Dt. »Siegfried Bernleld
JL/ie xieutige r^^yckologie
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JVritik inrer Wissensaialtliaikeit
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Dr. iSiegIried _BernIel<l
•II
SonderabdruJc aus „Imago, ZeltsJirljt für Anivendung der
Paydioana^se auf Ale 'Natur- unA Geisteswissenschaften*^
ßerausgegehen von Sigm. Freud), Band XIII (2^3^)
Internationaler Psycnoanalytisaier V erlag
Ijcipzig / Wien / 2üridi
Alle Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, vorbehalten
Copyright 1927
by „Internationaler Psychoanalytischer Verlag,
Ges. ni.b.H.". Wien
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
Drnck: Chriitoph Reltwr'i Söhne Wien V
Auf den folgenden Seiten wird über eine Anzahl von Büchern gesprochen
die eine zusammenfassende Darstellung der Psychologie der Pubertät ver-
suchen. Dennoch handelt es sich nicht um ein berichtendes Sammel-
referat. Es kam mir nicht darauf an, den Leser objektiv darüber zu unter-
richten, zu welchen Ergebnissen über die Psychologie des Jugendalters die
Autoren gelangt sind. Sondern ich habe mich darauf beschränkt, sorgfältig
einem einzigen Thema durch die besprochenen Bücher hindurch nachzu-
gehen : der Stellungnahme Tumlirz', Sprangers, Ch. Bühlers, W. Hoffmanns
und Ziehens zur Psychoanalyse, und habe versucht nachzuweisen, daß diese
Stellungnahme eine durchaus unwissenschaftliche ist. Ein Nachweis, der
um so interessanter sein dürfte, als die meisten der genannten Psychologen
ausdrücklich, alle implizite, ihre Ablehnung mit der zu geringen Wissen-
schaftlichkeit der Psychoanalyse motivieren. Aber die Aufdeckung solcher
Unkorrektheit würde die verhältnismäßig umfangreiche Kritik um so
weniger rechtfertigen, als die Abwehrschriften gegen die Psychoanalyse seit
Jahrzehnten sich dieser und mancher anderen Sonderbarkeiten schuldig
gemacht haben. Mir erscheint sie aber aus prinzipielleren Erwägungen nicht
überflüssig. '
Die Psychologie hat sich in Gegenstand, Methoden, Erkenntnisziel und
Darstellung innerhalb der letzten Jahrzehnte von Grund auf gewandelt.
Wir stehen mitten im Aufbau einer neuen Psychologie, zum ersten-
mal einer autonomen Wissenschaft Psychologie. Es läßt sich heute noch
nicht absehen, welche der Schulen, die mit dem Anspruch auftreten, die
Psychologie zu sein, zu dem neuen Gebäude bloß ein Detail, welche
das Fundament abgeben wird. Nur soviel scheint gewiß, daß eine weit-
gehende Konvergenz einige ursprünglich recht scharf voneinander getrennte
SicgfricJ Beruf (-■1(1
Forschungsrichtungen immer näher aneinander bringt. Bei diesem Bemühen
der Psychologie um ihre eigenen Ziele, Methoden und Grenzen erwächst
ihr eine beträchtliche Gefahr daraus, daß, indes sie um ihre Wissenschaft-
lichkeit ringt, sich außerwissenschaftliche Wertungen und Gesichtspunkte
einmengen, die geeignet sind, die Psychologie als Wissenschaft zu verderben,
und sie nach Bedürfnissen zu verbiegen, die mit Psychologie so wenig etwas
zu tun haben als mit Wissenschaft. Die Gefahr ist so lange akut, als nicht
die Psychologie zu gesicherten Kriterien ihrer Wissenschaftlichkeit gelangt
ist. Die Stellungnahme zur Psychoanalyse erweist sich als feiner Gradmesser
für das Maß solcher eingeschlichenen wehanschaulichen Wertungen. Darum
empfahl es sich, gerade dies Kapitel der referierten Bücher scharf zu prüfen.
Gewiß darf auch die Psychoanalyse nicht von sich behaupten, das Ganze
der künftigen Psychologie heute schon dargestellt zu haben. Aber man
dürfte den Versuch wagen, in ihr eine Anzahl zentraler Stücke einer künftigen
wissenschaftlichen Psychologie aufzuweisen. Die Psychoanalyse hat sich bis
zu einem gewissen Grade durchgesetzt. Als Behandlungsmethode, als Neu-
TOsenlehre ist sie zwar umstritten, aber ihre Bedeutung wird von jüngeren
Forschern nicht mehr geleugnet. Eine Beihe von Begriffen und Gesichts-
punkten der Psychoanalyse ist in das Denken der Gebildeten und in den
Sprachschatz übergegangen. Auch die verschiedenen psychologischen Schulen
und Richtungen haben, mehr oder weniger umfangreich, Gedankengänge
Freuds aufgenommen; einige sind ohne Psychoanalyse überhaupt nicht
denkbar, alle — vielleicht — haben irgendwie, und wäre es unbewußt ■
auf die Tatsache des Bestehens einer Freudschen Lehre reagiert. Mit all
dem aber hat die Psychoanalyse der Psychologie noch lange nicht all das
geleistet, was sie ihr — nach meiner Meinung — leisten kann. Viel zu
wenig ist der wissenschaftliche Gehalt der Psychoanalyse als einer auto-
nomen Psychologie erfaßt. Sie wird noch immer als eine psychopathologische
Schule gewertet, die zwar dies oder jenes der Psychologie geben kann, nicht
aber selbst Psychologie ist. Die Aufgabe steht der Psychoanalyse noch bevor,
sich als Psychologie — wenn auch gewiß nicht als die Ganze und End-
gültige — durchzusetzen. Die folgenden Kapitel möchten hiezu etwas Vor-
bereitendes beitragen. Nämlich das etwa; der Vorwurf, den die Psychologie
gegen uns erhebt, wir seien nicht wissenschaftlich, braucht uns nicht zu
kümmern, nicht zu hindern. Er entspringt weder einer Prüfung der Wissen-
Dil- lifiitigt Psyctologio der Puhertäl
schaftlichlieit der Psychoanalyse, noch irgendwelchen legitimen Kriterien
psychologischer Wissenschaftlichkeit, sondern der Unkenntnis, dem Mißver-
ständnis und außerwissenschaftlicher Wertung. So lehren die besprochenen
Bücher.
Sie sind nun freilich nicht die wahren Repräsentanten der Psychologie,
sondern sind ein kleiner Ausschnitt aus der gesamten heutigen Psychologie.'
Sie umfassen die gegenwärtige — deutsche — Psychologie der Pubertät,
also einen sehr wichtigen Teil der Entwicklungspsychologie. Die Pubertät,
Domäne der erwachenden Erotik, konnte der Prüfstein dafür sein, ob
eine nicht psychoanalytische Psychologie derzeit ihren Aufgaben gewachsen
ist. Man bekämpft die Auffassungen der Psychoanalyse über die Triebe
und den Aufbau der Persönlichkeit. Gerade an der Pubertät muß sich eine
der psychoanalytischen entgegengesetzte Anschauung bewähren, soll sie
Glaubwürdigkeit für den Anspruch verdienen, zulänglich zur Verständlichung
des Seelenlebens — ohne die Freudschen Annahmen — zu sein. Darum
war für unsere Zwecke gerade die Psychologie der Pubertät zu wählen,
obzwar sie keineswegs von den Vertretern der bedeutsamsten Forschungs-
richtungen bearbeitet wurde. Aber wir werden zu beachten haben, daß
nicht alle Ablehnung der Psychoanalyse so einfach zu durchschauen, so leicht
und nachdrücklich als wissenschaftliche Kritik zu entwerten ist, als etwa
Sprangers. Nur eine vorbereitende Arbeit durfte sich so in gewissem Sinne
die leichtesten Aufgaben setzen, an der Peripherie der Psychologie als
Wissenschaft einige typische Verfälschungen der Wissenschaftlich keit am
Beispiel der Psychoanalyse und ihrer Kritik aufzuweisen: die des „Menschen-
verstandes", der Philosophie, der ahnungslosen „Kühnheit", der Pädagogik
und der überwundenen Belastungen.
ij Der Alenscnenver stand
Das Buch von Tumlirz^ zeichnet sich durch eine Reihe erfreulicher
Eigenschaften aus. Vor allem: es hat keine großen Prätentionen. Es weiß,
„daß die Reifezeit noch zu wenig durchforscht ist, so daß keine zusammen-
l) Aber kein zufalliger, sondern ein sehr bedeutsamer.
a) Dr. Otto Tumlirz, Die Reifejalire. Untersuchungen zu ilirer Psychologie und
Pädagogik. Erster Teil; Die seelischen Erscheinungen der Reifejahre. Leipzig 1924.
oioglned BcnifclJ
fassende Darstellung jetzt schon alle Fragen restlos und erschöpfend be-
handeln kann" (I). Und bescheidet sich, so scheint es, „ein weiterer Beitrag
zur Kenntnis der Reifejahre" zu sein. Es ist jedenfalls einer. Der Verfasser
hat viele treffende Beobachtungen zusammengetragen, manche sehr glücklich
formuliert und einige Erscheinungen klar und eindeutig geordnet. Er ver-
meidet „erzwungene Theorienbildung" und lehnt es ab, „von einem ein-
zigen Grundgedanken aus die Fülle der seelischen Erscheinungen der Reife-
zeit zu erklären". So ist das Buch in der Formulierung des Empirischen
beträchtlich zulänglicher als in dessen Erklären. Die Erklärungen geschehen
fallweise. Es ist meistens gegen sie nichts zu sagen, als daß sie theoretisch
nicht ganz voll genommen werden können. Sie sind unverbindlich,
Tumlirz ist nicht prüde. Im Gegenteil zeichnet ihn eine muntere Frische
aus, mit der er die sexuellen Tatbestände, „ohne die falsche Scham vieler
Pädagogen und Psychologen" (VI) beim richtigen Namen nennt. Aus dem
Bemühen heraus, fremdwörterrein zu schreiben, spricht er frei von Bei-
schlaf, Selbstbefleckung usw., ja sogar von Schmerzgeilheit, was glücklicher-
weise in Klammer als Masochismus erklärt wird. Aber man muß nicht
fürchten, daß dieser Baum in den Himmel des Radikalismus wachsen wird.
„Begreiflicherweise konnte ich mich mit meinen Schülerinnen nicht über
geschlechtliche Dinge unterhalten" (V) — diese wohlanständige Bürgerlichkeit
des Vorworts und der hymnische Schlußsatz des Buches: „Aber auch die
Enttäuschung hat ihren erziehenden Wert. Denn der Kampf lehrt, über
den Idealen und unerreichbaren Zielen nicht das Erreichbare, das für
Familie und Volk Wertvolle zu versäumen, er stählt und härtet die Charaktere,
bis aus dem Ringen um höchste Güter Menschen hervorgehen, die ihrer
Kraft und ihres Könnens voll bewußt sind, die nicht mehr in glühendem
Überschwang dahinstürmen und bei ihrem Höhenflug abstürzen, sondern
Schritt für Schritt, dafür sicher, an dem Fortschritt der Kultur arbeiten,
ohne im Streben nach den reinen Geisteshöhen der Menschheit zu erlahmen,
die aufrecht, ruhig und sicher durchs Leben schreiten als rechte und treue
deutsche Männer und Frauen" (iig) lassen den Autor als jemand erkennen,
von dem nichts Böses zu erwarten ist. Er vervollständigt das Bild seiner
geistigen Persönlichkeit, indem er als den Eckpfeiler, an denen die Grenzen
seines wissenschaftlichen Verstandes angeknüpft sind, auf Seite 105, 106 verrät:
„Aus den Wirren und Leidenschaften, aus dem trüben Gären der Reifung
gehen in edler Reinheit der Jüngling und die Jungfrau hervor, schwärmerische
Idealgestalten, welche auf den geistigen Höhen der Menschheit wandeln
wollen, die nur klarste Höhenluft atmen können . , ." Auf Seite 110, 111:
Die heutige Psytliologie der Piibertüt
„In ihrer freudigen Leljensbejahung grübeln der Jüngling und die Jungfrau
nicht mehr, sie bejahen Gott . . ." Auf Seite 97 schließlich: „. . . verstehen
wir, daß die Arbeiterjugend trotz ihres Strebens nach Selbständigkeit, trotz
ihres Mißtrauens gegen die Erwachsenen unbesehen und unkritisch die
Schlagwörter des Marxismus und der roten Internationale übernimmt, daß
sie sich von den Erwachsenen auf den einseitigen Klassenstandpunkt ein-
engen läßt , . . Die Richtigkeit dieser Anschauung wird wohl erhärtet durch
die Tatsache, daß die Arbeiterschaft seit sechzig Jahren an den philosophisch,
soziologisch und psychologisch unhaltbaren Lehren Marx' festhält, ohne
deren innere Widersprüche zu erkennen." Nehme ich hinzu, was der Mittel-
schullehrer an Selbstgenügsamkeit bekennt, wenn er schreibt: „Meine Un-
tersuchungen stützen sich vor allem auf die vielseitigen und zahlreichen
Beobachtungen, die ich in dreijährigem Zusammensein mit einer Klasse
des hiesigen Realgymnasiums gemacht habe. Zwischen mir und den Mädchen
und Jünglingen dieser Klasse besteht ein Vertrauensverhältnis, das schon
äußerlich dadurch zum Ausdruck kommt, daß mich die damals Sechzehn-
jährigen während einer Wanderung ins Gesäuse baten, sie zu duzen. Ich
habe mit meinen Jungen und Mädchen oft über viele Fragen gesprochen,
die mir während der Durchsicht des mir erreichbaren Schrifttums über
die Reifejahre auftauchten, ich habe ihnen einen Fragebogen mit etwa
sechzig Fragen vorgelegt ..." (IV), so würde ich tiefstes Mißtrauen gegen
eine Wissenschaft haben, die durch keinerlei methodische Gesetze gestrafft
— und das gilt für die heutige Jugendpsychologie — in dieser Luft gedieh,
und würde meinen, die ernsthafte Besprechung des Buches erübrige sich.
