von mir begonnen. 


1) Dorendorf, Kolle, D.m.W., 1916, Nr. 19. 

2) Köhlisch, B. kl. W., 1916. 


Schliesslich scheint es überhaupt wahrscheinlieb, dass immerhin bei 
einer nicht ganz kleinen Zahl diese gehäuften, zunächst scheinbar zu¬ 
sammengehörigen Dickdarmerkrankungen endogene Ursachen in Betraoht 
kommen. Wie mannigfach diese Entstehungsmöglichkeiten sind, wird 
von Leschke hervorgehoben (enterogene Infektion, enterogene Intoxi¬ 
kation, mechanische Schädigung des Darms und parenterale Infektion, 
Einwirkung der Kälte). 

Schwere Darmerkrankungen sind ja überhaupt im Felde viel häufiger 
als im Frieden Begleitsymptome aller möglichen Erkrankungen. Pneu¬ 
monien, Malaria, 5-Tagefieber und manche anderen Erkrankungen 
ziehen den Darm in ihre Kreise. Der Darm des Soldaten im Felde 
ist eben der Loous minoris resistentiae und jedem Trauma 
in erhöhter Form ausgesetzt. 

Die Diagnose dieser Gelenkerkrankungen kann schwierig 
werden, wenn, wie es häufig geschieht, die Kranken erst nach 
Ablauf der Darmerkrankung in das Lazarett kommen. Eine sorg¬ 
fältige Anamnese wird Klarheit schaffen. 

Bei Komplikation mit Urethritis ist die Entscheidung natür¬ 
lich schwer, ob eine gonorrhoische Gelenkerkrankung vorliegt, 
besonders wenn nur eine Monarthritis besteht, eine Schwierigkeit, 
die deshalb besonders gross ist, weil bekanntlich auch bei der 
gonorrhoischen Gelenkerkrankung das Urethral sekret sehr oft 
keine Gonokokken enthält. 

Differentialdiagnostisch wichtig ist übrigens auch zur Ab¬ 
grenzung gegen akuten Gelenkrheumatismus, dass die Kranken 
keineswegs eine besondere Neigung zum Schwitzen haben wie 
die Kranken mit Polyarthritis acuta rbeumatica. Schliesslich 
kann der Misserfolg der Salizyltherapie bisweilen entscheidend 
Aufklärung bringen. 

Die Behandlung muss nach meinen Erfahrungen in erster 
Reihe in völliger Fixation der betroffenen Gelenke bestehen, die 
sehr warm verpackt sein müssen. Beginnt das Exsudat zu 
schwinden, oder bestehen überhaupt nur Arthralgien, so haben 
sich energische Schwitzprozeduren bewährt. Wie schon gesagt 
worden ist, versagen alle Salizylpräparate. Versuche mit Ruhr- 
8erum ergeben auch keine befriedigenden Erfolge. 

Zusammenfassung. 

In zahlreichen Fällen von Colitis haemorrhagica, bei denen 
nie Ruhrbazillen gefunden wurden und das Serum keine Agglu- 
tinine mit den bekannten Ruhrstämmen bildete, auch das klinische 
Bild vielfach von dem der Ruhr abwich, entstanden nach Ablauf 
der Darmerscbeinungen ausgedehnte Gelenkschwellungen. Be¬ 
sonders häufig war das Kniegelenk betroffen. 

In einer Anzahl von Fällen waren die Gelenkerkrankungen 
mit Urethritis und Konjunktivitis vereinigt. 

Der Verlauf der Erkrankung war zwar günstig, aber lang¬ 
wierig. 

Herzerkrankungen wurden nicht beobachtet. 

Im Gegensatz zum akuten Gelenkrheumatismus zeigten die 
Erkrankungen keine Flüchtigkeit. Die Temperatur war nie über¬ 
mässig gesteigert, häufig normal. 

Die bakteriologische Untersuchung der Fäzes ergab neben 
vielfach in aussergewöhnlicher Weise mutierenden Kolistämmen 
konstante Stämme von Streptokokken. 

Salizylpräparate versagten in der Behandlung völlig. Da¬ 
gegen schien völlige Fixation des Gelenkes, Wärme und Schwitz¬ 
prozeduren die Resorption zu begünstigen und die Schmerzen zu 
mildern. 


Aus der inneren Abteilung des städtischen Kranken¬ 
hauses Neukölln (Direktor: Professor Ehrmann). 

Ueber Mageninsuffizienz bei Botulismus. 

Von 

Dr. Ignaz Sehlonter. 

Am 24. September 1917 wurde der 42jäbrige Obertelegraphen¬ 
assistent H. und seine 35jährige Ehefrau, am 26. September 1917 die 
34jährige Ehefrau S., ihre Nachbarin, aufgenommen. Alle drei Personen 
hatten am 16. September von einem Stück Speck gegessen, das äusserlich 
einen unverdorbenen Eindruck machte. Sie klagten über grosse Hin¬ 
fälligkeit, undeutliches SeheD, Doppeltsehen, besonders beim Blick nach 
rechts, Trockenheit im Munde, Schluckbeschwerden und Verstopfung. Als 
objektiver Befund ergab sich hochgradige Schwäche, bo dass sie bei Ver¬ 
lassen des Bettes leicht schwindlig wurden und umfielen, weite Pupillen, 
die weder auf Licht noch bei Konvergenz reagierten, leichte Abduzens¬ 
lähmung, Akkommodationslähmung, keine Ptosis, hochgradige Trockenheit 
der ganzen Zunge und der ganzen Mundschleimhaut, keine Lähmungen 
der Körpermuskulatur, Patellarreflexe etwas gesteigert. Ausserdem be- 


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22, April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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stand hochgradige Verstopfung, so dass Stuhlgang nur duroh Klystiere 
su ersielen war. Bei dem Ehepaare traten später im Verlaufe der 
Krankheit auch vorübergehend heftige Diarrhöen auf, die aber bald wieder 
in Verstopfung übergingen. Das Krankheitsbild blieb während der ersten 
Zeit der Behandlung ziemlich unverändert, erst naoh 4—5 Wochen 
besserte sioh das Allgemeinbefinden, dann schwand das Doppeltsehen, 
und die Trockenheit der Mundschleimhaut nahm ab. Bei der Entlassung, 
die am 18. X. bzw. 8. XI. erfolgte, bestand diese nur noch in geringem 
Umfange, ebenso nooh leichte Akkommodationsstörung. Auch klagten die 
Patienten nooh bis in die letzten Tage der Behandlung darüber, dass 
sie den Urin nur mit Mühe entleeren konnten. 

Nach diesem ganzen Symptomenkomplex besteht kein Zweifel, 
dass hier die Vergiftungserscheinungen des Botulismus Vorlagen, 
und dieser auf den Genuss des erwähnten Stück Specks zurück- 
zuffihren war. 

Klinik und Therapie des Botulismus sind in den letzten 
Jahren häufig, besonders von Bürger 1 * 3 ) und Schede 8 ), wobei 
der erstere auch noch eine Uebersicht über die Differential¬ 
diagnostik gibt, bearbeitet worden. Ausserdem hat Konrich 8 ) 
noch die Verhütungsmaassregeln, Schumacher 4 ) die Bakteriologie 
ausführlich besprochen. Wir wollen hier nur die Aufmerksamkeit 
auf ein Krankheitssymptom lenken, das wenig beachtet wird, be¬ 
sonders da die Patienten dadurch wenig Beschwerden zu haben 
scheinen. Das ist die Mageninsuffizienz. Wir haben sie bei 
unseren drei Patienten immer durch Ausheberung des Magens fest¬ 
stellen können. 

Die Ausheberung mittelst Alkoholprobefrühstücks nach Ehr mann 
ergab: 

Bei Frau S. am 22. Tage naoh der Vergiftung: 100 ccm gelbe 
Flüssigkeit mit reiohlich Speiseresten (Nudeln, die sie am vorher¬ 
gehenden Nachmittag um 4 Uhr gegessen hatte), freie HCl 0, Ges.- 
Acid. 11, keine Milchsäure, mikroskopisch Hefesellen. Ein Monat naoh 
der Vergiftung ergab sich: 50 com grünlich-bräunliche Flüssigkeit mit 
reichlichen Speiseresten, HCl 0, Ges.-Acid. 8. 

Bei Herrn H. am 32. Tage: 100 ccm helle Flüssigkeit mit Speise¬ 
resten, freie HCl 0, Ges-Acid. 13, mikroskopisch Sarzinen. • 

Bei Frau H. am 27. Tage: 60 ccm grünlich-trübe Flüssigkeit mit 
Speiseresten und grünlich gefärbten Schleimflocken, freie HCl 9, Ges.- 
Aoid. 20, mikroskopisch Fetttröpfchen, Pflanzenteile und Sarzinen. Am 
39. Tage: 100 ccm trübe, grüne Flüssigkeit mit makroskopisch 
sichtbaren Speisepartikelohen, freie HCl 18, Ges.-Acid. 85, mikro¬ 
skopisch Sarzinen. 

Letztere Patientin konnten wir am 22. November nooh einmal unter¬ 
suchen, und es ergab sioh, dass im Ausgeheberten keine Speisereste 
mehr vorhanden waren. 

Die Röntgenbeobachtung der Magentätigkeit vor dem Schirm ergab 
bei allen drei Patienten keine abnorme Lage, keine Aenderung des Tonus, 
ziemlich lebhafte Peristaltik. Bei Frau H. ergab sich am 40. Tage 
nach der Vergiftung, dass der Schatten des Bariumbreis im Magen 
15 Stunden naoh der Aufnahme noch die Grösse eines Esslöffels zeigte, 
19 Stunden nachher die eines Fingerhutes. Eine Kontrolluntersuchung 
nach der Entlassung ergab am 21. November nach 6 Stunden voll¬ 
kommene Entleerung, also wieder normales Verhalten. 

Es hatten sich also in unseren Fällen noch wochenlang 
nach dem Tage der Vergiftung motorische Insuffizienz 
des Magens gezeigt, bei Frau H. sogar noch am 40. Tage. 

Es entsteht nun die Frage, ob die Lähmung der Muskulatur 
zentral oder peripher bedingt ist. Für eine Schädigung des 
Vaguskernes spricht, dass die übrigen Symptome dieser Ver¬ 
giftung sich auf eine Kernlähmung, besonders der Gehirnnerven 
zurückführen lassen, dagegen, dass andere Erscheinungen der 
Vaguslähmung von Seiten des Herzens und der Lungen fehlen. 
Die Annahme einer peripheren Lähmung wird unterstützt durch 
den Versuch von Forhsmann (zitiert bei Bürger), der nach 
Einspritzung des Botulismus-Toxins in die Peritoneal- und Pleura¬ 
höhle als erste Erscheinung hochgradige Lähmung des Zwerchfelles 
beobachtet, die bei subkutaner Einverleibung erst viel später 
eintrat. Betont muss werden, dass die Bewegungen des Magen¬ 
darmkanals in überwiegendem Maasse von den in ihnen liegenden 
peripheren Nervenplexus abhängig sind, denen gegenüber die 
zentralen Einflüsse zurücktreten. Als dritte Möglichkeit könnte 
noch erwogen werden, dass die Mageninsuffizienz überhaupt nur 
die Folge einer Schädigung der Darmperistaltik wäre, wie es 
auch bei durch andere Ursachen bedingten Störungen der Darm¬ 
bewegung beobachtet wird. 

Jedenfalls empfiehlt es sich bei Fällen von Botulismus auf 
die Mageninsuffizienz zu achten, nicht nur zur Aufhellung der 

1) Bürger, M. Kl., 1913, S. 1846. 

2> Schede, M. Kl., 1916, S. 1309. 

3) Konrich, M. Kl., 1914, S. 451. 

4) Schumacher, M.m.W., 1913, S. 125. 


theoretischen Erklärungen, sondern aus praktischen Gründen, 
gibt doch Bürger an, dass bei zwei seiner Patienten noch am 
dritten bzw. fünften Tage nach der Vergiftung Reste von dem 
Schinken, der die Vergiftung erzeugt hatte, aus dem Magen ent¬ 
leert werden konnten. Man soll daher, wenn auch die Patienten 
erst tagelang nach der Vergiftung in ärztliche Behandlung kommen, 
den Magen aushebern, da die schädlichen Speisereste vielleicht 
noch in ihm enthalten sind, zumal die motorische Insuffizienz, 
wie unsere Fälle zeigen, sich über mehrere Wochen hinziehen 
kann. Man reiche daher lange auch noch den Patienten die bei 
diesem Magenleiden übliche Kost. 


Die Frage des künstlichen Aborts vor der 
Berliner medizinischen Gesellschaft. 

Von 

H. Fehliig-Strassburg. 

Die vier einleitenden Vorträge über die medizinische Be¬ 
rechtigung zur Vornahme des künstlichen Aborts und die sich in 
der Berliner medizinischen Gesellschaft daraii schliessende Aus¬ 
sprache haben in dieser zurzeit so aktuellen Frage in mehrfacher 
Beziehung klärend gewirkt; und das war nötig. Schon in den 
letzten Jahren vor dem Krieg batte die Häufigkeit des künst¬ 
lichen Aborts gegen früher enorm zugenommen. Wir Aerzte 
dürfen ehrlich gestehen, dass wir im Eifer für die Tuberkulose¬ 
fürsorge dazu gelangten, etwas laxere Grundsätze aufzustellen und 
den Vorschlägen der internen Aerzte leichter nachzugeben. 
Laxere Grundsätze der Aerztewelt wirken natürlich ansteckend 
aufs Publikum. Gegenüber der Tuberkulose als Indikation treten 
ja für den Arzt alle andern weit, weit zurück: So die Einleitung 
bei Herzfehler, Nierenerkrankung, Psychosen, enorm selten beiHyper- 
emesis, Chorea. Beim Publikum dagegen waren es vor dem Krieg 
sowohl in den höheren als in Arbeiterkreisen fast ausschliesslich 
soziale Indikationen, die für Entscheid zu künstlichem Abort 
herangeholt wurden: Indikationen, für welche'sich leider zurzeit 
in der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie in 
Strassburg Stimmen erhoben haben, und die auch jetzt wieder in 
Berlin nicht fehlten. 

Den klaren und sachgemässen Ausführungen des Herrn 
Kahl kann wohl jeder Arzt zustimmen, in der Form, dass 
„Unterbrechung der Schwangerschaft straflos ist, wenn sie vom 
approbierten Arzt aus medizinischer Indikation zur Rettung 
der Mutter aus Lebensgefahr oder Abwendung schwerer Gesund- 
beitsschädigung nach den Regeln der Wissenschaft vorgenommen 
wird“. 

Unter diese Auffassung können wir alle unsere Indikationen 
unterbringen. Und strenge Sichtung tut not; denn nicht nur die 
kriminellen Aborte (100 000 im Jahr), sondern auch die von 
Aerzten auf medizinische Indikation bin ein geleiteten, haben 
wesentlich zugenommen. Ich halte die Zahl 3000 pro Jahr, 
welche Bumm dafür angibt, für viel zu gering; hat doch nach¬ 
weislich der folgenden Aussprache ein einziger Berliner Arzt in 
7 Jahren 168 künstliche Unterbrechungen vorgenommen, also 
24 pro Jahr. 

Wie wichtig die Beratung des Internisten für uns ist, zeigen 
die Darlegungen des Herrn Kraus. Man soll daran festhalten, 
dass für die Frage der Einleitung des Aborts bei Tuberkulose 
der Internist für die Diagnose und Prognose Berater sein soll. 
Doch trifft nicht der Internist den endgültigen Entscheid, sondern 
der Geburtshelfer nach dem Urteil des Internisten. 

In einem Punkte dagegen können wir Geburtshelfer Herrn 
Kraus nicht zustimmen, wenn er meint, dass die Tuberkulose 
nicht regelmässig auf die Schwangerschaft einen schädigenden 
Einfluss ausübe. Ich erinnere an die vermehrte Zahl der Aborte, 
ebenso der Fehl- und Frühgeburten, an die schlechte Wehen¬ 
tätigkeit in der Geburt, die Neigung zu Blutungen in der Nach¬ 
geburtszeit, das vermehrte Auftreten von Fieber im Wochenbett. 

Die Fälle werden meines Erachtens selten sein, in welchen 
nach künstlichem Abort die Krankheit still steht und sich nicht 
mehr wiederholt. Nach gegenteiligen Erfahrungen bin ich viel 
mehr geneigt, wenn ich einmal bei manifester Tuberkulose mich 
zum Abort entschliesse, dann auch durch Sterilisation weiteren 
Schwangerschaften vorzubeugen; sonst kommt man in die unbe¬ 
queme Situation, nach Jahresfrist bei derselben Kranken die Ope¬ 
ration wiederholen zu müssen. Eine bestimmte Zeit für den 


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882 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Abort kann man nicht feststellen, d. h. ihn auf die ersten 
16 Wochen beschränken. Je nach dem Auftreten der drohenden 
Symptome wird man einmal künstlichen Abort machen, ein ander¬ 
mal Fehl- oder Frühgeburt einleiten. 

Neben der Lungentuberkulose spielt die chronische Nieren- 
erkraokung, zu welcher Schwangerschaft hinzutritt, die wichtigste 
Rolle. Zum Glück tritt hier häufig spontan Abort auf, nach 
Kraus angeblich in 10 pCt. der] Fälle: Ich habe schon vor 
Jahren nachgewiesen, dass es bei chronischer Nephritis durch 
Schwangerschaft verschlimmert häufig zu habituellem Abort kommt. 

Dagegen kann ich mich mit dem Vorschlag von Kraus 
nicht befreunden, dass man bei Osteomalazie Kastration in gravi- 
ditate machen soll. Dabei riskiert man spontane Unterbrechung 
der Schwangerschaft und entgeht doch nicht später dem Kaiser¬ 
schnitt; also besser abwarten unter symptomatischer Therapie 
(Phosphortabletten, Adrenalin, Salzbäder) und später Porro. Die 
Ausführung des künstlichen Aborts bei Beckenenge betrachte ich 
bei der günstigen Prognose des Kaiserschnitts geradezu als Kunst¬ 
fehler. 

Ich vermisse die berechtigteste Indikation: bei Karzinom des 
Uterus mit Schwangerschaft kompliziert, das kindliche Leben zu 
opfern; allerdings nicht in der Form des künstlichen Aborts, 
sondern durch Totalexstirpation des schwangeren Uterus in frühen 
Monaten. 

Auch das Votum des Psychiaters hat Klarheit geschaffen: 
Es besteht nach ihm keine spezifische Generationspsychose; 
Suizidgefahr und Nahrungsmittelverweigerung gibt keine Indi¬ 
kation. Diese Sätze müssen wir uns merken. Nur bei psycho¬ 
genen Erkrankungen und Tokophobien kommt der künstliche 
Abort in seltenen Fällen in Frage. Hier müssen wir das Urteil 
des Psychiaters in jedem einzelnen Fall einholen. 

Die Neigung, die vielfach in der Aussprache herrschte, die 
Indikation für Einleitung des künstlichen Aborts Tuberkulöser 
bei Wohlhabenden anders zu stellen als bei Armen, ist im Prinzip 
energisch zu bekämpfen. Damit kommen wir gerade auf die 
soziale Indikation. Jeder Fall ist individuell zu entscheiden, und 
so wird man praktisch bei gleicher Schwere der Lungenerkran¬ 
kung bei schlecht ernährten Armen sich eher zum Abort ent¬ 
schlossen als bei Wohlhabenden. Dem Armen kann heutzutage, 
wenn die Indikation vorliegt, so gut wie dem Reichen ein Sana¬ 
toriumsaufenthalt von der Gemeinde, von der Krankenkasse, von 
der Landesversicherung gewährt werden. Die eugenetische Indi¬ 
kation ist wohl allgemein abgetan. 

Mit Recht wird mehrfach betont, dass Appendizitis keine 
Indikation für Einleitung des künstlichen Aborts geben darf, 
sondern dass in der Schwangerschaft schon bei leichten Sym¬ 
ptomen der Appendizitis frühzeitige Operation anzustreben ist. 

Das Gebot, dass zur Einleitung eines künstlichen Aborts 
stets das Votum zweier Aerzte nötig sein soll, stösst merk¬ 
würdigerweise auf den grössten Widerstand von seiten der Aerzte 
und lässt sich doch eigentlich nicht so schwer durchführen. Der 
Kliniker zieht ohnehin stets seinen Fachkollegen zu; der tüchtige 
praktische Arzt wohl auch. Scheut sich aber der Arzt, sein 
Handeln anderen mitzuteilen, so wird er wohl immer Mittel und 
Wege finden, es zu verbergen. 

Dagegen verstehe ich nicht, warum die Majorität der Berliner 
medizinischen Gesellschaft sich für Ablehnung der Anzeigepflicht 
erklärt hat. Damit braucht kein ärztliches Geheimnis verletzt 
zu werden. Der Staat bat doch ein Recht darauf, zu wissen, wer 
geboren ist, ebenso wer gestorben ist. Warum sollte er nicht 
auch erfahren dürfen, wenn der Arzt es für richtig hält, durch 
Einleitung des Abort9 die Möglichkeit der Geburt abzuschneiden. 
Dieses Verlangen des Staates ist meines Erachtens nur die 
logische Konsequenz des § 4 des vorgeschlagenen Gesetzes gegen 
die Verhinderung von Geburten. 

Wir zeigen doch Kindbettfieber an, ebenso die verschiedensten 
infektiösen Erkrankungen; wir geben unsere Impfungen an, warum 
nicht die künstlichen Aborte? Dadurch wird jedenfalls dem 
Missbrauch mit dieser Operation vorgebeugt. Daneben ist günstig, 
was von einer Seite hervorgehoben wurde, dass der Staat dadurch 
in den Stand gesetzt wird, z. B. bei der Tuberkulose dem Erfolg 
des künstlichen Aborts nachzuforschen. 

Ziehen wir das Ergebnis aus den vier Vorträgen und der 
Aussprache, so ist nicht zu verkennen, dass durch sie dem plan- 
und indikationslosen Einleiten des künstlichen Aborts von Aerzten 
ein kräftiges Halt geboten wird. Die soziale Indikation ist fast 
allerseits verworfen. Nun hat der Staat zu entscheiden, ob er 
die Anzeigepflicht für Aerzte einführen will oder nicht. 


Wir Aerzte haben doch alle die Pflicht, bevölkerungspolitische 
Ziele zu unterstützen. Das hier behandelte ist nur ein kleines. 
Noch harrt die energische Bekämpfung der kriminellen Aborte 
und die Bekämpfung der Sterilität in der Ehe durch Einbolen 
eines Gesundheitszeugnisses von Seiten des Ehekandidaten der 
Lösung. 


• Bücherbesprechungen. 

Aufrecht: Zur Pathologie und Therapie der diffusen Nephritiden. 

Berl'n 1918, A. Hirsehwald. 124 S. mit 18 Textfiguren. 

Wollte man Aufrecht’s Arbeit, in der der Verfasser auf engem 
Raum eine ausserordentliche Fülle von Ergebnissen eigener Versuche 
und Beobachtungen zusammen drängt, vollauf gerecht werden, so müsste 
man sie Punkt für Punkt mit den jetzt so vielfach erörterten Ansichten 
der neuesten Autoren wie Volhardt-Fahr, Strauss, Umber, Klem- 
perer, Hirsch feid u. a. in Vergleich stellen. Hierauf muss im 
Rahmen einer kurzen Anzeige verzichtet werden — was um so eher 
gestattet sein mag, als alle diese Fragen ja erst vor kurzem und wieder¬ 
holt hier besprochen und daher unseren Lesern geläufig sind. Ich be¬ 
schränke mich daher auf eine Angabe des wesentlichsten Inhalts von 
Aufrecht’s Buche. 

Er geht davon aus, dass auch heut nooh (vielleicht mehr als je!) 
das Wort „Nephrose“ keinen klar abgegrenzten Begriff umfasse; mit 
der Beschränkung, dass es sich hier um degenerative Vorgänge — 
im Gegensatz zu entzündlichen — handle, komme man nicht aus, viel¬ 
mehr spiele stets die Regeneration eine wesentliche Rolle, und zwar 
nicht bloss der Epithelien, sondern auch des interstitiellen Gewebes, 
wie dies Weigert bereits vor vielen Jahren hervorhob. Als Beweise 
dafür bringt er die Vorgänge nach Stielunterbindung, Ureterunterbindung, 
Phosphor-, Chrom- und Subiimatvergiftung bei, bei welch allen die Epi¬ 
thelien nicht vollständig zugrunde gehen, nur koagulationsnekrotisch 
werden, aber eine Neubildung von der Membrana propria der Harn¬ 
kanälchen einsetzt. Aufrecht spricht daher hier, ebenso bei Gravi¬ 
dität«-, Pneumonie- und Erkältungsnephritis von tubulären Formen 
im Gegensatz zu den vaskulären — ihr Ausgang ist in grosse weisse 
oder gesprenkelte (bunte) Nieren, seltener in weisse Sohrumpfnieren. 

Die vaskulären Formen betreffen anscheinend zunächst die Glo- 
meruli — so z. B. bei Soharlach — aber keineswegs sie allein, viel¬ 
mehr sind stets auch die Vasa afferentia erkrankt; später beteiligen 
sich auch hier die Epithelzellen der Tubuli contorti — erst dann tritt, 
wie A. annimmt, Albuminurie und Oedem hinzu. Unter diese Rubrik 
fallen auch die Nephritiden nach Diphtherie, Masern, Ruhr sowie die 
sogenannte Kriegsnephritis, deren Aetiologie im einzelnen noch un¬ 
klar ist, die aber wahrscheinlich mit einer Unterdrückung der Haut- 
funktion zusammenhängt; schon die initiale Poly- und Pollakiurie führt 
Aufreoht hierauf zurück. 

Die „genuine Schrumpfniere“ endlich leitet Aufrecht von 
einer hyalinen Degeneration der kleinsten Gefässe ab; die Harnkanälchen 
sind anfangs nicht beteiligt, daher keine Albuminurie. Ihr anatomisches 
Endbild ist die rote, fein granulierte Niere. 

Betreffs c^er Harnzylinder hält Verf. an seiner öfters betonten 
Anschauung fest, dass sie nicht Gerinnungsprodukte aus abgeson¬ 
dertem Eiweiss sind, sondern lediglich der Sekretion der Epithelzellen 
entstammen (was Ref. heut so wenig, wie vor 38 Jahren als unbedingt 
zutreffend anerkennen kann). Beachtenswert aber ist sein, ebenfalls schon 
öfter geäusserter Hinweis auf die hohe Bedeutung der Zylinder als Ab- 
fiusshindernis, wofür die Erweiterung der Harnkanälchen in ihrem Ober¬ 
lauf deutlich zeugt. 

Da die oben erwähnte hyaline Degeneration der kleinen Arterien 
nicht bloss an der Niere sich abspielt, so wird sie auch als ursächliches 
Moment für Herzhypertrophie sowie auch für Hautödem in An¬ 
spruch genommen. 

Aus den therapeutischen Bemerkungen ist besonders Aufrechtes 
Gegnerschaft gegen Diuretika und Diaphoretika bei der akuten Nephritis 
zu beachten — er beschränkt sich lediglich auf diätetische Maass¬ 
nahmen zur Nierenschonung, d. h. Darreichung von Getränken, Hafer¬ 
grütze, Griess, Mehl, Obst, Gelees — selbst Mi loh hält er bekanntlich, 
ihres Stickstoffreichtums wegen, wie Hirsohfeld u. a. für ungeeignet 
zur Nephritikerkost. Bei der Scbrumpfniere muss ebenfalls eiweissarme 
Kost gegeben werden, daneben, je nach dem Zustand des Herzens, 
Digitalis — bei Oligurie Wildunger Wasser. Betreffs der koohsalzarmen 
Diät bei Oedem teilt er im wesentlichen den Standpunkt von Strauss. 

Die gründliche und nach vielen Richtungen hin anregende, wenn 
auch nicht abschliessende, Arbeit des seit langer Zeit auf diesem Ge¬ 
biet tätigen Forschers wird sicherlich überall das gebührende Interesse 
der Pathologen und Aerzte erwecken. 

P. Fürbringer: Zar Frage der traaMatisehea Niereataberkalose. Sep.-A. 
aus der Zschr. f. Tbo., Bd. 27. 

Die praktisch so wichtige Frage, ob unter den Ursachen, oder 
besser gesagt unter den auslösenden Momenten der Nierentuber¬ 
kulose das Trauma eine Rolle spielt, wird von Fürbringer unter 
Berücksichtigung eines eigenen Obergutachtens erörtert. Es ist dabei, wie 
er mit Recht hervorhebt, zunächst zu beachten, dass diese Entstehungs¬ 
art überhaupt nur selten in Betracht gezogen wird — selten nament- 


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22. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


388 


lioh im Verhältnis zu der grossen Häufigkeit der Nierentuberknlose. 
Ueberblickt man die vorliegende Literatur — die Fürbringer ziemlioh 
vollständig anführt — so wird man zunächst die etwa in Betracht 
kommenden Fälle in zwei Gruppen teilen: solche, in denen das Trauma 
direkt auf die Niere (oder ihre Umgebung) eingewirkt hat, und solohe, 
in denen ein anderes Organ betroffen wurde. An der ersterwähnten 
Möglichkeit ist nicht zu zweifeln — ausser den im Text angegebenen 
Fällen spricht in diesem Sinne z. B. auch eine Beobachtung von Mu- 
rard (Lyon m6d. 1913), in welcher sich an einen Sturz vom Pferde 
Psoasabszess und Perinephritis, endlich schwere kavernöse Nierentuber¬ 
kulose anschloss — man kommt in allen solchen Fällen mit der An¬ 
nahme aus, dass die verletzte Niere den Locus minoris resistentiae ge¬ 
bildet hat, in dem die Bazillen Gelegenheit zur Ansiedelung fanden; 
in diesem Sinne sprechen auch Orth’s bekannte Tierversuche. 

Schwieriger liegt die Entscheidung, wenn es sioh, wie im Falle Für- 
bringer’s, um eine Hodenquetsohung handelt, der zunäohst 
Hodentuberkulose, wesentlich später Nierentuberkulose folgte. Für¬ 
bringer verneint den Zusammenhang, namentlich weil das etwaige 
Zwischenglied einer Blasentuberkulose fehlte (wie die Sektion erwies) — 
eine Aszension des Prozesses, an sioh bekanntlich nach Baumgarten’s 
Versuchen unwahrscheinlich, war also ausgeschlossen. Es bliebe nur 
die Möglichkeit, dass die Bazillen von den Hoden aus den Blutkreislauf 
und somit die Niere infiziert haben; dies sei abzulehnen, weil die Lungen 
gesund geblieben sind. Für bringer schloss vielmehr dass Nieren- und 
Hodentuberkulose sich unabhängig voneinander entwickelt haben. Dieser 
Schluss hat gewiss viel für sich — sind ja auch klinisch solche Fälle 
gleichzeitigen Bestehens von Hoden- und Nierentuberkulose ohne un¬ 
mittelbaren Zusammenhang bekannt (Israel). Immerhin kann, wie mir 
scheint, die Möglichkeit eines Transports von Bazillen aus den Hoden 
durch den Kreislauf in die Niere nicht ganz von der Hand gewiesen 
werden. Ganz abgesehen davon, dass, naoh Pels-Leusden’s Experi¬ 
menten, kleine bazillenhaltige Emboli die Lungenkapillaren passieren 
können, möchte ich die mögliche Rolle der Lymphgefässe zu be¬ 
denken geben — sie führen (wie Samawura gezeigt hat) vom Hoden 
zu den Drüsen der Vena oava inferior, vom Nebenhoden zu den an der 
Vena hypogastrica belogenen — und wenn auch Brongersma’s An¬ 
nahme, dass die Nieren vorwiegend auf dem Lymphwege infiziert werden, 
wohl zu einseitig ist, muss doch mit der Möglichkeit einer Infektion von 
dort aus gerechnet werden. Es wäre wünschenswert, wenn Pürbringer’s 
interessante Mitteilung zu weiterer Kasuistik auf diesem Gebiet Anlass 
geben würde, damit der Rechtsprechung eine sicherere Unterlage ge¬ 
schaffen werde. Posner. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

Th. v. Fellenberg: Ueber den Nachweis und die Bestimmung des 
Methylalkohols, sein Vorkommen in den versehiedeaen Nahrings* 
Mitteln und das Verhalten der methylalkoholhaltigen Nahrungsmittel im 
Organismus. (Biochem. Zschr., 1918, Bd. 85, H. 1 u. 2, S. 45.) Verf. be¬ 
schreibt Nachweis und Bestimmung des Methylalkohols in alkoholischer 
Lösung, ein Anreicherungsverfahren für Methylalkopol zum Nachweis 
kleinster Mengen, bespricht den Ursprung des Methylalkohols in Trink¬ 
branntweinen und die Bestimmung des Methylalkohols in pektinhaltigen 
Nahrungsmitteln. Die letzten Kapitel behandeln das festgebundene 
Methoxyl (Lignin und Suberin) und seine Bestimmung, sowie das Vor¬ 
halten des Pektin-Methylalkohols im Organismus. In den Trinkbrannt¬ 
weinen ist das Pektin die Mattersubstanz des Methylalkohols. Das 
Pektin kommt in unreifen Früchten in unlöslicher Form als Pektose 
vor. Bei der Reife verwandelt sich das Pektin zum grossen Teil durch 
einen hydrolytischen Prozess in kolloidal lösliches Pektin. Bei der 
Ueberreife, z. B. dem Teigwerden der Birnen und beim Faulen der 
Früchte wird das Pektin durch das Enzym Pektase in Pektinsäure und 
Methylalkohol zerlegt. Auch beim Stehenlassen von Fruchtsäften, also 
auch bei der Gärung, ist dieses Enzym wirksam. Der auf diese Weise 
in Wein gelangende Methylalkohol macht stets weniger als 1 pCt. des 
Gesamtalkohols aus. Bai Tresterweinen ist das Verhältnis ein ganz 
anderes, ln den Pressrückständen findet sioh das gesamte unveränderte 
Protopektin, das bei der Vergärung in Pektinsäure mit Methylalkohol 
übergeht. Man findet daher in den Tresterweinen bis zu 40 pCt. Methyl¬ 
alkohol. Da aber durch den üblichen Zuckerzusatz der Methylalkohol 
bedeutend vermehrt wird, wird der Prozentsatz des Methylalkohols auf 
das gewöhnliche Maass herabgedrüokt. Da Pektin sonach erhebliche 
Mengen Methylalkohol in veresterter, leicht abspaltbarer Form enthält, 
nehmen wir zweifellos täglich mit manchen Speisen, wie Gemüse und 
Früchte, gewisse Mengen Methylalkohol zu uns. In Versuchen an Meer¬ 
schweinchen stellte Verf. fest, dass der Methylalkohol, der in Form von 
Pektin eingenommen wird, nicht mit den Fäkalien ausgeschieden wird. 
In Versuchen am Menschen wurde festgestellt, dass bei pektinfreier 
Kost sehr kleine Mengen Methylalkohol im Harn ausgeschieden werden. 
Bei mässig pektinhaltiger Kost steigt der Gehalt auf das Mehrfache an. 
Dabei war es gleichgültig, ob das Pektin in Form von Gemüse oder 
Obst, ob in roher oder in gekochter Form genossen wurde. Der Methyl¬ 
alkohol wird also aus dem Pektin nioht nur durch die in der Nahrung 
enthaltene Pektase, sondern auch durch die Verdauungssäfte des Orga¬ 


nismus in Freiheit gesetzt. Bei ausschliesslicher Obstkost steigt der 
Methylalkoholgehalt des Harns weit über das normale Maass. Genuss 
von Aethylalkohol bewirkt bei pektinhaltiger Kost eine bedeutende Er¬ 
höhung des Methylalkoholgehalts. Die kombinierte Wirkung des Methyl- 
und Aethylalkohols erklärt Verf. damit, dass die Verbrennung des 
Aethylalkohols die des Methylalkohols erschwert. Bei mässiger Zufuhr 
von Pektinstoffen wird der grösste Teil des Methylalkohols im Orga¬ 
nismus verbrannt. Grössere Mengen Methylalkohol treten im Harn auf 
naoh Genuss von Branntweinen mit hohem Gehalt an Methylalkohol, 
vor allem nach Genuss von Obsttresterbranntweinen. In der Schweiz 
werden die häufigen Erkrankungen der Sehorgane auf den weit ver¬ 
breiteten Genuss von Obsttresterweinen zurückgeführt. 

Th. v. Feilenberg: Ueber die Konstitution der Pektinkörper. 
(Biochem. Zschr., 1918, Bd. 85, H. 1 u. 2, S. 118.) Wegen der Beziehung 
der Methylalkoholbildung zum Pektin unterzog Verf. letzteren Stoff einer 
eingehenden Uotersuchung, und zwar beschäftigt sich die Darstellung 
mit den drei ersten Gliedern der Pektinreihe, der Pektose (Protopektin), 
dem Pektin und der Pektinsäure. 

T. Baumgärtel: Ueber die spektroskopisch*quantitative Bestim¬ 
mung des Urochromogen8. (Biochem. Zschr., 1918, Bd. 85, H. 1 u. 2, 
S. 162.) Das Urochromogen kann durch spektro-analytische Titration 
quantitativ bestimmt werden, und zwar mittels m / l0 - bzw. n /i 0 o-KMn 0 4 - 
Lösung. Die Permanganatirerte lassen bei Typhus und Paratyphus 
einen Zusammenhang von Diazo und Temperatur, Milztumor und Erythro- 
zytolyse vermuten. Bei Typhus abdominadis und der typhösen Form 
des Paratyphus-B ist die Permanganatkurve im allgemeinen der Tempe¬ 
ratur entsprechend staffelförmig auf- und absteigend. Bei Paratyphus-A 
bewegen sich die Permanganatwerte meist in einer steilen, kurzen Kurve. 
Bei den enteritisohen Formen des Paratypbus-B kann kein Urochromogen 
nachgewiesen werden. _ Lewin. 


Pharmakologie. 

R. Bieling: Ueber die Desinfektionswirknng von Chinaalkaloiden 
auf pathogene Bazillen. (Biochem. Zschr., 1918, Bd. 85, H. 3—4, S. 188.) 
Aus den Versuchen des Verf. geht hervor, dass die Wirkung des Eukupins 
und des Isoktylhydrokupreins auf Diphtherie, Gasbrand-, Milzbrand- und 
Tetanusbazillen als spezifische Desintektionswirkung anzusehen ist, und 
nicht auf einer allgemeinen, unspezifisohen Giftwirkung auf lebende 
Organismen schlechthin beruht. So nur erklärt es sich nämlich, dass 
der empfindliche Typhusbazillus selbst in Verdünnungen 1:1000 noch 
wachsen kann, während andererseits sporenhaltige Bazillen wie der 
Gasbrand*, Milzbrand- und Tetanusbazillus selbst durch 40 mal kleinere 
Konzentrationen abgetötet werden. Relativ unempfindlich gegenüber der 
Hydrochininreihe sind der Typhusbazillus, der Paratyphus-, Koli-, 
Dysenteriebazillus, der Bacillus Pyocyanens, der Bacillus pneumoniae 
Friedlaender. Als empfindlich erwiesen sich der Diphtheriebazillus, der 
Gasbrand-, Tetanus- und Milzbrandbazillus; desgleichen Pneumokokken, 
Streptokokken, Staphylokokken, Mennigokokken und der Microoocous 
melitensis. Den Gliedern der homologen Hydrochininreihe mit 5—8 
Kohlenstoffatomen in der Seitenkette kommt eine beträchtliche des¬ 
infizierende Wirkung auf verschiedene pathogene Bakterien zu. Die hier 
erreichten Desinfektions werte übertreffen bei weitem diejenigen der un- 
spezifischen äusseren Desinfizientien, wie z. B. des Sublimats. Sie unter¬ 
scheiden sich von diesen auch dadurch, dass sie auch bei Eiweisszusatz, 
sowie im infektionsempfänglichen Organismus wirksam bleiben und 
charakterisieren sioh damit als innere Desinfizientien im Sinne Ehrliche. 
Nur Optochin übertrifft ihre Wirkungsgrösse. Von theoretischer Be¬ 
deutung ist es, dass die Wirkung der Amyl- und Oktylverbindung auf 
die Organismen dnroh eine Reihe chemischer Einflüsse im Molekül nicht 
gestört wird. Lewin. 

Boruttau-Berlin: Die therapeutische Verwendbarkeit der Breil- 
kateehinmonoaietsfiore and ihrer Verbindungen. D.m.W., 1918, Nr. 9.) 
Die Brenzkateobinmonoazetsäure ist dem Guajakol, aber auch der 
Salizylsäure und Azetylsalizylsäure ähnlich, ohne deren Nachteile zu 
haben. Ein Kalksalz der Brenzkatechinmonoazetsäure wird von der 
Fabrik Bram als „Calcibram“ in den Handel gebracht. Es ist ein 
antipyretisohes, antiphlogistisches und sedatives Mittel. Ein Doppelsalz 
der Brenzkatechinmonoazetsäure und der Diäthylbarbitursäure unter 
dem Namen „Combinal* dürfte bei der Bekämpfung von durch Er¬ 
krankungen der Atmungswege bedingten Schlafbeeinträohtigung erfolg¬ 
reich sein. _ Dünner. 


Therapie. 

E. Bürgi-Bem*. Das Chlorophyll als hlatbildeades «ad be¬ 
lobendes Agens. (Ther. Mh. 32. Jahrg., Jan. u. Febr. 1918.) Ausführ¬ 
liche theoretische Erörterung der chemischen Möglichkeit und Wahrschein¬ 
lichkeit der Blutbildung aus Blattgrün, Mitteilung der Ergebnisse tier¬ 
experimenteller Untersuchungen, sowie der Beobachtungen über die Wir¬ 
kung von Ohlorophyllpräparaten auf den Menschen, insbesondere an 
Chlorose und sekundärer Anämie leidende Patienten. Chlorophyll be¬ 
sitzt, besonders in der Kombination mit Eisen, starke blutbildende 
Kraft, wirkt anregend und belebend, verstärkt die Herztätigkeit und 
regt die Darmsekretion und Peristaltik an. Unter dem Namen Chlo- 
rosan-Bürgi ist ein Chlorophyll-Eisenpräparat im Handel erschienen, 
welches sioh bei Chlorose und Anämie duroh Hebung des Allgemein¬ 
befindens, Steigerung des Hämoglobingehalts und der Erythrozytenzahl 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


bewährt hat. Ein ungewöhnlich günstiger Effekt wurde mit Chloros&n 
bei Tuberkulösen durch starke Besserung des Allgemeinbefindens, vor- 
zügliohe Erfolge bei Arteriosklerose durch Herabminderung des Blut¬ 
drucks und der subjektiven Beschwerden erzielt. Die durchschnittliche 
Tagesdosis beträgt 3 mal täglich 2 Tabletten, nur für schwere Fälle 
werden 8 mal 3 Tabletten empfohlen. Dauer der Kur etwa 6 Wochen. 

Bertkau. 

F. Bendel-Essen: Bll bas Scillae, ein zu Unrecht vernachlässigtes 
Herzmittel. (Ther. d. Gegenw., März 1918. 2. Fortsetzung. Günstige 
Erfolge mit Bulbus Scillae bei Aortenfehlern und bei Myokarditis uud 
Arteriosklerose. R. Fabian. 

S. Altstaedt-Hamburg: Behandlung von Nieren- and Peritoneal- 
tnberknlo8e dirch aktive Immunisierung nach Deyeke-Much. (Zschr. 
L Tbc., Bd. 28, H. 6, S. 870—408.) Bericht über 16 Fälle von Nieren¬ 
tuberkulose und 11 Fälle von Bauchfelltuberkulose. Von den Nieren¬ 
tuberkulosen wurden 9 Fälle geheilt, 5 wesentlich gebessert, 2 mit 
fehlendem Erfolg behandelt. Von den Bauchfelltuberkulosen wurden 
8 Fälle geheilt, 2 wesentlich gebessert, einer ungehei 1t. Die Kranken¬ 
geschichten werden in der nötigen und dankenswerten Ausführlichkeit 
gebracht. Die Erfolge — die entschieden einen sehr bemerkenswerten 
Eindruck machen — wurden lediglich durch die Deycke- M uoh’sehe 
Behandlung erzielt, andere Behandlungsverfahren ausser hygienisch- 
diätetischer Behandlung, wurden nicht verwandt. H. Grau-Honnef. 

Roth: Erfahrungen mit der Tnberkalintherapie. (W.kl.W., 1918, 
Nr. 4.) Die Versuche wurden sowohl mit AlttuDerkulin wie mit Be- 
ranek’schem Tuberkulin vorgenommen. Eine mit genügender Vorsicht 
durchgeführte Tuberkulinkur ist unschädlich, und wirkt aller Wahr¬ 
scheinlichkeit auch auf die Heilung fördernd ein. H. Hirschfeld. 

F. Loewenthal-Nürnberg: Konibaien bei Darmerkraaknngea im 
Felde. (Ther. d. Gegenw., März 1918.) Günstige Erfahrungen bei akut 
einsetzenden Gastroenteritiden, bei Gärungsdyspepsien, trotzdem keine 
entsprechende Diät beobachtet werden konnte. Dosis 3 mal 1,0 pro die 
in Tabletten. Kombalen besteht aus Resaldol, welches schmerz- und 
krampfstillend ist, und aus Etelen, welches eine adstringierende Wir¬ 
kung besitzt R. Fabian. 

L. Seitz und H. Wintz: 11. Erfahrungen mit der Rtiatgenbestrah- 
IMS des Geb&nautterkrebses, kombiaiert mit Radmmbehandiug. 
(M.m.W., 1918, Nr. 8.) Die erzielten Resultate mit der Wertheim- 
schen Operation und mit der kombinierten Bestrahlung verhielten sich 
wie 43 zu 46 pCt. der noch Lebenden, trotzdem zur Bestrahlung bis¬ 
her viel ungünstigere Fälle ausgewähit waren. Aut Grund dieser Er¬ 
fahrungen wollen Verf. auch gut operable Uteruskarzinome nicht mehr 
operieren. Geppert. 

W. Schultz -Charlottenburg: Ueber Serotherapie des Scharlachs. 
(Ther. Mh., 82. Jabrg., Jan. u. Febr. 1918.) Intravenöse Injektion von 
Normalserum, Rekonvaleszentenserum oder einer Mischung beider er¬ 
zielte bei Scharlach durchschnittlich in mehr als der Halite der Fälle 
innerhalb weniger Stunden Temperatursenkung von 2° C. und mehr mit 
gleichzeitigem Rückgang von Allgemeinerscheinungen, Kupierung der 
Krankheit oder wenigstens ganz intensive und nachhaltige Tiefer- 
einstellung der Temperaturkurve. Rekonvaleszentenserum bewirkte diesen 
Erfolg in last % der Fälle. Die Erfolge wurden mit steigender Serum¬ 
menge besser; mit 40—60 ccm wurde in 78,2 pCt. der Behandelten ein 
prompter und nachhaltiger Erfolg erzielt. Wiederholt beobachtete mehr 
oder weniger schwere Nebenerscheinungen (Kollapse) lassen sich ver¬ 
meiden duroh BeobachtuLg der schon nach */«—1 Stunde eintretenden 
Reaktion auf eine intravenöse „Vorinjektion“ von 3—5 ccm. Bezüglich 
der Indikation wird empfohlen, innerhalb der ersten 3 mal 24 Stunden 
Serum zu spritzen, wenn die Erkrankung schwer ist, hooh fieberhaft 
verläuft und. durch einfaohe Maassnahmen niont nennenswert beein¬ 
flusst wird. Nicht warten bis zur vollen Entwicklung des Bildes der 
septischen Intoxikation, da hier viele Versager. 

F. Pr inzing-Charlotten bürg: Bemerkungen über Komplikationen 
nnd Nachkrankheiten des Scharlachs bei Sernmtherapie. (Ther. Mh., 
32. Jahrg., Jan. u. Febr. 1918.) An Lymphadenitis colli erkrankten von 
nichtinjizierten Scharlachkranken 34,6 pCt., von injizierten 15,5 pCt., 
an Otitis media 10,8:9,3 pCt., an Glomerulonephritis 18,9:8,2 pCt. 
Danach soheint die Serumtherapie auch für die Scharlachfolgen „ge¬ 
wisse Chancen" zu bieten. Bertkau. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

G. B. Grub er: Technische Kleinigkeiten für Sekanten. (Zbl. f. 
Path., 1917, Bd. 28, Nr. 23.) 1. Ersatz armlanger Sektionshandschuhe 

duroh Stulpen aus Battiststoff. 2. Vereinfachtes Instrumentarium für 
Eröffnung des Wirbelkanals. So ein. 

L.Aschoff: Ueber die Bedeutung der Kriegspathologie. (D. militärztl. 
Zschr., 1918, H. 5 u. 6.) Der militärische Prosektor muss dem Chirurgen 
und Inneren Kliniker alle intra vitam unklar gebliebenen Fälle durch 
die Leichenöffnung klären, der Therapie derselben die richtigen Wege 
weisen und die Einwirkungen der durch den Krieg bedingten äusseren 
Umstände feststellen. Mitteilungen über das Studium der Schussver¬ 
letzungen, pathologisch-anatomische Studien im dem Kampf gegen Tetanus 
und Gasödem, Kriegskrankheiten und Kriegsseuchen, Feldnephritis, Ab¬ 
stürze, Verschüttungen und Gasvergiftungen. Verf. erwähnt die Be¬ 
deutung der Tätigkeit des Pathologen in der Beurteilung der Dienst- 


besohädigungsfrage. Eine weit über die Grenzen des Krieges hinausgeheude 
Arbeit, welche die pathologische Anatomie jedoch nur im Kriege voll¬ 
bringen kann, ist die Erforschung der Konstitution, das Studium 
der verschiedensten Konstitutionsformen. Aus der Fülle der Probleme 
erwähnt Verf. das der Arteriosklerose und der lymphatischen Diathese; 
Mitteilung wertvoller Beobachtungen. Mit der letzteren hängen wieder 
viele Fragen der kriegsgerichtlichen und gerichtlichen Medizin zusammen. 
Die wirkliche Bedeutung der Untersuchungen der Organe unter natür¬ 
lichen Verhältnissen, d. h. bei alsbaldiger Fixierung nach dem Tode 
kann man m der kriegspathologischen Sammlung der Kaiser Wilhelms- 
Akademie (Berlin) weitgehendst studieren. Sohnütgen. 

Gioseffi-Triest: Bilaterale aigeboreae Aaophthalnie Bit Bia- 
angion des rechtes unteren Augenlides. (D.m.W., 1918, Nr. 9.) 

Dünner. 

H. Rheder: Ueber die Doehle’schen Leukoiyteneinsekltsse. 
(2. Mitteilung.) (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 124, H, 3 u. 4.) Es 
gibt „Leukozyteneinschlüsse", weiche Reaktionsprodukte des Protoplasmas 
auf toxische, vom Krankheitsvirus ausgehende Reize sind und deren In¬ 
tensität von der Art und von der Schwere der Krankheit abhängt. Die 
Doehle’sohe Ansicht, dass unter den Leukozytenansohlüssen spirochäten¬ 
ähnliche Protozoen Vorkommen, bedarf noch weiterer Untersuchungen. 

Eichhorst: Ueber Veränderungen in der Hypophysis cerebri bei 
Kretinismus uud Myxodea. (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 124, H. 3 
u. 4.) Untersuchung der Hypophyse bei einem Falle von Myxödem mit 
kretinoiden Veränderungen. Die Veränderungen in der Schilddrüse, 
welche zum Myxödem führten, rufen zuerst eine gesteigerte Tätigkeit der 
Drüsenzellen und dann eine Umlangszunahme der Hypophysis hervor. 
Sie beruht auf einer Hyperplasie des Vorder- oder Drüsenlappens. Dazu 
gesellt sich starke Hyperämie (und Blutungen) der Drüse. An den 
Drüsenzellen kommt es teils zu Vergrösseruug und Kolloidentartung, 
teils zu Untergang der chromophilen Zellen und Ersatz durch Zellen, 
welche Hauptzeheu oder auoü den sog. Schwangerschaftszellen gleichen. 
Es treten Bindege uebswuoherungen mit Atrophie deB Dfüsengewebes, 
Nekroseherde, Zysten hinzu. Zinn. 

G. Herxheimer: Ueber das Karsli osarkon des Oesophagus. (Zbl. 
f. Patn., 1918, Bd. 29, Nr. 1.) Ein knollig gebauter Tumor des Oeso¬ 
phagus erwies sich histologisch als zusammengesetzt teils aus rein 
karzinomatösen und rein spindelzellig barkomatösen Partien, teils aus 
mehr polymorphzellig sarkomatösen Partien mit Riesenzellen und einge¬ 
lagerten Karzinomnestern, in denen die Grenze zwisohen sarkomatösem 
uud karzinomatösem Anteil nicht überall scharf zu ziehen ist. Verf. ist 
der Ansicht, dass das Sarkom wohl sekundär entstanden ist und die 
Karzinomkomponente allmählich zurückgedrängt hat, wodurch die schein¬ 
baren Uebergänge zwischen beiden Zellarten entstanden sind. 

E. Kirch: Ueber stenosiereude ßronchialgeschwülste mit koise- 
kutiver Brouchiektasenbilduug. (Zbl. f. Path., 1917, Bd. 28, No. 23.) 
Entwicklung eines fibromatösen, sekundär krebsig degenerierten Polypen 
nahe der Teilungsstelle des linken Hauptbronchus, dessen Gegenwart 
schätzungsweise in 2—3 Monaten zu der Entwicklung hochgradiger sack¬ 
förmiger Bionchiektasie und interstitieller Pneumonie im Unterlappen 
sowie mehr diffuser Bronchiektasie und karnifizierender Pneumonie im 
Oberlappen Anlass gab. Allgemeine Amyloidose. Sub flnem bildete 
sich eine auagebreitete Diphtherie des unteren Dünndarms, wahrschein¬ 
lich septischer Natur, aus. Sooin. 

Kohlhaas-Stuttgart: Bedeutung der zerebralei Luftembolie für 
die Erklärung der eckten Epilepsie, der Eklunpsie und des ocktei 
Shocks. (M.m.W., 1918, Nr. 9.) Auf Grund der Studien Brauer’« u.a. 
über Luftembolien, die anlässlich der Pneumothoraxbehandlung ge* 
Wonnen wurden, gelangte Verf. zu der Ueberzeugung, dass einige bisher 
ätiologisch ungeklärte Erkrankungen, die auf pathologische Vorgänge im 
Zerebrum hinweisen, duroh Luftembolie zu erklären sind. Im einzelnen 
werden besprochen die Epilepsie, die Eklampsie der Kinder, die Eklampsie 
der Gebärenden und Kreissenden sowie die Fälle von Shock. Gegen die 
Ausführungen des Verf.’s könnte man recht viele Einwände erheben. 
Das klinische und anatomische Krankheitsbild der zerebralen Luftembolie 
soll sich mit dem der echten Epilepsie decken; das mag in einigen 
Fällen zutreffen. Geppert. 

A. Reinhardt: Ueber VeienVeränderungen uid Blutungen ia 
Uiterhautsellgewebe bei Fleekfieber. (Zbl. f. Path., 1917, Bd. 28, 
Nr. 23.) In einem Fall von Fleckfieber (17jähriges MädchenJ, der sich 
durch das Vorhandensein ausgebreiteter Blutungen im Unterhautzell- 
ge webe der Unterschenkel, des Beckens, des Rumpfes und der Arme 
auszeichnete, konnte Verf. im Bereioh der Blutungen deutliche Verände¬ 
rungen der kleinen Venen bachweisen. Es 1 handelt sich um knötchen¬ 
förmige Nekrosen und leuko- und lymphozytäre Infiltrate der Venen* 
wand, verbunden mit hyaliner oder leukozytärer Thrombose, also Ver¬ 
änderungen, die den bekannten Arteriolenschädigungen an die Seite in 
setzen sind. So ein. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Zettnow-Berlin: Kleine Beiträge zur Morphologie 4er Bakterie*. 
(Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 1.) Mitteilungen über die Membran und den 
Ursprung der Geissein, die Reservestoffe und die Kerne der Bakterien. 

E. Deussen-Leipzig: Die Gransehe Bakterienfärbang, ihr Wesei 
und ihre Bedeutung. (Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 2.) In einer sehr 


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22. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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umfangreichen Arbeit versuchte es der Yerf. in das Wesen der Gram¬ 
färbung tiefer einzudringen. Er konnte zeigen, dass zur Herstellung des 
blausohwarzen Gramfarbentons das Jod unbedingt notwendig ist. Ersatz 
dessen duroh andere Halogene (Brom HOlor) ergab wesentlich hellere 
Farbentöne. Gramfeste Bakterien werden durch Behandlung mit Säuren 
gramnegativ. Desgleichen wenn auoh weniger mit Laugen, nicht aber 
durch fettlösende Stoffe. Fette lassen sich nicht gramfest färben. Des¬ 
gleichen nicht anorganische Substanzen. Hühnereiweiss, Kasein, Schalen¬ 
haut des Hühnereies nehmen bei Gramfärbung eine Zwischenstellung 
zwisohen positiv und negativ ein. Bei Spermatozoen von Mensch und 
Stier erwies sich der Kopf als grampositiv, der Schwans als negativ. 
Im Hefepresssaft, der die Fähigkeit besitzt, Zucker zu spalten, Hessen 
sich grampoBive Partikel nachweisen. In Uebereinstimmung dieser Tat¬ 
sachen mit der Beobachtung, dass die Säuren die Grampositivität ver¬ 
nichten, kommt Yerf. zu dem, Schluss, dass die Nukleinsubstanzen des 
Eiweisses die Träger der Grampositivität sind. Verf. neigt, was die 
Färbung betrifft, zu der Ansicht von Unna, dass es sich um eine 
ohemische Bindung des Farbstoffes handelt, wobei jedoch auch physi¬ 
kalische Einflüsse eine Rolle spielen. Er lehnt im grossen und ganzen 
die Ansicht Fischer’s ab, die annimmt, dass der Hauptgrund fiir die 
Grampositivität die Granulagrösse sei. Die Beobachtung dieses Yerf., 
dass grössere Granula sich immer grampositiv färben, konnte nicht be¬ 
stätigt werden. Desgleichen auoh nicht Nikitine’s Angabe, dass gram¬ 
negative Bakterien duroh Behandlung mit Löffler’s Beize grampositiv 
würden. Verf. zieht noch die Schlussfolgerung aus seinen Beob¬ 
achtungen, dass, wenn die Bakteriengiftstoffe in die Nukleinprotein Ver¬ 
bindungen gehören, wofür manche Angaben spreohen, so muss die 
Forderung erhoben werden, dass bei der Abscheidung der Giftstoffe aus 
den Bakterienleibern nur möglichst indifferente Reagentien angewendet 
werden. (Vgl. damit die optimale Giftbildung des Diphtberiebazillus in 
Nährmedien. D. Ref.) Schmitz. 

Brauer-Cassel: Ein neues Verfahren zur Anreicherung von 

Taherkelbazillen im Spatnm. (D.m.W., 1918, Nr. 10.) Gleiche Mengen 
Sputum und Wasser werden im Reagenzglas mit einigen Tropfen Salmiak 
gemischt, 20 Minuten Wasserbad bei 50 Grad, dann auf 10 ccm Sputum¬ 
flüssigkeit 0,5 ccm, noch lOproz. Aluminiumsulfatlösung und einige 
Tropfen einer Chloroformalkoholmischung hinzugegeben, zentrifugiert. 
Dabei bilden sich drei Schichten. Ausgestrichen und gefärbt. Dünner. 

V. K. Russ u. A. Trawinski: Ueber das Vorkommen von Bakterie! 
der Koli Typhnsgruppe im Pferdemist. (Zsohr. f. Hyg., Bd. 85, H. 1.) 
Aus 1000 Pferdemistproben wurden 77 Stämme gezüchtet, die auf den 
.gebräuchlichen Nährböden sich wie Paratyphus B verhielten. Diese 
Stämme Hessen sich in 25 Gruppen einteilen, die durch das agglutinatorische 
Verhalten zusmmengehalten werden. Von den entsprechenden Seren 
wurden jedooh in keinem Falle Paratyphus B-Bazillen, Paratypbus A, 
oder Gärtner agglutiniert. Auoh die gegen die pathogenen Bakterien ge¬ 
richteten Sera beeinflussten die Pferdebazillen nioht. Die Wuchsformen 
der 77 Stämme Hessen sioh in 18 Typen beschreiben. 

E. J. Kraus u. E. Klaften-Steyr und Prag: Zur Kenntnis der 
Bakterien der „Fäkalis Grnppe“. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 6.) Bei drei 
verschiedenen Krankheitsfällen fanden die Verff. Stämme, die sie als den 
Baot. faeo. alcal. nahverwandt ansehen. Und zwar sollen sie eine selbst¬ 
ständige Gruppe dieser Bakterienart darsteilen. 

A. Trawinski: Zur Morphologie und Biologie des Bacillus svi- 
pestifcr. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 6.) Aus 21 sohweinepestkranken 
notgesohlacbteten Schweinen wurden 42 Suipestiferstämme gezüchtet. 
Dieselben verhielten sich morphologisoh, biologisch und agglutinatorisoh 
völlig identisch. Von dem typischen Bacillus suipestifer unterschieden 
sie sich jedoch durch den Kolonietypus und durch ihr Unvermögen 
Arabinose und Dulzit zu zerlegen. Durch Agglutination Hessen sioh die 
gefundenen Stämme vom typischen Baoillus suipestifer nicht trennen. 
Die pathologisch-anatomisohen Befunde bei den von dem Autor unter¬ 
suchten Schweinen wichen insofern von dem gewöhnlichen Befunde ab, 
als mehr Lungenveränderungen und fast gar keine Darmbefunde erhoben 
wurden. 

Th. Heryng: Otitis piraleata media. Nekrose des Hammers. 
Bacillas aecroseoB im Sekret. (Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 2.) Bei einer 
17 jährigen Patientin wurde eine Otitis media beobaohtet. Das braune 
Qhrensekret wurde dreimal bakteriologisch untersucht und alle drei Male 
eine Reinkultur des Bacillus necroseos gefunden. Der Bazillus hatte nur 
eine schwache Virulenz für Ratten, gar keine für Meerschweinchen. 

Meggendorf er-Konstantinopel: Ueber eine abgeschlossene Cholera- 
epidemie mit zahlreichen Misehiafektionea. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, 
H. 6.) Naoh dem Genuss von grünem Salat erkrankten etwa 100 Sol¬ 
daten an Cholera. Die Infektion leitete sich aus einer Wasserleitung 
her, mit deren Wasser der Salat gewaschen worden war. Besonders 
bemerkenswert ist es nun, dass von derselben Infektionsquelle ausgehend 
noch Paratyphus A und B, Typhus und Dysenteriefälle auftraten. Es 
kam infolgedessen zu einer grossen Reihe von Mischinfektionen. 

P. Neukirch-Konstantinopel: Ueber menschliehe Erkrankungen 
dar eh Bazillen der Glässer-Voldagsengroppe in der Türkei. (Zschr. 
f. Hyg., Bd. 85, H. 1.) Im klinischen Teil der Arbeit werden die Er¬ 
seheinungen der Krankheit mitgeteilt. Die Symptome gleichen entweder 
typhös septischen oder dysenterischen Infektionen. Mortalität etwa 
50 pCt. Serologisch sind die Bakterien nahe Verwandte des Paratyphus B, 
werden konstant aber nur durch Glässer-Voldagsenserum agglutiniert. 


Messersohmidt: Die bakteriologisohe Diagnose und dieBeaenaang 
der Rahrbazillen. (Zsohr. f. Hyg., Bd. 85, H. 2.) Verf. beobachtete eine 
Epidemie die anfangs als eine einheitliche, hervorgerufen, duroh den 
Pseudodysenterie-Bazillus D erschien. Im weiteren Verlauf desselben 
gelang jedoch die Isolierung auoh von Rasse A und H, sowie von Stämmen, 
die nicht in das Schema Kruses passten. Anfangs schwer agglutinable 
Kulturen hatten auch eine Besonderheit: die Y-Stämme wurden teilweise 
vom Flexnerserum und die Flexnerkulturen von Y-Serum besser agglu¬ 
tiniert. 5 Kulturen ändern auch ihren „Typ u , eine Kultur war anfangs 
ein Y, später ein Flexner und schliesslich wieder ein Y (Maltoseprüfung). 
Verf. weist nach solchen Erfahrungen darauf hin, dass dieses Verhalten 
also nioht nur wie bisher angenommen bei alten Laboratoriumskulturen 
vorkommt. Er wendet sich sodann gegen die bisher gebräuchlichen Be- 
zeichnungsweisen. Einesteils gehören die Mannitvergärer zusammen, je¬ 
doch lehnt er die Bezeichnung Pseudodysenterie ab, da damit Bazillen 
nur bezeichnet werden können, wenn sie avirulent sind. 

H. Klose: Zur Frage der Blatinfektion mit GasSdembazillen bei 
der Gasödemerkrankung. (Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 2.) An der Hand 
eingehender Versuche die Bakterien direkt von Kranken zu züchten, 
gelang es dem Verf. ducrh Benutzung des ganzen Blutkuohens zur Kultur 
zu zeigen, dass die Gasödembazillen sehr frühzeitig in dem Blute nach¬ 
weisbar sind. Bei 80 Untersuchungen hatten 48 ein positives Ergebnis. 

M. Salpeter und A. Schmitz: Beitrag zur Fleckfieberdiagnose. 
(Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 2.) An der Hand eines umfangreichen 
Materials wird auseinandergesetzt, dass objektiv zur Stellung der Fleck¬ 
fieberdiagnose drei Zeichen in erster Linie verwertbar sind: Der positive 
Ausfall der Weil-FeHYschen Reaktion, die sehr deutliche Diazoreaktion 
und das negative Ergebnis der Widalreaktion (Bauchtyphus), Es gibt 
einwandfreie Fälle von Fleokfieber, die ohne erkennbares Exanthem ver¬ 
laufen. Auch hinsichtlich der Prognose ist das Fehlen des Ausschlages 
bedeutungslos. Schmitz. 

Kolle, Saohs u. Georgi-Frankfurt a. M.: Serologische und sero¬ 
therapeutische Studien bei Gasödem. (D.m.W., 1918, Nr. 10.) Von den 
mitgeteilten Untersuchungen interessieren besonders die therapeutischen. 
Es stellte sich heraus, dass das Normalserum anscheinend eine heilende 
Wirkung auf das Gasödem ausübt. Immerhin sind die Resultate mit 
spezifischem Serum — es wurden Kulturen der verschiedenen Typen 
benutzt — doch derartig, dass man das Gasbrandserum mehr als bisher 
verwenden soll; freilich sind dafür grosse Meegen von 150—200 ccm, 
die intravenös und subkutan auf mehrere Körperstellen verteilt zu 
injizieren sind, erforderlich. Dünner. 

W. Oettinger: Zur Praxis und Theorie der Weil-Felix’schen 
Reaktion. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 6.) Verf. bestätigt, dass die 
Weil-Felix’sche Reaktion für die Diagnose des Fleckfiebers entscheidende 
Bedeutung hat. Ihr positiver Ausfall ist beweisend, dauernd negativer 
lässt Fleokfieber ausschliessen. Er verlangt zur positiven Reaktion einen 
Titer von 1:200. Abschwächung des Stammes X 19 , mit dem die 
Reaktion allein vorzunehmen ist, ist während eines Jahres bei täglicher 
Ueberimpfung nicht eingetreten. Von der Reaktion selbst glaubt er, 
dass sie fleckfieberspezifisch sei. Dass Proteus die Ursache des Fleck¬ 
fiebers oder eine Mischinfektion darstelle, lehnt er jedoch ab. Desgleichen 
die Möglichkeit, dass der in jedem Darm vorausgesetzte sapropbytisch 
vegetierende Proteus zur Bildung von Protensagglutininen führe. Dazu 
beweist der positive Ausfall des Weil-Felix mit Meerschweinchenserum, 
die mit Fleckfieberblut geimpft waren, die Fleckfieberspezifität. Verf. 
glaubt, dass diese Agglutinabilität des Proteus eine durch den Aufenthalt 
in den fleckfieberbefallenen Organismus erworbene neue Eigenschaft sei. 
Die Agglutination fasst er somit als Paragglutination auf. Die Tatsache, 
dass dieselbe solange anhält, ist kein Gegengrund für diese Annahme. 

Schmitz. 

Felix: Ueber die angeblichen polyagglitinatorisehen Eigenschaftei 
de« Serams Fleckfieberkraiker. (W.kl.W., 1918, Nr. 1.) Es wurden 
die etwaigen agglutinatorischen Eigenschaften des Fleckfieberserums 
gegenüber einer grösseren Zahl von Krankheitserregern untersucht mit 
dem Resultat, dass von polyagglutinatorischen Eigenschaften des Fleokfieber- 
serums nioht die Rede sein kann. Die Agglutination der H-Stämme 
muss als durchaus spezifisch für Fleokfieber bezeichnet werden. 

H. Hirsohfeld. 

Töpfer: Zur Uebertraguug des' Erregers des europäischen Rftek- 
fallfleben durch die Kleiderlaus. (D.m.W., 1918, Nr. 9.) Erwiderung 
auf die Arbeit von Jos. Ko oh in D.m.W., 1917, Nr. 84. Dünner. 

Berozeller: Eine Mikromethode für serologische Reiheaverzuche. 
(W.kl.W., 1918, Nr. 4.) H. Hirschfeld. 

E. Herzfeld u. R. Klinger Chemische Studien zur Physiologie 
und Pathologie, n. Die Immuait&tsreaktionea. (Biochem. Zschr., 1918, 
Bd. 85, H. 1 u. 2, S. 1.) Verff. bringen die durch ihre Studien ge¬ 
wonnenen Vorstellungen über den Bau der Eiweisskörper in Beziehung 
zu den wichtigsten Problemen der Immunitätsforschung. Diese Be¬ 
trachtungen führen zu der Auffassung, dass das Wesentliche bei allen 
Immunisierungsvorgängen dariu beruht, dass das Antigen im Organismus 
bis zu einem gewissen Grade aufgespalten wird, worauf die von ihm 
stammenden, noch spezifisch zusammengesetzten Abbauprodukte an die 
Oberfläche geeigneter kolloider Eiweissteilohen adsorbiert werden und in 
dieser Form den Antikörper darstellen. Treffen die Antikörperteilchen 
wieder mit Antigen zusammen, so vermögen sie dasselbe duroh die auf 
ihrer Oberfiäohe befindlichen Spaltprodukte elektiv zu adsorbieren. Die 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Folge sind bestimmte Veränderungen beider Kolloide, häufig sichtbare 
oder ultramikroskopische Füllungen, sowie eine Reihe weiterer Er¬ 
scheinungen, die daduroh sekundär bedingt sind. Diese Vorstellungen 
werden in längeren Ausführungen näher begründet. Das Wesentliche 
an der Theorie der Verff. liegt darin, dass alle Antikörper vom Antigen 
selbst abzuleiten sind; sie entstehen durch die oben angedeutete teil¬ 
weise Aufspaltung des Antigens im Organismus. Die hierdurch gebildeten 
höheren und noch spezifisch gebauten Abbauprodukte werden an gewisse 
Eiweissteilchen des Blutes adsorbiert. Diese erlangen dadurch die 
Fähigkeit, neues Antigen in spezifischer Weise zu adsorbieren, wodurch 
die bekannten Immunitätsreaktionen zustande kommen. Verff. besprechen 
von diesem eiweisschemischen Standpunkt die Erscheinungen der Allergie, 
des anaphylaktisohen Schocks und der Infektionskrankheiten. 

R. Lewin. 

Lipschütz: Zur Aetiologie der Paravakzine. (W.kl.W., 1918» 
Nr. 4.) Nach Pirquet ist die sogenannte „Vaccine rouge“ oder „Para¬ 
vakzine“ eine von der Vakzine zu trennende eigene Krankheit, deren Er¬ 
reger neben den echten Vakzineparasiten bisweilen in der Kälberlymphe 
Vorkommen. L. hat nun gefunden, dass bei ImpfuDg der Kaninchen¬ 
kornea mit Paravakzine Guarneri’sohe Körperchen vermisst werden. 
Auch in immunisatorischer Hinsicht bestehen Unterschiede. Ferner 
findet man auf Schnitten durch Paravakzineeffloreszenzen ganz eigen¬ 
artige Einschlüsse, teils im Protoplasma, teils im Harn. Diese Befunde 
sprechen aber für die Richtigkeit der Pirquet’schen Anschauungen. 

H. Hirschfeld. 

Levedde u. Rubinstein: Die technischen Irrtttmer bei der 
Wassermann’schen Reaktion und ihre Ursachen. (La presse med., 
14. Februar 1918, Nr. 9.) Jede der sechs zur Reaktion notwendigen 
Substanzen — Krankenserum, Antigen, Komplement, physiologische 
Kochsalzlösung, Hammelerythrozyten und hämolytisches Serum — kann 
Felderquellen bedingen, die sich untereinander vergesellschaften können. 
Die Kochsalzlösung muss aus frisch destilliertem Wasser hergestellt, 
neutral und 0,9 proz. sein. Das Hammelblut ist in seinem Biutkörper- 
gehalt nicht immer gleichmässig; daher empfiehlt sich, das Blut mehrerer 
Tiere zu mischen. Es wird auf 5 pCt. verkürzt und mehrfach gewaschen. 
Das hämolytische Serum muss austitriert sein. Wir verstehen unter einer 
Einheit diejenige Menge von Kaninchenserum, (erzeugt durch drei intra¬ 
peritoneale oder intravenöse Einspritzungen von Hammelblutkörpercben), 
die bei 37 Grad 1 ocm verdünnter Hammelblutkörperchen in 30 Minuten 
bei 0,05 ccm Meerschweinchenserum als Komplement hämolysieren. 
Dieser Titer muss täglich festgestellt werden. Die Komplementbindung 
spielt sich ab zwischen dem Krankenserum, dem Antigen und dem 
Komplement (Alexin) und stellt eine physikalisch-chemische Reaktion 
dar, abhängig von der Präzipitation des Globulins, die an einen bestimmten 
Aziditätsgrad gebunden ist. Luessera sind reioh an Globulinen, die 
sehr labil sind. Der Antigen enthält Substanzen, die die Globuline 
präzipitieren können. Der kolloidale Zustand des Serums ändert sich 
leicht. Er muss 24—48 Stunden nach der Blutentnahme untersucht 
sein und steril entnommen werden. Die Auswahl eines brauchbaren 
Antigens ist wichtig und schwierig. Es muss spezifisch wirken und mit 
einer grossen Zahl spezifischer und Normalsera ausprobiert sein. Brauch¬ 
bar sind spezifische (aus Lebern erbsyphilitischer Föten) und nicht 
spezifische (alkoholische aus Menschen- oder Kinderherz hergestellte) 
Extrakte, die am besten aus den getrockneten und verriebenen Organen 
hergestellt werden. Ein gutes Extrakt muss 100 pCt. positive Resultate 
bei aktiver Lues und 100 pCt. negative bei nicht Luetischen ergeben. 
Nicht minder wesentlich ist das Komplement (Alexin), Wassermann wählte 
anfangs 0,1, später 0,05 ccm Meerschweinchenserum. Es is>t unbedingt 
notwendig, seine Eigenschaften im Vorversuche genau auszudosieren. 
Ebenso notwendig ist die ärztliche Kontrolle mit sicher positiven und 
normalen Seren. Durch Variation der Dosen wird die Feinheit der 
Reaktion ganz wesentlich erhöht. Die. sogenannten paradoxen Reaktionen, 
die auf technischen Fehlern beruhen, können durch die quantitativen 
Verfahren ausgemerzt werden. Die Bewertung der auch dann noch vor¬ 
kommenden zweifelhaften Resultate kann zuweilen schwierig sein. Er¬ 
leichtert wird sie durch Vergleich nach dem Ergebnis bei nicht inaktiviertem 
Serum (Hecht’sohe Reaktion). Die Einzelheiten der sehr lesenswerten 
Arbeit müssen im Original eingesehen werden. Krakauer. 


Innere Medizin. 

Erben: Ueber vasomotorische Storungen. Klinische Unter¬ 
suchungen. (W.kl.W., 1918, Nr. 2.) 

Hamburger: Ueber die Sklerose der Armarterieii. (W.kl.W., 
1918, Nr. 7.) Ueber das zeitliche Auftreten der Sklerose der Arm¬ 
arterien hat H. an 540 Soldaten Untersuchungen angestellt. Er beob¬ 
achtete dabei die Rigidität der Radialis, ihre Schlängelung und die 
Sichtbarkeit des Braohialpulses bei gebeugtem Arm. Das Ergebnis 
seiner Untersuchungen war in Uebereinstimmung mit den bekannten 
anatomischen Forschungen, dass sklerotische Erscheinungen der Arm¬ 
arterien vom 30. Jahre an stark zunehmen und nach dem 40. Lebens¬ 
jahr ganz besonders häufig sind. Die Sichtbarkeit des Brachialpulses 
bei gebeugtem Arm ist ein früher auftretendes Zeichen der Arterio¬ 
sklerose als die Schlängelung der Radialarterie. 

Fi bi oh: Beobachtungen über Blutdruck, Pils and Temperatur 
bei traumatischen Aneurysmen (Aneurysmendruoksymptom). (W.kl.W., 
1918, Nr. 6.) Ein Druck selbst auf ein nur kleines Aneurysma bewirkt 


sofortige Blutdrucksteigerung und Pulsverlangsamung sowie Erhöhung 
der Temperatur. Letztere ist auf Thromben und Gewebspartikelchen 
zurückzuführen, die in den Kreislauf gelangen; erstere auf nervöse 
Einflüsse. H. Hirschfeld. 

W. Weitz: Ueber die Kardiographie am gesunden Herzen'mit 
dem Frank’schen Apparat. (D. Aroh. f. klin. M., 1917, Bd. 124, H. 1 n. 2.) 
Bericht über Untersuchungen mit dem Frank’scheo Kardiographen. 

W. Weitz: Ueber die Kardiographie des pathologischen Herzen 
mit dem Fraik’schen Apparat. (D. Arch f. klin. M., 1917, Bd. 124, 
H. 1 u. 2.) Es werden die Kurven der einzelnen Herzfehler wieder¬ 
gegeben und besprochen. Zinn. 

Hess: Zur Kenntnis der Bradykardie. (W.kl.W., 1918, Nr. 3.) 
Beschreibung eines Falles von nodaler Bradykardie und Besprechung 
der Pathogenese des Leidens, die auf eine Läsion im Tswaraknoten 
zurückzuführen ist und nicht auf eine Hemmung der Reizleitung. 

Hess: Zur Kenntnis der Bradykardie. (W.kl.W., 1918, Nr. 7.) 
II. Ueber bradykardisebe Dekompensation. Beschreibung einer beson¬ 
deren Art gestörter Kompensation des Herzens, die als bradykardisebe 
Dekompensation bezeichnet wird, an der Hand von 3 Fällen und Be¬ 
sprechung der Pathogenese. H. Hirschfeld. 

Goenheim: Untersuchungen über akzidentelle Herzger&uoehe hei 
jugendlichen Gesunden. (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 124, H.lu.2.) 
Bei 279 Mädchen 172 mal akzidentelle Herzgeräusche, 62 pCt.; bei 
169 Knaben 94 mal, 56 pCt.; meist an der Pulmonalis. Sie scheinen 
zur Eigenart des Kreislaufs des Wachstumsalters zu gehören und sind 
nicht als krankhaft anzusehen. 

E. Kylin: Akzidentelle Herzger&nsche und Aasdauer hei kfirper- 
lichei Anstrengungen. (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 124, H. 1 u. 2.) 
Untersuchungen an schwedischen Soldaten. Es fanden sich in 18,1 pCt, 
akzidentelle Herzgeräusche; der Blutdruck war bei ihnen meist leicht 
erhöht, etwa 130 mm Hg. Die Mehrzahl dieser Fälle war auf längeren 
Märschen nicht genügend ausdauernd und zeigte Symptome nervöser 
Veranlagung. Es ergibt sich, dass ein grosser Teil der Individuen mit 
akzidentellen Herzgeräuschen physisch weniger widerstandsfähig ist, be¬ 
sonders wenn es gilt, grössere Strapazen, wie sie von erstklassigen 
Truppen gefordert werden, auszuhalten. 

Fahrenkamp: Zur Kenntnis der vorübergehenden Arhythmia per- 
petna mit Beobachtungen über Vagusdruck. (D. Arch. f. klin. M., 1917, 
Bd. 124, H. 1 u. 2.) Beschreibung mehrerer eigener Beobachtungen. 
Die vorübergehende Arhythmia perpetua nach Infektionskrankheiten ist 
nosologisch ebenso zu beurteilen wie die chronische Form; Verände¬ 
rungen am Herzmuskel, die diese Rbythmusstörung zur Folge haben, 
liegen vor. Eine andere Form ist die in Anfällen auftretende Tachy- 
arbythmie, die sehr selten ist. Ursache wahrscheinlich krankhafter Zu¬ 
stand der extrakardialen Herznerven. 

F. Herzog: Ueber die Selbststeuerung der Atmung des Menschen 
und über die durch Vermindernng der Selbststeuerung entstandene 
Veränderung des Atmens bei Asthma bronchiale, bei Gehirndruck und 
bei Tabes. (D. Aroh. f. klin. M., 1917, Bd. 124, H. 1 u. 2.) Die B reuet - 
Hering’sche Selbststeuerung der Atmung ist auch beim Menschen nach¬ 
weisbar. Beim gesunden Menschen entsteht nach einer künstlichen, ge¬ 
wollten Atempause, wenn während derselben das Volumen der Lungen 
grösser war wie bei der vollständigen Exspiration, gewöhnlich eine Aus¬ 
atmung, welche nur reflektorischen Ursprungs sein kann (Ausatmungs¬ 
reflex); vom Lungenvolumen gegebene reflektorische Erregungen be¬ 
fördern also die Exspiration. Die Selbststeuerung der Atmung wirkt 
beim Menschen folgeodermaassen: während der Inspiration verkürzt sie 
deren Dauer und beschränkt deren Tiefe, ferner begünstigt sie die Ex¬ 
spiration in jeder Atemphase, in der das Volumen der Lunge grösser ist 
als bei der vollkommenen Exspiration, und schliesslich befördert sie am 
Ende der Exspiration die Inspiration. Unregelmässigkeiten der Atmung 
wurden beobachtet bei Asthma bronchiale, bei Gehirndruok, bei Tabes. 

Zinn. 

H o 1 i t s c h: Röntgenbefunde bei tuberknlin-negativen Erwackoeuci. 

(W.kl.W., 1918, Nr. 1.) Auf Grund von Röntgenuntersuchungen an 13 
ständig tuberkulin-negativen Soldaten kommt Verf. zu dem Resultat, 
dass die Lungenaufnahmen bestimmt nicht tuberkulöser Erwachsener fast 
in der Hälfte der Fälle solche Veränderungen zeigen, welche man sonst 
als Symptome von beginnender Lungentuberkulose zu deuten gewohnt 
ist. Es können sogar mehrere solche Veränderungen auf einem Bilde 
sichtbar sein, ohne dass Tuberkulose vorhanden ist. H. Hirschfeld. 

H. Burges-Baden-Baden: Myositis nach Iuflueuza. (M. m. W., 
1918, Nr. 7.) Beschreibung von 3 Fällen, bei denen im Anschluss 
an eine Influenza eine Myositis auftrat, zweimal am rechten Oberschenkel, 
ein drittes Mal war die Brust- und Nackenmuskulatur ergriffen. Die 
Myositis blieb 6 Wochen und länger bestehen und ging dann zurück, 
ohne dass anatomische Veränderungen der Muskulatur zurüokblieben. 

Geppert. 

Clairmont: Der anatomische Befund bei der gutartigen Pylorus¬ 
stenose. (W.m.W., 1918, Nr. 1.) Auf Grund klinischer und speziell 
operativer Erfahrungen glaubt Verf., dass die Erscheinungen, die man 
gewohnt ist als gutartige oder noch unrichtiger als „narbige Pylorus¬ 
stenose“ zu bezeichnen, in der Mehrzahl der Fälle der Ausdruck eines 
noch immer offenen chronischen stenosierenden Ulcus duodeni sind. 
Ausführliche Beschreibung von 4 Fällen mit Abbildungen. 


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22. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


887 


t. Szily and Yertes: Zar Chemotherapie der Ruhr. (W.kl.W., 
1918, Nr. 4.) Das kurative Prinzip der bisher zur Anwendung ge¬ 
brachten antitoxischen Ruhrsera ist ein unspezifisches. Derselbe abortive 
Heileffekt lässt sich darch hierzu geeignete parenteral applizierte Gift* 
reize ausüben. 

Matko: üeber Wechselbeziehungea zwischen Harn and Chinin ia 

der Hämolyse. (W.kl.W., 1918, Nr. 3.) Zur Aufklärung der Patho¬ 
genese des Schwarzwasserfiebers hat Verf. hemmende Eigenschaften des 
Harns auf die Cbininbämolyse untersucht. Die meisten Harne hemmen 
vollkommen oder partiell die Hämolyse duroh 0,4proz. Chininlösungen. 
Der eine Faktor dieser hämolysehemmenden Wirkung des Harns sind 
die Alkalien, der andere ist unbekannt. Während einer Nocht’schen 
Chininkur produzieren mit wenigen Ausnahmen Gesunde wie Malaria- 
kranke hämolytisoh wirkende Hzrne. 

Stejskal: Ueber Wechselbeziehungen zwischen Chiain aad Harn 
ia der Hämolyse. (W.kl.W., 1918, Nr. 7.) Da Matko gezeigt hat, 
dass intravenöse Injektionen von 6proz. Kochsalz- oder Phosphatlöaung 
die Hämolyse beim Schwarzwasserfieber hemmen, empfiehlt St., die 
gleiohe Therapie auch bei anderen hämolytischen Prozessen zu ver¬ 
suchen, bei perniziöser Anämie, hämolytischem Ikterus, paroxysmaler 
Hämoglobinurie. 

Beck: Vorschlag zur Behandlung der Harninkontinenz der Sol- 
datea. (W.kl.W., 1918, Nr. 6.) Um Bettnässen zu verhüten, benutzt 
B. ein 15 cm langes Drainrohr von 0,5 cm Durchmesser. Nahe dem 
einen Ende wird es geschlitzt und das andere Ende wird durch diesen 
Schlitz durchgezogen. Das Ganze wird hinter der Eichelfurche um den 
Penis gelegt. H. Hirschfeld. 

W. H. Jansen: Untersuchungen über Stickstoffbilanz bei kalorien¬ 
armer Ernährung. (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 124, H. 1 u. 2.) Bei 
sämtlichen Versuchspersonen vom Durchschnittsgewicht von 62,1 kg war 
eine Ernährung von 1600 Kalorien und 60,5 g Eiweiss pro Tag nicht 
ausreichend, um das Körpergewicht und den Eiweissbestand zu erhalten. 
Eine Zulage von 500 Kalorien in der Form von Kohlehydraten genügte, 
um Eiweiss- und Körpergleichgewioht zu erreichen. Eine Kalorienmenge 
von 2100 reicht also bei einem N-Gehalt der Nahrung von 9,7 g = Ei¬ 
weissgehalt von 60,5 g aus, um das Körper- und Eiweissgleichgewicht 
zu halten. Zinn. 

S. Wassermann: Beitrag zur Hämatologie der Pellagra. (W.kl.W., 
1918, Nr. 6.) In 3 von 4 Fällen von Pellagra ergab die Blutunter- 
suchung. Anaemia simplex, eine niedrige Gesamtleukozytenzahl mit 
deutlicher relativer Lymphozytose und geringer Vermehrung der Eosino¬ 
philen. H. Hirschfeld. 


Chirurgie. 

L. Drüner-Quiersoheid: Die Fremdkörperoperation. (D. miltärztl. 
Zsohr., 1918, H. 5 u. 6.) In einem 1. Abschnitt schildert Verf. die An¬ 
zeigen ziir Entfernung. Alle Verwundungen erfordern für ihre Behand¬ 
lung die Feststellung und die Beurteilung des Befundes. Handelt es 
sich um einen Steckschuss oder nioht? Ferner dreht sich alles um die 
Schwere der Infektion. Man soll nach Geschossen bei schweren Fällen 
nicht suchen. Das Steckgeschoss gewinnt meist erst dann Bedeutung, 
wenn der Hauptkampf gegen die Infektion bestanden ist. Dann hat man 
sich zu fragen: Welche Störungen werden nun noch durch die Anwesen¬ 
heit des Geschosses hervorgerufen? Die zu erhebenden Befunde sind 
dann Fremdkörperfisteln oder Fremdkörper bei geschlossener Wunde. 
Genauere Mitteilungen darüber. Geschosse bei geschlossenen Wunden 
können bakteriologische, chemische, mechanische und nervöse Störungen 
bedingen. Die wichtigste Wirkung des Geschosses bleibt die mechanische. 
Die nervösen Beschwerden bedürfen einer besonders sorgfältigen Vor¬ 
untersuchung. Simulanten müssen berücksichtigt werden. Die Beant¬ 
wortung der Frage: sind die vermittelten Störungen durch Geschoss¬ 
entfernung zu beseitigen, lehrt, wie man sioh diesen gegenüber zu ver¬ 
halten hat. Erörterungen über Geschossentfernung in Fistelfällen und 
bei eingeheilten Fremdkörpern, ferner über die Operation selbst. 

Sehnütgen. 


Augenheilkunde. 

Jahn: Eine wesentliche Verbesserung der Sehschärfe dareh 
steaopäisehea Spalt. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Februar 1918, Bd. 60.) 
Durch den stenopäischen Spalt wird der grösste Teil des diffusen Lichtes 
abgeschnitten, das entstehende Bild dadurch schärfer und deutlicher ge¬ 
macht. Duroh Kombination mit Fernrohrbrille wird dann das durch den 
stenopäischen Spalt entstandene deutlich erscheinende Bild noch um das 
Doppelte vergrössert. Unter Verwendung der verschieden starken Vorsatz¬ 
gläser kann dann den Patienten das Lesen in Fällen wieder ermöglicht 
werden, in denen es mit der blossen Anwendung von stenopäischem Spalt 
oder Fernrohrbrille nicht möglich gewesen wäre. F. Mendel. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

v. E i o k e n - Giessen: Aagehoreaes Diaphragma der Glottis. Kasuisti¬ 
scher Beitrag. (Arch. f. Ohrhlk., Bd. 101, H. 4.) In Sohwebelaryngoskopie 
konnte bei dem seit der Geburt heiseren zweijährigen Kind eine feste 
sehnig-weisse Membran in der vorderen Hälfte des Stimmbandes fest¬ 


gestellt werden. Spaltung des Diaphragmas mit dem Messer, wodurch 
die Stimmlosigkeit behoben wurde. Burk. 

B. Oertel-Düsseldorf: Verletzungen nd Erkraakugea des Kehl¬ 
kopfes im Kriege. (D. militärztl. Zschr., 1918, H. 5 u. 6.) Ueber 
Kriegsverletzungen des Kehlkopfes ist bereits eine Reihe wertvoller Ver¬ 
öffentlichungen erfolgt. Die Verwundung ist meist durch Erstickung, 
Verblutung oder rasch einsetzendes Emphysem der Haut und des Mittel¬ 
fellraums tödlich. Es zeigen sioh zwei grosse Gruppen von Fällen: die 
schwereren, fast ausnahmslos dicht hinter der Front beobachteten und 
die leichteren. Mitteilungen über die Art der verschiedenen Sohussver- 
letzungen, die allgemeinen Symptome der Kehlkopfschüsse, Verletzungen 
der Kehlkopfnerven und über die Behandlung der Kehlkopfschüsse. 
Etne wichtige Kriegserfahrung über die Kehlkopfnerven ist die Tatsache, 
dass ein an einem Norvenstamm vorbeigehendes Geschoss ihn lähmen 
kann, ohne ihn zu treffen und zu zerreissen (Kommotions- oder Shook- 
wirkung!). Hüten muss man sich, traumatische Ankylose des Giess¬ 
becken-Ringknorpelgelenks mit einer Vagus-Rekurrenslähmung zu ver¬ 
wechseln. Eine häufige Kriegserkrankung des Kehlkopfs zeigt sich in 
der sog. Taschenbandsprache, einer heiseren, rauhen Spraohe mit oder 
ohne Schmerzen. Genauere Mitteilungen über das Spiegelbild und das 
Kehlkopfinnere bei dieser als Folge eines akuten Kehlkopfkatarrhs ein¬ 
setzenden Krankheitsform, wenn der Soldat trotz des Versagens der 
Stimmbänder sich möglichst laut verständlich zu maohen suoht. Eine 
oft beobachtete Kehlkopferkrankung ist auch die funktionelle Aphonie, 
endlich Stottern, als Resultat geheilten Stotterns, aber auch als hyste¬ 
rische Form nach Granat- oder Minenexplosionen. Sehnütgen. 

Onodi-Budapest: Primärer Krebs der Trachea ud des Bronehis. 
Mitteilung eines Falles. (Arch. f. Ohrhlk., Bd. 101, H. 4.) Probeexzision 
nach Tracheotomie. Exitus nach 2 1 /* Monaten. Burk. 

F. Siebenmann-Basel: Taabstammheit ind Taubstammeazählnng 
in der Schweiz. (Korr.Bl. f. Schweiz. Aerzte, Nr. 1.) Vortrag, gehalten 
im ärztlichen schweizerischen Zentralverein in Basel am 3. Juni 1917. 

Fabian. 

Raaflaub-Halle: Ueber einen Fall von tödlicher Blatang aas der 
Arteria lingaalis im Aasehlass an Galvanokaustik am Zuagengrund. 

(Arch. f. Ohrhlk., Bd. 101, H. 4.) Der iro Titel angeführte Zwischenfall 
war nach Verschärfung eines tuberkulösen Infiltrats am Kehldeckel und 
am Ligam. pharyngo-epiglotticum entstanden. Der Tod erfolgte durch 
Blutaspiration und Erstickung trotz Kompression der Carotis communis 
und Tracheotomie. 

Imhofer: Der Wert der Prüfung des statisches Labyrinths für 
die Konstatierung der beiderseitigen Taubheit. (Arch. f. Ohrhlk., 
Bd. 101, H. 4.) Eignet sich nicht zum Referat und muss im Original 
nachgelesen werden. 

Streit: Explosioasschwerhörigkeit. (Arch. f.Ohrhlk., Bd. 101, H. 4.) 
Verf. stellt im allgemeinen fest, dass bei Explosion grösserer Geschosse 
in unmittelbarer Nähe etwa 2 /s der Leute Hörstörungen aufweisen. 
Häufig sind Trommelfellrupturen. Das Verhältnis der einseitigen zur 
doppelseitigen ist wie 2:1, das der doppelseitigen Hörschädigungen zur 
einseitigen wie 3:1. Von sämtlichen Stimmgabelprüfungen liefert der 
ZahTsche Versuch die brauchbarsten Resultate. Die Kopfknochenleitung 
ist bei der sogenannten Explosionsschwerhörigkeit gewöhnlich verkürzt. 
Die Vestibularisstörungen sind viel flüchtiger als die des Akustikus. 
Spontaner Nystagmus war selten. Beim Bäräny’sohen Zeigevorsuoh 
kamen auffallend häufig Abweichungen von der Norm vor. 25 pCt. der 
Fälle hatten Mittelohreiterung akquiriert. St. stellt die Forderung auf, 
dass jeder über Hörstörung Klagende sofort einem Facharzt sageführt 
werden müsse. 

Wodak-Prag: Zur Digitalistherapie Radikaloperierter sowie 
chroaischer Otorrhoea. (Arch. f. Ohrhlk., Bd. 101, H. 4.) W. prüfte 
den Vorschlag Müller’s, zur beschleunigten Wandheilung Radikal¬ 
operierter Digitalis zu verabfolgen, an 22 Fällen nach. Er kommt zu 
dem Resultat, dass der Optimismus M/s nicht gerechtfertigt ist. In 
82 pCt. der Fälle konnte keine Besserung naohgewiesen werden; der 
Rest hielt einer eingehenden Kritik nicht stand. Burk-Stuttgart. 


Hygiene und Sanitfttswesen. 

Neu feld u. Schiemann-Berlin: Experimentelle Untersuchungen 
über eine läasesichere Schatzkleidung. (D.m.W., 1918, Nr. 9.) Einen 
guten Schutz gegen Läuseinfektion bei Flecktyphus geben Anzüge aus 
möglichst glattem Oeltuch und Mäntel aus demselben Stoff oder aus 
geölter geschlängelter Seide (sogenannte Schlangenhaut). Die Brauch¬ 
barkeit dieser Mäntel haben eingehende Versuche, die von den Verff. 
geschildert werden, bewiesen. Dünner. 

E. Teiohmann: Bekämpfung der Stechmücken durch Blausäure. 
(Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 1.) Stechmücken (Culex annulatus und 
pipiens) werden mit Sicherheit abgetötet, wenn sie eine V 4 Stunde lang 
der Einwirkung von 0,02 bis 0,03 Volumprozent Blausäure ausgesetzt 
werden. Auch die Anopheles ist ebenso empfindlich gegen Blausäure. 
Mäuse vertrugen hingegen den angegebenen Prozentsatz ohne weiteres. 
Das Mittel wird zur Schnakenbekämpfung und zum Kampf gegen die 
krankheitübertragenden Stechmücken empfohlen. 

F. Neu feld und 0. Schiemann-Berlin: Untersuchungen über 
einige ueue Kresolpräparate. (Zsohr. f. Hyg., Bd. 82, H. 2.) Die neuen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


Mittel Betalysol und Kresotinkresol sind brauchbare, wenn auch nicht 
vollkommene Ersatzmittel für Kresolseifenlösung. Das erstere wirkte 
ebensogut wie ein gutes Lysol, das zweite war erheblich schwächer. Io 
3 proz. Lösung töten beide Mittel widerstandsfähige Bakterien ohne 
Sporen innerhalb 2 Stunden ab, desgleichen Kleiderläuse in 1 Stunde, 
ln 5 proz. Lösung sind die Präparate wegen der verminderten Löslichkeit 
nicht zu verwenden. Zur Händedesinfektion ist nur Betalysol brauchbar, 
da das andere stark reizt und die Hände braun färbt. Beide Präparate 
erwiesen sich als besser wie das Phenolut, da dies aus verschiedenen 
Schichten von ganz ungleicher Wirkung besteht. Schnütgen. 

Tschaplowitz -Leipzig: Wärmeleitug keramischer Materialien. 
(Zschr. f. Hyg., Bd. 85,. H. 1.) Zu kurzem Referat ungeeignet. 

Schmitz. 


Tropenkrankheiten« 

0. L. E. de Raadt: Treckene Hitze als Mittel znr btötiBg ven 

Rattenflöhen. (Arch. f. Schills u. Trop. Hyg., 1918, Bd. 22, H. 1, S. 1—8.) 
ln drei in Malang (Niederländisch Ostindien) angestellten Versuchsreihen 
wurde ermittelt, dass Rattenflöhe (Henopsylla Oheopis) bei 50° C inner¬ 
halb 15 Minuten mit Sicherheit abstarben. Im Pelze getöteter Ratten 
werden sie durch diese Erhitzung erst innerhalb 45 Minuten sicher ge¬ 
tötet, weil zunächst durch Verdunstung an der Hautoberfläche des Ratten¬ 
kadavers in ihrer unmittelbaren Nähe eine erhebliche Temperatur¬ 
erniedrigung statthat. Trockene Hitze von 45° tötet sie auch dann 
innerhalb 45 Minuten ab, wenn sie dicht in Leibwäsche oder Gaze ein 
gewickelt sind. Danach empfiehlt sich für die Pestbekämpfung im An¬ 
schluss an die Ratten Vernichtung durch Kohlenoxydgas, dem die Flöhe 
widerstehen, ihre Abtötung durch Ein wirken lassen von trockener Hitze. 

Th. v. Wasielewski u. G. Wülker: Die Hämoprotensinfektion 
des Tsrmfalken. (Arch. f. Schifis u. Trop. Hyg., 1918, Bd. 22, Beiheft 2, 
100 Seiten und 4 Tafeln.) Die Aehnlichkeit mit dem Entwicklungsgänge 
der Malariaparasiten des Menschen gibt der Erforschung der Blutzell¬ 
schmarotzer der Vögel auch eine praktische Bedeutung. Als besonders 
geeignet für solohe Studien hat sich die Gattung Hämoproteus erwiesen 
und als ihr Wirtstier der Turmfalke (Cerchneis tinnunculus L.), weil 
bei ihm störende Mischinfektionen und andere Blutparasiten selten sind. 
Die Verff. stellen nun die Befunde früherer Untersucher zusammen und 
berichten über eigene umfangreiche, wenn auch noch nicht ganz abge¬ 
schlossene Untersuchungen. Die natürliche Infektion der jungen Vögel 
erfolgt durch den Stich von im Neste schmarotzenden Insekten. Dabei 
werden Ookineten ins Blut übergeimpft. Nach Krankheitsausbruoh finden 
sioh die Parasiten in mononukleären Leukozyten und wachsen auf 
Kosten der Wirtszellen zu vielkernigen Kugeln aus. Diese sind durch 
die verschiedene Färbbarkeit des Protoplasmas als männliche und weibliche 
Formen zu unterscheiden. Bei ihrem Zerfall entstehen zahlreiche Jung¬ 
formen, die wahrscheinlich anfangs wieder in Leukozyten eindringen, 
später aber unmittelbar oder durch nooh unbekannte Zwischenstadien 
rote Blutzellen befallen. Diese Versuchungsvorgänge vollziehen sich 
in den Kapillaren innerer Organe und sind als Agamogonie (Schizogonie) 
zu deuten. Im ohronischen, sich evtl, über Jahre hinziehenden 
Krankheitsstadium finden sich die Parasiten vorwiegend in Erythro¬ 
zyten. Zunäohst klein und unregelmässig begrenzt, wachsen sie zu 
Hantelformen (Halteridien) heran, die ausgereift nach ihrer Plasma- und 
Kernbesohaffenheit als männliohe (Mikrogametozyten) und weibliche 
(Makrogametozyten) zu unterscheiden sind. Nach dem Reifwerden ver¬ 
lassen sie die Wirtszellen, wandeln sioh in Mikro- und Makrogameten 
um, deren Befruohtungsvorgang sich im übertragenden Insekt vollzieht: 
Eindringen der Mikrogameten in den Makrogameten, Differenzierung der 
Ookineten und seines Restkörpers aus der Zygote. Weber. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Laryngologische Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 2. November 1917. 

Vorsitzender: Herr Killian. 

Schriftführer: Herr Gutzmann. 

Demonstrationen. 

1. Hr. A. Brock: 

Eia ftussergewöhnlieher Fall voa Phlegmone des Raeheas. 

M. H.1 Ich möchte Ihnen kurz über einen Fall von schwerster 
Rachenphlegmone berichten, den ich auf meiner Station im Garnison¬ 
lazarett I, allerdings nur zwei Tage bis zu seinem letalen Ausgange, 
habe beobachten können — einen Fall, ungewöhnlich durch den ganz 
ausserordentlich rapiden Verlauf — das ganze Drama spielte sich in vier 
Tagen ab — und durch den Obduktionsbefund. Man sieht eigentlich 
solche Fälle verhältnismässig selten ad exitum kommen, und wo es 
ausserhalb der klinischen Praxis der Fall ist, hat man selten Gelegen¬ 
heit, den Sektionsbefund zu erheben. Patient wurde kürzlioh in sohwer 
krankem Zustand eingeliefert. Er machte bei der ersten Untersuchung 
einen ausserordentlich hinfälligen Eindruck. Temperatur dauernd gegen 
40°, Puls 112. Er war zwei Tage vorher mit Schluokbesohwerden er¬ 


krankt, die so rasch und intensiv Zunahmen, dass er auch nicht einen 
Tropfen schlucken konnte. Die Halspartien waren beiderseits stark druck¬ 
empfindlich; der Mund wurde nur schwer geöffnet, aber doch so weit, 
dass man einen Einblick gewinnen und mit Not und Mühe den Finger 
zwischen die Zahnreihen durohzwängen konnte. Die Rachenschleimbaut 
war diffus gerötet, vorwiegend in der Gegend der vorderen Gaumen¬ 
bogen, das Zäpfchen etwas ödematös, Fluktuationen dagegen nirgends 
zu fühlen. Nur wenn man auf den linken Gaumenbogen drückte, quoll 
etwas Eiter aus der Supratonsillarbucht hervor. Ich ging mit der 
Spreizzange in die Supratonsillarbucht ein, konnte aber keinen Tropfen 
Eiter entleeren, ebensowenig als ich indizierte. Ich habe dann des 
Nachmittags aut der rechten Seite dasselbe versucht, wieder ohne Erfolg. 
Am nächsten Tage war die Schwellung auf der linken Seite etwas 
zurückgegangen, rechts dagegen noch stärker geworden, ln der darauf 
folgenden Nacht starb der Patient unter Zeichen der Herzlähmung. 
Das Sektionsprotokoll, von Herr Prof. 0Ostreich, lautet: 

„Rachenteile massig gerötet. Starke Schwellung beider Tonsillen, 
besonders der rechten mit geringfügigem fibrinösen Belag. Ausgedehnte 
retroösophageale Phlegmone. Kehlkopf leicht gerötet, ohne Belag. — 
Lungen blutreich und ödematös. Die Milz stark geschwollen, weich. 
Pulpa quillt hervor. Herzfleisoh getrübt, Klappen intakt. Leber, Nieren 
trübe. Magen-Darmkanal und Beckenorgane o. B. Arachnoidea in der 
Konvexität stark weisslich getrübt und ödematös. Gehirnsubstans frei 
von Herderkrankungen. — Diagnose: Amygdalitis fibrinosa. Phleg¬ 
mone retrooesophagea et retropharyngea. Septischer Milztumor. Hyper¬ 
ämie und Oedem der Lungen. Hepatitis, Nephritis parencbymatosa. 
Oedem der Arachnoidea. Leptomeningitis.“ 

Der Mann ist also an einer schweren Sepsis zugrunde gegangen, die 
von der Tonsille ihren Ursprung genommen hat. Nach dem Befunde, 
den ich erheben konnte, hat zunächst anscheinend wenigstens eine links¬ 
seitige peritonsilläre Eiterung Vorgelegen. Während der Prozess aber 
auf der linken Seite zurückging, kroch er auf der rechten sehr schnell 
weiter und ging nun merkwürdigerweise sofort auf das Gewebe hinter 
der Speiseröhre über. Bei der Obduktion sahen wir an dem Präparat 
eine sehr dicke, ich kann wohl sagen mehr als daumendicke ödematös- 
sulzige Schwellung, die vom Hypopharynx auf der rechten Seite an der 
Hinterwand der Speiseröhre tiet herunterreiohte. Solche Schwellungen 
lassen sich schwer konservieren. Ich kann Ihnen daher nur nooh die 
Residuen, welche die Kayserling’sche Lösung festgehalten hat, zeigen. 

Ein Abstrichpräparat ist aus äusseren Gründen — der Patient war 
schwer zu regieren — nicht gemacht werden. Wir haben dann aber 
ein kleines Stückchen aus dem Leichenpräparat exzidiert, eingebettet 
und nach Lithion-Carmin Gram geiärbt. Es fanden sioh reichliche Nester 
von Streptokokken, keine Diphtheriebazillen. Der Fall erinnert in seiner 
Schwere an die erysipelatösen Prozesse des Pharynx und an die seiner¬ 
zeit von Senator beschriebene akute infektiöse Phlegmone. (Demon¬ 
stration des Präparats.) 

Uebrigens noch ein Wort über den Larynxl Es war nur der Kehl¬ 
deckel geiötet, nicht einmal geschwollen, das Kehlkopfinnere selbst 
vollkommen normal. 

Diskussion. 

Hr. Musehold: M. H.! Ich bin in der Lage, Ihnen einen ähnlichen 
Fall anzuführen, bei dem allerdings die Phlegmone nioht retropharyngeal, 
sondern unter der Mandel, al&o seitwärts, entstanden ist. Der Kranke 
war wegen Mandelentzündung bei uns eingeliefert worden. Nach vier 
Tagen wurde Mandelabszess vermutet Bei der Untersuchung war aber 
von einer Vorwölbung oder Schwellung, die auf Eiterverhaltung sohliessen 
liess, nichts zu sehen. Es bestand nur eine intensive Rötuug und ge¬ 
ringe Schwellung der linken Gaumenfalten. Beim Laryngoskopieren 
zeigte sich die ganze linke Seite des Pharynx höckerig geschwollen, 
nioht glatt hervorgewölbt, so dass etwa ein Viertel von der Epiglottis 
und der linke Sinus pyriformis verdeckt war. Am nächsten Tage hatte 
Patient pneumonisches Sputum mit dem Befunde einer beginnenden 
Pneumonie. Die Sohwellung im Pharynx war kleiner geworden, be¬ 
sonders im untersten Teile. Dagegen bestanden Sohmerzen auf der 
linken Halsseite mit nur geringer Schwellung. Am Tage darauf fand 
sioh ein Abszess über dem Sternoklavikulargelenk, der sofort inzidiert 
werden musste. Obwohl der Abszess eine Ausbuchtung nach oben zeigte, 
wurde er mit Recht für septisch gehalten, zumal sioh weiterhin nooh 
4 Abszesse an verschiedenen Körperstellen einstellten. Es ist not¬ 
wendig, bei jeder Mandelentzündung zu laryngoskopieren. Man ist sehr 
leicht geneigt, die Schlingbeschwerden lediglich aut die Entzündung der 
Tonsille zurüokzuführen und kann dabei doch unangenehme Ueber- 
raschungen erleben durch Vorgänge, die sioh im unteren Pharynx ab¬ 
spielen, zumal der septisohe Charakter der Mandelentzündung im Anfang 
nicht erkennbar ist. 

Hr. A. Bruck: Ich glaube doch, dass zwischen den beiden Fällen 
ein Unterschied besteht, vor allen Dingen darin, dass in meinem Falle 
gar keine Neigung zu einer stärkeren Einschmelzung vorhanden war. 
Bemerkenswert war der von Anfang an progrediente Charakter, der den 
ganzen Prozess in vier Tagen sioh abspielen liess. Dass der Mann ein 
bissohen Eiter links gehabt hat, will nicht viel sagen. Die Temperatur 
ist übrigens auch nach Entleerung des kleinen Eiterherdes nicht um 
einen Strich heruntergegangen, sie hielt sich dauernd auf 40°. 

Hr. Musehold: In meinem Falle war auoh kein Abszess zu sehen, 
sondern nur eine höckerige Schwellung. Wenn ein Abszess sioh ge¬ 
bildet hätte, würden wir eine glatte Vorwölbung der Wand gehabt haben, 


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22. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ähnlich wie bei Peritonsillitis. Der Prozess ist anf dem Wege der 
Lymphgefässe weiter naoh unten gegangen und bat zu dem septischen 
Abszess geführt, der fast eine Reinkultur von Streptokokken enthielt. 

Hr. Killian: Beide Fälle sind sehr zahlreich. Es kann, — was 
in der Regel nicht geschieht — yon den Tonsillen aus das lockere 
Zellgewebe jenseits des Muskelwalles, welchen der Konstriktor bildet, 
infiziert werden, d. h. eine peripharyngnale Phlegmone entstehen, hinten 
oder seitlich. Gewöhnlich spielen siob die Absonderungen, die von 
den Mandeln ausgehen, innerhalb des Muskelwalles ab. Davon zu unter¬ 
scheiden sind noch die rein erysipelatösen Sohleimhauterkrankungen. 
Wir haben erst vor kurzem einen solohen Fall erlebt; vom Rachen aus 
kroch der Prozess durch die Nase zur äusseren Haut. 

2. Hr. A. Brick: Brich des Träieibcias. 

Ich bitte um Gehör für eine zweite Demonstration. Der Patient, 
ein 19 jähriger Grenadier, den ich erst dieser Tage gesehen habe, zeigt 
ein etwas ungewöhnliches Phänomen. Wenn er bei geschlossener Nasen- 
und Mundöffoung schnaubt, also den positiven Yalsalva macht, so hört 
man in der Gegend des reohten Auges ein feines zischendes, zum Teil 
piepsendes Geräusch und sieht am inneren Augenwinkel Sekret, mit 
Luftblasen gemischt, auftreten. Die Krankengeschichte besagt, dass er 
kürzlich in der Kasernenstube gefallen und mit der Nase gegen eine 
harte Stuhlkante geschlagen ist. Er bekam die übliche Auftreibung in 
der Gegend des reohten Nasenrückens, deren Residuen man noch bei 
der Aufnahme sehen konnte, nebst einer kleinen Schrunde, die inzwischen 
glatt verheilt ist. Eine Nasenblutung wurde nicht beobachtet. Die 
Angaben des Patienten lauten ganz bestimmt dahin, dass er die vorhin 
angegebenen Erscheinungen erst seit dem Unfall an sich beobachtet habe. 
Er hat dann aber noch eine andere eigenartige Wahrnehmung an sioh 
gemacht: wenn er Zigarettenrauch mit Vehemenz durch die Nase blies, 
drang auch etwas Rauch aus dem Augenwinkel heraus. Auch das hat 
er vorher nioht beobachtet. Die Angabe des Patienten lautete so präzis, 
dass ich seine Beobachtung als wahr unterstellte und sofort an die 
Möglichkeit einer Fraktur dachte, und zwar im Bereiche der lateralen 
Nasenwand, soweit sie sioh mit der medialen Orbitalwandung deckt. 
Eine Verletzung in der Nase war nicht zu sehen, ebensowenig eine solche 
der Konjunktivs. Wenn man genauer zusah, konnte man deutlich wahr¬ 
nehmen, dass Flüssigkeit und Luftblasen immer aus dem oberen Tränen¬ 
punkt herauskamen. Wenn man die Stelle isoliert mit einem kleinen 
Sondenknopf oder durch Einführung einer Sonde verschloss, so hörte das 
Phänomen auf, um sofort stärker in die Erscheinung zu treten, sobald 
der Verschluss gelöst wurde. Aus dem unteren Tränenpunkt kam nichts 
heraus. Wenn man den Verschluss häufiger wiederholte, so blähten sich 
die Augenlider etwas auf. Das Experiment mit dem Tabakrauch gelang 
nur einmal, ganz im Anfang. Ich nahm meine Zuflucht naturgemäss 
zum Röntgen verfahren. Ich habe Ihnen hier zwei Platten eingestellt, 
eine Aufnahme im sagittalen und eine im dorsoanterioren Durchmesser. 
Die sagittale Aufnahme hat nichts ergeben, wie das bei der komplizierten 
Anatomie dieser Gegend auch kaum anders zu erwarten war. Dagegen 
zeigt die dorsoanteriore Platte etwa an der Grenze zwischen dem oberen 
und mittleren Drittel der lateralen Nasenwand rechts eine Frakturstelle, 
ungefähr entsprechend der Gegend des oberen Tränenpunkts. 

Es handelt sioh also hier um eine Fraktur der lateralen Nasenwand, 
soweit sie der medialen Orbitalwandung entspricht, offenbar des Os 
laorymale oder des Proc. frontalis maxillae superioris, vielleicht auoh 
beider, mit gleichzeitiger Zerreissung der medialen Tränensackwand. Diese 
Auffassung ist auoh von äugen ärztlicher Seite geteilt und bestätigt 
worden. 

loh habe mir selbstverständlich auch die Frage vorgelegt: könnte 
es sioh nioht in solchen Fällen um eine abnorme Durchlässigkeit des 
Tränenkanals handeln? Es ist mir von kollegialer Seite mitgeteilt worden, 
dass man gelegentlich naoh Adenotomien oder forcierter Tamponade 
bei Nasenblutungen etwas Blut am inneren Augenwinkel auftreten sieht. 
Ich muss gestehen, dass ich nie etwas Derartiges gesehen habe. Ausser¬ 
dem weist auch die Anamnese mit absoluter Bestimmtheit auf den Unfall 
hin, und das Röntgenbild bestätigt es. 

Diskussion. 

Hr. Gutzmann: loh darf sagen, dass ich seit langer Zeit einen 
Herrn kenne, der nie einen Unfall erlitten hat, der aber „durch die 
Augen* rauchen kann. 

Hr. Halle: loh glaube der Deutung des Röntgenbildes nicht. Die 
rissartige Bildung, die man sieht, zeigt sieh in ähnlicher Form etwas 
seitlich noch einmal. Das Röntgenbild kann absolut täuschen. Wenn 
man nur naoh dem Bilde urteilen wollte, so dürfte es viel wahrschein¬ 
licher sein, dass der Mann erst naoh diesem Unfall es gemerkt hat, dass 
er den Rauch durohblasen kann. 

Hr. A. Bruck: Ich habe bisher versäumt, eine stereoskopische 
Aufnahme zu machen. Vielleicht würde man dann Genaueres sehen, 
loh habe, beiläufig gesagt, den unteren Nasengang abgedämmt, die 
Oeffnung des Tränenkanals sorgfältig tamponiert, und trotzdem ist die 
Erscheinung aufgetreten. Der Patient bat sich im übrigen auch vorher 
oft genug sehr energisoh die Nase geschnaubt und trotzdem nie etwas 
Derartiges bemerkt. Es heisst doch, den Tatsachen etwas Gewalt antun, 
wenn man die ganz bestimmt lautende Anamnese ausser acht lassen 
wollte. Der Patient berichtet durchaus präzis von seinem Unfall und 
bekundet, dass er von demselben Moment an das Phänomen beobachtet 


hat. Ich weiss nicht, wie man daran vorbeikommen will. (Hr. Killian: 
Das Abdämmen ist dooh absolut beweisend!) Das Abdämmen im unteren 
Nasengang lässt sich sofort demonstrieren; wenn man ganz fest aus¬ 
tamponiert, tritt das Geräusch nicht so deutlich auf. ( 

Hr. West: Meine Herren 1 Ich bin der Ansicht des Herrn Kollegen 
Halle, dass das Röntgenbild nicht stimmt. Warum soll es nicht 
möglich sein, dass der Patient es erst naoh dem Unfall gemerkt hat? 
Ich habe jetzt eine Patientin, die ioh vorstellen kann, wo man dieselbe 
Erscheinung jeden Tag beobachten kann und die Patientin ist auoh 
nioht verletzt worden. Es gibt eben Leute, die einen solchen Tränen¬ 
apparat haben, dass sie Luft und Rauoh durch den Tränenpunkt aus¬ 
schnauben können. Jedenfalls hat der Mann es vorher nioht gemerkt. 
Es ist wahrscheinlicher, dass er die Erscheinung gehabt hat, bevor die 
Verletzung erfolgt ist. Eine Verletzung der Nase kann leicht zu einer 
Verengerung des Tränennasenganges führen. Solche Fälle habe ich 
wiederholt erlebt, und durch die intranasale Tränensaokoperation ge¬ 
heilt. Es ist aber schwer zu verstehen, wie eine Verletzung der Nase 
zu einer Erweiterung des Tränennasenganges führen kann. (Hr. A. Bruck: 
Ist das doppelseitig oder einseitig?) (Hr. West: Einseitig!) Dann wäre 
aber dooh das Experiment mit der Tamponade des unteren Nasenganges 
nioht zu erklären. 

3. Hr. W&ldevar Müller: Neuartige Röntgeibilder. 

M. H.1 Bisher pflegte man anzunehmen, dass bei Röntgenaufnahmen 
die Abzüge von der Platte niemals mehr zeigen könnten als die Original¬ 
platte. Sie sehen hier einige neuartig gewonnene Abzüge, die bedeutend 
mehr zeigen als die Platte. (Demonstration.) Hier z. B. eine einseitige 
Stirnhöhleneiterung. Ich bitte, bei der Gelegenheit auch einige andere 
Bilder vorführen zu dürfen, die naoh diesem Verfahren gewonnen sind, 
wenn sie auch andere Körperteile betreffen, die nicht ohne weiteres hier 
interessieren dürften. Es ist z. B. möglich, nach diesem Verfahren die 
Knochensohatten auszuschalten, so dass nur die Weiohteile zu sehen 
sind. Hier sehen Sie eine Herzaufnahme ohne die Schatten des Brnst- 
beins, der Wirbelsäule und der Rippen, ohne Retouohe gewonnen. Von 
dem gleichen Bilde, d. h. der gleichen Platte, ist der zweite Abzug ge¬ 
wonnen. Die beiden Abzüge scheinen ganz verschieden zu sein; der 
eine ist jedoch nur seitenverkehrt zum andern. Es wurde hier ver¬ 
sucht, den Herzschatten aaszuschalten, während dort der Knochensohatten 
ausgesohaltet wurde. Dabei ergab sich dieses merkwürdige Herzbild, 
bei dem die Herzwandungen vom Herzinhalt getrennt sind. Auf einem 
weiteren Bilde ergab sich in der Höhe der Aortenklappe dieser eigen¬ 
artige Schatten, der in letzter Zeit von verschiedenen Herren, die be¬ 
sonders auf diesem Gebiete sachverständig sind, als Aortenklappenscbatten 
angenommen worden ist. Dass man die Knochen vollständig aussohalten 
kann, sehen wir auf diesem Bilde. Wir haben hier das Schienbein glas¬ 
artig durchsichtig, so dass die Weiohteile ebenso siohtbar sind wie früher 
die Knoohen. Wir sehen hier einen Schatten, der auf Ablagerungen 
in den Weichteilen zurückgeführt wird. Der Patient gab an, in dieser 
Höhe eine Knoohenbautentzündung gehabt wu haben und jetzt noch 
Schmerzen zu empfinden. Der Schatten erstreckt sich bis weit in die 
Weichteile hinein. Man sieht bei diesem Verfahren sowohl das, was 
rechts und links von dem Knoohen ist, wie bisher, als auch das, was 
hinter dem Knoohen liegt und früher duroh den Knochen verdeckt war. 

Man kann die Methode auoh noch mit dem B6la-Alexander*schen 
Verfahren vereinigen und bekommt danu ein Bild, bei dem man den 
Knochenschatten und den Weiohteilsohatten ungefähr gleich stark hat. 
Bei diesem Verfahren treten ausserdem die Konturen in Reliefform stark 
hervor. Aus diesem Bilde hier ergab sioh dann im Fersenbein an einer 
erbsengrossen Stelle das Vorhandensein kleiner Brüche, die auf der 
Originalplatte zuerst nioht erkannt wurden, sondern erst auf diesem Ab¬ 
züge. Mit dem Verstärkungsverfahren, naoh dem die Abzüge auf 
physikalischem, nioht auf ohemisohem Wege gewonnen werden, ist es 
möglich, beliebige Verstärkungen vorzunehmen; wir haben eine bis zu 
Beohzigfache und noch höhere Verstärkung erreicht. Die obere Grenze 
soheint dadurch gegeben zu sein, dass die Fehler, die an der Platte 
oder am Entwiokelungsverfahren gelegen haben, auch entsprechend mit¬ 
verstärkt werden, so dass das Bild schliesslich seinen Charakter verliert. 

Inwieweit die Verfahren zur Gewinnung der neuartigen Röntgenbilder 
für Ihre Wissenschaft noch Verwendung finden können, das vermag ich 
nicht so gut zu entscheiden wie Sie. (Hr. Scheier: Wie ist die Me¬ 
thode?) Die Erklärung der Methode des Verfahrens würde zwei bis drei 
Stunden dauern. Es ist ausserordentlich umständlich. Jetzt ist dadurch 
eine bedeutende Vereinfachung eingetreten, dass es mir gelungen ist, 
automatische Apparate zu konstruieren. Ich habe ungefähr zwei Jahre 
gebraucht, um dieses Verfahren auszubilden, weil ich auf eigene Hand 
und naoh eigenen Beobachtungen Vorgehen musste. Eins darf ich hervor¬ 
heben: es handelt sioh im wesentlichen darum, mit parallelen Strahlen 
zu kopieren aus grosser Entfernung in bestimmter schräger Richtung 
und mit Licht verschiedener Wellenlänge, also mit verschiedenen Farben. 
Es kommen noch eine ganze Reihe anderer Sachen hinzu, über die ich 
zum Teil nioht spreoben kann, auch noch nioht darf. (Hr. Scheier: Es 
handelt sich also um ein Kopierungsverfahren, nioht um die Aufnahme 
selbst?) Es lässt sich aber auch durch neue Aufnahmeverfahren möglich 
machen, die Sekundärstrahlen auszuschalten, die duroh ihre Schrägwirkung 
ein unklaies Bild, besonders bei der Aufnahme umfangreicher Körperteile, 
z. B. des Beckens, bei korpulenten Personen usw. hervorrufen. loh kann 
nur kurz hervorheben, dass es sich bei einer dieser Methoden um 
folgendes handelt. 


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UNIVERSUM OF IOWA 



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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Eine Anzahl parallel geriohteter Metallwände ist an einem 
schwingenden Pendel befestigt. Dieser Pendel wird während der Auf¬ 
nahme zwischen Röntgenröhre und Körperteil vorbeigeschleudert und 
lässt infolgedessen nur die wagereoht parallel kommenden Strahlen hin¬ 
durch. Die Wände würden einen Schatten werfen, wenn sich nioht durch 
die Pendelwirkung das Schattenwerfen vollständig ausschalten liesse. 
Auf diese Weise erhalten wir nur eine reine Para) lelstrab len Wirkung der 
Röntgenstrahlen, die Sekundärstrahlen können nioht in Betracht kommen, 
weil wir noch ausserdem ein senkrecht hieran also von oben nach unten 
schwingendes Pendel auch zwischen Körper und Platte anwenden. Das 
Verfahren ist noch etwas kompliziert, aber es lässt sioh nooh weiter 
vereinfachen. 

Hr. Killian: loh danke dem Herrn Vortragenden für diese faoh- 
interessante Demonstration. Das neue Verfahren wird sich auf unserem 
Gebiet gut verwerten lassen. 

Hr. Waldemar Müller: Gewiss. Ich bin in der Lage, in der 
Röntgenabteilung des Hauptsanitätsdepots, in welcher ioh nebenamtlich 
tätig bin, wo auch die Röntgenröhrenreparaturwerkstätte sich befindet, 
derartige Versuche auszuführen. 

4. Hr. Lautenschläger: 

Vorstellung eines Falles von einseitiger Ozaena» 

M. H.! Es ist in dieser Gesellschaft in Abrede gestellt worden, 
dass die einseitige Ozaena vorkommt. loh habe hier einen ganz ein¬ 
deutigen Fall mitgebracht, den ioh seit drei Wochen beobachte. Die 
rechte Seite ist absolut gesund, auf der linken Seite besteht eine aus¬ 
gesprochene Ozaena, die ich, trotzdem sie ziemlich weit vorgeschritten 
ist, in der nächsten Woche operieren will. Es interessiert mich zu hören, 
was Sie über den Fall sagen. 

Diskussion. 

Hr. Killian: loh glaube, ich spreche im Sinne aller, die den Fall 
gesehen haben, wenn ich sage, dass das ein ganz einwandfreies Beispiel 
einer halbseitigen Ozaena ist. Die rechte Seite ist ganz frei von Krusten 
und Atrophie. (Hr. Sturmann: Das ist aber die engere Seite infolge 
von Verbiegung der Nasenscheidewand!) Die Nasensoheidewand ist kaum 
verbogen. (Hr. Sturmann: Oder die Leiste der Nasensoheidewand!) 
Ioh sehe keine nennenswerte Leiste. Wenn wir uns über einen so 
einfachen Fall nicht einigen können, was soll dann erst mit den kom¬ 
plizierten werden? 

Hr. Stur mann: loh bestreite nicht, dass dieser Fall für meine 
Erfahrungen ein Unikum darstellt. Wenn ich auch sogenannte einseitige 
Fälle von Ozaena gesehen habe, so waren das Fälle, in denen die ver¬ 
engte Seite nur etwas flüssiges Sekret, aber keine Borkenbildung und 
keine Atrophie aufwies. Dass die verengte Seite so völlig gesund ist, 
habe ioh noch nicht gesehen. Ioh wundere mich aber, dass darüber 
Zweifel bestehen, dass die rechte Seite durch die Bildung des Septums 
an sich vertagt ist, nicht bloss dadurch, dass die untere Muschel nioht 
atrophisch ist. Das Septum ragt nach dieser Seite über die Mittellinie 
hinaus. 

Hr. Killian: M. H.! Ich muss das bestreiten. Die rechte Seite 
ist otwas enger, weil das Septum ein bisschen nach rechts steht. Die 
Beispiele, die ioh früher gesehen habe, waren alles Fälle mit ausgesprochen 
starker Septumverbiegung und Leistenbildung. Auch im Nasenrachen 
sieht man reohts kein Sekret, links dagegen dicke Massen von Schleim. 
Das ist so überzeugend, dass ioh wirklioh sagen muss: dies ist ein ein¬ 
wandfreier Fall von halbseitiger Ozaena. 

Hr. Halle: Ich habe immer bestritten, dass es derartige Fälle 
gibt. Nach diesem Falle muss ich die Möglichkeit zugeben: es ist kein 
Zweifel daran. Im übrigen unterschreibe ich das, was Kollege Sturmann 
gesagt bat. Gewöhnlich sieht man auch auf der verengten Seite etwas 
Borkenbildung, irgend eine Stelle beginnender Atrophie. In diesem 
Falle habe ioh nichts dergleichen gesehen. 

Hr. Lautenschläger (Schlusswort): Ich sehe, wie notwendig es 
war, einen derartigen Fall vorzustellen; an der Einseitigkeit der Er¬ 
krankung ist nicht im mindesten zu zweifeln. Es besteht kaum eine 
Andeutung einer Septumdeviation. Die rechte Seite ist normal und 
vorne deshalb auch eng, weil keine Atrophie da ist. Ioh habe auch die 
Ghoanen und den Nasenrachenraum beobachtet. Nur auf der linken 
Seite der Fornix zeigten sioh Borken und Sekret, auf der reohten Seite 
waren die Ghoanen stets frei. Ich lege Wert darauf, dass Sie sioh von 
der Einseitigkeit der Ozaena überzeugen. 

5. Hr. Killian: a) Fall von' Kehlkopfzchnss. Der Patient kam zu 
uns mit Kehlkopfschuss, nachbehandelt mit einer Schornsteinkanüle. 
Es war eine glottische und subglottische Stenose hochgradiger Art 
zurückgeblieben, die meine Behandlung notwendig machte. Wir haben 
die Laryngofissur gemacht, haben die Narbe exzidiert, die beiden Stimm¬ 
lippen und die angrenzenden Teile der Taschenbänder entfernt und ein 
Laryngostoma angelegt. Auf diese Weise wurde ein Teil der äusseren 
Haut in das Innere des Larynx hineingezogen, um die verengte Stelle 
erweitern zu helfen. Nachdem das in befriedigender Weise gelungen und 
festgestellt war, dass der Patient genug Luft hatte, wurde die Oeffnung 
plastisch geschlossen. Das Resultat war befriedigend. Der Patient hat 
reichlich Luft und kann seinem Berufe als Schlosser nachgehen. 

b) Pharyngotomie infrahyoidea. Der Fall ist mir von Herrn Brühl 
zur Begutachtung geschickt worden. Patient behauptet, dass er im 
Jahre 1904 wegen Diphtherie traoheotomiert worden sei; seit der Zeit 
sei er etwas kurzatmig. Diese Kurzatmigkeit hat ihn aber nioht ge¬ 


hindert, sioh bei Ausbruch des Krieges freiwillig zu stellen und ein 
paar Monate lan? den Feldzug mitzumachen. Dabei war ihm nur der 
Marsch mit dem Tornister nicht sehr sympathisch. So ging es eine ganze 
Weile. Nur wenn er eine akute Laryngitis bekam, hatte er etwas eng. 
In letzter Zeit hatte er eine schwere Erkältung durohgemacht und stand 
vor der Tracheotomie. Wenn Sie den Patienten laryngoskopieren, so 
können Sie einen ganz merkwürdigen Befund erheben. Sein Larynx- 
eingang ist' ausserordentlich eng. Ueber den freien Teil der Epiglottis 
zieht sich quer eine Narbe. Die aryepiglottischen Falten gehen nicht in 
die Seiten des Kehldeckes schön im Bogen über, sondern sind vorn am 
Kehldeckel eng zusammengerückt und stehen mit der Narbe in Ver¬ 
bindung. Es muss also in diesem Falle etwas ganz besonderes vorge¬ 
gangen sein. Ausserdem sind die aryepiglottischen Falten in eigentüm¬ 
liche Lappen umgebildet, die bei der Inspiration eingesogen, bei der 
Exspiration wieder herausgeblasen werden. Wenn der Patient phoniert, 
vibrieren die Lappen, es bleibt aber zwischen ihnen ein ziemlicher 
Zwischenraum, so dass man sich überzeugen kann, dass der Ton, den 
er hervorbringt, nicht durch den Spalt zwischen den Lappen entsteht. 
In der Tat sieht man auch zwischen den Lappen hindurch in der Tiefe 
ein ganz gesundes rechtes Stimmbad. Ich bin überzeugt, dass auch ein 
gutes linkes Stimmband vorhanden ist. Nach diesem Befund habe ich 
mir den Patienten noch einmal genauer von aussen angesehen. Er zeigt 
eine lange Schnittnarbe quer über den Hals, zwischen Zungenbein und 
Schildknorpel. Ausserdem sieht man eine Tracheotomienarbe. Es handelt 
sioh hier um eine Paryngotomia infrahyoidea, die quer durch den Kehl¬ 
deckel hindurchgeht. Ich vermute, dass es sich nioht um eine Diphtherie 
gehandelt hat; es muss etwas besonderes vorgegangen sein. Durch 
nachträgliche Erhebung im Krankenhaus Westend erfahren wir, dass ein 
Suicidversuoh vorlag und die tiefe, in den Rachen reichende Wunde 
primär genäht wurde. 

Ich hätte nooh erwähnen sollen, dass der Patient eine höchst mangel¬ 
hafte Nasenatmung hat (Septumdeviation und Muschelhypertrophie), 
auch ein sehr starker Schnarcher ist. Ich bin überzeugt, dass unter 
dem Einflüsse des Schnarchens sioh die aryepiglottischen Falten in 
solche Wülste verwandelt haben; denn ioh habe sohon früher Fälle mit 
derartiger Lappenbildung der aryepiglottischen Falten gesehen, bei denen 
das Schnarohen die Ursache war. 

(Sohluss folgt.) 


Medizinische Gesellschaft zu Güttingen. 

Sitzung vom 10. Januar 1918. 

Hr. Lange zeigt, einen Soldaten, der mit der Diagnose Postieu- 
lähmang in seine Klinik elngeliefert wurde. Im Lazarett war iregen 
Erstickungserscheinungen nach Typhus die Tracheotomie gemacht worden. 
Einige Tage nach der Einlieferung stellte sich spontan laute Stimme 
ein, und Patient konnte auch nach Entfernung der Kanüle gut atmen. 
Nach wenigen Stunden wieder Atemnot. Der laryngoskopiscbe Befund 
ergab: Keine Perichondritis, keine Postiouslähmung, aber Arthritis der 
Aryknorpel, wodurch diese festgestellt wurden. Dadurch wurde das Bild 
der Postiouslähmung vorgetäuscht. Hinzu kommt noch funktioneller 
Spasmus auf hysterischer Grundlage. Patient trägt jetzt Sprachkanüle. 

Hr. Hippel: Ueber Psendotaberkilose des Auges. 

Bei einem 2 jährigen Kinde war ein Auge nach längerer Entzündung 
erblindet. Bei der Untersuchung fanden sioh rötliche Knötchen im 
episkleralen Gewebe, ferner phlyktänenähnliohe Randknötchen im unteren 
Teil der Iris. Der Bulbus war weich. Es wurde die Diagnose Tuberkulose 
gestellt und der Augapfel enukleiert. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sioh in mehreren 
Knötchen Haare. Damit war die Diagnose sichergestellt, es handelte 
sich um „Pseudotuberkulose“ des Auges oder „Ophthalmia nodosa“, die 
durch Verletzung mit Raupenhaaren entsteht. Diese Erkrankung ist zu¬ 
erst von Pagenstecher beschrieben, danach sind noch etwa SO Fälle 
veröffentlicht. 

Zwei Groppen von Krankheitsbildern werden unterschieden: 

Die 1. Form besteht in akuter, eitriger Konjunktivitis mit gutartigem 
Verlauf. Kommt in raupenreichen Wäldern vor. Uebertragung wahr¬ 
scheinlich durchWind. Oft kombiniert mit urticariaartiger Hauterkrankung. 

Die 2., seltenere Form entsteht nur, wenn eine Raupe in direkten 
Kontakt mit dem Auge kommt. Dann lösen sich die Stachelhaare der 
Raupen ab und gelangen in das Augeninnere. Die Erkrankung besteht 
in kurzdauerndem Reizzustand der Konjunktivs, danach tritt Knötchen¬ 
bildung ein. Ferner starke, schubweise Entzündung der Iris mit Exsudat¬ 
bildung und Verklebung der Pupille, in manohen Fällen Glaskörper¬ 
trübungen und Sekundärglaukom. 

Die Ursache der Entzündung ist wahrscheinlich eine ohemisohe. 
Durch Kontraktion der Muskeln im Auge können die Haare wandern und 
immer wieder neue Knötchen bilden. 

Das Schicksal der Haare kann verschieden sein; entweder werden 
sie ausgestossen, oder kleine Stückchen von ihnen können resorbiert 
werden, oder sie werden bindegewebig eingekapselt. 

Die Bezeichnung Pseudotuberkulose bezieht sich auf den klinischen 
und den anatomischen Befund. Anatomisch findet man als äusserate 
Schicht der Knötchen einen Wall von Leukozyten, nach innen davon eine 
Zone von Epitheloidzellen mit grossen Riesenzellen. Die innerste Schicht 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 




22. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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besteht aas kleinen Zellen mit danklem Kern und Zerfallsersoheinungen. 
Nie findet man Verkäsung, nie Bakterien. 

Als Erreger kommen die Raupen des Prozessions- und des Brombeer- 
spinners in Betracht. 

Aehnliche Erkrankungen können auch durch Pflanzenhaare hervor- 
gerufen werden. _ 


Sitzung yom 7. Februar 1918. 

Hr. Schalle demonstriert einen Fall von spastischer Spinalparalyse 
als Teilersoheinung einer Lues cerebro spinalis, um bei dieser Gelegenheit 
an zwei weniger beachtete Reflexe, den Mendel-Bechterew’sohen und 
den Rossolimo’schen Reflex zu erinnern. 

Hr. Schalxe: Zar Diagnose der Epilepsie bei Soldatea. 

Es ist militärisch von grosser Wichtigkeit, festzustellen, welcher 
Art die Krampfanfälle sind, die bei Soldaten beobachtet werden. Am 
häufigsten kommt die Differentialdiagnose zwischen Epilepsie und Hysterie 
in Betraoht. — Zur Epilepsie rechnete man früher die von Fried mann 
beschriebenen Absenzen, die bei Kindern Vorkommen, durch äusseren 
Anlass ausgelöst werden und in der Pubertätszeit ohne Gehirnschädigung 
verschwinden. Dass diese in der Jugend auftretenden Absenzen Vor¬ 
läufer der späteren Epilepsie sein sollen, hat sich als nicht richtig 
erwiesen. 

Eine 2. Form von Anfällen bildet die ebenfaslls von Friedmann 
beschriebene Narkolepsie. Der Patient verfällt bis zu 4 mal täglich in 
einen Schlaf von etwa Vs Stunde Dauer und zwar unter Umständen, die 
auoh sonst den Schlaf begünstigen; z. B. bei Soldaten auf Horchposten 
beschrieben. Therapeutisch nicht zu beeinflussen. Prognose gut. Hat 
mit Epilepsie nichts Gemeinsames. 

Ais 3. Form kommen die Affektepilepsie (Brass) oder die psych- 
asthenischen oder intermediären Krämpfe (Oppenheim) in Betraoht, die 
auoh von Bonhoefer beschrieben wurden. Es handelt sich um seltene 
Anfälle infolge von Affekt, die mit den äusseren Reisen wieder ver¬ 
schwinden und keine Verblödung hinterlassen. Patienten mit solchen 
Anfällen sind garnisondienstfähig. 

Am schwierigsten ist die Unterscheidung zwischen Epilepsie und 
Hysterie. Sehr häufig finden sich bei Epileptikern auoh hysterische 
Erscheinungen. Typische Anfälle sind leicht zu diagnostizieren. Aber 
pathognomonisohe Symptome für Epilepsie oder Hysterie gibt es nicht, 
man kann nur von Majoritätssymptomen spreohen. Sch. erwähnt eine 
Anzahl von Symptomen, die meist bei einer der beiden Erkrankungen 
Vorkommen, aber auch bei der andern auftreten können. Nur ein 
Symptom spricht, wenn es vorhanden ist, absolut für Epilepsie, das ist 
das Babinski’sohe Phänomen, das 4—5 Minuten nach dem Anfall auf¬ 
treten und 15—20 Minuten lang nachweisbar sein soll. Für Epilepsie 
spricht ferner, wenn in der Aszendenz Epilepsie oder Alkoholismus vor¬ 
handen waren, ebenso Linkshändigkeit, periodische Kopfschmerzen, Links¬ 
händigkeit in der Aszendenz. Wichtig ist stets, die Art der Persönlichkeit 
zu bewerten. Künstliches Auslösen von Anfällen ist durch psychische, 
ohemische und physikalische Methoden möglich, differentialdiagnostisch 
aber versagen diese Methoden alle. 

Hr. Göppert: Im 3. bis 6. Lebensjahre tritt als weitere, differential¬ 
diagnostisch bemerkenswerte Krankheit die Spasmophilie hinzu. Wenn 
dieselbe auoh nach unseren bisherigen Erfahrungen mit dem Uebergang 
der kindliohen zur Erwachsenenkonstitution schwindet, so bieten die 
jetzigen Lebens- und ErnährungsVerhältnisse derartige Abweichungen vom 
Gewöhnlichen und somit schwere Veränderungen der Konstitution, dass 
das Anftreten von spasmophilen Krämpfen bei Soldaten denkbar erscheint. 
Differentialdiagnostisch ist aber zu beaohten, dass naoh unseren Unter¬ 
suchungen die elektrische Uebereregbarkeit bei Patienten, die älter als 
2 Jahre sind, oft erst 1—2 Tage nach dem Krampfanfall nachweisbar 
wird und auoh nur für wenige Tage bestehen bleibt. Naoh bisher nicht 
veröffentlichten Erfahrungen gibt es ausserhalb der Krampfperioden 
Perioden von Uebererregbarkeit. Andere Zeichen von Spasmophilie sind 
voraussichtlich nicht zu erwarten. 

Hr. Göppert: Eine aeae Form chronischer Pseudodysenterie. 

Bei der Pseudodysenterie der Kinder kommt es wohl kaum je zu 
den bei der Kriegsruhr neuerdings beschriebenen chronischen Formen. 
Dagegen wurde in Göttingen häufiger ein chronisch rezidivierender Typus 
beobachtet. Durch 4—10 Monate hindurch erfolgen in Abständen von 
14 Tagen bis 3 Wochen mehr oder weniger schwere Rückfälle, die 
schliesslich zu einer Erschöpfung des Kindes führen. Der Zustand des 
Darmes in den Zwischenzeiten scheint wesentlich von der Ernährung 
abzuhängen. Durch zweokmässige alimentäre Behandlung während des 
Anfalls und namentlich in den Zwischenzeiten lässt sich der Zustand 
des Kindes vorteilhaft beeinflussen und meist Heilung erzielen. Nur 
1 Kind wurde naoh 4 monatlicher Behandlung ungeheilt entlassen. Charak¬ 
teristisch für den Zustand des Kindes ist vielfach die schwere Apathie. 
Ein Kind machte geradezu den Eindruck eines Katatonikers. Der Naoh- 
weis der Bazillen im Stuhle gelang in 6 Fällen nur 2 mal, so dass man 
sich auf den Nachweis spezifischer Agglutination (1:100) beschränken 
muss. Wahrscheinlich gehören hierher eine grosse Zahl 2—3 jähr. Kinder 
mit rezidivierenden schleimigen Durchfällen. Als wichtigstes Ernäbrungs- 
mittel in Zvischenzeiten bewährte sich die L. F. Meyer’sohe Quark- 
Therapie. Bei jüngeren Kindern empfiehlt sich Buttermiloh. Wichtig ist, 
während der Anfälle recht kurze Nahrungsbeschränkungen vorzunehmen. 


Hr. Göppert: Funktionelle Lähmung des Sphiueter aii. 

Bei einem älteren Knaben, der an chronischer Verdauungsstörung 
und Incontinentia alvi litt, fand sich bei der ersten Untersuchung eine 
vollständige Lähmung des Spbinoter ani. Auf mechanischen Reiz von 
der Mastdarmschleimhaut eher noch Erweiterung. Reaktion des Sphincters 
auf elektrische und thermische Reize. Auf grosse Mengen Tierblutkohle 
binnen 2 Tagen ein leidlicher Sphincterschluss. Behandlung mit ther¬ 
mischen und elektrischen Reizen. Uebungstherapie durch Retention 
kleiner, kalter Klystiere. Nachdem am 6. Tage ein völliger Sphincter- 
sohluss erzielt war, Rückfall durch künstlich hervorgerufenen Durchfall. 
Bei Wiederaufnahme nach */< Jahr anfangs teilweise paralytischer Sphinoter. 
Durch Heilung des Darmkatarrhs völlige Sauberkeit erzielt, wenn auoh 
Sphincter schlaffer als bei Gleichaltrigen. Augenscheinlich leichte Rück¬ 
fälle bei Durchfällen. Analog ist die funktionelle Lähmung des Spinoter 
bei Invagination und Ruhr. 


K. k, Gesellschaft der Aerzte za Wien. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 23. November 1917. 

Hr. Haas Finsterer führt einen 72 jährigen Mann vor, bei dem er 
wegen Volvalns der Fiexar die Resektion der Flexur vorgenommen hat, 

Patient kam mit der Angabe ins Spital, seit 8 Tagen keinen Stuhl 
und seit 3 Tagen keine Winde zu haben. Das Abdomen war aufgebläht, 
besonders links, es bestand ausgesprochene Peristaltik. Bei der Operation 
fand man die Flexur um 360° gedreht, der zufübrende Darm war enorm 
gebläht, der abführende normal. Obwohl die Darmwand nicht gesohädigt 
war, wurde die Resektion gemacht, da sie bessere Resultate als die 
andern Methoden gibt. Der abführende Darm wurde durch seitliche 
Entero-Anastomose mit dem zuführenden vereinigt. Am 3. Tage konnte 
der Patient aufstehen und nach 8 Tagen entlassen werden. 

F. glaubt, dass es sich nioht um ein angeborenes Megakolon handelt, 
sondern um ein erworbenes. 

Hr. Bon di zeigt einen 29 jährigen Mann mit Zwergwachs and 
Hypophysentamor. 

Der Mann ist 147 om gross, gut proportioniert, Behaarung und 
Genitale normal, keine Akromegalie, keine Dystrophia adiposo-genitalis. 
Patient gibt an, im 15. Jahr ein Trauma erlitten zu haben, seither 
Kopfsohmerzen. Derzeit Kopfschmerzen, Einschränkung des Gesichtsfeldes. 
Ausserdem eine Struma, welche die Trachea verdrängt. Röntgenologisch 
ist ein grosser Hypophysentumor, der die ganze Keilbeinhöble erfüllt, 
nachweisbar. 

Die Unterentwicklung ist nicht Folge des Hypophysentumors, das 
Waohstum war abgeschlossen, als der Tumor sich entwickelte, was 
die geschlossenen Epiphysen fugen beweisen. Es ist in einem gewissen 
Stadium eine Entwicklungshemmung eingetreten. Bei solchen unter¬ 
entwickelten Menschen tritt leicht an den endokrinen Drüsen Tumor- 
bildung auf. 

Hr. Emil Glos zeigt einen 20 jährigen Soldaten, der am 20. August 
1. J. verwundet wurde, wie er glaubt, durch Steinschlag. 

Er war bewusstlos und wurde nach Laibach transferiert, wo man 
wegen ChemOse der KoDjunktiva und Schwellung der Lider ein retro¬ 
bulbäres Hämatom annahm. 

Am 17. September kam er naoh Wien. Man fand links unterhalb 
des Unterkieferwinkels eine sezernierende Wunde. Die rechte Gesiohts- 
hälfte zeigte Protrusion des Bulbus um 1 cm, Chemosis, Schwellung 
der Lider. Die Rhinoskopie ergab Schwellung der mittleren Muschel 
und Eiter im mittleren Nasengang, die hintere Rhinoskopie ebenso 
Schwellung des hinteren Endes der mittleren Musohel. 

Mit Rücksicht auf die Protrusio bulbi und die Naseneiterung nahm 
man einen Fremdkörper ia der Nasenhöhle an. Das Röntgenbild 
ergab einen grossen, im Siebbein steckenden Fremdkörper, der auch in 
die Orbita hineinragte. Bei der Operation nach Kilian fand man das 
Siebbein gänzlich nekrotisch, mit jauchigem Eiter gefüllt; der Fremdkörper, 
konnte nur schwer entfernt werden. Es war ein 47 g schwerer Granat¬ 
splitter. Jetzt ist der Mann geheilt, die Sehkraft des rechten Auges 
ist sehr gering, die Papille an demselben abgeblasst. 

Hr. Heiarieh Sehar demonstriert eia Mikroskop, mit welchem maa 
die Blatströmaig in den Hautkapillaren sehen kann. 

Wichtig ist dabei, dass man die Haut durch Oel durchsichtig macht, 
man kann dann die Blutströmung auch durch eine Lupe gut sehen. 

Hr. S. Matko berichtet über 2 Fälle von Sehwirzwasserfieber, 
die nach Chiningaben sich entwickelten. 

Der erste Fall war sehr leicht, der zweite sehr schwer mit schwerem 
Kollaps, kaum tastbarem Puls, Somnolenz. Der Urin war dunkelbraun¬ 
schwarz, hatte massenhaft Eiweiss und Urobilin. Durch intravenöse 
Injektion von 140—300 ccm 3 pCt. Kochsalzlösung und gleichzeitige 
subkutane Injektion von 1 Liter physiologischer Kochsalzlösung gelang 
es, die Anfälle zu kupieren. Die Kranken wurden mit einer Chinintoleranz 
von 21—22 g Chinin täglich entlassen. 

Hr. Victor Blam zeigt zwei aussergewöhnlich grosse Blasensteile, 
welche die ganze Blase ausgefüllt hatten, ferner einen exzessiv grossen 
Urethralstein. 

Er macht dann auf eine typisohe Verletzung aufmerksam, die da¬ 
durch entsteht, dass ein Projektil die Geldbörse trifft und die Geld- 


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392 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 16. 


stücke in die Weiohteile des Oberschenkels, des Skrotums und in das 
Becken sprengt. Er zeigt solche Geldstücke, welche in der Harnblase 
waren, merkwürdigerweise ohne Zystitis bervorzurufen, wahrscheinlich 
infolge der bakteriziden Eigenschaft der Metalle. 

Er demonstriert ferner eine PeniBkleane, die ihm bei Bettnässen 
gute Dienste leistet. 

Hr. E. Stein zeigt ein Mädchen mit ausgedehnter SehmieröldennatitUi 
an den Wangen und Vorderarmen. 

Wenn man die Aetiologie nicht kennt, ist eine Verwechslung mit 
Lupus erythematodes und vulgaris möglich. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Ernst Bumm feierte am 15. d. M. seinen 60. Geburtstag, zu 
dem ihm, ausser zahlreichen persönlichen Glückwünschen, als besondere 
Gabe ein Festband des Arohivs für Gynäkologie mit zahlreichen Beiträgen 
seiner Schüler dargebracht wurde. Es erübrigt sich, auf Bumm’s Ver¬ 
dienste um die wissenschaftliche und praktische Förderung der Frauen¬ 
heilkunde, um die Ausgestaltung des klinisohen Unterrichts besonders 
hinzuweisen — wir können nur wünschen, dass er noch lange Jahre in 
alter Weise an unserer Hochschule und in unserer Stadt schaffend und 
wirkend tätig sein möge. Red. 

— Geheimrat Credö, dirigierender Arzt der chirurgischen Abteilung 
des Krankenhauses Johannstadt in Dresden, ist in den Ruhestand ge¬ 
treten. Zu seinem Nachfolger ist Dr. Seidel, Oberarzt der chirurgi¬ 
schen Abteilung des Krankenhauses Friedrichstadt ernannt worden. 

— Prof, von Brunn wurde als Naohfolger von Prof. Wullstein 
zum Leiter des Krankenhauses Bergmannsheil in Bochum ernannt. 

— Der Königlich Sächsische Geheime Medizinalrat und Vortragende 
Rat für Veterinärsachen im Ministerium des Innern, Professor Dr. Edel¬ 
mann zu Dresden ist zum Ehrendoktor der Universität Leipzig ernannt 
worden. 

— Der Senat der freien Hansestadt Bremen hat den Titel Pro¬ 
fessor verliehen an Dr. Schmidt, Leiter der gynäkologischen Klinik 
der Krankenanstalt, Dr. Kulenkampff, leitenden Arzt des Evangeli¬ 
schen Diakonissenhause8, Dr. Haube, leitenden Arzt der Vereinskranken¬ 
häuser vom Roten Kreuz und Dr. Buss, leitenden Arzt des St. Joseph¬ 
stiftes. 

— Im Wahlreohtsausschuss des preussisohen Abgeord¬ 
netenhauses wurde von neuem seitens eines Mitglieds der freisinnigen 
Partei der Antrag eingebracht, den Aerztekammern das Vorschlagsreoht 
zur Ernennung einiger ärztlicher Vertreter im Herrenhause zu verleihen; 
dieser Antrag ist leider abgelebnt, wird aber, wie wir annehmen, das 
Plenum nochmals beschäftigen. Hoffentlich wird das Haus, angesiohts 
der immer grösser werdenahn Bedeutung der Medizin für das Volks¬ 
wohl, sich der Einsicht, dass es sich hier um einen berechtigten Wunsch 
handelt, nicht verschliessen. 

— In seiner letzten Sitzung nahm der Aerzteausschuss von 
Gross-Berlin in schärfster Weise gegen die bevorstehende Bundes¬ 
ratsverordnung Stellung, nach der für eine grosse Reihe von Badeorten 
die Genehmigung zum Besuche von der Beibringung eines amtsärztlichen 
Zeugnisses abhängig gemacht werden soll. In den meisten Fällen sei 
der Amtsarzt gar nicht in der Lage, eine derartige Bescheinigung mit 
gutem Gewissen auszustellen. Dazu sei nur der behandelnde Arzt, der 
den Kranken und den KrankheiUverlauf kenne, imstande. Es wurde 
beschlossen, in Eingaben an den Bundesrat und an das Ministerium des 
Innern gegen die immer mehr zunehmende Bevormundung der Bevöl¬ 
kerung durch Amtsärzte Stellung zu nehmen. Auch der Leipziger Verband 
wird sioh gegen die Forderung eines amtsärztlichen Zeugnisses wenden. 

— Nach einem Erlass des Ministers des Innern können Hilfs¬ 
schwestern vom Roten Kreuz, die den Nachweis erbringen, dass sie minde¬ 
stens ein Jahr lang, einsohliesslich der Vorbereitung zur Hilfssohwestern- 
prüfung, in der Krankenpflege ununterbrochen tätig gewesen sind, so¬ 
fern während dieser Zeit auch eine genügende theoretische Unterweisung 
stattgefunden hat, nach halbjährigem Besuch einer staatlich anerkannten 
Säuglingspflegeschule zur staatlichen Prüfung für Säuglingspflege¬ 
rinnen zugelassen werden. 

— Die in der Entstehung begriffene „Staatliche Bekleidungs¬ 
stelle für die freiwillige Krankenpflege - hat, wie der „Reichs¬ 
anzeiger - mitteilt, die Aufgabe, das im Etappendienst der freiwilligen 
Krankenpflege stehende Personal mit Bekleidung usw. zu beliefern, das 
gar keiner Vereinigung angehört oder Vereinen wie der Berufsorganisation 
der Krankenpflegerinnen Deutschlands, ferner das Personal, dessen Ver¬ 
eine nicht mehr in der Lage sind, die Kosten der für ihr Personal be¬ 
nötigten Kleidung zu tragen, wie z. B. die Diakonissen - Mutterhäuser 
und Diakonievereine. Die Kosten der Bekleidung dieses Personals über¬ 
nimmt die Heeresverwaltung durch die von ihr einzurichtende „Staatliche 
Bekleidungsstelle für die freiwillige Krankenpflege - . Dagegen wird von 


genannter Stelle nicht versorgt das Personal der Ritterorden und sämt¬ 
licher Vereinigungen vom Roten Kreuz, zu denen auoh der Vaterländische 
Frauenverein gehört. Dieses gesamte Personal beliefert seit nahezu 
4 Jahren die Bekleidungsstelle des Zentralkomitees des Preussiscben 
Landes Vereins, und zwar das der Ritterorden gegen Erstattung der 
Selbstkosten, das der Landesvereine usw. von Bayern, Sachsen and 
Württemberg auf Wunsch und gegen Erstattung der Selbstkosten. 

— In Sofia ist die am 1. Januar neugegründete medizinische Fa¬ 
kultät der bulgarischen Universität eröffnet worden. Das Studium an 
der Fakultät ist zurzeit auf 6 Jahre bemessen. 

— Pflüger’s Archiv ist aus dem Verlag von Martin Hagen in 
Bonn in den von Julius Springer in Berlin übergegangen. 

— Der bisherige Mitinhaber W. Geck der Verlagsbuchhandlungen 
J. F. Bergmann und G. W. Kreidel hat gemeinsam mit Julius und 
Ferdinand Springer in Berlin die beiden Firmen käuflich erworben, die 
wie bisher als offene Handelsgesellschaft weitergeiührt werden. 

— Verlustliste. Infolge Krankheit gestorben: Landsturm- 
pflichtiger Arzt Karl Assfalg-Aulendorf. Oberstabsarzt d. L. Franz 
Barczemski-Nennendorf. Vertr. verpfl. Arzt Otto Betz-Heilbronn. 
Stabsarzt Otto Geissler-Neuruppin. Landsturmpflichtiger Arzt Arthur 
Grob er-Leipzig. Landsturmpflichtiger Arzt Hugo Her ge ns-Oldenburg. 
Feldunterarzt Emil Hering-Naumburg. Oberarzt Walter Kaiserling- 
Magdeburg. Oberstabsarzt d. L. Otto Pesohel-Unruhstadt. Ober¬ 
stabsarzt d. R. Albert Pfeiffer-Lauf. Feldunterarzt Friedrich 
Reinicke-Daseburg. Oberarzt d. L. Georg Sendel-Allstedt Stabs¬ 
arzt Christian Werner-Ems. Stabsarzt d. L. Walter Westphal- 
Tilsit. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (31.1ILbis 
6. IV.) 4. Deutsche Verwaltung in Litauen (8.-9.1IL) 8 und 1 f* 
Fleokfieber: Deutsches Reich (81. III.—6. IV.) 13 und 5 f. 
Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warsohau (10. bis 
16. III.) 1248 und 95 f. Deutsche Verwaltung in Kurland (3. bis 
9. III.) 8 und 1 f. Deutsche Verwaltung in Litauen (8.—9. III.) 
269 und 14 +. Deutsche Kreisverwaltung in Suwalki (8.—9. IIL) 
1 f. Rüokfallfieber: Deutsches Reioh (81. IIL—6. IV.) 24 unter 
Kriegsgefangenen in den Reg.-Bes. Marienwerder und Posen. Kaiserlich 
Deutsches Generalgouvernement Warsohau (10.—16. IIL) 14. 
Genickstarre: Preussen (24.—30. III.) 7 und 2 f. Sohweiz (17. bis 
28. IU.) 1. Spinale Kinderlähmung: Sohweiz (17.—28. HI.) 1. 
Ruhr: Preussen (24.—80. UI.) 60 und 12 f. Mehr als ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp in Wilhelmshaven; 
Keuchhusten in Berlin-Reinickendorf. (Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hoohschulnachriohten. 

Erlangen: Habilitiert: Dr. Wintz für Gynäkologie und Geburts¬ 
hilfe. — Freiburg: Prof. Opitz, Direktor der Frauenklinik, erhielt 
den Titel Geheimer Hofrat. — Greifswald: Im 69. Lebensjahre starb 
Geheimrat Prof. Beumer, Leiter des gerichtärztlichen Unterrichts an 
der Universität. — Kiel: Habilitiert: Dr. M. Bürger für innere 
Medizin. — Prag: Der ausserordentliohe Professor der Kinderheilkunde 
Hofrat Ganghofuer ist gestorben. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien, 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden IV. Klasse: San.-Rat Dr. 
Hoffmans in Breyell, Kr. Kempen. 

Schwerter zum Königl. Kronenorden H. Klasse: Ob.-Gen.-A. 
z. D. Dr. Kraschutzki. 

Ernennungen: Aerztt. Direktor d. inneren Abteil, des Auguste Viktoria* 
Krankenhauses vom Roten Kreuz in. Berlin Dr. A. von Domaras, 
Dr. phil. et med. M. von Kühlewein, Abteil.-A. einer Fernsprech¬ 
abteil., und Ob.-St.-A. im 1. Hannoverschen Inf.-Rgt. Nr. 74 K. 
von Bültzingslöwen zu Ehrenrittern des Johanniterordens; Kr.-A. 
Med.-Rat Dr. W. Lembke in Duisburg zum Regierungs- und Medi¬ 
zinalrat bei der Regierung in Allenstein; Kreissass.-A. Dr. H. Jae- 
nisch in Danzig zum Kreisarzt in Liegen. 

Versetzung in den Ruhestand: Kr.-A. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. 
Beumer in Greifswald. 

Verzogen: Dr. Albert Krüger von Gelsenkirchen und Aerztin Dr. 
Ida Krauss von Marbnrg nach Düsseldorf, Aerztin Dr. Erika 
Köster, geb. Platzer von Dresden nach Elberfeld, Dr. Theodor 
Schmidt von Mannheim nach Oberhausen, Dr. K. Neck von Saar¬ 
brücken nach Neunkirchen, Dr. 0. Rullmann aus dem Felde nach 
Schwalbach (Kr. Saarlouis), Dr. St St ein heu er von Ruppertshain 
nach St Vith (Kr. Malmedy). 

Gestorben: San.-Rat Dr. H. Löhmann in Flensburg, Dr. R. Metz in 
Taarstedt (Kr. Schleswig), San.-Rat Dr. N. Trier in Altona, Sam- 
Rat Dr. G. Bohnstedt in Bielefeld, San.-Rat Dr. L. Schlitt in 
Beverungen (Kr. Höxter), San.-Rat Dr. Christian Werner in Bad 
Ems, San.-Rat Dr. Ludwig Heymann in Wiesbaden. 

Für die Redaktion verantwortlich Prot Dr. Hans Kohn, Berlin W n Bayrenther 8tr. 41. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4 


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BERLINER 


Dl« Berliner Rllnlache Wochenschrift erscheint J«d«n 
Montag ln Nammorn von ea. I—6 Bogon gr. 4. — 
Preis Tlorteljihrlleh 1 Mark. Beatellnngen nehmen 
alle Buchhandlungen und Postaaetalten an. 


Alle Blneendungen ffir die Redaktion und Bxpedftloa 
wolle man portofrei an di e Y erlagrtmehhandhmg 
Anguet Hirschwald In Berlin NW., Unter den Linden 
Br. 68, adressieren. 


MMKimiMNin 


NSCHBUT. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

h. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner and Prot Dr. Hans Kobn. August Hirsohw&ld, Verlagsbuchhandlung in Beriia 


Montag, den 29. April 1918. 


«M17. 


Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Originellen: Zants: Bilaasbeatimmang des tierischen Stoff Wechsels mit 
Hilfe der kalorimetrischen Bombe. S. 393. 

Lampe: Zar Konatnis der Ruhrepidemie ia Dresden im Sommer 1917. 
(Aas der inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Dresden-Johann- 
stadt [Dirigierender Arzt: Prof. Rostoski]) S. 395. 

Stutzin: Der Spannungsabdomen als Folge der Myasthenie der 
Baucbwand. (lllustr.) S. 898. 

Ghristeller: Die Bedeutung der Photographie für den patho¬ 
logisch-anatomischen Unterricht und die pathologisch-anatomische 
Forschung. (Aus dem pathologischen Institut der Universität 
Königsberg i. Pr. [Direktor: Prof. Dr. Kaiserling].) S. 399. 

Oehme: Notiz zur N-Bestimmung im Harn nach Hjeldahl. (Aus der 
medizinischen Universitätsklinik zu Göttingen [Direktor: Prof. 
C. Hirsch, Stellvertreter: Prof. Brons].) S. 401. 

Meyer: Der Plicawulst, ein Prodromalsymptom der Masern. S. 402. 

Kohn: Die Charcot-Zenker-Neumann-Leyden’sohen Kristalle. S. 402. 

Bauoh: Zur Frage der Ausbildung der Säuglingspflegerin und der 
Reform des Hebammenwesens. S. 403. 


Bilanzbestimmung des tierischen Stoffwechsels 
mit Hilfe der kalorimetrischen Bombe 1 ). 

Von 

Prof. Dr. N. Ziatz. 

Wenn e« gilt, den Energieumsatz im lebenden Körper su 
bestimmen, so ist die Lösung dieser Aufgabe leicht bei hungern¬ 
den Tieren. Es handelt sich bei diesen nur um den Umsatz der 
drei Körperbestandteile: Fett, Eiweiss und Kohlehydrat, von denen 
das letztere nnr in sehr geringen Mengen in Frage kommt, so 
dass es beinahe vernachlässigt werden könnte. Aber anch bei 
der Fütterung der Fleischfresser nnd bei der Ernährung des 
Menschen gibt der respiratorische Quotient eine genügend sichere 
Methode, um den Anteil von Fett und Kohlehydrat am Umsatz 
N-freier Körperbestandteile genau zu berechnen. Etwas kom¬ 
plizierter wird die Sache dort, wo erhebliche Gärungsprozesse im 
Enddarm zur Bildung brennbarer Gase nnd zur Abspaltung grösserer 
Mengen von Kohlensäure führen. Noch mehr verwickelt sich die 
Aufgabe bei den Wiederkäuern. Hier ist auch mit einer so 
grossen Konstanz des Erhaltungsumsatzes, wie sie bei der ersten 
Tiergruppe besteht, nicht za rechnen, weil die Gärungsprozesse 
nicht nur bedeutende Mengen brennbarer Stoffe der Oxydation im 
Körper entziehen, sondern auch weil sie eine erhebliche Energie¬ 
menge für den Lebensprozess der Mikroben verbrauchen und weil 
dieser Verbrauch von dem der Körperzellen nicht scharf zu trennen 
ist. Nach den upter meiner Mitwirkung ausgeführten Bestim¬ 
mungen von Mar ko ff beträgt bei der gewöhnlichen Pansengärung 
der Wiederkäuer dieser Verbrauch etwa 70 pCt. vom Brennwert 
der gleichzeitig gebildeten brennbaren Gase. Da nun diese Gase 
2000—3000 Kalorien dem Körper täglich entziehen, das sind 
etwa 20 pCt. des ganzen Wärmeumsatzes im Körper, so wird 
durch die mit der Nahrung wechselnde Grösse der Gärungen eine 
erhebliche Schwankung des Erhaltungsumsatzes der Tiere herbei- 
geföbrt. 

1) Vortrag, gehalten in der Sitzung am 1. März 1918 in der Physio¬ 
logischen Gesellschaft zu Berlin. 


Tonton: Ueber die willkürliche Erzeugung von Hautkrankheiten 
besonders bei Wehrpflichtigen. (Sohluss.) S. 404. 

BäeherbespreehiRgen : Ziemann: Die Malaria. (Ref. Morgenroth.) S. 407. 
— Voeloker und Wossidlo: Uro logische Operationslehre. (Ref* 
Posner.) S. 407. — Wegner: Zur Geschichte der anatomischen 
Forschung an der Universität Rostock. (Ref. Holländer.) S. 408. 

Literatur-Auszüge : Therapie. S. 408. — Parasitenkunde und Serologie, 
S. 408. — Innere Medizin. S. 408. — Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. S. 410. — Kinderheilkunde. S. 410. — Chirurgie. S. 411. — 
Röntgenologie. S. 411. — Haut- und Gesohleohtskrankheiten. S. 412. 
— Hygiene und Sanitätswesen. S. 413. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften: Physiologische Gesell¬ 
schaft zu Berlin. S. 413. — Laryngologisohe Gesellschaft 
zn Berlin. (Schluss.) S. 418. — Naturwissenschaftlich-medi¬ 
zinischer Verein zu Heidelberg. S. 415. 

Tagesgesohiohtlicbe Notizen. S. 416. 

Amtliche Mitteilungen. S. 416. 


Wie wenig es hier möglich ist, aus Sauerstoffverbrauch nnd 
Kohlensäureansscbeidong allein den Energienmsatz su berechnen, 
ergibt sich aus den grossen Schwankungen der die Einheit er¬ 
heblich übersteigenden respiratorischen Quotienten. Diese Höhe 
der respiratorischen Quotienten erklärt sich dadurch, dass bei 
den Gärungsprozessen mehr Wasserstoff als Kohlenstoff abge¬ 
spalten wird, ferner daraus, dass relativ grosse Mengen brenn¬ 
barer Stoffe von wechselnder Zusammensetzung im Harn aasge¬ 
schieden werden, sowie endlich aas dem Umstande, dass bei etwas 
reichlicher Ernährung Fettbildung stattfindet, die natnrgemäss 
auch den respiratorischen Quotienten über die Einheit steigert, 
Folgende Zahlen aus älteren zum Teil noch nicht veröffentlichten 
Versuchen mögen diese Verhältnisse beleuchten. In 4 Versuchs¬ 
reihen, welche in den Landwirtschaftlichen Jahrbüchern, Bd. 44, 
publiziert wurden, fanden wir folgende Zahlen für die eben an¬ 
gegebenen Verhältnisse: 


Heu allein 

Heu + Kar- 

Heu -f- Stärke 

Heu 

tofieln 

+ Schlempe 

+ Schlempe 

Reapir. Quot . . . 

1,04 

1,11 

1,18 

1,07 

251 

CEU . 

216 1 

216 

293 

Kal. Quot. d. Harns 

23 

28 

29 

19 

Fettbildung . . 

169 g 

446 

341 

419 


Noch nicht veröffentlichte Versuche mit Fütterung verschie¬ 
dener Holzarten: 

r , Vermind. Grund- Vermind. Grund- 
futter -f- aufgeeohl. futter + aufgeschl. 
u ' Birkenholz Buchenholz 


Respir. Quot.. 1,084 1,04 1,10 

CH 4 .. 254 218,8 216,4 

Kalor. Quot d. Harns 14 12 11,1 

Fettbildung .... 170,5 160 464 


Man sieht ans diesen Zahlen, in wie komplizierter Weise die 
in Betracht gezogenen Momente den resp. Quotienten beein- 

1) 4 kg Heu, 2,4 kg Weiaensehrot, 1,2 kg RübenashnrtzeL, 0,8 kg 
eiweissreicber Darmsohleim. 



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394 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


flussen. Sehr deutlich ist der Einfluss der brennbaren Gase, noch 
erheblicher der der Fettbildung. 

Unter diesen Umständen kann nur die elementaranalytische 
Bilanz eine Vorstellung vom Energieumsatz und der Fettbildung 
bei diesen Tieren geben. Diese Bilanz wurde bisher io den Ver¬ 
suchen von Kellner nur för den Kohlenstoff durcbgef&hrt. Für 
die Genauigkeit der Ergebnisse fehlt jede Kontrolle. Eine der¬ 
artige Kontrolle hat Armsby 1 2 3 ) durch die Messung der Wärme¬ 
abgabe gewonnen, nach dem Vorgänge der analogen Versuche 
von Atwater und seinen Mitarbeitern. Ebenso scharf und f&r 
kürzere Zeiträume exakt durchführbar ist es, wenn man auch 
eine Bilanz des Sauerstoffverbrauchs der Tiere neben derjenigen 
des Kohlenstoffumsatzes durchführt. Eine solche Bilanz lässt sich 
auf Grund der üblichen Eiementaranalyse der Nährstoffe und der 
Ausscheidungen deshalb nicht genau genug ausführen, weil bei 
dieser Analyse der Sauerstoffverbrauch nur indirekt bestimmt 
werden kann, also alle analytischen Fehler sich auf ihm häufen. 
Wir haben die Elementaranalyse in der Kalorimeterbombe, über 
welche ich vor Jahren schon mit Frentzel*) berichtet habe, 
jetzt so weit verfeinert, dass sie sowohl die Kohlenstoffbilanz 
wie die Sauerstoffbilanz mit gleicher Exaktheit aufzustellen ge¬ 
stattet. Das jetzt von uns geübte Verfahren, bei dessen Aus¬ 
bildung namentlich Dr. Klein und Fräulein Steuber beteiligt 
waren, gestaltet sich folgendermaassen: Die zu analysierende 
Substanz wird wie für die gewöhnliche kalorimetrische Ver¬ 
brennung in die Bombe gebracht, dann diese mit Hilfe der 
Ley bold’schen Pumpe vollkommen evakuiert, hierauf gewogen 
und aus einer grossen Vorratsbombe, welche analysierten Sauer¬ 
stoff enthält, mit letzterem bis zu einem Druck von rund 
25 Atmosphären angefüllt. Das Gewicht dieses Sauerstoffs wird 
durch eine zweite Wägung bis auf etwa 2—3 mg genau be¬ 
stimmt. Dann erfolgt die Verbrennung in üblicher Weise, und 
hierauf wird das in der Bombe enthaltene Gas durch ein ge¬ 
wogenes Chlorkalziumrohr, das die mitaustretende Wasserdampf¬ 
menge zu ermitteln dient, entleert. Eine Probe des Gases wird 
der Analyse unterworfen, der Rest schliesslich wieder mit der 
Leybold’schen Pumpe entfernt, die Bombe abermals gewogen. 
So ergibt sich die Menge von Kohlensäure und elementarem 
Stickstoff, die bei der Verbrennung entstanden ist, und die Menge 
Sauerstoff, die übrig geblieben ist. 

Mehr noch als bei der blossen Bestimmung der Verbrennungs¬ 
wärme stören hier die Fehler, welche durch Bildung von Sal¬ 
petersäure entstehen. Stohmann ermittelte diese Salpetersäure 
lediglich durch eine Aziditätsbestimmung. Dieses Verfahren ist 
bei Verbrennung aschefreier organischer Substanzen zulässig. Es 
geht aber nicht für Futterstoffe, Kot und Harn, welche Säuren 
und Basen in wechselndem Mischungsverhältnis enthalten und bei 
der Verbrennung Säuren aus Schwefel und Phosphor entstehen 
lassen. Es ist namentlich die aus der Verbrennung des Eiweisses 
resultierende Schwefelsäure, oft auch die Phosphorsäure der 
Nukleinsubstanzen, welche erhebliche Fehler bedingen. Im Kot 
und Harn sind auch Basen in sehr schwankendem Mischungs¬ 
verhältnis vorhanden. Daher genügt hier auch die von Langbein 
angegebene Methode der Differenzierung der Schwefelsäure von 
der Salpetersäure in der sauren Flüssigkeit nicht. Wir sind des¬ 
halb dazu übergegangen, eine direkte kolorimetrische Bestimmung 
der Salpetersäure auszuführen. Eine derartige Bestimmung hatte 
in unserem Laboratorium Dr. Willer*) bei Untersuchung der 
Nitrifizierungs- und Denitrifizierungsprozesse im Teichwasser bereits 
erprobt. Sie stammt von Grandval und Lajoux, ist von 
Silber genauer durchgearbeitet worden. Es handelt sich um 
Bindung von Salpetersäure an Phenol zu Pikrinsäure, deren Menge 
kolorimetrisch im Vergleich mit einer Standardlösung ermittelt 
wird. Wie gross die Fehler bei der Titrierung der Salpetersäure 
nach Stohmann sind, mögen folgende Zahlen zeigen: 

Trockenkot, Ochse B, vom 22.—81. Mai 1916. 

Verbrennung I. Titration 0 Kolorimetrisch 6,8 mg N 2 0 6 

• IL * 0 , 6,8 , „ 

, III. „ 0 „ 12,4 * „ 

Mischharn, Ochse B, vom 22.—81. Mai 1916. 

Verbrennung I. Titration 216,96 mg N s O s Kolorimetrisch 0,54 mg N 2 0 6 
. H. „ 253,12 „ „ „ 0,54 „ „ 

1) Armsby, The respiration calorimeter at the Pennsylvania ex- 
periment Station. Exper. Station record. Vol. XV, Nr. 11. 

2) Frentzel u. Zuntz, Ber. d. Deutschen ehern. Ges., 1898, S. 380. 

3) A. Willer, Experim. Studien zur Salpeterdüngung in Teichen. 
Fisoherei-Ztg., 1915, Bd. 18, Nr. 11. 


Mischharn, Ochse B, vom 19.—27. Juni 1916. 

Verbrennung I. Titration 171,1 mg N 2 0* Kolorimetrisch 1,28 mg N 2 0 5 
* II. „ 192,1 n i) , 0,44 „ w 


. III. 

195,4 „ 

• - 0,76 „ n 

* IV. 

194,3 „ 

* . 0,76 „ „ 

Heu, Windesheim. 

Verbrennung I 

Titration 0 

Kolorimetr. 7,2 mg N 2 O s 

. HI 

. o 

* 8,0 „ . 

, IV 

o 

» io,o , * 

. 11,2 „ . 

. V 

. o 

Rübensohnitzel. 

Verbrennung I Titration 10,79 mg N 2 0 5 Kolorimetr. 5,64 mg N 2 0 5 

. II 

. 9,72 . 

„ * 5,28 „ * 

n HI 

. 9,18 „ 

4,80 . * 

• IV 

- 8,63 , 

„ , 6,08 „ „ 

Trookenkot, Oohse B, vom 19.— 

27. Juni 1916. 

Verbrennung I. 

Titration 0 

Kolorimetr. 5,6 mg N 3 0 5 

. HI. 

. o 

4,16 , „ 

IV. 

* o 

■ 5,28 „ » 

„ V. 

* 0 

. 8.68 ■ . 


Die Genauigkeit der elementar-analytischst] Bestimmungen 
ergibt sich bei Vergleichung der mehrfach ausgeführten auf 1 g 
berechneten Analysen, aus denen das Mittel für die einzelnen 
Substanzen genommen wurde. Die Stickstoffbestimmung durch 
die Gasanalyse kann natürlich an Genauigkeit nicht mit der Kjel- 
dahl’schen Methode wetteifern; immerhin ist die Uebereinstim- 
mung gross genug, um zu zeigen, dass die für die einzelnen Gase 
gefundenen Werte nur mit einem Fehler von wenigen Milligramm 
behaftet sind. 


D VII Birke. 


C0 2 

I 1,7008 g 

II 1,6952 „ 

III 1,6908 „ 

0 2 

1,3275 g 
1,3014 * 
1,3081 „ 

n 2 

1,885 mg 
2,390 „ 
2,480 * 

Kal. 

4390,5 

4389,1 

4387,4 

Mittel 1,6956 g 

1,3123 g 2,251 mg 

Kjeldahl 4,17 mg 

4399,0 

R&benschnitzel. 

I 1,3900 g 

1,0426 g 

11,47 mg 

3499,8 

II 1,3835 „ 

1,0269 „ 

10,60 , 

3508,4 

III 1,3917 „ 

1,0307 , 

11,97 „ 

3511,4 

IV 1,3859 * 

1,0482 * 

9,81 * 

3508,4 

Mittel 1,3878 g 

1,0371 g 10,84 mg 

Kjeldahl 9,25 mg 

3505,8 

Darmschleim I. 

I 1,9273 g 

1,8311 g 

112,03 mg 

5870,2 

II 1,9329 * 

1,8368 „ 

109,20 * 

5858,7 

Mittel 1,9301 g 

1,8339 g 
Kjeldahl 

110,61 mg 
111,72 mg 

5864,5 

Darmschleim II. 

1 1,8405 g 

1,7570 g 

102,32 mg 

5571.7 

II 1,8487 „ 

1,7572 * 

102,79 * 

5586,6 

Mittel 1,8446 g 

1,7571 g 
Kjeldahl 

102,55 mg 
104,89 mg 

5579,2 


Heu der 3. Versuchsreihe. 


1,5300 g 
1,5257 * 

1,2144 g 
1,2096 „ 

13,48 mg 
13.00 * 

3989,2 

8977,9 

1,5278 g 

1,2120 g 

Kjeldahl 

13,24 mg 
13,698 mg 

3988,5 

Heu der zwei ersten 

Versuchsreihen. 


1,4457 g 

1,1125 g 

27,804 mg 

3698,1 

1,4372 „ 

1,1285 * 

28,403 „ 

3689,4 

1,4452 „ 

1,1281 „ 

28 520 „ 

8701,4 

3675.3 

1.4370 * 

1,1116 « 

28 984 ff 

1,4413 g 

Weizensehrot 

1,1202 g 

Kjeldahl 

28,428 mg 
28,405 mg 

3691,1 

1,4561 g 

1,1286 g 

18,47 mg 

3788,6 

1,4541 * 

1,1176 , 

19,18 * 

3786,4 

1,4486 „ 

1,1172 yf 

18.57 „ 

3788,4 

1,4529 g 

1,1211g 

18,72 mg 

3787,8 

Kot, 1. Versuohsreihe 

22.—31. Mai. 


1,6570 g 

1,3020 g 

18,111 mg 

4819,9 

1,6584 „ 

1,3252 „ 

10,980 ff 

4324,8 

1,6433 „ 

1,3249 ff 

22,812 ff 

4314,9 

1,6391 „ 

1.3827 , 

22,560 ff 

4314,2 

1,6482 g 

1,3212 g 
Kjeldahl 

18,566 mg 
21,62 mg. 

4318,4 


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29. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


395 


Kot, 2. 

Versuchsreihe 

CO, 

1,4474 g 
1,4579 ; 
1,4725 „ 
1,4468 * 

19.-27. Juni. 

0 8 N* 

1,1954 g 34,508 mg 

1,2232 „ 25,925 „ 

1,1743 ff 30,453 „ 

1.2109 „ 28,543 * 

Kal. 

8828,7 

8835.5 

3864.5 
8856,1 


1,45615 g 

1,20095 g 

29,857 mg 

3846,2 



Kj eldahl 

29,370 mg. 


Kot, 8 . 

Versuchsreihe 22.—30. Juli. 



1,6208 g 

1,2882 g 

17,58 mg 

4381,0 


1,6239 „ 

1,2387 „ 

22,93 „ 

4217,6 


1,6118 „ 

1,2440 „ 

23,51 , 

4211,4 


1,6246 * 

1,2747 w 

25.24 „ 

4228,8 


1,6203 g 

1,2614 g 

22,315 mg 

'4222,2 



Kjeldahl 

19,661 mg. 


Misohharn, Oohse E 

1 , vom 22 .— 

-31. Mai 1916. 


I 

0,4116 g 

0,52316 g 

0,10591 g 

1542,8 

II 

0,4023 „ 

0.53326 „ 

0,10895 * 

1540,1 


0,4069 g 

0,52821 g 

0,10743 g 

1541,42 



Kjeldahl 

0,12808 g 


Mischbarn, Ochse B 

, vom 19.— 

27. Juni 1916. 


I 

0,1714 g 

0,31884 g 

0,07974 g 

859,3 

II 

0,1948 „ 

0,31454 „ 

0,08172 * 

878,0 

HI 

0,1651 , 

0,29481 „ 

0,07958 ff 

864,1 

IV 

0,1827 * 

0,31764 „ 

0,07896 „ 


Mittel 

1 0,1785 g 

0,31396 g 

0,08000 g 

867,2 



Kjeldahl 0,08805 g 


Misohharn, Ochse B 

, vom 22 .—■; 

SO. Juli 1916. 


I 

0,0636 45 

0,12214 g 

0,02631 g 

815,7 

11 

0,0802 „ 

0,12234 * 

0,02292 , 

336,0 

IV 

0 0787 * 

0,11528 „ 

0.02805 * 

343,8 


Mittel 0,0743 g 0,11992 g 0,02409 g 331,7 


Kjeldahl 0,02992 g 

Die bei der Bombenanalyse gefundenen Zahlen für den Stick¬ 
stoffgebalt der Substanz können natürlich mit der Genauigkeit 
der Kjeldahl-Analyse nicht konkurrieren. Wenn wir sie aber 
mit dieser vergleichen, wie das vorstehend geschehen ist, ergibt 
sich ein recht befriedigendes Resultat der Gasanalyse. Dasselbe 
wird verständlicher, wenn ich erwähne, dass Abweichungen in 
der Bestimmung der drei Gase, welche 0,01 pCt. übersteigen, nur 
selten Vorkommen. 

Zur Beantwortung der Frage, ob die gasometrische Stickstoff¬ 
bestimmung etwa mit einem prinzipiellen Fehler behaftet sei, 
wollen wir ihre Ergebnisse summieren und mit der Summe der 
Kjeldahl -Bestimmungen vergleichen: 

gasanalyti 9 ch Kjeldahl 


D VII Birke. 2,251 4,170 

Rübensohnitzel . . . 10,840 9,250 

Darmschleim I. . . . 110,610 111,720 

Darmschleim II . . . 102,550 104,890 

Weizeosohrot. 18,720 19,490 

Heu, 3. Reihe .... 13,240 13,698 

Heu, 1 . u. 2 . Reihe . . 28,428 28,405 

Kot, 1 . Reihe .... 18,506 21,620 

Kot, 2. Reihe .... 29,857 29,370 

Kot, 3. Reihe .... 22,315 19.661 


357,377 362,274 


Die Gefahr, dass beim Trocknen des Harns Zersetzungen 
and dadurch Stickstoffverluste entstehen, suchten wir nach der 
Vorschrift von Tan gl durch genaues Neutralisieren vor dem 
Trocknen zu vermeiden. Dass dies nahezu gelungen ist, zeigen 
die Mittelzahlen der 3 Harnanalysen. Sie sind bezogen auf 
100 g Harn: 


I. Reihe. 1,0743 1,1260 

H. Reihe. 0,8000 0,7406 

ni. Reihe. 0.2409 0,2590 

2,1152 2,1256 


Es weicht hiernach auch beim Harn das Ergebnis der Gas¬ 
analyse nicht wesentlich von dem der Kjeldahl-Bestimmung ab. 
Erstere liefert für Futtermittel und Kot 98,65 pCt. der Kjeldahl- 
Zahi, letztere 99,51 pCt. 

Als Beispiel der mit Hilfe der kalorimetrischen Bombe und 
des Respirationsapparates aufgestellten Bilanz gebe ich hier die 
Zahlen für den Versuch mit Grundfutter vom 19.—27. Juni 1916. 
Man sieht, dass die auf beiden Wegen ermittelte Fettbildung 


nicht unerheblich abweicbt. Derartige Abweichungen werden 
aber bei der Vielheit der einzelnen Bestimmungen, aus denen das 
Resultat sich entwickelt, unvermeidlich sein. Wir haben bis jetzt 
keinen Grund, von den beiden einander kontrollierenden Be¬ 
stimmungen die eine als genauer anzusehen. Bei den früheren 
Versuchen, wo nur über die Kohlensäure gerechnet wurde, war 
die Unsicherheit gewiss ebenso gross, wie sie in unseren Ver¬ 
suchen hervortritt. 


Elementaranalytisohe Bilanz. 


Ochse B, Grundfutter vom 

19.—27. Jnni 1916. 


Einnahmen 

C0 2 

0* 

Kaler. kg 

2,4 kg Heu. 

3,4591 

2,6885 

8858,6 

2,4 „ Weizenschrot .... 

8,4870 

2,6906 

9090,7 

1,2 ff Rübenschnitzel . . . 

1,6654 

1,2445 

4307,0 

0,3 „ Darmschleim .... 

0,5584 

0,5271 

1673,8 

5 g CaCO t . 

0,0022 

— 

— 

Summe der Eiunahmen kg . 

9,1671 

7,1507 

23830,1 

1665,0 g Kot. 

2,4245 

1,9996 

6403,9 

Verflücht. 0,182 g N = 0,222 g 




NB', ä 5,330 Kal. 


+ 0,0003 

+ 1,2 

60 g Weinsäure. 

- 0,0704 

— 0,0320 

— 112,3 

Wirklicher Kot. 

2,8541 

1.9679 

6292,8 

Verdaut. 

6,8130 

5,1828 

17537,3 

254,17 1 CH 4 ä 1,96 g C0„ 




2,86 g 0 2 9,524 Kal. . . . 

0,4982 

0,7269 

2420,7 


6,3148 

4,4559 

15116,6 

22,051 H 8 a 0,715 g O s 3,070 Kal^ 


0.0158 

67,7 



4,4401 

15048,9 

10,4081 Harn (10 ccm = 0,3423g 




C0 S 0,31396 g 0 a 867,13 kal.)_ 

0,3563 

0,3268 

902,5 


5,9585 

4,1133 

14146,4 

Atmg. 2624,021 COj 2421,07 1 0* 




X 1,96 X 1,43 

5,1481 

3,4621 



0,8154 

0,6512 


Angesetzt 134,05 g Protein 




ä 1,936 g CO* 1,781 g O a 




5700 Kal. 

0,2595 

0,2387 

764,1 

Bleibt für Fettansatz .... 

0,5559 

0,4125 

13382,3 

(1 g C0 2 = 0,3563 g, lgO,= 




0,3463 g Fett) 




Angesetztes Fett. 

. 198,07 

142,85 



Mittel.. 170,46 g Fett == 1619,4 


Durch 2421,07 1 O s erzeugt. 11762,9 

1 Liter 0 2 entspricht. 4858,5 


Aus der inrteren Abteilung des Stadtkrankenhauses 
Dresden-J ohannstadt 
(Dirigierender Arzt: Prof. Rostoski). 

Zur Kenntnis der Ruhrepidemie in Dresden 
im Sommer 1917. 

Von 

Dr. Rudolf Läupe. 

Im Juli 1917 häufte sich die Zahl der Patienten in Dresden, 
die wegen schweren rohrartigeo Darmkatarrhs dem Krankenhaus 
angeführt wurden. Die Kranken gehörten den verschiedensten 
Altersklassen an, wenn auch die Zahl der Kinder gegenüber der¬ 
jenigen der erkrankten Erwachsenen zurückbiieb. Naturgemäss 
bandelte es sich fast ausschliesslich um Patienten aus den ar¬ 
beitenden Klassen. 

Ein Prodromalstadium unter den Erscheinungen eines leichten 
Magen- und Darmkatarrbs mit Unregelmässigkeiten des Stuhles, 
Appetitlosigkeit usw., wie es gewöhnlich beschrieben wird, Hess 
sich fast nie nachweisen. Fast sämtliche Patienten gaben an, 
plötzlich mit starken Durchfällen erkrankt zu sein; viele wurden 
aus relativem Wohlbefinden heraus davon bei der Arbeit überrascht; 
bei einigen bestand einige Wochen vorher ein Darmkatarrh, der 
vollkommen behoben war and dann plötzlich wieder heftig auf¬ 
trat. Die Zahl der Stühle war gleich von vornherein ziemlich 
gross, so dass die Patieoten niemals weiter arbeiten konnten. 
Die Krankheit führte schnell zu grosser allgemeiner Schwäch«, 
starkem Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen. Die Leibschmersen 
wurden sehr verschieden stark angegeben, bei manchen Patienten 

1 * 


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896 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


waren sie kaum auf ge treten, während sie bei den meisten in Form 
von heftigen Tenesmen auftraten. Oft fehlten die Schmerzen bei 
rein blutig-schleimigen Stühlen, die täglich bis zu 70 mal auf¬ 
traten, fast völlig, während sie in anderen Fällen schon vorhanden 
waren, wo die Stöhle noch kein oder wenig Blot und Schleim 
enthielten. 

Die Kranken zeigten bei der Einlieferung nicht durchgehend 
eine besonders ausgeprägte Unterernährung. Bei den meisten, 
besonders alten Leuten, war allerdings der Ernährungszustand ein 
ausserordentlich stark reduzierter. In diesen Fällen war auch 
der Krankheitsverlauf meist schwerer; einige starben nach kurzer 
Zeit und zeigten als Ausdruck der hochgradigen Abmagerung bei 
der Sektion eine schleimige Umwandlung des subperikardialen 
Fettgewebes. Die Patienten sahen meist sehr blass, oft fahl aus 
und machten fast sämtlich einen schwerkranken Eindruck. Der 
Puls war bei den schweren Fällen klein und frequent. Der Leib 
eingesunken und sehr druckschmerzhaft, man fühlte und hörte 
häufig Gurren und Plätschern. Ein Milztumor war nie nachweis¬ 
bar, auch später nicht. Das Sensorium war fast stets frei. In 
recht vielen Fällen war trotz der grossen Abgescblagenheit ein 
ausgeprägtes Hungergeföhl vorhanden. Der Urin war gewöhnlich 
ohne Eiweiss. Die Diazoreaktion war stets negativ, blieb es auch 
im Verlauf der Erkrankung. Die meisten Kranken hatten sofort 
beim Einsetzen der Erkrankung erhöhte Temperaturen, die oft 
treppen förmig in ein bis zwei Tagen bis 88 und 88,8° anstiegen 
und mit geringen Schwankungen etwa drei bis vier Tage, bis¬ 
weilen auch länger, auf dieser Höhe blieben, um dann lytisch ab- 
zufallen. Ein Zusammenhang zwischen der Beschaffenheit der 
Stühle und der Temperatursteigerung bestand insofern nicht, als 
oft gerade bei den zahlreichsten nur aus Blut und Schleim be¬ 
stehenden Entleerungen keine oder unternormale Temperaturen 
sich fanden; ebenso war das Krankheitsbild bei den fiebernden 
Patienten keinesfalls ein schwereres als bei denjenigen mit nor¬ 
maler Temperatur. 

Das Charakteristische in sämtlichen Fällen war das Vor¬ 
handensein respektive Auftreten von Blut nnd Schleim in den 
Stühlen. Etwa in einem Drittel der Fälle setzte die Krankheit 
(teils nach Angabe der Patienten, teils nach eigener Beobachtung) 
mit zahlreichen gelblichen oder bräunlichen Durchfällen ein, in 
denen dann sehr bald, gewöhnlich nach 2 bis 3 Tagen, zäher 
glasiger Schleim mit flüssigem oder geronnenem Blut sichtbar 
wurde, bis nach kurzer Zeit nur noch Blut und Schleim entleert 
wurden. Bei den anderen Kranken aber bestanden die Entlee¬ 
rungen von vornherein aus reinem Blut und Schleim. Bei einigen 
besonders schwer verlaufenden Fällen fanden sich auch zahlreiche 
nekrotische Schleimhautfetzen. Diese nur aus Blut und Schleim 
bestehenden Stühle hielten durchschnittlich 8 bis 10 Tage, seltner 
nur kürzere Zeit an, dann traten daneben braune fäkulente Be¬ 
standteile auf, die allmählich zahlreicher und fester wurden; Blut 
und Schleim traten zurück und zeigten sich nur noch als Klümpchen 
oder Fasern auf dem nach und nach normal werdendem Stuhl. 
Es vergingen meist 2 bis 3 Wochen, von Beginn der Krankheit 
an gerechnet, bis das Blut völlig verschwand, Schleim war ge¬ 
wöhnlich noch längere Zeit zu bemerken. Es kam auch einige 
Male vor, dass der Stuhl, der am Tage vorher nur noch aus Blut 
und Schleim bestanden hatte, am folgenden Tage geformt war 
und höchstens vereinzelte Blut- und Schleimfasern auf der Ober¬ 
fläche zeigte. Die Blut- und Scbleimstühle hatten einen faden 
Geruch und zeigten durchgehend eine alkalische Reaktion, erst 
nachdem die Entleerungen stärker fäkulent geworden waren, fiel 
die Reaktion amphoter oder schwach sauer aus. Gärungsstühle 
wurde sehr selten beobachtet, auch in der Rekonvaleszenz. 

Der Verlauf der Erkrankung stand fast stets im engen Zu¬ 
sammenhang mit der Zahl und der Beschaffenheit der Stühle. 
Diese waren zu Beginn ausserordentlich zahlreich, durchschnittlich 
30 bis 40 täglich, in einigen Fällen 70 bis 80. Entsprechend 
verfielen die Patienten in den ersten Tagen oft bedenklich. Dann 
ging aber die Zahl der Stühle relativ schnell zurück, schon nach 
2 bis 3 Tagen sank sie auf die Hälfte und nach etwa 6—8 Tagen 
erfolgten gewöhnlich nur noch 4 bis 5 Eutleerungen. Wie bereits 
oben erwähnt, verschwanden Blut und Schleim nicht so schnell, 
sondern waren meist bei sonst völlig normalem Stuhl noch vor¬ 
handen. 

Trotz der anfänglichen Schwere des Krankheitsbildes war 
der Verlauf der Krankheit gewöhnlich ein günstiger. Die Kranken 
erholten sich schon nach einigen Tagen, sobald sie nicht mehr 
so heftig von den andauernden Entleerungen gequält wurden. 
Sie sahen weniger verfallen aus, die Augen bekamen wieder Glanz, 


der Puls wurde kräftiger, und regelmässig stellte sich ein aus¬ 
gezeichneter Appetit ein. Etwas abweichend war das Krankheits- 
bild bei einigen Kindern. Hier traten zu Beginn der Erkrankung 
heftige meningitische Erscheinungen auf: völlige Benommenheit, 
Nackensteifigkeit, Krämpfe. Ein Kind starb, bei der Sektion fand 
sich neben dem schweren ruhrartigem Darmkatarrh ein Oedem 
des Gehirns. Bei den anderen Kindern schwanden die menin- 
gitischen Erscheinungen sehr bald. Von Komplikationen traten 
sowohl im Verlauf der Erkrankung wie in der Rekonvaleszenz 
am häufigsten Oedeme, meist nur an den Beinen and in mässigem 
Grade, auf. Inwieweit alimentäre Schädigungen oder die all¬ 
gemeine Intoxikation selbst dabei eine Rolle spielten, liess sich 
schwer entscheiden. Herzschwäche schien nur selten die Ursache 
zu sein. In 3 Fällen bestand neben sehr starken Oedemen im 
Gesicht, am Rumpf und an den Beinen Aszites. Ausgesprochene 
Nephritiden als Nachkrankheit, Bindehautentzündungen, Haut¬ 
blutungen usw. haben wir nicht gesehen. Dagegen klagten öfter 
Patienten über rheumatische Beschwerden, ohne dass ein objektiver 
Befund vorhanden war. Die Kranken, die znm Exitus kamen, 
waren gewöhnlich schon längere Zeit vor der Einlieferung ins 
Krankenhaus krank gewesen. Sie kamen in desolatem Zustande 
mit hochgradiger Herzschwäche und starben bald; andere Fälle 
(besonders alte Leute) waren von vornherein derartig unter¬ 
ernährt, dass sie schon aus diesem Grunde nicht mehr die genügende 
Widerstandsfähigkeit anfbrachten. Bei einigen Fällen, auch jüngeren 
Leuten, verlief allerdings die Krankheit so schwer, dass jede 
Therapie machtlos war. Hier fand sich bei der Sektion: aus¬ 
gedehnte Verschorfung der Schleimhaut im Bereiche des unteren 
Ileums und des gesamten Dickdarms, enges Lumen des Darmes, 
dessen Wand stark salzig ödematös, sich eigentümlich starr an¬ 
fühlte. Der Darm war von dankeiroter Farbe, das Peritoneum 
über den gesamten Dickdarm lebhaft injiziert, die Mesenterial- 
lymphdrüsen akut geschwollen. 

Erwähnenswert sind ferner noch zwei Fälle, bei denen die 
Stühle bereits fäkulent geworden waren. Bei der Sektion fand 
sich, dass die Ruhr bereits im Abheilen begriffen war. Der eine 
Kranke war an Herzschwäche, der andere an Peritonitis gestorben. 
Die Sektion bei diesem ergab: frische Peritonitis mit düonen 
fibrinösen Auflagerungen und Verklebungen der Darmschlingen, 
hochgradige Auftreibung des Dickdarmes, besonders des Querkolons. 
Die Schleimhaut ist inselförmig erhalten, von vorwiegend quer¬ 
gestellten Geschwüren umgeben, an deren Grunde die Muskulatur 
freiliegt. Die Darmwand ist abnorm weit und morsch, reisst 
bei geringer Anspannung sofort ein. Geschwüre im Dickdarm 
und im unteren lleum. Die Schleimhautinseln sind blass, die 
Ränder der Geschwüre wulstig. 

Die Behandlung ging vor allem von dem Standpunkte aus, 
den Magendarmkanal in den ersten Tagen der Erkrankung mög¬ 
lichst zu entlasten. Rostoski hat auf den Wert dieser Maass- 
nahme ganz besonders hingewiesen. Er nimmt an, dass in einem 
kotfreien Dickdarm tiefgreifende Geschwürsprozesse weniger leicht 
auftreten, und dass sich die oberen Teile des Verdauungstraktus, 
die gewöhnlich stark in Mitleidenschaft gezogen sind, bei Hunger¬ 
diät viel schneller erholen. Der zweite Grund war bei unseren 
Kranken weniger maassgebend, diese klagten selten Über Brech¬ 
neigung, und statt der Appetitlosigkeit bestand bei den meisten 
sogar ein ausgeprägtes Hungergefühl. Jedenfalls bewährte sich 
die Nahrungsenthaltung sehr gut. Eine Schädigung der Patienten 
haben wir dabei nicht konstatieren können; wenn auch die 
Patienten in den ersten Tagen noch weiter verfielen, so war dies 
unbedingt auf die häufigen, ungemein schwächenden Stuhlent¬ 
leerungen und die allgemeine Intoxikation zurückzuführen. Die 
Hungerdiät wurde nur 2—8 Tage durchgeführt, während dieser 
Zeit erhielten die Patienten nichts als dünnen Tee, Reiswasser 
oder sehr dünnen Reisschleim und evt. mit Tee verdünnten Rot¬ 
wein. Dann wurden Schleimsuppen gegeben, die allmählich dicker 
gemacht wurden, daneben sofort Eiweisspräparate, wie Plasmon, 
Sanatogen, Hühnereiweiss; dann sehr bald fein gewiegtes Fleisch. 
Wurden die Suppen gut vertragen, so erhielten die Patienten 
durchgeschlagenen Brei (von Griess, Reis), dann auch Kakao, zuerst 
nur mit Wasser gekocht, dann mit Milch verdünnt; ebenso wurden 
allmählich der Haferschleim und der Tee mit Milch gereicht 
Später, nachdem die Stühle blutfrei waren, erhielten die Patienten 
eingeweichten Zwieback, dann trockenen Zwieback, Pudding, Nudeln, 
Reisgemüse, Griessbrei, mehr Fleisch. Vermieden haben wir noch 
sehr lange Zeit grünes Gemüse in jeder Form, mit Ausnahme von 
durchgeschlagenen Möhren, die gewöhnlich gut vertragen worden. 
Ganz besonders darauf hinzuweisen ist noch, dass wir infolge der 


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29. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


897 


Lebensmittel gerade bei der Ernährung unserer Ruhrkranken mit 
ganz besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Vor allem 
fehlte das Eiweiss, besonders die Eier. Wir konnten infolgedessen 
oft die Vorschriften, wie sie Rostoski macht, der anfangs eine 
vorwiegende Eiweisskost empfiehlt, nicht erfüllen und mussten oft 
mehr Kohlehydrate geben. Die Patienten wurden angehalten, alles 
nur schluckweise zu sich zu nehmen; bei hastigem a Essen bekamen 
sie meist sofort heftige Leibschmerzen. 

Die medikamentöse Therapie wurde stets eingeleitet durch 
ein Abführmittel, um vor allem den Darm von noch vorhandenen 
Kot- und Scbleimmassen zu entlasten und um dadurch auch zu¬ 
gleich die Darmschleimhaut den therapeutischen Maassnahmen zu¬ 
gänglich zu machen. Rizinusöl stand uns nicht mehr zur Ver¬ 
fügung. Kalomel gaben wir nicht, weil die Darmblutungen sehr 
stark waren und wir eine Intoxikation fürchteten. Bewährt hat 
sich Istizin, von dem wir 8 Tabletten zu 0 } 15 gaben. Es wurden 
dann meist noch alte Kotreste entleert. Meist genügte eine ein¬ 
malige Verabreichung von Istizin. — Wir hatten bereits in den 
vorhergehenden Jahren bei ruhrkranken Soldaten Gelegenheit 
gehabt, die verschiedensten Medikamente auszuprobieren; so wurde 
Bolus alba per os und per clysma, Tierkohle allein und in Kom¬ 
binationen mit anderen Medikamenten, Bismutum subgallicum, 
Cortex Simarubae, Darmauswaschungen mit Tanninlösung, Bleibe¬ 
klysmen mit Mixt, gummosa und Dermatol usw. gegeben. Auch 
Injektionen mit polyvalentem Ruhrserum wurden angewandt. Die 
Medikamente wirkten bald mehr bald weniger gut; am besten 
schien immer noch die Bolus alba-Tberapie zu sein, nur scheiterte 
sie gewöhnlich schnell an dem Widerstand der Kranken, die meist 
Erbrechen und Koliken bekamen; auch die Klysmen mit Bolus 
alba, wie sie Handmann empfiehlt, versagten recht häufig, da¬ 
gegen war die Behandlung nach Ziemann durch Kombination 
von Bismut. subnitricum mit Karlsbader Salz durchgehend von 
so ausgezeichnetem Erfolg, dass wir sie jetzt fast nur noch aus¬ 
schliesslich anwenden. Bei einigen Patienten, denen zuerst andere 
Medikamente ohne jeden Erfolg verabreicht worden waren, die 
von Tag zu Tag mehr verfielen und bei denen sich die Zahl der 
blutigen Stühle eher vermehrte als verminderte, änderte sich das 
Krankheitsbild sofort nach Einsetzen der Behandlung mit Bismut. 
subnitricum mit Karlsbader Salz. Die Stühle wurden weniger 
zahlreich, bald fäkulent, und entsprechend besserte sich auch das 
Befinden der Patienten. Betonen möchte ich noch einmal, dass 
fast sämtliche unserer Patienten zu Beginn sehr schwer krank 
waren, dass sie zum grossen Teil sehr unterernährt und infolge¬ 
dessen von vornherein wenig widerstandsfähig waren. Trotzdem 
war die Mortalität eine relativ geringe (12 pCt.). Diese Mor¬ 
talitätsziffer ist natürlich nicht die der Ruhr hier überhaupt, 
sondern die der durchgehend schweren dem Krankenhaus zu¬ 
geführten Fälle. Ich möchte die Ursache dafür nicht zum geringsten 
Teil in der angewandten medikamentösen Therapie erblicken. 

Im Sinne Ziemann’s änderten wir die Kur, wenn nötig, ab. 
Die Kranken erhielten 6—8 mal am Tage Bismut. subnitricum in 
Dosen von 0,8. Solange die vielen Entleerungen stattfanden, gaben 
wir nur morgens einen Teelöffel Karlsbader Salz in warmen Wasser; 
direkt danach waren die Stühle etwas reichlicher, wodurch die 
Patienten das Gefühl einer besseren Darmentleerung hatten und 
infolgedessen auch weniger quälende Tenesmen. Da wir am Abend 
meist etwas Morphium oder Opium geben mussten, Hessen wir 
zuerst abends das Karlsbader Salz fort, um die Wirkung des 
Morphiums bzw. Opiums nicht zu beeinträchtigen. Sobald die 
Stühle fester wurden, reduzierten wir das Wismut auf 3—6 mal 
täglich und gaben morgens und abends je einen Teelöffel Karls¬ 
bader Salz, um einen zu festen Stuhl zu vermeiden, welcher die 
Darmwand wieder gereizt und zu neuen Blutungen geführt hätte. 
Je nach der Beschaffenheit der Stühle wurden Wismut und Karls¬ 
bader Salz in verschiedenen Mengen angewandt. Einige Male 
waren die Entleerungen so zahlreich und führten zu so grossen 
Schwächezuständen, dass wir gezwungen waren, neben dem Wismut 
noch andere stopfende Mittel zu verabreichen. Am meisten be¬ 
währte sich dabei Bolus alba, welches wir früh nüchtern (100 
bis 150 g) mehrere Tage hintereinander statt des Karlsbader 
Salzes gaben. Besonders auch bei heftigen Tenesmen gaben wir 
in der ersten Zeit ganz geringe Dosen Morphium oder Opium. 
Suppositorien konnten.nur in leichten Fällen angewendet werden, 
da sie bei zahlreichen Entleerungen sofort wieder den Darm 
verHessen. Aus denselben Gründen versagten die Klysmen mit 
Adstringentien. 

Während des ganzen schweren Verlaufes wurde streng darauf 
gehalten, dass die Patienten das Bett nicht verliessen; sie durften 


auch niemals den Nachtstuhl benutzen. Sehr angenehm empfanden 
die Patienten heisse Kamillenumschläge auf den Leib. Poly¬ 
valentes Ruhrserum (in Dosen von 40—50 ccm) wurde selten an¬ 
gewandt, weil wir schon durch die andere Therapie günstigen 
Erfolg hatten. Wir wandten es nur in wenigen schweren Fällen 
an, der Erfolg war zweifelhaft 

Ziemann nimmt an, dass das Wismut, welches desinfizierende 
Eigenschaften besitzt, auf den dysenterischen Darmstellen einen 
feinen Belag bildet und auf diese Weise auch die Mobilisierung 
der Bazillen auf den dysenterischen Steilen des Darmes bedingt 
Inwieweit die letztere Ansicht richtig ist, darüber haben wir keine 
Erfahrung; dagegen fanden wir bei den Sektionen regelmässig auf 
der Höhe der Schleimhautfalten eine schwärzliche Verfärbung, 
die von dem in Schwefelwismut umgewandelten Wismut herrührt. 
Durch die Bindung des Schwefelwasserstoffs im Dickdarm wird 
einer der wirksamen Reize für die Darmperistaltik entfernt und 
diese somit eingeschränkt. Bedenken können gegen die Anwen¬ 
dung des Bismut. subnitricum seiner Giftigkeit wegen erhoben 
werden; infolge der ausgedehnten Schleimhautdefekte wäre eine 
Resorption gut möglich. Dazu sind aber die angewandten Wismut¬ 
gaben viel zu klein, ausserdem werden sie durch die häufigen 
Entleerungen zum grossen Teil wieder ausgeschieden. Wir haben 
auch in keinem Falle trotz der langen Verabreichung des Mittels 
Vergiftungserscheinungen gesehen. 

Von grosser Wichtigkeit war von Anfang an die Frage, ob 
es sich bei diesen Kranken, die wegen eines schweren, mit 
blutigen und schleimigen Entleerungen einhergehenden Darm¬ 
katarrhs dem Krankenhause zugewiesen wurden, um eine infektiöse 
Erkrankung handelt. Als die ersten Fälle eingeliefert wurden, 
glaubten wir nicht an eine Infektion; wir nahmen an, dass die 
Lebensmittel, die gerade in dieser Zeit sehr minderwertig waren, 
einen nichtinfektiösen Darmkatarrh hervorgerufen hatten. Dafür 
sprachen auch die Angaben der Patienten, die als Ursache bald 
das Brot, bald unreifes Obst, verdorbenes Fleisch, Dörrgemüse 
usw. hinstellten. Bald kamen aber auch Kranke, die ihr Leiden 
mit Bestimmtheit auf eine Ansteckung zurückführten. So hatte 
eine Frau ihren Mann gepflegt, der blutige Stühle gehabt hatte, 
eine andere hatte ihren Schwager besucht, der „ruhrkrank 11 war 
usw. So gut wie einwandfrei liess sich die Uebertragung bei 
einer Anzahl von Soldaten nachweisen, die nach und nach zu uns 
wegen Ruhr verlegt wurden. Diese hatten znsammen denselben 
Abort benutzt, und einer hatte sich nach dem anderen, oft in 
grösseren Zwischenräumen, infiziert. Sämtliche Soldaten hatten 
wegen eines anderen Leidens schon lange Zeit in dem betreffenden 
Lazarett gelegen. Im Gegensatz dazu scheinen vier Fälle zu be¬ 
stehen, die in unserem Krankenhaus plötzlich an schweren blutigen 
Durchfällen erkrankten. Alle vier waren schon längere Zeit in 
Behandlung und fühlten sich vorher ganz wohl. Sie waren nie 
miteinander in Berührung gekommen. Die Erkrankung begann 
völlig akut mit Fieber und blutigen Durchfällen. Eine Ursache 
war in keinem Falle nachzuweisen. Dagegen erkrankte kurz 
darauf eine Pflegerin, welche den einen Patienten gepflegt hatte. 
Ein weit wichtigerer Anhaltspunkt dafür, dass wir es in unseren 
Fällen mit einer Infektion zu tun hatten, war der Nachweis von 
Dysenteriebazillen im Stuhl, der in etwa 16 pCt. gelang. Sämt¬ 
liche Stühle wurden sofort nach der Einlieferung der Kranken 
bakteriologisch untersucht. Verwendet wurden dazu ganz frische, 
noch warme Entleerungen. Es fanden sich sowohl Shiga-Kruse- 
Bazillen (7 mal), wie auch Y-Bazillen (12 mal), und Flexner- 
Bazillen (1 mal). Bisweilen wurden auch erst im weiteren Ver¬ 
lauf der Krankheit Bazillen gefunden. 

Was den Sektionsbefund anbelangt, so haben bereits die 
meisten Autoren darauf hingewiesen (Sternberg, v. Hanse¬ 
mann u. a.), dass der Anatom nicht in der Lage ist, allein aus 
dem pathologisch-anatomischen Befund zu entscheiden, ob eine 
infektiöse Ruhr vorliegt oder nicht. Die schweren Veränderungen 
am Darm, wie wir sie bfei der Sektion unserer Ruhrkranken be¬ 
obachten konnten, die ausgedehnte Verschorfung im Dickdarm, 
meist auch noch im unteren Teile des Dünndarms, die bis auf 
die Serosa sich erstreckenden schweren Entzündungen finden sich 
auch bei anderen schweren Erkrankungen des Darmes, deren 
Aetiologie mit der echten Ruhr nichts zu tun hat. Wichtig ist 
daher vor allem der klinische Verlauf der Krankheit. Kruse 
ist der Ansicht, dass jede klinische Form von Ruhr ansteckend 
ist, ob nun echte Dysenteriebazillen, Pseudodysenteriebazillen oder 
nichts gefunden wird. Auch wir neigen zu der Ansicht, dass es 
sich in unseren sämtlichen Fällen um eine ansteckende Krankheit 
gehandelt bat. Dafür spricht auch, dass der Verlauf der Krank- 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


heit mit positivem Batillenbefund, auch wo Shiga-Kruse-Bazillen 
gefunden worden, sich durchaus nicht klinisch von dem mit 
negativem Befund unterschied; mehrere Fälle, in denen Shiga- 
Kruse-Bazillen nachgewiesen wurden, verliefen im Gegenteil leichter. 
(Von den Fällen mit Shiga-Kruse Bazillen starben 2, ebenso von 
denen mit Y-Bazillen. Diese Kranken kamen in bereits recht 
schwerem Zustande ins Krankenhaus.) In anderen Fällen mag 
es wohl an der Unzulänglichkeit der heutigen Methodik gelegen 
haben, dass Bazillen nicht gefunden wurden, der bakteriologische 
Untersuchungsbefund lässt ja gerade bei Ruhr so oft in Stich. 

Auf welche Weise in jedem Falle der ruhrartige Darmkatarrh 
entstanden ist, lässt sich nur mit Wahrscheinlichkeit sagen. Für 
die Mehrzahl der Erkrankungen aber möchten wir neben der 
heissen Jahreszeit die Kriegskost verantwortlich machen, besonders 
das Dörrgemüse und das Schwarzbrot. Durch die mannigfachen 
Entbehrungen während des Krieges ist ja die Widerstandsfähig, 
keit des Körpers gegen Krankheiten stark herabgesetzt worden- 
und speziell der Darm ist durch die oft schwer verdauliche Kost 
nicht ohne Schädigung geblieben. Was vor einem Jahr vielleicht 
nur zu einer leichten Schädigung führte, das löst jetzt nach einem 
weiteren Jahr schwere Erscheinungen aus. Die Entstehung des 
Darmkatarrhs bringen wir daher mit einer alimentären Schädigung 
in Zusammenhang. Für die Schwere der Erkrankung, den ruhr¬ 
artigen Verlauf und die Infektiosität sind aber sicher noch andere 
Momente verantwortlich zu machen. Einmal sind es die Dysenterie¬ 
bazillen, welche in dem geschädigten Darm einen besonders ge¬ 
eigneten Boden finden; sie sind sicher häufiger vorhanden ge¬ 
wesen, als sie gefunden wurden und auf irgendeine Weise, z. B. 
durch Nahrungsmittel, die durch Fliegen usw. infiziert worden 
sind, in den Magendarmkanal gelangt, ln anderen Fällen ist 
aber doch nicht ganz auszuschliessen, dass irgendwelche sonst 
harmlose Darmbakterien pathogen geworden sind und in die 
durch die Konstitutionsscbädigungen beeinflusste Darmschleimhaut 
eingedrungen sind (Menzer). Die Schwere des Krankheitsbildes 
Hesse sich auch dabei noch durch die stark herabgesetzte Wider¬ 
standsfähigkeit des Körpers erklären. 

Jedenfalls stehen wir nach den Erfahrungen, die wir bei 
unseren an rubrartigem Darmkatarrh Erkrankten gemacht haben, 
auf dem Standpunkt, dass eine Infektionsmöglichkeit vorliegt 
und deshalb eine Isolierung der betreffenden Kranken erforder¬ 
lich ist. 

Literatur. 

Kruse: Deutscher Kongr. f. inn. Med. zu Warschau, 1916. — 
v. Hausemann: B. kl. W., 1916, Nr. 44. — Sternberg: W.kl. W., 
1916, Nr. 40. — Ziemann: M. m. W., 1916, Nr. 32. — Rostoski: 
B.kl.W., 1916, Nr. 46. — Meuser: B.kl.W., 1914, Nr. 48. 


Der Spannungsabdomen als Folge der 
Myasthenie der Bauchwand. 

Von 

Von J. J. Stutzin. 

Der gespannte Abdomen ist ein festes Symptom in der Pathologie 
der Bauchorgane. Dabei ist er entweder die Folge der reflektorisch 
innervierten Muskulatur der Bauchwand (bedingt durch einen Reiz¬ 
zustand des Peritoneums) oder ist der unmittelbare Ausdruck der stark 
gestauten Darmschlingen. Je nachdem ob die Entzündung des Bauch¬ 
fells der Agens und die Darmlähmung mit dem dann unausbleiblichen 
Stauungszustand die Folgeerscheinung ist, oder ob, umgekehrt, der ge¬ 
lähmte und gestaute Darm das Primäre und die peritoneale Reizung 
nur die Wirkung des Meteorismus ist, wird die „Muskelstarre“ das 
erste, in die Augen fallende Symptom sein oder, häufig in verdeckter 
Form, hinter die meteoristisch gespannte Darmmasse zurücktreten. 

Es ist hier nicht der Ort, auf die Ursachen der Peritonitis bzw. 
der Darmokklusion näher einzugehen. Beabsichtigt ist nur hervorzu¬ 
heben, dass wir gewöhnt sind, den „aufgetriebenen Leib“ als Folge 
einer Erkrankung der Organe der Bauchhöhle anzusehen (in seltenen 
Fällen wohl auch als den lokalen Ausdruck einer Störung im nervösen 
Zentralorgan). Hier soll jedoch an der Hand dreier Fälle, die in fol¬ 
gendem kurz skizziert sind, hingewiesen werden, dass auch Verände¬ 
rungen in der Bauch wand Erscheinungsformen hervorrufen können, die 
mit dem oben geschilderten Zustand grosse Aehnlichkeit haben. 

Die drei Kranken, die in einem Zeitraum von weniger als einem 
Monat auf meiner Station beobachtet wurden, boten das folgende, ge¬ 
meinsame Bild: Alle drei meldeten, dass ihnen „plötzlich der Leib 
dick geworden sei“. Bei einem liess es sich naohweisen, dass das Plötz¬ 
liche nicht zutraf, sondern seit längerer Zeit sich vorbereitet hat. Bei 
allen aber war das Abdomen stark gespannt und aufgetrieben. In der 
ganzen Zirkumferenz tympanitisoher Schall, der sich durch Lageweohsel 


nicht änderte. Keine ausgesprochene Druokempfindlichkeit, keine AU- 
gemeinersoheinungen (kein Erbrechen bzw. Singultus, keine Verhaltung 
der Flatus usw., auoh keine auffallende Veränderung des Pulses). Ok- 
klusions- bzw. peritonitische Erscheinungen Hessen sioh bald aus- 
schliessen. Es wurde daher an alimentären Meteorismus gedacht und 
leichte Laxantia angeordnet. Es trat in allen Fällen reichliche Wir¬ 
kung ein, aber der Spannungsabdomen blieb unbeeinflusst. Er besteht 
noch heute, im Durchschnitt nach zweimonatiger Beobachtung, und 
macht bisher im wesentlichen keine anderen Erscheinungen als die der 
subjektiven Unbehaglichkeit: Gefühl der Fülle und Schwere im Ab- 
dominalteil, Schwerfälligkeit und leichtere Ermüdbarkeit. Röntgeno¬ 
logisch liess sioh im üblichen Verfahren auch nichts Greifbares nach- 
weisen, bei einem fand der Röntgenologe einen Füllungsdefekt im unteren 
Teil des Zökums, sonst keine weiteren Anhaltspunkte. 

Charakteristisch ist das Bild bei einem: In halbsitzender Stellung 
zeichnet sich die Abdominalspannung genau entsprechend den beider¬ 
seitigen Muskelgruppen ab, bei den Obliqui bzw. Transversi deutlicher 
als im Verlauf der Recti (s. Abbildung). — Bei allen drei Individuen ist die 
Muskulatur ohne Tonus („welk“), hingegen ist ein sichtbarer Fettschwund 
nicht in dem Maasse vorhanden, dass die betroffenen Hautpartien 
„hängen“. Beim Abtasten der Muskelpartien im allgemeinen und ins¬ 
besondere der Bauchmuskulatur, was in Rückenlage bei feiner, hin- und 
hergleitender Palpation möglich ist, fühlt man die schlaffen, flächenhaft 
abgeplatteten Muskelmassen. Sie erscheinen viel dünner und nach¬ 
giebiger als gewöhnlich. Hingegen fühlt man deutlich die Darmsohlingen 
durch, deren Muskeltonus gesteigert erscheint. 

Wenn wir nun bei dieser Art von Spannungsabdomen in Betracht 
ziehen, dass seitens der Bauohorgane bzw. des Bauchfells keine die ge¬ 
nannte Erscheinung rechtfertigenden Symptome vorhanden sind, dass 
aber anamnestisch und dem Befunde naoh eine fortschreitende Vermin¬ 
derung des allgemeinen Muskeltonus und im einzelnen der muralen 
Muskulatur wohl festzustellen ist, muss man wohl zur Annahme ge¬ 
langen, dass die Ursache dieses Krankheitsbildes — denn als ein solches 
ist es wohl aufzufassen — primo loco in der Myasthenie der Bauch¬ 
wand zu suchen ist, und zwar nioht, wie es bei der beispielsweise post 
graviditatem häufig vorkommenden Ptosis üblich ist, durch Fettschwund 
bzw. völlige Erschlaffung der überdehnten Wandung (Haut und Musku¬ 
latur) und Diastate einzelner Gruppen (Recti), sondern hauptsächlich 
durch relative muskuläre Insuffizienz. 

Zur Begründung dieser Erklärung sei daran erinnert, dass das Vo¬ 
lumen des Bauchraums — des Raumes, der gebildet wird durch die 
Umkleidung eines knöchernen Gerüstes (Thoraxapertur, Wirbelsäule, 
Becken) mit einer fassförmigen Weichteilwandung — abhängig ist 
von dem Reziprozitätsverhältnis der dehnbaren Teile, also haupt¬ 
sächlich des unwillkürlich innervierten Darmtraktus und der will¬ 
kürlich innervierten Bauchwand. Diese, die Bauchpresse, wirkt durch 
ihre Kontraktionen bauchraumverdrängend und zugleich komprimie¬ 
rend auf den Darm (Vermehrung des intraabdominellen Druckes). 
Andererseits muss die geblähte Darmmasse den Bauohraum erweitern 
und somit der funktionellen Arbeit der Bauchwandmuskulatur entgegen¬ 
wirken. Aus dem Effekt dieses ideellen Antagonismus ergibt sich der 
physiologische Spannungszustand des Abdomens (im Gegensatz zu dem 
oben geschilderten pathologischen, zum Teil auf entgegengesetzten, d. h. 
Lähmungsersoheinungen der Darmmuskulatur beruhenden). Wenn es 
nun aus irgendwelchen Ursachen zu einer Herabsetzung des Tonus in 
der Bauchwand und somit zu einer gewissen Nachgiebigkeit der will¬ 
kürlichen Wandmuskulatur kommt, muss es folgerichtig zu einer Senkung 
der Darmkonvolute nach den Punkten niederen Druokes und damit zu 
einer Art Spannungsabdomen kommen. Im weiteren Verlaufe wird sich 
ein Circulus yitiosus in dem Sinne einstellen, dass eine zunehmende 
Dehnung der gespannten Fasern sioh entwickeln wird, und damit wiederum 
wird der Darm Vortrieb und die Wandspannung sich steigern. Es ist 
ferner anzunehmen, dass mit der Zeit auch die kontralrtile Fähigkeit 
des Darms eine Aenderung erleiden wird. Durch die Abnahme der 
Bauohpresse, der Mithelferin beim Ablauf des peristatischen Prozesses, 
einerseits und durch den grösseren Expansionsumfang des erweiterten 
Bauchraumes andererseits muss es zu einer grösseren Inanspruchnahme 
des Darmmuskels selbst kommen, was jedoch auf die Dauer zur Relaxation 
führen wird, abgesehen von dem dnrch die Darmsenkung mechanisch 
erschwerten Verlauf des peristaltischen Turnus. Betonen möchte ich 
noch, dass dieser Zustand sich nur da entwickeln wird, wo noch eine 
relativ spannungsfähige Muskulatur der Bauchwand vorhanden ist. Wo 
wie bei starken Ueberdehnungen und Abmagerungen der Muskeltonus 
fast ganz erloschen ist, kommt es zu einer totalen Ptose, zum Hänge¬ 
bauch und dessen Folgeerscheinungen, der mit dem Spannungsabdomen 
zunächst nicht verwechselt werden darf. Bei längerem Bestehen freilich 
werden die beiden Krankheitsbilder ineinander übergehen. 

Die Ursache dieser Myasthenie dürfte wohl in regressiven Störungen 
im Sinne von molekularen Umlagerungen bzw. zellulären Veränderungen 
zu suchen sein, also physiologisch in qualitativem Sinne, das würde auch 
die insuffiziente Funktion des Muskels am leichtesten erklären. Es ist 
demgemäss kein direktes Analogon zu den gehäuft auftretenden Fällen 
von Hernien, Prolapsen usw., steht aber zu ihnen wohl in ursächlichem 
Zusammenhang. 

Ueber Verlauf, Prognose und Therapie zu sprechen, fehlt es mir an 
genügenden Anhaltspunkten. Während einer Beobachtungsseit von mehr 
als zwei Monaten zeigte dor Prozess einen nahezu stationären Charakter. 
Die oben geschilderten Beobachtungen und Beschwerden zeigten keine 


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29. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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wesentlichen Veränderungen. Therapeutisch habe ich sie nicht beein¬ 
flussen können. 

Auszug aus den Krankengeschichten. 

H. K , 19 Jahre alt. Von zehn Geschwistern als einzigster am Leben, 
alle anderen angeblich .an Tuberkulose gestorben. Schwächliches Indivi¬ 
duum. Sohleimhäute schlecht durchblutet. Muskulatur sohlaff. All¬ 
gemeine Klagen über schlechte Verdauungsverhältnisse. 

Abdomenbefund bei der Aufnahme: Das ganze Abdomen ist 
etwas aufgetrieben, namentlich in den unteren Partien und kaum druck¬ 
empfindlich. Keine Leberschwellung, keine Milzvergrösserung, nirgends 
eine Resistenz zu fühlen, Blinddarmgegend frei. Der Kranke klagt über 
häufige, dünnflüssige Stühle, die mit ziemlich viel Schleim vermischt sind. 

16. Tag. Abdomen erscheint stark aufgetrieben, ist ohne Schmerz¬ 
empfindung eindrückbar; auch in der Iliozökalgegend keine Empfindlich¬ 
keit. In Leber- und Magengegend wird auf Druck wenig Schmerz¬ 
empfindung geäussert. Perkussion ergibt tympanitischen Schall; bei 
Lagewechsel keine Veränderung. Pat. klagt über häufigen Urindrang 
auch nachts; Brennen im Glied. Untersuchung der Harnorgane und des 
Urins (auch kystoskopisch) ergibt negativen Befund. 

63. Tag. Röntgenuntersuchung des Darms: „Es besteht 
konstant, bei verschiedenen Durchleuchtungen stets in gleioher Weise, 
ein Füllungsdefekt entsprechend dem unteren Teil des Colon ascendens. 
Es handelt sich also um eine Hypermobilität am Colon ascendens.“ 

90. Tag. Befund unverändert. 

K. 0. wurde wegen Hämorrhoiden überwiesen und operiert (Ligatur). 
Beiderseits Leistenbrüche, die angeblich in letzter Zeit aufgetreten sind. 

Adomen erscheint plötzlich stark aufgetrieben, nicht druckempfindlich. 

30. Tag. In mittlerer Seitenlage zeichnen sich die Auftreibungen 
entsprechend den Gruppen der Bauchmuskeln ab; die schrägen sind 



stärker hervorgewölbt als die geraden, die zugleich in ihrer ganzen 
Ausdehnung bandartig dünn erscheinen (vgl. Abbildung). Laxantia an¬ 
geordnet, reichlich Stuhl, aber ohne Einfluss auf den Zustand. 

53. Tag. Befund unverändert. 

A. P. Pat. wurde wegen einer Verletzung am Schienbein überwiesen. 
Allgemeinbefund ähnlich wie bei den beiden anderen. 

35. Tag. Pat. klagt über Spannungsgefühl im Leib. Abdomen er¬ 
scheint stark aufgetrieben. In der Iliozökalgegend und sonst keine 
Empfindlichkeit, nur in der Magengegend relative Druckempfindlichkeit. 
Resistenz nirgends zu fühlen. Abdomen weich und eindrückbar. Kein 
Aufstossen, kein Erbreoheo. Puls 60. Gibt an, früher Magengeschwür 
gehabt zu haben. Röntgenologisch nichts Positives. 

52. Tag. Schüttelfrost, Fieber (40,5 Grad). Schmerzen in der 
Nierengegend. Abdomen weich und eindrückbar. In der Gallen- und 
Nierengegend rechts mässige Druckempfindliohkeit. 

54. Tag. Starke Kopfschmerzen, typischer Druckpuls, Temperatur 
39,5 Grad. Albumen (14%<>) 400 ccm in 24 Stunden. Pat. hat vor 
drei Monaten angeblich Nephritis durchgemacht. Der inneren Abteilung 
wegen Nephritis überwiesen. 

Nachtrag. Pat. ist nach etwa acht Tagen zu Grunde gegangen. 
Die Nekropsie ergibt folgenden Befund: Adomen eingesunken. 
Bauchmuskulatur bandartig dünn, die Bauchdecke als Ganzes an keiner 
Stelle sichtbar erweitert. Der Darm ist kollabiert, Serosa nicht merklich 
verändert. » Das Verschwinden des Spannungsabdomens post mortem be¬ 
stätigt die Annahme, dass es sich in diesen Fällen keinesweges um eine 
Ptosis infolge Abmagerung handelt. 


Aus dem pathologischen Institut der Universität 
Königsberg i. Pr. (Direktor: Prof. Dr. Kaiserling). 

Die Bedeutung der Photographie für den patho¬ 
logisch-anatomischen Unterricht und die patho¬ 
logisch-anatomische Forschung 1 ). 

Von 

Privatdozent Dr. Erwin Chriateller, 

I. Assistent am Institut. 

M. H.! Wenn ich es unternommen habe, in meiner heutigen 
Antrittsvorlesung über die Bedeutung der Photographie für den 
pathologisch-anatomischen Unterricht und die pathologisch-ana¬ 
tomische Forschung einige Worte zu sprechen, so veranlasst mich 
dazu zweierlei. 

Einmal ist es die Erkenntnis von der bereits ungeheuren 
Bedeutung der Photographie für das Spezialgebiet der pathologischen 
Anatomie, wie für die biologisch morphologischen Wissenschafts¬ 
zweige überhaupt, und zweitens ist es auch der Wunsch, Ihnen 
kurz darzulegen, in welcher Richtung der Photographie eine 
weitere noch grossartigere Entwicklung bevorsteht und zu 
wünschen ist. 

Ich freue mich, dank dem besonderen Interesse, welches am 
hiesigen pathologischen Institut durch die Tätigkeit seines Leiters 
gerade diesem Gebiete entgegengebracht wird, die wissenschaftliche 
Photographie zu einem besonderen Teile meines Arbeitsprogramms 
machen zu können. 

Was hat also die Photographie für unser Spezialgebiet bisher 
geleistet? Man hat viel darüber gestritten und jede in dies Gebiet 
fallende Abhandlung fängt damit an, sich darüber zu verbreiten, 
welches denn das Verhältnis der Photographie zur medizinischen 
und insbesondere der pathologisch-anatomischen Wissenschaft sei. 
Man hat ihr eine untergeordnete Rolle zugeschrieben, Fritsch 
hat sie eine dienende Magd genannt. Das stimmt gewiss insofern, 
als sie, von der Pathologie aus gesehen, nur eine Hilfswissenschaft 
ist und zwar eine, die sich lediglich auf die technischen Ausdrucks¬ 
und Forschungsmittel derselben bezieht. Aber sie ist doch mit 
der Zeit ein so wesentlicher Teil der pathologisch-anatomischen 
Methodik geworden, dass man sie, fast wie die übrigen Zweige 
der Optik, die Mikroskopie, die Spektroskopie, die Polarisations¬ 
lehre oder wie die Farbchemie nicht ohne weiteres mehr aus dem 
Gefüge der technischen Hilfswissenschaften entfernen kann. 

Und das möchte ich hier sogleich unterstreichen. Man miss¬ 
achte nicht die Technik! Wir treiben pathologische Anatomie 
nicht nur mit dem Kopfe, sondern auch mit den Augen und den 
Händen. Gilt das schon in hohem Maasse für die Untersuchung 
und Erforschung der Organveränderungen beim Menschen, so wie 
sie das Sektionsmaterial der in die Prosekturen eingelieferten 
Leichen, der bei chirurgischen Eingriffen gewonnenen Organteile 
liefert, so ist es wohl noch von grösserer Bedeutung für denjenigen, 
der an die Fragen der allgemeinen Pathologie und der pathologischen 
Anatomie sowie deren mannigfachen Grenzgebieten, der Bakterio¬ 
logie, Serologie, pathologischen Physiologie und Chemie auf 
experimentell-biologischem Wege herangeht. Da man sich daran 
gewöhnen muss, bei allen diesen die Pathologie umfassenden 
Forschungen von der Beobachtung der Tatsachen auszugehen, so 
muss man naturgemäss das grösste Interesse allen den Methoden 
entgegenbringen, die die Aufdeckung und Darstellung dieser tat¬ 
sächlichen Verhältnisse ermöglichen. Man muss diese Methoden 
auch selbst üben und es zu einer vollkommenen Beherrschung 
derselben zu bringen suchen. Wen nicht natürliche technische 
Begabungund angeborenes liebevolles Verständnis für morphologische 
Dinge, morphologische Beobachtungs- und Denkweise selbst zu 
solcher Tätigkeit treiben, der möge versuchen, soweit das möglich 
ist, sich solche Fähigkeiten zu erwerben. 

Diese Beherrschung der Technik, die die Vorbedingung für 
jedes erfolgreiche Arbeiten auf pathologisch-anatomischem Gebiete 
ist, wird für die Beurteilung der Bedeutung wissenschaftlicher 
Photographie entscheidend. Nur derjenige, der mit der speziellen 
photographischen Technik bis ins Einzelne vertraut ist, sie selbst 
in weitgehendem Maasse beherrscht, ist imstande, ihre Bedeutung 
im Einzelfalle und insgesamt richtig abzuschätzen. 

Das gilt vor allem für die Begrenzung ihres Wirkungs¬ 
bereiches, für die Gebiete, auf denen sie in Konkurrenz mit dem 
Bleistift und dem Pinsel tritt. Ihre Anwendungsmöglicbkeit steigt 


1) Nach der am 28. Juli 1917 gehaltenen Antrittsvorlesung. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


in dem Maasse, in dem man ihre Technik beherrscht, and für 
einen geschickten photographierenden Wissenschaftler gibt es sehr 
wenige Objekte, die sich nicht im Photogramm festhalten Hessen. 

Beginnen wir mit der Darstellung anatomischer Präparate 
in verkleinertem Maassstabe oder in natürlicher Grosse, der so¬ 
genannten Makrophotographie. Wenn schon die hierbei anzu¬ 
wendende Technik keine andere ist, als die der gewöhnlichen, 
auch dem Amateur vertrauten Porträtphotographie, so ist es doch 
erstaunlich, wie vielen Verstössen gegen die einfachsten photo¬ 
graphischen Grundsätze man hier begegnet. Gerade die Einfach¬ 
heit und leichte Zugänglichkeit der erforderlichen Apparatur ver¬ 
leitet oft Anfänger und Ungeübte zu den schlimmsten Fehlern, 
die dann der schuldlosen Photographie in den Augen eines ausser¬ 
halb stehenden Betrachters znr Last gelegt werden. Ich habe 
jüngst 1 2 3 ) versucht, die Bedingungen auseinanderzusetzen, die für 
die einwandfreie photographische Aufnahme makroskopischer 
anatomischer Präparate, ihre Aufstellung, Beleuchtung, Scbatten- 
gebung, Beseitigung von Reflexen usw. maassgebend sind. 

Ganz anders bei der Mikrophotographie, der photographischen 
Wiedergabe mikroskopischer Präparate in wechselnder Ver- 
grösserung. Hier zeigen sich die meisten Mediziner, die neu an 
die Sache herangehen, zunächst gefangen genommen von einem 
sehr kompliziert erscheinenden Apparat. Es sind eine Unzahl 
angeblicher Verbesserungen, die die Einrichtung des mikrophoto¬ 
graphischen Apparates jedoch meist nur unnütz komplizieren und 
das mangelhafte Verständnis ihrer Urheber erweisen, beschrieben 
worden und erscheinen noch jetzt ab und an. Je mehr man sich 
mit der.Mikrophotographie vertraut macht, umsomehr lernt man 
das Instrumentarium zu vereinfachen. Nur kommt man auch 
hier nicht vorwärts, wenn man sich nicht die Mühe nimmt, sich 
einmal mit den Grundlagen des anzuwendenden Beleuchtungs¬ 
prinzips vertraut zu machen. 

Wer sich den Inhalt der guten Lehrbücher, die wir über 
diesen Gegenstand besitzen, zu eigen macht, z. B. desjenigen von 
Kaiserling*) oder von Neuhauss 8 ), der wird imstande sein, 
auch mit ganz einfachen Mitteln tadellose Aufnahmen zu machen, 
und wird es Kaiserling glauben, dass man z. B. mit einer 
Reisekamera auf zwei Holzstühlen im Freien Schneekristalle 
photographieren kann. 

Die Mikrophotographie folgt in der Hand eines verständigen 
und gewandten Technikers mit Leichtigkeit allen den Möglichkeiten, 
die die gewöhnliche Mikroskopie dem betrachtenden Auge dar¬ 
bietet. Ihr Prinzip bleibt mutatis mutandis genau das gleiche, 
sei es, dass man die Wiedergabe des gewöhnlichen mikroskopischen 
Bildes, oder sei es, dass man dasjenige bei Dunkelfeldbeleuchtung 
oder etwa das bei Beobachtung im polarisierten Licht entstehende 
Bild zu reproduzieren beabsichtigt. 

Man kann wohl sagen, dass man alles, was man mit dem 
Auge wahrnimmt, und was man auf der Mattscheibe einstellen 
kann, dass man das auch auf dem Negativ darzustellen und fest¬ 
zuhalten vermag. Zur restlosen Erfüllung dieses Satzes hat 
zweierlei in der Entwicklung der Photographie wesentlich bei¬ 
getragen, nämlich erstens die Vervollkommnung der Orthochromasie 
der Platten und zweitens die Photographie in den natürlichen 
Farben. 

Die Orthochromasie, die mit Hilfe der von H. W. Vogel 
entdeckten Sensibilisierung der Platten die Empfindlichkeit der 
Silbersalce für das Spektrum derjenigen des Auges nähert, erlaubt 
eine unserem Sehen entsprechende Abstufung der Helligkeitswerte 
der Farben. 

Die FarbeDphotograpbie, besonders das Autochromverfabren 
der Gebrüder Lumiere, hat uns der Lösung des Problems der 
Farbenwiedergabe im Photogramm wesentlich näher gebracht. 

Aber es war sogar möglich, noch weiter zu kommen. Die 
Empfindlichkeit der Silbersalze der Emulsion für ultraviolette 
Strahlen hat es sogar ermöglicht, Aufnahmen in ultraviolettem 
Lichte zu machen und dadurch Strukturen zu photographieren, 
mithin sichtbar zu machen, die dem Auge sonst unsichtbar sind. 
Diese Ausdehnung der Photographie auf das Gebiet der ultra¬ 
violetten Strahlen stellt insofern ein prinzipiell von allen bisher 
angeführten Anwendungsmethoden verschiedenes und über sie 
hinausreichendes Verfahren dar, als sie hier nicht nur Darstellungs¬ 

1) E. Christeller, Ueber die photographische Darstellung makro¬ 
skopischer anatomischer Präparate. Zschr. f. wiss. Mikr., 1916, Bd. 33, 
S. 113. 

2) C. Kaiserling, Praktikum der wissenschaftlichen Photographie, 
Berlin 1398, G. Schmidt. 

3) R. Neuhauss, Lehrbuch der Mikrophotographie, 8. Aufl., 1907. 


methode, sondern die einzige Erforschungsmöglichkeit und Auf¬ 
findungsweg für die in Betracht kommenden Strahlungen ist. 
Wenn ich sage, der einzige Weg, so ist allerdings zu beachten, 
dass ein Teil der ultravioletten Strahlung sich auch durch 
Lumineszenzerregung in sichtbare Strahlungsform umwandeln 
lässt und so — ich möchte sagen indirekt — sich auch dem 
Auge zu erkennen gibt. Die Vervollkommnung dieses Untersuchungs¬ 
verfahrens- der Lumineszenzerregung ultraviolettes Licht aus¬ 
sendender Körper und die Konstruktion geeigneter Anordnungen 
auch für die mikroskopische Beobachtung solcher Lumineszenz¬ 
erscheinungen [z. B. das Lehmann’sche 1 ) Lumineszenzmikroskop] 
kam naturgemäss auch der Photographie zugute und veranlasste 
die noch ganz im Beginn ihrer Entwicklung stehende Ausbildung 
der Lumineszenzphotographie und Lumineszenzmikrophotographie. 

Zu den bisher genannten Verwendungsgebieten gesellen sich 
noch einige, auf denen die Photographie von seiten der Zeichnung 
keine Konkurrenz zu fürchten hat und als Alleinherrscherin dasteht. 
Das ist die Stereophotographie und die Kinematographie mit 
ihren Zweigen auf mikroskopischem Gebiet, nämlich der.Mikro¬ 
stereophotographie und der Mikrokinematographie. 

Auch für diese beiden Abschnitte der wissenschaftlichen 
Photographie besteht die Behauptung zu Recht, dass sie sich über 
die Rolle als Darstellungsverfahren zu einer unersetzlichen 
Forschungsmethode erheben. Für die Mikrostereoskopie gilt dies 
deswegen, weil wir bei der gewöhnlichen Mikroskopie, da unsere 
Instrumente gewöhnlich für monokulare Betrachtung gebaut sind, 
keinen stereoskopischen Eindruck von den Objekten zu gewinnen 
vermögen. Sieht man von den sehr wenig verbreiteten und in 
ihrer Anwendung auf schwache Systeme beschränkten binokularen 
Mikroskopen ab, so gibt die Mikrostereophotographie uns ganz 
neue Möglichkeiten, in die Struktur der anatomischen Objekte 
einzudringen. Vollends die Mikrokinematographie hat insofern 
eine ganz besondere wissenschaftliche Bedeutung erlangt, als sie 
in der Bakteriologie, für das Studium der Bewegung und der 
Fortpflanzung der Bakterien und ihre Beziehungen zu den Körper¬ 
zellen, für die Zellteilungsvorgänge usw. Einzelheiten enthüllt 
hat, die bisher unbekannt waren. 

Auch die Röntgenographie hat sich für die pathologisch¬ 
anatomische Forschung, besonders bei den Knochenwacbstums- 
Störungen sehr bewährt und viele diagnostische Aufschlüsse gegeben. 

Man sieht, die Verwendungsmöglichkeiten der Photographie 
für unser Spezialfach sind sehr mannigfaltige, und nun wollen wir 
sehen, was ist auf diesem Gebiete bereits geleistet worden, und 
was muss die Zukunft noch bringen? 

Leider gibt es heute noch viele, auch grössere pathologisch¬ 
anatomische Institute, in denen eine mehr oder weniger komplette 
photographische Ausrüstung und Einrichtung zu den unerfüllten, 
wieder und wieder zurückgestellten Wünschen gehört. 

Und doch erfordert schon der Betrieb des Sektionssaales 
vielfach das Eingreifen der Kamera. Liegen gerichtlich medizinische 
Interessen vor, so ist der Wert einer Aufnahme des Leichenäusseren 
zum Zwecke der Rekognoszierung und Festlegung des Tatbestandes 
einleuchtend. Von hervorragendem wissenschaftlichen Interesse 
sind Aufnahmen des Situs viscerum und aller ähnlichen, im Laufe 
derSektion unrettbar verschwindenden topographischen Verhältnisse, 
die sofortige Aufnahme vergänglicher, der Konservierung nicht 
zugänglicher Veränderungen an den Organen usw. 

Diese Aufnahmen besitzen bereits einen hervorragenden auch 
rein wissenschaftlichen Wert, denn schon bei der Verarbeitung 
des täglich zu erledigenden Obduktionsmateriales geben gute 
Photogramme eine sehr geeignete Grundlage für die Beurteilung 
einzelner wesentlicher Befunde und erleichtern in hohem Maasse 
die protokollarische Festlegung derselben. Sie geben aber darüber 
hinaus nicht nur ein instruktives Demonstrationsmaterial ab, sie 
sind nicht nur zur Illustrierung von wissenschaftlichen Publikationen 
geeignet, sondern sie sind auch oft unersetzlich als wissenschaftliche 
Dokumente, die in objektiver Weise Befunde aufzeichnen, die sonst 
der wissenschaftlichen Erschliessung verloren sein würden. 

Man bat öfters gesagt, die Zeichnung ist subjektiv, daher 
von wissenschaftlich nur begrenztem Wert, den Zeichnungen selbst 
der berühmtesten Hand und gerade dieser haftet doch stets etwas 
Persönliches an, das sie in gewissem Sinne unzuverlässig macht. 
Das Photogramm dagegen lügt niemals, es lässt nichts fort, es 
fügt nichts hinzu. Das ist nicht in diesem Sinne und Umfange 
zuzugeben. Dann würde der Photographie ein grosser Mangel 


1) Lehmann, Das Lumineszenzmikroskop, seine Grundlagen und 
seine Anwendungen. Zsohr. f. wiss. Mikr., 1913, Bd. 30, S. 417. 


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2 Ö. A pril 1918 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


401 


anhaften. Besonders in didaktischer Hinsicht ist es oft wertvoll, 
bestimmte Details hervorzuheben, andere zu unterdrücken. Das 
kann man sehr wohl auch durch die Photographie bei genügender 
Beherrschung der Technik, Modifizierung der Exposition, der Ab¬ 
blendung, der Beleuchtung, der Stellung und der Wahl des Objektes, 
der Brennweite des Objektives, Art der Entwicklung und Nach¬ 
behandlung der Platte u. a. m. erzielen. Trotzdem, and das ist 
der Vorzug, bleibt die Objektivität gewahrt, da diese Bedingungen 
genau definiert und kontrolliert werden können. Schon allein 
daraus geht der grosse Vorzug der wissenschaftlichen Photographie 
gegenüber der Zeichnung hervor. 

Allerdings erleidet die Photographie eine gewisse Beschränkung 
durch die Eigenart der Objekte, um deren Darstellung es sich im 
Einzelfalle handelt. Die genannten Variationsmöglichkeiten be¬ 
wegen sich immerhin in engeren Grenzen, als sie für die Zeichnung 
bestehen. Z. B. ist es nicht möglich, Kombinationsbilder ver¬ 
schiedener Ansichten oder Einstellungen des gleichen Objektes 
auf photographischem Wege herzustellen. Besonders tritt dies 
bei der Mikrophotographie in die Erscheinung. Hier gilt als 
oberste Regel, dass man gute Mikrophotogramme nur von ganz 
tadellosen Schnitten machen kann. Besonders' muss als Vor¬ 
bedingung für einwandfreie Mikrophotogramme eine genügende 
Dünne der Schnitte gefordert werden. Auch Fehler in der Färbe¬ 
technik werden erbarmungslos das Photogramm zu dessen Nach¬ 
teil beeinflussen. Man tröste sich aber mit dem Gedanken, dass 
mit dieser schonungslosen Objektivität der Photogramme auch 
der ständige Ansporn zur technischen Vervollkommnung in der 
Herstellung der als Ausgangspunkt dienenden Präparate gegeben ist. 

Die Hauptaufgaben erwachsen der , Photographie im 
Laboratoriumsbetrieb. Die Anlegung einer möglichst vollständigen 
Sammlnng von Photogrammen der makroskopischen und mikro¬ 
skopischen Präparate dient den verschiedensten Zwecken. Sie 
ist das wertvollste Material für eine vollendete Ausgestaltung von 
Lehrbüchern und Publikationen. Atlanten wie derjenige von 
Aschoff und Gaylord 1 ), die Stereogramme von Schmort 2 3 ) und 
Zondek*) usw. sind Beispiele dafür. Die meisten Periodika 
bevorzugen mehr und mehr Photogramme, allerdings manchmal 
von zweifelhafter Qualität. Zu dieser Verwendung hat die immer 
mehr ausgebildete Vervollkommnung der mechanischen Repro¬ 
duktionsverfahren das meiste beigetragen. 

Sie sind auch unschätzbar als Demonstrationsmaterial für 
Vorlesungen und Kurse. Hier lassen sie sich auf verschiedene 
Weise verwenden. Für einen kleineren Hörerkreis genügt es im 
allgemeinen, wenn man Papierabzüge der Aufnahmen zirkulieren 
lässt. Man hat dabei die Annehmlichkeit, durch Unterschrift 
und Randzeichen wichtige Stellen an merken zu können. Für 
grössere Auditorien wird man lieber von den Negativen Glasabzüge, 
sogenannte Diapositive, hersteilen und diese dann im verdunkelten 
Saale auf die Leinewand projizieren, wobei man die Randverweise 
in noch vollkommenerer Weise durch die Demonstration mit dem 
Zeigestock wird ersetzen können. Diesem Verfahren ist wohl 
stete Rechnung getragen durch die jetzt weit verbreiteten Projektions¬ 
apparate, deren Ideal der von Kaiserling konstruierte Universal¬ 
projektionsapparat dafstellt. 

Sie können auch durch ein einfaches VergrÖsserungsverfahren 4 ) 
zu einer zuverlässigen Grundlage für die Herstellung von Wand¬ 
tafeln und Schematis benutzt werden. 

Schliesslich sind sie eben auch als wissenschaftliche Doku¬ 
mente die Grundlage eines Archivs, das neben einer Präparaten- 
sammlung seinen Platz verdient. Lubarsch hat z. B. von dieser 
Idee ausgehend in der makroskopischen Sammlung des Düssel¬ 
dorfer Pathologischen Instituts neben jedem Präparat eine photo¬ 
graphische Aufnahme desselben aufgestellt. 

Alle die genannten Gesichtspunkte beziehen sich naturgemäss 
ebenso auf gewöhnliche makroskopische und mikroskopische Auf¬ 
nahmen, wie besonders auf Farbenphotographien towie auf 
stereoskopische und kinematograpbische Photogramme. 

Was ist der Entwicklung der Photographie auf dem Gebiete 
der pathologischen Anatomie nun wohl für die Zukunft zu 
wünschen? 


1) Aschoff und Gay lord, Kursus der pathologischen Histologie 
mit einem mikroskopischen Atlas, enthaltend 35 Tafeln. 1900. 

2) G. Sohmori, Stereoskopischer Atlas der Pathologie des Herzens. 
Berlin. 

3) Zondek, Stereoskopischer Atlas der Pathologie der Nieren 
(Arterien, Venen, Kelche usw.). Berlin 1903. 

4) 0. Kaiserling, Ueber farbige Wandtafeln und Diapositive für 
Unterrichtszweoke. Photogr. Korrespondenz 1897. 


Vor allem weitere Verbreitung ihrer genauen Technik unter 
den Aerzten und Wissenschaftlern, damit das, was geschaffen wird, 
wirklich einwandfrei ist. 

Sodann möge dieser gesteigerten Betätigung durch Aus¬ 
gestaltung der photographischen Einrichtung der Institute Rechnung 
getragen werden. Das ist zwar sicherlich im Einzel falle Jnicht 
ohne grosse Schwierigkeiten auszufübren. Es mag oft der gute 
Wille und der sehnlichste Wunsch an unübersteigbaren Hinder¬ 
nissen zunichte werden. Die grössten Schwierigkeiten bereitet 
wohl stets die Schaffung geeigneter Räumlichkeiten. Ein geeigneter 
Atelierraum mit Lage nach Norden und ausreichendem Oberlicht 
lässt sich oft in Instituten alten Baustils beim heissesten Bemühen 
nicht gewinnen, auch die Schaffung eines mikrophotographischen 
erschütterungsfreien Zimmers, in dem die Apparate ungestört auf¬ 
gestellt bleiben können, ist oft unausführbar, und doch weiss jeder, 
der sich damit befasst hat, wie sehr der ganze Erfolg an diesen 
unumgänglichen Voraussetzungen hängt. Ich brauche als selbst¬ 
verständlich nicht näher auszufübren, dass auch an den Geld¬ 
beutel recht erhebliche Anforderungen gestellt werden, deneu es 
zu genügen gilt. 

Es ist ferner zu wünschen, dass Plattenarchive, etwa wie 
oben auseinandergesetzt, an allen Instituten angelegt werden, 
deren Wert wohl nach dem Gesagten deutlich ist. 

Ich hatte in London Gelegenheit, die wundervolle pathologisch¬ 
anatomische Sammlung des John-Hunter-Mtfseum zu besichtigen. 
Jeder englische Pathologe setzt seinen ganzen Ehrgeiz daran, 
möglichst viele schöne und seltene Präparate dieser Zentralstelle 
zuzuführen, die danach ein umfassendes Denkmal der englischen 
pathologisch-anatomischen Forschung geworden ist. Wenn man 
sich in Deutschland zu einer derartigen Zentralisierung, die ja 
auch ihre erheblichen Nachteile bat, nicht entschliessen konnte, 
vielmehr jeder Pathologe mit berechtigtem väterlichen Stolz seine 
Sammlung betreut, so könnte aber, ähnlich wie es für histologische 
Belegpräparate wissenschaftlicher Publikationen die histologische 
Zentralsammlung in Frankfurt am Main bereits zeigt, sehr wohl 
ein zentrales Plattenarchiv zur dauernden Aufbewahrung der Photo¬ 
gramme makroskopischer Präparate ins Leben gerufen werden. 

Schliesslich ist zu wünschen, dass die Stereoskopie und die 
Kinematographie und vor allem die jetzt in ein so viel ver- 
sprechendesStadium eingetretene Ultramikroskopie und Lumineszenz¬ 
mikroskopie sich mit Hilfe der Photographie weiter entwickeln 
mögen, da auf diesen Gebieten noch mancher Schatz zu heben ist. 


Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Göttingen 
(Direktor: Prof. C. Hirsch, Stellvertreter: Prof. Bruns). 

Notiz zur N-Bestimmung im Harn nach Kjeldahl. 

Von 

C. und M. Oehne. 

Wegen der jetzigen Knappheit an manchen Reagentien und aus 
Gründen der Material- und Zeitersparnis überhaupt ist es vielleicht für 
Laboratorien, die bei der Beobachtung von Nieren- und Stoffwechsel¬ 
kranken grosse Reihen von N-Bestimmungen auszuführen haben, nicht 
nutzlos, darauf hinzuweisen, dass das gewöhnliche KjeldahVerfahren mit 
Harn auch in bedeutend verkleinertem Maassstab mit gleicher Brauch¬ 
barkeit und Bequemlichkeit wie bisher ausgeführt werden kann, ohne in 
ein Mikroverfahren im eigentlichen Sinn umgewandelt zu werden, das 
nach unserer Erfahrung bei grossen Serienbestimmunges im gewöhnlichen 
klinischen Laboratoriumsbetrieb viel zu grosse Anforderungen an Apparatur 
und Exaktheit stellen würde. Ljungdahl 1 ) hat kürzlich gezeigt, dass 
sich die dem Pregl’schen Mikro verfahren ähnliche Einrichtung von 
Bang zum Mikrokjeldahl auch für Makro-Harn-N-Bestimmungen eignet, 
bei denen man nur 1 com Harn, 1 ccm konz. H 2 S0< und die entsprechende 
Menge NaOH zu verwenden hat. Die Destillation geschieht, wie bei 
Pregl, so, dass H 2 0-Dampf daroh den Destillationskolben hindurch¬ 
geleitet wird und dauert nur etwa 15 Minuten. Die gewonnene Zeit¬ 
ersparnis wird aber bei Reihenanalysen einigermaassen dadurch wieder 
verloren, dass sich kaum gleichzeitig so viel Destillationen nebeneinander 
vornehmen lassen dürften, wie dies im bisher geübten Verfahren, nament¬ 
lich mit den in vielen Laboratorien gebräuchlichen Makroapparaten 
möglich ist, deren sehn Kühlröhren ein gemeinsames metallenes Kühl¬ 
gehäuse umgibt. Wir sind deshalb schon vor einiger Zeit mit Erfolg 
dazu übergegangen, für den gewöhnlichen Harn-N-BestimmuDgen alle 
Maasse der angewandten Substanzmengen im bisherigen Kjeldahlverfahren 
zu reduzieren, es aber im übrigen ganz beim Alten zu belassen. Ob¬ 
wohl, wie aach Ljungdahl für seine Anordnung zeigt, 1 com konz. 

1) Biochem. Zsohr., 1917, Bd. 83, 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


Nr. 17. 


H 2 SO 4 in der Regel zur Veraschung von 1 00 m Harn genügt, wenn man 
sie sorgfältig bei nicht zu grosser Flamme leitet, haben wir das alte 
Verhältnis: Harn : H 2 S0 4 = 1:2 beibehalten, um der ständigen Kontrolle 
der Verbrennung (bei mittelstarker Flamme) überhoben zu sein, zumal 
nach unserem Ergebnis stark zuckerhaltiger Harn diese Menge H 2 S0 4 
unbedingt erfordert. Das Verfahren gestaltet sich, im übrigen genau wie 
früher, kurz zusammengefasst, so: 1 ccm Harn -+- 2 ccm konz. B 2 SO 4 
ferascht in gewöhnlichen 800 ocm Kjeldahlkolben (man kann, wenn man 
seinen ganzen Apparat umbauen will, natürlich auch kleinere Kolben 
nehmen) nach Zusatz von S s S0 4 und CuS0 4 wie bisher; die Destillation, 
nach Zugabe von 100 com B t O und 15—20 ocm 83 °/ 0 NaOH, geht meist 
in 15—20 Minuten vor sich; man erreicht gegen früher also auch eine 

gewisse Gasersparnis. Zur Titration empfiehlt sich ^H a S0 4 , die man 


sich aus der im Laboratorium stets vorrätigen —SäuredurchVerdünnen 

im Messkolben rasch herstellt. Man verkleinert so den relativen Ti- 
trationsfehler, noch mehr, wenn man statt der in V 10 geteilten Bürette 
eine solohe mit Vso Graduierung verwendet. Der Umschlag des ge¬ 
bräuchlichen Methylrot ist völlig befriedigend. 


Beleganalyse: 

Ham Konz. H 3 SO 4 Titriert 

1) 5 10 15 * 59 H s S0 4 


2) 5 

3) 1 

4) 1 


10 

2 

2 


|15*58 “ 0 H*S0 4 
6 * 23 ^ H 2 SO 4 
6’29^H 2 S0 4 


(berechnet 
aus 1 und 2 ): 

6 • 24 i H,S0 4 


Man erhält also Werte von völlig ausreichender Genauigkeit bei 
Verbrauch von Vs der sonst nötigen Materialien und unter Einschränkung 
des Gasverbrauohs bei der Destillation. 


Der Plicawulst, ein Prodrom&lsymptom der 
Masern. 

Von 

Dr. E. Meyer-Mülhausen im Eis. 

Der scharfen Beobachtungsgabe Koplioks verdanken wir die Kennt¬ 
nis und Wertung des nach ihm benannten wichtigen Kennzeichens der 
Masern im sogenannten Prodromalstadium, das heisst noch vor Aus¬ 
bruch des charakteristischen Exanthems. Das Ropliok’ache Zeichen 
besteht bekanntlich im Auftreten eines durchaus den Masern spezifischen 
Enanthems, welches auf der Mundschleimhaut zur Beobachtung gelangt 
und in kleinen, hochroten Flecken erscheint, deren Mitte mit einem 
kalkspritzeräbnlicben feinen weissen Körnchenbelag bedeckt ist. Die 
Koplick’schen Flecken können mehrere Tage vor dem Hautexanthem 
auftreten, worin eben ihr grosser Wert als Frühsymptom der Masern liegt. 

Bei einer vor Jahresfrist hierorts herrschenden ausgebreiteten 
Masernepidemie ist mir ein anderes meines Wissens merkwürdigerweise 
bisher nicht beschriebenes fast pathognomisches Prodromalsymptom auf¬ 
gefallen, welches zwar den Koplick’schen Flecken durchaus gleich¬ 
artig und wahrscheinlich pathogenetisoh verwandt ist, aber wegen seiner 
leichten Beobaohtbarkeit und infolge seines sehr frühzeitigen Auftretens 
die Diagnose der Masern lange vor Ausbruch der sonst bekannten 
charakteristischen Erscheinungen erheblich erleichtert. Ich bezeichne 
das Symptom kurz als Plicawulst. 

Wenn wir uns ein Kind am Ende des Inkubationsstadiums der 
Masern ansehen, fällt uns sofort der eigentümliche Glanz der Augen 
auf. Derselbe mag teilweise von der vermehrten Tränenabsonderung 
mitbedingt sein. In der Hauptsache jedooh soheint er der Ausdruck 
einer Kontrastwirkung und zwar zwischen den hochroten Gebilden am 
Ganthus internus und der weissen tränenfeuchten Conjunctiva bulbi. 
Bekanntlich erstreckt sich bei den Masern die charakteristische In¬ 
jektion der Augenbindehaut fast lediglich auf die Konjunktive der Lider. 
Das Maximum dieser entzündlichen Injektion und Schwellung konzen¬ 
triert sich bei Masern, im Gegensatz zu allen anderen mit Konjunkti¬ 
vitis einhergehenden Infektionskrankheiten, auf die sogenannte Plioa 
semilunaris — die bekannte, besonders beim Kinde scharf ausgeprägte 
halbmond- oder sioheliörmige Falte, welche am Ganthus internus die 
beiden Lider verbindet — während die dicht daneben liegende Karunkel 
gerade bei Morbillen einen relativ bescheidenen Anteil an der Injektion 
nimmt. Der sonst scharfe Faltenrand der Plioa erhebt sich zu einem 
iängliohen Wulst, färbt sich hochrot und bedeckt sich in der Akme des 
Prozesses häufig, wenn auoh nicht regelmässig, mit spärlichen weissen, 
den Kopliok’schen Flecken ähnlichen Tüpfelchen. 

Etwas unter der Mitte des freien Plicarandes erhebt sich normaler¬ 
weise besonders beim Kinde ein mohnsamengrosses Knötchen, welches 
bei jedem Reizzustande des Auges infolge von stärkerer Vaskularisierung 
deutlicher zutage tritt. Kein Wunder, dass gerade dieses Knötchen bei 
den Morbillen das Maximum der Wulstung bildet. 


Besonders übersiohtlioh stellt sich die Plica mit den benachbarten 
Gebilden dem beobachtenden Auge dar, wenn man den kleinen Pa¬ 
tienten veranlasst, den Blick nach aussen zu richten. 

loh habe das eben skizzierte Bild im Prodromalstadium der Masern 
nur höchst selten vermisst, wenn auch in dem Grade der Wulstung 
und Rötung natürlicherweise alle Abstufungen vertreten sind. Be¬ 
sonders wertvoll an dem Symptom ist die Tatsache, dass dasselbe in 
der Regel schon vor dem Kopliok’schen Mundsohleimhautsymptom er¬ 
scheint und daher eine oft verblüffend frühe Diagnose gestattet. Ich 
habe das Phänomen in einigen wenigen Fällen bereits in den ersten 
Tagen des Inkubationsstadiums beobachtet und bis zum Ausbruch des 
Exanthems persistieren sehen. Mit letzterem blasst und schwillt die 
Plioa gewöhnlioh bald ab, um nach wenigen Tagen zur normalen Form 
und Farbe zurüokzukehren. 


Die Charcot - Zenker- Neumann - Leyden’schen 
Kristalle. 

Von 

Hms Kohl. 

In dem schönen Nachruf Baumgarten’s auf seinen verewigten 
Lehrer Ernst Neumann (Nr. 15 dieser Wochenschrift) wird unter 
anderen vielen grossen Verdiensten des Dahingeschiedenen auch seiner 
Entdeckung der bekannten Kristalle im pathologischen und später im 
normalen Knoohenmark und ihrer Beziehung zur Leukämie gedacht und 
dabei die Frage der Erstentdeckung dieser Gebilde erörtert. 

Da erscheint es mir, einem der letzten Schüler F. A. v. Zenker’s, 
als Pflicht, einmal darauf hinzuweisen, dass das Verdienst, diese Kri¬ 
stalle vor allen anderen gesehen und untersucht zu haben, diesem 
grossen Pathologen zukommt, der, wenn ich mir aus Baumgarten’s 
Nachruf ein richtiges Bild von Neumann mache, mit seinem eben ver¬ 
storbenen Faohgenossen in seiner sachlioh gerichteten, allem Persön¬ 
lichen, zumal aller persönlichen Eitelkeit abholden Wesensart grosse 
Aehnliohkeit besessen haben muss. In diesen Charaktereigenschaften 
ist auoh wohl der Grund dafür zu sehen, dass er ausser einer gelegent¬ 
lichen Diskussionsbemerkung auf der Naturforschertagung in Leipzig 
(1872) erst 25 Jahre nach seiner Entdeckung davon Mitteilung machte, 
und in ihnen liegt auoh wohl die Erklärung dafür, dass Zenker’s 
Verdienst um diese Entdeckung in der neueren Literatur, so weit ich 
sehe, kaum 1 ) irgendwo Erwähnung findet. 

Im 18. Band seines Archiv’s 2 ) gibt Zenker, veranlasst durch eine 
unmittelbar vorangehende ungenaue Angabe Lauenstein’s die Ge¬ 
schichte unserer Kristalle; nicht etwa um eigene Prioritätsansprüche 
vorzubringen, sondern zunächst zur Wahrung d&r Rechte anderer, vor 
allem Charcot’s 8 ), dann Widal’s 4 ), White’s 8 ) und Huppert’s 6 ), 
Friedreich’s 7 ), Harting’s 8 ), Förster’s*), E. Wagner’s 10 ) und 
Leyden’s 11 ). Und selbstverständlich hebt er dabei auch das grosse 
Verdienst Neumann’s um die weitere Aufklärung dieser Gebilde in 
gebührendem Maass hervor. 

Er sagt: „Nach dieser Zusammenstellung der bisherigen Publi¬ 
kationen kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Priorität 
der Entdeckung dieser interessanten Kristalle, und zwar für beide 
Hauptfundorte, das leukämische Blut und die Sputa, nur Gharcot 
zugeschrieben werden kann, während Neumann gleich andern 
ihr Vorkommen im leukämischen Blut nur bestätigt hat. Aller¬ 
dings aber hat Neu mann dann später die wichtige Tatsache ihres so 
häufigen Vorkommens im niohtleukämischen Knoohenmark hinzugefügt, 
welche durch seine bald darauf folgende Entdeckung der grossen Be¬ 
deutung des Knochenmarks für die Leukämie und des besonders massen¬ 
haften Auftretens der Kristalle im leukämischen Knoohenmark ein ganz 
besonderes Interesse für die Theorie der Leukämie erlangt hat. Leyden 
aber gebührt das Verdienst, die Beziehung ihres Auftretens zu einer 


1) In der allgem. Pathologie von Perls-Neeisen wird Zenker 
noch erwähnt; bei Orth nicht. Fürbringer, Störungen der Geschleohts- 
funktionen des Mannes, weist in zutreffender Weise auf Zenker hin. 
Ziegler, Lehrb. d-Path., zitiert ihn nur unter Literaturangaben; Kaufi- 
man, Asohoff erwähnen Zenker gar nicht mehr. 

2) D. Arch. f. klin. M., Bd. 18, S. 125. 

3) Gharcot et Robin, Gompt. rend. de la soo. de Biologie, 
1853, S. 49. — Charcot et Vulpian, Note sur des cristaux parti- 
culiers trouvös dans le sang et les visceres d’un spjet leueömique. Ga¬ 
zette hebdom., 1860, Bd. 7, S. 47. Siehe auoh Schmidt’s Jahrbuch, 
Bd. 116, S. 147ff. 

4) Gazette hebdom., 1856, Nr. 7. 

5) Peculiar orystalls found after death in the blood, in cases of 
Leukooythaemia. Boston med. and surg. journ., 1861, 28. Nov. 

6 ) Schmidt’s Jahrbuoh, Bd. 124, S. 147. 

7) Virch. Archiv, 1864, Bd. 30, S. 381. 

8 ) Das Mikroskop., 1859, S. 458. 

9) Atlas der mikroskop.-patholog. Anatomie, 1859, Taf. 33, Fig. 4, 
Tafelerklärung S. 67. 

10) Arch. f. Heilkunde, 1862, Bd. 3, S. 879. 

11) Virch. Arch., 1872, Bd. 54, S. 824. 


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29. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


403 


bestimmt aasgeprägten Krankheitsform, dem Bronchialasthma, entdeckt 
und durch eine Reihe von Beobachtungen festgestellt zu haben.“ 

Er selbst aber, sagt er dann, sei „wohl der erste gewesen, der 
die Kristalle — und zwar bei der Leukämie — gesehen und unter* 
sucht hat“. 

Seine erste Beobachtung machte Zenker 1851, die zweite und 
dritte 1852, also alle drei noch vorCharoot’s erstem Fall (vgl. dafür 
die Jahreszahlen der Fussnote). Die beiden ersten Fälle betrafen lienale 
Leukämien; der zweite mag nebenbei noch insofern historisches Inter¬ 
esse finden, als er wohl einer der ersten gewesen sei, bei welchem im 
Leben auf Grund der Blutuntersuchung die Diagnose gestellt werden 
konnte. Seines Wissens, sagt Zenker, wäre dies vorher nur in Julius 
Vogel’s Fall geschehen. 

Auch der dritte Fall, ein einjähriges Kind betreffend, soheint jeden¬ 
falls zur Gruppe der Leukämien zu gehören, das Kind starb an An¬ 
ämie mit grosser Milz, aber nur massiger Vermehrung der farblosen 
Blutkörperchen im Leiohenblut. Zenker selbst enthält sich der Dia¬ 
gnose. 

In allen drei Fällen fand er die Kristalle zunächst in der Milz, 
im ersten und zweiten auch im Blut. In dem dem lebenden Kranken 
(Fall 2) drei Wochen vor dem Tode entnommenen Blut waren sie nicht 
vorhanden gewesen, was von grosser Bedeutung für die Auffassung war, 
dass im leukämischen Blut ein Körper sich in Lösung findet, der nach 
dem Tode in der besprochenen Kristallform ausfällt und der, wie Neu- 
mann meinte, dem Blute aus dem Knochenmark zugeführt wird, wäh¬ 
rend Zenker hierfür nooh die Milz in Betracht gezogen wissen wollte 
(vgl. weiter unten). 

Bei der näheren Beschreibung der Kristalle in morphologischer und 
chemischer Hinsicht erwähnt Zenker auch ein von den früheren Beob¬ 
achtern noch nicht angegebenes Lagerungsverhältnis zu den farb¬ 
losen Blutzöllen fFall 2); sie waren ihnen entweder angelagert oder 
mehr oder weniger tief in sie eingespiesst oder waren darin völlig ein¬ 
geschlossen. 

Später hat sie Zenker dann noch in einer Reihe weiterer Fälle 
von Leukämie gesehen. Ferner 1872 in einem „fibrosarkomatösen Tumor“ 
der Leber, der mit multiplen Tumoren der Lympbdrüsen des Halses, 
der Achselhöhlen, der Inguinalgegend, der enorm vergrösserten Milz, 
der sonst normalen Leber und der Langen vergesellschaftet war und, 
wie Zenker selbst sagt, an „leukämische Blutmisohung“ denken Hess. 
Dooh war eine Blutuntersuchung von dem die Organe erst nach dem 
Tode des Kranken einsendenden Arzte nicht gemacht worden. 

Auch im Sputum hat Zenker sie mehrfach gesehen, aber erst 
nach andern oben angeführten Beobachtern. Zuerst an sich selbst 
1871 in einem gelegentlich eines chronischen Bronohialkatarrhs ein ein¬ 
ziges Mal entleerten zähen bräunlichen Klumpen. Und er führt an, 
dass er von Kindheit an hier und da an Zuständen von leichtem Luft¬ 
hunger gelitten habe, die man wohl als leiohtes Bronchialasthma be¬ 
zeichnen könne. Ferner in drei Fällen, in denen fibrinöse Bronchial- 
erinnsel entleert wurden, die die Kristalle enthielten. Von dem 
ritten wurde die Krankengeschichte angegeben, und es verdient be¬ 
merkt zu werden, dass hier niemals asthmatisohe Zustände vor¬ 
handen gewesen waren. 

Im Anschluss an diese Mitteilungen erwähnt Zenker dann noch 
eine Tatsache, die „sein höchstes Interesse erweokte“ und die, soviel 
ioh weiss, auch bisher keine weitere Beobachtung gefunden hat: nämlich 
die leichte Kristallisierbarkeit eines anderen ohemischen Körpers 
aus dem leukämischen Blut, des Hämoglobins. Während 0. Funke 
noch in seiner ersten Mitteilung 1 ) die Hämoglobinkristalle nur im nor¬ 
malen Milzvenenblut gefunden habe und ihre Darstellung aus anderem 
Blut ihm misslungen sei, sah sie Zenker im leukämischen Blut aller 
Gefässgebiete, und er glaubte darin einen weiteren Beweis für die 
Analogie des leukämisohen Blutes mit dem normalen Milz¬ 
venenblut sehen zu dürfen. Denn wenn Funke und Kunde 2 ) sie 
nachher auch aus anderem Blut darstellen konnten, so bleibe dooh die 
besonders leichte Kristallisationsfähigkeit des leukämisohen Blutes und 
des Milzvenenblutes bestehen. 

Wenn ioh jetzt, angeregt durch Baumgarten’s Nachruf, auf 
Zenker’s Verdienste um diese Kristalle hingewiesen habe — wahrlich 
eines neben seinen sonstigen grossen Entdeckungen vergleichsweise nur 
unbedeutenden — so geschah es nicht, um für ihn posthume Prioritäts¬ 
ansprüche geltend zu machen. Dies wäre nicht in seinem Sinn. Aber 
sie einer völligen Vergessenheit nun dooh noch zu entreissen, dies 
erschien mir ein Akt der Dankbarkeit und Pflicht. 

Neben der Erstentdeckung der Kristalle durch Zenker, ihrer da¬ 
von unabhängigen Erstentdeokung und Erstbeschreibung durch C har cot 
und der grundlegenden Erweiterung ihrer Kenntnis durch Neumann 
muss die Bedeutung der Leyden’schen Beobachtung zurücktreten. 
Sie beruhte hauptsächlich auf seiner Hypothese, dass diese schon 
vorher im Sputum, auoh bei asthmatischen Kranken, wenn auch nicht 
so regelmässig wie von Leyden, gefundenen spitzen Kristalle die Bron- 
ohialschleimhaut zum Krampf, zum asthmatischen Anfall reizen. Mit 
dem Fallen dieser Hypothese musste auchLeyden’s Beobachtung einen 
erheblichen Teil ihres Wertes verlieren. 

Ob man aber den Namen „Gharoot-Leyden’sohe Kristalle“, 
unter welchen sie jetzt gehen, noch durch den von Baumgarten vor¬ 

1) Zsch. f. rat. Med., 1852, Bd. 1, S. 184. 

2) Zsch. f. rat. Med., 1852, Bd. 2, S. 271, 288. 


geschlagenen und wohlberechtigten Zusatz Neumann verlängern oder 
ihn gar durch Hinzufügen des Namens Zenker zur Unaussprechbarkeit 
sich entwickeln lassen will, oder ob man vorziehen wird, sioh allmählich 
auf eine rein sachliche Bezeichnung zu beschränken, um so das schon, 
übermässig belastete Gedäohtnis unserer Studierenden für anderes frei zu 
halten — dies überlasse ich billigerweise den hiezu berufenen Lehrern 
des Fachs. Und wenn ich den Namen Zenker in den Titel dieser Ar¬ 
beit aufgenommen, gesohah es nicht, um der Entscheidung dieser Herren 
vorzugreifen, sondern zu dem Zweok, den Inhalt des Artikels gleich 
mit einem Worte anzudeuten. 


Zur Frage der Ausbildung der Säuglings¬ 
pflegerin und der Reform des Hebammenwesens. 

Von 

Dr. B. Baieb, 

Assistent der Prov.-Frauenklinik Cöln-Lindembal (Dir.: Prof. F. Frank), Kurzeit im Felde. 

Der Erlass des preussischen Medizinalministeriums vom 81. März 1917 
sieht eine einheitliche Regelung des Unterrichtes für Säuglingspflegerinnen 
vor. Er hat damit eine vielfach diskutierte Frage einer Lösung ent¬ 
gegengeführt. 

Es wurde davon abgesehen, zweierlei Arten Pflegerinnen (für gesunde 
und für kranke Säuglinge) auszubilden, wie es vor allem das Kaiserin- 
Auguste-Viktoria-Haus vorgeschlagen hatte; man stellte sich wohl mehr 
auf den Standpunkt, dass es im Interesse einer grosszügigen Säuglings¬ 
pflege liege, wie wir sie gerade nach dem Kriege brauohen, möglichst 
einheitlich ausgebildete Pflegerinnen zur Verfügung zu haben. Das 
Hamburger Säuglingsheim hatte seinerzeit gerade zu dieser Frage u. a. 
folgendes erklärt: „Wolle man gerade auch das einfache Pflegepersonal 
reformieren und einen modernen Ersatz für die alten, in starren Vor¬ 
urteilen befangenen Kinderfrauen oder völlig fachunkundigen Kinder¬ 
mädchen usw. schaffen, so ist es unerlässlich, dass die jetzt auszu- 
bilddnden und sogar durch ein besonderes Diplom auszuzeichnenden 
Kräfte möglichst viel von der Wartung auoh des erkrankten Säuglings 
verstehen, vor allen Dingen die Grenze zwischen Gesundheit und Krank¬ 
heit zu erkennen vermögen, um so in der Lage zu sein, der jangen 
Mutter die rechtzeitige Hinzuziehung eines Arztes anzuraten.“ 

Die Ausbildungszeit für Säuglingspflegerinnen soll jetzt ein Jahr 
betragen und zur einen Hälfte auf eine mehr allgemeine Krankenpflege¬ 
schule und zur anderen Hälfte auf eine „staatlich anerkannte Säuglings¬ 
pflegeschule“ verteilt werden. Fnr diese letzteren sollen, wie Lang- 
stein angibt, „nur solche Anstalten in Frage kommen, die, von tüch¬ 
tigen Kinderärzten geleitet, über eine grössere Anzahl von Betten für 
Säuglinge und Kleinkinder verfügen, Anstalten, in denen die Gewähr 
für gediegene Ausbildung gegeben ist.“ 

Soheint man auch im allgemeinen mit den Vorschriften des Medizinal- 
ministeriums einverstanden zu sein und sie als geeignete Grundlage 
anzusehen, auf der sich eine der Zeit entsprechende gründliche Aus¬ 
bildung der SäugliDgspflegerin erzielen lässt, so liegen doch auch Be¬ 
denken vor, die sich speziell gegen die Art der halbjährigen Ausbildung 
in der allgemeinen Krankenpflege richten und die sioh auoh bereits zu 
neuen Vorschlägen verdichtet haben. 

So führt Langstein in der Medizinischen Klinik vom 5. August 
1917 aus, dass er sich nicht viel davon verspricht, „wenn die Schülerin 
lediglich an dem üblichen Lehrgang der Ausbildung in der allgemeinen 
Krankenpflege, der gar nicht auf ihr spezielles zukünftiges Faoh an¬ 
geschnitten ist, teilnimmt“; denn vieles aus der allgemeinen Kranken¬ 
pflege könnte die Schülerin gut entbehren, während für das Verständnis 
der Säuglingspflege wichtige Dinge (Asepsis u. a.) im allgemeinen Unter¬ 
richt leicht zu kurz kämen. 

Inwieweit L.’s Befürchtungen zutreffen, sei hier nioht erörtert. 
Manohes wird sicherlich von dem ärztlichen Lehrer abhängen, der den 
Unterricht erteilt. L.’s erster Vorschlag geht nun dahin, „dass wir An¬ 
stalten, die als Säuglingspflegescbulen in Frage kommen, auch die 
sechsmonatige Ausbildung in der allgemeinen Krankenpflege übertragen, 
wenn sie durch ihre Einrichtungen dazu in der Lage sind.“ 

Wichtiger scheint mir der zweite Vorschlag zu sein, der sich mit 
der Frage beschäftigt, ob auch Hebammenlehranstalten und Frauenkliniken 
die sechsmonatige Ausbildung der Säuglingspflegerin in der allgemeinen 
Krankenpflege zu übertragen ist. L. selbst macht auf eine Reihe von 
Vorteilen aufmerksam, die Hebammenlehranstalten zu dieser Ausbildung 
sehr geeignet erscheinen lassen. 

Es dürfte sioh daher vielleicht lohnen, etwas näher auf die Frage 
einzugehen, wie sioh die Hebammenlehranstalt zur Säuglingspflege und 
•fürsorge verhalten. Von jeher stellt die Pflege des Neugeborenen eine 
beträchtliche Arbeitsleistung in den Hebammenlehranstalten dar. Schreibt 
doch auoh das preussisohe Hebammenlehrbuoh vor, dass die Schülerin 
mit den Grundlagen der natürlichen Ernährung und der Pflege des 
Säuglings eingehend bekannt zu machen ist. Insbesondere wird grosser 
Wert auf eine peinliche Asepsis gelegt. So ist denn auch schon immer 
die Hebamme draussen unter dem Volke oft die erste und einzige Person 
gewesen, an die sich die Mutter im Falle einer Erkrankung ihres Säuglings 
wandte. Und manohes Gute ist hier sicherlich von erfahrenen Hebammen 
geleistet worden. Jedoch wuchsen unsere Kenntnisse und Erfahrungen 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


auf dem Gebiete der gesamten Ernährung und Pflege des gesunden und 
kranken Säuglings in einem Maasse, dem zu folgen die Hebammenlehr¬ 
anstalt vielleicht nicht überall in der Lage waren, dienen sie doch in 
erster Linie dazu, Hebammen heranzubilden, die der gebärenden Frau 
*in entscheidender Stunde Rat und Hilfe angedeihen lassen sollen. Woran 
liegt es nun, dass trotzdem die Resultate der Kinderpflege in den 
Hebammenlehranstalten durchaus als gut zu bezeichnen sind? Man 
wird nicht fehlgehen, wenn man diese günstigen Erfolge in erster Linie 
der wohl in allen Anstalten streng durch geführten natürlichen Ernährung 
an der Brust der Mutter zuschreibt. Auch in den seltenen Fällen, wo 
eine Mutter aus irgendwelchen Gründen ihr Kind nicht stillt, ist an 
Frauen, die auch ein zweites Kind mitzustillen vermögen, immer noch 
kein Mangel. Immer mehr ist die natürliche Ernährung von zentraler 
Bedeutung für das Wohlergehen jedes Säuglings geworden. Hand in 
Hand damit gingen die Bestrebungen zur Beseitigung jeglicher Still¬ 
schwierigkeiten. Weiter bieten die poliklinischen Einrichtungen, die 
gynäkologische und die Infektionsabteilung der Schülerin auch Gelegen¬ 
heit, die mannigfaltigen Uebergäoge aus dem gesunden in den kranken 
Zustand bei Mutter und Kind nicht nur zu beobaohten, sondern auch 
die Besonderheiten der Pflege unter diesen pathologischen Verhältnissen 
zu erlernen. Neuerdings hat von Jaschke auf die enorme Bedeutung 
der NeugeburtBperiode (ungefähr die ersten vier Wochen post partum) 
hingewiesen, innerhalb der sich u. a. der für jeden Säugling so wichtige 
Uebergang zur enteralen Ernährung vollzieht. Die Hebammenlehranstalten 
werden dieser Periode besondere Aufmerksamkeit schenken. 

Ueberblickt man somit den Betrieb einer Hebammenlehranstalt, so 
dürfte unschwer zu erkennen sein, dass er in reichem Maasse das bietet, 
was L. von Anstalten verlangt, denen die sechsmonatige Ausbildung 
der Säuglingspflegerin in der allgemeinen Krankenpflege zu übertragen 
ist. Besonders wertvoll erscheint mir die ständige Beobachtung von 
Mutter und Kind, deren Wohlbefinden doch so innig zusammenhängt; 
dass die Schülerin vielleicht von manchen Erkrankungen wenig oder 
nichts erfährt, scheint auch mir von untergeordneter Bedeutung zu sein 
gegenüber den zahlreichen Vorteilen, die eine Ausbildung in einer 
Hebammenlehranstalt mit ihrem reichen Material bietet. 

Der oben erwähnte Erlass sieht ferner vor, dass Hebammen nach 
der üblichen, neun Monate dauernden Ausbildung durch Absolvierung 
eines weiteren, dreimonatigen Lehrganges als Säuglingspflegerin zugelassen 
werden können. Hiermit ist anerkannt, dass die Hebamme auf Grund 
ihrer Ausbildung befähigt ist, in der Säuglingspflege und -fürsorge eine 
Rolle zu spielen. Auch L. anerkennt das, wenn er schreibt: „Aber die 
Unterstützung der Hebammen insbesondere auf dem Lande können wir 
nioht entbehren, soll unsere Säuglingsfürsorge Erfolge zeitigen“. Jeder, 
der einen Blick für das Leben im Volke hat, weiss, wie gross noch 
immer der Einfluss der Hebammen ist. Gerade auf dem Gebiete der 
Säuglingsfürsorge ist die Hebamme in der Lage, sehr segensreich wirken 
zu können. Wenn sie in dieser Beziehung heute bisweilen versagt, so 
dürfte meines Erachtens die Ursache letzten Endes vielleicht darin zu 
suchen sein, dass in der neunmonatigen Ausbildungszeit das durch das 
Hebammenlehrbuch vorgeschriebene Pensum kaum mit der wünschens¬ 
werten theoretischen und praktischen Gründlichkeit durchgearbeitet werden 
kann. Von wesentlichen Fortschritten auf dem Gebiete der Wochenbetts¬ 
und Säuglingspflege kann den Schülerinnen wenig oder nichts mitgeteilt 
werden, da die verfügbare Zeit fast ausschliesslich von dem geburts¬ 
hilflichen Unterrichte in Anspruch genommen werden muss. Ferner 
wird auf eine kritische Auswahl bezüglich Person und Herkunft der sich 
zum Hebammenberufe meldenden Frauen und Mädchen bei der Aufnahme 
noch immer nicht der nötige Wert gelegt. 

Die von vielen Seiten seit mehreren Jahren geforderte Reform des 
Hebammenwesens erscheint daher nur zu berechtigt. In erster Linie 
wird die einjährige Ausbildungszeit verlangt. Gerade der ministerielle 
Erlass, der in voller Würdigung der Wichtigkeit der Sache für Säuglings¬ 
pflegerinnen eine einjährige Ausbildung fordert, dürfte geeignet sein, die 
Verlängerung der Ausbildungszeit für Hebammen durchzusetzen, will 
man nicht völlig die grosse Bedeutung verkennen, die auch der Tätigkeit 
der Hebamme im allgemeinen und bei der Lösung des Bevölkerungs¬ 
problems gerade in den Jahren nach dem Kriege im besonderen zukommt. 

Ist diese Forderung der Reformen erfüllt, dann wird auch u. a. die 
Neugeborenenpflege im Unterrichte gründlicher behandelt werden können, 
wie bisher. Jedoch würde ich es aus sehr naheliegenden Gründen für 
sehr bedenklich halten, der ein Jahr ausgebildeten Hebamme nun etwa 
auch das Diplom als Säuglingspflegerin auszuhändigen. 

Will die Hebamme auoh staatlich anerkannte Säuglingspflegerin 
werden, wozu sie auf Grund ihrer Ausbildung vollauf berechtigt erscheint, 
so wäre dazu meines Erachtens eine weitere dreimonatige Ausbildung an 
einem grösseren Säuglingskrankenhause erforderlich. 

Nur durch Zusammenfassung und geschickte Ausnutzung der in 
gründlich ausgebildeten Säuglingspflegerinnen und Hebammen vorhandenen 
Kräfte und durch enges, vorurteilsfreies Zusammenarbeiten von Hebammen- 
lehraostälten und Kinderkliniken wird eine ausgedehnte Säuglingspflege 
und -fürsorge Erfolge erzielen, die einer grossen Zeit würdig sind. 


Ueber die willkürliche Erzeugung von Haut¬ 
krankheiten besonders bei Wehrpflichtigen. 

Von 

Prof. Toitoi-Wiesbaden, 

zurzeit fach&rztlicher Beirat im Bezirke des XVIII. Armeekorps. 

(Schluss.) 

Ich wende mich nun zur Diagnose und Entlarvung. 
Casper sagt davon: „Jeder derartige Prozess ist wesentlich ein 
geistiger Prozess und hauptsächlich mit einem solchen zu be¬ 
kämpfen. Das Materielle findet sich dann bei jedem guten Dia¬ 
gnostiker leicht.“ Und Becker: „Nur auf Grund guter ärztlicher 
Fach kenn tnisse kann der Arzt zu jener scharfen, kritischen 
Beobachtung kommen, um in dem Wust von Unredlichkeit und 
Unverstand, wie er sich im Simulantenwesen zusammentut, das 
Richtige zu finden und allen Täuschungsversuchen die Spitze zu 
bieten.“ 

ln unserem Falle bildet die Grundlage eine ausgedehnte und 
eingehende Kenntnis aller spontan, d. b. ohne absichtliches 
menschliches Zutun vorkommender Dermatosen. Es kann natür¬ 
lich immer Vorkommen, dass auch dem bewandertsten und jahr¬ 
zehntelang im Spezialfache tätigen Arzt eine ihm neue, spon¬ 
tane, seltene Hautaffektion aufstösst. Aber trotzdem fällt es 
keinem da ohne weiteres ein, anzunehmen, weil er so etwas noch 
nicht gesehen hat, deshalb sei es künstlich gemacht. Nein, was 
den Kenner sofort auf den ersten Blick Btutzig macht, was den 
ersten Anstoss zum Verdacht auf künstliche Erzeugung gibt, 
ist nicht das Seltene, Ungewöhnliche eines Krankheitsbildes an 
sich, sondern vor allem Abweichungen in der Gruppierung der 
Einzelelemente der Eruption und der Anordnung der Elementen¬ 
gruppen zueinander und zu den diese Gruppierung bestimmenden, 
im Organismus präformierten anatomischen und physiologischen 
Grundlagen und Richtlinien. Dem geübten Auge sind nicht nur 
die Formen der Einzeleffloreszenzen sowie ihre gegenseitige An¬ 
ordnung bei den einzelnen Hautaffektionen so vertrant, dass ihm 
bald ungewöhnliche Abweichungen der Form und Anordnung 
auffallen. Es gibt sich auch fast automatisch darüber Rechen¬ 
schaft, auf welchem oder welchen Momenten das am meisten 
Auffallende beruht. Dies aber ist in unseren Fällen die Inkon¬ 
gruenz mit den die Einzeleffloreszenzen und ihre Gruppierung 
bedingenden anatomischen und physiologischen Substraten. Wäh¬ 
rend für die einzelnen Körperteile die Form und Richtung kleinster 
und kleiner Kapillargefäss-, Lymphdrüsen- oder Nervenendver- 
ästeiungsbezirke, die Spaltrichtung der Haut, die Richtung und 
Form der polygonalen Hautfelder, der Verlauf der versorgenden 
Blutgefässe und Nerven, aber auch das gegenseitige Verhältnis 
zwischen Papillenkörper und Epitheldicke oder die Mächtigkeit 
der Hornschicht besonders bestimmend sind für die Effloreszenzen- 
ausbildung, ihre Form, Farbe und Anordnung sowie ihre Grup¬ 
pierung, sind in anderen Fällen, s. B. bei den lineären Haut¬ 
affektionen, die Voigt’schen Grenzlinien der Verästelungsgebiete 
der Hautnerven die Faktoren, die die Anordnung bestimmen. 
Der Herpes Zoster macht z. B. an der Brust streng halbseitige 
Eruptionen, die meistens in drei ausgesprochenen Gruppen mit 
einem oder mehreren Herden stehen, von denen aber eine oder 
zwei weniger ausgesprochen, nur abortiv angedeutet sein können. 
Das Zentrum dieser Gruppen steht dort, wo der N. intercostalis 
drei feine Hautästchen abgibt, d. h. hinten in der Nähe der 
Wirbelsäule, ferner in der Seite und drittens vorne unweit des 
Sternums. Die interkostalen Hautpartien zwischen diesen Punkten 
sind gewöhnlich ganz frei von der Eruption, so dass der Zoster 
schon allein in der Anordnung der Gruppen eine ziemlich grosse 
Regelmässigkeit aufweist. Verdächtig ist es, wenn die scharfen 
Grenzen der im selben Stadium befindlichen Effloreszenzengruppen 
dadurch verwischt oder aufgelöst sind, dass in der Umgebung 
zahlreiche versprengte Einzeleffloreszenzen auftauchen. Wenn nun 
neben Abweichungen in dieser Richtung die Gruppen der Zoster¬ 
bläschen anstatt rund zu sein oder oval mit der Längsachse dem 
Zug des Interkostalraums zu folgen, mit der Längsachse senk¬ 
recht zu dieser Richtung stehen, eine Gruppe vielleicht aber noch 
eine gewisse eckige Begrenzung hat, so fällt dies auf und er¬ 
weckt Verdacht. Dasselbe geschieht, wenn die Effloreszenzen 
einer umschriebenen Gruppe verschiedene Stadien darbieteb, 
z. B. Papeln, Bläschen und gangränöse Schörfchen; denn die 
einzelne Zostergruppe entsteht auf einen Schlag, die Einzel¬ 
effloreszenzen haben also die gleiche Entwicklungshöhe zu einem 
bestimmten Zeitpunkt. Deshalb ist auch der Rand der Gruppe, 


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29. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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selbst wenn sie spontan gangränesiiert, regelmässig gekerbt. 
Dieses eine, nnr andeutungsweise ausgeführte Beispiel mag Ihnen 
genügen, um Ihnen den Anlass für den ersten Verdacht bei der 
Diagnosenstellung zu begründen. Scharfe geradlinige, eckige 
Begrenzungen in Form geometrischer Figuren wie Rechtecke, 
Dreiecke, auch bei einzeln vorkommenden Geschwüren, schmale 
parallele, dazwischen auch senkrecht darauf gerichtete, dicht neben¬ 
einanderstehende kurze Striche von Schorfen und alten Narben 
oder Pigmentierungen derselben Form, wie ich sie kürzlich am 
Vorderarm sah, gestatten sofort die Diagnose des Artefaktes, 
ebenso wie ich im vorigen Jahre eine Art im Spiegelbild er¬ 
scheinendes lateinisches L zwischen ganz unregelmässigen, grosse 
Teile eines Armes einnehmenden Exkoriationen, Blasen und 
Schorfen sah. Besonders auffallend ist es, wenn die Richtungen 
solcher Aetzstreifen sich auf einer umschriebenen Slelle winklig 
kreuzen oder fast senkrecht aufeinanderstehen 1 ). 

Zu den rasch auftauchenden Verdachtsmomenten gehört auch 
der vorwiegende Sitz der Artefakte nur an leicht zugäng¬ 
lichen Stellen. Diejenigen Partien des Rückens z. B., an die, 
wie zwischen die Schulterblätter, man nur schwer binkommt, wo 
man aber jedenfalls nur ungeschickt manipulieren kann, sind 
immer ganz frei. Beim Rechtshänder ist die linke Körperhälfte, 
ganz besonders der linke Unterschenkel, aber auch der Vorder 
arm zumeist und intensiv befallen. Wenn sich z. B. auf dem 
linken Vorderarm, wie in dem einen eben erwähnten Fall, SO und 
mehr geradlinige, parallel und fast gleich grosse Aetzstriche, 
Schorfe und Narben finden, bietet der rechte nur 5 oder 6 dar, 
und hier sind sie krumm, unregelmässig und ungeschickt. Beim 
Linkshänder wird es umgekehrt sein. Die Vorderfiäche des 
Rumpfes überwiegt ebenso bedeutend über die Hinterfläche. 

Unvorsichtige Simulanten verschütten Flüssigkeiten in die 
Kleider, die durch Säuren eventuell durchlöchert oder verfärbt 
werden können, oder sie verspritzen die Flüssigkeiten in der Um¬ 
gebung oder lassen sie an der Haut herunterlaufen, wodurch 
dann eine streifenförmige Verfärbung oder Verätzung nach unten 
an die Hauptstelle sich anschliesst. Damit steht die Simulation 
sofort fest, wie Crocker*) in seinem Lehrbuch einen Fall er¬ 
wähnt. Auch an den Fingern oder Nägeln der manipulierenden 
Hände bleiben verräterische Flecke. Ganz scharfe Grenzen ohne 
diese Spritzer oder Rinnsale deuten auf konsistentere Salben 
oder Pflaster hin. 

Ein schwerwiegendes, aber erst nach einer gewissen Beob¬ 
achtungszeit sich aufdrängendes Verdachtsmoment ist der Mangel 
der Heilungstendenz trotz zweckentsprechender Behandlung 
und Fernhaltung äusserer Schädlichkeiten. 

Viel schwieriger aber wird die Sache, wenn die Täuscher, 
wie in dem oben geschilderten Fall des Krankenwärters von 
Thibierge, vielleicht durch längeren Aufenthalt auf einer Haut¬ 
abteilung die Bilder der spontanen Hautkrankheiten gesehen und 
sich eingeprägt haben und sie nun mit mehr oder weniger grossem 
künstlerischem Geschick als Vorlage benutzen und nachahmen. 
Sie vermeiden dann die^groben ;Verstösse'gegen das anatomische 
Substrat auch eher. In diesen Fällen ist zur Klarstellung unbe¬ 
dingt ein Krankenhausaufenthalt mit genauer Ueber- 
wachuug notwendig. Aber auch bei den plumperen Täuschern 
Ist er zur vollständigen Diagnose, zu der hier auch die Ent¬ 
larvung bis zur Aufklärung von Mittel und Methode gehört, zur 
Heilung sowohl als auch zur etwaigen Begründung der Straf¬ 
fälligkeit erforderlich. 

Ferner ist auch nur durch eine genauere Lazarettbeobachtung 
die Frage zu entscheiden, ob nicht besondere Prädisposi¬ 
tionen vorliegen, die den Arztjveranlassen sollten, abzuwägen, 
inwieweit noch eine eigene, verantwortliche Beteiligung des 
Trägers in Frage kommt, und wie gross eventuell dieser Anteil 
ist. So gibt es z. B. — allerdings seltene — Fälle von ange¬ 
borener Hinfälligkeit der Oberhaut oder|des Zusammenhanges der 
verschiedenen Oberbautschichten untereinander oder mit der Kutis. 
Das ist die Epidermolysis bullosa congenita, wo durch ganz 
leichten, unbeabsichtigten Druck an den Händen und anderen 
Stellen sich blasige Abhebungen und oberflächliche Exkoriationen 
bilden. Dann gibt es eine ganze Anzahl Fälle, die sich ihre 
Artefakte nur durch Reibung mit dem trockenen oder befeuchteten 
Finger oder mit einem Handtuch oder rauhen Frottiertuch 
machen. Ferner Fälle mit Neigung zu Frost, zu Ekzem, zu 
Urtikaria, die eventuell nur zur Unterhaltung des Zustandes bei- 

1 1) Cf. Rasch, Ein Fall vor sogenannter hysterisoher Dermatose. 
Arch. f. Denn., 1915, Bd. 121, H. 1, S. 21. 

2 ) Diseases of the skin, S. 288, „Eeigned eruptions“. 


tragen. Auch die notwendig werdende chemische Unter¬ 
suchung der Schorfe auf die gebräuchlichen Aetzmittel, wie 
sie Joseph 1 ) in seinen Fällen, allerdings mit negativem Erfolge, 
Thibierge 2 ) dagegen in dem seinigen mit positivem — es 
handelte sich um Argentum nitricum — machte, oder wiederholte 
mikroskopische Untersuchungen, die manchmal schon die 
Schuppen der Flügel der spanischen Fliege eruierten (Bazin), 
lassen sich besser im Krankenhaus vornehmen. Vor allem aber 
lässt sich auch die genaue Ueberwachung durch geschulte und 
instruierte Krankenpfleger oder Schwestern, die wieder¬ 
holte Durchsuchung der Kleider und der Betten, die am häufigsten 
zur Enthüllung beiträgt, nur im Krankenhaus bzw. Lazarett 
richtig durchführen. Ganz besonders wird man auch bei dieser 
Art der genaueren Beobachtung über die Frage der psychischen 
Disposition, also der Hysterie, ins Klare kommen, die ja für 
die Beurteilung der Straffälligkeit von ganz besonderer Bedeutung 
ist, ein Punkt, auf den ich später noch zurückkomme. Der Auf¬ 
enthalt im Krankenhaus ist auch schon deshalb vorzuziehen, weil 
man dann von der Aufnahme einer langeu Anamnese event. mit 
Hilfe des Verhörs der Angehörigen, oder von Kameraden abstrahieren 
kann. In dem Lehrbuch der gerichtlichen Medizin von Casper- 
Liman (Berlin 1881, Bd. 1 ), wird geraten, auf diese Aussagen kein 
erhebliches Gewicht zu legen und als Quintessenz der Diagnosen¬ 
stellung der Simulation der Rat gegeben: „Der Arzt verlasse sich 
auf seine Wissenschaft, seine körperlichen und geistigen Sinne. 
Er muss die eigene List, seinen Scharfsinn mit dem des Be¬ 
trügers messen .* 11 Also es haftet dieser unserer Tätigkeit bei der 
Entlarvung immer etwas detektivistisch Kriminalistisches an, wozu 
der eine Arzt mehr Talent und Neigung hat als der andere, der 
Pessimist mehr als der Optimist, der überhaupt nicht so leicht 
an die Simulation denkt. 

Vorgang der Entlarvung im Krankenhaus. 

Man muss äusserlich dem Kranken bzw. Simulanten immer 
das grösste Vertrauen entgegenbringen und ihn zunächst ganz 
in Sicherheit wiegen, indem man ihm nicht den geringsten Ver¬ 
dacht gibt, dass man Verdacht gegen ihn bat. Dagegen muss 
das Pflegepersonal genau instruiert sein, worum es sich 
eventuell handelt. Unauffällige, aber möglichst fortgesetzte 
Beobachtung, auch während der Nacht, während des Bades 
und der Klosettbenutzung eventuell durch das Schlüsselloch ist 
erforderlich. Unerwartete Besuche eventuell unmittelbar nach 
einem eben absolvierten zu einer ganz überraschenden, ausser- 
gewöhnlichen Zeit sind auch in unseren Fällen gut. Durch die 
Beobachtung im Bade seitens der Schwester gelang der ätio¬ 
logische Nachweis der Reibung mit dem Frottiertuch, in einem 
Falle im städtischen Krankenhaus, in dem mir Elenz zunächst 
die Diagnose des Artefaktes nicht glaubte. Die nächste Um¬ 
gebung der kranken Stellen ist immer wieder auf Reste der 
Erzeugungsmittel zu besichtigen. Manche Dinge riecht man auch, 
z. ß. Schwefel, Teerpräparate, Karbolsäure, Terpentin. Wieder¬ 
holte körperliche Untersuchungen an Stellen, wo kleine 
Quantitäten der chemischen Mittel verborgen gehalten werden, 
ergeben oft die besten Resultate. So fand man — allerdings in 
einem Falle chronischer, heftiger, nie heilender Konjunktivitis — 
die kleinen Mengen des Emplastrum Cantharidum unter den 
Grosszehennägeln. Die Kleider und die Bettwäsche bzw. das 
ganze Bett und der Nachttisch müssen wiederholt, während 
der Patient im Freien ist, genauestens untersucht werden, auch 
Brusttäschchen. Gleichzeitig wird das kranke Glied, nach 
Bedeckung der kranken Stellen mit einer passenden Salbe, in 
einen richtigen weit nach beiden Seiten die Krankheitsherde 
überragenden Gips verband gelegt. Aber selbst ein versiegelter 
Gazebindenverband z. B. reicht nicht aus, wenn durch Anschlägen 
oder Reiben oder durch Durchstechung eine Wirkung bis auf die 
Haut und so die Unterhaltung des Geschwürs noch weiter mög¬ 
lich ist. ln einem Falle von Dreuw 3 ) von absichtlich erzeugtem 
„Ekzem“ blieb zunächst unter dem Gipsverband der Ausschlag 
weg, bzw. er verschwand. Eines Morgens war der Verband am 
Fusse aufgeschnitten, und es bestanden im Bereich des Fensters 
neue Pusteln mit eigentümlich punktförmigen Vertiefungen. Für 
solche Fälle wird ein Stiefel o'der eine verschliessbare Schiene 
oder ein Kasten aus Eisenblech empfohlen, deren Schlüssel 
nur in den Händen des Arztes ist. Rona 4 ), der früher an die 

1 ) Arch. f. Denn., 1895, Bd. 30, S. 323. 

2) Bullet, de la soc. med. des hop. de Paris, 20. Dez. 1907.’ 

3) Zit. in Kaufmann, Handb. d. Unfallmedizin, Bd. 2, S. 521. 

4) Arch. f. Denn., 1905, Bd. 75, S. 257. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


sogenannte spontane oder neurotische Gangrän und an Kaposi’s 
Herpes Zoster gangraenosus hystericus glaubte, wurde, wie schon 
oben erwähnt, später über 5 berichtete Fälle anderen Sinnes, 
von denen bei zweien grössere Mengen Soda im Unterrock 
gefunden wurden. Die eine der Patientinnen hielt die Soda, die 
sie sich im Krankenhaus aneignete, für Aetzkali, das draussen 
ihr Leibmittel war, und brachte damit nur Bläschen-Pusteln zustande. 
Als ihr nach dem Fund die Betrügerei auf den Kopf zugesagt 
wurde, gestand sie und machte dann mit dem ihr eigens dazu 
übergebenen Aetzkali das vollständige Artefakt vor. Eine andere 
Virgo litt lange an der Krankheit, als sie aber Puella publica 
wurde und ihren Körper als Kapital brauchte, hörte sie auf. 
Fläschchen mit Säuren und Alkalien, Krotonöl, Pflaster und 
Salben mit Cantbariden wurden am meisten gefunden. In dem 
Kriegsministerialerlass sind noch andere Dinge angeführt: wie 
Essigessenz, Sublimat, Kochsalz, Tabaksaft. Auch mit brennen¬ 
den Zigarren wird gearbeitet 1 ). 

Wertvolle Anhaltspunkte für die genauere Diagnose des 
Aetzmittels gibt die Farbe der Schorfe. Salzsäure und Karbol¬ 
säure machen weisse bis graue, letztere und Trichloressigsäure 
schneeweisse, sehr scharf abgesetzte, die rauchende Salpetersäure 
Zitronen-, dotter- bis orangegelbe, Schwefelsäure zunächst graue, 
bald aber schwärzliche mumifizierte mit trockenem Rand, die 
Aetzalkalien graue bis schmutzig-bräun liehe Schorfe. 

Diese Differenzierungen der Aetzstellen und Schorfe aus der 
Farbe und sonstigen Beschaffenheit wurden auch experimentell 
festgestellt, so z. B. von Gross (1. c.), der an der Kieler internen 
Klinik die Wirkung des Aetznatrons, der Karbolsäure, der Trichlor¬ 
essigsäure, Schwefelsäure, Salpetersäure, arsenigen Säure, der 
konzentrierten und rohen Salzsäure, des Kochsalzes und der Soda 
an sich selbst und an Tieren prüfte und zwar anlässlich eines 
Falles einer Hysterica, die 6 Jahre lang Umgebung und Aerzte 
täuschte. Hier stellte sich heraus, dass die mit roher Salzsäure 
experimentell erzeugten Stellen genau denen der Patientin glichen. 
Dadurch, dass man diese experimentell erzeugten Stellen der 
Patientin zeigte, gestand sie ein, auch ihre Stellen stets mit Salz¬ 
säure gemacht zu haben. Dieses im höchsten Maasse wissen¬ 
schaftliche Entlarvungs- bzw. Konfrontierungsverfahren empfiehlt 
sich natürlich sehr zur Nachahmung. Zieler 2 3 ) hat versucht, die 
akute multiple Hautgangrän spontaner Entstehung von den zu- 
gegebenermaassen klinisch täuschend ähnlichen Nekrosen dürch 
rohe Salzsäure, durch den mikroskopischen Befund zu differen¬ 
zieren. Was er für die Nekrose artefizieller Entstehung angibt, 
nämlich Fehlen der Dermatitis, langsamere Entwickelung, aus¬ 
schliessliches Befallensein der oberen Hautschichten, scheint mir 
nur einen graduellen Unterschied, keinen wesentlichen zu bedeuten, 
der möglicherweise gerade für die untersuchten Hautstücke des 
einen Falles Geltung haben mag, leicht aber durch intensivere 
und anhaltende oder wiederholte Anwendung des Aetzmittels ver¬ 
wischt und ins Gegenteil hätte verkehrt werden können. 

Am allerschwierigsten gestaltet sich die Entlarvung bei den 
rein auf mechanischem Wege erzeugten Artefakten, die meist 
mit den Fingern und Nägeln gemacht werden, oder mit rauher 
Bettwäsche oder Badewäsche und nur selten mit einem besonderen 
Mittel, wie z. B. Bimstein. Hier fehlt dann auch vollständig die 
Möglichkeit, ein Corpus delicti zu finden, oder es fällt wenigstens 
als solches nicht auf, wie z. B. Strohhalme aus den Strohsäcken, 
mit denen zwischen Schutzverband und Haut herumgestochert 
wird. Solche rein mechanisch erzeugten Artefakte wurden oft 
sehr lange Zeit für infektiöse Granulationsgeschwülste, wie Lupus 
und Tuberkulose gehalten und öfter nur indirekt durch die Heilung 
nach absoluter Verhinderung jeglicher Berührung der Stelle ent¬ 
larvt*). 

Bei vorliegendem Verdacht auf Hysterie wird man natür¬ 
lich in erster Linie auf somatische Stigmata, besonders das Fehlen 
des Korneal-und Pharyngealreflexes sowie aufSensibilitätsstörüngen, 
besonders Analgesien und Hypalgesien, fahnden. Gleichzeitig 
aber wird das psychische Verhalten berücksichtigt. Sowie man 
bemerkt, dass der Patient Gewicht legt auf das Interessante seines 
Falles, komme man diesem Zug entgegen, indem man sogar diese 


1) Dazu kamen neuerdings noch: Aluminiumazetlösung, moderndes 
Holzmehl (Ammoniakgehalt!), Sohmierseifenersatz, rohe Salzsäure mit 
Zusatz freier Schwefelsäure, Essigsäure, Spanischfliegensalbe. 

2) D. Zschr. f. Nervhlk., Bd. 28, Ref. Mh. f. pr. Denn., 1905, 
Bd. 41, S. 644. 

3) Besonders illustriert durch Marz, „Ein Simulationsfall von 
Gesichtsulcus bei einer Hysterischen* und die Zitate am Schluss (Mh. f. 
pr. Dermat., 1915, Bd. 61, S. 888). 


Neigung dadurch anstachelt, dass man bei der Visite zu den 
Assistenten Bemerkungen fallen lässt, dass der Fall zwar schon 
an sich recht interessant sei, ihm aber doch noch dies oder jenes 
fehle, z. B. dass auch am Rücken oder in der Herzgegend eine 
Stelle auftrete und zwar in der oder jener Form, z. B. der eines 
Herzens. Manchmal tut einem dano der Patient den Gefallen, 
und prompt findet sich am nächsten Tage oder später an der 
gewünschten Stelle die gewünschte Figur. Auch die Intensität 
der Eruption lässt sich oft leicht durch solche hingeworfene 
Bemerkungen steigern, und man wundert sich dann, was so ein 
Mensch alles aushält, um seinen Zweck zu erreichen, oder man 
ist direkt gezwungen, eine weitgehende Analgesie auch schon aus 
diesem Verhalten anzunehmen. Im vorigen Jahre sah ich einen 
derartigen schweren Hysteriker, der mir beim ersten Besuch' nur 
wenig zeigte, beim zweiten aber, nachdem er das ungewöhnliche 
Interesse erkannt hatte, das ich an ihm nahm, mehrere neue 
rechteckige Schorfe, dazwischen zahlreiche bis erbsengrosse Pusteln, 
oberflächliche eiternde Exkorationen, alles inmitten einer roten, 
heisseD, geschwollenen Umgebung, in der Mitte noch das umge¬ 
kehrte lateinische L mir zu demonstrieren den Gefallen tat. Aber 
er kam nicht etwa sorgfältig das geschundene Glied in einen 
Verband gewickelt, sondern trug alles offen, der Reibung der 
Wäsche und Kleider ausgesetzt. Da wir durch den Krieg so 
manche latente Anlage zur Hysterie manifest werden sahen, so 
müssen wir bei der Diagnose der willkürlich erzeugten Dermatosen 
dem Umstand ganz besonders Rechnung tragen, zumal schon in 
gewöhnlichen Zeiten die Träger derselben überwiegend Hysteriker 
sind. 

Auf unserem letzten Dermatologentag in Bonn am 22. und 
23. September betonte unter Hinweis auf die Zunahme der simu¬ 
lierten Hautleiden, zumal bei Soldaten, Habermann 1 ), der Ober¬ 
arzt der Universitätshautklinik von Prof. Hoffmannin Bonn und 
bei gleichzeitiger Demonstration von 7 Fällen die praktische 
Bedeutung des neurologischen Nach weises der Hysterie. 
Ich stehe ganz auf demselben Boden. Durch die Konstatierung 
der Hysterie können zeitraubende Entlarvungsversuche eventuell 
vermieden und schliesslich doch der Lazarettaufenthalt abgekürzt 
werden. Besonders wichtig ist die Konstatierung des Dermo¬ 
graphismus, also der vasomotorischen Uebererregbarkeit der Haut 
und der Analgesie. 

Der Erlass des Kriegsministeriums bezieht sich auf 
ganz konkrete Fälle und darf keineswegs so aufgefasst werden, 
als wolle er ein allgemeines Urteil über Hautartefakte abgeben. 
Er hat es nur zu tun mit reiner Simulation bei sonst 
gesunden Leuten. Deshalb lässt er sich auch gar nicht ein 
auf die Frage einer etwaigen Hysterie der Träger, sondern spricht 
nur von „SelbstVerstümmelung“, „etwaiger Uebergabe an das Kriegs- 
gericht“, „Untersuchungshaft“, „Haftstrafe“ usw., indem er es 
anheimgestellt lässt, ob nach erbrachtem Nachweis des Ver¬ 
brechens der Selbstverstümmelung die Einleitung des Militär¬ 
strafverfahrens erfolgen soll. Der Erlass selbst zweifelt aber auch 
für die bei ihm allein in Betracht kommenden Fälle reiner, durch 
keinen Milderungsgrund entlasteter Simulanten daran, ob dies 
das Zweckmässigste sei, sondern nimmt offensichtlich das Gegen¬ 
teil an, da ja eine lange Untersuchungshaft und Haftstrafe gerade 
dem Wunsche der Simulanten, sieb dem Felddienste zu entziehen, 
entgegenkäme und fährt dann fort: „Besser ist es, die Wunde 
zur Heilung zu bringen, den Kranken auf den Kopf zuzusagen, 
dass man ihre Schliche kennt, und ihnen im Falle des Wieder¬ 
aufbrechens der Geschwüre mit Anzeige beim Kriegsgericht za 
drohen, im übrigen, sie so bald als möglich ihrem Truppenteil 
unter Mitteilung an den Truppenarzt zu überweisen.“ 

Auch in Bonn wurde vor dem militärischen Strafverfahren 
gewarnt, „zumal der von den Gerichten geforderte objektive 
Nachweis nur in selteneren Fällen zu erbringen ist und die Be¬ 
treffenden unzweckmässig lang dem Dienste entzogen werden.“ 

Jedenfalls müsste die Reihenfolge so sein, dass nach auf¬ 
getretenem Verdacht zunächst die UeberWeisung in das Lazarett 
erfolgt und erst, nachdem dort der Verdacht bestätigt wurde, 
Hysterie ausgeschlossen und die Ueberfuhrung gelungen war, das 
Strafverfahren eingeleitet wird. Dies muss um so’mehr beachtet 
werden, als die Militärgerichtsbarkeit auf dem Standpunkt 
zu stehen scheint, nur nach ein wandsfreier, objektiver Ueber- 
führung eine Verurteilung erfolgen zu lassen. Vor der Ueber¬ 
gabe an diese soll das ärztliche Verfahren ganz ab¬ 
geschlossen, insbesondere die auf positive Entlarvung gerichtete 


1) Dermatol. Zsohr., 1917, Bd. 24, H. 11, S. 684. 


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29. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Krankenhausbeobachtung beendigt sein. Steht die Militärjustiz 
auf dem absoluten Standpunkt, Verurteilung nur nach ganz ein¬ 
wandsfreier, objektiver Deberführung erfolgen zu lassen, so erhebe 
man auch nur in diesem Falle die Anzeige beim Kriegsgericht, 
wenn man nicht ganz darauf verzichten will. 

Mit dem Hysteriker, den man als Allgemeinkranken nicht 
oder doch nicht voll verantwortlich machen kann für seine ganz 
oder znm Teil willkürlich erzeugten Symptome, muss man natür¬ 
lich anders verfahren. 

Ich würde diesen — mittlere oder leichtere Grade der All¬ 
gemeinkrankheit angenommen — nur bedingt garnisonsverwendungs¬ 
fähig, besonders für Bureaudienst oder ähnliche Beschäftigungen 
erklären, ihn vor dem Antritt desselben aber doch einige Zeit 
im Lazarett auch allgemein psychisch behandeln, wobei ich aus 
Mangel an Erfahrung ganz dahingestellt sein lasse, ob dabei 
robustere Verfahren wie das Kaufmännische am Platze wären 
oder nicht. An der Bonner Klinik genügte einmal schon die An¬ 
drohung der Urlaubsentziehung zur Heilung.. Auch die Anord¬ 
nung der Bettruhe, Faradisation, subkutane Injektionen von Milch, 
die schmerzhaft sind, hatten in anderen Fällen Heilungserfolg. 
Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass in vielen solchen Fällen 
neben der psychoneurotischen Schwäche zweifellos auch eine 
leichte, vielleicht auf trophischen Nerveneinflüssen beruhende 
Vulnerabilität der Haut vorliegt, die ihrerseits auch Hautverände¬ 
rungen deutlicherer Art nur durch leichtes Kratzen, Reiben, 
Scheuern, ich möchte beinahe sagen, automatisch oder durch 
reflektorische Zwangshandlungen zustande kommen lassen kann, 
ganz abgesehen von den nur durch posthypnotische Suggestion 
entstehenden Erythemen, Urticaria, Blasen und Nekrosen, wie sie 
Dos wald und Kreibich 1 ) 1906 erst wieder experimentell erzeugt 
und beschrieben haben. Dieselben Folgen für die Haut, wenn 
nicht noch stärkere, würde in solchen Fällen natürlich der Dienst 
mit der Waffe, mit dem starken Drucke, der fortgesetzten Reibung 
bestimmter Körperstellen haben. 

Am Schlüsse dieses diagnostisch-detektivistischen Abschnittes 
empfehle ich dringend, verdächtige Fälle sofort zu photo¬ 
graphieren, um auf alle Fälle ein sicheres Vergleichsobjekt zu 
haben für den Verlauf, sowie die Möglichkeit, auch anderen Sach¬ 
verständigen in einfacher Weise den Fall vorlegen zu können 
oder für etwaige gerichtliche Zwecke. Noch besser wäre ja die 
Anfertigung einer guten Moulage, wozu aber nur an Orten mit 
grösseren stationären Kliniken Gelegenheit zu sein pflegt. 

Wenn auch die Ueberführung bis zum Schluss mit dem Ein¬ 
geständnis des Simulanten in jedem Falle das erstrebenswerteste 
Ziel ist, auf das möglichst hingearbeitet werden muss, so müssen 
und können wir uns vom rein wissenschaftlichen Standpunkt 
auch hier oft mit einem Indizienbeweis, wozu auch ein aus¬ 
gesprochenes klinisches Bild zu rechnen ist, zufrieden geben, 
wenn eben alle klinischen Zeichen und wieThibierge sagt, alle 
„moralischen und materiellen Beweise“ dafür sprechen. 

M. H.I Genaue Kenner der die Simulation betreffenden Ver¬ 
hältnisse sind zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Häufig¬ 
keit der konstatierten Simulation von dem Charakter und der 
Individualität der Uotersucher zu einem Teile abhängig ist, d. h. 
die Optimisten, die zunächst jeden Menschen für anständig halten, 
bis sie den Beweis des Gegenteils haben, sehen weniger Simu¬ 
lanten, die Pessimisten, die erst den postiven Beweis der An¬ 
ständigkeit für erforderlich halten, ehe sie daran glauben, wittern 
in jedem Wehrpflichtigen oder Unfallversicherten zunächst einen 
Simulanten, wie wir es z. B. bei Derblich den österreichischen 
Wehrpflichtigen gegenüber sahen. Junge unerfahrene Aerzte 
glauben im Anfang ihrer Gutachtertätigkeit sehr viel häufiger 
Simulanten vor sich zu haben, als ältere erfahrene Aerzte 
(Becker, S. 8), die direkte bewusste Simulation im allgemeinen 
für selten halten, bewusste und unbewusste Uebertreibung ab.er 
für recht häufig. Diese Resultate aber, besonders die Abhängig¬ 
keit des Urteils vom Charakter, also die zu geringe Objektivität 
des Beurteilens beziehen sich wohl hauptsächlich auf die Simu¬ 
lation innerer, besonders von Nervenkrankheiten, wo eben die 
subjektiven Klagen der zu Untersuchenden im Vordergründe stehen 
und der Beurteilung sowieso einen weiten Spielraum lassen, auch 
ganz abgesehen von der Simulationsfrage. Der einer Hautaffektion 
gegenüberstehende Arzt ist in der Beziehung erheblich besser 
daran, indem er es fast ausschliesslich mit den durch die äusseren 
Sinne wahrnehmbaren, objektiven Erscheinungen zu tun hat und 

1 ) Mh 7. pr. Dermatol., 1906, Bd. 43, S. 684. — Cf. auoh 

Szöllösy-Szegedin, Ein Fall multipler neurotischer Hautgangrän in 
ihrer Ä Beziehung zur Hypnose (M.m.W., 1907, Nr. 21). 


deshalb auch selbst viel objektiver urteilen kann. Das durchaus 
objektive, durch keine vorgefassten Meinungen und persönliche 
Charakterneigungen getrübte, einzig und allein auf den um¬ 
fassenden positiven FachkenntnisBen und den Wahrnehmungen 
scharfer Sinne begründete Urteil soll die sichere Grundlage für 
den ersten Verdacht, dessen Bestätigung oder Ablehnung bilden. 
Wir hoffen, dass wir mit der Wiederkehr normaler Zeit Verhält¬ 
nisse, wie sich dies immer gezeigt hat, diesen unerfreulichen 
Teil unserer ärztlichen Tätigkeit nur wenig oder gar nicht mehr 
auszuüben haben werden, d. h. dass die Simulation im Heere und 
bei den Wehrpflichtigen auf das geringe Maass herabsinken wird, 
wie es Villaret und Paalzow vor dem Krieg für unsere Armee 
angegeben haben. 


Bücherbespreohungen. 

H. Ziemann: Die Malaria. Handbuch der Tropenkrankheiten, heraus¬ 
gegeben von Prof. Dr. Karl Mense. 2. Auflage, 5. Band, 1. Hälfte. 
Leipzig 1917, Barth, 490 Seiten. 

Das Werk des um die Tropenmedizin duroh seine wissenschaftliche 
und praktische Tätigkeit hochverdienten Verfassers erscheint jetzt nach 
12 Jahren in 2. Auflage als die erste Hälfte des 5. Bandes des von 
Mense herausgegebenen Handbuches der Tropenkrankheiten. Die zweite, 
kleinere Hälfte des Bandes, in welcher Ziem an n das Schwarz Wasser¬ 
fieber behandelt, wird demnächst erscheinen, gleichzeitig auoh das Saoh- 
und Autorenregister. Die Arbeit ist im Juni 1917 abgeschlossen und 
verwertet die bis dahin erschienene Kriegsliteratur und auch die eigenen 
Kriegserfahrungen des Verfassers. 

Das ausgezeichnete, in seiner Art wohl einzige Buoh, dessen Erst¬ 
auflage sich schon allgemeine Anerkennung verschafft hatte, bedarf 
keiner besonderen Empfehlung. Der Krieg hat ausserordentlich viel 
deutsche Aerzte in enge Berührung mit der Malariakrankheit gebracht, 
und die meisten von ihnen werden mit Freude nach einem Werke 
greifen, welohes die einschlägigen zoologischen Fragen, die Untersuchungs¬ 
methoden, die Epidemiologie, die allgemeine Pathologie, die patho¬ 
logische Anatomie, die Hygiene, die Diagnose und Therapie, sowie die 
Prophylaxe mit gleicher Gründlichkeit und gleichem Sachverständnis 
auf Grund reicher Erfahrung und mit selbständigen Gedanken behandelt. 
Nur wer sich in dieses zusammenfassende und dabei übersichtliche 
Buch vertieft, wird die ganze Bedeutung der Malariakrankheit erkennen 
und wird den zahllosen Fragen, die in ihrem Gefolge auftreten, mit 
Verständnis gegenüberstehen. Vom praktischen Standpunkt aus ver¬ 
dienen vor allem Ziemann’8 Ausführungen über Therapie und Pro¬ 
phylaxe der Malaria die grösste Beachtung. Vorzügliche farbige Tafeln, 
zahlreiche Kurven bieten ein reiches Auschauungsmaterial; die sorg¬ 
fältig gesammelte Literatur erleichtert es, für jede Frage die geeignetsten 
Originalarbeiten aufzusuohen. 

Für das Studium der parasitologisohen Fragen dürfte das Zie- 
mann’sohe Werk neben der ausgezeichneten Darstellung Ruge’s in 
dem Handbuch von Kolle-Wassermann kaum zu entbehren sein. 
Wer sich über die Klinik der Malaria unterrichten, oder wer 
auf diesem Gebiet selbständig Weiterarbeiten will, muss sich der Füh¬ 
rung des Ziemann’schen Buches anvertrauen und wird dem Verfasser 
für seine unter schwierigen Verhältnissen vollbrachte meisterhafte Lei¬ 
stung aufrichtigen Dank wissen. Morgenroth. 


Urologisehe Operationslehre, herausgegeben von Prof. Dr. Voeleker- 
Heidelberg und Prof. Dr. Wossidlo-Berlin. Erste Abteilung, bear¬ 
beitet von Priv.-Doz. Dr. Blum-Wien, Prof. Dr. Colmers-Coburg, 
Priv.-Doz. Dr. Kiellenthner-Münohen, Prof. Dr. Voelekel-Heidel¬ 
berg, Dr. E. Wossidlo-Berlin, Prof. Dr. H. Wossidlo-Berlin. 
Leipzig 1918, G. Thieme. 306 S. mit 225 teils farbigen Abbildungen 
und 3 farbigen Tafeln. Preis 19 M. 

Bereits wiederholt — so duroh Albarran in seiner vortrefflichen 
Mödecine opöratoire des voies urinaires, dann durch Oppenheimer 
u. a. — ist der Versuch gemacht worden, die technischen Handgriffe 
und Operationsmethoden, welche in der Urologie eine so grosse Bedeu¬ 
tung besitzen, im Zusammenhänge darzustellen und gewissermaassen 
von dieser Grundlage aus einen Ueberblick über das Gesamtgebiet zu 
gewähren. Die ungewöhnliche Schnelligkeit und Vielseitigkeit, mit weloher 
gerade bei den Harnleiden, seit dem Beginn der kystoskopischen Aera, 
sowohl die Instrumentalteohnik als die eigentliche operative Chirurgie 
ausgebildet worden ist, rechtfertigt die erneute Darstellung, zu der sich 
die Herausgeber des vorliegenden Werkes entschlossen haben — recht¬ 
fertigt zugleich die Arbeitsteilung, die sie haben eintreten lassen. Der 
Krieg hat das Erscheinen verzögert; und der Eine der Herausgeber, 
H. Wossidlo, hat die Ausgabe der ersten Abteilung leider nur um 
kurze Zeit überlebt; die anerkennenden Worte, die jeder, der das Buch 
benutzt, haben wird, können also nur noch von Herrn Voelcker ent¬ 
gegengenommen werden, dem die deutsche Urologie schon so manchen 
wertvollen Beitrag zu ihrem Ausbau verdankt! 

Die Namen der Autoren bürgen dafür, dass jeder Abschnitt eine 
sachkundige, auf eigene Erfahrung aufgebaute Bearbeitung gefunden hat. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Colmers behandelt knapp aber erschöpfend die Asepsis und Anti* 
sepsis — eingehender und mit subtiler Schilderung der Technik Nar¬ 
kose und namentlich Lokalanästhesie. Die Einführung von In¬ 
strumenten in Harnröhre und Blase zu diagnostischen und thera¬ 
peutischen Zwecken— also Bougieren, Katheterisieren — ist von Kiel- 
lenthner sehr ausführlich und lehrreich geschildert. Ein vollkommen 
neues Gebiet, erst durch die modernen Instrumeute, wio wir sie in erster 
Lioie Goldschmidt verdanken, zu der gegenwärtigen Bedeutung ge¬ 
bracht, betriffc die endoskopischen Operationen in der Harn¬ 
röhre — Erioh Wossidlo hat bekanntlich selbst zur Ausbildung 
dieser Technik in hervorragender Weise beigetragen; auch die blutigen 
Operationen der. Harnröhre sind von ihm bearbeitet. Die jetzt 
so wichtig gewordenen Operationen der Prostata beschrieb noch 
H. Wossidlo — wohl die letzte grössere Arbeit aus seiner Feder. 
Voelcker bearbeitete die Operationen an den Samenblasen — 
bekanntlich eines seiner Lieblingsthemen; Blum endlich die intra- 
vesikalen Operationen, insbesondere Litholripsie und Tumoropera¬ 
tionen, namentlich letztere mit kritischer Beleuchtung des Wertes der 
verschiedenen Methoden. Ueberall wird man eine vollständige und an¬ 
schauliche Darstellung, auch eine hinreichend eingehende Aufzählung 
der wichtigsten Literatur finden — das Lob des Ganzen wäre aber un¬ 
vollständig, wollte man nicht der zahlreichen Abbildungen besonders 
gedenken: sowohl die vielen in Betracht kommenden Instrumente, als 
auch die topographisoh-anatomischen Verhältnisse und die Operationen 
in ihren einzelnen Phasen sind wiedergegeben, letztere vielfach durch 
Herrn Landsberg, dessen bekannte Kunst auch diesem Werke einen 
besonderen Schmuck verleiht. 

Wird, wie zu erwarten, der zweite Teil sich dem ersten ebenbürtig 
erweisen, so wird sich das ganze Werk als eine wesentliche Bereicherung 
der urologischen Literatur und als nützlicher Ratgeber in allen techni¬ 
schen Fragen bewähren. _ ' Posner. 


Richard N. Weigner: Zur Geschichte der anatomischen Forschung an 
der Universität Rostock. Wiesbaden, J. F. Bergmann. 

Das vorliegende Werk ergänzt die gleichgerichteten Studien zur 
Geschichte der Anatomie an der Universität Leipzig von Rabl und der 
von Tübingen von Froriep. Das Buch, inmitten des Weltkriegs ent¬ 
standen, legt Zeugnis ab von der kulturellen ‘Bedeutung der nord¬ 
deutschen Universität: es besitzt archivarischen Wert für alle Freunde 
und Forscher der Medizingeschichte. Eine Reihe ganzseitiger Abbildungen 
illustrieren den Text. Der Autor hat jahrelang das Material zusammen¬ 
suchen müssen und durch fleissige Archivstudien unser Wissen ge¬ 
fördert. * Holländer. 


Literatur-Auszüge. 

Therapie. 

Ahl-Mainz: Beitrag zur Optochinbehandling der Pneamoaie. 

(D.m.W., 1918, Nr. 10.) Verf. hat bei seinem Pneumoniematerial keine 
besonders günstige Beeinflussung durch Optochin gesehen. Dünner. 

B. Stüber: Chemotherapie der TyphnsbazillentrKger. (M.m.W., 
1918, Nr. 8.) Führt man dem Organismus per os Zystin zu, so wird es 
bei Vorhandensein von Cholsäure in der Leber zerlegt und zum Taurin¬ 
aufbau verwandt. Das Taurin paart sich mit der Cholsäure zur Taurochol- 
säure. Bringt man nun das Zystin mit einem Desinfizienz in Verbin¬ 
dung, so wird unter besonderen Bedingungen bei der erwähnten Spal¬ 
tung des Zystins in der Leber das Desinfizienz frei werden. Versuche 
mit Zystinqueoksilber ergaben praktisch befriedigende Resultate, die die 
theoretischen Voraussetzungen zu erfüllen schienen. Die Erfolge mit 
dem angewandten Mittel waren die, dass schon wenige Tage nach Be¬ 
ginn der Behandlung die Bazillenausscheidung sistierte. Geppert. 


Parasitenkunde und Serologie. 

A. Kressler-Jena: Hefeextraktnährböden. (Zsch. f. Hyg., Bd. 85, 
H. 2.) Beschreibung eines guten Agars, der sich für alle Zwecke ver¬ 
wenden liess, unter Benutzung eines „Hefekraftextrakt“ hergestellt von 
der Firma Apotheker G. Stock, Nährmittelfabrik zu Bernstadt, Schlesien. 
Der Agar ist dem mit Liebig’s Fleischextrakt hergestellten auch zur 
Wasseruntersuchung gleichwertig. 

J. van Loghem und J. Niewenhuijse-Amsterdam: Parafflnnm 
liquidum zut Erhaltung von Dieudoaue’s ßlatalkalinisehung. (Zschr. 
f. Hyg., Bd. 85, H. 2.; Verff. überschichteten die frisch hergestellte Blut- 
alkalimisohung mit Paraffinum liquidum. Nach 7—14 Tagen liefert die¬ 
selbe Agarplatten, die sofort gebrauchsfertig sind. Die elektive Kraft 
wird mindestens 10 Monate lang erhalten. 

A. Zsohiesche-Königsberg: Beitrag zur Kenntnis der durch Er¬ 
reger der Paratyphns-Gärtner-Grnppe hervorgerufenen Darmerkrankungen 
(Paraeolibazillose). (Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 2.) Verf. fand, dass unter 
den Krankheitsfällen von Paraoolibazillose der Bac. Paratyph. B. häufiger 
vorkommt, als bisher angenommen wurde. 

J. West er-Utrecht: Ein neuer Strongyloides bei Füllen. (Zschr. 
f. Hyg., Bd. 85, H. 2.) Verf. fand bei Füllen einen neuen Strongyloides. 
Die Infektion muss im Stall vor sich gehen. Bisher wurden nur Weibchen 
gefunden, die sich offenbar parthenogenetisch fortpflanzen. 


J. E. W. Ihle-Utrecht: Stroagyloides a. sp. (Zschr. f. Hyg.,Bd.85, 
H. 2.) Zoologische Beschreibung der neuen Spezies. 

G. Paul-Wien: Ueber Mischinfektionei auf der Kaniiehenhen- 
haut bei der experimentellen Pockeaepitheliose. (Zschr. f. Hyg., Bd. 85, 
H. 2.) Es kommen bei der Pockendiagnose auf der Kaninchenkornea 
auch Mischinfektionen gewöhnlich mit Kokken vor, die aber leicht von 
den durch das Pockenvirus hervorgerufenen Veränderungen dadurch 
unterschieden werden können, dass sich der Prozess nicht im Epithel, 
sondern in dem Korneabindegewebe abspielt. Verf. hat jetzt folgende 
Untersuchungsregel: Versuchstiere, die nach 48 Stunden keinerlei patho¬ 
logische Zeichen auf der Kornea zeigen, werden nicht gelötet. Der Fall 
wird als negativ bezeichnet. Zeigen sich hingegen pathologische Ver¬ 
änderungen irgendwelcher Art, so wird das Kaninchen nach 48 Stunden 
getötet, die Augen enukleiert in Sublimatalkohol gebracht, die Kornea 
sodann abgekappt und in schwarzen Blockschälchen durchmustert. Ein¬ 
deutig positive Befunde werden nicht histologisoh untersucht, nur bei 
zweifelhaften Befunden geschieht dies. Schmitz. 


innere Medizin. 

Büttner-Wobst: Gesundheitszustand ehemaliger Heilstätten- 
patienten. (M.m.W., 1918, Nr. 6.) Bekanntlich werden in Lungenheil¬ 
stätten sehr oft auch Nichttuberkulöse aufgenommen, zumeist wohl ans 
allzu grosser Vorsicht der behandelnden Aerzte. B. weist mit Reoht auf 
die in mancher Hinsicht schädlichen Folgen hin, die einer Persönlichkeit 
daraus erwachsen, wenn ihr als Kainsmal die Diagnose Tuberkulose auf 
die „Stirn gebrannt ist“. Er untersuchte 351 frühere Heilstättenbeauoher 
und fand darunter 160 mit sicher tuberkulösen Veränderungen, 69 völlig 
gesunde Leute und 112 mit anderen Krankheiten Behaftete, die nach 
Ansicht B.’s nie tuberkulös waren. Die Zusammenstellung ist sehr 
interessant und zeigt, dass wir bei der Indikationsstellung zur Heilstätten¬ 
behandlung grössere Vorsicht üben müssen. Andererseits muss aber 
auch bedacht werden, dass nicht selten, „Propbylaktiker“ der Heilstätte 
überwiesen werden. Bezüglich des späteren röntgenologischen Nachweises 
tuberkulöser Veränderungen muss daran erinnert werden, dass wir an¬ 
lässlich der Pneumothoraxbehandlung die Beobachtung machten, dass 
exsudativ-tuberkulöse Prozesse durch Resorption heilen und später keine 
Schatten hinterlassen. Geppert. 

F. Klewitz: Die kardiopnenmatisehe Kurve. (D. Arch. f. klin. 
M., 1918, Bd. 124, H. 5 u. 6.) Beschreibung der Methodik und ihrer 
Ergebnisse. Möglicherweise wird die kardiopneumatisebe Kurve eine er¬ 
wünschte Ergänzung der bisher üblichen Registriermethoden bilden. 

Müller und Brösamlen: Ueber die Eignung der Spbygmobale- 
Metrie resp. Sphygmovolnmetrie aar Bemessung der Systolengrffsse 
ressp. des Miantenvolnmens. (Erwiderung an Sahli.) (D. Arch. f.. klin. M., 
1917, Bd. 124, H. 3 u. 4.) Entgegnung und Widerlegung von Sahli gegen 
B. erhobener Einwände. Die Sahli’sche Methode wird als ungeeignet 
abgelehnt. 

E. Weiser: Zur Kenntnis der Folgen plötzlich ein- und aussetzender 
Arythmia perpetna. (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 124, H. 3 u. 4.) In 
einem Falle schwerster Herzinsuffizienz war an das plötzliche Auftreten 
von Vorhofflimmern ein dem Adam*Stokes’schen Symptomenkomplex 
ähnlicher Status epilepticus geknüpft. Da durch die schwere Kreislauf¬ 
schädigung eine chronische Urämie des Gehirns bedingt war, genügte 
ein mässiges Langsamerwerden und Scbwächerwerden des absolut un¬ 
regelmässigen Pulses zur Auslösung der Anfälle. Im Anschlüsse an 
eine Digitalisdarreichung in einem weiteren Falle schwerer Herzinsuffizienz 
zeigte sich wiederholt eine Spätwirkung der Droge auf Pulsfrequenz und 
Diurese. Der Puls ging auf wenig mehr als 40 Schläge in der Minute 
herab bei einer Diurese von einigen Litern. Während einer derartigen 
Nachwirkung kam es zu einer Blockierung der Vorhofreize einer sehr 
langsamen Arythmia perpetua, worauf eine raschere vollkommen regel¬ 
mässige Ventrikelautomatie einsetzte und durch acht Tage anhielt 
Dieser veränderte Herzrhythmus war mit einer sichtlichen Verbesserung 
der Kreislauftätigkeit und des Kräftezustandes des Patienten verbunden. 

Zinn. 

R. Hirsch-Berlin: Arteriosklerose in Theorie und Praxis. (Ther. 
d. Gegenw., März 1918.) Verf. hält die A. nicht für eine „Abnutzungs¬ 
krankheit“, d. h. also für eine natürliche Alterserscheinung, sondern sieht 
sie für eine Folge der verschiedensten Schädlichkeiten an: 1. Infektionen, 
vor allen Dingen Syphilis. 2. Intoxikationen (Gicht, Diabetes, chronische 
Bleivergiftung, Alkohol- und Tabakmissbrauch, übermässiger Fleisch¬ 
genuss). Die praktische Erfahrung am kranken Menschen spricht dafür, 
dass die Einschränkung des Fleischgenusses ebenso eine günstige Wir¬ 
kung erzielt wie die des Tabak- oder Alkoholgenusses. Symptomatisch 
kommt die Verabfolgung von Jod und Diuretin in Betracht, bei der 
Schrumpfniere die chronische Darreichung von kleinen Dosen Digitalis. 
Bei beginnender Arteriosklerose C0 2 . Bäder, bei den Anginapectoris- 
anfällen neben Hochfrequenzströmen die Bestrahlung mit Röntgentiefen- 
strahlen. Zu vermeiden ist jede Hast, erwünscht ist ein „ruhiges 
Wandern, ohne zu sprechen“. R. Fabian. 

Naegeli: Ueber Frühstadien der perniziösen Anämie und über 
die Pathogenese der Krankheit. (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 124, 
H. 3 u. 4.) Mitteilung von 6 Fällen im Frühstadium der perniziösen 
Anämie. Die Krankheit entwickelt sich nicht auf dem Boden einer 
vorausgehenden Anämie, sondern die Blut- und Knochenmarksveränderung 


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setzt primär ein. Der Blntbefnnd ist schon früh sehr charakteristisch 
nnd trägt selbst bei fast normalen Hb-Werten schon die vollen Züge 
der Perniziosa an sich. Von weiteren Frühsymptomen sind zu nennen: 
Glossitis, Darmstörungen, hämorrhagische Diatbese, Milzschwellang, spinale 
Prozesse. Die Hämolyse ist ein sekundärer Vorgang. Das Wesen der 
perniziösen Anämie besteht in der Knochenmarksalteration. Diese ist 
spezifisch, alle anderen Erscheinungen, die Hämolyse ganz besonders 
mit eingerechnet, sind nicht spezifische Veränderungen, gehören aber 
als charakteristische Erscheinungen zum Bilde der perniziösen Anämie. 

Zinn. 

J. Feigl: Neue Beobachtungen zur Kasuistik des Vorkommens von 
Hänatin im measehliehen Blutserum. I. (Biochem. Zschr., 1918, Bd. 85, 
H. 3 u. 4, S. 171.) In Fällen von schweren Vergiftungen (Azetanilid, 
Paraphenylendiamin, Sulfonal, Trional, Rauohgassohaden) fand sich 
Hämatin gleichzeitig mit Methämoglobin im Blutserum. Allein liess sich 
das Hämatin naohweisen bei anscheinend geringgradigen chronischen 
Vergiftungen (Pikrinsäure) sowie bei Einwirkung von Bromaten. Ferner 
fand sich das Hämatin isoliert bei chronischem Missbrauch von Trional, 
Sulfonal, Trigemin, Tabak usw. Auch liess sich das Hämatin in frischen 
Fällen von Gasintoxikationen naohweisen. Verf. beschreibt noch einen 
positiven Hämatinbefund bei tödlicher Resorzinvergiftung, bei einer 
akuten Azetanilid Vergiftung, einer chronischen Paraphenylendiaminver- 

giftUDg. 