Aber dieser Persönlichkeits- und Weltanschauungshintergrund wird erst
von Seite 97 an, wo der Autor von den „Jungfrauen- und Jünglings jähren'*
spricht, so sichtbar, so gehäuft bemerklich, daß wir ihm zugute halten
dürfen, hier liege seioe Liebe und seine Führerabsicht, und annehmen
dürfen, in die Trotzjahre und in die der Reifung, denen Liebe und Führer-
schaft nicht gehören, werden diese sich nicht in die affektfreie wissenschaft-
liche Gesinnung störend eingemengt haben.
Tumlirz vertritt demnach keine der Richtungen der Psychologie, die
sich heute um eine Anzahl von verschiedenen Grundauffassungen oder
Persönlichkeiten gruppieren, und versucht, sein Material mit dem Menschen-
verstand, der sich freilich von Seite 97 an als getrübt erweist, zu bewältigen,
soweit dieser sich nun eben zur Erledigung wissenschaftlicher Probleme
als ausreichend erweisen will. Diese Sonderstellung des Tumlirzschen
Buches, das es von andern zu besprechenden unterscheidet, gewinnt für
S Siegfried ßeriifolil
uns insofern ein besonderes Interesse, als sie uns deutlich zeigt, wieweit
die Psychoanalyse dem bloßen Menschenverstand akzeptabel erscheint; daß
dies nämlich sehr weitgehend der Fall ist und noch ein Stück weiter-
gehend wäre, wenn nicht die „Ideale" dem Menschenverstand eine engere
Grenze zögen, als dieser von selbst einsehen würde.
Das Namensverzeichnis weist Freud als den am meisten zitierten Autor
aus, der Quellennachweis bringt Freuds Vorlesungen im Sperrdruck und
zitiert überdies sein Schriftchen über Psychoanalyse. (Beiläufig: es ist be-
zeichnend, daß man so gern gerade diese drei Bogen zitiert; sollte das
Heftchen in der Literatur keim tms unserer Psychologen die elf Bände ge-
sammelter Schriften wirklich repräsentieren?) Nirgends ist auch nur die
geringste abfällige Bemerkung gegen Freud enthalten, ]& nicht einmal immer
beeih sich Tumlirz, wo er akzeptiert, hinzuzufügen, „aber sonst protestiere"
er; er folgt seinen Gewährsmännern nicht in ihrem Ton, sondern „wir
begnügen uns mit dem Hinweis auf die Widerlegungen, welche die psycho-
analytische Lehre durch Allers, Moll, Müller, Scheler, W. Stern u. a. ge-
funden hat".
Dies imgewöhnliche Verhalten könnte dem sympathisch unproblematischen
Charakter des Autors und nicht seiner Einsicht entspringen. Erfreulicher-
weise ist das nicht der Fall, wie sich zeigen läßt. Die infantile Sexualität
wird von Tumlirz als sicheres Ergebnis der Foi-schung im Prinzip aner-
kannt: „Die Forschungen der Psychoanalyse haben ergeben, daß sich das
Geschlechtsleben schon lange vor dem Erwachen in der Reifezeit im Unter-
bewußtsein der Kinder vorbereitet und hie und da auch hervortritt,'* (x),
„Es besteht zu Recht, daß auch bei durchaus regelrechter Entwicklung
geschlechtliche Erlebnisse in der frühen Kindheit vorkommen." Die Ein-
wendungen Tumlirz' gegen die Lehre von den infantilen Sexualtheorien
erstrecken sich auf die seiner Meinung nach unzulässige „Erweiterung und
Verallgemeinerung". Der Sinn jeder Theorie, das Faktum, daß eine Theorie
„Verallgemeinerungen" aufstellen muß, und der Zweck dieser theoretischen
Annahme bei Freud ist Tumlirz nicht deutlich geworden. Seine Beobach-
tungen erzwingen aber sein Zugeständnis zum Tatsachenmaterial dieser
Theorie. Selbst den Tatbestand des Ödipus-Komplexes, der doch sonst das
beliebte Ziel der Empörung Jugend kundlicher Autoren ist, finden wir von
Tumlirz nicht allein richtig und ohne allen AfTektaufwand dargestellt (51),
sondern durch eine vorsichtige Fragestellung und durch ausdrückliche Wider-
legung des „denkbaren Einwands, daß blutschänderischen Neigungen schwere
sittliche Hemmungen entgegenstehen", gesichert. Er zieht ihn zur Darlegung
i
r
Die liculigc Psychologie der Pubertät
eines seiner Hauptgedanken wie selbstverständlich Jieran (73)- Die Ein-
schränkung, die Tumlirz hiebei bloß macht, trifft nicht das Wes.entliche
und klingt unsicher genug: „Wenn wir das alles zugeben, so ist damit
noch nicht bewiesen, daß alle Gefühlsbeziehungen zwischen Ehern und
Kindern geschlechtlicher Beschaffenheit seien. Es ist vielmehr anzunehmen,
daß es sich neben gelegentlichen Beziehungen mit geschlechtlicher Färbung
zumeist um Gefühle handelt, die den geschlechtlichen nahe verwandt, aber
mit ihnen nicht wesensgleich sind. Zumindest dürften die Äußerungen
des Entladungs-CDetumes2enz-)Triebes gewöhnlich fehlen" (ga). Eine Ein-
schränkung, die bei dem engen Begriff „geschlechtlich", der ihr zugrunde
liegt, völlig korrekt ist; denn es ist gewiß nie von Freud oder einem seiner
Schüler behauptet worden, daß alle Beziehungen der Kinder zu den Eltern
genitaler Natur seien. Die Lehre von den Parlialtrieben wird mehrfach
ausdrücklich verwendet. Schließlich findet ein so wichtiges Stück der psycho-
analytischen Lehre, wie das der Regression und Fixierung ist, prinzipielle
Anerkennung und gelegentliche Verwendung : „Es hat die Lehre Freuds
sehr viel für sich, der die Triebverkehrungen als Entwicklungshemmungen,
als ein Stehenbleiben der Geschlechtsentwicklung auf einer Stufe unvoll-
kommener Reifung auffaßt.
Wenn ich Tumlirz' Zustimmungen zur Ps3'choanalyse so sorgfältig fest-
stelle, so geschieht das, weil hier deutlich wird, wie nunmehr unvoreingenom-
mene Beobachter die von Freud behaupteten Tatsachen auch zu sehen be-
ginnen, wie sie sie festhalten und ins Gebäude ihrer zusammenfassenden Dar-
stellungen aufnehmen. Anfangs wurde Freud wegen dieser Tatbestandsbehaup-
tungen aufs bitterste bekämpft. Die Zeit ist nicht mehr fern, so scheint es, wo
solche Freudsche Tatsachen, möchte man sagen, z.B. der ödipusKomplex, als
selbstverständliche, immer gekannte, nie bestrittene Fakta gelten werden.
Und bis zu einem gewissen Grade wird diese falsche Behauptung doch
auch richtig sein, denn außerhalb der Jugendkunde, außerhalb jeder Wissen-
schaft waren Tatsachen, wie die des Ödipus-Komplexes, immer bekannt, d. h.
sie waren als Realitäten, und wären es auch verdrängle, erlebt worden. Die
Psychologie beginnt in jenes Stadium der Resorption der Psychoanalyse
einzutreten, — so scheint es am Beispiel Tumlirz', — das dem ausübenden
Analytiker von seinen Patienten her wohlbekannt ist; wenn dem Patienten,
oft nach harter Abwehr, eine bisher verdrängte Regung bewußt geworden
ist, so pflegt er zu behaupten, das habe er eigentlich immer schon gewußt.
Er hat auch recht mit diesem Gefühl, irgendwie hat er es freilich gewußt,
nur war ihm jenes Frühere nichts nütze, während die neue, eben durch
iju'glrifd Oumlclil
die Analyse gewonnene Art des Wissens ihm die Herrschaft über die ver-
drängte Regung wiedergibt. Aber er hat mit jenem Gefühl nicht nur recht,
es erspart ihm auch — die Dankbarkeit. Und in diesem Punkt — so scheint
es weiters — setzt sich die Parallele zwischen Patient und Jugendkunde fort.
(Freud.) Daß man jene „stets gekannten" Talsachen nun auch aussprechen
muß, daß die Systeme und Theorien sich auch an ihnen bewahren müssen
und daß dies Freuds Verdienst ist, ist offenbar der Wissenschaft nicht an-
genehm. Muß sie schon die Fakta anerkennen, so will sie doch die Dank-
barkeit ersparen. Der Entdecker solch wichtiger Tatsachen, — und für die
Wissenschaft sind sie durch Freud entdeckt worden, — sollte mau meinen,
würde Anerkennung finden. Man sucht vergeblich bei TumUrz ein Adjektiv,
eine Bemerkung, die über das hinausgeht, was er an Lob oder Respekt dem
Verfasser einer interessanten Dissertation auch zollen würde. Und Tumlirz
ist, mit den andern hier zu besprechenden Verfassern verglichen, geradezu
ein tiefer Bewunderer und Verehrer Freuds.
Von einem Autor, der bewußt das Theoretisieren ablehnt, ist natürlich
weder Verständnis noch Annahme der Freudschen theoretischen Erweite-
rungen jener Tatbestände zu erwarten. Die Zustimmung zu den Fakten
und ihrer psychoanalytischen Erklärung ist bei Tumlirz aber darüber hinaus
noch durch weltanschauliche, also affektive, außerwissenschaftliche Faktoren
eingeengt. Denn der einzige wesentliche Einwand, den er gegen Freud aus-
drücklich formuliert, ist der Vorwurf der Einseitigkeit, daß „alles" auf den
Geschlechtstrieb zurückgeführt wird, „sich das ganze Seelenleben auf den
Geschlechtstrieb" aufbaut. Tumlirz geht hier sogar noch ein gutes Stück
mit: „Es ist, als ob der im Jünglings- und Jungfrauenalter zeitweilig unter-
drückte Geschlechtstrieb sozusagen vergeistigt in hohen geistigen Leistungen
auf dem Gebiete der Wissenschaft, der Kunst, der Religion zur Geltung
komme . . . Mit dieser Vermutung gelangen wir wieder zum Sublimierungs-
gedanken Freuds zurück" (44). Auf den folgenden Seiten bringt Tumlirz
dann eine Reihe von Relegen, die für die Sublimierung sprechen, akzep-
tiert im wesentlichen die Sublimierungslehre, findet schließlich sogar das
Wort Sublimierung akzeptabel als „Sache des Übereinkommens. Nicht zu-
gegeben aber werden kann, daß zwischen Geschlechtstrieb und den geistigen
l^istungen regelmäßig ein ursächlicher Zusammenhang besteht, nachdem
es sich oft nur um eine Miterregung des übrigen Gemütslebens handelt;
nicht zugegeben werden kann ferner, daß alle geistigen Betätigungen auf
Verwandlungen des Geschlechtstriebes zurückführbar seien" (48). Dabei
wäre Tumlirz bereit, diese Verbote für das frühere Jugendalter aufzuheben,
Die Wütige Psyrliologie der Putertät 11
aber bei den Jugendlichen (Jünglings- und Jungfrauenalter) „kann es sich bei
der geistigen Betätigung auf dem Gebiete der Religion, Wissenschaft, Kunst
usw. nicht um Sublimierungen des Geschlechtstriebes handeln, sondern nur
um die Auswirkung der an sich geistigen Liebesfähigkeit, um die
Hingabe an geistige Werte" (52). Er will daran festgehalten wissen, „daß
die verschiedenen Arten der Liebe, wie Liebe zu Gott, zur Heimat, zum
Volk, zur Wissenschaft usw. von der Geschlechtsliebe wesenhaft verschieden
und auf die Beziehung und Bindung zum Geschlechtlichen offenbar nicht
notwendig angewiesen sind"* (b8). Und warum? Das wird nicht verraten,
ist Dogma. Offenbar doch, weil diese hehren geistigen Betätigungen und
Gefühle nun eben doch nicht von der anrüchigen (eben doch) Geschlechts-
liebe direkt abstammen dürfen, wenn schon nicht mehr geleugnet werden
kann, daß sie irgendwie weitläufig mit ihr verwandt sind. Nun ist aber
die Frage der „Sublimierung" für die Psychologie der Pubertät von höchster
Wichtigkeit, In ihr treten ontogenetisch eine Reihe von geistigen Betäti-
gungen zum erstenmal auf. Der Entwicklungspsychologe wird gezwungen
sein, sie zu erklären als Verwandlungen, Entwicklungen irgendwelcher Be-
tätigimgen und Verhaltungsweisen, die schon vorher da waren. „Wesenhaft"
eigenartige Gefühle, die zwischen zehn und viei-zehn das erstemal auftauchen,
kann die Entwickluogspsychologie nicht anerkennen. Sind daher die Fakta der
infantilen Sexualität, der vor der Pubertät vorhandenen, zugegeben, ist
ferner die mögliche Verwandtschaft zwischen der Sexualität und der sub-
limierten Libido zugestanden, so scheint eine vernünftigere, selbstverständ-
lichere Annahme gar nicht möglich als die Freudsche : jene der Pubertät
neuen „Gefühle" seien nicht rätselhaft durch Urzeugung plötzlich entstan-
dene sui generis, sondern in irgendeiner Weise die Entwicklungsprodukte
des Vorpubertätszustandes. Zeigen sich Fakta, die dieser Annahme zu wider-
sprechen scheinen, so wird man gewiß geneigt sein, durch gründlichere
Untersuchung — wie sie etwa die psychoanalytische Methode erlaubt —
zunächst den Versuch zu unternehmen, diesen Widerspruch als einen bloß
anscheinenden aufzuheben. Wenn nicht ein außerwissen schaftliches „Es kann
nicht zugegeben werden" — weil es nicht sein darf, ist zu ergänzen, —
dieses methodisch einwandfreie Verfahren verbietet. Solch eindringende
Untersuchung könnte zeigen, daß tatsächlich manche ^ener neuen Ver-
haltungsweisen sich nicht von der infantilen Sexualität ableiten lassen,
nämlich nur, indem sich erweist, woher sonst sie entstanden sind. Dieser
positive Erweis muß aber erbracht sein, ehe man sich entschließt, eine
Annahme von so großem heuristischen Wert, wie Freuds Sublimierunga-
Dii^gincd Bcriiltlci
theorie, als unzureichencl hinzustellen. (Daß solche Untersuchungen not-
wendig sind und mit gewissem Erfolg unternommen werden können, glaube
ich gezeigt zu haben in „Einige Bemerkungen über Sublimierung", ImagO;
„Vom Gemeinschaftsleben der Jugend", Internationaler Psychoanalytischer
Verlag 1922, und insbesondere in „Vom dichterischen Schaffen der Jugend",
Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1.924.)
Daß hier eine Aufgabe vorliegt, der gegenüber die Ablehnung Freuds
nicht genügt, sieht Tumlirz sehr wohl C4.8) und findet als Losung: „Je
nach der gesamten geistigen Einstellung, nach der Möglichkeit, ein ent-
sprechendes Du oder einen die ganze Seele erfüllenden Wert zu finden,
wirkt sich die Liebesfähigkeit des Einzelwesens in der GeschlechtsÜebe,
im Kunstschaffen, in religiöser Schwärmerei, in Naturbegeisterung, in der
wissenschaftlichen Arbeit, in der Hingabe an die menschliche Gesellschaft
aus . . . Die Anwendung der eben dargelegten Auffassung auf die jugend-
liche Entwicklung ergibt sich von selbst. Mit dem Zurücktreten des ziel-
sicher gewordenen Geschlechtstriebes erwacht im Jünglings- und Jungfrauen-
alter die Fähigkeit zur geistigen Liebe. Es ist möglich, aber nicht unbedingt
notwendig, daß sie ihre Kraft von dem im Verborgenen weiterwirkenden
Geschlechtstrieb empfängt, doch soll damit nicht gesagt sein, daß die Liebe
nichts anderes als verdrängter und ,sublimierter' Geschlechtstrieb sei." Was
sie sonst sei, wird nicht gesagt, woher sie ihre Kraft empfängt, wenn nicht,
wie freilich möglich, aber nicht unbedingt notwendig ist, vom Geschlechts-
trieb, ebensowenig, und schon gar nicht wird gesagt, warum es unbedingt
notwendig ist, daß es nur möglich sei. Diese Ausführung ist so verlegen
und unsicher, weil sie genau das besagen müßte, was nicht besagt werden
soll (darf). Tumlirz' Zusammenfassung postuliert eine Liebesfähigkeit des
einzelnen, die offenbar schon vor der Pubertät da ist; ihr untergeordnet
sind Geschlechtsliebe, Kunstschaffen usw., die einander beigeordnet sind,
wenigstens in der Hinsicht, daß sie je nach Umständen von jener Liebes-
fähigfceit erfüllt werden, d. h. im Kunstschaffen oder in der Geschlechts-
liebe ist dieselbe Liebesfähigkeit wirksam, nur daß sie jeweils auf andern
Gebieten sich betätigt. Ich finde, das ist eine vorzügliche, treffende und
fruchtbare Konzeption, allein gerade dies ist Freuds Meinung. Freud postu-
liert ja eine „Liebesfähigkeit", die allemal im Wesen dieselbe, schon vor
der Pubertät vorhanden, je nach Umstanden sich als Geschlechtsliebe oder
auch etwa im Kunstschaffen äußern kann. Er nennt diese Liebesfähigkeit
Libido. Setzen wir diesen Ausdruck in Tumlirz' Formulierung ein, so ist
das Neue, das er gegen Freud aufstellen will, völlig zu dem alten Freud-
Ijh.- lieiitige Psycliologii; Jlt PulitTtül i3
sehen geworden, das er ablehnt, beziehungsweise nicht voll wenigstens an-
nehmen möchte. Die Differenz reduziert sich daher auf ein terminologisches
Faktum, also auf Null. Was um so deutlicher ist, als Liebesfähigkeit die
Übersetzung des Wortes Libido ist, nicht besser, aber auch nicht schlechter
als Tumlirz' Verwendung des Wortes Schmerzgeilheit für Masochismus.
Nichts aber spricht dafür, daß Liebesfähigkeit ein neuer — und gar ein
von Libido unterschiedener — Begriff sein soll. Sollte er aber das sein
wollen, so wäre gegen ihn einzuwenden, daß der Ausdruck „Fähigkeit'
eine gefährliche Regression in eine überwundene Stufe der Entwicklung
der Psychologie andeuten wurde, während Libido diese Liebesfähigkeit als
das bezeichnet, was sie ist, als eine drängende, imperative Tendenz, und
in die Gruppe der Triebe einreiht, dadurch allein schon ein Anlaß ist,
die Aufmerksamkeit auf das Gebiet der Triebe, die nächste Stufe in der
Entwicklung der Psychologie, zu lenken.
Tumlirz wirft Freud Einseitigkeit vor. Objektiv mit vollem Unrecht,
denn in seinen Vorlesungen hat Freud mit genügendem Nachdruck betont,
daß er der Libido die Ichtriebe gegenüberstelle und aus dem Zusammen-
wirken dieser beiden Triebe erst zum Verständnis der gefragten Erschei-
nungen gelangt werden kann. Er verfällt aber selbst der Einseitigkeit. Denn
offenbar ist es nicht die Liebesfähigkeit allein, die für die Sublimierungs-
prozesse verantwortlich gemacht werden kann. Hier sind Ichkräfte sehr
wesentlich im Spiel, und um diese kompHzierten Verhältnisse klarzulegen,
bedarf es einer prägnanten und wohlüberlegten Nomenklatur. Es genügt
nicht, das neue Wort Liebesfähigkeit. Als Begriff ist es nicht konstituiert,
während Libido ein wohl definierter wissenschaftlicher Terminus ist. Ist es
eine bloße Übersetzung, so beinhaltet es Bejahung der Freudschen Lehre.
Wie konnte der Autor das übersehen? Gerade dieser Autor, der soviel der
Psychoanalyse recht zu geben sich gedrängt fühlt. Ich meine, es kann kein
anderer Grund vorliegen als die bereits erwähnte Einmischung des Wert-
gebietes in die Wissenschaft und die bewußte Ablehnung theoretischen
Durchdenkens. Erleichtert wurde diese Einmengung durch Sprangers
Philosophie,
2) Die Philosophie
Wir betrachten daher zunächst die Stellungnahme eines Jugendpsycho-
logen zur Psychoanalyse, der im Gegensatz zu Tumlirz das Hauptgewicht
auf die theoretische Zusammenfassung der Fakta legt, Sprangers. Daß
seine theoretischen Grundlegungen der Psychologie wertgerichtet sind.
M
SicgfricJ Bii uli'li!
wird unsere Aufgabe nicht vereinfachen, aber vielleicht zu um so frucht-
bareren Resultaten führen. Sprangers Buch^ hat unter den hier bespro-
chenen den größten buchhändlerischen Erfolg gewonnen. Das Vorwort der
ersten Auflage ist am 19. Februar 1924 gefertigt, am 21. Februar 1925
das zum siebzehnten 7'ausend. Diesen Erfolg kann es nicht seinem Thema
allein verdanken, auch der Name des Verfassers verbürgt ihn kaum, und
ganz gewiß sind es nicht die Ergebnisse, zu denen es gelangt; denn
zu ihnen zu gelangen, bedarf es eines gründlichen Studiums des um-
fänglichen Werkes und auch nach solchem Studium mag es manchem Leser
gehen wie dem Referenten : er vermag sich keine formulierte Rechenschaft
darüber zu geben, was er nun von der Psychologie des Jugendalters ge-
lernt habe. Eine Fülle von Worten, gelegentlich schönen Worten, eine
Anzahl einprägsamer Bilder, treffende Bemerkungen, feine Unterschei-
dungen — das ist geblieben, aber keine Erkenntnis, keine Antwort auf
die im I. Abschnitt, „Aufgabe und Methode", gestellten Probleme. Freilich,
weder den Erziehern noch der Jugend in und aus der deutschen Jugend-
bewegung, die, so darf man annehmen, das Sprangersche Buch gekauft
und begeistert in ihm gelesen haben, ist an Erkenntnis gelegen; sie wollen
Führung. Und diese haben sie hier gefunden. An dieser Stelle steht mir
kein Entscheid darüber zu, ob Spranger der rechte Führer, ob die Jugend,
welche so empfindet, eine rechte Jugend ist. Wir haben nur festzustellen,
daß Spranger die Führerrolle dem Forschertum in diesem Buch vorzieht,
daß sie seinen Stil, seinen Aufbau, seinen Inhalt bestimmt oder durch-
dringt. „Als Forscher spreche ich jn Begriffen und Kategorien. Aber ich
spreche nur für die, die das alles wieder in Leben, Tat und Liebe um-
wandeln können. Denn nicht auf dieses oder jenes Einzelfaktum kommt
es zuletzt an, sondern daß man dies Gebilde von eigener Form und Schön-
heit und Würde als ein Ganzes sehen lerne: den Menschen in seiner
Jugendzeit" (XV). Gewiß, zuletzt kommt es auch dem Forscher nicht auf
das Einzelfaktum an, aber Spranger kommt es zuerst (auf S. 1 bereits) auf
die Führergeste an, Wyneken und dem A. C. S.^ stand es wohl an, von
der Würde und Schönheit der Jugend als ilirem Wesentlichen zu sprechen.
1) Eduard Spranger: Psychologie des Jugendalters. Leipzig 1(124.
2) In dessen Leitsätzen ich 191g formulierte: „Kindheit und Jugend sind nicht
die zwecklosen Durchgangssladien zum erwachsenen Menschen, sondern notwendige,
in sich geschlossene Entwicklungsstufen. Jugend und Mnnnheit sind nicht graduelle,
sondern qualitative Unterschiede. Die Jugend ist also nicht nnvollkommene, unreife
ManTÜieit, sondern ein vollkommener Zustund für sich," (Der Anfang I.)
Die lieutige Piycliologie Jer Putcrtat
und es soll auch dem Psychologen nicht verwehrt sein, „dem Wunsch, zu
sehen, wie es ist, einen starken Zug von Liebe" (XIII) beizumengen, aber
etwas Sorge muß den Leser befallen, ein erster Verdacht, der sicli bei
fortschreitender Lektüre immer hartnäckiger gestaltet, hier sei vom Wesen
des Forschers nichts mehr übrig, als daß er — gelegentlich — in Be-
griffen und Kategorien spreche, etwa so: „Dem Lebendigen gegenüber nur
Anatom zu sein, scheint mir fast ehrfurchtslos; und was wichtiger ist: es
scheint mir, als ob man durch diese Brille das Wesentliche nie zu sehen
bekäme. Also habe ich es mit Fichte gehalten, der ja gefordert hat, daß
mit der Erkenntnis des Gegenstandes auch immer etwas von der Liebe
zum erkannten Gegenstand wachgerufen werden müsse. Ich möchte nicht
daß man das, was hier {seil, in diesem Buch!) erkannt wird, für etwas
anderes als für Heiligtümer hielte." Fuhrer sind nötig, und wir haben
mit niemand zu rechten, der es sein will und das Nötige hiezu tut.