J. Feigl u. R. Deussing: Neue Beobachtungen zur Kasuistik 
des Vorkommens von Himatin im menschlichen Blutserum. II. 
(Bioohem. Zsohr., 1918, Bd. 85, H. 8 u. 4, S. 212.) An etwa 700 Fällen 
studierten Verff. das Vorkommen von Hämatin in pathologischen Blut¬ 
seren. Festgestellt wurde Hämatin noch bei akuter gelber Leberatrophie, 
bei Echinokokkus, Diphtherie. Das Vorkommen von Hämatin ist viel 
weiter verbreitet als bisher angenommen wurde. Bei Soharlach, Masern 
und Diphtherie ist der Hamatinbefund nicht selten. Vom differential¬ 
diagnostischen Wert dürfte der Hämatinbefund bei perniziöser Anämie 
sein. — R. Lewin. 

Sonne: Ueber die Bestimmung des Unterschiedes zwischen 
arterieller und venöser Kohlensäurespannung unter normalen und 
pathologischen Verhältnissen, sowie über die Anwendung dieses Unter¬ 
schiedes zur Messuug von Veränderungen in der Grösse des Minuten¬ 
volumens. (D. A. f. klin. M., 1918, Bd. 124, H. 5 u. 6.) Mitteilung einer 
Methode, mit der die Kohlensäurespannung im venösen, sauerstoffhaltigen 
Blut sich mit Leichtigkeit auch bei angegriffenen dyspnoischen Patienten 
bestimmen lässt. Da bei solchen auch mit einem modifizierten Verfahren 
von Haldane die alveolare Kohlensäurespannung bestimmt ist, hat S. 
den Unterschied zwischen der arteriellen und der venösen Kohlensäure¬ 
spannung messen können. Bei Normalpersonen in Ruhe mit einem 
Respirationsquotienten von etwa 0,80 ist ein Unterschied von durch¬ 
schnittlich 8,4 mm Quecksilber gefunden worden. Dieser Unterschied 
lässt sich zusammen mit dem Respirationsquotienten anwenden, um ein 
Maass für die Variationen des Minutenvolumens unter normalen und 
pathologischen Verhältnissen zu geben. 

Sonne und Jarlöv: Untersuchungen über die Wasserstoffionei- 
koizentration des Blutes bei verschiedeaen Krankheiten, insbesondere 
solchen, die mit Dyspnoe oder anderen Zeichen kardialer oder venaler 
Insuffizienz verbunden sind. (D. Aroh. f. klin. M., 1918, Bd. 124, H. 5 u. 6.) 
Die Reaktion des Blutes ist überaus konstant. Ein Versagen der 
neutralitätsregulierenden Fähigkeit findet scheinbar nur statt, wenn der 
Tod nahe bevorsteht. Die kardiale und urämische Dyspnoe steht kaum 
mit einem erhöhten Säuregrad des Blutes in Beziehung. 

Z. Tomaszewski*. Beiträge zur Kenntnis der Adrenaliaglykosarie 
beim Mensohen. (D. Arch. f. klin. Med., 1918, Bd. 124, H. 5 u. 6.) Die 
glykosurische Wirkung des Adrenalins ist dann am stärksten, wenn es 
gleichzeitig oder höchstens eine Stunde vor der Zuckermahlzeit subkutan 
eingespritzt wird. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Glykosurie 
ihre Ursache in dem direkten Uebergange grösserer Mengen von kreisendem, 
in der Leber infolge der Adrenalinwirkung als Glykogen nicht fixiertem 
Zucker in die Blutbahn hat. 

W. Stepp: Beitrag zur Frage der Verteilung des Blutzuckers auf 
Ktirperehen und Plasma beim menschlichen Diabetes. (D. Aroh. f. 
klin. M., 1917, Bd. 124, H. 8 u. 4.) Bei 9 Diabetikern wird der Zuoker 
16 mal gleichzeitig im Gesamtblut und im Plasma bestimmt. Meist 
lagen die Zuckerwerte im Plasma etwas höher als im Gesamtblut; 1 mal 
bestand genaue Uebereinstimmung, 3 mal fand sich im Gesamtblut mehr 
Zucker als im Plasma. 

W. Stepp: Blutzucker und Restkohlenstoff beim Diabetes mellitus 

des Menschen und beim experimentellen Diabetes. (D. Äroh. f. klin. M., 
1917, Bd. 124, H. 3 u. 4.) Restkohlenstoffwerte des Blutes beim Gesunden 
170—200 mgr in 100 com Blut, davon 40 mgr Zuckerkoblenstoff. Beim 
menschlichen Diabetes zeigt der Restkohlenstoff des Blutes ein sehr ver¬ 
schiedenes Verhalten, das auf tiefgreifenden Umwälzungen unter den 
kohlenstoffhaltigen Substanzen des Blutes beruht. Zinn. 

G. Klemperer: Kriegslehren für die Ernährung der Diabetiker. 
(Ther. d. Gegenw., März 1918.) Nach den Erfahrungen des Verf.’s hat 
die Kriegsernährung keinen ungünstigen Einfluss auf den Diabetes aus¬ 
geübt, leichte Diabetiker haben sogar eine wesentlich bessere Zucker¬ 
assimilation erlangt. Als Gründe hierfür gibt Verf. an: 1. die Kalorien- 
armut der Nahrung, 2. die besondere Beschaffenheit des Kriegsbrotes, 
deren hoher Gehalt an Cellulose und Buttersäurebazillen zu starken 
Gärungen im Darmkanal führt und damit die Znokerzersetzung be¬ 


günstigt, 8. die grössere Alkaleszenz der Körpersäfte, 4. die vermehrte 
Flüssigkeitszufuhr, 5. die erhöhte Salzzufuhr in der Nahrung. Bei den 
mittelschweren Fällen ist im allgemeinen eine tägliche Fettmenge von 
100 g nötig. Die schweren Fälle sind durch die Kriegsernährung besser 
gestellt als die mittelschweren, weil die vermehrte Kohlehydratmenge 
und der Eiweissmangel zur Verhütung der Azidosis sehr zweckmässig 
sind. Die Mortalität dieser Fälle in den städtischen Krankenhäusern 
ist im Kriege kaum anders als vor dem Kriege. R. Fabian. 

L. Kuttner-Berlin: Zur weiteren Regelug der Krankeiernähmng 
während des Krieges. (D.m.W., 1918, Nr. 8u. 9.) Verf. setzt bei den 
einzelnen Krankheiten auseinander, welche Nahrungsmittelzusätze von 
den Vertrauensärzten jetzt während des Krieges auf Antrag der behan¬ 
delnden Aerzte gegeben werden können, und weist darauf hin, dass oft 
Schwierigkeiten infolge mangelhafter Diagnose zum Schaden der Patienten 
entstehen. Dünner. 

G. Oeder: Sachgen&sse meischliche Kriegsernähmng. (Zsohr. 
f. pbysik. diät. Ther. Februar/März 1918.) Unsere deutsche Landwirt¬ 
schaft ist vollkommen imstande, die für Mensohen und Nutztiere nötigen 
Nahrungsmittel neben dem erforderlichen Saatgut und neben der un¬ 
entbehrlichen Viehnachzucht ausreichend und dauernd zu erzeugen. 
Oeder ist nicht dafür, dass man den sogenannten „Pro Kopf“-Maass- 
stab der Unterverteilung des Nahrungsgutes an den Einzelanteilen zu¬ 
grunde legt, sondern ihn höchstens als Bereitstellungsmaasstab für die 
Oberverteilung benutzt. An den Einzelköpfen hängen verschieden grosse 
Körpermassen! Erst ist das Heer im Feld zu berücksichtigen, dann 
das Heimatvolk, dann das Nutzvieh, dann käme die Rückstellung für 
Nahrungszulagen u. a. an Kranke, dann das Saatgut, erat zuletzt die 
Befriedigung des inländischen technischen Bedarfs und die Ausfuhr an 
verbündete und neutrale Völker. E. Tobias. 

P. Regendanz: Beitrag znr Kenntnis der Malaria in Rinäaiea. 
(Arch. f. Schiffs u. Trop. Hyg., 1918, Bd. 22, H. 3, S. 33—40.) Beob¬ 
achtungen vom Unterlauf des Sereth und im Gebiete zwischen diesem 
und den Ausläufern der Ostkarpathen. Voruntersuchung ergab, dass 
etwa 1—2pCt. der Kinder unter 10 Jahren Tertian-Parasitenträger 
waren, dass Anopheles (aussohliesslich: maculipennis) nicht zahlreich 
und dass die zur Plasmodienentwickelung in der Mücke nötige Temperatur 
Ende Juni erreicht war. Ende Juli setzten bei den (unter Chininprophylaxe 
stehenden) Truppen zahlreichere Malariaerkrankungen ein, in der zweiten 
Augusthälfte erreichten sie ihre Höchstzahl, die sioh bis Mitte September 
nur wenig äusserte. Dann Abfall, so dass von Ende Oktober bis Ende 
November nur noch vereinzelte Fälle vorkamen. Tertiana: Quartana : 
Tropika verhielten 9ich in der Häufigkeit wie 90:2: 8. Schwarzwasser¬ 
fieber wurde nicht beobachtet. Die Dicke-Tropfen-Methode erwies sich 
für Massenuntersuchungen als allein brauchbar. 

E. Saupe: Ueber Urobilinogomirie bei Malaria. (Arch. f. Schiffs 
u. Trop. Hyg., 1918, Bd. 22, H. 2, S. 17—27.) Untersuchungen an 
malariakranken Soldaten mit der Ebrlich’schen Benzaldehydprobe und 
spektroskopischer Kontrolle des sich bildenden Farbstoffes. Urobilinogen 
findet sich bei allen Formen der Malaria ausserordentlich konstant im 
Harn. Im allgemeinen läuft die Stärke der Reaktion der Sohwere der 
Anfälle parallel, da beide Folgen des Blutzerfalles sind. Die Dauer der 
Urobilinogenausscheidung hängt von der Dauer und Aufeinanderfolge 
der Anfälle ab, möglicherweise spielt Ablagerung der Gallengrundstoffe 
in der Milz dabei eine Rolle. Ob Erst- oder Rückfallerkrankung ist für 
die Urobilinogenurie gleichgültig. Dagegen kommt der Körperkonstitution 
und selbst äusseren Einflüssen (Transport) Bedeutung zu. Komplikationen 
können verstärkend (Stauungsleber, Nephritis) oder abschwächend (Durch¬ 
fälle) wirken. Diazoreaktion ist bei Malaria wesentlich seltener und des¬ 
halb diagnostisch und prognostisch bedeutungsloser als der Urobilinogen- 
nachweis. Letzterer scheint dem wolhynischen Fieber gegenüber 
differentialdiagnostisch wertvoll zu sein. Auch gegen den Typhus lässt 
9ich aus der Prüfung der Diazo- und Urobilinogenreaktion und dem 
zeitlichen Verhalten ihres Auftretens zur Fieberkurve ein Anhalt für 
die Krankheitserkennung gewinnen. Weber. 

J. E. Kayser-Petersen: Zur Klinik der chronischen Malaria. 
(M.m.W., 1918, Nr. 8.) Verf. weist bezüglich der Chronizität der Malaria 
auf ihre Analogie zur Lues hin und stellt die Forderung auf, die im 
Kriege vielfach akquirierten Malariainfektionen auch späterhin dauernd 
weiter zu behandeln, da eine Uebertragung bei Rezidiven auch in der 
Heimat mancherorts möglich ist. Eine mehrere Jahre durchzuführende 
Behandlung wird gefordert. Geppert. 

Forschbach und Pyszkowski-Breslau: Mischiifektionen mit 
Tropika und Tertiana? (D.m.W., 1918,Nr.9.) In drei Fällen wurden 
Tropikaparasiten nachgewiesen und nach einiger Zeit Tertianaparasiten. 
Beide bestanden nicht zu gleicher Zeit. Die Verff. glauben, dass 

es sioh um eine Doppelinfektion bandelt. 

Martini: Bewertung der Weil-Feliz-Reaktion in der Senchen- 
praxis. (D.m.W., 1918, Ni. 9.) Die Weil-Felix-Reaktion hält über Jahr 
und Tag an. Bei der Bevölkerung Polens, speziell bei den Juden, ist 
die Reaktiou nicht absolut verwertbar, weil die Kranken in früheren 
Zeiten nicht selten Flecktyphus überstanden haben. Die Verhältnisse 
liegen hier ähnlich wie bei der Widal’schen Reaktion bei Typhus. Wir 
müssen ab und zu sogar damit rechnen, dass gleichzeitig Infektion von 
Typhus und Fleoktyphus vorliegt. 

Pagensteoher-Braunsohweig: Zur Frage desWolkyaischen Fiakers. 
(D.m.W., 1818, Nr. 9.) Anästhetische Zonen hat Verf. nie gefunden. Er 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


schildert die verschiedenen Typen des Fiebers, die er bei seinen Fällen 
bei Fleckfieber beobachtet hat, bei denen häufig die Differentialdiagnose 
mit Malaria und Grippe in Frage kommt. Ab und au wird eine palpable 
Milz festgestellt. Therapeutisch erwies sich Arsen als brauchbar. 

Sterling-Okuniewski-Lodz: Der Blntdnick im Verlaufe von 
Rüekfallfleber. (D.m.W., 1918, Nr. 10.) Im Laufe von Rfickfallfieber 
wird kein deutlicher Einfluss der Krankheit auf den Blutdruck beob¬ 
achtet. Dünner. 

A. Foerster: Fall von Zystopyelitis, hervorgerufen durch Rnhr- 
bazillen (Typus Flexner). (M.m.W., 1918, Nr. 8.) Beschreibung eines 
Falles, bei dem nach überstandener Ruhrinfektion eine Zystopyelitis 
auftrat, bei der zum ersten Male als Erreger einwandsfrei Ruhrbazillen 
naohgewiesen werden konnten. Durch Autovakzinebehandlung und Blasen¬ 
spülungen Besserung. In dem beschriebenen Falle muss angenommen 
werden, dass die Erkrankung auf hämatogenem Wege zustande gekommen 
ist. Trotzdem der Nachweis von Ruhrbazillen im strömenden Blute 
bisher noch nicht gelungen ist, scheint doch ein Ausscheiden der Krank¬ 
heitserreger durch die Nieren in seltenen Fällen stattzufinden. 

Geppert. 

Albu Berlin: Zur Frage der Leberperknssion. (D.m.W., 1918» 
Nr. 10.1 Verf. betont den besonderen Wert der Leberperkussion, die 
doch bessere Resultate erzielt als die Palpation, auf die kürzlich von 
Zuelz er hingewiesen worden ist. Dünner. 

E. Ben ecke-Berlin: Askaridenkolitis uter dem Bild akvter 
Appendizitis. (Ther. d. Gegenw., März 1918.) Naoh Abgang mehrerer 
Spulwürmer langsame Heilung unter kolitischen Symptomen. Der Stuhl 
zeichnete sich duroh einen aromatisch-widerlichen Geruch aus und ent¬ 
hielt reichlich Askarideneier. Therapie: Santonin, Rizinusöl. 

R. Fabian. 

Plehn: Ueber grosse'Aderlässe, besonders bei temporärer Nieren- 
insnfflzienz, sowie über diese. (D. Arch. f. klin. M., 1918, Bd. 124, 
H. 5 u. 6.) Die gute Wirkung grosser Aderlässe (600—1000 ccm) bei 
Niereninsuffizienz beruht in erster Linie anf Entgiftung. Ein krankhaft 
gesteigerter Blutdruck ist der Indikator dafür, dass schädliche Stoffe im 
Organismus zurückgehalten werden — die Nieren also insuffizient sind. 
Die systematische Beobachtung des Blutdrucks gibt in vielen Fällen 
gute Anhaltspunkte für die Beurteilung des Verlaufs bestimmter Nephro¬ 
pathien. In allen Fällen, in welchen ausser der Steigerung des Blut¬ 
drucks noch andere Erscheinungen auf eine Schädigung der Nieren hin- 
weisen, ist der Aderlass angezeigt — sofern ihm keine bestimmten 
Kontraindikationen entgegenstehen. Zinn. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

A. Richter: Der faradisehe Grosszeheareflex. (Neurol. Zbl., 
1918, Nr. 7.) Wenn man beim Gesunden die Haut des Fussrückens an 
der Interdigitalfalte zwischen grosser und zweiter Zehe faradisch schwach 
und nicht schmerzhaft mit einer Kugel- oder Knopfelektrode reizt, erfolgt 
Plantarflexion, bei pathologischen Prozessen ähnlich Babinski und 
Oppenheim langsame Dorsalflexion, wenn spastische Reflexe infolge 
Pyramidenbahnläsion vorhanden waren. 

G. Söderbergh: Ueber die normalen Banebreflexe und ihre 
medulläre Lokalisation. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 7.) Auf Grund von 
Beobachtungen an 700 Fällen mit näher beschriebener Teohnik nimmt 
S. an, dass der Hauptsache nach der obere Bauchreflex den D(6) 7 —D», 
der mittlere den D 8 —D 10 , der untere Bauchreflex D(9) 10 —Dj 2 (L x ) ange¬ 
hören. 

«J. Fl es oh*. Der Achillesreflex. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 7.) Bei 
hypertonischen Zuständen ist der Achillesreflex nach der Anspannungs¬ 
seite verschoben und eingeengt oder aber konzentrisch eingeengt. Bei 
Hypertonie tritt dafür absolute Verbreiterung nach der Entspannungsseite. 
Die Verbreiterung sehen wir z. B. bei Neurotikern. Interessante Beob¬ 
achtungen ergaben einseitige Affektionen. Bei Myoklonie und funktionellem 
Tremor findet man höchst ungleichmässige Aohillesreflexe entsprechend 
den intermittierenden Innervationszuständen der betreffenden Muskeln. 

0. Veraguth: Ueber die Rüekenreflexe des Menschen. (Neurol. 
Zbl., 1918, Nr. 5.) V. wurde zu seinen Versuchen angeregt duroh einen 
Fall von Steckschuss durch die rechte Hemisphäre, der als einziges 
Symptom vorübergehend einen hochgradigen Unterschied in der Reaktion 
auf Bestreichen der Rückenhaut rechts und links zeigte. Er prüfte die 
Rückenreflexe, bei Fällen von Little und infantiler Hemiplegie nach 
Enzephalitis. Die Reaktion äussert sich vorwiegend in Abbiegung der 
Wirbelsäule vom Reiz weg und in Extremitätenflexionen und -Adduktionen 
entsprechend der Art des Reizes (skapuläre, kostale, paravertebrale 
Zone), tiefer Reizung usw. Er berichtet über seine Prüfung bei der 
Tabes, wo selbst bei Sensibilitätsstörungen sich Aeusserungen zeigen, 
dann vor allem bei normalen Säuglingen, bei denen die Reaktion sehr 
stark ist und zwar vorwiegend in bezug auf die Hautreflexe, während 
Tiefensensibilität keine Wirkung auslöst. Beim normalen Organismus 
nimmt die Erregbarkeit vom Säuglingsalter, wo es mehr „Lernreflexe“ 
sind, an rapide ab; später sind es Sioherungsreflexe. In der Pathologie 
müssen sie noch gründlich erforscht werden. 

F. Herzog: Sehnenrefiexzeit und Miskeltoins, Reflexzeit des 
Babinski’schen Zeichens, infolge von Lähmung peripherer Nerven ge¬ 
steigerter Sehnenreflex. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 8.) Die Veränderung 


des Muskeltonus verändert die Sehnenreflexzeit nicht merklich. Die 
Reflexseit des Babinski’schen Zeichens ist länger als jene des normalen 
Sohlenreflexes, sie wird aber bei schnell aufeinanderfolgender Auslösung 
kürzer. Infolge seit längerer Zeit bestehender Lähmung peripherer Nerven 
kann ein benachbarter Sehnenreflex lebhafter werden, die Steigerung des 
Sehnenreflexes kann also auch peripher bedingt sein. E. Tobias. 

Gassirer-Berlin: Ffiaftagefleber aid Neuritis der Caada eqaiaa. 
(D.m.W., 1918, Nr. 9.) In einem Fall von sohwerem und ungewöhnlich 
lange dauerndem Fünftagefieber bildete sich ein Symptomenbild heraus, 
das als Neuritis der Cauda equina zu deuten war. Es ist wahrschein¬ 
lich, dass die beim Fünftagefieber sonst fast konstant und in charakte¬ 
ristischer Ausbildung beobachteten sensiblen Reizerscheinungen (Schmerzen, 
Hypalgesien) die leiohtesten und leichteren Grade einer derartigen 
Affektion der hinteren Wurzeln darstellen. Dünner. 

Diviak und Wagner von Jauregg: Ueber die Entstehung des 
endemischen Kretinismus nach Beobachtungen in den ersten Lebens¬ 
jahren. (W.kl.W., 1918, Nr. 6.) Die Diagnose ist in vielen Fällen 
schon in einem frühen Lebensalter möglich. Besonders sprechen dafür 
eine beträchtliche Verspätung der Zahnung und des Schlusses der grossen 
Fontanelle. Kropf tritt meist erst später auf, war aber in seltenen 
Fällen auch angeboren. Man findet aber auch Symptome vbn Kretinismus 
bei Kindern, die später wieder verschwinden. H. Hirschfeld. 

E. Steinach u. R. Lichtenstern-Wien: Umstimmung der Homo¬ 
sexualität dureh Austausch der Pubertätsdrtisen. (M.m.W., 1918, Nr. 6.) 
Nach theoretischen Erörterungen über die Wirkungen der Pubertätsdrüsen 
und die experimentelle Zwitterbildung erfolgt die Mitteilung eines 
interessanten Falles von Homosexualität. Es handelt sich um einen 
Mann mit doppelseitiger tuberkulöser Hodenerkrankung und ausgeprägten 
weiblichen Sexuszeichen (wohlentwickelte Brüste, Ausladung der Hüften, 
weiblicher Körperbehaarung, weibliches Benehmen). Bei diesem Manne, 
der ausgesprochene homosexuelle Neigungen zeigte, verbunden mit passiver 
Päderastie, konnte nun durch Ueberpflanzung eines normalen Hodens 
(eines Falles von Kryptorchismus) nicht nur eine geschlechtliche Umstimmung 
in somatischer, sondern vor allem auch in psychischer Hinsicht erzielt 
werden. Auffallenderweise erfolgte das Erwachen des anders geschlecht¬ 
lichen Triebes bereits 12 Tage nach der Implantation. Geppert. 


Kinderheilkunde» 

C. v. Pirquet-Wien: Ueber den Nahrungswert der Mileh ind 
seine Bestimmung ans der Trockensubstanz. (System der Ernährung IX.) 
(Zschr. f. Kindhlk,, 1917, Bd, 17, H. 1 u. 2.) Verf. zieht folgende 
Schlüsse aus seinen Untersuchungen: Die Milch der verschiedenen 
Säugetiere zeigt denselben chemischen Aufbau; das Fett ist als akzes¬ 
sorischer Bestandteil aufzufassen. Die obligatorischen Bestandteile der 
Milch — Eiweiss, Milchzucker, Salze — bilden mindestens 7,5 pCt. der 
Milchsubstanz. Innerhalb der fettfreien Trockensubstanz erfolgt eine 
wechselseitige Ergänzung von Eiweiss und Milchzucker. In ganzen Ge¬ 
molken nimmt mit steigendem Fettgehalt auch die fettfreie Trocken¬ 
substanz zu, und zwar ungefähr um die Hälfte der Fettzunahme. Für 
alle untersuchten Miloharten gilt die Annäherungsformel: Trockensubstanz 
in 100 g Milch = 7,5 -f- 1,5 Fettgehalt. Der Nahrungswert der Milch 
lässt sich auf verschiedene Art berechnen. 

C. v. Pirquet-Wien: Ueber den Nahrungswert der Kartoffel 
and seine Bestimmung aas der Trockensubstanz. (System der Er¬ 
nährung X.) (Zschr. f. Kindhlk., 1918, Bd. 17, H. 8 u. 4.) Kartoffeln 
schwanken im Nährwert bedeutend. Ausschlaggebend für den Nährwert 
ist die Trockensubstanz. Ein Gramm Trockensubstanz ist mit fünf Nem 
zu berechnen. In gleicher Weise sind einige verwandte Wurzelgewächse 
zu beurteilen. 

G. v. Pirquet und E. Wölfe!: Milchsalze. (Zschr. f. Kindhlk., 
1917, Bd. 17, H. 1 u. 2.) Die Kuhmilch enthält ungefähr dreimal so 
viel Aschenbestandteile als die Frauenmilch. Die Verhältnisse der 
einzelnen Aschenbestandteile in der Kuh- und Frauenmilch sind so 
ähnlich, dass bei Verwendung von verdünnter Kuhmilch zum Zwecke der 
Ernährung des menschlichen Säuglings eine Ergänzung nicht notwendig 
erscheint. Als Nemsalz (Nahrungs-Einheit-Milch-Salz) wird eine Mischung 
von Mineralsalzen bezeichnet, deren Asohengehalt mit dem der Frauen¬ 
milch in den wesentlichen Punkten übereinstimmt, und die sich duroh 
gute Löslichkeit und vollkommene Unschädlichkeit auszeiohnet. 

B. Schick: Ernährungsstudien beiai Neugeborenen. (Zschr. f. 
Kindhlk., 1917, Bd. 17, H. 1 u. 2.) Die Arbeit, die erste Anwendung 
des v. Pirquet’sohen Systems der Ernährung auf den Neugeborenen, 
bringt Versuche über die Ergänzung der Nahrungszufuhr durch Frauen¬ 
milch, Tee mit Saccharin, 17 proz. Rohrzuckerlösung und Kuhmilch mit 
17 proz. Rohrzuckerlösung zu gleiohen Teilen. Zwischen dem Verhalten 
des Neugeborenen und des älteren Kindes gegenüber Frauenmilch fanden 
sich keine prinzipiellen Unterschiede. Bei ungenügender Zufuhr nimmt 
das Kind ab und zwar so lange, bis die Zufuhr eine bestimmte Menge 
erreicht hat. Die Zufuhr von Tee mit Saccharin vermindert nur die 
Intensität der Abnahme duroh Verhinderung eines allzugrossen Wasser¬ 
verlustes, ermöglicht aber keine Zunahme. Der bestehende Hungerzustand 
wird aber dadurch nur verschleiert, und deshalb wird diese Art der Zu¬ 
fütterung vom Verfasser verworfen. Die 17proz. Rohrzuckerlösung wird 
gern genommen, lieber als die Saccharinlösung, hat auch sonst gegenüber 
dieser manchen Vorteil voraus (Verhinderung der Azetonbildung, Er- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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möglichung eines Ansatzes bei gleichzeitiger F rauen milch d arrei chun g). 
Schädigungen durch diese hochprozentische Zuckerlösung wurden nie 
gesehen. Halbmilchrohrzuckerlösuog wird gleichfalls gern genommen 
und ist nach Schick als erste Nahrung der Neugeborenen durchaus 
unschädlich; als Beigabe zur Frauenmilch vermindert sie die Gewichts¬ 
abnahme und führt auch zum Körperansatz. Die Stühle sind häufig 
besser als bei reiner Frauenmich. 

M. Pfaundler-München: Ration Mid Bedarf an Nährstoffen für 
Kinder. (M.m.W., 1918, Nr. 7.) Das stufenweise Absinken der Ration 
während des Kleinkindesalters steht im Kontrast mit dem ansteigenden 
Bedarf in dieser Lebensperiode. Die Ration dürfte nicht abfallen, sondern 
ansteigen, dafür dürfte die für das zweite Lebensjahr übermässig reichlich 
bemessene Ration reduziert werden. 

E. Nassau: Zur Kenntnis der Kriegsrnhr und ihrer Analogien 
mit den Darmerkranknngen des Kindesalters. (Zschr. f. Kindhlk., 
1918, Bd. 17, H. 8 u. 4.) Diese auf Veranlassung von Ludwig F. 
Meyer entstandene Arbeit bringt Beobachtungen zur Epidemiologie und 
Klinik der Kriegsrubr, soweit sie pädiatrisch von Interesse zu sein 
scheinen. Die Kurve der Ruhrerkrankungen zeigt eine weitgehende 
Uebereinstimmung mit der Kurve der Sommersterblichkeit, bzw. Sommer¬ 
morbidität der Säuglinge. Eine solche Aehnlicbkeit im Ablaufe zweier 
Phänomene, die letzten Endes auf die Erkrankung desselben Organ¬ 
systems zurückzuführen sind, gab zur Erwägung Anlass, ob ihnen nicht 
eine einheitliche Ursache zugrunde liegt. Die einzelnen in Betracht 
kommenden Momente, Hitze, Nahrungsverderbnis, Infektion werden dis¬ 
kutiert und besonders die Bedeutung der Hitze und der Iofektion nicht 
nur für di i Ruhr, sondern auch für Sommererkrankungen des Säuglings¬ 
alters betont. Hinsichtlich der Klinik ist besonders die Uebertragung 
der bei den kindlichen Durchfällen gewonnenen ernährungstherapeutischen 
Gesichtspunkte auf die Klinik der erwachsenen Ruhrkranken von 
Interesse. Die Einteilung der Ruhr geschah hauptsächlich an der Hand 
der Gawiohtskurven nach den Grundsätzen der Finkelstein’schen Schule. 

Schloss. 

E. Wieland-Basel: üeber Pyelitis infantum, (Korr. Bl. f. Schweiz. 
Aerzte, Nr. 2 u. 3.) Die Pyelitis oder Pyelozystitis ist eine verbreitete 
Kinderkrankheit. Entstehung meist auf hämatogenem oder lymphogenem 
Wege. Bei vielen Fällen findet sich eine primäre interstitielle Nieren¬ 
schädigung. Als prädisponierend sind vor allen Dingen leichte Infekte 
des Respirationstraktus anzusehen. Die Diagnose wird durch die mikro¬ 
skopische Untersuchung des Urins erhärtet. Unmotiviertes Fieber, Blässe, 
allgemeine Muskelrigidität bei andauernder Anorexie machen die Diagnose 
wahrscheinlich. Therapie besteht in diuretischen Maassnahmen, Steigerung 
der Flüssigkeitszufuhr, Bettruhe, Harnnatiseptika. R. Fabian. 

A. Ylppö*. Zur Klinik nid Zystologie der Pleuraergüsse, vor 
allem der serösen, im Säuglingsalter. (Zschr. f. Kindhlk., 1918, Bd. 17, 
H. 3 u. 4.) Seröse Pleuraergüsse kommen im Säuglingsalter relativ 
häufig vor. Neben verschiedenen hydropischen Zuständen führen ins¬ 
besondere die pneumonischen Prozesse leicht zu einem serösen Erguss 
in die Pleurahöhle. Die Menge des Exsudates ist in der Mehrzahl der 
Fälle relativ gering und nur durch Punktion der Pleurahöhle nachzu¬ 
weisen. In selteneren Fällen begegnet man umfangreicheren serösen 
Pleuraexsudaten beim Säugling. Diese Seltenheit der grösseren, klinisch 
nachweisbaren, serösen Ergüsse wird dadurch erklärt, dass beim Säugling 
die Resorptionsorgane der Pleura, die Lymphgefässe und -drüsen der 
Pleura oostalis und mediastinalis in ihrer Tätigkeit noch nicht so beein¬ 
trächtigt sind wie die entsprechenden Organe durch fortgesetzte infektiöse 
und andere Schädigungen bei den meisten Erwachsenen. Bei eitrigen 
Ergüssen werden, wie Tierversuche es wahrscheinlich machen, die 
Resorptionsorgane leicht durch korpuskulare Elemente verstopft, wodurch 
hier das Ansammeln einer Exsudatmenge, die schon klinisch nachweisbar 
ist, auch beim Säugling ermöglicht wird. Die Zellelemente in serösen 
Pleuraergüssen bestehen zu einem auffallend hoben Prozentsatz aus 
mononukleären Zellen. Die Gruppe der mononukleären Zellen scheint 
in besonderem Maasse einer energischen Phagozytose fähig zu sein. 
Diese Eigenschaft trägt neben anderen Umständen dazu bei, dass die 
Mehrzahl der Exsudate beim Säugling doch noch serös bleibt. Erst 
beim Ueberwinden dieser zellvernichtenden Kräfte durch andere zell¬ 
erzeugende Reize sind die Bedingungen zur Entstehung eines eitrigen 
Pleuraexsudates gegeben. Prinzipielle ätiologische Unterschiede zwisohen 
eitriger und seröser Pleuritis werden demnach nicht erkannt. 

M. Hamann: Ueber das Auftreten des Fazialisphänomeno im 
Verlaufe der Diphtherie. (Zschr. f. Kindhlk., 1918, Bd. 17, H. 3 u. 4.) 
Nahezu in der Hälfte der vom Verfasser beobachteten Diphtheriefälle 
tritt im Verlauf der Erkrankung bzw. der Rekonvaleszenz ein gewöhnlich 
recht deutliches Fazialisphänomen auf; auch andere Reflex Vorgänge, so 
vor allem der Patellarsehnenreflex, zeigen etwa um die gleiohe Zeit eine 
mehr oder weniger ausgesprochene Steigerung. Im Ablauf oder in der 
Rekonvaleszenz anderer kindlicher Infektionskrankheiten kommt es be¬ 
deutend seltener oder gar nicht zu solchen Steigerungen nervöser Erreg¬ 
barkeit, am häufigsten nooh nach Scharlach. Aus diesem Grunde lässt 
sich — was ebenso Vorgeschichte wie galvanische Prüfung nahelegen — 
das Fazialisphänomen in der Mehrzahl der Fälle nicht einfach als 
Manifestation einer durch die überstandene Krankheit wiedererweckten 
spasmopbilen Uebererregbarkeit auffassen. Das Fazialisphänomen iih 
Verlauf der Diphtherie scheint vielmehr eine Folge der spezifischen 
Einwirkung des Diphtheriegiftes auf die Nervensubstanz darzustellen, 
eine Einwirkung, die in vielen Fällen zunächst bloss zu Reizersoheinungen, 


zu Ueberregbarkeit führt und erst bei längerer Dauer oder grösserer 
Intensität zu schwerer Schädigung, zu neuritisoher Lähmung Anlass 
gibt. Jedenfalls zeigen Diphtherierekonvaleszenten mit Fazialisphänomen 
eine ungleich grössere Bereitschaft, an postdiphtherisohen Lähmungen 
zu erkranken als Diphtherierekonvaleszenten ohne Fazialisphänomen. 

L. Landö: Dextrokardie dnrch blasige Missbildung der Lange. 
(Zschr. f. Kindhlk., 1918, Bd. 17, H. 3 u. 4.) Kasuistik. 

A. Ylppö: Die wahre Reaktion der Zerebrospinalflüssigkeit bei 
gesunden Kindern und solchen mit getrübtem Sensorium infolge ver¬ 
schiedener Erkrankungen. (Zschr. f. Kindhlk., 1918, Bd. 17, H. 3 u. 4.) 
Die wahre Reaktion der Zerebrospinalflüssigkeit beim gesunden Kinde 
wurde im Mittel-PH 7,78 gefunden. Sie ist demnach deutlich alkalischer 
als die des gesunden Blutes. Bei angeborener Idiotie zeigt die Reaktion 
des Liquors keine nennenswerten Abweichungen von der Norm. Bei 
Kindern mit getrübtem Sensorium infolge von entzündlichen Gehirn¬ 
prozessen findet eine deutliche Verschiebung der wahren Reaktion nach 
der sauren Seite hin (bis PH = 7,18 herunter) statt. Diese Abweichung 
zeigt einen gewissen Parallelismus mit der Intensität der klinischen 
zerebralen Erscheinungen, insbesondere der Bewusstseinsstörung und 
wirkt in diesem Falle als ein beitragender Faktor bei der Entstehung 
der allgemeinen zerebralen Symptome. Je chronischer der Fall, um so 
geringer die Abweiohung. Bei Beginn der Meningitis tuberculosa können 
doch normale Werte gefunden werden. Bewusstseinsstörungen im An¬ 
schluss an verschiedene nicht zerebrale Erkrankungen zeigen oft normale 
Reaktion des Liquors. In diesen letzteren Fällen kann die Bestimmung 
der wahren Reaktion des Liquors eine wertvolle differentialdiagnostische 
Hilfe leisten. Sohloss. 


Chirurgie. 

W. Hesse: Ueber Spättetanns, chronischen Tetanns and Tetanus¬ 
rezidiv. (D. Arch. f. klin. M., 1917, Bd. 124, H. 3 u. 4.) In dem mit¬ 
geteilten Falle kam der Tetanus 8 V 2 Monate nach der Verwundung zum 
Ausbruch. In den Körper eingedruogene Tetanuserreger, ganz gleich 
ob in Bazillen- oder Sporenform, können sich bis zu 10y 2 Monaten inr 
Vollbesitz ihrer Virulenz erhalten, wenn sie auf einem günstigen Nähr¬ 
boden gelegen und gegen die bakteriziden Kräfte des Organismus durch 
eine undurchlässige Narbenkapsel geschützt sind. Erst ein die schützende 
Narbenkapsel sprengendes Trauma reisst die virulenten Tetanuaerreger 
aus ihrem Latenzstadium heraus und gibt ihnen Gelegenheit, den Or¬ 
ganismus mit der den Ausbruch des Spättetanus verkörpernden Toxin¬ 
menge zu überschwemmen. Zinn. 

Schoen-Halle: Abgehen eines retroperitonealen Steckschusses anf 
■atürliehem Wege. (D.m.W., 1918, Nr. 9.) Kasuistik. 

Krische: Gasabszess im kleinen Becken. (D.m.W., 1918, Nr. 9.) 
Bei einem Soldaten, der durch zahllose Granatsplitter verletzt worden 
war, ohne dass ein regulärer Einschuss der Haut beobachtet werden 
konnte, bildeten sich Symptome, die an Appendizitis erinnerten. Die 
Diagnose musste aber fallen gelassen werden. Nach 4 Tagen bildete 
sich dann am Gesäss ein Gasabszess, der allmählich in die Tiefe führte. 
Die Hauptansammlung des Gases befand sich im Abdomen und hat hier 
zu einer lokalen Peritonitis geführt. 

Bircher-Aarau: Die Erfolge der Freund’sehen Operation beim 
Lnngenemphysem. (D.m.W,, 1918, Nr. 9.) Bei 30 Fällen erzielte B. 
mit der Freund’schen Operation bei Lungenempbysem 80 pCt. Heilung 
und Besserung. Die Operation ist nur bei den Fällen asbestartiger 
Degeneration des Rippenknorpels anwendbar. Sie ist zweifelhaft bei den 
Emphysematikern etwa infolge von Rachitis. Dünner. 

Wilms: Seltenheit der akuten Pankreatitis während der Kriegs¬ 
zeit. (M.m.W., 1918, Nr. 8 .) Die auffällige Abnahme der akuten Pan¬ 
kreatitis während der Kriegszeit scheint zu beweisen, dass diese Erkran¬ 
kung im Zusammenhang steht mit der Ernährung, und dass die geringe 
FettnahruDg prophylaktisch günstig wirkt. Gallensteinaffektionen, die 
man sehr häufig bei akuter Pankreatitis findet, scheinen nur eine äussere 
Veranlassung bei-bestehender Disposition abzugeben. Während in Heidel¬ 
berg 1912 und 1913 je 5 Fälle von Pankreatitis vorkamen, kam 1916 
und 1917 kein einziger Fall zur Beobachtung. In Eppendorf-Hamburg 
wurden beobachtet 1913 5 Fälle, 1914 5 Fälle, 1915 3 Fälle, 1916 
1 Fall, 1917 bis 13. September nooh kein Fall. Gepppert. 


Röntgenologie. 

Tredelenburg: Ueber messende Rüntgenstereoskopie. (M.m.W., 
1918, Nr. 8 .) Sehr klar verständlich geschriebene, interessante physi¬ 
kalische Skizze. G e p p e r t. 

Kienböck: Geschosse im Herzen bei Soldaten. Lokalisation. Be¬ 
wegungserscheinungen. Schicksal: Einheilung, embolische Verschleppung. 
(D. Arch. f. klin. M., 1918, Bd. 124, H. 5 u. 6 .) In der Sammlung K.’s 
von 8 eigenen und 48 fremden Fällen von Steckschüssen im Herzen und 
Umgebung mit günstigem Verlauf nach Vorübergehen der unmittelbaren 
Schusswirkung befinden sich 23 Fälle von einfachen Herzwandsteck¬ 
schüssen, ferner 9 Fälle mit vorübergehendem freien Aufenthalt des 
Fremdkörpers in einer Herzhöhle und 24 Fälle von Steckschüssen in der 
Nähe des Herzens. In Wirklichkeit kommen die parakordialen Fälle 
viel öfter zur Beobachtung als die intrakordialen, nur werden sie viel 
seltener veröffentlicht. Ein operativer Eingriff behufs Extraktion des 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Fremdkörpers aus dem Herzen ist bei frischen Fällen mit bedrohlichen 
Zeichen von Blutung und Herzschwäche dringend, bei älteren Fällen in 
der Regel nicht angezeig?. _ Zinn. 

Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

C. Kreibich-Prag. Zur Kenntnis der Sehwelisdrüsenkörperchen. 
(Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) Die säurefesten Körperchen in 
den Epithelien der Knäueldrüsen stammen aus dem Kern. Dies geht 
hervor aus feinen fadenartigen Verbindungen zwischen Kern- und Schweiss- 
drüsenkörperchen und aus der Tatsache, dass man in ihnen Nuklein 
und Nukleolin nachweisen kann. 

G. Kreibich-Prag: Zu Blooh’s Dopareaktion. (Derm. Wschr., 
1918, Bd. 66, Nr. 13.) K. hat mit Dimethylphenylendiamin fast die¬ 
selben Resultate erzielt, wie Bloch mit Dopa. 

B. Spiethoff-Jena: Beitrag zur Klinik und Histopathologie des 
Epithelioms der Talgdrüsen. (Derm. Zschr., März 1918.) Die in der 
Haut eingebetteten Geschwülstchen waren nur am Pigment erkennbar, 
welches‘durch seinen Reichtum, sowie die gruppenförmige Anordnung 
der Taigdrüsengeschwülste dem Falle eine Sonderstellung anweist. 

H. Burkhard-Danzig: Zur Pathogenese der „idiopathischen" Haut- 
atrophie. (Derm. Zschr., März 1918.) Im Falle des Verf.’s war die 
Hautatrophie im Gefolge einer Syringomyelie entstanden. B. glaubt vom 
pathogenetischen Standpunkte aus für die neurogene Natur der soge¬ 
nannten „idiopathischen" Hautatrophie ein treten zu müssen. 

G. Kreibich-Prag: Zur Pathogenese der Psoriasis. (Arch. f. Derm., 
1918, Bd. 124, H. 4.) Zur Stützung der neuropathischen Hypothese bei 
Psoriasis beschreibt K. einen Fall, bei welchem unter Nerveneinfluss 
(Sohussverletzung des Schultergürtels) die am Oberarm bestehende 
Psoriasis schnell verschwand. 

A. Weinmann-Frankfurt a. M.: Zur Therapie der Parapsoriasis 
(Brocq). (Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) Verf. hat mit Pilo- 
oarpinum hydrochlor. 1 ccm zu 0,005, mehrfach subkutan eingespritzt, 
sowohl im akuten, als auoh im chronischen Stadium der Parapsoriasis 
Heilerfolge gehabt, die bei keinem anderen Mittel in so prompter und 
gleichmässiger Weise eingetreten sind. 

F. v.Krzysstalowioz-Krakau: Fin Fall von Pityriasis lichenoides 
ehfOBiea. (Parakeratosis variegata, Parapsoriasis, Erythrodermie pity- 
riasique usw.) (Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) Kasuistische Mit¬ 
teilung. 

E. Wagner-Katz-Berlin: Ein Beitrag zur Kasuistik der Pityriasis 
lichenoides chroniea. (Derm. Zbl., Febr. 1918.) Die Krankheit hatte 
allen Behandlungsmethoden, insbesondere Röntgenbestrahlung und inner¬ 
licher Arsenbehandlung getrotzt; nachdem die Patientin einem gesunden 
Kinde das Leben gegeben hatte, heilte die Erkrankung während der 
Laktationsperiode spontan ab; die Patientin ist bisher 3 Jahre lang 
rezidivfrei geblieben. 

J. Reenstierna-Stockholm: Darler’sche Dermatose mit Sehleim- 
hautveränderuugen and impetigoartigen Eraptionen. (Arch. f. Detm., 
1918, Bd. 124, H. 4.) Bei einem typischen Fall von Morbus Darier der 
Haut zeigte sich eine Mitbeteiligung der Schleimhaut, insbesondere der 
Zunge, wie sie wohl nur ganz selten zur Beobachtung kommt. Die 
Zungenveränderungen entsprechen in ihrem Aussehen und histologischem 
Befunde denen der Haut. 

G. Stümpke-Hannover-Linden: Zur Aetiologie des Pcmphigns 
vnlgaris. (Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) Bericht über 2 Fälle, 
in welchen der Pemphigus im Anschluss an offenbar infizierte Wunden 
entstanden war; ein spezifischer Erreger konnte jedoch nicht gefunden 
werden. Immerhin bleibt die klinische Tatsache des Auftretens einer 
Art von Primäraffekt, der Eruption des Pemphigusausschlages nach 
einem erscheinungsfreien Intervall von mehreren Wochen voraufgehend, 
wichtig genug, um als weiterer Beitrag für die infektiöse Aetiologie der 
Affektion festgehalten zu werden. 

H. Koch-Wien: Ueber ein makulöses Exanthem bei Diabetes 
mellitns. (Arch. f. Denn., 1981, Bd. 124, H. 4.) In 9 Fällen von 
schwerem Diabetes mellitus wurde ein charakteristisches Exanthem beob¬ 
achtet, bestehend aus livid bläulichen, makulösen Effloreszenzen mit 
oder ohne zentrale punktförmige Rötung, hauptsächlich auf den Extremi¬ 
täten. Die Effloreszenzen verschwinden nach Tagen, ohne Residuen 
zurückzu lassen. Aetiologisch ist anzunehmen, dass dieses Exanthem dem 
schweren Vergiftungszustande des Organismus bei den vorgeschrittenen 
Fällen von Diabetes mellitus seine Entstehung verdankt. 

W. Kerl und H. Koch-Wien: Ueber Ursachen des Ausbleibens 
?oa Herdreaktionen. (Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) Die noch 
in der Akme befindliche Entzündung ist in gewissen Fällen von sicherer 
Tuberkulose trotz entsprechender Dosierung für das Ausbleiben der 
Herdreaktion verantwortlich zu machen. 

A. Brauer-Danzig: Absichtlich erzeigte Hanterkrankungen- 
(Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) Bericht über 24 Fälle von 
künstlich erzeugten Dermatosen. Die hier gemachten Beobachtungen 
tun dar, dass es sich bei diesen künstlich hervorgerufenen Hauterkran¬ 
kungen um eine eohte, anscheinend leider nicht seltene Kriegsdermatose 
handelt. 

F. Hamm er-Stuttgart: Betrachtungen über Hautentzündungen and, 
Kriegserfahrnngen bei HaatkraBkheiteB. (Arch. f. Derm. 1918, Bd. 124 


H. 4.) Bei den bakteriellen Pyodermien unterscheidet H.: 1. die akut 
eliminatorisohe Entzündung und 2. die absohHessen de oder einkapselnde 
Entzündung, welche aber meist nebeneinander Vorkommen und sich 
gegenseitig beeinflussen. Die Entzüudung siebt er als einen Ausdruck 
für die Heilbestrebungen des Körpers an. Deshalb ist es wichtig, der 
Haut Schutz gegen Störungen ihrer eigenen Heilbestrebungen zu ver¬ 
schaffen und mit den mildesten Mitteln zu beginnen. Den Soldaten soll 
man den Aufenthalt im Lazarett nicht zu angenehm machen, damit sie 
den Krankheitsverlauf durch Selbstschädigung nicht verlängern. 

Immerwahr. 

Hoffmannn und Habermann-Bonn: Arneiliche aad gewerb¬ 
liche Dermatosen dirch Kriegsersatzmittel (Vaseline, Schmieröl und 
eigenartige Melanodermatitiden). (D.m.W., 1918, Nr. 10.) Es entstehen 
durch die Kriegsersatzmittel Vaseline und Schmieröl eigenartige Haut¬ 
erkrankungen, die von den Verff. geschildert werden: Vaselindermatitia, 
Dermatitis vaselinica, follikuläre Keratose und Pigmentierung (Acne 
cornea). Die Differentialdiagnose wird auseinandergesetzt. Dünner. 

J. Kyrie-Wien: Ueber chronische Diphtherie der Halt ui 

Schleimhaut. (Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) Bei dem 37jäh- 
rigen Patienten fanden sich ein braun-rotes weioh-matsches Infiltrat an 
der Oberlippe, weiche, leicht blutende Granulationen am Naseneingang, 
die tief ins Naseninnere hinaufreichten, und Veränderungen an den Ton¬ 
sillen und an den Gaumenbögen und der Uvula. Von allen diesen 
Stellen konnten Diphtheriebazillen in Reinkultnr gezüchtet werden, 
deren Tierpathogenität nachgewiesen wurde. Diese Diphtheriebazillen 
sind für das Zustandekommen der Affektion von ausschlaggebender Be¬ 
deutung, während der gleichzeitig vorhandene Staphylococcus aureus 
wohl nur eine nebensächliche Rolle gespielt hat. An und für sich scheint 
die Diphtherie der Haut unter diesem chronischen Bilde sehr selten zu 
sein, die gewöhnliche Manifestation des Infektes ist zweifellos das akut 
entzündliche Geschwür. Der Verlauf des Prozesses ist ungemein torpid, 
das Allgemeinbefinden des Trägers völlig ungestört; Serumbehandlung 
bringt keinen Erfolg. Immerwahr. 

PI aut-Hamburg: Zur Bekämpfung iod Verhütung der Bartflechte 
and Trichophytie. (D.m.W., 1918, Nr. 9.) Ein Merkblatt. Dünner. 

Soherber: Zusammenfassung der Klinik der psendotnberknlösen 
Geschwüre sive Uicns acntnm vulvae und Mitteilung der gelungenen 
Reinkultur der in den Geschwüren vorkommenden Bazillen mittels eigener 
Züchtungsmethode. (W.kl.W., 1918, Nr. 7.) H. Hirschfeld. 

L. Waelsch-Prag: Uebertragungsversuche mit spitzem Kondylom. 
(Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) Sämtliche Uertragungsversuche 
ergaben ein positives Resultat. Nach einer Inkubationszeit von 27t bis 
4 Monaten entstanden auf der äusseren Haut flache Warzen, auf der 
Schleimhaut der Genitalien typische spitze Kondylome. Immer wahr. 

Zieler: Die frühzeitige Diagnose und Differentialdiagnose der 
Syphilis. (M.m.W., 1918, Nr. 10.) Merkblatt für Truppenärzte. 

Geppert. 

K. Uli mann- Wien: Zur Kenntnis und Differentialdiagnose syphili¬ 
tischer Stigmata. (Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) Der erste 
Fall betraf eine makulöse Hautatrophie, die sich in unmittelbarem An¬ 
schluss an eine Roseola specifica recidivans entwickelt hatte, der zweite 
Fall ein längst bestehendes eigentümliches Pigmentexanthem in der 
Anordnung von grossmakulösen Roseolaflecken, welches schon über 2 Jahre 
persistierte. Der dritte Fall betraf ein Pigmentexanthem eigener Art, 
das wahrscheinlich auf Variola vera zurückzulühren war, mindestens 
17s Jahre bestand und keine Beziehungen zur Lues nachweisen liess. 

W. Kerl-Wien: Zur Frage der Speiifizität der Wassermaun- 
Reaktion, insbesondere über den Ansfall bei Tuberkulose und Tuber¬ 
kuliden. (Arch. f. Derm., 1919, Bd. 124, H. 4.) K. fand in 2 Fällen 
von typischem Skrophuloderm und in einem Fall von subkutanem Sar¬ 
koid Darier-Boussy positive Wassermann’sche Reaktion. Durch genaue 
Anamnese sowohl bei den Patientinnen als auch den Familienangehörigen, 
als auch durch den augenfälligen Erfolg einer Salvarsanbehandlung 
wurde in allen Fällen hereditäre Lues festgestellt und der positive Aus¬ 
fall der Seroreaktion völlig aufgeklärt. Nachforschungen bei den Familien¬ 
angehörigen, insbesondere Blutuntersuchungen bei denselben werden die 
Zahl der unspezifisohen Reaktionen beträchtlich herabzusetzen im¬ 
stande sein. 

G. Stümpke-Hannover-Linden: Ueber die Beziehungen zwischen 
Erythema nodosum und Lues. (Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, H. 4.) 
Verf. hat 3 Fälle von Erythema nodosum im Verlaufe der Syphilis beob 
achtet. Die Frage, ob das Erythema nodosum syphilitischer Natur ist, 
oder ob seine Entstehung auf der Basis eines durch Lues, Medika¬ 
mente, Anämie und reduzierten Ernährungszustand in seiner Wider¬ 
standskraft — gegenüber Staphylokokken — herabgesetzten Körpers zu 
erklären ist, lässt Verf. offen. 

J. Forssmann-Lund (Schweden): Die Queeksilberbehandluug bei 
Syphilis als Ursache von Albuminurie. (Arch. f. Derm., 1918, Bd. 124, 
H. 4.) Hg in therapeutischer Dosis ruft, sofern Stomatitis vermieden 
wird, nicht oder wenigstens nur in seltenen Ausnahmeiällen Albuminurie 
hervor; die Hg-Dosis kann dabei beträchtlich über die gebräuchliche 
hinaus gesteigert werden. In den Fällen, in denen Albuminurie im An¬ 
schluss an eine Hg-Behandlung entsteht, ist sie, von seltenen Ausnahme¬ 
fällen abgesehen, durch eine vorhandene Stomatitis verursacht, die des¬ 
halb keineswegs von schwerer Beschaffenheit zu sein braucht; nach der 
Beseitigung der Stomatitis verschwindet auoh die Albuminurie. Ob eine 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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29. April 1918. 

Stomatitis Albuminurie sur Folge hat oder nicht, hängt aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach rollig ton der Bakterienflora der Mundaffektion ab. 
Bei sorgfältiger Mundhygiene während einer Hg-Behandlung entgeht man 
der Stomatitis und, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, mit ihr 
auch der Albuminurie. 

W. Eitel-Dortmund: Die Behandlung der Syphilis Bit Novasnrol. 
(Derm. Wsohr., 1918, Bd. 66, Nr. 11.) Trots prompter Wirkung auf die 
syphilitischen Haut- und Schleimhautsymptome und sehr geringen Neben¬ 
wirkungen ist die Dauerwirkung des Novasurols eine siemlioh geringe, 
so dass es sehr schnell zu Rezidiven kommt. 

E. Hesse-Düsseldorf: Lues papulosa Yesieae. (Derm. Zsohr., Märs 
1918.) Durch die Zystoskopie wurde die Diagnose auf Blasensyphilis 
gestellt, da Bich im Blasengrund eigentümliche braun-rote, kreisrunde, 
zum Teil ulzerierte Papeln fanden; die Wa.R. war positiv. Unter anti- 
syphilitischer Behandlung trat Heilung ein. 

0. Salomon-Koblenz: Ein Beitrag sur Darier’schei Erkrankung. 
(Derm. Wsohr., 1918, Bd. 66, Nr. 12.) Die Erkrankung hatte sich im 
Verlaufe vor 16 Jahren fast über den ganzen Körper ausgedehnt. 

Immerwahr. 


Hygiene und Sanitätswesen. 

Fr. Ditthorn: Ueber ein neues wasserlösliches Kresolprftparaft 
„Fawostol". (Zsohr, f. Hyg., Bd. 85, H. 2.) Fawestol ist wasserlöslich 
und enthält denselben Kresolgehalt wie das Rohkresol. Eine 1 proz. 
Lösung entspricht in ihrer Wirkung einer 2 proz. Kresolseifenlösung. 
Zum Gebrauoh und zum Ersatz der 5 proz. Kresolseifenlösung wird die 
2 proz. Fawestollösung empfohlen. Schmitz. 

R. K usohe 1 • Sprottau: Fürsorge der deutschen Heeresverwaltung 
für tuberkulöse Kriegsgefangene. (D. militant! Zsohr., 1918, Nr. 5 
u. 6.) Neben erblicher Belastung disponiert enges Zusammenleben unter 
hygienisoh nicht einwandfreien Verhältnissen nur zu sehr für die Er¬ 
krankung an Lungentuberkulose, ebenso wie zeitweilig nicht ausreichende 
Ernährung, grosse körperliche Strapazen und häufige Erkältungssohädi- 
gongen, ferner auch Leben in ungewohntem Klima und seelische De¬ 
pression der Gefangenschaft. Deshalb veranlasste das Kriegsministerium 
bald die Zusammenlegung aller lungentuberkulosekranken Gefangenen in 
besonderen Lazaretten, um sie in ihrem eigenen und der übrigen Ge¬ 
fangenen Interesse aus den allgemeinen Krankenlagern herauszunehmen. 
So entstand auch das Lazarett Sprottau für tuberkulöse Kriegsgefangene. 
Mitteilungen über Anlage, Krankenbetrieb, Heilfaktoren, Erziehung zu 
einem hygienisch einwandfreien Verhalten, Ernährung und Heilerfolge, 
Krankenab- und Zugang. Der Zweck der Lazarettanlage wird voll und 
ganz erreicht. Schnütgen. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 

Nachtrag sur Sitzung vom 25. Januar 1918. 

Hr. Leoior Michaelis: 

Demonstration eiaer aiswählenden Bakterienadsorption. 

Wenn man ein Gemisoh von Bacterium Coli und Typhusbazillen in 
Wasser oder Kochsalzlösung mit Kaolin durchschüttelt nnd filtriert, so 
finden sich in dem Filtrat ganz überwiegend Typhusbazillen. Z. B. ein 
Gemisoh, welches bei direkter Aussaat auf einer Drigalskiplatte Ty: Koii 
im Verhältnis von 1: 50 zeigt, ergibt nach der Behandlung mit Kaolin 
ein Verhältnis von Ty : Koli von 20: 1, oder unter Umständen noch 
günstiger. Diese Beobachtung steht im Gegensatz zu der Angabe von 
Kuhn, welcher fand, dass Tierkohle und nooh mehr Bolus alba aus 
einem ähnlichen Gemisch* die Typhusbazillen gerade besser adsorbieren 
als die Kolibazillen. Der Zustand des Adsorbens spielt dabei eine 
wesentliche Rolle. Vortr. demonstriert derartige Platten mit An¬ 
reicherung von Typhusbazillen und die Kontrollimpfung ohne Kaolin¬ 
behandlung und stellt die theoretische Arbeit sowie die Ausarbeitung 
der praktischen Nutzanwendung zur Auffindung von spärliohen Typhus¬ 
bazillen in Aussioht _ (Ref. L.) 


Sitzung vom 1. März 1918. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung erinnert der Vorsitzende Zuntz 
an den sohweren Verlust, welchen die Gesellschaft und viele ihrer Mit¬ 
glieder auch persönlich duroh den Tod von Professor Franz Tangl in 
Budapest erlitten haben. Der Verstorbene hat vielfach monatelang in 
den Berliner Laboratorien und speziell in dem des Vortragenden ge¬ 
arbeitet und in der Zeit auoh regelmässig die Sitzungen der Physio¬ 
logischen Gesellschaft besuoht. Kurz vor dem Kriege genoss die Gesell¬ 
schaft einen sehr anregenden Vortrag von ihm, in welchem er die Er¬ 
gebnisse seiner jahrelangen Untersuchungen über den Anteil der einzelnen 
Organe am Gesamtstoff Wechsel des ruhenden Körpers darlegte. Tangl 
hat duroh die Vielseitigkeit seiner Arbeiten auf den meisten Gebieten 
der Physiologie fördernd gewirkt. Er gehörte zu den ersten, die die 
Ergebnisse der modernen physikalischen Chemie auf physiologische 
Probleme anwandten. Die Vielseitigkeit seiner Gesichtspunkte konnte er 
trotz seines ungewöhnlichen Fleisses nicht ganz duroh eigene Arbeiten 
erschöpfen. Er hat zahlreiche Schüler herangezogen und mit Arbeits¬ 


plänen für viele Jahre befruchtet. Neben den rein theoretischen Pro¬ 
blemen hat er auoh praktisch die Fütterungslehre der Haustiere in dem 
ihm unterstellten landWirtschaft-physiologischen Institut bearbeitet und 
auch für diese Aufgabe die modernsten Methoden — Respirationsapparat, 
Kalorimeter — ausgedehnt angewendet. Von den Spezialstudien seien 
noch diejenigen, welche den Energieumsatz beim Wachstum und der 
Entwicklung der Tiere behandeln, besonders hervorgeboben. 

Die persönliche Liebenswürdigkeit Tangl’s, seine Bereitschaft zu 
Rat und Hilfe lässt es verstehen, dass viele von uns in ihm einen 
persönlichen Freund verlieren. 

Weiterhin wurde nooh des jüngst verstorbenen Physiologen Ewald 
Hering gedacht, der zwar keine persönlichen Beziehungen zu unserer 
Gesellschaft hatte, aber doch duroh seine wissenschaftlichen Arbeiten 
vielen Mitgliedern derselben Anregung und Förderung gegeben hat. 
Eine Würdigung der Leistungen Hering’s hat Referent vor kurzem in 
der Deutschen Medizinischen Wochenschrift gegeben, auf die hiermit 
verwiesen sei. 

Tagesordnung. 

1. Hr. N. ZutE: 

BiliiEbestimiig des tierischen Stoffwechsels mit Hilfe 
der kalorimetrischen Bombe. 

(Erscheint in dieser Nummer unter den Originalien). 

2 . Hr. Albert Wolff: Ueber eine nene Erscheinung beim Schlacken. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift) 


Laryngologische Gesellschaft in Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 2. November 1917. 

(Schluss.) 

6. Hr. Weiagaertner: a) Zahn in der Nase. Ich stelle Ihnen zu¬ 
nächst einen 8jährigen Jungen vor, der ausgedehnte luetische Zer¬ 
störungen des Naseninnern und ausserdem einen Zahn in der reohten 
Hase vorne hat Es ist ein Schneidezahn, der mit der Schneide nach 
oben steht. Derartige Fälle sind sohon öfter beschrieben worden. Sie 
haben ihre Ursaohe wahrscheinlich in einer Drehung des Zahnkeimes 
um 180°. 

b) Dieser 10jährige Junge suchte vor einiger Zeit wegen Heiserkeit 
unsere Poliklinik auf. Er gab an, dass er im Winter vorigen Jahres 
von der Lehrerin einen Sohlag mit dem Stock auf das Hinterhaupt linkt 
erhalten habe. Der Junge ist daraufhin zweimal operiert worden. Was 
gemacht worden ist, wissen wir nioht Jedenfalls sind etwa 2 Monate 
nach dem Sohlag den Angehörigen merkwürdige Pulsationen der linken 
.Halsseite aufgefallen, und wieder einige Zeit später ist das Kind heiser 
geworden. Als der Junge zu uns kam, ergab das laryngoskopische Bild 
deutlioh eine linksseitige Reknrrensläbmnng. Aussen besteht ein 
Aneurysma arterio-venosum zwischen Karotis und Jugularis. Die Frage 
ist nun: ist die Rekurrenslähmung sowohl wie das Aneurysma auf die¬ 
selbe Ursache zurüokzuführen, oder ist die Rekurrenslähmung abhängig 
von dem Aneurysma? Wir sind geneigt, das Letztere anzunehmen. Nach 
der Anamnese ist erst ein Schwirren am Halse und dann die Heiserkeit 
beobachtet worden. Wahrscheinlich hat das Aneurysma einen Druck auf 
den Vagus bzw. auf die Fasern, die den Rekurrens später bilden, aus¬ 
geübt. Ob das Trauma für das Aneurysma als Ursaohe in Betracht zu 
ziehen ist, das zu entscheiden dürfte etwas schwierig sein. Auffallend 
ist im Röntgenbild ein ziemlich dichter, längsovaler, scharf abgegrenzter 
Sohatten, der in der Höhe des Angulus mandibulae, aber tiefer als 
dieser, liegt und an den Schatten einer verdeckten Lymphdrüse erinnert 

7. Hr. M. Seheier: 

Fall von nichtigem Prolaps des Veatricnlas Morgagai beiderseits. 

Ich möchte mir erlauben, Ihnen, m. H., einen 46 Jahre alten Sol¬ 
daten vorzustellen, der im Mai v. J. plötzlich an starker Heiserkeit er¬ 
krankte und vorher stets eine klare Stimme gehabt haben will. Ober¬ 
halb der Stimmbänder sieht man grosse hellrote, etwas ödematös aus¬ 
sehende Wülste, die aus den Ventrikeln beiderseits herauskommen, mit 
der Sonde sioh zum Teil reponieren lassen. Von den Stimmbändern 
selbst kann man nur sehr wenig sehen, höchstens den hinteren Teil des 
reohten Stimmbandes, das gerötet erscheint. Die Wülste stossen ober¬ 
halb der vorderen Kommissur eng aneinander. Unterhalb der vorderen 
Kommissur sah man noch einen Tumor von Bohnengrösse, der ins 
Lumen vorsprang und an seiner Spitze gelblich verfärbt war. Die mikro¬ 
skopische Untersuchung des exstirpierten Tumors ergab entzündliche 
Granulation mit Oberflächen ul zeration, Infiltration mit polynukleären 
Leukozyten. Keine Zeichen für Tuberkulose oder maligne Geschwulst. 
Heute sieht man nooh an der operierten Stelle einen kleinen gelblichen 
Vorsprung mehr auf der linken Seite, den Rest des Tumors. Er scheint 
in letzter Zeit etwas gewachsen zu sein. Wir hoffen durch Extraktion 
der grossen Wülste dem Manne eine bessere Stimme zu verschaffen. 

In dem anderen Falle handelte es sioh bei dem 27 Jahre alten 
Manne mit hysterischer Aphonie um einen hysterischen Nebenbefund. 
Am linken Stimmband, am freien Rande ungefähr in der Mitte, sitzt 
eine sohalenförmige Vertiefung, die etwas an die schalenartigen Wülste 
erinnert, wie man sie bei der Pachydermie doch immer in der Gegend 
, des Prooessus vocalis sieht. 


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414 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 17. 


Diskussion. 

Hr. Killian: Za dem ersten Falle bat Herr Soheier gefragt, ob 
man den Prolaps beseitigen solle. Ich glaube, ja; die Stimme vird 
jedenfalls besser werden. 

8. Hr. Kiekhefel: M. H! Die fuktieielle Aphonie entsteht meist 
im Ansohlass an eine Erkrankung der oberen Luftwege; die durch den 
Katarrh hervorgerufene gänzliche oder teilweise Ausschaltung der Stimm¬ 
lippenbewegung bleibt noch nach der Heilung des Katarrhs bestehen. 
Die Patienten haben sioh an die abnorme Stimmlippenbewegung gewöhnt, 
sie haben die Bewegungsvorstellung verloren. Es handelt sich um eineu 
Vorgang, den wir bei Kindern häufig beobachten, bei welchen dieBewegungs- 
vorstellung nicht so fixiert ist wie bei Erwachsenen. Der laryngoskopische 
Befund bei der habituellen Aphonie unterscheidet sich nicht von der 
muskulären Parese des Kehlkopfes. Entweder versagen die Interni — 
dann schliessen die Stimmbänder nicht vollkommen, es bleibt bei der 
Phonation ein Spalt zwischen den Stimmlippen — oder es versagen die 
Transversi — dann bleibt das Trigonum Gartilagineum offen, — oder 
es können sich beide Formen kombinieren, dann hat der Spalt, der 
zwischen den Stimmbändern bleibt, die Form eines Dreieckes, dessen 
Spitze an der vorderen Kommissur, dessen Basis an der hinteren Wand 
liegt. Schliesslich kann die Schonung der Stimmlippen so vollkommen 
werden, dass die Stimmlippen bei der Phonation in Ruhestellung stehen 
bleiben und die Patienten keine Adduktionsbewegungen machen. In 
diesen Fällen bekommt die Sprache einen hauchenden Charakter; die 
Patienten können nicht flüsternd sprechen. Nach Peltesöhn nennen 
wir solchen Zustand Apsithyrie. Aus dieser paretischen Form der Aphonie 
entwickelt sioh die spastische Form; einmal dadurch, dass die Patienten 
versuchen, gewaltsam eine Stimme zu produzieren, wobei sie den Kehl¬ 
kopf zusammen pressen. Ferner haben wir beobachtet, dass diese spastischen 
Zustände artifiziell entstehen durch unzweckmässige therapeutische Maass¬ 
nahmen, z. B. dadurch, dass den Patienten aufgegeben wird, mit Gewalt 
das Sprechen zn versuchen. Da es sioh bei den Spasmen um Reizzustände, 
um hyperkinetische Zustände handelt, müssen diese sich verschlimmern, 
wenn ihnen neue Reize zugefügt werden. Im laryngoskopischen Bilde 
legen sioh bei der spastischen Form die Taschenbänder aneinander und 
bedeoken die Stimmbänder. Sehr oft finden wir bei der spastischen 
Form dasselbe Bild wie bei der paretischen. Es ist dies eine ähnliohe 
Beobachtung, wie wir sie beim Stottern machen. Wenn wir einen Stotterer 
laryngoskopisch untersuchen, so kann es Vorkommen, dass er während 
des Laryngoskopierens durch die veränderte Lagerung der Zunge und 
der Artikulationsbewegungen den Spasmus vergisst und ganz richtig 
spricht. Diese Beobachtung beweist, dass wir die Diagnose auf spastische 
Aphonie nicht allein aus dem laryngoskopischen Befund stellen dürfen. 
Ausschlaggebend für die Diagnose bleibt immer die phonetische Unter¬ 
suchung. — Neben der paretischen und spastischen Form gibt es noch 
eine dritte Form, die man als eine parakinetische auffassen kann, die 
sog. habituelle Flüsterstimme. 

Die Behandlung muss eine phonetisohe sein. loh betone ausdrüoklich 
das Phonetische, weil neuerdings die Erfolge der phonetischen Uebungs- 
behandlung geleugnet werden. Die phonetische Behandlung dauert Monate. 
Mitteilungen von Heilungen in einer Sitzung stehen wir skeptisch gegen¬ 
über. Auoh wir können oft schon bei der ersten Untersuchung und 
Behandlung des Patienten einen Ton erzielen, aber wir hüten uns wohl, 
dies als einen Dauerzustand zu betrachten. 

loh möchte ihnen jetzt die einzelnen Gruppen zeigen. 

Zunächst die paretische Form. (Demonstration.) Man könnte in 
die Versuchung kommen, diese Patienten als geheilt zu entlassen; da 
aber sowohl bei der Uebung wie im Verkehr der Patient ausserordentlich 
leioht ermüdet und nach wenigen Minuten die Stimme wieder versagt, 
so darf die Behandlung noch nicht abgeschlossen werden. 

Bei diesem Patienten handelt es sich um die spastische Form, bei 
welcher die Spasmen des Kehlkopfes nicht allein auf die inneren Muskeln 
des Kehlkopfes beschränkt bleiben, sondern sich auch den äusseren Hals¬ 
muskeln mitteilen. t 

'Hier handelt es sich um zwei Fälle von habituellen Fistelstimmen. 
Aus dem aufgezeichneten Stimmumfang ist die Stimmlage zu ersehen. 

Diskussion. 

Hr. A. Meyer: Man kann diese hysterisohe Aphonie auf verschiedene 
Weise behandeln. Anfangs habe ich — ich habe ziemlich viele davon 
gesehen — die Patienten mit sehr starken Strömen elektrisiert, wie früher 
allgemein üblich. Dabei wurden viele geheilt, bei anderen aber blieb 
die Heilung aus. Infolgedessen bin ich zu einer Methode übergegangen, 
die der phonetischen, wie sie Herr Gutzmann ausgebildet hat, ziemlioh 
angenähert ist loh bin mir aber darüber klar geblieben, dass nicht das 
phonetische Moment die Hauptsache ist, sondern das suggestive. Es ist 
ziemlich gleichgültig, womit man die Leute behandelt, man muss ihnen 
nur die Ueberzeugung beizubringen verstehen: sie werden geheilt und 
werden sprechen. Ich mache es so, dass ich die Leute in der ersten 
Sitzung zum Hauohen bringe und sie möglichst lange Zeit gleichmässig 
aushauchen lasse. Dadurch lernen sie, ihre Stimmbänder einander zu ( 
nähern, und gewinnen die Ueberzeugung, dass sie einen Kehlkopf haben, 
den sie gebrauchen können. Dann überlasse ich sie sich selbst und 
fordere sie nur auf, inzwischen fleissig zu üben. Wenn sie am näohsten 
Tage kommen, dann ist es ganz leicht, sie dazu zu bringen, dass sie 
dasselbe tönend machen, zunächst mit Summen, dann unter Benutzung 
der Vokale usw. Das gilt für beide Kategorien der Aphoniker. Die 


eine Kategorie sind die, die nach starkem Kehlkopfkatarrh heiser bleiben, 
die andere die, die nach plötzlich erlittenem psyobischem Trauma, 
infolge Granateinschlag, Verschüttung oder dergleichen stimmlos werden. 
Auf diese sehr sanfte Methode werde ich eigentlich mit allen fertig. 
Nur zwei Leute haben mir bisher eine Enttäuschung bereitet, die viele 
Monate lang vorher von einem Lazarett in das andere gewandert und 
überall vergeblich elektrisiert worden waren. Die musste ich ungeheilt 
entlassen, da sie nicht mehr reagierten. Man kann auoh durch Anlegen 
von Stimmgabeln an den Kehlkopf und dergleichen Mittel viel erreichen. 
Die Hauptsache, worauf ich hin weisen möchte, ist: man muss vor allen 
Dingen den Leuten die Idee beibriogen, dass sie geheilt werden. Denn 
woran sie leiden, ist die Idee, dass sie nicht sprechen können, und die 
muss durch die entsprechende Gegenidee abgelöst werden. 

Vorsitzender Hr. Killian: M. H.! loh möohte bitten, nicht über die 
Behandlungsmethoden zu diskutieren, sonst werden wir nicht fertig. 

Hr. Gutzmann: Ich möohte zur Behandlung nur ein Wort sagen. 
Die beste Suggestion, die überhaupt vorhanden ist, ist die Ueber¬ 
zeugung. Wenn ich jemand bei der Uebung überzeuge, er kann es 
machen, so ist das viel besser, als wenn ich ihm auf mystische Weise 
oder duroh Anwendung der Elektrizität die StimmgebuDg beibringe; 
hier ist das Resultat oft ein Kind der Angst; was ich bekomme, ist 
ist ein Angstprodukt, und das ist nichts dauerndes. Das, was durch 
Schreck erzeugt wird, ist wieder ganz etwas anderes, ist ein plötzlicher 
Einfluss. Angst ist längere Erwartung. loh habe Hern Kollegen Kiekhefel 
gebeten, die Fälle deswegen vorzustellen, weil wir so oft gesehen haben, 
dass die anfänglich vollkommen paretischen Formen sich nachher als 
spastisohe zeigten, wenn man sie phonetisch untersuchte. Wenn ich den 
Kehlkopfspiegel nehme und sehe, der Mann kann nicht die Stimmlippen 
aneinanderlegen, und ihn gleich hinterher genau untersuohe beim Stimm¬ 
versuch ausserhalb des Kehlkopfspiegelns, dann bekomme ich oft ein ganz 
anderes Bild. Ich bekomme nach Tiefinspirationen einen Stimmlippen¬ 
schluss, den man meist gut hören kann. Es handelt sioh in Wirklichkeit 
öfters bei den duroh die laryngoskopische Untersuchung sich ergebenden 
scheinbaren paretischen Aphonien um spastische Formen. Demnaoh 
haben wir eine Reihe von Fällen, die erst Spasmen geworden sind, 
die anfangs paretisch waren. Die paretischen Formen können oft zur 
Hysterie gerechnet werden, obwohl ich rein hysterische Aphonien nicht 
viele gesehen habe. Die Ausfalls- und Reizerscheinungen dabei zu unter¬ 
scheiden, ist nicht einfach. Manchmal müssen erst mehrere Unter¬ 
suchungen gemacht, event. noch graphisch registriert werden, bis man 
dahinter kommt, ob Ausfallserscheinungen, eine Art Lähmung, ob wirkliche 
Lähmung oder ob Reizerscheinungen oder ob wie bei habituell entstandener 
Fistelstimme in diesen beiden Fällen, die nach spastischer Aphonie ein¬ 
gesetzt haben, parakinetische übertriebene Stimmlippenbewegungen in 
Frage kommen, ohne dass es sich um Spasmus handelt. Das war aber 
Gegenstand meines Vortrags über die Bewertung derartiger Aphonien 
und über die verschiedenen Formen der Kriegsaphonien; darauf kommen 
wir bei der Fortsetzung der Besprechung noch zurück. 

Hr. Kiokhefel (Schlusswort): Wir haben bei der Aphonie zu unter¬ 
scheiden zwischen funktionellen und psychogenen Formen. Bei der 
Behandlung der habituellen Aphonien kommt es darauf an, den Patienten 
die Bewegungen wieder einzuüben, die sie verlernt haben. Bei den vor- 
gestellten Patienten handelt es sich um habituelle Aphonien. 

9. Hr. Halle*. M. H.! Verengerungen des Naseneingangs sind nicht 
gerade Raritäten, immerhin auch nicht allzu häufig. Hier .zeige ich Ihnen 
eine Patientin mit einer angeborenen doppelseitigen Verengerug, 
die an der einen Seite nur noch für einen Notizblockbleistift durchgängig 
ist. Ich würde den Fall nicht vorstellen, wenn ich ihn nicht noch vor 
der Operation zeigen wollte, um ihn dann nachher mit dem Erfolge der 
Operation vorzustellen. Ich habe verschiedentlich Gelegenheit gehabt, 
während der Kriegszeit artifizielle, durch SchussverletzuDgen hervor¬ 
gerufene, zum Teil sehr hochgradige Stenosen des Naseneingangs operativ 
anzugreifen und zu beseitigen, habe auch einige Fälle vorgestellt. Die 
Fälle sind aber verhältnismässig günstig, weil da schon die normale 
Form vorhanden war, die durch die Schussverletzung, durch zum Teil 
sehr starke Verwachsungen verändert wird. Kongenitale Verengerungen 
lassen sioh sicher schwerer beseitigen. Ich habe davon erst einige Fälle 
gehabt, so hochgradig wie diesen hier nur einen. Das Verfahren, das 
ich bei den anderen vorgeschlagen und ausgeführt habe, ist das hier 
schon beschriebene: subkutane Entfernung des ringförmig den Eingang 
verengernden Gewebes, event. strahlenförmige Abmeisselung vom Prozessus 
nasalis des Oberkiefers, Zurücklegen der Haut auf die Wunde und in 
derselben oder der nächsten Sitzung Transplantation von Haut auf die 
unbedeckte Stelle. (Hr. Killian: Ist es so sicher, dass die Verengerung 
kongenital ist?) Der Anamnese und dem Befund nach ja. Eine luische 
Stenose liegt wohl nioht vor. Ich habe auch sonst keine Krankheit 
eruieren können. (Hr. Killian: Solche Wülste könnten auoh erworben 
sein!) 

10. —12. Hr. Halle: Ich möchte Ihnen dann einen nicht gerade all¬ 
täglichen Fall einer Gesiehtsspaltenzyste vorstellen. Die Gesichtsspalten¬ 
zysten sind zum ersten Male von Kleeberg in Breslau beschrieben 
worden. Er beschrieb drei Fälle und gab ihnen auch den Namen. Diese 
Fälle unterscheiden sich von den oft recht grossen radikulären Zysten 
ganz erheblich. Diese können rasch gross werden, gehen nicht selten 
tief in die Kieferhöhle hinein und machen Höhlen, die der Grösse der 
Kieferhöhle vollkommen entsprechen. Die Kieferhöhle wird dann so 
zusammengepresst, dass sie fast eine Spalte wird. Sie haben neben dem 


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?9. April 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


415 


Ursprung, der durch Röntgenbilder sicher nahweiBbar ist, noch die Eigen* 
sohaft, dass sie einen ausserordentlich stark fötiden Inhalt haben. Er 
stinkt fürchterlich, noch schlimmer oft als ein altes Kieferhöhlenempyem. 
Die Gesichtsspaltenzyste enthält zwar Eiter, der aber nicht übelriechend 
ist. Die Gesiohtsspaltenzyste war in diesem Falle nach der Nase durch- 
gebrochon. Die Oeffaung befand sich kurz vor und unterhalb der unteren 
Musohel. Sie war von einem Arzt gelegentlich einer Entbindung entdeckt 
worden. Der Tumor lag aussen am Gesicht und wurde durch starken 
Druck nach der Nase zu eröffnet. Die Patientin konnte durch Druck 
dauernd den Eiter aus der Nase entleeren. Ich konnte von der Nase 
aus die Fistel feststellen. Wir haben die Zyste dann bei Professor 
Williger vom Munde aus operiert. Sie sehen hier die Zyste: sie war, 
als sie exstirpiert wurde, ungefähr wallnussgross. Professor* Willig er 
hat im Laufe von acht Jahren sieben Fälle gesehen, obgleich dort last 
täglich Zysten in allen Formen beobachtet werden, ein Zeichen, dass 
diese Zyste sehr selten ist. Sie fühlen aussen noch eine Delle am 
Prozessus maxillaris im Gegensatz zur andern Seite. 

Nun zu einem andern Gebiete. Ich wollte Ihnen eigentlich eine 
andere Patientin als diese, die ich Ihnen jetzt zeige, vorstellen; die 
andere ist leider nicht erschienen. Es ist aber zu dem Zweck, zu dem 
ioh sie zeigen wollte, auch wichtig, dass Sie diese hier sehen. Die Patientin 
die ioh zeigen wollte, war vor einiger Zeit mit sohweren Kopfschmerzen 
in eine Klinik gekommen, und es sollte dort eine Stirnhöhlenoperation 
von aussen gemacht werden. Patientin lehnte das ab, ging zum andern 
Kollegen, und er hat die Stirnhöhle von innen her freigelegt und aus¬ 
gespült. Patientin gab an, es hätte sich etwas Sekret entleert. Sie ist 
dann lange Zeit in Behandlung gewesen, ohne Erfolg; sie sagt, sie sei 
bei mindestens 20 Aerzten gewesen. Zufällig kam sie in die Klinik von 
Professor Williger wegen Kieferschmerzen und Schmerzen an den Zähnen, 
nachdem sie lange Zeit auch wegen Zahnschmerzen in anderer Behandlung 
war. Williger stellte sie mir vor zur Untersuchung, ob in den Neben¬ 
höhlen ein Befund wäre. Ich fand in der rechten Nasenseite leichte 
Atrophie und geringe Borkenbildung. Rechts sollte Patientin von aussen 
operiert werden und war die Stirnhöhle von ihnen freigelegt worden. 
Auf irgendeinen Erkrankungsherd in den Nebenhöhlen deutete niohts. 
Durchleuchtung negativ. Die Kieferhöhle war sicher gesund, die Zähne 
auch. Williger hat nun in einer Reihe von Fällen festgestellt, dass 
Leute, welche wegen Zahnschmerzen hinkamen und bei denen keinerlei 
Erkrankung an den Zähnen naohzuweisen war, die aber wegen ihrer 
Schmerzen schon lange Zeit in ärztlicher Behandlung standen, an Myalgien 
litten. Zu seiner eigenen grössten Ueberraschung hat er dies festgestellt, 
nachdem er diesem Krankheitsbilde, das ich ihm zuerst an einer Reihe 
von Kranken demonstriert hatte, lange skeptisch gegenüber gestanden 
hatte. Er hat die Leute selber mit Wärme und Massage behandelt und 
hat sie geheilt, ohne an den Zähnen etwas zu tun. 

Diese Patientin nun war deswegen von grossem Interesse, weil keine 
andere auch lokale Behandlung der Stirnhöhle bis dahin ein Auihören 
der Schmerzen erreicht hatte, während nun in verhältnissmässig kurzer 
Zeit die Behandlung, die sich auf die Myalgie richtete, die Patientin 
von den Schmerzen befreit hat. 

M. H! Ich wollte diesen Fall, der gestern wegen Kopfschmerzen in 
meine Klinik kam, als Gegenstück vorstellen, einen Fall, der nicht 
behandelt worden ist. Wenn sie ohne wesentlichen Druck den Kukullaris 
oder den Sternokleidomastoideus anfassen, bo äussert die Patientin kolossale 
Schmerzen. Der Befund in der Nase weist geringe Veränderungen auf; 
das Septum ist ein bisschen verdickt. Schwellung der unteren Muschel 
ist vorhanden. Das kann die Ursache von Kopfschmerzen sein. Man 
kann auch die Nase freilegen. Das würde der Patientin für die Atmung 
nützen, aber ihre Kopfsohmerzen würde sie nicht verlieren. 

Ich habe solohe Fälle öfters vorgestellt. Ich habe jedoch im Laufe 
der letzten Jahre, ich darf wohl sagen, an Hunderten von Fällen gesehen, 
dass dieses Krankheitsbild nicht die Beachtung findet, die es durchaus 
verdient, dass sogar auf diese Fälle in gut bekannten Kliniken nicht 
geachtet worden ist. Ich mochte dringend den Herren raten, mehr Wert 
darauf zu legen. Die Schmerzen sind sehr charakteristisch. Die Leute 
kommen wegen Kopfschmerzen, Druck auf den Augen, Blockadeschmerz, 
halbseitigem oder doppelseitigem Kopfdruck. Man hat einen Befund, 
der nicht ganz klar ist. Oft geben die Patienten selber an, der Kopf¬ 
schmerz käme aus dem Nacken heraus. Der Kopfsohmerz ist nicht selten 
morgens nach der Ruhe am stärksten, die Patienten fühlen sich, als 
wenn sie ein Brett vor dem Kopfe hätten. Oefter klagen die Patienten auch 
über Ohrensausen, Schwindel, Kopfschmerzen, Erbrechen, charakteristische 
Meniöre’sohe Symptome. Sie hatten an den Ohren keinen Befund 
oder aber auch Mittelohreiterung. Ich habe zahlreiche Fälle gesehen, 
wo deswegen zur Operation geraten worden ist. Ioh selbst habe früher 
solche Fälle am Ohr operiert, wenn zugleich eine Ohreneiterung vorlag, 
habe erlebt, dass die Leute drei Monate gesund waren und nachher 
dieselben Sohmerzen wieder bekamen. Nimmt man die Schulter oder 
Halsmuskulatur in die Hand und rollt sie ohne erheblichen Druck, so 
geben die Patienten oft einen heftigen Schmerz an, der naoh dem Ohr 
hinstrahlt oder vorn naoh der Stirn hin, wo sich auch oft starker Druck¬ 
schmerz findet Alle diese Fälle fallen unter den Begriff der rheumatisch 
muskulären Erkrankung und sind viel häufiger, als wir alle glauben. 
Die Herren sollten sehr nachdrücklich auf diese Fälle achten, Sie werden 
überrascht sein, wieviele Fälle uns als Stirnhöhleneiterungen usw. ver¬ 
dächtig erschienen sind. So ist es auch mit dieser Patientin, sie hat 
aber kein Nebenhöhlenempyem. Solche Fälle können Sie durch Wärme, 
Massage, evtl, duroh Einspritzung von Kochsalz-Novocain nach Peritz heilen. 


Diskussion. 

Hr. Killian: Ich bezeichne diese Fälle als rheumatisches Kopfweh. 
Es handelt sich dabei bald um Myalgien bald um Neuralgien. Die 
kommen oft vor. Ich beobachte sie seit vielen Jahren, und seit dem 
Kriege bei Soldaten sehr häufig. Die Soldaten sind ja sehr viel Erkältungen 
und Zug ausgesetzt, ferner sind viele daran gewöhnt, sich morgens den 
Kopf zu waschen, ohne ihn gleich genügend abtrocknen zu können. 
Sie laufen mit nassen Haaren herum und bekommen so, wenn sie in 
Zug geraten, rheumatisches Kopfweh. Derselbe Vorgang wiederholt sioh 
jeden Tag. Im gewöhnlichen Leben holen sich viele ihr rheumatisches 
Kopfweh daduroh, dass sie Nachts bei offenem Fenster schlafen, oder 
in einem nach Osten oder Norden gelegenen zugigen Zimmer mit dem 
Bett nahe am Fenster. Man bekommt, wenn man nachforscht, alle 
möglichen Ursachen heraus 

Die Art der Sohmerzen ist charakteristisch. Brillante Erfolge gibt 
das Kopflichtbad, in schweren Fällen unterstützt durch Massage. Wenn 
man aber die Ursachen nicht findet und beseitigt, ist mit keinem Mittel 
eine Heilung möglich. 

Hr. Halle: Mir scheint, dass diese rheumatische Krankheit nicht 
selten von den Tonsillen ausgeht. Man sieht sie häufig nach akuten 
oder chronischen Tonsillitiden auftreten. Hinzuweisen ist darauf, dass 
die Myalgien von Cornelius auch als Nerven punkte bezeichnet werden. 
Ich glaube wenigstens, dass es dasselbe Krankheitsbild ist. Auoh ist 
dort eine ähnliche Behandlung. Jedenfalls werden sie vielfach falsch 
gedeutet, und darauf wollte ich den Hauptnachdruck meiner Ausführung 
legen. 

Hr. Killian: Da möchte ich doch widersprechen. Diese Form von 
Rheumatismen hat ganz gewiss mit Tonsillenerkrankungen nichts zu tun. 


Naturwissenschaftlich-medizinischer Verein zu Heidelberg. 

Sitzung vom 15. Januar 1918. 

1. Hr. Baiseh: Krankeavorstelluug. 

1. Fall von Sehnentransplantation bei Radialislähmung. Im August 
1914 Schussverletzung des rechten Radialis; da 1916 ein Erfolg der 
Nervennaht nioht beobachtet werden konnte, wurde zuerst eine Tenodese 
zwecks Fixation der Handwurzel vorgenommen, ln einer zweiten Sitzung 
wurden dann Teile der Flexoren am Vorderarm auf die Strecksehnen 
genäht. Guter funktioneller Erfolg. 

2. Ferner 2 Kranke mit juveniler deformierender Arthritis der 
Hüftgelenke. Es fanden sich radioskopisch die charakteristischen Ver¬ 
änderungen der Gelenkköpfe. Es liegen dem Krankheitsbild die von 
Perthes beschriebenen subchondral verlaufenden Rarefikationsprozesse 
zugrunde. Ursächlich kommt eine durch vorhergehendes Trauma bedingte 
Schädigung der Arterie des Femurkopfes in Betracht; ferner aber eine 
leichte Staphylokokkenosteomyelitis, da Redner in 2 von 5 Fällen Staphylo- 
lysine naohzuweisen vermochte. 

2. Hr. Seidel: 

Experimentelle Untersuchungen Iber den Verlauf der intraokularen 
Saftströmnng 1. (Eignet sich nicht zum Referat) 

3. Hr. Schneider: 

Sektionsbefand bei Polyzythämie (mit makroskopisch und mikro¬ 
skopischen Demonstrationen). 

Der Kranke hatte zu Lebzeiten charakteristische Erythrose im Gesicht 
und Schleimhäuten, gespannten Puls, Blutdruck von 200 mm Hg, eine 
vergrösserte härte Milz geboten. 8 1 /* Millionen Erythrozyten, 150 pCt. 
Hämoglobin, 7,600 weisse Blutkörperchen. Die wiederholte Untersuchung 
des Blutes 1 Jahr später ergab bis auf Erhöhung der Leukozytenzahl 
(13,000) ähnlichen Befund. Blut im Stuhl, Im Urin Albumen. Patient 
suchte wegen heftiger Leibschmerzen die chirurgische Klinik auf; es be¬ 
stand hartnäckige Obstipation. In der Annahme eines Darmhindernisses, 
Resektion des Zökums und Colon asc. 1 Tag danach Exitus im Kol¬ 
laps. Sektionsbefund: Es fällt die erhebliche Färbekraft, Dickfiüssigkeit 
und Klebrigkeit des Blutes auf. Alle Organe blutreich; leichter Ikterus. 
Herz auf das l 1 /* fache vergrössert, zeigt linksseitige Hypertrophie bei 
intaktem Klappenapparat; mittlere Gefässe deutlich sklerotisch. Art. 
mesaraica sup. fast bis zur Obliteration verdickt. Milz 1310 g; frische 
und alte grosse Infarkte, weich. Leber 1900 g mit unregelmässigen 
narbigen Einziehungen, aber nicht gekörnt. Nieren vergrössert mit 
frischen Venenthrombosen. In allen spongiösen Knoohen dunkelrotes 
Mark, schwammig; in langen Röhrenknochen prall, vorquellend, epiphysen- 
wärts erst in Fettmark übergehend. Mikroskopisch: Stark tätiges Zell¬ 
mark, Myelozyten, besonders eosinophile, neben Erythrozyten viele Normo- 
blästen, Mitosen, Knochenmarksriesenzellen. Leichte Leberzirrhose. Milz 
ohne schwere pathologische Veränderungen bis auf die Infarkte. Arterien, be¬ 
sonders mittleren Kalibers, intimal verdiokt, elastisch. Kleine Herzschwielen. 

Das Sektionsergebnis zeigte somit bei gesteigerter Blutfülle der 
Organe Erhöhung der Färbekraft und Viskosität; ferner Hyperplasie des 
Knochenmarks. Ob die Herzhypertrophie mit der gesteigerten Viskosität 
in Verbindung zu bringen ist, erscheint dem Vortr. zweifelhaft; dooh sind 
jedenfalls die Thrombosen darauf zurückzuführen. Vortr. hält die 
Polyzythämie für einen Reäktionsvorgang und nioht für eine selbst¬ 
ständige Krankheit. Die Reaktion tritt gerne auf bei allen Störungen, die die 
Sauerstoffversorgung der Gewebe bedrohen. Manche Fälle sind allerdings 
einstweilen als kryptogenetisch zu bezeichnen. Steckelmaoher. 


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416 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 17. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Zum Nachfolger Prof. Finkeistein's am Berliner städtischen 
Säuglingsheim und Waisenhaus vurde sein langjähriger Assistent 
Ludwig F. Meyer gewählt. 

— Der bisherige erste Assistenzarzt an der inneren Abteilung des 
städtischen Krankenhauses in Neukölln Dr. J. Zadek wurde zum 
Oberarzt ernannt. 

— Der Senat von Bremen hat den Professortitel verliehen DDr. Hahn, 
dirigierendem Arzt der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten, 
Noltenius, dirigierendem Arzt der Hals-, Nasen-, Ohrenabteilung der 
Staatlichen Anstalt und L. A. Meyer, Vorstand der medizinischen Ab¬ 
teilung des hygienisohen Instituts. 

— In der Zeit vom 19.—21. März fanden in Berlin auf Veranlassung 
des Sanitätsdepartements des Kriegministeriums Vorträge zur Ein¬ 
föhrungin dieexperimentell-psyohologisohenUntersuohungen 
bei Kraftfahrern, Funkern usw. statt, zu denen aus jedem Armee¬ 
korps 2 Aerzte kommandiert waren. Die Kurse sollten einen Ueberblick 
über die militärische und militärärztliche Bedeutung der angewandten 
Psychologie verschaffen und den Aerzten die Möglichkeit geben, selbst 
bei der praktischen Ausgestaltung dieser Methoden gemeinsam mit den 
Psychologen zu arbeiten. 

— ln Berlin sind Sammelklassen für schwachsinnige Kinder 
in den Hilfsschulen eingerichtet worden. 1911 wurde das Hilfsschule 
wesen Berlins einheitlich organisiert, indem die an einzelnen Gemeinde- 
sohulen vorhandenen Nebenklassen zu Schulsystemen von fünf auf¬ 
steigenden Klassen zusammengefasst wurden. Nach den Bestimmungen 
über den Unterricht in den Berliner Hilfsschulen sollen idiotische Kinder 
möglichst sofort in die Idiotenanstalt übergehen. Die Durchführung 
dieser Anordnung ist aber ausserordentlich schwer. In der Regel weigern 
sioh die Eltern teils der hoben Kosten wegen, teils aus Elternliebe ihre 
Kinder in die auf dem Gelände der Irrenanstalt zu Dalldorf belegene 
städtische Heil- und Erziehungsanstalt Berlin-Wittenau zu geben. So 
blieb denn der städtischen Schulverwaltung nichts anderes übrig, als 
auoh idiotische Kinder in die Hilfsschule aufzunehmen und in ihr zu 
belassen, solange sie nicht eine Gefahr für ihre Mitschüler bildeten. Die 
Berliner Schulverwaltung hat sich nun entschlossen, für solohe schwer 
schwachsinnige Kinder besondere Klassen, sogenannte Sammelklassen, 
zu errichten. An einer Hilfsschule soll nur eine Sammelstelle bestehen, 
die höchstens 15 Kinder umfassen darf. Sie ist eine einklassige Schule. 
Neben der Pflege des Gemüts wird die Entwicklung und Ausbildung 
der körperlichen Geschicklichkeit als das Hauptziel des Unter- 
riohts angesehen. 

— Der Zentral-Krankenpflegonachweis für Berlin und 
Umgebung (W., Oourbierestr. 15, Fernspreoher: Amt Lützow 2849) 
hielt am letzten Dienstag Abend seine diesjährige Generalversamm¬ 
lung unter Vorsitz von Geheimrat Dr. S. Alexander ab. Nach dem 
vom Betriebsleiter des Instituts Sanitätsrat Dr. P. Jacob so hn er¬ 
statteten fünfzehnten Jahresbericht für 1917 wurde die Zentralstelle 
auch im letzten Jahre rege in Anspruch genommen. Die Naohsuchungen 
um ermassigte und unentgeltliche Pflege zeigten eine Steigerung auf 
1038 Einzelfälle, so dass für diesen Zweck wiederum 1240 M. bar ver¬ 
ausgabt werden mussten. 

— Bei der letzten Erörterung der Impffrage im Reichstage wurde 
die Schaffung einer aus Freunden und Gegnern des Impfzwanges be¬ 
stehenden Kommission zur Prüfung des gesamten Impfwesens 
angeregt. Nach der Mitteilung einer Nachrichtenstelle hat der Bundes¬ 
rat eine Aenderung des Impfgesetzes nicht für notwendig erachtet und 
daher die Einsetzung einer solchen Kommission für unnötig erklärt. Im 
übrigen sind Mittel von seiten des Reiches zur weiteren wissenschaft¬ 
lichen Erforschung der Pockenkrankheit ausgeworfen worden und die 
Arbeiten bereits im Gange. Infolge des Fehlens reichsgesetzlicher Be¬ 
stimmungen richtet sich die Anwendung des Impfzwanges nach den 
Landesgesetzen. Nach amtlichen Feststellungen ist es nur in ganz ver¬ 
einzelten Ausnahmefälten zur Anwendung von Zwangsmaassregeln ge¬ 
kommen. 

— Am Schlüsse des Jahres 1917 befanden sich nach den Ver¬ 
öffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts im Deutschen Reiche 
35 Aussatzkranke gegen 38 am Ende des Vorjahres, davon in Preussen 
28 (28), in Württemberg 1 (—), in Lübeck 1 (—) und in Hamburg 5 (5). 

— Die 51. Versammlung des Vereins der Irrenärzte Nieder¬ 
sachsens und Westfalens findet am Sonnabend, den 4. Mai 1918, 
naohmittagB 4 Uhr in Hannover, Lavesstrasse 26 statt. Tagesordnung: 
1. Schultze-Göttingen: Zur sozialen Bedeutung der Hypnose. 2. Loe- 
wenthal-Braunschweig: Ueber Behandlung der Kriegsverletzungen des. 
Rückenmarks. 3. Stolzenburg-Göttingen: Einige Bemerkungen zur Frage 
der Dienstbeschädigung bei den wichtigsten Psychosen und Neurosen. 

— Nach dem uns vorliegenden 87. Jahresbericht des Direktoriums 
der Hufeland'sohen Stiftungen für notleidende Aerzte und Arzt¬ 
witwen in Berlin NW. 7, Schadowstrasse 10, sind im Jahre 1917 aus 
den Mitteln dieser Stiftungen 7 Aerzte mit zusammen 8 700 M. und 
179 Arztwitwen mit zusammen 27 035 M. unterstützt worden. An Bei¬ 
trägen von Aerzten sind für die Aerztekasse (3 394 Mitglieder) 13496,85 M. 
und für die Witwenkasse (3 721 Mitglieder) 14 513,50 M. eingegangen. 
Das Vermögen am Schlüsse des Jahres 1917 beträgt bei der Unter¬ 


stützungskasse für Aerzte 784 722 M. und bei der Unterstützungskasse 
für Arztwitwen 388 686 M. Aus den Mitteln der bei den Hufeland’sehen 
Stiftungen mitverwalteten Stiftung des Dr. med. Heinrioh Goburek- 
Tilsit für notleidende Arztwaisen sind in 62 Fällen für Arztwaisen an 
einmaligen Unterstützungen zusammen 7 970 M. gezahlt worden. Das Ver¬ 
mögen dieser Stiftung beträgt am Schlüsse des Jahres 1917 = 226 619 X. 
Die den Hufeland’schen Stiftungen ferner an geschlossene Dr. Ignatz 
Br au n'sche- Stiftung besitzt ein Vermögen von 20541 M. Das Einsammeln 
der Beiträge erfolgt durch die Kreisärzte, an diese sind auch die Auf¬ 
nahmeanträge zu richten. Mitglied der Stiftungen können nur Aerzte 
sein, die in Preussen und Waldeok den ärztlichen Beruf ausüben oder 
früher ausgeübt haben und hier Mitglied der Hufeland'sohen Stiftungen 
geworden sind. Der Beitrag für die Aerztekasse beträgt jährlich min¬ 
destens 8 M., derjenige für die Witwenkasse ebenfalls 3 M. Bei nach- 
zuweisender Bedürftigkeit erwäohst für die Witwe eines Arztes ein Unter¬ 
stützungsanspruch nur dann, wenn für beide Kassen ein Jahresbeitrag 
von zusammen mindestens 6 M. regelmässig gezahlt worden ist. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reioh(7.—18.1V.)3. 
Deutsche Verwaltung in Litauen (10.—16.1IL) 5. Fleokfieber: 
Deutsches Reich (7.—13. IV.) 17, und unter Kriegsgefangenen im 
Reg.-Bez. Marienwerder 1. Kaiserlich Deutsches Generalgouverne¬ 
ment Warschau (17.—23. UI.) 1203 und 189 f- (24.—30. UI.) 1038 
und 94 f. Deutsohe Verwaltung in Litauen (10.—16. III.) 448 
und 18 f‘ Deutsche Kreisverwaltung in Suwalki (10.—16. III.)2. 
Rückfallfieber: Deutsches Reich (7.—18. IV.) 42 unter Kriegs¬ 
gefangenen in den Reg.-Bez. Königsberg und Marienwerder. Kaiserlich 
Deutsches Generalgouvernement Warschau (17.—28. IIL) 4. 
(24.—30. III.) 7. Genickstarre: Preussen (81. III.—6. IV.) 10 und 
4 f. Schweiz (24.—80. UI.) 1. Ruhr: Preussen (81. IU.-6. IV.) 
54 und 8 f. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern 
und Röteln in Neuss; Diphtherie und Krupp in Berlin-Liohterfelde; 
Keuchhusten in Hof. (Verölt d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hoohsohulnaohriohten. 

Breslau: Habilitiert: Prof. Aron für Kinderheilkunde. — Er¬ 
langen: Dem Privatdosenten für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten 
Dr. W. Brook ist Titel und Rang eines ausserordentlichen Professors 
verliehen. — Freiburg: Geheimrat Wiedersheim, Ordinarius für 
Anatomie, beging am 21. April seinen 70. Geburtstag. — Jena: Der 
ehemalige Ordinarius für Hygiene Geheimrat Gärtner feierte seinen 
70. Geburtstag. — Lemberg: Der ausserordentliche Professor Kasimir 
Kwietniewski wurde zum Ordinarius der Zoologie und vergleichenden 
Anatomie ernannt; das Extraordinariat übernimmt Privatdozent Dr. 
Hirschler. — Wien: Dem ausserordentlichen Professor für Geburts¬ 
hilfe und Gynäkologie Hofrat Peham wurde der österreichische Ritter¬ 
stand verliehen. 


Amtliche Mitteilungen. 

.Personalien« 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden IV. Klasse*. San.-Rat Dr. 
Müller in Strassburg i. Eis. 

Königl. Kronenorden II. Klasse mit Schwertern: Gen.-A. Geh. 
Med.-Rat Pxof. Dr. Krause, Leibarzt S. M. des Kaisers und Königs 
Ob.-St.-A. Dr. von Niedner. 

Ernennung: Arzt Dr. A. Spiecker in Neidenburg (Ostpr.) z. Kreis¬ 
assistenzarzt unter Beauftragung mit der Verwaltung aer Kreisarzt- 
steile in Rotenburg a. d. Fulda. 

Niederlassungen: St.-A. Dr. M. Romm in Deutsch Eylau, Dr. Her¬ 
mann Meyer und Dr. Walter Lehmann in Göttingen. 

Verzogen: Dr. M. Willimzik aus dem Felde nach Ragnit, Dr. Ernst 
Rosenbaum von Hahnenklee nach Garnsee (Kr. Marienwerder), 
Aerztin Dr. Elisabeth Aschenheim von Charlottenburg nach 
Berlin, Dr. E. Birnbaum von Berlin-Friedrichsfelde, San.-Rat Dr. 
Viktor Bock von Berlin-Schmargendorf, sowie Prof. Dr. J. Citron, 
Dr. P. Danielsohn, Prof. Dr. Max Joseph und San.-Rat Dr. E. 
Wreschner von Berlin nach Charlottenburg; Dr. 0. von B ölten - 
stern, Dr. Eugen Fischer und Dr. Albert Niemann von Berlin, 
sowie Dr. C. Schamberger u. San.-Rat Dr. Riohard Simon von 
Charlotten bürg nach Berlin-Schöneberg; Aerztin Dr. Carla Busohen- 
dorf von Heidelberg, Priv.-Doz. Prof. Dr. S. Hammersohlag von 
Berlin als Direktor und Dr. W. Hanow von Charlotten bürg als Ober¬ 
arzt nach der Hebammenlehranstalt in Neukölln; Dr. Alfred Her¬ 
mann von Charlotten bürg nach Neukötln; Dr. Wilhelm Caro, Dr. 
H. Vollrath und San.-Rat Dr. F. Taendler von Charlottenburg, 
sowie Max Koebbel und Aerztin Dr. Lucie Koebbel von Berlin 
nach Berlin-Wilmersdorf; Dr. August Zahn aus dem Felde nach 
Göttingen. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Aerztin Klara 
v. Wehn er von Danzig. 

Gestorben: Dr. A. Stryck in Nievenheim (Ldkr. Neuss), San.-Rat 
Dr. Adolf Müller in Cöln a. Rh. 


Fflj di« Redaktion ▼•nntwwrtliek Fref. Dr. H * n a Kok«, Berlin W., Bayreuther fttr. 41. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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UNIVERSUM OF IOWA 





IM« Bsrtiw KMnlwh« Wochenschrift erscheint Jeden ■ ■■ m ^ ■ w Alle Einsendungen für die Redaktion and BxpddMon 

Montag in Kammern tob ea. I—6 Bogen gr. 4. — I 9 li' I I I I m I Ijl I I wolle man portofrei an die Verlagabaebhandlong 

Freia Tierteljihrlich 1 Mark. Beatellnngen nehmen r\ H r\ I , I |\ H K Aagnat Hinehwald in Berlin IW, Unter den Linden 

alle Bnehhandlungen nnd PostanaUlten an. 9 fl J UlB ^1 1 1 I J 1 li Nr. 68, adreMieren. 


KLINISCHE WOCIIENSCIffilET, 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und- Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

(Ml Hel-Rat Prof. Dr. C. Posner und Prot Dr. Hans Kohn. 


Expedition: 

August Hinchwild, Ytrltgsbichhudlug ii Brio, 

Montag, den 6. Mai 1918. 

M 18 . 

Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiaaliei: Frey: Ueber Vorhofflimmern beim Menschen und seine Be¬ 
seitigung duroh Chinidin. (Aus der Königlioh Medizinischen Uni- 
versitäts-Klinik Kiel [Direktor: Prof. Dr. A. Schittenhelm, zurzeit 
im Felde].) S. 417. 

Coenen: Zur Frage der Dupuytren’scbep Fingerkontraktur nach 
Verletzung des Ellen-Nerven. (Aus der Königl. chirurgischen 
Universitätsklinik in Breslau [Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
Küttner].) (Illustr.) S. 419. 

Eunike: Ueber Pankreasfistel nach Duodenalresektion. Spontan¬ 
verschluss derselben. (Aus der ohirurgisohen Abteilung der Stadt. 
Krankenanstalten Elberfeld [Chefarzt: Prof. Dr. Nehrkorn].) S. 421. 
Wolff: Ueber eine neue Erscheinung beim Schlucken. S. 422. 
Barthel: Steokschuss in der Lunge, Gesohoss ausgehustet.’ (Illustr.) 
S. 428. 

Takäos: Ueber den Ersatz des Schädelknochens. (Aus der IL chir¬ 
urgischen Klinik in Budapest [Direktor: Prof. Paul v. Kuzmik].) 
(Illustr.) S. 424. 

Linden: Ein Fünftagefieberherd in einer Panjefamilie. S. 425. 


Aus der Kgl. Medizinischen Universitäts-Klinik Kiel 
(Direktor: Prof. Dr. A. Schittenhelm, zurzeit im Felde). 

Ueber Vorhofflimmern beim Menschen und 
seine Beseitigung durch Chinidin. 

Von 

Prof. Dr. Walter Frey. 

1. Zur Theorie des Vorhofflimmerns. 

Die sog. Arhythmia perpetna beruht nicht, wie man früher 
annahm, auf Lähmung der Vorhöfe (Mackenz ie), nicht auf atrio¬ 
ventrikulärer Extrasystolie bei erhaltenem Sinusrhythmus (Wencke- 
bach), auch nicht auf gleichzeitigem Schlagen von Vorhöfen nnd 
Ventrikeln (nodaler Rhythmus, Mackenzie), sondern auf dem 
Vorhandensein von Vorhofflimmern oder Vorhofflattern (Cushny, 
Rothberger und Winterberg, Lewis 1907—1909). 

Mit Flattern (Vorhofstachysystolie Hering-Ri hl) bezeichnet 
man eine abnorm frequente, reguläre koordinierte Vorhoftätigkeit 
mit monotoper Reizbildung, während man bisher unter Flimmern 
eine irreguläre inkoordinierte Aktion der Vorhöfe mit polytoper 
Reilbildung zu verstehen hatte. Die Kammern schlagen in beiden 
Fällen relativ langsam, weil nur ein Teil der aurikulären Er¬ 
regungen von dem Ueberleitungsbündel weitergegeben wird; die 
Unregelmässigkeit der Kammerschlagfolge bringt man damit in 
Zusammenhang, dass die Intensität der vom Vorhof zugeleit?ten 
Reize eine relativ geringe ist und bei solchen eben wirksamen 
(hinreichenden) Reisen die Erregbarkeitsverhältnisse des Herz¬ 
muskels, mithin auch das Reizlei tungsvermögen des His’schen 
Bündels, unübersehbar schwankende sind (Trendelenburg). 

Nqd fordern aber neuere Beobachtungen zu einer Revision 
dieser bisher allgemein akzeptierten Anschauungen auf. 

In erster Linie ist zu bemerken, dass die Frequenz der Vor¬ 
hofkontraktionen offenbar weit höher liegt als bisher angenommen 
wurde. Rothberger und Winterberg fanden bei ihren Ver¬ 
suchen am Hunde bei direkter Ableitung der Aktionsströme vom 
Herzen mittels der Garten’schen Differentialelektroden bis zu 


Bücherbespreckugen : Engel und Baum: Grundriss der Säuglingskunde. 
S. 426. Zur Technik der Säuglingseruährung. (Ref. Weigert.) S. 426. 
— Frösohers „Kindersprache und Aphasie*. (Ref. Mörohen.) S. 426. 
Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 426. — Therapie. S. 426. — Para- 
sitenkunde und Serologie. S. 427. — Innere Medizin. S. 428. — 
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 429. — Kinderheilkunde. 
S. 480. — Chirurgie. S. 480. — Röntgenologie. S. 481. — Haut- und 
Geschlechtskrankheiten. S. 431. — Geburtshilfe und Gynäkologie. 
S. 482. — Hygiene und Sanitätswesen. S. 482. 

Verkaudlungeu ärztlicher Gesellschaft«»: Laryngologisohe Gesell¬ 
schaft zu Berlin. S. 482. — Aerztlioher Verein zu Hamburg. 
S. 484. — Medizinische Sektion der schlesischen Gesell¬ 
schaft für vaterländische Cultur zu Breslau. 3. 485. — 
Verein für wissenschaftliche Heilkunde suKöuigsbergi. Pr. 
S. 438. — K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. S. 489. 
Tagesgesohiohtliohe Notizen. S. 440. 

Amtliohe Mitteilungen. S. 440. 


3500 Oszillationen der elektrograpbischen Kurven. Die frühere 
Annahme, es handele sich um Frequenzen zwischen 800 und 500, 
scheint irrtümlich, indem ein Teil der elektromotorischen 
Schwankungen bei der gewöhnlichen Ableitungsweise von den 
Extremitäten verloren geht. Zweitens steilen Rothberger und 
Winterberg fest, dass die Vorhofkontraktionen beim Flimmern 
oft vollkommen rhythmisch vor sich gehen. Und schliesslich sind 
die Autoren der Ansicht, es handele sich beim Flimmern nicht 
um polytope, sondern monotope Erregungen. Flattern und Flimmern 
erscheinen prinzipiell als identische und nur quantitativ differente 
Vorgänge. 

Demgegenüber muss man zugeben, dass die bei direkter Ab¬ 
leitung vom Herzen beobachteten hohen Frequenzen bei der Unter¬ 
suchung klinischer Fälle allerdings leicht übersehen werden müssen. 
Widerspruch wird zweifellos die Annahme hervorrufen, die ganze 
Kontraktionsweise der Vorhöfe erfolge beim Flimmern rhythmisch. 
Unter 100 Fällen habe ich nur 9 mal ein regelmässiges Schlagen 
der Vorhöfe feststellen könnnen (Flattern, Vorhofstachysystolie), 
nnd auch da zuweilen nur vorübergehend und bald wieder ab¬ 
gelöst durch Flimmern. Die grosse Mehrzahl der Fälle zeigt 
im Elektrokardiogramm grosse und kleine, lange und kurze 
Wellen in unübersehbarem Wechsel, so dass man sieh genötigt 
sieht, vorläufig an dem arhythmischen Charakter der Kontrak¬ 
tionen festzuhalten 1 ). 

Von besonderer klinischer Bedeutung ist aber der Befund 
von Rothberger und Winterberg, beim Flimmern handele es 
sich um monotope Reizbildung. Die Autoren kommen zu 
diesem Schluss, weil auch bei grösster Frequenz die einzelnen 
Oszillationen ihrem Aussehen nach eine auffallende Konstanz 
aufweisen; und sie machen auch darauf aufmerksam, dass bei 
niedrigen Frequenzen die Zahl der Oszillationen mit der Zahl der 
registrierten Muskelkontraktionen übereinstimmt, was nur dann 


1) Fahrenkamp erklärt, die häufigste Form der Vorhofsatörung 
bestehe „nicht im Flimmern, sondern in rhythmisoher oder arhythmisoher 
Taohysystolie der Vorbote*. Demgegenüber muss bemerkt werden, dass 
die arhythmische Taohysystolie allgemein zum Flimmern gerechnet wird. 


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418 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18 . 


erklärlich ist, wenn die Erregungen immer von demselben Punkt 
&u8gehen und zu koordinierten Vorhofkontraktionen führen. Die 
von Rothberger und Winterberg mitgeteilten Kurven müssen 
als beweisend anerkannt werden. Die Annahme einer polytnpen 
Reizbildung scheint demnach irrtümlich.) 

Verschiedene experimentelle Beobachtungen, anatomische und 
klinische Befunde sprechen nun ebenfalls sehr für eine monotope 
Reizbildung. 

Nach Haberlandt gelingt es an Frosch- und Schildkröten¬ 
herzen bei elektrischer Reizung speziell des Atrioventrikular¬ 
trichters, der zirkulären Verbindung zwischen Vorhöfen und 
Ventrikeln, mit grosser Regelmässigkeit den Reiz über dauerndes 
Flimmern auszulösen; und zwar Flimmern der Vorhöfe bei Reizung 
der oberen Trichtergegend und Kammerflimmern, sobald man die 
kammerwärtigen Anteile des Artrioventrikulartrichters reizt. Vom 
extrasystolischen Schlagen bis zum tetanischen Wogen und Wühlen 
scheinen alle Uebergänge vorzukommen. Schon Munk, Gaskell, 
Loh mann, Erlanger und Blackmann, Ewald, Hering kamen 
zu ähnlichen Ergebnissen. Man erinnert sich des Kronecker- 
sehen Koordinationszentrums, welches auch in diese Gegend ver¬ 
legt wurde. — Die eingehenden anatomischen Untersuchungen von 
Keith batten schon 1907 auf die Artrioventrikulargegend auf¬ 
merksam gemacht. Nach Mackenzie weisen alle von Keith 
untersuchten Fälle mit einer einzigen Ausnahme Veränderungen 
des His’schen Bündels oder der dasselbe versorgenden Arterien auf, 
wenn während des Lebens ein „nodaler Rhythmus“ vorhanden war. 
Oft finden sich ebenfalls Veränderungen in der Gegend des Sinus¬ 
knotens (Hedinger, Schönberg, Romeis) aber nicht konstant. 
Es verdient hier die Beobachtung von Haberlandt besonderes 
Interesse, wonach während des Vorhofwüblens der Sinus seine ur¬ 
sprüngliche Tätigkeit unverändert fortsetzt. — Gerhardt macht 
darauf aufmerksam, dass bei der langsamen nahezu regelmässigen 
Form der Arhythmia perpetua die auf Extrasystolen folgenden 
Pausen ebenso lang sind, wie die Pausen zwischen den übrigen 
Schlägen; interpolierte Extrasystolen kommen niemals vor. Bei 
rascher schlagenden Ventrikeln ist die Ausmessung gewöhnlich 
durch die grössere Irregularität erschwert, doch scheinen die 
Verhältnisse hier, soweit man urteilen kann, genau dieselben zu 
sein. Unter meinen Kurven finden sich 30 Fälle mit Extra¬ 
systolen. Unter diesen sind 8 zur Ausmessung ungeeignet, bei 6 
notierte ich „annähernd Normalintervall“, bei 16 „Normalintervall“. 
Diese Erscheinung ist nun schwer verständlich, wenn man an¬ 
nimmt, die Kammern würden beim Vorhofflimmern ihre Erregungen 
vom Vorhof her empfangen. Gerhardt vertritt den Standpunkt, 
es handele sich (bei der bradyk^rdischen Form) um Herabsetzung 
der Reizbarkeit der Kammern gegenüber den vom Vorhof zu¬ 
geleiteten Reizen: „Die Kammern werden immer erst nach einer 
gewissen Zeit wieder fähig, auf den Reiz mit einer Zuckung zu 
reagieren. Die Dauer dieser refraktären Phase ist nach einem 
extrasystolischen Schlag ebenso lang wie nach einem der anderen 
Schläge.“ Bei den. rascher schlagenden Ventrikeln ist die Er¬ 
regbarkeit aber kaum herabgesetzt. Auf die Injektion von 0,3 mg 
Adrenalin reagieren von Herzgesunden (22 Fälle) 9 pCt. mit Extra 
systolen, von Herzkranken mit Sinusrhythmus (19) 42 pCt., von 
Patienten mit Vorhofflimmern (16) 81 pCt. Die letzeren scheinen 
also eher durch einen ganz besonders hoben Grad von Erregbarkeit 
ausgezeichnet zu sein. Ungezwungen lässt sich dagegen das Ver¬ 
halten der Extrasystolen erklären, sobald man die Ursache für 
die Entstehung des Vorhofflimmerns in die Artrioventrikular¬ 
gegend verlegt: die extrasystoliseben Kontraktionen, die der Extra¬ 
systole vorangehenden heterotopen Erregungen, greifen auf die Atrio- 
ventrikulargegend über, vernichten dort das angesammelte Reiz¬ 
material und ändern den Rhythmus in derselben Weise, wie es eine 
Vorfhofsextrasystole gegenüber dem Sinustempo tut. 

Die Kammern schlagen bei relativ langsamer Vorhofsfrequenz 
(Vorhöfstachysystolie) — im Gegensatz zu den Angaben vonA.Hoff- 
mann — immer in deutlicher Abhängigkeit von aurikulären 
bzw. atrioventrikulären Erregungen. Auf den Kurven mit einer 
Vorhofsfrequenz von 200—250 ist das charakteristische Bild der 
partiellen Ueberleitungsstörung unschwer zu erkennen; die ein¬ 
zelnen Kammerschläge erfolgen arhythmiscb, aber doch in be¬ 
stimmten Gruppen, getrennt durch Pausen, entsprechend der vor¬ 
übergehenden Blockierung des relativ schwachen aurikulären 
Reizes. Bei höheren Vorhofsfrequenzen, auch wenn die einzelnen 
Wellen regelmässig sind, verschwindet dann jede Gesetzmässig¬ 
keit der Kammerschlagfolge, weil die Leitfähigkeit des Bündels 
solch schwachen Reizen gegenüber wechselt. Je geringer das 
Leitvermögen, um so niedriger die Kammerfrequenz. Die lang- 


i samen Formen von Arhythmia perpetua haben meist, sobald 
| man sie durch Chinidin zu normaler Sinusscblagfolge gebracht 
hat (2 Fälle mit Frequenz 70—80) ein langes PR-lntervall 
*(0,22" bzw. 0,21"), wogegen die Fälle von Vorhofflimmern mit 
hohen Kammerfrequenzen (120—150) eine kurze Ueberleitungszeit 
(0,12" bzw. 0,15") zeigen. Die Erhöhung der Kammerfrequenz 
bei Vorhofflimmern durch Adrenalin, durch Erregung, Anstren¬ 
gung, beruht auf Akzeleransreizung und Erleichterung der atrio¬ 
ventrikulären Reizüberleitung. Für die Annahme, die Kammern 
schlügen unter Führung des kammerwärtigen Abschnitts des 
Atrioventrikulartrichters, funktionell unabhängig von der Reiz¬ 
bildung des Vorhofteils (A. Ho ff mann), liegen keine genügenden 
Beweise vor. 

2. Die Ursache des Vorhofflimmerns beim Menschen. 

Beim Tier kann durch elektrische Reizung der Vorhöfe, spe¬ 
ziell der Atrioventrikulargegend, Vorhofflimmern hervorgerufen 
werden, ferner durch Akzeleransreizung (besonders bei gleich¬ 
zeitiger Vagusreizung), durch verschiedene Gifte, wie Adrenalin, 
Kalzium einerseits, Pilokarpin, Physostigmin, Muskarin anderer¬ 
seits, und auch durch intrakardiale Drucksteigerung (Abklemmen 
der Aorta oder Pulmonalis), vermochte Winterberg Flimmern 
nach seinem Abklingen wieder zu erzeugen. 

Das Flimmern dauert im Tierversuch in der Regel aber nur 
kurze Zeit an. Dass die Arhythmie beim Menschen meist eine 
perpetua ist, muss seinen Grund in Veränderungen des Herzens 
haben, welche dauernd weiter wirken. Solche Ursachen werden 
am ehesten in organischen Läsionen zu suchen sein; rein nervöse 
Einflüsse genügen kaum, um den Zustand jahrelang unverändert 
aufrecht zu erhalten, verdienen aber als unmittelbar auslösende 
Ursachen alle Beachtung. 

Bei einer Zusammenstellung der fraglichen Daten hält man siefi 
an den objektiven Befand unter sorgfältiger Berücksichtigung der 
Anamnese. Angaben über frühere Krankheiten, welche erfahrungs- 
gemäss häufig zu Herzaffektionen führen, verdienen besondere 
Beachtung. Durch genaue Beobachtung der Kranken vermag man 
sich dann weiterhin zuweilen ein Urteil über alle diejenigen 
Einflüsse zu bilden, welche das Flimmern unmittelbar hervor- 

rufen. 

Die folgenden Erörterungen basieren auf einer Bearbeitung 
der Krankengeschichten und elektrokardiographischen 
Kurven von 100 Fällen. 

Das Ergebnis der Nachforschungen über die grundlegende 
Ursache’ für die Entstehung des Vorhofflimmerns ist aus det 
folgenden Zusammenstellung zu ersehen. 

Gelenkrheumatismus 30 
Influenza .... 2 

Typhus .... 1 

Chorea .... 1 

Diphtherie ... 1 

Aetiol. unbekannt . 9 

Myodeg. cordis chron. (Arteriosklerose) . 32 


Chron. (hyperton.) Nephritis .... 9 

Basedow.5 

Diabetes.1 

Adipositas.1 

Neurasthenie.1 

Blutungsinämie (Uterusmyom) .... 1 

Nie ernstlich krank.5 


Man erkennt aus den mitgeteilten Daten, dass beim Vorhof¬ 
flimmern Endokarditis und Arteriosklerose eine ganz besondere 
Rolle spielen, die Fälle, welche „nie ernstlich krank“ gewesen 
sind, treten an Zahl sehr zurück. Aus dieser Tatsache zu¬ 
sammen mit dem oben erwähnten Ergebnis der anatomischen 
Untersuchungen von Keith muss umgekehrt der Schluss gezogen 
werden, dass in praxi die Arhythmia perpetua mit organischer 
Herzschädigung verknüpft ist und meist aus einer solchen 
hervorgeht. Der Hinweis von Wenckebach, auch beim ge¬ 
sunden Herzen könne Vorhofflimmern angetroffen werden, ist 
sicherlich richtig, solche Fälle müssen aber als selten bezeichnet 
werden und beruhen vielleicht doch auf lokalisierter Schädigung 
des Herzmuskels. Gossage und Hicks berichten allerdings 
über einen 23jährigen, völlig gesunden Menschen, der unter den 
Zeichen von Vorhofflimmern plötzlich erkrankte und nach einem 
halben Jahr starb, ohne dass am Herzen irgendwelche patho¬ 
logischen Veränderungen mikroskopisch zu finden waren. 


Klappenfehler 
(Endokarditis) 4 


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UNIVERSUM OF IOWA 










& Mai 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


419 


Die folgende Zusammenstellung orientiert über das Alter 
der Patienten: 



I. Dezennium 


II. 

III. 

IV 

V. 

VI. 

VII. 

VIII. 

IX. 


n 

n 

n 

n 

fl 

tf 

n 

» 


0 

2 

12 

14 

24 

29 

16 

2 

1 


58 pCt. der Fälle entfallen auf das V. und VI. Dezennium. 
Bei den älteren Patienten überwiegen arteriosklerotische Verände¬ 
rungen, bei den jüngeren sind es fast ausschliesslich infektiöse 
Ursachen, namentlich der akute Gelenkrheumatismus. 

Neben diesen grundlegenden Ursachen, welche gewisser- 
maassen den Boden abgeben für das Auftreten von Vorhof¬ 
flimmern, kann man sich unn auch nach den Einflüssen erkun¬ 
digen, welche als unmittelbar auslösendes Moment das 
Flimmern herbeiführen. In der Mehrzahl der Fälle ist man hier 
auf die Anamnese angewiesen. Anfälle von Vorhofflimmern 
werden von dem Kranken meist sehr wohl wahrgenommen durch 
die Empfindung, dass das Herz unruhig schlägt, rascher als ge¬ 
wöhnlich, verbunden mit einem Gefühl von Beklemmung und 
mehr oder weniger grosser allgemeiner Mattigkeit. Sobald man 
es mit intelligenten Patienten zu tun hat, wird man solche An¬ 
gaben verwerten können, wenn die Beschwerden anfallsweisen 
Charakter tragen. Irrtümer sind nicht ausgeschlossen, weil auch 
Paroxysmen von Kammertachykardie bei schon vorhandenem 
Flimmern ähnliche Erscheinungen hervorrufen. Völlig beweisend 
sind allein klinische Beobachtungen mit Registrierung der Hers- 
schlagfolge. 

ln 12 Fällen waren genügende Angaben erhältlich, von 
6 Fällen besitze ich die entsprechenden elektrokardiographi- 
schen Kurven. Eine grosse Rolle spielt die körperliche An¬ 
strengung. Ein Patient berichtet ausdrücklich von Herz- 
flattern, welches sich einstellt, sobald schwere körperliche 
Arbeit verlangt wurde, ein Zustand, der sich bald bessert 
und einer ruhigen Herztätigkeit Platz macht, wenn Patient 
sich hinlegt. Die Anstrengungen können sehr verschiedener 
Art sein. Die einen Patienten bekommen eine unregelmässige 
Herzaktion ganz plötzlich beim Aufstehen des Morgens, ein 
Patient bekam die Störung bei der Gartenarbeit und gibt an, 
bei jedem Versuch, die Arbeit wieder aufzunehmen, wären die¬ 
selben Erscheinungen, wie er sie zum erstenmal beobachtet hatte, 
von neuem aufgetreten; schliesslich blieb der Pols dauernd un¬ 
regelmässig. In der Klinik wurde bei einer Patientin mit Mitral¬ 
insuffizienz und Stenose plötzlich Flimmern entdeckt nach an¬ 
strengender Defäkation. In anderen Fällen ist irgendein ner¬ 
vöser Insult nachweisbar. Der eine der Patienten bekam seine 
Beschwerden, als ihm die Pferde durchgingen, ein zweiter gibt 
an, dass bei der blossen Furcht, bei einer unerlaubten Handlung 
ertappt zu werden, das Herz angefangen habe, unruhig und un¬ 
regelmässig zu schlagen. Ein dritter Patient erlitt ein Trauma, 
eine „Herzkammerquetschung“, wonach die Unregelmässigkeiten 
sofort einsetzten, um zunächst bald abzuklingen, in der Folgezeit 
aber leicht wiederzukehren. Von grossem Einfluss sind ferner 
Infektionen. Pneumonien rufen nicht so selten Flimmern hervor, 
das nach Ueberstehen der Krankheit wieder verschwindet. In 
einem Fall trat Flimmern nach Erysipel auf. In diese Kategorie 
gehören wohl auch die endokarditischen Rezidive während der 
Schwangerschaft, welche bei 2 Fällen die Ursache waren für das 
Einsetzen des Flimmerns. Operationen wirken ebenfalls schäd¬ 
lich. Möglicherweise spielen dabei die angewandten narkotischen 
Gifte (Kokain, Chloroform) als nervöse Reizmittel die ausschlag¬ 
gebende Rolle. 

Die grosse Mehrzahl der Fälle vermag aber keine genaueren 
Angaben zu machen, und man bekommt den Eindruck, wie wenn 
das Flimmern gewissermaassen ein Glied in der Kette der pro¬ 
gredienten Funktionsstörungen darstellt, welchen der Herzkranke 
im Laufe der Jahre entgegengeht. 

Seit langer Zeit hat man der Dilatation der Vorhöfe 
für die Entstehung des Flimmerns eine ganz besondere Bedeutung 
beigemessen, und Gerhardt steht auch jetzt noch auf demselben 
Standpunkt. Gerhardt weist darauf hin, dass zurZeit des Auf¬ 
tretens der Arhythmia perpetua meist deutliche Insuffizienz¬ 
erscheinungen bestehen mit den Zeichen von Dilatation des 


rechten Vorhofes: Verbreiterung der absoluten Dämpfung über 
den rechten Sternalrand hinaus, Verbreiterung des Röntgenscbattens 
nach rechts, nicht selten auch den Zeichen der Trikuspidal- 
Insuffizienz, Vorhofflimmern kommt häufiger vor bei Mitral- und 
Trikuspidalfehlern als bei reiner Aorteninsuffizienz und jenen 
Herzmuskelerkrankungen, bei denen zunächst eine Hypertrophie 
des linken Ventrikels besteht. 

Ich habe zur Beurteilung dieser Verhältnisse ausschliesslich 
das Röntgenbild herangezogen. In 72 pCt. der Fälle war eine 
VergrÖ8serung der Vorhöfe nachweisbar, in 20pCt. fraglich 1 ), in 
8 pCt. fehlte sie. Diese Zahlen sind wieder ein Beweis dafür, 
dass bei Vorhofflimmern die Vorhöfe in der grossen Mehrzahl 
erweitert gefunden werden. Trotzdem kann man sich der An¬ 
nahme, es sei die Dilatation eine wesentliche Ursache für das 
Auftreten des Flimmerns, nicht ohne weiteres anschliessen, denn 
es fehlt die Dilatation immerhin, soweit man der Untersuchungs¬ 
methode Vertrauen entgegen bringen darf, in 8 pCt. der Fälle. 
Die Dilatation erscheint in gewissen Fällen zweifellos als Folge 
des Flimmerns, was ich dadurch beweisen kann, dass nach der 
Beseitigung des Flimmerns durch Chinidin die Herzmaasse ganz 
gewöhnlich nicht unbeträchtlich zurückgehen. 

(Schluss folgt.) 


Aus der Königl. chirurgischen Universitätsklinik in 
Breslau (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Küttner). 

Zur Frage der Dupuytren’schen Fingerkon¬ 
traktur nach Verletzung des Ellen-Nerven. 

V<m 

Prof. Hornau Ceenei, 

Oberarzt der Klinik. 

Klassisch und klinisch scharf gezeichnet ist die Dupuytren- 
sehe Fingerkontraktur, aber dunkel ihre Entstehung. Dupuytren 1 ) 
selbst führte diese auf der entzündlichen Schrumpfung der ober¬ 
flächlichen Hohlhandaponeurese beruhende Kontrakturstellung der 
Finger auf chronische Traumen zurück, wie sie die Werkzenge der 
Arbeiter täglich mit sich bringen, v. Langenbeck schloss sich 
dem an und glaubte hierfür die stieligen Instrumente der Hand¬ 
werker besonders anschuldigengzu müssen. Madelung schrieb 
dabei der im Alter schwindenden Fettpolsterung eine Bedeutung 
in, da unter solchen Umständen die auf die Hohlhand wirkenden 
Insulte das ungeschützt daliegende Aponeurosengewebe in einen 
chronischen Entzündnngszustand überführten. Für diese An¬ 
schauung könnte die alte Statistik von Noble Smith sprechen. 

Dieser Autor stellte (1885) bei 700 Pfründern, die durchsohnittloh 
über 70 Jahre alt waren, 70 Dupuytren’sche Kontrakturen fest, das ist 
10 pCt. Es ist aber u. E. nicht ausgemacht, dass dies alles echte 
Dupuytren’sohe Kontrakturen gewesen sind; überdies war das Unter- 
suohungsmateroal natürlich sehr seinseitig. Auf A. Bier’s Veranlassung 
untersuchte dann Heuser die Hände von 260 Arbeitern und fand bei 
148 4 ers Glt>ou knotige Verdiokungen der Hohlbandaponeurose, aber nur 
bei 20, also nur bei tiuem Siebentel dieser Fälle, Fingerkontrakturen. 
Dies ist kein grosser Prozentsatz und zeigt, dass die durch traumatische 
Sohadigung bei der schweren Arbeit erzeugten harten Knoten in der Apo- 
neurose in den wenigsten Fällen die Retraktion derselben und Finger¬ 
verkrümmung bedingen, dass demnach das Trauma nicht als ausschlag¬ 
gebender Faktor in der Entstehung dieser Krankheit angesehen werden 
kann. Dazu mehrten sioh die sicheren Beobachtungen dieser typisohen 
Fingerverkrümmung in Berufskreisen, die mit den «Händen keine 
schweren Arbeiten verrichten. 

So suchte man nach konstitutionellen Ursachen und 
zog die Gicht, den Rhenmatismus und Diabetes zur Erklärung 
der Dapuytren’schen Kontraktur heran. 

Aber die Statistiken wiederspreohen sioh und verlieren dadurch an 
Wert; während von 48 Patienten K een’s mit dieser Fingerkontraktur 42 
an Gicht litten, und von Daesohler’s 5 Patienten 4, boten von 
Costilhes* 86 Fällen von Dupuytren’scher Kontraktur nur 4 sichere 

1) Von den 21 Fällen mit fraglicher Vorhofsvergrösserung haben 12 den 
Typ des arteriosklerotischen Herzens. Eine VergTÖsserung der Vorhöfe, 
namentlich des linken, ist hier wegen der starken Ausbildung der Taille 
gewöhnlich schwer festzustellen. Unter der Zahl der fraglichen figurieren 
auoh solche Fälle ohne Fernaufnahme oder Orthodiagramm. 

2) Ueber die Literatur siehe: Erg. d. Ohir. u. Orthop., 1918, Bd. 10, 
S. 1170. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


gichtige Veränderungen, und Gemme 1 begegnete unter 800 Gioht- 
brüchigen nur 8 Strangkontrakturen, also nur in 1 pCt. der Fälle. 

Der von Guörin mit dieser Fingerverkrümmung ätiologisch 
in Zusammenhang gebrachte Rheumatismus ist ein zu dunkler 
Begriff, als dass man damit eine noch unklare Aetiologie auf¬ 
klären kännte, obwohl Amat, Souza-Leite, Cbuffart diesem 
Autor folgen. 

Viger fuhrt 7 Fälle von Diabetes und einen Fall von Diabetes 
insipidas an, die mit Dupuytren’scher Kontraktur einhergingen, 
und glaubt, dass die bei diesen Krankheitsprozessen sich ein¬ 
stellende Desbydratation der Gewebe die Schrumpfung der Hohl¬ 
handfaszie aaslöse. Aber auch hier widersprechen sich die 
Statistiken: Teschemacher sah nämlich unter 213 Diabetikern 
38 solche Kontrakturen, aber v. Noorden unter 800 Zucker¬ 
kranken nur 4. Erhöht wird allerdings das Interesse für den 
Diabetes bei der Dupuytren’schen Kontraktur dadurch, dass einer¬ 
seits plastische Indurationen der Schwellkörper des Penis und 
Diabetes oft zusammen vergesellschaftet Vorkommen, nach Dela- 
borde unter 20 Fällen 12 mal, und dass andererseits Penis¬ 
induration und Dupuytren’sche Fingerverkrümmung ohne Zucker¬ 
harnuhr ebenfalls oft vergesellschaftet sind, wie uns auch eine 
ähnliche Beobachtung der Küttuer’schen Klinik lehrte, nach 
welcher ein 63-Jähriger seit einem Jahr eine Verhärtung des Penis 
aufwies und in den Hohlhänden beiderseits eine noch nicht zur 
Fingerkontraktur führende strangartige Verhärtung der Hohlhand- 
aponeurose hatte. Alle diese Beobachtungen aber reichen nicht aus, 
um einen Kasainexus zwischen dem Diabetes und unserer Finger¬ 
kontraktur zu konstruieren und erfordern einstweilen nichts, als 
dass wir bei Dupuytren’scber Kontraktur achten auf vorhandenen 
Zucker und plastische Penisinduration. 

Obwohl die Dupuytren’sche Kontraktur meist eine Erkrankung 
des höheren Alters ist, so verschont diese Faszienerkrankung 
doch auch die Jugend nicht. Franz König beobachtete sie im 
Kindesalter und Dupuytren selbst bei einem 20jährigen Studenten, 
der sie seit seiner Kindheit doppelseitig hatte. Hier drängt sich 
der Gedanke der Heredität auf, und dies um so mehr, als das 
familäre Vorkommen dieser Strangkontraktur vielfach berichtet 
ist. Bei Largilliere litten Mutter und Tochter daran. Bei 
Adams das eine Mal zwei Brüder und ein anderes Mal Vater 
und Sohn. Vizioli schreibt, dass sich die Kontraktur der Ring¬ 
finger vom Grossvater auf den Vater und auf 3 von dessen Söhnen 
vererbte. Th. Kocher sah sie bei einem Arzt, dessen Vater, 
Vatersbruder und Bruder. Bei Caspari waren es ausser der 
Patientin Mutter und Grossmutter, bei Stephensen Grossvater, 
Mutter und Brüder, die daran litten, und zwar alle seit Kindheit; 
bei P. L. Friedrich handelte es sich um Vater und Sohn; 
ersterer war hochgradig, letzterer geringer damit behaftet Durel 
betont ebenfalls Heredität in 5 Fällen. 

Mögen einige dieser Angaben unsicher sein, weil sie sich 
auf anamnestische Angaben der Patienten stützen, so scheint 
doch in manchen Fällen die Heredität der Dupuytren’schen 
Fingerverkrümmung eine Rolle zu spielen. Ried in ge r hat hier¬ 
für eine anatomische Unterlage geliefert, indem er im Handsklelett 
an die als Sesamoide bezeichneten bindegewebigen und knorpeligen 
Reste überzähliger Skeletteile aus der Tierreihe erinnerte. Es 
könnten also die der Dupuytren’schen Verkrümmung' vorauf¬ 
gehenden Knotenbildungen in der oberflächlichen Hohlhandaponeu- 
rose solchen rückschtägigen entwicklungsgeschichtlichen Vorgängen 
ihre Entstehung verdanken, deren Erforschung erstrebenswert ist. 

Auch die infektiöse Aetiologie fand ihre Verfechter bei der 
uns interessierenden Fingerverkrümmung. Perdrizet dehnte näm¬ 
lich Poncet’s Doktrin von der fibrösen Tuberkulose auch auf 
die Palmaraponeurose aus und verglich die Schrumpfung derselben 
mit der gleichen Erscheinung an der Synovialis der Gelenke 
beim tuberkulösen Gelenkrheumatismus. An einer Anzahl von 
Fällen suchte er dies zu beweisen. Andersen wollte es ge¬ 
glückt sein, Sarzine aus der retrahierten Aponeurosis palmaris 
zu züchten, und er zog den voreiligen Schluss, dsss die Dupuytren¬ 
sohe Kontraktur eine Infektionskrankheit sei, bei der die Mikroben 
durch kleine Wunden an den Fingernägeln eindrängen. Bähr, 
Desprös und Wyss sprachen sich in ähnlichem Sinne aus. 

Vereinzelt stehen die Ansichten von den folgenden Autoren 
da: von Costilhes, dass Saturnismus, von Bähr, dass Arterio¬ 
sklerose, von Ricord, Riebet und Ghassaignac, dass Lues, 
von Tamplin, dass übermässiger Alkoholgenuss die Ursache 
der Dupuytren’scher Kontraktur sei. 

Aus der vorstehenden Zusammenstellung geht das eine sicher 
hervor, dass es kaum noch ein ätiologisches Moment gibt, das 


für die Dupuytren’sche Kontraktur nicht in Anspruch ge¬ 
nommen wäre; das Register lautet: Trauma, Alter, konstitutionelle 
Ursachen, als Gicht, Rheumatismus, Diabetes, Diabetes insipidas 
und Saturnismus, ferner Heredität, Tuberkulose, Wundinfektion, 
Arteriosklerose, Lues, Alkohol. Eine solche Verbreiterung der 
ätiologischen Basis fast auf das Gesamtgebiet der Medizin bat 
etwas sehr Unbefriedigendes und Unwahrscheinliches und muss 
zu dem Schlussurteil zwingen, dass die Aetiologie der Dupuytren- 
schen Kontraktur durch die vorstehenden Momente nicht aus¬ 
gedrückt ist. 

In neuerer Zeit ist nun die Aetiologie dieser interessanten 
Kontraktur mehr und mehr auf das neurologische Gebiet hin¬ 
übergerückt. Brown-Sequard und Charcot war es schon langB 
aufgefallen, dass gelähmte Gliedmaassen, vorzugweise die Hand, 
zu entzündlichen Erscheinungen der Weichteile neigten. Nicaise 
hatte nach einer Radialislähmung durch Schuss Schwellungen 
und Verdickungen der Handsebnen bemerkt, die von selbst wieder 
verschwanden; aber E. Eulen bürg (1883) war der erste, der 
bei einer 20jährigen Klavierspielerin den ursächlichen Zusammen¬ 
hang einer typischen doppelseitigen Dupuytren’schen Strang¬ 
kontraktur mit vorhandener doppelseitiger Neuritis ulnaris aus¬ 
sprach. Biegansky trat in Eulenburg’s Fussstapfen, als er 
(1895) eine Dupuytren’sche Fingerverkrümmung eines 70-Jäh¬ 
rigen auf die bei der Sektion gefundene Syringomyelie zurück¬ 
führte. Neutra (1901) trug nun ein reichliches Material zu¬ 
sammen. welches die neurogene Grundlage der Strangkontraktur 
stützen sollte. Er selbst beobachtete diese Kontraktur bei 2 Pa¬ 
tienten mit Syringomyelie und bei 2 mit Tabes. Indem nun 
Neutra aus der Literatur noch eine Anzahl von Fällen aufgriff, 
die die Koinzidenz von Dupuytren’scher Kontraktur mit Nerven¬ 
leiden darboten, so mit Tabes bei Senator und Moussous, mit 
Gliosis bei Oppenheim, mit traumatischer Myelitis bei Cas¬ 
pare und mit progressiver Paralyse bei Rögis, so kam er in An¬ 
betracht der übrigen unzulänglichen Erklärungsversuche dieser 
Fingerkontraktion zu der Ueberzeugung, dass dieselbe bei myeli- 
tischen Prozessen kein zufälliger Befand, sondern die Wirkung 
einer trophischen Störung im Rückenmark sei, die auf einer 
' Unterbrechung der trophischen Reflexbahn beruhe; hierdurch 
bleibe die Regulation in der Ernährung der Palmaraponeurose 
aus, und übermässige Proliferation und Schrumpfung sei die 
Folge. Da Neutra weiter annahm, dass die Unterbrechung des 
trophischen Reflexbogens auch im peripheren Nerven stattfinden 
kann, so ordneten sich seiner Theorie auch die Fälle von Strang¬ 
kontraktur unter, die mit einer Neuritis ulnaris kompliziert waren, 
wie der oben zitierte Fall Eulenburg’s und die späteren von 
Cönas, Feindei, Cardarelli, Löwensberg, Schäffer. Der 
erstere sah nach Schussverletzung des Nervus ulnaris mit Muskel- 
atrophie und der für Ulnarislähmung charakteristischen Finger¬ 
verkrümmung 8 Jahre später eine Dupuytren’sche Kontraktur 
der anderen Hand sich entwickeln und nahm an, dass der tro- 
phische Zusammenhang derselben mit der traumatischen Neuritis 
der anderen Seite durch Myelitis cervicalis vermittelt worden sei. 
Feindei berichtete in ähnlicher Weise über einen Patienten mit 
Neuritis ulnaris traumatica und Retraktion der Aponeurosis pal¬ 
maris und Strangkontraktur. Cardarelli führte eine solche auf 
eine gichtische Periostitis zurück, die den Nervus ulnaris durch 
Kompression schädigte. Löwensberg beschrieb eine Dupuy¬ 
tren’sche Kontraktur bei einem Paralytiker, Jahn bei Poly¬ 
neuritis mit Ulnarislähmung. Caspari glaubte dafür in 2 Fällen 
eine Kontusion des Rückenmarks in Anspruch nehmen zu müssen. 
Ungewöhnlich ist Schäffer’s Beobachtung: Ein Landwirt erlitt 
auf der rechten Seite eine Schulterluxation mit Bizepsriss und 
nachfolgender Neuritis ulnaris; ein Vierteljahr später stellte sich 
in der gleichseitigen Hand eine typische Dupuytren’sche Kon¬ 
traktur ein; 19 Jahre später erlitt der Patient auf der linken 
• Seie genau dieselbe Verletzung, also auch Schulterluxation mit 
Bizepsriss, mit genau demselben Ausgang in Dupuytren’scbe 
Kontraktur. Io diesem Falle war die Verletzung mit der Ulnaris* 
neuritis auf beiden Seiten so gleichartig und der anschliessende 
Schrumpfungsprozess in den Hohlhandaponeurosen beiderseits so 
gleichmässig, dass tatsächlich ein kausaler Nexus zwischen den 
Strangkontrakturen und den traumatischen Entzündungen des 
Ellennerven nahegerückt erscheint. Jüngst hat nun noch Reichel 
bei 2 vorher gesunden Kriegsverwundeten nach Schussverletzungen 
des Ellennerven die Dupuytren’sche Kontraktur sich entwickeln 
Behen mit knotenförmigen Verdickungen der Palmarfaszie, Ein¬ 
ziehung der Haut und typischer Fingerverkrümmung und zugleich 
berichtet über dieselbe Kontraktur der Finger nach einer durch 


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6. Mai 1918. 


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Luxutioosfraktur des Oberarms bewirkten Schädigung des Ellen¬ 
nerven mit Sensibilitätsstörung und bei einem Tabiker mit Neu¬ 
ritis im Ulnaris und Medianusgebiet. 

So steht die Literatur. Wir fugen folgende Beobachtung hinzu. 

Leutnant D. C. wurde am 22. August 1914 bei T. mit einem 
französischen Infanteriegewehr quer durch den rechten Vorderarm etwas 
oberhalb der Mitte geschossen. Der kleine und Ringfinger der rechten 
Hand waren darauf gelähmt. Ende Oktober 1914 wurde die Verletzungs¬ 
stelle von Prof. R. Bunge-Bonn freigelegt. Die Ellenarterie war durch¬ 
schossen und wurde ligiert. Der gleichnamige Nerv hatte unterhalb des 
Abganges der Aeste für die Unterarmbeuger einen Knopflochschuss. 
Das Loch war 2 cm lang; zu beiden Seiten standen noch einige Nerven¬ 
bündel. Die kleinen vom Ulnaris versorgten Handmuskeln waren ge¬ 
lähmt, die Sensibilitätsstörung typisch. Nach Anfrischung wurden die 
durchschossenen Nervenfasern mit Katgut genäht und das Ganze mit 
einem Hautvenenstück aus der Ellenbeuge umscheidet. Das Gefühl im 
kleinen und Ringfinger der rechten Hand kehrte etwa ein Jahr nach der 
Operation wieder. 

Seit einem halben Jahr bemerkt der Patient nun in der Hohlhand 
im Bereich des kleinen Fingers eine strangartige Verhärtung, die 
seitdem zunahm; die Beweglichkeit der Finger wurde dadurch bisher 
nioht beeinträchtigt. — 

Ausser einer dem Verlauf des Ellennerven entsprechenden 15 cm 
langen, breiten Narbe in den oberen Zweidritteln des rechten Unterarmes, 
und einer 6 cm langen Narbe in der rechten Ellenbeuge bemerkt man 
bei dem Patienten eine deutliche Atrophie des rechten Kleinfingerballens 
und der Musculi interossei, so dass die Sehnen und Knochen des Hand¬ 
rückens scharf hervortreten, ferner eine deutliche Spreizstellung des 
rechten kleinen und eine etwas geringere des rechten Ringfingers. Beide 
Finger sind bei leichter Beugung in den End- und Mittelgelenken im 
Grundgelenk leicht überstreckt. 

Der von uns von Prof. Stertz in der kgl. Nervenklinik aufgenommene 
Nervenbefund ist folgender: Ganz geringe Schwäche der Bewegung des 
vierten und fünften Fingers; erster und zweiter Interosseus schwach 
innervierber, dritter und vierter fällt aus. Abduktion des kleinen Fingers 
paretisch. Vierter und fünfter B’inger stehen in Abduktion und können 
willkürlich nicht adduziert werden. Interossei und Kleinfingerballen 
deutlich atrophisch. Beugekontraktur im ersten und zweiten Interpha- 
langealgelenk des vierten und fünften Fingers. Leichte Abschwächung 
der Sensibilität des kleinen Fingers. Die elektrische Erregbarkeit ent¬ 
spricht genau dem funktionellen Verhalten: der vierte Ioterosseus ist 
nicht deutlich erregbar, die anderen paretischen Muskeln haben mehr 
oder minder stark herabgesetzte Erregbarkeit. 

Es handelt sich demnach um einen typischen Restzustand 
vorangegangener inkompletter Ulnarislähmung. 

ln der rechten Hohlhand sieht man im Verlaufe des kleinen 
Fingers gerade über dem MetakarpophalangeaJgelenk eine runzlige 
Einziehung der Hohlhandhaut. Die Runzelung wird stärker, wenn 
man den kleinen Finger streckt, und es bildet sich dann ein 
deutlicher Strang, der von der Gegend des Metakarpophalangeal- 
gelenks über einen Teil des Kleinfingerballens hinziebt. In seinem 
breitesten Teil, nämlich über dem Metakarpophalangealgelenk, 
greift dieser Strang auch auf die Haut der Hohlhand, die dem 
Ringfinger entspricht, über. Bei der Beugung und Streckung in 
den Interphalangealgelenken des vierten und fünften Fingers merkt 
man keinen Einfluss auf diese Stränge, dagegen werden sie stark 
gespannt, wenn diese Finger, namentlich der kleine, im Grund- 
gelenk überstreckt werden (siehe Abbildung). 

Nach dieser Beschreibung ist der Befund klar: An der Hand, 
die die unabweisbaren Zeichen der Ulnarisverletzung trägt, hat 



Hand mit unvollkommener Ulnarislähmung und der für diese Lähmung 
charakteristischen Fingerstellung. In der Hohlhand bemerkt man strang¬ 
artige Runzelung der Haut als Ausdruck der Fascitis palmaris. 


sich bei diesem Patienten in der Hohlhandaponeurose und der 
mit ihr verwachsenen Haut eine plastische, indurative Binde¬ 
gewebswucherung entwickelt, die eine strangartige Verhärtung 
dieser Faszie im Verlauf des vierten und fünften Fingers, eine 
Fascitis palmaris, zu Wege gebracht, aber an diesen Fingern 
selbst noch keine Kontrakturstellung gezeitigt hat. Es sind offen¬ 
bar bei unserem Leutnant jetzt noch die an der Grundphalanx 
inserierenden Faszienzipfel frei von Schrumpfungsprozessen. Daher 
haben vierter und fünfter Finger durchaus die für Ulnarislähmung 
charakteristische Stellung behalten und nichts von der für die 
Dupuytreu’sche Kontraktur typischen Veränderung der Stellung, 
die ja in einer Streckung der Interphalangealgelenke und Beu¬ 
gung des Grundgelenkes besteht, also gerade entgegen dem Bilde 
unseres Leutnants, bei dem die beiden betroffenen Finger im 
Grundgelenke etwas überstreckt, in den Interphalangealgelenken 
aber gebeugt sind. 

Ob der Prozess in der Hohlhandfaszie, die Fascitis palmaris, 
noch so weit fortschreiten wird, dass die Fingerzipfel ergriffen 
werden und dadurch die Grundglieder der Finger in die typische 
Dupuytren’&che Kontraktur zerren, ist natürlich nicht zu sagen. 

Bringt nun dieser Fall mit den ganz ähnlichen Reicherscben 
und den übrigen Fällen zusammen bezüglich der neurogenen Grund¬ 
lage der Dupuytren’schen Kontraktur eine Entscheidung? Das 
können wir nicht behaupten. Dafür ist das vorliegende Material 
noch nicht umfassend genug, denn die Literatur lehrt, dass es fast 
keine Krankheit gibt, bei der die Dupuytren’sche Kontraktur nicht 
angetroffen wurde, und dass die Autoren, statt sich mit der Fest¬ 
stellung der Koinzidenz zu begnügen, meist den voreiligen Schluss 
machten, dass die betreffende Krankheit die Ursache der Dupuy- 
trenschen Kontraktur sei. So entstand die Kette von Irrtümern, 
die wir im ersten Teil dieser Arbeit skizziert haben. Es fragt 
sich, wie wir Klarheit bekommen können über die neurogene 
Grundlage der hier in Rede stehenden Affektion. Die in dieser 
Richtung im Frieden unternommenen Statistiken haben nicht zum 
Ziel geführt. Före und Francillon fanden nämlich bei 226 
am Nervensystem Erkrankten (Delirium, Paralyse, Demenz, Epi¬ 
lepsie, Imbezillität) 14 = 6 pCt. Dupuytren’sche Kontrakturen, 
Tich et bei 1120 Paralytikern nur drei. Danach müssen die 
Geisteskrankheiten wohl ausscheiden in unserer Frage. Mehr 
und mehr aber heftet dieselbe sich jetzt auf den Ellennerven. 
Am verletzten Nervus ulnaris müsste also die Statistik ansetzen, 
und zwar nicht in Gestalt der Zusammenstellung einzelner Fälle, 
sondern auf dem Wege einer gesamten Sammelforschung, in die 
alle Fälle von Verletzungen der Armnerven eingeschlossen sind. 
Gerade jetzt hat der noch immer brausende Weltkrieg ein unge¬ 
messenes und noch nicht vollständig gesichtetes Material von 
Nervenverletzungen angebäuft, aus dem bisher nur einige Dupuytren- 
sche Kontrakturen nach Ulnarisverletzung ausgelesen werden 
konnten. Die Statistik müsste nun entscheiden, ob die Entwickelung 
dieser Dupuytren’schen Fingerkontraktur mit einer gewissen Häufig¬ 
keit und Regelmässigkeit nach Ulnarisverletzung statt hat. Erst 
wenn dies von der Statistik bejaht wird, können wir die Dupuytren- 
sche Kontraktur ätiologisch auf den Nervus ulnaris als eine tro- 
phische Störung beziehen; wenn aber die Statistik hierin versagt, so 
bleiben die Dupuytren’schen Kontrakturen bei Ulnarisverletzungen 
auffallende Einzelheiten, die noch nicht geklärt sind oder mit dem 
geschädigten Ulnaris an sich nichtszu tun haben. Dies bleibt ab¬ 
zuwarten. 

Zweck dieser Zeilen war, die Aufmerksamkeit und Kritik auf 
das Vorkommen der Fascitis palmaris und Dupuytren’schen Kon¬ 
traktur bei Ulnarisverletzungen zu richten und zur Sammelforschung 
anzuregen, die sich in den grösseren Lazaretten mit Nervenverlet¬ 
zungen und bei den Genesungskompagnien in der Heimat voraus¬ 
sichtlich gut durchführen lässt, denn es wäre bedauerlich, wenn 
dieses medizinische Kriegsmaterial unbenutzt bliebe. 

Aus der chirurgischen Abteilung der Stadt. Kranken¬ 
anstalten Elberfeld (Chefarzt: Prof. Dr. Nehrkorn). 

Ueber Pankreasfistel nach Duodenalresektion. 
Spontanverschluss derselben. 

Von 

Qr. K. W. Eunike, Sekundärarzt. 

Nach einer ausgedehnten Duodenalresektion, bei der da9 Ulcus in 
den Pankreaskopf perforiert war, resezierte v. Haberer dies tiefsitzende 
Ulcus durch ausgedehnte Duodenalresektion. Im Heilverlauf bildete sich 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


eine Pankreasfistel aus, die sehr reichlich Pankreas absonderte. Des¬ 
halb wird — besonders da eine Zuführung des ausgeschiedenen Pankreas 
per os nicht möglich war — Erepton-Abderhalden per olysma gegeben, 
wie dies Kroiss in einem Falle mit Erfolg angewendet hat. Auch in 
diesem Falle bewährte sich das Erepton gut, und ihm muss ein wesent¬ 
licher Einfluss bei der Heilung zugeschrieben werden 1 ). 

Im Folgenden möchte ich einen Fall schildern, bei dem ganz ähn¬ 
liche Verhältnisse Vorlagen. 

Johannes K.. Kellner, 46 Jahre, aufgenommen 15. V. 1916. 

Vor 25 Jahren wujrde er in einem anderen hiesigen Krankenhause wegen 
Magenleidens behandelt. Er hatte dann keine wesentlichen Beschwerden 
mehr, ausser dass er mitunter das Essen schlecht vertrug, ohne eigent¬ 
liche Schmerzen dadurch zu haben. 1910 wurde K. in einem anderen 
Krankenhaus wegen Blinddarmentzündung operiert. Operation und 
Heilung verliefen glatt, so dass er bald wieder entlassen wurde. Im 
Dezember 1915 soll dann eine kurz dauernde Gallensteinkolik aufgetreten 
sein. Seit drei Wochen besteht nun starkes Sodbrennen und krampf¬ 
artige Schmerzen in der Magengegend, die zum Rücken hin ausstrahlen. 
Er fühlte sich in den letzten beiden Jahren überhaupt im allgemeinen 
elend und will in diesem Zeitraum 88 Pfund abgenommen haben. 

Aufnahmebefund: Ernährungszustand sohlecht, Gesichtsfarbe blass, 
Harn frei von Zucker und Eiweiss. 

Leib: Ueberall weich, Leber nicht vergrössert. Rechts vom Nabel 
und etwas oberhalb konstanter Drucksohmerz bei schon nicht allzu 
tiefem Druck, Gefühl einer unsicheren Resistenz. — Probefrühstück: 
Freie HCl 68, Gesamtazidität 220, keine Milchsäure, kein Blut. Stuhl- 
untersuohung naoh drei fleisohfreien Tagen ergibt positive Benzidin- und 
Guajakprobe. 

Röntgenaufnahme: Sehr starke Peristaltik, Magen etwas naoh rechts 
verzogen, Vier-Stundenrest. Nach sechs Stunden leer. 

Operation: 22. V. 1916 Prof. Dr. Nehrkorn. Schnitt vom Proo. 
Xyphoideus zum Nabel. Im weiteren Verlauf der Operation wird ein 
rechtsseitiger Querschnitt auf diesen gesetzt mit teilweiser Rektusdurcb- 
trennung. Der Magen lässt sich nur sohwer vorziehen. Die ganze 
Pylorusduodenumgegend ist von einem mit Gallenblase, Leber und 
Pankreas verwachsenen Tumor erfüllt. Zunächst Anlegen einer G.-E. 
retr. post, mit Naht. Hiernach Durchtrennen des Pylorus nach dessen 
Isolierung und Verschluss der oralen Schnittwunde. Pylorus und erster 
Duodenalabsohnitt sitzen Pankreas und Leber innig auf und müssen 
scharf gelöst werden. Es wird bei dieser Entfernung des Ulcus Pankreas¬ 
gewebe mitentfernt. Nach völliger Lösung des Ulkustumors und des 
entsprechenden Darmteiles wird nach vorhergehender Ligatur das 
Duodenum durchtrennt. Der ligierte Duodenalstumpf wird eingestülpt 
und mit Knopfnähten übernäht. Die bei der Resektion mitverletzte 
Leber und das Pankreas werden mit frei transplantiertem Netz gedeckt. 
Bauohdeckenetagennaht. 

25. V.: Temperatur 38 Grad. Blähungen geben ab. Auf Einlauf 
etwas Stuhl. Klagt anhaltend über heftige Schmerzen. 

26. V.: Galliges Erbrechen. Magenspülung. 

81. V.: Die Schmerzen steigern sioh. Temperatur dauernd etwas 
erhöht. Heftiger Singultus, dabei gute Nahrungsaufnahme flüssiger Nah¬ 
rung. Der Leib ist leicht aufgetrieben und in der Gegend der Ope¬ 
rationswunde sehr empfindlich. Daher wird in Narkose die Wunde ge¬ 
öffnet. Im Strahl entleert sioh fast 1 Liter klare farblose Flüssigkeit. 

In der Folgezeit hält die Absonderung dieser Flüssigkeit an; sie 
erweist sioh als Pankreassaft. Es bildet sich eine reichlich Pankreas 
absondernde Fistel aus. 

Diese Fistel bestand bis Anfapg Februar 1916, im ganzen also 
8 Monate. In dieser Zeit war sie verschiedentlich, aber immer nur für 
wenige Tage geschlossen. Es bildete sich dann jedesmal in ihrem Be¬ 
reich eine sehr schmerzhafte Schwellung bei Temperaturanstieg, und es 
öffnete sich die Fistel unter reichlicher Pankreassaftentleerung wieder. 

Dem Patienten wurde sein Pankreassaft per os gegeben, was er 
ohne Widerwillen regelmässig einnahm. Ferner bekam er Erepton per 
Klysma, Höhensonne und Röntgentiefenbestrahlung der Fistel, ohne dass 
dies alles einen Erfolg gezeitigt hätte. Es wurde dann, um den öfters 
aufgetretenen Verschluss der Fistel zu verhindern, die Fistel mit Drain- 
röhrohen trainiert. Es sohloss sich die Fistel ja immer nur oberfläch¬ 
lich, und es musste ein Verschluss vom Fistelgrunde aus angestrebt 
werden. Diese Drainrohre wurden immer schwächer gewählt und zeit¬ 
weise gekürzt, da man den Eindruck hatte, dass die Fistel sich von 
ihrem Grunde her verengte. ' 

Anfang Februar versiegte plötzlich die Absonderung, die etwas 
schwächer geworden war, vollkommen, und m schloss sich die Fistel 
rasch, ohne dass sie bis heute sich wieder geöffnet hätte. 

Im beschriebenen Fall handelte es sich um eine nach Resektion 
entstandene Pankreasfistel, die 8 Monate lang bestand. In dem Falle 
v. Haberer hielt die Pankreassaftabsonderung 2 Monate an. Dabei 
war der Patient im Ernährungszustand nicht wesentlich berabgekommen. 
In unserem Fall, in dem die Pankreasfistel die vierfache Zeit bestand, 
war der Patient wohl recht elend goworden, aber doch nie so, dass man 
um das Leben hätte fürchten müssen. Der Schluss der Fistel erfolgte 
eigentlich ziemlich spontan, ohne dass man sagen könnte, dass der 
gegebene Pankieassaft, das Erepton, Höhensonne wie Röntgenstrahlen 
— oder auch nur eines dieser Mittel — diesen Schluss der Fistel ver- 


1) Cf. Pankreasfistel mit ausgedehnter Duodenalresektion, v. Haberer, 
Mitt. a. Gzgb., Bd. 29, H. 8.) 


ursacht hätten. Interessant in dem Falle ist besonders das lange Be¬ 
stehen der Fistel, ohne dass es dadurch zu bedrohlicher Inanition ge¬ 
kommen wäre, und ausserdem deren plötzliches Versiegen. In v. Haberer's 
Fall war doch in der letzten Zoit eine wesentliche Abnahme in der 
Menge des ausgeschiedenen Pankreassaftes vorhanden. In diesem Falle 
war wohl auch eine Abnahme zu verzeichnen, doch war diese nicht 
derart erheblich, dass man das baldige Versiegen der Fistel hätte er¬ 
warten können. 

Bei der Entlassung am 23. Februar 1917 betrug das Gewicht 
50 kg. Bei der am 8. Juli 1917 vorgenommenen Nachuntersuchung 
49 kg. Jedenfalls keine wesentliche Gewichtsabnahme, zumal wenn man 
die heutigen verschlechterten Ernährungsbedingungen in Betracht zieht. 
Seit der Entlassung ist die Fistel geschlossen geblieben. Ab und zu 
treten in der rechten oberen Bauchseite leichte krampfartige Schmerzen 
auf. Der Stuhlgang war dauernd normal, nur bei Eintritt der Schmerzen 
besteht Verstopfung, die durch Abführmittel sofort, behoben wird. Es 
bandelt sich bei den geschilderten Beschwerden wohl lediglich um 
Adhäsionsfolgen. 


Ueber eine neue Erscheinung beim Schlucken 1 ). 

Von 

Dr. Albert Wolff-Berlin. 

Der physiologische Schluckakt besteht bekanntermaassen 
in einer willkürlichen peristaltischen Bewegung, die mit dem 
Schliessen der Lippen durch den M. orbicularis oris und An¬ 
pressen des Unterkiefers durch die Kaumuskeln eingeleitet 
wird. Der Oberkiefer wird hierbei zur festen' Stütze für die Kau¬ 
muskulatur (N. trigeminus). Nach seiner Fixierung dient der 
Unterkiefer seinerseits als fester Halt für die Wirkung der Unter- 
kieferzungenbeinmuskulatur. 

Die nun einsetzende peristaltische Bewegung der Zunge, bestehend 
in Andrücken ihrer Spitze, sodann des Rückens und endlich ihrer Wurzel 
gegen den harten Gaumen setzt den Mundinhalt gegen den Rachen in 
Bewegung. Durch die Kontraktion der Mm. palato-glossi gegen den er¬ 
hobenen Zungenrüoken (M. styloglossus) wird der Rückfluss in die Mund¬ 
höhle verhindert. Der sich nun anschliessende Vorgang zur Weiter¬ 
beförderung der Ingesta ist ein Motus peristalticus der Schlundschnürer 
naoh dem Oesophagus unter Vermeidung des Kehlkopfeinganges durch 
den Akt des Kehlkopfscblusses. 

Die Angaben sämtlicher Lehr- und Handbücher der Physiologie be¬ 
schäftigen sich lediglich mit der Beschreibung des muskulären Vorgangs 
unter Berücksichtigung der Innervation. Es wird hierbei die Halswirbel¬ 
säule als das feststehende Stativ angenommen, welcher bei all diesen 
Vorgängen eine passive Rolle zufällt. 

In einem ganz besonderen Falle hatte ich nun Gelegenheit, mioh 
durch Autopsie davon zu überzeugen, dass beim Sohluckakte sich 
jedesmal der Dornfortsatz des zweiten Halswirbels, des 
Epistropheus, wippend auf und nieder bewegt, so als ob die 
an der Vorderfläcbe seines Körpers vorbeigleitende Schluokbewegung den 
Wirbel um seine transversale Achse bewegte. 

Der Fall, um den es sich hier handelt, ist folgender: Am 1. De¬ 
zember 1917 wurde der Infanterist Ha. mit einer schweren Nacken¬ 
schusswunde im Lazarett anfgenommen. Er war genau eine Woche 
zuvor an der Westfront durch einen Granatscbuss verwundet worden. 
Die gesamte rechte Nackenmuskulatur war fortgerissen. Auf der linken 
Nackenseite fand sich ein etwa 3 querfiogerbreiter Hautmuskellappen, 
der an seinem lateralen Teile perforiert war. In der Tiefe dieser über 
mannsfaustgrossen Höhlenwunde lag der Dornfortsatz des Epistropheus 
und des 3. Halswirbels skelettiert frei. Das Ligamentum nuchae fehlte, 
Querfortsätze und Seitenbänder waren nicht sichtbar und anscheinend 
unverletzt. 

. Bei der Funktionsprüfung, die sich auf Kopfhaltung, Atmung, Be¬ 
wegung und Schluckakt bezog, ergab sich allein die auffällige Beob¬ 
achtung, dass der Dornfortsatz des Epistropheus sich jedesmal, wenn der 
Kranke auf Aufforderung schluckte, entweder Wasser oder leer, auto¬ 
matisch in wippender Weise auf- und niederbewegte. Am Dornfortsatz 
des dritten Wirbels war diese Bewegung nicht festzustellen. Bei den 
Versuchen wurde der Kopf des Kranken von einer zuverlässigen Schwester 
fixiert. Zur Sicherheit, dass ich mich keinem Trugschluss durch die sich 
beim Schlucken bewegende Halsmuskulatur hingab, deckte ich sämtliche 
Weichteile ab, so dass nur der 2. Dornfortsatz frei herausragte. Ich 
konnte auf diese Weise nicht mehr die Bewegung des Adamsapfels und 
der seitlichen Weichteile mit beobachten, sondern sah nur -den Dorn¬ 
fortsatz. Es war so mit Sicherheit die Eigenbewegung dieses Wirbels 
erwiesen und eine Scheinbewegung ausgeschlossen. 

Dieser Vorgang ist Dank der liebenswürdigen Bereitwilligkeit des 
Bild- und Filmamtes in technisch vollendeter Weise festgehalten worden. 
(Demonstration des Films.) Sie sehen, m. H., wie der Kopf des Kranken 
fixiert ist, so dass eine Bewegung ausgeschlossen wird. In der Mitte der 
grossen Höhlenwunde sieht man den Dornfortsatz frei liegen und sich 

1) Nach einem am 1. März 1918 in der Physiologischen Gesellschaft 
zu Berlin gehaltenen Vortrag. 


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6. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


423 


im Verlauf der deutlich wahrnehmbaren Schluckbewegung auf- und nieder¬ 
bewegen. Dieser Vorgang wiederholt sich auf dem Bilde fünfmal. 

Es lag naturgemäss nahe, diese Erscheinung auf die pathologischen 
Verhältnisse dieses Falles zu beziehen. Der erste Verdacht richtete sich 
gegen eine Verletzung des Wirbels selbst. Jedoch ergab die mehrmalige 
Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule von der Basis cranii an sowohl in 
transversaler wie sagittaler Richtung keinerlei Verletzung des Knochens 
selbst. Zwischen Basis cranii und Dornfortsatz des Atlas liegt ein 
Granatspitter, sonst sind keine Abweichungen von der Norm feststellbar. 
Insbesondere ist keine Verletzung des Dornfortsatzes oder gar Kon¬ 
tinuitätstrennung wahrnehmbar. Zum Beweis hierfür gestatte ich mir, 
Ihnen die Diapositive zu projizieren. 

Die Zwischenwirbelsäule erweist sich im Röntgenbild ebenfalls in¬ 
takt nach Abstand vom III. Körper und Schattierung. 

Wie erwähnt, fehlt das Lig. nuchae. Nun ist aber das aus elasti¬ 
schen und Bindegewebsfasern gebildete Nackenband sehr dehnungsfähig 
und kein Hindernis für ausgiebige Kopfbewegungen. Zudem lagert es 
nicht breit als Verbindung von Dornfortsatz zu Dornfortsatz auf, sondern 
zieht hinter den Dornfortsätzen, von denen es nur kräftige Bündel zu 
seiner Hauptmasse erhält. Dadurch wird die Einzelbeweglichkeit der 
Halswirbel erhöht 0- Der Einwand, dass dieses Ligament unter normalen 
Verhältnissen ein Hindernis für die beschriebene Bewegung bilden könnte, 
ist nicht aufrecht zu erhalten. 

Desgleichen fehlte in unserem Falle die gesamte rechte Nacken¬ 
muskulatur und zum Teil die linke. Dass die Muskelmasse als eine rein 
physikalische Hemmung für die Bewegung des Halswirbels anzusetzen 
wäre, ist nicht anzunehmen, es sei denn, dass sich die Nackenmuskulatur 
in kontrahiertem Zustande befindet. Ob andererseits die Mitbewegung 
des Dornfortsatzes reflektorisch durch einzelne bestimmte Muskelgruppen 
gehemmt und somit für die gewöhnliche Beobachtung verdeckt wird, 
vermag ich nicht zu entscheiden. Ich denke hier an den M. obliquus 
inferior und den M. rectus capitis posterior major. 

Gesetzten Falls, eine der erwähuten Möglichkeiten käme praktisch 
für die Verschleierung der Bewegung des Epstropheus beim Schluckakte 
in Frage, so wird hierdurch nur eine Erweiterung des behandelten Themas 
entstehen: Es wäre eine Komplikation des Mechanismus des Schluckaktes. 

Diese Frage nach der physiologischen Erklärung des Vorganges ist 
nicht ohne weiteres zu beantworten. Bislang ist die Halswirbelsäule als 
Stützgerüst für die peristaltischen Bewegungen der S( hlundmuskulatur 
angesehen worden und zwar ohne aktive Beteiligung. Für die auxiliäre 
Fixierung der Wirbel auf dem Wege reflektorischer Einwirkung möchte 
ich folgende Beobachtung anführen. 

Bei jedem Schluckakte fühlen die auf den oberen Teil der Nacken¬ 
muskulatur aufgelegten Finger eine leichte Mitbewegung, die bei Beugung 
und Streckung des Kopfes aus der Tiefe hergeleitet erscheint. Eine 
solche Mitbeteiligung der Halsmuskulatur legt dann auch eine Tätigkeit 
des M. longus colli nahe, dessen kräftiger Ansatzteil zur Bewegung des 
zweiten Wirbelkörpers um seine transversale Achse den Grund gibt. 

Möglicherweise spielt dabei die mehr oder minder ausgeprägte 
physiologische Lordose der Halswirbelsäule eine Rolle als Hypomochlion. 

Auch die Rolle, die dem M. pterygopharyngeus, dem Passavant- 
schen Wulst zufällt, ist unentschieden. Diesen letzten Hinweis ver¬ 
danke ich Herrn Prof, du Bois-Reymond. 

All diesen Eröterungen über den Entstehungsmechanismus kommt 
nur eine hypothetische Bedeutung zu. Sie treten vor der wichtigen 
Frage zurück, ob und wie sich diese Einzelbeobachtung am Kranken 
auch am Gesunden feststellen lässt. 

Eine besondere Beweglichkeit gegenüber der anderen Wirbelsäule 
kommt den Halswirbeln unfraglich beim Gesunden zu. Nach Wagner- 
Stolper (die Verletzungen der Wirbelsäule und des Rückenmarks, 
D. Ch., Stuttgart 1898 und Hoffa, Lehrb. d. Frakturen und Luxationen, 
Ferdinand Encke, 1904) wurden bei über 200 Fällen Luxationen 
der Halswirbelsäule am häufigsten beobachtet. Sie betreffen vorzugsweise 
Männer im Alter von 20—50 Jahren und finden sich selten bei Frauen, 
Greisen und Kindern. 

Zuerst versuchte ich nun, am Röntgenschirm eine Anzahl von Ge¬ 
sunden auf diese Erscheinung zu kontrollieren. Diese Versuche sind 
von Herrn Dr. Holst als Röntgenologen freundlicherweise nacbgeprüft 
worden. Ein sicheres Ergebnis haben sie nicht gebracht. Zuweilen 
glaubte ich, eine Bewegung des 2. Dornfortsatzes wahrzunehmen, die 
aber von meiner Umgebung nicht bestätigt wurde. 

Dieses negative Resultat ist vielleicht auf die Schwierigkeit bei der 
direkten Beobachtung auf dem Leuchtschirm zurückzuführen, die darin 
besteht, dass man nicht mit der Stelle des schärfsten Formensehens, 
sondern mit den seitlichen Netzhautgebieten beobachtet. Gei ger- 
München macht diese Tatsache an einem Beispiele deutlich. Wenn man 
einen Leuchtschirm mit einem durchlöcherten Karton abdeckt und ein 
bestimmtes Loch ins Auge fasst, so zeigt es sich, dass man nicht di¬ 
rekt durch das fixierte Loch den Schirm erblickt, sondern durch die 
herumliegenden. Fixiert man dagegen das nächstliegende Loch, so 
leuchtet das erste auf. Aus diesem Umstande wird die Schwierigkeit 
des Formensehens bei direkter Fixierung verständlich, ohne dass ich zu 
behaupten wage, dass dieser Grund die Ergebnislosigkeit der ange¬ 
wandten Leuchtschirmkontrolle allein erklärt. 

Es lag daher nahe, die Röntgenkinematographie als Beweismittel 


1) R.W. Lovett, Lateral curvature of the spine and round shoulders. 
Boston 1907. 


heranzuziehen. Diese Technik ist bisher jedoch noch zu wenig sicher 
und ausgebildet, als dass sie verwendbar wäre. Nach ihrem heutigen 
Stande soll es nur möglich sein, vier Phasen in der Sekunde festzu¬ 
halten. 

Wie ich schon vorher bei Besprechung der Bedeutung der Nacken¬ 
muskulatur erwähnte, kann man durch leises Auflegen der Fingerspitzen 
auf den Oberteil des Nackens eine Bewegung beim Schluckakte aus 
der Tiefe her wahrnehmen. Diese leichte Bewegung ist zum Teil auf 
Muskelaktion zurückzuführen. Beugt man aber den Kopf, so dass das 
Nackenband straff gespannt wird, so ist nur seitliche Erschütterung 
durch den Schluckakt, gleichzeitig mit ihm wahrnehmbar. Beugt man 
aber den Kopf nach hinten und legt den Finger genau auf den 2. Dorn¬ 
fortsatz, so fühlt man unter dem erschlafften Ligament eine Bewegung, 
die ganz medial liegt und aus der Tiefe kommt. Aber diesen Ver¬ 
suchen haftet der Nachteil der Subjektivität an. Eine exakte Beweis¬ 
führung dürfte sich jedoch durch die Sphygmographie zur Registrierung 
dieser Bewegung erzielen lassen, nicht nur für den 2. Dornfortsatz, 
sondern auch für die Frage nach dem Verhalten der anderen Wirbel¬ 
körper. 

Es liegt mir nun fern, aus einer einzigen Beobachtung induktiv 
Schlüsse ziehen zu wollen, vielleicht auch, dass persönliche Anlage des 
Individuums oder durch die Verwundung geschaffene Momente zu dieser 
Erscheinung beigetragen haben. Es steht nur fest, dass zum ersten 
Male eine Bewegung des Epistropheus beim Schluckakt beobachtet und 
damit die Möglichkeit eines komplizierteren Vorganges für die Physio¬ 
logie der Schluckbewegung zur Erörterung gestellt worden ist. 


Steckschuss in der Lunge, Geschoss 
ausgehustet. 

Von 

Sanitätsrat Dr. Barthel, 

Leitender Arzt der Inneren Station des Fostungslazarettes Breslau, 

Abteilung .Gewerkschaftshaus“. 

Der Unteroffizier S; von einem Landwehr-Infanterie-Regiment be¬ 
kam am 31. I. 1915 beim Vorgehen einen Gewehrschuss in die linke 
Schulter; er merkte einen Schlag an der Schulter und warf sich hin. 
Beim Liegen bekam er noch einen Querschläger am linken Oberarm, 
kroch in den Graben zurück und wurde dort verbunden. Nachdem er 
200 m zurückgelegt hatte, bekam er Husten und blutigen Auswurf, er 
schätzt V 4 1 reines Blut, wurde schwach und musste getragen werden. 
Er kam dann nach Bolimow, von dort mit der Bahn nach Lodz 
bis 11. II., dann mit Lazarettzug nach Straubing, lag dort bis 2. V., 
hier nur einige Tage Fieber mit blutigem Auswurf. 

Am 2. V. 1914 z. g. v. entlassen tat er Dienst erst mit Schmerzen 
in der Brust und öfters blutigem Auswurf, bis 10. X. in T., daDn nach 
Q. bis Ende Juli 1916; dort ist es ihm gut gegangen, kein blutiger 
Auswurf. Kam dann an die Front und war vom August 1916 bis Juli 1917 
im Schützengraben. Am 15. VII. 1917 krank gemeldet wegen HusteD 
mit Auswurf, Fieber und Schmerzen in der Brust. Anfang Juli letzter 
Blutauswurf, sonst nur viel gelber, schleimiger Auswurf. Im Kriegs¬ 



lazarett vom 20.—27. VtL 1917, Fieber bis 88,6. Dann mit Lazarettzug 
nach Breslau, hier am 30. VII. 1917 aufgenommen. 

Mittelgrosser Mann in gutem Ernährungs- und Kräftezustand, am 
linken Oberarm am vorderen Rand des Deltamuskels Einschussnarbe 
von Kalibergrösse, am unteren Drittel des linken Oberarms grosse, 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 


Nr. 18. 


strahlige Hautnarbe tob» Querschläger herrührend. Linke obere Schlüssel¬ 
beingrube eingezogen, daselbst leioht Schallabkürzung, die vorn links 
bis zur oberen Herzgrenze reicht. 

Links hinten oben SchallabkürzuDg bis zur Mitte des Schulter¬ 
blattes. Unterhalb des Schlüsselbeins vorn links Atmung bronohial 
verschärft, an linker Spitze abgeschwächt. Untere linke Lungenpartie 
und rechte Lunge ohne Besonderheiten. 

Herz und andere Organe ohne Besonderheiten. 

Auswurf schleimig eitrig, ohne Blut, Tuberkulose —. 

Am 2. VIII. Durchleuchtung, seit Verwundung das erste Mal. Im 
dritten Zwischenraum links zwei Querfinger vom linken Brustbeinrand 
ein InfanteriegeschosB in aufreohter Stellung, Spitze nach oben. An 
linker Lungenspitze deutlicher Schatten. Am 4. VUI. früh 3 Uhr hef¬ 
tiger Hustenanfall von 7i ständiger Dauer mit schleimig eitrigem Aus¬ 
wurf, zum Schluss merkte er das an die Zähne schlagende Geschoss. 
Es folgten dann noch im Auswurf einige hellblutige Elümpchen. Das 
Geschoss ist ein spitzes, russisches Infanteriegeschoss, unversehrt, hell 
und glatt, 10 g schwer. 

Früh gutes Allgemeinbefinden, leichte Dämpfung an linker Spitze, 
keine Geräusche. S. bekam Ernteurlaub, am 3. X. 1917 zur Truppe 
entlassen: Lungenschall an linker Spitze hell, kein Schatten im Röntgen¬ 
bild, kein Husten, kein Auswurf. 

S. hat die Eugel vom 81.1. 1915 bis 4. VIII. 1917 in der Lunge ge¬ 
tragen, ohne dass sie ihm übermässige Beschwerden verursacht hätte. 
Als glücklicher Zufall muss der Durohbruch des Geschosses in einen 
grösseren Bronchialast mit der Spitze nach oben aufgefasst werden, da 
sonst wohl der Durchtritt durch die Stimmbänder unmöglich gewesen 
wäre. 

Bemerkenswert erscheint die Kraft des Ezspirationsstosses, die ein 
10 g schweres Geschoss glatt aus der Tiefe heraussohleudert. 

In der mir zugänglichen Literatur habe ioh einen ähnlichen Fall 
nicht finden können. 


Aus der II. chirurgischen Klinik in Budapest (Direktor: 
Prof. Paul v. Kuzmik). 

Ueber den Ersatz des Schädelknochens, 

Von 

Dr. Ztllii Takäes. 

Die Verletzungen des Knochensystems bilden einen grossen Kon¬ 
tingent der Kriegschirurgie. Die Verletzungen des Knoobens heilen im 
allgemeinen derart, dass die regenerativen Kräfte des Organismus an 
Stelle des zugrundegegangenen KnocheDgewebes frisches bilden. Anders 
steht es mit den Verletzungen des knöchernen Sohädels. Die osteo- 
genet sehe Fähigkeit der Schädelknoohen ist ausserordentlich gering, so 
dass eine Ausfüllung des Defektes, ein Ersatz des Verloren gegangenen 
nicht zustandekommt. 

Es ist nun die Frage, ob der operative Ersatz der Schädeldefekte 
notwendig ist und wenn ja, in welohen Fällen?- Die Meinungen waren 
vor dem Weltkriege recht geteilt. Ein Teil der Autoren hielt den 
plastischen Ersatz der Schädeldefekte nur angebracht, wenn dieselben 
als Ursache ausgesprochen pathologischer Symptome betrachtet werden 
konnten; andere Autoren wieder glaubten, dass jeder erhebliohere 
Schädeldefekt plastisch zu sohliessen sei. Das riesige Material dieses 
Krieges hat diese Frage im letzteren Sinne gelöst. Wir sohliessen also 
Schädeldefekte bei Störungen z. B. der Epilepsie oder deren Aequi- 
valenten, wir beseitigen aber auoh die Defekte dann, wenn derartige 
Störungen nicht vorhanden sind, um durch das Herstellen normaler, 
physiologischer Verhätnisse im Schädel dem Auftreten der Kompli¬ 
kationen vorzugreifen und die volle Arbeitsfähigkeit des Patienten zu 
sichern. 

In welohem Zeitpunkte soll operiert werden? Allgemeingültige 
Prinzipien konnten bisher nioht aufgestellt werden. Es wird aber allge¬ 
mein hervorgehoben, dass ein frühes Operieren zu vermeiden ist. Denn 
hierdurch kann eine latente Infektion neu entfaoht werden, welche nioht 
nur das Resultat der Operation, sondern auoh das Leben des Kranken 
zu gefährden vermag. Es ist daher ratsam, nach vollständiger Ver¬ 
narbung der Wunde noch mehrere Monate zu warten, um die Gefahr der 
Infektion nach Möglichkeit zu vermeiden. 

Die Defekte des Sohädelknochens können duroh knoohenfremde Ge¬ 
webe, z. B. Zelluloid- oder Metallplatten (Alloplastik), oder durch leben¬ 
des Knochenmaterial (Osteoplastik) gedeckt werden. 

Die Benutzung knochenfremden Materials bat sich uicht bewährt, 
denn dass implantierte körperfremde Material wird schon entweder 
während der Wundheilung oder kurz nachher ausgestossen, wenn auoh 
ausnahmsweise eine Einheilung erfolgt, so ist die Gefahr einer späteren 
Ausstossung immer vorhanden. 

Daher ist die Osteoplastik das allgemein angewendete bewährte 
Verfahren. Knoohenperiostlappen eignen sioh vorzüglich zur Transplan¬ 
tation, und die Resultate dieses Verfahrens sind sehr zufriedenstellend. 
Wir wissen, dass nach dem Tode des Individuums nicht alle Zellen des¬ 
selben sofort und gleichzeitig absterben, sondern dass einzelne Zellkom¬ 
plexe erst nach kürzerer oder längerer Zeit zugrundegehen. So überlebt 
z. B. das Periost das Individuum 2 Stunden. Experimentell konnte ge¬ 


zeigt werden, dass die Fähigkeit der Zellen, das Individuum zu über¬ 
leben, mit dem Grade der Differenzierung dieser Zellen in umgekehrtem 
Verhältnise steht. Je weniger differenziert bzw. organisiert ein Gewebe 
ist, desto grösser ist seine Fähigkeit, das Individuum zu überleben und 
desto eher eignet es sich zur Transplantation. Je differenzierter bzw. 
organisierter jedoch irgendein Gewebe ist, desto weniger kann es ein 
Individuum überleben, desto geringer ist seine Eignung zur Trans¬ 
plantation. Knochen und Periost sind gering differenzierte Gewebe, 
welche — wie ich schon erwähnte — die Fähigkeit des Ueberlebens aus¬ 
gesprochen besitzen und daher ein vorzügliches Material zur Trans¬ 
plantation bilden. 

Wir können verschiedene Arten der Knochentransplantation unter¬ 
scheiden, je nachdem der zu transplantierende Knochen vom selben In¬ 
dividuum (Autoplastik) oder von einem andern artgleichen Individuum 
(Homoioplastik) oder sohliesslich von einem artfremden Individuum 
(Heteroplastik) genommen wird. Von diesen Verfahren ist die Auto- 
plastik das Verfahren der Wahl. Die autoplastischen Verfahren zerfallen 
in zwei Gruppen, je nachdem, ob gestielte oder ungestielte, d. h. frei¬ 
transplantierte Knoohenperiostlappen verwendet werden. Die zwei be¬ 
kanntesten Methoden der gestielten Knochenperiosttransplantation sind 
die Verfahren von Müller-König und von Hacker-Durante. 
Das Wesen der Müller-KÖnig’schen ist der Austausch von zwei 
gleichgrossen Lappen, deren einer von den den Defekt bedeckenden 
Weichteilen, der andere von sämtlichen Schichten des Schädels gebildet 
wird. Aehnlich ist das Verfahren von Nicoladoni, welcher an Stelle 
abgerundeter Lappen eckige verwendet. Das Verfahren von Hacker- 
Durante besteht darin, dass zur Deckung des Defektes unter die Galea 
geführte Knoohenperiostlappen verwendet werden. 

Das andere \erfahren der Scbädelautoplastik, die freie Knochen¬ 
transplantation, entsprang dem Gedanken Mac-Ewen’s, den bei 
frischen Brüchen der Schädelkonvexität entstandenen Defekt durch Re¬ 
implantation der entfernten und gereinigten Bruchstücke zu beheben. 
Andere Autoren griffen dann zu Knochenperioststücken, welche von 
andern Stellen des Individuums, so z. B. aus dem Sternum, den Rippen, 
aus der Tibia entnommen wurden. Als beste Entnabmestelle ist heut¬ 
zutage die Tibia allgemein anerkannt. Der Gang der Operation ist 
folgender: Die Narbe wird ausgeschnitten, durch Zurückschlagen der 
Weichteile wird der Defekt freigelegt und dessen Ränder geglättet. 
Hiernach wird aus der Tibia ein entsprechend geformter Periostknochen¬ 
lappen entnommen und mit der Knochenwundseite gegen die Dura in 
den Defekt eingesetzt und schliesslich werden die Weichteile über den 
Defekt vereinigt Diese vorteilhafte Methode hat sich überall eingebürgert 
und zum Verfahren mit gestielten Lappen gedrängt. 

Wenn wir nun die Statistiken der Resultate der Schädelknochen¬ 
plastik überblicken, so ist es auffallend, dass verhältnismässig viele 
schlechte Resultate verzeichnet werden. Die meisten Autoren stimmen 
darin überein, dass die Ursache der Misserfolge darin zu suchen ist, dass 
einesteils Verwachsungen zwischen den Weichteilen des Gehirns und 
dem Transplantate entstehen, anderenteils sich Exostosen bilden, und 
schliesslich dass durch EinsiDken des Transplantates Gehirndruck her¬ 
vorgerufen werden kann. Es war daher allgemeines Bestreben, unsere 
bisherigen gutbegründeten Methoden zu vervollkommnen. So trans¬ 
plantierte Lexer, um die Verwachsungen zwischen Gehirn und Trans¬ 
plantat zu vermeiden, einen Fettiappen zwischen Gehirn- und Knochen¬ 
wundfläche, in der Voraussetzung, dass das Fettgewebe als solches 
erhalten bliebe und Verwachsungen mit dem Gehirn verhindere. Aber 
weitere Erfahrungen zeigten, dass das Fettgewebe sich alsbald narbig 
verändert. Tatsächlich rezidivieren die nach der Operation gebesserten 
Fälle. Andere Autoren maohten Faszientransplantation, die sich aber 
auch nioht bewährte; ebenso erging es mit der Alloplastik, welche aus 
dem Grunde wieder aDgewendet wurde, dass das körperfremde Material 
mit dem Gehirn keine Verwachsungen bilden könne. 

Prof. Kuzmik operiert, um die erwähnten Nachteile, Verwachsungen, 
Exostosen und Einsinken des Transplantats zu vermeiden, auf folgende 
Art: zuerst wird die Narbe herausgesebnitten, die Haut zurückpräpariert, 
der Defekt freigelegt. Nun wird die Gehirnnarbe entfernt, bo dass die 
Pulsation der Gehirn Oberfläche sichtbar wird. Dann werden die Ränder 
des Defektes durch AbmeiBseln der Lamina externa bis zur Diploe 
muldenartig ausgestaltet (s. Abbildung) und nunmehr aus der Tibia, 
ein entsprechend grosser Periostknochenlappen entnommen, wobei rings¬ 
herum ein überhängender Perioatsaum erhalten wird. Diese Platte wird 
nun entsprechend geformt und mit der Periostseite gegen die Dura ge¬ 
kehrt in den muldenförmigen ausgestalteten Defekt eingesetzt und 
darüber die Galea und Haut vereinigt (Abbildung 2). — Verlangt die 
Form des Schädels das Einsetzen einer gebogenen Platte, so wird das 
Transplantat von der Knochenwundfläche her an so vielen Stellen, wie 
es notwendig erscheint, eingesägt, wodurch ohne Verletzung des Periosts 
dasselbe geformt und angepasst werden kann. Die Operation kann in 
Lokalanästhesie ausgeführt werden, wir bevorzugen allerdings, da an den 
Kranken nicht geringe psychische Anforderungen gestellt werden, die 
Narkose, vorausgesetzt natürlich, dass sie nicht kontraindiziert ist. 

Auf diese Weise erreichen wir eine grosse Sicherheit gegen das Ein¬ 
sinken des Transplantates, welches durch die muldenartigen Ränder des 
Defektes sicher gestützt wird; auch wird Exostosenbildung in der Rich¬ 
tung des Gehirns sicher dadurch vermieden, dass seitens des Periosts 
bloss appositioneiles Knoohenwachstum erfolgt. Infolge Anlegens der 
Mulden kommt zwisohen Gehirnoberfläche und Transplantat ein Raum 
von gewisser Höhe zustande, und es wird so unserer Meinung nach die 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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freie Bewegung des gelösten Gehirns gesichert und die Bildung von Ver¬ 
wachsungen möglichst vermieden. Die Ernährung des Transplantates ist 
durch die auf die frische Knochenwunde gelegte Galea und durch die 
angefrischte Diploe des Defektrandes ausgezeichnet. 


Abbildung 1. 



Abbildung 2. 



Wir bemerken, dass schon Hacker versucht hatte, Periostknochen¬ 
lappen mit der Periostfläche gegen das Gehirn einzusetzen; aber da er 
im Gegensatz zu dem beschriebenen Verfahren gestielte Periostlappen 
anwandte, war das genaue Einsetzen des Transplantates technisch be¬ 
sonders schwierig, so dass sein Vorgehen keinen besonderen Anklang fand. 

Abbildung 3, 4 und 5 illustrieren einen Fall, welcher in der be¬ 
schriebenen Weise operiert wurde. Abbildung 3 zeigt den in Rück¬ 
bildung begriffenen Gehirnprolaps, man sieht die Grösse des Defektes, 
wobei bemerkt werden soll, dass der obere Rand bzw. die obere Wand 
der Orbita zugrunde gegangen war. Abbildung 4 stellt eine Röntgen¬ 
aufnahme des Defektes dar. Abbildung 5 zeigt den Fall nach voll¬ 
endeter Heilung. 

Abbildung 3. 



Abbildung 4. 



Abbildung 5. 



Die Ausführung der Operation in der beschriebenen Art stösst auf 
keine besonderen Schwierigkeiten. Wir benutzen diese Methode seit 
6 Jahren und haben damit die besten Erfahrungen gemacht, so dass 
wir sie wärmstens empfehlen können. 


Ein Fünftagefieberherd in einer Panjefamilie. 

Von 

Oberarzt der Res. Dr. Linden. 

Ueber die eigentliche Infektionsquelle des Fünftagefiebers, 
über die Erkrankungen der Zivilbevölkerung ist, soweit ich die 
Literatur übersehen kann, noch nicht berichtet. Einen Infektions¬ 
herd des Fünftagefiebers in einer Panjefamilie zu finden, ist mir 
durch äussere günstige Umstände gelungen. 

Seit zwei Jahren an derselben Stelle der nördlichen Ostfront 
sah ich zuerst in einem Feldlazarett, später als Kreisarzt eine 
grössere Anzahl von Fünftagefieberfällen. 

Bei den Fällen, die ich in der zweiten Hälfte des Winters 
1916/16 im Feldlazarett beobachten konnte 1 ), war mir aufgefallen, 
dass die Infektionsquelle für alle anscheinend in derselben Gegend, 
ja wahrscheinlich in demselben Dorfe lag. Trotzdem die damals 
erkrankten Mannschaften verschiedenen Truppenteilen angehörten, 
so lagen sie doch fast alle in demselben Dorfe oder in dessen 
unmittelbarer Nachbarschaft. Ein Mann, der damals in der Stellung 
erkrankt war (es war ein mit Tetanie komplizierter Fall) gehörte 
bis wenige Tage vor seiner plötzlichen Erkrankung der Bagage 
eines dicht bei W. liegenden Truppenteiles an. Der Sommer 
1916 brachte uns keine Neuerkrankungen an Fünftagefieber. 
Erst im Januar 1917 kamen mir neue Fälle wieder zu Gesicht. 
Als Truppenarzt der in und um W. liegenden Truppenteile und 
als Kreisarzt der Panjes konnte ich die Entstehung der neuen 
Fünftagefieberfälle genau verfolgen. 

Ende Januar 1917 erkrankten in kurzen Abständen drei in W. in 
Quartier liegende Mannschaften unter den typischen Erscheinungen des 
Fünftageflebcrs. Nachforschungen nach der Infektionsquelle führten auf 
eine Panjefamilie hin, die mitten im Dorf wohnte. Dort Hessen diese 
Mannschaften ihre Wäsche waschen. Zum Hinbringen und Abholen der 
Wäsche gingen sie — trotz Verbots — in das betreffende Panjehaus. 
In der Wäsche wollen sie hie und da eine Laus bemerkt haben, die sie 
absuchten. Alle drei geben aber an, in letzter Zeit verlaust gewesen 
zu sein. 

Durch einen zuverlässigen Sanitäts-Vizefeldwebel Hess ich nun acht 
Wochen lang sämtliche elf Mitglieder der Familie Temperatur messen. 
Das Ergebnis war überraschend. 

Fünf Familienmitglieder zeigten Temperaturanstiege in Abständen, 
die im wesentlichen den Fünftageturnus erkennen Hessen. Der Anstieg 
war durchweg nicht hoch, unter 38°. Nur zwei Anfälle, die ich zuerst 
sah, waren über 39°. Die Basis der Anfälle war auffallend schmal, 
meist nur 12 Stunden. Nur vereinzelt war drei Abende die Temperatur 
erhöht. 

Durchschnittlich beobachtete ich fünf Anfälle. Die ersten zwei bis 
drei lagen bei allen im Fünftageabstand, die letzten zeigten Abstände 
bis zu 14 Tagen. Nur Antonina bot das Bild des regelmässigen Fünf¬ 
tagefiebers. 

Die Feststellung der subjektiven Beschwerden im Fieberanfall war 
recht schwierig. Durch die Angst, von Haus und Hof abtransportiert zu 
werden, bekam man meist negative Antworten. Zwei gaben jedoch an, 


1) Siehe B.kl.W., 1916, Nr. 44. 

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UMIVERSITY OF IOWA 

















426 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


im Anfall sioh matt so fühlen, Kopfschmerzen and Gliederreissen (be¬ 
sonders in Sohulter and Ellenbogen) zu haben. Ueber Schienbeinschmerzen 
waren die Angaben unsicher. 

Objektiv war mehrmals eine leichte Bronchitis festzustellen. Eine 
Vergrösserung der Milz konnte (wie auch bei den drei infizierten Mann¬ 
schaften) in keinem Fall festgestellt werden. Zahlreiche Blatabstriohe 
wurden nach Giemsa gefärbt, während des Fiebers and im Intervall 
untersucht. Bei drei Mädchen war im Intervall die Zahl der Lympho¬ 
zyten and Mononukleären zusammen bis 55 pCt. erhöht. Im übrigen 
war die Differenzierung der Leukozyten normal. Malariaplasmodien and 
Spirillen wurden niemals gefunden. Malaria ist wohl sioher aaszuschliessen, 
da auoh eine läoger durchgeführte Chininkur bei einer Frau ohne Erfolg 
war. In den letzten drei Wochen, in denen Temperatur gemessen 
wurde, waren alle Patienten fieberfrei. 

Dass es sich am Fanftagefieber bandelte, ist wohl mit Bestimmt¬ 
heit anxunehmen. Die drei erkrankten Mannschaften, alle intelligente 
Leute, geben an, nur mit dieser Familie in Berührung gekommen 
zu sein. Die Diagnose bei den erkrankten Mannschaften wurde 
im Feldlazarett durch einen von Wolhynien her erfahrenen Stabs¬ 
arzt bestätigt. 

Im ganzen hatte man den Eindruck, dass die Erkrankung 
der Zivilbevölkerung weitaus leichter verlief, als die unserer 
Soldaten. 

Höhe und Basisbreite der Fieberanfälle und subjektive Be¬ 
schwerden waren geringer. Während die Mannschaften über er¬ 
hebliche Schienbeinschmerzen klagten, konnte dies bei der Zivil¬ 
bevölkerung nicht nachgewiesen werden. Inwieweit bei den 
Soldaten lokal disponierende Momente (Sittmann, Quecken- 
städt) mitspielen, wäre zu entscheiden, wenn die gleichen Beob¬ 
achtungen an grösserem vergleichenden Material gemacht würden. 

Offenbar bildete diese Familie den Herd der Fünftagefieber- 
erkrankungen. Andere Panjefamilien genau durchzuuntersuchen, 
war mir nicht möglich; auch fand ich keine Anhaltspunkte bei 
Stichprpben. 

Ueberträger ist wohl mit Sicherheit die Laus, was auch die 
neueren Arbeiten bestätigen. Nach gründlicher Durchentlausung 
der Landeseinwohner mit allen Sachen und nach verschärftem 
Verbot, Wäsche bei der Zivilbevölkerung waschen zu lassen, sind 
Neuerkrankungen nicht mehr aufgetreten. 


Bücherbesprechungen. 

8t. Eigel-Dortmund und Marie Baan- Hamburg: Grundriss der 8äng- 
lingäinde. Ein Leitfaden für Schwestern, Pflegerinnen und andere 
Organe der Säuglingsfürsorge mit 73 Textabbildungen nebst einem 
Grundriss der Säuglingsfürsorge. J. F. Bergmann 1917. 6 M. 

Der erst vor kurzem gelegentlich der 3. und 4. Auflage besprochene 
Grundriss liegt nunmehr bereits in 5. und 6. Auflage vor. Seine Be¬ 
liebtheit scheint von Auflage zu Auflage zu wachsen, und/die Verff. sind 
auch bemüht, durch Verbesserung ihres Buches bei jedem Erscheinen 
die grosse Nachfrage immer aufs neue zu rechtfertigen. Die Verände¬ 
rungen betreffen dieses Mal mehr die Form als den sachlichen Inhalt. 
Zwei Kapitel sind hinzugekommen, das eine von dauerndem Interesse: 
„Säuglingspflege in Anstalten**; das zweite ein Kriegskapitel: „Der Säug¬ 
ling in Kriegszeiten. 1 * Das letztere scheint etwas optimistisch geraten, 
oder es ist zwar vielleicht noch zur Zeit der Niederschrift zutreffend 
gewesen, zurzeit jedoch leider — leider im Interesse der Säuglinge — 
bereits überholt. Im Gegensatz zu Engel’s Darstellung begegnet die 
Beschaffung der für die Säuglingsernährung notwendigen Zutaten vieler¬ 
orts mancherlei Schwierigkeiten. Das betrifft insbesondere die Mittel¬ 
und Kleinstädte und das flache Land, aber auch in der Grossstadt sind 
Griess, Haferflocken, Malzsuppenextrakte usw. oft nur schwer zu be¬ 
kommen. Hier macht sich der ungünstige Ausfall unserer Hafer- und 
Gerstenernte recht peinlich bemerkbar. Dem mustergültigen Buohe ist 
auoh diesmal ein voller Erfolg gesichert. 

Zar Teehaik der Säagliagseraähraag. Göttinger Kinderklinik. Göttingen 
1917, Dieterich’sche Universitätsdruokerei. 

Wichtige Kapitel aus der Physiologie, Pathologie, Therapie der 
Ernährung und die Therapie des Keuchhustens werden in dem kleinen 
Büchlein in der prägnanten Form leicht verständlicher Dispositionen 
zur Darstellung gebracht. Das Heftchen wird manchem Praktiker ein 
angenehmer Führer sein. _ R. Weigert-Breslau. 


Frtisehel’s „Kinderspraehe nid Aphasie“. Gedanken zur Aphasielehre 
auf Grund von Beobachtungen der kindlichen Spraohentwioklung und 
ihrer Anomalien. (Berücksichtigung der modernen Psychologie.) Berlin 
1918, Verlag von S. Karger. 165 Seiten. Preis 7,80 M. 

Die Abhandlung ist zu einer kürzeren Besprechung nioht geeignet. 
Sie gibt zunäohst eine sehr ins Einzelne gehende Darstellung der Be¬ 


ziehungen zwisohen der Lehre von den transitiven Bewusstseinsinhalten 
und der neueren Aphasieforschung. In ihren wesentlichsten Teilen be¬ 
schäftigt sie sich mit der Psychologie der kindlichen Spraohentwioklung. 
Von dieser ausgehend, sucht sie die Erscheinungen der Aphasie rein 
psychologisch zu erfassen. Die Darstellung ist begrifflich recht schwierig, 
vor allem duroh komplizierte, hypothetische Ausführungen. Wertvoller 
Beitrag zur Aphasieforschung, aber in der Hauptsache nur für Fach¬ 
kundige auf diesem besonderen Gebiet lesbar und auch wohl nur für 
sie bestimmt. Mörohen-Dietenmühle-Wiesbaden. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

G. v. Noorden und J. Fischer-Frankfurt a. M.: Ueber einen 

AisiMtzaigsversieh mit Reggea- Vollkornbrot (Th. Mb., 32. Jahrg., 
März 1918.) Ein von J. Fischer ausgelührter Selbstversuch über die 
Ausnützung von Dr.Klopfer’schem Vollkornbrot (Fabrik Leubitz-Dresden) 
während 4 Versuobstagen ergab eine Ausnützung der Stickstoffsubstanz, 
die diejenige des feinen Roggenbrotes (60—65pCt. Ausmahlung=0/1 Mehl) 
vollkommen erreicht. Bertkau. 

H. Bette-Göttingen: Ueber Ausseheidur verschiedenartiger 

Hextsei in Urii von Kindern nach den 1. Lebensjahr, zugleich ein 
Beitrag zur Kenntnis des Mechanismus der alimentären Intoxikation. 
(Göttingen 1917, Inaugural-Dissertation.) Es bestehen Sonderfunktionen 
der Leber für jede Hexose; jede kann für sioh geschädigt sein. Verf. 
zeigt das an Fällen von Icterus catarrhalis und alimentärer Intoxikation. 
Für die Therapie ergibt sich beim Icterus catarrhalis, dass man bei 
Lävulosurie den Lävulose liefernden Rohrzucker, auch Honig und Früchte 
weglassen soll, um die in ihrer Funktion gestörte Leber zu schonen 
und wertvolle Nährstoffe nioht zu verschleudern. Bei der alimentären 
Intoxikation empfiehlt es sich vielleicht naoh dem Vorschläge von 
Göppert mit Umgehung der Leber durch permanente Irrigation 
Dextroselösung dem Körper zuzuführen. Weigert. 


Therapie. 

H. Gur schm ann-Rostock: Ueber die therapeatisehe nad toxische 
Wirkoag des Nirvaaols. (Th. Mh., 82. Jahrg., Februar 1918.) Nirvanol 
(Ghemische Fabrik von I^eyden) hat sich als Mittel gegen nächtliche Erek¬ 
tionen als wirksam erwiesen und ist als solches bei der akuten Gonorrhoe 
zur weiteren Prüfung zu empfehlen. Auch gegen Schlafstorunjgen duroh 
nächtliche Pollakisurie hat es sioh besonders bewährt. 2,0 g Nirvanol 
bewirkten bei einer an Veronal, Bromural und Adalin gewöhnten Patientin 
nur kurzdauernde Benommenheit, Nausea, Kopfdruok und Erbrechen; 
vor Ablauf von 24 Stunden sohon keine toxischen Erscheinungen mehr. 
Bei einem Alkoholiker, der innerhalb 27a Tagen 7,0 g Nirvanol be¬ 
kommen hatte, nachdem er am Tage vorher eine Veronalintoxikation 
(4 Tabl.) durohgemacht, traten keinerlei ernsthafte Störungen des Kreis¬ 
laufes und der Atmung auf, kein Erbrechen, kein Durchfall, keine 
Retention oder Inkontinenz von Stuhl und Urin. Hauptwirkung auf das 
Zentralnervensystem: mit Somnolenz abwechselnde, massige euphorische 
Erregung mit leichter halluzinatorischer Verwirrtheit, Merkfähigkeits¬ 
verlust für die Dauer der Vergiftung und völlige Amnesie für diese 
Zeit; Miosis, träge Pupillenreaktion, vorübergehend Doppelsehen, wechselnde 
Abschwäohung der Sehnenreflexe. Eine 76 jährige Amme, die jahrelang 
Veronal und Adalin ohne Störungen nehmen konnte, bekam nach 1,0 Adalin 
+ 0,25 Nirvanol, an vier aufeinander folgende Abenden gegeben, auf¬ 
fallende Benommenheit, Verstimmtheit, Uebelkeit und Parese der Beine. 
Daher Vorsicht geboten bei Kombination von Nirvanol mit Schlafmitteln 
der Fettsäurenreibe und Bromderviaten. Für sich allein gehört Nirvanol 
offenbar nicht zu den „gefährlichen“ Mitteln. 

E. Buchmann -Basel: Ein Fall von PantopoivergiftBBg (Th.Mh., 
32. Jahrg., März 1918.) Heilung trotz Einnahme von 10,0 g Pantopon. 

Bertkau. 

Leo-Bonn: Ueber die intravenöse Anwendmg des Kampfers. 
(D.mW., 1918, Nr. 11.) Im Tierversuch ist erwiesen, dass durch intra¬ 
venöse Infusion von wässriger Kampferlösung mit geringeren Mengen als 
bei der subkutanen Injektion gute Wirkung erzielt werden kann. Diese 
intravenösen Injektionen sind jetzt während des Krieges, wo die Be¬ 
schaffung von Olivenöl ziemlich schwierig ist, besonders empfehlenswert. 

Dünner. 

S. Loewe-Göttingen: Ist die perorale Darreiching tob Nebei- 
niereBprftparaten sinnvoll? (Th. Mh., 32. Jahrg., März 1918.) Tier¬ 
experimentelle Versuche haben ergeben, dass, während an Kaninchen 
subkutane oder intravenöse Darreichung von 0,4—0,5 Suprarenin 
in 1 prom. Lösung schon die tödliche Grenzdosis darstellen und stark 
gefässverengend wirken, auch noch 40 ccm der Lösung, also 40 mg bei 
Sohlundsondendarreichpng unwirksam sind. Bei der Berechnung pro kg 
Körpergewicht würde man danach für den Menschen als minimale Einzel¬ 
dosis für perorale Darreichung 1,0 g Adrenalin, d. h. 1 1 der käuflichen 
1 prom. Suprareninlösung bezeichnen müssen. (Preis etwa 120 M.l) 
Nach L.’s 5 Versuchen würde auch diese Dosis nur von höohst zweifei- 


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UNIVERSUM OF IOWA 





6. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


427 


hafter Wirksamkeit sein. Die Empfehlung peroraler Darreiohang von 
einigen Tropfen der handelsüblichen Adrenalinlösungen ist völlig sinnlos. 

I. Stein-Saas: Erfahrungen über Versuche mit Theazylon. (Th. Mb., 
38, Jahrg., März 1918.) Theazylon ist ein vorzügliches rasch wirkendes 
Diuretikum, das gern genommen wird ttnd in der Regel keine Verdauungs¬ 
störungen oder Erbrechen hervorruft. Die Eiweissaussoheidung wird nicht 
ungünstig beeinflusst. Tagesdosis 1,5—4,0g in Einzeldosen von 0,5—1,0g. 
In einzelnon versagt das Mittel aus unbekannten Gründen. Bei Hydrops 
infolge Hepatitis interstitialis und Nierenamyloid ist es wirkungslos. 

Bertkau. 

Hilf rieh- Berlin: Beiträge sur Fermoiyltherapie hei Diabetes. 
(Zbl. f. inn. M., 1918, Bd. 39, H. 14, S. 209.) Mitteilung von fünf 
Fällen, bei denen nach Darreiohung von Fermozyl (Trockenhefe)- Tabletten 
eine augenfällige Wirkung in bezug auf Zurückdrängen des Zucker¬ 
gehaltes und Besserung des Allgemeinbefindens der Diabetiker beob¬ 
achtet wnrde. M. Goldstein. 

R. Goepel-Leipzig: Vierjährige Erfahrungen mit dem Friedmann- 
sehea Taherkalosemittel. (D. Zsohr. f.‘ Oh., 1918, Bd. 144, H. 1—2, 
S. 1.) Die Zusammenfassung lautet: Das Friedmann’sohe Mittel ist ein 
streng spezifisches Heilmittel für die Tuberkulose des Menschen. Das 
wird bewiesen durch die regelmässige Unabhängigkeit der Heilwirkung 
von dem Fortbestehen oder dem Stocken der Resorption des Impfstoffes, 
sowie durch das nur seltene Ausbleiben einer solchen in denjenigen be¬ 
sonders frischen Fällen, in denen der Impfstoff ohne entzündliche Ein- 
sohmelzung wirklich zu restloser Aufnahme kommt Das Friedmann’sohe 
Mittel ist bei richtiger Anwendung unschädlich, und zwar, wie 4jährige 
Beobachtungen ergeben haben, dauernd unschädlich. Die besten thera¬ 
peutischen Erfolge unter den chirurgischen Tuberkulosen geben frische 
Fälle, besonders frische Gelenkschüsse, Rippen- und Brustbeintuber¬ 
kulose usw. Ein gleich günstiger Einfluss ist bei beginnender Lungen¬ 
tuberkulose zu beobachten. Auszuschliessen von der Behandlung sind 
kachektische Kranke. Entsprechend der langsamen Auswirkung und der 
langen Nachwirkung lässt sich ein abschliessendes Urteil über die 
Wirkung der Impfung erst nach vielen Monaten, ja selbst Jahren ab¬ 
geben. Das absprechende Urteil der Literatur aus dem Frühjahr 1914 
ist ein vorschnelles gewesen. B. Valentin-zurzeit im Felde. 

K. Ziegler-Freiburg i. Br.: Ueber die Behandlung der wurm¬ 
artiges Darmparasiten des Mensehei. (Th. Mh., 82. Jahrg., März 1918.) 

Bertkau. 

Steuernagel: Rnhrsehntaimpfang mit Dysbaeta - Boehncke. 

(D.m.W., 1918, Nr. 12.) Der Impfstoff hat grosse prophylaktische Wir¬ 
kung, ob er genügend vorhält, ist ungewiss. 

Hölzl-Polzin*. Ueber Vakzinearin, ein wertvolles Heilmittel für 
Neuralgien ‘ und Nervenentzündungen. (D.m.W., 1918, Nr. 11.) H. hat 
bei 96 Kranken mit Vakzineurin gute Erfolge zur Bekämpfung der neur¬ 
algischen Schmerzen und der durch die Neuritiden verursachten Funktions¬ 
störungen und Gewebsveränderungen beobachtet. Dünner. 

Glax-Abbazia*. Die Thalassotherapie der KriegsyerwiadeteB 
■ad -besehädigtea. (W.m.W., Nr. 6.) Von besonderem Interesse ist 
es, dass sich entgegen den älteren Anschauungen das Seeklima als be¬ 
sonders angezeigt bei den Erkrankungen des Herzens und der Gefässe 
erwiesen hat. Bei Verwundungen und ihren Folgen kann die Seeheil¬ 
kunde in doppelter Beziehung nutzbringend werden, einerseits, indem 
sie die starke Belichtung an den südlichen Küsten zur Behandlung 
offener Wunden ausnützt, andererseits, indem sie bei Narbenbildungen 
und Versteifungen naoh vorangehenden Verletzungen durch den Ge¬ 
brauch der Seebäder in Verbindung mit der mediko-mechanischen Be¬ 
handlung eine Mobilisierung der versteiften Muskeln und Gelenke er¬ 
zielt. Duroh Strapazen des Krieges oder durch vorangehende schwere 
Infektionskrankheiten erschöpfte Patienten erholen sich oft an der See 
rasch, j _ Reokzeh. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

Lobmayer: GenitaleEntwieklangsstörnng. (D.m.W., 1918,Nr. 12.) 
Bei dem mitgeteilten Falle handelt es sich um eine Zwischenstufe 
zwischen normalen Genitalien und Hermaphroditismus. 

Bi er-Berlin: Beobachtungen über Regeneration beim Measekea. 
XL Abhandlung. Spezieller Teil. Regeneration der Knochen. (D.m W., 
1918, Nr. 11.) Dünner. 

Vinar-Hohenmauth: Dnrchlöeherang der Aorten wand bei einem 
Anenrysma ohne innere Blntnng. (W.m.W., 1918, Nr. 10.) Der vor¬ 
liegende Fall verdient insofern eine Aufmerksamkeit, da es zu einer 
Durchlöcherung der Aortenwand und zu einem jähen Exitus kam, ohne 
dass dabei eine innere Blutung eingetreten wäre. Reckzeh. 

G. Herxheimer: Ueber den jetzigen Stand unserer anatomischen 
Kenntnisse der Nephritis and Nephropathien. (M.m.W., 1918, Nr. 11.) 
Kritisches Referat unter Zugrundelegung folgender Einteilung: 1. Nieren¬ 
degeneration (Nephrodystrophie), 2. die auf Arteriosklerose und Arteriolo- 
sklerose beruhenden Nierenveränderungen, 3. Nephritis. Geppert. 

. Fahr: Ueber Nephrose. (D. Arch. f. .klin. M., 1918, Bd. 125, 
H. 1—3.) Es wird die Histogenese der primär degenerativen Nieren¬ 
erkrankungen, der Nephrosen, eingehend entwickelt. Besonders wird 
untersucht, ob und wieweit Glomerulusveränderungen Einfluss auf den 
Verlauf der Nephrose haben und in welchen Beziehungen sie zu degenerativen 
Prozessen an den Kanälohenepithelien stehen. Ferner wird geprüft, 


ob und wieweit die Hauptsymptome der Nephrose, Albuminurie, Oedem, 
Oligurie und Beschränkung der Koohsalzzufuhr an anatomische Ver¬ 
änderungen in den Nieren, die man als Grundlage dieser klinischen 
Erscheinungen anspreohen könnte, gebunden sind. Im Vordergrund 
stehen bei den Nephrosen die degenerativen Veränderungen an den 
Tubulis, und zwar an den Hauptstücken: Verfettung der Zellen, Desp 
quamation der degenerierten Zellen, Exsudation ins Lumen, Zylinder¬ 
bildung, Erweiterung der Kanälchen, Abplattung der Epithelien. An 
den Glomerulis entstehen degenerative Veränderungen im Sinne einer 
Hyalinisierung £er Schlingen, die anfänglich gering ist, langsam fort¬ 
schreitet und zur Verödung der Knäuel führen kann. Weiter werden 
Amyloidnephrosen beschrieben. Von den klinischen Erscheinungen ist 
die Albuminurie und Zylindrurie die Folge der Veränderungen der 
Kanälchenepithelien. Für die Entstehung des Hautödems kann keine 
der bei der Nephrose beschriebenen Veränderungen als bestimmend 
aufgefasst werden. Wahrscheinlich sind extrarenale Momente — der 
ganze Komplex von interzellulären Gewebsräumen — verantwortlich, die 
Nephrose nur indirekte Ursache. Die Wasser- und Kochsalzausscheidung 
ist entsprechend zu beurteilen. Ein Schrumpfungsprozess der Niere auf 
nephrotischer Basis ist möglich, doch ist praktisch die Glomerulus- 
veränderung das überzeugende wichtige Moment für die Schrumpfung der 
Gesamtniere. Zwei Feststellungen sind besonders wichtig: 1. die Charak¬ 
terisierung der eigentümlichen im Verlauf der Nephrose auftretenden 
Glomerulusveränderungen degenerativer, nicht entzündlicher Natur, 
die Analogie zu Amyloidose zeigen. 2. Die Erkenntnis, dass die Nephrosen 
auch ohne Oedem verlaufen nnd in ihren späteren Stadien (1. die 
Amyloidschrumpfnieren) zu Blutdruoksteigerung und Stickstoffretention 
führen können. 

Caro und Wiokler: Ausgedehnte hämorrhagische Pankreas¬ 
nekrose nnd Diabetes mit Aiidose. (D. Arch. f. klin. M., 1918, Bd. 125, 
H. 1—3.) Schwere, sehr ausgedehnte Pankreasnekrose bei einem fett¬ 
leibigen Feldwebel mit ganz akutem Einsetzen einer Glykosurie von 
4,5 proz. Zucker im Urin, starker Azeton- und Azetessigsäurebildung, 
mit tötliohem Ausgange. Die Krankheit trat direkt im Anschluss an 
eine Angina follicularis auf. Der Diabetes ist als Folgezustand auf die 
sehr sohwere Erkrankung des Pankreas zurüokzuführen. Zinn. 


Parasitenkunde und Serologie. 

F. Reinhardt: Zur Verhfitang von Lahoratoriamsinfektionen. 

(Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 7.) Es wird eine Vorrichtung beschrieben, mit 
der eine Spritze auf die Pipette aufgesetzt wird. Auf diese Weise ist 
das Pipettieren mit dem Munde überflüssig. 

H. Zipfel: Die Wiedergewinnnng von gebranebten gefärbten 
Agarnährbödea anf kaltem Wege ohne Filtration. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, 
H. 7.) Endoagar wird mit 3 proz. Salzsäure ausgelaugt, danach 24 Stunden 
wässern. Dann lässt man die Agarstückchen abtropfen, verflüssigt und 
setzt zu: Sodalösung 8—10 ccm, 40 ccm einer Lösung von Pepton und 
Fleischextrakt, Sterilisieren, dann Zusatz von 3 ccm alk. Fuchsinlösung, 
25 oem Natriumsulfitlösung, 8 g Milchzucker. Alle Zusätze auf 1 Liter 
verflüssigten Agars berechnet. Aehnlich bei Drigalski und Malachitgrün¬ 
agar. Schmitz. 

Ingwersen-Davos: Kronberger oder Ziehl-Neelsen? (Zbl.f. inn. M., 
1918, Bd. 89, H. 13, S. 193.) Die Färbemethode von Kronberger ist der 
Ziehl-Neelsen’schen bedeutend überlegen, nicht nur hinsichtlich der 
Zahl, sondern auch der Bildschärfe der gefärbten Tuberkelbazillen, ihrer 
Splitter und Granula, ausgenommen, wo es sich um zahlreiche Begleit¬ 
bakterien oder ausschliesslich Trümmerformen handelt. 

M. Goldstein. 

Ph. Eisenberg-Tarnow: Untersuchungen über die Variabilität der 
Bakterien. VI. Mitteilung: Variabilität in der Typhas-Coli-Grappe. 
(Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 7.) Es wird eine Menge von Variationsformen 
beschrieben, bei Coli und Paracoli, die sich meist in der Struktur der 
Kolonien, der Durchsichtigkeit, dem Sohleimbildungsvermögen, Farbstoff¬ 
bildung usw. zeigen. Bei Coli mutabile gab es ausserdem noch Schwan¬ 
kungen des Umsohlagvermögens, bei Typhus und Paratyphus Zwerg¬ 
formen und Veränderung des Reduktionsvermögens, bei Ruhrstämmen 
Zwergformen und Knopfbildung, desgl. bei Saro. lutea. 

M. Müller-München: Ueber den Zusammenhang des Paratyphni 
der Tiere mit dem Paratyphns des Menschen. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, 
H. 7.) Die Enteritis- und Paratyphusseptikämie der Schlachttiere bat 
mit der eitrig-jauchigen „Blutvergiftung“, wie sie die Fleischbeschau in 
Beziehung zur Entstehung von Fleischvergiftungen bringt, nichts zu tun. 
Makroskopisch ist das Vorhandensein einer Enteritis- und Paratyphus¬ 
septikämie überhaupt nicht festzustellen. Es ist also in allen verdäch¬ 
tigen Fällen bakteriologische Fleischbeschau zu verlangen. 

Köh lisch: Heranszüchtnng eines Paratyphns- B Stammes ans einem 
Typhnsstamm in Rinderdarmsehleim. (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 1 u. 2.) 
Zwecks Variationsstudien züchtete Verf. Typhusstämme in verschiedenen 
Nährmedien, und zwar: 1. Kiefernadelhumus, 2.Laubwaldhumus, 3. Garten¬ 
erde, 4. Pferdemist, 5. Kuhmist, und 6. im Darmsohleim einer Kuh. 
Während in den Versuchen 1 bis 5 die Bakterien mehr oder weniger 
rasch abstarben, konnte in dem Versuch Nr. 6 aus dem Darmschleim- 
kulturröhrohen ein Paratyphus-B-Stamm gezüchtet werden. Verf. glaubt, 
dass dieser Paratyphus- B aus dem Typhusstamm abgespaltet sei. Zum 
Beweise dafür wird angegeben, dass der Typhusstamm vorher »einige 

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UNIVERSITÄT OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Male“ über Platten geschickt worden sei, wobei immer von einer Kolonie 
abgeimpft wurde. Eine Wiederholung des Versuchs war ergebnislos. 
(Es wird leider niohts darüber berichtet, ob und wie der Darmschleim 
vorher sterilisiert war, ferner, ob Kontrollkulturen mit dem benutzten 
Darmschleim ohne Einsaat vorgenommen worden sind. Es ist dies bei 
der Tatsache besonders wichtig, dass sich im Darm von Rindern sehr 
häufig Paratyphusbazillen finden. D. Ref.) 

Zettnow-Berlin: Eine Gruppe von beweglichen „Rosn^Kokken, 
Microcoeei flavoresei. (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 1 u. 2.) Verf. beschreibt 
eine geisseltragende bewegliche Kokkenart, die er aus «der Luft eines 
Pferdestailes gezüchtet hatte. Die Prüfung der Vergärung von Zucker¬ 
arten ergab keine wesentlichen Resultate. 

Hilgermann und R. Weissenberg: Nematodenzüehtnng aaf 
Agarplätten. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 7.) Beschreibung einer einfachen 
Methode, s&propbytische Nematoden auf Agar zu züchten. Am besten 
gedeihen die Kulturen, wenn schon vorher auf den Platten Bakterien 
und Amöben gewachsen sind, die vielleicht den Nematoden zur Nahrung 
dienen. Am besten eignen sich dazu Bakterien, die schon bei 22 Grad 
wachsen. Wärmeliebende Bakterien weniger. 

H. G. PI aut-Hamburg: Beitrag zur Oeschossantersnelrang aaf 
aerobe aad anaerobe Bakterien. (Zbl. f.Bakt.,Bd. 81, H. 1 u. 2.) Es wurden 
62 Geschosse aerob und anaerob untersucht, es waren 16 steril, 8 nur 
anaerob keimhaltig, 20 nur aerob keimhaltig, 18 anaerob nnd aerob keim¬ 
haltig. Darunter waren zweimal Tetanus, elfmal FraenkelVhe Gas¬ 
bazillen, dreimal maligne Oedembazillen ( zweimal anaerobe Streptokokken, 
zwölfmal andere Bakterien. Die Geschosse waren meist Schrapnell- oder 
Granatsplitter. Schmitz. 

Fraenkel-Hamburg: Ueber bakteriologische Befände bei den 
Gasädemen. (D.m.W., 1919, Nr. 11.) Letzte Erwiderung auf die Schluss¬ 
bemerkung von Asohoff in der D.m.W., 1918, Nr. 7. Dünner. 

E. Fraenkel-Hamburg: Ueber die Reinzüchtnng der Krankheits¬ 
erreger des malignen Oedems nnd Gasbrands aus infizierten Wunden. 
(Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 1 u. 2.) Verf. empfiehlt nach seiner Erfahrung 
folgendes Vorgehen: 1. Untersuchung von Gewebssaft im Dunkelfeld und 
Färbung nach Gram. 2. Uebertragung auf Traubenzuckerblutagarplatten 
naoh Zeissler und Bebrütung im luftverdünnten Raum. 8. Infektion 
eines Meerschweinchens und Kaninchens, 4. am nächsten Tag Abimpfen 
von den infizierten Tieren sowohl aus den Krankheitsherden wie aus 
dem Herzblut, 5 Einbringung von dem Auf gangsmaterial in Trauben¬ 
zucker und Choleraagar, 6. eventuell Neubeimpfung von Zeisslerplatten 
mit vom Tier stammendem Material, 7. Ausstreichen auf gewöhnliche 
Agarplatten zum Nachweis aerober Bakterien, 8. Anlegung von Schott¬ 
mül ler’schen SchütteIkulturen oder Mischplatten zur Trennung event. 
vorhandener verschiedener Anaerobier. Sollte durch diese Maassnahmen 
noch keine Isolierung erfolgt sein, so empfiehlt sich Ueberhitzung der 
Traubenzuckerkulturen vom ersten Tag ( 8 /a Stunde 75 bis 85 Grad). 
Es bleiben dann nur die Sporen üorig, die zur Weiterkultivierung benutzt 
werden können. 

H. Braun und R. Salomon-Frankfurt: Ueber den Fleckfleber- 
Proteas Bazillus (W«il-Felix). Zugleich ein Beitrag zum Wesen der 
/ Weil-Felix’scben Reaktion auf Fleckfieber. (Zbl.f.Bakt., Bd.81, H. 1 u.2.) 
Kulturell sind Fleckfieber-Proteusbazillen und andere von Menschen ge¬ 
züchtete Proteusbazillen nicht zu unterscheiden, wohl aber ergeben sich 
Differenzen bei der serologischen Prüfung. Mit Hilfe von agglutinierenden 
Kaninebenseren lassen sich die Proteusbazillen in drei Gruppen einteilen. 
Die I. Gruppe bat mit den bei Fleckfieber gefundenen Proteusbazillen 
gar keine oder nur minimalste Mengen von Agglutinogenen gemeinsam. 
Die II. Gruppe hat serologische Beziehungen sowohl zu dieser Gruppe I 
wie zu der Gruppe III der bei Fleckfieber gefundenen Rassen. Diese 
III. Gruppe hat erstens gemeinsame Agglutinogene, d. h. das Serum des 
einen Bazillus verklumpt auch die anderen, aber sie besitzt auoh 
differente Agglutinogene, d. h. man kann die Gruppe III serologisch noch 
in Untergruppen einteilen, da die Bazillen von den jeweils anderen 
Seren nicht gleich hoch agglutiniert werden (xl9 Gruppe und x2 Gruppe). 
Durch Erhitzung verlieren die Proteusstämme einen Teil ihrer Agglutina- 
bilität und zwar sowohl im Kaninchen- wie im Fleckfieberserum, ebenso 
verhalten sich die Nichtfieokfieberstämme gegen ihre homologen Sera. 
Die agglutinierende Fähigkeit des Fleckfieberkrankenserums wird eben¬ 
falls durch Erhitzung abgeschwäoht, die des Tierserums jedoch nicht. 
Weiter wird die Frage ventiliert, ob der Stemm Weil-Felix der Er¬ 
reger des Fleokfiebers sein könnte oder nicht, oder ob es bei Fleckfieber 
nur zum Eindringen einer saprophytisch wachsenden Proteusart komme. 
In diesem Fall müsste der Fleckfieberproteus als eine Spielart des 
Proteus angesehen werden. Schmitz. 

v. Lieberman-Budapest: Selebtionshypolhese. Versieh einer 
einheitlichen Erklärung der Immunität, Gewebsimmunität nnd Im- 
mnnitätserscheinungen. (D.m.W., 1918, Nr. 12.) 1. Das Wesen der er¬ 
worbenen Immunität besteht darin, dass in dem Kampfe zwischen Virus 
und Gewebszelle die schwächeren Zellen angegriffen sind, bzw. vernichtet 
werden. Die widerstandsfähigeren Zellen bedingen eine relative Immunität. 
2. Das Gegenstück ist die Virulenzsteigerung pathogener Mikroben durch 
Tierpassage, bei der die schwächeren zugrunde gehen, die stärkeren wo¬ 
möglich noch virulenter als die Muttermikroben werden. 8. Der Grad 
der Immunität wird danach von der Anzahl der zugrunde gegangenen, 
weniger resistenten Gewebszellen abbängen. 4. Die zerstörten Gewebs¬ 
zellen gelangen durch Resorption ins Blut. Es sind die Antikörper. 


5. Die sogenannten normalen Antikörper sind unter physiologischen Ver¬ 
hältnissen abgestossene und verflüssigte Zellen. 6. Die Anaphylaxie ist 
eine Fortsetzung des Immunisierungsproxesses. 7. Allergie entsteht, 
wenn ein nicht sehr heftig wirkendes Virus Gewebszellen oberflächlich 
angreift. Dünner. 

M. Mandelbaum: Verfeinerung derWassermann’sehe« Reaktion. 
(M.m.W., 1918, Nr. 11.) Zur Ausschaltung der Eigenhemmung wird emp¬ 
fohlen, das Serum nicht konzentriert zu inaktivieren, sondern verdünnt 
mit NaCl-Lösung (0,5 Serum -\- 2 com NaGl-Lös.). Inaktivierung erfolgt 
in Va Stunde bei 56 Grad. Verarbeitung des Serums kurz nach der 
Gewinnung ist wichtig. Geppert. 

J. Kostrzewski: Ueber die Wassermann’sehe Reaktion in Blut¬ 
serum, Bauchltöhlenflüssigkeit nnd Harn eines und desselben Kranken. 
(Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 7.) Es wird ein Fall mitgeteilt, bei dem nicht 
nur das Blutserum, sondern auch der Harn positiven Wassermann ergab. 
Histologische Untersuchungen schienen für ein spezifisches Nierenleiden 
zu sprechen. Die Eigenhemmung des Harnes liess sich durch Neutrali¬ 
sieren und Verdünnen beheben/ 

E. Pribram-Wien: Ueber Dysenterietexin nnd Antitoxin. IL Die 
Spezifität der Toxine und Antitoxine derMannit vergärenden Dysenterie¬ 
stämme. (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 1 u. 2.) Antitoxin gegen das Toxin 
der Rasse D schützt auch gegen das Toxin der Rasse E. Ein solches 
Antitoxin schützt auch deutlich, wenn auch nur in geriogem Grade, 
gegen das Toxin eines Shiga-Krusestammes. Das Antitoxin gegen ein 
Shiga-Krusetoxin schützt hingegen nicht gegen Toxine der Mannitver- 
gärer. 

A. Holst- Christiania: Ueber die Beriherikrankhoit und ihre Ur¬ 
sache« auf norwegischen Schiffen. (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 1 u. 2.) 
Verf. gibt an, dass auf norwegischen Schiffen seit der Mitte der neunziger 
Jahre die Beriberikrankheit sehr häufig geworden sei und führt das auf 
einen Wechsel in der Kost zurück, der von 1894 ab eintrat. Seit dieser 
Zeit wurde Büohsenfleisch gegeben, ferner die bis dabin üblichen Erbsen 
gestrichen und der früher übliche stark kleiehaltige Schiffszwieback ab- 
gesohafft. Jede dieser Veränderungen verursachte eine Herabsetzung 
des antineuriti8chen Gehaltes in der Nahrung. Verf. bespricht nooh die 
Iafektionstheorie und welche Gründe für und gegen dieselbe zu sprechen 
scheinen. 

E. Rudin-Genf: Ueber ein eigenartiges Drfiscnorgan hoi Ophio- 
tänien. (Zbl. f. Bakt., Bd. 80, H. 7.) Es werden Drüsengäoge beschrieben, 
die am Kopf von Tänien vorhanden sind und deren Funktion nach den 
Beobachtungen des Verfassers die zu sein scheint, den Wurm an der 
Darmschleimhaut anzukleben. Sohmitz. 


Innere Medizin. 

Huisman8-Cöln: Ueber die verschiedenen Methoden der Hon- 
messung nnd Herzphasenbestimmung. (D.m.W., 1918, Nr. 11.) 

Dünner. 

W. Weitz: Ueber das Elektrokardiogramm in seiner Beziehung 
znm Spitzenstoss nnd znm Karotispnls. (D. Arch. f. klin. M., 1918, 
Bd. 125, H. 1—8.) Es wurden gleichzeitig Kardiogramm und Karotis- 
puls mit dem Frank’schen Spiegelsphygmometer und das Elektrokardio¬ 
gramm bei Ableitung 1 geschrieben. Der Beginn des Spitzenstosses 
fällt gewöhnlich in den aufsteigenden Ast von R. Während des Ab¬ 
laufes von R. befindet sich bereits die Ringfasermuskulatur des Herzens 
im Kontraktionszustand. Der Anfang der Herzaktion ist besser hus 
dem Beginn der R-Zacke als aus dem durch individuelle Einflüsse in 
mehr oder weniger starkem Grade verspäteten Eintritt des Spitzen¬ 
stosses zu erkennen. Das Kardiogramm spricht für die schon bisher 
vielfach geäusserte Ansioht, dass die positive T-Zacke durch eine Er¬ 
schlaffung an der Herzspitze bedingt ist. Der Karotispulsanstieg fällt 
etwa in die Mitte zwischen dem Ende von R und dem Beginn von T. 

Zinn. 

Strecker: Beitrag zu den Gefässgeräusehe«. (D.m.W., 1918, 
Nr. 12.) Bei einem Falle von intermittierendem Hinken bestand ein 
auffallendes Geräusoh an der rechten A. femoralis dicht unter der 
Leistenbeuge. Palpatorisch konnte Schwirren festgestellt werden. Schuss¬ 
verletzung bestand nicht. Dünner. 

Büdingen-Konstanz-Seehausen: Ernährungsstörungen des Hersens 
(Kardiodystrophien), ihre Beziehungen zum Kohlehydratstoffwechsel, 
insbesondere zur Hypoglykämie und ihre .Behandlung mit Trnuben- 
zuckerinfusionen. (Zbl. f. Herzkrkh., Jan., H. 1.) Da wir keine Kennt¬ 
nis davon besitzen, wie das Herz qualitative und quantitative Verände¬ 
rungen der Eiweisskörper und des Fettes im Blute hinsiohtlich seiner 
Leistung und fortgeleiteten Empfindung reagiert, da ferner die aus¬ 
schliessliche oder hauptächliche Quelle der Herzmuskelkraft der Trauben¬ 
zucker ist, 80 sind Störungen der Blutzuckerzufuhr und des Kohle¬ 
hydratumsatzes die einzig klar erkennbaren Ursachen der Kardio- 
dystrophie. Diese zerfallen ln ektokardiogene oder ektogene Kardio¬ 
dystrophien und kardiogene oder endogene Kardiodystrophien. Geben 
die reinen Fälle von Kardiodystrophie mit absoluter Hypoglykämie nur 
eine bedingte Anzeige für Traubenzuckerinfusionen, so wird man sich, 
den wiederholten Befund subnormaler Blutzuokerwerte vorausgesetzt, 
rascher zur Glykosebehandlung da entschHessen, wo Herzbeschwerden 
vorherrschen, die nicht Teilersoheinuug allgemein hochgradiger nervöser 
Uebererregbarkeit sind. Eine unbedingte Heilanzeige für die Infusiona- 


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6. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


429 


kur sieht Verfasser in den mit Herzkrankheiten verbundenen Fällen 
hypoglykämisoher Kardiodystrophie. Die beschriebene Technik der intra¬ 
venösen Traubensuckerbehandlung, einschliesslich zweckmässiger Vor- 
siohts- und Vorbereitungsmaassnahmen stützt sich auf die 4jährige Er¬ 
fahrung von über S000 Infusionen. Reokzeh. 

G. E. Konjetzny: Spontanheilung beim Karzinom, insbesondere 
beim Magenkarzinom. (M.m.W., 1918, Nr. 11.) Es gibt unter den 
Magenkarzinomen auch bestimmte Formen, die spontan ausbeilen können, 
das sogenannte Carcinoma fibrosum, bei dem unter zunehmender Wuche¬ 
rung des bindegewebigen Stroma die eigentliehen Karzinomsellen einer 
Degeneration verfallen. Es wird ferner hin gewiesen auf die durch spe¬ 
zielle Forschung mehrerer Autoren festgestellte Tatsache, dass in die 
Lunge verschleppte Krebsmetastasen frühzeitig zugrunde gehen. Der 
Untergang der Krebszellen erfolgt während der Organisation der Throm¬ 
ben, indem das neugebildete Bindegewebe die Karzinomzellen vernichtet. 
Anführung eigener Beobachtungen von Spontanheilungen von Netzmeta¬ 
stasen. Geppert. 

Widmer: Ueber esteritische ErscheioaDgea bei der Sermm- 
kraakheit. (D. Arcb. f. klin. M., 1918, Bd. 125, H. 1-3 ) Beschrei¬ 
bung der Darmstörungen bei 50 Fällen von Serumkrankfieit. 36 Fälle 
zeigten Darmersoheinungen und zwar: einfache Enteritis (Diarrhoen) 
26 Fälle, Enteritis mit Membranen im Stuhl: a) solche mit vielen eosino¬ 
philen Leukozyten 7, b) ohne solche 2 Fälle, ferner hämorrhagische Ente¬ 
ritis 1 Fall. Die Mehrzahl der Diarrhoen dauerte 6—20 Tage. 

Rindfleisch: Ueber Broazediabetes mit HämoglebinBrie. (D. 
Arch. f. klin. M., 1918, Bd. 125, H. 1—3.) Mitteilung einer eigenen 
Beobachtung der seltenen Erkrankung mit Diabetes, Leberzirrhose und 
Pigmentablagerung. Die Leberzirrhose und Hämochromatose gingen der 
Entwicklung der Diabetes lange Zeit vorauf. Der Diabetes ist die Folge 
der schweren au toptisch festgestellten Pankreaserkrankung gewesen. Ver¬ 
mutlich ist die Hämochromatose das wichtigste und erste Symptom, aus 
dem sich Leberzirrhose und Diabetes entwickeln. Vielleicht führt ein 
chronisoh wirkendes Blutgift fortlaufend zu krankhaft gesteigerter Zer¬ 
störung von roten Blutkörperchen. Der frei werdende Farbstoff wird 
abgelagert in der Haut und in Organen. Dadurch entsteht allmäblioh 
Zirrhose der Leber, des Pankreas und Diabetes. Eine spezifische, von 
dem Blutzerfall nicht direkt abhängige Schädigung der Organe muss 
dabei mitwirken. Zinn. 

Davidsohn-Berlin-Soböneberg: Ueber daB Vorhandensein von 
okkultem Blnt im Stahl bei Triehozephaliasis. (D.m.W., 1917, Nr. 11.) 
Nachprüfung der Untersuchungen von Wolf und Dau, die behauptet 
hatten, dass bei Trägern von Triohozephaluseiern im Stuhl sehr häufig 
Blut gefunden wird. D. fand niemals Blut. 

Rots child-Berlin: Zur Aetiologie der gegenwärtig weitverbreiteten 
Ennresia nnd Pollaknrie. (D.m.W., 1918, Nr. 11.) Vortrag in der 
Berliner medizinischen Gesellschaft am 20. Februar 1918. (Siehe Ge- 
sellschaftsberiobt der B.kl.W., Nr. 11.) Dünner. 

Böttner: Ueber Kollargolanapkylaxie und ihre Bedeutung für 
die menschliche Anaphylaxie. (D. Arch. f. klin. M.,- 1918, Bd. 125, 
H. 1—3.) Mit Kollargol-Heyden lässt sich sowohl aktive wie auch 
passive Anaphylaxie beim Meerschweinchen erzeugen. Der dem Kol¬ 
largol als Schutzkolloid zugefügte Eiweisskörper ist hierfür verantwort¬ 
lich zu naschen. Die nach Ueberstehen eines Shocks auftretende Anti¬ 
anaphylaxie ist eine nur bedingte. Beim Menschen sind trotz umfang¬ 
reicher therapeutischer Verwendung des Kollargol-Heyden und selbst 
bei intravenösen Kollargolinjektionen im typischen Zeitintervall ana¬ 
phylaktische Zustände bis auf einen fraglichen, von B. beobachteten 
Fall, nicht bekannt Dieses differente Verhalten von Mensoh und Tier 
berechtigt zu der Annahme, dass es auoh bei der übrigen Eiweisskörper¬ 
therapie unter Einhalten entsprechender Vorsiohtsmaassregeln gelingen 
muss, das Auftreten anapbylaktisoher Zustände zu vermeiden. Basedow- 
Kranke scheinen zur Anaphylaxie disponiert zu sein, 

W. H. Jansen: Kalkstadien am Mensehen. II. Mitteilung. Der 
Kalkgefcalt des menschlichen Blntes. (D. Arch. f. klin. M , 1918, 
Bd. 125, H. 1—3.) Der Blutkalkgehalt ist für beide Geschlechter in 
den mittleren Lebensjahren gleich gross und beträgt im Mittel 11,5 bis 
12,0 mg proz. CaO, vom 40.—50. Lebensjahr ab sinkt er normalerweise 
um 1 mg auf 10,5—11,0 mg proz. CaO. Der Blutkalkgehalt im Säug¬ 
lings- und Kindesalter ist bedeutend erhöht, bis zu 20,7 mg proz. 
CaO. Der Blutkalkspiegel erfährt also vom Säuglingsalter ab mit 
fortschreitenden Jahren eine deutliche Senkung, die in der Waohstums- 
periode am deutlichsten ist, sich in den mittleren Lebensdezennien auf 
einer konstanten Höhe hält und im vorgeschrittenen Alter wieder 
leicht fällt. Der Blutkalkgebalt zeigt bei der üblichen Kost mit einem 
mittleren Kalkgehalt von 1,5 g keine messbaren Schwankungen. Der 
Blutkalkspiegel ist beim Neugeborenen gleich demjenigen bei der Mutter 
und dem bei Schwangeren und Wöchnerinnen. Die Blutkörperchen ent¬ 
halten ebenfalls Kalzium und zwar in löslicher Form. Das Fibrin ent¬ 
hält minimale Mengen von Kalzium. 

Strasburger: Zur Klinik der Weil’schea Kraakkeit. (D. Arch. 
f. klin. M., 1918, Bd. 125, H. 1—8.) Klinische Studie auf Grund eigener 
Beobachtung von etwa 30 Fällen. Die Weil’sohe Krankheit beginnt 
plötzlich unter Fieber und erhebliohen Störungen des Allgemeinbefindens. 
Dazu treten eine Reihe typischer Zeichen von seiten der einzelnen Or¬ 
gane. Die wichtigsten Manifestationen der Krankheit sind der Fieber- 
yerlauf, die Sohädigung der Leber und der Niere, charakteristische 


Muskelschmerzen und allgemeine Prostration. Eine Reihe anderer, teil¬ 
weise auffallender Symptome oder Komplikationen werden mehr oder 
weniger regelmässig angetroffen. Die Prognose ist überwiegend günstig, 
alle Fälle genasen. Eine Ansteckung von Person zu Person fand nioht 
statt. Aus den klinischen Erscheinungen geht die Spezifität der Krank¬ 
heit unverkennbar hervor. Zinn. 

Brünn-Jerusalem: Erfahrungen bei Malaria. (D.m.W., 1918, 
Nr. 11.) B. fand, dass die «beschleunigte Sobizogonie* sehr häufig vor¬ 
kommt. Er hat den Eindruck, dass die beobachteten Formen Ent¬ 
wicht ungsstadien bei der Gametenbildung darstellen. Die halberwachsenen 
und erwachsenen Parasiten sind als Gametenbildner—Gametoschizonten — 
anzusehen. Kleine und mittlere Ringe mit reichlichem, intensiv ge¬ 
färbtem Ghromatin und zartem, blassen Plasma sind als Gameten- 
anlagen aufzufassen. Diese Gametenbildung maoht einen überhasteten 
Eindruck. 

Sohitteohelm und Schlecht: Erfahrungen über die Malaria 
und ihre Behandlung. (D.m.W., 1918, Nr. 12.) Malariaplasmodien¬ 
träger sind Leute, die, ohne je krank gewesen zu sein, Malariaplasmodien 
im Blute beherbergen und oft später in malariafreien Gegenden akut 
erkranken. Nach überstandenen Malariaanfällen können auch Plas¬ 
modien im Blut Zurückbleiben und zu Rückfällen Anlass geben. Die 
malariainfizierten Mücken, die überwintern, haben sicherlich Bedeutung. 
Chininpropbylaxe kann in allen Fällen Gutes leisten. 

Dieterlen: Malariainfektion an der Westfront. (D.m.W., 1918, 
Nr. 12.) Zwei Soldaten einer Truppe, die Senegalnegern gegenüber ge¬ 
legen hatten, erkrankten an Malaria. In dem Unterstände, in dem 
beide quartiert waren, konnten Anophelesmüoken gefangen werden. 

Schoenborn-Posen: Zur Diagnostik und Therapie der Triebinose. 
(D.m.W., 1918, Nr. 11.) Beobachtungen einer Reihe von Trichinose¬ 
fällen, die hauptsächlich durch die Eosinophilie im Blute, Gesichts¬ 
ödeme, Schmerzempfindlichkeit der Muskeln und des Nervenapparates 
diagnostiziert wurden. Salvarsan war ohne Einflnss, Strychnin wirkte 
anscheinend günstig, beschleunigte den Krankheitsverlauf. Dünner. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sztanoj«vits-Budapest: Ein Fall von Dämnersistaiid aoeh 
Neosalvarsaniajektioi. (W.m.W., 1918, Nr. 10.) Das durch die in 
vorliegendem Falle vorhandenen krankhaften Symptome, wie plötzliches 
Auftreten der Sinnestäuschungen und Illusionen, Selbstbeschuldigung 
mit triebartigen Handlungen, ängstliches Wesen mit Temperatursteigerung 
und nachträglicher schleierhafter Erinnerung gekennzeichnete Krankheits¬ 
bild weist zweifellos auf eine Bewusstseinsstörung hin, welche wir mit 
dem Namen Dämmerzustand zu bezeichnen pflegen. Dass es sich in 
diesem Falle um einen umschriebenen krankhaft veränderten Bewusst¬ 
seinszustand handelt, das beweisen die vom Patienten selbst tadellos 
durcbgeführte komplizierte Injektion mit Neosalvarsan vor dem Auftreten 
desselben, dann ein Zeitabschnitt von etwa sechszehn Stunden der 
transitorischen geistigen Veränderung und nachträgliche lückenhafte Er¬ 
innerung an die Zeitdauer desselben. Reckzeh. 

Magnus-Hirsohfeld: Ist die Homosexualität körperlich oder 
seelisch bedingt? (M.m.W., 1918, Nr. 11.) Die ursprünglich zwei- 
geschlechtlich angelegten Pubertätsdrüsenzellen behalten ihre inner¬ 
sekretorische Wirksamkeit bei. Ohne diesen anatomisch-physiologischen 
Vorgang vermögen gleichgeschlechtliche Handlungen (bei nioht homo¬ 
sexuell veranlagten Personen) keine Triebumkebrung herbeizuführen. 
«Menschen mit Gesohlechtsanomalien gehören nioht vor ein juristisches, 
sondern vor ein medizinisches Forum.“ 

L iss mann-München: Neiro serologische Beobachtungen an der 
Front. (M.m.W., 1918, Nr. 11.) Die Abstinenz verursacht keine psy¬ 
chischen oder körperlichen Störungen, besonders bei nicht allzu reich¬ 
licher Ernährung. Pollutionen üben einen regulatorischen Einfluss. Bei 
längerer Abstinenz kommt es unter dem Einfluss des Schützengraben- 
lebens zur Abnahme der Libido, die beim Urlaub anfangs zur Schwächung 
der Potenz führt, aber nur vorübergehend ist. Bei sehr libidinös ver¬ 
anlagten Leuten kann es bisweilen bei längerer Abstinenz zur soge¬ 
nannten Epididymitis oder Funiculitis erotica, meist im Anschluss an 
frustrane, durch sexuelle Vorstellungen bedingte Erregungen kommen. 
Diese Epididymitis ist rein funktioneller nicht entzündlicher (gonorrhoi¬ 
scher) Natur. Geppert. 

Stein-Purkersdorf: Psychotherapie der Schlaflosigkeit. (W.m.W., 
1918, Nr. 7.) Sind die Erregbarkeit der sensiben Nerven, der Gedanken¬ 
fluss, die zahlreichen Unlustgefühle die Quelle der Schlaflosigkeit, so ist 
es letztere wieder, die den Grundzustand steigert und die psychische 
Verfassung des Patienten ungünstig beeinflusst. Gerade in diesem 
letzten Moment haben wir einen Angriffspunkt, um die Psychotherapie 
einsetzen zu lassen. Um nun die Art der seelischen Beeinflussung richtig 
zu wählen, ist es notwendig, die jeweilige Stimmung des Patienten in 
ihrer besonderen Färbung und Eigenart kennen zu lernen. 

Reokzeh. 

Pribram: Ueber Eniepholitis. (D. Aroh. f. klin. M., 1918, Bd. 125, 
H. 1—3.) Klinische Beschreibung eines Falles von Enzephalitis lethargioa. 
Anfänglich standen Augenmuskelstörungen im Vordergrund, weniger 
Pyramidenzeichen. Das Charakteristische des eigentümlichen Krankbeits- 
bildes sind akut einsetzende Lähmungen, besonders der Augenmuskeln, 


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UNIVERSUM OF IOWA 



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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18 . 


der eigenartige Schlafzustand and das epidemische Auftreten. Die Er¬ 
krankung ist verwandt der Heine-Medin’schen Krankheit. 

K. Weiner: Ueber Chorea senilis. (D. Arch. f. kiin. M., 1918, 
Bd. 125, H. 1—3.) Mitteilung zweier eigener Beobachtungen und Be¬ 
sprechung der gesamten bisher beschriebenen Fälle (52). Zinn. 


Kinderheilkunde. 

v. Pirquet-Wien: Ergebnisse der Kindereraährnag lach eilen 
leaei System. (W.m.W., 1918, Nr. 5.) Zur Bearbeitung des Ernährungs¬ 
problems bedient sich Verf. zweier neuer Hilfsmittel: Eines neuen Maasses 
für den Nährwert der Lebensmittel und eines neuen Maasses für den 
Nahrungsbedarf des einzelnen Menschen. Als Maass für alle Nahrungs¬ 
mittel verwandte er den Nährwert der Milch, der Frauenmilch mit einem 
durchschnittlichen Fettgehalt von 3,7 pCt. Ein Gramm einer solchen 
Frauenmilch bildet die metrische Einheit, das Nem: Nahrungs-Einheit- 
Milch oder Nutritions-Elementum. Vielfache davon sind das Kilonem, 
der Nahrungswert von 1000 g Milch und das Hektonem, der Nahrungs¬ 
wert von 100 g Milch. Jedes andere Nahrungsmittel wird auf Grund 
seines Gehaltes an nützlichen Kalorien, kontrolliert durch den prakti¬ 
schen Versuch am Menschen, an der Milch verglichen. Die andere 
Grundlage, die für den Nahrungsbedarf des einzelnen Menschen not¬ 
wendig war, wurde aus dem Vergleiche des Nahrungsverbrauches von 
grossen und kleinen Tieren, von Mensch und Tier in Arbeit und Ruhe 
gewonnen. Verf. unterscheidet ein Maximum, ein Minimum und ein 
Optimum der täglichen Nahrungsmenge. Das Maximum, das der Ver¬ 
dauungskanal eben noch bewältigen kann, ohne Schaden zu leiden, be¬ 
trägt ungefähr ein Nem. Das Minimum ist jene Nahrungsmenge, die 
notwendig ist, um bei völliger Ruhe der äusseren Muskulatur — bei 
strenger Bettruhe — die innere Arbeit von Herz, Lunge, Drüsen zu er¬ 
halten, ohne dass eigene Reservestoffe verzehrt werden. Sie beträgt drei 
Zehntel Nem pro Quajjratzentimeter. Reokzeh. 


Chirurgie. 

Wagner: Einfachste Finger-Handsckieae. (Zbl. f. Chir., 1918, 
Nr. 10.) Aus einem Stück Pappe kann man sich eine Schiene zurecht 
schneiden, wie sie für den jeweiligen Fall gebraucht wird. Hayward. 

K. Franke: Ueber Oberarmseliienenverbände und eine zweck¬ 
mässige Art der Befestigung derselben. (Bruns* Beitr. z. klin. Chir., 
Bd. 103, H. 1, 45. kriegschirurgisches Heft.) Gramerschienenverband nach 
Art der Rechtwinkelschiene. Angabe einer zweckmässigen Befestigungs¬ 
art der Schienen durch Gurte. W. V. Simon. 

E. Herzberg-Berlin: Fortschritte der Extensiensbehandlang ii 
der Kriegschirurgie. (D. Zscbr. f. Chir., 1918, Bd. 144, H. 1 u. 2.) 
Uebersicht über die Extensionsbehandlung mit Angabe einiger technischer 
Neuerungen in der Drahtextension. B. Valentin-zurzeit im Felde. 

Schönfeld-Wien: Unechte Steckschüsse. (W.m.W., 1918, Nr.7.) 
Die drei beschriebenen Fälle haben das Gemeinsame, dass das Projektil 
in den Weiohteilen vor der Wirbelsäule seinen Sitz hatte und sich nach 
kürzerer oder längerer Zeit spontan loslöste und entleert wurde. Der 
Ausgang der Fälle rechtfertigt die Methode des Abwartens. Reckzeh. 

Erlach er: Zur Entstehung von Schlottergelenkei in Knie nach 
Obenchenkelbrüchen. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 9.) Die auffallende 
Häufigkeit der Bildung von Sohlottergelenken nach Oberschenkelbrüohen 
wurde von E. ebenfalls bestätigt bei der Nachuntersuchung eines grossen 
Materials. Von 98 Fällen war diese Schlottergelenkbildung nur in einem 
Falle von Schenkelhalsbruch nicht und in weiteren sechs Fällen (darunter 
zwei Schenkelhalsbrüchen) nur angedeutet worden. Die eigenartige 
Komplikation wurde zum Teil auf Extensionsbehandlung geschoben. 
Demgegenüber glaubt E., dass es sich um die Folgen eines Ergusses 
handelt, der schon bei der Verletzung selbst entsteht, und der durch 
die Erschlaffung der Kapselabscbnitte infolge der nachfolgenden Ver¬ 
kürzung der Muskulatur nur noch begünstigt wird. Je vollkommener 
also die Restitution sowohl nach der Seite der Beweglichkeit des Knie¬ 
gelenkes wie nach der Seite des Längenausgleichs des Beines erreicht 
wird, um so weniger häufig wird man mit einem Sohlottergelenk zu 
rechnen haben. 

Mühlhaus: Bemerkung zu der Mitteilung von Dr. Böhler im 
Zbl. f. Chir, 1917, Nr. 89: Ueber Sehlottergelenke im Knie nach 
Oberschenkelschussbrüchen. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 9.) M. sieht ein 
wichtiges Moment bei der Entstehung des Schlottergelenkes in den 
Wechselbeziehungen zwischen dem Verhalten der Patella und der Ent¬ 
spannung der Oberschenkelmuskulatur. Hayward. 

Kukula: Erfahrungen über Lokalisation nnd Entfernung von 
Projektilen. (Bruns* Beitr. z. klin. Chir., Bd. 108, H. 1, 45. kriegs¬ 
chirurgisches Heft.) Die eingehende Arbeit eignet sich nicht zum kurzen 
Referat. W. V. Simon. 

Haberland: Zur Technik der indirekten Blnttransfnsion. (Zbl. 
f. Chir., 1918, Nr. 11.) Das lebensrettende Verfahren der direkten 
Bluttransfusion hat, offenbar wegen der noch etwas schwierigen Technik, 
noch nicht allgemeinen Eingang gefunden. Die Methode Haberland*s 
vereinfacht jedoch den Eingriff so weit, dass er im wesentlichen einer 
intravenösen Infusion gleichkommt. Nach Desinfektion der Arme mit 
Aether und Alkohol und manueller Stauung des Armes des Spenders 


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wird eioe Strauss'sohe Kanüle in einen der zuführenden Aeste der Vena 
brachialis in der Richtung auf die Hand zu eingestochen. Das Blut 
fängt man in einem Glaskolben auf, der eine lproz. Lösung von Natrinm 
oitrioum in physiologischer Kochsalzlösung bei 36—38 Grad enthält 
Die Lösung, die zur Vermeidung einer Abkühlung in ein Wasserbad von 
40—45 Grad gestellt wird, wird dauernd umgescbüttelt. Es wird 
300—500 ccm Blut entnommen und mit gleichen Teilen der Lösung 
vermischt. Dann erfolgt sofort die Infusion mit einer zweiten Strauss- 
sehen Kanüle und einem Gummisehlauch mit Trichteransatx, die eben¬ 
falls mit angewärmter Natrium-citricum-Lösung gefüllt worden sind. 
Pro Minute sollen 30—40 ccm eingelassen werden. Hayward. 

M. Kr ab bei: Zur Pathologie und Behandlung frischer Geflss- 
verletznngen. (Bruns* Beitr. z. klin. Chir., Bd. 108, H. 1, 45. kriegs¬ 
chirurgisches Heft.) Die durch Gewehrschuss hervorgerufenen Gefäss- 
verletzungen werden häufig nicht manifest, da, wie auch drei Fälle 
des Verf. zeigen, oft sehr schnell die Verletzungsstelle duroh einen 
Thrombus verschlossen wird. Da sioh der Thrombus aber später wieder 
lösen kann, ist besonders auf Verletzung eines grösseren Gefässes die 
operative Freilegung angezeigt. Auch wenn das Coenen-Henle’sehe 
Symptom negativ sein sollte, kann man die Unterbindung wagen, falls 
seit der Verletzung mindestens 12 Standen vergangen sind, ohne dass 
Zirkulationsstörungen aufgetreten wären. 

F. Kr oh: Frische Schnssverletiangen de« Gef&ssapparates. Eine 
klinisch-experimentelle Studie. (Bruns* Beitr. z. klin. Chir., Bd. 108, 
H. 1, 45. kriegschirurgisches Heft.) Verf. weist auf verschiedene Eigen¬ 
tümlichkeiten des Gefassapparates hin, die für die Klinik der Gefass- 
sohüsse von Wichtigkeit sind; dahin gehört z. B. die Elastizität der 
Gefässwand, die die Tendenz hat, kreisförmige Wunden trotz der Wirkung 
des intravaskulären Druckes auf ein Minimum zu reduzieren. Von der 
Kontusionswirkung, die im Gefolge eines selbst leichten Gefässtraumas 
auftreten kann, ist das seltene Bild des Vasokonstriktorenkrampfes 
sehr interessant. Die dadurch resultierende Verengerung des Gefässes 
kann so stark sein, dass die Blutzirkulation völlig gehemmt wird. Bei 
keinem dieser drei Fälle, die Verf. sah, konnte eine neuropathische 
Basis als prädisponierendes Moment festgestellt werden, nooh kamen die 
Kranken im Shook zur Behandlung. Andere Fälle des Verf. zeigen, 
wie durch den interstitiellen Bluterguss die Gefässe völlig komprimiert 
werden können. Auch die Gefahr der ischämischen Muskelkontraktur 
wird dadurch hervorgerufen und muss erst durch grosse entlastende 
Inzisionen bekämpft werden. Weiter geht Verf. auf die offenen Ver¬ 
letzungen der Gefässwand ein, sowie auf den Selbstverscbluss verletzter 
Gefässe, unter denen besonders zwei Fälle von Herzverletzungen interessant 
sind. 

H. Küttner: Beiträge zur Kriegschirurgie der Blutgefässe. 1. Die 
Verletzungen und tranmatisehen Aneurysmen der Vertebral gefässe 
am Halse und ihre operative Behandlung. (Bruns* Beitr. z. klin. Chir., 
Bd. 108, H. 1, 45. kriegschirurgisches Heft.) K. berichtet über sieben 
in diesem Kriege beobachtete Fälle von Verletzung bzw. Aneurysma 
der Arteria vertebralis, von denen er zwei Fälle selbst operiert hat. 
In seiner gross angelegten, die gesamte Literatur berücksichtigenden 
Arbeit legt er zuerst die anatomischen Verhältnisse klar. Er schlägt 
vor, den Verlauf der Arterie in drei Strecken einzuteilen: 1. vom Ursprung 
aus der Arteria subclavia bis zum Eintritt in das Foramen transvers. 
des sechsten Halswirbels, 2. der Verlauf im Canalis transvers, 8. die 
in der Regio suboocipitalis gelegene Strecke vom Austritt aus dem Atlas 
bis zum Eintritt in die Schädelhöhle. Diese Einteilung bat sich für die 
Betrachtung und Beurteilung sowohl der frischen Fälle wie der Aneurysmen 
als sehr zweckmässig erwiesen. Verf. bespricht dann ausführlich die 
klinische Seite seines Themas, wobei er gesondert die frischen Ver¬ 
letzungen und die Aneurysmen behandelt. Auf die vielen wertvollen 
Einzelheiten seiner Ausführungen kann an dieser Stelle nicht näher ein¬ 
gegangen werden. Das gilt besonders auch lür den therapeutischen Teil 
der Arbeit. W. V. Simon. 

Lauenstein: Beitrag zum Anenrysma der Vertebralis. (Zbl. f. 
Chir., 1918, Nr. 10.) Bestätigung der Vorteile des Küttner’schen Ver¬ 
fahrens der Unterbindung des Gefässes sowohl am Ursprung wie an 
seinem peripheren Teil in der Regio suboccipitalis. Hayward. 

Krische*. Zur Operation der Glat&alanearysaien. (D. Zschr. f. 
Chir., 1918, Bd. 144, H. 1 u. 2, S. 142.) Im Gegensatz zu Stromeyer, 
der bei Glutäalaneurysmen die Unterbindung der Art. hypogastrica ver¬ 
langt, schlägt K. vor, das Aneurysma direkt anzugehen und führt einen 
mit Erfolg so operierten Fall an. B. Valentin-zurzeit im Felde. 

Schulz: Ueber offene aad Sonnenbebandlnng Kriegsverwmndeter. 

(W.m.W., 1918, Nr. 8.) Auf Gruud der mit der offenen Wundbehandlung 
erzielten schönen Erfolge kann Verf. diese Behandlung empfehlen. Sie 
stellt die physiologisch richtigste, die natürlichste Wundbehandlung 
dar und ist nur in der übergrossen Angst vor Wundinfektion verdrängt 
worden duroh dicke, sekretstauende, Eiter aufhaltende Verbände. Man 
spart auch an Körpersäften der Verwundeten. Reckzeh. 

W. Pfänner-Innsbruck: Zur Kenntnis und Behandlung des 
nekrotisierenden Erysipels. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 144, H. 1 u.3, 
S. 108.) Unter 75 Erysipelfällen wurde neunmal die nekrotisierende Form 
beobachtet. Bei Individuen, die durch Infektionskrankheiten oder andere 
Ursachen in ihrem Kraftzustand stark heruntergekommen sind, muss 
einem auftretenden Erysipel erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden, 
um die sioh möglicherweise einstellende schwere, Komplikation des suh- 


Q'riginal fr um 

UMIVERSITY OF IOWA 





6. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


431 


kutanen Nekrotisierungsprozesses nicht zn spät za bemerken oder ganz 
za übersehen. Die Behandlung besteht in der Durchtrennung der Haut 
bis auf die Faszie handbreit oberhalb der Erysipelgrenze. Auf Grund 
der bakteriologischen Befunde sowie des bei allen Fällen festgestellten 
primären Kräfteverfalles dürfte die Ursache der gewebszerstörenden 
Komponente des Erysipels in der darnieder liegen den Resistenzfähigkeit 
des Organismus, und nioht so sehr in einer besonderen Art oder Virulenz 
der Erreger zu suchen sein. 

Wilma- Heidelberg: Dauerspasmiis ai Pylorms Kardia, Sphinkter 
der Blase and des Mastdarmes. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 144, 
H. 1 u. 2, S. 67.) Der Dauerspasmus an den vier Stellen: Pylorus, 
Kardia, Blase und Mastdarm beruht bezüglich der Aetiologie auf gleich¬ 
artigen Prozessen, aber die Symptome sind von verschiedenen Faktoren 
abhängig, die in der Funktion oder Grösse oder Kraft des austreibenden 
Organs begründet liegen. Die mannigfaltigen Symptome sind Folgezu¬ 
stände eines spezifischen, wohl im Nervensystem begründeten Vorganges. 
Dass ein Dauerspasmus, der den normalen Oeffnungsreflex des Sphinkters 
beeinflusst, in Frage kommt, ist das Wahrscheinlichste. Wo und wo¬ 
durch und wie aber der Nervenreiz ausgelöst wird, der diesen Spasmus 
veranlasst, ist bisher dunkel. Verschiedene Methoden der Therapie, unter 
der die chirurgischen Maassnahmen gegebenenfalls nicht fehlen dürften, 
stehen uns schon heute zur Verfügung, wobei besonders erfreulich ist, 
dass die chirurgischen Maassnahmen wegen ihrer Einfachheit das Leben 
der Erkrankten kaum gefährden. 

Wi 1ms-Heidelberg: Die Rammstedt’sehe Operatioi kein hyper¬ 
trophischen Pylorospasmis (Dauerpylorospasmus) der Slagliige. (D. 
Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 144, H. 1 u. 2, S. 63.) Die Rammstedt’sche 
Operation besteht in der Längsspaltung der hypertrophischen Pylorus- 
muskulatur; an drei Säuglingen wurde von W. die Operation mit bestem 
Erfolg ausgeführt. Die Kürze der Operation (beim zweiten und dritten 
Fall je drei Minuten) ist von ausschlaggebender Bedeutung, weil damit 
auch die Narkose sich auf eine ganz kurze Betäubung beschränkt. Die 
Asepsis muss mit äusserster Strenge durchgeführt werden, die Verwendung 
von Kubn'schem Katgut ist dringend zu empfehlen. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

Zorn: Zur Operation der Hcraia obtiratoria iaearcerata. (Zbl. 
f. Chir., 1918, Nr. 11.) Auch die drei beschriebenen Fälle, die von 
Hakenbruch operiert wurden, sprechen dafür, dass man stets per 
laparotomiam vorgehen soll. Hayward. 

A. Wagner-Lübeck: Bessifiag kortikaler 8pasaei direh Enke- 
phalolyse. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 144, H. 1 u. 2.) Die Enke- 
phalolyse befreit das Gehirn von den Schwielen, bis es frei pulsiert; 
auf die freigelegten Bahnen wird ein weiches Polster gelegt, am besten 
ein frei transplantierter Fettlapped, darüber wird die Haut ohne Knochen- 
deokung verschlossen, um jeden unnötigen Druck zu vermeiden. An 
Hand von zwei Beispielen wird gezeigt, welch günstigen Einfluss die 
Enkephalolyse bei kortikalen Spasmen hat, die Methode wird daher zur 
weiteren Nachprüfung empfohlen. 

A. Wagner-Lübeck: Heilung einer Ventrikelzyste durch freie 
homopl&stisehe Fettfüllung. (D. Zschr. f. Chir., 1918, Bd. 144, H. 1 u. 2, 
S. 83.) Im vorliegenden Fall, dessen sehr interessante Krankengeschichte 
genauer mitgeteilt wird, handelte es sich um einen grossen rechtsseitigen 
Hydrooephalus internus,' der operativ durch homoplastische Fettimplan¬ 
tation zur Heilung gebraoht wurde. Das einer vorher operierten Patientin 
aus den Bauchdecken entnommene Fett heilte glatt ein. Das Ventrikel¬ 
system hat nur in den ersten Tagen mit geringen meningealen Symptomen 
reagiert, später war keinerlei schädlicher Einfluss von seiten des Gehirns 
erkennbar. Unter allen Umständen soll man vor Schädeloperationen 
die nötige Klarheit eines jeden Falles durch Röntgenaufnahmen des 
Schädes von verschiedenen Seiten zu erlangen bestrebt sein. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

B. Heile: Zur operatives Freilegng der verletitei peripheren 

Nerven. (Bruns 1 Beitr. z. klin. Chir., Bd. 108, H. 1, 45. kriegs- 
ohirurgisches Heft.) Die Technik der Freilegung der verletzten Nerven 
ist für den Enderfolg wiohtig. Bei Plexusverletzungen wird das aus dem 
Periost gelöste Sohlüsselbein im Sternoklavikulargelenk temporär luxiert, 
wenn die Verletzung in Höhe der Klavikula erfolgt ist. Bei Nerven- 
sohädigung unterhalb der Klavikula genügt meist die temporäre Durch¬ 
trennung des Pectoralis major und minor. Zur Freilegung des Isohiadikus 
in seinem oberen Teile empfiehlt sich ein Hautschnitt, der zwei Quer¬ 
finger unterhalb der Spina il. post beginnt und zwei Querfinger unter¬ 
halb des Trochanter majus endet, also dem Faserverlauf des Glutäus 
maximus, der stumpf gespalten wird, parallel läuft. Eventuell kann 
noch eine Spaltung der Fasoia lata parallel dem Femur zugefügt werden. 
Zur Freilegung des Tibialis unterhalb der Kniekehle wird der Gastro- 
cnemius in seinem medialen sehnigen Teil durohtrennt und der Soleus 
in seinem breiten Ansatz an der Tibia temporär durchschnitten. Auch 
beim Nervus radialis ergab die temporäre Durchtrennung des lateralen 
Trizepskopfes guten Zugang. Eine Schädigung der Muskulatur durch 
die temporäre Durchtrennung resultiert nicht. W. V. Simon. 

Ritter: Zur Technik des Verschlusses alter Eapyenflstela. 
(Zbl. L Chir., 1918, Nr. 11.) Da die Pleura oostalis sioh gewöhnlich 
von den Rippen leicht ablösen lässt, ist es zweckmässig in einer ersten 
Sitzung diesen Eingriff vorzunehmen und diesen Teil der Pleura durch 
eine Tamponade fest auf die Pleurasohwarte der Pleura pulmonalis 
anznpressen. In einer zweiten Sitzung kann -dann unter wesentlich 


aseptisoheren Bedingungen die Resektion der Rippen vorgenommen bzw. 
an Stelle der Tamponade eine Muskelplastik ausgeführt werden. 

Linnartz: Zur Erleichterung der Prostatektomie. (Zbl. f. Chir., 
1918, Nr. 9.) Ein korkzieherartiges Iostrument bei der Prostatektomie 
(durch Sectio alta oder auf dem perinealen Wege) in die vergrösserte 
Prostata eingeführt, erleichtert die Ausschälung ganz wesentlich. 

_ Hayward. 


Röntgenologie. 

H. Weritz: Gasvergiftung im Röatgeizimmer. (M.m.W., 1918, 
Nr. 11.) Nioht die bei der Entladung der Funkenstreoke sich bildende 
salpetrige Säure ist als schädigendes Moment hinzustellen, da sie in viel 
zu geringer Menge, um toxisch wirken zu können, gebildet wird, sondern 
das Ozon ist der „wirkliche üebeltäter“. Geppert. 

Drüner-Quierschied: Ueber die Messung der Uitertischanfhalrme 
and Uaterti8ehdnrchlenehtnng und die röntgenoskopisehe Operatioi 
im stereoskopischen Schirmbilde. (D.m.W., 1918, Nr. 11.) 

Hirsch-Stuttgart: Die v. Hofmeister’sche Ringmethode inr Fremd¬ 
körperlokalisation. (D.m.W., 1918, Nr. 11.) Die Methode nach v. Hof¬ 
meister hat sich dem Verf. sehr gut bewährt. Dünner. 

Bauermeister-Braunsohweig: Paikreatischer Symptomenkomplex 
nnd Dnodenalerweiternng. (Zbl. f. inn. Med., 1918, Bd. 39, H. 11, 
S. 161.) Mitteilung drei entsprechender Fälle mit sicher nachgewiesenen 
Erweiterungen des Duodenums. Ueber die ursächlichen Beziehungen 
zwischen Duodenalerweiterung und pankreatischem Symptomenkomplex 
und über die Auslösung des letzteren durch erstere lässt sich noch 
nichts Näheres sagen. Zwei der Kranken hatten mit Schmerzen ver¬ 
bundene Durchfälle, die zu einem an Erschöpfung grenzenden Kräfte¬ 
verfall führten, dooh zeigten die Stühle keinen gastrogenen, sondern 
einen ausgesprochenen pankreatOgenen Charakter. M. Goldstein. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Samberger-Prag: Weitere Erkenntnisse über die lymphatische 
Hantreaktion. Pathogenese der Pemphigusblase. (W.m.W., 1918, Nr. 8.) 
Die Blase beim vagotonischen Syndrom ist gleich der Urtika der 
Ausdruok einer Selbsthilfe des nach Sauerstoff dürstenden Gewebes. 
Durch dieselbe trachtet das Gewebe seine Durchblutung zu regulieren, 
deren es bedarf und die im ersten Stadium der Wirkung der toxischen 
Substanz auf den Sympathikus infolge Reizung des Sympathikus durch 
die toxische Substanz vor seiner Lähmung gestört wurde. Reckzeh. 

Werther: Anfstöbernng unerkannter Syphilis und die Vorteile, 
welche die Angliederung der Beratungsstellen an Faehabteilungen der 
Krankenhäuser hat. (M.m.W., 1948, Nr. 11.) An der Hand von Kranken¬ 
geschichten werden typische Fälle von leider nicht alluzeltenen Familien¬ 
endemien von Lues angeführt. In einem Falle erkrankten 7 Familien¬ 
mitglieder; die ursprünglich vom Vater eingeschleppte Syphilis wurde 
zunächst auf die Mutter übertragen, dann erkrankten 4 erwachsene 
Töchter auf dem Wege der Tonsilleninfektion, eine 5. Tochter erkrankte 
bereits im 1. Lebensjahr, ohne dass man den Uebertragungsmodus fest¬ 
stellen konnte. Bei einer anderen Endemie wurden 4 Knaben von der 
syphilitischen Mutter auf dem Wege der Tonsilleninfektion angesteckt. 
Es wird insbesondere auf die häufige leider meist unterschätzte Tonsillen¬ 
übertragung hingewiesen und auf den Wert des Forschens nach der An- 
steckungsquelle syphilitisch Erkrankter aufmerksam gemacht. 

Geppert. 

R. Sabouraud: Prophylaxe der Geschlechtskrankheiten heim 
Heer. (La presse m6d., 1918, Nr. 10.) Die Zahl der Geschlechtskrank¬ 
heiten wächst seit dem Kriege in Volk und Heer. Letzteres ist die 
Quelle der Zunahme; alle Vermehrung der Untersuchungs- und Behand¬ 
lungsmöglichkeiten scheinen wenig zu nutzen. Dabei zeigen die organi¬ 
satorischen Maassnahmen im amerikanischen Heer auf französischem 
Boden, wie man wirksam Vorbeugen kann. Der amerikanische Soldat 
— Offizier wie Mann — hat an Belehrungen seitens der Aerzte teilzu¬ 
nehmen; er erfährt hier Vorbougungsmaassregeln und wird bestraft, 
wenn er sie nioht anwendet. In jeder Garnison sind Tag und Nacht 
geöffaete „Vorbeugungsstationen“ eingerichtet, die den Soldaten durch 
Listen bekannt gegeben werden. Jeder Soldat hat diese nach dem Ge¬ 
schlechtsverkehr aufzusuchen — bei Gefahr der Bestrafung — und zwar 
3—4 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr, und sich dort einer „Be¬ 
handlung“ zu unterziehen. Eine solche Station in Paris nimmt täglich 
durchschnittlich 75 „Behandlungen“ vor. Diese werden ausgeführt von 
besonders ausgebildetem Sanitätspersonal und dauern etwa 10 Minuten. 
Die Geschlechtsorgane werden mit Seifenwasser gewaschen. In die 
Urethra anterior wird 2proz. Protargollösung eingespritzt, die der Be¬ 
sucher 5 Minuten zu halten hat; die benutzte Glasspritze wird in 
2prom. Sublimat desinfiziert. Dann wird Eichel, Vorhaut uod Glied mit 
33proz. Kalomeisalbe bedeckt, die der Betreffende unter den Augen des 
Sanitäters sorgfältig überall, namentlich am BändcheD, 5 Minuten lang 
durch Massage verteilen muss. Darüber wird ein Seidenpapierverband 
gelegt den der Soldat 4—5 Stunden zu tragen hat. Ueber Namen und 
Zeit werden genaue Listen geführt. Diese Maassnahmen sind bei den 
Amerikanern seit 1911/12 in Gebrauch. Bestraft wurden nur diejenigen 
geschlechtekramken Soldaten, die nachweislich die Vorbeugungsstation 
nioht benutzt hatten. Die Erfahrung lehrte, dass nur solche sich an- 


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UNIVERSUM OF IOWA 




432 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18 . 


steckten, die sich nicht oder zu spät „behandeln“ Hessen. Daher wird 
jetzt die Tatsache der Ansteckung als Beweis für den Nichtgebrauoh 
angesehen, ln den Kasernen finden zweimal monatlich vorher nicht an¬ 
gesagte Gesundheitsbesichtigungen statt. Erkrankt Befundene werden 
mit 2—8 monatlicher Söldentzieüung bestraft. Vorläufige Statistiken er¬ 
gaben, dass nach ausserehelichem Geschlechtsverkehr im Frieden 7 bis 
8 pCt. erkrankten, während des Krieges in Kuba und den Philippinen 
12—15 pCt.; bei den jetzigen Einrichtungen In einer Station 

in Bordeaux wurden vom 25. VII. bis 10. XI. 1000 Soldaten behandelt, 
ohne eine einzige Ansteckung. Im australischen Heer kam ein Fall auf 
1000 vor. Im kanadischen Heer wurden 50 000 Tuben mit folgender 

Salbe Kalomel 82,5 

Aoid. oarb. 1,5 

Kampfer 1,0 

Lanol. 15,0 

Vaselin. 50,0 

verteilt; mit bestem Erfolge. S. erwähnt weiter, dass diese Maassnahme 
von Franzosen, Metschnikoff und Roux, zuerst empfohlen, von Aus¬ 
ländern aber angewandt wurde. Die Versuche mit der Salbe wurden 
seinerzeit am Menschen (Skarifikation der Eichel, Inokulation von 
Syphilis) in seinem Beisein vorgenommen: sie waren beweisend, wenn 
auch jetzt gegenteilige, aber nicht experimentell naobgeprüfte Behaup¬ 
tungen vorliegen. — (Zweifellos sind diese Einrichtungen sehr nützlich 
— wenn man ihre Durchführung gewährleisten kann. Man muss dabei 
in Betracht ziehen, dass bei den Amerikanern in Frankreich ein Heimats¬ 
heer nicht besteht, der Verkehr mit der Ehefrau nicht vorkommt. Ref.) 

_ Krakauer-Breslau. 

Geburtshilfe und Gynäkologie. 

F. AhIfeld-Marburg: Wrisberg, Mayor, de Kergaradec. Zur 
Geschichte und Entwicklung der geburtshilflichen Auskultation. (Msch. 
f. Geburtsh., Bd. 47, H. 8.) Zur Feier seines goldenen Doktoijubiläums 
gibt Ah Ifeld eine historische Uebersicht über die Entstehung der 
geburtshilflichen Auskultation. Die ersten Anfänge gehen auf den 
Göttinger Anatomen und Gynäkologen Wrisberg zurück, der allerdings 
nur die Bewegungen des Fötus, nicht die Herztöne auskultierte; dies 
tat zuerst Mayer in Genf. Die erste Veröffentlichung über Auskultation 
und Ausbau der Methode stammt von Kergaradec aus Paris. In 
Deutschland fand die Auskultation nur schwer und langsam Anerkennung 
und setzte sich gegen grossen Widerstand auch früherer Kliniken durch. 
Die weitere Entwicklung der Auskultation und ihre besondere Bedeutung 
für die Zwillingdiagnose wird eingehend besprochen. 

H. Busch-Göttisgen: Zur Indikationsstellung des künstlichen 
Aborte, (Mschr. f. Geburtsh., Bd. 47, H. 2.) Eine grössere Zahl der 
aus eigener Initiative gekommenen und eingewiesenen Fällen wurde 
abgelehnt. Die Indikationen der Klinik entsprechen im übrigen den 
jetzt ziemlich allseitig anerkannten und üblichen. F. Jaoobi. 

J. Wen dt: Therapie der Placenta praevia. (M.m.W., 1918, Nr. 6.) 
Zusammenstellung von 81 Fällen der Grossh. hessischen Hebammen¬ 
anstalt in Mainz. Empfohlen wird möglichst baldige Ueberweisung in 
eine Anstalt nach aseptischer Tamponade. Die Metreuryse wird der 
kombinierten Wendung vorgezogen. Es müsste aber betont werden (Ref.), 
dass bei einzelnen Fällen die kombinierte Wendung lebensrettend für 
die Mutter wirken kann. Wenn Verf. den Kaiserschnitt bei Placenta 
praevia nur bei „total ausgebluteten Frauen“ als Ultimum refugium an¬ 
gewandt wissen will, so ist ihm anscheinend nicht bekannt, in welcher 
Absicht Krönig und Sellheim den Kaiserschnitt bei Placenta praevia 
einführten. Auch mit der Bemerkung, der vaginale Kaiserschnitt bietet 
gegenüber der Metreuryse keinen Vorteil, kann sich Ref. nioht einver¬ 
standen erklären. Beide Eingriffe haben ganz verschiedene Indikationen, 
abgesehen davon, dass bei Plaoenta praevia nach neueren Anschauungen 
der vaginale Kaiserschnitt als kontraindiziert betrachtet wird. 

Geppert. 

C. Rüge II-Berlin: Zur Behandlung der Eklampsie. (Aroh. f. 
Gynäk., Bd. 108, H. 1.) Aus den bisherigen Vergleichen scheint sich 
zu ergebeo, dass das abwartende Verhalten vielleicht eine geringe 
Ueberlegenheit für das Leben der Mütter ergibt, dass das operative aber 
eine grosse Besserung der Aussichten für das Kind aufweist. Für die 
häusliche Praxis kommt nur das abwartende Verhalten in Frage, und 
hier lassen sich dann immerhin noch mit sehr grossen Blutentziehungen 
und Narkoticis recht annehmbare Erfolge erzielen. 

C. Roh de* Frankfurt a. M.: Ueber die Bedeutung der Oeburts- 
dauer aaeh dem Blasensprung für die Aetiologie der endogenen puer- 
peralea Infektion. (Arch. f. Gynäk., Bd. 108, H. 1.) Als wichtigste 
Folgerung aus der Zusammenstellung kann angesehen werden, dass ein 
irgend gearteter Einfluss auf den Verlauf des Wochenbettes aus der 
Anwesenheit hämolytischer oder anhämolytischer Streptokokken nicht 
hergeleitet werden konnte. Die Morbidität nimmt mit der Geburts¬ 
dauer nach erfolgtem Blasensprung zu. Eine sonstige Gesetzmässigkeit 
hat sich nicht erkennen lassen. 

Th. Franz-Wien: Zur Physiologie aad Leitaag der III. tiebnrts- 
periode. (Mschr. f. Geburtsh., Bd. 47, H. 8.) Vergleich der bisherigen 
Untersuchungen und eigene Wägungen lassen den Verf. einen Ueber- 
gang von Blut bis zu grösseren Mengen (125) zum Neugeborenen an¬ 
nehmen, wenn man mit der Abnabelung nach der Geburt etwa 8 bis 


10 Minuten abwartet; einen Nachteil durch das Abwarten auf die 
Plazentarlösung hat der Verf. nicht gesehen. Ueber die beste Methode 
der Behandlueg der Nachgeburtsperiode besteht bisher noch keine 
Einigung; in normalen Fällen scheint es am besten zu sein, überhaupt 
sich auf die Beaufsichtigung zu beschränken und die Gebärmutter völUg 
unangetastet zu lassen. Ist die Placenta gelöst, so soll man sie durch 
entsprechende Hilfe aus der Scheide entfernen (Crödö). 

E. Rukop-Breslau: Verfahren zur Einschränkung der manuellen 
Plaseatarltisang. (Mschr. f. Geburtsh., Bd. 47, H. 2.) Anwendung des 
Gabaston’schen Verfahrens in vier Fällen, wobei dreimal ein Erfolg. 
Besonders bei dem jetzigen Mangel an Gummihandschuhen ist die Ein¬ 
spritzung von Kochsalzlösung in die Nabelvene zweifellos ein schonenderes 
Verfahren als eine manuelle Plazentarlösung. 

G. Weil-Leipzig-Oetzsch: Ergotin als Herzmittel aad Diuretikum. 
(Mschr. f. Geburtsh., Bd. 47, H. 8.) Der Verf. gibt Ergotin in Form 
von Myokardol mit geringem Koffeinzusatz. Die Erfolge sind nach seinen 
Erfahrungen gut. 

F. Moraller-Berlin: Ueber blutende Mamma mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung des Cystadeaoma mammae. (Mschr. f. Geburtsh., Bd. 47, 
H. 2, Festschrift für A. Martin.) Genaue Beschreibung eines 4 Jahre 
beobachteten Falles und Angabe der über blutende Mamma bisher er¬ 
schienenen Literatur. Auf dem Boden eines bis dahin anscheinend 
gutartigen Cystadenoma mammae entwickelte sich ein Karzinom der 
reohten Brustdrüse. In der linken Brustdrüse verlief die Erkrankung 
ohne maligne Degeneration bis zum Zeitpunkt der Amputation. Blutungen 
aus der Mamma können bei gutartigen Prozessen Vorkommen; sie legen 
aber immer den Verdacht anf Malignität nahe und müssen entsprechend 
beobachtet werden. 

H. Küster-Breslau: Ueber Mesenterialzysten. (Mschr. f. Geburtsh., 

Bd. 47, H. 2.) An Hand eines operierten Falles von Zyste des Meso¬ 
kolon bespricht der Verf. die Herkunft derartiger Zysten, von denen in 
etwa der Hälfte der Fälle, wie auch in dem hier operierten, der Ur¬ 
sprung nioht mit Sicherheit zu finden ist. Oft sind es Zysten aus den 
Resten MeckeTsoher Divertikel, oder man kann die Entstehung aus 
Lymphgefässen oder Lymphdrüsen nachweisen. Die Therapie soll ope¬ 
rativ sein, da erfahrungsgemäss die konservative Therapie öfters mit 
Ileus oder anderen unangenehmen Zwischenfällen geendet hat. Es folgt 
noch eine kurze Angabe über eine operierte Zyste des Gärtnerischen 
Ganges, die sich in der Uteruskante entwickelt hatte und in einer 
Dissertation näher beschrieben werden wird. F. Jacob i. 

D. Pulvermacher-Berlin: Die Therapie der klimakteriaeken 
Blutungen. (Ther. d. Gegen w., Febr. 1918.) In leichten Fällen emp¬ 
fiehlt Verf. die mehrmalige Tamponade; blutstillende Mittel sind zweck¬ 
los. Als dominierendes Heilmittel Ist die Röntgenbestrahlung anzu¬ 
sehen; in wenigen Fällen ist die Rieck’sche Korpusamputation indiziert. 

_ R. Fabian. 

Hygiene und Sanitätswesen. 

E. Marx: TyphusbekKmpfung im Reiche und Typhussekutzimpfnng. 

(Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 1 u. 2.) Angesichts der guten Erfolge der Typhus- 
schutzimpfung beim Heere empfiehlt Verf. die Einführung der Typbus¬ 
zwangsimpfung auch bei der Zivilbevölkerung zwecks Bekämpfung des 
Typhus. Schmitz. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Laryngologische Gesellschaft zu Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 11. November 1917. 

Tagesordnung. 

Hr. Killiau: 

Verstellung einer Reihe von Kehlkopfschüssel in verschiedene! 

Stadien der Behandlung. 

Meine Demonstration gilt der Therapie der Kriegsverletzungen des 
Kehlkopfes. 

Was die Einwirkungen stumpfer Gewalt angeht, so habe ich nur 
zwei Fälle da. Ein Patient wurde durch Verschüttung am Halse gequetscht, 
bei dem zweiten handelte es sioh um eine seltene Art von Sohussver- 
letzung, welche wie stumpfe Gewalt wirkt, nämlich um einen Prell¬ 
schuss. Alles andere sind Verletzungen durch Geschosse. 

Die Fälle, die wir in der Klinik zu beobachten hatten, waren keine 
frisohen. Selten ereignet es sieb, dass ein Patient drei oder vier Wochen 
naoh der Verwundung zu uns kommt. Bei den meisten sind Wochen 
und Monate vergangen, ehe sie von mir zum ersten Mal untersucht 
wurden. Eine ganze Reihe hatte verschiedenartige Operationen durch¬ 
gemacht, von der Tracheotomie gar nicht zu reden. 

Am kompliziertesten sind die Fälle, bei denen sieh an die Sohuss- 
verletzung eine Periohondritis angeschlossen hatte. Die Perichondritis 
entsteht gar nioht selten. Entweder bringt das Geschoss, namentlich 
der Granatsplitter, die Infektion in die Wunde, oder sie gelangt später 
im Laufe der Nachbehandlung hinein, oder es wird die Wunde vom 
Rachen aus infiziert. Diejenigen Kehlkopfwunden, die anl Kehlkopf- 


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6. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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eingang, im oberen Abschnitt, im supraglottischen Raume gelegen sind, 
werden sich leichter infizieren als die tiefer gelegenen, weil sie mit dem 
Rachenschleim in Berührung kommen. 

Es kommt vor, dass die äusseren Wunden sich in Fisteln verwandeln. 
Wenn man dann sondiert, kommt man in der Tiefe auf einen periohondritisohen 
Herd. Sind die äusseren Wunden zugeheilt, so kann der Hals geschwollen 
und schmerzhaft bleiben und die Entzündung in der Tiefe fortschreiten. 
Dann gibt es Fälle, bei denen äussere ErsoheinuDgen gänzlich fehlen 
und nur mittels des Kehlkopfspiegels die Periohondritis festgestellt wird. 
Einige Belegfälle zu dem Gesagten haben wir heute hier. So einen 
frischen Fall von Querschuss durch beide Taschenbänder mit Periohondritis 
beiderSchildbnorpelplatten. Ferner einen Patienten mit von rechts her total 
verschwollenem Kehlkopf durch Periohondritis der rechten Schildknorpel¬ 
platte. Der verhältnismässig kleine Kehlkopf ist in dieser Zeichnung dar¬ 
gestellt (Projektion). Sie sehen den Larynxeingang total verändert, klein 
und eine Schwellung in der reohten Tasohenbandgegend, welche sich auf die 
rechte aryepiglottische Falte ausdehnt und den rechten Sinus pyriformis aus¬ 
füllt. Der Schildknorpel bildet bekanntlich die Aussenwand des Sinus pyri- 
formis. Auch mit der unteren Laryngoskopie konnte man sehen, dass haupt¬ 
sächlich die rechte Seite geschwollen war. Die Verhältnisse gestalten 
sich bei der halbseitigen Periohondritis sonst einfacher. Da ich keinen 
frischen Fall zur Verfügung habe und die anderen, die noch da sind, keine 
charakteristischen Veränderungen mehr zeigen, möchte ich Ihnen einen 
anderen einfachen halbseitigen Perichondritisfall projizieren. (Bild.) Die 
Periohondritis des Schildknorpels erstreckt sich auf die vorderen zwei 
Drittel. In diesem Falle ist der Sinus pyrifoimis frei von Schwellung. 
Bei doppelseitiger Perichondritis des Sehildknorpels sieht der Kehlkopf 
so aus. (Bild.) 

Um solche Verhältnisse hat es sich bei diesem Patienten hier ge¬ 
handelt. (Demanstration) Der Patient hatte gerade noch so viel Luft, 
dass er ohne Kanüle existieren konnte. Ausserdem sind noch zwei Patienten 
da, die ganz schwere Periohondritiden durcbgemacht haben, der eine 
auf beiden Seiten des Sehildknorpels, der andere einseitig von Schild- 
und Ringknorpel. 

Was die Behandlung der Perichondritis angeht, so kann man zunächst 
zur besseren Demarkation der Herde Albrecht’sche Heissluitbäder für 
den Hals anwenden. Dann aber kommt, ds es faat immer eitrige Formen 
sind, nur die Operation von aussen in Betracht, wie schon vor einigen 
Jahren Hinsberg gezeigt hat. loh mache eine rein subperichondrale 
Resektion des kranken Knorpels. (Demonstration.) Sie sehen hier an einem 
Präparat den Schidknorpel durch einen Medianschnitt freigelegt und das 
Periohondrium der rechten Platte abgelöst, aussen und innen. Beide 
Lamellen werden wie bei der Septümoperation mit einem halblangen 
Nasenspekulum auseinander gehalten. Dann löffelt man den Knorpel 
heraus, in der Tiefe unter Anwendung der elektrischen Stirnlampe. Man 
muss gründlich sein und bis in die Hörner alles entfernen, sonst gibt es 
Rezidive. Oft ist es zweckmässig, zu dem medianen noch einen queren 
Hautscbnitt hinzuzufügen, um eine breite Mulde zu erhalten, die aus 
der Tiefe heraus ausheilen kann. 

Dieser Patient hier mit Schuss durch beide Taschenbänder hat vor 
einiger Zeit die Operation durchgemacht, und zwar doppelseitig. Sein 
Kehlkopf ist vollständig ausgeheilt. Wenn Sie ihn nach dem Laufen 
beobachten, werden Sie hören, dass er gut Luft hat. Es fehlt jeder 
Stridor. Dem entspricht auch der Kehlkopfspiegelbefund. Die Stimme 
ist brauchbar und wird durch Stimmübungen noch verbessert. In einem 
'früheren Fall habe ich monatelang später ein seitliches Röntgenbild auf¬ 
nehmen lassen. Da hat sioh ergeben, dass vom Perichondrium aus nicht 
Knorpel, sondern Knochen neu gebildet worden war. Bei der doppel¬ 
seitigen Schildknorpel Perichondritis ist die Vorderwand des Kehlkopfes 
stark in das Innere vorgewölbt. Die Stimmlippen werden infolgedessen 
kürzer und wulstig. 

Nach der Ausheilung rückt die Vorderwand allmählich wieder nach 
aussen, der Kehlkopf wird wieder weiter und die Stimmlippen länger. 

Was die übrigen Eingriffe angeht, die wir nach Kehlkepfschüssen 
auszuführen haben, so handelt es sioh da gelegentlich um die Tracheo¬ 
tomie an klassischer Stelle. Wenn durch den Schuss das Gavum 
laryngis eröffnet wird und der Patient Atemnot bekommt, so ist es für 
den Arzt im Felde das einfachste, eine Kanüle in die Wunde zu legen. 
Mit einer Kanüle mitten im Kehlkopf laufen dann die Patienten unter 
Umständen wochenlang herum. Einen solohen Fall habe ich hier. (De¬ 
monstration.) Meine erste Aufgabe war, eine regelrechte Tracheotomie 
auszufübren. Denn so lange eine Kanüle mitten im Kehlkopf liegt, ist 
die wirksame Behandlung einer Stenose ausgeschlossen. Fehlt eine 
Stenosierung, so kann eine direkt im Kehlkopf liegende Kanüle auch 
ohne weiteres weggelassen werden. Uebrigens habe ioh mir angewöhnt, 
vor dem gänzlichen Weglassen von Kanülen zuerst von den dicken zu 
den dünnen Nummern überzugehen. 

Weiter kommt in Betracht die Laryngofissur. Sie kann schon 
notwendig werden, um die Situation im Kehlkopf ganz aufzuklären. Am 
meisten wenden wir sie zur Beseitigung von Stenosen an und umsäumen die 
Ränder mit Haut, damit ein Laryngostoma entsteht. Bei Durch¬ 
schüssen im Bereiche der Vorderwand des Kehlkopfes bildet sich oft ein 
Narbenkeil, der von vorn her in das Larynxinnere hineinreicht. Auch 
Granulationen, die sich über der Kanüle gebildet haben, können sioh 
in Narbenmembranen verwandeln. Ein Narbenkeil kann so weit nach 
hinten reichen, dass er den ganzen subglottischen Raum verschliesst. 
So war es bei diesem Patienten hier (Demonstration). 


Ferner kommen für die Laryngostomie die Fälle in Betracht, bei 
denen die Ku&el durch die hintere Larynxwand ging. Am häufigsten 
handelt es sich dabei um ausgedehnten Narbenbildung im Bereiche der 
Ringknorpelplatte, übergreifend auf das Gebiet des Processus vooalis. 
Diese Narben bilden sich natürlich erst 'allmählich aus. Eine ganze 
Reihe von solchen Patienten wurde erst spät tracheotomiert, erst als die 
Narbenkontraktur eingetreten war, nach drei, vier, seohs, sieben Wochen. 
Die Narbe ist ausserordentlich fest und hält beide Stimmlippen starr in 
der Mittellinie. Ich habe gelegentlich versucht, nach Spaltung des Kehl¬ 
kopfes die Stimmlippen mit den Fingern mit Gewalt auseinander- 
zudrängen. Es ist mir aber nicht gelungen. Seltener kommt es vor, 
dass sich am oberen Teile der hinteren Larynxwand an der Pars ary- 
taenoidea die Narbe gebildet hat, weil der Schuss hier hindurebgegangen 
ist. Die Taschenbänder werden dann mit ihren hinteren Enden in die 
Medianlinie gezogen, manchmal zugleich mit den Stimmlippen. Ich möchte 
Ihnen im Bilde einen solchen Fall vorführen. (Demonstration.) 

Aehnlich verhält sich ein zweiter Fall, der heute nicht erschienen 
ist. (Demonstration des Kehlkopfbildes.) 

Nach der Laryngofissur sieht man die beschriebenen Narben bequem 
von aussen. (Demonstration.) 

Wir haben also verschiedene Arten von Narbenstenosen im Larynx 
nach Schussverletzungen. Dazu kommen noch die Fälle, bei denen 
grössere Teile des Kehlkopfes einfach weggerissen sind und nach der 
Heiluog nur ein enger Luftweg übrig blieb. 

Alle diese Patienten müssen mit Laryngostomie behandelt werden. 
Früher habe ich einfach nach der Kehlköpfspaltung die Hautränder mit 
den Sohleimbauträndern vernäht. In der Regel schneiden danach in ein 
paar Tagen die Nähte durch, und die Haut weicht zurück. Deswegen 
werden besser parallele Hautlappen mobil gemacht und angenäht. Noch 
empfehle ich, gestielte freie Lappen zu bilden. Da hat man den 
Vorteil, dass man die Lappen weit in das Innere des Kehlkopfs ver¬ 
pflanzen kann, wenn dort zu wenig Schleimhaut vorhanden ist. Der 
Zweck bleibt immer, soviel Haut in das Kehlkopfinnere zu bringen, dass 
sioh ein normal weiter Luftweg ausbilden kann. 

Einen Patienten mit frisch angelegtem Laryngostoma kann ich Ihnen 
heute nicht vorstellen. Sie finden aber noch die Andeutungen dieser 
Art des Operierens bei einigen unserer Patienten (Demonstration). 

Bei den letzten Patienten sehen Sie quere Narben, von der Laryngo- 
tomiestelle ausgehen und werden mich fragen, wie ich zu dieser Modi¬ 
fikation komme. Der Grund ist eine höchst eigentümliche Erfahrung. 
Eiu Patient, der laryngostomiert gewesen und dann durch plastischen 
Verschluss des Laryngostoma geheilt worden war, kam nach einiger Zeit 
mit Klagen über unausstehlichen Kitzel im Kehlkopf zu uns, der ihn 
auch am Schlafen hinderte. Mit dem Spiegel fanden wir als Ursaohe 
Haare, welche von der Vorderwand des subglottischen Raumes hinauf¬ 
gewachsen waren, d. h. von der ins Laryxinnere verpflanzten Haut aus. 
Ein gleicher noch schwererer Fall steht hier. Wir haben versucht, die 
Haare mit der Schmidt’schen Zange auszureissen. loh habe sogar eine 
besondere Epilationszange konstruiert. Es war das eine sehr feine intra* 
laryngeale Operation, ausgezeichnet geeignet, unsere Technik zu üben,, 
aber auf die Dauer doch undurchführbar. Solange die Patienten sich 
unter unserer Aufsicht befanden, konnte ihnen auf diese Weise geholfen 
werden. Aber was sollte später aus der Sache werden? Nun haben, 
wir unsere Laryngostomiepatienten genauer betrachtet und, gefunden, 
dass sie auf ihren Lappen vielfach Haare hatten, namentlich auf dem 
oberen Ende, wenn das aus der Bartregion entnommen war, was man 
nicht beachtet hatte. Aus dem Grunde sehe ich mir jetzt den Hals 
vorher genau an und helfe mir in der Weise, dass ioh die Lappen aus 
dem unteren Teile des Halses nehme, wo grössere Haare nicht zu 
wachsen pflegen. 

Epilation ist ja, wie Sie wissen, überhaupt schwierig. Man empfiehlt 
da auch Röntgenbehandlung usw. Wir haben deswegen unsere Patienten 
alle eine Zeit lang geröntgt, aber damit nur ihre Kur ausserordentlich 
verlängert, ohne einen Erfolg zu erzielen. Die Saohe hat mich, muss 
ich gestehen, recht lange gequält. Da kam mir zufällig dieselbe Idee, 
die vor kurzer Zeit Rethi-Budapest im Archiv für Laryngologie kund¬ 
gibt. Das beste Verfahren, sagte er, sei, die Haarwurzelschicht zu ex- 
stirpieren. Das ist eigentlich theoretisch klar, praktisch aber an der 
Stirnhaut leichter durchführbar als im Bereiche eines Laryngostoma. Es 
blieb also gar nichts anderes übrig, es musste gemacht werden. So 
habe ioh denn bei der ganzen Serie von Patienten, die hier sitzen, die 
alle schon ein gut überhäutetes Laryngostoma hatten, die Enthaarungs¬ 
operation durchgeführt. Es wurde streckenweise die oberste Sohicht der 
Haut lospräpariert und dann die Haarwurzelschicht exstirpiert, eine 
mühsame Arbeit. Der Patient hier hatte solche Not mit seiner intra- 
laryngealen Haarbildung, dass ich ihm schliesslich vörsohlug, den Kehl¬ 
kopf noch einmal zu spalten und in der beschriebenen Weise zu epi¬ 
lieren. Dies ist geschehen. Wir haben ihn schon wieder zugenäht. 

Eine ganze Serie von Patienten, die Sie hier sehen, hat ein Laryngo¬ 
stoma. Ich will Ihnen die verschiedensten Formen zeigen. (Demon¬ 
stration.) 

Die Bezeichnung Larynxmund hat etwas Weihtergeholtes, aber sie ist 
doch berechtigt. Sehen Sie nur diesen Patienten hier an, er kann seinen 
Kehlkopfmund sogar auf Kommando öffnen. Wie er das macht, scheint 
im ersten Augenblick rätselhaft, ist aber leicht verständlich. Von hinten 
her geht der Gonstrictor inferior an beide {lälften des Kehlkopfes heran, 
und wenn der Konstriktor sich kontrahiert, so kann er die Schild knorpel¬ 
platten auseinanderziehen. Wenn Sie unseren Mann beobaehten, sehen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18 . 


Sie, dass er es in der Tat so macht, dass er eine Schlackbewegung 
ansetzt. 

Von diesem Patienten mit Laryngostoma sollte man glauben, dass 
er ohne Kanüle auskäme, es geht aber nicht, weil er die Wände des 
subglottischen Raumes aspiriert. Von den Gründen später. 

Bei zwei Patienten erkennt man an der Art ihres Laryngostoma, 
dass grossere Abschnitte des Kehlkopfes vorn verlorengegangen sein 
müssen. 

Was die weiteren Operationen angeht, um den Kehlkopf hinreichend 
durchgängig zu machen, so sind das eine Serie intralaryngealer Eingriffe 
von aussen. Das Laryngostoma allein tut es in vielen Fällen nicht. 
Wenn dicke Narbenmassen vorhanden sind in irgendeiner Region des 
Kehlkopfinnern, wenn die Stimmlippen oder Taschenbänder durch Narben 
an der hinteren Laryxwand in der Medianlinie fixiert sind, reicht das 
Laryngostoma nicht aus. Wir müssen dann Platz schaffen nach dem 
Vorgänge von Pieniazeck. Wir müssen die Narben exstirpieren, die 
gesunde Stimmlippen herausschneiden, von den Taschenbändern Stücke 
abtragen, aber alles unter möglichster Schonung der Schleimhaut, d. h. 
submukös. Was an Schleimhaut geschont werden kann, wird zurück¬ 
präpariert. Schon Hansberg und Uffenorde haben dies angeregt. 
Die submuköse Resektion eines gesunden Stimmbandes stellt sich, in 
folgender Weise dar. (Demonstration.) Sie kann mit der Laryngostomie 
verbunden werden, oder man kann sie später auslühren, wenn das 
Laryngostoma überhäutet ist. Schnittfübrung: ein Längsschnitt entlang 
dem Stimmlippenrand, dazu ein/vorderer Vertikalschnitt und ein hinterer 
durch den Processus vocalis. Den Aryknorpel nehmen wir nicht mehr 
heraus. Das habe ich nur in wenigen Fällen getan. Wir lassen ihn 
drin, damit die hintere Wand ihren Halt behält. Wir entfernen jedooh 
den ganzen Processus vocalis. Das kann leicht mit einem scharfen 
Löffel geschehen. Dann wird der Schleimhautlappen zurück präpariert 
und nun sorgfältig der ganze Stimmbandmuskel bis zum Perichondrium 
des Schildknorpels exstirpiert. Man muss sich da nach den Platz¬ 
verhältnissen richten und so viel wegnehmen, dass tatsächlich, wenn 
der Schleimhautlappen reponiert wird, auf der betreffenden Seite des 
Kehlkopfes eine breite Bahn erzielt ist. Gewöhnlich steht das Taschen¬ 
band noch vor und muss verschmälert werden. In einigen Fällen habe 
ioh es sogar so gemacht, dass ich die Ventrikelschleimhaut heraus¬ 
präparierte und sie dazu verwandte, die Wunde zu decken. Die Scbieim- 
hautläppchen braucht man nur etwas zu fixieren. Es ist nicht notwendig^ 
sie sorgfältig anzunähen. Das Anheilen in guter Lage erzielt man durch 
die Beuteltamponade, die sich an jede derartige Operation anschliesst: 
zunächst eine Schicht Gaze in das Larynxinnere, dann Jodoformgaze 
hinein gestopft, recht sorgfältig, dass die Teile gut liegen. Ohne Bedenken 
kann man den Beutel acht, zehn Tage liegen lassen. Bis dahin ist die 
Schleimhaut mit ihrer Unterlage verwachsen, und man freut sich über 
den guten Erfolg. 

Was die Hinterwandnarben angeht, so war ich da gelegentlich 
zu ganz besonderem Vorgehen genötigt. Denn es ist notwendig, dass 
man in der Nähe der Pars arytaenoidea möglichst grosse Beweglichkeit 
erzielt. Von einem Lähmungsschpitt in der Mitte aus wurde die Schleim¬ 
haut ringsum mobilisiert, die Narbe exzidiert und dann der Schnitt in 
querer Richtung zusammengenäht. 

Bei einer ganzen Reihe unserer Patienten habe ioh nicht nur ein¬ 
seitig, sondern sogar doppelseitig die submuköse Resektion der Stimm¬ 
lippen und der Ränder der Taschenbänder ausführen müssen, um im 
Kehlkopfinnern genügenden Raum zu bekommen. Auf die Bedenken, 
die man hinsichtlich der Stimmbildung hegt, komme ich nachher zu 
spreohen. 

Wenn man auf diese Weise mit Laryngostomie und submuköser 
Resektion freie Bahn geschaffen hat, dann handelt es sich darum, das 
Resultat richtig einzuscbätzen. Hat man im Kehlkopfspiegel eine ge¬ 
nügende Weite erkannt, so wird der Patient ohne Kanüle gelassen und 
eine Zeitlang beobachtet. Der Kehlkopfmund wird mit Pflastern ge¬ 
schlossen. 

Kann er bei geschlossene^) Laryngostoma leicht atmen, so ist er 
reif für den plastischen Verschluss. Den mache ich nicht mehr in 
der Weise, dass ich einfach die Ränder abtrage und dann in zwei Schichten 
zusammennähe, erst die innere Schicht und dann die äussere, weil dabei 
der neugeschaffene Weg zu sehr verengt wird. Ich mache ihn auch meist 
nicht mehr so, dass ich zuerst die innere Schioht, also Schleimhaut und 
hineingepflanzte Haut, umschneide und zusammennähe und darüber 
seitlich mobilgemachte Hautlappen bringe, so dass die Narbe in der 
Mittellinie liegt. Auch dies kann verengend wirken. Es ist zweck¬ 
mässiger, einen gestielten Hautlappen aus der Nachbarschaft zur 
Deckung zu verwenden. Das kann ich Ihnen an diesem Patienten zeigen, 
der erst vorgestern operiert worden ist. 

Den Verschluss des Laryngostoma macht man am besten wie die 
meisten der genannten Operationen in lokaler Anästhesie. Bei dem 
Verschluss des Laryngostoma halte ich die lokale Anästhesie für besonders 
zweckmässig, weil man dann während der Operation die Atmungsver¬ 
hältnisse genau kontrollieren kann. Ein Patient, der wochen- oder 
monatelang durch den bequemen Kehlkopfmund geatmet hat, muss sich 
natürlich, wenn ihm plötzlich dieser Weg gesperrt wird, erst wieder an 
die etwas mühevollere Atmung durch Mund und Nase gewöhnen. Ist 
der Kehlkopfmund dauernd geschlossen, so dehnt der exspiratorische 
Druck später die nach innen verpflanzte Haut. Wenn man einen solchen 
Fall laryngoskopiert, sieht man die transplantierte Haut als weisse Zone 
der Vorderwand. 


Ehe ich auf die Endresultate eingehe, möchte ich noch eine seltene 
Möglichkeit erwähnen, nämlich die, dass man weder mit der Laryngo¬ 
stomie noch mit der Resektion von Stimmlippen und Exstirpation von 
Narben zum Ziele kommt, eine sehr betrübende Sachlage, die einen nur 
dann nicht überrascht, wenn man früh genug die Situation richtig be¬ 
urteilt hat. Fehlt von der Vorderwand des oberen Kehlkopfraumes 
eine nicht zu grosse Partie, so ist das nicht so schlimm. Wenn das 
Laryngostoma geschlossen wird, so hat ja der Larynx durch den Haupt¬ 
stützknorpel — das ist der Ringknorpel — genügend Halt, das Lumen 
bleibt offen. Wenn aber vom Ringknorpelbogen durch die Ver¬ 
letzung oder sekundär durch Perichondritis oder durch den Druck der 
Kanüle ein grösseres Knorpelstück verloren ging, so müssen sich die 
Wände des Rohres in dieser Gegend inspiratorisch Zusammenlegen, und 
an einen plastischen Verschluss des Laryngostoma ist gar nicht zu denken. 
Einige Fälle, die ich Ihnen vorhin gezeigt habe, verhalten sich so. 

Was soll man nun da machen? Da gibt es keine andere Möglich¬ 
keit, als nach dem Vorgang der Chirurgen einen gedoppelten Hautlappen 
einzupflanzen, der durch Knorpel oder Knochen gestützt wird. Dieses 
Verfahren ist kompliziert und schwierig. Es ist durchaus falsob, wie ich 
leider früher habe verschiedentlich erfahren müssen, zuerst plastisoh 
vorzuarbeiten und dann den Knorpel einzupflanzen. Es lässt sich auch 
nicht empfehlen, zuerst rechts und links vom Laryngostoma den Knorpel 
oder Knochen einzupflanzen und dann den plastischen Verschluss zu 
machen, sondern wir müssen den zur Einpflanzung nötigen gestielten 
Doppellappen vorher gebildet und mit Knorpel verstärkt haben, so dass 
er nur eingepflanzt zu werden braucht. Zuerst wird auf dem unteren 
Sternum nach der Rethi’schen Methode ein haarfreies Feld angelegt. 
Dann wird von der siebenten oder achten Rippe Knorpel genommen und 
mit Perichondrium über der enthaarten Stelle unter die Sternalhaut 
gepflanzt. Ist das erzielt, so wird der gedoppelte Lappen gebildet, 
welcher den Rippenknorpel enthält. Später formt man einen langen 
walzenförmigen Stiel dazu, wie das Ganzer neulich gezeigt hat. Zuletzt 
kommt die Einpflanzung. Bis zur Einheilung muss der Kehlkopf mittelst 
Jodoformgazebeutel gedehnt gehalten werden. Ist das gewünschte Resultat 
erreicht, so können die oben und unten gebliebenen Lücken plastisch 
geschlossen werden. 

Nun fragt es sich: wie verhält es sich nach den verschiedenen 
operativen Unternehmungen mit dem Endresultat? Ich habe einige 
Fälle hier, die sind, was die Atmung angeht, zu Ende behandelt 
(Demonstration.) Wenn Sie sie beobachten, selbst nach Laufen, werden 
Sie bei keinen Stridor wahrnehmen. Wenn Sie sie laryngoskopieren, 
so werden Sie den Larynx hinreichend weit finden. 

Nun kommt die Stimme! Jeder wird sagen: Stimmbänder heraus- 
zusohneiden ist Vandalismus, „eine deutsche Barbarei“. Das habe ich 
mir auch vorgehalten: wie kann ein Laryngologe ein gesundes Stimmband 
herausschneiden! Da es aber sein musste, so habe ich es einmal mit 
einer Stimmlippe versucht, und ich habe mich überzeugt, dass es für 
die Stimmbildung keinen allzugrossen Schaden bringt. Dann habe ich 
es mit der zweiten Stimmlippe gewagt und mich überzeugt, dass der 
Patient auch dann noch seine Stimme behielt. Auch wenn die Taschen¬ 
bänder heraus sind, gibt es immer wieder Stimme. Wenn Sie die 
kompliziertesten Eingriffe im Kehlkopf gemacht haben, eine Stimme 
kommt immer wieder, wenn sie auch heiser klingt. Ich kümmere mich 
daher überhaupt nicht mehr um die Stimme. Wir haben manche 
Patienten sogar so weit gebracht, dass sie singen konnten. Kollege 
Gutzmannist stolz auf eine von ihm aufgenommene Grammophonplatte, 
auf der die Singstimme ganz gut herauskommt. Also wegen der Stimme 
brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. 

Etwas ganz besonderes können wir noch an dem Patienten beob¬ 
achten, der von seinem Larynx nur noch eine Halbrinne besitzt. Er 
hat sich bezüglich der Stimmbildung selber geholfen: er beugt den 
Kopf nach vorn und sohliesst sein Laryngostoma. Auf diese Weise 
kann er sioh verständlich machen. 

Zum Schluss möchte ich Ihnen den Patienten vorführen, den ich 
Ihnen, glaube ich, früher schon einmal gezeigt habe: es ist der Fall, 
bei dem der ganze Larynx durch den Schuss bis auf den Eingang ver¬ 
loren gegangen ist. Auch dieser kann laut sprechen. Zwar nicht mit 
einem rekonstruierten Kehlkopf — darauf gerichtete Bemühungen führten 
nicht zum Ziel — wohl aber mit seinem Pharynx. Er ist, wie Sie ge¬ 
hört haben, laut verständlich im ganzen Saal. 

(Die Besprechung wird auf die nächste Sitzung verschoben.) • 


Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 22. Januar 1918. 

1. Hr. Deussner beriohtet über mehrere Fälle, in denen ein 
eitriger Belag an den Tonsillen zugleich mit allgemeiner Lymph- 
drüsensehwellnng und dem Blutbild der lymphatischen Leukämie 
nachweisbar war. Aus den diphtherieähnlichen, auch einen diphtherie- 
ähnlichen Fötor aufweisenden Belägen waren keine Di-Bazillen, nur ein¬ 
mal hämolytische Streptokokken zu züchten. Das Blut war steril. Die 
Krankheit ging in Heilung aus. Zur Erklärung kommen entweder Be¬ 
sonderheiten der Infektion oder eine konstitutionelle In¬ 
suffizienz des Granulozytensystems in Betracht, welche ein vi¬ 
kariierendes Eintreten des lymphatischen Systems zur Folge hat. 

2. Hr. Falkenburg berichtet a) über einen Fall von Aneurysma 
der A. iliaca externa, bei dem er nach dem Vorgang von Oehlecker 


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6. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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die Vene mit gutem Erfolg mit unterbunden hat; b) über einen Fall 
von MUsabsiess nach Scharlach. Die Diagnose auf subphrenischen 
Abszess war gestellt worden. Die Operation darf nur auf per pleu¬ 
ralem Wege erfolgen, da der abdominelle gefährlich; c) über einen 
Fall von Echinococcus in einem akzessorischen Ureter. Der hinter 
der Blase gelegene Tumor, der nur sehr schwer und unter Einrissen 
der Darm- und Blasenwand herauszulösen war, liess nach der Aus¬ 
schälung zwei GäDge erkennen, die. sich bei mikroskopisoher Unter¬ 
suchung als Teile von Ureteren erwiesen. In der Wand des einen 
müsse sich der Echinococcus entwickelt haben. Da der Patient keinerlei 
Störungen der Urinentleerung oder der Nierenfunktion aufwies, so muss 
es sich um akzessorische Ureteren gehandelt haben. 

3. Hr. Trömner berichtet über einen Patienten mit Hirntumor, 
der intra vitam epileptiforme Anfälle, starken Nystagmus, später leichte 
Neurotis optica, leichte Augenmuskel- und Fazialisparese links, leichtes 
Taumeln beim Gehen geboten hatte. Probetrepanation über dem 
linken Kleinhirn und dem rechten Stirnhirn war ergebnislos. 
Die Autopsie ergab ein diffus wachsendes Gliom an der Unterseite 
des Schläfenlappens. Der Kranke hatte Gelegenheit zur Entdeckung 
eines neuen Reflexes, gegeben. Bei Berührung der Kornea kam es 
infolge Kontraktion des gleichseitigen M. pterygoideus ext. zu einer 
Verschiebung des Unterkiefers nach der entgegengesetzten Seite. De¬ 
monstration dieses vom sensiblen auf den motorischen Trige¬ 
minus übergehenden Reflexes (Pterygo-Kornealreflex) an einem 
hemiplegischen Patienten. Der Reflex wurde von T. auch bei anderen 
supranukleären Läsionen beobachtet. 

4. Hr. E. Fraenkel demonstriert zwei von Kriegsgefangenen 
stammende Präparate. Im ersten Fall handelte es sich um eine suizi¬ 
dale Verletzung: Der Kranke hatte sich von einem kleinen Schnitt 
neben dem Adamsapfel aus eine völlig subkutane Laryngotomia 
transversa beigebracht. Das Blut, das keinen Ausweg nach aussen 
fand, lief in die Luftwege und führte so zu Erstickung. Im zweiten 
Fall war intra vitam nur eine Kopfschuss Verletzung und eine Erfrierung 
der Füsse festgestellt. Bei der Sektion ergab sich, dass im Aorten¬ 
bogen zwei Risse, von denen einer alle Schichten durchsetze, vor¬ 
handen warenf Aus diesen hatte sich der Patient in die linke 
Pleura verblutet. Es fand sich weiter ein kleiner Schusskanal, 
der von einer Stelle links von der Vertebra prominens in die Pleura¬ 
höhle führte. Die Röntgenaufnahme wies Geschosssplitter in der 
Nähe der Aorta nach. Dieselben müssen also ins Mediastinum ein¬ 
gedrungen sein, wobei sie die Aorta stark erschütterten, ohne sie 1 ' un¬ 
mittelbar zu verletzen. Unter dem Einfluss des Blutdrucks kam es 
dann zur völligen Ruptur. 

5. Besprechung des Vortrags der HHr. Fahr und Sudeck: „Ueber 
Typhlitis.“ 

Hr. Jenckel: Die Differentialdiagnose zwischen Typhlitis 
und Appendizitis ist unmöglich. In sämtlichen 4 Fällen, die er 
beobachtete, war Appendizitis diagnostiziert. J. hat in diesen Fällen 
nie reseziert, wohl aber in 2 anderen Fällen, welche mit ihrer starken, 
zu Stenose führenden bindegewebigen Induration zunächst als chronische 
Typhlitis imponierten. Die genaue mikroskopische Untersuchung er¬ 
gab jedoch, dass im einen Fall ein Karzinom vorlag, das zu starker 
sekundärer Bindegewebswucherung geführt hatte, im anderen eine Tuber¬ 
kulose. 

Hr. Allard bespricht die klinischen Erscheinungen leichterer 
Stenosen an der Flexura lienalis. An dieser, als dem einzigen 
fixierten Punkt des Kolons, kommt es bei Enteroptose, bei der dann 
das Colon transversum steil zur Flexur ansteigt, zu einer Art spitz¬ 
winkliger Abknickung gegenüber dem Colon descendens („Doppel¬ 
flintenform“). Die Folge dieser Verhältnisse sind chronische Obsti¬ 
pation, „Okklusionskrisen“ und selbst ileusartige Erschei¬ 
nungen, wenn auch selten so stark wie in Sudeck’s Fall. 

Hr. Rümmell hat Fälle von Typhlitis nur 4mal unter etwa 
5000 Appendektomien gesehen. Häufiger sind die entzündlichen Affek¬ 
tionen an der Flexura lienalis und sigmoidea. Bei diesen droht 
die Gefahr eines späteren sekundären Karzinoms. K. hat 2mal 
beobachtet, dass es naoh Jahr und Tag zu neuen Stenosenerscheinungen 
kam und nun fand sich ein Ringkarzinom. Deshalb rät K. zur radi¬ 
kalen Operation (Resektion). 

Hr. Fraenke.l: In den älteren Lehrbüchern spielt die „Typhlitis 
sterdoralis“ eine grosse Rolle. So zu deutende Fälle hat Fr. nie ge¬ 
sehen. Die Ileozökaltumoren, die meist als chirurgische Präparate 
zur pathologisch-anatomischen Untersuchung kommen und die völlig der 
Beschreibung entsprechen, die Rokitansky von jener Affektion gibt, 
sind bei genauer Untersuchung stets als tuberkulöser Natur zu er¬ 
weisen. Die Prognose solcher Fälle ist gut, wenn die Patienten den 
sehr schwierigen Eingriff überstehen. Auch Fälle, wie Fahr sie zeigte, 
hat Fr. nie gesehen. Er möchte sich der Fahr’sohen Deutung gegen¬ 
über doch noch skeptisch verhalten. Wenn auoh das Präparat ein von 
den tuberkulösen Ileozökaltumoren abweichendes Aussehen hat, somöohte 
er doch glauben, dass Syphilis noch nicht ausgeschlossen sei, da 
Fahr noch nicht von allen Stellen Sohnitte untersucht habe. Er bittet 
F., eine entsprechende Ergänzung seiner Untersuchung vorzunehmen. 

Hr. Oehlecker macht darauf aufmerksam, dass es auch bei Fremd¬ 
körperperforation durch die Zökumwand zu druckempfindlichen 
Tumoren und schwieligen Prozessen in der Umgebung kommen kann, 
die den hier besprochenen sehr ähneln — Tuberkulose lasse sich in 
den Fällen nie ausschliessen, wenn nicht Serienschnitte angefertigt 


oder ein Tierversuch angestellt ist. — Bei der Sigmoiditis sei die 
sekundäre Fettentwioklung bisweilen so kolossal, dass sie die Ope¬ 
ration unmöglich mache. 

Hr. Plate bat in 2 Fällen .schmerzhafte Psoasaffektionen 
gesehen, welche zu einer dauernden Beugung im Hüftgelenk führten. 
Die Röntgenuntersuchung ergab beide Male eine Darmstenose zwischen 
Flexura sigmoidea und Colon descendens. P. nimmt in den Fällen einen 
perisigmoiditischen Abszess an, der auf den Psoas drückt. 

Hr. Schottmüller mahnt zur Vorsicht bei der Diagnose 
Sigmoiditis, da auch bei Typhlitis und Perityphlitis der 
Schmerz links lokalisiert sein kann. Er beriohtet ausführlicher über 
einen Fall, bei dem zunächst durch Laparotomie und folgende Sondierung 
die Stenose beseitigt wurde, später aber Diarrhoen aufs neue auf¬ 
traten und Exitus duroh Kachexie herbeiführten. Autopsie: Starke 
Ektasie des Darms; entzündliche Erscheinungen. Die Resektion 
durfte wegen der Verwachsungen meist unausführbar sein. 

Hr. Schmilinsky macht auf leiohtere oft rezidivierende 
Formen der in Rede stehenden Affektionen, die der „appendizitischen 
Reizung“ entsprechen, aufmerksam, mahnt zur Vorsicht bei dia¬ 
gnostischen Röntgeneinläufen, die oft starke Reizerscheinungen 
hinterlassen, und tritt für die konservative Therapie der Erkran¬ 
kung ein. 

Hr. Fahr (Schlusswort) glaubt das Möglichste getan zu haben, um 
Tuberkulose in seinen Fällen auBzuschliessen, zumal auch die Drüsen 
untersucht und frei von Tuberkeln gefunden wurden, will aber noch 
weitere Sohnitte untersuchen. Fr. Wohlwill-Hamburg. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Cnltnr zn Breslau. 

Offizielles Protokoll. 

Sitzung vom 18. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Uhthoff. 

Schriftführer: Herr Minkowski. 

Vor der Tagesordnung. 

Der Vorsitzende Herr Uhthoff eröffnet die Sitzung, gibt einen 
kurzen Rückblick auf das letzte Arbeitsjahr der medizinischen Sektion 
und dankt dem früheren Vorsitzenden Herrn Geh.-Rat Pohl für seine 
bewährte Geschäftsführung. 

Sodann gedenkt er des schweren Verlustes, den die Sektion sohon 
im neuen Jahr duroh den Tod des Geh. Med.-Rats Dr. Alter erlitten 
hat. Er gehörte bis zuletzt zu den regelmässigen Besuchern der Gesell¬ 
schaft. Redner hebt seine Verdienste um die Wissenschaft und besonders 
um die Irrenheilkunde der Provinz Schlesien hervor. Die Fachmänner, 
die Kollegen, die Behörden und vor allem die Kranken, die seiner Für¬ 
sorge anvertraut waren, sie alle sind sioh einig in dem Gefühl der tiefen 
Dankbarkeit und der Verehrung für den Verewigten. 

Wenn er auch nicht liebte, viel zu schreiben und zu reden, so 
haben doch seine werktägige Liebe, seine Sachkenntnisse, sein ehren¬ 
werter Charakter, sein treues, kollegiales, sich aufopferndes Verhalten 
sioh überall Bahn gebrochen und ihm alle Herzen erobert. Er war noch 
einer von der älteren Generation, treu, ehrenhaft, unermüdlich tätig und 
zu jedem Opfer bereit im Dienste seiner Wissenschaft und seiner Kranken. 

Sein Andenken soll uns unvergesslich sein und ein Mahnzeichen 
für jeden von uns, in lauterer, ehrenhafter und aufopferungsvoller Weise 
seine Pflicht zu tun. 

Tagesordnung. 

Hr. Heinann : 5 Jahre Strahleitherapie. 

Redner hat das gesamte Material der Klinik (Myome, Metropathien, 
Karzinome und prophylaktisch Bestrahlte), das in derZeit vom. 1. V. 1912 
bis 1. V. 1917 behandelt wurde, nachuntersucht. Die Untersuchung ge¬ 
schah persönlich, durch ihn selbst, bei brieflicher Auskunft durch den 
Arzt am Ort der Patientin. Im Ganzen handelte es sich um 548 Frauen 
(siehe Tabelle I). Von den Myomen konnten 52 Patientinnen persönlich 
untersucht werden. Von 24 Patientinnen kam briefliche Auskunft 
20 Frauen, meist Ausländerinnen, waren verschollen. Sämtliche Pa¬ 
tientinnen sind als geheilt zu betrachten, das heisst, die Blutungen waren 
niemals wieder gekommen, die Tumoren in den meisten Fällen vollkommen 
geschrumpft. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Metropathien. Von 
67 Patientinnen konnten 43 untersucht werden. 10 antworteten schrift¬ 
lich. 14 sind verschollen. Auch hier, genau wie bei den Myomen, sind 
die Erfolge ausgezeichnet Keine Patientin brauchte wegen eines Miss¬ 
erfolges operiert zu werden. Bezüglich der Karzinome wird der Stand¬ 
punkt eingenommen, der von der ersten Publikation an vertreten wird, 
die operablen Karzinome zu operieren, die inoperablen der Strahlen¬ 
therapie zuzuführen. In der Zeit vom 1. U. 1913 bis 1. V. 1917 wurden 
303 Fälle bestrahlt 279 Zervixkarzinome, 17 inoperable Rezidive naoh 
Totalexstirpation und 7 inoperable Vulvakarzinome. Unter den 
279 Fällen befinden sioh 2 operable, die wegen eines Diabetes bzw. hohen 
Alters (74 Jahr) nicht operiert werden konnten. Alle anderen waren 
inoperabel. Ueber Einzelheiten orientiert die Tabelle II. Bei den als 
„gut“ angesprochenen Patientinnen war klinisch ein Krebs nicht mehr 
naohzuweisen. Bei den als „gebessert“ angesprochenen waren die 
Symptome, Blutungen, Ausfluss, geschwunden, jedoqh das Karzinom als 
solches noch zu diagnostizieren. In der grössten Anzahl dieser Fälle 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


hatte sich Dach der Bestrahlung leider eine Fistel eingestellt. Die 
Resultate bei den Inoperablen, Rezidiven und Vulvakarzioomen waren 
ausserordentlich schlecht. Von 303 Patientinnen befinden sich also nur 
7 heute in einem Zustand, wo kein. Karzinom mehr mit den klinischen 
Untersuchungsmethoden nacbzuweisen ist. Auch der störenden Neben¬ 
erscheinungen bei der Bestrahlung, der Tenesmen, Strikturen, der evtl, 
eintretenden Fisteln, muss Erwähnung getan werden. Bezüglich der 
Technik sind alle Methoden angewendet worden. Jede Patientin ist 
persönlich untersucht und vollkommen individuell, was Dosis und Zeit 
anlangt, behandelt worden. Auf Grund der Resultate steht die Klinik 
daher nach wie vor auf dem Standpunkt, die operablen Karzinome zu 
operieren. Als Palliativ-Maassnahme werden die Strahlen jedoch auch 
weiterhin die besten Dienste leisten. Ganz anders verhält es sich mit der 
prophylaktischen Bestrahlung, das heisst, der'Anwendung der Strahlen, 
nachdem die Radikaloperation vorgenommen ist, um das Rezidiv hint¬ 
anzuhalten. Von 66 derartigen Patientinnen (Tabelle II) sind bei der 
Nachuntersuchung 42 = 63,6 pCc. rezidivfrei gefunden worden. Bei 
einem Vergleich mit operierten, aber nicht bestrahlten Patientinnen 
konnten bei gleichem Zeitraum und gleicher Beobachtungszeit nur 
29,1 pCt. rezidivfrei erkannt werden. Die hohe Bedeutung der Strahlen¬ 
therapie darf keineswegs verkannt werden. Jedoch soll man nicht auf 
Grund anfänglicher grösserer Erfolge die Kritik verlieren. Bei gutattigen 
Erkrankungen und bei prophylaktischer Anwendung zur Hintanhaltung 
des Rezidivs leisten die Strahlen Hervorragendes. Beim Karzinom sind 
die palliativen Erfolge sehr gut, eine Heilung oder besser gesagt, eine 
jahrelange Besserung werden wir nur in den allerseltensten Fällen er¬ 
reichen. (Erscheint als Originalarbeit in der Zeitschrift für Geburts¬ 
hilfe und Gynäkologie.) 

Diskussion. ' 

Hr. Küstner: Meinen Bemerkungen möchte ich eine Demonstration 
voraussohicken. 

Der projizierte exstirpierte Uterus wies bei der klinisohen Unter¬ 
suchung nur ein kleines, flaches, höchstens zehDpfennigstückgrosses 
karzinomatöses Ulkus an der hinteren Muttermundslippe auf. Es war 
ein Fall, wie zur Bestrahlung geschaffen; man hätte dieses karzinomatöse 
Ulkus in kürzester Zeit durch Strahlen zur Abheilung bringen müssen. 
Oberhalb des Ulkus war die Zervix völlig geschlossen, für den Finger 
nicht mehr durchgängig. Da es sich aber um ein operables Karzinom 
handelte, so machte ioh meinen Prinzipien getreu die abdominale Ex¬ 
stirpation. 

Sie sehen den exstirpierten Uterus an der Vorderwand aufgeschnitten. 
Die schwarze Stelle an der äusseren Portiofläcbe ist das vor der Ope¬ 
ration versohorfte Ulkus. Ausserdem sehen Sie, dass aus der Schleim¬ 
haut im Bereiche des Korpus ein rechteckiges Stück zur mikroskopischen 
Untersuchung ausgeschnitten ist. 

Jetzt projiziere ich Ihnen den mikroskopischen Schnitt dieses Stückes; 
an ihm erkennen sie unschwer 3, 4 umfängliche Herde zweifelhaften 
Karzinomgewebes, in die Schleimhaut und die Muskulatur des Uterus 
eingelagert. 

Nun wissen Sie, wie auch der Herr Vorredner betonte, dass wir mit 
einer Strahlenwirkung von der Oberfläche ans nur auf 3, höchstens 4 cm 
in die Tiefe reohnen können. Dies vorausgesetzt, würde die exzidierte 
Stelle niemals von den Strahlen erfasst worden sein. Wir hätten durch 
die Bestrahlung eine Schei^heilung erzielt, die Kranke wäre aber weiter 
dem KarzinomverhäDgnis preisgegeben gewesen. 

Beobachtungen wie diese waren von mir in dutzendfältiger Menge 
gemacht worden, ehe vor 5 Jahren die Strahlenbehandlung des Gebär¬ 
mutterkrebses einsetzte, sie waren es, welche mich auf den von mir von 
vornherein eingenommenen Standpunkte verharren Hessen, der vom Herrn 
Vorredner dargelegt worden ist: Die operablen Gebärmutterkrebse werden 
weiter operiert. Bestrahlt werden nur diejenigen, welche nicht oder nicht 
mehr operiert werden können. 

Wir können durch die klinische Untersuchung niemals feststellen, 
wie hoch hinauf der Uterus bereits krebsig erkrankt ist. Das können 
wir im frühesten Falle erst, wenn der Uterus aufgeschniiten vor uds auf 
dem Teller liegt und oft auch erst, wenn die mikroskopische Unter¬ 
suchung vorgenommen ist. Wir können auf Grund der klinischen Unter¬ 
suchung nicht wissen, ob hoher gelegene Krebsherde der Penetrationskraft 
der Strahlen zugänglich sind. Wohl aber werden solche bei der opera¬ 
tiven Entfernung des Uterus mit entfernt. Und deshalb ist und bleibt 
die operative Entfernung des Uterus verglichen mit der Bestrahlung das 
sicherere, verlässlichere Verfahren. 

Ehe die Strahlenbehandlung einsetzte, gingen wir allmählich in dem 
Bestreben der Radikalität immer weiter und weiter. Dadurch wurden 
die Operationen gefährlicher und die Operationsresultate schlechtere. 
Wir operierten aber auch allmählich immer mehr ungünstige und weit 
fortgeschrittene Krebse. Und deshalb wurden auch prozentualisoh be¬ 
rechnet die Dauerresultate immer ungünstiger. So war der Boden für 
eine völlig neue Behandlungsmethode gut präpariert, so kam es, dass 
in der Strahlenbehandlung vielfach etwas gesehen wurde, was nicht nur 
die Operation ersetzen, sondern in Leistung sogar zu übertreffen imstande 
wäre. Wir haben uns von vornherein durch die überraschende Wirkung 
der Strahlen auf das Karzinomgewebe nicht blenden lassen, haben ihr 
nur die Behandlung der unoperierbaren Karzinome zugewiesen, die 
operierbaren weiter operiert und uns weiter bemüht, die Operation 
lebenssicherer zu gestalten. Das geschah, indem wir aus Heimann’s 
bakteriologischen Untersuchungen die Konsequenzen zogen, geschah 


weiter durch rationelle Auswahl der der Operation unterzogenen Fälle. 
Man soll mit der Operation nicht Unmögliches leisten wollen und soll 
nicht glauben, dass man weit fortgeschrittene Karzinome rezidivfrei 
operiert. - 

Um zu entscheiden, ob eine Operation Aussichten auf definitiven 
Erfolg Lat oder nicht, dazu reicht die Untersuchung durch Betastung 
nicht immer aus. Erst der Operationsversuch kann gelegentlich den 
Ausweis erbringen. Der Operationsversuch, der in der Laparotomie be¬ 
steht, welche uns ermöglicht, den Affekt vom geöffneten Abdomen aus 
zu betrachten und zu betasten. Resultiert dann, dass auf operativem 
Wege eine Radik-tlheilung nicht zu erzielen ist, dann soll man von jedem 
Eiatirpationsversuch abstehen, das Abdomen schliessen und den Fall als 
inoperabel der Bestrahlung anheimgeben. 

Wir glauben an eine definitive Heilung, wenn 5 Jahre nach der 
Operation noch kein Rezidiv aufgetreten ist. Das mag für viele Fälle 
zutreffeo, meist kommt sogar das Rezidiv früher als erst im 5. Jahre. 
Es kann aber auch erst viel später auftreten. Ich exstirpierte einer 
Kranken wegen umfänglichen Kollumkarzinoms den Uterus im Juli 1904. 
Sie war damals 33 Jahre alt. Gestorben ist sie 1917 an Rezidiv in der 
Wirbelsäule, den Meningen, den Lungen. Bis 1916 war sie völlig be¬ 
schwerdefrei und blühend, erst in diesem Jahr traten charakteristische 
Lämhungserscheinungen auf. 

Die guten Erfolge, welche wir mit der prophylaktischen Bestrahlung, 
d. h. der Bestrahlung der Operierten zu haben glauben, konnten den 
Gedanken nahelegen, ob man nicht die gefährlichere abdominale Ope¬ 
ration aufgeben, zu der weniger gefährlichen vaginalen zurückkehren 
und daun eventuell zurückbleibende, klinisch aber nicht nachweisbare 
Karsinomreste durch die prophylaktisch zu applizierenden Strahlen ver¬ 
nichten lassen soll. Manche Kranke operieren wir ja ohnehin auch beute 
n’cht abdominal, sondern vaginal, das sind die sehr fetten und ganz be¬ 
sonders dekrepide. Auf andere aber im Vertrauen auf die nachträgliche 
Strahlenwirkung die vaginale Operation zu UDgunsten der abdominalen 
auszudehnen, möchte ich nicht empfehlen. Die^e ist doch erheblich 
gründlicher, als jene. Man soll den Strahlen nicht zu viel Arbeit über¬ 
lassen. 

Will man ein bis dahin im allgemeinen bewährtes Verfahren gegen¬ 
über einem lebensgefährlichen Leiden zugunsten eines anderen aufgeben, 
so gehört dazu Ueberzeugung, die Ueberzeugung, dass das andere Ver¬ 
fahren besser ist. Die Ueberzeugung, da^s beim operablen Karzinom die 
Bestrahlung besseres leistet als die Operation, habe ich zu Anfang nicht 
gehabt, habe sie aber auch im Laufe der Jahre nicht gewinnen können. 
Wollte ich von der Operation zur Bestrahlung umsatteln, so wäre das 
von meinem Standpunkte aus ein Experimentieren, für welches ich die 
Verantwortung nicht tragen möchte. 

Hr. L. Fraenkel: Die Aussichten der Strahlenbehandlung in der 
Gynäkologie sind für das Karzinom des Uterus, das Myom und die Metro- 
pathien durchaus verschieden zu beurteilen. Was den Gebärmutter¬ 
krebs betrifft, so nimmt die Breslauer Klinik in zunehmender Ueber- 
einstimrauDg mit der Mehrzahl der deutschen Kliniken an, dass die Radikal¬ 
heilung durch Operation eher gewährleistet wird. Ich glaube, dass 
der Optimismus einzelner Anstalten, welche zur völlig operationslosen 
Behandlung übergegangen sind, sicherlich wieder weichen wird. — Als 
Palliativum bei inoperablen Fällen ist die Strahlenbehandlung ein gutes 
Mittel, nur besteht zwischen dem erreichbaren Erfolge und den An- 
schaffungsschwierigkeiten samt Kosten der Apparatur ein Missverhältnis, 
so dass die Einführung der Strahlenbehandlung in die allgemeine Praxis 
bei inoperablem Karzinom nicht zu erwarten ist. Es gibt auch nebenbei 
eine Anzahl Kranke, für die sich die Strahlen gar nicht eignen, die dar¬ 
unter ausserordentlich leiden und sich schneller verschlechtern, oder aus 
eignem Antrieb die Behandlung unterbrechen. Ganz besonders möchte 
ich vor der intrauterinen Einführung der Radiumröhren bei Korpus¬ 
karzinom warnen. Ich gebe hier einen Uterus herum (Demonstration), 
der ein ausgedehntes Karzinom der Uterushöhle zeigt. Die Patientin 
kam im septischen Allgemeinzustande zu mir, nachdem anderwärts 
unter erheblichen Schmerzen Radium mehrfach eingelegt worden war, 
wie mir der Hausarzt mitteilte. Der Fall war an der Grenze der Ope¬ 
rabilität; Metastasen, Aszites oder palpable Drüsen fehlten; die Pro¬ 
gnose der Operation war durch den septischen Zustand ausserordentlich 
getrübt, sie verlief glatt. Es gelang den Uterus im Gesunden abzusetzen 
uDd die Entstehung einer Peritonitis zu vermeiden, doch leidet Patientin 
heut, 9 Tage nach der Operation, an der noch nicht überwundenen 
Sepsis, es ist überhaupt zweifelhaft, ob sie noch durchkommen wird. 
(Anmerkung bei der Korrektur: Patient ist nach monatelanger Sepsis 
gesund geworden.) Sie sehen, dass der Tumor, der den Uterus kinds¬ 
kopfgross auftreibt, bis fast an das Peritoneum reicht Der Gebär¬ 
mutterkörper ist mit einigen Esslöffeln ausserordentlich stinkenden 
Eiters erfüllt, die krebsige Schleimhaut in nekrotisch - diphtherischer 
Beschaffenheit, das Gewebe bis in die Tiefe von 1 cm ein geschmolzen, 
ähnlich wie eine prominente, septisch zerfallene Plazentarstelle. Wir 
dürfen wohl annehmen, dass hier das Radium diese schwere, nekroti¬ 
sierende Entzündung und EinschmelzuDg bewirkt hat, da wir ähnliches 
sonst niemals beobachten. 

Vollkommen anders liegen die Verhältnisse für die sogenannten 
Metropathien. Das ist ein ausserordentlich schlechter Ausdruck für 
Blutungen bei nicht erkranktem Uterus, Blutungen funktioneller Natur, 
bedingt durch Störung der inneren Sekretion des Eierstockes; man müsste 
sie also Dicht Metropathien, sondern richtiger Oophooropathien nennen. 
Die Blutungen haben wir bisher, wenn allgemeine Behandlung und 


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6. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


437 


Styptika versagten, durch Abrasion der Uterussohleimhaut behandelt; 
ein in diesem Falle völlig verkehrtes, sinnloses, barbarisches Verfahren, 
welches nebenbei oft genug nicht zum Ziel geführt hat. Wir behandelten 
hier das Organ, welches gar nicht erkrankt waF, und batten bisher keine 
Mittel, um die primären Ovarialsohädigungen zu beeinflussen; hier füllen 
die Strahlen eine bisher schmerzlich empfundene Lücke aus, denn damit 
können wir direkt und fast elektiv die Eierstöoke angreifen. Seit an 
der hiesigen Hautklinik Halberstaetter seine ersten Versuche gemacht 
und ebenso wie sein Schüler Specht in meinem Laboratorium mit mir 
gemeinsam sie einer weiteren histologischen Prüfung unterzogen hat, 
ist die spezifische Beeinflussung der Röntgen strahlen auf die Eierstöcke 
anerkannt und therapeutisch ausgenützt worden. Nur ist die Ansicht 
falsch, dass die Strahlen nur einen Teil des Eierstockes beeinflussen, 
nämlich den Keimapparat zerstören, aber die interstitielle Drüse belassen. 
Das ist nach unseren Untersuchungen nicht der Fall. Bei der bisherigen 
experimentellen Anwendungsweise werden Follikelapparat und inter- 
stitielles Zellengewebe gleichmässig atrophisiert Genau so verhält es 
sich bei der Strahlenbehandlung blutender Frauen; die Wirkung ist eine 
der Kastration nahezu gleichkommende, auch tritt, wenn sie erfolgreich 
ist, die vollkommene Amenorrhoe ein. Die „Oophooropathien" betreffen 
oft jüngere Frauen. Der vollkommene Ausfall der Eierstocktätigkeit ist 
also nicht in jedem Fall erwünscht. Demnach ist das Verfahren nooh 
nicht aus der Gegenwart, sondern der Zukunft, d. h. es muss ein 
weiterer Ausbau angestrebt werden, in dem Sinne, dass wir nicht Ame¬ 
norrhoe, sondern Oligomenorrhoe erreichen. Bisher gelingt das nicht 
mit Sicherheit, ja nicht einmal mit Wahrscheinlichkeit. 

Das dritte Hauptwirkungsfeld für die Strahlen ist die Behandlung 
der Myome. Auf diesem Gebiete kann ich den Standpunkt des Herrn 
Vortragenden noch nicht teilen. Die Verhältnisse liegen gerade um¬ 
gekehrt wie bei den funktionellen Uterusblutungen; während dort die 
Eierstöcke schuld sind, ist es hier der Uterustumor, welcher die Blutungen 
bewirkt. Während dort die Strahlen an der richtigen Stelle ansetzten, 
tun sie das hier an der falschen, denn sie schädigen die kaum erkrankten 
Eierstöoke und lassen den Tumor fast unberührt. Allerdings sollen ja 
die Myome sekundär auch etwas schrumpfen, verschwinden werden sie 
wohl aber nur selten. Wir belassen also den Frauen ihre Geschwülste 
mit allen dadurch gegebenen Möglichkeiten, beseitigen nur die Blutungen 
und kehren zur Kastrationsbehandlung der Myome zurück, die wir 
glücklicherweise aufgegeben hatten. Es wird im Prinzip immer richtig 
bleiben, den Tumor zu beseitigen, nicht die gesunden Keimdrüsen. 
Geringe Mortalität, mit der nooh die aseptische Myomotomie belastet ist, 
wird auch vielleicht bei der {Röntgenbehandlung [nicht ganz fehlen, 
andererseits geben die schweren Darmschädigungen, die auoh in der aller- 
neuesten Zeit von Franz, v. Franquö u. a. gemeldet werden, zu 
denken. Ich glaube, dass die operative Behandlung der Myome den 
Vorzug verdient, und nurJbei|Kontraindikationen gegen die Operation 
oder bei messerscheuen Kranken die Strahlenbehandlung am Platze ist. 

Ich fasse dahin zusammen: [Die’Strahlenbehandlung ist 
für funktionelle Blutungen ein zweifelloser Fortschritt, bei 
Karzinom dagegen nicht und bei|Myomen"ein brauchbares, 
aber nicht das Allheilmittel. 

Hr. A. Most:IGestatten Sie;noch'einige'B em erk un gen"v omfoh iru r- 
gischen Standpunkte. Ich kann von meinem chirurgischen Standpunkte 
aus die Erfahrungen des Herrn Vortragenden nur bestätigen. Auch der 
Chirurg muss, wie der Gynäkologe, gutartige oder bösartige Leiden unter¬ 
scheiden. Bei den gutartigen Leiden, die wir einer Strahlentherapie 
unterwerfen, stehen die chirurgischen Tuberkulösen, vor allem die tuber- 
kulösent Lymphome im Vordergründe. Die günstigen Erfolge, die wir 
hier mit dem Röntgenverfahren erzielen, sind bekannt, bekannt auoh, 
dass wir infolgedessen mit unseren operativen Maassnahmen immer 
zurückhaltender gewordensind. Halsdrüsenoperieren wir fast gar 
nicht mehr. 

Nur die Krebse.CfcHier muss ich offen gestehen, dass mich die Er¬ 
folge der Rontgentiefenbestrahlung (über Radium verfügen wir nicht) 
einigermaassen enttäuscht haben. Neben einigen positiven Erfolgen, sah 
ich wiederholt Misserfolge trotz energischer Bestrahlung mit einem Apparat 
neuesten Systems. So konnte ioh einen Parotistumor zum Schwinden 
bringen,{ein Magenkarzinom, das ich vor einem Jahr gastroenterostomiert 
habe, über Wasser halten, bei Mammakarzinome wiederholt Knötchen 
der Drüsenrezidive verschwinden sehen, oft aber sah ieh keinen Einfluss. 
Eine Frau z. B., der ich einen kleinen Mammatumor unter der Fehl¬ 
diagnose „Adenom" exzidiert habe, bei dem aber die mikroskopische 
Diagnose „Karzinom" ergab, habe ioh darauf einer energischen Felder¬ 
bestrahlung unterworfen. Zwei oder drei Monate darauf zeigte sich die 
Frau mit einem Rezidiv in der Narbe und kleinen, palpablen Achsel¬ 
drüsen. An einen „Sieg der Röntgenstrahlen über den Brustkrebs", 
wie ihn Loose in der M.m.W. (1917, Nr. 6) verkündete, kann ioh also 
vor der Hand nicht glauben, und ich stehe ebenso wie der Herr Vor¬ 
tragende auf dem Standpunkte operable Karzinome so gründlich wie 
möglich operativ i anzugreifenJ und sie nachher einer'prophylaktischen 
Bestrahlung zu unterwerfen. Zu den Erfolgen der prophylaktischen 
Bestrahlung kann ioh mioh nicht äussern, da ich systematische Strahlen- 
therapie erst seit meiner Rüokkehr aus dem Felde betreibe, und seitdem 
wir einen neuen, leistungsfähigen Röntgentiefenbestrahlungsapparat be¬ 
sitzen. 

Die Strahleiltherapie ist eben kein Spezifikum gegen das Karzinom. 
Bei gutartigeren Prozessen scheinen die Strahlen zu genügen, um die 
labileren Krankheitsprodukte zu zerstören und die Beaktionskraft der 


Gewebe anzuregen, nicht so bei den meisten Formen der malignen 
Neubildungen. 

Hr. Silberberg: M. H.I Hinsichtlich der Myomtherapie decken 
sich meine Erfahrungen mit denen des Herrn Hei mann, vorausgesetzt, 
dass man sich die Fälle riohtig aussuoht. Hinsichtlich der Karzinom¬ 
therapie muss iob aber sagen, dass meine Erfolge bei weitem nicht, so 
sobleoht sind als die des Herrn Hei mann. Freilich liegt auoh hier 
viel an der Auswahl der Fälle. Ich will zugeben, dass gerade beim 
Uteruskarzinom deswegen sohwer Erfolge zu erzielen sind, weil hier, 
was halwegs operabel ist, operiert wird, und nur die schlechtesten Fälle 
der Strahlentherapie zugeführt werden. Aber gerade bei der Karzinom- 
therapie gilt es vor allem eine Revision der Teohnik vorzunehmen. .Wir 
bestrahlen hier trotz der fortwährenden Aenderungen noch viel zu 
schematisch. Erst wenn wir Aerzte gelernt haben werden, uns die Er¬ 
rungenschaften der Physiker in vollem Umfange zunutze zu maohen, 
dann wird es uns auoh gelingen, die Technik der Strahlentberapie in 
ganz andere Bahnen zu bringen. Kann man denn glauben, dass das, 
was uns Laue am Molekulargitter der Kristalle gezeigt hat, was wir im 
Laufe der Zeit über die Interferenz der Röntgenstrahlen gelernt haben, 
ohne Einfluss bleiben wird auf die Technik der Strahlen? Welch be¬ 
deutenden Umschwung und Fortschritt hat schon die Einführung der 
Glühkathodenröbre gebracht. Schon hier haben wir Erfolge zu ver¬ 
zeichnen, die wir früher nie geahnt haben. Also arbeiten wir technisch 
weiter, und /wir werden Erfolge, wie sie Herr Heim ann gehabt hat, 
sicherlich verbessern können. 

Hr. Henke: Bei der Beurteilung der Behandlungsergebnisse der 
einen oder anderen Methode des Vorgehens muss meines Erachtens be¬ 
sonders für das Karzinom noch mehr in Betracht gezogen werden, dass 
auoh der natürliche Ablauf der Krebskrankheit ein recht verschiedener 
ist, unabhängig von der gewöhnlichen Behandlungsmethode. Besonders 
die bindegewebsreichen, Zirrhosen Karzinome, sohmale Hautkarzinome, 
verlaufen oftmals sehr langsam; die Metastasenbildung lässt lange auf 
sich warten und auch der örtliohe destruierende Prozess schreitet nicht 
rapide vorwärts. Diesen Formen stehen gegenüber die zellreichen Formen 
des Karzinoms, von denen wir annehmen müssen, dass, wenn auch nur 
einzelne Karzinomzellen bei der Operation im Körper Zurückbleiben oder 
die von den Strahlen nicht erreicht und zerstört werden konnten, ein 
Rezidiv unvermeidbar wird und der weitere Verlauf schnell sich vollzieht. 
Diese Unterschiede im Verlauf müssen bei der Beurteilung der thera¬ 
peutischen Maassnahmen in Rechnung gezogen werden; nicht nur die 
Infektionskrankheiten, auch die Karzinome sind sehr verschieden bösartig 
in ihrem Ablauf. 

Hr. Jadassohn bemerkt, dass gerade bei den Hautepitheliomen die 
Uebereinstimmung zwischen histologischem Bau und therapeutischer 
Reaktion gegenüber den Strahlen sehr gut zu konstatieren sei. Die be¬ 
kannten relativ sehr benignen Basalzellenepitheliome sind fast immer 
mit grosser Bestimmtheit schon klinisch als solohe zu diagnostizieren, im 
Gegensatz zu den viel maligneren und schneller wachsenden Spinalzellen¬ 
epitheliomen. Die ersteren reagieren nun unzweifelhaft auf Röntgen¬ 
strahlen, sowohl wie auf Radium und Mesothorium ausserordentlich viel 
schneller und günstiger als die Spinalsellen, so dass lange Zeit bei vielen 
Dermatologen die Ansicht bestand, dass man die Basalzellenepitheliome 
bestrahlen, die Spinalzellenepitheliome aber chirurgisch behandeln solle. 
Es ist nun zwar unzweifelhaft nachgewiesen, dass auoh die letzteren oft 
mit sehr grossen Dosen von Röntgenstrahlen gut zu beeinflussen sind. 
Der Unterschied bleibt aber doch immer nooh deutlich bestehen. 

Hr. Hei mann (Schlusswort): Wenn ioh zunächst Herrn Fränkel 
seine Frage beantworten darf, so möohte ich doch hervorheben, dass in 
der Literatur die Autoren die sich gegen eine Bestrahlung der operablen 
Karzinome ausgesprochen haben, in der letzten Zeit sich recht mehren. 
Auoh bei Bumm und D öder lein scheinen nach ihren Publikationen 
die geeigneten Fälle ausgewählt zu werden. Was das Präparat, das 
Herr Fränkel zeigte, anlangt, so hätte auch ioh niemals gewagt, 
bei einem solchen Fall das Radium in die Uterushöhle einzulegen. 
Sehen wir doch sohon, wie ioh erwähnt habe, dass das immerhin 
dicke Septum recto- vaginale von den Strahlen derartig affiziert wird, 
dass es zur Fistelbildung kommt, um wie viel eher kann dies bei der 
durch ein Karzinom verdünnten Uteruswand geschehen. Die Do¬ 
sierung der Röntgenstrahlen lässt sioh leider bisher nicht so vor¬ 
nehmen, um mit 3ioherheit eine Oligomenorrhoe zu erzielen. Infolge¬ 
dessen bestrahlen wir, um eine Rezidiv zu verhüten, stets bis 
zur Amenorrhoe, weil wir dann des Dauererfolges sioher sind. Dass 
eine Schrumpfung der Myome vorkommt, ist nach unseren jetzigen 
Erfahrungen als feststehend anzunehmen. Meine früheren Publikationen 
haben ja niemals Naohuntersuohungsresultate berücksichtigt, konnten 
also auf diesen Punkt nooh nicht eingehen. Jedenfalls habe ioh bei 
meinen sämtliohen Fällen keinen Todesfall, niemals eine schwerere 
Schädigung, ja ioh kann sogar sagen, niemals eine stärkere Verbrennung 
mit meiner Teohnik erlebt, obwohl ich, um es noch einmalfzu betonen, 
100 pCt. Heilungen zu verzeichnen habe. Die schweren Verbrennungen, 
über die Franquö und Franz .berichten, sind — und damit will ich 
Herrn Silberberg antworten — mit| der Glühkathodenröhre hervor- 
gerufen worden. Wir werden also vorläufig mit der Anwendung dieser 
Röhre bei Tiefentherapie, wie es auch von vielen Autoren schon gesagt 
wird, recht vorsichtig sein. Dass man an der Technik weiter arbeiten 
wird, so wie wir es bisher in intensivster Weise getan haben, ist selbst¬ 
verständlich; in dieser Beziehung gebe ich Herrn Silberberg voll¬ 
kommen reoht. Wir sind natürlich noch nicht am Ende unserer Kraft. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N t. 18. 


Id dem heutigen Vortrage konnte ich bei dem mir gesteckten Rahmen 
anf die Indikationsstellung, die ich in früheren Publikationen sehr aus¬ 
führlich behandelt habe, nicht näher eingehen. Aber die beiden von 
Herrn Biermer erwähnten Fälle hätte ich auch nicht bestrahlt, sondern 
von vornherein operiert. Als eine der ersten Indikationen für die Opera¬ 
tion gegen die Bestrahlung steht nämlich der Punkt, dass bei un¬ 
sicherer Diagnose, ob es sich überhaupt um ein für die Strahlenbehand¬ 
lung geeignetes Myom handelt, sofort zum Messer gegriffen werden soll. 
Hierbei möchte ich noch ganz besonders betonen, worauf ich früher 
stets hingewiesen habe, dass gynäkologische Kranke nur vom röntgeno¬ 
logisch geschulten und erfahrenen Gynäkologen behandelt werden dürfen. 
Herrn Prof. Henke muss ich mich auf Grund seiner Erfahrungen voll¬ 
kommen anschliessen. Auch wir sehen bei der Bestrahlung stets, dass 
die Karzinome ganz verschieden auf die Strahlen reagieren. Bei der 
Aufnahme vollkommen gleiohaussehende Karzinome, die mit derselben 
Dosis und in gleioher Zeit bestrahlt worden sind, können so reagieren, 
dass naoh der Pause bei dem einen Fall vom Karzinom nichts mehr 
zu fühlen ist, während der andere Fall sich nicht nur nicht gebessert 
hat, sondern sogar ein Fortsohreiten des Prozesses aufweist. 

Tabelle L 

I. V. 1912 — 1. V. 1917. 


Myome.96 

Metropathien.67 

UteruBkarzinome.279 

Inoperable Rezidive.17 

Vulvakarzinome. 7 

Uteruskarzinome 1 naoh der ... 66 

' Vulvakarzinome > Operation ... 8 

Mammakarzinome J bestrahlt . . . 8 


Summa 548 

Tabelle II. 



Uteruskarzinome 

Prophylaktisch 

bestrahlt 

3 

csa 

gestorben 

versohollen 

gebessert 

■P 

1 S, 

nioht gebessert 

schlecht 

Zahl 

gestorben 

verschollen 

Rezidiv 

'S 

► 

'S 

'S 

£ 

1. II.—81. XII 1913 . 

40 

19 

21 





2 




2 

1. I.—31. XII. 1914 . 

74 

30 

38 

3 

2 

1 

— 

13 

2 

3 

1 

7 

1. I.—31. XII. 1915 . 

75 

45 

23 

5 

2 

— 

— 

19 

4 

2 

1 

12 

1. L— 31. XII. 1916 . 

72 

46 

17 

1 

3 

3 

2 

18 

4 

1 

2 

11 

1. 1.-1. V. 1917 . 

18 

6 

5 

3 

— 

— 

4 

14] 

2 

1 

’l | 

_10 

Summa 

279 

146 

104 

12 

7 

4 I 

6 

66 | 

12 

1 1 

7 

5 

42 


Yerein für wissenschaftliche Heilkunde au Königsberg 1. Pr. 

Sitzung vom 14. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Winter. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Kastaa: Thyreohypoplasia congenita. 

Patientin, 7 Jahre alt, ist die vierte von sechs Gesohwistern, von 
denen ausser ihr drei schwachsinnig sind, sie selbst besucht die Hilfs¬ 
schule, da sie nicht mitkommen konnte. Schon bei der Geburt be¬ 
merkte die Mutter, dass die Haut ganz zusammengesohrumpelt sei. Es 
bildeten sioh später knollige Verdickungen in der Haut und entzünd¬ 
liche Vorgänge, welche von der Hautklinik als Ekzem bezeichnet wurden. 
Der Zustand besserte Bich etwas ohne Behandlung, diese wird auch jetzt 
nooh nicht ausgeführt, sondern für später in Aussioht genommen, da 
die Schilddrüsendarreichungen eine beträchtlich vermehrte Kalorien¬ 
zufuhr nötig machen würde, diese aber bei den jetzigen Ernährungs¬ 
verhältnissen den Zustand des Kindes schädigen könnte, weil nicht 
genug Nahrungsmittel beschafft werden könnten. Es finden sich auch 
jetzt knollenartige Verdickungen in der Haut, hinter dem Ohr sehr 
starke Faltenbildungen und derbe Hautbeschaffenheit, so dass die Backen 
wulstartig vom Unterkiefer herunterhängen und dem Gesicht den Aus¬ 
druck einer alten Frau verleihen. Ein Zwergwuchs ist nicht festzu- 
stellen, die Haut ist derb und trooken. 

2. Hr. Sachs: Missbildung innerer Genitalien. 

Demonstration eines 23jährigen Mädchens mit gut erhaltenem Hymen 

bei völligem Fehlen der Vagina. Dieser zuerst von Pozzi erhobene 
Befund wurde von diesem für den vulgären Ursprung des Hymens ver¬ 
wertet. Löfquist berichtet später über derartige Fälle. Er schliesst 
sioh bei der Deutung des Befundes der Auffassung Sohäffer’s über 
die Entstehung des Hymens als Hymen bilamellatus an. Danach wäre 
in derartigen Fällen der vulväre Anteil des Hymens erhalten, während 
der vaginale Anteil fehlt. Sachs hält diese Ansohauung am besten 
vereinbar mit den entwioklungsgeschiohtliohen und klinischen Tatsachen. 


Ausserdem bestand bei der Kranken eine grosse Hämatosalpinx 
bei Uterns rudimentarius duplex solidus. Nur an dem tubaren Ende 
des Knken Hornes war eine bohnengrosse Uterusböble vorhanden. S.' 
hält durch dieses Präparat die Aran-Bernutz’sohe Reflextheorie für be¬ 
wiesen, da der noch erhaltene, nicht dilatierte Tubenteil zu sehr «tro- 
phisoh war, um eine so grosse Blutmenge zu produzieren, die dann den 
ausgedehnten Tubenteil so hätte zur Atrophie bringen können. 

3. Hr. Kirschner: Strima malig». 

Radikale Entfernung einer grossen Struma maligna, bei der es 
nötig war, das Brustbein temporär zu resezieren. Heilung. * 

1. Hr. Selter. Vorträge. 

Die taberkilüse Iifektiei im Kiadesalter ud ihre Bedeatug fftr 
die Phthise. 

Durch die Sektionsbefunde an Kindern und die Tuberkulinimpfungen 
ist bewiesen, dasj wenigstens in den Volksschichten mit Ablauf des 
Kindesalters fast jedes Kind Tuberkelbazillen in sich aufgenommen hat. 
Die Kinder erkranken aber nur zu einem geringen Teil; meist geht die 
1 tuberkulöse Infektion, ohne dass sie klinisch in Erscheinung tritt, in 
ein latentes Stadium oder in Heilung über. Dies zeigt sich durch 
Sohwächerwerden oder Verschwinden der Pirquet- und Intrakutanreak¬ 
tion. Ob die tuberkulöse Infektion unter den Kindern sozial besser ge¬ 
stellter Kreise eine ähnliche Verbreitung hat, muss noch geprüft werden. 
Die verheilende kindliche Infektion verleiht dem Körper eine Immunität 
gegen neue Infektionen, die aber durch Einsetzen sohlechter Lebens- 
Bedingungen durchbrochen werden kann. Die beim Erwachsenen auf¬ 
tretende LungensohwiDdsuoht hängt mit der kindlichen Infektion viel¬ 
leicht in dem Sinne zusammen, dass letztere die Vorbedingung der im 
allgemeinen günstig verlaufenden Form der Tuberkulose ist, während 
eine in diesem Alter einsetzende Infektion bei nicht vorbereitetem 
Körper schnell zum Tode führt. Die Phthise ist aber weniger als 
Folge einer metastasierenden Autoinfektion von den im Kindesalter er¬ 
worbenen und verheilten Herden aus aufzufassen, sondern auf im Mannes^ 
, alter vermehrt einsetzende neue Infektionen zurüokzuführen, wofür kli¬ 
nische und pathelogisohe Beobachtungen sprechen. 

Diskussion. 

Hr. Kaiserling sprioht sioh dahin aus, dass auch bei den In¬ 
fektionen im Kindesalter die Lungeninfektion als das primäre, die 
Bronchialdrüseninfektion das sekundäre anzusehen sei. 

Hr. Matthes bespricht die für die einzelnen Lebensalter charakte¬ 
ristischen Formen der Tuberkulose. 

Hr. Th. Cohn macht auf die vielfach in seiner Bedeutung unter¬ 
schätzte Infektionsquelle von den Harn wegen aus aufmerksam. 

2. Hr. Klewiti: Die kardiopneumatisehe Bewegung des Menschen. 

Unter kardiopneumatisoher Bewegung versteht man jene Bewegung 
der Luft m den Respirationsräumen, in welchen diese durch den 
wechselnden Blutgehalt des Thorax infolge der Herztätigkeit versetzt 
wird. Es wurden zunächst im Tierversuoh die zeitlichen Verhältnisse 
der graphisch (mit Fränkischen Spiegeln) aufgenommenen kardiopneuma- 
tisohen Bewegung, der „kardiopneumatischen Kurve*, zu den einzelnen 
Phasen der Herzrevolution festgestellt; die zeitliche Orientierung wurde 
durch ein gleichzeitig aufgenommenes Ekg und den Karotispuls er¬ 
möglicht. Naohdem diese Verhältnisse geklärt waren, wurden Kurven 
vom Menschen aufgenommen, besonders die Kurven bei einer tracheo- 
tomierten Patientin mit einer Trachealkanüle Hessen alle Einzelheiten 
der kardiopneumatischen Bewegung erkennen: die Vorhoftätigkeit durch 
eine inspiratorische Senkung, die Zeit der Anspannung und der Ver¬ 
schiebung des vom Herzen ausgeworfenen Schlagvolumens bis zur 
Thoraxapertur durch eine expiratorische Zacke; der darauf folgende 
Hauptteil der Kurve besteht aus einer tiefen inspiratorischen Senkung 
die in allmählichem Anstieg in eine exspiratorisohe Erhebung über¬ 
geht; in dieser letzteren ist der Aortenklappensohluss deutlich durch 
eine Zacke erkennbar. . 

(Die Arbeiten erscheinen ausführlich im D. Arch. f. klin. M., 1918.) 


Sitzung vom 28. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Winter. 

Demonstrationen. 

1. Hr. Sippel: 

Eil seltener Fall vom Verschliss des Dietis eholedoeh«s. 

Bei einem Patienten, weloher unter den Erscheinungen eines akuten 
Choledochusversohlusses zur Operation kam, fand sich als Ursache des 
Verschlusses eine etwa apfelgrosse unilokuläre Echinokokkusblase. Ent¬ 
fernung derselben; Heilung. Patient hat in Russland Gelegenheit ge¬ 
habt, sich von Hunden her zu infizieren. 

Diskussion. 

Hr. Jancke bezweifelt, dass der Zwischenraum von etwa einem 
halben Jahr, welcher seit der eventuellen Infektion verstriohen ist, aus¬ 
reichend war, um eine Eohinooocousblase von dieser Grösse zu ent¬ 
wickeln. 

Hr. Karl weist darauf hin, dass er vor einigen Jahren im Verein 
einen ähnlichen Fall von Choledoohusverschluss vorgestellt hat. Eb 
handelte sich damals um einen mehr chronisch zur Erscheinung kommen- 


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6. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


489 


den Versohluss des CJholedochus, bei welchem schon klinisch die Dia¬ 
gnose auf Echinokokkus gestellt war, wegen einer ausserordentlioh starken 
Eosinophilie (27 pCt.) und dem positiven Ausfall der Serumreaktion. 
Die durch Prof. Payr vorgenommene Laparotomie hat damals zwar ein 
negatives Resultat ergeben, doch . durfte man an der Diagnose eines 
Echinokokkus wegen der klinisohen Eindeutigkeit nicht zweifeln. 

2. Hr. Meyer: Religiöse Wahavorstellang and Kriegsdienst. 

Torstellung zweier Leute, welche aus religiöser Ueberzeugung die 
Ableistung des Kriegsdienstes verweigert haben. M. erörtert die Kriterien, 
weswegen man die Ideen, welche beide teilweise in visionärer Verzückung 
vortragen, als Ausflüsse einer Geisteserkrankung betrachten müsse und 
nioht als Vorwände, um vom Kriegsdienst freizukommen. 

Vorträge. 

1. Hr. 8obotta: Eiaeiige Zwillinge ind Polyembryoaie. 

S. bespricht den Zusammenhang zwisohen eineiigen Zwillingen beim 
Menschen und der Polyembryonie bei den Gürteltieren. Bei den letzteren, 
wenigstens bei der Gattung Tatusia, gehen aus einem einkernigen 
monosperm befruchteten Ei regelmässig vier (T. novemcincta) oder 
mehr (T. bybrida: 9—12) stets gleichgeschlechtliche Embryonen hervor. 

S. weist darauf hin. dass durch Kenntnis dieses polyembryonalen 
Entwicklungsmodus des Gürteltiereies endlich die Frage des Wesens des 
eigentlichen oder eineiigen Zwillings des Mensohen gelöst sei. Es handelt 
sioh beim Menschen eben auch um eine polyembryonale Entwicklung 
eines einzigen Eies, wie überhaupt die eineiigen Vierlinge von Tatusia 
novemcinta und die echten Zwillinge des Mensohen in jeder Hinsicht 
homolog sind, u. a. auoh vollkommen identisches Verhalten der grössten¬ 
teils, gemeinsamen Eihäute erkennen lassen. 

S. weist naoh, welche Mängel allen früheren Erklärungsversuchen 
des Zustandekommens der eineiigen Zwillinge beim Mensohen anhaften, 
dass insbesondere keine Rede davon sein kann, dass sie der (doppelten) 
Befruchtung zweikerniger Eier ihren Ursprung verdanken. Erstlich lehrt 
die experimentelle Embryologie, dass mehrkernige Eier niemals Ursache 
von Mehrfaohbildungen sein können, zweitens müsste man beim Ei von 
Tatusia hybrida eine bis zwölffache Ueberfruohtung einer zwölfkernigen 
Eizelle annehmen! Dagegen versucht S. die polyembryonale Entwicklung 
des Gürteltiereies bzw. die diembryonale des eineiigen menschlichen 
Zwillings auf latente Isolation der Embryonalblastomeren bei gleich¬ 
seitigem Unterbleiben eines isolierenden Vorganges bei den nichtembryo¬ 
nalen Blastomeren zurückzuführen. 

Zum Schluss macht S. darauf aufmerksam, dass die Gleiohgesohleoht- 
liohkeit polyembryonal entstandener Individuen mit der durch die 
neueren Forschungen ermittelten Tatsaohe, dass die Geschlechtsbestim¬ 
mung bereits mit der Befruchtung perfekt wird, sehr wohl übereinstimmt, 
insbesondere mit der für viele wirbellose Tiere absolut sicher festge¬ 
legten Determination des Geschlechtes durch den Dimorphismus dej be¬ 
fruchteten Spermatozoon. 

2. Hr. Sachs: Ueber Niereileidei in der Schwangerschaft. 

S. bespricht die Gefahren der Nierenerkrankungen in der 
Schwangerschaft. Er hält die Gefahr der Nephropathia gravi¬ 
darum nicht für sehr gross, falls die Kranken rechtzeitig behandelt 
werden. Oedeme, auch Labialödeme werden nur selten so gross, dass 
sie zu einer vitalen Indikation zur Unterbrechung der Schwangerschaft 
fuhren. Ein Uebergang in chronische Nephritis ist noch nioht 
erwiesen, zum mindesten sehr selten. Auoh die Gefahr einer Eklampsie 
ist bei behandelten Nephropathien verhältnismässig gering. Die 
meisten Eklampsien waren vor Ausbruch der Krankheit nicht behandelt. 
Von den der Nephropathia gravidarum eigentümlichen Augenstörungen 
hat die akute Amaurose eine absolut günstige Prognose. Eine Retinitis 
scheint nioht zum Bilde der Nephropathia gravidarum zu gehören. 
Ernster ist die Netzbautabhebung zu bewerten. Vorzeitige Plazen- 
tarlösungen sind bei der Schwangerschaftsnierenerkrankung sehr selten. 

Die Gefahren der akuten Nierenentzündung sind an¬ 
scheinend durch Schwangerschaftsunterbrechung nicht zu beseitigen, wie 
auoh eine Schwangerschaft anscheinend das Krankheitsbild nicht ver¬ 
schlimmert. 

Am bedeutungsvollsten ist die Kombination von Schwangerschaft 
mit der chronischen Nephritis. Es lässt sioh aber nichts über den 
Verlauf des Leidens Vorhersagen. Jede Komplikation mit genuinem 
Herzfehler oder mit dekompensiertem Nierenherzen ist gefahrvoll. 
Von den Augenstörungen sind die, welche einen Teil der Urämie 
bilden, von sohlechtester prognostischer Bedeutung. Sonst in die Pro¬ 
gnose der Retinitis besser als ausserhalb der Gravidität. Die vor¬ 
zeitige Plazentarlösung ist eine sehr zu fürohende Komplikation. 
Die schlimmste Prognose hat die Urämie. Riedel. 


K. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 30. November 1917. 

Hr. 8. Federn: Ueber ein Zeichen des Alterns. 

Bei Leuten, die schon auffälligere Altersstörungen zeigen, steigt der 
Blutdruck nach der Mahlzeit; er hat aber diese Steigerung nach der 
Mahlzeit auch bei Leuten gefunden, die an oder etwas über 60 Jahre 
alt waren, nioht jünger, aber auoh nioht älter aussahen. Anderseits 
bat er sehr alte Leute untersucht, bei denen der Blutdruok wie bei 
jungen Leuten sioh verhielt 


Diese vorläufigen Mitteilungen genügen, um die Notwendigkeit einer 
richtigen Methode der Blutdruckmessung au erweisen. Der Schloss, 
der aus den angeführten Tatsachen zu ziehen ist, scheint folgender zu 
sein. Die normale Blutdrockänderung vor und naoh der Nahrungs¬ 
aufnahme ist nicht ein seltener vereinzelter Vorgang, sondern dauert 
wohl von der Kindheit bis zum vorgerückten Alter fort Wenn sioh 
der Verlauf in diesem Alter dauernd ändert, so spricht das für eine 
eingreifende Veränderung der diese Funktion regelnden Organe, und 
dieses sind wohl die zentralen und peripherischen vasomotorischen Organe. 

Hr. M. Pappen heim zeigt den Liqatr eines an Meningitis tuber 
Cllosa Verstorbenen. 

Man sieht Xantoohromie, wie man sie nach Blutungen in die Ventrikel, 
Apoplexie usw., ferner auch bei raumbesohtänkenden Rüokenmarkstumoren 
findet. Auch bei Meningitis kommt sie bisweilen infolge kapillärer 
Blutungen vor. 

Ferner sieht man eine exzessive Eiweissvermehrung. Die Eiweiss¬ 
vermehrung ist ebenfalls bei raumverengernden Tumoren des Rücken¬ 
marks bekannt, und es kommt dabei bisweilen zu Spontangerinnung. 
Auch der Liquordruok war in diesem Falle abnorm hoch wie bei Rüoken¬ 
markstumoren; die Menge des Liquors, die bei der Punktion gewonnen 
wurde, war gering; anstatt dass, wie bei Meningitis, die Menge vermehrt 
gewesen wäre. 

. Die Obduktion zeigte das ganze Rückenmark eingehüllt in ein diokes, 
ulziges Exsudat , wahrscheinlich bestanden hoch oben Verklebungen. 
Dieser Symptomen komplex ist von dem bei Tumoren nur durch das 
Vorhandensein von mehr Zellen im Liquor unterschieden. 

Hr. R. Bäränyi (Upsala): Ueber Kriegsehirnrgie. 

Redner gibt eine historische Uebersioht über die primäre Naht bei 
Verwundang und zeigt, dass sie weit hinaufreioht, aber nie konsequent 
durchgeführt worden ist. 

' B. legt eine umfangreiche fremdländische Literatur über die primäre 
Naht vor. Die bakteriologischen Untersuchungen der Franzosen haben 
ergeben, dass 24 Stunden naoh der Naht Bakterien nachweisbar sind, 
naoh 48 Stunden meist nioht mehr, die Phagooytose hat ihre Schuldigkeit 
getan. Anwesenheit von Gasbrandbazillen erfordert keine Oeffnung der 
Wunde, ebenso nicht das Finden von Staphylokokken, hingegen muss 
bei Vorhandensein von Streptokokken die Wunde geöffnet werden. 

Redner sohliesst mit der Aufforderung, die Wunden chirurgisch 
aktiv zu behandeln, und empfiehlt seine Methode. 


Sitzung vom 7. Dezember 1917. 

Hr. B. Schick führt ein Kind vor, das in den ersten Lebenstagen 
gesund war. Am 7. Tage Zirkimzisioi, wobei das Blut mit dem Mund 
ausgesogen wurde. 

Die Wunde heilte nicht zu, wurde rot, danfi entstand ein Infiltrat, 
naoh 14 Tagen ein grosses Geschwür, die Inguinaldrüsen schwollen an, 
kein Fieber. Das jetzt 10 Wochen alte Kind zeigt ein Geschwür mit 
aufgeworfenen Rändern und infiltriertem Grund, kein Exanthem. Es 
handelt sich um Tuberkulose naoh Zirkumzision. 

Sch. zeigt ein 2. Kind mit dcascibci Erseheinaigen, nur waren 
auoh die Aohseldrüsen geschwollen. 

Das Kind stand seither in ständiger Behandlung und wurde Helio¬ 
therapie auoh im Winter durebgeführt. Die Inguinaldrüsen sind noob 
geschwollen, sonst ist das Kind gesund. 

Die Prognose bei solchen Primäraffekten der Tuberkulose ist günstiger, 
als wenn der Primäraffekt in der Lunge sitzt, doch ist es nicht ausge¬ 
schlossen, dass von den Drüsen aus sich Tuberkulose später entwickelt. 

Hr. A. Feg m demonstriert einen 33 jährigen Mann, der seit seiner 
Jugend Darmbeschwcrdei Bissigen Grades hat, bisweilen auoh leichte 
Blutungen. 

Als er Diät halten konnte, schwanden die Beschwerden, jetzt sind 
sie stärker, und Patient hat starke Blutungen. Bei der Digitalunter¬ 
suchung des Rektums findet man 3—5 cm oberhalb des Sphinkters kleine, 
derbe Protuberanzen, die Schleimhaut weich und verschieblich. Bei der 
Rektoskopie sieht man weisse Inseln mit höckeriger Oberfläohe, die 
Schleimhaut der Umgebung gerötet, auf leichte Berührung stark blutend. 
Diese Inseln erstrecken sich etwa 12 om hinauf. 

Eine Probeexzision wurde behufs histologisoher Untersuchung gemacht. 
Der histologische Befund zeigt reines Kutisgewebe, welches mit ver¬ 
horntem, pigmentlosem Plattenepithel überzogen ist Es handelt sich 
um eine fötale Anlage. 

Hr. 6 . Sehwari demonstriert eine 28 jährige Frau, die er vor 4 
Jahren wegen eines Mediastiaaltamors mit Röntgenstrahlen behandelt 
hatte. 

Patient kam wiederholt zur Beobachtung naoh Wien und wurde 
in mehreren Serien bestrahlt 

Wie die Röntgenbilder von früher und jetzt beweisen, ist der Tumor 
geheilt. Die grosse Mehrzahl der Tumoren rezidivieren naoh Röntgen¬ 
therapie und verhalten sich einer neuerlichen Therapie gegenüber refraktär. 
Aber es gibt Fälle, die geheilt werden, und bei welchen die Rezidive der 
Röntgenbehandlung gegenüber sich günstiger verhalten als die primären 
Tumoren. 

Hr. M. Krau führt einen Mann vor, dem er nach einer misslungenen 
Nasenplastik eine Gelatineprothese gemacht hat 

Henning hat diese Prothese zuerst gemaoht, aber sein Verfahren 
nioht angegeben. Salomon in Budapest hat dieses Verfahren von 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 18. 


Henning gelernt. Mit dem Negativ der Prothese kann der Patient 
sieh mit der beigegebenen Masse und Farbe in kurzer Zeit die Prothese 
selber maohen. Die Prothese ist nicht auffällig, sie ist weich und 
schmiegt sich den angrenzenden Gesichtsteilen leicht an. 

Hr. F. Silberstein macht Mitteilung über seine Untersuchungen 
über tiasbrandtoxiie hm4 Antitoxine. 

Man muss 2 Gruppen von Gasbranderregern unterscheiden: eine 
nioht toxische Gruppe, welche verschiedene Arten von Erregern umfasst, 
die keine Toxine sezernieren, und eine toxische Gruppe, welche einheitlich 
ist und ein heftiges Toxin sezerniert und Antitoxinbildung anregt. 

Die bisherigen Versuohe behufs Immunisierung von Tieren gegen 
Gasbranderreger der toxischen Gruppe ergeben, dass eine solche Immu¬ 
nisierung möglich ist. 

Hr. Karl Ewald hat beobachtet, dass die Fälle Yoa akater Äppen- 
dilitii, welche zur Operation kommen, während des Krieges viel seltener 
geworden sind. 

Da die Häufigkeit der Appendizitis mit der Ernährung in Zusammhang 
gebracht wird, wäre es wünschenswert, wenn auch die anderen Kollegen 
ihre Erfahrungen zusammenstellen würden. Bosonders interessant wäre 
es, zu erfahren, ob auch in den Sanatorien die akute Appendizität weniger 
häufig ist als früher, da die Erkrankung Folge des FleiBohessens sein 
soll. Die Wohlhabenden essen jetzt mehr Fleisoh als früher, die Armen 
weniger. _ 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 1. Mai hielt Herr 
Warnekros die angekündigten Vorträge: a) Die Behandlung der Säug¬ 
linge mit Spaltbildung des harten und weichen Gaumens bis zur Ope¬ 
ration und ihre vereinfachte frühzeitige Operationsmethode, b) Die Be¬ 
handlung von Pseudarthrosen mit lebendem Transplantat und primär 
eingeheilter Goldsohiene. [Aussprache zu a): Herren Helbing, Kausch, 
Maokenroth, Schlusswort Herr Warnekros]. 

— Ein ausserordentlicher deutscher Aerztetag wird am 
22. und 28. Juni d. J. in Eisenach stattfinden. 

— Der Aerzteausschuss Gross-Berlin hat beschlossen,’ in 
den Wartezimmern der Aerzte ein Plakat auszuhängen, das die Be¬ 
völkerung im Hinblick auf unsere gesicherte Ernährung zum Durohhalten 
auffordert. Es heisst darin: „Wir müssen durchhalten. Wir können 
durohhalten. Unsere Ernährung ist in auskömmlicher Weise sicher- 
gestellt; es ist zu erwarten, dass sich die Verhältnisse in nächster Zeit 
bessern werden. Der Gesundheitszustand ist im allgemeinen zufrieden¬ 
stellend. Von Seuchen sind wir verschont geblieben, Rheumatismus und 
Gicht sind fast sämtlich versohwunden. Jeder muss seine Pflicht tun, 
für Sauberkeit in den Wohnungen Sorge tragen, um Krankheiten vorzu¬ 
beugen. Bei Krankheitsfällen ist der Arzt in den Morgenspreohstunden 
zu benachrichtigen, damit er bei den schwierigen Verkehrsverbältnissen 
die Besuche im Laufe des Tages maohen kann. Die Aerzte sind stark 
in Anspruoh genommen, aber ein Aerztemangel besteht nicht. Man schone 
die Nerven, schreibe nicht Jammerbriefe ins Feld, sie verletzen unsere 
tapferen Krieger und nützen dem Feind. Wir müssen und werden siegen. 
Ein ehrenvoller Friede winkt uns in absehbarer Zeit. Der Aerzteaus- 
sohuss von Gross-Berlin.“ Ausserdem sind die Aerzte ersuoht worden, 
duroh Auslegen von Druoksaohen in den Wartezimmern an der Stärkung 
des Siegeswillens mitzuarbeiten. 

— Der Minister des Innern ersucht die im Besitz von Aerzten und 
Kliniken befindlichen Gummiwaren, soweit sie nioht mehr ihrem 
ursprünglichen Verwendungszweck dienen können, an die Sammelstellen 
der Ortsausschüsse des Kriegsausschusses für Sammel- und Helfer¬ 
dienst, W. 8, Charlottenst. 71 abzuliefern, um duroh Regenerierung zur 
Vermehrung unseres Gummibestandes beizutragen. Wo örtliche Sammel- 
stellen nioht vorhanden sind, ist eine Anfrage an den Kriegsaussohuss 
über die zweokmaasigste Art der Zuführung an die nächste Sammelstelle 
erwünsoht. Es wird ferner darauf hingewiesen, dass sich im Besitz von 
Aerzten Schläuche, Magensonden und Gummikatheter befinden, die un¬ 
brauchbar geworden sind. Es ist erwünscht, dass auoh diese gegen 
Bezahlung an die Sammelstelle abgeliefert werden. 

Ausserdem sind kriegswirtschaftlich wichtig Waren aus trans¬ 
parentem Zelluloid, die gleichfalls hauptsächlich im Besitz yon Kliniken 
und Aerzten sind. Die Feuergefährliohkeit der Zelluloidwaren zwingt 
dazu, von der Sammlung durch die Ortsausschüsse abzusehen. Dagegen 
würde es der Kriegsausschuss für Sammel- und Helferdienst sehr be- 
grüssen, wenn Aerzte und Kliniken unbrauchbar gewordene Gegen¬ 
stände aus transparentem Zelluloid an die Kriegswirtsohafts- Aktien¬ 
gesellschaft unter der Adresse: „An das Lager der Rheinischen Gummi- 
und Zelluloidfabrik Neckarau-Mannheim, Berlin S. 14, Rungestr. 5, zur 
Verfügung der Kriegswirtschafts-Aktiengesellschaft“ übersenden. Bei 
einer Versendung durch die Post hat der Versand in Holzkisten mit der 
Aufschrift „Zelluloid, feuergefährlich“ zu geschehen. Von den Zelluloid-, 
gegenständen sind vor der Verpackung alle aus anderem Material, wie 
Holz oder Metall bestehende Teile zu entfernen. 

— Die Stadtverordnetenversammlung in Berlin-Lichtenberg hat 
die Anstellung eines Stadtmedizinalrats beschlossen. 


— Die medizinische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. hat 
dem Vortragenden Rat und Referenten für Hochschulwesen im badisohen 
Ministerium des Kultus und Unterrichts, Geheimen Oberregierungsrat 
Viktor Sohwoerer, die medizinische Doktorwürde ehrenhalber verliehen. 

— In Chemnitz ist die Kgl. Frauenklinik nebst Mutterheim 
und Säuglingsheim eröffnet worden. 

— Nachdem schon mehrere deutsche Universitäten Matrikeln und 
Doktordiplome in deutscher Sprache ausgestellt haben, folgt diesem Bei¬ 
spiel jetzt auoh die Universität Leipzig. Die theologische und die philo¬ 
sophische Fakultät haben das bisherige lateinische Doktordiplom durch 
das Diplom in deutscher Sprache ersetzt, während juristische und medi¬ 
zinische Fakultät bei der alten Sitte beharren. 

— In Genf ist der ehemalige Ordinarius für innere Medizin, Prof. 
Courvoisier, gestorben. 

— Verlustliste. Verwundet: Oberarzt Karl Neckarsulmer- 
Berlin. — Gefallen: Feldunterarzt Walter Burohardt-Dt. Eylau. 
Stabsarzt d. R. Hans Roeder-Gnesen. Stud. med. Heinz Salomon- 
Berlin. — Infolge Krankheit gestorben: Oberarzt d. L. Richard 
Baum-Berlin. Kgl. Kreisarzt Geh. Medixinalrat Felix Behrendt- 
Kolberg. Hilfsarzt Paul Fleger-Breslau. Stabsarzt d. L. Otto 
Herrmann-Tübingen. Kgl. Kreisarzt von Hoevel-Berlin. Stabsarzt 
d. R. Sanitätsrat Karl Kahl bäum-Berlin. 

—Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Generalgouverne¬ 
ment Warschau (31. III.—6. IV.) 4. Deutsche Verwaltung in 
Litauen (17.—28. III.) 8. Fleokfieber: Deutsches Reioh (14. bis 
20. IV.) 2und2f. Kaiserlioh Deutsches Generalgouvernement 
Warschau (81. III.—6. IV.) 1828 und 98 f. Deutsche Verwaltung 
in Kurland (17.—23. III.) 2. Deutsche Verwaltung in Litauen 
(17.—28. III.) 844 und 15 f. Deutsche Kreisverwaltung in Suwalki 
(17.—23. III.) l'l. Ungarn (25. H.—3. III.) 4 und 1 +. Rüokfall- 
fieber: Deutsches Reioh (14.—20. IV.) 39 unter Kriegsgefangenen 
im Reg.-Bez. Marienwerder. Kaiserlich Deutsches General¬ 
gouvernement Warschau (31. III.—6. IV.) 5. Genickstarre: 
Preussen (7.—13. IV.) 8 und 1 +. Schweiz (81. IH—6. IV.) 3. 
Spinale Kinderlähmung: Preussen (7.—18. IV.) 1. Schweiz 
(81. UI.—6. IV.) 5. Ruhr: Preussen (7.—13. IV.) 64 und 6 f- Mehr 
als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Dessau; Masern 
und Röteln in Gleiwitz. (Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

i Hochsohulnachriohten. 

Breslau: Professor Wetzel wurde zum ausserordentlichen Professor 
und Abteilungsvorsteher am anatomischen Institut Halle als Nachfolger 
von Professor Gebhardt berufen. — Jena: Der ausserordentliche 
Professor für Pharmazeutik und Nahrungsmittelchemie Dr. Matthes er¬ 
hielt einen Ruf als Ordinarius nach Strassburg. — Rostock: Professor 
Dr. Queokenstedt wurde zum leitenden Oberarzt der inneren Ab¬ 
teilung des städtischen Krankenhauses in Harburg ernannt. — Strass¬ 
burg: Der Privatdozent für Zahnheilkunde Dr. Liokteig wurde zum 
ausserordentlichen Professor ernannt. 


Amtliche Mitteilungen. 

Pergonallen, 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden IV. Klasse: Mar.-Ob.-St-A. 
a. D. Dr. Engelbreoht, St.-A. a. D. Dr. Richter. 

König]. Kronenorden III. Klasse: Kreisarzt Geh. Med.-Rat Dr. 
Schlüter in Gütersloh (Kr. Wiedenbrück). 

Ernennungen: Prosektor am städtischen Krankenhause Westend-Char¬ 
lottenburg Prof. Dr. Löhlein zum ordentlichen Professor in der me¬ 
dizinischen Fakultät der Universität in Marburg; Kreisass.-Arzt Dr. 
0. Neuling in Minden zum Kreisarzt in Birnbaum. 

Versetzungen: o. Prof. Geh. Med.-Rat Dr. Schmidt von Halle a. S. 
in gleioher Eigenschaft in die medizinische Fakultät der Universität 
in Bonn; Kreisarzt Dr. Klein von Grottkau als Geriohtsarzt nach 
Elberfeld. 

Niederlassungen: Aerztin Gertrud Neuländer in Guben, Dr. A. 
Peso in Breslau, Dr. F. Geh reis in Eckernförde, Aerztin Berta 
Schnoo.k in Kiel. 

Verzogen: Df. Alexander Herzberg von Berlin-Tempelhof nach 
Berlin-Weissensee, Mar. Gen.-A. a. D. Dr. Al brecht Riohter von 
Kiel nach Glindow (Kr. Zauoh-Belzig), Dr. F. Holz von Stralsund 
nach Altefähr (Kr. Rügen), Aerztin Dr. Paula Schultz geb. Basehe 
von Freiburg i. B. und Dr. E. Sporleder aus dem Heeresdienste 
nach Breslau, Dr. A. Wähler von Wangten naoh Steinseifersdorf 
— Sanatorium Ullbrichshöh — (Kr. Reichenbach in SchL), Dr. P. 
Zastera aus dem westlichen Etappengebiete nach Sprottau, Dr. F. 
Toeplitz von Breslau nach Bismark (Ldkr. Stendal), PaulPiohter 
von Zerbst nach Könnern (Saalkreis), San.-Rat Dr. K. Hamm etter 
von Neisse nach Erfurt. 

Gestorben: Geh. San.-Rat Dr. F. Barozewski in Danzig-Langfuhr, 
Prof. Dr. Ferdinand Hein, San.-Rat Dr. Louis Lazarus und 
Dr. Felix Wolff in Berlin, San.-Rat Dr. R. Kukulus in Golssen 
(Kr. Luokau). 

Ffii di« Redaktion verantwortlich Prof Dr. Han« Koka, Berlin Bayrenther Btr.41 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druok von L. Schumacher in Berlin N. 4. 









tu« Berliner Kliolach« Wochenschrift erscheint Jeden ^ ^ t |1| V Alle Sinsendangen für die Redaktion and Expedition 

liontag in Nummorn von ca. S —6 Bogen gr. 4, — I 1 I fl 111 I ral I I| I I wolle man portofrei an die Verlagsbaeh^andiang 

Preis vierteljährlich 7 Mark. Bestellungen nehmen M f-C I I ImJ H August Hirschwald in Berlin NW., Unter den Linden 

alle Buchhandlungen und Posunsulten an. J / | J | | j | J | [ 7 | J | |j Nr. 68 , adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinal Verwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Geh. Mei-Rai Prof. Dr. G. Posner und Prof Dr. Baus Kolm. August Hirschw&ld, Yeriagsbachhandlung in Berlin. 

Montag, den 13. Mai 1918. J)[s. 19 . Fönfundfönfzigster Jahrgang. 


I N H 

Originalien: Jürgens: Das Rüokfallfieber. S. 441. 

Horwits: Ueber die Behandlung von Ampitationsstümpfcn. S. 445. 
Bleisch: Zur Optochinamblyopie und Optochintberapie. S. 447. 
Olaserfeld: Pferderäude beim Manschen. S. 449. 
v. Liebermann und Ac61: Immunisierung gegen Typhus nach Art 
der Vakzination gegen Pocken. (Aus dem hygienischen Institut 
der Universität in Budapest.) S. 450. 

Frey: Ueber Vorhoffl mmern beim Menschen und seine Beseitigung 
durch Cninidin. (Aus der Köiiglioh Medizinischen Universitäts- 
Klinik Kiel [Direktor: Prof. Dr. A. Schittenhelm, zurzeit im Felde].) 
(Schluss.) S. 450. 

ßäeherbesprechnngen: Gelpke und Soblatter: Unfallkunde. S. 453. 

■ van Amstel: Ueber neurotisch- mesenterialen Duodenal Verschluss. 
(Ref. Karl.) S. 453. — Lecher: Lehrbuch der Puyaik für Mediziner, 
Biologen und Psychologen. (Ref. Michaelis.) S. 453. 

Literatur-Auszüge: Physiologie. S. 453. — Therapie. S. 453. — All¬ 
gemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 454. — Para- 


Das Rückfallfieber. 

Von 

Oberstabsarzt Prof. Dr. Jürgens-Berlin. 

Das Rückfallfieber ist eine alte Kriegsseuche, die für ein 
Kulturvolk zwar längst ihre Bedeutung verloren bat, in Kriegs- 
seiten aber neuen Boden für ihre Entwicklung und manchmal 
für ein^ schrankenlose Aasbreitung findet. Das Rückfallfieber 
ist keine Krankheit, die ansteckend nnd von Mensch zu Mensch 
unmittelbar übertragbar ist, seine Epidemiologie ist vielmehr an 
die Vermittlung blutsaugender Insekten, insbesondere der Länse, 
gebunden, die als Ueberträger der Krankheitskeime für die en 
damische und epidemische Ausbreitung der Seuche ausschliess¬ 
liche Bedeutung haben. Bei der weiten Verbreitung dieser Seuche 
in Russland und anf dem Btlkan drohte uns mit dem Krieg 
auch diese Seuchengefahr, und wenn unsere Armeen trotzdem 
verschönt geblieben sind, so ist das der sorgfältigen Läuse- 
bekämpf.ing zu danken, die jede epidemische Ausbreitung im 
Keime erstickte. f Einschleppungen aus verseuchten Gebieten 
können in Kriegszeiten natürlich nicht verhindert werden; sie 
sind aber um so harmloser, je früher sie erkannt und unschäd¬ 
lich gemacht werden können. Um dieser ständigen Gefahr daher 
wirksam zu begegnen, ist eine genaue Kenntnis dieser Krankheit 
ein dringendes Erfordernis. 

Das Rackfallfieber ist in seinen klinischen Erscheinungen 
so typisch und so eigenartig, das es schon fi übzeitig and lange 
vor der Entdeckung der Spirochäten als eine besondere Infek¬ 
tionskrankheit aus der Gruppe ähnlicher Krankheitsbilder berans- 
gehoben wurde. Der plötzliche, ganz unvermittelte Beginn mit 
hohem Fieber und begleitenden Ällgemeinerscbeinungen, das rasch 
sich entwickelnde schwere und manchmal bedrohliche Krank¬ 
heitsbild, und der dann schon nach wenigen Tagen ebenso plötz¬ 
lich nnd unerwartet eintretende Anfall und die Rückkehr zu 
einer b* sch werde freien Rekonvaleszenz geben dem Rückfallfieber 
ein so deutliches Gepräge, dass schon in diesem klinischen 
Bilde seine Eigenart, deutlich hervortritt, ganz unverkennbar 
offenbart sich sein Wesen aber dadurch, dass die Erkrankung 
in mehreren getrennten Anfällen verläuft. Mit der ersten Fieber- 


ALT. 

sitenkunde und Serologie. S. 454 — Innere Medizin. S. 454. — 
Chirurgie. S. 455. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 455. — 
Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 455. — Augenheilkunde. S. 456. 
— Hygiene und Sanitätswesen. S. 457. 

Verbindungen ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaften.) Ham¬ 
burger: Vorschläge zur hygienischen Ausnützung großstädtischer 
Freiplätze, erläutert an dem Beispiel der Stadt Berlin. S. 458. 
Casper: Die Kystcskopie bei pori- und paravesikalen Erkrankungen. 
S. 459. Martin: Demonstration von Präparaten, von Regeneration 
q iergestreifte Muskulatur. S. 461. Friedberger: Ueber Fleckfieber. 
S. 461. — Medizinische Gesellschaft zu Kiel. S. 461. 
Chotzen: Das kommende Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten. S. 462. 

West: Bemerkungen zu dem Aufsatz von Dr. Halle in Nr. 11 dieser 
Wochenschrift. S. 463. 

Tagesgeschichtl. Notizen. S. 464 Amt!. Mitteilungen. S. 464. 


Periode ist die Erkrankung nicht beendet, vielmehr wiederholt 
sich derselbe Krankheitsprozess nach' einigen Tagen zum zweiten 
und in der Folge zu wiederholten Malen, bis der Kranke schliess¬ 
lich in die endgültige Genesung eintritt. Dieser gesetzmäßige 
Ablauf in mehreren durch eine lieber- und beschwerdefreie Zeit 
getrennten Anfällen hat seine Ursache in dem Verhalten der 
Rekurrensspirochäten, die im Intervall ans dem Blute ver¬ 
schwinden nnd mit der neuen Fieberperiode erneut im Blute 
nachweisbar werden; in diesem eigenartigen Auftreten in ge¬ 
sonderten Anfällen muss daher auch das Wesentliche der Re- 
kurrer.serkrankung erblickt werden, nnd in allen seinen Einzel¬ 
erscheinungen zeigt das Rückfallfieber diese strerge Abhängig¬ 
keit von dem Spirocbäteninfekt, so dass alle Krankheitszeichen als 
unmittelbare Reaktionen des Infektes anfgefasst werden müssen. 

Nach Ablauf der Inkubationszeit, die etwa 6-7 Tage be¬ 
trägt, tritt mit der Spirochätenüberschwemmnng des Blntes plötz¬ 
lich and unvermittelt unter hohem Fieber nnd deutlichen all¬ 
gemeinen Störungen die Krankheit hervor. Gewöhnlich macht 
der Beginn sich durch Frost, nicht selten durch ausgesprochenen 
Schüttelfrost bemerkbar, Kopf- und Gliederschmerzen, Uebelkeit 
nnd Erbrechen, grosse Hinfälligkeit and Muskelschwäche treten 
hinzu und nötigen den Patienten aufs Krankenbett. Das hohe 
Fieber mit lästigem Hitzegefühl, die Uebelkeit, die starken Muskel- 
und Gliederschmerzen, die klopfenden Kopfschmerzen und die 
nächtliche Unruhe bedingen von vornherein ein schweres Krank¬ 
heitsgefühl, uni das Aussehen des Kranken, das erhitzte Gesicht 
mit geTÖ eten Augen, die belegte ZuDge, der auffallend beschleu¬ 
nigte Puls und die hohe Körpertemperatur geben schon früh¬ 
zeitig den untrüglichen Beweis einer beginnenden Infektions¬ 
krankheit. Zwar können die Erscheinungen zeitweise wohl wieder 
etwas zurücktreten, die Temperatur zeigt bisweilen grössere 
Schwankungen, die Kopfschmerzen lassen vorübergehend nach, 
die Uebelkeit verschwindet, das Erbrechen kehrt nicht wieder, 
und der Kranke glaubt bereits an den Beginn einer Besserung, 
aber schon treten die Beschwerden erneut hervor, nnd das 
Krankbeitsbild bleibt unter zunehmender Hinfälligkeit des Kranken 
in den nächsten Tagen ziemlich unverändert. Schon in den 
ersten Tagen wird die geschwollene Milz tastbar, nnd zugleich 
tritt bisweilen eine mehr oder minder deutliche Gelbfärbung anf. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




442 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Die nächtliche Unruhe nimmt zu, leichte Benommenheit kann 
sich einstellen, und manchmal beginnen am 6.—7. Tage Delirien, 
die rasch zunebmen and dem schweren Krankbeitsbilde ein be* 
drohliches Aussehen geben. Da plötzlich, auf der Höhe der 
Erkrankung, tritt ganz unverhofft die Wendung ein. Unter 
starkem Schweissausbruch lässt das Fieber nach, in wenigen 
Stunden sinkt die Temperatur von 40—41° auf 36°, alle Be¬ 
schwerden lassen nach, der vor wenigen Stunden noch hoch¬ 
fiebernde, gequälte und unruhige Kranke liegt in ruhigem Schlafe 
da, alle Krankheitserscheinungen sind verflogen, und nur die all 
gemeine Schwäche erinnert noch an die überstandene Krankheit. 
Die Untersuchung des Blutes lässt jede Spirochäte vermissen, 
und die starke Milzschwellung tritt sofort zurfick, nur die Blässe 
und manchmal auch eine leichte Gelbfärbung deuten noch die 
abgelaufenen Ereignisse an. Doch das Gefühl der Genesung tritt 
deutlich hervor, alle Funktionen einer ungestörten Gesundheit 
treten wieder in Tätigkeit, und nicht das leiseste Anzeichen 
macht sich geltend, dass nach wenigen Tagen von neuem ein 
Anfall bevorsteht. Zwar finden sich nach einigen Tagen wohl 
wieder ganz vereinzelte Spirochäten im Blute, gewöhnlich ge 
lingt dieser Nachweis aber nicht, und erst mit dem neuen An¬ 
fall, der in gleicher Weise wie die erste Erkrankung ganz plötz¬ 
lich und unverhofft erscheint, treten wieder zahlreiche Spiro¬ 
chäten ins Blut. Dieser Rückfall, der selten schon am 4. oder 
5., meist erst am 6. oder 7. Tage und bisweilen noch später er¬ 
scheint, ist eine getreue Wiederholung der ersten Erkrankung. 
Das hohe Fieber, der stark beschleunigte Puls, die Uebelkeit, 
die heftigen Gliederschmerzen und das schwere Krankheitsgefühl 
kommen in gleicher Weise zum Ausdruck, auch die Milz schwillt 
wieder rasch, gewöhnlich noch rascher als im ersten Anfall, und 
fiberragt oft weit den Rippenbogen. Nur die Dauer ist gegen¬ 
über der ersten Krankheitsperiode verkürzt, statt einer 5 bis 
7tägigen Krankheit währt der Rückfall nur 4—6 Tage und manch¬ 
mal noch kürzer, auch bleibt die Schwere der Erkrankung ge¬ 
wöhnlich hinter dem ersten Anfall zurück. Wiederum endigt 
aber auch diese Erkrankung mit derselben unerwarteten und 
raschen Wendung, und wiederum tritt der Kranke mit dem Ver¬ 
schwinden der Spirochäten aus dem Blut und mit dem Fieber¬ 
abfall in den Zustand völliger Genesung. Aber auch jetzt bat 
das Rückfallfieber noch nicht sein natürliches Ende erreicht, ein 
dritter Anfall, und manchmal ein vierter und ein fünfter können 
folgen, die allerdings in der Regel kürzer und zugleich weniger 
bedrohlich ausfallen, bis dann mit dem Ablauf des letzten Rück¬ 
falles die Spirochäten endgültig aus dem Blute verschwinden und 
damit der eigentümlichen Krankheit ihr Ende setzen. 

Unter allen Erscheinungen fct das Fieber das führende 
Symptom. In unmittelbarer Abhängigkeit von der Spirochäten¬ 
infektion des Blutes gibt es ein getreues Bild der krankhaften 
Vorgänge, und daher erscheint es in typischer Kurve. Der plötz¬ 
liche Fieberanstieg und der ganz ungewöhnlich rasche Abfall 
kennzeichnen das Ruckfallfieber, und unabhängig von der Schwere 
der Erkrankung kehrt dieser Fiebertypus immer in gleich deut¬ 
licher Weise wieder. Das Fieber ist die Reaktion auf Beginn 
und Ende der Blutinfektion, und der parasitäre Reis ist so ge¬ 
waltig, dass jede individuelle Gestaltung der Fieberkurve durch 
die Einstellung der Temperatur auf die maximale Höhe unter¬ 
drückt wird. Dabei ist die Fieberhöbe nicht im geringsten von 
der Menge der im Blut auftretenden Spirochäten abhängig. Bei 
geringem Fieber finden sich manchmal sehr zahlreiche Parasiten, 
und bei höchstem Fieber kann die Parasitenzahl sehr spärlich 
sein. Das Fieber wird offenbar durch den parasitären Reiz nur 
ausgelöst, für seine Gestaltung liegt die Ursache aber im Orga¬ 
nismus selbst. Deshalb zeigt das Fieber im weiteren Verlauf 
denn auch nicht immer den gleichen Typus, es hat zwar im all¬ 
gemeinen den Kontinuacharakter, nicht immer verläuft es aber 
als eine Continua continens. Manchmal machen sich Remissionen, 
oft auch so tiefe und so regelmässige Remissionen bemerkbar, 
dass die Kurve einer Intermittens gleicht. Erst am Ende der 
Fieberperiode tritt in strenger Gesetzmässigkeit der strenge Typus 
wieder deutlich hervor. Ganz unvermutet setzt dieser Tempe¬ 
raturabfall ein, und er vollzieht Bich so rasch und gründlich, 
dass auch hier in der absteigenden Kurve jede individuelle Ge¬ 
staltung verloren geht. Allerdings gibt es Ausnahmen, wo die 
Entfieberung nicht in wenigen Stunden beendet ist, wo sie sich 
über längere Zeit, selbst über zwei Tage hinzieht, aber auch hier 
geschieht dies nicht unter allmählichem Abklingen des Krank¬ 
heitsprozesses, sondern gleiehsam in der stufenweisen Loslösung 
aus einer an den Infekt gebundenen Zwangslage. 


Neben diesem hochfiebernden Zustand fällt besonders die 
Btarke Beschleunigung des Pulses auf. Schon vom ersten 
Tage an könjaen 120 und mehr Schläge gezählt werden, und 
diese hohe Frequenz bleibt während der Fieberperiode dauernd 
bestehen, um kurz vor der Krise noch weiter zu steigen, dann 
aber mit der Entfieberung oft in wenigen Stunden auf die nor¬ 
male Höbe von 60—80 Schlägen zurückzukehren. Eine un¬ 
günstige Bedeutung kann dieser hohen Pulszahl im allgemeinen 
nicht zugesprochen werden, bedrohlich werden die Erscheinungen 
allerdings manchmal gegen Ende der Fieberperiode, wo ein 
kleiner fadenförmiger und selbst aussetzender Puls zugleich mit 
der grossen Hinfälligkeit und steigenden Unruhe des Kranken 
ernste Besorgnis erwecken kann; aber nur vorübergehend, denn 
diese höchste Steigerung aller Erscheinungen geht der kritischen 
Wendung unmittelbar vorauf, und mit dem Schweissausbruch 
löst sich der Schwerkranke aus diesen schweren Fesseln, um in 
wenigen Stunden als ein Genesender alle Sorgen und Befürch¬ 
tungen abzustreifen. 

Fieberhitze und Kraftlosigkeit des Herzens wirken bestimmend 
auf das schwere Krankheitsgefühl, aber noch andere Beschwerden 
gesellen sich hinzu, die als Allgemeinerscheinungen zum Teil 
wohl dem hohen Fieberzustand entsprechen, andererseits aber 
auch als toxische Symptome aufzufassen sind. Vor allem sind 
es die starken Glieder- und Muskelschmerzen, die* manch¬ 
mal ganz im Vordergründe der Beschwerden stehen, oft auch 
weniger deutlich hervortreten, aber wohl niemals ganz vermisst 
werden. Auch die Kopfschmerzen machen sich gleich im Be¬ 
ginn quälender als bei anderen Infekten bemerkbar, sie schwinden 
wohl zeitweise, kehren aber doch bald wieder und machen sich 
gegen Ende der Erkrankung oft in heftigster Weise geltend; und 
nicht minder lästig wird die nächtliche Unruhe, die sich bei 
Schwerkranken selbst zu ausgesprochenen Delirien steigern kann. 
Als wichtiges Symptom muss auch das Erbrechen erwähnt 
werden, das gleich im Beginn als Folge der unvermittelt und 
plötzlich einsetzenden Erkrankung auftritt und gegenüber dem 
Typhus und dem Fleckfieber nicht geringe diagnostische Bedeu¬ 
tung hat. Andere Krankheitserscheinungen, wie ein .gelegent¬ 
licher Herpes, eine geringe EiweissausscheiduDg, die zunehmende 
Blässe mit deutlicher Anämie und einer stark gesteigerten Leuko¬ 
zytose, auch Nasenbluten und Neigung zu stärkeren menstruellen 
Blutungen und Abort, bei Nierenkranken auch zu Nierenblutungen 
seien beiläufig erwähnt. Neben den zum Teil recht schweren 
Allgemeinerscheinungen treten lokale Veränderungen fast 
ganz zurück. Ein Exanthem kommt dem Rückfallfieber nicht zi, 
gegenteilige Angaben besonders älterer Autoren beruhen auf Ver¬ 
wechselungen und auch wohl auf Uebersehen gleichzeitiger In¬ 
fektion mit Fleckfieber oder Abdominaltyphus. Ein frühzeitiges, 
regelmässiges und sehr wichtiges Symptom ist aber die Milz¬ 
schwellung. Sie scheint unmittelbar von der Spirochäteninfek¬ 
tion des Blutes abhängig zu sein, sie tritt daher sehr rasch 
schon in den ersten Krankheitstagen und mit sehr grosser Regel¬ 
mässigkeit auf, nicht selten verrät sie sich auch durch Druck 
oder Schmerzgefühl in der linken Seite, und gewöhnlich schwillt 
die Milz so stark an, dass sie der tastenden Hand leicht fühlbar¬ 
wird und oft über den Rippenbogen hervortritt. Mit der Ent¬ 
fieberung schwindet auch die Milzschwellung, um mit den Rück¬ 
fällen sofort wieder zu kehren. Vielleicht geht die Schwellung 
in den Zwischenzeiten nicht vollständig zurück, tastbar bleibt 
der Milztumor indessen nicht, und auch unmittelbar vor dem 
neuen Anfall macht sich die Schwellung noch nicht wieder be¬ 
merkbar. Die Schwellung der Milz lässt sich daher nicht gut 
als pathologisches Verbindungsglied zwischen den einzelnen An¬ 
fällen auffassen, wie es die alten Autoren wohl getan haben. 
Eine Schwellung der Leber ist klinisch gewöhnlich nicht nach¬ 
weisbar, doch tritt bisweilen ein deutlicher Ikterus auf, der 
manchmal nur angedeutet in jedem Rückfall wiederkebrt, in 
vielen Erkrankungen und selbst in ganzen Epidemien voll¬ 
kommen fehlen kann, in anderen Epidemien aber recht häufig 
erscheint und durch seine Verbindung mit anderen schweren Er¬ 
scheinungen besondere Bedeutung gewinnt, auf die noch hin* 
gewiesen werden soll. 

Andere Lokalisationen fehlen beim Rückfallfieber in der 
Rfgel. Zwar kann es bei Schwerkranken wohl zu Milzinfarkten 
kommen, sie sind aber klinisch kaum sicher zu erkennen. Auch 
Komplikationen sind selten, gelegentlich werden wohl Pneumonie, 
Otitis und Parotitis beobachtet, doch-liegt hierin nichts Besonderes 
für diese Infektionskrankheit. 

Dagegen muss der Nachkrankheiten gedacht werden, die 


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13. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


443 


den Ausgang des an sieb so günstig verlaufenden Rückfallfiebers 
gelegentlich erheblich gefährden. So kommt es manchmal zu 
lästiger Furunkel- oder Abszessbildung, die die Genesung auf 
lange Zeit verzögern. Schlimmer ist eine nachfolgende Dysenterie, 
die in ihrem klinisch pathologischen Syndrom der Ruhr durchaus 
ähnlich sich verhält und den Kranken schwer gefährdet; noch 
ungünstiger ist es, wennn es unter dem Einfluss der während 
der Krankheit entstandenen Anämie zu skorbutähnlichen Zu¬ 
ständen kommt, wo unter Schwellungen der Beine Blutungen im 
Unterhautzellgewebe auftreten und die Kranken durch langdauernde 
Durchfälle, zeitweise blutiger Art, sehr herunterkommen und oft 
noch nach Monaten zugrunde gehen. Eine besondere Bedeutung 
hat man den' Oedemen nach Rekurrens zngesprochen. Bei 
Rekurrenskranken traten nämlich in der Rekonvaleszenz oder auch 
während der Anfälle Schwellungen der Beine oder auch des 
ganzen Körpers auf, und etwas voreilig sind diese Erscheinungen 
als Rekurrenssymptome bewertet worden. Zweifellos sind diese 
Schwellungen aber nicht durch die Spirochäten oder ihre Toxine 
bedingt, sondern sie entwickeln sich ganz allgemein bei herunter¬ 
gekommenen unterernährten Personen, und bei ihnen um so leichter, 
wenn sie du r ch schwere Anfälle des Rückfallfiebers in ihrer 
Konstitution doppelt geschwächt werden. Auch die alten Autoren 
haben diese Erscheinungen richtig bewertet, sie zu den Nach¬ 
krankheiten gezählt und ihre Entstehung mit Not und Elend der 
Rekurrenspatienten in Beziehung gebracht. Bezeichnend ist es, 
dass auch in früheren Zeiten gerade Rekurrenskranke an diesen 
Oedemen litten, denn diese Rekurrensepidemien breiteten sich 
fast ausschliesslich unter den Bewohnern der Nachtasyle und 
unter den Besuchern der sogenannten Pennen und elenden Herbergen 
aus. Die Unterernährung spielt bei diesem Leiden jedenfalls 
die Hauptrolle, und dazu gesellt sich der schwächende Einfluss 
der Rekurrenserkrankung. Auch andere Krankheiten, wie Malaria 
und besonders die Ruhr fördern in gleicher Weise diese Neigung 
zur Oedemkrankheit und das Leiden darf daher nicht etwa als 
ein spezifisches Rekurrenssymptom aufgefasst werden, das unmittel¬ 
bar durch die Parasiten oder ihre Toxine entsteht. Auch wenn 
der Infekt durch Neosalvarsan frühzeitig beseitigt wird, tritt 
manchmal doch noch in der zweiten oder dritten Woche das 
Oedem auf, als dessen Ursache also wohl die durch den Infekt 
ausgelöste schwere Erkrankung, nicht aber der Infekt selbst an¬ 
gesprochen werden kann. 

Durch solche Nachkrankheiten wird der Rekurrenskranke in 
der Genesung oft noch schwer gefährdet, und die Nachkrarrkheiten 
wirken daher bestimmend auf den Charakter der Epidemien und 
können ihnen ein sehr ungewöhnliches Aussehen geben und das 
Rückfallfieber zu einer schweren Volks- und Kriegsseuche machen, 
obwohl es, für sich allein genommen, jederzeit und überall seinen 
fast harmlosen Charakter sich bewahrt. 

Allerdings können die Verlaufseigentümlichkeiten des Rück¬ 
fallfiebers nur richtig bewertet werden, wenn auch der besonderen 
Form gedacht wird, die schon Griesinger beschrieben bat. Es 
ist schon erwähnt worden, dass der Rekurrensinfekt im allgemeinen 
in ziemlich gleicher Weise abläuft, dass zwar in der Zahl und 
der Dauer, auch in * der Intensität der einzelnen Anfälle ein 
merklicher Unterschied hervortritt, dass aber doch für grosse 
Unterschiede in der Art des Verlaufes kein weiter Spielraum 
bleibt. Nun bat aber schon Griesinger darauf aufmerksam ge¬ 
macht, dass es neben dieser einfachen Rekurrens eine Krankheits¬ 
form gibt, die durch ihren schweren Verlauf, durch starken 
Ikterus und ihre Neigung zu Lokalisationen sich soweit von 
dem gewöhnlichen Bilde entfernt, dass ihr unter dem Namen 
des biliösen Typhoids eine gesonderte Stellung eingeräumt 
worden ist. Der Name ist nicht gerade glücklich gewählt und 
jetzt sicherlich nicht mehr zeitgemäss, denn mit dem Abdominal¬ 
typhus in seiner heute fest umgrenzten Form hat diese Er¬ 
krankung kerne. Aehnlichkeit. Sie gehört eben, was Griesinger 
bereits erkannt hatte, ätiologisch und klinisch pathologisch zum 
Rückfallfieber, nämlich als die schwerste Form dieser Infektions¬ 
krankheit. Neuerdings hat man allerdings versucht, die Eigenart 
dieser Erkrankung durch eine stärkere Infektion zu erklären, und 
andere möchten überhaupt ihre Zugehörigkeit zum Ruckfallfieber 
in Zweifel ziehen. Und sicherlich muss es sehr auffallend er¬ 
scheinen, dass viele Rekurrensepidemien ausschliesslich das ge¬ 
wöhnliche Bild der leichten Erkrankung zeigen, dass aber einige 
Epidemien durch das Auftreten dieser schweren mit starkem 
Ikterus verbundenen Erkrankung ein ganz anderes Aussehen ge¬ 
winnen, mit auffallend hoher Mortalität. Aber auch hier liegt 
die Sache nun nicht so, dass in solchen Epidemien die einfache 


Rekurrens von der schweren Form ohne weiteres getrennt werden 
kann, dass gleichsam von dem Ineinandergreifen zweier Epidemien, 
der gewöhnlichen und der biliösen Form gesprochen werden 
könnte, sondern auch diese schweren Epidemien machen einen 
ganz einheitlichen Eindruck, es treten in ihnen nur schwerere 
Erkrankungen auf, die oft in wenigen Tagen zugrunde gehen und 
dann ein besonderes anatomisches Bild zeigen, mit fibrinösen Auf¬ 
lagerungen auf Leber und Milz, mit Milzinfarkten und mit tausenden 
kleinen hanfkorngrossen Herden in der Milz. Dazu kommen fast 
immer diphtherische Veränderungen im Darm und starke Rötung 
und Schwellung der Darmschleimhaut bis hinauf zum Magen. 
Der ikterus ist stark ausgeprägt, aber er fehlt ja auch bei der 
leichten Rekurrens nicht, und es wäre verkehrt, jedes Rückfall¬ 
fieber mit Ikterus dem biliösen Typhoid zuzureebnen. Diese Er¬ 
krankung ist vielmehr nichts anderes als eine schwere und durch 
ihre Neigung zu Lokalisationen ausgezeichnete Form desselben 
Krankbeitsprozesses. Und fasst man das ganze Bild ins Auge, 
so ist der Typus dieser Erkrankung, auch in der Fieberkurve, 
derselbe wie bei der einfachen Rekurrens. Damit entferne ich 
mich allerdings von der Auffassung Griesinger’s, der seinem 
biliösen Typhoid einen längeren und oft verzögerten Verlauf zu¬ 
schreibt. Zweifellos hat aber Griesinger nicht immer reine 
Rekurrensepidemien vor sich gehabt, sondern Vermischungen mit 
anderen Infekten, besonders mit Malaria. Den Beweis hierfür 
gibt er in seinen therapeutischen Mitteilungen, dass er Fälle aller- 
schwerster Art durch Chinin in kürzester Zeit der Genesung zu¬ 
führen konnte. Scheidet man solche Fälle aus und betrachtet 
man nur die reinen Rekurrenserkrankungen, so geben sie ein 
einheitliches klinisches Bild, das in den allerschwersten Fällen 
durch starken Ikterus, enorme Schwellung der Milz und Herd- 
erkrankungen in der Milz ein besonderes Gepräge erhält. Eine 
sichere Erklärung hierfür haben wir allerdings vorläufig nicht. 
Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass ich solche schwere 
Epidemien nur bei Rumänen und nur bei heruntergekommenen 
Leuten aus Malariagegenden gesehen habe. Die Ursache muss daher 
wohl in einem besonderen, vielleicht auch durch andere Infekte 
geschwächten Zustand des Organismus gesucht werden. 

Abgesehen von dieser besonderen Form verläuft das Rückfall¬ 
fieber in ziemlich eintöniger Weise ohne Besonderheiten und ohne 
Ueberra8chungen. Die Krankheit ist die einfache Reaktion auf die 
Spirochäteninfektion des Blutes, ohne dass aus dieser Reaktion 
neue Störungen und Komplikationen entstehen. Auch die Frage 
nach atypischen und abortiven Krankheitsfor.men bat 
kaum eine Bedeutung. Sie mögen in ganz seltenen Fällen Vor¬ 
kommen, und wer die typischen Erkrankungen kennt, wird auch 
die atypischen nicht übersehen. Unklare Krankheitsbilder 
kommen überall vor und insbesondere unter den unruhigen Ver¬ 
hältnissen an der Front, bei ruhiger Betrachtung stellen sie sich 
aber meist als typische Erkrankungen heraus. Die Kranken 
entziehen sich allerdings in den ersten Tagen manchmal der Be¬ 
obachtung, manche kommen erst kurz vor der Krise in Behand¬ 
lung oder werden wohl gar erst beim dritten oder vierten Rück¬ 
fall entdeckt. Abortiv ist hier dann nur die Beobachtung und 
die erschwerte Untersuchung, nicht die Krankheitsform selbst. 
Gegen die Bedeutung unkenntlicher Fälle sprechen auch die 
epidemiologischen Tatsachen, dass die Seuche mit Sicherheit be¬ 
seitigt wird, wenn die Sanierungsmaassnahmen nur auf die klinisch 
hervortretenden Erkrankungen angewendet werden. Auch ist es 
bezeichnend, dass eine Vermischung der Rekurrens mit unklaren 
Krankheitsbildern niemals dort beobachtet worden ist, wo die 
epidemiologischen Verhältnisse, z. B. in geschlossenen Truppen¬ 
transporten oder in Gefangenenlagern, sicher zu übersehen Bind. 
Wird hier das Rückfallfieber eingeschleppt, so tritt es immer in 
einer Form auf, die keine klinischen Schwierigkeiten bietet. 

Die Diagnose des Rückfallfiebers ist daher immer leicht 
und schon deshalb mit Sicherheit unmittelbar am Krankenbett 
zu stellen, weil der Spirochätennachweis im Blute fast immer 
leicht gelingt. Notwendig ist es aber, allen klinischen Erscheinungen 
dauernd volle Aufmerksamkeit zu schenken, wer auf den Spirochäten¬ 
nachweis oder gar auf die Wiederkehr des Anfalles wartet, kommt 
mit der Diagnose oft erheblich später als bei aufmerksamer Be¬ 
obachtung und sorgfältiger Untersuchung der Kranken. Wer an 
die Möglichkeit einer Rekurrenserkrankung denkt, wird schon in 
den ersten Tagen die Diagnose stellen und selten ein Rückfallfieber 
übersehen. Gegenüber dem Fleckfieber ist der plötzliche Beginn, 
der ausgesprochene Schüttelfrost, die frühzeitige und starke Milz¬ 
schwellung, das'Erbrechen, der Ikterus und das schon im ersten 
Beginn auftretende starke Krankheitsgefühl von grosser Bedeutung. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Mit dem Abdominaltyphus ist kaum eine Verwechselung möglich, 
und die Abgrenzung von der Malaria ergibt sich schon am zweiten 
oder dritten Tage. Eine Unterscheidung von anderen periodischen 
Fiebern und besonders von der Weil’schen Krankheit mag viel¬ 
leicht schwierig erscheinen, am Krankenbett schwinden aber auch 
hier sehr bald alle Schwierigkeiten, wenn nur alle Erscheinungen 
gebührende Beachtung finden. Von besonderer Bedeutung gegen¬ 
über der Weh’schen Krankheit ist die grosse Milz und die aus 
gesprochen typische Fieberkurve. 

Allerdings kann die Rekurrensinfekt'on gleichzeitig mit anderen 
Infekten Platz greifen, und dann können der sicheren Beurteilung 
erhebliche Schwierigkeiten erwachsen. H er ist grosse Vorsicht 
nötig, und es mag ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass 
dem Parasitennachweis keine abschliessende Bedeutung beigemessen 
werden kann, dass vielmehr die Diagnose immer auf die Beziehungen 
dieses Nachweises zum klinischen Bild gestützt werden muss. 
Denn neben dem Rückfallfieber können andere Infekte ohne jede 
Hemmung oder Störung ablaufen, und es liegt auf der Hand, 
dass auf diese Weise ganz ungewöhnliche Krankheitsbilder ent¬ 
stehen, insbesondere in einem Lande, wo auch das Fleckfieber 
heimisch und die Malaria endemisch ist. Für die Beurteilung 
eines Kranken genügt aber nicht der Nachweis eines Rekurrens- 
infektes, sondern erst da9 Urteil über den Gesamtzustand hat 
für den Kranken Bedeutung. 

Die Prognose Ist daher nur nach genauer klinischer Unter¬ 
suchung zu stellen. Das einfache Rückfallfieber ist keine gefähr¬ 
liche Erkrankung, trotz der oft schweren und selbst bedrohlichen 
Erscheinungen bringt es den Kranken kaum in Lebensgefahr, und 
auch ohne jede Therapie heilt es von selbst. Die Mortalität 
wird im Durchschnitt zwar auf 2—5 pCt. angegeben, aber schon 
die alten Autoren erwähnen, dass Todesfälle fast ausschliesslich 
durch Komplikationen und Nachkrankbeiten verursacht werden, 
und dass die einfache Rekurrensinfektion nur ganz ausnahmsweise 
das Leben bedroht. Dies ist um so bemerkenswerter, als die 
Kranken unter dem Rückfallfiebtr fast immer sehr schwer leiden 
und stärker mitgenommen werden als z. B. durch das Fleckfieber. 
Der Einfluss des Lebensalters auf die Prognose tritt nicht sehr 
hervor, auch Kinder erkranken mit hohem Fieber, und alte Leute 
überstehen das Rückfalifieber, wenn sie auch zweifellos mehr ge¬ 
fährdet sind als kräftige gesunde Menschen. 

Bedenklich ist es, wenn das Rückfallfieber mit anderen In¬ 
fekten zusammentrifft, wenn es Fleckfieberkranke oder Rekon¬ 
valeszenten befällt, und wenn es sich zur tropischen Malaria 
hinzugesellt. Die Prognose braucht damit nicht gleich bedenk¬ 
lich zu werden, aber sie kann dann auch nicht mehr unbedingt 
gut gestellt werden. Bezeichnend für das an sich gutartige, den 
Kranken aber schwer angreifende Rückfallfieber ist es aber, dass 
die Prognose immer bedenklich wird, wenn der Kranke nach 
überstandenem Rückfallfieber von anderen Infektionskrankheiten 
befallen wird. Insbesondere die Ruhr kann hier verheerend 
wirken, aber auch andere Krankheiten können dem geschwächten 
Organismus lange nach Ablauf des Rückfallfiebers noch ver¬ 
hängnisvoll werden. 

Die Therapie ist durch Anwendung des Neosalvarsans auf 
eine sichere Grundlage gestellt. Eine Einspritzung von 0,6 g 
Neosalvarsaß genügt, um das Rückfallfieber jederzeit sicher ab¬ 
zuschneiden. Geringere Mengen haben nicht immer diesen prompten 
Erfolg und lassen manchmal einen neuen, wenn auch abgeschwächten 
Anfall aufkommen. An Stelle des Neosalvarsans ist mit gleich 
gutem Erfolge das Arsalyt in der Menge von 0,4—0,5 g an¬ 
gewendet worden. Im Intervall scheint die Wirkung nicht so 
sicher zu sein wie während der Fieberperiode, und es empfiehlt 
sich daher, die Therapie möglichst frühzeitig schon in den ersten 
Fiebertagen anzuwenden. Selbstverständlich widerspricht auch 
hier ein Schematismus jedem ärztlichen Denken und Handeln. 
Wer therapeutische Anordnungen ohne persönliche Fühlung mit 
dem Kranken und ohne genaue Untersuchung seines Zustandes 
trifft, ist kein Arzt, und es darf nicht verschwiegen werden, dass 
Rekurrenzkranke unmittelbar nach der Salvarsaninfektion gestorben 
sind. Vermieden werden können diese Zufälle nur dadurch, dass 
Salvarsan nur solchen Kranken gegeben wird, die sich in gutem 
Allgemeinzustand befinden und keine bedrohlichen Erscheinungen 
zeigen. 

Die Epidemiologie des Rückfallfiebers baut sich auf der 
einfachen Tatsache auf, dass die Empfänglichkeit für die Spiro¬ 
chäteninfektion allgemein ist und dass die Uebertragung haupt¬ 
sächlich durch Ungeziefer und zwar vorzugsweise durch Läuse 
erfolgt. Die Rekurrens ist also an sich keine ansteckende Krank¬ 


heit, die im Blute des Kranken vorhandenen Parasiten erzeugen 
wohl, künstlich auf andere Menschen übertragen, dieselbe Krank¬ 
heit, auf natürlichem Wege finden sie aber nicht den Weg zum 
anderen Menschen, vielmehr geschieht diese Uebertragung durch 
blutsaugende Insekteu, also hauptsächlich durch Läuse. Damit 
erklärt sich ohne weiteres die auffallende Eigentümlichkeit dieser 
Krankheit, dass sie gewöhnlich nur in der ärmeren Bevölkerung 
auftritt, sich von hier aus zwar auf alle mit diesem Volk in Be¬ 
rührung kommende Personen mitteilt, in ihren En- und Epi¬ 
demien aber immer auf die in Unsauberkeii, in Not und Elend 
lebenden Volksschichten beschränkt bleibt. Die Art der Aus¬ 
breitung und die Gestaltung der Epidemien ist daher auch sehr 
verschieden. Sie hat in Mand, in Polen und Obersehlesitn zu 
den ausgedehntesten Epidemien geführt, und als Kriegsseuche hat 
sie auch j-tzt in verlausten Quartieren stellenweise eine schranken¬ 
lose Ausdehnung erfahren, während ihr bei sorgfältiger Läuse- 
bekärapfung jeder Boden entzogen wird. Alle Vermutungen über 
Einfluss der Jahreszeit und der Witterung, alle Beobachtungen 
über Beziehungen zu bestimmten Gegenden und Oertlichkeiten, 
alle Schwankungen im epidemiologischen Geschehen haben ihren 
Grund in der Lebensart der Spirochätenüberträger, in den Be¬ 
dingungen, die ihrer Vermehiurg und der Infektionsmöglicbkeit 
geboten werden. 

Im einzelnen harren hier allerdings noch viele Fiagen einer 
befriedigenden Lösung. Mit Gewissheit lässt sich zurzeit noch 
nicht sagen, ob nur die Läuse ah Ueberträger in Betracht kommen, 
oder ob auch Flöhe, Wanzen und anderes Ungeziefer eine be¬ 
achtenswerte Bedeutung haben. Die Möglichkeit der Spirocbäten- 
übertragung durch alle blutsaugenden Insekten besteht zweifellos, 
denn auch bei der Laus bandelt es sich um eine mechanische 
Uebertragung, nicht etwa wie beim Fleckfieber um eine an die 
Entwicklung der Parasiten in der Laus geknüpfte Infektion. Die 
R?kurreti8spirochäten werden von den blutsaugenden Läusen auf¬ 
genommen und beim Wirts Wechsel der Läuse auf andere Meeschen 
übertragen. Ein Läusesticli ist zur Infektion nicht notwendig, 
die Spirochäten, die durch Zerdrücken der Läuse oder auf natür¬ 
lichem Wege durch den Kot frei werden, finden von selbst ihren 
Weg in die Blutbahn. Die Infektion ist also nicht an bestimmte 
Bedingungen zwischen Parasiten und ihren Zwischenträgern ge¬ 
bunden, sondern die von blutsaugenden Insekten aus dem Blute 
des Kranken in die Aussenwelt gebrachten Spirochäten sind un¬ 
mittelbar zur Neuinfektion befähigt. Dadurch wird ein ganz 
anderer Infektionsmechanismus gegeben, als wie wir ihn z. B. 
beim Fleckfieber kennen. Einmal ist die Uebertragungsfähigkeit 
durch die Laus nicht so unfehlbar wie beim Fleckfieber. Ein 
einziger Stich einer infektionsfähigen Laus überträgt mit Sicher¬ 
heit das Fleckfieber, eine mit Spirochäten infizierte Laus über¬ 
trägt dagegen das Rfickfallfieber nicht unbedingt mit dem Stieb, 
und der Läuseübertragung und dem Läusestich braucht die In¬ 
fektion nicht sofort zu folgen, denn der Weg von der infizierten 
Laus ins menschliche Blut ist nicht so k unmittelbar wie beim 
Fleckfieber und die Infektion nicht so verbürgt. Es ist daher 
wohl möglich —und Beobachtungen bestätigen es —, dass jemand 
von Rekurrenskranken Läuse bekommt und von ihnen gestochen 
wird, ohne zu erkranken. 

Andererseits ist aber die Uebertragungsmöglichkeit vielfältiger 
als beim Fleckfieber, wo lediglich der Läusestich Bedeutung hat. 
Beim Rückfallfieber vermögen zerdrückte Läuse, wahrscheinlich 
auch die Ausleerungon die Infektion zu vermitteln, auch das Blut 
der Kranken ist vielleicht unmittelbar infektionsfähig, und endlich 
ist es wahrscheinlich und durch' epidemiologische Beobachtungen 
wenigstens nicht widerlegt, dass auch Flöhe und Wanzen die 
Rekurrens vermitteln können. Alle diese Fragen bedürfen aber 
noch weiterer sorgfältiger Prüfung und einer Bestätigung durch 
das Experiment. Bis dahin muss als praktisch bedeutungsvoll an 
der allgemeinen Tatsache festgehalten werden, dass die Rekurrens 
durch Läuse und andere blutsaugende Insekten auf mechanischem 
Wege übertragen wird. 

Ueber die weiteren Vorgänge, die vom Eindringen der Spiro¬ 
chäten in die Blutbahn zur^ausgebildeten Krankheit führen, wissen 
wir z. B. nicht viel Sicheres. Nach übereinstimmenden Beob¬ 
achtungen beträgt die Inkubationszeit etwa 5—7 Tage, nnd die 
Empfänglichkeit für das Rückfallfieber scheint allgemein und 
gleichmässig zu sein, so dass die Verbreitung der Infektion sich 
mit der epidemiologischen Ausdehnung der Krankheit deckt. 
Ebenso verschwinden mit Ablauf der Erkrankung auch die Para¬ 
siten wieder, nnd es liegen keine sicheren Beobachtungen vor, 
dass es Virosträger gibt. Zwar können die letzten Anfälle des 


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13. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Rückfallfiebers sehr korrz and besonders bei grosser Hinfälligkeit 
der Patienten auch in sehr wenig ausgeprägter Form verlaufet], 
ist aber der Krankheitsprozess schliesslich beendet, so sind auch 
die Parasiten endgültig beseitigt, so dass für die Ausbreitung der 
Krankheit wohl nur klinisch kranke Menschen von Bedeutung 
sind. Auch experimentelle Untersuchungen sind in diesem Sinne 
ausgefallen. Uebertragungsversncbe nach Ablauf der Krankheit, 
während der Inkubation nnd selbst in den fieberfreien Intervallen 
sind negativ geblieben. 

Die Vernichtung der Spirochäten geschieht sweifellos unter 
immunisatorischen Vorgängen und auch die so auffallend rasch 
einsetzende Beendigung der einzelnen Anfälle kann wohl kaum 
anders als durch eine Immunität aufgefasst werden. Zwar 
wissen wir nicht, wie diese zustande kommt, eine Antikörper¬ 
bildung anzunehmen liegt ja nahe, zumal die Spirochäten deut¬ 
liche Knäuelbildung erkennen lassen, die der Agglutination gleich¬ 
wertig sein mag, und experimentell sind im Blute Schutzstoffe 
nachgewiesen, die im Tierexperiment eine Spirochäteninfektion 
unwirksam machen, aber es wäre auch möglich, dass sich der 
Weiterentwicklung der Parasiten auf andere Weise Hemmungen 
entgegenstellen, die der Blutinfektion schliesslich ein Ziel setzen 
nnd den Organismus sofort wieder auf den gesundheitlich nor¬ 
malen Zustand zurück bringen. Mag man sich nun die Wieder¬ 
holung der Anfälle vorstellen, wie man will, mögen hier über¬ 
lebende Spirochäten eine Rolle spielen, die in einer neuen 
Generation wieder günstige Entwicklungsbedingungen vorfinden, 
oder mag die Immunitität überhaupt nur von vorübergehender 
Dauer sein, auch hier werden experimentelle Erfahrungen noch 
Aufklärung bringen müssen. Beachtenswert ist es immerhin, dass 
die Anfälle immer gelinder und vor allem kürzer und die Zwischen¬ 
zeiten stets länger werden, und dass nach Ablauf des letzten 
Anfalls jedenfalls für eine gewisse Zeit eine Immunität bestehen 
bleibt. Von Dauer scheint sie allerdings nicht zu sein, und die 
Beobachtung, dass nach überstandenem Rückfallfieber selten Neu¬ 
erkrankungen Vorkommen sollen, lässt ohne nähere Angaben der 
epidemiologischen Verhältnisse kein Urteil zu. Dagegen ist es 
von Bedeutung, dass zwei- und mehrmalige Erkrankungen an 
Rekurrens ziemlich oft beobachtet worden sind, und das Rück¬ 
fallfieber kann daher nicht zu denjenigen Seuchen gerechnet 
werden, die mit einer sicheren Immunität abschliessen. 

Der weiteren Forschung bjeiben also noch zahlreiche Auf¬ 
gaben Vorbehalten, zusammenfassend lässt sich aber doch sagen, 
dass unsere klinischen und epidemiologischen Kenntnisse schon 
jetzt ausreichen, um dem Rückfallfieber mit sicherem Erfolge 
entgegenzutreten und ihm jede Bedeutung als Kriegs- und Volks¬ 
seuche zu nehmen. Die Methoden der Entlausung und der Un¬ 
gezieferbeseitigung siud so ausgearbeitet, dass überall, auch unter 
den einfachsten Verhältnissen, jede Gefahr einer Rekurrensein- 
schleppung mit Sicherheit beseitigt werden kann. Notwendig ist 
nur, dass der Arzt sich nicht auf die allgemeinen Maassnahmen 
der Seuchenbekämpfung verlässt, sondern sein eigen Teil zur 
Erkennung und Beseitigung dieser Seuche beiträgt. Und das 
geschieht am besten und sichersten durch genaue Beobachtung 
des kranken Menschen und eine stetige Fürsorge für den Kranken. 
Denn wer andere vor Ansteckung schützen will, muss befähigt 
sein, die Gefahr frühzeitig zu erkennen, und deshalb ist Beob¬ 
achtung und Fürsorge des kranken Menschen das höchste Gesetz 
jeder Seuchenbekämpfung. 


Ueber die Behandlung von Amputations- 
Stümpfen. 

Von 

Dr. Alfred Hörwitz- Berlin, Stabsarzt d. R., 

suneit ordin. Arzt am Werkstättenlazarett Jakobsberg bei Allenstein. 

Das allgemeine Interesse, das der grossen Zahl gerade der¬ 
jenigen Kriegsbeschädigten zugewendet wird, die, sei es ein Bein 
oder einen Arm verloren haben, wird durch die nötige Hilfe, der 
dieselben bedürfen, schon allein vollauf erklärt. Gilt es doch, 
dem Verletzten für das verlorene Glied einen Ersatz zu geben, 
der ihn in seinem späteren Beruf möglichst wieder vollwertig 
werden lässt. Bevor jedoch die Prothese angefertigt bzw. benutzt 
werden kann, muss der Amputationsstumpf prothesenreif sein, 
d. h. der Stumpf muss derartig sein, dass er in keiner Weise 
für das Tragen des künstlichen Gliedes hinderlich ist. Den 


Amputationsstumpf also zur dauernden Benutzung der Prothese 
geeignet zu machen, ist die wichtigste Forderung, die bei der 
Behandlung Amputierter erfüllt werden muss. Dieser schliesst 
sich als ferneres Ziel die Einübung im Gebrauch der Prothese 
an. In welcher Weise diese Aufgaben in der Amputierten- 
abteilung des Werkstättenlazaretts Jakobsberg bei Allenstein ge¬ 
löst werden, will ich in Folgendem schildern. Auf die Kon¬ 
struktion der Prothesen will ich nicht eingehen. 

Sämtliche Amputierte, die im Bereich des XX. Armeekorps, 
d. h. im grössten Teile Ostpreussens beheimatet sind, kommen in 
unser Lazarett, um hier ihre Prothesen zu erhalten, die ganz und 
gar im Lazarett angefertigt werden. 

Welcher Art sind nun die Stümpfe der Amputierten, die zu 
uns kommen? Hierbei lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. 
Die erste Gruppe besteht aus den nicht verheilten Stümpfen, 
während die zweite Gruppe die verheilten, aber infolge ver¬ 
schiedener Veränderungen nicht prothesenreifen Stümpfe umfasst. 

Bei der ersten Gruppe finden wir drei Arten von nioht ver¬ 
heilten Stümpfen. Die erste und häufigste Art zeigt Granu¬ 
lationswunden der verschiedensten Formen. So sehen wir kleine und 
grössere Granulationsflächen mit frischrotem, punktförmigem, reinem 
Granulationsgewebe abwechseln mit matten, fläohenartig glatten, schlaffen 
oder stark gewucherten Granulationen und schliesslich die Gruppe der 
schmierig belegten Ulzerationen. Wie schwierig und langwierig diese 
Wundbehandlung oft ist, weiss jeder, der sich damit beschäftigt hat. 
Die Behandlung erfolgt durch Salbenverbände, indem man verschiedene 
Salben, sei es indifferente, wie Zinkpaste, sei es durch Hyperämie die 
Granulation anregende, wie Höllenstein- resp. Pellidolsalbe, abwechselnd 
benutzt. Andere hyperämisierende Mittel, wie die Heliotherapie und die 
Anwendung von heisser Luft mit Hilfe eines Fönapparates geben gute 
und schnelle Heilungsresultate 1 ). Die schmierig belegten Granulationen 
reinigen sich nach warmer Bäderbehandlung, essigsaurer Tonerde- und 
Alkoholverbänden oft schnell. Eine gute Unterstützung in der Ueber- 
häutung der noch nicht verheilten Stümpfe bietet der Heftpflasterver¬ 
band, der den Zweck verfolgt, das verfügbare Hautmaterial völlig aus- 
zunutzen, indem die zum Teil retrahierte Haut auf das nicht verheilte 
Stumpfende sozusagen heraufgezogen resp. übergestülpt wird. Der von 
Witzei schon lange empfohlene Heftpfiasterzugverband setzt naoh Mög¬ 
lichkeit über dem nächsten Gelenk an und reicht möglichst dicht an 
die Wundränder. Als Zugkraft werden 4—6 Pfund benutzt. Eine 
zweite Art des Heftpflasterverbandes faltet die vorhandene Haut über 
das Stumpfende, indem man auf der Beuge- resp. Streckseite des Gliedes 
einen Heftpflasterstreifen ansetzt und diesen möglichst straff über die 
Granulationsstelle auf die Streck- resp. Beugeseite hinüberzieht und so 
die Granulationsstelle in die vorgezogene Haut gewissermaassen einstülpt. 
Anstatt des Heftpflasters kann man auch einen über die Extremität ge¬ 
zogenen, mit Mastisol befestigten Trikotschlauch benutzen, an dessen 
Ende das Gewicht aogehängt wird. Wenn auch die Ueberhäutung des 
per secundam intentionem heilenden Amputationsstumpfes oft sehr lang¬ 
wierig und schwierig ist, so muss doch im allgemeinen davor gewarnt 
werden, die Heilungsdauer durch einen frühzeitigen operativen Eingriff 
abkürzen zu wollen. Denn eine Operation % wird bei einem noch mit 
breiter und schmieriger Granulationsfläche bedeckten Stumpf nie zu einer 
Heilung per primam führen. Aus den wieder eröffneten lymphspalten 
kommt es zu einer neuen Eiterung und die Absicht der schnelleren 
Heilung und besseren Narbenbildung schlägt ins Gegenteil um und 
bringt die früheren Verhältnisse wieder. Andererseits gibt der granu¬ 
lierende Stumpf, selbst wenn es nach vieler Mühe gelingt, ihn zur 
Heilung zu bringen, keine für das ständige Tragen der Prothese ge¬ 
sicherte Narbe, denn der Prothesendruck oder ein geringes Trauma ver¬ 
ursachen bei einem derartig verheilten Stumpf nur zu leicht ein Wieder¬ 
aufplatzen, selbst wenn die Granulationsnarbe durch Beklopfen und Ab¬ 
reibungen mit Kampferwein lange Zeit abgehärtet wurde. Um daher 
diesen Stümpfen durch einen operativen Eingriff eine bessere Narbe zu 
geben, als es durch dio Granulationsbildung geschieht, und gleichzeitig 
die Heilungszeit abzukürzen, muss man sie erst genügend vorbehandeln 
und warten, bis die Granulationen gereinigt, frisch rot sind und sich 
nur noch eine kleinere Granulationsfläche findet. Dann erst darf man 
zur Operation schreiten und kann auf einen Erfolg hoffen. Die Operation 
besteht in der Eizision der Narbe resp. der Granulationsfläche naoh 
Verschorfung mittels Paquelin und der Herstellung beweglicher Haut¬ 
fettlappen, so dass die Haut den Stumpf vollkommen ohne Spannung 
deckt und eine strichförmige, möglichst ausserhalb des Knochenstumpfes 
gelegene Narbe erzielt wird. Oft ist dies nur unter Opferung eines 
Stückes des Knochens möglich, dann aber erfolgt dieselbe, in der be¬ 
kannten Weise nach Bunge, unter grösster Sparsamkeit, um einen 
möglichst langen Knochenstumpf zu erhalten. Stets aber muss jede 
Stumpfkorrektur drainiert werden, und zwar durch Glas- oder Gummi¬ 
drains, nicht durch Gaze, die keinen Abfluss gestattet, um die nioht 

1) In letzter Zeit habe ich verschiedentlich einen luftabschliessenden 
Verband aus aseptischem wasserdichten Stoff naoh Bier bei granu¬ 
lierenden Wundfläohen und Höhlen angewandt und damit schnell gute 
Narben erzielt, eine Methode von grösster Wichtigkeit für die ganze 
Wundbehandlung. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


mit Sicherheit zu vermeidende Wundabsonderung zu beherrschen. Ais 
Verband legt man den oben beschriebenen Heftpflasterzugverband an, 
um die Haut dauernd herabzuziehen. 

Die 2. Art der zur ersten Gruppe gehörigen, nicht verheilten 
Stümpfe umfasst die fistelnden Stümpfe. Die Ursache der lang¬ 
wierigen Fisteln ist stets die Anwesenheit eines Fremdkörpers und zwar 
handelt es sich entweder um einen Unterbindungsfaden oder einem 
Knochensequester. Manchmal schliesst sich die Fistel, um dann wieder 
aufzugehen. Eine konservative Behandlung, die abwartet, bis der Faden 
sich abstösst, wäre nicht richtig, da dadurch unnötig lange Zeit verloren 
geht. Man verfolge vielmehr durch einen kleinen operativen Eingriff 
den Fistelgang bis zur Eiterquelle, d. h. z. B. dem Unterbindungsfaden, 
entferne denselben und reinige den Fistelgang von den Granulationen. Um 
diese nicht seltene Komplikation bei der Heilung von Amputationsstümpfen 
möglichst zu vermeiden, ist es zweckentsprechend, dass bei der Ampu¬ 
tation zur Unterbindung der Gefässe nur resorbierbares Material benutzt 
wird. Ist der die Fistel unterhaltende Fremdkörper ein Knochensequester, 
was sich leicht durch Sondierung oder durch das Röntgenbild fesistellen 
lässt, so wird in der Regel die Fistel sich nicht von selbst schliessen. 
Wenn auch kleine Sequester resorbiert werden, so ist dies bei grösseren 
unmöglich. Der Sequester muss also entfernt werden. Kleine Sequester 
soll man so bald als möglioh entfernen, einerlei ob sie völlig demarkiert 
sind oder nicht, da der Knochenstumpf genügend Halt behält. Grosse 
Sequester dagegen soll man erst entfernen, wenn sie völlig demarkiert 
sind und sich eine gute Totenlade gebildet hat, damit der Knochen 
nicht seine Stütze verliert. Das Röntgenbild gibt den Zeitpunkt hier¬ 
für an. 

Unter die 3. Art der zur ersten Gruppe gehörigen, nicht verheilten 
Stümpfe fallen die Stümpfe mit vorstehenden Knocheneuden. Der 
vorspringende Knochenstumpf entsteht entweder dadurch, dass nicht 
genügend Knochen bei der primären Amputation entfernt wurde, um 
von der sich retrahierenden Haut bedeckt werden zu können, oder die 
Haut hat sich infolge nicht zweckmässiger Verbände, selbst bei genügend 
gekürztem Knochen zu sehr retrahiert. Um diesen Uebel9tänden vor- 
zubeugeu, ist, so früh als möglich, der oben erwähnte Heftpflasterverband 
anzulegen. Trotzdem wird man manchmal einen Stumpf mit einem 
vorstehenden Knochen erhalten, besonders wenn die Amputationswunde 
per secundam heilen muss. Diese Heilung wird jedoch meist unmöglich 
sein, oder aber, wenn es gelingt, das vorspringende Knochenende durch 
Granalationsbildung zur Ueberhäutung zu bringen, so wird bei schon 
geringem Trauma oder Druck die mit dem Knochenende verwachsene 
Granulationsnarbe wieder aufplatzen und so nie einen sicheren Stumpf 
geben. In diesen Fällen ist entweder eine Reamputation erforderlioh 
in der oben geschilderten Weise, oder aber man deckt das vor- 
springende Knochenende durch plastische Operationen, indem man einen 
gestielten Hautfettlappen aus dem anderen Glied, Brust oder Bauch 
transplantiert. Eine Transplantation durch einen gedrehten und ge¬ 
stielten Lappen aus demselben Glied ist nicht empfehlenswert, da man 
dadurch an dem amputierten Glied neue, dem Druck der Prothese aus¬ 
gesetzte Narben bildet. Bei genügend langen Stümpfen wird es am 
zweckmässigaten sein, eine Reamputation zu machen; bei kurzen, ins¬ 
besondere bei Oberschenkel- und Oberarmstümpfen aber eine Plastik, 
da diese Stümpfe, wenn sie zu kurz sind, den Gebrauch der Prothese 
sehr erschweren. 

Wir kommen nun zu' der 2. Gruppe von Amputationsstümpfen, 
die im Gegensatz zu der 1. Gruppe die verheilten, aber trotzdem noch 
nioht prothesenfreien Stümpfe umfasst. Es sind 4 Arten von Stümpfen, 
die wir bei dieser Gruppe unterscheiden. Die 1. Art bilden die infolge 
schlechter Narben nicht prothesenfreien Stümpfe. Hierin liegt die 
häufigste Schwierigkeit. 

Unter den durch Granulationsbildung geschaffenen Narben finden 
wir die verschiedensten Formen, wie es ja erklärlich ist, da die Heilung 
sozusagen ihre eigenen Wege geht. Handelt es sich um eine breite, 
auf dem Knochen fest aufsitzende, zarte Narbe, so werden wir gut tun, 
einen solchen Stumpf nicht prothenseoreif zu bezeichnen. Denn der 
Stumpf wird bei Benutzung der Prothese, wobei die Narbe ihre Wider¬ 
standskraft beweisen muss, sehr bald Druckstellen erhalten. Bei weiterem 
Gebrauoh der Prothese werden die Druckstellen immer grösser, und der 
Amputierte kann seine Prothese nicht mehr tragen. Davor müssen wir 
aber die Amputierten bewahren, denn sonst können sie ihrem Beruf nicht 
nachgehen. Derartig geheilte Stümpfe sind operativ prothesenfrei zu 
machen) derart, dass gesunde Haut den Stumpf völlig bedeckt. Auch 
ein Stumpf, der eine festere, aber strahlig verlaufende, schwartenartig 
auf dem Knochen festsitzende Narbe hat, kann nicht als prothesen frei 
bezeichnet werden. Denn auch bei der schwieligen Narbe wird es durch 
den Prothesen druck sehr leicht zu einem Dekubitalgesohwür kommen, 
und es stellen sich dieselben Folgen ein wie bei den vorher beschriebenen 
Narbenstümpfen. Diese Narbenstümpfe müssen desgleichen durch eine 
Operation prothesenreif gemacht werden. Dann finden wir im Gegen¬ 
satz zu den soeben erwähnten Stümpfen* bei welchen die gesunde Haut 
sich retrahiert hat, sehr häufig Stümpfe, bei denen ein Uebermaass von 
Haut vorhanden ist. Die Narbe ist tief zwischen Hautfalten wie ein 
Trichter in der überschüssigen Haut eingezogen. Es sind die absonder¬ 
lichsten Formen von Stümpfen, die man hierbei zu sehen bekommt, 
oft derart, dass es kaum möglich ist, die überhängenden Weichteile 
auseinander zu ziehen, um die Narbe deutlich zu sehen. Dass sich in 
diesen Nischen und Falten sehr leicht Schmutz festsetzt und sich duroh 
den Sohweiss beim Gebrauoh der Prothese sehr leioht Entzündungen und 


Ekzeme mit all ihren Folgen einstellen werden, ist selbst bei sorgsamster 
Stumpfpflege nur zu erklärlich und unvermeidbar. Man muss daher 
auch diese Narbenstümpfe operativ für das ständige Tragen der Prothese 
geeignet machen. Die operative Behandlung dieser verschiedenartigen 
Narbenstümpfe besteht in der Exzision der Narbe und der Herstellung 
einer strichförmigen Narbe, unter Berücksichtigung der oben beschriebenen 
Maassnahmen. Dies wird bei den Narbenstümpfen mit retrahierter Haut 
oft nur unter Opferung eines Knochenstückes möglich sein, bei den 
zerklüfteten Stümpfen mit übermässiger Weichteildeckung wird man 
stets durch Abtragung von Haut und Verlagerung der Narbe zum Ziele 
kommen. 

Eine zweite Art der zur zweiten Gruppe gehörigen äusserlioh ver¬ 
heilten Stümpfe umfasst die schmerzhaften Amputationsstümpfe. 
Wenn auch die auftretenden eigentümlichen Schmerzen in den Zehen 
oder Teilen des abgeseszten Gliedes nicht direkt unter die Bezeichnung 
des schmerzhaften Amputationsstumpfes fallen, so sollen sie doch in 
dieser Gruppe erwähnt werden. Erfreulicherweise treten diese eigen¬ 
artigen Erscheinungen aber nur in der ersten Zeit nach der Amputation 
auf und verlieren sich später ganz, um höchstens mal für Stunden sich 
wieder bemerkbar zu machen. Ganz anders verhält es sich mit den 
im Stumpfende selbst und im Testierenden Glied auftretenden Schmerzen. 
Diese sind vielfach äusserst heftig, blitzartig und hartnäckig und werden 
leider vielfach falsch beurteilt. Der Grund der Schmerzen wird in 
allerlei Ursachen gesucht und gefunden; fast stets handelt es sich aber 
um Neuralgien. Die Stumpfneuralgien treten im Gegensatz zu den vorher 
erwähnten Schmerzen erst später, oft erst nach Monaten auf. Die Er¬ 
klärung hierfür findet man in der Genese der Neuralgien. Dieselben 
sind nämlich bedingt duroh die erst allmählich entstehenden Ver¬ 
wachsungen der Haut oder der Muskelnarbe oder des Knochenstumpfes 
mit dem am durchtrennten Nerven sich bildenden Amputationsneurom. 
Durch Kontraktionen der Muskeln, Berührung der Hautnarben usw. wird 
der Nerv gezerrt und so treten diese äusserst starken Schmerzen auf. 
Es ist selbstverständlich, dass mit einem solchen Stumpf keine Prothese 
getragen werden kann. Zur Beseitigung der Beschwerden muss man 
sich auch nur der Entstehung der Neuralgien bewusst sein. Da das 
Amputationsneurom eine Veränderung des durchtrennten Nerven ist, 
das an und für sich nicht schmerzhaft ist, sind die Schmerzen nur 
duroh die Verwachsungen bedingt. Die Beseitigung der Verwachsungen 
und Narbenbildungen könnte duroh erweichende, hyperämisierende Be¬ 
handlungsmethoden erfolgen. Meist aber kommt man damit nicht zum. 
Ziel, sondern muss auf operativem Wege das Nervenende in gesundes, 
nicht narbiges verändertes Gewebe bringen. Es genügt daher nioht, 
wenn man das Amputationsneurom abträgt, da der Nerv sich nicht wie 
die elastischen Gefässe von selbst zurückzieht und in gesunde Umgebung 
gelangt, sondern das neu sich bildende Amputationsneurom würde 
wieder mit dem veränderten Gewebe der Umgebung verwachsen. Um 
dies zu verhüten, muss der Nerv aus seiner Umgebung herausgezogen 
und einige Zentimeter oberhatb abgetragen werden. Denn so gelangt 
das sich bildende Neurom wieder zentralwärts in gesunde Umgebung, 
in der keine Narben sich finden, und wird nicht wieder verwachsen. 
Am besten geschieht dies, indem der Nerv oberhalb des Stumpfendes 
in gesunder Umgebung aufgesucht wird und nach starker breiter Quetschung 
des ganzen Nerven im periphersten Teil der Quetsobfurche durchtrennt 
wird und dann das ganze periphere Ende langsam herausgedreht wird. 
Um diese höchst unangenehmen Neuralgien überhaupt von vornherein 
zu vermeiden, boII darauf geachtet werden, dass bei der primären 
Amputation die Nerven aus der Wunde 5—6 cm hervorgezogen und 
durchtrennt werden. * 

Die 3. Art der äusserlich verheilten, aber nicht prothesenreifen 
Stümpfe zeigen Kontrakturen. Zum Gebrauch der Prothese ist die 
freie Beweglichkeit des benachbarten und der übrigen Gelenke des be¬ 
treffenden Gliedes erforderlich. Es muss daher so früh als irgend mög¬ 
lioh, auch wenn noch Wunden vorhanden sind, damit begonnen werden, 
da 9 betreffende Glied in den Gelenken aktiv und passiv zu bewegen. 
Wofern dies aber unzweckmässig ist, muss doch durch entsprechende 
Verbände einer Kontrakturstellung vorgebeugt werden. Besondere Vor¬ 
beugungsmaassnahmen sind für das Schulter- und Hüftgelenk zu er¬ 
greifen, da dieselben für den späteren guten Gebrauch de9 betreffenden 
Stumpfes eines Oberarm- oder eines Oberschenkelamputierten von aus¬ 
schlaggebender Bedeutung sind. Neben den aktiven Bewegungen müssen 
daher, sobald als angängig, orthopädische Maassnahmen treten, wie 
Massage, Heissluft, Pendelübungen an Apparaten, Widerstandsbewe¬ 
gungen usw., um beginnende Kontrskturen zum Verschwinden zu bringen 
und stärkere zu vermeiden. Aber selbst bei bestehenden Kontrakturen 
mässigen Grades wird es bei energischer Durchführung der erwähnten 
orthopädischen Maassnahmen meist gelingen, dieselben wenigstens so weit 
zu beseitigen, dass sie für den Gebrauch der Prothese nicht mehr wesent¬ 
lich störend wirken. Bei den Schulter-, Ellbogen- und Hüftgelenken 
wird man sich mit dem schliesslichen Erfolge begnügen, da ein opera¬ 
tiver Eingriff nicht empfehlenswert ist. Beim Kniegelenk jedoch, du 
trotz aller orthopädischen Maassnahmen nicht genügend gestreckt werden 
kann, muss man auf operativem Wege eine gute Streckfähigkeit erzielen, 
da sonst nur eine Prothese am gebeugten Kniegelenk angelegt werden 
könnte, was nicht geschehen darf, da dadurch der Vorteil des beweg¬ 
lichen Kniegelenks fortfallen würde. In diesen Fällen wird man durch 
die Tenotomie der Beugesehnen und, falls danach die Kontraktur noch 
nicht ausgleiohbar ist, durch anschliessende subkutane suprakondyläre 
Osteotomie des Oberschenkelknochens eine Strecksteilung im Kniegelenk 


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18. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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bewirken. Dann wird der Stampf protheBenreif sein, da nunmehr das 
Kniegelenk freie Beweglichkeit hat und beim Gebrauch des Kunstbeins 
erst richtig ausgenutzt wird. 

Als 4. Art der verheilten, aber nicht prothesenreifen Stümpfe sind 
solche zu nennen, bei denen ein Oedem des Stumpfes, übermässige 
Muskelsohrumpfung oder Ueberempfindlichkeit des Stumpfes 
besteht. Alle frisch amputierten Stümpfe zeigen starkes, nicht entzünd¬ 
liches Oedem, das erst beseitigt werden muss, um die Prothese anzu¬ 
fertigen, da erklärlicherweise sonst später nach Verschwinden des Oedems 
die Prothese nicht passen würde. Oft besteht das Oedem sehr lange 
noch nach der Operation, bis die Zirkulationsverhälnisse sich geregelt 
haben. Zur Beseitigung dieses Hindernisses dient die Massage und die 
Stumpfwicklung, die mittels Trikotschlauchbinden ausgeführt wird. 
Gleichzeitig wird auf diese Weise die natürliche Schrumpfung des Fett¬ 
polsters beschleunigt und durch die Massage eine etwa vorhandene 
Soblaffheit der Muskulatur behoben. Die Kräftigung der Muskulatur ist 
von grösster Wichtigkeit, da gute ausgebildete Muskeln für den Ge¬ 
brauch jeder Prothese ausschlaggebend sind. Von gleich grosser Be¬ 
deutung ist es, dass der Stumpf nicht überempfindlich ist. Wie jede 
frische Narbe auf Druck schmerzhaft ist, so ist es natürlich auch die 
Narbe des Amputationsstumpfes. Vor dem Gebrauch der Prothese muss 
daher die Ueberempfindlichkeit beseitigt werden, was nach den Angaben 
von Hirsoh durch Beklopfen des Stumpfes, Treten auf allmählich 
widerstandsfähigere Unterlagen wie Wattekissen, Sandkissen, Holzplatte 
erzielt wird. Neben dieser Art Abhärtung sind Abreibungen mit spiritus¬ 
haltigen Flüssigkeiten von gutem Nutzen. Von nicht zu unterschätzen¬ 
der Wichtigkeit ist die Stumpfpflege. Da der Stumpf in der Lederhülse 
der Prothese eingeschlossen ist, erfolgt die Hautlüftuug nur in sehr ge¬ 
ringem Maasse. Aus diesem Grunde wird die Stumpfbaut leicht 
schwitzen und zu Furunkulose und Ekzemen neigen. Um dies zu ver¬ 
hüten, muss jeder Amputierte seinem Stumpf eine besondere Hautpflege 
angedeihen lassen, die auf grösster Reinhaltung, häufigen kalten 
Wasohungen und Stumpflüftung beruht. Diese Stumpfpflege muss jeder 
Amputierte sein ganzes Leben lang beobachten, damit er im Gebrauch 
seiner Prothese nicht behindert wird. 

Wir haben gesehen, dass sowohl bei den nicht verheilten, als be 
den verheilten, aber noch nioht prothesenreifen Stümpfen verscbiedent- 
lichst Operationen erforderlich sind, um die Stümpfe zur Anfertigung 
der Prothese geeignet zu machen. Diese Operationen werden bei den 
Beinamputierten alle in Lokalanästhesie oder Lumbalanästhesie ausge- 
führt, bei den Armamputierten desgleichen in Lokalanästhesie oder in 
Plexusanästhesie, die auch trotz Fehlen der Hand absolute Anästhesien 
gibt, da die notwendigen Angaben über die Empfindungen am Arm und 
auch an der fehlenden Hand zuverlässig erfolgen. Nur in den aller¬ 
seltensten Fällen wird man bei kurzen Oberarmstümpfen Aethernarkose 
anwenden müssen. 

Wenn der Stumpf eines Amputierten einigermaassen prothesenreif 
ist, soll er eine Prothese erhalten; dies gilt ganz besonders von dem 
Beinamputierten, um ihn der Krücken, Gehbänke usw. zu entwöhnen 
und den Stumpf zu belasten. Abgesehen von dem grossen seelischen 
Einfluss, der hierdurch erzielt wird, ist es für die Einübung im Gebrauch 
einer Prothese von grösster Wichtigkeit. Ganz besonders wertvoll ist 
dies für beiderseitig Beinamputierte, da auf diese Weise die Kranken 
überhaupt erst aus dem Bett kommen. Selbst wenn der Stumpf noch 
nioht völlig verheilt ist, kann eine Prothese getragen werden, wenn 
dieselbe derart angefertigt wird, dass das Stumpfende nicht belastet 
wird. Diese Prothesen, „Lazarettprothesen“, müssen in einigen Tagen 
angefertigt werden können, sei es, dass sie aus Gips-, ungewalktem 
Leder-, Segeltuch-, Bleohhülsen oder anderem Material hergestellt 
werden. So beginnt die Gebrauchsübung mit der Prothese so früh als 
möglich. Mit Beinamputierten müssen systematische Freiübungen, wie 
Wendungen, Kniebeugen, Spreizen und Heben der Beine ausgeführt 
werden, um dann zu den wichtigen Gehübungen überzugehen, die stets 
ohne Benutzung eines Stookes zu machen sind, damit sioh das Sioherheits- 
gefühl so schnell als möglich findet. Besonders zu achten ist auf gute 
Bewegung im Kniegelenk. Es empfiehlt sioh neben den Unterkunfts¬ 
räumen von Amputierten Uebungsplätze anzulegen, auf denen Geh¬ 
übungen gemacht werden können, wie: Gehen auf einfachem Holzboden, 
auf Sandboden, auf frisoh geackertem Boden, das Gehen auf schiefen 
Ebenen bergauf und bergab, Ueberschreiten allmählich höher werdender 
Hindernisse, Treppen auf- und absteigen, Leitersteigen auf und ab usw. 
Erhält der Amputierte dann sein richtiges Kunstbein, so wird er*sich 
sehr viel schneller im Gebrauch seiner Prothese einüben, da dieSlumpf- 
muskulatur nicht untätig war. Die Armamputierten müssen gleich¬ 
falls so bald als möglioh mit einer Lazarettprothese ausgestattet werden 
und in der praktischen Beschäftigung ihres jeweiligen Berufs mit der 
Prothese eingeübt werden. Die täglichen Verrichtungen wie Essen, 
Trinken, Anziehen, Wasohen usw. werden am besten mit der gesunden 
Hand bzw. mit Unterstützung des Stumpfes ausgeführt, sofern der 
Amputierte nicht die willkürlich bewegliche Prothese nach Sauerbruch 
oder die Carnes-Hand hat und dazu benutzt. Rechtsarmig Amputierte 
müssen besonders auch im Linksschreiben ausgebildet werden. 

Sehr zweckmässig ist es, besonders mit den Beinamputierten ver¬ 
schiedenartige Spiele zu veranstalten, die neben der Kräftigung der 
Stumpfmuskulatur auch die Standsicherheit fördern, wie Sohleuderball, 
Stossball (mit dem Prothesenbein), Staffelball, Hockey, Kegeln, Ringen 
um einen kurzen Stab, Tauziehen, Soheibensohiessen usw. Denn gerade 


beim Spiel wird der Amputierte abgelenkt und bekommt eine grössere 
Sicherheit mit seiner Prothese. 

Wenn dann der Amputierte sein richtiges Kunstglied erhalten bat, 
so muss es bei intensiver Arbeit in seinem jeweiligen Beruf genügend 
lange ausprobiert werden, um festzustellen, ob es gut sitzt und nirgends 
drückt, und ob der Stumpf bei der Arbeit heil bleibt. Dann erst darf 
er aus dem Lazarett entlassen werden, und dann erst ist die Behandlung 
abgeschlossen. Auf diese Weise ist der Amputierte an sein Kunstglied 
gewöhnt und wird die Ueberzeugung gewonnen haben, dass er Arbeit 
leisten kann. 


Zur Optochinamblyopie und Optochintherapie 1 ). 

Von 

Augenarzt' Dr. Bleiseh, Stabsarzt d. R., 

leitender Arxt der Augenabteilang am Hauptfestungalazarett Breslau. 

Ueber Optochinamblyopie ist schon einmal in dieser Gesell¬ 
schaft im Mai 1916 gesprochen worden; damals berichtete Herr 
Geheimrat Uhthoff über drei Fälle von Sehstörungen nach 
Optochingebrauch. Inzwischen sind zahlreiche neue Fälle von 
schwerer toxischer Schädigung des Sehorganes nach Gebrauch 
dieses Mittels beschrieben worden^ ihre Zahl beträgt jetzt, wie 
ich mich in der einschlägigen Literatur überzeugt habe, über 60; 
Schreiber berechnet in einer Arbeit im Archiv für Optbalmologie 
die Sehstörungen auf 6 pCt. Uhthoff hat inzwischen, was ich 
als besonders wichtig hervorheben möchte, auch pathologisch- 
anatomisch die Schädigungen des Optikus durch Optochin nach¬ 
gewiesen, worauf ich später noch zurückkommen will. Ich bin 
in der Lage, über einen Fall zu berichten, den ich längere Zeit 
beobachtet habe, und der zurzeit noch in Beobachtung steht. 

Es bandelt sich um eine Patientin, die am 29. 1. 1917 an rechts¬ 
seitiger Pneumonie erkrankte; als am fünften Tage der Prozess mit 
dauernd hohem Fieber auch auf die linke Seite Übergriff, erhielt sie 
0,5 g Optoobinhydrocblor, und zwar mittags 11 Ubr; nach Vz Stunde 
stellte sich Brechreiz und sehr starkes Ohrensausen ein; das zweite 
Pulver 0,5 g bekam sie naoh neun Stunden abends 8 Ubr, das sie aber 
erbrach; am nächsten Tage morgens 11 Uhr erhielt sie das dritte Pulver, 
das sie wiederum erbrach. Abends stellten siob Brennen in den Augen 
und Flimmern ein, gegen 9 Uhr konnte sie nur noch mit Mühe ihre 
Angehörigen erkennen; bald darauf erfolgte völlige Erblindung; 
der Zustand tiefster Erblindung hielt vierzehn Tage an, dann besserte 
sich das Sehvermögen allmählich. Nach sieben Monaten, am 30 VIII. 1917 
sah ich die Patientin zum ersten Male; sie klagte darüber, dass sie 
Gegenstände und Personen von den Seiten nur sehr schlecht erkennen 
könne, es besteht Unmöglichkeit, Farben zu unterscheiden, auch kommt 
es ihr vor, als würde es eine ganze Zeit eher dunkel, als es in Wirklich¬ 
keit ist (also hemeralopisohe Beschwerden). Ich fand damals Optikus¬ 
grenzen beiderseits leicht verschleiert. Retinalgefässe sehr verengt, an 
mehreren Stellen weissliche Einscheidungen, also einen pathologischen 
Befund. R. 6/12, S = L. 6/8 bei Emmetropie. 

Gesichtsfeld für Weiss und Farben erheblioh konzentrisch eingeengt, 
für Farben auf 5 bis 10°, wie Schemata zeigen; ich habe die Patientin 
seither mehrmals untersucht; die subjektiven Beschwerden sind zurzeit 
noch dieselben, objektiv besteht auch jetzt noch eine deutliche Verengung 
der Netzhautgefässe, an vereinzelten Stellen leicht weissliche Eiosoheidung, 
Optici normal; Gesichtsfeld auch jetzt noch für weiss und namentlich 
für Farben konzentrisch eingeengt; Hemeralopie: am Foerster’schen 
Pliotometer 8 mm Diaphragma nach zehn Minuten. Dieser Zustand 
dürfte jetzt naoh elf Monaten als ein dauernder anzusehen sein. Pat. 
bat also nach Optochin. hydrochlor. per os (3 X 0,5) — 2 Pulper wurden 
nach ihren Angaben erbrochen —- eine vollkommene Amaurose 
von zwei Wochen Dauer bekommen, als schwere bleibende Schädi¬ 
gung die Gesiohtsfeldeinscbränkung und die Hemeralopie bei leicht 
pathologischem Augenhintergrundsbefunde. 

Um Ihnen das Bild der Optochinintoxikation noch vollständiger 
za zeichnen, seien einige Fälle aus der Literatur angeführt, die 
längere Zeit äugen ärztlich beobachtet sind. 

Biroh-Hirsobfeldi beschreibt in der Zeitschrift für Augenheilkunde 
einen Fall; es handelt sich um einen 21jährigen Soldaten, der an Pneu¬ 
monie erkrankt, am Tage der Einlieferung ins Lazarett von 8 Ubr abends 
an vierstündlich 0,25 Optochin. hydrochlor. erhielt; zwei Tage später 
Ohrensausen, Sehstörung und Benommenheit; er batte im ganzen 2,75 g 
erhalten. Am Tage nach dem Auftreten der Sebstörung ist in dem 
Krankenblatte notiert: Patient kapn nichts sehen; rechte Pupille reagiert 
eia wenig auf Licht, linke gar nicht. Augenärztlicher Befund Dach fünf 
Tagen: Verengung der Arterien, deutlich ausgesprochenes Oedem der 
Netzhaut, beide Papillen erscheinen blass, verschleiert. Vier Wochen 
später: Ermüden beim Lesen, Verschleierung der Gegenstände im 


1) Vortrag gehalten in der medizinischen Sektion der Sohlesisoben 
Gesellschaft für vaterländische Cultur zu Breslau am 1. Februar 1918. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Freien, Papillen blass; Gefässe der Retina teilweise eingescheidet. 
Gesichtsfeld für Weiss um 20 bis 40° am meisten nach aussen eingeengt, 
für Blau auf 10°, bei Rot in etwas geringerem Maasse beschränkt; io 
den näohsten Woohen geringe Erweiterung des Gesichtsfeldes für Weiss, 
wahrend die Einschränkung für Farben bestehen bleibt; Netzhautödem 
bildet sich zurück, Blässe der Papillen und Enge der Arterien bleiben 
jedoch bestehen. Einen Fall von schwerer Sehstörung beschreibt Weidner 
in einer Dissertation aus der Strassburger Königlichen Augenklinik im 
Jahre 1917: eine zwölf Stunden anhaltende vollständige Amaurose, die 
auf 3 g Optoohin. hydrochlor. per os eintrat. Die Dosierung war dabei 
die übliche: 6 X 0,25 in vierstündigen Intervallen während zwei Tagen. 
Wenn auch die Amaurose nach Aussetzen des Mittels zurückging, so 
blieb doch eine starke Einschränkung des Gesichtsfeldes und eine Herab¬ 
setzung der Sehschärfe; nach einem Jahre bestehen diese Veränderungen 
immer noch. Dazu kommt ein pathologischer Augenhintergrundsbefund: 
Atrophie der Papille, Verengung der Renitalgefässe. 

Endlich möchte ich noch einen Fall von Sehstörung nach Optochin. 
hydroohlor. erwähnen, den v. Hippel beschreibt; es handelt sich um 
einen 65jährigen Patienten, der an Pneumonie erkrankte und von seinem 
Hausarzte mit den üblichen Mitteln behandelt wurde; am fünften Tage 
der Erkrankung erhielt der Patient von seinem Sohne, der als Feld Unter¬ 
arzt die Optoohinbehandlung in einem Lazarett kennen gelernt hatte — 
ohne Wissen des Hausarztes — 6 X 0,25 Opto.chin. hydrochlor. zwei¬ 
stündlich von morgens 8 Uhr bis abends 6 Uhr = 1,5 g, am folgenden 
Tage noch einmal 4 X 0,25, im ganzen 2,5 g in zwei Tagen. Darauf 
stellte sich Ohrensausen, Flimmern und in kürzester Zeit völlige Er¬ 
blindung beider Augen ein. Das Mittel wurde darauf sofort ausgesetzt. 
In der zweiten Nacht nach der Erblindung konnte Patient angeblich 
wieder etwas sehen, am nächsten Morgen aber nicht mehr. Dieser Zu¬ 
stand blieb fünf Tage lang unverändert, seitdem nahm Patient wieder 
schattenhafte Umrisse wahr. Objektive Untersuchung: mittelweite Pupillen, 
auf konzentriertes Licht keine Verengung, Medien klar, Papillen etwas 
unscharf begrenzt, schneeweiss, Arterien sind verengt, zum grossen Teil 
unsichtbar, Venen gleichfalls sehr eng; an zwei Gefässen der rechten 
Netzhaut an umschriebenen Stellen weisse Begleitstreifen, ferner zwei 
kleine Blutungen. Tn der Woche nach der Untersuchung besserte sich 
das Sehvermögen. Genaue Untersuchung 3 1 /* Monate nach Eintritt der 
Amaurose. Pat. gibt an, dass es dauernd Dämmerung für ihn sei, bei 
wirklicher Dämmerung sieht er noch entsprechend schlechter; beim 
Uebergang aus dem Tageslicht in ein mässig verdunkeltes Zimmer ist 
er hilflos. Das Sehen in die Ferne ist viel schlechter als früher, vor 
allen Dingen ist er aber nicht mehr imstande, richtig zu lesen. Er kann 
wohl gewöhnlichen Druck herausbringen, es ist aber kein Messendes 
Lesen, da ihm immer Buchstaben ausfallen und er deshalb nicht vor¬ 
wärts kommt. Sehprüfung: Rechts ohne Glas S = 0,4, Gläser bessern 
nicht; mit -f- 3,5 D Nieden 9, also ganz grossen Druck. Links ohne Glas 
S = 0,7, mit + 3,5 D Nieden 9 mühsam buchstabierend von Wort zu 
Wort. Gesichtsfeld konzentrisch eingeschränkt auf etwa 40°. Bei Prüfung 
auf zwei Meter Hessen sich ganz kleine unmittelbar am Fixierpunkt 
gelegene absolute Skotome nachweisen. Kleine farbige Objekte wurden 
bei zentraler Betrachtung meist riohtig benannt; im grössten Teil des 
Gesichtsfeldes war aber die Wahrnehmung von Farben aufgehoben; von 
den Stilling’schen Tafeln konnte keine einzige entziffert werden. Der 
Liohtsinn erwies sich beim Messen mit dem Pieper’schen Adaptometer 
als sehr beträchtlich herabgesetzt. Die Pupillarreaktion war wieder 
vorhanden; die Papillen sind weiss, etwas unscharf begrenzt, die Gefässe 
immer noch im höchsten Grade verengt; die Arteria temporalis superior 
am rechten Auge zeigt auf eine kurze Strecke eine ziemlich breite, 
intensiv weisse EinscheiduDg; an der Makula kein krankhafter Befund; 
v. Hippel bemerkt, dass man kaum fehlgehen wird, wenn man den 
jetzigen Befund als endgültig ansieht, da 3 l /i Monate seit dem Eintritt 
der Erblindung verflossen sind und Patient in den letzten Wochen 
keinerlei Veränderungen mehr bemerkt hat. Der Patient hat also infolge 
der Optochinbehandlung eine schwere dauernde Schädigung seines Seh¬ 
vermögens erlitten, wobei die Unmöglichkeit, fliessend zu lesen, besonders 
hervorgehoben werden muss. 

Fragen wir uns nun, wodurch diese schweren Sehstörungen 
bedingt werden. Birch-Hirschfeld spricht gelegentlich der 
Mitteilung des oben erwähnten Falles die Ansicht aus, dass bei 
der Optochinvergiftung, ähnlich wie bei der Chininamblyopie, 
neben der Gefässverengung auch eine toxische Wirkung auf die 
Ganglienzellen der Netzhaut und auf die Nervenfasern des Optikus 
anzunebmen sei. 

Uhthoff hat, wie ich bereits eingangs erwähnte, pathologisch- 
anatomisch diese Schädigung des Optikus nachgewiesen. Bei dem ersten 
Fall handelt es sich um Optochin-Sehstörung mit vorübergehender 
Amaurose. Patient hatte 3,5 bis 4,0 g Optochin. hydrochlor. in zwei 
Tagen erhalten; zwei Tage später war er vollkommen amaurotisch; die 
völlige Erblindung hielt einen Tag an, dann stellte sich wieder etwas 
Sehen ein. R. 1/10, S: L. Finger 2 m, beiderseits zentrales Skotom. 

Der ophthalmoskopische Befund war normal, speziell auoh 'keine 
Veränderung der Netzhautgefässe. Patient kam nach einigen Tagen ad 
exitnm. In den Schnitten durch den orbitalen Optikusstamm waren 
Veränderungen im Sinne eines Zerfalls der Markscheiden der Sehnerven¬ 
fasern vorhanden, es handelte sich um Veränderungen in Form von 
sohwarzgrau gefärbten Scheiben und tropfenförmigen Gebilden. Bemerkens¬ 


wert ist in diesem Falle der negative ophthalmoskopische Befund und 
das Fehlen von Gcfässerscheinungen und ischämischer Trübung der 
Retina, wie sie bei der Chininamblyopie oft angegeben wird. Jedenfalls 
zeigt der hier mitgeteilte Fall die ausserordentlich wichtige Tatsache, 
dass unter dem Einfluss des Optochins direkte Degenerationserscheinungen 
des Sehnerven eingetreten sind. 

Einen zweiten, wichtigen und ausführlichen SektionBbefund gibt 
Uhthoff im Januarheft 1917 der Klinischen Monatsblätter für Augen¬ 
heilkunde. Es bandelte sich um einen Patienten, der schon längere 
Zeit sohwer leidend war (.Leberzirrhose und Peritonitis), während die 
pneomonische Affektiön relativ geringer war. Patient hat 9 mal 0,25 
Opt. bydr. in 36 Stunden, also 1,5 g in 24 Stunden bekommen. Die 
totale Amaurose, welche unter Ohrensausen einsetste, dauerte etwa 
2 Stunden, dann stellte Bich exzentrisch nach unten etwas Sehen ein 
(Finger 1—IV 2 n»); nach weiteren 4 Stunden war die Sehschärfe auf 
Finger in 7 m gestiegen unter dem Bilde einer erheblichen konzentri¬ 
schen Gesiohtsfeldeinschränkung auf beiden Augen. Bei einer weiteren 
Untersuchung am folgenden Tage hat sich das Sehen nicht wesentlich 
gehoben, die konzentrische Gesichtsfeldeinengung ist etwas geringer ge¬ 
worden. Der ophthalmoskopische Befund zeigt rechts deutliche Rötung 
der Papille, Gefässe etwas weiter als normal, die Grenzen der Papille 
leicht verschleiert (beginnendes Oedem der angrenzenden Retina). Links: 
Papille sehr ausgesprochen gerötet, Retinalgefässe etwas erweitert, grau- 
rötliche Trübung (Oedem) der angrenzenden Retinalpartien, die sich 
allmählich nach der Peripherie verliert. Patient starb am dritten Tage 
nach eingetretener Sehstörung an Leberzirrhose und Peritonitis. Die 
anatomische Untersuchung dieses typischen Falles von akuter Optoohin- 
amblyopie ergab nun neben den älteren Veränderungen der Intoxi¬ 
kationsamblyopie (Alkohol-Regeneration des papillomakulären Optikus¬ 
bündels, frisohe Degenerationserscheinungen (Marchi Degeneration) der 
Markscheiden als Ausdruck der Optochinintoxikation; diese frische Dege¬ 
neration ist unregelmässig und herdförmig im Optikusstamm verbreitet, 
erreioht zum Teil einen hohen Grad bis zum völligen Zerfall der Nerven¬ 
faserbündel. Uhthoff erklärt mit diesem Befunde da9 Auftreten der 
akuten Sehstörung. Auoh erscheint es ihm wahrscheinlich, dass bei 
der Stärke der Veränderungen in diesem Falle wohl nicht mit einer 
Wiederherstellung des früheren Sehvermögens zu rechnen gewesen wäre. 
Bemerkenswert ist auoh in diesem Falle die erstmalige Gelegenheit, 
einen ausgesprochenen pathologischen Augenspiegelbefand bei Optochin- 
amblyopie anatomisch zu kontrollieren, dasselbe fand in einer ödema- 
tösen Durchtränkung und Schwellung der Papillen und der angrenzenden 
Retina seine Erklärung. 

Aehnliohe Fälle, wie die eingangs mitgeteilten, beschreiben Schrei¬ 
ber, Pinou9, Hess, Simon, Pollnow, bei denen noch monatelang 
nach Gebrauch von Opt. bydr. Herabsetzung der Sehschärfe, Einengung 
des Gesichtsfeldes und hemeralopische Beschwerden bestanden. Der 
Ausspruch Morgenroth’ 9 , auf dessen Veranlassung bekanntlich das 
Optochin in die Chemotherapie der Pneumonie eingeführt wurde: „Die 
Nebenwirkungen des Optochins bei innerer Darreichung bestehen haupt¬ 
sächlich in Sehstörungen, die der Chininamblyopie entsprechen und die 
nach allen Erfahrungen ohne dauernden Nachteil vorübergehen 11 , muss 
jetzt als widerlegt angesehen werden. Auch die Bemerkung van der 
Veldens im Jahresbericht für ärztliche Fortbildung (Februar 1916), 
dass nach Optochingebrauch niemals eine dauernde Schädigung zurück¬ 
geblieben sei, und dass keinerlei Kontraindikation gegen die Anwendung 
dieses Mittels bestehe, muss als nicht mehr zutreffend bezeichnet werden. 
Wenn er damals in seinem Berichte dem praktischen Arzte empfiehlt, 
ausgiebig von diesem Mittel Gebrauch zu machen, so muss jetzt an¬ 
gesichts der vielen Dauerschädigungen gerade der Praktiker 
nachdrücklichst vor dem Gebrauch dieses Mittels gewarnt 
werden. Bei dem weiteren Ausbau der Chemotherapie der Pneumonie 
hat es nicht an Versuchen gefehlt, diese schweren Sehstörungen zu 
vermeiden und zum Schwinden zu bringen; damit komme ich auf die 
Dosierug des Mittelsund auf die Modifikation in seiner Anwendung. 

Bezüglich der Dosierung des Präparats sagt Morgenroth, 
dass die schweren Sehstörungen durch Ueberschreiten der von 
ihm als zulässig angegebenen Dosis 6 mal 0,25 pro die in vier¬ 
stündigen Intervallen hervorgerufen wurden; das ist zweifellos 
in einigen Fällen erwiesen, so in einem Falle, von Feilchen- 
feld, wo der Patient in 30 Stunden 6# erhielt; auch in dem 
von mir beobachteten Falle entspricht die Dosierung nicht den 
Vorschriften; jedoch beweisen die eingangs zitierten Fälle and 
andere mehrere, dass selbst bei richtiger Dosierung schwere 
dauernde Schädigungen auftraten. Neuerdings gibt Morgenroth 
an. die Maximaldosis des Opt. hydr. auf 0.2 g, die Tagesdosis 
auf 1,2 g zu reduzieren; diese reduzierte Menge soll gleich mässig 
über die 24 Stunden des Tages, also alle 4 Stunden 0,2 = 1,2 g 
verteilt werden. Neben der auf dieser Weise durcbgeführten 
gleicbmässigen Verteilung des Mittels in kleinen Gaben kommen 
aber noch andere Gesichtspunkte in Betracht. Morgenroth 
selbst batte auf Grund seiner Tierversuche die Ansicht vertreten, 
dass gegenüber dem leichtlöslichen und daher ausserordentlich 
rasch resorbierbaren salzsauren Optochin die schwerer lösbaren 
und langsamer resorbier baren Präparate der Ester and die 
Base des Optochins, das Optochinnm basicum und 0. salicylicum 


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18. Mal 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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besondere Vorteile bieten, indem sie bei gleicher Wirkung weniger 
toxische Nebenwirkungen entfalten; denn da die Konzentration 
im Blot von der Konzentrasion im Magen Darmkanal in jedem 
Falle abhängig ist, ist auch die Wahrscheinlichkeit grösser, dass 
schädliche Konzentration bei den schwerer löslichen und lang¬ 
samer resorbierbaren Verbindungen leichter vermieden werden. 
Von dieser Erwägung ausgehend, verwirft Mendel das leicht lös¬ 
liche Optochin. hydrochlor. vollständig und wendet nur die Base an: 
5 X je 0,3 = 1,5 g. Von dem Optochin. salicyl.-Ester werden 
Dosen von 0,2 (10 X io 21 Stunden) also 2 g vorgeschlagen. 
Endlich wird betont, dass die Anwendung des Optocbins eine be¬ 
stimmte Diät erfordert, welche die gleichmässige Resorption des 
Arzneimittels regelt und dafür sorgt, dass nicht etwa im Magen 
sich die salzsaure und leicht lösliche Verbindung entwickelt. Zu 
diesem Zwecke schlägt Rosin vor, bei jedesmaliger Darreichung 
des Optochins die Salzsäure des Mageninhaltes durch reichliches 
Alkali — einen gehäuften Teelöffel doppelkohlensaures Natron, 
am besten in Pachinger Wasser zu neutralisieren, während Mendel 
zur Bindung der Magensäure Milchdiät vorschlägt, die wohl 
zurzeit praktisch nicht durchführbar sein dürfte. Auf eine weitere 
Modifikation in der Anwendung des Optochin. basicum macht 
gleichfalls Mendel aufmerksam. Er beobachtete bei 40 Pneumonie- 
kranken, die mit Optochin. basicum und Milchdiät behandelt 
worden waren, doch Sehstörungen, und zwar warendies Patienten, 
bei denen schon vorher eine chronische Nierenerkrankung bestand, 
oder mit der Pneumonie gleichzeitig eine akute Nephritis ein¬ 
gesetzt hatte. Danach scheint es ihm festzustehen, dass die 
toxischen Sehstörungen nach therapeutischen Optochingaben nur 
dann auftraten, wenn durch Schädigung der Nierensekretion eine 
starke Retention des Alkaloids in der Blutbabn stattfindet. Es 
wird daher ratsam sein, in jedem Falle von Pneumonie vor Ein¬ 
leitung der Optochintherapie die Urinuntersuchung vorzunehmen 
und bei nachgewiesener Nephritis überhaupt auf die Chemotherapie 
zu verzichten oder mit besonders vorsichtigen kleinen Dosen vor¬ 
zugehen. Bei Auftreten von prämonitorischen Intoxikations¬ 
symptomen, Augenfl mmern, Ohrensausen, ist die Medikation natür¬ 
lich sofort abzubrecben. Leschke glaubte, das Ohrensausen als 
klinisches Merkmal für die Stärke der Optochinkonzentration im 
Organismus betrachten zu können, und empfiehlt deshalb besonders 
darauf zu achten, um beim stärkerem Auftreten, noch bevor Seh¬ 
störungen sich einstellen, die Behandlung aussetzen zu könneo. 
Ob bei Beobachtung dieser Modifikation und Vorsichtsmaassregeln 
die Sehstörungen gänzlich vermieden werden können, muss ab¬ 
gewartet werden. Vollständig sind sie, wie aus der Literatur 
bervorgeht, auch dabei nicht ausgeblieben, jedoch war ihre Zahl 
geringer und sie waren vorübergehender Natur; es muss aber 
verlangt werden, dass auch diese Fälle augenärtzlich auf Hinter¬ 
grundsveränderungen und auf die Funktion des Auges (Gesichts 
feldbeschränkung, Hemeralopie) genau kontrolliert werden. Dass 
die nach Optochins basicum auftretenden Sehstörungen doch nicht 
so ganz harmlos sind, beweist ein vonWarbjurg, in der Münch, 
med. Wochenschr. mitgeteilter Fall: Bei einem 45jäbrigen Patienten 
trat nach eintägigem Gebrauch von Optochin. basicum (allerdings 
2 stündlich 0,2 g) eine schwere Amaurose auf, die sich erst nach 
4 Wochen zu bessern anfing; ein genauer augenärztlicher Befund fehlt. 
Ueber die Wirkung des Optocbins auf die Pneumonie selbst, möchte 
ich nur folgendes bemerken: das Optochin soll den parasitären 
Erreger der Pneumonie vernichten, diese Wirkung soll dann ganz 
besonders frappant sich zeigen, wenn die Chemotherapie möglichst 
bald nach erfolgter Iofektion — in den ersten drei Tagen — ein- 
setzt, also zu einer Zeit, wo der Sitz des Erregers noch lokalisiert 
in der Lunge ist. Gegenüber der symptomatischen Behandlung soll 
die günstige Wirkung der Chemotherapie bestehen in einer wesent¬ 
lichen Verkürzung der ganzen Fieberkurve, in einer frühzeitigen 
kritischen oder lytischen Entfieberung und in einer Erleichtung 
des ganzen Krankheitsverlaufes; ob das Optochin die Mor¬ 
talität der Pneumonie herabsetzt, erscheint mir aus den mit- 
geteilten Statistiken zweifelhaft; ich möchte mir jedoch als 
Ophthalmologe über diese Dinge ein Urteil nicht erlauben, 
sondern die Beurteilung den Internisten überlassen; für mich 
kam es nur darauf an, Ihnen über die bei diesem Mittel ge¬ 
machten ajugenärztlicben Erfahrungen zu berichten. Von 
den Verfechtern der Chemotherapie der Pneumonie wird häufig 
in der Literatur der praktische Arzt aufgefordert, möglichst um¬ 
fangreich von dem Optochin Gebrauch zu machen; vom augen¬ 
ärztlichen Standpunkte möchte ich dagegen folgendes bemerken: 

1. Das Opt. hydr. hat, auch wenn es in kleinen Dosen ge¬ 
geben wurde, in zahlreichen Fällen zu vorübergehender Amaurose 


und zu Sehstörungen schwerster Art geführt, dieselben waren 
in vielen Fällen bleibend, vom aogenärztlichen Standpunkte sollte 
daher das leichtlösliche Opt. hydr. nicht verordnet werden. 

2. Ob durch Verordnung der schwer löslichen Chininderivate, 
des Opt. bas. und salicyl. und durch Beobachtung der oben an¬ 
geführten Modifikationen und Vorsichtsmaassregeln (gleichmässige 
Verteilung, kleine Dosen, Diät usw.) die Sehstörungen gänzlich 
zu vermeiden sein werden, ist abzuwarten; es hat erst genaueste 
Beobachtung und sorgfältiges Studium des Mittels in den Kranken¬ 
häusern nnd Kliniken statfzufinden, ehe es dem Praktiker emp¬ 
fohlen werden kann, ich möchte mich in dieser Beziehung dem 
Standpunkt v. Hippel’s anschliessen, dass jede durch ärztliche 
Behandlung herbeigeführte Erblindung nicht eine Nebenwirkung, 
sondern ein furchtbares Ereignis für den Betreffenden und seine 
Familie ist und geeignet, das Ansehen des Arztes beim Publikum 
aufs schwerste zu gefährden. Welche .Stellung — und damit 
komme ich zum Schluss — das Sanitätsdepartement des Kriegs¬ 
ministeriums dem Optochin gegenüber einnimmt, geht aus fol¬ 
gender Verfügung hervor: 

„Kriegsministerium, San.-Depart Berlin, 24. Juli 1917. 

Nr. 1781/7. 17 S. J.-Nr. 9917. 

Die beim Feldheere gemachten Erfahrungen mit Optochin 
haben ergeben, dass sein Heilwert bei Lungenentzündungen 
zweifelhaft ist, da andererseits nach inneren Gaben von Optochin , 
schwere Augenbeschädigungen beobachtet sind, ist seine An¬ 
wendung in Zukunft zu unterlassen.“ 


Pferderäude beim Menschen. 

Von 

Stabsarzt d. L. Dr. Brano Glaserfeld. 

Viele Aerzte haben während des Krieges Gelegenheit gehabt, Ueber- 
tragungen von Pierderäude auf den Menschen zu sehen. Schaffer 1 ), 
dessen Arbeit ich leider hier im Felde nur aus einem kurzen Referat 
kenne, und Nussbaum 2 ) haben da9 Verdienst, als Erste auf die nicht 
unwichtige Hauterkrankung in Veröffentlichungen hiDgewiesen zu haben. 

Während meiner Tätigkeit als Kreisarzt bei der deutschen Ver¬ 
waltung für Litauen im Frühjahr 1916 beobachtete ich etwa 60 Fälle 
von pferderäudekranken Menschen. 

Die mittelschwererkrankten Räudepferde, wurden auf einem gröiseren 
Gute von Eingeborenen, litauischen Knechten, welche angaben, bisher 
nie hautkrank gewesen zu sein, behandelt. Als ich die Pferdepfleger 
zu Gesicht bekam, waren sie ungefähr drei Wochen krank. Die Haut 
des gesamten Körpers zeigte alle möglichen Arten von Kratzeffekten 
sowie Eatzüodung8erscheinungen und war mit vielen Krusten und 
Borken bedeckt. In ihrer Schwere der Erkrankung erinnerte die Haut 
dieser ersten Patienten ausserordentlich an diejenigen Krätzefälle, welche, 
monatelang ohne Behandlung geblieben, erst in verwahrlostem Zustande 
ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen. Typische Milbengäoge sah ich, 
wie Nussbanm, niemals. Der Juckreiz war stets ein sehr grosser, fast 
unerträglicher and steigerte sich wie bei der Krätze besonders nachts. 
Die subkutanen Lymphdrüsen waren meist leicht geschwollen. Albuminurie 
bestand nie. 

Im Gegensatz zu Nussbaum war keine Lieblingslokalisation der 
Räude feststellbar. Wenn ich auch zugebe, dass Hände und Arme mit 
Kratzeffekten üborsät waren, so waren doch andererseits, gleichzeitig der 
Rumpf, das Gesäss, und die unteren Extremitäten stets in Mitleidenschaft 
gezogen; ja, selbst Hodensack 'und Penis zeigten häufig erkrankte Stellen. 
Kopf- und Gesichtshaut waren immer frei von Veränderungen. 

Die Räude wird von dem erkrankten Pferd auf die Finger und Nägel 
des Pflegers zunächst übertragen. Dieser überimpft durch Kratzen den 
an den Fingern haftenden Krankheitsstiff auf alle möglichen Hautteile. 
Die litauische Bevölkerung, die während der Feldarbeit stets nur mit 
einem an der Brust offenen Hemd bedeckt ist, hat genügend Gelegenheit 
auch am Tage deu Krankbeitsstoff z. B. auf den Rumpf zu übertragen. 
Wenn in den Nussbaum’schen Fällen Nacken, Oberarm und Unterarm 
Prädilektionsstellen waren, so mag dies an der Art seiner Patienten — 
er behandelte Angehörige eines Kavallerieregimentes — gelegen haben. 
Die Lokalisation der menschlichen Rände richtet sich nach 
dem Verhalten und den Lebensgewohnheiten des Befallenen. 

Die Richtigkeit dieses Satzes ersieht man am besten daraus, wie sich 
in meiner Epidemie die verschiedenen Familienmitglieder verhielten. 
Die Pferdepfiegcr steckten nach kurzem Bestehen der Erkrankung ihre 
Frauen an, wahrscheinlich besonders beim Beischlaf. Die meisten dieser 
weiblichen Fälle sah ich in relativ frischem Zustande. Da gab es nnn 
Patientinnen, welche an den oberen Extremitäten nicht das geringste 
Krankhafte darboten. Brust und Bauch, welche als erste Körperteile 


1) M.m.W., 1916, Nr. 40, Feldärztliohe Beilage. 

2) B.kl.W., 1917, Nr. 48. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


beim Beischlaf von der Räude befallen wurden, waren mit allen möglichen 
Kratzeffekten bedeckt; die Haut der unteren Extremitäten, welche die 
Frauen infolge ihrer losen Kleidung auch tagsüber viel kratzen konnten, 
war von dem Krankbeitsprozess stark in Mitleidenschaft gezogen. 

An den Frauen wiederum steckten sich in kurzer Zeit die Kinder 
wieder an, die jüngeren sämtlich, während diejenigen von 10—15 Jahren 
überwiegend frei von Erscheinungen blieben. Dies war ganz erklärlich, 
da die jüngeren Kinder von der Mutter besorgt wurden, die älteren 
dagegen nicht in unmittelbare Berührung mit der Mutter kamen. Die 
Lokalisation der Erkrankung bei den Kindern richtet sich ganz danach, 
wo sie durch Kratzen den Krankheitsstoff in die Haut eingerieben hatten; 
bald war der Rumpf oder das Gesäss, bald die Extremitäten von der 
Räude befallen. 

Die Diagnose der Erkrankung ist, wenn man die Anamnese kennt, 
leicht. Das Fehlen von Milbengängen sowie das Freisein der Zwischen¬ 
fingerräume sind brauchbare Differentialdiagnostika gegenüber der 
Krätze, der das klinische Räudekrankheitsbild sehr ähnelt. 

Leider stand mir während meiner damaligen Tätigkeit kein Mikro¬ 
skop zur Verfügung, so dass ich über die Milbenart meiner Fälle nichts 
aussagen kann. 

Der Krankheitsverlauf zeiohnete sich durchaus nicht in allen 
Fällen durch Milde aus, wie bei den Nussbaum’schen Patienten. Die 
Räude der Pferdepfleger trotzte wie verschleppte Krätzefälle hartnäckig 
der Behandlung; dagegen trat die Erkrankung bei den Frauen und 
Kindern gelinder auf, weil die Ansteckung während meiner Behandlung 
der Pferdepfieger auftrat, und sofort in energische Therapie genommen 
wurde. Die Prognose der Räude richtet sich nach dem Zeitpunkt, zu 
dem die Patienten unsere Behandlung aufsuchen. 

Als bestes Mittel gegen die Räude bewährte sich die Wilkinson’sche 
Salbe. Ich liess die Patienten morgens und abends, an drei aufeinander¬ 
folgenden Tagen einreiben, und zwar vom Halse abwärts den ganzen 
Körper, selbst wenn nur wenige Hautteile befallen waren. Da auf dem 
Gute keine Badeeinriohtung zur Verfügung war, liess ich am vierten 
Tage die Patienten eine Ganzwaschung mit Seifenwasser vornehmen; 
danach wurde reine Wäsohe angezogen. Bei den leichten Fällen führte 
eine Kur zu vollem Erfolg. Die mittelscbweren bedangen für gewöhnlich 
zwei Kuren. Bei den schwersten Fällen aber musste nach zwei Kuren 
noch lange Zeit die Haut mit Schwefel- und anderen Salben eingerieben 
werden, bis endlich jeglicher Juckreiz verschwunden war und die Haut 
einigermaassen normale Beschaffenheit zeigte. 

Da auf dem Gute kein anderes Personal zur Verfügung war, mussten 
die Pferdepfieger die kranken Pferde während meiner Behandlung weiter 
pflegen. Hierdurch entstand keine Verschlimmerung des Krankheits¬ 
bildes noch Beeinträchtigung der Kur, da die Patienten sich bei der 
Pferdepflege stets Handschuhe anzogen und genauestens über Hände¬ 
pflege unterrichtet waren. 


Aua dem hygienischen Institut der Universität in 
Budapest 

Immunisierung gegen Typhus nach Art der 
Vakzination gegen Pocken. 

Von 

L. v. Liebermann und D. Ac61. 

Anknöpfend an eine vor kurzem erschienene Mitteilung von 
R. Weber 1 2 ) über aktive Immunisierung gegen Typhus durch 
kutane Einreibung, möchten wir Ober einige Versuche berichten, 
die wir noch im Jahre 1915 ausgeführt und über die der eine 
von uns (L.) im Jahre 1916 in einer ungarischen Zeitschrift für 
ärztliche Fortbildung schon kurz berichtet hat 3 ). Sie unterscheiden 
sich von den Versuchen R. Weber’s darin, dass sie nicht mit 
abgetöteten (karbolisierten) Bakterien durch Einreiben sehr grosser 
Mengen in die rasierte Baucbhaut, sondern mit lebenden in viel 
geringerer Menge, nach Alt der Vakzination gegen Pocken (Ein¬ 
reiben in eine kleine, leicht skarifizierte Stelle der Bauchbaut 
und Abwarten des völligen Eintrocknens) ausgeführt wurden. 

Auch haben wir unsere Versuche nicht an Meerschweinchen, 
sondern an weissen Mäusen angestellt. Wir hatten die Absicht, 
sie weiterzuführen und auch auf abgetötete Bakterien auszu- 
dehnen, mussten sie aber wegen anderweitiger Inanspruchnahme 
nnd aus Mangel an Tieren einstweilen zurückstellen. 

In der Hauptsache können wir die Angaben R. Weber’s 
bestätigen: Es ist in der Tat möglich, auf kutanem Wege gegen 
Typhus zu immunisieren. Ja, unsere Resultate sind noch günstiger. 
Wir verfügen bisher allerdings nur über zwei Versuchsreihen, 
aber in diesen beiden hatten wir vollen Erfolg. Inwiefern dieser 
günstigere Erfolg den lebenden Bazillen, oder den verschiedenen 

1) Zschr. f. Hyg., Bd. 84, S 438. 

2) Orvoskepzös, Jahrg. 1916, H. 3 u. 4, S. 161. 


Applikationen des Virus zuzuschreiben ist, müssen künftige Ver¬ 
suche entscheiden. 

Eine, mit der anderen übrigens völlig übereinstimmende 
Versuchsreihe sei im folgenden .mitgeteilt, hauptsächlich zu dem 
Zwecke, um den Leser über ihre Anlage zn orientieren. 

10. September 1915: Drei weisse Mäuse von je etwa 15 g Gewicht. 

Maus Nr. 1 kutan vakziniert durch Aufstreicben einer kleinen Oese 
einer frischen Typhuskultur auf eine leicht skarifizierte Stelle der 
Bauchhaut. 

Maus Nr. 2 subkutan immunisiert durch Einspritzen von 0,1 ccm 
karbolisierter Typbusvakzine, die in 1 oom 1 f 2 Oese Bakterien enthalten hat. 

Maus Nr. 3 nicht immunisiert. 

16. September 1915: Maus Nr. 1 und 2 werden neuerdings auf 
dieselbe Weise immunisiert. 

7. Oktober 1915: Alle drei Mäuse erhalten intraperi+oneal 0,2 Oese 
virulenter Typbuskultur in entsprechender Aufschwemmung. Die Virulenz- 
prüfuDg dieser Aufschwemmung an anderen weissen Mäusen hat ergeben, 
dass intraperitoneal appliziert 0,2 Oese eine Maus innerhalb 14 Stunden, 
0,1 Oese innerhalb 36 Stunden tötet. 

Maus Nr. 1 und Nr. 2 bleiben völlig gesund. Auch nach fünf 
Tagen keine Spur einer Erkrankung. 

Maus Nr. 3 stirbt nach 16 Stunden. 


Aus der Kgl. Medizinischen Universitäts-Klinik Kiel 
(Direktor: Prof. Dr. A. Schittenhelin, zurzeit im Felde). 

Ueber Vorhofflimmern beim Menschen und 
seine Beseitigung durch Chinidin. 

Von 

Prof. Dr. Walter Frey. 

(Sohluss.) 

3. Ueber die Arbeitsfähigkeit der Kranken 
mit Vorhofflimmern. 

Wenckebach nennt vier Momente, durch welche der Kreis¬ 
lauf beim Einsetzen von Vorhofflimmern notwendigerweise Schaden 
leiden muss: das Nichtschlagen der Vorhöfe, die unregelmässige 
Ventrikeltätigkeit, das häufige Vorkommen von positivem Venen¬ 
puls und schliesslich das Fehlen der normalen Anpassung der 
Herztätigkeit an die wechselnden Anforderungen des Kreislaufs. 

Die Verhältnisse liegen klar. Jeder der angeführten Faktoren 
wird einen gewissen Nachteil für die Zirkulation mit sich bringen. 
Am wichtigsten ist wohl der vierte Punkt, das Fehlen einer 
zweckmässigen Anpassung der Herztätigkeit au vermehrte Anforde¬ 
rungen, welche durch das feine Zusammenarbeiten der nervösen 
Zentren mit dem Herzgefässsystem garantiert wird. 

Die Suffizienz des Herzens während des Bestehens von 
Flimmern ist nun sehr verschieden. Eine Durchsicht des vor¬ 
handenen Materials zeigt aber, dass in keinem einzigen Falle 
volle Leistungsfähigkeit vorhanden war, wie es z. B. Wencke¬ 
bach mehrfach angetroffen bat. Gerade die nicht vergrösserten, 
normal konfigurierten Herzen ohne Stauungsorgane sind für die 
Beurteilung der Verhältnisse interessant. Die Lente vermögen 
allerdings ihrer Arbeit naebzugeben und leisten als Maurer, 
Dreher, bei der Hausarbeit nicht geringe körperliche Arbeit. Bei 
genauem Befragen steht die Leistungsfähigkeit dieser Personen 
aber ganz wesentlich gegenüber der Norm zurück, sobald die An¬ 
forderungen nur wenig über das täglich Gewohnte hinausgeben. 
Von den 100 Fällen batten 8 ein „normales“ Herz, davon waren 
nur 4 arbeitsfähig, und keiner dieser 4 Leute vermisste die 
charakteristischen Zeichen leichter Insuffizienz, von der Müdig¬ 
keit aufwärts bis zum Auftreten von Knöchelödem, sobald zuviel 
verlangt wurde. Das normal§cblagende Herz vermag sich er¬ 
höhten Ansprüchen sehr rasch anzupassen, auf dem Wege des 
Vagus und Akzelerans werden die regulierenden Impulse der 
nervösen Zentren dem Sinus und Atrioventrikularkooten zugeleitet, 
und durch entsprechende Aenderung des Schlagvolumens bekommt 
der Organismus das benötigte Blutquantnm geliefert. Beim Vor¬ 
hofflimmern liegen die Verhältnisse ganz anders. Der Sinusknoten 
bat hier jeden Einfluss auf die Herztätigkeit eingebüsst, der 
Tawaraknoten befindet sich in einem Zustand pathologisch ver¬ 
änderter Reizbildnng. Beide Knoten sind ausserstande, die zweck¬ 
mässig gebildeten Impulse durch entsprechende Aenderung der 
Herztätigkeit zu beantworten, und so entwickelt sich stets mehr 
oder weniger rasch ein gewisser Grad von Insuffizienz. 

Die Kranken neigen zndem ausserordentlich zu Kammer- 
tachykardien. Dieselben entstehen wahrscheinlich durch stärkere 


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18. Mai 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


451 


Inanspruchnahme der unteren Atrioventrikularknotengegend durch 
den vorliegenden pathologischen Prozess, und Steigerung der Reiz¬ 
bildung dieser Bezirke in solchem Grade, dass diese Bezirke die 
Führung der Schlagfolge an sich reissen (Herzjagen). Es kommt 
in leichten Fällen allein zu dem Gefühl des Herzklopfens. Die 
Tachykardie kann aber so stark werden, dass die Blutziikulation 
erheblich leidet, und die Folge davon sind vermehrte Stauungs¬ 
zustände, namentlich Lungenödem. Auch der Schwindel, welcher 
bei so vielen Patienten bei Anstrengung oder auch ohne erkenn¬ 
bare Ursache auftritt, dürfte zum Teil auf solche Anfälle von 
Kammertachykardie zu beziehen sein. Diese Zustände sind die 
Vorläufer des Kammerflimmerns, woran sicherlich ein grosser Teil 
der Kranken mit Arbythmia perpetua zugrunde gebt. Solche 
Kranke sterben gewöhnlich plötzlich, ein vielstündiger Todes¬ 
kampf, wie man ihn bei Kaizinom oder Tuberkulose siebt, kommt 
kaum jemals zur Beobachtung. Es gelingt deshalb auch so 
schwer, das sterbende Herz bei Arhytbmia perpetua elektro- 
kardiographisch zu untersuchen. 

4. Therapie. 

Als souveränes Mittel zur Behandlung der Kranken mit Vor¬ 
hofflimmern gebraucht man die Digitaliskörper. Auch in ver¬ 
zweifelten Fällen mit dem gefürchteten Bild des Delirium cordis 
und schwerer Herzinsuffizienz vermag die Digitalis oft in über¬ 
raschend kurzer Zeit eine Wendung zur Besserung herbeizuführen; 
die frequente Rammertätigkeit geht zurück, die Pulse werden 
regelmässiger, voller, und die Zeichen der Dekompensation ver¬ 
lieren ihren bedrohlichen Charakter. 

Der günstige Einfluss der Digitaliskörper beruht' auf zentraler 
Vaguserregung und direkter Einwirkung auf den Herzmuskel 
selbst. Die zentrale Vaguserregung erschwert die Ueberleitung 
von Reizen vom Vorhof zu den Kammern und führt dadurch die 
Verlangsamung der Rammertätigkeit herbei. Die Muskelwirkung 
der Digitalis besteht in Vermehrung der diastolischen Dehnbar¬ 
keit unter gleichzeitiger Erhöhung der systolischen Rontraktions- 
energie. wodurch das Schlagvolumen anwäcbst. 

Trotzdem trifft die Digitalistherapie das Uebel nicht an der 
Wurzel. Niemals wird durch Digitalis das Flimmern beseitigt, 
ein bedenklicher Mangel der Therapie im Hinblick auf die starken 
Zirkulationsstörungen, welche das Vorhofflimmern auch bei einem 
leistungsfähigenHerzmuskelganzgewöbnlichhervorruft. Mackenzie 
bezeichnet es als nutzlos, die Irregularität selbst behandeln zu 
wollen. Die Bezeichnung der Arhythmie als perpetua erscheint 
als Beweis für die Richtigkeit dieser Anschauung. 

E 9 ist nun aber gelungen, ein Piäparat ausfindigzu machen, 
welches beim Menschen in einer gewissen Zahl von Fällen mit 
Vorhofflimmern die Störung oft überraschend schnell zu beseitigen 
vermag. 

Wenckebach macht darauf aufmerksam, dass in früheren 
Zeiten das Chinin in der Behandlung der Herzkrankheiten, be¬ 
sonders in Kombination mit Digitalis, eine gewisse Rolle gespielt 
bat. Er berichtet auch selbst über den günstigen Effekt von 
Chinin bei einem Patienten, welcher bei offenbar sonst sehr kräf¬ 
tigem Herzen an Vorhofflimmern litt und durch Gaben von 1 g 
das Flimmern prompt beseitigen konnte. Einige Jahre gelang 
es ihm damit, die Anfälle von Vorhofflimmern auf wenige Tage 
zu beschränken, immer aber kehrte die Erscheinung wieder zurück, 
und schliesslich liess sich die t rbythmie auch nicht mehr ver¬ 
treiben. Wenckebach fügt hit zu: „Ich habe seit dieser Er¬ 
fahrung wiederholt Chinin gegeben und geben lassen, jedoch nur 
in einem Falle das Sistieren des Flimmerns damit hervorgerufen. u 

Es wurden nun an der Klinik verschiedene Chininpräparate 
(Chinin, Cbinidin-Conchinin, Cinchonin) systematisch durchunter¬ 
sacht und bei Fällen von Vorhofflimmern verabreicht. Cinchonin 
war ohne ersichtliche Wirkung, ln zwei Fällen gelang es, durch 
Chinin das Flimmern auf längere Zeit zu beseitigen. Das wirk¬ 
samste Mittel ist aber Chinidin. 

Im Folgenden sind die wesentlichen Angaben über die be¬ 
handelten Fälle zusammengestellt: 

Fall 1. Alb., Ehefrau, 48 Jahre, 59,9 kg. Sekundäre Anämie 
(Uterusmyom) mit 45 proz. Hb. Relative Mitralinsuffizienz. Vergrösse- 
rung beider Vorhöfe und des linken Ventrikels massigen Grades. Fern- 
aufnabme (Tele): L 15,9, T 14,5. Grobschlägiges Flimmern, Ventrikel- 
freqaenz 95. 8 Stunden nach 1 g Chinin normale Schlagfolge, 
Frequenz 60. Das Flimmern tritt nach Strophantin wieder auf und 
kann durch Chinin von neuem beseitigt werden (derselbe Versuch 8 mal 
wiederholt). Die normale Sohlagart hält 8 Tage an, Patientin wird ent¬ 
lassen. Einen Monat nach der ersten Chininkur normale Schlagfolge, 
Frequenz 60—80. Einen Monat später ist wieder Vorhofflimmern da, 


verschwindet aber nach wenigen Tagen bei alleiniger Bettruhe. Nach 
weiteren 5 Wochen erscheint die Schlagfolge immer noch normal, mit 
zahlreichen aurikulären Extrasystolen. 

Fall 2. C., Tischler, 41 jähr. 55 kg. Mitralinsuffizienz und Stenose 
unbekannter Aetiologie. Herz völlig normal konfiguriert, kaum ver¬ 
größert. Aortenbogen nabe der Klavikula. Tele: L nicht sicher zu 
messen, T 13,2. Es besteht feines Flimmern, vermischt mit deutlichem 
Flattern, vereinzelte Extrasystolen, Ventrikelfr« quenz 120. Patient be¬ 
kommt an 3 Tagen je 1 g Chinin. Am 4. Tage ist atrioventri¬ 
kuläre Automatic einwandfrei nachzuweisen, völlig regelmässiger 
Rhythmus mit P-Schwankung kurz vor R. Kein Flimmern. Patient 
wird nach 4 Tagen entlassen. Er nimmt seine Arbeit wieder auf; 
3 Wochen später wird wieder Flimmern festgestellt. 

Fall 3. W., 67jähr., Wächter, 66 kg. Chronische indurierende 
Nephritis mit exzessiv starker Herzvergrösserung. Liegendes Herz mit 
rundem linken Ventrikelbogen und breiter Vorhofsdistanz. Aorten- 
scbatten sehr breit. Tele: L 19,4, T 20,5. 200 mm Hg. Es besteht 
Flimmern und Flattern ohne Extrasystolen, Ventrikelfrequenz etwa 60. 
An 5 Tagen 5 mal 0,2 Chinidin, dann nach dreitägiger Pause an 
2 Tagen wieder je 1 g Chinidin; auf den Kurven niemals normale 
Schlagfolge, unverändert Flattern und Flimmern, zuweilen mit 
Extrasystolen, Ventrikelfrequenz 55—70. 

Fall 4. L, Arbeiterfrau, 44jähr., 46,8 kg. Mitralinsuffizienz und 
Stenose unbekannter Aetiologie. Mässig starke Vergrösserung des linken 
Ventrikels und beider Vorbö'e. Tele: L 15,1, T 18,7. Grobschlägiges 
unregelmässiges Flattern und Flimmern, Ventrikelfrequenz 120. Patientin 
bekommt während 4 Tagen 5mal 0,2 Chinidin. Das Flimmern be¬ 
steht 7 Tage später unverändert weiter. 

Fall 5. F., S"hlo8serfrau, 82jähr., 39,5 kg. Mitralinsuffizienz und 
Stenose nach Gelenkrheumatismus. Linker Ventrikel und rechter Vorhof 
scheinbar normal; buckbge Verwölbung des linken Vorhofs. Tele: 
L 13,3, T 11,5. Flattern und Flimmern, Ventrikelfrc quenz 105. An 
zwei aufeinanderfolgenden Tagen je 5 mal 0,2 Chinidin. Flektrokardio- 
graphische Kurve unverändert. Wegen der bestehenden Dekompen¬ 
sation wird Chinidin ausgesetzt und Strophantintherapie eingeleitet. 

Fall 6. R., Maler, 57jähr., 74,6 kg. Starke periphere Arterio¬ 
sklerose. Grosses Heiz, dem Zwerchfell breit aufsitzend; Vergrösserung 
des linken Ventrikels, wahrscheinlich auch der beiden Vorhöfe; langes 
Aortenband, Arkus an der Klavikula. Tele: L nicht zu messen, T. 15,8. 
105 mm Hg. Regelmässiges Flattern mit zahlreichen Extrasystolen, 
Ventrikelfnquenz 90. Patient bekommt an einem Tag 1,4 g Chinidin 
auf 4 Dosen verteilt. Auf der Kurve, welche 36 Stunden nach Beginn 
der Chinidintherapie aufgenommen wurde, ist die Ventrikelfrequenz voll¬ 
kommen regelmässig, 105; es besteht reguläre Vorhofstacby- 
systolie mit hal bierter Ventrikelfrequenz. Es wird während 
weiterer 4 Tage Chinidin verabfolgt, ohne dass sich das Bild verändert 
hätte. Zwei weitere Chiuidinkuren während je 3 Tagen haben keinen 
grösseren Erfolg. Auf einzelnen Kurven scheint, aufgesetzt auf die 
flachen regulären vorhofstachysystolischen Schwankungen ein regel¬ 
mässiger Sinusrhytbmus sichtbar zu sein. Die Vorhofsfre quenz geht bis 
auf 187 zurück, die Ventrikelfrequenz hält sich zwischen 70 und 100, 
bei wechselnder atrioventrikulärer Reizüberleitung. Das Befinden des 
Kranken ist bei Bettruhe gut, doch bekommt Patient beim Aufstehen 
wie vor der Chinidintherapie immer noch leicht Schwindel, ohne Tachy¬ 
kardie, offenbar infolge zerebraler Zirkulationsstörungen. 

Fall 7. Fr., Buchhändlersfrau, 58jährig, 45,4 kg. Basedow. Herz 
liegend, ohne Taille, mit auffallend breitem Gefässscbatten. Vorhöfe 
wenig verbreitert. Messung unsicher L: 17,1, T 16,8. Flimmern und 
Flattern, vereinzelte Extrasystolen Ventrikelfrequenz 90—115. Je 1 g 
Chinidin an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, wegen Zunahme der 
kachektischen Erscheinungen ausgesetzt. Am zweiten Tage Schlag¬ 
folge normal, keine Extrasystolen, Frequenz 100; dann wiederFlimmern. 
Patientin stirbt nach 2 Wochen. 

Fall 8. N., Arbeiterin, f 54 jährig,* 46,5 kg. r Arteriosklerose] der 
peripheren Gefässe, 140 mm Hg. Herz pyramidenförmig, stark ver¬ 
breitert. Herzspitze nahe der?äusseren Thoraxbegrenzur g. Tele: L nicht 
zu messen, T 17,0, auf einer zweiten Aufnahme 18,3. Flattern und 
Flimmern ohne Extrasystolen, Ventrikelfrequenz 60. Patientin bekommt 
an 8 Tagon je 5 mal 0,2 Chinidin. Auf einer Kurve, aufgenommen 
am vierten Tag, ist normale Sinusscblagfolge zu sehen, Frequenz 45, 
mit zahlreichen, zum Teil gekuppelten aurikulären Extrasystolen. An 
den folgenden Tagen zeigen die Kurven wieder Flattern und Flimmern. 
Am achten Tage nach Beginn der Cbinidintberapie normale Schlag¬ 
folge, Frequenz 40—60, vermischt mit atrioventrikulären Schlägen und 
zahlreichen aurikulären* 1 Extrasystosen. { Dieser Zustand hält weitere 
6 Tage an, trotzdem Patientin den ganzen Tag ausser Bett ist, Befinden 
sehr gut. 

Fall 9. St., Arbeiterin, 21 jährig, 57 kg. Mitralinsuffizienz und 
Stenosenach Gelenkrheumatismus. Rechtsseitige Hemiplegie durch Embolie. 
Stark vergrössertes Herz, annähernd Kugelform. Deutliche Vorwölbung 
des linken Vorhofs. Herzspitze nicht sichtbar unter der Zwerchfell¬ 
kuppe. Tele: T 16,2. Patientin ist seit Juni 1916 mit Arhythmia 
perpetua in stationärer Behandlung der Klinik. Die am 5. III. 1918 auf* 
genommenen Kurven zeigen Flimmern und Flattern ohne Extrasystolen, 
Ventrikelfrequenz 55—70. Patientin bekommt an drei aufeinander¬ 
folgenden Tagen je 5 mal 0,2 Chinidin, am vierten Tage 1,4 g. Das 

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UMIVERSITY OF IOWA 



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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


Flimmern besteht unverändert weiter. Nach einer Pause von 8 Tagen 
erneute Chinidintherapie. Nach 2 Tagen mit je 1 g Chinidin erscheint 
die Schlagfolge vollkommen normal, Frequenz 56, keine Extra¬ 
systolen. Patientin bekommt während 5 Tagen dieselben Chinidindosen. 
Schlagfolge stets normal, Patientin ist ausser Bett, fühlt sich sehr gut, 
3 Tage später wieder Flimmern. 

Fall 10. Bu., 50jährig, Ehefrau, 56,6kg. Mitralinsuffizienz und 
Stenose nach Gelenkrheumatismus. Starke Ausweitung des linken Ven¬ 
trikels; Vorhöfe ebenfalls beträchtlich vergrössert. Gefässschatten 
schlank. Tele: L 16,2, 15,6. Es besteht Flimmern mit oft zahlreichen 
Extrasystolen, Ventrikelfrequenz 90—160. Chinin in der Dosis von 1 
bis 1,5 g während je einem Tag gegeben unwirksam, ebenso Chinchonin 
in der Dosis von 1,4 g. Nach einer Pause von 8 Tagen bekommt 
Patientin Z x f 2 X 0,4g Chinidin. Am nächsten Tage ist normale 
Sinussohlagfolge vorhanden, Ventrikelfrequenz 60. Patientin verlässt 
die Klinik. Nach 5 Tagen kommt sie wieder her, es besteht immer 
noob normale Schlagfolge ohne Extrasystolen, Frequenz 70, sehr gutes 
Allgemeinbefinden. 

Fall 11. Kep., 48 jährig, Arbeiterin, 51,8 kg. Mitralinsuffizienz 
nach Gelenkrheumatismus. Stark ausgeweitetes Herz von Kugelform, 
Aortenband nicht verbreitert. Tele: L 16,8, T 16,8. Es besteht Flimmern 
mit Flattern ohne Extrasystolen, Frequenz 70. Datienten bekommt an 
einem Tag 5 X0,2 Chinidin. Am darauf folgenden Tage ist die Sch lag - 
folge völlig normal, Frequenz 60, 4 Tage danach wird Patientin mit 
normaler Sohlagfolge entlassen. 

Fall 12. Za., 32jährig, 50,1kg. Mitralinsuffizienz und Stenose 
nach Gelenkrheumatismus. Massig stark vergrösserter linker Ventrikel. 
Ausweitung beider Vorhöfe, Aortenband schlank. Tele: L 18,0, T 16,7, 
Delirium cordis mit starker Zyanose, Dyspnoe, Anzeichen von Lungen¬ 
ödem. Es besteht Flimmern und Flattern. Frequenz bis 180. Digalen 
in kräftigen Dosen scheint den Zustand eher zu verschlechtern. Atropin 
(2 mg an zwei aufeinanderfolgenden Tagen) wirkungslos. Chinin (1 g 
an drei aufeinanderfolgenden Tagen) ohne Einfluss. Nach einer Pause 
von zwei Tagen bekommt Patientin während eines Tages 37» X 0,4 g 
Chinidin. Am folgenden Tag normale Schlagfolge keine Extra¬ 
systolen, Frequenz 70. Ohne weitere Therapie hält sioh dieser Zustand 
während 5 TageD, dann tritt wieder Flattern und Flimmern auf. Patientin 
bekommt wieder 2 X 0,4 g Chinidin mit deqj Erfolg, dass das Flimmern 
verschwindet, die Frequenz von 135 auf 70 heruntergeht, bei völlig 
normaler Schlagfolge, ohne Extrasystolen. Patientin bekommt noch ein¬ 
mal Chinidin (5 g in 5 Tagen), später Digitalis. Der Allgemeinzustand ist 
dauernd befriedigend. Es bestehen keinerlei Oppressionserscheinungen, 
das Flimmern ist während der Zeit von 8 Wochen nicht mehr aufgetreten. 

Durch Chinin wurde in 2 Fällen das Flimmern be¬ 
seitigt, in zahlreichen anderen Fällen war es ohne ersichtliche 
Wirkung. 

Durch Chinidin verschwand das Flimmern bei 6 von 
10 behandelten Fällen und machte wenigstens vorüber¬ 
gehend normaler Sinusschlagfolge Platz. 

Mit Rücksicht auf die Machtlosigkeit der bisher üblichen 
therapeutischen Maasanabmen und auch im Hinblick auf die 
zweifellos sehr nachteiligen Folgen, welche das Flimmern auf die 
Zirkulation ausübt, kann diesem Resultat eine gewisse Bedeutung 
nicht abgesprochen werden. 

Mit zwei nachteiligen Momenten hat man aber wenigstens bei 
der hier angegebenen Dosierung offenbar zu rechnen: einmal wird 
das Flimmern nicht in allen Fällen beseitigt, sondern es kommt 
zuweilen nur zu einer mehr oder weniger starken Herabsetzung 
der Vorhofsfrequenz; unter diesen Bedingungen erscheinen die 
einzelnen aurikulären oder atrioventrikulären Erregungen kräftiger, 
das Leitvermögen des Bündels nimmt zu, die Ventrikelfrequenz 
steigt an. Dieser Endeffekt ist zweifellos unerwünscht. Anderer¬ 
seits geht aus den wenigen Beobachtungen hervor, dass die günstige 
Wirkung des Chinidins, wenn sie auch einmal eingetreten ist, 
nicht sehr nachhaltig ist. Nur drei der Patienten behielten während 
einiger Wochen die normale Schlagfolge, die drei anderen zeigten 
immer wieder die Neigung, in die frühere Arhytbmia perpetua 
zu verfallen. Es wird sich durch eine Aenderung der Dosierung 
der Erfolg vielleicht noch etwas günstiger gestalten lassen. 

Von Nebenwirkungen kommt gelegentlich Durchfall vor, 
in einem Fall stellte sich Ohrensausen ein. Sonst zeigen sich 
auch bei tagelang fortgesetzter Chinidintherapie keinerlei unan¬ 
genehme Erscheinungen. Das Verschwinden des Flimmerns wird 
von allen Patienten als grosse Erleichterung empfunden, die 
Stauungserscheinungen gehen zurück. 

Bei einer Patientin kam es nach 2 X 0,4 g Chinidin zu 
eigenartiger zerebraler Lähmung mit vorübergehendem Atemstill¬ 
stand und nachfolgendem Erregungsstadium, welches während 
etwa einer halben Stunde andauerte. Es muss sich hier um eine 
spezielle Ueberempfindlichkeit gegen Chinin gehandelt haben; 
das Herzgefässsystem erschien in keiner Weise an dem Zustand 
beteiligt, es musste aber von der Therapie Abstand genommen werden. 


Das Chinin erhöht nach den Versuchen von Santesson die 
Dehnbarkeit des Froschherzens; der Muskel wird schlaffer, die 
diastolische Ausweitung stärker. Man kann das Flimmern als 
eine Art von Tetanus betrachten, auf eine extreme Verkürzung 
der refraktären Phase des Muskels zurückführen und die Chinin¬ 
wirkung auf eine Verlängerung derselben. 

Ausgedehntere Untersuchungen werden ein Urteil über die 
Zweckmässigkeit der Cbinidintberapie erlauben. 

Ergebnis. 

1. Im Gegensatz zu früheren Anschauungen scheint es sich 
beim Vorhofflattern und Flimmern um hochfrequente arbytbmische 
Erregungen iu handeln mit monotoper Reizbildung. Das Vor¬ 
hofflimmern beim Menschen dürfte in erster Linie auf Verän¬ 
derungen des Atrioventrikulartrichters beruhen. 

2. 52 von den untersuchten 100 Kranken mit absoluter 
Herzunregelraässigkeit stehen im V. und VI. Dezennium. Als 
grundlegende Ursache für die Entstehung des Vorhofflimmerns 
spielen im höheren Alter die Arteriosklerose (32 pCt.), bei 
jüngeran Individuen Endokarditiden (44 pCt.) und unter diesen 
wieder der akute Gelenkrheumatismus die erste Rolle. Als un¬ 
mittelbar auslösendes Moment kommen körperliche Anstrengungen, 
Infektionskrankheiten, Schwangerschaft, nervöse Einflüsse, 
Operationen besonders in Betracht. Eine Dilatation der Vorhöfe 
ist bei 72 pCt. der Fälle nachweisbar, wird aber bei 8 pCt. der 
Fälle vermisst, erscheint also nicht als wesentliche Vorbedingung 
für die Entstehung des Flimmerns. 

3. Die Arbeitsfähigkeit wird auch bei sog. gesunden Herzen 
(8 pCt. der Fälle) ausnahmslos durch das Flimmern wesentlich 
beeinträchtigt. Die Kranken neigen zu paroxysmaler Kammer¬ 
tachykardie. 

4. Vorhofflimmern konnte bei 8 von 12 Fällen durch Chinin¬ 
präparate wenigstens vorübergehend beseitigt werden. Dem 
Chinidin scheint eine besondere Bedeutung zuzukommen. 

Literatur. 

Cushny and Edmundt, Paroxysmal irregularity of the heart and 
auricular fibrillation. Americ. journ. med. soc. Philad. 1907, Bd. 133, 

S. 66. — Ewald, Ein Beitrag zur Lehre der Erregungsleitung zwischen 
Vorhof und Ventrikel des Frosohherzens. Pflüg. Arch., 1902, Bd. 91. — 
Erlanger und Blaokmann, A study of rel. rhythmioity and eon- 
ductivity in various regions of the auricles of the mammal heart. Americ. 
journ. pbysiol., 1907, Bd. 19, S. 125. — Fahrenkamp, üeber das 
Elektrokardiogramm der Arhytbmia perpetua. D. Arcb. f. klin. M., 1913, 
Bd. 112, S. 802. — Gaskell, Textbook, Schäfer 1900, Bd. 2. — Ger¬ 
hardt, Beitrag zur Lehre von der Arhytbmia perp. D. Arch. f. klin. M., 
1916, Bd. 118, S. 562. — Gossage and Hicks, On auricular fibril¬ 
lation. Quart, journ. of med., 1913, Bd. 6, S. 435. — Haberlandt, 
Zur Physiologie des Artrioventrikulartrichters. Zschr. f. Biol. 1913, 
Bd. 61, S. 1. Zur Physiologie des Artrioventrikulartrichters des Frcsch- 
berz6D9. II. Mitteil.: Ueber den Einfluss von Herznerven. Zschr. f. Biol., 
1914, Bd. 63, S. 305. Zur Physiologie der Artrioventrikularfasern des 
Kaltblüterherzens. Zschr. f. Biol., 1915, Bd. 65, S. 225. Zur Entstehung 
des Herzflimmerns. Zschr. f. Biol., 1915, Bd. 16, S. 327. — Hedinger, 
Ueber Herzbefunde bei Arhytbmia perpetua. Frankf. Zschr. f. Path., 
1910, Bd. 5, S. 296. — Hering, Ueber den normalen Ausgangspunkt 
der Herztätigkeit und seine Aenderung unter pathologischen Umständen. 
M.m.W., 1909, Bd. 17, S. 845. Ueber plötzlichen Tod durch Herz- 
karameTflimmern. M.m.W., 1912, Bd. 14, S. 75 0. Rhythmische Vorbofs- 
tachysystolie und Pulsus irregul. perp. M.m.W., 1914, Bd. 41, S. 2057. 

— A. Hoffmann, Die Elektrokardiographie usw. Bergmann 1914. — 
Lewis, Aur. fibrill. and its relationship to olinical irreg. of the heart. 
Heart, 1909/10, Bd. 1, S. 306. — Lohmann, Engelm. Aroh., 1904, 
S. 448. — Mackenzie, Lehrbuch der Herzkrankheiten. Springer, 1910. 

— Munk, Zur Mechanik der Herztätigkeit. Verh. physiol. Ges. Berlin 
1876. Engel m. Arch., 1878. — Rom eis, Beitr. zur Arhytbmia perp. 
D. Arch., 1914, Bd. 114, S. 580. — Rothberger und Winterberg, 
Vorhofflimmern und Arhytbmia perp. W.kl.W., 1909, Bd. 24, S. 51. 
Ueber Vorhofflimmern und Vorhofflattern. Pflüg. Arch., 1915, Bd. 160, 
S. 42. — Santesson, Ueber die Wirkung einiger Chinaalkaloide auf 
das irreguläre Froschherz und auf den Blutdruck des Kaninchens. Arch. 
f. exper. Path. u. Pharm., 1893, Bd. 32, S. 321. — Sohönberg, Ueber 
Veränderungen im Sinusgebiet des Herzens bei chronischer Arhythmie. 
Frankf. Zschr. f. Path., 1909, Bd. 2, S. 153. — W. Trendelen bürg, 
Untersuchungen über das Verhalten des Herzmuskels bei rhythmischer 
elektrischer Reizung. Engelm. Arch., 1908, S. 271. — Wenckebach, 
Die unregelmässige Herztätigkeit. Eogelm. Arch., 1914. — Winter¬ 
berg, Studien über Herzflimmern. II. Pflüg. Aroh., 1908, Bd. 122, 
S. 361. 


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UMIVERSITY OF IOWA 






13. Hai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


453 


Bücherbesprechungen. 

Gelpke und Schiatter: Unfallkande. Bern 1917, Verlag von A. Franoke. 

Preis 16 M. 

Die umfangreiche Gutachtertätigkeit erfordert sowohl für den Arzt 
als besonders für den Chirurgen als Obergutaohter vielseitige theoretische 
und praktische Kenntnisse in der Unfallkunde, die bisher nicht gelehrt, 
sondern aus dem Schatze der praktischen Erfahrungen geschöpft wurden, 
ln Deutschland standen uns einige Handbücher der Unfallerkrankungen 
von Bedeutung, wie Thiom, Stern und Becker, zur Verfügung, sicher 
ist das jetzt in der Schweiz erschienene Werk „Unfallkünde für Aerzte, 
sowie für Juristen und Versioherungsbeamte“ nicht überflüssig. In einem 
allgemeinen Teil findet das Wort „Unfall“ eine genaue Definition und 
Begründung im Gegensatz zu den Gewerbekraukheiten, die der Ent- 
sohädigungspflicht nicht unterliegen, er enthält wichtige Winke für den 
Arzt über die erste Untersuchung, für die Entlarvung der Simulation, 
für die Begutachtung mit Feststellung der Rente und Berücksichtigung 
des Anpassungsvermögens. Dann folgt eine genaue Besprechung der 
einzelnen Unfallarten und deren Bewertung. 

Die Aufstellung der Unfallgesetzgebung in Deutschland, in Oester¬ 
reich und in der Schweiz gestattet einen lehrreichen Vergleich dieser 
Einrichtungen. Im speziellen Toil findet jeder einzelne Körperteil hin¬ 
sichtlich der Art der Verletzung, der sachgemässen Behandlung und der 
richtigen Bewertung der zulässigen Unfallrente eine eingehende Be¬ 
sprechung. Das Buch, aus dem eine reiche Erfahrung über Unfalt¬ 
erkrankungen spricht, ist äusserst lehrreich und wird jeden Arzt in 
zweifelhaften Fällen ein guter Ratgeber sein. 


P. J. de Briine Ploos van Amstel: Ueber nearottach-veseiterialen 
Diodenaiverschiass. Würzburg, Abhandlungen aus dem Gesamt¬ 
gebiet der praktischen Medizin, Bd. 17, 7. und 8. Heft. 

Verf. gibt uns an der Hand eines Krankheitsfalles eine ausführ¬ 
liche Schilderung des wichtigen und interessanten Krankheitsbildes, das 
mehr unter dem Namen „akute, postoperative Magen di latation“ bekannt 
ist. Ueberraschend ist auch die grosse Literatur über diese Krankheit, 
die hier sorgfältig zusammengestellt ist. Viele Erklärungen des Ent¬ 
stehens dieser Krankheit findet man in der Literatur angegeben. Verf. 
sieht die Ursache in Störungen im vegetativen Nervensystem. Die Dia¬ 
gnose des akuten Magenduodenalverschlusses ist in der R a gel leicht, 
wenn man überhaupt nur an die Krankheit denkt. Der plötzliche Um-, 
schwung in dem Befinden des Kranken, der akute und stürmische, meist 
sehr bedrohlich aussehende Beginn der Krankheit, starkes dauerndes 
Erbrechen, das Erbrechen grosser Mengen bräunlich-gelblichen Magen¬ 
inhaltes, die Ausheberung noch weiterer grosser Mengen Flüssigkeit 
von gleicher Färbung, die Auftreibung des Leibes bei fast völligem 
Fehlen bzw. unerheblichen Vorhandensein von Druckempfindlichkeit, der 
Mangel an Stuhl und Flatus, der heftige Durst, die normale oder sub¬ 
normale Temperatur bei kleinem unregelmässigen Puls geben einen 
Symptomenkomplex, der nicht zu verkennen ist. Behandlungsmethode 
gibt es nur eine, d. i. die Schnitzler’sche Bauoh- oder Ellenbogen¬ 
lage. Diese Therapie, rechtzeitig angewendet, bat die Mortalität, die eher 
über als unter 85 pCt. lag, auf Null herabgedrückt. Karl-Berlin. 


Ernst Leeher: Lehrbuch der Physik für Medisiner, Biologen and 
Psychologen. 2. Auflage. Leipzig und Berlin 1917, B. G. Teubner. 
449 Seiten. Preis 8,80 M. 

Dieses Lehrbuch bat sich seit dem Erscheinen der 1. Auflage» 
1912, schnell verbreitet, und mit voller Berechtigung. Es ist eine für 
den Mediziner geradezu ideale Darstellung der Physik, reichhaltig, klar, 
durch passenden Gegensatz von Gross- und Kleindruck sehr übersicht¬ 
lich, mit treffenden Beispielen au9 Medizin und Physiologie reichlich 
ausgestattet, mit Berücksichtigung der allerneuesten medizinischen An¬ 
wendungen der Physik. Es dürfte kaum möglich sein, auf so kleinem 
Raum etwas Vollständigeres, Besseres und Klareres zu geben. Weiteste 
Verbreitung ist auch der 2. Auflage zu wünschen. L. Michaelis. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

J. S. Szymanski-Wien: Abhandlungen zum Aufbau der Lehre 
von den Handlangen der Tiere, mit 59 Textfiguren. (Pflüg. Arch., 
Bd. 170, H. 1—6.) Eine vielseitige, 245 Seiten umfassende experimen¬ 
telle Untersuchung, die trotz des heterogenen Inhaltes das klar erkannte 
und bestimmte Ziel verfolgt, zum Aufbau der vergleichenden „Lehre 
von der Handlung“ beizutragen. I. Angeborene Handlungen: Am 
Borstenwurm Tubifex wird das motorische Verhalten geprüft: Stereo- 
Geo-Photo-Chemotropismus treten weit zurück gegenüber den Reaktionen 
aaf mechanisch-taktile Reize, die das vitale Verhalten bestimmen. 
Bei der Blattwespenraupe (Arge ustulata) wird festgestellt, dass 
die Frequenz des Herzgefässschlauches nicht wie das Säugetierherz 
durch starke Reize beeinflusst wird. Die Resultate über die Abwebr- 
refiexe der Raupen sprechen für die Anschauungen, die in den „Pro¬ 
bierbewegungen“ die einfachste Grundlage des tierischen Handelns 


sehen. Die genaue Untersuchung der sogenannten „Putzreflexe“ bei 
den Insekten (Heuschrecken) diente zur biologischen Wertung der 
Sinnesorgane (Augen); sie wurden ira Erregungsstadium und in Narkose 
geprüft; im Mechanismus auf Familien-, Art-, sexuelle und individuelle 
Unterschiede analysiert und nach Amputation von Fühlern und Beinen 
zur Begriffsbestimmung des „Instinktes“ herangezogen. Am populär 
so wetterständigen Laubfrosch wird versucht, eine Abhängigkeit 
zwischen den Vorzeichen tropischer Bewegungen und barometri¬ 
schen Drucksohwankungen zu ergründen, jedoch mit negativem Erfolg. 
Die bei Tieren verbreitete zeitliche Regelmässigkeit des Auftretens mo¬ 
torischer Aktivität konnte bei Ringelnattern als unabhängig vom 
Ursprungsbedürfnis nacbgewiesen und bei Vögeln auf ihre Ursachen 
geprüft werden. Von grösster Bedeutung erscheinen Ref. die II. Ver¬ 
suche über die Entstehung „rezeptorisch-motorischer“ Ge¬ 
wohnheiten: mühevolle experimentell registrierende Prüfung der 
Frage dos Wiedererkennens bildlicher Reproduktionen von den Tieren 
(Hundeo) bekannten Gegenständen. Diese Versuche müssen ebenso wie 
die sich anschliessenden „Lernversuohe“ bei Fischen, Mäusen, Vögeln 
im Original nacbgelesen werden: ihr Schwerpunkt liegt beim Problem 
der „Entstehung neuer Gewohnheiten“, ob lediglich passiv oder 
„aktiv“ bediogt. Der Umstand, dass eine neue Gewohnheit nicht aus¬ 
schliesslich durch „Wiederholung“ entsteht, sondern zugleich durch ein 
spezifisch „vitales Interesse“ scheint dem Ref. doch darauf hinzuweisen, 
dass in der „Aktivität“ mehr steckt als wie einfacher Abstraktions¬ 
begriff, wie der Empirismus und Positivismus es will. Den Schluss der 
Arbeit bildeten III. Allgemeine Beobachtungen und deren Aus¬ 
legung als Ausdruck „innerer Zustände“: wir sind hier auf dem Ge¬ 
biet der empirischen Psychologie durch Bestimmung des UmfaDges der 
„rezeptorischen und Aktionssphäre“. Es ist nachweisbar nur 
der Vorrat an „Reserverezeptionen“ nicht der der Reserveaktionen“ 
selbst, der die „Erfahrung“ zeitigt. Neu erworbenes Verhalten besteht 
in der fortschreitenden Fähigkeit, immer grössere Rezeptionsmengen 
wirksam werden zu lassen. So entsteht das, was die niedrigen Tiere 
nur tun, wss der Mensch aber tun kann, als Vorbedingung des 
Denkens und Woliens. Die Arbeit bietet für denjenigen, der tiefer 
über das grosse Problem: Mechanismus oder Vitalismu9 (im meta¬ 
physischen Sinn) naebdenkt, eine Fundgrube wichtiger Tatsachen. 

Z. Tomaszewski-Lemberg: Ueber die chemischen Erreger der 
Magendriisen. Erster Teil: Der Einfluss vm Organextrakten anf die 
Sekretion des Magensaftes. (Pflüg. Arch., Bd. 170, H. 1—6.) Das 
wichtigste Ergebnis ist, dass die Eigenschaft, die Sekretion de9 Magen¬ 
saftes anzuregen, nicht für den Extrakt irgendeines Organes spezifisch 
ist, sondern dass die Extrakte aller vom Autor verwendeten Organe 
(Schleimhaut des Pylorus, Fundus, Magenmuskularis, Bauchspeichel¬ 
drüse, Dünn- und Dickdarm) dieselbe Wirkung haben. Es ist sehr 
wahrscheinlich, dass überhaupt alle Organextrakte die gleiche Eigen¬ 
schaft besitzen. 

L. Popielski-Lemberg: Ueber die sekretorische Innervation der 
Nebennieren. Kritische Bemerkungen über die Arbeiten von: Ascher, 
Elliot, Cannon und de la Paz, Anrep, Tscheboksareff, Kahn 
und Eiger. (Pflüg. Arch., Bd. 170, H. 1 — 6.) Im wesentlichen aus¬ 
führliche Verteidigung seines Standpunktes, dass die neueren Resultate 
der obengenannten Autoren eher durch die Reaktionsmöglichkeit der 
Nebennieren auf geringsten mechanischen Druck als durch eine Aus¬ 
lösung spezifischer Innervationsvorgänge gedeutet werden müssen. 

J. V 6 szi-Budapest: Die physikalisch-chemische Theorie der Nar¬ 
kose. (Pflüg. Arch., Bd. 170, H. 1—6.) Für die Narkose steht einer¬ 
seits die Meyer-0 verton’scbe Regel fest, dass je grösser die Fett¬ 
löslichkeit eines Narkotikums im Verhältnis zu seiner Wasserlöslichkeit, 
um so stärker seine Wirkung ist, andererseits dass nach Verworn die 
lähmende Wirkung dadurch zustande kommt, dass die Oxydations- 
Vorgänge in den Zellen verlangsamt und siatiert werden. Es fragt sich 
nuD, ob die Narkose nicht nur die Oxydation, sondern auch eine Reihe 
anderer Vorgänge in den Zellen lähmt. Zu letzterem Schluss kommt 
V. durch den Nachweis der Narkotisierungsmögliobkeit bei Ana¬ 
eroben. Im Verfolg dieser Tatsache legt V. die Beziehungen zur 
Meyer-Over ton’sehen Regel dabin fest, dass die Narkose in einer 
reversiblen Herabsetzung der Oberflächenspannung, an welcher die Re¬ 
aktionen verlaufen, besteht. So wird es möglich, mit Hilfe von physi¬ 
kalisch-chemischen Grössen auch die allgemeinen quantitativen Bezie¬ 
hungen herzustellen. _ Hasebroek. 


Therapie. 

H. Freyvogel-München: Rhodakid ein Mittel zur Behandlung 
und Prophylaxe von Stoniatitiden. (Derm. Zbl., März 1918.) Rbodahid, 
dreimal täglich eine Tablette, erhöht den Rhodangebalt des Speichels 
und beseitigt die Stomatitiden und verhindert ihr Auftreten besonders 
bei Syphilitikern. Immerwahr. 

B. Ghajes-Berlin Schöneberg: Die Therapie der Bartflechte. (Ther. 
d. Gegenw., April 1918) Bei der oberflächlichen Trichophytie des 
Bartes: Mehrmals tägliche WaschuDg mit lproz. Sublimatlösung oder 
Va—lpro*. Kal. permang.-Lösung oder 2proz. wässriger Resorzinlösung. 
Nach einigen Tagen Waschungen mit Resorzin Acid. salycl. 2,0 Spirit, 
dil. ad 100,0. Keine Pinselung mit Jodtinktur wegen Gefahr der Reizung, 
höchstens Pinselung mit verdünnter Jodtinktur, also Tinct. jod. 5,0, 
Spirit. 15,0. Bei Anwendung der Salben, Beginn mit 8—öproi. Schwefel- 


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UNIVERSUM OF IOWA 





464 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


salbe evtl. unter Zusatz von ebensoviel Acid. salicyl. Empfehlenswert 
sind auch Schüttelmixturen: z. B. Sulf. praecip. 5,0, Zinc. oxyd. 20,0, 
Perkaglycerin 10,0, Aq. dest. ad. 100,0; statt Sulf. praecip. evtl, auch 
Acid salicyl. 5,0 und Resorzin 3,0. Bei tiefer Trichophytie ist vor allen 
Dingen feuchte Wärme indiziert. Heisse Umschläge mit Kamillentee, 
2proz. Resorzinlösung, Kal. permang.-Lösung von schwachrosa Farbe, 
dreimal täglich je eine halbe Stunde; zwischen den Umschlägen feuchte 
Verbände mit 2proz. Resorzinlösung. Nach Aufhören der Eiterabsonderung 
Uebergang zur Salbenbehandlung: 5—lOproz. Sulf. praecip.-Vaseline, 
weisse Präzipifatsalbe. Die Behandlung der Kopftrichophytie sowie der 
unbehaarten Körpe?haut geschieht in der gleichen Weise wie bei der 
oberflächlichen Bartflechte. Von der Röntgenbehandlung bat Verf. bei 
den oberflächlichen Trichophytien keine schnellere Heilung gesehen. 
Bei tieferen Trichophytien hat sich Bestrahlung mit härteren Röhren 
(7—10 Wehnelt) und Aluminiumfilterung 2y 2 —3 mm gut bewährt. 

F.'M. Meyer-Berlin: Wie sollen die Bartflechten behandelt werden? 
(Ther. d. Gegenw., April 1918.) Verf. wendet ausnahmslos die Terpentin- 
ölbehandlung nach Klingmüller an. Günstige Erfolge zur schnelleren 
Herbeiführung des Heilerfolges erzielten die Röntgenstrahlen, die in Form 
einer filtrierten harten Strahlung appliziert werden. 

W. Karo-Berlin: Ueber die Beeinflussung infektiöser Erkrankungen 
der Harnorgane dnrch Eaknpin-Terpentininjebtionen bei interner 
Verabfolgung von Bnccosperin. (Ther. d. Gegenw., April 1918 ) Mit 
dieser Methode Hess sich die Gonorrhoe des Mannes wesentlich abkürzen 
und das Auftreten von Komplikationen verhüten. Bei bestehenden 
Komplikationen der Gonorrhoe (Epididymitis, Kooperitis) wurde eine 
völlige Rückbildung in kürzester Zeit geschaffen. Auch bei nicht 
gonorrhoischen Erkrankungen der Harnwege lässt sich eine günstige 
Wirkung erzielen. Verf. Hess Vs—I proz.Eukupinöl mit 20 proz. Terpentinöl 
vermengen und injizierte hiervon 1 ccm intraglutäal. Keine Neben¬ 
wirkungen. 5—8 Injektionen. R. F^ghian. 

W. Sch rader-Hamburg: Zur Behandlung der Blagenschwäche 
und der Enuresis noetnrna. (Derm. W., 1918. Bd. 66, Nr. 15.) Die 
Behandlung besteht in geeigneter Massage des Blasenhalses und seiner 
Sphinkteren. 

S. Samson-Hamburg: Ueber die Blasenschw&che der Frauen. 
(Derm. W., 1918, Bd. 66, Nr. 14.) S. bespricht alle Ursachen der 
Blasenschwäche der Frauen ausführlich, empfiehlt dagegen Reinigung 
der Geschlechtsteile nach dem UriDlassen, das Tragen geschlossener 
weisser Beinkleider, Vermeidung von Ueberdehnung der Blase, und be¬ 
sonders dafür zu sorgen, dass die Füsse warm sind, ferner Eisen¬ 
behandlung und Moor- und Stahlbäder. Immerwahr. 

Strauch und Bingel-Braunschweig: ’ Zur Behandlung der Tuber¬ 
kulose mit dem Friedmann’schen Mittel. (D.m.W., 1918, Nr. 13.) Die 
Verff. stehen den Erfahrungen mit dem Friedmann’schen Mittel sehr 
skeptisch gegenüber. Dünner. 

F. MendeI-Essen a. d. Ruhr: Bulbus Scillae, ein zu Unrecht ver¬ 
nachlässigtes Herzmittel. (Schluss.) (Ther. d. Gegenw., April 1918.) 
Scilla ist, in therapeutischen Dosen dreimal 0,3, frei von schädlichen 
Nebenwirkungen und eignet sich, da keine Gewöhnung und keine Cumu- 
lation eintritt, auch zur intermittierenden und fortgesetzten Behandlung. 
Scilla ist ein vorzügliches Heilmittel in solchen Fällen, in denen die 
Herzinsuffizienz bei ausreichender Systole in einer unzureichenden 
diastolischen Erweiterungsfähigkeit begründet ist. R. Fabian. 

Mue 11er-Bad Godesberg: Triva!internus. (D.m.W., 1918, Nr. 14.) 
Trivaiin besteht aus Morphium, Kokain und Baldrian. Es ist keineswegs 
so harmlos, wie es namentlich von der das Trivalin herstellenden Firma 
behauptet wird. M. hat mehrere Fälle von schwerem Trivalinismus ge¬ 
sehen und warnt dringend vor dem Präparat. Dünner. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Ribbert Bonn: Ueber die Einteilung der Lungentuberkulose. 
(D.m.W., 1918, Nr. 13.) R. knüpft an die Neueinteilung der Tuberkulose 
nach Nicol und Aschoff an. Seiner Meinung nach gibt es „azinöse 
Phthise“, wie 9ie Nicol bezeichnet hat, nicht. Es handelt sich vielmehr 
um Prozesse in den Bronchiolen und in deren Umgebung mit Einschluss 
der nächstangrenzenden Teile des zugehörigen azinösen Gebietes. Auch 
die als interstitiell bezeichneten wie die sogenannten broncbopneumonischen 
exsudativen Prozesse nehmen ihren Ursprung von den Bronchiolen. R. 
ist für die Einteilung in zirrhotische vernarbende, zweitens in granu¬ 
lierend-exsudative, drittens in die exsudativen Formen. Diese Einteilung 
ist klinisch ebenfalls besser anwendbar. 

Bacmeister-St. Blasien: Die Nomenklatur und Einteilung der 
Lungentuberkulose vom Standpunkte des Praktikers. (D.m.W., 1918, 
Nr. 13.) Einteilung der Tuberkulose mehr nach klinischen Gesichts¬ 
punkten, und zwar: 1. die progrediente, 2. die stationäre, 3. die zur 
Latenz neigende, 4. die latente Tuberkulose. Die Aschoff-Nicol’sche 
Einteilung hält B. für zu kompliziert. Vielleicht wäre es zweckmässig, 
wie de la Camp vorgesohlagen hat, die Aschoff-Nicol’sche und Albrecht- 
Fränkel’sche zu vereinigen. Es wären am besten erstens indurierende, 
zweitens disseminierte und drittens diffus konfluiereude Prozesse zu 
unterscheiden. Für den Ausdruck konfluierende sohlägt B. für die 
Praxis „pneumonische“ vor, die dann wieder in bronoho-pneumonische 
und lobär-pneumonische zu trennen sind. Ueber die Lokalisation der 


Tuberkulose eignet sich am besten die Bezeichnung: Spitze, Hilus, Ober¬ 
lappen, Mittellappen und Unterlappen. Dünner. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Ph. WUenberg: Ueber spezifische Adsorptioi toi Bakteriei. 
(Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 1 u. 2.) Es wurden 50 anorganische und 
wasserunlösliche Substanzen als befähigt zur Adsorption der Bakterien 
gefunden. Die dabei beobachteten Differenzen scheinen nur von der 
Obeiflächenentfaltung der betreffenden Substanzen nicht aber von ihrer 
chemischen Natur bedingt zn sein. Von allen Adsorbentien werden die 
grampositiven Bakterien viel stärker adsorbiert als die gramnegativeo, 
indem sie 2 bis 80 mal kleinere Dosen der Adsorbentien erfordern. 
Auch innerhalb der grampositiven und gramnegativen gibt es Unter¬ 
schiede, an der Spitze wurde Sarc. lutea, am Ende Cholera und Typhus 
gefunden. • In Gemischen reichern sich durch die Adsorption die negativen 
an. Die stärkere Adsorbabilität der grampositiven wird durch ihren 
Lipoidgehalt erklärt, der ein Haften der Adsorbentien an der Grenz¬ 
fläche gestattet. 

B. Lipschütz-Wien: Untersuchungen über die Aetiologie der 
Paravakiine. (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 1 u. 2.) Paravakzine(v. Pirquet) 
ist eine Affektion die, sich manchmal nach Impfung mit Kubpookenlymphe 
einstellt und in einer kirschroten Papel besteht. Die Infektion gebt 
nur beim Menschen an, nicht beim Kalb, was ihr Studium sehr erscbweit. 
Verf. berichtet über die Bilder, die er in Präparaten von solchen Para¬ 
vakzinepusteln gesehen hat. Er berichtet von Körperchen, die er als 
Strongyloplasmen und für die Erreger der Paravakzine anspricht. 

Schmitz. 


Innere Medizin. 

E. Meyer-Strassburg i. E.: Einheitliche Untersuchung nnd Be¬ 
zeichnung der Herzgrösse. (Ein Vorschlag für militärärztlicbe Gut¬ 
achten.) (D. militärärztl. Zschr., 1918, H. 5 u. 6.) In jedem Fall ist an¬ 
zugeben: 1. Stand des Zwerchfelles (rechts vorne); normal unterer Rand 
der 6. Rippe. 2. Lage des Spitzenstosses bei aufrechter Haltung oder 
in Rückenlage (normal im 5. Zwischenrippenraum links innerhalb der 
Brustwarzenlinie). 3. Absolute (oberflächliche) und auch relative (tiefe) 
Herzdämpfung und durch drei Angaben zu bezeichnen, a) Die absolute 
Herzdämpfung sagt nichts aus über Herzgrösse (normal bis zum unteren 
Rand der 4. Rippe nach oben, nach rechts bis zum linken Sternalrand, 
nach links erreicht sie nicht ganz die linke Mammillarlinie; die Beziehung 
der linken Grenze zum Spitzenstoss ist anzugeben; z. B. bis zum Spitzen- 
stoss, 1 Finger innerhalb des Spitzenstosses usw.). b) Die relative Herz- 
dämpfung reicht normalerweise nach oben bis zum unteren Rand der 
8. R ppe, nach rechts darf sie einen FiDger den rechten Sternalrand über¬ 
ragen, nach links geht sie bis nahe an die Brustwarzenlinie heran, meist 
bis zum Spitzenstoss (ihre Beziehung zum Spitzenstoss genau angeben!). 
Herausreichen der relativen Herzdämpfung bis zum rechten Sternalrand 
bedeutet nicht Herzvergrößerung. Von der Röntgendurchleuchtung resp. 
Röntgenaufnahme oder Orthodiagraphie ausgiebigen Gebrauch machen! 
Den Gutachten Pausen der Röntgenherzaufnahmen beifügen! Die ge¬ 
fundenen Herzmaasse zahlenmässig angeben unter Berücksichtigung von 
Körpergrösse und Körpergewicht! Die normalen Grenzwerte für Grösse 
und Gewicht in Klammern beifügen! Körperlage und Atmungszustand, 
in der Aufnahme und Orthodiagramm gemacht wurden! Schnütgen. 

R. Eisenmenger-Hermannstadt-Nagyszeben: Der hydrostatische 
Druck als therapeutische Komponente des Bades. (Ther. d. Gegenw., 
April 1918.) Der variable hydrostatische Druck, „das Wasserdruckbad 8 
als therapeutischer Faktor eines Bades ist indiziert bei Stauungen oder 
Verlangsamung des Blut- oder Lymphstromes, bei Erkrankungen des 
Zirkulations- und Respirationsapparates, bei Erkrankungen der Bauch¬ 
organe, wo durch eine bessere Biutversorgung eine Verbesserung und 
Erhöhung der Funktion der betreffenden Organe erzielt werden kann. 

P. F. Richter-Berlin: Kriegskost und Diabetiker. (Tber. d. 
Gegenw., April 1918.) Bei den leichten Fällen des Diabetes übte die 
Kriegskost, die Einschränkung des Fleisch- und Fettgenusses, eine günstige 
Beeinflussung aus. Eine Ausnahme betrifft die Kombination mit Gicht 
Hier trat eher eine Verschlimmerung ein, auch Zahl und Schwere der 
gichtischen Anfälle wurden nicht im geringsten beeinflusst. W T as die 
mittelsohweren und schweren Diabetiker betrifft, so trat in wenigen 
Fällen Stillstand, in der Mehrzahl Verschlimmerung sowohl des Allgemein- 
zustandes als auch der Stoffwechsellage ein. Die Toleranz wurde geringer, 
Zunahme der Abmagerung und Schwäche sowie der Azetonurie. Eine 
bestehende Lungentuberkulose schritt rasch vorwärts. Nach Ansicht des 
Verf. ist es falsch, für die Diabetiker im allgemeinen eine Unterernährung 
zu empfehlen, letztere soll nur für einzelne Perioden der Krankheit 
reserviert bleiben (Hunger- und Gemüsetage). R. Fabian. 

Wiese-Landeshut i. Schles.: Eine Gruppe ungeklärter Fieber. 
(D.m.W., 1918, Nr. 14 ) W. hat einige Fälle beobachtet, die ähnlich 
verliefen wie die von Schittenhelm und Schlecht berichteten. 
(D.m.W., 1917, Nr. 41.) Die BlutuntersuchuDgen haben kein einwand¬ 
freies Resultat ergeben. Dünner. 

Grundmann: Ueber chemotherapentteehe Versnobe und über die 
diagnostische Bedeutungder provokatorischen Typhnsimpfitoffinjektionei 
hei Malaria tertiana. (Aroh. f. Schiffs u. Trop. Hyp., 1918, Bd. 22, 
H. 4 u. 5, S. 55—76.) Die sich um die vorliegende Literatur wenig 


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UNIVERSUM OF IOWA 




13. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


455 


kümmernden Darlegungen gipfeln in einer Empfehlung subkutaner Typhus¬ 
impfstoffinjektionen (l ccm bis zu fünfmal) zur Aktivierung latenter 
Infektion, ferner der stomachalen Chinintherapie in folgender Form: 
5 Stunden vor Beginn des zu erwartenden Anfalles einsetzend sechsmal 
mit stündlicher Pause 0,3 Chinin, hydroohlor. nüchtern in salzsaurer 
Lösung, am nächsten Tage 0,3 sechsmal zweistündlich morgens 7 ühr 
beginnend. Am 3.-6., 11.—13, 22.—24., 38.-85., 44.—46. und 
55.-57, Tage ebenso sechsmal täglich 0,2 Chinin. An den chininfreien 
Tagen evtl, dreimal 5 Tropfen Sol. Fowleri. Kräftige Ernährung, Liege¬ 
kur. Bei Status typhosus, Magendarmstörungen oder ohininresistenten 
Parasiten am ersten Tage bei Anfall beginn 0,6 Salvarsan intravenös, 
am dritten Tage 0,3—0,6, vom vierten Tage ab Chininnachkur wie oben. 
Zur Prüfung auf Dauerheilung unter Temperatur- und Blutkontrolle 
dreimal täglich 1 ccm Typhusimpfstoff subkutan bis zu fünfmal. Wenn 
danach Rückfall, erneute Behandlung nach obigem Plan. 

Böhm: HämatologUehe Stadien hei Malaria. (Arch. f. Schiffs- 
u. Trop. Hyg., 11)18, Bd. 22, H. 4u. 5, S.49—55.) Grösste Parasiten¬ 
zahl im Blute fällt mit Fieberhöhe zusammen (20000—130000 im ccm). 
Vermehrung betrifft dabei Sohizonten, Gametenzahl nicht wesentlich ver¬ 
mehrt. Mit Häufigkeit der Fieberanfälle geht Parasitenzahl zurück, in 
2—3 Tagen nach Fieberabfall auf den Nullpunkt. Oft allerdings auch 
bei fieberlosen Patienten, aber nie über 14000 im ccm. Schwere des 
Anfalles nicht immer Parasitenzahl entsprechend, Fieberanfälle ohne 
Parasiten im kreisenden Blute fanden sich bestätigt. Chinin und Salvarsan 
vermochten vielfach auch in hoheo, langfortgesetzten Gaben Parasiten 
(namentlich Gameten) nicht aus dem Blute zu vertreiben. Erythro¬ 
zyten in schweren, rückfälligen Erkrankungen stets vermindert, aber, 
nicht unter 3000000. Scbüffnertüpfelung bei Tertiana, Perniziosapackung 
bei Tropika, Polychromasie fanden sich bestätigt. Hämoglobin gebalt 
mehr oder weniger herabgesetzt. Leukozyten vermindert bis auf 2000. 
Im Fieber bei gutem Allgemeinzustand geringe kurzdauernde Ver¬ 
mehrung. Bei schwer Kachektischen sind die grossen monouukleären 
auf Kosten der polymorphkernigen Zellen und auch der Lymphozyten 
relativ vermehrt. Bei Besserung verschiebt sich das Verhältnis wieder 
in der Richtung der Norm. Wassermann war auch bei schweren 
Tropikafällen stets negativ. Weber. 

Chirurgie» 

Wieting: Wundliegen, Drneknekrose and Entlastung, (M.m.W., 
1918, Nr. 12.) Bei anhaltendem Druck wird die Muskulatur primär 
stärker geschädigt als die Hautdecke. Die Muskulatur verfällt durch 
Anämie leichter einer Nekrose. Das Wundliegen ist also eine Druck¬ 
nekrose, die nicht von aussen nach innen schreitet, sondern in der 
Tiefe entsteht und sich nach aussen fortpflanzt. Die Drueknekrosen der 
Muskulatur geben Bedingungen für die Ansiedelung der Bakterien, 
besonders der Gasbazillen. Technische Vorschriften für Krankenlagerung 
sind Verbände. Geppert. 

Küttner-Breslau: Ueber schmerzlosen intermittierenden Tumor 
aalivails der Ohrspeicheldrüse ohne nachweisbares Hindernis. (D.m.W., 
1918, Nr. 12.) In der R-?gel tritt Tumor salivalis der Ohrspeicheldrüse 
infolge eines mechanischen Hindernisses im Ausfübrungsgang der Drüse 
auf. K. sah zwei Fälle von diesem intermittierenden Tumor, ohne dass 
ein mechanisches Hindernis nacbgewiesen werden konnte, auch bestanden 
keine entzündlichen Erscheinungen. Die Anfälle waren schmerzlos und 
verursachten nur ein gewisses SpannuDgsgefühl. 

Dobbertin*. UaiversalflDgerverband, Ttndolysis, Operation des 
Wasserbrachs, das Chlorverfahren bei geschlossen«« Eiterungen nnd 
Erysipel. (D.m.W., 1918, Nr. 12.) Bei Verwachsungen zwischen Finger- 
Behnen und Sehnenscheiden sollen die Finger in halber Volarflexion 
verbunden werden, so dass das Greifen usw. am besten ausführbar ist; 
bei leioht dorsal flektiertem Handgelenk werden die verletzten Finger 
unter Extension über eine Rolle von Zellstoff gezogen und in dieser 
Haltung mit Bindetouren, die vom Handrücken zur Handfläche laufen, 
fixiert. 

Powifton-Schopfheim i.W.: Ueber bedrohlieh-embolischoZastände 
nach ausgedehnten Kaoehenschnssfraktarea. (D.m.W., 1918, Nr. 12.) 
Die Kranken klagen plötzlich über starke Dyspnoe und Rückenschmerzen. 
Therapie: Hochlagerung des Oberkörpers, Morphium und absolute Ruhe. 
Obwohl das Herz oft schlecht war, wurde von Herz- und Gefässanregungs- 
mitteln abgesehen. Dünner. 

Wilms: Zur Technik der Kropfoperationoa an der Hand von 
2100 Operationen. (M.m.W., 1918, Nr. 12.) Die Schwierigkeit beruht 
auf der Schonung der Epithelkörperchen und des Rekurrens. Bei gelass- 
reichen Ktöpfen kann man ohne Gefahr für eine ungenügende Funktion 
des Schilddrüsenrestes alle 4 Gefässe unterbinden (obere und untere 
Arterien). Diese Unterbindung bürgt keine Gefahr für das Auftreten 
einer Tetanie an sieb, wenn man die unteren Arterien weit ab vom 
Drüsenstiel unterbindet. Geppert. 

Eunicke-Elberfeld: Erfahrungen überHeraiea im Kriege. (D.m.W., 
1918, Nr. 12.) E. reponiert sogar Fälle, die an der Grenze der Frage, 
ob der Darm reponierbar sei oder nicht, standen. Bei Erbrechen stets 
Magenspülungen, selbst bei Peritonitis. Anregung des Darmes durch 
Peristaltin. Heisse Breiumschläge, die nach E. besser wirken, als 
feuchte Umschläge, Alkohol, Thermophore usw. 

Oasper -Berlin: Indikationen und Nutzen des Verweilkatheters. 
(D.m.W., 1918, Nr. 12.) Die Vorteile der Dauerkatheter-Tberapie sind 


grösser als die Nachteile, von denen besonders die Infektion der Blase 
zu fürchten ist. Indessen ist bei den meisten Fällen, bei denen der 
Verweilkatheter in Betracht kommt, bereits Zystitis vorhanden. Bei 
klarem Urin und intakter Blase i6t der Verweilkatheter kontraindiziert 
und soll nur dann angewendet werden, wenn besondere Umstände, wie 
schwere Hämaturie mit Verstopfung des Blasdnausganges oder Harn¬ 
verhaltung, vorliegen. Dünner. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

F. Lewandowsky-Basel: Ueber Ekzemprobleme. (Korr. Bl. f, 
Schweiz. Aerzte, 1918, Nr. 12.) Das Wesen des Ekzems besteht nach 
Ansicht des Verf.’s in einer angeborenen oder erworbenen Ueberemp- 
findliohkeit des Epithels gegen Reize der verschiedensten Art, die von 
aussen oder von innen her auf die Haut einwirken können. R. Fabian. 

C. Bruhns Charlottenburg: Zur gegenwärtigen Bartfleehtenepidemie. 
(Derm. W., 1918, Bd. 66, Nr. 15) B. hat 37 mal das Trichophyton 
cerebriforme, 24 mal das Trichophyton gipseum und 12 mal das 
Epidermophyton iüguinale gefunden. Was die Prophylaxe der Tricho¬ 
phytien anlangt, empfiehlt er strengste Hygiene in den Barbierstuben, 
die Einriohiung besonderer Barbierstühle lür die Erkrankten. Thera¬ 
peutisch Jodtinktur, Schwefelsalben, Lenigallolschüttelmixtur, haupt¬ 
sächlich aber Epilation mit der Pinzette oder durch Röntgenstrahlen 
und Behandlung mit Wärme, womöglich mit Termophoren. 

W. Fisch er-Berlin: Sycosis parasitaria durch ein aeaes Mikro- 
sporon vom Tiertyp. (Derm. W., 1918, Bd. 66, Nr. 16.) Es handelte 
sich um eine unter dem klinischen Bilde der Sykosis auftretende myko¬ 
tische Affektion im Bereiche des Bartes, die wirklich durch Infektion 
vom Pferde bedingt war. Aus den infizierten Haaren wuchs eine sehr 
üppig 0 * sandgelbe stumpfflächenhafte Kultur mit radiär angeordneter 
Strahlenbildung. Die Fruktifikationsvorgänge, besonders die Entwicklung 
massenhafter, endstandiger Spindelsporen weisen den Pilz in die Gruppe 
der tierischen Mikrosporen. Da derselbe nicht beschrieben ist, nennt 
ihn F. Mikrosporon xanthodes. 

L. Lichtwitz-Altona: Ueber die Bildung der Harn- and Gallen¬ 
steine. (Derm. W., 1918, Bd. 66, Nr. 14.) Die Steinbildung ist ein 
Teil der Abscheidung fester Substanzen aus Lösungen. Eine Gruppe 
von Stoffen, die Biokolloide, sind dadurch ausgezeichnet, dass sie ge¬ 
rinnen können und dann feste, zusammenhängende Häutchen bilden, 
welche allmählich verhärten und so den Stein bilden. Der Verkrustung 
des Steins, vom Zystenstein abgesehen, liegt keine Stoffwechselanomalie 
zugrunde. Auch die Gerüstsubstanz ist nicht spezifisch. Die zum 
Steingerüst führende Koiloidfüllung ist ein irreversibler Prozess, d. h. 
das Gerüst ist unlöslich. Auch die Löslichkeit der inkrustierenden 
Stoffe ist praktisch gleich Null. Eine Steinlösung ist daher völlig 
unmöglich. _ Immer wahr. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

A. Hamm-Strassburg i. Eis.: Welche Aussichten bietet die prophy¬ 
laktische Antiseptik der Scheide Schwangerer zur Bekämpfung der 
endogenen Puerperalinfektion? (Arch. f. Gynäk., Bd. 108, H. 1.) Aus¬ 
gezeichnete Uebersicht über die bisher erhärteten Tatsachen über die 
Bakteriologie der Scheide. Bisher ist es nicht gelungen, durch irgend¬ 
welche therapeutische Maassnahmen eine Scheide sicher frei von „schäd¬ 
lichen Keimen“ zu machen. Die bisherigen Verfahren (Spülungen) waren 
höchstens geeignet, die natürliche Selbstreinigungskraft der Scheide 
ungünstig zu beeinflussen. Auch mit der neuerdings empfohlenen 0,5 proz. 
Milohsäurespülung lässt sich eine Freiheit der Scheide von schädlichen 
Keimen nicht erreichen; auch wo es gelungen ist, sie zu vermindern, 
kehren sie meist nach Aussetzen mit der Spülung wieder. Die 0,5 proz. 
Milohsäurelösung ist aber als physiologischsteSpülflüssigkeit für Schwangere 
zu betrachten. Eine praktisch wirksame Reinigung der Soheide ist dem¬ 
nach bisher nicht zu erzielen; eine bakteriologische Indikation zur 
prophylaktischen Spülung Sohwangerer ist abzulehnen. 

A. Löser-Rostock: Die lateste Infektion der Gehartswege. 
(Arch. f. Gynäk., Bd. 108, H. 1.) Die grössere Rolle bei der Geburts¬ 
infektion wird immer die exogene Infektion spielen. Auch die Gefahren 
der endogenen Infektion sind nicht zu unterschätzen. Es können zweifel¬ 
los in der Scheide vorhandene Bakterien virulent werden, wobei grössere 
Geburtstraumen die besten Vorbedingungen geben. Die prophylaktische 
Darreichung von Streptekokkenvakzin erscheint berechtigt sowohl gegen 
Eigenkeime, wie gegen exogene Infektion. 

E. Scipiades-Budapest: Ueber die innere 8ekretioa des Eier- 
stoeks. (Arch. f. Gynäk., Bd, 108, H. 1.) Ueberblick über die ganze 
Entwicklung der Frage der inneren Sekretion des Eierstocks und Angabe 
der bisher wissenschaftlich festgestellten Befunde und Aenderung in den 
Ansichten über die Bedeutung der einzelnen Ovarialteile. Besonders 
die Bedeutung des Korpus luteum und der sog. interstitiellen Drüse 
wird besprochen und zum Teil durch eigene mikroskopische Untersuchung 
an Ovarien des Menschen und von Tieren der Klärung näher zu bringen 
gesucht. Die praktische Erprobung in der Behandlung verschiedener 
Störungen der Menstruation durch Injektion mit verschiedenen Präparaten 
von Corpus luteum und Eierstock geben keine Bicher eindeutigen 
Resultate. 

W. Freiherr von Wiesener-Wien: Zur Frage des Dosiaeter- 
vergleiehs. (Arch. f. Gynäk., Bd. 108, H. 1.) Im Original naohzulesen. 


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Original fro-m 

MYFRSJTY OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


L. Ramsauer-Göttingen: Ein Beitrag sur Frage der Radium- und 
Nesothoriun-Therapie bei Karzinom des weibliehen Genitale. (Mschr. 
f. Geburtsb., Bd. 47, H. 2 u. 3.) Es werden die verschiedenen heute 
herrschenden Iodikationssteilungen besprachen. Ein kritischer Stand¬ 
punkt wird nicht eingenommen, sondern nur referiert. Die eigenen Er¬ 
fahrungen an dem Material der Göttinger Klinik werden im einseinen 
angeführt; sie sind nicht sehr ermutigend, doch ist das Material tu 
klein, um bindende Schlüsse daraus sieben zu können. F. Jacob i. 

Pankow-Düsseldorf: Die ßedentnag der psychogenen Kriegs¬ 
komponente bei der Bewertung gynäkologischer Leiden. (D.m.W., 
1918, Nr. 13 u. 14.) Mit Zunahme der nervösen Beschwerden während 
des Krieges bei den Frauen haben auch die Symptome, die anscheinend 
für eine Erkrankung des Genitalapparates sprechen, zugenommen. Es 
wäre falsch, in diesen Fällen selbst bei geringfügigem Befunde, der an 
und für sich keine Operation indiziert, zu operieren, wie P. in einer 
Reihe von Fällen zeigt. Es handelt sioh vielfach um Frauen, deren 
Mann im Felde ist. Wenn Beurlaubung des Mannes oder Dienstentlassung 
erfolgt ist, verschwinden auch die Klagen der Patientinnen, andererseits 
werden die Beschwerden durch Operation nicht besser. Dünner. 


Augenheilkunde. 

A. Tendlau-Hannover: Ein Fall von Proboscis lateralis. (Graefe’s 
Arch., 1918, Bd. 95, H. 2.) Der 2,5 cm lange, 4,5 cm dicke Rüssel sass 
über der lateralen Hälfte des rechten Oberlides. Die rechte Nasenhöhle 
fehlt. Im Oberlid, in Iris und Aderhaut Kolobom. Ginsberg. 

Hotte: Ueber Dakryzystorbinostomie mit Modifikationen und Total¬ 
exstirpation mit Rhinostomie. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, März.) 
Genaue Beschreibung der Operationen, die im Original nacbgelesen werden 
muss: Verf. empfiehlt die Dakryozystorhinostomie nach Poti mit den 
von v. Blaskovics angegebenen Modifikationen. F. Mendel. 

J. v. d. Hoeve-Groningen und A. de Kleyn-Utrecht: ßlane Sklera, 
Knochenbrüchigkeit nnd Schwerhörigkeit. (Graefe’s Arch., 1918, 
Bd. 95, H. 1.) Die Untersuchung zweier Familien, deren Glieder meistens 
mit der bekannten Kombination von blauer Sklera und Knochenbrüchig¬ 
keit behaftet waren, ergab als drittes zugehöriges Symptom Schwerhörig¬ 
keit, die meist auf Otosklerose, in schweren Fällen auch auf Labyrinth¬ 
erkrankung beruht. 

H. W. Stenvers-Utrecht: Röntgenologische Bemerkungen zur 
vorstehenden Arbeit von J. v. d. Hoeve und A. de Kleyn. (Graefe’s 
Arch., 1918, Bd. 95, H. 1.) Die Knochen zeigen im Röntgenbilde schwer 
zu deutende Veränderungen, die zum Teil durch die voraufgegangenen 
Frakturen bedingt sind. Bei einem Fall klinischer Taubheit erschien 
die ganze labyrinthäre Gegend des Felsenbeins duroh kalkreiche Masse 
bedeckt. Ginsberg. 

Horniker-Triest: Ueber einige organisatorische und klinische 
Erfahrungen an Trachomformationen im Frontbereiche der . . . Armee. 
(W.m.W., 1918, Nr. 2.) Die Behandlung bestand in der Ausquetschung 
der Körner mittels Rollpinzette, evtl, des Expressors. Für manche 
Fälle war das Auskratzen mit scharfem Löffel oder das Abkratzen mittels 
Fingernagels geeignet. Die Wucherungen bei den Fällen von Frübjahrs- 
katarrh wurden vor der Autquetschung mit dem Messer abgetragen. 
Manche Fälle mussten 2 mal, vereinzelte sogar S mal operiert werden, 
in keinem Falle war es notwendig, eingreifende Maassnahmen (Exzision 
der Uebergangsfalte, Ausschälung des Tarsus usw.) zu verwenden. Die 
Nachbehandlung bestand in Abreiben der Bindehaut mit Sublimatlösung 
und im Bedarfsfälle Pinselungen mit Arg. nitr. Reckzeh. 

Düring und Huber: Herpes corneae febrilis bei Malaria. (Klin. 
Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, März.) Die Verff. betrachten alle Herpesformen 
der Kornea, die febrile Form, den Herpes zoster ophthalmious und die 
posttraumatische samt der Keratitis neuroparalytica als eine Einheit. 
Für die posttraumatische kommt eine Neigung der Endfasern des 
Trigeminus ätiologisch in Betracht. Je stärker der pathologische Insult, 
desto intensiver sind die Veränderungen an der Kornea. Es gibt dann 
offenbar eine ganze Skala, von Herpes febrilis angefangen bis zur hoch¬ 
gradigsten Keratitis neuroparalytica, die das Endstadium darstellt. 

Wachtier: Schwere Verletzung des Auges durch die Frneht- 
becberstacheln der Edelkastanienfrackt. (Klin. Mbl. f. Aughlk, Bd. 60, 
März.) Es wurden drei Fälle von Wundstar beobachtet, ausserdem noch 
10 Fälle von KastanienstaohelVerletzung. In allen Fällen handelte es 
sich um mehrfache Stachelverletzung der Hornhaut. Es fanden sich 
mindestens 2 oder 3, in einem Falle 6 und in einem 10 Stacheln in* 
der Hornhaut. F. Mendei. 

L.Rothschild: Istrakorneale Tito wieriing (Tier veryuche). (Graefe’s 
Arch., 1918, Bd. 95, H. 2.) Angeregt duroh die Tatsache, dass in das 
Horn bau tparenchym eingespritzte Flüssigkeiten bzw. Emulsionen sich in 
Soheibenform um die Einstichstelle ausbreiten, injizierte Verf. bei leuko- 
matös gemachten KaninohenbornhäuteB in dieser Weise Tusche. Das 
Resultat war gut. 

E. v. H i p p e 1 - Göttingen: Ueber die angeborenen zentralen Defekte 
der Hornhanthinterfläche sowie über angeborene Hornhaatstaphylome. 
(Graefe’s Arch., 1918, Bd. 95, H. 2.) Eingehende Besprechung der ver¬ 
schiedenen Auffassungen von der Entstehung dieser Veränderungen 
(Bntwicklungsstörung oder intrauterine Entzündung) unter Beifügung 
mikroskopischer Untersuchungen. 


E. Fuchs-Wien: Ueber Eoniaophille Im Auge. (Graefe’s Arch., 
1918, Bd. 95, H. 2.) Eosinophile Zellen in grösserer Menge finden sieb 
besonders in späteren Stadien traumatischer seröser Iritis, und zwar im 
Vorderabschnitt, ausnahmsweise auch im Beginn akuter Eutzündung. 
Doch scheint das Vorkommen im ganzen selten zu sein, ebenso bei 
sympathischer Entzündung. Bei subkonjunktivalem Zystizerkus sah F. 
keine eosinophilen Zellen, sondern Zellen, die er für neutrophile mit 
stärker oxyphilen Granulationen anspricht, ebenso bei intraokularem 
Zystizerkus. Bei einem Pseudoptorygium fanden sich massenhaft eosino¬ 
phile Zellen in dem die Hornhaut überziehenden Bindegewebe sowie in 
kleineren Hornhautinfiltraten. Auf Eosinophilie des Blutes war nicht 
untersucht worden, doch ist eine solche nicht anzunehmen, da die 
Eosinophilie des Gewebes eine örtlich streng begrenzte war. F. nimmt 
an, dass an gewissen Stellen und in gewissen Phasen des Entzünduogs- 
prozesses Stoffe entstehen, die gerade die eosinophilen Zellen aus dem 
Blute anlocken. 

E. Seidel - Heidelberg: Ueber den physiologische! Papillen- 
ab Sch L s. Bemerkungen zu dem gleichlautenden Aufsatz von Professor 

R. H. Kahn in Graefe’s Arch., Bd. 95, H. 1. (Graefe’s Arch., 1918, 
Bd. 95, H. 2.) Die bei Kabn’s Versuchen durch die Pupille tretenden 
Flüssigkeitsmengen sind bedeutend grösser als die von S. experimentell 
ermittelten. Da nach dem Boiseuille’schen Gesetz in kapillaren Räumen 
die Ausflussmengen proportional dem Druck sind, so würde unter physio¬ 
logischen Verhältnissen ein weit geringerer Druck (etwa Vzoo) als der 
von Kahn ermittelte nötig sein, um Flüssigkeit durch die Pupille so 
treiben, was der Ziliarkörper normalerweise wohl leisten könnte. Wenn 

S. ferner, bei Kaninchen je eine Kanüle in hintere und vordere Kammer 
einstaoh und dann etwas Fluoreszin in die Ohrvene injizierte, so zeigte 
sich, dass in diesem Auge die Vorderkammer mit intensiv grünen Farb¬ 
stoffmassen sich anfüllte, und dass das Punktat einen erhöhten Eiweisz- 
gehalt aufwies. Also üben schon die Vorbereitungen in Kahn’s Ver¬ 
suchen einen Reiz auf den Ziliarkörper aus, so dass hierdurch eine ab¬ 
norme Sekretion des Ziliarkörpers hervorgerufen wird und nachweislich 
Flüssigkeit durch die Pupille in die Vorderkammer Übertritt. Unter den 
Kahn’schen Versuchsbedingungen besteht somit kein „physiologischer 
Pupillenabschluss“. Auch duroh Sympathikusdurchschneidung sowie 
nach Kurarevergiftung mit künstlicher Atmung, was Kahn in seinen 
Versuchen vornahm, wird der physiologische Flüssigkeitswechsel im Auge 
beeinflusst. S. vermag somit in den Ergebnissen der Kahn’schen 
Durchspülungsversuche der Pupille keinen Beweis für das Bestehen eines 
physiologischen Pupillarabschlusses zu erblicken. 

R. H. Kahn-Prag: Ueber den physikalischen Papillarabsehlass. 
(Graefe’s Arch., 1918, Bd. 95, H. 1.) An kurarisierten Katzen und Ka¬ 
ninchen wurde nach Durchschneiduflg des Halssympathicus eine mit 
einer Mariotte’schen Flasche in Verbindung stehende Kanüle in die 
Hinterkammer und eine Leber’sche Kanüle durch die Vorderkammer ge¬ 
stochen. Die zweite Kanüle stand mit einem Glasröhrchen in Verbin¬ 
dung, dessen fein ausgezogene Spitze rechtwinklig abgebogen war und 
sich in gleicher Höhe mit dem unteren Röhrenende der Mariotte’schen 
Flasche befand. Mit diesem Apparat wurde die Pupille mit Ringer’scher 
Lösung „durcbspült“ und die Zahl der in der Zeiteinheit aus dem Glas¬ 
röhrchen fallenden Tropfen kymographisch aufgezeichnet Der Tropfen¬ 
fall begann beim Kaninchen erst bei einem Ueberdruck von 30 mm der 
Lösung, bei der Katze erst bei einem solchen von 50 mm. Verf. schliesst 
daraus, dass ein physiologischer Pupillarabschluss besteht. Auf Reizung 
des Halssympathikus wird der Verschluss beim Kaninchen lockerer, bei 
der Katze fester, was auf die kombinierte Wirkung der Pupillen¬ 
erweiterung und der bei beiden Tierarten entgegengesetzten Aendernng 
des Augendruckes zurückgeführt wird. Gins borg. 

Stock: Zonolotomie. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, März.) Man 
sticht mit dem Knapp’bchen Messer so ein, dass man die gesamten 
Zonulafasern senkrecht unter die Schneide bekommt, mit einem oder zwei 
sägenden Zügen kann man die gesamten Fasern leicht durchtrennen. 
Der Vorteil dieses Eingriffs vor der einfachen Diszision ist folgender: 
1. Die Operation ist viel weniger eingreifend als eine Diszision der 
Linsenmassen. 2. Der Erfolg ist sicherer, da man sioh nicht auf eine 
Resorption der Linsenmassen verlassen muss. 3. Der Zug am Ziliar¬ 
körper wird beseitigt. 4. Irgend einen üblen Zufall bei oder nach der 
Operation hält Verf. für ausgeschlossen. F. Mendel. 

E. Seidel-Heidelberg: Experimentelle Untersuchungen über die 
Quelle and den Verlauf der intraokalarea Saftströmnng. (Graefe’s 
Atoh., 1918, Bd. 95, H. 1.) Gegen die Leber’sche Lehre, dass als 
Sekretionsorgan des Kammerwassers der Ziliarkörper anzusehen sei, von 
dem eine langsame aber stetige Flüssigkeitsstiömung durch die Papille 
in die Vorderkammer gehe, batte bekanntlich Hamburger behauptet, 
dass der Ziliarkörper am intakten Auge als Quelle einer ständigen intra¬ 
okularen Strömung nioht in Betracht komme, und dass eine freie Ver¬ 
bindung zwischen hinterer und vorderer Kammer durch die Pupille hin¬ 
durch nioht bestehe. In einer grossen Reihe verschiedenartiger Ver¬ 
suche stützt S. die Leber’scbe Lehre und widerlegt die gegnerischen 
Anschauungen. Vielfach wird auf nioht beachtete Fehlerquellen der 
Hamburger’schen Versuche hingewiesen. Eiweissgehalt von Kammer¬ 
wasser und Ziliarkörpersekret wurde refraktometrisch bestimmt, und es 
wurde festgestellt, dass beide Flüssigkeiten bei minimalem Reiz nur sehr 
wenig voneinander verschieden sind. Versuche mit Fluoreszin und 
anderen vitalen Farbstoffen zeigen Aufspeicherung im Ziliarkörper bei 
ungefärbt bleibender Iris. Feinste Spuren von Fluoreszin konnten im 


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13. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


467 


Spalt der Nernstlampe nach gewiesen, werden. Am lebenden Auge ge¬ 
lang es durch seitliches Visieren bei Beleuchtung mit direktem Sonnen¬ 
licht den Uebertritt des in die Hinterkaromer eingespritzten Fluoreszin- 
tröpfchens durch die Pupille in die Vorderkammer direkt zu beobachten. 
Ferner ergab sich, dass eine Anteilnahme der Iris an der physiologischen 
Kammerwasserbildung unbewiesen und unwahrscheinlich ist. Die vielen 
interessanten Einzelheiten sind in der Kürze eines Referats nicht wieder¬ 
zugeben. Ginsberg. 

Gullstrand: Die Maeala centralis in rotfreien Lichte. (Klin. 
Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, März.) Es gibt drei Tatsachen, welche jeder 
Ophthalmologe imstande ist zu konstatieren, nämlich: man sieht bei der 
ophthalmoskopischen Untersuchung nach Dimmer und nach Vogt die 
gelbe Farbe nur in der der dünnsten Netzhautstelle entsprechenden 
Ausdehnung, wo sich das in den tieferen Teilen reflektierte Licht geltend 
maoht und nur dann, wenn dieses Licht die betreffende Farbe bat und 
erweislichermaassen eine solche Intensität besitzt, dass die Farbe her¬ 
vortreten muss. An der abgelösten Netzhaut des Leiohenauges oder 
des frisch enukleierten Auges ist bisher keine einzige Beobachtung 
beschrieben worden, welche die Annahme einer nur an der dünnsten 
Stelle intravital vorhandenen Gelbfärbung stützen könnte. Die An¬ 
nahme einer solchen Färbung als Ursache der Leichenmakula setzt 
eine so starke Farbe voraus, dass dieselbe nach wenigstens SO maliger 
Verdünnung die intensive Farbe der letzteren geben könnte. Nichts¬ 
destoweniger musste sie beim Entstehen einer Netzhautablösung in der 
Foveagegend schnell verschwinden, bevor der Fall ophthalmoskopisoh 
untersucht wird. F. Mendel. 

W. Köhne-Marburg a. L.: Ueber avgioide Pigmentstreifenbildnig 
il der Netzhaut. (Graefe’s Arch., 1918, Bd. 95, H. 1.) Der Fall, der 
schon 1895 bis 1899 von Pagenstecher behandelt und 1908 veröffent¬ 
licht worden war, wurde vom Verf. 1914 wieder untersucht. E9 konnte 
das ausserordentlich langsame Fortschreiten der Veränderungen festge¬ 
stellt, eine sichere Erklärung aber nicht gegeben werden. Ginsberg. 

Vogt: Ein ophthalmoskopisches Symptom der Netzhantatrophie im 
Gefolge von Netzhant- und SebnerveaerkraDkniigeii. insbesondere von 
Nevritis retrobnlbaris. (Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, März) Mit der 
vom Verf. eingeführten rotfreien Lichtquelle gelingt e9, die Nerven¬ 
faserstreifung der Netzhaut zu sehen, und Verf. hat bestimmte Ver¬ 
änderungen dieser Nervenfaserstreifung auch bei der Optikusatrophie 
beobachtet. Der Schwund der Netzhautstreifung wird sich einerseits 
den Symptomen der Optikusatrophie anreihen, andererseits darf er als 
einziges bisher bekanntes ophthalmoskopisches Zeichen der unkomplizierten 
Netzhantatrophie betrachtet werden, wenn von dem wenig sicheren 
Symptom der GefässVerdünnung abgesehen wird. F. Mendel. 

R. Kümmel-Erlangen: Ueber leukämische Angenverändernnge». 
(Graefe’s Arch., 1918, Bd. 95, H. 2.) Der grösste Teil der Augenver- 
änderungen entfällt auf die Fälle von myeloider Leukämie. So die Ge- 
fasserweiterungen, die bis zur Stauungspapille gehenden Veränderungen 
der Sehnerven, die Blutungen, doch kommt alles dieses auch bei lympha¬ 
tischer vor, besonders sind letztere fast stets zu finden. Die grau- 
weissen Flecke sind bei lymphatischer Leukämie selten. Die Farbe des 
Augengrundes ist bei beiden Arten fast ebenso oft verändert wie normal. 
Die Infiltration der Aderhant findet sich fast in allen sichergestellten 
Fällen von lymphatischer Leukämie. Im Gegensatz dazu ergibt die 
mikroskopische Untersuchung bei myeloider Leukämie nur Vollstopfung 
der erweiterten Aderhautgefässe mit Blut. Der Ausgang der lympha¬ 
tischen Wucherung in der Aderhaut, die dabei schalenförmig verdickt 
wird, ist unbekannt. In der Netzhaut zeigt die anatomische Unter¬ 
suchung bei myeloider Leukämie oft bedeutende Zellherde, die ans 
Extravasaten entstehen, während die sehr seltenen echten leukämischen 
Neubildungen in der Retina nur bei lymphatischer Leukämie Vorkommen. 

E. v. Hippel-Göttingen: Ueber diffnse Gliose der Netzhaut und 
ihre Beziehungen zu der Angiomatosis retinae. (Graefe’s Arch., 1918, 
Bd. 91, H. 2.) Kritik der Ein wände gegen seine Deutung der Glia¬ 
wucherung bei den Gefässgeschwülsten der Retina. Rein anatomisch 
lässt sich eine scharfe Grenze zwischen Hyperplasie und Geschwulst der 
Glia (Gliosis und Gliomatosis) nach v. H. nicht ziehen. Er betrachtet 
die Gliawucherung bei den in Rede stehenden Fällen als sekundär und 
die Frage, ob sie klinisch Tumorsymptome macht, mindesten als nicht 
im bejahenden Sinne entschieden. Ginsberg. 

Honig: Erfahrungen auf dem Gebiete der Aagenheilkinde im 
Kriege. (M.m.W., 1918, Nr. 8.) Die Heilwirkung der intraglutealen 
Milchinjektion beim Augentripper hat sich als sehr wechselnd erwiesen. 
Die Milchinjektion ist als eine, allerdings gut gebrauchte, Ergänzung 
der lokalen Behandlung zu betrachten. Da sie vollkommen unschädlich 
ist, kann und soll sie in jedem Falle angewendet werden. 

Fiohler: Die Ophthalmia militari« in der k. u. k. Armee. (W.mW., 
1918, Nr. 2.) Die sogenannte Ophthalmia militaris oder contagiosa der 
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war weder in bezug auf ihr Wesen, 
noch in bezug auf ihren Ursprung eine einheitliche Krankheit, wenn auch 
als hauptsächlichste Infektionsquelle wahrscheinlich Aegypten zu gelten hat. 

Reckzeh. 

A. Pichler: Beobachtungen über tranmatisehen Eiophthalmi« in 
drei Kriegsjahren. (Graefe’s A'rcb., 1918, Bd. 95, H. 2) 21 Kriegs¬ 
und 4 Friedensverletzungen. Meist, wenn nicht immer, lagen Brüche 
der Orbitalwand, besonders der unteren und inneren Wand vor. Bei 
Durchquerung der Augenhöhle duroh das Geschoss können sich unter 


dem Einfluss des explosiven Stosses die dünneren Wandteile nach aussen 
wölben und so zur Raumvergrösserung der Augenhöhle führen. Aus¬ 
buchtung der inneren und unteren Wand kommt auch bei Zertrümme¬ 
rung der oberen vor. In 8 Fällen spielte Narbenschrumpfung des 
Orbitalinhaltes eine ausschlaggebende Rolle, besonders wenn der En- 
ophthalmu8 unter hochgradiger Bewegliobkeitsbesobränkung erst allmäh¬ 
lich entstand. Ginsberg. 

Gj es sing: Ueber Idiosynkrasie gegen Qieeksilber. (Klin. Mbl. 
f. Aughlk., Bd. 60, März.) Man soll stets bei subkutanen Injektionen 
der Hg-Präparate — wenn auch sehr schwache Quecksiberlösungen — 
vorsichtig sein, besonders wenn der Patient an einer Disposition zur 
Urtikaria leidet. Natürlich darf man, wo strenge Indikation wie Lues 
es verlangt, nicht allzu ängstlich sein. Sonst darf wohl die ziemlioh 
gewöhnliche Lösung von Sublimat oder Oxyzyanat als Konservierungsmittel 
(Konzentration 1:10000 oder 1: 5000) der Arzneimittel von der mehr 
indifferenten Borlösung ersetzt werden. 

Thomsen: Anatomische Untersuchung eines kürzlich entstandenen, 
akaten, inflammatorischen Glaukoms (nicht operiert.) (Klin. Mbl. f. 
Aughlk., Bd. 60, März.) Es handelt sich um einen 70 jährigen Mann, 
der Vz Jahr, bevor das rechte Auge schlimm wird, einen akuten Glaukom- 
anfall am linken bekommt. Bei Pilokarpinbehandlung beruhigt sich das 
Auge. Das rechte Auge war bis zu 5 Tagen vor der Aufnahme gesund, 
als an diesem ein akuter Glaukomanfall auftritt; gleichzeitig bekommt 
Pat. eine Pneumonia crouposa, an der er 15 Tage nach Beginn des 
Anfalls stirbt. Kurze Zeit nach dem Tode wurde Formalin in beide 
Bulbi und Orbitae injiziert. Beide Bulbi und die Sehbahnen bis zum 
Gangl. genio. kamen zur Untersuchung. Auf Grund dieser Unter¬ 
suchungen besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Druck- 
steigerung im Auge einige Zeit bestanden haben muss, bevor sich eine 
pathologische Verengung bzw. Klappenbildung im Beginn der Skleral- 
kanäle findet, und das9 das Vorhandensein dieser Veränderungen des¬ 
wegen als ein sekundäres Phänomen in der Pathologie des Glaukoms 
anzusehen ist. 

Geller und Ohm: Grosshirnrindeinystagmus bei einem Soldaten. 
(Klin. Mbl. f. Aughlk., Bd. 60, März.) Das Krankheitsbild des 80 jährigen 
Patienten besteht in einer Störung des Mechanismus der Naheeinstellung 
der Augen und setzt sich zusammen aus tonisch-klonischen Krämpfen 
der Interni, des Schliessmuskels der Pupille und der Akkommodations¬ 
muskeln und einem ausserordentlich schnellen, feinschlägigen und anfalls¬ 
weise auftretenden Nystagmus. Der übrige Befund der Augen und der 
Allgemeinbefund ist normal. Die Beschwerden, die schon seit der Kind¬ 
heit bestehen, sind durch eine schwere Erkrankung und insbesondere 
durch die Erlebnisse im Felde verstärkt worden. Bei dem gesamten 
Krankheitsbilde bandelt es sich um abnorme zentrale Innervationen 
eng miteinander verbundener Muskelgrupgen, die einerseits zum Krampf 
führen, andererseits zum Tumor, Erscheinungen, die bei der Hysterie 
auch anderer Muskeln ihre Analogie haben. F. Mendel. 


Hygiene und Sanitfttswesen. 

E. Almquist-Stockholm: Hygiene, soziale Arbeit nnd die bio¬ 
logischen Gesetze. (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 1 u. 2.) Allgemeine 
Betrachtungen über die Deszendenztheorie, Auslese, Kampf ums Dasein 
ubw. Zu kurzem Referat nicht geeignet. Schmitz. 

Hueppe-Dresden: Das neue preassisehe Wohnangsgesetz. (D.mW., 
1918, Nr. 14.) Bemerkungen zu den einzelnen Paragraphen des neuen 
preussischen Wohnuogsgeäbtzes. Dünner. 

K. E. Ranke-Miinchen: Tuberkulosebekämpfung nach dem Kriege. 
(M.m.W., 1918, Nr. 12.) Es werden Leitsätze aufgestellt, die sich mit 
Maassnahmen zur Ansteckungsverhütung und znr Verminderung der Bös¬ 
artigkeit der Erkrankung befassen. In der ersten Gruppe kommen in 
Betracht: Verhütung der Ansteckung von Rind zu Mensch und von 
Mensch zu Mensch, Ansteeknngsverhütung in der Familie, im Beruf usw. 
In der zweiten Gruppe werden behandelt: Verhinderung des Haftens der 
Infektion beim Gesunden und des Ausbruchs der Erkrankung beim schon 
Angesteckten und schliesslich die Behandlung der Tuberkulosekranken, 
bei der als neue wichtige Maassnahme die Einführung der Arbeitsbehand¬ 
lung für die nicht fiebernden oder meist weiterfortschreitenden Tuberkulosen 
besondere Beachtung verdiene. Geppert. 

Böhm: Die Bekämpfung der Taberknlose in Wien. (M.m.W., 
1918, Nr. 9.) Es war notwendig, die bestehenden Fürsorgestellen für 
Lungenkranke in zeitgemässer Weise umzugestalten und dem Bedarfe 
entsprechend nene Stellen zu gründen. Die Desinfektionen in den 
Wohnungen Tuberkulöser, welche nach Todesfällen und Spitaltranspoiten 
obligatorisch, aber auch sonst auf Antrag der Fürsorgeärzte vorzunebroen 
sind, werden von den städtischen Desinfektionsanstalten kostenlos durch¬ 
geführt. Nicht minder wichtig ist eine planmässig und zielbewusst 
durebgefübrte Fürsorge für die heran wachsende Jugend. Eine mächtige 
Waffe im Kampfe gegen die Tuberkulose als Volksseucbe ist weiterhin 
eine entsprechende Wobnungsfürsorge. Reckzeb. 

0. Mayer: Ueber Spät-Daneransscheider ond Bazillenträger bei 
Typhi«. (Zbl. f. Bakt, Bd. 81, H. 1 u. 2.) Verf. verlangt eine er¬ 
heblich längere Dauer der Nachuntersuchungsperiode nach Ueberstehen 
eines Typhus, und zwar soll die Dauer mindestens ein Jahr betragen. 
An der Hand seiner Beobachtungen zeigt er, dass eine Reihe von Bazillen¬ 
trägern erst sehr spät entdeckt werden. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


0. Bail und J. C.ancik-Trag: UngeiieferbekäHpfnig litt Bla* 
fliiredfivpfen. (Zb. f. Bakt., Bd. 81. H. 1 u. 2.) Blausäure ist ein 
hervorragend geeignetes Mittel, um Ungeziefer jeder Art rasch und sicher 
in Wohnräumen zu vertilgen. Es genügt zu diesem Zweck die Ein¬ 
wirkung von einem Volumprozent während 2 bis 4 Stunden. Die Entwick¬ 
lung des Gases geschieht nach vorheriger Dichtung des Zimmers durch Ein¬ 
werfen von Zyannatrium in Schwefelsäure. Dies muss evtl, mit Benutzung 
eines Sauerstoffapparates geschehen. Die Entfernung erfolgt durch 
Ventilation ins Freie, wobei auch grösste Vorsicht am Platze ist wegen 
der grossen Giftigkeit des Gases. Ein besonderer Vorteil dieses Ver¬ 
fahrens ist es, dass das Gas keine Gegenstände angreift. Schmitz. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. März 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Virchow. 

Tagesordnung. 

1. Hr. C. Hamburger: 

Vorschläge zur hygienischen Ausnützung grossstädtischer Freiplätze, 
erläutert an dem Beispiel der Stadt Berlin. [Mit Lichtbildern *)]. 

Vortr. empfiehlt unter Vorführung zahlreicher Lichtbilder die Frei¬ 
plätze und Vorplätze der Häuser in weitestem Umfange als Aufenthalts¬ 
und Erholungsstätten,'namentlich für Kinder, einzurichten. Auch Plantsch¬ 
wiesen und Dachgärten befürwortet er. 

Aussprache. 

Hr. Bornstein: Herr Kollege Hamburger hat bereits auf eine 
Rede hingewieseD, die hier vor einigen Wochen gelegentlich der Tagung 
der Aerztlichen Abteilungen der Waffenbriiderlichen Vereinigungen von 
Exzellenz von Sohjerning gehalten wurde, der gesagt hat, dass 
das Volk am besten prosperieren wird, das für seine Kinder 
am meisten tut. An gleicher Stelle ist kurz nach dieser Rede von 
Professor Tandler aus Wien ein Vortrag gehalten worden über den 
Wiederaufbau der Volkskraft nach dem Kriege, ein Vortrag, 
über den noch sehr lange und sehr viel zu sprechen sein wird, der auch 
an dieser Stelle allergrösstes Aufsehen erregt hat. In diesem Vortrage 
sagt Professor Tandler, der bekannte Wiener Anatom: „Der Arzt 
muss lernen, sich auch um die Standesangelegenheiten des 
Volkes und das soziale Gefüge des Staates mehr zu kümmern 
als bisher. Der enge Zusammenhang zwischen ärztlicher 
Kunst und Volkswohlfahrt macht die Aerzte von vornherein 
zu aktiven Praktikern.“ Kollege Hamburger hat sich heute abend 
als ein aktiver Politiker der Volkswohlfahrt gezeigt, und wir alle sollten 
in diesem und ähnlichem Sinne auch Volkswohlfahrt treiben. Wir sollen 
uns aber hei nochmaligen Forderungen nicht ängstlich fragen, oh die 
Erfüllung wenig oder viel kostet. Wir sollen nicht allzu bescheiden sein. 
Da das Sterben soviel gekostet hat, darf auch das Leben 
recht viel kosten, wenn es nottut. Wenn es noch so teuer ist, 
muss geschehen, was notwendig ist, muss der Staat, müssen die Kommunen 
alles tun, wo es sich um hohe Werte handelt. Gerade die Spielplätze 
spielen in der Volksgesundheitsfrage eine grosse Rolle. Ich war früher 
in Leipzig und habe es oft erlebt, dass man mir sagte: Ja, die schönen 
Wiesen, die schönen Weiden, die eine Augenweide bilden, die sollen 
die Kinder zum Spielen bekommen? loh antwortete: Hier ist eine 
wunderschöne Wiese; sie ist unbenutzt; sie dient uns als Augenweide. 
Aber wichtiger als subjektive Schönheitsfragen ist es, dass die Kinder 
von der Strasse, aus den engen Höfen, wo weder Sonne noch Luft hin¬ 
kommt, auf passende Plätze kommen, um ihr Spielbedürfnis in Luft und 
Sonne zu befriedigen. Wir als Gesamtheit der Aerzte sollten öfters an 
die Behörden herantreten und sie tatkräftig auffordern, im Interesse der 
Jugeud alles zu tun, was notwendig ist, und nicht zu fragen, ob es 
billig oder teuer ist, und wenn es Millionen kosten sollte. Diese Millionen 
in Volks Wohlfahrt angelegt, rentieren sich ausgezeichnet. Für Erfüllung 
solcher Forderungen zu handeln ist das Beste, was wir tun können, und 
ich freue mich, dass in diesem Sinne hier gesprochen worden ist. Es 
wäre dringend zu wünschen, wenn von dieser Stelle aus 
öfters Anregungen an die Behörden kämen. 

Wir Aerzte sind jetzt ein mächtiger Faktor im Lehen des Volkes, 
mehr als früher. Man hat im Krieg nooh mehr als im Frieden erkannt, 
was die Aerzte zu leisten imstande sind. Bei allen Tagungen, in allen 
Parlamenten wird uns von den Behörden höchstes Loh gespendet. Was 
nützt aber das beste Lob, wenn das, was die Aerzte fordern, nicht ge¬ 
schieht. Wir müssen das Loh in die Tat umsetzen! Ich glaube, die 
Behörden werden doch auf unsere Forderungen eingehen müssen: wir 
fordern nicht für uns, sondern für die Allgemeinheit als aktive 
Politiker der Volkswohlfahrt. 


1) Wird anderweitig veröffentlicht. 


Hr. Hans Kohn: Herr Kollege Hamburger, dessen soziales 
Empfinden ein besonders warmes ist, hat schon öfters und schon seit 
langem verdienstvolle Anregungen auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge 
gegeben, and so sind auch seine heutigen Ausführungen lebhaft zu be- 
grüssen. Es ist zu wünschen, dass sie auf recht fruchtbaren Boden 
fallen mögen. Es würden damit mit geringen Kosten Erfolge erzielt 
werden, die manche übertreffen, die wir sonst mit prunkvollem Aufwands 
anstreben. Wir würden damit aber nicht bloss für die Kinder sorgen, 
sondern zugleich auoh für die Erwachsenen, die in der Grossstadt so 
schwer zum Genuss der frischen Luft gelangen können. Und ganz.das 
Gleiche gilt für unsere Kranken bzw. die Genesenden. Gerade für diese, 
die schon aus körperlichen Gründen nicht einen weiter entfernt gelegenen 
Park aufsuchen können, wären möglichst viel Freiplätze dringend er¬ 
wünscht. 

Wie nötig solche Plätze uns sind, ersah ich gerade heut an einem 
Erlebnis in meiner Praxis, das zeigt, dass nicht einmal die vorhandenen 
Parkanlagen unseren Patienten unbeschränkt zugängig sind. Ich ver- 
ordnete vor einigen Tagen einer Dame, die zehn Monate im Zimmer 
und davon acht Monate im Bett verbracht hatte, sich jetzt täglich 
im Rollstuhl in den benachbarten Tiergarten fahren zu lassen. Sie 
bekam auch von der Kgl. Tiergartenverwaltung die Erlaubnis, aber 
nur bis 1 Uhr mittags. Diese Zeitbeschränkung ist keine persön¬ 
liche, sondern ganz generell, wie der vorgedruckte Erlaubnisschein be¬ 
weist. Für eine derartige Zeitheschränkung ist aber dooh gar kein ver¬ 
nünftiger Grund einzusehen. Die Kranken sind nicht immer imstande, 
sich gerad vormittags ausfahren zu lassen, sie sind von manchen Um¬ 
ständen und besonders auch von der Gunst und Laune des Himmels 
abhängig, zumal in dieser Jahreszeit. Vielleicht will man das ästhe¬ 
tische Empfinden der Nachmittagsspaziergänger schonen und ihnen den 
Anblick von Kranken ersparen. Nun, da ist doch anzunehmen, dass 
jetzt durch den Krieg sich auch zartbesaitetere Naturen an den Anblick 
der Leidenden gewöhnt haben, und so ist vielleicht zu hpffen, dass die 
heutige Aussprache auch in dem von mir angeregten Punkte eine 
Besserung bringen wird. 

Hr. Landau: Meine Herren, Anordnungen für den Tiergarten 
gehen nicht von der Kommunalverwaltung, sondern von der Tier¬ 
gartenverwaltung aus. Im übrigen glaube ich, keine Indiskretion *zn 
begehen, wenn ich mitteile, dass die Stadt bereits längst im Schosse 
verschiedener Deputationen mit der Verwirklichung des schönen Projektes 
beschäftigt ist, welches uns Kollege Hamburger vorgetragen bat. Selbst¬ 
verständlich kann die Stadt nicht so schematisch Vorgehen, wie dies 
hier gefordert worden ist. Wenn z. B. hier vom Vortragenden auf den 
Lützowplatz, von anderer Seite auch auf den Döhnboffplatz hingewiesen 
worden ist, so muss man doch mit der Gefahr reohnen, welche bei diesen 
Plätzen dadurch gegeben ist, dass sie von allen vier Seiten von der 
Strassenbahn und vom grossen Verkehr umschlossen sind, so dass Verkehrs¬ 
hemmungen oder Gefahr für die spielenden Kinder nicht unschwer ent¬ 
stehen können. Auoh erscheint der an Stelle von Rasen vorgeschlagene 
Sand wegen der Staubentwicklung gewiss nicht vorteilhaft zu bestimmen: 
freie Plätze werden in Spielplätze mit Sandwarf verwandelt, das geht 
nicht. 

Nun kommt allerdings nooh eine Eigentümlichkeit hinzu, die man 
ja auch bei den Städten in verschiedenen Verwaltungen findet. Hier 
sind mehrere Deputationen, welche für die von ihnen verwalteten Fächer 
von verschiedenen, durchaus berechtigten Interessen ausgehen. Diese 
zu einem befriedigten Sinne für die Allgemeinheit zu lösen, ist natürlich 
nicht leicht. Aber ich kann, wie gesagt, mitteilen, dass Bestrebungen 
hei Erweiterung und Verbesserung unserer Spielplatzes schon längst im 
Gange sind, vielleicht wird der Nachdruck, mit der der Herr Vortragende 
die Sache verfolgt, die Angelegenheit beschleunigten. 

Hr. Weher: Meine Herren, das neu errichtete Jugendamt der 
Stadt Berlin hat sich in seiner ersten Sitzung auch mit der Spielplats- 
fräge beschäftigt und eine besondere Kommission zur Prüfung dieser 
wichtigen Angelegenheit eingesetzt. Wir wären Herrn Kollegen Ham¬ 
burger dankbar, wenn er uns seine Erfahrnngen zur Verfügung stellen 
würde. Unsere Arbeiten werden sich ja im allgemeinen im Sinne der 
Ausführungen des Herrn Hamburger bewegen. Allerdings, soweit wie 
Herr Kollege Hamburger gegangen ist, werden wir im einzelnen'nicht 
immer gehen können. 

Hr. Hamburger (Schlusswort): Meine Herren, auf einen ernst¬ 
haften Widerstand der Parkdeputation bei so nützlichen Vorschlägen, 
wie Sie selbst anerkannten, ist wohl nicht zu rechnen. Ich sehe auch 
keinerlei Gefahr bezüglich Lützowplatz und Dönhoffplatz, wie Herr Landau 
fürchtet. Meine Herren, Erfahrungen beweisen doch mehr als alle 
theoretischen Ueberlegungen. Ich bitte Sie immer wieder, sich das 
Beispiel der Lichtbilder aus Alt-Moabit vor Augen zu halten. Es gibt 
wohl kaum einen gefährlicheren Bezirk als dort, wo die Stromstrasse 
sich mit der Turmstrasse und „ Alt-Moabit“ kreuzt. Die Instanz, die 
über den „Kleinen Tiergarten“ d. h. Alt-Moabit die Verfügung 
hat, das ist die königliche Parkdeputation — der Tiergarten, wie der 
„Kleine Tiergarten“ unterstehen der königlioben Parkdeputation, während 
die übrigen freien Plätze der Verfügung der Stadt unterstehen —, hat 
den Kleinen Tiergarten in Alt-Moabit vollständig freigegeben, zum grössten 
Segen der Anwohner. Ich wiederhole: Tausende von Strassen bahnen 
und Lastwagen verkehren dort, und trotzdem kommt niohts vor. Di» 
Kinder haben gar keine Lust und kein Interesse daran, auf die Strasse 
zu gehen, wenn sie auf dem Platz selbst durch Sandkästen und Tummel* 


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13. Mai 1913. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


459 


plätze festgehalten werden, das sind die besten Magnete. Durch solche 
saohlicbe Momente wird„ sich der Widerstand der Parkdeputation über¬ 
winden lassen. 

Die Ansicht von der Gefahr des Staubes für die Stadtkinder teile 
ich nicht. Gewiss ist der Strassenstaub sehr hässlich, und es wäre 
höohst erwünscht, wir wäreu ihn los — das geht aber nicht. Wir haben 
eben keice* andere Luft zur Verfügung, und vor allem ist der Strassen¬ 
staub nicht gefährlich in Bezug auf Infektion. Das ist mit Nachdruck 
festzuhalten. Die Luft auf der Strasse unterscheidet sich von der Luft 
im Zimmer weniger chemisch als dadurch, dass sie bewegt ist. Niemals 
aber ist die Luft im Freien an Infektionen beteiligt. Darauf hat Flügge 
immer mit Nachdruck hingewiesen, wie wäre sonst eine Absperrung 
möglich, wenn die Ansteckung durch den Wind weiter getragen würde. 
Nur die Luft im Zimmer ist gefährlich; die Luft im Freien verdünnt 
die pathogenen Reime viel zu sehr, als dass eine Gefahr vorhanden wäre. 
Natürlich wäre Landluft besser. Die steht uns aber nicht zur Ver¬ 
fügung. 

Ich danke den Herren, die sich an der Diskussion beteiligt haben, 
und möchte Wert auf die Anerkennung legen, dass meine Vorschläge 
durob ihre Wohlfeilheit selbst in der jetzigen Zeit realisierbar sind. 
Vor allem wiederhole ich meine Bitte an die Hausbesitzer, die schönen, 
völlig unbenutzten Vorgärten für den Säugling in der Hängematte frei 
zugeben, denn die Säuglinge sterben im Hochsommer ganz direkt an 
den Folgen der Hitze in den durobglühten Wohnungen. Bedenken Sie, 
dass mit der Kindersterblichkeit (zehntausend jedes Jahr in den Gross¬ 
städten — nach Flügge 1912—)die Zukunft des Landes verknüpft ist. 

2. Hr. Leopold Caspar; 

Die Kystoskopie bei perl- und paravesikalei Erkrankungen 

(mit Lichtbildern). 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 


Sitzung vom 20. März 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth: 

Schriftführer: Herr Gensmer: 

Vorsitzender: Von geschäftlichen Mitteilungen habe ich nur die 
eine zu macheD, dass Herr Geheimrat Davidsohn, der bekannte, um das 
ärztliche Unterstützungswesen so verdiente Kollege, zur Vollendung seines 
siebenzigsten Lebensjahres im Namen der Gesellschaft beglückwünscht 
worden ist. 

Ehe wir in die Tagesordnung eintreten werden, bemerke ich noch, 
dass eine Aenderung hat vorgenommen werden müssen. Herr Weber 
muss von auswärts hierherkommen, und Herr Ohm wird einen selbständigen 
Vortrag im Anschluss an den von Herrn Weber halten. Es würde so¬ 
nach heute unmöglich gewesen sein, diesen Gegenstand vollständig zu 
erledigen. Herr Weber hat deshalb gebeten, am nächsten Mittwoch 
an erster Stelle daran zu kommen, und ich bin dem naebgekommen. 
Dafür wird uns Herr Martin eine kurze Demonstration halten. 

Zunächst haben wir aber die Ausspraobe über die Vorträge des 
Herrn Casper vorzunehmen. Ich war der irrtümlichen Meinung, dass 
der zweite Vortrag inhaltlich sich an den ersten anschlösse. Das ist 
nicht der Fall gewesen. Aber die Ausspraohe steht noch aus, wir werden 
also doch die beiden Aussprachen heute zusammen vornehmen. 

Ausspraohe zu den Vorträgen des Herrn Casper. 

Hr. M. Zondek: Der Herr Vortragende hat bereits auf eine schädliche 
Folge des schlechten Liegens des Dauerkatheters hingewiesen, auf die 
Verletzung der inneren Wand der Blase. Ich möchte auf eine weitere 
dabei mögliche Schädigung aufmerksam machen, nämlich die Entstehung 
von periurethralen Abszessen und sekundären Harnröhrenfisteln 1 ). Mir 
sind drei Patienten zugeführt worden, bei denen ich dies beobachten 
konnte. 

Bei dem einen Patienten waren zwei Harnröhrenfisteln vorhanden, 
die eine am Damm, die andere in der Skrotalgegend. Da aber gleichzeitig 
eine grosse suprapubische Blasenfistel bestand, aus der sich der Harn 
frei entleeren konnte, entfernte ich nur den Dauerkatheter. Unter 
prolongierten Bädern heilten dann die Harnröhrenfisteln spontan. 

Bei den andern beiden Patienten lagen die, durch die schlechte 
Lage des Dauerkatheters — in einem Falle war überdies nachweislich ein 
Metallkatheter angewandt worden — entstandenen Harnröhreofisteln an 
einer ziemlich typischen Stelle, nämlich an der unteren Wand der 
Harnröhre, dicht vor dem Ansatz des Skrotum. Die eine Fistel war 
bohnen-, die andere über markstückgross, die ich dann durch Naht 
nnd plastische Deckung zur Heilung brachte. 

Damit komme ich zur Indikation des Dauerkatheterismus bei Naht 
von Harnröhrenfisteln. Ich gehe im allgemeinen so vor. Gelingt es mir, 
▼or der Operation durch lokale und interne Behandlung den Harn klar 
so machen und daroh möglichst wasserarme Nahrung die Miktion auf 
3—4 mal am Tage herabzusetzen, wende ich den Dauerkatheter nicht an, 
sondern lasse den Harn in den ersten beiden Tagen durch einen dünnen 
Nelaton-Katheter abnehmen und dann in gewöhnlicher Weise entleeren. 
In zwei Fällen erzielte ich auf diese Weise Heilung. Gelingt es nicht, 
den Harn vor der Operation klar zu maohen, so wende ich den Dauer¬ 
katheter an oder mache die Kystostomie. Bei perinealen Harnröbren- 


1) Guyon, Die Krankheiten der Harnwege, übers, von Kraus und 
Znekerkandl, HI. Bd., S. 267. 


fisteln wende ich den Dauerkatheter an. Tritt an einer Nahtstelle eine 
EiteruDg auf, dann wird der Dauerkatheter gewöhnlich nicht vertragen. 
So wurde bei einem Patienten, bei dem ich ein inkrustiertes Knooben- 
stückchen aus der Harnröhre entfernte, das zu zwei Fisteln am Damm 
geführt hatte, der Katheter einfach herausgeschleudert. Nachdem ich 
darauf aus der weit geöffneten Operationswunde den Harn 3 Tage lang 
hatte abfliessen lassen und die akut entzündlichen Erscheinungen ge¬ 
schwunden waren, wurde der Dauerkatheterismus gut vertragen, und die 
HarnröhrentUteln heilten, ln allen Fällen von Urethrostomie, von Re¬ 
sektion der Harnröhre, bei traumatischen oder gonnorhoischen Stiikturen 
lasse ich verhältnismässig lange den Dauerkatheter liegen und entferne 
ihn, sobald sich die Granulationswände miteinander zu vereinigen be¬ 
gonnen haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich allerdings nicht die 
Bemerkung unterlassen, dass ich in vereinzelten Fällen trotz An¬ 
wendung des Dauerkatheters keinen Erfolg hatte. Das lag aber nicht 
an der Art der Ableitung des Harns, sondern an der duroh die Sohuss- 
verletzung verursachten schweren Gewebsveränderung. 

Der Herr Vortragende hat ferner auf schädliche Folgen des Dauer- 
katheters auch bei guter Lage des Dauerkatheters hingewiesen. Ich 
möchte mir erlauben, auf einen ähnlichen Fall, der wohl infolge seiner 
Seltenheit besonders bemerkenswert sein dürfte, Ihre Aufmerksamkeit 
zu lenken. Bei einem Patienten mit Schussvcrletzung seitlich durch 
das Becken beobachtete ich, als der Patient auf meine Station gebraoht 
wurde, folgendes: Der Harn war trübe, zuweilen mit Luftblasen durch¬ 
setzt. Nachdem der Dauerkatheter eingeführt war, wurde der Harn 
klar, aber es trat hohes Fieber auf. Ich entfernte darauf den Dauer¬ 
katheter. Nun wurde der Harn zwar wieder trübe, aber das Fieber 
schwand. Kein Zweifel: hier lag eine periurethrale Eiterung vor, die 
durch den Dauerkatheter am Abfliessen in die Urethra bzw. Blase ver¬ 
hindert war. Nachdem ich von der vorderen Bauchwand her in die 
Tiefe eingedrungen war und einen Abszess zwischen Blase und Mastdarm 
entleert hatte, führte der Dauerkatheter zur Heilung der Uiethro- 
Reotal-Fistel. 

In diesen und anderen Fällen von Perizystitis habe ich kysto- 
skopisch dieselben Beobachtungen gemacht, wie sie Herr Casper dar¬ 
gelegt hat. 

Gestatten Sie mir nooh ein Wort zu der von dem Herrn Vortragenden 
bereits erwähnten Behandlung von Blasenfisteln mittels Dauerkatheter. 
Ich möchte mich auf die Bemerkung beschränken, dass der Dauer¬ 
katheterismus die Heilung beschleunigt und, was jetzt besonders wichtig 
ist, Verbandstoffe spart. Allerdings dürfen keine weiteren Störungen 
vorhanden sein. So musste ich bei verschiedenen Patienten Fremdkörper 
aus dem Innern der Blase, narbige Veränderungen an der vorderen Blasen¬ 
wand, Fremdkörper aus der Umgebung der Blase entferuen, ehe die 
Heilung der Blaseofistel erfolgte, ln einem Fall heilte auch eine gleich¬ 
zeitig bestehende Dünndarmfistel, die in dieselbe Wundöffnung mündete. 
Schliesslich sei auch ein Fall erwähnt, in dem ich nicht allein Fremd¬ 
körper aus der Blase und ihrer Umgebung, sondern auch aus der Um¬ 
gebung der Harnröhre entfernte. Erst nach einigen Tagen, nachdem die 
entzündlichen Erscheinungen verschwunden waren, war der Dauerkathete- 
rismus möglich, und die Blasenfistel heilte sehr bald. 

Hr. Kausch: Ich möchte Herrn Casper zunächst fragen, ob die 
wunderbaren Bilder, die uns gezeigt wurden, wirklich bunte Photographien 
sind, wie er sagte, oder kolorierte Photographien oder Zeichnungen nach 
Photographien. 

Dem, was Herr Casper über die Indikation und den Nutzen des 
Dauerkatheters ausgeführt hat, stimme ich vom chirurgischen Standpunkte 
im allgemeinen durchaus zu. Bei Naht der Harnröhre lege ich stets 
den Katheter ein. Gern hätte ich darüber etwas gehört, wie Herr Casper 
sich bei Blasennaht verhält, ferner bei der Prostataoperation. 

Was den Schaden betrifft, den der Dauerkatheter zuweilen herbei¬ 
führt, hat meiner Erinnerung nach Herr Casper nichts von der Epidi- 
dymitis erwähnt. Ich wüsste kein Mittel, wie man sie vermeiden kann. 
Selbstverständlich muss man, wenn Urethritis besteht, den Verweil katheter 
häufiger wechseln, die Harnröhre spülen. Man darf keinen zu dicken 
Danerkatheter nehmen. Aber trotzdem tritt sie zuweilen auf, man wird 
häufig dadurch genötigt, den Katheter wegsulassen. Nicht so selten habe 
ich sie aber auoh bei liegendem Katheter zurüokgehen sehen. 

Dann möchte ich fragen, was man macht, wenn es keine Nölaton- 
katheter mehr gibt; sie sind jetzt schon spärlich und zum Tal recht 
schlecht. Ich kenne keinen guten Ersatz, Katheter aus Zelluloid sind 
wie alle starren Instrumente reoht unangenehm. 

Schliesslich hätte ich gerne gehört, wie Herr Casper den Dauer¬ 
katheter befestigt. Seine frühere Methode ist mir bekannt, der Gummi 
ist jetzt aber schlecht. Ich benutze jetzt ein Stück Mullbinde, dass ich 
am Penis mit Mastisol anklebe. Aber vielen Patienten ist es kein 
Vergnügen, wenn ihnen der Penis mit Mastisol angepinselt wird. 

Hr. Alfred Rothschild: M. H.l Ich möchte nicht unerwähnt lassen, 
dass es bei den von Herrn Casper vorgeführten kystoskopischen Bildern 
sich um Befunde handelt, die an sich im allgemeinen nichts Neues sind. 
Sie sind vom Schöpfer des Kystoskops, meinem vor 12 Jahren verstorbenen 
ehemaligen Chef Max Nitze schon beschrieben; sie sind im „Handbuch 
der Urologie“ von v. Frisch und Zuckerkandl 1906, sowie 1911 in 
meinem „Lehrbuch der Urologie“ erwähnt, und auoh Herr Casper selbst 
hat sie schon in seinem Buch über Kystoskopie vorzüglich beschrieben. 

Dann erhebe ich — der Ordnung halber — Einspruch gegen die 
Einreihung der vorgeführten Bilder von Uretererkrankungen unter die 


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460 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10. 


Rubrik ton peri- und paravesikalen Erkrankungen; sie ist nieht, üblich, 
am allerwenigsten bei den tuberkulösen Erkrankungen, auch nicht den¬ 
jenigen der untersten Ureterenden, denn sie sind bekanntlich nur ein 
Teil der den ganzen Ureter, bzw. die Niere betreffenden Veränderungen. 

Herr Casper sprach ferner von einem Empyem des Ureters und 
scheint ein solitäres Empyem des unteren Ureterendes anzunehmen; die 
Existenz eines solchen solitären Empyems des unteren Ureterendes halte 
ich für unwahrscheinlich; waren da nicht renale oder pyelitische Prozesse 

vorhanden? 

Dann möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, ein Wort über die 
Bezeichnung „Zyatoskop“ zu sagen. Nitze wünschte seine Erfindung 
Kystoskop genannt zu lassen; Zystoskop ist vorn lateinisch, hinten 
griechisch. Wo ist das sonst üblich? Man sagt doch auch nicht Okuloskop, 
sondern Ophthalmoskop. Und man sollte schon aus Pietät für den 
Erfinder bei seiner Benennung Kystoskop bleiben, zumal sie sprachlich 
die richtige ist. 

In Ergänzung der Ausführungen des Herrn Vortragenden möchte ich 
hinsichtlich der paravesikalen entzündlichen Prozesse und ihren Ausdruok 
im kystoskopischen Bild auf die dabei meist zu findende starke Füllung 
der grösseren Gefässe der Blasenschleimhaut hinweisen; sie ist besonders 
bei chronischer Prostatitis zumeist stark ausgeprägt. 

Ferner scheint mir nirgends genügend — nur iStoeokel spricht vom 
gynäkologischen Gesichtspunkt' darüber — bisher betont zu sein, dass bei 
entzündlichen und anderen Tumoren hinter der Blase schon die Notwendig¬ 
keit, das starre Metallrohr desKystoskops über eine vorspringende Resistenz 
hinüberzuhebeln, um ins offene Lumen der Blase zu kommen, ferner 
eine starre Vorwölbung der Blasenwand selbst, die sich durch Nachfüllung 
der Blase nicht ändert, einen retrovesikalen Tumor anzeigen können. 
So habe ich in einem Fall, der mir letzthin von einem Kollegen für innere 
Medizin zur Kystoskopie wegen Blasenfunktionsstörungen überwiesen 
wurde, kystoskopisch sofort einen retrovesikalen Tumor erkannt: per 
vaginam danach untersuchend, fand ich ein grosses Myom des retro- 
flektierten Uteruskörpers. 

Ein anderer Fall, den ich anführen möchte. Die Frau eines Kollegen 
erkrankte auf der Hochzeitsreise in Aegypten plötzlich an einem Anlall 
von heftigen Leibschmerzen. Naoh der darauf durchgeführten Heimfahrt 
macht ein angesehener Gynäkologe zunächst eine Tamponbehandlung 
und danach die Aufrichtung einer nicht fixierten Reti:oflexio uteri ohne 
besondere Schwierigkeit, ohne Zerreissung oder Lösung von Verwachsungen, 
wie er mir berichtet. Am Tage daraul heftige Schmerzen im Leib, alle 
Stunde heftigen Harndrang und Blut im Urin. Der Fall wird mir am 
2. Tage danach zugeführt. Die Blinddarmgegend ist leicht druckempfind¬ 
lich. Der Katheterurin ist trübeiterig. Kystoskopisch finde ich ausser 
der Zystitis sehr viele kleine blutigrote Steilen (Sugillationen), aus denen 
es blutet, rechts oben seitlich an der Stelle, wo bei Appendizititen, wenn 
die entzündlichen Veränderungen auf die Blasenwand übergreifen, zuweilen 
bullöses Oedem zu sehen ist. Ich halte die Affektion für einen appen- 
dizitischen Prozess. Nachdem die Zystitis abgeheilt ist, wird operiert. 
Es finden sich sehr sohwere Verwachsungen des Peritoneum; das Zökum 
ist um seine Achse gedreht, der Appendix nach innen zu, zur Hälfte in 
Verwachsungen eingebettet; der Uterus ist in die Kreuzbeinaushöhlung 
gelagert und fixiert; die Verwachsungen werden gelöst und naoh der 
Appendektomie der (schwangere) Uterus aufgerichtet Die Dame ist 
seitdem gesund. 

Schliesslich möchte ich zu dem ersten Vortrag über Indikation und 
Nutzen des Verweilkatheters einige Bemerkungen machen. 

Ich glaube nicht, dass Herr Kollege Casper in seinem Vortrag von 
der Kehrseite, vom Schaden des Verweilkatheters genügend gesprochen 
hat. Einen früher häufiger als jetzt vorkommenden Schaden des Verweil¬ 
katheters, den vorhin auch Herr Kollege Zondek erwähnt hat, habe 
ioh jüogst beobachtet; bei einem Prostatiker von 60 Jahren, der seit 
zwei Monaten einen Verweilkatheter aus Gummi trug, den sein Arzt 2 mal 
wöchentlich gewechselt batte, sah ich ein faustgrosses Infiltrat in der 
Skrotalgegend, aus dem sich allmählich eine sehr schwere, ernste Phlegmone 
entwickelt bat. Die Ursache dieses sonst heute seltenen, früher häufigeren 
Vorkommnisses ist eine Drucknekrose der Harnröhrenschleimhaut durch 
den Katheter an der Uebergangsstelle der Pars fixa in die Pars mobilis. 

Eine andere peinliche Folge des Verweilkatheters ist eine komplette 
Retentio, wo vorher nur eine inkomplette bestand. Wenn man z. B. 
beim Prostatiker wegen der Zystitis tioen Verweilkatheter einlegt, so 
kommt es, allerdings nur sehr ausnahmsweise vor, dass die spontane Urin¬ 
entleerung, die vorher noch möglich war, nachdem eine Zeitlang ein 
Verweilkatheter gelegen hatte, dann nicht mehr möglich ist. Ich finde 
dieses, wenn auch seltene Vorkommnis in den Lehrbüchern zuwenig erwähnt. 

Vor kurzem beobachtete ioh einen 45 jährigen Mann, der nach einem 
Fliegerangriff im Felde einen Nervenchok mit kompletter Retentio erlitten 
hat. Er wurde katheterisiert und bekam eine Zystitis, aber er konnte 
danach bald wieder selbst Urin lassen. Ein Vierteljahr später, Dezember 
1916, wurde ihm in einem Heimatlazarett wegen der Zystitis und einer 
Blutung Verweilkatheter 14 Tage lang eingelegt; als der Katheter heraus¬ 
genommen wurde, war zwar der Urin vorübergehend klar, aber seitdem 
bis heute kann der Mann nicht mehr Urin selbst lassen. 

Im übrigen hat der rein akademische Vortrag des Herrn Kollegen 
Casper nur über nicht mehr umstrittene und allseitig feststehende 
Auffassungen betreffs des Verweilkatheters referiert, aber der Vortragende 
hat nach meiner Erinnerung in seinen hier vorgetragenen Ausführungen 
die aktuellen chirurgischen Probleme der Anwendung des Verweilkatheters 


zu meinem Badauern nicht in seinen Vortrag einbezogen. Die Herren, 
die vorher gesprochen haben, haben einige Bemerkungen dazu gemacht 
Ich habe meine diesbezüglichen Erfahrungen über die chirurgische An¬ 
wendung speziell bei HarnrÖhrenwunden schon verschiedentlich, 60 im 
Jahre 1916 in der „Medizinischen Klinik*, Nr. 5 dargelegt und möchte 
Sie deshalb hier nicht mit weiteren Aeusserungen darüber aulhalten. 

Hr. C. Hamburger: Ich möchte um die Erlaubnis bitten, an Herrn 
Casper oder die anderen Herren Urologen, die anwesend sind, folgende 
Frage zu richten. Wenn man einem Menschen Fluoreszin eingibt, und zwar 
vom Munde aus, so bekommt er bei einer Dosis von 6—8 g, die gänzlich 
ungeläbrlich ist, nach s / 4 Stunden eine Hauttärbung, die sioh in nichts 
von der eines echten Ikterus unterscheidet. Nach den Erfahrungen, die 
ich am Auge mit diesem Medikament gemacht habe, sollte ich meinen, 
dass es auch für die Niere verwendbar sein müsste. Der Farbstoff geht 
nämlich nur in das kranke, niemals in ein gesundes Auge über. Das 
Kammerwasser des kranken Auges wird leuchtend grün, so dass man dem 
Kranken auf zehn Schritte seine Diagnose Litis ausieht. Das Mittel ist 
daher naoh meinem Vorschläge im akademischen Unterricht an einer 
Reihe von Universitäten eingelührt worden. Ich sollte meinen, dass ei 
auch bei der Niere zur funktionellen Diagnose brauchbar sein müsste. 
Ioh habe schon früher einen Herrn gebeten, das zu probieren, der hat 
aber zu hohe Dosen benützt, so dass der Ureterkatheter kaum zu reinigen 
war. Das ist natürlich ganz falsch. Man darf nicht hohe Dosen nehmen, 
sondern nur die kleinsten. Nachdem das Medikament bereits in einer 
Verdünnung von 1:2 Millionen auf dunklem Hintergrund durch seine 
leuchtend giüoe Farbe sichtbar ist, sollte man meinen, dass es sehr 
geeignet sein müsste. Natürlich nicht 6 oder 8 g, sondern eine Spur, 
eine kleine Messerspitze, oder noch weniger. Ich glaube, dass es sich 
lohnen würde, vom Munde aus den Versuch zu maohen; denn die andern 
Mittel, z. B. das indigschwefelsaure Natron, müssen ja unter die Haut 
gespritzt werden. 

Hr. Casper (Schlusswort): Wenn ich auf die letzte Frage zunächst 
antworten darf, se habe ich das Fluoreszin in einem Falle probiert, es 
hat mir aber genügt, um es wieder bei Seite zu lassen. Es ist ein solcher 
Zustand entstanden, wie ihn Herr Kollege Hamburger geschildert hat, 
ein scheinbarer Ikterus mit hässlicher Gelbfärbung. Im übrigen aber 
eignet sich der Stoff nicht so, wie der Blaustoff und zwar aus dem ein¬ 
fachen Grunde, weil sich dieser GeLbstofl von dem Harn zu schlecht 
differenziert. Es gibt eine ganze Reihe von Farbstoffen, mit denen man 
dasselbe machen kann. Das Prinzip ist immer das gleiche: es wird dar¬ 
getan, wieweit die Niere einen Farbstoff, den man ihr gibt, durchlässt 
Ich meine, dass wir mit dem Fluoreszin für die zu lösenden Fragen 
nicht weiter kommen. 

Auf die Bemängelungen des Herrn-Rothschild glaube ioh trotz 
mancher Unrichtigkeiten nicht eingehen zu sollen. Nur ein Wort zu 
der Mithereinbeziehung der UretererkrankuDgen als perivesikale Affektionen. 
Wenn eine Biasentuberkulose vorliegt, so handelt es sich um eine vesikale 
Erkrankung. Wenn es sich aber um Uretererkrankucgen dreht, die also 
noch nicht in der Blase liegen, so ist der Ausdruck perivesikale Erkrankung 
durchaus gerechtfertigt. Im übrigen ist das ein Wortstreit; der Saohe 
nach bleibt es so, wie ich es dargestellt habe. 

Dann soll komplette Retention nach dem Verweilkatheter entstehen. 
Das mag einmal Vorkommen. Aber es ist die allergrösste Ausnahme. 
Für gewöhnlich ist es umgekehrt; es ist so, dass Leute, die komplette 
Retention haben, duroh den Verweilkatheter davon befreit werden. 

Was die chirurgische Indikation anbetrifft, so habe ich ganz kurz 
darauf hingewiesen, indem ich erwähnt habe, dass der Verweilkatheter 
auch vielfach naoh chirurgischen Operationen Verwendung findet. Mehr 
konnte ich in dem kurzen Vortrag nicht sagen. 

Dann komme ich zu der Bemerkung des Herrn Zondek. Er hat 
mitgeteilt, dass er durch den Verweilkatheter ausser den Schäden, die 
ich erwähnte, paraurethrale Abszesse und naoh den Abszessen Fisteln 
hat entstehen sehen, ln den vielen Tausenden von Fällen, in denen ich 
den Verweilkatheter angelegt habe, erinnere ich mich nicht eines einzigen 
solchen Falles. Es ist das aber ohne weiteres denkbar, da eine Eiterung 
der Urethra entsteht. Die Urethritis ist die selbstverständliche Folge 
des Fremdkörpers. Im allgemeinen aber entstehen Abszesse, wenn die 
Eiterung sich nicht an der Oberfläche hält, sondern in die Tiefe hinein- 
gekrochen ist. Immerhin ist es möglich, aber es muss zu den grossen 
Ausnahmen gehören, sonst hätte ich es beobachtet. 

Dann ist noch darauf hinzuweisen, dass man auf die Wahl des 
Katheters achten muss. Ich glaube darauf hingewiesen zu haben, dass 
es wünschenswert ist, dünne Instrumente zu nehmen, sobald man einen 
Verweilkatheter einlegt, damit keine Drucknekrose eintritt. Ist in dem 
Fall ein Metallkatheter angewendet worden, so ist nicht lege artis ver¬ 
fahren worden, denn der Verweil katheter soll nicht aus Metall sein. 

Zu den Fragen des Herrn K aus oh: Die Bilder, die ich gezeigt habe, 
waren nur teilweise photographiert worden. Ein Teil waren Sohwarz- 
photographien, die nachher von einem Künstler übermalt worden sind. 
Ein Teil der Bilder sind von Künstlern ohne Photographie gemalt. Die 
in meinem Lehrbuch sind fast sämtlich Photographien. Man kann also 
in der Blase photographieren; es ist aber schwierig. 

Was dann die Frage betrifft nach der Anwendung von Verweilkatheters 
bei Blasennähten, so benutze ich, nachdem ich die Blase genäht habe, 
immer den Verweilkatheter. Bei der Prostatektomie mache ich es so, 
dass ich zunächst ein dickes Drain einlege und sobald ioh es entferne, 
den Dauerkatheter, duroh den die Blase gereinigt und gespült wird. 


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13. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


461 


Dann hat Herr Kollege K aus oh richtig hervorgebobeD, dass zu veilen 
Epididymitis entsteht. Das ist nicht zu vermeiden, das kommt vor. 
Der eitrige Prozess der Urethra geht in die Ductus hinein und macht 
eine Epididymitis. Es gibt wohl ein Mittel, das zu vermeiden, allerdings 
ein sehr heroisches: man durchsohneidet die Vasa deferentia, man macht 
also eine Vasektomie. Dann kommt meist keine Epididymitis mehr zu¬ 
stande. 

Was nun die Frage nach Nelatons angeht, so ist sie brennend, die 
N&atons werden der Zahl nach geringer und die Qualität schlechter. 
Man kann bich mit Seidenkathetern helfen, die aber lange nicht so gut 
sind. Die aus Zelluloid sind schleoht, alles Steife ist für Verweilkatheter 
schlecht. Angesichts dieser Notlage mit Gummikathetern tut man gut, 
die Sterilisation zu ändern. Wir sind gewohnt, Nelatons oder Gummi¬ 
katheter zu kochen oder mit Dampf zu sterilisieren, was gut geht, aber 
die Elastizität der Katheter leidet dadurch sehr stark. Infolgedessen 
bin ich zur chemischen Sterilisation znrückgekehrt. Nachdem der Katheter 
nach dem Gebrauch ordentlich gereinigt worden ist, legen. wir ihn 
in 1:5000 Sublimat. Wichtig ist, dass er so liegt, dass die Lösung 
durch die Innenwand des Katheters durchgeht, der Flüssigkeitsspiegel 
muss den Katheter überragen. Er muss 5—8 Stunden in Sublimat bleiben, 
dann ist er sicher steril. So sterilisiert halten die Katheter länger. 

Bezüglich der Befestigung, sagte Herr Kausch, dass ihm die Methode 
bekannt ist, bei der man ein Stück von der Scblauohbinde um den Penis 
herumlegt, nachdem der letztere mit Gaze gepolstert worden ist. Iq Er¬ 
mangelung der Schlauchbinde nimmt man eine Trikotbinde oder irgend¬ 
einen weichen Stoff. Das geht nicht ganz so gut, wie Gummi, weil der 
Stoff nicht so elastisch ist, aber es geht. 

Tagesordnung. 

1 . Hr. Martin: 

Demonstration von Präparaten, von Regeneration quergestreifte 
Muskulatur. 

Es handelt sich um einen Fall, den Herr Geh. Rat Bier bereits in 
Nr. 48 der D.m.W. 1917 veröffentlicht hat. Kurze Angaben aus der Kranken¬ 
geschichte, nach der es sich uro einen 20jährigen, schlank gewachsenen 
Soldaten handelt, der im Juni 1916 durch Infanteriegeschoss verwundet 
wurde. Der durch die Verwundung gesetzte Defekt betraf den Muse, 
bic. caput loog., den Muse, semitendinosus und den Muse, semimembranosus. 
Die Verwundung heilte narbig und verursachte eine Beugekontraktur des 
Knies, zu deren Beseitigung Herr Geh. Rat Bier sämtliche Natbenmassen 
ausschnitt; diese entstandene Höhle wurde mit 800 cbem physiologischer 
Kochsalzlösung ausgefüllt und plastisch gedeckt, to dass sie vollkommen 
subkutan lag. 3 Monate und 6 Tage nach der Operation war Gelegenheit 
festzustellen, dass die drei jeweils zusammengehörenden Muskelstümpfe 
durch neu entstandenes Gewebe miteinander vereinigt waren. Demon¬ 
stration zweier bei der Operation aufgenommener Spitzen, die ohne jede 
technische Verbesserung geblieben sind. Zur Darstellung der anatomischen 
Verhältnisse wird ein Aussohnittsbild des Oberschenkels gezeigt, um den 
Einwand zu entkräften, dass eine Zwischenlagerung anderer Muskeln in 
Frage kommen könnte. Das neue Gewebe war makroskopisch, fleischig¬ 
rot, streifig, weich-elastisch, wie normale quergestreifte Muskulatur. 
Vortr. legt die Gründe dar, dass wir nur noch die Merkmale eines jungen 
Muskels mikroskopisch zu finden hoffen dürfen; als solche Merkmale 
werden in den mikroskopischen Präparaten, so weit es im Projektionsbilde 
möglich ist, gezeigt: die geringere Starke der Muskelfibrillen, die Kern¬ 
vermehrung, die unregelmässige Lagerung der Kerne, die Gestalt. Das 
Fehlen der Kerne, der elastischen Fasern und Nervenfibrillen zwischen 
den einzelnen Muskelfasern lässt sich im projektierten Bilde nicht zeigen. 
Als besondere Merkmale kommen in dem Präparat Reste der Gewebs¬ 
flüssigkeit ihres Ausscheidungsproduktes, ausgedehnte Fettgewebspartien 
und vielfach Degenerationsformen der Muskelfibrillen vor; eine genaue 
Beschreibung der mikroskopischen Präparate wird im Arch. f. klin. Chir. 
erscheinen. Vortr. macht Mitteilungen von Versuchen, die Regeneration 
quergestreifter Muskeln experimentell nachzumaohen und berichtet, dass 
dieses in einem Fall gelungen sei. Er will aber wegen der pinzipiellen 
Bedeutung dieser Beobachtung weitere Erfolge abwarten, bevor sie der 
Oeffentlichkeit übergeben werden. 

Aussprache. 

Hr. Hans Kohn: Wenn ich den Herrn Vortragenden recht verstanden 
habe, so wurde erst das kranke Gewebe exzidiert, dann die Höhle mit 
Kochsalzlösung ausgefüllt; dann füllte sich diese Höhle nach seicer 
Meinung später wieder mit normalem Muskelgewebe aus, und dieses 
Muskelgewebe wurde in seiner Gesamtheit zur Untersuchung wieder 
herausgenommen. (Hr. Martin: Ntio, es wurden kleine Stücke zur 
mikroskopischen Untersuchung wieder herausgenommen.) Gut, also nur 
kleine Stücke. An diesen glaubt dann der Herr Vortragende Verschiedenes 
sehen zu können, was er uns am Projektionsapparat demonstrierte. Es 
ist freilich misslich, sich zu solchen Präparaten, die nur im Projektions¬ 
apparat und nicht unter dem Mikrcskop gezeigt werden, kritisch zu 
äussern. Mit der hierdurch gebotenen Zurückhaltung möchte ich aber 
gegen mehrere Ansichten und Schlüsse des Herrn Martin lebhafte Be¬ 
denken Vorbringen. Erstens meint er, uns noch Reste der einverleibten 
Kochsalzlösung zeigen zu können. Nun, m. H., dass solche Kochsalz¬ 
lösung noch nach sechs Monaten unresorbiert an Ort und Stelle wäre, 
das widerspräche doch aller Erfahrung. Die vorgezeigten Bilder sprechen 
auch gar nicht dafür, Kochsalzlösung färbt sich nicht gelb. Was wir 
sehen, ist m. E. nichts anderes als Serum oder Lymphe. 


Ferner, die Muskelfasern, die uns der Herr Kollege als junges 
Muskelgewebe vorstellte, machen auf mich — immer wieder unter 
dem Vorbehalt, dass man zu einem endgültigen Urteil die Präparate 
unter dem Mikroskop sehen muss — den Eindruck, dass es sich nicht um 
neues, sondern im Gegenteil um altes, degenerierendes Gewebe 
handelt. Diese schmalen Fasern sieht man bei jedem atrophischen Muskel, 
z. B. bei jeder Herzmuskelschwiele. Das aber, was für den jungen 
wachsenden Muskel charakteristisch ist, dies hat der Herr Kollege uns 
nicht gezeigt. Nur an einer einzigen Stelle zeigte er etwas, was eine 
Muskehpindel sei. Jurges sprossendes Muskelgewebe ist aber durch 
zahlte che Spindeln und Knospen ausgezeichnet. Davon ist hier nichts 
vorhanden Umgekehrt möchte ich gerade die spärlichen Stellen, an denen 
Herr Martin Degeneration zu sehen glaubt, nicht dalür ansehen, sondern 
für Kunstprodukte. Diese lockeren auseinandergezerrten Querschnitte 
kommen sehr oft und sehr leicht beim Anfertigeü mikroskopischer Schnitte 
am Muskelgewebe zustande. 

Somit bin ich vorläufig der Meinung, dass die Präparate des Herrn 
Martin nicht das zeigen, was er daraus entnehmen will, sondern meine 
vielmehr, das hier ein Irrtum vorliegt. 

Hr. Ben da: Ich möchte Herrn Kollegen Kohn nicht beistimmen, 
ich glaube doch, dass die Menge und Anordnung der Kerne in diesen 
schmalen Fasern sehr für ihre Neubildung spricht. Die Meinung Herrn 
Kohn’s über d e Flüssigkeit unterstütze ich. Aber ich glaube, dass 
Herr Kollege Martin nicht gemeint hat, dass sich die Kochsalzlösung 
im Gewebe erhalten hat, sondern ein plastisches Exsudat, welohes das 
Kochsalz ersetzt hatte. 

Der Herr Kollege Martin sprach von der amitotischen Teilung der 
Kerne. Da möchte ich bitten, vorsichtig zu sein. Wir kennen keine 
amitotische Teilung der Muskelkerne. Die vermehren sich immer mito¬ 
tisch. Man darf aber vermuten, dass die Teilungsstellen der Kerne nur 
an bestimmten Stellen dieser Muskelbrücken liegen und nicht überall 
im Schnitt getroffen werden. 

Hr. H. Kohn: Nur die eine Bemerkung, dass die Zahl der Kerne 
keineswegs gegen die Degeneration spricht. Wenn Muskelfasern atrophisch 
zusammeofallen, dann machen die Kerne den Eindruck, als ob sie zahl¬ 
reicher wären. Die Entscheidung muss das Mikroskop bringen. 

Hr. Martin: Ueber den Ersatz des Kochsalzes durch Gewebsflüssigkeit 
hat Herr Geh. Rat Bier bereits ausführlich berichtet, die Natur dieser 
Gewebsflüssigkeit ist noch nicht ganz klar. Die schmalen auseinander¬ 
liegenden Fasern sollen nicht Degenerationsformen darstellen, sondern 
lebende Fasern die weit auseinander liegen. Als Degenerationsformen 
bezeichne ich Fasern, die keine Quer- und Längsstreifung mehr haben 
und deren Inhalt homogen, körnig ist. Die Fasern sind mit Vakuolen 
durchsetzt, enthalten Kerne, die ein jeder in einer scharf abgegrenzten 
Höhle liegen. Die Kernteilung geschieht nach meinen experimentellen 
Untersuchungen nur durch direkte Fragmentierung. 

2 . Hr. E. Friedberger- Greifswald: Ueber Fleckfieber. 


» Medizinische Gesellschaft za Kiel. 

Sitzung vom 31. Januar 1918. 

1. Hr. Gäbell stellt eine Frau vor, die wegen neuntägiger Einklemmung 
einer Hernie ing. interparietalis mit Erfolg operiert worden ist, und be¬ 
spricht die verschiedenen Formen der interparietalea Leistenhernien, 
die bei Männern häufiger als bei Frauen sind und bei ersteren oft in 
ursächlichem Zusammenhang mit der Retentio testis stehen. 

2. Hr. Gtibell stellt ferner ein 2Sjähr. Mädchen vor, bei dem eine 
durch Fraktur des 12. Brustwirbels bedingte totale schlaffe Lähmnng 
der nnteren Extremitäten, eine Lähmung der Blase und des Mastdarms 
und verstreute Hypästhesien an beiden Beinen durch Laminektomie fast 
völlig beseitigt sind. 

3. Hr. Gtibell berichtet über die chirurgischen Erkrankungen des 
Kolons nnd des Rektums in der Kriegszeit. Aus dem Material des 
Anscharhauses und der chirurgischen Poliklinik ergibt sich, dass die 
Appendicitis abgenommen hat, dass die linksseitigen Kolon- und Rektum¬ 
erkrankungen überwiegen. Letzteres hängt wohl mit der jetzigen Er¬ 
nährungsweise zusammen, häufig muss die Differentialdiagnose zwischen 
Golis acuta und anderen entzündlichen Vorgängen in der linken Bauch¬ 
seite (z.B. umschriebene Peritonitis um die Milz, paranephritischer Abszess) 
gestellt werden. Ein Beispiel dafür, wie eine fieberhafte Kolitis zur Fehl¬ 
diagnose Appendicitis acuta Veranlassung gebe'h kann, wird angeführt. 

Besonders gehäuft tritt der Prolapsus recti auf. Vortr. bospricht 
die verschiedenen Formen des Prolapsus ani, ani et recti, recti, die 
tiefsitzende Koloninvagination. Ein grosser Teil des Prolapsus ani et 
recti hängt sicher mit einer stärker entwickelten Plica transversalis zu¬ 
sammen. Bei der Behandlung des Prolapsus ani und ani.et recti der 
Kinder bevorzugt G. den Thier’schen Riüg, bei tiefsitzender Kolon¬ 
invagination die zweizeitige Resektion des Sigmoideums, bei kleineren 
Prolapsen der Erwachsenen die Sphinkterplastik nach Helferich, bei 
grösseren die Mikulicz’sohe Amputation bzw. die Rehn-Delorme’scbe 
Operation. 

Vortr. weist ferner auf die Fälle von Dyschezie (Hertz) hin, bei 
denen man als Ursache der Beschwerden rektoskopisch eine zu grosse 
Houston’sohe Klappe findet. Die Beschwerden werden ebenfalls duroh 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 19. 


die Kriegskost gesteigert. Der untere Abschnitt des Rektum bis zur 
Plica transrersalis ist gewöhnlich leer, letztere versperrt den Durchgang 
fast völlig, oberhalb von ihr findet man stark zersetzte, mit Schleim 
vermengte Stublmassen und entzündete Schleimhaut. Behandlung: 
Durchtrennung der P»icä transversalis mit Hilfe einer Klappenklemme 
(Göbell), dann geeignete Stuhlregelung. 

4. Hr. Holzapfel: a) Puerperale Septikämie. 

Vortr. berichtet über die Behandlungsmethoden der puerperalen 
Septikämie, die sich in 5 Gruppen einteilen lassen: 

1. Lokale Behandlung, von denen die Abrasio, Inzisionen ins Para- 
metrium zu erwähnen wären, von denen Vortr. wenig Günstiges sab. 
Eher zu empfehlen ist bei Phlebothrombose die Unterbindung der er¬ 
krankten Venen. Zuweilen gelingt es auf diese Weise, eine weitere 
Ausbreitung des septischen Prozesses zu verhindern. 

2. Physikalisch-diätetische Maassnahmen. Eine sorgfältige Pflege 
kann hier segensreich wirken. Hydrotherapeutische Maassnahmen sind 
zu empfehlen. Wichtig ist gute Ernährung. Die Behandlung mit grösseren 
Alkoholgaben lehnt H. ab. 

3. Behandlung mit Silberpräparaten. Von Kollargol sah Vortr. 
keine Erfolge. Eher zu empfehlen sind neuere Mittel, wie Elektro- 
kollargol und vor allem das Fulmargin. H. berichtet ausführlich über 
einen Fall schwerer puerperaler Septikämie, bei dem wochenlang hohes 
septisches Fieber bestanden hat und zahlreiche Schüttelfröste aufgetreten 
waren, und der unter längerer Behandlung mit Fulmargininj ktionen 
einen günstigen Ausgang nahm. Eine Nierenschädiguug wurde trotz 
aussergewöhnlich hoher Gesamtdosen von Fulmargin nicht beobachtet. 

b) Klimakterische Blutungen. H. empfiehlt hier besonders die 
Röntgenbestrahlung der Ovarien und die Abrasio mit anschliessender 
Vaporisation. Letztere darf aber nur bei klimakterischen Blutungen 
angewandt werden. 


Das kommende Gesetz zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten. 

Von 

Dr. med. Martin Chotzea-Breslau. 

Der dem Reichstag zugegangene Entwurf eines Gesetzes zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten ist der erstmalige Versuch, diese 
ihrem Entstehen und Verlaufe, ihrer Verbreitung und Bedeutung nach 
durchaus eigenartigen Erkrankungen, losgelöst von den übrigen über¬ 
tragbaren Krankheiten, mit Hilfe eines besonderen Gesetzes zu bekämpfen. 

Der Entwurf ist in 7 Paragraphen gegliedert. Er ist derart auf¬ 
gebaut, dass nach Festlegung des Begriffes der Geschlechtskrankheiten 
behandelt wird: 

1. die Strafbarkeit dessen, der, obwohl er weiss oder annehmen 
muss, dass er geschlechtskrank sei, den Beischlaf ausübt; 

2. das Verbot der Kurpfuscherei und des öffentlichen Anbietens 
von Heilmitteln für Geschlechtskranke; 

3. die zwangsweise Untersuchung und Behandlung, das Wohnen 
und die Ueberwachung von Prostituierten; 

.4. der Schutz der Ammen, Säuglinge und Pflegeeltern gegen die 
Uebertragung der Syphilis. 

Schon aus dieser Uebersicht ist erkennbar, dass das Gesetz sich 
damit begnügt nur gegen einige wenige, der Abhilfe besonders bedürftige 
Missstände Maassnahmen zu treffen. 

Die Einführung der Straffälligkeit eines Geschlechtskranken, 
der trotz seiner Erkrankung den Geschlechtsverkehr ausübt 
und dadurch seinen Partner gefährdet, ist für eine wirksame Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten ein unbedingtes Erfordernis. Es 
besteht in weiten Kreisen der Bevölkerung ungeachtet aller ärztlichen 
Belehrungen die noch immer nicht ausrottbare Leichtfertigke^ dass 
Geschlechtskranke die Wiederaufnahme ihrer sexuellen Betätigung nicht 
von der einzig maassgeblichen ärztlichen Gesunderklärung abhängig 
machen, sondern allein aus dem Abklingen ihrer Krankheitserscheinungen 
ohne ärztliche Untersuchung sich dazu lür berechtigt halten. Es herrscht 
sogar unter gebildeten, der Tragweite ihres Handelns bewussten Männern 
noch vielfach die Auffassung, dass eine Probe, ob ihre anscheinend ge¬ 
heilte Erkrankung noch fortbestehe und durch neue Verkehrsausübung 
wieder aufflackern könne, bei einer Prostituierten ohne jedes Bedenken 
angestellt werden dürfe. Auch unter den gelegentlich sich prostituierenden 
Mädchen ist trotz des Bestehens von Krankheitserscheinungen, wenn sie 
nur nicht gar zu arg auftreten, die ununterbrochene Fortsetzung des 
Verkehrs allgemein üblich. Diesem gewissen- und rücksichtslosen Ver¬ 
halten soll durch die Androhung einer Strafe entgegen gearbeitet werden. 
Mag auch nur selten eine richterliche Verurteilung erfolgen, schon das 
Vorhandensein der Strafbestimmung wird dem Volksbewusstsein das Ge¬ 
wissen schärfen und abschreckend wirken. 

Von wesentlicher Bedeutung ist die Bestimmung des Entwurfes, 
wonach denen, die die staatliche Anerkennung als Arzt 
(Approbation) nicht besitzen, die gewerbsmässige Behand¬ 
lung von'Geschlechtskrankheiten verboten wird. Damit wird 
jenem unseligen Kurpfuschertum, das seit der Einführung der Gewerbe¬ 
freiheit zum iHohne der Wissenschaft und Rechtspflege, zum Schaden 
der Gesamtheit trotz seiner allgemein zugegebenen Unzulänglichkeit sich 
ungehindert ausbreiten konnte, endlioh auf seinem ergiebigsten Gebiete 


die BetätigUDgsmöglichkeit entzogen. Merkwürdigerweise verbietet der 
Entwurf, wie Blaschko in der D.m.W., 1918, Nr. 9 hervorhebt, zwar 
die Ankündigung von Mittelo, Gegenständen oder Verfahren znr Heilung 
von Geschlechtskrankheiten, nicht aber die Ankündigung von Hilfe znr 
Heilung. Es ist zu befürchten, dass das Kurpfusohertum diese Lücke 
im Gesetze ausnutzen und durch weiteres öffentliches Ankündigen ver- 
suchen wird, auch künftighin seine Faogarme auszustrecken, in der 
Hoffnung, dass geraume Zeit vergeht, bis die Behörde imstande ist, ihm 
eine gesetzwidrige Behandlung nacbzuweiseo. Es ist notwendig, dass 
dem ein Riegel vorgeschoben wird. Es ist um so notwendiger, da durch 
das Vorgehen fast aller Generalkommandos seit Kriegsbeginn sowohl die 
Ausübung wie die Ankündigung der Behandlung der Geschlechtskrank¬ 
heiten durch Kurpfusoher bereits verboten ist. Die Generalkommandos 
haben sich dazu zunächst im Interesse der Armee, daneben aber auch 
in dem der Bürgerschaft entschlossen. Es muss der Bevölkerung unver¬ 
ständlich bleiben, dass das Reicbsamt, wenn ihm eine energische Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten wirklich am Herzen liegt, jetzt 
Gelegenheit gibt, einen als Schädigung der Allgemeinheit anerkannten 
Zustand wiederherzustellen. Das Reicbsamt sollte im Interesse der 
Gesundheitspflege das Kurpfuschertum auf allen Gebieten der wissen¬ 
schaftlich begründeten Heilkunde — and ganz besonders auf dem der 
Behandlung der Geschlechtskrankheiten — mit allem Nachdrucke und 
allen Vorsichtsmaassregeln ausschalten. 

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält noch eine Lücke, die ihrer 
GemeiDgefäbrlichkeit wegen anszufüllen ist. Der Entwurf sieht eine 
zwangsweise Behandlung — auch Krankenbausbehandlung— 
von Geschlechtskranken nur bei weiblichen Personen vor, 
die gewerbsmässig Unzucht treiben (§ 5). 

So berechtigt auch die Zurückhaltung der Vorlage ist, die sie von 
der Einführung einer Meldepflicht und eines Behandlungszwanges für 
alle Geschlechtskranke absehen lässt, einer eng urogrenzbaren Klasse 
von Geschlechtskranken gegenüber geht diese Zurückhaltung zu weit: 
es sind jene Personen, d e, wiewohl sie wissen, dass sie gescblechtskrank 
sind, aus Leichtsinn oder Unvernunft trotz eindringlicher behördlicher 
Ermahnung sich dennoch überhaupt nicht behandeln lassen 
wollen und ihre Krankheit fahrlässig weiter verbreiten. 
Es sind zumeist jene, die durch ihre Lebensführung und Lebensstellung 
(Gewerbebetrieb im Umberziehen, häufigen Stellungswechsel, längere 
Stellungslosigkeit), selbst wenn sie vom direkten Geschlechtsverkehr sich 
fern halten, auf indirektem Wege ihre Krankheit auf andere übertragen. 

Solchen männlichen und weiblichen Personen gegenüber waren 
die Behörden bisher machtlos, da die AusführungsbestimmuDgen zum 
Reichsseuchengesetze auch nur gegen gewerbsmässige Prostitution die 
Handhabe boten. 

Die Begründung, die 1904 dem Entwürfe zu den Ausfübruogs- 
bestimmungen des Reichsseuchengesetzes für das preussische Abgeordneten¬ 
haus beigegeben wurde, und die behauptete, dass es ausreichend sei, 
wenn die Polizei allein gegen gewerbsmässig sich Prosti¬ 
tuierende vorgehen könnte, ist schon damals von mir 1 ) und kurz durauf 
von Ne iss er 2 ) zurückgewiesen worden. Wer die Wege des vor- und 
ausserebelichen Verkehrs auch nur oberflächlich kennt, der weiss zur 
Genüge, dass die nicht polizeilich überwachte, gelegentliche, neben¬ 
berufliche Prostitution für die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten 
in weit höherem Maasse verantwortlich zu machen' ist als die ziffern- 
mässig bei weitem niedrigere gewerbsmässige. Er weiss auch, dass an 
der Verbreitung der Krankheiten Männer im allgemeinen in weit höherem 
Maasse die Schuld tragen als Frauen, weil erfahrungsgemäss Männer 
weit häufiger die Verkehrsgenossin weohseln als umgekehrt. Es ist eine 
durchaus irrige Annahme, dass es zum -Schutze der Allgemeinheit aus¬ 
reichend sei, wenn die Polizei allein gewerbsmässigen Prostituierten 
gegenüber eine zwangsweise Krankheitsbehandlung durchführen könne. 
Nicht da9 gewerbsmässig sich prostituieren darf für eine 
Zwangsbehandlung ausschlaggebend sein, sondern die tat¬ 
sächlich nachgewiesene oder ans der bisherigen Lebens¬ 
führung mit Sicherheit anzunehmende Vernachlässigung der 
unbehandelten Krankheit, gleichgültig, ob es sich um eine Prosti¬ 
tuierte oder irgendeine andere männliche oder weibliohe Person bandelt 
Durch Zuführung zur Zwangsbehandlung, und zwar in einem Kranken- 
bause, soll ein jeder unschädlich gemacht werden können, der sich 
nicht behandeln lassen will. 

Die Erfahrungen, die von 1905 bis 1918 die allgemeinen sowie die 
Polizeiärzte auf Grund ihrer Machtlosigkeit gegenüber den erwähnten 
sozialen Schädlingen machen mussten, drängen unabwendlich dazu, dass 
jetzt bei dem Herausbringen eines neuen Gesetzentwurfes diese empfind¬ 
liche Lücke der Aasführungsbestimmungen des Reiobsseuchengesetzes 
endlich durch eine die tat9äohliohen Missstände beseitigende Anordnung 
ausgefüllt wird. ' 

Die Frauen vereine, die seit Jahren auf die Ungerechtigkeit und Un¬ 
zulänglichkeit Jder allein gegen die Prostituierten gerichteten Zwaogs- 
maassnahmen hinwiesen, erwarten von einem neuen Gesetze mit vollem 
Rechte, dass es überlebte Anschauungen über Bord wirft und sich auf 
den von der Erfahrung nnd£[ wissenschaftlichen Erkenntnis erreichten 
Standpunkt stellt. 

Den bisherigen Bestrebungen, eine zwangsweise Unschädlichmachung 
dieser Personen, die sich überhaupt nicht .behandeln lassen wollen, 


1) Zscbr. f. Bekämpf, d. Geschleohtskrkh., Bd. 2, S. 11 u. 12. 

2) Zschr. f. Bekämpf, d. Geschleohtskrkh., Bd. 4, S. 1, S. 18. 


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13. Mal 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


463 


herbeizuführen, wurde entgegengehalten, man müsse jeden Sohritt, der 
zum Behandlungszwange des freien Bürgertums führe, vermeiden, weil 
man es dadurch dem Kurpfusohertume in die Arme treibe. Dieser Ein¬ 
wand war schon bisher nicht stichhaltig, weil jene, die hierbei in Frage 
kommen, aus Leichtsinn oder Unverstand sich überhaupt nioht, weder 
vom Arzte noch vom Kurpfuscher, behandeln lassen wollen. Er ist es 
jetzt aber, wo die Kurpfuscherbebandlung der Geschlechtskrankheiten 
verboten wird, noch viel weniger als bisher. Mag das Kurpfuschertum 
künftighin auch noch so findig sein in der Schaffung von Schlupfwinkeln 
und Verschleierungen, hinter denen es sein Gewerbe weiter betreiben 
will, die Polizei und Staatsanwalt wird, wenn sie nur kräftig zufassen 
will, sie zu fassen schon imstande sein. Ein weiteres Ueberhandnehmen 
der Kurpfuscher für Geschlechtskranke ist nach Annahme von § 3 des 
Entwurfes nicht mehr zu befürchten. 

Es wäre ein schweres Unrecht, wenn eine jetzige Neuregelung der 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, die voraussichtlich wieder 10 bis 
13 Jahre unverändert bestehen bleiben wird, den bisherigen gesetz¬ 
geberischen Fehler zum Bedauern der Polizeiverwaltungen, zum Aerger 
der Aerzte und zum Schaden der Gesamtheit unverändert aufrecht erhält. 
Das Volksbewusstsein, welches jetzt während des Krieges für die von 
unbehandelten Geschlechtskranken angerichteten Schäden volles Ver¬ 
ständnis gewonnen hat, würde es nicht verstehen, dass die gesetzgeben¬ 
den Körperschaften gegen solche sozialen Schädlinge die Allgemeinheit 
nicht schützen wollen. 

Der Gesetzentwurf bedarf noch einer weiteren Ausgestaltung. Die 
Aufgabe eines Gesetzes besteht nicht nur darin, die Ahndung eines Ver¬ 
gehens festzusetzen, sondern auch darin, und das ist noch wichtiger, 
durch die direkte Kennzeichnung einer Handlung als einer strafwürdigen 
den Einzelnen davon abzuhalten eine derartige Handlung zu begehen, 
ln einem Gesetze zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten sollte in 
irgendeiner Form zum Ausdruck gebracht werden, dass ein derart Er¬ 
krankter sich selbst, seiner Familie und dem Staate gegen¬ 
über die unbedingte sittliche Verpflichtung hat, sich be¬ 
handeln zu lassen. Die Vernachlässigung dieser Pflicht muss, um 
abzuschrecken und um das Gewissen zu schärfen, mit Strafe bedroht 
werden. Eine Strafandrohung wird sich als wirksames Mittel erweisen, 
unT Leichtsinnige und Rücksichtslose erfolgreich daran zu mahnen, dass 
die Gesellschaft die Erfüllung bestimmter gesundheitlicher Forderungen 
um ihrer Selbsterhaltung willen zu fordern berechtigt ist. 

Die Auferlegung der Behandlungspflicht ist eine so geringe und 
so notwendige Beschränkung der persönlichen Freiheit, dass sie aus 
individuellen Erziehungs- und allgemeinen Staatsrücksichten bedenkenlos 
zuzumuten ist. Sie ist eine sittliche Forderung, die allen Bevölkerungs- 
schiohten auf das Eindringlichste zum Bewusstsein gebracht werden 
muss und durch die Aufnahme in ein Gesetz am wirkungsvollsten zum 
Bewusstsein gebracht werden kann. 

Die Aufstellung dieser Forderung in dem kommenden Gesetze ist 
zurzeit notwendiger als je zuvor. Die neu geschaffene Einrichtung der 
Beratungsstellen der Landesversicherungsanstalten, die ihre Aufgabe — 
die Ueberwaohung, Beratung und Behandlung der geschlechtskranken 
Versicherungspflichtigen Deutschlands — nur dann durchführen können, 
wenn die ihnen namhaft gemachten Kranken sich behandeln lassen 
wollen, würde durch die gesetzliche Forderung der Behandlungspflicht 
eine wesentliche Stütze erhalten. Die Beratungsstellen können erst 
dann erfolgreich arbeiten, wenn der Gedanke der Behandlungspflicht 
unter den Versicherungspflichtigen sich fest verankert. Das wird um 
so sicherer und schneller geschehen, wenn dieser Gedanke in dem neuen 
Gesetze zum Ausdruck kommt. 

Nach einer Mitteilung des ärztlichen Vereinsblattes vom 9. April 
1916 hat der Abgenordnete von Kalker in der Reichstagskommission 
für Bevölkerungspolitik einen Zusatzantrag zu § 1 des Entwurfes 
eingebracht, wonach jeder, der weiss, dass er geschlechtskrank 
ist und es unterlässt sich von einem staatlich geprüften 
Arzt behandeln zu lassen, mit Geldstrafe bis zu 100 M. oder 
mitGefängnis oderHaft biszu6 Wochen bestraft werden soll. 

Der Antrag wurde mit 16 gegen 2 Stimmen angenommen. Die 
Regierung soll dem Anträge widersprochen haben, weil sie ein An¬ 
wachsen des Denunziantentums befürchtet. Selbst wenn dies der Fall 
sein sollte, wäre der Nutzen einer solchen Bestimmung immer noch 
wesentlich grösser als der Schaden einer unlauteren Angeberei. Das 
Ziel des v. Kalker’schen Antrages ist nicht, wie der Artikel im ärzt¬ 
lichen Vereinsblatt annimmt, die Auferlegung einer Zwangsbebandlung, 
sondern einzig und allein die Erziehung zur sittlichen Pflioht, 
gerade diese so leicht zu verbergenden und so leicht zu 
übertragenden Krankheiten behandeln zu lassen, und zwar 
freiwillig, aus eigenem Entschlüsse, ohne behördlichen 
Zwang behandeln zu lassen. Die Aerzteschaft hat die Erziehung 
zu dieser sittlichen Pflicht sich schon seit fast 80 Jahren — seit der 
Einrichtung der Krankenkassengesetze — angelegen sein lassen. Das 
Ergebnis ihrer Arbeit entspricht ebenso wie das der Deutschen Gesell¬ 
schaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, die seit 17 Jahren 
in ihren 40 Ortsgruppen mit Schrift und Wort unermüdlich daran arbeitet, 
die Behandlungspflicht des Geschlechtskranken als ein unbedingtes Ge¬ 
bot der Selbsterhaltung hinzustellen, nicht der aufgewendeten Mühe. 
Angesichts der bisherigen geringen Erfolge muss versucht werden, auf 
andere Weise die Pflichtvergessenen aufzurütteln und ihnen einzu¬ 
hämmern, dass sie um ihret- und des gesamten Volkes willen diese 
Pflicht zu erfüllen haben. 


Wenn die Reichsregierung sich schon nicht von selbst zur Auf¬ 
stellung dieses Pflichtgebotes aufgeschwungen hat, sollte sie wenigstens 
damit zufrieden sein, dass sie ihr von der Reichstagskommission ent- 
gegeDgebracht wird und noch dazu mit der stattlichen Mehrheit von 
16 gegen 2 Stimmen. Diese Mehrheit beweist, dass die Auffassung von 
der Bürgerpflicht des Geschlechtskranken in der Kommission — und 
zweifelsohne ebenso in der Reichstags-Vollversammlung — auf einer 
Höhe steht, die kleinliche Bedenken der bevölkerungspolitischen Bedeu¬ 
tung des Antrages von Kalker untergeordnet zu sehen verlangt. Es 
fehlt die Berechtigung, diesem Verlangen Hindernisse zu bereiten. Die 
Forderung der Volksvertretung sollte von der Reichsregierung kräftig 
unterstützt werden. Die Hebung des sittlichen Pflichtbewusstseins be¬ 
deutet die Hebung der Gesamtheit überhaupt. 

Es ist noch ein weitezer Zusatz zu dem Gesetzentwürfe zu wünschen. 

Die vom Reicbsversicherungsamte seit einiger Zeit eingerichteten 
Beratungsstellen der Landesversicherungsanstalten, die geschlechtskranke 
Versicherungspflichtige bis zur völligen Ausheilung überwachen und be¬ 
raten sollen, werden hauptsächlich bei der demnächstigen Demobilisierung 
ihre volle Wirksamkeit zu entfalten haben. Zum Zwecke einer weit¬ 
gehenden Einschränkung der späten Folgen der Geschlechtskrankheiten, 
also zur Verhütung der Spätformen bei den Männern und der Ueber- 
tragung der Krankheit auf die Ehefrauen und Nachkommen, ist es not¬ 
wendig, dass möglichst alle gesohl eohtskranken Heeresent- 
lassenen den Beratungsstellen zur weiteren Ueberwachung 
angegeben werden. Die Heeresverwaltung hat aus dem Bedenken 
heraus, dass ihre Angabe der Erkrankten ohne deren direkte Zustim¬ 
mung eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht sei, bisher bestimmt, 
dass die Meldung an die Beratungsstelle nur dann erfolgen 
dürfe, wenn der einzelne Erkrankte dazu seine Einwilligung 
gäbe. 

Infolge dieser Bestimmung werden aus naheliegenden persönlichen 
Gründen so viele geschlechtskranke Soldaten die Einwilligung zu ihrer 
Meldung an die Beratungsstellen verweigern, dass der grosszügige Ge¬ 
danke des Reichsversicherungsamtes seine Wirksamkeit einbüssen muss. 
Ich habe an anderer Stelle (B. kl. W., 1918, Nr. 2, „Die zukünftige Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten“) darzulegen versucht, dass diese 
Vorschrift der Heeresverwaltung aus bevölkerungspolitizchen Gründen 
nooh einer Nachprüfung und Abänderung bedarf. 

Es widerspricht dem Reohtsbewusstsein des Volkes, dass unter 
Staatsbehörden ausgetausobte Mitteilungen zum Zwecke der Förderung 
einer im Staatsinteresse geschaffenen Wohlfahrtseinrichtung eine un¬ 
befugte Offenbarung, eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht 
(§ 300 St.G.B.) bedeuten könne. 