Aber wir werden die Einwände gegen unsere bescheidene Psychoanalyse,
die nichts als Wissenschaft sein will, nicht sehr ernst zu nehmen geneigt
sein, welche von einem Denker kommen, der es „gewagt hat, das ganze
große Objekt mit einem Griff' zu packen, aus der Überzeugung heraus,
daß in der Psychologie eben auf den Sinn fürs Ganze alles ankommt" {XII),
und indem er seine „Aufgabe als ein Stück echter Wissenschaft ge-
nommen hat" (XIII) bekennt, „wie sehr es mir auch bei der Entstehung
dieses Buches an der zurückgezogenen Stille gefehlt hat, in der allein das
Ganze eines künstlerisch geformten Bildes reifen kann. Die Zeit, in der wir
leben, fordert uns von allen Seiten . . . Ich schäme mich nicht zu sagen,
daß vieles in der gleichen Zeit nach außenhin getan werden mußte,
während ich mich in dieses Thema versenkte" (XV), Wir sind dieser
fehlenden Scham froh, denn so erfahren wir, was wir sonst bloß geahnt
hätten, wo die Akzente im Werk von Spranger liegen, und werden wissen,
daß wir hier einem wehleidigen, romantischen und ressentimentalen Be-
griff von Wissenschaft gegenüberstehen, der, so gemäß er einer breiten
Schichte des heutigen geistigen Deutschland sein, ihm zu Liebe, zur
Führung geprägt sein mag, von dem unsern so weit absteht wie die dunkle
Tiefe des Sprangerschen Stils von der hellen Klarheit jedes großen Forschers.
Vielleicht wird man dieser Kritik vorwerfen wollen, sie sei unsachliche
Polemik, die ins Persönliche übergreife. Es ist nicht meine Absicht, un-
sachlich zu sein, aber freilich ist es unvermeidlich einem Autor gegen-
über, der seine Person hinter, ja vor seinem Werk sichtbar werden läßt,
dies Stück des Persönlichen zur Sache zu rechnen. Die Psychologie ist in
Sitglriru Bcrnicld
einem rapiden Umwandlungsprozeß begriflen, sie sprengt die Bande, die
ihr durch Wundt geschmiedet wurden. Es genügt ihr nicht mehr die
enge Provinz peripherer Erscheinungen, die die Domäne der experimentellen
Psychologie waren, und sie nimmt als ihr Forschungsgebiet die eigent-
lichen seelischen Phänomene in Besitz.. Diesen gegenüber erweisen sich
die Methoden und das Erkenntnisziel der alten Psychologie als völlig unzu-
länglich. Sie sucht daher mit vollem Kecht nach Neuem. Dieser Fort-
schritt war gewiß durch ein Gefühl der Unbefriedigtheit mit den Ergeb-
nissen der alten Methode eingeleitet worden, durch einen Intellektual-
afFekt. Wie das aber mit Mißvergnügten so zu sein pflegt, sie gesellen
sich nicht nach den Motiven und Zielen ihrer Mißvergnügiheit, sondern
vermittels dieser selbst. So sind zu Gegnern der alten Psycliologie alle
jene geworden, denen sie zu wenig interessant, zu wenig bedeutsam im
Wirbel der zeitgenössischen Weltanschauungskämpfe war; jene, die das
sorgfähige, entsagungsvolle Studium am psychologischen Apparat nicht
wegen seiner unbefriedigenden Erkenntnisresultate, sondern wegen seiner
sozialen Belanglosigkeit aufgaben oder gar nicht erst in Angriff nahmen;
ästhetische, philosophische, reUgiöse, weltanschauliche Bedürfnisse fordern
Befriedigung von der Psychologie. Und diese, durch keine strenge Methode
mehr zur Wissenschaft beengt, ist gelegentlich allzusehr bereit, das Gefallen
und die Befriedigung jener Mißvergnügten anzustreben. Die Befreiung von
den alten Methoden und Grenzen hat alle Fragen der Psychologie, die
Forschungstätigkeit und das Publikumsinteresse, erfreulich belebt, und uns
scheint, die ersten Umrisse einer neuen Psychologie werden bereits sicht-
bar, mit ihr neue Methoden und Grenzen. Aber man darf sich nicht ver-
heimlichen, daß der gegenwärtige Zustand seine beträchtlichen Gefahren
hat. Darum ist es Aufgabe der wissenschaftlichen Kritik, die außerwissen-
schaftlichen Einstellungen in jedem Einzelfall scharf zu bezeichnen, nötigen-
falls sie zu erschließen, sie zu erraten. Sie entstammen der Persönlichkeit
der Forscher, je bedeutender und ungewöhnlicher sie ist, um so bedroli-
licher können die Gefahren sein. Die Kritik darf sich nicht scheuen, in
den Bezirk des Persönlichen einzudringen, wo die Persönlichkeit in den
Bereich der Wissenschaft störend eingebrochen ist. Da Spranger die Grenze
zwischen den Ergebnissen seiner Forschung und dem Bemühen, außer-
wissenschaftliche Bedürfnisse, eigene und fremde, zu befriedigen, nicht selbst
zieht, da er Führer ist; da er eine Synthese sucht zwischen Wissenschaft
und Kunst, „ Seelen gemälde in Begriffen und Kategorien** anstrebt und im
Begriff ist, aus seiner Zwiespältigkeit einen neuen Begriff vom Wesen der
Die heutige Psychologie Jer Puhertät
Wissenschaft zu verkünden, — ist es dreifach dringlich, diese aktuelle
Forderung an die Kritik zu erfüllen.
Die Überwindung Wundts in der deutschen Psychologie hat diese in
den letzten Jahren, auch dort, wo sie es sich und dem Publikum nicht
eingesteht, der Psychoanalyse Freuds genähert. Es ist nicht zweifelhaft,
daß Freud einen großen Anteil am Gelingen der Entfesselung der Psycho-
logie und an der Richtung hat, in der sich die neuen Strömungen in der
Psychologie bewegen. Freud hat als erster die Befreiung vollzogen und hat
von Anfang an einen sehr bedeutenden, wenn auch lange von den wenigsten
bewußt anerkannten Einfluß auf die gesamte psychologische Forschung ge-
habt. Mögen die neuen Richtungen an Dilthey oder an Brentano anknüpfen,
sich als Fortsetzer des Wundtschen Werkes empfinden, von der Philosophie
oder von der Biologie herkommen, ihr heutiges So-sein ist ohne die Psycho-
analyse gänzlich undenkbar. Sie gedeihen nur durch die Auflockerung des
Bodens aller Geisteswissenschaften, die gewiß nicht Freud allein, aber seinem
Mut als Erstem und seiner Konsequenz als Einzigem zu danken ist; sie
differenzieren sich voneinander nicht am wenigsten durch die Stellung-
nahme zu den von der Psychoanalyse aufgeworfenen Problemen, ohne selbst
zu wissen, daß diese es ist, die sie zu sonderbar verschlungenen Störungs-
bahnen zwingt. Und schließlich entnehmen sie eklektisch der Psycho-
analyse diese oder jene Grundauffassung, die eine oder andere Tatsache
oder Prägung. Man will das Gute und Richtige der Psychoanalyse für den
zu errichtenden Bau der neuen Psychologie retten. Dabei übersieht man
eine merkwürdige Tatsache, die für die Zukunft der Psychoanalyse eine
günstige Prognose erlaubt. Im Gegensatz zu allen neueren Strömungen in
der Psychologie ist die Psychoanalyse, ähnlich der alten Psychologie, durch
eine strenge Methode relativ sicher vor autistischen Einschlägen, ist die Be-
vorzugung weltanschaulicher Bedürfnisse vor dem Erkenntnisziel entschieden
ausgeschlossen. Solange, heißt das, die Methode Freuds eingehalten wird.
Wer sich von ihr entfernt hat. Jung, Stekel, Adler, ist um ebensoviel in
die Berücksichtigung religiöser, utilitaristischer, ästhetischer oder sozialer
Bedürfnisse verfallen. Man kann gewiß der Psychoanalyse Irrtümer nach-
weisen, kann ihr Verallgemeinerungen vorwerfen, die vermehrter Empirie
vielleicht nicht standhalten werden, man kann feststellen, daß ihre Methodo-
logie noch nicht formuliert ist; das alles sind typische Mängel jeder jungen
Wissenschaft. Aber man kann ihr nicht vorwerfen, daß sie an irgendeiner
Stelle das Interesse der Forschung, der wissenschaftlichen Wahrheit irgend-
einem andern Wert zuliebe geopfert oder auch nur zurückgestellt habe. Sie
.8
Siegfried Beriiii.'J[l
hat bewußt darauf verzichtet, außerwissenschaftliche Bedürfnisse zu be-
friedigen, keinem heteronomen Werterlebnis nachgegeben. Sie will weder
tief noch schön, weder allumfassend noch vollkommen, sie will in keinem
Sinn befriedigend sein, als nur in dem der wissenschaftlichen Wahrheit;
Tatsachen und Zusammenhänge feststellen und mittels bestimmter An-
nahmen, Hypothesen, sie zu einem verstehbaren Ganzen anordnen. Man
kann solches Bemühen als irrelevant, unheilig, unbefriedigend ablehnen;
gewiß, aber damit ist die Wissenschaft zugleich abgelehnt. Warum sollte
nicht ein Schriftsteller oder auch eine Zeit den Mut zu solcher Wertung
aufbringen? Aber man kann nicht an beliebigem Punkt diese wissenschaft-
liche Einstellung verlassen und gegen eine neue, befriedigendere vertauschen
und diese Chimäre Wissenschaft oder gar Wissenschaft der Zukunft nennen.
Und gerade dies ist beinahe völlig Sprangers Verfahren.
Spranger charakterisiert seine Psychologie als eine vierfältige: i) Ver-
stehende Psychologie, 2) Strukturpsychologie, 5) Entwicklungspsychologie
und 4) Typenpsychologie. Der Begriff" jedes dieser vier Gesichtspunkte wird
von Spranger näher erläutert. „Verstehen heißt: geistige Zusammen-
hänge in der Form objektiv gültiger Erkenntnis als sinnvoll auffassen.
Wir verstehen nur sinnvolle Gebilde (3). „Verstehen ist nicht gleich-
bedeutend mit einem getreu abbildenden Nacherleben des subjektiven Seins,
Erlebens und Verhaltens einer Einzelseele (6). „Es gibt übergreifende Sinn-
zusammenhänge, die das subjektive Leben bedingen, ohne in die subjektive
Sinnerfahrung selbst hineinzufallen" (8), Auf den Begriff der verstehenden
Psychologie kann in dieser kleinen Arbeit nicht eingegangen werden.
Spranger ist bekanntlich nicht der einzige, der ihn vertritt. Und die Psycho-
analyse hat schon vor langer Zeit den Begriff des Verstehens psychischer
Phänomene angewendet. Aus den bisher zitierten Sprangerschen Sätzen ist
eine große Annäherung an die Psychoanalyse zu erschließen, die Spranger
später zu einer großen Khift aufreißt. Die Psychoanalyse fand ihre ersten
methodischen Einwände von Seiten der Psychologie gerade an diesem Punkt.
Ihr Grundgedanke ist: die psychischen Erscheinungen und Verhaltungs-
weisen sind aus den Bewußtseinsphänomenen allein nicht verständlich zu
machen, es bedarf „übergreifender Zusammenhänge", um sie verständlich
zumachen. Und durch die Einordnung in solche Zusammenhänge werden
scheinbar sinnlose Phänomene wie der Traum z. B. verständlich. Wollten
wir die Sprangersche verstehende Psychologie verstehen, also aus ihrer Ein-
ordnung in einen größeren Sinn zusammen hang, der künftigen Geschichte
der Psychologie, begreiflich machen, so könnten wir sagen : ihre Funktion
Die lieiitige PsycLologie Jer PulicrtÖt
19
ist, die Psychologie von der Bewußtseinspsychologie zu befreien und so Platz,
Atmosphäre, Möglichkeit für die Psychoanalyse als Psychologie zu schaffen.