Da aber selbst eine im Reichstage bereits an den Reichskanzler 
gerichtete Anfrage eine endgültige Entscheidung im angeregten Sinne 
nicht herbeigeführt hat, und da auch unter den Kassenärzten ein — jetzt 
allerdings nur noch kleiner — Bruchteil die Bedenken der Heeresver¬ 
waltung teilt, ist dringend zu wünschen, dass in dem vorliegenden 
Gesetzentwürfe ausdrücklich ausgesprochen wird: 

„Die Meldung von geschlechtskrankenVersiche- 
rungspflichtigen an die Beratungsstellen der Lan¬ 
desversicherungsanstalten ist als eine Verletzung 
der Schweigepflicht nicht anzusehen.“ 

Mit der Einfügung der angeführten Vorschläge in den Entwurf: - 

1. Verbot der Ankündigung der Kurpfuscher; 

2. Möglichkeit der Zwangsbehandlung von Personen, bei denen 
die Annahme der Bebaudlungsunterlassung begründet ist; 

3. Aufstellung der Behandlungspflicht des Geschlechtskranken; 

4. Festlegung, dass die Meldung gesoblechtskranker Versicherungs¬ 
pflichtiger an die Beratungsstellen als eine Verletzung der 
Schweigepflicht nicht anzusehen sei, 

würde das kommende Gesetz sich mit Sicherheit als ein wertvolles Werk¬ 
zeug bei der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten bewähren und eine 
Besserung der augenblicklichen Missstände herbeiführen. 


Bemerkungen zu dem Aufsatz von Dr. Halle 
in Nr. 11 dieser Wochenschrift 

Von 

Dr. J. M. West-Berlin. 

In Nr. 11 dieser Wochenschrift hat Halle einen Aufsatz über die 
intranasale Tränensackoperation veröffentlicht, in dem er behauptet, dass 
ich seine Modifikation (eine Schleimhautlappenbildung) dieser von mir 
angegebenen Operation angewendet habe, ohne seinen Namen zu erwähnen 
und stützt sich hierbei auf den Sitzungsbericht der Berliner Laryngo- 
logischen Gesellschaft vom Mai 1911 und Januar 1912. 

In den Verhandlungen der Berliner Laryngologisohen Gesellschaft 
kann ich nicht entdecken, dass Halle jemals eine Lappenbildung gemacht, 
so wie ich sie mache. Dagegen spraoh er damals, wie in den Verhandlungen 
steht, von der „Methode von West“ und wollte sie insofern modifizieren, 
als er eine Lappenbildung erstrebt, die als „Ventil“ und „Klappe* funk¬ 
tionieren soll, um zu verhindern, dass der Patient nach der Operation 
Luft durch das Tränenröhrohen ausschnaubt. Ein solohes Ventil zu 


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464 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 10 


machen ist chirurgisch unmöglich, wie ich schon in dem Archiv für 
Laryngologie dargelegt habe. 

Es sei auch erwähnt, dass in der Sitzung der Berliner medizinischen 
Gesellschaft vom 30. April 1913, wo ich eine Demonstration über 100 Fälle 
von Tränensaokoperationen gehalten habe, wobei ich auch eine Wand¬ 
tafel von der Operation mit derselben Lappenbildung, wie ich sie noch 
heute mache, demonstriert habe, Halle anwesend trar. Er hat aber 
damals keinen Widerspruch erhoben. 

Die Hauptsache aber bei intranasaleü Tränensaokoperationen be¬ 
ruht auf der Schonung der Muscheln, der Eröffnung der Fossa 
lacrimalis, der Freilegung des Tränensackes und der Resektion 
der nasalen Tränensack wand. Und alle diese technischen Stufen 
der Operation hat Halle von mir gelernt bzw. entnommen. Er sagt in 
seinem Aufsatz auch ganz richtig, dass ich einen neuen Abschnitt in 
den Bemühungen, die Erkrankungen der ableitenden Tränenwege von 
der Nase aus zu heilen, inauguriert habe, und dass er erst durch meine 
Arbeit auf diese Sache gekommen ist. Die Sjhleimhautlappen- 
bildung bei Tränensackoperationen — das einzige was er anders macht 
als ich — ist vollständig Nebensache, wie ich nach einer Erfahrung 
an über 700 solcher Operationen betonen möchte. Häufij mache ich 
überhaupt keine Schleimhautlappen. 

Bis jetzt hat Halle nichts zur Chirurgie der Tränenwege beigetragen, 
was ich benutzen kann. Sein erster Yentillappen ist unmöglich, und 
seine neue Lappenbildung ist sehr unvorteilhaft. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Obergeneralarzt Prof. Dr. Scheibe, der langjährige ärzt¬ 
liche Direktor der Charitö, begeht am 12. d. M. seinen 70. Geburtstag. 
Unsere herzlichsten Glückwünsche vereinigen sich mit denen der zahl¬ 
reichen jetzigen und ehemaligen Charit eirzte, die in ihm immer einen 
wohlwollenden Förderer ihrer Bestrebungen erblicken durften. 

— Dr. Röthig, Stadtrat in Charlotten bürg, wohlbekannt durch 
seine Arbeiten auf dem Gebiete der normalen Anatomie, bat den Pro¬ 
fessortitel erhalten. 

— Geheimrat Graeffner, leitender Arzt des Friedrioh-Wilhelm 
Hospital und der Siechenanstalten und Mitherausgeber der Zeitschrift für 
Balneologie, ist im Alter von 65 Jahren gestorben. 

— Die Frage einer Vertretung der Aerzteschaft im Herren hause 
ist leider auch im Plenum des Abgeordnetenhauses im selben Sinne 
wie in der Kommission entschieden worden: ein von freisinniger Seite 
eingebrachter Antrag, es mögen sieb unter den 6 in Aussicht ge¬ 
nommenen Vertretern „gelehrter Berufe“ 2 Aerzte (sowie 2 Rechts¬ 
anwälte) befinden, wurde abgelebnt. Es wird nun um so notwendiger 
sein, dass bei den späteren Wahlen zum Abgeordnetenhause Mitglieder 
unseres Standes recht zahlreioh kandidieren, damit dessen Mitwirkung 
bei der Gesetzgebung nicht noch mehr ausgeschaltet werde. 

— Um möglichste Sparsamkeit im Verbrauch von Branntwein 
herbeizuführen, sind die Bundesregierungen ersucht worden anzuordnen, 
dass der in Krankenhäusern abfallende Spiritus gereinigt und der 
Wiederverwendung zugeführt wird. Das Reichsschatzamt hat dem¬ 
entsprechend Grundsätze über die steuerliche Behandlung des abfallenden, 
zur Reinigung ausserhalb der Anstalten bestimmten Branntweins auf¬ 
gestellt, Der Preussische Minister des Ianern bat darauf hingewiesen, 
dass der in Rede stehende Branntwein jederzeit in den Apotheken- 
Laboratorien gereinigt werden kann. Für das Grossh. Baden wird mit- 
geteilt, dass ausser von den Apotheken-Laboratorien der Kranken¬ 
anstalten die Reinigung des abfallenden Branntweins auch von der 
Gesellschaft vorm. G. Sinn er in Grünwinkel übernommen wird. 

Die Kurpfuscher-Organisation gegen das Verbot der Be¬ 
handlung Geschlechtskranker durch Nichtapprobierte. — 
Die „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums“ schreibt 
uns: Dass das Kurpfuschertum gegen jede Einschränkung seines ein¬ 
träglichen Gewerbes Front machen würde, war zu erwarten. Der 
„Zentralverband für Parität der Heilmethoden“ richtet nun 
aber an den Reichstag eine Eingabe mit umfangreicher Denkschrift, 
in der ersieh als einen Bund hinstellt, der allein und als alleiniges 
Ziel dieWahrung der Freiheit der Heilkunde in Wissenschaft 
(!) und Praxis auf völlig paritätischer Grundlage verfolgt. 
Als solcher fordert er den Reichstag auf, den „Gesetzentwurf zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten und gegen Verhinderung der 
Geburten“, an die Reichsregierung zurückzuweisen zur anderweitigen 
Vorlage, unter Berücksichtigung der vom Zentraiverband vorgebiachten 
Einwände und Verbessenrngsvorscbläge, eventuell wenigstens das Wort 
„Arzt“ überall durch „gewerbsmässigerHeilbehandler“ zu ersetzen. In 
Verbindung damit sollen auf alle Fälle schon jetzt durch gesetzliche Be¬ 
stimmung alle Einschränkungen der Kurierfreiheit namentlich die 
durch die Reichsversicherungsordnung geschaffenen und diejenigen 
der militärischen Befehlshaber aufgehoben und neue verboten werden. 
D 3m Verband ist es schon einmal gelungen, eine grosse Zahl von Reichs¬ 
tagsabgeordneten durch seine Scheinideale wie den falschen Hinweis auf 
die drei Millionen seiner Anhänger zu täuschen und es macht fast den 
Eindruck, als ob auch diesmal seine Ausführungen nicht ohne Eindruck 
bleiben sollten, dank der raffinierten Verschleierung der eigentlichen 


Ziele und durch Umdeutung und schiefe Darstellung der tatsächlichen, 
auch der geschichtlichen Verhältnisse. Insbesondere auch durch den 
stets zugkräftigen Hinweis auf die Notwendigkeit freier Entwickelung der 
Heilkunde, die die Aerztezunft im Interesse* ihres Geldbeutels zu hemmen 
suche, wobei sie sich der Unterstützung der Regierung und General¬ 
kommandos erfreue. „Die wahre Kunst muss frei sein“ heisst es, „auch 
die Heilkunst“! Gewiss ein schönes Schlagwort! Nur ist Heilkunst und 
Kurpfuscherei noch nicht das Gleiche und die in der Denkschrift emp¬ 
fohlene Sympathie gegen Knochenbiüche keine die Geradheit des 
Ziisammenwachsens verbürgende Methode. Demgegenüber sich auf die 
lächelnde Ironie zu beschränken ist nicht am Platze. Das haben uns 
die seinerzeit’gen Reichstagsverhandlungen gehhrt. Es wird vielmehr 
richtig sein durch Tatsachenmaterial jenen gleissenden Worten gegenüber 
zu treten. Dass der Zentralverbaod für Parität der Heilmethoden 
nicht die auch hier wieder vorgeschütztsn Ziele vertritt, sondern 
uLter falscher, scheinwissenschaftlicher Flagge nur sein wahres Wesen 
als Kurpfuscherschutzverband verbirgt, der si:h gerade um viel¬ 
fach vorbestrafte Kurpfuscher schart und deren Interessen ver¬ 
treten soll, das hat Neustätter gerichtlich nachweisen können. 
Im Augenblick wird es also vor allem darauf ankommen, die Schäden 
der Kurpfuscher gerade auf dem Gebiet der Geschlechtskrank¬ 
heiten dem Reichstag durch Unterbreitung von möglichst vielen 
und drastischen Einzelfällen vor Augen zu führen. Das Viele, 
was im Erfahrungskreis der Aerzteschaft Deutschlands sich ange3ammelt 
hat, bitten wir uns zugänglich zu machen. Grösste Kürze genügt, nur 
bitten wir um möglichst authentische Form, Namen sind natürlich nicht 
zu nenten, sondern nur zu verbürgen. Wenn wir auch nicht vei kennen, 
dass gerade jetzt die Aerzte mit Arbeit ausserorientlicb überlastet sind, 
so wäre doch eine solche Zusammenstellung von grösster Bedeutung, 
weniger noch im Interesse der Aerzteschaft, wie der Allgemeinheit 
Zusendung erbeten an die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des 
Kurpfurschertums Dresden-A., König Johannstr. 15, II. 

— Vol kskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich(21.—27. IV.) 1. 
Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau (7. bis 
13. IV.) 2 Fl eck fiebert Deutsches Reich (21.—27. IV.) t und 1 f, ferner 
9 unter Kriegsgefangenen in den Reg-Bez. Königsberg und Marienwerder. 
Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau (7. bis 
13. IV.) 1322 und 119 f. Ungarn (11.—17. III.) 60. Rüokfal lfieber: 
Deutsches Reich (21.— 27. IV.) 45 unter Kriegsgefangenen im Reg.- 
Bez. Marienwerder. Kaiserlich Deutsches Generalgoa vernemeat 
Warschau (7.—13. IV.) 7. Genickstarre: Preussen (14—20.1V.) 
5 und 4 f. Spinale Kinderläbmung: Preussen (14 — 20. IV.) 1. 
Ruhr: Peussen (14.—20. IV.) 73 und 1 f. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Scharlaoh in Altenburg, Berlin Weissensee; Masern 
und Röteln in Gladbach; Keuchhusten in Hof; Thyphus in Rheydt 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochschul nach richten. 

Bonn: Geheimrat Prof. Doutrelepont, der frühere Vertreter 
der Dermatologie an hiesiger Universität, der Senior der deutschen Der¬ 
matologen, ist verstorben. — Frankfurt a. M.: Geheimrat Kolle, 
Direktor des Instituts für experimentelle Therapie, ist zum ordentlichen 
Honorarprofessor erannnt. — Haile a. d. Saale: Die Privatdoz n nten 
DDr. Schürmann (Hygiene) und Sowade (Dermatologie) erhielten den 
Professortitel. — Leipzig: Prof. Vers6 erhielt einen Ruf als Prosektor 
an das Krankenhaus Westend in Charlottenburg als Nachfolger von 
Professor Löhlein. — München: Prof. Sauerbruch wird das Ordi¬ 
nariat für Chirurgie am 1. August übernehmen. — Prag: Privatdozent 
Dr. Svehla wurde zum ausserordentlidno Professor für Krankheiten 
der Neugeborenen, Säuglinge und Wöchnerinnen an der tschechischen 
Universität ernannt. — Zürich: Der ehemalige Ordinarius für Hygiene 
Professor Wys ist im Alter von 78 Jahren gestorben. 


Amtliche Mitteilungen. 

.Personalien« 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden IV. Klasse: Geh. San.-Rat 
Dr. P. Koeppel in Berlin, Priv-Doz. Prof. Dr. Holzapfel in Kiel. 

Königl. Kronenorden II. Klasse mit Sohwertern: Gen.-Arzt Dr. 
Schmidt. 

Prädikat „Professor“: Priv.-Dozenten in der medizin. Fakultät der 
Universität in Göttingen Dr. Hauschild, Dr. Oehme, Dr. Ehren¬ 
berg und Dr. Ebbecke. 

Ernennungen: Priv.-Doz. in der medizin. Fakultät der Universität in 
Berlin Prof. Dr. Liepmann, Direktor der städtischen Irrenanstalt in 
Lichteoberg-Herzberge, zum ordentl. Honorarprofessor in derselben 
Fakultät; Direktor des Institus f. exp. Therapie in Frankfurt a. M. 
Geh. Med.-Rat Dr. Kolle zum ordentl. Honorarprofesser in der medizin. 
Fakultät der Universität in Frankfurt a. M.; Arzt Dr. F. Dörschlag 
in Zinn zum Kreisass.-Arzt in Sierakowitz unter Ueberweisung an den 
Kreisarzt des Kreises Karthaus; Arzt Dr. H. Salgendorff in Beelitz 
(Heilstätten) zum Kreisass.-Arzt unter Ueberweisung an den Regier.- 
Präsid. in Potsdam; Arzt Dr. Paul Schubert in Lichtenfeld (Ostpr.) 
zum. Kreisass.-Arzt in Prostken unter Ueberweisung an den Kreisarzt 
des Kreises Lyck. _ 

Für die Redaktion verantwortlich Prof. Dr. Hans Kohn, Berlin W„ Bayrenther Bxr.<*. 


Verlag nnd Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 

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Original fro-m 

UNIVERSITY OF LOWA 





BERLINER 


Dl« Berliner Kllniaebe Wochenschrift erscheint Jeden 
llonteg In Nummern von es. S—6 Bogen gr. 4. — 
Preis Tiertelj&hrlich 1 Merk. Bestellungen nehmen 
sUe Bnehhsndlungen und Postsnsuiten sn. 


Alle Einsendungen f&r die Redaktion and Bxpedjtion 
wolle man portofrei an die Verlagebnehhandlnng 
August Hinehwald in Berlin NW., Unter den Linden 
Nr. 68, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

Sek Med.-Rat Prof. Dr. G. Posner und Prot Dr. Hans Kok August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 20. Mai 1918. 


M 20 . Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


I n H 

Originalien : Partsoh: üeber KnooheDpflanzung. S. 465. 

Brutt: Ueber Stumpfbehandlung und Stumpfkorrekturen. (Aus dem 
chirurgischen Ambulatorium des allgemeinen Krankenhauses Ham¬ 
burg-Eppendorf [leitender Arzt: Dr. Kotzenberg] ) (Illustr.) S. 469. 
Holländer: Familiäre Fingermissbildung. (Braobydaktylie und 
Hyperphalangie.) (Aas der chirurgischen Privatklinik von Geh. 
San.-Bat Prof. Dr. Holländer). (Illustr.) S. 472. 

Glaus: Ueber primäre Enteritis phlegmonosa staphylococoica ilei. 
(Aus dem pathologisch anatomischen Institut Basel [Vorsteher: 
Prof. Dr. E. Hedinger].) S. 474. 

Hirschfeld: Farbträger nach v. Blücher, eine praktische Verein¬ 
fachung der mikroskopischen Färbetechnik. (Aus dem Uoiversitäts- 
institut für Krebsforschung an der Kgl. Charit6 in Berlin. S. 477. 
Glaserfeld: Veronal, das beste Mittel gegen Schweisse bei Fieber¬ 
kranken. S. 478. 


Ueber Knochenpflanzung 1 )- 

Von 

Prof. Dr. Partseh, Geh. Med.-Rat. 

Der grosse Lehrmeister Krieg hat mit seioen zahlreichen, 
mannigfaltigen Verletzungen, besonders auf dem Gebiet der Knochen¬ 
krankheiten und ihrer Heilung, eine solche Unsumme reicher Er¬ 
fahrungen gebracht, dass jede einzelne Frage der Behandlung 
gefördert worden ist und die Erfahrungen gesichtet werden müssen, 
um unsere theoretischen Anschauungen und praktischen Vorschläge 
zur Behandlung zu verbessern und immer sicherer zu gestalten. 
Das trifft ganz besonders zu für die Frage des Knocbenersatzes 
der infolge der umfangreichen Verletzungen und des Zugrunde¬ 
gehens grosser Knochenabschnitte, durch die Eiterungen, welche 
den Weichteil Verletzungen folgen, hervorgerufen werden. Wir 
waren für die Frage des Knochenersatzes schon durch die Erfolge 
vor dem Kriege für ihn gut gerüstet. 

Ueberblickt man die Entwicklung der ganzen Frage, so ist 
kaum ein anderes Gebiet vorhanden, auf dem sich die Entwick¬ 
lung so stark an die wissenschaftliche Forschung und das Werden 
unserer theoretischen Kenntnisse anlehnte, wie das der Knocben- 
pflanzung. Sie ist im wesentlichen ein Kind des letzten halben 
Jahrhunderts. Wenn auch ältere Erfahrungen Vorlagen, wenn es 
Walter z. B. schon 1820 gelang, ein bei der Trepanation des 
Schädels ausgeschnittenes Knochenstück wieder in den Defekt 
einzupfiaozen und zur Einheilung zu bringen, so waren diese Fälle 
doch nur vereinzelt, mehr kuriose Wunder, als dass aus solchen 
Erfahrungen Grundsätze für die Behandlung abgeleitet worden 
wären. Erst als Olli er, Ende der 50 er Jahre, auf experimen¬ 
tellem Wege die Frage angriff upd besonders das Einheilen des 
Knochens mit der Knochenhaut lehrte und die knochenbildende 
Kraft der verpflanzten Knochenhaut erwies, schien die Grundlage 
für eine praktische Verwendung gegeben. Aber merkwürdig lange 
hat die Forschung geruht, ehe praktische Erfolge beim thera¬ 
peutischen Handeln za erzielen waren. Erst musste die ganze 
Wundbehandlung umgestaltet und auf sicheren Boden der Asepsis 
gestellt sein, ehe man von einer systematischen Ausbildung dieser 

1) Vortrag, gehalten in der medizinischen Sektion der Schlesischen 
Gesellschaft für vaterländische Cultur. 


ALT. 

Biicherbespreehnngen: Büdingen: Ernährungsstörungen des Herzmuskels. 
(Bef. Edens.) S. 478. — Krueger: Die Paranoia. (Bef. Seiffer +.) S. 479. 

Literatur- Auszöge: Therapie. S. 479. — Innere Medizin. S. 479. — 
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 479. — Chirurgie. S. 480. — 
Röntgenologie. S. 482. — Augenheilkunde. S. 482. — Hals-, Nasen- 
und ObrenkraDkheiten. S. 483. 

Verhandlungen ärztlicher Gesellschaft«» : Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Weher: 
Untersuchungen über den photographisch registrierten Venenpuls. 
S. 484. Ohm: Vorzeigeu photographischer Venenpulskurveu mit dia¬ 
gnostischen Erläuterungen. S. 484. —Verein für wissenschaft¬ 
liche Heilkunde zu Königsberg i. Pr. S. 486. 

Langer: Sohlussbemerkungen zur Arbeit Schmitz’: „Nochmals über 
die Alkoholfestigkeit der Diphtherie- und Pseudodiphtheriebazillen“ 
in Nr. 13 dieser Wochenschrift. S. 487. 

Tagesgesohiohtl. Notizen. S. 487. Amtl. Mitteilungen. S. 488. 


Behandlungsmethode sprechen konnte. Die Experimente wurden 
unter dem sicheren Schutze der Asepsis unter neuen Verhältnissen 
wiederholt und mit ihnen kehrten neue Anschauungen für unser 
Handeln ein. Die sorgfältigen Untersuchungen Barth’s, von dem 
kritischen Ange March ands überwacht, stellten die Frage auf 
ganz anderen Boden. Barth sab hei der Verfolgung seiner Ex¬ 
perimente und der mikroskopischen Untersuchung der dadurch 
gewonnenen Präparate, dass von einem eigentlichen Einheilen des 
Knochens in das Lager, welches ihn neu aufnahm, streng ge¬ 
nommen, keine Rede sei. Nach seiner Ansicht stirbt der über¬ 
pflanzte Knochen an seiner neuen Stelle, gleichgültig, ob er mit 
oder ohne Knochenhaut verpflanzt ist, ab, und wird durch neu- 
gebildeten Knochen ersetzt, so dass also eigentlich der über¬ 
pflanzte Knochen zugrunde geht und nur eine Schablone für den 
neu zu bildenden Knochen abgibt. Dadurch kam Barth auf den 
Gedanken, dass es eigentlich ganz gleichgültig sei, ob man 
lebenden Knochen mit oder ohne Periost überpflanze, oder ob 
mau toten Knochen längere Zeit aus seiner Verbindung mit dem 
Körper gelöst und in indifferenten Flüssigkeiten aufbewabrt, oder 
selbst ausgekocht und aller Bindegewebsfasern beraubt, verpflanze. 
Das führte zu dem Gedanken, der von Gluck ganz besonders 
verfolgt wurde, dass man ganze Knochen mit ihren Gelenk- 
abschDitten ersetzen könne durch aus Elfenbein modellierte Ersatz¬ 
teile, bei denen man noch den Vorzug batte, dass man sie mög¬ 
lichst den anatomischen Erfordernissen, welche der einzelne Fall 
bot, anpassen könne. So wurde der Vorschlag gemacht, nicht 
nur Knochen, sondern auch ganze Gelenke zu ersetzen und damit 
Glieder bewegungsfäbig zu erhalten, deren Gelenke man wegen 
Erkrankung opfern musste. Und in der Tat sind Resultate, welche 
man allerdings vereinzelt anf diesem Wege erzielen konnte, ganz 
erstaunlich gewesen, und uosere Gesellschaft hatte das Glück 
gehabt, die kühnen Operationen Küttner’s in ihren Resultaten 
verfolgen zu dürfen, bei denen ein ganzes Hüftgelenk aus der 
Leiche ersetzt und zur Einheilung gebracht werden konnte. Auch 
die Erfahrungen Lexer’s mit dem überraschenden Erfolge der 
Einbeilung und zu voller Funktion führenden Einpflanzung von 
Kniegelenken, dürfen als das Aensserste dieser Pflanzungskunst 
angesehen werden. 

Und doch zeigte die weitere Verfolgung der Frage, dass die 
Sicherheit des Erfolges und der Ausbau der Methode an die 


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UMIVERSITY OF IOWA 








466 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Ueberpfianzung lebenden Knochens geknöpft sei. Wieder war es 
die theoretische Forschung, welche zeigte, dass der radikale 
Standpunkt Barth’s gegenüber den vielen praktisch erzielten Er¬ 
folgen nicht festzuhallen war. Eine grosse Zahl der mit Ver¬ 
pflanzung toten Materials behandelten Fälle wurde nur vorüber¬ 
gehend geheilt. Später oder früher traten Fisteln auf mit Ab¬ 
sonderung, die nur zur Ausheilung zu bringen waren, wenn man 
den eingeschalteten Fremdkörper entfernte. Da und dort batten 
sich wohl größere Knochenmassen über die eingepflanzten Enden 
weggeschoben und gaben dadurch eine gewisse Festigkeit her, 
aber zu einer wirklichen Einheilung und einem Aufgehen des 
Implantats in der Funktion des Knochens kam es häufig nicht. 
Arhausen verdanken wir den Nachweis, dass für die endgültige 
Einheilung die Ueberpflanzuog der Knochenhaut von wesentlicher 
Bedeutung sei. Er konnte zwar die Erfahrungen Barth’s für 
deh Knochen selbst bestätigen, von dem auch er annimmt, dass 
er absterbe. Aber dafür könne die Knochenhaut direkt einheilen 
und gäbe das Material her für die Ersetzung des abgestorbenen 
Knochens in seinem vollen Umfang. Er zeigt, wie Gefässe die 
Zellen der Knochenkörperchen vollständig verschlingen, wie der 
alte Knochen von den Haversischen Kanälchen aus, in welche 
hinein neue Gefässe von der Knochenhaut aus einwachsen, die 
alte Knochensubstanz resorbiert wird unter Auftreten zahlreicher 
Osteoklasten, an anderer Stelle aber wieder durch Anbildung von 
Kpochensubstanz ersetzt wird, so dass allmählich der Knochen 
gapz neu auf der Basis des alten Knochengerüstes, des über¬ 
pflanzten Knochens neu gebildet wird. Diese. Auffassung hat 
nicht allein sich im Tierexperiment erwiesen, sondern auch eine 
gnössere Zahl von Fällen, bei denen es möglich wurde, am Menschen 
did verpflanzten Knochen zu untersuchen, schienen diese Auf¬ 
fassung zu erhärten und za einer Art Axiom zu machen. Aber 
eine Zahl anderer Erfahrungen liess doch dem Gedanken Raum 
geben, dass, wenigstens in einzelnen Fällen, eine wirkliche Ein¬ 
holung des Knochens, ohne dass er abzusterben braucht, möglich 
sei, und so sehr Axhausen seine Theorie vertrat, wollten die 
Stimmen nicht verstummen, welche einer wirklichen Einbeilung 
de#. Implantats das Wort redeten. So wurden Fälle beobachtet, 
bei denen der eingepflanzte Knochen trotz eingetrelener Eiterung 
wdhigstens teilweise zur Einheilung kam, während ein Teil des 
Kciochens sich nekrotisch abstiess. Klapp glaubte^ darin den 
Beweis zu sehen, dass der Knochen lebend geblieben sein müsse, 
weil nur lebender Knochen die Veränderungen zu erzeugen ver¬ 
möchte, welche zur Abstossung toten Knochens erforderlich sind. 
Axhausen beschrieb einen solchen Fall, bei welchem ein Meta¬ 
tarsus mit seinem Gelenkkopf an die Stelle eines durch Karzinom 
zerstörten Oberarmkopfes eingepflanzt worden war und bei dem 
sekundär das Köpfchen nekrotisierte und sich abstiess, während 
der grösste Teil des in die Markböble des in den Oberarm ein¬ 
gekeilten Knochens eingewachsen blieb. Axhausen glaubt, dass 
die Nekrose des Knochens nicht immer eine Demarkationszone 
hervorrufe, sondern dass in der Substanz des Knochens die Ab¬ 
grenzung zwischen toter und lebender Substanz erfolge, aber 
an dem abgebildeten Präparat sieht man noch deutlich, dass die 
Vorgänge, welche zur Demarkation geführt haben, sieb wirklich 
auch an dem Knochen selbst abgespielt haben, so dass meines 
Ermessens nach die Anschauung von Klapp nicht ohne weiteres 
als widerlegt anzusehen ist. 

Auch ich habe schon vor dem Kriege in der Breslauer chirur¬ 
gischen Gesellschaft das Präparat eines implantierten Stückes Ulna 
zum Ersatz tuberkulösen Metacarpus demonstrieren können, bei 
dem nach vollständiger Einheilung wegen Weiterschreiten der 
Weichteiltuberkulose die Hand amputiert werden musste, so dass 
das Präparat untersucht werden konnte. 

. Wie Sie sich selbst überzeugen können, kann man mit blossem 
Auge auf dem Querschnitt das eingeheilte Ulnastüok in der Mächtigkeit 
eines Metatarsus sehen. Ein tuberkulöser Herd hat sich an der einen 
Seite des Präparats angelegt, anscheinend von dem Wundbett aus, in 
welchem die Ulna eingebettet war. Der hier neugebildete Knochen lässt 
deutlich neue Tuberkelknötchen innerhalb der Zone des neu gebildeten 
Knochens erkennen. Das würde zunäohst nicht für das vollkommene 
Einheiten des Knochens sprechen, aber dass ausser diesem tuberkulösen 
Herd an der gegenüberliegenden Seite des eingepflanzten Knochens, im 
Bereich des alten Knochens, deutliche Tuberkel sich finden, ist wohl 
doch nicht anders zu erklären, als dass der Knoohen vollständig mit 
semem ganzen Gefässsystem in organische Verbindung mit der Um- 
gepuug getreten ist und an deren Schicksal gleichmässig Anteil ge¬ 
nommen bat. Der Knoohen hat dabei ein Aussehen, dass kaum jemand 
auf den Gedanken kommen würde, es bandle sich um einen implantierten, 
weil alle reaktiven Erscheinungen an den Haversischen Kanälchen, sei 
es in Form von lakunärer Resorption, sei es in Form von Auflagerung 


von neuer Knocbensubstanz, vollkommen fehlen. Auch treten die 
Knochenkörperchen mit dem blauen Kern ihrer Zellen deutlich im 
ganzen Präparat auf. Ich habe schon damals der Meinung Ausdruck 
gegeben, dass es doch wohl möglich sein müsste, in einzelnen Fällen 
von einer wirklichen Einbeilung von Knochen zu sprechen, ohne dass 
der Knochen absterben und erst neu ersetzt werden müsse. Ein Vor¬ 
gang, der jedooh ziemlich reichlich Zeit in Anspruch nimmt und der 
doch nicht ohne Aenderung des Bildes des Knoohens sich vollziehen kann. 

Auch eine neuere im Kriege gemachte Erfahrung hat mir 
diese meine Anschauung bestätigt Ich werde Ihnen die Röntgen¬ 
bilder eines Mannes zeigen können, bei welchem ich ein Siück 
Beofeenkamm zum Ersatz eines grösseren Substanzverlustes im 
linken Oberarm nach einer schweren Schassverletzung eingepflaDzt 
habe. Die Einteilung erfolgte so gut, dass ich schon in der 
vierten Woche einen festen Verband entbehren zu können glaubte, 
da genügende Festigkeit vorhanden war. 

Trotz der anbefohlenen Schonung des Armes hantierte der Patieut 
mit ihm'so energisch, dass er beim Aufschlagen auf den Tisch seine 
Festigkeit verlor. Es lag nahe zunächst zu glauben, dass das Implantat 
an einer der Stellen, wo es in den Knoohen inseriert war, uachgegeben 
und ausser Verbindung getreten wäre. Das Röntgenbild aber zeigte, 
dass das Implantat an seinen finden mit beiden Knochenstücken fest 
verwachsen, aber in seiner Mitte gebrochen war. Es wurde ein Gips- 
ver band angelegt und nach ungefähr 3—4 Wochen ein neues Röntgen- 
bild angefertigt, das nun zeigte, dass an der Stelle des Bruche eine 
deutliche Kallusbildung eiDgetreten war und dementsprechend die 
Festigkeit wieder zugenommen hatte. Man sah in der Gegend des Kallus 
zu beiden Seiten der eingepflanzten Spange neugebildet Knochen auf- 
treten, den man wohl nicht anders als Kallus deuten kann. 

Das lässt sich wohl nur so erklären, dass das eingeheilte 
Rnocbenstück voll und ganz in organische Verbindung mit seiner 
Umgebung getreten ist and infolgedessen bei der eingetretenen 
Verletzung reaktive Erscheinungen wie normalen Knochen bot. 
Man kann sich doch schwer vorstellen, dass ein abgestorbener 
Knochen ausser seinem Ersatz auch noch die Neubildung von 
Knochen zu leisten imstande wäre. Dass dieser eingepflanzte 
Knochen an und ffir sich zu wachsen vermag, wenigstens in 
seiner Dicke, werde ich an einem andern Fall ebenfalls zeigen 
können und damit nur die Zahl der Fälle vermehren, in denen 
schon früher das Wachstum und die Formverändetung des einge¬ 
pflanzten Knochens beobachtet wird. Gerade diese Lebenserschei- 
nungen des eingepflanzten Knochens haben die Ueberzeugung ge¬ 
festigt, dass man doch, wenn irgend möglich, lebenden Knochen 
verpflanzen solle, weil man nicht nur mit grösserer Sicherheit 
ihn einzubeilen vermag, sondern von ihm erwarten könnte, dass 
er in ganz anderer Weise wie der tote Knochen sich nach dem 
Tran8formatioD8ge8etz amformen and entsprechend der mechani¬ 
schen Beanspruchung durch Zug und Druck folgen könne als der 
tote Knochen. So ist wohl der Umschwung eingetreten, dass man 
die freie KnocheDplastik wesentlich bevorzugt gegenüber der Ein¬ 
pflanzung toten Knochens and diese nur beschränkt auf die ab¬ 
solut dringenden, anders nicht zu behandelnden Fälle. Ich will 
deshalb auch auf diese Frage nicht weiter eingehen, sondern nur 
weiter über die freie Knochenplastik sprechen. Man wird sieh 
klar werden müssen über die Bedingungen, unter denen der 
Knochen am besten einheilt, über die Frage, welche Methode 
man zur Befestigung des Implantats befolgt und wie man sonst 
durch vorsichtige Nachbehandlung das Resultat der Einbeilung 
sichert. 

Die erste Frage über die Bedingung der Einbeilung wird 
mag verschieden beantworten müssen, je nach der Natnr nnd 
dem anatomischen Verhalten des einzupflanzenden Knochens. 
Zunächst durfte wohl sicher sein, nach den bisherigen Erfahrungen, 
dasB die Erhaltung des Periost nnd seine UeberpflanzuDg dem 
Implantat einen gewissen Schutz gibt und die Einbeilung be¬ 
günstigt. Es soll dabei nicht verschwiegen werden, dass auch 
Rnochenstücke ohne Periost zur Einbeilung kommen können, an¬ 
scheinend aber nur Stücke geringeren Volumens, nnd dass bei 
der Einpflanzung grösserer Knochenpartien, wie z. B. der Fibula, 
die Erhaltung des Periosts das Resultat wesentlich sichert. Man 
wird sich wohl die Einheilnng so vorstellen müssen, dass zu¬ 
nächst das Implantat dnreh Umspülung von Lymphe vor der 
Vertrocknung gesichert und in seiner Lebensfähigkeit erhalten 
bleibt, bis es den von den Gefässen des Wundbettes aus sich 
allmählich entwickelnden Gefässen gelingt, vielleicht mit der 
Benutzung der Gefässe des Implantats, eine anfangs geringe, 
später eine immer weiter sich ausbildende Zirkulation herzu¬ 
stellen und so das Implantat allmählich in den Säftestrom des 
Körpers einzubeziehen. Das wird um so leichter gelingen, je 
weniger starr das Implantat an seiner Oberfläche ist, je leichter 


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UWIVERSITY OF IOWA- 




20. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


46t 


08 für die Gefässe angriffsfähig wird und je schneller und grösser 
der Bereich der Ernährungsbahnen ist, mit denen das Implantat mit 
der Umgebung in Beziehung treten kann. Aus diesem Grund 
wird natürlich ein Röhrenknochen mit seiner harten, festen Korti- 
kalis viel ungünstigere Verhältnisse bieten als spongiöser Knochen, 
in dessen Maschen und Markgewebe sich sehr viel rascher neu¬ 
gebildete Gefässe einsenken und auf diese Weise die Ernährung 
hersteilen können. 

Nach dieser Richtung hin sind verschiedene Vorschläge gemacht 
worden, ohne dass bis jetzt ein endgültiger Entscheid über ihren Wert 
abgegeben werden könnte. Man hat vorgeschlagen, die harte Kortikalis 
mit Bohrlöchern zu versehen, und durch sie hindurch das Einwacbsen 
der Granulationen, leichter zu ermöglichen. Man hat ferner das Periost 
mehrfach einzuschneiden empfohlen, um auf diese Weise die Ernährung 
zu begünstigen. Dass das Implantat während der Operation vor jeder 
Vertrocknung gehütet werden muss, ist wohl selbstverständlich. Es 
wird deshalb sofort, nachdem es gewonnen, in Tupfer mit warmer Koch¬ 
salzlösung eingehüllt, um jeder Verdunstung vorzubeugen. Eigenartig 
kliogt der Vorschlag, die Markböhle des Knochens mit indiffertem Material 
auszufüllen, weil das Knochenmark am allerlabilsten sei, am ehesten 
absterbe und auf diese Weise das Schicksal des Implantates ungünstig 
beeinflusse. Mir stehen in dieser Rinsicht keine Erfahrungen zu, so dass 
ich mich über die Notwendigkeit des Vorschlages nicht zu äussern ver¬ 
mag. Von wesentlicher Bedeutung für die Sicherheit der Einheilung ist 
die Art und Weise der Verbindung des Implantats mit den Enden des 
Knochens, in den es eingefügt werden soll. Hier sind sehr verschiedene 
Methoden angegeben und geübt worden. Zunächst will ich erwähnen, 
dass man von dem Gesichtspunkt aus, die Ernährung des Implantats vom 
Periost her nach Möglichkeit sicher zu stellen, der freien Plastik mit 
Einsetzung eines fernher genommenen Knochenstücks die Verschiebung 
von Knochenmaterial aus der nächsten Umgebung des Defektes gegen¬ 
übergestellt hat. Verschiedene Autoren (Piohler, Reichel, Esser) 
haben dieser Methode den Vorzug zu geben geglaubt, gegenüber der 
freien Plastik wegen der Sicherheit des Erfolges. Dabei ist man von 
verschiedenem Standpunkt ausgegangen, sei es, dass man zur Deckung 
des Defektes Knochen benutzte, den man mit dem subkutanen Gewebe 
und der deckenden Haut durch Aussobneidung eines Lappens aus der 
Umgebung io den Defekt verpflanzt, oder dass man wie-Pichler nicht 
die Haut, sondern nur unter ihr liegende Schichten, Faszie und Muskel¬ 
substanz zur Bildung des Lappens verwendete, mit dem man den Defekt 
deckte. Sicherlich ist dieser Weg sehr viel komp'izierter, als die 
freie Plastik, weil er die Deckung und Verschiebung des Lappens in 
einer Richtung verlangt, in der nicht selten der Stiel stark torquiert 
and die Ernährung beeinträchtigt wird; ferner ist er ohno neue Narben 
nicht ausführbar und infolgedessen geknüpft an die Beweglichkeit der 
Haut in der Umgebung des Defektes. Damit erscheint der Erfolg io 
vielen Fällen durch das Verhalten der Weichteile in der Umgebung des 
Defekts unsicher und gefährlich. Die vorliegenden Erfahrungen be¬ 
treffen hauptsächlich den Unterkiefer, und nur Reichel hat auch 
günstig verlaufende Fälle an Extremitäten beschrieben. Was nun die 
freie Plastik anlaogt, so hat man die Verbindung mit dem qmgebenden 
Knochen zunächst so gewählt, dass der Knochen eingeklemmt wurde in 
den Defekt, entsprechend den Knochen rändern, die Vorlagen, oder die 
man sich dnreh Abtragen des Knochens formte. Weil diese Art der 
Einfügung nicht immer die genügende Festigkeit bot, ist man auch dazu 
übergegangen, durch Knoohennähte das Implantat mit den Rändern des 
Knochen defektes zu verbinden und damit die Lage des Implantats zu 
sichern. Die vorliegenden Erfahrungen sprechen nicht für die Knocben- 
naht. Die Durchbohrung des Implantats, die zur Naht notwendig ist, 
setzt Manipulationen voraus, welche meobanisch das Gewebe des Im¬ 
plantats beeinflussen, es an der Stelle des Bohrloches quetschen oder 
durch das Bohren erhitzen und auf diese Weise die Nekrose des Knochens 
begünstigen, wenigstens sind häufig die ganzen Implantate oder Stücke 
desselben mit der Umgebung des Bohrloches zur Abstossung gekommen. 
Auoh die Erfahrung, die man im Kriege mit der Knochennaht gemacht 
hat, spricht nicht für diesen Weg der Befestigung, selbst auch dann, 
wenn man die Durchbohrung des Implantats vermeidet und die Naht 
nur durch die Enden des Defektes zieht, um durch die durcbgelegte 
Knochennaht das Implantat fester zwisoben die Wundränder zu klemmen. 
Man hat dann versucht, das Implantat mit den Knochenstüoken zu 
verbolzen, eine Methode, die wesentlich bei den Röhrenknoohen Ver¬ 
wendung gefunden hat, indem man einen Röhrenknochen in die 
Markhöhle des Knochenendes, oder einen Elfen beinstift in die Mark¬ 
höhle des Implantats und gleichzeitig in die Markböhle des Knochen¬ 
endes eingeschoben hat. Letztere Methode kompliziert natürlich die 
Einheilung, weil sie zu der Einheilung des lebenden Knochens nooh die 
Einhaltung eines Fremdkörpers hinzufügt. Eine Art Bolzung ist in 
vielen Fällen am Unterkiefer gemacht worden, wo man die Enden des 
Implantats entweder so zuspitzte, dass man sie in die Spongiosa des 
Knochens eindrüoken konnte, und auf diese Weise das Implantat be¬ 
festigte, oder dass man die Enden des Defektes zuspitzte, um sie in das 
Implantat zu drängen, vorausgesetzt, dass dieses Knochensubstanz ent¬ 
hielt, in welche andere Knochen eingesohoben werden konnten. Die 
erste Methode setzt eine Bearbeitung de9 Implantats voraus, welche ihm 
keineswegs günstig ist, insofern es einmal festgebalten werden muss für 
die Vornahme der Bearbeitung und andererseits meebanisoh leidet 
gerade an jenen Stellen, mit welchen es mit den Knochenrändern in direkte 


Verbindung tritt, wo also eine möglichst rasche Verklebung gewünscht 
wird. Ist die Oberfläche mit Feile und Raspel bearbeitet, so füllen 
sich die Maschen der Spongiosa durch Feilstaub des Knochens, oder das 
Mark ist davon durchsetzt, so dass voraussichtlich eine direkte Ver¬ 
bindung erschwert ist. Die Bearbeitung der Knocbenenden des Defektes 
stösst noch auf grössere Schwierigkeit, weil ihre feste Lage die Bear* 
beitung mit Feile und Zange erschweren. Mir ist mit zunehmender 
Erfahrung am praktischsten eine anscheinend in der Literatur nicht .er¬ 
wähnte Methode erschienen, welche dem Pfropfen der Gärtner nachge¬ 
bildet ist. Wie diese ihr Reis am sichersten dem Baumast einfügen, 
indem sie das Reis von beiden Seiten keilförmig zuschneiden und es in 
einen in den Ast gelegten Spalt einfügen, damit sich möglichst reich¬ 
liche Flächen der beiden in direkte Verbindung zu bringenden Gebilde 
miteinander berühren, erscheint mir dieser Weg auch für die Einfügung 
des Implantats in den Knochen besonders ratsam. Das Implantat kann 
gleich bei seiner Entnahme mit dem Meissei so gestaltet werden, dass 
seine Enden keilförmig verlaufen. Die Ränder des Defektes lassen sj^ob, 
wenigstens in den meisten Fällen, durch zweckmässig gestalte Meissei 
so aufspalten, dass sie federn, und dass die Möglichkeit geboten wird 
den Knochenspan ganz ähplich wie bei der Pfropfung in den Spalt* zu 
treiben. Wenn man den Spaltmeissei mit einer hebelartigen Drehvbr- 
riohtung an seinem oberen Ende versieht, so ist man imstande durch 
feine Drehungen sich genau eine Vorstellung von der Nachgiebigkeit 
und der Elastizität des Knochens zu machen, und man kann dann dugoh 
feine Drehungen, ähnlich wie der Klavierstimmer in feinster Form ,die 
Saite anspannt, den Spalt im Knochen zum Klaffen bringen und ihn 
so erweitern, dass sich das keilförmige Ende des Implantats bequem' in 
den Spalt einschieben lässt und von dem federnden Knochen so föst 
gehalten wird, dass sich eine weitere Befestigung fast erübrigt. Klajjp 
sobiebt das Präparat in Periosttasoben, die an den Bruchstücken abge¬ 
hoben werden. Lindemann bevorzugt die Einpflockung des Implantats 
in den Knochen oder des Knochens in das Implantat. Meiner Erfahrung 
nach bat die Federkraft des gespaltenen Knochens die sicherste Be¬ 
festigung der Lage des Implantats. 

Ausser dieser Sicherung muss nun auch die Feststellung der Knochen- 
enden, in welche das Implantat eingefügt wird, erfolgen. Das lässt sjch 
im allgemeinen an den Extremitäten durch den Gipsverband sehr leikht 
erfüllen, schwieriger gestaltet sich die Aufgabe am Unterkiefer, worüber 
ich später noch besondere Bemerkungen machen werde. 

Das Wichtigste für die Einheilung ist die Herstellung eines aseptischen 
Wundbettes. In dieser Hinsicht werden die Einpflanzungen nach 
Resektionen bei Tumoren ganz anders zu beurteilen sein, wie bei 
Knochenverletzungen mit umfangreichen Entzündungsprozessen akqtpr 
oder chronischer Art. Haben wir im ersten Falle bei geschlossenem 
Tumor ein vollständig aseptisches Wundbett für die Einpflanzung^ so 
muss es im anderen Falle erst durch Ausschneiden der Narbe zurecht 
gemacht werden. Dass durch bakterifelle Einschlüsse in die Narben 
leicht neue Entzündungsprozesse vor ihrer Exstirpation wieder angefacht 
werden können, ist leider eine nicht ganz selten zu beklagende Kompli¬ 
kation. Die Transplantation bei vorausgegangener Entzündung und 
Eiterung kommt erst in Frage, wenn aseptische Verhältnisse hergestellt 
sind, d. h. eine vollständige Ausheilung der lokalen Entzündungsprozesse 
stattgefunden hat. Alle Fisteln müssen endgültig geschlossen sein, ehe 
man an die Transplantation denken kann. 

Die Hartnäckigkeit der Abstossungsprozesse am Knochen stellen die 
Geduld des Arztes und des Patienten oft auf harte Probe. Nicht immer 
kann man sich durch das Röntgenbild einen sicheren Ueberblick ver¬ 
schaffen, ob nooh Knochensplitter und Sequester der Abstossung harren 
und die Fisteln unterhalten, manobmal liegen die Sequester in derbere 
Knochenmassen eingehüllt, werden so verdeckt und unterhalten lange 
die Eiterung. Wiederholte Eingriffe ermüden die Geduld des Patienten, 
und doch ist meist ohne Freilegen des Herdes keine Heilung zu erzielen. 
Ich möchte hier einen kleinen Kunstgriff mitteilen, der ermöglicht, in 
solchen Fällen die Sequester möglichst rasch nach aussen zu befördern. 
Ich würde dies nicht erwähnen, wenn nicht in neuerer Zeit von Leser 
eine viel umständlichere Methode veröffentlicht worden wäre, um zu solch 
versteckten Sequestern zu gelangen. Leser dilatiert mit Quellstiftbn 
die Fistel und erweitert sie, so dass er bequemer zu dem Sequester ge¬ 
langen kann. Aber die Quellung wird gelegentlich von Fieber begleitet, 
das von Zerfall der durch die lange Eiterung veränderten Granulationen 
herrührt. Die Herauaziehung des Quellstiftes geht nicht ohne leiohte 
Blutung vor sich, so dass man eine Uebersiobt über den Fistelkanal 
nicht gewinnen kann. 

Ich verwende schon länger als sehn Jahre die Methode, dass ich hi 
den Fistelkanal je nach seiner Länge ein mehr oder weniger grosses 
Stück Höllenstein ab tief als möglich einführe, die Umgebung der Fistel 
mit Pasie bestreiche und den Stift unter dem Verbände seinem Schicksal 
überlasse. Anfangs bestehen leichte Beschwerden, die aber im Verlauf 
von wenigen Stunden nachlassen. Nach 4—5 Tagen stösst sich bei dem 
Verbandwechsel aus der vollständig reaktionslosen Fistel die ganze 
granulierende Auskleidung in Form eines Pfropfes aus, so dass man'mit 
Herausnahme desselben einen kleinfiogerdioken Hohlgang bekommt, efer 
die Uebersicht über den Fistelgang gestattet. Oefters kommt der Sequester 
sohon hinter dem Pfropf heraus, in anderen Fällen lässt er sich leicht 
mit einer Pinzette oder einem Häckchen entfernen. Man hat auf dieäe 
Weise nicht nötig, neue operative Eingriffe, die doch immer wieder neue 
Narben setzen, zu machen und bat andererseits den Vorteil, dass dfe 
frisch aufspriessende Granulationssebioht meist den Fistelkanal in kurzer 

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UNIVERSUM OF IOWA 





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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Zeit sohliesst and rasch vernarbt Natürlich bleiben auch einzelne 
Fälle übrig, wo ein operatives Eingreifen nicht zu umgehen ist. Immer* 
hin aber kürzt diese Methode die Fistelheilung wesentlich ab. Ist alles 
gut vernarbt, so ist damit immer noch nicht gesagt, dass in der Tiefe 
nicht noch vereinzelte entzündliche Herde bestehen; sie sind insofern 
tückisoh, als sie als latente Infekte bei der Neueröffnung der Narbe 
durch den Schnitt wieder aufleben und die primäre Heilung der neuge¬ 
schaffenen Wunde stören. In diesem Sinne vermögen auch scheinbar 
reizlos eingeheilte Gescbosssplitter ungünstig zu wirken. Mir ist es 
wiederholt vorgekommen, dass ein rn der Nähe der Narbe in ganz ge¬ 
sunder Haut geführter Schnitt primär verheilte, während die benachbarte 
Narbe ihrerseits zerfiel und für sich Eiterung anregte. Man wird sich 
in den Fällen, wo man unvermutet auf solche Herde stösst, bei der 
Operation auf die Ausschneidung der Narbe zwischen den Bruohendeo 
beschränken und die Transplantation auf die Zeit der vollständigen 
Heilung verschieben. Auch von dem Gesichtspunkt aus, dass man mit 
der Exzision der Narbe die Ernährungsverhältnisse für das Implantat 
bessert, indem die reichere Getässversorgung nach primärem Schluss die 
Ernährung des Implantats begünstigt, hat es sein Gutes, das Wundbett 
duroh primäre Exzision der Narbe so günstig als möglich zu gestalten 
und nicht Exzisiou der Narbe und Implantation zugleich vorzunehmen. 
Ich glaube, jedenfalls davon in einzelnen Fällen Gutes gesehen zu haben, 
und bin der Meinung, dass namentlich alle plastischen Operationen vor¬ 
her vorgenommen sein müssen, ehe man die Transplantation des 
Knochens macht. Sie wird zweifellos komplizierter, wenn man sie mit 
der plastischen Operation verbindet. 

Ein zweites ist die sorgfältige Blutstillung, bevor man das 
Implantat in die Wundhöhle ein legt. Heisse Kochsalzkompressen pflegen 
in dieser Beziehung günstig zu wirken. Auch kann man von dem 
Jungengel’schen Jodbläser zweckmässig Gebrauoh machen, auch 
kommt die Adrenalinwirkuog bei der Lokalanästhesie der blutstillenden 
Wirkung zugute. Man hat darüber gestritten, ob nicht das Novakain 
und Adrenalin die Lebensfähigkeit des Implantats oder der Umgebung 
derselben schädige. 

Ich habe deutliche Nachteile duroh die Lokalanästhesie in dieser 
Beziehung nicht feststellen können. Meist genügt die in der Zeit des 
Ausschneidens des Implantats ausgeführte Tamponade der Wunde mit 
vorübergehendem Hautscbluss durch Klemmzangen für die Blutstillung 
vollständig. Sie wird wesentlich unterstützt durch die nach der Ein¬ 
fügung des Implantats anzulegende Naht. 

Das Implantat muss selbstverständlich am besten nur mit sterilen 
Instrumenten angefasst, vor jeder stärkeren mechanischen Quetschung 
naoh Möglichkeit behütet und vor Vertrocknung gesichert werden. 

Ist es nach einer der oben geschilderten Methoden eingefügt, so 
wird es durch periostale Katgutnähte mit der Umgebung verbunden oder 
die nächsten Weichteile über dem Implantat so fest gerafft, dass durch 
die Naht sowohl die Wunde vor Blutung gesichert, als auch das Implantat 
in sein Lager fest eingedrückt wird. Eine weitere Nahtschicht vereinigt 
die oberflächlichen Weichteile, eine dritte die Haut. Von einer Drainage 
oder Tamponade ist dringend abzuraten. Die Wunde soll so versorgt 
werden, dass tote Räume, die sich mit Blut füllen könnten, möglichst 
aüsgesohaltet werden. 

Was mit der freien Knochenplastik za erreichen ist, möchte 
ich näher erläutern an den von mir behandelten 16 Fällen von 
Pseudarthrosen des Unterkiefers, zumal gerade diese Fälle für 
die freie Plastik relativ ungünstige Verhältnisse bieten. 

Mit der Zunahme der Kopfschussverletzungen in diesem Kriege 
durch den Schützengrabenkrieg und beim Niederwerfen im Vor¬ 
springen, haben natürlich die Unterkieferverletzungen erheblich 
zugenommen. Es liegt auf der Hand, dass die schweren Split¬ 
terungen und Zertrümmerungen des Knochens das Zustandekommen 
von Pseudarthrosen begünstigt und die bei der Wundheilung auf¬ 
tretenden infektiösen Prozesse vom Munde aus die Zerstörung 
des zertrümmerten Knochens vermehren. Es kommt noch ein 
Moment in diesem Kriege dazu. Während nämlich in früheren 
Kriegen man lediglich auf die knöcherne Vereinigung der Scbuss- 
brüche Wert legte, ohne sich um die Gebiss Verhältnisse wesentlich 
zu kümmern, hat man in diesem Kriege dank den Fortschritten 
der Zahnheilkunde, die Wiederherstellung normaler Artikulation 
in den Vordergrund gestellt und dadurch Pseudarthrosen häufiger 
zustande kommen sehen, weil man dem die Bruchstücke einander 
nähernden Narbenzug durch die den Biss regulierenden Apparate 
entgegen wirkte. Und so ist denn auch die Zahl der Pseudar- 
throsen eine relativ grosse; ein genaues prozentuarisches Ver¬ 
hältnis zu den SchusBbrücken des Unterkiefers ist vorläufig noch 
nicht festzustellen, sicher aber sind sie viel zahlreicher als bei 
den Friedensverletzungen. Dass bei ihrem Zustandekommen die 
mangelhafte Feststellung der Bruchstücke eine gewisse Rolle 
spielt, zeigt die Tatsache, dass man der Pseudarthrose am öftesten 
begegnet am Uebergang des oralen Teils des Unterkiefers in den 
aufsteigenden Ast, wo Hilfsmittel zur Befestigung des letzteren 
gegenüber dem horizontalen Ast kaum anwendbar sind oder im 
Stich lassen. 


Hier muss man sich über die Lageveränderung des zentralen 
Stückes, das schwer abzutasten ist, zu vergewissern suchen. Selbst 
die Röntgenaufnahme lässt hier manchmal im Stich, weil nur 
bei starker Biegung der Wirbelsäule der aufsteigende Ast gut auf 
die Platte zu bekommen ist. Zweckmässig macht man von der 
stereoskopischen Aufnahme Gebrauch, die nach dem Hau ptmeyer¬ 
sehen Verfahren die Verwendung komplizierter Apparate über¬ 
flüssig macht. 

Grössere Spalten innerhalb des horizontalen Astes lassen 
sich, wenn das vordere und hintere Stück bezabnt ist durch auf¬ 
gelegte brückenartige Apparate fest gegeneinander stellen und 
verheilen manchmal noch nach längerer Zeit knöchern, so dass 
man in diesen Fällen viel länger warten muss, ehe man wirklich 
von einer Pseudarthrose sprechen kann als bei den erstgenannten 
Fällen. 

Von meinen Fällen ist nur einer vor dem 200. Tage nach 
der Verletzung operiert und zwar am 176. Tage, alle anderen 
viel später, einer sogar erst am 607. Tage. 

Dasselbe Moment, welches die Pseudarthrose begünstigt, er¬ 
schwert auch zugleich die Implantation, insofern das zentrale Bruch¬ 
stück sich nicht feststellen lässt und durch die Schluckbewegungen 
mitbewegt wird. 

Diese Uebelstände haben Klapp zu dem Ratschlag gebracht, 
die Reste des aufsteigenden Astes zu entfernen und durch Ein¬ 
pflanzen eines Metatarsus zu ersetzen und die gelenkige Verbindung 
herzustellen. Meiner Meinung nach soll man die Exstirpation 
auf das Aeusserste beschränken und lieber jedes kleine Stück, das 
noch gelenkig verbunden ist, zu erhalten und bei der Transplantation 
zu verwerten suchen, ehe man einen in seinem Erfolg viel un¬ 
sicheren und auch die Tragfähigkeit des Fusses leicht beein¬ 
trächtigenden Knochenersatz macht. 

Man kann hier nur durch vollständige Festlegung des Bisses, 
durch festes Aufeinanderstellen des Ober- und Unterkiefers einiger- 
maassen für Ruhestellung sorgen. Aber auch diese Maassnabme 
ist nicht ganz gleichgültig, insofern rein flüssige Ernährung trotz 
zweckmässiger Auswahl und Zusammensetzung der Nahrung, bei 
Verabfolgung der notwendigen Kalorienmenge doch stets ein Herab¬ 
gehen des Körpergewichtes im Gefolge bat. 

Eine weitere Schwierigkeit bietet das Verhalten von Zähnen, 
welche ihrem Aeusseren nach vollständig unversehrt sind und 
doch durch Zerfall ihrer Pulpa Entzündungsprozesse anregen, die 
entweder Fisteln hartnäckig unterhalten, auch wenn deren Maul 
gar nicht in unmittelbarer Nähe des Zahnes gelegen sind, oder 
bei operativen Eingriffen entzündliche Prozesse erzeugen. 

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Nähe der Mundhöhle 
und der Möglichkeit, dass man bei der Vorbereitung des Wand¬ 
bettes leicht die häufig narbig die Knocbenenden überziehende 
Schleimhaut verletzt und auf diese Weise unvermutet eine Ver¬ 
bindung zwischen Mund- und Wundböhle bersteilt, die im Augen¬ 
blick ganz unbemerkt bleiben, sich aber im weiteren Verlauf 
recht störend gelten machen- kann. So ist es mir begegnet, dass bei 
der Exzision der Narbe eine feine Oeffnung der Schleimhaut bei 
der Operation ganz unbemerkt blieb und nur lediglich sich da¬ 
durch ausprägte, dass der nach der Operation entleerte Speichel 
geringe blutige Beimischung zeigte. Aber diese feine Oeffnung 
genügte, um den Wundverlauf zu stören, die narbige Schleimhaut 
zum Zerfall zu bringen und die Ausstossung des Implantats herbei¬ 
zuführen. 

Der Anschauung Esser’s, dass die Mundschleimhaut ohne 
weiteres durchlässig wäre für verschiedene Bakterien, und des¬ 
halb schon jede Wundhöhle in der Nähe des Mundes sich von 
ihr aus infizieren könne, kann ich nicht beistimmen. Die Schleim¬ 
haut ist im Gegenteil ein ausserordentlich sicherer Schutz zur 
Verhütung irgendwelcher eitriger Infektion. 

Besonders schwierig liegen die Verhältnisse, wenn es sich 
um umfangreiche Defekte handelt, die zu beiden Seiten des 
Mittelstückes einsetzen, letzeres ohne jeden Zusammenhang mit 
dem Kieferknochen in den Weichteilen des Mundes flottieren 
lassen. Hier stösst natürlich die Befestigung anf grosse Hinder¬ 
nisse, da das Mittelstück meistens dann recht klein, durch ent¬ 
zündliche Prozesse verändert, für die Befestigung des Implantats 
kaam Haft fläche bietet. 

Ich habe aber doch in einem Falle in einer Sitzung durch 
doppelseitige Transplantation ein solches Mittelstück so feststellen 
können, dass es für eine Prothese genügend Halt bot und zum 
Sprechen und Kauen ungestört benutzt werden konnte. 

Da dieser Fall einen Lehrer betraf, so war der Gewinn, den 
die Operation schuf, ein besonders grosser. Andere Schwierigkeiten 


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UMIVERSITY OF IOWA 



20. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


469 


entstehen, wenn da9 Mittelstück vollständig fehlt und nur Reste 
der beiden horizontalen Aeste vorhanden sind. Meist zieht dann 
eine feste Narbe die Testierenden Bruchstücke so fest aneinander, 
dass dieselben einwärts umgelegt und die Zähne ausser Kontakt 
mit den Oberzähneu einwärts zu liegen kommen. Wenn nicht 
hier frühzeitig für eine Spreizung der Fragmente durch zweck¬ 
mässige Apparate gesorgt worden ist, kommt eine so feste Narbe 
zustande, dass der Versuch, sie zu dehnen, meist den Bestand der 
etwa vorhandenen Zähne sehr erheblich gefährdet und hier durch 
die dehnenden Apparate eher die Zähne aus ihrer Lage gedrängt 
werden, als dass die Narbe nachgibt. Hier bleibt nar übrig, den 
Mundboden ' plastisch neu herzustellen und erst nach dieser 
Plastik den Ersatz des Kinns durch Einpflanzen von Knochen zu 
bewerkstelligen und damit den neuen Kieferbogen zu bilden. 
So können sich die Verhältnisse gerade am Unterkiefer ausser¬ 
ordentlich mannigfach gestalten und jeder Fall zu besonderen 
Maassnahmen Veranlassung geben. Hier ist die Behandlung an 
das innige Zusammenarbeiten des Chirurgen mit dem Zahnarzt 
geknüpft, zumal auch die plastischen Operationen durch ortho¬ 
pädische Apparate, welche den Weichteilen genügende Unterlage 
oder eine bestimmte Spannung geben, ausführbar sind. 

Von den 16 Fällen ist 1 nooh in Behandlung 1 ), 1 bat eine 
▼eitere Operation verweigert, 2 haben nooh keine vollständige Festigkeit, 
dagegen sind 12 Fälle mit vollständig fester Vereinigung geheilt, jeden¬ 
falls ein sehr zufriedenstellendes Resultat, welches für die freie Knoohen- 
piastik spricht. In 3 Fällen musste zweimal operiert werden, in 2 von 
diesen lag die Ursache des Misserfolges in einem Narbenzerfall, entfernt 
von der Operationswunde mit Eiterung, die allmählich auf die Wund¬ 
hohle Übergriff und zur Ausstossung des Implantats führte. Im zweiten 
Falle kam eine vollständige Aufsaugung des ersten Implantats zustande, 
einmal trotz primären Verlaufs und Einheilen des Implantats, ohne jede 
Fistelbildung, im anderen Falle mit geringer Fistelbildung. Die Pseud- 
arthrose blieb noch bestehen, wurde nach der Einpflanzung nach vorüber¬ 
gehender Festigung wieder manifest. ^ Die zweite Operation führte dann 
zu einem vollständigen Erfolge. Die'Forderung Esser’s, dass man von 
einem solchen nar sprechen könne, wenn der Patient wieder vollkommen 
in normaler Weise kauen könne, kann ich allerdings nicht als berechtigt 
anerkennen, denn das Kauen ist doch nicht allein von der Festigkeit 
des Kieferknochens, sondero in erster Linie von dem Verhalten der 
Zähne, und wo diese fehlen, von dem Verhalten der Mundschleimhaut 
abhängig. Starke Narben, narbige Verwachsungen der Schleimhaut mit 
den Kieferstümpfen, oder vorspringende Knochenkanten, können das 
Kauen so schmerzhaft machen, dass auch bei festestem Knochen das 
Tragen eines Ersatzstückes unmöglich wird, oder beim Kauen lebhafte 
Schmerzen entstehen. Die Heilung muss als vollkommen angesehen 
werden, wenn die früheren Bruchstücke nicht mehr gegeneinander federn 
und der Knoohen sich vollkommen fest erweist. Patienten, bei denen 
das Gebiss ausreichend erhalten oder zweckmässig ersetzt werden konnte, 
sind wieder vollständig kriegsfähig geworden. Leider ist es nicht mög¬ 
lich gewesen, über alle Patienten einen späteren Bericht zu erhalten. 

Was die Entnahme des Implantats anlangt, so habe ich sowohl 
Rippe als auch Schienbein und Becken kämm verwendet, habe aber den 
letzteren naoh den früheren Erfahrungen den Vorzug geben müssen. 
Wenngleich die Rippe einen Vorzug darin besitzt, dass sie ringsum von 
Periost umkleidet ist, und dass im allgemeinen ihre Entnahme einen 
funktionellen Defekt nicht herbeiführt, so ist sie doch nicht sehr leicht 
für die Form des Defektes zu bearbeiten, sie fügt sich nicht leicht in 
den platten Knochen des Unterkiefers ein und verlangt besondere Be¬ 
arbeitung oder besondere Befestigung. In einem meiner ersten Fälle 
musste ich die Ausstossung des Rippenstückes mit deutlicher Resorption 
an den angelegten Nahtstellen beklagen. Auch ist die Gefahr der Er¬ 
öffnung des Pleuraraums nicht immer ganz leicht zu vermeiden. Gegen 
die Verwendung de9 Schienbeins, das ja leioht zu erreichen ist, spricht 
die Härte und Sprödigkeit des Schienbeinknochens, der häufig beim Ab- 
meisseln bricht und damit für die Pseusarthrose keine besondere Festig¬ 
keit gibt. Auch ist die Bearbeitung des spröden Knochens bei der Ein¬ 
fügung des Implantats durchaus nicht leicht. Endlioh kommt dazu, dass 
in einzelnen Fällen die Festigkeit des Schienbeins so leidet, dass bei 
relativ geringfügigen Verletzungen das Schienbein bei der Entnahme¬ 
stelle bricht, gegen die Verwendung des Schienbeins spricht. 

Der Beckenkamm hat demgegenüber eigentlich nur Vorzüge. Er 
gibt durch seine Spongiosa günstige Bedingungen für das Einheiten, er 
lässt sich leicht bearbeiten, aus ihm lassen sich sogar leicht gebogene 
Stücke, wie sie für den Unterkiefer zweokmässig sind, hersteilen. Die 
periostale Bekleidung ist gut, der Schluss der Entnahmestelle leioht und 
irgendeine funktioneile Störung nicht zu befürchten. Die leichte Be¬ 
arbeitung durch den Meissei, mit dem man gleich von vornherein die 
zweckentsprechende Form des Implantats hersteilen kann, ist zweifellos 
ein grosser Vorzug, zumal auch noch feinere Bearbeitungen, wie sie bei 
der Einpassung des Implantats erforderlich sind, leioht mit Luer’scher 
Zange ausgeführt werden können. Die Operation selbst wird sehr er¬ 
leichtert durch die Lokalanästhesie. Ich habe zweimal bei besonders 
ängstlichen Patienten in Narkose operiert, habe aber dabei die un- 


1) Inzwischen fest verheilt (Nachschrift). 


gemeinen Nachteile empfunden. Sie liegen hauptsächlich darin, dass 
man wegen der Unterhaltung der AtmuDg auf die Feststellung der 
Kiefer verzichten mu9s, und sie erst naoh der Operation, nach Beendi¬ 
gung der Narkose vornehmen kann, und auch dann noch ist die Gefahr, 
dass der Patient bei etwaigem Erbrechen in Erstickungsnot kommt, eine 
sehr unangenehme. Deshalb habe ich später ausschliesslich die Lokal¬ 
anästhesie verwandt. Sie stösst allerdings auf Schwierigkeiten, wo um¬ 
fangreichere Narben der gleichmässigen Verbreitung der Iojektions- 
flüssigkeit Schwierigkeiten entgegensetzen. Man muss dann möglichst 
die Leitungsanästhesie zu Hilfe nehmen, die entweder naoh Gadd oder 
vom Munde her am dritten Ast des Trigeminus ausgefübrt wird, und 
durch Zuhilfenahme einzelner Punkte an der äusseren Haut ergänzt 
wird. Auch die Anästhesie vom Ganglion oticum aus ist am Platze, 
aber leider nicht immer sicher ausführbar, weil der vorgelagerte auf¬ 
steigende Ast die richtige Führung der Nadel unmöglich macht. Dass 
die Anästhesie auch gleichzeitig in ihrer blutstillenden Wirkung Vorteile 
bringt, habe ich bereits erwähnt. Sie ist ein grossartiger Fortschritt, 
der jedesmal den Operateur dankbar empfinden lässt die Erleichterung 
und die Annehmlichkeit, die sie gegenüber der Narkose besitzt. 

Zusammenfassend muss ich nach diesen Erfahrungen sagen, 
dass die freie Knochenplastik ein leistungsfähiges Verfahren zur 
Ueberbrücknng grösserer Knochendefekte darstellt, und dass die 
gegen dasselbe erhobenen Einwendungen (Wunschheim, Esser, 
Pichler) nicht als durchschlagend anerkannt werden können. 
Zur Implantation scheint der Beckenkamm vor der Rippe den 
Vorzug zu verdienen, mit dem Material aus dem Schienbein aber 
ziemlich gleich zu stehen, was die Einheilang anlangt. Die Be- 
arbeitungsmöglicbkeit ist wegen der geringeren Sprödigkeit zweifel¬ 
los beim Beckenkamm grösser. Die Lokalanästhesie bat auf die 
Lebensfähigkeit des Implantats keinen nachteiligen Einfluss. Es 
steht zu erwarten, dass die Erfahrungen des Krieges dahin führen, 
dass auf dem Gebiet des Knochenersatzes nach Resektionen von 
der Implantation mehr als früher Gebrauch gemacht werden wird, 
allerdings wahrscheinlich nicht primär bei der Resektion, sondern 
nach vollständiger Wundheilung und nach Ablauf einer Zeit, in 
welcher das Rezidiv des Tumors nicht mehr zu fürchten ist. 

So möge ans der blutigen Saat des Krieges Segen quellen 
für den Frieden. 


Aus dem chirurgischen Ambulatorium des allgemeinen 
Krankenhauses Ham bürg-Eppendorf (leitender Arzt: 
Dr. Kotzenberg). 

Über Stumpfbehandlungun«} Stumpfkorrekturen. 

Von 

Dr. H. Brfitt. 

Die Nachbehandlung Amputierter gehört heute mit zu den 
wichtigsten Aufgaben des Heimatchirurgen. Wer über ein grösseres 
Material von Amputationsfällen verfügt, weiss, dass es ans nicht 
selten lange Mühe und viel Sorgfalt kostet, bis wir einen guten 
tragfähigeu Stumpf erzielt haben. Während der Feldchirurg nur 
den rasch eintretenden Erfolg bei seinen Amputationen sieht 
und die bis zu einem gewissen Grade meist prompt erfolgende 
Heilnng — bis auf die schwer infizierten Fälle —, bekommt der 
Chirurg in der Heimat in der Regel nur das chronische Stadium 
zur Beobachtung and Reamputation und andere Stumpfkorrek¬ 
turen sind nur zu oft erforderlich. Wenn auch in grösseren 
Lazaretten eine Konzentrierung solcher Fälle zur möglichst zweck¬ 
mässigen und einheitlichen Behandlung erstrebt wird — be¬ 
sonders wichtig ist das in Hinsicht auf die Interimsprotbese und 
endgültige Prothese — so ist in kleinen Krankenhäusern der 
Arzt auf seine eigene, auf diesem Gebiete wohl meist geringe 
Erfahrung angewiesen. — Der grundlegende Gedanke bei der 
Nachbehandlung Amputierter muss nun stets der sein: Wie 
schaffe ich' dem Manne einen Stumpf, der für die spätere Pro¬ 
these möglichst geeignet ist; denn wenn wir auch unsere Pro¬ 
thesen den Stümpfen anpassen, so ist es doch von grösster 
Wichtigkeit, dass der behandelnde Arzt sich darüber im klaren 
ist, nach welchem Prinzip die Prothesen gebaut sind und wie in 
erster Linie die Belastung dabei sein soll; ob beispielsweise 
bei Beinampntationen der Mann sich aof den Stumpf selbst 
stützen soll, oder auf vorspringende Knochen punkte (Tibiakondylen, 
Sitzbeinknorren usw ). Es ist daher wünschenswert, dass der 
Chirurg entweder sich mit dem Orthopäden früh ins Einver¬ 
nehmen setzt, oder noch besser, er ist selbst soweit Orthopäde, 
dass er weiss, auf welche Punkte es ankommt. 

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UNIVERSITÄT OF IOWA 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 



Wie schon oben angedeutet, bekommt 
man in den Heimatlazaretten die Ampu¬ 
tierten meist schon in vorgeschrittener Hei¬ 
lung in Behandlung. Wenn wir selbst auch 
teilweise frisch Amputierte zu Gesicht be¬ 
kommen, in einem nicht geringen Teil auch 
wegen schwerer Verletzungen selbst ampu¬ 
tieren mussten, so wollen wir jedoch nur 
jene chronischen Fälle berücksichtigen, bei 
denen die Amputationswunden bis zu einem 
gewissen Grade geheilt sind. Diese Fälle 
bieten meist ein ziemlich charakteristisches 

Bild: 

Die Amputationsnarbe ist bis auf ein oder 
mehrere, pf6nnig- bis über fünfmarkstückgrosse 
Narbengeschwüre geheilt; diese Geschwüre sind 
oft schmierig belegt, seltener von sauberen Gra¬ 
nulationen bedeckt. Meist sind die Geschwüre 
von einem mehr oder weniger breiten Narben¬ 
rand umgeben. Die Weichteile in der Umgebung 
des Geschwürs sind häutig chronisch entzündlich 
verdickt; teils handelt es sich auch um Oedem, 
teils um entzündliche Infiltration. Zumeist sitzen 
diese Geschwüre unmittelbar auf dem Knochen¬ 
stumpf, welcher mehr oder weniger weit aus 
dem Niveau der Weichteile herausragt oder auch 
etwas unter deren Niveau liegen kann. Nicht 
selten führen von den Geschwüren aus kleine 
Fisteln auf den Knochen oder in den Knochen 
hinein; die Fistelöffoung ist jedoch häufig von 
Granulationen bedeckt und wird erst beim Sondieren gefunden, oder eine 
etwas stärkere Eiterung weist auf das Bestehen einer Fistel hin. Die 
Ursache dieser Fisteln sind fast stets kleine und kleinste Sequester, die 
sich meist aus der Spongiosa des Stumpfes abstossen. Wenn auch diese 
kleinen Splitter röntgenologisch nicht immer nachweisbar sind, so ist 
doch die Anfertigung eines Röntgenbildes in solchen Fällen empfehlenswert. 

Beim Erheben der Anamnese stellt sich dann gewöhnlich heraus, 
dass die Wunde zuerst relativ rasch ausheilte; dann aber blieben jene 
kleineren und grösseren Geschwüre, die sich oft später noch verbreiterten; 
manchmal war die Wunde schon ganz verheilt und die Narbe brach 
erst später wieder auf. Dieses chronische Stadium dauert nun bei einer 
grossen Zahl Amputierter monatelang; die Leute liegen in den Laza¬ 
retten herum; alle Register der üblichen Behandlung wie die ver¬ 
schiedensten Salben, trockene und feuchte Verbände usw. werden auf¬ 
gezogen, ohne den erwünschten Erfolg zu erzielen. 

Der Hauptgrund der schlechten Heilungstendenz dieser Narben¬ 
geschwüre ist zweifellos in den ungenügenden Zirkulationsver¬ 
hältnissen zu suchen. Air und für sich schon pflegt die Zirkulation 
im Amputationsstumpf infolge des Nichtgebrauchs der Muskulatur eine 
geringere zu sein als bei einer gesunden Extremität. Zudem sind die 
Geschwüre ja stets von einem mehr oder minder breiten Narbenrand 
umgeben, wodurch die Blutzufuhr fast gänzlich unterbunden ist. Unsere 
Hauptaufgabe bei der Behandlung dieser torpiden Ulzera wird also die 
sein, eine möglichst gute Zirkulation im Stumpf zu erzielen. Zu diesem 
Zwecke lassen wir zunächst die Stümpfe massieren; ausserdem machen 
die Leute Pendelübungen. Von der dauernden Stauung haben wir 
keinen nennenswerten Nutzen gesehen; die von Thies 1 ) für die Be¬ 
handlung der Gasphlegmone angegebene rhythmische Stauung haben wir 
bei den Amputationsstümpfen zwar noch nicht aDgewandt, halten jedoch 
nach unseren Erfahrungen bei akut- und chronisch entzündlichen Er¬ 
krankungen der Extremitäten (Phlegmonen, Gelenktuberkulose usw.) 
einen Versuch damit für wohlangebracht. Hingegen pflegen wir mit 
sichtlichem Erfolg die von Kotz.enberg 2 ) zur Erzielung willkürlich be¬ 
weglicher Prothesen konstruierte elastische Metallspange zu benutzen. 
Das Prinzip dieser Spange besteht kurz gesagt darin, dass die beiden 
Enden eines um das amputierte Glied gelegten, federnden Stahlstreifens 
durch die Kontraktion der Stumpfmuskulatur auseinander gezogen 
werden; die dabei entwickelte Kraft wird durch Hebelarme oder Rollen, 
die an den Enden der SpaDge sitzen, auf die Finger der Kunstband usw. 
übertragen. Uns interessiert in diesem Zusammenhang nur die Wirkung 
dieser Spange auf die Zirkulation des Stumpfes. Das Hauptmoment ist 
dabei, dass die Muskulatur des Stumpfes aktiv kontrahiert wird. Die 
Leute entwickeln bald eine erhebliche Kraft in den vorher meist atrophi¬ 
schen Muskeln und können in kurzer Zeit bis zu 10 Pfund heben (vgl. 
Abbildung 1). Die Durchblutung des Stumpfes ist hierbei natür¬ 
lich eine wesentlich bessere, als wir sie je durch Massage und Pendel¬ 
übungen erzielen können. Ausserdem kommt noch eine Stauungs¬ 
wirkung hinzu, die bis zu einem gewissen Grade als rhythmische 
bezeichnet werden kann, da bei der Kontraktion der Muskulatur zum 
Heben des Gewichts durch gleichzeitige Dehnung der Spange eine kräf¬ 
tigere Stauung besteht als im Ruhezustand. Diese Uebungen werden 
täglich l / 2 bis 1 Stunde gemacht. Die Narbengeschwüre selbst suchen 

1) Thies, Bruns’ Beitr., VII. kriegschirurgischer Band. 

2) Kotzenberg, M. Kl., 1917. 


wir ausserdem durch die künstliche Höhensonne und Röntgen¬ 
bestrahlung zu beeinflussen. Die Höhensonnenbestrahlung ist 
für diese Art Geschwüre gut geeignet, im Gegensatz beispielsweise zu 
den varikösen Unterschenkelgeschwüren, trotzdem bei letzteren ja auch 
mangelhafte Zirkulationsverbältnisse mit im Spiele sind. Zur Röntgen¬ 
bestrahlung nehmen wir durch 3 mm Aluminium gefilterte harte 
Strahlen und bestrahlen in einem Feld direkt auf die Wunde 6 bis 
8 Holzknecht, oder in mehreren Feldern je nach Lage des Geschwürs. 
Wiederholung nach 4 Wochen. Die Bestrahlung hat vor allem die 
Wirkung, dass kleine Knochensplitter sioh schnell lösen und zur Ab- 
stossung gelangen. Von irgendeiner besonderen Salbenbebandlung der 
älteren Ulzera haben wir keinen Nutzen gesehen; wir wechseln mit in¬ 
differenten Salben und Scharlachsalbe ab, oder behandeln feucht bzw. 
trocken, je nach Art des Falles; ein gewisser Wechsel scheint hierbei 
von Nutzen zu sein. Jauchige Geschwüre reagieren recht gut auf Be¬ 
handlung mit Carell-Dakin’scher Lösung. Diese altbekannte Lösung, 
welche in diesem Kriege wieder zu hohen Ehren gekommen ist, spielt 
bei uns überhaupt eine grosse Rolle. Bei schwer infizierten, zumal ver¬ 
jauchten Schussverletzungen wenden wir sie fast durchweg an; aber 
auch bei sonstigen schweren Eiterungen leistet sie uns gute Dienste. 

Mit diesen oben geschilderten Behandlungsmethoden gelingt es uns, 
einen Teil der Narbengeschwüre zur Heilung zu bringen; ein anderer 
Teil säubert sich soweit, dass die notwendige operative Stumpf¬ 
korrektur vorgenommen werden kann. Bei der Betrachtung der 
Stumpfkorrekturen empfiehlt es sich, die obere und untere Extremität 
getrennt zu besprechen, da wesentlich verschiedene Gesichtspunkte für 
unser operatives Vorgehen dabei maassgebend sind. Bei der unteren 
Extremität ist es unsere Hauptaufgabe, einen guten tragfähigen Stumpf 
zu erzielen; bei der oberen Extremität spielt dieses Moment gar keine 
Rolle; hingegen richten wir hier unser Augenmerk hauptsächlich dar¬ 
auf, ob plastische Operationen zur Erzielung einer willkürlich bewegten 
Hand möglich sind. 

Nicht alle Amputationsstümpfe der unteren Extremität, die aus¬ 
gedehnte Narben an der Stumpfspitze zeigen, bedürfen der Reamputation. 
Findet sich eine kräftige, nicht druckempfindliche glatte Narbe, mit dem 
Knochenstumpf fest verwachsen, oder handelt es sich um eine über dem 
Knochen verschiebliche, breite Weichteilsnarbe, ist die Stumpfkorrektur 
überflüssig, zumal wenn der Pat. mit der Prothese nicht auf Druck 
gehen soll. Anders ist es mit den atrophischen, schmerzhaften Narben 
und in erster Linie mit den torpiden Narbengeschwüren. Hier kommen 
wir ohne Korrektur nicht zum Ziele. Zwei Wege stehen uns nun in 
solchen Fällen offen: Entweder man macht — wie es wohl meist üblich 
ist — eine Reamputation, oder man sucht durch Weichteilsplastik den 
nach Exzision der Narbe entstandenen Defekt zu decken. Da es als 
Grundregel bei Amputationen gilt, einen möglichst langen Stumpf zu 
erhalten, sollte man möglichst oft von der plastischen Methode Gebrauch 
machen, mehr, als es bisher Brauch ist. Immerhin gibt es manche Fälle, 
in denen die Reamputation zweckmässiger ist. So z. B. besonders bei 
Amputationsstümpfen der unteren Unterschenkelhälfte, wo wir zu wenig 
Weiohteile in der Nachbarschaft haben, um ausgiebige Plastiken machen 
zu können. Jedoch ist es auch hier bei kleineren Defekten möglich, durch 
gestielte Hautlappen eine gute Deckung zu erzielen. Naht so selten 
sieht man Stümpfe, die so unpraktisch und für eine künftige Prothese 
so ungeeignet sind, dass sie schon aus diesem Grunde eine Reamputation 
erfordern. So hatten wir beispielsweise mehrfach Fussamputationen nach 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Chopart zu behandeln, bei denen — abgesehen von dem an und für sich 
unpraktischen Chopartsturapf — noch eineSpitzfussstellung mit mehr oder 
weniger ausgesprochener Fussgelenksversteifung bestand. Pirogoff- oder 
supramalleoläre Unterschenkelamputationen schaffen in solchen Fällen 
brauchbare Stümpfe. Ebenso wird man bei Unterschenkelamputionen 
dicht unterhalb des Knies und gleichzeitiger irreparabler Kniegelenks¬ 
versteifung dem Patienten am meisten mit einem Grittistumpf nützen; 
mehr, als wenn man nach der alten Methode den Mann bei rechtwinklig 
versteiftem Knie sich auf die Tuberositas tibiae stützen lässt- Häufig 
müssen wir, wia schon erwähnt, bei don noch bestehenden Narben¬ 
geschwüren reamputieren. Ein absolut aseptisches Operieren ist dabei 
kaum möglich; selbst nicht nach ausgiebiger Jodierung der Schnitt¬ 
fläche nach Exzision des Ulkus. Ganz besonders betonen möchten wir, 
dass grosse Knochenplastiken bei solchen Amputationsstümpfen nicht 
angebracht sind, zumal, wenn wie so oft alte Inzisions- und Schuss¬ 
narben sich noch am Amputationssturapf finden. Nur zu häufig sitzen 
in der Tiefe noch infektiöse Keime, die bei der Operation zu neuen 
Entzündungsprozessen Anlass geben können. Es sei hierbei daran er¬ 
innert, dass auch reaktionslos eingeheilte Steckschüsse nicht selten auf 
ihrer Oberfläche virulente Keime (Staphylokokken, Streptokokken, Gas¬ 
brand-, Tetanusbazillen usw.) beherbergen; wir selbst konnten eine 
Reihe solcher Fälle beobachten, wie ja auch in der Literatur der Begriff 
der schlummernden Infektion gerade hierfür angewandt wird. Bezüglich 
der Technik der Reamputationen an der unteren Extremftät sei noch 
bemerkt, dass wir nicht zu sparsam mit der Fortnahme des Knochens 
sein sollen. Die Weichteile müssen sich, zumal beim Unterschenkel, 
wo es sich nur um dünne Hautlappen handelt, ohne besondere Spannung 
über dem Knochenstumpf vereinigen lassen; denn erstens muss man mit 
einer sekundären Heilung rechnen, bei der die Nahtlinie ja sehr grosse 
Neigung zum Auseinanderweichen hat, und zweitens ist die Ernährung 
dieser Weichteile schlechter als unter normalen Verhältnissen. Eine solche 
Sparsamkeit mit der Fortnahme von Knochen rächt sich dann zuweilen da 
mit, dass eine nochmalige Reamputation erforderlich wird. In der Wahl 
der Schnittführung wird man sich nach den vorhandenen alten Operations¬ 
narben richten müssen, die häufig in radiärer Richtung von der Narbe 
über den Knochenstumpf ausstrahlen. Typische Schnitte mit vorderer 
und hinterer Lappenbildung sind in solchen Fällen nicht angebracht. 
Am Oberschenkel, wo wir reichlich Weichteile und nur einen relativ 
dünnen Knochen haben, gestalten sich die Verhältnisse fast stets günstiger 
als beim Unterschenkel. — Um ein Durchschneiden der vorderen Tibia- 
kante durch die meist sehr dünne Haut zu vermeiden, empfiehlt es sich, 
die Vorderseite des Knochens schräg abzusägen und mit einer Feile zu 
glätten. Bei Obarschenkelstümpfen gelangt man oft in sehr einfacher 
Weise dadurch zum Ziel, dass man den Knochenstumpf rings umschneidet 
und die Weichteile raanschettenartig zurückschiebt; jetzt lässt sich der 
vorstehende Femursturopf leicht mit einer Gigli’schen Drahtsäge ab¬ 
tragen und danach die Weichteile sich vereinigen. 

In den Fällen jedooh, wo eine weitere Verkürzung des Araputations- 
stumpfes kontraindiziert ist und genügend Weichteile vorhanden sind, 
machen wir stets eine Lappenp 1 astik. Häufig kommt man ja schon 
damit aus, dass man nach Exzision der Narbe die Weichteile gehörig 
mobilisiert und sie dann ohne besondere Spannung über den Knochen- 
stumpf vereinigt. In der Mehrzahl der Fälle ziehen wir jedoch die 
Deckung des Hautdefektes mittels gestielten Hautfettlappens vor. Die 
Deckung der Amputationsstümpfe mit gestielten Lappen ist in diesem 
Kriege von verschiedenen Seiten empfohlen worden [Franke 1 ), Schanz 2 3 ;, 
Hans 8 )]. Unsere Methode unterscheidet sich von der Mehrzahl der 
sonst üblichen Methodon dadurch, dass wir bei Lappenplastiken an der 
unteren Extremität fast stets den Lappen vom Amputationsstumpf selbst 
entnehmen, wobei die sehr erheblichen Unbequemlichkeiten, die für den 
Pat. bei Entnahme des gestielten Lappens vom anderen Bein bestehen, 
sowie die Nachoperationen fortfallen. Nur bei den langen Unterschenkel¬ 
stümpfen, wo zu wenig Weichteile am Stumpf vorhanden sind, kann 
man unter Umständen genötigt sein, das Lappenmaterial vom anderen 
Beine zu entnehmen. Bei Oberschenkelstümpfen ist fast stets genügend 
Haut zur Deckung vorhanden. Allerdings pflegen wir, wenn der Knochen¬ 
stumpf das Hautniveau um ein grösseres Stück überragt, diesen im 
Niveau der Weichteile abzutragen und erst dann plastisch zu decken. 
Die Technik der Lappenplastik ist eine sehr einfache. Haupt¬ 
bedingung für ein gutes Resultat ist, dass der Lappen nicht zu lang 
und schmal ist, und dass die Basis breit genug genommen wird. Zweck¬ 
mässig ist es auch, dass man sich über die Gefässversorgung des Haut¬ 
bezirkes, aus dem der Lappen entnommen werden soll, im Klaren ist. So 
soll man nach Möglichkeit die kleinen Hautarterien, die nach Durch¬ 
bohrung der Faszie in das subkutane Fett eintreten, an der Basis des 
Lappens schonen. Wenn man vorsichtig den Hautfettlappen abpräpariert, 
kann man leicht die Verletzung dieser kleinen Gefässe vermeiden. Des 
weiteren soll der zur Lappenbildung umschnittene Hautbezirk stets 
etwas grösser gemessen werden, als es der Grösse des zu deckenden 
Defektes entspricht. Denn erstens schrumpft der Lappen nach Los¬ 
lösung aus seiner Umgebung stets infolge der Hautelestizität etwas 
zusammen und sodann tritt durch die Drehung des Lappens immer eine 
gewisse Zerrung ein; bei der an und für sich schon herabgesetzten Er¬ 
nährung des Lappens müssen aberSpannungen tunlichst vermieden werden. 


1) Franke, D.m.W., 1915, Nr. 32. 

2) Schanz, Zbl. f. Chir., 1915, Nr. 18. 

3) Hans, Zbl. f. Chir., 1915, Nr. 25. 


Je weiter ein Lappen gedreht wird bei der Ueberpflanzung, um so mehr 
ist infolge der Torsion des Stieles die Ernährung gefährdet; man wird 
also, wenn irgend angäDgig, die Lappenentnahmestellen so wählen, dass 
eine Drehung des Lappens um mehr als 90° vermieden wird. 

Die Versorgung der Lappenentnahmestelle gestaltet sich verschieden. 
Sind reichlich gut verschiebliche Weichteile vorhanden — wie in der 
Regel bei Oberschenkelstümpfen —, so können die Wundränder nach 
gehöriger Mobilisierung primär vereinigt werden. Dies ist natürlich nicht 
ohne eine gewisse Spannung möglich. Es empfiehlt sich daher, diese 
Naht mit Seide zu machen und die Fäden auch bei primärer Heilung 
nicht zu früh zu entfernen, da sonst die Narbenränder noch auseinander¬ 
weichen können. Ist die Vereinigung der Wundränder nicht möglich 
(sie darf auch nicht auf Kosten der Ernährung des Lappenstieles er¬ 
folgen), so deckt man den Defekt mit Thier’schen Lappen vom gesunden 
Bein. Bei guter Technik erzielt man auf diese Weise gute Resultate. 
Wir haben diese Eingriffe meist in Narkose vorgenommen, da wir infolge 
der Anämisierung des Operationsgebietes bei Lokalanästhesie Ernährungs¬ 
störungen der Lappen befürchten. Aus dem gleichen Grunde wird Blut¬ 
leere vermieden, die ja bei solchen Weichteilsplastiken überhaupt über¬ 
flüssig ist. Leitungsanästhesie des Plexus sacralis hingegen wäre recht 
zweckmässig. 


Abbildung 2. 




Der Vorteil dieser plastischen Deckung der Amputationsstümpfe bei 
Beinamputierten liegt nun nicht allein darin, dass eine weitere Ver¬ 
kürzung des Stumpfes vermieden wird, sondern wir erhalten hierdurch 
auch eine bessere Stützfläche für die spätere Prothese. Während es 
sich bei Reamputationen meist nicht vermeiden lässt, dass die Operations¬ 
narbe über den Knochenstumpf verläuft, ist bei den Lappenplastiken 
der Knochenstumpf von der fettgepolsterten Haut des Lappens bedeckt; 
hierdurch wird das Wiederaufbrechen der Narbe über dem Knochen ver¬ 
mieden und ausserdem fällt die so häufig beobachtete Druokempfindlich- 
keit der Narbe an dieser Stelle fort. Die nebenstehenden Abbildungen 
zeigen einen solchen mit Lappenplastik gedeckten OberscheDkelstumpf. 
Abbildung 2 stammt von einem Manne, bei dem mehrere Monate lang 
eia über fünfmarkstückgrosses Narbengeschwür auf dem etwas vor¬ 
stehenden Knochenstumpf des Oberschenkels bestanden hatte. Es gelang 

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20. Mai 1918. 


Hände desselben zu studieren (Abbildung 3). Die Verbildung derselben 
war äusserlich viel geringer, wie bei dem Sohne, die Finger waren länger 
und weniger seitlich gebogen. Boi der Betrachtung der Knochenkonstruk- 
tion zeigt sich aber, dass,‘' wenn auch im Prinzip dieselben Verhältnisse 
vorliegen, doch die Symmetrie nicht dieselbe ist. Sesambeine sind am 
Daumen und kleinen Finger vorhanden, die Zweiteilung der Grund¬ 
phalanx iat aber hier nur rechts vorhanden, während an der linken 
Hand die Zweiteilung statt des zweiten Fingers den dritten ergriffen 
hat. Dagegen ist die Tuberositas, von der ich vorhin sprach, hier an 
der linken Hand besonders stark entwickelt und eine vollkommen 
schräge Gelenkfläche dadurch die Folge. Die ulnare Stellung des Zeige¬ 



fingers ist auch hier das Charakteiistische der Hand. Kann es bei den 
früheren Teilungen noch vielleicht fraglich sein, ob hier Persistenz 
einer abnormen Epiphysenlinie vorliegt oder richtige Gelenkbildung, so 
zeigt das Röntgenbild an den Händen des Vaters ohne Zweifel eine 
richtige Gelenkbildung io seiner kugelförmigen Anordnung. Ueberein- 
stimmend mit den Händen des Sohnes sehen Sie auch hier die ge¬ 
drungene Verkürzung der Mittelphalange, am ausgebildetsten am zweiten 
Finger; im Gegensatz zu dem kleinen Finger des Sohnes jedoch ist 
doch hier am kleinen Finger, wenn auch eine verkürzte, so doch un¬ 
zweifelhafte Mittelphalange erkennbar. 

Die Schwester des Vaters übersandte mir die Photographien ihrer 
Hände, ohne dass ich Gelegenheit hatte, dieselben persönlich zu unter¬ 
suchen. Die Photographie zeigte nun das Vorhandensein 1. der Ulnar¬ 
stellung des Zeigefingers beiderseits, 2. sehr stark ausgesprochen den 
seitlichen Prozessus, 3. eine mäßige Verkürzung sämtlicher Mittel¬ 
phalangen, eine starke Veränderung der Mittelphalange des Index, hier 
ist statt der seitlichen Einbuchtung eine kugelige Ausbuchtung des über 
die Hälfte verkörzten Mittelgliedes vorhanden. Ein starkes Abweichen 
des Endgliedes des zweiten Fingers der rechten Hand nach der Ulnar¬ 
seite wird beobachtet. Bei dieser alten Dame tritt die Veränderung 
des proximalen Gelenkkopfes der Mittelphalange besonders deutlich in 
Erscheinung; derselbe ist halb kugelig gebildet und sieht dem distalen 
Ende der Metakarpalknochen ähnlich. Sesambeine werden auch hier nur 
an der Grundphalanx des Daumens beobachtet. Die zackigen Vorsprünge, 
welche man bei älteren Leuten normalerweise an den Phalangen beob¬ 
achtet, sind hier besonders stark vorhanden. Soweit sich aus der Photo¬ 
graphie das Lebensbild rekonstruieren lässt, sind die Fingerenden der 
zweiten und dritten Finger an beiden Händen in einem dauernden 
Flexionszustand. 

Ausser dieser Ulnarstellung des Zeigefingers und der vor¬ 
handenen Hyperphalangie des zweiten und dritten Fingers 
scheint also demnach das Charakteristische dieser familiären Skelett¬ 
missbildung der Schwund der Mittelphalangen zu sein. 

Dieses letztere wird in hohem Grade wahrscheinlich durch Be¬ 
trachtung der Knochenstruktur des Fusses des jungen Mannes. Die an¬ 
geblich ganz normalen Füsse erwiesen sich im Röntgenbild auch als 
verbildet. Die äussere Betrachtung zeigt nichts Krankhaftes. Bei der 
Betastung aber ergibt sich schon der auffallende Befund, dass die Zehen¬ 
endglieder eine aussergewöhnlicbe passive Beweglichkeit zeigen, sie 
lassen sich nach allen Richtungen frei bewegen, als ob statt einer Ge¬ 
lenkverbildung nur eine membranöse vorhanden wäre. Das Röntgenbild 
zeigt auch hier wieder den beinahe völligen Schwund der Mittelphalangeu 
zu Knochenkugeln und ausserdem noch eine hochgradige Verschmälerung 
der Grundphalangen. 

Ich habe nun zur weiteren Klärung der Angelegenheit die Literatur 
zu Hilfe genommen. Dass die Anomalie eine seltene ist, ergibt sich 
schon aus der Tatsache, dass z. B. Herr Geheimrat Waldeyer-Hartz, 
dem ich die Bilder zeigte, niemals etwas ähnliches beobachtet hat. In i 
dar neuen Literatur sind jedoch einige Fälle dieser Art beschrieben, so I 
namentlich von Joachimsthal in dem Atlas der normalen und patho- | 


logischen Anatomie (Die angeborenen Verbildungen der oberen Extremi¬ 
täten). Hier sind auch drei Photographien, Tafel 512, Tafel 61 wieder¬ 
gegeben, die derartig übereinstimmen mit den von mir beobachteten 
Erscheinungen, dass ich den Verdacht habe, dass es sich hier um Mit¬ 
glieder dieser Familie handeln könnte. Auch hier erscheint hauptsäch¬ 
lich der zweite und dritte Finger befallen (Hyperphalangie, Schwund 
der MittelphalaDgen und vor allem auch der auch von Joachimsthal 
in seiner Aehnlichkeit mit dem Proc. metarsi quinti verglichenen Basis 
der Grundphalangen des Zeigefingers). Aehnliche Beobachtungen sind 
von einer Reihe von Autoren gemacht worden. Ueber Defekte der Mittel¬ 
phalangen an allen Fingern und Zehen berichteten Gr über und Lanz. 
Joachimsthal glaubt, dass die Bracbydaktylie nicht in einer Be¬ 
schränkung der Phalangen bestanden hat, sondern vielmehr in einer 
Längenreduktion der selbst in Ueberzahl vorhandenen Gliedteile. Le- 
boucq hat ausserdem durch anatomische Untersuchungen nachgewiesen, 
dass diese hier skizzierten Verhältnisse der Bracbydaktylie mit Vor¬ 
handensein nur einer Beugefalte und anscheinend nur zwei Phalangen 
in Wirklichkeit aus vier untereinander durch wirkliche Gelenke ver¬ 
bundene Glieder bestand. Neuerdings war in der Zeitschrift für ortho¬ 
pädische Chirurgie unter dem Titel: „Zwei Fälle von symmetrischen 
Missbildungen der Finger“, A. Schartf, die Hände von Mutter und 
Kind abgebildet, welche in vieler Beziehung den unsrigen ähnlich sind. 

Ueber die Ursachen des Zustandekommens dieser Händeab¬ 
normität kann man die verschiedenen Theorien heranziehen. 
Der Schwund der Mittelphalange könnte ja auf Grund von 
Störungen entstanden sein, wie Machol und Kümmel angegeben 
haben. Der erstere: vorzeitige Ossifikation der Knorpel¬ 
fugen durch trophoneurotische Störungen, während 
Kümmel das frühe Aufhören des Längenwachstums auf eine 
intrauterine Raumbeschränkung und andere exogene 
Gründe zurückführt. Dem wiederspricht absolut die Zweiteilung 
der Phalangen mit der zwischenliegenden Gelenkbildung. Hier 
handelt es sich um eine primär angelegte Skelettanomalie. Einen 
sicheren Beweis für die eingeborene Keimveränderung 
finde ich in dem bilateral symmetrischen Auftreten der 
Missbildungen und ihrer Vererblichkeit. 

Die anatomische Präparierung Leboucq’s bewies die Tat¬ 
sache der intermediären Gelenkbildung, wobei es nicht bewiesen 
ist, dass an der einen oder an der anderen Stelle es sich in 
unseren Fällen um die Peristeuz einer Epiphysenlinie handeln 
könne. Ungeklärt dagegen bleibt bis zum Falle der anatomischen 
Untersuchung das Vorhandensein des abnormen basalen Knochen¬ 
vorsprungs. Es muss hier mit Wahrscheinlichkeit angenommen 
werden, dass sich ein abnormer Muskelansatz vorfindet. Die 
Symmetrie der Vererbung ist eine prinzipielle, wenn auch im 
Einzelfalle links und rechts und bei den verschiedenen Mitgliedern 
keine absolute. 


Abbildung 4. 



Man kommt dem Verständnis des Zustandekommens 
dieser Familienabuormität ein gutes Stück näherdurch 
die Betrachtung der Hände eines jugendlichen Fami¬ 
lienmitgliedes, das von der Missbildung anscheinend ganz 
verschont blieb. Die Röntgenphotographie dieses sechzehn¬ 
jährigen jungen Menschen eignet sich wegen der noch vorhandenen 
Persistenz der Epiphysenlinien besonders hierzu (Abbildung 4). 
Alle Mittelphalangen sind korrekt gebaut. Eine ulnare Stellung 
des ersten Fingers fällt in Natura nicht auf, dagegen andeu¬ 
tungsweise auf dem Bilde. Dagegen sehen wir beiderseits den 
basalen Prozessus stark entwickelt. Ausserdem erklärt die ver¬ 
schobene Epiphysenlinie an der zweiten und dritten Grund 
phalanx das Zustandekommen der Abnormität. Hier ist statt der 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


schmalen radial* and ulnar wärt* gleichmässig hohen, etwa 8—4 mm 
breiten Epiphyse eine solche vorhanden, die am Mittelfinger an 
der radialen Seite eine Länge von 12 mm, an der ulnaren von 
10 mm hat. Die Epiphyse am Zeigefinger ist auf der ulnaren 
27s mm, auf der radialen über 10 mm breit. Soweit sich das 
mit Sicherheit aus der Röntgenphotographie ersehen lässt, bahnt 
sich keine Gelenkbildung zwischen Epiphyse und Diapbyse an. 
Wohl aber sieht man der knochenbälkigen Struktur an, dass sie 
für Epiphyse und Diapbyse ganz selbständig verläuft. Dieser 
Vorgang wiederholt sich an der linken und der rechten Hand in 
gleicher Weise. Es erscheint ausgeschlossen, dass dieser junge 
Mann später eine äussere Abnormität an den Händen zeigen wird. 
Es ist aber zunächst doch noch fraglich, ob die Epiphysenlinie 
auch am zweiten und am dritten Finger verstreichen wird. Solche 
abnormen Epiphysen kommen als Varietät auch sonst vor, z. B. 
basale Epiphysen an den Metakarpalknochen. Es wäre aber auch 
möglich, dass sich ohne Schaden für die Struktur und Funktion 
der Hand dieses Mannes ein Gelenk sich noch ausbildet, so dass 
wir bei dem Erwachsenen dann eine Hyperphalangie konstatieren 
können. Es liegt aber nahe, dass diese abnorme Epiphysenbildung 
keinen äusserlich destruktiven Einfluss auf die Hand des jungen 
Mannes genommen hat, weil bei ihm die zweite Abnormität der 
Schwund der Mittelphalange fehlt. Oder umgekehrt gesagt bei 
vorhandenem Schwunde der Mittelphalange wurde sich durch den 
abnormen Muskelzug vielleicht die abnorm gebildete Epiphyse 
in eine Gelenkbildung und damit in eine Hyperphalangie ausge¬ 
baut und umgewandelt haben. 

Der Mechanismus und die Dynamik dieser familiären Finger¬ 
missbildung erscheint demnach etwas klarer. Aus der Zusammen¬ 
stellung einer grossen Anzahl von Röntgenphotographien regressiv 
gebildeter Hände erscheint nur die zweite Phalange in der Ueber- 
zahl der Fälle gefährdet. Sie steht im Verhältnis zur ersten und 
dritten auf dem Aussterbeetat. Befällt ein solcher auch fa¬ 
miliär auftretender Fingerschwund eine Hand mit ab¬ 
normer Epiphysenbildung, so können Kurzfingrigkeit 
und Fingermisswacbs beschriebener Art die Folge 
werden. Dass eine Kombination dieser Anomalien im regressiven 
und progressiven Sinne von folgenschwerer Bedeutung ist, dafür 
spricht die Beobachtung, dass bei prinzipiell gleichlautender Ver¬ 
anlagung zwischen der Gebrauchsfähigkeit der Hände von Vater 
und Sohn ein so grosser Unterschied bestand. 

Io letzter Zeit ist es mir noch gelungen, einen Vetter aus 
dieser Familie untersuchen zu können, welcher gleichfalls im 
Besitze dieser Familieneigentumlichkeiten sein sollte. Zunächst 
fiel auf, dass er sowohl wie sein Sohn an angeborener hoch¬ 
gradiger Verkümmerung der Füsse litt in der Form des Pes equino 
varus. Sodann zeigten die Hände des Vaters äusserlich alle 
Symptome der Familienabnormität in etwas abgeschwächter Form, 
es fehlten Streck- und Beugefalten an den drei mittleren Fingern, 
deren Endphalangen in Flexion standen und nicht gestreckt 
werden konnten. Diesen Zustand behauptete der sehr gebildete 
Herr seit seiner Kindheit zu haben. Das Ueberraschende besteht 
nun darin, dass die Röntgenaufnahme keine Abnormität des 
Skelettes aufweist. Die Mittelpbalangen sind zwar kurz und ge¬ 
drungen, aber die anderen ihnen gezeigten Abnormitäten fehlen. 
Da mau doch nicht von einer Vererbung der Funktion, in diesem 
Falle eines Funktionsausfalles zu sprechen berechtigt ist, müssen 
wir annehmen, dass dieses Glied der Familie eine Schwäche im 
Sehnenapparate an den Fingern allein geerbt hat, welcher als 
Folge der fehlerhaften Knochenstruktur seiner Vorfahren zustande 
kam. 


Aus dem pathologisch - anatomischen Institut Basel 
(Vorsteher: Prof. Dr. E. Hedinger). 

Ueber primäre Enteritis phlegmonosa 
staphylococcica ilei. 

Von 

Dr. med. Alfred Glaus, I. Assistenten. 

Zu den selteneren Erkrankungen des Darmes gehören un¬ 
zweifelhaft die als Wandphlegmonen aufzufassenden Prozesse, 
wenn man freilich von den häufigen Phlegmonen der physio¬ 
logischen und pathologischen Darmausstülpungen (Appendix, 
(Meckel’8Ches Divertikel, Divertikel von Duodenum und Dick¬ 
darm) absieht. Es scheint, dass der Darmkanal vor schädi¬ 


genden Einwirkungen der io seinem Inhalt wohl stets vor¬ 
handenen Eitererreger durch lokale Gewebsschutzvorrichtungen 
sich gewöhnlich zu schützen vermag. Dieser Gewebsschutz be¬ 
ruht nicht nur auf der Intaktheit des Epithelüberzuges und der 
bedeckenden Schleimschicht, auch bei durch Ulcera simplicia, 
Tuberkulose oder Geschwülste geschaffenen Defekten ist eine 
Darmwandphlegmone ein relativ seltenes Ereignis, während auch 
ohne solche Ursachen in den physiologischen und pathologischen 
Darmausstülpungen eine phlegmonöse Entzündung häufig auf- 
tritt. Ausser der enterogenen Entstehung muss in jedem Falle 
auch die Möglichkeit einer hämatogenen Genese erwogen werden. 

Eine Systematik der Phlegmonen des Darmes hätte also za 
unterscheiden zwischen metastatischen (selten) und zwischen 
autochtbon, enterogen entstandenen Erkrankungen. Bei den auto- 
chthonen Formen müssen die sekundären im Anschluss an 
anderweitige Erkrankungen (Ulcera simplicia, Tuberkulose, Ge¬ 
schwülste usw.) von den primären idiopathischen streng ge¬ 
schieden werden. Für jede dieser Kategorien muss sodann die 
Divertikelphlegmone der Phlegmone des Hauptschlauches gegen- 
übergestellt werden. Bei der letzten Gruppe endlich bilden 
die einzelnen Darmabschnitte natürliche Unterabteilungen. Wir 
kommen so zu folgendem Schema der Darmwandplegmonen: 

{ Hauptschlauch (Duodenum, Jejunum, 
Ileum, Diokdarm). 

Divertikel (physiologische, patho¬ 
logische). 

( Hauptschlauoh (Duodenum, Jejunum, 
Ileum, Dickdarm). 

Divertikel (physiologische, patho¬ 
logische). 

{ Haupt8ohlauch (Duodenum, Jejunum, 
Ileum, Dickdarm). 

Divertikel (physiologische, patho¬ 
logische). 

von den seltenen autochthonen, pri¬ 
mären Phlegmonen des Hauptschlauches die Rede sein. Der ein¬ 
schlägige zur Beobachtung gelangte Fall ist kurz folgender: 

Der 53jährige Färber I. L. war früher immer gesund. Im Oktober 
1916 erkrankte er an trockenem Husten. Er arbeitete trotzdem nooh 
weiter, bis ihn am 6. November ein Schüttelfrost nötigte, sich ins Bett 
zu legen. Da sioh sein Zustand gar nioht besserte, liess er sioh am 
22. II. 1917 ins Spital aufnehmen. 

Auszug aus der Krankengeschichte: Patient von mittlerer Grösse 
ziemlich stark abgemagert, Muskulatur schlaff. Knochenbau normal. 
Haut im Gesicht rötlich geiärbt, mit zahlreichen Teleangiektasien. Im 
Nacken ziemlich viel Narben von verschiedener Grösse, die von früheren 
Eiterungen herstammen sollen. Solche Narben finden sioh auoh an der 
Streokseite des linken Unterarms. 

Kopf frei beweglich, nicht druckempfindlich, symmetrisch. 

Augen: das rechte Auge fehlt infolge Unfall. Links ist die Kornea 
etwas getrübt, die Pupille eng, reagiert gut. 

Mund: Zunge belegt. 

Hals: o. B. 

Thorax: etwas fassförmig, wenig elastisch, symmetrisch. 

Lungen: Grenzen vorn 7. Rippe, hinten 11. Dornfortsatz. Ueber 
beiden Lungen sonorer Schall. Atmung vesikulär. Zahlreiche Neben¬ 
geräusche. Ueber der rechten Lunge sowohl vorne wie hinten Knister¬ 
rasseln, hauptsächlich in den oberen Partien. Links vorn Giemen und 
Pfeifen, daneben einige grossblasige Rasseln. 

Herz*. Aktion regelmässig, Töne sehr leise, rein. 2. Polmonalton 
stärker als 2. Aortenton. Präsystolisches Geräusch über allen Ostien. 

Abdomen: aufgetrieben, nioht druckempfindlich, keine Dämpfung 
nachweisbar. 

Leber: überragt den Rippenbogen um etwa 3 Querfinger, fühlt sioh 
hart an, sonst o. B. 

Milz: nicht palpabel. 

An beiden Unterschenkeln Uloera oruris. 

Im Verlaufe der Krankheit hat Patient nie über Bauchsohmerzen 
geklagt, auoh nie etwas angegeben, das auf eine abdominale Erkrankung 
hätte zurückgeführt werden können. Das einzige konstante Symptom 
bestand in Meteorismus. Stuhl angeblich immer gelblich, wie Milchstuhl. 

Der Patient starb am 1. April 1917. Die Sektion erfolgte 
am Tage darauf (Sektion Nr. 199). Sie ergab auszugsweise fol¬ 
genden Befund: 

Grosse männliche Leiche in schlechtem Ernährungszustand, von 
grazilem Körperbau. Totenstarre vorhanden. Livores reichlich, dunkel¬ 
violett. Der rechte Bulbus fehlt, linke Pupille rund, eng. Am linken 
Vorderarm und am Nacken zahlreiche alte Narben. Untere Hälfte beider 
Unterschenkel blaurot verfärbt, Haut stark sohuppend. Kein Dekubitus, 
keine Oedeme. Subkutanes Fett spärlich, etwas dunkel gelb. Pektoralis 
beiderseits mittelkräftig, transparent. Zwerchfell rechts 3. Interkostal- 
raum, links 4. Rippe. Unterer Leberrand in der Mittellinie 3 cm unter 
Ende Corpus sterni, in der Mammillarlinie rechts überlagert vom Rippen- 


! a) primär 

b) sekundär 

2. hämatogen (selten) 

Im weiteren soll nur 


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20. Mai 1918. 


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bogen. Magen in normaler Lage, wenig gebläht Grosses Nets lang, 
von mittlerem Fettgehalt. Dünndärme mittelstark, Zökum und Diok- 
darm stark gebläht. Zökum in normaler Lage. Appendix frei. Im 
kleinen Becken wenig, etwas trübe, leicht sanguinolente Flüssigkeit. 
Das Peritoneum parietale zeigt eine diffuse Aussaat kleiner, 1—2 mm 
grosser, vielfaoh in Gruppen gestellter, grauweisser, transparenter 
Knötchen. Ausserdem zeigen einzelne Schlingen des unteren Ileums 
einen schmierigen, gelbliohen, abstreifbaren fibrinösen Belag. Harnblase 
wenig gefüllt, Wand schlaff. 

Bei der Sektion der Brustorgane findet man eine geringe Dilatation 
des rechten Herzens und eine mässig ausgesprochene chronisohe kaver¬ 
nös-nodöse Tuberkulose beider Lungen neben einer ziemlich ausge¬ 
sprochenen Stauungsinduration. Mikroskopisch lassen sich reichlich Herz¬ 
fehlerzellen nachweisen. 

Die Milz ist gross (490 g), sie misst 20:8:5 cm. Kapsel zart, auf 
Schnitt Pulpa hellrot, breiig weich, vorquellend. Trabekel undeutlich. 
Follikel ziemlich gross und reichlich, ausserdem zahlreiche graue, etwas 
trübe Tuberkel sichtbar. 

Beide Nebennieren sind käsig tuberkulös erkrankt. 

Die Nieren zeigen keine Besonderheit. 

Der Magen enthält wenig dünnbreiigen Inhalt. Schleimhaut gastro- 
malazisoh, sonst o. B. Pylorus o. B. 

Duodenum: Schleimhaut gallig verfärbt, Papille dnrehgängig. 

Der Dünndarm enthält reichlich dunkelbraunen, dünnbreiigen Kot. 
Schleimhaut vom Jejunum und oberen Ileum blass. Follikel klein. Im 
untersten Ileum in einer Ausdehnung von etwa 30 cm ist die Wand 
verdickt bis zu 5 mm. Ein Dorchschnitt zeigt, dass hauptsächlich die 
graugelblioh verfärbte Submucosa an der Verdickung beteiligt ist- Die 
Sohleimhaut darüber ist ausgedehnt, zum Teil herdförmig, zum Teil 
diffus, oberflächlich nekrotisch und desquamierend, so dass, namentlich 
auf der Höhe der Falten, kleine seichte Geschwüre entstehen. Zökum 
und Appendix o. B. Im Dickdarm wenig geballter Kot. Sohleimhaut 
etwas verdickt, blass, schleimig belegt. Tuberkulöse Geschwüre sind 
im ganzen Darm nirgends naohzuweisen. 

Mesenteriale und retroperitoneale Lymphdrüsen vergrössert, zum 
Teil verkäst, zum Teil von grauen Tuberkeln durohsetzt. 

Pankreas o. B. 

Leber mit mässiger, ziemlich diffuser Verfettung, brauner Atrophie 
und mikroskopischen Tuberkeln. 

Schädelsektion o. B. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Chronische Lungen¬ 
tuberkulose (kavernös aodöse Form). Peritonealtuberkulose. Neben¬ 
nierentuberkulose. Miliartuberkulose von Leber und Milz Enteritis 
phlegmonosa idiopathica ilei. Dilatation des rechten Herzens. 
Cholelithiasis. 

Sofort bei der Sektion aus der Milz vorgenommene Im¬ 
pfungen Hessen in Bouillon und auf Agar typische Kolonien des 
Staphylococcus aureus in Reinkultur aufgeben. Die aus ver¬ 
schiedenen Abschnitten des Magen-Darmkanals hergestellten mikro¬ 
skopischen Präparate ergaben, dass die Darmpblegraone auf die 
bei der Sektion schon makroskopisch als erkrankt imponierende 
Partie des unteren Ileums beschränkt war. Nach oben und unten 
findet ein allmählicher Uebcrgang in den normalen Darm statt. 
Die Präparate mit den stärksten Veränderungen zeigten eine die 
Kernfärbung nicht mehr gebende nekrotische Mukosa, in deren 
tieferen Partien, am dichtesten direkt über der Muscularis mucosae, 
sich reichliche, häufig in Träubchen angeordnete Kokken und 
plumpe Stäbchen vorfinden. Nach der Gram-Weigeraschen 
Methode färben sie sich tief dunkelviolett. Die Kokken erinnern 
in ihrer Form und Gruppierung an Staphylokokken. Die weniger 
zahlreichen plumpen Stäbchen scheinen Fäulnisbakterien zu sein, 
wie sie im Darme häufig angetroffen werden. In der Submukosa 
findet mau eine sehr reichliche, die Gewebsstruktur völlig ver¬ 
deckende, unmittelbar unter der Muscularis mucosae am stärksten 
entwickelte Infiltration mit polynukleären Leukozyten. Dazwischen i 
liegen nur sehr spärliche, in den tieferen Schichten immer mehr 
abnehmende Häufchen von Staphylokokken. Noch seltener findet 
man vereinzelte grampositive Stäbchen. Die Muskularis und Sub- 
serosa sind etwas ödematös, mit spärlichen Leukozyten infiltriert. 
Auf der Serosa liegt wenig fädiges, mit vereinzelten Leukozyten 
untermischtes Fibrin. 

Es handelt sich also nach dem histologischen Bild in der 
Hauptsache um eine Phlegmone der Submukosa, wobei man wie 
im Falle Wilke’s durch das reichlichere Vorhandensein der Er¬ 
reger in den oberflächlichen, nekrotischen Schleimhautschichten 
als in der phlegmonös erkrankten Submukosa ohne weiteres den 
Eindruck bekommt, dass es sich um eine, vom Darmlumen aus 
einwirkende enterogene Infektion handelt im Gegensatz zu einer 
theoretisch immerhin möglichen metastatischen Entstehung. 

Die Literatur über primäre Darmwandphlegmonen ist nicht 
sehr gross. Immerhin sind bereits über ein Dutzend Fälle aus¬ 
führlich beschrieben worden. Meistens ist das Duodenum und 


der oberste Teil des Jejunums der Sitz der Erkrankung. Selten 
ist Dünn- und Dickdarm in ausgedehntem Maasse befallen (Orth, 
Matthes), noch seltener der Dickdarm allein erkrankt (Gold¬ 
schmidt). Unser Fall mit Betroffensein eines etwa 30 cm 
langen Abschnittes des unteren Ileums ist bis jetzt einzig da¬ 
stehend. 

Soweit bakteriologische Angaben vorliegen, bandelte es 
sich meistens um eine Infektion mit Streptokokken. Orth, 
Taylor und Lakin fanden Bakterium coli, Askanazy neben 
Streptokokken noch den Staphylococcus albus. In keinem Falle 
wurden wie bei uns nur Staphylokokken nachgewi^sen. Ob das 
ein Zufall ist, oder ob der Darm als Ganzes oder einzelne Ab¬ 
schnitte gegen Streptokokken empfindlicher sind als gegen 
Staphylokokken, indem z. B. in den oberen Partien die Strepto¬ 
kokken, in den unteren Partien die Staphylokokken eine grössere 
Virulenz besitzen, kann nicht entschieden werden. 

Die klinischen Symptome sind gewöhnlich sehr stürmische 
und lassen an akute Appendizitis denken. Intra vitam ist die 
Diagnose bis jetzt erst einmal bei einer Probelaparotomie gestellt 
worden, obwohl bei Sitz im Duodenum, wie Frising und Sjövall 
nachzuweisen suchen, das Krankheitsbild ziemlich typisch ist. 
Sie schreiben über diesen Punkt: „Abgesehen davon, dass ge¬ 
wöhnlich akut einsetzende und heftige Allgemeinsymptome eines 
ernsten Bauchleidens vorliegen, wird die Diagnose teils dadurch 
ermöglicht, dass eine komplizierende Peritonitis oft verhältnis¬ 
mässig spät eintritt, teils auch dadurch, dass eine charakteristische, 
empfindliche Resistenz, den angegriffenen Darmteilen entsprechend, 
bisweilen beobachtet werden kann. u Das gilt freilich nur für 
ausgedehntere Prozesse; in den meisten Fällen erliegen die 
Patienten einer eitrigen Peritonitis, deren Ausgangspunkt erst 
durch die Sektion festgestellt wird. 

Einzig in seiner Art, durch eine ganz besondere Chronizität 
ausgezeichnet, ist der von Deutelmoser mitgeteilte Falll: Ein 
21 jähriger polnischer Landarbeiter erkrankte unter drückenden 
Schmerzen im Epigastrium und stetig zunehmendem Ikterus. 
Ausserdem trat Erbrechen auf; im Erbrochenen war nie Blut 
nachzuweisen. Der Stuhl war weisslich gefärbt. Bei der 14 Tage 
nach Beginn der Erkrankung erfolgten Aufnahme ins Spital ist 
der Leib im oberen Epigastrium, besonders rechts, schmerzhaft; 
im Mesogastrium ist eine feste, deutlich abgrenzbare Resistenz 
zu fühlen. Sie bewegt sich mit der Atmung und wird durch die 
Aorta abdominalis erschüttert. Ueber dem Tumor wölbt sich der 
Magen vor. Der untere Rand des Tumors verläuft von links, wo 
er in der Mammillarlinie den Rippenbogen schneidet, ziemlich 
steil nach unten, kreuzt etwas unterhalb des Nabels die Median¬ 
linie horizontal und verschwindet, schräg nach rechts oben ziehend, 
etwas einwärts von der rechten Mammillarlinie unter dem Rippen¬ 
bogen. Der Ikterus nimmt immer zu, Patient bricht häufig. Die 
Temperatur ist bis kurz vor dem Tode afebril, der Puls schwankt 
zwischen 70 und 80. Der Patient stirbt 40 Tage nach Beginn 
der Erkrankung. Bei der Sektion findet man eine ausgedehnte, 
um die Papilla Vateri zentrierte Phlegmone des Duodenums und 
des retroduodenalen Bindegewebes. Es ist zuzugeben, dass in 
diesem so langsam verlaufenden Falle die Diagnose vielleicht 
hätte gestellt werden können. 

Bloss einmal ist sie wenigstens während der Operation ge¬ 
stellt worden, nämlich im ersten Fall von Frising und Sjövall. 
Wegen Verdachtes auf akute Pankreatitis wurde eine Probe¬ 
laparotomie gemacht. Dabei fand sich eine ausgedehnte Phlegmone 
des Duodenums. Die angelegte Gastroenterostomie behob das 
lästige Erbrechen, konnte jedoch den 10 Stunden nach der Operation 
erfolgten Tod nicht aufhalten. In diesem, sowie in Deutelmosers 
erstem und in Frising’s und Sjövall’s zweitem Fall fehlte 
eine peritoneale Reizung. 

Frising und Sjövall sind die einzigen, die sich über die 
Therapie der phlegmonösen Enteritis anssprechen. Sie halten 
dafür, dass man, im Falle sich bei der stets indizierten Probe¬ 
laparotomie eine begrenzte Darmpartie phlegmonös erkrankt er¬ 
weise, diese resezieren solle. Ergebe sich die Unmöglichkeit einer 
Resektion, so möge eine Enteroanastomose angelegt werden. 

Dass die phlegmonöse Enteritis wie in unserem Falle klinisch 
symptomlos verläuft, ist eine ziemliche Seltenheit. Freilich wurde 
auch in Deutelmoser’s zweitem Fall bei einem 80 Jahre alten 
Apoplektiker erst bei der Sektion zufälligerweise die phlegmonöse 
Duodenitis aufgedeckt. Bei der zugleich bestehenden eitrigen 
Peritonitis fragt es sich jedoch, ob die Diagnose auf ein Bauch¬ 
leiden einfach darum nicht gestellt wurde, weil die Apoplexie 
hier derart im Vordergründe der klinischen Erscheinungen stand, 

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Nr. 20. 


dass, zaraal bei fieberlosem Verlauf, an eine andere Erkrankung 
gar nicht gedacht wurde. 

In unserem Falle lässt es sich nach dem pathologisch¬ 
anatomischen Befunde gut denken, dass bei längerem Leben des 
Patienten die Darraerkrankung entweder sich zurückbilden oder 
zu einer diffusen Peritonitis noch hätte führen können. Es bandelt 
sich also bei den Phlegmonen des Darmes, wie bei der Appen¬ 
dizitis, um eine bald unter foudroyanten Symptomen zum Tode 
führende oder undiagnostiziert ausheilbare Erkrankung. 

Deber die Häufigkeit des Prozesses in den verschiedenen 
Darmabschnitten haben wir bereits Angaben gemacht. Was wissen 
wir nun aber über die Gründe der bestimmten Lokalisation? 
Es ist wohl kaum ein Zufall, dass das Duodenum and der oberste 
Teil des Jejunums Prädilektionsstellen sind. Askanazy weist 
darauf bin, dass die Uebergangsstelle vom fixierten zum freien 
Darmteil gröberen und feineren Läsionen in ganz besonderem 
Maar.se ausgesetzt ist, und er glaubt, dass dieser Darmteil, weil 
am leichtesten lädierbar, am häufigsten phlegmonös erkrankt. 
Der von Askanazy beobachtete einschlägige Fall legte freilich 
eine solche Erklärung sehr nahe. 

Ein 51 jähriger Zimmergeselle trat unvorsichtigerweise an 
einem Balken vorbei und berührte mit einem Fasse den 1 Meter 
tiefer liegenden Boden, während der andere Fuss auf dem Balken 
blieb. Er fühlte sofort Schmerzen im Knie und im Leib, war 
aber nach 14 Tagen soweit hergestellt, dass er das Spital ver¬ 
lassen konnte. Unvorsichtigerweise legte er den Heimweg zu 
Fuss zarück. Zu Hause angekommen, musste er sich wegen 
neuerdings auftretender Leibschmerzen ins Bett legen. Der Tod 
erfolgte in zwei Tagen. Bei der Sektion fanden sich in der 
Bauchhöhle etwa 50 ccm dünnflüssiger Eiter, die Pars transversa 
inferior des Duodenums und fast 20 cm des Jejunums waren 
phlegmonös erkrankt Ausserdem fand sich eine eitrige, rechts¬ 
seitige Kniegelenksentzündung. Askanazy glaubt, dass sich die 
Darmerkrankung unmittelbar an das Trauma anschloss, indem die 
nachgewiesenen Strepto- und Staphylokokken, von der Darmhöhle 
durch Scbleimhautrisse eindringend, in dem lockeren submukösen 
Gewebe eine phlegmonöse Entzündung hervorriefen. Nachdem 
das Peritoneum erreicht war, trat die eitrige Peritonitis auf. Die 
Kniegelenksentzündung ist eine metastatische Erkrankung. 

Wenn wir auch zugeben, dass im Falle Askanazy’s eine 
Schleimhautläsion wirklich erfolgt ist, so ist damit eben das 
Zustandekommen der Phlegmone noch lange nicht erklärt. Warum 
hat sich denn in den von Askanazy angeführten neun Fällen 
von durch Trauma bedingten Darmrupturen keine Phlegmone ent¬ 
wickelt? Und warum sehen wir bei den Ulcera duodeni so selten 
phlegmonöse Entzündungen? W. Müller weist darauf hin, dass 
oft jeder schützende Granulationswall fehlt. Es ist also unzweifel¬ 
haft, dass ausser der Darmläsion noch in ihrer Virulenz ge¬ 
steigerte Bakterien gefordert werden müssen. 

Dass die im Darme stets vorhandenen Eitererreger gewöhnlich 
keine deletären Wirkungen entfalten, ist bereits gesagt worden. 
Anderseits können, wie es bei Kinderdiarrboen (Hirsh, Libmann) 
festgestellt ist, die virulent gewordenen Bakterien zwar eine 
katarrhalische Darmerkrankung hervorrnfen, aber eine Phlegmone 
bleibt aus. In neuester Zeit hat R. Wiesner über Kokken¬ 
enteritiden bei Kindern berichtet, die durch den Streptococcus 
lacticus bedingt waren, und bei denen die pathologisch anatomischen 
Veränderungen im Darm hinsichtlich der Intensität zum Teil über 
das Bild eines gewöhnlichen Schleimhautkatarrhs hinausgehen, 
und sich bereits der katarrhalischen Form der Dysenterie nähern. 
Unter welchen Umständen kommt es nun aber zu einer Phlegmone? 
Darauf eine befriedigende Antwort zu geben, ist einstweilen nicht 
möglich. Immerhin sprechen alle bisherigen Beobachtungen dafüf, 
dass die Neigung zu Darmpblegmonen mit dem Alter zunimmt, 
vielleicht durch Wegfall eines bis jetzt nicht näher definierbaren 
lokalen Gewebsscbutzes. Dafür haben wir ziemlich sichere Anhalts¬ 
punkte, wie die Virulenzsteigerung zustande kommen kann. Bei 
den Kindern mag wohl häufig eine fehlerhafte Diät, mit der sich 
der Darm nicht abfinden kann, eine Vermehrung und Virulenz¬ 
steigerung der Bakterien zur Folge haben, und in den meisten 
Fällen sind wohl überhaupt die abnormen Zersetzungsprodukte 
und nicht die Bakterien die Ursache der Entzündung. Aus der 
Lehre von der akuten Appendizitis ist die grosse topographische 
Bedeutung der physiologischen Abbiegungen für die Lokalisation 
der Entzündung hinreichend bekannt, indem hier durch Sekret¬ 
stauung das Haften oder die Virulenzzunabme der Bakterien be¬ 
günstigt wird. Diese Sekretstauung liegt aber bis zu einem ge¬ 
wissen Grade auch für die Appendix als Ganzes und für die 


divertikulösen Ausstülpungen überhaupt im Bereiche der erhöhten 
Möglichkeit. 

Frising und Sjövall legen ihrerseits einen grossen Nach¬ 
druck auf den bei Darmpblegmonen häufig erhobenen Befund 
eines Magenkatarrhs, infolgedessen mit der Nahrung an¬ 
genommene virulente Bakterien leicht ohne Schwächung ihrer 
Virulenz in den Darm gelangen können. In unserem Falle konnten 
makroskopisch keine Anhaltspunkte für Gastritis gewonnen werden; 
auch die mikroskopische Untersuchung ergab bei der bereits 
ziemlich fortgeschrittenen Fäulnis keine Hinweise auf Entzündung, 
ebenso sprach auch klinisch nichts für Magenkatarrh. 

Die Tatsache, dass etwa in der Hälfte der Fälle von Duodenitis 
zugleich Divertikel gefunden wurden, die an der Phlegqnone teil- 
nahmen, spricht doch sehr für die überwiegende Bedeutung der 
topographischen Verhältnisse, wenn man bedenkt, dass Divertikel¬ 
bildungen im Duodenum relativ selten angetroffen werden, eine 
chronische Gastritis jedoch ein ziemlich häufiger Befund ist. 
Aber schon die Topographie des normalen Duodenums für sich 
allein mit seiner Fixation, seinen mehrfachen Biegungen und der 
Ausmündung des Ductus choledochus und pancreaticus auf der 
Vater’scben Papille dürfte im Sinne einer erhöhten Prädisposition 
für phlegmonöse Entzündungen gedeutet werden, wenn man 
wenigstens den Zusammenhang der Divertikelentzündungen mit 
der Topographie als richtig annimmt. Dass die hinzukommende 
leichte Verletzbarkeit dieses Darmteiles eine bereits bestehende 
Prädisposition noch weiter steigert, ist selbstverständlich. 

Wie bei der akuten Appendizitis, so wird von gewisser Seite 
auch hier dem gelegentlichen Befund von Fremdkörpern ein 
grosser Wert beigelegt. Taylor und Lakin fanden Vs Zoll 
unterhalb der Papilla Vateri mit dem einen Ende mitten in dem 
infiltrierten Gewebe eine Fischgräte; im Falle Ungermann’s 
lagen frei auf dem Boden des Divertikels zwei an beiden Enden 
spitze Knochensplitter. Frising und Sjövall fanden im Falle 1 
eine lose liegende Fischgräte im erkrankten Duodenum. 

Der Fall Taylor’s und Lakin’s ist der einzige, wo ein 
.primärer zirkumskripter Scbleimhautdefekt nicht nur postuliert, 
sondern auch wirklich nacbgewiesen wurde. Ausgedehnte Schleim¬ 
hautnekrosen wie in unserm und zahlreichen anderen mitgeteilteo 
Fällen sind sicher sekundärer Natur. 

Die Frage nach der autochthonen oder metastatischen 
Entstehung kann natürlich schwer mit Sicherheit entschieden 
werden, denn wenn auch ein makroskopischer als Eingangs¬ 
pforte zu deutender Schieimhautdefekt fehlt, so kann immer 
noch eine mikroskopische Läsion und die Möglichkeit der Bakterien¬ 
invasion durch die intakte Schleimhaut durchaus angenommen 
werden. 

Da mein Fall eine chronische Peritonealtuberkulose aufwies, 
so könnte man eventuell an die Möglichkeit eines primären tuber¬ 
kulösen Ulkus im lleum denken, das als Eingangspforte für die 
Staphylokokken in Betracht kommen könnte. Wir haben aber 
weder makro- noch mikroskopisch ein tuberkulöses Ulkus nach- 
weisen können, so dass man die etwas gezwungene Annahme 
machen müsste, dass das tuberkulöse Ulkus ausheilte, während 
die Staphylokokkeninfektions vorwärts schritt. 

Die bei allgemeiner Pyämie etwa beobachteten embolischen 
Prozesse im Darme bestanden in zirkumskripten Nekrosen, Hämor- 
rhagien und kleinen Abszesschen der Submukosa, also einem von 
einer Phlegmone weit entferntem Bilde. Nur von Matth es liegt 
die Angabe vor, Schmorl habe ihm anlässlich einer Besprechung 
3 Fälle von puerperaler Endometritis diphtheritica bzw. purulenta 
mit Metrolymphangitis mitgeteilt, bei denen eine metastatische 
Phlegmone im oberen Teile des Jejunums gefunden wurde. Auch 
Matthes selber ist geneigt, die von ihm publizierte ansgedebnte 
Darmphlegmone auf eine von einem Erysipel des Beines aus¬ 
gehende metastatische Infektion zurückzuführen. 

Bei uns liegen gar keine Anhaltspunkte für die Annahme 
einer metastatischen Erkrankung vor, im Gegenteil spricht in 
unserem Falle das mikroskopische Bild wie bei Wilke sehr für 
eine enterogene Entstehungsweise. Zudem war eine anderweitige 
als primär aufzufassende Staphylomykose nirgends nachweisbar. 
Die oben angeführteu ganz reaktionslosen, alten, von Furunkeln 
herstammenden Narben an Nacken und Armen dürften auch unter 
zu Hilfenahme des Begriffes von der latenten Infektion nur sehr 
gezwungener Weise als primärer Infektionsherd angesprochen 
werden. Der akute Milztumor ist durch die Darmphlegmone 
hervorgerufen. 

Für die eigentümliche, einzig dastehende Lokalisation in 
unserem Falle können wir keine der angegebenen Prädispositionen 


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verantwortlich machen. Wir haben kein Trauma, keine Gastritis, 
keine Fremdkörper, keine Divertikel, keine sonstwie komplizierten 
topographischen Verhältnisse, es sei denn, man wolle den Ueber- 
gang des Ilenms ins Zökum mit dem Uebergang des Duodenum 
ins Jejunum in Parallele setzen. Wir glauben aber eher, dass 
unser Fall ein Beweis gerade dafür ist, dass unter gewissen Um¬ 
ständen eben jedes beliebige Darmstück, auch ohne grobe Prädis¬ 
position, an einer Phlegmone erkranken kann. 

Zusammenfassung. 

1. Bei der Sektion eines 54 Jahre alten an chronischer Tuber¬ 
kulose gestorbenen Mannes fanden wir eine über etwa 30 cm aus¬ 
gedehnte, hauptsächlich in der Submukosa lokalisierte, phlegmonöse 
Entzündung des untersten Abschnittes des Ileums. Das Peritoneum 
viszerale zeigte bloss einen geringen Grad peritonitischer Reizung, 
bestehend in fibrinöser Exsudation. 

2. Es handelte sich bei diesem Befund um einen klinisch 
latent gebliebenen, erst bei der Sektion zufällig aufgedeckten Prozess. 

3. Im Schnittpräparat fanden sich in den tieferen Schichten 
der schlecht erhaltenen, grösstenteils nekrotischen Mukosa und 
in den oberflächlichen Schichten der Submukosa massenhaft gram¬ 
positive, in Häufchen liegende Kokken und plumpe grampositive 
Stäbchen. 

4. Aus dem zugleich bestehenden akuten Milztumor liess sich 
in Reinkultur der Staphylococcus pyogenes aureus züchten. 

5. Das Interesse und Neue an unserem Falle beruht erstens 
in der Lokalisation, zweitens in der klinischen Latenz, drittens 
in dem Nachweis von Staphylococcus aureus Als einzigem Erreger. 

6. Die möglichen Schlussfolgerungen beschränken sich darauf, 
dass wohl jeder beliebige Darmabschnitt ohne topographische 
oder anderweitige Prädisposition einmal an einer Phlegmone er¬ 
kranken, und dass dieselbe ähnlich wie die akute Appendizitis 
symptomlos verlaufen oder unter stürmischen Erscheinungen zum 
Tode führen kann. Der pathologisch-anatomische Befund in unserem 
Falle spricht eher für enterogene Entstehung der Krankheit. 

Literatur: 

M. Askanazy, Ueber Enteritis phlegmonosa. Zbl. f. Anat. u. allg. 
Path., 1895, Bd. 6. — Beifrage und Hedenius, Fall af Enteritis 
phlegmonosa. Upsala läkaref. förhandl., 1875—76. — P. Deutelmoser, 
Ueber Enteritis phlegmonosa idiopathioa. Inaug.-Diss., Greifswald, 1905. 
— G. Frising und E. Sjövall, Die phlegmonöse Enteritis im Duo¬ 
denum und Aufangsteil des Jejunums. Beitr. z. kl. Chir., 1913, Bd. 83. — 
F. Goldsohmidt, Ein Fall von Enteritis phlegmonosa. D. Arch. f. kl. 
Med., 1887, Bd. 40. — L. Hirsh, Ein Fall von Streptokokkenenteritis 
im Säuglingsalter. Zbl. f. Bakt., 1897, Bd. 22. — MacCallum, 
Phlegmonous enteritis. John Hopkins Hosp. Bull., 1906, Bd. 17. — 
P. Matth es, Ein seltener Fall von phlegmonöser Darmentzündung. 
Inaug.-Diss., Leipzig 1905. — Oberndorfer, Die akute embolische 
Enteritis. Verh. D. path. Ges., Erlangen 1910. — Orth J„ Bericht über 
das Leiohenhaus des Gharitökrankenbauses für das Jahr 1906. Charite¬ 
annalen, 1908, Bd.32. — Taylor and Lakin, A fatal oase of phlegmonous 
inflammation of theDuodenum. Lancet, 1911, Bd. 2. — E.Ungermann, 
Duodenitis phlegmonosa. Viroh. Arch., 1908, Bd. 193. — R. v. Wiesner, 
Zur Pathologie der Kokkenenteritis. Frankf. Zscb. f. Path-, 1916. Bd. 19. 
— Wilke, Umschriebene Phlegmone der Duodenalwand. M.m.W., 1910, 
Nr. 34. 


Aus dem Universitätsinstitut für Krebsforschung an 
der Kgl. Charite in Berlin. 

Farbträger nach v. Blücher, eine praktische 
Vereinfachung der mikroskopischen Färbe¬ 
technik. 

Von 

Dr. Haas Hirschfeld. 

Es sind wohl in erster Linie die Bedürfnisse des Krieges gewesen, 
die dazu Veranlassung gaben, die zu bakteriologischen Untersuchungen 
notwendigen Farbstoffe nicht in der altbewährten Form von Lösungen 
Jierzustellen, die in Flaschen aufbewahrt werden, sondern in kompen- 
diöserer Form. Diesem Umstand verdanken die Farbstofftabletten sowie 
die Farbstifte ihre Entstehung, die neuerdings hergestellt wurden, und, 
irie aas der Literatur ersichtlich, sich auch gut bewährt haben. Eine, 
w ie mir scheint, noch praktischere und einfachere Form der Konser- 
wieräug von Farbstoffen zu mikroskopischen Untersuchungen bakterio¬ 
logischer and hämatologisoher Art sind die von der Firma 1. Klönne 
ood G. Müller in Berlin NW. 6, Lqisenstr. Nr. 49, in den Handel ge¬ 


brachten Farbträger nach v. Blücher, hei welchen die Farbstoffe an 
Filtrierpapierstreifen fixiert sind. Dieselben brauohen nur auf die Objekt¬ 
träger oder Deckgläschen, welche mit dem Untersucbungsmaterial be¬ 
schickt sind, aufgelegt und dann mit entsprechenden Flüssigkeiten be¬ 
feuchtet zu werden. Der Farbstoff wird dann extrahiert und ergibt aus¬ 
gezeichnete Färbungen, welche den mit gewöhnlichen Farblösungen her¬ 
gestellten an Schönheit nicht Dachstehen. Diese Farbträger sind in 
grösserer Anzahl in mit Kork verschlossenen Glasgefässen aufbewahrt 
und verderben nicht. Sämtliche für bakteriologische und Blntunter- 
snohungen notwendigen Farbstoffe kann man auf diese Weise vorrätig 
halten, ohne dass sie einen nennenswerten Platz einnehmen. Die Un¬ 
annehmlichkeiten, die entstehen, wenn eine Flasche mit Farhfiüssigkeit 
zerbricht, und den ganzen UntersuchuDgstisch beschmutzt, sind hier 
vollständig ausgeschlossen, ebenso Zersetzungen und bakterielle Ver¬ 
unreinigungen, wie sie bei Farblösungen sehr häufig Vorkommen. 

Das Arbeiten mit diesen Farbträgern ist ausserordentlich einfaoh 
und sauber. Man braucht dazu ein Fläschchen mit destilliertem Wasser, 
ein anderes mit 96proz. Alkohol nnd ein drittes mit absolutem Methyl¬ 
alkohol, ferner eine Pipette. Die Streifen sind so geschnitten, dass sie 
für Objektträgerpräparate benutzt werden können, zieht man es vor, 
mit Deckglasahstrichen zu arbeiten, so muss man Stücke von ent¬ 
sprechender Grösse absohneideD, wobei zn heaohten ist, dass dieselben 
aber kleiner sein müssen als das Deckglas, damit die Farbe nicht über¬ 
läuft. Jedes Gläschen enthält eine gedruckte Gebrauchsanweisung. 

Zunäohst werden einige Farbstoffe zu gewöhnlichen Bakterien¬ 
färbungen hergestellt. Will man eine FuohsinfärbuDg eines Bakterien¬ 
abstrichpräparates ausführen, so belegt man die in der Flamme fixierten 
Ausstriche mit einem Farbträger, feuchtet denselben mit Wasser an 
und erwärmt eine Minute leicht über der Flamme, nachdem man sieh 
durch wiederholtes Schwenken des Farbträgers auf der dünnen darunter¬ 
liegenden Flüssigkeitsschicht mit einer Pinzette davon überzeugt bat, 
dass der Farbstoff in Lösung gegangen ist. Man spült dann ab, und 
das Präparat ist fertig. 

Zu Gonokokkenfärbung werden Farbträger hergestellt, die Methyl- 
grün-Pyronin enthalten. Man verfährt hier in derselben Weise wie 
hei der Fuehsinfärhung und erhält Präparate von ausgesprochener Schön¬ 
heit und Deutlichkeit. 

Zur Gramfärhung benutzt mau zuerst Farbträger, die Karbol- 
Gentianaviolett enthalten. Man erwärmt die Präparate nach Anfeuch¬ 
tung mit Wasser 1—2 Minuten bis zur Dampfbildung, spült kräftig ah 
und legt dann einen Farbträger herauf, der Jod-Jodkalium imprägniert 
enthält. Man feuchtet gut mit destilliertem Wasser an und sorgt durch 
mehrmaliges Aufheben des Blättchens für gleichmässige Verteilung der 
Jodkaliumlösung. Hierauf spült mau mit 96proz. Alkohol ah, bis keine 
Färb wölken mehr abgehen, spült mit Wasser naoh und macht dann 
eine Gegenfärhung mit dem Fuchsin oder Bismarckhraun enthaltenden 
Farbträger. 

Ausgezeichnete Resultate erhielt ich auch mit der Zieh 1*scheu 
Tuberkelbazillenfärbung. Man bringt zunächst auf die fixierten 
Ausstriche einen Karbolfuchsinfarbträger, auf den man etwa 1 oom de¬ 
stilliertes Wasser tropft. Man erwärmt dann 2—3 mal bis zur Bläscben- 
bilduog und spült mit Alkohol ah. Dann erfolgt Entfärbung und Gegen¬ 
färhung mit Farbträgern, die Säuremethylenblau enthalten. Diese 
werden aber mit Alkohol angefeuohtet und bleiben 1—2 Minuten liegen, 
woD&ch ahgespült und abgetupft wird. 

Auch für die Neisser’scbe Polkörperchenfärbung der Diphtherie¬ 
bazillen werden Farbträger hergestellt, welche Essigsäuremetbylenblau 
enthalten. Die Nachfärbung erfolgt mit Chrysoidinfarhträgern. 

•Für die Färbung von Blutpräparaten werden sowohl Farbträger 
mit May-Grünwaldlösung wie solche mit GiemsalösuDg fabriziert. Die 
Gebrauchsanweisung für die Giemsafärbung lautet folgendermaassen: 
Lufttrockene Ausstriche werden mit einem Farbträger belegt und mit 
10 Tropfen Methylalkohol befeuchtet. Nach einer Minute ist der Aus¬ 
strich fixiert und dem Farbträger genügend Farbstoff entzogen. Der 
Farbträger wird nun entfernt, und man setzt 10 Tropfen destilliertes 
Wasser hinzu. Naoh 10—15 Minuten ist die Färbung vollendet. Man 
erhält nach meinen Erfahrungen auch gute Präparate, wenn man den 
Farbträger nicht entfernt. 

Meine bisherigen Versuche mit den Farbträgern nach v. Blücher 
sind durchaus zufriedenstellend ausgefallen, und ioh glaube bestimmt, 
dass sich diese ausserordentlich einfache und praktische Methodik ein¬ 
führen wird. Gegenüber der alten Methode mit vorrätig gehaltenen 
Farblösungen, die natürlich in grösseren Laboratorien naoh wie vor das 
Feld beherrschen werden, bieten diese Farbträger besonders für die 
Sprechstunde des praktischen Arztes sowie für die Bedürfnisse kleinerer 
Krankenhäuser und Lazarette zweifellos grosse Vorteile und Bequem¬ 
lichkeiten. 

Nach Angabe des Herrn v. Blücher, die ich jedoch nicht nach¬ 
geprüft habe, eigneu sich die Farbträger auch gut zu ScbnittfärbuDgen. 
Man verwendet hei dickeren Schnitten 2 Farbträger und legt die be¬ 
schickten Objektträger bei langandauernden Färbungen in die feuchte 
Kammer. Die grössere Farbstoffmengen erfordernden Färbekuvetten 
werden dadurch entbehrlich. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


Veronal, das beste Mittel gegen Schweisse 
bei Fieberkranken. 

Von 

Dr. Brno Glaserfeld, Stabsarzt <3. L. 

Profuse Sohweissausbrüehe, die Bich, häufig wiederholen, sind für den 
Patienten die lästigsten Begleiterscheinungen längerer Infektionskrank¬ 
heiten. Da wir bisher nicht wissen, was die letzte Ursache dieses 
Sohwitzens ist, ist es schwer, unsere Therapie kausal zu gestalten. Es 
nimmt daher kein Wunder, dass eine Unzahl von Medikamenten ange¬ 
wandt wird, denen eine anthydrotische Wirkung nachgesagt wird. Die 
pharmakologische Angriffskomponente der einzelnen Mittel ist eine ver¬ 
schiedene. Agariein hebt den Einfluss der Nervenerregung auf die 
Schweissabsonderung auf; die Kampfersäure wirkt nach einigen 
Autoren durch zentrale Lähmung, nach anderen durch Wirkung auf die 
peripheren Nerven; Atropin beeinflusst das Schweisszentrum und das 
periphere Gefässnervensystem; die Mutterkornpräparate unterdrücken 
den Schweiss durch Einwirkung auf das periphere Gefässnervensystem; 
die Antipyretioa sollen duroh Fieberbeseitigung den Schweiss ver¬ 
hindern. 

Wer diese Mittel häufig gegen die Schweisse angewandt hat, wird 
viel Missgeschick damit erlebt haben; ihre Verordnung gibt keine be¬ 
friedigenden Resultate. Nachdem schon Ende des vorigen Jahrhunderts 
Schlafmittel der Sulfonalgruppe von Penzoldt 1 ) und Cornet 2 3 ) als 
Mittel gegen Nachtschweisse empfohlen worden waren, hat das 1903 ein¬ 
geführte Veronal eine führende Rolle in der antbydrotischen Literatur 
gespielt. Die umfassendste Arbeit über Veronal gegen Schweisse hat 
Ulrici 8 ) im Jahre 1904 auf Veranlassung von Winternitz veröffent¬ 
licht. Sie fusst auf 30 Fällen von Nachtschweissen bei Lungentuber¬ 
kulose, in denen das Veronal fast immer erfolgreich angewandt wurde; 
er gab gewöhnlich 0,3. Das erste .Pulver wirkte meist kaum, beim 
zweiten pflegte der Naohtschwciss wesentlich geringer zu sein, nach dem 
dritten blieb er ganz aus. Er sah weder unangenehme Neben- oder 
Nachwirkungen nach Gewöhnung an Veronal. Eine spezifische Wirkung 
auf das Schweisszentrum oder die peripheren Nerven nimmt er nicht an. 

Strassner 4 5 ) gibt in seiner Doktordissertation im Jahre 1907 an, 
dass er bei Dosen von 0,2—0,5 Veronal eine deutliche Einschränkung 
der lästigen Nachtschweisse sah. Die einmalige Dosis kupierte oder 
linderte meist nur für eine Nacht, mehrere Tage lang fortgesetzte Dar¬ 
reichung kleiner Dosen liess die Nachtschweisse seiner Phthisiker auf 
längere Zeit verschwinden. 

In seinen Fortbildungskursen nennt Hildebrandt 6 ) im Jahre 1913 
die Wirkung des Veronals zur Bekämpfung der Nachtschweisse bei tuber¬ 
kulösem Fieber meist ideal. In Dosen von 0,25—0,5 bringt Veronal die 
Nachtschweisse zuweilen sohon nach einmaligerDarreichung zum dauernden 
Verschwinden. Ein Versagen der schweissbeschränkenden Wirkung sah 
er nur einmal bei einer beginnenden Tuberkulose, und auch da nur 
nach der ersten Dosis von 0,5 Veronal; die gleiohe Dose, am folgenden 
Tage verabreicht, erzielte eine ausreichende Wirkung. 

Nicht die Kenntnis dieser Literatur war es, welche mich zur 
Benutzung des Veronals als Gegenschweissmittel veranlasste; zufällig 
lernte ich die mir bisher unbekannte anthydrotische Wirkung des Veronals 
am Krankenbett kennen. Auf der meiner Leitung unterstehenden Seuchen- 
station spielten, insbesondere im remittierenden Stadium des Typbus, 
die nächtlichen Schweisse eine grosse Rolle: kein angewandtes Mittel 
vermochte sie in nennenswerter Weise zu unterdrücken. Es fiel nun 
sehr bald auf, dass diejenigen Patienten, welche neben den Schweissen 
an Schlaflosigkeit litten und daher Veronal erhielten, nicht nur gut* ge¬ 
schlafen hatten, sondern auch von dem lästigen Schweiss befreit waren. 
Diese Erkenntnis veranlasste mich, Veronal gegen die Nachtschweisse 
bei Infektionskrankheiten, hauptsächlich bei den Krankheiten der Typhus¬ 
gruppe, systematisch zu verordnen. Jeder Kranke, der über nächtliohen 
Schweissausbruch klagte, erhielt fortan des Abends zweimal 0,3 Veronal 
entweder in heissem Tee oder einfach als Tabletten. Da ich einen be¬ 
sonderen Wirkungsunterschied des Veronals bei der Einnahme in warmer 
Flüssigkeit, auf welche von vielen Autoren ein gewisser Wert gelegt 
wird, und in Tablettenform nicht beobachtete, stelle ich meist jetzt die 
Art der Einnahme in das Belieben des Patienten. 

Der Erfolg war stets ein ausgezeichneter. Nach 0,6 Veronal ver¬ 
lief die Nacht schweissfrei; der Patient fühlte sich dabei subjektiv viel 
wohler, selbst wenn der Schlaf sich nach dem Veronal nicht io ganz 
gewünschterWeise eingestellt hatte. Bei einigen Kranken genügteeine 
Dosis, um sie für längere Zeit schweissfrei zu machen. Die Mehrzahl 
aber hatte nach Fortlassen des Veronals an den folgenden Abenden wieder 
über Schwitzen zu klagen. Daher ging ich bald zu der bei vielen 
Medikationen üblichen Methode des langsamen Fallens der Dosis über, 
welche prompte Erfolge erzielte. Nachdem der Patient am ersten und 
eventuell zweiten Abend 0,6 Veronal erhalten hatte, wurde am nächsten 
0,45 gereicht; am 4. Abend genügten 0,3 Veronal zur Herbeiführung 
der Wirkung, danach wurden nooh 1—2 Abende 0,15 Veronal gegeben. 


1) Penzoldt, Behandlung der Lungentuberkulose. Handbuch. 

2) Cornet, Die Tuberkulose. Nothnagel’s Handbuch. 

3) Ulrici, Therap. Monatsh., 1904. 

4) Strassner, Veronal und Proponal, Inaug.-Diss., Rostock 1907. 

5) Hildebrandt, Zsohr. f. ärztl. Fortbild., 1918, Nr. 12. 


Diese mit 0,6 beginnende, allmählich auf 0,15—0,8 fallende Methode, 
welche selbstverständlich nach dem Krankheitszustand modifiziert werden 
rau äs, führte zu solchen Erfolgen, dass ich mich der Ansicht Hildebrandl’s, 
welcher die anthydrotisohe Wirkung des Veronals als eine meist ideale 
anspricht, anschliesse. 

Länger als 6—8 Tage hintereinander brauchte ich, nach obiger 
Methode, Veronal nie zu geben. Traten später nach Fortlassen der 
Medikation noch Schweisse auf, so wurde wieder zum Veronal mit gutem 
Erfolge gegriffen. Augenblicklich habe ich noch einen sehon seit 
Monaten bei mir befindlichen Kranken auf 4®* Station, welcher an dem 
uns vorläufig noch unklaren fieberhaften Krankheitszustand leidet, das 
man als wolbynisches Fieber bezeichnet: ab und zu treten heftige 
Nachtschweisse auf, die einmalige Dosis von 0,6 Veronal kupiert sie 
für mindestens 10 Tage. 

Unangenehme Nebenwirkungen traten nie nach dem Veronal auf. 
Kommen nun auch Versager vor? Eigentliche Versager habe ich nicht 
gesehen. Es kommt aber vor, dass das Veronal in den ersten Nächten 
guten Erfolg hat, später aber etwas an Wirkung, wohl infolge von 
Gewöhnung, nachlässt. 

Meine Erfahrungen gehen also dahin, dass das Veronal ein aus¬ 
gezeichnetes Gegenschweissmittel am Krankenbett des Fieberkranken ist. 
Nioht nur, wie die Literatur es betont, bei den Nachtschweissen unserer 
Phthisiker, sondern auch bei allen Infektionskrankheiten ist es ein sehr 
gutes Anthydrotikum. Es würde sioh verlohnen, wenn Aerzte ihre Er¬ 
fahrungen darüber mitteilen würden, ob Veronal auch die Schweisse 
bei Kranken, welche mit hohen Salyzildosen behandelt werden müssen, 
unterdrückt. Ulrici hat — er spricht aber nur von einem Fall — 
profuse Schweisse nach Pyramidon kaum beeinflussen können. Sollte 
Veronal die lästige Nebenwirkung des Salyzils aufheben, so wäre dies 
als ein Fortschritt in der Behandlung des Gelenkrheumatismus sehr 
zu begrüssen. 

Eine Erklärung der Wirkung des Veronals auf die Schweisse ist 
vorläufig nicht zu geben. Spezifische Wirkung auf das Schweisszentrum 
wird von den meisten Antoren abgelehnt. Möglicherweise hängt die 
anthydrotische Wirkung mit der experimentell naohgewiesenen Blutdrack- 
senkung zusammen, welche durch periphere Gefässwirkung des Veronals, 
und zwar durch Lähmung d"er Kapillarwandnervenelemente bedingt ist 

Dieser kleine Beitrag verdankt seine Entstehung nur dem Umstande, 
dass die schweisshemmende Wirkung des Veronals, welche in den 
meisten Lehrbüchern und Nachschlagewerken gewöhnlich nur bei den 
Schweissen der Tuberkulösen vermerkt ist, nicht so bekannt ist, wie 
sie es verdient. 


BQcherbesprechungen. 

Th. Bttdingei: Emähraiigsstöriigeii des Herraaskels. Ihre Beziehungen 
zum Blutzucker und ihre Behandlung mit Traubenzuckerinfusionen. 
Leipzig 1917, F. C. W. Vogel. 186 Seiten. Preis 4 M. 

Büdingen geht von der bekannten Tatsaohe aus, dass im Experiment 
am überlebenden Herzen duroh Traubenzucker die Kraftleistung gehoben 
werden kann und legt sich die Frage vor, ob das gleiche in vivo am 
erlahmenden Menschenherzen möglich sei. Nach einer Uebersicht über 
die physiologischen Grundlagen des Problems werden die anatomischen 
Befunde vom Glykogengehalt des Herzens besprochen. Diese bieten 
allerdings noch manche unaufgeklärte Widersprüche, doch darf wohl 
angenommen werden, dass vermehrte Herzarbeit die Glykogenspeicherung 
im Herzen herabsetzt und bei niedrigem Blutzuckerspiegel zu schwereren 
Ernährungsstörungen des Herzmuskels führen kann. Der arbeitende 
Muskel kann allerdings die Kosten seiner Leistung durch Eiweiss, Fett 
oder Kohlehydrate decken, zieht aber die Kohlhydrate vor. Ob tatsächlich 
Traubenzuckermangel bestimmte Herzstörungen macht, lässt sich nur 
dadurch entscheiden, dass Fälle naobgewiesen werden, in denen bei 
sicher (estgestelltem Traubenzuckermangel konstante typische Krankheits¬ 
erscheinungen gefunden werden. Ein solches Krankheitsbild giebt es 
nach Büdingen, er bezeichnet es als Kardiodystrophie mit Stenokardie; 
die charakteristischen Kardinalsymptome sind Hypoglykämie (Blutzucker¬ 
wert unter 0,06 pCt.), Druckbeschwerden in der Herzgegend, Herabsetzung 
der körperlichen Leistungsfähigkeit und leise Basal töne (nicht ganz 
konstant). Neben dieser absoluten Kardiodystrophie mit Hypoglykämie 
giebt es eine relative Kardiodystrophie mit normalen Blutzuckerwertec; 
das sind Fälle, in denen trotz des normalen Blutzuckerspiegels eine 
Verminderung der Zufuhr (Koronarsklerose, Kranzgefässspasmen) oder de; 
Ausnutzung (Myokarditis) oder eine Steigerung des Verbrauchs (Hyper¬ 
trophien) einen lokalen Zuckermangel im Herzen hervorrufen. Die 
„Kardiodystrophie mit Stenokardie“ muss nach Büdingen wohl unter¬ 
schieden werden von der „Asphyxie des Herzmuskels mit Dyspnoe 4 . 
Der Beweis dieses Satzes ist aber Büdingen doch wohl nicht gam 
geglückt. Ist der Blutzuokergehalt und die Arterialisierung des Blutes 
regelrecht, so wird beim Versagen der Kranzgefässdurchblutung — der 
Hauptursache der Kardiodystrophie mit Stenokardie Büdingen’s — 
wohl in der Regel Zucker- und Sauerstoffversorgung, des Herzens gleich¬ 
zeitig leiden. Was Büdingen für die Unabhängigkeit dieser beiden Pro¬ 
zesse anführt, ist nicht zwingend. Andererseits sprechen — und dis 
ist schliesslich die Hauptsache — seine guten Erfolge mit Traubenzucker¬ 
infusionen dafür, dass wohl tatsächlich ein Zuckerm&ngel in manchen 
Fällen vorliegt und hier eine wichtige, vielleicht die wichtigste Ursache der 


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20. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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betreffenden Herzstörangen ist. In seinem Sohema der verschiedenen hier¬ 
her gehörigen Krankheitsbilder stellt Büdingen dann auch eine Kardio¬ 
dystrophie durch Absperrung sämtlicher Nähr- und Reizstoffe infolge 
Kranzgefässerkrangungen neben die Zuckerkardiodystrophie infolge Krampf 
(ektokardiogen) oder Sklerose (kardiogen) der Koronargefässe. Auffallender¬ 
weise wird die für die Unterscheidung der „Kardiodystrophie mit Steno¬ 
kardie“ von der „Asphyxie des Herzmuskels mit Dyspnoe“ wichtige 
Atemfrequenz von Büdingen in seinen Krankenberichten nicht berück¬ 
sichtigt. Als Indikationen für Traubenzuokerbehandlung nennt Büdingön 
Kardiodystrophie mit absoluter Hypoglykämie, ADgina pectoris mit Druck¬ 
gefühl, die mit Kardiodystrophie verbundenen Fälle von chronischer 
Myokarditis, Koronarsklerose, Myodegeneratio cordis, Herzinsuffizienz bei 
Arteriosklerose und Nephritis sowie Herzmuskelschädigungen nach Infek¬ 
tionskrankheiten mit wesentlich erhöhtem Blutdruck undDruckbesohwerden 
in der Herzgegend, Sepsis mit Herzerscheinungen und Digitalisbigemie. 
Kontraindikationen sind Neigung zu Embolien und Apoplexien, stärkere 
Stauungszustände. Das ist in grossen Linien der Inhalt der Arbeit, 
deren Studium im Original wegen aller Einzelheiten dringend empfohlen wird. 

Das Buch Büdingen ’s bildet ohne Zweifel einen beachtenswerten 
Beitrag zur Therapie der Herzkrankheiten. Es gründet sich auf ein 
umfangreiches, sorgfältig bearbeitetes Material, ist klar und anschaulich 
geschrieben und darf des Interesses weiterer, vor allem klinischer Kreise 
sicher sein. Sein Hauptwort' besteht in den praktischen Folgerungen: 
dass in manchen Fällen eine bisher nicht beachtete Unterernährung des 
Herzens Ursache kardialer Störungen ist, und dass diese durch Trauben- 
zuckerinfusionen günstig beeinflusst werden können, auch wenn die 
üblichen Beandlungsmethoden im Stich gelassen haben. Der theoretische 
Ausbau eines neuen Gebietes ist immer eine heikle Sache; trotz aller 
Vorsicht und Sorgfalt wird kaum je einem Forscher Widerspruch bei 
diesem Beginnen erspart bleiben. So sind auch vom Referenten oben 
einige Punkte angedeutet worden, die strittig sein können, aber die 
praktische Bedeutung der Arbeit nicht schmälern. Edens. 


Hermann Krieger: Die Paranoia. Eine monographische Studie. Mit 
1 Textabbildung. (Heft IS der „Monographien aus dem Gesamtgebiete 
der Neurologie und Psychiatrie“, herausgegeben von Lewandowsky 
und Wilmanns.) Berlin 1917, Verlag von Julius Springer. 113 Seiten. 
Preis 6,80 M. 

Diese Studie kommt in ihrer Auffassung des Paranoiabegriffes wieder 
ganz nahe an jene Paranoiadefinition heran, welche Griesinger in den 
letzten Jahren seines Wirkens (<1867, nicht 1887!), also schon vor 
SO Jahren gegeben hat. Innerhalb dieses Zeitraums hat die Paranoia¬ 
lehre die verschiedensten Phasen durohgemacht und ihre Entwicklung 
ist charakteristisch für die ganze Psychiatrie. K. unterscheidet die drei 
alten Unterarten: P. combinatoria, hallucinatoria und querulatoria; die 
beiden ersten gehen vielfach ineinander über und zwischen allen dreien 
besteht kein prinzipieller Unterschied. Sie entstehen ohronisch auf dem 
Boden einer eigenartigen paranoischen Konstitution und verlaufen chro¬ 
nisch, unheilbar, ohne die Lebensdauer zu verkürzen. Einen Ausgang 
in Schwachsinn erkennt K. nach eingehender Definition dieses Begriffes 
nicht an, nur eine Abartung und Einengung der psychischen Leistungen, 
und er hält sie für eine prämature Alterserscheinung im Gegensatz zu 
Kräpelin (Stillstand der geistigen Persönlichkeit auf einer Frühstufe). 
Sie stellt eine nosologische Einheit dar, daher kann es nach K. keine 
„akute P.“ geben. Was bisher oft so bezeichnet wurde, gehört in andere 
Krankheitsgruppen. Aehnlich verhält es sioh mit der „periodischen 
P.“ — Die paranoischen Zustandsbilder bei Degenerierten, überhaupt 
die Berührungspunkte mit anderen psyohotischen Formen, sowie die ge¬ 
samte Klinik der Paranoia werden eingehend besprochen. 

W. Seifferf. 


Literatur-Auszüge. 

Therapie. 

L. Silberstein: Behandlung der Bartflechte nad ähnlicher 
Pilxerkrankungen der Halt. (D. militärärztl. Zsohr., 1918, H. 7—8.) 
Ausgiebig mit angenässtem Höllensteinstift bestreichen; nach 20 Minuten 
das Ganze mit 10 proz. Schwefelzinkpaste verbinden. Täglicher Verband* 
Wechsel und Behandlung mit derselben Paste (auch Zinkpaste, Zick¬ 
liniment). Nach'etwa 4 Tagen fallen schwarze Sohorfe allmählich ab, und 
es genügt dann meist 2 mal tägliches Bestreichen mit der Paste ohne 
Verband. Heilung in 10—14 Tagen. Durch die Aetzung sterben die 
Pilze ab. Vorteile: Vermeidung der Lazarettbehandlung, Verbandstoff- 
und Medikamenten-Ersparnis, ambulante Behandlung, Diecstfähigkeits- 
erhaltung. Schnütgen. 


Innere Medizin. 

Goldscheider-Berlin Lungentuberkuse und akademischer Unter¬ 
richt. (Zschr. f. Tube., Bd. 19, H. 1 , S. 1—6.) Nicht die Errichtung 
eigener Lehrstühle für Tuberkulose, sondern bessere und stärkere Pflege 
des Tuberkulose-Unterrichtes durch die inneren Kliniken ist notwendig, 
um die Ausbildung für die Praxis zu bessern. 

Metzger-Ueberruh: Ueber Bewegungstemperatur hei Lungen- 
taberkllose. (Zsohr. f. Tbc., 'Bd. 29, H. 1, S. 81—41.) Die Bewegungs¬ 


temperatur der Tuberkulösen fällt im allgemeinen langsam ab. Doch ist 
der Abfall ein zu unsicheres Zeichen, um wesentliche diagnostische 
Bedeutung zu haben. 

W. Parrisius-Tübingen: Was leistet die Bewegungstemperatur 
für die Frühdiagnose der Lungentuberkulose? (Zsohr. f. Tbc., Bd.29, 
H. 1, S. 9—23.) Anstieg der Darmtemperatur nach Bewegung ist kein 
Zeichen von Erkrankung. Bei dringendem Tb.-Verdacht spricht mangels 
anderer Ursachen Bewegungstemperatur über 38 und verzögerter Abfall 
für aktive Tuberkulose. Negatives Ergebnis spricht nicht dagegen. 

' G. Frisch bi er -Beelitz: Ein weiterer Beitrag zu dem Thema Lungen¬ 
schuss und Lungentuberkulose. (Zschr. f. Tube., Bd. 29, H. 1, S. 28 
bis 31.) In 19 Fällen wurde durch Lungensohuss und seine unmittel¬ 
baren Folgen ein tuberkulöses Lungenleiden zur Erscheinung gebracht. 
Nur 2 waren früher tuberkulös gewesen. 

Th. Gurschmann-Luisenheim: Ueber die Verordnung von Morphium 
hei Lungentuberkulose. (Zschr. f. Tubo., Bd, 29, H. 1, S. 6—8.) 
G. geht so weit, die Verordnung von Narcoticis über längere Zeit bei jedem 
Lungentuberkulosen für gefährlich zu halten. H. Grau-Honnef. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

W. Hellpach: Die Kategorien der seelischen Abnormisierung. 
(Mschr. f. Paych., Januar 1918, Bd. 43, H. 8, S. 141.) Zu kurzem 
Referat nicht geeignet. Im Original naohlesenswert. 

H. W. Zahn: Ueber Zwangsvorstellungen. (Mschr. f. Psyoh., 
Januar 1918, Bd. 43, H. 1, S. 59.) Das manisch-depressive Irresein 
bildet einen besonders günstigen Boden für die Entstehung von Zwangs¬ 
vorstellungen. Betrachtungen über Geqese und Therapie, mit Kranken¬ 
geschichten. 

Raecke: Die Aussichten der Salvarsauhehandlung hei der pro¬ 
gressiven Paralyse. (Mschr. f. Psycb., Januar 1918, Bd.43, H. 1, S. 87.) 
Verf. kommt auf Grund seiner Erfahrungen zu dem Schluss, dass es 
falsch wäre, auf dem bis zu einem gewissen Grade schon erfolgreich 
beschrittenen Wege der Salvarsantherapie resigniert stehen zu bleiben, 
besonders wenn wir erwägen, wie gering unser sonstiges Rüstzeug im 
Kampf gegen die Paralyse nooh immer ist. Nur das Tuberkulin hat 
ähnliche günstige Erfolge aufzuweisen. Loewy-Hattendorf. 

M. Vaerting: Wechseljahre und Altern bei Mann und Weih. 
(Neurol. Zbl., 1918, Nr. 8.) V. weist vor allem auf die Bedeutung der 
Wechseljahre auch beim Manne hin und betont, dass sie bei ihm oft 
viel tiefgreifender sind als bei der Frau. Die Arbeit sei dem Studium 
der Aerzte, die immer noch nicht ernstlich an ein Glimaoterium virile 
denken wollen, besonders empfohlen. E. Tobias. 

A. Pick: Ueber das Verständnis des eigenen Defektes hei 
Aphasischen. (Mschr. f. Psyoh., Januar 1918, Bd. 43, H. 1, S. 1.) 
Interessante Erörterungen über obiges Thema mit Hinweis auf die 
besonderen praktischen Folgen der Klarlegung dieser Dinge, z. B. in 
bezug auf Intaktheit der Intelligenz der aphasischen Geschäfts- und 
Testierfähigkeit derselben, sowie für die Aufgaben der Therapie, die 
natürlich schwieriger ist, wenn der Kranke sich seines Defektes nicht be¬ 
wusst ist. 

E. Garn per: Zur Klinik der Sensibililätsstüruagen hei Rindea- 
lätionen. (Mschr. f. Psyoh., Januar 1918, Bd. 43, H. 1, S. 21.) Mit¬ 
teilung zweier einschlägiger Fälle mit genauer Sensibilitätsprüfung und 
Schemata. Loewy- Hattendorf. 

A. Wirschubski: Ein Fall von Polydipsie als eiue Varietät der 
Hysteria monosymptomatica. (Neurol.Zbl., 1918, Nr. 9.) Die Polydipsie 
präsentierte sich als das einzige Symptom einer akuten Hysterie. 

W. Mayer: Nicht luetisch bedingte reflektorische Pupillenstarre. 
(Neur. Zbl., 1918, Nr. 8 ) In dem Fall von W. Mayer handelte es 
sich um einen zur Unfallbegutaohtung eingelieferten Kranken, bei dem 
eine viele Jahre zurückliegende fachkundige Beobachtung des Pupillen¬ 
phänomens vorliegt, bei dem reflektorische Pupillenstarre bestand, ohne 
dass in der Vorgeschichte mit den vorhandenen klinischen Hilfsmitteln 
Zeichen von Lues, Tabes oder Paralyse nachzuweisen waren. Alkohol 
und Diabetes kommen ätiologisoh ebenfalls nicht in Betracht. 

H. Krueger: Drei Beobachtungen einseitiger reflektorischer 
Pupillenstarre. (Neur. Zbl., 1918, Nr. 8.) K. teilt drei Beobachtungen 
einseitiger reflektorischer Pupillenstarre mit; die Konvergenzreaktion ist 
im wesentlichen normal erhalten. Bemerkenswert ist das Fehlen des 
Traumas, das Fehlen jeder weiteren Okulomotoriusstörung, zum Teil 
auch das Fehlen jedes weiteren Ausfallsymptoms. Die drei Beob¬ 
achtungen beweisen, dass es eine einseitige isolierte Pupillenlichtstarre 
bei nicht luetischen Individuen gibt, die im zentrifugalen Schenkel ihren 
Sitz hat, dabei nicht auf peripheren Störungen des N. ooulomotorius oder 
seiner Endigungen beruht, sondern zentral bedingt ist. E. Tobias. 

Klien: Ueber die koutinuierliehen rhythmisches Krämpfe 
des Gaumensegels und der Schlingmuskulatur. (Mschr. f. Psych., 
Januar 1918, Bd. 43, H. 2, S. 80.) Zusammenfassung: 1. Das Vor¬ 
kommen kontinuierlicher rhythmischer Krämpfe als Folge der Erkrankung 
der motorischen Nerven kann nicht als einwandfrei erwiesen gelten. 
2. Auf reflektorischer Basis kommen kontinuierliche rhythmisohe Krämpfe 
vor. 3. Der reflektorische Tensor- und Gaumensegelkrampf kann auoh 
auf der Basis von Hysterie Vorkommen. 4. Kontinuierliche rhythmisohe 
Krämpfe der Schlingmuskulatur sind gelegentlich bei organischen Br- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


krankungen des Zentralnervensystems beschrieben worden, ohne autoptische 
Befunde; auch als Dauerfolge von Apoplexie (in 3 Fällen), wo sich bei 
der Autopsie apoplektische Zysten an anologen Stellen der Kleinhirn¬ 
hemisphären fanden. 

K. Bonhoeffer: Partielle reise Tastlähmnng. (Mschr. f. Psych., 
Januar 1918, Bd. 43, B. 3, S. 141.) Mitteilung eines Falles von isolierter 
Tastlähmung, des „reinsten und für die lokalisatorische Selbständigkeit 
des taktilen Erkennens bewegendsten“, den Yerf. kennt, nach Kopf¬ 
schuss. 

P. Schweden Enzephalitis and Myelitis; zar Histologie der 

kleinzelligen Infiltration im Nervensystem. (Mschr. f. Psych., Januar 1918, 
Bd. 48, H. 3, S. 146.) Ausführliche anatomische Arbeit mit 31 höchst 
instruktiven Abbildungen. 

E. Teil in g: Klinisoher Beitrag zur Pathogenese der Basedow- 
Erkrankaig bei Kriegsteilnehmers. (Fortsetzung aus dem vorigen 
Heft.) (Mschr. f. Psych., Januar 1918, Bd. 43, H. 3, S. 192.) Yerf. 
kommt an der Hand von 7 veröffentlichten Fällen zu dem Sohluss, 
dass eine neurogene Entstehung der Basedow’sohen Krankheit neben 
der thyreogenen vorkommt, und dass in solchen Fällen die Schädigungen 
des Krieges eine auslösende Ursache bilden können. L oe w y - Hattendorf. 

E. Stier-Berlin: Wie kann der Entstehung von Kriegsnenrosen 
bei der Feldarmee vorgebeugt werden? Nachtrag zum gleichnamigen 
Aufsatz im Februarheft der militärärztlichen Zeitschrift. (D. militärärzt. 
Zschr., 1918, H. 7 u. 8.) Verf. ist es auf Grund der Kriegsverhältnisse 
entgangen, dass wesentliche Punkte von den im Aufsatz (der im 
Februarheit niedergelegt war) ausgesprochenen Wünschen inzwischen in 
Erfüllung gegangen sind und darüber hinaus auch die von ihm noch nicht 
erwähnte Frage der nervösen Reaktionen bei vermeintlicher Gasvergiftung 
schon durch Yerfügung des Feldsanitätschefs eine Regelung gefunden 
hatte, die ganz im Sinne der genannten Ausführungen liegt. Yerf. holt 
das Versäumte nach und führt die fraglichen 3 Yerfügungen an. 

A. Hauptmann-Freiburg i. Br.: Ueber epileptische nnd psychogene 
Krampfanfälle im Lichte der Kriegserfahrungen. (D. militärärztl. Zschr., 
1918, H. 7 u. 8.) Zusammenfassender Bericht über die Häufigkeit anfall¬ 
artiger Zustände im Heere während des Krieges mit Rücksicht auf 
die Schwierigkeit^ der Differentialdiagnose und die Verantwortung bei 
Entscheidung der D. B.-Frage. Das Interesse gilt auoh der Bedeutung 
exogener Schädigungen für das Entstehen oder die Verschlimmerung einer 
Epilepsie. Mit Ausnahme des Babinski’schen Phänomens gibt es kein 
einziges Anfallzeichen, aus dessen Vorhandensein allein man eine der 
beiden Krankheiten mit Bestimmtheit feststellen kann. Angabe der 
wichtigsten Anfallzeichen. Die Methoden, epileptische Anfälle künstlich 
auszulösen, können entbehrt werden; Anführung des Beweises. Aus¬ 
lassungen darüber, dass man die Ausdrücke „psychogen“ und „hysterisch“ 
nicht synonym gebrauchen soll. Es gibt noch viel mehr Psychogene 
als nur Hysterische. Die Nichtauslösbarkeit ist charakteristisch für 
den epileptischen Anfall, die Auslösbarkeit für den Psychogenen. Yerf. 
weist dann nach, dass es eine merkliche Zunahme der Epilepsie durch 
den Krieg nicht gibt. D. B. darf nur angenommen werden, nachdem 
ausgeschlossen wurde, dass das Entstehen der Epilepsie nicht zu¬ 
fällig mit dem Kriegsdienst zusammen gefallen ist, oder dass es sich 
bei der Verschlimmerung nicht um eine nur im Charakter der Er¬ 
krankung liegende Erscheinung gehandelt hat. Schnütgen. 

M. Löwy: Zur Behandlung der Psychotranmatiker des Krieges 
im Kriege and aaeh Friedensschlass. (Mschr. f. Psych., Januar 1918, 
Bd 43, H. 1, S. 46.) Wertung und kritische Betrat htung der üblichen 
Behandlungsmethoden sowie Hinweis auf die Behandlung in Kurorten 
nach Friedensschluss (Bäder, Trinkkuren, Diät). Loewy-Hattendorf. 

K. Mendel: Kriegsbeobaehtaagea. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 8.) 
M. setzt seioe Mitteilungen über neurologische Kriegsbeobachtungen fort. 
Er schildert je einen Fall von akuter Mononeuritis multiplex infectiosa 
und von Diabetes insipidus mit Abducensläbmuog. Diabetes insipidus 
mit Abducenslähmung gepaart stellt ein wiederkehrendes Krankheitsbild 
dar, welohes auf eine Erkrankung der Interpedunkulargegend beruht 
und stets den Yerdaoht auf eine gummöse Meningitis in dieser Gegend 
lenken muss. E. Tobias. 


Chirurgie. 

Münnich: Ein behelfsmässig hergestellter Apparat für Drnck- 
differeazverfahrea aid gewöhnliche Narkose. (Bruns’ Beitr., 1917, 
Bd. 108, H. 4, 48. kriegschirurgisches Heft.) Beschreibung des zweck¬ 
mässigen Apparates. 

W. V. Simon-Frankfurt a. M. (zurzeit im Felde). 

Hans: Weitere Beitrage zur Nahttechnik. (Zbl. f. Chir., 1918, 
Nr. 16.) Technische Mitteilung. Vergleiche Original. 

Babitzki: Ein neuer Weg zum Plexus brachialis zwecks An¬ 
ästhesierung. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 18.) Der Einstichpunkt der 
Anästhesierung nach Kulenkampff liegt bekanntlich oberhalb des 
Schlüsselbeins unmittelbar neben der Arterie. B. geht so vor, dass er 
unterhalb des Schlüsselbeins eiogeht in dem Winkel, der durch die 
Kreuzung des Schlüsselbeins mit der 2. Rippe gebildet wird. Er ver¬ 
meidet damit noch sicherer eine gleichzeitige Verletzung des Gefässes. 
(Dooh scheint die Möglichkeit der Verletzung der Pleura, die bei dem 
Kulenkampfl’schen Verfahren, wenn auch in viel geringerem Maasse vor¬ 
handen, hier erheblioh grösser zu sein; auch ist die hintere Grenze für 


die zu tief gehende Nadel, die bei Kulenkampff’s Methode durch den 
Querfortsatz der Halswirbelsäule gegeben ist, hier nicht vorhanden. Ref.) 

Hay ward. 

Sohepelmann-Hamborn a. Rh.: Die wirtschaftliche Bedeutuig 
der operativen Knoeheaverlängerung und Gelenkmobilisation. (D.m.W., 
1918, Nr. 14.) Man kann dem Staat grosse Summen ersparen, wenn 
man bei Kriegsinvaliden mit grossen Bein Verkürzungen und Gelenk¬ 
versteifungen Operationen vornimmt, wie sie Sch. verschiedentlich schon 
beschrieben hat. Der Prozentsatz, um den dann diese Leute mehr 
arbeitsfähig werden, ist ein ziemlich beträchtlicher. Man sollte deshalb 
in jedem Korpsbezirk Nachuntersuchungen von Kriegsfentenempfangern 
^der beschriebenen Art vornehmen und sie spezialistisch behandeln 
lassen. Dünner. 

Bonhoff: Lagekorrektar voa schlecht geheilten Kaocheihrfichei 
dareh Osteotomie im Oesaadea. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 14.) Ein 
durch Ueberfahren entstandener Splitterbruch beider Unterschenkel- 
knochen war mit hochgradiger Innenrotation des Fusses und Kreuzstand 
der Tibiabruchenden geheilt. Die Korrektur wurde oberhalb der Bruch¬ 
stelle an der Tibia vorgenommen. Abgesehen von der Verkürzung, die 
naturgemäss hierdurch nicht zu beeinflussen war, konnte die Stellungs¬ 
anomalie vollkommen ausgeglichen werden. Hay ward. 

J. F. S. Esser: Gestielte Plastiken hei typischen Erfriernngei 
nnd bei schlecht geheilten Ampatationsstfimpfen der anteren Extremi- 
täten. (Bruns’ Beitr., 1917, Bd. 108, H. 4, 48. kriegschirurgisches Heft.) 
Lappenplastiken aus der Umgebung des Defektes eignen sich infolge der 
schlechten ZirkulatiODSverhältnisse im allgemeinen nicht. Verf. hat in 
nunmehr 52 B’ällen gute Resultate mit gestielter Lappenplastik aus dem 
gesunden Bein erreicht. Der Lappen soll möglichst zentral, meist knapp 
oberhalb oder unterhalb des Kniegelenks entnommen werdeo, die Stel¬ 
lung der Beine soll möglichst bequem, der Lappen möglichst klein, aber 
doch so gewählt werden, dass er ohne Spannung vernäht werden kann. 
Die Achse des Lappens verläuft meist etwas schief zur Längsachse des 
Beines. Das zu deckende Ulkus wird bis auf die Knochenhaut Um¬ 
schnitten, die obere Knoohensohicht abgemeisselt. Bei Amputations¬ 
stümpfen des Beines wird der Defekt besser mit einem peripher ge¬ 
stielten Lappen gedeckt, die Beine parallel zueinander gelagert. Nähere 
technische Angaben sind in der Arbeit naohzulesen. 

W. V. Simon- Frankfurt a. M. (zurzeit im Felde). 

Oehlecker: Bildung kolbiger Unterschenk eis tim pfe s«r Be¬ 
festigung kurzer Prothesen ahne Oberschenkeiteil. (Zbl. f. Chir., 
1918, Nr. 15.) Ein kolbiger Unterschenkelstumpf wird dadurch erzielt, 
dass mit Hilfe eines Knochenstegs zwischen dem unteren Ende von Tibia 
und Fibula eine Spreizung dieser Knochen hervorgerufen wird. Dann 
werden die Markhöhlen beider Knochen nach dem Prinzip der Bier’sohen 
osteoplastischen Amputation verschlossen. Für die Nachbehandlung ist 
wichtig, auch in den Weichteilen nach dem Vorgänge von Spitzy eine 
Sohnürfurche zu erzielen, um auch hier die kolbige Form des Stumpfes 
zu gewährleisten. 

Oehlecker: Erfahrungen über die 8tnmpfbildnng des Augapfels 
dareh Einpflanzung lebenden Knochens. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 16.) 
Ausser dem von 0. schon früher empfohlenen Verfahren der Einpflanzung 
von homoplastischem Material (Mittelhand-Mittelfussknochen-Köpfchen) 
eignet sich für das autoplastische Verfahren vor allem das Wadenbein¬ 
köpfchen. 

Ufer: Ueber Meniskus Verletzungen im Kniegelenk and eine aeae 
Sehnittführung zar Kniegelenksertiffnug. (Langenbeck’s Arch. f. klin. 
Chir., Bd. 109, H. 3.) Das Wesen des vom Verf. beschriebenen Ver¬ 
fahrens liegt dariD, dass es einen guten. Ueberblick auch über die 
hinteren Gelenkabschnitte gibt. Er macht einen bogenförmigen Haut- 
schnitt in senkt echter Richtung von oberhalb der Kniescheibe bis zu 
der Tub. tibiae; nach Freilegung des Lig. patellae wird dieses durch 
zwei Längsschnitte in drei Teile geteilt und dann an der Innenseite 
und Aussenseite das betreffende Drittel quer durohtrennt. Das mittlere 
Drittel wird ebenfalls quer durchtrennt, jedoch an der Ansatzstelle des 
Lig. patellae, es entsteht somit ein zun genförmiger Lappen, durch den 
ein ausgezeichneter Einblick in das Gelenk gewährleistet wird. 

Hay ward. 

Peis-Leusden-Greifswald: Zum Nachweis voa Ergüssen Im Knie¬ 
gelenk. (D.m.W., 1918, Nr. 14.) P.L. schlägt folgende Untersuchungs- 
methode vor: Man untersucht das Knie bei möglichst erschlafftem Streck¬ 
apparat, dabei wird die Flüssigkeit aus dem hinteren .Gelenksack auto¬ 
matisch nach vorn getrieben. Grössere Ergüsse können in dieser Stellung 
durch die oben und unten flach aufgelegte Hand gefühlt werden, kleinere 
drängt man in einen möglichst kleinen Teil des grossen Gelenksackes 
oberhalb und seitlich von der Kniescheibe. Legt man die eine Hand 
mit abgespreiztem Daumen unten um die Kniescheibe herum, so dass 
der Daumen mit seinem Ballen den dem Untersuoher zugewendeten 
Teil umfasst und komprimiert und dass die anderen Finger, welche jen¬ 
seits der Kniescheibe flach auf der Gelenkkapsel liegen und die linke 
in gleicher Weise oben um die Kniescheibe herum, so drängt man mit 
Daumen oder Daumenballen den ganzen Erguss in die eine Hälfte hinein 
und kann nun leicht die Fluktuation fühlen. Dünner. 

Wilms: Innere Einklemmnng im Hüftgelenk. (Zbl. f. Chir., 1918, 
Nr. 14.) Ohne erkennbare Ursache stand bei einem 15jährigen Mädchen 
morgens beim Aufwachen das Bein in leicht gebeugter Stellung, Ab¬ 
duktion und Aussenrotation. Verf. besieht diese Stellungs&nomalie bei 


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20. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


481 


dem Fehlen jeder Druckempfindlichkeit im Hüftgelenk auf eine innere 
Einklemmung im Gelenk, als deren Ursache er das Lig. rotundum an¬ 
spricht. Hayward. 

Gross-Harburg: Ersatz beider Fingerbengesehnen durch Hetero¬ 
plastik. (D.m.W., 1918, Nr. 14) Bei einem Soldaten hat G. gelegent¬ 
lich einer Operation bei einem anderen Manne zwei Sehnen, welche 
Übereinanderlagen und für den Operierten nutzlos waren, entfernt und 
als Fingerbeugesehnen bei dem ersten Soldaten mit Erfolg angewendet. 

Dünner. 

Baron: Ueber die plastische Verlängerung der Sehne des M. bi- 
ceps brachii. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 12) Das Wesen der Methode 
liegt darin, dass die Z-förmig verlängerte Sehne durch einen Faszien¬ 
lappen des Lacertus fribrosus unter- und umkleidet wird. Die Vorzüge 
des Verfahrens bestehen in der Verstärkung der halbierten und daher 
leicht zerreisslichen Bisepssehne und in der Erhaltung der Muskel¬ 
sehneneinheit auch für den Fall eines Auseinandergehens der Sehnen¬ 
naht. Man kann daher früher mit der funktionellen Therapie beginnen. 
Auch ist die Sehnennaht mit gut ernährtem Gleitgewebe umgeben und 
so das Zustandekommen von Verwachsungen möglichst vermieden. 

Hayward. 

Katzen st ein-Berlin: Die Heilung der nach Scbussverletzuug 
zurfickbleibenden, schwer heilbaren Hautgeschwflre nnd Knochen¬ 
fisteln durch Deckung mit immunisierter Haut. (D.m.W., 1918, Nr. 14.; 
Durch Infizierung der Haut, der man Tbier’scbe Läppchen entnehmen 
will, m t dem Eiter der zu deckenden Granulationsfläche ist es K. ge¬ 
lungen, die Thier’scben Läppchen widerstandsfähig gegen den Eiter zu 
maphen. Bei einer Anzahl von Beobachtungen ist es ihm aufgefallen, 
dass solche vorbehandelten Thier’schen Läppchen trotz starker Eiter¬ 
bildung hafteten und eine Epidermisierung der Granulationsfläche zu 
einer Zeit ermöglichten, in der erfahrungsgemäss sonst die Läppchen 
abgestossen werden. Knochengranulationsflächen sind nur dann auf die 
Dauer durch Thier’sche Läppchen heilbar, wenn die daduroh entstehende 
Epidermis, die dem Knochen direkt anhaftet, keine Belastung erfährt. 
Gestielte Hautlappen gerieten durch künstliche Infektion mit dem Eiter 
der zu deckenden Hautgeschwüre bzw. Knochenfisteln in einen geringeren 
oder grösseren Grad von Entzündung, die unter Fieber und starker 
Rötung der infizierten Haut verlief und nach wenigen Tagen zurückgiDg. 
Danach waren die Hautlappen gegen die Eiterung widerstandsfähig. Es 
gelang durch Deckung mit diesen gestielten Hautlappen Hautmuakel- 
g69chwüre, Hautknochengeschwüre, Knoohenfisteln zur Heilung zu bringen, 
die allen bisherigen Maassnahmen Widerstand geleistet batten. 

Dünner. 

v. Hacker: Trfinen-Nasengangbildnng nach Schussverletzang 
dnrch Sondierung ohne Ende mit Epithelbrei am Faden. (Zbl. f. Chir., 
1918, Nr. 15.) Bei e'nem Sohussverletzten, welcher eine ausgedehnte 
Zertrümmerung an der Naso, Stirn und linker Gesichtshälfte davon¬ 
getragen hatte, und der nach Abheilung der Verwundung und plastischem 
Ersatz der Defekte vor allem unter fortwährendem Tränenträufeln aus 
dem linken Auge litt, wurde ein Kanal von dem Rast des Tränen- 
Näsenganges am Auge gebildet. In diesen Kanal wurde ein Seidenfaden 
eingelegt,und dieser nach dem Vorgänge von Mangold mit Epithelbrei 
bestrichen. Es gelang so vollkommen eine Wiederherstellung des Tränen- 
Nasenganges zu erzielen. 

Wilms: Verhinderung des Nervenschmerzes naeb Amputation. 

(Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 13.) Die oft sehr störenden Nervenschmerzen 
nach Amputation kann man dadurch beheben, dass man bei dem Ein¬ 
griff den Stammnerv nicht so sehr kürzt und ihn soweit wie möglich 
zentral von dieser Stelle einmal breit quetscht. 

Richter: Einiges Neues zu Gehirnscbnssbehandlnngen. (Zbl. f. 
Chir., 1918, Nr. 16.) Auf Grund seiner Erfahrungen an 20 Kopf- bzw. 
Gehirnscbüssen empfiehlt Richter die Gehirnwunde ausgedehnt mit 
fiproz. Lösung von übermangansaurem Kali zu behandeln. Hayward. 

Ed. Rehn: Zur Klinik der halbseitigen perkntanen Pnenmopexie 
beim offenen Thorax. (Bruns’ Beitr., 1917, Bd. 108, H. 4, 48. kriegs¬ 
chirurgisches Heft.) Verf. berichtet über 3 weitere Fälle, bei denen 
sich die von ihm angegebene perkutane Pneumopexie gut bewährt hat. 
In Erweiterung seiner früheren Indikationsstellung rät er auch zur Vor¬ 
nahme der Pneumopexie bei leiohteren Fällen von offenem Pneumo¬ 
thorax, als auch prophylaktisch dort, wo die Gefahr eines sekundären 
offenen Pneumothorax nahe liegt. Die Operation wurde durchweg gut 
vertragen, Temperatur und Puls erfahren zwar stets eine Steigerung, 
die aber nicht bedrohlich ist. Gelingt es der Pleura nicht, der Infektion 
Herr zu werden, so kann man ein entstehendes Empyem operativ an- 
gehen. Vor Anlegen der Naht muss die Lunge voll entfaltet sein. 

A. La wen: Ueber den offenen Pneumothorax bei Kriegsver¬ 
letzungen und seine Behandlung durch frühzeitige Brustwandnaht. 
(Bruns’ Beitr., 1917, Bd. 108, H. 4, 48. kriegschirurgisches Heft.) Die 
Arbeit stützt sich auf 58 Fälle, bei denen Verf. fast stets unter Lokal¬ 
anästhesie die sofortige Revision der luftdurchlässigen Thoraxwunde und 
ihren Versohluss durch die Naht ausgeführt hat. Voraussetzung für 
diese Methode ist natürlich, dass man die Fälle schon wenige Stunden 
nach der Verletzung in Behandlung bekommt. Es wird dadurch der für 
die Pleura gefährliche Infektionsherd ausgeschaltet und der offene Pneumo¬ 
thorax in einen geschlossenen umgewandelt. Die Pleura wird dann mit 
den eingedrungenen Bakterien meist fertig, die Atem- und Zirkulations- 
stöiungen werden beseitigt. Wird infolge von Infektion die Entfernung 
der Naht nötig, oder wird die Wunde durch Nekrose insuffizient (4 Fälle), 


so stellt sich ein sekundärer offener Pneumothorax ein, dem die In¬ 
fektion der Pleura und Empyembildung auf dem Fusse folgen. Von 
36 Fällen von offenem Pneumothorax, die mit Revision und Verschluss 
der luftdurchlässigen Thoraxwunde behandelt wurden, heilten 16 ohne 
Störung, 3 weitere unter Komplikationen. In 4 Fällen entstand ein 
Pleuraempyem- Wiohtig sind die Fälle, in denen sich nach Verschluss 
der Brustwunde ein Spannungspneumothorax entwickelt. Alle 
diese 5 Fälle gingen zugrunde. Verdächtig auf das Zustandekommen 
dieser Komplikation sind alle die Fälle, bei denen bei noch offenem 
Pneumothorax ein verbreitetes Hautemphysem besteht. Solche Fälle 
sind iür die Brustwandnabt nicht geeignet. Eventuell kommt bei ihnen 
unter Druckdifferenz die primäre Lungennaht in Betracht. Die primäre 
Lungennaht bei offenem Pneumothorax wurde vom Verf. nur zweimal, 
davon einmal mit Erfolg ausgeführt. Auch bei Brustwandwunden, die 
zur Zeit der Untersuchung noch nicht luftdurchlässig waren, die aber 
verdächtig schienen, dass sie später luftdurchlässig werden konnten, hat 
L. die prophylaktische Naht der Thoraxwunde ausgeführt Ausführliche 
Krankengeschichten. 

J. Keppich: Zur Frage der Geschossentfernnng. (Bruns’ Beitr., 
1917, Bd. 108, H. 4, 48. kriegschirurgisches Heft.; Verf. tritt warm für 
die Perthes’sche Methode der Fremdkörperpunktion ein, die ein ziel¬ 
bewusstes aseptisches Operieren bei möglichst geringem Eingriff ermög¬ 
licht. Er stimmt dem Vorschläge Holzknecht’s zu, dass Gesohoss- 
entfernungen im Spätstadium nur in Steckschussstationen mit geeigneten 
RöntgeninstrumeDtarium (Trochoskop) ausgeführt werden sollen. Die 
Technik und die Indikationen werden besprochen. Das Verfahren hat 
sich dem Verf. bisher in 622 Fällen (676 Geschosse) vorzüglich bewährt 
W. V. Simon-Frankfurt a. M. (zurzeit im Felde). 

F. Bähr-Hannover: Zur Beurteilung der Rückgratsverkrümmnflgeil. 
(D. militärztl. Zschr., 1918, H. 7 u. 8.) Beschwerden bei Rückgrats- 
verkrümmungen entsprechen nicht immer dem Grade der Verkrümmung. 
Bei Einstellung junger Jahrgänge liegt die Möglichkeit vor, dass die 
Verkrümmung noch im Fortschreiten sich befindet. Wichtig ist die Be¬ 
rücksichtigung des allgemeinen Gesundheitszustandes, ferner auch die 
Wahl der Waffengattung. Genauere Erörterungen darüber. Im allge¬ 
meinen sind seitliche Verkrümmungen bei flachem Rücken weniger 
widerstandsfähig als kyphoskoliotische. Einwände gegen den Begriff einer 
„Insuffizienz der Wirbelsäule (Schanz)“. Mitteilungen über die Dienst¬ 
beschädigungsfrage. Dienstbesohädigung wird in vielen Fällen zu leicht¬ 
fertig als vorliegend erachtet. Warnung vor dem Gebrauch von Stütz¬ 
apparaten; sie sind nnr in ganz seltenen Fällon angebracht, dagegen 
eine Stütze für die Anerkennung der D. B. t)ie Behandlung besteht in 
Kräftigung der Rückenmuskulatur. Schnütgen. 

Baetzner: Phlebolith der Vena jngnlaris interna mit den klini¬ 
schen Erscheinungen einer arterio-venösen Fistel. (Zbl. f. Chir., 1918, 
Nr. 12.) Bei einem 10jährigen Knaben, welcher von der Lehrerin mit 
einem Stock einen Schlag auf die linke Kopfseite erhalten hatte, bildete 
sich 3 Tage später auf dem linken Scheitelbein eine Anschwellung, 
welche zu einer eitrigen Knochenhautentzündung führte, die dann ope¬ 
riert und geheilt wurde. Vier Monate nachher wurde eine kleine An¬ 
schwellung an der linken Halsseite beobachtet unter gleichzeitigem Auf¬ 
treten von Kopfschmerzen und Schwindelgefühl. Bei der Aufnahme in 
die Kgl. chirurgische Universitätsklinik Berlin (Geheimrat Bier) fand 
sich hier eine taubeneigrosse Geschwulst, die deutlich pulsierte und ein 
Schwirren vernehmen liess. Nach dem Befund wurde eine arterio-venöse 
Fistel angenommen. Bei der Operation zeigte sich jedoch, dass es sich 
um einen Phlebolithen handelte. Die Veoe wurde oberhalb und unter¬ 
halb unterbunden und reseziert. Es trat vollkommene Heilung ein. 
Das Schwirren wird auf das bei dem Hindurchpressen des Blutes 
zwischen dem Venensteiu und der Venenwand auftretende Mitschwingen 
des Steins bezogen. Ueber den Zusammenhang des Traumas und des 
vorliegenden Krankheitsbildes können bindende Schlüsse nicht gezogen 
werden. Hayward. 

A. Alsberg-Cassel: Soiiale Gesichtspunkte bei der Behandlung 
Kriegsverwundeter. (Zschr. f. Krüppelfürs., 1918, H. 4.) Bei der Be¬ 
handlung derjenigen Verwundeten, welche voraussichtlich nicht wieder 
militärisch dienstfähig werden, muss man möglichst frühzeitig sowohl 
rein ärztlich, als ärztlich erziehlich die soziale Lage, Familienverhält¬ 
nisse, Beruf usw. berücksichtigen. Nach sozialer Lage und Beruf wird 
man oft verschieden handeln müssen, z. B. ob ein Glied amputiert 
werden oder trotz höchster Gefahr konservativ behandelt werden soll, 
ob ein Gelenk, dem Versteifung droht, in dieser oder jener Stellung zur 
Ankylose gebracht werden soll, ob Nachoperationen gemacht werden, ob 
diese oder jene Prothese gegeben werden soll usw. Die ärztüch-erzieh- 
liche Seite der Behandlung soll den Kranken möglichst seinem alten 
Berufe erhalten, falls dies nicht möglich erscheint, muss man ihn jedoch 
rechtzeitig auf andere Bahnen weisen. Hindernisse sind zu überwinden, 
die aus der Unvollkommenheit der menschlichen Natur entspringen, aus 
den besonderen Erfahrnissen der Kriegswirtschaft und aus der Unvoll¬ 
kommenheit unserer EinriohtuDgen. Von der letzten Gruppe lässt sich 
der Punkt, der auf Lücken in der Werkstattausbildungsmöglichkeit be¬ 
ruht, beseitigen, wenn man, ähnlich wie e9 für landwirtschaftliche Kriegs¬ 
beschädigte schon besteht, für alle Berufe im Anschluss an entsprechende 
Betriebe an geeigneten Orten Sonderlazarette errichtet, wobei die be¬ 
treffenden Berufsgenossenschaften wertvolle Hilfe leisten könnten. 

H. Schütte-Hildesheim: Ausbildung kriegsbeseh ädigter Ban- 
bandwerker zur Förderung heimatlicher Bauweise. (Zschr. f. Krüppelfürs., 


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482 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


1918, H. 4.) Die nationale Richtung im Baugewerbe muss gefördert 
werden, einheimische Materialien und einheimische Kunst müssen weit¬ 
gehender als bisher berücksichtigt werden. Deshalb sollte man schon 
jetzt mit der Herstellung yon Modellen aller wichtigen Entwioklungs- 
formen des deutschen Bauern- und Bürgerhauses beginnen, welche als 
Sammlung zur Ausbildung von Bauhandwerkern dienen können. Hier¬ 
durch würde auch erreicht werden, dass in Zukunft weniger oft als bis¬ 
her gegen das Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und 
landschaftlich hervorragenden Gegenden (15. Juli 1907) verstossen wird. 
Einheitliche Leitung unter grosszügigen Gesichtspunkten ist dabei nötig, 
um Verzettelung in Kleinlichkeiten zu verhüten und nur das zu bewahren, 
was sich als lebensfähig und brauchbar erwiesen hat. Kriegsbeschädigten 
Bauhandwerkern, denen die Verletzung eine Rückkehr in die Praxis ver¬ 
bietet, könnte bet den Modellarbeiten zeitlebens erspriessliohe Beschäf¬ 
tigung geboten werden, aber auch vorübergehende Beschäftigung während 
ihrer Wiederherstellungszeit wird den Kriegsbeschädigten dabei manche 
nützliche Anregung geben. 

P. Behrendt-Bethel bei Bielefeld: Kleinste Land wirtschaften für 
Kriegsbeschädigte. (Zschr. f. Krüppelfürs., 1918, H. 3.) Die kleinste 
Landwirtschaft ( w Wirtschaffsstelle“ im Gegensatz zur „Gartenstelle“ für 
vollkräftige Arbeiter), bestehend aus 2—3 Morgen Land mit Einfamilien¬ 
häuschen, Stallung für 4—6 Schweine, 4 Ziegen, SO Hühner, Kaninchen, 
soll dem Kriegsbeschädigten neben seiner Rente einen Nebenverdienst 
bieten, von dessen Ertrag er mit seiner Familie gut zu leben vermag 
falls* die „Liebe zur Scholle“ vorhanden ist, wie die Berechnung der 
Unkosten und Erträge zeigt. Diese „Rentengüter“ werden wesentlich 
begünstigt durch das Gesetz zur Förderung der Ansiedlung (8. Mai 1916), 
und das Kapitalabfindungsgesetz (3. Juni 1916). Zur Erlangung einer 
Wirtschaftsstelle kann der Kriegsbeschädigte sich der in jeder Provinz 
bestehenden gemeinnützigen Siedelungsgesellschaft bedienen, vorteilhafter 
aber ist die Gründung von Kleinsiedelungsvereinen (10—20 Mitglieder), 
welche auch später als Wirtschafts vereine ihre Erzeugnisse gemeinsam 
verwerten können. Rat und Hilfe betreffs dieser Kleinsiedelungsvereine 
erteilt der „Deutsche Verein Arbeiterheim“ zu Bethel bei Bielefeld. 

Schellmann-Düsseldorf: Heil Werkstätten. (Zschr. f. Krüppel¬ 
fürs., 1918, H. 3 (Schluss aus H. 2). Weil die Heilwerkstatten sich aus 
praktischen Gründen auf die Einrichtungen für einen oder zwei Berufe 
beschränken müssen, sind hierbei die Hauptberufe der betreffenden Gegend 
zu wählen. Die Werkstätten eines bestimmten Bezirkes (Provinz) hätten 
sioh entsprechend zu ergänzen, so dass alle in diesem Bezirk vorzugs¬ 
weise vorkommenden Berufe nach Möglichkeit zu berücksichtigen sind. 
Die nutzbringende Arbeit (es soll keine „Bastelei“ getrieben werden!) 
ist entsprechend zu entlohnen. Um die Rentabilität der Werkstätten 
zu sichern, muss ein Stamm fest angestellter Arbeiter vorhanden sein, 
der aus Erwerbsbeschränkten bestehen sollte, welche im freien Wett¬ 
bewerb nioht mehr fortkommen können. Die Heilwerkstätten hätten 
mithin einen vierfachen Zweck zu erfüllen: die Heilung des Kranken zu 
fördern und ihn wieder an die Arbeit zu gewöhnen; den Nachweis zu 
liefern, ob und wie weit eine Minderung der Arbeitsfähigkeit im Einzel¬ 
fall für die bisherige Beschäftigung oder neuen Berut vorhanden ist; 
Anleitung für einen eventuellen neuen Beruf zu geben, die Um- und 
Ausbildung in besonderen Werkstätten für Erwerbsbesohränkte usw. vor¬ 
zubereiten; Beschädigten, welche im freien Wettbewerb vorübergehend 
oder dauernd keine Beschäftigung mehr finden können, Gelegenheit zu 
geben, den Rest von Arbeitsfähigkeit nutzbringend anzuwenden. 

'K. Schwarz-München: Rechtsfragen zur Heilbehandlung orthi- 
pädisch kranker Kinder. (Zschr. f. Krüppelfürs., 1918, H. 4.) Nach 
einem Beschluss des Kammergerichtes vom 12. Juni 1914 kann in Fällen, 
in denen der Vater des Kindes seine Einwilligung zu einem operativen 
Eingriff verweigert, fills dieser laut Sachverständigengutachten ungefähr¬ 
lich und zweckdienlich ist, naoh Beschränkung oder Entziehung der 
persönlichen Sorge nach § 1909 B.G.B. ein Pfleger bestellt werden, der 
an Stelle des Vaters die Genehmigung zum Eingriff erteilt. Der Ein¬ 
griff braucht nicht „absolut“ ungefährlich zu sein, es genügt „relative“ 
Gefahrlosigkeit, d. h. wenn die Gefahr gegenüber dem zu erwartenden 
Erfolge verhältnismässig gering ist (Narkose bei gesunden inneren Or¬ 
ganen). Bei zweifelhaftem Erfolge kann die Bewilligung nioht erzwungen 
werden. Bezüglich des zu erwartenden Erfolges braucht es sich nicht 
um Heilung zu handeln, es genügt wesentliche Besserung, ja eventuell 
sogar Verhütung sonst sioher eintretender Verschlechterung. Weitere 
Vorbedingung ist, dass die entstehenden Kosten „sichergestellt“ sind. 
Aehnlich wie mit der Operationserlaubnis verhält es sich mit der Unter¬ 
bringung in einem Krüppelheim, namentlich wenn daduroh die Erwerbs- 
fahigkeit wiederhergestellt werden kann. Schasse-Berlin. 

Amberger: Ist in der Kriegszeit eine Hänfnng der Karzinome 
zu bemerken? (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 15.) Verf. kommt zu einer be¬ 
jahenden Antwort der Frage. Die Vermehrung betraf nicht nur die 
Karzinome des Verdauungskanals, sondern auch die anderer Organe. 
Ob gewisse Zusammenhänge zwischen dem auffallend raschen Altern der 
Menschen jenseits des 40. Jahres und der Vermehrung des Karzinoms 
bestehen, muss unentschieden bleiben. 

Horwitz: Die Daaerresnltate naeh Gastroenterostomie bei Ulcns 
dnodeni md der Wert der Pylomsausschaltnng auf Grund der in den 
Jahren 1907 bis 1913 beobachteten Fälle. (Langenbeck’s Arch. f. klin. 
Chir., Bd. 109, H. 3.) Die eingehende Monographie umfasst das grosse 
Material der Kgl. chirurgischen Universitätsklinik in Berlin für die Jahre 
1907 bis 1913. Es wurden für den genannten Zeitraum 54 Fälle von 


Ulcus duodeni naohuntersucht, von denen der früheste Fall vor sechs 
Monaten, der älteste vor 57a Jahren operiert worden war und hierbei 
eine Reibe wichtiger Feststellungen erhoben. Als Hauptuntersuchungs- 
methode kam die Schirmbeobachtung vor der Röntgenlampe und die 
Röntgenaufnahme in Betracht, ferner die subjektiven Beschwerden, sowie 
der objektive Befund, soweit er sich ohne eine Prüfung der Magensaft¬ 
verhältnisse ermöglichen liess. Auch eine Untersuchung des Stuhles auf 
okkulte Blutung konnte nicht ausgeführt werden. Im wesentlichen also 
haben wir es mit einer röntgenologischen Kontrolle der Pylorusfunktion 
und der Gastroenterostomie zu tun. Die ängewendeten Operationsver¬ 
fahren ergaben sich aus den früheren klinischen Beobachtungen und 
den Aufzeichnungen der alten Krankenblätter. Die Gastroenterostomie 
war stets als Retrocolica posterior verticalis mit einreihiger Lembert’scher 
Naht ausgeführt worden. Der Verschluss des Pylorus erfolgte teils 
duroh eine Seidennaht oder einen versenkten Faszienstreifen, teils durch 
Durcbquetschung mit dem Doyen’schen Ekraseur mit anschliessender 
Abbindung durch einen Katgutfaden. Waren dagegen Zeichen von 
Stenose des Pylorus schon vorhanden, so war von einer besonderen 
Verengerung bzw. Verschluss des Pylorus Abstand genommen worden. 
In keinem der nachuntersuohten Fälle war der Pylorusver- 
schluss von Dauer, sondern die Entleerung erfolgte stets sowohl 
durch die Gastroenterostomie, wie auch durch den Pylorus. Ohne 
Pylorusverschluss operiert waren 17, von denen einer ungeheilt, zwei 
bebessert, zehn geheilt und zwei gestorben sind. Mit Pylorusverschluss 
gehandelt 29, von denen keiner UDgeheilt, zwei gebessert, 22 geheilt und 
zwei gestorben sind. (Nur die nachuntersuchten Fälle sind berücksichtigt) 
Es ergibt sich also für die Fälle ohne Pylorusverschluss eine Heilung 
von 66 2 / 3 pCt., für die Fälle mit Pylorusverschluss von 88 pCt. Trotz 
der erwähnten neuen Wiederdurchgängigkeit des Pylorus für alle 
Methoden entfallen auf das Verfahren der Umschnürung mit einem 
Seidenfaden nur die geringste Zahl von Heilungen. Es ergibt sich aus 
der interessanten Zusammenstellung die Schlussfolgerung, dass der 
Pylorus, wenn auch ein dauernder Verschluss nicht erreichbar ist, in 
allen Fällen verengt werden soll. 

Clairmont: Ueber die Mobilisierung des Duodenums tob links 
her. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 14.) In einer eingehenden Studie gibt 
Clairmont seine Erfahrungen wieder, die er bei der Mobilisierung des 
Duodenums von links her an Leichen und zweimal beim Menschen ge¬ 
macht hat. Sie greift vor allem dann Platz, wenn die möglichst hohe 
Anlegung der hinteren Gastroenterostomie auf Schwierigkeiten stösst. 
Das Vorgehen ist folgendes: Das Colon transversum wird nach oben ge¬ 
halten, die proximalen Jejunumschlingen nach rechts. Die Plica duo- 
deno-jejunalis und -mesocolica ist damit gespannt. Die obere Plica 
kann nun mit der Schere durchtrennt werden und die weitere Inzision 
des Peritoneums läuft vor dem aufsteigenden Duodenalabschnitt senk¬ 
recht naoh unten. Das zarte Peritonealblatt wird leicht naoh aussen 
abgeschoben und der Duodenalabschnitt durch stumpfe Lösung des 
retroperitonealen Bindegewebes von der Unterlage abgehoben. Jetzt 
kann das Duodenum mit dem zugehörigen Mesenterium, in dem Pan¬ 
kreasgewebe liegt, nach rechts emporgehoben werden. 

Langemark: Zur Befestigung des Verweilkatheten. (Zbl. f. Chir., 
1918, Nr. 12.) Der Katheter wird durch eine kleine Oeffnang in einem 
Stück Mull hindurohgezogen, welches seinerseits mit einer schmalen 
Binde an dem Penis befestigt wird. 

Johansson: Ein Fall von Splenektonie bei Anaemia pseide- 
leieaemica infantum. (Jaksch-Hayem.) (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 13.) 
Kasuistischer Beitrag einer Milzexstirpation, welche, wie die beigegebenen 
Photographien zeigen, einen ausgezeichneten Erfolg gehabt bat. 

_ Hayward. 


Röntgenologie. 

L. Drüner-Quierscheid: Die Fremdkörperoperation. Fortsetzung. 
(D. militärärzt. Zschr., 1918, H. 7—8.) II. Die Lagebestimmung 
und röntgenoskopische Operation. Der Krieg brachte Verein¬ 
fachung und Vereinheitlichung. Schilderung eines Verfahrens, das mit 
unwesentlichen Abweichungen wohl am meisten geübt wird. Es zerfallt 
in die Lagebestimmung, ihre Uebertragung auf den Körper und die 
röntgenoskopische Operation. Genauere Mitteilungen über die einzelnen 
Punkte mit Angabe von Beispielen und Beifügung von Bildern. 

_ Schnütgen. 


Augenheilkunde. 

E. v. Hippel-Göttingen: Weiterer Beitrag zur Kenntnis seltener 
tuberkulöser Erkrankungen des Auges. (Graefe’s Arch., 1918, Bd.95, 
H. 3, S. 254.) 1. Ein weiterer F’all proliferierender Uveitis, wahrschein¬ 

lich tuberkulöser Natur mit NetzbautablösuDg. 13jähriger Knabe. Auf 
1 mg Alttuberkulin geringe Allgemeinersoheinungen. Diffuse Bronchitis, 
Bronchialdrüsentuberkulose? — Vor dem Aequator eine ringförmige Ge¬ 
webswucherung, die aus Epitheloiden, Riesenzellen, Lymphozyten und 
Plasmazellen besteht, Knotenbildung angedeutet, beschränkte Nekrose. 
2. Tuberkulöse Erkrankung der Linse. 40jährige Frau. Eine vom 
Pupillaranteil der Iris ausgehende Wucherung typisch tuberkulösen 
Granulationsgewebes umgibt die Linse und hat die Kapsel mehrfach durch¬ 
wachsen. 3. Ein Fall von tuberkulösem Hornhautgeschwür. Wo die 
Iris den Grund des Geschwürs bildet, ist ihr ein aus Epitheloidzellen 
und grossen Langhans’schen Riesenzellen zusammengesetztes Granu- 


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ÖO. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


483 


lationsgewebe aufgelagert, das mit dem nasalen Geschwürsrand in Zu¬ 
sammenhang steht. 

E. y. Hippel-Göttingen: Ueber Versuche mit Strahlenbehandlung 
am Ange. (Graefe’s Arch., 1918, Bd. 95, H. 3, S. 264.) Behandlung 
nach Axenfeld-Küpferle mit harten gefilterten Strahlen. Genaue 
Tabellen der Behandlungsart sind beigegeben. 1. Glioma retinae. — 
Erfolg nur vorübergehend. Reine Schädigung des vorderen Bulbus¬ 
abschnittes oder des Allgemeinzustandes. 2. Grosszelliges Rundzellen¬ 
sarkom der Orbita. — Für 37a Wochen erhebliche Besserung, dann rasch 
hochgradige Verschlimmerung. 3. Sarkom des Unterlides. — Rötliche, 
weiche, rasoh wachsende Geschwulst. Rasche Schrumpfung des Tumors. 
4. Adenokarzinom der Kieferhöhle mit Uebergang auf die Orbita. — 
Zwei Jahre hindurch Verkleinerung des Tumors, der sonst wohl ge¬ 
wachsen wäre. 5. Karzinom des unteren Lides mit Uebergang auf die 
Orbita. Exenteratio .orbitae. Nachbehandlung mit Röntgenbestrahlung. 
— Kein Rezidiv. 6. Karzinom über der Tränensackgegend, beide Lider 
ergreifend. — Heilung. 7. Karzinom des Unterlides mit Uebergang auf 
die Nase. Misserfolg der Behandlung. — Ein nach Operation aufgetretenes 
Rezidiv wurde bestrahlt. Nach 7 Sitzungen blieb Patient fort. 8. Epi- 
bulbäres Melanosarkom. — Völlige Heilung. Vorübergehend trat ober¬ 
flächliche Keratitis auf. Das Auge giDg, wahrscheinlich an hämorrhagi¬ 
schem Glaukom, das wohl nicht mit der Bestrahlung in Zusammenhang 
steht, zugrunde. 9. Hauthorn des Unterlides. — In 3 Bestrahlungen 
geheilt. 10. Tuberkulose der Gonjunotiva bulbi mit Uebergang auf den 
Lidrand. Völlige Heilung. — Es handelte sich um eine schwere Binde¬ 
hauttuberkulose. Andere Fälle werden gelegentlich erwähnt. Von In¬ 
teresse erscheint noch, dass bei einem als Sarkom aogesprochenen Tumor im 
inneren Augenwinkel, der bei Untersuchung eines probeexzidierten Stückes 
Bich als kavernöses Angiom mit auffallend derbem Bindegewebsbalken 
erwies, die Bestrahlung völlig versagte. 

E. Fuchs-Wien: Zur Anatomie des Staphyloma corneae. (Graefe’s 
Arch., 1918, Bd. 95, H. 3, S. 215.) Eingehende mikroskopische Unter¬ 
suchung. Die Arbeit behandelt 1. die Form des Irisvorfalls, 2. die 
histologischen Veränderungen der vorgefallenen Iris (Bindegewebsentwick- 
lung und degenerative Vorgänge im Narbengewebe). 3. Veränderungen 
der übrigen Teile des Auges, besonders eingehend die Atrophie und die 
Pigmentierung der Netzhaut, die den gleichen anatomischen Befund 
liefert wie die primäre Pigmententartung (Retinitis pigmentosa). Die 
Exkavation des Sehnervenkopfes ist häufig kombiniert mit einer Ver¬ 
ziehung des Skleralkanals, die ganz der bei Myopie gleicht. F. nimmt 
für diese Verziehung bei Staphylom wie bei hochgradiger Myopie als 
Ursache die Dehnung der Augenhäute am hinteren Pol an und hält 
somit die Annahme angeborener Abnormitäten der Augenhäute am Seh¬ 
nervenrande für überflüssig. 

L. Koeppe-Halle a. S.: Die Theorie, Apparatur oad Aiwendanga- 
technik der SpaltlaBpenantersnehDng des Aagenhintergrandes im 
fokaien Licht. (Graefe’s Arch., 1918, Bd. 95, H. 8, S. 282.) Nach 
Ueberwindung vieler Schwierigkeiten ist es Verf. gelungen, einen Apparat 
herzustellen, mit Hilfe dessen der lebende Augenhintergrund bei 45-, 
(55- und 85facher Linearvergrösserung untersuefit werden kann. Das 
«der Untersuchungsmethode zugängliche Gebiet ist ein ungefähr kreis¬ 
förmiger Bezirk, mit der Fovea als Mittelpunkt und dem zwei- bis drei¬ 
fachen Papillendurchmesser als Radius. Voraussichtlich wird durch Be¬ 
nutzung des rotfreien Lichtes (Vogt) noch eine weitergehende Auflösung 
histologischer Einzelheiten des lebenden Hintergrundes möglich werden. 

Ginsberg. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Mink: Die respiratorischen Bewegnngen des Kehlkopfes. (Arch. 
f. Laryng., Bd. 31, H. 1 u* 2.) Fortsetzung der in Bd. 80, H. 3 mit¬ 
geteilten Untersuchungen, und wie diese nur für den Facharzt und 
Physiologen von Interesse. 

Gerber: Ueber die sogenannte tüberkultise Perichondritis des 
Kehldeckels. (Arch. f. Laryng., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Verf. zeigt an 
der Hand zahlreicher mikroskopischer Präparate, dass es sich bei der 
häufig auftretenden, sogenannten tuberkulösen Perichondritis des Kehl¬ 
deckels — wulstartigo, starre Verdickung der Epiglottis — mit und 
ohne Substanzdefekt zumeist nur um eine Erkrankung der Mukosa und 
Submukosa handelt, während der Knorpel selbst gewöhnlich frei bleibt. 

Lund: Ueber die Arterien der Tonsille. (Arch. f. Laryng., 
Bd. 31, H. 1 u. 2.) Die bei Tonsillektomie vorkommende arterielle 
Blutung wird praktisch gesprochen immer duroh eine Läsion der kleineren, 
in oder innerhalb des Musculus constrictor superior gelagerten Arterien¬ 
zweige oder durch eine Läsion der in der Muskulatur der Gaumenbögen 
gelagerten Zweige oder schliesslich durch eine Läsion der den Tonsillen 
zuführenden Zweige bedingt s(in. Die Arteria tonsillaris entsprang in 
der weit überwiegenden Zahl der untersuchten Präparate (17 mal unter 20) 
von der Arteria palatina ascendens, die wieder am häufigsten von der 
Maxillaris externa entstammte. Eine Verletzung des Gaumenbogens ist 
verhältnismässig bedeutungslos. (So dankenswert diese Untersuchungen 
sind, so ist doch selbst die genaueste Kenntnis der anatomischen Ver¬ 
hältnisse nioht imstande, schweren Blutungen mit Sicherheit vorzubeugen. 
Auch wenn wir von der gewiss nur seltenen Verletzung der A. lingualis 
und von dem Eindringen des Messers in die die Mandel umgebenden 
Müskelsohiohten absehen, das Gefährliche bei der Tonsillektomie ist eben 
der so häufig atypische Ursprung und Verlauf der Tonsillararterien, 


gegen den keine Vorsicht, auch die vorherige Palpation, einen aus¬ 
reichenden Schutz gewährt. 

Pfeifer: Klinische Studie an Diphtheriebazillenträgern und deren 
Behandlung. (Arch. f. Laryng., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Die wichtigsten 
Schlussfolgerungen seiner Beobachtungen fasst Verf. folgendermaassen 
zusammen: Die Behandlung der Diphtheriekeimträger mitunterchloriger 
Säure (Sanoflüssigkeit) durch Inhalation fein zerstäubter Nebel und duroh 
örtliche Anwendung des Mittels im Bereich der oberen Luftwege hat 
gezeigt, dass in einer Anzahl der Fälle ein günstiger Einfluss auf das 
Verschwinden der Diphtheriebazillen festzustelien war. Eine Sicherheit 
des Erfolges war bei der Konzentration des „Sano“, wie Verf. sie ver¬ 
wandte, nicht gewährleistet. Irgendwelche Schädigung durch die An¬ 
wendung der Sanoflüssigkeit kam nicht vor. Die Lokalbehandlung der 
Tonsillen und der Nasen-Rachenhöhle mit Yatren, Providoform, Argentum 
nitricum, Kollargol, Jod-Jodkali-Glyzerinlösung, Bolus alba usw. hat 
sich als unwirksam erwiesen. Dagegen haben Versuche mit Eukupin 
günstige Aussichten eröffnet. Eine Serie von 30 Dauerausscheidern, 
welche damit behandelt wurden, hat in relativ kurzer Zeit die Diphtherie¬ 
bazillen verloren und' zwar 24 nach zwei Wochen, vier nach drei Wochen, 
und zwei nach vier Wochen Behandlung. P. habe mehrfach operative 
Maassnahmen zu Hilfe genommen und damit sowohl bei klinisch ge¬ 
heilten Keimträgern wie bei solchen, welche an konsekutiven Erscheinungen 
von Diphtherie litten, duroh Adenotomie, Tonsillotomie und Tonsillektomie 
günstige Erfolge erzielt. Wunddiphtherie hat er bei diesen operativen 
Eingriffen in keinem Fall erlebt. Die sogenannten postdiphtherischen 
Lähmungen bei Polyneuritiden sind wenigstens in einem Teil der Fälle 
nicht als postdiphtherische, sondern als diphtherisohe Symptome aufzu¬ 
fassen, insofern diese mit dem Fortbestehen von Bazillenherden im 
Organismus in Beziehung zu bringen sind. 

* Lugaard: Aus Hypophysengewebe bestehender retropharyngealer 
Tumor. (Arch. f. Laryng., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Der Verf. beriohtet über 
einen ganz eigenartigen, apfelgrossen Tumor der hinteren Rachenwand, 
der sich bei mikroskopischer Untersuchung als von der Pharynx-Hypophyse 
ausgehend erwies. Nach seitlicher Eröffnung des Rachens wurde er ohne 
Schwierigkeit und Blutung ausgeheilt. 

Z. Hofer: Betrachtungen über die Arbeiten von Ernst Oppikofer, 
Burckhardt usw. behandeln die Stellung des Coecobaeillas foetidus 
ozaenae zur gemeinen Ozaena. (Arch. f: Laryng., Bd. 31, H. 1 u. 2.) 
Eine Kritik der Arbeiten von Oppikofer, Burckhardt, Neufeld 
und Salomonsen, die sich in absprechender Weise über die Bedeutung 
des Peres’schen Coccobacillus foetidus ozaenae geäussert haben, Hofer 
hält seine früheren Anschauungen, dass die Ozaena eine Infektionskrank¬ 
heit sei, die durch den Perez’schen Kokkobazillus hervorgerufen wurde, 
in vollem Umfange aufrecht und verweist auf seine und Koffler’s Mit¬ 
teilung, laut weloher sie einige Fälle von typisoher Ozaena durch ihre 
Serumbehandlung unter ihren Augen symptomatisoh vollständig ausheilen 
konnten. 

Amersbach: Untersuchungen über die ätiologische und thera¬ 
peutische Bedeutung des Coccobacillns foetidus ozaeiae Peres Hofer. 
(Arch. f. Laryng., Bd. 31, H. 1 u. 2.) In einer sehr ausiührlioben 
Arbeit, die sich auf die klinische Beobachtung zahlreicher Fälle, auf 
Tierversuche und die histologische Untersuchung der gewonnenen Prä¬ 
parate stützt, kommt Verf. zu folgenden Schlussfolgerungen: Duroh die 
von Hofer hergestellte polyvalente Vakzine des Coccobacillus foetidus 
ozaenae Perez kann bei genuiner Ozaena des Menschen mehr oder 
minder weitgehende Besserung erzielt werden. Gleiche Erfolge lassen 
sich aber auch mit anderer Vakzine, speziell mit Friedländer-Vakzine 
hervorrufen, eine Tatsache, die im Einklang mit den Behandlungs- 
orgebnissen zahlreicher anderer Vakzineapplikatkmen bei genuiner Ozaena 
steht und gegen eine spezifische Wirkung der Hofer’schon Vakzine spricht. 
Beim Kaninohen kann unter Umständen der Perez Hofer-Bazillus einen 
eitrigen Katarrh der Nase mit Atrophie der vorderen Muschel erzeugen. 
Das Charakteristikum dieser Atrophie ist der primäre Schwund des 
knöchernen Gerüstes der vorderen Muschel. Durchaus die gleichen 
Veränderungen werden aber auch durch andere Eitererreger, zum 
mindesten durch den Kolibazillus und den Bacillus pyogenes bovis 
hervorgerufen. Diese duroh den Perez-Bazillus verursachte Nasen¬ 
erkrankung hat mit der genuinen Ozaena des Menschen nichts zu tun, 
denn es fehlen ihr auch deren Kardinalsymptome, Fötor und Borken¬ 
bildung. Das Kaninchen ist an sich wegen des von der menschlichen 
unteren Muschel verschiedenen Aufbaues seiner vorderen Nasenmuschel 
als Versuchstier nicht geeignet. 

Kuttner: Ueber den augenblicklichen Stand der Ozaenafrage. 
Lautensohläger: Neue Erkenntnisse in der Ozaenafrage. (Arch. f. 
Laryng., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Einleitende Referate über das Wesen der 
Ozaena, die am 26. Januar 1917 in der laryngologischen Gesellsohft zu 
Berlin gehalten wurden, und an die sich eine längere Besprechung unter 
lebhafter Beteiligung der Mitglieder der Gesellschaft anschloss. Das Er¬ 
gebnis der Erörterung war folgendes: Alle die ozaenaartigen Nasen¬ 
erkrankungen, die auf Lues, Tuberkulose, Lepra, Fremdkörper, Neben¬ 
höhlenerkrankungen usw. zurückzuführen sind, sind prinzipiell von der 
Ozaena genuina zu trennen. Die Aetiologie der genuinen Ozaena ist unauf¬ 
geklärt; die bisherigen Erklärungsversuche erleichtern im besten Falle 
das Verständnis einzelner Teilerscheinungen, über das Wesen der Ozaena 
aber geben sie keine Aufklärung. Die genuine Ozaena im Kindesalter 
ist äusserst selten, im Greisenalter unbekannt. Ueber die allmähliche 
Entwicklung der Ozaenaerkrankung, ebenso wie über ihre Rückbildung 


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484 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20. 


liegen zuverlässige klinische Beobachtungen nicht vor. Eine übermässige 
chirurgische Erweiterung der Nasenhöhle veranlasst Atrophie der Schleim¬ 
häute und ein zähes, zur Eintrocknung neigendes Sekret, aber keine 
Ozaena. In engen Nasen tritt die Ozaena ebenso stark auf wie in 
weiten. Ueber die Frage, ob die genuine Ozaena einseitig auftritt, 
weiter über die Frage, ob der charakteristische Ozaenageruch auf einen 
spezifischen Bazillus oder auf eine besondere Zusammensetzung des 
Ozaenasekretes zurückzuführen ist, waren die Ansichten geteilt. Die 
Spezifität des Perez’schen Kokkobazillus wird iür im höchsten Grade 
unwahrscheinlich gehalten. Lauten Schläger glaubt, dass nutritive 
Veränderungen im knorpligen und knöchernen Stützgewebe der Nase in¬ 
folge von langdauernden chronischen Rhinitiden den entscheidenden 
Einfluss ausüben. 

Lautenschläger: Operative Behandlung atrophischer Zostände 
im Naseninnern. (Arcb. f. Laryng., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Der Verf. 
schildert das von ihm geübte Verfahren mit folgenden Worten: Nach 
Fortnahme des grössten Teiles der fazialen Wand der Kieferhöhle und 
nach Ausräumung ihres erkrankten Inhaltes wird von der geöffneten 
Höhle aus unter sorgfältiger Schonung der Nasenschleimhaut in die 
Knochenplatte der lateralen Nasenwand mit Meissei und Stanze dicht 
am Nasenboden eine 3—4 cm lange, schmale Lücke geschlagen, die 
dicht an die Apertura piriformis heranreicht. Diese Lücke wird vorne 
verbreitert, bis ein etwa daumennagelgrosses Stück Schleimhaut zutage 
liegt. Nun erst wird die Nasenhöhle geöffnet, indem aus der zutage 
liegenden Schleimhaut durch UmschneiduDg ein Lappen gebildet wird, 
der seine Basis am Nasenboden hat und, in die Kieferhöhle geschlagen, 
den vordersten Teil ihres Bodens bedeckt. Die untere Muschel erscheint 
nun in der neu gebildeten Lücke, sie bleibt ebenso wie ihr Ansatz intakt. 
Nun wird mit vorsichtig stärker werdendem Fingerdruck die laterale 
Nasenwand, soweit sie zu mobilisieren ist, ins Naseninnere verlegt, wo¬ 
bei die Wirkung des Druckes mit dem Nasenspiegel kontrolliert wkd. 
Das Gebiet der mittleren Muschel wird, je nach der Weite der Nase, in 
die Verlagerung einbezogen, doch muss man sioh hüten, die Schleimhaut 
zu sprengen oder Teile aus ihrem Zusammenhang zu reissen. Der untere 
Nasengang darf so eng werden, dass die untere Muschel das Septum 
berührt. In dieser Lage wird sie durch Tamponade erhalten. Es gelang, 
auf diese Weise atrophische und ozäuöse Nasen auszuheilen. Die Erfolge 
des Verfahrens liegen einerseits in der Verengung des grössten Teiles 
des Naseninnern und deren segensreichen Wirkung auf die Schleimhaut¬ 
zirkulation und auf die Einschränkung der Feuchtigkeitsverdunstung, 
andererseits in der Vergrösserung der Schleimhautoberfläche, der dem 
Patienten zurüokgegebenen Möglichkeit, die Nase auszuschnauben, und 
in dem Umstande, dass die eingeatmete Luft infolge der in die Höbe 
gestellten unteren Muschel und eigenartig verlagerten und modellierten 
lateralen Nasenwand gezwungen ist, über die um den weiten Raum der 
Kieferhöhle vergrösserte Schleimhautfläche zu streichen und sich dabei 
mit Feuchtigkeit zu beladen. Die Kieferhöhle ist durch das Verfahren 
zu einer zweiten Nasenhöhle geworden. A. Kuttner. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 27. März 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Israel. 

Vorsitzender: Es ist ein Dankschreiben von Herrn Davidsohn 
im Anschluss an die Glückwünsche eingegangen, die wir ihm zur Voll¬ 
endung seines 70. Lebensjahres dargebracht haben. 

Im Anschluss daran folge ich einem Wunsche des Vorstandes und 
Ausschusses, indem ich der Gesellschaft von Beratungen Mitteilung maohe, 
die im Vorstand und Ausschuss heute vor acht Tagen stattgefunden 
haben. Es war an mich ein Schreiben vom Aerzteausschuss Gross-Berlin, 
gezeichnet Moll, eingegangen, in dem mitgeteilt wurde, dass zu Ehren 
des Herrn Davidsohn eine Stiftung für Hinterbliebene von Aerzten 
geplant sei. Ich wurde aufgefordert, dahin zu wirken, dass auch die 
Medizinische Gesellschaft einen Beitrag zu dieser Stiftung leiste oler, 
falls da9 naoh den Satzungen nicht statthaft sei, dass ich mich dafür 
verwende, dass möglichst viele Mitglieder sich an der Stiftung beteiligen. 
Es war mir von vornherein nicht zweifelhaft, dass in der Tat die Satzungen 
der Medizinisohen Gesellschaft eine solche Beteiligung nicht gestatten. 
Um aber ganz sicher zu gehen, habe ich in einer Sitzung von Vorstand 
und Ausschuss die Frage zur Erörterung gestellt. Sie ist eingehend 
besprochen worden. Das Resultat war, dass bei der Abstimmung des 
Vorstandes sioh die Majorität dafür ausgesprochen hat, dass die Satzungen 
nicht gestatten, eine derartige Maassnahme zu treffen. 

Es sind jetzt eine Reihe von Jahren verflossen, seit die Gesellschaft 
eine Satzungsänderung vorgenommen hat, um damals und auch für die 
Zukunft steuerliche Vorteile zu gewinnen. Auf Verlangen der Behörde 
musste der § 1 unserer Satzungen dahin geändert werden, dass nur der 
wissenschaftliche Zweck der Gesellschaft stehen blieb, dass dagegen die 
Erhaltung eines kollegialen Verhältnisses und die Wahrung ärztlicher 


Standesinteressen gestrichen wurde. Dafür konnte in § 7 hinzugefügt 
werden: In den Sitzungen der Gesellschaft können auch die ideellen 
Interessen des Aerztestandes erörtert werden, — während wir streichen 
mussten: Standesfragen können in den wissenschaftlichen oder in be¬ 
sonderen Sitzungen verhandelt werden. Was unter diesen ideellen 
Interessen zu verstehen sei, das ergibt sich daraus, dass der Vorstand 
der Behörde die Versicherung hat geben müssen, dass früher keine Mittel 
der Gesellschaft für Standesinteressen verwandt worden sind und auch 
in Zukunft nicht verwandt werden würden. Wir waren sogar genötigt, 
die Rechnungen der drei letzten Jahre der Steuerbehörde einzuliefern, 
damit sie sioh überzeugen konnte, dass wir wirklich die Wahrheit gesagt 
hatten und wirklich keine Mittel der Gesellschaft zu Standesinteressen 
verwandt hatten. 

Danach war also klar, dass, wie die Statuten jetzt lauten, eine 
Beteiligung an dieser Stiftung unmöglich war. Es kam nun in Betracht 
die Bestimmung in den Nachträgen zu den ErgänzungsbestimmuDgen: 
Anträge über Gegenstände, welche ausserhalb der Statutenmässigen Auf¬ 
gaben liegen, werden von dem Vorstände ohne weiteres zurückgewiesen. 
Der Vorstand musste also in diesem Falle verzichten, an dieser Stiftung 
teilzunehmen. Er bedauert das sehr und würde sich ebenso, wie der 
Ausschuss in hohem Grade freuen, wenn recht viele Mitglieder der 
Medizinischen Gesellschaft sich persönlich an dieser Stiftung beteiligen 
wollten; denn die Not unter den Hinterbliebenen von Aerzten ist in 
der Tat gross. Ich weiss das persönlich von den Hufeland T schen 
Stiftungen für Aerzte und Arztwitwen, die bei der Medizinalabteilung 
des Ministeriums des Innern verwaltet werden, und zu deren Direktorium 
ich gehöre. Wir haben erst vor kurzem die Bezüge für die Witwen von 
neuem erhöht, weil immer neue Anträge an uns kamen und wir aus den 
Belegen ersahen, wie gross die Not ist. Wir sind noch einen Schritt 
weiter gegangen und haben 10000 Mk. für Hinterbliebene von Aerzten 
bestimmt, die kein satzungsgemässes Recht haben, aus den Hufe- 
land’schen Stiftungen eine Unterstützung zu bekommen. Es kann sich 
dabei natürlich nur um eine einmalige Unterstützung handeln, und es 
ist deshalb besser und würdiger, wenn notleidende Aerzte und notleidende 
Arztwitwen und Hinterbliebene ein Recht auf Unterstützung haben. Es 
kann deshalb den preussischen Aerzten nur ans Herz gelegt werden, 
dass sie sich möglichst alle an den Hufeland’schen Stiftungen beteiligen. 
Die Beteiligung verlangt nur einen jährlichen Beitrag von 6 Mk., 3 Mk. 
für die Aerztekasse und 3 Mk. für die Witwenkasse. Wer sich nicht 
selber und seine Familie für die Zukunft sichern will, der trägt wenigstens 
dazu bei, die Not anderer zu lindern. Sämtliche Kreisärzte Preussens 
nehmen Meldungen zur Teilnahme an den Hufelandstiftungen an und 
nehmen die Jahresbeiträge entgegen. 

Es ist mir dann noch ein Schreiben von der Kölnischen Lebens¬ 
versicherung Konkordia zugegangen, welche eine Versicherung für Kriegs¬ 
anleihe eingerichtet hat und wünscht, das9 den Mitgliedern unserer 
Gesellschaft davon Kenntnis gegeben wird. Ich lege die Schriftstücke 
auf den Tisoh des Hauses nieder. 

Eines unserer Mitglieder, Herr Hans Röder, seit 1903 unser Mit¬ 
glied, hat als Regimentsarzt in treuer Pflichterfüllung im Kriege den 
Tod gefunden. Ich bitte Sie, sich zu seinen Ehren zu erheben. (Geschieht.) 

Tagesordnung. 

1. Hr. A. Weber (a. G.): 

Untersuchungen über den photographisch registrierten Venenpnls. 

(Erscheint unter den Orginalien dieser Woohenschrift) 

2. Hr. Ohm (a. G.): 

Vorzeigen photographischer Venenpnlsknrven mit diagnostischen 
Erläuterungen. 

Aussprache. * 

Hr. Schrumpf: Zeigt eine Anzahl von Orginalkurven, in denen die 
gleichzeitige Aufnahme von Carotispuls, Venenpuls, und Elektrokardio¬ 
gramm dargestellt wird. Der benutzte Apparat ist eine Kombination 
des Siemens und Halskeschen Schleifengalvanometers mit einer Modi¬ 
fikation des Frank’sohen Spiegelkymographion. Derselbe liefert mindestens 
ebenso gute Kurven wie die mit dem Ohm’schen Apparat aufgenommenen. 
Ausserdem bietet die Sch. als erstem gelungene gleichzeitige Registrierung 
des E. K. G. grosse Vorteile. Die von Ohm gegen die Venenpulsaufnabme 
mittelst Trichter und Lufttransmission gemachten Einwände sind nicht 
stichhaltig. Ausserdem lässt sich bei dyspnoischen Herzkranken die 
Ohm’sche Methode kaum anwenden (Rückenlage, Festschnallen des 
Kopfes, Atemstillstand usw.). 

An über 2000 Kurven hat sich Sch.von der Richtigkeit der Ohm’schen 
Methode der HerzfunktioDsprüfung aus dem Venenpuls nicht überzeugen 
können. Nimmt man den Venenpuls bei demselben Patienten an ver- 
schiedenen Stellen des Halses auf, so weichen die betreffenden Venen¬ 
pulskurven oft ganz wesentlich voneinander ab; das betrifft besonders 
die Länge des Abfalls der diastolischen Welle. Es ist daher grösste 
Vorsicht geboten bei der Beurteilung eines Herzens naoh dem Venenpuls. 
Nur bei ganz groben Störungen der Herzfunktion, bei starker Stauung 
im rechten Herzen, können, und auch da nicht immer, gewisse Ver¬ 
änderungen in der Form des Venenpulses mit Sicherheit nachgewiesen 
werden. Doch das sind Dinge, die schon lange vor den Arbeiten des 
Herrn Ohm bekannt waren und wenig praktisches Interesse haben. 

Die Auffassung von Herrn Ohm, der Zufluss aus der Jugularis hört 
mit dem Fusspunkt der diastolischen Welle auf, entspricht nicht den 


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20. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


485 


Tatsachen; es fliest Blut ganz selbstverständlich so lange aus der Vene 
in den Vorhof, bis letzterer seine Kontraktion beginnt. 

Hr. Rautenberg: loh muss in meinen Ausführungen in das 
historische Gebiet weit zurüokgreifen. Sie wissen, dass das klinische 
Studium des Venenpulses in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts eine 
grosse Förderung erfahren hat durch das Sammelwerk Mackenzie’s 
über den Venenpuls und durch das gleichzeitige Interesse, das die 
Arythmien des Herzens erregten, deren Studium dann eben durch den 
Venenpuls sehr gefördert wurden. Manche Zweifel und Streitfragen über 
die Natur des Venenpulses brachten mich im Jahre 1906 auf den Gedanken 
zur Schlichtung dieser Streitfragen, den Vorhofpuls des Menschen zu 
studieren, und zwar durch Registrierung vom Oesophagus aus 
(linker Vorhof). Von den Physiologen waren diese Fragen schon mehr¬ 
fach erörtert (Chauveau und Marey, Frödöricq). Im Jahre 1910 
waren meine Studien beendet, und ich zeige Ihnen hier eine Reihe von 
Kurven vom Menschen und Hunde. Sie sehen, dass sich an diesem Vor¬ 
hofpulse die Vorhofsystole durch eine Welle (a s) zeichnet, im Momente 
der Kammersystole (v s) entstehen eine Reihe positiver und negativer 
Schwankungen, die gegen Ende der Systole in einen Anstieg übergehen 
(= grösste Füllung des Vorbofes). Auf der Höbe dieses Anstieges erleidet 
die Kurve bei D (Beginn der Kammerdiastole, Oeffnung der Segelklappen) 
einen steilen Abfall, der das Ausströmen des Blutes aus dem Vorhof 
in die Kammer kennzeichnet. Dann folgt eine langsame diastolische 
Füllung des Vorhofes, und nun beginnt das Spiel von neuem. — Die 
gleichzeitige Aufnahme der Herztöne nach der Weiss’achen oder 
Frank’schen .Methode (in Kurven) bekräftigt diese meine Deutungen. 
Der erste Ton fällt mit vs zusammen, der zweite Ton liegt kurz vor D. 
— Sie sehen also hier im Vorbofpulse drei typische Wellen, deren Ab¬ 
bild im Venenpulse erkennbar ist, nämlich 1. as als a-Welle, 2. vs als 
o-Welle mit folgender systolischer Senkung und 3. die zweite in die Zeit 
der Kammersystole fallende Welle, deren Höhepunkt D den Beginn der 
Kammerdiastole anzeigt als 3. Venen welle, als v- Welle. Dementsprechend 
sind also die drei Venenwellen zu deuten. — Die Annahme Ohm’s, dass 
die dritte Venenwelle (v) diastolisch sei, ist also längst widerlegt. 
Ihr Anstieg ist systolisch, ihr Abfall diastolisch. — In jedem 
Falle habe ich das Reoht zu sagen, dass man sich bei theoretischen 
Deutungen des Venenpulses an die Resultate der Erfordung des Vorhofes 
halte, was ich bisher bei Herrn Ohm vermisse. 

Die gleichzeitige Aufnahme von Venenpuls und Vorhofpuls (in Kurven 
von Mensch und Tier) zeigt nun, dass diese im Vorbofe entstehenden 
Schwankungen sich in eigentümlicher Weise verschieden schnell im 
Veneopulse bemerkbar machen. Die a-Welle gelangt am schnellsten 
zur Darstellung, die v-Welle am langsamsten. Die Ursache dieser 
Erscheinung ist noch unklar. Jedenfalls ist der Veneupuls aus diesem 
Grunde nicht als zuverlässiger zeitlicher Registrator von der Dauer der 
Herzbewegungen anzusehen. 

Was nun aber die weiteren Versuche betrifft, aus den Formen und 
kleineren Zacken des Venenpulses so tiefgehende und detaillierte 
Schlüsse zu ziehen, wie z. B. Ohm es tat, so kann ich nur, ebenso 
wie Herr Shrumpf, davor warnen. loh wiederhole daher die Schluss¬ 
sätze einer meiner Arbeiten (D.m.W. 1913, Nr. 22): 

„Im Gegensatz zu Ohm habe ich zu meinen Vorhofstudien darauf 
hingewiesen, dass die Formen des Vorhofpulses, besonders im systolischen 
Teil zu wenig gesetzmässig und bei den verschiedenen Individuen zu 
ungleicbmässig sind, und habe ebenso wie Edens weiterhin gezeigt, dass 
diese Formen des Vorbofpulses sich auf dem Wege zur Juguiarvene noch 
verändern und verschieben, wie es dann auch bekannt ist, dass sie auch 
durch Körperhaltung, Lagerung usw. beeinflusst werden. So kann ich 
vor solcher detaillierter Beurteilung der Venenzellen nur warnen, ebenso 
wie Edens, der daran erinnert, dass naoh 0. Frank das Venensystem 
mit einem schlechten Manometer zu vergleichen ist.“ 

Hr. Kraus: warnt vor der Unterschätzung des Venenpulses 
für die funktionelle Kreislaufsdiagnostik. Voraussetzung ist selbst¬ 
verständlich eine Methode, welche unzweideutige Kurven liefert. Man 
darf aber die vermeintlichen und wirklichen methodischen Schwierigkeiten 
nicht übertreiben. Die Pulsdikrotie z. B. kann graphisch sehr verschieden 
zum Ausdruck gebracht werden, je nach der Registrierungsweise. Trotz¬ 
dem ist natürlich die Dikrotie etwas Typisches und für die Diagnostik 
Verwertbares. 

Hauptsache ist, dass man nicht von jeder einzelnen Methode, mit 
der wir den Kreislauf untersuchen, direkte ausschlaggebende Anzeigen 
über eine gute oder sohlechte Beschaffenheit des Herzens selbst in jeder 
Hinsicht verlangt. Mit jeder Methode lassen sich bloss einzelne Momente 
der Zirkulation beurteilen. 

Die charakteristischen Teile eines gut registrierten Venenpulses sind 
der systolische und der diastolische Kollaps. Ueber die Ursachen der¬ 
selben sind wir genügend aufgeklärt. Veränderungen dieser Kurven¬ 
abschnitte weisen auf Abweichungen der Vorgänge hin, welche den 
systolischen und diastolischen Venenkollaps bedingen. Ein anderer 
funktionell-diagnostischer Sohluss ist natürlich nicht möglich, aber auch 
von Ohm und Weber nicht beabsichtigt. Das Elektrokardiogramm und 
selbst das Aortenminutenvolumen sagen ebenfalls nur über Einzeldinge 
der Zirkulation etwas aus. 

Hr. Hans Kohn: Wenn ich mir zu den eben gehörten Vorträgen 
das Wort gestatte, so geschieht es, um in einer grundsätzlichen Frage 
einem Bedenken Ausdruck zu geben, das sich mir beim Studium der 
Literatur und ebenso beim Anhören der heutigen Vorträge immer wieder 


aufdrängt. Vielleicht sind die Herren Vortragenden imstande, es zu 
zerstreuen. 

Herr Weber hat auseinandergesetzt, dass Herr Ohm, gleichwie 
früher schon Mackenzie und Frödöricq den Venenpuls als Abbild 
des im Vorhof herrschenden Druckes betrachte — Herr Ohm spricht 
in seiner Monographie geradezu von einem Manometer — dass er (Weber) 
selbst sich aber Wenckebach anschliesse, der den Venenpuls aus 
Ausdruck der grösseren oder geringeren Füllung der Vene betrachte, 
also in der Venenpulskurve eine Volum kurve erblicke. Inzwischen hat 
Herr Ohm, wie wir heutabend von ihm hörten, seine Ansicht zugunsten 
der Wenokebaoh’schen Lehre aufgegeben. 

Gerade hier setzt mein Bedenken ein. Es richtet sich nicht gegen 
die Auffassung des Venenpulses als einer Volumskurve überhaupt, aber 
ich habe beim Lesen der einschlägigen Arbeiten immer den Eindruck — 
ich drücke mich absichtlich so bescheiden aus — als ob hier oft zwei 
Begriffe neben- und durcheinander gebraucht würden, die auseinander¬ 
gehalten werden müssen, nämlich der Begriff der Wellenbewegung 
und der der Strömung oder mit anderen Worten der Begriff der Teilchen¬ 
bewegung und der der Massenbewegung. 

Bei einer Wellenbewegung schwingen, wenn ich die Herren, die sich 
mit diesen Dingen weniger beschäftigen, daran erinnern darf, die Teilchen 
der Flüssigkeit ohne eine dauernde Ortsverändernng. Was bei ihr fort¬ 
wandert, ist nur der Bewegungsvorgang, der der Schwingung. Bei einer 
Strömung und ähnliches wird für eine das Volumen ändernde Stauung 
gelten, tritt eine Ortsverändernng der ganzen Flüssigkeit ein. Entsprechend 
diesem Wesensunterscbied ist auch der Unterschied in der Fortpflanzungs- 
gesohwindigkeit. Die Strömungsgeschwindigkeit z. B. in der Aorta 
beträgt etwa 36 cm, in der Karotis etwa 26 cm (Vierordt), die Fort¬ 
pflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle in den Arterien aber 
durchschnittlich 900 cm. Mag letztere in den Venen wegen ihrer 
schlaffen Wandung auch geringer sein, so ist sie doch, wie ich meinen 
sollte, eine sehr viel grössere als die Strömungsgeschwindigkeit des in 
den Venen langsam fliessenden Blutes. Nun ist die Stauung, und darum 
handelt es sich beim Venenpuls — wenigstens bei der a oder prä¬ 
systolischen Welle, von der wir jetzt einmal der Einfachheit halber bloss 
sprechen wollen — zwar nicht gleich der Strömung zu setzen, aber sie 
steht doch sicherlich in einem bestimmten zahlenmässigen Verhältnis 
zu ihr, sie ist auch eine Massenbewegung und keine blosse Teilchen¬ 
bewegung. 

Herr Weber berechnet die Zeit, die für die a-Welle nötig ist, um 
sich zum Vorhofseingang bis zum Bulbus ven. jug. fortzupflanzen, auf 
etwa V 20 Sekunde. Diese Zeit scheint mir aber nur auszureichen für 
die Fortpflanzung der eigentlichen Welle; ob sie auch für die von unten 
nach oben fortschreitende stärkere Füllung der Vene bei der Stauung, 
für die Ma&senverscbiebung ausreicht, erscheint fraglich. Ich weiss 
nicht, wie lange eine solche „Stauwelle", wie man sioh wohl uneigentlich 
auch ausdrückt, bei gegebener Strömungsgeschwindigkeit zu ihrer Aus¬ 
bildung nach rückwärts braucht, aber da sie eine Massenbewegung ist, 
muss doch wohl die Zeit länger sein als die, welche die eigentliche 
Welle nötig hat. Nimmt man für die Strömung in den Hohlvenen die 
von A. von Haller angegebene halbe Geschwindigkeit der Strömung 
in der Aorta an, also etwa 18 cm, die wir der Einfachheit halber auf 
20 cm abrunden wollen, und legen wir die von Weber für den Abstand 
Venenbulbus—Venenmündung angegebenen 20 (bis 25) cm zugrunde, 
so braucht das Blut hinwärts genau eine Sekunde. Wie lange 
es nun dauert, bis sioh die Stauung der am Vorhofseingang durch 
Kontraktion der Veneneintrittsstelle aufgehaltenen Flüssigkeit naoh rück¬ 
wärts bis zum Bulbus hin geltend macht, das weiss ioh nicht, aber ich 
sollte meinen, dass es jedenfalls länger dauere als Vso Sekunde, und 
dass diese Zeit keinesfalls gleichzusetzen sei der Zeit der Wellenfort¬ 
pflanzung. 

Ich stelle es mir so vor, dass durch die Hemmung des Blutstromes 
am sich kontrahierenden Vorhofseingang eine Welle erzeugt wird, die 
sich mit erheblioher Geschwindigkeit nach rückwärts in die Hohlvene 
und die Vena jugularis usw. fortpflanzt. Das ist eine Teilcbenbewegung. 
Gleichzeitig aber setzt infolge der gleichen Ursache die Stauung 
der Blutmasse ein, die um so mehr anwäcbst, je mehr Blut von rück¬ 
wärts nachströmt. Auch sie macht sich mit einer gewissen Geschwindig¬ 
keit peripherwärts geltend, doch muss sie langsamer sein als die erst¬ 
genannte, weil es sich jetzt um Massenwirknng handelt. Es spielen sich 
also Vorgänge ab ähnlich denen bei der Entstehung der Pulswelle und 
der Strömung des arteriellen Blutes, aber umgekehrt: statt der 
Beschleunigung ist Hemmung die Ursache der Welle und statt Strömung 
findet sioh Stauung. 

Beide Vorgänge, der der Welle und der der Stauung, bewirken 
eine Volumszunahme. Aber die eine, die mit der Welle verbundene, 
eilt mit der Geschwindigkeit einer Teilchenbewegung vorüber, die andere, 
durch Stauung erzeugte, ist als Massenbewegung langsamer, würde, wenn 
sich der Vorhof nicht so bald wieder öffnete, auch von längerer Dauer 
sein und würde dann wohl auch Als etwas Verschiedenes in die Er¬ 
scheinung treten. Wenn sich beide Vorgänge für gewöhnlich nicht 
trennen lassen — ich muss dies dahin gestellt sein lassen — so liegt 
dies wohl daran, dass die kurze Wegstrecke vom Vorhof zum Bulbus 
die Geschwindigkeitsdifferenz nicht deutlich in die Erscheinung treten lässt. 

Vielleicht ist dies der Grund, dass die beiden Vorgänge nicht ge¬ 
trennt werden. Herr Weber z. B. hat bei der vorerwähnten Ge¬ 
schwindigkeitsberechnung die erste Art der Volumszunahme im Auge. 
Aber dann spricht er wieder an anderen Stellen von Stauung und Ab- 


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UNIVERSITY OF IOWA 




486 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


fluss als Ursache der Volumszunahme, Herr Ohm vom Gefälle und be¬ 
sonders Wenokebaoh meint, wenn ich ihn recht verstehe, bei seinem 
bekannten instruktiven Beispiel in seinem Lehrbuch erst recht Volums- 
zunabme durch unmittelbare Ma-isenwirkung, wenn er mit dem Finger 
die Vene komprimiert. Wenn er aber dann auf die gestaute Vene klopft, 
so tritt die Welle im eigentlichen Sinne, die Teilchenbewegung, auf. 

So gehen für mein Verständnis die beiden Begriffe immer neben- 
und durcheinander. Aber ich wäre dankbar, wenn ich durch die Herren 
Vortragenden eines Besseren belehrt werden könnte. 

Hr. Rautenberg! Ich wollte nur Herrn Kraus erwidern, dass 
ioh nicht gesagt habe, dass man sich um den Venenpuls nioht kümmern 
solle, und dass ich ihn diskreditieren wolle. Ich habe gesagt: ich 
warne vor solcher detaillierter Beurteilung des Venenpulses. 

Hr. Ohm (Schlusswort): Ich möchte bemerken, das9 ioh mit meiner 
Methode einwandfreie und vor allen Dingen eindeutige Resultate be¬ 
komme. Dass mir im Gegensatz zu Herrn Schrumpf Ungleiohmässig- 
keiten bei der Registrierung nicht Vorkommen, liegt wohl daran, dass 
ich mich nicht der Lufttransmissionsmethode bediene, sondern des di¬ 
rekten Verfahrens, was prinzipiell etwas anderes ist. Ioh halte die 
Lufttransmission zur Registrierung des Venenpulses nicht für riohtig. 
Ich habe in meiner Monographie die Gründe hierfür genauer dargelegt. 

Nun hat Herr Schrumpf speziell darauf hinge wiesen, dass, wenn 
jemand presst, der Venenpuls sich ändert. Nun, pressen soll der Mensch 
natürlich nicht, er soll auch nicht atmen. Die Kurve soll im respira¬ 
torischen Stillstände aufgenommen werden. Man kann der Kurve die 
geringsten Atemschwankungen, vor allem auch das Pressen ansehen. 
Sie sehen hier eine solche Presskurve. Der Patient hat gepresst, ohne 
sich dessen bewusst zu sein. Die Presskurve steigt im ganzen etwas 
an, aber das beeinträchtigt die Deutung der Kurve nioht. Sie sehen 
trotzdem die einzelnen Schwankungen des Venenpulses in durchaus 
gleichmässiger Weise verlaufen; sie ändern sich nicht. 

Ioh kann nur nochmals betonen, dass ioh mit meiner Methode, die 
ein direktes photographisches Registrierverfahren darstellt, stets ein¬ 
deutige Resultate erhalten. 

Hr. A. Weber (Schlusswort): Ich möchte zunächst Herrn Schrumpf 
entgegnen, der bei verschiedener Stellung des Rezeptors ganz verschiedene 
Weilen und verschiedene Formen der Wellen bekommen hat, dass die¬ 
jenigen Veränderungen, die naoh meinem Dafürhalten besonders dia¬ 
gnostisch von Bedeutung sind, nämlioh der vorzeitige systolische Kollaps 
bestehen bleibt, ganz gleichgültig, ob .man den Rezeptor unmittelbar 
auf den Bulbus venae jugularis oder daneben aufsetzt oder etwas weiter 
naoh oben oder, nach unten. Ich habe mich selbstverständlich davon 
überzeugt, ob eine Verrüokung des Rezeptors prinzipiell den Venenpuls 
ändert. Ich habe bei sehr vielen Patienten eine Menge Kurven un¬ 
mittelbar hintereinander bei verschiedener Stellung des Venenrezeptors 
aufgenommen und habe allerdings gefunden, dass dann z. B. die Höhe 
der präsystolischen Welle sehr wechselnd gefunden wird. Ich habe 
auch den Abfall der diastolischen Welle von der Stellung des Rezeptors 
abhängig gefunden. Das ist auch ganz selbstverständlich. Je weiter 
ab von der Vene, um so weniger wird man den Abfall, die Senkung 
auf die Kurve bekommen. Man wird selbstverständlich das Optimum 
heraussuohen müssen, ganz genau so, wie man etwa bei der Aufzeich¬ 
nung des Radialispulses den Rezeptor auf- die Radialis selbst setzen 
muss. Aber die Vorzeitigkeit des systolischen Minimums kann man nioht 
herbeifübren oder dadurch wegbringen, dass man den Rezeptor nicht 
auf die richtige Stelle aufsetzt. Man kann, wenn man mit Schlauch 
und Trichter den Venenpuls autnimmt, allerdings sehr leicht falsche 
Wellen in die Kurve hinein bekommen, Wellen, die in der Vene über¬ 
haupt nioht vorhanden sind. Solche Wellen bekommt man ohne weiteres 
dann, wenn der Patient nicht ruhig liegen kann, wenn er atmet und 
der Schlauch in Schwankungen gerät. Jede Schwankung des Schlauches 
macht in der Venenkurve eine Welle. Deswegen halte ioh es nicht für 
glücklich, wenn man beim Sitzen des Patienten und noch dazu bei 
nioht angehaltener Atmung die Kurve zeiohnet. Es müssen dann Ent¬ 
stellungen in die Kurve hineinkommen. Jedes Pressen kann man, wie 
Herr Ohm schon betont hat, ohne weiteres an der Venenkurve ersehen. 
Beim Pressen schwillt die Vene an, und damit steigen die Fusspunkte 
der Venenkurve allmählioh an. 

Nun mochte ioh Herrn Kohn auf seine Frage antworten. Ich 
denke mir die Wellenbewegung in der Vene genau so, wie das Wencke- 
baoh sehr anschaulich geschildert hat. Er vergleicht den Venenpuls 
mit einem Bach in engem Bett, der rasch dahiüfliesst. Sowie der Bach 
etwa9 unterhalb der Beobachtungsstelle gestaut wird, sowie dort eine 
Hemmung eintritt, steigt der Wasserspiegel, und sozie der Abfluss 
durch irgendeinen Mechanismus erleichtert wird, fällt er. Das, was 
wir als Fortpfhnzungsgeschwindigkeit in der Vene berechnen, ist also 
tatsächlich nioht dasselbe wie die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der 
Arteriendruckwelle. 

Dadurch erklärt sich auch die von Herrn Rautenberg und von 
Edens gefundene Tatsache, da98 sich die verschiedenen Venen wellen 
mit verschiedener Geschwindigkeit fortzupflanzen scheinen. Physikalisch 
ist das eigentlich eine Unmöglichkeit. In ein und demselben System 
müssen sich Druckschwankungen selbstverständlich immer mit derselben 
Geschwindigkeit fortpflanzen. Nun schwankt ja eigentlich innerhalb 
der Vene der Druck etwas, aber nur um sehr gelinge Beträge. Da¬ 
gegen ist die Stauungswelle tatsächlich eine Massenbewegung. Diese 
Massenbewegung kann in demselben System natürlich mit ganz ver¬ 


Nr. 20. 


schieden *r Geschwindigkeit vor sich gehen. Es kommt eben darauf ap, 
ob die Stauung sehr intensiv oder nur gering ist. Staue ich einpn 
Baoh dadurch, dass ich durch ein Schleusenbrett den Abfluss vollkommen 
aufhebe, so wird sich bei gleichbleibendem Naofcfluss die Stauung natür¬ 
lich viel rascher fortpflanzen, als wenn ich das Staubrett nur ein wenig 
unter die Oberfläche hineinsenke, so dass nur eine geringe Abflu^s- 
behinderung eintritt. Es wird in der Venenpulskurve Massenbewegung, 
aber nicht die Druckfortpflanzung, bei der die Massen eigentlich gi*r 
nioht bewegt werden, registriert. 


Verein für wissenschaftliche Heilkunde zn Königsberg i. Pr. 

SitzuDg vom 11. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Winter. 

I. Demonstrationen: 

1. Hr. Blohmke-. a) Akite Labyriathitis. 

Bei einem 60jährigen Patienten traten am vierten Tage nach Ein¬ 
setzen einer rechtsseitigen akuten Mittelohreiterung plötzlich ohne be¬ 
sondere Temperatursteigerung deutliche Labyrintbsymptome auf: Er¬ 
bt echen, Ohrsausen, vollständiger Hörverlust rechts, Schwindelanfälle, 
rotatorischer Spontannystagmus naoh links, geringer auch naoh rechts, 
Vorbeizeigen der rechten Extremitäten naoh aussen, Fallneigung, Geh- 
abweiohung nach rechts. 

Durch die sofort vorgenommene einfache Aufmeisselung des Warzen¬ 
fortsatzes wurde die Labyrinthentzündung, die man als seröse Labyrinthitis 
deuten musste, wirksam beeinflusst; die Gleichgewichtsstörungen gingen 
in sechs Tagen vollständig zurück, objektiv verschwand der beiderseitige 
Spontannystagmus, die Hörfunktion blieb erloschen. 

Daran ansohliessend wird die Berechtigung der Frühantrotomie bei 
akuten Labyrinthitiden im Verlauf einer akuten Mittelohreiternng be¬ 
sprochen. 

b) Fremdkörper ia den Laftwtgea. Zur Entfernung eines Stimm¬ 
bandpolypen bei einem 64jährigen Patienten anästhesierte ein Laryngologe 
den Kehlkopf durch direktes B träufeln von Kokain vermittels einer ab¬ 
gebogenen Pinselspritze, an deren unterem Ende zur Befestigung des 
Ausführungsrohres ein mit einem Führungsring versehener, metallener 
Versohlussdeckel sasa. Durch Auskristallisieren von Kokain löste sich 
dieser Deckel und fiel in die Luftröhre. Im Röntgenbild liess er sieh 
in der linken Brustseite am Ansatz der dritten Rippe vor dem Pulmonal- 
Vorhofsbogen feststellen, im seitlichen lag er im Mittelfeld vor der 
Wirbelsäule. Extraktion des Fremdkörpers auf bronchoskopisohem 
Wege durch den Vortragenden. Wie sich aus der Länge des broncho- 
skopischen Rohres ergab — dasselbe war, von der oberen Zahnreihe ge¬ 
rechnet, 33 cm lang — sass der Versohlussdeckel im tiefsten Ende des 
linken Stammbronchu9. 

2. Hr. Falkeaheim: Eia Fall voi Mylödew. 

Das Kind wurde über ein Jahr mit Hypophysin behandelt und zeigt 
eine vollkommene Rückbildung der M.-Symptome. Jotzt weist es kaum 
noch Störungen auf, vor allem hat sich auch die Intelligenz weitgehend 
gebessert. Deutlich liess sioh der günstige Einfluss der spezifische* 
Therapie an der Rnochenkernbildung der Handwurzelknochen im Röntgen¬ 
bild studieren. Das Kind ist in dem einen Jahr 15 cm gewachsen. 

3. Hr. Pelx: Fall tob periodischer Lähmung. 

Beginn im 16. Lebensjahr; keine Familiarität, Anfälle beginnen 
meist mit heftigen Parästhesien, Gesicht- und Kopfmuskeln völlig frei; 
Haut- und Sehnenrefiexe fehlen; elektrisoh teils ungemein herabgesetzt, 
teils „Kadaverreaktion“. Sphinkteren frei. Monolymphozytose und 
Hyperleukozytose. Im Intervall ausser Abschwächung der Sehnenreflexe 
und Monolymphozytose nichts Pathologisches. 

Es gelang duroh subkutane Adrenalineinspritzung jedesmal 
mit experimenteller Sicherheit einen Anfall hervorzurufen, der völlig deja 
normalen glioh und viele Stunden bis zu dreiviertel Tag anhielt. PiW- 
karpin, Physostigmin und ähnliches hatten keinen Einfluss. 

II. Vorträge. 

1. Hr. Birch-Himbfeld: 

Die . Schädigung des Auges durch Licht und ihre Verhfitaug. 

Nach einleitenden Bemerkungen über das Verhalten der Spektren 
verschiedener Lichtquellen (ihre verschiedene Wellenlänge und Intensität*- 
Verteilung) und die Absorption der Strahlen in den Augenmedien be¬ 
spricht der Vortragende die durch Blendung des Auges hervorgerufenen 
Krankheitsbilder. Er unterscheidet besonders zwischen zwei verschiedenen 
Blendungsarten, die durch leuchtende und diejenige durch ultraviolette 
Strahlen, hebt aber hervor, dass bei manchen Blendungeu beide Strahlen- 
bezirke zugleich in Betracht kommen. Als reinsten Typus der Blendung 
durch leuchtende Strahlen schildert er die Schädigung des Auges durch 
Fixation des Sonnenballs bei Beobachtung von Sonnenfinsternissen, bei 
welcher ein absolutes zentrales Skotom, dem ein Exsndatherd der Ader¬ 
baut zu Grunde liegt, beobachtet wird. Hier finden sich die Ver¬ 
änderungen, wie Vortr. auch experimentell feststellen konnte, im Bereiche 
der äussersten Netzhautscbichten (Pgimentepithel, Zapfenschicht) in denen 
die leuchtenden Strahlen absorbiert werden. Auch peri- und parazentrale 
relative Skotome konnte er fast regelmässig nach Sonnenblendung fest- 
stelleo. Von anderen Blendungsskotomen der Netzhaut sind diejenigen 
bei Fliegern (Zade) und bei Kurzscblussblendung. zu erwähnen. Viel¬ 
leicht ist auch ein relativ farbenblinder Bezirk, den Vortr. an normalen 
Augen im inneren oberen Sektor des Gesichtsfeldes regelmässig nach- 


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Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 





20. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


487 


weisen konnte (bei zirkulärer Prüfung), als physiologisches Biendungs- 
Bkbfcom aufzufassen. Die Funktionsstörungen der Netzhaut, die sich 
unter dem Bilde der Erythropsie oder längerdauernden Farbenblindheit 
näbh Sobneeblendung äussern können, beruhen wohl ebenfalls in erster 
Linie auf Schädigung durch leuchtende Sonnenstrahlen. 

Im Gegensatz zu den leuchtenden Strahlen rufen die ultravioletten 
Strahlen, wie sie bei Schneeblendung, Blitz-, Kurzschlussblendung, 
Bindung bei elektrischem Sohweissen, an der Quecksilberdampflampe 
üh4r. auf das Auge einwirken, charakteristische entzündliche Veränderungen 
am vorderen Augenabschnitt hervor, die als Ophthalmia electrica be¬ 
zeichnet werden. Dringen ultraviolette Strahlen bis zur Netzhaut vor, 
was besonders naoh Entfernung der Linse möglich ist, dann werden sie 
in den innersten Netzhautschichten absorbiert und können die Chromatin¬ 
körper in den grossen Ganglienzellen völlig ausbleichen, bei intensiverer 
Einwirkung aber auch sohwere und dauernde Zellstörungen veranlassen, 
wie experimentelle Untersuchungen des Vortr. ergaben. Die Frage, ob 
es eine chronische Ophthalmia electrica gibt und ob dieser ähnliche., 
anatomische Veränderungen zu Grunde liegen wie der Conjunctivitis 
vernalis, wie man naoh experimentellen Untersuchungen des Vortr. ver¬ 
muten könnte, ist noch nicht zu entscheiden, doch glaubt Vortr., dass 
der Frühjahrskatarrh nicht einfach auf Lichtwirkung bezogen werden darf. 

Auch die Mitwirkung der Strahlen an der Entstehung des Alters¬ 
stares und der Kernsklerose der Linse hält der Vortr. für unbewiesen, 
während er bei dem Glasbläserkatarakt den ultravioletten Strahlen der 
Glasmasse eine wesentliche Bedeutung beimisst. 

Vortr. veranschaulicht die verschiedenartige Wirkung der Strahlen 
auf das Auge durch die Projektion von Abbildungen nach eigenen 
anatomischen Präparaten und wendet sich dann zur Besprechung der 
Sohutzmaas8regeln gegen Blendung. Er ist der .Ansicht, dass die Not¬ 
wendigkeit des Tragens von Schutzbrillen gegen Lichtschädigung vielfach 
übertrieben wird und dass das gesunde Auge nur unter besonderen 
Umständen (z. B. bei Skitouren, im Flugzeug, bei Fliegerbeobaohtung, 
bei elektrischem Sohweissen, beim Regulieren von Bogenlampen, bei 
Gletsoherwanderungen, beim Arbeiten an der Quecksilberdampflampe) 
einer Schutzbrille bedarf, die nicht nur das ultraviolette Licht bis etwa 
400 fi sondern zugleich auch einen grösseren Teil der leuchtenden Strahlen 
zurückhalten muss. (Hailauerglas, Enixanthos-Euphosglas, wenn es 
darauf ankommt, das Spektrum gleichmässig zu dämpfen, Zeiss-Umbral- 
gläser.) Die gebräuchlichen künstlichen Lichtquellen sind trotz ihres 
Gehaltes an kurzwelligen Strahlen für das Auge unschädlich, wenn sie 
so angebracht sind, dass der Glühfaden oder Flammenbogen nicht direkt 
fixiert werden kann, was durch Sohutzglocken oder Schirme leicht zu 
erreichen ist. Kranke Augen, deren natürliche Schutzmittel gegen eine 
Blendung der Netzhaut (Pupille, Linse) nicht oder ungenügend wirken, 
bedürfen des Schutzes durch geeignete Brillen. Hier sind graue Muschel- 
sohutzbrillen entschieden mehr zu empfehlen als die in Ostpreussen nooh 
vielfach gebräuchlichen blauen Brillen, die einen chemisch besonders 
wirksamen Teil der leuchtenden Strahlen durohlassen und Blaublindheit 
verursachen. _. , 

Diskussion. 

Hr. Pick: Für die Wahrscheinlichkeit des Einflusses der Strahlen¬ 
wirkung auf die Entstehung des Altersstares spricht die Tatsache, dass 
in Indien eine grosse Zahl von Menschen sohon im Alter von 40 Jahren 
an Alterskatarakt erkrankt. 

Hr. Biroh-Hirsohfeld bezweifelt, dass diese Beobachtung ohne 
weiteres der Liohtwirkung zugeschrieben werden muss, und betont, dass 
d$bei auch andere Faktoren mitspreohen können. 

2. Hr. Büttner: 

Heber erhöhten Zerebrospinaldrnek bei Polyzythämie, seine Ent¬ 
stehung, seine klinische und therapeutische Bedeutung. 

Bei zwei Fällen von Polyzythämie, einen primären (Mischform) und 
eflnen sekundären Fall (angeborene Pulmonalstenose und Trikuspidalendo- 
karditis), die unter sehr starken, zeitweise bis zur Unerträglichkeit sioh 
steigernden Kopfschmerzen zu leiden hatten, fand sich ein ausserordentlich 
hoher Zerebrospinaldrnek (510 mm resp. 570 mm Wasser naoh Quincke 
— Ansatzschlauch und Steigrohr des Lumbalbestecka — etwa 7 ccm 
Flüssigkeit fassend — leer). Bei der Sektion zeigten beide Fälle sehr 
ausgeprägte Stauungsorgane. Das Gehirn ist auffallend blutreich, von 
sehr fester Konsistenz, die Hirnhöhlen sind dagegen nur mässig erweitert. 
Für die Entstehung der Zerebrospinaldrucksteigerung kommt, da lokale 
Ursachen nicht vorliegen, abgesehen von Störungen der Beziehungen 
zwischen Sekretion und Resorption und von Blutdruckwirkung (bei einem 
Patienten) vor allem venöse Stauung in Betracht. (Theorien.) 

Ein Aderlass von 500 ccm vermag bei Fall 2 den 
Zerebrospinaldrnek um 180 mm Wasser herabzumindern. 
(Spinalpunktion und Aderlass wurden hierzu gleichzeitig ausgeführt). 
Dieser doppelte Eingriff hat eine viel nachhaltigere Wirkung als Aderlass 
oder Spinalpunktion allein. Dieselbe hat wohl nur einen symptomatischen 
Wert. Bei einem Fall wurden auch die starken Kopfschmerzen, die wohl 
in der Hauptsache dem hohen Zerebrospinaldrnek zur Last zu legen 
sind, zeitweise auf herz- und blutdrucksteigernde Mittel gebessert. 
Intra vitam sind die Erscheinungen von seiten des hohen Zerebrospinal- 
drucks — abgesehen von den Kopfschmerzen bei beiden Fällen — ver¬ 
hältnismässig gering gewesen. 

(Die Originalarbeit, nach welcher der Vortrag verkürzt gehalten 
wurde, ist in der Münohner medizinischen Woohensohrift im Druck.) 

_ Riedel. 


Schlussbemerkungen zur Arbeit Schmitz’: 
„Nochmals über die Alkoholfestigkeit der 
Diphtherie- und Pseudodiphtheriebazillen“ in 
Nr. 13 dieser Wochenschrift 

Von 

Dr. H. Langer, zurzeit Bataillonsarzt. 

Aus äusseren Gründen ist es mir gegenwärtig unmöglich, nochmals 
ausführlich auf die Bemerkungen von Schmitz einzugehen. Es ist dies 
aber um so eher entbehrlich, als die Bemerkungen von Schmitz nur 
eine Wiederholung seiner früheren Auslührungen darstellen, so dass ich 
nur auf meine sachliche Entgegnung (Berl. klin. Wochenschr., 1918, Nr. 2) 
verweisen kann. Ich habe da gezeigt, dass auch mit den von Sohmitz 
geforderten Kriterien (Nachfärbung mit schwachen- Farben von Eosin) 
die völlige Entfärbbarkeit der Diphtheriebazillen festgestellt werden konnte. 

Wenn Schmitz sich nun auf die Arbeit von Burkhardt und 
Enriques beruft, so muss demgegenüber hervorgehoben werden, dass 
deren Resultate sioh von den von Sohmitz gewonnenen und auch den 
Resultaten von Münzberg unterscheiden, und es erscheint mir hier¬ 
durch wieder meine Annahme technischer Differenzen bestätigt. Der 
Arbeit von Münzberg entnimmt Sohmitz Zitate, die, aus dem Zu¬ 
sammenhang herausgelöst, ein falsches Bild von den Ergebnissen der 
zitierten Arbeit geben. Münzberg hat (ich muss aus dem Gedäohtnis 
zitieren) bei Diphtheriebazillen nie Ausnahmen gefunden, bei Pseudo¬ 
diphtheriebazillen nur in 3 Fällen. Leider konnte Herr Münz borg 
meiner Bitte um Ueberlassung dieser 8 Stämme nicht entsprechen, da 
sie inzwischen eingegaDgen waren. Trotz der Anschauungen von Herrn 
Schmitz bleiben für mich die prinzipiellen Unterschiede der Alkohol¬ 
festigkeit bewiesen. Die Schärfe der Kontraste ist mir bei vielfachen 
Demonstrationen von objektiven Beobachtern stets bestätigt worden. 
Die theoretische Bedeutung der Alkoholfestigkeit, von der Aufschlüsse 
über die Stellung der experimentell abgewandelten Diphtheriebazillen 
erwartet werden können, muss jedenfalls Gegenstand weiterer Unter¬ 
suchungen sein und erledigt sich nicht durch Diskussionsbemerkungen. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 15. Mai demonstrierte 
vor der Tagesordnung Herr Esser (a. G.) Fälle von plastischer Ptosis- 
operation. Darauf hielt Herr S. Bergei den angekündigten Vortrag: Fibrin, 
ein Schutz- und Heilmittel des erkrankten Organismus (Aussprache die 
Herren Orth, H. Kohn, Benda; Schlusswort: Herr Bergei) und Herr 
Levy-Dorn seinen Vortrag über für die Röntgendiagnose wichtige Weich- 
teilverknöcherungen (mit Lichtbildern) (Aussprache Herr Schütze). 

. — An Stelle des als ordentlicher Professor der Hygiene "an die 
Universität Bern berufenen Professors Dr. Sobernheim wählte der 
Berliner Magistrat Herrn Dr. Seligmann zum Abteilungsvorsteher der 
bakteriologisohen Abteilung des Medizinalamtes der Stadt Berlin. 

— Unser Mitarbeiter Dr. Ernst Schloss, früher längere Zeit 
Assistent am städtischen Waisenhaus in Rummelsburg, ist an einer im 
Heeresdienst zugezogenen Erkrankung gestorben. 

— Hofrat Prof. Dr. Ottokar v. Chiari, der Direktor der laryngo- 
logischen Universitätsklinik in Wien, ist, 65 Jahre alt, plötzlich ver¬ 
storben. Aus Schrötter’s Schule hervorgegangen, war Chiari einer 
der hervorragendsten Vertreter seines Faches, hochangesehen bei seinen 
Kollegen, die ihn zum Präsidenten der dortigen laryngologischen Gesell¬ 
schaft erwählten und weltbekanrit durch zahlreiche Arbeiten, die sein 
Andenken dauernd sichern werden. 

— Der Bürgerausschuss Gross-Berlin hat unter anderem auch 
die öffentliche Gesundheitspflege in sein Programm aufgenommen. Der 
Fachausschuss hierfür, dessen Vorsitzender Geheimrat Kuttner ist, hat 
mit seinen Arbeiten auf diesem Gebiete begonnen. Die einzelnen 
Referate haben übernommen: Geheimrat Ohlmüller, Professor Magnus- 
Levy, Professor Langstein und Dr. Rott, Geheimrat Neufeld, 
Oberstabsarzt Dr. Helm, Professor Grotjahn, Oberbürgermeister 
Dominions, Stadtmedizinalrat Dr. Weber und andere. 

— Ein ausserordentlicher Aerztetag findet am 22. und 23. Juni 
in Eisenach statt. In erster Reihe soll dort die drohende Aenderung 
der ReiohsversioheruDgsordnuDg besprochen werden. Es besteht nämlich 
die Absicht, die für die Krankenversicherung festgesetzte Einkommens- 
grenze von 2500 auf 4000 Mark (bei der Versioherungspfl ioh t) und von 
4000 auf 5000Mark (bei der Versicherungsberechtigung) beraufzusetzen. 
Da sogar über diese Erweiterung der Krankenversicherung noch hinaus¬ 
gehende Anträge im Reichstage gestellt sind, hat der Geschäftsausschuss 
des deutschen AerzteVereinsbundes eine sofortige Stellungnahme für ge¬ 
boten erachtet. Denn wenn auch Bevölkerungskreise mit Einkommen 
bis zu 5000 Mark in die Krankenversicherung einbezogen werden, so 
bedeutet das die Ausgestaltung der Sozialversicherung zur Volksver- 
sioherung. Danaoh bliebe für die freie Tätigkeit des Arztes nur eine so 
dünne Oberschicht übrig, dass eine sohwere wirtschaftliche Erschütterung 
des Aerztestandes unausbleiblich sein müsste. Dem könne einiger- 
maassen nur vorgebeugt werden, wenn grundsätzlich jeder Arzt, der sich 


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UNIVERSUM OF IOWA 



488 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 20 


unter den zu vereinbarenden Bedingungen bereit erklärt, zur Praxis 
zugelassen, d. h. die organisierte freie Arztwahl eingeföhrt wird. Sonst 
würde ein erheblicher Teil der Aerzte von jeder Tätigkeit ausgeschaltet 
und einigen wenigen ein Monopol geschaffen werden. 

— Die diesjährige Ausschusssitzung des Deutschen Zentral¬ 
komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, Berlin W., Link¬ 
strasse 29, findet Sonnabend, den 8. Juni um 10 Uhr vormittags, die 
Generalversammlung am gleichen Tage, 4 Uhr nachmittags, im Reichs¬ 
tagsgebäude statt. Auf der Tagesordnung der Ausschusssitzung stehen 
Vorträge über chirurgische und Keblkopftuberkulose; in der General¬ 
versammlung wird die Frage der Zusammenarbeit der Tuberkulose¬ 
fürsorge mit den anderen Zweigen der Gesundheitspflege als Haupt¬ 
gegenstand behandelt werden. 

— Lehrgang in der Tuberkuloseiürsorge in Berlin. Die 
Kommission für den Ausbau des Auskunfts- und Fürsorgestellenwesens 
veranstaltet vom 1.—29. Juni einen zweiten, diesmal vierwöchigen Lehr¬ 
gang für etwa 30—40 Teilnehmerinnen zur Ausbildung in der Tuber¬ 
kulosefürsorge. Zur Teilnahme werden zugelassen staatlich geprüfte 
Krankenpflegerinnen — auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz —, Säug¬ 
lings , Wohnungs- und Fabrikpflegerinnen, Mitglieder der Vaterländischen 
Frauenvereine vom Roten Kreuz und andere Damen, die ihrer Vor¬ 
bildung nach zur Betätigung in der sozialen Fürsorge geeignet sind. 
Der Unterricht fiudet im Gebäude der Landesversicherungsanstalt Berlin, 
Am Köllnischen Park 3 statt; für Unterkunft und Verpflegung haben die 
Teilnehmerinnen selbst zu sorgen. Anmeldungen sind bis zum 22. Mai 
an die Geschäftsstelle des Tuberkulose-Zentralkomitees, Berlin, Link¬ 
strasse 29 zu richten; mit der Zulassung wird von dort der Arbeits¬ 
plan versandt werden. 

— Der Hauptvorstand des Vaterländischen Frauenvereins hat be¬ 
schlossen, für Fortbildung der deutschen Krankenpflegerinnen 
aller Organisationen, die Bich nach den Kriegserfahrungen als unbedingt 
notwendig und unaufschiebbar erwiesen hat, durch Errichtung einer be¬ 
sonderen Anstalt, die den Namen „Kaiser Wikhelmschule für deutsche 
Krankenpflegerinnen“ führen soll, in grösstmöglichstem Umfange zu 
sorgen. Am 25. Mai, vormittags 11 Uhr, wird in Berlin im grossen 
Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses eine Tagung über die „Kaiser 
Wilhelmschule deutscher Krankenpflegerinnen des Vaterländischen Frauen¬ 
vereins“ veranstaltet. 

— Das Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in 
Preussen veranstaltet eine Reihe von Vorträgen über Dienst¬ 
beschädigung und Rentenversorgung vom 27. Mai bis 27. Juni 
1918 im Kaiserin Friedrich-Hause mit folgendem Programm: Montag, den 
27. Mai: Einleitender Vortrag: Generaloberarzt Dr. Leu. Inwieweit 
können Dienstbeschädigungen für erst später in die Erscheinung tretende 
Psychoneurosen verantwortlich gemacht werden?: Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. An ton-Halle a. d. Saale. — Donnerstag, den 30. Mai: Gesichts¬ 
punkte für die Beurteilung der Renten Versorgung bei Psychopathen und 
Neurotikern: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bon ho eff er. Selbstmord und 
Dienstbeschädigung: Geh. Med.-Rat Dr. A. Leppmann.— Montag, den 
3. Juny Die Indikation zur aktiven Behandlung der Kriegsneurosen: 
Dr. Kehrer-Hornberg. Renten Versorgung bei Folgen von Hirnverletzungen: 
Prof. Dr. Goldstein-Frankfurt a. M. — Donnerstag, den 6. Juni: Be¬ 
urteilung der Dienstbescbädigung (im Sinne einer Verschlimmerung) bei 
bestehenden Lungenleiden: Prof. Dr. Gerhardt-Würzburg. Dienst- 
besohädigung und Rentenbeurteilung bei funktionellen und organischen 
Herzerkrankungen: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. His. — Montag, den 10. Juni: 
Das klinische Bild der Arteriosklerose: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Kraus. 
Erfahrungen über Arteriosklerose im Kriege und ihre Beurteilung hin¬ 
sichtlich der Dienstbeschädigungsfrage: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Kraus. 
— Donnerstag, den 13. Juni: Dienstbeschädigungsfrage und Renten¬ 
versorgung bei infektiösen DarmerkrankuDgen und ihre Folgezustände: 
Geh. San.-Rat Prof. Dr. L. Kuttner. Inwieweit kann Dienstbeschädi¬ 
gung bei Geschwülsten angenommen werden?: Stabsarzt Dr. W ätzold. — 
Montag, den 17. Juni: Einfluss des Feld , Garnison- und Bureaudienstes 
auf Diabetes und Gicht: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. von Noorden-Frank¬ 
furt a. M. Habitus und Diathese in ihren Beziehungen zur Dienst¬ 
beschädigungsfrage: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Martius-Restock. — 
Donnerstag, den 20. Juni: Wie ist die Dienstbescbädigungsfrage bei 
Arthritiden, Myalgien und Neuralgien zu beantworten?: Prof. Dr. Wein- 
traud- Wiesbaden. — Montag, den 24. Juni: Beurteilung der Dienst- 
beschädiguDgsfrage bei Syphilis und ihren Folgen: Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. Goldscheider. — Donnerstag, den 27. Juni: Der Begriff der Ver¬ 
stümmelung im Sinne der Ziff. 131 e D. A. Mdf. (der Dienstanweisung 
zur Beurteilung der Militärdienstfähigkeit) unter besonderer Berück¬ 
sichtigung der Pseudarthrosen, teilweisen Lähmungen, Fingerverstei¬ 
fungen usw.: Generaloberarzt Prof. Dr. Köhler. Wib ist die Dienst¬ 
beschädigungsfrage bei chronischen Ohren-, Nasen- und Nebenhöhlen¬ 
leiden zu beurteilen?: Prof. Dr. Voss-Frankfurt a. M. 

— Das Untersuchungsamt für ansteckende Krankheiten in Char¬ 
lottenburg, das bisher der Prosektur des Krankenhauses Westend 
unterstellt war, ist selbständig gemacht und die Leitung dieses Instituts 
Prof. Oettinger unterstellt worden. 

— Volkskrankheiten. Cholera: Deutsche Verwaltung in 
Litauen (24.—30. III.) 1. Pocken: Deutsches Reich (28. IV.—4. V.) 2. 


Deutsche Verwaltung in Litauen (24.—30. III.) 17 und 2 f. 
(31. III.—6. IV.) 1. Fleokfieber: Deutsches Reich (28. IV. bis 
4. V.) 6. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement Warschau 
(14.—20. IV.) 1352 und 123 +. Deutsche Verwaltung in Kurland 
(24.—30. III.) 1. Deutsche Verwaltung in Litauen (24.—80. IIL) 
308 und 11 f. Deutsche Kreisverwaltung in Suwalki (24.—30.11L) 
10. (31. IIL— 6. IV.) 14. Ungarn (L—7. IV.) 21. Rüokfallfieber: 
Deutsches Reioh (28. IV.—4. V.) 16 unter Kriegsgefangenen im Reg.- 
Bez. Marienwerder. Kaiserlich Deutsches Generalgou vernement 
Warschau (14.—20. IV.) 17. Genickstarre: Preussen (21.—27.1V.) 
13 und 6 +. Spinale Kinderlähmung: Preussen (21.—27. IV.) 1. 
Ruhr: Peussen (21.—27. IV.) 76 und 8 f. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Keuchhusten in Pforzheim; Typhus in Altona, 
Rheydt. (Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochs ohulnachrichten. 

Berlin: Der Privatdozent für Psychiatrie Professor Liepmann, 
Direktor der städtischen Irrenanstalt in Liohtenberg-Herzberge, ist zum 
ordentlichen Honorarprofessor ernannt worden. — Geheimrat Zuntz, 
Professor für Physiologie an der Landwirtschaftlichen Hochschule, ist von 
der k. u. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien zum Ehrenmitglied ernannt 
worden. — Halle: Der ausserordentliohe Professor für Gynäkologie 
Geheimrat Schwarz ist im Alter von 64 Jahren gestorben. — Frei bürg: 
Geheimrat Wiedersheim, Direktor des anatomischen Instituts, gedenkt 
vom Lehramt zurückzutreten. — Stockholm: Universitätsprofessor 
Dr. Han8 Spitzy-Wien wurde im April 1917 von der schwedischen 
Aerztegesellschalt(SvenskaLäkaresällskapet)inStockholm zum ordentlichen 
Mitglied ernannt. — Wien: Dem ausserordentlichen Professor für 
Dermatologie und Syphilodologie Primararzt Dr. S. Ehrmann irurde 
der Titel und Charakter eines ordentlichen Universitätsprofessors ver¬ 
liehen; ferner wurde dem ausserordentlichen Universitätsprofessor für 
allgemeine und experimentelle Pathologie Dr. Gustav Gaertner und 
dem mit dem Titel eines ausserordentlichen Universitätsprofessors be¬ 
kleideten Privatdozenten für innere Medizin Generaloberstabsarzt Dr. 
Alois Pick der Titel eines ordentlichen Universitätsprofessors verlieben. 
Die nachbenannten, mit dem Titel eines ausserordentlichen Universitäts¬ 
professors bekleideten Privatdozenten wurden zu ausserordentlichen 
Professoren ernannt: Primararzt Dr. Karl Ewald für Chirurgie, Dr. 
A lois Strasser für innere Medizin, Primararzt Dr. Guido Ho Izkneoht 
für medizinische Radiologie, Dr. Hans Spitzy für orthopädische Chirurgie, 
Privatdozenten Dr. Josef Kyrie für Dermatologie und Syphilis und 
Dr. Jakob Erd heim für pathologische Anatomie. Der Privatdozent 
für Kinderheilkunde Dr. Bela Sch io k erhielt den Titel eines ausser¬ 
ordentlichen Universitätsprofessors. 


Amtliche Mitteilungen. 

Pernon allen, 

Auszeichnungen: Silberne Medaille des Grossherrl. Türki¬ 
schen Roten Halbmonds: Arzt Dr. Bresin in Berlin-Wilmerbdorf. 

Prädikat „Professor“: Priv.-Dozenten in der medizin. Fakultät der 
Universität in Halle a. S. Dr. Sowade und Dr. Schürmann. Priv.- 
Doz. in der medizin. Fakultät der Universität in Göttingen Dr. Loewe. 

Bestätigung: Wahl des Geh. San.-Rats Dr. Wilhelms in Eschweiler 
als unbesoldeter Beigeordneter dieser Stadt auf fernere 6 Jahre. 

Ernennung: Arzt Dr. W. Knape in Orteisburg z. Kreisass.-Arzt in 
Friedricbshof (Kr. Orteisburg) unter Ueberweisung an den Kreisarzt 
des genannten Kreises. 

Niederlassungen: Dr. 0. V. Wolfring in Lockstedter Lager (Kr. 
Steinburg), Dr. W. Thon in Koblenz, H. Wewer in Dinslaken, Otto 
Cahn in Isselburg (Ki. Rees), Josef Wolf in Aachen. 

Verzogen: F. Leutenegger von Wyk a. F. nach Traunstein in 
Bayern, Dr. L. Lais er von Hamburg naoh Gr. Flottbek (Kr. Pinne¬ 
berg), Dr. W. Ohe von Bismark nach Taarstedt (Kr. Schleswig), Dr. 
K. Seer von Hannover naoh Herrenalb im Schwarzw., Dr. K. Troschke 
von Hannover nach Salzuflen, Aerztin Dr. Margarete Sohroeder 
geb. Sohroedter von Münster i. W. und San.-Rat Dr. A. Siegmund 
von Berlin-Wilmersdorf naoh Hameln, Dr. 0. Rieth von Meerholz 
naoh Gernsheim in Hessen, Dr. R. Bandorf von Hohensolms nach 
Grenzhausen (Kr. Unterwesterwald), San.-Rat Dr. K. von Lukowicz 
von Könitz nach Wiesbaden, Dr. E. Kant von Wiesbaden nach Elgers¬ 
hausen, Heilanstalt (Kr. Wetzlar), Dr. Ludwig Dietz von Boppard 
nach Koblenz, M. Hobelmann von Grossenbaum nach Duisburg, 
Dr. P. Tosetti von Bonn nach Cöln, Dr. F. Albers von Bonn naoh 
Küdinghoven (Ldkr. Bonn). 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. H. Moeser 
von Beuel auf Reisen. 

Gestorben: Kreisarzt Geh. Med.-Rat Dr. Felix Behrend in Kolberg, 
Geh. San.-Rat Dr. E. Landmann und San.-Rat Dr. August Hübner 
in Breslau, Geh. San.-Rat Dr. K. Bar lach io Neumünster, San.-Rat 
Dr. Friedr. Hoppe und Dr. David Rosenberg in Hannover, Geh. 
San.-Rat Dr. Wilhelm Kühne in Hann.-Münden, San.-Rat Dr. Karl 
Froelich in Aliendorf a. W., Geh. San.-Rat Dr. K. Brockhaus in 
Godesberg. 


Für di« Redaktion ▼•ranttrortlich Prot Dr. Hana Kohn, Berlin W, Bayreuiher Str.49. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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UNIVERS1T7 OF IOWA 






Di» Berliner Klinlaehs Wochenschrift erscheint jede» "T V » 1 » VTT* T 11 f \ Alle Eineendangen Ar die Redaktion and Bxpedltlon 

Montag in Nummern von ca. t—6 Bogen gr. 4. — I I I I I I 1% I I !■ I I wolle man portofrei an die Verlagebachhandlung 

Freia vierteljährlich 1 Mark. Bestellangen nehmen Kt fff W\ I .1 |\ 14 K August Hirschwald in Berlin RW, Unter den Linden 

alle Bnehhandlangen and Postanstalten an. [ l | J | jj Hr. «8, adressieren. 


rmwMIIEAMUllDMMliIRM 


Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: , Expedition: 

fleh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posoer and Prot Dr. Haas Kolm. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in BerliL 

Montag, den 27. Mai 1918. 21 » Fünfundfünfzigster Jahrgang, 


I N H 

Originalien: Jadassohn: Ueber die Trichophytien. (Allgemein-Patho¬ 
logisches und Klinisches.) S. 489. 

Eosenfeld: Die äusseren Symptome des Diabetes. S. 494. 

Casper; Die Zystoskopie bei peri- und paravesikulären Erkrankungen. 
S. 495. 

Hirsohfeid: DieWiederherstellung der geschädigten Nieren funktionen 
bei chronischen Nephritiden. S. 498. 

Zondek: Die gehäuft auttretende periodische Poly- und Polakiurie. 
(Aus der 1. medizinischen Klinik der Kgl. Chariti Berlin [Direktor: 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His].) S. 502. 

Riess: Bemerkungen zur Bestimmung der Lebergrösse durch Per¬ 
kussion und Palpation. 8. 504. 

BfieherbesprechDBgeB: Ku Hung-Ming: Der Geist des chinesischen 

Volkes. S. 505. Garten: D e Bedeutung unserer Sinne für die 

Orientierung im Luftraum. (Ref. Buttersack.) S. 506. 

Ueber die Trichophytien. 

[Allgemein - Pathologisches und KUnfsehes. 1 )] 

Von 

Prof. Dr. Jadassehn- Breslau. 

Die ausserordentliche Zunahme der Trichophytien, über die 
jetzt aus den verschiedensten Teilen Deutschlands berichtet worden 
ist, betrifft auch Schlesien, und besonders die Breslauer Zivil- 
und Militärbevölkeruog. Einige in der letzten Zeit erschienene 
Arbeiten betrafen speziell die praktische Bedeutung dieser Krank¬ 
heiten, ihre Behandlung and Prophylaxe. Ich habe in Bern 
reichlich Gelegenheit gehabt, solche Kranke zu sehen, und wir 
haben uns dort, besonders angeregt durch die bekannten Arbeiten 
Bloch’s, viel mit ihnen beschäftigt. Ich möchte heute, wenn 
anch nur in grossen Zügen, die allgemein pathologische Bedeutung, 
welche die Tr. 2 ) in den letzten Jahren gewonnen haben, schildern 
und daran einige praktische Bemerkungen auknüpfen. 

Zu den bis vor kurzem allein bekannten Dermatomykosen 
(Pavus, Trichophytien, Pityriasis versicolor, Erythrasma) sind 
hinzugekommen: einmal Pilzerkranknngen, welche den Namen 
Dermatomykosen eigentlich nicht mit vollem Recht tragen, weil 
es sich dabei um Erkrankungen handelt, welche sich zwar anch 
sehr gern in der Haut, hier aber vorzugsweise im kutanen und 
subkutanen Gewebe lokalisieren und sich auf dem Lymph- und 
Blutwege verbreiten: das sind die Sporotrichosen, die Blasto- 
mykosen und einzelne andere seltene Formen. 

Aber auch die eigentlichen Dermatomykosen, die doch noch 
immer vorzugsweise Erkrankungen der epidermalen Gebilde sind, 
haben mannigfachen Zuwachs erhalten (s. n.). 

Theoretisch sind diese Mykosen, besonders bedeutungsvoll für 
die Infektionslehre. Lange Zeit hindurch hat man sie als 
rein lokale Infektionen in der allgemeinen Pathologie kaum be¬ 
rücksichtigt. Das war schon vor den modernen Forschungen 
nicht berechtigt, denn die Dermatomykosen geben besonders lehr¬ 
reiche Beispiele für die Bedeutung der natürlichen allge¬ 
meinen und lokalen Resistenz and für deren Verschiedenheit 

1) Nach einem am 15. März in der Sohlesischen Gesellschaft für 
vaterländische Oultnr gehaltenen Vortrag. 

2) äs Trichophytie, Trichophytien. 


ALT. 

Literatur-Auszüge : Therapie. S. 506. — Parasitenkunde and Serologie. 
S. 506. — Innere Medizin. S. 506. — Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. S. 507. — Kinderheilkunde. S. 507. — Chirurgie. S. 507. — 
Röntgenologie. S. 507. — Haut- und Geschlechtskrankheiten. S. 509. 
— üals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. S. 509. — Hygiene und 
Sanitätswesen. S. 509. 

Verhaidlungen ärztlicher Gesellschaften: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften. (Berliner medizinische Gesellschaft.) Warnekros: 
Die Behandlung der Säuglinge mit Spaltbildung des harten und 
weichen Gaumens bis zur Operation und ihre vereinfachte frühzeitige 
Operationsmethode. S. 5,09. Warnekros: Die Behandlung von Pseud- 
arthrosen mit lebendem Transplantat und primär eingeheilter Gold¬ 
schiene. S. 510. —Medizinische Gesellschaft zu Kiel. S. 510. 

Oassei: Adolf Baginsky f. S. 511. , 

Tagesgeschiohtliohe Notizen. S*. 511. 

Amtliche Mitteilungen. S. 512. 


bei anscheinend sehr ähnlichen Erregern. So kann man unter 
ihnen 2 Gruppen bilden: solche, bei denen trotz reichlicher An¬ 
wesenheit von Pilzen an der Oberfläche des Körpers von Konta- 
giosität nicht die Rede ist: Pityriasis versicolor und Erythrasma; 
dann aber die anderen Dermatomykosen, die mehr oder weniger 
kontagiös sind: Favus nnd Trichophytien. Anch durch zahlreiche 
Inokulatioosversuche sind diese Differenzen erwiesen. Bei der 
ersten Gruppe zeigt sich die lokale Resistenz ebenfalls sehr auf¬ 
fallend. Trotz der Unzahl der in den Schuppen vorhandenen 
Pilze der Pityriasis versicolor sind es fast immer nur die be¬ 
kannten Prädilektionsgegenden, die erkranken. Dabei ist es doeh 
nicht zweifelhaft, dass die Pilze anch an andere in gleicherweise 
bedeckte and gewärmte Körperstellen gelangen. 

Noch deutlicher ist dieses Verhältnis beim Erythrasma. 
Trotzdem an der inneren Seite der Oberschenkel die Pilze in 
Massen in den Schoppen wuchern, siedeln sie sich auf der an¬ 
liegenden Skrotalhaut meist nicht an. 

Bei der zweiten Gruppe sind die Kontagiositätsverhältnisse 
noch sehr verschieden. Die glatte Trichophytie der Kinderköpfe 
und noch mehr die Mikrosporien sind, wenn man nach den En- 
und Epidemien in Frankreich and England urteilen darf, fast 
„obligat pathogen“ oder, anders ausgedrückt, die Disposition ist 
(unter den Kindern) allgemein verbreitet. Der Favus ist un¬ 
zweifelhaft kontagiös, aber in viel geringerem Maasse. Er bedarf 
zur Infektion besonders intimen oder langdaoernden Zusammen¬ 
lebens, vielleicht anch einer besonderen Disposition. Die ober¬ 
flächlichen Tr. der mit Lanngo bedeckten Haut und die tiefen 
Tr. des Kopfes und der Bartgegeud sind ansteckend, aber 
wenigstens unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht in besonders 
hohem Grade; denn auch bei der Sykosis kommt die An¬ 
steckung doch wohl nur dadurch so häufig zustande, dass beim 
Rasieren die Pilze unmittelbar in Epidermisläsionen eingeimpft 
werden. 

Die Epidermophytien wiederum scheinen unter speziellen Be¬ 
dingungen stark ansteckend zu sein, wie gerade die Kriegserfah- 
rangen bewiesen haben. So gibt es also anch hier eine ganze 
Stufenfolge in der Stärke der Kontagiosität: von der fast gar 
nicht kontagiösen Pityriasis versicolor, bei der die spezielle Dis¬ 
position das Ausschlaggebende ist, zumal die Pilze wahrscheinlich 
sehr vielfach in der Anssenwelt Vorkommen, bis zu der fast 
obligat kontagiösen Mikrosporie. 



Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 







490 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Aber auch für die Abwandlung der Disposition in 
Resistenz nnd umgekehrt unter den verschiedenen natürlichen 
Bedingungen geben einzelne dieser Krankheiten interessante Bei¬ 
spiele. Die Pityriasis versicolor verschwindet oft im Winter 
spontan und kehrt im Sommer wieder (Einwirkung des Schweisseh?). 
Sie ist bei Kindern und Greisen sehr selten. Der Lichen tricho- 
phyticus ist eine ausgesprochene Kinderkrankheit. Am auffallendsten 
aber ist, wie besonders Bloch betont hat, die natürliche Resistenz 
der Kopfhaut der Erwachsenen gegen die Mikrosporien und die 
glatten Trichophytien der Kinderköpfe. Diese heilen spontan ab, 
wenn die Kinder in die Pubertät kommen, während sie sonst fast 
nur durch Röntgenstrahlen zu beseitigen sind. Auch der Favus 
befällt die Kopfhaare der Erwachsenen kaum je und geht, wenn 
auch nicht mit derselben Gesetzmässigkeit, nach der Pubertät 
zurück, um schliesslich meist von selbst auszuheilen, ehe noch 
alle Haare zerstört sind; und doch gelingen Inokulationsversucbe 
an der glatten Haut auch der Erwachsenen. 

Es ist ja bekannt, wie sehr sich das Hautorgan und speziell 
das Haartalgdrüsensystem unter dem Einfluss der Geschlechts¬ 
entwicklung verändert und einen wie grossen Einfluss diese Ver¬ 
änderung auf die Nosologie der Haut hat (cf. Akne). 

Auch die geographische Ausbreitung der Dermatomykosen 
ist nicht ohne Interesse. Nicht bloss, dass gewisse Pilzarten in 
manchen Ländern häufig, in anderen seltener oder gar nicht Vor¬ 
kommen — es ist auch sehr auffallend, dass die schon erwähnten 
Mikrosporien und die glatten Trichophytien der Kinderköpfe, die 
in England und Frankreich als sehr kontagiös angesehen werden, 
zwar in Deutschland ebenfalls Vorkommen und kleinere En- und 
Epidemien bedingen, dass sie aber eigentlich bisher bei uns nur 
sehr geringe Neigung gezeigt haben, sich stärker auszubreiten. 
Trotzdem aber darf man sich nicht in Sicherheit wiegen. Ich 
habe die ersten Mikrosporien in der Schweiz schon 1899 in ein¬ 
zelnen Fällen gesehen und obgleich damals nicht isoliert wurde, 
und die Fälle nicht rationell behandelt und geheilt werden 
konnten, hat eine Ausbreitung der Erkrankung nicht stattgefunden. 
Später sind dann auch in der Schweiz verschiedene grössere 
Epidemien zustande gekommen. Der von mir beobachtete Herd 
in einem Waisenhause im Kanton Freiburg ist fast von selbst 
erloschen. Woran dieser Wechsel in der Kontagiosität liegt, ist 
schwer zu sagen. Auffallend ist auch, dass die gleiche Pilzart 
in verschiedenen Ländern eine verschiedene Pathogenität haben 
kann. 

Besonders gefesselt aber haben uns im letzten Jahrzehnt die 
Untersuchungen über die erworbene Immunität bei den 
Trichophytien und die damit in engster Beziehung 
stehenden Allergieerscheinungen 1 ). Diese Forschungen 
knüpfen an die von Neisser’s zu früh verstorbenem Assistenten 
Plato gefundene Tatsache an, dass mit dem Filtrat längere 
Zeit in Bouillon gewachsener und dann verriebener Trichopbyton- 
kulturen bei Personen mit tiefen Tr. Reaktionen hervorgerufen 
werden können, nicht aber bei Normalen. Es war dann vor 
allem Bloch mit verschiedenen Mitarbeitern, welcher auf breiter 
Basis die Allergie und die erworbene Immunität bei dieser 
Krankheitsgruppe untersuchte. Er impfte als erster in syste¬ 
matischer Weise Tiere (als das geeignetste erwies sich das Meer¬ 
schweinchen) mit Trichophytonpilzen und mit dem ihnen nahe 
verwandten Pilze des auch beim Menschen vorkommenden Mäuse¬ 
favus (Achorion Quinckeanum) und konnte als erste wichtige 
Tatsache feststellen, dass seine Tiere durch das Ueberstehen der 
Krankheit immun gegen weitere Impfungen wurden. Zugleich 
wies er dann auch mit von ihm hergestelltem Trichophytin nach 
der Pirquet’schen Methode nach, dass Menschen mit tiefer Tr. 
eine Hautallergie gegen dieses Pilzprodukt aufweisen, ganz ähn¬ 
lich wie Tuberkulöse gegen Tuberkulin. Es war. interessant, dass 
diese Allergie lange Zeit nach Ueberstehen der kutanen Erkran¬ 
kung noch fortbestand, woraus man mit Wahrscheinlichkeit 
scbliessen konnte, dass positive Tuberkulinreaktionen nicht das 
Bestehen aktiver Tuberkulose, ja nicht einmal das Vorhandensein 
von Bazillen zu beweisen brauchen. 


1) loh habe mich bei dieser kurzen Darstellung der allgemein¬ 
pathologischen Verhältnisse ausser auf die grundlegende Darstellung 
Bloeh’s in meiner „Sammlung zwangloser Abhandlungen auf dem Gebiete 
der Dermatologie“, Halle, Bd. II, auf die seither erschienenen Arbeiten 
Bio ob’s und Pecori’s, ferner auf die Publikationen aus der Berner 
Klinik (Hanawa, Guth, Saeves, Ghable), auf die Arbeit Sutter’s 
aus der Baseler Klinik (Dermat. Zschr., 1917, Februar; hier die Literatur), 
und auf eine noch nicht publizierte Arbeit Sutter’s aus der Breslauer 
Klinik gestützt. 


Auf dieser Basis ist nun weiter gearbeitet worden, und wir 
haben jetzt schon recht ausgedehnte Erfahrungen auf Grund der 
mannigfachen Tierversuche und der Beobachtungen beim Menschen. 
Natürlich sind aber noch viele Fragen im Fluss. Im Rahmen 
des heutigen Vortrages kann ich nur das Wichtigste von diesen 
Ergebnissen mitteilen: 

Die Inokulations-Tr. bzw. die durch das Achorion Quincke¬ 
anum bewirkte Erkrankung der Meerschweinchenhaut ist ein be¬ 
sonders charakteristisches Beispiel für eine typisch und spontan 
zur Abheilung verlaufende Infektion, welche sowohl mykologisch 
wie • histologisch genau verfolgt werden kann. Nach der Ein¬ 
reibung der Pilze wachsen nach den Untersuchungen von Saeves 
im Gegensatz zu früheren Befunden die Pilze augenscheinlich 
recht schnell aus — auch während der klinisch als Inkubations¬ 
zeit erscheinenden Periode; es beginnen bald unbedeutende Ent- 
zündungserscheinnngen, die sich langsam steigern. Die Höhe der 
Erkrankung ist dadurch charakterisiert, dass plötzlich eine ausser¬ 
ordentlich intensive Entzündung einsetzt, die Epidermis und die 
obersten Partien der Kutis werden, wie ich mit Hanawa kon¬ 
statieren konnte, partiell nekrobiotiscb, und eine sehr starke 
polynukleäre Leukozytose führt zu ihrer Abstossung. Damit ist 
die Heilung im wesentlichen abgeschlossen. Denn wenn auch 
noch Pilze an der Oberfläche des Schorfes existieren, so kommt 
es doch im allgemeinen nicht mehr zum Eindringen derselben, 
und nur wenn die Allergie sich nicht stark genug entwickelt, 
können diese Pilzreste noch Abortiv-Knötchen in der Umgebung 
des ursprünglichen Herdes hervorrufen (Saeves). 

Bei den Reinokulationen der Tiere hat sich ergeben, dass 
die Immunität jedenfalls in vielen Fällen keine absolute ist, 
sondern sich mit Ueberempfindlichkeitserscheinungen manifestiert. 
Die Tiere können auf eine neue Impfung mit Pilzen mit einer „so¬ 
fortigen“ akuten Entzündung reagieren. Nach den Versuchen 
Hanawa’s kann man histologisch feststellen, dass der Ablauf der 
Erkrankung auch bei den schon einmal erkrankt gewesenen Tierep 
vorhanden sein kann, dabei aber auf ganz kurze Zeit zusammen¬ 
gedrängt wird. Hier kann die Abstossung in Form einer wirklich 
massigen Demarkation mit einem dichten Wall schnell degene¬ 
rierender Eiterkörperchen erfolgen. 

Aus solchen Wiederimpfungen resultiert aber keineswegs immer 
das gleiche Bild, es werden vielmehr je nach den gewählten Be¬ 
dingungen sehr verschiedene Resultate erhalten. Diese bilden 
augenscheinlich eine fortlaufende Reihe von einer Erkrankung, 
die der Erstimpfung nach sehr ähnlich verläuft, nur mit geringer 
Abkürzung und Milderung, bis zu der erwähnten, akutesten und 
intensivsten Frühreaktion und dann wieder zu klinisch fast oder 
ganz vollständiger Reaktionslosigkeit, weiche ich als „erworbene 
absolute Immunität“ (man sagt auch „Anergie“) bezeichnet habe 
(cf. Hanawa). Welches Resultat eintritt, das hängt ab von der 
Virulenz der zu der ersten wie zu den weiteren Inokulationen 
benutzten Pilze und dementsprechend von der Intensität der Er¬ 
krankungen und von der Häufigkeit der Reinokulationen. Spätere 
Inokulationen brauchen — wie Saeves und Sutter für Tiere 
und Menschen gezeigt haben — kaum noch irgendwelche Ent- 
zündungserscheinungen zu ergeben. 

Die Annahme, dass diese Ueberempfindlicbkeitsreaktionen 
amykotisch sind, hat sich im allgemeinen nicht als richtig er¬ 
wiesen. Jedenfalls finden sich während des Ablaufs der Reaktion 
kulturell und besonders bei Schnittuntersuchungen auch mikro¬ 
skopisch Pilze auf der Haut; aber in den spätesten fast oder 
ganz entzündungsfreien Reinokulationen hat sie Sutter beim 
Menschen vermisst, ebenso wie Saeves in den letzten der 
wiederholten Tierinokulationen. 

Der Heilungsprozess der Reinokulation scheint also das eine 
Mal in einer akuten Elimination durch allergisch bedingte Ent¬ 
zündung zu bestehen, welche am meisten an die Heilung eines 
Furunkels erinnert. Ganz ähnlich ist, wie Lewandowsky fest¬ 
gestellt hat, die Art der Abheilung bei dem berühmten Koch- 
scben Versuch, in dem Nekrose der Reinokulationsstellen mit 
Tuberkelbazillen eintritt. Bei späteren Pilzinokulationen aber 
fehlt die Reaktion mehr oder weniger vollständig, und es entsteht 
der Eindruck, als wenn die Pilze (wegen „Rezeptorenverbrauch“?) 
gar nicht mehr angreifen könnten, d. h. als wenn es sich um 
für das betreffende Tier nicht mehr pathogene Mikroorganismen 
handelte. 

Interessante Resultate haben [auch die Trichophytin- 
Untersuchungen ergeben. Das nach der ursprünglichen Plato- 
schen Vorschrift hergestellte Trichophytin erwies sich oft als 
sehr schwach. Bei der Pirquet’schen Reaktion schienen ursprüng- 


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27. Mai 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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lieh wesentlich nur die tiefen, nicht aber die oberflächlichen 
Formen zu reagieren. Wir haben aber in Bern auch bei nicht 
infiltrierten Herden Reaktion gesehen und bei tiefen blieb sie 
gelegentlich ans, und dann konnten wir anch eine Reinokulier- 
barkeit nachweisen. Wir und andere sind dann sehr bald zur 
Intradermomethode ubergegangen, welche hier, wie beim Tuberkulin, 
die viel feinere ist. Bloch hat auch die Art der Darstellung 
geändert, um durch Zerstörung der Pilikörper stärker wirkende 
Substanzen zu erhalten. Doch scheint, wie aus den Untersuchungen 
Sutter’s hervorgeht, dabei die Spezifizität zu leiden, denn erbat 
auch bei Normalen entzündliche Reaktionen, die sich freilich von 
der typischen Trichophytin-Reaktion nach verschiedenen Richtungen 
unterschieden, erhalten. 

Die Trichopbytinreaktion ist eine Gruppenreaktion. Die ver¬ 
schiedenen Trichophytonpilze wie Mikrosporon und Epidermophyton 
geben Produkte, auf welche die Patienten mit tiefer Tr. kutan 
reagieren. 

Man kann sich statt des Trichophytins auch der Pilze selbst 
bedienen. Sehr oft haben wir und andere zeigen können, dass 
Patienten mit tiefen Herden auf Inokulation lebender Pilze eine 
Frühreaktion bekommen, und dass dann die Inokulation nicht 
oder nur sehr unvollkommen angeht. Aber auch hierbei gibt es 
Ausnahmen. So hat Guth in einem Berner Fall nach starker 
Fruhreaktion einen fast typischen Krankheitsablauf beobachtet. 

Statt der lebenden Pilze kann man auch tote benutzen (wir töteten 
sie mit Aether ab). Die Ueberempfindlicbkeit der an Tr. Erkrankten 
kann geradezu dazu benutzt werden, um bei Kulturen festzustellen, ob 
sie zu der Gruppe der Dermatomyzelpilse gehören. Nach unseren bis¬ 
herigen Untersuchungen (?. Sinner, Sutter) geben abgetötete nioht- 
pathogene Pilze die kutane Reaktion nicht. Die pathogenen geben sie 
aber auch dann, wenn die experimentelle Inokulation der lebenden Pilze 
zu einer Infektion nicht führt, weil die besonderen Terrainbedingungen 
fehlen, wie beim Epidermophyton und beim Mikrosporon Audouini, und 
da diese Pilze auch für Tierversuche nioht gut brauchbar sind, kann die 
eben beschriebene Methode geradezu zur Charakterisierung einer Kultur 
als einer von pathogenen Pilzen benutzt werden. 

Bei den erst geimpften Tieren hat sich gezeigt, dass die 
Trichophytin-Ueberempfindlichkeit vollständig ausgebildet ist in 
dem Augenblick, in welchem der eben beschriebene Höhepunkt 
4 der Krankheit klinisch und histologisch erreicht ist. Es besteht 
also sehr wohl das Recht, die akute eliminierende Entzündung 
als den Ausdruck der durch die Antigene bedingten Antikörper¬ 
wirkung anzusehen. So kommt man dazu, auch bei der experi¬ 
mentellen Tier-Tr. an von Pirquet’s Auffassung der Inku¬ 
bationszeit zu denken. Dieser hat bekanntlich gemeint, dass 
die letztere dauert bis zu dem Augenblicke, da durch die Reaktion 
der Antikörper mit den Antigenen die Krankheit sich klinisch 
manifestiert. Bei der Tr. sehen wir zwar schon vor der akuten 
Reaktion banale Entzungungserscbeinungen. Der plötzliche Um- 
scbwnng dieser bedingt aber ein gaoz anderes Krankheitsbild. 
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei der Hautinokulations-Tuber- 
kulose des Meerschweinchens; auch hier zuerst banale Entzündung 
mit reichlichen Bazillen; das charakteristische Bild der Tuber¬ 
kulose kommt erst zustande, wenn die Allergie entwickelt ist und 
dadurch viele Bazillen zugrunde gehen (Lewandowsky). Auch 
bei der Syphilis wachsen in der Kaninchenkornea die Spirochäten 
zuerst ohne wesentliche Reaktionserscheinungen (Levaditi). Der 
PrimärafFekt ist schon als ein allergisches Phänomen aufzufassen; 
auch er tritt manchmal plötzlich auf. 

Die Erkenntnis der die gesamte Haut betreffenden Allergie 
und Immunität bewies im Gegensatz zu der früheren Auffassung, 
dass auch bei den Trichophytien der Organismus eine wichtige 
Rolle spielt; denn die Stoffe, welche die Allergie bedingen, 
können doch wohl nur auf dem Wege der Zirkulation in das ge¬ 
samte Hautorgan gelangen. Trorzdem aber scheint die Haut das 
einzige Organ, das dabei eine aktive Rolle spielt. In diesem 
Sinne sprach auch Bl och’s Versuch, dass die Tr.-Allergie mit 
einem transplantierten Hautstückchen auf einen anderen Menschen 
übertragen werden könne. Alle Bemühungen, durch Injektion 
der Pilze in Unterhautzellgewebe, Peritoneum usw. die Allergie 
hervorzurufen oder Antikörper im Serum nachzuweisen, schlugen 
fehl. Man glaubte, dass nur die „Symbiose von lebenden Pilzen 
und Haut u zur Entwicklung der Allergie führe. 

Es bat sich nun aber gezeigt, dass es auch durch Einreibung 
von toten Pilzen oder selbst von Trichopbytin (Bloch) oder 
durch Intradermoinjektion toter Pilzsuspensionen (Sutter) ge¬ 
lingt, eine gewisse Allergie zu entwickeln. Dass der Organismus 
bei der Inokulations-Tr. der Meerschweinchen sehr leiden kann, 
beweisen die häufigen Todesfälle bei sehr reichlich oder sehr 


oft geimpften Tieren, deren Ursache freilich noch nicht auf¬ 
gefunden ist. 

Dass bei den Tr. die Möglichkeit hämatogener Ausbreitung 
besteht, hat Saeves durch Tierversuche klargestellt. Das klinische 
Krankheitsbild der lichenoiden Tr. (s. u ) hatte den Gedanken 
nahegelegt, dass metastatisch entstehende Haut-Tr. bein^Menscben 
Vorkommen könnten. Durch intrakardiale Injektion von Sporen¬ 
emulsion ist es gelungen, multiple Tr.-Herde in der Haut zu er¬ 
zeugen, welche in allem Wesentlichen mit den durch äussere 
Inokulation bedingten übereinstimmen. Dadurch war zum ersten¬ 
mal der Beweis für die Möglichkeit hämatogener Hautinfektion 
mit eigentlichen Dermatomyzelpilzen erbracht worden. Aber auch 
dabei hat sich gezeigt, wie „dermatotrop u diese Pilze sind; denn 
in den inneren Organen waren auch bei solchen Tieren Pilz¬ 
lokalisationen bisher nicht nachzuweisen. 

Ich habe Ihnen in grossen Zügen die wichtigsten Resultate 
der tierexperimentellen Untersuchungen vorgeführt. Auf dieser 
Grundlage können wir jetzt die Tatsachen der menschlichen 
Pathologie wesentlich besser verstehen. Aber die Mannigfaltig¬ 
keit des Geschehens ist beim Menschen viel grösser als beim 
Tier und daher sind die Gesetzmässigkeiten bei ihm viel schwie¬ 
riger aufzudecken. Ganz ähnlich sind bekanntlich die Differenzen 
bei der Tuberkulose des Menschen und des Meerschweinchens. 

Haben die Experimente unser Verständnis für die Klinik der 
Tr. vertieft, so haben klinische und mykologische Studien ihr 
Gebiet erweitert. Bis vor kurzem unterschied man nur den 
„Herpes tonsurans“ und das Kerion des behaarten Kopfes, die 
Sycosis parasitaria, den Herpes squamosus, circinosus, vesiculosus 
der glatten Körperhaut, das Eczema marginatum und die Nagel- 
tricbopbytien. Jetzt wissen wir, dass am behaarten Kopfe die 
glatten Tr. von den Mikrosporien abzusondern sind, dass das 
Eczema marginatum ebenso wie die Mikrosporie durch von den 
| anderen Trichopbytonpilzen abweichende Pilzformen bedingt ist, 
dass das Epidermophyton inguinale des ersteren nicht bloss an 
der Innenseite der Oberschenkel und in den Achselhöhlen scharf 
begrenzte ekzemähnliche Formen, sondern auch reichliche Herde 
am Körper bedingen kann. Auch an den Händen und Füsssn>ent- 
stehen durch Myzelpilze sehr mannigfache bald banal aussehende, 
bald sogenannte „dysidrotische M , bald mehr tylotische Dermatosen. 
In deren Aetiologie spielen verschiedene Pilzformen eine Rolle. 

Unter den Krankheiten, die wir als Trichophytien am Körper 
diagnostizieren, begegnen uns immer wieder einmal Fälle, aus 
denen wir ein Acborion Quinckeanunq und ähnliche Arten 
kultivieren, Pilze, welche, wie schon erwähnt, zwischen denen 
des Kopffavus und der Tr. stehen. In einem solchen Tr.-Kreis 
entsteht dann oft plötzlich ein typisches Favns-Skutulum. Neben 
den tief infiltrierten eitrigen Formen in Haar und Bart gibt es 
solche in selteneren Fällen auch an der nur mit Lanugo be¬ 
deckten Haut, und manche tiefe Tr. machen wegen des Fehlens 
akuter Entzündungserscheinungen ganz den Eindruck chroni¬ 
scher Granulationsgeschwülste (Granuloma trichophyticum Ma¬ 
jocchi). 

Durch die systematischen Untersuchungen Sabouraud’s und 
mancher anderen Forscher sind unsere mykologischen Kenntnisse 
von den Pilzformen sehr viel umfangreicher und genauer ge¬ 
worden. Wir kennen jetzt eine sehr grosse Zahl von kul¬ 
turell und mikroskopisch, speziell in ihrem Verhältnis zu den 
Haaren verschiedenen Pilzarten, welche sich in der Häufigkeit 
ihres Vorkommens in den verschiedenen Ländern wesentlich 
unterscheiden. Mit deren Schilderung aber will ich Sie nicht 
aufhalten, weil das zu wenig allgemein-pathologisches und prak¬ 
tisches Interesse hat. 

Bei den klinischen Formen sind maassgebend für die 
Verschiedenheit der Bilder, ganz abgesehen von der Indivi¬ 
dualität der Haut, vor allem zwei Momente: nämlich die Pilz- 
art auf der einen und die Eigenart der befallenen Hautgegend 
auf der andern Seite. Bestimmte Pilzformen bedingen vorzugs¬ 
weise die glatte Tr. der Kinderköpfe, bestimmte das Kerion und 
die SykosU, und bei wirklich exakter klinischer Untersuchung 
kann man wohl zwischen den bisher zusammengefassten Krank¬ 
heitsbildern noch Differenzen herausfinden, welche oft wenigstens 
die Wahrscheinlichkeitsdiagnose der Pilzvarietät gestatten. Ebenso 
wichtig aber für die wesentlichen Unterschiede ist die spezielle 
Beschaffenheit der Hautgegend. So sehen wir, wie ein glatter, 
schuppender Tr.-Herd tief infiltriert und eitrig wird, wenn er auf 
eine Gegend mit tief eingepflanzten markhaltigen Haaren über¬ 
geht, wie an der Stirn, am Bart oder auch an den Zilien und 
am Mons Veneris. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Von Bedeutung ist auch, ob die Pilse mehr oder 
weniger unmittelbar vom Tier auf den Mensehen über¬ 
tragen werden, oder ob die Infektion immer and immer 
wieder von Mensch sa Mensch erfolgt. Wie schon Lessef, 
so ist es auch mir in Bern aafgefallen, dass dort, wo die in die 
Klinik kommenden Tr. meist unmittelbar von Tieren stammen, 
die sehr stark entzündlichen Formen vor wiegen. Bloch hat dann 
speziell bei den Tr., aber auch bei den Mikrosporien und beim 
Favas diejenigen, welche geringe entzündliche Erscheinungen 
hervorrafen, als die humanen Formen von den zu starker Ent¬ 
zündung führenden animalen unterschieden. Die humanen Pilze 
fioden sich im allgemeinen viel reichlicher in den Läsionen, sie 
halten sich viel länger, sie bedingen die chronischen Affektionen, 
bleiben aber an der Oberfläche lokalisiert (Hornschicht und 
Haare). Aus diesen Gründen sind die durch sie bedingten Er¬ 
krankungen im allgemeinen besonders kontagiüs und treten in 
grossen En- und Epidemien auf, während die animalen Formen 
sich in allen diesen Beziehungen gegensätzlich verhalten. Aber 
auch hier muss man sich vor zu schematischer Auffassung hüten, 
denn das Mikrosporon furfur und minutissimum, sowie das 
Achorion Schoenleini sind ausgesprochen humane Pilze, und doch 
sind die durch sie bedingten Erkrankungen, wie erwähnt, nicht 
bzw. relativ wenig kontagiös. Bei den tiefen Tr. des Bartes sind 
mir bei der jetzigen Epidemie Differenzen aufgefallen, welche 
gerade von diesem Standpunkte aus interessant sind (s. u.). 

Bei dem in manchen Richtungen differenten Verhalten der 
Tr. menschlichen und tierischen Ursprungs spielt die verschiedene 
Allergisierung eine wichtige Rolle. Bei den letzteren ist sie, wie 
man aus den Tricbophytinreaktionen ersehen kann, im allgemeinen 
stark, bei den ersteren schwach oder fehlend. Sind die humanen 
Pilze also ursprünglich ebenfalls animal gewesen, so müsste 
man annehmen, dass sie durch die Symbiose mit der mensch¬ 
lichen Haut allmählich ihre aggressiven Eigenschaften mehr oder 
weniger eingebüsst haben. 

Aus der Art der Allergieentwicklung sind die meisten Er¬ 
scheinungen im Verlauf der menschlichen Tr., wenn auch natür¬ 
lich noch nicht restlos, zu erklären. Schon die zentrale Ab¬ 
heilung und das periphere Fortschreiten in Ringform, sowie die 
zentralen Rezidive, die dann zu den zierlichen Iris-, Kokarden¬ 
formen usw. führen, sind wohl auf vorübergehende lokale Allergie 
zurückzuführen, trotzdem es uns bisher noch nicht mit Sicherheit 
gelungen ist, das experimentell nachzuweisen. Während bei den 
oberflächlichen Formen die allgemeine Allergisierung ausbleibt 
oder nur unbedeutend ist, wird sie bei den tiefen meist recht 
hochgradig. Die bei ihnen oft sehr hochgradige eitrige und 
granulierende Entzündung wird wohl durch die stärkere Virulenz 
der Pilze bedingt, zugleich aber dringen diese Pilze in die tiefer 
eingepflaozten Haarbälge und Haare tief ein und geben so in 
der Tiefe za einer starken Entzündung Anlass. Dadurch ge¬ 
langen die Pilze nach dem im allgemeinen leicht stattfindenden 
Untergang der Follikel in unmittelbare Berührung mit dem 
kutanen Bindegewebe. Es kommt zu einer stärkeren Resorption 
der Antigene und zu starker Bildung der Antikörper, wodurch 
dann nicht bloss die allgemeine Allergisierung, sondern auch 
wiederum die lokale Reaktionsfähigkeit gesteigert wird. 

Diese Differenzen in der Allergisierung zeigen sich auch in 
einem Punkte, der allgemein-pathologisch zu interessant und 
praktisch zu wichtig ist, als dass ich ihn hier ganz übergehen 
könnte. Je stärker nämlich die entzündlichen Erschei¬ 
nungen sind und je mehr die Erkrankung den Charakter 
einer Granulationsgeschwulst annimmt, um so spär¬ 
licher sind die Pilze zu finden und umgekehrt. Ich 
habe auf diese Differenzen bei den Dermatomykosen und auf die 
Bich dabei ergebenden Analogien mit anderen Infektionskrank¬ 
heiten, speziell mit Tuberkulose und Syphilis, weiterhin auch 
mit Lepra, schon vor langer Zeit hingewiesen. Mehr und mehr 
hat sich ergeben, dass die Unterschiede in der Zahl der In¬ 
fektionserreger und in der Intensität des Entzündungsprozesses 
vor allem auf allergische Vorgänge zurückzu führen sind. Immer 
wieder hört mau, wenn es z. B. bei einem Kerion oder einer 
Sykosis nicht gelingt, die Pilze zu finden, dass das doch be¬ 
sonders bei so hochgradigen Prozessen recht leicht sein müsste. 
Die gleiche falsche Vorstellung findet man bei der tertiären Lues. 

Mit der Allergie hängen auch noch drei weitere Phänomene 
zusammen, auf die ich hier ebenfalls nur kurz hinweisen möchte: 
einmal nämlich die von verschiedenen Seiten konstatierte, in 
meinem Berner Material besonders auffallende Tatsache, dass die 
anscheinend schwersten Formen der tiefen Tr., die Kerion- und 


die ihm ähnlichen Sykosisfälle (s. u.) eine ausgesprochene Tendenz 
haben, spontan bzw. auf leichte und verhältnismässig indifferente 
Behandlung in relativ kurzer Zeit, d. b. in mehreren Wochen, 
znrückzugehen, während die scheinbar mildesten Formen: die 
glatten Tr. der Kinderköpfe und die Mikrosporien wie erwähnt 
im allgemeinen nicht spontan ablaufen und therapeutisch, abge¬ 
sehen von der nur durch die Elimination der infizierten Haare 
wirkenden Röntgenstrahlung sehr schwer zu beeinflussen sind. 

Es ist mir ferner in Bern schon lange aufgefallen, dass die 
Melker, Stallknechte usw., wenn sie eine Sykosis gehabt haben, 
nicht mit Rezidiven in die Klinik kommen, trotzdem Gelegenheit 
zu neuer Infektion sicher oft gegeben ist. Es scheint also eine 
Immunisierung gerade bei diesen akutesten, unmittelbar von den 
Tieren kommenden Formen einzutreten, während sie bei anderen 
Trichophytien, selbst manchen tiefen, sich nicht entwickelt. 

Endlich können wir durch die Allergie ein Krankbeitsbild 
erklären, das ich vor einigen Jahren in Bern aufgefunden habe 
und das seither von uns und anderen eingehender studiert worden 
ist. Ich habe diese Erkrankung, um an Bekanntes anzuknüpfen 
und wegen der Aehnlicbkeit mit dem Lichen scrofulosorum als 
„Lichen trichophyticus“ oder „lichenoide Trichophytie w 
bezeichnet. Bei vielen Kindern mit Kerion Celsi, sehr viel seltner 
bei Männern mit Sycosis parasitaria (bisher nie bei oberflächlicher 
Trichophytie) tritt ein mehr oder weniger stark verbreiteter 
Ausschlag besonders am Rumpf, seltner ah Extremitäten und Ge¬ 
sicht, auf, der oft aus disseminierten oder gruppierten kleinen, 
blass bis intensiv roten wesentlich follikulären Knötchen zu¬ 
sammengesetzt ist. In anderen Fällen entwickeln sich einem 
seborrhoischen Ekzem ähnliche Plaques. Manchmal treten auf 
den Knötchen feinste Hornstacbeln (Lichen spinulosus) oder 
auch kleine Pusteln auf. Es kann im Beginn auch zu fasts cbar- 
lacbartigen Ausschlägen kommen, wie das Sutter an der hiesigen 
Klinik beobachtet hat. Sehr selten finden sich dem Erythema 
nodosum ähnliche Knoten an den Unterschenkeln (Bloch). Das 
Allgemeinbefinden ist in einzelnen Fällen, wie wir das seltner in 
Bern, etwas häufiger in Breslau gesehen haben, stark in Mitleiden¬ 
schaft gezogen. Hohes Fieber, Veränderungen des Blutbildes, 
Lymphdrüsen- und Milzschwellungen, nach Sutter auch Rötungen 
an der Mundschleimhaut, können den akuten Ausbruch des 
Exanthems begleiten. Immer ist eine starke Reaktion auf Tri- 
chopbytin vorhanden. Wir haben das gleiche Bild auch einmal 
bei einem durch Mikrosporon bedingten Kerion gesehen (Chable). 

Pilze sind in den kleinen Hauteffloreszenzen bisher nur zwei¬ 
mal gefunden worden; einmal mikroskopisch von Guth in Bern 
und einmal kulturell von Sutter in Breslau. In einzelnen Fällen 
findet man alle Uebergänge zwischen den Lichen-Effioreszenzen 
und Herden, die ganz an oberflächliche Trichophytien erinnern. 
Neben den disseminierten Formen kommen anch solche vor, bei 
denen sich die Knötchen um einen Trichopbytieherd unregel¬ 
mässig ausgesprengt fioden (corymbiform) oder auch nur an 
den oberen Partien des Rückens und an der Brust. 

Ich habe die auch praktisch nicht unwichtige Affektion vbn 
vornherein in Analogie mit dem Lichen scrofulosorum als aller¬ 
gische Reaktion gegen Pilze aufgefasst, wofür auch sprach, dass 
bei Trichophytie Reaktionen (besonders bei der von mir benutzten 
Tichophytin- und Trichophytin Salbeneinreibung in Analogie mit 
Moro’s Tuberkulin-Methode) und bei Reinokulationen trichopbytin- 
überempfiudlicher Individien lokal ganz analoge Bildungen zu¬ 
stande kamen, ebenso wie wir Lichen scrofulosorum Effioreszenzen bei 
Tuberkulin-Reaktionen sehen. Bloch hat, von dem gleichen Stand¬ 
punkte ausgehend, den Tuberkuliden entsprechend von „Tricho- 
phytiden“ gesprochen. Ich hatte zuerst an ektogene, von dem 
Kerion auf die Haut gelangende Pilze gedacht, Bloch an 
hämatogenen Transport von Toxinen oder Pilzen. Diese letztere 
Auffassung ist speziell durch die schon erwähnten Experimente 
von Säeves gestützt worden, nach denen eine haematogene 
Infektion der Haut mit Trichophyton-Pilzen bei Tieren möglich 
ist. In dem gleichen Sinne, wenn auch nicht mit Sicherheit, 
sprechen die erwähnten Allgemeinerscbeinungen und der Sutter 
an der hiesigen Klinik gelungene Nachweis von Pilzen in einer 
regionären Lymphdrüse beim Kerion; doch kann auch lymphogener 
Transport von Pilzen oder Toxinen und ektogene Auto Inokulation 
speziell zu den erwähnten lokalisierten Formen des Exanthems 
führen. 

Die letztere Annahme wird dadurch gestützt, dass Dubois bei einer 
oberflächlichen Trichophytie auch auf der nicht erkrankten Haut Pilze 
kulturell naohgewiesen hat, und dass bekanntlich bei Patienten mit 
isolierter Trichophytie unter feuchten Verbänden neue multiple Herde 


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27. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Auftreten können, was das latente Vorhandensein vonfPilzen anf der 
Haut sehr wahrscheinlich macht. — 

Ich hoffe, dass es mir gelangen ist, durch diesen kurzen 
Ueberbliok Ihr allgemein-pathologisches Interesse für diese Krank¬ 
heitsgruppe zu erwecken. Die mannigfachen Analogien zn schein¬ 
bar so weit abliegenden Krankheiten wie Syphilis und Tuber¬ 
kulose sind offensichtlich. Für experimentelle Immun itätsfor- 
schnngen ist hier noch ein weites Feld. — 

Zorn Schloss möchte ich noch einige klinische Bemer¬ 
kungen anknöpfen. Die Zunahme der Trichophytien besieht sich 
in Breslau auf die verschiedenen Formen. Es kommen mehr 
Kinder mit Kerion (recht oft mit Lichen trichophyfcicus) in 
die Klinik, wie das bei dieser Erkrankung gewöhnlich ist, be¬ 
sonders vom Lande. 

Der mikroskopische Naohweis von Pilsen ist dabei nicht immer 
leioht, besonders dann nicht, wenn die Entzündung auf der Höhe an¬ 
gelangt ist. Ich möchte Sie daher auf einen Kunstgriff aufmerksam 
maohen, den Pellizzari vor vielen Jahren angegeben hat. Man kann 
manchmal Pilse leichter finden, wenn man mit einem kleinen soharfen 
Löffel Partikel aus dem Gewebe auskratst und diese in Kalilauge unter 
vorsichtigem Erwärmen aufweicht. Man sieht dann öfter pilzhaltige 
Haarstampfe, während solche an der Oberfläche niobt zu entdecken sind. 
Die gleiohe Methode ist natürlich auch für die Sykosis zu verwerten. 
In einzelnen Fällen scheint sich das Kerion in Breslau ganz langsam 
aus längere Zeit oberflächlich bleibenden Trichophytien zu entwickeln. 

Die glatten Trichophytien der Kiuderköpfe, die sonst 
hier sehr selten waren, sind jetzt in einer nicht ganz kleinen 
Zahl von Fällen zur Beobachtung gekommen, einmal auch in 
einer kleinen Endemie in einem Waisenhaus. 

Das Krankheitsbild ist namentlich im Beginn sehr wenig auffallend 
und charakteristisch. Dabei aber ist die Frühdiagnose, da diese Formen 
ja besonders im Ausland als recht kontagiös gelten, besonders wichtig. 
Man muss daher betonen, dass alle zirkumskripten sohuppenden Stellen 
der Kopfhaut der Kinder einer speziellen Untersuchung bedürfen. Doch 
darf man nicht einige der gut sichtbaren längeren Haare epilieren, 
sondern man muss (Sabouraud) mit einem Skalpell, einem kleinen 
soharfen Löffel, der Kante eines Objektträgers oder einer Epilations¬ 
pinsette die Sohuppenauflagerungen abschaben; dann sieht man schon 
bei schwacher Vergrösserung die ganz kurzen, mit Pilselementen voll¬ 
gestopften, oft gebogenen Haarstümpfe. 

Die Epidermophytien sind jetzt in Breslau ebenfalls häufiger. 
Wiederholt haben wir auoh den Favus der Körperhaut gesehen, der 
durch Aohorion Quinokeanum bedingt war. 

Das Hauptinteresse kommt aber jetzt unzweifelhaft den 
Trichophytien des Bartes zu. Dabei ist mir zunächst klinisch 
aufgefallen, dass bei den tiefen Fällen zwei sehr verschiedene 
Krankheitsbilder auftreten: einmal scharf abgesetzte, hoch ge¬ 
wucherte, fast tumorartige, an der Oberfläche oft unregelmässig 
höckrige und eiternde Formen, die nach allen Richtungen bin 
dem Kerion Gelsi, d. h. den tief infiltrierten und wuchernden 
Trichophytien der Kinderköpfe entsprechen, und dann mehr diffus 
infiltrierte Formen mit einzelnen Furunkel ähnlichen Knoten, welche 
sich nicht oder nur flach gewölbt über die Hautoberfläche erheben 
und ohne mikroskopische Untersuchung bzw. Triehophytin-Reak- 
tion oft schwer von den banalen, als Sykosis non parasitaria be- 
zeichneten Pyodermien zu unterscheiden sind. In unserer Literatur 
sind mit einzelnen Ausnahmen diese Unterscheidungen nicht oder 
nur unvollkommen gemacht, besonders von Sabouraud aber 
werden sie scharf hervorgehoben. Dieser Autor nennt die ersteren 
Formen geradezu Kerion. Das ist an sich gewiss berechtigt; nun 
kommt aber der Name „Sykosis* 4 gerade von dieser Form her; 
man kann nur diese mit einer durchschnittenen, auf die Haut 
aufgesetzten Feige vergleichen. Das Einfachste wird es wohl 
sein, wenn man die beiden Formen als zirkumskripte, tnmor- 
oder kerionartige und als diffus infiltrierte furunkelähn¬ 
liche Bart-Trichophytien auseinanderhält. 