Zum Gesichtspunkt 2, Strukturpsychologie, erläutert Spranger: „Ge-
gliederten Bau oder Struktur hat ein Gebilde der Wirklichkeit, wenn es
ein Ganzes Ist, in dem jeder Teil und jede Teilfunktion eine für das
Ganze bedeutsame Leistung vollzieht, und zwar so, daß Bau und Leistung
jedes Teiles wieder vom Ganzen her bedingt und folglich nur vom Ganzen
her verständlich sind. Die verstehende Psychologie muß von der Voraus-
setzung ausgehen, daß ihre Gegenstände in diesem Sinne strukturiert sind
Wir könnten für unsere Psychologie nach der sie beherrschenden metho-
dischen Grundvoraussetzung auch den Namen Strukturpsychologie ein-
führen . . . Strukturpsychologie ist also jede Psychologie, die die seelischen
Einzelerscheinungen aus ihrer wertbestimmten Stellung im einheitlichen
Ganzen und aus ihrer Bedeutung für solche totalen Leistungszusammen-
hänge versteht" (g, 10). Die Psychoanalyse ist nach dieser Definition gewiß
Strukturpsychologie. Nicht allein, daß Freud Begriff und Wort der psychi-
schen Struktur vor Spranger verwendete, das haben auch andere getan, und
Spranger ist sich dessen bewußt, wenn er sagt: „Der Name (Struktur-
psychologie) wird vielfach für solche psychologische Richtungen gebraucht,
die sich m;it der Erforschung von Teil strukturen (im Gegensatz zur Psycho-
logie alomisierter Elemente) beschäftigen. Es versteht sich aber von selbst,
daß das einzelne Seelengebilde nur strukturiert sein kann, wenn auch das
Ganze eine Struktur hat" (10). Und nur für diese — selbstverständliche —
Erweiterung beansprucht er, so scheint es, Originalität. Nicht mit Recht,
denn eben diese Erweiterung ganz konsequent und bewußt durchgeführt
zu haben (und schließlich sogar mit dem Wort „struktureller Gesichts-
punkt bezeichnet zu haben) ist eines der Verdienste und der Wesenszüge
der Psychoanalyse.
Auch für den 3. Gesichtspunkt, die Entwicklungspsychologie, gilt, was
sich bei den ersten zwei zeigte. Es ist ein gutes Stück weit kein Wider-
spruch zwischen der Sprangerschen und der Freudschen Psychologie. Die
Sprangersche bereitet der Freudschen in gewissem Sinn den Boden, in-
dem sie Einwände zerstreut, Gesichtspunkte der offiziellen Psychologie nahe-
legt, die zur Psychoanalyse hinführen, indem sie Richtungen der Psycho-
logie zu offiziellen zu machen hilft, die in wesentlichen Belangen mit der
Psychoanalyse übereinstimmen, von ihr weitgehend beeinflußt sind. »Bei
jeder Entwicklung handelt es sich um eine Veränderungsreihe, die ein
Subjekt durch das Zusammenwirken von inneren und äußeren Faktoren
OiuvlfKia ileniicLI
erfahrt, jedoch so, daß die Kichtungsbeslimmung vorwiegend auf Innere
Anlagen oder Tendenzen des betreffenden Subjektes zurückgeführt wird."
„Seelische Entwicklung ist also Entfaltung des individuellen Seelenlebens
von innen heraus zu größerer innerer Gliederung und Wertsteigerung der
psychischen Leistungseinheit (17, 18). „Eine Entwickln ngspsychologle hat
über die allgemeine Aufgabe des Verstehens hinaus noch die besondere
Aufgabe, gewisse Erscheinungen als Entwicklungserscheinungen zu ver-
stehen und sie damit einer Teleologie einzuordnen, die mindestens nicht
im subjektiven Erleben des jungen Menschen bewußt wird . . . Gewisse
Erscheinungen des Seelenlebens werden erst durch die Beziehung auf einen
„Entwicklungssinn" verständlich , . . Wir gehen hinter die erlebten Vor-
gänge zurück und verstehen sie „sinndeutend '. Ohne solche Hilfskonstruk-
tionen ist eine Entwicklungspsychologie nicht möglich; ohne sie bliebe es
bei bloßem positivistischem Konstatieren von unverbundenen Einzelheiten . . ,
Seelische Entwicklung ist also Hineinwachsen der Einzelseele in den ob-
jektiven und den normativen Geist der jeweiligen Zeit . . ." Was über den
so überaus wichtigen, ja für eine Jugendpsychologie wichtigsten Gesichts-
punkt gesagt wird, ist sehr ärmlich, man kann es viel einfacher ausdrücken,
als Spranger tut, und dann zeigt es sich, daß man es schon oft gelesen hat,
aber immerhin, es erscheint uns von unserem Standpunkt richtig; es ist
im wesentlichen die Anschauung der Psychoanalyse, und daher sehr er-
freulich, wenn es beginnt, in die Psychologie, die auf deutschen Univer-
sitäten gelehrt wird, einzugehen.
Noch weniger ist zum 4. Punkt, der Typenpsychologie, gesagt: „Jedes
Einzelwesen ist . . . ganz eigenartig, eine Welt für sich, eine Monade, die
das Universum so spiegelt, wie keine andere es spiegelt. Aber diese letzte
Tatsächlichkeit ist der Wissenschaft nicht erreichbar: iridividuum est iiief-
fabüe . . . Wir nennen eine solche Konkretisierung des Allgemeinbegriffes
einen Typus (wie wir die Konkretisierung der Idee beim Übergang zum
Anschaulichen ein Ideal nennen). Die Konkretisierung der allgemein-
menschlichen Seelen struktur nach besonderen Gesetzen führt zu Menschen-
typen und Entwicklungstypen . . . Unsere Psychologie des Jugendalters wird
Typenpsychologie, sobald wir auf individuelle Unterschiede der Ent-
wicklung und der Struktur dieses Lebensalters achten" (20). Was sollte
dagegen eingewendet werden? Es ist, in anderen Worten, Gemeingut des
modernen psychologischen Denkens.
Dies also sind die Methoden und Gesichtspunkte der Sprangerschen
Psychologie. Es sind im wesentlichen von der Psychoanalyse eingeführte
Die heutige Psychologie ilcr Pubcrtrit
Gesichtspunkte in verändertem Zusammenhang und Ausdruck. Es ist er-
staunlich, wie solch vernünftige und fruchtbare Prinzipien zu so geringen
und banalen wissenschaftlichen Ergebnissen führen können, als welche uns
die weiteren 326 Seiten des Buches erscheinen, unbeschadet der außer-
wissenschaftlichen Werte des Werkes und der zahlreichen Aphorismen, die
jedem Entwicklungsroman zur Zierde gereichten und in manchem auch
zu finden sind. Der geschickteste Zugang zur Beantwortung dieser Frage ist
vielleicht die Darstellung der Sprangerschen Einstellung zur Psychoanalyse.
Diese scheint eine solch scharfe Säure zu sein, daß sie als Scheidewasser
jede wissensenschaftliche Lehre, die sich mit ihr in Zusammenhang bringt,
. sogleich zersetzt und deren vvissenschaftliches Gold von der ethischen Le-
gierung trennt.
Mein wird von Spranger nicht erwarten, daß seine Einwendungen gegen
die Psychoanalyse naiv sind, seine Polemik klar und neutral ist. Zu weit ist
die Psychoanalyse in das Denken der an Psychologie interessierten Kreise ein-
gedrungen, zu stark ist die gegen kleinbürgerliche Moral gewendete revolu-
tionäre Haltung in der Jugend — in ihren Worten und ihren Führererwar-
tungen wenigstens - — verbreitet, als daß ein Philosoph, der führend wirken
will, nicht fürchten müßte, altväterlich zu erscheinen, wenn er sich einfach
mit den Protestkundgebungen von anno 1913 identifizierte. Anderseits vergäbe
er sich zuviel mit ausführlicher Erörterung. Freud und die Psychoanalyse sind
ihm nicht kongenial. Die psychoanalytische Theorie hat „richtige Meinungen",
die erst die allgemeinen Gesichtspunkte Sprangers „ganz herausbringen {158).
Spranger ist in seiner Kritik der Psychoanalyse maßvoll und kultiviert.
Er weiß, daß die Psychoanalyse „eine ganz allgemeine Entwicklungstheorie
sein will und schon ans diesem Grunde können wir nicht an ihr vorbei-
gehen" (ißg). „Ihr größter Vorzug gegenüber älteren Theorien besteht schon
darin, daß sie stillschweigend jenen auch von uns aufgestellten Grundsatz
befolgt: Psychologica psychologice : auf dem Gebiete der Psychologie muß,
soweit wie möglich rein psychologisch verfahren werden . . . Diese Tendenz
auf sinnvolle Zusammenhänge wird von Freud über das bewußt in der Seele
Ablaufende hinaus fortgesetzt und die seelische Struktur wird so bis in
Sinnzusammenhänge hinab verfolgt, die dem Selbsterleben nicht unmittelbar
zugänglich sind, sondern nur durch Analyse zugänglich gemacht werden
können . , . Die beiden Tendenzen der Freudschen Psychologie halte ich
für wesentliche Bereicherungen unserer Methode, und ich gehe bis zu diesem
Punkte durchaus mit. Nicht so mit der weiteren Durchführung. Sie ist im
Verhältnis zu unserem sonstigen Wissen von der Seele als primitiv zu be-
OicglnüJ Ecriili-li
zeichnen" (130}. Und wir können mit Spranger in dem Punkt durchaus
mitgehen, wenn er von den Ichtrieben sagt, sie „bleiben nach Art und
Herkunft völlig unbestimmt. Schon die Bezeichnung ist wenig glücklich .
In der Tat spielen diese Triebe in der Durch fülirung nicht die Rolle, die
man erwarten sollte" (130), wenn sie auch eine größere Rolle spielen als
man finden muß, falls man in der Tat sehr wichtige Arbeiten von Freud
nicht kennt. Auch der Einwand, — der von Scheler übernommen wurde, —
daß die verdrängenden und verdrängten Kräfte nicht beide Libido sein
können, wäre wohl diskutabel, und vor allem befriedigend ist die Feststellung:
„die Psychologie hat in der Tat nicht die Aufgabe, das Höhersein oder
Niedrigersein zu begründen . . . Wir haben als Psychologen kein Recht,
den naturalistischen Pansexualismus von Freud auf seine Höhenlage in der
Stufenordnung denkbarer Weltanschauungen hin zu beurteilen. Die Frage
in unserem Zusammenhange kann nur sein, ob seine Theorie die wirk-
lichen seelischen Erscheinungen von Strukturprinzipien aus verständlich
macht" (133). Da Spranger aber offenbar kein Psychologe ist, eröffnet er
die Erörterung dieser Frage mit den an Freuds Sublimierungslehre an-
knüpfenden Sätzen: „Freud wird sich für seine Auffassung vielleicht auf
die Sprache der Tatsachen selbst berufen" (dieses für einen Psychologen
eigentlich kaum unehrenhaften Verfahrens wird sich Freud in jedem Falle
nicht nur vielleicht, sondern gewiß, und nicht nur berufend, sondern
forschend bedienen, wenngleich er fast gewiß nicht so vage Fakta zur
Stützung eines wichtigen Stuckes seiner Lehre heranziehen wird, wie
Spranger ihm jn den Mund legt, fortfahrend): „große geistige Schöpfungen
gingen in der Regel aus Perioden erotischer Erregung hervor. Jedes Schaffen
sei eine stille Werbung, jedes Werk sei eine stille Widmung. Wir aber
werden doch gleich die Beschreibung" (die allerdings wir selbst gegeben
haben, zwar in Freuds Namen, aber doch ganz anders als er) „dahin er-
gänzen müssen, daß hiebei nicht immer eine bestimmte Person das eigent-
liche Liebesobjekt sei, sondern daß diese deutlich oft nur das zufällige oder
gar nachträgliche Erfahrungsgcbilde abgebe, an das das Ideale selbst an-
haftet: das Ewig -Weibliche wird geliebt, in seiner immer unzulänglichen
Erscheinung". Merkt Spranger wirklich nicht, wie er Freud unrecht tut,
der ja nie behauptet hat, daß alle großen geistigen Schöpfungen „Subli-
raierung" einer aktuellen Verliebtheit des Schöpfers sind, sondern vielmehr
behauptet, daß das riesige Plus an psychischer Leistung, das der produktive
Mensch an seine Schöpfungen wendet, zum Teil mit jener seelischen Energie
betrieben wird, die in der Kindheit den sexuellen Trieben entzogen und
Die ncutigc Psycnologic dor Puln-rlät so
nicht-sexuellen Tätigkeiten oder Gedanken zugewendet wurde? Diese Polemik
gegen eine ganz empirisch gedachte Freudsche Aufstellung wird von Spranger
fortgesetzt: „Der Sinn des schaffenden Lebens in seiner Ganzheit ist inten-
diert durch das Symbol der einzelnen geliebten Person hindurch. Dies alles
soll als versetzter Trieb nach Libido , verstanden' werden?" Das ist rhetorisch
nicht schlecht gemacht. Der Satz mit Sinn, schaffendes Leben, Ganzheit,
intendiert, Symbol, hindurch, häuft Tiefe und Klang so heftig, daß es
genügt, „dies alles" hinzuzufügen, und der Leser gewinnt wirklich den
Eindruck von Freudscher Blasphemie, die dies alles, das so schwer und
vage verständlich ist, einfach mit versetztem Trieb und Libido erklärt. Und
so wird doch die Höhenlage der Freudschen Theorie beurteilt, nicht aber,
wie Spranger versprach, die Beziehung der Theorie zu den wirklichen seeli-
schen Erscheinungen nach Strukturprinzipien. Denn jener tiefe Satz „Sinn —
hindurch" ist nicht eine wirkliche seelische Erscheinung und nicht einmal
eine Verständlichmachung nach Strukturprinzipien, sondern, nun sagen wir,
Philosophie. Man lasse diesen philosophischen Satz weg. Dann heißt es:
„das Ewig -Weibliche wird geliebt." Das ist eine wirkliche seelische Er-
scheinung. „Sie soll als versetzter Trieb nach Libido verstanden werden."