Es war besonders interessant, dass in dem Zahlenverhältnis der 
beiden Typen zwischen hier und Bern sehr auffallende Unterschiede 
vorhanden sind. In Bern waren die Kerionformen ganz gewöhnlich und 
die diffus infiltrierten sehr selten. Hier sind die letzteren ausser¬ 
ordentlich häufig; die ersteren haben wir in den letzten Monaten nur 
in wenigen Exemplaren beobachtet. 

Nun kommen in Bern die Trichophytie - Infektionen und ganz be¬ 
sonders die Kerion- und Sykosisfälle meist unmittelbar durch Berührung 
mit kranken Tieren, speziell mit Rindvieh, zustande; die Barbierstuben¬ 
infektion habe ich dort sehr selten gesehen. In Breslau aber ist das 
Gros der Sykosisfälle unzweifelhaft auf letztere zurüokzulühren. Es wird 
weiterer Untersuchungen bedürfen um festzustellen, ob auoh hier die 
kerionartigen Fälle mehr oder weniger unmittelbar vom Vieh stammen. 

Die beiden Arten unterscheiden sich aber nicht bloss in 
ihrem Aussehen, sondern auch in ihrem Verlaufe. In Bern habe 


ich immer betont, dass die Sykosis wie das Kerion trotz der sehr 
hochgradigen Erkrankung recht gutartig ist; im Verlaufe von 
mehreren Wochen sinken bei einfacher Behandlung mit feuchten 
Verbänden mit essigsaurer Tonerde die grossen Knoten zusammen, 
die Eiterung hört auf, die Haut wird glatt, Rezidive treten nicht 
auf. Die jetzt in Breslau gewöhnliche Sykosis bat aber einen 
viel schleppenderen Verlauf und ist sehr viel schwerer zu be¬ 
einflussen, setzt auch manchmal Rezidive. 

Es liegt natürlich nahe, diese Differenzen auf verschiedene 
Pilzvarietäten zurückzuführen. Wir sind jetzt nicht im Besitz der 
für systematische Pilzuntersuohung bisher fast ausschliesslich an¬ 
gewendeten von Sabouraud angegebenen französischen Präparate 
(Maltose und Peptoq) und deswegen sind die Schlüsse aus den Kulturen 
noch nicht ganz bindend, solange nicht mit bestimmten deutschen 
Produkten systematische Kontrolluntersuchungen vorgenommen worden 
sind. Das eine kann ich aber dooh schon sagen, dass in den furunkel¬ 
artigen Formen, die wir bisher untersuoht haben, das Trichophyton 
oerebriforme der Erreger war, während bei einzelnen Kerionfällen 
eine Gipseumart wuchs, und das stimmt nun insofern ganz mit den 
Angaben Sabouraud’s überein, als auch nach ihm das Trichophyton 
gipseum, neben niveum und faviforme, Kerion-, das oerebriforme die 
von mir als „furunkelähnlioh“ bezeiohnete Sykosisform, auoh in Paris, 
bedingt. 

Das letztere ist interessant, weil dieser Pils von Sabouraud nicht 
beim Tier gefunden worden ist (von Plaut bei Katzen), dagegen sowohl 
in Paris als auch in Parma besonders im Bart vorkommt. 

Auch in Deutschland macht dieser Pils unzweifelhaft jetzt und 
wohl schon seit langer Zeit menschliche En- und’Epidemien. Er kann 
auf den Köpfen der Kinder glatte Tr. bedingen und im Bart ober¬ 
flächliche Herde mit bestäubten und abgebrochenen Haaren (Lewan- 
dowsky), welche den glatten Kinderkopf-Tr. sehr ähnlioh sehen und 
jrüher oder später in diffus infiltrierte, chronisoh verlaufende Formen 
übergehen können. So sehen wir denn, dass dieser Pilz nach ver¬ 
schiedenen Richtungen in der Mitte steht zwischen den animalen und 
den humanen Typen. Dazu kommt noch, dass er naoh Sabouraud’s 
Nomenklatur ein Neoendothrix ist, d. h. es finden sich immer Haar¬ 
formen, welche im Stadium des Einwaohsens der Pilse in die Haare, im 
Ektothrixstadium verharren, das ja bei allen Haaren im ersten Beginn 
der Pilzinvasion vorhanden ist Es liegt also sehr nahe anzunehmen, 
dass die Ektothrixform einen stärkeren Reiz auf die bindegewebige Um¬ 
gebung des Haares ausübt als die Endothrixform, da ja bei jener die 
Pilse unmittelbar ans Bindegewebe stossen (wenigstens gilt das inner¬ 
halb der Tr.-Gruppe, denn die Mikrosporien gehen ja trotz der Sporen¬ 
scheiden um die Haare mit geringer Entzündung einher). 

Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass dieser in Deutschland 
augenscheinlich auoh nach anderen Feststellungen schon seit längerer 
Zeit besonders verbreitete Pilz eine Zwischen- oder Uebergangsform 
zwischen den humanen und animalen bildet. Es bleibt noch genaaer 
za untersuchen, wie sich die Allergieverhältnisse bei den Kerion- und 
furunkuloiden Sykosisformen verhalten. 

Was die Trichophytine überhaupt angeht, so habe ich 
seit Jahren viel mit ihnen gearbeitet. Die diagnostische Bedeu¬ 
tung ist nicht sehr gross, weil eben doch die Diagnose meist 
durch den Pilznachweis gelingt Immerhin werden gerade bei 
den furunkelartigen Formen negative Pilzbefunde durch negative 
Trichophytinreaktionen gestützt und durch positive korrigiert 
werden können. 

Wir verwenden seit längerer Zeit die Intradermomethode. 
An ihrer Spezifizität ist nicht zu zweifeln, wenn auch, wie schon 
erwähnt, starke Trichophytine auch bei Normalen eine Reaktion 
bedingen , können. Durch genügendes Ausprobieren der Konzen¬ 
trationen kommt man wohl immer zu einer scharfen Differenzie¬ 
rung zwischen Trichophytikern und Normalen.' Die Wirkung der 
Trichopbytinbehandlung habe ich in Bern aus dem einfachen 
Grunde schwer beurteilen können, weil meine dortigen Kerion- 
und kerionartigen Sykosisfälle, wie schon erwähnt, auf einfache 
Behandlung gut reagierten. Unsere bisherigen Versuche bei den 
hiesigen furunkuloiden Formen haben zu hervorragenden Re¬ 
sultaten nicht geführt, wenn es uns auch schien, dass der Ver¬ 
lauf durch wiederholte Intradermoreaktionen neben der sonstigen 
Behandlung abgekürzt wurde. Das gleiche schien der Fall zu 
sein bei den schon früher erwähnten Emulsionen abgetöteter 
Pilzkulturen, die als einzige Unannehmlichkeit neben der diffusen 
entzündlichen Reaktion kleine derbe, manchmal steril abszedierende 
Knötchen bedingen. 

Hier könnte man jetzt sehr wohl an eine Wiederholung des Blooh- 
schen Versuches einer „Ableitungstherapie* denken. Bloch hat bei 
einem in langer Zeit nicht heilenden Falle tiefer Tr., bei dem die 
Trichophy tinreaktionsfähigkeit fehlte, diese durch Einimpfung eines 
starke Allergie bedingenden Pilzes geweokt und dadurch die Heilung 
der ursprünglichen Krankheit herbeigeführt. Ich habe solche Versuche 
in Bern bei glatter Trichophytie und Mikrosporie der Kinderköpfe an¬ 
gestellt, trotzdem sich Bio oh davon niohts versprochen hatte. Er 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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meinte, dass die Triohophytininjektion, da das Trichophytin im Krank- ! 
heitsherd auf keine Umstimmung treffe, um einzusetsen, gar keinen 
Sinn habe, und es würde „selbst wenn dem nicht so wäre, seinen 
Wirkungsbereich: die spezifische Entzündung nicht bis dahin erstrecken 
können, wo die Infektionserreger sitzen, nämlich in die Haare oder 
Nägel“. Bei den glatten Trichophytien und den Mikrosporien der 
Kinderköpfe sind doch aber mikroskopisch sehr deutliche Entzündungs¬ 
erscheinungen vorhanden, und es wäre also doch im Prinzip möglich, 
durch eine Einimpfung virulenter Pilze hochgradige Allergie und damit 
eine eliminatorische Entzündung hervorzurufen. Diesen Gedanken batte 
schon Sabouraud für den Favus erwogen. Meine Versuche aber haben 
positive Resultate bisher noch nicht ergeben, vielleicht weil ich keine 
genügend starke Allergie provozieren konnte. Subkutane Trichophytin- 
injektionen scheue ich, weil mir die dadurch bedingte Fieberreaktion 
zu stark erschien, und weil man hoffen kann, durch Intradermoappli- 
kation die Hautallergie auch im Krankheitsherde genügend zu steigern. 

Sonst hat die Therapie grosse Fortschritte leider nicht ge¬ 
macht. Bei den oberflächlichen Formen der lanugobehaarten 
Haut bevorzuge ich Sublimat-Benzoetinktur, /3-Naphtholsalben, Epi¬ 
carin- und Salizylspiritus. Bei den glatten Tr. der Kinder¬ 
köpfe lasse ich, wie es Doessekker an der Berner Klinik 
eingeführt hat, gleich nach der Röntgenepilation schon zur Ver¬ 
hinderung der weiteren Uebertragung einen Zinkleimverband an- 
legen, der nach 18—20 Tagen abgenommen wird, und an dem 
dann ein grosser Teil der Haare hängen bleibt. Es muss dann 
aber noch längere Zeit nach der vollständigen Epilation mit des¬ 
infizierender Behandlung des Kopfes (verdünnter Jodtinktur) fort¬ 
gefahren werden; denn man kann auch nach der Epilation an 
den erkrankt gewesenen Stellen massenhaft Pilze finden. Das 
Kerion Celsi und die kerionartigen Formen der Sykosis heilen 
unter feuchten Verbänden und Hitze. Wie weit dabei Röntgen¬ 
behandlung und Trichophytin den Erfolg beschleunigt, kann ich 
noch nicht sagen. 

Die Hauptschwierigkeit liegt zurzeit in der Behandlung der 
oberflächlichen und furunkuloiden Tr. des Bartes. Da sind 
die Ansichten sehr geteilt, zunächst schon in bezug auf das Ra¬ 
sieren. Meines Erachtens sollte es unterbleiben, man sollte sich 
auf Kürzen des Bartes mit der Schere beschränken. Dann auch 
in bezug auf die Röntgenbehandlung. Die einen wollen nur die 
oberflächlichen Formen bestrahlen, um durch die Epilation das 
Tieferwerden zu verhindern, die anderen nur die tiefen. Dritte 
fürchten bei beiden oder bei einer der beiden Formen Ver¬ 
schlimmerung. Ich habe solche nicht gesehen und würde bei 
dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse auf die Bestrahlung der 
tiefen Formen nicht verzichten wollen, freilich nur auf solche 
Bestrahlung, die wirklich zur Epilation führt. Dass die Wirkung 
oft keine durchgreifende ist, erkläre ich mir damit, dass in dem 
Granulationsgewebe infizierte Haarstümpfe Zurückbleiben. 

Die pessimistische Anschauung, dass es der medikamentösen 
Therapie nicht gelingen könne, durch Heilung der oberflächlichen 
Formen das Tiefergreifen zu verhindern, vermag ich in dieser 
Allgemeinheit nicht zu teilen. Manchmal aber tritt unzweifelhaft 
trotz aller Bemühungen die tiefe Infiltration ein. Die manuelle 
Epilation habe ich noch nicht üben lassen. Sie scheint mir (wenn 
Röntgenapparate zur Verfügung stehen) vor der durch Röntgen- 
strahlen keinen Vorzug zu haben, wohl aber den Nachteil mecha¬ 
nischer Reizung. So werden wir also zunächst gegen die thera¬ 
peutisch schwer angreifbaren Formen mit einer Kombination von 
feuchten Verbänden, Hitze, Röntgenstrahlen, Trichophytin, weiter¬ 
hin Pyrogallol, Resorzin, Schwefel usw. kämpfen müssen, üeber 
die Klinginüller’sche Terpentintherapie habe ich dabei noch 
keine Erfahrung. 

Ueber die Prophylaxe möchte ich heute nur einige Worte 
hinzufügen. Die Kinder, die vom Landaufenthalt in die Städte 
zurückkehren, sollten auch auf Pilzerkrankungen untersucht 
werden. Wo man speziell die glatte Tr. und die Mikrosporie 
der Kinderköpfe findet, muss man die Spiel- und Schulgenossen 
mehrfach kontrollieren. Auch die Pilzerkrankungen der Tiere 
sollten mehr beachtet werden. Die Hauptsache bleibt aber doch 
die Hygiene der Barbier- und Frisierstuben. Neben der 
Einschleppung aus den besetzten Gebieten, neben der Ausbrei¬ 
tung durch die Gasmasken und neben dem Import durch die 
Kinder hat unzweifelhaft die notgedrungen geringere Sauberkeit 
beim Rasieren eine grosse Bedeutung für. die Ausbreitung der 
Ban Tr. Könnten die Verordnungen, wie sie in manchen 
Städten bestehen, jetzt wirklich durcbgeführt werden, dann würde 
es wohl nicht schwer sein, die Epidemie zu unterdrücken. Unter 
den augenblicklichen Verhältnissen aber wird die Hauptsache 
sein: ein generelles Verbot der Bedienung mit Hautkrankheiten im 


Nr. 21. 

Gesicht behafteter Personen in den Barbierstuben und Schaffung 
von Gelegenheit zur Pflege des Bartes im Anschluss an die Poli¬ 
kliniken und Lazarette, Untersuchung der Soldaten so oft nur 
immer möglich, auch auf Tr., möglichste Isolierung und schleu¬ 
nigste Behandlung. 

Auch auf diesem Gebiete hat uns der Krieg eine Fülle 
wissenschaftlich interessanten Materials, vor allem aber praktisch 
wichtige Aufgaben gebracht; praktisch wichtig, denn die Bart¬ 
flechte bedingt nicht bloss Schmerzen, sie kostet auch viel Geld 
und Medikamente und — was das Wichtigste ist — sie entzieht 
eine grosse Anzahl unserer Mannschaften auf Wochen dem Heeres¬ 
dienst. 


Die äusseren Symptome des Diabetes 1 ). 

Von 

Geh. Sanitätsrat Prof. Dr. Georg Roseifeld. 

Die ältere Medizin hat in ungleich höherem Maasse die In¬ 
spektion gepflegt und ihr mehr Wert beigemessen als die moderne 
Zeit. Dafür sind wohl mehrere Umstände bedeutungsvoll ge¬ 
worden. Nachdem das ganze Rüstzeug der Auskultation, Per¬ 
kussion, später der chemischen, elektrischen, bakteriologischen, 
mikroskopischen, radioskopiseben Methodik zu exakter Beobachtung 
ausgebaut war, war es verständlich, dass diese nicht so greifbaren 
Symptome in Vergessenheit gerieten. Und schliesslich erschienen 
sie für die Leute der Neuzeit, die eine totale, möglichst viel¬ 
seitige Untersuchung des ganzen Körpers sich anerzogen hatten, 
grösstenteils entbehrlich. Wen interessierte es gross, die gelbe 
Farbe des Herzleidenden zu beachten, den schon die Feststellung 
des systolischen Geräusches und der rechtsseitigen Verbreiterung 
der Herzfigur unterrichtet hatten. Und doch sind auch dabei 
Werte verloren gegangen: denn manche dieser Regeln sind Hin¬ 
weise auf Gedankenzusammenbänge und somit Abkürzungswege, 
die die alten Kliniker eben gehen konnten, und die ihnen manche 
Diagnose ermöglichte. So ergab gerade die gelbe Herzleidenfarbe 
die Möglichkeit, einen durch Herzleiden verursachten Stauungs¬ 
katarrh, der einmal in den oberen Lungenteilen vorherrscht, von 
der vermuteten Phthise zu unterscheiden, so erleichtert die 
Zyanose des Gesichts die Erkennung der Miliartuberkulose, so 
ermöglicht sich die Diagnose Situs in versus aus dem Tieferhängen 
des rechten Hodens. Oder die berühmten Geruchsdifferential¬ 
diagnosen zwischen Masern und Scharlach, die Geruchsdiagnose der 
Phthise, die sich mit ihrem faden und süs&lichen Geruch schon von 
vornherein erkennen lässt. Von Geruchsdiagnosen ist der Neuzeit 
nur geblieben die des Diabetes durch den Azetongeruch, der 
Lungengangrän durch den Foetor des Atems ünd des Alkohol¬ 
geruchs bei der Trunkenheit, der urinöse Geruch bei Incontinentia 
urinae. 

Eine Krankheit, bei der die Inspektion sehr wenig beachtet 
wird, ist der Diabetes. Nur die schilfernde Haut, eventuell 
mit Neigung zu Furunkulose, Gangrän sind die geläufigen Schilde¬ 
rungen. Im Jahre 1906 habe ich versucht, den Zusammenhang 
zwischen der Zuckerkrankheit und der abschilfernden 
Haut aufzuklären, und zwar indem ich die Menge des Hauttalges, 
welchen der Mensch in 24 Stunden bei verschiedener Ernährung 
ausscheidet, zu bestimmen unternahm. Zu diesem Zwecke trugen 
die Versuchspersonen wollene Unterwäsche, Hemd und Unterhose, 
ohne sie abzulegen, während der Versuchszeit. Dadurch wurde 
der Hauttalg von der Wäsche aufgenommen, aus der er dann am 
Schluss der Versuchsperiode extrahiert wurde. Während der 
einzelnen Perioden wurde die gleiche Eiweissmenge und die 
gleiche Kalorienzahl gegeben, nur insofern abgewechselt, dass in 
der einen Periode ein Teil der Kalorien in Form von Fett, in 
der andern von Kohlenhydraten gegeben wurde. Es zeigte sich, 
dass bei Fettkost weniger Hauttalg (rund 1 g) als bei Kohlen¬ 
hydratkost (2 g) gebildet wurde. Nun liess sich annehmen, dass 
der Diabetiker wenig Hauttalg absondere, da er ja, wenn selbst mit 
Kohlenhydraten genährt, nicht von ihnen lebte, da er sie ungenützt 
ausschied — es musste bei ihm die niedrigere Fettkosttalgmenge 
erwartet werden. Pas ergab auch die tatsächliche Beobachtung. 
In einem Falle zeigte sich sogar eine ganz minimale Talgmenge: 
hier trat im unmittelbaren Anschluss an den Versuch ein Kar¬ 
bunkel im Nacken auf. Das liess folgende Vorstellungen zu: 
der wenige Hanttalg lässt die Haut des Diabetikers leicht ab- 

1) Vortrag, gehalten in der medizinischen Sektion der Schlesischen 
Gesellschaft für vaterländische Cultur am 15. März 1918. 


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27. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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schilfern and schätzt sie nicht genug gegen die Infektion mit 
Riterbakterien. Um diese Vermutung zu erhärten, worden Haut¬ 
talgbestimmungen bei experimenteller, durch Bromgenuss er¬ 
zeugter Akne angestellt. Der Versuch von Ludwig, aber be¬ 
sonders der von E. Kuznitzki verlief ganz in diesem Sinne. 
Kuznitzki nahm während des ganzen Versuches die gleiche 
Kost. In einer 4tägigen Vorperiode bestimmte er seinen Haut¬ 
talg: 1,2 g pro die. Dann nahm er 10 Tage genügend Brom¬ 
natrium ein und bekam dadurch eine reichliche Akne: in dieser 
Zeit hatte er nur 0,7 g Hauttalg, also nur etwa 60 pCt. der 
sonstigen Menge. In der Nachperiode ohne Brom hob sich der 
Hauttalg auf 0,9 g. So lässt sich der Zusammenhang zwischen 
Diabetes und Hautabschilferung und Furunkulose begreiflich 
maehen, wenn auch zugestanden werden muss, dass mehrfache 
Wiederholungen dieser Versuche zur Sicherung wünschenswert 
wären. 

Die Haut der Diabetiker bietet aber noch ausser diesen 
Zügen eine eigenartige und bedeutungsvolle Erscheinung, näm¬ 
lich eine häufig auftretende besondere Verfärbung. Und zwar ist 
es eine purpurfarbene Rötung, oft in oblonger Form entlang dem 
oberen Rand der Risoriusfalte, eine „purpurne Hektik 41 , die 
aber auch auf dem Jochbein gelagert sein kann und ein besonders 
frisches Aussehen vortäuscht. Mir ist ein junges, sehr hübsches 
Mädchen in Erfnnerung, das trotz schwerster Erkrankung diese 
Purpurwangen noch so zeigte, dass sie geradezu ein blühendes 
Aussehen darbot. Als ich sie mit diesem Aussehen über ihr 
Schwächegefühl u. dergl. hinwegzutäuschen suchte, sagte sie das 
leicht im Gedächtnis bleibende Wort: ja, ja, die Auslage ist ganz 
gut, aber im Laden ist nichts mehr zu finden. Oft genug hat 
der Diabetiker einen eigenartigen Pfirsichteint, in dem die Ab¬ 
schilferung der Haut und jene eigene Rötung zugleich sich ans¬ 
drückt. Diese Rötung ist nur ein Erkennungssymptom, das nicht 
einem besonderen Stadium oder Grade angehört, also keinerlei 
prognostische Bedeutung hat. 

Anders das folgende Symptom: das ich das Symptom der 
Pökelzunge nennen möchte. Denn dies ist ein für die Pro¬ 
gnose wichtiges Symptom. Es bandelt sich nm einen Zustand 
der Zunge, die mit einer ihres Schleimhautüberzuges beraubten 
Pökelzunge die grösste Aehnlichkeit hat. Es sieht aus, als ob 
das dunkelrote und trockne Muskelfieisch der Zange ohne jede 
Papillarbedeckung vorläge. Dieses Phänomen tritt nur bei vor¬ 
geschrittenen Fällen von Diabetes auf und ist ein Zeichen von 
übler Vorbedeutung, das ich nur in einem Falle sich habe bessern 
sehen. Sonst gingen die Fälle mit der dunkelroten, trocknen, 
nackten Pökelzunge ziemlich schnell zugrunde. Das Symptom 
befällt manchmal erst allmählich die ganze Zunge und ist an¬ 
fänglich auf eine keilförmige Fläche in der Mitte lokalisiert. 

Das dritte äussere Diabetesymptom gibt der ganze äussere Ha¬ 
bitus vieler Diabetiker ab. Es handelt sich um solche Kranken, die 
noch nicht ganz fettarm geworden sind, deren körperlicher Habitus 
ist durch den Gegensatz zwischen ihrem mageren Ge¬ 
sicht und dem fetten Bauch gekennzeichnet. Dieses Sym¬ 
ptom darf man wohl aus der Stoffwechselanomalie des Diabetikers, 
der schlechten Verwertung der Kohlenhydrate, ableiten. Um das 
verständlich zu machen, ist es nötig, auf die verschiedenen Typen 
der Fettleibigkeit einzugehen. 

Die Belegung der Fettdepots ist nämlich eine andere, je nach 
dem Ursprungsmaterial des Fettes. So charakterisiert sich der 
durch alkoholische Getränke überfett gewordene Mann durch ein 
rotes volles Gesicht, reichlich fetten Rumpf, dicken Bauch, ge¬ 
wöhnlich nicht mit besonders dickem Gesäss und mageren 
Beinen. Dies ist ein ganz auffallendes Phänomen in der körper¬ 
lichen Erscheinung des fetten Alkoholisten. Dahingegen bietet 
der durch übermässige Kohlenhydrate Fettleibige das Bild eines 
an allen Stellen des Körpers wohlausgepolsterten Menschen: die 
Fettanhäufungen sind zwar auch am Bauch am stärksten, aber 
überall im Gesicht, an den Armen, Beinen, Hüften findet sich 
gleichmässig reichliche Fettdeposition. 

Bei den durch Fett selbst gemästeten Personen überwiegt 
das Bauchfett sehr: aber auch hier ist alles von Fett strotzend: 
hier gibt es die enormen Nackenwülste in erster Reihe, hier ist 
selbst Fass- und Handrücken durch Fettlagen gerundet, hier die 
fetterfüllten Hängebacken. Doch finden sich diese nur bei den 
höheren Graden, sonst ist hier das Gesicht noch einer der fett¬ 
ärmeren Teile. 

Während also beim Alkoholisten die Beine dünn bleiben, ist 
bei Fettkonsumenten das Gesicht nicht besonders reich an Fett, 
während der Nascher eine mehr gleichmässige Fettanbäufung zeigt. 


Diese Regeln werden viele Ausnahmen schon deshalb zeigen, 
weil öfter die fettmachenden Substanzen kombiniert werden. 
Jedenfalls ist das häufigste Phänomen, dass die Bauchhaut bei 
jeder Nahrung das früheste Fettdepot grösseren Umfangs ist. 

So ist die Bevorzugung des Bauches als Fettdepot für das 
Fett des Fettvielessers und des Alkoholikers ein Anhalt für die 
Erscheinung des fettbäuchigen Diabetikers mit magerem Gesicht: 
die Fetterzeugung aus Kohlenhydraten, die das Gesicht besonders 
rundet, ist ihm ja versagt. 

Ein weitgehendes Verständnis eröffnen die Beobachtungen 
bei Entfettungskuren. Wird doch die Erkrankung an Diabetes in 
den meisten Fällen in der Wirkung einer solchen Kur gleich¬ 
kommen. Bei Entfettungskuren schwindet zwar am meisten das 
Bauchfett, aber am sichtbarsten das Gesichtsfett, denn die grosse 
Fettabnahme am Bauche hinterlässt immer noch verhältnismässig 
grosse Fettschichten, während ein paar hundert Gramm Fettver¬ 
lust im Gesicht sofort den Typus zur Hagerkeit verändern. Also 
Besonderheiten in der Ablagerung und in der Hergabe des Fettes, 
die beide im Zusammenhänge mit dem Wesen des Diabetes stehen, 
erschlossen uns ein volles Verständnis für die Eigenart des diabe¬ 
tischen Habitus. 

Wir sehen, dass diese äusseren Symptome des Diabetes 
darum eine Beachtung verdienen, weil sie die Diagnose erleichtern, 
die Purpurhektik — über die Prognose unterrichten — das 
Pökelzungensymptom — und Einblicke in die Wesenheit der 
Zuckerkrankheit gestatten — die Hautabschilferung und die 
schmalwangige Fettbäuchigkeit. 


Die Zystoskopie bei peri- und paravesikulären 
Erkrankungen 1 ). 

Von 

Prof. L. Casper. 

UebeTflüssig müsste man es nennen, wollte ich heut über 
die Bedeutung der Zystoskopie für die Harnblasenerkrankungen 
sprechen, vollends in diesem Kreise, in dieser Gesellschaft, von 
der aus die Zystoskopie ihren Siegeslauf durch die Welt an¬ 
getreten hat. Nur in historischem Interesse ist es nützlich, daran 
zu erinnern, dass das nicht zu allen Zeiten und an allen Orten 
so gewesen ist, es war so mancher Gegner und Widersacher zu 
überwinden. 

Heut sind sie alle verstummt, heut gibt es nur eine Stimme 
darüber, dass uns die Zystoskopie für die Diagnose und Therapie 
der Blasenerkrankungen unvergleichlichen Nutzen gebracht hat. 
Die zystoskopischen Bilder, welche die erkrankte Blase dar¬ 
bietet, sind in unserer Gesellschaft wiederholt demonstriert worden. 

Nicht sie sind daher Gegenstand meines heutigen Vortrages; 
aber ein Studium so mancher zystoskopischen Bilder hat ge¬ 
zeigt, dass sich aus ihnen über die Erkrankungen der Vesica 
hinaus wertvolle Schlüße auf Affektionen anderer Organe ziehen 
lassen, von denen manche vielleicht nicht so gekannt und ge¬ 
würdigt sind, wie sie es verdienen. 

Deshalb möchte ich Ihnen heut im Zusammenhang die zysto¬ 
skopischen Bilder vorführen, die sich gegenüber den Bildern der 
normalen oder primär erkrankten Blase ergeben, einmal bei 
Fällen, in welchen die Blase selbst ganz gesund ist, in welchen 
aber ein Nachbarorgan sichtbar auf die Blase einwirkt, und 
zweitens bei solchen erkrankten Blasen, in denen die primäre 
Erkrankung extravesikal liegt, in denen also die Blasenaffektion 
etwas Sekundäres darstellt. 

Ausschalten möchte ich bei unserer Betrachtung die rein 
gynäkologischen Affektionen, weil ich mich mit ihnen weniger 
beschäftigt habe. Sie sind mehr Sache der Gynäkologen, von denen 
Kolischer, Winter, Zangenmeister, ^Landau, Fromme, 
Stöckel und Hannes bemerkenswerte Beiträge zu dieser Frage 
geliefert haben. 

Von denjenigen Erkraükungen, die nicht in der Blase liegen, 
und die dennoch ihren Ausdruck im zystoskopischen Bilde 
finden, sind wohl die bekanntesten die tiefsitzenden Ureter¬ 
steine. 

Diejenigen Uretersteine, die oberhalb des untersten Drittels des Ure¬ 
ters sitzen, lassen keine Veränderung im zystoskopischen Bilde erkennen. 
Ist der Ureter nicht ganz verlegt, so entleert sich aus ihm Harn wie in 

1) Vortrag, gehalten in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie 
(Vereinigte ärztliche Gesellschaft vom 13. März 1918). 

2 * 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


normalen Fällen. Verschliesst der Stein den Harnleiter ganz, so ent¬ 
leert sioh natürlich kein Harn ans der Harnleiteröffnung. Das kann man 
wohl konstatieren, doch ist dabei zu bedenken, dass auoh in normalen 
Fällen der Harn zuweilen, ohne einen merkbaren Flüssigkeitsstrudel her¬ 
vorzurufen, in die Blase tritt. Zudem ist die Entfernung vom Sitz der 
Einklemmung bis zum Ureterostium so gross, dass die Ureterwelle ab¬ 
geschwächt wird und deshalb keine sichtbare Veränderung an der Ureter- 
mündung verursaoht. 

Sitzt der Stein weiter unten, also nahe dem Blasenanteil des Ureters, 
dann beobaohten wir, sobald der Stein die Hamleiterpassage völlig ver¬ 
legt, das, was man Leergehen des Ureters genannt hat. DasOstium 
macht eine quallenartige, zuerst die Oeffnung weitende, dann sie ver¬ 
engende Bewegung, ohne dass man Harn aus ihm austreten sieht. Die 
Kontraktionen des Ureters, die sich wellenartig bis zum Ureterostium in 
der Blase.fortsetzen, sind fruchtlos. Scbliesst der Stein den Harnleiter 
nicht völlig ab, so ist von diesem Phänomen nichts zu sehen. Man 
kann sich die geschilderten Verhältnisse deutlicher machen, wenn man 
V 4 Stunde vor der Betrachtung der Blase Indigkarmin eingespritzt hat. 

Rückt der Stein noch weiter herunter, so dass er im Blasenanteil 
des Ureters liegt, ohne aber die Oeffnung erreicht zu haben, so kann 
sich das in dreierlei Weise im zystoskopiscben Bilde bemerkbar machen: 
1. duroh das geschilderte Leergehen des Ureters, 2. durch eine Auf¬ 
treibung des Ureterwulstes — der sonst gleichförmige Ureterbalken 
buckelt sioh dann an einer Stelle vor oder erscheint in toto aufgetrieben 
— und' 3. durch das, was man bullöses Oedem genannt hat. Man 
sieht dann die Umgebung des Ostiums sioh in kleinen Bläschen von der 
Unterlage abheben. 

Diese Bläschenbildung, der wir noch des öfteren heute begegnen 
werden, entsteht durch Zirkulationsstörungen in der Nachbarschaft der 
Blasenschleimhaut. Wenn kleine Gefässbezirke von der Zirkulation ab¬ 
geschnürt oder mehr oder minder zusammengeschnürt werden, so kommt 
es infolge der Stauung zu einer serösen Ausschwitzung in kleinste Teile 
der Schleimhaut, so dass das Ganze wie dicht aneinandergelagerte Herpes¬ 
bläschen aussieht. 

Beim Ureterstein bedingt der Stein an sich kaum je einen solchen 
Druck, dass es zur Zirkulationsbehinderung in der Wand des Ureters 
kommt; wenn aber der Ureter behufs Austreibung des Steines starke 
Kontraktionen in grosser Zahl gemacht hat — Verhältnisse, wie sie sich 
bei einer Steinkolik ereignen —, dann sind durch das Anpressen der 
Ureterwand gegen den Stein- die Vorbedingungen für die Entstehung des 
bullösen Oedems gegeben. 

Ich zeige Ihnen hier ein Bild, welches diesen Vorgang .in schönster 
Weise illustriert. Es stammt von einem Kollegen und ist photographisch 
aufgenommen einen Tag nach sehr heftigen Koliken. Sie sehen, wie 
sich die Bläschenbildung keilförmig vom Ostium nach hinten erstreckt. 
Einige Tage darauf wurde der Stein in die Blase entleert. 

Noch leichter als die Deutung dieses Falles ist die Diagnose, wenn 
der Stein bereits aus dem Ostium heraus in die Blase hineinguokt Man 
sieht dann je nach der Beschaffenheit des Steines eine graue oder gelb- 
lichweisse Masse in der Oeffnung des Harnleiters stecken, die sich so 
deutlich von der Umgebung differenziert, dass ein Nichterkennen kaum 
möglich erscheint. Ich zeige Ihnen hier ein solohes Bild. Die Stein¬ 
bröckel, die im Ureter sassen — offenbar war der Stein duroh die Kon¬ 
traktionen des Ureters zerbröckelt worden — und die sich bald darauf 
in die Blase entleerten, bestanden aus Harnsäure. 

Obwohl ich mich in dem heutigen Vortrag mit der Therapie 
nicht beschäftige, möchte ich doch bei dieser Gelegenheit hervor¬ 
heben, dass wir heutzutage ein sehr bequemes und ungefährliches 
Mittel besitzen, um eine Befreiung dieibr tiefsitzenden Steine 
aus der Umklammerung des Harnleiters herbeizuführen. Wir 
brennen mit Hochfrequenzstrom vermittelst einerüreter- 
sonde die Ureterwand über dem Stein durch, so dass ein 
grosses Ureterostium resultiert, durch welches der Stein dann 
leicht entbunden werden kann. 

Bekannt sind ferner die Veränderungen, welche das Ureter¬ 
ostium zuweilen bei der Nierentuberkulose zeigt. 

Wir sehen hier mannigfache Typen: die Ränder des Ostiums können 
leicht eingezogen sein, es sieht aus, als ob Schnitte oder Einkerbungen 
von der Oeffnung ausgehen. Diese nehmen manchmal eine strahlen - oder 
sternförmige Gestalt an (Demonstration). Auch Tuberkelknötchen 
von graugelber Farbe in verschiedener Anzahl können das Ostium kranz¬ 
artig umgeben, doch ist dieser Befund selten. Häufiger ist die unmittel¬ 
bare Umgebung des Harnleitermundes geschwollen und gequollen, er 
liegt versteckt, wie vergraben in der samtartig veränderten 
Schleimhaut. Die Sohwellung ist zuweilen so stark, dass das Ostium 
überhaupt nicht mehr sichtbar ist. Doch der Kundige erkennt an der 
aufgequollenen geröteten Stelle, da, wo die Uretermündung liegen sollte, 
dass sie auch hier zu suchen ist, selbst wenn man sie in Wirklichkeit 
nicht sieht. Alle diese Veränderungen erklären sioh daraus, dass die 
Ureterwandung selbst miterkrankt ist. Und wenn diese Erkrankung 
einen beträchtlichen Grad erreicht, der Ureter stark verdickt ist, so dass 
Zirkulationsstörungen in der Ureterblasenwand entstehen, sieht man am 
Ostium ein eng begrenztes kleinzelliges bullöses Oedem. Alle diese 
mannigfachen Veränderungen sind so typisch, dass der Geübte durch 
ihren Anbliok auf die Diagnose Nierentuberkulose hingelenkt wird. Ander¬ 
seits muss mit Naohdruok betont werden, dass aus der Intaktheit 


des Ureterostiums nicht etwa auf die Gesun dheit der 
dazugehörigen Niere geschlossen werden darf. Zahlreieh 
sind die Fälle ausgesprochener Nierentuberkulose, in welohen das be¬ 
treffende Ureterostium durchaus sein zartes jungfräuliches Aussehen be¬ 
wahrt. 

Dass man duroh das Biohtbare Austreten von Blut und Eiter 
auf Blutung und Eiterung, durch den sichtbaren Abgang von Zysten 
aus der Uretermündung auf Echinococcus der oberen Harnwege schliessen 
kann 1 )» bedarf als etwas Selbstverständliches kaum der Erwähnung. 

Schwieriger ist ein Fall zu deuten, dessen Bild ich Ihnen 
nunmehr zeige. 

Aus der linken Uretermündung guckte ein weisslicher Strang heraus, 
der in einen weisslich-braunen Tumor überging. Der Strang war eins 
mit dem Harnleiter, ja er sohien aus einem Teil seiner Wand heraus- 
zuwachsen. Da ioh ein solohes Bild noch nicht gesehen hatte, so ver¬ 
suchte ich festzustellen, ob der Tumor fest auf der Blasen wand auf- 
saas oder frei beweglich war. Mit dem eingeführten Ureterkatheter 
konnte man den Tumor, der die Grösse einer Walnuss hatte, von der 
Uretermündung wegstossen, so weit, wie es der Strang gestattete. Er 
fiel dann immer wieder, duroh den Strang gezogen, in seine frühere Ruhe¬ 
lage zurück. In Uebereinstimmung mit dem ganzen Krankheitsbilde — 
es waren schwerste Harnblutungen vorausgegangen, und in der linken 
Niere war ein über kindskopfgrosser Tumor zu fühlen — wurde be¬ 
sagter Tumor als ein grosser Fibrinklumpen gedeutet, welcher duroh 
Auslaugung eines an der Ureterwand hängengebliebenen Blutgerinnsels 
entstanden war. Dafür sprach auch die fleckige Färbung des Tumors. 
Ein altbraun lederartiger Ton wechselte mit grauweisslichen und röt¬ 
lichen Partien. Das Braun entsprach dem jüngeren, noch blutbaltigen 
Teil, das Weiss den bereits in Fibrin umgewandelten Massen. Es wurde 
ein Teil des Klumpen mit der zystoskopischen Zuge entfernt, die mikro¬ 
skopische Untersuchung bestätigte die Annahme. 

Wenn ein ähnlicher Tumor wie der beschriebene fest auf dem 
Blasenboden auf liegt, so kann die Entscheidung, ob es sich um einen 
wirklichen Blasentumor oder nur um ein in die Blase verschlagenes 
Gebilde handelt, schwierig sein. Dann erinnere man sioh dieses leder- 
farbenen Tones, eine Farbe, die kein Blasentumor zeigt, die aber für 
ausgelaugte Blutklumpen charakteristisch ist. 

Von fesselndem Anblick sind die Bilder des Ureterpro¬ 
lapses. Sie sind verschieden, je nach den mechanischen und 
dynamischen Verhältnissen. Ist der Vorfall der Ureterschleimhant 
so geartet, dass der Harnstrom bei seinem Austritt nach unten 
kein Hindernis findet, so siebt man nichts als eine durchscheinende, 
mit feinen Gefässen überzogene, weissgelblich rote Blase von 
Stecknadelknopf- bis Walnussgrösse. Ihre Lage da, wo das Ureter¬ 
ostium zu sitzen pflegt, macht die Diagnose nicht schwer. Zudem 
machen sich die Ureterkontraktionen durch ein Ausquellen des 
Harn Stroms aus der Zyste bemerkbar, wenn auch diese ihre 
Gestalt nicht wesentlich ändert. 

Wird das Ureterostium beim Vorfall der Schleimhaut so gelagert, 
dass es verlegt oder teilweise abgeschlossen ist, oder wird dieser partielle 
Abschluss durch die Ureter kontraktionen herbeigeführt, so entstehen 
Stauungen nach aufwärts, unter deren Einfluss die Niere zuweilen so 
leidet, dass sie zu sezernieren aufhört. Häufiger arbeitet die Niere 
weiter, der Harnstrahl findet keinen sofortigen Austritt, dann wird die 
Ureterschleimhaut weiter vorgetrieben, sie bläht sioh kugelartig auf. Das 
zystoskopisch sichtbare Phänomen gleioht genau dem Vorgang, der ent¬ 
steht, wenn man einen kleinen leeren Gummiballon oder nooh besser 
eine leere Fischblase mit Luft oder Wasser aufbläht. Ist die Kontrak- 
zion vorüber, so fällt die Blase, aus der der Harn allmählich seinen 
Ausweg gefunden hat, wieder zusammen, gerade wie der Gummiballon 
tusammensinkt, wenn die Luft oder das Wasser aus ihm entfernt sind. 
Wer dieses Phänomen einmal gesehen hat, wird über die Deutung dieser 
Bilder nicht in Zweifel sein können. 

Nur nebenbei erwähne ich, dass man diese Ureterprolapse, zu deren 
Heilung man früher grosse Operationen — Sectio alta, Vernähung usw. — 
vornahm, heute in der denkbar einfachsten und ungefährlichsten Weise 
beseitigt. Man schickt durch eine Metallknopfuretersonde Hoohfrequenz- 
ströme in die Zyste hinein, bis ihre Wand durchlöchert ist. Die Zyste 
fällt in sich zusammen, die Wände derselben retrahieren sich allmählich, 
und es resultiert, wie man später zystoskopisch feststellen kann, ein 
grosses Ureterostium. 

Ich komme nun zu einer Affektion, die seltener ist als die 
eben besprochene. 

Da ist ein Fall von besonderem Interesse, weil es in ihm duroh die 
Zystoskopie gelang, die Diagnose auf Empyem des Ureters zu stellen. 
Ich charakterisiere den Fall in kurzen Woiten wie folgt: Eine schwer 
krank erscheinende Dame mit zeitweise auftretendem Fieber, an deren 
sehr dickem Leib nichts durchzupalpieren ist, entleert bald klaren, ganz 
normalen, bald dickeitrigen rahmigen Harn. Man könnte sagen, m ist 
mehr Eiter als Harn, den die Blase zutage fördert Schmerzen bestehen 

1) Einen Fall, in welchem man Echinococcusblasen auf dem Blasen¬ 
boden fand, und in welohem der eine weit klaffende Ureter erkennen 
1 liess, woher sie stammten, ist von Manasse aus der Posnersohen Klinik 
| beschrieben worden. 


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27. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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nicht, nur äusserste Mattigkeit und Hinfälligkeit. An den Tagen klaren 
Harns sieht man zystoskopisch in der Gegend des linken Ureters eine 
eiförmige Erhebung von der Grösse eines Taubeneies. Dieselbe ist mit 
normaler Schleimhaut überzogen. Aus dem median von dem Tumor ge¬ 
legenen Ureterostium entleert sich nichts. Zystoskopiert man an Tagen, 
an denen der Harn eitrig ist, so sieht die Blase ganz gesund aus, doch 
quillt rahmiger Eiter aus dem linken Ureterostium hervor. Dieser 
wechselnde zystoskopisohe Befund und der des Harnes gestattete die 
Diagnose auf Empyem des linken Uretus zu stellen. Die Eiterausamm- 
lung im linken Uretersack wurde in gewissen Zwischenräamen so gross, 
dass sie das Lumen des Harnleiters vollkommen verstopfte, dann bekam 
man nur den klaren normalen Harn der rechten Niere zu Gesicht. Dem 
folgte bald eine Periode, wo der Eiter wieder abfloss, in dieser Zeit war 
am Ostium keine Auftreibung wahrnehmbar. 

Wir kommen nunmehr zu den Bildern, weiohe Prostataer¬ 
krankungen in der Blase hervorrufen. 

Sollte jemand meinen, dass - sich hierbei die Zystoskopie erübrigt, 
weil es sich um ein Organ handelt, das vom Rektum aus abzutasten ist, 
so dass man etwaige Veränderungen gut palpieren kann, so wäre auf 
den Irrtum dieser Anschauung hinzuweisen. 

Es handelt sich im wesentlichen um zwei Krankheiten der 
Prostata, um die gutartigen Hypertrophien, die wegen ihrer 
enormen Häufigkeit für zahlreiche Männer über 50 Jahre eine 
so grosse Rolle spielen, und um die malignen Prostatatumoren. 

Richtig ist, dass sich in der überwiegenden Zahl der Fälle Ab¬ 
weichungen von der normalerweise Kastauiengrösse habenden Prostata 
in bezug auf Konsistenz, Grösse und Gestaltung vom Mastdarm aus 
gut feststellen lassen. Wir kennen alle die kugelartig vorspringende, 
die mehr flächenartig in die Breite gehende Form der gutartigen Hyper¬ 
trophien und im Gegensatz dazu die ungleichmässigen regellosen malignen 
Auswüchse, die hart wie Stein oft nur nach einer Seite ähnlioh wie ein 
Horn aus dem Kopf eines Stieres herauswachsen. 

Nun gibt es aber auch Formen — und das gilt besonders 
von den Hypertrophien —, in denen die Prostata nicht gleich- 
mässig symmetriscn nach allen Teilen wächst, sondern in denen 
asymmetrische Wucherungen vorerst in der Richtung der Blase 
stattfinden. 

Nioht selten trifft das zu für beginnende Prostatahypertrophien, 
aber man sieht es auch bei länger bestehenden, bei welchen die Waohstums- 
riohtung nach der Blase zu die Oberhand behält. Bei diesen asymme¬ 
trischen Prostatahypertrophien braucht man vom Rektum aus gar keine 
Vergrösserung zu fühlen. Erst so werden die Klagen so mancher auf 
Prostatahypertrophie hindeutenden Patienten verständlich, bei denen 
vom Rektum aus eine Vergrösserung nicht konstatierbar ist. 

Hier nun tritt die Zystoskopie id willkommener Weise er¬ 
gänzend ein. Wie es nicht anders sein kann, wölbt die wachsende 
Vorsteherdrüse die Blasenwand vor und erzeugt vielfache Ge¬ 
staltungen, die dem Kundigen ohne weiteres als das imponieren, 
was sie sind. 

Da die Prostata unmittelbar dem Spincter vesioae anliegt, so spielen 
sioh die Veränderungen naturgemäss an diesem ab. Der Sphinkter¬ 
rand ist nioht mehr glatt und regelmässig, sondern man be¬ 
merkt kleine Unebenheiten, leichte Buckelungen, deutliche 
Einlagerungen, kugelförmige Ausbuchtungen desselben je 
nach dem Grade und der Art der Vergrösserung. Der sonst 
unterbrochene Sphinktervorhaog, der die Blase ähnlioh wie ein Vorhang 
die Bühne abschliesst, erfährt eine oder mehrere Unterbrechungen durch 
die zwischenvachsende Prostata, so dass er sohliesslich eine spitz- 
winoklige, torartige Form annimmt. Vom Sphinkter ist nur noch 
der Winkeipunkt und seine nächste Umgebung zu sehen, während die 
Prostata die Schenkel des Winkels bildet. Wichtig zu wissen ist, dass 
in allen diesen Formen der Prostatavorsprung von glatter Blasen¬ 
schleimhaut überzogen ist. Diese mag gesund von deutlichen, nicht 
selten dliatierten Getässen durchzogen aussehen oder einen'samtartigen 
diffus geröteten zystitischen Charakter tragen, aber sie bleibt unduroh- 
brochen nur von der Drüse vorgewölbt, während es bei malignen Prostata¬ 
tumoren zuweilen, manchmal früher, manchmal später, zum Durch¬ 
wachsen durch die Blasenwand kommt. Aus diesen Darlegungen ergibt 
sich, dass die Zystoskopie für die exakte Diagnose der Prostatahypertrophie 
unentbehrlich ist (Demonstration). 

Auf die gleichen Ursachen wie die eben geschilderten sind 
Bilder der Blase zurückzuführen, auf die ich jetzt Ihre Auf¬ 
merksamkeit lenken möchte. 

Es sind Veränderungen, welche das Blasenbild darbietet, wenn irgend 
etwas aus der Nachbarschaft der Vesica gegen diese andringt, sei es, 
dass es sie mechanisch vorwölbt, sei es, dass es nur durch den 
Druck mechanische Zirkulationsstörungen hervorruft. Natur¬ 
gemäss werden sioh diese Veränderungen der Blase da zeigen, wo die 
störende nachbarliche Ursache ihren Angriffspunkt hat. Ist das der 
Blasenhals, so betreffen die Veränderungen den Sphinkter, ist es 
oben, so die vordere Blasenwand, unten die untere Wand usf. 

Ich hatte sohon erwähnt, dass ich die rein gynäkologischen Affektionen 
nicht mit in den Bereich unserer Betrachtungen ziehen möohte, nur so 


viel sei gesagt, dass Uterus und Adnexaffektionen je nach ihrer Ein¬ 
wirkung mannigfache Gestaltveränderungen bis zu Zwei- und Dreiteilung 
des Blasencavums bewirken. 

Ein zu dieser Rubrik gehörendes Bild, das zwar vorzugsweise bei 
Frauen, aber auch bei Männern vorkommt, ist das, was man fälschlicher¬ 
weise Cystitis oolli proliferans genannt hat. Man sieht hier den 
Sphinoter vesicae nicht glatt, sondern von ihm gehen handschuhfinger¬ 
artige Aussackungen aus, kleine sprossen artige Vorsprünge von trans¬ 
parentem Inhalt, ähnlioh wie die Zotten eines Papilloms, meist mit 
einem Blutgefäss durchzogen (Demonstration). Diese Zöttchen werden 
oft als Tumoren angesprochen, sie sind aber keine Tumoren, sondern 
ganz harmlose papilläre Auswüchse mit abgehobener Mucosa oder 
Submuoosa, zurüokzulühren auf Zirkulationsstörungen, die man sioh 
sehr gut dadurch hervorgerufen vorstellen kann, da*s bei den Kon¬ 
traktionen des Sohliessmuskels gelegentlich kleine Einklemmungen 
der Schleimhaut, insulare Abschnürungen entstehen. Es mag wohl 
ein Proliferationsprozess hinzukommen, aber den Namen Cystitis colli 
proliferans verdienen sie nur dann, wenn auch wirklich gleionzeitig eine 
Zystitis besteht. Sie kommen aber auch bei ganz gesunder normaler 
Blase vor. 

Ein Bid, welches die Abhängigkeit des Blasenaussehens von der 
Umgebung illustriert, lieferte ein Fall, der sich durch Schmerzen 
oberhalb und seitlich der Blase, ferner durch mässigen Harndrang 
und leichte Fiebersteigerung auszeichnete. Man sah und fühlte an 
den angegebenen Stellen eine Auftreibung diffuser Art, die auf Druck 
leicht schmerzhaft war. Das Leiden bestand schon seit mehreren Wochen, 
ohne sich zu ändern. Der Harn war absolut klar und normal. Beim 
Hineinblioken in die Blase sieht man in der linken oberen Seitenwand 
eine Reihe von erbsen- bis bohnengrossen Blasen, die im oberen 
Teil transparent, im unteren rötlicü undurchsichtigerscheinen. Es 
gleicht einer Weinstaude, deren Trauben dicht aneinander liegen. Offen¬ 
sichtlich handelte es sich um einen der linken Seitenwand der Blase 
anliegenden prävesicalen Abszess, durch dessen Druck das beschriebene, 
zystoskopisohe Bild verursacht wurde. Die Operätion bestätigte die 
Annahme. Aoht Tage darauf hatte sich das Bild des bullösen 
Oedems so zurückgebildet, dass nur noch Rötung und minimalste 
Abhebungen zu sehen waren. 

In einem ähnlichen Falle lag der prävesicale Abszess gerade hinter 
der Symphyse. Das Bild des bullösen Oedems erschien in ihm an der 
vorderen oberen Blasenwand. 

Hiervon abweichend aber präsentierte sich ein Fall, dessen Diagnose 
uns viel Kopfschmerzen maoüte. Er betraf einen jungen Mann von 
35 Jahren, der in den letzten Monaten recht heruntergekommen war 
und im wesentlichen über Schmerzen in der vorderen und seitlichen 
Blasengegend klagte. Wenig Harndrang, klarer normaler Harn 
nie Blutungen. Man palpierte über die Blase eine teigig sich an- 
iühlende Vor Wölbung, welche diffus nach beiden Seiten, aber vor¬ 
wiegend nach links hin weiterzieht. Zwischen Symphyse und Tumor 
können die Finger nicht eindringen. 

Zystoskopisch sehen wir zu unserer Ueberraschung in einer sonst 
gesunden Blase ein Gebilde, das als nichts anderes als ein richtiger 
Blasentumor angesprochen werden konnte, wiewohl ja der Umstand, dass 
nie eine Blutung dagewesen war, dagegen sprach. Oben wölbt sich ein 
eiförmiges Gebilde in die Blase hinein. Die Spitze des Eies sieht nach 
unten. Der Tumor ist so körperlich, dass er deutliche Schatten wirft. 
Er erscheint völlig solid mit kleinen herpesartigen Bläschen besetzt. 
Diese lassen aber hier und da Sohleimhaut zwischen sich erkennen. 
Weiter aufwärts ist der glatte Tumor von einem feinen Gefässnetz durch¬ 
zogen, ganz verschieden von den grösseren Blasengefässen, die man unter¬ 
halb des Tumors in die Blase sich ausbreiten sieht. 

Bei der Operation (Sectio alto) fauden wir das Cavum Retzii zum 
grossen Teil von dem Tumor ausgefüllt. Dieser, mit dem Bauchfell und 
der Blasenwand fest verwachsen, hatte Ausläufer nach beiden Seiten, 
besonders nach links hin, wie es der Palpation entsprach. 

Angesichts dieser Sachlage wurde in der Annahme eines malignen 
Tumors, der mit Sicherheit bereits Metastasen gemacht hatte, von einer 
Radikaloperation Abstand genommen, die Wunde geschlossen und sola- 
minis causa eine längere Radium- und Röntgenkur verordnet. 

Um es kurz zu machen, naoh einem halben Jahr war der fühlbare 
Tumor wesentlich kleiner, zystoskopisch war er versöhn unden, die Be¬ 
schwerden wichen mehr und mehr, nach einem Jahre war kaum noch 
etwas zu fühlen. 

Jetzt naoh drei Jahren ist der Kranke völlig genesen, der Tumor 
ist verschwunden. Es hat sich um eine Granulationsgesohwulst 
gehandelt, wie solche zuweilen durch irgendein gelegentliches Trauma 
entstehen. 

Ich habe den Krankheitsverlauf nur mitgeteilt, weil er ein beson¬ 
deres Interesse bietet. Für das vorliegende Thema kommen ja im 
wesentlichen die zystoskopisohen Verhältnisse, das Vortäuschen eines 
Blasentumors darch einen prävesikalen Tumor in Betracht. 

Als Letztes kommen wir nun za einer Grappe von Fällen, 
welche dadurch.charakterisiert sind, dass von der Nachbar¬ 
schaft ein entzündlicher oder geschwüriger Prozess in 
die Blase durchbricht. Von solchen Vorkommnissen habe ich 
viererlei Arten beobachtet. 

Die erste Art war die, dass ein parametritisches Exsudat sioh 
mit der Blase verlötet hatte und sohliesslich in diese durohgebrooben 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


war. Die Diagnose war leicht und unzweifelhaft. Zu dem seinerzeit 
von Landau und Ohlshausen erhobenen gynäkologischen Befund kam 
der des Harns und der Zystoskopie: Schmerzen und Schwellungen in 
der rechten Adnexgegend, leiohte Fieberattacken mit Peritonealreizung, 
diokeitriger Harn und Harndrang beherrschten da9 Krankheitsbild. 

Die zystoskopische Untersuchung ergab vor allem eine äusserst 
kleine Blase. Die Kapazität konnte auoh durch narkotische Mittel nicht 
über 100 com gesteigert werden. Die Blase war durch breite Verlötung 
mit dem Parametrium der rechten Seite und durch die die Blasenwand 
infiltrierende Entzündung geschrumpft. Die Gestalt der Blase war so 
verändert, dass ihr höohster Punkt nicht wie üblich in der Mittellinie, 
sondern nach der Seite der Verwachsung hin lag. Unterhalh desselben 
inmitten der stark geröteten, mit schmetterlingsartigem Belag versehenen 
Schleimhaut lag ein dunkler Punkt, aussehend wie ein Loch, aus dem 
gelegentlich ein weisser Eiterstrahl hervorquoll. Das Heraustreten des 
Eiters aus der Fistelöffnung konnte man zuweilen durch Druok auf den 
Tumor von aussen hervor rufen. 

War in diesem Fall infolge der Kleinheit der Blase die Zystoskopie 
schwierig, so gelang sie in der zweiten Art der Fälle, die hier zu er¬ 
wähnen sind, einmal überhaupt nicht, das andere Mal nach grossen Vor¬ 
bereitungen. Es handelte sich beide Male um Darmkarzinome, welche 
allmählich an die Blase herangewachsen und schliesslich in dieselbe 
durchgebrochen waren. Das eine Mal war die Blase so sohmutzig und 
blutig, dass es unmöglich war, sie so sauber zu spülen, dass man einen 
klaren Ueberblick hätte gewinnen können. Zudem war das Fassungs¬ 
vermögen der Blase beträchtlich verringert. In dem anderen Falle ge¬ 
lang die Beleuchtung, naohdem acht Tage lang Dauerkatheter und Spul¬ 
behandlung vorausgegangen waren. Man sah die kleine Blase nach 
rechts hin, dL i. nach der Seite der Verwachsung hin, verzogen. Sie 
war durch die Verwachsung so eingezogen, dass sie in zwei Abschnitte 
zerlegt erschien. Die Verwachsung, welche der tiefrote Strioh andeutet, 
geht von rechts oben nach links unten. Ungefähr in der Mitte der¬ 
selben ist eine bohnengrosse Granulation, an deren unterem Rand ein 
Eiterfäserohen hängt; hier ist der Eingang der Fistel. 

Die dritte Gruppe sind jene Fälle, in welchen ein peri- 
typhlitischer Prozess in die Blase durchbricht. Davon habe 
ich mehrere beobachtet. Ich referiere in aller Kürze über einen, 
der als Typus gelten kann. 

Der 85jährige Kranke hatte 1895 eine Appendioitisoperation wegen 
schwerer Bauchfellentzündung durobgemacht und war dann stets gesund 
bis zum Januar 1909, als er Luftaustritt aus der Blase und gleichzeitig 
Abgang von trübem roten Harn beobaohtete. Schlange (Hannover) 
diagnostizierte eine Fistel, riet aber von einer Operation ab. Bei der 
bald darauf von mir vorgenommenen Untersuchung fand ich in dem 
trüben Harn des Patienten Eiter, Kotbröckel, Muskelfasern und Kolibazillen. 

Die Blase war sohlecht ausdehnbar, das maximale Fassungsvermögen 
betrug 150 com. Sie war naoh rechts verzogen, so dass die Luftblase, 
welche den obersten Punkt in der mit Wasser gefüllten Blase einnimmt, 
nicht in der Medianlinie, sondern rechts seitlich gelegen war. In der* 
selben Gegend sah man eine leisteuförmige Vorbuchtung und unter der¬ 
selben einen dunklen Fleok, dessen Ränder eine lippenförmige Erhebung 
aufwiesen. Irgendwelche Entleerung aus dieser Fistelöffnung war nicht, 
weder spontan noch auf Druck zu beobachten. 

Durch lange fortgesetzte Spülungen der Blase gelang es, die Be¬ 
schwerden des Kranken zu lindern. Dieselben kehrten aber immer 
wieder. Trotz Schlanges und meines Abratens liess der Kranke dann 
andernorts eine Operation vornehmen, deren Folgen er erlag. 

Als Viertes habe ich endlich den Durchbruch eines syphi¬ 
litischen Darmgeschwürs in die Blase beobachtet. 

Der Kranke hatte nach Angabe seines auswärtigen Arztes im An¬ 
schluss an einen Blasenkatarrh einen pyämischen Anfall, als dessen Ur¬ 
sache eine Blasendarmfistel erkannt wurde. Bei der darauf von mir 
vorgenommenen Untersuchung war das Krankheitsbild eindeutig: leicht 
fieberhafte Temperaturen. Harndrang, trüber Harn, dessen Sediment 
aus Leukozyten, Muskel- und Pflanzenfasern in groben Stücken und 
Kolibazillen bestand. Wiederholt hat der Kranke beobaohtet, dass sich 
gleichzeitig mit dem Ham Luft aus der Blase entleerte. 

Zystoskopisch sieht man in der hier auf 200 ccm Fassungsvermögen 
verkleinerten Blase von unten nach oben einen Strang ziehen, der die 
Blase in zwei kugelige Hälften teilt. Dieser Strang geht nach unten und 
hinten in eine tiefe Einbuchtung, die wie ein dreieckiges Loch erscheint. 
Aus diesem Loch entleert sich nichts, weder spontan noch auf Druck. 
Die Blasenschleimhaut zeigt teilweis entzündliche diffuse verwaschene 
Rötung, in anderen Teilen sind die Gefässe noch gut sichtbar (Demon¬ 
stration). 

Es sei bemerkt, dass es in diesem Falle gelang, nachdem antilue- 
tisohe Kuren vorausgeschickt waren, duroh Verschorfung des Fistelganges 
mittelst Diathermie auf intravesikalem Wege die Fistel ganz zum Schluss 
zu bringen. Die genannten abnormen Bestandteile verschwanden aus 
dem Harn, die Luftentleerung hörte auf. Allerdings öffnete sich nach 
lVz Jahren die Fistel von neuem. Doch dieses nur nebenbei. 

Worauf es mir ankam, war zu zeigen, dass bei Ver¬ 
wachsung nnd Durcbrucb eines Nachbarorgans in die 
Blase typische Veränderungen im zystoskopischen Bilde 
entstehen, die ich kurz wie folgt präzisieren möchte: 


Die Blase ist ausnahmslos in ihrem Fassungsvermögen ver¬ 
ringert. Die Gestalt der Blase ändert sich derart, dass sie nach 
der einen oder andern Richtung, nämlich da, wo sie angewachsen ist, 
verzogen erscheint. Dieses Verzerrtsein der Blase wird man dann 
erkennen, wenn man sie ad maximum ausdehnt. Ihr Scheitelpunkt wird 
gekennzeichnet durch die Luftblase. Infolge der Verwachsung kommt 
es zu Zwei- und Dreiteilungen der Blase, so dass sie aus mehreren 
Kammern zu bestehen scheint, ln anderen Fällen bildet die Ver¬ 
wachsung nur strangartige Verziehungen, wobei der Strang meist 
in das dunkle mehr oder weniger grosse Loch hineinzuziehen soheint, 
welches die Fistel darstellt. Die Fistelöffnung kann so klein sein, dass 
sie als solche gar nicht wahrnehmbar ist. Eiter und Blut kann sich 
aus der Fistel entleeren, doch fehlt dieses Anzeichen in anderen Fällen. 
Wohl nie aber fehlen die begleitenden zystitischen Charakteristika, von 
denen man alle Stufen, von der leiohten Rötung bis zu diphtherischen 
Auflagerungen beobachtet. 

Und damit, meine Herren, bin ich am Schlüsse meiner Be¬ 
trachtungen. Ans ihnen ergibt sich, dass die Zystoskopie über 
die Erkennung der Erkrankungen der Blase hinaus von Bedeu¬ 
tung ist. Sie erweist sich, wie Sie gesehen haben, diagnostisch 
und bisweilen auch therapeutisch, auch in einer ganze Reihe von 
Krankheiten, welche ausserhalb der Blase liegen, welche aber 
früher oder später im zystoskopischen Bilde in die Erscheinung 
treten, als nützlich und wertvoll. 


Die Wiederherstellung der geschädigten Nieren¬ 
funktionen bei chronischen Nephritiden 1 ). 

▼on 

Prof. Dr. Felix Himkfeld-Berlin. 

Die Prüfung der funktionellen Leistungen der Niere kommt 
gegenwärtig bei der Voraussage und Behandlung der chronischen 
Nephritiden in erster Linie in Betracht. So unterscheidet Volhard 1 ) 
abgesehen von dem ersten akuten Stadium ein zweites Stadium, 
bei dem zwar alle sekretorischen Elemente erkrankt, aber zum 
grossen Teil wenigstens noch an der Funktion beteiligt seien. 
Solange scheint also eine gute Voraussage gerechtfertigt. In dem 
dritten Stadium dagegen, in dem der grössere Teil der sekretorischen 
Elemente der Niere ausgeschaltet und nur der minder schwer 
erkrankte Rest noch an der Funktion beteiligt sei, handelt es sich 
nur darum, die drohende völlige Erlahmung des erkrankten 
Organs zu verhüten. Im Anschluss hieran empfahl dann Umber 9 ), 
während der erhaltenen Nierenfunktion weder eine besondere 
Regelung der Flüssigkeitszufuhr noch irgend eine sonstige diätetische 
Maassnahme. Nur die Verhütung von Exzessen im Essen und 
Trinken sei an gezeigt. Eine Ei weissbeschränkung wäre ausser im 
akuten, nur in dem Insuffizienzstadium der Schrumpfniere 
erforderlich, hingegen nicht in dem sich oft Jahre hinziebenden 
Zeitraum der erhaltenen Nierenfunktion. 

Eine Wiederherstellung der einmal geschädigten Nierenfunktion 
zieht man anscheinend allgemein bei der chronischen Nierenent¬ 
zündung nicht in den Bereich des Möglichen. Für die meisten 
Funktionen nimmt man dies stillschweigend an, für die Konzen¬ 
trationsfähigkeit sprechen dies Hefter und Sieb eck 4 ) auf Grund 
umfassender Untersuchungen ausdrücklich aus. 

Meine Erfahrungen haben mich zu völlig andern Anschauungen 
geführt 8 ). Zum Teil habe ich über diese Beobachtungen schon 
in dieser Gesellschaft berichtet, auf die Wiederherstellung der 
Funktionen war ich allerdings nur wenig eingegangen. Durch 
eine besonders eiweiss- und salzarme Kost war es gelungen, bei 
Schrumpfnierenkranken beträchtliche Besserung, in einzelnen 
Fällen sogar ein vollständiges Verschwinden der Albuminurie 
herbeizuführen. Durch den reichlichen Gehalt der Kost an Obst 
und Kartoffeln wurde bei dem niedrigen, meist nur 30—40 g 
betragenden Eiweissgehalt leicht eine alkalische Beschaffenheit 
des Harns erzielt, die bisweilen einen besonders günstigen Einfluss 
auf die Nieren auszuüben schien. Von entscheidender Bedeutung 
auf die Funktionstüchtigkeit der Niere schien mir das Verschwinden 


1) Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 
30. Januar 1918. 

2) Volhard und Fahr, Die Brighi’sche Nierenkrankheit, Berlin 1914, 
S. 145 u. f. 

3) Umber, B.kl.W., 1916, S. 1264 u. f., vergl. Aussprache S. 1305 
und S. 1313. 

4) Hefter und Siebeok, D. Aroh. f. kl. M., Bd. 114. 

5) F. Hirschfeld, B.kl.W., 1915, Nr. 46, und 1916, S. 93. — M. 
Kl., 1917, Nr. 2. 


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27. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRiKI. 


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der Polyarie. Während vorher die Kranken bei einer Brnährang 
mit 80—90 g Eiweiss und 10—12 g Kochsalz 2—8 Liter Harn 
entleerten and sich dies auch im heissen Sommer wenig änderte, 
gestaltete sich dies nach der Einfährang der eiweiss- and salz¬ 
armen Kost ganz anders. Die Urinmenge sank zuerst meist auf 
1—IV» Liter und später, als sich die Kranken der Einwirkung 
der Sonnenstrahlen aussetzen, sogar anf 500— 600 ccm in 24Stunden. 
Bei eiweiss- und salzreicherer Kost war augenscheinlich die er¬ 
krankte Niere genötigt gewesen, alle verfügbare Flüssigkeit fär 
die Ausfuhr von Harnstoff und Salzen zu verwenden, während die 
extrarenalen Ausscheidungen eingeschränkt wurden. Als aber 
nur geringere Mengen von Salzen und Harnstoff ihrer Ausfuhr 
durch die Nieren harrten, nahm unter dem Reiz der Sommerhitze 
die Perspiration erheblich zu, so dass schon */» Liter Flüssigkeit 
für die Lösung der Harnbestandteile genügte. Ich muss unent¬ 
schieden lassen, ob die Wärme unmittelbar oder die durch sie 
bedingte Oligurie den von mir beobachteten günstigen Einfluss 
auf die erkrankte Niere ausübte. Jedenfalls wurde durch diese 
Untersuchungen auf die Art der Heilwirkung des warmen Klimas 
und Aegyptens bei Nierenkranken ein Licht geworfen. Ein vorteil¬ 
hafter Einfluss ist von der Wärme nur dann zu erwarten, wenn 
kein starker diuretischer Reiz durch eine zu eiweiss- and salz¬ 
reiche Kost gleichzeitig auf die zu schonenden Nieren aasgeübt 
wird. 

Wie wenig sich diese Anschauungen bisher leider Eingang verschafft 
haben, geht aus der Auffassung von flis 1 ) hervor, der aus den Unter¬ 
suchungen von A. Loewy den Sohluss zieht, dass unter dem Einfluss 
des ägyptischen Klimas dem Organismus zwar Wasser aber wenig Salze 
entzogen werden; daher aber sei der Niere eher eine grössere Arbeit 
aufgebürdet, als dass sie entlastet würde. Der günstige Einfluss des 
trockenwarmen Klimas ruhe daher weniger in einer ausgesprochenen 
Nierenschonung als in der Wärme, die den Genuss frischer Luft auch 
während des Winters in ausgiebiger Weise ermögliche und die vielleicht 
noch mehr operablen Nierentuberkulosen als Nephritiden zugute komme. 

Selbstverständlich erkenne ich die Resultate der A. Loewy’sohen 
Untersuchungen an und bin hierauf aaoh schon in meiner früheren Arbeit 
eingegangen; den Nachteil einer zu starken Wasserentziehung auf einzelne 
schwere Nephritiden habe ich voll anerkannt. Ich lege aber jetzt, 
wie vorher Wert darauf, zu zeigen, wie unter dem Einfluss unseres 
Sommers ähnliche Heilwirkungen sich erzielen lassen und eine die Nieren 
zu sehr belastende Konzentrationsarbeit durch entsprechende Ernährung 
vermieden wird, da so beträchtliche Flüssigkeitsentziehungen in unserem 
Klima in der Regel nicht in Betracht kommen. 

Wenn übrigens abweichend von His Kirchner 2 ) die Auffassung 
vertritt, dass bei dem Aufenthalt in Aegypten die Nieren Ferien be¬ 
kommen, so teilt auch er nicht meine Auffassung, in weloher Weise 
dieser Einwirkung des wannen Klimas zu ermöglichen sei, sonst würde 
er nioht den Vorschlag machen, wir sollen gegenwärtig, von den südlichen 
Gegenden abgeschlossen, an anderen Orten studieren, ob nicht da 
ähnliche Verhältnisse vorhanden seien oder geschaffen werden können. 

Ueber die von mir angewandten Methoden möchte ich nur 
Folgendes bemerken: 

Bei der Wasserprobe verabreichte ich 600 ccm Tee nüchtern 
anstatt der von Volhard empfohlenen 1600 ccm. Die geringere 
Flüssigkeitsmenge wird von dem Patienten leichter genommen, 
daher kann die Untersuchung häufiger wiederholt werden. Bei 
dem Gesunden vermag schon dieser halbe Liter immer eine be¬ 
trächtliche Erniedrigung des spezifischen Gewichtes im Urin zu 
bewirken, sofern nicht dauernd grosse Mengen von Urin aus¬ 
geschieden werden. 

Bei dem Konzentrationsversuch hiölt ich mich im all¬ 
gemeinen zwar an die von Volhard gegebenen Vorschriften, er¬ 
zielte sogar aber noch eine stärkere Wirkung, indem ich diese 
Untersuchung häufig dann vornehmen liess, wenn infolge von 
Darmkatarrhen oder Abführmitteln reichlich flüssige Darment¬ 
leerungen stattfanden. Auch bei einer sehr hohen Aussentemperatur 
Hessen sich oft erheblich höhere Konzentrationswerte auffinden. 

Im Kocltsalzversuch überschritt ich nie 10 g; häufig gab 
ich nur 5 g. Zur Prüfung der N-Ausscheidang habe ich 
schon seit über 20 Jahren 250—300 g Fleisch zu der übrigen 
Kost hinzugelegt; der N-Gehalt entspricht 8,5—10 g. Der Gesunde 
entleert hierauf an demselben Tage zumeist 4—5 g N mehr als 
an dem vorangegangenen. Geringe Verschiebungen, etwa nur 3 g, 
können vielleicht noch als normal gelten, jedenfalls wird mehr 
als 6 g von dem Gesunden am ersten Tage nie entleert. In den 
letzten Jahren habe ich meine Resultate vervollständigt, indem 
ich 20 g Harnstoff = 9,3 g N nach Monakow’s Vorschrift 
nehmen Hess. Unter normalen Verhältnissen wird von den 


1) W.m.W., 1917, Nr. 50. 

2) Zschr. f. ärztl. Fortbild., 1918, Nr. 2. 


Versuchspersonen am ersten Tage schon 7 g, am zweiten Tage 
der Rest entleert. 

Von meinen Beobachtungen will ich zwei genau mitteilen: 


Br., 84jähriger Kaufmann, erblich mit Nierenerkrankung belastet, 
da Vater an Schlaganfall im 52. Jahr gestorben ist und vorher Eiweiss 
bei ihm im Urin naohgewiesen war. Mutter gesund, sehr nervös. 
Er selbst war immer gesund, seit einem Jahr vermehrter Durst, auch 
musste er nachts mehr Urin lassen. Erst als ihm etwa Vs Jahr später 
häufiges Herzklopfen bei leichten Anstrengungen auffiel, suchte er ärztliche 
Hilfe auf. Damals (Juli 1913) wurde ein Nierenleiden festgestellt und 
ihm eine Marienbader Kur verordnet. Die Beschwerden besserten sich 
dort vorübergehend, traten aber allmählich wieder auf. Lues wird in 
Abrede gestellt, mässiger Biergenuss zugegeben; er raucht täglich 
6—10 Zigarren. 

Status Mai 1914. Mittelgrosser, etwas fettleibiger Mann von nor¬ 
malem Aussehen. Schwache Muskulatur. Keine Oedeme. Keine sioht- 
oder fühlbaren Zeichen von Arteriosklerose. Herz nioht vergrössert. 
Puls weich, 84—88 Schläge in der Minute, steigt nach zwölf Kniebeugen 
auf 124 Schlägen zugleich mit deutlicher Dyspnoe, Blutdruck 145 mm. 
Urinmenge stark vermehrt, täglich 2—5 Liter 1007—1011. Eiweissgehalt 
0,2 pM. Im Sediment spärliche hyaline und granulierte Zylinder. 

Bei einer Ernährung mit 80—90 g Eiweiss und 10—12 g Kochsalz 
werden im Mittel 2,9 1 Urin entleert, 1009 spez. Gewicht, 12,4 gN und 
10,9 g ClNatrium. Nach einer Zulage von 250 g Fleisch steigt die 
Urinmenge auf 3,2 Liter, die N-Ausfuhr vergrössert sich um 3,3 g an 
demselben Tage. Eine Kochsalzzulage von 5 g bewirkt eine Steigerung 
des Urins auf 3,3 Liter und eine Mehrausfuhr von 4,4 g Kochsalz am 
gleichen Tage. 

Nach der üblichen eiweiss- und salzarmen Diät (30—40 g Eiweiss 
und 5 g Kochsalz) sank Urinmenge auf 1—IV2 Liter in den ersten 
Woohen, dann allmählich auf 8 /i Liter 1012—1015. Die Albuminurie 
verringerte sich von 0,2 auf 0,1 pM., schliesslich am Schluss der acht¬ 
wöchentlichen Kur nur auf eben nachweisbare Spuren. Die Reaktion 
des Harns war meist amphoter, bisweilen alkalisch. 

Die Schonungskur wird 14 Tage streng gehalten, dann durch ein- 
bis zweimal wöchentlich erfolgende Zulagen von je 150 g Fleisch oder 
entsprechende Mengen von Eiern oder Käse reichhaltiger gestaltet. Das 
Körpergewicht blieb hierbei unverändert. 

Naoh etwa zwei Monaten wurde folgender Befund erhoben. Bei dem 
Wasserversuch wurden 500 com dünnen Tees nüchtern getrunken. 

3. Mai 5. Juli, 

nach 2 Stunden 180 ccm 1007 spez. Gew. 390 com 1003 spez. Gew. 

nach 4 „ 140 ccm 1009 „ „ 190 com 1009 „ „ 

nach 6 „ 160 com 1010 „ „ 120 ccm 1012 „ w 


480 ccm 700 00m 

Vorangegangener Naohturin 1009 „ „ 1016 „ „ 

Im Konzeutrationsversuoh 1014 „ , 1017 „ „ 

Bei der Zulago von 250 g Fleisch steigt Urinmenge Anfang Juli von 
V4 Liter auf 1,9 Liter, der N-Gehalt um 4,6 g. 

Anfang September 1914 sah ioh den Patienten wieder. Er hat in¬ 
folge der Aufregungen bei dem Ausbruch des Krieges kaum die vor¬ 
geschriebene Diät gehalten, sondern sehr unregelmässig gelebt. Die 
früher ihn so sehr quälende Polyurie ist nicht wieder aufgetreten. Das 
Gewioht ist von 77 kg auf 75 kg gefallen. Er fühlt sich aber körperlich 
wohl und leistungsfähig. 

Die Untersuchung des Urins ergibt 1,7 Liter Urin von 1014 spez. 
Gewioht, 10,9 g N- und 9,8 g Cl-Natrium. Die Albuminurie beträgt 
nur 0,1 pM. 

Nach einer Zulage von 250 g Fleisoh steigt die Urinmenge von 
1,7 Liter auf 2,2 Liter, der N-Gehalt auf 17,8 oder um 6,9 g N. ln 
den nächsten Tagen wurde noch 20 g Harnstoff (=9,3 g N) gegeben, 
und dieser bewirkte eine Steigerung der Urinmenge von 1,6 Liter auf 
2,4 Liter und 11,2 g N auf 20,8 g N, also um 9,6 g N. 

Der Wasser versuch ergab nach zwei Stunden 340 ccm 1003, nach 
vier Stunden 140 com 1010, nach sechs Stunden 80 ccm 1013 spez. 
Gewicht; im ganzen 560 com. Voran gegangener Nachturin 1016 ccm. 

Im Winter 1914—1915 fühlte sich Patient bei einer eiweissreicheren, 
meist 70—90 g Eiweiss und 7—11g Kochsalz enthaltenden Diät weiter 
wohl. Erst Juni 1915 hatte ich Gelegenheit, ihn wiederzusehen. Gewicht 
74 kg. Herzbeschwerden gering, besser als vor Jahresfrist. Blutdruck 
148 mm. Puls 80. Schläge in Ruhe, steigt auf 12 Kniebeugen auf 
108 ohne stärkere Dyspnoe. Urinmenge in 24 Stunden im Mittel 
1,3 Liter 1017 spez. Gewicht, 11,9 gN und 10,4 g Kochsalz. Schwankungen 
in den einzelnen Portionen 1012—1018. 

Die Albuminurie war aber auf 0,4 pM. gestiegen. 

Bei der Wasserprobe werden naoh zwei Stunden 130 ccm mit 1014 
spez. Gewicht, nach vier Stunden 180 ccm 1009, naoh sechs Stunden 
100 ccm 1012 entleert, im ganzen 410 com. Die Schwankungen in den 
einzelnen Tagesportionen betrugen 1012—1018. 

Nach Zulage von 250 g Fleisch stieg die Urinmenge auf 1,4 Liter 
mit 15,2 g N. Die N-Ausfuhr wuchs also nur um denselben Betrag 
wie ein Jahr früher vor Beginn der Kur. 

Es wurde jetzt die Sohonungskur vom Sommer 1914 wiederholt, je¬ 
doch in etwas milderer Form, da ein- bis zweimal in der Woohe Fleisch 
genossen wurde. Ausserdem wurde eine besondere Wärmeeinwirkung 
erstrebt, indem B. bekleidet zuerst 1—2 Stunden, später 3—6 Stunden 
sich teils ruhend teils mit leichter Muskeltätigkeit beschäftigt den Sonnen- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


strahlen aussetat. Nach zweimonatlicher Kur wurde August 1915 folgender 
Befund erhoben. Bei dem Wasserversuoh nach zwei Stunden 290 ccm 
1003 spez. Gewicht, nach vier Stunden 220 com 1006 nach seobs Stunden 
70ecm 1012, im ganzen 580 com. Das spezifische Gewicht der einzelnen 
Harnportionen bewegte'sioh zwischen 1011 und 1021. Nach Zulage von 
250 g Fleisch stieg die Urinmenge von 900 ccm auf 1,6 Liter, der N- 
Gehalt von 5,8 g N auf 11,2 g, also um 5,4 g. Nachdem er etwa 
acht Tage lang täglich etwa 70 g Eiweiss genossen batte, stieg bei der 
Verabreichung von 20 g Harnstoff die N-Ausfuhr von 11,2 g auf 17,9 g, 
die Urinmenge von 1,5 Liter auf 1,8 Liter. 

Die Albuminurie sank wieder von 0,4 pM. auf 0,1 pM. 

In der folgenden Zeit genoss B. abwechselnd einen Tag eiweissarme 
und den anderen Tag eiweissreiohere Kost. Der Eiweissgehalt schwankte 
dementsprechend zwischen 40 und 75 g; der Kochsalzgehalt zwischen 
5 und 8 g. Seit Sommer 1916 konnte er die Verabredung nicht mehr 
inne halten. Er ass mehr Gemüse und infolgedessen bedeutend mehr 
Kochsalz. Anfang Juli 1917 hatte ich wieder Gelegenheit, ihn zu unter¬ 
suchen. Seine körperliche Leistungsfähigkeit war sehr zufriedenstellend. 
Das Gewicht war bedeutend gesucken, auf 68 kg. Es bestehen keine 
Herzbeschwerden, auch bei Anstrengungen. Die Albuminurie ist 0,1 pM. 
Die Urinmenge beträgt im Sommer meist 1—1*/ 4 Liter, im Winter meist 
über lVs Liter nach seinen Angaben. 

Die von ihm meist genossene Ernährung bewegt sich zwischen 40 g 
und 70 g Eiweiss, 7—12 g Kochsalz. Bei dem Ausfall der Proben 
wurden annähernd gleiche Resultate erhalten als im August 1915 (nach 
der Anwendung der Schonungskur), die Nierenfunktionen zeigten also 
nur in der Konzentrationsfähigkeit sich gegenüber der Norm noch etwas 
beeinträchtigt. 

K., 44jähriger Chemiker seit zwei Jahren an einem Nierenleiden 
nach Angina erkrankt, sonst bisher immer gesund gewesen. Die Eiweiss¬ 
ausscheidung war zeitweilig wohl geringer, schwand aber nie mehr, 
sie bewegte sich zumeist zwischen Vs - 2pM. Die Urinmenge schien 
zuerst nicht vermehrt, nahm allmählich aber doch zu. Auch die körperliche 
Leistungsfähigkeit liess nach. Häufiges Herzklopfen nach Anstrengungen 
machte sioh gelegentlich bemerkbar. Lues negatur. Potus für frühere 
Zeit vor Entdeckung der Albuminurie zugegeben — täglich meist 
2— 3 Liter Bier und einige Schnäpse — seitdem auf täglich Vi Liter 
Bier beschränkt. Schwacher Raucher täglich 2—3 Zigarren. Das Gewicht 
sank in den beiden letzten Jahren um 8 kg. 

Status Januar 1915. Mittelgrosser kräftiger Mann, bei 1,72 m Höhe 
66 kg schwer. Herz vergrossert nach links und rechts. Puls im Liegen 
88, Stehen 96, stark gespannt. Blutdruck 210 ccm Hg. Keine Oedeme. 
Bei Urin 2 Vi pM. Eiweiss. Im Sediment reichlich Zylinder verschiedener Art. 

Bei einer Ernährung, die etwa 70 g Eiweiss und 10 g Kochsalz ent¬ 
hält, werden im Mittel von mehreren Tagen 2,3 Liter Urin, 9,8 g N 
und 10,7 g Kochsalz ausgeschieden. Das spezifische Gewicht schwankt 
zwischen 1008 und 1010. Die Ausfuhr von Harn wie Salzen ändert 
sich gar nicht als Patient 250 g Fleisch zu seiner übrigen Kost noch 
hinzubekommt, erst am zweiten Tage tritt ein geringes Ansteigen des 
N-Gehalts auf 10,7 g ein. Als Patient noch 5 g Kochsalz zu der früheren 
Kost erhält, steigt die Urinmenge auf 2,8 Liter, die Cl-Natriumausfuhr 
von 10,4 auf 13,1 g. Die Konzentration des Urins nahm auch gar nicht 
zu, als die Flüssigkeitszufuhr von etwa 2 Liter auf 400 ccm herab¬ 
gesetzt wurde. 

Nach zweimonatlicher Schonungskur (30—40 g Eiweiss, 5 g Koch¬ 
salz) war die Urinmenge auf etwa 1—1 Vi Liter gesunken. Vom Juni 1915 
an setzte er sioh in der beschriebenen Weise möglichst den Einwirkungen 
der Hitze aus, worauf am Schluss des Sommers die Urinmenge bis auf 
800 ccm zurückging. Die Albuminurie sank von 27s pM. auf ungefähr 
lpM. der Gesamteiweissgehalt des Urins von etwa 5—6 g auf kaum 1 g. 

Die Prüfung der Funktionen ergab folgendes Resultat. 

Bei dem Wasserversuch wurden 500 ccm dünner Tee getrunken. 

Januar 1915 September 1915 

nach 2 Stunden 220 ccm 1009 spez Gew. 310 ccm 1006 spez. Gew. 

nach 4 . „ 190 ccm 1010 w „ 120 ccm 1009 „ „ 

nach 6 „ 160 ccm 1010 „ „ 140 ocm 1010 „ „ 

Voran gegangener Nach turin 1010 „ „ 1018 „ „ 

Im Konzentrationsversuch 1010 „ „ 1015 „ „ 

Bei der Zulage von 250 g Fleisoh steigt die Urinmenge im September 
auf 1,4 Liter, der N-Gehalt von 6,1 g auf 9,8 g. 

Als Patient etwa 14 Tage lang eine Kost von 60—70 g Eiweiss 
mit etwa 8—10 g Kochsalz erhält, steigt bei der Zulage von 250 g 
Fleisch die Urinmenge auf 1,9 Liter, der N-Gehalt von 9,8 auf 12,9 g. 

Im Frühjahr 1916 steigt das Konzentrationsvermögen sogar auf 
1017—1019, der N.-Gehalt bis 1,1 %» d® r Blutdruck beträgt 180 bis 
190 mm Hg. 

Bei zwei Patienten mit polyurischer Nierenentzündung, von 
denen der erste an einer leichten oder mittelschweren Form, der 
zweite unstreitig an einer schweren Form litt, da schon das 
Stadium der gestörten Kompensation deutlich ausgeprägt war, 
gelang es, eine deutliche Besserung aller Nierenfunktionen herbei¬ 
zuführen. Zugleich gingen auch die in der Albuminurie sich 
bemerkbar machenden Reizerscheinungen an dem kranken Nieren¬ 
gewebe zurück, und zwar schwand die Eiweissausscheidung bei 
Br. zeitweilig bis auf Spuren. Der Blutdruck sank zwar auch, 
blieb aber bei K. besonders auf einer beträchtlichen Höhe. An 


die Stelle der Polyurie trat bei der eiweiss- und salzarmen Kost 
eine Oligurie, und später bei ei weissreicherer Kost die gewöhnliche 
Harnausscheidung, die sich in 24 Stunden zwischen 1—2 Liter 
bewegte. 

Aehnliche Fälle habe ich noch mehrere beobachtet, auf die 
ich jetzt nicht eingehen will. Ueber die Abweichungen von dieser 
Verlaufsart in der Besserungsperiode ist folgendes zu bemerken. 

Bei einer Groppe von Kranken lässt sich zwar die Urinmenge 
verringern, auch die Verdünnungsfähigkeit und Akkommodations¬ 
breite erreichen wieder die Norm, ebenso bessert sich daB N-Aus¬ 
scheidungsvermögen, während die Konzentrationsfähigkeit sich nur 
wenig ändert. Das spezifische Gewicht steigt nicht über 1013 bis 
höchstens 1015, der N Gehalt des Urins nicht über 0,6—0,7 pCt. 1 ) 

Schliesslich gibt es eine Gruppe von Kranken, bei denen die 
Albuminurie zwar nach Anwendung der Schonungskur schwindet, 
bei denen aber die Wiederherstellung der Funktionen der Niere nicht 
vollständig ist. Zumeist behält die Stick*toffausfuhr den schlep¬ 
penden Charakter bei der Mehrbelastung bei 2 ). Soweit ich ans 
meinem Material einen Schluss ziehen kann, scheint in solchen 
Fällen voraosgegangener Alkoholmissbrauch, Gicht, 
harnsaure Veranlagung oder Fettleibigkeit und vielleicht 
auch höheres Lebensalter eine Rolle zu spielen. Unter diesen 
Verhältnissen fand ich nämlich auch bei nicht nierenkranken Per¬ 
sonen bisweilen eine die Stickstoffausfuhr nur träge bewältigende 
Niere. Bisweilen fehlte aber jeder Anhalt für eine Erklärung. 
Jedenfalls besteht bei den chronischen Nephritiden keine strenge 
Parallelität zwischen der Besserung der einzelnen Nieren¬ 
funktionen wie derselben im ganzen und der Abnahme der 
Reizerscbeinungen im Nierengewebe, wenn sich auch 
eine entschiedene Verringerung der Eiweissausscheidung 
im Harn bei fast allen Kranken mit gebesserten Nieren¬ 
funktionen nachweisen lässt. 

Die Zeit, in der die Wiederherstellung erfolgt, ist bei den 
einzelnen Funktionen sehr verschieden. Zuerst, oft schon nach 
einigen Tagen bessert sich die eigenartige Starre, d. i. das 
Unverändertbleiben des spezifischen Gewichts nach dem Genuss 
von 500 ccm Wasser oder Tee. Häufig, namentlich in leichten 
Fällen, tritt zugleich mit der Besserung eine überscbiessende 
Wasserausscheidung auf. 

Das Konzentrationsvermögen stellt sich viel langsamer 
her. In vielen Fällen konnte man eine stufenweise Wiederher¬ 
stellung verfolgen. Das spezifische Gewicht steigt rasch auf 
1011—1014, der N-Gehalt dementsprechend bis 0,6—0,8 pCt. N. 
Man gewinnt oft den Eindruck, als ob diese Konzentration der 
kranken Niere am zuträglichsten und weitere Konzentrationszunahme 
gar nicht zweckmässig wäre, da in diesem Falle die Niere keine 
osmotische KondeDsationsarbeit im Sinne Koranyi’s zu leisten 
hat. Daher sieht man oft auch bei leichteren Fällen sich noch 
jahrelang das spezifische Gewicht bei freier Nahrungs- und 
Flüssigkeit8aufnabme um etwa 1015 herumbewegen, wenigstens 
in der 24ständigen Tagesmenge, während die Einzelportionen 
allerdings schon Schwankungen von 1010—1020 aufweisen; 
gelegentlich lässt es sich bis 1025 und 1026 heraufbringen. 
Bei einer zu raschen Zunahme der Konzentration sah ich gelegent¬ 
lich Ansteigen der Albuminurie und Auftreten von Erythrozyten 
im Sediment. Der Harn sah dann mitunter makroskopisch schon 
bräunlich aus. Zu einer Retention von Stickstoff kam es jedoch 
nicht, ein Zeichen, dass bei dieser Art und Weise der Behandlung 
es eher zu einer Reizung des Nierengewebes als zu einer 
Schädigung der Nierenfunktion kommt. Diese letztere Ge¬ 
fahr, die zu Urämie führen kann, ist bei hochgradiger Wasserent¬ 
ziehung, wie dies in dem trockenen Klima Aegyptens wirksam 
ist, nicb? ausgeschlossen, und verschiedene Angaben bestätigen 
es. Jedenfalls habe ich die am weitest gehende Besserung in 
der Konzentrationsfähigkeit auch bei schweren Fällen gesehen, 
seitdem vom Frühjahr 1915 an die Kranken sich der Sommer¬ 
wärme ausdrücklich aussetzten. Natürlich war auch in früheren 
Jahren der Einfluss der Wärme nicht ausgescbaltet, er machte 
sich in einem gewissen Maasse im Sommer immer geltend, sobald 
durch die eiweiss- und salzarme Diät die Bedingungen für die 
Beseitigung der Polyurie durch die Verringerung der diuretischen 
Reize geschaffen war. 

Ist bei der gewöhnlichen polyuriseben Schruropfniere die Besserung 
in der Konzentrationsfähigkeit keine vollständige, so verhält sioh dies 

1) Vgl. hierüber Beobachtung 1, B.kl.W., 1915, Nr. 46. Die Be¬ 
obachtung erstreckte sich aber nur auf etwa ein halbes Jahr. 

2) Vgl. hierüber Beobachtung 2, 4 u. 5. B.kl.W., 1915, Nr. 46. 


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27. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


501 


anders bei denjenigen Fällen, bei denen die Sohonungsknr frühzeitig ein- 
setzte, bevor es überhaupt zu einer Entwickelung der Polyurie gekommen 
ist. Die Erkrankung hat sich durch andere Symptome verraten, wie 
Herzbeschwerden, und nähert sioh in ihrem Charakter etwa den akuten 
Formen. Bei solchen Personen bleibt die Konzentrationsfähigkeit meist 
dauernd erhalten. Die Akkommodationsbreite oder Variabilität unter¬ 
scheidet sich kaum von der Norm. Spezifische Gewichte von 1030—1036 
sind keine Seltenheiten. 

Das auffallendste Ergebnis ist die weitgehende Besserung 
der Stickstoffausscheidung, die sogar die Leistungen der 
gesunden Niere noch übertrifft. Während unter physiologischen 
Verhältnissen bei einer Zulage von 20 g Harnstoff zur gewöhnlichen 
Kost nur etwa 80 pCt. vom ersten Tage entleert werden, steigt 
dieser Wert bei dem Nephritiker in den Besserungsstadien auf 
über 100 pCt. Eine wesentliche Ueberschreitung der Ausfuhr über 
die eingegebene Menge wurde nie beobachtet, ein Beweis, dass 
es sich nicht um die Auslösung einer Diurese und die Aus¬ 
schwemmung von zurückbehaltenen N-Stoffen handelte. In den 
leichten oder mittelschweren Fällen ist dieser höchste Grad der 
Leistungsfähigkeit schon nach einigen Monaten erreicht; bei den 
schweren Fällen dauert es jedoch länger als ein Jahr, und auch 
dann bleibt die Ausscheidungsgeschwindigkeit noch meist hinter 
der physiologischen zurück. Wiederholt sah ich jene beschleunigte 
Stickstoffaasfuhr nicht unmittelbar, nachdem eine N- und salzarme 
Diät genossen war, sondern erst 2—3 Wochen, nachdem schon 
eine freiere Ernährung gestattet war. Durch reichliche Muskel¬ 
tätigkeit liess sich die grosse Stickstoffausfuhr entschieden ver¬ 
ringern, während ich bei denselben Kranken keinen Unterschied 
in der N-Ausscheidung gesehen hatte, solange sie ihre Niere nicht 
belasteten. 

Auffallend erschien mir ferner die Besserung mehr in jenen 
Fällen ausgeprägt, in denen ein ganz schleichender Beginn der 
Krankheit einen durchaus chronischen Charakter aufgeprägt hatte. 
Dieser Befund würde mit unseren bisherigen Anschauungen in 
schärfstem Widerspruch stehen, wonach die Wiederherstellung bei 
akuten Nierenentzündungen als die Regel, bei den chronischen 
nur als Ausnahme gilt. Trotzdem kann ich meine Resultate 
nicht als Zufallsbefund ansehen; denn ich stelle jene Verzögerung 
der gesteigerten Stickstoffausscbeidung nicht allein bei den Grenz¬ 
fällen zwischen akuten und chronischen Formen, sondern auch 
bei schweren akuten Nierenentzündungen, so auch bei einzelnen 
Kriegsnephritiden fest. Ich muss daher annehmen, dass vorzugs¬ 
weise bei den Nieren, die durch keinen zu heftigen Reiz geschädigt 
sind, sich jene gesteigerte Funktionstätigkeit rasch ausbilden 
kann, wofern durch möglichste Schonung der erkrankten Teile 
im späteren Verlauf günstige Bedingungen hierfür geschaffen sind. 
Da in den schwereren Fällen es meist viel länger dauerte, ehe 
sich eine erhöhte Leistungsfähigkeit nacbweisen liess, darf man 
deren Eintritt wahrscheinlich auch bei den akuten Nephritiden 
erwarten, wofern nur die Schonung der erkrankten Niere lange 
genug fortgesetzt wird. 

Der Zusammenhang zwischen den Allgemeinsymptomen und 
der Bessernng der geschädigten Nierenfunktionen ist unverkennbar. 
Urämische Symptome, wie Kopfschmerz, allgemeine Mattigkeit, 
Uebelkeiten morgens werden zumeist zum Verschwinden gebracht, 
oder es wird deren Eotwickelung verhindert. Ebenso scheint es 
auch, als ob die Entstehung einer schweren Komplikation, der 
Retinitis albuminurica, durch die Anwendung der Schonungsdiät 
verhindert wird. Wenigstens sah ich unter allen meinen Fällen 
keinen einzigen, bei dem sich während der Beobachtungszeit die 
ersten Zeichen der Retinitis einstellten. Weniger schien sich die 
Entwickelung von Symptomen von Seiten des Herzens oder des 
Gefässsystems beeinflussen zu lassen. Es würde dies gegen die 
Ansicht Volbard’s 1 ) sprechen, wonach die Entstehung der Retinitis 
albuminurica wesentlich durch Gefässveränderungen bedingt sei, 
die sich parallel mit den arteriosklerotischen Prozessen im Organ¬ 
system entwickeln, während die Goldscbeider’sche Ansicht bei 
der Aussprache, wonach dem Zurückbleiben von Stoffwecbsel- 
scblacken der entscheidende Einfluss bei der Entwickelung dieser 
Komplikation gebühre, durch diese meine Erfahrungen eine Stütze 
erhalten würde. Das Krankheitsbild der polyurisehen Schrumpf¬ 
niere, in dem zumeist urämische Erscheinungen überwiegen und 
das tödliche Ende herbeiführen, ist, wie ich schon im vorigen Jahr 
hervorhob, in das der oligurischen Nephritis, der benignen oder 
blanden Nierensklerose Volhard’s umgewandelt. Ich halte daher 
an der damals geäusserten Auffassung fest, dass dieses angeblich 
infolge von Sklerose der Nierenarterien entstandene Nierenleiden 


1) Volhard, Sitzung desBerl. Vereins f. inn. Medizin, 7. I. 1918. 


in vielen Fällen wenigstens eine von Anfang an mildere oder 
durch Behandlung gebesserte Nephritis darstellt. 

Naturgemäss wird die Frage laut werden, sind denn ähnliche 
Besserungen der Nierenfunktionen bisher noch nicht beobachtet 
worden und namentlich, warum ist die auffallende Steigerung der 
Stickstoffausscbeidung nirgends festgestellt? 

Als Grund, dass dies nicht der Fall ist, möchte ich die bis¬ 
herige Richtung der Therapie angeben. Wie ich schon in der 
Einleitung ausführte, gilt als wesentlichster Grundsatz, den Genuss 
von Eiweiss oder Kochsalz erst dann zu beschränken, wenn 
die ungenügende Ausscheidung durch- die Nieren sicher erwiesen 
ist. Stellt sich aber, wie dies bei den meisten chronischen 
Glomerulonephritiden der Fall ist, eine ungenügende Ausscheidung 
von N heraus, während die von CI Natrium noch ungestört, ist, 
so wird nur die Menge des Eiweisses verringert, und auch dieses 
bei weitem nicht in dem Maasse und auf so lange Zeit wie in meinen 
Versuchen. Hierausergibt sich leicht eine Bevorzugung der vegetabili¬ 
schen Diät und damit eine reichliche Zufuhr des angeblich unschäd¬ 
lichen Kochsalzes. Tatsächlich wirkt in den meisten Fällen das Koch¬ 
salz, auch wenn eine Ausscheidung prompt erfolgt, auf die erkrankte 
Niere stark diuretiscb. Diese Eigenschaft gilt nach den heute 
herrschenden Anschauungen wohl als ein Vorzug. Nach meinen 
Erfahrungen muss ich aber dies für einen Nachteil halten, weil 
eben dadurch die Polyurie unterhalten und die Schonung der 
Nieren verhindert wird. 

Deshalb ist es mir nur gelungen, einen einzigen Fall von 
chronischem Nierenleiden in der Literatur aufzufinden, in dem 
durch Fernhaltung sowohl von Eiweiss wie von Salzen eine volle 
Wiederherstellung der Funktionen und die beschleunigte Stickstoff¬ 
ausscheidung nachweisbar ist. 

v. Monakow 1 ) berichtet hierüber: 

44jähriger Kaufmann. Vor 5 Jahren Kolikanfälle, vom Arzt als 
„Leberkolik* angesehen. Damals schon Albuminurie. Seitdem zweimal 
Kur in Karlsbad, zweimal in Wildungen und zweimal in Aegypten. 
Vor drei Jahren habe er an Schlafsucht gelitten, seither fühlt er sich 
subjektiv wohl. Seit Jahren hält Patient fleischfreie, salzfreie Diät inne 
und geniesst keinen Alkohol. Objektiv nur minimale Knöchelödeme. 
Blutdruckerhöhung 170 mm. Herz normal gross. Im Urin Spuren von 
Eiweiss und vereinzelte hyaline Zylinder. 

Bei einer ziemlich ei weissreichen Diät, die etwa 19 g N und 5 g 
Salze enthält, werden knapp zwei Liter Harn entleert. Auf Zulage von 
20 g Harnstoff (= 9,3 g N) steigt die Urinmenge von 1940 ccm auf 
2320 ccm, die N-Menge von 17,5 auf 26,9 also um 9,4 g N. 

Dieser übermässigen Tätigkeit der Niere bei der Stickstoff- 
ausscheidung entspricht auch eine solche der Wasserausscheidung. 
Auf Zulage von 3000 ccm Wasser steigt die Urinmenge von 
1110ccm auf 5000 ccm am nächsten Tage. v. Monakow be¬ 
merkt über diesen Fall nur, dass die Funktionsprüfung keine 
Störung der Nierentätigkeit ergeben hätte, und dass er zu jenen 
Fällen zu rechnen wäre, die von Jo res und Volhard als „rote 
Granularnieren“ beschrieben seien. Auf die in der Anamnese 
mitgeteilten Tatsachen, den Aufenthalt in Aegypten, die jahrelang 
befolgte eiweiss- und salzarme Diät, gebt v. Monakow nicht 
ein, ebensowenig auf die Ergebnisse seiner Untersuchungen, nach 
denen die Stickstoffausscheidung bei diesem Nephritiker doch auf 
die Belastung einen höheren Gipfelpunkt in der Tageskurve zeigte 
als selbst bei Gesunden. 

Schliesslich fandich in den Untersuchungen Nonnenbruch’s 2 ) 
bei Kranken, die an Stauungsniere litten, zweimal jene grossen 
Steigerungen der Nierenausscheidungen. Bei Gesunden fand 
Nonnenbrucb ebenso wie alle anderen meist eine N-Ausfuhr 
von 7 g am ersten Tage nach einer Gabe von 20 g Harnstoff. 
Bei Stauungsniere war die N.-Ausfuhr nur wenig verringert, 
beträchtlich nur bei stark gesunkener Urinmenge. In zwei 
Fällen dagegen, von denen der eine deutlich im Zustand der 
Besserung war — über den anderen ist dies nicht ausdrücklich 
bemerkt —, erfolgten auf Verabreichung von 20 g Harnstoff Mehr¬ 
ausscheidungen von 9,27 g und 9,12 g N an demselben Tage. 
Ebensowenig wie Monakow schenkte aber Nonnenbruch dieser 
Erscheinung Beachtung. 

Bemerkenswert war in dem einen Fall genau einen Monat 
vorher auf Zulage von 20 g Harnstoff 4,7 g N (nicht wie 
jetzt 9,3 g) ausgeschieden worden. Der Ausgleich war also hier 
bei der Stauungsniere rascher erfolgt als bei meinen Fällen von 
chronischer Nephritis. Entsprechend meinen sonstigen Erfah¬ 
rungen würde das dafür sprechen, dass sich die gesteigerte 


1) v. Monakow, D. Arch. f. klin. Med., 116. Bd., S. 13. 

2) W. Nonnenbruoh, D. Arch. f. klin. Med., Bd. 110, S. 169. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




602 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Leistungsfähigkeit um so rascher entwickelt, je geringfügiger die 
Schädigung der Niere vorher gewesen ist. ln den durch Schonungs> 
kuren gebesserten Fällen von Nephritis entfaltet die erkrankte 
Niere also eine Reservekraft, deren Leistungen die der 
gesunden Niere bei gleicher Belastung noch übertreffen. 
Aus der gesamten Biologie vermögen wir kein ähnliches Ergebnis 
anxuführen. Auch bei der leichtesten Form der Zuckerkrankheit 
konnte man noch nie nach einer strengen Schonungskur des er¬ 
krankten Organs eine gegen die Norm erhöhte Toleranz für 
Kohlehydrate feststellen. Bei den meisten Organleiden fehlt es 
allerdings an der Möglichkeit, sich über die Leistungen jedes 
einseinen Organs ein bestimmtes Maass su verschaffen. 

Ein naheliegender Schluss wäre entsprechend der gesteigerten 
Ausscbeidungsfähigkeit für N - haltige Stoffe, mehr Eiweiss in 
der Kost zu empfehlen. Selbstverständlich wird die Erhaltung 
dieser abnormen Leistungsfähigkeit nicht notwendig, ja vielleicht 
nicht einmal erwünscht sein. Nur ein zu starkes Sinken werden 
wir su vermeiden suchen. 

Schon aus meiner ersten Krankengeschichte geht hervor, wie 
berechtigt eine solche Befürchtung war. Nachdem etwa s / 4 Jahre 
die eiweissreichere Kost (täglich 70—80 g) auf den Tisch ge¬ 
kommen war, stellte sich die N - Ausscheidung wie am Beginn 
der Behandlung; auch die Albuminurie hatte stärker sugenommen. 
Die gesteigerte Leistungsfähigkeit ist wahrscheinlich die Folge 
eines Reizzustandes, der sich nur dann entwickelt, wenn die 
Reizung keinen zu hohen Grad erreicht Daher findet man die 
höchsten Werte bei einer Belastung der Niere nicht unmittelbar 
nach der Schonungskur, sondern oft erst, nachdem etwa 8—14 tage 
eioe freiere Diät gestattet war 1 ). Wird aber die eiweiss und 
salzreichere Kost viele Monate genossen, so lässt die Leistungs¬ 
fähigkeit der Niere wieder nach, entsprechend der Erfahrung, 
dass fortdauernd wirkende stärkere Reize schliesslich an Wir¬ 
kung einbüs8en. Für die Praxis ergibt sich hieraus der Schluss, 
nicht unmittelbar nach der Schonungskur die Nieren sofort wieder 
dauernd stark zu belasten, sondern nur zeitweilig, aber in der 
Woche an zwei oder höchstens drei Tagen eine eiweiss- und 
s alz reichere Diät su empfehlen. Sehr zweckmässig erschien es 
mir auch, die Stärke der Reize zu verringern, so Hess ich meist 
als Zulagen nicht 250 g Fleisch, sondern nur 150 g Fleisch (80 g 
Eiweiss) oder entsprechende Mengen von Käse und Eiern ge¬ 
messen. Von einer solchen Ernährungsweise habe ich bei Nieren¬ 
kranken die beschriebenen günstigen Wirkungen gesehen. War 
dies in den letzten beiden Jahren bei der Mehrzahl der Nieren¬ 
kranken auch nicht mehr genau durchzuführen, so hat wieder 
ein anderer Umstand günstig gewirkt. Infolge der meist ver¬ 
ringerten Nahrungsaufnahme wurden sowohl die renalen Prozesse 
wie die Symptome von seiten des Herzens und Gefässsystems 
günstig beeinflusst 2 ). 

Die Ergebnisse dieser Arbeit möchte ich dahin zusammen¬ 
fassen : 

Es lassen sich an Nierenkranken durch den Genuss einer 
bestimmten eiweiss- und salzarmen Schonungsdiät und unter dem 
Einfluss unseres Sommerklimas weitgehende Besserungen erzielen, 
soweit dies das Zurückgehen der Reizerscheinungen an den Nieren, 
wie die Wiederherstellung ihrer Leistungen betrifft. 

Dieser Idee der Schonung widerspricht die bis jetzt herr¬ 
schende Richtung der Therapie. Gegenwärtig sollen nur dann 
die Eiweisstoffe und die Salze in der Kost verringert werden, 
wenn ihre ungenügende Ausscheidung durch die Nieren erwiesen 
ist. Mag jedoch die Ausfuhr dieser Stoffe auch ohne wesentliche 
Störungen erfolgen, so wirken sie auf die erkrankte Niere stark 
diuretisch und verhindern den Eintritt der Oligurie, die unter 
dem Einflass auch unseres Sommerklimas sonst bei eiweiss- und 
alzarmer Diät eine so erhebliche Entlastung der erkrankten 
Niere darstellt 

Von den einzelnen geschädigten Funktionen stellt sich am 
raschesten die Verdünnungsfähigkeit nach dem Genuss der 
Schonungsdiät wieder her, die Akkommodationsbreite wird wieder 
grösser. Weit langsamer bessert sich die Konzentrations¬ 
fähigkeit, zumeist erfolgt hier die Besserung stufenweise. Die 
höchsten bei Gesunden gefundenen Konzentrationsgrade werden 
jedoch in der Regel bei der polyurischen Schrumpfniere nicht 
erreicht. 


1) Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass die Niere duroh 
die allmähliche Belastung schliesslich eine grossere Leistungsfähigkeit 
gewinnen kann. Ich möchte noch an anderer Stelle darauf eingehen, 
inwieweit eine solche Annahme berechtigt ist. 

2) Vgl. F. Hirsohfeld, B. kl. Wochensohr., 1915, S. 1182. 


Am auffallendsten erscheint die Steigerung der Stickstoff- 
ausfuhr, die bei leichten und mittelschweren Formen von Nieren¬ 
leiden meistens sogar die in den Belastungsproben unter physio¬ 
logischen Verhältnissen festgestellten Werte weit übertrifft. Wird 
dann mehrere Monate ununterbrochen wieder eine reichlichere 
Eiweisskost gegeben, so sinkt die Leistungsfähigkeit wieder be¬ 
trächtlich ab. Es ist damit bei den chronischen Nephritideo 
in der wichtigsten Funktion, der Ausfuhr der N - haltigen 
Stoffe das Vorhandensein von Reservekräften erwiesen, deren 
Ausbildung unmittelbar von einer längeren Schonung des er¬ 
krankten Organs abhängig ist und die nach dauernder starker 
Belastung desselben wieder sich abschwächen. 


Aus der I. medizinischen Klinik der Kgl. Charite Berlin 
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His). 

Die geh&uft auftretende periodische Poly- und 
Polakiurie. 

Von 

Dr. Heniail Zondek, Assistent der Klinik. 

Es häufen sich bei vielen Patienten seit einer Reihe von Monaten 
Klagen über einen auffallend starken und häufigen Urindrang. Dabei 
bandelt es sich wohl hauptsächlich um Personen, deren EruährungsVerhält¬ 
nisse trotz der zweifellos vorhandenen Besserung immerhin noch in 
wünschen übrig lassen. 

Bei vielen besteht eine wirkliche Polyurie. Es werden Urinmengen 
bis zu 6 Litern täglich entleert, ohne dass die Leute bemerkens¬ 
werterweise an grossem Durst litten. Eiei anderen besteht nur 
ein häufigerer Urindrang im Sinne der Polakiurie. Besonders lästig ist 
der nächtiiohe Drang auch bei jüngeren Personen, der gelegentlich sogar 
zu Bettnässen führt. Viele Patienten kommen dabei körperlich stark 
herunter. Der ganze Zustand trägt einen ausgesprochen periodischen 
Charakter, indem Zeiten mit gesteigertem Harndrang von normalen 
Phasen unterbrochen werden. Diese Periodizität ist so auffallend nnd 
für die Krankheit so charakteristisch, dass ich vorschlagen würde, sie 
danaoh zu benennen. Sehr bemerkenswert ist fernerhin die ausser¬ 
ordentlich gebieterische Heftigkeit, mit der der Harndrang sich einstellt 
und dabei an zystitisohe Reizerscheinungen erinnert, ohne dass in der 
Tat ein Blasenkatarrh vorläge. 

Der Harn ist entsprechend der gesteigerten Menge meist von 
niedrigem spezifischen Gewicht, indes kann dasselbe an Dursttagen er- 
heblioh steigen (bis zu 1026 und darüber). Das Konzentrationsvermögen 
der Nieren ist also intakt. Die Reaktion des Harns ist meist schwach 
sauer. Er ist frei von Eiweiss und Zucker. 

Die Kochsalzausscheidung kann an Tagen gesteigerter Harn mengen 
bis zu 40 g und darüber betragen. Dabei handelt es sich nicht allein 
um eine Chlorvermehrung, sondern auch um eine entsprechende Steige¬ 
rung der ausgeschiedenen Na-Mengen. Ein Kranker mit einer täglichen 
Hammeuge von 6 Liter im Durehsohnitt schied bis zu 24,6 g auf Na*0 
berechnet also etwa das Fünffache der normalen Menge aus (Methode 
nach Pribram), wobei etwa */« des Na an Chlor gebunden erschien. 
In gleicher Weise ist auch die Kaliumausscheidung entsprechend den 
unten erörterten jetzigen ErnährungsbedinguDgen ausserordentlich ge¬ 
steigert. Bei dem Kranken betrug sie bis zu 20,3 K»0. 

Die Gesamtstickstoffausscheiduug im Harn bewegt sich trotz der 
eiweissarmen Ernährung auf normaler Höhe (8—10 g) pro die. Doch 
fanden sieh auch Tageswerte bis zu 22 g (negative Stiokstoffbilanz). 
ln diesen Fällen handelte es sieh gar nicht immer um besonders hoch¬ 
gradige Polyurie. Offenbar war hier, da der Fettbestand des Körpers 
unter gewisse Grenzen gesunken war, zum Zwecke der Kaloriendeckung 
Zersetzung von Körpereiweiss eiugetreten. 

Die Ammoniak werte schwanken in weiten Grenzen und gehen der 
Hammeuge im allgemeinen parallel. Es fanden sich Werte von 0,38 
bis 3,0 g pro die. Während die niedrigen Werte in Anbetracht der 
vegetabilischen Ernährungsweise verständlich sind, sind die hoben, die 
allerdings nur in Fällen von stärkerer Polyurie vorhanden sind, um sc 
auffallender (s. u). 

Die Werte der Phosphorsäure liegen im allgemeinen hoch und 
können bis zu 4,5 g pro die ansteigeo, was wohl auf Zerfall von phos- 
phorsäurereiohem Gewebe hindeutet. Bei reichlicher Fettzufuhr mit der 
Ernährung nimmt die P a 0 5 -Menge im Harn prompt ab (s. u. Tabelle III). 
Die endogenen Harnsäure werte liegen in der Regel hoch (400—600 mg 
Tagesmenge). Für Kalk- und Magnesium werte gilt das Gleiche. Die 
tägliche Kalkaussoheidung duroh den Harn kann bis zu 0,58 g betragen 
(8. Tabelle III.) Offenbar ist diese Kalkausschwemmung durch die 
grosse Menge der Chloride im Harn bedingt, eine Erscheinung, die 
übrigens aus der Pathologie anderer ebenfalls auf Emährungsschädigung 
beruhenden Krankheiten und zwar des Skorbuts bekannt ist. 

Im Blute findet sieh in einer Reihe vbn Fällen, die mit besonders 
hochgradiger Polyurie einbergehen, eine Hydrämie mit Herabsetzung 
des spezifischen Gewichts des Serums bis zu 1023. In einigen anderen 


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27. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


503 


Fällen jedoch, in denen das Leiden schon lange bestand, fand sich sogar 
eine Eindickung des Blutes (s. Tabelle !)• 


Tabelle I. 


Name 

Dauer der 
Polyurie 

Wassergehalt 
des Blutes . 
pCt. 

Jo.... 

V 4 

Jahr 

82,81 

Wi. 

*u 


80,72 

Fe... 

V. 


79,26 

Ha ... . 

1 


80,70 

We ...; 

74 


81,18 

Ba. 

1 V 2 

» 

77,39 

Fl... 

Vi 

» 

78,07 

Mü. . . 

iv» 

J» 

73,99 


Die Hämoglobinwerte und die Zahlen der roten Blutkörperchen 
sind kaum herabgesetzt. Dagegen besteht in einem hohen Prozentsatz 
der Fälle eine ausgesprochene Leukopenie herunter bis zu 2000 im 
obmm Blut mit gleichzeitiger erheblicher Lymphozytose bis zu 45 pCt. 

Das ausserordentlich häufige Auftreten von Lymphozytenvermehrung 
im Blute ist uns schoo seit längerer Zeit ein auffälliges Symptom. Auch 
bei der Oedemkrankheit des vorigen Winters fand sie sich zumeist. Beim 
Morbus Basedowii wird sie bekanntlich als Reizerscheinung des auto¬ 
nomen Nervensystems aufgefasst. loh glaube, dass dieses Symptom 
neben der Polyurie und der jetzt ebenso allgemein verbreiteten Ame¬ 
norrhoe der Frauen als Ausdruck einer kombinierten Störung inner¬ 
sekretorischer Vorgänge aufzufassen ist. 

Die Rest-N-Werte im Blute (Eiweissfällung naoh Rona und 
Michaelis) sind meist auffallend niedrig (bis zu 10 mg in 100 oom 
Blut herunter), was bei der eiweissarmen Kost wohl verständlich ist, 
theoretisch indes von grossem Interesse sein durfte. Die Blutzuoker- 
w r erte (Methode nach Bertram) entsprechen der Norm. Die Werte für 
die endogene Harnsäure im Blute (Methode Maase-Zondek) betragen 
zwischen 1 und 3 mg. Der Kochsalzspiegel liegt um 0,58—0,6 pCt., also 
auf normaler Höhe. 

Am Herzen und Gefässsystem finden sich keine Besonderheiten. Der 
Blutdruck ist gelegentlich leicht gesteigert, in einzelnen Fällen bestand 
Pulsverlangsamung (55—60 Schläge in der Minute). 

Was die Ursache der Erkrankung betrifft, so glaube ich nicht, dass 
für alle Fälle von Poly- und Polakiurie eine einheitliche Aetiologie in Be¬ 
tracht kommt. Es gibt zunäohst auoh hier in der Heimat eine Anzahl 
von Personen, bei denen die allgemeine mit den Kriegsereignissen zu¬ 
sammenhängende gesteigerte Erregbarkeit des Nervensystems die Emp¬ 
findlichkeit der Blase und vielleicht der Nieren erhöht. Indes ist die 
Zahl dieser Neurotiker mit den Zeiohen der Polyurie in der Heimat wohl 
nicht sonderlich gross. Bei einer zweiten Gruppe von Patienten mag der 
grosse Wasserreichtum der augenblicklichen Ernährung, die Zufuhr von 
.grossen Mengen an Suppen, Gemüse, Kaffee usw. eine grosse Rolle spielen. 
Bei vielen anderen trifft jedoch diese Voraussetzung nicht zu, wie denn 
überhaupt der Charakter der Erkrankung, insbesondere der erwähnte ge¬ 
bieterische Harndrang nicht dem Bilde einer reinen Wasserpassage ent¬ 
spricht, sondern sich eher als Reaktion auf diuretische Reize darstellt. End¬ 
lich mögen sich einige aus Gründen der Geschmacksverbesserung grössere 
Mengen an Kochsalz in der Nahrung zuführen, das, wie Rothschild 
in einem in der Berliner medizinischen Gesellschaft gehaltenen Vor¬ 
trage meint, auf die Nieren diuretisch wirkt und daher ätiologisch in 
Frage kommt. Nach meinen Erfahrungen in der Poliklinik tun dies 
aber nur wenige. Die augenblickliche gemüse- und kartoffelreiche Er¬ 
nährung ist zwar sehr reich an Kali, aber durchaus nicht an Kochsalz 
und in Anbetracht der verminderten Mengen an Fleisch, Fisch (insbe¬ 
sondere Hering, Lachs), Bouillon usw. steht die Kriegsernährung der 
Friedensdiät in bezug auf Koohsalzreichtum keineswegs voran. Aber 


selbst bei denjenigen, die sich aus den oben erwähnten Gründen ihre 
Speisen zurzeit stärker salzen, kommt meines Erachtens dieses Moment 
ätiologisch so gut wie gar nicht in Frage. In vielen Kontrollversuchen 
an Nierengesunden habe ich an Kochsalzbelastungstagen, wo die Pa¬ 
tienten im ganzen 19—21 g Kochsalz zugeführt bekamen, überhaupt 
keine Steigerung der Diurese gesehen, gar nicht selten sogar ein Zurüok- 
gehen der Harnmenge (siehe Tabelle II). 

Nun sind allerdings die täglichen Kochsalzmengen im Harn auf¬ 
fallend gross, wobei zu bemerken ist, dass sich die Koohsalskon- 
zentration um 1,2—1,4 pCt. herum, also in normalen Grenzen bewegt. 
In einem erhebliohen Prozentsatz handelt es sioh zweifellos um Aus- 
sohwemmungskoohsalz. Indes sind die Mengen doch vielfach so er¬ 
heblich, dass wohl neben der Ausschwemmung noch ein zweites Moment 
in Frage kommt. Dies dürfte wohl in den mit der Nahrung zuge¬ 
führten grossen Mengen an Kali zu erblicken sein, woduroh auf dem 
Wege der Umsetzung von Kalium- und Natriumverbindungen innerhalb 
des Organismus eine stärkere NaCl-Ausscheidung stattfindet, wie das 
auch im Frieden bei Pflanzenfressern und Menschen mit kalireicher Er¬ 
nährung beobaohtet wurde. Die jedenfalls nicht unerhebliohen 
Kochsalzmengen, insoweit sie der gesteigerten Zufuhr an 
Kali ihren Ursprung verdanken, verursachen naturgemäss eine in 
Anbetracht der guten Konzentrationsfähigkeit der Nieren zwar nicht 
übermässig grosse, aber dooh nicht unerhebliche Steigerung der Harn¬ 
menge. Damit seheint mir der eine, aber keineswegs der einzige ätio¬ 
logische Faktor der Erkrankung gegeben zu sein. Im übrigen habe ich 
auch, wie naoh dem Gesagten zu erwarten war, einen therapeutischen 
Einfluss von etwaiger Koohsalzentziehung in der Nahrung nur äusserst 
selten gesehen. 

Wenn man aus dem Erfolg auf die Ursaohe schliessen darf, so 
scheint mir auch die Fettknappheit der jetzigen Ernährung ein zweiter 
ätiologischer Faktor zu sein. Eine Reihe von Patienten gaben aus¬ 
drücklich an, dass sioh insbesondere der nächtliche Harndrang 
unter fettreicher Nahrung bald legte. Bei einem Kollegen, der 
sioh besonders gut beobachtet hatte, waren die Perioden der Poly- und 
Polakiurie an den Aufenthalt in B. gebunden. Hier befand er sich vom 
Ende März bis Anfang Juli 1917. Während dieser Zeit entleerte er 
täglich bis zu 4 1 Harn und musste des Nachts 4 mal urinieren. Von 
Anfang Juli bis Ende August nahm er in M. Aufenthalt, wo er eine 
erheblich fettreiohere Nahrung zu sich nahm. Die Polakiurie ging hier 
bald zurüok. Anfang Oktober bis Mitte Dezember war er wieder in B. 
In dieser Zeit stellten sich die Beschwerden bald wieder ein. Von Mitte 
Dezember hatte er auch in B. grössere Mengen an Butter zur Verfügung, 
worauf die Polyurie, besonders auch wieder die Polakiurie wieder zurück¬ 
gingen, um etwa eine Woche, nachdem er begonnen hatte, die Fett¬ 
zufuhr einsohränken, von neuem aufzutreten. 

Im folgenden (s. Tabelle III) seien die charakteristischen Zahlenwerte 
aus einer längeren Versuchsreihe bei einem Poly- und Polakipriker mit¬ 
geteilt, der seit etwa 5 Monaten an häufigem besonders nächtlichem 
Urindrang litt und draussen täglich etwa 3—4 1 Harn entleerte. Er 
wurde bei uns auf konstante Kost gesetzt, bestehend aus: 500 g Gemüse, 
11 Suppe, 1 1 Kaffee, 20 g Butter, 250 g Schwarzbrot täglich. 

Die Flüssigkeitszufuhr konnte Pat. nach Belieben regeln. Sie betrüg 
in der Regel etwa 2500 ccm. Vom 22. ab bekam er täglich die in der 
Tabelle verzeichnet» Fettzulage mit dem Erfolg, dass vor allem der 
näohtliohe Harndrang naohliess. Sehr bemerkenswert ist der gleich¬ 
zeitig einsetzende Rückgang der ausgescbiedenen N.- P a 0 e - und NH a - 
Mengen, ein Zeichen dafür, dass dem abnormen Eiweissabbau und vielleicht 
auch dem Zerfall pbosphorsäurehaltigen Gewebes Einhalt geboten ist. 
Naoh Reduktion der Gemüsezufuhr liess auch die Polyurie nach (siehe 
Tabelle III), so dass nach Ausschaltung der beiden verantwortlich ge¬ 
machten Faktoren, des Fettmangels und der grossen Kalizufuhr der 
Zustand ganz zur Norm zurückkehrte. 

Wenn auch anamnestisch die Angaben der Kranken bezüglich der 
Fettknappheit nicht immer so klar liegen wie in dem erwähnten Falle, und 


Name: Eduard L. Tabelle II. 


BL-Menge 

Spez.-Gew. 

a 



Harns. 

NH 8 

Einfuhr 

Zulagen 



mm 


Eiw.-N 

H a O 

NaCl 

1350 

1020 

— 1,38 

8,37 


13,80 

1,02 

298,6 


1,712 

2811,9 

4,252 

l ' 1 

1695 

1018 

— 1,07 

8,55 

0,51 

14,37 

0,86 

417,6 

0,794 

1,712 

2311,9 

4,252 



1020 

-1,46 


0,85 

EESO 

WEM 

414,3 

0 698 

1,712 

2311,9 

4,252 

l-L. I R 9 Hai* 

1345 

1022 

— 1,21 

KEmI 

0,77 

12,92 

0,96 

374,4 

0,888 

1,712 

2311,9 

4,252 



1015 

— 1,18 

10,95 

0,61 

13,76 

0,76 

468,7 

0,887 

1,712 

a a 

4,252 


1516 

1017 

— 1,22 

8,87 

0,58 

13,67 

0,90 

466,9 

0,636 

1,712 


4.252 


1295 


-1,55 

12,78 

0,98 

EE&J 


565,6 

0,783 

1,712 

2811,9 

4,252 

+12 g Salz 

1740 

1015 

— 1,03 

12,01 

0,69 

13,74 

WSm 

483.4 

0,789 

1,712 

2811,9 

4,252 

+ ^ » » 

1440 

1016 

-1,12 

10,61 

0,74 

10,36 

0,72 

447,6 

0,587 

1,712 

2311,9 

4,252 

+ - 

1920 

1014 

— 0,97 

14,15 

0,74 

11,83 

0,61 

844,1 

0,587 

1,712 

2311,9 

4,252 

+ 4, w 


1017 

— 1,15 

12,13 

0,71 

13,71 

0,81 

428,4 

0,693 

1,712 

2311,9 

4,252 

+ 4 » » 

1550 

1018 


11,79 

0,76 

16,58 

1,07 

477,4 

0,711 

1,712 

2311,9 

4,252 

+ „ 

1570 

1020 

— 1,4« 

16 53 

1,05 

6,19 

0,49 

364,9 

EE 21 

1,796 

2324,9 

9,399 

+ 12, „ 


1015 

- 1,10 

14,77 

0,71 

13,85 

0,67 

440,5 

0,528 

1,712 

2311,9 

4,252 

+ * » „ 

1720 


-1,08 

14,47 

0,67 

10,59 

0,62 

894,9 

0,497 

1,712 

2311,9 

4,252 

+ 4 » » 


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Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 


















































504 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


Urin. Tabelle III. 


s 

! 

uge m 
ccm 

. 43 
O 
D -r- 

O. ► 

NaCl 

N 

CO 

CO 

Ä 

o 

M 

ä- 

CaO 

o 

bC 

s 

s £ 
'S .2 

ad « 

1 

1 c Jä 
* 

® «s oc 

ci*g « 

Q 

© 

za 

* 

ff 

pCt 

ff 

pCt. 

ff 

ff 

ff 

ff 

mg 

00 N ^ 

3 

1918 

11. 













20. 

3000 

1010 

39,6 

1,32 

21,37 

0,71 

1,530 

3,87 

— 

— 

— 

— 

21. 

2960 

1018 

33,94 

1,147 

22,46 

0,759 

1,5096 

5,027 

0,444 

— 

— 

— 

22. 

2360 

1016 

25,39 

1,076 

15,86 

0,672 

1,444 

3,044 

0,241 

— 

541,8 

100 g 

23. 

3100 

1011 

27,20 

0,878 

12,67 

0,409 

0,948 

2,201 

0,576 

— 

564,2 

300 „ 

24. 

2150 

1015 

22,64 

1,053 

11,14 

0,518 

1,023 

2,172 

0,399 

— 

602,0 

300 „ 

25. 

2420 

1013 

23,79 

0,983 

17,01 

0,703 

0,658 

2,928 

0,302 

— 

1562,4 

300 „ 

26. 

2250 

1012 

18,68 

0,831 

7,49 

0,333 

0,916 

1,935 

0,225 

0,196 

447,3 

300 , 

27. 

2000 

1015 

22,46 

1,123 

8,68 

0,434 

0,476 

2,680 

0,404 

0,320 

446,9 

300 , 

28. 

1400 

1022 

16,22 

1,158 

10,23 

0,731 

0,904 

2,506 

0,337 

0,366 

411,6 

Ge¬ 

III. 












müse 

ftllt 

1. 

2100 

1016 

24,33 

1,15 

11,17 

0,532 

0,99 

2,811 

0,254 

— 

474.9 

fort. 

2. 

1600 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 


— 


wenn der Beginn der Erkrankung auch durchaus nicht stet9 genau dem 
Zeitpunkt entspricht, wo sich die Fettzufuhr verminderte, so vermag jeden¬ 
falls reichliche Fettzafuhr meist den Zustand bald zu bessern. Auch 
durch eine kalorische HebuDg der Ernährung überhaupt ist häufig ein 
Erfolg zu erzielen, wenn auch nicht so prompt wie durch das Fett mit 
seinem hohen Brennwert. Auf welchem Wege dieser Einfluss zustande 
kommt, muss weiteren Untersuchungen Vorbehalten bleiben. Vielleicht 
bieten die oben erwähnten hohen Ammoniakwerte einen Fingerzeig in¬ 
sofern als sie als Neutralisationsmittel für saure Stoffwechselprodukte 
(hohe PjOj-Werte) zu verstehen wären, die bei gesteigertem Eiweiss¬ 
zerfall innerhalb des Organismus entstehen, auf welchen die grossen 
N, P 2 0 5 und Harnsäurewerte deuten. So viel ist jedenfalls sicher: Es 
liegt der Erkrankung eine tiefgreifende Stoffwechselstörung zugrunde, 
hervorgerufen durch eine protrahierte wasserreiche und fast einseitig 
vegetabilische Ernährungsweise, eine Störung, in welche neben dem 
Salzumsatz auch der Fett- und Eiweissstoffweohsel einbezogen sind. 


Bemerkungen zur Bestimmung der Lebergrösse 
durch Perkussion und Palpation. 

Von 

Prof. Dr. L. Riesa. 

Mir geht es wohl wie manchem, den die Zahl seiner Jahre aus 
einem Mitarbeiter allmählich mehr zum Beobachter in medizinischen 
Fragen macht, wenn ich mich immer besonders freue, Untersuohungs- 
metboden, die im Lauf der neueren Fortschritte an Wertschätzung zu 
verlieren drohen, auch heute betont und besprochen zu sehen. Darum 
habe ich mit Interesse von zwei Mitteilungen Kenntnis genommen, die 
kürzlich die perkutorische Bestimmung der Lebergrösse be¬ 
handeln: von Zuelzer 1 ) und von Albu 2 ). Allerdings stimmen beide 
Mitteilungen in der Beurteilung dieser Methode nicht überein, indem die 
erstere ihre Wichtigkeit von neuem gebührend hervorhebt, die letztere 
sie im Vergleich zur Leberpalpation zurückstellt. Und darum ist es 
wohl nicht ohne Wert, an ältere Erfahrungen über dieselbe Frage zu 
erinnern, auch wenn sie den neueren Untersuchungen nicht in allen Ver¬ 
gleichsgebieten folgen'können. 

In letzterer Beziehung bedauere ich vor allem, dass es mir nicht 
mehr möglich gewesen ist, eine gleiche Erfahrung, wie in den beiden 
genannten Untersuchungsarten, auch für die Methode zu sammeln, welche 
heute die Beurteilung fast aller inneren Organe, so auch der Leber, zu 
beherrschen sucht, nämlich der Röntgendurchleuchtung. Doch habe ich 
immerhin genug Röutgenbilder gesehen und besprochen, um zu wissen, 
dass auch sie öfters Zweifel über die Grösse des Organs zurücklassen 
können und jedenfalls nicht immer eine unerschütterliche Entscheidung 
zu liefern brauchen, welche die Anwendung jeder anderen Untersuchung 
überflüssig macht. Im übrigen ist in dem, was hier gesagt werden soll, 
in erster Linie von dem Vergleich der perkutorisohen und der palpa- 
torischen Leberbestimmung die Rede. 

Die Debatte darüber, ob die Lebergrösse leichter und feiner mit der 
Perkussion oder der Palpation zu bestimmen sei, ist ebenso alt wie die 
Einführung ersterer Methode. Von jeher stimmten dabei die Erfahrungen 
im allgemeinen dahin überein, dass beiden Methoden nebeneinander ein 
wesentlicher Wert beizulegen ist. Die Entscheidung konzentriert sich 
naturgemäss auf die Frage, ob der Nachweis des unteren Leber¬ 
randes perkutorisch oder palpatorisch sicherer zu erreichen ist. Hierzu 
wird der Anfänger vielleicht immer der Palpation als der nächstliegenden 
Methode ein grösseres Vertrauen entgegenbringen; er wird aber bald auf 
Fälle stosBen, in denen gewisse, namentlich vom Verhalten der Bauoh- 


1) Dtsch.m.W., 1917, Nr. 48. 

2) Ebendas., 1918, Nr. 7. 


decken ausgehende Momente es ihm sehr schwierig oder unmöglich machen, 
den unteren Rand einer normalen Leber zu fühlen, d. h. bis zu einem 
gewissen Grad zu umgreifen. 

Ich betone dabei, dass es zur Beurteilung der ganzen Frage in 
erster Linie auf die leichte Nachweisbarkeit der normalen Lebergrösse 
ankommt. Pathologisch stark veränderte Lebern machen meist weder 
der Palpation noch der Perkussion grosse Schwierigkeit Denn bei den 
Lebervergrösserungen nimmt gewöhnlich auch die Dicke und Konsistenz 
der die Bauchwand berührenden Leberschicht und die Derbheit ihres 
unteren Randes zu, und bei Verkleinerungen der Leber durch atrophische 
Zustände und ähnliches entzieht sich mit Fortschreiten der Erkrankung in 
zunehmendem Grad der untere Teil des Organs beiden Untersuchungs¬ 
methoden. Dagegen bietet die normale Leber unterhalb der Bauch- 
decken eine nach dem scharfen unteren Rand zu sich allmählich ver¬ 
jüngende Schicht von mässiger Konsistenz: Umstände, welche die perku¬ 
torische wie palpatorische Abgrenzung erschweren. Einen ähnliches 
Unterschied in der Nachweisbarkeit zeigen gegenüber der physikalischen 
Untersuchung ja viele innere Organe; ich erinnere an das Herz: der Rand 
des stark vergrösserten rechten Herzens ist leicht durch Perkussion zo 
bestimmen; den normalen rechten Herzrand richtig zu perkutieren, er¬ 
fordert lange Uebung. Und doch liegt der Diagnostik bei beiden wie 
auch manohen anderen Organen viel öfter die Entscheidung vor, ob die 
Grösse normal oder nur wenig von der Norm abweichend ist, als der 
Nachweis starker Grössenveränderung. 

Auoh mir ist es, wie vielen anderen, seit meinen Lehrjahren so ge¬ 
gangen, dass ich zwar in vielen Fällen den unteren Rand einer nor¬ 
malen oder wenig veränderten Leber perkutorisch und palpatorisch mit 
gleicher Leichtigkeit und übereinstimmend auffinden konnte, dass aber 
eine andere Zahl von Fällen übrig blieb, in denen die Abgrenzung für 
beide Methoden Schwierigkeiten bot und ihre Resultate nicht ganz über- 
einstimmten. Besonders betreffen solche Fälle jugendlich kräftige Per¬ 
sonen mit sehr straffen Bauchdecken oder adipöse Individuen mit dickem 
abdominellem Fettpolster. Unter diesen Umständen kann nicht nur die 
Umgreifung des unteren Leberrandes, sondern auoh die palpatorische 
Wahrnehmung der untersten, dünnsten Leberschioht unmöglich werden; 
dagegen gelingt es der vorsichtigsten Perkussion oft auch hier, die Dämp¬ 
fung bis zur Organgrenze zu verfolgen; das Ergebnis dieser Sachlage ist 
natürlich ein Höherliegen der palpatorischen Grenzlinie gegenüber der 
perkutorischen. Dass dabei letztere ganz oder annähernd der Wirk¬ 
lichkeit entsprach, konnte in vielen meiner Fälle unzweifelhaft, oft durch 
einen Vergleich bei der Sektion festgestellt werden. 

Dass zur Bestimmung dieser Grenzen für beide Untersucbungs- 
methoden die strengste Befolgung der bekannten Regeln verlangt werden 
muss, also einerseits die vorsichtigste methodische Anwendung leiser 
Perkussion, andererseits die Erleichterung der Palpation durch zweck¬ 
mässige Lagerung, schonendes Eingehen der Hände usw., braucht nicht 
weiter erörtert zu werden. Nur möchte ich bemerken, dass ich die Be¬ 
schränkung der Untersuchung auf bestimmte Respirationsphasen und auf 
künstlich unterbrochene Atmung im allgemeinen nicht für nötig halte 
und immer nur ausnahmsweise angewendet habe. Zuelzer rät, die Per¬ 
kussion in tiefster Exspiration, event. mit gleichzeitiger Aufblähung des 
Oberleibes durch Pressen voizunehmen. Doch stört die ruhige und gleich- 
mässige Atmung mit ihren einen durchschnittlichen Wert zeigenden Organ¬ 
verschiebungen die Auffindung der perkutorischen Grenzen hier wohl ebenso 
wenig, wie an anderen Untersuchungsstellen. Und andererseits gelingt 
es einem grossen Teil der Kranken schwer, Atemphasen wie tiefste 
Exspiration in gleichmässiger Form und für genügend lange Zeit fest- 
zuhalten.' 

Aber es kann nicht wundernehmen, dass auch die sachgemässeste 
Untersuchung Schwierigkeiten findet bei der Abgrenzung der dem unteren 
Rand nahen dünnen Schicht eines normalen oder etwa durch frische 
Erkrankung besonders weich und nachgiebig gewordenen Leberparenchyms 
von der benachbarten leberfreien Darmzone. Die hierbei zutage tretenden 
feinen Unterschiede wahrnehmbar zu machen, ist eben meiner Erfahrung 
nach die regelrechte Perkussion immer noch besser, als selbst vor¬ 
sichtige Palpation imstande, wobei übrigens darauf hingewiesen werden 
muss, dass bei jeder guten Perkussion auch das Gefühl des Wider¬ 
standes seine wichtige Rolle spielt. 

Für die an die Bestimmung der unteren Grenze Bich anschliessende 
Messung der senkrechten Höhe der Leberdämpfung, auf die Zuelzer 
näher eingeht, möchte ich betonen, dass sie selbstverständlich den von 
der Lunge bedeckten Leberteil, die relative Dämpfung in sich begreifen 
muss. Diesen Bezirk auszulassen, wäre ebenso fehlerhaft, wie es für 
die Beurteilung der Herzgrösse ist, sie aus der durch schwankende 
Lungengrenzen bestimmten absoluten Herzdämpfung beurteilen zu wollen. 
Dies ist um bo mehr zu betonen, als ich im Lauf der Jahre den Wechsel 
der normalen Lebermaasse noch grösser gefunden habe, als vielfach an* 
gegeben wird. Zuelzer sohliesst sich im ganzen den alten von Frerichs 
gegebenen Zahlen an, der für die relative Leberdämpfung eine Höhe von 
2—5 cm fand; für die Höhe der absoluten Dämpfung in der Mamillar- 
linie gibt er etwas kleinere Werte, als dieser, an: 4,5—5,0 (Max. 6) cm. 
— Dass beide Maasse auoh bei dem Gesunden stark wechseln müssen, 
entspricht der mannigfaltigen Verschiedenheit der Exkavation des Zwerch¬ 
fells, welcher sich die konvexe Leberoberfläche anzuschliessen hat. Je 
nachdem die Konfiguration des Thorax kurz und tief oder langgestreckt 
und flach und seine untere Apertur demgemäss mehr stumpf- oder spitz¬ 
winklig ist, muss die Leber, der Kapazität der ZwerchfelIswölbung ent¬ 
sprechend, bald nach hinten und oben in diese hinein rüoken und mehr 


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Original frnrri 

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27. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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unter der Lunge verschwinden, bald mehr in Vertikalstellung nach vorn 
und unten sinken und den Lungenrand weiter überragen. Die daraus 
folgende Inkonstanz der Höhenmaasse sowohl der absoluten wie der 
relativen Leberdämpfung erschien mir dauernd so gross, dass ich trotz 
langer Bemühungen es aufgab, eine brauchbare Durchschnittszahl für 
diese statistisch festzustellen, wie ich es seinerzeit für andere innere 
Organe, namentlich für die Herz- und Nierendämpfung tun konnte. Die 
Erfahrung muss, wie ich meine, dem Arzt eine derartige Uebung des 
Augenmaasses schaffen, dass er für den speziellen Fall nach Statur, 
Thoraxkonfiguration usw. abzuschätzen vermag, wo die normalen Leber¬ 
grenzen zu erwarten sind, namentlich wieweit der untere Rand des 
Organs den Rippenbogen zu überragen hat. Solche Abschätzung wird 
ihm meiner Ueberzeugung nach die Deutung der perkutorisch und pal- 
patorisoh gefundenen Grenzen besser ermöglichen, als die Anlegung des 
Zentimeterm aasses. 

Von einem Moment war es mir stets auffallend, dass es von einer 
Reihe von Beobachtern als wesentliche Erschwerung der Leberperkussion 
angesehen wird, nämlich von der häufig angenommenen Ueberlage- 
rung des unteren Leberrandes durch Darmschlingen, welche 
auoh Albu in diesem Sinn betont. Schon theoretisch ergibt die physi¬ 
kalische Betrachtung des Situs in der rechten oberen Abdominalgegend, 
dass die normale Leber mit ihrer glatten konvexen Oberfläche der 
Exkavation des Zwerchfells und der vorderen Bauchwand prall anliegen 
und mit einer gewissen Energie an diese angepresst werden muss. 
Nach allgemeiner Auffassung wirken hierbei nur zum kleineren Teil die 
Bauohfellduplikaturen, die als Ligament, coronar. und suspensor. be¬ 
kannt sind, dagegen in erster Linie der von den gasgefüllten Därmen 
ausgehende intraabdominelle Druck mit. Eine Zunahme des Gasgehaltes 
der Därme, deren Häufigkeit im Bereich des Colon transvers. und der 
Flexura hepatica zuzugeben ist, kann hieran im allgemeinen auch nichts 
ändern; sie muss im Gegenteil bei der von hinten oben nach vorn unten 
abschüssigen Richtung der unteren Leberfläche, indem sie die Leber 
stärker in die Ausbuchtung des Diaphragma sohiebt, die Andrückung 
des Organs an seine Bedeckungen praller machen. Die Tympanie der 
dem unteren Teil der Leber und ihrem Rand anliegenden Darmteile 
erschwert natürlich dabei die Perkussion und erfordert deren grösste 
Behutsamkeit; selbstverständlich wird aber gleichzeitig die Palpation 
des Leberrandes in mindestens gleichem Grad behindert. 

Diese theoretische Annahme habe ich in der praktischen Erfahrung 
immer gut bestätigt gefunden: Bei ganz oder annähernd normaler Leber 
erhielt ich nur in verschwindend seltenen Fällen durch die physikalische 
Untersuchung den Eindruck einer Ueberlagerung des unteren Randes; 
ebenso selten war sie bei den Sektionen naohzuweisen, und in einem 
Teil dieser Ausnahmefälle blieb überdies der Zweifel offen, ob die Ver¬ 
lagerung des betreffenden Darmstückes nicht die Folge postmortaler Ver¬ 
änderung der intraabdominellen Druckverbältnisse sein konnte. — Das¬ 
selbe Verhalten zeigen die gleichmässigen Vergrösserungen der Leber, 
solange deren Oberfläche ihre Glätte und normale Konvexität behält und 
ihr unterer Rand nfcht difform wird. Auch hier ist kein Hindernis für 
die gleichmässige Anlagerung des Organs an Zwerchfell und Bauohwand 
vorhanden, daher bei Stauungsleber, Fett- und Amyloidleber od. ähnl. 
wohl kaum eine Ueberlagerung zu erwarten. Die Sachlage verschiebt 
sich bei unregelmässigen Formveränderungen des OrganB, namentlich 
wenn sie mit Induration des Parenchyms sowie Verdiokung und Starrheit 
des Randes verbunden sind, wie sie bei ungleichmässigen oder zirkum¬ 
skripten Zirrhosen, bei Tumorbildung in der Nähe des unteren Randes, 
bei Syphilis hepatis u. ähnl. Vorkommen. Hier verliert die Leberober- 
flache die Fähigkeit, sich der Bauchwand glatt anzulagern, und der Ein¬ 
lagerung von Darmabschnitten in die zwischen beiden entstehenden 
Lücken steht kein Hindernis entgegen. Die auffallendsten derartigen 
Ueberlagerungen entsinne ich mich bei vorgeschrittener Form der (jetzt 
so gut wie unbekannt gewordenen) Schnürleber gesehen zu haben, bei 
der oberhalb des Leberrandes rinnenartige Einsenkungen, von hartem 
geschrumpften Gewebe umgeben, sich bilden können. — Dass alle 
solche Deformierungen auch die Palpation der unteren Lebergegend er¬ 
schweren oder ganz verhindern müssen, liegt auf der Hand. Ebenso 
versteht es sich von selbst, dass starke Verkleinerungen der Leber, 
namentlich wenn sie sich mit Erschlaffung des Gewebes verbinden, wobei 
in den Endstadien unter Umständen das Organ vollständig von Därmen 
überlagert ist (akute Leberatrophie), beide Untersuchungsmethoden 
illusorisch machen können. 

Gewisse Feinheiten der Befunde sind öfters als Prüfstein für die 
physikalische Untersuchung der unteren Lebergegend angeführt worden, 
so namentlich der Nachweis der Gallenblase. Es hat mich immer 
gewundert, dass auoh für die Norm von gewichtigen Beobachtern (unter 
ihnen besonders Gerhardt) auf diesen Nachweis Wert gelegt und Regeln 
für ihn angegeben worden sind. Denn wenn auch in den anatomischen 
Büchern bemerkt zu werden pflegt, dass der Fundus der normalen 
Gallenblase in situ den unteren Leberrand überragen kann, so ist das 
meiner Erfahrung nach doch im ganzen recht selten. Die Fälle, bei 
denen ich eine nicht vergrösserte Gallenblase in vita perkutorisch oder 
palpatorisch unterhalb des Leberrandes erkennen konnte, betrugen nur 
einen kleinen Bruchteil aller untersuchten normalen Lebern; vor allem 
fand sich aber auoh in den Sektionen bei anscheinend ungestörtem Ver¬ 
halten der Lebergegend — und ich habe viele Jahre auf diesen Punkt 
besonders zu achten gesucht — der Fundus der Blase nur selten unter-* 
halb des Leberrandes siohtbar, und unter dieser kleinen Zahl von Fällen 
ergab die weitere Untersuchung nooh Öfters gewisse Zeichen einer ab¬ 


normen Gallenstauung oder sonstige Abnormitäten. Aehnliches lehrt 
der Anblick der bekannten Luschka’schen Tafel („Bauchorgane“, Taf. 1), 
•die früher in diagnostischen Kursen und Demonstrationen allgemein be¬ 
nutzt wurde: Die in ihr abgebildete Kuppe der Gallenblase würde 
nicht siohtbar sein, wenn nicht der untere Leberrand an der Stelle der 
rechten Inzisur eine aussergewöhnlioh winkelige Einziehung zeigte. 

Betreffs der Palpation bemerke ich noch, dass ich natürlich auch 
hier nur eifligermaassen kräftige Individuen mit einem gewissen Turgor 
der Bauchdeoken im Auge habe; dass bei senilen oder marastischen 
Personen mit besonders dünner und sohlaffer Bauchwand es unter Um¬ 
ständen möglich wird, einen Teil der unteren Leberfläche abzutasten, 
ist bekannt. — Uebrigens gestehe ich für den Nachweis einer den Leber¬ 
rand überragenden Gallenblase (auch einer ektasierten) natürlich gern 
zu, dass hier die Palpation an Sicherheit die Perkussion wesentlich 
üb er trifft. 

Die hohe Wichtigkeit, ja Unentbehrlichkeit der Palpation für die 
weitere Untersuchung der frei zugänglichen Leberoberfläche und ihres 
Randes, namentlich die Bestimmung des Grades ihrer Härte und Re¬ 
sistenz, ihrer Glätte oder Rauhigkeit, der Anwesenheit von Geschwülsten, 
zirkumskripten Verdickungen, Einziehungen u. dergl. bedarf keiner 
näheren Erörterung. 

Ich glaube, dass das Gesagte genügt, um als Ergebnis meiner Er¬ 
fahrungen die Lehre zu begründen: Hochachtung vor Leber¬ 
perkussion und Leberpalpation und keine Unterschätzung 
ersterer Methode! 

Vor allem möchte ich zum Schluss davon abraten, dem studierenden 
Mediziner von Haus aus eine Vernachlässigung der perkutorischen Leber¬ 
untersuchung zu gestatten. Der Anfänger ist eben schon spontan dazu 
geneigt, das Interesse, welches die moderne Methode der Röntgendurch¬ 
leuchtung ihm für die ältere physikalische Untersuchung der inneren 
Organe übrig lässt, in erster Linie der Palpation als der natürlichen, 
bequemeren, instrumentenlosen Untersuchungsart zuauwenden. Unter¬ 
lässt er es dabei, auch in der Leberperkussion sich von Anfang an zu 
üben (und sie erfordert . lange Uebung), so beraubt er sich für alle 
Fälle, in denen die palpatorische Untersuchung (und wohl öfters auch 
die Durchleuchtung) unklare Befunde ergibt, des wichtigsten Mittels 
zur Entscheidung der Zweifel. 


BQcherbesprechungen. 

Kn Hing-Ming: Der Beist des ehinesisehen Volkes. Jena, Eugen 
Diederichs. 181 Seiten. 

Wenn man eine Sache ordentlich kennen lernen will, muss man 
sie von allen Seiten betrachten, d. h. man muss die Standpunkte 
wechseln. Dieses Standpunktwechseln ist aber keineswegs leicht und 
einfach. Deshalb ziehen wir es in der überwiegenden Mehrzahl vor, 
von unserem einmal eingenommenen Standpunkt aus die verschiedenen 
Dinge zu betrachten, anstatt auch einmal uns selbst von verschiedenen 
Standpunkten aus zu beurteilen. loh vermute, dass auf diese Weise 
mancher Fortschritt zu erzielen wäre. 

Im vorliegenden Buch liefert Ku Hung-Ming einen Beitrag zu 
der Frage: Wie sieht der Europäer aus, vom Standpunkt des Asiaten 
gesehen? und er beantwortet sie in feiner Weise dadurch, dass er den 
Chinesen schildert. Mit Hilfe vergleichender Gesichtspunkte kann dann 
der Leser das Erforderliche entnehmen und an sich selbst die sonst 
nicht beachteten Schatten wahrnehmen. Der Chinese ist seinem Ge¬ 
samtcharakter nach sanft, ruhig, weich, freundlich, weil er von Sym¬ 
pathie beseelt ist. Er gewinnt jeden durch sein angeborenes Herzens-, 
Gemütsleben; denn was von Herzen kommt, das gebt zu Herzen. Fehlt 
ihm auch der Sinn für die exakte Forschung im europäischen Sinn, so 
fehlt es ihm doch nicht an Intelligenz, so dass man von ihm sagen 
kann, er besitze den Kopf des Erwachsenen und das Herz eines Kindes. 
(„Riesenleiber, Kinderseelen“ sagten einst die Römer von den Germanen.) 
Diese wunderbare Synthese ist die Frucht der chinesischen Kultur, des 
Konfuzianismus. Vor der Last des Weltgeheimnisses flüchteten Buddhis¬ 
mus und Christentum in ein unbekanntes Jenseits; Konfuzius aber 
gründete seine Diesseitsreligion. Nicht Gott zu preisen oder einem 
Engel oder Heiligen zuzustreben, ist der Zweck des Daseins, sondern 
dieser: ein guter Bürger zu sein. Pflicht und Ehrgefühl sind die Fun¬ 
damente dieser Staatsreligion. Beide beginnen mit der Ehe. Hatte 
Herzog Chou die Ehe als das Gesetz der guten Sitten zum Sakrament 
gemacht und dadurch die Familienreligion geschaffen, so erweiterte 
Konfuzius diese, indem er die Familien an den Kaiser band und da¬ 
durch die Staatsreligion schuf. Seine drei Pflichtenkreise lauten: 1. un¬ 
bedingte Treue gegen den Kaiser; 2. kindliche Liebe und Ahnenverehrung; 
8. Unverletzlichkeit der Ehe und Unterwerfung des Weibes unter den 
Ehemann. Diese JReligion, diese göttliohe Pflicht der Treue gründet 
sich nicht auf übernatürliche Gewalten, sondern auf das angeborene 
Ehrgefühl und befriedigt das religiöse Bedürfüis, indem der Glaube an 
den Kaiser das Bedürfnis nach Zuflucht, die Verehrung seitens der 
Nachkommen den Wunsch nach persönlicher Fortdauer befriedigt. In 
letzter Linie basiert das alles auf den Regungen des Herzens, der Sym¬ 
pathie, des Mitfühlens, der Menschenfreundlichkeit, jener Liebe, welche 
die chinesische Sprache Jen nennt. Gewissermaassen mobilisiert werden 
diese Qualitäten durch das Li, den guten Geschmack bzw. die trieb- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


hafte, frische, lebendige Vorstellung von dem onbestimmbaren, unbe¬ 
dingten Wesen von Reoht und Unreoht, vom Leben und der Ehre, wo¬ 
mit wir das wahre Gesetz unseres Seins zu erkennen und zu leben ver¬ 
mögen. 

Im Spiegel der chinesischen Frau, der chinesischen Sprache und 
des politischen Lebens zeigt uns der vielseitige Verfasser allerlei, 
was bei uns anders sein könnte, wenn er auch manche europäischen 
Dinge m. E. nicht ganz richtig einschätzt. Aber keiner wird das Buch 
aus der Hand legen, ohne nachdenklich geworden zu sein. 

Siegfried Garten-Leipzig: Die Bedeutung unserer Sinne für die Orien- 
tiernng im Lnftr&nm. Leipzig, Wilh. Engelmann. 50 Seiten. 3 V. 

Die akademische Antrittsvorlesung des neuen Leipziger Physio¬ 
logen nimmt durch den klaren Aufbau und die klare Sprache gefangen. 
In anschaulicher Weise werden zunäohst Drucksinn, Muskel(-Kraft)-Sinn, 
die Bogengänge als statisches Organ besprochen, durch deren als Eins 
aufgefasstes Zusammenwirken wir ein Bild unserer Lage im Raum ge¬ 
winnen. Die neuere Psychologie (F. Krueger) würde das als Komplex¬ 
qualität auffassen. Dem Sehorgan ist natürlich ein grosser Teil ge¬ 
widmet, wie es die Gegenstände an sich und insbesondere in ihrer Lage 
untereinander sowie zu unserem eigenen Körper erkennen lässt. Wir 
bekommen einen Einblick in die Unzulänglichkeiten dieses Organs und 
die dadurch bedingten Irrtümer und können mit dem Flieger im Nebel 
fühlen, welchen die genannten Orientierungsmittel so gänzlich verlassen, 
dass er den Himmel unten und die Erde oben sucht und schliesslich 
abstürzt, ohne es zu merken. 

Eine Fülle von Bemerkungen aus dem Gebiet der normalen, patho¬ 
logischen und vergleichenden Sinnesphysiologie erhöht den architektoni¬ 
schen Reiz dieses Vortrags. Buttersaok. 


Literatur-Auszüge. 

Therapie. 

Bruck: Behandlnng tiefer Bartflechten mit Trieben. (M.m.W., 
1918, Nr. 18.) Oberflächliche Trichophytieformen werden nicht beein¬ 
flusst; dagegen empfiehlt Verf. die Anwendung der Vakzine bei den 
tiefen Formen, bei denen die subkutane Injektion am besten direkt 
unter den Krankheitsherd erfolgen soll. Diffusere Formen können auch 
intraglutäal injiziert werden. Dosen 0,1—0,2—0,5 in 3—5 tägigen Inter¬ 
vallen. (Trichon in Flaschen zu 1,0 von Schering-Berlin.) Geppert. 

Neu mann-Baden-Baden: Die Ansserbettbehandlung der Lungen- 
blatung. (D.m.W., 1918, Nr. 15.) Bei den meisten Lungenblutungen 
bewährt sich die Ausserbettbehandlung vor der Bettruhe, besonders aber 
vor der horizontalen Lage. Nicht nur, dass leichte und zweckmässige 
Bewegung die Blutungsperiode nioht verlängert, sondern die Bettruhe 
kann das Blutungsrezidiv geradezu hervorrufen und den Anlass zu einer 
Aspirationspneumonie geben. Die Gründe für diese Tatsachen sind 
noch zu erforschen. 

Palmi6-Berlin-Charlottenburg: Aeltere und neuere Erfahrungen 
über das Friedmann’sche Tnberkaloaenittel. (D.m.W., 1918, Nr. 15.) 
P. ist ein Anhänger der Friedmann'schen Tuberkulosebebandlung. Das 
Mittel ist jetzt unschädlich und ungiftig und hat spezifische Einwirkung 
auf tuberkulöse Prozesse. Störend auf den Heilverlauf wirken andere 
differente Mittel, auch nach der erfolgten Impfung vorgenommene chir¬ 
urgische Eingriffe, sowie interkurrente Infektionskrankheiten. 

Altstaedt - Lübeck: Zur Nachbehandlung des H&mothorax. 
(D.m.W., 1918, Nr. 16.) A. empfiehlt die medikomechanische Behand¬ 
lung, Diathermie und Phreniousfaradisation. Dünner. 


Parasltenkunde und Serologie, 

Freund-Budapest: Die Herstellung von Antigeaen für die Wa.-R. 
mit Aatiformia. (D.m.W., 1918, Nr. 16.) 1. Es gelang, mit Antiformin 
mit und ohne Anwendung von lipoidlösenden Mitteln aus Menschenherz, 
aus der Leber luetischer Föten, aus Rinderherz und aus Rinderleber 
ein Antigen für die Wa.-R. herzustellen, welches etwas wirksamer zu 
sein scheint als der alkoholische Extrakt aus Rinderherz. 2. Ebenso 
wie die spezifischen Bakterienantigene erweisen sich auch die nioht 
spezifischen Normalorganantigene resistent gegen eine 5proz. Antiformin¬ 
lösung. _ Dünner. ' 

Innere Medizin. 

P. Schrumpf: Dynamische Pilsnntersuching bei beginnender 
Arteriosklerose. (M.m.W., 1918, Nr. 13.) Der Methode liegt die 
Chri&ten’sche Energometrie zugrunde, mit Hilfe der die beiden wich¬ 
tigsten Pulsqualitäten, der Bystolische Volumenzuwachs und die hierzu 
erforderliche mechanische Energie (Intensität) zur objektiven Darstellung 
gelangen. Die vom Verf. ausgearbeitete Methode gestattet eine Ab¬ 
grenzung der sogenannten Präsklerose gegen rein nervöse Störungen 
der Zirkulation. Bei der Präsklerose ebenso wie bei der kompensierten 
Aorteninsuffizienz kommt es zu einer sogenannten pulsatorischen Ple¬ 
thora, deren Feststellung durch energometrisohe Messungen gelingt. Die 
genauere Methodik des Verfahrens muss dem Original entnommen werden. 


Mo rawitz-Greifswald: Eohter und falscher sporadischer Skorbnt. 
(M.m.W., 1918, Nr. 13.) Beschreibung eines Falles, der den Beweis 
liefert, dass Skorbut auch sporadisch Vorkommen kann. Es gibt aber 
auch Fälle von M. maculosus Werlhofii, die eine starke Beteiligung des 
Zahnfleisches zeigen und deshalb leicht den Eindruck von Skorbut hervor¬ 
rufen können. Die für Skorbut typische Anamnese und die Wirkung 
der diätetischen Therapie wird im Zweifeisfalle die Diagnose entscheiden. 
Skorbutfälle ohne Zahnfieischerkrankungen kann man nach M. nicht als 
Morbus maculosus W. bezeichnen, da beide Erkrankungen von ganz ver¬ 
schiedener Aetiologie sind. Vereinigen kann man beide Krankheiten 
höchstens in der Gruppe der hämorrhagischen Diathesen. Geppert. 

Engel: Weist basophile Punktierung in des rote* Blutkörperchen 
aaf Malaria hi*? (D.m.W., 1918, Nr. 15.) An seinem Material konnte 
E. keinen Zusammenhang zwischen basophiler Punktierung und Malaria 
nachweisen. Es bedarf eingehender Untersuchungen, um festzustellen, 
ob das Klima, in welchem die Anophelesmücke lebt, auf morphologische 
und toxische Eigenschaften des Te^tianaparasiten von Einflass ist. 

Rogge*. Pneumothorax bei metapneumonischer kavernöser Lungen- 
eiterang. (D.m.W.. 1918, Nr. 16.) Bei einem Falle trat Heilung meta¬ 
pneumonischer, wahrscheinlich mehrfacher Kavernen durch spontan ent¬ 
standenen Pneumothorax ein. Die Heilung erfolgte unter Schrumpfung 
der Lunge. Der vorher bestandene eitrige Auswurf und andere Lungen- 
erscheinungeu hörten vollständig auf. Bei einem zweiten Fall von post¬ 
pneumonischer Kavernenbildung im Oberlappen und verschiedenen 
pneumonischen Veränderungen der oberen Lungenpartien brachte ein 
Pneumothorax die Kavernen zwar nicht zum Kollaps, da starke Ver¬ 
wachsungen bestanden, wohl aber wirkte der Pneumothorax auf die 
anderen Lungenteile ein. Eine später vorgenommene Operation (Rippen¬ 
resektion) brachte Heilung. 

Alexander -Beriin: Druckpuaktsymptom bei Gastreptose. (D.m.W., 
1918, Nr. 16.) Wenn man hinter den Patienten tritt und mit dem 
Finger der linken Hand die Magengrube direkt unter dem Scbwert- 
fortsatz eindrüokt, so klagen die Patienten über einen starken Schmerz. 
Hebt man mit der rechten Hand den Leib unterhalb der Nabelhöhle 
stark nach oben, so versohwindet dieser Schmerz, um beim plötzlichen 
Loslassen der rechten Hand sofort wieder aufzutreten. Dünner. 

H. Gurschmann-Rostock: Koständerung und Sekretionsstöringen 
des M*ge*s. (M.m.W., 1918, Nr. 18.) Es wurden Magensekretunter- 
suchungen von 497 Patienten aus zwei Friedensjahren mit denen von 
840 Personen der Kriegsjahre verglichen. Es ergab sich eine absolute 
und prozentuale Zunahme der Superaziditäten um 11 pCt. gegenüber 
der Friedenszeit und gleichzeitig eine Abnahme der Anaziditäten um 
10 pCt Die rein funktionellen Superaziditäten stiegen im Kriege bei 
Frauen um 10 pCt., bei Männern um 19 pCt. Die Verschiedenartigkeit 
der Wirkungsweise „schwerverdaulicher“ Nahrung auf die Magensaft¬ 
sekretion (säurevermehrend oder -vermindernd) ist konstitutionell be¬ 
gründet und wird jedenfalls in erheblichem Maasse durch psychische 
Reize beeinflusst. 

H. Zu ntz- Hamburg -St. Georg: Ueber das Ulcns veatricnli und 
duodeni in der Kriegszeit. (M.m.W., 1918, Nr. 18.) Die allgemein be¬ 
obachtete Zunahme der Ulzera von Magen und Duodenum und die Ver¬ 
mehrung der Komplikationen (Perforationen) sind nicht ohne weiteres 
geeignet, die Theorie von der spasmogenen Entstehung des Ulcus ventri- 
culi und duodeni umzustossen; sie zeigen aber, dass Ernährungsschädi¬ 
gungen zum mindesten an der Ausbildung einer (spasmogen) ent¬ 
standenen Erosion zum ersten Ulkus grossen Anteil nehmen. 

E. Ebstein: Zur klinischen Symptomatologie der Alkaptonurie. 
(M.m.W., 1918, Nr. 14.^ Zwei Fälle aus einer Familie. Das Wesen 
der Alkaptonurie ist eine Insuffizienz des intermediären Stoffwechsels in 
Verwertung ganz bestimmter Abbauprodukte des Eiweisszerfalls, näm¬ 
lich von Tyrosin und Phenylalanin. Als pathologisches Stoffwechsel¬ 
produkt wird die Homogentisinsäure gebildet, die im Harn ausgeschieden 
wird und eine Braunfärbung auf Ammoniakzusatz, eine Blaufärbung mit 
Eisenchloridlösung hervorruft. Während einzelne Fälle keine weiteren 
Symptome aüfweisen, zeigen andere Dysurie, Pigmentablagerung in 
Knorpelgeweben (Ochronose). Die Ochronose tritt meist erst nach Jahren 
bestehender Alkaptonurie auf, so dass viele Alkaptonuriker sie „gar 
nioht erleben“. Bei sehr starken Pigmentablagerungen im Gelenk¬ 
knorpel kam es zur Osteoarthritis deformans ochrouotica oder alcapto- 
nica kommen. Nicht selten findet man auch oohronotische Verfärbungen 
der Ohr* und Nasenknorpel sowie der Skleren. Geppert. 

Sommer: Drei wahrscheinlich als „Spirochaetosis arthritiea* 
(Reiter) anzuspreohende Krankheitsfälle. (D.m.W., 1918, Nr. 15.) S. 
hat mehrere Fälle beobachtet, die, wie er'glaubt, dem von Reiter be¬ 
schriebenen Krankheitsbild der „Spiroehaetosis arthritiea“ angeboren. 
Zum Nachweis der Spirochäten hat er keine Gelegenheit gehabt. Das 
Krankheitsbild zeichnet sich durch Urethritis, Konjunktivitis und Gelenk- 
affektionen aus. 

Wolff-Gnesen: Eine einfache Methode, unbeweglich gewordene 
Injektionsspritze* wieder beweglieh and undurchgängig gewordene 
Kanülen wieder dnrebgängig zu machen. (D.m.W., 1918, Nr. 16.) 
Rekordspritzen mit völlig unbeweglichen Kolben und undurchgängig ge¬ 
wordene Kanülen und Lumbalpunktionsnadeln lässt man in konzentrierte 
* Natron-, oder Kalilauge legen. Die Lauge löst ganz allmählich die ge¬ 
ronnene Eiweissschicht. t Dünner. 


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27. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

H. Klien-Leipzig: Kontinuierliche rhythmische Krftmpfe bei 
KleiBhirnherden. (M.m.W., 1918, Nr. 14.) Verf. konnte bei drei Fällen 
die äusserst seltene Beobachtung von kontinuierlichen, rhythmischen 
Krämpfen der Schlingmuskulatur machen, die im Wachen wie im Schlaf 
anhielten. Bei allen dreien fanden sich Zerstörungen des Kleinhirn¬ 
hemisphärenmarkes. Im ersten Falle zeigte sich eine Mitbeteiligung 
der Krämpfe auf den Levator palpebrae, im zweiten auf die Interkostal¬ 
muskeln, im dritten auf den Orbiculaiis oculi. Es soheinen demnach 
„von den Kleinhirnhemisphären aus nicht nur dem Schlingzentrum, 
sondern auoh dem Atemzentrum und manohen Hirnnervenkernen direkt 
auf Umwegen Impulse zuzufliessen. Geppert. 

G. ßiebold-Dresden: Seröse Meningitis. (D.m.W., 1918, Nr. 13.) 
8jähriger Knabe mit typischer Meningitis, die durch wiederholte Lumbal¬ 
punktionen geheilt wurde. Aetiologisch kommt Influenza in Betracht, 
da bronohopneumonische Herde bestanden. Allerdings kein Bazillen¬ 
befund. 

S. Lob-Ahrweiler: Ein Fall von Meningitis lnetiea. (D.m.W., 1918, 
Nr. 18.) Interessanter Fall, bei dem die Diagnose ziemlich schwer war. 

Dünner. 


Kinderheilkunde. 

E. Moro-Heidelberg: Ueber den grossen diagnostischen Wert der 
negativen Tnberknlinreaktion in der Kinderpraxis. (M.m.W., 1918, 
Nr. 15.) Moro macht bei zweifelhaften Fällen von kindlicher Tuber¬ 
kulose, besonders solcher mit fraglichem Röntgenbild (Hilusscbatten) 
die übliche v. Pirquet’sohe Kutanreaktion. Fallt diese negativ aus, 
so wird dieselbe in mehreren Tagen Abstand noch zweimal wiederholt. 
Ergibt die Reaktion dreimal ein negatives Resultat, so kann man mit 
aller Bestimmtheit eine bestehende Tuberkulose ablehnen. Voraussetzung 
ist natürlich Beherrschung der Technik. 

E. Moro und Volkmar: Bericht über 7000 Taberknlinimpfangen. 
(M.m.W., 1918, Nr. 15.) An der Heidelberger Kinderklinik wird seit 
1915 die v. Pirquet’sohe Reaktion als obligatorisch durchgeführt. Das 
Material umfasst hauptsächlich Landkinder, daher die auffallend günstigen 
Resultate: Bei den 10—14 jährigen nur 41,3 pCt. positive Fälle, im Alter 
van 7—10 34,3 pCt., so weiter allmählich gleichmässig abfallend bis 
2,8 pCt. bei Kindern bis zu 7t Jahr. Geppert. 

J. B. Schwab-Amsterdam: Ueber den Wert der Diazoreaktion 
für die Prognose der Kindertnberknlose. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 1, 
H. 1, S. 61.) Weder die Diazo- noch die Urochromogenreaktion haben 
eine prognostisch wertvolle Bedeutung bei der Beurteilung der Kinder¬ 
tuberkulose. 

A. Pünder-Freiburg i. B.: Larynxstenose durch angeborene 
Kehlkopfstenose. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 1, S. 65.) Kasuistik. 

R. V. Raudnitz-Prag: Kritisohes zur Lehre vom Spasinns nntans. 
(Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 1, S. 15.) Dunkelheit ist nach Verf. 
als ausschlaggebende Bedingung sowohl beim Spasmus nutans wie beim 
Nystagmus der Bergleute sicher. Die Ermüdungshypothese scheint irrig. 
Es liegt nicht der geringste Anhaltspunkt vor, im Vestibularapparat eine 
Krankheitsbedingung des Spasmus nutans zu suchen, wohl aber ist er 
im Mechanismus physiologisch tätig. Verf. vermutet eine Minderwertig¬ 
keit des Lichtsinnes neben Heterophorie als die wichtigsten inneren 
Bedingungen des Spasmus nutans. Die Rachitis und Nervosität spielt 
bei der Eatstehung des Spasmus nutans keine Rolle; es ist auch nicht 
entschieden, ob das frühe Kindesalter eine unerlässliche Bedingung dar¬ 
stellt. Die Deutung des Spasmus nutans als Bedingungsreflex lehnt R. ab. 
Verf. gibt schliesslich folgende Darstellung: Sind die Gesiohtseindrücke 
von früher Lebenszeit an undeutlich, so bleibt das bei jedem Neugeborenen 
vorhandene Schwanken um die zentrale Fixation bestehen und rhythmisiert 
sich: juveniler Nystagmus. Auch später kann dieses Einstellungs¬ 
sittern auftreten, wenn die Gesichtseindrücke durch längere Zeit undeut¬ 
lich werden. Das kleine Kind vermag die dabei irradierten Kopfbewegungen 
weniger zu beherrschen als der Erwachsene im gleichen Falle: Spasmus 
nutans, Nystagmus der Bergleute. 

E. Wodak-Prag: Ueber Bnnresis mit Myelodysplasie und Be¬ 
merkungen zur . Enuresis überhaupt. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, 
H. 1, S. 47.) Verf. fand in 23 untersuchten Fällen im Röntgenbilde 
16 mal Veränderungen an der Wirbelsäule und zwar elfmal Kürze der 
Dornfortsätze, achtmal Längsspaltung und dreimal offenen Sakralkanal. 
Was freilich diesen Veränderungen der Wirbelsäule im Knochenmark 
entspricht, bleibt eine offene Frage. Trotzdem ist Verf. geneigt, diesen 
Befunden eine ausschlaggebende Bedeutung in der Aetiologie der Bett¬ 
nässer zuzuerkennen. Das Leiden beruht nach Verf. auf einem Miss¬ 
verhältnis zwischen Harndrang und dem Willen zum Harnlassen. Es 
kann hervorgerufen werden, a) durch Steigerung des Harndranges: 
Polyurie, Hyperazidität, Zystitis, lordotisohe Albuminurie (?), Kälte; 
b) duroh periphere Störungen in der Reflexbahn: Myelodysplasie; 
o) duroh zentrale Hemmungen in der Reflexbahn: Idiotie, Imbezillität, 
Willensschwäche, Verwahrlosung, motorische Schlafstörungen, Epilepsie, 
Onanie. 

A. Czerny und H. Kleinschmidt-Berlin: Ueber eine Bntter- 
mehlnahrug für schwache Säuglinge. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, 
H. 1, S. 1.) Die Buttermehlnahrung stellt eine Etappe in einer Reihe 


von Versuchen dar, die Czerny und seine Sohule seit Jahren anstellten, 
um für die Ernährung des Säuglings eine gut bekömmliche Form der 
Fettzufuhr zu finden. Die Verff, bedienten sich der Butter als Nahrungs- 
fett, indem sie sie durch „Einbrennen“ mit Mehl nach Art der sogenannten 
„Einbrenne“ oder „Mehlschwitze“ von einzelnen Fettsäuren z. B. der 
Buttersäure, die in der Pathogenese der Ernährungsstörungen der Säug¬ 
linge eine Rolle spielen, befreiten. Die Relation von Butter, Mehl, 
Wasser und Zucker, die nach den Erfahrungen des Verf. die günstigste 
ist, wird mit 7 g Butter, 7 g Mehl und 5 g Kochzucker auf 100 g 
Verdünnungsflüssigkeit angegeben. Die Qualität der Butter bedarf keiner 
Prüfung; jedes Weizenmehl ist geeignet, besonders jedoch die kleiearmen. 
Salzzusatz ist wegen des Salzgehaltes der Butter entbehrlich; Sterilisieren 
der fertigen Mischung ist nicht empfehlenswert, Kühlhalten dagegen not¬ 
wendig. Der Milchzusatz wurde stets unter der Budin’schen Zahl be¬ 
lassen. Bei den mit dieser Nahrung angestellten Versuchen beobachteten 
die Verff. gleichmäßige Gewichtszunahme, gutes Fortschreiten des Lungen- 
wacbstums, keine Neigung zu Meteorismus, gutes Aussehen der Stühle 
von schwachsaurer oder neutraler Reaktion mit einer Bakterienflora, die 
der des Bruststuhles nahesteht, gute Farbe, subjektives Wohlbefinden, 
Agilität und erheblioher Fettansatz. Das Absetzen auf andere künstliche 
Nahrung machte keine Schwierigkeiten, wenn diese nicht kalorienärmer 
war als die Buttermehlnabrung. Nach Magendarmstörungen wurde mit 
der Buttermehlnahrung erst begonnen, nachdem die akuten Erscheinungen 
— bei anderer Nahrung — abgeklungen wareu. Die Widerstandskraft der 
mit Buttermehlnahrung ernährten Säuglinge gegen Infarkte war nioht 
die gleich Gute wie die bei Brustkindern. Angeborene Konstitutions¬ 
anomalien, insbesondere exsudative Diathese, machten sich bei der neuen 
Nahrung nur in geringem Grade geltend. Die mitgeteilten Ernährungs¬ 
beobachtungen und ihre Resultate ermutigen zu einer Nachprüfung der 
Versuche, was leider bei der jetzigen Butterknappheit einigen Schwierig¬ 
keiten begegnet. Schliesslich sei noch die genaue Vorschrift der Zu¬ 
bereitung mitgeteilt: „Beispielsweise bringt man 20 g Butter in einen 
Koohtopf und kocht diese über gelindem Feuer unter starkem Umrühren 
mit einem Holzlöffel, bis sie sobäumt und der Geruch naoh Fettsäuren 
verschwindet (3—5 Minuten). Dann fügt man 20 g Weizenmehl (Fein¬ 
mehl) hinzu und vermengt dieses mit der zerlassenen Butter. Beides 
zusammen wird nun auf gelindem Feuer (Asbestplatte!) unter starkem 
Umrühren so lange gekocht, bis die Masse ein wenig dünnflüssig und 
bräunlich geworden ist (etwa 4—5 Minuten). Jetzt werden 300 g Wasser 
und 15 g Kochzucker zugegeben, nochmals aufgekocht, duroh ein Haar¬ 
sieb gegeben und schliesslich das Ganze noch warm der abgekochten 
und erkalteten Kuhmilch zugesetzt. B. Weigert-Breslau. 


Chirurgie. 

Thiess-Giessen: Zur Diagnose der Gasphlegntone. (D.m.W., 1918, 
Nr. 15.) Bemerkungen zu der Arbeit von Franz in der D.m.W., 1917, 
Nr. 39. T. vertritt noohmals deinen Standpunkt und schildert die ver¬ 
schiedenen Krankheitsbilder, die nach seiner Erfahrung differential¬ 
diagnostisch in Frage kommen. 

Härtel-Halle a. S.: Der lnftabschliessende Verband. Beitrag zur 
kriegschirurgischen Wundbehandlung. (D.m.W., 1918, Nr. 15.) 1. Die 

Behandlung offener Wunden mit dem Okklusivverband ist dann berech¬ 
tigt, wenn jede Infektion vorüber oder wenn sie noch nioht eingetreten 
ist. 2. Der Vorteil der geschlossenen Wundbehandlung besteht in der 
Förderung der Regeneration, demgemäss Beschleunigung und qualitative 
Verbesserung der Wundheilung. 8. Bedingung für die Anwendung ist 
stationäre Behandlungsmöglichkeit unter genauer Beobachtung von All¬ 
gemeinbefinden, Puls und Temperatur. Dünner. 

v. Habe rer- Innsbruck: Diagnose und Behandlung der Gefäsa- 
verletzeBgen. (M.m.W., 1918, Nr. 14 u. 15.) Die Gefässnaht ist stets 
der Unterbindung vorzuziehen, selbst in leicht infizierten Gebieten gibt 
sie bei richtiger Ausführung noch gute Resultate. Die Gefässe sind sehr 
dehnbar, Defekte von 4—5 cm können ausgeglichen werden. Der 
günstigste Zeitpunkt der Aneurysmenoperation ist die 3.—4. Woche. 
Nicht nur das Aneurysma spurium, sondern auoh das Aneurysma 
arteriovenosum soll operiert werden. Geppert. 

Fowelin und Idelson-Riga: Gehirnanenrysma nach Schnns- 
verletznng, geheilt durch Ligatar der A. carotis eomainis. (D.m.W., 
1918, Nr. 13.) 

Hage dorn-Görlitz: Krankhafte Beharrlichkeit in abnormen 
Selbstbeschädignngen. (D.m.W., 1918, Nr. 16.) Bericht über einen 
Mann, der eine grosse Zahl von Fremdkörpern: Nägel, Drahtstüoke, 
Löffelstiele verschluckte und im ganzen 11 mäl laparotomiert worden ist. 

_ Dünner. 


Röntgenologie. 

G. Sohwarz-Wien; Experimentelle Beiträge zur Theorie der bio¬ 
logischen Strahlenwirknng. Die Lezithinhypothese. L Mitteilung. 
(Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) Verf.’s Versuche ergaben ein¬ 
deutig, dass nicht die y- und Röntgenstrahlung, sondern die ß Strahlung 
Lezithinspaltung des Dotterlezithins von Hühnereiern herbeiführt. Wider¬ 
sprüche anderer Autoren klären sich dahin auf, dass die einen mit 
Radiumkapseln arbeiteten, die keine oder zu geringe Mengen' /9-Strahlung 
durchliessen, während die anderen stärker Strahlung aussendende 
Bestrahlungskörper verwendeten. Nur die ^-Strahlung (negative Elek- 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


troiienemissioD) erzeugt Lezithinspaltung. y- und Röntgenstrahlung sind 
an sich wirkungslos and könnten höebstens indirekt durch Erregung 
sekundärer /i-Strahlung eine analoge Reaktion auslösen. Sohnütgen. 

H. Weritz und H. Iten: Dosierung im praktischen Röntgenbetrieb 
mit Hilfe der parallel» Fankenstrecke. (M.m.W., 1918, Nr. 14.) Als 
Dosierungsverfahren für den praktischen Röntgenbetrieb eignet sich am 
besten die parallele Funkenstrecke -+■ Kienböckstreifen (Intensimeter). 
Die günstigste prozentuale Tiefendosis im Therapiebetrieb wird am besten 
mit Hilfe von Abstand, Filter und Feldergrösse bestimmt, da eine Zu¬ 
nahme der Härte der Röntgenstrahlen über eine Spannungshöhe, die 
einer parallen Funkenstrecke von 80 cm entspricht, praktisch nicht vor¬ 
handen ist. Geppert. 

Weiser-Dresden: RSntgeatechnisehe Neuersagen. (Fortschr. d. 
Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) Bekanntgabe einiger neuer Konstruktionen, 
die sich gut bewährt haben. 1. Ein Härtemesser und ein Durohleuoh- 
tungsstativ mit weitgehend durcbgeführtem Strahlenschutz. 2. Ein 
Durchleuohtungsstativ mit Schutztüren und ein Aufnahmestativ mit 
Gurtkompressorium. 3. Der Heyden-Wechseirahmen. 4. Der Pauspapier¬ 
halter. 5. Ein leichtes Gehäuse für die Lilienfeldröhre. 6. Eine neue 
Aufhängung für die Kühlpumpe der Lilienfeldröhre. 7. Sekundenuhr 
mit grossem Zifferblatt. 8. Durohgabefenster für Dunkelkammer mit 
automatischer Sperrvorrichtung. 9. Zwei neue geräuschlose Motorschaukel¬ 
tische. 

H. v. Decheud, H. Iten, H. Wintz-Erlangen: Die Messung der 
Prinftrstrahlaag der Coolidge-, Lilienfeld- and selbsthärtenden Siede¬ 
rähre. (Fortsohr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) Zum Vergleich verschie¬ 
dener Röhrentypen muss die Messung der reinen Primärstrahlung heran¬ 
gezogen werden. Kurven haben für eine Veröffentlichung nur einen 
Zweok in Verbindung mit den zugrunde gelegten Zahlen werten. Die 
Absorptionsmessung m Aluminium ergibt, dass die Reihenfolge der 
Röhren hinsiohtlioh der Lage des Homogenitätspunktes die folgende ist: 
Lilienfeld-, selbsthärtende Siederöhre, Coolidgeröhre. Das Strahlen¬ 
gemisch von Lilienfeld- und selbsthärtender Siederöhre ist sich weit¬ 
gehend ähnlich, das des Goolidgerohres dagegen wesentlich inhomogener. 
Die mit den 3 Röhren höchsterreichbaren Härtegrade sind wesentlich 
gieioh und damit auch die prozentualen Tiefendosen. 

A. Lotzin- Allenstein: Ein Verfahren zur Ausschaltung der sekun¬ 
dären Körperstrafen bei Röntgenaufnahmen. (Fortschr. d. Röntgenstr., 
Bd. 25, H. 4.) Verf. beschreibt ein Verfahren, das eine Ausschaltung 
der sekundären Körperstrahlen gestattet, ohne störende Neben¬ 
zeichnung auf der Platte und ohne den Abstand der Platte vom 
Körper unzulässig zu vergrössern. Dabei kann seine Wirksamkeit 
ohne wesentlichen Nachteil beliebig gesteigert werden. Vorläufig ist 
es nur für Aufnahmen verwendbar. Zur Ausführung des Verfahrens 
ist eine Vorrichtung, deren Bau geschildert ist, aus zwei quadrati¬ 
schen Stahlrabmen (mit Metalltolienstreifen), welche aut einem 
weiteren Rahmen derart beweglich angeordnet sind, dass der Konvergenz- 
punkt nach oben sieht und eine Verschiebung in diagonaler Richtung 
möglich ist, erforderlich. Aufnahmen mit und ohne diese Vorrichtung 
erweisen, dass die Abblendung der Sekundärstrablen eine sehr weit¬ 
gehende ist. Die mit der Vorrichtung erhaltenen Bilder sind über¬ 
raschend klar und schleierfrei. Die Verlängerung der Aufnahmedauer 
beträgt lOpCt. 

H. E. Schmidt-Berlin: Die Gefahren der sehr hartes Röntgen- 
strahlen. (Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) Die theoretisch so 
berechtigte Forderung nach einer möglichst penetrierenden Strahlung 
für tiefentherapeutische Zwecke scheitert praktisch in ihrer Anwendung 
an der Tatsache, dass manohe tiefgelegene gesunde Organe radiosensibler 
sind als die pathologischen Neubildungen Jn ihrer Nachbarschaft und 
die darüber gelegene Haut, und dass die Gefahr einer irreparablen 
Schädigung solcher normaler, lebenswichtiger Organe mit zunehmender 
Strahlenhärte wächst, ganz abgesehen davon, dass bei sehr harter Strah¬ 
lung die Haut als Testobjekt völlig ausscheidet, und die Tiefendosierung 
gänzlich im Dunkeln tappt. 

H. Wachtel-Wien: Zur Technik der Uebertragnng der mathe¬ 
matischen Lokalisationsresaltate aaf die Haat des Patienten. (Fort¬ 
sohr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) Die Uebertragung ist auf dem Wege 
des Winkelmessers aufgebaut. Dem Lokalisationsbesteck (Fortschr. d. R., 
Bd. 23, H. 5) des Sohwebemarkenlokalisators ist ein Uebertragungszirkel 
beigefügt. Beschreibung dieses Zirkels und seiner Gebrauchsanweisung. 
Der Zirkel erfüllt zwei Funktionen: 1. wird mit ihm auf der fertigen 
Lokalisationsdoppelaufnahme der Winkel, • unter dem der Fremdkörper, 
die Ausgangshautmarke bzw. die sie markierende Mitte der Schwebe- 
marbe und die Hilfsmarke zueinander liegen, gemessen. 2. Der auf der 
Platte gemessene Winkel wird mit ihm auf die Haut des Patienten 
übertragen. Genaueres über diese beiden Punkte. 

R. Kienböck-Wien: Radielogische Lokalisation vom Geschossen 
im Brustkorb. Normale und pathologische Bewegungsphysiologie. 
(Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) Bei den Sohussverletzungen der 
Brust, und zwar den Steckschüssen verschiedener Herkunft, ist die 
radiologische Lokalisation des Fremdkörpers von besonderem Interesse, 
um so mehr, als man vor der Durchleuchtung nicht einmal über den 
wahrscheinlich eingenommenen Sitz Anhaltspunkte gewinnen kann. Es 
wird nicht die Ermittelung des zahlenmässigen Tiefensitzes, sondern die 
direkte Bestimmung des betroffenen anatomischen Teiles besprochen, 
wobei der Wert der Beobachtung von Bewegungserscheinungen 
am Fremdkörper im Organismus erläutert wird. In einem allgemeinen 


Teil werden die Arten der Lokalisation und Bewegungserscheinungen 
(rein geometrische, topographisch-anatomische, Mobilitätslokalisation) ge¬ 
schildert. Es folgen Mitteilungen über einfache Mitbewegungen (Physio¬ 
logische automatische Mobilitätslokalisation [Atmung, respiratorische Be¬ 
wegungen, Herzaktion, herzpulsatorische Bewegungen, Schluckakt, deglu- 
torische Bewegungen, stille und bewegte Regionen des Brustraumes] 
und Gravitationslokalisation), sowie über teilweise freie Bewegungen der 
Fremdkörper. In einem speziellen Teil werden die wichtigsten Fälle vom 
Sitz des Projektils in den einzelnen Teilen der Brust besprochen, mit 
differential-diagnostischen Ausführungen über die extrathorakalen Ge¬ 
biete. Die erste Frage ist immer die, ob der Fremdkörper in der 
Brustwand, ausserhalb oder innerhalb derselben sitzt. Erörterungen 
über Sitz im Haut- und Unterhautzellgewebe, im Schulterblatt, Schlüssel¬ 
bein, in der Wirbelsäule, in der eigentlichen beweglichen Brustwand, 
im Zwerchfell, in den Pleurahöhlen, den Lungen, im Medastinum, in der 
Herzbeutelhöhle, im Herzen. Meist eigene Beobachtungen. In einem 
Anhang findet man Angaben über Sohusskanal, Gesamtverletzang, 
Schioksal der Projektile. 

Lorenz: Die rö'ntgenograpkisehe Darstellung des sibskapularen 
Raumes and des Schenkelhalses im Querschnitt. (Fortschr. d. Röntgenstr., 

Bd. 25, H. 4.) Wenn festgestellt werden soll, ob ein Fremdkörper vor 
oder hinter dem Schulterblatt liegt, muss das Schulterblatt im Quer¬ 
schnitt bei Halbseitenlage des Patienten aufgenommen werden. Genaue 
Schilderung des Verfahrens. Auf der Platte sieht man zwischen Rippen- 
sohatten und dem quer getroffenen Schulterblatt den Unterschulterblatt¬ 
raum. Man erkennt getrennt Ober- und Untergrätengrube, oft recht gut 
Schulterblattbrüche usw. Aus gleichem Grunde empfiehlt Verf. auch 
eine Querschnittsaufnahme des Schenkelhalses und der Troohantergegend 
des Oberschenkels. Schilderung der'Lagerung des Patienten dabei. Alle 
Aufnahmen gelingen auch bei Schwerverletzten. 

F. Kautz-Eppendorf: Beitrag zur Kenntnis des Stieda’sekem 
Knochenschattens im Kniegelenk. (Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) 
Schilderung des eigenartigen Röntgenbefunde» am Condylus internus 
femoris im Anschluss an Knieverletzungen und Erörterungen über die 
beiden entgegengesetzten Anschauungen (posttraumatische Ossifikation 
in den Weichteilen oder primäre Knochenverletzung mit Absprengnng 
eines Sequesters) betreffend die Deutung des oppositionellen Knochen- 
Schattens. Ein einschlägiger Fall, den Verf. beschreibt, spricht für Ab¬ 
sprengung eines Sequesters nach primärer Knochenverletzung. Mit¬ 
teilungen über das topographisch-anatomische Bild und Angaben darüber, 
wie man solche Knochenverletzungen erklären kann. Am Schlüsse die 
Mahnung, bei irgendwelchem Verdacht auf traumatische Kniegelenks¬ 
erkrankung eine Röntgenuntersuchung vorzunehmen. Sie sichert die 
Diagnose und weist den Weg zum therapeutischen Handeln (chirurgische 
Entfernung!). 

W. Krebs-Aachen: Das Röntgenbild der Osteoarthritis deform«. 
(Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) Io einer nicht kleinen Reihe 
von Fällen wird man allein auf Grund des Röntgenbildes die Diegooee 
auf primäre Osteo-arthritis deformans, deren Anzeichen an den ver¬ 
schiedensten Gelenken genau geschildert werden, zu stellen in der Lage 
sein. In anderen Fällen kann die Betrachtung und die Beurteilung des 
Röntgenbildes Anregung bzw. zum mindesten einen Hinweis bieten, bei 
der Deutung des Krankheitsbildes auf Momente aohtzugeben, die ohne 
die Röntgenaufnahme bis dahin nicht etwa in Betracht gesogen waren 
und von ausschlaggebender Bedeutung sein können; in weiteren Fällen 
sohliesslich wird man auch heute nicht der anamnestischen Angaben und 
Betrachtung des gesamten klinischen Verlaufs entraten können, um eine 
einwandfrei Deutung des Röntgenbildes geben ,zu können. 

E. Schlesinger-Berlin: Die Förderung der Rtintgendiagnase g 
hoeksitzenden Ulka« der kleinen Karvatnr dnreli Untersuchung in 
linker Seitenlage. (Fortschr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) Die per¬ 
sistierende spastische Kontraktur der grossen Kurvatur, eine der ver¬ 
lässlichsten und oft das einzige Ulkusanzeichen der kleinen Kurvatur, 
kann bei hohem Sitz nach Aotüllung des Magens mit der Röntgenmahl- 
zeit ausserhalb des Kontrastschattens fallen und dadurch am Schirm 
und auf der Platte unsichtbar bleiben. Durch Lagerung auf die linke 
Seite und eine leichte Abwärtsneigung des Oberkörpers gelingt es, die 
Kontrasthüllung über die Sanduhrenge hinwegzuführen, diese in den Be¬ 
reich des tiefen Sohwermetallsohattens einzulagern und dadurch zu 
plastischer Darstellung zu bringen. Die Diagnose des Ulkus kann da¬ 
durch eine auf keine andere Weise zu erbringende Förderung erfahren. 

F. Reiche-Hamburg-Barmbeck: Eine (diphtheritischo?) Sdüteg» 

l&hmnng im Röntgenbild. (Fortsohr. d. Röntgenstr., Bd. 25, H. 4.) 
Schilderung eines einschlägigen Falles bei einem 59jährigen Manne, bei 
dem nach einer leichten, kaum beachteten Angina die Schluoklähnxung 
im Verein mit anderen postdiphtherisohenAnzeichen auftrat. Nach der 
röntgenographischen Feststellung drang der gesamte verschluckte Kon¬ 
trastbrei bis tief in die kleinen, durch ihn prall angefüllten Bronchien 
beider Unterlappen, wobei die wandständige Lagerung der Baryum- 
schioht in den grossen Luftwegen bis zur Abzweigung ihrer in die Ober¬ 
lappen führenden Aeste allein den sofortigen Erstickungstod verhinderte. 
Dabei muss eine tiefe Herabminderung der Reflexerregbarkeit in Kehl¬ 
kopf und Trachea, eine fast vollkommene Anästhesie des von den Amten 
des N. laryng. sup. mit sensiblen Fasern versehen Schleimhautbesirks 
vorhanden sein. Bemerkenswert ist auch die ungewöhnlich hohe Tole¬ 
ranz der Bronohialschleimhaut. Sohnütgen. 


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27. Mai 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


509 


Haut- und Geschlechtskrankheiten« 

Schönfe'ld-Würsborg: Ueber viralente Tnberkelbasillea ia der 
Blatbaha bei Hanttaberkaloeea nach diagnostischer Taberkilinaawei- 

daag und anderen Bedingungen. (D.m.W., 1918, Nr. 15.) I. Aus den 
Untersuchungen ergibt sich, dass TB. bei Hauttuberkulosen zum minde- 
sten nicht häufig im Blut Vorkommen. Der auch bei Hauttuberkulosen 
zweifellos erfolgende Uebertritt von TB. in die Blutbahn ist augen¬ 
scheinlich sehr beschränkt und wahrscheinlich zeitlich noch mehr be¬ 
schränkt als bei der Tuberkulose innerer Organe. II. Eine Mobilisierung 
von TB. (nachweisbar durch deren Uebertritt in die Blutbahn) durch 
Tuberkulin in den üblichen diagnostischen Dosen und durch intravenöse 
Gaben von Aur. Kal. cyaoat. hat sich im Tierexperiment bisher nicht 
naobweisen lassen. III. Ob eine atypische Intrakutanreaktion im Sinne 
von Römer und Joseph sowie Selter nur bei bestehender Tuber* 
kulose vorkommt, erscheint nach Untersuchungen des Verf.’s nicht hin¬ 
reichend erwiesen. Es ist durch weitere Untersuchungen festzustellen, 
ob sie tatsächlich ein Ausdruck der erfolgten Infektion mit Tuber¬ 
kulose ist. Dünner. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankhelten. 

Bradt: Ueber einen Fall von LaryagOBpasmas bei zirkanskripter 
Erkrankung der Trachea. (Areh. f. Laryn., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Der 
Fall, bei dem der Laryngospasmus durch entzündliche Vorgänge in der 
Tiefe der Trachea bedingt war, zeigt, dass man*mit der Diagnose Hysterie 
in solohen Fällen vorsichtig sein muss. 

Nadoleozny: Ueber fanktienelle StinmstSrnngen im Heeres¬ 
dienst. (Aroh. f. Laryn., Bd. 81, H. 1 u. 2.) Eine ausführliche-Be¬ 
sprechung der funktionellen Stimmstörungen im Heeresdienst, die sich nur 
dem Grad nach, aber nicht prinzipiell von den schon in Friedenszeiten 
vorkommenden funktionellen Stimmstörungen unterscheiden. Sie sind 
entweder thymogener oder idiogener Art, alle sind sie psychogen. Mit 
der Störung im Kehlkopfmuskelapparat geht oft eine Alteration der 
Atmung Hand in Hand. Entsprechend dem psychogenen Ursprung muss 
auch die Behandlung eine psychogene sein. All die vorgeschlagenen 
Methoden, die Brummmethode, die Atemübungen, die Far&disation, die 
Soheinoperationen, die Vibrationen, ebenso Wie die heroischen Ueber- 
rumpluogsversuche wirken auf die Psyche des Kranken, weshalb 
diese Kranken mehr in die Behandlung des Nervenarztes, als in die des 
Halsarztes gehören. Jede Heilmethode kann wirksam werden, die suggestive 
Kraft de9 Arztes spielt hier eine sehr bedeutsame Rolle. Da aber 
Rezidive überaus häufig sind, ist die Verwendbarkeit dieser Leute im 
Felde äusserst gering, drum wäre es besser, sie im Arbeitsdienst zu 
verwenden. 

Ulrioh: Eine neue Methode zur Diagnose, Therapie und Demon¬ 
stration psychogener Stiustörangei. (Aroh. f. Laryn., Bd. 31, H. 1 
u. 2.) Der Verf. empfiehlt folgende Methode bei psychogenen Stimm¬ 
störungen: Man fordert den stimmlosen Kranken auf, aus einem Buche 
mit möglichst deutlicher Stimme vorzulesen. Während er mit stimm¬ 
flüsternder Stimme liest, lässt man in seinen beiden Ohren Lärm¬ 
trommeln, die man ihm sohon vorher demonstriert hat, ertönen. In 
vielen Fällen liest jetzt der Kranke, dem nunmehr die Ohrenkontrolle 
über seine eigene Stimme fehlt, mit lauter Stimme weiter. Auch diese 
Methode brachte nicht stets und auch nicht dauernd Heilung, sie scheint 
aber Ref. wegen ihrer Harmlosigkeit in jedem Falle des Versuches wert. 

A. Kuttner. 

B. 0 ertel-Düsseldorf: Die Kriegsverletzungen der Nase «ad 
der Nasennebenhöhlen. (D. militärztl. Zschr., 1918, H. 7 u. 8.) Die 
Schussverletzungen der Nase und ihrer Nebenhöhlen sind, wie die Kehl¬ 
kopfschüsse, im Stellungskrieg ungleich viel häufiger wie im Bewegungs¬ 
krieg. Genauere Mitteilungen über die Sohussverletzungen der Nase 
durch die verschiedenen Geschossarten. Sorgfältige Untersuchung und 
Behandlung des Nasenionern ist erforderlich. Ferner genauere Mit¬ 
teilungen über Stirnhöhlen-, Siebbein-, Kieferhöhlen- und Keilbeinschüsse. 
Bei allen Nebenhöhlenschussverletzungen sind Röntgenaufnahmen von 
grösster Wichtigkeit, weil sie Aufschluss über Grösse, Grad der Zer¬ 
trümmerung und-evtl. Erkrankung der Höhlen, über steokengebliebene 
Geschosse, über die Schädigung der Naohbarteile geben. Zur genaueren 
Bestimmung des Sitzes von Steckschüssen sind zwei Aufnahmen senkrecht 
zueinander nötig. Schnütgen. 


Hygiene und Sanltfltswesen. 

F. Spaeth-Fürth: Verbreitung der Tnberkolsse im Kindesalter 
und deren Bekämpfung. (ll.mW, 1918, Nr. 18.) Statistische Ver¬ 
gleiche der Tuberkulosesterblicbkeit in Fürth lassen nioht einwandsfrei 
(nach Ansicht des Verf.’s) die günstige Wirkung der gegen die Aus¬ 
breitung gerichteten Maassnahmen .auf hygienischem Gebiet zutage treten, 
ln der Hauptsache bleibt eine Verminderung der Infektionsquellen, 
d.- h. eine zweckmässige Behandlung des Kranken, bzw. vorbeugende 
Maassnahmen der Gefährdeten. Da fast 90 pCt. aller Kinder biologisch 
oder klinisch nachweislich tuberkulös sind, so soll man, um eine hoch¬ 
gradige Immunisierung bereits im Kindesalter zu erreichen, die Kinder 
spezifisch behandsln und zwar mit der von Petrusohki angegebenen 
'Tuberkulins&lbentherapie, die sioh als vollkommen unschädlich er- 
wiesen hat. 


M. v. Grub er-München: Leitsätze über Alkoholiswas ud Nack* 
wuchs. (M.m.W., 1918, Nr. 14.) Die Leitsätze behandeln die Schädigung 
des Nach irnehses durch den Alkoholmissbrauch sowie die Verhütungs- 
maassrageln auf ärztliohem und sozialem Gebiet. Geppert. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 1. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Virchow. 

Vorsitzender: loh eröffne die erste Sitzung des Sommersemesters 
und heisse Sie herzlich willkommen. 

Seit unserer letzten Versammlung hat die Medizinische Gesellschaft 
wieder eines ihrer Mitglieder verloren, den bekannten Nervenforscber und 
Neurologen Herrn Professor Dr. M. Lewandowsky, der seit 1900 Mit¬ 
glied gewesen ist, und der am 5. April an Typhus verstorben ist. 

Ich bitte zu seinen Ehren sioh zu erheben. (Geschieht.) 

Ausgescbieden aus der Gesellschaft ist Herr Professor Löh lein, 
der nach Marburg als Ordinarius berufen worden ist 

Ich habe mir erlaubt, das vorige Mal auf die Hufeland’scben 
Stiftungen für Aerzte und Arztwitwen und -Waisen Ihre Aufmerksamkeit 
zu lenken. Mittlerweile ist der Jahresbericht erschienen, aus dem ich 
ersehe, dass von Berlin und Vororten nur 302 Aerzte für die Aerzte- 
kasse und 290 für die Witwenkasse Beiträge gezahlt haben. Ich möchte 
deshalb noch einmal auf diese wohltätige Einrichtung hinweisen und er¬ 
laube mir, den Jahresbericht auf den Tisch des Hauses zu legen. 

Tagesordnung. 

1. Hr. Warnekros hält den angekündigten Vortrag: Die Be¬ 
handln* der Siaglinge mit Spaltbildang des harten und weichen 
Gaumens bis ur Operation nnd ihre vereinfachte frühzeitige Ope- 
ratioismethode. 

Aussprache. 

Hr. Helbing: Obwohl ich 283 Gaumenspaltenoperationen, also 
über ein Vierteltausend, ausgeführt habe, ist mir nicht klar geworden, 
was Herr Geheimrat Warnekros eigentlich hier vorgeschlagen hat. Ist 
das, was uns Herr Geheimrat Warnekros darzulegen versucht hat, eine 
Modifikation der Brophy’sohen Operation, oder ist es überhaupt die 
Bropby’sohe Operation? Ich möchte ihn bitten, sich vielleicht darüber 
zu äussern, wieviel Fälle in dieser Weise schon operiert worden sind und 
mit welchem Resultat. Wenn ich ihn recht verstanden habe, so handelt 
es sioh um eine Annäherung der beiden Oberkieferhälften auf mechani¬ 
schem Wege in den Fällen von durchgehender Kiefer- und Gaumen¬ 
spalte. 

loh glaube, ioh bin auf dem Kontinent derjenige, der überhaupt die 
meisten Gaumenspalten operiert hat. Ich habe deshalb überhaupt ein 
Recht dazu, Kritik an den verschiedenen Operatioosmethoden zu üben. 
Wenn ich mich aber heute über die Bropby’sohe Operation äussern soll, 
so äussere ich mich gänzlich abfällig. Zw^r kann ich Ihnen hier nicht 
detailliert die Angelegenheit auseinandersetzen, aber einige Haopt- 
momente und Gründe gegen die Brophy’sche Operation — was Herr 
Gebeimrat Warnekros macht, ist mir nioht klar geworden — möchte 
ioh hier darlegen. Der erste Grund ist d e erschreckende Mortalität. 
Brophy selbst äussert sioh über diese Angelegenheit nioht. Dagegen 
verdanke ich zum Beispiel einer Diskussionsbemerkung von Stolte im 
Jahre 1913 in der Berliner Gesellschaft für Chirurgie die Tatsaohe, dass 
in Amerika bei der Bropby’sohen Operation die Mortalität 20—25 pCt. 
beträgt. Die Engländer — Berry zum Beispiel hat 40 pCt. Mortalität 
gehabt — haben die Bropby’sche Operation aus diesem Grunde ganz 
verlassen. Aehnlioh ungünstig äussern sich die Franzosen N (z. B. S6- 
bileau). 

Nun, man kann sagen: Bei der gesteigerten Uebung in der Technik 
wird man keine so grosse Mortalität haben. Aber es sind noch ganz 
andere Gründe, die mich von vornherein gegen die Bropby’scbe Ope¬ 
ration eionehmen. Bropby geht von der Anschauung aus, dass der 
Oberkiefer bei der Gaumenspalte um die Breite der Spalte zu breit sei. 
Diese Anschauung ist irrig. Es existiert eine ausgezeichnete Arbeit von 
Draohter aus München, der sich gerade mit den anatomischen Ver¬ 
hältnissen befasst und gezeigt hat, dass bei der Gaumenspalte — ich 
rede jetzt immer nur von durobgehenden Kiefer und Gaumenspalten — 
der Oberkiefer im besten Falle höchstens um 0,6 om breiter ist. Die 
Spalte ist aber gewöhnlich bei Neugeborenen schon mindestens 1 bis 
2 om breit. 

Wenn Sie sich einen Frontalschnitt durch die Gaumenplatten einer 
Gaumenspalte denken (Zeichnung), so entsteht die Spalte nicht dadurch, 
dass beide Oberkieferbälften einfach auseinanderweichen und ein Spalt 
entsteht, sondern der Spalt kommt im wesentlichen dadurch zustande, 
dass sioh die beiden Gaumenspalten wie zwei Tii'flugel nasalwärts 
öffnen, also durch Steilstellung der Gaumenspalten. Tatsache ist auch 
— und darauf gründet sich ein anderes Brophy’sches Verfahren —, dass 


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UNIVERSUM OF IOWA 






610 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


die beiden Gaumenplattenüberzüge, wenn man sie von dem Spaltrand 
ablöst nnd herunterschlägt, vollkommen genügen, um den Defekt zu 
decken. Im Gegenteil, man hat noch überschüssiges Material. Also, 
was tun Sie bei der Brophy'sohen Operation? Sie drängen künstlich die 
beiden Oberkieferhälften so stark aneinander, dass Sie eine Verschmäle¬ 
rung des Oberkiefers bekommen, die ausserordentlich unangenehm ist, 
und über die auch bei der gewöhnlichen Langenbeck’schen Operation 
manchmal geklagt worden ist. Dann werden durch die Brophy’sche 
Operation, wie auch Stolte bestätigt hat — ich habe nach dem Bropby- 
schen Verfahren operierte Fälle späterhin, also längere Zeit nach der 
Operation, nicht gesehen — Zahnkeime verletzt, und zwar die der 
bleibenden Zähne; es kommt zu einem fehlerhaften Durchbruch der 
Zähne mitten im Gaumen, und zu Fistelbildung, die erst mit operativer 
Entfernung der Zahnkeime ausheilt. Damit tut man Kindern nichts 
gutes, denn bekanntermaassen ist die Zahnentwioklung bei der Gaumen¬ 
spalte an und für sich nicht gerade eine ganz regelmässige. Endlich 
muss uns klar sein, dass wir mit der Brophy’schen Operation im besten 
Falle nur den harten Gaumen schliessen. Das wesentliche der Gaumen¬ 
spalten Operation ist aber natürlich nicht der Schluss des harten Gaumens, 
sondern der des weichen Gaumens. Wenn Sie den weichen Gaumen so 
gut schliessen, dass er bei den Sprachbewegungen die hintere Bachenwand 
gut abschliesst, dann sprechen die Kinder gut. Die Brophy’sche Ope¬ 
ration erfüllt erst ei nen Teil der Forderung, im besten Falle den Schluss 
des harten Gaumens* 

Nun, brauchen wir die Brophy’sohe Operation? Nein. Das einzige, 
was zugunsten des Verfahrens spräche, wäre die Frühoperation. Sie 
wissen, ich habe schon vor diesem Forum und auch an anderen Stellen 
immer für die Frühoperation gekämpft und mache die Bropby’sche 
Operation nicht. Die Frühoperation lässt sich mit der alten Langen¬ 
beck’schen Methode in ausgezeichneter Weise ausführen. loh habe 
unter meinen Säuglingsoperationen, die ich allerdings nicht so schnell 
zählen konnte — ich schätze, dass es ungefähr 100 unter den 283 
sind —, keinen einzigen Todesfall. Ich hatte im ganzen überhaupt nur 
zwei Todesfälle. Sie betreffen aber etwas ältere Kinder, Kinder, die 
über 1 Jahr sind. 

Ich operiere also derart, dass ioh eventuell nach vorausgehender 
Regulierung des Zwischenkiefers und nach der Hasenschartenoperation 
vom vierten Lebensmonat ab die Gaumenspalte in Angriff zu nehmen 
pflege, vorausgesetzt, dass die Kinder genügend widerstandsfähig sind. 
Ich habe aber in keinem einzigen Falle bei einem Kinde, das mir bald 
nach der Gebart zugeführt wurde, die Gaumenspaltenoperation erst nach 
dem ersten Lebensjahr ausgefübrt. Alle Kinder, die von vornherein 
nach der Geburt zu mir gekommen sind, habe ich bis zu dem Moment, 
wo sie anfingen zu sprechen, bereits operiert und geheilt. 

loh möchte noch erwähnen, dass ich durchaus nicht der einzige bin, 
der sich >u der Brophy’sohen Operation abfällig äussert. Sie hat in 
Deutschland ja überhaupt nie recht Fuss fassen können. Mit der Mit¬ 
teilung von Kärger, dessen Resultate mir übrigens nicht so sehr im¬ 
ponierten, wenn ich ganz ehrlich sein soll — er hat unter 56 Fällen, 
die übrigens zum Teil noch nicht fertig operiert waren und von welchen 
die letzten 15 für unsere Frage aussoheiden, doch immerhin eine Reihe 
von Misserfolgen und zwei Todesfälle gehabt —, haben sich eine Reihe 
von anderen Chirurgen mit der Methode befasst, und alle haben sioh 
gegen sie ausgesprochen. Ich kenne keinen einzigen deutschen Chirurgen, 
der die Ansicht des Herrn Geheimrat Warnekros vertritt, dass die 
Brophy’sche Operation der alten Langenbeok’schen Methode über¬ 
legen sei. 

Hr. Kausch: Ich habe nicht entfernt so viel Gaumenspalten operiert, 
wie Herr Helbing, aber doch immerhin eine ganz stattliche Anzahl, 
und ioh kann mich dem, was Herr Helbing gesagt hat, nur voll an- 
schliessen. Ich bin bisher mit der Langenbeck’schen Operation stets 
fertig geworden und sehe keinen Grund, warum man die wesentlich 
kompliziertere und das Leben des Kindes zweifellos gefährdende Ope¬ 
ration ausführen soll. Einen Vorteil sehe ioh in der Prothese, die Herr 
Warnekros dem Neugeborenen sogleich einsetzt, und die erlaubt, dass 
die Kinder vor der Operation saugen können. Aber ioh kann mir schwer 
vorstellen, dass dies bei einem totalen Spalt, der durch harten und 
weichen Gaumen hindurcbgeht, möglich ist, dass wirklich ein völliger 
Abschluss nach der Nasenhöhle zu erfolgt. Viel grössere Schwierigkeiten 
als die angeborenen machen die erworbenen Gaumenspalten, namentlich 
bei den Verwundeten, da kommt man mit dem Langenbeok’schen 
Verfahren nicht immer aus. Ioh werde mir erlauben, nächstens Ver¬ 
wundete vorzustellen, bei denen es mir gelungen ist, solche traumatischen 
Defekte durch komplizierte plastische Operationen zur Heilung zu bringen. 

Hr. Mackenrodt: Mit solchen Zahlen, wie sie hier angegeben 
worden sind, kann ioh selbstverständlich nicht dienen. Sie wundern 
sich vielleicht auch, dass ich hier zu dieser Angelegenheit das Wort 
nehme. Aber die Verbindung zwischen den Gynäkologen und den Chi¬ 
rurgen ist heute in vieler Beziehung verwischt, und als Geburtshelfer 
bekommen wir natürlich zuerst die Gaumenspalten zu sehen. 

Da ist nun zunächst zu sagen, was auch der Herr Vorredner schon 
ausgefübrt bat, dass in dem letzten Falle, den ich zusammen mit Herrn 
Geheimrat Warnekros beobachtet habe, zunächst die Obturatorbildung 
von ganz wunderbarem Erfolge gewesen ist. Das Kind konnte schon 
vom vierten oder fünften Tage ab, wo die Prothese gemaobt war, sogar 
trotz der bestehenden Hasenscharte und trotz der doppelten Gaumen¬ 
spalte, an der BruBt der Mutter trinken. Nun, das ist an sich schon 
ein sehr grosser Vorteil. 


Das Zweite ist meiner Meinung nach, dass die theoretischen Ein¬ 
wände gegen die in diesem Falle ausgeführte Prowe’sche Operation 
nicht zu Recht bestehen können. Es kommt bei derartigen Operatioos- 
methoden nur darauf an: Erstens, dass sie auf einer anatomischen und 
in diesem Falle auf einer nach meiner Ueberzeugung entwicklungs- 
gesohiohtlichen Grundlage beruhen, zweitens, dass die Operationen Erfolg 
haben und nicht zu gefährlich 9ind, und drittens, dass sie nicht so 
kompliziert sind, dass sie einigermaassen jeder Chirurg auch auslühren 
kann. 

Ich habe meine Laufbahn als Chirurg begonnen und habe da natür¬ 
lich nach den verschiedensten Verfahren solche Operationen von Gaumen¬ 
spalten gesehen und sie später auch selbst, natürlich nicht in sehr vielen 
Fällen — denn der einzelne kann ja nicht so viele Fälle haben — io 
meiner Praxis ausgeführt. leb glaube auch, dass die Erfolge nicht 
schlechter gewesen sind, als sie sonst in der Hand des Chirurgen sind. 
Als mir dieses neuere Verfahren — es ist ja allerdings, wie Sie eben 
gehört haben, nicht nen, wenigstens die Idee nicht — bekannt wurde, 
da beschloss ich, in diesem letzten Falle diese Prowe’sche Operation 
etwas modifiziert ausführen zu lassen, und da muss ich sagen, dass mich 
die ungeheure Einfachheit der Technik vollständig überrascht bat. Sie 
ist so einfach, dass sie meiner Meinung nach von jedem Chirurgen aus¬ 
geführt werden kann, wenn es auch natürlich Vorbedingung ist, dass 
die Vorbereitung des Gaumens, die Stütze des Gaumens, des Processus 
alveolaris durch besonders geformte Platten vorher vorgenommen werden 
muss, um die Drähte zu stützen, loh habe auch gesehen, dass der Er¬ 
folg ausgezeichnet ist. Eine Störung während des Verlaufs ist überhaupt 
nicht eingetreten, und ieh begreife nicht, woher bei dieser einfachen 
Operation die 40prozentige Mortalität kommt, über welche die Ameri¬ 
kaner berichten. Das ist mir vollständig unerfindlich. Ich möchte sogar 
glauben, dass bei weiterer Vereinfachung der Schaden dieser Operation, 
die etwa noch bestehende Mortalität mindestens so gering sein wird 
wie bei jedem chirurgischen Verfahren. Die einzige Schwierigkeit der 
jetzigen Technik des Anbringens der Bohrlöoher durch den barten Gaumen 
io der richtig abgemessenen Entfernung wird wahrscheinlich durch Technik 
besser zu beheben sein als jetzt mit dieser gebogenen, durchlochten 
Nadel. Ich habe Herrn Warnekros geraten, in dieser Beziehung ein¬ 
mal versuchsweise von den mechanischen Fadenfängern Gebrauch zu 
machen. Ioh habe einen solchen für chirurgische und gynäkologische 
Zwecke bei Win dl er machen lassen, der sich gut bewährt hat für das 
Nähen in grossen Tiefen und nach entsprechendem Umbau sich auch 
für die Operation der Gaumenspalte sehr eignen dürfte. Dieser ja auch 
vielfaoh verbreitete Fadenfänger dürfte die Anbringung der Nähte in den 
Gaumen gewiss auf wenige Minuten in der Zeit beschränken, so dass 
dann die ganze Operation, die Anfrisohung, das Anbringen der Nähte, 
das Darobpressen des Gaumens, das Knoten der Nähte, das Legen der 
Platte wahrscheinlich in einer kurzen Zeit, sagen wir vielleicht 15 bis 
20 Minuten, selbst in schwierigen Fällen und bei doppelten Gaumen¬ 
spalten leicht zu erreichen sein würde. Das ist immerhin auch ein 
grosser Gewinn. Ein weiterer Gewinn ist der, dass eine nennenswerte 
Blutung bei dieser Operation nicht eingetreten ist, und dass sehr bald 
hinterher die Kinder dann auch normalerweise trinken konnten. Meine 
Ueberzeugung ist nach der Beobachtung dieses allerdings von bewährten 
Händen behandelten Falles, dass die anderen Methoden wahrscheinlich 
über kurz oder lang vor diesem Verfahren werden kapitulieren müssen, 
so unbequem sicher auch diese Perspektive zurzeit noch sein mag. 

Hr. Warnekros: Schlusswort. 

2. Hr. Warnekros hält seinen zweiten Vortrag: Die Bebaidlng 

von Psendartkrosen mit lebendem Transplantat nnd primär ein¬ 
gekeilter Goldsehiene. 


Medizinische Gesellschaft zu Kiel. 

Sitzung vom 14. Februar 1918. 

1. Hr. Stoeekel: Demonstration eines Falles von Maydl’seher Ope¬ 
ration bei tuberkulöser Schrnmpfblase. 

19 jähriges Mädchen, das seit seinem 12. Lebensjahr an zunehmenden 
Harnbeschwerden leidet, im 15. Lebensjahr ein grosses linksseitiges, von 
der Beckenschaufel bis zur Niere reichendes eiteriges Exsudat bekam, 
das durch breite Spaltung geheilt wurde. Der Eiter sah typisch 
tuberkulös aus. Es blieb eine schwere Zystitis bestehen, die sich 
auch im Laufe der nächsten Jahre mit einer Blasensoheidenfistel 
kombinierte, deren Entstehung ungewiss ist. Der Verschluss der Fistel 
seitens des behandelnden Kollegen misslang. Seit dieser Zeit besteht 
unwillkürlicher Urinabgang, der zu einer Schrnmpfblase und einem 
Intertrigo zwischen den Oberschenkeln geführt hatte. Nach Einlieferung 
in die Kieler Frauenklinik wurde festgestellt, dass die Fistel aus der 
Scheide in die scheiß bar hochgradig geschrumpfte Blase führte, die durch 
DehuuDg nicht zu vergrössern war und überhaupt kein Lumen zu haben 
schien. Infolgedessen war die Aussicht auf einen Erfolg durch einfache 
Beseitigung der Fistel ausserordentlich gering. Sie wurde trotzdem aus¬ 
gefübrt, aber von einer Sphinkterbildung abgesehen, da erkanDt wird, 
dass die Blase nicht 1 ccm fasst. Vorläufige Entlassung. Bei der 
späteren Aufnahme wurde als noch einzige Möglichkeit die Implantation 
des Trigonums in die Flexur ausgefübrt. Die Durchführung stiess wegen 
ungeheurer Schwielen- und SchwarteDbildung auf grosse Schwierigkeiten. 
Der Uterus« der das Herumführen der Blase zum Darm absolut un- 


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UMIVERSITY OF IOWA 



27. Mai 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


511 


möglich machte, musste exstirpiert werden. Die beiderseitigen Adnexe 
wurden belassen. Der Verlauf war günstig. Die Einheilung des Trigonums 
erfolgte glatt. Die Patientin, die zunächst Mühe hatte, ihren Urin im 
Rektum zurückzuhalten, kaon jetzt 2 Stunden lang den Urin besohwerde- 
frei zurückhalten und ist über den Erfolg der Operation sehr beglückt. 
Sie erhält dauernd Urotropin. Es ist anzunehmen, dass bei ihr bereits 
seit langer Zeit eine Pyelonephritis bestanden hat, und es bleibt ab¬ 
zuwarten, wie das Dauerresultat bezüglich einer vom Rektum aus 
aszendierenden neuen Infektion sein wird. DieTuberkulose scheint 
— ein Behr bemerkenswerter Fall — völlig ausgeheilt zu sein; ob 
die Blasenscheidenfistel auf diesen Heilungsprozess günstig eingewirkt 
hat, ist immerhin zu erwägen, man wird aber kaum eine typische Be¬ 
handlungsmethode daraus ableitsn dürfen. 

2. Geschäftssitzung, Neuwahl des Vorstandes. 

3. Hr. Käppis: 

1. Vorstellung zweier geheilter Tumoren der hinteren Schhdelgrnbe. 

a) Kleinhirnbrüekenwinkeltomor bei 24 jährigem Mädchen. Neun 
Monate lang krank. Erscheinungen allgemeinen Hirndrucks mit Ausfall 
des rechten Akustikus. Zweizeitige Operation. Kurze Zeit Liquorfistel. 
Vorübergehend Fazialisparese, die im Laufe von drei Monaten völlig 
verschwand. Völlige Rückbildung der Stauungspapille. Im Februar 1918 
nur noch leichte Hemiasthenie rechts, sonst alles normal. Walnuss¬ 
grosser abgekapselter Tumor. Mikroskopischer Befund: Fibrosarkom. 

b) Kleiuhimtumor links bei 13 jährigem Jungen. Dezember 1912 
zweizeitig entfernt; dicht unter der Oberfläche des linken Kleinhirns 
sitzender, völlig abgekapselter, hühnereigrosser Tumor. 

Mikroskopischer Befund: Gliom. 

Der Tumor hatte ein halbes Jahr lang allgemeine Druckerscheinungen 
gemacht, Schmerzen, besonders reohts im Hinterkopf. Hemiasthenie 
links. Seit Juli 1917 beim Militär, zurzeit im Felde; beschwerdelos, 

2. Schnappende Schalter. Vorstellung eines 5 jährigen Jungen mit 
einer schnappenden Schulter. 

(Der Fall wird besonders veröffentlicht werden.) 

4. Hr. Anschtttz: 

Ueber Hämaturie im Gefolge schwerer eitriger Appendizitis. 

Im Laufe der Jahre hatte A. Gelegenheit, bei fünf Patienten, die 
an schwerer eitriger Appendizitis mit Peritonitis operiert worden waren, 
Hämaturie zu beobachten. Vier Fälle betrafen jugendliche Individuen 
im Alter zwischen 10 und 14 Jahren, der fünfte ein Mädchen von 
25 Jahren. Bei sämtiiohen Kranken trat die Hämaturie in der dritten 
bis vierten Woche nach der Erkrankung auf. Alle sind vollkommen 
gesund geworden. 

Sehr charakteristisch ist der zuletzt beobachtete Fall bei einem 
zehnjährigen Jungen, der 24 Stunden nach Beginn der Appendizitis eine 
ausgedehnte eitrige Peritonitis hatte. Im Verlauf kam es zu schweren 
Ileu8erscheinungen, die zwei Enterostomien nötig machten. Vier Wochen 
naoh Beginn traten heftige Schmerzen in der linken Nierengegend auf. 
Tags darauf zeigten sich reichlich rote Blutkörperchen und Blutkörperohen- 
zylinder im Urin, kein Eiter, wenig Leukozyten. Die Blutung und 
Schmerzen waren sehr stark. Nach zehn Tagen Urin völlig normal. 
Später nochmals Anfall von Nierenschmerzen rechts ohne Hämaturie. 

Noch bei einem zweiten Fall waren die Koliken doppelseitig, bei 
dem dritten einseitig. Bei einem elfjährigen Mädchen traten Koliken 
nicht auf, nur Hämaturie. 

Die Hämaturie des 25jährigen Mädchens ist nicht ganz eindeutig 
insofern, als sie nach einer Punktion des Parametriums eintrat und auch 
Zylinder nicht nachgewiesen wurden. Es könnte sich um eine Urethra¬ 
blutung gehandelt haben. Boi den anderen Fällen dürfte kein Zweifel 
sein, dass die Niere der Ort der Blutausscheidung gewesen ist, wofür 
ausser den typischen, in der Nierengegend sitzenden kolikartigen 
Schmerzen auch der regelmässige Befund von Blutzylindern sprach. 

Man ist wohl gezwungen, einen direkten Zusammenhang zwischen 
der schweren Appendizitis und der Hämaturie anzunehmen. Die beste 
Erklärung für letztere scheint in der Annahme einer akuten zirkum¬ 
skripten Nephritis zu liegen, die ja bekanntermaassen vielfach zur Er¬ 
klärung der heftigen Nierenkoliken und der Nierenblutungen verantwort¬ 
lich gemacht wird. 

5. Hr. Schässler: Ueber Zystennieren. 

Vortr. berichtet über 4 Fälle von Zystennieren, die in der Königl. 
chirurgischen Klinik behandelt wurden. Besprechung der verschiedenen 
Theorien über die Pathogenese der Zystennieren und Zustimmung zu 
der Ansicht Berner’s, dass eine Zystenniere durch Entwickelungs¬ 
anomalien einerseits, duroh geschwulstartige Proliferationen anderer¬ 
seits entstehe, was alle klinisohen Erscheinungen erkläre. Diese Bind in 
den Fällen, wo kein doppelseitiger Tumor nachzuweisen ist, äusserst 
vieldeutig und das klinische Bild sehr wechselnd. Einen bestimmten 
Symptomeukomplex für Zystennieren gibt es nicht. Am konstantesten 
ist noch das niedrige spezifische Gewicht, was der sonstigen Aehnlioh- 
keit mit der chronischen interstiellen Nephritis entspricht. Die Therapie 
bei diagnostizierten Zystennieren muss stets konservativ sein. Nur bei 
vitalen Indikationen, wie profusen Hämaturien oder schweren Vereite¬ 
rungen kommt die Ektomie, rösp. Nephrektomie in Frage. 


Adolf Baginsky f. 

Nur wenige Monate, nachdem Adolf Baginsky die Leitung des 
Kaiser und Kaiserin Friedrich-Kinderkrankenhauses niedergelegt hatte, 
ist er kurz vor seinem 75jährigen Geburtstage einem tückischen Leiden 
erlegen. Ein zahlreiches Gefolge von Kollegen und Schülern hat ihm 
die letzten Ehren erwiesen. loh glaube den Dahingeschiedenen auch 
heute nicht besser charakterisieren zu können, als ich es vor fünf Jahren 
in einem Festartikel zu seinem 70jährigen Geburtstage getan habe: 
„B. darf den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, den grossen Förderern 
und Führern zugezählt zu werden, die in den letzten dreissig Jahren der 
Kinderheilkunde ihre Pfade gewiesen und ihr die geachtete Stellung als 
Sonderdisziplin’ in der wissenschaftlichen Welt erringen halfen. Sein 
Lebenswerk verdient um so grössere Anerkennung, als er seinen Weg 
nicht auf bequem ausgeschliffener akademischer Bahn, sondern als ein 
auf sioh selbst gestellter praktischer Arzt, auf dem dornenvollen Wege 
des Autodidakten nur nach Ueberwindung mannigfacher Schwierigkeiten 
zurück legen konnte 0 . 

In der Schule unserer grössten Meister, vorwiegend Virchow’s und 
des Klinikers Traube herangebildet, kehrte B., nachdem er zuerst auf 
dem Lande und dann in einer Mittelstadt (Nordhausen) praktiziert hatte, 
naoh der Reiohshauptstadt zurück, wo sein rastloser Forschungstrieb 
ihm veranlasst«, an seiner wissenschaftlichen Erziehung und Fortbildung 
zu arbeiten (pathologische Anatomie unter Karl Friedländer, 
physiologische Chemie unter Baumann und Kossel, Bakteriologie 
unter Robert Koch). Aus B.’s frühester Zeit existieren zahlreiche 
Einzelarbeiten, die vielfach in dem mit Monti und Herz in Wien 
zusammen gegründeten (1880) Archiv für Kinderheilkunde er¬ 
schienen. 1881 gab er bereits sein Lehrbuch der Kinderheilkunde 
heraus, das neben den Vorlesungen Henoch’s einen ehrenvollen Platz 
behaupten durfte und später bis zur V. Auflage erschienen ist. B. trieb 
indessen neben seinen Sonderstudien sohon „soziale Medizin“, als dieser 
Zweig unseres Berufes nur von wenigen Aerzten gepflegt wurde. So 
verdanken wir seinen Beschäftigungen mit der Schulhygiene ein 
bereits 1877 erschienenes Lehrbuch dieser Disziplin, das später noch 
in zwei Auflagen erschienen ist und sich grossen Ansehens erfreute. 
Damals trat B. schon für die Errichtung von Waldschulen ein. Ver¬ 
dienst hat er sioh ferner erworben um die Einführung von Schul¬ 
ärzten, Schaffung von Seehospizen, um die Beibe haltung und 
Durchführung des Reichsimpfgesetzes, um die systematische 
Jugendfürsorge, die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit 
(Kost- und Haltekinderpflege in Berlin, Ernährung der 
Säuglinge an der Mutterbrust, Einrichtung von Säuglings¬ 
asylen usw.). 

Ein besonderes Denkmal, das den Dahingeschiedenen lange über¬ 
dauern wird, hat er sich duroh die ihm zu verdankende Gründung des 
Kaiser und Kaiserin Friedrich-Kinderkrankenhauses in der 
Reiohshauptstadt gesetzt. Der Zweck der Anstalt war einerseits die 
systematische Bekämpfung der landläufigen Infektionskrankheiten in der 
Kinderwelt und fernerhin die Durchführung dieses Kampfes in einer 
Musteranstalt mit strenger Innehaltung der Quarantänen und Isolierung 
in getrennten Abteilungen. Das vermehrte und vertiefte Wissen, das 
B. in dieser Anstalt erwarb, kam in zahlreichen Arbeiten, besonders in 
den rasch folgenden Auflagen seines Lehrbuches zum Ausdruck. Besonders 
zu nennen aus dieser Periode seines Lebens ist die Monographie über 
die Diphtherie, die zu den besten Arbeiten B.'s gezählt werden muss. 
B. hat auch zu den ersten Autoren gehört, denen wir umfassende Mit¬ 
teilungen über die Anwendung des Behring’schen Diphtherie¬ 
heilserums verdanken. Zu gedenken ist auch der auf Anregung von 
Robert Koch von B. ausgeführten Arbeiten über die Häufigkeit 
der primären Darmtuberkulose im Kindesalter. 

B. war im wissenschaftlichen Kampfe kein sehr bequemer Gegner, 
der duroh sein oft schroffes Wesen manch einen von sich stiess. Im 
ganzen war er aber eine aufrechte, scharf ausgeprägte Persönlichkeit, die 
im medizinischen Berlin eine Lücke hinterlassen wird. Seine Schüler 
und seine Berufsgenossen werden ihm ein dauerndes Andenken bewahren. 

Cassel. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Im Begriffe, unserem verehrten Kollegen, Professor Dr. Benno 
Baginsky, unsere herzlichsten Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstage 
am 24. d. M. an dieser Stelle auszusprechen, erhielten wir die Trauer¬ 
kunde, dass sein älterer Bruder, Adolf Baginsky, 75 Jahre alt, ver¬ 
storben ist. Die Verdienste des Dahingeschiedenen um die Entwicklung 
der Kinderheilkunde, insbesondere um die soziale Fürsorge im Kindes¬ 
alter, sind allbekannt und werden in besonderem Nachruf aus der Feder 
eines seiner Schüler gewürdigt. Fällt auch durch seinen Tod ein 
Sohatten auf den Ehrentag des Bruders, so wollen wir um so herzlicher 
unserer Teilnahme und der Hoffnung Ausdruck geben, dass ihm noch 
eine lange erfolgreiche Wirksamkeit beschieden sein möge! 

— Prof. Hermann Oppenheim wurde vom Verein für Psychiatrie 
und Neurologie in Wien zum Ehrenmitglied ernannt. 

— Der bisherige Oberarzt der Dr. EdePschen Heilanstalt zu Char¬ 
lottenburg Dr. Gustav Emanuel trat als leitender Arzt in die Direktion 
der Anstalt ein. 


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512 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 21. 


— In Heidelberg verstarb der Direktor der chirurgischen Univer¬ 
sitätsklinik, Geh. Hofrat Prof. Dr. Max Wilms, erat 50 Jahre alt. Ein 
Nekrolog folgt. 

— Magdeburg: Prof. Kicker ist ans dem Felde zuruckgekehrt 
und hat die Leitung des städtischen pathologischen Instituts wieder über- 
nommen. 

— Die staatliche Nahrungsmitteluntersuohungsanstalt 
im Berliner Polizeipräsidium ist von dieser Behörde losgelöst und 
dem Si&atskommissar für Volksernährung in Gemeinschaft mit dem 
Minister des Innern unterstellt worden. Die Leitung der Anstalt 
behält Geheimer Regierungsrat Professor Dr. Juckenack. Die Dienst¬ 
räume verbleiben vorläufig im Polizeipräsidium am Alexanderplatz. 

— Für das Jahr 1914 sind nach der „Statistischen Correspondenz* 
standesamtlich in Preussen 1 067 408 lebendgeborene eheliohe Kinder 
gemeldet worden gegen 99172 uneheliche. Gestorben sind im ersten 
Lebensjahr 164401 eheliche und 26909 uneheliche Kinder. Von 
1000 ehelich Lebendgeborenen sind 154,02 gestorben gegen 272,24 der 
unehelich LebendgeboreneD; danach ist die Sterblichkeit bei den Un¬ 
ehelichen um rund 77 v. H. höher als bei den Ehelichen. Eine Ver¬ 
gleichung der Sterbeziffern der einzelnen Todesursachen zeigt erhebliche 
Unterschiede zwischen Ehelichen und Unehelichen, so lür die venerischen 
Krankheiten 3,16 bei den Unehelichen gegen 0,86 bei den Ehelichen, für 
Mord und Totschlag 1,35 gegen 0,03. Angeborene Lebensschwäche weist 
bei den Unehelichen die Sterbeziffer 60,90 auf gegen 35,44, die Tuber¬ 
kulose 2,88 gegen 1,52, die Krankheiten der Verdauungsorgane 83,57 
gegen 43,43, wobei Hagen- und Darmkatarrh mit der Sterbeziffer 48,52 
gegen 23,50, Brechdurchfall mit 33,10 gegen 18,54 erscheint. Ziehen 
wir auch noch die Totgeborenen in die Betrachtung mit hinein, so sind 
im Jahre 1914 in Preussen 31312 totgeborene eheliche und 4636 
totgeboiene uneheliche Kinder gezänlt worden. Auf 1000 ehelich 
Geborene kamen 28,50 Totgeborene, auf 1000 Uneheliche 44,66. Auch 
bei den Totgeborenen überragte somit die Ziffer der Unehelichen um 
57 v. H. die der Ehelichen. 

—r Nach einer Mitteilung der „Lanoet“, veröffentlicht in der Neder- 
landsch Tijdsohrift voor Geoeeskunde, betrug die Säuglingssterblichkeit 
in England und Wales in den Jahren 1914, 1915 und 1916 der Reihe 
nach 105, 110 und 95 auf je 1000 Lebendgeborene. Wie es dort heisst, 
scheinen die hohen Löhne und die geringe Arbeitslosigkeit günstig hierin 
gewirkt zu haben. Im Jahre 1917 stieg bei zunehmender Teuerung die 
Säuglingssterblichkeit um 6 pCt., also auf 101 an, und zwar sowohl 
auf dem Lande als auch in den grossen Städten, in London selbst 
jedoch um 16 pCt. 

— Das österreichische Kriegsministerium hat angeordnet, dass 
600 frontdiensttaugliche absolvierte Gymnasialschüler, welche 1893 oder 
später geboren sind, 1916 oder 1917 Abiturientenexamen gemacht haben, 
für zwei Semester unter der Voraussetzung beurlaubt werden, dass sie 
in der Armee dienen, an einer Universität inskribiert sind, keinen 
Zivilberuf bekleiden, sich verpflichten, Medizin zu studieren und noch 
kein anderes Hochschulstudium begonnen haben. 

— Der Deutsche Krippen verband veranstaltet in der Zeit 
vom 5.—15. Juni einen Fortbildungskursus für Mitarbeiter im 
Krippenwesen und für Krippenpflegerinnen. In dem Kurs soll den Teil¬ 
nehmern Gelegenheit gegeben werden, sich mit den Fortschritten auf 
dem Gebiete des Krippenwesens bekannt zu machen, besonders mit den 
neueren Anschauungen über Pflege und Ernährung des Säuglings und 
Kleinkindes, über Einrichtung und Betrieb einer Knppe, ferner über die 
Verhütung und die Bekämpfung der Krankheiten, von denen besonders 
die Krippenkinder heimgesucht werden. Der Lehrplan umfasst 3 Vor¬ 
tragsgruppen: 1. Klinische Vorträge. Ernährung des Säuglings und 
Kleinkindes und Ernährungsstörungen. Allgemeine Krankheiten des 
Kindes, besonders Erkältungskrankheiten. Ansteckende Krankheiten. 
2. Vorträge mit praktischen Uebungen: Pflege des Säuglings und Klein¬ 
kindes. 3. Einzelvorträge betreffend allgemeine Fragen. Eröffnungs¬ 
vortrag: Historische Entwicklung des Krippenwesens. Bau und Ein¬ 
richtung einer Krippe. Wirtschaftliche Fragen im Krippenbetrieb. 
Hygieniscbo Forderungen im Krippenbetrieb. Die körperliche Entwick¬ 
lung des Kindes. Die seelische Entwicklung des Kindes. Erziehung 
und Beschäftigung des Krippenkindes. Aufgabe und Stellung des Arztes. 
Aufgabe und Ausbildung der Krippenpflegerin. Kinderschutz und 
Frauenarbeit. Stillstube und Fabrikkrippe. Schlussvortrag mit Ueber- 
sicht über den ganzen Lehrplan. Teilnehmerkarten sind zum Preise von 
10 M. in der Geschäftsstelle des Deutschen Krippenverbandes, Char¬ 
lottenburg 5, Mollwitz-Privatstrasse erhältlich. — Die für Mittwoch, den 
5. Juni, in Aussicht genommene IV. Deutsche Krippenkonferenz wird nioht 
stattfinden, sondern vorläufig verschoben. 

— Der Bundesrat hat am 2. Mai 1918 eine Verordnung erlassen, 
wonach künftig Verbandwatte aus baumwollenem Spinnstoff, soweit 
sie nioht von der Heeres- und Marineverwaltung gebraucht werden, die¬ 
selbe Regelung erfährt wie sonstige baumwollene Verbandstoffe. Die 
Bewirtschaftung hat die Reichsbekleidungsstelle. 

— Bezugscheine auf Bademäntel und Badelaken dürfen 
nur noch für Kranke auf Grund ärztlicher Bescheinigung erteilt werden. 
Zur Säuglingspflege dürfen Bezugscheine nur für den dringenden 
Bedarf an Badetüchern ausgegeben werden 


— Im Verlage von Moritz Perles in Wien sind die Verhandlungen 
der Tagung der ärztlichen Abteilungen der waffenbrüderlichen Ver¬ 
einigungen Deutschlands, Oesterreichs und Ungarns in Baden bei Wien 
vom II. und 13. Oktober 1917 in Buchform erschienen. 

— Bad Eilsen. Am 15. Mai fand durch den Kabinettsobef und 
Hofkammerpräsidenten Exzellenz Freiherr von Kapherr die Eröffnung 
der neuen Kuranlagen des seit mehr als 100 Jahren bekannten Fürst¬ 
lichen Schlamm- und Schwefelbades Eilsen statt. An Stelle des bisher 
in unmittelbarer Nähe Eilseos gegrabenen Schlammes wird jetzt infolge 
einer Analyse des Geheimen Regierungsrats Professor Dr. Fresenius 
in Wiesbaden und auf seinen besonderen Rat Steinhuder Meerschlamm 
genommen und in neuartiger Weise mit unverdünntem Schwefelwasser 
vermischt als Schlammbad verabreicht. Ein Teil der Schwefelquellen — 
Julianen-, Georgen- und Adolfbrunnen (früher Neuwiesenbrunnen) — ist 
tiefer abgesenkt und bat dabei nach einer neuen Analyse des Herrn 
Dr. Gerb. Lange in Hannover eine erhebliche Verbesserung und be¬ 
sonders eine Verstärkung des Schwefelwasserstoffs erhalten. Neu ein¬ 
gerichtet sind in dem neuen Kurmitteihause, bei dem als ärztlicher 
Berater Sanitätsrat Dr. Blumenfeld in Wiesbaden mitwirkte: Kohlen¬ 
säure- und Sauerstoff bäder wie Schwefelwaaserduschmasaage, ein 
Inhalatorium für Eilsener Schwefel wasser: für Gesellschaftsraum, Einzel- 
kabinen, Sauerstoffeinatmung, Apparatinhalation mit medikamentösen 
Zusätzen, fremde Thermalwässer und ätherischen Oelen. Ausser einem 
Röntgenapparat für Bestrahlung und Untersuchungen wie einem Zander¬ 
saal ist noch eine elektrische Abteilung eingetübrt mit elektrischem 
Wasserganz- und Teilbad, Vierzellenbad, elektrisches Schonungslichtbad, 
Wärmebehandlung nach Dr. Tyrnau, Diathermie, Heissluftdusche, 
künstliche Höhensonne. Endlich sind noch Abteilungen lür Wasserkuren 
und Massage und Heissluft-Dampfbäder vorhanden. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (5.—12. V.) 2. 
Deutsche Verwaltung in Litauen (7.—13. IV.) 7. Fleokfieber: 
Deutsches Reich (5.—11. V.) 3, ferner 2 unter Kriegsgefangenen in 
den Reg.-Bez. Allenstein und Marienwerder. Kaiserlich Deutsches 
Generalgouvernement Warschau (21.—27. IV.) 1020 und 118 +. 
Deutsche Verwaltung in Litauen (7.—13. IV.) 354 und 9 f. 
Deutsche Verwaltung in Suwalki (7.—13. IV.) 4 und 5 f. Ungarn 
(8.—14. IV.) 38 und 1 f. Rüokfallfieber: Deutsches Reich (6. bis 
11. V.) 9 unter Kriegsgefangenen im Reg.-Bez. Marienwerder. Kaiserlich 
Deutsches Genera Igo u verne ment W arschau (21.—27. IV.) 4 u. 1 f. 
Genickstarre: Preussen (28. IV.—4. V.) 4 und 2 f. Spinale 
Kinderlähmung: Preussen (28. IV.—4. V.) 1. Ruhr: Peussen 
(28. IV.—4. V.) 66 und 6 f. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb 
an Diphtherie und Krupp in Wilhelmshaven; Keuchhusten in Harburg. 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochschulnachrichten. 

Berlin: Dem Privatdozenten für Hygiene Dr. Reiter ist der 
Professortitel verliehen worden. — Breslau: Geheimrat Küttner ist 
von der k. k. Gesellschaft der Aerzte zum korrespondierenden Mitglied 
gewählt worden. Prof. Bumke in Breslau hat den Ruf als Ordinarius 
für Psychiatrie abgelehnt. — Kiel: Prof. Berbiinger, bisher Privat¬ 
dozent in Marburg, hat sich lür Pathologie habilitiert. — Marburg: 
Der Privatdozent für Kinderheilkunde Dr. Rohm er hat den Professor¬ 
titel erhalten. — Prag: Privatdozent Dr. Hynek hat den Professortitel 
erhalten. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien, 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden IV. Klasse: Geh. San.-Rat 
Dr. Ernst Meyer in Thorn. 

Prädikat „Professor 11 : Beauftragte Dozenten in der rechts- und 
staatswissensohafiliohen Fakultät der Universität in Münster, Kreis¬ 
arzt und Medizinalassessor Dr. Besserer und Strafanstaltsarzt Dr. 
Többen; Stadtrat Dr. med. Röthig in Charlotten bürg. 

Ernennungen: Priv.-Doz. Prof. Dr. Wetzel in Breslau, Prosektor 
am Anatomischen Institut daselbst, zum ausserordentl. Professor in 
der mediz. Fakultät der Universität in Halle a. S. und zum Abteiluogs- 
vorsteher am Anatomischen Institut dieser Universität; ArztDr. Friedr. 
Karl Schultz in Cammin zum Kreisassistenzarzt unter Ueberweisung 
an den Kreisarzt des Stadtkreises Stralsund. 

Niederlassungen: Dr. Peter Janssen in Dortmund, Dr. Vax 
Cohen in Cöln. 

Verzogen: Dr. Johs. Busse von Unruhstatt naoh Silberberg (Kr. 
Frankenstein), Dr. W. Ri hl er aus dem Auslaad nach Gelsenkirchen, 
Dr. Helimut Joseph von Berlin nach Cöln, Dr. Friedrioh Mayer 
von Bonn nach Bad Liebenstein. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Dr. Hans Wilh. 
Heinr. Helle und Dr. Albert Herrn. Krüger von Dortmund. 

Gestorben: Kreisarzt Med.-Rat Dr. P. Weozereck in Königshütte, 
Geh. San.-Rat Dr. J. Dressen in Aachen, San.-Rat Dr. W. Lüse- 
brink in Bochum. 


Für die Redaktion Yenntwortlieh Prof. Dr. Hane Ko ho, Berlin Bnyreather Str. 42. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druok von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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IN« Berliner RllnUche Wochenschrift eraohelnt jede* T* V ! "1 ' " W'^'y ym'T f v All« Biiieeodiingee för dl« Redaktion and Bxpedltloe 

Montag in Nammern von ca. S— 6 Bogen gr. 4. — II lil II I I Äj Im II voll« man portofrei «n di« Verlagsbuchhandlung 

Pr«U vlorteljihrlich 7 Mark. Beatellungen nehmen H K I .1 I \ H August Hirechwald in Berlin NW., Unter den Linden 

all« Buchhandlungen und Poetanetalten an. |HJ||j||| 1 M P J | fij Nr. 88, adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen« 

Redaktion: Expedition: 

floh. Mei-Rat Prof. Dr. G. Posoer und Prot Dr. Haus Koho. August Hirschwaid, Verlagsbuchhandlung in Berlin. 


Montag, den 3. Juni 1918. 22. Füüfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origiaalies: Bis: Friedrich Kraus zum Gruss. S. 51S. 

Goldsohoider: Ueber die krankhafte Ueberempfindlichkeit. S. 514. 
delaCamp: Beitrag zu konstitutionellen Mittelwerten. (Illustr.) S. 515. 
Brugsch: Konstitution und Iafektion. S. 517. 

Mohr: Klinische Beiträge zum Status thymico-lymphaticus. (Aus der 
Kgl. medizinischen Universitäts-Poliklinik in Halle a.S.). S. 519. 
Wenckebach: Ueber Chinin als Herzmittel. S. 521. 

Klemperer: Yoghurtkuren bei Diabetes. S. 523. 
t. Bergmann: Zur Pathogenese des chronischen Ulcus peptioum. 
(1. Mitteilung.) (Aus der medizinischen Universitätsklinik zu 
Marburg). S. 524. 


Bfickerbesprechügei: Vaihinger: Nietzsche als Philosoph. (Ref. Butter- 
saok.) S. 528. — Sannemano: Der Dienst des Hafenarztes in 
Hamburg. (Ref. Weber.) S. 528. 

Literatur-Aisittge: Therapie. S. 529. — Allgemeine Pathologie und 
pathologische Anatomie. S. 529. — Parasitenkunde und Serologie. 
S. 529. — Innere Medizin. S. 530. — Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. S. 531. — Kinderheilkunde. S. 531. — Chirurgie. S. 531. 

VerhaadliBgea ftritlieher Gesellschaft«!: Verein für innere Medizin 
und Kinderheilkunde zu Berlin. S.532. —Laryngologische 
Gesellschaft zu Berlin. S. 532. 

Tagesgesohiohtliche Notizen. S. 536. 

Amtliche Mitteilungen. S. 536. 


Friedrich Kraus zum 60 . Geburtstag. 


Friedrich Kraus zum Gruss. 

Von 

Prof. Dr. W. His. 

Friedrich Kraus geht gern eigene Wege; so mag auch 
hier entgegen dem Brauch anstatt des Schülers der nächste Fach¬ 
genosse ihm den Gruss sum sechzigsten Geburtstag darbringen. 

Seine Berufung nach Berlin war eine Ueberraschung gewesen. 
Als Carl Gerhardt sein arbeits- and erfolgreiches Leben be¬ 
schloss, sollte neben dem alternden Leyden eine jüngere und 
frische Kraft für die Nachfolge gewonnen werden. Fr. Müller 
und Krebl, die am vordersten standen, fielen ans persönlichen 
Gründen weg, nnd während noch im Reiche die Aussichten 
anderer Altersgenossen lebhaft erwogen wurden, fiel die Wahl, 
auf den damals 44 jährigen Grazer Kliniker. So kam Kraus 
nach Berlin; in dieser neuen Heimat ist er fest verankert und ihr 
treu geblieben, obschon sein Vaterland mehrmals versucht hat, 
ihn wieder zu gewinnen. 

In der österreichischen Schule nahm Kraus eine Sonder¬ 
stellung ein. Die Ueberliefernngen Skoda’s, Oppolzer’s nnd 
Rokitanski’s beherrschten nnd beherrschen znm Teil heute noch 
die dortige Klinik, die in sorgsamster Beobachtung und Beschreibung 
der Krankheiten ihre Aufgabe sieht, in Verbindung mit patholo 
gischer Morphologie eine ausgebildete Semiotik, eine subtile 
Diagnostik pflegt. Nothnagel, Bamberger, Kahler, Neusser 
vertraten glänzend diese Richtung, die auch heute noch von 
Ortner, Chvostek, Rud. Schmidt mit Glück verfolgt wird. 
Daneben blühen die pathologisch-physiologischen und chemischen 
Studien in besonderen Lehranstalten, die aber mit der Klinik 
keine unmittelbare Fühlung haben. 

Kraas, unter Hering’s und Hofmeister’« Einfluss in Prag 
geschult, verfolgte von Anfang ah die von Frericbs undNaunyn 
in die Klinik eingeführte Tendenz, das krankhafte Geschehen auf¬ 
zudecken; er war chemisch und experimentell wohl geschult, als er 


1890 Kahl er ’s Assistent wnrde; in seiner Person vereinigten sich 
die Ueberliefernngen der deutschen und der österreichischen Klinik. 
Diese mannigfachen Samen sind auf fruchtbaren Boden gefallen. 
Allseitige Interessen, unterstützt von rastlosem Fleiss und un¬ 
gewöhnlichem Gedächtnis, befähigen Kraus zu der fast unbegrenzten 
Vielseitigkeit, die vom Kliniker heute verlangt werden sollte, 
die aber nur Wenigen gegeben ist. Der Physik und Chemie, der 
Botanik und Zoologie, der Bakterio- und Serologie vermag er bis 
ins Einzelne zu folgen, versenkt sich heute in alte Aerzte, morgen 
in modernste Philosophie, verhandelt sachverständig mit Bau¬ 
meistern, Verwaltuogsbeamten oder mit der Küchenschwester und 
weiss in all diesen entlegenen Gebieten eigene Meinung zu be¬ 
wahren and anregend zu wirken. Stets auf dem Laufenden, er¬ 
greift er jede Methodik, mag sie kommen, von wo sie will, und 
ruht nicht, bis er sie durchdrungen nnd seinem Fach dienstbar 
gemacht bat. Die Grundlagen seines Wissens und Denkens sind 
breiter als das Fach; sie ruhen auf allgemein philosophischer, 
besonders erkenntnistbeoretischer Bildung, auf die wohl Ernst 
Mach den grössten Einfluss ausgeübt bat; fast alle Regungen 
geistigen Lebens finden Widerhall: Staats- und Kulturgeschichte, 
bildende Kunst, Literatur und besonders Theater. So konnte er 
etwa ein neues Jahr des Vereins für innere Medizin mit einer 
Plauderei über die Medizin in der französischen Literatur einleiten. 
Er selbst ist Künstler, nicht nur in der Beherrschung der Sprache 
in Wort und Schrift, sondern in der ganzen Art, jeder Aensserung 
ein persönliches Gepräge zu verleihen. Wie er eine Verhandlung 
leitet, wie er einen neuen Gegenstand aufnimmt, wie er etwa 
eines Verstorbenen gedenkt, selbst die persönliche Unterhaltung: 
alles ist getragen von einer Anschauung, einem Temperament, 
einem Stil, der ihm eigentümlich ist. Vor allem auch seine Vor¬ 
träge. Jeder ist nahezu monographisch durcbgearbeitet, oft weit 
über die vorliegende Aufgabe hinaus; er konnte etwa ein Referat 
über ein in der Armee einzuführendes Eiweissreagens einleiten 
mit einer ausführlichen Darstellung der Chemie der Eiweisskörper 
nnd ihrer Reaktionen, Ebenso reichhaltig sind seine klinischen 


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614 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Vorträge, Fundgruben der Anregung für Vorgeschrittene, in ihrer 
vom Gewohnten gern abweichenden Ausdrucks weise zuweilen eine 
harte Nuss für den Anfänger.^ Aber auph diesjst durchaus be¬ 
wusst: wir sollen nicht pauken, sondern anregen, pflegt er zu 
sagen und rechnet richtig; der strebsame Teil der Jugend ist 
am empfänglichsten für das, was über den Tag hinaus den Blick 
in die Zukunft lenkt. 

Eines so vielseitigen Geistes Arbeitsgebiet ist aufs weiteste 
gespannt. Wir finden ihn schaffend auf Spezialgebieten, etwa 
den Krankheiten der Mundhöhle oder Speiseröhre, deren Be¬ 
schränktheit überwunden wird durch die allerorts angezogenen 
weiten Gesichtspunkte; ein andermal auf rein physiologischem 
Gebiet; dazwischen im ganzen Bereich der inneren Medizin, Stoff¬ 
wechsel, Blutkrankheiten, Infektions-, Herz- und Lungenkrank¬ 
heiten; Röntgendiagnostik und Elektrokardiographie hat er früh¬ 
zeitig in ihrer Bedeutung erkannt und in weiter Ausdehnung, auf 
breiter Beobachtung fussend, verfolgt und erweitert. Aber sein 
Lieblingsgebiet bleibt wohl jene Aufgabe, an der er sich in einer 
seiner ersten grösseren Arbeiten versucht hat, und die er neuer¬ 
dings, im Anschluss an Wiener Freunde, unermüdlich bearbeitet, 
zu deren Erneuern und Wiedererweckern er zu zählen ist: die 
Konstitutionslehre. 

So eindringlichem Wirken und Arbeiten ist der Erfolg 
nicht versagt geblieben. Zahllose Schüler danken Kraus ihre 
Belehrung und Anregung, nicht wenige seiner Assistenten, 
denen er grosse Freiheit und Selbstständigkeit lässt, sind in 
leitende und lehrende Stellungen berufen worden; ein Heer 
von Kranken aller Stände, bis hinauf ins kaiserliche Haus 
hängt an ihm mit Vertrauen und Dankbarkeit, im Arzte zugleich 
den menschlich und milde denkenden Berater schätzend. Die 
Fachgenossen haben ihm die Leitung des regen Vereins für Innere 
Medizin und den zweiten Vorsitz der medizinischen Gesellschaft 
übertragen; äussere Ehren und Auszeichnungen sind ihm reichlich 
zugefallen; er trägt sie, wie der Baum die Früchte trägt, als das 
nach natürlichem Lauf ihm Gebührende. 

Als beratender innerer Mediziner bei einer Heeresgruppe des 
Westens] hat Krausfam Kriege teilgenommen, mit gewohntem 
Eifer die Kriegskrankheiten verfolgt und ihre Kenntnisse ge¬ 
fördert. Nachdem nun die grundlegenden Fragen ihre Antwort 
gefunden, die Seuchen nahezu erloschen, zog es ihn zu Klinik 
und Laboratorium zurück: „Ich werde bald ein alter Mann und 
muss vorher noch vieles arbeiten.“ Wir, die wir seine Regsam¬ 
keit an Körper und Geist vor Augen haben, können seine Be¬ 
sorgnis nicht teilen. Wer sich solche Aufnahmefähigkeit be¬ 
wahrt, braucht die Jahre nicht zu fürchten. Wir erwarten von 
seiner reichen Begabung noch eine lange Reibe von Arbeiten und 
Anregungen, wünschen ihm unverminderte Kraft und Lust zum 
Arbeiten nnd rufen ihm am heutigen Tage hoffnungsvoll zu 
Glückauf zum neuen Jahrzehnt! 


Ueber die krankhafte Ueberempfindlichkeit 

Von 

Geh. Ifed.-Rat Prof. Dr. Goldscheider. 

Nicht bloss der nervösen, sondern jeder reizbaren Substanz 
kommt dies Vermögen zu, rhythmisch wiederholte, einzeln unwirk¬ 
same Reize zu summieren. Es findet eine Reizspeicherung statt, 
welche, wenn sie einen gewissen Wert erreicht hat, zur Entladang 
in Form einer Erregung führt. Merkliche sensible Reize elektrischer, 
mechanischer, thermischer Art werden gleichfalls summiert und 
lassen eine neue, der primären nach einem gewissen Zeitintervall 
folgende Empfindung entstehen. Diese Erscheinung ist darauf 
zurückzuführen, dass jeder Reiz potentielle Energie speichert; die 
der Dissimilation folgende assimilatorische (anabolische) Phase 
oder mit anderen Worten der Wiederaufbau der durch den Reiz 
zerstörten Masse unterscheidet sich somit von dem vor der Reiz¬ 
einwirkung vorhanden gewesenen Zustande durch eine höhere 
Stufe der Erregbarkeit. Gegenüber dem maschinellen Betrieb er¬ 
zeugt der Reiz bei der organischen reizbaren Substanz also nicht 
bloss einen Umsatz, sondern er hinterlässt einen Gewinn, welcher 
dem nächst folgenden Reis zugute kommt. Dieser Vorgang stellt 
die ursprünglichste Form dar, in welcher sich die „funktionelle 
Reisanpassung“ darbietet. Es ist die Frage, ob die Energie¬ 
speicherung auf der Mehrbildnng von reizbarer Substanz oder auf 
einer Lockerung derselben im Sinne einer gesteigerten Dissimilations¬ 
bereitschaft braucht. Wahrscheinlich findet beides statt, da 


ersteres nicht alle in Betracht kommenden Erscheinungen zu er¬ 
klären vermag. Wie dies auch sein möge, jedenfalls ist der Er¬ 
satz der zerstörten Substanz ein Ersatz mit materiellem oder 
funktionellem Ueberschuss; die reaktive Assimilation ißt somit in 
Wirklichkeit eine „kumulative“. Der Zustand erhöhter Anspruchs¬ 
fähigkeit klingt zunächst ab, kann aber durch hinreichende Wieder¬ 
holung der Reise Dauerhaftigkeit erlangen. Hierauf beruht Bahnung 
und Uebung. 

Uebermässige Reizung führt zu einer übermässigen, krank¬ 
haften Erregbarkeitssteigerung, was wir uns stoffwechselmissig 
so vorzustellen haben, dass die Höhe der Assimilation durch 
die Höbe der Dissimilation bestimmt wird. Am durchsichtigsten 
tritt uns dies Verhältnis bei der sogenannten Uebermüdung 
entgegen, welche bekanntlich gegenüber der einfachen Er¬ 
müdung durch zahlreiche Reizsymptome ausgezeichnet ist: 
verschiedenartige myalgiscbe und neuralgische Beschwerden, 
allgemeine Erregtheit und Unruhe, Schlaflosigkeit, erhöhte Reflex¬ 
erregbarkeit, gereizte Stimmung usw. Die Annahme der Bildung 
toxischer Stoffe kann dies nicht hinreichend erklären. Die bei 
der Ermüdung erzeugten giftigen Stoffe rufen injiziert Ermüdung, 
Lähmung, Narkose hervor, keine Reizung. Es werden bei der 
Muskelarbeit wohl auch reizende Stoffe produziert, aber es ist 
nicht nachzuweisen und auch unwahrscheinlich, dass sie bei weit 
getriebener Muskeltätigkeit das Uebergewicht über die lähmenden 
erreichen. 

Die Uebermüdung ist vielmehr eine Ueberreizung. Bei jeder 
fortgesetzten funktionellen Reizung spielen sich zwei entgegen¬ 
gesetzte Vorgänge ah: die reizbarkeitsherabsetzende Wirkung 
der Ermüdung und die reizbarkeitssteigernde Wirkung der Reis¬ 
summation bzw. der kumulativen Assimilation. Letztere kann 
unter gewissen Bedingungen, auf welche einzugehen hier zu weit 
führen würde, das Uebergewicht erhalten. Eine weitere sich hier 
anschliessende Erscheinung betrifft das Vorkommen der Ueber- 
erregbarkeit bei kongenital minderwertigen Organen. Bei konsti¬ 
tutioneller Herzschwäche (Kraus), Hypoplasien des Gefässsystems, 
Asthenie z. B. finden sich Uebererregbarkeiten gegenüber 
funktionellen Belastungen; auch solche verbreiteterer Art (Vago- 
tonie, Sympathikotonie). Da wir durch Kraus wissen, dass 
Organminderwertigkeiten sowohl wie allgemeine Konstitutions¬ 
schwäche zu erhöhter Ermüdbarkeit führen, so liegt die Beziehung 
zur Ueberreizung in Analogie zur Uebermüdung nabe. 

In der Konstitutionspathologie pflegt es als selbstverständlich 
betrachtet zu werden, dass der Locus minoris resistentiae gleich¬ 
zeitig Sitz einer Ueberempfindlichkeit wird. Es wird nicht streng 
zwischen der Empfindlichkeit in bezog auf die Widerstands¬ 
fähigkeit und zwischen der Empfindlichkeit in bezug auf die 
Erregbarkeit unterschieden. Ich könnte zahlreiche Beispiele hierfür 
anführen. Die konditionale Beziehung der Erregbarkeitssteigerung 
zur verringerten Widerstandsfähigkeit wird nicht erörtert Wie 
kommt es, dass die Schwäche mit Reizbarkeit vergesellschaftet 
ist? Handelt es sich um eine gleichzeitige Veranlagung, dem 
Zustande vergleichbar, welchen wir bei der sogenannten Neurasthenie 
anzunebmen gewohnt sind? Es kommt sicherlich vor, dass die 
Uebererregbarkeit als kongenitales Erbstück auf tritt; sie kann sich 
aber auch aus der funktionellen Schwäche entwickeln, sobald 
Bedingungen obwalten, welche eine über das individuelle „Normal¬ 
maass“ des minderwertigen Organs hinausgehende Leistung ver¬ 
langen; dann ist die Ueberreizung gegeben. Solche Bedingungen 
können sich auch ohne aussergewöhnliche exogene Beanspruchungen 
aus den Folgen der Insuffizienz selbst ergeben (z. B. bei sezernie- 
renden, hormon-, fermentbildenden Zellen). 

Die Uebererregbarkeit zeigt hier deutlich einen kompen¬ 
satorischen Charakter; die Anpassung führt wie zu physiologischen, 
so auch zu pathologischen Phänomenen. Auch korrelative Ueber¬ 
erregbarkeit eines stellvertretenden Organs bei Funktionsschwäcbe 
eines anderen kommt vor. Die gesteigerte Erschöpfbarkeit erzwingt 
regulierende Ruhepausen für das übertätige Organ. Wird durä 
irgendwelche Einflüsse diese dauerfördernde Regulation ver¬ 
hindert, so rückt die Gefahr der dissimilatorischen Lähmung bzw, 
der Erschöpfung nahe. 

Auch ohne das Vorhandensein einer funktionellen Minder¬ 
wertigkeit und auch ausserhalb des motorischen Arbeitsbetriebes 
führt Ueberreizung zur Uebererregbarkeit, welche mit funktioneller 
Schwäche im Sinne gesteigerter Erschöpfbarkeit verbunden sein 
kann, wofür sich zahlreiche Beispiele anführen lassen. 

Die Wirkung der kumulativen Assimilation besteht darin, 
dass die neugebildete Substanz reizangepasste Rezeptoren von er¬ 
höhter Entladungsfähigkeit (Dissimilationsbereitschaft) enthält. 


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3. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT: 


515 


Eine ähnliche Vorstei lang werden wir ans über die kongenitale 
Ueberempfindlichkeit bilden müssen, wie sie ans s. B. in den 
Diathesen entgegentritt. Auch bei diesen übrigens mischen sich 
Minderwertigkeiten, Defekte mit abnorm gesteigerter Reaktion 
auf Reize. Zwischen der Diatbese und der durch Sensibilisierung 
gewisser Gewebe erworbenen Anaphylaxie ist ein grundsätzlicher 
Unterschied nicht zu machen. Das Kennzeichen der anaphylaktischen 
Zelle and die Anaphylaxie ist zellulär, nicht hamoral bedingt — 
ist aber die erhöhte Ansprnchsfähigkeit and Reaktionsfähigkeit 
aaf bestimmte Reize. Fassen wir die erhöhte Reizbarkeit als das 
wesentliche auf, so ist die Anaphylaxie durch die besonderen 
Bedingungen charakterisiert, unter welchen jene anftritt. Es 
bilden sich bei der Antitoxinbildung bzw. bei der Anaphylaxie 
überempfindliche, labilere, erhöht entladangsbereite Rezeptoren 
gegen gewisse Atomgrnppen des Eiweissmoleküls aas, welche 
als abnorme Reize eingewirkt haben. Die Latenz bei der 
Entwicklung der anaphylaktischen Erscheinungen bildet keinen 
Gegengrand, eine Parallele zwischen diesen and der physiologischen 
Erregbarkeitssteigerung durch den Reiz za ziehen. Aach bei 
letzterer kommt ein Latenzstadium vor, and schon die Reizsummation 
lässt eine wenn aach natürlich geringfügige Latenz erkennen. 

Ueberall in der Pathologie, in der Klinik stossen wir auf 
teils lokalisierte, teils verbreitete Ueberempfindlichkeiten. Herz 
und Gefässsystem,die drüsigen Organe einschliesslich der endokrinen 
Drüsen, die Stoffwechseltätigkeit, die Blutbildungsstätten and nicht 
zum wenigsten das Nervensystem lassen uns manifeste und latente 
Umstimmungen der Reaktionsfähigkeit im Sinne der krankhaften 
Erhöhung erkennen. Sind dieselben auch zum Teil nar Reaktionen 
auf primäre krankhafte Schwächezustände, so tragen sie doch 
durch ihre Dauerhaftigkeit und durch die an sie Bich knüpfende 
Auslösung weiterer bedeutungsvoller pathologischer Vorgänge das 
Gepräge einer fundamentalen krankhaften Veränderung.-Funktionelle 
Schwäche einerseits, Ueberempfindlichkeit andererseits stellen die 
Angelpunkte der pathologisch physiologischen Vorgänge dar. 

Die kumulative Assimilation infolge von Reizung ist nicht 
die einzige Bedingung, welche zur Ueberempfindlichkeit führt. 
Letztere kann z. B. auch durch das Eintreten bestimmter Giftstoffe 
in die Zellsubstanz bedingt sein (Strychnin). Hormone, gewisse Stoff- 
Wechselveränderungen, Blutversorgung a. a. m. sind von Einfluss. 

Die latente Ueberempfindlichkeit der Zelle besteht in dem 
Vorhandensein einer Substanz von erhöhter Reizbarkeit and Ent¬ 
ladungsbereitschaft. Sie entspricht einem Ruhezsutand, welcher 
immerhin die Eigenschaft hat, durch die Vertiefung der Reizschwelle 
selbst entferntere Reize auf sich zu lenken and za sammeln. Wird 
er darch hinreichende Reize manifest, so bedingt dies einen 
Zustand erhöhter Tätigkeit der Zelle; die gesteigerte Dissimilation 
ruft automatisch eine gesteigerte Assimilation hervor. Der er¬ 
höhte Stoffwechsel beteiligt sehr wahrscheinlich den Kern, welcher 
die zum Ersatz der dissimilierten Substanz erforderlichen Stoffe 
herzustellen bzw. aus dem Säftestrom aufzanehmen and dem 
Zellprotoplasma zuzuführen hat (Verworn), und führt somit eine 
abnorm gesteigerte Tätigkeit der gesamten Zelle herbei, welche 
man als Reizzustand oder Hyperergie bezeichnen kann. Die ab¬ 
klingende Hyperergie hinterlässt wieder die latente Ueberempfindlich¬ 
keit. Die Allergie ist nur ein Symptom der Hyperergie. Ueber- 
empfiodlicbkeit und Hyperergie sind als Elemente bzw. gestaltende 
Bedingungen im klinischen Krankheitsbilde viel häufiger vor¬ 
handen, als es bis jetzt in der klinischen Wissenschaft zum Ausdruck 
kommt. Das gleiche gilt übrigens von der Uebermüdung als Krank¬ 
heitszustand, dessen Reizwirkungen oft genug verkannt werden. 

Sowohl für die pharmakologische wie für die physikalisch¬ 
diätetische Therapie ergibt sich aus der Erkennung der Ueber¬ 
empfindlichkeit und der Hyperergie die Forderung der Reizent¬ 
lastung, überhaupt der richtigen Reizbemessung: ein wichtiges 
Kapitel! Ferner die Bedeutung der sedativen Behandlungsformen. 

Eine weitere Ausführung und nähere Begründung der vor¬ 
stehenden Skizze werde ich demnächst geben. 


Beitrag zu konstitutionellen Mittelwerten. 

Von 

Geheimrat Prof. Dr. 0. de ll'Canp. 

Konstitution und Habitus des Menschen ist in den letzten 
Jahren begrifflich und inhaltlich von verschiedenen Seiten und 
in verschiedener Fragestellung erörtert und bearbeitet. Den 
Wunsch nach weitergebenden Kenntnissen auf dem weitumfassenden 


Gebiet der erst in ihren Anfängen stehenden Konstitutionsforschung 
hat der gegenwärtige Krieg vielfach unterstrichen. 

Unter den führenden Klinikern bat sich Kraus der Er¬ 
forschung der Konstitution von jeher mit besonderem Interesse 
und Erfolg zugewandt. Ich darf hier nur an seine Arbeiten über 
die Ermüdung als Maass der Konstitution und später über die 
Stellungen des Herzens im Thorax und seine verschiedenen vom 
Habitus abhängigen Formen erinnern. ' 

Seit etwa l 1 /* Jahren Vorsitzender einer Kommission, die für 
eine Armeeabteilung die sich zum Flugdienst meldenden Offiziere 
und Mannschaften auf ihre diesbezügliche Eignung nach den ver¬ 
schiedensten Seiten hin zu beurteilen hat, hatte ich Gelegenheit, 
in grosser Anzahl eine seltene Auswahl gesunder und erprobter 
junger Männer zu untersuchen und zu beurteilen. Die Unter¬ 
suchung hat sich neben einer besonders eingehenden Beurteilung 
des Gesichts- und Gehörsinnes, sowie des Gleichgewichtsapparates 
besonders auf den Kreislauf, Atmungsapparat und seine Funktions¬ 
leistung zu erstrecken. 

Unter eingehender Berücksichtigung der bisher erfolgten 
Leistungen, besonders im Kriegsdienste — es handelt sich ja 
meist um junge Leute, die schon seit Jahren Felddienst tun —, 
wird nun weiterhin das betreffende Individuum durch eingehende 
neurologische und auf die praktischen Berufsansprücbe gerichtete 
psychologische Untersuchung charakterisiert und eingeschätzt. Es 
ist somit möglich von der Konstitution des Betreffenden, also der 
Summe seiner ererbten und zur Entwicklung gekommenen morpho¬ 
logischen und funktionellen Eigenschaften einschliesslich Beiner 
psychischen Veranlagung ein möglichst vollständiges Bild zu er¬ 
halten. Deckt sich bei diesen 20—30jährigen jungen Männern 
körperliche Vollentwicklung mit mindestens durchschnittlicher 
physischer und psychischer Leistungsfähigkeit, so kann man sie 
wohl als gesund betrachten. Unter ihnen wurden*zunächst 1000 
ausgewähli, um nach gleich mitzuteilender Methodik Maasse zu 
erhalten, die als weitere Beurteilungsgrundlage für jeden zu Unter¬ 
suchenden gelten konnten. 

Ich versuchte eine Art — sit venia verbo — Konstitutions- 
formel zu bekommen, in der die wichtigsten körperlichen Werte, 
wie Herzgrösse, Körperlänge, ^Körpergewicht, Brustumfang und 
Atmungsbreite Berücksichtigung fanden. Für die einfache Ver¬ 
wendung einer solchen Berecbnungsart schien es weiterhin vor¬ 
teilhaft, eine solche Untersuchungsformel so einznrichten, dass 
beim Vorhandensein sogenannter Durchschnittswerte das Resultat 1 
herauskommt. 


Der Index lautet: 


G 

L-k, 


Die Formel entsprang, wie gesagt, dem Gedanken, einen 
Zahlenausdruck zu finden, in dem für wohlgebildete kräftige 
herzgesunde Männer der Wert 1 resultiert. 


Es ist th . kj. k 2 G 

u L — k a 

In dieser Formel ist th = transversaler Herzdurchmesser 
bei mittlerer Atmung. 

(1) k x = Konstante 1 = worin 

th 

t b = transversaler Brustkorbdurchmesser bei mittlerer Atmung. 
k t ist zu berechnen aus den Zahlen, welche sich für 

~ bei wohlgebauten, kräftigen, herzgesunden Männern im 
Alter von 20—30 Jahren ergeben. 


(2) k 8 = Konstante 2 = Ul ^ —— 
worin 

u 1 = Brustumfang bei mittlerer Atmung, 
d 2 = Brustumfang bei tiefer Einatmung, 
u 8 = Brustumfang bei tiefer Ausatmung. 
k 2 Ist zu berechnen aus den Zahlen, welche sich für 

ül ~^~ - bei wohlgebauten kräftigen Männern im Alter 

von 20—30 Jahren ergeben, deren Brustkorb eine gute Aus¬ 
dehnungsfähigkeit (Respirationsbreite wenigstens ■= 5 cm) 
besitzt. 


( 3 ) 


u = % -f- (u 2 — u 8 ) = Brustkorbumfang bei mittlerer At¬ 
mung -f» Respirationsbreite. 


1 * 


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516 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


( 4 ) 


k 8 = Konstante 3 = L — G, worin L = Körpergrösße ohne 
Bekleidang and G = Körpergewicht ohne Bekleidung.' 
k 3 ist xa berechnen aus den Zahlen, welche sich für L — G 
bei kräftigen Männern im Alter von 20—30 Jahren er¬ 
geben, die ein ihrer Knochen- und Muskelentwicklung ent¬ 
sprechendes Fettpolster besitsen. 


Es ist 

_ th • hl, . V-2 G 
~ u L —k 3 



tb.k 2 _1b 

u u 

k 2 


tb 


Ul + (»2 — « 3 ) 

«i + (u 2 ~ U3) 

tb 


g ..(l)u.(4) 
L — (L — G) 


(3) u. (2) 


J = 1, d. h. für wohlgebaute, kräftige, berzgesunde (1) 
Männer im Alter von 20—30 Jahren, welche einen gut 
ausdebnungsfäbigen Brustkorb (2), sowie ein ihrer Knochen- 
und Muskelentwicklung entsprechendes Fettpolster (4) be- 
sitzen, ist der Index 1. 


In der Formel • _ - G , steht u im Nenner, 

u L — k 8 

Theoretisch muss daher bei Männern mit zu kleinem Brust¬ 
umfang der Index grösser werden, als er eigentlich werden 
durfte. Empirisch Hess Bich dies bestätigen. 

u lässt sich auf folgende Weise aus dem Nenner in den 
Zähler bringen: 

__ . th . k,. u G u . 

Es ,8t J = u7fb:t,■ L-k.’ da k *=tT lst “ = tb ■ k » 

n 1 . th . u k i G 

Demoach J = ^-^ 5 - 

tb lässt sich aas dem Nenner fortschaffen durch Einführung 
einer neuen Konstante k 4 . 


L L L 

( 5 ) k « - u — tb . k, tb — k, . k 4 

Also: , th.n, , , ä G tb.u.K G 

J— L2 ' kj. k s . k 4 ' L _ Jfj ~ L* ’l— k B 

worin K = k x . k 2 . k 4 2 . 

Unter Berücksichtigung der obigen Definitionen für k ly k s 
und k 4 ergibt sich 

K_ tb n L * 

th tb l U / th . U 

Praktisch vereinfacht sich also die Formel erheblich, so dass 
ihre Benutzung, wie uns unsere Erfahrung gelehrt hat, ungemein 
einfach ist: 

Wir lassen bei der Endbeurteilung die beiden Glieder der 
Gleichung th . u , G 

und L=r, 

deren jede bei sogenannten Normalindividuen wieder 1 geben 
muss, nebeneinander stehen, um so gleich den Ursprung der Ab¬ 
weichung zu demonstrieren. 

Ueber die Resultate, die sich aus diesen Proportionsbetrach¬ 
tungen für verschiedene Typen ergeben, soll demnächst an 
anderer Stelle von H. Rautmann eingehender berichtet werden. 

Die sogenannten Konstanten, die in obiger Maass- und Ge¬ 
wichtsbetrachtung Vorkommen, sind zum Teil schon von anderer 
Seite früher errechnet und als benutzbar erkannt. 

kx = das Verhältnis von transversalem Brustkorbdurchmesser 
bei mittlerer Atmung, d. h. der Summe der beiden grössten Lote 
vom rechten und linken Herzrand auf die Mittellinie, haben 
schon Theod. und Franz Groedel geprüft und als benutzbar er¬ 
kannt. Wie von uns darauf gerichtete Untersuchungen ergeben 
haben, ist es ziemlich belanglos, ob man den Brustkorbtranversal- 
durchmesser im Röntgenbild oder den mit dem Tasterzirkel am 
Brustkorb gemessenen nimmt. Der Durchschnittswert liegt bei 1,92. 

Die 2. sogenannte Konstante führt zur Mitbewertung auch 
des sagittalen Durchmessers im Tboraxumfang, sowie der Ver¬ 
änderung bei der Atmung, der Exkursionsbreite. 

Die 3. sogenannte Konstante befasst sich mit Verhältnis von 
Körperlänge^ und Gewicht. Während wir uns mit den vorliegenden 
Berechnungen beschäftigten, erschien die Arbeit von BrugBch 


über Maasse und Proportionen zur Charakterisierung des Indivi¬ 
duums in seinem Habitus 1 ). 

Auf Grund dieser Beobachtungen konnte Brugsch aus einer 
anscheinend allerdings sehr viel mehr komplexen Bevölkerungs¬ 
gruppe eine dreigipflige Längenwachstumskurve konstruieren. Aus 
der nach Alter usw. sehr viel enger umgrenzten Reihe der von 
mir untersuchten 1000 gesunden jungen Männer ergibt sich nur 
annäherungsweise etwas ähnliches. 


In Tabelle und Kurve ausgedrückt verhalten sich die Zahlen 


folgendermaassen: 

147 bis mit 148 = 1 Mann 

149 n b 150 = — .» 

151 „ „ 152 = - * 

153 „ * 154 = 4 „ 

155 „ „ 156 = 8 „ 

157 „ „ 158 = 14 „ 

159 „ „ 160 = 24 „ 

161 „ „ 162 = 31 „ 

163 „ , 164 = 76 , 

165 * „ 166 = 103 „ 

167 „ ^ 168 = 155 * 

169 , „ 170 = 121 ^ 

171 „ „ 172 = 129 „ 

173 ff ff 174 = 97 „ 


175 bis mit 176 = 114 Mann 

177 „ fi 178 54 ff 

179 „ - 180 = 82 „ 

181 ff ff 182 = 14 „ 

183 „ . 184 = 8 r 

185 * 186 = 9 „ 

187 * „ 188 = 3 „ 

189 ff ff 190 1 „ 

191 , . 192 = 2 „ 

198 ff ff 194 = — „ 

195 ff ff 196 —— •” ^ 

197 „ „ 198 = - „ 

199 , „ 200 = - » 



Es darf an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Unter¬ 
suchten aus allen Teilen Deutschlands sich zusammensetzen, 
nicht etwa nur aus den an sich kleinwüchsigen Südbadenern. 

Die bekannte auch von Brugsch wiederum bewiesene Tat¬ 
sache, dass es für alle Körperlängen keine auf eine Formel zu 
bringende Gewichtsnormalkurve gibt, hat sich naturgemäss auch 
uns als zu Recht bestehend erwiesen. Die sogenannte Konstante 3 
ist deshalb, wie folgt, tabellarisch zu entnehmen und zu ver¬ 
werten. In der gleichen Tabelle sind gleichzeitig die bisher er¬ 
haltenen Werte 

L a 

für K* —— und k s = L — G enthalten, 
th u 3 

In dieser Tabelle sind die Werte 
22,60—100 
24,0 —105 
25,0 —110 

für die Längengruppen 

1,55—1,64 

1,66—1,74 

1,76—1,85 

aus unseren bisherigen Beobachtungen errechnet. Die dazwischen 
liegenden Zahlen sind einstweilen Konstruktionsprodukte. 


Länge 

(■-£-) 

k 2 

(l, = L-G) 

1,55 

21,75 

97,5 

1,56 

21,90 

98 

1,57 

22,05 

98 5 

1,58 

22,20 

, 99 

1,59 

22 85 

j 99,5 

1,60 

22,50 

| 100 


1) Zeitsohr. f. eiper. Path. u. Therap., XIX., 1., 1917. 


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8. Jani 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


517 


Länge 

(-*) 

o 

1 

£ ^ 

II 

•» 

1,61 

22,65 

100,5 

1,62 

22,80 

101 

1,63 

22,95 

101,5 

1,64 

23,10 

, 102 

1,65 

2325 

102 5 

1,66 

23,40 

103 

1.67 

23,55 

103,5 

1.68 

2370 

104 

1,69 

23,85 

104,5 

1,70 

24,00 

105 

1,71 

24.15 | 

105,5 

. 1,72 

2430 

106 

1,73 

24.45 

106,5 

1,74 

24,60 

107 

1,75 

24.75 

107.5 

1,76 

24,90 ' 

108 

1,77 

25.05 

108,5 

1,78 

25 20 

109 

1,79 

25 35 

109,5 

1,80 

25,00 

110 

1,81 

25,15 

110,5 

1,82 

25,30 

111 

1,83 

25,45 

111,5 

1,84 

25,60 

112 

1,85 

25,75 | 

112,5 


Die 4. sogenannte Konstante endlich charakterisiert das In¬ 
dividuum bezogen auf seine Länge als weitbrüstig, normalbrüstig 
oder engbrüstig. In der erwähnten Arbeit von Brugsch ist 
darauf hingewiesen, dass alle drei Breitentypen durchschnittlich 
die gleichen proportionalen Rumpflängen haben. Es erscheint 
deshalb wahrscheinlich und bat sich uns auch als tatsächlich 
herausgestellt, dass in der proportionellen Betrachtung von Länge 
und Brustumfang bei mittlerer Atmung die Höhe der sogenannten 
Lungenfelder im Röntgenbild, auf deren Beziehung zur Herzgrösse 
jüngst Zondek mit Recht hinwies, Mitberücksichtigung findet. 

Es könnte nun den Anschein erwecken, als wenn die einfache 
Entnahme der empirisch gefundenen Maasse und Gewichte ge¬ 
nügte und die Aufstellung obiger Formel überflüssig machte. 

Der Wert der proportionellen Maass- und Gewichtsbetrachtung 
ist jedoch für die Charakteristik von Habitus und Konstitution 
unerlässlich. Unsere diesbezüglichen Mitteilungen werden, wie 
gesagt, folgen. — Immerhin ist nichts geeigneter, den Gegensatz 
der exakten und der biologischen Fächer mehr zu betonen, als 
der Versuch rechnerisch an Teilaufgaben einer an sich niemals 
möglichen menschlichen Gleichung heranzutreten. 

Deberdenkt man die Summe von Tatsachen und Frage¬ 
stellungen, die der Krieg auch für die so viele mitbeteiligte 
Disziplinen interessierende Konstitutionsforschung gezeitigt hat, 
so würde man es als wertvoll begrüssen, wenn mehr als bisher 
der Versuch gemacht würde, die gleichgerichtete Arbeit, zu der 
ein einzelner immer nur Bruchstücke beitragen kann, zu zen¬ 
tralisieren. Nnr so wird es möglich sein, in jahre-, vielleicht 
jahrzehntelanger Arbeit die diesbezüglichen Kriegserfahrungen 
und -Ergebnisse restlos und fruchtbringend zu verwerten. 


Konstitution und Infektion. 

Von 

Professor Dr. Theodor Brngseh, 

Oberarzt der II. medUinis:hen Klinik In Berlin, turseit im Felde. 

In der Medizin war zu Beginn der bakteriologischen Aera 
wissenschaftlich der Konstitutionsbegriff verebbt. Die pathologische 
Anatomie batte das Feld erobert und, da der pathologische 
Anatom nur das tote Gewebe als Objekt seiner Betrachtung vor¬ 
findet, so ist es verständlich, dass die „Konstitution u an Be¬ 
deutung verlor. Nur gut, dass die Aerzte den Konstitutionsbegriff 
für sich retteten: sie mussten es auch tun, da Bie es ja mit dem 
Kranken, also mit dem lebenden Objekt zu tun hatten. Die 
Bakteriologie begann vollends mit der Ausschaltung der Kon¬ 
stitution. Die Krankheit wurde lediglich durch das Vorhanden¬ 
sein von Bakterien zum Ausdruck gebracht, die Individualität 
des Erkrankten gewissermaassen ausgeschaltet. Revolutionär 


wirkten damals Ansichten von Gottstein und Hueppe, die es 
etwa um die Wende des Jahres 1900 wagten, wieder der Kon¬ 
stitution auch in der Infekt ionsleb re Eingang so verschaffen, in¬ 
dem sie den Begriff der Prädisposition in die Krankheitsformel 
einschoben. Hueppe’s Formel, die sehr richtig den Funktional¬ 
begriff einführt, lautete: Krankheit = Funktion von Prädispostion, 
Reiz, Aussenbedingung. 

Für das begrenzte Gebiet der Infektionskrankheiten ist sie 
jedenfalls brauchbar. Seit dieser Zeit ist der Konstitotionsgedanke 
in der medizinischen Wissenschaft wieder vertieft worden dank 
zweier Männer. Der eine — Martins — hat in Wort und 
Schrift unermüdlich für den Konstitutionsgedanken gestritten und 
ist noch heute der vorderste Kämpfer, wie das erst 1914 er¬ 
schienene Werk „Konstitution und Vererbung“ beweist, der andere 
' ist unser hochverehrter Meister und Jubilär — Friedrich Kraus. 
1897 erschien in der Bibliotheca medica jene Arbeit „Ermüdung 
als Maass der Konstitution“, die man als eine der Grundsteine 
der Konstitationsforschung ansprechen'darf. Wir Jüngeren stan¬ 
den der Arbeit voll Bewunderung gegenüber, ohne uns zunächst 
der Tragweite des Gedankens bewusst zu sein. Wurde in der Folge 
der Zeit immer viel über Konstitution geredet, so war und blieb 
die Arbeit von Kraus immer die erste und wichtigste, die nicht 
über die Konstitution redete, sondern sie wissenschaftlich zu 
werten versuchte. Er schuf damit eine Methodik der wissen¬ 
schaftlichen Konstitutionserforschung, die gleichzeitig den Grund¬ 
stock abgab für die ganze funktionelle Diagnostik. Die 
Schule von Friedrich Kraus baut auf dieser Basis weiter, und 
so habe auch ich mich seit Jahren mit Fragen der Konstitution 
beschäftigt, deren- Ergebnis ich in einem Buche: „Allgemeine 
Prognostik, oder die Lehre von der Beurteilung des Gesunden und 
Kranken“ niedergelegt habe, das in Kürze bei Urban & Schwarzen¬ 
berg erscheint, ich habe hier auch die schärfere definitorische 
Erfassung des Konstitutionsbegriffs durebgeführt, ein Unternehmen, 
dessen Notwendigkeit selbst Krehl anerkennt, indem er noch in 
der letzten Auflage seiner physiologischen Pathologie etwa sagt, 
dass der Konstitutionsbegriff etwas sei, was jeder wohl wüsste, 
was aber schwer sich definieren liesse. 

Wenn ich heute „Konstitution und Infektion“ gegeneinander¬ 
stelle, so soll methodisch wissenschaftlich eine Reihe von Er¬ 
fahrungen, die an einem grösseren Material von Seucbenkranken 
im Felde gewonnen wurden, beleuchtet und auf ihre Ursachen 
oder, wie wir uns besser ausdrücken können, Bedingungen zurück¬ 
geführt werden. 

Einige Vorbemerkungen bezüglich der Definition des Kon¬ 
stitutionsbegriffes müssen wir hier einfügen. Unser lebender Or¬ 
ganismus .ist ein dynamisches System, dessen innere Bedingungen 
sich mit den äusseren Bedingungen ins Gleichgewicht setzen. 
Damit ist der Konstitutionsbegriff gegeben. 

Konstitution = J 0 A. 

J und A sind die inneren bzw. die äusseren Bedingungen; 
0 ist die organisierte Materie. Der tote Organismus besitzt nur 
die Organisation, der lebende zeigt den Ausgleich der inneren 
und äusseren Bedingungen. Einem Individuum, das wir ärztlich 
untersuchen, stehen wir- derart gegenüber, dass wir intra vitam 
seine gesamte Gestaltung mit dem Blicke umfassen können 
(Habitus = Gesamterscheinung). Aus dem Habitus können wir 
kraft anatomischer Erfahrungen auf bestimmte organisatorische 
Einrichtungen sch!iessen, z. B. auf die Lungen, Herzgefässsystem, 
Verdauungstraktus usw., wozu uns die Untersuchungstechnik ein¬ 
schliesslich der Röntgendiagnostik ganz besonders befähigt. Aus 
bestimmten organisatorischen Einrichtungen können wir wieder auf 
die Konstitution schliessen, so z. B. können wir konstitutionell 
den Kreislauf bei einem Individuum mit kleinem Herzen und 
engem Gefässsystem beurteilen einfach dadurch, dass wir die 
äusseren Bedingungen der Belastung varieren lassen und sehen, 
inwieweit etwa der Kreislauf (= innere Bedingungen) sich mit 
den äusseren Bedingungen ins Gleichgewicht zu setzen mag. Ich 
kann naturgemäss in longum et latum auf diese Dinge hier nicht 
eingehen und muss auf mein Buch verweisen, doch sind die 
kurzen Auseinandersetzungen, um Missverständnisse in der Ber 
Schreibung zu vermeiden, nicht zu umgehen gewesen. 

Geben wir nun zu der ersten generellen Erfahrung Über, 
welche lautet: Die Mortalität nimmt bei Seuchen mit dem 
Lebensalter zu. Es ist ja bekannt, dass z. B. Fleckfieber¬ 
kranke die Krankheit in der frühen Jugend leicht überstehen; 
bei 20—80jährigen findet man eine Mortalität von etwa 10 pCt., 
bei 40jäbrigen und darüber von rund 60 pCt. Ich habe für ein 

3 


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518 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


grösseres Ruhrmaterial die Mortalität berechnet. Bei 20jährigen 
beträgt die Mortalität 2 pCt., bei 85jährigen 5 pCt., bei 30jäh- 
rigen 8 pCt., bei 40jährigen schon 12 pCt., bei 45jährigen 20 pCt., 
bei 48jährigen bereits 80 pCt., und zwar steigt in stetiger Kurve 
din Mortalität mit zunehmendem Alter, und würde man die Zahlen 
der Ruhrmortalität, wie sie in der Heimat beobachtet worden 
sind, hinzufügen, so kommt man weiter in höherem Alter auf 
Mortalitäten bis 50— 60 pCt. Hier erhebt sich nun die Frage, 
woran liegt die mit dem Alter zunehmende Mortalität, die sich 
als Endergebnis grosser Reihen ergibt. Dass gewissermaassen 
Divergenzen im Erreger dafür verantwortlich zu machen sind, 
lässt sich ohne weiteres von der Hand weisen. Wir können auch 
von der Hand weisen, dass etwa eine Auslese in der Mortalität 
in dem Sinne stattfindet, dass bestimmt von Haus aus organisierte 
Individuen, also besonders stigmatisierte Individuen, durchgehends 
getroffen werden; man dürfte in höherem Lebensalter dann keine 
so grosse Mortalitätszahlen antreffen. Man wird also ganz von 
selbst wieder auf die Meinung zurückkommen müssen, dass die 
durch das Alter bedingten Konstitutionsänderungen die Ursache 
oder besser die inneren Bedingungen für die höhere Mortalität 
im Alter abgeben. Gibt es organisatorische Aenderungen, die 
etwa prägnant die verminderte Reaktionsfähigkeit oder ver¬ 
minderte Ausgleichsfähigkeit älterer Individuen zum Ausdruck 
bringen ? 

Ich stelle zum Vergleiche bestimmter organisatorischer 
Aenderungen (als Durchschnittswerte) für die verschiedenen Alter 
aus meinem obenerwähnte Buche „Allgemeine Prognostik“ einige 
prägnant sich ändernde Werte der Organisation zusammen, zu 
denen nur noch bemerkt sei, dass unter proportionellem Brust¬ 
umfang das Verhältnis des mittleren Brustumfanges zur Körper¬ 
länge X 100 verstanden ist. 


Alter 

Jahr 

Proportio¬ 
neller Brust¬ 
umfang 

Herzgevrieht 

zu 

Körpergewicht 

Weite der 
Aorta in mm 

Weite der 
Pulmonalis 
in mm 

Sonstige 

Besonderheiten 

1 


1:50 

32 

36 


3 

— 

1:60 

36 

39 

— 

7 

50 

1:80 

43 

44 

— 

10 

48 

1:90 

47 

51 

— 

14 

46 

1:85 

49 

52 

— 

20 

50 

1:65 

58 

62 

— 

30 

52 

1:65 

63 

66 

— 

40 

53 

1 : 60 

68 

68 

Beginnende Verkalkg. 
d. I. Rippenknorpel 

50 

54 

1:60 

74 

71 

WeitereVerkalkungen 
a. d. Rippenknorpeln 

60 

58 

1:55 

78 

! 72 

» 

70 

52 

1 1:50 | 

i 1 

82 

74 

n 


Diese Zahlen geben uns das Gerippe zu folgenden Aus¬ 
führungen. Der Mensch schliesst sein Wachstum mit dem 20. bis 
25. Lebensjahre ab; von diesem Zeitpunkt kommt es zum Still¬ 
stände bzw. in flacher Kurve zur Regression, die vom 40. Lebens¬ 
jahre ab schon deutliche Ausschläge ergibt. Im Laufe des Lebens 
ist nun das Verhältnis des Herzens zur Körpermasse ein der¬ 
artiges, dass es im ersten wie im - siebzigsten Lebensjahre die 
grösste Masse einnimmt, nm die Zeit der Pubertät etwa die 
kleinste Masse. Vom Zeitpunkte des Abschlusses des Körper¬ 
wachstums vergrössert sich die Herzmasse allmählich, desgleichen 
nimmt zu die Weite der Aorta. Diese Zunahme der Weite der 
Aorta geht aber nach dem Abschlüsse des Wachstums einher mit 
Abnahme ihrer Elastizität, so dass die Weite der Aorta beim 
70jährigen gleichzeitig den geringsten Elastizitätsgrad auf¬ 
weist. Man kann sagen, dass der im Alter zunehmende Elastizi¬ 
tätsverlust der Aorta gewissermaassen durch eine proportionale 
Herzzunahme ausgeglichen wird, und man kann weiter sagen, dass 
dieser Verlust der Elastizität sich nicht nur auf die Aortagefässe 
erstreckt, sondern auf alle Gefässe, sogar die Pulmonalis. Das 
Altern drückt sich hier in einem Elastizitätsverlust aus. Aber 
auch nicht nur in den Gefässen, sondern auch in der Lunge. Die 
Zunahme des proportionellen Brustumfanges nach Abschluss des 
Wachstums beruht auch auf einem Elastizitätsverlust der Lunge, 
indem gewissermaassen die oberen Lungenpartien von den unteren 
(bei geschlossener Glottis) angeblasen werden und so allmählich 
sich erweitern und eine Vergrösserung des Brustumfanges be¬ 
wirken. So wie die Lunge im Alter ihre Elastizität verliert, 


ändert aber auch z. B. der Knorpel seine Elastizität. Die Ver¬ 
kalkungen in den Rippenknorpeln, wie sie vom 40. Lebensjahre 
an nachweisbar sind, sind hierfür ein unmögliches Zeichen. Also 
Elastizitätsverlust aller elastischen und auf ihre Elastizität bean¬ 
spruchten Gewebe ist die Losung des Alters. Dieser Elastizitäts¬ 
verlust lässt sich auch an der Haut nächweisen. Der Turgor der 
Haut wird im Alter zunehmend geringer, Runzeln und Falten 
weisen auf atrophische Prozesse und Elastizitätsverluste deutlich 
hin. Nimmt man hinzu, dass die lebenswichtigen Organe, z. B. 
Grosshirn in seinen Gangienzellen ebenso wie der Herzmuskel 
in der Zahl seiner Muskelzellen, schon von der Geburt an fest¬ 
gelegt sind, so ist auch für diese lebenswichtigen Elemente eine 
Abnutzung vorhanden, die man dem Elastizitätsverlust gleich¬ 
setzen kann, und für die man in grobanatomischen Veränderungen 
(Körnchen, Ablagerungen nsw.) einen sichtbaren Ausdruck findet. 

Die Abnutzung eines Menschen ist dabei vom Grade der 
Tätigkeit und von den Bedingungen der Tätigkeit abhängig. 
Schwere körperliche Arbeit mit womöglich geringen Erholungs¬ 
pausen führt schneller zur Abnutzung als etwa ein ruhiges Leben 
mit aller Schonung. Das sieht man an den 40—45 jährigen 
Männern, die schwere körperliche Arbeit in ihrem Leben hinter 
sich haben im Vergleich zu Männern, die sich körperlich schonen 
konnten. Dabei ist immer die körperliche Arbeit relativ zu der 
körperlichen Leistungsfähigkeit zu nehmen. 

So werden wir denn von selbst zu der Ansicht gelenkt, dass 
die mit dem Alter zunehmende Mortalität lediglich der Ausdruck 
einer stärkeren Abnutzung und darum geringeren Resistenz gegen¬ 
über der Infektion sei, wobei sich insonderheit zeigt, dass gerade 
das Verhalten der Elastizität des Gefässsystems im Verein mit 
dem Verhalten des Herzens die Entscheidung abgibt. Vorzeitiger 
Abbrauch eines Menschen verschlechtert daher die Prognose einer 
Infektionskrankheit. Diesen vorzeitigen Abbrauch zu erkennen, 
dazu sind Untersuchungen geeignet, die uns über die Grösse des 
Herzens, das Verhalten des Herzens, der Gefässe, über das Ver¬ 
halten der Lunge Aufschluss geben, unter Vergleich mit dem 
Durchschnitt des Alters, so wie ich das in meiner Prognostik 
durchzufübren versucht habe. Ein Eingehen auf diese Dinge 
verbietet sich hier aus Beschränkung an Raum. 

Wenden wir uns jetzt der zweiten Erfahrung zu. 

Bei Seuchenerkrankungen ist die Mortalität grösser bei 
folgenden Bedingungen: 

1. bei engem Gefässsystem und kleinem Herzen, 

2. bei ausgesprochenem Lymphatismus, 

8. bei Erschöpfung, 

4. bei voraufgegangener Intoxikation, 

5. bei gewissen voraufgegangenen Infektionen. 

Alles was die inneren Bedingungen des Körpers, sei es gegen 
früher, sei es gegen die Norm, geändert hat, hat die Konstitution 
geändert. Alle diese erwähnten Bedingungen sind also konsti¬ 
tutionelle Abweichungen und der Ausdruck für eine Verschlechterung 
der Prognose bei Infektionen. 

Friedrich Kraus ist einer der ersten gewesen, der auf die 
konstitutionelle Bedeutung des kleinen Herzens hingewiesen hat. 
Wie gross die Bedeutung eines kleinen Herzens im Verein mit 
engem Gefässsystem ist, das lehrt ganz besonders die Erfahrung 
an Seuchenkranken. Solche Individuen erliegen leicht der Infektion. 
Auf Einzelheiten hier einzugehen erübrigt sich. Eis sei nur darauf 
hingewiesen, dass wir nicht bloss durch Röntgenbeobacbtung 
(Tropfenherz), sondern auch bequem durch Ausmessung des Herzens 
(Transversaldurchmessers), durch Breite des Gefässdorch messen, 
Berechnung des Rumpfvolums und Berechnung der Herzrelation 
(Berechnung der Herzrelation : Herzvolum zu Rumpfvolum) das 
kleine Herz, besonders aber das mit engen Gefässen komplizierte, 
zu erkennen in der Lage sind; zu dem zeichnet sich ein solches 
Herz noch durch das relative Ueberwiegen der Pulmonalis gegen¬ 
über der Aorta aus; auch das rechte Herz ist relativ gegenüber 
dem linken Herzen stärker entwickelt. (Ich habe diese Herzen 
Rechtsherzen und P > A in meiner Prognostik bezeichnet.) Eng 
im Zusammenhang mit der Enge des Gefässsystems steht der 
Lymphatismus. Ich habe ihn als Begleiterscheinung eines relativ 
engen Gefässsystems deuten können und damit rubriziert das 
Individuum mit Lymphatismus unter die Kategorie I. Allerdings 
darf der endogene Lymphatismus nicht mit dem reaktiven 
Lymphatismus zusammengeworfen werden, insofern der letztere 
der Ausdruck einer Infektion ist. 

Dass die Mortalität bei erschöpften Individuen grösser 
ist, ist ja eine altbekannte Erfahrung; experimentell lässt sich 
jederzeit diese Tatsache reproduzieren, da mit der Erschöpfung 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 






3. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


519 


nicht nur die natürlichen Schutikräfte gegen die Infektion sinken, 
sondern erschöpfte Individuen auch nicht über die zum Durch¬ 
halten einer Infektion unbedingt notwendigen Reserven verfügen. 

Es erübrigen sich darüber weitere Ausführungen; das gleiche 
gilt von Punkt 4. Manche chronischen Intoxikationen, vor allem 
Morphinismusund Kokainismus erhüben die Mortalität bei Infektionen. 
Das gilt auch vom ausgeprägten Alkoholismu*, doch macht diese 
Regel bei manchen chronischen Infektionen Halt (z. B. bei der 
Tuberkulose). Auch hier erübrigt sich ein genaueres Eingehen 
auf die Gründe. 

Von erheblicher Bedeutung für die Erhöhung der Mortalität 
ist die durch das Deberstehen einer Infektion bzw. durch einen 
laufenden Infekt geänderte körperliche Bedingung. Uebersteht 
ein Individuum eine Infektion, so wird es allergisch gegen das 
Infiziens. Damit hängt ja die Frage der Immunität zusammen. 
Diese Allergie ist eine spezifische. Es gibt aber auch eine Allergie, 
die unspezifisch ist, aber doch für weitere Infektionen eine derartig 
weittragende Bedeutung hat, dass die Mortalität im allgemeinen 
davon beeinflusst wird. Ein Beispiel dafür sei die Ruhr. Es zeigt 
sich z. B. gerade bei der chronischen Ruhr so häufig eine alte 
Tuberkulose und auf der Basis der Ruhr wieder ein Tuberkulose¬ 
rezidiv (sehr häufig tuberkulöse Lymphogranulome), dass man 
gezwungen ist, hier an einen Zusammenhang zu denken, vornehm¬ 
lich in der Richtung, dass durch die Tuberkulose die günstigsten 
Bedingungen gegeben sind zur Ausbildung der chronischen Ruhr. 
Wir lassen es dahin gestellt sein, ob etwa alte Störungen am 
Lymphgefässsystem auf tuberkulöser Basis in der Jugend hier 
eine lokale Begünstigung geschaffen haben für die Ausbreitung 
der Ruhr, oder ob es sich um eine echte (unspezifische) Allergie 
handelt, die der Ruhr günstige Bedingungen schafft. 

Auch die Syphilis macht körperliche Veränderungen, besonders 
an den Gefässen, die nach Jahren und Jahrzehnten die besten 
Bedingungen für eine Infektion und verschlechterte Bedingungen 
für das Ueberstehen einer Infektion abgeben. 

Dass im Felde Häufung überstandener Infekte für jeden 
weiteren Infekt die Prognose trübt, braucht nicht betont zu werden, 
zumal bei den akuten Infekten neben der unspezi fischen Allergie* 
vor allem Erschöpfung und die Schädigungen, die der erste oder 
die vorhergehenden Infekte erzeugt haben, die Prognose trüben. 

In dem, was wir hier — kurz skizziert — nur an einigen 
Erfahrungen aus dem Felde an Seuchenkranken wiedergegeben 
haben und die mehr minder im Rahmen bekannter Erfahrungen 
liegen, sollte hier nur eines betont werden: die Anwendung 
genereller Erfahrungen auf das Einzelindividuum unter voller Be¬ 
rücksichtigung der Konstitution. Auf letzteres kommt es an; die 
Konstitution soll mit Hilfe wissenschaftlicher Methodik erforscht, 
die konstitutionellen Werte des Individuums geprüft und die 
Erfahrungsregeln aus der Lehre der Seuchenkrankheiten darauf in 
Anwendung gezogen werden; so haben wir die Lehre von Fr. Kraus 
verstanden. 


Aus der Königl. medizinischen Universität«-Poliklinik 
in Halle a. S. 

Klinische Beiträge zum Status thymico- 
lymphaticus. 

Von 

L. Mohr. 

Der Status thymico-lymphaticog darf wohl als die morpho¬ 
logisch am schärfsten umschriebene und am besten gekannte Kon- 
8titutionsanomalie bezeichnet werden. Er tritt dem Arzt in den 
verschiedensten klinischen Situationen gegenüber im Rahmen der 
bekannten innersekretorischen Erkrankungen,. der Basedowschen 
Krankheit, der Addisonschen Erkrankung, des Myxödems, der 
endogenen Fettsuchtsformen usw. und ist wohl als der Boden zu 
bezeichnen, auf dem und mit dem diese Erkrankungen überhaupt 
möglich sind. In andern Fällen findet man ihn entweder schein¬ 
bar zufällig bei sonstigen Erkrankungen oder auch ohne jegliche 
Krankbeit8erscheinungen als simple Habitusform. Unter allen 
Umständen jedoch charakterisiert er die klinische Persönlich¬ 
keit und ist für deren Schicksal oft von entscheidender Bedeu¬ 
tung. Physiologie und Experiment sind bisher nicht imstande, 
gerade über diese Bedeutung des Thymus Auskunft zu geben. 
Unsere bisherigen Kenntnisse über die Rolle der Drüse als endo¬ 
krines Organ reichen dazu nicht aus. Aber Klinik und Patho¬ 


logie weisen mit Nachdruck auf die lebenswichtige Bedeutung 
des Status thymico lymphaticus hin. Am klarsten tritt dies zu¬ 
tage in jenen Fällen plötzlichen Todes aus scheinbar voller Ge¬ 
sundheit heraus, wo ausser der Anwesenheit des Status thymico¬ 
lymphaticus post mortem keine als Todesursache zureichenden 
Organ Veränderungen gefunden werden. R. Ben eke hat in jüngster 
Zeit wieder solche Fälle mitgeteilt. Auch an sich nicht oder 
nicht mehr lebensbedrohliche Erkrankungen können bei An¬ 
wesenheit eines Status thymico-lympbaticus wider Erwarten einen 
ungünstigen Verlauf nehmen. 

Eine in ihrer relativen Häufigkeit und klinischer Bedeutung 
nicht genügend beachtete Erscheinungsform des Tbymicodympha- 
ticus und tbymicus ist die Stenosierung der Trachea durch eine 
gutartige Hyperplasie der Thymus. In der pädiatrischen, vor 
allem aber in der gerichtlichen Medizin hat die Frage der Thymus¬ 
stenose bei Kindern, die eines plötzlichen Todes verstorben sind, 
eine grosse Rolle gespielt. Zweifellos kann durch eine Abklem¬ 
mung der Trachea bei Säuglingen und auch älteren Kindern Er¬ 
stickung und Tod eintreten. Dass diese Fälle nichts mit dem 
Mechanismus des Tbymustodes zu tun haben, von dem im Vorher¬ 
gehenden gesprochen wurde, bedarf keiner besonderen Erläuterung. 
Hier wie dort tritt das tödliche Ereignis meist überraschend ein, 
oft haben keinerlei Zeichen vorher auf die Gefahr hingedeutet. 
Es gibt aber auch Fälle von chronischer Trachealstenose 
durch den Thymus und zwar sowohl bei Kindern als auch bei 
Erwachsenen. Die Beeinträchtigung der Atmung und die lokalen 
Veränderungen an der Trachea sind nicht immer hochgradig und 
auffallend. In vielen Fällen weist erst eine eingehende Anamnese 
und der Ausschluss anderer Organaffektionen als Ursache für die 
oft geringfügigen und nicht gerade für eine Stenose der Trachea 
charakteristischen Beschwerden auf den richtigen Weg. Seitdem 
ich diesen Dingen grössere Aufmerksamkeit schenke, habe ich 
eine nicht geringe Zahl von Verengerung der Trachea durch 
hyperplastische Thymen gesehen, deren Vorhandensein gelegent¬ 
lich durch die Autopsie in vivo sichergestellt wurde. Ich führe 
im folgenden einige Fälle an, aus deren Krankengeschichten die 
lokale und allgemeine Bedeutung des hyperplastischen Thymus 
hervorgeht. 

Fall 1. Öjähriges Mädchen wird von der Mutter in die poliklinische 
Spreohstunde gebraoht mit. der Angabe, dass das Kind öfter, an manchen 
Tagen „mehrmals Zustände bekommt, in denen es unter lautem ziehenden 
Atmen wegbleibt. Das Kind japst nach Luft, wird blau im Gesicht und 
scheinbar bewusstlos“ Die Mutter hat beobachtet, dass die Anfälle am 
häufigsten im Sohlaf, oder bei horizontaler Lage im Bett überhaupt, ja 
auch dann leicht eintreten, wenn das Kind auf der Erde spielt und zu¬ 
fällig in Rückenlage zu liegen kommt. Die Mutter beriohtet ferner, dass 
sofortiges Aufsetzen des Kindes und Voroüberhalten des Kopfes gegen 
die Brust die Anfälle beseitigt: Die Atmung wird frei, die blaue Gesichts¬ 
farbe verschwindet, das Kind ist in kürzester Zeit wieder so, als wenn 
ein Anfall überhaupt nicht vorhanden gewesen wäre. Krämpfe hat nach 
Aussage der Mutter das Kind weder während der Anfälle, noch sonst 
gehabt. Das Kind hat spät laufen gelernt, ist im Wachstum zurück¬ 
geblieben und hat bis jetzt trotz aller von den Eltern darauf verwendeter 
Mühen niobt sprechen gelernt. Es versteht aber Aufträge, die ihm ge¬ 
geben werden, und führt sie richtig aus. Auch kennt 69 seine Umgebung. 
Drei ältere Geschwister und die Eltern sind gesund. 

Untersuchungsbefund (März 1912). Pastös aussehendes Kind, 
etwa so gross wie ein 4jähriges, Kopfhaar reich entwickelt, weich, blond. 
Die Haut macht beim Abheben von der Unterlage den Eindruck der 
Verdickung, an den Nates, den Schenkeln, dem Unterbauoh und dem 
Nacken reichliches Fettpolster. Die Schilddrüse ist mit Sicherheit nicht 
zu tasten. Hinter dem Manubrium sterni fühlt man dagegen eine klein- 
lappige Resistenz, die beim Husten an die Fingerkuppe anschlägt. Die 
Trachea weioht im Jugulum stark nach rüokwärts und nach fechts ab. 
Auf dem Sternum eine ausgesprochene Dämpfung, die beiderseils stärker 
nach links den Sternalrand überschreitet, der Herzdämpfung aufgesetzt 
ist und bi9 zur 4. Rippe die Herzdämpfung nach rechts verbreitert. Bei 
der Durchleuchtung und auf der Platte in dorsoventraler und im zweiten 
schrägen Durchmesser sieht man einen der Aorta aufgesetzten Schatten. 
Das Lumen der Trachea ist in seinem Bereich deutlich enger als ober¬ 
und unterhalb dieser etwa 2 cm langen Stelle. An den übrigen Organen 
keinen abweichenden Befund. Blut: 70 Hämogl. 4,2 Mill. E., 9000 L., 
37% Neutr., 59% Ly., 2,5% Eos., 1,5% Ueb. Das Kind spricht kein 
Wort, macht aber durchaus einen geistig lebhaften und interessierten 
Eindruck, verfolgt die Vorgänge in seiner Umgebung, hat grosses Inter¬ 
esse bei der photographischen Aufnahme, die von ihm gemacht wurde, 
und befolgt Anweisungen der Mutter: Hand geben, im Zimmer herum¬ 
gehen usw. Ein Erstickungsanfall lässt sich experimentell erzeugen: 
legt man das Kind horizontal auf den Zimmerboden und biegt den Kopf 
nach hinten, so bekommt es zunächst einen Hustenreiz, alsdann inspira¬ 
torischen Stridor und wird rasch zyanotisch. Vornüberbeugen des Kopfes 
sohon in der Rückenlage verringert die Erscheinungen, völlig behoben 
werden sie sofort duroh Aufsetien. 

2 * 


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UNIVERSUM OF IOWA 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22, 


Differentialdiagnostisch kam eine Stenose der Trachea durch eine 
retrosternale Schilddrüse oder durch eine hyperplastische Thymus in 
Frage. In seinem äusseren Habitus wies das Kind die Zeichen des Hypo* 
thyreoidismus auf: Verzögerung des Körper Wachstums, myzödematöse 
Beschaffenheit der Haut, vermehrtes Fettpolster. Nicht ganz im Ein¬ 
klang mit diesen hypothyreoiden Symptomen sohien die Annahme zu 
stehen, dass dabei eine vergrösserte Schilddrüse vorhanden sei. Es 
sohliesst zwar Vergrössernng des Organs nicht eine verminderte oder 
geringwertige Funktion aus, denn man sieht, ganz abgesehen vom Kre¬ 
tinismus, gar nicht so selten myzödematöse Symptome und speziell ab¬ 
norme Fettsuoht bei vergrösserter Sohilddrüse. Bei dem benignen 
Hypothyreoidismus der Kinder ist es aber nach meiner Erfahrung eine 
grosse Seltenheit, dass die Schilddrüse vergrössort ist. Die Möglichkeit, 
dass der physikalisch nachweisbare stenosierende Tumor im Jugulum 
ein byperplastischer Thymus sei, musste erwogen werden, zumal 
bei der Ausschaltung des Thymus im Experiment ja auch myxödem¬ 
ähnliche Zustände auftreten. 

Das Kind bekam zunächst Thyreoidin mit dem Erfolg, dass die Er¬ 
scheinungen des Hypothyreoidismus sich besserten, die Haut war nach 
4 Monaten dünner geworden, die Fettansamrolungen am Bauch, an den 
Nates, dem Nacken usw. nahmen ab, das Kind war um 2 cm grösser 
geworden. Die Stenosenerscbeinungen blieben aber unvermindert be¬ 
stehen. Im Verlaufe eines weiteren halben Jahres veränderte sich der 
äussere Habitus des Kindes unter Thyreoidin und Thymin weiter; es 
fing an zu sprechen, der pastöse Habitus besserte sieb, das Längen¬ 
wachstum machte aber keine wesentlichen Fortschritte. Da die Er- 
stiokungsanfälle bestehen blieben, das Kind infolge der damit ver¬ 
bundenen Gefahr ständig unter Aufsicht sein musste, entschlossen sich 
die Eltern zur operativen Entfernung eines Teils des stenosierenden 
Tumors. A. Stieda hat unter temporärer Resektion des Manubrium sterni 
einen beträchtlichen Teil des dicht hinter dem Sternum liegenden Tumors 
entfernt. Bei der makro- und mikroskopischen Untersuchung erwies sich 
das entfernte Stück als Thymusdrüse von normalem Bau. Das bis zum 
Kriegsausbruch in Zwischenräumen von mehreren Monaten immer wieder 
beobachtete Kind blieb nach der Operation frei von den bedrohlichen 
Erstickungsanfällen, lernte sprechen und nahm langsam unter fort¬ 
dauerndem Gebrauch von Thyreoidin an Grösse zu. 

Nach dem ganzen Verlauf haben wir es im vorliegenden 
Falle mit einer chronischen Trachealstenose durch einen hyper- 
plastischen Thymus bei gleichzeitigem Hypothyreoidismus zu tun. 

Einen ganz ähnlichen Fall, jedoch mit stärker ausgesprochenen 
Symptomen geistiger Beschränkung — in gewissem Sinne einer 
Tbymusidiotie hat Stieda im Jahre 1914 operiert und im Verein 
der Aerzte zu Halle demonstriert. 

Nicht immer sind wie in diesem Falle die Stenosenerschei¬ 
nungen so auffallend. Oft sind sie nur angpdeutet, kommen vor 
allem dem Kranken nicht als eigentliche Behinderung der Atmung, 
sondern mehr als lästiges Druckgefühl zur Empfindung und haben 
ausgesprochen periodischen Charakter, in dem die Beschwerden 
zu Zeiten mehr, zu anderen Zeiten weniger ausgesprochen sind. 
Auch hierfür kann ich ein Beispiel anführen. 

15jähriger Gymnasiast klagt über zeitweise auftretende Heiserkeit, 
begleitet von Druckgefühl im Halse und mässiger Erschwerung des Luft- 
holens. Nach Angaben der Mutter war der Kranke immer ein Sorgen¬ 
kind gewesen, hat als Kind viel an Ausschlag gelitten und soll sich bis vor 
etwa IV 2 Jahren schlecht entwickelt haben. Erst in dem letzten Jahre 
hat er sich auffallend entwickelt, ist stark gewachsen und hat auch an 
Körpergewicht zugenommen. Er ist das einzige Kind der angeblich ge¬ 
sunden Eltern. Wegen der Halsbeschwerden war er in spezialistischer 
Behandlung und ist mit Einpinselungen behandelt worden, 

Befund 10. Dez. 1912: Körpergrösse 1,70 m. Kräftig entwickelter 
Knochenbau, gut auBgebildete Muskulatur. Ober- und Unterlänge des 
Körpers proportioniert, langer Hals, feminines Becken, Skoliose der 
unteren Brust- und Lendenwirbelsäule, mässige X-Beine. Reichliche 
feminine Genitalbehaarung, Penis und Hoden auffallend gross für das 
Alter. Hautfarbe und Kopfhaar dunkel. Keine wesentliche Vergrösse- 
rung der tastbaren Drüsen. Speicheldrüsen nicht vergrössert. Tonsillen 
massig, Zungengrundfollikel stark vergrössert, hohe, nicht mutierte Stimme. 
Kehlkopf 0 . B. Die Schilddrüse ist mit Sicherheit an normaler Stelle zu 
tasten. Im Jagulum hinter dem Manubrium sterni fühlt man eine Re¬ 
sistenz, die beim Pressen sich von hinten her von dem Finger umfassen 
lässt, wobei Druckempfindliohkeit besteht und Reizhusten ausgelöst wird. 
Deutliche Dämpfung auf dem Manubrium sterni, die es nach rechts etwa 
um nicht ganz Querfingerbreite überschreitet. Die Trachea scheint nach 
rechts verdrängt zu sein. Bei der Durchleuchtung und auf der Platte 
iat oberhalb des Aortenbogens ein deutlicher Schatten nachweisbar, die 
Trachea innerhalb dieses Schattens nach rechts verlagert und in ihrer 
Lichtung deutlioh verengt. An den Lungen und am Zirkulationsapparat 
keine pathologischen Veränderungen. Milz tastbar. Abdominalorgane 
und Nervensystem 0 . B. Keine Zeiohen latenter Tetanie. Auf Befragen 
gibt der Kranke an, bisher Libido nicht verspürt zu haben. Blutbefund: 
90 Hgbl, 5,8 Mill. E., 6300 L., 32% N., 48% grosse und kleine Ly., 
10% grosse Mono., 8% Eos., 2% Ueb. 

Bei der weiteren Beobachtung, die sich bis August 1914 erstreckte, 
wurden die von der Trachea ausgehenden Beschwerden seltener und ge¬ 
ringer und verschwanden sohliesslich. Der Patient entwickelte sieh in 


befriedigender Weise: Von Mitte 1918 ab trat Stimmwechsel ein, es 
bildete sich allmählich schwache Sohnurrbartbehaarung aus, das bisher 
scheue und kindliche Wesen des jungen Mannes verlor sich. Im Früh¬ 
jahr 1914 war die Thymusdämpfung noch deutlich vorhanden. Auch 
bestand noch die Lymphozytose. Ein Versuch mit der Abderbalden’schen 
Methode ergab starken Abbau von Thymussubstanz. 

Es bandelt sich sonach in diesem Falle um einen Status 
thymico-lympbaticu8 mit einer mässigen Stenosierung und Ver¬ 
drängung der Trachea. Die subjektiven Beschwerden sind an sich 
so gering, dass sie zunächst den Verdacht auf eine Tracheal¬ 
stenose nicht aufkommen lassen. Die Beachtung des Habitus, 
der Mangel an einem anderen zureichenden Grunde für die Be¬ 
schwerden und die genauere physikalische Untersuchung weisen 
auf den richtigen Weg zur Diagnose. Da die Schilddrüse an 
normaler Stelle war, die andern Gebilde des Mediastinum sich 
als normal erwiesen, blieb nur der hyperplastische Thymus als 
ursächlicher Faktor übrig. 

Bemerkenswert ist der Wechsel in der Intensität der funk¬ 
tionellen Beeinträchtigung der Trachea. Ich stelle mir vor, dass 
sie bedingt war durch eine wechselnde Blutfülle des Thymus. 

Interessant sind ferner an dem Krankheitsbilde die Un¬ 
stimmigkeiten im Gesamthabitus: Hypergenitalismus und ver¬ 
mehrtes Längenwachstum, Hypergenitalismus und Tbymuspersistenz 
und Hyperplasie, Hypergeuitalismus und anfängliches Fehlen 
der Entwicklung der sekundären Geschlechts- und hetero¬ 
sexuelle Merkmale. Der ganze Komplex deutet beträchtliche 
Verschiebungen des innersekretorischen Gleichgewichts an, das, 
wie die weitere Entwicklung des Falles gezeigt hat, sich aber 
wenigstens zum grossen Teil wiederherstellt und einen Ausgleich 
der Disharmonie der Teile bis zu einem gewissen Grade herbei¬ 
führt. Solche Gleichgewichtsstörungen des innersekretorischen 
Drüsenapparates sind übrigens in der Wachstumsperiode nicht 
selten, beinahe die Regel. 

Man gebt wohl nicht fehl in der Annahme, dass in dem 
eben geschilderten Fall es sich um eine Hyperplasie der per¬ 
sistenten Thymusdrüse gebandelt bat. Es wäre gezwungen in 
diesem Lebensalter, wo gerade die Rückbildung einsetzt, von 
einer Reviviszenz zu sprechen. Im Gegensatz hierzu dürfte es sich 
im folgenden Fall tatsächlich um eine Reviviszenz der Drüse handeln. 

Fall 2. 29jähriger Mann, den ich von 1909 bis 1914 fortlaufend 
beobachten konnte. Er war bis zum Frühjahr 1909 vollkommen gesund 
und leistungsfähig. Von da ab fühlte er sich krank. Er beobachtete 
eine Einschränkung seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit 
und konnte zeitweise nur mit grösster Mühe seinen Bureaudienst ver¬ 
sehen. Gleichzeitig stellte sich ein Druokgefühl hinter dem Sternum 
ein, das ihm gelegentlich das Luftholen, allerdings nicht in besonders 
hohem Maasse, erschwerte — das wesentliche war das DruckgefühL 
Lües negiert, Wassermann’sche Reaktion, wie ich gleich hieran anführen 
will, negativ. Der Untersuchungsbefund, das Ergebnis zahlreicher Kon¬ 
trollen, ist folgender: Gut genährter, untersetzter Mann, Knochenbau und 
Muskulatur kräftig. Blasse Gesichts- und Hautfarbe, keine fühlbaren 
Drüsen, Speicheldrüsen mässig vergrössert, keine heterosexuellen Merk¬ 
male, ausser überstreckbaren Ellenbeugen. Follikel am Zungengrund 
mässig vergrössert, ebenso Tonsillen. Schilddrüse an normaler Stelle, 
Isthmus beider Seitenlappen mässig grösser und derber als normal. 
Genitalorgane normal entwickelt. Hinter dem linken Sternokleido- 
mastoideus eine kirsohgrosse indolente Drüse. Ueber dem Manubrium 
sterni eine der Herzdämpfung aufgesetzte Dämpfung. Im Jugulum selbst 
eine feingelappte Resistenz, die druckempfindlich ist und bei der Be¬ 
tastung Reizhusten auslöst. Keine Pulsation im Jugulum oder auf der 
Vorderfiäohe des Brustkorbs zu tasten, Hers in normalen Grenzen. 
Reine Töne. Lungenbefund normal. Bei der Durchleuchtung und auf 
der Platte ist oberhalb des Aortenbogens, aber scharf von ihm getrennt, 
ein nioht sehr dichter Schatten zu sehen, der bei schräger Durchleuch¬ 
tung in einem leicht nach links konvexen Bogen oberhalb des Aorten¬ 
bogens nach dem Jugulum zieht und das Lumen der Trachea in seinem 
Bereich einengt. Ausgeprägte Hilnszeiohnung. Die Abdominalorgane geben 
keinen abnormen Befund. Wiederholte Blutuntersuchungen ergaben 
stets eine relative Lymphozytose von 45 bis 55 pCt., eine leichte Ver¬ 
mehrung der grossen mononukleären Zellen bis durchschnittlich 8 pCt., 
keine Vermehrung der eosinophilen. Die Gesamtzahl der Leukozyten 
schwankte innerhalb der Fehlergrenzen um 5500 herum. Der H&mo- 
globingehalt schwankte zwischen 70 und 80 pCt. Bei dreimaligen Unter¬ 
suchungen des Blutes nach der Abderhalden’scben Methode wurde stets 
in 'starkem Maasse Thymus, einmal schwach und einmal stärker auch 
Sohilddrüse abgebaut, dagegen kein anderes Organ. Jm Laufe der an 
5 Jahre sich erstreckenden Beobachtung blieb der lokale Befund im 
Jugulum unverändert. Die subjektiven Beschwerden blieben mit sehr 
geringen Schwankungen bestehen, insbesondere die Klagen über die 
grosse Ermüdbarkeit, die sich gelegentlich bis zur Erschöpfung steigerte. 
Zeiohen von Myasthenia gravis (Lähmungen usw.) waren niemals nach¬ 
weisbar. Längerdauernde Verabreichung von Thymin hatte keinen sicht¬ 
baren Erfolg. 


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8. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Aach in diesem Kalle dürfte an der Existenz der Thymus- 
hyperplasie und ihrer ursächlichen Bedeatang für die lokalen 
Erscheinungen nicht zu zweifeln sein. Alle änderet Gebilde des 
vorderen Mediastinums kommen dafür nicht in Frage; bei der 
jahrelangen Dauer des unveränderten Zustandes wohl auch nicht 
ein von der Thymus oder den Lymphdrüsen ausgehender maligner 
Prozess. Es ist ganz unzweifelhaft eine chronische mässige Ste¬ 
nose der Trachea durch eine vergrösserte, reviviszente Thymus, 
die wir hier vor uns haben. Die Frage bleibt nur noch zu er¬ 
örtern, ob doch ein besonders pathologischer Prozess für die Ver- 
grösserung verantwortlich ist. Mit Rücksicht auf die relative 
Lymphozytose, die leichte Anämie, bei nicht vermehrter Leuko- 
zytenzahl, die einzige als sicher vergrössert nachweisbare 
Drüse am Sternokleidomastoideus, die möglicherweise erheb¬ 
licher vergrösserten Hilusdrüsen habe ich anfänglich an eine 
Pseudoleukämie und auch an Tuberkulose gedacht. Für die 
Pseudoleukämie hat sich in der Folgezeit gar nichts weiter ge¬ 
funden. Es sind keine weiteren Drüsenvergrösserungen, keine 
Milsvergrösserung, keine sonstigen Begleiterscheinungen der 
Pseudoleukämie hinzugekommen. Der Blutbefund allein kann 
diese Diagnose nicht decken und ist im Gesamtbilde viel wahr¬ 
scheinlicher der Ausdruck des Status thymico-lymphaticus. Auch 
für die tuberkulöse Natur der Drüsenvergrösserung hat sich im 
Laufe der langen Beobachtungszeit kein Anhaltspunkt ergeben. 
Wiederholte Tuberkulinproben waren stets negativ, und auch von 
seiten der Lungen und anderer Organe sind in der ganzen Zeit 
keinerlei Anzeichen dafür aufgetreten. Die Annahme einer Hyper¬ 
plasie des Thymus auf konstitutioneller Basis dürfte daher zu¬ 
treffend sein. 

Von praktischem Interesse ist in dem eben erwähnten Fall 
noch die abnorme Ermüdbarkeit, die die Hauptklage des Kranken 
bildet. Es scheint, dass dieses Symptom speziell auf die Ver¬ 
änderung des Thymus zu beziehen ist. Man trifft es häufig dort, 
wo, wie beim Morbus Basedowii, der Addison’schen Krankheit die 
Mitbeteiligung des Thymus die Regel ist, und es verdient in 
diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden, dass auch bei 
derjenigen Erkrankung, bei der die Ermüdbarkeit bis zur Läh¬ 
mung gedeiht, bei der Myasthenia gravis, pathologische Prozesse 
an der Thymus sehr häufig sind. Für die richtige ärztliche 
Beurteilung vieler Thymusträger, die ausser dem Symptom der 
abnormen körperlichen Ermüdung andere uncharakteristische, 
nervöse Zeichen aufweisen, ist die Kenntnis dieses Zusammen¬ 
hangs wichtig. 

Zum Schlüsse noch einige Bemerkungen zur Diagnose des 
Status thymico-lymphaticus. Auf die ganze Frage hier einzu¬ 
gehen liegt mir fern. Wir verdanken v. Neusser eine ausführ¬ 
liche Darstellung darüber. Nur auf einige Punkte, denen ich 
seit Jahren besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe, will ich 
hier kurz hinweisen. Aus den angeführten Krankengeschichten 
geht schon hervor, dass die äussere Erscheinungsform der Träger 
des Status thymico-lymphaticus sehr bunt ist. Man trifft Hoch¬ 
wuchs und Zwergwuchs, Disproportion des Stammes, Hypo- und 
Hyperplasie der Genitalien, heterosexuelle Anomalien, Entwick¬ 
lungsstörungen am Herzen und Gefässen u. a. m. Diese Regel¬ 
losigkeit wird verständlich, wenn man bedenkt, dass diese Ab¬ 
weichungen nicht in direkter Beziehung zur Thymusdrüse stehen, 
sondern bedingt sind durch die verschiedenartigen Störungen der 
einzelnen innersekretorischen Organe, die normalerweise für die 
harmonische Gestaltung des Körpers verantwortlich sind. Der 
Status thymico-lymphaticus selbst ist im Grunde nur der Indi¬ 
kator dafür, dass in der Entwicklung des Individuums Gleich¬ 
gewichtsstörungen des innersekretorischen Apparates stattgefanden 
haben oder noch in Tätigkeit sind. 

Von Zeichen, die der Habitusform an sich zukommen, 
möchte ich in erster Linie die leicht nachweisbare Hyper¬ 
plasie der Speicheldrüsen, der Tränendrüse, der Zungengrand¬ 
follikel, der Tonsillen anführen. Wichtig ist ferner die Ver¬ 
änderung des weissen Blutbildes im Sinne einer relativen Lympho¬ 
zytose. Es muss aber betont werden, dass diese nur unter 
Berücksichtigung des Gesamtbildes richtig bewertet werden kann. 
Denn sie ist eine so verbreitete Erscheinung auch bei anderen 
Zuständen und von einer Reihe von Momenten abhängig, z. B. 
Ernährungszustand u. a., dass sie spezifischen Charakter nicht 
beanspruchen kann. Der Nachweis der Thymushyperplasie selbst 
gelingt mit Hilfe der Palpation und Perkussion, wenn sie einiger- 
maassen beträchtlich ist und abnorme Verhältnisse am Brustkorb 
und an den Lungen — emphysematöse Verwachsungen usw. — 
das Resultat von vornherein nicht gefährden. Auf Grund einer 


grösseren Reihe von Kontrolluntersuchungen, die ich an Leichen 
durch Wägung des Organs angestellt habe, glaube ich behaupten 
zu können, dass die Grenze der perkussorischen Nachweisbarkeit 
des Thymus am Lebenden bei einem Drüsengewicht von etwa 
25 g liegt. Höhere Werte, 85—40 g, entsprachen immer einer 
ausgesprochenen Sternaldämpfung am lebenden Individuum. Beim 
Kinde werden schon Drüsen von geringerem Gewichte nachweis¬ 
bar sein. 

Der Perkussion ist das Röntgenverfahren überlegen. Ent¬ 
gegen anderer Ansichten ialte ich den röntgenologischen Nach¬ 
weis auch mässiger Drüsenkörper für ziemlich sicher. Die besten 
Resultate ergibt die Durchleuchtung von links hinten nach rechts 
vorn. Man sieht dann einen, zarten der Aorta aufsitzenden, nach 
dem Jugulum ziehenden Schatten. Bei Operationen von Basedow¬ 
kranken habe ich mich mehrfach von der Richtigkeit der Deutung 
dieses Befundes überzeugen können. 

Es gibt nun eine nicht geringe Zahl von Fällen, in denen 
post mortem ein ausgesprochener Status thymico-lymphaticus ge¬ 
funden wird, während im Leben jedes äussere Anzeichen dafür 
fehlte. Hier glaube ich, dass in Zukunft die Heranziehung der 
Abderhalden’scben Methode des Nachweises der Blutfermente 
diagnostische Bedeutung gewinnen kann. Die von E. v. Hippel, 
von mir selbst u. a. in dieser Richtung angestellten Versuche 
haben mit grosser Konstanz Abbau von Thymussubstanz beim 
Status thymico-lymphaticus und andern damit einhergehenden 
innersekretorischen Erkrankungen ergeben. Möglicherweise lässt 
sich überhaupt mit Hilfe dieser Methode das Konstitutionsproblem, 
dessen Erschliessung nach funktionellen Gesichtspunkten vor 
20 Jahren Friedrich Kraus begonnen hat, auch erfolgreich von 
der biologischen Seite erfassen. 


Ueber Chinin als Herzmittel. 

Voo 

K. F. Weiekekaek-Wienl 

Dem Umstande, dass Kraus geborener Oesterreicher ist 
und mein Schicksal mich zum Wiener Hochschullehrer umschuf, 
verdanke ich die ehrenvolle Einladung, mich als Vertreter Oester¬ 
reichs an dieser Festnummer zu beteiligen. Wenn auch unsere 
Lebenspfade sich seltener kreuzten, als ich gewünscht habe, be¬ 
gegneten sich doch unsere Gedanken wiederholt auf gemeinsamen 
Forschungsgebieten. So möge dieser bescheidene Beitrag zur 
Herztherapie dem Jubilar nicht unwürdig, dem Kollegen nicht 
unwillkommen sein. 

Schon vor mehr als fünfzig Jahren wurde das Chinin — und 
zwar zusammen mit Digitalis — bei Herzkrankheiten verschrieben. 
Traube soll es als A mar um gegeben haben, um der unangenehmen 
Nebenwirkung der Digitalis auf den Magen entgegen zu arbeiten. 
Es scheint aber dieses Digitalis-Chiningemisch am Krankenbette 
so gut gewirkt zu haben, dass es seitdem und noch immer von 
vielen Klinikern und Praktikern bei den verschiedenen Herz- 
zuständen benützt wird. Dass es sich um eine kardiotonische 
Unterstützung der Digitaliswirkung handeln sollte, ist von vornherein 
nicht sehr wahrscheinlich: Die Ergebnisse der experimentellen 
Forschung haben schon vor vielen Jahren gezeigt, dass das Chinin 
zweifellos ein herzlähmendes Mittel ist. Aus den Untersuchungen 
von Santesson 1 ) und Stokvis 2 ) geht hervor, dass das Chinin 
den Herzschlag verlangsamt, die „absolute Kraft u des Herzens 
herabsetzt und schliesslich zum Stillstand in Diastole führt. Die 
verschiedenen Chininbasen sind nach Santesson in ihrer Wirkung 
etwas verschieden. In nicht zu kleinen Dosen führen sie aber 
alle zu einer bedeutenden Dilatation des Herzens, Stokvis nennt 
daher, wohl mit Recht, das Chinin einen richtigen Antagonisten 
der Digitalis und bringt für diese Ansicht entsprechende Kurven 
des Frosqhherzens bei. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass 
Santesson besonders hervorhebt, wie mehrmals Unregelmässig¬ 
keiten der Herzarbeit sofort durch Cinchonidin oder Chinin be¬ 
seitigt wurden. Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dass 
Chinin die Wirkung der Digitalis nicht verstärkt, sondern eher 
sie zu mildern imstande wäre und auf die Herztätigkeit nicht 
eine „kardiotonische 11 , sondern eine dämpfende Wirkung ausübt. 

Meine erste persönliche Erfahrung mit Chinin bei Herz¬ 
kranken bildete eine deutliche Illustration dieser dämpfenden 

1) Aroh. f. exper. Path. u. Pharm., Bd. 32. 

2) Voordraohten over Geneesmiddelleer, IU. Teil, Haarlem 1902. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


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Wirkung. Wie ich schon früher mitteilen konnte 1 ), besuchte 
mich einmal ein an Anfällen von Vorhofflimmern leidender Patient, 
der imstande war, den häufig acht und mehr Tage dauernden 
Anfall durch 1 g Chinin zu vertreiben. Jahrelang ist ihm das 
immer gelungen, bis endlich, wie bekanntlich beim Vorhofflimmern 
zu erwarten ist, sich das Flimmern bleibend eingenistet hat und 
sich mit keinem Mittel mehr beseitigen liess. Seitdem habe ich 
das Chinin zu allererst beim Vorhofflimmern, dann aber auch bei 
den verschiedensten Herzzuständen allein, oder auch zusammen 
mit Digitalis verwendet und ich möchte im Folgenden kurz über 
die gesammelten Erfahrungen berichten. 

Was zu allererst das Kupieren des Vorhofflimmerns betrifft, 
so ist es nach meiner letzten Publikation mir und auch vielen 
Kollegen gelungen, durch grössere Chinindosen das anfallweise 
Vorhofflimmern zum Verschwinden zu bringen: doch ist bis jetzt 
dieses Resultat nur in solchen Fällen aufgetreten, wo das Flimmern 
noch nicht lange bestand. Vielleicht wird es auf Grund weiterer 
Untersuchung und Kombinationen gelingen, auch in denjenigen 
Fällen, wo das Flimmern sich schon eingenistet hat, das lästige 
Uebel zum Verschwinden zu bringen. Bei der ausserordentlichen 
Häufigkeit und der grossen Schädlichkeit dieser Arrhythmieform 
wäre ein wirksames Mittel wohl der grösste Fortschritt auf dem 
Gebiete der Herztherapie. 

Gelingt es also nur selten, das Vorhofflimmern zu beseitigen, 
so hat das Chinin und ganz besonders zusammen mit Digitalis, 
einen sehr günstigen Einfluss auf die regellose Ventrikeltätigkeit 
(Arrhythmia perpetua, Delirium cordis), welche die Folge des 
Vorhofflimmerns ist. Namentlich gilt das auch für die Fälle mit 
hochfrequenter Kammertätigkeit. Es ist diese hohe Frequenz und 
vollkommene Unregelmässigkeit der Kammern, welche wir so 
häufig, nicht wie früher als die Folge einer schweren Myokarditis, 
sondern als die Ursache der Herzinsuffizienz und der sogenannten 
Dekompensation zu betrachten haben, ln dem Augenblick, wo das 
Vorhofflimmern überhaupt oder die rasende Frequenz des Herzenz 
eintritt, fängt infolge der ungenügenden Pumparbeit des Herzens 
die Kreislaufstörung an mit all ihren üblen Folgen, Dyspnoe, 
Leberschwellung, Oedemen. Erst wenn es gelingt, die hohe Frequenz 
herabzudrücken und wenn auch nicht den normalen Rhythmus 
hervorzurufen, so doch die wilde Arrhythmie zu dämpfen, tritt 
der bekannte wunderbare Erfolg der Therapie ein, die Dyspnoe 
wird geringer, die Oedeme verschwinden, die Leberschwellung 
nimmt ab. Dieses Resultat erreicht man meistens nur mit grossen 
Dosen Digitalis, und ich stimme mit J. Mackenzie überein, dass 
man da im Notfall ruhig nach alter Witbering’scher Vorschrift 
die Darreichung bis zum Erbrechen fortsetzen soll. Hier aber 
wirkt nun die Kombination Chinin-Digitalis hervorragend günstig, 
ln zahllosen Fällen habe ich immer wieder den Eindruck be¬ 
kommen, dass die dämpfende Wirkuog des Chinins die kardio- 
tonische Wirkung der Digitalis in glücklichster Weise begleitet. 
Es gestaltet sich die Behandlung solcher Fälle nach meiner 
jetzigen Erfahrung^ am besten folgendermäassen: Man findet den 
Patienten im Bett mit mehr oder weniger schwerer Herz- und 
Kreislaufinsuffizienz, der Puls ist vollständig unregelmässig, häufig 
kaum zu fühlen, am Herzen auskultiert man die regellose und 
hochfrequente Herztätigkeit des Delirum cordis; die Ventrikel¬ 
frequenz übersteigt, am Herzen auskultatorisch gezählt, häufig 
180 pM. Das heftige Pochen des Herzens zeigt, wie sehr es 
sich nicht um Herzmuskelschwäche, sondern eher um eine „Hyper¬ 
kinese“ des Herzens handelt. Häufig haben in solchen Fällen 
Digitalis und Diuretica in den gewöhnlichen Dosen schon versagt. 
Hier gilt es nun unbedingt mit kräftigen Dosen einzugreifen. 
Ich verschreibe da in Pillen oder in Oblatenkapseln pro Tag 
0,5—0,8 Pulv. fol. digit. titr., 0,4—0,8 Chin. muriat. und 2 bis 
3 mg Strychnin, welches letztere Mittel mir bei' der Behandlung 
von Extrasystolen sehr gute Dienste erweist. Diese Tagesdosis 
lasse ich 4—5 Tage nehmen und bestimme die Höhe der Digitalis¬ 
dosen nach dem jeweiligen Herzbefund, die Chinindosis nach dem 
Grade der Arrhythmie. Meistens komme ich mit 0,5- Digitalis, 
0,6 Chinin sehr gut aus, doch möchte ich davor warnen, die 
Kombination in irgendeinem festen Verhältnis festzulegen und in 
den Handel zu bringen. Das Mittel wirkt meistens vom dritten 
Tage an sehr deutlich und wird fortgesetzt, bis eine am Herzen 
gezählte Kammerfrequenz von 100 erreicht ist. Jedoch nicht 
länger als 5 Tage. Sobald die Kammerfrequenz auf 80 oder noch 
weniger Schläge heruntergekommen ist, höre man unbedingt mit 
dem Mittel auf. Man kann nach dem eingetretenen günstigen 


1) Die unregelmässige Herztätigkeit, 1914. 


Effekte mit anderen Herzmitteln und Diureticis Herz und Niere 
weiter günstig beeinflussen. 

Bei dieser Kur muss man darauf gefasst sein, dass früher 
oder später, häufig schon nach 3— 4 Wochen, die Kammerfrequenz 
wieder bedeutend steigt und damit die alten Kreislaufstörungen 
wieder auftreten. Es ist daher notwendig, den Patienten darauf 
vorzubereiten, dass die Kur ab und zu wiederholt werden muss, 
wobei Bettruhe unbedingt notwendig ist. Allerdings genügen bei 
diesen späteren Kuren meistens kleinere Dosen oder].kürzere 
Dauer der Kur, um den erwünschten Effekt hervorzurufen. Nicht 
selten auch genügen leichte Kuren in grösseren Distanzen, um 
einen sehr erträglichen Zustand zu schaffen. Meine älteste Pa¬ 
tientin aus diesen letzten Jahren war eine sehr heruntergekommene 
Dame von 73 Jahren, welche mit den schwersten Kreislauf¬ 
störungen von ihrem behandelnden Arzte als an schwerster Myo¬ 
karditis leidend aufgegeben war. Sie hat vor zwei Jahren einmal 
die starke, dann noch zweimal eine viel leichtere Digitalischinin¬ 
kur durchgemacht und gebt jetzt mit ihren 75 Jahren im Wiener 
Wald über Berg und Tal spazieren. Ich vermute, dass es diese 
Fälle gewesen sind, welche schon früher manchen Praktiker dazu 
geführt haben, die Digitalis-Chininkombination nicht aus theoreti¬ 
schen Gründen aufzugeben, sondern beizubehalten. 

Wie gesagt, scheint es wohl die dämpfende, verlangsamende 
und abschwächende Wirkung des Mittels auf den Herzmuskel zu 
sein, welche dem Chinin gerade beim Vorhofflimmern den Erfolg 
verschafft. Es lag nun auf der Hand, das Mittel auch in solchen 
Herzzuständen zu versuchen, wo es sich ebenfalls nicht um eine 
zu schwache, sondern um eine übertrieben frequente oder starke 
Herztätigkeit handelt, Zustände, die man füglich als „Hyperkinesen u 
des Herzens bezeichnen kann. Von solchen Hyperkinesen kann 
man zwei verschiedene Formen unterscheiden: 1. die, welche auf 
übertriebener und abnormaler Reizbildung im Herzen beruhen, und 
2. solche, wo der Herzmuskel auch auf normale Reizung mit 
abnorm kräftiger Kontraktion reagiert. 

ad 1. Die günstige Wirkung beim paroxysmalen Vorhof¬ 
flimmern haben wir schon kennen gelernt. Das Flimmern wird 
beseitigt, der Normalrhythmus tritt wieder auf. Bei weiteren 
Untersuchungen, welche grösstenteils in meiner Klinik von Prof. 
Winterberg durchgeführt werden, gelang es einmal, durch 
Chinin das Vorhofflimmern in Vorhofflattern umzusetzen, also nach 
den neuesten Auffassungen die extreme Frequenz des Flimmerns 
bis auf die viel langsamere Frequenz des Flatterns herabzusetzen. 

In einem Falle von Vorhofflattern mit einer durch keine 
sonstige Behandlung beeinflussbaren Vorhoffrequenz von 278 pM. 
gelang es nur durch Chinin, die Frequenz um 50 Schläge pro 
Minute hferunterzudrücken. 

Auch die paroxysmale Tachykardie lässt sich durch Chinin 
beeinflussen, wie Hecht und Zweig 1 ) nachweisen konnten. In 
einem Falle unserer Klinik, wo häufig Anfälle von ventrikulärer 
Tachykardie bis 240 pM. auftraten, gelang es regelmässig, 
durch intravenöse Injektionen von */ 4 g Chinin, den Anfall ab- 
zuschneiden. So schnell wirkt das Mittel, dass man das Seiten¬ 
galvanometer während der Injektion nicht ausschalten darf, sonst 
verpasst man den Umschlag in die Normalfrequenz, welche 
plötzlich erfolgt. 

Auch bei Extrasystolie, die ebenfalls eine durch Extrareisung 
hervorgerufene Hyperkinese des Herzens darstellt, wirkt Chinin 
günstig. Es ist mir wiederholt passiert, dass das schon vor 
Jahren von mir empfohlene Strychninum nitr. (2—3 mal täglich 
I mg) einen vorübergehenden oder überhaupt zu geringen Erfolg 
hatte. Die Kombination des Strychnins mit Chinin bis zu 0,6 g 
täglich hatte dann häufig den kompletten Erfolg, wobei «die 
Extrasystolie auf lange Zeit beseitigt wurde. 

ad 2. Die beruhigende Wirkung des Chinins auf die hoch¬ 
frequente Kammerarrhythmie des Vorhofflimmerns beruht nicht 
auf einer Herabsetzung der Reizbildung im Vorhof (denn das 
Flimmern kann unverändert bestehen bleiben), sondern auf der 
Dämpfung der heftigen Hyperkinese der Ventrikelmuskulatur. 

Eine alte Erfahrung lehrt, dass Chinin auf die übertrieben 
kräftige Herztätigkeit des Basedowkranken günstig einwirkt. Auch 
hier handelt es sich weniger um die Herabsetzung der meistens 
nicht extrem erhöhten Reizbildung, als um Dämpfung der allzu 
kräftigen Reaktion des Herzmuskels, was besonders der Patient 
selbst dankbar spürt 

Eine mangelhafte Herztätigkeit bei hohem Blutdruck (Nieren¬ 
leiden, allgemeine Sklerose), besonders auch bei Aorten Insuffizienz, 


1) W. kl. W., 1917. 


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3. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


528 


kann die Darreichang von Digitalis dringend erwünscht erscheinen 
lassen. Es wird dann häufig von Patienten sehr unangenehm 
empfunden, dass die Kräftigung der Systole durch Digitalis ein 
sehr starkes Schlagen des Herzens und des Pulses, nicht selten 
auch stenokardische Schmerzen hervorruft. Daher stammt wohl 
der Widerwille gegen jede Digitalistherapie in solchen Fällen. 
Hier wirkt nun die Kombination der Digitalis mit Chinin ausser¬ 
ordentlich angenehm. Besonders in diesen Fällen macht sich 
der von Stokvis hervorgehobene Antagonismus der beiden Mittel 
sehr deutlich bemerkbar, man bekommt neben der kräftigenden 
Wirkung der Digitalis die beruhigende, dämpfende, mildernde 
Wirkung des Chinins, welches wie Oel auf den Wellen wirkt. 

Wer seine Fälle von Herzleiden und Kreislaufstörungen sorg¬ 
fältig analysiert, wird die von mir geschilderte Hyperkinese des 
Herzens bei sehr vielen Herzzuständen antreffen. Es ist durchaus 
keine Ausnahme, dass die Dämpfung der Herztätigkeit eine viel 
dringlichere Aufgabe ist als die Hebung der Herzaktion. So 
glaube ich, dass dem Chinin als Herzmittel eine nicht geringe 
Bedeutung sukommt. Jedenfalls scheint es mir erwünscht, dass 
das Mittel in weiten Kreisen versucht und weiter auf seinen Wert 
geprüft wird. 


Yoghurtkuren bei Diabetes. 

Von 

Prof. G. Klemperer, Geh. Med.-Rat. 

Die therapeutischen Beobachtungen, die ich im Folgenden 
mitteile, sind aus der klinischen Praxis gewonnen worden und 
wollen nur als empirische Ergebnisse beurteilt werden. Wenn 
ich dennoch mit den theoretischen Anschauungen beginne, die 
mich zu diesen Beobachtungen geführt haben, so beanspruche ich 
keineswegs, die gefundenen Tatsachen als Stütze für die Richtig¬ 
keit der Theorien auszugeben. 

In dem Widerstreit der Meinungen, ob der Diabetes auf 
verminderter Zuckerzersetzung oder vermehrter Zuckerzufuhr be¬ 
ruht, stelle ich mich auf die Seite derer, welche hauptsächlich 
eine Erschwerung der Zuckerzersetzung annehmen. Auch die 
sinnvoll modifizierte Begründung, welche neuerdings v. Noorden 
der alten Claude>Bernard ? schen Theorie gibt, vermag mich 
nicht von deren Richtigkeit zu überzeugen. Mir scheint es 
4 immer noch am meisten plausibel, dass beim Diabetes die 
Fermente fehlen bzw. vermindert sind, welche in ganz spezi¬ 
fischer Weise das Molekül des Traubenzuckers angreifen oder 
für die Angreifbarkeit vorbereiten. Die Hauptstütze für diese 
Theorie liegt in den bekannten Versuchen, welche Baumgarten 
auf Anregung von Emil Fischer und Mering gemacht hat, und 
in welchen er zeigte, dass eine Reihe chemischer Substanzen, 
» welche dem Traubenzucker nahe stehen, auch von Diabetikern 
angegriffen und verwertet werden. Auch die schöne Feststellung 
von Grafe, die ich nach zahlreichen Beobachtungen bestätigen 
kann, dass Karamel von vielen leichten und schweren Diabetikern 
beinahe quantitativ so verarbeitet wird wie Traubenzucker von 
Gesunden, lässt sich am leichtesten so deuten, dass ein Ferment, 
welches eben nur in den Bau des Traubenzuckermoleküls ein- 
greifen kann, dem Diabetikerorganismus fehlt. Die Erfolge der 
v. Noorden eingeführten Mehlkuren scheinen mir ebenfalls für 
diese Auffassung zu sprechen. Ich bin der Meinung, dass das 
Stärkemolekül durch die Darmbakterien in einer solchen Weise 
verändert wird, dass die Abbaustufen auch vom diabetischen 
Organismus angegriffen werden können. Dafür spricht, dass das 
Hafermehl am besten verwertet . wird, wenn vor und während 
seiner Darreichung kein Fleisch genossen wird; es scheint, dass 
nur die Bakterienflora, welche während vegetabilischer Ernährung 
im Darm heimisch ist, die besondere Umsetzung des Stärkemole¬ 
küls bewirken kann. Dass es nicht besondere Eigenschaften gerade 
des Hafermehls sind, wie v. Noorden im Anfang annebmen 
durfte, sondern dass jedes Stärkemehl in derselben Weise von 
Diabetikern verwertet wird, darf man jetzt, besonders nach den 
Feststellungen von Blum, als gesichert annehmen. Theoretisch 
bedeutsam erschien mir vor allem der Unterschied zwischen dem 
in trockener Hitze gebackenen und dem in wässriger Aufschwem¬ 
mung gekochten Mehl. Brot wird vom Diabetiker nur nach 
Maassgabe der ihm verbliebenen Assimilationsfähigkeit — im Sinn 
der hier vertretenen Theorie nach Maassgabe des ihm verbliebenen 
Fermentvorrats — verwertet, Mehlsuppe dagegen in weit grösserem, 
oft von Tag zu Tag steigendem Ausmaass. Man darf annehmen, 


dass beim Backprozess das Stärkemolekül so beeinflusst wird, 
dass es nun nicht mehr von den Darmbakterien in der für die 
Assimilation der Diabetikerzelle notwendigen Weise vorbereitet 
wird. 

Auf dieser theoretischen Grundlage fassend, habe ich Dia¬ 
betikern unter Ausschluss von Fleischkost an Gemüsetagen reinen 
Traubenzucker zugeführt, und es hat sich bei mehreren schweren 
Diabetikern gezeigt, dass sie in Wirklichkeit unter rein vege¬ 
tabilischer Ernährung weit mehr Zucker zersetzten als bei ge¬ 
mischter Kost. 

Hierher scheinen mir auch die gelegentlichen Erfolge 
der Hefetherapie bei Diabetikern zu rechnen; es ist nicht 
häufig, aber hin und wieder steigt doch bei schweren Diabetikern 
die Zuckerausnutzung bei reichlicher Darreichung von Bierhefe. 
Auch getrocknete Hefe erweist sich manchmal nützlich, und die 
neuerdings in den Handel gebrachten Fermozyltabletten sind zwar 
keineswegs so wirksam, wie in den betreffenden Anzeigen ange- 
priesen wird, setzen aber doch in einzelnen Fällen die Zucker¬ 
ausscheidung herab. Man darf hierbei nicht glauben, dass es 
sich um eine in die Gewebe verlegte, glykolytische Wirkung 
handele; es ist viel eher aozunehmen, dass bei der Hefe Wirkung 
im Darmkanal Abbaustufen des Zuckermoleküls gebildet werden, 
bzw. dass die Hefe die Einwirkung der Darmbakterien auf das 
Stärkemolekül in einer solchen Weise unterstützt, dass die resor¬ 
bierten Produkte vom Diabetiker zersetzt werden können. 

Indem ich mich in diesen Gedanken hineindachte, dass die 
Vergärung der Kohlehydrate im Darm für Diabetiker nützlich sei, 
suchte ich nach weiteren Gärungsprozessen, durch welche vorher 
nicht assimilierbare Zuckerarten der Umsetzung durch Diabetiker 
zugänglich gemacht werden könnten. So kam ich auf die An¬ 
wendung der Milch und ihrer Gärungsprodukte. Bekanntlich 
wird der Milchzucker von den meisten Diabetikern nach Maass¬ 
gabe ihrer allgemeinen Kohlehydrat-Assimilationsfähigkeit ver¬ 
tragen; schwere Diabetiker scheiden nach Milcbgenuss meist die¬ 
selben Zuckermengen wie nach äquivalenten Brotgaben aus. 
Immerhin gibt es Ausnahmen; ich wende bei schweren Diabetikern 
gelegentlich probeweise auch reine Milchtage an und habe doch 
auch vereinzelte Erfolge gesehen, die sich denen der Hafermehl¬ 
tage vergleichen lassen. Bei anderen Diabetikern habe ich saure 
Milch gegeben, um dem Darmkanal reichlich Milchsäurebazillen 
zuzufübren, die nun die weitere Zersetzung der Kohlehydrate be¬ 
sorgen könnten. Wesentlich bessere Resultate als bei nativer 
Milch habe ich nicht gesehen; doch möchte ich mir von einer 
systematischen Erprobung geronnener Milch noch Erfolge ver¬ 
sprechen. In der Folge habe ich mich der besonderen Umsetzung 
des Milchzuckers zugewandt, welche durch Yoghurtbazillen ver¬ 
ursacht wird. Wenn man Yoghurtkultur 1 ), wie sie vom Berliner 
Institut für Gärungsgewerbe zu beziehen ist, auf schwach gekochte 
Milch überträgt, so wird innerhalb 3—6 Stunden das Kasein in 
feinen Gerinnseln gefällt; die so entstandene Yoghurtmilch ist 
ein angenehm erfrischendes Getränk, durch den geringen Milch¬ 
säuregehalt von anregender Wirkung. Man darf annehmen, dass die 
UeberRchwemmnng des Darmkanals mit Yoghurtbazillen zum wei¬ 
teren Abbau des Milchzuckers und der übrigen Kohlehydrate führen 
möchte. Diese vorläufig rein hypothetischen Auffassungen haben 
mich zur versuchsweisen Anwendung förmlicher Yoghurtkuren bei 
leichten und schweren Diabetikern geführt. Die erhaltenen Re¬ 
sultate waren in einzelnen Fällen auffallend gute, indem nicht niir 
der in der Yoghurtmilch enthaltene Milchzucker gut assimiliert, 
sondern auch ausserdem gereichte Kohlehydrate reichlicher ver¬ 
tragen wurden als vorher; ja mehrfach dauerte die so erzielte 
bessere Toleranz lange über die Yoghurttage weg. In anderen 
Fällen aber — und diese waren bisher die Mehrzahl — wurde 
die Yoghurtmilch nicht besser wie gewöhnliche Milch vertragen 
und ein Einfluss auf die übrige Kohlehydrattoleranz in keiner 
Weise ausgeübt. Ich lasse meine Beobachtungen von guter 
Yoghurtwirkung folgen. 

1. P. D., 41 Jahre, Kaufmann; aufgenommen 7.1. 1915; klagt über 
Mattigkeit, leidet angeblich seit mehreren Jahren an Diabetes; scheidet 
bei gemischter Kost 25—36 g Zucker aus, bei strenger Diät nach 2 Tagen 
vollkommen zuckerfrei. 

Folgende Diät wird für ihn festgesetzt: 150 g Fleisch, 75 g Butter, 
100 g Käse, 750 g Gemüse, 200 g Brot, 200 g Kartoffeln. Er scheidet 
danach Zucker aus am 19.1. 28 g, am 20.1. 25,5 g, am 21.1. 26 g. 
Vom 22.1. erhält er zu dieser Diät noch 11 Yoghurtmiloh. Die Zucker- 


1) Alles Nähere über Yoghurt und seine Bereitung sagt eine kleine 
Schrift, welohe unentgeltlich vom Institut für Gärungsgewerbe, Berlin N 65, 
Seestrasse, versandt wird. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


ausscheidongen betragen nun: 22.1. 86g, 29.1. 81,2 g, 30.1. 20,9 g, 
31.1. 20,4, 1. II. 9,2 g, 2. II. 6.6, 3. II. Spuren, 4. II. zuckerfrei. Unter 
dauernder Yoghurt-Darreichung und gleicher Diät blieb der Urin zucker¬ 
frei bis zum 11. II. An diesem Tage wurden 250 g Brot und 250 g 
Kartoffeln gegeben; es wurden 4,2 g, am 12.11. bei gleicher Diät 12 g 
Zucker ausgeschieden. Von diesem Tage an bekam Pat. mit der seit 
11. II. gesteigerten Brot- und Kartoffelration täglich 1500 ccm Yoghurt- 
milob. Die Urinsuckermengen betrugen danach 13. II. 6,9 g, 14. II. 
2,2 g, 15. II. 6,6 g, 16. II. 5,2 g, 18. und 19. zuckerfrei, 20. II. 5 g und 
von da an dauernd zuckerfrei. Der Urin blieb frei, auch als am 24., 
25, und 26. II. je 2 1 Yogburtmilch gegeben wurden. Damit wurde die 
Yoghurtkur abgeschlossen und Pat. mit gemischter Krankenhausdiät er¬ 
nährt. Es liess sich kein Zucker mehr im Urin nach weisen; er wurde 
am 18. III. als geheilt entlassen. 

2. 6. B., 20 Jahre, Grenadier, aufgenommen 5. IV. 1915; abgemagert 
und elend, weiss nichts von seiner Krankheit, scheidet bei 200 g Brot 4 1 
Urin, spezifisches Gewicht 1014 mit 72 g Zucker aus, keine Azeton¬ 
körper. Erhält folgende Diät: 600 g Fleisch, 2 Eier, 100 g Speck, 60 g 
Butter, 1000 g Gemüse, 200 g Brot. Danach Zuckeraussoheidungen 52 g, 
61 g, 54 g, 61 g, 68 g. Vom 18. IV. dazu 1 1 Yoghurtmilch: Die Urin¬ 
zuckerzahlen sind 18. IV. 82 g, 19. IV. 90 g, 20. IV. 56 g, 21. IV. 27 g, 
22. IV. 19,2 g, 23. IV. 33 g, 24. IV. 89 g, 25. IV. Spuren, vom 26. IV. 
bei dauernder Gabe von 11 Yoghurtmilch stets zuckerfreier Urin. Vom 
10. V. wird die Yoghurtmilch weggelassen, Pat. bleibt zuckerfrei, auch als 
am 17. V. noch 200 g Kartoffeln täglich zugelegt wurden. Am 3. VI. 
treten bei dieser Diät nooh kleine Zuckermengen auf, 3. VI. 11,2 g, 
4. VI. 15,6 g, 5. VI. 13,5 g, 6. VI. 32,4 g, 7. VI. 22,4 g. Vom 8. VI. 
wieder 1 1 Yoghurtmilch zur selben Diät. Zucker 8. VI. 72 g, 9. VI. 
56 g, 10. VI. 58 g, 11. VI. 42,5 g, 12. VI. 35 g, 13. VI. 15 g, 14. VI. 
Spuren, rom 15. VI. zuckerfrei. Am 18. VI. Yoghurt weggelassen. Pat. 
bleibt zuckerfrei bis zum 27. VI., danach bei gemischter Diät tägliche 
Ausscheidung von 10—20 g Zucker. Pat. wird gebessert entlassen. 

3. Frau C. M., 56 Jahre, aufgenommen 22. III. 1915; in gutem 
Ernährungszustand, angeblich seit 10 Jahren diabetisoh, bat mehrfach 
Entziehungskuren mit gutem Erfolge durcbgemacht. Bei der Aufnahme 
2 pCt. Zucker, nach strenger Diät am 24. zuckerfrei, verträgt 150 g Brot, 
wobei nur gelegentlich 0,2—0,4 pCt. Zucker gefunden wurden. Bei 
weiterer Zunahme von 100 g Kartoffeln am 20. IV. 13 g, 21. IV. 10 g, 
22. IV. 11,6 g, 150 g Kartoffeln, 28. IV. 28 g, 24. IV. 17,4 g. Am 25. IV. 
zu der bisherigen Diät (200 g Fleisch, 600 g Gemüse, 4 Eier, 75 g Butter, 

, 100 g Brot, 150 g Kartoffeln) 11 Yoghurtmilch; danach Urinzucker 
27. IV. 13jg, 28. IV. 14,4 g, 29. IV. 12 g, 80. IV ?, 1. V. 21g, 2. V. 
15,9 g, 8. V. und folgende Tage zuckerfrei. Am 9. V. Yoghurt fort- 
gelassen. Am 10. V. 50 g Brot mehr. Am 11. V. 17,4 g Zucker. Danach 
zuckerfrei bis 17. V., an diesem Tage 175 g Brot und 150 g Kartoffeln. 
Zucker am 18. V. 5,4 g, am 19. V. 4 g, am 20. V. 4 g, 21. V. 7,8 g, 
22. V. 2,4 g, 28. V. 1,8 g, 24. V. 9,6 g, 25. V. ?, 26. V. 6,9 g, 27. V. 
15,1 g, 28. V. 4,8 g, von da an zuckerfrei. Am 6. VI. 175 g Brot und 
200 g Kartoffeln gut vertragen. Im weiteren Verlauf auch nach Zulage 
von 500 g Milch und 40 g Zucker, sowie nach der zweiten Krankenhaus¬ 
form zuckerfrei; am 9. VII. geheilt entlassen. 

4. Frau K. G., 48 Jahre, aafgenommen 4. II. 1915; seit 6 Jahren 
zuckerkrank, hat mehrere erfolgreiche Kuren durohgemacht Bei der 
Aufnahme 4pCt., nach strenger Diät in 4 Tagen entzuokert. Assimilations¬ 
grenze 120 g Brot. Diät am 22. II 200 g Fleisch, 100 g Käse, 3 Eier, 
500 g Gemüse, 150 g Brot, 150 g Kartoffeln. Zuokerausscheidung 54 g. 
Bei derselben Diät 23. III. 42 g, 24. III. 39 g. Hierzu vom 25. III. täg¬ 
lich 11 Yoghurtmilch. Zucker 44 g. 26. III, 36 g, 27. III. 24 g, 28. III. 
87 g, 29. III. 80 g, 30. III. 24 g, 81. III. 18,5 g, l.IV. 9,6 g, 2. IV. 5,1g, 
8. IV. 7,2 g, 4. IV. 8,2 g, 5. IV. zuokerfrei. Am 8. IV. Yoghurt weg¬ 
gelassen. Bleibt zuckerfrei bei 150 g Brot und 1150 g Kartoffeln und 
wird am 27. IV. zuokerfrei entlassen. 

Zu diesen vier Diabetesfällen aus dem Krankenhaus, in 
welchen unter täglichem Genuss von einem Liter Yoghurtmilch 
die Zuckerausscheidung verschwand oder wesentlich abnahm, 
gesellen sich zwei ebenso erfolgreiche Anwendungen der Yog¬ 
hurtkur an Privatpatienten. Der eine ist ein 58 jähriger 
Herr von fetter Konstitution, der seit etwa 15 Jahren bei ge¬ 
mischter Diät 80—50 g Zucker ausschied, und der mehr¬ 
fach durch Karlsbader Kuren vollkommen entzückert wurde. 
Dieser Patient hat im Anfang des Krieges 6 Wochen lang täglich 
einen Liter Yoghurtmilch getrunken und hat in dieser Zeit, ohne 
sich in der Zeit irgendwelche Beschränkung aufzuerlegen, den 
Zucker vollkommen verloren. Er ist auch bis vor kurzem ganz 
zuckerfrei geblieben und erst in den letzten Monaten sind ge¬ 
legentlich kleine Mengen (unter 1 pCt.) gefunden worden. Die 
andere Beobachtung betrifft einen Patienten von 89 Jahren, der 
hereditär belastet und seit 5 Jahren offenkundig diabetisch ist; 
bei ihm ist der Urin durch Kohlehydratentziehung nicht zu ent¬ 
zückern, bei strenger Diät schied er 10—15 g Zucker mit Azetessig- 
säure aus. Bei 100 g Brot hatte er 35 g, bei 200—300 g Brot 
60 g Zucker im Urin. Dieser Patient nahm zur strengen Diät 
6 Wochen täglich l 1 /! 1 Yoghurtmilch; die Zuckermengen gingen 
von 75 g allmählich auf 5—10 g herab, nach Weglassen der 


Yoghurt vertrug er 200 g Brot ohne Zucker und ist ohne wesent¬ 
liche diabetische Beschränkung bis jetzt zuckerfrei geblieben. 

Gegenüber diesen 6 Beobachtungen erfolgreicher Yoghortkuren 
bei Diabetikern habe ich 8 Patienten mittlerer und schwerer Form 
beobachtet, bei denen die Yoghurtmilch gar keine Verminderung 
der Zuckerausscheidung erzielt. Bei diesen Patienten vermehrte 
sich im Gegenteil die vorherige tägliche Zuckerausscheidung 
nach einem Liter Yoghurtmilch um 30—40 g täglich, und es liess 
sich durch keinerlei Variation der übrigen Nahrungsform dieser 
zuckervermehrende Einfluss der Yoghurtmilch beseitigen. Auch 
nach dem Aussetzen der Yoghurtmilch liess sich ein Einfluss auf 
die Zuckerausscbeidung in diesen Yoghurt-refraktären Fällen nicht 
erkennen. Im Sinne der oben entwickelten Theorie nehme ich 
an, dass die Erfolglosigkeit der Yoghurtbazillen in diesen Fällen 
durch das Ueberwucbern anders wirkender Bakterien im Darm 
zu erklären ist. 

Weitere Beobachtungen über Yoghortkuren bei Diabetikern 
habe ich aus äusseren Gründen nicht machen können; ich habe 
die Weiterbearbeitung auf bessere Zeiten vertagt, in denen es 
auch möglich sein wird, die wissenschaftlichen Fragestellungen, 
zu denen diese Beobachtungen drängen, in Angriff zu nehmen. 


A ns der medizinischen Universitätsklinik zu Marburg. 

Zur Pathogenese 

• des chronischen Ulcus pepticum. 

(I. Mitteilung.) 

Von 

Prof. Dr. fl. von BergMani, 

Direktor der Klinik. 

Kraus 1 ) beschreibt einen Fall von paralytischer Dilatation 
des Oesophagus, bei welchem Paltauf als Obduzent eine makro¬ 
skopisch und mikroskopisch nacbgewiesene Atrophie des linken, 
eine hochgradige Atrophie auch des rechten Nervus vagus fest¬ 
stellte. Dieser Fall wird für Kraus zur Stütze, dass Kardio- 
spasmus sowohl wie Oesophagusdilatation koordinierte Folgen 
sind des Wegfalles vagischer Innervation auf die Speiseröhre, die 
ja, zweckmässig für die Passage der Speisen, der Muskelröhre 
den Tonus gibt, während sie gleichzeitig die Kardia (durch Hem¬ 
mung des Kardiatonus) öffnet. So wird zunächst für den Einzel¬ 
fall durch die anatomische Zerstörung der Vagi die Kombination 
Kardiospasmus mit gleichmässiger Erschlaffung der Muskulatur 
der Speiseröhre verständlich, und über das kasuistische Interesse 
hinaus ist der Streit, ob der Kardiospasmus das primäre sei 
(Meitzer) oder die Atonie der Speiseröhre (Rosenheim) einer 
Verständigung entgegengeführt. Es wird die Ausschliesslichkeit 
der einen wie der anderen Betrachtungsweise hinfällig. 

Jener Fall des Wiener Rudolf-Spitals von 1897, der eine 
anatomisch schwere Nerven Veränderung als Ursache einer ur¬ 
sprünglich funktionellen Störung am Verdauungskanal nachweist, 
die schliesslich zum morphologisch schwer veränderten Oeso¬ 
phagus führt (es fanden sich eine gleicbmässige hochgradige 
Ektasie vom Schlundkopf bis zur Kardia, eine starke Verdickung 
der Muskularis und Substanzverluste im unteren Abschnitt der 
Mukosa) scheint aber über das Problem Kardiospasmus und Oeso- 
phagusdilatation hinaus Bedeutung zu gewinnen. Es lassen sich 
von ihm beginnend Beispiele häufen, dass vom Nerven aus — 
vorsichtiger gesagt vom nervösen Apparate ans bis zu dessen End¬ 
verzweigungen — über funktionelle Störungen hin weg, ana¬ 
tomische Organveränderungen sich entwickeln können. 
Zwar widerstrebt diese Vorstellung, für die mannigfache Beispiele 
aus allen Kapiteln der speziellen Pathologie beizubringen wären, 
doch zunächst primitivem Denken, sind wir doch alle, als ursprüng¬ 
lich morphologisch Geschulte, zunächst Skeptiker, wenn aus 
einem Geschehen eine dauernde materielle Aenderung 
resultiert. Es liegt in diesem übrigens nnr scheinbar Neuen 
ein Umschwung des Denkens, der wesentlich vom modernen Kli¬ 
niker ausgeht. Aus solcher Schuluug sind auch mir gewisse 
theoretische Gedankengänge entstanden, die, in jüngster Zeit be¬ 
sonders viel zitiert und diskutiert, mich veranlassen, an jenen 
Fall des Rudolf-Spitales gerade heute anknüpfend, erweiternd 
und beschränkend, nochmals einiges zur Ulkusgenese zu sagen. 

1) Kraus-Ridder, Die Erkrankungen der Speiseröhre, 2. Aufl. 
Nothnagel, 1913, 16, 1. 


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3. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


625 


Ist auch Haudek’s 1 2 3 ) ausführliche Publikation noch nicht er¬ 
schienen, gibt doch das Referat seines meine Anschauungen be¬ 
stätigenden Vortrags, wie die interessierte Stellungnahme so vieler 
Kollegen in Wien gelegentlich der grossen Diskussion* mir dazu 
willkommenen Anlass. 

Kraus zitiert weiter Glas, der in einem Falle ösopbago- 
skopisch Atonie der Speiserühre mit Kardiospasmus feststellte. 
Die Sektion ergab einen Mediastinaltumor mit Kompression des 
Vagus. Kelling bringt zwei weitere Fälle von Oesophagus- 
dilatation mit Kardiospasmus bei diphtheritischer Gaumensegel¬ 
lähmung in Verbindung mit anderen Störungen vonseiten des 
Vagus. — Mag eine erhöhte Aufmerksamkeit auf den Vagus in 
seinem gesamten Verlauf bis zu seinen Endigungen auch noch 
manche einschlägigen Fälle mit anatomischer Veränderung am 
Nerven erweisen, es ist doch kein Zweifel, dass meist, will man 
den Vagusapparat verantwortlich machen, nur eine funktionelle 
Störung in ihm verlaufend zu denken ist. Haben doch, wie 
Kraus zitiert, Leichtenstern, Ewald, Heisler und Best in 
ihren Fällen auch mikroskopisch den Nerven mit negativem Re¬ 
sultat untersucht. Bei einem von mir*) beobachteten Fall sprach 
die Kombination mit Asthma für eine Vagusneurose. 

Wenn ich von Tierexperimenten, die in diesem Zusammen¬ 
hang manches Interessante aber auch Vieldeutige bieten, ganz 
absehe, so reihen sich an die Oesophagusveränderungen funk¬ 
tionelle und organische Störungen am Magen, bei denen eine 
organische Nervenaffektion nacbgewiesen oder hochwahrscheinlich 
ist. So wiesen Singer») und Reitter 4 ) auf Fälle von Magen¬ 
beschwerden, Schmerzen, Brechen, ja selbst Hämatemese ohne 
objektiven Magenbefund hin, bei denen eine initiale Lungen¬ 
tuberkulose am Hilus den Vagus wohl im Sinne einer Reizung 
in Mitleidenschaft gezogen hatte, ja Singer bringt für diese 
Vagusalteration auch einiges autoptisch festgestellte Material. 
Wichtiger ist ein Fall Neusser’s 5 6 ), den Ortner* neulich ein¬ 
gehender schilderte. 

Es handelte sich um einen Anstreicherlehrling, bei dem neben 
zerebralen und dyspeptischen Erscheinungen eine Hämatemesis das auf¬ 
fallendste Symptom bildete. Der Beginn seiner Erkrankung unter vor¬ 
wiegenden Hirnerscheinungen liess anfänglich an tuberkulöse Meningitis 
denken. Im weiteren Verlauf machte sich Tachykardie besonders be¬ 
merkbar, das später auftretende Bluterbrechen wich von dem bei ge¬ 
wöhnlichen Magengeschwüren auftretenden hauptsächlich dadurch ab, 
dass in dem Erbrochenen keine freie Salzsäure zu finden war, so dass 
ein latentes präezistentes Ulcus ventriculi als Ursache der Magenblutung 
nicht wahrscheinlich war. Neusser stellte die Diagnose auf Neuritis 
vagi saturnina, denn sowohl die auffällige Tachykardie, als auch die 
terminale Bronchopneumonie und die Magenblutungen mussten als 
Vagussymptome aufgefasst werden. Die von Kundrat ausgeführte 
Sektion. ergab graue Degeneration des linken Vagus und eine um¬ 
schriebene Magenwanderweichung, welch letztere auch von dem patho¬ 
logischen Anatomen als Folge der Vagusläsion erklärt wurde. Neusser 
hatte in seinem diagnostischen Gedanken gange die Tatsache heran¬ 
gezogen, dass Pferde in Bleibergwerken häufig an Rekurrenslähmung er¬ 
kranken. 

Ortner* fügt einen Fall hinzu eines perforierten Duodenal¬ 
geschwürs bei einem Feilenbauer. 

Zahlreiche Symptome schwerer Bleivergiftung waren vorhanden, 
ausserdem Hämatemesis, ausgesprochenste Druckschmerzhaftigkeit beider 
Vagi am Halse, massige, dooh konstante Bradykardie, 50—60 Pulse. 
Diagnose: Neuritis nervi vagi utriusque plumbica mit Hämatemesis in¬ 
folge trophi8chen Ulcus ventriculi. Hier freilich ist nicht der ana¬ 
tomische Nachweis nur die Druckschmerzhaftigkeit der Nerven und die 
bestehende schwere Bleivergiftung Stütze für die Annahme, dass der 
organische Prozess am Magen Folge einer Vagusneuritis war. Ortner 
selbst betont, dass er nicht ohne weiteres ein typisches Ulcus chroni¬ 
cum rotundum annähme. 

Die Bleivergiftung scheint mir eine der wertvollsten klinischen 
Stützen für den Zusammenhang Nervenerkrankung und organische 
Veränderung am Magen. Ich zitiere nach Schiff* einen italienischen 
Antor Alvazzi, der über zwei Fälle von perforiertem Ulcus 
dnodeni bei Bleivergiftung berichtet. Nach Melchior»), Alvazzi - 


1) Haudek, Ein Beitrag zur Pathogenese und Diagnose der Magen- 
und Zwölfflngerdarmgeschüre. W.kl.W., 1918, Nr. 7—10. 

2) v. Bergmann, B.kl.W., 1908, S. 830. 

3) Singer, W.kl.W., 1917, Nr. 20. 

4) Reitter, W.kl.W., 1917, Nr. 20, Med. KL, 1916, Nr. 28. 

5) Neusser, Bradykardie, Tachykardie, bei Braumüller 1904. 

6) Melchior, Chirurgie des Duodenum, Neue deutsche Chirurgie, 
Bd. 25, bei Enke 1917. 

* Anmerkung: Der Hinweis auf diese Diskussion ist durch einen * 
hinter dem Autornamen gekennzeichnet. 


Defrate sind es drei Fälle. Wal ko berichtet nach Schiff 
unter 40 Fällen chronischer Bluterscheinungen von Hyperazidität 
und Ulkussymptomen bei Arbeitern, die wenige Monate mit Blei 
beschäftigt waren. Auch ich kann aus meinem Material einen Blei¬ 
kranken mit Kardiospasmus und einen zweiten mit sicherem Ulkus 
(Blutung — operiert) anführen. Ferner hat Shirlaw einige 
Fälle mitgeteilt, in denen bei bestehender Bleiintoxikation die 
Perforation eines Duodenalgeschwürs irrtümlich für eine Bleikolik 
gehalten wurde. Aus der Zahl derartiger Beobachtungen, 7—8 Fälle, 
hält daher auch Shirlaw einen direkten Zusammenhang zwischen 
Saturnismus und Ulcus duodeni für diskutabel. Auch Lichten- 
belt 1 ) hat auf die Koinzidenz der chronischen Bleivergiftung mit 
Ulcns duodeni bingewiesen. 

Weit wichtiger als diese nicht durchgehende genügend ge¬ 
stützten Fälle ist aber die Mitteilung von Schiff, die er in 
jener grossen Diskussion zum Vortrage Haudek’s in Wien ge¬ 
macht hat. Schiff verspricht noch eine ausführlichere Publikation. 
Er hat ein grosses Material chronischer Bleivergiftungen auf der 
chefärztlichen Station der Wiener Krankenkassen beobachtet und 
berichtet von 47 Fällen, bei denen zum Teil neben akuter Blei¬ 
kolik ein chronisches Symptomenbild vorhanden war: Chronische 
Schmerzzustände, die durch Wochen und Monate täglich, bisweilen 
zu bestimmten Tageszeiten auftraten, dann wieder remittierten, um 
für Wochen und Monate von neuem zu exazerbieren. Im Gegen¬ 
satz zu den Schmerzen bei der typischen Bleikolik sind diese 
Schmerzen hauptsächlich in der Oberbauchgegend und im Epi- 
gastrium lokalisiert. In einem Teil der Fälle zeigen diese 
Schmerzen ganz den Charakter der Ulkusschmerzen mit strenger 
Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme, in anderen Fällen 
handelt es sich um ganz ausgesprochene Hungerscbmerzen und 
nächtliche Schmerzanfälle mit Erbrechen sauren Mageninhalts. 
Als Ursache dieser chronischen Beschwerden, die von dem Bild 
der eigentlichen Bleikoliken durchaus abweichen, bat sich nun 
folgendes ergeben: bei 14 unter den 47 Kranken, also fast bei 
einem Drittel der Fälle, wurde im Laufe der Jahre, in welchen 
die Kranken in Beobachtung standen, das Vorliegen eines sicheren 
und zweifellosen Geschwürs am Magen festgestellt. Sechs unter 
diesen vierzehn Fällen kamen zur Operation, bei drei derselben 
handelte es sich um ganz frisch perforierte Ulzera, in zwei Fällen 
um narbige Pylorusstenosen, in einem Fall um ein älteres Geschwür, 
ln den acht nicht operierten Fällen war die Diagnose des Ulkos 
durch den Nachweis einer Stenose am Pylorus, eines peri- 
gastritiichen Tumors oder durch schwere Blutungen (Hämatemesis 
und Melaena) bei bestehenden anderen Ulkussymptomen sicher¬ 
gestellt. Neben diesen 14 Fällen sicherer Ulzera fand sich unter 
diesen Kranken noch eine ganze Reihe von Fällen^ bei welchen 
nach dem ganzen Symptomenkomplex, dem Charakter der 
Schmerzen, der Hyperazidität usw. ein Ulkus am Magen zum 
mindesten sehr wahrscheinlich war, in anderen Fällen wiesen die 
Schmerzanfälle bei Nacht, die bestehende Hyperazidität und. 
Hypersekretion und die Lokalisation der Schmerzen mit grosser 
Wahrscheinlichkeit auf ein Ulcus duodeni hin; in einem Fall 
bestand ein schwerer Kardiospasmus mit hochgradiger sekundärer 
Erweiterung des Oesophagus. Hochgradige Hyperazidität wurde 
in 22 Fällen gefunden. Nach Schiff sind die hauptsächlichsten 
Ergebnisse jener Beobachtungen an seinen Bleikranken: die Häufig¬ 
keit ausgesprochener Reizerscheinungen am Magen, die Häufigkeit 
von heftigen Gastralgien, starker Hyperazidität und Hypersekretion 
und endlich die grosse Zahl sicher gestellter Ulzera am Magen 

Es braucht wohl nicht entschuldigt zu werden, warum ich 
die Ergebnisse Schiff’s in dieser Breite grossenteils wörtlich 
wiedergebe. Sie sind klinisch die beste Stütze für 
die Theorie des neurogenen Ulkus. Der spastische Reiz¬ 
zustand, in den das vegetative Nervensystem durch Blei versetzt 
wird; betrifft das gesamte vegetative Nervensystem, nicht elektiv 
bestimmte Gruppen desselben, etwa nur das adrenopbile oder 
pilokarpinophile System. Die Kolikschmerzen, die spastische 
Obstipation, das Erbrechen sind Zeichen der Reizung des viszeralen 
Vagus, die Bradykardie Reizsymptom des Herzvagus, das saturnine 
Asthma weist auf die bronchialen Nervenäste; Dysurie, Blasen-, 
Mastdarmstörungen weisen auf den Pelvicus, nicht anders zeigt 
sich aber auch das sympathische System im engeren Wortsinn 
toxisch gereizt. Die Vasomotoren im Splanchnikusgebiete sind 
ergriffen im Sinne spastischer Ischämie. EI sehnig — ich zitiere 
ständig Schiff — konnte diese Ischämie während des Anfalles 


1) Liohtenbelt, Dis Ursache des chronischen Magensohvürs, 
Jena 1911. 


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526 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


von Bleikolik direkt ophthalmoskopisch nachweisen. Die Gefäss- 
kontraktion am Augenhintergrond war so hochgradig, dass sie 
in seinem Fall zu einer vorübergehenden kompletten Amaurose 
geführt hat. 

Schiff sagt: Finden wir in einer grosseren Zahl von Fällen 
als Folge der saturninen Vergiftung bei denselben Kranken einer¬ 
seits den Symptomenkomplex der Bleikolik, andererseits die ganze 
Symptomenreihe der spastischen Reizung des Magens und endlich 
Ulcera, so liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um Er¬ 
scheinungen handelt, die auch genetisch miteinander Zusammen¬ 
hängen. 

Chronische Bleiintoxikationen durch zurückgebliebene Gescboss- 
teile spielen gegenwärtig eine Rolle, vielleicht liefern sie einmal 
Beiträge zur Frage, die uns hier beschäftigt. 

Kurzer sei auf die Koinzidenz von Ulcus pepticum und 
tabischen Krisen hingewiesen. Dass die tabischen Krisen teils vom 
Vagus ans, teils vom sympathischen System im engeren Sinne 
sowohl die sekretorische wie die motorische Funktion des Magens 
in schwerste Erregbarkeit versetzen, ist altbekannt. Exner fand 
unter zehn Fällen mit subdiaphragmatischer Durchscbneidung 
vagischer Fasern bei tabischen Krisen sechsmal organische Magen- 
veränderungen im Sinne des Ulcus pepticum. Auch sonst lassen 
sich aus der Literatur wie aus eigener Erfahrung vereinzelte 
Fälle hier anführen. Ich sah bei einer Frau neben tabischep 
Krisen das Bild der Colica nervosa und eine Ulkusnische. D^ss 
Heyrovski (Klinik Hohenegg) in 36 pCt. seiner Fälle von Kardio- 
spasmos ein Ulkus in der Fundusregion fand, sei der Vollständig¬ 
keit halber angeführt, obwohl der Kausalnexus nicht klar ist, die 
Ulzera konnten den Kardiospasmus zur Folge gehabt haben, es ist 
allerdings in Analogie des eingangs Gesagten für diese Fälle 
wahrscheinlicher, dass Ulkus und KardioZpasmus koordinierte Er¬ 
scheinungen sind. 

Diese breite Heranziehung der klinischen Literatur geschah 
aus dem Grunde, weil alle tierexperimentellen Eingriffe nicht die 
Bedingungen beim Menschen, am wenigsten was die Chronizität 
des Ulkus anlangt, nachahmen können und weil, wie aus der 
tierexperimentellen Literatur zur Genüge hervorgeht, in der Tat 
recht verschiedene Versuchsanordnungen zur Ulkusentstehung ge¬ 
führt haben. Erwähnt sei nur als letzte, die von mir vertretene 
Auffassung stützende Arbeit, die von Gundelfinger 1 ) aus der 
D. Gerhardt’schen Klinik in Würzburg, der nach Vagusdurch¬ 
schneidung nie, nach Sympathikusverletzung (Ganglion coeliacum) 
in jedem Falle Magen- oder Duodenalulzerationen beim Hunde 
erhielt. Es ist bekannt, wie verschiedenartigste Eingriffe sowohl 
am Vagus wie am Sympathikus von Blutungen, Stigmata ventriculi, 
Magenerweichungen, Ulzerationen, auch perforierten Ulzera gefolgt 
waren, bekannt genug andererseits, wie auch andere Eingriffe, 
ich erinnere an Fayr’s 2 ) Versuche, zu analogen Resultaten führten. 
Sollen wir aus diesen experimentellen Ergebnissen den resignierten 
Schluss ziehen, dass unendlich viel Konditionen und Kombinationen 
von Konditionen vom Ulkus gefolgt sind, und damit das Problem 
der Ulkusgenese eigentlich bis auf weiteres ad acta legen? Mir 
scheint der andere Schluss berechtigt: Wir sind trotz anatomischer 
und physiologischer Studien über die Nervenversorgung des Magens, 
ich nenne unter vielen nur Langley, L. R. Müller, Open- 
schowsky, nicht einmal einig, ob ein selbständiges „Enterie- 
System u existiert, wir kennen nicht die Verbindungen des Meissner- 
und Auerbach Plexos zum Magenvagus und zum Ganglion coeliacum, 
wir sind über die Autonomie des Magens viel schlechter orientiert 
als über die des Herzens, von einer Analyse der einzelnen Qualitäten 
(Reizbildung, Reizleitung usw.) ist kaum noch die Rede(Keith). 
Können wir da mehr erwarten als den Nachweis, dass Nerven- 
schädigungen verschiedenster Art zu Substanzverlusten am Magen 
führen? Das muss betont werden, wenn darüber gespottet wird, 
dass Eingriffe am Vagus wie am Sympathikus von Magenläsionen 
gefolgt sind (Schur*). Selbst die gastrischen Krisen können Be¬ 
ziehung zu beiden magenregulatorischen Nerven haben, ich er¬ 
innere an die Förster’sche Operation. Allzuweit haben wir uns 
durch die schematisierte Lehre der beiden antagonistisch wirkenden 
Nervensysteme verleiten lassen, den gegenwärtigen Stand unserer 
Kenntnisse zu überschätzen. 

Ich möchte umgekehrt nicht dahin verstanden werden, dass 
ich das arteriosklerotische Moment, dass ich das infektiös septische 

1) Gundelfinger, Mitt. a. d. klin. Geb. d. Med. u. Chirurgie, 
1918, Bd. 30, H. 1 u. 2. 

2) Payr, Verhandlungen des 39. Cbirurgen-Kongresses 1907 und 
1910, und D.m.W., 1909, Nr. 36. D. Aroh. f. klin. Chir., 1907, Bd.84 
und Bd. 98, H. 2. 


Moment, oder das embolische sogar durch retrograde Embolie bei 
der Ulkusgenese leugne, ebensowenig wie es nicht berechtigt ist, 
das ischämische Moment so in den Vordergrund zu rücken, dass 
die Einwände der Schule Aschoff’s (Stromeyer) vergessen 
werden, die die mechanischen Bedingungen für die Chronizität 
des Ulkus als die wichtigsten hinstellen. Es bleibt aber die 
grössere Zahl von Ulcera peptica übrig, sowohl des Magens wie 
des Duodenums, gerade die Ulzera der jugendlichen Personen, 
bei denen für organische Gefässveränderungen nur spärliche Anhalts¬ 
punkte sieb gewinnen lassen. Die Feststellung Melchior’* in 
seiner Monographie der Chirurgie des Duodenums ist gerade in 
der Hinsicht interessant, dass die akuten postoperativen Duodenal¬ 
ulzera nicht in ein chronisches Ulcus pepticum überzugehen 
pflegen, ja er meint, dass maassgebende Beobachtungen in dieser 
Hinsicht noch gänzlich fehlen. Damit wird die Häufigkeit der 
embolischen Entstehung eines chronischen Ulkus, sofern es sich 
um postoperative Embolien handelt, sehr herabgesetzt, die in¬ 
fektiöse Entstehung auf dem Blutwege bei nicht septischen Fällen 
ist gar nicht gestützt (Rössle). 

So gewinnt in der Tat die Lehre, dass das nervöse Moment 
bei der Ulkusentstehung für eine ganz grosse Zahl der Ulzera in 
Betracht zu ziehen ist, wie aus den Publikationen der letzten 
Jahre hervorgeht (siebe vor allem die Auffassung Haudek’s*), an 
Boden. Mindestens für die hämorrhagischen Erosionen nnd ge¬ 
wisse Formen der zirkumskripten Magenerweicbung setzt auch 
der Anatom unter den Pathologen kaum mehr der nervösen Ent¬ 
stehung prinzipielle Schwierigkeiten entgegen. Jüngst sab ich 
wieder, Analoga sind jedem geläufig, bei einer Meningitissektion 
ausgedehnte Erosionen mit Substanzverlust der Schleimhaut im 
pylorischen Teil des Magens. Hämatemesis nach Hirnoperationen 
sahen v. Winiwarter und Dietrich. 

Was zur Diskussion steht, ist weniger die Behaup¬ 
tung, dass der Nervenapparat etwas mit der Ulkusent- 
'stehung zu tun bat, sondern das Wie? Ich möchte vor allem 
betonen, heute noch schärfer als ich das vor fünf Jahren getan habe, 
dass wir keineswegs uns den Vagus als den alleinigen Apparat denken, 
durch denUlkusentstehung und das Fortbestehen desUlkus veranlasst 
wird. Diese Auffassung ist durch das schon damals von mir als 
unglücklich bezeichnete Schlagwort der „Vagotonie u immer wieder 
in die Debatte geworfen. Selbst die pharmakologische Prüfung, 
so wenig sie berechtigt sein mag, der Anatomie oder Physiologie 
eine Scheidung antagonistisch wirkender Nervensysteme vorzu- 
schreiben, wies uns sehr bald darauf bin, dass Gegenüberstellungen 
im Sinne jener Lehre von H. H. Meyer, wie sie Eppingerund 
Hess*) der Klinik zu geben versucht haben, ganz undurchführbar 
und einfach falsch sind. Die Schlagworte Vagotonie und 
Sympatikotonie sollten ausgemerzt werden. Muss man. deshalb 
so weit gehen, um mit Lewandowsky 2 ) eine erhöhte Reizbarkeit 
im vegetativen Nervensystem überhaupt zu leugnen ? Soweit man 
versucht hat, die Neurosen des vegetativen Nervensystems gegen¬ 
über zu stellen, den zentralen oder Psychoneurosen, ist auch hier 
die Sonderung als Fehlgriff zu erklären. Wir haben mit Anderen 
betont, dass im vegetativen System reizbare Individuen oft genug 
ganz deutlich sich als Neurastheniker im Sinne von Psycho- 
neurotikern erwiesen und gerade sowohl z. B. in der Steigerung 
der Reflexe quergestreifter Muskulatur übererregbar sind. Eber 
würden die „vegetativ Stigmatisierten“ in die Nähe der Menschen 
mit Organneurosen einzureihen sein, wenigstens derjenigen, die 
an mehreren Viszera die Zeichen leichter Erregbarkeit bieten. 
Aber auch die Scheidung der. Psychoneurose und der Organ¬ 
neurose wie mancher Neurologe sie gelten lässt, ist ja keine 
durchgreifende. Sind es doch die Neurastheniker, die oft genug 
Organneurosen zeigen. 

Wenckebach* betont es immer wieder, dass der Erfolg einer 
Nervenreizung in allererster Linie abhängig ist von dem Zastande 
des durch diesen Nerven innervierten Organes. Das ist ihm be¬ 
sonders vom Herzen her geläufig und gilt auch für alle anderen 
Erfolgsorgane, namentlich auch für den Magen. Ich denke nicht 
daran und habe es so nie ausgesprochen, die Entstehung des 
Ulcus ventriculi allein von einem erhöhten „Vagustonus* 
abhängig zu denken. Auch die .herangezogenen Fälle von Blei¬ 
vergiftung sollen nicht besagen, dass etwa wie in Qrtner’s oder 
Neusser’s Fall eine Erkrankung des Vagusstammes als das 
bedingende Moment aufgefasst wird. Ueberall, von den Zentren, 
von der präganglionären, von den postganglionären Fasern, von 


1) Eppinger u. Hess, Die Vagotonie. Berlin 1910, bei Hirsehwald. 

2) Lewandowsky, Zsohr. f. d. ges. NeuroL 


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3. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


527 


den Synapsen, vor allen Dingen aber von den Plexus am Organ 
und speziell vom Auerbach-Plexus kann, so denke ich mir, die 
Disharmonie ausgehen, die zum Spasmus führt, nicht nur an Reizung 
ist zu denken, auch die Aufhebung oder Minderung eines nervösen 
Impulses kann bekanntlich durch Ueberwiegen des antagonistisch 
wirkenden Nervenapparates eine Erregbarkeit veranlassen, und 
ganz losgelöst vom Antagonismusproblem kann der neuromusku¬ 
läre Endapparat einschliesslich seiner Plexus und Ganglienhaufen 
disharmonisiert sein [Szöllösy] 1 ). Auch vom Blei ist es sehr 
wohl denkbar, dass es nicht nur die Stämme, dass es die Ganglien, 
ja die Plexus in der Magenwand selbst schädigt, und so ist der 
Hinweis Haudek’s, dass bei genauer histologischer Nerven- 
untersuchung jener feinsten Endapparate wir oft noch manche 
Veränderung als organische finden werden, die wir heute für 
funktionell halten, gewiss nicht ohne Reiz. 

Zur Stütze jenes neurotischen Momentes haben wir angeführt, 
dass uns ein ganz grosser Teil der Ulkuskranken in seinem 
Nervenapparate übererregbar scheint. Die pharmakologische 
Prüfung im antagonistischen Sinne versagt, das sei nochmals für 
Versuche, die Clairmont* eben angekündigt bat, betont, wohl 
aber wird man unter den Ulkuspatienten, namentlich den jugend¬ 
lichen, einen ganz grossen Prozentsatz finden von Menschen, die 
sowohl auf pharmakologische Mittel im vegetativen Nervensystem 
abnorm reagieren, wie auch andere Stigmata zeigen. Solche 
Menschen sind zum Teil auch Psychoneurotiker, viele von ihnen 
haben etwas von dem, was wir noch gern als formes frustes des 
Morbus Basedow bezeichnen, nicht im engeren Sinne, wie 
Chvostek 2 ) wohl mit Recht es gefasst wissen will, sondern im 
Sinne einer degenerativen Konstitution [Martins] 3 ). 

Der Einwand, der mir jüngst gemacht worden ist, dass 
nicht alle stigmatisierten Individuen Ulzera bekommen, zeigt mir 
ein grobes Missverstehen dessen, was von mir ausgesagt sein 
sollte; ebensowenig wie etwa jeder Luetiker eine Tabes, jeder 
Hypertoniker eine Haemorrhagia cerebri bekommt, bekommt auch 
jeder Stigmatisierte sein Ulkus. Es wird lediglich ausgesagt, dass 
eine Disposition zum Ulkus gegeben ist durch einen besonders 
empfindlichen, d. h. im neuromuskulären Apparat besonders leicht 
ansprechbaren Magen. Ein solcher Magen kann vorhanden sein 
bei einer reinen Organneurose des Magens, sehr viel häufiger 
aber zeigt sich die Uebererregbarkeit in einer ganzen Reihe von 
Organen oder Organsystemen. Dass Nikotin, wenn auch anders 
wie Blei, schädigend hier wirken kann (Ortner*), ist pharmako¬ 
logisch verständlich, klinisch wahrscheinlich. Aber auch Reiz¬ 
mittel der Schleimhaut können den Magen vorübergehend zu einem 
im neuromuskulären Apparat irritierten machen — vielleicht nur 
beim Disponierten, so kann nach einem Glas Schnaps tagelang 
ein Spät8chmerx typisch auftreten, um nach Alkobolkarenz völlig 
zu verschwinden (eigene Beobachtung). 

Danach ist eine neuropathische Konstitution im Sinne be¬ 
sonderer Uebererregbarkeit der Magenmuskulatur mit ihrem 
zugehörigen Nervenapparate ein dispositionelles Moment zur 
Ulkusentstehung. Ob diese Uebererregbarkeit stets konstitutionell 
im Sinne von vererbter Anlage vorhanden ist (eine familiäre 
Disposition ist sicher, s. Westphal), oder ob nicht auch er¬ 
worben es dauernd oder vorübergehend (auch psychogen) zu 
solcher Uebererregbarkeit kommen kann, mag dahingestellt 
bleiben. Die Bleiintoxikation scheint ein gutes Analogon zu 
solcher erworbenen Disharmonisierung im vegetativen Nerven¬ 
system, wenn man will zu einer spasmophilen Körperverfassung. 
Ich halte es für sehr möglich, dass auch auf psychischem Wege 
solche Uebererregbarkeit sich einstellt, ohne dass die konstitu¬ 
tionelle Disposition eine höhergradige sein muss. Das wesent¬ 
liche bleibt, wir haben hingewiesen auf einen Zustand erhöhter 
Erregbarkeit im vegetativen Nervensystem in Teilen, gelegentlich 
selbst in seiner Gesamtheit. Dass die klinischen Stützen zum 
Nachweise solchen Zustandes noch mangelhafte sind, sei gern 
zugegeben. Von „Beweisen“ einer Theorie, wie sie Clairmont* 
wünscht, ist schon aus Gründen der Logik keine Rede. Dass in 
der Auffassung der Ulkusgenese hier eine klinische Intuition 
weiterer breiter Grundlagen bedarf, betone ich gern. Wer sich 
bemüht, für Dinge der Konstitution einen Anhalt zu gewinnen, 
ich erinnere an die „Ermüdung als Maass der Konstitution“ von 
Kraus, der weiss, auf wie schwierigem Gelände er geht. Er¬ 
innert sei nur daran, dass auch Stiller seine Asthenie, die sich 


1) Szöllösy, Die Gastralgie. Urban & Schwarzenberg 1916. 

2) Chvostek, Morbus Basedowii usw, bei Springer 1917. 

3) Martins, Konstitutionen und Vererbung, Springer 1914. 


in einigem mit dem berührt, was ich unter vegetativ Stigmati¬ 
sierten verstehe, als Konstitution auffasst, die zum Ulkus prä¬ 
disponiert, oder um hier einige Aeusserungen jüngster Zeit zu 
zitieren, dass Stierlin mit Haudek von einer individuellen 
spasmophilen Anlage beim Ulkus spricht, dass Sauerbruch, wie 
Chaoul und Stierlin sagen, das Ulcus duodeni nur für den 
Ausdruck einer Gesamterkrankung hält, und dass endlich selbst 
diejenigen, denen meine Theorie nicht zusagt, von einer „Ulkus¬ 
krankheit“ im Sinne einer Disposition sprechen (Melchior), 
oder zwar als „kausales Moment“ die motorisch-sekretorische 
Uebererregbarkeit nicht gelten lassen, wohl aber als „disposi¬ 
tionelles“ und „komplizierendes (Schwarz*). 

Mit dem Hinweis auf meine und meiner Mitarbeiter 1 ) Ver¬ 
öffentlichungen möchte ich nur nochmals betonen, dass, wer 
unsere Hypothese nicht gelten lässt, nämlich die, dass die neu¬ 
rotischen Momente disponierend sind für das Ulkus fast not¬ 
gedrungen den entgegengesetzten Kausalnexus annehmen muss. 
Es wäre das die Auffassung, dass das Ulkus alle die beob¬ 
achteten Erscheinungen erzeugt. Am radikalsten geht in dieser 
Hinsicht Plönies 2 ) vor, welcher meint, dass in der Ulkuswunde 
die Nervenendigungen gereizt würden und von dort als Reflex¬ 
neurose sowohj die funktionellen Aenderungen am Magen selbst, 
wie am Darm, am Herzen, ja dass selbst Asthma, Nackensteifig¬ 
keit, Migräne und eine Fülle von anderen nervösen Symptomen 
alle durch das Ulkus erzeugt würden. Wenn Emmo Schle¬ 
singer 3 ) von einerExzitationsneurose“ durch das Ulkus spricht, 
sind das ähnliche Vorstellungen, und auch Adolf Schmidt hat 
sich dahin geäussert, dass dieser Kausalnexus ihm wahrschein¬ 
licher ist. Nun soll von uns natürlich nicht geleugnet werden, 
dass eine Reihe von Abweichungen in der Motilität unmittelbare 
oder, mittelbare Ulkusfolgen sind, so z. B. Stenosenperistaltik bei 
Ulcus pyloricum als Folge des Pylorospasmus. Auch auf die 
Sekretion kann das Ulkus anregend wirken. Wir haben in 
dem Zuhammenhang einen Circulus vitiosus zugegeben, im fol¬ 
genden soll das noch näher erörtert werden. Wichtig als Ana¬ 
logie scheint uns wieder Tabes und vor allem Saturnismus, die 
den Kausalnexus, den wir annehmen, wahrscheinlich machen. 
Aber auch klinische Erfahrung gibt uns m. E. recht. Solange 
noch angenommen wird, dass eine Hypersekretion ohne Ulkus 
existiert, Paradigma ist mindestens eine tabische Krise mit Gastro- 
Sukkorrhoe, solange noch angenommen wird, dass es einen 
Kardio- und einen Pylorospasmus auf funktioneller Grundlage 
gibt, scheint es mir geswungen, anzunehmen, dass das eine Mal 
rein als nervöse Erscheinung ein funktioneller Krankheitszustand 
entsteht, während er, sobald ein Ulkus sich entwickelt hat, nun¬ 
mehr als Ulkusfolge aufgefasst wird. Dagegen scheint ein 
Einwand, dass es Ulzera gibt, die nicht mit neurotischen 
Begleiterscheinungen verknüpft sind. Das können Ulzera sein, 
die auf anderem Wege zustande kamen, vor allem sind es 
die postoperativen Ulzera, die jetzt oft als Ulcus simples 
oder acutum bezeichnet werdeo. Dass gerade diese Ulzera mit 
keinen neurotischen Erscheinungen verknüpft sind und anscheinend 
prompt heilen — schon oben wurde auf die diesbezüglichen Fest¬ 
stellungen Melchior’s hingewiesen —, stützt wiederum meine 
Auffassung vom neurogenen Ulkus insofern, als jene einen anderen 
Typus zeigen und nicht zum Ulcus chronicum führen. Die 
Auffassung von Eppinger und Hess steht etwa in der Mitte 
zwischen den beiden im kausalen Zusammenhang sich entgegen¬ 
stehenden Anschauungen. Eppinger und Hess meinen, dass, 
wenn der sog. Vagotoniker ein Ulkus hat, nunmehr seine neuro¬ 
tische Disposition Veranlassung gibt zu zahlreichen Beschwerden, 
die beim normalen Individuum nicht in die Erscheinung treten. 
Wer hier recht bat, das lässt sich nur dadurch entscheiden, dass 
man, wie wir es getan haben, nachsieht, ob das Ulkus bei jenen 
Neurotikern viel häufiger ist als bei anderen Individuen. In 
dieser Feststellung liegt die Schwierigkeit. Ich muss zugeben, 
dass auch die Prüfungen Wes tp ha Ts, gerade auch die pharma¬ 
kologischen, nicht jeder Kritik standhalten. Damals haben wir 
wohl noch zu unmittelbar unter dem Eindruck der noch die 
Kliniker beeinflussenden Vagotonielehre gestanden und haben ge- 


1) v. Bergmann, 42. Ohirurgen-Kongress 1913, Bd. 1, S. 68. — 
M.m.W., 1913, Nr. 4, Nr. 44, Nr. 51. — Westphal und Katsch, 
Mitt. Grenzgeb., 1913, Bd. 26, S. 391. — Westphal, D. Arch. t 
klin. M., Bd. 114, S. 327. 

2) Plönies, Die Reizungen des Nervus sympathious, bei Berg¬ 
mann, Wiesbaden 1902. 

3) Sohlesinger, Röntgendiagnostik der Magen-Darm-Krankheiten, 
Urban & Schwarzenberg 1917. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


meint, beispielsweise mit der Zählung der Pulsfrequenz nach 
Atropin und Adrenalin relativ eindeutige Resultate zu erhalten. 
Das ist nicht der Fall, und doch scheint es mir durch zu strenge 
Kritik über das Ziel hinaas gegangen, wenn man meint, ein 
Status des vegetativen Nervensystems Mess© sich überhaupt nicht 
aufstellen. Dem Kliniker ist sonst beim Status praesens auch ein 
gesteigerter Patellarreflex, der ja nichts weniger als pathognomisch 
18 t, nicht gleichgültig. So sollte uns auch die Feststellung, dass 
ein Mensch die vielfachen Dosen von Atropin verträgt wie ein 
Anderer, Ueberempfindlicher, ohne überhaupt Pupillenerschei- 
nungen oder Trockenheit im Munde zu bekommen, zur Notierung 
wichtig genug erscheinen und nicht als zu „subtil“ (Schur*), um 
Beachtung zu verdienen. Aehnlich steht es mit der Nikotinüber- 
empündlichkeit mancher Individuen usw. Zusammenfassend lässt 
sich sagen, wir sind weit davon entfernt, aus einer pharma¬ 
kologischen oder sonstigen Prüfung bestimmte Aussagen über 
eine Erregbarkeit im vegetativen Nervensystem zu machen. Wir 
können meist nicht einmal sagen, ob eine vermehrte Reaktion 
auf den Wegfall von Hemmungen oder auf einer vermehrten Er¬ 
regung im Förderungsapparat beruht. Wir können oft noch 
weniger sagen, ob im Hemmungs- oder im Förderungsapparate 
vom Zentrum her verkehrte Impulse verlaufen oder ob das 
Organ selbst im neuromuskulären Apparat sich übererregbar 
zeigt und doch wird die Häufung von sog. Stigmata im vege¬ 
tativen Nervensystem meist verbunden mit anderen nervösen 
Erscheinungen am zerebrospinalen Nervenapparat uns. einen 
besseren Schluss gestatten, ob ein Individuum von der Norm ab¬ 
weichend reagiert, als wenn wir wie der ältere Praktiker das 
noch meist tut, nur aus der Art, wie ein Patient seine Be¬ 
schwerden schildert und wie er sich dabei in Ausdruck und 
Gesten bei Anamnese und Untersuchung verhält, den Schluss 
ziehen, er ist nervös. 

So werden wir Menschen finden, gerade beim ruhigen Hol¬ 
steiner ist mir das so oft aufgefallen, denen man psychisch von 
einer leichten Erregbarkeit nichts anmerkt und bei denen erst 
ein näheres Kennenlernen der Eigenart dieser Menschen es er- 
scbliesst, dass der Kranke auch psychisch ungemein intensiv 
emotionell reagiert. Schon vor diesem Kennenlernen liess sich 
aber erfahren beispielsweise, dass ein Patient das Rauchen über¬ 
haupt nicht verträgt, dass er auf 1 mg Adrenalin bedroh¬ 
liche Erscheinungen bekommt, dass er an Ohnmächten, profusen 
Schweissen leidet, dass auf Physostigmin intensive Darmstörungen 
einsetzen, analog etwa dazu, dass der Patient auch sonst bei 
psychischen Alterationen Durchfall bekommt. Wir stehen da vor 
Festeilungen, die für den Kliniker heute schon ungemein wichtig 
sind, deren restlos befriedigende Analyse im wissenschaftlichen 
Sinne aber durchaus verfrüht ist. Versuche, hier in der Ana- 
lysierung schon weit vorzudringen — vor allem eben jener Ver¬ 
such von Eppinger und Hess —, haben eine nicht zu leugnende 
Verwirrung gestiftet, die Anlass gegeben hat, die ganze Art 
dieser Betrachtungsweise zu diskreditieren. Möge man doch 
weiter den mühevollen Weg gehen, erst ruhig die Abweichungen 
von der Norm festzustellen und zu notieren, wie das auch sonst 
in der Entwicklung der Neurologie geschehen ist; gibt es nicht 
auch im zerebrospinalen System genügend diagnostisch brauch¬ 
bare Feststellungen, die nicht mit Sicherheit auf bestimmt zu 
lokalisierende Störungen zurückzuführen sind? Man kombiniere 
diese Prüfungen des vegetativen Nervensystems nicht nur mit 
der Prüfung zerebrospinaler Symptome, etwa der Reflexsteige¬ 
rungen der Sensibilität usw., sondern auch mit der Feststellung 
anderer konstitutioneller Merkmale, Wuchsform, der Skelett¬ 
anlage, dem Muskeltonus der quergestreiften Muskulatur usw., 
kurz, den vielen Zeichen, wie wir sie etwa bei Stiller’s 1 ) Be¬ 
trachtungsweise aufgezählt finden, oder im Boticelli-Typus Tand- 
ler’s wiederfinden usw. Man wird nicht finden, dass sich die 
eine Gruppe mit der anderen deckt, aber viele sich schneidenden 
Kreise werden gefunden werden, und aus diesem Suchen nach 
konstitutionellen Merkmalen, die ein Zeichen der Zeit sind, der 
Zeit, die den konstitutionellen Begriff neubelebt hat, wird ein 
Fortschritt für die Lehre der Disposition auch des Ulcus pepti- 
cum resultieren. Ich verweise namentlich auf Bauer's 2 ) Buch, 
mit dem ich in der Auffassung von den Menschen, die im vege¬ 
tativen Nerveosystem gezeichnet sind, gtrt übereinstimme. Dass 
wir trotz alledem noch weit entfernt sind von exakten Fest- 


1) Stiller, Grundsüge der Asthenie, bei Enke 1916. 

2) Bauer, Konstitutionelle Disposition zu inneren Krankheiten, 
bei Springer 1917. 


Stellungen und Vorstellungen auf diesem Gebiete ist klar, wir 
können aber das Diagnostizieren solcher Störungen klinisch 
ebenso wenig mehr entbehren wie etwa die Diagnose Neur¬ 
asthenie. Organische) Vagusdegeneration und die besprochene 
Nervosität im vegetativen N. S, um die Extreme zu nennen, Bind 
freilich kaum vergleichbar, das Tertium comparationis liegt in 
abnormer Ansprechbarkeit^des Erfolgsorgans. 

Ist es denn nur jenes Allgemeine, die nervöse Komponente 
bei der Ulkusentstehung, die mich veranlasst, nochmals das 
Festhalten an meinem Standpunkt zu präzisieren, gewissermaassen 
die Neurogenie des Ulcus pepticum? 

Eine unmittelbar folgende Abhandlung wird das Lokale — 
die Spasmogenie in den Vordergrund stellen. 


Bacherbesprechungen. 

Hau Vaikinger: Nietzsche als Philosoph. Berlin 1916, Reuter 6 Bei- 
chard. 4. Aufl. 80 Seiten. 

Man sagt, Nietzsche sei zurzeit der am meisten gelesene Philo¬ 
soph und sein Zarathustra sei in ungezählten Exemplaren an die Front 
gewandert. Aber man kann füglich zweifeln, ob seine Werke richtig 
aufgefasst werden, ob nicht vielmehr jeder nur das herausliest, was er 
selber denkt oder zu denken wähnt. Es kommt hinzu, dass N. ein in 
tausend Lichtern und Farben glitzernder Geist ist, der mit seiner hin¬ 
reissenden Sprache, glänzenden Dialektik, lyrischen Symbolistik den 
Leser gefangen nimmt und über die Widersprüche seiner Erscheinung 
hinwegtäuscht. Aus dem Feuerwerk geistreicher Apercus und Apho¬ 
rismen ist es nicht leicht, den Autor in seinen Grundgedanken bzw. 
deren Entwicklung herauszuschälen. Das hat Vaihinger in der vor¬ 
liegenden Schrift mit scharfen Strichen getan. Er zeigt, wie N., von 
Schopenhauer ausgehend, Willen und Vorstellung als Wesen der 
Welt nahm und mit ihm die Qual des ewig unbefriedigten Willens als 
Pessimismus empfand; nur die Kunst bot ihm Befreiung aus dieser 
Qual des WHlens. Durch eine an Richard Wagner erlebte Enttäuschung 
warf N. sein bisheriges Kunstideal samt Schopenhauer über Bord 
und suchte in rein empirischen Studien (positivistische oder intellektua- 
listische Periode) neuen Ankergrund. Die Gesohichte und die geschicht¬ 
liche Entwicklung von Moral und Kultur mit ihren Ausblicken ver¬ 
drängten den Pessimismus, und wenn er in der dritten Periode wieder 
zur Willenslehre zurückkehrte, so war ihm jetzt dieser nicht mehr ein 
blinder, erlösungsbedürftiger, sondern ein lebensfroher, frischer Wille 
zur Macht. Als ein positiv gewendeter Schopenhauer trat Nietzsche 
von der Bühne des Lebens ab. 

Rücken wir diese Lehre von der Welt als Willen und den zur Ver¬ 
vollkommnung führenden entwicklungsgeschichtlichexi Gedanken in den 
Mittelpunkt, dann werden Nietzsche’s so oft überraschende Urteile 
begreiflich: er war Antipessimist, weil er im Kampf der verschiedenen 
Willenszentren immer den Kräftigeren, Tüchtigeren siegen sah. Er war 
antiohristlioh, weil er im Cnristentum den Anwalt der Schwäche, 
des Mitleids erblickte, welcher dem naturgewollten Prozess der Auslese 
in den Arm fällt. Er war Antidemokrat, weil der Darwinismus 
seinem Wesen nach aristokratisch ist. Er war antisozial, weil der 
Sozialismus in seiner öden Gleichmacherei der freien Betätigung der 
Individualitäten Fesseln an legt, welche die notwendige Höherentwicklung 
hindern. Er war Antifeminist, weil die Gleichstellung von Mann 
und Frau in der Frauenemanzipation die physiologische und psycho¬ 
logische Ungleichheit der Geschlechter aufheben will. Er war Anti¬ 
intellektualist, weil der Intellekt, das verstandesmässige Ab wägen, 
den instinktiven Machtwillen schwächt, die Energie lähmt. Schliesslich 
war Nietzsche Antimoralist, insofern er die landläufige Moral, 
welche Rücksicht auf den Schwächeren heischt, als eine Verfälschung 
der biologischen und historischen Gesetze erachtete, wonaoh nur der 
Starke überlebt. Tapferkeit, Energie, Mut war ihm Herrenmoral; Milde, 
Nachsicht, Mitleid aber Sklavenmoral. 

Eine Reihe gleicher Gedanken finden wir auch bei früheren Denkern, 
so wenn Kant die Volksmajestät einen „ungereimten Ausdruck* nennt, 
oder wenn Fichte das Bedürfnis des Handelns für das Primäre, das 
Erkennen, den Intellekt, für das Abgeleitete erklärt. Aber spezifisch 
für Nietzsche scheint mir das einseitige Herausheben des Individuums 
und das Untersohätzeu des Rechts der anderen zu sein. Vor 100 Jahren 
hätte N. kaum dieselbe Resonanz gefunden wie heute. Je ausgesprochener 
egoistisch eine Zeit oder der Einzelne denken, um so grösseren Beifall 
werden sie ihm spenden. Für den kühlen Beobachter aber ist eben 
dieser Beifall nicht sowohl ein Beweis für die Richtigkeit des einen 
oder anderen Philosophen, sondern ein diagnostisches Zeichen für die 
Denkweise des Applaudanten. Buttersack. 


K. Sauemana: Der Dieast des flafeaarztes Sa HaMbarg. Dritter Be¬ 
richt (1908-1912.) Arch. f. Schiffs- u. Trop.-Hyg., 1918, Bd. 22, 
Beiheft 1. 111 Seiten. 

Der Bericht bietet ein über den Kreis der Aerzte der Handelt- 
und Kriegsmarine hinäusreichendes allgemeineres ärztliches Interesse 
insofern, als er zeigt, wie, in welchem Umfange and mit welohem Er- 


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3. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


529 


folge der Seuoheneinschleppung in unser Land im Seeverkehr sowie 
durch den Auswanderer- und Rückwandererstrom begegnet wird. 

Sein erster organisatorischer Teil behandelt zunächst den 
häfenärztliohen Dienst im engeren Sinne. Dieser umfasst die ge¬ 
sundheitliche Ueberwaohung der Schiffe, Abtransport und Unterbringung 
der Kranken, Abwehr übertragbarer Krankheiten, insbesondere der Pest 
(Rattenverniohtung mit dem eingehend geschilderten Nocht-Giemsa’schen 
Verfahren) und Cholera, sowie die eng damit verknüpften Einrich¬ 
tungen für Wasserversorgung der Schiffe und Beseitigung ihrer Abfall- 
Stoffe. Weiter werden der quarantäneärztliohe Dienst und sein 
Stützpunkt, die Quarantäneanstalt zu Cuxhaven, geschildert, endlich der 
ärztliche Dienst im Auswandererwesen, der erheblioh unter¬ 
stützt wird duroh die 1901 errichteten und 1906 erweiterten „ Aus¬ 
wandererhai len“ der Hamburg-Amerikalinie. 

Der zweite Berichtsteil bringt statistische Angaben zu den 3 Ab¬ 
schnitten des ersten, die zugleich einen Einblick in die Morbidität und 
Mortalität der Seeleute der Handelsmarine überhaupt gestatten. Die 
Statistik umfasst alle im Berichtszeitraum nach Hamburg gekommenen 
Sohiffe (auch die ausländischen) und enthält nur absolute Zahlen, da 
sich eine einwandfreie Feststellung der Besatzungskopfstärke als Grund¬ 
lage zur Errechnung von Verhältniszahlen nicht ermöglichen liess. 

Um nur einiges Wenige herauszugreifen, so wurden in Hamburg 
im Durohschnitt jährlich rund 11 950 neu angekommene Schiffe mit 
259 000 Personen an Bord untersucht. Wegen ihrer Herkunft aus pest- 
oder oholeraverseuchten Häfen oder Vorkommens verdächtiger Krank¬ 
heitsfälle an Bord wurden durchschnittlich jährlich rund 1100 Schiffe 
mit 58 000 Personen bei der Quarantäneanstalt einer Untersuchung 
unterworfen. Unter den auf den ein laufenden Schiffen ermittelten 
Todesursachen steht der gewaltsame Tod (znmeist durch Ertrinken) 
mit 42,7 pCt. an erster Stelle. Von inneren Krankheiten verursachten 
hauptsächlich Malaria und Beriberi, dann Lungenentzündung und Tuber¬ 
kulose den Tod. Es folgen nähere statistische Mitteilungen über 
„äussere Erkrankungen“, in die sämtliche Haut-, sowie Augen-, 
Nasen- und Ohrenleiden eingerechnet sind, über die „inneren Er¬ 
krankungen*, von denen als die wichtigsten Malaria, Beriberi, Tuber¬ 
kulose, Typhus, Ruhr, Cholera, Pest, Pocken, Gelbfieber und Aussatz 
ausführlicher behandelt sind, endlich über Geschlechtskrankheiten, 
deren ungeheure Verbreitung unter der seefahrenden Bevölkerung auch 
hier wieder sich bestätigt findet. Die sanitäre Ueberwachung der Aus¬ 
wanderer ist dem Hafenarzte Ende 1906 übertragen worden. 1907—12 
wurden 657 000 Auswanderer abgefertigt, rund 69 pCt männlichen, 
31 pCt. weiblichen Geschlechts. Ihr Gesundheitszustand war im all¬ 
gemeinen gut. Neben Krankheiten der Atmungsorgane wurden haupt- 
säohlich Kinder betreffende akute Infektionskrankheiten ermittelt; von 
Seuchen im engeren Sinne kamen nur Pooken vor. 

Im ganzen gibt der Bericht ein anschauliches Bild wohlorganisierter 
nutzbringender ärztlicher Arbeit für das Gemeinwohl und bietet zu¬ 
gleich wertvolles Material für das Studium schiffsärztlicher und -hy¬ 
gienischer Sonderfragen. Weber. 


Literatur-Auszüge. 

Therapie. 

Bürgers: Ueber Rnhrgchitiinpfawg. (D.m.W., 1918, Nr. 17.) Ver¬ 
suche mit „Dyspakta“ zur Ruhrsohutzimpfuog haben gute Resultate er¬ 
geben. Die Morbidität der Geimpften verhielt sich zu der der Nicht¬ 
geimpften, welche an denselben Orten unter den gleichen Lebens¬ 
bedingungen waren, wie 1:3,3. Die Mortalität betrug bei den Ge¬ 
impften 0 pCt., bei den Niohtgeimpften 1,9 pCt. Bei bereits ausge¬ 
brochener Ruhr hatten die Ruhrschutzimpfungen guten Erfolg. 

Geiger-Strassburg: Ueber die Behandlung der Typhisbaiillew- 
träger mit Zystiwqaeeksllber. (D.m.W., 1918, Nr. 18.) Die Versuche 
Geiger’s zeigen, dass es nicht gelingt, Typhusbazillenträger mit dem 
von Stüber angegebenem Zystinquecksilber zur Heilung zu bringen. 

Wilutoki-Wilhelmshaven: Neosalvarsai hei StMiig im Pfort- 
aderkreielanf. (D.m.W., 1918, Nr. 18.) Bei einem Patienten mit syphi¬ 
litischer Lebererkrankung (Hepar lobatum), kombiniert mit periportalen 
Gummen oder Drüsenpaketen, führte die eingeschlagene Salvarsan-Jod- 
kalitberapie, ohne Intoxikationserscheinuogen hervorzurufen, zu einem 
überraschend günstigen Erfolge, weshalb bei ähnlichen Fällen stets ein 
Versuch mit intravenösen Neosalvarsaninjektionen und Jodkali angezeigt 
erscheint. Dünner. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

M. Askanazy: Einige Grundprobleme der Gesekwilstlehre. (Zbl. 
f. Path-, 1918, Nr. 3.) Verf. bespricht in gedrängter Form die Momente, 
welche zu Form- und Lagevariationen bei Blastomen gleichartigen Ur¬ 
sprungs führen können. Sooin. 

E. Krompe oh er-Budapest: Zur Histogenese und Morphologie der 
Adamantiiome nnd sonstiger Kiefergesehwülste. (Ziegl. Beitr. z. path. 
Anat., 1918, Bd. 64, H. 2.) Das Adamantinom stellt weder histologisoh 
noch morphologisch eine einheitliche Gesohwulst dar. Während der 
grösste Teil der Geschwülste von den versprengten Epithelhaufen des 


Schmelzkeimes ihren Ausgang nehmen, kommt bei einem Teil derselben 
nach der Ansicht des Verf. das geschichtete Pflasterepithel der Mund¬ 
schleimhaut als Ausgangspunkt in Betracht. Morphologisch entstehen 
verschiedenartige Geschwülste durch verschiedenartige Degeneration der 
indifferenten Epitbelstränge, Sternsellen-, Kolloidzellen- und Lipoidzellen¬ 
zysten. Diese zystischen Anwandlungen können zum Teil auch bei 
Basalzellentumoren beobachtet werden; andererseits entstehen auch bei 
den Adamantinomen zystische Räume durch körnigen Zerfall der Zellen, 
wie sie einem gewöhnlichen zystischen Basalzellentumor entsprechen. 
Auch andere Momente, wie das Auftreten von Zylinderzellen und von 
zwiebelsohalenartig geschichteten Zellgebilden, lassen das Adamantinom 
als ein in einer gewissen Richtung mehr oder weniger differenziertes 
Basaliom betrachten. 

M. Heidenhain-Tübingen: Ueber progressive Veränderungen dop 
Miskilatnr bei Myotonia atrophica, (Ziegl. Beitr. z. path. Anat., 1918, 
Bd. 64, H. 2.) Neben den üblichen Befunden von degenerativen und 
regenerativ hypertrophischen Zuständen am Muskel, wie Verschmälerung 
der Fasern, Homogenisierung des Inhalts, abnorme Färbbarkeit, Zer- 
reissungen der Substanz innerhalb des Sarkolemmschlauches, Einwande¬ 
rung von Leukozyten in das Faserinnere, sowie Vermehrung der Muskel¬ 
kerne und kompensatorisrhe Hypertrophie der im funktionsfähigen Zu¬ 
stand gebliebenen Fasern konnte Verf. an der Peripherie einzelner 
Muskel zirkulär gelagerte quergestreifte Muskelbinden konstatieren, die 
unter dem Sarkolemm sich fanden und in wechselnder Breite ausgebildet 
waren. Die Erklärung für das Auftreten dieser Ringbinden bei der 
Myotonia atrophica sucht Verf. mit der erhöhten Tangentialspannung 
und der fortgesetzten Innervationsanstrengung zur Ueberwindung der 
tonisohen Zustände in Beziehung zu bringen. Solche muskuläre Ring¬ 
binden konnten bisher vom Verf. nur an der Muskulatur von Myotonikern 
beobachtet werden. 

W. Berblinger-Marbnrg: Ueber die Regeneration der Achsen- 
sylinder in resezierten Schnssnarben peripherer Nerven. (Ziegl. Beitr. 
z. path. Anat., 1918, Bd. 64, H 2.) Aus den Schwan’schen Zellen des 
zentralen' und peripheren Stumpfes, manchmal auch von unverletzten 
Nerventeilen, entstehen duroh Wucherung ZellsträDge— Plasmabänder — 
zur Verbindung der durchtrennten Faserenden. Ausserdem kommen 
auch Wucherungen in Form von Endkolben und Astbildungen an juDgen 
Fasern der Narbe vor. Diese Wucherungen unterscheiden sich von 
ähnlichen Degenerationsbildungen durch das Fehlen der Produkte des 
granulären Zerfalls, durch die Dauer ihres Bestehens und durch ihre 
Waohstumsrichtung nach der Peripherie. Die einzelnen Neurofibrillen 
des Achsen Zylinders aus dem zentralen Stumpfende können sioh lebend 
erhalten und regenerationsfähig sein (Bildung von Kollateralen, Ge¬ 
winden). Die Faserneubildung ist im oberen Teil der Narbe, am 
proximalen Ende des zentralen Segmentes meist eine beträchtliche, 
während im peripheren Segmente keine Zeichen von autogener Regene¬ 
ration wahrnehmbar sind. Neben der im zentralen Stumpfe beim 
Menschen sich lange erhaltenden traumatischen Degeneration ist mit 
Wahrscheinlichkeit noch eine zweite, vielleicht toxische Degeneration, 
anzunehmen, die wenigstens an alten Fasern vorkommt. Manohe nega¬ 
tiven Resultate der Nervennaht naoh Resektion der Narbe wurden durch 
diese erklärt. Sohönberg. 

0. Heitzmann: Ueber das Vorkommen von Fetttropfea iw den 
Lymphksötchea der Milz. (Zbl. f. Path., 1918, Nr. 3.) Bei einem an 
Pneumonie gestorbenen 26 jährigen Mann mit einer Reihe von Gangrän- 
berden an den Spitzen der Extremitäten, fanden sich in den Follikeln 
der Milz und, spärlicher, in feinen Lungen- und Nierengefässen, sowie 
in den Sternzellen der Leber Fetttröpfohen. Verf. schliesst hieraus auf 
eine wahrscheinlich diabetische Lipämie. Das Pankreas war unverändert. 
- Sooin. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Sohürmann: Ueber das Vorkommen von paragglatinablen Bakterien 
und ihre Verwendung zu neuen Serumreaktionen bei nichtbakteriellen 
Infektionskrankheiten, insbesondere bei der Syphilis. (D.m.W., 1918, 
Nr. 17.) Ausser bei Ruhr fand Sch. bei Typhus und bei Paratyphus B 
paragglutinable Koli. Bei Fällen von sicherer Rekurrens wurden aus 
dem Blut eigenartige Kokken gezüchtet, die von dem Serum der Kranken 
deutlich agglutiniert wurden, während in stärker konzentriertem Normal¬ 
serum und anderen Seren nur eine ganz schwache Ausflockung zu be¬ 
merken war. Aus dem Urin von Syphilitikern züchtete er Mikro¬ 
organismen, die von dem Serum der Syphilitiker agglutiniert wurden. 

Sa oh s-Frankfurt a. M Zur Kenntnis derWeil-Felix’schei Reaktion. 
Serodiagnostik des Flecbfiebers, II. (D.m.W., 1918, Nr. 17.) 1. Auf 

80 Grad erhitzte X 19 -Bazillenaufschwemmungen wiesen gegenüber einigen 
Fleckfiebersera noch nach % Jahren ihre volle Agglutinabilität auf, 
während die-gleiche Aufschwemmung von lebenden Bazillen die Agglu- 
tinabiliät fast vollständig eingebüsst batte. 2. Während die Agglutina¬ 
bilität von X l9 -Bazillen gegenüber einem agglutinierenden Immunserum 
duroh Erhitzen auf 80 Grad keine Abnahme erfährt, nimmt das Agglu¬ 
tininbindungsvermögen der Bazillen mit fortschreitendem Erwärmen ab. 
3. Auf 80 Grad erhitzte Aufschwemmungen von X,- und X s -Bazillen 
einerseits und X iB Bazillen andererseits Hessen sich agglutinatorisoh 
duroh Kaninohenantisera scharf differenzieren, während die gleichen 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Immunsera auf die lebenden Bazillenaufschwemmungen mehr oder 
weniger stark Übergriffen. 

Dien es-Budapest : Die abneraen 8ernnreaktionen bei Fleck - 
fleber. (D.m.W,, 1918, Nr. 17.) D. hat früher nachgewiesen, dass im 
Serum von Fleckfieberkranken häufig Agglutination mit Dysenterie¬ 
bakterien ist. Man kann daraus entnehmen, dass die Keime in grösserem 
Maasse im Zeitpunkt einer Epidemie verbreitet sind, und dass während 
einer Fleckfiebererkrankung die Krankheit sicher nicht verursachende 
Keime sehr hochgehende Serumagglutination auszulösen vermag. Der 
fleckfieberkranke Organismus reagiert auf die Anwesenheit einiger Bak¬ 
terienarten mit sehr starker Agglutininbildung. Es gelang D. auch, 
Kolibazillen zu züchten, die vom Serum der Fleokfieberkranken agglu- 
tiniert wurden. Die Zahl ist freilioh sehr gering. Dünner. 


Innere Medizin. 

R. Berg-Weisser Hirsch: Untersuchungen über den Mineralstoff- 
Wechsel. IV. III. Untersuchungen bei Hämophilie. (Zschr. f. klin. 
M., Bd. 85, H. 5 u. 6.) Der Fall war schon Gegenstand verschiedener 
Publikationen des Verf. Es war festgestellt worden, dass schon beim 
Herannahen eines Anfalles die Ausscheidung von vollständig abgebauten 
Stickstoffverbindungen stark verringert wurde. Bei einer erneuten Be¬ 
obachtung des Patienten wurden nun die statt des Harnstoffes auf¬ 
tretenden Stickstoffverbindungen, die im ersten Versuoh als Reststick¬ 
stoff kurz bezeichnet worden waren, genauer analysiert. Näheres siehe 
Original. 

R. Kl in ger-Zürich: Studien über Hämophilie. (Zschr. f. klin. 
M., Bd, 85, H. 5 u. 6.) K.’s Anschauungen über die Pathogenese der 
Hämophilie basieren auf der von ihm und Herzfeld aufgestellten neuen 
Gerinnungstheorie, nach welcher das Thrombin kein Ferment ist, sondern 
durch proteolytische Aufspaltung aus höher zusammengesetzten Eiweiss- 
abbauprodukten hervorgeht. Die entstehenden polypeptidartigen Abbau¬ 
produkte stellen nach ihrer Bindung an Kalksalze das Tbrombin vor. 
Die eigentliche Ursache der schlechten Gerinnbarkeit des hämophilen 
Blutes ist in einer unzureichenden Thrombinbildung zu suchen. Die 
Ursache hierfür beruht auf einem Mangel an Prothrombin. Die Ursache 
hierfür ist aber unbekannt. Eine Minderwertigkeit der Blutplättchen 
besteht nicht. Ausserdem muss aber auch noch für die multiplen 
Blutungen bei Hämophilie eine veränderte Durchlässigkeit der Gefässe 
angenommen werden, deren Ursache und Wesen unbekannt ist. Verf. 
bestreitet auch die wesentliche Rolle der Blutplättchen bei andern 
hämorrhagischen Diathesen, wie sie besonders neuerdings nach dem Vor¬ 
gang französischer Autoren von Frank hervorgehoben worden ist 
Therapeutisch empfiehlt K. für die lokale Behandlung von Blutungen 
starke Aktivatorlösungen, besonders Presssaft frischer Organe, für die 
Allgemeinbehandlung, die Transfusion von zitriertem Normalblut. Für 
die Möglichkeit, die hämophile Konstitution an sich zu beeinflussen, fehlt 
uns zurzeit jeder sichere Anhaltspunkt. 

A. Fab er-Kopenhagen: Die Zunge als Spiegel des Magens, ins¬ 
besondere deren Verhältnisse bei der Achylie nnd der perniziösen 
Anämie. (Zsohr. f. klin. M., Bd. 85, H. 3 u. 4.) Die Schleimhaut der 
Zunge beteiligt sich bei der perniziösen Anämie an der allgemeinen 
gastro-intestinalen Atrophie. Die Zungenschleimhautatropbie, die klinisch 
sehr charakteristisch ist, ist ein frühes Symptom bei der perniziösen 
Anämie und wahrscheinlich immer vorhanden. Sie wird aber auch bei 
anderen Erkrankungen mit Atrophie der Magenschleimhaut gefunden, 
wie bei Magenkrebs, Tuberkulose usw. Ihr Vorhandensein bedeutet des¬ 
halb stets eine Acbylia gastrica. Bei chronisch dyspeptischen Zuständen 
findet man einen gleichmässigen Uebergang zwischen der reinen Zunge 
mit kleinen oder fehlenden Papillen und der Magenaohylie auf der einen 
Seite, und die stark belegte Zunge mit normalen oder grossen Papillen 
und mit schwächerer oder kräftigerer Salzsäuresekretion im Magen auf 
der anderen Seite. Bei Krankheiten, die Atrophie der Magenschleimhaut 
mit sich führen, ist die Reaktion des Speichels gewöhnlich stark sauer. 

Weinberg-Rostock: Karzinom ud perniziöse Anämie. (Zschr. 
f. klin. M., Bd. 85, H. 5 u. 6.) Es wird ein Fall von perniziöser Anämie 
mitgeteilt, in dessen Verlauf ein Magenkarzinom auftrat Gleichzeitig 
änderte sioh der Blutbefund insofern, als an Stelle des hyperchromen 
Blutbildes ein hypochromes auftrat, wie es für die sekundäre einfache 
Anämie charakteristisch ist. Verf. fand auch in einem zweiten Falle von 
Magenkarzinom das Blutbild der perniziösen Anämie, hält es aber für 
nicht ganz sicher, ob hier das Karzinom die perniziöse Anämie hervor¬ 
gebracht hat oder eine Kombination beider Krankheiten vorliegt. Die 
gleiche Unsicherheit besteht bezüglich der übrigen in der Literatur 
publizierten Fälle von Karzinomen mit perniziös-anämischem Blutbild, 
so dass es bisher noch nicht als endgültig bewiesen gelten kann, obein 
Karzinom ein perniziös-anämisches Blutbild hervorrufen kann. 

H. Hirschfeld. 

Sin ger-Wien: Zur radiologischen Diagnose des Magen- and 
Daodenalgeschwärs. (D.m.W., 1918, Nr. 17.) S. bespricht die Diagnostik 
besonders des Duodenalgeschwürs und erwähnt, dass der für Duodenal¬ 
geschwür angegebene Hungerschmerz auch bei Gholelithiasis vorkommt. 
Lungentuberkulose geht auch häufig mit gastrischen Beschwerden einher, 
die zur Verwechslung mit Magen- bzw. Duodenalgeschwüren führen. Der 
Blutnaohweis im Stuhl ist namentlich bei Kriegsteilnehmern nicht mehr 
unbedingt maassgebend für Magengeschwüre, weil die Soldaten häufig 


Ruhr durchgemacht haben und eine gewisse Verwundbarkeit oder leichte 
Reizbarkeit der Darmsohleimhaut zurückbehalten haben, die manchmal 
zu Blutaustritt Ursache gibt. Besprechung der radiologischen Symptome 
der Magendarmgesohwüre. Dünner. 

Walterhöfer: Beiträge zur Klinik des Paratyphns A. (Zschr. f. 
klin. M., Bd. 85, H. 5 u. 6.) Verf. beobachtete in einem Reservelazarett 
in Nürnberg zahlreiche Fälle von Paratyphus A, die aus Mazedonien 
stammten. Sie verliefen unter dem klinischen Bilde eines Typhus, und 
die Differentialdiagnose konnte nur bakteriologisch entschieden werden. 
Komplikationen, die beobachtet wurden, waren: Zentrale Schwerhörigkeit, 
Neuritis, Neuralgien, Thrombosen, Leberschwellung, Ikterus, Myositis, 
Arrhythmien, Tachykardien, Otitits media und hämorrhagische Diathese. 
Rezidive kamen häufig vor, ebenso Dauerausscheidungen bis zu 138 Tagen. 
Die Mortalität war = 0. H. Hirschfeld. 

Kathe-Breslau: Zur Rnhrfrage. (D.m.W., 1918, Nr. 18.) l.Die 
Ruhr, wenigstens die durch die giftarmen Typen des Dysenteriebazillus 
(Flexner, Y) verursachten Formen, war in Deutschland auch schon vor 
dem Kriege ungleich verbreiteter, als gemeinhin angenommen wird. 
2. Diese einheimische Ruhr verläuft vielfach unter dem Bilde leichter 
Magen-Darmstörungen, wird ambulant durohgemacht, entgeht so der 
ärztlichen Behandlung und der Feststellung. 3. „Diätfehler“, Störungen 
der Magen-Darmfunktionen begünstigen die Ruhrinfektion. 4. Vor allem 
im Stellungskriege ist eine Hauptursache der Verbreitung der Ruhr die 
Fiiegenplage. Die wichtigste Bekämpfungsmaassnahme, die sich bis in 
den vordersten Schützengraben erstrecken muss, ist die Einrichtung ge¬ 
schlossener, fliegendichter Latrinen. 5. Ruhrbazillenträger sind chronisch 
Ruhrkranke. Zu ihrem Nachweise verwendet man mit Vorteil die 
Rektoskopie, kombiniert mit üblichen serologisch-bakteriologischen Ver¬ 
fahren. Dünner. 

Jungmann und Kuczynski: Zur Aetiologie und Pathogenese des 
wolhyniscken Fiebers ud dee Fleekfleben. (Zschr. f. klin. M., Bd. 85, 
H. 3 u. 4.) Das wolbynische Fieber kommt nicht nur in der zuerst von 
His und Werner beschriebenen Form eines periodischen in ungefähr 
fünftägigem Rhythmus wiederkehrenden Fiebers, sondern auch in Form 
welliger Fieberbewegungen mit septischem Verlauf der Temperatur und 
endlich in ganz rudimentärer Form vor. Dass alle diese verschiedenen 
Verlaufsarten aber nur Varietäten derselben Krankheiten sind, beweist 
ihr herdförmiges Auftreten besonders zu Beginn der rauhen Jahreszeit. 
Ferner ist es den Autoren gelungen, die einheitliche Aetiologie aller 
dieser Formen nachsuweisen. Sie fanden im peripheren Blut sehr kleine 
Gebilde, die aus zwei polständigen mit Giemsa sich rötlich-violett 
färbenden Kügelchen bestehen, die durch eine schwächer färbbare Brücke 
miteinander verbunden sind. Am besten lassen sich diese Organismen, 
die zu den Strongyioplasmen gerechnet werden, im dicken Blutstropfen 
naohweisen, der nach Antrocknung entwässert, dann mit Methylalkohol 
10 Minuten filiert und danach 3—4 Stunden in GiemsalösuDg (1 Tropfen 
auf 2 ccm Wasser) gefärbt wird. Gans identische Gebilde finden sich 
auch im Blute von Fleckfieberkranken während der ersten Tage des 
Exanthems. Ferner lassen sie sich im Darmepithel von Läusen nach- 
weisen, die an Fleckfieberkranken oder an Kranken mit wolhynischem 
Fieber gesaugt haben. Trotz der morphologischen Uebereinstimmung 
der beim Fleckfieber gefundenen Rickettsien mit denen beim wolhynischen 
Fieber handelt es sich doch um verschiedenartige, wenn auch verwandte 
Lebewesen. Der Erreger des wolhynischen Fiebers wird daher Rickettsia 
wolhynica genannt. Die Infektion von Menschen ist nur durch Ueber- 
tragung in die Blutbahn möglich. Abbildungen illustrieren die Befunde 
der Verfasser. 

Arneth: Beobachtungen bei den jetzt vorkommenden Erkrankungen 
an periodischen Fieber. (Zschr. f. klin. M., Bd. 85, H. 3 u. 4.) Die 
Arbeit ist ein Nachtrag zu der Publikation des Verf. in Bd. 84, H. 3 u. 4 
dieser Zeitschrift und schildert zunächst Abweichungen von der früher 
beschriebenen Symptomatologie. Die Ansteokungsfähigkeit des Leidens 
ist jetzt eine bedeutendere. Die Pyramidonbehandlung erwies sich als 
palliativ am besten. Neosalvarsan hatte keine Wirkung. Prophylaktisch 
werden häufige Entlausungen empfohlen. 

Gudzent: Beiträge zur Kenntnis der Weil’scken Krankheit 
(Zschr. f. klin. M., Bd. 85, H. 3 u. 4.) Verf. hat 22 Fälle von Weil’scher 
Krankheit beobachtet und berichtet über seine Erfahrungen. Die 
Symptomatologie wird eingehend geschildert und dann Prognose, 
Differentialdiagnose und Therapie besprochen. 

Zlocisti: Die Weil-FelixFlecklieberreaktioa und ihre klinische 
Bedeutung. (Zschr. f. klin. M., Bd. 85, H. 3 u. 4.) Ausführliche Studien 
über die Weil-Felix’sche Reaktion, deren hohe diagnostische Verwertbarkeit 
bestätigt wird. Sie tritt in 100 pGt. der Fälle auf und kommt nur bei 
Fleokfieber vor, ist daher spezifisch. Sie wird erst im Laufe der ersten 
Woche nachweisbar, in seltenen Fällen erst später. Titerhöhen von 1:100 
sind immer beweiskräftig, Titerhöben von 1:25 und 1:50 nur dann, 
wenn die Reaktion vorher bei niedriger Verdünnung negativ ausgefallen 
war. Die Weil-Felix’sche Reaktion hat auch prognostische Bedeutung, 
da schwerste Fälle durch mangelnde oder ungenügende Fähigkeit zur 
Agglutination ausgezeichnet sind. Am Schluss beschäftigt sich der Verf. 
mit der Erklärung der Reaktion, ohne zu einem abschliessenden Ergebnis 
zu kommen. H. Hirschfeld. 

Neumann: Zur Behandlung hartnäckiger, scheinbar chinin- 

resistenter Malariafälle. (D.m.W., 1918, Nr. 18.) Die Teicbmann’ache 
verstärkte Güininbehandlung besteht darin, dass nach 2—4 wöchiger 


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3. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


531 


Chininpause sehn Tage lang Chinin in steigender Dosis bis 1,8 g gegeben 
und dies nach einer Pause yon acht Tagen wiederholt wird. Diese ver¬ 
stärkte Chi ein d Erreichung erwies sich jedoch bei einzelnen Fällen von 
N. nicht immer als notwendig; denn in der Chininpause verschwanden 
bei sechs Fällen die Parasiten. Dünner. 

E. Schmidt-Prag: üeber pyrogenetisches Reaktieasvermb'gei als 
konstitutionelles Merkzeichen, unter besonderer Berücksichtigung des 
Diabetes mellitus. (Zschr. f. klin. M., Bd. 85, H. 8 u. 4.) Klinische 
Beobachtungen sprechen für die Annahme, dass verschiedene Individuen 
infolge eigenartiger konstitutioneller Veranlagung auf qualitativ und 
quantitativ gleiche pyrogene Noxen in graduell verschiedenartiger Weise 
pyrogenetisch reagieren. Auf dem Wege intraglutäaler Injektionen von 
Milch ergibt sich die Möglichkeit, das jeweilige pyrogenetische Reaktions¬ 
vermögen wenigstens in der Richtung des aseptischen Fiebers funktionell 
zu überprüfen. Diabetiker haben ein hochgradig herabgesetztes pyro¬ 
genetisches Reaktionsvermögen, ebenso Krebskranke und Individuen bei 
postinfektiösen Zuständen. Auffällig intensiv dagegen reagieren vielfach 
perniziöse Anämien. Man muss zur Erklärung dieses Verhaltens abnorme 
Erregbarkeits- und Tonuszustände der Wärmezentren annehmen; dieser 
Faktor muss daher auch bei Beurteilung der Reaktionen nach Tuberkulin¬ 
injektionen berücksichtigt werden. Fehlende oder geringe Pyrogenese 
nach Milchinjektionen geht fast stets einher mit fehlenden oder geringen 
fieberhaften Reaktionen nach Tuberkulininjektionen. Bei afebril ver¬ 
laufender Tuberkulose gestattet die Ueberprüfung des pyrogenetischen 
Reaktionsvermögens mit Wahrscheinlichkeit zu entscheiden, ob der 
Mangel des Fiebers auf einem reaktiven Torpor der Wärmezentren beruht 
oder auf einer geringen pyrogenen Potenz des Krankheitserregers. 

Forsch b ach -Breslau: Ueber Ausscheiden^ eines roten Farb¬ 
stoffes im Harn. (Zschr. f. klin. M., Bd. 85, H. 5 u. 6.) Der mitgeteilte 
Fall ist ein Analagon zu dem von Gutstein in Bd. 84, H. 8 u. 4 dieser 
Zeitschrift publizierten. In einem Falle von Nephritis mit urämisohen 
Anfällen zeigte der vom Tage gesammelte Harn nach dem Stehen über 
Naoht einen rosaroten Farbenton und auch im Blutserum entstand eine 
rote Färbung nach längerem Stehen. Auf Grund der chemischen Unter¬ 
suchungen rechnet Verf. den Farbstoff zu den Indolfarbstoffen. Sein 
Vorhandensein im Blute zeigt unzweideutig, dass er das Produkt einer 
Stoffwechselanomalie ist, und dass die Niere durch seine Ausscheidung 
zur entzündlichen Reaktion gebracht wurde. H. Hirschfeld. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Abelsdorff: Aknte retrobnlbäre Sehnervenenentzünding bei 
Myelitis mit Sektionsbefund. (Zschr. f. klin. M., Bd. 85, H. 5 u. 6.) 
Bei einem an akuter Myelitis erkrankten jungen Mädchen trat auf dem 
linken Auge eine Erblindung mit den Symptomen einer Neuritis retro- 
bulbaris auf. Innerhalb zweier Wochen bildeten sich die Sehstörungen 
zurück und blieben bis zum Tode unverändert. Trotzdem wurde ana¬ 
tomisch ausgedehnter Markscheidenzerfall im linken Sehnerv mit einzelnen 
Degenerationsherden im Ghiasma und dem linken Traktus festgestellt. 

H. Hirsohfeld. 


Kinderheilkunde. 

M. Thiemich-Leipzig: Zur Frage des vorioitigea Rückganges 
und Versagens der Laktation. (Mschr. f. Kindblk., Bd. 14, H. 6, 
S. 815.) Bei dem vorzeitigen Rückgang der Laktation ist zu unter¬ 
scheiden zwischen dem Anteil, den die Mutter, und dem, den das Kind 
hieran hat. Th. bringt zu dem Thema eine Reihe genauer klinischer 
Beobachtungen, von denen die insbesondere interessieren, wo es auch 
io der Klinik gelang, die Milchsekretion im Gange zu halten. Th. steht 
auf dem Standpunkt, dass es auch eine anatomische Insuffizienz der 
Milchdrüse gibt, allerdings nicht mit vollkommener Agalaktie, aber doch 
mit Hypofunktion, wie sie jedes Organ des menschlichen Körpers auf¬ 
weisen kann. Wie weit Krankheiten der Mutter, abgesehen von denen 
der Genitalorgane, einen Rückgang der Laktation herbeiführen können, 
ist unsicher. Unterernährung hat ebenso wie Ueberernährung und fett¬ 
reiche Kost einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Milchmenge. Das¬ 
selbe gilt auch von der Verabreichung von Alkohol. Körperliche Arbeit 
darf bei manohen Müttern ein gewisses Maass nicht überschreiten, wenn 
dadurch die Milchabsonderung nicht gestört werden soll. Einflüsse des 
Nervensystems, depressive Verstimmungen beeinträchtigen die Milch- 
sekrefion nicht, allenfails kann es zu einem krampfhaften Schluss der 
Warzenmuskulatur kommen. Alle empfohlenen Laktagoga einschliesslich 
des Sekretins* von Basch haben bisher wissenschaftlicher Prüfung be¬ 
züglich ihrer Wirksamkeit nicht Stand gehalten. 

C. de Lange-Amsterdam: Zur Leberzirrhose im 8änglingsalter. 
(Mschr. f. Kindblk., 1918, Bd. 14, H. 6, S. 851.) Drei einschlägige 
Fälle: Der erste, bei dem Lues ausgeschlossen werden konnte, lag vor 
bei einem Kinde mit Situs inversus, weshalb an einen Bildungsfehler 
als Ursache der Zirrhose gedacht wernen musste; doch waren Gallen¬ 
wege und -kapillaren normal, und der Stuhl enthielt viel Urobilin. Die 
Aetiologie blieb unklar. Das letzte galt auch von dem zweiten Fall, 
einer reinen Laennec’sohen Zirrhose bei einem Säugling; Lues, Alkohol, 
Infetionskrankheiten einschliesslich Tuberkulose kamen ätiologisch nicht 
in Betracht. Beim dritten Fall handelte es sich um Lues und Staphy¬ 
lokokkensepsis. 


F. Glaser-Berlin-Sohöneberg: Ueber javeaile primäre Sehrnmpf- 
■iere. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 2, S. 95.) Es handelte sich 
um einen 10 jährigen idiotischen Knaben, bei dem ohne vorausgegangene 
Infektion Polyurie und Polydypsie bei niedrigem spezifischen Gewicht des 
Urins bestand. Histologisch fanden sich keine Entzündungsprozesse der 
Glomeruli, dagegen schwere herdförmige Schrumpfungsprozesse in der 
Niere. Die Mutter litt im Wochenbett an Nierenentzündung, eine 
Schwester ging gleichfalls an Nierenleiden zugrunde. Danach handelte 
es sich um eine hereditäre Form der Granularniere. 

S. Meyer-Berlin: Die Heilungsaussichten der Banchtnberknlose 
unter der Behandlung mit künstlicher Höhensonne. (Jb. f. Kindhlk., 
1918, Bd. 87, H. 2, S. 126.) Die Verf. berichtet über 57 Fälle im 
Alter von l 1 /*—13 Jahren die in der Universitätskinderklinik in Berlin 
wegen Tuberkulose der Unterleibsorgane mit künstlicher Höhensonne 
klinisch und ambulant behandelt wurden. Es wurde der ganze Körper 
und zwar abwechselnd Brust, Bauch und Rücken den Strahlen der 
Baoh-Nagelsohn’schen Lampe bei einem Abstand von 75 cm ausgesetzt. 
Die Dauer wurde von 3 Minuten der ersten Sitzung allmählich auf je 
60 Minuten täglich für Vorder- und Rückenseite gesteigert. Die ambulant 
Behandelten wurden nur 3 mal wöchentlich bestrahlt. Bei Patienten 
mit sehr empfindlicher Haut wurde der Uviolschirm angewandt. Es 
wurden nur Patienten berücksichtigt, bei denen sich Abdominaltuber¬ 
kulose nicht an Lungentuberkulose ansohloss. Die besten Heilungs¬ 
tendenzen zeigten die serösen Formen. Die bei ihnen erzielten Erfolge 
übertrafen die der Operation und internen Behandlung bei weitem. 
Auch bei den mit Tumorbildung einhergehenden Bauohtuberkulosen — 
mit und ohne Aszites — leistet die Therapie wertvolle Dienste. Dagegen 
erweist sie sich den ulzerösen Formen des Darmkanals gegenüber als 
machtlos. 

C. Friderichsen-Kopenhagen*. Nebennierenapoplexie hei kleiiea 
Kindern. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 2, S. 109.) Verf. berichtet 
über 28 Fälle von Nebennierenblutung, von denen 18 Säuglinge von 2 
bis 12 Monaten, 6 Kinder von 1—2 Jahren, drei von 2—8 Jahren und 
eins von 14 Jahren waren. Die hervorstechenden Symptome waren 
plötzlich einsetzende Unruhe, Blässe und Zyanose, hohes Fieber, kleiner 
unregelmässiger Puls, Erbrechen und Durchfälle und — oft erst einige 
Stunden vor dem 6—24 Stunden nach Beginn der Krankheit eintretenden 
Exitus erscheinende — Purpuraeffloreszenzen. Bei der Obduktion fanden 
sich nur Hautblutungen und — fast immer doppelseitige und symmetrische 
— Blutungen im Mark und in der Rindenzone der Nebennieren. Die 
Blutungen sind nie so gross, dass sie für sich die Todesursache dar¬ 
stellen können. Der Tod muss von der akuten Nebenniereninsuffizienz 
herrühren. Die beobachteten Fälle verliefen sämtlich letal, dooh er¬ 
scheint ein therapeutischer Versuch mit Adrenalin angebracht. 

K.Oohsenius - Chemnitz: Eine vereinfachte Blennorrhoebehandlnng. 
(Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 2, S. 152.) Verf. empfiehlt eine von 
Fraenkel-Chemnitz 1901 angegebene Methode, mit der er gute Erfolge 
hatte. Sie besteht in täglicher Behandlung der Konjunktiven durch den 
Arzt mit fri&cher 2 proz. Argentum nitricum-Lösung unter Schonung 
der Kornea. Die Umgebung des Kindes hat ihre Finger von den Augen 
des Patienten fern zu halten und lediglich das herausquellende Sekret 
mit feuchter Watte abzuwischen. Dreistündlich werden, um das Ver¬ 
kleben der Lidränder zu verhindern, 1—3 Tropfen von Paraffinum 
liquidum puriss. mit einer Pinzette in den äusseren Augenwinkel ge¬ 
träufelt. Die Prophylaxe des zweiten gesunden Auges besteht in täglicher 
Einträufelung eines Tropfens der Höllensteinlösung vor der Behandlung 
des kranken Auges. 

K. Stuhl: Messungen and Beobachtungen beim ärztlichen Dienst 
anf Schalsehiffea. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, S. 159.) Aus den 
Untersuchungen ist speziell die interessante Beobachtung hervorzuheben, 
dass Knaben, die direkt von der Schulbank kommend dem schweren 
Dienst auf den Schulschiffen ausgesetzt werden, eine Körperlängen¬ 
abnahme von durchschnittlich 0,55 cm aufweisen. Der Verf. erklärt 
diese Erscheinung durch Kompression der Knochenwirbelsäulen und der 
weicheren Partien der Gelenken an den unteren Extremitäten infolge 
der ungewohnten körperlichen Arbeiten an Bord und durch das „stets 
auf den Beinen sein 0 . R. Weigert-Breslau. 


Chirurgie. 

W. Sohulemann: Sklerosierende nichteitrige Osteomyelitis nach 

Prellsehnss. (Bruns’ Beitr., 1917, Bd. 108, H. 2, 46. kriegsobirurg. Heft.) 
Die Erkrankung war im Anschluss an einen Schrapnellkugelprell- 
sohuss des rechten Oberschenkels zuerst am rechten Femur aufgetreten. 
Später trat nach Ansicht des Verf.’s auf metastatischem Wege die gleiche 
Erkrankung auch am linken Oberschenkel auf. 

H. Mörig: Ueber OberscheBkelbrüehe. (Bruns’ Beitr., 1917, Bd. 108, 
H. 2, 46. kriegschirurg. Heft.) Zur Erzielung eines idealen Resultates 
eignet sich vor allem die Stein man n’sche Nagelextension. Mit früh¬ 
zeitigem Beginn von Bewegungsübungen. Um die Lockerung des Nagels 
und den Dekubitus der Haut an den Bohrlöchern zu vermeiden, bängt 
M. den Bügel nicht an die Spitzen des Nagels, sondern mehr zentral- 
wärts. Den Nagel selbst bat er durch Abschleifen der Spitze etwas 
verändert. Naohteile durch die Nagelung sind nicht zu befürchten. Zur 
Lagerung des Beines gibt M. eine praktische und billige Konstruktion 
der schiefen Ebene an. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22 


E. Schepelmann: Die fanktioaelle Arthroplastlk. (Bruns’ Beitr., 
1917, Bd. 108, H. 5, 49. kriegsohirurg. Heft.) Aus der umfangreichen 
Arbeit, die mit 220 Abbildungen das 49. kriegschirurgisohe Heft bildet, 
sei nur hervorgehoben, dass Sch. die einfachste Operationsmethode für 
die beste hält. Er verzichtet auf peinlichstes Imitieren der natürlichen 
Gelenkfläche, sondern schafft möglichst einfache Konstruktionen. Auf 
Interposition von Weichteil- oder Faszienlappen verziohtet er und weist 
dagegen auf die ausserordentliche Rolle hin, die die Funktion bei der 
Bildung des neuen Gelenkes spielt und damit auoh bei der Nachbehand¬ 
lung naoh der Operation. Yerf. geht in seiner Arbeit weiter eingehend 
unter anderen auf die Indikationsfrage ein, besonders auf die Frage der 
Schlottergelenkbildung. Sehr eingehend ist die allgemeine Technik sowie 
die spezielle Technik und Nachbehandlung der einzelnen Gelenke be¬ 
handelt. Ein Bericht über 38 Fälle besohliesst die Arbeit, deren Lek¬ 
türe sehr zu empfehlen ist. 

J. F. S. Esser: Operativer Ersatz der Mittelhand nebst 4 Fingen. 

(Bruns’ Beitr., 1917, Bd. 108, H. 2, 46. kriegschirurg. Heft.) E. ersetzte 
bei dem Verwundeten, bei dem nur ein nahezu unbeweglicher Daumen 
und sonst nur die kompletten Handwurzel- und einen kleinen Teil der 
Mittelhandknochen vorhanden war, den Defekt aus dem Yorderfuss ein¬ 
schliesslich der 4 Zehen. 

Th. Mauss und H. Krüger-Dresden: Beobachtungen und Er¬ 
fahrungen bei Untersuchungen und Operationen von Sr.hassverletsaagei 
der peripheren Nerven. (Bruns’ Beitr., 1917, Bd. 108, H. 2, 46. kriegs¬ 
chirurg. Heft.) Auf einem grossen Material fussend bietet die aus einem 
neurologischen (Mauss) und einem chirurgischen (Krüger) Teil be¬ 
stehende Arbeit einen wertvollen Beitrag zur Kriegschirurgie des Nerven¬ 
systems. Zahlreiche Abbildungen vervollkommnen die Ausführungen der 
Verff., die sich auch mit den differentialdiagnostisoh in Betracht kommen¬ 
den traumatischen Affektionen des Rückenmarks (s. B. Fernwirkungen) 
beschäftigen und deren reicher Inhalt sich im Umfang eines Referats 
nicht wiedergeben lässt. 

W. Merkens: Erfahrungen über Darasehffsse. (Bruns’ Beitr., 
1917, Bd. 108, H. 2, 46. kriegsohirurg. Heft.) Verf. stellt auf Grund 
seiner 2*/^ jährigen Tätigkeit im Feldlazarett seine Erfahrungen bezüglich 
Diagnosestellung, Operationsindikation und Teohnik kurz zusammen. 

W. Y. Simon, zurzeit im Felde. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Verein für Innere Medizin und Kinderheilkunde za Berlin. 

Sitzung vom 29. April 1918. 

Demonstration vor der Tagesordnung. 

Hr. Magnns-Levy: Pneimothorax von 10 jähriger Dater. 

Es wird ein 30 jähriger Mann vorgestellt, der nachweislich seit 
mindestens 10 Jahren einen rechtsseitigen offenen Pneumothorax hat. 
Trotzdem war er imstande, 5 Monate lang als Armierungssoldat Dienst 
zu tun. Vermutlich ist der Pneumothorax nach einem in der Kindheit 
durchgemaohten Empyem entstanden. 

Tagesordnung. 

Hr. Moeli: Hoher Yererhnng geistiger Anomalien. 

Die ersten Forscher, welche sich mit der Frage der Vererbung von 
Geisteskrankheiten und geistigen Anomalien beschäftigt haben, waren 
Morel und Moreau. Morel nahm bei der Vererbung der Psychosen 
eine Tendenz naoh der degenerativen Richtung hin an, eine Theorie, 
die sioh später nioht bestätigt hat. Auoh glaubte er an das Vorkommen 
einer Transformation der Psychosen in andere Krankheiten bei der Ver¬ 
erbung, was nach neueren Feststellungen auoh nur in sehr bescheidenem 
Maasse zutreffen kann. Sehr spät erst wurde die Frage aufgeworfen, 
wie sich die Belastung der Gesunden im Vergleich zu der der Geistes¬ 
kranken verhält. Es scheint, dass sich hier nioht sehr grosse Unter¬ 
schiede feststellen lassen, doch ist es sicher, dass in der Aszendenz von 
Geisteskrankheiten häufiger Psychosen Vorkommen. Bei affektiven 
Psychosen über wiegt nach Sioli die Vererbung gleichartiger Psychosen. 
Man hat nun versucht, mit Hilfe der genealogischen Forschung in die 
Gesetze der Vererbung bei Geisteskrankheiten einzudringen. Man hat 
ferner versucht festzustellen, ob die Mendel’schen Regeln bei der Ver¬ 
erbung der Psychosen eine Rolle spielen, und ob man auch hier eine 
dominante und eine rezessive Vererbung unterscheiden muss, ln der 
Praxis hat sich diesen Vererbungsforsohungen eine grosse Menge von 
Schwierigkeiten entgegengestellt. Besonders ist in den meisten Fällen 
die Kinderzahl eine zu geringe, um überhaupt festzustellen, ob die 
Mendel’schen Gesetze bei der Vererbung der betreffenden Psychosen 
eine Rolle spielen oder nicht. Bei der Dementia praecox und Schizo¬ 
phrenie handelt es sioh sicher um die rezessive Form der Vererbung, 
doch liess es sioh bis heute noch nicht mit Sicherheit feststellen, ob die 
Vererbung nach dem Mendel’schen Gesetze erfolgt oder nioht. Auch 
über die Rolle der Vererbung bei Alkoholismus und bei der Paralyse 
sind die Akten noch nicht geschlossen. 

Diskussion. 

Hr. Baur: Bei allen Fragen über die Vererbung muss man daran 
denken, dass nur die Krankheitsanlagen vererbt werden, dass aber die 


Krankheit selbst nioht immer auszubrechen braucht. Bei Vererbungs¬ 
forschungen auf anderen Gebieten der Naturwissenschaften sind Schul¬ 
fälle von Mendelismus nicht so wichtig und interessant, wie die zahl¬ 
reichen Abweichungen, welche Vorkommen. Eine sehr interessante Er¬ 
scheinung, welche für die Frage der Vererbung der Paralyse von 
Bedeutung ist, hat Redner bei einer seiner Versucbspflanzen beobachtet. 
Bei gewissen Stämmen dieser Pflanzenart zeigen sich keine Missbildungen. 
Zwickt man aber die Blüten ab, so entstehen abnorme neue Blüten. Aehn- 
lioh ist es auoh bei der Paralyse. Ebenso wie bei der eben erwähnten 
Pflanze eine äussere schädliche Einwirkung hinzukommen muss, damit 
die vererbte Fähigkeit zur Missbildung auftritt, muss auch offenbar bei 
den Deszendenten von Syphilitikern ein exogenes Moment hinzutreten, 
damit eine Paralyse entsteht. 

B. empfiehlt zur Erleichterung von Vererbungsforschungen in der 
Psychiatrie statt der üblichen alten Zählkarten Sippschaftstafeln zu 
verwenden, damit man gleich einen Ueberbliok über die hereditären 
und familiären Verhältnisse hat. 

Hr. Oppenheim gibt seiner Genugtuung darüber Ausdruck, dass 
der Vorredner auf die Wichtigkeit des exogenen Moments bei der Ent¬ 
stehung von Krankheiten so nachdrücklich hingewisen hat. Herrscht 
doch neuerdings die Neigung vor, die Rolle exogener Schädlichkeiten 
gegenüber der endogenen Anlage an Bedeutung zurücktreten zu lassen. 

Hr. Lubarsch: Wie schwierig die Vererbuugsfragen in der Pathologie 
sind, zeigt besonders das Beispiel der Tuberkulose, die früher als exquisit 
erbliche Krankheit galt, während wir jetzt wissen, dass höchstens die 
Anlage vererbt wird, während bei der Entstehung des Leidens doch der 
Tuberkelbazillus die Hauptrolle spielt. Bei der Erblichkeit der Paralyse 
muss man doch daran denken, dass es noch andere Manifestationen 
der Syphilis gibt, wie die Orchitis fibrosa, die Mesaortitis und sonstige. 
Sollen nun auch bei der Entstehung dieser Aff Aktionen Erblichkeits¬ 
momente eine Rolle spielen? Die Mendel’soheu Regeln beweisen nur 
dort etwas, wo nach ihnen die Vererbung stattfindet. Es sollten Zentral¬ 
stellen für Erblichkeitsforsohuog unter Leitung von Fachmännern ver¬ 
schiedener naturwissenschaftlicher Disziplinen errichtet werden. 

H. Hirschfeld. 

Laryngologigche Gesellschaft za Berlin. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. Dezember 1917. 

Vorsitzender: Herr Killian. 

Schriftführer: Herr Gutzmann. 

Vor der Tagesordnung. 

1. Hr. Laatenschläger: M. H.1 loh möchte Ihnen die Patientin mit 
einseitiger Ozaena, die von mir inzwischen operiert worden ist, noch 
einmal zeigen. Die rechte Seite ist nach wie vor gesund. Die linke 
Seite wies eine typische Ozaena auf. Als genuin bezeichnen wir eine Ozaena, 
wenn wir eine Nebenhöhleneiteruog nicht nachweisen können. Nun war 
in diesem Falle keine Nebenhöhleneiterung naohzuweisen. Spülung, 
Durchleuchtung, wie auch der Röntgenbefund negativ. Trotzdem wurde 
durch die Operation eine Nebenböhlenerkrankung aufgedeckt. Im Cavum 
selbst war die Schleimhaut dünn, etwas derb und schwer von der Unter¬ 
lage abzulösen. Dagegen war die Schleimhaut aller Recessus erkrankt, 
auf der blassen, verdichten und ödematös degenerierten Schleimhaut 
sassen kleine glashelle Granulationsknöpfchen, der Knochen sklerosiert 

Nun möchte ich Sie fragen, ob Sie diese Ozaena für eine genuine 
halten oder nicht, loh bin bei diesem Falle, wie überhaupt bei meinen 
letzten zwanzig Fällen, anders vorgegangen, als ich es früher hier gezeigt 
habe. Ich habe das Cavum nasi von der Kieferhöhle aus nicht eröffnet, 
sondern nur die laterale Nasenwand verlagert und vom Boden der 
Kieferhöhle eine breite Knochenleiste abgemeisselt, ein wenig in die 
Höhe gestellt und medial in die Nasenhöhle hineingedrückt, auf diese 
Weise also den Nasenboden gehoben und die Nasenhöhle nooh mehr 
verengt. In einer zweiten Sitzung mache ich dann die Plastik: erstens 
die Verbindung mit der Nasenhöhle und zugleich den Verschluss der 
Kieferhöhle. Wenn man so vorgebt, brauoht man keine Syneohie zu 
maohen. Die Nase sieht nach der Operation nahezu normal aus. 

Diskussion. 

Hr. Sturmann: Ich möchte zunächst die Frage an Herrn Lauten- 
schläger richten, ob er den Knoohen der lateralen Nasenwand entfernt 
oder bloss eingedrückt hat. 

Hr. Lautenschläger: loh habe den Knochen lediglich eingedrückt 
und keine Lücke im unteren Nasengang angelegt, weil es mir in zwei 
Fällen passiert ist, dass der Knochen sich nachträglich exfoliiert hat. 

Hr. Stur mann: Sie sind also der Meinung, dass nur die Verengerung 
der Nase die Ozaena beseitigt hat? 

Hr. Lautensohläger: Doch nioht. Ich habe meine Anschauung 
darüber bereits im Archiv für Laryngologie mitgeteilt, dass nämlich die 
Verengerung nur ein die Heilung begünstigendes Moment ist und durch¬ 
aus nicht das Wesen der Ozaena betrifft. 

Hr. Sturmann: loh hatte bei der neuerlichen Diskussion über 
Ozaena über Versuche berichtet, die Nase auf andere Weise zu verengern, 
loh würde das nooh nicht getan haben, wenn sich nioht zufällig diese 
Gelegenheit geboten hätte. Es ist mit dieser Sache gegangen, wie es 
os häufig geht: die Fälle sahen zunäoht glänzend aus, und nachher ist 
es doch niohts damit. loh habe deswegen diese Art der Verengerung 


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3. Jani 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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der Nase wieder aufgegeben und teile das mit, damit nicht ein anderer 
wieder solche Versuche macht. Es handelt sich um verschiedene Dinge. 
Es ist ja gar kein Zweifel — und darauf beruhen vielleicht manche 
Angaben über Besserungen bei verschiedenen anderen Methoden —, dass, 
wenn man auf irgendeine Weise die Nasensohleimhaut reist, eine stärkere 
Absonderung, eine Sukkulens der Schleimhaut auftritt und die Osaena 
soheinbar verschwindet. Hierauf beruht wahrscheinlich die angeblich 
gute Wirkung der Elektrolyse mit Kupfernadeln, die Tamponade usw. 
Die Kollegen, die das veröffentlicht haben, sind gewiss keine schlechten 
Beobachter gewesen, aber sie haben, wie ich auch, nicht lange genug 
gewartet, bis sie ihre Dauerresultate mitgeteilt haben. 

Als ich sah, dass die Nase gut verengt war, bekam ich, zumal die 
Sohleimhaut noch unter dem Einfluss des operativen Eingriffs stand, 
einen sehr günstigen Eindruck. Hinterher aber zeigte sich, dass $ie 
Nasenschleimbaut offenbar im Gegensatz zu anderen Körperstellen die 
Fremdkörper meist nicht vertrug. In einem Falle z. B. bildete sioh 
ungefähr zehn Wochen nach der Operation — ich* hatte Knochen ins 
Septum eingelegt — ein Septumabszess, und der Knoohen stiess sioh 
aus. Ja noch nach mehreren Monaten traten bei den Operierten plötzlich 
Entzündungen und Schmerzen auf und wurden Knochensplitter ausge- 
stossen. Bei einer Kranken mit hartnäckiger Pharyngitis sicca verschwand 
diese sofort nach der Operation, um naoh einem Vierteljahre wieder wie 
vorher sioh einzustellen. Dasselbe geschah mit der Borkenbildung in 
der Nase. loh muss also bekennen, dass ioh nicht vorwärts gekommen 
bin, obgleich die Nase bei den meiston nachher enger war als vorher. 
Dass die Weite der Nase ein begünstigendes Moment für die Ozaena ist, 
ist sicher, und dafür sprechen auch die nicht seltenen Fälle, in denen 
die Ozaena auf der durch Verbiegung und Leistenbildung der Scheide¬ 
wand verengten Seite weniger ausgesprochen ist. (Zuruf.) — Ich sagte 
ja sohon, dass ich noch niemals einen so reinen Fall von einseitiger Osaena 
gesehen habe, wie den von Herrn Kollegen Lautenschläger, wo 
wirklich die eine Seite völlig gesund war. Ich habe auoh erst in den 
letzten Tagen einen Fall gesehen, in dem auf der stark verengten Seite 
die Ozaena fast noch stärker war als auf der weiten. Also es ist mit 
der reinen Verengerungsmethode niohts zu erreichen, gleichviel wie man 
dabei vorgeht. Wenn die Fälle von Herrn Lautensohläger dauernd 
besser geworden oder gar geheilt sind, so muss noch etwas Besonderes 
hinsugekommen sein. Ob das nun die Behandlung der Kieferhöhle ist, 
weiss ich noch nicht. Ich weiss auch nicht, ob die Kieferhöhle in dem 
vorliegenden Falle nicht sekundär erkrankt war, und das wird auoh 
Herr Lautensohläger nioht sagen können. (Zuruf: Im Gegenteil!) Qb 
die Kombination: Verengerung der Nase und Behandlung einer gleich¬ 
zeitigen Kieferhöhlenerkrankung zur Heilung der Ozaena führt, das müssen 
wir abwarten. 

Hr. Lautensohläger: Ich meine, dass die Kieferhöhleneiterung 
im letzten Stadium ist. Wir wissen über die Heilungsvorgänge bei einer 
sich selbst überlassenen Kieferhöhle so gut wie niohts. Dieser Befund 
deutet aber darauf hin, dass hier die letzten Reste einer Kieferhöhlen¬ 
eiterung vorliegen. Auch die Knoohenveränderung lässt mit Sicherheit 
darauf sch Hessen, dass sich in der Kieferhöhle ein alter Prozess abgespielt 
hat und nah» der Spontanheilung war. Das würden dann auoh die 
Ozaenafälle erklären, bei denen wir zwar Sklerosierung, aber keinen Eiter 
finden. loh habe die Hoffnung: wenn wir Knoohen und Schleimhäute 
systematisch untersuchen, so werden wir auch über diese wichtigen 
Fragen Aufschluss erhalten. 

Hr. Hey mann: loh habe auf die Verengerung des Nasenlumens 
immer sehr grosses Gewicht gelegt. Ob wir durch diese Verengerung 
allein Heilung erzielen können, will ich dahingestellt 9ein lassen. Vor 
ungefähr 25 Jahren habe ioh schon über eine Patientin beriohtet, bei 
der durch einen natürlichen Vorgang, durch eine Wucherung von adenoiden 
Vegetationen, die ganz allmählich unter meinen Augen wuchsen, und 
bei der durch die auf diese Weise hervorgerufene Verengerung der Nase 
die Erscheinungen der Ozaena. — so will ich mich einmal ausdrücken 
— sehr erheblich zurüokgingen. Ich habe die Patientin jahrelang be¬ 
obachtet. Es ging ihr allmählich besser und besser. 

Ich habe eine zweite Patientin gesehen — sowohl ihr Vater, wie 
auoh ihr jetziger Gatte sind Aerzte —, wo durch eine reizende Behandlung 
der Nasensohleimhaut eine Schwellung und eine Heilung des Leidens 
eintrat. Auch dieser Fall liegt über 20 Jahre zurück; ioh sehe die 
Dame ab und zu, jetzt nooh. Sie ist vollständig geheilt. Ob nun diese 
reizende Behandlung, die ioh angewandt habe, allein oder ob noch andere 
Momente bei der Heilung entscheidend sind, will ioh dahin gestellt sein 
lassen. Ich habe mit Tinot. Capsici Ommi gepinselt und die Sohleimhaut 
auch elektrisch gereist. Es war lange Zeit vor der elektrolytischen 
Epoche. Die Dame hatte eine für unsere damaligen Begriffe klassische 
Ozaena, und sie ist vollständig geheilt. 

Dass die Erweiterung der Nase bei Osaena eine sehr grosse Rolle 
spielt, haben eine ganze Reihe von Autoren anerkannt. Ioh erinnere 
daran, dass Zaufal gegen diese Erweiterung — das ist auoh ziemlich 
vergessen — Einstäubungen von Jodtinktur in die Nase gemacht und 
daduroh eine Besserung der Fälle erzielt hat. 

Hr. Lautensohläger: Dass man durch entzündliche Reizung der 
Sohleimhaut vorübergehende Erfolge erzielen kann, ist bereits bekannt. 

2. Hr. Finder: Ich möchte Ihnen ganz kurz einen Soldaten vorstellen 
Mit einer etwas eigentümlichen Stimm st öriag. Der Mann kam vor 
einigen Monaten aphonisoh zu uns. Er hatte die gewöhnliche Form der 
hysterischen Aphonie, und es gelang ohne weiteres, ihn in einer Sitzung 


zum lauten und tönenden Sprechen zu bringen. Um so mehr war ioh 
erstaunt, als der Patient dann das nächste Mal wieder kam und er zwar 
sprach, aber mit einer vollkommen veränderten Stimme (Demonstration), 
nämlich in höchster Falsettstimme. Diese Falsettstimme kann ioh mit 
Leichtigkeit wieder wegbringen. Es gelingt mit verhältnismässig wenig 
Mühe, den Patienten dahin zu bringen, dass er mit seiner normalen 
Bassstimme spricht. Die Freude ist aber, wie Sie sehen, nur von kurzer 
Dauer, denn-nach einiger Zeit schlägt die Stimme wieder ins Falsett über. 

Ein ziemlich analoger Fall ist von Muck in Essen beschrieben 
worden, ein Fall von Aphonie abwechselnd mit Falsettstimme. Der 
Muck’sohe Fall sobeint insofern etwas anders zu liegen, als der Patient 
zeitweise vollständig aphonisoh ist und ab und zu selbständig spricht, 
während mein Patient eigentlich immer in dieser Falsettstimme spricht, 
die Sie oben gehört haben. 

Ich bin nun, bevor ich diese Muok'sohe Publikation gelesen habe, 
ganz von selbst auf einen Handgriff gekommen, den auoh Muck beschreibt, 
und der darin besteht, dass man den Kehlkopf etwas tiefer drückt. 
Dadurch bringt man den Patienten dazu, dass er mit normaler Stimme 
spricht (Demonstration). Sobald man loslässt, fängt er wieder mit der 
Falsettstimme zu sprechen an. Es ist mir im Gegensatz zu Muck, der 
seinen Fall geheilt hat, nicht gelungen, den Patienten zu heilen. Die 
Stimme schlägt immer wieder ins Falsett über. 

Ich möchte bei dieser Gelegenheit kurz bemerken, dass ioh mich 
überhaupt bei den Aphonien von Kriegsteilnehmern nioht der glücklichen 
Resultate erfreue, die von vielen Autoren jetzt publiziert werden. Sie 
wissen ja, dass manche sioh rühmen, alle Fälle zu heilen. Mir gelingt 
das nioht. Ich habe leider eine Anzahl von Fällen, bei denen jede 
Methode und alle Geduld bisher versagt hat. 

Diskussion. 

Hr. Gutzmann: Den Druck auf den Kehlkopf nach unten und 
hinten benützen wir sohon lange bei der Behandlung der Fistelstimme. 
Der Zusammenhang ist anatomisch sehr einfaoh. Wir entspannen so den 
M. criooarytaenoideus lateralis externus. Ich rate aber, in den Fällen 
nicht bloss tief sprechen zu lassen, sondern den Patienten zu sagen, 
dass sie so tief sprechen sollen, dass es gar keine Stimme sei: mit der 
sog. Geisterstimme (Demonstration). Man kommt von der gewöhnlichen 
unteren Lage -aus sehr schwer weiter, aber von der „Subtonalläge* aus 
leichter. (Herr Finder: Es würde mich interessieren, zu erfahren, ob 
es häufiger beobachtet ist, dass aus einer hysterischen Aphonie sich eine 
Fistelstimme bildet) — Wir haben ja neulich zwei Fälle hier vorgestellt. 

3. Hr. Weiigärtner: M. H.! Ich wollte Ihnen nur ganz kurz über 
den Fall berichten, den ioh neulich gezeigt habe. Es bandelte sioh um 
einen Jugen mit einer linksseitigen Recnrrenslfthmung und einer 
merkwürdig schwirrenden Geschwulst links am Halse. Man dachte 
an ein Aneurysma arterioso-venosum zwischen Carotis und Jugularia. 
Wir haben das Kind operieren lassen. Es fand sich die Jugularis stark 
dilatiert Ein Aneurysma war nicht vorhanden, dagegen ein Veneistell, 
der mit einem Stiel an der Venenwand festsass, im übrigen aber frei 
im Lumen der Vene lag und durch den Blutstrom in eine Art pendelnde 
Bewegung versetzt wurde und so das fühlbare Schwirren hervorrief. 
Der Venenstein erklärt sich daduroh, dass der Junge einen Hieb auf 
den Kopf in der Gegend oberhalb des Obres erhalten hatte. Offenbar 
war damals im Anschluss an das Trauma eine Thrombophlebitis entstanden, 
die sioh naoh unten fortgesetzt hatte. Der Thrombus blieb in der Vene 
sitzen, er versteinerte und rief die Erscheinung hervor. 

4. Hr. Dahmann: M. H.! Ioh möchte Ihnen zur Ozaenafrage ein 
M&dehea von fünf Jabren mit einer einwandfreien einseitigen Ozaena 
vorstellen. Es handelt sich um eine linksseitige Ozaena; die rechte 
Nase ist vollkommen frei. Wir haben eine Röntgenaufnahme gemacht 
(Demonstration). Sie sehen die freien Kieferhöhlen, in denen man sogar 
sehr deutlioh Zahnkeime erkennen kann. Die erkrankte linke Nasenseite 
imponiert auf der Platte als sehr weite Nasenhöhle. Dass die rechte 
Kieferhöhle etwas verschleiert erscheint gegenüber der linken Kieferhöhle, 
ist auf einen kleinen technischen Fehler bei der Aufnahme zurückzuführen; 
das rechte Felsenbein ist, wie Sie sehen, in die rechte Kieferhöhle durch 
ungeeignete Haltung des Kopfes hineinprojiziert. — Der Foetor ist 
typisch. Die Eitern haben leider nooh vor wenigen Stunden die Nase 
des Kindes gespült, so dass augenblicklich der Geruoh nicht so stark ist, 
wie er sonst in der Poliklinik zu beobachten war. 

5. Hr. Halle: M. H.! Ich batte in der vorletzten Sitzung einen Fall 
von Gesichtsspaltenzyste nach Operationen vorgestellt und bemerkt, dass 
die Fälle sehr selten seien. Der Zufall führte mir einen andern Fall 
zu, den ioh vor der Operation vorstelle (Demonstration). Sie sehen im 
linken unteren Nasengang ein Gebilde wie einen Polypen, der sich nahe 
dem Kopf der unteren Muschel von der Seite her naoh oben und medial 
vorwölbt. Drücken Sie auf die Facies oanina, so springt das Gebilde 
stärker hervor. Eine radikuläre Zyste liegt nicht vor, wie das Röntgen- 
bild bestätigt. Die Duplizität der Fälle ist bemerkenswert. 

In diesem zweiten Falle handelt es sich um ein Mädchei mit hoch¬ 
gradiger Verengerung des Naseieinganges beiderseits (Demonstration). 
Die Patientin ist hier yor 7 Wochen vorgestellt worden. Sie erinnern 
sich, dass die linke Seite besonders eng war, so dass kaum ein dünner 
Notizbleistift hindurch ging. Die Operation ergab die Komplikation mit 
einer schweren Kieferböhleneiterung, woduroh die Erzielung eines end¬ 
gültigen Erfolges hinausgesohoben wurde. Ich bitte aber sioh zu über¬ 
zeugen, dass schon jetzt beiderseits eine reoht weite Nasenöffnung besteht 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


Dieser Erfolg ist nötigenfalls durch nach Gipsabgüssen gefertigte Drains 
festzuhalten. Die Operation ist in der Weise ausgelührt, wie ich es hier 
wiederholt und zuletzt in der vorletzten Sitzung beschrieben habe. 

6. Hr. Killiai: Im Anschluss an meine Demonstration in der letzten 
Sitzung möchte ich Ihnen heute zunächst einen Fall tob Kehlkopfseh iss 
zeigen, der von mir noch zu behandeln ist. Er hat eine komplizierte Vor¬ 
geschichte, die ich Ihnen nicht ausführlich zu geben brauche. Es handelt 
sich mehr um die Beurteilung des jetzigen Befundes. Wenn man die 
Kanüle herausnimmt und die Traohealöffnung zuhält, geht keine Spur 
von Luft durch den Kehlkopf, weder bei der In- noch bei der Exspiration. 
Sie sehen im laryngoskopischen Bilde die wesentlich verkürzten Taschen- 
c ander median gestellt. Das eine trägt vorn eine kleine Narbe. Beide 
Arygegenden sind etwas nach vorn geneigt. Von Stimmlippen kann man 
nichts sehen. 

In diesem Falle wird also niohts übrig bleiben, als den Larynx zu 
spalten, um die Situation klar zu legen. Wir werden voraussichtlich 
hinten eine grosse Narbe finden, welche die Taschenbänder medtän fixiert. 
Ich will Ihnen dann später nähere Auskunft geben. Ich wollte nur, dass 
Sie einmal einen solchen Fall sehen, bevor ich ihn in Behandlung nehme. 

Dann habe ich Ihnen noch von einer Kriegsbronchoskople Mitteilung 
zu machen (Demonstration). Der Patient ist im Juli 1916 verwundet 
worden. Er hat damals duroh einen Querschläger eine Zerstörung im 
Bereich der reohten Wange und Unterkielergegend erlitten und plastische 
Operationen durchgemacht. Es hatte sich im Bereiche des Unterkiefers 
eine Eiterung mit Sequestrierung eingestellt, und sohon im August 1916, 
wenn ich nicht irre, bekam er eine Pneumonie im rechten Unterlappen, 
die nicht zur Lösung kam und die ihm noch jetzt zu schaffen maoht. 
Nach einiger Zeit — ich glaube im Frühjahr 1917 — hat er dann ein¬ 
mal ein kleines Knochen Stückchen ausgehustet. In der letzten Zeit ist 
ihm verschiedentlich aufgefallen, dass ihm beim Husten etwas im Halse 
hin und her geht. Vor einigen Tagen äusserte er, dass hier in der 
rechten Kehlkopfgegend etwas stecken müsse. 

Dass dies nicht der Fall war, zeigte der Spiegel. Da Patient einen 
starken eitrigen Auswurf hatte, wie bei Fremdkörper-Bronchiektasien, hielt 
ich die Bronchoskopie für angezeigt. 

Diese konnte trotz der Kieferklemme ausgeführt werden. Tatsäch¬ 
lich fand ich im Beginn des reohten Stammbronchus ein Knochenstück. Es 
bestand auf beiden Seiten aus Cortioalis, in der Mitte aus erweichter 
Spongiosa. Als ich zum ersten Male zufasste, erwischte ich offenbar die 
Spongiosa. Infolgedessen bat sioh das Knöchelchen trotz der grössten 
Vorsicht beim Herausziehen im Bereiche der Stimmlippen abgestreift. Als 
ich das Bronchoskop wieder eingefübrt hatte, fand ich den Fremdkörper 
wieder an der alten Stelle. Auch jetzt streifte er sioh trotz noch grösserer 
Vorsicht wieder ab. Danach gerieter in den sehr weiten Oberlappenbronchus 
und war so nicht zu fassen. loh zog daher das Rohr heraus und liess 
den Patienten heftig husten. Dadurch kam der Knochen wieder in den 
Stammbronobus und konnte jetzt breit gefasst und extrahiert werden. 
Es war offenbar ein aspirierter Sequester vom Unterkiefer. 

Dem Patienten geht es jetzt besser. Es ist über fünf Tage her. 
Nach meinen Erfahrungen gehen derartige Veränderungen der Lunge, 
die offenbar bronchiektatischer Natur sind und nicht eine einheitliche 
Höhle darstellen, sondern eine Erweiterung aller Bronchien, welche hinter 
dem Fremdkörper gelegen haben, allmählich zurück, wenn es auch Wochen 
und Monate dauert. 

Diskussion. 

Hr. Lautensehläger: Der bronohoskopierte Fall erinnert mich 
an einen ganz ähnlichen, den ich vor ungefähr zehn Jahren behandelt 
habe. Ein 40jähriger Mann, der nach längerem Aufenthalt in verschiedenen 
Lungenheilstätten wegen Lungentuberkulose invalide geschrieben war, 
wurde von mir wegen Fremdkörperverdacht broncboskopiert. Einen 
Fremdkörper fand ich zunächst nioht. Wenige Tage nach der Bronchosk¬ 
opie kam Patient und brachte mir einen Knochen, den er ausgehustet 
hatte, und von dem Tage an war seine langjährige Lungentuberkulose 
verschwunden. Er wurde wieder vollständig arbeitsfähig. 

Tagesordnung. 

Fortsetzung der Aussprache über den Vortrag des Hern Gntzmani 
über die Beaennug der KriegsaphoBieB. 

Hr. Gutzmann: Es handelte sich — wenn ich den Inhalt meines 
Vortrages noch einmal in die Erinnerung zurückrufen darf — darum, 
dass eine generelle Benennung, wie sie leider bei uns üblich geworden 
ist, indem man alle die Stummheiten und Stimmlosigkeiten, die im Krieg 
eintreten und für die man eine organische Ursache nicht auffinden kann, 
einfach von vornherein als hysterisch oder psychisch bezeichnet, zu 
fehlerhaften Maassnahmen führen kann. Man darf nicht alle Aphonien, 
für die man eine organische Ursache nicht finden kann — was übrigens 
nooh nicht beweist, dass keine da ist — ohne weiteres als hysterisch 
ansehen. Zur hysterischen Aphonie z. B. gehört der Nachweis der all¬ 
gemeinen Hysterie; auch sind die verschiedensten anderen Ursachen für 
die Aphonie nachweisbar. 

Ich hatte deswegen vorgeschlagen, dass eine sorgfältigere und genauere 
Benennung solcher Stimmlosigkeiten eingeführt werden möchte, bei denen 
wir eine organische Ursache nicht auffinden können; eine Benennung, 
bei der wir uns an die Aetiologie und die an klinischen Symptome halten, 
so wie es unsere grossen klinischen Meister uns gelehrt haben. 

Dazu möchte ich noch einiges nach tragen. In den Berichten, die 
besonders von Baden ausgehen, wird behauptet, dass die dortigen Neu¬ 


rologen 100 pCt. von allen Kriegsaphonien heilen. Aber man 
täuscht sioh; ioh habe mich selbst davon überzeugen können, dass durch¬ 
aus nicht alle geheilt werden. Diese Selbsttäuschung ist entschuldbar: 
leider wurde aber duroh den so entstandenen therapeutischen Optismismus 
eine unentschuldbare Ueberhebung anderen Sonderfächern gegenüber her- 
vorgebraoht. Besonders den Laryngologen wurde vorgeworfen, von ihnen 
würden derartige Aphonien falsch oder gar nicht erkannt. So stellt 
Wilma nns einen Leitsatz auf, gegen den ich bereits bei einer Sitzung 
des Reiohsausschusses für Kriegsfürsorge in Baden-Baden heftiger Wider¬ 
spruch erhoben habe. Er sagt: 

„Die hysterischen Neurosen sind grundsätzlich möglichst frühzeitig 
fachärztlich geleiteten Sonderlazaretten zuzuführen. Lazarette, in denen 
erfahrungsgemäss besonders häufig Neurotiker verkannt und unsachgemäss 
behandelt werden, insbesondere die für Öhren- und Kehlkopfkranke, die 
orthopädischen Lazarette und die Lazarette für lscbiatiker und Rheu¬ 
matiker sind duroh erfahrene Fachärzte in Abständen auf Neurotiker 
zu untersuchen.“ 

Ein derartiger Vorwurf kann nur daraus entstehen, dass eine zu ein¬ 
seitige Beurteilung und Auffassung der Aphonien stattfand, die sich eben 
gerade in der zu gleichartigen Benennung äusserfe. Wenn man aber 
stets paretische und spastische Aphonie schon in Berücksichtigung ihrer 
recht verschiedenen Beziehungen zum Willen des Kranken unterscheidet, 
wenn man Fälle von paretischer Flüsterstimme von denen mit spastischer 
Flüsterstimme trennt, wenn man berücksichtigt, dass oft paretische 
in spastische Aphonie übergehen, oder dass aus einer Aphonie unter 
unsacbgemässer oder selbst saohgemässer Behandlung sogar ein Mutismus 
werden kann, wenn man schliesslich erfährt, dass trotz der energischen 
Behandlung mit starken elektrischen Strömen — duroh welche zweifellos 
Todesfälle ein getreten sind —, die Leute doch sehr bald Rückfälle bekommen 
— ich sehe gerade jetzt einen Mann, der viermal einen Rückfall bekommen 
hat, und dessen Stimme ioh durch phonetische Behandlung ohne weiteres 
herausholte —, dann wird man nach alledem doch berechtigt sein, gegen 
die Behauptung Protest zu erheben, dass gerade die Laryngologen die 
Dinge verkennen sollen, während jene Neurologen die wahre Einsicht 
haben. Ioh — und wohl auch mancher von Ihnen — habe dagegen Apho- 
niker mit Raohenseitenstrangkatarrhen gesehen, die durch lokale Be¬ 
handlung die Stimme bald wiederbekamen, nachdem sie vorher lange 
in Nervenlazaretten ohne Ergebnis behandelt worden waren. 

Psychische Wirkungen schmerzhafter Reise auf Kranke, die dafür 
eine Prädisposition besitzen, so hoch zu bewerten, dass darauf sogleich 
eine „Methode“ aufgebaut wird, das ist nicht berechtigt. Ioh habe z. B. 
Leute bei mir gehabt, die mir als „taubstumm“ zugesohiokt waren. Zwei 
begingen — zu ganz verschiedener Zeit — einen alkoholischen Exzess, 
wurden am andern Morgen betrunken aufgefunden, und waren völlig 
geheilt. Ich habe diese Tatsache im Bericht an das Kriegsministerium 
erwähnt, wäre nun vielleicht auch berechtigt, aus dieser Erfahrung eine 
allgemein gültige Heilmethode zu machen. (Heiterkeit.) Mindestens wäre 
sie viel billiger, als wenn die Patienten monatelang durch die Lazarette 
geschleppt werden. Zwei andere Patienten sind dadurch geheilt worden, 
dass sie beide beinahe duroh Lastautomobile überfahren wurden. Sie 
mussten darunter bervorgezogen werden. Beide haben vor Schreck Stimme 
und Sprache wiederbekommen. Ein Patient hat beim Zahnziehen die 
Stimme wiederbekommen; er liess sich zwer Backenzähne ausziehen, und 
der Zahnarzt (Dr. Bi eben t) benachrichtigte mich sofort telephonisch: „Der 
Mann sprioht wieder“. Er hatte allerdings vorher schon etwas Stimme; 
aber jedenfalls hat das Zahnziehen ausserordentlich nachgeholfen. Sogar 
beim Laryngoskop!eren, das vorher wohl nicht gemacht worden war, habe 
ioh manchmal die verlorene Stimme wieder eintreten sehen. 

Solche u. a. „psychische® Wirkungen kennen auch die Laryngologen; 
die oft überraschende Heilung einer hysterischen Aphonie 
durch unschädliche Faradisation kennen die Laryngologen 
sohon seit Jahrzehnten und wenden sie auoh heute noch mit 
Erfolg an. Das ist also sicherlich keine neue „Methode". 

Demgegenüber stehen eine Reihe von Fällen, bei denen es darauf 
ankommt, systematisch auf physiologischem und phonetischem Wege 
Bewegungen wieder erlernen zu lassen, die verloren gegangen sind. Eine 
wirklich verloren gegangene Bewegungsvorstellung kann ich sicherlich 
nicht durch eine der obigen „psychischen“ Methoden wiederherstellen. 
Verlorene Fertigkeiten kann man auoh durch Hypnose nicht wiedererzeugen; 
sie müssen systematisch eingeübt werden. Wenn man darauf achten würde, 
dass stets eine klare Benennung der einzelnen Kriegsaphonien stattfindet, 
wenn Benennungen des Einzelfalles als „Psychische Stimmstörung“ oder 
„Funktionelle Stimmstörung* als ungenügend angesehen würden, so 
würde schon dies zu einer klareren Einsicht führen. Die Gründe 
habe ich Ihnen in meinem Vortrage auseinandergesetzt. Solche Be¬ 
nennungen sind als Bezeichnung für eine Gruppe von Störungen wohl 
angebracht; aber bei dem Einzelfalle soll man in der Benennung genauer 
sein und wenigstens das ausdrüoken, was ätiologisch und klinisch-sympto- 
matologisch feststellbar ist, wenn man niohts Anatomisches, niohts 
Organisches finden kann. 

Die eigentliche Veranlassung zum Vortrage war aber dadurch ge¬ 
geben, dass ich Protest erheben wollte gegen eine — ioh möchte sagen: 
zu universelle, zu einseitige Auffassung der „Kriegsaphonien", und aueh 
Protest gegen die schon früher von einigen Neurologen ausgesprochene 
Meinung, dass gerade von Seiten der Phonetiker und der Laryngologen 
die Dinge verkannt würden. Irren ist freilich mensohlioh, man kann 
sogar sagen, „irren ist ärztlich“, aber ich denke, dass auoh jene opti¬ 
mistischen Neurologen diesem Lebensgesetze unterliegen. 


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UNIVERSITÄT OF IOWA 




B. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


635 


Hr. Finder: Ich freue mich, dass von so autoritativer Seite wie 
vom Kollegen Gutzmann bestätigt wird, dass die Angaben von den 
100 pCt. Heilungen nioht zutreffen, und ioh kann dem auf Grund meiner 
nicht ganz geringen Erfahrungen, die ich seit beinahe zwei Jahren in 
einem sehr grossen Ambulatorium gesammelt habe, nur zustimmen. Es 
bleibt eine gewisse Anzahl von Fallen übrig, bei denen alle Methoden 
sioh erschöpfen und trotz aller Geduld keine Heilung erzielt wird, und 
zwar sind das meist Fälle, die von vornherein nicht in laryngologisohe 
Behandlung gekommen sind, Fälle, die monate- z. T. sogar jahrelang in 
Lazaretten gelegen haben und die in Verkennung der wahren Natur des 
Leidens mit Pinselungen, Einspritzungen Inhalieren usw. behandelt wurden. 

Es wäre noch zu erörtern, wie man sich in diesen Fällen, die 
schliesslich als unheilbar entlassen werden müssen, verhalten soll in 
bezug auf die Frage der Dienstfähigkeit und der Dienstbeschädigung. 
Ich weise nicht, ob diese Frage bereits ventiliert ist und möchte eine 
Erörterung darüber anregen. Ferner möchte ich auf das Auffallende 
der Tatsache hin weisen, dass eine solche Menge von Aphonien bei Kriegs¬ 
teilnehmern zum ersten Male gerade in diesem Kriege hervorgetreten ist. 
Es hat ja doch auch schon vorher grosse Kriege gegeben; aber es ist 
niemals vorher in der Kriegsliteratur eine solche Fülle von nervösen 
Aphonien bei Kriegsteilnehmern beschrieben worden. Das ist nicht nur 
bei uns der Fall, sondern, wie ich aus der Literatur sehe, spielen bei 
den Franzosen und Engländern die nervösen Aphonien dieselbe Rolle. 
Moure in Bordeaux hat ein grosses Lazarett, in dem derartige Leute 
mittels der sog. „r^education* behandelt werden, und es war mir interessant, 
als ioh einen Bericht der Laryngological Section der Royal Society in 
London aus diesem Kriegsjahr in die Hände bekam und dort las, dass 
gelegentlich der Vorstellung eines Falles ein Redner ebenfalls darauf 
hinwies, wie merkwürdig es sei, dass gerade in diesem Kriege die Fälle 
sich so häufen, und daran erinnerte, dass während des Burenkrieges in 
der Laryngological Section ein Fall von hysterischer Aphonie bei einem 
Kriegsteilnehmer als ein ganz besonders merkwürdiges Vorkommnis einer 
solchen Stimmstörung bei einem Manne vorgestellt worden ist. 

, Hr. Gutzmann: Eins ist auffallend — ich habein meinem Vortrage 
auch darauf aüfmerkam gemaoht —: Sie finden diese Aphonien, bei 
aktiven Offizieren nie — ich habe keinen einzigen Fall bei einem aktiven 
Offizier gesehen —, auch nicht bei aktiven Unteroffizieren; Sie finden 
sie bei Reservisten. Von ihnen war aber im englisohen Burenkriege 
gar nicht die Rede. Das ist also kein Widerspruch. Zurzeit haben Sie 
hüben und drüben Volksheere. Sie finden auch — und das ist auf¬ 
fallend — diese Aphonien durchaus nicht etwa vorwiegend unter den¬ 
jenigen Kriegern (auoh wenn es sich um Gemeine handelt), die höheren 
Bildungsständen angehören, sondern Sie finden sie gerade unter den¬ 
jenigen, die in ihrem bürgerlichen Berufe Arbeiter, Handwerker, auch 
Landwirte und dergleichen sind. Das liegt zum grossen Teil wohl daran, 
dfkss eine vertiefte Erziehung und Bildung einen grösseren Willenswider¬ 
stand erzeugt. Ich habe nioht weniger als 700 Fälle in meiner Be¬ 
handlung, Beobachtung und Begutachtung gehabt, verfüge also über ein 
reiches Material. 

Merkwürdig ist ferner, dass das, was wir im Frieden sehen: die 
Störungen der Kommandostimme, jetzt gar nioht voikommt. Das liegt 
zum Teil an psychologischen Verhältnissen, zum Teil auoh an äusseren 
Umständen; es nützt ja auch niohts, zu kommandieren bei dem Lärm. 
Wir haben keine Störungen der Kommandostimme bei Offizieren zu be* 
handeln gehabt, wie sie im Frieden bei aktiven Offizieren öfters Vor¬ 
kommen, denen sicher daran liegt, im Dienst zu bleiben. Unter den 
behandelten Reserveoffizieren waren zwei Prediger, zwei Oberlehrer, einer 
Dozent bei der Berliner Universität — also alles Angehörige von Erwerbs¬ 
ständen, bei denen die Stimme besonders unentbehrlich ist. Sie bildet 
sozusagen das Handwerkszeug für den Beruf, und es ist naturgemäss, 
dass auf sie eine besondere Aufmerksamkeit gerichtet wird, so dass jeder 
kleine Fehler, der sich bemerkbar macht, den Mann in Besorgnis versetzt. 
Also psychologische Momente sind auch noch ausschlaggebend, aber bei 
Reserveoffizieren, nioht bei den aktiven Offizieren. Die Erscheinung lässt 
sich demnach sehr wohl deuten. 

Im übrigen haben wir diese Dinge auch im Frieden gesehen. 
In der Arbeit von Landgraf ist ein Fall von spastischer Aphonie bei 
einem Krieger angeführt, die infolge von Misshandlung durch seine 
Kameraden entstanden und mit kräftiger Elektrizität vergeblich be¬ 
handelt worden war. Er wurde hierher nach der Scharnhorststrasse 
gebracht, und ioh habe ihn durch Uebungsbehandlung geheilt. 
Die schwere hysterische spastische Aphonie ist vollständig 
beseitigt worden. 

Hr. A. Meyer: Herrn Find er’s Frage, wie es konmt, dass wir in 
diesem Kriege im Gegensatz zu früheren so viele Schreckneurosen haben, 
welohe die Stimme betreffen, lässt sich einfaoh beantworten: nicht nur 
die Stimmlosigkeiten, sondern auch alle möglichen sonstigen funktionellen 
Störungen, Zitterer und neurotische Lähmungen hat es früher auoh 
nicht annähernd in den* Masse gegeben wie jetzt. Das liegt einfach an 
de& schweren Artillerie, die noch in keinem früheren Krieg eine solche 
Rolle gespielt hat wie in diesem. 

Die Frage wegen der Kommandostimme erledigt sich dadurch, dass 
sie eben nicht gebraucht wird. 

Was die Erfolge betrifft, so habe ich sohon neulich gesagt, dass meine 
Erfolge bei den Sohreokneurotikern eigentlich recht gute sind. Bei Leuten, 
die durch das nahe Einschlagen einer Granate, durch Verschüttung und 
dergleichen ihre Stimme verloren haben, habe ioh, wenn sie nicht sohon 
lange in anderer Behandlung gewesen sind, wirklioh die lOOpCt. Heilungen 


erzielt, die von anderer Seite berichtet werden. Das Pinseln scheint 
weniger störend zu sein, aber namentlich wenn sie lange in anderen 
Lazaretten mit starken Strömen elektrisiert worden sind, ist meistens 
niohts mehr zu erreichen. Das sind allerdings nur wenige Fälle gewesen. 
Zwei Fälle habe ich übrigens Herrn Gutzmann zur weiteren Behandlung 
überwiesen, und er hat auoh niohts ausrichten können. (Herr H. Gutz¬ 
mann: Das kommt davon, dass sie sohon vorher da waren.) — Aber 
nioht davon, dass sie bei mir waren. 

Hr. Finder: Ich möchte nur erwidern, dass die Fälle, bei denen 
es sioh um eine Sohreckneurose handelt, bei denen die Aphonie durch 
eine Schockwirkung z. B. in Folge des Einschlagen einer Granate, 
Verschüttung usw. auftritt, nach meinen Erfahrungen gar nicht eine so 
grosse Rolle spielen. Ich verfüge über eine grosse Anzahl von Aphonisohen, 
die überhaupt nooh niemals aus der Garnison berausgekomraen sind, 
bei denen also von einer Einwirkung der Schrecken der Schlacht nicht 
gesprochen werden kann. 

Hr. Max Soheier: Die Resultate der Behandlung der funktionellen 
Stimmstörungen bei den Soldaten sind hier in der Heimat doch nioht 
so günstige, wie ioh aus meinen Erfahrungen an der Front glaubte an¬ 
nehmen zu können. Draussen habe ich wohl niemals bei der hysterischen 
Aphonie Misserfolge gesehen. Wenn ich diese Leute frisch in Behandlung 
bekam, so gelang es mir stets duroh Druck auf den Kehlkopf, durch 
suggestive Behandlungsmethode oder eins der anderen bekannten Ver¬ 
fahren meist in der ersten Sitzung binnen weniger Minuten eine laute 
klare Stimme zu erzielen. Ja ioh konnte sie oft als k. v. nach kurzer 
Zeit wieder in ihre Stellung zurückschicken. Als ioh nun vor einigen 
Monaten hier ein Reserve-Lazarett übernahm, in dem eine Spezialabteilung 
für Halskrankheiten mit einem grossen Ambulatorium sich befindet, da 
sah ioh an dem zahlreichen Material von psychogenen Lähmungen der 
Stimme zu meinem grössten Erstaunen, dass mein Optimismus über die 
Erfolge bei diesen Erkrankungen durchaus nicht berechtigt war. Die 
Erfolge sind hier nicht immer so glänzend, dass man den vielen Ver- 
öffentlichurgen anderer Autoren beipflichten könnte, die nach ihrer Methode 
niemals oder nur selten Misserfolge gesehen haben wollen. Ich hatte in 
Fällen, die von Kollegen Finder behandelt wurden, mir die allergrösste 
Mühe gegeben zu einem günstigen Resultate zu kommen. Aber leider 
gelang es mir auoh nicht. Besonders die spastischen Formen sind die 
unangenehmsten und leisten einer jeden Behandlung den grössten Wider¬ 
stand. Vor allem sind es die Fälle, die sohon lange in den verschiedensten 
Lazaretten behandelt wurden, wo die Krankheit, wie auch aus den 
Krankenblättern hervorgeht, nicht als funktionell erkannt, vielmehr als 
organisch betrachtet wurde, oft als tuberkulös, und nur der Kehlkopf 
mit Pinselung, Brennen, Aetzen monatelang behandelt wurde. Die 
Soldaten, bei denen es trotz aller unserer ärztlichen Bemühungen nioht 
gelingt, die Stimme wiederherzustellen, entlässt man zur Dienstleistung. 
In der Feuerstellung sind sie nioht zu gebrauchen, da sie sich nioht 
laut verständlich machen können; wohl aber sind sie als arbeitsver¬ 
wendungsfähig Heimat bzw. Etappe zu verwenden. 

Hr. Killian: M. H.! Ioh habe auch eine grosse Erfahrung über 
dieses Thema, und ich habe schon voriges Jahr in meinem Vortrage im 
Kaiser-Friedrich-Hause gesagt, dass es doch zwei Arten gibt. Die eine 
sind die hysterisoben Sohreckneurosen; das sind die Flüsterer und die 
Leute, die gar keine Energie bei der Stimmbildung entwickeln, bei denen 
die Stimmlippen anfangs momentweise Zusammenkommen, aber dann in 
entfernter Stellung stehen bleiben, wenn die Patienten sich bemühen, 
Töne zu entwickeln. Die andere ist die grosse Kategorie derer, bei denen 
die Stimmstörung sioh an einen akuten Katarrh ansohliesst. Die brauchen 
natürlich nioht im Felde gewesen zu sein. Sie zeichnen sioh dadurch 
aus, dass sie bei der Stimmbildung pressen. Wie Gutzmann, habe 
auoh ioh bei den Sohreokneurotikern beobachtet, dass ein Uebergang 
von der hauchenden in die gepresste Phonation stattfinden kann. Auoh 
ioh glaube, dass die forcierte Behandlung, die manchmal statt findet, das 
bewirken kann. 

Im allgemeinen sind die Hysteriker leichter zu behandeln, als die 
Stimmpresser. Diese können, wenn sich sohon viele Aerzte vergebens 
an ihnen versucht haben, ganz störrisch werden. Es sind mir Fälle zu 
Gesichte gekommen, wo die Patienten so kopfsoheu waren, dass sie 
erklärt haben: „loh lasse mich nicht behandeln, auf keine Weise!“ Ich 
denke, die Neurologen werden hier auch nicht zum Ziele kommen. Man 
hat neuerdings behaupten wollen, die hysterischen Stimmstörungen würden 
in Ohren- und Kehlkopfkliniken und Lazaretten häufig verkannt und 
unsachgemäss behandelt. Eine solche Behauptung sollte man in einer 
Zeit, in der die Neurologen im allgemeinen dooh sehr häufig und gern 
die Hilfe der Laryngologen in Anspruch nehmen nioht für möglich hatten. 
Dass in einem gegebenen Falle im Kehlkopf keine organischen Ver¬ 
änderungen vorhanden und keine peripheren Lähmungen bestehen, kann 
dooh nur der Spiegel in der Hand des Geübten und Erfahrenen lehren. 
Auoh über die Kombination von organischen Veränderungen und peripheren 
Lähmungen einer- und psychischen Stimmstörungen andererseits gibt 
nur die Laryngoskopie Aufschluss. Ioh möchte Herrn Wilmanns nicht 
zu nahe treten, bezweifle aber, dass er uns über derartiges belehren 
kann. 

Was die Behandlung angeht, so ist es ganz richtig, dass ein grosses 
persönliches Moment in Betracht kommt. Nicht jedem Arzt ist es gegeben, 
besonders erfolgreich auf solche Kranke einzuwirken. Auf die Mittel 
kommt es viel weniger an als auf die Gabe und Energie des Arztes. 
Ich halte es deswegen für gerechtfertigt, dass man die renitenten Fälle 
solchen Kollegen zuweist, die mehr erzielen. Ioh persönlioh habe mir 


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UNIVERSUM OF IOWA 




536 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 22. 


von jeher eiu Vergnügen daraus gemacht, solche Kranke in der ersten 
Sitzung zu heilen. Und doch kommen mir Fälle vor, die ich nioht 
bezwinge. 

Hr. Gutzmann: Wenn ich vorhin Herrn Kollegen Meyer sagte: 
„sie waren schon da“, so bezog sich das nicht auf Ihr Lazarett. Sie 
waren auoh Ihnen bereits aus anderen Lazaretten zugescbickt worden 
und kamen zum Schluss dann zu mir. Das Nichtbehandelt werden wollen 
ist verständlich. 

Ein psychologischer Unterschied, auf den die genannten Neurologen 
merkwürdigerweise garnicht aufmerksam gemacht haben, besteht darin: 
die weitaus meisten spastischen Aphoniker wollen, sie haben voluntas, 
denn sie pressen ungeheuer. Es ist ein Wille da, aber seine Betätigung 
geht über das Maass hinaus. Wir bezeichnen eine derartige Storung von 
jeher als Hyperkinese. Bei den Paretikern ist dagegen meist eine 
Abulie, eine Willenlosigkeit vorhanden. 

Ihre Erlahrungen an der Front verstehe ich sehr wohl. Jedem ist 
wohl einmal vor Schreck die Stimme im Halse stecken geblieben, aber 
sie kommt gewöhnlich wieder heraus. Zu diesem Phänomen des vorüber* 
gehenden Steckenbleibens der Stimme gehört durchaus nioht eine hyste¬ 
rische Grundlage. 

Die Erfahrung, dass die habituellen Aphonien vorwiegend spastisoh 
sind, kann ich bestätigen, aber es sind auch Paresen dabei. 

In bezug auf die Zahl der Heilungen möchte ich noch bemerken, 
dass auch ich eine stattliche Anzahl guter Erfolge erzielt habe. 

Die Heilungsresultate hängen natürlich zu einem grossen Teil auch 
von der Persönlichkeit ab, sowie von ihrer jedesmaligen Einwirkung auf 
den einzelnen Kranken. So sind auch einzelne Fälle, mit denen wir 
nioht voran kamen, an anderer Stelle erfolgreich behandelt worden. Ein 
Wechsel des behandelnden Arztes kann also unter Umständen ganz 
zweckdienlich sein. Die Patienten lange in Lazaretten herumhocken zu 
lassen und dort aufzuhalten, ist das Schlimmste. (Zuruf: loh möchte 
Herrn Gutzmann fragen, wie man sich in solchen Fällen verhält, die 
ein Jahr oder länger in Lazaretten gewesen sind. Was soll man mit 
den Leuten machen?) Schicken Sie sie hinaus! Schreiben Sie sie 
als arbeitsverwendungsfähig. Diese Leute brauohen ja nicht zu kom¬ 
mandieren. Arbeiten und schiessen können sie (Hr: Killian a.v.?) — 
Jedenfalls mindestens a. v. Sie aber als von vornherein nicht mehr kriegs¬ 
tauglich anzasehen oder gar als d. u. zu entlassen, ist nicht nur im all¬ 
gemeinen Interesse falsch, das ist auch ein Unglück für die Leute selbst. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Am 31. Mai vollendet Friedrich Kraus sein 60. Lebens¬ 
jahr — eine Privatangelegenheit, wie er sagt, von der er möglichst wenig 
Aufhebens gemacht wissen will. Aber wer an solcher Stelle steht, muss 
es sich schon gefallen lassen, dass die FapbgenosBen daran Anteil nehmen 
und ihrer Gesinnung Ausdruck geben. So hat auch die Schriftleitung 
dieser Wochenschrift, der Kraus seit seinem Hiersein immer freundlich 
zugetan war, es sich nioht nehmen lassen wollen, ihm mit ihren herz¬ 
lichsten Glückwünschen in Gestalt dieser Festnummer ein kleines An¬ 
gebinde darzubringen. Die Kriegsverhältnisse zwangen uns, den Rahmen 
eng zu ziehen und nur die nächsten von seinen Fakultäfegenossen, einen 
Vertreter der österreichischen Hochschulen, aus denen Friedrich Kraus 
hervorgegangen, und von seinen zahlreichen Schülern nur die älteren, 
schon selbst Lehrstühle innehabenden Herren und endlich den ältesten 
seiner hiesigen Assistenten hierzu einzuladen. Wir sagen allen Mitarbeitern 
herzlichen Dank und bitten in ihrem Namen das Geburtstagskind, die 
kleine Gabe mit unseren besten Wünschen freundlichst anzunehmen. 

— In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesellschaften 
(Berliner medizinische Gesellschaft) vom 29. Mai 1918 demonstrierte vor 
der Tagesordnung Herr öeyberth einen Fall von Muskelplastik. Hierauf 
hielt Herr Hans Kohn den angekündigten Vortrag: Demonstration zur 
Frage der extrakardialen Blutbewegung, und Herr Alfred Rothschild 
seinen Vortrag: Ueber zwei Fälle ungewöhnlicher zystischer Geschwülste 
der Harnblase, ihre Operation und Heilung (mit Vorführung von Kranken 
und Lichtbildern). (Aussprache: Herr Wossidlo.) 

— An der Berliner Universität habilitierte sich Dr. Franz Leopold 
Buerger mit einem Antrittsvortrag über „Krieg und gerichtliche Medizin“. 

— Die für den 8. Juni angekündigten Jahresversammlungen 
des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose sind wegen dienstlicher Behinderung des Vorsitzenden Staats¬ 
sekretärs des Innern Exzellenz Wallraf auf Sonnabend, den 15. Juni 
verlegt worden. 

— Die im Heeressanitätsdienste verwendeten landsturmpflichtigen 
Aerzte dürfen für die weitere Dauer des Krieges unter Beachtung der 
nachstehenden Bestimmungen zur Ernennung zur Kriegsassistenzärzten 
auf Widerruf vorgeschlagen werden: 1. Die Krieg^isistenzärzte auf 
Widerruf haben im allgemeinen die Rechte und Pflichten der Assistenz¬ 
ärzte des Beurlaubtenstandes. Sie sind aber nicht befugt, die Dis- 
ziplinarstrafgewalt auszuüben und unterstehen nicht den Ehrengerichten 
der Sanitätsoffiziere. 2. Zu Kriegsassistentärzten auf Widerruf können 
für die weitere Dauer des Krieges landsturmpflichtige Aerzte vorge¬ 


schlagen werden, die naoh dem schriftlich abzugebenden Urteile (Dienst- 
zeuguis) der militärischen und militärärztlichen Vorgesetzten dazu geeignet 
sind, die Stellung eines Vorgesetzten im Sanitätsdienste zu bekleiden. 
Die Vorschläge zur Ernennung zu Kriegsassistenzärzten auf Widerruf 
erfolgen durch die Vorschlagslisten auf dem militärärztlichen Dienst¬ 
wege naoh Weisung des Generalstabsarztes der Armee. Für Aerzte, die 
lediglich im Lazarettdienste beschäftigt sind, ist das Urteil des militär- 
ärztlichen und das des nächsten militärischen Vorgesetzten des Lazaretts 
maassgebend. Vorschläge zur Ernennung sind auf dem militärärztiicheu 
Dienstwege vorzulegen. 3. Landsturmpflichtige, die in ihrem Zivilberuf 
approbierte Aerzte sind und zum Heeresdienst bisher nicht einberufen 
wurden, sind in Zukunft im Falle der Einziehung zunächst 8 Wochen als 
Militärkrankenwärter militärisch und im Lazarettdienst auszubilden. Nach 
Ablauf dieser Zeit können sie zur Ernennung zu Kriegsassistenzärzten auf 
Widerruf vorgeschlagen werden, wenn sie das in Ziffer 2 vorgesehene Dienst¬ 
zeugnis erlangen. Die Kriegsassistenzärzte auf Widerruf tragen die Feld- 
uniform der Assistenzärzte der Landwehr mit folgenden Abweichungen: 
a) An den Feldachselstücken, gleichlaufend mit dem unteren Rand und 

I cm davon entfernt zwei blaue mit den Landesfarben durchzogene 
seidene Schnuren, b) Die Kragenpatten und die Stickerei an der Bluse 
fallen fort, c) Kriegsassistenzärzte auf Widerruf, die das 35. Lebens¬ 
jahr vollendet haben und mit einer Stabsarztstelle belieben sind, tragen 
an den Kragen beiderseits je zwei mattvergoldete Sterne und zwar 
aussen am oberen und unteren Ende je einen Stern; alle übrigen in 
der Mitte je einen Stern, d) Die jetzt vorhandenen grauen Joppen, 
denen die vorstehend unter a) bezeiohneten Feldachselstücke hinzutreten, 
dürfen aufgetragen werden. 5. Landsturmpflichtige, die in ihrem Zivil¬ 
beruf approbierte Aerzte Bind, sich zur Ernennung zu Kriegsassistenz- 
ärzten auf Widerruf aber nicht eignen, stehen naoh Maassgabe ihrer 
Kriegsbrauohbarkeit zum Waffendienste zur Verfügung. Die Gebührnisse 
der bisher mit Kriegsstelien auf Widerruf beliehenen landsturmpflich¬ 
tigen Aerzte werden durch vorstehende Ordre nicht geändert. Die in 
Ziffer 3 der vorstehenden Kabinettsordre genannten Personen erhalten 
naoh der Ernennung zu Kriegsassistenzärzten auf Widerruf die Gebühr¬ 
nisse der Assistenzärzte, die 35 Jahre und darüber alten, mit einer 
Stabsarztstelle beliehenen jedoch monatlich 370 M. (mobil) oder 310 
(immobil). Den etwa erforderlichen Widerruf der Ernennung verfügen 
die Generalkommandos und die mit gleicher Befehlsbefugnis ausge¬ 
statteten Kommandobehörden selbständig. 

— Verlustliste. Gefallen: Oberarzt Hermann Jaffe-Berlin. 
— Infolge Krankheit gestorben: Stabsarzt d. L. Rudolf Plaut- 
Hannover. — Verwundet und, und wie wir hören, wieder genesen: Ma¬ 
rine Generalarzt H. Küttn er-Breslau. 

— Volkskrankheiten. Pocken: DeutschesReicb (12.—18.VJ2. 
Fleckfieber: Deutsches Reioh (12.—18. V.) 1, ferner 70 und 3 t 
unter Kriegsgefangenen in den Reg.-Bez. Königsberg und Marienwerder. 
Kaiserlich Deutsches Generalgouve rnement Warsohau (24.1V. 
bis 4 V.) 738 und 79 +. Ungarn (15.—21. IV.) 33. Rüokfallfieber: 
Deutsches Reioh (12.—18. V.) 9 unter Kriegsgefangenen im Reg.-Bez. 
Marienwerder. Kaiserlioh Deutsches Generalgouvernement 
Warschau (28. IV.—4. V.) 8. Geniokstarre: Preussen (5.—11. V.) 

II und 6 f. Schweiz (21.—27. IV.) 1. (28. IV.—4. V.) 8. Spinale 
Kinderlähmung: Schweiz (21.—27. IV.) 1. Ruhr: Peussen (5. bis 
11. V.) 65 uod 7 +. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an 
Masern und Röteln in Gera, Herne, Mülheim a. d. R., Wanne; Diphtherie 
und Krupp in Berlin-Reinickendorf, Berlin-Weissensee, Darmstadt. 

(Veröff. d. Kais. Ges.-Amts.) 

Hochschulnachriohten. 

Kiel: Professor Falk, Direktor des pharmakologischen Instituts, 
feiert seinen 70. Geburtstag. — Krakau: Professor Sendziak in 
Warschau wurde als Professor für Hals- und Ohrenkrankheiten berufen. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien, 

Auszeichnungen: Kreuz der Ritter des Königl. Hausordens 
v. Hohenzollern mit Schwertern: St-A. d. R. a. D. Dr. Balack. 

Prädikat „Professor“: Priv.-Doz. in der mediz. Fakultät der Uni¬ 
versität in Königsberg i. Pr. Dr. Reiter und Priv.-Doz. in der mediz. 
Fakultät der Universität in Marburg Dr. Rohm er. 

Ernennungen: Arzt Dr. K. von Rottkay in Leschnitz zum Kreis- 
assist.-Arzt unter Beauftrag, mit der Verwalt, der Kreisarztstelle in 
Grottkau; Stadtass.-Arzt Dr. R. Wildenrath in Düsseldorf zum Kreis¬ 
assist.-Arzt unter Ueberweis. an den Regierungspräsidenten in Trier. 

Niederlassungen: Aerztinnen Margarete Genok und Hilde Lei- 
sterer geb. Göhrke sowie Dr. Johs. Jost in Berlin, Aerztin Dr. 
Lotte Lande in Charlottenburg, Dr. K. E. Pfister in Nowawes. 

Gestorben: Kreisarzt Dr. F. Schüller in Daun, Dr. R. Clausseo 
und San.-Rat Dr. B. Hoffheins in Königsberg i. Pr. 

Verzogen ohne Angabe des neuen Wohnortes: Aerztin Frau 
Dr. Caspari von Heegermühle (Kr. Oberbarnim). 

Ffix dl« Redaktion verantwortlich Prot Dr. Hirn Kohn, Berlin Bajrenthor So.41 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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■ouig in nummern tob oa. •—« ougvn gr. ■». — ■ m Bll B m | ■ im | Bi» B W »#u« mui {iuihhivi >u ui« twu|iuu«iuiiuiuiii>i| 

Frei« vierteljährlich 7 Mark. Beetellungen nehmen b"^ H b"v I .1 I w H l\ August Hirschwald in Berlin NW, Unter den Linden 

alle Buchhandlungen und Postanstalten an. IIIJI I jIjI 1 1 1 A 1 ll Kr» €8* adressieren. 



Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 


Redaktion: 

fleh. M-Rit Prof. Dr. C. Posier find Prot Dr. fiaos Kolo. 


Expedition: 

August Hirschwald, Verlagsbachhandlong in Bertis. 

Montag, den 10. Juni 1918. 

M 23. 

Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


I M H 

Original!«»: v. Bergmann: Zur Pathogenese des chronisehen Ulcus 
peptieum. (II. Mitteilung.) (Aus der medizinischen Universitäts¬ 
klinik zu Marburg). S. 537. 

Seyfarth: Erfahrungen bei der Behandlung der Malaria, vor allem 
die Behandlung ohininresistenter Fälle. (Illustr.). S. 541. 

Seyfarth: Erfahrungen über die Chininresistenz der Malariaparasiten. 
(Illustr.). S. 544. 

Aron: Ueber akzessorische Nährstoffe und ihre Bedeutung für die 
Ernährung des Rindes. (Aus der Kgl. Universitäts- Kinderklinik 
Breslau). S. 546. 

Bueky: Ueber Diathermiebehandlung. S. 550. — Schmidt: Schluss¬ 
wort zu vorstehender Erwiderung. S. 550. 

Halle: Zu den Bemerkungen von Dr. West in Nr. 19 zu meiner 
Arbeit über Tränensackoperationen in Nr. 11 dieser Wochenschrift. 
S. 550. 

Bücherbespreehaigen : Manninger, John und Parassin: Erstes Jahr¬ 
buch desKriogsspitals der Geldinstitute in Budapest. (Ref.Karl.) S.551. 

Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Marburg. 

Zur Pathogenese 
des chronischen Ulcus peptieum. 

[II. Mitteilung 1 ).] 

VOD 

Prof. Dr. 6. von Bergmann, 

Direktor der Klinik. 1 

In der vorigen Nummer dieser Wochenschrift habe ich, meine 
und meiner Mitarbeiter frühere Arbeiten ergänzend, nochmals zur 
Frage der Beziehungen des Ulcus peptieum zum Nervensystem 
and zu konstitutionellen Momenten Stellung genommen. 

Behandeln wir diesmal statt des Allgemeinen, exakter Fest¬ 
stellung so schwer zugänglichen, das Lokale, so ist mit Recht 
gesagt worden*, dass dort die von ans und anderen vertretenen 
pathogenetischen Anschauungen besser fundiert sind. Seit 1853 
herrscht die Meinung Virehow’s 2 3 ), dass die lokale Ischämie durch 
Verschluss der Endarterien des Magens die Bedingung setzt zur 
zirkumskripten Nekrose des Magens, und dass dieser nicht er¬ 
nährte Schleimhautbezirk durch Salzsäurepepsin angedaut wird. 
Man dachte an emboiischen Gefässverschluss (Payr, v. Eiseis¬ 
berg u. a. m) oder an arteriosklerotische Prozesse des Gefässes. 
Diese Auffassung bat auch heute noch die meisten Anhänger. 
Wir glauben, dass für eine bei weitem grössere Zahl von Fällen 
der spastische Gefässverschluss in Betracht kommen könnte, sei es 
vasomotorisch [Benecke 8 ), Kobajash i 4 * * )J, sei es durch Krampf 
der Mascularis mucosae (Lichtenbeit) oder der Muscularis pro- 
pria (van Yzeren). Wesentlich ist uns die Feststellung, dass 
sowohl die Spasmen in breiter Ausdehnung (Antramspasmus), wie 
die Zirkulärspasmen, als auch ganz lokalisierte Spasmen zu 
solchen Ischämien führen (Westphal). Auf diese Spasmen 
kleiner Flächenbezirke sei besonders hingewiesen. Auch hier 

1) Die Abhandlung gelte als Fortsetzung der in der vorigen 
Nnmmer erschienenen Arbeit. 

2) Virchow, Viroh. Aroh., 1850, Bd. 5, S. 281. 

3) Beneke, Pathologische Gesellschaft 1908. 

4) Kobayashi, Frankf. Zsohr. f. Path., 1909, Nr. 3. 

*) Anmerkung: Der Stern bedeutet wie in der vorigen Abhand¬ 

lung den Hinweis auf die Diskussion in Wien (W.m.W., 1918, Nr. 7—10). 


ALT. 

Literatur-Auszüge : Allgemeine Pathologie and pathologische Anatomie. 
S. 552. — Parasitenkunde und Serologie. S. 552. — Innere Medizin. 
S. 553. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 554. — Kinder¬ 
heilkunde. S. 554. — Chirurgie. S. 555. — Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten. S. 556. — Geburtshilfe und Gynäkologie. S. 556. — 
Augenheilkunde. S. 556. — Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 
S. 557. — Hygiene and Sanitätswesen. S. 557. — Unfallheilkunde 
und Versicherungswesen. S. 557. — Schiffs- und Tropenkrankh.S. 557. 

Verhandliugeu ärztlicher Gesellschaft«!: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften (Berliner medizinische Gesellschaft). Esser: Fälle 
von plastischen Ptosisoperationen. S. 558. Bergei: Fibrin, einSobutz- 
nnd Heilmittel des erkrankten Organismus. S. 558. Levy-Dorni 
Beitrag zu den für die Röntgendiagnose wichtigen Weich teil Verknöche¬ 
rungen. S. 559. — Naturhistorisch-medizinischerVerein zu 
Heidelberg. S. 559. —Verein für wissenschaftliche Heil¬ 
kunde zu Königsberg i. Pr. S. 559. 

TageBgesohiohtl. Notizen. S. 560. Amtl. Mitteilungen. S. 560. 


mögen tierexperimentelle Feststellungen, ich nenne die meines 
Assistenten Westphal, übergangen sein. Lehrreich aber scheint 
mir das, was der Chirurg fast bei jeder Magenoperation sehen 
könnte. Reizt er, namentlich in distalen Magenpartien von der 
Serosa aus durch Schlagen oder durch Kneifen mit der Pinzette 
die Magenwand, so sieht er gelegentlich, wie die Magenwand 
sich an dieser Stelle zusammenzieht. Die Stelle wird blässer 
wie die Umgebung, man sieht oft, dass die schräg durch die 
Magenwand ziehenden Gefässe so zusammengedrückt werden, dass 
der Magen blässer erscheint als in der Umgebung, mehr oder 
weniger strahlig schrumpft die Stelle zusammen, ja auf der Se¬ 
rosa kommen oft genug weisse strahlige Stränge in die Erschei¬ 
nung, die von Narben und perigastritiseben Veränderungen makro¬ 
skopisch nicht zu unterscheiden sind. Ich habe es wiederholt 
beim Fahnden auf einen Ulcus duodeni erlebt, dass der Chirurg 
nur die blassstrahlige Narbe vorwies, liess er eine Weile die 
pylorische Region in Ruhe, so verstrich dieser „Narbenzag“ voll¬ 
kommen. Es handelte sich nur um eine lokale Ischämie und 
um das schrumpfende Zusammenziehen durch Kontraktur der 
Muskelschichten. Wenn Schwarz* sagt, dass er Anämien der 
Muscularis mucosae bei der von ihm sogenannten Rngositas der 
Schleimhaut, die an der grossen Kurvatur auftritt, nicht gesehen 
hat, dass die Schleimhaut dort im Gegenteil blaurot erscheint, 
so wird das keineswegs von uns bestritten, lässt sich im Gegen¬ 
teil sogar dafür verwenden, dass ja gerade an der grossen Kur¬ 
vatur die Ulzera nicht zu entstehen pflegen. 

Dasselbe, was sich durch mechanische Reize am Magen 
wahrnehmen lässt, kann gut auch durch den galvanischen 
Strom erzeugt werden. Wir haben oft eine knopfförmige sterile 
Elektrode auf die Serosa des Magens gelegt. Nach 10—12 Se¬ 
kunden sieht man einen zirkulären Spasmus oder eine lokale 
Kontraktion. Freilich sind die Erscheinungen lange nicht so 
regelmässig und viel weniger intensiv wie am Versuchstiere, und 
sicher sind auch dort schon erhebliche Hemmungen, die dem 
Zustandekommen der spastischen Stelle am Magen entgegen¬ 
wirken. Schon das Oeffnen der Bauchhöhle ist ja direkt hem¬ 
mend für alle Magen-Darm-Motilität. Was wüssten wir von der 
Magenperistaltik, von Magentonus, ja von der Magenform, wenn 
wir sie nur an der eröffneten Bauchhöhle studieren könnten? 
Wird nun noch in Narkose untersucht, so ist die Erregbarkeit 
der Magenmuskulatur ungemein herabgesetzt. Ich empfehle des- 


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UNIVERSUM OF IOWA 





538 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 




halb wenigstens in Lokalanästhesie nachzusehen, um wenigstens 
den einen störenden Faktor auszuschalten. Gibt man während 
der Narkose Physostigmin, so ist die Reizbarkeit des Magens er* 
höht, und jene Experimente werden besser auskommen. Man 
wird auch ohne Physostigmin sich überzeugen, dass die Reiz¬ 
barkeit der Magenwand bei verschiedenen Individuen eine ganz 
verschiedene ist. Ferner ist die Erregbarkeit der Magenwand an 
verschiedenen Stellen des Magens sehr different. In der soge¬ 
nannten Pars antri ist sie .weit intensiver wie am Fundus. Ich 
habe erst geglaubt, es läge das an der kräftigeren Magenmuskn- 
latur de« Motors im Vergleich zum Korpus des Magens als dem 
Retentionsapparat. Diese Anschauung ist falsch, denn auch das 
Duodenum mit seiner dünnen Muskelwand zeigt eine viel leichtere 
Erregbarkeit wie die dickere Muskelwand des Fundus ventriculi. 
Diese primitiven Versuche schon weisen uns darauf hin, dass 
wir auf diesem Gebiet nur weiter kommen, wenn über die Reiz¬ 
bildung und Reizleitung der Magenperistaltik und über die Er¬ 
regbarkeit und die Kontraktionskraft der Magenmuskulatur die 
Physiologie ähnlich tiefgreifende Aufschlüsse uns gegeben haben 
wird, wie bezüglich der analogen Eigenschaften am Herzen. 
Wenckebach* weist darauf hin, dass Keith kurz vor dem 
Kriege bedeutsame Anfänge der Erforschung dieses Gebietes ein¬ 
geleitet hat. Auch auf Openchowski sei in diesem Zusammen¬ 
hang gewiesen. 

loh darf sagen, dass die lokale durch Spasmen veranlasste 
Ischämie — sie ist durchaus nicht immer mit Blutungen kom¬ 
biniert — keine Hypothese, soodern Tatsache ist, dass also 
der Kausalnexus spasmogene Ischämie, Andauung der 
Magenschleimhaut, peptischer Substanz Verlust ein wirk¬ 
lich gangbarer Weg zur Ulkusentstehung ist. Ob wir 
noch nach einer anderen Herabsetzung der Vitalität der Magen¬ 
schleimhaut suchen müssen, man hat auch da von einem kon¬ 
stitutionellen Moment gesprochen und die Chlorose ebenfalls dafür 
herangezogen, scheint mir sehr zweifelhaft. Aehnlich fragwürdig 
steht es mit einer nicht erwiesenen neutrophischen Schädigung 
der Magenschleimhaut. 

Nun hat aber Ascboff 1 2 ) fraglos recht, wenn er meint, dass 
die Frage der Entstehung? der Blutungen und Erosionen noch 
keine Antwort auf die viel wichtigere Frage gibt, warum nur 
bei einer kleinen Zahl von Fällen ein chronisches Geschwür ent¬ 
steht, und'warum dieses Geschwür gerade dort sitzt, wo es ge¬ 
funden wird. Zur Theorie der Spasmogenese eines Substanz¬ 
verlustes gehört umgekehrt die „Spasmopoiese des Ulkus u , 
d. h. es bedarf des Nachweises, dass nicht nur ein Spasmus 
den Substanzverlust erzeugt, sondern dass das Ulkus 
selbst immer wieder Spasmen auslöse und diese der 
Heilung des Substanzverlustes immer von neuem ent¬ 
gegenwirken. 

Gehen wir von dem für den Kliniker durch dasRöntgenverfahren 
grob sichtbaren Ulkus aus, von der Ulkusnische, so ist es 
jedem, der mit Röntgenstrahlen untersucht, geläufig, dass zur 
Ulkusnische der kleinen Kurvatur geradezu der zirkuläre Spasmus 
gehört. Die zirkuläre Einschnürung an der grossen Kurvatur 
wirkt in der Lücke, die sie in dem Metall breischatten setzt, 
geradezu wie der Finger — um den bezeichnenden Vergleich zu 
wiederholen —, der auf das Ulkus hinweist. Wie oft erkennt 
man das Ulkus, das noch kaum oder überhaupt nicht zu einer 
divertikelartigen Ausbuchtung im Magenschatten geführt hat, nur 
an der immer wieder entstehenden zirkulären Konstriktion. Sie 
ist beim leeren oder luftgefüllten Magen meist gar nicht vor¬ 
handen. Oft genug wird sie erst ausgelöst, wenn der Magen 
stärker sich füllt, wenn er seine Umspannungsfunktion (Peristole) 
stärker in Aktion setzen muss. Dann kommt durch das Ulkus 
veranlasst — vielleicht werden Nervenplexus gereizt — die zir¬ 
kuläre Konstriktion zustande. Setzt sie nicht dort die stärkste 
Anämisierung, wo die Schleimhaut am wenigsten auf ihrer Unter¬ 
lage verschieblich ist? Es ist ja das Verdienst von Ascboff 
und seinem Schüler Stromeyer*), darauf hingewiesen zu haben, 
dass das mechanische Moment für die Erklärung der 
Chronizität des Ulkus herangezogen werden muss. Stro¬ 
meyer sprach von den physiologischen Engen als den Prädi¬ 
lektionsstellen. Er wies auf die Bedeutung der Waldeyer’schen 
Rinne, des Retzius’schen Kanals hin und in einer jüngsten Publi¬ 
kation sucht Aschoff wieder gerade die Struktur der Magen- 


1) Aschoff, Ueber das Relief der Magenschleimhaut usw. Fest* 
schrill für Hasser, bei Springer 1917, S. 630. 

2) Stromeyer, Ziegler’s Beitr., 1912, Bd. 54, S. 1. 


Schleimhaut mit ihren Falten, in ihrer Bedeutung für Lokalisation 
und Form des Ulkus zu'; betonen. Es scheint mir kein Gegen¬ 
satz, wenn neben der Bedeutung der Schleimhautfalten ich die 
Funktion der Muskulatur für die Erklärung jenes Problemes 
noch stärker heranziehe. Auch Jo res 1 ) deutet das an, da ihm beim 
frisch gehärteten Magen [die bedeutsame Rolle des Muskeltonus 
für das Zustandekommen der Engen aufgefallen ist. Die hoch¬ 
gradigen Kontraktionszustände der Magenmuskulatur, wie sie der 
Kliniker durch das Röntgen verfahren sieht, sind aber naturgemlss 
dem pathologischen Anatomen noch kaum geläufig. Gerade dass 
bei jeder Nahrungsaufnahme von neuem das*Ulkus oder die dort 
blossliegenden Nervenendigungen in einen Reizzustand versetzt 
werden, der durch spastische Konstriktion beantwortet wird, eine 
Konstriktion, die Stunden anhält und oft den Magen vollkommen 
in zwei Säcke abschnürt, muss fraglos wieder ein mechanisches 
förderndes Moment für weitere Schädigungen des Ulknsgrundes 
sein. Man kann bei Operationen sehen, bei denen in Lokal¬ 
anästhesie der Spasmus selbst beim leeren Magen gelegentlich, 
wenn auch selten, fortbesteht, dass jene Mageuteile ganz an¬ 
ämisch erscheinen. Ist einmal ein Substanzverlust vorhanden, 
so wird dort die Verdauung nach der Tiefe und rundherum fort¬ 
schreiten können, und gerade zu den Zeiten der spastischen Kon¬ 
striktion ist ja die peptische Verdauung auf der Höhe. Dass 
gerade beim totalen Antruraspasmus solche Ulzera nicht immer 
gefunden werden (Schwarz*), mag daran liegen, dass das Magen- 
sekret vollkommen abgesperrt ist. Sicher spielen aber für die 
Prädilektion an der kleinen Kurvatur auch die von Stromeyer 
und Aschoff heran gezogenen Verhältnisse eine Rolle, vor allem 
die Fixation der Schleimhaut an die Tiefe. 4 Es muss also der 
Spasmus nicht nur durch Anämisierung, sondern im Sinne dieser 
Autoren als mechanisches, die Form deB Magenreliefsjam gründ¬ 
lichsten umgestaltendes Moment, ulkusfördernd wirken. — Wie 
im besonderen die Nische erst durch lokale Spasmen zur eigent¬ 
lichen Retentionstasehe wird, zeigte jüngst Haudek in ein¬ 
leuchtenden Skizzen. — Das ist deshalb wichtig, weil Stromeyer 
an der alten Lehre Virchow’s mit Recht Kritik geübt hat, er¬ 
schien doch vielen Autoren das Ulkus geradezu als nekrotischer 
Infarkt (Keil). Die Art der Gefässversorgung bei einem Ulkus 
stimmt dazu nicht, wie Stromeyer betonte, und das gibt, wenn 
auch nicht für die Entstehung der ischämischen Erosion, wohl 
aber für die des chronischen Ulkus zu denken. Wir werden 
nicht die Vorstellung aufzugeben brauchen, dass eine Ischämie 
der Schleimhaut oder des darunter liegenden Gewebes durch Ab¬ 
klemmung der Gefässe fördernd auf die Chronizität des Ulkus 
ein wirkt, es wird aber andererseits nicht das Ulkus nur als die 
Folge der Anämisierung eines streng begrenzten Bezirkes, näm¬ 
lich des Ernährungsbezirkes einer Endarterie aufgefasst werden 
können. Mit anderen Worten: das Ulkus erzeugt immer 
wieder von neuem Spasmen, diese bedingen sowohl 
ischämische Ernährungsstörungen, als auch wirken sie 
selbst als ein mechanisches Moment im Sinne von all¬ 
gemeinen Verengerungen des Magenlumens oder lokaler 
Veränderungen im Magenrelief und tragen so zur För de- 
rung des Ulkus auch im mechanischen Sinne (Aschoff, 
Stromeyer) bei. 

Sieht man die von Aschoff jüngst gegebenen Bilder, so 
frage ich mich, ob das Uebergreifen der Schleimhaut kardiawärts 
und der flach abfallende Rand pyloruswärts nicht dadurch zu 
erklären ist, dass beim speise- und sekretgefüllten Magen die 
Schleimhaut, soweit sie verschieblich ist, schon durch die Schwere 
kaudalwärts über ihre muskuläre Unterlage hinweg gezogen wird, 
ohne das Spiel der Peristaltik. Neben dem mechanischen Moment 
der Belastung muss für die Tricbterform des Ulkus an der kleinen 
Kurvatur auch jene Kontraktion der zirkulären Muskelschicht 
[Forsell*)] formgebend das Ulkus beeinflussen. Man kann aus der 
Richtung des Ulkiistricbterss nicht nur schliessen, wie Aschoff 
sagt, wie das herausgeschnittene Ulkus im Magen gelegen hat, 
sondern in welcher Richtung die Belastungs- und Kontraktions- 
kräfte zogen, die der peptischen Verdauung die Richtung wiesen, 
sich den Trichter zu graben. 

Dass also die Spasmen für die in die Tiefe gehenden 
Ulzera immer wieder gleichsam bei jeder Mahlzeit Kon¬ 
ditionen setzen zu weiterer peptischer Verdauung, scheint 
mir einleuchtend. 


1) Jo res, Anatomische Grundlage]* wichtiger Krankheiten, bei 
Springer 1913. 

2) Forsell, Fortsohr. d. Röntgenstr., Ergänzungsband 30. 


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UMIVERSITY OF IOWA 



10. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


589 


Gilt dies nur für die Ulzera, bei denen wir die Spasmen 
im Röntgenbilde nachweisen? Westpbal hat im Tierexperiment 
auf die zirkumskripten Spasmen der Muscularis mucosae und 
der Muscularis propria hingewiesen. Ich zweifle nicht, dass ein¬ 
mal entstandene Substanzverluste immer wieder spasmenerzeugend 
wirken können. Wieweit diese Spasmen genügen, der natürlichen 
Heilungstendenz des Substanzverlustes entgegen zu wirken, ist an 
sich nicht zu sagen. Ich glaube das Fortbestehen eines Ulkus be¬ 
sagt oft, dass in diesem Falle dieSpasmapoiese des Ulkus wirkend ist, 
und damit wird die Chronizität verständlich. Es bleibt weiterer 
Forschung Vorbehalten, festzustellen, wo Prädilektionstellen 
für die Erzeugung von Spasmen durch ein Ulkus vor¬ 
handen sind. Die kleine Kurvatur scheint fraglos zu 
diesen prädisponierten Stellen zu gehören, sei es, dass 
dort die Anordnung der Ganglienhaufen bezüglich der Nerven- 
plexus die Spasmen auslöst, etwa so, wie das Herz auch empfind¬ 
liche und weniger empfindliche Stellen für seine motorische 
Funktion enthält, oder so, dass grob mechanische Momente wie die 
schlechte Verschieblichkeit der Schleimhaut an jener Achse des 
Magens, die man nach ForselTs Auffassi-ng geradezu als Magen¬ 
skelett bezeichnen könnte, die Spasmopoiese dort auslöst. Jeden¬ 
falls ist zu betonen, dass jene zirkumskripten Spasmen 
der Magenwand, die offenbar häufig sind, nach dem, was 
an der eröffneten Bauchhöhle zu sehen ist, der Untersuchung 
mit Röntgenstrahlen noch nicht zugänglich sind. 

Gelten ähnliche Verhältnisse auch für das Ulcus duodeni? 
Ich glaube auch in dieser Hinsicht ist es Zeit, die äusserliche 
anatomische Scheidung in cis- und transpylorische Ulzera aufzu¬ 
geben, wie die Kliniker ja langsam aber zahlreich dazu kommen, 
Knut Faber folgend, vom juxtapylorischen Ulkus zu sprechen. 
Die Einheit, soweit es sich um das peptische Moment der Olkus- 
entstehung handelt, ist für beide Ulzera evident. Das „Syndrötne 
pylorique 1 * Soupault’s ist beiden gemeinsam [s Kemp 1 * )], und endlich 
gilt für das spastische Moment ein gleiches. Ich weiss nicht, warum 
Spasmen am Duodenum geleugnet werden (Clairmont*). Orga¬ 
nische Duodenalstenosen sind längst beschrieben, ja von den opera¬ 
tiven Ulcus duodeni-Fällen einzelner Autoren sollen bis zu 25pCt. mit 
Duodenalstenose kombiniert gewesen sein. Wenn die sehr wichtigen 
Beobachtungen Chaoul’s und Stierlin’s wegen ihrer diagno¬ 
stischen Wichtigkeit eine Bestätigung von anderer Seite sehr er¬ 
wünscht sein lassen, so geht doch heute schon so viel aus den 
von ihnen gegebenen Bildern hervor, dass auch jene Ulzera 
spastische Kontraktionen zur Folge haben. Denn unmöglich wird 
man alle die von jenen Autoren demonstrierten Silhouetten für 
Darstellungen organischer Veränderungen am Duodenum halten. 
Spastische Momente sind anscheinend fast genau so 
regelmässig beim Ulcus duodeni, wie fast bei jeder Ulkus¬ 
nische der kleinen Kurvatur. Nimmt man dazu, dass die pylo- 
rische Region des Magens in breitem Umfange besonders leicht 
erregbar scheint (s. oben), so wird die Auslösung zirkulärer oder 
zirkumskripter Spasmen um den Substanzverlust herum selbst¬ 
verständlich scheinen und auch hier wird man die Spasmopoiese 
desUlcus parapyloricum d. hl auch das Ulcus duodeni als 
eineKonditionfürdie Chronizität des Ulk us gelten lassen. 
Dass im Bulbus duodeni dem „Nacbmagen“ oder „Pufferraum 
der Antrumperistaltik“ (Holzknecht) noch andere Momente'die 
Ulkusentstehung begünstigen (Schmieden), sei gern auch hier er¬ 
wähnt. Nach diesem allen möchte ich, wie Westphal schon 
vor 4 Jahren ausgesagt hat, nochmals deutlich betonen, dass mir 
bei der Prägung des „spasmogenen Ulcus pepticum“ 
daran lag, nicht nur die Spasmen alseinen wesentlichen 
Anlass für die Entstehung der ersten Andauung zu be¬ 
zeichnen, sondern das Ulcus chronicum ventriculi et 
duodeni als „spasmogen“ hinzustellen, d. h. die stets 
von neuem durch das Ulkus an gleicher Stelle ent¬ 
stehenden Spasmen waren gedacht als wesentlicher An¬ 
lass zur Chronizität. Keineswegs sollen damit einseitig weitere 
veranlassende Momente geleugnet werden. Es bedarf noch mancher 
Aufklärung, um zu zeigen, warum am Duodenum ganz vorwiegend 
die Vorderwand Sitz des Ulkus ist und vieles andere mehr 9 ). 

1) Kemp, Mitt. Grenzgeb., 1914, Bd. 27, H. 3. 

2) Anmerkung bei der Korrektur: Eben betont Schwarz als 

mechaniscbes Moment die Taille des Mensohen; sofern damit eine An¬ 

bahnung eines Verständnisses gegeben ist, dass die Männer häufiger ein 

juxtapylorisches, die Frauen ein Ulkus der kleinen Kurvatur tragen, 

begrüsse ich seine Auffassung als ein konditionelles Moment unter vielen; 

ich glaube damit der Wahrheit näher zu kommen wie Sohwarz, der 

seine Auffassung unterstreichend sioh in Gegensatz zu der meinen stellt. 


Dass der „spasmophile“ Magen — hier sei das Wort, das 
leider durch einen anderen Begriff beschlagnahmt ist, einmal ge¬ 
braucht — leichter die das Ulkus fördernden Spasmen erleidet, 
ist verständlich. Dies weist zur vorhergehenden Publikation zurück, 
d. h. auf das dispositionelle Moment bei der Ulkusgenese. 

Im Zusammenhang mit der Chronizität scheint mir die eminent 
wichtige Frage zn stehen, wie oft ein Ulkus duodeni heilt. (Ich 
sehe ab vom Ulcus acutum chirurgicum). Pathologen sagen uns, 
es müsse meist mit Blutung oder Perforation endigen, weil ver¬ 
narbte, also geheilte Ulzera viel seltener gefunden werden wie 
im Magen. Abgesehen davon, dass die besonders für das Thema 
interessierten Obduzenten von Jahr zu Jahr häufiger doch Residuen 
am Duodenum finden [Rössle 1 )], ist die Gegenfrage berechtigt, 
ob eine Ulzeration der Darmschleimhaut nicht leichter ohne makro¬ 
skopische Residuen ausheilt, wie ein Ulkus der Magenschleimhaut. 
Vom Ileum und Kolon ist hocbwabrscheinlicb, dass z. B typhöse 
Ulzera ohne Residuen ausheilen können. Das Aussehen eines Ulcus 
duodeni wie ein frischer Substanzverlust, die viel seltener kallösen 
Ränder wie beim Magen sprechen für Heilungen ohne makro¬ 
skopischen Befund, die Chronizität andererseits so oft durch 20 Jahre 
und mehr spricht klinisch sehr dagegen. Zu glauben, das Ulcns 
duodeni heilt nach jeder Schmerzperiode, und das Rezidiv sei 
Ausdruck einer neuen Entstehung (Melchior), erinnert fast an 
die Vorstellung des Laien vom Geschwür, das „immer wieder 
aufbricht“. Ich komme am Schluss nochmals hierauf zurück. 
Für die Häufigkeit zirkulärer Kontraktionen beim Ulcus duodeni 
spricht ein funktionelles Verhalten der MagenmotUität. Meine 
Mitarbeiter, Westphal und Katsch, haben zwei extreme Typen 
des Ulcus duodeni aufgestellt, das byperperistaltische und 
maximalsekretorische Ulcus duodeni. Chaoul und Stier- 
lin*) irren, wenn sie diese Einteilung Schlesinger zuschreiben, 
der in seinem Buch unsere Autorschaft übrigens klar betont. 
Die Auffassung vom byperperistaltischen Ulkus deckt sich nicht 
mit der „duodenalen Magenmolitität“ von Kreuzfuchs, der sie als 
anfänglich beschleunigte Magenentleerung mit folgendem Sechs¬ 
stundenrest beschrieb. Näber steht der Typus jener wichtigen 
Feststellungen von Jonas 8 ) über Stenosenperistaltik, die allzu 
wenig über die Kreise der die Röntgendiagnostik heranziehenden 
Aerzte hinausgedrungen ist. 'Die Stenosenperistaltik ist nun nach 
meiner Erfahrung nicht nur Kompensation, sondern oft eine Ueber- 
kompensation der Natur, die wir ja auch sonst nicht selten an- 
nebmen. Der Magen entleert sich oft geradezu, schneller, 
wenn eine Stenose am Ausgang besteht. Kompensierend 
arbeitet der Magentumor eher zu stark, die Hypertrophie über¬ 
windet Monate, selbst Jahre das Hindernis: ein Stadium 
glänzender motorischer Suffizienz (Oser u. a. m.), das der 
Magenspezialist, der die motorische Insuffizienz für das 
wichtigste Zeichen der pylorischen Stenose hält, über¬ 
sieht. Jonas und Kemp haben uns auch belehrt, über „inter- 
mitierende motorische Insuffizienz“, über „Dekompensation“ und 
wieder „erneute Kompensation“ am Magen. Es fragt sich, ob 
nicht beim „byperperistaltischen Typ desUlcus duodeni“ 
sehr oft eine funktionelle Stenose vorliegt. Das braucht 
weder ein totaler, noch ein partieller Pylorusspafmus zu sein. 
Es ist bekannt, dass auch Duodenalstenosen, selbst solche durch 
pericholezystische Verzerrungen Stenosenperistaltik auslösen. Wir 
haben vom byperperistaltischen Typ des Ulcus duodeni gesprochen, 
weil die vermehrten motorischen Erscheinungen nicht alle Kriterien 
echter Stenosenperistaltik bieten., Ich habe sie zum Teil als 
Zeichen des in seiner Motilität überregten Magens aufgefasst, 
also als einen Teil der gesamten Störung im viszeralen Nerven¬ 
system. Wir glauben jetzt, dass die Hyperperistaltik, 
die intensiv einsetztvund nicht schnell versagt, wie jene 
duodenale Magenmotalität von Kreuzfuchs 4 * * * ), doch sehr häufig 
ein Zeichen ist von juxtapylorischen Verengerungen 
durch Ulkusspasroen oder Narben erzeugt. Natürlich 
können Knickungen am Duodenum, Verwachsungen Periduodenitis, 
Perigastritis dasselbe Bild auslösen. 

Umgekehrt erscheint das andere Extrem,fdas^maxi- 
malsekretorische Ulcus parapyloricum uns häufig als 
Ausdruck der dekompensierten Stenose, nicht immer echte 


Mehrere Bedingungen kommen zusammen, führt diese ruhigere Stellung¬ 
nahme nicht am besten vorwärts? (s. Schwarz, D.m.W., 1918, Nr. 22.) 

1) Rössle, Mitt. d. klin. Gebiete, Bd. 25, H. 4. 

2) Chaoul und Stierlin, M.m.W., 1911, Nr. 48. 

8) Jonas, Aroh. f. Verdauungskr., 1912, Bd. 18, H. 3. — W.kl.W., 
1909, Nr. 44; 1910, Nr. 31. — W.m.W., 1911, Nr. 10; 1912, Nr. 16. 

4) Kreuzfuchs, B.kl.W., 1912, Nr. 33. — W.U.W., 1912. 

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UMIVERSITY OF IOWA 




540 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


Hypersekretion oder gar Gastrosukkorrhoe, oft nur Retention des 
Magensekretes. Zeigen doch die reinsten Fälle des maximal¬ 
sekretorischen Ulcos dnodeni anch mit den anderen Prüfungen 
Zeichen einer motorischen Insuffizienz, xum mindesten des I.Grades. 
So würden, wenn auch nicht alle Fälle, so doch viele in unserer 
Gliederung auf funktionelle Momente zurückxuführen sein, die von 
seiten des Dlcns parapyloricum ausgelüst sind. Sowohl das 
hyperperistaltische wie das maximalsekretorische Ulcus 
duodeni hätten Zusammenhänge mit relativer spasti¬ 
scher Enge am Pylorus selbst oder jenseits davon. 

Eben betont Singer 1 2 3 * ) von neuem, wie unbefriedigend es 
diagnostisch ist, dass die meisten bisherigen Rüntgenzeichen des 
Ulcus duodeni indirekte sind. Sie sind funktioneller Art und 
finden sich deshalb auch ohne Ulkus, wenn nur die Funktion in 
ähnlichem Sinne gestört ist. Ich begrüsse es gerade so freudig 
wie Singer vom diagnostischen Standpunkte, wenn direkte 
röntgendiagnostische Kriterien für das Ulcus duodeni bekannt 
werden, die Frage ist im Flusse. Als „Rettungsanker“, wie 
Singer sagt, für den Röntgendiagnostiker möchte ich es keines¬ 
falls aufgefasst wissen, dass wir das funktionelle Moment bei 
den bisher gültigen Röntgensymptomen des Ulcus duodeni be¬ 
tonen mussten. Es diene denn der Anker dazu, dass der Radio¬ 
loge nicht im Meer schwankender Diagnosen hin- und herge¬ 
worfen wird, sondern vorläufig die nötige kritische Resignation 
übt. Er soll sich bei funktionellen Zeichen eben stets sagen, 
dass die „indirekten Ulkussymptome“ durch eine Reihe von 
Reaktionen der Magenmuskulatur auf mechanische und andere 
Momente hervorgerufen sind. 

Ganz ähnliches in puncto Resignation ist zu sagen, wenn 
ich endlich auf den Ulkusschmerz komme, es gibt keine 
Schmerztypen, die für ein Ulkus pathognomonisch 
wären. Ich will unter den mannigfachen Magenschmerzen 
[8. Ortner a )J nur die zwei wichtigsten Typen herausgreifen. 
Erstens den Frühschmerz in der Mediane, mehr oder 
weniger dicht unter dem Processus ensiformis, für den unter 
allen Magenscbmerzen noch am besten das Wort „Cardialgie“ 
bestehen bleiben könnte. Ob freilich von der Cardia her der 
Schmerz ausgelöst wird, ist mehr als fraglich. Für ihn wenig¬ 
stens gelten die Ausführungen Mackenzie*» 8 ) zu Recht, der wohl 
-fälschlich alle Schmerzen, die vom Magen her irradiieren, in der 
Mediane lokalisiert findet. Am häufigsten wird er uns angegeben 
bei asthenischen Mädchen mit tiefstehendem kaudalen Pol des 
Magens. Er tritt bald nach dem Essen auf, wird oft geringer, 
wenn man den Magen unterstützt. Sollten Zerrungen an der 
Kardia bezüglich deren aus glatter Muskulatur bestehendem Auf- 
hängeapparat das auslösende Moment sein? In einer grossen Zahl 
von Fällen spricht bei diesem Schmerztypus gar nichts für Ulkus. 
Typus des Magenschmerxes der Chlorotiscben und des nervösen 
jungen Mädchens. Gute Erfolge der Liegekuren. D. Gerhardt 
sagte mir, dass man in der Würzburger Klinik bei diesem 
Schmerztyp vom „Magen Mädle“ spricht. Lokalisiert man den 
Schmerzpunkt vor dem Röntgenschirm, liegt er fast stets median 
vom Magenscbatten in der Gegend etwa des Ganglion coeliacum, 
befasst man sich aber mit der modernen Lehre, der durch die 
inneren Organe ausgelösten Sensibilitätsstörungen, wird man mit 
mehr Resignation nur die hyperästhetische Zone der Haut be¬ 
schreiben und sagen: es ist ein viszero-sensorischer Reflex meist 
mit hyperästhetischer Zone in der Medianlinie. Der Schmerz 
hängt offenbar mit der Funktion des gefüllten Magens 
zusammen, sei es der peristolischen, oder, wie angedeutet, 
mit dem Zug der Ingesten am kardialen Aufhängeapparat des 
Magens, da er fast unmittelbar nach stärkerer Füllung des Magens 
ein tritt. 

Weit wichtiger im Zusammenhang mit allem bisher be¬ 
schriebenen ist der xweite Schmerztyp, der des „pylori- 
8eben Syndroms“ von Soupault, worunter wir den Spät¬ 
schmerz (einschliesslich dem sogenannten nächtlichen Hunger- 
schmerz) verstehen, der auf Nahrungsaufnahme verschwindet 
und eine Periodizität zeigt. Trousseau stellt ihn noch als die 
Ausnahme hin, die die Regel des Frühschmerzes bestätigt, später 
wurde er als typisch für schwere Hyperazidität aufgefasst, 
während er von Soupault klinisch intuitiv erfasst, durch 

1) Singer, D.m.W., 1918, Nr. 17. 

2) Ortner, Klinisohe Symptomatologie innerer Krankheiten, Urban A 
Sohwarzenberg 1917. 

3) Mackenzie, Krankheitszeichen und ihre Auslegung, verdeutscht 

Johannes Müller. Würzburg 1911, bei Kabitsoh. 


Moynihan zum fast untrüglichen Symptom des Ulcus duodeni 
gestempelt wurde. Singer betont mit Recht, wie das „pylo- 
rische Syndrom“ gelegentlich bei Cholecystitis vorkommt. Ich 
habe diesen Schmerztyp klassisch bei Achylia gastrica gesehen 
und, um nur von Erfahrungen bei Operationen zu sprechen: bei 
Periduodenitis ohne Ulkus, bei cholezystischen Adhäsionen snm 
Duodenum hinüber, bei Pyloruskarzinom, bei Magenniscben der 
kleinen Kurvatur, bei denen wohl stets dann Stränge zum Pylorus 
zogen, auch bei Fällen, die als Dlcus duodeni zur Operation 
kamen, und bei denen der Chirurg nichts fand. Es scheint mir 
übrigens unkritisch, nur um Moynihan's durch Uebertreibung 
falsch gewordenen Satz von dem überragenden Wert der Anamnese 
nicht fallen zu lassen, auch bei offenbar falschen Diagnosen, sich 
dahinter zu verschanzen, dass der Chirurg von aussen her am 
Duodenum das Fehlen eines Ulkus nie beweisen könne (Schur)*. 

Das geht aus einer ganz andersartigen Ueberlegung, nämlich 
dem Nachdenken darüber hervor, was eigentlich diesen Schmers¬ 
typ veranlasst. Wird der Schmerz ausgelöst vom Ulkus selbst? 
Bei einem Fall von klassischem Pylorussyndrom fand der Chirurg 
ein cispyloriscbes Ulkus. Es wurde nicht entfernt. Ich habe 
wiederholt Salzsäure von einer Azidität von 100—150 (Jaworski- 
Zahlen) mit dem Magenschlauch eingegossen, kein Schmerz ent¬ 
stand, obwohl das Ulkus von der Säure bespült werden musste. 
Danach kann ich die Aussage anderer, x. B. von Hertz, nur be¬ 
stätigen, dass der „Wundschmerz“, die Berührung der Säure usw. 
nicht das wesentliche ist; noch weniger regelmässig ist es die 
Perigastritis. Ich zitiere nur diesen einen Fall für viele, weil 
hier durch Operation, Bestand und Sitz des Ulkus gesichert 
war. Ich habe weiter festgestellt, dass der Spätschmerz ver¬ 
schwand, obwohl eine saure Bariumaufschwemmung, freie Salz¬ 
säure (100) in den Magen eingegossen wurde und vor dem Röntgen¬ 
schirm zu sehen war, dass der saure Bariumbrei den Pylorus 
passierte bei lebhafter Peristaltik. Kein Schmerztyp beweist 
für den Unbefangenen dennoch mit solcher Evidenz, 
dass er mit der Funktion des Magens in Zusammen¬ 
hang steht. Nur gelingt es noch nicht, ihn auf ein einfaches 
Verhalten in der Muskelfunktion zurückzuführen. Wir haben in 
unseren ersten Publikationen geglaubt, dass es sich meist um 
Pylorusspasmus handelt; dass Pylorusspasmus heftige Schmerzen 
erzeugen kann, ist kein Zweifel. Ich sab einen jungen Menschen, 
der sich stundenlang vor heftigsten Schmerzen wand und dann 
kollabierte. Die Operation auf Verdacht wegen Perforation zeigte 
den Pylorus fest um einen Kohlstrunk gekrampft, etwa wie beim 
Gallensteinileus den Darm um das Konkrement. Es gelang nur 
schwer, den Strunk aus dem Pylorus zu lösen. So kann man 
mit Recht von „Pyloruskoliken“ gelegentlich bei Pylorusstenose, 
bei Pylorusulkus und ähnlichem sprechen (Jonas). 

Wir haben uns aber in manchen Fällen überzeugt, dass 
während des intensiven Spätschmerzes Bariumaufschwemmung den 
Pylorus passiert. Den Pylorusspasmus allein verantwort¬ 
lich zu machen ist also unmöglich. Es ist bekannt, dass 
Dehnung der glatten Muskulatur schmerzauslösend wirken kann, 
wohl auch funktionelle Uebermüdung. Vergessen wir nicht, dass 
auch bei der Angina pectoris nicht stets Ischämie des Herzmuskels 
durch Koronarsklerose oder Koronarspasmus die Kondition für die 
Schmerzen des Anfalls ist [Krehl 1 )]. Eine Analogie liegt hier 
nahe: wenn der Magenmotor während der Austreibung 
des Ghymus vermehrte mechanische Arbeit wirklich zu 
leisten hat oder durch seine Innervation eineunzweck¬ 
mässige Mehrleistung vollführen muss, so kann gegen 
Ende der Zustand eintreten, der schmerzauslösend 
wirkt. Die Hyperperistaltik beim Ulcus duodeni, das, was über 
eine Art Stenosenperistaltik gesagt wurde, scheint mir Verständ¬ 
nis auch für den Spätschmerz zu geben. Der Spätschmerz ist 
quasi Ausdruck einer akuten muskulären Erschöpfung. Hier liegt 
die Analogie zur Angina pectoris, ja man könnte von „Angina 
pylorica“ sprechen, weno mit diesem Ausdruck nur die subjektiven 
Beschwerden, nicht die anatomische Enge gemeint ist, etwa so, 
wie beim Worte „Angina abdominis“. Dass das pylorische Syndrom 
noch durch andere Momente ausgelöst wird, ist sehr wahrscheinlich, 
jedenfalls aber haben diese Momente einen Zusammenhang mit 
der Magenfunktion [s. auch Szöllösy 8 )]. Der Magenmotor arbeitet 
gegen eine organische oder funktionelle Pylorus- oder Duodenal- 
steoose an, der Magenmotor hat also vermehrte Entleerungsarbeit 
zu leisten. Dabei befällt ihn ein Reizzustand, der zentripetal die 

1) Krehl, Pathologische Physiologie, 8. Aufl. Leipzig 1914, bei 
Vogel. 

2) Szöllösy, Die Gastralgie. Urban & Schwarzenberg 1916. 


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UNIVERSUM OF IOWA 




10. Juni 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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zugehörigen Rackenmarkasegmente irritiert und als Sdhmerz perzi- 
piert wird. Br kann trotzdem dabei weiter arbeiten, aber die 
Ueberanstrengung seiner glatten Muskulatur, sei es durch Dehnung 
(partielle Magensteifung, q iasi Tenesmus), sei es durch vermehrte 
Kontraktion, vermehrten Aufwand neuromuskulärer Leistung führt 
zum Schmerzanfall. Die erneute Nahrungsaufnahme erlöst den 
Motor von diesem schmerzhaften Irritationszustand, entweder 
direkt: Die Arbeit als Expulsions- und Mischmotor wird abgestellt, 
der Magen arbeitet zunächst wieder als Retorte, als Retentions- 
apparat, oder indirekt: die Säure wird herabgesetzt und damit 
hört der reflektorische Pylorusspasmus auf. Aehnliches bewirkt 
Atropin oder Papaverin als Oeffner des Pylorus, als Rubigsteller 
des irritierten Motors, als Herabsetzer der Sekretion, auch wohl 
der sensiblen Irritation im Organ. Ich schliesse mit dieser Hypo¬ 
these, die nahe steht der interessanten Auffassung, welche 
Szöllösy in seiner Monographie der Gastralgie niedergelegt hat, 
die mir aber in ihrer ganzen theoretischen Konstriktion, z. ß. der 
sogenannten byperkinetischen Disposition des Muscularis mucosae 
einerseits zu weit geht und andererseits den Zusammenhang mit 
der Punktion des Magenmotors, also mit einer Art akuter Er¬ 
schöpfung der glatten Muskulatur nicht als die^Hauptsache hin¬ 
stellt. Auf alle rein theoretischen Deberlegungen dieses Autors, 
speziell ob die Musculariagmucosae oder die Muscularis propria 
durch Kontraktion die Schmerzen auslöst, sei hier nicht ein¬ 
gegangen, um so weniger als Szöllösy das pylorische Syndrom 
nicht von anderen Schmerztypen abgrenzt und damit sich dem 
funktionellen Verstehen des Zustandekommens jenes Schmerzes 
verschliesst, als eines funktionellen Erschöpfungssymptoms. Selbst 
wenn meine Hypothese über die Bedingungen des Spätschmerzes 
der Modifikation bedarf, ein praktischer Wert bleibt ihr gewiss, 
gerade wie der Lehre von der intermittierenden Stenosenperistaltik: 
man wird den klassischen Scbmerztyp des pylorischen 
Syndroms nie unmittelbar auf ein Ulkus beziehen 
dürfen, sondern auf eine Funktionsstörung des Organs. 
Das macht die Diagnose des parapylorischen Ulkus zwar schwieriger, 
unser Denken am Krankenbett wird aber vertieft, indem an die 
Stelle des empirischen Dogmas: „die typische Anamnese ist gleich 
Ulcus duodeni u , ein Verständnis für einen bestimmten Vorgang 
angebahnt wird. Und noch eine praktische Konsequenz dieser 
Hypothese: man wird sich klar werden müssen, dass durch Er¬ 
leichterung der motorischen Arbeit des Magens, namentlich durch 
Ruhe, Art der Diät, Verringerung der Azidität, durch medikamentöse 
Herabsetzung der Muskeltätigkeit und der sensiblen Irritabilität, 
welch letztere wahrscheinlich auch durch Kataplasmieren und 
ähnliche Hautreizmittel gedämpft wird 1 ), der Magenmotor sich er¬ 
holt, zum Teil leistet wohl auch die Gastroenterostomie nichts 
anderes als diese motorische Entlastung. Der Kranke wird durch 
solche therapeutische Maassnahmen schmerzfrei. Es ist aber 
an der Zeit, sich klar zu machen, dassdie Heilung eines 
Ulkus mit dem Verschwinden des Schmerzes gar nichts 
oder nur ganz indirekt etwas zu tun hat. Ein Ulkus kann 
lebensgefährlich bluten, kann perforieren im Schmerzintervall. 
Ein Ulkus besteht meist ganz unverändert weiter in der 
Schmerzperiode und ausserhalb der Schmerzperiode. 
Der Rückfall kommt krisenartig, teils durch Ueberanstrengung 
des Magens, teils wohl aber, vorläufig ebenso unverständlich, ohne 
äusseren Anlass wie die Krise des Tabikers oder die Krise beim 
Saturnismus. Wir übersehen nicht, was die viszerale Krise, d. h. 
die Periodizität bedingt. Man halte das Ulkus anatomisch fast 
ebensowenig für ausgeheilt wie einen Tabiker ausserhalb seiner 
Schmerzperiode. Auch bei der Ulkusnische kennen wir, wenn 
auch nicht so ausgesprochen wie beim Ulkus duodeni, die 
Periodizität, und eine rationelle Therapie erreicht auch dort fast 
regelmässig das Eine: den Kranken von Beschwerden frei 
zu machen. Das ist zwar Resignation beim Kapitel der 
Ulkustherapie, eine Resignation, aus der es falsch wäre, den 
Schloss zu ziehen, also muss stets operiert werden. Weder bei 
der Ulkusnische, noch beim Ulcus duodeni sind die gefährlichen 
Komplikationen so häufig, als es oft hingestellt wird. Hier wo 
die Pathogenese des Ulcus chronicum und seiner Symptome uns 
beschäftigt, ist nicht der Ort, die subtile Frage der chirurgischen 
Indikationsstellung abzugrenzen. 


1) Wie diese Veränderung der Irritabilität gemeint ist, wird anderen 
Ortes besprochen. 


Erfahrungen bei der Behandlung der Malaria, 
vor allem die Behandlung chininresistenter Fälle. 

'Von 

Dr. med. et phil. Carly Seyfarth- Leipzig, 

Kgl. Siehe. Oberarzt bei der Deutschen Sanititsraiasion für Bulgarie’«. 

Die Therapie der Malaria bietet eine grosse Fülle schwieriger 
und noch ungelöster Probleme. Zwar haben wir allen Anlass, 
uns des Chinins und seiner Wirkungen zu freuen. Dennoch lehren 
die praktischen Erfolge in tropischen und subtropischen Gegenden 
und jetzt auch in der Heimat, dass diese Zufriedenheit keine 
restlose ist. Auch wi? können diese Erfahrung bestätigen, nach¬ 
dem wir in einer Zeit von mehr als zwei Jahren in G. (Südost¬ 
bulgarien) zahlreiche Fälle von Malaria beobachtet und behandelt 
haben. 

Die orale, allgemein übliche Cbinindarreichung, die wir im 
Anfang allein angewendet haben, war bei .Malaria tropica in den 
allermeisten Fällen nicht ausreichend. Sehr bald wurde zur 
Kombination mit parenteraler Verabreichung des Chinins ge¬ 
schritten. Doch auch mit dieser gelang es nur, Neuerkrankungen 
und relativ frische Rezidive, aber nicht alte, verschleppte, chinin¬ 
gewöhnte Fälle dauernd zu heilen. Diese erwiesen sich dem 
Chinin gegenüber resistent. In meiner Arbeit „Erfahrungen über 
die Chininresistenz der Malariaparasiten u in vorliegender Nummer 
dieser Wochenschrift habe ich die verschiedenen Gründe der 
Chininfestigkeit gewisser Malariafälle ausführlich dargelegt. Wir 
haben nun unsere Malariatherapie dementsprechend eingerichtet 
und sehr gute Erfolge erzielt. 

Io der eben erwähnten Arbeit hatte ich gesagt, dass nach 
unseren Erfahrungen recht häufig langandauernde, ununterbrochene 
oder steigende Chininbehandlung mit täglichen hoben Dosen von 
lg und darüber eine Chiningewöhnung des Organismus und 
der Malariaparasiten hervorrief. In recht vielen Fällen trat 
während einer solchen ununterbrochenen Behandlung Fieber auf. 
Man wollte Chinin „bis zur Entfieberung“ geben. Das Gegenteil 
des Beabsichtigten wurde erreicht. Die Temperatur stieg. Mag 
dies nun seine Ursache in dem einen Falle in Parasitenvermeh¬ 
rung, die sich trotz fehlenden Parasitenbefundes im peripheren 
Blut in inneren Organen abspielte, haben, oder mag dies in 
anderen Fällen eine unmittelbare Folge der Chinindarreichung 
sein, die praktischen Erfolge lehrten, dass solche Temperatur¬ 
steigerungen durch Aussetzen des Chinins, durch ge¬ 
eignete Pausen in der Chininkur und in der Nach¬ 
behandlung beseitigt bzw. ganz vermieden werden 
konnten. Praktische Erfahrungen an einer sehr grossen Anzahl 
von Fällen Hessen mir eine Pause von fünf Tagen nach je acht¬ 
tägiger ununterbrochener Chiningabe am günstigsten erscheinen. 

Wir hatten in der oben erwähnten Arbeit ferner gesehen, 
dass die „Chininfestigkeit“ recht häufig auf eine mangelhafte 
Resorption des per os gegebenen Chinins zurückzuführen war. 
Diese wurde durch Magendarmstörungen bedingt, die wir in etwa 
25pCt. aller beobachteten Fälle als Begleitsymptome der Malaria 
feststellten. Io manchen Fällen traten sogar Durchfälle infolge 
der Chinindarreichung per os auf und erschwerten so durch die 
schnelle Ausscheidung die Resorption des Chinins. Derartige mit 
Erbrechen, Obstipation und vor allem mit Durchfällen kompli¬ 
zierte Malariaerkrankungen und die dysenterieartigen Tropika- 
formen trotzten hartnäckig einer Chininbebandlung per os, heilten 
aber überraschend schnell bei einer geeigneten intramuskulären 
Chinindarreichung. 

Im Hinblick auf diese Erfahrungen begannen wir unsere 
Chininkur stets mit täglichen intramuskulären Cb inin inj Aktionen. 
Wir wandten also in allen einfachen Fällen die Malariabeband- 
lung nach folgendem Muster an: 

8 Chinintage, je 1 g Chinin intramuskulär, 

5 Tage Pause, 

8 Cniointage, je 1 g per os verteilt in Einzelgaben, 

5 Tage Pause, 

2 Chinintage, je 1 g per os verteilt in Einzelgaben, 

6 Tage Pause. 

Hierauf Uebergang zur Verabreichung von je 1 g Chinin an 
zwei aufeinanderfolgenden, daher leicht zu merkenden Tagen 
jeder Woche, 6—8 Wochen hindurch. 

Mit dieser Behandlung wurde bei relativ frischen, nicht allzu¬ 
lange vorbehandelten bzw. nicht chiningewöhnten Fällen die besten 
Erfolge erzielt. 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


Verschleppte, ältere, chronische Malariaerkrankungen, Fälle, 
die auf Chinin nur schwer oder überhaupt nicht mehr reagierten, 
konnten durch eine kombinierte Chinin - Neosalvarsan- 
behandlung, und zwar durch Einschieben von Neosalvarsan» 
Injektionen in obige Chininbehandlung, der Therapie zugängig 
gemacht werden. Chininfeste Malariaparasiten verloren dadurch 
ihre Cbininresistenz. Sie wurden durch das Neosalvarsan 
dem Chinin gegenüber sensibilisiert. 

Neosalvarsan allein übte nur in den seltensten Fällen Dauer¬ 
wirkung auf die Malariaparasiten aus. Kombination mit einer 
Chininnachbehandlung hatte schon bessere Ergebnisse. Dennoch 
bewies die praktische Erfahrung an einigen hundert Fällen, dass 
die von Nocht und Werner, Biedl, Neuschloss und anderen 
angegebenen kombinierten Neosalvarsan-Cbinintherapien nicht so 
vorzügliche Resultate ergaben wie die im folgenden vorgeschlagene. 
Jene haben zumeist eine Neosalvarsan- mit folgender Chinin- 
nachbehandlung im Auge. Bei dieser lege ich den Hauptwert 
auf das Einschieben der Neosalvarsaninjektionen zwischen die 
Chinintage, eine Methode, der auch Prof. Müh lens, nachdem er 
sich von den in meinem Spital erzielten Erfolgen überzeugt hatte, 
beipflichtete. Ich wandte also folgendes Muster für die kom¬ 
binierte Chinin-Neosalvärsanbehandlung an: 

1.—4. Chinintag je 1 g intramuskulär, 

5. Tag vorm. Neosalvärsanmjektion 0,45 intravenös, 
nachm. 1 g Chinin intramuskulär, 

6.—8» Chinintag je 1 g intramuskulär, 

5 Tage Pause, 

4 Chinintage je 1 g per os verteilt in Einzelgaben, 

5. Tag Neosalvarsaninjektion 0,6 intravenös und 1 g 
Chinin per os verteilt in Einzelgaben, 

6.—8. Chinintag je 1 g per os verteilt in Einzelgaben, 

5 Tage Pause, 

2 Chinintage je 1 g per os verteilt in Einzelgaben, 

5 Tage Pause. 

Hierauf Uebergang zur Verabreichung von 1 g an zwei 
aufeinanderfolgenden Tagen jeder Woche 6—8 Wochen hindurch. 

Beispiel I. Unteroffizierschüler A. D. B. (Bulgare), bulgarisches 
Ersatzinfanterieregiment Nr. ... 16 Jahre alt aus B. (Altbulgarien). — 
Pat. ist seit einem halben Jahr in der hiesigen Gegend. Er ist nie krank 
gewesen. Chinin hat er nicht genommen. Seit zehn Tagen hat er tag- 
lioh Fieber mit Schüttelfrost und Kopfschmerzen. Seitdem ist er sehr 
schwach geworden. — Anämischer schwächlicher Pat., der einen schwer¬ 
kranken Eindruck macht. Milz +-f- (Rand in der Mitte zwischen Rippen¬ 
bogen und Nabel fühlbar). Im übrigen keine Besonderheiten. Im „dicken 
Tropfen“ Tropikaringe (0 +-f-) und Halbmonde ()) ++). Am 8. u*. 9. XII. 
hat er einen typischen Fieberanfall. Chininkur (siehe Kurve 1). Nach¬ 


behandlung mit Liq. arsenioos. Fowleri und Decoot. cort. Chinae. Normale 
Rekonvaleszenz. Zur weiteren Nachbehandlung am 22.1. 1918 entlassen. 

Beispiel II. Soldat A. S. T. (Bulgare), bulgarisches Infanterieregiment 
Nr. . . . 22 Jahre alt Bauer aus N. (Altbulgarien). Pat befindet sioh 
seit zwei Jahren in der hiesigen Gegend. An Fieber hat er oft gelitten. 
Er hat sehr viel Chinin genommen und zwar nur, wenn er Fieber hatte. 
Jetzt kommt er ins Spital wegen einer Lähmung im Gesicht, an der er 
seit vier Tagen leidet. Er klagt ferner über Verstopfung, Kopf- und 
Rüokensohmerzen. Fieber bat er seit etwa zwei Woohen nicht gehabt. 
Im Revier hat er Chinin bekommen. — Mittelgrosser kräftiger Patient, 
der keinen sohwerkranken Eindruck macht. Herpesbläschen am oberen 


Rand der linken Ohrmuschel, am linken oberen Augenlid und am rechten 
Mundwinkel. Linksseitige Fazialisparese. Milz nicht palpabel. Im 
übrigen keine Besonderheiten. Im Blut Tropikaringe (0-f-) und Halb¬ 
monde ())-|-+) sowie Tertianaringe (0-|-) und Gameten ())+). Ver¬ 
stopfung wird durch Calomel behoben. Chininentwöhnung. Abwarten. 
Heisse Einpackungen und kalte Duschen 2.—5. XI. Danach drei typische 
leichte Malariaanfälle. Vom 8. XII. an kombinierte Chinin-Neosalvarsan- 
behandlung (siehe Kurve 2). Am 18. XU. ist die Fazialisparese ver¬ 
schwunden. Typische Nachbehandlung. Normale Rekonvaleszenz. Am 
8. I. zur weiteren Nachbehandlung entlassen. 

Wie wir aus Beispiel II sehen, begannen wir mit der Chinin¬ 
kur nicht sofort nach der Einlieferung. Kranke, die sich vor dem 
Anfalle wochen- oder monatelang unter ständigem Chinin gebrauch 
mit ihrer Malaria herumgeschleppt hatten, oder die von anderer 
Seite kurz vorher einer mitunter sehr langen, ununterbrochenen 
Chininbehandlung unterzogen worden waren, mussten erst chinin¬ 
entwöhnt werden. Bei Propbylaktikern die trotz Prophylaxe 
infolge allnächtlicher, mehrfacher Neuinfektionen an Malaria er¬ 
krankten, hatten wir die Erfahrung gemacht, dass auch bei ihnen 
infolge täglichen oder mehrmals wöchentlichen Nehmens von 
Chinin während einer langen Zeit Gewöhnung des Organismus 
an das Alkaloid, Chininfestigkeit der Parasiten eintrat. Sie 
mussten gleichfalls erst chininentwöhnt werden. Vor Beginn der 
eigentlichen Chininkur machten wir zu diesem Zwecke eine ein- 
bis zweiwöchige Chininpause. Je nach dem geringeren oder 
grösseren Grade der Chiningewöhnung empfahl es sich sogar 
2—4 Wochen zu pausieren. Bei chronischen, verschleppten Fällen 
traten während dieser Zeit Fieberanfälle nur selten auf und ver¬ 
liefen dann auffallend leicht. Erreichten sie wirklich einen be¬ 
drohlich erscheinenden Grad, so wurde mit der Chininbehandlung 
sofort eingesetzt. 

Ausser dieser Chininentwöhnung wurde bei allen Fällen 
noch nach Möglichkeit auf ein zweites geachtet, um eine aus¬ 
sichtsreichere Behandlung einleiten zu können. Die Erfahrung 
hatte während des Jahres 1916 uns wie auch viele andere Be¬ 
obachter gelehrt, dass die Chininbehandlungsresultate viel 
besser bei manifester als bei latenter Malaria sind. 
Deshalb wurde vor der Behandlung latenter Malariafälle stets 
versucht, einen Anfall zu provozieren oder zum mindesten die 
Parasiten ins periphere Blut auszuschwemmen. Erst dann setzte 
die Chivinkur und zwar zumeist mit bestem Erfolg ein. Die 
Malariaparasiten konnten viel leichter vernichtet werden. 

Es ist ja eine bekannte Tatsache, und wir fanden sie fort¬ 
dauernd bestätigt, dass Malariarezidive durch die verschiedensten 
Gelegenheitsursachen: schroffe Wetter- und Klimawechsel, 
Durchnässung, Erkältung, Erhitzung, ungewohnte Hitze oder Kälte, 
Ueberanstrengungen (Gefechte, Märsche, 
Eisenbahnfahrten), Entbebrungen,Traumen 
(Kriegsverletzungen), chirurgische Opera¬ 
tionen, Entbindungen, Menstruation, inter¬ 
kurrente Krankheiten, Gemütserregungen, 
Exzesse in Baccho und Venere ausgelöst 
werden. 

Von diesen Erfahrungen ausgehend, 
war es während eines Jahres unser Prinzip, 
bei allen latenten Malariafällen künstlich 
ein Rezidiv hervorzurufen. Wir bemühten 
uns, die Plasmodien aus den inneren Organen, aus Knochenmark 
und Kapillaren, in denen sie sich unter dem Einfluss der Schuts¬ 
stoffe oder des Chinins angesammelt hatten, und wo sie in einem 
gewissen Ruhestadium verweilten, hervorzulocken, um sie durch 
eine nun einsetzende kombinierte Chinin-Neosalvarsanbehandiung 
leichter vernichten zu können. 

Wir verwandten alle möglichen Methoden zur Aktivierung 
latenter Malariafälle. Durch heisse Einpackungen, heisse oder 
kalte Duschen, feuchte Brustwickel usw. wurde dies erreicht. 
Durch Injektion von geringen Mengen Diphtherieserum, Typhus¬ 
oder Choleraimpfstoff oder steriler Milch gelang es, die Malaria¬ 
parasiten ins periphere Blut auszuschwemmen. Kalte Duschen 
auf die Milzgegend lösten ebenfalls in manchen Fällen Rezi¬ 
dive mit Fieber und Schizonten im Blut aus. Der gleiche 
Erfolg konnte durch „Antomilzmassage“ erzielt werden: 
Patienten mit latenter Malaria, die kräftig genug waren, 
mussten Holz hacken. Durch den rhythmischen Druck des 
Rippenbogensauf dievergrösserteMilz wurde ein mechanisches 
Auspressen der Parasiten aus der Milz, eine künstliche Aus¬ 
schwemmung der Plasmodien ins periphere Blut erzielt 
Faradisation und Bestrahlung der Milz mit ultraviolettem 


Kurve 2. 


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10. Jani 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


543 


Licht (Reinhard) sollen übrigens den gleichen Erfolg haben. 
Dnrch Injektionen von Ergotin konnten wir ebenfalls in einigen 
Fällen Reiidive erzeugen. Nach Neuschloss können überhaupt 
alle wirksamen Bestandteile des Mutterkorns, der Nebenniere und 
der Hypophyse durch vasokonslriktorische und durch kontraktive 
Wirkung auf die glatte Muskulatur bei latenter Malaria ein vor¬ 
übergebendes Ausschwemmen der Parasiten ins Blut erzielen. 
Auch eine Injektion einer kleinen Chiningabe konnte bei einer 
latenten Malaria einen Anfall provozieren. Dies ist jedoch viel 
zu unsicher, um als Methode dienen zu können. Bessere Erfolge 
erzielte ich durch einmalige Injektion einer kleinen Optochin- 
gabe 0,25 g in sterilen Ampullen, die mir liebenswürdigerweise 
von Prof. Morgenroth-Berlin zur Verfügung gestellt waren. 
Bei etwa 50 pCt. aller Injizierten konnte eine Temperatursteige¬ 
rung mit Scbizonten im Blut oder ein typischer Malariaanfall 
hervorgerufen werden. Schädigungen durch Optochin sahen wir 
dabei nie. 

Die Wirkung der einzelnen angeführten Methoden war bei 
den jeweiligen Fällen verschieden. Zeigte sich bei der einen 
nicht sofort oder nach einigen Tagen der gewünschte Erfolg, so 
wurde eine andere versucht. Oft wurden mehrere Methoden kom¬ 
biniert: Optochin- oder Seruminjektionen mit kalten Duschen 
oder heissen Einpackungen usw. Kurz, es war unser Prinzip, 
bei latenten Malariafällen durch eine vorübergehende 
Schädigung der Resistenz des Kranken die Plasmodien 
ins fließende Blut auszuschwemmen, um sie dortdurch 
die nun einsetzende kombinierte Cbinin-Neosal varsan- 
behandlung leichter vernichten zu können. 

Durch Chininentwöhnung, Aktivierung latenter 
Malaria, bzw. Ausschwemmen der Malariaparasiten ins 
periphere Blut in Verbindung mit der obengenannten 
Chinin-Neosalvarsankur habe ich bei einer grossen 
Anzahl alter, verschleppter Malariafälle die besten 
Heilerfolge erzielt. 

Zu empfehlen ist noch, auch während der Behandlung die 
künstliche Plasmodienmobilisation durch die obengenannten Me¬ 
thoden: heisse Einpackungen, kalte Duschen, körperliche Arbeit, 
Holzhackenlassen usw. mit der Chininbehandlung kombiniert 
fortzusetzen, um die Parasiten möglichst dauernd aus den inneren 
Organen auszuschwemmen und sie wirksamer Chininbehandlung 
zugängig zu machen. 

Sehr wertvoll waren ferner bei der Nachbehandlung Arsen - 
mittel: Liq arsenicos. Fowleri, Natr. cacodylicum Präparate, Arsen¬ 
pillen, arsenhaltige Mineralwässer usw. zur Anregung der Blut¬ 
bildung. Auf die Malariaerreger haben sie keine Wirkung. 

Bei manifesten Malariafällen darf zur Chininentwöhnung 
mit dem Beginn der Chinindarreichung nur dann einige Tage 
gewartet werden, 1. wenn es sich um eine frische Malaria oder 
um ein einfaches Rezidiv handelt. 2. wenn keine Komplikationen 
oder bedrohlichen Zustände vorliegen und 3. wenn im dicken 
Tropfen nicht zu viele Parasiten (bis zu 4—f-) vorhanden sind. 

Bei atypischen Formen, bei der Komatösen Malaria 
und bei dysenterischen Formen der Malaria darf nie 
gewartet werden. Abwarten bedeutet hier einen Kunstfehler. 
Beide Verlaufseigentümlichkeiten sind hier sehr häufig 1 ). 

Vor allem ist bei der komatösen Malaria rasches Handeln 
von Nöten. Bei ganz hoffnungslos scheinenden Fällen 
wurden durch sofortige intramuskuläre oder intravenöse 
Chinininjektionen lebensrettende Erfolge erzielt. Es 
darf mit dieser Chinindarreichung in keinem Falle gezögert werden, 
wenngleich daneben die sofortige Sicherung der Diagnose durch 
rasch angefertigtes Blutpräparat zu erstreben ist. Wir beobachteten 
eine ganze Reihe Todesfälle an Malaria tropica comatosa, bei 
denen die sofortige Chinininjektion unterlassen war, die Leute 
erst von der Front zum Arzt, dann ins Revier und erst von dort 
zu uns gebracht wurden. Waren sie nicht bereits auf dem Trans¬ 
port gestorben, so kamen sie moribund hier an und starben trotz 
sofortiger intravenöser und intramuskulärer Chinininjektionen. 
Ei ist deshalb ein unbedingtes Erfordernis, dass 1. das Krankheits¬ 
bild der komatösen Malaria allen Aerzten bekannt ist, 2. müssen 
überall an der Front Chininampullen zu sofortigen lebensrettenden 
Injektionen als vorläufige Hilfeleistung bei bedrohlichen Malaria¬ 
zuständen vorhanden sein, und 3. darf erst nach Chinininjektion 
ein Transport schwerkranker Malariker stattfinden. 

Ebenso darf bei Malariaerkrankungen, die mit Magendarm¬ 
erscheinungen einhergehen, und bei den dysenterieähnlicheb 

1) Vgl. Seyfarth, Komatöse und dysenterische Formen der Malaria 
tropioa in Südostbulgarien. M.m,W., 1918, Nr. 22, S. 589. 


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Malariaformen mit Beginn der Chininbehandlung nie gewartet 
werden. Auch hier muss sofort die intramuskuläre oder intra¬ 
venöse Chinindarreichung einsetzen. Ein Abwarten bedeutet in 
diesem Falle ebenso wie eine Behandlung mit Chiningaben per os 
einen Fehler in der Behandlung. 

Zur Technik der intramuskulären Chinininjektionen ist folgendes 
zu bemerken: Einige Male wurde von anderer Seite über Schmerzen oder 
über Infiltrate nach intramuskulären Chiningaben geklagt. Wir haben 
diese Erfahrung nicht gemacht. Infiltrate konnten vollkommen vermieden 
und Schmerzen stark vermindert werden, wenn folgendes beachtet 
wurde: 

Die intramuskulären Injektionen werden im oberen, äusseren 
Quadranten der GesässmuBkulatur gemacht. Die Stelle dreifingerbreit 
vom hinteren Rand des Troohanter nach hinten und zweifingerbreit naoh 
oben eignet sich am besten. Man sticht nach sorgfältigster Des¬ 
infektion der Haut mit Alkohol senkrecht zu der mit zwei Fingern straff 
gespannten Haut schnell in die Tiefe. Die Kanüle muss sehr gut ge- 
sohärft und niebt zu kurz sein (4—5 cm). Anderenfalls gelangt das 
Chinin nicht unter die Muskelfaszie und führt zu Nekrosen. Am besten 
eignet sich Chinin-Urethan und Chinin, bimuriaticum in sterilen Ampullen. 
Mit selbst hergestellten Lösungen sahen wir nicht so gute Erfolge: 

Intravenöse Injektionen wurden nur in den schwersten komatösen 
Fällen angewandt. Um dabei die Chinin Wirkung nicht allzu stürmisch 
werden zu lassen, wurde nioht mehr als 0.5 g Chinin auf einmal intra¬ 
venös gegeben. Der Inhalt einer Ampulle zu 0,5 g Chinin-Urethan 
wurde mit 10 com blutwarmer 0,9 proz. Kochsalzlösung verdünnt injiziert. 
Zugleich wurde eine langsamer wirkende Einspritzung zu 0,5 g Chinin 
intramuskulär gemacht. Noch besser wirkten intravenöse, physiologische 
Koohsalzinfusionen zu 300—500 ccm, denen ebenfalls 0.5 g Chinin-Urethan 
zugesetzt waren. Gleichzeitig wurde auch dabei 0,5 g Chinin intra¬ 
muskulär gegeben. Eioigemale war es aus äusseren Gründen unmöglich, 
bei in tiefem Koma eingelieferten Malarikern eine intravenöse Chinin¬ 
infusion zu geben. Es wurde etwa 11 blutwarmer 0,9 proz. Kochsalz¬ 
lösung, in die der Inhalt einer 0,5 g Chinin-Urethan enthaltenden sterilen 
Ampulle gegeben war, subkutan an versohiedene Stellen verteilt unter 
die Bauohhaut, die Haut der Unterschlüsselbeingruben und der Ober¬ 
schenkel gegeben. Zugleich wurde eine intramuskuläre Injektion von 
0,5 g Chinin gemacht. Wir erzielten vollen Erfolg. Heilung. Nekrosen 
haben wir dabei nioht beobachtet. 

Nach Aufhören der Lebensgefahr greift nach der intravenösen 
Chinindarreichung die gewöhnliche oben erwähnte Chininbehand¬ 
lung Platz. 

Zu erwähnen ist noch, dass die künstliche Parasitenaus¬ 
schwemmung auch als wertvolle Methode zur Entscheidung, ob 
eine chronische Malaria ausgeheilt ist, benutzt wurde. Dies soll 
an anderer Stelle ausführlich dargelegt werden. 

Versuche mit kombinierter Methyienblau-Neosalvarsanbehand- 
lung der Malaria, mit Urotropin und verschiedenen Optochin- 
präparaten, sowie mit kombinierter Optochin-Neosalvarsanbehand- 
lung konnten nicht an die kombinierte Chinin-Neosalvarsanbeband- 
lung heranreichen. Schädigungen nach Optocbinbehandlung haben 
wir übrigens nicht gesehen. 

Zusammenfassung. 1. Bessere Erfolge als mit der üblichen 
Chininbehandlung „bis zur Entfieberung“ werden durch geeignete 
Pausen in der Chininkur und in der Nachbehandlung erzielt. 
„Chininfieber“ und Cbiningewöhnung werden durch eine solche 
Behandlung vermieden. Die so überaus häufige, durch Magen¬ 
darmerscheinungen bedingte anfängliche mangelhafte Resorption 
des per os gegebenen Chinins wird durch Beginn der Chininkur 
mit intramuskulären Injektionen umgangen. Praktische Erfah¬ 
rungen lassen folgendes Muster für die Chininbehandlung am ge¬ 
eignetsten erscheinen: 

8 Chinintage, je 1 g Chinin intramuskulär, 

5 Tage Pause, 

8 Chinintage, je 1 g per os verteilt in Einzelgaben, 

6 Tage Pause, 

2 Chinintage, je 1 g per os in Einzelgaben, 

5 Tage Pause. 

Hierauf Uebergang zur Verabreichung von je 1 g Chinin an 
zwei aufeinanderfolgenden, daher leicht zu merkenden Tagen jeder 
Woche, 6—8 Wochen hindurch. 

2. Verschleppte, ältere, chronische Malariaerkrankungen können 
durch Einschieben von Neosalvarsaninjektionen in obige Chinin¬ 
behandlung der Therapie zugängig gemacht werden. Ich schlage 
folgendes Muster für die kombinierte Chinin-Neosalvarsanbehand- 
lung vor: 

1.—4. Chinintag je 1 g intramuskulär, 

5. Tag vorm. Neosalvarsaninjektion 0,45 intravenös, 
nachm. 1 g Chinin intramuskulär, 

6.-8. Chinintag je 1 g intramuskulär, 

5 Tage Pause, 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


4 Chinintage je 1 g per os verteilt in Einzelgaben, 

5. Tag Neosalvarsaninjektion 0,6 intravenös und 1 g 
Chinin per os veiteilt in Einzelgaben, 

6 —8. Chinintag je 1 g per os verteilt in Einzelgaben, 

6 Tage Pause, 

2 Cbinintage je 1 g per os in Einzelgaben, 

5 Tage Pause. 

Hierauf Uebergang zur Verabreichung von 1 g an zwei auf¬ 
einanderfolgenden Tagen jeder Woche, 6—8 Wochen hindurch. 

3. Chronische Malariakranke, die sich monatelang unter 
ständigem verzettelten Chininnehmen mit ihrer Malaria herum¬ 
geschleppt, oder die sich kurz vorher einer Chininbehandlung 
unterzogen haben, müssen erst chininentwöhnt werden. Es 
muss ji nach dem geringeren oder grösseren Grade der Chinin¬ 
gewöhnung vor dem Beginn der neuen Kur ein bis vier Wochen 
pausiert werden. Das Gleiche gilt von Prophylaktikern, die trotz 
Prophylaxe infolge allmählicher mehrfacher Neuinfektionen an 
Malaria erkranken. 

4. Manifeste Malaria mit Parasiten im peripheren Blut ist 
leichter zu heilen als latente Malaria. Deshalb muss versucht 
werden, bei allen latenten Malariafällen künstlich einen Rück¬ 
fall hervorzurufen, die Plasmodien aus den inneren Organen, 
aus Knochenmark und Kapillaren, in denen sie sich unter dem 
Einfluss der Schutzstoffe oder des Chinins angesammelt haben, 
ins periphere Blut auszuschwemmen, um sie dort leichter ver¬ 
nichten zu können. 

6. Malariarezidive entstehen durch verschiedene Gelegenheits¬ 
ursachen. Alle möglichen Methoden können angewandt werden, 
um durch eine vorübergehende Schädigung der Resistenz des 
Kranken künstlich einen Malariarückfall herbeizuführen oder 
wenigstens die Plasmodien ins kreisende Blut auszuschwemmen. 

6. Auch während der Behandlung ist die künstliche Plas¬ 
modienmobilisation durch solche Methoden mit der Chinin¬ 
behandlung kombiniert fortzusetzen, um die Parasiteu mög¬ 
lichst dauernd aus den inneren Organen usw. auszuschwemmen 
und sie wirksamer Chininbebandlung zugängig zu machen. 

7. Bei der Nachbehandlung sind Arsenmittel zur Anregung 
der Blutbildung sehr wertvoll. Auf die Malariaerreger haben sie 
keine Wirkung. 

8. Durch Chininentwöhnung, Aktivierung latenter 
Malaria vor Einsetzen der Be h andlun g, Ausschwemmen 
der Malariaparasiten ins periphere Blut während der 
Behandlung in Verbindung mit der oben genannten 
kombinierten Chinin-Neosalvarsankur und einer ge¬ 
eigneten Nachbehandlung sind bei alten, verschleppten 
Malariafällen die besten Heilerfolge zu erzielen. 

9. In allen schweren Fällen, namentlich bei der 
komatösen Form der Malaria darf mit der Anwendung 
intramuskulärer oder intravenöser Chinininjektionen 
nie gezögert werden. Chinininjektionen müssen unbedingt 
vor dem Transport schwerkranker Malariker stattfinden. 

10. Vor allem darf auch bei Malariaerkrankungen, die mit 
Magendarmerscheinungen einhergehen, bei den dysenterieähnlirhen 
Malariaformen, mit intramuskulären Chinininjektionen nie gewartet 
werden. Ein Abwarten bedeutet hier ebenso wie eine Chinin- 
darreichung per os einen Fehler in der Behandlung. 


Erfahrungen über die Chininresistenz der 
Malariaparasiten. 

Von 

Dr. mcd. et phd. Carly Seyfarth-Leipzig, 

Kgl. Sachs. Oberarzt bei der deutschen Sanitätsmission für Bulgarien. 

In einer Zeit von mehr als zwei Jahren hatten wir Ge¬ 
legenheit in G. (Südostbulgarien) zahlreiche Fälle von Malaria, 
in der überwiegenden Mehrzahl Malaria tropica, beobachten und 
behandeln zu können. In einigen Veröffentlichungen wies ich 
bereits darauf hin, in wie schweren Formen hier die Malaria auf- 
tritt, und welche Schwierigkeiten sie der Therapie bietet. 

Die gewöhnliche, allgemein übliche ChinindarreichuDg war bei Malaria 
tropica in den allermeisten Fällen nicht ausreichend. Selbst bei paren¬ 
teraler Verabreichung des Chinins und bei Anwendung der in der Literatur 
angegebenen kombinierten Chinin-Neosalvarsanbehandlungen gelang es 
oft nicht, alte verschleppte chiningewöbnte Fälle dauernd zu heilen. 
Diese erwiesen sich dem Chinin gegenüber resistent. Ferner wurden mir 
im Laufe der Zeit von anderen Spitälern eine grosse Anzahl Malaria¬ 


kranke zugeschickt, deren Malariaparasiten „chininfest“ seien, da das 
Fieber einer noch so energischen Chininbehandlung selbst mit hohen 
Dosen getrotzt hätte. 

Diese „Chininresistenz“ oder „Chininfestigkeit“ der Malaria¬ 
parasiten hatte die verschiedensten Ursachen. In zahlreichen 
Fällen bandelte es sich Dar um scheinbare Chininunempfindlichkeit 
der Parasiten. Es lag ein Versagen der Cbininbehandlung vor. 

Bei einigen wenigen Kranken war der Mangel an Chinin¬ 
wirkung durch mangelhafte, unlösliche, „italienische“ Chinin¬ 
präparate bedingt. 

Bei einer grossen Zahl Malarikern war die „Chininfestigkeit“ 
auf eine mangelhafte Resorption des per os gegebenen Chinins 
zurückzuführen. Diese wurde durch Magendarmstörungen bedingt, 
die wir in etwa 25 pCt. aller beobachten Fälle als Begleit¬ 
symptome der Malaria feststellten. 

Chinin wirkte natürlich nicht, wenn Erbrechen vor¬ 
handen war. 

„Chininresistente“ Fälle, die mir vorgestellt wurden, konnten 
selbst einer Chinindarreichung per os leicht zugänglich gemacht 
werden, nachdem die vorhandene hartnäckige^Obstipation be¬ 
seitigt wurde. 

Vor allem waren jedoch Durchfälle der Grund der Chinin¬ 
unwirksamkeit, da bei ihnen die Resorptionsfähigkeit des Darmes 
herabgesetzt ist und Chinin sehr schnell wieder ausgeschieden 
wird. Derartige mit Durchfällen komplizierte Malariaerkrankungen 
und dysenterieartigen Tropikaformen trotzten hartnäckig einer 
Chininbehandlung per os, heilten überraschend schnell bei einer 
intramuskulären Chinindarreichung. Die Malarianatur derartiger 
„Dysenterien“, bei denen das gewöhnliche klinische Bild der 
Malaria gegenüber den Magendarmerscheinungen vollkommen in 
den Hintergrund tritt, wird recht häufig nicht erkannt. So fand ( 

ich bei einer gelegentlichen Blutuntersuchung aller; Patienten 
einer „Dysenterie“ Abteilung unter den Kranken eine grosse An¬ 
zahl von schwer mit Malaria tropica Infizierten, bei denen alle 
Dysenterieerscheinnrgen nach intramuskulärer Cbininbehandlung 
schnell verschwanden. Um Irriümer zu vermeiden, muss daher 
in Malariagegenden oder bei Kranken, die aus solchen kommen, jeder 
Fall von Darmkatarrh oder Dysenterie, gleichviel ob Temperatur¬ 
steigerungen vorliegen oder nicht, zur Blutuntersuchung auf 
Malariaparasiten kommen 1 ). 

In manchen Fällen traten sogar Durchfälle' infolge" der 
Chinindarreichung per os auf und erschwerten so durch die schnelle 
Ausscheidung die Resorption des Chinins. 

Beispiel I. Matrose H. H. (Deutscher), 26 Jahre alt, Maschinist 
aus H. (Norddeutschland). — Patient befindet sich seit' 2 l J 2 Jahren in 
hiesiger Gegend. Er war früher noch nicht im Ausland. Genaueste 
ChiniDprophylaxe unter Aufsicht des Arztes: Seit Mitte März 1917 zwei¬ 
mal wöchentlich 1 g Chinin. Von August bis jetzt (Mitte November) 
verstärkte Prophylaxe, alle 3 Tage 2 Chinintage zu 1 g. Wegen Krätze 
und Schwellung des Gesichts hat er sich krank gemeldet. Im Revier 
wird eine Nierenentzündung festgestellt. Deswegen wird er dem Spital 
in G. überwiesen. Früher ist Patient nie krank gewesen. Auch auf der 
Station hat er nie Fieber oder Krankheitserscheinungen gehabt. Seit 
etwa 6 Wochen hat er Kopfschmerzen. Seit dieser Zeit hat er an den 
Chinintagen heftige Durchfälle. Im Blut des Patienten findeD sich 
Tropikaringe und Halbmonde. Oedeme und Nierenentzündungen ver¬ 
schwanden bald nach einigen intramuskulären Chinin-Urethaninjektionen. 

Sobald jedoch Chinin per os gegeben wurde, traten heftige Durchfälle 
auf, die sich sofort besserten, sobald Chinin ausgesetzt oder intramuskulär 
gegeben wurde. Mit erneuter Heftigkeit setzten sie ein, als die Chinin¬ 
bebandlung per os wieder begann (siehe Kurve 1). Patient wird ge¬ 
bessert zur Nachbehandlung in ein Deutsches Lazarett verlegt. 

Kurve 1. 



Bei derselben Abteilung, bei der sämtliche Mannschaften in 
der oben angegebenen Weise genauste Prophylaxe unter ärztlicher 


1) Vgl. Seyfarth, Komatöse und dysenterische Formen der Malaria 
tropica in Südostbulgarien. M.m.W., 1918, Nr 22, S. 589. 


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10. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


645 


Aufsicht trieben, wurde die gleiche Beobachtung häufig gemacht 
(Mitteilung des Herrn Marineassistenzarztes Dr. Miethens). 
Gerade an den Chinintagen traten Durchfälle infolge der Chinin¬ 
darreichung auf. In einigen Fällen konnte ich feststellen, dass 
Durchfälle an Chinintagen das erste und einzige Anzeichen waren, 
dass trotz der Prophylaxe eine Malariainfektion stattgefunden hatte. 

Mischinfektionen von Malaria mit anderen Infektions¬ 
krankheiten verbargen sich hinter einer Reihe von Fällen, die 
mir als chininresistente Malariaerkrankungen überwiesen oder 
vorgestellt wurden. 

Beispiel II. Gefreiter T. T. G. (Bulgare), bulgarisches Infanterie- 
Regiment, 29 Jahre alt, Landmann aus D. bei Adrianopel. — Patient 
ist seit 2Va Jahren in hiesiger Gegend. Seit einigen Wochen hat er 
Fieber. Chinin nahm er nur, wenn er Fieber hatte. Seit 7 Tagen 
hat er wieder täglioh hohes Fieber. Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit. 
Stuhlgang war immer regelmässig. Chinin hat er in den letzten Tagen 
nicht erhalten. Er wird wegen „Malaria“ dem Spital überwiesen. — 
Mittelgrosser, kräftiger Patient in schlechtem Ernährungszustand. Pat. 
macht trotz hohen Fiebers keinen schwerkranken Eindruck. Er läuft 
umher und klagt nur über Fieber und Kopfschmerzen. Zunge belegt, 
feucht. Kein Herpes. Herz und Lungen ohne Besonderheiten. Abdomen 
ohne Besonderheit. Keine Roseolen. Milz überragt nicht den Rippen¬ 
bogen. Im Blut werden Tropikaringe und einzelne Halbmonde gefunden. 
Trotzdem erwies sioh das Fieber einer energischen Chininbehandlung 
selbst mit Dosen zu 2 g resistent (siehe Kurve 2). Auf der Suche nach 

Kurve 2. 



dem Grunde der Chininresistenz Hess der niedrige Puls am 5. X. an 
eine Mischinfektion mit Typhus abdominalis denken. Die serologische 
Untersuchung des Blutes bestätigte am 7. X. die Diagnose. Der Pat. 
wurde geheilt und zur Nachbehandlung am 7. XI. 1917 evakuiert. 

ich habe noch fünf andere Fälle von bakteriologisch und sero¬ 
logisch nacbgewiesenen Mischinfektionen von Malaria und Typhus 
abdominalis beobachtet. Bei allen hatten andere versucht, und 
auch wir hatten, bevor unsere bakteriologische Untersuchung fertig 
war, uns bemüht, durch hohe perorale und intramuskuläre Chinin¬ 
gaben, durch Kombination mit Neosalvarsan usw. die „Resistenz 11 
des „Malariafiebers 11 zu brechen. Auf klinische Beobachtungen 
darf man sich in solchem Falle nie verlassen, ähnelten doch 
viele Formen der tropischen Malaria im klinischen Bilde dem 
des Typhus abdominalis so vollkommen, dass nur sofortige mikro¬ 
skopische Blutuntersuchung auf Malariaparasiten und die rasche 
Einleitung einer geeigneten Chinintherapie vor verhängnisvollen 
Irrtümern schützte. Ungleich häufiger als Mischinfektionen habe 
ich gesehen, dass Malaria tropicafälle für Typhus abdominalis ge¬ 
halten und danach behandelt werden. Mischinfektionen dürfen 
nur nach genauen bakteriologischen oder serologischen Unter¬ 
suchungen angenommen werden. 

In gleicher Weise kann die vermeintliche Chininunwirksam¬ 
keit auf Mischinfektion von Malaria mit echten Dysenterien, 
mit Paratyphus, Typhus exanthematicus, Pneumonie, Tuberkulose 
usw. beruhen. Gibt es doch in der hiesigen Gegend, wo es eben 
ungemein viele Malariakranke und noch mehr Malariaparasiten¬ 
träger gibt, kaum eine Infektionskrankheit, von der wir nicht eine 
Mischinfektion mit Malaria beobachtet hätten. Wir sahen unter 
anderen eine ganze Reihe Erkrankungen Rekurrens und Malaria 
tropica, einen Fall von Variola und Malaria tropica, Meningitis epi¬ 
demica und Malaria tropica. Zu Verwechselungen mit dieser letzten 
Mischinfektion führten übrigens die oft hier beobachteten raenin- 
gitischen Erscheinungen bei komatösen Formen der Malaria tropica, 
über die ich jedoch an anderer Stelle berichte. 

Wenn wir uns weiterhin nach Ursachen der Widerstands¬ 
fähigkeit gewisser, vor allem älterer Malariaanfälle umsehen, 
müssen wir uns vergegenwärtigen, dass in unserer Gegend die 
betreffenden Kranken recht häufig von einem Spital ins andere 
etappenweise evakuiert wurden, ohne irgendwo so lange zu 
bleiben, bis eine systematische Behandlung hätte durchgreifen 
können. Noch wichtiger ist, dass sich die meisten Kranken be¬ 
reite, ehe sie sich krank meldeten, monate- und jahrelang 


unter ungeordnetem und ständigem Chiningebrauch mit 
ihrer Malaria herum ge schleppt haben. Wie uns die Erfahrung 
lehrte, erlangen die Malariaparasiten durch diese fortwährende 
Chinineinverleibung einen hohen Grad von Chininfestigkeit, 
ebenso wie sich der Organismus an das Alkaloid gewöhnt. Kommt 
endlich der Kranke in ein rückwärtiges Lazarett, in dem die 
Möglichkeit einer energischen Chininbehandlung vorliegt, so hat 
der fortdauernde Chiningebrauch die Folge gezeitigt, dass sich 
die Patienten der nunmehr oinsetzenden systematischen Chinin¬ 
behandlung resistent zeigen. 

Nicht nur dieses verschleppte, verzettelte Chinineinnehmen, 
sondern auch eine langandauernde, tägliche, ununter¬ 
brochene Chininbehandlung ruft eine Chiningewöhnung des 
Organismus, eine Chininfestigkeit der Parasiten hervor. Ich habe 
eine ganze Anzahl Fälle gesehen, bei denen die Chininresistenz 
der Malaria auf solcher ununterbrochenen Chininbehandlung beruht. 
Nach genügend langer Pausierung, Chininentwöhnung mit nach¬ 
folgender geeigneter Behandlung konnte Heilung erzielt werden. 

Solche langdauernde, tägliche Chininbehandlung mit oft hohen 
Dosen, 1,6 bis 2 g, zeitigte, wie die Erfahrung lehrte, noch ein 
anderes eigenartiges Ergebnis. Infolge der ununterbrochenen 
täglichen Chiningaben trat Fieber auf. — Man wollte nach der 
allgemein üblichen Regel Chinin „bis zur Entfieberung 11 geben. 
Das Gegenteil des Beabsichtigten wurde erreicht. Die Temperatur 
stieg wieder. Die betreffenden Kollegen klagten: Trotzdem sie 
lange Zeit, einige Male einen Monat lang ununterbrochen täglich 
1 g und höhere Dosen Chinin gegeben hätten, sei eine Entfieberung 
nicht eingetreten. Immer wieder seien Temperaturanstiege während 
der Chininbehandlung zu bemerken gewesen. — Ein Teil davon 
wird trotz fehlenden Parasitenbefundes im peripheren Blut auf 
Parasitenvermehrung, die sich in inneren Organen abspielten, be¬ 
zogen werden müssen. Traten doch gar nicht selten während der 
Chininkur plötzlich wieder Parasiten im peripheren Blut auf. 
Es blieben jedoch genug Fälle übrig, wo solche Voraussetzungen 
nicht zutreffen dürften. Praktische Erfahrungen lehrten, dass dem 
immer wieder aufflackernden Fieber zweifellos eine Chininwirkung 
zugrunde lag, konnte es doch leicht durch Aussetzen des Chinins, 
durch geeignete Pausen in der Behandlung beseitigt bzw. ganz 
vermieden werden. Gleiche Erfahrungen machten auch Ober¬ 
medizinalrat Nocht und Professor Müh lens. Als beide Herren 
Anfang Dezember 1917 mein Spital besuchten, waren sie erstaunt, 
dass ich diese Beobachtung bereits gemacht und darauf aufbauend 
schon seit langer Zeit eine Chininbehandlung angewendet habe, 
von deren guten Erfolgen sie sich überzeugen konnten. Ueber 
diese Chininkur werde ich in der nächsten Nummer dieser Wochen¬ 
schrift berichten. 

Ebenso tritt bei Prophylaktikern infolge täglichen oder 
mehrmals wöchentlichen Nehmens von Chinin während einer langen 
Zeit eine Gewöhnung des Organismus an das Alkaloid ein mit 
dem Endergebnis des Chininversagens bei systematischer Behand¬ 
lung. Am besten konnte ich dies in unserer Gegend bei einer 
deutschen Abteilung beobachten, die während fast zweier Jahre 
eine peinlich genaue Chininprophylaxe unter Leitung eines Sanitäts¬ 
offiziers durchführte. Es wurden vom März an zweimal wöchentlich 
je 1 g Chinin gegeben. Von August bis Mitte Dezember wurde 
verstärkte Prophylaxe, alle drei Tage zwei Chinintage zu je 1 g, 
durchgeführt. Mit verschwindend geringen Ausnahmen erkrankten 
nach und nach sämtliche alten Leute ebenso wie die ständig 
hinzukommenden Ersatzmannschaften an Malaria. Von den Mann¬ 
schaften erkrankten 98 pCt., von den Offizieren 60 pCt. An 
mehreren hundert Erkrankten dieser Truppe konnten wir sehen, 
dass die Malaria bei ihnen in keiner Weise leichter verlief als 
die Parallelfälle der Nichtprophylaktiker, die zu beobachten wir 
die meiste Gelegenheit hatten. Es wurden Rezidive beobachtet 
trotz genauester Chininbehandlung, vor allem nachdem die Patienten 
darnach gesund und parasitenfrei in die Heimat geschickt worden 
waren. Kamen alte Leute, die schon lange Zeit auf der Station 
Prophylaxe getrieben hatten, nach G. wegen Malaria, so waren 
sie einer Cbininbehandlung viel schwerer zugänglich als junge 
Mannschaften, deren Organismus noch nicht an Chinin gewöhnt 
war. Uebrigens schützte die Prophylaxe diese Abteilung auch nicht 
vor Todesfällen an Malaria tropica. Ein Mann sogar, der länger 
als ein Jahr auf der Station gewesen war, dort regelmässige 
Chininprophylaxe getrieben und scheinbar als einer der wenigen 
von Malaria verschont geblieben war, erkrankte einige Wochen 
nach der Rückkehr in die Heimat in Norddeutschland so schwer 
an Malaria tropica, dass er nach wenigen Tagen starb. Dass die 
Malaria bei dieser Abteilung so schwer und hartnäckig auftrat, 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


führe ich vor allem auch darauf zurück, dass die Betreffenden 
durch die Kriegsverhältnisse gezwungen waren, an ungünstiger 
Stelle auszuharren und so dauernd allnächtlich immer wieder 
nicht nur einer, sondern einer ganzen Anzahl neuer Malaria¬ 
infektionen ftusgesetzt waren. 

Eine der wichtigsten Tatsachen zur Erklärung der „Virulenz¬ 
steigerung“ und „Chininresistenz“ unserer Malaria ist ja durch 
die Kriegs Verhältnisse bedingt, worauf Professor Mühle ns vor 
allem hinweist 1 ). n Wir leben ja jetzt unter ganz anderen Be¬ 
dingungen als im Frieden: In einem Gebiet, in dem in Friedens¬ 
zeiten vielleicht 100 Menschen wohnen, befinden sich jetzt Tausende, 
die, einmal infiziert, den Anophelen immer wieder neuen Infektions¬ 
stoff liefern, und die auch selbst immer wieder neu infiziert werden 
können. Hinzu kommt ferner noch eine Herabsetzung der indi¬ 
viduellen Resistenz durch die Lebensbedingungen und Strapazen 
des Krieges. 41 

Den Einfluss dieser Herabsetzung der Widerstandskraft des 
Organismus durch veränderte ungünstige Lebensweise, durch Ent¬ 
behrungen, mangelhafte Ernährung, Anstrengungen und ungewohnte 
Strapazen konnten wir ausser bei den Truppen- auch bei der 
Zivilbevölkerung, vor allem bei den zahlreichen vor 8—4 Jahren 
hierher verpflanzten mazedonischen Bauern und anderen bulgarischen 
Zugewanderten sehen, die trotz stärkster Chininbehandlung immer 
wieder an Malaria erkrankten und zugrunde gingen. Ich halte 
dies für einen der Hauptgründe der hohen Sterblichkeit an Malaria 
in der hiesigen Gegend. 

Innerhalb eines halben Jahres, in der Zeit vom 1. VII. 1917 bis 
81. XH. 1917 starben laut amtlicher Totensoheine in unserem Städtchen 
G. 124 Einwohner an Malaria. Von uns selbst konnte bei 68 anderen 
Personen, die in der angegebenen Zeit in den Spitälern zum Exitus 
kamen, durch genaue klinische Beobachtungen, ßlutuntersuchungen, 
Sektionen usw. die Todesursache Malaria tropica festgestellt werden. 

Die „Chininresistenz“ der Malaria müssen wir uns in solchen 
Fällen so erklären, dass eben das Chinin keine Wirkung zu üben 
scheint infolge des Fehlens gewisser Schutzstoffe im 
Organismus. So werden auch viele Einzelfälle von Chininresistenz 
zu erklären sein. Wahrscheinlich beruhen darauf auch die von 
Laveran, Souliö und Castellani im Weltkrieg in Mazedonien 
beschriebenen Fälle von Chininresistenz bei Soldaten. 

Dass wir es hier in Südostbulgarien, in den neubesetzten 
Küstengebieten Südwestbulgariens, sowie in der Umgebung von 
Salooiki im allgemeinen mit einer endogenen, besonders 
virulenten und chininresistenten Malariaparasitenart 
zu tun haben, glaube ich nicht. Wirklich chininfeste Malaria¬ 
parasitenstämme, deren Vorkommen und Entstehung ja nicht 
weiter wunderbar ist, nachdem auch chinin- und arsenfeste 
Trypanosomenstämme festgestellt worden sind (Morgenroth), 
werden in unserer Gegend nicht häufiger sein, wie in anderen 
Ländern, in denen die Malaria eine gleich grosse Ausdehnung bat. 

Viel eher kommt für unsere Gegend eine Chinin re sistenz 
der Parasiten in den Kapillaren gewisser Organe in 
Betracht. Von vielen Forschern wird berichtet, dass bei chinin¬ 
resistenter Malaria auf das Einwirken des Chinins hin die Parasiten 
aus dem peripheren Blut schnell ganz verschwinden. Bei der 
Sektion findet man aber dennoch die Kapillaren in inneren 
Organen mit dem kleinen Tropikaparasit und zwar nicht mit 
Halbmonden,sondern mitRingen vollgestopft. Unsere Beobachtungen 
bestätigten diese Erfahrungen. Ich fand jedoch viel weniger 
Parasiten in der Milz als in den Kapillaren des Gehirns und im 
Knochenmark. Doch sammeln sich wahrscheinlich unter dem 
Einfluss der Schutzstoffe und des Chinins die Plasmodien wieder 
an. Von hier aus und nicht allein von der Milz, wo zerstörte 
rote Blutkörperchen, beschädigte Parasiten und Pigmentmassen 
aufgefangen, abfiltriert werden, gehen m. E. die Rezidive aus. 
Bei Sektionen von plötzlich — an unbekannter Krankheit — 
Verstorbenen konnte durch Parasitennachweis im Leichenblut aus 
Gehirnkapillaren und im Knochenmark die Diagnose Malaria tropica 
nachträglich gestellt werden. Weitere Untersuchungen hierüber 
sind im Gange. 

Bei dem grossen Material, das uns zur Verfügung steht, haben 
wir nun diese verschiedenen Ursachen der Chininresistenz bei der 
Behandlung berücksichtigt, unsere Therapie dementsprechend ein¬ 
gerichtet und sehr gute Erfolge erzielt. Ueber Erfahrungen und 
Richtlinien bei der Behandlung der Malaria soll in der nächsten 
Nummer dieser Wochenschrift berichtet werden. 


1) D.m.W., 1918, Nr. 1, S. 8. 


Zusammenfassung. 

Die „Chininresistenz“ gewisser Malariafälle hat verschieden« 
Ursachen: 

I. Sie beruht auf dem Versagen der Chininbehandling 

1. infolge schlechter Chininpräparate, 

2. infolge schlechter Resorption des Chinins 

A. wegen Erbrechen, 

B. wegen Obstipation, 

C. wegen Durchfälle, die 

a) durch die Malariaparasiten, 

b) durch das Chinin selbst bedingt sind, 

c) auf Mischinfektionen mit echten Dysenterieerregern 
beruhen. 

II. Hinter der „Chininresistenz“ sind Mischinfektionen von 
Malaria mit anderen Infektionskrankheiten verborgen. 

III. Sie beruht auf der Chiningewöhnung des Organismus 
bzw. auf einer erworbenen Chininfestigkeit der Malariaparasiten 

1. infolge verschleppter und verzettelter Chininbehandlung, 

2. infolge zu lange andauernder, nicht von Pausen unter¬ 
brochener Chininbehandlung, 

3. infolge der Chininprophylaxe. 

IV. Sie beruht auf der Herabsetzung bzw. dem Fehlen der 
Schutzstoffe infolge äusserer ungünstiger Lebensbedingungen. 

V. Sie ist eine Folge endogener, absoluter Chininfestigkeit 
gewisser Parasitenstämme in manchen Gegenden. 

VI. Sie beruht auf einer Chininresistenz der Parasiten in den 
Kapillaren gewisser Organe. 

Eine Malariabehandlung kann nur dann erfolgreich sein, 
wenn sie diese verschiedenen Ursachen der „Chininresistenz“ be¬ 
rücksichtigt. 


Aus der Kgl. Universitäts-Kinderklinik Breslau. 

Ueber akzessorische Nährstoffe und ihre Be¬ 
deutung für die Ernährung des Kindes 1 ). 

Von 

Prof. Hans Aron. 

Die Erkenntnis, dass es ausser Eiweiss, Fett, Kohlehydraten, 
Mineralstoffen und Wasser noch andere Nahrungsbestandteile gibt, 
die für den Nährwert oder den diätetischen Effekt einer Nahrung 
von ausschlaggebender Bedeutung sein können, hat sich nur 
langsam Bahn zu brechen vermocht. Durch eine grosse Reihe 
tierexperimenteller Untersuchungen ist aber jetzt einwandfrei 
nachgewiesen worden, dass Nahrungsgemische, welche nur aus 
den oben genannten Hauptnährstoffen in gereinigter Form be¬ 
stehen, für die Ernährung nicht genügen. Wie sich andererseits 
in mannigfach angeordneten Versuchen zeigen liess, kann man 
aus Nahrungsgemischen, bei deren Verfütterung Versuchstiere 
dauernd gut gedeihen, ohne den Eiweiss-, Mineralstoff- oder Ge- 
samtkalonengehalt der Nahrung nennenswert zu beeinflussen, 
gewisse Nahrungsbestandteile entfernen, die für die Gesunderhal¬ 
tung der Tiere unentbehrlich sind. In wieder anderen Fällen ist 
es gelungen, nur durch gewisse Koch- oder Trocknungsprozesse 
Nahrungsmittel derart zu verändern, dass eine vorher in jeder 
Beziehung für die Ernährung genügende Nahrung diese Ansprüche 
nicht mehr erfüllt. 

Von grösster Bedeutung ist schliesslich gewesen, was uns 
die Untersuchungen über die Entstehung und Heilung des Skorbuts, 
der Beri-Beri und verwandter Erkrankungen gelehrt haben: Wenn 
Menschen und Tiere längere Zeit hindurch ausschliesslich mit 
gewissen einseitigen Kostformen, denen es an keinem der be¬ 
kannten Nährstoffe mangelt, ernährt werden, so entwickeln sich 
bei ihnen in der Form wohl wechselnde, aber durchaus charak¬ 
teristische Krankheiterscheinungen. Durch geringfügige Aende- 
rungen in der Form der Ernährung oder der Zubereitung der 
Nahrung oder durch eine an Nährwerten bedeutungslose Zugabe 
anderer Nahrungsmittel ist man imstande, däs Auftreten dieser 
verschiedenen skorbutartigen Erkrankungen zu verhüten oder 
wieder zu beheben. 

Uebereinstimmend haben alle diese Beobachtungen und Unter¬ 
suchungen zu dem Ergebnis geführt, dass in einer Kost, welche 
auf die Dauer für die Ernährung ausreichen soll, neben reinem 


1) Vortrag, gehalten in der Sohlesisehen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Cultur in Breslau. 


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10. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Eiweiss, Fett, Kohlehydraten und Salzen noch andere Nahrungs¬ 
bestandteile enthalten sein müssen, Nährstoffe oder Nährstoff- 
gruppen, die wohl am besten nach Hofmeister’s Vorschlag ganz 
allgemein als „akzessorische Nährstoffe" bezeichnet werden. 

Dass man auf die akzessorischen Nährstoffe und ihre Be¬ 
deutung für die Ernährung erst verhältnismässig spät aufmerksam 
geworden ist, erklärt sich aus der Tatsache, dass eine leidlich 
abwechslungsreiche gemischte Kost meist genug akzessorischer 
Nährstoffe enthält. Erst bei Ernährung mit gewissen, einseitig 
zusammengesetzten oder durch eingreifende Prozesse veränderten 
Nahrungsgemischen tritt überhaupt ein Mangel an akzessorischen 
Nährstoffen auf, und diese Art der Ernährung muss gewöhnlich 
in gleicher Weise eine ganze Zeitlang fortgesetzt werden, bis die 
Folgeerscheinungen mangelhafter Zufuhr akzessorischer Nährstoffe 
zutage treten. Untersuchungen über den Einfluss verschieden¬ 
artiger Ernährung auf den wachsenden Organismus haben gelehrt, 
dass bei der Ernährung wachsender Tiere akzessorische Nähr¬ 
stoffe eine besonders bedeutungsvolle Rolle spielen, und dass 
ganz allgemein die Notwendigkeit, akzessorische Nährstoffe in 
der Nahrung zuzuführen, sich am deutlichsten dann geltend 
macht, wenn die Nahrung nicht nur das Material für die Erhal¬ 
tung des Organismus, sondern zugleich auch für den Aufbau neuer 
Kürpersubstanzen liefern muss. 

Die bei diesen Stadien gemachten Erfahrungen erweisen sich 
nun für die Kinderheilkunde als praktisch interessant 
und wichtig. Sie lehren uns eine Reihe bekannter Erschei¬ 
nungen, welche beim jungen Kinde in den Perioden raschen 
Wachstums znmal bei gewissen Kostformen auftreten, als Folgen 
mangelhafter Zufuhr akzessorischer Nährstoffe zu betrachten und 
zu behandeln. Die Kenntnis der akzessorischen Nährstoffe und 
ihrer Rolle bei der Ernährung des Säuglings und jungen Kindes 
wird uns das Verständnis für zahlreiche ernährungstherapeutische 
Maassnahmen eröffnen, welche die bisher in der Ernährungslehre 
übliche Berechnung des Nährwertes der Nahrung nicht zu er¬ 
klären vermochte, und wir werden zeigen können, wie bedeutsam 
eine richtige Einschätzung des Wertes und der Wirkungsart der 
akzessorisehen Nährstoffe bei der Ernährung und Diätetik des 
Kindes ist. 

Ueher die Natur der akzessorischen Nährstoffe ver¬ 
mögen wir bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse nur einige 
ganz allgemeine Angaben zu machen. Bis zu einem gewissen Grade 
lassen sich die akzessorischen Nährstoffe zwar von den übrigen 
Nahrungsbestandteilen trennen und in Extrakten anreichern, eine 
vollständige Isolierung und exakte chemische Charakterisierung 
der akzessorischen Nährstoffe ist bisher aber nicht gelangen. Bei 
allen derartigen Versuchen hat sich vielmehr ergehen, dass die 
akzessorischen Nährstoffe ihre spezifischen Wirkungen durch ein¬ 
greifende chemische Prozesse, oft auch schon durch länger 
dauerndes Erhitzen auf höhere Temperaturen verlieren. Deshalb 
dürften die von Funk mit Hilfe derartiger, die Wirkungen 
akzessorischer Nährstoffe zerstörender Operationen aus gewissen 
Nahrungsmitteln isolierten und mit dem geschickt gewählten 
Schlagwort „Vitamine" bezeichneten Substanzen nur wenig mit 
den akzessorischen Nährstoffen zu tun haben, ganz abgesehen 
davon, dass ein ernährungstherapeutischer Effekt für die Funk’- 
schen Vitamine bisher nicht nachgewiesen ist. 

Für die uns interessierenden Fragen kommen besonders zwei, 
ihrer chemischen Natur wie ihrer Wirkung nach durchaus ver¬ 
schiedenartige Gruppen akzessorischer Nährstoffe in Betracht. 
Die erste Gruppe umfasst Substanzen, welche wir unter den 
sogenannten Extraktstoffen der Vegetabilien zu suchen 
haben. Diese chemisch bisher nicht näher untersuchten Extrakt¬ 
stoffe sind wasser- und alkohollöslich, lassen sich von Fett und 
Eiweiss verhältnismässig leicht, aber nur schwer von den letzten 
Resten Kohlehydraten befreien. An Extraktstoffen dieser Art 
besonders reich sind die äusseren, die Kleie liefernden Schichten 
der Körnerfrüchte; Stoffe ähnlicher Art finden sich in vielen 
frischen Früchten und den grünen Gemüsen. 

Derartige Extraktstoffe, die sich aus Weizenkleie gereinigt 
darstellen oder aus Gerstenkörnern in Form des Malzextraktes 
gewinnen lassen, vermögen nun, wie ich experimentell nachweisen 
konnte, Wachstum und Entwicklung junger Tiere unter gewissen 
Bedingungen in entscheidender Weise zu beeinflussen. Die ge¬ 
wählte Versuchsanordnung liess keinen Zweifel darüber aufkommen, 
dass -hier in den Extrakten enthaltene Nährstoffe, die mit dem 
Eiweiss-, Fett-, Kohlehydrat- und Mineralstoffgeb alt der Nahrung 
in keiner Beziehung stehen, einen ernährungstherapeutischen Effekt 
ausüben, wie wir ihn bisher noch nicht kannten. 


Wurden junge wachsende Ratten mit einem Nährstoffgemisoh aus 
Kasein, Butter, Stärke und Weizenkleie gefüttert, so gediehen sie sehr 
gut und nahmen normal im Gewicht zu. Wurde in diesem Nährstoff¬ 
gemisch die Kleie duroh chemisch reine Zellulose ersetzt, und wurden 
die Tiere mit einem völlig analog zusammengesetzten Gemisch aus 
Kasein, Butter, Stärke, Salzen und Zellulose gefüttert, se gediehen sie 
viel schlechter, nahmen weniger im Gewicht zu und gingen sogar nach 
einiger Zeit zugrunde. Sobald man aber diesen sohlecht gedeihenden 
Tieren, ohne ihre Nahrung irgendwie zu ändern, und um jede Geschmacks- 
wirkuDg auszuschliessen, getrennt vom übrigen Futter eine kleine Menge 
aus Weizenkleie oder Malz gewonnenen Extraktstoffe in konzentrierter 
Form verabreichte, nahmen sie prompt im Gewicht zu. 

Das Gedeihen oder Nichtgedeihen der Tiere erwies sich bei 
unveränderter Hauptnahrung, bei praktisch gleichbleibendem Ei¬ 
weiss-, Fett-, Kohlehydrat- und Mineralstoffangebot nur abhängig 
von der Zufuhr der aus Kleie oder Malz gewonnenen Extrakt¬ 
stoffe, die völlig getrennt von der übrigen Nahrung in kleinen 
einmaligen Tagesdosen verabreicht wurden. 

Meine Beobachtungen über die Wirkungen von Extraktstoffen 
sind kürzlich von Langstein und Edelstein nachgeprüft worden, 
welche Versuche an wachsenden Ratten in gleicher Weise an¬ 
geordnet und mit ganz ähnlichen Futtergemischen ausführten, 
wie ich früher angegeben habe. Nach den Untersuchungen dieser 
Forscher lassen sich übrigens ähnliche ernährungstherapeutische 
Wirkungen wie durch die Extraktstoffe der Getreidekörner z. B. 
auch durch Zusatz frischen Grünkohls zur Nahrung erzielen. Es 
handelt sich hier offenbar um die Wirkungen ähnlicher Stoffe, 
wie sieHolst, Fröhlich, Eijkmann u.a. durch Extraktion von 
frischen Gemüsen, Blättern und Früchten dargestellt haben. Alle 
diese Extraktstoffe aus frischen Vegetabilien üben, ohne einen 
nennenswerten Nährwert zu besitzen, im Tierversuch einen grossen 
ernährungstherapeutischen Effekt aus und heben, in kleinen Mengen 
skorbuterregenden Nahrungsgemischen zugesetzt, deren schädigende 
Wirkung vollkommen auf. 

Bei meinen Untersuchungen über die Ernährung wachsender 
Ratten hatte sich sehr bald herausgestellt, dass die Extraktstoffe 
nicht die einzigen Nahrangsbestandteile sind, welche einem aus 
reinen Nährstoffen dargestellten Futtergemisch zugesetzt werden 
müssen, damit dieses eine dauernde gesunde Entwicklung der 
Tiere gewährleistet. Es erwies sich von grösster Bedeutung, ob 
der Nahrung ein kleiner Prozentsatz Butter beigemischt wurde, 
oder ob ein ohne Butter nur aus Kasein, Stärke, Kleie und 
Salzen bereitetes Nahrungsgemisch verfüttert wurde. Bei butter¬ 
freien Nahrungsgemischen gediehen meine Versuchstiere zwar erst 
wochenlang genau so wie bei entsprechender etwa 2 pCt. Butter 
enthaltender Kost, nach einiger Zeit, oft erst nach Monaten trat 
aber Gewichtsstillstand ein, dann wurden die Tiere elend und 
gingen unter auffälliger Kachexie meist an Pneumonien zugrunde, 
während die mit einer kleinen Butterbeigabe ernährten Vergleichs¬ 
tiere keine Störungen zeigten. 

Wie ich schon früher ausgeführt habe, liessen sich diese 
eigentümlichen Wirkungen der Butterzulage durch die geringe 
Vermehrung des Fettgehaltes .der Nahrung nicht erklären, es 
musste vielmehr angenommen werden, dass in der Butter andere 
lebenswichtige Nährstoffe enthalten sind, welche der Körper un¬ 
abhängig von den Extraktstoffen auf die Dauer nicht entbehren 
kann. 

Vornehmlich durch die Untersuchungen von Stepp an jungen 
Mäusen und die Studien amerikanischer Forscher an wachsenden 
Ratten sind wir nun darüber aufgeklärt worden, dass tatsächlich 
gewisse, in Alkohol lösliche und daher durch Alkoholextraktion 
extrahierbare Stoffe in der Nahrung nicht entbehrt werden können. 
Diese Nährstoffe, welche im Tier- und Pflanzenreich eng vereinigt 
mit den Fetten Vorkommen, chemisch aber nicht den Charakter 
der Fette tragen, gehören zu einer Gruppe von Substanzen, 
die man auch als Lipoide bezeichnet hat. Eine nähere 
chemische Charakterisierung der in kleinen Mengen ernährungs¬ 
therapeutisch so wirksamen Stoffe ist bisher noch nicht ge¬ 
lungen. Dagegen wissen wir, dass die einzelnen, natürlich vor¬ 
kommenden Fette als akzessorische Nährstoffe wirksame Lipoide 
in ganz verschiedenen Mengen enthalten. Während geringer Zu¬ 
satz von Butter oder auch nur von Milch zu einer im übrigen 
ausreichenden Nahrung einen starken 1 wachstnmsfördernden Ein¬ 
fluss ausübt, gedeihen die Tieren bei Verabreichung gleicher 
Mengen Schweinefett, Oliven- oder Mandelöl mangelhaft, übrigens 
ein schlagender Beweis dafür, dass hier nicht der Fettgehalt als 
solcher eine Rolle spielt, sobdern dass es sich um eine spezifische 
Wirkung nur bestimmter Fettarten handelt. In dieser Hin¬ 
sicht als wirksam haben sich nach den Untersuchungen von 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


McCallum and Davis sowie Osborne und Mendel vor allem 
gewisse Organfette erwiesen, n&mlich das Batterfett, das Fett der 
Vegeleier and das Fett gewisser Fischlebern, der Lebertran. 

Diese in gewissen Fettarten enthaltenden Substanzen 
stellen also eine zweite von den Extraktstoffen voll- 
kommen verschiedene Gruppe akzessorischer Nährstoffe 
dar. Für wachsende Ratten erwiesen sich beide Arten akzes¬ 
sorischer Nährstoffe in gleicher Weise auf die Dauer unentbehrlich, 
jedoch gewinnt man aus den verschiedenen Tierversuchen den 
Eindruck, dass ungenügende Zufuhr von Lipoiden andersartige 
Wirkungen zeitigt als Mangel an Extraktstoffen. Während die 
Extraktstoffe die Gewichtszunahme, das Gedeihen der Tiere direkt 
in ausgesprochener Weise beeinflussen oder in anderen Fällen 
das Auftreten skorbutartiger Erkrankungen verhüten, scheint der 
Lipoidgehalt der Nahrung weniger für das Wachstum, als für die 
allgemeine Widerstandfähigkeit des Körpers von grosser Bedeutung 
zu sein. Lipoidmangel setzt trotz des reichlichen Angebotes an 
anderen Nährstoffen die natürliche Resistenz des Körpers herab. 
So sehen wir lipoidarm ernährte Tiere z. B. häufig Pneumonien 
erliegen, oder es treten bei extrem lipoidarmer Nahrung Augen¬ 
eiterungen auf, die nach den Untersuchungen von Preise, Gold¬ 
schmidt und Frank pathologisch-anatomisch der Keratomalazie 
entsprechen. 

Wenn sich auch die Ergebnisse der Tierversuche nicht ohne 
weiteres auf den Menschen übertragen lassen, so finden wir doch die 
bei diesen Studien gewonnenen Gesichtspunkte über die Wirkungen 
der beiden Gruppen akzessorischer Nährstoffe durch verschiedene 
praktische Beobachtungen und Erfahrungen auf dem Gebiet der 
pädiatrischen Diätetik bestätigt. Wir können, wie ich jetzt aus¬ 
zuführen versuchen will, feststellen, dass derartige Nahrungs¬ 
bestandteile, nämlich Extraktstoffe der Vegetabilien und 
gewisse Lipoidsubstanzen, bei der Ernährung des 
Säuglings und jungen Kindes unter bestimmten Be¬ 
dingungen eine bedeutsame, aber wohl keineswegs ge¬ 
bührend bewertete Rolle spielen. Auch hier handelt 
es sich durchgehends um ernährungstherapeutische Effekte, die 
sich durch die bisher in der Ernährungslehre ausschliesslich ge¬ 
übte Betrachtungsweise nicht erklären lassen, die wir aber ver¬ 
stehen und richtig beurteilen können, wenn wir die Wirkungen 
der akzessorischen Nährstoffe, wie sie uns der Tierversuch kennen 
gelehrt hat, in Betracht ziehen. 

Es ist eine der fundamentalsten Tatsachen dass die Mutter¬ 
milch, welche für den jungen Säugling während der Zeit der 
intensivsten Wachstumsvorgänge das optimalste Nährstoffgemisch 
darstellt, doch auf die Dauer verabreicht, keine ideale Entwicklung 
zulässt. Allerböchstens durch das erste Lebensjahr hindurch 
können wir ein Kind ausschliesslich mit Frauenmilch ernähren. 
Das gleiche gilt für die Ernährung mit Kuhmilch, auch wenn die 
Kinder lange Zeit bei künstlicher Ernährung gut gedeihen. Schon 
im zweiten Lebenshalbjahr erweist ©s sich meist als vorteihaft, 
zu der reinen Milchnahrung eine Beikost zu geben, und gegen 
Ende des ersten Lebensjahres sind wir bei allen Kindern genötigt, 
allmählich zu einer gemischten Kost überzugehen. Derartige 
Aenderungen in der Ernährung sind oft von einschneidender 
Wirkung auf das Gedeihen der Kinder. Säuglinge, welche bei 
der reinen Frauenmilchernährung wochenlang im Gewicht nicht 
mehr zunehmen wollen, sehen wir auf Zulage einer Gemüsemahl¬ 
zeit, deren Eiweiss- und Kaloriengehalt ganz geringfügig ist, ge¬ 
radezu aufblühen oder bei Ersatz einer Frauenmilchmahlzeit durch 
einen an Nährwerten ärmeren Brei wieder flott im Gewicht ansteigen. 
Das Charakteristische der Nahrungsänderungen besteht fast immer 
darin, dass die als Beikost verabreichten Nahrungsmittel 
reich an Extraktstoffen sind. 

Offenbar ist das Bedürfnis nach solchen Extraktstoffen bei 
den einzelnen Kindern recht verschieden, bei manchen macht es 
sich früher, bei andern später geltend. Während die meisten 
Säuglinge bei künstlicher Ernährung mit den üblichen Kuhmilch¬ 
mischungen wenigstens einige Monate gut gedeihen können,' gibt 
es gewisse Kinder, die gegen den Mangel der akzessorischen 
Nährstoffe aus der Gruppe der Extraktstoffe auffällig empfindlich 
sind. Bei diesen, durch eine besondere Diathese prädisponierten 
Kindern entwickeln sich, wenn sie ausschliesslich mit den in der 
üblichen Weise sterilisierten Kuhmilchmischungen ernährt werden, 
skorbutartige Krankheitserscheinungen, welche man als Barlow’sche 
Krankheit bezeichnet. Das Verständnis für die Genese dieser 
Krankheit ebenso wie anderer skorbutartiger Erscheinungen ist 
uns überhaupt erst durch die Kenntnis der Wirkung akzessorischer 
Nährstoffe eröffnet worden. Wir können die Barlow’sche Krank¬ 


heit geradezu als Prototyp der Folgeerscheinungen mangelhafter 
Zufuhr vegetabilischer Extraktstoffe bei sonst vollkommen aus¬ 
reichender Kuhmilchernährung auffassen. Lässt sich doch gerade 
so wie im Tierexperiment zeigen, dass die Erscheinungen der 
Barlow’schen Krankheit bei sonst unveränderter Ernährung auf 
Zulage geringer, an Nährwerten bedeutungsloser Mengen irgend¬ 
welcher an Extraktstoffen reicher Nahrungsmittel rasch zurück¬ 
gehen. Etwas grünes Gemüse, kleine Mengen frischer Früchte 
oder einige Teelöffel Apfelsinensaft sind erprobte Heilmittel bei 
Barlow’scher Krankheit, ja es ist auch gelungen, bei Milchkost 
entstandene Barlow’sche Krankheit ohne irgendwelche Aenderung 
in der Zusammensetzung und Herstellung der Nahrung nur durch 
Verabreichung von Extraktstoffen aus Rüben zum Verschwinden 
zu bringen. 

Handelt es sich bei der Barlow’schen Krankheit um Kinder, 
bei denen der Bedarf an akzessorischen Nährstoffen schon früh¬ 
zeitig in die Erscheinung tritt, so gibt es andererseits Kinder, 
welche sich auch bei reiner Milchkost bis in das zweite Lebens¬ 
jahr hinein gut entwickeln können. Je älter die Kinder werden, 
desto deutlicher zeigt sich aber, dass Milch allein als ausschliess¬ 
liche Nahrung für die Kinder nicht genügt, und bei allzoreicher 
Milchkost sehen wir stets gewisse Krankbeitserscheinungen auf- 
treten. Unter den Folgen der einseitigen Milchkost ist in erster 
Linie eine gewisse Anämie zu nennen, welche man gewöhnlich 
auf mangelhafte Zufuhr von Eisen zurückzufübren pflegt. Nicht 
unbedeutende Muskelschlaffheit gehört aber ebenfalls zu diesem 
Bilde, und die Entwicklung der Rachitis wird sicherlich durch 
eine derartige Ernährungsform in hohem Grade begünstigt Die 
Notwendigkeit, bei allen Kindern im zweiten und dritten Lebens¬ 
jahre den Anteil der Milch in der täglichen Kost einzuschränken, 
eine zwar an Kalorien und Eiweiss oft ärmere, an Extraktstoffen 
aber reichere Ernährungsform zu wählen, vermögen wir eigentlich 
erst zu erklären, seitdem die hohe Bedeutung der Extraktstoffe 
experimentell nachgewiesen wurde. Von diesem Gesichtspunkt 
werden wir verstehen, warum für die Ernährung der Kinder im 
zweiten und dritten Lebensjahre gerade vegetabilische Nahrungs¬ 
mittel so wichtig sind, welche wir als reich an Extraktstoffen 
betrachten können. Wenn ferner gewisse Formen der Anämien 
junger Kinder bei geeigneter Nabrungsänderung oft überraschend 
schnell ausheilen, so ist das sicherlich ebenfalls nicht allein auf 
die Zufuhr von Eisensalzen zu beziehen. Auch hier müssen wir 
die akzessorischen Nährstoffe aus der Gruppe der Extraktstoffe wohl 
als bedeutungsvolle Heilfaktoren betrachten. 

Zu den Erscheinungen, welche wir auf Grund unserer früheren 
Kenntnisse noch nicht recht erklären konnten, gehören die eigen¬ 
artigen Wirkungen, welche bei längere Zeit hauptsächlich mit 
Kuhmilch ernährten Säuglingen durch Malzextrakt erzielt werden 
können. Schon aus den Untersuchungen Usuki’s war bekannt, dass 
reine Maltose nicht die gleichen Wirkungen hervorzurufen vermag 
wie der Malzextrakt. Es müssen also ausser den Kohlehydraten 
noch andere Bestandteile des Malzes an dem eigenartigen Nähr¬ 
effekt dieses Nährpräparates beteiligt sein. Wir werden auf Grund 
unserer tierexperimentellen Erfahrungen über die Wirkung der 
Extraktstoffe des Malzes nicht mehr daran zweifeln, dass auch 
hier akzessorische Nährstoffe aus der Gruppe der Extraktstoffe, 
die ja im Malzextrakt besonders reichlich vorhanden sind, eine 
wichtige Rolle spielen. 

Für ältere Kinder werden wir eines besonderen Nährpräparates 
meist entraten können. Ihnen können wir, ähnlich wie dem 
Erwachsenen, die Extraktstoffe der Getreidekörner auch in Form 
von Gebäck oder Mehl aus dem vollen Korne des Getreides zu¬ 
führen. Derartige, geeignet hergestellte Produkte des gesamten 
Getreidekornes sehen wir als eine willkommene Ergänzung für 
die Ernährung jüngerer Kinder an. Wir haben deshalb in der 
letzten Zeit unser Bestreben darauf gerichtet, das volle Korn des 
Brotgetreides in eine Form überzuführen, in der es auch von 
Säuglingen gut vertragen! und ausgenutzt wird. 

Wenden wir uns nun zu der Frage, ob auch die ak¬ 
zessorischen Nährstoffe, welche sich, mit gewissen 
Fetten vereinigt, unter den sogenannten Lipoiden 
finden, bei der Ernährung des Säuglings und jungen 
Kindes eine Rolle spielen! Wenn wir eine Nahrung nach 
den bisher in der Ernährungslehre geltenden Regeln beurteilen, 
so dürfte es keinen Unterschied ausmachen, ob dem Organismus 
eine gewisse Kalorienmenge in Form von Kohlehydraten oder in 
Form von Fetten zugeführt wird, da ja beide Nährstoffe in gleicher 
Weise als Brennstoffe dienen. Die praktische klinische Erfahrung 
hat nun schon seit langem gelehrt, dass es für den Säugling 


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10. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


549 


keineswegs das gleiche ist, ob sein Energiebedarf, genügende 
Riweissznfuhr vorausgesetzt, zum grössten Teil durch Kohlehydrate 
gedeckt wird oder ob in der Nahrung ein Teil des Kohlehydrates 
durch Fett ersetzt wird. Mit koblehydratreicben Nahrungsgemischen 
ernährte Säuglinge sind im allgemeinen gegen Infekte viel weniger 
widerstandsfähig als Kinder, die zwar keineswegs mehr 
Kalorien, wohl aber mehr Fett in der Nahrung erhalten. Fett 
in der Nahrung des Säuglings ist immer jenes Butterfett der 
Milch, das sich auch im Tierversuch von so grosser Bedeutung 
für die Resistenz des Organismus erwiesen hatte. Der hohe Grad 
natürlicher Immunität, den wir bei fettreich ernährten Säuglingen 
im Gegensatz zu fettarm ernährten beobachten können, wäre 
demnach analog den Befunden der Tierversuche auf gewisse 
lipoidartige, mit dem Fett der Milch zugeführte akzessorische 
Nährstoffe zurückzuführen. Diese Auffassung von der Bedeutung 
des Milohfettes gestattet uns non auch eine einfache Erklärung 
der vielfach bestätigten Tatsache, dass mit Frauenmilch ernährte 
Säuglinge im allgemeinen viel resistenter gegen alle Infekte sind 
als künstlich ernährte Kinder. Denn die Frauenmilch ist weitaus 
fettreicher als irgend eines der andern künstlichen Nahrnngsge- 
mische, welche wir auch schwer ernäbrungsgestörten Kindern ohne 
Schaden verabreichen können. Die Resistenz erhöhende Wirkung 
der Frauenmilchernährung -scheint uns durch den hohen Fett¬ 
gehalt dieser Nahrung, den Reichtum an Lipoiden vollauf erklärt, 
und wir können gänzlich auf die Annahme irgendwelcher hypo¬ 
thetischer Immunstoffe verzichten, welche manche Forscher in der 
Frauenmilch als „arteigener“ Milch gesucht haben. 

In diesen Anschauungen, dass den Wirkungen der Frauen¬ 
milch nichts Geheimnisvolles oder Wunderbares innewohnt, be¬ 
stärken uns klinische Beobachtungen, welche wir in der letzten 
Zeit gemacht haben. Selbst bei jüngsten Säuglingen konnten 
wir, wenn sie ein mit Butterfett angereichertes Nahrungsgemisch 
(„Buttermehl-Nahrung“ nach Czerny und Kleinschmidt) er¬ 
hielten, einen so bemerkenswerten Grad allgemeiner Resistenz 
feststellen, wie wir ihn sonst nur bei Frauenmilchernährnng zu 
sehen gewohnt sind. 

Für die Tatsache, dass gerade diejenigen Nahrungsfette, 
welche sich im Tierversuch als besonders reich an akzessorischen 
Nährstoffen erwiesen hatten, auch die allgemeine Resistenz des 
kindlichen Organismus vermehren, liesse sich noch anführen, 
dass auf Grund klinischer Erfahrungen Sahne, Butter und Eier 
als wertvolle Hilfsmittel angesehen werden müssen, um die all¬ 
gemeine Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen Tuberkulose 
auch bei älteren Kindern zu heben. 

Schon seit langem steht bei Laien und Aerzten der Leber¬ 
tran als Stärkungsmittel für junge Kinder in hohem Rufe. Ebenso 
sicbergestellt wie die spezifischen Wirkungen dieses Präparates 
bei Rachitis und Spasmopbilie scheinen mir auf Grund klinischer 
Erfahrungen die guten Erfolge, welche man durch eine Leber¬ 
tranzulage bei manchen schlecht gedeihenden oder bei tuber¬ 
kulösen Kindern erzielen kann. Jede Lebertrantberapie ist 
in erster Linie eine Ernährungstherapie, die Medikamente 
Phosphor, Jod, Eisen oder Kreosot, welche mit dem Lebertran 
verabreicht werden, treten gegenüber der Wirkung des Leber¬ 
trans selbst an Bedeutung weit zurück. Mehrere Teelöffel Leber¬ 
tran täglich regelmässig verabreicht, stellen eine gar nicht unbe¬ 
deutende Fettzulage zur täglichen Kost dar. Neben der Fett¬ 
wirkung haben wir es auch hier wiederum sicher mit spezi¬ 
fischen Wirkungen im Lebertran enthaltener anderer 
Nährstoffe aus der Gruppe der Lipoide zu tun. Denn nach 
den tierexperimentellen Untersuchungen ist gerade der 
Lebertran ganz besonders reich an solchen als akzessorische 
Nährstoffe wirksamen Bestandteilen. 

Wenn den Eiern eine besondere Nährwirkung xukommen 
sollte, so müsste man auch hier den Lipoiden^eine wichtige Rolle 
einräumen, ja man könnte die Frage aufwerfen, ob nicht überhaupt 
jene therapeutischen Effekte, welche man früher dem Lezithin zu¬ 
geschrieben hat, eigentlich als Wirkungen der akzessorischen Nähr¬ 
stoffe aus der Gruppe der Lipoide betrachtet werden müssten. 

Mit diesen beiden eben beschriebenen Gruppen ist die Reihe 
der akzessorischen Nährstoffe, welche sich überhaupt in unsern 
Nahrungsmitteln finden und welche unter gewissen Bedingungen 
bei der Ernährung eine"Rolle spielen können, wahrscheinlich 
noch nicht erschöpft. Dafür, scheint mir zugsprecben, dass ganz 
allgemein Kinder, die wir längere Zeit hindurch mit irgendeiner 
künstlichen Milchmischung ernähren, zuerstjrecht gut gedeihen, 
dann aber bei der gleichen Nahrungsmischung auch bei Steigerung 
der Menge keine rechten Fortschritte mehr machen. Die Nahrung 


scheint sich gewissermaassen zu erschöpfen, uiid es genügt dann 
oft, auf eine beliebige andere Nabrungsmischung überzugehen, 
um die Kinder wieder zu guter Gewichtszunahme zu bringen. 
Gerade bei schwer gedeihenden Kindern machen wir häufig die 
Erfahrung,. dass es ungünstig ist, ihnen täglich ein und dasselbe 
streng vorgeschriebene Nahrungsgemisch zu geben, und dass wir 
bessere Erfolge erzielen, wenn wir eine gewisse Abwechslung 
eintreten lassen. Je mannigfaltiger die Kost, je abwechslungs¬ 
reicher die Nahrung ist, desto grösser ist auch das Angebot an 
den verschiedenen akzessorischen Nährstoffen, und desto geringer 
die Gefahr, dass zeitweilig Mangel an einem dieser Nährstoffe 
eintreten könnte. 

Diese Beispiele dürften wohl genügen, um die Ueberzeugnng 
zu erwecken, dass akzessorische Nährstoffe bei ernährungstbera- 
peutischen Maassnahmen häufig eine ausschlaggebende Rolle 
spielen, und dass diese Nahrungsbestandteile für die normale Er¬ 
nährung des Körpers und die gesunde Entwicklung des Kindes 
unerlässlich sind. Wenn wir uns aber nun darüber äussern sollen, 
in welcher Weise die akzessorischen Nährstoffe im Organismus 
wirken und welche Aufgaben sie beim Ernährungsvorgang zu er¬ 
füllen haben, so vermögen wir zuerst nur Vermutungen aufzustellen. 

Gewiss ist, dass die akzessorischen Nährstoffe als Energie¬ 
spender, also für den Kraft Wechsel keine Bedeutung besitzen; 
kann sich doch der Stoffwechsel auch ohne akzessorische Nähr¬ 
stoffe wenigstens eine Zeitlang anscheinend ungestört abwickeln. 
Vielmehr scheint es sich bei den akzessorischen Nährstoffen um 
Substanzen zu handeln, die ganz oder teilweise für den normalen 
Aufbau bestimmter Zellgruppen oder Zellprodukte oder für den 
normalen Ablauf gewisser Organfunktionen erforderlich sind. In 
diesem Sinne wäre denkbar, dass in gewissen einseitig zusammen¬ 
gesetzten Nahrungsgemischen bestimmte Baustoffe fehlen, welche 
der Körper auf die Dauer nicht entbehren kann, und dass diese 
fehlenden Baustoffe durch die akzessorischen Nährstoffe ersetzt 
und ergänzt werden. Die in mancher Beziehung verlockende 
Annahme, dass die fehlenden Stoffe nur Ei Weissbausteine sind, 
und dass die akzessorischen Nährstoffe „unvollständige“ oder 
durch chemische Prozesse veränderte Eiweisskörper der Nahrung 
zu „vollständigem“ Eiweiss ergänzen, lässt sich aber mit der Fülle 
des experimentell erwiesenen Tatsachenmaterials, wie erst kürzlich 
Stepp ausführlich dargelegt hat, unmöglich in Einklang bringen. 

Meiner eigenen Auffassung würde am ehesten die Annahme 
entsprechen, dass die akzessorischen Nährstoffe für die Tätigkeit 
bestimmter Organe oder für gewisse Organfunktionen unentbehr¬ 
lich sind: sei es nun, dass die akzessorischen Nährstoffe Sub¬ 
stanzen oder Substanzgruppen liefern, welche der Organismus aus 
andern Nährstoffen nicht zu bilden vermag, oder sei es, dass die 
akzessorischen Nährstoffe als solche auf gewisse Funktionen an¬ 
regend wirken. Wenn wir die Wirkung der akzessorischen Nähr¬ 
stoffe mit der anderer uns. bekannter Substanzen vergleichen 
sollen, so erinnern sie in vieler Hinsicht an die Produkte der 
inneren Sekretion, die Hormone, und ich habe deshalb früher von 
„Reizstoffen“ gesprochen. Von diesem Gesichtspunkt erscheint 
bemerkenswert, dass Bickel kürzlich aus Spinat ein Sekretin 
hergestellt hat, ein Befund, der darauf hindeuten könnte, dass 
die vegetabilischen Extraktstoffe vielleicht für die Absonderung 
oder die Bildung der Verdanungssäfte von besonderer Bedeutung sind.. 

Ein weites neues Gebiet ist durch die Kenntnis der akzessori¬ 
schen Nährstoffe der Forschung erst jüngst erschlossen worden, 
und so darf eR nicht Wunder nehmen, wenn viele Probleme noch 
der Klärung bedürfen. Jedenfalls zeigen aber schon die bis¬ 
herigen Forschungsergebnisse, dass wir die alten zur Lehrmeinung 
gewordenen Anschauungen über die Bedeutung der einzelnen 
Nabrungsbestandteile in wichtigen Punkten ergänzen und aus¬ 
bauen müssen. Nur exakte tierexperimentelle und kritische 
klinische Studien werden die für die Ernährungslehre grund¬ 
legenden und praktisch so wichtigen Fragen nach der Bedeutung 
der akzessorischen Nährstoffe einer endgültigen Lösung näher 
bringen können, und die in unseren heutigen Ausführungen ver¬ 
tretenen Anschauungen sollen vorerst nur als Arbeitshypotbese 
und als Grundlage für weitere Forschungen betrachtet werden. 

Kurze Literaturübersioht. 

(Eine ausführliche Zusammenstellung der hier interessierenden Literatur 
findet sich in einer soeben erschienenen sehr lesenswerten Arbeit von 
Stepp, Ergeh, d. inn. Med. u. Kindhlk., Bd. 15, S. 257.) 

Aron, Biochemie des Waohstums. Jena 1913. B.kl.W., 1914, 
Nr. 21; Msohr. f. Kindhlk., 18, 359. — Bickel, B.kl.W., 1917, S. 74. 
— Boruttau, D.m.W., 1915, Nr.41. — Czerny und Kleinschmidt, 
Jb. f. Kindhlk., 88. — McCallum und Daris, Journ. biol. Chem., 


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Original fro-m 

UNiVERSITY OF IOWA 





550 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 28. 


14 '40; 15, 167; 19, 245; 20, 641; 21, 179. — Eijkmann, Virch. 
Arch., 148, 523 und 149, 187. — Preise, Goldsohmidt und 
Frank, Mschr. f. Kindhlk., 13, 424. — Preise, Msohr. f. Kindhlk., 
12, 685. — Frendenberg, Msobr. f. Kindhlk., 13, 141. — Punk, Die 
Vitamine, Wiesbaden 1914. — Goldsohmidt, Arch. f. Opbth., 90, 354- 
— Holst und Fröhlioh, Z9chr. f. Hyg., 72, 155; 76, 834; Journ. of 
hyg., 7, 619. — Langstein und Edelstein, Zsohr. f. Kindhlk., 16, 
805. — Osborne und Mendel, Journ. of biol. chem., 12, 81; 15, 167, 
811; 16, 423; 17, 401; 20, 879; 24, 87. — Osuki, Bioch. Zschr., 65, 
158. — Roh mann, Ueber künstliche Ernährung und Vitamine. Berlin 
1916. — Stepp, Zsohr. f. Biol., 67, 135, 59, 366; 62. 405 ; 66, 339 u. 
865. D.m.W., 1918, Nr. 18. — Taohau, Bioohem. Zsohr., 65, 253. — 
Usuki, Jb. f. Kindhlk., 72, 18. 


Ueber Diathermiebehandlung. 

(Erwiderung auf den Artikel von H. E. Schmidt in Nr. 8 dieser 
Wochenschrift.) 

Von 

Dr. Bncky. 

Die Ausführungen Schmidt’s scheinen mir einer Ergänzung und 
smm Teil auch des Widerspruches zu bedürfen, da sonst falsche An¬ 
schauungen über den Wert der Diathermiebehandlung nicht ausgeschlossen 
sind. Sicher ist Sohmidt beizupflichten, wenn er sagt, dass die 
Diathermie von einzelnen „ Aposteln“ überschätzt wird. Von jeher habe 
ich mich bemüht, darauf hinzuweisen, dass u. a. nur die richtige 
Indikationsstellung eine Gewähr für das Ausbleiben von Misserfolgen 
bietet. Kritiklose Anwendung wird bei jedweder Behandlungsmethode 
zu peinlichen Ueberra9chungen führen; diese dürfen jedoch nicht auf das 
Sohuldkonto des Verfahrens gebucht werden. Andererseits darf nicht 
ausser acht gelassen werden, dass sich gerade die Diathermiebebandlung 
exquisit empirisch entwickelt bat. Auch heute noch schweben die 
theoretischen Grundlagen der Diathermie namentlich bezüglich der 
physiologischen und pathologischen Wirkungen mehr oder weniger in 
der Luft, von einer exakten theoretischen Grundlage ist also keine Rede. 
Das ist auch der Grund dafür, dass zunächst das Indikationsgebiet ein 
recht weites war, und dass man zunächst geneigt war, das Verfahren 
versuchsweise bei einer recht grossen Reihe von Erkrankungen in An¬ 
wendung zu bringen. Erst die Erfahrung führt zur Einschränkung der 
Indikationsstellung. Soll man nun denjenigen Aerzten, die im Bewusst¬ 
sein des Mangels an theoretischen Grundlagen empirisch vorgingen, den 
Vorwurf der Kritiklosigkeit machen, oder sollen wir ihnen nicht dafür 
danken, dass sie sioh der grossen Mühe unterzogen haben, ihre Er¬ 
fahrungen an einem grossen Material zu sammeln? Und dazu kommt 
noch, dass bei richtiger Technik die Diathermie absolut gefahrlos ist. 
Wenn also das empirische Vorgehen berechtigt ist, so muss andererseits 
gefordert werden, dass die gesammelten Erfahrungen riobtig bewertet 
werden. Soweit das nicht der Fall war, hat Sohmidt recht, wenn er 
von unberechtigtem Enthusiasmus spricht. 

Obwohl nun Schmidt weiterhin die Sonderstellung der Diathermie 
in der Reihe der Wärmemethoden betont, so stehe ich doch anf dem 
Standpunkt, dass es nicht richtig ist, die Diathermie allein als Wärme¬ 
applikation anzu8preohen. Nach den Iselin*schen Versuchen steht es 
fest, dass der Körper durch seine Regulierungsvorrichtungen ein Ein¬ 
dringen der Wärmeenergie durch die Haut in das Innere so gut wie 
unmöglich macht. Die Wärme als solche dringt also bei keiner der 
gewöhnlichen Wärmeapplikationen in den Körper ein. Wenn wir trotz¬ 
dem Temperaturzunahmen des Gewebes konstatieren, so sind diese allein 
so zu erklären, dass durch Wärmestauung infolge von verminderter 
Wärmeabgabe des Körpers die Temperatur der Gewebe erhöht wird. 
Stets wird dabei die Temperaturzunahme durch vom Körper produ¬ 
zierte Verbrennungsenergie erzeugt. Es werden also chemische Bau¬ 
steine des Körpers zur Erzeugung der Wärmeenergie abgebaut. Im 
Gegensatz hierzu steht die Diathermieapplikation. Hierbei wird dem 
Körper elektrische Energie von aussen durch die Haut zugeführt und 
dann im Gewebe also in der Zelle in Wärmeenergie umgesetzt, ohne 
dass der Körper seine Reservekräfte anzugreifen brauoht. Dieser 
fundamentale Unterschied muss richtig bewertet werden, er berechtigt 
dazu, die Diathermie als Sonderverfahren, das seiner eigentlichen Wesens¬ 
art nach nichts mit den sonstigen Wärmeverfahren zu tun hat, anzu¬ 
sehen. ' Es ist nun eine der auftretenden Erscheinungen, dass sich die 
hochfrequenten Ströme im Körper zum Teil in Wärme umsetzen. Wollte 
man diese Tatsache nicht anerkennen, so müsste man alle sonstigen 
Hochfrequenzmethoden (d’Arsonvalisation usw.) gleichfalls als Wärme¬ 
methoden anspreohen, und das wäre absurd. Viel wesentlicher als die 
Wärmeentwicklung erscheint mir die Euergiezufuhr bei der Diathermie, 
die selbst bei extremen Heissluftbehandlungen nicht erzielt werden kann, 
da ja die Temperaturerhöhung hierbei durch Stauung der vom Körper 
erzeugten Wärme zustande kommt. Also nicht der Grad der erzielten 
Temperaturerhöhung ist für die Beurteilung der Methode maassgebend, 
sondern die Zufuhr von freier Energie. Unsere Kenntnisse über 
die physiologischen, biologischen und pathologischen Vorgänge sind nun 
aber so mangelhafte, dass wir vorläufig nicht imstande sind, den Einfluss 
der hinzutretenden L Energie eindeutig zu erkennen. Sollte dieser 


Gedankengang richtig sein, so müssten wir spezifische Wirkungen der 
Diathermie beobachten können. Das ist in der Tat z. B. bei der 
Diathermiebehandlung des ganzen Körpers (allgemeine Diathermie) der 
Fall. Rekonvaleszenten z. B. fühlen nach der allgemeinen Diathermie- 
behandlung eine auffallende Kräftesteigerung, wie sie nach keiner anderen 
Methode in ähnlicher Weise erzielt werden kann. Im Gegenteil führt 
eine energische Wärmebehandlung auoh bei Gesunden fast regelmässig 
zu Sobwäehegefühl. Das Gleiche gilt von der seditativen Wirkung der 
Diathermie. Niemals wird man adäquate Wirkungen mit anderen 
physikalischen Methoden erreichen. Wäre aber die Wärme das Tertium 
comparationis, so müssten die Wirkungen gleichsinnig, wenn auch graduell 
verschieden sein. Es gilt demnach der Satz: Die Diathermie stellt 
eine eigenartige Behandlungsmethode dar, wobei die Wärme¬ 
entwicklung nur eia Heilfaktor ist. Sohmidt’s Unterordnung 
der Diathermie unter die anderen Wärmemethoden kann demnach nicht 
anerkannt werden. 

Nur nach diesen Gesichtspunkten darf meines Erachtens die Diathermie 
beurteilt werden und meine praktischen Erfahrungen eines Zeitraums 
von etwa acht Jahren an mehr als 1500 Fällen haben die Richtigkeit 
meiner theoretischen Anschauungen bestätigt. 

Erst wenn die Indikationsstellung präzisiert sein wird, werden wir 
Misserfolge vermeiden können. Selbstverständlich ist dabei die richtige 
Technik vorausgesetzt. Aber auch dann wird wohl bei der Vielseitigkeit 
der Krankheitsersoheinungen eine Heilungsziffer von 100 pCt. nicht er¬ 
reicht werden können. Von welcher anderen Methode aber verlangt 
man wohl noch, dass sie niemals versage? Ist diese Forderung aufrecht 
zu erhalten? Nach meinen Statistiken habe ich eine Heilungsziffer von 
etwa 80 pCt. Ich glaube, dass wir uns damit zufrieden geben können. 
Einzelne Versager dürfen nicht dazu führen, eine Methode mit einem 
Wort abzutun, um so weniger, als die Technik bei der Diathermie eine 
ausschlaggebende Rolle spielt. Ist es doch wiederholt vorgekommen, 
dass lange Zeit erfolglos behandelte Patienten bei mir nach richtiger 
Applikation nach wenigen Sitzungen geheilt wurden. In solchen Fällen 
ist wohl auch die Suggestion von vornherein auszusohliessen. Interessant 
im Hinblick auf die Angaben von Schmidt und Rosenthal ist es, 
dass sich darunter eine Reihe von Isohiasfällen befanden. Im Gegensatz 
zu Sohmidt's Erfahrungen reagieren bei mir die chronisoben Ischias¬ 
fälle besser als die frisohen. 

Im übrigen kann ich auf meine früher veröffentlichten Statistiken 
verweisen. 

Sicher ist, dass wir in der Zukunft nooh manches Gute von der 
Diathermie erwarten dürfen, und ebenso sicher ist es, dass sie aut dem 
Sohats unserer Heilmittel nicht wieder verschwinden wird. 


Schlusswort zu obiger Erwiderung. 

Von 

Dr. H. E. Schmidt, zurzeit Brüssel. 

Die theoretischen Betrachtungen Bucky's über die Sonderstellung der 
Diathermie können mein auf Erfahrungen der Praxis begründetes Urteil 
nicht ändern, dass die Diathermie im allgemeinen sehr überschätzt 
wird. Erfolge sind gewiss zu verzeiohnen, aber sie sind wohl mit anderen 
Wärmeapplikationen ebenfalls zu erreichen. Dass eine richtige Technik 
eine conditio sine qua non ist, wie bei jeder anderen therapeutischen 
Maassnahme, ist ja selbstverständlich. Ob ausser der Wärme noch andere 
Heilfaktoren bei der Diathermie in Frage kommen, wissen wir nicht 
Nachgewiesen sind sie bisher weder im Experiment, noch bei der Be¬ 
handlung. Dass jedenfalls der Hauptwert von allen Autoren auf den 
einzig nachweisbaren Effekt — die Durchwärmung — gelegt wird, be¬ 
weist ja schon der Name. So halte ich es bis anf weiteres auch noch 
für berechtigt, die Diathermie unter die Wärmeapplikationen einsureihen. 


Zu den Bemerkungen von Dr. West in Nr. 10 
zu meiner Arbeit Ober Tränensackoperationen 
in Nr. 11 dieser Wochenschrift. 

Von 

Dr. Hille-Charlottenburg. 

Herr West hat versuoht, meinen Vorwurf zurüekzuweisen, dass er 
bei der Tränensackoperation die von mir angegebene Sohleimhaut- 
periostlappenbildung übernommen und als sein Eigentum veröffentlicht 
hat. Er behauptet, er könne in den Verhandlungen der Berliner laryngo- 
logischen Gesellschaft nicht entdecken, dass ich jemals eine Lappen¬ 
bildung gemacht, wie er sie mache. Auf meine anderen Darlegungen 
geht er gar nicht oder unriohtig ein, und nur das erkennt mit Genug¬ 
tuung er an, dass ioh betont hatte, dass West mit seiner Publikation 
in der Berliner laryngologisohen Gesellschaft im Jahre 1910 einen neuen 
Abschnitt inauguriert habe, die Erkrankungen der ableitenden Tränen¬ 
wege von der Nase ans zu heilen. Zum Schluss erklärt er: „Bin jetzt 
hat Halle nichts zur Chirurgie der Tränenwege beigetragen, was ,ichr 
benutzen kann. Sein erster Ventillappen ist unmöglich, und seine neue 
Lappenbildung ist sehr unvorteilhaft.* 


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UNIVERSUM OF IOWA 




10. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


651 


loh hatte in recht weitgehender Anerkennung der Arbeiten von 
West sein Verdienst besonders betont Die Art seiner Entgegnung 
aber, die iür ihn gewissermaassen ein Superarbitrium Vorbehalten will 
and ganz besonderen Naohdruok auf seine Leistungen legt, scheint mir, 
besonders angesiohts der dooh immerhin nicht gerade überragenden Be* 
deutung dieses Gebietes und angesichts der tatsächlichen Sachlage so 
wenig berechtigt, dass ich noch einmal mit wenigen Worten auf die 
Geschichte der Tränensackoperation ein gehen muss. 

Die Idee der intranasalen Tränensackoperation ist, wie es zumeist 
der Fall ist, keineswegs ohne weiteres dem Haupte von West ent¬ 
sprangen, sondern eine Reihe von Autoren hat vor ihm dieses Gebiet 
in Angriff genommen. Caldwell hat im Jahre 1893 vom unteren 
Nasengang aus operiert, Kiilian hat sich um 1899 mit dem gleichen 
Problem beschäftigt, und nach genau,angegebenerJAethode hat Passow 
den Duotus naso-lacrimalis von hier aus angegriffen. 1905 hatStrazza 
den Duktus bis zum Sakkos hin eröffnet. Die Toti’sche Operation des 
Sakkos von aussen her nach der Nase zu fällt in das Jahr 1904. West 
hat seine Operation am 14. Oktober 1910 in der Berliner laryngologi- 
sehen Gesellschaft vorgetragen. Er nannte sie die Fensterresektion 
des Ductus naso-lacrimalis. Sie bestand im wesentlichen in der 
Freilegung des Duktus in der Gegend zwischen unterer und mittlerer 
Muschel und vor ihnen. Diese Demonstration gab mir bald Anlass, 
mich mit der Operation der ableitenden Tränenwege zu beschäftigen. 
Sie war für mich eine von mir immer gern betonte Anregung, doch 
habe ich schon bei meinem ersten Fall einen modifizierten Weg ein¬ 
geschlagen, der von West am so weniger beeinflusst sein kann, als er 
bald nach seinem Vortrag in der laryngologisohen Gesellschaft wieder 
nach Amerika zurückkehrte. 

Ich habe meinen ersten Fall in der Berliner laryngologischen Ge¬ 
sellschaft am 12. Mai 1911 vorgestellt, also 7 Monate nach der Demon¬ 
stration von West, während er selber noch in Amerika war und niohts 
weiter über diesen Gegenstand publiziert hatte. Schon in diesem Falle 
habe ioh nicht den Duktus, wie West, sondern den Saccus lacrimalis 
angegriffen und schon hier über die Bildung eines Sohleimhautperiost- 
lappens berichtet. 

West sagt nun, er könne das in den Verhandlungen der Gesell¬ 
schaft nieht entdecken. Da er die deutsche Sprache genügend be¬ 
herrscht, kann ihm schon hier nicht der Vorwurf erspart werden, dass 
er wenig sorgfältig gelesen hat. In dem Sitzungsbericht vom 12. Mai 

1911 steht: „Halle (an der Tafel demonstrierend).Ich habe vorher 

die Schleimhaut von innen abpräpariert, so dass ich hier den Knochen 
blank liegen hatte.“ An dieser Stelle fehlt zwar eine ausführlichere 
Begründung dieses Vorgehens im Bericht, der ja immer möglichst kurz 
gehalten wird, besonders ist auch nicht die genaue Sohnittnohtung bei 
dem gebildeten Sohleimhautlappen angegeben, wie er aber schon in 
dieser Sitzung an der Tafel angezeichnet wurde. Aber es ergibt sich 
auch so für jeden mit der bezüglichen Anatomie Vertrauten, dass der 
Knochen „hier* nur blank liegen konnte, wenn vorher ein Schleimhaut¬ 
periostlappen gebildet war. 

Ich gab in gleicher Sitzung einen Ventillappen am Sakkus und 
Duktus an, der den von West an einigen seiner Patienten beklagten 
Luftaustritt aus dem Auge beim Schnauben naoh der Operation ver¬ 
hüten sollte. loh gehe hier auf diese für den gegenwärtigen Streit¬ 
punkt ziemlich belanglose Frage nioht näher ein. Nur betonen will ich, 
dass West selber in der Sitzung vom 26. Januar 1912 diese Ventil¬ 
bildung als „sehr gut* bezeichnete, falls es nicht gelingen sollte, das 
Austreten von Luft durch die Punota lacrimalia zu vermeiden, wenn 
man von der Schlitzung der Canaliouli absähe. Er scheint danach 
seine Ansicht stark geändert zu haben. Da ist wohl die Frage erlaubt, 
ob er die Ventilbildung jemals versucht hat. Er erklärt sie jetzt für 
unmöglich. Aber er vergass doch wohl nur hinzuzufügen, dass sie für 
ihn unmöglich ist. Denn dass sie möglich ist, habe ich wiederholt be¬ 
wiesen, und ich bin gern bereit, es jederzeit Herrn West oder anderen 
Faohkollegen zu beweisen. Nur habe ich später meist von der Ventil¬ 
bildung abgesehen, wie ich schon im Arch. f. Laryng., 1914, Bd. 28, 
H. 2 ausführte, weil man sie gewöhnlioh entbehren kann und weil sie 
für viele Kollegen technisch nioht leicht sein dürfte. 

Herr West aber will nur von dieser Ventilbildung von mir gehört 
oder gesehen haben, und nur von dieser spricht er in seinen Arbeiten, 
um sie mehr oder minder überlegen abzutun, ohne dass er ihren früher 
so sehr anerkannten Wert für manche Fälle durch eigene Versuche 
widerlegen kann. Von der Bildung eines Schleimhautperiostlappens 
aber, die ioh in weiteren Sitzungen der Berliner laryngologischen Ge¬ 
sellschaft wiederholt genauer beschrieben und an der Talei angezeiohnet 
habe, will er niohts gelesen haben. Das ist einigermaassen verwunder¬ 
lich. Denn am 26. Januar 1912 hat West selber eine Patientin vor¬ 
gestellt, die er naoh seiner Methode operiert hatte. In der Diskussion 
habe ich dazu bemerkt (Demonstration an der Tafel.): „Ich habe einen 
Sohleimhautlappen angelegt, der am vorderen Rande der unteren und 
mittleren Muschel etwa IV 2 —2 cm naoh vorn geht. Die vorderen Enden 
werden durch einen Längsschnitt verbunden und dann die Schleimhaut 
und Periost nach hinten abgelöst und herübergeklappt. Dadurch 
brauohe ioh nioht, wie West es muss, die ganze Schleimhaut 
mit dem Knochen wegzumeisseln. Das halte ich für einen 
Vorzug, weil man die Knoohenwunde dann mit der Schleim¬ 
haut sofort decken kann.* Weiterhin folgt noch eine kurze Be¬ 
gründung der Vorzüge. Endlioh wird in derselben Sitzung die Ventil¬ 
lappenbildung nooh einmal gezeigt. 


In dieser Sitzung a,lso war West Belber anwesend. 

Fernerhin Sitzung der laryngologischen Gesellschaft vom 14. März 
1913. Diskussionsbemerkung von Halle zu einer Demonstration von 
West in seiner Anwesenheit: „... Für sehr zweckmässig halte ioh 
das, was ich schon einmal vorgeschlagen habe, und was auch Kollege 
West jetzt akzeptiert zu haben scheint (Demonstration an der Tafel), 
dass man hier nach vorn nach Art der Septumoperation einen Schnitt 
anlegt, parallel dem Nasendache, von hier auf den vorderen Ansatz 
der unteren Muschel zu und etwas oberhalb des Ansatzes der mittleren 
Muschel naoh hinten die Schleimhaut durchschneidet und sie dann ein¬ 
fach abhebt und naoh hinten legt* Wieder folgt eine kurze Be¬ 
gründung. 