Nichts von Blasphemie. Nichts einleuchtender als dies. Spranger selbst lehrt
es. Das „Alles" meint nichts anderes als den tiefen Satz. Ihn als versetzten Trieb
zu verstehen, hat niemand gewagt. Ich bitte hier nicht verärgert einzuwenden,
es gehe nicht an, in so spitzfindiger Weise stihstische Schwächen — ich
sage ja Stärken — eines umfangreichen Werkes zu ironisieren. Es handelt
sich um keine vereinzelte Schwäche, es handelt sich nicht um den Stil,
sondern um die Sprangerscbe Methode der Auseinandersetzung. Denn der
wörtlich zitierte Absatz, — freilich von meinen Glossen unterbrochen, die
aber typographisch als solche deutlich sind, — dessen letzter Satz uns eben
beschäftigte, ist unmittelbar gefolgt von einem Absatz, dessen erster Satz
lautet: „Eine solche Psychologie ist nicht Tiefenpsychologie, sondern in
Wahrheit Oberflächenpsychologie. Sie hält sich an das sinnlich Greifbare
und behauptet, es stehe hinter allem als die eigentlich erzeugende Kraft."
Fjne solche Psychologie? Was für eine? Nun, eine die „das alles" so
schändlich einfach versteht. Ohne jenen tiefen Satz wäre Spranger nicht
erspart geblieben, bevor er die Freudsche Psychologie schlechthin eine
„solche" nennt, zu argumentieren; er ermöglicht es ihm statt der Argumente
hier Invektiven vorzubringen, die zwar nicht mehr (wie anno 1913) morali-
scher Natur sind, aber auch nicht wissenschaftlicher, denn eine Oberflächen-
psychologie kann sehr ernste, bedeutende Wissenschaft, und eine Tiefen-
a-f Siegfried Benifi;I<l
Psychologie barer Unsinn sein; aber indem Tiefenpsychologie an liefsinnig
und Oberfläche an oberflächlich anklingt, eignen sich diese Termini sehr
wohl zu Invektiven aus der ästhetisch-ethisch-metaphysisclien Sphäre. Soviel
über den formalen wissenschaftlichen Charakter der Sprangerschen Kritik.
Das Inhaltliche seiner Kritik, seiner Einstellung zur Psychoanalyse bezieht
sich im wesentlichen auf zwei Punkte: auf die übergeordneten, aus dem
objektiven Geist deutbaren Zusammenhange und auf den Zusammenhang
von Erotik und Sexualität. Aus dem Zusammenhang dieser Krörterungen
haben wir eben eine zentrale Stelle besprochen, wir behandeln daher
diesen Differenzpunkt zuerst.
Spranger unterscheidet „für die Zwecke meiner Psychologie" Sexualität
und Erotik. „Daß sexuelle und erotische Erlebnisse in sehr naher Ver-
bindung miteinander stehen, wird von mir nicht im mindesten geleugnet.
Wohl aber behaupte ich, daß sie in ihrer gesamten Rrlebnisfärbung höchst
verschieden sind, ja daß sie verschiedenen Sciiicliten der Seele angehören" (81).
Bei dieser Unterscheidung befindet sich Spranger in voller Übereinstimmung
mit der Psychoanalyse, denn diese leugnet keineswegs, daß bewußt {bw),
— und der Begriff des Erlebnisses gehört ganz und gar in die Vorgänge,
die wir dem System W- Bw, Wahrnehmung - Bewußtsein, einordnen —
zwischen sexuellen und erotischen Erlebnissen unterschieden werden kann.
Für die Zwecke der Pubertätspsychologie ist die scharfe Hervorhebung dieser
Unterschiede sehr nützlich, ja notwendig. Zum Begriff der Sexualität be-
merkt Spranger: „Hier zögere ich nicht, die weiteste Bestimmung zugrunde
zu legen, die überhaupt versucht worden ist. Danach wären sexuelle Er-
regungen und Erlebnisse nicht nur solche, die realiter oder in der Phan-
tasie auf körperliche Berührung und Vereinigung mit Gegenständen
geschlechtlichen Begehrens gehen, sondern auch alle, die mit einer sinn-
lichen Lusterregung von dem Grundcharakter geschlechtlicher Lust (libido)
in bewußter Verbindung stehen. Es würde gewiß zu weil gehen, wenn
man sagte, alles sei sexuell, worin Körperliches als Lustquelle erscheint . . .
Aber soviel soll zugegeben werden, daß die seelische Gefühls- und Trieb-
struktur, die durch die qualitativ eigentümliche, sinnliche Luslform der
libido gekennzeichnet ist, über den ihr unmittelbar dienenden physio-
logischen Apparat weit hinaus- und in andere psychologische Teilsirukturcn
des Individuums hinübergreifen kann" (81). Die „weiteste Bestimmung
des Begriffes Sexualität' ist dies nun gewiß nicht. Denn Kreud hat eine
weitere versucht, indem er die Sprangerschen Begriffe Sexualität und Erotik
unter seinem Begriff des Sexualtriebes eint. Aber die Sprangersche Be-
Die Leutigc Psychologie der Piiuertül
Stimmung ist unter dem Einfluß der Psychoanalyse entstanden. Sie unter-
scheidet sich von der Freudschen nicht allein in der Enge des Begriffes,
sondern vor allem in der Begriffsbildung. Für Spanger ist das Erlebnis,
der Vorgang im System Biv, das Kriterium, für Freud die Ontogenese
dieser Erlebnisse, also die Einbeziehung der C/ii^-Prozesse. Bei Spranger
handelt es sich um Erlebnisse, Gefühle, bei Freud um die Triebe, von
denen diese Erlebnisse und Gefühle in irgendeiner Weise bestimmt sind.
Daher ist Sprangers „libido"' etwas anderes als Freuds Libido: Libido ist die
dem Sexualtrieb zugeordnete psychische Energie (oder weniger präzis der
Sexualtrieb), „libido" ist die geschlechtliche Lust. Sexuelle Phänomene wären
nach Spranger in der Freudschen Terminologie eine Anzahl jener libidi-
nösen Prozesse und Erlebnisse, die sich auf erogene Zonen beziehen und
den Charakter der geschlechtlichen Lust haben. Diese halbe Anpassung an
die Freudsche Auffassung hätte sich zu bewähren — in der Deutung kon-
kreter Tatsachen. Von vornherein erscheint diese Abgrenzung sehr wül-
kürlich. Denn, um eine Schwierigkeit für viele zu nennen: was ist mit
Erregungen und Erlebnissen an einer erogenen Zone, z. B. an der genitalen,
die nicht geschlechtliche Lust, sondern Unlust nach sich führen, oder Angst,
oder die durch keinen bewußten Prozeß repräsentiert sind? Die Freudsche
Erweiterung des Begriffes der Sexualität war gewagt, aber ihr Umfang
wurde durch die Notwendigkeit bestimmt, das empirische Material, das
die Erforschung des Unbewußten bot, einheitlich zu verstehen. Die ängst-
liche Erweiterung, die Spranger vornimmt, erhält ihren Umfang aus der
Nötigung, den Freudschen Begriff zu akzeptieren, und dennoch die Scheidung
zwischen Sexualität und Erotik aufrecht zu erhalten, vielleicht nur, weil
in gewissen Persönlichkeiten der Unterschied im Erleben von Sexualität
und Erotik sehr vordringlich ist, vielleicht sprechen noch andere Motive
mit. Jedenfalls ist der Begriff unsicher und es ist wenig einleuchtend,
was er zum Verständnis dienen soll, da er die Formulierung einer häufigen
Erlebnisweise ist, nichts mehr aber. Dies wird deutlich, wenn wir Sprangers
Gegensatzbegriff zur Sexualität betrachten:
„Von durchaus abweichender Erlebnisfärbung ist Erotik. Sagen wir
zunächst kurz und vorläufig: sie ist eine ganz überwiegend seelische Form
der Liebe, und zwar von ästhetischem Grundcharakter. . . Ästhetische Liebe
oder Erotik ist also ursprünglich Einfühlung in und Einswerden mit einer
anderen Seele, vermittelt durch ihre anschauliche Darstellung in der äußeren
leiblichen Erscheinung . . . Mag dies metaphysisch oder mystisch erscheinen :
Tatsächlich ,sehen' wir alle den Leib als beseelt auch noch in späteren
üicglnci! Benitflil
Jahren. Es ist das eine nicht weiter ableitbare Grundform des Erlebnisses . . .
Wir greifen in das tiefste Weltgeheimnis hinein, indem wir dieses Werden
eines konkreten und plastischen Idealbildes aus der Befruchtung der
Phantasie in der (zunächst durch das Leibsymbol) vermittelten, rein
schauenden Verschmelzung zweier Seelen aufdecken. Ohne diese geistige
Seite scheint auch das leibliche Zeugen, diese vis plastica der Natur nicht
verständlich {81 — 83). Wo hier die Psychologie versteckt sein mag, ist
schwer zu sagen. Spranger will Erotik von Sexualität scheiden. Diese wurde,
angreifbar zwar, aher doch deutlich als Begriff bestimmt. Für jene bleibt
aber bisher nichts anderes als jener Satz oben „kurz und vorläufig". Dann
verliert sich die Psychologie in das weite Feld der Metaphysik, von dem
aus sich sehr apodiktische psychologische Lehrsätze ergeben: „Es ist eine
nicht weiter ableitbare Grundform des Erlebens.** Noch kann man hoffen,
die apodiktischen Lehrsätze werden in späterem Zusammenhang gewiß ihre
psychologische Begründung erfahren, wir studieren ja einen Autor, der
Psychologica psyckologice als seinen methodischeil Wahlspruch bekennt.
Und Spranger fährt auch fort;
„Schon dieser metaphysische Ausblick deutet darauf hin" (Spranger weiß
also, daß dies Obige nicht Psychologie ist; noch dürfen wir auf sie hoffen),
„daß sich der zentralste Sinn der Natur erst erfüllen wird, wenn beides,
die Seelen Verschmelzung und die körperliche Vereinigung, sich zum Ge-
heimnis der Erzeugung eines neuen Lebens verbindet. Aber damit ist nicht
gesagt, daß jene seelische Erzeugung des Ideals sinnlos sei, wenn keine
leibliche Zeugung damit verbunden ist. Für unsere Jugendpsychologie aber
ist es die wichtigste Feststellung, daß die Natur Jn den Entwicklungsjahren
beide Seiten für das Erlebnis noch getrennt hält" (daß sie getrennt sind,
bei einem häufigen Pubertätstypus, ist allerdings eine wichtige und richtige
Feststellung, daß es aber die Natur ist, die sich dabei bemühen muß, ist
eine Erschleich ung, die im psychologischen Zusammenhang uninteressant
wäre, wenn nicht aus solchen eingeschobenen metaphysischen Behaupmngen
psychologische Schlußfolgerungen gezogen würden) „und daß es Reifsein
bedeutet, wenn beide in voller Reinheit" (psychologisch ist Reifsein von
Reinheit völlig unabhängig) „zu einem großen Erlebnis und Zeugungsakt
zusammenzuklingen vermag. In der Seele des Jugendlichen ist Erotik und
Sexualität für das Bewußtsein zunächst schroff getrennt. Das ist der wesent-
lichste Satz, der in diesem Zusammenhang zu sagen ist . Ein Satz, mit
dem man sich völlig identifizieren kann, wenn er auch in dieser Scharfe
nur für einen Pubertätstypus gilt. Aber ein Satz der deskriptiven Pubertäls-
Die lieulige PjycliologJe der Pubertät
Psychologie. Mit einem Aufwand von Metaphysik umgeben, wie ihn, viel-
leicht nicht einmal immer unbegabter und primitiver, ein Jugendlicher
des geschilderten Typus anwenden würde, um zu erweisen, daß seine Ge-
fühle zu seiner „Geliebten" rein erotischer, völlig unsexueller Natur seien.
Ein Verhalten, das diesem Jugendlichen wohl ansteht, das aber vom Psycho-
logen durch ein Suchen nach Verständuis der Erlebnisweise des Jugendlichen
abgelöst werden müßte. Dieser Aufgabe erinnert sich auch Spranger an dieser
Stelle und Fährt fort: „In dem Abschnitt über die Methode unserer Psycho-
logie ist ausgeführt, daß sich Beschreibung des Bewußtseinsverlaufs und Ab-
leitung aus Sinnzusammenhängen nicht immer decken. Seelische Erlebnis-
zonen können unterbewußt in tiefer Sinnverbindung stehen, wälirend sie
im Bewußtsein nichts voneinander wissen oder wissen wollen." (Wir atmen
auf. Das von der unableitbaren Grundform des Erlebens war also bloß die
Beschreibung des bewußten Erlebens. Dem Jugendlichen — und auch
manchem Erwachsenen — erscheint die Erotik als unableitbare Grundform,
der Psychologe ist daran nicht gebunden, er darf versuchen, aus anderen
Annahmen diese Erlebnisweise zu verstehen? Die Antwort wird uns freilich
enttäuschen. Sie wird lauten; Nein. Doch vorläufig darf man noch hoffen.)