Herr West hat dann in seinem Schlusswort in nicht gerade klarer 
Ausführung sich wieder mit dem von ihm für unnötig gehaltenen Ventil¬ 
lappen beschäftigt und sagt wörtlich: Hier wird, kann man sagen, ein 
Knochen herausgemeisselt, und diese Schleimhaut wird fortgeworfen. 
Im Zusammenhänge kann damit nur die Schleimhaut gemeint sein, die 
ich als Sohleimhautperiostlappen erhalten und beschrieben habe, die er 
hier also auch opfert! 

Nun hätte Herr West sich auch aus den von ihm völlig igno¬ 
rierten Arbeiten von Polyäk, dessen vielfache Versuche und Veröffent¬ 
lichungen auf diesem Gebiete alle Beaohtung verdienen, und der zu¬ 
mindest zu gleicher Zeit wie West in gleicher Weise am Duktus ope¬ 
rierte, später, eher als West, ausführlich über die Operation am Sakkus 
beriohtete — er hätte sich aus diesen Arbeiten davon, unterrichten 
können, dass Polyäk völlig den Tatsachen Rechnung trägt, und sagt, 
dass ioh zuerst über die Operation am Sakkus beriohtet habe, die Po¬ 
lyäk allerdings später als erster unabhängig von mir eingehender be¬ 
schreibt, und dass Polyäk weiterhin ausdrücklich erklärt, „die Idee 
des Schleimhautperiostlappens gehört Halle*. 

Ferner zwingt mich die Art seiner Entgegnung zu erklären, dass 
auch das Gedächtnis des Herrn West in anderer Hinsicht versagt. 
Denn Herr West hat diese Sohleimhautperiostlappenbildung in einer 
Reihe von Fällen in meiner Poliklinik genauestens gesehen, während ich 
sie ihm und meinen Schülern während der Operation am Patienten in 
allen Einzelheiten demonstrierte und an der Tafel aufzeichnete. Wir 
haben wiederholt darüber eingehend diskutiert, und ioh habe immer 
ihm gegenüber meine Meinung vertreten, dass dies ein wesentlicher 
Fortschritt sei. Hierauf bezieht sich auch meine Diskussionsbemerkung 
vom 14. März 1913. Es ist also völlig unmöglich, dass Herr West 
nicht gewusst hat, wie die Dinge lagen, und ioh kann auch dies jeder¬ 
zeit des weiteren beweisen. 

Diese Methodik der Operation am Tränensack hat nun West in 
seiner Publikation im Arch. f. Laryng., 1913, Bd. 27, H. 3 zum ersten¬ 
mal beschrieben, und zwar eingehend mit den Begründungen, die ioh 
wiederholt dafür angegeben habe. Dabei veröffentlicht er Abbildungen, 
die mit denen meiner ersten Präparate Zug um Zug übereinstimmen 1 ). 
Warum ich die Sohnittführung jetzt geändert habe, ist in meiner Publi¬ 
kation eingehend begründet. Sie hat sich trotz West sehr bewährt. 

Auf die wertvollen Arbeiten von Polyäk auf dem gleichen Ge¬ 
biete sei hier nochmals ausdrücklich hingewiesen. 


BOcherbesprechungen. 

Masninger, John ind Parassin: Erstes Jahrbuch des Kriegsspitals 
der Geldinstitute in Budapest. Berlin, Verlag von Julius Springer. 

Nach Sicherstellung der notwendigen Betriebskapitalien wurde in 
Budapest aus einem Fabrikneubau der Ung. Elektr.-A.-G. ein im 
grossen Stil und in beispielgebender Weise angelegtes Kriegsspital mit 
allen zeitgemässen Forderungen der Asepsis und Hygiene mit 1250 Betten 
eingerichtet. Das Institut wurde unter eine militärische Oberleitung 
gestellt, die Disziplinarstrafrecht ausübt, und gute militärische Organi¬ 
sation und Disziplin war damit gesichert. Bei der Anlage der Räum¬ 
lichkeiten wurde besonderer Bedacht gelegt auf schöne, nioht zu grosse 
Krankensäle mit Wasohvorriohtungen und Anstandsräumen, auf helle 
und geräumige aseptisch und septische Operationssäle, auf Röntgen¬ 
laboratorium, auf sonstige zu spezialärztlichen Untersuchungen not¬ 
wendige Räume. Um das Haus gegen Seucheneinschleppung zu sohützen, 
wurden alle neu ankommenden Kranken gründlichst gereinigt und ihre 
Kleider desinfiziert, und die Kranken kamen zur Beobachtung für einige 
Tage auf die Uebergangsabteilung. Eine grosse Zahl von Spezialärzten 
und Berufsschwestern teilten sich in den ärztlichen Dienst. Die Lektüre 
dieses Buches bringt eine äusserst wertvolle Ergänzung zu dem vor 
kurzem in Deutschland erschienenen Lehrbuch der Kriegschirurgie von 
Borohard und Schmieden. Während dieses Buch im Rahmen eines 
Lehrbuches gehalten ist, bringt das vorliegende Werk die praktischen 
Beispiele dazu und die Mitteilungen reichlicher Erfahrungen auf allen 
Gebieten der medizinischen Wissenschaft, die sich aus einer Behand¬ 
lung von 10 400 Kranken in l 1 /* Jahren ergeben haben. 

Ich möohte nun aus dem umfangreichen Werke einige mir wichtig 
erscheinende Kapitel herausgreiien. 

Wundbehandlung: Nachdem man die früher von Bergmann auf- 
gestellten Lehren als irrig erkannt hatte, ging man naoh vielem Umher¬ 
irren zu dem Prinzip der Wundbehandlung über, das sich zusammen- 

1) Vgl. auoh meine Publikation im Arch. f. Laryng., 1913, Bd. 27 t H. 2. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Kr. 28. 


fassen lässt in den Leitsätzen ListerV Entfernung alles dessen, was 
die Wundheilung und die Schutzmittel der Gewebe stört und Sicherung 
der Ruhe für die Wunden bei guter und yolikommener Ableitung der 
Wundsekrete. 

Gefässverletzungen: Die Gefässnaht ist als idealste Methode zu be¬ 
trachten, vielfach aber durch den einfacheren Eingriff der Unterbindung 
zu ersetzen. Axillaris und Femoralis können gefahrlos unterbunden 
werden. Unterbindung der Poplitea fuhrt ausnahmlos zur Gangrän. 
Bei jeder Unterbindung ist zunächst die Ausbildung des Kollateral- 
kreislaufes abzuwarten. Die Kapitel „Sohussfrakturen der Extremitäten* 
knoohen“ und „Nervenverletzungen* bringen ausser dem Bericht der 
Heilerfolge nichts Neues. 

Schädelverletzungen: Der im Kriege anfangs so sehr bekannte Kon¬ 
servatismus erstreckte sich auch auf die Schädel- und Gebirnverletzungen, 
bis die Erfahrungen im Hinterland die möglichst frühzeitige und gründ¬ 
liche operative Behandlung forderten. Die Operation darf nur dann 
ausgeführt werden, wenn die Asepsis und eine genügend lange Nach¬ 
behandlung an Ort und Stelle gesichert ist. Ernste Beachtung verdient 
der Vorschlag von Barany, die Wunden nach Frühoperation ohne 
Drainage sogleich wieder zu verschliessen. 

Harnröhrenverletzungen: Dieselben heilten regelmässig mit Striktur- 
und Fistelbildung aus. Sie wurden sämtlich mit gutem Erfolg operiert, 
indem zunächst eine Damm- oder Blasenfistel angelegt, die strikturische 
Stelle reseziert und eine zirkuläre Naht angelegt wurde. Eine Blasen¬ 
mastdarmfistel wurde operativ beseitigt unter dem Schutze eines Anus 
praeternaturalis und einer Blasenfistel. 

Eine genauere Besprechung finden die Infektionskrankheiten im 
Heere, die im Laufe des Krieges dank unserer sanitären Einrichtungen 
und unserer Schutzimpfungen auf ein Mindestmaass beschränkt wurden. 
John bringt sehr interessante Beobachtungen über den Kräftezerfall 
des Soldaten an der Front, wie er sich aus den ungeheueren An¬ 
strengungen des einzelnen in körperlicher und seelischer Beziehung er¬ 
gibt. Er bespricht die Erschöpfungszustände des Herzens, des soge¬ 
nannten Kriegsherzens, der Lungen mit besonderer Berücksichtigung der 
Tuberkulose und der Nieren. Eine ausführliche Arbeit über Herz¬ 
erkrankungen der Kriegsteilnehmer bringt später Ahtal mit besonderer 
Prüfung und Unterscheidung der nervösen, bzw. funktionellen und der 
organischen Herzerkrankungen. 

Kriegstuberkulose (Parassin): Man kann bei der Krankheit nioht 
davon sprechen, dass diese Infektion etwa direkt an der Front erfolgt 
sei, sondern es handelt sich um ein Auffiaokern alter, schlummernder 
stationärer Herde in den Lungen, das durch die Unregelmässigkeiten 
in der Ernährung, durch die konsekutiven Erkrankungen des Magen- 
Darmkanals und durch die schädlichen Einflüsse der Witterung herbei¬ 
geführt wird. Es wurden 368 Fälle tuberkulöser Lungenerkrankungen 
beobachtet, davon sind 31 gestorben. 60 pCt. sämtlioher Lungenkranker 
waren nicht länger als 6 Monate im Felde. Für das eigenartige Ver¬ 
halten der im Spital beobachteten Fälle ist die Malignität des Prozesses 
und die hochgradige Neigung zu Blutungen besonders charakteristisch. 

Der Krieg brachte auch eine bedeutende Zunahme der Nieren¬ 
entzündungen bei den Kriegsteilnehmern. Verf. (v. Aldar) beobachtete 
118 Erkrankungen, das sind 2,06 pCt. sämtlicher innerlichen Kranken. 
Es wurde schon von anderen Autoren betont, dass diese Nephritiden 
auch in ihrem klinischen Bilde nicht vollkommen mit dem der be¬ 
kannten Erscheinungsform der akuten, hämorrhagischen Nephritis über¬ 
einstimmen, sondern hinsichtlich ihrer Symptome und ihres Verlaufes 
ganz charakteristische Abweichungen zeigen, nämlich eine auffällige 
Hartnäckigkeit der Hämaturie und ferner die Eigentümlichkeit, dass in 
vielen Fällen die Funktionsstörungen der Niere bereits zu einer Zeit 
ausgeglichen sind, in der immer noch Hämaturie, Zylindrurie und ein 
beträchtlicher Eiweissgehalt im Harn vorhanden ist. Ferner fallen der 
ziemlich gutartige Verlauf des Leidens und seine geringe Neigung zur 
Chronizität auf. Den Schluss des Buches bildet eine kurzer Bericht 
über die Tätigkeit des Laboratoriums des Spitals. Karl-Berlin. 


Literatur-Auszüge. 

Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

G. Herxheimer-Wiesbaden: Nierenstadiea. I. Ueber die genuine 
arteriosklerotische Schrumpfniere. (Ziegl. Beitr. z. path. Anat., 1918, 
Bd. 64, H. 2.) Verf. teilt den Jores-Löh lein’schen Standpunkt, dass 
bei den Endausgängen der arteriosklerotischen Schrumpfniere mit Nieren¬ 
insuffizienz keine neue endogene oder exogene entzündungserregende 
Komponente im Sinne Fahr-Volhard’s hinzugetreten ist, sondern dass 
sich alle Erscheinungen pathogenetisoh aus den Arteriolenveränderungen 
selbst ableiten lassen. An Hand seines Materials, das er in 3 Gruppen 
teilt — Arteriosklerosisrenum, Uebergangsfälle und ausgesprochene 
Sohrumpfniere —, zeigt H., dass die Nierengewebsveränderungen von 
den Gelässerkrankungen abhängen, und dass eine direkte Reihe besteht 
von geriugen Veränderungen der Gefässe und des Parachyms bis zu 
schwersten arteriosklerotischen Veränderungen mit hochgradiger Schrumpf¬ 
nierenausbildung. Es handelt sich um eine fortlaufende Kette patho¬ 
genetisch einheitlichen Geschehens nur mit quantitativer Weiterentwick¬ 
lung. Verf. sohlägt vor, die noch weniger ausgebildeten Veränderungen 
ttit Löhlein als „Nephrozirrhosis arteriosclerotioa (initialis)“ zu be¬ 


nennen, die vorgeschrittenen Stadien mit dem Zusatz „progressa* zu 
bezeichnen. Das Bild der reinen Nephrozirrhosis arteriosclerotica kann 
kompliziert werden, indem entweder Arterienveränderungen zu ander¬ 
weitigen Entzündungen oder solche sich zu der Arteriosklerose Mnzu- 
gesellen. Schönberg. 

0. Heitzmann: Doppelseitige Hydroaephrese aaeb doppelseitiger 
goaorrhoiseher Uretereavereagerug. (Zbl. f. Path., 1918, Nr. 2.) Beide 
Ureteren sind nahe ihrem Eintritt in die Blasenwand stark verengt, 
Nierenbecken und Ureteren oberhalb der Striktur sind hochgradig er¬ 
weitert. Die in allen Abschnitten der Ureteren nachweisbare chronische 
Entzündung ist im Bereich der Verengerungen besonders stark aus¬ 
gesprochen. Da sich in Harnröhre, Samenleiter und Prostata alte gonor¬ 
rhoische Veränderungen nachweisen lassen, werden die Harnröhren- 
strikturen auf die gleiche Ursache zurückgeführt. So ein. 

C. Sternberg-Brünn: Zur pathologischen Anatomie des Para- 
typkas. (Ziegl. Beitr. z. path. Anat., 1918, Bd. 64, H. 2.) Die Paratyphus¬ 
bazillen vom Typus A und B erzeugen im Darm sowohl Veränderungen, 
die makro- und mikroskopisch jenen gleiohen, die durch den Typhus¬ 
bazillus hervorgerufen werden, als auoh diffus entzündliche Verände¬ 
rungen mit Schwellung der Lymphfollikel und Plaques und follikulärer 
Geschwürsbilduug. ln den vom Autor untersuchten Fällen war die 
markige Schwellung der lymphatischen Apparate und der mesenterialen 
Lymphdrüsen sowie der Milztumor in exquisiter Weise entwickelt 
b trassierende und diphtheritisohe Entzündungen des Dickdarms in der 
für die echte Dysenterie charakteristischen Ausbreitung konnten in den 
bakteriologisch einwandsfrei festgestellten Fällen niemals konstatiert 
werden, und Verf. bezweifelt, dass die Paratyphusbazillen den anatomi¬ 
schen Befund der Dysenterie erzeugen können. Schönberg. 


Parasltenkundc und Serologie. 

M. v. Eisler: Ueber das Waebstam toi Bakterie! aaf ihres art- 
eigiea aid fremden Leibesbestandteilea. (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H.3.) 
Es wurden Versuche angestellt mit Staphylokokken, Koli- und Typhus- 
bazillen. Es erwies sich, dass alle drei auf abgetöteten Staphylokokken 
gut wuchsen. Staphylokokken waohsen auch auf abgetöteten Koli und 
Typhus gut, nicht aber diese selbst. Wurden die Bakterien vor der 
Beimpfung gewaschen, so erfolgte kein oder kümmerliches Wachstum. 
Verf. schliesst daraus, dass die Nährstoffe aus den Bakterien extrahierbar 
seien. 

G. Koraen-Stockholm: Studien über Dlhmug TU Mikrt- 
kekken ia tretkaeader Kiltar. (Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 8.) Bei 
verschiedenen Stämmen von Staphylooooous aureus konnte Verf. die 
Bildung von Konidien beobachten, die mit einem Stiel vom Mutter- 
kokkus ausgingen. Diese Konidien, die sich bei Zimmertemperatur 
bilden, wachsen in frischer Nahrung wieder zu Eiterkokken aus. Veif. 
glaubt, dass diese Kouidien grosse Bedeutung für die Infektion, Ver¬ 
breitung und Lebenserhaltung haben. Ausserdem werden nooh spezielle 
Beobachtungen bei einigen Unterarten der Staphylokokken beschrieben. 

E. Almquist und G. Koraen-Stockholm: Studien über Biologie 
aad Waehsformen der Diphtkeriebakteriea. (Zschr. f. Hyg., Bd. 85, 
H. 8.) Die Verff. berichten über Diphtheriebakterien, die sie in ver¬ 
schiedenen Nährmedien beobachtet haben. Alle Beobachtungen sind an 
Einzelkulturen gemaoht. Das typisohe Diphtheriestäbchen bildet eine 
Ruheform, aussehend wie feinste Oidien, die in frischer Nahrung gleich 
wieder Stäbchen bilden. Bei Eintrocknung bilden sich aus den Stäbchen 
grobe, verschieden geformte Massen. Es kann aus den typischen Stäb¬ 
chen auoh zur Bildung von avirnlenten kurzen, feinen Nädelchen kommen. 
Diese avirulenten Nädelchen können sich wieder zu ungeformten Massen 
umbilden und wieder virulent werden. 

W. Röttger-Magdeburg: Ueber Befunde von Diphtkeriebaaillea ii 
der measckliehen Milz bei tödlich verlaufener Diphtherie. (Zbl. f. 
Bakt., Bd. 81, H. 8.) Verf. beschreibt zwei Fälle, bei denen bei der 
Sektion Diphtheriebazillen in den inneren Organen nachgewiesen werden 
konnten. Verf. nimmt an, dass solch ein Eindringen des Diphtherie¬ 
bazi 11ns in das Körperinnere nur bei schwersten Erkrankungen der so¬ 
genannten Diphtheria gravissima möglich ist. Die Möglichkeit, dass die 
Traoheotomie zu diesem Eindringen eine Prädisposition schaffe, lehnt er 
hingegen ab. 

E. I. Kraus und E. Klaften: Zur Kenntnis farbatoffbildeader 
Bakterie! bei iafektiösea Darmproseeeea. (Zbl. f. Bakt., Bd.81, H.3.) 
Aus dem Blute eines typhusverdächtigen Kranken wurde ein Bakterium 
gezüchtet, das einen intensiv gelben Farbstoff bildete. Es wird eine 
genaue Beschreibung des Bakteriums gegeben, das schon durch Beine 
Grampositivität erwies, dass es nichts mit dem Typhasbazillus ge¬ 
mein hat. 

T. Baumgärtel: Ueber ein farbstoffbildeades Bakterias der 
Typhig-Koligrnppe. (Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 8.) Bei einem ge¬ 
häuften Auftreten von Paratyphns A-Erkrankungen gelang es Verf. sv 
verschiedenen Malen, einen Bazillus ans dem Blute zu züchten, der auf 
alkalischen Nährböden bei Sanerstoffzutritt einen intensiv gelben Farb¬ 
stoff bildete. In bezug auf Gestalt, Beweglichkeit und Gramfärhung 
verhielt sioh das Bakterium wie die Bazillen der Typhus-Koligrappe. 
Bei der Zuckervergärung ergab sich weitgehende UebereinStimmung mit 
Paratyphns A. Ausserdem entwickelte der Stamm aber nooh Säure in 
Saccharose. Serologisch konnte festgestellt werden, dass das Bakterium 


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10. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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in Typhusimmunaerum ziemlich hoch mitagglutiniert irird. Desgleichen 
agglutinierte auoh ein mit dem Stamm selbst hergestelltes Immunserum 
Typhusbasillen mit. Ueber das serologische Verhalten sum Paratyphus 
irird niohts angegeben. 

0. Löwy-Wien: Bacillus coli anindolinus mobilis, Erreger eines 
Hin&isiesses nebst Paralleluntersuohungen am Baoillns levans und 
Baoterium coli mobile. (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 3.) Beschreibung 
eines Falles von Gehirnabssess, bei dem ein Kolibasillus isoliert werden 
konnte, der in verschiedener Beziehung vom gewöhnlichen Coli mobilis 
abwioh. 

T. Baumgärtel: Zur Züchtung der Typhns und Paratyphns- 
baiillen ans Blot. (Zbl. f. Bakt., Bd. 71, H. 3.) Verf. mischt 5 com 
der bekannten Blutgallekultur mit 10 com 3 pros. Agar und lässt in 
Petrischalen erstarren. Auf diese Weise gelang es, die Prozentzahl der 
positiven BlutunterBuchungen von 60 pCt. auf 75 pCt. bei sicheren 
Typhusfällen zu steigern. Bei Geimpften ist der kulturelle Nachweis 
der Bazillen erschwert und zwar ganz gleich, ob der Widal ganz 0 oder 
hoch ist. Die eigentlichen Typhusstoffe sind also mit der Agglutination 
nicht nachweisbar. 

G. Wolff: Zur bakteriologischen Differeatialdiagaose zwischen 
Paratyphas A aad B. (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 3.) Verf. unterscheidet 
die beiden Typen des Paratyphus nach ihrem Verhalten gegenüber 
Mannit. Während nämlich der Paratyphus A genau wie der Typhus¬ 
bazillus Mannit wohl säuert, aber ohne Gasbildung zu veranlassen, ver¬ 
mag dies der Paratyphus B. Auf diese Weise ist eine Unterscheidung 
bereits naoh 24 Stunden möglich. 

O. Ornstein: Befunde von piragglntiniereide! Typlins- and 
Kolibaziilea. (Zsohr. f. Hyg., Bd. 85, H. 3) Verf. untersuchte eine 
grosse Anzahl von Stuhl- und Blutproben, sowie von Leichenteilen auf 
paragglutinable Bakterien. In 19 Fällen konnte er Typhusbazillen 
züchten, die Paragglutination mit Flexnerserum zeigten. SO mal wurden 
Kolibazillen gezüchtet, die mit Flexner-, Y-, Shiga- und Typhusserum 
paragglutinierten. Ein Paratyphus A*Stamm wurde durch Flexnerserum 
paragglutiniert. Leider sind bei diesen Feststellungen die genauen 
Titerwerte der Paragglutinationen nicht bestimmt worden. 

F. Rosenthal-Breslau: Experimentelle und klinische Unter¬ 
suchungen über die Sernmfefltigkeit der Typhzsbazille!. (Zschr. f. 
Hyg., Bd. 85, H. 8.) Verf. prüfte in zahlreichen Versuchen die Be¬ 
dingungen, die zur Herbeiführung von Bakterizidiefestigkeit führen. Es 
zeigte sich, dass 3 bis 4 Kulturpassagen im aktiven Kaninchenserum 
genügen, um eine maximale Festigkeit hervorzurufen, dagegen vermochte 
selbst langdauernde Züohtung in inaktiviertem Serum eine solche nie¬ 
mals hervorsurufen. Es machte auch keinen Unterschied, wenn zu den 
Versuchen nicht Normal-, sondern Immunserum genommen wurde. Die 
Anwesenheit des Komplements ist also unbedingt erforderlich. Die 
erworbene Festigkeit ist nicht tiersposifisoh, sondern tritt auoh 
andersartigen Seren (Menschen-, Hunde-, Meerschweinchen) gegenüber 
in Erscheinung. Es ist keine allgemeine Resistenzsteigerung, da eine 
Aenderung des Verhaltens gegenüber chemischen Mittel nicht erfolgt. 
Die Festigkeit bleibt selbst nach zahlreichen Bouillonpassagen noch 
deutlich ausgeprägt. Bei Agarpassage geht sie hingegen sehr rasch und 
vollständig verloren. Immunisierung mit festen Stämmen ergibt Sera^ 
die zwar den festen Stamm nicht bakterizid beeinflussen, wohl aber den 
nicht gefestigten Ausgangsstamm. Bei Tieren ist mit Immunserum eine 
Sohutzkraft sowohl gegen den festen wie gegen den Ausgangsstamm 
festsustellen. Die festen Stämme zeigen eine fast normale Aggluti- 
nabilität. ln inaktivem Serum gezüchtete dagegen zeigen vollständige 
Agglutininfestigkeit. Zu deren Zustandekommen ist also das Kom¬ 
plement hinderlich. Avirulente Typhusbazillen werden durch Eintritt 
der Bakterizidiefestigkeit nicht virulent. Die Bakterizidiefestigkeit frisch 
aus dem Blut von Typhuskranken isolierter Bazillen ist tierunspezifi9oh. 

H. Soböppler: Ueber einen Fall von Amöbendyseiterie. (Zbl. f. 
Bakt., Bd. 81, H. 3.) Beschreibung des Falls und des Befundes bei der 
Sektion und histologischen Untersuchung. 

S. Fuchs-v. Wolfring-Davos: Die Blntpräzipitation als Tiber- 
knlosediagnoatikom ind -Prognostik». (Zbl. f. Bakt., Bd. 81, H. 3.) 
Die am aufgelösten Gesamtblut oder an gelösten Blutzellen ausgeführte 
Präzipitation hat einen diagnostischen und prognostischen Wert bei 
Tuberkulose. Die Höhe entspricht im allgemeinen der Resistenz gegen 
Tuberkulose. 

P. Richter-Berlin: Geschichtliche Beiträge zur Senche des Thaky- 
dides. (Zschr. f. Hyg., Bd. 85, H. 3.) Polemik gegen die Arbeit von 
Kanngiesser in Zschr. f. Hyg., Bd. 82, der die Seuche des Thuky- 
didea als Fleokfieber aufgefasst hat Verf. hält dieselbe für Milzbrand. 

Schmitz. 


Innere Medizin. 

Th. Fahr-Hamburg-Barmbeck: Zur Frage der extrakardiale! Blat- 
bewegung. (Zbl. f. Herzkrkh., 1918, H. 4—6.) Bei einer Frau mit 
Aortenaneurysma fehlte intra vitam der Radialis- und Karotispuls voll¬ 
ständig. Die Autopsie ergab einen Verschluss sämtlicher grossen Hals- 
gefässe durch alte feste fibrös gewordene Thromben. In den fibrösen 
Massen der Thromben fand sich mikroskopisch Rekanalisation. Weil am 
Kopf und an den oberen Extremitäten nicht die geringsten Ernährungs¬ 
störungen vorhanden waren, so muss die Blutversorgung durch Kol- 


lateralen und duroh die rekanalisierten Gefässe in ausreichendem Maasse 
stattgefunden haben. Das Einströmen des Blutes durch die Kol lateralen 
wird duroh starke Druckdifferenzen (Herabsetzung des Widerstandes in 
dem betreffenden Gefässgebiet) erklärt. Die Weiterbeförderung des 
Blutes ist aber nur duroh eine aktive Tätigkeit der Gefässe selbst zu 
erklären. 

E. Weiser-Prag: Klinisohe Beobachtungen über Vorhofflattern 

mid Vorkeffiisaern. (Zbl. f. Herzkrkh., 1918, H. 4—6 ) Et werden 
verschiedene Fälle von Vorhofflattern mit vorübergehendem Flimmern 
angeführt und die Frage diskutiert, ob es sich beim Flimmern um eine 
monotrope oder polytrope Reizbildung handele. Im ersten Fall werden 
über die Entstehung des Flimmerns mindestens 2 Reizbildner verant¬ 
wortlich gemacht. Durch den Uebergang des einen Rhythmus in den 
anderen kommt es vorübergehend zu Flimmern. In einem zweiten Fall 
entsteht Flimmern erst, wenn die Reizzentren zeitlich mehr auseinander 
geraten. Bei Anfällen von paroxysmaler Tachykardie fand sich ent¬ 
weder Vorhofflimmern mit frequenter Kammertätigkeit, regelmässiges 
oder unregelmässiges Vorhofflattern. Durch Digitalis entstand dabei 
Flimmern mit langsamer Kammertätigkeit, durch Strophantin nur Vor- 
hoftichysystolie. Auch im Fall 5 lagen den Anfällen von paroxysmaler 
Tachykardie teils regelmässige Vorhoftaohysystolien, teils Flimmern zu¬ 
grunde. Reinhart. 

F. Matz: Zur Fnnktionsprüfang voi Heri- nd Gefltosystem bei 

gesundet nid krukei Feidsoldatea. (Zschr. f. pbysik. diät. Ther., 
1918, H. 3 u. 4.) M. weist auf die Bedeutung der Funktionsprüfung 
von Herz- und Gefässsystem hin, sein eigenes Verfahren ist ein weiterer 
Ausbau einer im Kriege angegebenen Methode (L. F. Meyer). Er be¬ 
schreibt Versuche an Gesunden, an organischen Herzfehlern mit guter 
sowie mit schlechter Funktion, an arteriosklerotischen Berzen, an ner¬ 
vösen leistungsfähigen und nervösen leistuDgsunfähigen Herzen sowie 
bei Insuffizienz naoh schwerer Infektion (Fleckfieber). Bei den organi¬ 
schen Herzfehlern unterscheiden sich die Fälle guter und schlechter 
Funktion insofern, dass die Höhe der Pulsfrequenz, die Stärke des Blut¬ 
druckanstieges verschieden sind, besonders aber durch die Zeit, die bis 
zur Beruhigung vergeht. Interessant ist beim kranken Herzen der frühe 
Eintritt der negativen Schwankung des Blutdruoks bei noch gesteigerter 
Herzarbeit. Als charakteristisch für das arteriosklerotische Herz muss 
der hohe Blutdruck und — nicht so ausgeprägt wie beim insuffizienten 
Herzen — die Verlängerung der Beruhigungszeit gelten. Beim gut 
funktionierenden nervösen Herzen fiel auf, dass die Pulszahl naoh Arbeits¬ 
belastung geringer wurde, was auf Ablenkung der Psyche zurückzu führen 
ist, ebenso wie die hier beobachtete stärkere negative Schwankung. 
Beim schlecht funktionierenden nervösen Herzen sieht man sehr starke 
Pulsbeschleunigung auf der Arbeitsböhe und längere Dauer der Beruhi¬ 
gungszeit. Charakteristisch für das Fleckfieberherz ist die extreme Er¬ 
hebung der Pulsfrequenz bei Arbeitsbelastung und die lange Beruhi¬ 
gungszeit. Auf einzelnes geht M. noch näher ein. Die negative Puls- 
sohwaDkung fasst er als Ermüdungszeichen auf. E. Tobias. 

Vollhard-Mannheim: Ueber Wesen und Behandlung der Bright- 
schei Nierenkrankbeiten. (D.m.W., 1918, Nr. 15 u. 16.) Vortrag im 
Verein für innere Medizin in Berlin am 7. Januar 1918 (siehe Gesell¬ 
schaftsbericht der B kl.W., 1918, Nr. 8). 

A. Lorand*Karlsbad: Der Wert des Mnndspeichels für di« bessere 
Verdatung nid Aaantttxnng der stärkemehlreiehen Nahrungsmittel. 
(D.m.W., 1918, Nr. 15.) Kartoffeln und harte Backwaren und Obst 
werden durch das Ptyalin bei längerem Saugen mit der Zunge und Hin- 
und Herbewegen, auch ohne eigentliches Kauen, weich und vermindern 
die Blähungsbeschwerden bei Arteriosklerose und Hyperazidität. 

Deussing- Barmbeck • Hamburg: Paioptische Schnell färbong. 
(D.m.W., 1918, Nr. 18.) Das in einen Farbtrog (naoh Giemsa) ge¬ 
legte Präparat wird vollständig in dicker Schicht mit May Grünwald’s 
Eosin-Methylenblau bedeckt und damit für zwei bis drei Minuten fixiert, 
die Farbe darf während der Fixationszeit nicht vom Objektträger ab¬ 
laufen (Deokgläschenausstriche können in derselben Weise in Block¬ 
schälchen behandelt werden). Dann werden aus dem Tropfglas 10 bis 
15 bis 20 Tropfen unverdünnter Giemsalösung direkt in die auf dem 
Präparat stehende Farblösung hin ein getropft, indem sie über das ganze 
Präparat verteilt werden. Im Anschluss daran gibt man aus einer 
Spritzflasche oder aus einem Standgefäss so viel destilliertes Wasser in 
den Farbtrog, dass das Präparat völlig und reichlich bedeckt ist, also 
etwa bis zur halben Höhe des Farbtrog®®. Gut umscbütteln. Nach 
zwei bis drei Minuten die Farbflüssigkeit abgiessen, durch frisches Aqua 
destillata ersetzen, gut umscbütteln, noch ein oder mehrere Male Wasser 
erneuern, bis der bläulich-violette Farbton des Präparats einem leuchtend 
roten gewiohen ist. Dann färbt sich das Wasser nicht mehr bläulich. 
Trocknen mit Fliesspapier. Dünner. 

J. Glax: Thalassotherapie der Kriegsverwnndeten nid -beschä¬ 
digte!. (Zsohr. f. pbysik. diät. Ther., April 1918.) G. bespricht die 
Anzeigen und Gegenanzeiven für die therapeutische Verwertung der 
Adria und der deutschen Nordsee- und Ostseeküsten. Fiebernde Tuber¬ 
kulöse gehören in Heilanstalten. Meist ist für die Tuberkulose die 
Nordsee allein anwendbar, während chronisohe Katarrhe, Residuen von 
Lungen- und Rippenfellentzündungen auch im Süden sehr wirkungsvoll 
beeinflusst werden. Krieg9verwundungen geboren auch an die südlichen 
Küsten zu Sonnenlichtkuren, desgleichen Muskel- und Gelenkverstei¬ 
fungen, chronischer Muskel- und Gelenkrheumatismus. Allerdings kommt 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


es auf die richtige Jahreszeit an. Am wichtigsten ist die Ausnutzung 
der verschiedenen Intensität der Klimafaktoren bei der Behandlung 
funktioneller Nervenstörungen. Besonders eingehend wird die Frage be¬ 
sprochen, ob Herz- und Gefässkranke an die See geschickt werden sollen. 
In allen Kriegsfällen „von Insuffizienz des Herzmuskels, gleichgültig, ob 
ein organischer Herzfehler vorhanden ist oder nicht, ist der Aufenthalt 
an der See anderen Klimakuren vorzuziehen“. „Dasselbe gilt für die 
erhöhte Spannung im Gefässsystem bis zur ausgebildeten Arteriosklerose. 11 
Dabei verdienen die Seebadeorte den Vorzug, welche die Möglichkeit 
bieten, Terrainkuren vorzunehmen oder doch mit allen anderen für eine 
zweokmässige Behandlung Herzkranker erforderlichen Kurmitteln aus¬ 
gestattet sind. E. Tobias. 


Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Leie wer - Posen: Ein Fall von Traiisvestitisii«s Mit starken Alfen 
vei Ovariim in Blntserim. (D.m,W., 1918, Nr. 18.) Bei einem 
typischen Fall von Transvestitismus ergab sich ein starker Abbau des 
Serums mit Ovarium. L. knüpft an die bekannten Theorien vonBiedl 
und Steinach an, die duroh die erwähnte Abderhalden’sche Reaktion 
eine biologische Stütze gefunden hat. Dünner. 


Kinderheilkunde. 

Bei che-Berlin: Der initale Wärme verlast (Erstarrung) bei früh¬ 
zeitig geboreiei and „lelensschwachen“ Kindern. (D.m.W., 1918, 
Nr. 18) Polemik gegen Hofmeier. R. weist darauf hin, dass bei 
frühzeitig geborenen Kindern häufig die Todesursache nicht genügende 
Wärmezufuhr ist. Die Kinder gehen an der Abkühlung zugrunde, sie er¬ 
starren. Daraus ergibt sich für die Therapie der Schluss, die Kinder ähn¬ 
lich zu behandeln wie erfrorene Erwachsene, sie also nicht in ein warmes 
Bad zu legen; vielmehr ist zweokmässig eine langsame Erwärmung 
im warmen Zimmer und erst später warme Bäder anwenden, deren 
Temperatur anfangs ungefähr ein Grad über Körpertemperatur beträgt, 
Anregung der Herztätigkeit. Neben der Herzschwäche wirkt am meisten 
lebensbedrohend die Exsudation in den feinsten Lungenalveolen, gegen 
die man mit Senfpackung vorgehen soll. Dünner. 

H. Aron Breslau: Ueber Wachstem utöruigei im Kiadesalter. 
(Jb. f. Kindhlk., 1918, H. 4, S. 273, und H. 5, S. 380.) Der Verf. legte 
seinen ausserordentlich lehrreichen und auch praktisch wichtigen Er¬ 
örterungen und Untersuchungen, die sich leider nach ihrer Art und 
wegen ihrer Ueberfülle vielfach der Wiedergabe im Referat entziehen, 
folgendes Einteilungsschema zugrunde. „I. Primäre Wachstumsstörungen 
(Störungen des Wachstumstriebes). 1. Waehstummshemmungen (ver¬ 
minderter Wachstumstrieb), Hypoplasie, Zwergwuchs. 2. Wachstums¬ 
steigerungen (gesteigerter Waohstumstrieb) Hyperplasie, Riesenwuchs. 
IL Sekundäre Wachstumsstörungen (Störungen duroh äussere Einflüsse 
erworben). 1. Wachstumshemmungen: a) Reparabel-Verzögerungen des 
Waohstumsablaufes, dabei evtl. Verlängerung der Waohstumsperiode. 
b) Irreparabeldauernde, bleibende Schädigungen des Körperwachstums. 
2. Wachstumssteigerungen: nur Beschleunigungen des Wachstumsablaufes.“ 
Naturgemäss beanspruchen die sekundären Wachstumsstörungen ein er¬ 
heblich höheres Interesse und nehmen deswegen bei weitem den grössten 
Teil der Arbeit ein. In erster Reihe bespricht A. die Unterernährung 
als wachstumshemmenden Faktor; der Mangel an Eiweis9 und Mineral¬ 
stoffen spielen dabei die ausschlaggebende Rolle. Daher sind die eiweiss- 
reiohen Nahrungsgemische (Eiweiss und Buttermilch) mehr als die Frauen¬ 
milch in der Reparation des Wachstumscbadens bewährt. Ein breites 
Kapitel ist dem Einfluss langdauernder Ernährungsstörungen auf das 
Wachstum im allgemeinen, insbesondere auf das Längenwachstum, auf 
das Wachstum der Muskulatur und des Gehirns gewidmet, welche beide 
schwerer betroffen zu sein pflegen als das Knoohenwaohstum. In gleicher 
Weise vermögen wiederholte Infekte den Körper der Kinder zu schädigen. 
Wiederum spielt bei der Reparation der betreffenden Schädigungen der 
Eiweissgehalt der Nahrung eine grosse Rolle, worauf besonders bei allen 
Kindern, die aus anderen Gründen milcharm ernährt werden müssen, 
Rüoksioht zu nehmen ist. Im allgemeinen verlaufen bei Kindern jenseits 
des ersten Lebensjahres die Reparationsvorgänge der Waohstumshemmung 
nicht mehr so rasch und glatt wie im Säuglingsalter. Unter günstigen 
Bedingungen erreichen sie jedoch durchaus etwa im vierten Lebensjahre 
die körperliche und geistige Entwiokelungsstufe ihrer Altersgenossen. 
Wiohtig ist bei der Beurteilung untergewichtig geborener Säuglinge die 
Frage, ob es sich um eine primäre oder sekundäre Schädigung, unzu¬ 
reichende Zufuhr in der pränatalen Periode des sonst gesunden Fötus 
handelt. Die sekundäre Schädigung ist leicht reparabel. Akute In¬ 
fektionskrankheiten schädigen das Wachstum sioher nicht. Aber selbst 
bei manifester Tuberkulose und kongenitaler Lues können sioh Kinder 
körperlich und geistig gut entwickeln. Selbst die Rachitis pflegt nach 
den Beobachtungen des Verf. dauernde Störungen des Wachstums nur 
zu veranlassen, wenn ein deutlicher Hydrozephalus bestanden hat. Die 
primären Störungen des Waohstumstriebes zeitigen unter anderen eine 
Reihe von Kindern, die in ihrem gesamten Bau auffällig klein, aber 
wohl proportioniert sind: die „Hypoplasten“. Ihre Störung ist im 
Gegensatz zu der der „Hypotrophiker“ selbst unter den günstigsten Be¬ 
dingungen nicht reparabel. Jedoch auch sekundäre Schädigungen des 
Wachstumstriebes vermögen irreparablen Schaden anzurichten. Das trifft 
besonders auf Gehirnerkrankungen der jungen Kinder zu (Mikrozephalie, 
Enzephalitis) aber auch auf kongenitale oder früh erworbene schwere 


Herzfälle und auf langdauernde Nephritis. Bedeutungsvoll für das Wachs¬ 
tum der Kinder sind Konstitution und Krankheiten (Lues, Tuberkulose, 
Alkoholismus) der Erzeuger; sie vermögen die Keimanlage, das Wachstum 
des Fötus und die Entwicklung der Kinder zu schädigen. Verf. bespricht 
alsdann die Waobstumsreize, als die die Jahreszeit (das Frühjahr) und 
die Pubertät erwähnt werden. Die Periodizität des Wachstums, die 
Schwankungen in der Wachstumsintensität, die Zeit der „Streckung“, 
die sich als Steigerung der Wachstumsvorgänge kennzeichnet, gehören 
hierher. Das Charakteristische dabei ist das Ueberwiegen des Längen¬ 
wachstums, was von grösster Bedeutung für die Leistungsfähigkeit des 
gesamten übrigen Körpers ist; insbesondere wird das am Zurückbleiben 
der Muskulatur, des Herzens und der grossen Gefässe demonstriert und 
gezeigt, welche Bedeutung diese Vorgänge für die sogenannte Schulanämie 
und die orthotische Albuminurie haben. „Diese im Referat nur kurz zu- 
sammengerafften Andeutungen über den Inhalt der Habilitationsvorlesung 
des Verf. sollen das Studium des interessanten Originals nicht ersetzen, 
sondern zu seiner Lektüre anregen. 

E. Jenny-Basel: Ein Beitrag zur Kenntnis der OstoodysplMia 
exofltetiei. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 4, S. 319.) Fall von 
multiplen kartilaginösen und periostalen Exostosen, mit Ekchondrosen 
und ausgeprägten Wachstumsstörungen, Wachstumshemmungen und -Stei¬ 
gerungen, Pigmentanomalien, Fibromen, Lipomen und Teleangiektasien. 
Als Ursache nimmt Verf. ab ovo fehlerhafte Anlage des gesamten 
Knoohenbildungsmateriales an, wobei Alkobolismus des Vaters und 
Neuropathie der Mutter den schädigenden Faktor darstelleu sollen. 

W. Birk-Kiel*. Beiträge zur Klinik und Behandlung der Thymi- 
hyperplaiie bei Kindern. (Msshr. f. Kindhlk., 1918, Bd. 14, H. 7, 
S. 363.) Verf. zeigt in interessanten Beobachtungen, die mit Röntgen¬ 
bildern illustriert sind, die Wirksamkeit der Röntgenbehandlung auf die 
Tbymushyperplasie der Säuglinge. Bei der Bestrahlung war der ganze 
Körper bis auf die Hautstelle, die der Thymusdämpfung entspricht, ab¬ 
gedeckt. Die Fokushautdistanz betrug 20 cm, die Fokusdosimeterdistanz 
10 cm, die Dosimeterhautdistanz 10 cm. Das Filter war ein 3 mm 
dickes Aluminiumfilter, die Dauer der Bestrahlung währte 10 Minuten, 
1—2 M A. Die Bestrahlung erfolgte zweimal mit einem Abstand von 
3—4 Wochen und wurde gut vertragen, ln allen Fällen erfolgte klinische 
Heilung; es erfolgte Rückbildung der Thymus, doch nie bis zur physio¬ 
logischen Grösse. Da zum Teil Regeneration beobachtet wurde, wäre 
5—6 malige Wiederholung in Erwägung zu ziehen. Interessante Er¬ 
örterungen über die Differential di agnose und Klinik der Thymusbyper- 
plasie sind der praktisch sehr wichtigen Mitteilung angefügt. 

P. Hertz und K. Sech er-Kopenhagen: Ein Fall von Neuroblastom 
sympatbienm congenita», kombiniert mit Morbns Addisoaii bei einem 
Kinde. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 5, S. 367.) Hervorzuheben 
ist der anfänglich bei dem Kinde bestehende und die Diagnosestellung 
irreleitende Lebertumor, der sich später zurückbildete. Dieser Vorgang 
klärte sioh bei der Sektion als spontaner HeilungsVorgang ausgebreiteter 
sarkomatöser Lebermetastasen des Nebennierentumors auf. 

P. Mos er-Basel: Zur pathologischen Anatomie «ad Bakteriologie 
der Chorea miaor. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 3, S. 209.) 
Bei der Entstehung der Chorea spielt sioher eine bestimmte Anlage^ 
eine sogenannte individuelle Disposition eine grosse Rolle, Dazu treten 
infektiös-toxische Momente, die nach den Untersuchungen des Verf.’* 
zumeist in einer Staphylokokkeninfektion gegeben zu 9ein scheinen. 
Die Staphylokokken haben nach den Untersuchungen des Verf.’s 1. eine 
Vorliebe, Veränderungen in der Rinde zu setzen, 2. wirken sie direkt 
neurotoxisch. 

E. Fröschei8-Wien: Psychologische und klinische Beiträge zur 
kindlichen Sprmekentwicklaag and car kindlichen Stummheit. (Jb. 
f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 5, S. 423.) Klinische Beiträge und theo¬ 
retische Erörterungen zur Frage der kindlichen Hörstummheit, die sich 
zur Wiedergabe im Referat nicht eignen, doch auch mancherlei praktische, 
diagnostische, prognostische und therapeutische Anregungen bieten. 

J. v. Bokay-Budapest: Gehimsymptome bei der Pyelozystitii 
des Süagliagsalters. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 3, S. 181.) 
Vsrf. weist darauf hin und belegt mit den Krankengeschichten, dass die 
Kolizystitis der Säuglinge mit schweren Gehirnsymptomen kompliziert 
sein kann. Lumbalpunktionen entleeren in diesen Fällen wasserklare 
Flüssigkeit, in der sioh später keine Gerinnselbildung zeigt, unter hohem 
Druck. Die Punktion verschafft den kleinen Patienten erhebliche Er¬ 
leichterung und scheint auch den ganzen Verlauf der Krankheit günstig 
zu beeinflussen. 

G. Singer-Rummelsburg: Ueber das Neitralisattoisphlatmoa bei 
aktiver «ad iaaktiver Tnberkilole. (Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, 
H. 3, S. 187.) Unter Neutralisationsphänomen versteht man die von 
Pickert und Löwenstein gemachte Beobachtung, dass das Serum 
mit Tuberkulin behandelter Tuberkulöser öfter imstande sei, die charak¬ 
teristische Wirkung des Tuberkulins auf die Haut Tuberkulöser auf¬ 
zubeben. Die die Neutralisierung bewirkenden Stoffe werden als Tuber¬ 
kulin-Antikörper angesehen. Verf. stellte eine grosse Untersuobungs- 
reihe an, um festzustellen, ob man mittels des Neutralisationsphänomens 
manifeste Tuberkulose von latenter trennen könne. Sie fand, dass bei 
Vorhandensein eines aktiven tuberkulösen Prozesses dem Serum in der 
Regel die neutralisierenden Eigenschaften fehlen. Abgesehen von ein¬ 
zelnen Ausnahmen scheint das völlige Ausbleiben der Neutralisation 
in der Regel den Schluss auf aktive Tuberkulose zuzulassen, während 


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10. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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andererseits die Neutralisation einen latonten Prozess, eventuell einen 
ganz besonders günstigen Verlauf vermuten lässt. 

F. Weihe-Frankfurt: Mastdarmpolyp als Ursache von Uens eines 
Neigeborenea. (Msohr. f. Kindhlk., 1918, Bd. 14, H. 7, S. 409.) Kasuistisehe 
Mitteilung. 

B. von Holvede-Braunschweig: Paratyphas B hei Shnglingen. 
(Jb. f. Kindhlk., 1918, Bd. 87, H. 4, S, 851.) Drei Fälle bakteriologisch 
sicher gestellter Erkrankung an Paratyphus B, die bei den Säuglingen 
unter dem Bilde des follikulären Diokdarmkatarrhes verliefen. Hervor¬ 
stechend war der langanhaltende Status typhosus; eines der Kinder 
erlag einer komplizierenden Lungenentzündung, die beiden anderen 
genasen nach 6—8 wöchigem Krankheitsverlauf. 

H. Ernst-Schöueberg: Die Bedeutung der Weiss’sehen Urtebro- 
megeireaktioi. (Jb. f. Kfndhlk., 1918, Bd. 87, H. 8, S. 255.) Verf. 
kommt aaf Grund ihrer Untersuchungen zu dem Schluss, dass die 
Weiss’sohe Urochromogenreaktion als Hilfsmittel bei der Differential¬ 
diagnose innerer Krankheiten zu verwerfen sei, weil sie einerseits bei 
manchen Gesunden positiv ausfalle, andererseits bei den verschiedensten 
fieberhaften und nicht fieberhaften Krankheiten sich als positiv erweisen 
könne. 

E. Weistos-Augsburg: Ueber Scharlachrezidive. (Jb. f. Kindhlk., 
1918, Bd. 87, H. 8, S. 234.) Verf. teilt zwei Beobachtungen mit, in 
denen bei Soharlaohrekonvaleszenten nach 4—4 1 /* Woche eine echte 
Neuerkrankung an Scharlach auftrat. Beiden Fällen ist gemeinsam, dass 
wenige Tage vor dem Auftreten des Soharlachrezidivs in demselben 
Krankensaal ein neuer Fall von schwerer Scbarlacherkrankung zur Auf¬ 
nahme gekommen war. Danach hat es den Anschein, als handle es 
sich in den berichteten Fällen um eine Neuinfektion mit Scharlach von 
aussen, nicht um ein Wiederaufleben eines virulenten Kontagiums, eine 
Streitfrage, die bei der Diskussion der Genese des Scharlachrezidives 
bekanntlich eine Rolle spielt. Sie dürfte vor Entdeckung des Soharlach- 
erregers kaum entscheidend beantwortet werden können. 

W. Birk-Kiel: Schatiimpfang bei Varicellen. (Mschr. f. Kindhlk., 
1918, Bd. 14, H. 7, S. 412.) Gelegentlich einer Varizellenepidemie ge¬ 
machte Impfversuche verliefen zumeist positiv und waren imstande, die 
Impflinge vor der Infektion zu bewahren. Die Impfung ging zumeist 
nach zehn Tagen an, verlief also schneller als die Infektion. Schon 
infizierte Kinder konnten dementsprechend nur zum Teil vor dem Aus¬ 
bruch der Krankheit geschützt werden. R. Weigert-Breslau. 


Chirurgie, 

Bohm-Posen: Ein weiteres Beispiel für den gegeaceitigoi Ernte 
der Gewebe der Biadegewebsreike unter pathologisches Verhältnissen. 

(D. Zschr. f. Chir., Bd. 144, H. 3 u. 4.) Es handelte sich im vorliegenden 
Fall um eine fettige Substitution der Rückenmuskalatur in grosser Aus¬ 
dehnung bei einem einjährigen Kinde. Die fettige Umwandlung war so 
erheblich, dass sie schon makroskopisch durch die gelbliche Färbung 
sofort aoifiel. Das Eigentümliche dieser Fettsubstitution war, dass sie 
unter einem subkutanen Lipom sich .entwickelt hatte und ihre Aus¬ 
dehnung etwa der des Lipoms entsprach. Eine siohere Erklärung kann 
B. nicht geben. 

W. Stern ml er-Jena: Die Diiferentialdiagnose des Gasbrandes. 
(D. Zschr. f. Chir., Bd. 144, H. 8 u. 4.) Im Anschluss an eine frühere 
Arbeit bespricht St. die durch mechanische Ursachen bedingten Krank¬ 
heiten und Erscheinungen, die Anlass zu Verwechslung mit dem Gas¬ 
brand geben können. In erster Linie ist hier der ischämische Gewebs¬ 
zerfall zu nennen, wie er z. B. duroh längeres Liegen der Esmarch'sohen 
Binde erzeugt wird. Die Differentialdiagnose gegenüber Gasbrand ist 
meist nicht schwer, das gleiche gilt für das subkutane Emphysem, wie 
es häufig bei Lungensohüssen oder bei Granatsplittern, besonders wenn 
sie in wirbelnder Bewegung auf den Körper aufschlagen und Luft in 
das Unteihautzellgewebe mitreissen, beobachtet wird. 

B. Valentin-zurzeit im Felde. 

P. Dezarnad es: Die Behandlung der Kriegswnnden mit Vincent- 
sehem Pulver. (La presse med., 7. März 1918, Nr. 14, S. 129.) Die 
gegebene Behandlung der Kriegswunden, aueh zur Vorbeugung gegen 
Gasbrand und Septikämie ist ihre ausgiebige Versorgung, sei es mechanisch, 
sei es mit den sogenannten physiologischen Lösungen (Serum, hypertonisches 
Serum, Magnesiumchlorüriösung), sei es mit antiseptisohen Lösungen 
(auoh solche naoh Carvel, Men eiere u. a.). Hierher gehört auoh das 
Vinoent’sche Pulver. Es besteht aus Borsäare und Calciumohlorür, 
nicht aus Chlor, ist weiss und ziemlich billig. Die ausgiebig versorgte 
Wunde wird damit gründlich eingepudert und aseptisoh verbunden. 
Beobachtungen an 200 Verwundeten ergaben: 1. Das Vincent’sche 
Pulver ist nicht toxisch. 2. Es wirkt nicht ätzend. Anfänglich sehen 
die Wunden schwärzlich belegt aus; diese Auflagerungen lassen sich 
täglich mit H 2 0 2 Tampons entfernen. 8. Nach dem Pulver versohwinden 
die Mikroben rasch und die sekundäre Naht wird möglich (naoh wenigen 
Tagen wie die kulturelle Prüfung ergibt). 4. Das Vincent’sohe Pulver erlaubt 
daher seltenen Verbandwechsel. (5—6 Tage bei Weiohteilwunden; 
7—8 Tage bei Schenkelschussbruoh). Die Wunden sind völlig trooken. 
5. Das Vinoent’sohe Pulver ermöglicht daher sehr konservative Behand¬ 
lung. Krakauer-Breslau. 


E. Sohepelmann-Hamborn: Ueber die Plombierug VO» Klocken- 
hShlen. (D. Zschr. f. Chir., Bd. 144, H. 3 u. 4.) An Hand von Erfah¬ 
rungen an 200 Fällen wird die Plombierung von Knochenhöhlen mit 
einer nach besonderem Verfahren hergestellten Jodoformplombe als 
Wahlverfahren angesehen; „es gestattet in der Mehrzahl der Fälle ein¬ 
zeitiges Operieren, verhütet durch den Jodoformgehalt daB Wiederauf- 
fiackern der Infektion, regt durch den Reiz des Antiseptikums zur 
Knoohenneubildung an, benötigt nur unbedeutende Abflachung der 
Knochenhöhle, wodurch Knochen gespart und Spontanfrakturen vermieden 
werden, opfert kein kostbares lebendes Material, führt zu kosmetisch 
und funktionell günstigen Narben und unterscheidet sich von allen 
anderen Methoden duroh seine grosse Einfachheit und Gefahrlosigkeit. 0 

W. Pohl-Dirsohau: Weich teilexteisioa hei Oberschenkelampi- 
tationen. (D. Zschr. 1 Chir., Bd. 144, H. 3 u. 4.) Die Methode besteht 
aus einer um den Stumpf gelegten „Krone* aus zwei Kramerschienen, 
am Stumpf wurde ein Flanellbindenzug angelegt und zum Zug ein Stüok 
alten Magenschlauches benutzt. Der Patient kann bald aufstehen. 

R. Eden-Jena: Zur Operation der habituellen Schal terluxatien 
unter Mitteilung eines neuen Verfahrens bei Abriss am inneren Pfannen¬ 
rande. (D. Zschr. f. Chir., Bd. 144, H. 3 u. 4.) E. hat bei einem Falle 
von habitueller Schnlterluxation mit Abriss des Labrum glenoidale von 
der Pfanne und Abflachung des inneren Pfannenrandes diesen dadurch 
wieder hergestellt, dass er ein frei transplantiertes Knoohenstüok von 
der Tibia als Ersatz für den verloren gegangenen Knocheuabsohnitt und 
zugleich als Widerriss für den Gelenkkopf zur Anheilung brachte. Ausser¬ 
dem wurde die Raffung der vorderen Kapsel hinzugelügt. Das Resultat 
war nach einer Beobachtungszeit von 10 Monaten ein gutes. 

Th. Naegeli-Bonn: Beitrag zur Frage der angeborenen unvoll¬ 
ständigen Hnftgelenklnxatlon. (D. Zschr. für Chir., Bd. 144, H. 3 u. 4.) 
Mit Bezug auf eine Arbeit von Löffler zeigt N. an mehreren von Garrö 
behandelten Fällen, dass auch ohne stereoskopische Röntgenaufnahme, 
nur duroh den klinischen Untersuchungsbefund, die unvollständige Hüft¬ 
gelenkluxation nachweisbar ist und dass sie sich klinisch scharf gegen¬ 
über der vollständigen Luxation abgrenzen lässt. 

E. Sohepelmann-Hamborn: Mnskeltransplantatioi bei Schalter- 
lihmnng. (D. Zsohr. f. Chir., Bd. 144, H. 3 u. 4.) Bei einem Kinde mit 
völligem Schwund der rechten Schultermuskulatur als Folge einer 
schweren Kinderlähmung wurde die mittlere Partie des Pectoralis major 
an das Periost des Akromions und der Spina soapulae mit gutem Erfolg 
transplantiert. 

L. Flory-Kiel: Ueber Einwirkung von Novokaii aaf die Nieren. 
(D. Zsohr. f. Chir., Bd. 144, H. 3 u. 4.) Die in der Klinik Ansohütz an- 
gesteIlten Untersuchungen erstrecken sich auf den Naohweis von Reiz- 
ersoheinungen naoh Lokalanästhesie auf die Nieren. Bei den unter 
100 Fällen 6 mal beobachteten Eiweissausscheidungen naoh Operationen, 
die in Lokalanästhesie mit Novokain ausgeführt waren, handelte es sich 
jeweils um ganz geringe Ausscheidungen, die bei den üblichen .Kooh- 
proben nur geringe Trübungen erkennen Hessen. Die Eiweiss- und 
Zylinderaussoheidung kann nicht als eine Folge der Lokalanästhesie be¬ 
trachtet werden, sondern muss auf irgendeine andere Ursache zurüok- 
geführt werden. Es wird daher auch bei Nierenopetationen die periphere 
Sohmerzstillung dringend empfohlen. 

A. Szenes-Wien: Ueber solide Mesenterialtumoren. (D. Zsohr. f. 
Chir., Bd. 144, H. 3 u. 4.) Es handelte sich um einen von Finsterer 
operierten Fall einer ziemlich umfangreichen fibrösen, vielfach Nekrosen 
und Blutungen enthaltenden Bildung, die sich als solider Mesenterial¬ 
tumor erwies; Resektion des Jejunum, Heilung. Im Anschluss daran 
Besprechung von 60 Fällen aus der Literatur. 

W. Bausch-Stuttgart: Die Endresultato der Gastroenterostomie 
beim Magengeschwür. (D. Zsohr. f. Chir., Bd. 144, H. 8 u. 4.) Verf. 
bespricht die Endresultate an der Hand von 50 im Marinehospital zu 
Stuttgart von Zeller operierten Fällen. Er kommt zu dem Ergebnis, 
dass beim Magengeschwür, das längere Zeit einer internen Behandlung 
trotzt, die Gastroenterostomie als Operation der Wahl in Vorschlag zu 
bringen ist. Unter Berücksichtigung der Teohnik gibt die von v. Hacker 
ausgebaute Gastroenterostomie retrocolica posterior isoperistaltioa die 
besten Operationsresultate. Die Indikationen für ein chirurgisches Ein¬ 
greifen sind: Pylorusstenose, häufige und unstillbare Blutungen, peri¬ 
gastrische Verwachsungen, atonische Gastrektasie, insgesamt als Folge- 
zustände eines in nicht zu grosser Ausdehnung an irgend einer Stelle 
des Magens sitzenden Gesohwürs. Bei einer internen Behandlung beträgt 
die Mortalität der am häufigsten gutartigen Erkrankung des Magens, 
das Magenulkus, 26—28pCt. Die operative Mortalität des Magenulkus 
und seiner Folgen schwankt zwisohen 2 und 12 pCt. bei Gastroenterostomie 
und zwischen 20 und 33 pCt. bei Resektion. 

H. Ziegner-Küstrin: Zur Kasuistik der traimatischei Kleiahirn- 
absxesse. (D. Zsohr. f. Chir., Bd. 144, H. 3 u. 4.) 3 Fälle werden genauer 
beschrieben, 2 mal handelte es sich um Abszessbildung nach Granat- 
splitterstecksohuss und 1 mal um Abszessbildung naoh infizierter Ver¬ 
letzung der Naokengegend. Alle 8 Fälle kamen ad exitum und boten 
übereinstimmend das Bild der Meningitis serosa intraventrioularis, bei 
allen 3 Fällen bestanden ausgedehnte hämorrhagische Quetsohherde an 
der Kontrecoupstelle am entgegengesetzten Hirnpol. 

B. Valentin (zurzeit im Felde). 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


* Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Lehmann: Zur Frage der Bartflechte. (D.m.W., 1918, Nr. 17.— 
PI aut-Hamburg: Bemerkungen zu der Leb man n’sohen Arbeit. (D.mW., 
1918, Nr. 17.) L. polemisiert gegen einige von Plaut behauptete 
Punkte zur Frage der Bartflechte, ob z. B. Trichophytie im Schnurrbarte 
und auf dem Kopfe vorkomme. Das Rasieren hält L. für schädlioh. 
Auf diese Punkte erwidert Plaut. 

Nussbaum: Erythena Bcarlatiforne lach 8alvarsanintoxikatioa. 
(D.m.W., 1918, Nr. 17.) Bei einem Patienten, der eine kombinierte 
Queoksilber-Salvarsankur durohgemacht hatte, trat ein Erythem über 
den ganzen Körper auf. Eine später eingeleitete reine Salvarsankur 
brachte abermals dasselbe Erythem hervor, so dass also damit bewiesen 
ist, dass das Salvarsan allein ätiologisch für das Erythem in Frage 
kommt. Dünner. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Schaeffer-Berlin: Die Irstliche Anieigepflicht der künstlichen 
Schwangerschaftsunterbrechung. (D.m.W., 1918, Nr. 18.) Erörterung 
der Frage im Anschluss an die Diskussion in der Deutschen Medizinischen 
Gesellschaft. Dünner. 


Augenheilkunde. 

Frieberg: Ueber die Mechanik der Tränenableitnng mit beson¬ 
derer Hinsicht auf die Ergebnisse der aeaeren Tränensackoperationen. 
(Zsohr. f. Aughlk., Bd. 87, H. 1—6.) Die umfangreiche Arbeit zerfällt 
in folgende Teile: Anatomische und physiologische Bemerkungen über 
den tränenableitenden Apparat. Der Mechanismus der Tränenabfuhr. 
Theorien auf die Anabhängigkeit der Tränenabfuhr von den Lid- 
bewegungen gegründet. Ueber die Lidbewegungen als treibende Kraft 
beim Tränentransport. Bewegungen der Tränenpunkte. Bewegungen 
der nasalen Teile der Kanälchen. Theorien, auf die vortreibende Wir¬ 
kung der Lidbewegungen gegründet. Die Aufgabe der Tränenkanälchen 
beim Träcentransport. Einige Folgen der Kanälchenkompressionstheorie. 

Stargardt: Ueber eine seltene Missbildung au Auge. (Zsohr. f. 
Aughlk., Bd. 37, H. 1 u. 2.) Das aus der Lidspalte herausragende 
rüsselförmige Gebilde ist eine Missbildung, die aus Haut und Fett¬ 
gewebe besteht und deswegen nach der heute üblichen Nomenklatur als 
Lipodermoid bezeichnet werden muss. Das Lipodermoid hat seine Basis 
offenbar an der Stelle gehabt, wo normalerweise die Cornea sitzt, und 
bat sioh auch in das Innere des Augaptels entwickelt. Daduroh ist die 
Entwicklung des Auges auf einer frühen Stufe stehen geblieben. Horn¬ 
haut, Vorderkammer, Regenbogenhaut, Linse und Glaskörper sind über¬ 
haupt nicht gebildet worden. Aus dem klinischen Befunde ergibt sich, 
dass das Auge nach der Entfernung des aus der Lidspalte herausragen¬ 
den Teiles der Missbildung erheblich gewachsen ist. Denn erst als das 
Kind 9 Monate alt war, konnte ein Augapfel nachgewiesen werden. 

Bourguin: Die angeborene Melanose des Auges. (Zsohr. f. 
Aughlk., Bd. 37, H. 8 u. 4.) Am Schluss der umfangreichen Arbeit 
kommt Verf. zu folgendem Resultate: 1. Die angeborene, seltene 
hereditäre Melanosis der Augen der weissen Rassen befällt gewöhnlich 
nur ein Auge, dessen normale Funktion nicht beeinträchtigt wird. 2. Sie 
zeigt folgende Hauptmerkmale: a) stets partielle Verfärbung «der Sklera, 

b) melanotisohe verfärbte Iris mit undeutlicher Struktur der Oberfläche, 
die oft warzenförmige Erhebungen aufweist, o) diffus stark dunkel ver¬ 
färbter Fundus. 3. Hinzutreten können folgende Ueberersoheinungen: 
a) Pigmentablagerung in der Pupille, b) Flecken der Konjunktiven, 

c) Verfärbung der Lidhaut. 4. Die brechenden Medien sowie das nervöse 
Blatt der Retina bleiben stets verschont. 5. Sie betrifft gewöhnlich 
Individuen mit brünettem Teint und dunklen Haaren. 6. Die Prognose 
ist, dank der seltenen sarkomatösen Degeneration, eine gute. 

Hesse: Ueber die Verwendung der Tierkohle bei der Behandlung 
der Ophthalmogonoblennorrhoe. (Zsohr. f. Aughlk., Bd. 37, H. 5 u. 6.) 
Verf. sieht die Verwendunp der Blutkohle als ein sehr wertvolles Mittel 
zur Unterstützung der Blennorrhoetberapie an, das besonders in frischen 
Fällen eine ganz ausgezeichnete Wirkung entfaltet. Eine Schädigung 
bei einer Bindehauterkrankung kommt nicht io Betracht, bei Kom¬ 
plikationen von Seiten der Hornhaut können Nachteile bei genügender 
Vorsicht leicht vermieden werden. Wegen der unschönen schwarzen 
Farbe des Mittels ist Krankeobausbehandlung erforderlich. 

Ohm: Die Abderhalden’sehe Blutnntersnfhnng bei Keratokonus, 
Blankos, Retinitis pigmentosa nnd Augenzittern der Bergleute. 
(Zschr. f. Aughlk., Bd. 37, H. 1 u. 2.) Von den acht Augenzitterern 
reagierten sechs positiv. Zweimal erwies sich die Leber, einmal Leber 
nnd Hoden, zweimal die Thymus und einmal die Nebenniere als gestört. 
Jedenfalls verdient das Verfahren Abderhalden’s unter Heranziehung 
auoh anderer Organ Substrate auf eine grössere Anzahl von Augenzitteren 
ausgedehnt zu werden. 

Lüdemann: Hydrodiaskop oder Kontaktglas zur Korrektur des 
Keratokonus. (Zschr. f. Aughlk., Bd. 37, H. 5 u. 6.) Ein irgendwie 
gut passendes Kontaktglas kann vom menschlichen Auge stunden-, ja 
tagelang ohne oder nur mit ganz geringen Störungen getragen werden. 
Besitzen wir die Möglichkeit, uns geschliffene Kontaktgläser von be¬ 
liebiger sphärischer Brechkraft zu verschaffen, so wird vielleicht das 
Kontaktglas in manchen Fällen das idealste Brillenglas darstellen' zur 
Korrektur auch anderer Refraktionsfehler. Dieses Brillenglas würde alle 


fehlerhaften Eigenschaften der gewöhnlichen Brillengläser vermeiden, da 
es ja das Auge bei seinen Bewegungen begleitet und jederzeit durch 
die gleiche mit Träneoflüssigkeit ausgefüllte Distanz von der Hornhaut 
getrennt ist. 

v. Liebermann: Zur Technik der orbitalen Lokalanästhesie bei 
der Ennkleation. (Zschr. f. Aughlk., Bd. 37, H. 3 u. 4.) Desinfektion 
der Lidhaut mit Jodtinktur an drei Einstiebpunkten (1. am äusseren 
Lidwinkel, 2. dicht unter dem Supraorbitalrand, 3. an der Grenze des 
inneren und mittleren Drittels des Marge infraorbitalis), Hautinjektionen 
mit feinster Nadel und etwa je 0,2 ccm Novokainlösung an diesen Punkten, 
Austausch der Nadel gegen die 4 cm lange; tiefe Injektion von je 1,5 
bis 2 ccm Novokainlösung an den drei Stellen. Ein vorheriges Ein- 
träufeln von Kokain in den Bindehautsack ist unnötig. Es entsteht 
eine mässige Protrasion, die Anästhesie erfolgt manohmal momentan, 
manchmal erst nach mehreren Minuten, ein sicheres Zeichen ihres Ein¬ 
tritts ist die vollständige Ptosis. Um vollkommen sicher zu gehen, 
pflegt Verf. 20—30 Minuten zu warten (!), während dieser Zeit erfolgt 
die konjunktivale Kokaineinträufelung, für den Fall, dass der durch den 
Nervus infraorbitalis und Nervus Zygomaticus versorgte Teil der Binde¬ 
haut nicht durch die Infiltration unempfindlich werden sollte. Refer. 
findet das ganze Verfahren sehr umständlich und zeitraubend. 

Goldmann: Die kalorische Reizung des Ohres als Mittel snr 
Entlarvung von Simulation ein- oder beiderseitiger Blindheit. Ein 
Fall von einseitiger Amanrose bei normaler Pnpillenreaktion auf 
traumatischer Grandlage. (Z*ohr. f. Aughlk., Bd. 37, H. 1 u. 2.) Bei 
doppelseitiger Blindheit, wo die Korrektion der Koordinationsstorung 
entsprechend der kalorischen Reaktion nicht möglich ist, sind der Grad 
und die Richtung der Fallbewegung und des Vorbeizeigens dieselben, 
ob der Untersuchte die Augen offen oder geschlossen hat. Besteht ein 
merklicher Unterschied, dann ist die Blindheit simuliert Steht der 
Untersuchte bei offenem Auge, dessen Sehvermögen in Frage steht, fest 
und zeigt er beim Ausstrecken der Arme kein Abweichen, und fallt er 
bei geschlossenem Auge und zeigt nach der Seite der Spülung vorbei, 
so ist die Simulation erwiesen. 

Birch-Hirschfeld: Eine einfache Methode zur Bestimmung der 
Sehschärfe bei Simulation nnd Uebertreibnng. (Zschr. f. Aughlk., 
Bd. 37, H. 5 u. 6.) Der kleine Apparat besteht aus einem Kästchen, 
das einer elektrischen Taschenlampe lichtdicht angesetzt ist und an 
dessen Vorderseite sich ein quadratischer oder runder mit einer Miloh- 
glasscheibe versehener Ausschnitt befindet. Durch eine zweite Milch¬ 
oder Mattglasscheibe dioht vor dem Lämpchen ist für genügende Diffu¬ 
sion des Lichtes gesorgt. Vor der Milchglasscheibe befindet sich ein 
doppelter Falz, ln dem einen lässt sioh eine Glasscheibe in senk¬ 
rechter, im anderen in wagerechter Richtung verschieben. Auf der 
einen Glasscheibe sind die Sebproben, auf der anderen Diaphragmen von 
bestimmter Grösse angebracht. Mit Hilfe des Apparates kann die Seh¬ 
prüfung nach drei Richtungen in einer für den Patienten nioht genau 
feststellbaren Weise geändert werden. Erstens lässt sich die Entfernung 
variieren. Hierzu kann man sich eines durch das Dunkelzimmer ge¬ 
sogenen Fadens bedienen, aus dem tastbare Entfernungsmarken ange¬ 
bracht sind. Zweitens kann durch Verschiebung der einen Glasscheibe 
die Sehprobe schnell mit einer anderen vertauscht werden. Drittens 
lässt sich durch Vorschaltung von Diaphragmen vor die leuchtende 
Fläche die Giösse dieser Fläche ändern. 

Brückner: Zur Kenntnis des sogenannten willkürlichen Ny¬ 
stagmus. (Zschr. f. Aughlk., Bd. 37, H. 3 u. 4.) Der sogenannte will¬ 
kürliche Nystagmus wird durch einen bewussten starken Innervations¬ 
impuls in allen Augenmuskeln bewirkt. Hierdurch entstehen dann die 
oszillatorischen Schwankungen, offenbar infolge oszillatorischer Impulse 
bei der tetanischen Kontraktion der Muskeln. Diese Auffassung macht 
es auoh verständlich, warum dieser Nystagmus bei nioht primärer Bliok- 
lage wesentlich erschwert wird: hier muss der schon an sioh erheblichen 
Innervation sämtlicher Augenmuskeln nooh eine besonders verstärkte 
Ionervation zur Bewegung der Augen in eine bestimmte Richtung super- 
poniert werden. 

Gilbert: Ueber Rheumatismus, rheumatische nnd metaatatiaehe 
Regenbogenhantentzündnng. (Zschr. f. Aughlk., Bd. 37, H. 3 u. 4.) 
Verf. schlägt vor, das ganze Gebiet der Iritiden bei akuten Infektions¬ 
krankheiten, kryptogenetischen Infektionen, bei Gonorrhoe und Rheuma¬ 
tismus als diffuse metastatisebe Iritis zusammenzufassen, im Gegensatz 
zur herdförmigen metastatischen Iritis, deren Hauptverhalten Lues und 
Tuberkulose sind. 

Deutschmann: Das traumatische Glaukom. (Zschr. f. Aughlk., 
Bd. 37, H. 5 u. 6.) Entgegengesetzt der Ansicht Schindhelm’s 
wiederholt Verf. seine schon in einer früheren Arbeit mitgeteilte Ansicht, 
dass einer Verletzung des Kopfes ein Glaukom folgen kann, ohne dass 
von einer vorherigen Disposition für diese Augenerkrankung gesprochen 
worden kann. 

Cords: Pseudokärperextraktiou ans dem Augapfel unter Leitung 
des Röntgenschirmes. (Z»chr. f. Aughlk., Bd. 37, H. 1 u. 2.) In einer 
Anzahl von Fällen, in denen keines der gebräuchlichen Verfahren zur 
Entfernung metallischer Splitter aus dem Augeninnern zum Ziele führte, 
erreichte Verf. unter direkter Leitung der Röntgenstrahlen unter dem 
Fluoreszenzschirme noch befriedigende Resulate. Die Art des Verfahrens 
ist genau beschrieben. Verf. beschreibt drei operierte Fälle, in denen 
einmal der Splitter im Glaskörper flottierte, zweimal nahe der inneren 
Bulbuswand sass. F. Mendel. 


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10. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


657 


Hals«, Nasen« und Ohrenkrankheiten. 

A. Kuttner: Kritisches zur Lehre der Basalen ReflexBenrese. 
(Arch. f. Laryng., Bd. 31, H. 1 u. 2.) Verf. fasst die Ergebnisse seiner 
Untersuchungen in folgenden Schlusssätzen zusammen: 1. Das Wesentliche 
an der Reflexstörung, die Vorgänge im Scheitelpunkt des Reflex¬ 
bogens, sind unsern Untersuchungsmethoden nicht zugänglich. 2. Unter 
Reflexneurose verstehen wir eine krankhafte Störung der Reflexvorgänge 
infolge einer abnormen Steigerung oder Herabsetzung der Reflexerregbar¬ 
keit, für die sich weder eine handgreifliche Ursache — Vergiftung, 
Intoxikation — noch eine substantielle Veränderung des nervösen 
Apparates nachweisen lässt. 3. Die Diagnose bleibt sehr häufig eine 
Wahrsoheinliohkeitsdiagnose. 4. Bei erfolgreicher Behandlung ist stets 
der Effekt der suggestiven Beeinflussung sorgsam von dem des operativen 
Eingriffes zu soheiden. 5. In den obereu Bezirken der Nasenhöhle war, 
unter normalen Verhältnissen fast ausnahmslos, in pathologischen Fällen 
recht häufig, die Sensibilität und die Reflexerregbarkeit der Schleimhaut 
eine grössere als in den tiefer gelegenen. (Zartere Oberflächenbekleidung, 
grössere Dichtigkeit der Nervenendausbreitungen.) Sonst liess sioh eine 
zuverlässige Skala für die Sensibilität der Nasenschleimhaut nicht fest¬ 
stellen. 6. Von jedem Punkt der Nasenschleimhaut können normale 
und eventuell auch pathologische Reflexvorgänge ausgelöst werden. 
7. Typische „reflektogene Punkte“ gibt es nicht. 8. Eine Scheidung in 
Olfaktorius-, Ethmoidal- und Sphenoidalneurosen ist allzu schematisch, 
da sich weder anatomisch noch physiologisch genügend scharfe Grenz¬ 
linien ziehen lassen, und da insbesondere noch bei den Reflexneurotikern 
der psychisohe Einschlag einer solohen Differenzierung im Wege ist. 

9. Die Hyperästhesie ist nicht die Basis der nasalen Reflexneurosen, 
sondern ein Symptom, ebenso wie die Hyperämie und Hypersekretion. 

10. Es geht nicht an, die Hyperästhesie der Nasenschleimhaut und damit 
die nasalen Reflexneurosen auf Verunreinigung der Atmungsluft zurück¬ 
zuführen, da sie bei den Leuten, die diesen Verunreinigungen der 
Atmosphäre am stärksten ausgesetzt sind, am allerseltensten zu finden 
ist. 11. Müller’s Annahme, dass beim Reflexasthmatiker das Elastin¬ 
gewebe der Lunge erheblich konstitutionell minderwertig sei, widerspricht 
den bisherigen Erfahrungen. 12. Nach Auffassung des Verf. gehört die 
nasale Reflexneurose zu der grossen Gruppe der neurasthenischen Er¬ 
krankungen, häufig mit einem Einschlag von Hysterie. 13. Wie bei der 
Neurasthenie und bei der Hysterie sind wir auch bei der nasalen 
Reflexneurose bis auf weiteres auf die hypothetische Annahme einer 
psyoho-neuropathischen Zustandsänderung angewiesen. 14. Wenn auoh 
die Erfolge der örtlichen Behandlung für eine gesteigerte Erregbarkeit 
der peripheren Endausbreitungen der zentripetalen Nerven sprechen, so 
scheint der Hauptsitz der neuropathischen Zustandsänderung sich im 
Scheitelpunkt des Reflexbogens zu befinden. 

0. Hüller: Die aasale Dysmenorrhoe, sowie die nasal-respira- 
torisehen Draeksehwankangen und Savgwirknngen anf die Baneh- 
organe überhaupt. (Arch. f. Laryn., Bd. 31, H. 1 u. 2.) In ver¬ 
schiedenen früheren Arbeiten hatte Otto Müller-Lehe den Einfluss 
einer Verengerung des Nasenkanals auf Atmung und Kreislauf unter¬ 
sucht und war zu dem Schluss gekommen, dass jede Beeinträchtigung 
der Inspirationsbahn in Nase und Rachen, mag sie den verfügbaren 
Raum auch nur um die Breite eines oder weniger Millimeter beein¬ 
trächtigen, zu schweren Störungen der Atmungsdynamik sich ausweitet. 
Er bemüht sich nun, die nasale Dysmenorrhoe von dem problematischen 
Begriff der Reflexneurose loszulösen und sie in konsequentem Ausbau 
seiner Lehre ebenfalls als eine Folge gestörter Atmungsdynamik infolge 
einer Nasenverlegung zu erweisen. Sein Gedankengang ist folgender: 
Dass menstruelle Beschwerden durch KokainisieruDg der intranasalen 
Schleimhäute, durch chemische, elektrolytische oder galvanokaustische 
Aetzung vorübergehend oder dauerd gebessert oder geheilt werden können, 
ist eine anerkannte Tatsache. Die bisher zu ihrer Erklärung heran¬ 
gezogene Reflextheorie lässt manche Punkte unaufgeklärt, mit anderen 
steht sie im Widerspruch; sie ist deshalb unhaltbar, nebenher aber auch 
überflüssig, da das ganze Krankheitsbild der Dysmenorrhoe sich restlos 
auf substantielle, handgreifliche Veränderungen im Naseninnern zurück¬ 
führen und erklären lässt: die Beschwerden durch eine Verengerung des 
Nasenkanals, die Heilung durch die Weitung, welche die Nasenobstruktion 
durch die therapeutischen Maassnahmen erfährt. Die Verengerung der 
Inspirationsbahn bewirkt eine lebhaftere Inanspruchnahme der Inspirations- 
muskeln, inbesondere des Zwerchfells. Je stärker sich dieses aber 
kontrahiert, desto grösser wird der intraabdominelle, und damit der auf 
dem Beckenboden lastende statische Eingeweidedruok. Diese Druck¬ 
erhöhung, deren schädigende Wirkung als auslösende Ursache für die 
Entstehung von Unterleibsbrüchen bei Keuchhusten, chronischer Bronchitis 
usw. bekannt ist, wird noch kompliziert durch die venöse Stauung, 
welche gleichfalls eine Folge der behinderten Nasenatmung ist. So 
wirken Erhöhungen des intraabdominalen Druckes zusammen mit der 
venösen Stauung, um Veränderungen im Genitale hervorzurufen, die sich 
durch menstruelle Beschwerden zu erkennen geben. Eine Behebung der 
ursächlichen Nasenverengerung durch grosszügige Operation beseitigt 
folgerichtig die Genitalstöruog mit all ihren Beschwerden. 

Sanowitz: Ueber Lyaphafigiome der Zange» '(Arch. f. Laryng., 
Bd. 31, H. 1 u. 2.) An der Hand einiger in der Gerber’schen Klinik 
beobachteten Fälle von Lymphangiomen der Zunge wird die Pathogenese 
und der histologische Bau dieser seltenen Geschwülste sorgsamst erörtert. 

R6thi: Ein einfaches EnthaarüBgaverfahreB bei Stinplastik« 
(Aroh. f. Laryng.j Bd. 31, H. 1 u. 2.) Um die zur Plastik zu ver¬ 


wendenden Hautlappen haarfrei tu bekommen, schneidet R6thi mit der 
Cooper’schen Schere von dem abpräparierten Hautlappen die Subkutis, 
in welcher die Haarzwiebeln sitzen, flach ab. A. Kuttner. 


✓ 

Hygiene und Sanitätswesen. 

Laoapere und Laurent: Die Kindersterblichkeit in Marokko 
nnd ihre Beiiehnngen znr Syphilis. (La presse möd., 1918, Nr. 2.) 
Trotz der Polygamie und des Umstandes, dass die Stellung der Frau 
von der Zahl ihrer Kinder abhäDgt, ist die Bevölkerungsdichte in Ma¬ 
rokko auffallend gering und zwar infolge der hohen Kindersterblichkeit. 
Eine der Ursachen letzterer ist die Syphilis. 44 Frauen, die an klinisch 
und serologisch nachgewiesener Lues litten, hatten 248 Kinder gehabt, 
von denen nur 74 = 30 pCt. am Leben blieben. Auch von diesen 
waren noch eine ganze Anzahl einem frühen Tode ausgesetzt, andere 
litten an Erbsyphilis. Manche Familien schienen verhältnismässig ver¬ 
schont zu sein; sie hatten 3 lebende, 1 totes Kind, 4 lebende, 3 tote 
usw. Andererseits hatten 44 klinisch und serologisch luesfreie Frauen 
bei 211 Geburten 94 überlebende Kinder = 45 pCt. Also kann man 
schliessen, dass die Syphilitischen 15 pCt. ihrer Kinder an ihrer Lues, 
45 pCt. an anderen Ursaohen verlieren. Andere Untersuchungen über 
die Syphilis in Marokko haben ergeben, dass 73 pCt. aller Mohammedaner 
Lues haben. Von den Kindern haben 10.5 pCt. Erbsyphilis, die Kinder¬ 
sterblichkeit beträgt 62 pCt. (gegen 12 pCt. in Frankreich). Der Kampf 
gegen die Lues kann also die Kindersterblichkeit um 10 pCt. herab¬ 
setzen. Krakau er-Breslau. 

H. Selter-Königsberg: Trinkwagservemrgnng ist Felde. (Zschr. 
f. Hyg., Bd. 85, H. 3.) Bericht über seine Erfahrungen im Felde die 
Trinkwasserversorgung betreffend. Zu kurzem Referat ungeeignet. 

W. Weiohardt und H. Apitzsch-Erlangen: Gewerbehygienische 
Stadien. L Ueber Oelsebäden in Gewerbebetrieben. (Zsohr. f. Hyg., 
Bd. 85, H. 3.) In einigen Betrieben der Kriegsindustrie waren unter 
den Arbeitern, die an den Maschinen beschäftigt waren, eigentümliche 
Hauterkrankungen aufgetreten, die dringend Abhilfe erheischten, da sich 
die Arbeiter weigerten, weiter zu arbeiten. Es wurde festgestellt, dass 
es sich um eine Oelakne bandelte, die durch die schlecht gereinigten 
Maschinenöle hervorgerufen wurde. Als hauptsächlich für diese, Er¬ 
krankungen zu beschuldigender Bestandteil sind ungesättigte Halogen¬ 
verbindungen anzusehen. Ihre Entfernung gelang unter grossen Schwierig¬ 
keiten am besten durch Einleiten von Cblorgas in das Oel. Ferner auch 
durch Schütteln mit Chlorkalk und auch durch Behandlung mit Salz¬ 
säure und Permanganatlösung. Die Oele verhielten sich jedoch durchaus 
nicht alle gleich. Es erwies sich demgemäss als notwendig nooh be¬ 
sondere Schutzmaassregeln für die Arbeiter anzuwenden. Hierfür er¬ 
wiesen sich als am besten Schutzärmel, die mit Kallonlaok imprägniert 
aind, zu beziehen durch die Firma Riedinger-Augsburg. Schmitz. 

Unfallheilkunde und Versicherungswesen* 

Schlesinger-Berlin: Ein Fall von reiner isolierter Aortoastenose 
nach Unfall. (D.m.W., 1918, Nr. 17.) Bei einem Manne, der einen 
Unfall erlitten hatte, wurde bald nachher in einem Krankenbause die 
Diagnose „Aneurysma“ gestellt. Wenige Jahre später akquirierte er 
Lues. Zur Zeit der Untersuchung musste die Diagnose auf Aneurysma 
fallen gelassen, statt dessen Aortenstenose angenommen werden. Alles 
spricht dafür, dass die Aortenstenose nicht durch die Lues, sondern 
durch den Unfall bedingt worden ist. Dünner. 


Schiffs- und Tropenkrankheiten. 

0. Olsen: Serologische UfltersnchBBgeB bei zwei' Fällen von 
Kala-Azar. (Arch. f. Schiffs u. Trop. Hyg., 1918, Bd. 22, H. 6, S. 81 
bis 89.) Mit dem Serum zweier Kala-Azar-Kranker des Hamburger 
Tropenkrankenhauses angestellte Untersuchungen auf spezifische Agglo¬ 
meration, Parasitolyse, Präzipitation, Komplementbindung und Iutra- 
kutanreaktion hatten durchweg negatives Ergebnis. Dagegen wirkte 
das Serum bewegungshemmend auf Ruiturformen der Leishmania Dono- 
vani, ebenso aber auch Normalmenschenserum, Exsudat- und Transsudat¬ 
flüssigkeit. Diese immobilisierende Wirkung wurde durch halbstündiges 
Erhitzen auf 54—55° beseitigt und durch Komplementhinzufügung nicht 
wiederhergestellt. Sie wurde von vornherein vermisst im Serum mori¬ 
bunder Tuberkulöser, in dem verschiedener Versuobstierarten und in 
der Lumbalflüssigkeit. Weber. 

Weber: Vergiftung durch ABStriebBiittel &b ; Bord. (Arch. f. 
Schiffs u. Trop. Hyg., 1918, Bd. 22, H. 6, S. 90-93.) Durch das Ver¬ 
streichen einer sogenannten Silikatfarbe in den Doppelbodenzellen eines 
Kriegsschiffes erlitten 5 von 13 damit beschäftigten Leuten eine Ein¬ 
atmungsvergiftung durch das flüchtige Lösungsmittel des Farbstoffes. 
Die klinischen Erscheinungen deuteten auf Benzol Vergiftung. Dem¬ 
entsprechend ergab die ohemische Analyse der Farbe geringwertiges 
Handelsbenzol als Lösungsmittel. Hinweis auf die Vorbeugungsmaass¬ 
nahmen gegen diese nooh zu wenig bekannte und deshalb anscheinend 
nicht selten verkannte — in gewissem Umfange marinespezifische — 
Vergiftungsart. Selbstberioht. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Vereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 15. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Ben da. 

Vorsitzender: loh habe Ihnen abermals den Tod zweier unserer 
Mitglieder mitzuteilen, und zwar ist am 1. April Herr Sanitätsrat 
Dr. Benno Hirsohel, Kinderarzt, gestorben, der seit 1896 unser Mit¬ 
glied gewesen ist, und erst vor kurzem Herr Sanitätsrat Dr. Gräffner, 
der Direktor des Siechenhauses, Mitherausgeber der Zeitschrift für 
Balneologie, der seit 1901 unser Mitglied gewesen ist. loh bitte Sie, 
sich zu ihren Ehren zu erheben. (Geschieht.) 

Ausserdem ist ausgeschieden ohne Angabe eines Grundes Herr 
Sanitätsrat Stadtrat Dr. Rabnow. 

Die Gesellschaft hat Herrn Schütz zu seinem fünfzigjährigen Doktor¬ 
jubiläum, das kürzlich stattgefunden hat, gratuliert. 

Vor der Tagesordnung. 

Hr. Emm (als Gast): Fälle von plastischen Ptosisoperatioien. 

In Anschluss an eine Veröffentlichung meinerseits im Zentralbl. f. 
Chir., 1917, Nr. 89, über Ptosisplastik möchte ich einige Operierten 
demonstrieren und darauf hinweisen, dass die dort beschriebene Technik 
etwas vereinfacht worden ist. Statt am oberen Ende der Stirne Fron- 
talisbündel zu mobilisieren und zum Augenlid herabzufübren, nehme ioh 
in der letzten Zeit immer das untere Ende des Muskulus und zwar mit 
einer gewissen Verlängerung in Zusammenhang. Seine sich in die tieferen 
Schichten der Haut und in Verflechtung mit dem sogenannten Musculus 
prooessus (besser M. depressor glabellae [Hans Virohow]) verlierende 
Endfasern werden nicht freipräpariert, sondern mit allen anhängenden 
Schichten bis 1 oder 2 cm auf dem Nasenrüoken ausgeschnitten. Das 
geschieht so, dass einerseits der Schnitt die oberflächliche von den 
tieferen Hautschiohten abtrennt und andererseits alles Gewebe über dem 
Periost abgetragen wird. Also 1 bis 2 cm auf dem Nasenrücken her¬ 
unter findet die Querdurchtrennung statt, und es wird dort bloss Faszie 
angetroffen, die aber«gut als Sehne des Frontalis benutzbar ist und am 
Levator palpebrae oder tiefer am Tarsus vernäht werden kann, nachdem 
stumpf der untere Frontalisteil von der Mitte aus mobilisiert worden 
ist. Die ganze Operation geschieht durch einen Hautschnitt mitten 
durch die entsprechende Augenbraue und durch dessen Verlängerung 
über den Nasenrücken. 

Es sei besonders aufmerksam gemacht auf den einen Fall, wo eine 
angeborene doppelseitige Ptosis vorliegt, wobei, wie das oft bei jenen 
Fällen sich vorfindet, die Lider sehr atrophisch und kurz sind. Dfe 
Levator, orbicularis und sogar Frontalis sind oit dabei atropbiert, so 
dass andere bestehende Ptosis-Operationsverfahren hier meist nicht das 
Uebel ausbessern können. Geh. Rat Prof. Silex übergab mir den Fall 
mit der Bemerkung: „Es sei dies eine Feuerprobe für mein Verfahren.* 
Die projektierten Bilder zeigen die Zustände vor und zwischen den zwei 
Operationen. Besonders lehrreich ist das Bild, wo das eine Auge sohon 
geheilt, das andere nooh nicht operiert ist. Weiter kann man sich bei 
den jetzt vorgeführten verschiedenen Patienten leicht überzeugen, wie 
erstens die Stellung der operierten Lider normal ist, zweitens, dass die 
Lider aber ganz geschlossen und auch sehr kräftig geöffnet werden 
können. Ein leiohtes Mitbewegen von anderen nioht losgelösten Fron- 
talisfasern ist sichtbar, aber nicht störend, da die dadurch herbeigeführte 
Runzelung nur bei abnorm weit Oeffnen auftritt. 

Tagesordnung. 

j l. Hr. 8 . Bergei: 

Fibrin, ein Sehnt*- nnd Heilmittel des erkrankten Organismus. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Ausspraohe. 

Hr. Orth: Es ist eine alte Erfahrung in der Pathologie, dass Fibrin 
zweifellos eine Bindegewebsneubildung anregt. Es ist besonders lange 
bekannt, dass an den serösen Häuten nicht bei der serösen Entzündung, 
nicht bei der eitrigen Entzündung, sondern bei der fibrinösen Entzündung 
Verwachsungen entstehen. Daher ist gegen das, was der Herr Vortragende 
über Förderungsmittel für das Wachstum von Bindegewebe gesagt hat, 
nichts einzuwenden, dagegen habe ich Bedenken gegen das, was der 
Herr Vortragende ohne jede Einschränkung von der bakteriziden Eigen¬ 
schaft des Fibrins gesagt hat. 

Ueber das Verhalten der Bakterien an Wunden kann ioh allerdings 
aus eigener grösserer Erfahrung nichts sagen. Dagegen weiss iob, dass 
man bei den Entzündungen der serösen Häute Bakterien auch in den 
tiefsten Schichten und in dem jungen Granulationsgewebe findet. Vor 
allen Dingen ist aber dooh der Diphtheriebazillus, der genannt worden 
ist, nioht in den obersten Schichten der Membranen am besten zu finden, 
sondern in den tieferen — nioht in den allertiefsten; ioh gebe zu: diese 
sind in der Regel bei den Diphtheriepseudomembranen frei, aber in den 
mittleren Schichten ist die Hauptfundstelle für Diphtheriebazillen. 

Gar nicht aber stimmt die bakterizide Wirkung für die Tuberkel¬ 
bazillen. Beim Tuberkelbazillus haben wir da, wo das Fibrin bereits 


in Käse übergegangen ist, in den aller ältesten Stellen, die meisten 
Tuberkelbazillen. Das gilt für die Lunge, aber auch für die serösen 
Häute, so dass also, wenn überhaupt von einer bakteriziden Wirkung 
des Fibrins geredet werden soll, jedenfalls eine Beschränkung vor¬ 
genommen werden müsste: Sie kann sicher nicht für alle Bakterien 
gelten und insbesondere für den Tuberkelbazillus ganz gewiss nicht. 

Hr. Hans Kohn: loh möchte mioh zu einem Beispiel äussern, das 
der Herr Vortragende als Stütze seiner Anschauungen von der heilenden 
Wirkung des Fibrins angeführt hat, zu der Pneumonie. Er meinte, 
gerade die Pneumonie mit ihren starken Fibrinaussohwitzungen sei ein 
typisohes Beispiel dafür. Das ist nicht richtig. Gerade bei der Pneumonie 
ist das Fibrin nicht eine Förderung, sondern ein Hindernis der Heilung. 
Wenn die fibrinöse Pneumonie in Heilung übergehen soll, dann muss 
das Fibrin erst autolytisch aufgelöst und entfernt werden. Bleibt es 
liegen, dann wirkt es wie ein Fremdkörper anregend auf die Bindegewebs- 
wuoherung, und es kommt nicht eine ideale Heilung zustande, sondern 
eine Induration in der Lunge; der ganze Lungenlappen kann für alle 
Zeiten ausser Funktion gesetzt werden. Das Fibrin wirkt in diesen 
Fällen also sicherlich nur als Hindernis. 

Hr. Ben da: loh glaube, dass die gedanken- und beobaohtungs- 
reiche Mitteilung des Herrn Bergei auch wieder sehr zum Nachdenken 
und Prüfen anregt. Mir scheint, dass sie, ebenso wie es wohl auch 
Herr Orth ausgedrückt hat, im allgemeinen mit den pathologisch¬ 
anatomischen Erfahrungen in Uebereinstimmung steht, einige Wider¬ 
sprüche allerdings Vorbehalten. Zu dem letzten Punkte, den Herr 
Kohn berührt hat, möchte ioh sagen,' dass hier ein gewisser innerer 
Widerspruch in den Mitteilungen des Herrn Bergei vorzuliegen scheint. 
Wenn letzterer darin recht hat, dass Fibrin eine Bindegewebsbildung 
anregt, dann kommt eben, wie Herr Kohn sagte, bei der Pneumonie 
die Induration und nicht die Heilung zustande. Andererseits, wenn 
die Heilung ein tritt, müsste die bakterizide Wirkung des Fibrins über¬ 
wogen haben, um die Bakterien auszumerzen, und dann fällt die Binde¬ 
gewebsbildung fort. 

Ich möchte nun aber noch einen anderen Ein wand aussprechen, 
nämlich den, ob wir berechtigt sind, alle Gerinnungsprodukte, die in 
der Pathologie eine Rolle spielen, im Sinne des Herrn Vortragenden zu 
identifizieren, und da kommt die Frage der Thrombenbildung zur Geltung. 
Die Thromben bestehen ja, wie wir jetzt wissen, gar nicht aus Fibrin, 
sondern aus Blutplättchen, die doch eine wesentlich andere Zusammen¬ 
setzung haben als das Fibrin. Ein wesentliches Moment der Heilungs¬ 
vorgänge, zunächst einmal Gerinnungsprodukte zu schaffen, um die 
Schädlichkeit abzugrenzen, ist allerdings in Uebereinstimmung mit Herrn 
Bergei festzustellen. Aber ob andererseits nun wirklich ein einheitlicher 
chemischer oder physiologischer Stoff diese Wirkung ausübt, ist hin¬ 
sichtlich der Frage der Thrombenbildung noch nicht bewiesen nnd ist 
auch einigermaassen anzuzweifeln. 

Hr. Bergei (Schlusswort): Herr Geheimrat Orth sagte, dass beim 
Tuberkelbazillus die bakterizide Wirkung nicht vorhanden ist; ich habe 
vom Tuberkelbazillus auch nichts gesagt. Meine Versuohe erstreckten 
sich auf Staphylokokken, Streptokokken, Pneumokokken und Diphtherje- 
bazillen, und auch da behauptete ich nicht, dass das Fibrin sie immer 
vollständig abtötet. Das Fibrin vernichtet nicht immer alle Bakterien, 
sondern es vermindert ihre Anzahl und schwächt ihre Virulenz ganz be¬ 
deutend ab, und diese Tatsache stimmt auch mit den pathologischen Be¬ 
funden überein. Vom Tuberkelbazillus habe ich, wie gesagt, nichts be 
hauptet. Wenn es vorkommt, dass z. B. Diphtheriebazillen auch in den 
mittleren Schichten des Fibrins vorhanden sind, oder, wie in manchen 
anderen fibrinösen Exsudaten, selbst bis unten hinein Bakterien sich 
finden, so sagte ich ja, dass nicht immer der Schutz des Fibrins genügt, 
sondern oft kommt es vor, dass die Bakterien das Fibrin durchdringen 
und Reservesohiohten sich nicht bilden. Also das Fibrin ist wie auch 
die anderen Abwehrmittel durchaus nicht immer ein vollwirksamer Schutz, 
jedoch in sehr vielen Fällen ist er ausreichend, um selbst virulente 
Krankheitserreger an der Weiterverbreitung zu hindern. 

Wenn Herr Kohn sagte, dass die Sache bei der Pneumonie nicht 
'stimme, so glaube ioh, beruht das doch auf einem Irrtum seinerseits. 
Mir scheint, dass die Gedanken und Untersuohungsergebnisse, die ich 
hier vortrug, auch damit in Einklang stehen. Denn wenn das Lungen¬ 
gewebe mit Pneumokokken infiziert ist, so wirkt eben das fibrinöse 
Exsudat als ein Abwehrstoff gegen die Pneumokokken, und wenn diese 
mit Hilfe des Fibrins abgetötet bzw. unschädlich gemacht sind, dann 
wird das Fibrin durch das proteolytische Ferment der Leukozyten aaf- 
gelöst. Geschieht aber diese Auflösung nicht, sondern bleibt das Fibrin 
liegen, dann tritt ausser der bakteriziden noch die andere biologische 
Funktion des Fibrins in Tätigkeit, nämlich die bindegewebsanregende, 
und es kommt zur Induration des nicht resorbierten pneumonischen 
Exsudats. Also die Sache stimmt. Ioh erkläre mir den Vorgang so, 
dass sioh auf die Infektion mit Pneumokokken bin das fibrinöse Exsudat 
bildet. Dieses fibrinöse Exsudat führt zu einer Abschwächung bzw. Ver¬ 
nichtung der Krankheitserreger und vielleicht mit zur Krise. Wenn 
die Krankheitserreger abgetötet sind, dann muss aber das Fibrin durch 
die Leukozyten infolge der Proteolyse resorbiert werden; geschieht das 
nicht, so kommt es zu einer Induration. 

Wenn Herr Ben da sagte, dass die Thromben nioht immer aus 
Fibrin, sondern zu einem grossen Teil aus Blutplättchen bestehen, so 
kann ioh darauf nur erwidern, dass die Blutplättchen ein wesentlicher 
Teil der Bildner des Fibrins sind, dass also zweifellos Zusammenhänge 


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irischen Fibrin und Plättchen bestehen dürften. Im übrigen hat auch 
Herr Geheimrat Lu barsch in seinem letztem Vorträge über Thrombose 
und Infektion, wie ich ja auch erwähnte, gesagt, dass in den Thromben 
sehr häufig die Bakterien zugrunde gehen. Selbstverständlich ist das 
Fibrin kein unfehlbares, absolut sicher wirkendes Mittel, und die Tier¬ 
experimente haben auch nicht ergeben, dass das Fibrin überall und 
immer alle Bakterien abtötet, sondern sie haben nur, wie ich das auch 
ausdrücklich betont habe, bedeutende Verminderung und Absohwäohung 
der Erankheitskeime ergeben; die völlige Abtötung erfolgt wohl meist 
zusammen mit den anderen Substanzen, den weissen Blutkörperchen und 
dem Serum. 

2. Hr. Levy-Dori: 

Beitrag zu den für die Röntgendiagnose wichtigen Weiehteil- 
verknöehernc.gen. (Mit Lichtbildern.) 

(Erscheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Aussprache. 

Hr. J. Schütze: Darf ich Herrn Professor Levy-Dorn fragen, 
ob in den ersten Fällen, bei denen es nach seiner Annahme sioh bei 
den in der Nähe des kleinen Trochanter liegenden Schatten um ver¬ 
kalkte Drüsen handelt, er vielleicht über die Tiefenlage dieser Gebilde 
$ich orientiert hat. Wenn es sich um eine verkalkte Drüse in der 
Nähe des Skarpa’schen Dreiecks handeln würde, müsste sie doch 
sehr weit nach vorn zu liegen — vorausgesetzt dass der Patient 
auf dem Rücken gelegen hat — und ich glaube, man würde in diesen 
Fällen, die sich mit Röntgenstrahlen ganz gut darstellen lassen, doch 
zweckmässig Tiefenbestimmungen gemacht haben, um zu sehen, ob die 
Tiefenlage der Gebilde wirklich der Tiefenlage entsprechend ist, die das 
Skarpa’sche Dreieck einnimmt. Ich will hierdurch nicht an der Richtig¬ 
keit der Annahme des Herrn Professor Levy-Dorn zweifeln, es handle 
sich um eine verkalkte Drüse in dieser Gegend; eine Bestimmung der 
Tiefenlage würde aber diese Ansicht sehr gestützt haben. 

Hr. Levy-Dorn (Schlusswort): Herr Schütze hat durchaus recht. 
Ich hatte selbst die Absicht, die röntgenologische Lokalisation auszu¬ 
führen. Die Fälle standen mir aber zurzeit nicht mehr zur Verfügung. 
Aus dem gleichen Grunde musste auch mein Vorhaben, den Befund 
durch die Operation weiterhin klären zu lassen, unterbleiben. Beides 
soll bei Gelegenheit nacbgeholt werden. 


Natnrhistorisch-medizinischer Verein zn Heidelberg. 

Sitzung vom 29. Januar 1918. 

1. Hr. Sack: zeigt einen Fall von Taberknlosis cutis veracosa an 
Handrücken, deren Aetiologie hier insofern von besonderem Interesse 
ist, als sioh hier mit Sicherheit der Nachweis einer Impftuberkulose er¬ 
bringen liess. Der Patient war in ein Brombeergebüsch gefallen und 
hatte sich am Handrücken mehrfach Hautverletzungen zugezogen. Er 
ist vorgeschrittener Phtisiker und hat unvorsichtigerweise mit Speichel 
die Wunde behandelt. 

2. Hr. J. Hofnann: Kranken Vorstellung: 

Es werden 2 Patienten mit chronischer hypertrophischer Nenritis 
demonstriert. Der eine der Patienten, ein 14jähriger Knabe, zeigte 
Symptome seines Leidens von früher Kindheit an; seiner Umgebung war 
schon in den ersten Lebensjahren eine erhebliche Unsicherheit beim 
Gehen und Stehen an r gefallen, und gerade dieses Symptom, zusammen 
mit dem Fehlen der Sehnenreflexe und andauernden Dorsalflektions- 
stellung der Zehen, insbesondere der grossen, hatte vor 7 Jahren zar 
Diagnose Friedreich’sche Krankheit geführt. Doch ergab eine vor einigen 
Monaten durchgeführte Nachuntersuchung sehr harte, da und dort auch 
verdickte Nervenstränge, die auf Druck gar nicht empfindlich waren. 
Ferner war nunmehr ausgesprochener Hohlfuss beiderseits, in Dorsalflexion 
fixierte Zehen, massige Atrophie an der Streckmuskulatur der Ober¬ 
schenkel und solche geringen Grades an der kleinen Handmuskulatur 
aufgefallen bei guter Kraftleistung aller Muskelgruppen. Nur die Plantar- 
fiexion der Zehen war nicht möglich. Die Ataxie uhd das Fehlen der 
Sehnenreflexe bestanden nach wie vor; der Gang ist stampfend, ataktisch, 
breitbeinig; leichte Ataxie in den Händen, Hypästhesie für taktile Reize 
an den Zehen und der Fusssohle. Kyphoskloliose der Brustwirbelsäule. 
Elektrische Erregbarkeit hochgradig herabgesetzt. Auffallend war die 
starke Beeinträchtigung des Empfindungsvermögens gegen normalerweise 
schmerzhafte Reize des faradisohen Stromes. Die zweite Patientin, ein 
Mädchen von 16 Jahren beobachtet selbst erst seit 3 Jahren den Beginn 
der Erkrankung, indem sich eine früher nicht beobachtete Ermüdbarkeit 
beim Gehen und eine Schwäche in den Streckern am Unterschenkel 
einstellte. Es entwickelte sich in der Folge beideseitiger Hohlfuss und 
Equinovarnsstellung derFüsse; die Zehen gingen in Krallenstellung über. 
Auch hier ergab die genauere Untersuchung Fehlen der Sehnenreflexe, 
hochgradig verdiokte, sehr wenig druckempfindliche Nervenstränge. Keine 
isolierten Atrophien an den Extremitäten. Während die- Sensibilität für 
die gewöhnlichen Untersuchungsmethoden intakt erscheint, ist sie in 
Wirlichkeit für die Reize des elektrischen Stromes hochgradig herab¬ 
gesetzt; auch hier besteht eine erhebliche Herabminderung der direkten 
und indirekten Muskelerregbarkeit wie derjenigen der sensibeln Nerven. 
Hier keine Koordinationsstörung. Die vorgestellten Fälle reihen sich 
ohne weiteres den vor einigen Jahren vom Vortragenden publizierten an. 
Die Differentialdignose von der Friedreich’sohen Ataxie und der zentralen 
Muskelatrophie lässt sich ohne Schwierigkeit durchführen, wenn daran 


gedacht wird, die Nervenstämme abzutasten und die elektrische Prüfung 
der motorischen und sensibeln Nervenstämme usw. vorzunehmen. Die 
Krankheit tritt häufig familiär auf. Oft zeigen jüngere Geschwister oder 
Eltern nichts anderes als Hohlfuss und verdickte Nerven, die sie bis 
dahin gar nicht beaohtet hatten;* erst die genauere Untersuchung fühlt 
zur Diagnose. Der klinische Verlauf ist sehr chronisch, und die Prognose 
ist quoad vitam gut; leichte orthopädische Eingriffe, wie Sehnen¬ 
transplantationen können auf Jahre hinaus erhebliche Besserung schaffen. 
Der anatomische Prozess wird nur flüchtig berührt. Vortr. hält die Be¬ 
zeichnung Dejerines nevrite interstitielle hypertrophique et progressive 
de l’enfance klinisch für zu eng, da er die Erkrankung auch in mittleren 
Lebensaltern gesehen hat mit kaum bemerkbarer Tendenz zum Fort¬ 
schreiten. Die beiden Fälle bilden. Beispiele des Leidens von ganz ver¬ 
schiedenem klinischen Bilde; einerseits das der Ataxie, die der Friedreich¬ 
sehen Krankheit zum Verwechseln ähnlich ist, andererseits paralytischer 
Klnmpfuss im Stadium der Ausbildung ohne Andeutung von Koordinations- 
Störung, welcher den Orthopäden bis jetzt auf dieser anatomischen 
Grundlage — wie die Krankheit überhaupt — nioht bekannt zu sein 
scheint. Dazwischen liegen Uebergänge. 

3. Hr. Seidel: 

Experimentelle Untersuchungen über die Quelle ud dei Verlauf 
der intraokularen Saftströmungei. 

Refraktometrische Untersuchungen über den Eiweissgehalt von Ziliar¬ 
körpersekret und Kammerwasser in physiologischen Zeiten und unter 
experimentellen Bedingungen, Versuche mit vitalen Farbstoffen, nament¬ 
lich mit Fluorescein, zu dessen Nachweis die Guilstrand’sche Nernst¬ 
spaltlampe benutzt wurde, sowie eingehende Untersuchungen über den 
sogenannten physiologischen Pupillenabsohluss führten zu dem Schlüsse, 
dass pbysiologischerweise der Ziliarkörper das Sekretionsorgan des 
Auges darstellt, von dem eine sehr langsame Flüssigkeitsausströmung 
ausgeht, die sich durch die Pupille in die Vorderkammer entleert. 

(Zu ausführlichem Referat nicht geeignet; inzwischen veröffentlicht 
in v. Graefe’s Arch., 1918, Bd. 95, H. 1.) Steokelmacher. 


Verein für wissenschaftliche Heilkunde an Königsberg i. Pr. 

• Sitzung vom 25. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Winter. 

1. Hr. Ehrhardt: Chirurgische Demoustratioaeu. 

a) Trachealstenose, herrübrend von einem Suizidversuch, durch Quer¬ 
resektion und Naht der Trachea geheilt. 

b) Abnorme Lagerung des Zökums und des Appendix im linken 
Hypochondrium. Ein gelegentlich einer Appendektomie bei einem Russen 
erhobener Befund. 

c) Grosser retroduodenal gelegener Gallenstein. 

2. Hr. Riedel: Nikoladoni’sche Daumenplastik. 

Demonstration eines 23jährigen Patienten, welcher im Dezember 1916 

durch Handgranatenverletzung den Daumen und Zeigefinger der linken 
Hand verloren hat. Nach Abheilung der Wunden hat Vortr. den Daumen 
durch den grossen Zehe des reohten Fusses ersetzt. Erste Sitzung am 
5. März 1917: Lösung der adhärenten Narbe über den ersten Mittel - 
handknochen, Freipräparierung der Sehnen an der Beuge- und Streok- 
seite, bogenförmiger Schnitt über der Dorsalseite des Zehengrundgelenkes, 
Durchtrennung der Strecksehne des Zehens, Eröffnung des Zehengrund- 
gelenkes unter tunlichster Schonung der Gelenkkapsel. Herausluxierung 
des Zehens, welcher auf den Stumpf des ersten Mittelhandknochens auf¬ 
gesetzt wird. Naht der Gelenkkapsel, der Strecksehnen und der Haut 
an der Dorsalseite. Fixierung von Arm und Bein im Gipsverband, dessen 
Technik näher beschrieben wird. Die anfänglichen grossen Beschwerden 
Hessen bald nach, und Patient fühlte sich schliesslich ganz wohl. Vom 
10. Tage an allmähliche Einkerbung der volaren Hautbrüoke, am 18. Tage 
totäle Durchtrennung; Revision der Kapselnaht, Naht der Beugesehne, 
Hautnaht. Ungestörter Heiiverlauf. Das Resultat ist sehr befriedigend. 
Der Daumen sieht äusserlich wie ein normaler Daumen aus, Beweglich¬ 
keit bis auf eine geringe Behinderung der Beugung im Endgelenk frei, 
Patient kann den Daumen zu allen Hantierungen gebrauchen. Der Ver¬ 
lust der grossen Zehe macht ihm keine Beschwerden, er kann mühelos 
täglich 18 km in seinem Beruf als Landbriefträger gehen. Das Haut- 
gelühl am Daumen ist jetzt vollkommen wiederhergestellt. Sehr 
interessant war die Beobachtung der trophischen Verhältnisse: Der 
Nagel wuchs sofort nach der Plastik ungehindert und von normalem 
Aussehen weiter. Dieser Befund spricht gegen die immer noch teilweise 
vertretene Anschauung von der Existenz spezifischer trophischer Nerven¬ 
fasern. Vortr. hat kürzlich noch bei einem zweiten Patienten die Plastik 
ausgeführt, jedoch ist der Fall noch nicht abgeschlossen. 

3. Hr. Meyer: 

SchwängeriBg Geisteskranker aal künstlicher Abart. 

Vortr. erörtert im Anschluss an einen Fall einer 18jährigen Geistes¬ 
kranken, welche ohne ihr Wissen geschwängert worden ist, die Frage, 
ob in diesen Fällen die Einleitung des künstlichen Abortes als indiziert 
zu erachten ist. Wenn auoh ärztliche Indikationen nicht vorliegen, so 
glaubt er doch, dass in diesen Fällen der künstliche Abort erlaubt ist. 

Diskussion. * 

Hr. Winter weist darauf hin, dass die rechtlichen Grundlagen 
für diese Fälle von künstlichem Abort bisher fehlen. Er schlägt vor 


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UNIVERSUM OF IOWA 



50Ü 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 23. 


solche Fälle dem Gericht mit der Bitte um Entscheidung, ob der künst¬ 
liche Abort eingeleitet werden kann, zu überweisen, damit das ärztliche 
Vorgehen eine rechtliche Stütze hat. 

Hr. Forstreuter macht darauf aufmerksam, dass eine solche 
Regelung wohl höchstens de lege ferenda anzustreben ist, nach den be¬ 
stehenden Gesetzen nicht in Frage kommt. 

4. Hr. Weiss: Befruchtung ohne Samen. 

Vortr. berichtet über die Grundtatsachen der Physiologie der 
chemischen Entwioklungserregung des Eies, sowie über die chemischen 
Vorgänge im Ei während der Entwicklung. Die morphologischen Er¬ 
scheinungen werden dabei nur soweit berücksichtigt, als es für das 
Verständnis des Vortrages dringend notwendig ist. 

Diskussion. 

Hr. Sobotta wendet sioh gegen den Ausdruck „künstliche Be¬ 
fruchtung“ und betont, dass man den VorgaDg eher als künstliche 
Parthenogenese bezeichnen müsste. Er erörtert weiter des näheren die 
dabei zu beobachtenden morphologischen Erscheinungen. 

5. Hr. Benthin: 

Ursache und Verbesserung des Kindesverlnstes in der Geburt. 

Für den hohen Kindesverlust, der in Deutschland jährlich 70000 bis 
30000 lebensfähige Kinder beträgt, sind verschiedene Gründe verantwort¬ 
lich zu machen: Zu spätes Einsetzen ärztlicher Hilfe, unsaohgemässes 
Handeln von Arzt und Hebamme, nicht genügende Bewertung der Leibes¬ 
frucht. Das hauptsächlichste kausale Moment ist jedoch in Schäden, die 
in dem Ablauf der Geburt selber liegen, zu suchen. Geburtsanomalien 
jeder Art bedingen neben den Gefahren der Austreibungsperiode die 
hohen Verluste. Durch zweckentsprechende Indikationsstellung, geeignete 
Therapie, gute Technik lässt sioh rein ärztlioh die Prognose erheblich 
verbessern. In der Austreibungsperiode zeigt ein Sinken der Herztöne 
unter 120 und Steigen über 160 drohende Gefahr an. Sofortiges Ein¬ 
greifen ist notwendig bei einem dauernden Sinken der Frequenz unter 
100 in den Wehenpausen und Steigen derselben über 180 bei gleich¬ 
zeitigem Mekoniumabgang. Beim engen Becken bieten die Schnitt¬ 
methoden, die Beckenspaltung und der abdominale Kaiserschnitt die 
besten Resultate. Bei der Placenta praevia ist die Metreuryse der kom¬ 
binierten Wendung vorzuziehen. Durch abdominablen Kaiserschnitt 
können in bestimmten Fällen noch mehr Kinder gerettet werden. Die 
„gemischte“ Therapie verbürgt bei der Eklampsie grosse Vorteile (9 bzw. 
11 pCt. Mortalität lür das Kind). Auch bei den Stellungs-Lage-Haltungs- 
anomalien kann die Prognose günstiger gestaltet werden. Bei den 
Beckenendlagen kann durch Abwarten der Spontanentwicklung des 
Rumpfes, zielsichere Entwicklung des Kopfes und der Arme die Mortalität 
auf 1,4 pCt. herabgedrüokt werden. Bei Querlagen empfiehlt sioh die 
Vornahme der Wendung erst nach erweitertem Muttermund, um die 
Extraktion dann anschliessen zu können. Bezüglich der Defiexionslagen 
zeitigt bei Gesichtslagen das Abwarten der Spontangeburt, bei den Stirn¬ 
lagen die Umwandlungsmethoden die besten Resultate. Selbst beim 
Nabelschnurvorfall sind die Aussichten auf Besserung nicht so schlecht. 
Fraglos lässt sioh duroh ärztliche Maassnahmen vieles erreichen. Erste 
Vorbedingung zur Sicherung des Erfolges ist aber der Ausbau der 
Anstaltsbehandlung: Errichtung auch ländlicher Gebärhäuser, die be¬ 
quemer und vielfach auch billiger sind. Arzt und Hebamme muss die 
Weiterbehandlung bzw. Wetterbeobachtung zugestanden werden. Unent¬ 
behrlich ist die Mithilfe der Kassen, die z. B. noch einer derartigen 
Organisation entgegen stehen. Staatliche Beihilfen können die Lasten 
erleichtern. Die Frauen können zudem gleich nach der Geburt der 
Familie zurückgegeben werden. Vertiefung der Ausbildung insbesondere 
der praktischen geburtshilflichen Schulung, Aufklärung der Frauenwelt, 
Unterstützung aller Vereinigungen, die die Frage Bevölkerungspolitik in 
ihr Arbeitsgebiet aufgenommen haben, sind weitere Forderungen. Ohne 
Zweifel lässt sioh durch derartige Maassnahmen der Kindsverlust so ein¬ 
schränken, dass wenigstens der Geburtenrückgang ausgeglichen wird. . 

Diskussion. 

Hr. Schröder hält bei Fällen von engen Beoken statt des Kaiser¬ 
schnittes die Einleitung der künstlichen Frühgeburt für besser. Wenn 
auoh die kindliche Mortalität hierbei etwas gTÖsser ist, so ist für die 
Gesamtzahl der Entbindungen der Nachteil wesentlich dadurch aufge¬ 
hoben, dass die Generationsfähigkeit der Frau hierbei nicht leidet. 

Hr. Schütz: Es müssten für alle Schwangeren obligatorische Unter¬ 
suchungen eingeführt werden, damit zu befürchtende Komplikationen 
rechtzeitig erkannt und entsprechende Maassnahmen in Vorschlag gebracht 
werden können. Riedel. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Herr Geheimrat Prof. Dr. Rubner ist zum Geheimen Ober¬ 
medizinalrat ernannt worden. 

— Die ärztlichen Abteilungen der Waffenbrüderliohen 
Vereinigungen von Deutschland, Oesterreich und Ungarn werden 
am 21. und 22. September dieses Jahres eine Tagung in Budapest 
veranstalten. Genaueres Programm wird demnächst mitgeteilt werden. 


— Die Prüfungsordnung für Aerzte vom 28. Mai 1901 hat in¬ 
sofern eine seit langem angestrebte Aenderung erfahren, als in der 
medizinischen Prüfung besondere Termine in der Kinderheilkunde und 
in der Dermatologie stattfinden. Die Vorschriften treten am 1. Oktober 1918 
in Kraft 

— Zur Ergänzung der in der vorigen Nummer veröffentlichten Ver¬ 
fügung, dass von jetzt ab zum Heeresdienst eingezogene landsturm¬ 
pflichtige Aerzte 8 Wochen als Militärkrankenwärter auszubilden sind, 
wird mitgeteilt, dass damit nicht beabsichtigt wird, die Aerzte für den 
eigentlichen Dienst als Militärkrankenwärter heranzuziehen. 

— Der Berliner Krippenverein beging am 4. Juni die Feier seines 
vierzigjährigen Bestehens. Die Zahl der Krippen hat sich von eins auf 
neun vermehrt. Die Zahl der verpflegten Kinder wuchs von 24 auf 
1981. Seit dem Jahre 1908 besitzt der* Verein ein eigenes Heim, in 
dem sioh zugleich eine Schule für Säuglingspflegerinnen und -Wärterinnen 
befindet. Den Festvortrag hielt Oberarzt Dr. Rott über „Die Bedeutung 
der Krippen für die Versorgung der Kinder ausserhäuslich erwerbstätiger 
Frauen.“ Im Anschluss an die Sitzung wurde die im Festsaal des 
Abgeordnetenhauses befindliche Ausstellung eröffnet. 

— Die k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien hat in ihrer General¬ 
versammlung folgende Herren zu Ehrenmitgliedern gewätilt: Axenfeld- 
Freiburg, Batzaroff-Bulgaria, Biedermann-Jena, Dieudonnö- 
München, Do Hin ge r Budapest, v. Grösz-Budapest, Gullstrand- 
Upsala, v. Kern-Berlin, Baron v. Koränyi-Budapest, Kraus-Berlin, 
Loeb-Berkeley, Souleiman Nouman P a s c h a - Konstantinopel, 
Pfeifer-Breslau, Sahli-Bern, v. Schjerning-Berlin, v. Wasser¬ 
mann-Berlin, Zuntz-Berlin. 

— In Rothenburg o. d. T. ist das Kinderheim der Genossenschaft 
Deutscher Bühnenangehöriger eingeweiht worden. 

Hoch schul nach richten. 

Greifswald: Der Privatdozent für Chirurgie Dr. Hesse ist im 
Felde gestorben. — Kiel: Dem Privatdozenten für Pathologie Dr. Wilke 
ist der Professortitel verliehen worden. — Münster: Der Privatdozent 
für Physiologie Professor Krummacher wurde zum ausserordentlichen 
Professor ernannt. — Tübungen: Der Professor der gerichtlichen 
Medizin Oesterlen ist,78 Jahre alt, gestorben. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien, 

Ernennungen: Kreisass.-Arzt Dr. Julius Dietrich in Cöln zum 
Kreisarzt in Freystadt i. Schl.; Kreisass.-Arzt Dr. -Btto Ebert in 
Cassel zum Kreisarzt in Sögel (Kr. Hümmling). 

Versetzung: Kreisarzt Dr. Landsbergen von Sögel nach Hoya. 

Versetzungen in den Buhestwd;, „Kreisarzt, Geh,. Med.-Rat Dr. 
Karl Richter in Berlin; Kreisarzt Med.-Rat Dr. Oscar Schilling 
in Freystadt i. Sohl. 

Verzogen: St.-A. Dr. H. Rüde aus dem Felde nach Alleinstein, H. 
Katsch von Posen nach Lyck; Aerztin Käte Frankenthal und 
Dr. Karl Reinhardt von Charlottenburg, Dr. IT. Fritze von Qued¬ 
linburg, Dr. G. Glückmann und Ignatz Klein von Berlin-Schöne- 
berg, Dr. Johs. Henseler aus dem Felde, Dr. Jaques Lewinski 
von Buckow bei Berlin sowie Dr. Herrn. Wolfsohn von Lichtenrade 
nach Berlin; Geh. San.-Rat Dr. P. Bernheim von Beilin nach Darm¬ 
stadt; Dr. 0. W. Linne von Neukölln nach Guben. 


Berichtigung. 

In dem Referat über meine im Zbl. f. Bakt. erschienene Arbeit: 
„Herauszüchtung eines Paratyphus-B-Stammes aus einem Typhusstamm 
in Rinderdarmsohleim“ wird mir auf S. 428, links oben Nr. 18 der B.kLW. 
vom Referenten der Vorwurf gemacht, „ich hätte nichts darüber be¬ 
richtet, ob und wie der Darmschleim vorher sterilisiert war“. 

loh bitte den Herrn Referenten, meine Arbeit noch einmal zu lesen. 
Auf S. 6 Mitte sage ich mit bezug auf alle Versuche: 

„Alle Röhrchen wurden vor der Beimpfung an 8 aufeinander¬ 
folgenden Tagen (d. h. am 27., 28. und 29. April, bzw. 28., 29., 80., 
bzw. 20., 21. und 22. Mai je eine Stunde im Koch’schen Dampf¬ 
topf (nicht Autoklaven) sterilisiert.“ 

Und auf S. 8 Mitte sage ich noch ausdrücklich mit bezug auf die 
Darmschleimröhrchen: 

„6. Rinderdarmschleimröhrohen“: 

„20. Mai 1915. Der Dünndarm .... schleim wird in sterile Reagenz¬ 
röhrchen gefüllt, etwa 4—5 cm hoch. Diese werden am 20., 21. und 
22. Mai 1915 je 1 Stunde im Koch’sohen Dampftopf fraktioniert 
sterilisiert (nicht im Autoklaven).“ 

Also zweimal habe ich in der Arbeit klar und deutlich gesagt, dass 
und wie ich den Darmschleim vor den Versuchen sterilisiert habe. Mehr 
kann goan wohl nicht tun. — Die im Referat noch geforderten Kontroll- 
untersuchungen erübrigten sich damit. Dr. Köhlisoh, Stabsarzt. 


Für die Redaktion verantwortlich Prot Dr. Hane Hohn, Berlin Bayrenther 8a.4t. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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Dl« Berliner Klinisch« Wochenschrift enehelnt jeden ■■■ -» » - y ■ ^ ■ V All« Elnscodangen ffir die Redaktion and BxpedMen 

Montag In Hämmern von es. S—6 Bogen gr. 4. — I 1 I jl 111 I fm! Iil II wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 

Freis vierteljährlich 1 Mark. Bestellungen nehmen i“v N K I .1 I m| M l\ August Hixsehwald in Berlin NW., Unter den Linden 

alle Baehhandl ungen and Postanstalten an. 1 1 j J j jj Nr. 68, adressieran. 



Organ für praktische Aerzte. 

Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: . Expedition: 

Beb. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posner und Prot Dr. Bans Kolo. August Hirschwald, Verlagsbuchhandlung in Berlii 


Montag, den 17. Juni 1918. 


M 24 . Fünfundfünfzigster Jahrgang. 


INHALT. 


Origillliei: Czerny: Inwieweit lässt sich die Prognose zerebraler Ano¬ 
malien bei Kindern beurteilen? S. 561. 

Behfisoh: Zur Aetiologie der Vergrösserung der rechten Herz¬ 
kammer im besonderen bei gestörter Nasenatmung. S. 563. 
Kalle: Beitrag zur ßuhrschutzimpfung. S. 568. 

Blumenthal: Kasuistische Beiträge zu den nervösen Störungen 
bei Pappatacifieber und Malaria. S. 570. 

Krull: Die strafrechtliche Begutachtung der Soldaten im Felde. S. 571. 

Büeherbespreehiiagei : Hirsohberg: Geschiohte der Augenheilkunde. 
(Ref. Meyerhof.) S. 575. — Hirsohfeld: Atlas der klinischen Patho¬ 
logie des Blutes in Lumiörebildern. (Bef. Goldsoheider.) S. 576. 

Literatmr-Auszüge: Physiologie. S. 576. — Therapie. S. 577. — All¬ 
gemeine Pathologie und pathologische Anatomie. S. 577. — Innere 


Inwieweit lässt sich die Prognose zerebraler 
Anomalien bei Kindern beurteilen? 

Von 

Prof. Dr. Ad« Cseny. 

Es ist leicht begreiflich, dass sich Eltern, die ein Kind mit 
zerebraler Anomalie haben, nicht mit dem Orteile und den Rat¬ 
schlägen eines Arztes begnügen, sondern entsprechet den ihnen 
zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten mehrere 
Aerzte befragen. Dabei machen sie meist die Erfahrung, dass 
die Urteile der Aerzte nicht nur nicht übereinstimmen, sondern 
manchmal erheblich voneinander abweichen. Dies veranlasst mich 
auf Grund eigener Erlebnisse einige solcher Fälle zu besprechen. 

Zu den Symptomen des infantilen Myxödems gehört die 
Verzögerung der geistigen Entwicklung. Bei gleichen körperlichen 
Symptomen namentlich in den ersten zwei Lebensjahren zeigt die 
geistige Entwicklung ausserordentlich grosse Unterschiede. So 
kann man in einem Falle am Ende des zweiten Lebensjahres 
noch kein Wort Verständnis nachweisen, in einem anderen Falle 
ist es dagegen bereits in ganz erfreulichem Maasse vorhanden. 
Gleiche Unterschiede zeigen sich in bezog auf die Fesslungs¬ 
möglichkeit der Aufmerksamkeit und deren Ausdauer, oder auf 
die Reaktion auf Geschmacks- oder Sensibilitätsreize usw. Ent¬ 
sprechend diesen Differenzen in den ersten Anfängen der zerebralen 
• Entwicklung sind auch die Erziehungs- und Bildungsmöglichkeiten 
in den späteren Kinderjahren verschieden. Einzelne Kinder bleiben 
zwar im Längenwachstum zurück und weisen sonst noch einzelne 
Symptome von Myxödem auf, sind aber weitgehend schulbildungs¬ 
fähig, andere dagegen sind selbst bei Aufwand grosser Bemühungen 
kaum einer elementaren Schulbildung zugänglich. 

Seitdem die Beziehungen des Myxödems zu Funktionsstörungen 
der Schilddrüse bekannt sind, kommen für die Behandlung dieses 
Krankheitsbildes nur Schilddrüseupräparate in Betracht. Dass 
die Laien jeden Fortschritt in der Entwicklung der Kinder auf 
eine solche Behandlung zurückzuführen geneigt Bind, ist ver¬ 
ständlich, ärztlicherseits scheint mir aber ein gleicher Optimismus 
nicht gerechtfertigt zu sein. Die Schilddrüsenbehandlung wirkt 
vorwiegend auf die körperlichen Symptome des Myxödems. Von 
einer Beeinflussung des Tempos oder des Grades der geistigen 


Medizin. S. 577. — Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 578. — 
Chirurgie. S. 578. — Röntgenologie. S. 579. — Haut- und Ge¬ 
schlechtskrankheiten. S. 579. 

Verhaidlzngen ärztlicher Gesellschaften: Berliner Gesellschaft 
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. S. 579. —Gesell¬ 
schaft für Geburtshilfe und Gynäkologie zu Berlin. S. 580. 
— Aerztlicher Verein zu Hamburg. S. 581. — Aerztlioher 
Verein zu München. S. 582. 

Holzkneoht und Jonas: Bemerkung zu Albu: Zur Diagnostik der 
Pankreaszysten. S. 582. 

Franke: Max Wilmsf. S. 582. 

Tagesgesohiohtliche Notizen. S. 583. 

Amtliche Mitteilungen. S. 584. 


Entwicklung konnte ich mich nur selten überzeugen. Diese 
hängt fast ausschliesslich von dem Grade ab, mit dem das Gehirn 
an dem Krankheitsbilde beteiligt ist, und von der Intensität der 
im einzelnen Falle aufgebotenen Erziehungsmaassnah men. Wer 
sich nur auf die Schilddrüsentherapie verlässt, and die letztere 
aus Schonungsabsichten unterlässt, der wird kaum jemals einen 
erfreulichen Umschwung im Wesen eines myxödemkranken Kindes 
feststellen können. 

In bezug auf die Zulässigkeit von Erziehungsmaassnahmen 
bei zerebraLanomalen Kindern, wie es die von Myxödem betroffenen 
sind, gehen aber die Meinungen der Aerzte auseinander. Eine 
recht erhebliche Zahl dieser fürchtet jede Inanspruchnahme des 
pathologischen Gehirnes und empfiehlt möglichste Schonung des¬ 
selben bei grösster Pflege und Mästung des Körpers. Das Resultat 
einer solchen Behandlung sind Kinder mit einem hohen Körper¬ 
gewicht, starkem Fettpolster, aber minimaler geistiger Reaktions¬ 
fähigkeit, welche sich auch bei langem Abwarten nicht bessert. 
So gehen mitunter Jahre unausgenützt verloren, die bei zweck¬ 
mässiger und konsequenter Uebnngstherapie Fortschritte ermöglicht 
hätten. Die Furcht vor einer Ueberreizung oder Ueberlastnug 
des anomalen Gehirnes ist unbegründet, denn die geringe Aus¬ 
dauer und leichte Ablenkbarkeit der Aufmerksamkeit der in Rede 
stehenden Kinder schliessen jede üeberbürdung aus. Infolge der 
genannten Eigenheiten ergibt sich aber auch, dass alle Uebungen 
nur von kurzer Dauer sein dürfen, jedoch möglichst oft während 
jedes einzelnen Tages wiederholt werden sollen. Dabei muss auf 
die Stimmung des Kindes Rücksicht genommen werden. Bei 
imbezillen Kindern machen sich Stimmungen stärker als hei 
normalen geltend, einzelne solcher begünstigen, andere erschweren 
die Bemühungen der Erzieher, oder machen sie fast unmöglich. 
Welchen Einfluss die Erziehung auf den Gang der Entwicklung 
der Kinder mit infantilem Myxödem hat, beweisen die Fälle, in 
welchen der Arzt wegen angeblicher Rückschritte interpelliert 
wird. Eine Mutter brachte mir ihr 4jähriges Töchterchen mit 
der präzisen auf guter Beobachtung gestützten Angabe, dass das 
Kind mit drei Jahren in seiner geistigen Entwicklung weiter 
gewesen sei als mit vier Jahren. Die Prüfung des Sachverhaltes 
ergab, dass sich die Matter mit dem Kinde bis zu seinem voll¬ 
endeten dritten Lebensjahre intensiv beschäftigte. Um diese Zeit 
wurde sie gravid und überliess das Kind einer Pflegerin. Als ait 


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UNIVERSUM OF IOWA 






562 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nf. 24. 


naeh einem Jahre wieder selbst eingreifen wollte» bemerkte sie» 
dass das Kind nicht nur nichts zugelernt, sonder vieleB vergessen 
batte» was sie ihm mühsam beigebracht batte. Solcher Beispiele 
könnte ich mehrere anführen. Stets handelte es sich nur um den 
Wechsel von sachverständigen und ungeeigneten Persönlichkeiten» 
denen die Erziehung der anomalen Kinder anvertraut war. 

Die Verzögerung der Hemmung der geistigen Entwicklung 
der Kinder mit infantilem Myxödem hat nichts Charakterisches 
für sich. Wir beobachten dieselben Abstufungen von geistiger 
Debilität» Imbezillität und Idiotie auch bei Kindern» an deren 
Körper sich nicht nur zeitweilig, sondern dauernd auch nicht das 
geringste körperliche Symptom von Myxödem nach weisen lässt, 
oder deren auffallend gute und starke körperliche Entwicklung 
im bedauerlichen Gegensatz zu der geistigen Minderwertigkeit 
steht. Diese Beobachtungen lassen zwei Schlüsse zu. Entweder 
handelt es sich in den Fällen von Myxödem nur um eine Kombi¬ 
nation von zerebraler Anomalie mit Funktionsstörung der Schild¬ 
drüse, oder wir dürfen vermuten, dass auch bei normalem Körper 
die zerebralen Erscheinungen auf Schilddrüsendefekte zurück¬ 
zuführen sind, d. h. dass sich die letzteren nicht in jedem Falle 
am ganzen Organismus geltend machen müssen. Für die erste 
Annahme spricht die Erfahrung der häufigen Kombination von 
angeborenen Anomalien an einem Individuum. Unter diesen Um¬ 
ständen wäre aber auch hie und da ein Fall zu erwarten, bei 
dem sich neben den körperlichen Symptomen des infantilen Myx¬ 
ödems ein ganz normales Gehirn fände. Dies ist mir bei einer 
erheblich grossen Zahl selbstbeobachteter Fälle nicht vorgekommen. 

Die zweite Möglichkeit einer sich auf engbegrenztem Gebiete 
äussernden Funktionsstörung der Schilddrüse hat zahlreiche Ver¬ 
treter. Deshalb kann es nicht auffallen, wenn ärztlicherseits auch 
beim Fehlen aller übrigen Symptome des Myxödems in einem 
Falle von kongenitaler Imbezillität oder Idiotie ein Zusammen¬ 
hang mit der Schilddrüse vermutet und daraufhin eine Therapie 
mit Thyreoidinpräparaten versucht wird. Ich selbst habe wieder¬ 
holt solche Versuche gemacht. Dabei ergab sich eine bemerkens¬ 
werte Erscheinung. Die Eltern imbeziller oder idiotischer Kinder 
begnügen sich, wie schon erwähnt, selten mit dem Rate eines 
Arztes. Es ist verständlich, dass sie bei dem Ernst der Prognose 
nichts unterlassen wollen, was ihren unglücklichen Kindern 
Besserung schaffen könnte. Kamen nun Eltern mit einem solchen 
geistig zurückgebliebenem Kinde ohne äussere Zeichen des in¬ 
fantilen Myxödems, denen ich neben entsprechenden Erziehungs¬ 
maassregeln Schilddrüsentabletten verordnet hatte, zu einem zweiten 
Arzte, so ereignete sich stets dieselbe Komödie. Der zweite Arzt 
lehnt die Behandlung mit Schilddrüsentabletten mit der Begründung 
ab, dass es sich in diesem Falle keineswegs um Myxödem handle. 
Eine bessere Therapie der Geistesschwäche wusste zwar keiner 
dieser Kollegen, alle waren aber anscheinend befriedigt, ihre 
diagnostische Ueberlegenheit bewiesen zu haben. 

So einfach ist aber dieses Problem nicht zu erledigen. Die 
Diagnose einer Imbezillität oder Idiotie rechtfertigt nicht aus¬ 
nahmslos die Annahme bestehender schwerer Defekte des Gehirns. 
Ich hatte mehrmals Gelegenheit den Sektionen solcher abnormen 
Kinder beizuwohnen, welche an interkurrenten Krankheiten ge¬ 
storben waren. An den Gehirnen war makroskopisch kein patho¬ 
logischer Befund zu erheben. Nicht einmal die Grösse des Gehirns 
liess viel zu wünschen übrig. Ich glaube nicht, dass selbst ein 
erfahrener Gehirnpathologe in diesen Fällen durch mikroskopische 
Untersuchung ohne Kenntnis der Krankengeschichte imstande 
gewesen wäre zu erkennen, ob das Gehirn einem normalen oder 
idiotischen Kinde angehörte. Es ist kein Widersprach zu meinen 
Angaben, dass auch Fälle von Idiotie Vorkommen, bei welchen 
die Obduktion greifbare Befunde ergibt. Bei dieser Sachlage 
scheint es mir aber gerechtfertigt, für die ersteren Fälle die 
Möglichkeit einer ausserhalb des Gehirnes liegenden Ursache in 
Betracht zu ziehen. Unsere Kenntnisse von der Gachexia strumipriva 
weisen auf die Schilddrüse bzw. auf die endokrinen Drüsen hin. 

Unter den Kindern mit zerebralen Anomalien, die sich durch 
Imbezillität oder Idiotie äussern, lassen sich zwei Typen unter¬ 
scheiden. Die einen können besonders bei zweckmässiger Er¬ 
ziehung eine mehr oder minder weitreichende Gebirnfunktion er¬ 
langen, wogegen bei den anderen jede Entwicklung zerebraler 
Funktionen ausbleibt. Bezüglich der ersteren scheint mir die 
Möglichkeit extrazerebraler Ursachen diskutierbar, bei den letzteren 
werden wir kaum fehlgehen, wenn wir irreparable Defekte des 
Gehirns diagnostizieren. 

Die klinische Unterscheidung dieser beiden Typen ist im 
frühesten Kindesalter nicht leicht, und dies gibt recht oft zu einer 


ungleichen ärztlichen Beurteilung Veranlassung. Eis brauchbarer 
Maassstab für die Prognose ist der Zeitpunkt der Entwickelung 
des Wortverständnisses und der Sprache. Wenn dasWortverständnis 
erst nach Ablauf des 2. Lebensjahres erwacht und dementsprechend 
die Wortbildung gegen Ende des 3. Lebensjahres oder später ein¬ 
setzt, dann ist die Diagnose einer Imbezillität oder Idiotie be¬ 
gründet. Im allgemeinen ist die Prognose um so ungünstiger, 
je später die Sprachenentwicklung erfolgt. Trotz der Richtigkeit 
dieser Erfahrung ist Vorsicht bei der Prognosestellung geboten. 
Als Beispiel dafür möchte ich folgenden Fall anführen. Eine 
Mutter brachte mir ihren 4jährigen Jungen, weil er im Alter 
von 4 Jahren so weit in der Sprachentwicklung zurückgeblieben 
war, dass er nur einige wenige Worte sprach. Das Wortver¬ 
ständnis war relativ gilt. Ich sah mich deshalb veranlasst, die 
Mutter dahin aufzuklären, dass die Rückständigkeit der Sprache 
nicht, wie sie annabm, von einem Fehler der Zunge oder des 
Kehlkopfes abhängig sei, sondern als Zeichen einer verzögerten 
geistigen Entwicklung aufgefasst werden müsste. Einige Tage 
später erschien der Vater des Kindes, ein hochgestellter Beamter^ 
und erklärte mir, dass ich mich in der Beurteilung des Zustandes 
geirrt haben müsste, denn er hätte auch erst mit 4 Jahren sprechen 
gelernt und durch seine Laufbahn genügend bewiesen, dass er 
geistig normal sei. Die weitere Beobachtung des Falles ergab 
aber die Richtigkeit meiner Diagnose. Für den Knaben war später 
selbst eine elementare Schulbildung unerreichbar. 

Ich würde diesen Fall kaum für erwähnenswert halten, wenn 
mir nicht im Laufe der Zeit mehrere gleichartige anamneatische 
Angaben vorgekommen wären. Diese Erfahrung deutet darauf hin, 
dass bei einer in der ersten Kindheit zweifellos nachweisbaren 
verzögerten Entwicklung der Gehirnfunktionen im späteren Alter 
ein befriedigender Ausgleich stattfinden kann. Ich muss aller¬ 
dings gestehen, dass ich dies nur aus Anamnesen kenne, und 
niemals selbst einen solchen Ausgleich beobachten konnte. 

Schwierigkeiten macht die Prognose in den Fällen von 
leichten zerebralen Anomalien bezüglich der Schulbildungsfähigkeit« 
Dabei können Ueberraschungen nach beiden Richtungen Vorkommen, 
derart, dass ein Kind in der Schule besser mitkommt, als man 
erwarten konnte, oder dass ein Kind versagt, bei dem weder 
die Eltern noch der Arzt vorher eitle solche Prognose geadelte 
haben. Die Schulbegabung kann mangelhaft sein, obzwar das 
Gehirn im übrigen wertvolle und hervorragende Eigenschaften 
besitzt, sie kann aber auch bei sonstiger geistiger Minderwertig¬ 
keit befriedigend sein. Auf diesem Gebiete möchte ich eine Er¬ 
fahrung nicht verschweigen. Mir ist nie ein Irrtum bei dfer 
Beurteilung von Knaben unterlaufen. Diejenigen, an deren geistiger 
Vollwertigkeit ich in den ersten 6 Lebensjahren zweifelte, wurdest 
auch stets in den Schulen von den Pädagogen als geistig debil 
erkannt und eingeschätzt, so dass Schwierigkeiten niemals au»- 
blieben und Schulwecbsel oder Aenderung der geplanten Be* 
ziehungsricbtung notwendig wurden. Im Gegensatz hierzu mos» 
ich eingestehen, dass ich mich mehrmals in der Prognose bet 
Mädchen täuschte. Dies zwingt mich zu der Vermutung, dasadi» 
Anforderungen in den Mädchenschulen trotz aller formellen Gleich¬ 
heit der Studienpläne geringer als in den Knabenschulen sind. 
Da der Berechtigungsschein, der durch die Schule erworben wird*, 
für Mädchen im allgemeinen eine geringere Bedeutung als für 
Knaben besitzt, so liegt anscheinend keine Veranlassung vat, 
gleiche Ansprüche zu stellen. 

Es ist nicht in jedem Falle möglich, ärztlich festxustellen, 
ob ein Kind überhaupt Schulbegabung bat. Dies erklärt sich> 
daraus, dass der Arzt leichte Grade geistiger Debilität nicht er¬ 
kennen kann. Solche verraten sich durch die Unfähigkeit, die 
Aufmerksamkeit im gegebenen Augenblick auf ein bestimmte» 
Objekt zu konzentrieren und die Aufmerksamkeit so lange aktiv 
zu erhalten, als es der Unterricht erfordert, in dieser Art prüft 
nur der Lehrer die Gehirnfunktion des Kindes, und deshalb- ist 
auch sein Urteil in einem solchen Falle maassgebender wie da» 
des Arztes. 

Unvergleichlich schwieriger ist es jedoch, bei vorhaudeM» 1 
Schulbegabung den Grad derselben zu bestimmen* Trotz aller 
Fortschritte, die auf diesem Gebiete zu verzeichnen sind, schein* 
mir deshalb die Begabtenschule noch ein übereiltes Experiment 
Ich möchte die Begutachtung des Grades der Schulbegehung mit 
der der Stillfähigkeit von Frauen vergleichen. Manche Ftau be¬ 
ginnt ihr Kind erfolgreich zu stillen, aber nach wenigen Wochen- 
ist ihre Stillfähigkeit zu Ende und umgekehrt In gleicher Waise* 
wird manche Prognose über Schulbegehung im Lauf» der Zeit 
Modifikationen erleiden müssen. 


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UMIVERSITY OF IOWA 





17. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


568 


Wie schon ans den angeführten Beispielen hervorgeht, er¬ 
gaben sich bei mannigfaltigen zerebralen Anomalien Unsicher¬ 
heiten in der Beurteilung der Prognosen, nnd unter solchen Um- 
stinden ist es auch unvermeidlich, dass hie und da ärztliche 
Gutachten differieren. Auf keinem Gebiete gehen aber nach 
meiner Erfahrung die Meinungen so stark auseinander wie auf 
dem der Epilepsie. Es bat den Anschein, als ob manche Aerzte 
nur eine infauste Prognose der Epilepsie anerkennen. Dies muss 
um so mehr auffallen, als alle Autoren, welche sich in der 
Literatur über die Prognose dieser Krankheit aussprechen, die 
Möglichkeit einer Heilung oder eines leichten und günstigen Ver¬ 
laufes zugeben. Die Pessimisten sind mit der Diagnose Epilepsie 
surückhaltend und ziehen es vor, Krankheitsfälle mit kurz¬ 
dauernden und unvollkommenen Anfällen, oder solche, bei denen 
in den Intervallen nichts Abnormes im Verhalten und Befinden 
der Kinder nachzuweisep ist, in anderer Weise zu bezeichnen. 
Den Eltern der kranken Kinder ist dies selbstverständlich sym¬ 
pathisch. Um so grösser ist aber die Enttäuschung, wenn ein 
zweiter oder dritter Arzt die Krankheit doch für Epilepsie er¬ 
klärt. Im Gegensatz zu den Pessimisten gibt es in bezug auf 
die Prognose der Epilepsie aber auch Optimisten. Diese be¬ 
gründen ihr Verhalten entweder auf die erfolgreiche Behandlung 
'eines oder mehrerer Fälle oder auf die Erfahrung des spontanen 
Erlöschens der Anfälle an einem markanten Lebensabschnitt der 
Kranken (zweite Zahnung, Pubertät). Was die Erfolge der Therapie 
anbelangt, so handelt es sich, einzelne chirurgische Eingriffe aus¬ 
genommen, stets um eine Täuschung. Die übliche Behandlung 
ist nur symptomatisch und nicht kausal. Sistieren die Anfälle 
nach einer Kur, so kann es sich also nur um eine spontane 
Wendung im Krankheitsbilde handeln. Dieser Umstand bringt 
es auch mit sich, dass jeder Arzt, der epileptische Kinder zu 
behandeln hat, nur über einzelne wenige Heilerfolge berichten 
kann. Die Prognose der Epilepsie bleibt bei jeder der zurzeit 
bekannten Behandlungsmethoden zweifelhaft. 

Noch undankbarer ist die Vorhersage des Erlöschens der 
Anfälle in einer bestimmten Lebensepoche. Dies lässt sich nicht 
einmal mit der Statistik begründen. 

Wichtig erscheint mir die Feststellung, ob ein Kind, das 
wegen epileptischer Anfälle zum ersten Male in Behandlung 
kommt, geistig normal ist, oder bereits sichere Zeichen von 
geistiger Rückständigkeit erkennen lässt. Ich habe mehrfach die 
Erfahrung gemacht, dass letztere übersehen oder nicht erkannt 
wurde, und möchte nach meinen eigenen Beobachtungen an¬ 
nehmen, dass die Kinder, bei denen sich im Verlaufe einer Epi¬ 
lepsie eine geistige Minderwertigkeit ausbildet, stets solche waren, 
bei denen sie schon angeborenerweise vorhanden war. Für die 
Prognose des epileptischen Kindes ist dies wichtiger als die 
Frage, wann die Anfälle erlöschen. 

Ich will mich mit den angeführten Hinweisen begnügen. 
Mehr wie bei anderen Krankheiten kann sich ein Arzt veranlasst 
aehen, bei zerebralen Leiden der Kinder die Prognose besser hin- 
zustelien, als dies seinem Wissen und seiner Ueberzeugung ent¬ 
spricht, um die Eltern der kleinen Patienten nicht zu entmutigen. 
Nicht alle Aerzte vertreten diesen Standpunkt. Manche bevor¬ 
zugen es, nüchtern den Ernst der Prognose zu kennzeichnen. 
Dieser Umstand erklärt vielleicht manche Differenz der Prognosen 
als unvermeidliche Folge grundsätzlicher Auffassung ärtzlicher 
Kunst 


Zar Aetiologie der Vergrösserung der rechten 
Herzkammer im besonderen bei gestörter 
Nasenatmung 1 ). 

Von 

Dr. Rekfisch-Berlin-Gharlottenburg. 

Zu den interessantesten Vorgängen in der Biologie gehört 
die Anpassungsfähigkeit der Organe an ihre Funktion. Ist diese 
gesteigert und zwar nicht in dem Sinne, dass lediglich in der 
Zeiteinheit mehr Arbeit geleistet wird, sondern dadurch, dass er¬ 
hebliche Widerstände zu überwinden sind, so sehen wir die 
ATbeitshypertrophie sich entwickeln. Für diese Gewebszunahme 
ist es aber durchaus gleichgültig, ob die Widerstände äusserer 


1) Vortrag, gehalten in der Berliner Medizinischen Gesellschaft am 
18. Februar 1918. 


Natur sind, wie etwa in den Fällen, in denen wir eine Hyper¬ 
trophie der Gallen- und Harnblasenmuskulatur auftreten sehen, 
wenn ihre Ausfübrungsgänge verengt sind oder eine Wandver¬ 
dickung der linken Kammer bei Sklerose oder Stenose der Aorta, 
oder aber ob die erwähnten Widerstände innerer Art sind und 
zwar dann, wenn die Wände eines Hohlorgans unter besonderer 
hoher Spannung stehen, wie der linke Ventrikel bei der Aorten- 
insuffizienz, der gravide Uterus infolge des perpetuierlichen An¬ 
wachsens seines Inhalts (Horvath). 

Wie aber Roux in seiner Entwicklungsmechanik derOrganismen 
ausgeführt hat, vollzieht sich das Prinzip der Anpassung imiper 
nur in ganz bestimmter Richtung, d. b. ein Organ verändert sich 
vorzugsweise in den Dimensionen, denen eine erhöhte Tätigkeit 
Zufällt; es ist dies die dimensionelle oder morphologische Hyper¬ 
trophie. So kann sich der Skelettmuskel bis zum Doppelten 
seines ursprünglichen Querschnitts vergrössern, während seine 
Länge nahezu unverändert bleibt, da eine Verstärkung der Funktion 
lediglich von einer Veränderung seines Querschnitts beansprucht 
wird. 

Nun lässt sich eine streng lokalisierte Anpassung der Muskel¬ 
fasern an eine erhöhte Funktion begreiflicherweise am genauesten 
nur an Organen mit anatomisch übersichtlichem, d. h. symmetrischem 
Aufbau, wie bei der Skelettmuskulatur und den einfachen Hohl¬ 
organen nachweisen. Bei der komplizierten Konstruktion des 
Herzmuskels dagegen fällt es oft schwer genug, die vorhandene 
Hypertrophie einer Herzkammer aus denselben Gesichtspunkten 
einer unmittelbaren funktionellen Anpassung an eine Mehrarbeit 
zu erklären. 

In die Kategorie dieser Fälle gehört vor allem die Hyper¬ 
trophie des rechten Ventrikels bei der chronischen Nephritis. 
War dieser Befund auch den älteren Klinikern, wie Bright, 
Galabin, Buhl, Traube und Wagner zur Genüge bekannt, 
und hatte v. Bamberger sogar auf Grund eines reichhaltigen 
Materials von 881 Beobachtungen sie in 49 pOt. der Fälle beob¬ 
achten können, so haben doch eigentlich erst die statistischen An¬ 
gaben späterer Jahre, die für die Beurteilung der Hypertrophie einer 
Herzkammer die kritischere Methode von W. Müller in An¬ 
wendung brachten, nach der die Hypertrophie eines Herzabschnittes 
durch Wägung und Bestimmung seines Gewichts im Verhältnis 
zum ganzen Herzen und zur Gesamtmuskulatur festgestellt wird, 
den vollgültigen Beweis für das so häufige Auftreten von rechts¬ 
seitiger Hypertrophie bei der Schrumpfniere erbracht. Nach 
dieser Methode der Müller’schen Wägungen bestimmt, konnte 
sie Hasenfeld in allen seiner 5 mitgeteilten Beobachtungen und 
Hirsch 15mal unter 21 Fällen von chronischer Nephritis fest¬ 
stellen. Es |ragt sich nun, wie dieser Befund zu deuten war, da 
das pathologische Bild der Nephritis, und das gleiche gilt von 
der vorgeschrittenen Arteriosklerose, wegen des gesteigerten Blut¬ 
drucks wohl eine Hypertrophie der linken, aber nicht der rechten 
Kammer plausibel machen konnte. * 

Die älteren Kliniker und mit ihnen auch Jürgensen und 
Schrötter nahmen zur Erklärung an, dass, weil im Herzen die 
Muskelfasern des einen Ventrikels auch gleichzeitig dem anderen 
angehören, aus dieser anatomischen Betrachtung heraus eine 
Hypertrophie der einen Kammer auch die der anderen zur Folge 
haben müsste. \ 

Wenn auch schon Krehl, der sich am eingehendsten mit 
der Hypertrophie des rechten Ventrikels bei Nephritis beschäftigt 
hat, diese Anschauung schon vor 20 Jahren als unzutreffend ab- 
gelebnt batte, so lassen sich beute, nachdem inzwischen unsere 
Kenntnisse der Anatomie und Physiologie des Herzens eine 
ausserordentliche Vertiefung erfahren haben, um so gewichtigere 
Gründe gegen jene Erklärung anführen. 

Was zunächst den anatomischen Teil an betrifft, so hebt 
Tandler in seiner Anatomie des Herzens mit Recht hervor, dass, 
wenn auch ontogenetisch betrachtet, die gesamte Muskulatur des 
Herzens sich aus einem primären, einheitlichen Schlauch ent¬ 
wickelt hat, so doch die Zahl der späterhin in seiner formalen 
Genese eintretenden Komplikationen eine so grosse ist, dass wir 
nicht mehr daran festhalten dürfen, dass auch in dem voll ent¬ 
wickelten Organ die ursprüngliche anatomische Kontinuität ge¬ 
wahrt bleibt. Im Gegenteil bat Tandler in Verwendung der 
neueren Arbeiten von Mall und Mac Call um und auf Grund 
eigener Untersuchungen streng unterscheiden zu müssen geglaubt, 
zwischen Vortexfasern, die an der ganzen Zirkumferenz des Sulcus 
coronarius entspringen, an der ganzen Herzoberfiäche verlaufen, 
also zunächst aussen wenigstens beiden Ventrikeln angehören, 
um schliesslich an der Spitze unterzutauchen und jetzt nur noch 

1 * 


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UMIVERSITY OF IOWA 






564 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


die innere Schicht des linken Ventrikels zu bilden, und jenen 
Muskelfasern, die einmal ausschliesslich der Wand des rechten 
Ventrikels, es sind dies die tiefere Sinusspirale Mall’s, und 
zweitens den Fasern, die ausschliesslich dem linken Ventrikel 
angehören, die Mall die tiefere Bulbusspirale genannt hat. 

Dieser anatomischen Differenzierung entspricht aber auch die 
physiologische, die funktionelle Selbständigkeit aller vier Herz- 
abschnitte. Aus den Untersuchungen von Frödericq wissen wir, 
dass die Herzkammern in bestimmten zeitlichen Abständen von¬ 
einander, in Zwischenräumen von 0,01—0,08 Sekunden sich kon¬ 
trahieren. Ist auch unter normalen Verhältnissen diese Differenz 
in der Kontraktion des linken und rechten Ventrikels akustisch 
nicht wahrnehmbar, so findet sie doch unter pathologischen 
Bedingungen wie bei der Nephritis ihren klinischen Ausdruck in 
einer ganz bestimmten Form des systolischen Galopprbythmus, 
einem Anzeichen, dass jetzt das Intervall zwischen linkem und 
rechtem Ventrikel verlängert ist. 

Aber auch die Erfahrungen der pathologischen Physiologie 
und Anatomie lehren die absolute Selbständigkeit der einzelnen 
Herzkammern, so die isolierte Hypertrophie des rechten Ventrikels 
bei der Pulmonalsklerose und Insuffizienz, ebenso bei reiner 
Mitralstenose, bei der nicht selten der linke Ventrikel fast nur 
als Appendix des ganzen Herzens erscheint. 

Lässt sich somit, wie aus diesen Ausführungen hervorgehen 
dürfte, die Hypertrophie des rechten Ventrikels bei Nephritis 
keineswegs aus der anatomischen Kontinuität der Muskelfasern 
erklären, so fragt es sich, ob die von Rosenbach und Senator 
ausgesprochene Vermutung, dass, weil durch die vorhandene 
Hypertrophie des linken Ventrikels bei der Nephritis das ganze 
Konorarsystem besser gefüllt wurde, hierdurch auch eine Wand¬ 
verdickung der rechten Kammer resultieren müsse, heute noch 
aufrecht erhalten werden kann. Von allgemein morphologischem 
Gesichtspunkt aus betrachtet, müsste diese von Rosenbach und 
Senator vertretene Anschauung bedeuten, dass ein Organ dann 
bypertrophieren kann, wenn ihm eine grössere Menge von Bildungs¬ 
material, also Blut zugeführt wurde. Wie aber aus den Unter¬ 
suchungen von Roux hervorgeht, spielen sich derartige Vorgänge 
in dieser Form wohl in der ersten Periode der Ontogenese ab, 
also in der Zeit der embryonalen und postembryonalen Entwick¬ 
lung, in den späteren Perioden aber hängt die weitere Ausbildung 
eines Organs lediglich von seinen funktionellen Reizen ab. 

Ferner aber glaubteq Krehl und vor ihm auch Hasenfeld 
die Erklärung jener Autoren ablehnen zu müssen, die in dem 
Insuffizientwerden des linken Ventrikels eine Ursache für die 
Genese der Wandverdickung der rechten Kammer erblicken wollte, 
eine Anschauung, die vor allem von Pässler vertreten wurde. 
Als Beweis der richtigen Deutung dieser Zustände iuhrt Pässler 
die Beobachtung an, dass er in keinem Falle von rechtsseitiger 
Hypertrophie bei Nephritis die braune Induration der Lunge als 
pathologisch-anatomischen Ausdruck der chronischen Insuffizienz 
der linken Kammer bei der Sektion vermisst hätte. 

Unter dieser Voraussetzung würden dann aber jene Fälle 
unerklärt bleiben, bei denen, wie dies Wagner durch die 
Autopsie nachweisen konnte, und für die uns eine genügend häufige 
klinische Beobachtung zur Verfügung steht, trotz stark ausgebildeter 
Hypertrophie der rechten Kammer bei der Schrumpfniere doch 
keine Stauungen im kleinen Kreislauf sich nachweisen lassen. 

Auf Grund dieser Erfahrungen werden wir von selbst darauf 
hingewiesen, zu unterscheiden zwischen jenem rein kompensatorischen 
Vorgang, bei dem sich eine Hypertrophie des rechten Ventrikels 
entwickelt, um. Kreislaufstörungen auszugleichen, die durch In¬ 
suffizienz des linken Ventrikels entstehen, jene zur Genüge klinisch 
bekannten Fälle bei Mitralfehlern, der Aorteninsuffizienz, und auch 
oft genug bei der Nephritis selbst, und jenen Zuständen, in denen 
wir eine Hypertrophie der rechten Kammer wie speziell bei der 
Schrumpfniere antreffen, ohne dass wir ein Erlahmen der Kraft 
des linken Ventrikels feststellen können. 

Diesem letzteren Problem hat Krehl in einer einfachen 
Formel einen ungemein prägnanten Ausdruck verliehen. Er sagt 
mit Recht in Rücksicht auf diesen speziellen Vorgang, dass eine 
Hypertrophie der rechten Kammer sich nur entwickeln könne, 
wenn erhöhte Widerstände .zu .überwinden .sind, und diese dürfen 
nur in einem erhöhten Konträktionszustande der Lungengefässe 
gesucht werden. Dieser Grundgedanke^ist schon wegen seiner 
Einfachheit]) überzeugend und unanfechtbar. Nun aber nimmt 
Krehl weiter an, dass dieser erhöhte Kontraktionszustand der 
Lungengefässe aus denselben Gründen unter Vermittelung des 
Vasomotorenzentrums zustande käme, die auch die Blutdruck¬ 


steigerung im arteriellen System mit folgender Hypertrophie des 
linken Ventrikels veranlassen. 

Hier müssen wir uns fragen, ob wir tatsächlich zur Erklärung 
des erhöhten Tonus der Pulmonalgefässe mit Krehl ohne weiteres 
auf die blutdrucksteigernden Momente unter Mitwirkung des 
Vasomotoren Zentrums zurückgreifen müssen, wie sie im arteriellen 
System zur Geltung kommen, eine Deutung mit der die erst viel 
später einsetsende Hypertrophie der rechten Kammer schwieriger 
in Einklang zu bringen wäre, oder ob nicht doch vielleicht andere 
Faktoren dynamischer Natur vorhanden sein könnten, die diese 
Drucksteigerung im pulmonalen System plausibel erscheinen lassen. 
Hierbei wäre folgendes zu erwähnen. Gleichgültig, aus welchen 
Gründen auch immer wir annehmen, dass die erhöhte Kontraktion 
der arteriellen Gefässe bei der Nephritis ausgelöst werde, ob 
reflektorisch durch Vermittlung des Vasomotorenzentrums oder 
durch irgend welche Hormone, wie etwa durch das Renin, sie 
muss eintreten, wie dies schon vor 20 Jahren Bier und in letzter 
Zeit Fahr auseinandergesetzt haben, zur Aufrechterhaltung eines 
genügenden Filtrationsdrucks in den Nieren mit erhöhtemStrömungB- 
effekt, wenn anders bei Erkrankung dieses so lebenswichtigen 
Organes das Individuum am Leben bleiben soll. Die Folge dieses 
erhöhten Gefässtonus im gesamten arteriellen Gebiet ist dann be¬ 
kanntlich die Hypertrophie des linken Ventrikels. Mit dieser Ent¬ 
wicklung scheinen dann aber keineswegs alle die Vorbedingungen 
erfüllt, die für die weitere Aufrechterhaltung des Kreislaufs bei so 
hohem Blutdruck erforderlich sind. Es müssten doch vor allem Vor¬ 
kehrungen getroffen sein, dass sich die Leistungsfähigkeit der linken 
Kammer jahrelang erhält. Und diese Forderung erfüllt, wie ich 
annehmen möchte, tatsächlich erst die sich allmählich entwickelnde 
Hypertrophie der rechten Kammer. Denn wie wir aus zahlreichen 
Untersuchungen, vor allem Tigerstedt’s, wissen, vermag das 
Herz seinen Inhalt bis auf ein geringes Quantum Residualblut 
nur bei mittlerem Blutdruck zu entleeren. Steigt dieser aber be¬ 
trächtlich, so würde das Scblagvolumen erheblich abnehmen müssen, 
wenn nicht in dem Herzen selbst vermöge seiner Akkommodations¬ 
fähigkeit sofort eine automatische Regulierung^seiner dynamischen 
Kräfte eintreten würde. 

Dieser Vorgang wird verständlicher, wenn wir ihn mit dem. 
analogen am Skelettmuskel vergleichen. Der unbelastete, also 
ungespannte Muskel leistet, wenn er sich kontrahiert, keine Arbeit. 
Diese erfolgt erst, wenn er gespannt ist, beispielsweise wenn ihm 
ein Gewicht angebängt ist. Nun ist die Hubhöhe des Skelett¬ 
muskels dann am grössten, wenn das an ihn angehängte Gewicht 
seiner optimalen Spannung gleich ist. Gehtaberdas Gewicht über 
ein bestimmtes Maass hinaus, so wird die Hubkraft des Muskels bei 
seiner Kontraktion geringer. Dieselbe Beeinträchtigung muss aber 
das Hubvermögen des Muskels erleiden, wenn dieser verhindert 
wird, sofort bei seiner Kontraktion das Gewicht zu heben. Dieser 
Fall tritt ein, wenn das angehängte Gewicht unterstützt ist. 
Denn der Muskel muss sich erst auf die nötige Spannung bringen, 
die dem Gewicht entspricht, er führt also zunächst eine isometrische 
Zuckung aus, ohne sich zu verkürzen, und ist erst jetzt in der 
Lage, das Gewicht zu heben. Da der Muskel aber bei dieser 
isometrischen Zuckung einen Teil spines Kontraktionsvermögens 
eingebüsst hat, so kann er natürlich das angehängte Gewicht nicht 
mehr auf die frühere Hubhöhe bringen. Diese muss daher ab¬ 
nehmen und um so mehr, je höher das angehängte Gewicht 
unterstützt ist. 

Da nach den Untersuchungen]Jvon Otto Frank und H. Straub 
der Kontraktionsablauf des Herzens [denselben Gesetzen unter¬ 
worfen ist wie der Skelettmuskel, so vermag dieses seinen Inhalt 
nahezu restlos nur dann zu entleeren, wenn seine Anfangsspan¬ 
nung, d. h. sein diastolischer Druck in einem bestimmten Ver¬ 
hältnis zum Aortendruck steht. Natürlich ist ersterer geringer, 
da er ja dem niedrigen Vorhofsdrnck gleich ist. Bewegt sich 
nun der Aortendruck in normalen Grenzen, so befähigt doch auch 
die durch die geringe Residualblutmenge gegebene niedere 
diastolische Anfangsspannung den Ventrikel, seinen Inhalt fast ganz 
auszuwerfen, da er für diesen Zweck nach kürzester Anspannungs¬ 
zeit fast sein ganzes Kontraktions vermögen verwerten kann. Wäre 
der Aortendruck aber beträchtlich erhöht, die Anfangsspannung 
des Ventrikels aber niedrig geblieben, so müsste der Herzmuskel 
einen erheblichentTeil seiner Kraft v in der Anspannungszeit dazu 
verwenden, um sich auf die Höhe des Aortendrucks einzustellen. 
Infolgedessen müsste auch sein Schlagvolumen erheblich abnehmen 
analog der geringen Hubhöhe des Skelettmuskels bei hoher Unter¬ 
stützung des Gewichts. Es entspräche demnach beim Vergleich 
desselben Kontraktionsmodus die Unterstützung des Gewichts beim 


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UNIVERSUM OF IOWA 





17. Juni 1818. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


565 


Skelettmaskel dem erhöhten Aortendruck im Kreislauf. Tatsäch¬ 
lich spielt sich obiger Vorgang auch bei dem insuffizienten Herzen 
so ab. Bei dem gesunden Herzen dagegen ändern sich sofort die 
Kontraktionsbedingungen. Da bei starker Erhöhung des Aorten - 
drucks das Schlagvolumen zunächst abnehmen muss, so ver- 
grösserte sich die Menge des Residualbluts am Ende der Systole, 
ln dieser Vermehrung des Testierenden Blutquantums aber haben 
wir das oben erwähnte regulatorische Prinzip zu erblicken. Denn 
hierdurch wird die Anfangsspannung des Herzens in der Diastole 
nicht unwesentlich erhöht, der Ventrikel leistet sofort die not¬ 
wendige Arbeit und ist jetzt befähigt, sein Schlagvolumen auch 
gegen einen erhöhten Widerstand im Aortensystem auszuwerfen. 
Eis war das grosse Verdienst H. Straub’s, als erster gerade auf 
die Bedeutung dieses vermehrten Residualbluts für den Kreislauf 
bei hohen arteriellen Widerständen hingewiesen zu haben. 

Es ist aber selbstverständlich, dass, wenn das frühere Schlag¬ 
volumen aufrecht erhalten werden soll, dem Ventrikel seitens des 
linken Atriums die notwendige Menge Blutes zugeführt werden 
muss. Da dieses aber bei seinem Einströmen in die linke Kammer 
schon im Beginn der Diastole wegen des vermehrten Residual¬ 
bluts auf einen erhöhten hydrostatischen Druck stösst, so bedarf 
es natürlich besonderer Mitarbeit seitens des linken Atriums, 
um seinen Inhalt gegen diesen erhöhten Druck zu entleeren, und 
die Folge davon ist die allmähliche Entwicklung seiner Hyper¬ 
trophie. Es ist aber ferner einleuchtend, dass in dem weiteren 
Ablauf der pathologischen Vorgänge dieser vermehrte Druck, 
unter dem jetzt das Vorhofsblut steht, sich mit der Zeit auch 
durch die Lungenvenen und Capillaren auf die Lungenarterien bis 
in den rechten Ventrikel fortsetzen muss. 

Nun hat zwar Straub — ich muss der Vollständigkeit 
halber diesen Punkt hier erwähnen, da ja gerade die Bedeutung 
des vermehrten Residualbluts mir die Anregung bot zu meinen 
Betrachtungen über die Entwicklung der Hypertrophie der rechten 
Kammer bei Nephritis, d. h. bei hohem arteriellen Druck — in 
seinen Untersuchungen bei erhöhten Widerständen im grossen 
Kreislauf zwar ein Ansteigen des Drucks im linken Vorhof, aber 
nicht in der rechten Kammer feststellen können. Diese Differenz 
darf uns nicht wundern und auch nicht ein Hindernis für die 
Aufrechterhaltung unserer Anschauung werden, da ja tatsächlich 
zwischen den Ergebnissen eines Experiments am Starling’schen 
Herzlungenpräparat und dem Ablauf eines pathologischen Vor¬ 
gangs ein erheblicher Unterschied bestehen muss. Denn bei 
ersterem handelt es sich um eine kurz dauernde Beobachtung 
bei intakten Lungengefässen mit dem ihnen eigenen niederen 
Tonus, und es ist wohl begreiflich, dass der erhöhte Druck des 
Vorhofs in ihnen seinen Ausgleich findet. Bei einem jahrelang 
bestehenden Regulationsvorgang aber werden, ohne dass ich 
allerdings dafür den pathologisch-anatomischen Beweis zu er¬ 
bringen in der Lage wäre, auch die Gefässe in dem Sinne eine 
Veränderung erfahren müssen, dass ihr Fassungsvermögen ein¬ 
geengt wird, so dass der erhöhte Vorhofsdruck sich in ihnen fort¬ 
setzen muss, ein Vorgang, den übrigens D. Gerhardt sogar schon 
im Experiment bestätigen konnte. In meinen Erwägungen leiteten 
mich aber vor.allem bekannte klinische Beobachtungen bei Er¬ 
krankungen im kleinen Kreislauf, so vor allem bei der Mitral¬ 
stenose, bei der das Auftreten der Hypertrophie der rechten 
Kammer infolge des erhöhten Drucks im Pulmonalsystem zu den 
geläufigsten klinischen Erfahrungen gehört. Und doch hat 
Straub sogar auch bei diesem im Experiment erzeugten Herz¬ 
fehler kein Ansteigen des Drucks in der rechten Kammer fest¬ 
stellen können, wohl der schlagendste Beweis für die Differenz 
zwischen den Resultaten des Experiments und der Beobachtung 
eines Krankheitsverlaufs. 

Wie nun oben erwähnt, muss wegen dieses erhöhten Drucks 
im Pulmonalsystem der rechte Ventrikel hypertrophieren, nicht 
etwa, wie wir gesehen haben, am einem insuffizienten linken 
Ventrikel zu Hilfe zu kommen, um Kreislaufstörungen innerhalb 
der Lunge, wie bei Mitralfehlern zu kompensieren, sondern um 
die Arbeit des linken Ventrikels zu regulieren, ihn durch Auf¬ 
rechterhaltung einer genügend hohen Anfangsspannung zu befähigen, 
auch gegen einen erhöhten Widerstand im Aortensystem sein 
Schlagvolumen unverkürzt auszuwerfen. So wird allein aus dem 
Vorgang dass die linke Kammer ihre Systole nicht wie sonst 
von einem niederen Blutdruckniveau aus, sondern mit einer 
erhöhten Anfangsspannung, d. h. einem hohen diastolischen Druck 
beginnt, auch die klinische Tatsache erst verständlich, dass das 
Herz bei der chronischen Nephritis und ebenso bei der Arterio¬ 


sklerose viele Jahre lang seinen Inhalt gegen einen Druck von 
200—250 mm Hg entleeren kann. 

Von dieser Hilfsaktion der rechten Kammer zur Aufrecht¬ 
erhaltung des Kreislaufs im arteriellen System, die also sekundär 
zu ihrer Hypertrophie führen muss, sind jene Gewebsverände¬ 
rungen, Hypertrophien und Dilatationen zu trennen, die die rechte 
Kammer erfährt, wenn sie ihrer eigentlichen, spezifischen Funktion, 
d. h. die ihr zuströmende Blutmenge zu fördern und für einen 
ungestörten Kreislauf innerhalb des Pulmonalsystems zu sorgen, 
unter abnormen Umständen gerecht werden soll. Was ihre erste 
Aufgabe anbetrifft, so vermag das gesunde rechte Herz bei 
stärkerer Muskelarbeit auch erheblich vermehrte Flüssigkeits¬ 
mengen, die ihm aus dem Venensystem zufliessen, ohne weiteres 
dem linken Ventrikel zuzuführen. Unter Verwendung seiner ihm 
eigenen Akkommodationsfähigkeit vermag es sich ohne Gewebs¬ 
veränderung der vermehrten Füllungsbelastung anzupassen; es ar¬ 
beitet eben, um mich der Terminologie von Moritz zu bedienen, 
mit tonogener Dilatation, d. h. mit vermehrter Anfangsspannung, 
nur wird diese nicht im Gegensatz zu dem Geschehen im linken 
Ventrikel durch Vergrösseruog der Residual blutmenge erzielt, 
sondern, wie dies aus Straub’s Untersuchungen hervorgeht, 
durch reichlichere Füllung seitens der grossen Venen. Handelt 
es sich dagegen um ein minderwertiges, also etwa um ein kon¬ 
stitutionell schwaches Herz, das, wie Kraus dies ausführlich 
geschildert hat, in seiner Tropfenform nur ein einzelnes Stigma 
der gesamten Konstitutionsschwäche darstellt, so dilatiert das 
rechte Herz bei erheblichen, fortdauernden körperlichen An¬ 
strengungen nicht tonogen, also mit aktiver Erweiterung, sondern 
myogen, d. h. unter weiterer schädigender Beeinträchtigung seiner 
Muskulatur. 

In vielen anderen Fällen von konstitutioneller Schwäche 
aber, in denen das Herz doch noch eine grössere Widerstands¬ 
fähigkeit aufweist, erfährt dieses unter dem Einfluss wiederholter 
körperlicher Anstrengungen, wie sie etwa beim Sport oder bei 
militärischen Leistungen gegeben sind, eine ganz andere Ver¬ 
änderung. Um der vermehrten Füllung bei erhöhter Arbeit Herr 
zu werden, dilatiert das rechte Herz, wie schon oben erwähnt, zu¬ 
nächst tonogen, um allmählich doch zu hypertrophieren. Da 
aber, falls keine Stauung eintreten soll, auch das linke Herz die 
gesamte ihm von rechts zuströmende Blutmenge bewältigen 
muss, zu dem bei jeder stärkeren körperlichen Arbeit der Blutdruck 
im arteriellen System steigt, so erfährt es das gleiche Schicksal 
wie die rechte Kammer, es muss gleichfalls mehr oder minder 
hypertrophieren, und unter dieser Gestaltung bildet sich jene Form 
des Herzens aus, die uns im Röntgenbilde als Kugelforro erscheint. 
Gehen wir nunmehr zu der zweiten Kategorie von Störungen 
über, die eine Vergrösserung der rechten Kammer zur Folge haben, 
so spielen sich dieselben im kleinen Kreislaunf selbst ab und 
betreffen erstens die Erkrankung der Gefässe, zweitens patho¬ 
logische Vorgänge in den Atmungsorganen und drittens Aenderungen 
in dem Respirationsmechanismus. Für den ersten Fall kommt vor 
allem die Pulmonalsklerose in Betracht, die bisher zwar klinisch 
keine nennenswerte Rolle gespielt hat, die aber, wie aus den 
Arbeiten von Rom borg, Posselt und der Monographie von 
Ljungdahl hervorgebt, doch viel häufiger vorhanden ist, als 
sie tatsächlich intra vitam diagnostiziert wird. Es ist selbst¬ 
verständlich, dass auf eine Pulmonalsklerose mit ihrem erhöhten 
Blutdruck der rechte Ventrikel nur mit einer Hypertrophie 
reagieren kann. 

In die zweite Serie gehören die Erkrankungen der Lunge 
selbst, unter denen neben der indurativen Form der Phthise das 
Emphysem das freiste Interesse beansprucht. Durch die jedem 
Praktiker so geläufige Koinzidenz von Emphysem und Hypertrophie 
des rechten Ventrikels hat sich fast wie ein Dogma die Anschauung 
in der Medizin eingebürgert, dass im wesentlichen durch den 
Untergang so vieler Kapillaren in den Lungen, dem hierdurch 
verringerten Gesamtquerschnitt der Pulmonalgefässe und dem 
in ihnen vermehrten Druck, sich die Hypertrophie hat ent¬ 
wickeln müssen. 

Allein, dass die einfache Tatsache des Verlustes so vieler 
Lungenkapillaren an und für sich, es sei denn, dass die Verödung 
dieser Gefässe wie bei weitvorgeschrittenem Emphysem schon 
eine ganz erhebliche geworden ist, nicht die eigentliche Ursache 
für die Entstehung der Hypertrophie sein kann, lehren am in¬ 
struktivsten die Untersuchungen Lichtheim’s, der trotz Ab- 
bindung des ganzen linken und eines Teiles der rechten Lunge 
keine oder die kaum nennenswerte Steigerung des Pulmonaldrucks 
um nur 6 mm Hg feststellen konnte. Zu denselben Resultaten 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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sind dann später auch D. Gerhardt and Tigerstedt gelangt. 
Den Grand, dass trotz Abbindung so grosser Teile der Lungen- 
gefässe der Drnclc in der Pulmonalis nicht steigt, also auch die 
Hypertrophie der rechten Kammer aasbleibt, müssen wir in den 
physiologischen Tatsachen suchen, dass einmal der Tonus der 
Lungengefässe an und für sich ein niedriger ist, dass dann aber 
bei Abschluss der einzelnen Pulmonalgefässe reflektorisch eine Er¬ 
weiterung der übrigen erfolgt, da, wie Ernst Weber experimentell 
nach weisen konnte, die Lungengefässe ebenso dem Einfluss des 
Vasomotorenzentrums unterworfen sind, wie die übrigen Körper- 
gefässe. Vielmehr erklärt diese physiologische Eigentümlichkeit 
der Lungengefässe auch die klinische Beobachtung, dass wir bei 
der Lungenphtbise trotz Destruktion so vieler Gefässe wegen des 
eintretenden Kollateralkreislaufs nur selten einer Wandverdickung 
der rechten Kammer begegnen. 

Kann somit das einfache Ausscheiden zahlreiche Lungen¬ 
kapillaren als Ursache für eine rechtsseitige Hypertrophie nicht 
in Frage kommen, so müssen wir einen anderen Faktor hierfür 
verantwortlich machen, und den dürfen wir, wie ich annehmen 
möchte, in der Erhöhung des intrapulmonalen Drucks suchen. 
Denn wie Einbrodt, E. Hering, de Jager, Hirscbmann und 
D. Gerhardt übereinstimmend gezeigt haben, steigt beim Ein¬ 
blasen der Luft in die Trachea sofort der Druck in der Pulmonalis, 
dementsprechend in der rechten Kammer. Nun herrscht aber bei 
dem Emphysem nicht nur wegen seiner häufigen Bronchitiden, 
der Schwellung der Schleimhäute und den feineren Bronchien, 
die den Austritt der Luft erschweren, sondern auch wegen der 
durch den Verlust ihrer Elastizität erfolgten Unnacbgiebigkeit 
der Alveolenwände dauernd ein erhöhter intrapulmonaler Druck, 
der selbstverständlich das Lumen der Lungenkapillaren einengen 
muss. Es liegt somit der fundamentale Unterschied zwischen den 
Folgen einer Abbindung einzelner Aeste der Pulmonalis im 
Experiment oder dem Untergang zahlreicher Kapillaren bei der 
Phthise und denen eines erhöhten intrapulmonalen Drucks beim 
Emphysem darin, dass in den ersteren Fällen die ausgeschalteten 
Gefäs8stämme als Betriebsfaktoren aus der Zirkulation aus- 
scheiden, den Organismus gleichsam nicht mehr interessieren, 
in den zweiten dagegen es der kompensatorischen Mehrarbeit des 
rechten Ventrikels bedarf, um auch jetzt dasselbe Quantum von 
Blut wie vorher durch die verengten Kapillaren des Pulmonal- 
gebietes hindurchzutreiben, soll anders ein genügender für den 
Körper notwendiger Gasaustausch zwischen Kapillaren und der 
in den Alveolen enthaltenen atmosphärischen Luft erzielt werden. 
Es spielt sich also hier aus vitalstem Interesse derselbe Vorgang 
ab wie in der Entwicklung der Hypertrophie der linken Kammer 
bei der Nephritis. 

War bisher vorzugsweise die Rede von der Hypertrophie der 
rechten Kammer als Anpassung an den erhöhten Druck in der 
Pulmonalis, so begegnen wir nunmehr bei der folgenden dritten 
Gruppe von Anomalien, die zu Störungen im kleinen Kreislauf 
führen und unter die wir jene Faktoren zusammen fassen wollen, 
die den Atmungsmechanismus nur als solchen beeinträchtigen, 
ganz anderen Veränderungen der rechten Kammer. Hier treffen 
wir die reinen unkomplizierten Dilatationen an. Als ätiologische 
Momente kommen hier in Betracht Pleuraadhäsionen im unteren 
Teil des Thorax, durch die die Erweiterungsfähigkeit der Lunge 
eingeengt werden muss, Deformitäten der Wirbelsäule, also Kyphose 
und Skloliose, Tumoren, die die Trachea und die Bronchien kom¬ 
primieren, zu denen vor allem die Strumen gehören, und 
schliesslich eine behinderte Nasenatmung, sei es, dass Septum¬ 
deviationen, Verschluss der Choanen, übergrosse Muscheln oder 
andere Anomalien an der Verlegung der Passage durch die Nase 
die Schuld tragen. Da aber aber gerade eine behinderte Nasen- 
atmnng, der Typus ?ines anormalen Atmungsmechanismus, als 
klassisches Beispiel für die Entwickelung einer einfachen, rechts¬ 
seitigen Dilatation gelten kann, so erscheint es mir zweckmässig 
für das Verständnis der Genese dieser Herzveränderung, in 
Kürze auf den Synergismus zwischen Atmung und Zirkulation 
einzagehen. 

Bei der Inspiration, die normalerweise durch die Nasenwege 
erfolgt, dehnen sich zugleich mit der Erweiterung des Thorax 
die Lungen aus. Hierdurch findet in den Lungenalveolen eine 
Luftverdünnung statt, und infolgedessen muss zunächst aus den in- 
kompressiblen Lufträumen Larynx, Trachea, Rachen- und Nasen¬ 
höhlen, die natürlich der Tboraxerweiterung nicht folgen können, 
Luft nachströmen. So entsteht, wie dies Gaule in anschaulicher 
Weise geschildert hat, durch das Abströmen von Luft aus den 
Choanen in der Nasenhöhle selbst eine Druckerniedrigung, deren 


Ausgleich erst durch das Einströmen atmosphärischer Luft erzielt 
wird. Bis diese aber in die Lungen selbst gelangt, steilen Bich 
ihr ganz erhebliche Widerstände in den Weg, die durch die Enge 
der Nasenhöhle selbst, die rechtwinklige Knickung zwischen dieser 
und dem Nasenrachenraum, vor allem aber durch die Glottis¬ 
spalte, die, wie dies besonders R. Dubois-Rey mond in seinem 
Lehrbuch der Physiologie hervorhebt, die engste Stelle in den 
Luftwegen darstellt, gegeben sind. Die Folge davon ist, dass die 
einströmende atmosphärische Luft die Alveolen nur allmählich 
und nicht in dem gleichen Tempo füllen kann, wie diese durch 
die Erweiterung des Thorax ausgedehnt werden. Bei der Mund¬ 
atmung dagegen, bei der eine weite Kommunikation zwischen 
Lunge und atmosphärischer Luft besteht, kann diese, da ja eine 
Reihe von Widerständen jetzt wegfällt, ohne weiteres in die 
Alveolarräume gelangen. Nur dringt sie, wie dies zuerst Du¬ 
puytren und Löwenberg bei Individuen beobachten konnten, 
die infolge behinderter Nasenatmung gezwungen waren oral zu 
atmen, vorzugsweise in die unteren Partien der Lunge ein, wäh¬ 
rend die oberen nur mangelhaft ausgefüllt werden, wodurch dann, 
wie dies Krönig beschrieben bat, der Entwicklung indurativer 
Prozesse in den Lungenspitzen Vorschub geleistet wird. 

Diese physiologische Atmung durch die Nase erfüllt aber 
nicht nur ein einfaches Postulat für eine vollkommenere Venti¬ 
lation in den Lungen, sie ist auch von prinzipieller Bedeutung 
für den Kreislauf selbst. Denn wenn wir bedenken, dass der 
Effekt der Pumpkraft des Herzens jenseits der Kapillaren 
nahezu als beendet betrachtet werden muss, so kann es doch im 
wesentlichen nur die Saugkraft der Lungen sein, die das venöse 
Blut dem Herzen wieder zuführt. Diese Möglichkeit ist dadurch 
gegeben, dass bei jeder Erweiterung des Brustkorbes während der 
Inspiration der negative Druck im Thorax ansteigt. Wir müssen 
hier wohl unterscheiden zwischen dem wechselnden Druck in den 
Lungen selbst, also dem intrapulmonalen, der auf der Höhe der 
Inspiration etwas weniger, am Ende der Exspiration aber gleich 
dem atmosphärischen Druck ist, und dem eigentlichen negativen 
Druck, dem sogenannten Donder’scben Druck im Thorax selbst, 
unter dem sowohl die interpleuralen Räume als auch alle übrigen 
Stellen des Brustkorbes stehen. Dieser negative Druck ent¬ 
steht schon bei der ersten Inspiration des Neugeborenen da¬ 
durch, dass zwar ein bestimmtes Quantum Luft in die bisher 
luftleeren Lungen eingeatmet, dass aber nicht ebenso die gleiche 
Menge wieder ausgeatmet wird. Der Grund hierfür liegt, wie 
das Herrmann experimentell nachweisen konnte, in der Tat¬ 
sache, dass eine Lunge, in die einmal Luft eingedrungen ist, 
nicht wieder wegen der Verklebung der Alveolarwände in den 
rein atelektatischen Zustand zurückgeführt werden kann. Durch 
diese zurückgehaltene Luft werden naturgemäss die Lungen¬ 
alveolen in Spannung erbalten, und um den Teil des aufgewandten 
Drucks, der für diese Entfaltung der Lungen nötig ist, muss sich 
selbstverständlich der atmosphärische Druck vermindern, der mit 
Ausschluss auf die Lungen auf die übrigen Teile im Thorax ein¬ 
wirkt, auf die interpleuralen Räume, auf Herz und grosse Gefässe. 

Dieser negative Druck wird natürlich von dem Grade der 
Thoraxerweiterung abhängig sein; er beträgt nach den Messungen 
von Dondlers am Ende der Exspiration nur etwa mm Hg, 
bei einfacher Inspiration 9 und bei sehr forcierter bis 30 mm Hg. 
Es ist klar, da dieser negative Druck somit unter normalen Ver¬ 
hältnissen immer im Thorax vorhanden ist, dass durch ihn, wie 
dies auch Talma bervorgehoben hat, die Wandungen aller intra- 
thorakalen Organe, also die des Herzens und der grossen Gefässe, 
eo ipso sich in einer gewissen elastischen Spannung befinden 
müssen, in dem Bestreben, das relative Vakuum im Thorax aus¬ 
zufüllen. 

Es ist aber weiter verständlich, dass je tiefer die Inspiration 
vor sich geht, je mehr also der negative Druck ansteigt, desto 
mehr alle jene intratborakalen Organe diesem elastischen Zuge 
folgen werden, deren Wandungen überhaupt eine weitere Aus¬ 
dehnung gestatten, so vor allem die grossen Venen, während die 
Arteria pulmonalis selbst, deren Wand, worauf gleichfalls Talma 
hingewiesen hat, einen hohen Elastizitätsquotienten besitzt, von 
dieser Dehnung weniger betroffen wird, ferner die dünnwandigen 
Vorböfe und zum Teil auch der relativ dünne rechte Ventrikel, 
hier vor allem die der Einströmungsbahn entsprechenden Partien 
der Herzspitze, die eine erheblich geringere Wanddicke auf¬ 
weisen als die an der Basis gelegenen Teile der Ausflussbahn. 

Die Folgen einer ergiebigen Inspiration werden sich daher 
in mehrfacher Weise geltend machen müssen. Einmal wird in¬ 
folge der Erweiterung der grossen Venen eine Aspiration von 


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17. Juni 1918. 


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Blut aus der Peripherie, die ja unter vollem Atmosphärendruck 
steht, nach dem Thorax, in dem nur negativer Druck herrscht, 
stattfinden. Zugleich wird aber die Diastole der dünnwandigen 
Atrien und des rechten Ventrikels erleichtert werden. Es wird 
aber durch die Inspiration der Lungenkreislauf selbst gefördert, 
da auch die Lungenvenen weiter werden, ihr Druck also sinkt, 
und somit auch das Blut aus den Lungenkapillaren, die ja unter 
viel höherem Druck stehen, nämlich unter dem in den Alveolen 
herrschenden Atmosphärendruck, leicht in sie abfliessen und in 
den lioken Vorhof gelangen kann. Es wird aber auch schliess¬ 
lich neben dem intrapulmonalen auch der intrakardiale Kreislauf 
durch das Ansteigen des negativen Drucks begünstigt. Denn die 
Vena magna cordis, die ihr Blut durch den Koronarvenensinus 
direkt in den rechten Vorhof entleert, liegt in einer Länge von 
etwa 4—5 cm an der hinteren Wand des Herzens zwischen linkem 
Vorhof und linker Kammer gleichsam frei im Thorax; sie ist 
daher dem Zuge des negativen Drucks ausserordentlich zugäng¬ 
lich und wird da9 gesammelte Herzvenenblut um so leichter ent¬ 
leeren, d. h. das Gefälle im Herzen selbst wird eine Steigerung 
erfahren können. 

Wenn wir jetzt aber erwägen, dass zwar während der In¬ 
spiration die Diastole der einzelnen' Herzkammern gefördert, ihre 
Systole aber durch den Zug, der auf ihre Wandungen ausgeübt 
wird, erschwert wird, dass umgekehrt bei der Exspiration die Kon¬ 
traktionen des Herzens erleichtert, sein Diastole aber nicht uner¬ 
heblich beeinträchtigt wird, so wurde ja schliesslich jede folgende 
Ausatmung, wie dies schon Bäu ml er betont hat, die Vorteile, 
die dem Kreislauf durch die Einatmung erwachsen sind, illusorisch 
machen. So drängt sich bei dieser Betrachtung das Problem auf, 
das schon Donders sehr intensiv beschäftigt bat, welche Kräfte 
es denn schliesslich sind, die der Druckkraft des Herzens das 
Uebergewicht über die Saugkraft der Lungen verleihen. Lässt 
sich diese Frage heute so wenig wie zur Zeit von Donders in 
allen ihren Details präzise beantworten, und müssen wir uns 
auch summarisch mit der Tatsache abfinden, dass unter dem Ein¬ 
fluss der Respiration auf die intrathorakalen Organe ein Plus von 
Energie für die Triebkraft des Herzens erzielt wird, so liegt doch 
der Gedanke nahe, dass gerade dem rechten Vorhof ein erheb¬ 
licher Anteil an dieser Aufgabe zufallen muss, dass sich hier, 
wie dies Otto Müller in Budapest in einer ausgezeichneten 
Darstellung des Themas Nasenatmung und Herzfunktion, die vor 
kurzem erschienen ist, in sehr bezeichnender Weise geschildert 
bat, die Umschlagsteile zwischen Saugkraft der Lungen und 
Pumpkraft des Herzens befindet. Eine Fülle von Einrichtungen, 
eine Anhäufung hochwichtiger Gewebe innerhalb des rechten Vor¬ 
hofs bis zur Atrioventrikulargrenze scheinen dieser seiner Funktion 
zu Hilfe zu kommen. So finden wir am Sinus, also schon am 
Uebergang der Vena cava superior in das rechte Atrium, den 
Keith-Flack’schen Knoten, das primäre Zentrum für die Bildung 
der Herzreize, weiter abwärts am Koronarvenensinus den Tawara- 
Knoten und das His’sche Bündel, die Organe für die Fortleitung 
des Reizes und in den Biddert’schen, Ludwig’schen und Remak- 
schen Ganglien die Zentren für die Regulierung der Herzbewegung. 

Wenden wir uns nunmehr wiederum unserem engeren Thema 
zu, so ist es einleuchtend, dass der Effekt der Saugkraft der 
Lunge für die Zirkulation dann am grössten sein wird, wenn die 
Nasenatmung frei ist. Wird sie dagegen behindert, so dass der 
eintretenden Luft noch mehr Widersände in den Weg gelegt 
werden, so muss die Inspiration, falls nicht an ihre Stelle eine 
rein orale Atmnng tritt, mit allerdings noch weit grösseren Un¬ 
zuträglichkeiten und schädlichen Folgen für das Herz, langsamer 
und vertiefter werden. Da hierdurch aber der negative Druck 
im Thorax um so mehr ansteigt, so muss sich in dem rechten 
Herzen bei dem so verminderten Druck, unter den es für längere 
Zeit zu stehen kommt, falls es sich nicht gerade um sehr wider¬ 
standsfähige Organe handelt, immer mehr, worauf auch schon 
Donders vor 70 Jahren hingewiesen bat, die Tendenz zur Dila¬ 
tation geltend machen. Natürlich wird hiermit unter der jahre¬ 
langen Einwirkung dieses Einflusses eine allmähliche Abnahme 
der elastischen Eigenschaften des Herzmuskels verbunden sein, 
und kein geringerer als Ehrenfried Albrecbt hat in seiner 
Arbeit über die Atmungsreaktion des Herzens gerade das Ver¬ 
halten der rechten Kammer auf der Höhe der Inspiration, d. h. 
ob sie mehr oder weniger hierbei wandständig wird, als Prüf¬ 
stein für die Funktionstüchtigkeit dieses Herzabschnittes aufge¬ 
fasst. In wie weit aber auch ferner durch diesen gesteigerten 
negativen Druck während der verlängerten Inspiration die Systole 
des rechten Herzens und sein KontraktionsvermÖgen beeinträchtigt 


werden, soll hier nur angedeutet sein. Wir müssen uns nur ver¬ 
gegenwärtigen, dass ein solcher Dilatationsprozess sich nicht etwa 
in Kürze abspielt, sondern für seine Entwicklung lange Zeit, oft 
mehrere Jahre beansprucht, und die Verbreiterung der rechten 
Herzkammer von uns doch erst dann festgestellt wird, wenn der 
Patient wegen seiner subjektiven Beschwerden, wie Schwäche¬ 
zustände, Atemnot, Symptome, die doch erst ziemlich spät sich 
einstellen, unsern Rat einholt. 

Nun ist es im allgemeinen nicht leicht, eine Vergrösserung 
des rechten Herzens, wenn sie nicht schon erheblich ist, per¬ 
kutorisch nachzuweisen. In sehr vielen Fällen zeigt nämlich das 
Herz bei beginnender Vergrösserung der rechten Kammer die 
Tendenz, sich nach links hin au9zudehnen. Vielleicht darf ich 
gera'de bei dieser Gelegenheit einer allgemeinen Beobachtung Er¬ 
wähnung tun, dass mit wenigen Ausnahmen, wenn eine totale, 
nicht zu beträchtliche Vergrösserung des Herzens Vorgelegen hatte 
und es durch Behandlung gelungen war, die Erweiterung zur 
Rückbildung zu bringen, diese Reduktion des Umfanges sich im 
Röntgenbilde fast immer nur durch eine Veränderung des linken 
Herzrandes dokumentierte, der dann nach innen gerückt war, 
während die rechten Herzgrenzen, unverrückt geblieben waren. 
Dieselbe Erfahrung konnte ich auch an Herzen machen, deren 
Grössen Verhältnisse sich im Laufe der Jahre geändert hatten und 
die zu kontrollieren mir nur in langen Zwischenräumen Gelegenheit 
geboten war. E9 will mir scheinen, als ob eine Ausdehnung der 
rechten Herzkammer nach rechts dadurch verhindert wird, dass 
die beiden Venae cavae gleichsam wie starke Taue das rechte 
Herz verankert festhalten. 

Aber auch röntgoskopisch ist eine nur mässige Vergrösse¬ 
rung des rechten Herzens nicht leicht festzustellen, da bei der 
üblichen dorsoventralen Durchleuchtung das rechte Herz in seinem 
eigenen Schatten liegt, seine Konturen daher kaum erkannt 
werden können. Denn links wird es vom linken Ventrikel, rechts 
vom rechten Vorhof und unten vom Diaphragma begrenzt. Tritt 
eine nennenswerte Vergrösserung der rechten Kammer ein, so 
wird die rechte Spitze des Herzens meist blasenförmig vorge¬ 
trieben. Besteht aber die Vermutung, die noch durch andere 
bald zu besprechende klinische Symptome nahegelegt wird, dass 
eine wenn auch nur geringfügige Grössenzunahme der rechten 
Kammer vorliegen könnte, so empfiehlt es sich, entweder den 
Magen durch ein Gas aufzublähen, man sieht dann die breitere 
und tiefer herabreichende Kontur des rechten Herzens sich deut¬ 
licher abheben, oder aber den Patienten nach den Angaben von 
Vaquez und Bondet in der Weise zu durchleuchten, dass der 
zu Untersuchende dem Beobachter den Rücken zuwendet mit dem 
Gesicht nach der Röntgenröhre. Lässt man in dieser Stellung 
den Patienten sich um seine Achse von rechts nach links drehen, 
so erscheint bei normal grossen Herzen schon bei einem Drehungs¬ 
winkel von 80° das hintere Mediastinalfeld hell. Liegt dagegen 
eine Vergrösserung der rechten Kammer besonders mit einer Zu¬ 
nahme des sagittalen Durchmessers des Herzens vor, so wird 
das Mediastinum posticum erst bei einem Winkel von etwa 40 bis 
50° durchsichtig. Bei ganz erheblich vergrösserten Herzen wird 
der hintere Mediastinalraum überhaupt nur bei rein frontaler 
Durchleuchtung aufgehellt. Aus eigener Erfahrung möchte ich 
angeben, dass die Vaquez 1 sehe Methode uns wohl in einzelnen 
Fällen der Diagnose einer rechtsseitigen Vergrösserung des Herzens 
näher bringt, uns aber im Stich lässt, wenn es sich nur um eine 
geringfügige Erweiterung bei an und für sich kleinem Herzen 
handelt. 

Es fragt sich nun, welche anderen objektiven klinischen 
Symptome durch die Entwicklung einer rechtsseitigen Dilatation 
bei behinderter Nasenatmung zum Ausdruck kommen. Wie ich 
schon oben auseinandergesetzt habe, muss bei Verlegung der 
Nasenwege die Inspiration vertiefter werden und durch die Ver¬ 
längerung der Diastole ein minder leistungsfähiges Herz allmäh¬ 
lich dilatieren; aus demselben Grunde muss aber die Systole er¬ 
schwert und das Kontraktionsvermögen des Herzens beeinträchtigt 
werden. Mögen sich auch diese schädigenden Einflüsse auf den 
Kreislauf anfangs weniger geltend machen, so werden sie doch 
bei jahrelang bestehender Atmnngsbehinderung, besonders wenn 
allmählich auch der elastische Zug der Lungen weniger wirksam 
wird, um so grösser. Denn ^normalerweise steht die Spannung 
innerhalb der Alveolen im umgekehrten Verhältnis zu ihren 
Elastizitätsleistungen. Sind diese sehr hoch, wie bei jugendlichen 
Individuen, so wird bei der Inspiration, bei der die elastische 
Ausdehnung am höchsten isi» die Spannung innerhalb der Alveolen, 
also der intraalveolare Druck sehr gering, folglich auch die 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Pression, die die Lungen auf die intrathorakalen Organe aus¬ 
üben, verhältnismässig niedrig sein, während bei der Exspiration, 
bei der der Widerstand der Alveolarwände an und für sich ge¬ 
ringer wird, der Druck auf die ausserhalb der Lungen befind¬ 
lichen Teile im Brustkorb höher ist. Hat nun bei lang bestehender 
Atmungsbehinderung die Elastizität, der Tonus der Lungen über¬ 
haupt gelitten, sind die Alveolarwäode also unnachgiebiger ge¬ 
worden, so leidet nicht nur ihre Aspirationsfähigkeit, sondern auch 
der intrapulmonale Druck wird auch während der Inspiration 
nicht mehr so gering werden können, wie bei erhaltener Dehn¬ 
barkeit der Lungen. Es werden sich daher hier die gleichen Ver¬ 
hältnisse entwickeln müssen wiebeiden Deformitäten der Wirbelsäule, 
den Pleuraadhäsionen, bei dem Volumen Pulmonum auctum und 
dem Emphysem. Wie bei diesen Erkrankungen belasten Auch 
bei anormaler Respiration infolge Verlegung der Nasengänge die 
Lungen infolge des Verlustes ihrer Elastizität und dem hierdurch 
bedingten hohen intrapulmonalen Druck die Herzwand; die Dia¬ 
stole kann jetzt nicht mehr den früheren Umfang erreichen, und 
das Herz wird infolgedessen nicht mehr genügend Blut aus den 
Venen schöpfen können. Durch diesen veränderten Zufiass muss 
das Schlagvolumen der rechten Kammer abnehmen; es gelangt 
jetzt zu wenig Blut in den linken Ventrikel, und daher muss der 
Aortendruck in allen jenen Fällen von einfacher Dilatation der 
rechten Kammer sinken, deren Genese aus einem anormalen 
Atmungsmechanismus ich oben entwickelt habe. Gerade dieser 
mindere arterielle Blutdruck, den ich besonders bei jüngeren 
Individuen, aber auch bei älteren bei einem ziemlich grossen 
Beobachtungsmaterial, in 2 / s aller Fälle von rechtsseitiger Dila¬ 
tation, feststellen konnte, darf als charakteristisches Vorzeichen 
einer Affektion der rechten Kammer gelten, auch dann, wenn 
sich ihre Erweiterung nicht ohne weiteres hat nach weisen lassen 
und kann als klinischer Ausdruck dafür angesehen werden, dass 
eine der Komponenten, die für eine normale Atmung in Betracht 
kommen, in ihrer Funktion gestört ist. 

Dass natürlich auch andere ferner liegende Momente wie 
Vasomotorenschwäche, vor allem das Tropfenherz, aber auch 
sonst pathologische Veränderungen des linken Ventrikels, Myokard- 
schwäche usw. ätiologisch für einen niederen Blutdruck in Be¬ 
tracht kommen könne, bedarf wohl kaum der Erwähnung, ge¬ 
hören aber nicht in den Rahmen dieser Betrachtung. 

Als zweites wichtiges klinisches Symptom einer Erweiterung 
der rechten Kammer, ganz besonders wenn sie durch eine gestörte 
Nasenatmung bedingt war, habe ich oft genug, und zwar 36 mal 
unter 80 Fällen, also doch nicht so häufig wie den niederen 
Blutdruck, eine auffallende Herabsetzung der Herzfrequenz beob¬ 
achten können. Während eine mässige Bradykardie in vorgerücktem 
Alter eine fast alltägliche Erfahrung ist, muss eine niedere 
Frequenz von etwa 48—54 in der Minute bei jugendlichen Indi¬ 
viduen, ohne dass Leitungsstörungen vorhanden sind, den Ver¬ 
dacht nahe legen, dass rechtes Atrium und rechter Ventrikel in 
ihrer Funktion gestört sind; und wenn von einzelnen Beobachtern 
bei Kriegsteilnehmern eine Herzinsuffizienz mit gleichzeitiger Ver¬ 
langsamung der Pulse festgestellt wurde ohne sonstigen Nachweis 
von Herzveränderungen oder zentral bedingter Bradykardie, so 
liegt der Gedanke nahe, bei diesen Kranken eine Erweiterung 
oder sonst eine Affektion des rechten Atriums und der rechten 
Kammer infolge von Ueberanstrengung zu vermuten. 

, Die Ursachen dieser verlangsamten Frequenz sind nicht mit 
Sicherheit zu eruieren, lassen sich zum mindesten nicht wie die 
Dilatation in gleicher Weise aus dem pathogenetischen Verlauf 
des Leidens erschliessen. Ob diese Bradykardien myokarditiscber 
Natur, oder ob sie auf Vagasreizung zurückzuführen sind, lässt 
sich mitunter nur an der Hand des Einzelfalles beurteilen. Bereits 
1914 habe ich gelegentlich einer Diskussion im Verein für innere 
Medizin auf diese Pulsverlangsamung bei vorübergehenden Schwäche¬ 
zuständen des rechten Herzens, aber auch bei Dilatationen infolge 
behinderter Nasenatmung hingewiesen und für letztere Fälle die 
Vermutung einer Vaguserregung reflektorischer Natur auf der 
Basis des Trigeminus ausgesprochen. Es lag nahe, nach dem 
Vorgang von Dehio durch den Atropinversuch sich Klarheit zu 
verschaffen, ob die Bradykardien myogener oder neurogener Natur 
waren. Tatsächlich hat in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle 
eine Vaguserregung Vorgelegen, da nach der Atropininjektion die 
Frequenz von 50 auf 78 gestiegen* war. Bei einzelnen Patienten 
dagegen, und zwar auch bei Personen in jüngeren Jahren, blieb 
trotz der Atropininjektion die Bradykardie bestehen. Doch möchte 
ich hieraus noch keinen Schluss auf eine vorliegende Myokard¬ 
affektion ziehen, einmal, da ich selbst in Kontrollversuchen bei aas¬ 


gesprochener arteriosklerotischer Myokarditis und Koronarsklerose 
bei älteren Leuten mit bestehender Bradykardie diese durch 
Atropin beseitiget) konnte, dann aber, weil Schott vor kurzem 
über 3 Fälle von Bradykardie bei Kriegsteilnehmern mit Ver¬ 
letzung des Halsmarks berichtet bat, die durch Atropininjektionen 
absolut unbeeinflusst blieb, obwohl hier doch lediglich eine Vagus¬ 
reizung als Ursache der Pulsverlangsamung in Betracht kommen 
konnte. So bedarf gerade dieser Punkt noch besonderer Auf¬ 
klärung. 

Gehören somit, wie wir gesehen haben, ein niederer Blut¬ 
druck zu den klinischen Erscheinungen einer rechtsseitigen Dila¬ 
tation und eine zugleich auftretende Bradykardie zu den be¬ 
sonderen Eigentümlichkeiten einer Erweiterung der rechten Kammer 
und des rechten Vorhofs infolge behinderter Nasenatmung, so 
machen wir nicht selten doch auch bei diesen Krankheitsfällen 
die entgegengesetzte Beobachtung. 

Die Ursache dieser verschiedenen Erscheinungen dürfte darin 
zu suchen sein, dass die Erweiterung des rechten Herzens nicht 
immer ein in sich abgeschlossenes Krankheitsbild darstellt. Wenn 
ein Thyreoidisimus, um nur ein Beispiel anzuführen, sich gleich¬ 
zeitig etabliert hat, dann steigen Blutdruck und Frequenz. Und 
gerade bei dem Empbysematiker in den vierziger Jahren kann 
man oft genug beobachten, dass der frühere niedere Blutdruck 
höher wird, da sich jetzt das Herannahen der Arteriosklerose 
bemerkbar macht, und es dürfte mit zu den interessantesten Studien 
in der Pathologie des Kreislaufs gehören, diesen gleichsam ant¬ 
agonistischen Kampf zwischen den Affektionen im arteriellen Ge¬ 
biet und denen des pulmornalen Systems um die Hegemonie 
des Blutdrucks zu verfolgen. 


Beitrag zur Ruhrschutzimpfung. 

Von 

Dr. Kalle, landsturmpflichtiger Arzt, zurzeit im Felde. 

Die spezifische Prophylaxe der Dysenterie ist bisher in 
nennenswertem Maasse in der Praxis nicht zur Anwendung gelangt. 
In der Hauptsache war dies die Folge des Mangels eines brauch¬ 
baren multivalenten Impfstoffes von ausreichender Wirksamkeit 
und Erträglichkeit. Denn noch bis in die allerletzte Zeit hatte 
man entsprechend der Warnung Kruse’s u. a. von der Applikation 
eines Impfstoffes aus echten Ruhrbazillen wegen ihrer hochtoxischen 
Wirkung und andererseits von der Verwendung eines monovalenten 
Pseudodysenterievakzins wegen der mangelnden Wirksamkeit 
unter den im Kriege vorliegenden Verhältnissen mit ihrer Vielheit 
an Rnhrerregern Abstand genommen. Erst durch die Unter¬ 
suchungen Boehncke’s ist ein theoretisch wohl begründeter und, 
wie die nunmehr vorliegenden zahlreichen Erfahrungen lehren, 
praktisch ohne Bedenken anwendbarer polyvalenter bazillär- 
toxisch-an ti toxischer Ruhrimpfstoff in die Seuchenbekämpfung ein¬ 
geführt. 

Die Ruhrschutzimpfung bedeutet aber einen um so grösseren 
Fortschritt in der Bekämpfung der Ruhr, als die rein hygienische 
Prophylaxe infolge der Eigenart der Weiterverbreitung der Ruhr 
besonders unter den schwierigen Verhältnissen des Krieges viel¬ 
fach versagt hat. Die Ruhrschutzimpfungen sind mindestens 
ebenso zu bewerten wie die Typhus- und Choleraimpfungen. Der 
Misserfolg der rein hygienischen Maassnahmen ist meines Erachtens 
wenigstens zum grössten Teile durch die Art, wie der Ruhrbazillus 
weiter verbreitet wird, bedingt. Sicher erscheint mir jedenfalls, 
dass keine andere Infektionskrankheit nach Abklingen und Heilung 
zur Heranbildung von Dauerausscheidern so viel Anlass gibt, wie 
die toxische Ruhr. 

Da im Sommer 1917 an verschiedenen Stellen des Verwaltungs¬ 
gebietes von L. gehäuftere Ruhrerkrankungen zur Meldung ge¬ 
langten, wurde ausser den bekannten hygienischen Bekämpfungs¬ 
maassnahmen auch ein Versuch mit der Schutzimpfung in grösserem 
Maassstabe gemacht. 

Grössere Mengen Dysbakta standen von August an zur Ver¬ 
fügung, also zu einer Zeit, da die Ruhr ihren Höhepunkt erreicht 
hatte, so dass die grösste Mehrzahl aller Impfungen sogenannte 
Umgebungsimpfungen waren, d. h. die Schutzimpfung der noch 
Gesunden setzte erst nach Ausbruch der Ruhr ein. Bei etwa 
Yb aller Impfungen kann man von eigentlicher prophylaktischer 
Impfung sprechen, und zwar bei denjenigen in Krankenhäusern, 
Irrenanstalten, Dirnenkrankenhäusern, Gefängnissen und bei den 


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17. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


669 


Militärpersonen der Militärverwaltung. In allen diesen Fällen 
waren nicht Rahrerkrankaogen in der Umgebung, sondern rein 
prophylaktische Erwägungen der Grund zu den Imptungen. Gerade 
durch diese letzteren konnten wertvolle Erfahrungen gesammelt 
nnd Schlösse betreffs der Wirksamkeit der Schutzimpfung gezogen 
werden. 

Für die Impftechnik seien folgende zu beachtende Winke 
gegeben: Der Boehncke’sche Impfstoff wird kühl aufbewahrt 
und vor dem Aufziehen mit der Spritze tüchtig umgeschüttelt. 
Als Injektionsstelle ist die Gegend des Ansatzes der ersten Rippe 
am Brustbein zu empfehlen, und zwar aus folgenden Gründen: 
Es hat sich gezeigt, dass die lokalen wie allgemeinen Impf- 
reaktionen um so heftiger werden, je tiefer subkutan der Impf¬ 
stoff injiziert wird. Wird gar die Faszie des ßrustmuskels getroffen, 
so kaon es zu erheblichen örtlichen Störungen kommen, wie 
starken Schmerzen, Schwellung, Behinderung in der Bewegung 
des Armes der geimpften Seite. Dementsprechend sind die 
Allgemeinreaktionen, die sich in Krankheitsgefühl, stärkerem 
Kopfschmerz und hohen Temperaturen äussern. Um derartige 
Untälle, die also nicht dem Impfmittel, sondern der Technik zur 
Last fallen, zu vermeiden, ist dringend zu raten, als Impfstelle 
die obengenannte zu wählen und ferner nicht subkutan, sondern, 
sofern es die äusseren Verhältnisse gestatten, intrakutan zu 
spritzen, eine Technik, wie sie wohl allen Aerzten durch die 
Schleich’sche Infiltrationsmethode geläufig ist. Selbstverständlich 
ist die Impfarbeit dann schwieriger und zeitraubender, wird aber 
voll aufgewogen durch die sehr milden allgemeinen und lokalen 
Reaktionen, die ihren Grund in einer langsamereu Resorption 
des Dysbakta haben. Zugleich vermeidet man auf diese Weise 
bei weiblichen, erwachsenen Impflingen ein Injizieren in die 
Drösensubstanz der Mamma, wovor nicht eindringlich genug ge¬ 
warnt werden kann. Die Einstichstelle muss selbstverständlich 
— am besten durch einen kleinen Jodanstrich — desinfiziert werden. 

Weitere Vorsichtsmaassregeln sind bei den Umgebungsschutz- 
impfungen dahin zu treffen, dass nach Möglichkeit Personen im 
Inkubationsstadium sorgfältig ausgesondert werden. Analog der 
Typhusschutzimpfung vermag die Dysbaktainjektion noch latente 
Ruhr schnell und stürmisch zum Ausbruch zu bringen. Es hat 
den Anschein, dass Personen, die bald nach der ersten Impfung 
erkrankten, ei ne schwere Erkrankung durchzumachen haben, während 
die Erkrankungen nach der zweiten oder dritten Impfung 
zwar stürmisch eiosetzen, aber bald in mildere Form übergehen 
und auch schneller zur Genesung neigen als die ungeimpfter 
Patienten. Ueber Fälle letzterer Art verfüge ich mehrere. Ueberall 
handelte es sich um Umgebungsschutzimptungen von Zivilpersonen, 
die zweizeitig geimpft werden mussten, da schnell grosse Mengen 
gefährdeter Menschen geschützt werden sollten. Aus letzterem 
Grunde war es auch nicht möglich, bei jedem Impfling vor der 
Injektion die Temperatur zu messen. Es empfiehlt sich, alle 
Personen, die über Kopfschmerz, Leibweh, Unbehagen oder Durch¬ 
fall klagen, streng von der Schutzimpfung' auszuschliessen und 
hierin sich nicht zu enge Grenzen zu stecken. Wir müssen uns 
bewusst sein, dass wir mit einem ganz neuen Mittel arbeiten, 
dem wir genaueste Indikation in Anwendung und Technik schuldig 
sind, um nicht zu fehlerhaften Schlüssen zu kommen. Es wird 
bei Massenimpfungen zwar immer Vorkommen, dass Personen in 
der Inkubationszeit namentlich mit der ersten Injektion versehen 
werden, wenn noch gar kein subjektives Krankheitsgefühl vor¬ 
handen ist. 

Nach anderen Beobachtern scheinen Frauen, die zurzeit der 
Menstruation geimpft werden, stärker zu reagieren. Ich selbst 
konnte derartige Beobachtungen nicht machen, obwohl ich mehrere 
menstruierende Frauen geimpft habe. Da jedoch bei Anwendung 
eines neuen Mittels ganz besonders sorgfältig jedmögliche Schädi¬ 
gung zu vermeiden ist, ist es aus diesem Grunde besser, 
menstruierende Frauen nicht der Schutzimpfung zu unterwerfen. 

Ein Unterschied in der Impfreaktion scheint weder durch 
das Geschlecht noch durch das Alter der Impflinge bedingt zu 
sein. Kinder unter vier Jahren sollen nach der Gebrauchsan¬ 
weisung nicht geimpft werden und solche bis zu zwölf Jahren 
nur mit der halben Dosis. Selbstverständlich muss auch hier 
individualisiert werden, je nach der Köperkonstitution des Impf¬ 
lings; manchen Fünfzehnjährigen wird man behandeln müssen wie 
einen solchen unter zwölf Jahren und auch wieder bisweilen um¬ 
gekehrt 

Wenn irgend angängig, empfiehlt es sich, die Schutzimpfung 
am Nachmittage vorzunehmen, damit evtl. Reaktionen Zeit haben, 
in den Feierabend- und Nachtstunden abzukiingen. 


Bei subkutanen Impfungen treten zunächst und am frühesten 
lokale Schmerzen an der lojektionsstelle auf. Mitunter habe ich 
beim zweiten Impftermin ein kleines, noch leicht schmerzhaftes 
Infiltrat der Impfstelle gesehen, das vielleicht durch den Karbol¬ 
säuregehalt des Impfstoffes verursacht ist. Tiefe subkutane In¬ 
jektionen, besonders solche, die die Faszie oder gar den Brust¬ 
muskel treffen, verursachen, wie schon oben erwähnt, heftige 
Lokalerscheinungen, die dazu führen können, dass der Gebrauch 
des Armes der geimpften Seite auf einige Zeit unmöglich wird. 
Diese Uufälle sind nicht dem Impfstoff, sondern mangelnder 
Impftechnik zuzuschreiben, genau so, wie bei unsachmässiger 
Impfung mit Cholera- bzw. Typbusimpfstoff. Ich kenne einen 
Fall, der zweimal mit Ruhrimpfstoff geimpft wurde, und bei dem 
jedesmal eine leichte Parese des Armes der geimpften Seite ent¬ 
stand, die nach wenigen Tagen wieder vorüberging. Dieser Mann 
hätte natürlich von der zweiten Impfung auf jeden Fall aus¬ 
geschlossen werden müssen. 

Das Bild der allgemeinen Impfreaktion ist mannigfach. Leichtes 
Unbehagen, sich bis zum Krankheitsgefühl bisweilen steigernd, 
Kopfschmerzen, Schwindel, Temperaturanstiege von 37,6 bis an 
40 Grad. Man kann rechnen, dass etwa 4 bis 5 pCt. aller Impf¬ 
linge lokal oder allgemein reagieren, wenn man gezwungen ist, 
zweizeitig oder subkutan zu impfen. Bei dreizeitiger subkutaner 
Impfung fällt der Prozentsatz nicht unerheblich, um bei intra¬ 
kutaner dreizeitiger Impfung fast den Höhepunkt zu erreichen. 
Ich habe bei Impfungen an Soldaten — die Hälfte wurde subkutan, 
die andere intrakutan dreizeitig geimpft — nicht einen Fall ge¬ 
habt, der so reagiert hätte, dass er für einen Tag arbeitsunfähig 
geworden wäre. Einige seltenere Allgemeinreaktionen sind: Leib¬ 
sohmerzen, Erbrechen, kurz andauernde Durfälle, Schüttelfrost. 
Ich selbst hatte 4 Fälle von Schüttelfrost zu verzeichnen; der¬ 
selbe trat wenige Stunden nach der Impfung auf und war eher 
mit einem kleinschlägigen Tumor, der den ganzen Körper er¬ 
schütterte, zu vergleichen, als mit dem charakteristischen Schütteln 
durch Frostgefühl. Die Körperwärme betrug während und nach 
dem Schütteln in keinem Falle über 88 Grad. Einmal wurde 
nach der dritten Impfung bei einem herzkranken Impfling Dyspnoe 
beobachtet. Abszesse an der Impfstelle wurden niemals gesehen. 

Ebenso wie die Typhus- und Choleraschutzimpfung keinen 
absoluten Schutz gegen eine spätere Erkrankung gewährt, können 
auch nach durchgeführter Ruhrschutzimpfung Ruhrerkrankungen 
Vorkommen. Unverkennbar jedoch erscheinen sie durch die Schutz¬ 
impfung in ihrer Häufigkeit ganz bedeutend herabgedrückt, ln 
unserem Verwaltungsgebiete wurden zahlreiche Personen gegen 
Ruhr schutzgeimpft. Weitaus der grösste Teil (etwa 6 /e der Ge¬ 
samtimpfungen) betraf Umgebungsschutzimpfungen in der Zivil¬ 
bevölkerung. Von den Geimpften erkrankten später an leichter 
Ruhr 0,3 pCt., an schwerer Ruhr 0,12 pCt., 2 Personen — 0,07 pCt. 
starben. Die Erkrankungen traten 1—14 Tagen nach der Imptung 
auf, am häufigsten am 4.-6. Tage. */• der Impfungen betraf 
prophylaktische Impfungen bei Militärpersonen, von denen nach 
der Impfung 0,05. pCt. schwerer und 0,18 pCt. leicht erkrankten; 
Todesfälle keine. Die prophylaktischen Impfungen beim Militär 
wurden sämtlich dreizeitig ausgeführt, die Umgebungsimpfungen 
in der Zivilbevölkerung in überwiegender Mehrzahl zweizeitig, 
weil von den Impflingen, die wir in der Impfceit grösstenteils 
mit Landarbeiten nicht wenig zu tun hatten, ein öfteres Erscheinen 
zu den Impfungen nicht zu erreichen gewesen wäre. 

Das Intervall 'zwischen den einzelnen Impfungen betrug 5 
bzw. 7 Tage. Bei den dreizeitigen Impfungen genügt der fünf¬ 
tägige Zwischenraum, bei den zweizeitigen Impfungen wird ein 
7 tägiges Intervall meistens eingehalten werden können, um ein 
vollsändiges Abklingen der Impfreaktionen zu erreichen. Die 
Dosierung ist folgende: bei der ersten Impfung 0,5 ccm, bei der 
zweiten 1,0 ccm, bei der dritten 1,5 ccm. Impft man zweizeitig, 
so werden 1 bzw. 2 ccm injiziert. Kinder von 4—14 Jahren er¬ 
halten die halben Dosen. Die Haltbarkeit des Impfstoffes bei 
sachgemässer, kühler und dunkler Lagerung scheint der des 
Cholera- und Typhusimpfstoffes zu entsprehen, ist danach keine 
unbeschränkte. Ueber die nähere Zusammensetzung des Dysbakta- 
impfstoffes hat Boehncke in Nr. 41 der M. Kl. 1917 und Nr. 6 
der B.kl.W. 1918 eingehend berichtet. 

Ein endgültiges und feststehendes Urteil über die Wirksam¬ 
keit der spezifischen Ruhrschutzimpfung nach Boehncke zu 
fällen, ist z. Zt. schwierig, da die Impfungen zumeist erst im 
August einsetzten, als die Ruhr sich ihrem Höhepunkt näherte. 
Erschwert wird eine sichere Beurteilung ferner noch dadurch, 
dass, wie bereits oben erwähnt, B /e der Gesamtimpfungen Um- 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr« 24. 


gebangsimpfungen betrafen, also nicht immer eine rechtzeitige 
prophylaktische Wirkung ausüben konnten. Trotzdem herrscht 
bei allen Impfärzten unseres Bezirkes die Ansicht vor, dass nach 
Beendigung der Schutzimpfungen in den betreffenden Bezirken 
epidemisch auftretende Erkrankungen zum schnellen Stillstand 
zu kommen schienen, und dass die gemachtenten Erfahrungen 
unbedingt ermutigen, im Jahre 1918 schon frühzeitig mit der 
spezifischen Dysbaktaprophylaxe zu beginnen. Weiter erhellt 
durch einen Vergleich der Sterblichkeitsziffern, dass der Ruhr 
durch die Schutzimpfung ein grosser Teil ihrer Bösartigkeit ge¬ 
nommen war, und dass nach durcbgeführter Schutzimpfung über¬ 
wiegend leichtere Erkrankungen zur Beobachtung gelangten. Das 
Herabgehen der Morbidität und der Sturz der Mortalität kann 
kein blinder Zufall sein, sondern muss der Wirkung der spezi¬ 
fischen Impfung gutgeschrieben werden. 

Ein Beispiel eigener Erfahrung sei noch angeführt: In einem 
mir unterstellten Krankenhaus der Verwaltung, in dem vorwiegend 
Patienten mit chronischer Knochentuberkulose Aufnahme finden, 
wurden Personal und Kranke mit 2 Ausnahmen prophylaktisch 
ohne besondere Erscheinungen geimpft. Die zur Impfzeit be¬ 
urlaubte deutsche Schwester wurde erst später nach ihrer Rück¬ 
kehr geimpft, zu gleicher Zeit auch der Desinfektor des Kranken¬ 
hauses. Von der Gesamtzahl der Patienten erkrankten plötzlich 
die beiden ungeimpften Personen, sowie die in der Impfung be¬ 
findliche deutsche Schwester und der Desinfektor. Bei letzterem 
traten die Krankheitserscheinungen sehr stürmisch nach der 
2. Impfung auf, nahmen aber schnell mildere Formen an; nach 
10 Tagen Genesung. Die Schwester erkrankte 10 Stunden nach 
der ersten Einspritzung sehr schwer und machte ein 12 wöchiges 
Krankenlager durch. Die beiden anderen Fälle verliefen mittel¬ 
schwer. Die Infektionsquelle konnte aufgeklärt werden; es stellte 
sich nämlich heraus, dass der Sohn der Köchin an schwerer, 
schliesslich tödlich endender Ruhr erkrankt war. Um ihre Stelle 
nicht zu verlieren, verheimlichte die Köchin die Erkrankung ihres 
Sohnes und besorgte seine Pflege, sobald ihre Tagesarbeit im 
Krankenhause beendet war. Von ihr stammte sicher die Infektion 
der Schwester, durch die sie auf die beiden Ungeimpften und 
höchstwahrscheinlich auch auf den Desinfektor übertragen wurde. 
Bei letzterem war der Impfschutz noch nicht völlig entwickelt, 
bei der Schwester verkürzte die Einspritzung die Inkubationszeit 
und brachte die Ruhr zum Ausbruch. Von sämtlichen übrigen 
durchgeimpften Insassen des Krankenhauses erkrankte kein 
einziger. 

Zum Schlüsse noch einige Worte über die Dauer des Impf¬ 
schutzes. Es war von vornherein bei der Eigentümlichkeit der 
Ruhrimmunität nicht mit einer übermässig langen Schutzwirkung 
zu rechnen. Um einen kleinen Anhaltspunkt zu gewinnen, habe 
ich 27a Monate nach durchgeführter Impfung Blutproben von 
drei geimpften Personen entnommen und serologisch auf den 
Agglutinationstiter untersuchen lassen. Derselbe war zweimal 
positiv für Shiga-Kruse-Bazillen in der Höhe von 1:100, einmal 
in der Verbindung 1 : 60. Die Folgerung ist, dass der Impf¬ 
schutz mindestens 27a Monate anhält, wahrscheinlich aber länger. 
Ferner resultiert, dass die spezifische Prophylaxe mit Dysbacta- 
Boehncke rechtzeitig, aber auch nicht zu früh einsetzen muss. 
Der geeignete Zeitpunkt für die Durchführung der Impfung wäre 
etwa Mitte Mai bis Mitte Juni. 

Zusammenfassend komme ich zu folgendem Urteil: 

1. Die rein hygienische Prophylaxe versagt bei einer Epidemie 
von toxischer Ruhr. Die Schuld trägt nicht die hygienische Maass- 
nahme, sondern die Eigenart der Verbreitung des Ruhrerregers. 

2. Die spezifische Prophylaxe in Form der rein prophy¬ 
laktischen, wie auch der Umgebungsimpfung mit Dysbacta- 
Boehncke vermag einer Epidemie vorzubeugen bzw. diese ein¬ 
zudämmen. 

8. Die Impfung mit Dysbacta, unter den oben angegebenen 
Vorsichtsmaassregeln ausgeführt, ist ungefährlich, und zeitigt im 
allgemeinen keine stärkeren Reaktionen als die Typhusschutz¬ 
impfung. 

4. Die Ruhrsofautzimpfungen müssen etwa Ende Mai beginnen 
und in der Hauptsache bis Mitte Juli beendet sein, der voraussicht¬ 
liche Impfschutz dauert nach meinen Beobachtungen mindestens 
über 27a Monate an. 


Kasuistische Beiträge zu den nervösen Störungen 
bei Pappatacifieber und Malaria. 

Von 

Dr. A. Blmeathal-Beriin, 

zurzeit Stabs- und Regimentsarzt, 

' Sowohl das Pappatacifieber wie die Malaria machen gelegentlich 
nervöse Störungen, die vermutlich als Intoxikationen aufzulassen sind. 
Vielfach bestehen dieselben in allgemeinen Erscheinungen. Es koihmt 
zu Delirien, Krämpfen, allgemein meningitischen Reizsymptomen, Bewusst¬ 
losigkeit, Geistesstörungen; es können aber auch lokalisierte nervöse 
Störungen hervorgerufen werden, z. B. Augenstörungen durch Netzhaut¬ 
blutungen oder Neuritis optica, wie sie Fülleborn bei der Malaria 
tropica erwähnt. Im folgenden möchte ich einige Beobachtungen mü- 
teilen, welche ich auf einer Hals-, Nasen-, Obrenstation zu machen Gelegen¬ 
heit hatte. Zunächst seien 5 Beobachtungen beschrieben, die ich an 
Patienten mit überstandenem Pappatacifieber gemacht habe. 

Fall I: H. N., 47 Jahre alt, ist angeblich früher nie ohrenleidend 
gewesen und hat gut gehört Am 3. VL 1916 erkrankte er an Pappataci, 
das 8 Tage anhieit. Die Krankheit verlief ohne besondere Störungen, 
bis sich nach Abklingen des Fiebers reohts eine Schwerhörigkeit bemerkbar 
machte. Dieselbe nahm sehr schnell zu. Patient war nach einigen Tagen, 
fast völlig taub. Links war das Gehör zunächst gut geblieben, bis es 
sioh auch dort deutlich verschlechterte. Dann hellte es sich rechts etwas 
auf. Die Hörfähigkeit hatte schliesslich auf beiden Ohren denselben Grad 
erreicht und blieb nun die nächsten 2 Monate auf demselben Punkte 
stehen. Der Ohrbefund war am Tage der Untersuchung (19. IX.) 
folgendermaassen: Trommelfell ist beiderseits normal. Die Höriähigkeit 
beträgt auf beiden Ohren 1,5 m Flüstersprache. Rinne ist beiderseits 
positiv. Die Perzeption der Stimmgabelsohwingungen c 5 ist stark herab¬ 
gesetzt. Da keine Gleichgewichtsstörungen aulgetreten waren, Patient 
auch jetzt keinen spontanen Nystagmus hatte, wurde von einer Prüfung 
des Vestibularis abgesehen. 

Es handelt sich im vorliegenden Falle nm eine Neuritis toxica der 
Hörfasern des N. acustious,. die sich im Anschluss an Pappatacifieber 
entwiokelt und zu einer wesentliohen Versohleohterung des Gehörs ge¬ 
führt hat. 

Fall II: K. G., 39 Jahre alt, ist angeblioh früher stets gesund gewesen, 
ist seit 2 Jahren im Kriege und hat bis jetzt auf beiden Ohren gut gehört. 
Zwischen 8. und 10. Vlll. erkrankte er an Pappataci. Sofort nach 
der Erkrankung, am 11. V11L, bekam er starkes Sausen in beiden Ohren 
und wurde schwerhörig. Zwwischen 24. und 28. Vlll. erkrankte er an 
einem Pappatacirezidiv, das keine merklichen weiteren Veränderungen 
seines Gehörs hervorrief. Das Gehör blieb beiderseits herabgesetzt. 
Schwindel und Gleichgewichtsstörungen hat er nicht gehabt. Ohrbefmnd: 
Trommelfell ist reohtsseitig normal. Im linken Hörgang befindet sich 
eine erbsengrosse Exostose, welche an der hinteren Gehörgangswand ein 
kleines Druckgeschwür hervorgerufen hat. Das Trommelfell ist links 
nicht zu sehen. Die Hörfähigkeit ist rechts: Flüsterspraohe 1 m, links 
0,3 m. Rinne ist beiderseits positiv, Weber zum linken Ohre. Die 
Hörfähigkeit für hohe Töne ist beiderseits ausserordentlich herabgesetzt. 
Es handelt sieb auch hier um eine Schwerhörigkeit nervöser Natur, für 
deren Entstehung ein Neuritis toxica des N. acustious angenommen 
werden muss. Wenn auch die kleine Exostose im hinteren Gehörgang 
eine Versohleohterung des Gehörs links bedingt, so ist die Schwerhörig¬ 
keit doch im wesentlichen eine ausgesprochen nervöse and muss nach 
der Vorgeschichte ohne Zweifel auf das Pappatacifieber zurückgeführt 
werden. Jodkali bewirkte, keine Besserung. 

Fall 111: E. S., 27 Jahre alt, hat angeblich früher, im Jahre 1910, 
einen neurasthenisch melancholischen Anfall gehabt und ist dann längere 
Zeit in nervenärztlioher Behandlung gewesen. Ende Augnst 1916 er¬ 
krankte er an Pappataci. Nach wenigen Tagen verschlechterte sioh 
beiderseits das Gehör auffallend. Gleichzeitig bemerkte Patient, dass 
er sehr sohleoht die Schallrichtung angeben konnte. Fast zur selben 
Zeit, einige Tage später, verlor sich der Geschmack, auch die Wärme¬ 
empfindung am Körper war beeinträchtigt. Patient hatte für warm and kalt 
kein scharfes Gefühl mehr. Das Gehör besserte sieh naoh der Krankheit 
schnell, ebenfalls das Scballlokalisationsvermögen und die Wärme- 
empfindung. Der Gesohmaok stellte sich auch in kurzer Zeit wieder ein. 
Ende September waren keine deutlichen organischen Störungen mehr nach- 
zuweisen. Der Ohr befand ergab normale Verhältnisse. Patient litt jedoch 
stark unter neurasthenischen Angstgefühlen, welohe sioh im Anschluss 
an das Pappatacifieber eingestellt hatten, und wurde in die Heimat ab¬ 
transportiert. Naoh den geschilderten Beschwerden, für die sieh keine 
organische Basis mehr nachweisen liess, und nach der Art der Entstehung 
hatte das Pappatacifieber hier bei einem neuropathisohen Individuum eine 
Neuritis des Acusticus und Glossopharyngeus ausgelöst, denen sioh nenr- 
asthenisohe Symptome zugesellten. Während die organischen Nerven¬ 
störungen schnell verschwanden, trat die Neurasthenie kräftig hervor, be¬ 
herrschte sohliesslioh das Krankheitsbild und blieb als einziges Residuum 
zurück. 

Fall IV: A. B., 23 Jahre alt, ist angeblich früher nie ernstlich krank 
gewesen. Zwischen 12. und 15. V1IL erkrankte er an Pappatacifieber. 
Am 2. Tage der Krankheit trat völliger Verlust des Geschmackes ein. 
Es wurde nichts dem Geschmack naoh unterschieden. Nachdem der 
Geschmack 8 Tage völlig fortgeblieben war, stellte er Mob allmählich 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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wieder ein und war nach 8 Tagen rollig zurückgekehrt. Patient berichtet, 
dass sämtliche Kameraden (Offiziere) seiner Formation, welche an Pappataci 
erkrankten, ansnahmslos für einige Tage den Geschmack verloren and 
ihn dann wiederbekamen. Aach hier hat es sich fraglos am eine aas¬ 
gesprochene, wenn aaoh schnell verschwindende Störung des N. glosso- 
pharyngeus gehandelt. 

Fall V: H. L., 88 Jahre alt, ist angeblich früher gesund gewesen. 
Anfang Augost erkrankte er an Pappataci, welches 6 Tage anhielt Schon 
in den ersten Tagen, später noch mehr, bemerkte Patient, dass er beim 
Gehen mit dem rechten Fasse am Boden hängen blieb. Dieser Zustand 
hatte sich bis Mitte September in keiner Weise gebessert. Zurzeit 
besteht fast völlige Lähmung der Fassheber rechts. Die Sensibilität 
am Unterschenkel und auf dem Fassrüoken ist stark herabgesetzt. 
Patient hat auch subjektiv an der Aassenseite des reohten Unterschenkels 
und auf dem Fassrücken aassen ein taubes Gefühl. Das Bild der 
Peroneaslähmung ist ausgesprochen. Sonstige nervöse Symptome fehlten 
bei dem gesund aussehenden Manne völlig. Die Lähmung hat sich un¬ 
mittelbar im Anschluss an das Pappatacifieber entwickelt und muss daher 
mangels anderer ätiologischer Momente zweifellos auf diese Erkrankung 
zurüokgeführt werden. Ueber den weiteren Verlauf lässt sich nichts sagen. 
Es sind seit dem Beginn der Erkrankung bis zum Abschluss der Beob¬ 
achtung 7 Woohen verflossen. Eine Besserung ist nicht eingetreten. 

Es folgen nun 8 Beobachtungen bei Malariakranken. 

Fall Vit F. N., 28 Jahre alt, ist angeblich früher gesund gewesen. 
Anfang September erkrankte Patient an Malaria tropica und wurde nach 
Sicherstellung der Diagnose mit reichlichen Gbiningaben behandelt. Die 
Fieberkurve war unregelmässig. Patient klagte über ausserordentlioh 
heftige Kopfschmerzen allgemeiner Natur ohne besondere Lokalisation. 
Das Bewusstsein war klar. Bestimmte meningitische Symptome bestanden 
nicht. Nach etwa 12 Tagen sah er beim Blick nach rechts doppelt. 
Der rechte Augapfel blieb beim Blick nach rechts zurück. Die übrigen 
Bewegungen der Bulbi waren normal. Es handelte sioh demnach um 
eine rechtsseitige Abducenslähmung, welche sich offenbar auf Grund der 
Malaria tropica entwickelt hatte. Da ich den Patient nicht bis zur 
Genesung beobachtete, kann ich über den weiteren Verlauf der Lähmung 
niohts sagen. 

Fall VII: 0. K., 27 Jahre alt, ist angeblich früher gesund gewesen. 
Am 27. VIII. erkrankte er an Malaria tertiana. Nach 8 Tagen verlor er 
die Sprache vollständig. Er hörte und verstand alles, konnte auch 
schriftlich über alles Auskunft geben, war aber unfähig zu sprechen. 
Die so entstandene Hörstummheit versetzte den intelligenten Menschen 
in eine hochgradige Erregung, die sioh auf psychische Beruhigung etwas 
legte. Sonstige nervöse Störungen bestanden nioht. Patient wurde ab¬ 
transportiert und konnte daher von mir nioht weiter beobachtet werden. 

Fall VIII: P. S., 84 Jahre alt, gibt an, früher nioht ernstlich krank 
gewesen zu sein und immer gut gesprochen zu haben. Am, 19. VIII. 
erkrankte er an Malaria tertiana. Am 5. IX. erkrankte er ohne besondere 
Veranlassung an Heiserkeit. Die Untersuchung des Kehlkopfes ergab 
Lähmung der Stimmbandadduktoren rechts. Bei dem Fehlen sonstiger 
ätiologischer Momente und dem Auftreten der Lähmung im Anschluss an 
die Malaria tertiana muss die Lähmung auf die Malaria zurüokgeführt werden. 

Es ist klar, dass die beobachteten Fälle die nervösen Störungen 
bei Malaria und Pappataci bei weitem nicht erschöpfen. Aber angesichts 
der Bedeutung, welche die beiden Erkrankungen durch den Krieg mehr 
noch als früher für uns gewonnen haben, muss die Kasuistik dauernd 
ergänzt werden. Die beschriebenen Fälle weisen darauf hin, dass die 
Beobachtung des Nervenstatus bei diesen Erkrankungen ausserordentlich 
wichtig ist. Therapeutisch handelt es sich, abgesehen von der bekannten 
Ghinintherapie bei Malaria, um möglichst schnelle Erkennung der Krankheit, 
Vermeidung von Erregungen und Sorge für Ruhe, bis das Krankheitsvirus 
vollständig überwunden ist und der Körper sich bei Erschöpfungs¬ 
zuständen erholt hat. Statt Aspirin bei Pappataci, das ungünstig auf den 
N. aousticus einwirken kann, wird man mit Rüoksicht auf die beschriebenen 
Hörstörungen besser Pyramidon und ähnliche Präparate geben. 


Die strafrechtliche Begutachtung der Soldaten 
im Felde 1 ). 

Von 

Stabsarzt d. R. Dr. Max Krfill-Düsseldorf. 

Seitdem zu Beginn des neuen Jahrhunderts die naturwissenschaft¬ 
liche Weltanschauung immer mehr an Bedeutung gewonnen, haben die 
einzelnen Spezialdisziplinen der medizinischen Wissenschaft in immer 
steigendem Maasse Fühlung und Annäherung gesucht an die Wissens¬ 
gebiete, welche nioht rein naturwissenschaftlichem Boden entstammen. 
Am weitesten gegangen ist in dieser Beziehung die Psychiatrie, die mit 
der Theologie, der Pädagogik und Philosophie schon viel Gemeinsames, 
den folgenschwersten Schritt aber in der Annäherung an die Strafreohts- 
lehre getan hat. 

Die Psyche der Angeklagten wurde immer mehr Gegenstand ein¬ 
gehenden Studiums, damit gewann die ärztliche Gütachtertätigkeit ein 


1) Vortrag, gehalten am 14. November 1917 vor den Aerzten und 
Geriohtso fff zieren der .... Division. 


neues, aber auch um so schwierigeres Gebiet, da es hiess Stellung zu 
nehmen zu dem Begriff der «Zurechnungsfähigkeit 8 , einem Begriff, der 
sich in die rein ärztliche Betrachtungsweise nie ganz einfügen will. 

Wie bei den bürgerlichen Gerichten, so hat auoh bei der militäri- * 
sehen Rechtsprechung die Begutachtung des Geisteszustandes der Ange¬ 
klagten in den letzten Jahren ständig an Beachtung und Bedeutung 
gewonnen. Die anfangs weit verbreitete Ansicht juristischer Kreise, als 
ob die Gutachter danach strebten, möglichst viele Delinquenten durch 
Unzureohnnngsfähigkeitserklärung dem Gericht zu entreissen, ist heute 
durch die allgemein sehr kleine Zahl von Exkulpierungen längst widerlegt. 

Erst relativ spät ist die Heeresverwaltung dazu übergegangen, ihre 
aktiven Militärärzte in dieser Spezialdisziplin ausbilden zu lassen, wie 
sie es bei den andern Sonderfachern bereits seit langem getan hatte. 
Die zur Beobachtung auf geistige Erkrankung so nötigen Spezial - 
abteilungen sind sogar erst wenige Jahre vor Kriegsausbruch bei 
grösseren Garnisonlazaretten eingerichtet worden. Bis dahin wurden 
auch militärische Beobachtungskranke den nächstgelegenen Irrenkliniken 
zugeführt, sofern die Verhältnisse es erforderten. 

Ich möchte Sie nun zunäohst ganz kurz mit den wichtigsten Be¬ 
stimmungen des Materiellen und formellen Strafrechts bekannt machen. 
Aus dem bürgerlichen Reicbsstrafgesetzbuch ist der Paragraph 51 durch 
das Militärstrafgesetzbuoh übernommen. Da er für die Begutachtung 
ausschlaggebend, darf ich ihn wohl in Wortlaut anführen: 

«Eine strafbare Handlung ist nioht vorhanden, wenn der Täter sioh 
zur Zeit der Begehung der Tat in einem Zustande von Bewusstlosigkeit 
oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, duroh den seine 
frei Willensbestimmnng ausgeschlossen war.“ 

Ueber die Zuziehung der Sachverständigen enthält die Militärstraf¬ 
gerichtsordnung in den Paragraphen 208—218 eingehende Bestimmungen. 
Die Auswahl und Ernennung eines oder mehrerer Sachverständiger ist 
in die Hand des Geriohtsherrn gelegt, der nach pfliohtgemässem Be¬ 
finden diese ernennt. 

Den Sachverständigen ist die Beschaffung der Unterlagen für ihre 
Gutachten in weitgehendstem Maasse erleichtert. Nach Paragraph 216 
ist ihnen erlaubt, den Angeklagten, sowie auoh Zeugen selber zu. ver¬ 
nehmen, der Vernehmung des Delinquenten und der Zeugen duroh den 
Untersuchungsrichter beizuwohnen und unmittelbar Fragen zu stellen. 
Selbstverständlich stehen auoh die gesamten Akten der Einsicht frei. 

Sehr wertvoll ist endlioh der Paragraph 217, nach welchem zwecks 
Abfassung eines Gutachtens über den Geisteszustand die Einweisung 
eines zu Beobachtenden in eine Irrenanstalt oder Spezial Station eines 
Lazaretts bis zur Gesamtdauer von 6 Wochen erfolgen kann. Es ist 
eine solche Beobachtung wohl in den meisten Fällen angezeigt, da sioh 
nur sehr selten nach einmaliger Untersuchung ein abschliessendes Urteil 
abgeben lässt, bei Geisteskrankheiten, die periodisch mit normalen 
Intervallen verlaufen, überhaupt unmöglich erscheint. 

Gegenüber Friedenszeiten hat sioh naturgemäss die Anzahl der zu 
begutachtenden Soldaten beträchtlich gesteigert. Es ist dies durch die 
lange Dauer des Weltkrieges, duroh das Aushalten in den 'allen Un¬ 
bilden der Witterung ausgesetzten Schützengräben, und nicht zuletzt 
durch die entnervende Wirkung der modernen Kampfwaffen, speziell des 
tagelangen Trommelfeuers, wohl hinreichend erklärt. 

Ferner muss man bedenken, welche Massenfaeere in diesem Völker¬ 
ringen aufgeboten sind. Allerdings werden auch heute nooh speziell die 
psychisch labilen Existenzen meist ausgemerzt, ehe sie in die Front 
kommen, da die Ausbildungszeit in der Heimat und den Feldrekruten¬ 
depots schon früh ihre Untauglicbkeit erweisen dürfte. 

Während man zu Beginn des Feldzuges alle auf ihren Geisteszustand 
gemäss Paragraph 51 zu beobachtenden Soldaten den Heimatslazaretten 
zdwies — es war dies schon durch die wenig stationären Verhältnisse der 
Lazarette zurzeit des Bewegungskrieges bedingt —, legen die Kriegsgerichte 
jetzt immer mehr Wert darauf, dass die einschlägigen Fälle möglichst 
nahe der Front untersucht werden. Einmal wird dadurch die Rechts¬ 
pflege enorm erleichtert und beschleunigt, dann hat dies aber auch für 
den Gutachter Vorteile. Er kann die Angeklagten meist rasch nach der 
Tat sehen, er kann die Zeugen selber vernehmen, ohne viel Zeitverlust 
noch weitere über den bisherigen Geisteszustand der Beschuldigten beim 
Truppenteil ausfindig machen lassen. Andererseits ist nicht zu ver¬ 
kennen. dass Erhebungen aus der Heimat über das Vorleben wieder 
zeitraubender, manche Untersuchungsmethoden der modernen Psychiatrie 
schwer ausführbar sind. In den meisten Fällen wird man diese aber 
auch entbehren können, Wassermann und die Nonne'sohe Liquor¬ 
untersuchung auf Syphilis lassen sioh heute zudem in jedem Etappen¬ 
laboratorium anstellen. Bei Vornahme ddr Lumbalpunktion ist zu be¬ 
denken, dass man dazu die Einwilligung des zu Untersuchenden nötig 
hat, da diese, als immerhin nioht ganz indifferenter Eingriff, sonst straf¬ 
bar ist. 

Ich möchte Ihnen nun in folgendem eine kleine Uebersioht geben 
über die Fälle, die seit nunmehr Jahresfrist von Seiten unseres Divisiona- 
Kriegsoeriobtes der strafrechtlichen Begutachtung zugeführt wurden. 
Mein Material besteht bi9 heute aus über 85 Gutachten. Die Dauer der 
Beobachtung im Einzelfall — sie fand in den Feldlazaretten statt— 
erstreckte sioh meist auf 2-—3, selten bis 6 Wochen. Die betreffenden 
Soldaten wurden auf die Waobstation des Lazarettes aufgenoramen, ein¬ 
mal um eventuellen Fluchtversuchen vorzubeugen, dann konnten sie 
dort, ohne dass es ihnen selber zum Bewusstsein kam, vom Waohtpersonal 
mitbeobachtet werden. Es finden sioh unter den Sanitätsunteroffizieren 
oder Krankenwärtern immer Leute, die als Wärter von Irrenanstalten 


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672 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


- ■ .jj, . . . „ . ..— 

im Beobaohten besonders ausgebildet sind. Es Hessen sich durch diese 
zuveilen für die Begutachtung wertvolle Einzelheiten feststellen. Die 
Betreffenden müssen dann später natürlich als Zeugen vereidigt werden. 

Unter den zu Begutachtenden fanden sich wenig Soldaten mit einer 
ausgesprochenen Geisteskrankheit, da solche wohl gleich von den Truppen¬ 
ärzten sohon einer Irrenabteilung überwiesen wurden. Dann konnte ich 
auch keinen Fall ermitteln, dessen geistige Erkrankung einzig und allein 
dem Kriege zur Last zu legen wäre. Auf der letzten Versammlung des 
Vereins für Psychiatrie in München wurde auoh nochmals einstimmig 
der Ansicht Ausdruck verliehen, dass es eine sogenannte „Kriegspsychose* 
nioht gäbe. „Durch die nunmehr dreijährige Kriegserfahrung ist fest¬ 
gestellt, dass die Strapazen des Krieges, z. B. die Erschöpfung, zur Ent¬ 
stehung psychischer Krankheiten äusserst wenig beitragen. Dass die 
Anforderungen des Kriegsdienstes die Kräfte in einerWeise in Anspruch 
nehmen, die weit über das hinausgeht, was man für möglich gehalten 
— man denke nur an die Biesenmärsche ohne ausreichende Nahrung und 
Sohlaf bei dem Vormarsch in Belgien, in Russland und Rumänien —, 
ist nioht zu bezweifeln, aber gerade zu dieser Zeit haben auch schwäch¬ 
liche Menschen, darunter recht viele nervöse, allen Strapazen stand¬ 
gehalten, ohne zusammenzubreohen, ein Beweis, wie sehr psychische Er¬ 
lebnisse, die Begeisterung und Freude über den Erfolg, überwiegen 
gegenüber den Schädigungen der Ueberanstrengung.* Aus meiner Zeit 
als Truppenarzt — Sie alle werden mir das bestätigen können — ist 
mir nooh erinnerlich, wie relativ rasch eine abgekämpfte Truppe in der 
Ruhe die alte Lebensfrische und Leistungsfähigkeit wieder gewinnen kann. 

Bei allen Fällen geistiger Erkrankung, die im Kriege bei der Truppe 
zum Ausbruch kamen, ist der Feldzug eben nur als das *« auslösende 
Moment zu betrachten. Diese Individuen wären auch zu Friedenszeiten 
über kurz oder lang geisteskrank geworden, nur wäre der Ausbruch der 
Erkrankung an ein anderes Moment, etwa einen grossen Schreck, einen 
Unglücksfall oder dergleichen geknüpft gewesen. Es verhält sich mit 
den Geisteskrankheiten ähnlich wie mit körperlichen Leiden. Die Dis¬ 
position, die Veranlagung dazu muss im Körper vorhanden sein; ein 
geistig normal veranlagter Mensch kann nicht infolge äusserlicher Ur¬ 
sachen — Syphilis und Alkoholabusus sind natürlich auszunehmen — 
geisteskrank werden. 

Wenden wir uns nun den beobachteten Fällen zu. Unter den 85 
waren bei 9, das ist 25,7 pCt., die Vorbedingungen des § 51 gegeben, 
bei 12 weiteren, also 84,2 pCt, wurde eine verminderte Zurechnungs¬ 
fähigkeit angenommen, 18 endlich oder 87 pCt. führten zu einer glatten 
Ablehnung des § 51, und 1 Fall wurde, als ungenügend.'geklärt, einem 
Heimatlazarett überwiesen. 

Die Gutachten lassen sich nun je naoh der Art der Vergehen in 
8 Gruppen einteilen. Die 1. Abteilung umfasst die Straftaten gegen die 
Disziplin, die 2. die wegen Feigheit , vor dem Feinde angeklagten Sol¬ 
daten, und die letzte Gruppe enthält die Fälle von unerlaubter Ent¬ 
fernung und Fahnenflucht. 

Betrachten wir nun zunächst die Gutachten, welche die Fälle Von 
Vergehen gegen die militärische Disziplin umfassen. n Es handelte sich 
dabei um die verschiedensten Formen, bisweilen auoh unter Kompli¬ 
kationen, Achtungsverletzungen, Beleidigungen, Gehorsamsverweigerungen, 
Bedrohungen usw. Diese Delikte nehmen auoh schon zu Friedenszeiten 
einen breiten Raum ein, zumal bei ihnen der Alkohol eine manchmal 
entscheidende Rolle spielt. Segensreich wirkte da zu Kriegsausbruch 
das erlassene Alkohol verbot während der Mobilmachung, das die Krimi¬ 
nalität sicher ganz bedeutend vermindert hat. * 

Bei 5 meiner Fälle — im ganzen fallen 12 Gutachten in v das Gebiet 
der Disziplinvergehen — geschah die Straftat unter Alkoholeinwirkung. 
Im ersten Fall liess sich ein pathologischer Rauschzustand naohweisen. 
Der Beschuldigte hatte mit grösster„Wahrscheinlichkeit im. Augenblicke 
der Tat einen Anfall von Delirium tremens gehabt, sich dabei an seinem 
Leutnant vergriffen, ihn sogar mit dem Revolver bedroht. Aus den 
Zeugenaussagen liess sich fast einwandsfrei feststellen, dass Sinnes¬ 
täuschungen Vorgelegen haben mussten. Der Angeklagte gab selber zu, 
früher sohon einmal das Delirium gehabt zu haben. Am Tage der Tat 
habe er reichlich Alkohol genossen, angeblich aus Gram über die Absage 
seiner Braut. 

Erhebungen aus der Heimat bestätigten seine Angaben, er ent¬ 
stammte einer notorischen Säuferfamilie, war selber als Trunkenbold 
bekannt. Während der Lazarettbeobachtung waren die Zeichen chroni¬ 
schen Alkoholismus, wie kleinsohlägiger Hand-Lidtremor, Unsicherheit 
der Bewegungen, aufgeregtes Wesen, Unsicherheit beim Schreiben und 
morgentliches Erbrechen nooh nachweisbar. Dem Angeklagten musste 
der § 51 restlos zugebilligt werden. 

In einem weiteren Falle handelte es sich um eine Alkoholparanoia, 
einen alkoholischen Verfolgungswahnsinn. Infolge dauernden Alkohol¬ 
missbrauches war der Betreffende sohon im Frieden als krankhaft er¬ 
kannt und gemieden. Er glaubte sich von einem Kameraden verfolgt 
und bei den Vorgesetzten angeschwärzt. Naoh vorausgegangener Trunken¬ 
heit griff er dann seinen vermeintlichen Gegner an. Die Beobachtung 
konnte paranoide Wahnideen nachweisen. Der Mann wurde freigesproohen 
und sofort das Dienstunbrauchbarkeitsverfahren eingeleitet. 

Ein Pionier, der sich bis dahin ganz tadellos geführt, beleidigte vor 
versammelter Kompagnie seinen Feldwebel und warf ihm Feigheit vor. 
Der Täter hatte tags zuvor nach langem, anstrengendem Marsche einen 
halben Liter Schnaps der sohleohtesten Sorte, sowie mehrere Gläser Bier 
getrunken, er musste nach den Erhebungen auoh am anderen Morgen 
noch als angetrunken angesehen werden. Als weitere Faktoren die eine 


krankhafte Geistesverfassung wahrscheinlich erscheinen Hessen, waren der 
enorm reduzierte Ernährungszustand infolge einer bestehenden Lungen¬ 
schwindsucht und häusliche Sorgen anzunehmen. Das Gericht nahm ein 
„non liquet* hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit an und erkannte in 
diesem Falle, obwohl der § 51 nach dem Gutachten nicht anzunehmen 
war, nach dem Grundsatz: „in dubio pro reo* auf Freispruch. 

Zwei weitere Fälle endlich, die im Moment der Tat auoh sicher 
unter Alkoholeinwirkung gestanden, mussten als verantwortlich begut¬ 
achtet werden. Es wurde aber der Zustand als beim Bemessen der 
Strafe ins Gewicht fallend dargestellt. Dabei muss ich bemerken, 
Trunkenheit gibt einen Schuldausschliessungsgrund naoh Militärstraf¬ 
recht, wie auch nach dem bürgerlichen Strafrecht nur dann, wenn sie 
als sinnlos bezeichnet werden kann. Im' Gegensatz zum bürgerlichen 
Strafrecht darf sie nicht zur Begründung eines besonderen Strafmilde¬ 
rungsgrundes herangezogen werden (§ 49, II, M.St.G.B.). 

Einen ausserordentlich schwierigen Punkt in der Begutachtung bildet 
der pathologische Affekt. Es kann dabei der Alkohol abermals eine 
Rolle spielen, ein früher erlittenes Hirntrauma und sicherlich auch die 
psychische Einwirkung langfristiger Fronttätigkeit. Der dauernde Auf¬ 
enthalt in der Gefahrzone des Schützengrabens, häufiges Mitmachen von 
Sturmangriffen, Patrouillen, das Trommelfeuer, nicht zuletzt auch die 
Gasangriffe, bei diesen sind sogar ausgesprochene Erregungszustände 
beobachtet worden, dies alles sind Faktoren, die in forensischer Be¬ 
ziehung in ihrer Bedeutung auf das Gesamtnervensystem Berücksichtigung 
verdienen. 

Ich konnte bei drei Soldaten, die seit Kriegsbeginn dauernd als 
Infanteristen im Graben gewesen, naohweisen, dass sie ihre strafbaren 
Handlungen — es handelte sich um Achtungsverletzung, einmal um 
Beleidigung und im dritten Fall um Gehorsamsverweigerung — sicher 
in einem Affektzustande begangen haben mussten, alle waren nie be¬ 
straft, batten sich dauernd tadellos geführt und als sehr tapfer bewiesen. 
Es war bei ihnen eine hochgradige Nervosität mit gesteigerten Reflexen, 
Dermographie und Handzittern festzustellen. Die Vorgesetzten selber 
batten den Zustand ausdrücklich als krankhaft angesehen. Das Urteil 
war natürlich äusserst erschwert und konnte auch nur'auf Wahrschein¬ 
lichkeit abgegeben werden, da in der Beobaohtungszeit ein soloher Er¬ 
regungszustand nicht auslösbar war. 

Viel Interesse bietet ferner ein Armierungssoldat, der im Frieden 
als Chemiker tätig war. Er hatte seinen Korporalschaftsführer vor ver¬ 
sammelter Mannschaft schwer beleidigt. Mehrere Zeugen batten sich 
dahin ausgesprochen, dass sie den Beschuldigten für krank hielten, da 
er auoh mit den Kameraden bei den geringsten Anlässen in Streit geriet. 
Genauere Anhaltspunkte vermochte aber keiner anzugeben. Wegen 
Neurasthenie war der Mann im Jahre 1915 bereits von der Truppe 
wegen ähnlicher Delikte zum Armierungsbataillon versetzt worden. 
Die körperliche Untersuchung ergab auch jetzt wieder alle Anzeiohen 
einer hochgradigen Neurasthenie,- ausserdem war trotz Negierens jeglicher 
Geschlechtskrankheit der Wassermann als sehr stark positiv an Zusehen. 
Das gleiche Resultat war bereits vorJahresfrist festgestellt. Auffallend 
war das gehobene Selbstbewusstsein des Angeklagten, die völlige Ver¬ 
ständnislosigkeit für Disziplin und militärische Unterordnung. Er er¬ 
klärte offen heraus, dass er bei ähnlichen Anlässen genau wieder so 
handeln werde. Ein Intelligenzdefekt, Gedäohtnis- oder Merkfähigkeits¬ 
störung war nicht festzustellen. Bemerkenswert war das hastige Sprechen, 
wobei die Gesichtsrauskulatur auffallend flackerte, seine Angabe, dass 
der Sexualverkehr in der letzten Zeit infolge Impotenz fast unmöglich 
geworden, die Defäkation lange dauere und erst auf starkes Drücken, 
in seltenen Fällen sogar unfreiwillig erfolgt sei. Ein sicheres Urteil 
liess sich nioht abgeben. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ist aber 
anzunehmen, dass wir es mit-den Vorläufern einer Paralyse einer post¬ 
syphilitischen Gehirnerweichung zu tun haben. Gerade das Flackern 
in der Gesiohtsmuskulatur, das"Wetterleuchten der Paralyse, wie man 
es treffend genannt hat, ist doch zu charakteristisch. Dazu die leichten 
Störungen in der Sexual- und Verdauungssphäre sowie der positive Wasser- 
mann’sohe Blutbefund. Erfabrungsgemäss kann die Gebirnerweiobung 
lange Jahre unter dem Bilde einerfNeurasthenie verlaufen, ohne dass 
man mehr als den Verdacht, dass eine solche einmal ausbreoben kann, 
zu äussern vermag. Der positive Wassermann in derartigen Fällen 
mahnt aber stets zur Vorsicht. 

Ein Gutachten der letzten Zeit war insofern bemerkenswert, als der 
Beschuldigte bereits im Frieden aus dem Heeresdienst wegen moralischer 
Minderwertigkeit entlassen war. Nicht weniger als 12 grössere Vor¬ 
strafen waren in seine Stammrolle eingetragen, als diese nach 8 Kriegs¬ 
jahren einmal aus der Heimat angefordert wurde. Bei Kriegsausbruch 
hatte der Mann sich freiwillig gemeldet, er hatte von dem Gnadenerlass 
des Kaisers gehört, durch den alle Strafen getilgt sein sollten und den 
ganzen Feldzug beim gleiohen Regiment mitgemacht, sich mehrere Aas* 
Zeichnungen erworben, war zum Unteroffizier befördert, und sollte für 
tapferes Verhalten bei der Arrasoffensive sogar mit dem E. K. I. aur 
gezeichnet werden. Aus irgend einem Anlass batte man dann seine 
bis dato auf seine Angaben hin angefertigte Stammrolle berichtigen 
wollen und aus der Heimat erfahren, dass er nicht allein reichlich vor¬ 
bestraft, sondern sogar wegen Fahnenflucht in die II. Klasse des Soldaten¬ 
standes versetzt worden war. Als der Bataillonskommandeur ihm in 
ruhiger Weise, allerdings vor versammelten Offizieren, anlässlich einer 
Uebung sein Vorleben vorhielt, ihm auch versprach, für ihn einzutreten, 
da er sich im Felde so tadellos benommen, legte der Angeklagte sein 
Koppel ab und erklärte: „Nun ist rum, ich tue nichts mehr, dann bin 


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17. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ioh überhaupt kein Soldat mehr; denn ich bin im Frieden D. u. ent¬ 
lassen worden.* Im Untersuchungsgefängnis bekam er beim Erscheinen 
des Geriohtsoffisiers einen derartigen Erregungszustand, dass dieser gar 
keine Verhandlung aufnehmen konnte und schleunigst, um einer tätlichen 
Beleidigung aus dem Wege zu gehen, das Feld räumen musste. Die 
Beobachtung ergab, dass es sich um einen schweren Psychopathen 
handelte, der häufig Erregungszustände bekam. Er wurde auch gegen 
mich mehrfach aggressiv, so dass die Untersuchung sich äusserst schwierig 
gestaltete. Für den Moment seiner Straftat war ein Erregungszustand 
nicht anzunehmen, da er ganz ruhig seine Gruppe verlassen batte, ohne 
weiter Widerworte zu geben. Er erinnerte sich auch jeder Einzelheit 
der Situation und gab seine Aeusserungen offen zu. Da er sich völlig 
im Reoht glaubte, zeigte er gar keine Reue über die gefallenen Redens¬ 
arten. In Anbetracht der krankhaft veranlagten Psyche — ioh werde 
auf diese Eiasse von Mensohen nochmals zurückkommen — wurde er 
als vermindert zurechnungsfähig erklärt und als D. u. für jeden Heeres¬ 
dienst dem Ersatztruppenteil überwiesen. 

Der letzte Fall endlich betraf einen Silberarbeiter, der 1914 schon 
gleich bei der Einziehung zum Heeresdienst zu Kameraden geäussert 
hatte „er gehe nicht in die Front“. Er schützte dann ein Armleiden 
vor, das ohne ersiohtliohe Ursache entstanden sein sollte. Den linken 
Oberarm hielt er stets krampfhaft an die Brust gepresst, während er 
den Unterarm nach allen Richtungen frei bewegen konnte. War diese 
Lokalisation der Erkrankung sohon ungewöhnlich, so ergab die objektive 
Untersuchung keinerlei Befund. Insbesondere war keine Mnskelatrophie 
zu finden, die elektrische Untersuchung der Muskeln und Nerven ergab 
keine Abweichung von der Norm, die Reflexe, Berührungs- und Schmerz¬ 
empfindung waren völlig ungestört Gelang es, den Arm vom Körper ab- 
zubringen, so liess er ihn eine Zeitlang in der neuen Lage, ohne Schmerzen 
zu äussere, erst wenn man ihn darauf aufmerksam machte, dass er 
nach seinen Angaben doch Schmerzen haben müsse, schnellte er 
den Arm, wie durch ein Gummiband in die Ausgangsstellung zurück. 
Zweimal gelang es mir nachts, im Schlafe festzustellen, dass er auf seinem 
Arm liegend ruhte. Auoh beim Aufweoken bewegt« er dann anfangs 
den Arm völlig ungehindert, bis er völlig erwacht, merkte, dass er 
sich verraten hatte und die gewöhnliche Haltung wieder annabm. Später 
schützte er sich gegen derartige Ueberrasohungen, indem er sioh so 
geschickt auf die Decke lagerte, dass ein Bewegen des Armes, ohne dass 
er vorher erwaohte, ausgeschlossen war. Im Lazarett simulierte er noch 
eine Beinlähmung dazu. Er hatte dabei aber nicht bemerkt, dass er 
von mir und mehreren Wärtern zufällig vor der Aufnahme auf der 
Strasse beobachtet worden war, auoh ging er am ersten Tage noch eine 
25 Stufen hohe steile Treppe hinauf, ohne irgendeine Gehstörung, 
sehleppte seitdem aber das linke Bein auffallend nach. Eine Reibe von 
Zeugen seiner Truppe wiesen einwandsfrei nach, dass er sogar Gewehr¬ 
griffe mit seinem Arm gemacht hatte, dass er keinerlei Storung gezeigt, 
als er vorübergehend in einer anderen Kompagnie zum Arbeitsdienst 
herangesogen war. Auch seine früheren Arbeitgeber bezeugten, ent¬ 
gegen seiner Behauptung, dass er stets seinen linken Arm ungehindert 
gebraucht hatte. Sein ganzes Auftreten vor Gericht war so unverschämt 
dumm, dass selbst der Laie zur Ueberzeugung kommen musste, dass es 
sioh um einen groben Schwindler bandelte. Eine hysterische Störung, 
an die man ja auch denken musste, war auszusohliessen, da sich keinerlei 
Anhaltspunkte für diese Erkrankung fanden. Der Simulation für schuldig 
befunden, wurde er schliesslioh mit 4 Jahren Arbeitsbaus bestraft. 
Nach Jahresfrist erreichte er ein Wiederaufnahmeverfahren, er wurde 
erneut begutachtet, aber ebenfalls als Simulant betrachtet. Medizinisch 
von Interesse ist dieser Fall noch insofern, als die Möglichkeit vorliegt, 
dass die ursprünglich simulierte Störung auf die Dauer nach Art der 
Uofallneuro8e zu einer dauernden werden kann, indem sich im Laufe 
der Zeit eine krankhafte Vorstellung bei dem Manne, als wenn er den 
Arm nun wirklich nicht mehr anders gebrauchen könne, entwickeln kann. 

Im Anschluss an diesen Fall ist es wohl angebracht, ganz kurz die 
Simulation zu erörtern. Bei allen zn begutachtenden Fällen muss man 
heutzutage daran denken, dass der Beschuldigte versucht, um straffrei 
auszugehen, eine körperliche oder geistige Erkrankung vorzutäuschen. 
Bei körperlichen Leiden ist dies dank unserer Unfallgesetzgebung sogar 
zu einer wahren Crux medicorum geworden. In D. wurde sogar seiner¬ 
zeit an der Hauptpost, wo allmonatlich die Rentenempfänger ihr Geld 
abholten, eine richtige Simulantenschule entdeckt, wo diese durch ihre 
Unfallprozesse gewitzigten Leute anderen gegen Entgelt gewisse Krankheits- 
zeiohen, z. B. die Ischias Symptome beibraebten. 

Bei den Geisteskrankheiten liegt allerdings die Saohe etwas schwieriger. 
Es ist selbst für den erfahrenen langjährigen Psychiater fast unmöglich, 
eine ausgesprochene Geisteskrankheit auf längere Zeit vorzutäuschen, 
ohne sich dabei eine Blosse zu geben. Es gibt eben bei den meisten 
derartigen Erkrankungen neben den psyohischen Symptomen eine Reibe 
körperlicher Zeichen, die auf die Dauer nicht zu simulieren sind. Ioh 
nenne nur die Flexibilitas cerea, das ist das Verharren in den Gesetzen 
des Schwerpunktes krass zuwiderlaufenden Körperstellungen, die Pupillen, 
.jie Sensibilitätsstörungen, langdauernde Verweigerung jeglicher Nahrungs¬ 
aufnahmen usw. Die Mehrzahl der Soldaten hat ausserdem wenig Ahnung 
von den Geisteskrankheiten, sie müssten denn sohon längere Zeit z. B. 
als Wärter in Irrenanstalten häufig diese Kranken gesehen haben. Das 
sogenannte Wilde Mann-spielen ist meist sehr rasch entlarvt. Die Vor¬ 
täuschung einer Erinnerungslosigkeit an die Straftat wird meist auoh 
sehr ungeschickt gemaoht, dass eine Ueberführung leioht gelingt; denn 
eine partielle Amnesie nur für die Tat selber, während die Erinnerung 


an die Umstände kurz vor und naoh derselben völlig erhalten ist, gibt 
es nicht. Vorgetäuschter Schwachsinn lässt sioh meist schon durch 
Zeugenvernehmen widerlegen, dann kehren dabei immer die gleichen 
Tricks wieder. Beim Rechnen nennt der Simulant immer eine Zahl 
höher oder tiefer, als das richtige Resultat beträgt, er rechnet jetzt die 
Aufgabe falsch, naoh kurzer Zeit völlig richtig usw. Beim Versuch eine 
typische Geisteskrankheit zu kopieren, fehlt sicher das eine oder andere 
charakteristische Zeichen, man braucht dann nur mit einer anderen 
Person den Beschuldigten zu besuchen, dieser den Kranken zu zeigen 
unter Hinweis, dass es sioh um die oder jene Geisteskrankheit handele, 
dass aber zur Sicherung der Diagnose noch dieses oder jenes Zeichen 
erforderlich sei. Mit Sicherheit ist darauf zu rechnen, dass der Simulant 
beim nächsten Besuch das fehlende Symptom naohmaoht. Es würde zu 
weit führen, auf all die kleinen Hilfsmittel einzugehen, die bei der Ent¬ 
larvung in Anwendung kommen, zuweilen ergeben sie sich auch aus der 
Situation selber, so erinnere ich mich noch aus meiner Studienzeit einer 
Vorlesung. Der Professor stellte im Kolleg einen Arbeiter vor, der 
wegen Schlägerei bestraft werden sollte, im Gefängnis den wilden Mann 
gespielt hatte. Er war bereits durch die Beobachtung überführt, der 
Vortragende wollte aber dem Auditorium den Beweis der Simulation 
liefern, so sagte er zum Sohluss, ansoheinend nur zu den Hörern ge¬ 
wandt. Der Mann ist dumm, diese Geisteskrankheit vorzutäuschen. Er 
wäre zu 2—8 Monaten verurteilt worden, während er nun zeitlebens in 
eine Irrenanstalt kommt. Dieses muss dem Beschuldigten denn doch 
wenig erstrebenswert erschienen sein, denn er erklärte darauf: „Herr 
Geheimrat, hätte ich das gleioh gewusst, so hätte ich den ganzen 
Schwindel mit der Geisteskrankheit nicht angestellt.* 

Eine zweite Reihe von Gutachten befasste sich dann mit des 
Vergehens der Feigheit angeklagten Soldaten. Im allgemeinen kommt 
dies Vergehen nicht so häufig vor, wie man erwarten sollte. Es findet 
bei den meisten Menschen, auch oft bei als ängstlioh bekannten, eine 
Anpassung an die neuartigen Verhältnisse und Einflüsse der Feuerzone 
statt. Der Mut verwegener Kameraden, das Gefühl, dass auch andere 
das gleiche Los teilen, reisst die Zaghaften mit, und bald wird die 
dauernde Lebensgefahr zur Gewohnheit und nicht mehr beachtet. Im 
allgemeinen boten diese Gutachten — ioh habe im ganzen sieben Fälle 
dieser Art beobachtet -r- keine Besonderheiten. Eine ausgesprochene 
Geisteskrankheit wurde nie ermittelt, bei zwei Soldaten wurde eine 
psychopathische Veranlagung festgestellt, auf Grund dieser eine ver¬ 
minderte Zurechnungsfähigkeit angenommen, einer wurde wegen Schwach¬ 
sinns exkulpiert, die übrigen vier als geistig gesund und voll verant¬ 
wortlich befunden. Eine; von ihnen hatte versucht, die Kampfgas¬ 
erkrankung als Grund anzuführen. Beim Marsch in die Stellung wollte 
er sich durch Sprung in einen Granattrichter einen frischen Leistenbruch 
zugezogen haben. Als er noch infolge der Schmerzen, unfähig zu gehen 
rastete, sei mit Gasminen geschossen worden. Er habe die Gasmaske 
aufgesetzt, sich dann zum Sanitätsuntsrstand begeben und sei vom 
Bataillonsarzt wegen Gaserkrankung ins Lazarett geschiokt worden. 
Im Lazarett erwähnte er von diesem frischen Leistenbruch auch nicht 
eher etwas, als bis er entlassen werden sollte. Er wollte dann das 
Gericht glauben machen, dass die Beschwerden der Gasvergiftung die 
starken Schmerzen des frisohen Leistenbruches übertönt hätten, so dass 
ihm diese erst nach acht Tagen wieder zum Bewusstsein gekommen 
seien. Der Betrug war zu offensichtlich, da nach Aussage des Stations¬ 
arztes nie der geringste objektive Befund für Gasvergiftung Vorgelegen 
hatte, auf dem Verwundetenkärtchen andererseits gar kein Vermerk über 
einen Leistenbrucb gemacht und die Gasvergiftung auch dort anscheinend 
sohon in Zweifel gezogen war, da er wegen Beschwerden naoh an¬ 
geblicher Gasvergiftung abgesandt wurde. 

Bei einem anderen Falle musste die Begutachtung von einer 
weiteren Beobachtung in der Heimat abhängig gemacht werden, da sich 
zwar einige Anzeiohön einer psyohischen Anomalie zeigten, aber Simulation 
nicht sioher auszusohliessen war. Die über das Vorleben aus der Heimat 
eingezogenen Erhebungen trugen offensichtlich den Stempel einer Ver¬ 
drehung zugunsten des Angeklagten. 

Die Begutachtung der Feigheitsvergehen bietet insofern eine gewisse 
Schwierigkeit, als die lange Kriegsdauer dabei doch in etwas zu berück¬ 
sichtigen ist. Es kommen Fälle vor, wo bis dahin tapfere Soldaten, die 
stets ihre Pflicht getan, plötzlich versagen. Bei der Untersuchung finden 
sich keinerlei Zeichen einer psychischen Anormalität, der Angeklagte 
selber vermag sich über sein Tun keinerlei Rechenschaft zu geben, wenn 
er naohher darüber naohdenkt. Da bringt dann oft eine genaue körperliche 
Untersuchung noch Anhaltspunkte, dass im Moment der Tat vielleicht 
eine gestörte Nervenfunktion Vorgelegen hat, die sich dahin verwerten 
lässt, dass im Augenblick der Tat mit Wahrscheinlichkeit eine Störung 
der freien Willensbestimmung Vorgelegen hat. 

Endlich bleibt uns noch die dritte Gruppe, die unerlaubte Ent¬ 
fernung und die Fahnenflucht. 

Es ist von Wichtigkeit, beide Kategorien streng auseinanderzubalten, 
da das Strafmaass bei der Fahnenflucht weit schärfer und einschneidender 
als bei der unerlaubten Entfernung, diese in der Praxis jetzt meist auch 
nur dann mit Gefängnis bestraft wird, wenn sie über 7 Tage dauerte. 
Infolge der jahrelangen Dauer des Krieges, auoh mit Rücksicht darauf, 
dass manobe Bestimmungen des nun bald 50 Jahre alten M.St.G.B. den 
eigenartigen Verhältnissen dieses Völkerringens nicht mehr entsprechen, 
wurde durch Gesetz vom April 1917 für die Vergehen der erschwerten 
unerlaubten Entfernung, der Fahnenflucht, derWachvergehen im Felde u.a. 
eine Herabsetzung der Mindeststrafen eingeführt. Die Befugnis der 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Np. 24* 


niederen Gerichtsbarkeit der Standgerichte, sowie die Disziplinarstraf- 
gewalt wurden bedeutend erweitert, so dass manobe Straftaten, die 
früher mit Gefängnis bestraft wurden, zum Teil ohne Anrufung des Ge¬ 
richts mit Arreststrafen geahndet werden können. Es ist dies sehr zu 
begrüssen, da bis dahin ein junger Bursche z. B., der auf Posten der 
Uebermüdung erlegen war, gleich so schwer bestraft werden musste, 
dass er für sein ganzes späteres Leben gekennzeichnet war. 

Im Laufe des letzten Jahres wurde bei 13 Soldaten, welche wegen 
Fahnenflucht, resp. wegen unerlaubter Entfernung, vor dem Kriegsgericht 
standen, Zweifel an ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit laut. Das Er¬ 
gebnis der Beobachtung war bei zwei: Epilepsie, bei seohs wurde 
Schwachsinn verschiedensten Grades ermittelt, bei drei Angeklagten 
handelte es sich um psychopathisch veranlagte Persönlichkeiten, und in 
zwei weiteren Fällen wurden ausgesprochene geistige Erkrankungen fest¬ 
gestellt. 

Die wissenschaftlich interessanteste Gruppe der Fortläufer bilden 
zweifellos die Epileptiker. Gerade diese Fälle sind daher auch vielfach 
zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen gemacht worden, was 
für die forensische Fragestellung von grossem Vorteil war. Es ist ihnen 
ja wohl allen bekannt, dass die Epilepsie nioht allein in den typischen 
grossen Krampfanfällen verläuft, sondern auch in schnell vorüber¬ 
gehenden Zuständen von Bewusstlosigkeit, absence, petit mal der Fran¬ 
zosen sich äussern kann, die sich häufig als echte Krampfanfälle an- 
schliessen, aber auch ohne diese völlig selbständig Vorkommen. Io Er¬ 
breiterung des Krankheitsbegriffes reobnet man endlich auch noch Zustände 
langanhaltender Störung des Bewusstseins und nachfolgender Erinnerungs¬ 
losigkeit zur Epilepsie, in denen die Kranken nicht ganz wie Bewusst¬ 
lose bandeln, sondern insoweit dem normalen Menschen gleichen, als sie 
z. B. imstande sind, grosse Wanderungen und Beisen zu machen. 

Dass beute die Erkenntnis, eines wenigstens möglichen Zusammen¬ 
hanges zwischen Epilepsie und Desertion auch in militärische Kreise 
gedrungen, ist das Verdienst von Düms, der in seinem Handbuch der 
Militärkrankheiten auf diesen Zusammenhang hingewiesen und auf der 
78.Versammlung der Naturforscher und Aerzte alle Formen der larvierten 
Epilepsie zusammengestellt und für die Militärgerichte dargelegt hat. 
Die praktische Wirkung ist nicht ausgeblieben, da heute wohl kein Fall 
von epileptischem Dämmerzustand bei Fahnenflucht mehr unter den In¬ 
sassen der Festungsgefängnisse vorgefunden werden dürfte. 

Bei dem einen Fall handelte es sich um einen notorischen Epilep¬ 
tiker, gleichwohl konnte der § 51 zu seiner Entlastung nicht heran¬ 
gezogen werden, da er während der strafbaren Handlung wohl kaum 
einen Dämmerzustand gehabt hatte. Ich habe mich aber für verminderte 
Zurechnungsfähigkeit ausgesprochen, da der Beschuldigte, wie das bei 
der Epilepsie meist beobachtet wird, infolge der Anfälle doch etwas 
schwachsinnig war. 

Im zweiten Falle dagegen liess sich mit ziemlicher Wahrscheinlich¬ 
keit ein Dämmerzustand annehmen. Es war zur Zeit der Sommeoffensive, 
der Angeklagte war morgens, vor dem Marsch in die Stellung, seinen 
Kameraden schon als äusserst sonderbar vorgekommen, er hatte mit 
niemanden gesprochen, keine Nahrung genommen, hatte verstört aus¬ 
gesehen. Beim Abmarsch war er leicht erregt, ging aber auf Zureden 
doch mit. Nach wenigen Minuten rannte er dann plötzlich mit dem 
Kopfe gegen einen Kameraden an, schlug dann, ohne dass der geringste 
Wortwechsel vorausgegangen, auf seinen Vordermann, noch dazu einen 
guten Freund von ihm, mit dem Gewehr ein. Der Festnahme wider¬ 
setzte er sich mit grosser Kraft, als diese endlich erfolgen konnte, wurde 
noch ein seltsam starrer Blick, auch von seinem Kompagnieführer, fest¬ 
gestellt. Sofort wurde vom Bataillonsarzt die Lazarettaufnahme verfügt, 
er entlief dann eines Tages aus diesem und fuhr in seine Heimat, wo 
ihn die Angehörigen dem Ersatzbataillon' znführten. Leider waren im 
Truppenkrankenbuch keinerlei Aufzeichnungen gemacht, der Arzt, als 
die Sache vor das Kriegsgericht kam, versetzt. Der Sanitätsunteroffizier 
wollte etwas von Krampfanfällen gehört haben. Unglücklicherweise 
vermochte auch die Kriegslazarettabteilung keinerlei Angaben zu machen, 
da bei dem damaligen Riesenandrang keine Krankengeschichten angelegt 
worden waren. Der Beschuldigte gab an, die ganzen Vorgänge nur aus 
Erzählungen seiner Kameraden zu kennen, er selber habe sich in einer 
Leiohtkrankenabteilung erst wieder gefunden, ohne zu wissen, wie er 
dahin gelangt sei. Es sei ihm auoh dort nöoh wirr im Kopfe gewesen, 
ihn habe nur der eine Gedanke beherrscht, naoh Hause zu kommen, zu 
Frau und Kind. Dies Streben sei dann eines Tages so mächtig ge¬ 
worden, dass er zum Bahnhof gelaufen. Ueber den weiteren Verlauf 
konnte er keinerlei Angaben machen, erst beim Ersatzbataillon, wohin 
ihn seine Angehörigen gebracht, wollte er das Bewusstsein für seine 
Umgebung wieder erlangt haben. 

Ganz verworren nur schwebten ihm die Erlebnisse während des 
Aufenthalts in der Heimat vor, er vermochte nicht zu unterscheiden, ob 
er sie erlebt oder nur gebäumt batte. Natürlich tauchte der Verdacht 
auf, dass es sich um Simulation handele. Nach den vorausgegangenen, 
von einwandsfreien Zeugen beobachteten Zuständen, sowie den Zeugen¬ 
aussagen der Heimat, war dies leicht auszuschHessen. Die Angehörigen, 
sowie eine Reibe anderer Dorfbewohner hatten ihn schon immer als 
„merkwürdigen Menschen“ gekannt. Auoh diesmal wieder war er ihnen 
als schwerbesinnlich aufgefallen, er hatte zeitweise unsinniges Zeug 
geredet, war in der Unterhaltung plötzlich vom Thema abgeirrt usw. 
Die Ehefrau gab ferner zu Protokoll, dass ihr Mann auoh im Frieden 
schon von Zeit zu Zeit ähnliche Zustände bekommen habe. Naoh Bett¬ 
ruhe sei es stets wieder besser geworden. Sie konnte auoh nachweisen, 


dass ihr Mann auch jetzt wieder wegen der „geistigen Erschöpfung*, 
wie sie es nannte, 2 Tage zu Bett gelegen hatte. Der Hauptmann des 
Ersatztruppenteils endlich, dem der Angeklagte zuerst von des An¬ 
gehörigen zugeführt worden war, gab an, dass er einen verw i rr t en, 
anormalen Eindruck gemacht habe. 

Auf Grund dieses reichen Materials, sowie des körperlichen Befundes 
— der Delinquent zeigte eine ganze Reibe von Entartungszeichen, wie 
entrundete Pupillen, angewachsene Ohrläppchen und Missbildung des 
Gaumens, ausserdem deutliche Zungenbissnarben — gab ich mein Gut¬ 
achten dabin ab, dass es sich bei dem Angeklagten wohl mit Sicherheit 
um einen Dämmerzustand bandelt, er für die Straftat somit nicht ver¬ 
antwortlich zu machen ist. 

Ein anderer Untersuchungsgefangener versuchte einen Dämmer¬ 
zustand als Entlastungsgrund für seine Fahnenflucht wahrscheinlich zu 
machen. War schon verdächtig, dass er derartige Zustande erst im 
40. Lebensjahr bekommen haben wollte, so fiel auf, dass er sie nur dann 
gehabt haben wollte, wenn er sich etwas hatte zu Schulden kommen 
lassen. Die genaue Untersuchung zeigte nicht die geringsten Anhalts¬ 
punkte für das Bestehen einer epileptischen Störung. Bei der Schilderung 
der Krankheit verwickelte er sich zudem derart in Widersprüche, dass 
seine Simulation zu augenfällig war, er zuletzt diese auch selber zugeben 
musste. Immerhin gehörte der Betreffende zur Klasse der bereits mehr¬ 
fach erwähnten Psychopathen. Zwei weitere Vertreter dieser Art 
krankhaft veränderter Psyohe boten ähnliche Verhältnisse. Der eine 
war lange Jahre in Fürsorgeerziehung gewesen, hatte eine Reihe von 
Delikten begangen, sich durch eine Reise naoh Frankreich dem Heeres¬ 
dienst entzogen. Während der Verbüssung der Strafe wegen Fahnen¬ 
flucht brach der Weltkrieg aus. Nach kurzer Ausbildung wurde er ins 
Feld gesandt, er entlief aber bald und blieb längere Zeit in Deutschland, 
bis er bei einem Lebensmitteldiebstahl verhaftet wurde. Er musste als 
vollverantworlich für seine Handlung begutachtet werden, da seine 
krankhafte Veranlagung nicht sehr hochgradig war. Der dritte Fall 
hatte in allen möglichen Berufen versucht, es nirgends lange ausgehalten, 
zuletzt habe er seiner Matter im Haushalt geholfen. Er war weichlich, 
von mehr weibischem Charakter, hatte nie rechte Freude am Leben 
gehabt, auch zeitweise an Selbstmord gedacht, vor dem ihn aber die 
Furcht vor dem Tode zurückgehalten hatte. Mehrere Nachbarn der Eltern 
bezeugten, d&ss der Beschuldigte ihnen stets anormal erschien, oft sonder¬ 
bare Erregungszustände gehabt, in denen er seine Eltern misshandelt 
habe. Wenn auch keine sicheren Zeichen festzustellen waren, so hatte 
ich bei diesem Fall doch den Eindruck, als wenn es sich um einen in 
den ersten Anfängen befindlichen Zustand von Dementia praecox bandelte, 
und billigte ihm infolgedessen eine verminderte Zurechnungs¬ 
fähigkeit zu. 

Ich möchte hier kurz auf die Psychopathie eingehen, ist es doch 
das Krankheitsbild, welches dem Gutachter viel Kopfzerbrechen machen 
kann. Es sind dies zum grossen Teil die Fälle, wo der Laie sich 
wundert, wenn über ein und denselben Angeklagten vor Gericht zwei 
ganz konträre Gutachten abgegeben werden. Man muss derartige Fälle 
als Grenzfälle bezeichnen, denn es ist meist ungeheuer schwer zu ent¬ 
scheiden, ob sie noch ins Gebiet des geistig Gesunden oder ins Krank¬ 
hafte gehören. Eine scharfe Grenze zwisohen geistig normal und anormal 
gibt es eben nicht. Die Uebergänge sind fliessend, so ist denn auch 
der Gegensatz der Sachverständigen zu erklären, der eine Gutachter, 
die eine Sohule der Psychiater zieht die Grenze weiter, wie der andere. 
Das Extrem in dieser Beziehung war Lombroso, der ja in jedem Ver¬ 
brecher einen Geisteskranken sehen wollte. 

Die Hauptkennzeichen der Psychopathen sind kurz folgende:Die 
geistige Begabung braucht nicht vermindert zu sein, vielfach ist die 
Auffassung sogar eine rasche, aber auch um so oberflächlichere. Es sind 
Blender, die den Hauptwert auf Aeusserlichkeiten legen, die eigene Person 
auf Kosten anderer immer in den Vordergrund stellen. Sie vermögen 
nicht, sich zu konzentrieren, dilletieren auf allen möglichen Gebieten, 
ohne es auch nur auf einem zn mittelmässiger Fertigkeit zu bringen. 
Die Stimmung ist sehr labil, als Folge minderwertiger Veranlagung sind 
sie unzuverlässig, sehr unselbstständig und meist intolerant g e g e n 
Alkohol. Bei einem anderen Teil herrschen wieder mehr Willensschwäche 
und hypochondrische, reizbare Verstimmung vor, während bei einer 
dritten Gruppe endlich, den sogenannten Entarteten, moralisch-ethische 
Lücken und damit Neigung zu verbrecherischen Handlungen überwiegea. 
Sie begeben meist immer gleichartige Vergehen, wie z. B. Diebstähle, 
Hehlerei, Betrügereien, Hochstapelei usw. Vielfach, in einem meiner 
Fälle war dies auch so, leben sie als Zuhälter. Auch unter den In¬ 
sassen der Fürsorge-, Arbeits- und Strafanstalten findet man Dutzende 
solcher Menschen. 

In das Gebiet der unter dem Sammelnamen der Dementia praeeox 
zusammen gefassten Geistesstörungen gehören zwei weitere, wegen 
Fahnenflucht angeklagte Soldaten. 

Ein Neunzehnjähriger bot das typisohe Bild eines Hebepbrenen, es ist 
dies eine Erkrankung, die meist zur Pubertätszeit aufzutreten pflegt. 
Sein Benehmen war das eines Kindes mit den charakteristischen Sonder¬ 
barkeiten der Krankheit, im Benehmen, dem Grimmassieren und der 
leicht stuporösen Willenssperrung. Während der ganzen Beobachtungs¬ 
zeit von 3 Wochen sprach er auch nioht ein Wort, lächelte läppisch 
und spielte wie ein kleines Kind mit einer Feder oder seinen Fingern. 
Aufforderungen kam er nach, versuchte auoh zuweilen Antwort zu gebm^ 
ohne dabei über die Anfangsbuchstaben der Worte hinaus zu kommen. 
Mit den anderen Kranken trieb er allerhand Schabernack, er sprang 


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17. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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plötslioh ans dem Bett, fahr ihnen durch die Haare and versteckte 
ihre Saohen. Er freute sieh dann diebisch, wenn sie vergebens danach 
suchten. Tat man ihm nicht den Willen, so wurde er zornig und schlug 
auf seinen Widersacher ein. Die körperliche Untersuchung ergab eine 
hochgradige, wohl durch den Stupor bedingte Analgesie, einen Puls 
von dauernd 85—40 Schlagen und meist Untertemperatur. 

Der näohste Fall gehörte zum manisch-depressiven Irresein. Der 
Beschuldigte, bis dahin ein tadelloser Soldat, dem alle Vorgesetzten das 
beste Zeugnis ausstellten, lief ohne ersiohtlichen Grund plötslioh davon. 
Schon aus seinem Vorleben liess sich bei genauem Nachforschen daB 
Bestehen eioer periodischen Störung erkennen. Einer Artisteufamilie 
entstammend, war er als Clown, Entfesselungskünstler, Gedankenleser 
und zuletzt als Tierbändiger tätig gewesen, als junger Bursche war er 
zur See gefahren und hatte so die ganze Welt kennen gelernt. Später 
hatte er die verschiedensten Berufe ausgeübt, war aber stets zum fahrenden 
Volk surüokgekehrt. Es Hessen sich Perioden von tiefster Depression, 
sowie solohe von manischer Ausgelassenheit, in denen er alles verprasste, 
was er verdiente, die unsinnigsten Saohen machte, genau abgrenzen. 
Einmal batte er in einem derartigen Depressionszustand einen Selbst¬ 
mordversuch gemacht, er war aber noch rechtzeitig gefunden worden. 
Während der Untersuchungszeit im Lazarett wurde ein grosser Stimmungs¬ 
wechsel beobachtet, bald überaus heiter, zu den tollsten Streichen auf¬ 
gelegt, verfiel er plötzlich in Trübsinn, redete kaum, ass wenig, weinte 
und wollte in den Graben, um zu sterben. Zahlreiche Kameraden be¬ 
zeugten ähnliche Beobachtungen. Speziell dem Kompagnieführer war 
Ton jeher autgefallen, dass der Beschuldigte sich mit Vorliebe bei Toten 
aufgehalten. Er sass oft stundenlang neben diesen und starrte sie in 
einem fort an. Auf Frage vermochte er keine Auskunft zu geben. Es 
treibe ihn eine nicht näher zu beschreibende Macht dahin, er habe schon 
lange Märsche in den Gräben gemacht, wenn er gehört, dass Leichen 
von gefallenen Gegnern zu sehen seien. Die körperliche Untersuchung 
ergab ausser den Zeichen eines leicht erregbaren Nervensystems eine 
totale Analgesie, die es auoh ermöglicht batte, dass man eine grössere 
Operation, deren er sioh wegen einer Bärenbisswuude unterziehen musste, 
ohne jede Narkose schmerzlos hatte ausführen können. 

War schon das Bestehen dieser geistigen Erkrankung maassgebend 
für seine Ezkulpierung, so liess sich ausserdem noch feststellen, dass 
der Angeklagte zurzeit der Tat einen Fieberanfall gehabt hatte. Seinen 
Kameraden gegenüber hatte er sich geäussert, dass er krank sei, diese 
hatten einen deutlichen Schüttelfrost beobachtet, auch alle den Eindruck 
gehabt, als ob eine schwere Erkrankung im Anzuge sei. Die Schilderung 
seiner Beschwerden war so typisch, dass an einen Malariaanfall gedacht 
werden musste, zumal er in den Tropen früher Malaria gehabt hatte. 
\Im Untersuchungsgefängnis wurde noch einmal ein Fieberanstieg auf 
40 beobachtet, nach Chiningaben blieb ein weiterer Fieberanfall aus. 
Leider konnte damals kein Blutabstrich gemacht werden. 

Der Rest der Fälle von Fahnenflucht, sechs an der Zahl, bot keine 
interessante Einzelheiten, es waren Schwachsinnige geringeren oder er¬ 
heblicheren Grades. Einer vermochte weder zu lesen noch zu schreiben. 
Es war verwunderlich, dass man ihn überhaupt eingezogen hatte. Nur 
dieser konnte auf Grund des Paragraphen 51 als nicht zurechnungsfähig 
begutachtet werden, drei wurden als vermindert zurechnungsfähig erkannt, 
die anderen waren für ihr Handeln verantwortlich zu machen. 

Zum Schlüsse möchte iah nooh kurz die Frage der verminderten 
Zurechnungsfähigkeit streifen. Wir haben gesehen, dass auch bei meinem 
Material verhältnissmässig wenigen Beschuldigten der Schutz des Para¬ 
graphen 51 zugebilligt werden konnte. Ein erheblich grösserer Teil gehörte 
seiner geistigen Verfassung nach dem grossen Grenzgebiet geistiger 
Gesundheit und Krankheit an, sei es auf Grund angeborenen, dauernden 
Abnormitätenschwaohsinns, allgemeiner geistiger Minderwertigkeit, psycho¬ 
pathischer Veranlagung — sei es auf Grund vorübergehender geistiger 
Störungen —, epileptische Aequivalente, hochgradige Betrunkenheit bis 
zum Delirium usw. Um diese Umstände, in welchen der Täter also 
als vermindert zurechnungsfähig zu begutachten ist, bei Bemessung des 
Strafmaasses in gebührender Weise zu berücksichtigen, fehlt es dem 
M.St.G.B. wie auch dem R.St.G.B. an Sonderbeatimmungen. 

Seit langem sind nun schon von einem Teil der Kriminalisten und 
der Mehrzahl der Psyohiater Vorschläge gemacht worden, diesem Mangel 
in einer das Rechtsbewusstsein des Volkes, Bowie den ärztlichen Gut- 
aobten in gleicher Weise befriedigenden Art abzuhelfen. Im Entwurf 
des jetzigen St.G.B. war der Begriff der verminderten Zurechnungsfähig¬ 
keit eingeführt, er wurde aber seinerzeit vom Bandesrat wieder gestrichen. 
In neuester Zeit ist die Aufnahme aber wieder propagiert worden. Sehr 
schwierig ist vor allem die Höhe und Art der Strafen dieser sogenannten 
haibgesunden Menschen. Eine einfache Herabsetzung des Strafmaasses, 
etwa wie für Kinder mit Erkenntnis der Strafbarkeit ihrer Handlung 
fordert die eine Riohtung. Dagegen wenden die, welche Erziehung und 
soaialen Schutz als den einzigen Zweck der Strafe ansehen mit Recht 
ein, dass gerade die geistig Minderwertigen und die Schwachsinnigen sozial 
besonders gefährlich sind durch die ewige Rückfälligkeit ihrer Vergehen. 
Sie fordern, wenn Erziehungsversuche scheitern, dauernde Internierung 
in besonderen unter ärztlicher Aufsicht stehenden Anstalten, am besten 
in Angliederung an die Landesirrenanstalten. 

Ein ganz erheblicher Unterschied zwischen M.SLG.B. und dem 
bürgerlichen besteht endlich darin, dass ersteres den Begriff der 
mildernden Umstände nicht kennt. Es gibt dort nur „minder schwere 
Fälle“. Nach allgemein anerkannter juristischer Definition ist der 
Unterschied der: *dass die mildernden Umstände subjektiver Natur, in 


der Seele des Täters begründet, die minder schweren Fälle objektiv, d. h. 
durch die Form der Straftat bedingt sind.“ 

Die Praxis der Militärgerichte hat allerdings unter Billigung des 
Reiohsmilitärgerichts diesen Unterschied hinsichtlich der im R.M.St.G.B. 
vorgesehenen minder schweren Fällen nicht beachtet und für deren 
Begründung auch subjektive Momente, wie besonders gute Führung und 
dergleichen herangezogen (vergl. Max Ernst Mayer, Deutsches Militär- 
strafreoht, Göschen). 

Es würde zu weit führen, hier alle gemachten Vorschläge zu be¬ 
leuchten, zweifellos wird aber bei einer eventuellen Reform des M.SLG.B. 
die „verminderte Zurechnungsfähigkeit“ in irgend einer Form Berück¬ 
sichtigung finden, z. B. wie es zurzeit das holländische M.St.G.B. schon 
hat, dass für alle Strafen nur eine obere Grenze festgelegt wird, so dass 
dem Ermessen der Richter durch den Wegfall einer unteren Grenze der 
Strafen keine Schranken auferlegt sind. 

Sehr zu begrüssen wäre es endlich auch, worauf schon Stier in 
seiner Abhandlung über Fahnenflucht hingewiesen, wenn im Frieden die 
richterlichen militärischen Beamten sowie auch die Gerichtsoifiziere für 
eine Zeitlang an die FestungsgefäDgnisse kommandiert würden. DaB 
Verständnis für die Wirkung der Freiheitsstrafen auf den einzelnen, 
sowie für den Seelenzustand der verbrecherischen Soldaten würde daduroh 
sicher wesentlich gefördert werden. 

Literatur. 

1. Stier, Fahnenflucht und unerlaubte Entfernung. Jur. psyeb. 
Grenzfragen, Halle 1905. — 2. Weygandt, Forensisohe Begutachtung. 
Jahresk. f. ärztl. Fortbildung Mai 1917. — 8. Kriegstagung d. D. V. f. 
Psyoh. zu München 1916. Zschr. f. Psyohiatr. u. psych. gerichtl. Medizin. 
— 4. Gudden, Geistesstörungen. Taschenb. d. B'eldarztes II. 


Büoherbesprechungen. 

J. Hirsch fe erg: Geschichte der Aigenheilkuide. Handbuch der ge¬ 
samten Augenheilkunde, begründet von A. Graefe und Th. Sae- 
misoh, fortgeführt von G. Hess, herausgegeben von Th. Axenfeld 
und A. Elschnig, Bd. 14,7, Bd. 15, 1 u. 2. Berlin 1918, Jul. Springer. 

Mitten im Weltkrieg hat Hirsohberg uns in den drei vorliegenden 
Bänden von über 1600 Seiten den Abschluss seiner gross angelegten 
Gesohichte der Aügenheilkunde geschenkt. Der erste dieser 3 Bände 
bespricht für die Zeit von 1800—1875 die Leistungen der Augenärzte 
in der Schweiz, Belgien, Holland, Skandinavien, Russland, Polen, Spanien, 
Portugal, in den Ländern des Balkans, des östlichen Mitteimeers, Ost¬ 
asiens, Süd- und Mittelamerikas. Wie immer würdigt H. hier auf Grund 
aller nur irgend erreichbaren Druckschriften, Statistiken und persön¬ 
licher Mitteilungen in denkbar gerechtester Weise die wissenschaftlichen 
und praktischen Leistungen von Freund und Feind. Der nächste Band 
bringt die Reformzeit der Augenheilkunde, jene unvergesslichen Jahre 
von 1850—1875, in denen Helmholtz, Donders und Albrecht von 
Graefe die Grundlagen für den heutigen Stand der Augenheilwissen- 
sohaft aufgebaut haben. In der Darstellung des Lebens und Wirkens 
Graefe’s, seines geliebten Lehrers, erreicht H. den Höhepunkt der 
Darstellung. Hier darf der sonst so objektive Geschichtsschreiber seine 
persönlichen Anschauungen und Erinnerungen im stärksten Maasse ein- 
fliessen lassen, und hier wirkt er am eindringlichsten auf den Leser, 
dem er mit begeisterten Worten die Reihe von Entdeckungen entgegen¬ 
trägt, die der Augenspiegel und das Genie eines Graefe dem Dunkel 
abgerungen. Es folgt in Wort und Bild die lange Kette der Zeitgenossen 
und Sohüler jener glanzvollen Epoche, zu welcher der Geschichtsschreiber 
selbst gehört. Hier übt er wieder weise Mässigung, zumal bei Be¬ 
sprechung der noch heute Lebenden; er lässt die Meister aus ihren 
Werken reden. Zugleich legt er schon die Grundlagen für eine spätere 
Fortführung seines Werkes, indem er die Sohüler und Nachfolger der 
grossen Meister bis zur Jetztzeit in den Rahmen seiner Geschichte ein¬ 
bezieht. Die Reformzeit in der österreichisch-ungarischen Monarchie und 
in Frankreich bildet den Abschluss. Der letzte Band enthält eine 
ausserordentlich lehrreiche Entwicklungsgeschichte der augenärztlichen 
Kunstausdrücke. H. geht mit seiner bekannten Sprach- und Quellen¬ 
kenntnis den Ursprüngen jener meist griechischen, oft aber barbarisch 
gemischtsprachigen Fachausdrücke naob, welohe in vergangenen Zeiten 
geprägt, sich grossenteils bis auf unsere Tage hinübergerettet haben. 
Er schliesst mit der Mahnung, dem von ihm seit vier Jahrzehnten ge¬ 
gebenen Beispiel zu folgen, nämlich deutsch zu schreiben! Nach einer 
anschaulichen Zeittafel folgen wichtige Zusätze und Verbesserungen, be¬ 
sonders zu dem 1899 erschienenen und längst vergriffenen ersten Band 
seines Werkes, der Geschichte der Augenheilkunde im Altertum. Hier 
hat H. vor allem die neueren Sanskritforschungen eingehend berück¬ 
sichtigt. Ein hervorragend vollständiges allgemeines Inhalts- und NamenB- 
verzeiohnis schliesst den Band ab. 

So liegt denn Hirschberg’s Geschichte der Augenheilkunde als 
Frucht zwanzigjähriger, fast täglicher Arbeit in elf stattlichen Bänden 
vor; eine erstaunliche Leistung, deren Bedeutung soweit über den 
Rahmen des Sonderfaches hinausgeht, dass wir ihr nooh eine kurze 
Betrachtung widmen müssen. Hirsohberg hat an einem Musterbeispiel 
gezeigt, wie man <jio Gesohiohtsquellen der Heilwissenschaft aufsuchen 
soll; er hat mit der ihm eigenen philologischen Begabung die ärztliohen 


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B78 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Schriften von den alten Grieohen an bis zu den heutigen Literaturen 
Europas stets im Original durohgearbeitet, die orientalischen, besonders 
arabischen, Werke mit Hilfe gelehrter Freunde erst erschlossen, und 
duroh vollkommenste Vergleiohung aller bestehenden Veröffentlichungen 
die geschichtliche Wahrheit zu ermitteln gesucht. Daduroh ist sein 
Werk zu einem Quellenarohiv ersten Ranges geworden; denn er nennt 
nicht nur die augenärztiichen, sondern alle vorhandenen Schriften der 
verschiedenen Zeiten, aus welchen Kenntnis der Sondertächer der HeiL 
künde geschöpft werden kann. Nebenbei vergisst er nicht, die schöne 
Literatur von Aristophanes bis Goethe auf ihre Beziehungen zum Thema 
zu) untersuchen. Die Verfasser lässt er aus ihren Werken sprechen, 
und aus ihren Worten sucht er ihren menschlichen Charakter wie ihre 
ärztliche Befähigung zu ergründen. So kommt es, dass diese ungeheuer 
ausführliche Geschichte eines Sonderfaches nie und nirgends langweilig 
wird. Ueberall lässt uns der Verfasser das Werden seiner historisoh- 
kritischen Betrachtung aus der Kenntnis der benutzten Quellen mit¬ 
erleben. Das kann lreilich nur ein Meister seines Faches bieten, der 
überall von hoher Warte aus (und mit seltenster sprachlicher Be¬ 
gabung) das wissenschaftliche Geschehen in allen Ländern zu verfolgen 
weiss. Hirsohberg hat einen Monumentalbau hingestellt, an welchem 
spätere Geschlechter nichts Wesentliches mehr anzubauen, sondern nur 
hier und da einen verwitterten Baustein zu ersetzen haben werden. 

J)r. M. Meyerhof (zurzeit Hannover). 


Hais Hirschfeld: Atlas der kliaischei Pathologie des Blates in Ln- 
miöre bildern. Berlin, Paul Altmann. 

Der Atlas besteht aus mikrophotographisohen Aufnahmen gefärbter 
Blutpräparate mit Hilfe von Lumiereplatten, also in natürlichen Farben. 
Der Vorzug dieser naturgetreuen Wiedergabe vor gemalten und ver¬ 
vielfältigten Abbildungen liegt auf der Hand. Der Atlas soll vorzugs¬ 
weise Unterrichtszweoken dienen und es dem klinischen Lehrer ermög¬ 
lichen, seinen Vorträgen oder klinischen Vorstellungen entsprechender 
Fälle jederzeit Demonstrationen typischer Präparate beigeben zu können. 
Die Photogramme eignen sich sehr gut zur Projektion, für welche sie 
auch eigentlich bestimmt sind. Natürlich können sie auch herum¬ 
gereicht und gegen das Licht gehalten werden, was aber wegen ihrer 
Zerbrechlichkeit nicht ratsam erscheint. Ich verwende die Mikrophoto¬ 
gramme seit mehreren Semestern im Unterricht und bin erfreut, dieses 
wertvolle Hilfsmittel zu besitzen, welches der auf dem Gebiete der 
Blutkunde rühmlichst bekannte Autor in seinem Atlas darbietet. Die 
Aufnahmen sind durchweg ausgezeichnet hergestellt und machen sich 
in der Projektion sehr gut. Die Auswahl ist eine sehr zweckmässige. 
Es handelt sich um 38 Photogramme, welche zur Darstellung bringen: 
Normales Blut, Lymphdrüsenpunkcat, Abstrich von normaler Milz, von 
normalem Knochenmark, Chlorose, die verschiedenen Anämieformen, 
Knochenmarksabstrich von perniziöser Anämie, neutrophile und eosino¬ 
phile Leukozytose, Reizungsformen bei septischem Scharlach, die ver¬ 
schiedenen Leukämien, Leberschnitt bei lymphathischer Leukämie, Blut 
bei KalichlorioumVergiftung mit hämoglobinämischen Innenkörpern, Trypa¬ 
nosomen, die verschiedenen Malariaformen, Milzschnitt bei Splenomegalie 
Gauoher, Jollykörper nach Milzexstirpation bei perniziöser Anämie und 
bei Banti, Hühnerspirillose. Der Atlas bietet also eine dem Bedürfnis 
des Unterrichts vollkommen genügende Auswahl und Zusammenstellung. 
Einige Stücke wie z. B. die Knochenmarksabstriche, die Splenomegalie 
Gaucher, die Jollykörper sind von ganz besonderem Wert. 

Ein Inhaltsverzeichnis mit Beschreibung liegt dem Atlas bei. Eine 
Hinzufügung weiterer Aufnahmen wird vom Verf. beabsichtigt. Die bisher 
vorliegende Sammlung umfasst sämtliche typisohen Vorkommnisse. 

Goldscheider. 


Literatur-Auszüge. 

Physiologie. 

E. Euler: Ueber Enzym bil düng. (Biochem. Zschr., 1918, Bd. 85, 
H. 5 u. 6, S. 406.) Untersuchungen über den Verlauf der Invertase- 
bildung bei Hefezellen. Die Vermehrung der Invertase erfolgt nicht 
durch Abspaltung oder Sekretion aus dem Plasma, sondern durch Syn¬ 
these. Eine spezifische Wirkung von Aminosäuren auf die Invertase- 
bildung war nicht festzustellen. 

M. Jaooby: Ueber die Einwirkung der Aldehyde auf die Urease. 
(Biochem. Zschr., 1918, Bd. 85, H. 5 u. 6, S. 358.) Die Wirkung der 
Urease wird durch Aldehyde geschädigt. Wahrscheinlich kommt diese 
Wirkung duroh Entstehung einer AldeHyd-Fermentverbindung zustande. 
Azetaldehydzyanhydrin steigert die Fermentwirkung. Wahrscheinlich 
treten hier Stickstoffvalenzen mit dem Ferment in Reaktion. 

F. Boas: Weitere Untersuchungen über die Bildung löslicher 
Stärke bei Schimmelpilzen mit besonderer Berücksichtigung der Frage 
nach der Eiweisssyntliese der Schimmelpilze. (Biochem. Zschr., 1918, 
Bd. 86, H. 1 u. 2, S. 110.) Aspergillus niger kann unter geeigneten 
Bedingungen aus Monosen, Biosen, Pentosen, höheren Alkoholen mit 
organischen Säuren lösliche Stärke bilden. Dies ist bei vielen Pilzen 
der Fall. Für die Frage der Eiweisssynthese bei Püzen ist dieser Vor¬ 
gang von grosser Bedeutung. Verf. unterzieht daher das Problem der 
Ei weisssynthese einer gründlichen Nachprüfung und diskutiert besonders 
die Anschauungen von Czapek und Puriewitsch. 


M. Siegfried: Ueber die Beeinflussung von Reaktionsgeschwindig¬ 
keiten durch Lipoide. (Biochem. Zsohr., 1918, Bd. 86, H. 1 u. 2, 
S. 98.) Bei einer Reihe von Reaktionen fand Verf., dass die Lipoide in 
ausgesprochener Weise hemmend wirken; sie verhalten sich als negative 
Katalysatoren. Die Oxydation des Chenylhydrazins duroh ammomaka- 
lische Silbernitratlösung wird durch Lipoide wesentlich verlangsamt 
Setzt man zu einer alkoholischen Lösung von Kaliumjodid die äquiva¬ 
lente Menge alkoholischer MerkuricbloridlÖsung und dann Wasser, so 
scheidet gelbes Merkurijodid aus, das sehr bald in rotes kristallisiertes 
Merkurijodid übergeht. Enthielt die alkoholische Lösung aber ein Lipoid 
(Fett, Harze, Lezithin), dann bleibt der amorphe Niederschlag mit gelber 
Farbe bestehen. Aut die Reduktion ammomakalisoher Silbernitratlösung 
duroh Glukose haben die Lipoide ebenfalls eine hemmende Wirkung, 
desgleichen auf die Oxydation von Phenylhydrazin durch ammoniaka- 
lische Silbernitratlösung. Wenn die Lipoide ganz allgemein als negative 
Katalysatoren wirken, so muss dies auch im Organismus zur Geltung 
kommen. So könnte vielleicht der bisher nicht genügend geklärte prä¬ 
mortale Eiweisszertall bei Inauition damit erklärt werden, dass bei weit¬ 
gehender Fettverarmung ein schnellerer Zeriall des Eiweisses dadurch 
bedingt wird, dass die normalen Hemmungen der Reaktionen, die das 
Eiweiss spalten, wegfallen. 

W. Löf Iler: Desaminierung und Harnstoffbildung im Tierkörper. 
(Biochem. Zschr., 1918, Bd. 85, H. 3 u. 4, S. 230.) Ziel der vorliegen¬ 
den Untersuchungen war es, die Art der Reaktion kennen zu lernen, 
die den Uebergang von Eiweiss und stickstoffhaltigen Eiweissabkömm¬ 
lingen in Harnstoff vermitteln und die Bedingungen festzustellen, unter 
denen sich diese Vorstufen in Harnstoff verwandeln. Ferner sollten die 
Orte der Harnstoffbildung im Organismus ermittelt werden. Nach einem 
Ueberbliok über die bisherige Entwicklung der Frage gelangt Verf. zu 
der Auflassung, dass zahlreiche Widersprüche in den bisherigen Unter¬ 
suchungen eine weitere Klärung des Problems erheisohen. Die Methodik 
des Vert.’s bestand in Durohströmungsversuchen an der überlebenden 
Hundeleber mit Anwendung der Ureasemethode bei Leerdurchstromung 
und bei Durchströmung mit Ammoniumsalzen und Aminen. Bei Durch¬ 
strömung der Hungerleber ohne Zusatz einer stickstoffnalttgen Substanz 
kann es zu erheblicher Harnstoffanreicherung der Durohstiömungsfiüssig- 
keit kommen. Die Menge des so gebildeten Harnstoffs kann bis 280 mg 
betragen. Die Neubildung von Harnstoff gestattet also an und für sich 
keine Sohlüsse auf den Charakter einer der DurchströmungsfLüssigkeit 
zugesetzten Substanz als Harnstoffquelle. Der Beweis dafür, dass eine 
gegebene Substanz in Harnstoff übergeht, ist erst darin zu sehen, dass 
entweder eine der Harnstoffbildung entsprechende Abnahme dieser Sub¬ 
stanz, oder stickstofffreier Umwandlungsprodukte derselben sich nach- 
weisen lassen, ohne dass gleichzeitig eine erhebliche Anreicherung der 
Flüssigkeit an Ammoniak statifindet. Die überlebende Leber vermag 
nicht nur Ammoniumkarbonat oder Ammonsalze organischer Säuren, 
sondern auch die Ammoniumsalze von Mineralwässern und unverbrenn¬ 
lichen organischen Säuren in Harnstoff zu verwandeln. Die dabei ent¬ 
stehenden Säuren verhindern die Harnstoffbildung nicht. Aus den zu¬ 
gesetzten Ammonsalzen findet auch Harnstoffbildung statt, wenn die 
Perfusionsflüssigkeit von vornherein angesäuert wird; die Säurereaktion 
hemmt die Harnstoffbildung, verhindert sie jedoch nicht. Die Harnstoff- 
bildung bei saurer Reaktion schliesst das Auftreten von karbaminsaurem 
Ammonium als Zwischenprodukt aus. Die Aminogruppe primärer Amine 
wird in der Leber abgespalten und in Harnstoff umgewandelt. Die ent- 
amiditrten Reste soheinen bei den kohlenstoffärmeren Aminen vollständig 
verbrannt zu werden. Die den kohlenstoffreioheren Aminen entsprechen¬ 
den Karbonsäuren werden aber in der überlebenden Leber nur zum Teil 
oder gar nicht oxydiert. Die Bildung substituierter Harnstoffe bzw. 
asymmetrische Harnstoffbildung konnte nicht beobachtet werden. Tri¬ 
methylamin wird in der Leber bis zu Ammoniak entmethyiiert und dieses 
in Harnstoff umgewandelt. 

L. S. Friderioia: Untersuchungen an Menschen über Sauerstoff- 
und Kohlens&urespaninng Im Blut der Palmaialarterie und über 
Messung des Minuten Volumens des Herzens. (Biochem. Zschr., 1918, 
Bd. 85, H. 5 u. 6, S. 307.) Verf. beschreibt eine Methode zur Be¬ 
stimmung der Sauerstoff- und Kohlensäurespannung im venösen Blut, 
das vom rechten Herzventrikel durch die Pulmonalarterien in die Lungen 
fliesst. Für Untersuchungen am Menschen soll die Methode gewisse 
Vorteile bieten. In Versuchen an drei Versuchspersonen fand Veit, 
dass die Sauerstoff- und Kohlensäurespannung im Pulmonalarterienblut 
bei einer Person im Ruhezustand nicht ganz konstant ist, trotz der 
Gleichartigkeit der äusseren Versuchsbedingungen. Die Schwankungen 
waren aber gering. Die Werte für die Sauerstofispannung weichen mehr 
voneinander ab als die Werte .für die Kohlensäurespannung. Während 
einer genau gemessenen Muskelarbeit sank die Sauerstoffspannung im 
Pulmonalarterienblut, während die Kohlensäurespannung anstieg. Schliess¬ 
lich verglich Verf. das Minutenvolumen des Herzens, wie es nach den 
Methoden von Fick und van Krogk und Lindhard bestimmt wird. 
Die beiden Methoden lieferten Werte, die innerhalb der Fehlergrenzen 
übereinstimmten. 

0. Loew Ueber die Natur der Giftwirkvng des Snprarenins. 
(Biochem. Zschr., 1918, Bd. 85, H. 5 u. 6, S. 295.) Für das Proto¬ 
plasma niederer pflanzlicher und tierisoher Organismen ist Suprarenin 
in Form eines Salzes nur ein sehr schwaches Gift. Freies Suprarenin 
aber und sein erstes Oxydationsprodukt wirken stark giftig, besonders 
in Gegenwart von Alkali. Mit fortschreitender Sauerstoffaufnahme der 
alkalischen Suprareninlösung aus der Luft nimmt dje Gütigkeit wieder 


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17. Juni 1018. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ab. Verf. erklärt die Giftwirkang des Supr&renins and ihre Steigerung 
in alkalischer Lösung durch die Labilisierung seiner Wasserstoffatome, 
wodurch eine starke Reduktionswirkung bedingt wird. Da Blut eine 
alkalische Reaktion besitzt, erklärt sioh die gesteigerte Giftwirkung bei 
höheren Tieren. Das dem Suprarenin entsprechende Keton hat eben¬ 
falls reduzierende Wirkung, aber eine schwächere als die des Supra- 
renios. 

J. Fei gl: Neue Untersuchungen über akute gelbe Leberatrophie. 
III. Fette and Lipoide des Blotes. Chemische Beiträge zur Kenntnis 
der Entwicklung und Charakteristik spezifischer Lipämien. (Biochem. 
Zsohr., 1918, Bd. 86, H. 1 u. 2, S. 1.) Verf. hat an mehreren ver¬ 
schiedenartigen Fällen von akuter gelber Leberatrophie den Bestand und 
die Umwandlung von Fettsäuren, Neutralfett, Lezithin und Lipoid-P, 
Cholesterin und Phosphorverteilung im Blut und Plasma untersuoht. 
Im Spätverlaufe der Krankheit kommt es meist zu Lipämien von be¬ 
sonderer Art. Die Gesamtfettsäuren können bis zu 1023 mg pro 100 ccm 
Plasma ansteigen, Neutralfett bis auf 400 mg, freie Fettsäuren auf 200 mg, 
Gesamtcholesterin auf 960 mg. Lezithin und Lipoidphosphor zeigen meist 
eine Abnahme. Der Esteranteil des Cholesterins sinkt vorübergehend 
und steigt prämortal an. Hinsichtlich der Phosphorverteilung findet 
sich ein lebhafter Anstieg des säurelöslichen P. Der Gesamtätherextrakt 
erreicht Werte bis zu 1900 mg. Die Relationen der Gesamtfettsäuren 
zu Lezithin und des Lezithins zum Cholesterin gewinnen charakte¬ 
ristische, die Norm weit verlassende Gestalt durch relativen und ab¬ 
soluten Lezithin sch wund. In diagnostischer und prognostischer Be¬ 
ziehung wichtig ist der Befund, dass die Umwandlungen an Fettsäuren, 
Fett und Cholesterinbeständen eigentliche Späterscheinungen sind, die 
der Krise folgen. Im Fett- und Lipoidbestande der Erythrozyten finden 
sioh kaum irgendwelche Abweichungen. 

J. Fei gl und H. Luoe: Neue Untersuchungen über akute gelbe 
Leberatrophie. IV. Verhalten von Blutzucker und Glykogen. Weitere 
Beobachtungen über den Reststiekstoff des Blotes und seine Gliederung 
— Azetonkörper. Vorläufige Zusammenfassung von Ergebnissen über 
Befunde im Blut und Plasma. (Biochem. Zschr., 1918, Bd. 86, H. 1 u. 2, 
S. 48.) Die Untersuchungen wurden an vier tödlichen und einem ge¬ 
heilten Falle von akuter gelber Leberatrophie angestellt. Im Früh¬ 
stadium verzeichnen Verff. eine wirkliche Hyperglykämie ohne eigentliche 
Glykosurie. Später sinkt der Blutzuckergehalt bedeutend. Das Blut 
verarmt an Glykogen. Das Verhalten von Azeton, Azetessigsäure, Oxy- 
buttersäure, entspricht dem Zustande der Inanition. R. Lewln. 


Therapie. 

Pi 1 eher und Hüll: Wundbehandlung mit Flavin. (Brit. med. 
journ., Nr. 2980.) Die Anwendung des Flavins in der Behandlung infi¬ 
zierter Wundflächen ist weit einfacher, als die zeitraubende und schwer 
zu handhabende Carrel-Dakin’sche Wundbehandlung und liefert, wie 
auf Grund von 5000 Fällen festgestellt werden konnte, sehr gute Er¬ 
gebnisse. Schädigungen, wie Reizung der umgebenden Haut, wurden 
nur ganz selten beobachtet. F. kommt in 1 pm. Lösung zur Verwen¬ 
dung: man tränkt mit dieser Mullstreifen und stopft damit die Wund- 
hohle aus. 

Aitken: Pyämiebehandlung ait Eosol. (Brit. med. journ., Nr. 2987.) 
In einem äusserst schweren Fall von Pyämie, der sich nach einer Mandel¬ 
entzündung entwickelte und zu langwierigen septischen Gelenkerkran¬ 
kungen und Empyem führte, wurde durch wiederholte Adereinspritzun- 
gen von Eusol (80—100 ccm) endgültige Besserung, bzw. Heilung erzielt. 

McCartney und Mewburn: Carrel-Dakin’sche Wundbehandlung. 
(Brit. med. journ., Nr. 2980.) Diese Art der Wundbehandlung besteht in 
einer täglieh zu wiederholenden Berieselung der infizierten Wundflächen 
mit sogenannter Dakin’scher Lösung (0.46—0,48 proz. Hypochloridlösung 
mit Zusatz von übermangansaurem Kali). Da die Lösung sehr licht¬ 
empfindlich ist, muss sie in braunen oder gelben Flaschen aufbewahrt 
und vor jedesmaligem Gebrauche auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. 
Zur Vermeidung von Hautentzündungen ist die Haut der Umgebung mit 
Vaselinpolstern zu bedecken. Strengste Asepsis, wie auch ein gut ge¬ 
schultes Wärterpersonal sind unerlässlich. Unter diesen Voraussetzungen 
werden überraschend gute Ergebnisse erzielt. Schreiber. 

Ed. Weisz-Pöstyen: Die physikalische Behandlung des Gelenk¬ 
rheumatismus im Lichte der Vakzinen lehre. (Zschr. f. physik. diät. 
Ther., April 1918.) In akuten Fällen überwiegt die Kühlung der ein¬ 
zelnen Gelenke. Durch Kühlung tritt man der Zuströmung von einem 
zu einem anderen Gelenk wie dem Zurückfluten von Giftstoffen in die 
Blutbahn entgegen. Zu warnen ist vor zu langem Gebrauch intensiver 
Eiskühlung. Bei ganz chronischen Fällen sind Wärmekuren angezeigt, 
die umso intensiver sein können, je weniger sich lokale Nachschübe 
und allgemeine Reaktionen seitens des Organismus zeigen. Am schwersten 
ist die Behandlung der subakuten Fälle. Meist muss man tastend Vor¬ 
gehen. E. Tobias. 

W. Stepp und A. Wirth-Giessen: Ueber Erfahrungen mit der 
Röntgentiefentherapie hei inneres Krankheiten. (Ther. d. Gegenw., 
Mai 1918.) Neben den leukämischen Erkrankungen kommt als wich¬ 
tigste Indikation für die Röntgentiefentherapie die Tuberkulose in 
Betracht. An erster Stelle die Bauohfelltbc., dann die Tbc. des Uro¬ 
genitalapparats und endlioh die Drüsentuberkulose. Bezüglich der 
Lungentuberkulose sind die Erfahrungen der Verff. nooh zu gering. Be¬ 


sonders erfolgreich erscheinen den Verff. eine Kombination von Röntgen¬ 
strahlen mit der Quarzlampe. Weniger sicher war die Wirkung der 
Röntgenstrahlen beim Morbus Basedowii und bei Strumen. Bei den 
chronischen Arthritiden gingen die Schmerzen überraschend sohnell 
zurück. Bei der Bestrahlungstechnik ist darauf zu achten, dass Röntgen¬ 
verbrennungen durch den Gebrauch von Filtern ganz vermieden werden 
können. Die nach der Bestrahlung eintretende Hautbräunung zeigt 
an, dass eine genügende Menge Röntgenstrahlen auf die betreffende 
Hautstelle eingewirkt hat. 

H. Eisert-München: Ueber Novasurol, ein neues Queoksilbersalz 
zur Syphilisbehandlung. (Ther. d. Gegenw., Mai 1918.) Der Hg-Gebalt 
des Präparats beträgt 33,9 pCt. Einzeldosis 2 ccm einer 10 proz. Lö¬ 
sung, jeden 2.—3. Tag intramuskulär injiziert. Im ganzen 20 Injek¬ 
tionen innerhalb 6—8 Wochen. Das Präparat nimmt eine Zwischen¬ 
stellung ein zwischen den löslichen und unlöslichen Queoksilbersalzen. 
Gute Erfahrungen, keine üblen Nebenwirkungen. Fabian. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

A. Bi er-Berlin: Beobachtungen über Regeneration kein Menschen. 
XII. Abhandlung. Regeneration der Knochen. 2. Die Pseudarthrose. 
(D.m.W., 1918, Nr. 15.) Dünner. 

H. Keitler-Wien: Ueber Doppelkarzinome des Uterus. (Mschr. 
f. Geburtsh., Bd. 47, H. 4.) Die Deutung doppelt in einem Organ auf¬ 
tretender Karzinome bietet ausserordentliohes Interesse für die- Krebs¬ 
forschung. Es besteht bisher keine einheitliche Auffassung über diese 
Befunde; auch die Nomenklatur ist noch durchaus verworren, weshalb 
der Verf. eine Trennung Dach der räumlichen und epithelialen Anordnung 
vorseblägt. Man muss unterscheiden die Doppelkarzinome ausgehend 
von einer Matrix, oder diejenigen mit doppelepithelialer Matrix. Besonders 
die letzteren sind sehr umstritten, da alle Deutungen von metaplastisoher 
Auffassung bis zur Annahme des Entstehens aus indifferenten Epithel¬ 
anlagen bestehen. Die Frage der Möglichkeit einer gutartigen Meta- 
plasieruDg der Uterusschleimhaut glaubt der Verf. aus der reiohen 
Literatur bejahen zu können. Aus den Epithelverhältnissen der Portio- 
Zervix sind die Möglichkeiten gegeben für die Entstehung primär dimorpher 
Bildungen; sie scheinen trotzdem an Häufigkeit hinter den Doppel¬ 
bildungen des Corpus uteri zurüokzustehen. Die weitere Untersuchung 
des Verf. erstreckt sioh ausführlicher auf eigene Fälle. Eine sichere 
Klärung für die Frage der rein primären oder rein sekundären Epithel¬ 
dimorphie bringen sie auch nicht. Der Verf. nimmt eine dritte Form 
doppelepithelialer Karzinome an, nämlich eine Ausreifung unausgereifter 
Epithel formen einerseits in verhornender, andererseits in sekretorischer 
Richtung. Die ganze Frage ist an einem reichen Material ausführlich 
erörtert; solange die EntstehungsbedinguDgen des Karzinoms noch nicht 
sicher feststehen, wird auch diese Frage nicht entschieden werden können; 
ebenfalls gibt das Studium der Doppelbildungen wertvolle Hinweise für 
die Genese der Neubildungen. F. Jacobi. 

Innere Medizin. 

Lewis-Colehester*. Herzneurosen und körperliehe Anstrengung. 
(Brit. med. journ., Nr. 2987.) ln dem Lazarett für Herzkranke in C. 
werden die Soldaten, die an, „reizbarem Herz“ und ähnlichen Zuständen 
leiden, planmässig Uebungen unterworfen, die, nach dem Exerzierbuch 
des englischen Heeres zusammengestellt, in bezug auf Schwere und Dauer 
verschieden abgestuft wird. Später auch kürzere oder längere Märsche! — 
Die erzielten Erfolge waren gut; nur 16 pCt. mussten als gänzlich un¬ 
brauchbar entlassen werden; bei den anderen trat früher oder später 
ein bestimmter Grad von Dieostfähigkeit wieder ein, oft höher, als am 
Ende der Behandlung zu erwarten war. Schreiber. 

Pick-Prag: Ueber Erkrankungen dnreh Kampfgase. (Zbl. f. 
inn. M., 1918, Bd. 39, H. 20, S. 305.) Nach kurzer Schilderung der 
Symptomatologie, die zeigt, dass den Kampfgasen neben der lokalen 
Reizwirkung in den Luftwegen auch allgemeine toxische Wirkungen zu- 
kommen, geht Verf. ausführlicher auf die Nachkrankheiten ein. Hierher 
gehören die auffallend starke und langanhaltende Schlappheit und Müdig¬ 
keit der Leute, die Neuritis mit Hypotonie in den unteren Extremitäten, 
sowie die akute gelbe Leberatrophie. 

Hochheim-Gotha: Fünftagefieber. (Zbl. f. inn. M., 1918, Bd. 39, 
H. 18, S. 273.) Zusammenhängende Darstellung der Pathologie und 
Therapie des Fünftagefiebers nach Literatur und eigenen Beobachtungen. 
Nach der Ansicht des Verf.’s sind die atypischen Formen, insbesondere 
die paroxysmale typhoide und die rudimentäre rheumatoide-adynamische 
Form nichts Seltenes. Schwerere Zufälle im Krankheitsverlauf sind nur 
vereinzelt bemerkt worden und zwar vorzugsweise auf nervösem Gebiet 
(Somnolenz, Krämpfe, Delirium, Meningismus). Die Krankheit tritt oft 
als Komplikation im Verlaufe anderer Krankheiten auf, besonders als 
Lazarettinfektion. Während der Rekonvaleszenz können langwierige 
Erschöpfungszustände mit Erscheinungen von Anämie und neurasthenischen 
Beschwerden hervortreten. Trotz aller Arbeiten über diese Krankheit 
ist es bisher keineswegs gelungen, ihr Wesen restlos aufzuklären. 

M. Goidstein. 

Richtlinien nur Mnlnrinbebnndlnng und -Vorbeugung. (D. militärztl. 
Zschr., 1918, H. 9 u. 10.) Zusammengestellt vom Chef des Feldsanitäts¬ 
wesens und dem Sanitätsdepartement des Kriegsministeriums unter Mit¬ 
wirkung des Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten in Hamburg. 

Sohnütgen. 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


Hüll er-Marburg: Malariafragen. (Zbl. f. inn. M., 1918, Bd. 89, 
H. 17, S. 257.) 1. Die vorbeugende Chinindarreiohung ist keine echte 

Prophylaxe, sondern stellt meist eine verkappte, leider oft unsureiehende 
Dauertherapie dar, die imstande ist, die Infektion zu einer leichteren, 
oft abortiven Erkrankung zu gestalten. 2. Mischinfektionen von Tropika 
und Tertiana sind in der Türkei nichts Seltenes. Es kann sich auch 
▼ährend des Krankenhausaufenthaltes die Tropika hinsichtlich Fieber¬ 
typus und Blutbefund in Tertiana umstellen; scheinbar geheilte Tropika* 
falle können mit typischer Tertiana rückfällig werden. 3. Fast jede 
Malaria, deren Blutbild im Behandlungsbeginn schon reife Gameten zeigt, 
besitzt eine gewisse Chininfestigfceit, dabei sind Tropikabalbmonde noch 
widerstandsfähiger als Tertianagameten. Das Chinin ist kein vollgültiges 
Spezifikum in ätiologischer Hinsicht, da es bei der Beseitigung der im 
Blute kreisenden oder in inneren Organen haftenden Plasmodien allzu- 
häufig versagt. Salvarsan wirkt bei Tropika kaum, bei Tertiana besser. 
4. Wir besitzen kein sicheres Mittel zur Feststellung der Malariaheilung; 
psychische und körperliche Störungen können zum Wiederauftauchen 
des Parasiten im strömenden Blute Anlass geben. Bei noch fortdauernder 
Tätigkeit in malariaverseuohten Gegenden kann die nicht restlose Aus¬ 
heilung der Malariainfektion sogar eine günstige relative Immunität gegen 
Neuinfektionen bieten. M. Goldstein. 

L. Klauber-St. Wendel: Ein Schema der Niereubelastungsproben. 
(D. militärztl. Zschr., 1918, H. 9 u. 10.) Diese Proben spielen bei der 
Beurteilung der Nierenerkrankungen, insbesondere in militärisch¬ 
prognostischer Hinsicht eine grosse Rolle. Sie sollen die Dauerhaftigkeit 
der Heilung erproben und erkennen lassen, ob die Geheilten den An¬ 
sprüchen des täglichen Lebens und den militärischen Anforderungen, 
ohne rückfällig zu werden, gewachsen sind. Angabe eines Schemas, das 
nach Verf. Ansioht nur in den seltensten Fällen einer individualisierenden 
Abänderung bedarf. Schnütgen. 

J. Fei gl: Neue Beiträge zur deskriptiven Biochemie gewisser 
Oedemznstände. I. Untersuchungen an Blut und Serum. (Biochem. 
Zschr., 1919, Bd. 85, H. 5 u. 6, S. 865.) Verf. schildert seine während 
des Krieges gesammelten Erfahrungen über die eigenartigen Oedem- 
erkrankungen, besonders über Blutzusammensetzung. Zu einer ein¬ 
deutigen Auffassung dieses Krankheitsbildes gelangt Verf. nicht. 

R. Lewin. 

Biggs: Rachenblutungen infolge von — Blntegeln. (Brit. med. 
journ., Nr. 2984.) Zwei unter den englischen Truppen in Palästina vor- 
gekommene, ungewöhnliche Fälle von „Bluthusten“ bzw. „Blutbreohen“. 
Ursache: Blutegel, die mit dem Trinkwasser aufgenommen waren. 
Blutung stand erst, als die Tiere ausgehustet waren. Schreiber. 

Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

L. Jacobsohn-CharlOttenburg: Zar Diagnose nnd Prognose der 
Hirngeschwulst. (Ther. d. Gegenw., Mai 1918.) Bei der Diagnose unter¬ 
scheidet man allgemeine und lokale Symptome. Bei den ersteren findet 
man am konstantesten den Kopfschmerz und die Stauungspapille, weniger 
häufig Schwindel und Erbrechen. Die Lokalsymptome richten sich nach 
der physiologischen Wertigkeit des befallenen Hirnabscbnitts. Es sind 
hier zu nennen Sprachstörungen, Lähmungen, Jackson’sche Krämp'e, 
Tastlähmungen, Störungen der Sinnesnerven, Cerebellaratoxie usw. Bei 
der Diagnosenstellung ist zu bedenken, dass ausser einer wirklichen 
Hirngeschwulst andere, eine Hirndrucksteigerung bewirkende Prozesse 
das gleiche Symptomenbild hervorrufen können. Es kommen hier in 
Betracht: der Hydrocephalus, die Hirnsyphilis und der Hirnabszess. Beim 
Hydrocephalus(Meningitis serosa) sind die gleiohen Allgemeinerscheinungon 
vorhanden. Herdsymptome fehlen, abgesehen von der Stauungspapille 
und den Lähmungen der Augenmuskelnerven und des Facialis. Typisch 
sind häufige Remissionen im Verlauf. Hirnsyphilis macht die gleichen 
Symptome wie der Hirntumor. Diagnose wird durch die spezifische Kur 
sichergestellt, sowie durch eine Blut- und Liquoruntersuohung. Der 
Hirnabszess ist häufig die Folge einer vorangegangenen Otilis media, 
eines Traumas und einer Nasennebenhöhleneiterung. Die Prognose des 
echten Hirntumors ist stets eine ernste. In der Mehrzahl der Fälle er¬ 
folgt der Exitus in 1—3 Jahren. Die Dauer des Leidens ist von dem 
Sitz und der Wachstumsenergie der Neubildung abhängig. Die Tumoren 
der hinteren Scbädelgrube nehmen einen rascheren Verlauf. Bei den 
Hirntumoren kommt eine Art von Selbstheilung vor; es sind hier zu 
nennen eine Autotrepanation durch Usur des Schädelknoohens, gewisse 
regressive Vorgänge im Tumor, wie Zerfall- und Bindegewebsentwick- 
lung. Bei der Prognose der Hirntumoren sind die von Nonne unter 
dem Begriff des Pseudotumors zusammengefassten Zustände zu berück¬ 
sichtigen. Meist handelt es sieb um das Symptomenbild des Zentral¬ 
windungstumors mit umschriebenen Krämpfen ujpd Lähmungen, in anderen 
Fällen zeigen sich die Erscheinungen des Kleinhirntumors. Als Ursache 
für den Pseudotumor kommen in Betracht: eine Meningitis serosa, Hirn¬ 
lues, eine tuberkulöse Eucephalitis, eine chronische Hirnschwellung, eine 
Toxinwirkung. Viele Fälle sind noch ungeklärt. Verf. führt dann 5 Fälle 
an, bei denen die Diagnose mit grösster Wahrscheinlichkeit auf Hirn¬ 
tumor lautete. Die sohwerkranken Patienten sind sämtlich gesund und 
arbeitsfähig geblieben. Die statistischen Angaben über Dauerheilungen 
der Hirntumoren durch Operation sind sehr widerspruchsvoll, im all¬ 
gemeinen dürften wohl 5 pCt. in Betracht kommen. R. Fabian. 

H. C ursch mann-Rostock: Ueber das Versehwinden der Fnss- 
pnlse hei Neuritis. (Zbl. f. inn. M., 1918, Bd. 39, H. 19, S. 289.) Während 


das intermittierende Hinken mit neuritischen Symptomen bei arterio¬ 
sklerotischen Individuen bereits mehrfach beschrieben worden ist, schildert 
Verf. als neuartig das Symptomenbild der Claudicatio intermittens mit 
dem Verluste der Fusspulse auch bei der Polyneuritis postinfectiosa. 
Es kann zugleich mit dem Auftreten der ersten Neuritissymptome zu 
einem Verschwinden der Fusspulse kommen; ein Symptom, dass in 
manchen Fällen zugleich mit Arefiexie als bleibender Rest der Erkran¬ 
kung zurückbleibt und zum typischen intermittierenden Hinken führt, 
in anderen Fällen zugleich mit der Neuritis entsteht und mit ihrer 
Heilung verschwindet. Die Frage, ob die Nervenentzündung das primäre 
Moment war und die Gefässstörung auslöste, glaubt Verf. nicht mit Ja 
beantworten zu können und hält es für näherliegend, sie beide als 
koordinierte Folgen derselben Ursache der Bakterientoxinwirkung auf¬ 
zufassen. Auffallend im Krankheitsbilde waren ferner strumpfförmig be¬ 
grenzte Gefühlsstörungen, die nicht einfach als hysterische Ueberlage- 
rungen abzutun sind, sondern vielleicht auf eine relative Ischämie als 
Folge der arteriellen Funktionsstörung zurüokzuführen sind. 

Manfred Goldstein. 

Disqu 6 -Potsdam: Behandlung der Kriegsnenresen durch Hypnose, 
Wachsuggestien nnd suggestive elektrische Anwendungen. (Ther. d. 
Gegenw., Mai 1918.) Nach Ansicht des Verf. wird jeder Arzt, der ge¬ 
nügend Selbstvertrauen hat und dem Patienten zu imponieren versteht, 
bei den Kriegsneurosen durch Psychotherapie die schönsten Erfolge er¬ 
zielen. R. Fabian. 

Chirurgie. 

Gwathmey und Harsner- Amerika: Nene Art vtn Allgemein¬ 
betäubung. (Brit. med. Journ., Nr. 2983.) Zur Erzielung allgemeiner 
Gefühllosigkeit wurden Versuche gemacht mit verschiedenen Mischungen 
leicht betäubender Mittel, die man nicht einatmen liess, sondern eingab. 
Am besten bewährte sich eine 5 proz. Aetherlösung in flüssigem Paraffin. 
Magenscbädigungen wurden nicht beobachtet, auch keine Uebelkeit oder 
Erbrechen hinterher. Die Gefühllosigkeit war vollkommen. Derartige 
kurz dauernde Betäubungen eignen sich besonders für schmerzhafte 
Verbandwechsel und dergleichen und können im Krankenbett vor- 
genommen werden. Schreiber. 

Breslauer: Die intravenöse Methode der lokalen Behandlung 
entzündlicher Prozesse. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 17.) Die lokale Be¬ 
handlung entzündlicher Prozesse mit dem Morgen rot huschen Präparat 
Vuzin steht im Vordergründe des Interesses. Die bisher mitgeteilten 
Beobachtungen haben übereinstimmend als eine unerlässliche Bedingung 
für den Erfolg darüber berichtet, dass das Präparat an alle Stellen ge¬ 
bracht werden muss, welche als infektionsverdächtig zu gelten haben. 
Bisher suchte man dieses gewünschte Ziel durch eine Umspritzung bzw. 
Einspritzung in das gefährdete Gewebe zu erreichen. Ausgehend von 
den theoretischen Grundlagen der Venenanästhesie bat Breslauer ver¬ 
sucht, eine ideale Durchtränkung des infizierten Gebietes durch Ein¬ 
spritzung des Vuxins in die Vene des verletzten Bezirks zu erreichen. 
Grössere praktische Erfahrungen liegen der Veröffentlichung noch nicht 
zugrunde. 

Perthes: Zur Chemotherapie der Extremitäteustrkome. Steige¬ 
rung der Wirkung chemischer Mittel durch intravenöse Applikation in 
der abgeschnürten Extremität. (Zbl. f. Chir., 1918, Nr. 17.) Nach dem 
Vorbilde der Bier’schen Venenästhesie hat Perthes bei einem jungen 
Mädchen mit einem Sarkom des Radius Neosalvarsan injiziert. Der 
Tumor stiess sich bald nekrotisch ab, doch war ein Rezidiv nicht zu 
vermeiden. Das Präparat, welches nach der Amputation gewonnen 
wurde, zeigte, dass auch die Nekrosen nur oberflächlich gewesen waren. 

Riobteri Kalipermangaubehnudlung der Gasphlegmone. (Zbl. f. 
Chir., 1918, Nr. 17.) Verf. hat bei einer Durchspülung der Wunden mit 
einer 1 proz. und 2 proz. Lösung gute Erfolge gesehen. Naturgemäss 
muss zunächst alles Kranke nach Möglichkeit entfernt werden. Angabe 
einiger Rezepte der Lösung, die sich besonders für Umschläge nnd 
Tamponaden eignen. Hayward. 

Gray: Behandlung des Gasbrandes. (Brit. med. Journ., Nr. 2987.) 
Ausgehend von der Beobachtung, dass sich der Erreger des Gasbrandes 
vornehmlich in Geweben entwickelt, die schlecht durchblutet oder sehen 
abgestorben sind, empfiehlt G., bei der Operation mit der Entfernung 
des erkrankten Gewebes nicht früher aufzuhören, als bis es aus der 
Schnittfläche kräftig blutet. Mit der Anwendung künstlicher Blutleere 
sei man sehr zurückhaltend; man wende sie nur an bei ausgebluteten 
Kranken. Proximale Teile sind vor distalen zu entfernen. 

Morison-Sunderland: Behandlung infizierter Schusswunden mit 
Magnesiamsnlfat. (Brit. med. Journ., Nr. 2986.) Verwendet wird ein 
durch Mischung mit 10 proz. Karbolglyzerin hergestellter Magnesium¬ 
sulfatkrem. Mit diesem werden die Wundfiäcben dick bestrichen, bzw. 
die Wundhöhlen und Gelenke angefüllt. Verbandwechsel nur alle 
3—8 Tage erforderlich. Diese ausserordentlich einfache, wenig zeit¬ 
raubende Behandlungsart eignet sich nur für das erste Stadium der 
Wundheilung, da sie die Ueberbäutuog hintanbält, leistet aber in dieser 
Zeit durch rasche Säuberung der Wunden Vorzügliches. 

Hughes: Lnmiuektomie bei SchussverleUnngen. (Brit. med. Journ., 
Nr. 2984.) Die Frage, ob bei Rückenmarksschüssen operiert werden 
soll, ist zu bejahen, einmal, bei unerträglichen Schmerzen, ferner bei 
unvollständigen oder in Besserung befindlichen Lähmungen, wo nach 


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17. Jani 1918, 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


679 


Lage des Falles ein Druok von seiten eines Fremdkörpers auf das 
Rüokenmark vermutet werden kann. H. bat im ganzen 7 mal die L. 
ausgeführt; in 4 Fällen von schlaffer Lähmuog mit Blasenmastdarm- 
Störungen und Druckbrand erfolgte keine Besserung; in den drei übrigen 
Fällen von unvollständiger Lähmung ohne Schliessmuskelschädigung, wo 
nur die Wirbelsäule, nicht das Rückenmark betroffen war, wurde voll¬ 
ständige Wiederherstellung erzielt. 

Rayner und Barclay-Manchester: Instraaent »r Entfernung 
▼ob Fremdkörpern aas dem Gehirn. (Brit. med. Jour., Nr. 2982.) Das zu 
diesem Zwecke hergestellte Instrument ist nach Art einer Zabnzange 
gebaut, deren Kiefer mit einem durchsichtigen Schirm ausgestattet sind. 
Rechtwinklig zu den Kiefern sind zwei ungleich lange Blätter ange¬ 
bracht, die in Spitzen endigen und in die Tiefe eingeführt werden. 
Kommen letztere mit dem Fremdkörper in Berührung, so ertönt ein 
Läutewerk. Alsdann wird durch Oeffnen der Blätter der Fremdkörper 
gefasst und vorsichtig herausgezogen. Der Gebrauch des Instruments 
ist nicht leicht. Wichtig ist, dass man genau über dem Fremdkörper 
eio- und in gerader Richtung auf ihn zugeht, und zwar unter ständiger 
Röntgenkontrolle mittels des oben erwähnten Schirmes. Das Instrument 
hat den Vorteil, dass es sehr schonend eingeführt werden kann und 
keine Verletzungen macht. Bin Nachteil ist die Gefahr einer Röntgen¬ 
schädigung für den Kranken sowohl wie auoh für den Arzt. Einge¬ 
kapselte Fremdkörper eignen sich für dieses Verfahren nicht. 

Morley-Manchester: Pankreaazyste nach Schnssverletung. (Brit. 
med. Joum., Nr. 2986.) Pankreasverletzungen sind im Verhältnis zu der 
grossen Zahl von Bauchschüssen ein seltener Operationsbefund. Unter 
1000 derartigen Fällen war die Bauchspeicheldrüse nur sechsmal mit¬ 
verletzt. Beschreibung eines Falles, wo sich nach einer Granatsplitter¬ 
verletzung eine Pankreaszyste gebildet hatte. Klinisch fand sich eine 
runde, derbe Schwellung in der Magengrube; keine Zeichen einer Bauch¬ 
fellentzündung. Das Geschossstüok lag in einer Höhle, die mit trypsin¬ 
haltiger Flüssigkeit erfüllt war. Heilung. Schreiber. 


Röntgenologie. 

E. Sol ms-Charlottenburg: Balancesckwebeextensien mittels einer 
Blnheitsschiene. (D.m.W., 1918, Nr. 15.) 

K. Bley-Bremen: Entlüftung der Röntgenabteilung. (D.m.W., 
1918, Nr. 15.) Schilderung der Einrichtuug in der Frauenklinik der 
Krankenanstalten in Bremen. Dünner. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

G. Heim-Bonn: Hantkrtakheiten bei farbigen Rassen. (Denn. 
Wsohr., 1918, Bd. 66. Nr. 17 u. 18.) Lupus kommt so gut wie gar nicht 
vor, aber sehr häufig sind parasitäre Hautkrankheiten, wie Tinea imbrioata 
Tinea circinata, Herpes tonsurans, Pityriasis versicolor, Impetigo con- 
tagiosa, Pemphigus contagiosus, Molluscum contagiosum, infektiöse 
Ekzeme, Ulcus cruris, Sandflöhe und Kopfläuse, Scabies; von anderen 
Hautleiden sind beobachtet worden Urticaria, Purpura rheumatica, Lichen, 
Ichthyosis, Alopecia areata, Seborrhoa capitis, Furunkulose, ferner 
Pigmentanomalien, Keloid, Noma, Hautkarzinome. 

Sprinz-Berlin: Ueber Exanthenia follienlare aeaeifsrue. (Denn. 
Wsohr., 1918, Bd. 66, Nr. 20.) Im Gegensätze zu Veress gibt Verf. 
den schlechter gewordenen Salbengrundlagen die Schuld an dem Auf¬ 
treten der Affektion. 

E. Zurhelle-Bonn: Ueber eine Granuloaa pedienlatum laposam. 
(Denn. Wschr., 1918, Bd. 66, Nr. 20.) Neu ist im vorliegenden Falle 
die Entstehung eines gestielten Tumors von lupösem Bau in der sonst 
nur für typische Granulome charakteristischen kurten Zeit von 2 Monaten. 

I. Fab ry-Dortmund: Weitere Mitteilungen überErosie interdigitalis 
blastomyxetica. (Denn. Wschr., 1918, Bd. 66, Nr. 19.) F. hat die 
Affektion bei 13 Frauen und 4 Männern beobachtet, in allen diesen 
Fällen gelang kulturell der Nachweis der Hefen im Ausstrioh. 

G. Mense-Kassel: Zur Zunahme der Hautpilserkrankungen bei 
Mensehen nid Vieh. (Denn. Wschr., 1918. Bd. 66, Nr. 17.) M. meint, 
dass der während des Krieges vermehrte Weidegang des Viehes nicht 
nur bei den TiereD, sondern auch bei den Menschen die Trichophytien 
verbreite, und hält es für dringend erforderlioh, dass die behördlichen 
Verordnungen gegen Verbreitung der Bartflechte usw. diese Krankheits¬ 
quelle zu verstopfen bestrebt sind. 

G. Philip-Hamburg: Zur Bekämpfung der Bartflechten. (Denn. 
Wsohr., 1918, Bd. 66, Nr. 17.) Empfehlung, sich selbst zu rasieren; 
Vermehrung der hygienischen Maassregeln in Kasernen, Bureans und 
Fabriken. Gründliche Desinfektion der Instrumente der Barbiere und 
Bereitstellung von Desinfektionsmitteln. Fernhaltung der Bartkranken 
von den öffentlichen Rasierstuben. Einrichtung von Krankenrasierstuben. 
Aufklärung der Kranken über die Verbreitung und Bedeutung der Bart¬ 
flechte. Ueberweisung der zahllos unbehandelt Herumlaufenden an Fach¬ 
ärzte. 

F. Drezler-Weingarten: Ueber den Wert verschiedener Prove- 
kationsnethoden bei Gonorrhoe. (Darm. Zschr., April 1918.) Eine 
intravenöse Injektion von 0,1 ccm Arthigon -f- 0,4 ccm physiologischer 
Kochsalzlösung ruft bei einer fraglich vorhandenen Gonorrhoe bei 
Männern Fieber, Allgemein- und Herdreaktion hervor. Diese Anwendung 
des Arthigons ist von hervorragendem diagnostischem Wert. 


Wolff-Metz: Neue Wege zur Heilung von Syphilis aad Gonorrhoe? 
(Derm.Zbl., April 1918.) W. verwendet zu Einspritzungen bei Gonorrhoe 
Vs—1 proz. Lösungen von Argochrom, ein von Merck hergestelltes 
methylenblaues Silberpräparat, und gibt innerlich Methylenblau in 
Kapseln etwa 0,05—0,1 pro Dosis und 0,8—0,6 pro die. Vielleicht 
hat das Methylenblau wegen seiner Einwirkungen auf die Spirochäte 
pallida auch gute Wirkungen bei der Lues. In einem Nachtrag stellt 
W. ein Schema für die Gonorrhoebehandlung auf. 

F. Wise-New York: Prognose und moderne Behandlung der kon¬ 
genitalen Syphilis. (Denn. Wschr., 1918, Bd. 66, Nr. 18.) Schmier- 
kur mit grauer Salbe 0,3—0.5 pro die, Sublimatinjektionen zwei Mal 
wöchentlich in Dosen von 0,003—0.005 Sublimat (Sublimat 1,0, Koch¬ 
salz 10,0, destilliertes Wasser 100,0) in die Glutäen;> nach beendigter 
Hg-Kur Neosalvarsan im ganzen 4—6 Injektionen von je 0,005—0,15 
in wenig destilliertem Wasser gelöst wöchentlich einmal entweder intra¬ 
venös in die Schläfenvenen, oder intraglutäal: Wenn im ganzen unter 
strenger Kontrolle der Wassermann’schen Reaktion 3—4 Kuren durch¬ 
geführt sind, so ist die Prognose eine relativ günstige. Die ganze Be¬ 
handlung nimmt \ l j A —1 Vs Jahre in Anspruch. 

M. Goldfarb-Lodz: Zwei Fälle von Salvarsan-Dernatitis. (Denn. 
Zschr., April 1918.) Bei beiden Patienten traten zuerst kleine, punkt¬ 
förmige Flecken auf, die später konfluierten. Kurze Zeit später zeigte 
sich starkes Nässen mit Krusten- und Borkenbildung und zuletzt 
Schuppen von verschiedener Grösse. Eine Heilung trat erst nach drei 
Monaten ein. 

P. Mulzer-Zabern: Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
im Felde und in der Heimat. (Derm. Zschr., April 1918.) Bei allen 
Heeresangehörigen, auoh Offizieren, ist sofort nach Bekanntwerden der 
geschlechtlichen Erkrankung naoh der Infektionsquelle zu forschen. 
Sachgemässe Untersuchungen der als Infektionsquelle gemeldeten 
Frauenspersonen sollen möglichst nur durch Fachärzte vorgenommen 
werden. Eine dafür eingerichtete Zentralstelle, und nicht die Polizei, 
prüft die Mitteilungen und veranlasst die Untersuchungen. Geschlechts¬ 
kranke Frauenspersonen werden in Lazaretten oder fachärztlichen Am¬ 
bulatorien, eventuell zwangsweise behandelt. Schaffung einer von der 
Polizei unabhängigen, regelmässigen Kontrolle der Prostituierten. Erst 
wenn einer Geschlechtskrankheit verdächtige Frauenspersonen sich hart¬ 
näckig weigern, sich untersuchen zu lassen, tritt die Polizei in Aktion. 
Die Einrichtungen von Versicherungen gegen Geschlechtskrankheiten, 
insbesondere der zwangsweise Beitritt von Prostituierten zu einer 
Krankenkasse empfiehlt Bich sehr. Schaffung von Beratungsstellen, auch 
in kleineren Städten und auf dem platten Lande. Schaffung einer Ab¬ 
teilung für Geschlechtskrankheiten im Reichsgesundheitsamte. 

Immerwahr. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitihng vom 14. Januar 1918. 

Vorsitzender: Herr Bon hoff er. 

Schriftführer: Herr Henneberg. 

Neiwahl des Vorstandes: Zum ersten Vorsitzenden wird Herr Moeli, 
zum zweiten Herr Bonhöffer, zum dritten und Schatzmeister Herr 
Gassierer, zum Bibliothekar Herr Lewandowsky, zu Schriftführern 
Herr Henneberg und Herr Förster, in die Aufnahmekommission die 
Herrn Sander, Oppenheim, Jakobsohn und Falkenberg gewählt. 

Tagesordnung: 

1. Hr. Schuster: M. H.! Ich bitte, Ihnen einen sog. Schilfall einer 
reinen Alexie zeigen zu dürfen, welcher einige bemerkenswerte Einzel¬ 
heiten aufweist. Pat., ein 45 jähriger Dreher zeigt seit einigen Jahren 
zeitweise Zuckergehalt des Urins: augenblicklich ist kein Zucker nach¬ 
weisbar, Lues und Potus werden negiert, Wassermann negativ. Am 
17. XII. 1913 rutschte Pat. bei der Arbeit aus und fiel mit dem 
Hinterkopf auf eine Kiste. Er richtete sich sofort auf, sah aber ganz 
blass und verstört aus. Er arbeitete weiter trotzdem er sofort eine 
Behinderung der rechten Hand und Kopfschmerzen verspürt haben will. 
Am 21. XII. fand der Arzt einen Bluterguss in die Kopfhaut des Hinter¬ 
kopfes, der Patient klagte über Kopfschmerz und Schwindel, Armschwäohe 
rechts. Am 22. XII. trat plötzlich eine rechtsseitige Lähmung auf. Ich 
sah den Kranken zuerst etwa ein Jahr nach Beginn des Leidens und 
beobachtete ihn seitdem dauernd, das jetzt vorhandene Symptomenbild 
war anfänglich nicht ganz so rein vorhanden, sondern noch von einer 
ganz leichten Sprachstörung begleitet. Jetzt bestehen keine deutlichen hemi- 
plegisohen Symptome mehr, auch keine Refleistörungen. Vorhanden ist eine 
rechtsseitige Hemianopsie, verbale und literale Alexie (auch Ziffern werden 
meist nicht erkannt) bei erhaltener Schreibfähigkeit. Das Kopieren ist 
unmöglich. Die Sprache zeigt keine Störungen, Pat erkennt Buchstaben 
als solche und unterscheidet sie von Phantasiezeichen. Er kann Buch¬ 
staben auoh dann nicht benennen, wenn er sie selbst kurz vorher auf¬ 
geschrieben hat. 

v Sehr interessant ist, dass Pat. häufig dann lesen kann, wenn das 
zu Lesende vor seinen Augen geschrieben wird. Er folgt dann soharf 


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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 24. 


den Bewegungen des Schreibenden und kann dann — ähnlich wie die 
Blinden — mittels optisch-kinästhetisoher Empfindungen lesen. Schreibt 
man gleich hinterher das soeben kinästhetisch verstandene Wort nieder, 
ohne dass Pat. zusiebt, so kann er es nicht lesen. 

Spontan kann Pat. fast alles richtig schreiben, doch hält er die 
Zqjle beim Schreiben nicht inne. Das Zeichnen gelingt sehr viel Bohlechter 
als das Sohreiben. Pat., der früher geschickt gezeichnet haben soll, 
zeichnet jetzt etwa wie ein 6—7 jähr. Kind. 

Ausser der Alexie bestehen jetzt keine nennenswerten optischen 
Störungen mehr. Eine anfänglich vorhanden gewesene partielle Seelen- 
blindheit für zwei dimensionale Objekte ist jetzt fast ganz geschwunden. 
Pat. versteht jetzt nur die Einzelheiten einer Zeichnung oder Abbildung 
nooh nicht, sondern ergänzt sie aus seiner Phantasie. Farben wurden 
stets prompt erkannt. Eine eigentliche Apraxie habe ich nie festgestellt. 
Trotzdem besteht eine gewisse Ungeschicklichkeit bei allen Hantierungen: 
Messer undScheere kann Pat. auf Wunsch richtig anfassen und benutzen, geht 
aber nach Aussage seiner Frau nur sehr ungern mit diesen Instrumenten um 
und isst z. B. viel lieber mit den Fingern als mit dem Messer und der Gabel. 

Bemerkenswert sind gewisse psychische Auffälligkeiten. Pat. ist 
äusserst reizbar, wird leicht ungeduldig und „gerät dann ganz ausser 
sich“, stürzt zum Fenster, um sich herauszustürzen usw. 

Auffällig ist ferner eine gewisse Unbesinnliohkeit: Pat. vergisst 
plötzlich in der Unterhaltung gewisse ihm völlig vertraute Dinge, so 
z. B., dass sein Sohn im Felde steht und andere wichtige Dinge, — 
besinnt sich aber dann auf Ermahnung sofort der betreffenden Daten wieder. 

Pat. kann sich, nach Aussage seiner Frau, nicht gehörig orientieren, 
auch abgesehen von den mit der Hemianopsie zusammenhängenden 
Störungen nicht. So findet er sich auf etwas unbekannteren Strassen 
nicht zurecht, erkennt eine Strasse nur, wenn er in einer ganz bestimmten 
Richtung sie betritt usw. Er kann nicht mit Geld hantieren, muss sich 
das Geld von anderen Leuten aus dem Portemonaie nehmen lassen, um 
zu zahlen usw. Die Stimmung ist eine auffällig euphorische, trotzdem 
sich Pat. der alektischen Störung bewusst ist. 

Bemerkenswert scheint mir am voliegenden Fall zu sein, .dass offen¬ 
bar im Anschluss auf den relativ leichten Fall auf den Kopf bei dem 
(wahrscheinlich diabetisch erkrankten) Mann eine allmählich sich ver¬ 
größernde Hirnblutung auftrat, bemerkenswert scheint mir ferner, dass 
auch in diesem Falle wie in einigen anderen von mir beobachteten und 
beschriebenen (Monatsschrift f. Psych. u. Neurol. Bd. 25, Erg.-H.) neben 
der Alexie eine leichte Seelenblindheit bestimmter Art vorhanden war, 
sowie schliesslich, dass eine Reihe psychischer erheblicher Auffälligkeiten 
besteht, welche trotz der offenbaren Kleinheit des Krankheitsherdes nur 
als Allgemeinerscheinungen aufgefasst werden müssen. 

Die Frage nach den Unterschieden der von Agraphie begleiteten 
und der von Agraphie freien Alexie möchte ich hier nioht erörtern. Nur 
das möchte ich bemerken, dass auoh der vorliegende Fall mit gegen die 
Döjerin’sohe Auffassung von der Wesensverschiedenheit der beiden 
Formen zu sprechen scheint. Ich nehme auch für diesen Fall meine 
früher schon gegebene Erklärung der erhaltenen Schreibfähigkeit an: 
dass Pat. deshalb schreiben konnte, weil er vom Wortklangbild aus ohne 
Erweckung der Schriiterinnerungsbilder direkt die motorischen Zentren 
innervieren gelernt hatte. (Eigenbericht.) 

Aussprache. 

Hr. Stier bemerkt, dass auffallend ist, wie gut der Pat. die Schreib' 
bewegungen des Schreibenden erkennt, und fragt, ob Versuche gemacht 
sind, durch Nachziehen der Schreibbewegungen eine gewisse Lesefähigkeit 
zu erzielen. 

Hr. Bon hoff er fragt, warum der Vortragende einen so besonders 
kleinen Herd annimmt. 

Hr. Schuster: Herrn Stiers Frage kann ich dahin beantworten, 
dass der Kranke, wie fast alle derartigen Kranken, in der Tat etwas 
lesen kann, wenn er die einzelnen Buchstaben selbst mit seiner Hand 
nachfährt, dass aber ein zusammenhängendes Lesen anscheinend wegen 
der Störung der Merktähigkeit nicht möglich ist. Zur Frage des Geh. 
Rat Bonhöffer bemerke ich, dass ich deshalb einen relativ kleinen 
Krankheitsherd annehme, weil sowohl alle Wirkungen des Herdes auf die 
sensiblen und motorischen Bahnen als auch alle weiteren erheblichen 
optischen Störungen völlig fehlen. (Eigenbericht.) 

Hr. Bonhöffer hat früher einen Alexiefall beschrieben, in dem sich 
die Störung der Merkfähigkeit auf das optische Gebiet beschränkte. Er 
fragt, ob es sich auch hier um eine umschriebene Merkstörung handelte. 
Fehlen von Seelenblindheit kann bei erheblicher Ausdehnung des Herdes 
nach hinten bestehen. 

Hr. Schuster: Eine detaillierte Prüfung der Merkfähigkeit auf den 
verschiedenen Sinnesgebieten habe ich nicht vorgenommen, doch glaube 
iob, dass eine allgemeine Herabsetzung der Merkfähigkeit besteht 

(Eigenbericht.) 

Hr. Förster erinnert an die Arbeiten von Reichardt, nach der es 
bei Tall aufs Hinterhaupt zu typisohen Bildern einer traumatischen 
Psychose mit charakteristischen Lese- und apraktischen Störungen kommt. 
So soheint auoh in Schusters Fall das Hinfallen ätiologisch in Frage 
zu kommen. Das braucht keine Blutung, kann auch eine einfache Zer¬ 
trümmerung von Hirnsubstanz gewesen sein. 

2. Hr. Stier: 

lieber respiratorische Affektkrämpfe in frühkindliehen Alter. 

Vortragender hat 29 Fälle von „Wegbleiben“, wie der volkstümliche 
Ausdruck für die von Ibrahim als „respiratorische Affektkrämpfe“ be- 


zeichneten krampfartigen Zustände der kleinen Kinder lautet, untersucht 
und den allgemeinen Gesundheitszustand dieser Kinder, ihre Abstammung 
und ihr weiteres Schicksal, im Durchschnitt über 5 Lebensjahre, verfolgt. 
Die Anfälle selbst — bei Schreibeginn nach Affekterregungen, Hinten¬ 
überfallen, Atemstillstand, Bewusstlosigkeit, Zyanose, eventuell Zuckungen 
und Einnässen, hinterher Müdigkeit — traten danach bei Knaben sehr 
viel häufiger auf als bei Mädchen, sie setzten in */ 8 der beobachteten 
Fälle im 2. Halbjahr oder 2. Lebensjahre zuerst ein, ihr spätester Beginn 
lag im 6. Jahre. Erbliche Belastung mit Geistes- und Nervenkrankheiten 
konnte fast stets nachgewiesen werden, 6 mal sogar gleichartige Ver¬ 
erbung; in auffallend grosser Zahl fanden sich Ohnmächten und andere 
vasomotorische Störungen auoh irr der Verwandtschaft. Beziehungen zur 
Spasmophilie oder Rachitis konnten nioht festgestellt werden, auch nicht 
zu Schwachsinn oder anderen geistigen Störungen; wohl aber bestanden 
immer eine ausgesprochen neuropathische Konstitution mit gesteigerter 
sensibil-sensorischer und emotiver Erregbarkeit und ganz besonders 
eine Labilität und Uebererregbarkeit des ganzen vasomotorischen 
Apparats, die wohl als unerlässliche Grundlage der Anfälle angesehen 
werden kann. 

Ausgelöst wurden die Anfälle zunächst bei den Kleinsten immeT 
durch einfachen Schreck beim Fallen, Stossen oder Schlag durch die 
Eltern oder Spielkameraden. Mit zunehmendem Alter und auoh schon 
mit Wiederholung der Anfälle wurden die psychisohen Ursachen kom¬ 
plizierter, und es traten als auslösendes Moment Unlustgefühle über nicht¬ 
erfüllte Wünsche mehr in den Vordergrund. Das Ende der Anfälle ist 
meist nioht genau zu bestimmen; in 35 pCt. der Fälle hörten die typischen 
Anfälle zwischen dem 3. und 6. Lebensjahre auf. Fast stets finden wir 
bei diesen Kindern dann aber in der weiteren Kindheit und Jugendzeit 
bei Erregungen das Auftreten von Anfällen, die bald mehr den respira¬ 
torischen Affektkrämpfen, bald mehr Ohnmächten ähneln oder deutlich 
hysterischen oder epileptiformen Charakter tragen. Uebergänge 
zu den von Bratz beschriebenen affekt-epileptischen Anfällen waren 
deutlich nachweisbar. Zu der eohten Epilepsie bestehen dagegen keinerlei 
Beziehungen oder Uebergänge. 

Für die Behandlung ist der beliebte „Klaps“ zur Abkürzung oder 
Verhinderung des Anfalls meist vergeblich, allgemeine Hebung des 
Ernährungszustandes und vor allem körperliche Abhärtung wirken dagegen 
nachweisbar gut. Im Ganzen dürfte es sich um ein in sich geschlossenes 
Krankheitsbild handeln, das unsere Aufmerksamkeit besonders erfordert 
wegen der Uebergänge zu den oft schwer deutbaren vasomotorischen 
bzw. hysterieähnliohen Anfällen der Jugendlichen, besonders der Soldaten 
jetzt im Kriege. 

(Die Arbeit erscheint demnächst ausführlich.) (Eigenbericht) 

Aussprache. 

Hr. Bonhöffer fragt, ob Vortragender selbst einen Anfall gesehen 
hat. Bonhöffer hat nie einen derartigen Anfall gesehen und ist aber 
nach den Angaben der Angehörigen zweifelhaft, ob wirklich Bewusst¬ 
losigkeit dabei besteht. 

Hr. Stier hat selbst einen Anfall gesehen, dabei bestand Bewusst¬ 
losigkeit. d. h. das Kind reagierte auf keinerlei Reize. 

Hr. Cassierer hat mehrfach bei einem Kinde diese Anfälle gesehen. 
Sie bieten ein völlig anderes Bild als die epileptischen. Es ist ihm 
dooh zweifelhaft, ob wirkliche Bewusstlosigkeit besteht, d. h. ob etwas 
über den Stillstand der Atmung Hinausgehendes dabei ist. Dagegen 
spricht auch die Möglichkeit, die Kinder schnell durch einen Reiz ans 
diesem Zustand scheinbarer Bewusstlosigkeit zurückzurufen. Jedenfalls 
ist der Bewusstseinszustand ein ganz anderer wie bei Epilepsie. 

' Hr. Bonhöffer fragt, ob die Pupillenreaktion bei dem Anfall be¬ 
obachtetet werden konnte. 

Hr. Cassierer verneint das. 

Hr. Stier (Schlusswort): Die Angaben der Mütter über die Bewusst¬ 
losigkeit sind doch sehr beachtenswert. Wenn man die Anfälle wie 
gewöhnlich nicht sieht, ist jedenfalls die Unterscheidung von der Epilepsie 
nach der Schilderung nicht so einfach und doch praktisch sehr wichtig. 

3. Hr. Rudolph Foerster: Demonstration von mikroskopischen 
Präparaten der Mednlla oblongata bei einem Fall von Syringobalbi. 

'Publikation erscheint an einem anderen Orte.) 


Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie zu Berlin. 

Sitzung vom 22. Februar 1918. 

Demonstration: 

Hr. Stickel: Zervizriss bei Spontangeburt. 

Eingeliefert wurde eine 41 Jahre alte Frau mit normalen Beoken- 
maasseo, welche einmal spontan entbunden war. Aus dem Bericht der 
Hebamme ging hervor, dass die Geburt sich zuerst sehr langsam ent¬ 
wickelt hatte. Nach 10 Stunden war der Muttermund erst fünfmarkstück¬ 
gross gewesen trotz guter Wehen. Dann war plötzlich mit einem Ruck der 
Schädel tiefer getreten, und das Kind in unmittelbarem Anschluss daran 
geboren worden. Es trat aber die Portio mit intaktem äusseren Mutter¬ 
mund mit hervor, und es war vom Arzt ein Zervixriss festgestellt worden. 
Dieser Befund zeigte sioh auch jetzt noch. Schon bei leichtem Druck 
auf den Uterus trat die intakte Portio mit dem darüber befindlichen 
Riss hervor. Durch diesen Riss hatte also die Geburt stattgehabt. 
Bedeutende Blutung war nioht vorhanden, aber am Rande des Risses 


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17. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


681 


in der Mitte ziemlich zeigte sich eine kleine Geschwulst Diese wurde 
exzidiert, und der Riss genäht. Derselbe heilte bis auf die Stelle, wo die 
kleine Gesohwulst gesessen hatte. Die Geschwulst wurde histologisch als 
mehrkammerige kleine Zyste erkannt, deren Wand ein geschichtetes Platten- 
epithel trägt. Als Hauptursache für die Entstehung des Zervixrisses ist wohl 
dieGesohwulst anzuseben, als unterstützend kommt aber eineungewohnliohe 
Höhe der Symphyse hinzu. Bemerkenswert ist hier auch nooh, dass die 
Konzeption nach lOjähriger Pause stattfand. Es handelte sich um eine 
von den jetzt so viel besprochenen Kriegsschwangerschaften. 

Hr. Schäfer berichtet über zwei ähnliche Fälle, in denen auch die 
Gehurt dirch die Oeffiug eines Zervixrisses stattfand. 

Vorträge: 

Hr. C. Rüge H: 

Ovulfttiou, Konzeption und willkürliche Gesehleehtsbestiimiig. 

Ueber den Zeitpunkt der Ovulation ist bisher keine Einigung erzielt 
worden. Manche nehmen als Zeitpunkt den Anfang des Follikelsprunges 
an, manche erst den 19. oder 20. Tag. Redner selbst nahm bisher an, 
dass die Ovulation am 1. bis 14. Tage nach dem Follikelsprung statthaben 
könnte. Deijenige Autor, der sich am meisten mit dieser Frage be¬ 
schäftigt hat, ist Frankel. Er fand in 39 Fällen ein frisohes Corpus 
luteum, und zwar vom 10. bis 26. Tage. Aus seinem Material geht aber 
nur hervor, dass in den ersten acht Tagen nie ein frisches Corpus luteum 
gefunden wird. Da wir nun einem gelben Körper nicht ansehen können, 
ob er frisch oder in voller Blüte ist, so muss auch die Ansicht Fränkel’s 
als nicht einwandfrei angesehen werden. Auf Grund der Untersuchungen 
von Sobotta und Robert Meyer hat man jetzt jedoch mikroskopische 
Zeichen, um zu erkennen, wann der Sprung stattgefunden hat, und da 
zeigt sioh denn, dass zwischen dem 1. und 13. Tage niemals frische 
Follikel gefunden werden, und dass vom 15. Tage an dagegen gewöhnlioh 
die Blüte des Follikels statthat. Zugleich ist das auch die Zeit, in 
welcher der Beginn der Uterussekretion beobachtet wird. Wenn Fränkel 
als Beweis auoh den Mittelsohmerz anführt, so ist zu bemerken, dass 
dieser als auf pathologischen Veränderungen beruhend anzusehen ist. 
Der Follikelsprung ist nur möglich, wenn keine Blüte vorhanden ist, 
also nicht vom 15. Tage bis zum Beginn der erneuten Menstruation. 
Anerkannt ist, dass die Konzeption am ehesten erfolgt, wenn frische 
Ovula vorhanden sind. Dazu glaubte man jetzt die kurzen Urlaubszeiten 
der Kriegsteilnehmer als Grundlage für die Berechnung benutzen zu können. 
Siegel hat dies getan, und in 56 pCt. der Fälle den 6. Tag als Be- 
fruohtungstermin festgestellt. Das stimmt mit den Angaben, die wir 
aus Friedenszeiten haben, gut überein. Die günstigste Zeit liegt also 
zwischen dem 6. und 13. Tage. Im Prämenstruum sinkt dann die Kon¬ 
zeptionsmöglichkeit sehr sohneil. Auch dies bat Siegel durch Vergleich 
der Kriegs- und Friedenszeiten festgestellt. Hierfür ist als Grund anzu¬ 
sehen, dass ein Ei nur eine so kurze Lebensdauer hat. Dass andererseits 
die Befruchtung auch nioht immer unmittelbar stattfindet, dafür ist 
wohl der sehr einleuchtende Grund, dass ein so kleiner Körper, wie das 
Ei des Menschen, eine gewisse Zeit gebraucht, um sich festzusetzen. Aus 
den Untersuchungen von Siegel geht auoh hervor, dass überreife Eier 
gewöhnlioh männliche Individuen hervorbringen. Das leitet über zu den 
Ueberlegungen, die für die willkürliche Geschleohtsbesttmmung in Betracht 
kommen. Von Willkür kann dabei nur insofern die Rede sein, als eben 
die Konzeption auf die ersten acht oder auf die Tage nach dem 23. 
verlegt werden kann. Bisher hat sich aber auoh auf Grund der Kriegs¬ 
statistik kein besonderer Anhalt ergeben. Die Zahlen sind dieselben 
wie im Frieden, und auoh der physiologische Knabenüberschuss ist kein 
anderer als in Friedenszeiten. Dazu kommt noch, dass wir ja noch 
gar nioht mit Bestimmtheit wissen, ob nicht der Hauptanteil bei der 
Geschleohtsbestimmung den Spermatozoen zukommt. Diese Frage ist 
eine viel zu schwierige, als dass dieselbe auf statistischem Wege ent¬ 
schieden werden kann. Siefart 


Aerxtlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 5. Februar 1918. 

1. Hr. Stammler: Demonstriert ein von einer Sprenggrtaatver- 
letfiig herrflhrendes Herzpräparat. 

Ein Nagel war in das Mediastinum eingedrungen und hatte intra 
Ti tarn am Röntgenschirm der Herzpulsation synchrone Bewegungen auf¬ 
gewiesen. Infolge Vereiterung des entstandenen Hämatoms bestand 
septirches Fieber. Der Versuch der Entfernung von hinten her 
extrapleural misslang, da es zu einer nioht zu beherrschenden 
Blutung kam. Die Rissstelle wurde umstochen, wodurch die Blutung 
stand. Der Tod erfolgte aber 8 Tage später an Sepsis. 

2. Hr. Otto Meyer: Demonstriert eine Familie — Mutter mit 
2 Kindern —, welche beiderseits totale Lähmug aller Aagenbewegaagen 
aufweisen, auch der Levator palpebrae ist völlig gelähmt. Von einer 
anderen Familie, bei der die Affektion einseitig aufgetreten war, 
wurden'lPhotographien gezeigt. 

3. Hr. Thoch berichtet über eine Bleikigelverletzug des Gesichts, 
die ein 14 jähriger Knabe heim Spielen erlitt. Nachher hatte starkes 
Nasenbluten bestanden, am folgenden Tage trat eine starke Anschwellung 
der Orbita auf. Stereoskopische Röntgenaufnahme liess das 4 mm- 
Geschoss im Si ebb ein exakt lokalisieren. Extraktion gelang darauf 
leioht. 


4. Hr. Arniag demonstriert a) einen Patienten mit Xaithoma malti- 
plex, b) einen 23 jährigen Mann mit typisohem Primäraffekt der 
Unterlippe und regionärer Drüsenschwellung. Gleichzeitig bestanden 
Hutchinsonzähne. Es ergab sioh, dass der Vater 8 Jahre vor der 
Zeugung des Patienten syphilitisch infiziert gewesen war und jetzt 
noch positiven Wassermann aufwies. A. sieht in dem Fall einen Beweis, 
dass kongenitale Syphilis spontan ausheilen kann, c) eine Frau, 
bei der sich im Frühstadium der Syphilis infolge? von Neuritis 
optica eine rapide linksseitige Erblindung herausgebildet hatte. 
Weitgehende Besserung unter Salvarsan; jetzt nur nooh Farbenskotom. 
Lumbalpunktat; negative Reaktionen. Salvarsan^ selbst führt, wie A. 
betont, nie zu derartigen Erblindungen. 

5. Hr. Qaeraer demonstriert a) einen Kriegsteilnehmer, bei dem seit 
2 Jahren periodisch Fieberattaeken wiederkehrten, die an anderen 
Lazaretten teils zur Annahme von Malaria, teils von Febris wolhynica 
führte. Der Zusammenhang des Fiebers mit schon damals bestehenden 
allgemeinen Drüsenschwellungen wurde dort abgelehnt. Chinin und 
Salvarsan waren jedoch erfolglos. Vortr/daohte zunächst an „Hodgkin*, 
die Untersuchung der exstirpierten Drüse ergab Jedoch typische Lymph- 
drüsentuberkulose; es liegt also Pseudoleukämie vor. Die zur 
Unterscheidung von „Hodgkin* sonst herangezogene LeukopenieTwar 
hier nicht vorhanden, auch die sonst angenommene infauste Pro¬ 
gnose erwies sioh im vorliegenden Fall, der sioh unter Arsen und 
Röntgentherapie ausserordentlich besserte, als unrichtig. ! b) So¬ 
dann berichtet Q. über zwei erwachsene Patienten, bei denen statt 
eines Schüttelfrostes epileptiforme Apfälle das erste Symptom 
einer genuinen Pneumonie bildeten. In beiden Fällen war das 
Krankbeitsbild sehr ernst; es bestand tiefes Koma, Pupillenstarre usw. 
Im ersten Fall liess ein Albumen und Cylinder enthaltender Urin an 
Urämie denken. Die nervösen Symptome waren\ am zweiten Tag ge¬ 
schwunden; dann normal verlaufene Pneumonie. Im zweiten Fall, in 
welchem übrigens psychopathische Belastung vorlag, konnte der 
pneumonische Prozess erst bei der Sektion sioher gestellt werden. 
Während Krampfanfälle bei Kindern zu Beginn einer Pneumonie nichts 
Ungewöhnliches darstellen, sind sie bei Erwachsenen äusserst selten. 

6. Hr. Simmonds zeigt das Präparat eines ungewöhnlich grossen 
Fibromyoms des Oesophagus. Während dieser kleinste Tumor fast 
stets nur einen Nebenbefund bei der Sektion darstellt, hatte er in diesem 
Fall intra vitam zu starken Stenosenerscheinungen Anlass gegeben. 
Da auch blutige Massen erbrochen wurden, schien klinisch die Diagnose 
Oesophaguskarzinom ausser Zweifel. Bei der Sektion zeigte sioh, 
dass der mächtige wurstförmige Tumor, der mit schmalem Stiel in Kebl- 
kopfhöhe der Wand ansass, fast die ganze Speiseröhre ausfüllte. 

7. Hr. Fahr zeigt a) Mikroskopische Präparate eines Gehirns, indem 
neben praller Ausfüllung der Kapillaren mit Plasmodien die von Dürok be¬ 
schriebenen Malariagranulome mit Riesenzellen in spärlicher Zahl zu 
finden waren, b) Ferner berichtet Fahr über den Fall eines kräftigen 
Kindes, das bis auf Masern früher nie krank gewesen war, bei dem nach 
zehntägiger Diphtherie sich eine Amyloidose der Leber und 
— in geringen Maassen — der Nieren fand. Wenn F. sioh über das 
Vorkommen der amyloide n Degeneration bei akuten Erkrankungen 
auch noch zurückhaltend äussert, so beweist doch dieser Fall, wie andere 
entsprechende in sehr gutem Ernährungszustand zur Sektion gekommenen 
Fälle (z. B. von Nephritis urica); dass Amyloidose keine Kachexie zur 
Voraussetzung zu haben braucht. Gegenüber Sohlayer betont F. die 
Bedeutung der Tubulus Veränderungen bei der Amyloid¬ 
nephrose und bestreitet, dass zwischen den Glomerulusver- 
änderungen bei der Amylpidnephrose und der Glomerulonephritis nur 
graduelle Unterschiede bestehen. 

8. Hr. Oehlecker: Ueber Knoches- nid Gelenktnberknlose. 

Aetiologisch kommt — im Gegensatz zur Drüsentuberkulose — der 

Typus bovinus nur äusserst selten in Betracht. Bezüglich der 
Diagnose warnt Oe. vor einer Ueberwertung geringfügiger Befunde im 
Röntgenbild und erläutert an Beispielen die Gefahren einer solohen. 
Die Behandlung ist zurzeit keine rein chirurgische, sondern eine ortho¬ 
pädische. Daneben ist von jeher die Allgemeinbehandlung nioht 
vernachlässigt worden. Oe. geht dann auf die von Rolli er und 
Bernhard inaugurierte Heliotherapie ein. Neben der Strahlen¬ 
wirkung ist die Möglichkeil einer jahrelang fortgesetzten konse¬ 
quenten Behandlung für die Erfolge der genannten Aerzte bedeu¬ 
tungsvoll. Sodann bespricht Oe. ausführlich die verschiedenen Methoden 
der Applikation von „künstlicher Höhensonne* und zeigt die 
Spektren der verschiedenen hierfür angegebenen Lichtquellen, ins¬ 
besondere auoh der neuerdings von Reiniger, Gebbert und Schall 
konstruierten „Spektrosollampe*. Bei der Lokalbehandlung ist 
absolute Ruhigstellung des erkrankten Gliedes erstes Erfordernis. 
Deshalb verwendet Oe. auch nach wie vor den von Rollier verpönten 
„Gips*, der mit Licht- und Freiluftkur sehr wohl vereinbar ist, bei 
Spondylitis führt allein das Gipsbett zum Ziel. Operative Ent¬ 
fernung des Krankheitsherdes ist besonders bei Trochanter- und 
Olecranontuberkulose, bei Rippenkaries und bei Erkrankung der 
Diaphysen vorzuziehen. Von grösseren Operationen kommen nur 
beim Erwachsenen Kniegelenksresektionen und Pirogoff in Be- 
traoht. Nur in Kriegszeiten hat Oe. bei zwei besonders ^schweren, 
vernachlässigten Fällen amputieren müssen. Von Bier'soher 
Stauung und Röntgentherapie hat Oe. nicht viel Gutes gesehen. 
Tuberkulinbehandlung kann in den Händen eines erfahrenen 


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BERLINER KLINISCHE WQCEENBQHRIFT. 


Hr. 34. 


Therapeuten bei sehr vorsichtiger Anwendung Nutzen stiften. Ueber 
die Erfolge der bei kleinen Kindern kaum durchzufahrenden and sehr 
aeitraabenden Behandlung mit Deyoke-Much’sohen Partialanti* 
genen sind Oe.’s Erfahrungen noch nicht zahlreich genug. Oe. berichtet 
•ehliesslioh, dass die Schwere der Erkrankungsfälle in der letzten Zeit 
zweifellos angenommen habe , und dass speziell häufig Rezi di re bei 
früher Geheilten beobachtet wnrden. F. Wo hl will-Hamburg. 


Aerztlicher Terein an München. 

Sitzung vom 16. Januar 1918. 

Hr. iisift behandelte in einem längeren, höchst interessanten Vor¬ 
trag in ausführlicher Weise die 'Frage der Ernlhrmg 1a der Jetctaeit 
Eine Veröffentlichung dieses Vortrags erfolgt später. 

Ansohliessend an die Ausführungen des Vorredners besprach Herr 
Hüller den Nahrungsbedarf des Menschen. 


Sitzung vom 80. Januar 1918. 

L Hr. Bettler: Vorstellung von zwei Füllen aus der Kinderklinik. 

1. Vierjähriger Kiabe mit Epiphysentmnor, der das Entwicklungs- 
stadiom eines elfjährigen zeigte. Besonders die Genitalspbäre zeigte 
fast das Stadium der Pubertät. Therapie: Balkenstich, jedoch ohne 
Erfolg. 

3. Zehijühriges Mädcken mit Hypephyieitvmor. Gleichfalls stärker 
entwickelt als der Norm entsprechend. Besonders ist die Adipositas 
auffallend. Die klinischen Erscheinungen waren Schwindel und Kopf¬ 
schmerz, die duroh «Balkenstich* gebessert wurden. 

Diskussion. 

Hr. Bart stimmte dem Vortragenden bei und erkundigte sich, ob 
bei den Fällen Polydipsie und Polyphagie vorhanden seien, was verneint 
wurde. 

n. Hr. Dieidoinä : Erseheiivngei der Ruhr währet d der Kriegszelt 

In den Jahren 1915 und 1916 trat sie weniger in'Erscheinung, da¬ 
gegen stark im Jahre 1917. Sie trat zunächst in Norddeutsohland, dann 
in Rheinland und Bayern auf, am stärksten in der Pfalz. Es fielen auf 
sie 15,3 pCt. der Sterblichkeit. Kinder und ältere Leute waren haupt¬ 
sächlich von ihr befallen. 

Dann berichtete Vortragender, dass ihre Aetiologie noch nicht ge¬ 
klärt. Er erwähnte die beiden Formen, die der Amöbenruhr, die in 
den Tropen auftritt, und die der Bazillenruhr, die bei uns in Erscheinung 
tritt. Er unterschied die verschiedenen Formen der Bazillen. Bei so¬ 
fortiger Untersuchung gelingt es, Reinkulturen zu züchten. Je später 
die Präparate eingesandt werden, wie z. B. im Felde, wo sie lange 
unterwegs sind, desto ungünstiger ist es für die Untersuchung. 

Redner bezeichnet die Ruhr als eine Schmutzkrankheit, da ihre 
Verbreitung hauptsächlich durch Unreinlichkeit begünstigt ist. Was 
ihre Bekämpfung anbelangt, so sind am wesentlichsten sofortige An¬ 
meldung und Absonderung. Die „Dysbakta"-Impfung zeigte zum Teil 
günstigen Erfolg. 

Zum Sohluss wies Redner auf das sichere Erscheinen einer Epidemie 
im kommenden Sommer hin, auf Grand der Ernährungsschwierigkeiten 
und der Schwächung des Darmkanals. Daher sei vor allem für grösste 
Reinlichkeit besonders auf Aborten zu sorgen. 

Im Anschluss hieran zeigte Herr Fahrig eine Menge anatomischer 
Befunde. Die Einwirkungen beider Formen der Ruhr auf Rektum, 
Diokdarm und unteren Teil des Dünndarms, sowie Komplikationen von 
Leberabszessen. Er erwähnte zwei Fälle von Magenkomplikationen. 

Es kam auch zur Besprechung der Schwierigkeiten, die sich jetzt 
auf Grund der schlechteren Verkehrsverhältnisse für die Aerzte ergeben. 
Es wurde die Benutzung der am Tag unbenutzten Zentralantomobile 
beantragt 

Die Diskussion über den letzen Vortrag wurde auf die nächste 
Sitzung vertagt. Nobiling. 


BemerkungTzu AH>u: 

Zur Diagnostik' der Pankreaszysten. 

Von 

Dr. CI. Holikneeht und S. Jonas. 

Seit unserer Arbeit: Die radiologisohe Diagnostik der intra- 
nnd eztraventrikulären Tumoren (Perles, Wien 1908), welohe die 
allgemeine Grundlage der Wirkungen der Abdominaltumoren auf das 
Füllungsbild des Magens behandelt und sehr wenig bekannt geworden 
ist, haben wir diesem Gegenstand danerndes Interesse entgegengebraobt 
and sind daher in der Lage, Albu’s interessanten Ausführungen wesent¬ 
liche Ergänzungen, aber auch Einschränkungen folgen zu lassen. 

ln dieser Hinsicht ist vor allem hervorsuheben, dass anoh -schon 
geringe Grade der Verdrängung des Magens duroh Tamoren in der frag¬ 
lichen Gegend radiologisoh erkennbar und diagnostisch verwertbar sind. 
Nur die allerkleinsten Tamoren machen gar keine Erscheinungen, 


grössere verdrängen den Hagen zur Ringfoim und runden wem« 
Angolas, den spitzen Winkel, weloben der ab- und der auf steigend® 
Teil des Haokens des zaokenförmigen Hägens bildet, ab, jedoch ekas 
Verschmälerung seines Lumens, welche erst bei den höchsten Grad« 
hinzutritt — woraus sich also zwei Grade dieser charakteristischen Ver¬ 
änderung ergeben. 

Weiter ist hinzuzufügen, dass der ganze in Bede stehende 8y®- 
ptomenkomplex nicht bei jeder Form und Grösse des in dieser Hmaiebt 
individuell so sehr wechselnden Hägens zustande kommt, indem er auf 
den Haokenmagen, insbesondere auf die längeren Formen demselben be¬ 
schränkt zu seiu scheint. Wenigstens verfügt der eine von uns fiter 
zwei autoptisch gesicherte Pankreaszysten mit Hoohdrängnng des Hägens. 
Das Qaerkolon verlief in dem einen derselben vor dem Tumor. 

Sohliesslioh darf nicht ausser acht gelassen werden, dass der'Sym- 
ptomenkomplex nicht für Pankreaszysten beweisend ist. Denn, 
wie sich schon aus der Kasuistik unserer vorerwähnten Arbeit ergibt, 
und wie es ja auch selbstverständlich ist, können gleiehgO^gene Tu¬ 
moren anderer Herkunft dieselbe Wirkung auf das Hagenfüllungsbild 
ausüben wie die Pankreaszysten. Vor allem kommen hier in Betracht 
die häufigen -regionären Drüsenmetastasen der Hagenk&rainome, wenn sie 
auch nur selten so hohe Grade der Veränderung hervorrufen wie Packms- 
zysten. Ja, es wäre möglich, dass den letzteren allein die höheren 
Grade der Veränderung des Hagenfütlungsbildes zukommen, weil die 
übrigen Tumoren dieser Gegend kaum je die Grösse älterer Pankreas- 
zysten erreichen. 

Nichtsdestoweniger scheint es uns wichtig, darauf hinge wiesen zu 
haben, dass 

1. das Albu’sohe Bild nur den grössten Pankreaszysten 
zukommt und das Fehlen desselben daher nioht gegen 
Pankreaszysten spricht; dass 

2. kleinere Zysten duroh Verdrängung des Magens ohne 
Verschmälerung und duroh Verstreichen das Angulns 
ausgezeichnet sind; dass 

3. nur der Haokenmagen, nioht aber der hochgelegene 
Magen'zu dem in Rede siebenden Bild zu führen pflegt 
und dass 

4. dasselbe, wenigstens in seinen leichten Graden, sicher 
auch durch andere Tumoren derselben Gegend hervor¬ 
gerufen wird. 


Hax Wilma f. 

Am 14. Mai dieses Jahres starb in Heidelberg an einer Diphtherie 
Geheimer Hofrat Prof. Dr. Max Wilms und wurde in Köln auf äse 
ausserordentlich stimmungsvollen Melatenfriedhof zur lotsten Ruhe ge¬ 
bettet. Tief erschüttert erwiesen ihm neben den Verwandten seine abi- 
reichen Bekannten und Schüler die letzte Ehre. Wilms war eise 
ruhige und sachliche Persönlichkeit. Keine persönlichen Schwierigkeiten 
und die in einer grossen Klinik nicht allzu seltenen heiklen, chirurgisch- 
technischen Aufgaben vermochten ihn aus der Ruhe zu bringen. Klinische 
Fragen besprach er jederzeit gerne mit seinen Assistenten und erwog 
das Für und Wider, ohne einseitig auf einem bestimmten Standpunkt 
eigensinnig zu verharren. Als er in Heidelberg die Klinik übsrashB. 
nach den viel kleineren Verhältnissen der Basler Klink, da bat er 
sieh wohl öfters gewundert über das riesige klinisohe Material sein« 
neuen Arbeitskreises. Aber er bat mit einem wahren Feuereifer seine 
ganze Persönlichkeit und die Leistungsfähigkeit des ausserordentlich 
rüstigen und elastischen Mannes in den Dienst der KKnik gestellt 
Der Krieg mit seinen vielfachen neuen Aufgaben, auch auf chirurgischem 
Gebiet, hat seine Arbeit naturgemäss noch wesentlich vermehrt. Und 
was er in seinen Heidelberger Jahren gearbeitet hat, das kann wohl 
am besten der ermessen, der ihn wie ich verfolgen konnte vom erstes 
bis zum letzten Tage. Nichts war ihm zu viel, und er kannte keine 
Rüoksioht auf seinen Körper, der deutliche Spuren dieser Jahre trug. 

Geboren am 5. XI. 1867 bestand er 1890 sein Staatsexamen und 
bereitete sich dann auf die Chirurgie vor durch eine mehrjährige 
Arbeit amGiessener pathologischen Institut unter Bo ström und ein Jahr 
auf der inneren Abteilung des AugustaspitalB in Köln unter Leichten- 
stern. 1897 wurde er Assistent bei Trendelenburg in Leipzig. 
Hier habilitierte er sieh 1899, hier wurde er 1904 auserordentlicher 
Professor, um 1907 einem Rufe als ordentlicher Professor nach Base', 
zu folgen. Am 1. X. 1910 trat er in die medizinische Fakullät in 
Heidelberg ein. 

Während dieser Zeit hat er eine ungewöhnlich umfangreiche 
wissenschaftliche Tätigkeit entfaltet auf allen Gebieten, die er betrat. 
Schon während seiner Pathologenzeit entstanden seine bekannten Arbeit® 
über die Misohgeschwülste, und aus den Leipziger Tagen stammt seiet 
ausserordentlich einfache und dabei zweckmässige Sehnennaht, sein durch 
Deckung mit der Achillessehne tragfähig gemachter Amputatjonsatunp: 
am Unterschenkel, seine für unser Verständnis mancher Bauchayiftptom? 
wertvollen Erörterungen über die Sensibilität in der Bauchhöhle und 
zuletzt sein grosses Werk über den Ileus, welches ihm wohl auch di? 
Berufung nach Basel eintrug. Aus der Baseler Zeit stammen s mt 
in Gemeinschaft mit Biroher ausgeführten Untersuchungen über du 


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Erzeugung des Kropfesy seine Methode der Prostatektomie, die bei 
riohtig« Auswahl der Falle ein. recht 1 einfaches Verfahren darstellt. 
Zur Freilegung des Heuens gab er einen einfachen Interkostalschnitt 
an. Iu dieser Zeit begann auch sein Kampf für die konservative Be¬ 
handlung der chirurgischen Tuberkulose, der heutzutage wohl im wesent¬ 
lichen zu seinen Gunsten entschieden sein dürfte. In Heidelberg wartete 
seiner eine ausgedehnte klinische Tätigkeit, aber trotzdem fand er Zeit 
zu zahlreichen Publikationen über die chirurgische Behandlung der 
Lungentuberkulose und das viel umstrittene Coecum mobile und vieles 
andere. Dabei arbeitete er mit an dem von ihm gemeinsam mit W ul 1 - 
stein herausgegebenen Lehrbuch der Chirurgie, am Handbuch von 
Penzold und Stintzing, am Handbuch der praktischen Chirurgie* an 
der chirurgischen Operationslehre von Bier, Braun undKümmell, und 
in einen) Archiv und Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in 
typischen Rontgenbildern* bearbeitete er schon in der Leipziger Zeit die 
obere Extremität. 

Während des Kriege* hat er'sieh besonders emgesezt für die früh¬ 
zeitige Inangriffnahme von Nervenoperationen und die späte Vor¬ 
nahme von Schädelplastiken zur Deckung des Gehirns. Besonderes 
Aufsehen erregte sein Vorschlags bei Paraplegie beider Beine nach 
Rüokenmarksdurchtrennung die unteren Extremitäten hoch am Ober¬ 
sehenkel abzusetzen. Das ist gewiss ein heroisoher Eingriff, der nicht 
jedermanns Sache ist, aber manche Patienten haben trotzdem davon 
wesentliche Erleichterung gehabt. Seine überaus zahlreichen wissen¬ 
schaftlichen Arbeiten sind damit- nur in grossen Zügen und den wich¬ 
tigsten Punkten gestreift, aber keineswegs auch nur annähernd voll¬ 
ständig erwähnt 

Neben alledem interessierte er sich sehr für den Unterricht der 
Studenten, den er gründete anf die pathologische Anatomie. Seine 
reiohen Erfahrungen auf diesem Gebiete kamen ihm dabei sehr zu statten 
und erleichterten dem Studenten naturgemäss das Verständnis des 
klinisohen Bildes. Ein besonders gutes Werk hat er zweifellos daduroh 
getan, dass er an der Heidelberger Klinik die Unfallsbegutaohtung als 
besonderes Kapitel in den Unterricht aufnahm, ein Gebiet, welches später 
dem praktischen Arzt auf Schritt und Tritt begegnet. 

Nun ist sein fast unüberwindlich scheinender Wille zor Arbeit ge¬ 
brochen. Unerwartet früh hat er sein Lebenswerk beenden müssen, von 
dessen Fortsetzung wir sicherlich nooh viel Gutes hätten erwarten dürfen. 
In der ärztlichen Kunst beruht ausserordentlich viel auf ständiger Ein¬ 
wirkung der schaffenden Persönlichkeit. lat das Leben dahin, so pflegt 
ein gut Teil des Namens und Böhmes bald absublassen und zu ver¬ 
schwinden, vielleicht! ein Grund für viele, mit besonderer Trauer an 
diesem Grabe zu stehen. Berechtigt aber ist diese Klage keinesfalls, denn 
wenn auch der weitere Fortschritt der Wissenschaft das Vorhandene 
bald überflügelt und teilweise korrigiert, so hat doch die Arbeit des 
einzelnen den Aufbau des Ganzen an ihrem Teil gefördert, die ärstliohe 
Kunst hat dem Lebenden Freude und erhebende Momente geschenkt, 
die der Ausseostehende wohl kaum ganz erfassen kann, und wer den 
Besten, seiner Zeit genug getan, der hat gelebt für alle Zeiten. 

Franke-Heidelberg. 


Tagesgaschichtlicfae Notizen. 


Edmund Lesser f. 

r Gerade in dem Augenblick, da die Lehre von den Haut* 
und' Geschlechtskrankheiten durch ihre Einführung in die ärzt- 
1 liebe Staatsprüfung in ihrer Wichtigkeit anerkannt worden ist, 
ist einer der hervorragendsten Vertreter des Faohes dahinge- 
j schieden: Geh. Med.-Rat Prof- Dr. Edmund Lesser ist am 5. d. M. 
im 66 i- Lebensjahre verstorben. Im vergangnen Winter hatte 
eine langwierige, typhusartige Krankheit ihn befallen; kaum ge¬ 
nesen und duroh einen Erholungsaufenthalt in Baden-Baden 
scheinbar völlig hergosteilt, erlag er dann unerwartet einsetsender 
: Herzsohwäohe. Was der besonnene, medizinisch wie naturwissen - 
1 schaftlich gleichermaassen durchgebildete Mann als Fbrsober und 
Lehrer gewirkt hat, bleibt späterer Würdigung Vorbehalten. Mir, 
dem es vergönnt war, ihm von glücklichen Studienjahren, von 
, gemeinsamer Arbeit in Max Schultze’s anatomischem Institut zu 
Blum an bis in die Tage seiner Leidenszeit in treuer Freundschaft 
■ sich verbunden zu fühlen, dem die Eigenschaften seines Geistes 
‘ wie seines Charakters, sein wissenschaftlicher" Ernst wie sein 
sonniger Humor immer von. neuem Anregung, und Erquickung 
schufen, sei hier, in tiefer Trauer um den unersetzlichen Verlust, 
nur dieser kurze Abschiedsgruss gestattet! p 


Berlin. In der Sitzung der Vereinigten ärztlichen Gesell¬ 
schaften (Berliner medizinische Gesellschaft) vom 12. Juni 1918 stellte 
vor der Tagesordnung Herr Ej Wossidlo einen Fall von seltenem Fremd¬ 
körper in der Blase und einen Fall von sogenanntem Ureterstein vor. 
Hierauf hielt Herr Kausoh den angekündigten Vortrag: Ueber plastisohe 
Operationen (Aussprache die Herreu Esser und Eugen Joseph; Schluss* 
wort: Herr Kausoh) und Herr L. Seyberth. seinen Vortrag: Ueber 
Nervennaht (mit Vorstellung von Patienten). 

— Die Gebeimräte Kraus, v. Wassermann, Zuntz und Exzellenz 
v. Schjerning sind zu Ehrenmitgliedern der Gesellschaft der Aerzte 
in Wien gewählt. 

— Professor Dr. James Israel hat die ihm zu seinem 70. Ge¬ 
burtstage von Freunden und Patienten für wissenschaftliche Zwecke 
gespendete Summe von 73000 Mark der medizinischen Fakultät der 
Königlichen Universität Berlin als Professor James Israel-Stiftung 
zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten überwiesen. 

— Die Krakauer Akademie der Wissenschaften verlieh auf ihrer 
Jahresversammlung den Jerzmianowski-Preis im JU Betrage von 
44000 Kronen dem ordentlichen* Professorder Physiologie an der Krakauer 
Universität Hofrat Dr. Napoleon Cybulski. 

— Die Sterblichkeit an wiohtigen übertragbaren Kinder¬ 
krankheiten ist naoh einer Mitteilung in der Statistischen Korrespondenz 
von Geheimrat Behla in dem Zeitraum von 1876 bis 1916 von 27 auf. 13 
(auf 1000 Lebende berechnet) herabgegangen. 

— Im Deutschen Reiche sind 52:Feuerbestattungsanlagen in 
Betrieb. 

— Die Aerzteschaft des Kantons Bern hat zwei Preisarbeiten über 
den endemischen Kropf und seine Bekämpfung ausgeschrieben. 
Die Arbeiten sind bis zum 1. Juni 1920 an den Präsidenten der Ge¬ 
sellschaft Dr. Ganguillet in Bern einzusenden. 

— Wegen -der fortgesetzten Angriffe gegen das Salvarsan und. der 
Wiohtigkeit der genauen Kenntnis aller Nebenwirkungen erscheint es 
wichtig, die Frage der Salvarsan Schädigungen einer eingehenden 
statistischen Untersuchung zu unterziehen. Hierbei kommt es nicht so 
sehr darauf an, das vergangene Material zu siohten, da bekanntlich 
eine Reihe von heutzutage vermeidbaren Schädigungen durch mangelnde 
Kenntnis des Mittels, fehlerhafte Dosierung und nicht genügend aus- 
gebildete Technik hervorgerufen worden, sind, sondern vor allem das 
zukünftige Material zu erfassen. Das ist jedoch nur möglich, wenn 
die notwendige statistische Arbeit zentralisiert wird, da weder der 
einzelne Arzt nooh einzelne Kliniken oder Krankenhäuser dazu imstande 
sein dürften, hinreichend grosse und umfassende Zahlen, deren statistische 
Bearbeitung sich lohnt, zusammenzubringen. 

Aus diesem Grunde bat der Allgemeine ärztliche Yerein in Cöln 
eine Kommission zur Klärung dieser Frage gebildet, zu welcher die 
Dentsehe dermatologische Gesellschaft Herrn Prof. Hoff mann delegiert 
hat Die Unterzeichneten bitten alle Kollegen, die an der Statistik 
Mitarbeiten wollen, sioh mit dem Allgemeinen ärztlichen Verein in Cöln, 
Rudolfplatz 3, in Verbindung zu setzen; von wo au* ihnen weiteres 
Material zugesandt werden wird. 

Oöln, den 25. Mai 1918. 

Für die Kommission zum Studium 

der Salvarsanschädigungen 
Der Vorsitzende: 
gez. Prof. Dr. Moritz, 

Geh. Medizinalrat, 

Direktor der II. mad. Klinik der 
Akad.. für prakt. Med. in Cöln. 

— In Berlin erscheint ein neues sozialmedizinisches Organ: „Mit¬ 
teilungen des Zentralverbandes der Kassenärzte von Berlin* 
unter der Reaktion von, Sanitätsrat Moll. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsche* Reich (26. V. 
bis 1. VL) 16. Kaiserlich Deutsches Generalgouvernement 
Warschau (12.—18. V.) 2 und 1 f. Deutsche Verwaltung in 
Litauen (28. IV.—4. Y.) 24 und 1 +. Fleekfieber: Peutaohes 
Reich (26. V.—1. YI.) 2, ferner 7 und 1 f unter Kriegsgefangenen im 
Reg.-Bez. Marienwerder. Kaiserlich Deutsches Generalgouverne¬ 
ment Warschau (12.—18. Y.) 783 und 50 f. Deutsche Yerwaltung 
in Kurland (28. IV.—4. V.) 3. Dentsehe Verwaltung in Litauen 
(28. IV.—4. V.) 260 und 11 +. Deutsche Kreisverwaltung in Suwalki 
(28. IV.—4i V.) 2 und 1 +. Ungarn (22.-28. IV.) 80 und 5 f. 
Rüokfaiifieber Deutsches Reich (26. V.—1. VI.) 2 unter Kriegs¬ 
gefangenen imReg.-Bea Marienwerder. Kaiserlich Deutsches General¬ 
gouvernement Waisohau (12.—18. V.) 2. G-eniokstarre: Preussen 
(19.—25. V.) 6 und 7 f. Sohweiz (12—18. V.) 4. Ruhr: Preussen 
(19<—25. V.) 119 und 7 f. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb 
an Masern und Röteln in Buer, Gera, Gleiwitz, Recklinghausen'.Land, 
Wannei Diphtherie und Kropp in Eisenach; Typhus in Gottbus. 

(Verölt d. Kais. Ges.-AmtzO 

Hoohsehulnachriohten. 

Dresden:.Dem Oberarzt und stellvertretenden Direktor der KgL 
Frauenklinik Dr. Rübsamen und dem dirigierenden Arzt der Abtei- 


Für die Deutsche dermatologisohe 
Gesellschaft: 

gez. Prot EL Hoff mann; 
Direktor der Universitätsklinik 
in Bonn. 


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684 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


»r. 24. 


lung für Frauenkrankheiten Dr. Albert ist der Professortitel verliehen 
worden.— Heidelberg: Professor Wilm an ns, Direktor der Heil- und 
Pflegeanstalt in Konstanz, wurde zum Ordinarius für Psychiatrie er¬ 
nannt. — Leipzig: Dem Privatdozenten iür Psychiatrie und Neuro¬ 
logie Dr. Gregor ist der Professortitel verliehen worden. — Tübingen: 
Privatdozent Dr. Weitz wurde zum a. o. Professor ernannt und ihm 
die Leitung des Ambulatoriums für innere Krankheiten übertragen. Die 
medizinische Poliklinik besteht nioht mehr als selbständiges Institut, an 
Stelle der weggefallenen Professur ist eine Professur für Kinderkrank¬ 
heiten in Aussicht genommen.— Würzburg: Als Nachfolger des nach 
Heidelberg berufenen Prof. En der len wurde Prof. Ach in München in 
Aussicht genommen. — Prag: Professor Formanek wurde zum Ordi¬ 
narius, Privatdozent Dr. Hamsik zum ausserordentlichen Professor er¬ 
nannt Privatdozent Dr. Czerny erhielt den Titel eines ausserordent- 
liohen Professors. Dem ausserordentlichen Professor der Anatomie 
Dr. Rex wurde Titel und Charakter eines ordentl. Universitätsprofessors 
verliehen. 


Amtliche Mitteilungen. 

Personalien, 

Auszeichnungen: Königl. Kronenorden II. Klasse mit Schwer¬ 
tern: Gen.-A. Dr. Steuber. 

Kreuz der Ritter des Königl. Hausordens von Hohenzollern 
mit Schwertern: Ob.-St-A. Prof. Dr. Rammstedt. 

Rettungsmedaille am Bande: Ob.-St.-A. a. D. Dr. Schmidt, 
St.-A. d. L. Dr. Bosse. 

Charakter als Geheimer Obermedizinalrat: o. Prof, in der me¬ 
dizinischen Fakultät der Universität in Berlin Geh. Med.-Rat Dr. 
Rubner. 

Charakter als Geheimer Sanitätsrat: Sanitätsräte Dr. G. 
Arndt - Regenwalde, Dr. A. Bailleul - Lyohen, Dr. W. Betz- 
hold-Neuwied, Dr. A. Dluhosoh, Direktor der Provinzial-Hei 1- 
anstalt-Obrawalde, 0. Feyer-Lipke, Dr. G. Frank-Schwarzenbek, 
Dr. K. Friokhöffer-Langensohwalbach, Dr. E. Gottsohalk-Gries¬ 
heim a. M., Dr. R. Hellmann-Siegen, Dr. P. Knipping-Neuwied, 
Dr. W. Krause-Graudens, Dr. L. Kumm er-Braunlage, Dr. K. Leh¬ 
mann-Fürstenwalde, Dr. G. Muh lack-Swinemünde, Dr. A. Nies¬ 
sing-Recke i. W., Dr. W. von Noorden-Bad Homburg v. d. H., 
Dr. Fried. Rauten berg-Hamburg, Dr. 0. Rein ach-Senftenberg, 
Dr. Jul. Reinke-Kolberg, Dr. El. Rosen bäum-Frankfurt a. M., 
Prof. Dr. Wil. Rosenblath, Direktor des Laodkrankenhauses in 
Cassel, Dr. E. Schneider, Direktor der Prov.-Heilanstalt in Osna¬ 
brück, Dr. V. Schneider, Direktor des Kreiskrankenhauses in Berlin- 
Britz, Dr. P. So hü 11 er-Domslau, Dr. Fried. Schulz-Flensburg, 
Dr. Heinr. Seligmann-Frankfurt a.Jtf., Dr. M. Seligmann-Hanau, 
Dr. 0. Sn eil, Direktor der Prov.-Heil- u. Pflegeanstalt in Lüneburg, Dr. 
Ign.Stroinski - Tremessen, Dr. A1 f r.Y a n g e h r - Tilsit, Fürstlich Schaum¬ 
barg-Lippischer Sanitätsrat und Prof. Dr. Th. Walzberg-Minden i. W. 

Charakter als Sanitätsrat: Aerzte Dr. M. Ahlmann - Kolberg, 
Dr. Fr. Alexander-Frankfurt a. M., Dr. Herrn. Bauer, Oberarzt 
an der Prov.-Heilanstalt in Neuhof bei Ueckermünde, Dr. G. Berg- 
Frankfurt a. M., Dr. J. Bettenhäuser-Cassel, Dr. J. Betz.ner-Düssel¬ 
dorf, Dr. Herrn. Book-Volkmarsen, Dr. Fried. Borohert-Treuen- 
brietzen, Dr. Alb. Braetz-Lehnin, Dr. Ad.Bräuer-Guben, Dr. Herrn. 
Braun-Driesen, Dr. J. Caesar-Boppard, Dr. K. Christoph, Ober¬ 
arzt an der Prov.-Pflegeanstalt in Kosten, Dr. G. DeIkeskamp-Lands¬ 
berg a. W., Dr. Heinr. Dettmer-Bromberg, Dr. R. Deubel-Barmen, 
Dr. G. Deutsch, Oberarzt an der Prov.-Heilanstalt in Treptow a. R., 
Dr. K. Ditges-Eschweiler, Dr. K. Döbbelin-Königsberg i. Pr., Dr. 

. Fr. Droste-Hönningen, Dr. W. Druckenmüller-Wiesbaden, Dr. 
Wilh. Dunkel*-Herzogenrath, Dr. Herrn. Engelken, Oberarzt an 
der Prov.-Heilanstalt Pfafferode, Dr. Sim. Englaender-Düsseldorf, 
Dr. K. Erler-Kropp, Dr. Wilh. Fahlenbook-Berghausen, Dr. G. 
Favre-Zempelburg, Dr. Jul. Fertig, Abteilungsleiter am Land¬ 
krankenbause in Hanau, Dr. 0. Fieok-Danzig, Dr. Ad. Frank-Göt¬ 
tingen, Dr. Aug. Friok-Di lienberg, Dr. G. Galis oh-Rothenfelde, 
Dr. Rud. Ganter-Wormditt, Dr. Math. Gockel-Aachen, Dr. M. 
Günther-Cassel, Dr. P. Gunkel, Direktor des Landkrankenhauses 
in Fulda, Dr. Alb. Gutzmann-Teupitz, Dr. L. Hammerschlag- 
Essen (Ruhr), Dr. G. Hanke ln-Liska-Sohaaken, Dr. J. Hartmann- 
Düsseldorf, Dr. Ad. v. Hase Ib erg-Berlin-Tegel, Dr. Fr. Hecht- 
Bromberg, Dr. Nik. Heeren-Eupen, Dr. E. Heinrich-Cassel, Dr. 
E. Heinze, Direktor der Prov.-Heilanstalt in Sch wetz, Dr. Rieh. 
Heppe-Cassel, Dr. Rieh. Herrmann-Oberhausen (Rheinl.), Dr. 
Ludw. Heydemann-Greifswald, DrVTh. Hinriohs, Oberarzt an der 
Prov.-Heilanstalt in Schleswig, Dr. Magn. Hirsohfeld-Berlin, Dr. 
Heinr. Hofius-Homberg (Rheinl.), Dr. Heinr. Holthausen-Lem¬ 
beck, Dr. Kurt Hörnetfer-Sonnenbürg, Dr. Wilh. Hoyer-Kerst- 
lingerode, Dr. E. Hübner-Goslar, Dr. Wilh. Jägers-Düsseldorf, 
Dr. E. Jakob-Prenzlau, Dr. Joh. Jeimke-Essen (Ruhr), Dr. E. 
Kaiser-Gemünden, Dr. Ed. Kaul-Wirges, Dr. Rob. Keller-Koblenz, 


Dr. W. Kempner-Berlin-Liohterfelde, Dr. Arth. Kots, Oberarzt so 
der Prov.-Heilanstalt in Sohwetz, Dr. Eberh. Kleffner, Direktor der 
Prov.-Heilanstalt in Münster i. W., Dr. P. Koch-Loits, Dr. Ed. 
Köster-Wiehl, Dr. Fr. Koreuber-Kiel, Dr. Melob. Kranz-Wies¬ 
baden, Dr. Peter Kranz-Aachen, Dr. Walter Kranz-Elbing, Dr. 
G. Krebs-Hildesheim, Dr. Ew. Kreisch-Koblenz, Dr. Fr. Kunigk- 
Kolberg, Dr. Rieh. Landsberger-Cbarlottenburg, Dr. Ed. Leh¬ 
mann-Osterode a. H., Dr. Georg Leitner-Sellnow, Dr. 0. Levisohn- 
Düsseldorf, Dr. Er. Levy-Graudenz, Dr. K. Lissauer-Düsseldorf, 
Dr. Mich. Litewski-Zoppot, Dr. K. Löwin, stellvertr. Direktor des 
Kaiserin Friedriohhauses in Berlin, Dr. M. Lückerath, Oberarzt ao 
der Prov.-Heilanstalt in Bonn, Dr. G. Maercks-Reoklinghausen, Dr. 
0. Mainz-Felsberg, Dr. Wilh. Mannei, Leiter des Landkranken¬ 
hauses in Hersfeld, Dr. Joh. Mauss-Sohneidemühl, Dr. Alb. v. Meer- 
Düren, Dr. Jan Mensinga-Flensburg, Dr. Wilh. Meuser-Bad Ems, 
Dr. Leo v. Mieczkowski-Posen, Dr. Heinr. Mohr-Bielefeld, Dr. 
Hugo.Molitor-Neuwerk, Dr. Joh. Monreal-Carden, Dr. Alfr. Mor¬ 
genstern- Wriezen, Dr. Herrn. Mül ler-Kirberg, Dr. Rad. Neu- 
heiser-Landsberg a. W., Dr. Br. Neugebauer, Cberarst an der 
Prov.-Heilanstalt in Conradstein, Dr. Arthur Neumann-Danzig, 
Dr. Georg Neumann-Schleudenau, Dr. Alb. Neusitzer-Elbing, 
Dr. Hugo Niemer-Prenzlau, Dr. Georg Norkus-Barmen, Dr. Ludv. 
North-Essen (Ruhr), Dr. Max Peter-Bielefeld, Dr. Herrn. Peters- 
Düsseldorf, Dr. Rieh. Petersen-Cöpeniok, Dr. Wilh. Pfeiffer- 
Langenschwalbach, Dr. Ad. Philipp-Danzig, Dr. Rioh. Pilsky- 
Altona, Dr. Ew. Pi stör-Barmen, Dr. Otto Plathe-Zehdenik, Dr. 
Osk. Pohl-Tarnowitz, Dr. Alb. Raude-Neustadt a. H., Dr. Konr. 
Re dm er-Danzig, Dr. Otto Repkewitz, Oberarzt an der Prov.-Heil- 
anstalt in Schleswig, Dr. Bernh. Risch, Oberarzt an der Heil¬ 
anstalt in Eichberg, Dr. Arth. Ru bin stein-Berlin-Wilmersdorf, Dr. 
Friedr. Rudolph-Danzig, Dr. K. Rüping-Mühlheim (Ruhr), Dr. 
Jos. Sachs-Kolberg, Dr. Heinr. Sohaaf-Düren, Dr. Rioh. Sehetfer- 
Brackwede, Dr. Rioh. Sohlag-Friedeberg N.-M., Dr. Jak. Schlosser- 
Aachen, Dr. Georg Sohlomka - Krookow (Westpr.), Dr. Herrn. 
Schmidt-Guben, Dr. Christ. Schmitz - Düsseldorf, Dr. Herrn. 
Schneider»Saiger, Dr. Rioh. Sohneider-Eberswalde, Dr. Ed. 
Sohneiderlin-Beelitz (Heilstätten), Dr. P. Schoe 11er-Düsseldorf, 
Dr. Otto Sohrader Wiesbaden, Dr. P. Schult-Eschweiler, Dr. 
Wilh. Sohulte-Krumpeh-Düren, Dr. Hugo Schultze-Driedorf, 
Dr. Alb. Sohurig-Berlin-Friedenau, Dr. A. Sebbel-Fordon, Dr. 
Ludw. Sei pp-Krofdorf, Dr. A. Selige-Bünde i. W., Dr. Leonh. 
Siebourg und Dr. Fritz Simon-Barmen, Dr. Heinr. Simon- 
Wester cappeln, Dr. Alb. So Imsen-Danzig, Dr. K. Specht-Burg a. 
d. Wupper, Dr. Arth. Steinhoff-Sohwetz, Dr« Aron Strauss- 
Wetzlar, Dr. Arth. Strauss-Barmen, Dr. Aloys Swiersewski- 
Danzig-Langfuhr, Dr. K. Tendering-Aachen, Dr. P. Vilmar-Ham¬ 
born, Dr. Fr. Vonnegut-Münster i. W., Dr. 0. Weisswange- 
Barmen, Dr. G. Wey dt-Frankfurt a. M., Dr. K. Wiokel, Oberarzt 
an der Prov.-Heilanstalt in Dziekanka, Dr. Martin W i n an d s - Aachen, 
Dr. Ad. Wisselinck-Danzig, Dr. Klemens Wolters-Rheine i. W n 
Dr. Josef v. Wybioki-Danzig, Dr. E. Zippe-Düsseldorf, Dr. 0. 
Zusch-Danzig. 

Ernennungen: Direktor der Ersten Mediz. Klinik der CharitA in Berlin 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. His, Direktor der Klinik f. Hals- und Nasen¬ 
krankheiten der Charitö in Berlin Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Killian, 
Direktor der Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten der Charite 
in Berlin Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Lesser, Direktor des Kaiser Wil¬ 
helm-Instituts für experimentelle Therapie in Berlin-Dahlem Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. v. Wassermann zu ordentl. Mitgliedern der 
Wissenschaft. Deputation für das Medizinalwesen. 

Niederlassungen: Dr. W. Luftig, Dr. Paul Thiele und Aerztin 
Dr. Susanne Soenderop in Stettin, Dr. Johs. Richter in Franzbuig. 

Verzogen: Dr. Max Berliner von Nikolassee, Dr. Ludw. Ewald von 
Frankfurt a. M. und Aerztin Dr. Sofie Hofer von Berlin naoh Char¬ 
lottenburg; Dr. K. Bossler aus dem Felde sowie Dr. H. Dreuv, 
Dr. R. Dub und Dr. K. Retzlaff von Berlin nach Berlin-Schöneberg; 
Dr. Georg Abel von Charlottenburg und Dr. H. Thalheim von 
Berlin-Schöneberg nach Berlin-Wilmersdorf, Aerztin Dr. Sophie Jour- 
dan von Berlin-Wilmersdorf nach Berlin-Niederschönhausen, San.-Rat 
Dr. Georg Berger von Liohtenrade naoh Neuenhagen-Hoppegarten 
(Kr. Niederbarnim), Dr. H. Wernscheid von Bonn nach Lungen¬ 
heilstätte Beelitz, Dr. A. Paetz von Wintersdorf bei Altenburg nach 
Duoherow (Kr. Anklam), Dr. Alfred Kirstein von Stargard in Pom. 
nach Stettin, Dr. 0. Kalb von Stettin nach Kolberg. 

Gestorben: San.-Rat Dr. P. Cahen in Berlin-Schöneberg, San.-Rat 
Dr. Herrn. Hirsohberg und San.-Rat Dr. Hugo Meyer in Berlin, 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ernst Neumann in Königsberg i. Pr., o. Prot, 
an der Universität und Direktor der Klinik und Poliklinik lür Haut- 
und Geschlechtskrankheiten der Charitä in Berlin, Mitglied der 
Wissensohaftl. Deputation für das Medizinalwesen, Geh. Med.-Rat 
Dr. E. Lesser, San.-Rat Dr. Eugen Wollenberg in Königsberg 
i. Pr., Geh. San.-Rat Dr. Max Go Idstein in Berlin-Liohterfelde. 


Für di« Redaktion ▼«rantwortliek Prot Dr. Han« Ko kn, Berlin W n Bayroutbor Sa.il. 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4, 


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UNIVERSUM OF IOWA 









Dl« Berliner Klinlaehe Woch«fl»chrtft ert^helnt j'sdd® 
Montag in Nummern von ca. S—< Bogen gr. 4. — 
Freia Tlortelj&hrlich 1 Mark. Beatellungen nehmen 
alle Buehhandlnngen and Poaunstalten an. 


BERLINER 


Alle Einsendungen Ar dl« Redaktion und Expedition 
wolle man portofrei an die Verlagsbuchhandlung 
August Hlrsehwald In Berlin HW, Unter den Linden 
Nr. 68, adressieren. 


KLINISCHE WOCHENSCHEHT. 


Organ für praktische Aerzte. 


Mit Berücksichtigung der Medizinalverwaltung und Medizinalgesetzgebung 

nach amtlichen Mitteilungen. 

Redaktion: Expedition: 

fleh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Posoer und Prot Dr. Hans Rohn. August flirschw&ld, Verlagsbuchhandlung io Berlin 


Montag, den 24. Juni 1918. 


M2 5 . 


Fünfundfünfzigster Jahrgang 


INHALT. 


Origiialiei: Weber: Ueber den Venenpuls. (Ans dem Grossherzoglichen 
balneologisohen Institut za Bad Nauheim.) (Illnstr.) S. 585. 
Roth: Blutzucker Untersuchungen bei Diabetes mellitus. S. 589. 
Hoppe: Zuckerkrankheit und Bandwurm. S. 592. 

Debrunner: Zur Klumpfussbehandlung bei Säuglingen. (Aus dem 
Kgl. Universitätsinstitut für Orthopädie, Berlin [Direktor: Prof. 
Dr. H. Gocht].) (Illustr.) S. 592. 

Weiter: Die Lokal- und Leitungsanästhesie in einem Feldlazarett. 
S. 595. 

Seligmann: Bericht über die Tätigkeit der Fürsorgeschwestern 
des Medizinalamtes der Stadt Berlin im Jahre 1917. (Aus dem 
tfedizioalamt der Stadt Berlin.) S. 598. 

Bttekerbesprechiingen : Steiner: Die psychisohen Störungen der männ¬ 
lichen Potenz. (Ref. Fürbriüger.) S. 602. — Ziegner: Vademekum 
der speziellen Chirurgie und Orthopädie für Aerzte. S. 602. Mel¬ 
chior: Die Chirurgie des Duodenum. (Ref. Adler.) S. 602. 


Aus dem Grossherzoglichen baineologischen Institut 
zu Bad Nauheim. 

Ueber den Venenpuls 1 2 3 ). 

Von 

Prof. A. Weber. 

Während Riegel den Venenpuls zur Beurteilung der Herz- 
fnuktion verwertete, bat man ihn später unter dem Einflnss von 
Mackenzie und Hering fast ausschliesslich benutzt, um Irre¬ 
gularitäten des Herzschlages zu erforschen. Unsere derzeitige 
genaue Kenntnis der Herzunregelmässigkeiten verdanken wir zum 
grossen Teil der Venenpulsforschung. Würden wir aber mit dem 
Venen puls sonst nichts anfangen können, so wäre eine Registrierung 
heutzutage eigentlich entbehrlich, denn durch die Elektrokar¬ 
diographie erfahren wir viel bequemer und sicherer alles das, 
was uns der Venenpuls über Irregularitäten aussagt. Neuerdings 
hat jedoch Ohm 1 ) wieder darauf hingewiesen, dass die exakt auf- 
gezeichnete photographische Venenpulskurve uns sehr eingehende 
Kenntnis von der Füllung und Entleerung des rechten Herzens 
gibt. Bestätigen sich die Angaben Ohm’s, so ist die Bedeutung 
der photographischen Venenpulszeichnung als einer hochwichtigen 
klinischen Untersuchungsmethode gesichert. 

Im Folgenden möchte ich auf den Wert der Venenpuls- 
zeichnung hinweisen, an Hand einiger Ergebnisse meiner eigenen 
Untersuchungen' die ich in den letzten 6 Jahren teils an Patienten 
der Giessener medizinischen Klinik, teils in Bad-Nauheim, be¬ 
sonders an solchen Kranken, die mir von der Reichsversicherungs¬ 
anstalt für Angestellte überwiesen waren, vorgenommen habe*). 
Ich habe mich anfangs der Ohm schen Methodik bedient, später 
der folgenden: 


1) Nach einem Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen 
Gesellschaft. 

2) R. Ohm, VenenpulsumdHerzsohlagregistrierungusw. Berlin 1914, 
Verlag von A. Hirschwald. 

3) Edens hat meine Arbeit über den Venenpnls in Bd. 19 der 
Zeitschrift für exp. Path. and Ther. einer Kritik unterzogen (Med. Kl., 
1918, S. 171), die ioh nicht in allen Punkten als berechtigt anerkennen 


Literatur-AusHge : Therapie. S. 603. — Allgemeine Pathologie and 
pathologische Anatomie/ S. 603. — Parasitenkunde und Serologie. 
S. 603. — Innere Medizin. S. 603. — Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. S. 604. — Kinderheilkunde. S. 604. — Chirurgie. S. 604. 
VerhandlMgei ärztliche? Gesellschaft»: Vereinigte ärztliche 
Gesellschaften (Berliner medizinische Gesellschaft). Seyberth: 
Zum Ersatz ausfallender Muskelfunktion bei Nervenverletzungen. 
S. 605. Orth: Antrag betreffend Ernennung eines Ehrenmitgliedes. 
S. 606. Kohn: Demonstration zur Frage der extrakardialen Blut¬ 
bewegung. S. 606. Rothschild: Ueber zwei Fälle ungewöhnlicher 
zystischer Geschwülste der Harnblase, ihre Operation und ihre 
Heilung. S. 606. — Medizinische Sektion der schlesischen 
Gesellschaft für vaterländische Cultur zu Breslau. S.606. 
— Aerztlicher Verein zu Hambarg. S. 607. 
Kriegsärztliohe Abende. S. 607. 

Tagesgesohiohtliche Notizen. S. 608. 

Amtliohe Mitteilungen. S. 608. 


Eine Marey’sche Kapsel von 2 om Durchmesser mit in Glyzerin 
konserviertem Hundemesenterinm *) überspannt und zentraler Korkpelotte 
wird mittelst Stativ und Kugelgelenk mit der Haut über dem Bulbus 
venae jugularis in innige Berührung gebracht, so dass aueh beim Ab- 
sohwellen der Vene der Kontakt erhalten bleibt, aber trotzdem jeder 
stärkere Druck vermieden wird. (Die Pelotte muss so leise aufgesetzt 
werden, dass nach ihrer Fixierung der Patient kaum anzugeben weiss, 
ob er durch die Kapsel berührt wird oder nicht.) Von der Kapsel 
führt eine 40—60 om lange Schlauchleitung zu einer Fränkischen 
Herztonkapsel. Das ganze System hat eine Eigenscbwingungszahl von 
20—60 (je nachdem die Marey’sche Kapsel weniger oder mehr straff 
bespannt ist.) Zur richtigen Deutung der Venenpulskurve ist die 
gleichzeitige Registrierung der Herztonkurve ganz unentbehrlich, bei 
irregulärem Puls erleichtert die Aufnahme des Elektrokardiogramms auf 
dieselbe Kurve die Deutung sehr. Eine genaue Zeitmarkierung — am 
einfachsten elektrisch betriebene Stimmgabel von 50—100 Schwingungen 
— sollte niemals fehlen. Ihre Vibration kann durch Suhlauohleitung 
auf eine dritte Frank’sche Herztonkapsel übertragen werden. Bei allen 
photographischen Kurven, ganz besonders, wenn man zwei Liohtquellen 


kann. Wenn auch an sich von untergeordneter Bedeutung, so ist doch 
die Feststellung Edens’, dass Veiel und Kampf vor mir den Venen¬ 
pnls naoh Frank gezeichnet hätten, unrichtig, wie ans der Fussnote der 
genannten Autoren selbst hervorgeht. Auch ehe Edens seine photogra¬ 
phischen Venenkurven veröffentlichte, habe ich in Giessen nach Ohm und 
Frank den Venenpuls gezeichnet. Edens hat zwar zuerst photographische 
Venen kurven veröffentlicht, um so mehr bin ioh erstaunt, dass er, die 
grossen Vorteile der neuen Methode nioht achtend, immer wieder zu dem 
alten, heutzutage zweifellos überholten Verfahren der VeneDpulszeiohnung 
zurückkehrt. Edens weist darauf hin, dass ioh die Aufnahme des von 
mir als Volumpuls aufgefassten mit der für die Registrierung von Druck¬ 
schwankungen üblichen Pelottenmethode bewerkstelligte. Hier irrt 
Edens: die Marey’sche Kapsel mit Lufttransmission gehört naoh Frank 
zu den beweguDgsregistrierenden Instrumenten, nicht zu den kraft- 
registrierenden, wie Manometer and Sphygmographen, mit welch letzterem 
Druckpulse gezeichnet werden können. Des weiteren betont Edens, 
dass der von mir beschriebene frühere Eintritt des systolischen Minimums 
schon früher bekannt gewesen sei. Das gebe ich zu, aber wo bat man 
aus dieser Feststellung diagnostisohe Schlüsse gezogen? Gerade darauf 
haben Ohm und ich die Aufmerksamkeit zu lenken gesucht, dass die 
Veränderungen des systolischen Kollapses Zeiohen einer Herzfunktions- 
Störung sind. 

1) A. Weber, M.m.W„ 1912, S. 815. 


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24. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


687 


hiergegen erhobenen Einwand 1 ), dass dies Verschwinden nur bei 
inspiratorisohem Atemstillstand zustande kommt, schliesse ich mich 
durchaus an. leb habe viele Hunderte von Venenkurven bei angehaltenem 
Atem aufgenommen, ohne jemals ein Verschwinden der präsystolischen 
Welle zu beobachten. 

Die systolische Welle des Venenpulses. 

Genau zur gleichen Zeit, in einigen Fällen auch Vioo - Vbo Sek. 
nach der Erhebung der Karotiskurve in derselben Höhe am Hals, 
beginnt mit meist rapidem Anstieg die zweite, die systolische 
Welle der Venenkurve. Die von Bard 2 3 ) gefundene Vorzeitigkeit 
dieser Welle gegenüber der Karotis von 0,01 — 0,02 Sek., die auch 
Edens, sowie Veiel und Kapff 8 ) annehmen, habe ich niemals 
feststellen können. Die systolische Welle erreicht meist gleich¬ 
zeitig mit der Karotis ihr Maximum. Wie bereits erwähnt, ist 
das Grössenverhältnis von präsystolischer und systolischer Welle 
sehr schwankend, bald stellt die erstere, bald die zweite den 
höchsten Gipfel der Venenkurve dar. 

Von Mackenzie ist bekanntlich diese Welle auf mitgeteilte Karotis- 
pulsation bezogen worden, während Rihl 4 ) und Edens 8 ) sie auf den 
Schluss der Trikuspidalklappen zurückführten. Besonders das Experiment 
von Rihl, der auch nach Unterbindung der Arteria anonyma und der 
Aorta die systolische Welle weiter im Venenpuls sah, schien endgültig 
die Lehre Mackenzie’s widerlegt zu haben. 

Ich habe den Versuch Rihl’s wiederholt und die Arteria 
anonyma am Ursprungsort unterbunden. Der Venenpuls wurde 
vor und nach der Unterbindung gezeichnet, ohne am Venenpuls¬ 
rezeptor irgend etwas zu ändern. Die systolische Welle blieb 
nach dieser Unterbindung zwar bestehen, sie wurde aber deutlich 
kleiner und trat verspätet auf; die beweisende Kurve ist in der 
Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie 8 ) veröffent¬ 
licht. Der Befund erklärt sich ungezwungen folgendermaassen: 
Vor der Unterbindung wird der Pulsstoss der benachbarten Karotis 
verzeichnet, nachher der Puls der Aorta, der natürlich in der 
Vene langsamer fortgeleitet wird, als in der straff gefüllten Arterie 
und deshalb verspätet an der Registrierstelle anlangt." Den rechten 
Vorhof ganz und gar der Einwirkung der Aorta zu entrücken, wie 
das Rihl versucht hat, ist unmöglich, der Anfangsteil der Aorta 
ist ohne Verletzung des Vorhofs von diesem gar nicht zu trennen. 

Edens 7 ) will den evidenten Beweis erbracht haben, „dass C-Welle 
(systolische Venenwelle) und Karotispuls auch in der Praxis nicht 
identifiziert werden dürfen“. Diesen Bewein sucht Edens daduroh zu 
führen, dass er bei einem Fall von Extrasystolie zunächst Karotis und 
Radialis aufnimmt und die Pulsverspätung in der Radialis zu 0,03—0,04 
Sek. berechnet. Gleich darauf nimmt er Jugularis und Radialis zu¬ 
sammen auf und findet hier bei einer Extrasystole das Intervall zwischen 
der systolischen Welle der Jugularis und dem Anstieg des Radialis- 
pulses 0,15 Sek. lang, in der Eitrasystole würde also der zugehörige 
Karotispuls 0,11—0,12 Sek. später als die systolische Venenwelle auf- 
treten. Die Kurve, die Edens beibringt, wirkt jedoch nicht sehr über¬ 
zeugend, der Fusspunkt des entscheidenden Radialispulses ist so wenig 
exakt festzustellen, dass dieser Beweis nicht schlagend erscheint. Zudem 
kann ich eine weitere 8 ) Kurve vorlegen von gleichzeitiger Aufnahme des 
Jugularvenenpulses und der Karotis der gleichen Seite, die ohne weiteres 
die völlige Gleichzeitigkeit der systolischen Welle des Venenpulses und 
des Karotisanstieges zeigt. 

Auf den Trikuspidalklappenschluss kann die systolische Welle 
aus folgenden Gründen nicht zurückgeführt werden; 

1. könnte die Unterbindung der Arteria anonyma den Venen¬ 
puls dann nicht verändern; 

2. führt der Trikuspidalklappenschluss nur zu einer äusserst 
kurz dauernden und geringfügigen Druckerhöhung im rechten 
Vorhof, die sofort von einer scharfen Drucksenkung abgelöst wird, 
denn die die Systole einleitende Kontraktion der Papillarmuskeln 
zieht den Trikuspidaltrichter kammerwärts, bedingt also eine An¬ 
saugung des Vorhofsinhaltes zur Kammer hin 9 ); 

3. findet man bei Trikuspidalinsuffizienz die kurz nach dem 
Beginn des ersten Herztones vor Ablauf der Anspannungszeit auf¬ 
tretende Insuffizienzweile der eigentlichen systolischen Welle 
deutlich vorausgehen (s. Abb. 3). Ich führe also die systolische 
Welle auf mitgeteilte^Karotispulsation zurück. 

1) A. Müller in Jagic, Handbuch der Herzkrankheiten, Bd. 3, S. 243. 

2) Bard, zitiert nach Edens, D. Arch. f. klin. M., Bd. 100, S. 224. 

3) Veiel u. Kapff, D. Arch. f. klin.M, Bd. 113, S. 564. 

4) Rihl, Zschr. f. exper. Path. u. Ther., Bd. 6, S. 646. 

5) Edens, D. Arch. f. klin. M., Bd. 100, S. 228 u. 229. 

6) A. Weber, Zschr. f. exper. Path. u. Ther., Bd. 19, S. 140. 

7) Edens, D. Arch. f. klin. M., Bd. 100, S. 228 u. 229. 

8) Eine entsprechende Kurve von einem anderen Fall veröffentlichte 
ich in der Zschr. f. exper. Path. u. Ther., 1917, Bd. 119.' 

9) S. H. Straub, D. Arch. f. klin. M., Bd. 118, S. 219. 


Abbildung 3. 



Der systolische Kollaps. 

Der Abfall der systolischen Welle, der systolische Kollaps 
ist praktisch von besonderer Bedeutung. Wenn die systolische 
Welle ihr Maximum erreicht hat, fällt normalerweise die Kurve 
in einem Zug steil ab, nur unmittelbar vor dem Minimum zeigt 
sich in der Regel eine kleine Verzögerung. Das Minimum wird 
beim Herzgesunden 1 / 60 Sek. nach Beginn des zweiten Herztones 
erreicht. 

Wenn nur der Vorhof auf die Vene einwirkte, so würde nach 
der Präsystole die Venenpulskurve so lange absinken, bis die er¬ 
neute Anfüllung des Vorhofs dem weiteren Zufluss von Venenblut 
ein Ziel setzt Bei Herzblok mit [langsamer Vorhofsaktion kann 
man sehr gut die Wirkung isolierter Vorhofsschläge auf die 
Venenkurve studieren: nicht immer, aber* doch recht häufig sieht 
man die Venenkurve nach der präsystolischen Welle unter ihren 


Abbildung 4. 



Positiver Venenpuls. Herzinsuffizienz bei Arteriosklerose. 


Ausgangspunkt herabsinken. Das ist leicht verständlich, denn 
der Vorhof hat seinen ganzen Inhalt in die Kammer befördert, 
die Venen finden also günstigere Abflussbedingungen und schwellen 
demgemäss solange ab, bis der erleichterte Abfluss aufhört. Aber 
dieser Abfall der Venenkurve ist doch, was Rapidität und Inten¬ 
sität anlangt, gar nicht zu vergleichen mit dem systolischen 
Kollaps, der sofort nach dem Maximum der systolischen Welle 
einsetzt. Dieser muss eine andere Entstehung haben als den er¬ 
leichterten Abfluss zum Vorhof unmittelbar nach dessen Systole. 
Die Verhältnisse liegen ja eigentlich vollkommen klar. Der 
grössere Teil des gesamten Schlagvolums vom linken Ventrikel 
verlässt während derjAustreibungszeit rapide den Thoraxraum; 
es kommt also zu einer merklichen Druckverminderung in ihm. 
Zum Ausgleich derselben dringt erstens Luft durch die offen¬ 
stehende Glottis in den Brustraum (kardiopneumatische Bewegung 
nach Landois 1 ); zweitens aber strömt das Venenblut an den 
Pforten des Thorax mit gesteigerter Geschwindigkeit in den 
Thoraxraum hinein. 

Nun haben Gottwald 2 ) und Knoll 8 ) gefunden, dass auch nach 
Eröffnung des Thorax der Kollaps weiter bestehen blieb. Ich habe 
diesen Versuch mehrfach wiederholt und sowohl den Druck des rechten 
Vorhofs, wie den Venenpuls vor und nach Anlegung des Pneumothorax 
gezeichnet 4 ). Sowohl im Vorhof wie in der Jugularvene' fc wird die scharfe 
systolische Drucksenkung bzw. der systolische Kollaps bei Pneumothorax 
bedeutend flacher. Dass der systolische Kollaps nicht ganz verschwindet, 
liegt jedenfalls daran, dass, wie erwähnt, die Kontraktion der Papillar¬ 
muskeln zu Beginn der Systole den Trikuspidaltrichter kammerwärts zieht, 
also den Vorhofsinhalt ansaugt 5 6 ), wodurch natürlich eine beschleunigte 
Entleerung der herznahen Venen, das bedeutet Senkung der Venenpuls¬ 
kurve, bedingt ist. 

1) Landois, Lehrbuch der Physiologie, 1900, S. 118. 

2) Gottwald, Pflüg. Arch., 1881, Bd. 125. 

3) Knoll, Pflüg. Arch., 1898, Bd. 72, S. 317. 

4) A. Weber, Zschr. f. exper. Path. u. Ther., S. 143. 

5) Siehe Garten und A. Weber, Zschr. f. Biol., Bd. 66, S. 96. 
Ferner Straub, D. Arch. f. klin. M., Bd. 116, S. 134. 

1 * 


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688 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Die pathologischen Veränderungen am systolischen 
Kollaps. 

Ohm hat in seiner eingangs erwähnten Monographie über 
den photopraphisch registrierten Venenpuls Veränderungen am 
systolischen Venenkollaps beschrieben, die er auf „erschwerte 
systolische Aspiration in den Vorhof“ bezog. Diese Veränderung 
bestand in einer „Buckelbildung“ der sonst gestreckten Linie des 
systolischen Kollapses. Die gleiche Abweichung habe auch ich 
gar nicht so selten bei verschiedenartigen Zuständen angetroffen, 
denen gemeinsam eine Erschwerung des venösen Abflusses im 
grossen Kreislauf war, sei es durch Stauung infolge von mangel¬ 
haft kompensierten Herzfehlern, sei es durch raumbeengende 
Prozesse im Thorax, wie z. B. grössere pleuritische Exsudate. 
Ein derartiges Beispiel bilde ich hier ab; es stammt von einem 
Patienten mit pleuritischem Exsudat (Abb. 6). 


Abbildung 5. 


■> 

\ ~ " - ~ 

. 


Buokel im systolischen Kollaps. 

Eine zweite hierher gehörige Veränderung bilde ich in 
Abb. 6 ab. Die Kurve stammt von einem ? jungen Mann [mit 

Abbildung 6. 




Knick im systolischen Kollaps bei Dilatation des linken Ventrikels. 

Dilatation des linken Ventrikels (Orthodiagramm) nach einer 
akuten Infektion. Das Herz war dauernd wenig leistungsfähig. 
Hier zeigt sich im systolischen Kollaps ein Knick derart, dass 
der obere Teil des Abfalls viel rapider vor sich geht als der 
untere. Eine genauere Erklärung, wie diese Veränderungen zu¬ 
stande kommen, vermag ich nicht zu geben. 

Viel häufiger als die Unterbrechung des geraden Verlaufs 
vom systolischen Kollaps fand ich eine andere Abweichung von 

Abbildung 7. 





Mitralstenose. Vorzeitiger Kollaps. 


der Norm, nämlich ein vorzeitiges Ende desselben. Die systolische 
Welle stürzt in einem Zug ab, erreicht aber ihr Minimum vor 
dem Beginn des II. Tones (Abbild. 7). Ueber die Häufigkeit der Er¬ 
scheinung gibt die folgende Tabelle Aufschluss: 


Diagnose 

Anzahl 

der Fälle 

Ende des systol. 
Kollapses 

Prozentsatz 
der Fälle mit 
vorzeitigem 
Kollaps 

rechtzeitig 

verfrüht 

Aorteninsuffizienz .... 

11 

7 

4 

35 

Mitralinsuffizienz .... 

25 

14 

11 

44 

Mitralstenose. 

49 

18 

31 

63 


Ausserdem fand ich das vorzeitige Ende des systolischen 
Venenkollapses bei beginnender Herzinsuffizienz infolge von Arterio¬ 
sklerose, chronischer Nephritis und Lungenemphysem, ferner 
wiederholt bei Personen, die rapide abgemagert waren (10—20 kg 
Gewichtsverlust in einigen Monaten), und schliesslich bei Feld¬ 
zugsteilnehmern mit Herzbeschwerden, wie Atemnot bei gering¬ 
fügigen Anstrengungen und Stichen in der Herzgegend. Wieder¬ 
holt machte ich die Beobachtung, dass unter Ruhe und Digitalis 
aus einem vorzeitigen ein rechtzeitiger Kollaps wurde, und dass 
mit erneuter Verschlimmerung des Allgemeinzustandes auch der 
Kollaps wieder zu früh endete. In einem Fall von ungenügender 
Kompensation sah ich nach Körperbewegungen das Ende des 
systolischen Kollapses noch weiter nach dem ersten Ton zu rücken, 
also noch mehr verfrüht auftreten. 

Man findet also den vorzeitigen Kollaps bei Stauungs¬ 
zuständen aus den verschiedensten Ursachen, und es ist beach¬ 
tenswert, dass in demselben Maasse, als ein Herzfehler leichter 
zu Stauung im grossen Kreislauf führt, auch der vorzeitige Kollaps 
häufiger beobachtet wird. Wir wissen ja, dass die Aorten¬ 
insuffizienz nicht häufig und erst in späten Stadien Stauung im 
grossen Kreislauf zur Folge hat, die Mitralinsuffizienz schon häufiger, 
die Mitralstenose dagegen in der Mehrzahl der Fälle. 

Wenn wir uns die oben gegebene Erklärung für den systo¬ 
lischen Venenkollaps vor Augen halten und gleichzeitig die Tat¬ 
sache berücksichtigen, dass )& häufiger eine Herzveränderung zu 
Stauung im grossen Kreislauf führt, um so eher auch das vor¬ 
zeitige Ende des systolischen Kollapses beobachtet wird, so ist 
die Erklärung der Abnormität nicht schwer. Das normale rich¬ 
tige Mengenverhältnis des systolisch den Brustraum verlassenden 
Arterienblutes und des gleichzeitig vor den Pforten des Thorax¬ 
raumes befindlichen Venenblutes muss gestört sein; das Venenblut 
muss überwiegen, so dass früher als normal die systolische 
Drucksenkung im Thoraxraum wieder ausgeglichen wird. Diese 
Erscheinung entsteht offenbar durch ein Nachlassen des rechten 
Ventrikels. Entleert sich derselbe mangelhaft, so wird auch die 
Entleerung vom rechten Vorhof und weiterhin von den grossen 
Venen erschwert, das Blut staut sich in diesen; je höhere Grade 
die Stauung annimmt, um so rascher muss die systolische Druck¬ 
senkung ausgeglichen werden, um so früher muss also der systo¬ 
lische Venenkollaps enden. Dasselbe muss eintreten, wenn bei 
primärer Schwäche des linken Ventrikels die Stauung sich durch 
die Lunge hindurch auf den rechten Ventrikel erstreckt. 

Das vorzeitige Ende des systolischen Venenkollapses ist also 
ein objektives Zeichen der beginnenden, Herzinsuffizienz und hat 
damit, eine grosse praktische Bedeutung. Um diese richtig ein¬ 
zuschätzen, stellte ich fest: 

1. ob es zweifellos insuffiziente Herzen gibt ohne das 
Symptom und 

2. ob gesunde Herzen mit dem Symptom beobachtet 
werden. 

Zu 1: Unter 400 Herzkranken sah ich nur ein einziges Mal 
rechtzeitigen Kollaps bei ausgesprochener Dekompensation. Es 
handelte sich um ein dekompensiertes Mitralvitium mit all¬ 
gemeinem Hydrops, dessen Venenkurve völlig normal war. Leider 
konnte ich den Patienten nur einmal untersuchen und war nicht 
imstande, die Ursache für das merkwürdige Verhalten des Venen¬ 
pulses aufzuklären. 

Zu 2: Unter 50 Herzgesunden fand ich keinmal ein vorzeitiges 
Ende des systolischen Kollapses. 

Solche seltenen Ausnahmen können den Wert des Symptoms 
nicht herabmindern, sie zeigen nur, dass die Venenpulsaufnahme 
andere erprobte Untersuchungsmethoden nicht überflüssig machen 
kann. 


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24. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


589 


Die diastolische Welle. 

Sofort nach dem systolischen Kollaps erhebt sich die Veuen- 
kurve von nenem zu einem dritten Gipfel, der in der Regel nach 
etwa 1—10 Sek. erreicht wird. Das ist die diastolische Welle. 
Während des Anstiegs, der in der Regel zunächst steil beginnt, 
um dann auf halber Höhe oder auch später mehr allmählich zu 
werden, gewahrt man meist einige kleine, rasche Schwingungen, 
auf die Öhm zuerst aufmerksam gemacht hat; es handelt sich 
um die fortgeleiteten Erschütterungen des II. Tones. Der Abfall 
der diastolischen Welle reicht normalerweise niemals so tief als 
der systolische Kollaps. Nach dem diastolischen Minimum steigt 
die Venenpulskurve wieder allmählich an, bis die nächste prä¬ 
systolische Welle, gewöhnlich durch einen Knick sich deutlich 
abhebend und steiler ansteigend, eine neue Herzrevolution anzeigt. 

Die Entstehungsweise der diastolischen Welle ist sehr um¬ 
stritten. Ich schliesse mich im wesentlichen der Auffassung von 
Mackenzie 1 ), Hering 2 ) und Rautenberg 3 ) an und denke mir 
die Welle auf folgende Weise entstanden: Am Ende der Aus¬ 
treibungszeit überwiegt an den Pforten des Thorax der venöse 
Zufluss über den arteriellen Abfluss, daher muss eine rasch zu¬ 
nehmende Stauung in den herznahen Venen eintreten. Diese 
Stauung wird unterbrochen, sowie die Trikuspidalklappe sich 
öffnet, was bekanntlich erst einige Zeit nach dem Schluss der 
Semilunarklappen geschieht; dann ergiesst sich der grösste Teil 
des Vorhofinhaltes in die rechte Kammer, und das bedingt eine 
Erleichterung des venösen Abflusses, die so lange anhält, bis die 
zunehmende Kammerfüllung von neuem eine stauende Wirkung 
auf die Venen ausübt. Die diastolische Welle ist also aüf folgende 
Vorgänge am Herzen zurückzuführen: der Anstieg auf die Vor¬ 
hofsfüllung während der Entspannungszeit, das Maximum auf die 
Trikuspidalklappenöffnung, der Abfall auf die diastolische Kammer¬ 
fällung. Die von D. Gerhard 4 5 ), Wenckebach 6 ) und Edens 6 ) 
vertretene Auffassung, dass die diastolische Welle durch das 
Zurückfallen des Herzens in der Diastole zustande komme, glaube 
ich ablehnen zu müssen, da ein Vorgang, der sich am Herzen zu 
Beginn der Diastole abspielt, an der Halsvene nicht schon 750 " 
später in Erscheinung treten kann. Das würde ja eine Fort¬ 
pflanzungsgeschwindigkeit der Venenwellen von 12,5 m in der 
Sekunde voraussetzen lassen: eine ganz unmögliche Annahme. 

Die Veränderungen der diastolischen Welle. 

Bei Tachykardie kann es zu fast völligem Verschwinden der 
diastolischen Welle kommen und zwar dadurch, dass sich auf 
den Anstieg derselben sofort die nächste präsystolische Welle 
aofsetzt. In solchen Fällen wird offenbar der rechte Ventrikel 
ganz oder fast ganz durch die Vorhofssystole gefüllt, dadurch, 
dass diese sofort nach dem Ende der Entspannung eintritt. 

Man beobachtet jedoch auch zuweilen bei langsamer Hecz- 
aktion eine auffallend kleine diastolische Welle. So bildet Ohm 7 ) 
Kurven von zwei Fällen von Pulmonalstenose ab, die bei ruhiger 
Herztätigkeit eine ganz unbedeutende diastolische Welle auf¬ 
weisen. Leider verfüge ich selbst nur über einen Fall von 
Pulmonalstenose, bei dem ich dasselbe fand. 

Das Umgekehrte, eine vergrösserte diastolische Welle findet man 
viel häufiger. Ri hl 8 9 ) stellt eine Vergrösserung dieser Welle bei Ver- 
grösserung der venösen Stauung fest. Ohm 8 ) findet einen vertieften 
Abfall der diastolischen Welle unter Verhältnissen, bei denen er eine 
Sohwäche des rechten Vorhofes bei relativ guter Funktion des rechten 
Ventrikels annimmt, so z. B. bei Mitralstenose. Ohm stellt sioh vor, 
dass unter diesen Bedingungen der Vorhofdruck über den Ventrikeldruck 
relativ überwiegt, so dass „das Gefälle vom Vorhof zum Ventrikel kräf¬ 
tiger wird, als es normal ist“. 

Die Vertiefung des diastolischen Abfalls habe ich auch recht 
oft beobachtet; besonders bei Mitralfehlern, wiederholt auch bei 
Tropfenherz. Jedoch fand ich gar nicht selten bei ein und dem¬ 
selben Patienten in kurzer Zeit einen so starken Wechsel in der 
Grösse der diastolischen Welle, ohne dass sich am Kreislauf 
nachweisbar irgend etwas geändert hätte, dass ich einstweilen 
davon abstehe, eine Erklärung zu versuchen. 

1) Mackenzie, Der Puls, S. 141. Frankfurt a. M., 1904. 

2) Hering, D.m.W., 1907, S. 1896. 

3) Rautenberg, Zschr. f. klin. M. 1908, Bd. 65, S. 112. 

4) D. Gerhard, Arch. f. exper. Path. u. Ther., Bd. 34, S. 427. 

5) Wenckebaoh, Die unregelmässige Herztätigkeit usw. S. 29, 
Leipzig 1914. 

6) Edens, D. Arch. f. klin. M., Bd. 100, S. 235. 

7) Ohm, Venenpuls-, Herzschallregistriermethoden usw. 

8) Rihl, Zschr. f. exper. Path. u. Ther., Bd. 6, S. 658. 

9) Ohm, 1. c., S. 74. 


Der positive Venenpuls. 

Bei hochgradiger- Stauung fehlt der systolische Venenkollaps 
oder ist nur angedeutet, weil sich die Halsvene systolisch gar 
nicht oder sehr . mangelhaft entleert, erst in der Diastole, nach 
Oeffnung der Trikuspidalklappen, fällt die Venenkurve. Wir 
sprechen dann von positivem Venenpuls. Sehr oft beteiligt 
sich in solchen Fällen der rechte Vorhof nicht mehr an der Blut¬ 
bewegung; er ist überdehnt und flimmert, aber es kommen auch 
Fälle von positivem Venenpuls mit erhaltener Vorhofsaktion vor 
(s. Abb. 8). Daher ist die Unterscheidung Mackenzie’s in 

Abbildung 8. 


: q',- : 


aurikulären und ventrikulären Venenpuls nicht am Platz. Der 
positive Venenpuls beweist auch durchaus nicht unter allen 
Umständen eine Trikuspidalinsuffizienz. Beim Pulsus irreg. perp. 
findet man z. B. sehr oft einen positiven Venenpuls, ohne dass 
eine Trikuspidalinsuffizienz besteht. Bei gleichzeitiger Aufnahme 
der Herztöne sieht man den Venenpuls erst etwa Dach Be¬ 

ginn des 1. Tones ansteigen, d. h. also erst nach Ablauf der An¬ 
spannungszeit, während bei Trikuspidalinsuffizienz fast unmittelbar 
mit Beginn des 1. Herztones die Insuffizienzwelle des Venenpulses 
ansteigt, die sich deutlich von der eigentlichen systolischen Welle 
abhebt (s. Abb. 3). 


Blutzuckeruntersuchungen bei Diabetes mellitus. 

Von 

Dr. Nikolaas Roth, 

Assistenten der 111. med. Klinik in Budapest. 

I. 

Der Grad des gestörten Kohlehydratstoffwechsels bei Diabetes 
mellitus lässt sich aus der ausgeschiedenen Zuckermenge nicht 
bestimmen. Viel mehr lässt sich aus der Hyperglykämie, der quanti¬ 
tativ bestimmten Vermehrung des Blutzuckers folgern. Letztere 
giebt aber an sich allein auch keine solche absolute Aufklärungen, 
wie" es auf Grund der Untersuchungen von Claude Bernard, 
Lehmann, dann von Frerichs und Pavy geglaubt wurde. Nach 
letzterem tritt die Glykosurie nur bei einer gewissen Blutzucker- 
konzentration ein, und ihr Grad steht in geradem Verhältnis' 3 zur 
Hyperglykämie. Naclj der Vervollkommung und Verbreitung der 
Biutzuckerbestimmungsmethoden wurde aber bald erkannt, dass 
die Hyperglykämie auch ohne Glykosurie bestehen kann und 
andererseits wurdeGlykosurie auch bei dem normalen nahestehenden 
Blutzuckerspiegel gefunden. Liefmann und Stern fanden in 
einem Falle von Coma diabeticum und uraemicum 1,01 pCt. Blut¬ 
zucker neben Spuren von Harnzucker, Pavy konnte in einem 
Falle neben 0,15 pCt. Blutzucker 3,2 pCt. Harnzucker nach weisen. 

In sämtlichen Fällen, wo die Annahme berechtigt war, dass 
die Zuckerdurchlässigkeit der Nieren gelitten hat, das heisst bei 
Nephritis oder Coma, ist es leicht verständlich, dass die Hyper¬ 
glykämie nicht zu einer entsprechenden Glykosurie führt, wie es 
die Fälle von Richter, Ellinger, Seelig und anderen zeigen. 
Man findet aber des öfteren Daten, wo eine Veränderung der 
Nieren nicht nachzuweisen war und die Glykosurie doch keinen 
Parallelismus mit der Hyperglykämie zeigte. Auf Grund dieses 
Gegensatzes haben Liefmann und Stern angenommen, dass sich 
das Nierenparenchym während der Dauer des Diabetes allmonatlich 
auf einen höheren Blutzuckerspiegel einstellt und nur bei einer 
höheren Blutzuckerkonzentration Zucker mit dem Ham ausscheidet, 
ohne dass das Parenchym sonst eine nachweisbare Veränderung 
erlitten hätte. Nach ihren Beobachtungen bilden beim Bestehen 
des Diabetes, seit weniger als einem Jahre, 0,10 bis 0,15 pCt., 

2 


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690 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


zwischen 1—8 Jahren 0,14 pCt, nach 4—6 Jahren 0,15 bis 
0,19 pCt. und nach 10—16 Jahren 0,15—0,22 pCt. den Schwellen¬ 
wert des Eintrittes der Glykosurie. Nach ihnen tritt die Gly- 
kosurie bei inormalen Individuen], wenn der Diabetes nur seit 
kurzer Zeit besteht, schon bei einen relativ niedrigen Blut¬ 
zuckerspiegel ein, was v. Noorden in der Weise formuliert hat, 
dass die Glykosurie ohne wesentliche Hyperglykämie für den 
Anfang des Diabetes bezeichnend ist. 

Die Auffassung von Liefmann und Stern, die Zunahme 
der Zuckerdichtigkeit der Nieren mit der Zeit, stimmt auch in 
vielen Fällen zu. Diese Annahme wird auch durch unsere Erfah¬ 
rungen bei älteren Individuen und bei seit längerer Zeit bestehendem 
Diabetes bekräftigt. So fand ich bei einem 60 jährigen Kranken 
mit seit 10 Jahren bestehendem Diabetes neben 0,4 pCt. Blutzucker, 
0,2 pCt Zucker im Harn, ln dieselbe Kategorie könnte man jene 
Fälle einreihen, welche aus der 111. med. Klinik, von B&lint und 
später von mir als hyperglykämische Obesitas beschrieben wurden, 
in welchen Fällen neben der bestehenden Obesität eine Hyper¬ 
glykämie kleineren-grösseren Grades ohne Glykosurie festzustellen 
war. Von der Kohlehydratstoffwechselstörung dieser Individuen 
konnte auch angenommen werden, dass sie schon älteren Datums sei. 

Es giebt aber Fälle, wo diese Erklärung nicht genügt. Bereits 
Bang machte unter den Fällen von Liefmann und Stern auf 
vier solche aufmerksam, bei welchen die Krankheit seit Kurzem, 
höchstens seit einem Jahre bestand und neben starker Hyper¬ 
glykämie mit Intaktheit der Nieren, eine Glykosurie nicht nach¬ 
zuweisen war. 

Ausser dem Zustande der Nieren und der Dauer des Diabetes 
muss auch ein anderer Umstand eine Rolle spielen, u. zw. die 
individuelle verschiedene Zuckerdurchlässigkeit der Nieren, woran 
zuerst Bang gedacht hat. 

In dieser Arbeit berichte ich zuerst über in dieser Richtung 
schon seit längerer Zeit vorgenommene Untersuchungen. Die 
Fälle wurden so gewählt, dass ein kurzes Bestehen der Krankheit 
beinahe mit Sicherheit festgestellt und daher ein Dichterwerden 
des Nierenfilters mit der Zeit ausgeschlossen werden konnte. Ich 
habe in 15 solchen Fällen Untersuchungen vergenommen, ihr 
Alter war zwischen 17 und 26 Jahren, und ihre Krankheit bestand 
seit unbedingt kürzerer Zeit, als ein Jahr. Den Kranken wurde 
neben gemischter Kost im Anfänge der Kur durch Venepunktion 
Blut entnommen, und der Blutzucker wurde aus 40cm 8 Blut nach 
Michaelis und Rona bestimmt. Bei dieser Methode geschieht die 
EnteiweiSBung durch die adsorbierende Wirkung des Liquor ferri 
oxydati dialysati, mit schwefelsaurem Magnesium als Katalysator. 
Das verdünnte Filtrat wurde im Wasserbade eingeengt und der 
Zucker polarimetrisch bestimmt. Die Ergebnisse der Untersuchung 
waren folgende: 

1. L. B., 18 Jahre. Nimmt seit 4 Monaten ab neben starkem 
Appetit. Vor vier Monaten verrichtete er nooh einen schweren Dienst 
neben gutem Allgemeinbefinden. Urinmenge 4400 omm, Harnzuoker 
2,2 pCt., Blutzucker 0,27 pCt., Aceton, Acetessigsäure positiv. 

2. F. N., 22 Jahre. Seit 8 Monaten krank. Fühlte sich früher voll¬ 
kommen gesund. Urinmenge 6000 cmm, Harnzucker 8,4 pCt., Blutzucker 
0,33 pCt., Aceton, Acetessigsäure positiv. 

3. P. B., 20 Jahre. Diabetische Beschwerden bestehen seit 5 Monaten, 
war früher gesund. Urinmenge 4200 cmm, Harnzuoker 3,2 pCt., Blutzucker 
0,16 pCt., Aceton und Aoetessigsäure positiv. 

4. Cs. F., 22 Jahre. Seine Beschwerden bestehen seit 9 Monaten. 
Urinmenge 4100 omm, Harnzuoker 5,2 pCt., Blutzuoker 0,4 pCt., Aceton 
und Acetessigsäure negativ. 

5. L. ?., 24 Jahre. Anfang der Krankheit vor 7 Monaten, war früher 
vollkommen gesund. Urinmenge 5400 omm, Harnzucker 4,6 pCt., Blut¬ 
zuoker 0,4 pCt., Aceton, Aoetessigsäure negativ. 

6. B. ft., 25 Jahre. Verrichtete noch vor 10 Monaten Frontdienst, 
nach seiner Angabe ging er gesund an die Front. Urinmenge 5400 cmm, 
Harnzucker 4,1 pCt., Blutzucker 9,20 pCt., Aceton, Acetessigsäure positiv. 

7. Frau L. K., 26 Jahre. Vor l*/a Jahren normaler Partus, fühlt sich 
seit 6 Monaten sohwaoh und hat einen unstillbaren Pruritus. Urinmenge 
4000 omm, Harnzuoker 2,3 pCt., Blutzucker 0,27 pCt., Aceton, Acetessig¬ 
säure negativ. 

8. L. Cz., 23 Jahre. Seine Krankheit wurde vor 2 Monaten in einem 
Spitale festgestellt, wo er zweoks seiner Untersuchung aufgenommen wurde. 
Fühlte sich noch vor 4 Monaten vollkommen gesund, seitdem Schwäche 
und Husten. — Beiderseitiger aktiver Spitzenprozess, mit positivem 
bazillären Befunde. Urinmenge 3500 cmm, Harnzuoker 4 pCt, Blutzucker 
0,12 pCt., Aceton, Aoetessigsäure negativ. 

9. S. F. 24 Jahre. Ist seit 5 Monaten krank, war früher vollkommen 
gesund. Urinmenge 4700 omm, Harnzucker 4,9 pCt., Blutzuoker 0,5 pCt, 
Aceton, Aoetessigsäure negativ. 

10. L. N., 19 Jahre. Seit 10 Monaten krank, verrichtete früher einen 
schweren Dienst. Aktive Tuberkulose des rechten Oberlappens. Urin¬ 


menge 4000 omm, Harnzuoker 5,5 pCt., Blutzuoker 0,24 pCt, Aceton, 
Aoetessigsäure stark positiv. 

11. M. H., 28 Jahre. Fühlt sich seit 7 Monaten krank. Urinmenge 
5800 omm, Harnzucker 4,9 pCt., Blutzucker 0,48 pCt., Aceton, Aoetessig¬ 
säure positiv. 

12. L. B., 20 Jahre. Seine Zuckerkrankheit wurde vor 11 Monaten 
festgestellt, fühlte sioh früher gesund. Beiderseitige Infiltration der 
Lungenspitzen, fieberfrei. Urinmenge 3200 cmm, Harnzucker 4,5 pCt, 
Blutzucker 9,31 pCt., Aceton, Aoetessigsäure negativ. 

13. J. B., 23 Jahre. Seit 6 Monaten krank, hatte früher keine Be¬ 
schwerden. Urinmenge 5400 cmm, Harnzuoker 3,6 pCt., Blutzucker 
0,18 pCt., Aceton, Acetessigsäure negativ. 

14. J. S., 17 Jahre. Nimmt seit 2 Monaten auffallend ab, hat Poly¬ 
phagie und Polidypsie. Urinmenge 5400 cmm, Harnzucker 9,1 pGt, Blut¬ 
zucker 0,49 pCt., Aceton, Acetessigsäure stark positiv. 

15. J. E., 24 Jahre. Diente nooh vor 6 Monaten beim Militär, gegen¬ 
wärtig stark heruntergekommen. Urinmenge 5000 cmm, Harnzuoker 
9,2 pCt., Blutzucker 0,308 pCt., Aceton, Acetessigssäure stark positiv. 

Der Uebersichtlichkeit halber wurden die Fälle in der folgenden 
Tabelle zusammengestellt: 


Tabelle I. 


|| Ü V Ä 

Name 

cs 

< 

Jahre 

— Wahrscheinliche 
c Dauer der 

P Krankheit 

® 

b£ 

p 

o 

s 

_a 

P 

cmm 

® 

M 

O 

P 

M 

P 

BÖ 

W 

pCt. 

® 

CO 

p 

® 

a 

® 

M 

O 

P 

SSI 

g 

o Blutzucker 

f* 

Aceton 

Acetessigsäure 

Komplikation 

1 

B. L. 

; 18 

4 

4400 

2,2 

96 

0,27 

+ 

+ 

_ 

2 

N. F. 

22 

8 

6000 

3,4 

204 

0,33i 

+ 

+ 

— 

3 

B. P. 

20 

5 

4200 

3,2 

134 

0,16 

+ 

+ 

— 

4 

F. Ca. 

22 

9 

4100 

5,2 

213 

0,40 



— 

5 

L P. 

24 

7 

5300 

4,6 

243 

0,40 

— 

— 

— 

6 

B.R. 

25 

10 

5400 

4,1 

221 

0,20 

+ 

+ 

— 

7 

L K. 

26 

6 

4000 

2,3 

92 

0,27 



■ — 

8 

L. Cz. 

23 

2 

13500 

4,0 

140 

0,12 

— 

— 

Beider», akuter Spltsen- 
proxess. Koch poa&tlT. 

9 

S. F. 

24 

5 

4700 

4,9 

230 

0,50 

— 

— 

— ^ , 

10 

L.N. 

19 

10 

4000 

5,5 

225 

0,24 

++ 

++ 

Auf d. r. Oberlappen «teil 
ausbreitende ikL Ubc. 

11 

M. H. 

23 

7 

5800 

4,9 

284 

0,48 

+ 

+ 

— 

12 

L. B. 

20 

11 

3200 

4,5 

144 

0,31 



Beider*. ApexlnlUtxat. 

13 

J. B. 

23 

5 

5400 

3,6 

194 

0,18 

— 

— 

— 

14 

J.S. 

17 

2 

5400 

9,1 

491 

0,49 

++ 

++ 

— 

15 

J. E. 

24 

6 

5000 

9,2 

460 

0,30 

++ 

++ 

” 


Sämtliche Fälle sind junge Individuen. Die wahrscheinlichste 
Krankheitsdauer sind 2—11 Monate, d. h. viel weniger, als jene Zeit, 
von welcher Liefmann und Stern im allgemeinen annehman, dass sie 
zur Verminderung der Zuokerdurchlässigkeit der Nieren genügt. Eine 
Veränderung der Nieren konnte äuoh in den 1, 2, 3, 6, 10, 11, 14, 15 
mit starker Ketonurie einhergehenden Fällen nicht nachgewiesen werden. 
Der Blutzuckerspiegel und der Glykosurie zeigten eine starke Divergenz. 
Neben relativ niedrigem Blutzuckerspiegel, wie in den Fällen 3, 8, 
(0,16 und 0,17 pCt.) fand sich im Harn 3,2 bzw. 4 pCt. Zucker. Die 
höchsten Blutzuckerwerte gingen mit dem Grade der Glykosurie gar nicht 
parallel. Im Falle 4. wurde 5,2 pCt. Harnzucker neben 0,4 pCt. Blut¬ 
zucker in den Fällen 14 und 15 9,1 pCt., 9,2 pCt. Harnzucker neben 
0,49 pCt.—0,30pCt. Blutzucker gefunden. Diese Schwankungen sohliessen 
die Annahme vollkommen aus, dass die Ausscheidung des Harnzuckers 
neben gesunden Nieren von dem Spiegel des Blutzuckers abhänge 

Aehnliche Fälle wurden bereits von Pavy, Naunyn und 
besonders von Leire beschrieben, von Liefmann und Stern 
wurden aber diese Fälle auch durch die mit dem Bestehen der 
Krankheit zunehmende Zuckerdichtigkeit der Nieren erklärt. Die 
bei den beschriebenen, seit kurzer Zeit bestehenden Fällen zwischen 
der Hyperglykämie und der Glykosurie festgestellte grosse 
Schwankungen lassen sich nur durch die Annahme erklären, dass 
die Einstellung der Nieren auf verschiedene hyperglykämische 
Werte auf individuellen Unterschieden beruht. Es ist möglich, 
dass diese Fähigkeit selbst Schwankungen unterworfen ist, und 
dass durch dieselbe Niere bei verschiedenen Blutzuckerkonzen¬ 
trationen verschiedene Zuckermengen ausgeschieden werden können. 
Darüber könnten nur Untersuchungsserien eine Aufklärung geben. 
Die Blutzuckerbestimmung nach Rona-Michaelis ist für diese 
Zwecke nicht entsprechend, da das notwendige grössere Blut¬ 
quantum Unter8ucbungs8erien unmöglich macht Die Bang’sche 
quantitative Mikromethode entspricht den Zwecken, und solche 
Untersuchungen sind auch im Gange. Die nach derRo na-Michaelis- 
Methode erzielten Ergebnisse genügen aber zum Beweise, dass bei 
Diabetes kürzeren Datums und bei sonst intaktem Nierenparenchym 
eine Gesetzmässigkeit zwischen Hyperglykämie und Glykosurie 


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691 


nicht festzustelleji ist, welche Tatsache durch die individuell ver¬ 
schiedene Zuckerdarchlässigkeit der Nieren erklärt werden kann. 

Aus unseren Daten lassen sich auch andere wichtige Folge¬ 
rungen sieben. Es wurde schon von v. Noorden betont, dass 
die Hyperglykämie ab sich keinen Maassstab der diabetischen 
Stoffwechselstörung bildet. In den schwersten Fällen fanden wir 
0,27, 0,83, 0,10, 0,24, 0,40, 0,49 und 0,80 pCt. Blutzucker (1. 
2 . 3. 6. 10. 11. 14. und 16. Fall) und bei den wenigen schweren 
Fällen 0,40, 0,40, 0,20, 0,27, 0,42, 0,60, 0,31, 0,18 pCt. Wenn 
man diese Werte mit den während 24 Stunden ausgescbiedenen 
Znckermengen vergleicht, ist es ersichtlich, dass ein klares Bild 
der diabetischen Stoffwechselstörung nur durch die vergleichende 
Erwägung der Zuckerausscheidung, der Hyperglykämie und der 
Ketonurie gewonnen werden kann. Gerade wie die Beurteilung 
des Diabetes aus dem Grade der Zuckerausscheidung falsch ist, 
ebenso nur richtig wäre es, nur den Blutzuckerspiegel zu betrachten. 
Wenn aber die obengenannten drei Faktoren: der Blutzucker, der 
Harnzucker und die Ketonkörper nebeneinander betrachtet werden, 
dann lässt sich ein klarer Einblick so in den Grad der pathologischen 
Zuckerbildung, bzw. unvollständigen Glykolyse, wie der Zucker¬ 
ausscheidung und des ungenügenden Kohlehydratfeuers gewinnen. 
Durch die Kombination dieser Faktoren werden zwar * mehrere 
Varianten möglich, aber ein Einblich in KohlebydratstoffWechsel 
kann nur auf diese Art gewonnen werden. 

II. 

Die Einschränkung der Kohlehydrate in der diätetischen 
Behandlung des Diabetes führt zur Verminderung der Glykosurie 
und der Hyperglykämie. Wie es aber Bang und Lei re nach¬ 
gewiesen haben, geht das allmähliche Herabsinken der Glykosurie 
auch jetzt nicht parallel mit dem herabgesunkenen Niveau des 
Blutzuckerspiegels, sondern letzterer ist Schwankungen unterworfen. 

Die Untersuchung dieser Erscheinung während der Mebltage 
schien interessant. Während dem Noorden’schen Hafermehl tagen 
und während den von Blum empfohlenen Korn-, Gersten- und 
Weizenmehl tagen vermindert sich die Glykosurie und die Azidose 
bessert sich. In einer im Jahre 1918 von mir erschienenen Arbeit 
konnte ich zeigen, dass die verschiedene Konstitution aufweisenden 
Stärkearten des Hafer-, Gersten-, Korn- und Weizenmehls vom 
diabetischen Organismus in gleicher Weise ausgenützt werden 
und aus therapeutischer Hinsicht gleichgünstige Ergebnisse liefern. 

Nach Eppinger und Barenscheen wäre die günstige 
Wirkung des Hafermehls nur eine scheinbare, sie haben nämlich 
während der Hafermehltage gesteigerte Blutzuckerwerte erhalten 
und daher angenommen, dass der Nierenfilter durch Hafermehl 
für Traubenzucker undurchlässiger wird, und wenn auch die 
Glykosurie abnimmt, nimmt im Gegenteil der Prozentsatz des 
Blutzuckers zu. 

Die Richtigkeit dieser Erklärung wird durch die klinisch fest¬ 
stellte günstige Wirkung von Mehltagen betreffend die Verminderung 
der Azidose und die Besserung von Allgemeinsyptomen, sowie 
durch meine mittels des Zuntz-Geppert’schen Apparates durch¬ 
geführte Untersuchungen, durch welche die Ausnützung der ge¬ 
nannten Mehlarten im diabetischen Organismus nachgewiesen wurde, 
unwahrscheinlich gemacht. Und im Gegensätze zu Eppinger 
und Barenschen, fanden schon Blum und Schirokauer eine 
Abnahme der Hyperglykämie während der Mehltage und ihre 
Annäherung — zusammen mit der Abnahme der Glykosurie — 
an den Normalwert. 

Durch diese auseinander gehende Angaben, sowie durch die 
Tatsache, dass das Verhalten des Blutzuckers bei Diabetes unter 
der Einwirkung von verschiedenen Mehlarten’noch nicht untersucht 
worden ist, fühlte ich mich veranlasst in den folgenden Fällen 
während der Periode der Mehltage täglich Blutzuckerbestimmungen 
vorzunehmen. Zur Bestimmung wurde die Bang’sche alkoholische 
Makromethode benützt, deren Vorteil gegenüber der Methode von 
Rona-Mrchaelis darin besteht, dass zur Bestimmung lOcmm Blut 
genügen. Der Blutzucker wurde im Anfänge der Kur neben ge¬ 
mischter Kost, später neben bestimmten Kohlehydratmengen, sowie 
nach den 2. den Mehl tagen vorausgebenden Gemüsetagen und 
während der Mehltage an dem Morgen des dem diätetischen Tage 
folgenden Tages bestimmt.} 

Die untersuchten Fälle sind folgende: 

1. M. K., 42 Jahre. Bei gemischter Kost. Harnmenge 4300 emm, 
Harnzuoker 8,6 pCt., Blutzuoker 0,53 pCt., Aceton, Acetessigsäure positiv. 
Neben 100 g Kohlehydrat wird 2,1 pCt. Zucker ausgeschieden, Blutzucker 
0,51 pOt. Eine weitere Einschränkung der Kohlehydrate war wegen 
der Zunahme der Azidose unmöglich. Nach 2 Gemüsetagen Harnmenge 


2800 emm, Harnzuoker 0,4 pCt., Blutzuoker 0,29 pCt, Aceton, Aoetessig- 
säure schwächer positiv. Dann kam eine 3 tägige Hafermehlperiode in 
der Form von mit Butter zubereiteten Suppen. 1. Tag. Harnmenge 
2700 emm, Harnzucker 0,9 pCt., Blutzucker 0,31 pCt. 2. Tag. Harn¬ 
menge 2500 emm, Harnzucker 0,4 pCt, Blutzuoker 0,24 pCt. 3. Tag. 
Harnmenge 2200 emm, Harnzucker 0,1 pCt., Blutzucker 0,18 pCt., keine 
Ketonkörper. 

2. M. L., 45 Jahre. Neben gemischter Kost Harnmenge 3000 emm, 
Harnzucker 2,2 pCt., Blutzuoker 0,21 pCt., Aceton in schwachen Spuren. 
Neben 50 g Kohlehydraten Harnmenge 2400 emm, Harnzucker 0,6 pCt., 
Blutzucker 0,44 pCt. Eine weitere Einschränkung war wegen der Ver¬ 
stärkung der Acetonreaktion unmöglich. Nach 2 Gemüsetagen sank die 
Harnmenge auf 2100 omm, der Harnzuoker auf 0,2 pCt., der Blutzuoker 
auf 0,14 pCt. Aceton negativ. Dann 3 Kornmehltage. 1. Tag. Harn¬ 
menge 2300 emm, Harnzuoker 0,3 pCt, Blutzuoker 0,14 pCt 2. Tag. 
Harnmenge 2100 omm, Harnzuoker 0,1 pCt., Blutzucker 0,12 pGt. 3. Tag. 
Harnmenge 2000 omm, Harnzucker in kaum nachweisbaren Spuren, Blut¬ 
zucker 0,08 pCt., Aceton negativ. 

3. J. K., 41 Jahre. Neben gemischter Diät Harnmenge 2300 omm, 
Harnzucker 0,52 pCt., Blutzucker 0,18 pCt. Gerhardt’sche Reaktion 
positiv. Die vollkommene Kohlehydrateentzziehung gelang nicht. Zwei 
Gemüsetage. Am 2. Tage Harnmenge 1800 omm, Harnzuoker in Spuren, 
Blutzucker 0,11 pCt. 3 Weizenmehltage. 1. Tag. Harnmenge 1200 emm, 
Harnzucker 0,1 pGt., Blutzucker 0,12 pCt. 2. Tag. Harnmenge 1700 omm, 
Harnzuoker inSpuren, Blutzucker 0,09pCt. 3. Tag. Harnmenge 1700 emm, 
Harnzucker nicht nachweisbar, Blutzucker 0,08 pGt. 

4. S. R., 50 Jahre. Neben gemisohter Kost Harnmenge 3300 omm, 
Harnzucker 1,1 pCt., Blutzuoker 0,15 pCt., Aceton in Spuren. Neben 
100 g Kohlehydraten Harnmenge 3000 omm, Harnzucker 0,78 pGt., Blut¬ 
zucker 0,12 pCt., Aceton stärker positiv. Nach 2 Gemüsetagen Harnmenge 
2200 omm, Zucker in Spuren, Blutzuoker 0,09 pGt. Nach 3 Hafermehl¬ 
tagen. 1. Tag. Harnmenge 1900 emm, Harnzuoker in ausgesprochenen 
Spuren, Blutzucker 0,12 pCt. 2. Tag. Harnmenge 1700 emm, Harnzuoker 0, 
Blutzuoker 0,10 pCt. 8. Tag. Harnmenge 1650 emm, Harnzucker 0, 
Blutzucker 0,07 pCt., Aceton, Acettssigsäure negativ. 

5. F. S., 51 Jahre. Neben gemischter Kost Harnmenge 2800 emm, 
Harnzucker 0.5pCt., Blutzucker 0,12pCt., Gerhardt’sobeReaktion positiv. 
Neben 50 g Kohlehydraten zuckerfrei, Blutzuoker 0,09 pGt., Aoeton positiv. 
Nach 2 Gemüsetagen Harnmenge 2000 emm, Harnzuoker in Spuren, Blut¬ 
zuoker 0,09 pGt. 3 Gersten mehltage. 1. Tag. Harnmenge 1800 emm, 
Harnzucker 0, Blutzucker 0,09 pGt. 2. Tag. Harnmenge 1700 emm, Harn¬ 
zuoker 0, Blutzucker 0,08 pGt. 3. Tag. Harnmenge 1600 omm, Harn¬ 
zucker 0, Blutzucker 0,05, Aoeton. Acetessigsäure negativ. 

6. K. M., 48 Jahre. Neben gemischter Kost Harnmenge 4000 emm, 
Harnzucker 1,2 pCt., Blutzucker 0,14 pCt., Aceton, Acetessigsäure positiv. 
Neben 80 g Kohlehydraten verschwindet der Zucker, die Azidose nimmt 
aber zu. Blutzucker 0,12 pCt. Nach 2 Gemüsetagen Harnmenge 2900emm, 
Harnzucker in starken Spuren, Blutzuoker 0,08 pCt. 3 Kornmehltage. 
1. Tag. Harnmenge 2600 omm, Harnzucker schwach positiv, Blutzucker 
0,10 pGt. 2. Tag. Harnmenge 2400 emm, Harnzucker 0, Blutzucker 
0,07 pGt. 3. Tag. Harnmenge 2200 emm, Harnzucker 0, Blutzuoker 
0,07 pCt. Aceton, Acetessigsäure negativ. 

Die obigen 6 Fälle waren des gleichen Krankheitsstadiums halber 
gewählt. Bei der Besichtigung der festgestellten Werte, ist es ersichtlich, 
dass die Blutzuckerwerte bei gemischter Kost verglichen mit der Glykosurie 
höher sind. 



Harnmenge: 

Harnzuoker: 

Blutzucker: 


omm 

pOt. 

pCt. 

I. 

4200 

3,6 

0,53 

II. 

3000 

2,2 

0,21 

III. 

2300 

0,5 

0,18 

IV. 

2300 

1,1 

0,15 

V. 

2800 

0,6 

0,12 

VI. 

4000 

1,2 

0,14 


In sämtliohen Fällen bestand der Diabetes seit Jahren, und man kann 
mit Liefmann und Stern annehmen, dass während der langen Krankheits¬ 
dauer der Nierenfilter auf eine höhere Blutzuokerkonzentration eingestellt 
wurde. 

Das Verhalten des Blutzuckers während der Gemüse- und Mehltage 
ist sehr lehrreich. Während der Gemüsetage nahm der Blutzucker neben 
verminderter Zuckerausscheidung bedeutend ab. Im 1. Falle war die 
täglich ausgesebiedene Harnzuokermenge 15,2g neben 0,58 pCt. Blut¬ 
zucker, welche Werte sich nach 2 Gemüsetagen auf 11,2 g, bzw. 0,29 pCt. 
verminderten.* lm^2. Falle von 66 gHarnzucker, 0,21 pCt. Blutzucker auf 
4,2 g, bzw. 0,11 pCt. Im 3. Falle von 11,96 g Harnzucker 0,18 pCt. 
Blutzucker, am zweiten Gemüsetage auf nur in Spuren nachweisbaren 
Harnzucker und 0,11 pCt. Blutzucker. Im 4. Falle von 36 g Harnzuoker, 
0,15 pCt. Blutzucker auf in Spuren nachweisbaren Zucker, 0,09 pGt. Blut¬ 
zucker. Im 5. Falle von 16,8 g Zucker, 0,12 pGt. Blutzucker, auf in 
Spuren nachweisbaren, 0,09 pGt. Blutzucker. Im 6. Falle von 48 g Harn¬ 
zucker, 0,14 pCt. Blntzuoker, auf Zucker in starken Spuren, 0,08pGt.‘ 
Blutzucker. 

Während der Gemüsetage trat in sämtlichen Fällen ein bedeutendes 
Niedersinken des Blutzuckerspiegels ein, welcher Umstand aus der ver¬ 
minderten Kohlehydrateeinfuhr, anderseits aber aus der durch die Ruhe 
der zuckerbildenden Organen bedingten vollständigeren Glykolyse zu 
erklären ist 

2 * 


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Nr. 25. 


Durch die verschiedene Qualität von Hafer-,. Gersten-, Korn- und 
Weizenmehl wurden die erzielten Werte während der Mehltage nicht 
betroffen, wie es aus der folgenden Tabelle bervorgeht. 


Tabelle II. 







Blut- 


Fall 

Mehl¬ 

tag 

Ham¬ 
men ge 

Harn¬ 

zucker 

Blut¬ 

zucker 

zucker 
nach den 
Gemüsetg. 

Anordnung 



cmm 

pCt. 

pCt 

pCt 


( 

I. 

2700 

0,9 

0,31 

1 


i 

II. 

2500 

0,4 

0,24 

> 0,29 

Hafermehl 

1 

III. 

2200 

0,1 

0,18 

1 


{ 

I. 

2300 

0,3 

0,14 

1 



II. 

2100 

0,1 

Spuren 

0,12 

} 0,11 

Koro mehl 

1 

III. 

2000 

0,08 

1 


111 { 

I. 

II. 

1900 

1700 

0,1 . 
Spuren 

0,12 

0,09 

\ 0,11 

Weizenmehl 

1 

III. 

1700 

0 

0,08 

1 


{ 

I. 1 

1900 

Spuren 

-0.12 

\ 


IV { 

II. 

1700 

0 

0,12 

} 0,09 

Hafermehl 

1 

III. 

1650 

0 

0,07 

I 



I. 

1800 

0 

0,09 

1 


V I 

II. 

1700 

0 

0,08 

0,09 

Gerstenmehl 

1 

III. 

1600 

0 

0,05 

J 



I. 

2600 

Spuren 

0,10 

1 ) 


VI { 

II. 

2400 

0 

0,07 

} 0,08 

Koromehl - 

1 

III. 

2200 

0 

0,07 

|J 



Die nach Gemüsetagen erzielten niedrigeren Blutzuckerwerte zeigten nach 
dem 1. Mehltage in sämtlichen Fällen eine Erhöhung. 

Wenn 0,07—0,11 pCt. für normale Blutzuokerwerte angenommen 
werden, dann kann während der zwei letzten Fälle während der Mehl¬ 
tage von einer ausgesprochenen Hyperglykämie nicht die Rede sein. In 
beiden Fällen gelang schon die günstige Einwirkung von Gemüsetagen 
zur Geltung. In den ersten 4 Fällen zeigte sich aber die Hyperglykämie 
an dem, den Gemüsetagen folgenden ersten Mehltage wieder, in den die 
Blutzuckerwerte im 1. Falle von 0,29 pCt. auf 0,81 pCt., im 2. von 
0,11 pCt. auf 0,14 pCt., im 8. von 0,11 pCt. auf 0,12 pCt. und im 4. Falle 
von 0,09 pCt. auf 0,12 pCt. stiegen. Scheinbar führt daher die anfängliche 
Uebersohwemmung des Organismus mit einseitigen Kohlehydraten zur 
Erhöhung des Blutzuckerspiegels, und es ist nicht ausgeschlossen, dass 
Eppinger und Barenscheen durch diese anfängliche Zunahme der 
Hyperglykämie irregeführt wurden. Der Grad der Hyperglykämie ging 
aber nach dem ersten Tage allmählioh herunter und zwar im 2., 3. und 
4. Falle bis zu dem Normalwerte. Es tritt daher während der Mehltage 
eine günstigere Glykolyse ein, deren Ursache aber dahingestellt werden 
muss. Es ist nicht ausgeschlossen, dass während der einseitigen Kohle¬ 
hydraternährung irgend eine Aenderung erfolgt, vielleicht eine Ferment¬ 
wirkung, von deren Mechanismus aber sich nichts bestimmtes behaupten 
lässt. Möglicherweise wird auch diese Frage durch Untersuchungsserien 
mittels der Mikromethode der Lösung näher gebracht. 

Die vorgenommenen Untersuchungen scheinen einerseits auf 
die Gründe der Meinungsunterscbiede hinzu weisen, welche betreffs 
des Niveaus des Blutzuckerspiegels während der Mehltage bestehen, 
und es ist verständlich, warum einige erhöhte, andere niedrige 
Blutzuckerwerte gefunden haben. Andererseits zeigen auch diese 
Untersuchungen, dass die diätetische Benützung von verschiedenen 
Meblarten in der Therapie des Diabetes gleichwertig ist. 

Die Ergebnisse meiner Untersuchungen kann ich’in folgen¬ 
dem zusammenfassen. 

1. Die Zuckerdurchlässigkeit der Nieren isj, (wie • es die seit 
Kurzem bestehenden Fälle zeigten, individuell verschieden. 

2. Zur Beurteilung der diabetischen Stoffwecbselstörnng ist 
die gleichzeitige Rücksichtnahme auf die Glykosurie, auf den 
Blutzuckerspiegel und auf die eventuell gebildeten Ketonkörper 
notwendig. 

8. Der Zuckergehalt des Blutes nimmt während der Mehltage, 
im Anfänge zu, später allmählich ab und nähert sich den Normal* 
werten. Dieser Prozess geht der Glykosurie nicht parallel. 

Literatur: 

1) J. Bang, Der Blutzucker. 1918. — 2) v. Noorden, Die Zucker¬ 
krankheit. 1917. — 8) Naunyn, Diabetes mellitus. Aufl. 1906. — 

4) Ol. Bernard, Compt. rend. de l’aoad. des scienoes. 1876. S. 77. — 

5) Lepine, Le Diaböte suore. 1909. — 6) Pavy, Researches etc. of 
Diabetes. 2. Bd. 1869. — 7) Liefmann und Stern, Ueber Glykämie 
und Glykosurie. Bioohem. Zschr. 1906, 1, 299. — 8) Bälint, Ueber die 
Aetiologie des Diabetes insipidus. B. kl.W., 1913, Nr. 41. — 9) N. Röth, 


Ueber Mehltage bei Diabetes. W. kl.W., 1912. — 10) Derselbe, Unter¬ 
suchungen über die hyperglykämische Obesitas. B. kl.W., 1914, Nr. 20. — 
11) Blum, Ueber Weizenmehlkuren bei Diabetes mellitus. M.m.W., 1911, 
Nr. 27. — 12) Schirokauer. Haferkur und Blutzuckergehalt bei Diabetes 
mellitus. B. kl. W., 1911, 1129. 


Zuckerkrankheit und Bandwurm. 

Von 

Dr. J. Hsppe-Uohtspringe. 

Ueber drei Kranke, die 3—5 Monate beobachtet wurden, will ich, 
um zu Nachprüfungen anzuregen, in Kürze berichten. Der erste wollte 
(noch zur Zeit des Friedens) von seinem Bandwurm, dessen Glieder er 
selbst im Stuhlgang beobachtet hatte und mitbraohte, befreit werden. 

Die Stuhluntersuchung bestätigte seine Angabe. Er gab an, sioh 
sonst, abgesehen von zeitweiligen Darmbeschwerden, stets wohl zu fühlen. 
Urin war frei von Eiweiss und reduzierenden Substanzen. Nach 9 g 
Extr. Filic. und Rioin. ging ein Rinderbandwurm mit Kopf glatt ab. 
Als er nach etwa 14 Tagen nochmals, frei von allen Beschwerden sich 
vor8tellte,.war der Urin eiweissfrei, enthielt aber (nach Ny len der und 
Fehling) deutlich Zucker. Die quantitative Untersuchung ergab (Gar¬ 
probe) 2 1 /* pCt. Zucker. Dieser Zuokergehalt ging auf Regelung der 
Ernährung bis auf Spuren zurück. Er wurde etwa 5 Monate beobachtet. 

Im besetzten Gebiet (Russisch - Polen) J ) kamen in die poliklinische 
Sprechstunde zwei Juden mit Bandwurm, die auf Befragen angaben, 
dass in den Familien bereits zuckerkranke Verwandte vorgekommen 
wären. Durch die erste Erfahrung aufmerksam gemacht, wurde beider 
Urin vor der Bandwurmbehandlung wiederholt sorgsam untersucht, ohne 
dass bei gewöhnlicher kohlehydratreioher Kost reduzierende Substanzen 
gefunden wurden. Etwa 10 Tage nach Bandwurmbehandlung zeigte der 
eine (nach Garprobe) l 1 /» pCt., der andere 2 pCt. Zucker. Fehling 
und Ny len der stark positiv! Bei Regelung der Diät änderte sich 
der Gehalt von reduzierenden Substanzen. Im Felde steht mir die Literatur 
über den Zusammenhang von Parasiten und Zuckerkrankheit nicht zu 
Gebote, auoh konnte ioh nichts über die Verdauungsphysiologie der 
Bandwürmer erfahren, muss deshalb alle Folgerungen unterlassen. 
Möglioh erscheint aber, dass bei der Symbiose der Parasit einen Teil 
des Umsatzes der Kohlehydrate übernommen hatte. Vielleicht liegt es 
dann in einzelnen verzweifelten Fällen der Zuckerkrankheit nahe, wenn 
andere Mittel versagen, die Mitarbeit eines möglichst harmlosen Darm¬ 
schmarotzers in Anspruch zu nehmen. 


Aus dem Kgl. Universitatsinstitut für Orthopädie, 
Berlin (Direktor: Prof. Dr.'H. Gocht). 

Zur Klumpfussbehandlung bei Säuglingen. 

Von 

Dr. med. Haas Debruiier, Assistent. 

Den ersten Akt einer Behandlung; von angeborenen Klump¬ 
füssen stellt stets die manuelle oder instrumentelle Redression 
dar, während die Verbände das erreichte Resultat zu erhalten 
und zu sichern suchen. Wo die Umformung mehr oder weniger 
starre Veränderungen antrifft; bildet sie auch unbedingt den 
Hauptfaktor jeder Therapie; als Unterstützung kann die Fest¬ 
stellung im Verband allerdings in keinem Falle entbehrt werden. 
Bei Fussdeformitäten, welche manuell noch leicht verbessert 
werden können, verschiebt sich dies Verhältnis zugunsten des 
Verbandes. Anf ihn ist besonders Wert zu legen. Je exakter 
er sitzt, je sicherer er eine Ueberkorrektur erzwingt und erhält, 
um so erfreulicher sind die Erfolge. Er übernimmt zum Teil die 
Rolle der modellierenden Hand, indem er, häufig gewechselt, 
durch jedesmalige Vermehrung der korrigierenden Komponente 
selbst redressierend wirkt. Bei Säuglingen, welche dem Arzte 
wegen der Veranstaltung schon in den ersten Lebenswochen ge¬ 
bracht werden, finden wir diese Bedingungen meist erfüllt. Es 
handelt sich also darum, einen Verband zu wählen, der bei ein¬ 
facher Anwendungsart praktisch brauchbare Resultate ermöglicht. 

Au unserer Klinik bat sich die von Professor Gocht geübte 
BehandluDgsweise vorzüglich bewährt. Sie wird auch in ge¬ 
schickten Händen L des praktischen A Arztes eine gute Methode dar¬ 
stellen. 

Schon bei der ersten Untersuchung der Kleinen kann man 
mit der manuellen Redression beginnen. Während zwei bis fünf 

1) In Russisch-Polen waren die Darmsobmarotzer unter der armes 
Bevölkerung ausserordentlich häufig. 


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593 


Tagen wird sie zweimal täglich fünf Minuten lang wiederholt. 
Um Frakturen oder zu starken Bänderzerreissungen vorzubeugen, 
muss durch festes Umfassen der Knöchelgegend ein gutes Wider¬ 
lager geschaffen werden, auf welches die überdehnenden Be¬ 
wegungen sich stützen. Bald früher, bald später haben sich die 
Kontrakturen so weit gelockert, dass der Fuss auf leichten Druck 
aus der Supination in Pronation gebracht werden kann, ohne dass 
er darin verharrt. Dies zu erreichen und die Korrektur in die 
nötige Ueberkorrektur auch in bezug auf den Spitzfuss zu ver¬ 
wandeln, brauchen wir fixierende Verbände. 

Wir verwenden dazu als Materialien: 

1 . Eine Klebelösung, welche sich nach Heusner folgender- 
maassen billig herstellen lässt: 

Feingeklopftes Kolophonium 500,0 g 
Benzin (oder Benzol) ana 500,0 g 
Therebinthina veneta 5,0 g 

Das Gemisch wird tüchtig geschüttelt und an warmem Orte 
2—3 Tage stehen gelassen bis zur Lösung. 

2. Einen Haarpinsel zum Aufträgen der Lösung. 

3. Filz von etwa 3—5 mm Dicke. 

4. Barchent oder ähnlichen weichen, schmiegsamen Stoff, der 
in etwa 30 cm lange, 1—3 cm breite Streifen geschnitten wird. 

5. Mullbinden von 2—4 cm Breite (je nach Grösse des Kindes). 

ev. 6. Stärke- oder Gipsbinden von entsprechender Breite. 

Der Verband lässt sich in sehr einfacher Weise anlegen. 

Es ist vorteilhaft, wenn eine Hilfsperson den auf dem Rücken 
liegenden Säugling von der Kopfseite her zu halten und zu be¬ 
ruhigen sucht. Unentbehrlich ist die Wärterin, welche das Füsschen 
hält. Sie fasst mit den Spitzen der Finger 2 und 3 und des 
entgegengestellten Daumens beider Hände die kleine Zehenreihe, 
dreht den Pes varus aus seiner Supination in extreme Pronation, 
aus der plantaren in dorsale Flexion; kurz, sie korrigiert die 
falsche Stellung möglichst genau in das übertriebene Gegenteil. 
Man wird dabei gut tun, beim ersten Verband die Spitzfuss- 
komponente nicht zu berücksichtigen, sondern sein Augenmerk 
auf die Beseitigung der Adduktion und der supinatorischen 
Drehung allein zu richten. Wer zuviel auf einmal zu erlangen 
sucht, wird leicht enttäuscht, indem er Stauung und Dekubitus 
auftreten sieht. 

Der Arzt bestreicht Fuss und Bein mit der Klebelösung, die 
er. ein wenig antrocknen lässt. Darauf nimmt er die Polsterung 
vor. An die Stellen, welche starkem Druck ausgesetzt sind, 
werden zur Verhütung von Dekubitus Filzstücke aufgeklebt 
(siehe Abb. 1 u. 2). Ein Streifen von 1—l 1 ^ cm Breite kommt 
quer über die Fusssohle auf die Gegend der Metatarsalköpfchen 


Abbildung 1. 



zu liegen, so dass seine distale Breitseite längs der Zehenansätze 
verläuft. Die Enden werden beiderseits auf den Fussrücken um 
geschlagen, damit die Haut über den Metatarsophalangealgelenken 
1 und 5 geschützt werde. In der Mitte dürfen sie sich aber nicht 
berühren, da hier Kleberaum für den Barchentstreifen frei bleiben 
muss.' Ein zweites, quadratisches Filzstück deckt die äussere 


Abbildung 2. 



Knöchelgegend mit der Tuberositas ossis metatarsalis V und dem 
vorspringenden Os cuboideum, greift eventuell auch ein wenig 
um den Fussrand herum zur Sohle. Das dritte, gewöhnlich gleich 
grosse Polster kommt auf den Condylus medialis tibiae zu liegen, 
um den Druck der späteren Bindenkreistouren zu mildern. 

Die vorher zurechtgeschnittenen Barchentstreifen sollen nun 
dem Füsschen Halt in seiner korrigierten Stellung geben. Sie 
werden zu diesem Zwecke an einem Ende fixiert und in adres¬ 
sierender Richtung um das Bein geführt (siebe Abb. 3). Wir 
beginnen mit einem Bande auf dem Dorsum, lassen es in dem 
vom ersten Filzstreifen ausgesparten Raume festkleben und führen 


Abbildung 3. 



es über Grosszehenballen, Sohle zum Ausgangspunkt zurück; diese 
Tour deckt das genannte Filzpolster und dient zu seiner Fixierung. 
Von hier legt sich eine neue proximalwärts dachziegelartig über 
die erste, steigt aber dann unter straffem Zug, der dem ganzen 
Fuss Dorsalflexion gibt, und seinen äusseren Rand hebt, gegen 
die Innenseite des Unterschenkels, ihn schlangenartig umwindend. 
Sie endigt in der Höhe des Knies. Ein zweiter Barchentstreifen 
verstärkt die Wirkung des ersten, indem er, oberhalb des Fusses 
beginnend, wieder zur Hälfte die frühere Tour überdeckt. Je nach 
vorhandenem Kleberaum folgen noch 2—3 solcher Bänder. Stets 
ist darauf Bedacht zu nehmen, dass ihre Ausgangsstelle gut haftet, 
damit ein Rutschen der Streifen vermieden werden kann. Jede 
neue Tour unterstützt und hebt die Wirkung der vorhergehenden, 
so dass zum Schluss das Füsschen in der gewonnenen Stellung 
fixiert ist. 

Um das so Erreichte noch zu sichern, greifen wir zur Mull¬ 
binde (siehe Abb. 4). Die schmalen Bindenzüge bedecken 
vom Knie bis zu den stets frei bleibenden Zehen den Klebever¬ 
band. Sie müssen so angelegt werden, dass sie am Fusse die 
Pronationsbewegung unterstützen; dass sie also von der Sohle 
über den äusseren Fussrand zum Dorsum, über den inneren ab¬ 
wärts zur Planta verlaufen. Nachdem das Beinchen von einer 
Gazelage vollständig bedeckt worden, so dass nur die breit neben¬ 
einander liegenden und ohne queren Druck gehaltenen Zehen 
herausgucken, lassen wir vom äusseren Fussrande aus die Binden¬ 
züge bis zum Capitulum fibulae unter straffem Anziehen direkt 
hochsteigen. Indem wir jeden dieser Züge durch abwärts ver- 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Abbildung 4. 

Achs« dts 

m'' Unt9f , scktnk0fs 



(Der lat. Fussrand wird durch die Bindentouren gehoben.) 

Schema zum Verlauf der Mullbinden. 

laufende Kreistouren festhalten, während sein oberes Ende von 
einem helfenden Finger angestrafft wird, können wir die Korrektur 
in jeder Hinsicht fördern. Dies Spiel wiederholt sich, die 
herunterkletternden Bindentouren werden in Windungen um den 
Fuss geführt und als hebende Zügel von neuem hochgezogen. 
Wir verbrauchen auf diese Weise 2—3 Bindchen. Die anfangs 
anämischen, dann zyanotischen Zehen werden zum Zeichen aus¬ 
reichender Blutversorgung bald wieder rosafarben. 

Mit entsprechendem Umwickeln von Stärke- oder Gipsbinden 
(Abbild. 5 u. 6) können wir den Verband haltbarer machen und 
gegen die Beschmutzung mit Urin etwas schützen. Es empfiehlt 
sich, die Beine in Säckchen von undurchlässigem Stoff zu stecken. 
Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass achtsame Mütter 
den Verband während der kurzen Zeit sehr wohl sauber halten 
können. 


Abbildung 5. 



Wie schon betont wurde, handelt es sich bei dieser Therapie 
nicht allein darum, das fertige Resultat der Redression zu festigen, 
sondern korrigierend zu wirken. Darum müssen die Verbände 
häufig erneuert und verbessert werden, was auch im Hinblick auf 
die Reinlichkeit von grösstem Vorteil ist. Wir gehen unter 
starker Berücksichtigung individueller Verhältnisse ungefähr 
folgendermaassen vor: 

Die ersten Verbände werden alle ein bis zwei Tage ge¬ 
wechselt, wobei stets der nächstfolgende die Pronation stärker 
betont als der frühere. Der anfangs um weniges zurückfedernde 
Fuss bleibt nach und nach auch während zweier Tage ohne 
Lageveränderung in seinen Fesseln. Das ist der Zeitpunkt, wo 
er ohne die Binden in Normalstellung verharrt. Wir versehen 
jetzt den Verband mit einer festigenden Stärke- oder Gipshülle 


und lassen ihn 8—10 Tage liegen. Wenn nötig, folgen ihm ein 
zweiter, ein dritter im selben Intervall, welche durch Vermehrung 
der Dorsalflexion vor allem dem Spitzfuss entgegenzuwirken 
haben. Ist die Ueberkorrektur nach 5—6 Wochen soweit ge¬ 
diehen, dass sie passiv spielend erreicht werden kann, der Säug¬ 
ling auch aktive Bewegungen in dieser Richtung vornimmt, dann 
hat die eigentliche Therapie Zweck und Abschluss erreicht. 

Schon beim Säugling kommen Klumpfussarten vor, welche 
sich durch ihre Eigenart von anderen, häufigereren unterscheiden. 
Es handelt sich um Verbildungen, bei denen die lateral gerichtete 
Konvexität der Fussachse — bedingt durch Adduktion von Meta- 
karpus und Kalkaneus — wenig ausgesprochen ist gegenüber der 
Supination und einer damit verbundenen Vertiefung des Längs¬ 
und Quergewölbes. Während die Umbiegung des Fusses in der 
Standebene verhältnismässig leicht gelingt, setzt der stark nach 
unten springende äussere Fussrand der Redression Widerstand 
entgegen. Sehr günstig haben sich uns hier flache Holzsohlen 
bewährt, gegen welche die Fusswölbung glatt gepresst wird. Die 
Sohlen fertigen wir nach Umrisszeichnungen für jeden Fuss bei 
Anlegung des Verbandes an, indem wir 3—5 mm dicke Brettchen 
mit dem Taschenmesser zurecht schnitzen. Bei ganz kleinen 
Kindern genügen zwei entsprechend geschnittene Lagen Schuster¬ 
span, deren Faserung zur Erhöhung der Festigkeit bei der einen 
in Längs-, bei der anderen in Querrichtung verläuft. Diese 
Brettchen werden mit Filz bepolstert und mittels der vorn be¬ 
schriebenen Barchentzüge gegen die Sohle angedrückt. Dr. Nölke 
in Halle hat diesen früher schon bekannten Verband bei uns 
wieder zu seiner wohlverdienten Bedeutung gebracht. Er leistet 
bei genauer Anpassung Vorzügliches und ist uns unentbehrlich 
geworden. Bei der grossen Neigung der Deformitäten zu Rück¬ 
fällen darf eine Nachbehandlung nicht unterlassen werden. 
Diesem Zwecke dienen die von Prof. Gocht bei uns eingeführten 
einfachen Nachtschienen, in denen die Füsschen Monate hindurch 
liegen können. Aus der Abbildung ist die Anwendung leicht ersicht¬ 
lich: während der Fersenzug die Sohle gegen die flachen Metalle 
der Holzsohle, „den Schuh“, drückt, wird der nach aussen 
stehende Hebel durch Touren einer elastischen Binde an den 
Unterschenkel gewickelt; der äussere Fussrand wird dadurch 
kräftig gehoben und der Fuss leicht dorsal flektiert gehalten. 

Diese Schienchen werden stets nach Maass hergestellt. Bein¬ 
umfang oberhalb der Knöchel, Länge des Hebels (Sohle — Capi- 
tulum fibulaej, Umrisszeichnung der Standfläche, müssen dem 
Mechaniker angegeben werden. Er verfertigt sie aus Holz und 
Metall, das nachträglich mit Stoff übernäht wird (Abb. 7). 1 ) 

Abbildung 7. 



Wo der Fall wegen seiner Schwere ein späteres Rezidiv 
möglich erscheinen lässt, sind dem Kinde, sobald es zu gehen 
imstande ist, Schuhe mit Aussenscbienchen anzupassen, während 
die „Nachtschienen“ — dem im Namen sich offenbarenden Zwecke 
gemäss — bloss nachts getragen werden. Die Schuhsohlen 
müssen vom Schuster in ihrer Längsachse gerade oder sogar 
leicht nach innen konvex geschnitten werden, so dass sie in der 
Richtung einer Redression wirken. An der Schiene wird zudem 


1) Beim Anlegen der Schiene wird erst der Fersenzug über den 
Malleolen angelegt und mittelst der Schnur C festgeschnürt. Darauf 
werden die Bänder A A durch die entsprechenden Löcher der Sohlen¬ 
platte aa geführt; ebenso BB durch b b. Unter straffem Anziehen 
werden sie entweder kreuzweise (A vorn und B hinten u. u.) oder ent¬ 
sprechend (A -J- A, B -j- B) unter der Sohle festgeknüpft, so dass der Fuss 
gefangen bleibt. Die Aussenschiene ist in der Höhe der Malleolen etwas 
nach aussen gebogen, um Dekubitus zu verhüten. 


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24. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Abbildung 8. eine kleine Druckpelotte federnd angebracht, 

welche den Fussrückeu aussen an der Stelle 
seiner früheren stärksten Wölbung aufsitzt 
und dadurch eine Korrektur der Deformität 
gewährleistet (s. Abb. 8). 

Aus unseren Erfolgen können wir er¬ 
sehen, dass die Prognose um so günstiger 
ist, je früher die Säuglinge zur Behandlung 
kommen. Wir müssen daher die unbedingte 
Forderung stellen, die Therapie schon in den 
ersten Lebenstagen zu beginnen. 

Die beschriebenen Verbände dienen 
nicht nur zur Korrektur von Klumpfüssen 
bei kleinen Kindern, sie leisten beim adres¬ 
sierten Pes equino-varus Erwachsener die 

nämlichen Dienste; ihre Anwendung wird 

infolge der Vergrösserung der Verhältnisse 
bedeutend leichter. 

Durch entsprechende Abänderung der Polsterung und der 
Tourenrichtung können ähnliche Klebeverbände auch zur Behand¬ 
lung von Pedes valgi beigezogen werden. Das vorzügliche und 

billige Material wird in der Klinik zudem bei -Extensionen und 

Fixationen in verschiedenster Weise verwendet. 


Die Lokal- und Leitungsanästhesie in einem 
Feldlazarett. 

Von 

Oberarzt d. R. Dr. Weiter, zurzeit im Felde, 

Assistent der chirurgischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppendorf 
(Geh. Rat Prof. Kümmel], Generalarzt d. R.). 

Im Krankenhansbetriebe der Heimat sind wir gewohnt, seit 
einer Reihe von Jahren bestimmte typische Operationen, wie 
Leistenbrüche, fast ausschliesslich in Lokalbetäubung auszuführen; 
aber auch grössere Eingriffe, wie eingeklemmte Leisten- und 
Schenkelbrüche, Fälle, bei denen man zur Resektion eines Dünn¬ 
darm- oder Netzstückes gezwungen ist, lassen sich mit Sicherheit 
schmerzlos in Lokalbetäubung operieren. Man hat dabei von 
vornherein den Vorteil, einen Assistenten zur Narkose zu sparen. 

Erst in den jüngst vergangenen Jahren ist es gelungen, auch 
die Leitungsanästhesie auf eine derartige Höhe der Vollkommen¬ 
heit zu bringen, dass wir nunmehr so gut wie jede Operation in 
Leitungs- bzw. Lokalbetäubung vornehmen können. Die Inhalations¬ 
narkose bleibt nur für Kinder und psychisch stark erregte Per¬ 
sonen übrig, ferner für Fälle, bei denen rasche Hilfe dringend 
nötig ist. 

Den Hauptvorzug der Leitungs- und Lokalbetäubung vor der 
Inhalationsnarkose erblicke ich darin, dass man in aller Ruhe, 
auch bei mangelhafter und ungeübter Assistenz die grössten Ope¬ 
rationen ausführen kann, ohne für das Leben seiner Patienten 
fürchten zu müssen, wie dies bei der Narkose oft der Fall ist. 
Es fehlt eben der sogenannte „Operationsschock“. Wenn auch 
der Narkosentod im Operationshaus eine grosse Seltenheit ge¬ 
worden ist, so müssen wir uns doch darüber klar sein, dass wir 
durch die Narkose, besonders durch Chloroformgaben, dem Or¬ 
ganismus Gifte einverleiben, die auf die inneren Organe stark 
schädigend wirken und jeder, der an grossen Kliniken tätig war, 
kennt die schweren Fälle, welche nach langen und schwierigen 
Operationen in Chloroform-Aethernarkose während der ersten 
24—36 Stunden in grösster Gefahr schweben. Wenn der Kranke 
dann doch zugrunde geht trotz einwandfrei ausgeführter Operation, 
so wird dem zu grossen Eingriff die Schuld zugeschoben; meines 
Erachtens liegt die Schuld an der übermässigen Schädigung des 
Organismus durch die Narkosengifte; ferner will ich in diesem 
Zusammenhänge der postnarkotiseben Erkrankungen, der Herz- 
und Lungenaffektionen Erwähnung tun, die auch bei der best¬ 
geleiteten Inhalationsnarkose nicht zu vermeiden sind. 

Auf diesen Erwägungen basierend, sind wir seit geraumer 
Zeit zum fast ausschliesslichen Gebrauch der Lokal- bzw. Leitungs- 
anästhesie im hiesigen Feldlazarett übergegangen. Andere Gründe, 
wie Mangel an geübtem Personal und Wechsel in der Assistenz, 
haben uns in unserem Vorgehen bestärkt. Während der ganzen 
Operation instrumentiert sich, wie das auf der Kümmell’schen 
Abteilung im Eppendorfer Krankenhause üblich war, der Operateur 
selbst, um die Infektionsmöglichkeiten der Operationswunde tun¬ 
lichst herabzusetzen. 


Als Betäubungsmittel gebrauchen wir ausschliesslich eine 
1 proz. Novokain-Suprareninlösung, die sich in allen Fällen aus¬ 
gezeichnet bewährt hat. Das Mittel wird in der Feldapotheko 
in Tuben vorrätig gehalten und im allgemeinen vor jeder grossen 
Operation frisch hergestellt; es ist aber keineswegs nötig, den 
Rest der nicht gebrauchten Lösung wegzugiessen, sondern man 
kann dieselbe Lösung mehrere Male zusammen mit den Instru¬ 
menten sterilisieren, ohne dass sie in ihrer Wirksamkeit eine 
EiDbusse erleidet; man kann also auch mit diesem Mittel das 
Prinzip der Sparsamkeit hochhalten. 

Durch die Injektion von Novokain-Suprarenin applizieren wir 
dem Körper natürlich auch ein Gift; aber die Giftwirkung des 
Novokains ist eine derart geringe, dass sie auch bei Anwendung 
von grösseren Mengen praktisch nicht in Betracht kommt; ferner 
wird durch den Zusatz einer geringen Menge von Suprarenin die 
Resorption des Novokains verlangsamt, die anästhesierende Wir¬ 
kung aber dementsprechend verlängert. Von irgendeiner lokalen 
Reaktion oder Schädigung ist nichts zu beobachten, es besteht 
nach dessen Applikation dauernd völlige Reizlosigkeit der Gewebe. 
Wir haben bei verschiedenen Fällen über 300 ccm dieses An- 
ästhetikums injiziert, ohne die geringsten Schädigungen bemerkt zu 
haben; der Puls ist dauernd regelmässig, gleichmässig und voll 
geblieben; vor allem haben die Kranken die ersten 24—48 Stunden 
überstanden, ohne dass man eine wesentliche Aenderung in der 
Slärke und Schlagfolge des Pulses feststellen konnte; allerdings 
konnten wir Blutdruckmessungen nicht vornehmen, da uns die 
nötige Apparatur fehlte. Man brauchte bei einwandfrei aus¬ 
geführter Operation nicht für die Zukunft seiner Patienten in 
Sorge zu sein. 

Bisher brauchten wir niemals einen Patienten wegen psychi¬ 
scher Erregung und labilem Nervensystem von der Anästhesie 
auszuschliessen; es waren alle der Methode, wenn auch zuweilen 
mit einigem Zureden, zugänglich. Während der Operation wird 
die Unterhaltung möglichst vermieden *und nur das Allernot¬ 
wendigste gesprochen; vor allen Dingen warne ich davor, irgend¬ 
welche Tagesgespräche zu führen, als ob die Operation nur etwas 
Nebensächliches wäre, denn die Patienten erzählen die gesamten 
Vorgänge des Operationssaales auf der Krankenabteilung wort¬ 
getreu wieder. 

Bevor wir zu den Erfahrungen in der Technik der Anästhesie 
übergehen, noch ein Wort über die Versager. Es ist wohl jedem 
passiert, der sich mit der Methode vertraut gemacht hat, dass 
er zu Beginn ihrer Anwendung einige Versager aufzuweisen hatte; 
man soll keineswegs den Mut verlieren, sondern womöglich bei 
demselben Falle nochmals injizieren; es gelingt beim zweiten 
Male fast sicher. Dem Patienten hilft man am besten durch 
gutes Zureden über diese Augenblicke hinweg. 

Ich komme nunmehr zur Technik der Lokal- und Leitungs¬ 
anästhesie im allgemeinen. Die Vorbereitungen zur Operation 
sind die üblichen nach den Vorschriften der Friedenszeit. Die 
Instrumente, sowie Tücher und Tupfer werden auf einem gewöhn¬ 
lichen Küchenherd sterilisiert, um möglichst den teuer gewordenen 
Alkohol zu sparen. Zugleich mit den Instrumenten wird auch 
die Novokainlösung sterilisiert, soweit wir dieselbe nicht frisch 
aus unserer Feldapotheke beziehen. Vor der Einspritzung wird 
der Stopfen der Flasche entfernt, und um etwaige, am Flaschen¬ 
hals noch befindliche niedere Lebewesen unschädlich zu machen, 
wird der Flaschenhals über einer Spiritusflamme nochmals ab¬ 
geglüht und die Lösung dann von einem Unteroffizier nacheinander 
in eine 10 ccm fassende Rekordspritze zur Injektion hinein¬ 
gegossen; die Flasche muss in der Hand behalten werden, bis 
die Injektion beendet ist; dann werden Flaschenhals und Stopfen 
nochmals abgeglüht und die Flasche hermetisch verschlossen, so 
dass die Lösung für weitere Fälle sicher steril geblieben ist. 

Mit einer feinsten Hohlnadel werden mehrere Hautquaddeln 
angelegt; sie sind kaum schmerzhaft; bei sehr empfindlichen 
Patienten gebrauchen wir vorher das Chloräthylspray - Ver¬ 
fahren; dann wird die Nadel gewechselt, und mit einer längeren 
und dickeren Nadel geht man vorsichtig in die Tiefe, dabei 
dauernd in geringen Mengen Novokain injizierend, um der Nadel 
eine anästhesierte Bahn zu sichern. Ist man am Orte der Depot¬ 
bildung angelangt — und das fühlt man bei einiger Uebung recht 
gut —, so werden dort einige ccm Lösung deponiert. Auf diese 
Weise ist die Einspritzung fast völlig schmerzlos zu gestalten. 

Die spezielle Technik der Lokal- und Leitungsbetäubung ist 
für den Anfänger nicht ganz leicht, aber man darf sich durch 
anfängliche Enttäuschungen und Misserfolge nicht dazu verleiten 
lassen, die Methode zu verlassen. Erst wenn man die Vorteile 

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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


der Novokainanästhesie vor der Allgemeinnarkose aas eigenster 
Erfahrung kennen gelernt hat, wird man an der Methode reiche 
Befriedigung and Freude finden. 

Im Folgenden will ich fiber die Erfahrungen und die spezielle 
Technik, wie wir sie im hiesigen Lazarett verwendet haben, 
berichten. Ueber das grosse Gebiet der Novokainanästhesie ins¬ 
gesamt and eingehend za schreiben, habe ich mir nicht zur Auf¬ 
gabe gemacht. 

1. Die Novokainanästhesie des Schädels. 

Sämtliche Operationen am Gehirn oder dem Gehirnschädel 
(Cranium cerebrale) fuhren wir in letzter Zeit nar in Lokal¬ 
anästhesie aas; die Kopfhaut ist sehr leicht za betäuben; man 
legt in Rhomboidform 4 Quaddeln im Bereiche des Operations¬ 
bezirkes an, geht von da allmählich in die Tiefe unter das Periost 
des Schädels, dasselbe wird genügend von allen Seiten amspritzt, 
so dass es sich von der äusseren Tafel etwas abhebt; für eine 
Nekrose des Periostes braacht man bei der guten Ernährung 
dieser Gewebsteile nicht zu fürchten. Die Schnittlinie des Messers 
verbindet die beiden entlegensten Eckpunkte des Rhomboids; in 
dieser Linie wird die Oberhaut in Form eines langen Streifens 
anästhesiert. 

Die Lokalanästhesie in dieser Weise verwandt, sichert uns 
völlige Schmerzlosigkeit der Kopfhaut, des Periostes und des 
Knochens. Die harte Hirnhaut wird noch gesondert umspritzt; 
dann kann man sämtliche Operationen bis in die tiefsten Schichten 
des Gehirns ausführen. Ferner bietet die Lokalanästhesie den 
grossen Vorteil, dass die sonst so übermässig mit Blutgefässen 
versorgte Kopfhaut bedeutend weniger blutet; wir legen aber 
trotzdem in den meisten Fällen noch die Haidenhain’schen 
Nähte an. 

Wir führen in Lokalanästhesie folgende Operationen am Ge¬ 
hirnschädel aus: 

a) Schädeleröffnungen nach sämtlichen Kopfschüssen; 

b) Schädeleröffnungen zur Entleerung nach plötzlichen Blu¬ 
tungen (Blutung aus der Meningea media), falls nicht Bewusst¬ 
losigkeit besteht und überhaupt eine Betäubung unnötig ist; 

c) Schädeleröffnungen bei Druckerscheinungen des Gehirns 
(Abszess oder Geschwulst); 

d) Schädelplastiken zur Deckung von häutigen oder knöchernen 
Schädel- und Gehirndefekten; für die Erhaltung des Periostes 
braucht man nicht in Sorge zu sein; 

e) Radikaloperationen bei chronischen Mittelohr-und Warzen¬ 
fortsatzeiterungen ; 

f) Gehirnpunktionen. 

In etwa 10 Fällen von Schädelschüssen, in 2 Fällen von 
intrakranieller Blutung und in 2 Fällen von Abszessbildung und 
in einem Falle von knöcherner Schädelplastik haben wir die 
oben beschriebene Methode angewandt, ohne dass die geringsten 
Schmerzen geäussert wurden. — Am Gesichtsscbädel kommt in 
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Leitangsanästhesie io Be¬ 
tracht; es handelt sich daselbst um die Leitungsunterbrechung 
des dreiteiligen Nerven (Nervus trigeminus) an seinen Austritts¬ 
stellen aus der Scbädelhöhle. Die Unterbrechung des dreiteiligen 
Nerven am Ganglion Gasseri haben wir noch niemals vorgenommen, 
weil wir bis jetzt keine Gelegenheit dazu hatten und obendrein, 
nach verschiedenen Autoren zu urteilen, dieselbe nicht ganz un¬ 
gefährlich ist. 

Der N. trigeminus I ist an seiner Eintrittsstelle in die Augen¬ 
höhle, d. h. in seinem Stamm, nicht zu treffen, sondern man 
muss zur peripheren Leitungsanästhesie, d. h. zur Unterbrechung 
seiner Endzweige (N. lacrimalis, frontalis, nasociliaris und Nerv, 
ethmoidalis anterior und posterior) durch die mediale und laterale 
Orbitalinjektion seine Zuflacht nehmen. Wir hatten bis jetzt 
noch keine Gelegenheit, diese Methode anzuwenden. 

Der N. trigeminus II wird am Foramen rotundum in seiner 
Leitungsfähigkeit unterbrochen. Es führen mehrere Methoden 
zum Ziel; die eine stammt von Payr, die andere ist von Matas 
angegeben; wir verwandten die letztere: die Nadel wird am 
unteren Winkel des Jochbein kör pers eingestochen und nach innen 
und oben geführt bis zu einem Knochen widerstand; man befindet 
sich am Tuber maxillae; dann wird die Spitze der Nadel etwas 
gesenkt und die Nadel nach aussen gedreht und in die Tiefe 
geführt. Wenn die ersten Parästhesien auf treten, befindet man 
sich am runden Loch und somit am Stamm des N. trigeminus II. 
Nach gelungener doppelseitiger Unterbrechung kann man sämt¬ 
liche Operationen am Oberkiefer, wie Resektionen, Repositionen 
am Oberkiefer nach Brüchen durch Schuss oder Schlag, Zahn¬ 
extraktionen vornehmen;^letztere werden von uns selbstverständ¬ 


lich nur in Lokalanästhesie ausgeführt. Wir haben bisher eine 
Reposition eines Oberkieferbruches mit dieser Methode mit gutem 
Erfolg vorgenommen. 

Der N. trigeminus III wird am Foramen ovale unterbrochen, 
und man vermag nach dessen Unterbrechung sämtliche Eingriffe 
in der Unterkiefergegend vorzunehmen, und zwar: 

a) Schienung von Unterkieferbrüchen nach Schuss oder durch 
andere Ursachen bedingt; 

b) Plastiken im Bereiche des Unterkiefers, sowohl des häu¬ 
tigen als auch des knöchernen Teiles desselben. 

Die Technik, die wir nach Braun ausführen, ist folgende: 

Etwa in der Mitte unter dem Joch bogen wird die Nadel in 
querer Richtung auf den Processus pterygoideus geführt und die 
Tiefe des Einstiches an der Nadel fixiert, dann wird die Nadel 
zurückgezogen und schliesslich wieder in die Tiefe geführt, indem 
man die Richtung der Nadel in einem kleinen Winkel nach 
hinten verändert. In hinreichender Tiefe treten die üblichen 
Parästhesien auf, und man befindet sich mit der Nadel am ovalen 
Loch. Dort werden 5—10 ccm Lösung deponiert. 

Zu Zahnextraktionen am Unterkiefer verwenden wir in den 
meisten Fällen die Betäubung des N. alveolaris ein- oder doppel¬ 
seitig, d. h. die periphere Leitungsanästhesie. Sämtliche kleineren 
Eingriffe am Gesichtsschädel werden am besten in Lokalanästhesie 
ausgeführt. Die Unterbrechung des N. trigeminus am Ganglion 
Gasseri gestattet uns, sämtliche Operationen am Gesichtsscbädel 
und Schlund vorzunehmen. In 2 Fällen haben wir mit bestem 
Erfolg die Leitungsunterbrechung des Trigeminus HI zur Schie¬ 
nung von Unterkieferbrüchen, einmal nach Schlag, ein zweites 
Mal nach Schuss vorgenommen. 

2. Ich komme zur Anästhesie des Rumpfes und der 
Gliedmaassen. 

Sämtliche grösseren Eingriffe am Halse werden am besten 
in paravertebraler Anästhesie, d. h. Unterbrechung neben der 
Wirbelsäule, vorgenommen (dieselbe ist mit dem Namen Seil¬ 
heim und Laewen eng verknüpft), z. B. grosse Kröpfe, Re¬ 
sektionen des Kehlkopfes, Eingriffe an der Speiseröhre, während 
man kleinere Kröpfe, wenig ausgedehnte Halsdrüsen und sonstige 
kleinere Eingriffe am einfachsten in Lokalbetäubung ausführt. 
Seit einigen Jahren werden allerdings in der Heimat tuberkulöse 
Halsdrüsen mit gutem Erfolg der Röntgenbestrahlung unterworfen 
(Iselin, Wilms). 

Die paravertrebrale Anästhesie für sämtliche Halsoperationen 
wird durch Unterbrechung des Halsplexus 2—4 erreicht. Die 
Technik ist folgende: Mit vornüber geneigtem Kopfe, in sitzender 
Stellung werden die Wirbeldornfortsätze des 2.—4. Halswirbels 
beim Patienten markiert. In Höhe der Markierungspunkte wird 
etwa 3 cm ausserhalb der Mittellinie die Hautquaddel angelegt. 
Die Nadel wird in senkrechter Richtung bis zum Querfortsatze 
in die Tiefe geführt, dann wird die Nadel nach innen und deren 
Spitze nach unten und aussen gedreht und etwa 1—2 cm tiefer 
geführt. Es werden etwa 3 ccm Lösung daselbst deponiert. Kom¬ 
plikationen von seiten des Zwerchfellnerven haben wir niemals 
gesehen. 

Innerhalb des verflossenen Jahres haben wir einen grossen 
retrosternal entwickelten Kropf in zentraler Leitungsanästhesie 
operiert, während wir 3 kleinere Kröpfe und eine Reibe von 
tuberkulösen Halsdrüsen in Lokalbetäubung beseitigt haben. 

Für Operationen an den oberen Gliedmaassen gibt es ein 
ideales Verfahren der Leitungsunterbrechung, nämlich die Plexus¬ 
anästhesie nach Kuhlenk am pff; dieselbe wird in der Ober¬ 
schlüsselbeingegend vorgenommen, und es ist infolge einfacher 
anatomischer Verhältnisse leicht, den ganzen Plexus auf einmal 
zu treffen. Dasselbe wird durch die drei anatomischen Gebilde: 
Bchlüsselbeinschlagader, erste Rippe und Schlüsselbein eng be¬ 
grenzt. Man geht direkt seitlich von der mit dem Finger gut 
fühlbaren Schlagader unmittelbar über dem Schlüsselbein ein und 
führt die Nadel so, als ob man den Dornfortsatz des 2. Brust¬ 
wirbels treffen wollte. Io geringer Tiefe gelangt man schon auf 
den Plexus, welcher sich durch Parästhesien im ganzen Arm 
kenntlich macht. Dort spritzt man 10 ccm lproz. Lösung ein. 
Ist man auf der ersten Rippe angelangt, ohne dass Parästhesien 
eingetreten sind, so war man zu tief und die Nadel muss heraus¬ 
gezogen werden. Wir führen die Anästhesie in liegender Stellung 
und mit nach unten gezogenem Arm aus. Zur Injektion wählt 
man eine Nadel von etwa 5 cm Länge mit geringer Lichtung; 
das Anstechen einer in der Nähe befindlichen Blutader ist be¬ 
langlos. Nach spätestens 10 Minuten ist die völlige Anästhesie 
eingetreten. 


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24. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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In Plexusanästhesie können folgende grössere Operationen 
vorgenomen werden: 

a) Spaltung von ausgedehnten Phlegmonen; 

b) sämtliche Knochenoperationen der oberen Gliedmaassen; 

c) sämtliche Nervenoperationen der oberen Gliedmaassen. 

Für Exartikulationen und Repositionen im Schultergelenk 

müssen die Nervi supraclavicularis durch einen subkutanen In¬ 
jektionsstreifen entlang dem Schlüsselbein bis zum Scbulterblatt- 
stachel unterbrochen werden. 

För kleinere Operationen, besonders an den Fingern und 
oberflächliche Eingriffe kommt man mit der Lokalbetäubung sehr 
gut aus. Bei Fiogeroperationen, speziell Panaritien, verwenden 
wir gewöhnlich das Oberst’sehe Verfahren. Beide Verfahren 
haben wir in unserem Lazarett in sehr vielen Fällen ansuwenden 
Gelegenheit gehabt. Mehrere Fälle von Armphlegmonen, Repo¬ 
sition von schlecht geheiltem Unterarmbrucb, Reposition von 
Schulterluxation in Kuhlenkampff’scher Plexusbetäubung. Ein¬ 
griffe an Fingern wegen Panaritium und aus anderen Gründen 
haben wir unzählige Male ausgeführt. 

8. Wir kommen zu dem interessantesten Gebiet der Lei- 
tungs- und Lokalanästhesie, nämlich deren Anwendung im 
Bereiche des Brust- und Bauchraumes. 

Die Interkostalnerven versorgen motorisch die dem Brust¬ 
teil der Wirbelsäule angehörigen Rückenmuskeln, die Muskulatur 
der Rippen und der Lendengegend, während sie sensibel die 
Haut von Brust und Bauch innervieren, ferner noch teilweise 
das parietale Blatt des Bauchfells. 

Üeber die anatomische Lage der Interkostalnerven ist fol¬ 
gendes zu sagen: Die Teilungsstelle der Interkostalnerven im 
hinteren und vorderen Ast befindet sich unter der Gelenkfläcbe 
der Rippe; in der Nähe, oder besser etwas lateraler laufen 
Zweige des Sympathikus, die sogenannten Rami communicantes; 
an dieser Stelle wird die Unterbrechung vollzogen; dann kann 
man, sobald die Interkostalnerven und der Sympathikus für sämt¬ 
liche Sinnesqualitäten unempfindlich gemacht sind, alle Opera¬ 
tionen im Brust- und Bauchraum vornehmen. 

Wir führen die Anästhesie der Interkostalnerven und des 
Sympathikus an dem auf dem Bauche liegenden Patienten in 
folgender Weise aus: Nach Desinfektion des Operationsfeldes wird 
zu beiden Seiten der Wirbelsäule etwa 4 cm von den Dorn¬ 
fortsätzen entfernt ein- oder beiderseits, je nach Bedarf, ein 
Novokainstreifen angelegt. Dann wird eine 5—10 cm lange Nadel 
auf den Hauptmarkierungspunkt, die Rippe, eingeführt und. am 
unteren Rippenrande, wo der Interkostal nerv verläuft, etwa 8 ccm 
einer lproz. Novokain-Suprareninlösung eingespritzt. Mit dieser 
Betäubung sind wir imstande, sämtliche Operationen der Brust- 
und Bauchwand vorzunehmen. Es sind zu nennen: Rippenresek¬ 
tionen, Thorakoplastiken, Bauch wandbrüche, Nabelbrüche, Ge¬ 
schwulst der Bauchwand; aber alle eben genannten Operationen 
sind auch in Lokalbetäubung auszuführen, und wir haben im Feld¬ 
lazarett sämtliche Operationen der Brust- und Bauch wand in 
Lokalanästhesie ansgeführt, es sind dies mehrere Rippenresek¬ 
tionen, im Anschluss an Empyem nach Lungenentzündung und 
nach Granatsplitterverletzung, eine Freilegung des Herzens durch 
zeitweise Resektion der 4. und 5. Rippe vom Brustbein ab auf 
etwa 10 cm Länge, eine Rippenresektion wegen Tuberkulose, 
etwa 50 Bauchwandbrüche, darunter 8 ausgedehnte Brüche nach 
vereiterter Blinddarmentzündung im Anschluss an Bauchfell¬ 
entzündung. 

Um Leisten- und Schenkelbrüche in Leitungsanästhesie zu 
beseitigen, ist es nötig, den Lendenplexus zu unterbrechen (näm¬ 
lich den N. ilioinguinalis genito-femoralis und cutaneus femoris 
lateralis), d. h. es muss der 12. Interkostal- bis zum 8. Lumbal¬ 
nerven unterbrochen werden. Die Betäubung der Lumbalnerven 
geschieht in ähnlicher Weise, wie die der Interkostalnerven mit 
dem einzigen Unterschiede, dass die Querfortsätze der Lenden¬ 
wirbel als Hauptmarkierung8punkte genommen werden. 

Mit wenigen Ausnahmen haben wir im hiesigen Lazarett und 
auch früher zur Operation der Leisten- und Schenkelbrüche die 
Lokalanästhesie benutzt; wir haben im ganzen etwa 250 Leisten- 
nnd Schenkelbrüche operiert. Weiterhin haben wir etwa 20 Wasser- 
brüche, mehrere Kastrationen, eine Penis-Plastik in gut gelungener 
Lokalanästhesie vorgenommen. Trotz der ungünstigen Verhältnisse, 
— wir mussten aseptische. und eitrige Operationen in demselben 
Raume vornehmen —, waren die Resultate gut, wir sahen im 
ganzen 7 Fadeneiterungen nach Leistenbrüchen; davon sind zwei 
dem Umstand zuzuschreiben, dass wir zur Alkoholersparnis die 
Masse in 10 proz. Lysollösung zu desinfizieren suchten; der Ver¬ 


such hat vollständig fehlgeschlagen, und wir sind reumütig zum 
70 proz. Alkohol zurückgekehrt 

Die Technik war in allen Fällen die denkbar einfachste. 
Es wurden etwa 2 Querfinger oberhalb des Leistenbandes etwa 
dessen Verlauf entsprechend 8—4 Hautquaddeln angelegt und von 
diesem aus in die Tiefe unter die Faszie gegangen, wo die oben 
genannten Nerven liegen. Dieselben wurden umspritzt in einer 
Ausdehnung von etwa 6—8 cm, einige ccm Lösung in die Gegend 
des inneren Leistenrings zur Anästhesie des Bauchfelles und ein 
subkutaner Hautstreifen beschlossen die Einspritzung. Man ge¬ 
braucht im ganzen höchstens 40 cem und kann sofort nach Ein¬ 
spritzung mit der Operation beginnen. 

Weiterhin haben wir eine Reihe unkomplizierter Wurmfortsatz¬ 
entzündungen, bei denen es sich weder um alte Verwachsungen, 
noch um frische entzündliche Prozesse handelt, in Lokalanästhesie 
operiert. Die Technik ist analog der Technik für Leistenbruch¬ 
operationen; vor Eröffnung des Bauchfells wird letzteres noch 
injiziert und nachdem der Blinddarm vorgewälzt ist, was bei 
unkomplizierten Prozessen ganz schmerzlos vor sich geht, ist es 
nötig, das Gekröse des Wurmfortsatzes noch zu umspritzen, dann 
kann die Operation in typischer Weise schmerzlos zu Ende ge¬ 
führt werden. 

In ähnlicher Weise kann man Gastrostomien, Jejunostomien 
und Kolostomien schmerzlos anlegen, ja man kann ausgedehnte 
Dünndarmresektionen im Anschluss ah eingeklemmte Brüche 
schmerzlos in Lokalanästhesie ausführen; man bat dabei nur dar- 
zu achten, dass man das Gekröse des nekrotischen Darmstückes 
möglichst nahe am Darm abklemmt und abbindet, weil die 
sensiblen Nerven, die im Gekröse verlaufen, nicht bis an den Darm 
heranreichen, sondern etwa 2 cm davor Halt machen. Wir haben 
diese Tatsache in zwei einwandfreien Fällen bei Dünndarm¬ 
resektionen praktisch feststellen können. Die betreffenden Patienten 
taten nicht die geringste Schmerzäusserung, ln weiteren Fällen 
von Bauchschüssen, wo der dringende Verdacht einer Darm- 
Verletzung bestand, legten wir zwei seitliche Schnitte unterhalb 
des Nabels im Bereiche der Ein- und Ausschussöffnung in Lokal¬ 
anästhesie an, wälzten zur Revision die in Betracht kommenden, 
vorliegenden Darmschlingen vor die Bauchwand und drainierten 
die Bauchhöhle; ferner führten wir bei einem Leberdurchschuss, 
der mit schwerer innerer Blutung einherging, die Tamponade mit 
Jodoformgaze vorn und hinten in gut gelungener Lokalanästhesie 
aus. Die Fälle kamen alle zur Heilung. 

Wir kommen nunmehr zur paravertrebralen Anästhesie kom¬ 
biniert mit Unterbrechung des Nervus sympathicus. Nach meinem 
Dafürhalten ist diese Leitungsanästhesie der grösste Fortschritt 
auf sämtlichen Gebieten aller Anästhesierungsverfahren, denn 
dieselbe erlaubt uns, die grössten Laparotomien absolut schmerz¬ 
los ausznführen und die Operation während 3 Stunden ohne die 
geringste Gefahr für den Kranken auszudebnen, während wir in 
demselben Falle bei Inhalationsnarkose während der ersten 
24 Stunden für das Leben des Patienten sehr besorgt sein müssten. 

Die Methode ist in grossen Zügen vor etwa 2 Jahren von 
Dollinger veröffentlicht worden. Seither haben sich eine Reihe 
von Autoren intensiv mit der Methode beschäftigt, so dass sich 
dieselben bereits in einer Reihe von Kliniken und Krankenhäusern 
eines hoben Ansehens erfreut. 

Wir haben weiter oben die Anästhesie dqr Rauchdecke durch 
Unterbrechung der Interkostalnerven in grossen Zügen besprochen; 
um auch die Bauchhöhle anästhetisch zu machen, bedarf es noch 
der Unterbrechung des Nervus sympathicus. Jeder Chirurg weiss 
aus Erfahrung, dass jedes Zerren am Gekröse, Ziehen an der 
Leber und Leberwegen, Lösung von Verwachsungen, Ausschälen 
der Niere und der Nierenleiter u. a. m. grosse Schmerzen aus- 
lösen. Alle die genannten Organe werden vom Sympathikus 
sensibel versorgt. 

Ueber die anatomischen Verhältnisse des Sympathikus orientiert 
man sich am besten im anatomischen und topographisch-ana¬ 
tomischen Atlanten, ich will nur einige kurze Bemerkungen 
machen. Der Grenzstrang des t Sympathikus wird von etwa 
24 Ganglien gebildet, die längs der Wirbelsäule sich befinden 
und durch ein Netz von Fasern miteinander verbunden sind. 
Der Grenzstrang beginnt an der Schädelbasis und endigt am 
Steissbein. 

Für unsere Zwecke kommen praktisch nur die Rami commu¬ 
nicantes des Sympathikus, welche die Verbindung zwischen Gehirn 
und Rückenmark einerseits und dem Grenzstrang des Sympathikus 
andererseits vermitteln, in Betracht. Da es mir hier im Felde 
an anatomischen Atlanten fehlt und eine nackte Beschreibung zu 


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596 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


anklar aasfallen würde, so will ich an der Hand der Iojektions- 
methode die anatomischen Lage Verhältnisse dem Verständnis näher 
xa führen suchen. 

Man unterbricht zuerst, wie oben beschrieben, die Spinal¬ 
nerven, indem man in einem Abstande von 4 cm von den Dorn¬ 
fortsätzen der Wirbelsäule etwa 3 cm der Lösung am unteren 
Rande der Rippe bxw. der Qaerfortsätze der Lendenwirbelsäule 
deponiert; dann führt man die Nadel um etwa 1—l 1 /* cm tiefer 
und trifft dort ein Ramus communicans des Grenzstranges, der 
vom Interkostalnerven nach dem neben der Wirbelsäule liegenden 
sympathischen Ganglion führt. Durch Unterbrechung der Rami 
communicantes anästhesieren wir praktisch auch den Nerven¬ 
stamm, d. h. sämtliche Organe der Bauchhöhle und im Bereiche 
derselben, wie die Nieren und Nierenleiter, werden gefühllos ge¬ 
macht. Um sämtliche Eingriffe in der Bauchhöhle und im Be¬ 
reich derselben bis ins kleine Becken ausführen zu können, muss 
man vom 5. Interkostalnerven bis zum 2. bzw. B. Lendennerven 
einspritzen. Für die einzelnen Eingriffe muss man natürlich eine 
entsprechend ausgedehnte Anästhesie wählen, z. B. für eine 
Wurmfortsatzentzündung mit schweren Verwachsungen wird man 
beiderseits vom 10. lnterkostalnerven bis 2. Lendennerven anäs¬ 
thesieren, während man bei einer wenig komplizierten chronischen 
Wurmfortsatzentzündung mit der einseitigen Anästhesie auskommen 
wird. In einem Falle von Wurmfortsatzentzündung nach Abszess¬ 
bildung mit schweren Verwachsungen ist es uns bei einseitiger 
Einspritzung vorgekommen, dass das Operationsfeld vollständig 
betäubt war, während auf der linken Seite heftige Schmerzen 
and Krämpfe beim Lösen der Verwachsungen auftraten; trotzdem 
konnte die Operation ohne Störung zu Ende geführt werden. 

Ferner haben wir in paravertebraler Leistungsanästhesie eine 
Verbindung zwischen Magen- und Zwölffingerdarm (Gastro¬ 
enterostomie) wegen stark blutendenden Magengeschwürs au9geführt. 
Der Patient, ein russischer Gefangener, äusserte dabei nicht die 
geringsten Schmerzen. 

Bei einer Gallenblasenoperation (Mobilisation des Zwölf¬ 
fingerdarms mit Eröffnung des Choledocbus und Gallenblasen¬ 
exstirpation) war nur das Vorwälzen der Leber etwas schmerzhaft. 

An dieser Stelle will ich ein Wort über die Versager bei¬ 
fügen. Wir haben mit der Leitungsanästhesie bis jetzt 2 Ver¬ 
sager gehabt und zwar 2 Fälle von komplizierter Wurmfortsatz- 
entzündung mit schweren Verwachsungen. Es bandelte sich am 
2 Soldaten mit dickem Fettpolster und stark entwickelter Mus¬ 
kulatur; da uns damals Injektionsnadeln von nur 5 cm Länge 
zur Verfügung standen, so konnten wir im Bereiche der Lenden¬ 
wirbelsäule nicht genug in die Tiefe dringen, und so blieb die 
Anästhesie des Sympathikus aus. 

Ueber die Leitungsanästhesie für Operationen im kleinen 
Becken will ich mich kurz fassen, weil wir bis jetzt noch keine 
Gelegenheit hatten, dieselbe praktisch auszuprobieren; um sämt¬ 
liche Organe des kleinen Beekens gefühllos zu machen, ist es 
nötig, die beiderseitige Unterbrechung des 12. Interkostal- bis 
8. Lumbalnerven and die parasakrale Anästhesie nach Braun 
vorzunehmen. 

Kleine Eingriffe, wie Hämorrhoiden und dergleichen führen 
wir stets entweder in epiduraler oder in Lokalanästhesie ans. 

Auch in der Leitungsanästhesie für Operationen an den 
unteren Gliedmaas^n haben wir bis zum heutigen Tage noch 
keine Erfahrungen sammeln können; es bedarf der Unterbrechung 
des N. femoralis, Cutaneus femoris lateralis, Obturatorias, 
Cutaneus femoris posterior und Ischiaticus, welche zwischen dem 
fünften Lumbal- and dem dritten Sakralwirbel aus dem Rücken¬ 
mark austreten. Deren Unterbrechung ist in Uebereinstimmung 
sämtlicher Autoren nicht leicht, und daher ist wohl doch die 
etwas gefährlichere, aber fast sicher wirkende Lumbalanästhesie 
und für geeignete Fälle die epidurale Anästhesie zu wählen. 

Wir haben in einigen Fällen von Unterschenkelabsetzung die 
Lumbalanästhesie und in einigen Fällen von Unterschenkelabsetzung 
die zirkuläre Infiltrations- und Leitungsanästhesie etwa handbreit 
über der Absetzungsstelle' ausgefübrt. Letztere wird folgender- 
maassen vorgenommen: Etwa handbreit über der Verletzungs¬ 
stelle im Gesunden wird ein zirkulärer subkutaner Novokainstreifen 
angelegt, dann auf die Nervenstämme eingegangen und zuletzt 
das Periost beider Knochen infiltriert. 

Auf diese Weise konnten wir bei durch Schock nach Schuss- 
verletzung geschwächten Soldaten die Absetzung des Unterschenkels 
und auch des Oberschenkels völlig schmerzlos ausführen. 

Für kleinere Eingriffe am Ober- oder Unterschenkel ver¬ 
wenden wir die Lokalanästhesie in typischer Weise; handelt es 


sich um Abszesse oder Phlegmonen, so führen wir den Eingriff 
stets im Chloräthylrausch aus. Kleinere Eingriffe an den Füssen 
resp. den Zehen führen wir wie an der oberen Extremität ent¬ 
weder in Lokalanästhesie aus, oder verwenden das Ob er st'sehe 
Verfahren. 

Wir hatten des öfteren Gelegenheit, solche kleineren Ein¬ 
griffe, wie Beseitigung von oberflächlich oder in der Muskulatur 
liegenden Geschossen, kleinen Geschwülsten usw. in der oben be¬ 
schriebenen Weise vorzunehmen. 

Ueber Komplikationen, die dem Novokain oder der Methode 
zur Last gelegt werden könnten, haben wir in keinem einzigen 
Falle zu klagen gehabt; vor allen Dingen sahen wir, trotz er¬ 
heblicher Mengen Lösung bis zu 300 ccm, niemals irgend welche 
Vergiftungserscheinungen. In einer Reihe von Fällen beobachteten 
wir akute, teils mit hohem Fieber einhergebende Bronchitiden 
und Bronchopneumonien, die aber sämtlich harmlos. and nach 
einigen Tagen abgelaufen waren; wir schreiben dieselben dem 
Umstand zu, dass die Patienten sich in dem bald mehr, bald 
weniger geheizten Operationsraum erkältet haben; wie gesagt, 
irgendwelche dauernde Folgen und Nachteile haben wir nicht 
gesehen. 

Es erübrigt sich, noch ein Wort über das Instrumentarium 
zu sagen; dasselbe ist das denkbar einfachste. Es besteht ans 
einer Rekordspritze von 10 ccm Inhalt, je zwei geraden Hohl¬ 
nadeln von 8 cm, 5 cm, 7 cm und 10 cm Längejmd verschiedener 
Lichtung. Die Injektionslösung befindet sich in einer Flasche 
von 500 ccm Inhalt und wird nach Entfernung des Spritzen¬ 
stempels nach und nach von einem Sanitätsgefreiten in die Spritze 
eingegossen. 

Es ist mir hier im Felde nicht möglich, auch nur einiger- 
maassen annähernd die Literatur zu berücksichtigen, sondern ich 
muss mich begnügen, einige grössere Arbeiten auf diesem Gebiet, 
die in den letzten Jahren erschienen sind, za zitieren. 

Literatur. 

1 . Braun, Lokalanästhesie. — 2. Haertel, Die Lokalanästhesie. 
Neue D. Chir., Bd. 21. — 3. Reinhard, Vorzüge der Novokainleitungs¬ 
anästhesie vor der Inhalationsnarkose. D. Zschr. f. Chir., Bd. 139, 
H 5 u. 6. — 4. Kuhlenkampff, Die Anästhesierung des Plexus 
brachialis v. Bruns. — 5. Corning, Lehrbuoh der topographischen 
Anatomie. 


Aus dem Medizinalamt der Stadt Berlin. 

Bericht über die Tätigkeit 
der Fürsorgeschwestern des Medizinalamtes der 
Stadt Berlin im Jahre 1917. 

Von 

Dr. E. Seliguan, 

Vorsteher der bakteriologischen Abteilung. 

Die Tätigkeit der Fürsorgeschwestern beschränkte sioh im ersten 
Jahre ihres Wirkens ausschliesslich auf die Diphtheriebekämpfung 1 ). 
Das Jahr 1917 mit der Pockenbedrohung und dem gesteigerten Auf¬ 
treten gewisser endemischer Krankheiten (Ruhr, Hautkrankheiten) stellte 
auch die Schwestern, wenigstens vorübergehend, vor neue Aufgaben. 
So wurden sie bei der Bekämpfung der Pocken in den Schulen mit- 
herangezogen, auoh bei Fällen von Scharlach, Typhus, Ruhr bei Schul¬ 
kindern fanden sie gelegentlich Arbeitsgebiete. Als ansteckende Haut¬ 
krankheiten und Verlausung unter den Schulkindern in stärkerem Maasse 
Zunahmen, wurde eine besondere Organisation zur Bekämpfung dieser 
Leiden gesohaffen, in der die Schwestern eine wichtige Rolle zu spielen 
berufen waren. Ueber diese Organisation und ihre bisherigen Ergeb¬ 
nisse wird im 2. Teil der Arbeit berichtet. Entsprechend den er¬ 
höhten Anforderungen wurde die Zahl der im Amte tätigen Schwestern 
von 10 auf 14 vermehrt. t 

I. Diphtheriebekämpfung. 

Die im folgenden veröffentlichte Tabelle I schliesst sich in ihrer An¬ 
ordnung der vorjährigen 1 ) vollkommen an. Sie gestattet durch den 
Vergleich mit dem Voijahre die älteren Ergebnisse zu überprüfen, Fort¬ 
schritte festzustellen und besonders wiohtige Zahlenwerte zu kontrollieren 
bzw. zu bekräftigen. 

Die Gesamtzahl der Besuche ist ungefähr gleich geblieben: 16 774 
gegen 16 833 im Vorjahre. Da die Zahl der bearbeiteten Diphtherie¬ 
fälle entsprechend dem milderen Seuchengange aber geringer war: 6353 


1 ) Vgl. Seligmann, „Fortschritte in der Berliner Diphtherie¬ 
bekämpfung“, B.kl.W., 1917, Nr. 28.) 


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24. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


599 


Tabelle I. 





" 




1917 







! 

Febr. 

5 

ice 

a 

April 

*3 

a 

Juni 

Juli 

Aug. 

o* 

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o 

85 

N 

® 

Q 

Summe 

1. Gesamtzahl der Besuche. 

1420 

1101 

1054 

925 

955 

935 

647 

898 

1354 

2297 

2773 

2415 

16774 

2. Davon Kon trollbesuche. 

687 

525 

465 

438 

897 

484 

366 

512 

805 

1335 

1679 

1618 

8261 

3. Zahl der bearbeiteten Diphtheriefälle. 

664 

473 

441 

396 

440 

333 

237 

340 

483 

855 

971 

720 

6353 

4. Ermittlung neuer, nicht gemeldeter Fälle. 

23 

13 

12 

6 

9 

10 

2 

17 

21 

23 

25 

20 

181 

5. Mitwirkung bei Massenuntersuchungen. 

5 

9 

3 

2 

2 

0 

0 

1 

4 

4 

12 

4 

46 

6. Zahl der Familien ohne ärztliche Behandlung. 

12 

9 

9 

11 

8 

5 

1 

5 

8 

8 

15 

8 

99 

a) bei diesen Arzt besorgt. 

8 

3 

4 

5 

5 

3 

1 

2 

5 

5 

7 

5 

53 

b) ins Krankenhaus überführt .. 

6 

3 

8 

4 

2 

3 

0 

3 

5 

2 

7 

0 

43 

7. Schutzimpfung der Umgebung veranlasst. 

44 

46 

45 

86 

58 

71 

25 

43 

63 

117 

104 

94 

796 

8. Der Lungenfürsorge überwiesen. 

6 

11 

3 

5 

8 

14 

3 

9 

13 

14 

11 

17 

114 

9. Wohlfahrtsmaassnahmen eingeleitet. 

41 

37 

38 

22 

14 

39 

15 

21 

26 

42 

27 

29 

351 

10. Aus besonderem Anlass der Sanitätskommission gemeldet . . . 

4 

3 

3 

3 

3 

2 

0 

2 

2 

2 

4 

5 

83 

11. Fälle, in denen ein weiteres Eingreifen nicht erforderlich war . . 

176 

145 

116 | 

115 

91 

85 

66 

73 

103 

150 

160 

133 

.1413 

12. Wie oft kein Heilserum trotz ärztlicher Behandlung? ..... 

21 

22 

24 

34 

124 

17 

15 

12 

16 

42 

42 

25 

294 

13. Wie oft wurde die gesunde Umgebung schutzgeimpft? .... 

184 

140 

135 

151 

30 

114 

71 

80 

160 

310 

338 

256 

2069 

14. Wie oft nicht?. 

177 

149 

122 

108 

89 

70 

60 

44 

76 

183 

166 

123 

1367 

15. Wie oft sind Hausgenossen erkrankt?. 

71 

41 

40 

31 

20 

10 

16 

21 

39 

31 

29 

33 

382 

a) schutzgeimpfte.. 

17 

! 11 

14 

5 

7 

2 

5‘ 

2 

13. 

5 

8 

7 

96 

b) nicht geimpfte. 

54 

30 

26 

26 

13 

8 

11 

19 

26 : 

26 

21 

26 

286 

16. Wie oft ist Ansteckung durch aus dem Krankenhaus Entlassene 
anzunehmen. 

24 

1 12 

14 

s: 

6 

9 

3 

7 

8 

2 

7 

12 

112 

a) durch „bazillenfreie" Entlassene. 

19 

! 7 

12 

6: 

5 

6 

2 j 

3| 

7 

1 

7 

8 

83 

b) durch andere. 

5 

1 5 

2 

2 

1 

3 

l! 

4 ! 

1 

l \ 

0 

4 

29 


(8296 im Vorjahre), ferner die Zahl der Kootrollbeauche gesteigert:, 
8261 (6725), so entfällt auf den einseinen Diphtheriefall eine höhere 
Anzahl von Besuchen 2,3 (1,8). Mit anderen Worten: die Schwestern 
konnten sich der einzelnen Erkrankung in höherem Maasse annehmen 
als früher. Ueber 2000 Besuche galten ausserdem der Aufspürung neuer 
Krankheitsherde und betrafen verdächtige Halserkrankungen, Bazillen¬ 
träger. Umgebungsuntersuchungen usw. 

6835!) (9367) Diphtherien sind im Jahre 1917 gemeldet worden, 
6353 (8296) von diesen sind durch die Schwestern in Arbeit genommen 
worden. Nicht ganz 500 (1071) sind ausgefallen; sie betrafen wiederum 
Erkrankungen in Waisenhäusern, Krankenanstalten usw., in denen ein 
Eingreifen des Medizinalamtes nicht am Platze war. Auch diese Zahl 
bedeutet durch ihre Verringerung einen Fortschritt gegen das Voijahr. 

Die Ermittlung neuer, nicht gemeldeter Fälle hat im Be¬ 
richtsjahre 181 (115) Erkrankungen erst ans Licht gebracht. Der zu¬ 
nehmende Erfolg dieser ganz besonders wichtigen Tätigkeit ist ein Be¬ 
weis dafür, dass die Schwestern sich immer mehr in ihr Gebiet ein¬ 
gearbeitet haben. 

Die Mitwirkung bei Massenuntersuohungen war im Be¬ 
richtsjahre erheblich geringer als im Vorjahre: 46 (72). Vielleicht ist 
das als ein Erfolg unserer Tätigkeit zu buchen. Da jeder einzelne uns 
zur Kenntnis kommende Diphtherie- oder Verdachtsfall sofort mit dem 
Walle erprobter Vorbeugungsmittel umgeben wird, so muss dadurch 
sohon der stärkeren Verbreitung der Krankheit in Sohple, Hort und 
Fabrik ein Riegel vorgeschoben werden. Mit einem Rückgang der Massen¬ 
untersuchungen hatten wir daher von vornherein gerechnet. Dass der 
mildere Seuchengang des Jahres 1917 auch von Einfluss gewesen ist, 
soll nicht geleugnet werden. Im einzelnen handelte es sich um 16 (39) 
Schulklassen, 21 (23) Kinderhorte u. ä., 3 (10) gewerbliche Betriebe 
und 6 (0) andere Gelegenheiten (Hospiz, Flüchtlingsheime, eine Durch¬ 
untersuchung eines ganzen Wohnhauses). 

Die. Zahl der Familien ohne ärztliohe Versorgung war 
gleichfalls niedriger, 99 (136). Fast in allen Fällen konnte ärztliohe 
Behandlung oder Krankenhausaufnabme durobgesetzt werden; 96mal 
(121). Nur in 3 Fällen gelang das nicht (25 mal im Vorjahr), ein Be¬ 
weis, dass auch auf diesem Gebiet die Schwestern zugelernt haben. 

Das gleiche Bild bei der Veranlassung der Schutzimpfung: 
796 mal (561) wurde die gefährdete Umgebung des Kranken durch die 
Sohwestern der Schutzimpfung zugeführt, auch diese Zahl bedeutet einen 
erheblichen Fortschritt. 

Entsprechend der Zunahme der Lungentuberkulose in Berlin war 
in erhöhtem Maasse Gelegenheit gegeben, tuberkulosebedrohte Familien 
den Lungenfürsorgestellen zu überweisen, 114mal (49); ebenso bat 
sich die Zahl der sonst eingeleiteten Wohlfahrtsmaassnahmen ver¬ 
vielfacht: 851 (82). Sie bewegten sioh im Rahmen der im Vorjahre 
erörterten Möglichkeiten. 

Die Benachrichtigung des zuständigen Kreisarztes bzw. 
der Sanitätskommission erwies sioh 33 mal (37) als zweckmässig. 
Es handelt sich wieder gewöhnlich um ungenügende Isolierang oder 
um öffentliche Betriebe, Mittagstische, Lebensmittelgeschäfte, Fabriken, 
Kindergärten u. ä. 

1) Die noch nicht veröffentlichte Zahl verdanke ioh der Liebens¬ 
würdigkeit des Direktors des statistischen Amtes in Berlin, Herrn Prof. 
Dr. Silbergleit. 


Die Zahl der Familien, in denen ein weiteres Eingreifen nicht 
erforderlich war, hat sich beträchtlich vermindert, absolut wie re¬ 
lativ: 1418 (2248). War es im Vorjahre noch mehr als ein Viertel 
aller gemeldeter Erkrankungen, so ist es diesmal wenig mehr als ein 
Fünftel. Die Aerzte machen eben doch in zunehmendem Maasse von 
den Erleichterungen Gebrauch, die ihnen die Mithilfe der Schwestern 
bietet. 

Kein Heilserum trotz ärztlicher Behandlung: 294mal (277). 
Die unerfreulichste Zahl der Statistik. 4,6 pCt. aller Diphtheriefälle 
wurden ohne Serum behandelt, gegenüber nur 3,3 pCt. im Vorjahr! Die 
Kenntnis des tödlichen Verlaufs vieler so behandelter Fälle erhöht das 
schmerzliche Bedauern über diese Unterlassungssünde. 

Schutzimpfung: 2069 mal (2749) wurde die gesunde Umgebung 
sohutzgeimpit, 1367 mal (1980) nicht. Das Verhältnis der Schutzgeimpften 
zu den Ungeimpften entspricht ungelähr dem im Vorjahre. Auch der Nutzen 
der Schutzimpfung lässt sich fast mit den gleichen Zahlen nach- 
weisen und bietet so eine wertvolle Bestätigung unserer früheren Er¬ 
fahrungen. Erkrankt sind: 96 (166) sohutzgeimpfte, 286 (503) unge- 
impfte Hausgenossen. In der früheren Weise berechnet 1 ), bedeutet das: 
Erkrankuugsziffer in geimpften Familien 4,6 (6,0) pCt., in ungeimpten 
Familien 20,9 (20,8) pCt. 


Innerhalb der ersten 3 Tage nach der Impfung erkrankten: 19 \ 1. Woohe 

Vom 4.-7. Tage 


» 

* 

„ 16 / 35 

In der 2. Woche 



ff 

« 24 

» »8. „ 

* 

ff 

» 

« 8 

» » 4. „ 

» 

ff 

» 

» 6 

Noch später 

» 


» 

ff. 28 


In Uebereinstimmung mit dem Vorjahre ist die Zahl der Erkrankten 
in der ersten Woche nach der Impfung am grössten, um dann Woobe 
für Woche abzunehmen. Bringt man die beiden letzten Reihen, als 
ausserhalb der Schutzfrist des Serams gelegen, in Abzug, so ergibt sich 
ein Wert von 8,2 pCt. (4,4 pCt.) als Erkrankungsziffer innerhalb der 
Sobutzfrist. 

Die Zahl der durch Krankenhausentlassene neuange- 
steckten Personen betrug im Berichtsjahre 112 (157). 83 (116) 
waren durch „Bazillenfreie" angesteckt, 29 (41) im wesentlichen durch 
Bazillenträger. Da die im früheren Berichte angeschnittene Frage der 
Rekonvaleszentenheime der Lösung noch nicht näher gekommen ist, 
haben wir vorläufig auf einem anderen Wege versucht, die Gefahren zu 
mildern, die der Diphtherierekonvaleszent mit sich bringt. Seit September 
1917 melden uns die städtischen Krankenhäuser jede Diphtherieentlassung 
zugleich mit dem bakteriologischen Befund der letzten Untersuchungen. 
Neuerdings haben auf unsere Bitte hin auch eine Anzahl staatlicher 
und privater Krankenhäuser sich dem Vorgehen der städtischen Anstalten 
angeschlossen und melden uns in gleicher Weise alle Diphtherie¬ 
entlassungen. Die Sohwestern begeben sich alsbald in die Wohnung 
der Betreffenden, führen im Bedarfsfälle die bakteriologische Kontrolle 
zu Ende und belehren in jedem Falle Eltern und Umgebung über die 
Gefahr, die ihnen von dem Geschehenen droht. Auch bei den „bazillen¬ 
frei" Entlassenen sorgen sie für eine Weiterführung der laufenden Des¬ 
infektion für einige Wochen. Nicht selten erregte eine wunde verborkte 


1) Auf die Fehlerquellen der von uns angewandten Berechnung ist 
in der früheren Arbeit hingewiesen. 


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Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 










































600 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Nase Verdacht und veranlasste erneute Untersuchung, oft mit positivem 
Ergebnis. Ein Erfolg dieser Haassnahmen lässt sich noch nicht mit 
Sicherheit übersehen, dazu ist die Zeit noch zu kurz. 

Dagegen hat das bisher vorliegende Material uns die Möglichkeit 
gegeben, eine andere Frage zu entscheiden, die wir im Vorjahre nur 
schätzungsweise beantworten konnten. Wir hatten, entsprechend den 
Kopenhagener Verhältnissen (Sörensen) angenommen, dass auoh in 
Berlin lOpCt. aller Entlassenen Bazillenträger sind, und daraus berechnet, 
dass die Berliner Bazillenträger 3—4 mal so häufig Neuansteckungen 
verursacht haben wie die Bazillenfreien. Bei gleicher Voraussetzung 
würde sich auch für 1917 das gleiche Verhältnis ergeben. Durch die 
Entlassungsmeldungen haben wir aber sichere Unterlagen. Insgesamt 
wurden uns in der Zeit vom l.IX. bis 31. XII. 1917 1237 Diphtherie¬ 


entlassungen gemeldet. Von diesen waren 

mindestens 2 mal hintereinander bazillenfrei.1059 

^ 1 » .. 75 

noch krank oder Bazillenträger . 103 


Die Zahl der sicheren Bazillenträger bei der Entlassung beträgt somit 
8,38 pCt.; da aber unter den nur einmal negativ Untersuchten zweifel¬ 
los auoh noch Bazillenträger gewesen sind — dafür sprechen alle Er¬ 
fahrungen bei der Nachuntersuchung —, so dürfte die Kopenhagener 
Ziffer von 10 pCt. auch für Berlin zutreffend sein. Die Schätzung, 
dass die Bazillenträger 3—4 mal so oft Ansteckung verursachen als die 
„Bazillenfreien", hat daher für beide Berichtsjahre durch unser Zahlen¬ 
material ihre Bestätigung gefunden. 

Im Vorjahre hatten wir ferner die Frage angeschnitten, ob von 
den gemeldeten Todesfällen ein Teil vermeidbar gewesen 
wäre. Zu ihrer Beantwortung hatten wir für 97 Todesfälle Nach¬ 
forschungen über den Krankheitsverlauf angestellt mit dem Ergebnis, 
dass 41,2 pCt. 1 ) der erforschten Todesfälle Folgen arger Vernach¬ 
lässigung gewesen sind, während in 48,4 pCt. 1 ) auoh das Serum den 
tödlichen Ausgang nioht verhindern konnte. 

Diese Ergebnisse, die sich auf ein nicht sehr grosses Zahlenmaterial 
stützten, bedurften der erweiternden Nachprüfung. Im laufenden Jahr 
habe ich deshalb 353 Todesfälle näher aufzukläreu versucht und bin 
zu folgenden Zahlen gelangt: 

1. Im Krankenhause erkrankt und gestorben 20 

2 . sofort in sachgemässe ärztliche Behandlung gekommen 125 

3. verspätet „ * „ , * 47 

4. an Komplikationen gestorben 27 

5. verschleppte Fälle 134 

Die Ziffer 3 ist diesmal neu eingefügt. Ziffer 2 umgreift die Fälle, die 
am ersten oder zweiten Krankheitstage in spezifische ärztliche Behandlung 
kamen. Ziffer 3 diejenigen, die erst am dritten Tage zum Arzt gebracht 
bzw. als Diphtherie erkannt und behandelt wurden. Was nach dem 
dritten Tage sachgemässe Behandlung erfuhr, wurde als „verschleppter 
Fall“ (Ziffer 5) gebuoht. In Wirklichkeit ist die Ziffer 5 noch grösser 
als oben angegeben; denn als erster Krankheitstag wurde im allgemeinen 
nur der erste Tag ernsthafter Beschwerden angegeben, dem nicht selten 
Tage mit geringerem und unbestimmtem Unwohlsein vorausgegangen 
sein mögen. Dafür spricht auch die Beobachtung, dass verschiedentlich 
Kinder der Kategorie 3 am angeblich dritten Krankheitstage in völlig 
hoffnungslosem Zustande eingeliefert wurden. 

Unter den Fällen der Ziffer 2 befinden sich diesmal eine ganze 
Anzahl rasch und unaufhaltsam zum Tode führender Erkrankungen. 
Ein paar Beispiele: 

G. M., 1V* Jahre, erkrankt am 6. XI. 1917, kommt am 7. XL ins 
Krankenhaus und stirbt dort am gleichen Tage. 

M. B., 8 Jahre, erkrankt am 1. XI. 1917. Am 2. XI. überweist der 
zugezogene Arzt das Kind in ein Krankenhaus, wö es an* gleichen 
Tage stirbt. 

E. A., Vs Jahr, erkrankt am 6.1., wird sofort ins Krankenhaus 
gebracht. Tod am 7.1. 

E. M., l */4 Jahre, erkrankt am 17. X. 1917, wird am 18. X. vom 
Arzt ins Krankenhaus gebracht. 19. X. Tracheotomie. 20. X. tot. 

Auch für die „verschleppten Fälle“ folgen einige Beispiele, die 
zeigen, wie erschreckend gleichgültig manche Eltern der Gesundheit ihrer 
Kinder gegenüberstehen, und einige andere, die lehren, dass auch die 
Aerzte nioht immer von aller Schuld freizusprechen sind. 

A. T., 3 Jahre, erkrankt am 30. III. 1917; am 3. IV. Arzt geholt, 
Krankenhausaufnabme. Tracheotomie, Tod am gleichen Tage. 

G. N., 5 Jahre, erkrankt am 23. V. 1917; am 30. V. Arzt geholt, 
Krankenhausaufnahme, Tracheotomie, Tod am gleichen Tage. 

W. L., 3*/4 Jahre, erkrankt am 11. XI. 1917, Arzt geholt am 16. XI. 
Seruminjektion. Tod am gleichen Tage. 

K. K., 4 Jahre, erkrankt am 13. X. 1917; am 20. X. Arzt geholt; 
Krankenhausaufnahme, Tod am gleichen Tage. 

K. J., 3 Jahre, erkrankt am 7. III. 1917. Kein Arzt. Am 18. III. 
Krankenhausaufnahme, Tod am 19. III. 

H. F., 2 Jahre, erkrankt am 26. XI. 1917; am 30. XI. Arzt geholt; 
kein Serum mehr, da das Kind bereits im Verscheiden war. 

H und G. D., 5 Jahre und 4 Jahre, erkrankt am 19. IV. und 20. IV. 
Bis 1. V. kein Arzt; an diesem Tage wurde der Arzt geholt, der gerade 
noch zum Exitus beider Kinder eintraf. 

R. P., 2 l /s Jahre, Ende Februar krank, kein Arzt. Später traten 

1) Berichtigte Zahlen. 


schwere Lähmungen auf; am 3. IV. 1917 brachte der Vater das Kind 
ins Krankenhaus. Tod am 8. IV. infolge Herzlähmung. 

C. P., 1 Va Jahre, erkrankt am 19. XI. 1917. Am 22. XI. verwies 
der zugezogene Arzt das Kind sofort ins Krankenhaus, da ein Luftröhren¬ 
schnitt dringend nötig sei. Der Vater meinte, sein Kind möge lieber 
zu Hause sterben und behielt es bei sich. Am gleiohen Nachmittag 
starb das Kind an Erstickung. 

W. H., 1 Jahr. Am 19. XII. 1917 erkrankt, sofort Arzt, gibt kein 
Serum, am 30. XII. überweist er das Kind ins Krankenhaus. Tod am 
81. XII. 

G. B., 5 Jahre, erkrankt am 8. XI. 1917, am 9. XI. Arzt geholt, 
kein Serum, am 11. XI. KrankenhauBaufnahme, am 17: XI. Tod. 

J. B., 17 Jahre, erkrankt am 15. XI. 1915. Arzt diagnostiziert 
„Kehlkopfkatarrh“. Am 22. XI. gibt er Serum. Tod am 23. XL 

J. C. N., IV 2 Jahre, erkrankt am 29.XII., Arzt diagnostiziert 
„Keuchhusten“, am 31. XII. abends anderer Arzt geholt. Diagnose 
„Kehlkopfkatarrh“, Medizin verordnet, Abstrioh genommen, kein Serum. 
Tod am 1.1. 1918. Am 2. I. kam die Nachrioht über die bakterio¬ 
logische Untersuchung: Di-Bac. positiv. 

L. S., 4 Jahre, erkrankt am 1.1. 1917. Arzt geholt, kann nichts 
festste 1 len. Am 2. 1. anderer Arzt, Diagnose „starke Erkältung“, am 
5.1. dritter Arzt „Bronchialkatarrh“, Packungen verordnet. Da die 
Atemnot immer grösser wurde, brachte die Mutter das Kind am 6. I. 
ins Krankenhaus, wo es sofort tracheotomiert wurde und in der Nacht 
vom 6. zum 7.1. starb. 

Der Prozentsatz der „verschleppten Fälle“ unter den tödlich ver¬ 
laufenden Erkrankungen entspricht ungefähr dem Vorjahre: 37,9 pCt. 
[41,2 pCt. 1 )]. Da die diesjährige Zahl aus Ziffer 3 noch eine geringe 
Erhöhung erfahren dürfte, ist die Uebereinstimmung sogar überraschend 
gross. Dass wiederum rund 40 pCt. der Todesfälle die Folge arger 
Vernachlässigung gewesen sind, mahnt gebieterisch, mit der Aufklärungs¬ 
arbeit nicht nachsulassen und auf alle Weise für rechtzeitige Behandlungs- 
möglicbkeit Sorge zu tragen. Unsere Schwestern arbeiten darauf hin, 
wo sie nur können. 

Für das vorhergehende Jahr (1916) hatten wir als eine Folge der 
Sohwesterntätigkeit das Herabgehen der Letalität festgestellt. Das konnte 
natürlich nooh keine Verbesserung der Heilungsmöglichkeiten bedeuten, 
sondern nur die Tatsache illustrieren, dasB infolge verbesserter Melde¬ 
tätigkeit wir der wahren Zahl der Diphtherieerkrankungen näher ge¬ 
kommen sind, und damit auoh der wahren Letalität, die ja nur aus 
dem Verhältnis der gemeldeten Todesfälle zur Zahl der gemeldeten 
Krankheitsfälle errechnet werden kann. Auch beim Heruntergehen der 
Erkrankungsziffer im Jahre 1917 war daher mit einem Niedrigbleiben 
der Letalität zu rechnen; in Wirklichkeit ist sie sogar noch weiter ab¬ 
gesunken und hat einen bisher in Berlin nicht gekannten Tiefstand erreicht. 


Jahr 

Erkrankungen 

Todesfälle 

Letalität 

1914 

6063 

563 

9,8 pCt. 

1915 

8189 

772 

9,4 pCt. 

1916 

9367 

759 

8,1 pCt. 

1917 

6835 

544 

7,9 pCt. 


Die Kurve der wöchentlichen Diphtherieerkrankungen verläuft in 
fast allen Teilen niedriger als die des Jahres 1916, zeigt im Uebrigen 
aber einen bis in Einzelheiten ausgeprägten Parallismus zu jener. Nur 
die Herbst- und Winterzacke ist weiterhin abgeflacht und Im Gegensatz 
zu den beiden Vorjahren nicht zweizipflig, sondern zu einer etwas 
breiteren Erhebung ausgestaltet. 

II. Bekämpfung von Verlausung und ansteckenden 
Hautkrankheiten. 

Zu den unerfreulichen Begleiterscheinungen des grossen Krieges 
gehört 7 die Zunahme der ansteckenden Hautkrankheiten und der Ver¬ 
lausung. Ansteckungen aus dem Felde, Mangel an Reinigungsmitteln, 
an Seife und Soda, an Kohlen, fehlende Elternsorgfalt (Vater im Felde, 
Mutter in der Fabrik), körperliche und sittliche Verwahrlosung, vielleicht 
auch die völlig umgestellte Ernährung haben in verhängnisvollem Zu¬ 
sammenwirken dahin geführt, dass namentlich unter der Schuljugend 
Krätze, Impetigo, Läuse eine Verbreitung gefunden haben, wie sie vor 
dem Kriege unbekannt war. Es kommt hinzu, dass die früher üblichen 
therapeutischen Hilfsmittel (Petroleum, Essig, Perubalsam, Schwefel) mit 
der Zeit auch knapp geworden sind, so dass erfolgreicher Behandlung 
gewisse Schwierigkeiten gesetzt werden. 

Die Zunahme der erwähnten Krankheiten führte schon 1916 zu Er¬ 
wägungen an maassgebender städtischer Stelle; Anfang 1917 nahm der 
Magistrat auf Betreiben des Stadtmedizinalrates die einheitliche Bekämp¬ 
fung in die Hand. In einer Rücksprache mit den Leitern der Berliner 
Fachpolikliniken wurden die Grundlagen besprochen, die dann sehr 
schnell in die Tat umgesetzt wurden. Wie seinerzeit bei der Diphtherie, 
wurde auch bei den in Frage stehenden Leiden zuerst in der Schule 
eingegriffen. Die Schulärzte wurden zur Mitarbeit herangezogeo, die 
Rektoren der Gemeindeschulen zur Meldung einschlägiger Fälle an das 
Medizinalamt verpflichtet 2 ). Die Schulärzte sollen durch Schulbegehungen 

1) Berichtigte Zahl. 

2 ) Inzwischen haben sioh Säuglingsfürsorgestellen, Nationaler Frauen¬ 
dienst und die Deutsche Zentrale für Jugendfürsorge angesohlossen, die 
uns entsprechende Meldungen machen. 


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Gck igle 


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UNIVERSUM OF IOWA 






24. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


601 


and daroh Belehrung der Lehrerschaft für die frübieitige Erkennung der 
Krankheiten Sorge tragen, behandlungsbedürftige Fälle dem Medizinal¬ 
amt mitteilen and behandelte Kinder erst nach persönlicher Kontrolle 
wieder zum Unterricht zulassen. Das Lehrpersonal soll alle verdächtigen 
Kinder dem Schalarzt zusohioken und dem Medizinalamt melden. Alle 
hier bekannt gewordenen Familien werden sofort von Fürsorgesohwestern 
aufgesucht, die feststellen, wie weit die Krankheit schon in der Familie 
verbreitet ist (meist erheblich!). In einfachsten Fällen (geringe Kopf¬ 
verlausung) gehen sie der Mutter mit Rat und Tat zur Hand, machen 
auch wohl mal eine Kappe selber und kontrollieren die Durchführung 
der Ratschläge. Bei stärkerer Verlausung sowie bei allen Hautkrank¬ 
heiten sorgen sie für ärztliche Behandlung aller Befallenen. Wenn die 
Kranken nicht zu Privatärzten gehen wollen, überweisen sie sie in 
irgendwie zweifelhaften Fällen einer der Berliner Polikliniken, die sioh 
zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellt haben. Alle unkomplizierten 
Fälle an Krätze, Impetigo, Verlausung werden den städtischen Behand¬ 
lungsstätten zu unentgeltlicher Behandlung überwiesen. 

Solche Behandlungsstätten sind eingerichtet in den grossen Kranken¬ 
häusern der Stadt Berlin sowie im städtischen Obdach. Dort werden 
täglioh Sprechstunden abgehalten, in denen die von uns überwiesenen 
Kinder duroh eine Krankenhausschwester (unter ärztlicher Kontrolle) be¬ 
handelt werden. Die Behandlung geschieht einheitlich naoh einer von 
Prof. Weohselmann entworfenen Behandlungsanweisung. Fälle von 
Kleiderläusen werden nur an das Obdaoh verwiesen, wo Bade- undEnt- 
lansungseinrichtungen in grösserem Ausmaass vorhanden sind. 

Mitunter ist es erforderlioh, besonders verwahrloste Personen einer 
Krankenhausbehandlung zuzuführen, da die ambulante Behandlung nioht 
zum Ziele führt. Aufnahmemöglichkeiten bestehen im Virchowkranken- 
hause, im Kaiser- und Kaiserin Friedrich-Kinderkrankenhaus und im Ost¬ 
krankenhause, für besonders bedürftige Personen ist im städtischen Ob¬ 
dach eine kleine Station eingerichtet worden, in der Kinder mit und 
ohne Mütter unentgeltlich aufgenommen und unter ärztlicher Kontrolle 
behandelt werden können. 

In manohen Familien, namentlich bei Kleiderläusen, oft auch bei 
Wanzen und anderem Hausungeziefer, führen alle Maassnahmen nicht 
zum Ziele ohne ausgedehnte Desinfektion von Kleidern, Bettstellen, 
selbst Wohnräumen. Eine Dampfdesinfektion von Kleidungsstücken 
konnte ohne weiteres in der Desinfektionsanstalt II des städtischen Ob- 
daohs ausgeführt werden, die unentgeltliche Vornahme von Wohnungs¬ 
desinfektionen, die verschiedentlich erforderlich waren, musste erst durch 
besonderen Magistratsbeschluss ermöglicht werden und ist seitdem in 
einer Reihe von Fällen mit Erfolg ausgeführt worden. 

Auf diese Weise haben wir den Kampf seit Anfang 1917 auf¬ 
genommen, in einigermaassen geregelte Bahnen lenkte er etwa mit dem 
April ein. Arbeitsgebiet und Ergebnisse versuchten wir, wie bei der 
Diphtheriebekämpfung, zahlenmässig festzulegen. Die folgende Tabelle 
gibt den ersten Bericht über die Zeit vom 1. April bis 81. Dezember 1917 

Tabelle II. 

1. April bis 81. Dezember 1917. 


Gesamtzahl der Famili$nbesuche: 4298. Hiervon Kontrollbesuohe: 2868. 



Ins¬ 

gesamt 

Krätze 

Lä 

Kopf 

ase 

Kleider 

Im¬ 

petigo 

An¬ 

deres 

1. Auf Veranlassung 







a) der Schule .... 

778 

172 

218 

3 

290 

95 

b) des Schularztes . . 

506 

123 

108 

8 

236 

31 

F c) d. Säuglingsfürsorge . 

30 

17 

— 

— 

12 

1 

d) sonstiger Anlass . . 

5 

1 

— 

2 

1 

1 

e) selbst gefunden . . 

116 

22 

22 

3 

58 

11 

2. Ansteckungsqüellen 







a) Schule. 

866 

166 

260 

3 

374 

63 

b) Kinderhort,Spielpl.u.ä. 

63 

9 

9 

— 

30 

5 

F c) and. Quellen in Berlin 

67 

23 

7 

— 

24 

13 

d) ausserhalb Berlins 

148 

43 

* 12 

1 

85 

7 

e) aus dem Felde . . 

48 

37 

1 

7 

— 

3 

8. Zahl der Einzelfälle . . 

2273 

677 

568 

51 

815 

162 

4. Bei diesen Behandlung ver¬ 
anlasst 







a) Privatarzt .... 

297 

122 

14 

0 

134 

27 

b) Poliklinik .... 

95 

37 

3 

0 

42 

13 

E c) städt. Behandlungs¬ 







stätte . 

1454 

470 

313 

39 

566 

66 

d) Krankenhaus . . . 

60 

i 43 

0 

0 

13 

4 

e) ohne Arzt .... 

367 

5 

238 

12 

60 

52 

5. Bei diesen Behandlung ab¬ 







geschlossen 







a) mit Erfolg .... 

2028 

571 

483 

41 

803 

180 

E b) ohne Dauererfolg . . 

103 

, 14 

67 

10 

11 

1 

Anmerkung: F = Familien, E = 

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Einzelfälle. 

><zle 





Im ganzen wurden 1485 Familien in Fürsorge genommen, auf 
die sioh 4298 Besuche verteilten. Besuche ausserhalb der Familien, 
so in Horten, Schulen, Bebandlungsstätten, Krankenhäusern usw. sind 
nioht besonders aufgeführt. Zur Rubrik 1 unserer Tabelle, die ebenso 
wie 2 die Anzahl der Familien verzeichnet, ist nicht viel zu bemerken. 
Die Hauptzahl der Meldungen ging von den Rektoren ein, in letzter 
Zeit beteiligen sich auoh die Schulärzte energisch an der Aufspürung 
von Krankheitsfällen. Eine Anzahl von ihnen geht systematisch die 
ihnen unterstellten Schulen durch und sondert, oft mit Unterstützung 
einer unserer Schwestern, die behandlungsbedürftigen Kinder aus. In 
anderen Fällen erhielten die Schwestern die Genehmigung des Schul¬ 
arztes, selbst allein die Klassen durchmustern zu dürfen. Der Ertrag 
einer solchen Razzia ist, namentlich im Mädchenschulen, meist ein ganz 
erkleoklioher. So fand ich selbst in den mir als Schularztvertreter unter¬ 
stellten Schulen bei einer ersten Begehung: 


Tabelle III. 



Krätze 

Impetigo 

Läuse 

Anderes 

1. Mädchenschule .... 

1 

3 

26 

6 

2 . 

2 

0 

26 

1 

3. „ .... 

3 

6 

7 

1 

1. Knabensohule .... 

2 

1 

0 

1 

2. „ .... 

5 ! 

12 

0 

3 

3. n .... 

13 

15 

0 

6 


Diese Begehungen müssen von Zeit zu Zeit wiederholt werden, duroh 
sie wird auoh das Interesse der Lehrerschaft erhöht, deren Mitwirkung 
im Kampf gegen diese Plagen unentbehrlich ist. So gibt es genügend 
Lehrkräfte, die, einmal interessiert, ihre Klassen unerbittlich rein halten 
und jeden irgendwie verdächtigen Fall sofort dem Sohularzt bzw. dem 
Medizinalamt mitteilen. Nur so kann ja auoh ein endlicher Erfolg in 
den Schulen erzielt werden. 

Die Meldungen der Säuglingsfürsorgestellen sind bisher gering an 
Zahl, hier greifen wir auoh auf das vorschulpfliohtige Alter über. Bitt¬ 
gesuche, Anträge von Behörden und Vereinen stellen das Material der 
Rubrik 1 d. Hoch ist die Zahl der selbst gefundenen, befallenen 
Familien (116). Aehnlich wie bei der Diphtherie gibt hier die Frage 
nach den Ansteckungsqüellen meist den Fingerzeig zur Ermittlung bis¬ 
her unbekannter Herde. 

Die Kenntnis der Ansteckungsqüellen soll uns die Möglichkeiten pro¬ 
phylaktischer Maassnahmen aufhellen. Die Angaben sind jedoch mit Vor¬ 
sicht zu verwerten; Bequemlichkeit, falsche Scham, mitunter auoh direkte 
Unwahrhaftigkeit sind Fehlerquellen, die sich leider nioht immer ausschalten 
lassen. Wir können daher die gefundenen Zahlen nioht ohne weiteres als 
wissenschaftlich gesichertes Material verwerten. Es ist ja für die Eltern 
am bequemsten, zu sagen: „das haben die Kinder aus der Schule mit- 
gebraoht" und von dieser Aussage wird in sehr vielen Fällen Gebrauoh 
gemacht.. Die aufgeführte Zahl von 866 Schulinfektionen ist daher 
sicherlich viel zu hoch, namentlich für die Krätzeansteokungen (166), für 
die sichere Schulansteckungen kaum nachweisbar sind. Andererseits 
lehren zahlreiche Einzelbeobachtungen, dass Schulansteckungen häufige 
Ereignisse sind. So kennen wir Klassen, in denen die Ansteckung mit 
Kopfläusen von Nachbar zu Nachbar vor sioh gegangen ist und ganze 
Bankreihen betroffen hat. Auch sichere Uebertragungen von Kleider¬ 
läusen sind in den Schulen festgestellt worden. Eine Schulepidemie von 
Impetigo contagiosa, bei der auf einmal 48 Kinder, ein Lehrer und der 
Rektor befallen wurden, beweist auch für die Borkenfleohte die Be¬ 
deutung der Schule. Aehnlich liegen die Verhältnisse in den Horten, 
auf den Spielplätzen usw., während Rubrik 2c (andere Quellen in Berlin) 
meist Einzelübertragungen betrifft. 

Besondere Beachtung verdienen die Ansteckungsquellen ausserhalb 
Berlins. Hier mehrten sioh die Fälle nach den Sommerferien und in 
den Herbstmonaten mit der Rückkehr der aufs Land verschickten Schul¬ 
kinder. Eine reoht beträchtliche Zahl von Kindern hat Hautkrankheiten, 
einige auch Ungeziefer mitgebracht. Impetigo und Krätze spielten die 
Hauptrolle, während die Zahl der Verlausten gering blieb. Namentlich 
die Impetigofälle waren oft arg vernachlässigt, die Krankheit nicht selten 
über den ganzen Körper verbreitet, die Krätze war verschiedentlich mit 
furunkulösen Abszessen kombiniert usw. 

Vor der Ausreise waren alle Kinder ärztlich untersuoht worden, mit 
Hautleiden oder Ungeziefer behaftete wurden grundsätzlich von der Ver¬ 
schickung ausgeschlossen, trotzdem ist es wohl möglich, dass ein oder 
das andere Kind mit unerkannt gebliebenem Leiden hinausgegangen ist 
(einige Fälle sind uns bekannt geworden). Für die überwiegende Mehr¬ 
zahl aber trifft das nicht zu; die haben sioh die Ansteckung dann 
draussen geholt. Unzureichende Pflege, Vernachlässigung, Mangel ärzt¬ 
licher Behandlung haben bei einzelnen allmählich zu stärkerer Aus¬ 
breitung des Leidens geführt. Hier gilt es, in diesem Jahre Vorsorge 
zu treffen, im übrigen bedarf es wohl kaum eines besonderen Hinweises, 
dass diese immerhin vereinzelten Schädigungen gegenüber dem grossen 
Segen des Landaufenthalts für unsere Schulkinder kaum in Betracht zu 
ziehen sind. 

Ansteckungen aus dem Felde betrafen in erster Linie Krätze und 
Kleiderläuse; Impetigoübertragungen auf diesem Wege sind uns nicht 
bekannt geworden. Ist die Zahl der Ansteckungen auch nioht sehr 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 















BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


502 


gross, so mahnt sie ans doch za yersobärfter Bereitschaft bei der De¬ 
mobilisierung. So weitsichtig and durchgreifend auch die Torbeugenden 
Maassnahmen der Heeresverwaltung sind, sie können bei den grossen 
in Betracht kommenden Mensohenmassen doch nicht lackenlos arbeiten 1 )* 

In den 1485 betreuten Familien kamen 2278 Einzelpersonen 
zur Behandlung. Die grosse Mehrzahl von ihnen wurde städtischen Be¬ 
handlungsstätten zugeführt (1454), in 95 Fällen wurden Spezialpoli¬ 
kliniken zu Rate gezogen; 60mal Krankenhausaufnahme durchgesetzt, 
297 mal begaben sich die Patienten in privatärztliche Behandlung, 
867 mal versuchten die Mütter (meiBt bei Kopfverlausung) ihr Heil ohne 
Arzt. Für die einzelnen Krankheiten ergibt sich ein etwas verschiedenes 
Bild in bezug auf die Behandlung. Nur in Ausnahmefällen wurde bei 
Krätze auf einen Arzt verzichtet, die Eltern überzeugten sich schnell, 
dass hier besondere Maassnahmen notwendig wurden; die Zahl der 
schwereren Erkrankungen war gar nioht gering, so dass die Mehrheit 
der Krankenhausaufnahmen (48) auf Konto der Krätze kam. Im übrigen 
überwog die Behandlung in den städtischen Anstalten. Bei den Kopf¬ 
läusen war mit der Indolenz und auch der falschen Scham der Matter 
nioht selten ein harter Kampf zu führen. Fast die Hälfte der Patienten 
konnte nioht in ärztliche Behandlung gebracht werden; die Mütter er¬ 
klärten, sie würden schon allein damit fertig werden. Ein Teil von 
ihnen handelte dann auch pflichteifrig nach den Anweisungen der 
Schwestern, andere aber hörten schnell wieder auf, oder flogen, trotz 
aller Versprechungen, gar nicht erst an. Die Zahl der Fälle „ohne 
Dauererfolg“ (Rubrik 5b) gibt eine Illustration zu diesem Verhalten. 
Noch schlimmer war es in den Familien mit Kleiderläusen. Bei 
Schulkindern waren vor dem Kriege Kleiderläuse eine grosse Seltenheit; 
Jahre hindurch kam kein Fall zur Beobachtung. Das hat sich leider 
geändert; so gering die beobachtete Zahl von 51 Fällen auch erscheinen 
mag, sie bedeutet doch einen ganz gewaltigen Anstieg gegen früher. 
Die Erfahrung hat zudem gelehrt, dass in diesen Familien im allge¬ 
meinen körperliche und sittliche Verwahrlosung einen besonders hohen 
Grad erreicht haben, so sehr, dass wir in einer Anzahl von Fällen die 
Einleitung der Fürsorgeerziehung beantragen mussten. 

Die Behandlung fand bei Kleiderläusen ausschliesslich im städti¬ 
schen Obdach statt; in einem Viertel der Fälle aber wurde jede Behand¬ 
lung abgelehnt; oft war auch durch angedrohte Zwangsmaassnabmen 
(Schulstrafen, Fürsorgeerziehung usw.) nichts zu erreichen. So kommt 
es denn, dass hier fast 20 pCt. aller Patienten ohne Dauererfolg bleiben 
(Rubrik 5b). Impetigo und sonstige Hautleiden bieten in bezug 
auf die Behandlung nichts besonderes dar; in leichtesten Fällen kam 
man ohne Arzt aus, bei schwereren Erkrankungen wurde gelegentlich 
von der Krankenhausaufnahme Gebrauch gemacht. Im übrigen überwog 
auch hier die Behandlung in den städtischen Anstalten. In der Rubrik 
„Anderes“ verbirgt sich mancherlei: gewöhnliche Ekzeme, Flechten, 
Psoriasis, Trichophytie, tuberkulöse und syphilitische Hautausschläge, 
dazu im Anschluss an die Pockenimpfung einige Fälle von über den 
Körper verbreiteter Vakzine. 

Der Erfolg der Behandlung (Rubrik 5) war meist ein günstiger, 
2028 von 2273 Patienten konnten als endgültig geheilt betrachtet 
werden, sie hielten sich auch längere Zeit, wie die Kontrollversuche er¬ 
gaben, frei von Erscheinungen. Als ohne Dauererfolg wurden diejenigen 
aufgeführt, die etwa 6 Wochen nach Abschluss der Behandlung wieder 
Zeichen des alten Leidens aufwiesen, auch später Rückfällige befinden 
sich darunter. Rezidive bei Impetigo wurden relativ selten beobachtet, 
häufiger schon bei Krätze und in erheblicherem Maasse bei beiden Arten 
der Verlausung. Dass geraderer bei länger dauernder Beobachtung 
nooh mancher Rückfällige dazu kommen wird, steht leider“ausser Frage 
und ist nur ein Hinweis, dasB nioht das Leiden als solches, sondern die 
Verwahrlosung des gesamten Milieus erfolgreicher Behandlung so häufig 
spottet. In vielen Fällen haben wir durch Einleitung allgemein sozialer 
Fürsorge Besserung schaffen können. 

Trotz vereinzelter Misserfolge aber Fglauben wir doch auf dem 
richtigen Wege zu sein. Der weitere Ausbau unserer Einrichtungen 
muss unsere Waffen schärfen, damit wir gerüstet sind, wenn mit der 
Heimkehr unserer Krieger grössere Aufgaben auch auf diesem Gebiet an 
uns heran treten werden. 


Bücherbesprechungen. 

Maxim. Steiner-Wien: Die psychischen Störungen der männlichen Po¬ 
tenz. Zweite Auflage. Leipzig und Wien 1917, Franz Deuticke. 
57 Seiten. 2,50 M. 

Der Autor dieser, einen so gut wie unveränderten Abdruck der 
ersten Auflage (1918) darstellenden „Monographie“ ist Urologe. In einem — 
die Unentbehrlichkeit der Psychoanalyse für das Verständnis und die 
Behandlung der nervösen Störungen überhaupt vertretenden — Vor¬ 
wort stellt ihm Freud das Zeugnis frühzeitiger Erkennung der Be¬ 
deutung seiner Lehre aus. Die ihr entspringenden neuen Gesichts¬ 
punkte haben seinen Schüler bestimmt, die eigenen umfassenden Er¬ 
fahrungen unter Darlegung der elementaren Grundsätze dem Gros der 
Praktiker zugänglich zu maohen, während er sich mit einer angefügten 
Kasuistik mehr an den Faohmann wendet. Fünf Kapitel^behandeln die 


1 ) Iq letzter Zeit sind auch einige Erkrankungen an°„Pferdekrätze“ 
durch Uebertragung von Soldaten auf Kinder bekannt geworden. 


Anamnese und Symptomatologie, Aetiologie, Diagnose, Prognose und 
Therapie sowie die individuelle und soziale Tragweite der Impotenz. 
Auf den ohne Zweifel anregend geschriebenen Spezialinhalt der Schrift 
kann nicht näher eingegangen werden. Weichen die Erschliessungen 
des Verfassers, der den Begriff der psychischen Impotenz in einem ge¬ 
wissen Gegensatz zum Referenten und zu den meisten Autoren auf die 
„gemeinhin als funktionelle benannte Abart“ ausdehnt, auch in mancher 
Beziehung von der landläufigen Lehre ab, so muss gleichwohl eine Ver¬ 
tiefung empfohlen werden. Das gilt von den Auslassungen über die 
organischen Masken und psychischen Verkleidungen, nicht minder von 
der Einteilung der eine unumgängliche Voraussetzung bildenden Dis¬ 
position in eine angeborene, in der frühesten Kindheit oder aber im 
späteren Leben erworbene, in ihren Beziehungen zur allgemeinen Minder¬ 
wertigkeit und sexuellen Frühreife, zum Inzestmotiv und zu den psychi¬ 
schen wie körperlichen Traumen. Den aus den Träumen gezogenen 
Schlüssen können wir, zumal aus Anlass der Alltäglichkeit gewisser 
Typen ohne sexuelle Minderwertigkeit nioht unbedingt beitreten. Auch 
die Formulierung der diagnostisch-therapeutischen Methode des Autors 
bezüglich der Einreihung der Fälle in die genannten Gruppen nach 
Maassgabe des Erfolges der Bekämpfung der organischen Störungen ohne 
die psychoanalytische Behandlung und mit ihr dürfte nicht allzu selten 
versagen. Es soll damit das Bestreben, das Seelenleben der Patienten 
genau zu analysieren und das Ergebnis in den Dienst ihrer Heilung 
zu stellen, an sich nicht unterschätzt werden. Durchaus Beachtung 
verdient die geschickte und sicherlich den mächtigen Einfluss der sexuellen 
Vorgänge auf die Psyche beleuchtende Auswahl der (20) Kranken¬ 
geschichten. _ Fürbringer. 

Hermann Ziegner: Vademekum der speiiellen Chirurgie und Orthopädie 
für Aernte. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. R. Klapp-Berlin. 
Dritte Auflage. Leipzig .1917, F. C. W. Vogel, 255 Seiten. Preis 8 M. 

Ziegner’s Vademekum der speziellen Chirurgie und Orthopädie* 
welches aus einer Reihe von Vorlesungen der Kgl. chirurgischen Uni* 
versitätsklinik in Berlin hervorgegangen ist, will in kurzer Zusammen¬ 
stellung dem fortbildungsbedürftigen Praktiker einen Anhalt geben, 
ohne mit allzu bekannten Dingen sich aufzuhalten. Wir haben des 
sehr nützlichen, kurz und bündig abgefassten Werkes an dieser Stelle 
mehrfach gedacht, und die Tatsache, dass das Vademekum, welches im 
Jahre 1911 zum ersten Male erschienen ist, jetzt bereits die dritte Auflage 
erlebt, beweist wohl zur Genüge, wie vollkommen es seinen Zweck erfüllt. 


Eduard Melehior: Die Chirurgie des Duodenum. (Neue deutsche Chir¬ 
urgie, begründet von P. v. Bruns, herausgegeben von H. Küttner, 
25. Band.) Mit 88, teils farbigen Textabbildungen. Stuttgart 1917, 
Ferd. Enke, 566 Seiten. Preis 25,60 M. 

A.ls 25. Band der von H. Küttner herausgegebenen „neuen deut¬ 
schen Chirurgie“ ist die Chirurgie des Duodenum von Melchior er¬ 
schienen. Die der Bearbeitung zugrunde liegende, 48 Seiten in Klein- 
druok umfassende, sorgfältig zusammengestellte Literatur lässt den Um¬ 
fang der hier mit erstaunlichem Fleiss geleisteten Arbeit nur annähernd 
erkennen. Denn die Zahl der einschlägigen Einzelbeobaohtungen hat 
sich seit der im Jahre 1911 im 2. Band der „Ergebnisse der Chirurgie 
und Orthopädie“ erschienenen Bearbeitung des Ulcus duodeni durch 
Melchior nooh erheblich vermehrt. Diese Beherrschung des Materials 
und persönliche Erfahrung haben den Verf. in den Stand gesetzt, einen 
der jüngsten Zweige der Chirurgie in erschöpfender Weise systematisch 
zu bearbeiten. Nimmt auch die Darstellung des Ulcus chronicum duo¬ 
deni seiner klinischen Bedeutung entsprechend naturgemäss den breitesten 
Raum ein, so sind doch alle übrigen einschlägigen Fragen, wie die 
kongenitalen Atresien und Stenosen, Divertikel, Duodenitis phlegmo¬ 
nosa, die spezifischen (typhösen, tuberkulösen, syphilitischen, urämischen) 
Duodenalgeschwüre, das Ulcus duodeni der Säuglinge, die akuten Duo¬ 
denalgeschwüre bei Sepsis, Verbrennungen, embolische und postappendi- 
zitische Duodenalgeschwüre, Geschwülste, Stenosen, Fisteln, Lageverände¬ 
rungen, Fremdkörper, Verletzungen eingehend berücksichtigt. Beim 
Ulcus chronicum duodeni genügt, wenn eine organische Stenose vor¬ 
handen ist, die Gastroenterostomie. Besteht keine Stenose, so ist die 
Gastroenterostomie mit der Pylorusausschaltung nach v. Eiseisberg 
oder einer ihrer bekannten Ersatzmethoden zu kombinieren. Ueber den 
Wert der Methoden, welche das Ulkus ohne Ausschaltung direkt an¬ 
greifen (Resektion und Exzision), sind die Ansichten noch geteilte Ab¬ 
gesehen von der hohen Mortalität haftet diesen Methoden der Mangel 
an, dass sie die vorhandene Disposition der Duodenalschleimhaut zu 
ulzeröser Erkrankung nioht beseitigen. Diese wesentliche Forderung 
wird nur durch die indirekten Methoden (Gastroenterostomie, Pylorus¬ 
ausschaltung) erfüllt, nach deren Ausführung man das Geschwür der 
spontanen Heilung in der Regel überlassen kann. 

Ein besonderes Kapitel ist der operativen Technik gewidmet, wobei 
zahlreiche gute Illustrationen das Verständnis der Methoden sehr er¬ 
leichtern. 

Strenge Objektivität herrscht in der ganzen Darstellung und ganz 
besonders auch in der Kritik der Behandlungsmethoden. Nirgends Ueber- 
schätzung der Leistungen des chirurgischen Verfahrens. Deshalb bildet 
Melohior's Werk für den Internisten und Praktiker nioht minder, wie 
für den Chirurgen eine Quelle reichster Belehrung auf einem der ak¬ 
tuellsten Gebiete der modernen Chirurgie. Adler-Berlin-Pankow. 


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Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 




24. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


603 


Literatur-AuszQge. 

Therapie. 

* M. Oppenheim: Rntnnhiunlbe alsUeberhäutnngsmittel. (W.kl.W., 
1918, Nr. 16.) 10 proz. Ratanhiaextrakt-Vaseline ist ein sehr geeignetes 
Ueberhäutnngsmittel für alle Arten nicht infizierter Wunden. 

H. Hirschfeld. 

Rost-Heidelberg: Streptokokkenzernm bei Erysipel. (M.m.W., 
1918, Nr. 17.) Als prophylaktische Maassnahme gegen Erysipel empfiehlt 
Verf., vor operativen Eingriffen nicht ganz aseptischer Natur Anti¬ 
streptokokkenserum zu injizieren. Zur Verhütung von anaphylaktischen 
Erscheinungen soll man gleichzeitig mehrere Tage lang Kalzium innerlich 
verabreichen. Geppert. 

Dostal und Sahler: Ueber die Behandlung von chirurgischer 
Tnberknlese mit TnberkelbazUienvakzlne. (Tebeoin Dostal). (W. kl. W., 
1918, Nr. 14.) Die mitgoteilten Krankengeschichten zeigen, dass ein 
abschliessendes Urteil über die Wirkung der Tebecinbehandlung zurzeit 
noch nicht abgegeben werden kann, doch waren die beobachteten 
Besserungen zum Teil derartige, dass eine Prüfung der Wirkung des 
Präparates an einem grösseren Krankenmaterial wünschenswert erscheint. 
Diese Vakzine wird hergestellt aus Tuberkelbazillen, die auf einem 
saponinhaltigen Nährboden gezüchtet werden, wodurch ihnen die waobs- 
artige Substanz, welche ihre Säurefestigkeit bedingt, sowie ihre Patho¬ 
genität gegen Versuchstiere genommen wird. Doch kann man Versuchs¬ 
tiere mit solchen Kulturen gegen vollvirulente säurefeste Tuberkel¬ 
bazillen immunisieren. 

Fischl: Ueber die Behandlung der Taberknlose mit Partialantigenen 
■ach Dcycke-Mach. (W.kl.W., 1918, Nr. 10, 11 u. 12.) Die quantitative 
Immunitätsanalyse nach Deyoke-Much gewährt wertvolle diagnostische 
und prognostische Anhaltspunkte und ist als Maassstab für den Erfolg 
einer Behandlung und sowohl als Grundlage für die Tuberkulintherapie, 
als auch für die Behandlung mit den Partialantigenen von grosser Be¬ 
deutung. Bezüglich der Resultate kann die Methode durchaus in 
Konkurrenz mit der Tuberkulintherapie treten, bei den proliferativen 
und proliferativ-exsudativen Formen der Tuberkulose lassen sich bessere 
Erfolge als mit der bisherigen spezifischen Behandlung erzielen, bei den 
indurativen Prozessen, bei denen alle Antikörper vorhanden oder zur 
Entwicklung gebraoht sind, ist eine Kombination mit folgender Tuberkulin¬ 
behandlung am Platze. 

Reichenstein: Ueber therapeutische Erfolge mit MilchiDjektioicn 
bei lokalen Entzfindangsprozeasen. (W. kl. W., 1918, Nr. 11.) Es 
wurden ausschliesslich intraglutäale Injektionen von 10 ccm Milch an¬ 
gewandt. Man muss sich durch Anziehen des Stempels vergewissern, 
ob man nicht in eine Vene geraten ist. Die Höchsttemperatur trat 
nach 6—8 Stunden auf, nachdem meist ein Schüttelfrost vorausgegangen 
war. Nur am Tage der Injektion hielt das Fieber an. Es handelte 
sich in den behandelten Fällen meist um entzündliohe Bubonen und 
gonorrhoische Epididymitiden und einige Fälle von akuten Erysipelen. 
Es waren fast niemals mehr als 3 Injektionen nötig, um die Fälle 
günstig zu beeinflussen. Der Erfolg war ein ausserordentlich guter und 
bei den Bubonen war meist schon naoh der ersten Injektion die Er¬ 
weichung soweit vorgeschritten, dass nur eine sehr kleine Inzision nötig 
war. Die Epididymitiden gingen sehr schnell zurück. Bei den Erysipelen 
ist die Wirkung der Milchinjektion schwieriger zu beurteilen. Doch 
wurde auoh hier zweifellos ein günstiger therapeutischer Einfluss beob¬ 
achtet. 

Neuberger und Attwanger: Zur Neosalvarsanthcrapie hei 
Malaria tertiana. (W. kl. W., 1918, Nr. 10.) Die Neosalvarsan- Chinin¬ 
therapie gibt bei Malaria tertiana ausgezeichnete Resultate, nämlich in 
83 pCt. der Fälle eine lange anfallsfreie Periode. Bei frischen Fällen 
ist eine einmalige intravenöse Injektion von 0,9 g Neosalvarsan mit 
nachfolgender Chininkur vorzunehmen. Bei verschleppten Fällen oder 
Plasmodien trägem injiziert man dreimal in 11 tägigen Intervallen 0,6 g 
Neosalvarsan, dazwischen nimmt man am besten eine Cüininkur nach 
Teiohmann vor. Chinin vernichtet nur die ungeschlechtlichen Parasiten, 
Neosalvarsan auoh die geschlechtlichen. H. Hirschfeld. 


Allgemeine Pathologie u. pathologische Anatomie. 

Weidenfeld und Fürer: Studien über das Krebsprobien. Zweite 
Mitteilung. Ueber die Wirkung von Fluoreszenzbakterien auf Ratten¬ 
sarkom. (W. kl. W., 1918, Nr. 16.) Mit intravenösen Iojektionen 
grosser Dosen virulenter Kulturen von Bakterium fluorescens liquefaoiens 
kann man Rattensarkome in vielen Fällen zur totalen Nekrose bringen. 
Durch Koohen oder halbstündiges Erwärmen der Bakterienaufschwemmung 
auf 53 Grad wird die Wirkung stark herabgesetzt. 3 /i der Tiere, deren 
Tumoren zerstört worden waren,, starben. Bei Mäusetumoren waren die 
Iojektionen wirkungslos. 

Hammerschmidt: Die Genese derEinsehlnssktfrper in der Hast bei 
einigen Chlamydozeenerkranknngen. Vorläufige Mitteilung. (W. kl. W., 
1918, Nr. 10.) Die Einschlüsse in den Epidermiszellen der Haut bei 
der Vakzine und Variolainfektion sind nichts anderes, als aus dem Kerne 
ausgetretene oder ausgestossene Nukleolen, die weiterhin sekundären 
Veränderungen unterliegen und so schliesslich die bekannten Bilder 
liefern. H. Hirsohfeld. 


Parasitenkunde und Serologie. 

Lode: Ueber die Verwendung von Phosphor snr Absorption des 
Sauerstoffs bei der Züohtung der Anaerobier. (W. kl. W., 1918, Nr. 18.) 

Berczeller: Ueber Eigenhemmang and Alkoholhemmiing von 
Seren. (W. kl. W., 1918, Nr. 17.) Bei der Wasssermann’schen Reaktion 
kommen Hemmungen vor, die nicht auf der Wirkung von Organextrakten 
beruhen und durch die Prüfung auf Alkoholhemmungen, d. h. durch Zu¬ 
satz von Alkohol zur Serumkontrolle, vermieden werden. Auch inaktive 
Sera erleiden bereits innerhalb der ersten 24 Stunden grosse Ver¬ 
änderungen, die durch das Auftreten von Alkoholhemmungen zum Aus¬ 
druck gelangen. Aktive Sera zeigen viel stärkere Alkoholreaktionen 
als inaktive. 

Keresztes: Die Modifikation der Wassermann’schen Original- 
methode nach Kanp. (W. kl. W., 1918, Nr. 10.) Die Methode hat sich* 
bewährt und gab 11 pCt. mehr positive Reaktionen wie die Original¬ 
methode. Ein kleiner Nachteil ist die weit grössere Zahl zweifelhafter 
Reaktionen, die aber von solchen Seren stammen, die mit der Original- 
technik ausschliesslich eine negative Reaktion geben. 

H. Hirsohfeld. 


Innere Medizin. 

A. Heineke: Ueber häufig wiederkehrende Fehldiagnosen besonders 
der physikalischen Diagnostik. (M.m.W., 1918, Nr. 15.) Klinische 
Nachuntersuchungen ergaben bei Fällen von vermeintlicher Tuberkulose 
60 pCt. Fehldiagnosen. Nach Ansioht des Verf. wird auf die physikalische 
Diagnostik ein zu grosses Gewicht gelegt. Geppert 

D. Gerhardt-Würzburg: Ueber Iktorns bei Herzkrankheiten. 
(Zbl. f. Herz. u. Gefkrkh., 1918, Bd. 10, H. 7.) Bei Ikterus' von Herz¬ 
kranken fanden sich mikroskopisch krankhafte Veränderungen der feinen 
Gallengängo im Innern der Leberläppchen mit Bildung von Gallen¬ 
thromben; also eine Cholangitis der leinen intraazinösen Gatlenwege. 
Die interlobulären Wege waren frei. Diese Lokalisation macht es un¬ 
wahrscheinlich, dass es sich um ein Uebergreifen eines Duodenalkatarrhs 
handelt; es müssen die krankhaften Einflüsse vielmehr am Ort der 
Gallenbildung selbst bestehen. 

E. Janzen-Tübingen: Ueber Morbni coernlens. (Zbl. f. Herz- 
u. Gefkrkh., 1918, Bd. 10, H. 6.) Im Anschluss an eine Erörterung 
über die Genese und Symptomatologie der angeborenen Blausucht werden 
zwei Fälle mitgeteilt. Beim ersten Fall normaler Herzbefund, End¬ 
phalangen normal; Kapillarbild nach Müller-Weiss zeigt einen ab¬ 
normen Getässreichtum, keine Stase. Während im Fall 2 eine starke 
Vergrösserung des Herzens naoh rechts sich fand, keine Geräusche, aus- 

esprochene Trommelschlegelfiuger. Die Kapillaren sind im venösen 
chenkel verbreitert und zeigen teilweise Stase. Reinbaoh. 

Flusser: Einiges über Kampfgassch&dignng. (W.kl.W., 1918, 
Nr. 15.) Während die bei Gasangriffen in der neunten Isonzosohlacht 
verwendeten Gase mehr oder weniger schwere katarrhalische Erscheinungen 
der Atmungsorgane hervorriefen, und in schwersten Fällen unter putrider 
Bronchitis und Lungeugangrän zum Tode führten, zeigte sich bei den 
in der elften Isonzosch lacht durch Gasgranaten Beschädigten ein akutes 
vesikuläres Lungenemphysem mit Rarefikation der Alveolen. Klinisch 
bestand Atemnot und allgemeine venöse Stauung, im weiteren Verlaufe 
allgemeine Intoxikation und Koma. Die Behandlung ist rein symptomatisch, 
Spätfolgen nach überstandener Gasvergiftung wurden nie beobachtet. 

H. Hirsohfeld. 

Kl eiss 1: Vitamine and ihre Beziehungen zam Stoffwechsel 

(W.m.W., 1918, Nr. 15.) Die Besprechung der Ursache der beschriebenen 
Krankheitszustände hat die bekannte Tatsache ergeben, dass dieselbe in 
dem Ausfälle bestimmter für den Lebensunterhalt und den normalen 
Ablauf der Organfunktion notwendigen Stoffe gegeben ist. Diese Stoffe 
werden mit der Nahrung zugeführt, geraten aber infolge ihrer leiohten 
Zersetzlichkeit leicht in Verlust, respektive büssen sie einen guten Teil 
ihrer Heilkraft ein. Die Möglichkeit, dass das wirksame Prinzip aus 
mehreren Bestandteilen besteht, ist vorhanden, ebenso aber auch die 
Wahrscheinlichkeit, dass ein Bestandteil dieser die rohe Vitaminfraktion 
zusammensetzenden Teile der Hauptträger der Wirkungsweise der Vitamine 
ist. Reckzeh. 

Arnold: Die Verdanangsreaktion des Harnes und ihre Bedeutung. 
(W.kl.W., 1918, Nr. 13.) Vor elf Jahren hat Verf. eine Harnreaktion 
beschrieben, die t r auf den Genuss von Fleisch oder Fleischbrühe zurück - 
führte: Man versetzt 15—20 ccm Harn mit einem Tropfen einer 4 proz. 
Nitroprussidnatriumlösung und darauf mit 5 ccm einer 5 proz. Natron¬ 
oder Kalilauge. Es tritt dann zuerst ein kräftiges und reines Violett auf, 
welches alsbald in Parpurrot und dann durch Braunrot in Gelb über¬ 
geht. Er bezeichnet jetzt diese Reaktion als Verdauungsreaktion des 
Harnes, weil sie sich seitlich an die Nahrungsäufnahme anschiiesst, durch 
eine positive Reaktion die gleichzeitig vor sich gehende Verdauungs¬ 
tätigkeit angezeigt wird, und weil unter pathologischen Verhältnissen 
einem abnormen Verhalten der Reaktion auch gleichsinnige Störungen 
der Verdauungstätigkeit entsprechen. Sie erscheint in geringer Stärke 
auch bei der Verdauung reiner Eiweissstoffe, wird aber auoh durch 
Würzstoffe hervorgerufen. Reine Kohlehydrate und Fettstoffe erzeugen 
sie nicht. 

Schütz: V erdannigskrankheiten im Kriege. (W.kLW., 1918, 
Nr. 15.) Aus den Mitteilungen des Verf. geht hervor* dass der Krieg 


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UNIVERSITY OF IOWA 




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BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


eine Zaaahme fast aller funktionellen and organischen Verdauungskrank- 
heiten — vielleicht mit Ausnahme des Magenkarsinoms und der Ap¬ 
pendizitis — zur Folge gehabt hat. 

Neustadtl und Steiner: Ueber gehäuft auftretende Kelibaxilloien 
Bit paratyphisartigem Krankheitsverlaufe. (W.kl.W., 1918, Nr. 15.) 

H. Hirsohfeld. 

Schmidt- Halle: Fürsorge, und Behandlung darmkranker Krieger. 
(W.m.W., 1918, Nr. 12.) Die diagnostische Differenzierung und die spezielle 
Diätbehandlung lassen sich gut miteinander vereinigen. Spezialabteilungen 
haben sich ja auch für Nierenkranke, Neurotiker, Infektiöse als notwendig 
und zweckmässig erwiesen. Für den hier beabsichtigten Zweok ist ausser 
der Ausstattung der Speziallazarette mit den notwendigen Instrumenten 
(Röntgenapparat) und mit spezialistisch geschulten Aerzten die Ein¬ 
richtung einer Diätküche und eine bessere Belieferung mit Nahrungs¬ 
mitteln zu verlangen. Reckzeh. 

J. Thaler: Diagnose der Darmblutungen. (M.m.W., 1918, Nr. 17.) 
Es handelte sich um einen Fall von Darmblutungen, die zurückzulühren 
waren auf Anwesenheit von Askariden und Taenia sol. Geppert. 

Foges: Zur Konstatierung der inneren Hämorrhoiden. (W.kl.W., 
1918, Nr. 18.) Zur Feststellung innerer Hämorrhoiden empfiehlt Verf. 
die Rektoskopie. In dem Momente, in welchem das im Zurückziehen 
begriffene Rohr den Sohliessmuskel passiert, drückt man dasselbe fest 
an, lässt den Patienten pressen und bläst mit grosser Intensität Luft 
ein. Hierdurch wird der Sphinkter genügend weit, um für kurze Zeit 
seine Schleimhaut gut besichtigen zu lassen. 

Elias: Zur Theorie der serologischen Reaktion bei Fleekfleber. 
(W.kUW., 1918, Nr. 11.) Ueber die theoretischen Grundlagen der 
Besonderheiten des Fleokfieberserums befinden wir uns vollkommen im 
Unklaren. Eine Reihe von Tatsachen weist auf physikalisch-chemische 
Zustandsänderungen im Fieckfieberserum hin. 

Finger und Kollert: Beiträge zur Klärung des Wesens der Weil- 
Felix’schen Reaktion. (W.kl.W., 1918, Nr. 10.) Durch die mitgeteilten 
Befunde ist der Beweis erbracht, dass es unter der grossen Gruppe des 
Bacterium proteus Arten gibt, die mit Fleckfieberserum positive 
Agglutinationsbefunde geben, ohne aus Fleokfiebermaterial gezüchtet 
worden zu sein. 

Eugling*. Leitsätze der Malariabehandlung. (W.kl.W., 1918, 
Nr. 13.) Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

Matema: Tropische Malaria nnter der in Ostschlesien ansässigen 
Zivilbevölkerung. (W.k.W., 1918, Nr. 18.) Verf. nimmt an, dass die 
tropische Malaria dnrch erkrankte Soldaten naoh Ostschlesien verschleppt 
worden ist und hier eine dazu geeignete Anophelinenart infiziert wurde. 

Soohanski: Neue Methode zur raschen Unterscheidung der Exsudate 
von den Transsudaten. (W.kl.W., 1918, Nr. 18.) Man benutzt eine 
Lösung, die in 100 com je 1 ccm lproz. alkoholischer Phenolphthalein¬ 
lösung und n/10 Natriumhydroxyd enthält. Wenn man 9 com dieser 
Lösung mit 1 ccm eiher Panktionsflüssigkeit mischt, entsteht komplette 
Färbung nur dann, wenn diese Flüssigkeit Exsudat ist. H. Hirsohfeld. 

Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

G. Stiefler: Ein Fall von genuiner Narkolepsie. (Neurol. Zbl., 
1918, Nr. 11.) Der erblich-familiär belastete Mann leidet an Sohlaf- 
anfällen, die vollkommen dem normalen Schlaf gleichen, mehrmals am 
Tage auftreten und im einzelnen Minuten bis Stunden dauern. Sie 
überfallen ihn auch bei der Arbeit, beim Stehen und Gehen auf be¬ 
lebten Plätzen. Psyohische Erregungen wirken nicht aus lösend, wohl 
aber setzt bei psychischen Emotionen eia Versagen der Beine und ein 
Verlust der Sprache ein. Daneben besteht dauerndes Schlafbedürfnis. 
Alle Behandlungsversuohe blieben erfolglos, das Leiden zeigt ausge¬ 
sprochen stationären, aber gutartigen Charakter. 

R. Friedländer: Die Bedeutung der psychosomatischen Wechsel¬ 
wirkung für die Neurosenfrage. (Neurol. Zbl., 1918, Nr. 10.) Die 
Ausführungen von F. sind zunächst insofern von Interesse, als sie zu¬ 
vörderst in knappen Zügen einen Ueberblick über die bekannten Streit¬ 
fragen geben, der auch diejenigen zu orientieren geeignet ist, die der 
Frage allgemein ferner stehen. Das schwierigste Problem ist die Be¬ 
ziehung zwischen der psychischen und körperlichen Funktion, die psycho¬ 
somatische Wechselwirkung. Beim Neurotiker findet eine Alteration 
dieser Beziehung statt. F. bespricht eingehend die kortikofugale und 
die kortikopetale Komponente der Psyohoneurose. Einzelne Fragen 
lassen sich im Referat nicht näher erörtern. Kurze Mitteilungen thera¬ 
peutischer Natur besobliessen die gedankenreichen und übersichtlichen 
Ausführungen. E. Tobias. 

W. Steinberg und G. Voss: Hysterische Kieferklemme mit 
8ehnauskrampf. (M.m.W., 1918, Nr. 17.) Wangenschuss mit Ober¬ 
kieferbruch, danaoh längere Eiterung und Fistelbildung. Im Anschluss 
daran Kieferklemme, die durch keine chirurgische Maassnahme zu be¬ 
seitigen war. Allmählich entwickelte sich hierzu ein Sohnauzkrampf. 
Der Erfolg suggestiver Behandlung liess die hysterische Aetiologie beider 
Erscheinungen erkennen. Kieferklemme als hysterisohe Kontrakturform 
ist bis jetzt noch nicht beschrieben worden. Geppert. 

W. Heinioke: Psychogene Spasmen der Antagonisten als Hei- 
lungshindernis peripherer Schisslähmugei. (Neurol. Zbl. 1918, Nr. 10.) 
In dem Falle von H. kam die Heilung einer peripheren Sohusslähmung 


durch psychogene Spasmen der Antagonisten nicht zustande. Die Be¬ 
handlung dieser Spasmen hatte dann aber überraschenden Erfolg. Es 
trat vollständige Wiederherstellung und Gebrauchsfähigkeit ein, so dass 
Patient wieder im Felde steht F. Tobias. 

Kirchmayr: Ueber einige Kriegsverletzungen peripherer Nervei. 
(W.kl.W., 1918, Nr. 16.) Neuritis nach Schuss Verletzung. Narben¬ 
umschnürungen von Nerven. Verletzungen der Nerven mit Erhaltung 
des Stammes. Abschüsse von Nerven. Mitteilung ausführlicher Kranken¬ 
geschichten. 

Kowarchek: Worauf beruht die schmerzstillende Wirkung des 
galvaiischei Stromes hei Nearalgien? (W.kl.W., 1918, Nr. 17.) Der 
galvanische Strom erzeugt bei seinem Durchtritt durch das lebende Ge¬ 
webe ohemische Veränderungen, in welchen man die Ursache für die 
schmerzstillende Wirkung des galvanischen Stromes bei Neuralgien sehen 
muss. Die Erklärung dieser Wirkungen durch elektrotoninche Erschei¬ 
nungen ist theoretisch wie praktisch unhaltbar. 

H.Schlesinger: Sekalevergiftug «ad Tctaiie. (W.kl.W., 1918, 
Nr. 15.) Secale cornutum erzeugt in den Mengen, in welchen es ge¬ 
wöhnlich dem Mehle beigemengt ist, auch bei vielwöchigem Genüsse des 
frischen Präparates keine Tetanie. Daher kann die idiopathische Tetanie 
entgegen den Meinungen einiger Autoren (Fuchs-Wasioki) nicht als 
mitigierter chronischer Ergotismus aufgefasst werden. 

H. Hirschfeld. 

K. Kaufmann: Ein seltener Fall von Hlntamor. (Neurol. Zbl., 
1918, Nr. 11.) Der Fall ist ungewöhnlich durch die Doppelseitigkeit 
des Sitzes der Geschwulst und der symmetrischen Anordnung in beiden 
Hinterhauptslappen. Trotz der Grösse des Tumors war er fast bis zum 
Tode latent und bot überraschend wenig auf einen Tumor hindeutende 
Symptome. Nur zeitweilig bestand unbestimmter Kopfschmerz. Die 
Stauungspapille fehlte zunächst vollständig. Lokalisatorische Symptome 
fehlten bis kurz vor dem Tode gänzlich. Erst 14 Tage vor dem Tode 
war das Bild relativ voll entwickelt E. Tobias. 

Zeissl-Wien: Zur Pathologie und Therapie der Syphilis. (W.m.W., 
1918, Nr. 14.) Wiohtig ist, dass bei allen Paralytikern und Tabikern 
die Lumbalpunktion vorgenommen werde, um die Wassermann-Reaktion 
der Lumbalflüssigkeit festzustellen. Man sei aber' in den Schlussfolge¬ 
rungen vorsichtig. Nur das Vorhandensein von Allgemeinerscheinungen 
der Lues und -f- Wassermann-Reaktion stellen die Anwesenheit von 
zirkulierenden Spiroohäten im Blute fest. Die Systemerkrankung der 
Metalues erklärt sich daraus, dass die Spirochäten der Bahn des Liquors, 
der durch seine Auslaugung die Widerstandsfähigkeit des Nervengewebes 
bricht, an denjenigen Stellen folgen, wo sich die Liquorinfektion unter 
dem Einfluss der angegebenen hydrodynamischen Verhältnisse zuerst 
festsetzte und in jahrelang schleiohendem Verlauf auch die stärkste 
Piaveränderung erzeugte. Recks eh. 

A. H. Hübner: Ueber atypische Myotonie. (Neurol. Zbl., 1918, 
Nr. 11.) In dem Falle von H. trat neben den eigentlichen myotonischen 
Erscheinungen unter dem Einfluss der Kälte erst stundenlang anhaltende 
Starre, dann Schwäche ein, und zwar nur in den der Kälte am meisten 
ausgesetzten Körperteilen, den Händen und dem Gesicht, teils bei inten¬ 
dierten Bewegungen, teils ohne solche. Die Symptome bestehen von 
frühester Jugend und sind vererbt E. Tobias. 


Kinderheilkunde. 

Gatscher-Wien: Ueber die typischen Kopfbewegangem (rudi¬ 
mentärer Kopfnystaumus) des Säuglings als Teilerscheinung 4er veati- 
bilären Drehreaktion. (W.m.W., 1918, Nr. 12.) Wir können die be¬ 
schriebene Koplbewegung als ein Aequivalent, als ein Rudiment eines 
Kopfnystagmus auffassen, der eben nur duroh eine Komponente darge¬ 
stellt wird, ähnlich wie in der Narkose duroh Ausschaltung des Kortex 
nur die langsame Komponente des Augennystagmus beobaohtet wird. 
Nicht in allen Fällen kommt es gleichzeitig mit dieser Kopfbewegung 
auch zum Augennystagmus. Wenn aber Augennystagmus auftritt, so 
kann man beobachten, dass der Kopf so lange in seiner duroh den Dreh¬ 
reiz eingenommenen Stellung verharrt, als der Nystagmus schlägt, first 
dann, wenn dieser zu schlagen aufgehört hat, geht er wieder in die 
Stellung vor Beginn der Drehung zurück. 

Gatscher-Wien: Ueber die typische! Kopfbewegungen (rudi¬ 
mentärer Kopfnystagmus) des Säuglings als Teilerscheiiang der vesti¬ 
bulären Drehreaktion. (W.m.W., 1918, Nr. 14.) Da die während und 
naoh der Drehung auftretenden Kopfbewegungen stets sich in der Rich¬ 
tung der durch die vestibuläre Komponente des Augennystagmus auf¬ 
tretenden Bewegungen der Bulbi erkennen lassen, so muss für ihren 
Eintritt dieselbe Ursache maassgebend sein wie für die Bewegung des 
Bulbus. Verf. möchte die bei der Drehung eines Säuglings beobachteten 
Bewegungen des Kopfes als das Rudiment bzw. Aequivalent eines Kopf¬ 
nystagmus auf fassen. Reokzeh. 

Chirurgie. 

Klaus-Kiel: Ueber den Torfmull- und Torfwatteverband. (W.m.W., 
Nr. 11.) Der Torfmulldauerverband verdient anoh in normalen Zeit¬ 
läuften wegen seiner antiseptisohen und desodorisierenden Eigenschaften, 
vor allem aber wegen seiner grossen Billigkeit, eine ausgedehnte An¬ 
wendung. Reckieh. 


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24. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


605 


6. Plenz: Ersparung tob Gipsbinden. (M.m.W., 1918, Nr. 17.) 
Legt man bei einem Gipsverbande die letzte Binde in trockenem Zu¬ 
stande an, so wird dadurch die Festigkeit des Verbandes wesentlich er¬ 
höht infolge günstigerer Austrooknuogsbedingungen. Man kann deshalb 
bei diesem Verfahren mit weniger Binden auskotnmen. 

B. Klapp: Weitere Mitteilung über Tiefenantisepsis hei Kriegs- 
verletzten. (M.m.W., 1918, Nr. 19.) Die verstärkte Prophylaxe besteht 
in der primären Ausscheidung der Wunde und der Tiefeninfiltration der 
ausgeschnittenen Wunde mit Morgenroth’sohen Chininderivaten (Sol. 
Vuzin 0,1/1000,0). Die Versuche zeigen einwandfrei, dass die Vuzin- 
infiltratiun die Sicherung der Prophylaxe gegen die Infektion ganz er¬ 
heblich steigert. 

Kapelusch und Stracker: Behandlaag grosser Knochenkohlen 
■aeh Seqaesterotoiiie Bit Paraffin. (M.m.W., 1918, Nr. 15.) Vorzüge 
der Paratfibfüllung sind: Verhinderung von Stauung und Zersetzung des 
Sekrets, gleichmässiger Verschluss der Wundhöhle vom Grund aus; 
ausserdem steht das neuentstehende Gewebe unter dem Druck des 
Paratfinpfropfens, durch dessen Hineinpressen der sich bildende Eiter 
berausgedrückt wird. Das Paralfia scheint, wie Röntgenbilder ergeben, 
als Fremdkörper einen Reiz zur Anregung der Knochenbildung zu be¬ 
wirken. Schmerzloser Verbandwechsel. Geppert. 

Ranzl: Zar Ligatnr der Arteria carotis. (W.kl.W., 1918,Nr. 18.) 
Die Ligatur der Carotis communis soll wegen ihrer zerebralen Folge¬ 
erscheinungen möglichst eingeschränkt werden. Für die frischen Ver¬ 
letzungen dieses Gefässes ist die Naht zu versuchen, ebenso für die 
Aneurysmen der Carotis communis, bei welchen, wenn es möglich ist, 
die laterale oder, wo dies nicht angeht, die zirkuläre Naht anzuwenden 
ist. Die Drosselung des Gefässes empfiehlt sich bei den einer direkten 
Inangriffnahme unzugänglichen Aneurysmen der Carotis interna. Nur 
in Fällen von sekundärer Blutung, ganz besonders infolge von Eite* 
rungen, ferner bei lebensbedrohlichen Allgemeinzustandspatienten, ist 
die Ligatur der Carotis communis aus vitaler Indikation auszuführen. 
Die eventuell daraus resultierenden Schädigungen treten hier gegenüber 
der unmittelbaren Lebensgefahr in den Hintergrund. 

Jatrou: Lyaphzysten des Halses. (W.kl.W., 1918, Nr. 12.) Be¬ 
schreibung zweier Beobachtungen. Ausgehend von dem gegebenen Bild 
des Hygroma cysticum colli congenium ist für die seitliche Halszyste 
des Erwachsenen der Analogieschluss gestattet, dass die Entstehung 
dieses pathologischen Prozesses auf eine in ein früheres Fötalstadinm 
zurückdatierende Entwicklungsstörung im Mesoderm zurüokzubeziehen ist. 

H. Hirsohfeld. 

E. Becker: Kasuistik der Hensteeksehfisse. (M. m. W., 1918, 
Nr. 16.) Keine Dilatation eines Herzabsohnitts, Erhöhung der Puls¬ 
frequenz, normaler Blutdruck, keine .besonderen Veränderungen des 
Elektrokardiogramms, Buckelbildung in der Linie des systolisohen 
Kollapses am Venenpuls. Anfangs zeigte der in einer Herzhöhle liegende 
Gesohosssplitter Wirbelbewegungen, nach einem halben Jahr führte er 
nur noch einfachere Bewegungen auB, synohron mit der Herzaktion 
jedenfalls infolge Fixierung am Endokard durch Fibrinumlagerung. Alle 
anderen Herzuntersuohungen leisten gegenüber der Durchleuchtung nur 
sehr geringes. Geppert. 

v. Winiwarter: Ein Fall von Perforationsperitonitis nach Tier¬ 
kohlebehandlung. (W.kl.W., 1918, Nr. 11.). Den beschriebenen Fall 
erklärt Verf. so, dass durch die vergebliche Bemühung des Dickdarms, 
sioh der Kohle zu entledigen, sohliesslich eine Muskelhypertrophie ent* 
stand, und die jetzt erst recht kräftig gegen das rein mechanische 
Hindernis der Tierkohlenskybala ankämpfende Peristaltik an einem 
Locus minoris resistentiae, einem vernarbten Diokdarmgeschwür, eine 
Perforation erzeugt hat. H. Hirschfeld. 

A. Bäron und W. Scheiber: Ueber direkte Nerven Vereinigung 
bei grossen Nervendefekten. (M.m.W., 1918, Nr. 17.) Verff. gelang 
es, grosse Nervendefekte bis zu 12 om grosser Nervenstämme durch 
direkte Vereinigung zur Heilung mit guter Funktion zu bringen, indem 
sie während des Heilungsprozesses die Glieder in extremer Beugestellung 
fixierten. Dass die Nervennaht standhält, konnten sie so demonstrieren, 
dass sie in der Nähe der Vereinigungsstellen der defekten Nerven kleine 
Silberblättchen in der Nervensoheide einnähten und dann röntgenologisch 
feststellten, dass die Distanz dieser Metallstücke späterhin auch bei 
Streckung des Gliedes die gleiche blieb. Geppert. 


Verhandlungen ärztlicher Gesellschaften. 

Yereinigte ärztliche Gesellschaften. 

Berliner medizinische Gesellschaft. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 29. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Orth. 

Schriftführer: Herr Genzmer: 

Vorsitzender: Noch am Tage unserer letzten Sitzung hat die 
Wissenschaft und unsere Gesellschaft einen Verlust erlitten durch das 
Hin8oheiden von Herrn A. Baginsky. Naoh einem arbeits-, aber auch 
erfolgreichen Leben hat er sioh nur kurze Zeit der erwünschten Müsse 


erfreuen können. Sein Name wird als Pfadfinder im Gebiete der Kinder¬ 
heilkunde und der Jugendpflege in der Geschichte der Medizin erhalten 
bleiben. 

Er ist in der medizinischen Gesellschaft seit 1867 Mitglied gewesen, 
hat 26 Vorträge gehalten und eine ganze Anzahl von Demonstrationen 
vorgenommen, sich also sehr eifrig an den Arbeiten unserer Gesellschaft 
beteiligt, wofür wir ihm besonderen Dank schulden. 

Ich bitte, sich zu seinen Ehren von Ihren Sitzen zu erheben. 
(Geschieht.) 

Der eine ist gestorben, der Bruder Herr B. Baginsky hat seinen 
70. Geburtstag gefeiert. Wir haben ihm zu dieser Feier, die ja durch 
den Tod des Bruders allerdings getrübt war, unsere Glüokwünsohe aus¬ 
gesprochen. 

Ausgesohieden aus der Gesellschaft ist Herr Dr. Barth wegen Ver¬ 
zugs nach ausserhalb. 

Es sind zwei Ansohreiben an die Gesellschaft gekommen, die in ge¬ 
wissem Zusammenhang miteinander stehen, das eine Anschreiben von 
dem Deutschen Studentendienst von 1914 und das zweite von der Orts¬ 
gruppe für studentisches Wohnungswesen, die eine Untergruppe des 
Deutschen Studentendienstes ist. Es wird darin mitgeteilt, dass man 
sich um Verbesserung der Wohnungen für die Studenten bemühen wolle, 
und dass man vor allen Dingen daran gedacht habe, dass sich Witwen 
von im Kriege Gefallenen unter Mithilfe der Gesellschaft als Vermieterinnen 
verdient machen könnten. Man meint, dass vor allen Dingen die Aerzte 
imstande wären, der Gesellschaft mit Rat und Tat an die Hand zu 
gehen, wer etwa zu diesem Dienste geeignet sein könnte. Ich bin sehr 
zweifelhalt, ob wirklich hier die richtige Adresse ist, an die die Herren 
sich gewendet haben, loh lege aber die Anschreiben hier auf dem Tische 
des Hauses nieder und bitte diejenigen Herren, die sich dafür interessieren, 
Einsicht darin zu nehmen und gegebenenfalles, wenn sie es können, das 
gewiss löbliche Streben zu unterstützen. 

Vor*der Tagesordnung. 

Hr. Ludwig Seyberth: 

Zbb Ersatz ansfallender Mnskelfnnktion hei Nervenverletzungen. 

Bei dem Ausfall der verschiedenen Muskelfunktionen infolge Ver¬ 
letzungen der zugehörigen Nerven stehen uns drei Wege zu Gebote, um 
den Verletzten zu helfen. Der erste und beste ist die Wiederherstellung 
der Funktion des Nerven - und der von ihm versorgten Muskeln durch 
die Naht des Nerven und seine Lösung aus den Narben. Der zweite ist 
der Ersatz des ausfallenden Muskels durch einen anderen Muskel, der 
an seiner Stelle weniger wichtig ist als dort, wo er die neuen Dienste 
leisten muss. Wir können zu diesem Zweck bei dem Ersatzmuskel die 
Ansatzsehne oder auch seinen Ursprung verlagern. Der dritte und un¬ 
günstigste Weg ist der Ersatz der fehlenden Funktion durch einen 
Apparat; der Verletzte wird dadurch abhängig von der Funktion eines 
Mechanismus. 

Hier möchte ich Ihnen einen Fall vorstellen, bei dem wir die aus¬ 
fallende Funktion dqroh einen anderen Muskel zu ersetzen versuchten. 
Bei diesem Versuch muss man sich vor allem über die Funktion des 
Muskels, den man ersetzen will, klar sein. Das ist manchmal nicht ein¬ 
fach, besonders wenn mehrere Muskel dicht beieinander angreifen, wie 
es z. B. am Humeruskopf der Fall ist. An den drei Fazetten des 
Tuberculum majus setzen dicht beieinander an, der M. supraspinatus, 
der M. infraspinatus und der M. teres minor. Die beiden ersten sind 
vom N. suprascapularis der letzte meist vom N. axillaris versorgt. Alle 
drei Muskeln arbeiten zusammen, heben den Obdrarm, rollen ihn aus¬ 
wärts und spannen die Gelenkkapsel. Dieser Mann hat einen Schuss durch 
die rechte Skapula. Das Röntgenbild zeigt Ihnen den mit Deformation 
verheilten Bruch, der von der Incisura soapulae oben sagital nach unten 
geht. Der N. suprascapularis ist dabei vernichtet worden und die drei 
genannten Muskeln fallen in ihrer Funktion vollständig aus. Als der 
Mann zu uns kam, war ihm das Auswärtsrollen des Oberarmes nicht 
möglich und die Gebrauohsfähigkeit des Gliedes dadurch stark beein¬ 
trächtigt (versuchen Sie selbst einmal, mit einwärts rotiertem Oberarm 
den ganzen Arm über die Körpermitte zu führen und zu erheben). Bei 
dem Patienten machte die. Bewegung nach medial immer Schmerzen, 
ganz besonders starke, wenn er den Arm zugleich erhob, dabei trat ein 
starkes Knacken in der Gelenkgegend auf, dessen Ursaohe uns nicht 
klar geworden ist. Wir vermuteten eine Einklemmung des Tuberculum 
minus und der Gelenkkapsel am Glenoidalrand. Eine Röntgenplatte in 
der Stellung nach dem Knacken aufgenommen, vermag keinen rechten 
Aufbchluss zu geben. Um die Funktion des Armes zu bessern, wollten 
wir dem Manne vor allem einen Auswärtsdreher machen, da ja die Naht 
de9 N. suprascapularis nach Aufsuchen in den Narben wegen seiner 
Kleinheit wenig Erfolg verspricht. Zunächst daohten wir daran, den M. 
teres major (Einwärtsroller und Adduktor) innerviert vom N. thoracodorsalis 
mit seiner Ansatzsehne an die Sehne des M. infraspinatus zu nähen. 
Die Operation ist gut ausführbar, Schwierigkeiten bereiten dabei der 
Umstand, dass die Sehne des Teres mit der Latissimus dorsi-Sehne eng 
verwachsen ist und die sohwer zugängliche Lage der kurzen Infraspinatus- 
sehne, die meistens schon ganz in der Gelenkkapsel liegt. Wahrschein¬ 
lich ist dies der physiologische Funktionsersatz für diesen Ausfall, denn 
der Latissimus dorsi ist stark genug, ohne weiteres den Kraftausfall des 
Teres zu decken und manchmal, wenn er nöch eine Ursprungszacke vom 
Angulus inferior scapulae hat, kann er auoh ganz die Funktion über¬ 
nehmen. Die vor etwa zwei Monaten vorgenommene Operation führte 
ans zu einer anderen Lösung als die eben angeführte und ursprünglich 


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606 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 25. 


beabsichtigte: Nach Freilegen des Operationsfeldes daroh Abklappen 
der Haat löste ich die Teres major- Sehne von der des Latissimus und 
fand dabei, dass daduroh die letztere sehr dünn wurde, da in dem 
vorliegenden Falle gut Dreiviertel der gemeinsamen Sehnenstärke auf 
den Teres fielen. Heute glaube ich, dass das keine Gegenanzeige für 
die Ausführung der Operation gewesen ist, und dass sioh die Lattasimus- 
sehne bald wieder entsprechend verstärkt hätte. Damals scheute ich 
indessen wegen des „Primum nil nocere* davor zurück, vereinigte die 
beiden Sehnen wieder und machte einen anderen Aussenroller. Ich 
sohnitt die letzte Zaoke des M. deltoideus von ihrem Ursprung an der 
Spina soapulae ab und verlagerte den Ursprung naoh dem Margo verte- 
bralis soapulae, indem ich ihn in der Fascia infraspinata fixierte, so 
weit nach abwärts, als es der Ast des N. axillaris, der die Zacke ver¬ 
sorgte, zuliess. Der Ursprung der Muskelzacke wurde unter einem 
Streifen der Faszie durcbgeführt und an dessen beiden Rändern vernäht. 
Das Resultat der Operation erlaube ich mir Ihnen hiermit vorzuführen. 
Sie seheo, wie der Mann aktiv seinen Oberarm auswärts dreht und wie 
de? Muskel auf elektrische Reizung reagiert. Wir haben durch die 
Operation ^ine wesentliche Besserung erreicht, aber leider keinen voll¬ 
befriedigenden Erfolg, denn bei erhobenem Arm ändert sioh die Stellung 
der Skapula zum Oberarm so, dass die Aussenrotation nicht mehr ge¬ 
nügend wirkt und die verlagerte Muskelzacke mehr hebt als rotiert. 
Sollte ioh wieder einen derartigen Fall bekommen, so werde ich lieber 
den Teres majer verlegen, und ich glaube, wir werden dadurch einen 
noch besseren Erfolg haben. Das vorliegende Resultat durch eine 
zweite Operation weiter zu verbessern, scheint wegen der duroh die 
Operation erfolgten Komplizierung der anatemisohen Verhältnisse nicht 
angebraoht, wenn wir das Primum nil nooere voranstellen wollen. 

Tagesordnung: 

1. Antrag des Hern Orth betreffend Ernennong eines Ehren- 
Mitgliedes. 

Hr. Orth: loh habe zunächst meinerseits einen Antrag zu stellen 
resp. zu begründen. 

Nach § 6 unserer Satzung soll der Vorschlag zur Ernennung eines 
Ehrenmitgliedes an den Vorstand gerichtet werden. Der Vorschlag wird 
in gemeinsamer, mit Angabe des Zweckes berufener Sitzung von Vor¬ 
stand und Ausschuss vorberaten. Fällt die Vorberatung zustimmend 
aus, so wird die Wahl auf die Tagesordnung der näohsten Sitzung ge¬ 
setzt und erfolgt in geheimer Abstimmung durch absolute Mehrheit der 
anwesenden Mitglieder. 

loh habe mich daran gehalten und schriftlich beim Vorstande den 
Antrag gestellt, Herrn Geheimrat Landau zum Ehrenmitglied zu er¬ 
nennen in Anbetracht der Verdienste, welohe er sich um die Gesell¬ 
schaft, insbesondere um Bau und Ausgestaltung des Langenbeok-Virchow- 
Hauses erworben hat. (Wird weiter aasgeführt.) 

Unter normalen Verhältnissen würden wir zweifellos beim Beziehen 
des Hauses eine Feier veranstaltet haben, und ich meinerseits würde 
mioh für verpflichtet gehalten haben, der Gesellschaft vorzusohlagen, 
bei dieser Feier Herrn Landau wegen seiner Verdienste um das Haus 
durch die Ehrenmitgliedsohaft zu ehron. Die Verhältnisse haben es mit 
sich gebracht, dass wir ohne Feier in das Haus eingezogen sind. 

Nun ergibt sich aber eine andere Gelegenheit. Herr Landau wird 
im Juli d. J. 70 Jahre alt, tritt also in das Greisenalter hinein, und 
das ist ja ein Zeitpunkt, den man zu feiern wohl für geeignet hält. 
Darum habe ich den Antrag gestellt, Herrn Landau bei Gelegenheit 
dieser Feier wegen seiner Verdienste um den Bau des Langenbeck- 
Virchow'Hauses zum Ehrenmitglied zu ernennen. Vorstand und Aus¬ 
schuss haben vor aoht Tagen, nachdem der Gegenstand vorher mitgeteilt 
worden war, über den Antrag beraten und abgestimmt, und mein Antrag 
ist mit allen Stimmen der Anwesenden angenommen worden. Es ist nun 
an der Gesellschaft, über diesen Antrag abzustimmen, und zwar muss 
diese Abstimmung, wie Sie aus § 6 ersehen, eine schriftliche sein. Es 
sind Zettel ausgeteilt worden. loh bitte die Mitglieder der Berliner 
medizinischen Gesellschaft, mit Ja oder Nein abzustimmen. 

Das Ergebnis der Abstimmung teilt der Vorsitzende im Verlaufe 
der Sitzung wie folgt mit: 

Es sind 38 Stimmen abgegeben. 2 Stimmzettel waren unbeschrieben. 
Es verbleiben 36 gültige Stimmen; davon lauten 35 „Ja*, 1 „Nein*. 
Die Wahl ist also vollzogen. 

2. Hr. Hans Kohn: 

Demoistratioii zur Frage der extrakardialen Blutbewegung. 

(Erscheint unter den Originalien dieser Woohensohrift.) 

3. Hr. Alfred Rothschild: 

Ueber zwei Fälle ungewöhnlicher zystischer Geschwülste der Harn¬ 
blase, ihre Operation und ihre Heilung. (Mit Vorführung der Kranken 

und Lichtbildern.) 

(Erscheint unter den Originalien dieser Woohensohrift.) 

Ausspraohe. 

Hr. Erich Wossidlo: Ich möohte nur ganz wenige Worte zu dem 
Thema spreohen. 

Derartige Zysten, wie der Herr Kollege es uns eben gezeigt hat, 
sind durchaus nicht so absolut selten. Ich habe sie allein in letzter 
Zeit verschiedentlich beobachtet und möchte Ihnen eine derartige Zyste 
heute zeigen, die am linken Ureter sass und dessen Lumen so ver¬ 
schlossen hat, dass der Urin der linken Niere fast gar nioht mehr 


herunterkommen konnte. Ich habe die Zyste in einer einzigen Sitzung 
mittels < Hochfrequenzstroms entfernt, habe danach den Ureterkathe¬ 
terismus ausführen und feststellen können, dass sich auf der linken 
Seite hinter diesem Tumor eine vollkommen vereiterte Niere befand. 
Diese habe ich gestern exstirpiert und erlaube mir, Ihnen das Präparat 
herumzureichen, an dem Sie die schweren Schädigungen, die durch den 
soheinbar harmlosen Tumor veranlasst sind, erkennen können. 

Einen zweiten gleiohen Fall möchte ich Ihnen wegen seiner ausser- 
gewöhnlichen Grösse zeigen. Sie ist so exorbitant, wie ich es noch nicht 
gesehen habe. Die Zyste hat einen festen Grund und sitzt an dem stark 
verdickten Ligamentum interuretericum. Der Ureter tat nicht zu finden, 
weder mit Chromozystoskopie noch sonst. Die Zyste hat keine Er¬ 
scheinungen gemacht ausser geringen Reizungen der Blase. Ich konnte 
sie noch nicht exstirpieren, da wahrscheinlich die Niere auch exstirpiert 
werden muss, und da die andere Niere krank ist. 

Dass es sich um eine Ureterzyste in diesem Falle handelt, können 
Sie an der Transparenz des Tumors sehen. Er ist durchscheinend. 

Hr. Alfred Rothschild (Schlusswort): Ich möohte nur dazu sagen; 
dass ioh meine Vorführungen nicht gemacht hätte, wenn es sioh be* 
meinen Fällen nur um einfache oder singuläre vesikale Ureterzysten ge¬ 
handelt hätte. Denn einfache vesikale Ureterzysten, wie sie mein Herr 
Naohredner zeigt, sind heute als relativ recht häufige Dinge bekannt. 
Etwas über 60 mal sind letztere schon in der Literatur meiner Erinnerung 
nach bis jetzt beschrieben worden. Bei den Kranken, über die ich eben 
berichtet habe, handelt es sioh im zweiten Fall um eine Kombination, 
eine doppelseitige Anomalie, d. h. um eine aus der Harnröhre nach 
aussen prolabierte vesikale Ureterzyste eines rudimentär angelegten 
Ureters auf der einen Seite und um eine gewöhnliche vesikale Ureter¬ 
zyste auf der anderen Seite. In dem ersten von mir vorgeführten Fall 
muss ioh dahingestellt sein lassen, ob es bloss ein Tumor um und über 
dem Ureterostium oder ein Tumor auf einer vesikalen Ureterzyste war. 


Medizinische Sektion der schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Cnltnr sn Breslan. 

(Offizielles Protokoll.) 

Sitzung vom 1. Februar 1918. 

Vorsitzender: Herr Uhthoff. 

Schriftführer: Herr Partsch. 

Hr. Bleisck: Zar Optochiaaablyopie aid Optockiatherapie. (Er¬ 
scheint unter den Originalien dieser Wochenschrift.) 

Diskussion. 

Herr Minkowski: Es tat selbstverständlich, dass ein Mittel, weichte 
die Gefahr der Erblindung mit sich bringt, nicht zur allgemeinen An¬ 
wendung bei einer Krankheit empfohlen werden kann, die in der Mehr¬ 
zahl der Fälle ohnehin günstig verläuft. Doch sind damit die Akten 
über die Chemotherapie der Pneumonie noch nicht geschlossen. Es muss 
vor allem naoh wirksameren und ungefährlicheren Mitteln gesucht werden. 
Einstweilen ist aber das Optoohin das wirksamste Spezifikum gegen die 
Pneumokokken, das wir besitzen, dessen Wirksamkeit nioht nur experi¬ 
mentell begründet ist, sondern bei frühzeitiger Anwendung auch am 
Krankenbett unverkennbar hervortritt. In gewissen Fällen, so bei 
Kranken, die duroh eine Pneumonie besonders gefährdet erscheinen, 
namentlich auch bei postoperativen Pneumonien, kann die Anwendung 
des Optoohins mit der nötigen Vorsicht auch jetzt noch indiziert er¬ 
scheinen. In einzelnen Fällen schien das Mittel geradezu lebensrettend 
gewirkt zu haben. So z. B. in einem Falle, wo naoh einer Milzexstir¬ 
pation bei schwerer hämorrhagischer Diathese mit Thrombopenie am 
Tage nach der Operation eine schwere Pneumonie einsetzte, deren voll¬ 
kommen ausgebildete Erscheinungen duroh Optoohin innerhalb ‘von 
24 Stunden beseitigt wurden, so dass die schon aufgegebene Patientin 
am Leben erhalten werden konnte. Vorsichtige Dosierung — nicht über 
6 mal 0,25 in 24 Stunden — und vor allem sofortiges Aussetzen des 
Mittels beim Beginn der ersten leiohtesten Sehstörungen (Aenderungen 
der Farbenempfindung) sind unerlässliche Bedingungen. Besondere Vor¬ 
sicht ist bei benommenen Patienten geboten, die über ihr Sehvermögen 
niohts aassagen können. Ob wirklich die unlöslichen Präparate (Opto- 
chinum basicum) weniger gefährlioh sind, erscheint nooh zweifelhaft 
Selbstverständlich üben gleiche Dosen eines unlöslichen Präparates eine 
weniger intensive Wirkung aus, aber dafür kann die fortdauernde Resor¬ 
ption der nooh in den Verdauungsorganen enthaltenen Substanz nioht 
so rasch ausgesohaltet werden, wenn die ersten Störungen des Sehver¬ 
mögens Bich bemerkbar machen. 

Herr Uhthoff erinnert zunächst an die günstigen Berichte über 
Optoohinwirkung bei Ulcus corneae serpens aus dem Jahre 1913. In 
vollem Umfange haben sich diese überaus günstigen Berichte bei dieser 
Pneumokokkenerkrankung der Hornhaut nicht bestätigt, was auch mit 
des Redners Erfahrungen übereinstimmt, wenn auch günstige Wirkung 
in vielen Fällen konstatiert werden konnte, so doch nicht in allen. Ja, 
es liegt sogar gelegentlich eine gewisse Gefahr darin, dass die Optochin- 
therapie allein zu lange angewendet wird, der Prozess sich verschlechtert 
und der günstige Moment für die Kauterisation resp. die Spaltung 
naoh Saemisch verpasst wird. 

Redner geht sodann nooh auf seine eigenen Beobachtungen über Opto- 
ohinsehstörungen und vor allem auf seine beiden Sektionsbefunde mit 
anatomisoh nachweisbaren Degeneratdonsersoheinungen im Optiousatamm 


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24. Juni 1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


607 


(Harohi-Degeneration) etwas näher ein und legt Abbildungen dieser Ver¬ 
änderungen vor. Auch die Ganglienzellen der Netzhaut waren in diesen 
Fällen scheinbar mitbetroffen, wenn auch das anatomische Material (erst 
28 Stunden nach dem Tode gewonnen) nicht mit Sicherheit die An¬ 
stellung der feineren Untersuchungsmetboden auf Degeneration der Nets¬ 
hautganglienzellen gestattete. Die Veränderungen in den Optikusstämmen 
waren sehr deutlich. Auffallenderweise sind diese seine wichtigen Be¬ 
funde für die Frage der Optoohinsehstörungen bisher in der Literatur 
nicht erwähnt resp. übersehen worden, während der Herr Vortragende 
sie heute ausführlich referiert hat 

Redner steht auf dem Standpunkte, dass alles darauf ankommt, wie 
hoch der Wert des Mittels für die Rupierung der Pneumonie einzu- 
sohätzen ist, und das muss der interne Mediziner entscheiden. Ist die 
Wirkung wirklich so günstig, wie es in einer Reihe von Publikationen 
angegeben wird, dann müssen wir uns mit gelegentlich auftretenden 
Sehstörungen abfinden. Andere Mitteilungen stehen aber wieder nicht 
auf dem Standpunkte, dass die Wirkung des Optoohins als so günstig 
anzusehen sei, und dann fallen diese unangenehmen Nebenwirkungen 
des Optoohins auf das Sehorgan schon viel schwerer in die Wagschale, 
wenn auch zu hoffen ist, dass eine vorsichtigere Dosierung des Mittels, 
rechtzeitiges Aussetzen bei beginnenden Seh- und Hörstörungen, die 
Störungen von seiten des Auges seltener und geringfügiger hervortreten 
lassen werden. 

Auf jeden Fall ist der Eintritt einer söloben stärkeren Sehstörung 
oder wenn auch vorübergehenden Erblindung, für den Kranken, die An¬ 
gehörigen und den Arzt ein sehr fatales Ereignis, das nicht gering ein- 
zusohätzen ist. . Denn wenn auch die Störungen gewöhnlich wieder 
ziemlich weitgehend rückgängig werden, so kennen wir doch jetzt eine 
ganze Reihe von Fällen, wo erhebliohe Sehstörungen dauernd bestehen 
geblieben sind. 

Herr Frank empfiehlt das Optochin. basic. Bei Pneumonien, die 
besonders schwer sind, ist die Verabfolgung am Platze. Es muss in 
den ersten 24 Stunden aogewendet werden bei Milohdiät, mit gleichen 
Intervallen bei der Darreichung. 

Herr Forsohbach: Vor Erlass des kriegsministeriellen Verbotes 
haben wir das Optochinum hydrochlorioum in etwa 10 Fällen auch bei 
der Malaria tertiana angewendet in Dosen von 5 mal 0,2 resp. 4 mal 
0,25 pro die. Immerhin sind diese Dosen zunächst 7 Tage lang fort* 
gegeben worden, und die Optochinbehandlung wurde dann weitergeführt 
wie die Chininbehandlung nach Nocht. Sehstörungen haben wir bei 
diesem Verfahren nie auftreten sehen. Was den antimalarischen Effekt 
des Optoohins angeht, so sind wir zu dem Schluss gekommen — den 
auoh namhafte Malariaforscher teilen —, dass das Optoohin dem Chinin 
in keiner Weise überlegen ist, auoh in den Malariafällen versagt, die 
sioh ohininrefraktär erwiesen. 

Hr. Tietxe: Uahar eateüadliehe Dickdarmtunorei. Bericht über 
sieben vom Redner in den letzten Monaten beobachtete Fälle. Davon 
gehörten drei der akuten Form an (Aszendens-Eolitis, Perisigmoiditis), 
vier boten das ausgesprochene Bild der chronischen, tumorbildenden, 
entzündlichen Bindegewebsentwicklung im Bereich der Darmwand und 
ihrer Nachbarschaft, also vier im Bereich des Colon descendens und der 
Fiezura sigmoidea. ln einem Falle handelte es sich um einen faust¬ 
grossen zirkumskripten Knoten, der operiert werden konnte, in den 
anderen bestanden mässige, mit der Bauohwand verwachsene Tumoren. 
Uebersicht über die Literatur, Sektions- und Operationsergebnisse. 
Schwierigkeit der Abgrenzung gegenüber wirklichen Neoplasmen. Relativ 
neu ist für diese Fälle die Ausnutzung des Röntgenverfahrens. In einem 
der vom Redner mit Dr. Schiller beobachteten Fälle ergab sioh 
6 V 2 Stunden naoh Baryummahlzeit das Colon descendens sehr schmal 
gefüllt, bandartige, scharf umschriebene Stenose nach der gut gefüllten 
Ftaxura sigmoidea überleitend, keine Füllungsdefekte wie beim Carcinom. 
Bei Röntgeneinlauf und Durchleuchtung füllt die Flüssigkeit die Flexur, 
bleibt einen Augenblick stehen, durcheilt dann schnell das Colon descen¬ 
dens. Es entsteht der Eindruck, dass der Darm den Inhalt plastisch 
von sich stösst; es bestehen also ähnliche Verhältnisse wie bei der 
Ileozökaltuberkulose (Stierin). Im Verein mit dem klinisohen Befund 
erschien dieses Ergebnis von ausschlaggebender Bedeutung. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

Sitzung vom 19. Februar 1918. 

1 . Hr. Qneraer demonstriert einen Fall von „Myatoaia eoageaita“. 
Nach der Anamnese war das Leiden nicht kongenital, sondern im Alter 
von P/t Jahren im Anschluss an eine akute fieberhafte, mit Krämpfen 
verbundene Erkrankung entstanden. Aus dem im übrigen typischen 
Befund bemerkenswert: eine röntgenologisch nachweisbare, ausgesprochene 
Knochenatrophie des Fussskeletts, sowie ein Blutbefund mit 10 pCt. 
Eosinophilen. Verlauf: ohne besondere Therapie deutliche Besserung. 

2. Hr. Helmcke stellt a) einen weiteren Fall chronischer Mittelohr* 
eiteraag mit Beteiligung des Schläfenbeins und Epidermiseinwanderung 
vor, bei dem er Heilung ohne Plastik und ohne SchlitzuDg des Gehör- 
gangs durch feste Tamponade und Anpressen des so erweiterten Gehör¬ 
gangs auf die knöcherne Unterlage erzielt hat. b) iwei Fremdkörper 
des Gehörgangs: 1 . Salweidenkätzohen. Mittelohreiterung. Warzenfort¬ 
satzerkrankung. Aufmeisselung. Heilung. 2 . Muschelreste. Heftige 
Mittelohreiterung. Schläfenlappenabszess. Operative Heilung. 


S. Hr. Saeager demonstriert: 1 . einen Fall von Akromegalie ohne 
jegliche subjektive aad objektive anderweitige Symptome. (Pat. kommt 
wegen Bronchitis.) Bestätigung der Diagnose durch das anfänglich 
negative, später sicher positive Röntgenbild. 2. Fall von Dercam’seher 
Kraakheit, der bisher unter der Diagnose „Ischias“ ging. Erhebliche 
Besserung durch Thyreoidin. 8 . Tumor des Okaipltalhiras (Stauungs¬ 
papille, Hemianopsie). Eine an die Palliativtrepanation sich an¬ 
schliessende Röntgenbestrahlung hatte Schwinden der subjektiven Be¬ 
schwerden: Kopfsohmerz, Erbrechen, Schwindel zur Folge, während das 
Sehvermögen infolge Atrophia e neuritide abnahm. 

4. Hr. Kafka: Demonstration dreier Fälle von Kriegsaeurose bei 
ausgesprochenen Psychopathen mit mehrfachen Rezidiven nach erfolg¬ 
reicher Behandlung. Für diese Fälle ist die Hypnose die Methode der 
Wahl, doch ist die Teohnik derselben nioht gleichgültig: nur reinste 
Verbalsuggestion erzielt genügend tiefe seelische Verbindung; zur Ver¬ 
hütung von Rückfällen ist die Hypnose nach Sohwinden der motorischen 
Symptome noch längere Zeit fortzusetzen; zwischen die Hypnosen ist 
körperliche und seelische Waoherziehung einzuschieben. 

5. Hr. Plato: Demonstration zweier Kranken mit tuberkulöser Er¬ 
krankung der Handwurzel bzw. des Mittelfusses. Beide waren mit 
sehr gutem Erfolg der Lichttherapie unterworfen, der eine im Kranken¬ 
haus (Siemenslampe), der andere auf dem Lande (Sonne!). Unterstützung 
durch andere Behandlungsmethoden ist dabei möglich und nötig. P. 
steht auf dem Standpunkt, so wenig wie möglich die Glieder zu fixieren. 

6 . Hr. Paschen gibt einen Rückbliok auf die vorjährige Pockea- 
epidemie und die Tätigkeit der Impfanstalt in dieser Zeit Er teilt die 
Zahlen der Erkrankungs- und Todesfälle mit in ihrer Verteilung auf die 
Monate, die Altersklassen, in ihrer Beziehung zur vorangegangenen Im¬ 
pfung usw. Die Impfanstalt hat "während der Zeit für Militär- und 
Zivilbevölkerung •/< Millionen Portionen Impfmaterial abgegeben. In 
der Impfanstalt war man während dieser Zeit bedeutend zurückhaltender 
mit Zurückstellungen, die sich auf nur 2,78 pCt. beliefen gegenüber 
etwa 14 pCt. in normalen Jahren und gar 26 pCt. bei den Privatärzten. 
Irgend welche Schädigungen wurden dadurch nicht hervorgerufen. 

7. Hr. Enbdei: Die Behaadlaag der Kriegsiearotiker im Opera¬ 
tionsgebiet. 

Während wir bei Neurosen im Frieden das Hauptgewicht auf die 
neurotische Persönlichkeit legen müssten, sind im Kriege das Wesent¬ 
liche die übermässigen Anforderungen; die grosse Mehrzahl der Erkran¬ 
kungen im Kriege betrifft vorher Gesunde. Die Wunschätiologie darf 
man nicht als die allein maassgebende ansehen, und vor allem den 
Wunsch nioht als etwas Konkretes, wie s. B. „aus dem Kriege heraus¬ 
zukommen“. Nach langem Kriegsdienst erkranken auch Leute auf ein 
einmaliges Ereignis hin, das sie bis dahin ohne besondere Reaktion er¬ 
tragen hatten. Daher ist das Ersohöpfungsmoment sehr zu beachten 
und hier mit der Therapie einzusetzen. Daher bringt E. die Erkrankten 
vor allem unter möglichst gute Ernährungs- und andere äussere Be¬ 
dingungen. Die Beseitigung der Symptome kommt erst in zweiter Linie. 
Auch die Frage nach der Methode ist untergeordneter Art. E. glaubt, 
dass das Waohvorgehen den Vorzug hat, dass der Kranke seine Heilung 
selbst erlebt und sie mit erarbeitet zu haben glaubt. Das Wichtigste 
aber ist eine durchgreifende, ^militärische Erziehung des Willens. Zu 
diesem Zweok ist das von E. geleitete Lazarett nicht wie ein Kranken¬ 
haus, sondern wie eine militärische Abteilung aufgezogen, mit militäri¬ 
scher Einteilung - des Tages, Appellen, Exerzieren usw. Ferner ist zu 
landwirtschaftlichen und Handwerkerarbeiten aller Art — nicht zu „Ar¬ 
beitstherapie“, die stets mehr oder weniger an Kindergärten erinnert — 
ausgiebige Gelegenheit im Betriebe des Feldlazaretts. Sehr wichtig ist 
die Wirkung des „Frontgeistes“. Es gibt daher nichts Schädlicheres als 
den Heimatsurlaub. E. schickt seine Patienten ausnahmslos wieder zur 
Truppe und maoht gute Erfahrungen damit. Beurlaubung darf dann 
erst naoh 3—4monatlicher Bewährung an der Front erfolgen. Sehr 
wichtig hierfür ist das Zusammenarbeiten zwischen Truppenarzt und 
Feldlazarett. Bedeutungsvoll ist auch die Prophylaxe: Leute mit weiner¬ 
licher, mürrischer Verstimmung, grossem Pessimismus und andern Zeichen 
der Erschöpfung werden seinem Lazarett zugewiesen, sie erholen sich in 
der guten Pflege unter starker Gewichtszunahme rasoh. Durch solche 
„Prophylaktiker“ und duroh Genesende aus andern Lazaretten wird 
ausserdem eine „Verdünnung“ des Neurotikermaterials erzielt. 

Fr. Wohlwill-Hamburg. 


Kriegsärztliche Abende. 

Eigenbericht der Berliner klinischen Woohensohrift. 

Sitzung vom 7. Mai 1918. 

Vorsitzender: Herr Kraus. 

Die Trichophytie-Epidemie aad ihre Bek&mpfug (mit Demon¬ 
strationen und Diskussion). 

Hr. Buschke hebt als Einzelformen der Erkrankung die Mikro¬ 
sporie, Eczema marginatum sowie Tricbophytia superficialis und pro- 
funda hervor. Ist der Fall zweifelhaft, so ist der Naohweis des Er¬ 
regers durch das Mikroskop indiziert. Welche Aussichten die spezifische 
Behandlung mit den Pilzextrakten (Trichophytinen) bietet, lässt sich 
leider zurzeit noch nioht definitiv entscheiden. Zuweilen konstatierte 
Vortr. auffallende Besserungen bei akuten eiternden Prozessen. Dooh 
ist einzuräumen, dass diese schon an sioh gutartiger als die übrigen 


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608 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 26. 


Formen zu verlaufen pflegen. Zu diagnostischem Zwecke vorgenommene 
subkutane Einspritzungen führen in etwa 10 pCt. der Falle zu Re¬ 
aktionen lokaler Natur; doch imponieren dieselben nioht als spezifische. 

Prophylaktische Maassnahmen versprechen nur beim Heere einiger- 
maassen einen Erfolg, weit weniger bei der Zivilbevölkerung in der 
Heimat. Zunächst leugneten die Barbiere ein epidemisches Auftreten 
der Bartflechte ab; erst als sich die Berliner dermatologische Gesell¬ 
schaft zu einer ausführlichen eindringlichen Denkschrift entschloss, be¬ 
trieb das Reichsgesundheitsamt energische Maassregeln zur Bekämpfung 
der Seuohe. 

(Es folgen Vorstellungen von Kranken und mikroskopischen Prä¬ 
paraten.) 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Berlin. Das hiesige Zentral-Komitee der Auskünfte- und Für¬ 
sorgestellen für Lungenkranke, Alkoholkranke und Krebs¬ 
kranke überweist nach neuester Entschliessung in seiner Lungenkranken- 
Fürsorge die Markenklebenden nebst ihren Familien zumeist der Fürsorge 
der Landesversicherungsanstalt Berlin und behält für sich die Fürsorge 
für die Unversicherten sowie für sämtliohe Bewohner derjenigen zahl¬ 
reichen Vororte, die schon bisher von ihm versorgt wurden, und endlich 
die für den Mittelstand einschliesslioh für die in der Reichsversicherungs- 
anstalt für Angestellte versicherten Personen nebst Angehörigen. Die 
Fürsorge für Alkoholkranke und ihre Familien und diejenigen für Krebs¬ 
kranke und ihre Familien bleibt in der bisherigen Jedermann um¬ 
fassenden Weise bestehen. Die Diensträume in der Zionskirohstrasse 9 
werden am 1. Oktober aufgehoben, und die Versorgung der hier be¬ 
arbeiteten Norden-Leute wird teils nach der Charitö, Luisenstrasse 18 a, 
medizische Poliklinik, teils nach der Pallisadenstrasse 11, zwei bisher 
schon bestehenden Fürsorgestellen verlegt. Die bisherige Stelle Waterloo- 
Ufer 7 arbeitet weiter. Eine neue Stelle Poststrasse 10/11, dem 
Mittelstände dienend, wird im Laufe des Monats August eingeriohtet. 
Die Tätigkeit des Komitees liegt auf dem hygienisohen und wirtschaftlichen 
Gebiete. Es bleibt seinem Grundsätze getreu, Kranke, welche in ärztlicher 
Obhut stehen, nur dann anzunehmen, wenn sie ihm von dem be¬ 
handelnden Arzte überwiesen werden. Die Behandlung verbleibt dem 
behandelnden Arzte. Irgendeine ärztliche Behandlung findet in den 
Fürsorgestellen nicht statt. Die Kollegen werden markenklebende, in 
Berlin wohnhafte Lungenkranke, sofern sie nicht auch in der 
Reiohsversicberungsanstalt für Angestellte versichert sind, 
jetzt zweckmässig nicht mehr dem Komitee, sondern der Landes- 
versioherungsanstalt Berlin überweisen. 

— Die Berliner Stadtverordnetenversammlung hat beschlossen, einen 
Arbeitsplan an dem psychiatrischen Forschungsinstitute in 
Münohen zu belegen und Aerzte aus den Berliner Irrenanstalten zu 
Studien dorthin zu beurlauben. 

— Das Kaiserin Augusta-Viktoria-Haus zur Bekämpfung 
der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reiche hat ein Kriegs¬ 
merkblatt herausgegeben, das die Ernährung und Pflege des Säuglings 
und Kleinkindes behandelt. 

— In der Urania hielt am 18. d. M. Herr Oberstabsarzt Dr. Mann¬ 
heim einen durch Filmvorführungen erläuterten Vortrag über die wirt¬ 
schaftliche Heilung Kriegsverletzter in der Ausbildungs¬ 
werkstatt des Kaiser Wilhelm^Hauses für Kriegsbeschädigte. 

— Aus dem vorläufigen Programm für die Tagung der A erst- 
liehen Abteilungen der Ungarischen, Oesterreichisohen und 
Reichsdeutschen Waffenbrüderliohen Vereinigungen teilen 
wir mit, dass diese in Verbindung mit einer vom Deutschen Zentral¬ 
komitee für ärztliohe Studienreisen veränstaltete Studienreise ge¬ 
plant ist. Die Reise beginnt am Freitag, 20. September morgens 
mit einer Dampferfahrt von Wien nach Budapest; Ankunft daselbst 
abends. Am 21. soll die Eröffnungs- und Festsitzung stattfinden, in 
der Herr Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner über die Bedeu¬ 
tung des öffentlichen Gesundheitswesens und dessen Aus¬ 
bau für die Zukunft sprechen wird. Nachmittags I. wissenschaftliche 
Sitzung, Thema: Aerztliches Fortbildungswesen; am 22. Sep¬ 
tember II. wissenschaftliche Sitzung, Thema: Malariabekämpfung. 
An beiden Tagen sowie am 23. September sind Besichtigungen und Emp¬ 
fänge vorgesehen. Am 24. September Abfahrt nach Pistyan, abends 
nach Trencsän-Teplitz; am 25. September Fahrt naoh Tatra-Lora- 
nies, am 26. Ausflug naoh Tatra-Füred (Schmecke) und am fol¬ 
genden Tag Rückreise. Nähere Auskunft erteilt das Zentralkomitee 
für ärztliche Studienreisen, Berlin, Potsdamer Str. 184 b. 

— Ein Kongress für Kriegsbesohädigtenfürsorge, veran- 
staltet von der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge, 
der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft und dem K. K. 
Verein der Technik für die Kriegsinvaliden (Prüfungsstelle für 
Ersatzglieder) findet in Wien vom 16. bis 19. September 1918 unter dem 
Protektorat Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin und des Herrn Erz¬ 
herzogs Karl Stephan statt. Präsident des Kongresses ist: Oberstabsarzt 
Prof. Dr. Spitzy-Wien. Programm: Sonntag, den 15.September: abends 
Begrüssungsabend, zwangloses Beisammensein. Montag, den 16. Sep¬ 
tember: vorm. 10V 2 Uhr: Eröffnungssitzung in Anwesenheit Ihrer Majestät 


der Kaiserin. Nachm.: Beginn der Tagung der Deutschen Vereinigung 
für KrüppeKürsorge (Besprechung sozialer Fragen der Kriegsbeschädigten¬ 
fürsorge und ihre Nutzbarmachung für die Friedenskrüppelfürsorge). 
Dienstag, den 17. September: vorm. 9—12 Uhr: Fortsetzung der Tagung 
der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge. Nachm. 2 Uhr: Er¬ 
öffnung der Tagung der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft (Be¬ 
sprechung ärztlicher und technischer Fragen der Kriegsorthopädie). 
Mittwoch, den 18. September: Fortsetzung der Tagung der Deutschen 
Orthopädischen Gesellschaft Donnerstag, den 19. September: vorm. 
9 Uhr: Generalversammlung des K. K. Vereins der Technik für die 
Kriegsinvaliden (Prüfungsstelle für Ersatzglieder); anschliessend Er¬ 
örterung technischer Fragen in bezug auf den Bau von Prothesen und 
orthopädischen Apparaten. Naohm.: Schluss des Kongresses. — An¬ 
fragen betreffend Teilnahme an dem Kongress, Wohnung in Wien usw. 
sind zu richten an den Präsidenten des Kongresses Herrn Oberstabsarzt 
Prof. Dr. Spitzy-Wien I, Frankgasse 1. 

— Der Generaloberarzt Dr. Bruno Schwabe, ein bekannter Alter¬ 
tumsforscher und Naturwissenschaftler, Ehrenbürger von Weimar, ist, 
84 Jahre alt gestorben. 

— Der Senat von Hamburg hat dem Oberstabsarzt a. D. Dr. Otto 
H. L. A. Dempwolff in Hamburg in Anerkennung seiner Verdienste 
auf dem Gebiete der Sprachwissenschaften den Titel Professor verliehen. 

— Das Komitee lür ärztliche Fortbildung in Münohen wählte an 
Stelle der verstorbenen Geheimrats v. Angerer Geheimrat v. Müller 
zum ersten Vorsitzenden. 

— Prof. Rostoski, Direktor des Dresdener Krankenhauses, wurde 
zum Obermedizinalrat ernannt. 

— Prof. Forlanini, der Begründer der PneumothoraxbehandluDg, 
ist im Alter von 71 Jahren in Pavia gestorben. 

— Volkskrankheiten. Pocken: Deutsches Reich (2. bis 
8. VI.) 2. Deutsche Verwaltung in Litauen (5.—11. V.) 80 und 
und 4 +. Fleckfieber: Deutsches Reich (2.—8. VI.) 1, ferner 12 
und 2 f unter Kriegsgefangenen im Reg.-Bez. Marienwerder, Aachen, 
Mecklenburg-Schwerin. Kaiserlich Deutsches Generalgouve rne- 
ment Warschau (19.—25. V.) 688 und 78 f. Deutsche Verwaltung 
in Litauen (5.—11. V.) 232 und 12 +. Ungarn (29. IV.—5. V.) 27 
und 3 +. Rüokfallfieber: Kaiserlich Deutsches General¬ 
gouvernement Warschau (19.—25. V.) 1. Genickstarre: Preussen 
(26. V.—1. VI.) 6 und 4 f. Schweis (19—25. V.) 1. Ruhr: Preussen 
(26. V.—1. VI.) 144 und 15 f. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen 
starb an Masern und Röteln in Bromberg, Buer; Diphtherie und Krupp 
in Recklinghausen, Wilhelmshaven; Keuchhusten in Pforzheim; Typhus 
in Cottbus. (Veröff. d. Kais. Ges.*Amts.) 

Hochsohulnachriohten. 

Berlin: Professor Förster bat einen Ruf als Ordinarius für 
Neurologie an die vlämische Universität in Gent erhalten. — Breslau: 
Habilitiert: Dr. Meissner für Pharmakologie. — Halle: Zum Ordinarius 
für innere Medizin wurde Dr. F. Volhard, Direktor der inneren Abteilung 
am städtischen Krankenhause in Mannheim ernannt. — Heidelberg: 
Habilitiert: Dr. 0. Teutschländer. — Königsberg: Dem Privat¬ 
dozenten für Zahnheilkunde Dr. A. Stein ist das Prädikat Professor 
verliehen worden. — Leipzig: Der emeritierte Professor der Hygiene 
Geheimrat F. Hoffmann feiert seinen 75. Geburtstag. — Basel. Der 
Direktor der Hautklinik Professor Lewandowsky wurde zum Ordi¬ 
narius ernannt. — Budapest: Der emeritierte Ordinarius der patho¬ 
logischen Anatomie Hofrat von Genersioh starb im Alter von 76 Jahren. 


Amtliche Mitteilungen. 

Person allen, 

Auszeichnungen: Roter Adlerorden IV. Klasse mit Schwer¬ 
tern: Ob.-St-A. d. L. a. D. Dr. Müller. 

Roter Adlerorden IV. Klasse: Kreisarzt Geh. Med.-Rat Dr. Kuhnt 
in Neuruppin, Geh. San.-Rat Dr. Hermkes in Düsseldorf. 

Königl. Kronenorden III. Klasse: Kreisarzt a. D. Geh. Med.-Rat 
Dr. Gaehde in Blumenthal (Hannover). 

Kreuz der Ritter des Königl. Hausordens von Hohenzollern 
mit Schwertern: Gen.-Ob.-A. Dr. Hamann, Ob.-St.-A. Dr. Rössel, 
St.-A. Dr. Koch, St.-A. d. R. Dr. Biber st ein. 

Bestätiguung: Wahl des Arztes Dr. Heinrich Müller in Hamborn 
als unbesoldeter Beigeordneter der Stadt Hamborn für die gesetzliche 
Amtsdauer von 6 Jahren- 

Prädikat „Professor“: Frauenarzt Dr. Asch in Breslau, Priv.-Doz. 
in der medizin. Fakultät der Universität in Kiel Dr. Wilke. 

Ernennungen: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Schnitze in Bonn zum Ehren- 
mitgliede der Cölner Akademie für prakt. Medizin; Mar.-St.-A. d. R. 
Dr. G. Fehsenfeid in Danzig zum Kreisassistenzarzt unter Ueberweis. 
an den Kreisarzt des Stadtkreises Danzig; Arzt Dr. V. Saal mann 
in Königsberg i. Pr. zum Kreisassistenzarzt in Oppeln unter Ueberweis. 
an den Kreisarzt des Stadt- und Landkreises Oppeln. 

Gestorben: Dr. S. Pritzsohe in Landsberg a. W.; Dr. K. Singer 
in Breslau. 


Für die Redaktion verantwortlich Prot Dr. Hane Ko ha, Berlin W„ Bajreuther 8*r. 4t, 


Verlag und Eigentum von August Hirsohwald in Berlin. — Druck von L. Sohumaoher in Berlin N. 4. 


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1918. 


BERLINER KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Seite 306 t 

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ganzen Digestionstraktus, in entsprechend hohen Dosen Steigerung der Exkretion desselben, sodann auch Vermehrung der Sekre¬ 
tion in den Speicheldrüsen, der Leber und Nieren, Anregung des Stoffwechsels. Bei längerem Gebrauch der Elisabeth-Quelle 
tritt, trotz vermehrter Nahrungszufuhr, sehr bald Abnahme des Körpergewichts ein. Demnach gehören vor ihr Forum: Habituelle 
Verstopfung, Fettsucht, allgemeine Plethora und ihre Folgezustände, karnsaure Diathese und Gicht, Hämorrhoiden, Leberhyper¬ 
ämien und einfache Leberanschwellungen mit Stauen im Pfortadersystem, chronische Rachen-, Magen- und Darmkatarrhe. 

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