Das gilt von dem Verhältnis zwischen Erotik und Sexualität in der jungen
Seele. Beide Erlebniskreise können erweckt sein. Aber der Gegenstand des
Eros ist ein ganz anderer als der der sexuellen Erregung, und auch zeitlich
treffen sie noch nicht zusammen. Ohne Zweifel hat dies Auseinanderfallen
selbst wieder seinen tiefen Entwicklungsslnn. Wir können diesen Befund '
(welchen?) „auch so zugespitzt ausdrücken: In diesem Alter würde dieSexuali-
sierung des Erotischen die ideale Liebe zerstören; umgekehrt würde die volle
Erotisierung des SexueUen auch nicht gelingen". (Was offenbar der „tiefe
Entwicklungsslnn" ist, Was eine Zeile vorher noch Problem war, avancierte
still zum „Befund" und wird sogleich:) „Ein Beweis, daß gerade die sexuelle
Seite hier noch nicht zur vollen Reife gekommen ist" (84). Dies ist die
strenge Methode, der gegenüber die Psychoanalyse freilich ein recht primi-
tives Verfahren, aber immerhin, scheint mir, ein wissenschaftliches ist. „Daß
in der individuellen Seelentotalität nichts völlig beziehungslos nebeneinander
stehe, ist schon methodisches Postulat (ein Satz a priori). Aber wie es im
Zusammenhang stehe, bedarf näherer Untersuchung. Und mit ihr geht die
Deskription des Seelischen unvermeidlich in eine Seelentheorie über" (128).
Und da ja die Psychoanalyse die einzige kompetente Seelentheorie ist, über
die die Psychologie derzeit verfügt, geht Sprangers Erörterung unmittelbar
in jene Polemik gegen die Freudsche Lehre über, von deren formalen Quali-
OiCj^Iricd Bei'iilclti
täten wir oben sprachen. Die Psychoanalyse kennt nun den Erlebiiiskreis
der Erotik, wie ihn Spranger meint, wenn auch nicht definiert (denn : „Es
ist eine unangenehme Aufgabe, den Eros zu , definieren'") (85). Sie versteht
die Erotik als zielabgelenktc Strebungen des Sexualtriebes; sie kommt lu
dieser Anschauung aus der tausendfach bestätigten Erfahrung, daß onto-
genetisch die im engeren Sinn, dem Sprangerschen, sexuellen Regungen
und Erlebnisse den erotischen zeitlich vorausgehen, und die erotischen ,
im Sprangerschen Sinne, sich aus den sexuellen unter den verdrängenden
und zielabl engenden Einflüssen erst der erziehenden Erwachsenen, dann
des eigenen Ichs, das sich mit den Geboten und Verboten der Umwelt identi-
fizierte, allmählich sondern. Diese Sonderung wird am schärfsten in gewissen
Formen der Pubertät und wird mit dem Ende der Pubertät je nach dem
Typus mehr oder weniger wieder aufgehoben. Die Einzelheiten dieser Auf-
fassung gehören in die Theorie von der Pubertät, die in dieser Arbeit nicht
positiv behandelt werden soll. Diese Deutung des „im Erleben selbst Un-
verbundenen" (124) geschieht durch „Aufdeckung unterbewußter Sinn-
zusammenhänge , was eines der beiden von Spranger gestalteten Verfahren
ist, das andere bestünde im „Eingehen auf die übergreifenden Zusammen-
hänge, die der objektiven Geistigkeit des Kultur- oder Naturlebens ange-
hören** (128). Nun soll keineswegs bestritten werden, daß auch eine in-
haltlich andere Deutung durch Eingehen auf unterbewußte Zusammenhänge
möglich wäre, als die Psychoanalyse vorschlägt, Aber Spranger gibt sie jeden-
falls nicht.
Ihm gefallt diese Oberflächenpsychologie und ihr Versuch, den Zu-
sammenhang zwischen dem sexuellen und erotischen Erlebniskreis ver-
ständlich zu machen, nicht. Die „unterbewußte Deutung Freuds lehnt
er ab. Doch muß er sich immer wieder ihr peinlich nahe halten.
„. . . (Erotik und Sexualität) sind ihrem Wesen nach una eademque res
erlebt von zwei verschiedenen Seiten oder unter zwei verschiedenen At-
tributen. Im erotischen Erleben erfüllt sich erst der Sinn der Sexualität.
Aber das ist ein Bild. Und ein unzulängliches Bild. Aus dem Metaphy-
sischen ins Psychologische übersetzt heißt es wohl: Sexualität und Erotik
sind zwei verschiedene Erlebnisweisen für dasselbe Ding, (res). Diese
Sonderung in zwei streng auseinandergehaltene Erlebnis weisen ist Ergebnis
der Entwicklung, das im allgemeinen erst in der Pubertät sich vollendet,
die primitiven Äußerungen der eadem res in der frühen Kindheil zeigen
prävalierend die sexuelle Komponente, so daß man in gewissem Sinn jene
res auch Sexualität nennen konnte. In dieser Erwartung stärkt uns der
Die Iiculigo Psycliologic Act Pubertät 29
nächste Satz: „Denn entwicklungspsychologisch betrachtet, ja überhaupt
psychologisch betrachtet, vermag beides doch auseinanderzulreten." Es ist
dieselbe Sache, die nach dem Auseinandertreten als zwei ganz verschiedene
Sachen erscheint. „Dann haben wir auf der einen Seite die reine Erotik,
die nicht nur nichts weiß vom Sexuellen, sondern es sich ängstlich fern-
hält", und wir ahnen, daß eines der besten Mittel, diese ängstlich erwünschte
Femhaltung zu erreichen, wäre, die Erotik zu einer weiter nicht ableitbaren
Grundform des Erlebens zu erheben oder wenigstens zu erklären. Aber an
Stelle dieser psychologischen Deutung in der Sphäre der Auffindung un-
bewußter Sinnzusammenhänge folgt ein scliöner Ausdruck: „In unend-
licher Scheu und Schamhaftigkeit, weil diese Form^und Stufe der Ver-
einigung den höchsten Sinn nicht erfüllen würde." Ist dies nun Ver-
ständlichmachung auf der Ebene übergeordneter Sinnzusammenhänge oder
ein Bild aus der metaphysischen Sphäre? Wir bleiben im unklaren, denn
der weitere Verlauf des Absatzes schillert zwischen psychologischer und
dieser schönen und tiefen Ausdrucksweise. Ich setze ihn ganz hieher wegen
der Konklusion, die mit „also" an ihn angeschlossen wird: „Auf dieser
Stufe finden wir den Jugendlichen. Er fließt über von erotisch zeugenden
Geisteskräften, aber der Leib ist noch nicht in vollem Sinne mitzeugungs-
ßhig. — Auf der andern Seite gibt es eine bloße Sexualität, ohne Erotik,
ohne die Schwungkraft des beseelenden Ideals. Das ist auch ein Natur-
phänomen, aber eine leerlaufende, ihres ausfüllenden Sinnes beraubte
Sexualität. Der Jugendliche kennt auch auf dieser Seite den unersättlichen
Trieb, der beiden Erlebniszonen eigen ist; aber solange er noch in einem
Winkel der Seelentotalität geistig ist, wird ihn diese Sexualität nie be-
friedigen. Sie zieht ihn in den Kreislauf rein körperlichen Bedürfnisses.
Sie verurteilt ihn zu einem geteilten Dasein, in dem er nie ganz er selbst
sein, noch weniger ganz er selbst werden kann. Ahnungen von jenem
geistigen Gehalt liegen wohl auch noch im sinnlichsten Genuß, aber ver-
hüllt irreführend und deshalb in Schuld und Reue verstrickend, die immer
dann" auftreten, wenn der Mensch fühlt, daß er nicht ganz ist, was er sein
könnte und sollte" (155).
Mit diesen Sätzen ist ein geistiger Zustand geschildert, in dem sich
mancher Jugendliche befindet, und sie können einem Jugendlichen, der
gegen seine sexuellen Erlebnisse und Erregungen vom Erotischen her heftig
und immer wieder vergeblich ankämpft, sehr viel bedeuten. Er wird sie
schön, tief, richtig finden, denn er gewinnt an ihnen und ihrem Autor
eine Stütze im Kampf gegen seine Sinnlichkeit. Wo aber liegt hier ein
Oicjjli'icil Bcriifclil
deutender psychologischer Gedanke? Spranger schildert — nach seiner Weise,
der Weise des Jugendführers — das Phänomen, die Spaltung der Sexualität
in Zärtlichkeit und Sinnlichkeit, das Freud in einem kurzen Aufsat?, als
Forscher zu deuten versucht. Spranger legt den Akzent auf die Ideologie,
die aus diesem Zustand folgt. Dies könnte ein dankenswertes Unternehmen
sein. Wir haben noch nicht genug an phänomenologisch treuer Deskription
komplizierter psychischer Zustände. Aber er selbst weiß, daß die Deskription
nicht genügt, er stellt seinem Buch die Aufgabe, ihr die Deutung, wenig-
stens andeutungsweise anzufügen. Diese Deutungen müßten sich von der
phänomenalen Gegebenheit loslösen, von ihr unabhängig machen, auch
wenn in ihr eine sehr starke CTberzeugung davon mitgegeben ist, daß die
erlebte Sonderung eine naturhafte, objektive, metaphysische ist. Er selbst
stellt das Postulat sehr deutlich auf. Er weiß auch: „Metaphysische Aus-
deutungen dienen nur zu einer symbolischen Erläuterung" (85), können
also gewiß nicht an Stelle psychologischer Deutungen stehen, sondern
werden diesen — anmerkungsweise, wenn man auf sie aus irgendwelchen
Gründen schon nicht ganz verzichten kann — an Umfang und Gewicht
untergeordnet, bloß beizugeben sein; er weiß ferner: „Übrigens treibt diese
Erlebnisform selbst in solche Wellgedichte hinüber. Eines der größten, die
Platonische Philosophie, beruht zu einem erheblichen Teil auf erotischem
Erleben {85). Trotzdem gibt er seinem Weltgedicht unter dem Titel einer
Psychologie des Jugendalters, hinter einem ersten Abschnitt über Aufgabe
und Methode einen geradezu verschwenderischen Raum. Man könnte dies
noch hinnehmen, wenn wenigstens ein Wort über den „Zusammenhang
von Erotik und Sexualität" sich aus den Folgen des eigenen erotischen
Erlebens befreien würde, also nicht Weltgedicht, Seelengemälde, Philosophie»
sondern Wissenschaft wäre. Es fehlt. Denn alle auf den abschließenden
Absatz aufgesparten Hoffnungen werden zerstört. Er knüpft an das oben
Zitierte an und lautet:
„Das Erotische ist also" — Alsol aus dem Voranstehenden gefolgert I —
„keine Funktion des Sexuellen, das Sexuelle keine Funktion des Erotischen,
sondern beide gehören dem Entwicklungssinn nach wesenhaft in einer
Erlebnistotalität zusammen. Sie differenzieren sich beide aus einem Ein-
heitsgrunde heraus. Sie gehen eine Zeitlang getrennt, um sich im Höhe-
punkt des aufgeblühten Lebens wieder zu vereinen. Anders kann man
ihre Bezogenheit aufeinander nicht verstehen." Ich verstehe überhaupt
nicht mehr, Einheitsgrund? Das heißt: sie waren vor der Trennung ver-
eint. Als was? Wie nennt man den vor der Pubertät bestehenden Zustand,
Dil- liciitige Pjyehologie der Piiln-rtnt
WO Erotik und Sexualität gemeinsam ihre Befriedigung suchen, am ur-
sprünglichen Objekt? Wie nennt man den nach der Pubertät bestehenden
Zustand, wo sie wieder vereint sind? Was bedeuten diese Formulierungen,
die psychologisch so wenig besagen, anderes, als einen Schimmer von Ein-
sicht, der schnell verdunkelt wird, im Sinne der Pubertälserlebnisse, die
in unendlicher Scheu und Schamhafligkeit erklären, mit der Sexualität
weder verwandt noch identisch zu sein und doch als Differenzprodukte
eines Einheitsgrundes wie Geschwrister verwandt sind? Das ist Psychologie
der Pubertät, die dem Pubertätserleben gerecht werden will, gerecht in
der Deskription, was ihre Pflicht ist. gerecht aber auch in Wertung,
Deutung und Formulierung, also Pubertätspsychologie. Sie mag der Jugend
gefallen, soweit sie nicht Erkenntnisse über sich selbst sucht, sondern Be-
stätigimg, Rausch, Urteil, Schönheit, Religion. Dem Psychologen ist sie
langweilig oder Objekt der Deutung.
Eingangs seiner Erörterung hat Spranger von Sexualität und Erotik
erklärt: „Wohl behaupte ich, daß sie in ihrer gesamten Erlebnisfärbung
höchst verschieden sind, ja daß sie verschiedenen Schichten der Seele an-
gehören" {81). Das erstere ist unbestritten, das zweite hätte interessiert zu
hören. Spranger kam nicht vtfeiter darauf zu sprechen. Wir sind aus der
Psychoanalyse gewohnt, Worte wie „Schichten der Seele" ernst zu nehmen.
Bei Spranger ist das eben eine fa^n de parier. Es ist eine Frage des Stils,
ob er Schichte, Sphäre oder sonst was sagt, er wollte damit nur sagen,
was er schon im ersten Satz sagte, daß Sexualität und Erotik nicht das-
selbe sind. Nun sind sie ja, wie wir gesehen haben, doch dasselbe, eadem
res, und sind es doch nicht. Aber wer wird sich hier in Tifteleien über
Worte verlieren. Es kommt ja darauf an, „mit einem kühnen Griff die
Totalität des Seelenlebens zu packen", und die Methode ist eine schöne
Sache, die ausführlich in einem eigenen Abschnitt erledigt wird, um
dann nicht mehr verv^'endet zu werden. Im Text wird in beliebiger Ab-
wechslung Deskription und Deutung, mit Bildern und metaphysischen
Ausblicken verknüpft, geboten. Termini verschwimmen, rauschendes Blut
ist so gut wie Sexualität oder besser noch. Und mit „also" werden
schiefe Bilder, die nur Sj-mbolwert und Erläuterungsfunktion haben, zu
abschließenden Forschungsresultaten erhoben. Versucht aber ein Forscher,
freilich ohne der Methode ein Einleitungskapitel zu widmen, dafür aber
in jeder Zeile von elf starken Bänden sorgfältig und streng um sie be-
müht, an Stelle solchen anmutigen Chaos umschriebene Begriffe zu ver-
wenden, einen Sexualtrieb anzunehmen, und zu versuchen, den Wegen
52 Dicglru'J Bornlelil
sorgfaltig nachzugehen, auf denen die mannigfaltigen Äußerungen der
eadem res, rauschendes Blut und das Ewig-Weibliche, sich als Wandlungen
und Äußerungen eines, zweier Grundtriebe nach einer kleinen Zahl,
einzeln untersuchter, beschriebener, scharf formulierter und eindeutig be-
nannter Gesetze zu verstehen, so ist er (Freud) „ein Verwandiungskünstler
ersten Ranges. Denn die Umsetzungen und Ersatzauswege, die eine Analyse
findet {die also da sind, es wird nicht bestritten, daß sie gefunden sind),
„lassen schließlich das Harmloseste (z. B. das Ideal des Ewig -Weiblichen)
„als irgendwie verkappte sexuelle Wünsche erscheinen". Was ja dem Harm-
losen nichts schadet, weil die sexuellen Wünsche selbst dem Psychologen
recht harmlose „Naturphänoraene sein dürfen. Die Chemiker sind eben-
solche Verwandlungskünstler; aus einer Anzahl von Elementen bauen sie
die Welt auf, und das berauschendste Parfüm erweist sich als verkappte
Substanz sehr verdächtiger Niedrigkeit. Da ist Spranger ein anderer Ver-
wandlungskünstler, unter seiner tiefen Feder wird das Niedrigste hoch und
total. „Die Motive für diese eigenartige theoretische Verwirrung", nämlich
die Freudsche, „sind leicht zu erkennen, Ist auch der physiologische Ma-
terialismus bei Freud überwunden; es bleibt ein psychologischer Materialis-
mus bestehen" (131). In Sprangers Mund ist diese Feststellung ein Vorwurf.
Aber es fehlt der Erweis, daß nicht gerade diese Betrachtungsweise die
richtige ist. Dieser Erweis reduziert sich auf die nicht sehr tiefe Bemerkung:
„Die stillschweigende metaphysische Voraussetzung ist diese: das Vorhanden-
sein des sexuellen Triebes ist selbstverständlich; alle anderen müssen erst
verständlich gemacht werden. Allerdings ist dies die metaphysische Vor-
aussetzung der Psychoanalyse. Nur ist der Psychoanalyse das Wort Trieb
ernsthafter als Spranger. Das Vorhandensein der Triebe ist ihr in gewissem
Sinne selbstverständlich. Sie kennt deren zwei, die Sexualtriebe und die —
wie Spranger so richtig findet nicht glücklich als solche bezeichneten —
Ichtriebe; (später Eros und Todestriebe). Was sie an ihnen „selbstverständlich"
findet, hat sie umschrieben. Nicht: „alle anderen Triebe müssen aus ihnen
verständlich gemacht werden , sondern gewisse, nicht ursprüngliche Ver-
haltungsweisen müssen aus den ursprünglichen, den „selbstverständlichen"
verstanden werden. Und tatsächlich ist das komplizierte Sexual- und Eros-
verhalten, das Spranger an den Jugendlichen so sehr Hebt, daß er es gegen
die „Angriffe" der Psychoanalyse, die es als „Sublimierung" erklärt, ver-
teidigt, kein ursprüngliches, kein selbstverständliches. Sondern es ist zu er-
klären als eines, das unter bestimmten Gegebenheiten sich aus dem ur-
sprünglichen entwickelt. „Diesem Zwecke sollen nun die seltsamen Energie-
Dia: }it:Ljligt-- PAycln>U»BH.' der rixncrtät 33
transformationen dienen, von denen wir gehört haben." Die Energietrans-
formationen wurden bei dem Bemühen entdeckt, höchst seltsame psychische
Gebilde, wie Traum, Neurose, Perversion, den „Menschen mit seinem
Widerspruch zu enträtseln. Die Seltsamkeit der Tatbestände ist wieder
kein Vorwurf, der die Theorie trifft, sondern ein Faktum der Erlebnisweise
jener Jugendlichen, die unter erotischen Erlebnissen Weltgedichte kom-
ponieren und dabei vergessen, daß eine wissenschaftliche Theorie immer
seltsam ist, verglichen mit den ästhetisch oder ethisch erlebten Objekten
der Theorie. Wie seilsam ist doch die Theorie, eine rote blühende Rose und
stinkende Algen besäßen dieselbe Stibstanz und Zellenform. Weniger seltsam,
mehr tückisch ist die fortsetzende Bemerkung: „Der Hörer aber soll dabei
die Beruhigung empfinden, daß die sogenannten höheren Triebe als .bloße'
Sublimierungen doch auf die primären zurückgeführt werden können." Da
sind die Sprangerschen Hörer freilich andere Kerle. Sie empfinden Be-
ruhigung, wenn man ihnen klarmacht, und zu diesem Zwecke vorher die
Psychoanalyse verballhornte, daß der Sinn des körperlichen Zeugungsaktes
sich im idealistischen Erleben erfülle. Aber daß es einen Forscher geben
könnte, der weder die Beruhigung des Zynismus noch der Ethik seiner
Hörer beabsichtigt, wenn er ihnen die Befunde seiner Denkarbeit vorlegt,
scheint Spranger unfaßbar, und er will nicht begreifen, daß Sublimierung
ein dynamischer Begriff der Seelentheorie ist, wahrend das Wörtchen „bloß ,
das er in Anführungszeichen setzt, weil es kein Zitat aus Freud ist, eine
Bewertung ist, und zwar die Wertung, die ein beleidigter Ethiker den rein
psychologischen Feststellungen und Annahmen unterschieben muß, soll er
eine Möglichkeit haben, entgegen seiner intellektuellen Einsicht, die Trennung
zwischen Erotik und Sexualität, die ein Postulat seiner inneren Situation
ist, als Postulat der Ethik zuerst, als Befund der Psychologie sodann (durch
die Also-Methode) festzuhalten.
So sehr aus allem Gesagten deutlich wurde, wie Sprangers Auffassungen
den Boden psychologischer Betrachtung an beliebiger Stelle, je nach den
religiösen, ethischen, metaphysischen Bedürfnissen, die Befriedigung ver-
langen, für eine Weile verlassen, um an beliebiger anderer Stelle zu ihm
zurückzukehren, hieße es doch, ihm und seiner Betrachtungsweise Unrecht
tun, wollte man sich nicht vor Augen führen, daß er sich die Berechtigung
zu solchem Verhalten, aus einer methodischen Erörterung heraus zu geben
versucht. Sein Prinzip der Deutung aus übergeordneten Sinnzusammen-
hängen ermöglicht solche — wie uns scheint — wenig wissenschaftliche
Abschweifungen, und ermöglicht zugleich, sie mit einem Anschein von
jj Sifgined BcTiifcId
Wissenschaftlich keit zu unternehmen. Diesen Anschein gewinnt das Ver-
fahren, weil es ein wirkliches Problem der Psychologie angreift, und zu-
dem eines, an dem die Psychologie — auch die Psychoanalyse — zu rasch
vorbeigegangen ist. So daß von ihm aus eine Kritik der Psychologie möglich
ist, und jede Lösung wünschenswert erscheint.
Spranger sieht — mit der Psychoanalyse — keinen Weg, die bewußten
psychischen Phänomene aus sich heraus zu verstehen; er lehnt — eben-
falls eines Sinnes mit der Psychoanalyse — die Möglichkeit ab, die psychi-
schen Erscheinungen aus physiologischen Prozessen irgend einer Art zu
verstehen. Freud hat in dieser Situation den Versuch gemacht, die Deutung
der bewußten Erscheinungen aus dem Unbewußten zu geben und damit
eigentlich erst Entwicklungspsychologie konstituiert, denn das Unbewußte
ist das Resultat der individuellen Entwicklung, wie sie unter dem Zusammen-
treffen phylogenetischer Faktoren und eines bestimmten von außen ein-
wirkenden Schicksals wurde. Spranger anerkennt diesen Weg durchaus. Er
geht ihn selbst unzählbar oft (freilich in jener unmethodischen Weise, nach
der die Deutung aus dem Unbewußten wie Apercu oder Bild erscheint,
unverbindlich sein mag, jedenfalls durch nichts begründet ist.) Aber neben
diesem Weg fordert er einen anderen: „Wichtiger ist, daß die individuelle
Seelen struktur selbst eingelagert ist in größere Sinnstrukturen, die vom
Naturzusaramenhang bis in den objektiv geistigen Zusammenhang der
geschichtlich-gesellschaftlichen Welt hinaufreichen" (ii). „Die Einzelseele
ist von vorneherein verschlungen in den objektiven Geist . . . Der objektive
Geist ist eine überindividueUe Struktur, ein überindividueller Sinn- und
Wirkungszusammenhang . . . , er ist vor jedem einzelnen Individuum und
bedeutet für jedes einzelne einen vorgefundenen Komplex von Lebens-
bedingungen und richtunggebenden Faktoren . . . alles objektiv geistige
Leben ist getragen von der Gesellschaft und historisches Produkt ihrer
Schicksale. Man kann den Einzelmenschen nur verstehen, wenn man ihn
überall in die Verflechtung mit einer Gesellschaft hineinstellt, mit der er
verbunden ist durch Wechselwirkung und Solidarität, durch Empfangen
und Geben, durch Suggestion und Nachahmung, durch Führen und Geführt-
werden ... Es muß ganz allgemeine und ewige Sinnrichtungen geben,
wenn besondere zeitliche Ausprägungen der Sinnenzusammenhänge ver-
standen werden sollen. Diese ideenhaften Richtpunkte sind die beiden —
sich gegenseitig fordernden — i) der totalen Lebenseinheit, 2) der inneren
Differenzierung dieser Einheit nach bestimmten Sinnrichtungen, die immer
erfüllt werden müssen, wenn überhaupt geistiges Leben sein soll. Wo
Die heutige Psyciiologi« der Pubertät 35
alle diese gesonderlen Sinnrichtungen in der geistigen Lebenseinheit zu-
sammentreffen, liegen die religiös -ethischen Werte: die religiösen Werte
ausdrückend den höchsten Sinn der Welt; die ethischen Werte ausdrückend
den höchsten Sinn des personalen Lebens; jene in Beziehung auf dieses
und diese in Beziehung auf ein geahntes Weltganzes. Sofern sich das geistige
Leben an dieser Werthierarchie ewig und überall orientiert und orientieren
soll, bilden diese Werte in ihrer strukturellen Bezogenheit aufeinander den
normativen Geist, der — bildlich gesprochen — über dem jeweils ver-
wirklichten objektiv -historischen Geist richtunggebend schwebt" (15, 16).
So wären wir denn glücklich beim Weltganzen gelandet, — bildlich
gesprochen, — während wir auszogen, die Wirkungen der Gesellschaft,
sei's denn: des objektiven Geistes, auf die seelische Entwicklung des Indi-
viduums zu studieren. Aber gerade dieses bei Spranger ■ — wie es scheint
— unvermeidliche Enden im All bringt uns in seinem umfangreichen Buch
um jede konkrete Kenntnis dieser Beziehung und läßt seine methodische
Forderung ein piiim desideratum bleiben. Es sei zu wiederholtem Male erklärt :
ich leugne nicht, daß der Philosoph tiefe Befriedigung aus seinem Denken
zieht und einem Publikum vermittelt. Ich bin nicht zuständig zu ent-
scheiden, welchen Rang die Sprangersche Philosophie einnimmt, was an
ihr originell, was an ihr zukünftig, wie weit sie naheliegende Fort- und
Umbildung vorhandenen Gutes ist, wie weit sie Gesichtspunkte enthält,
die bisheriges Philosophieren revolutioniert. Daß sie aber nicht psycholo-
gische Wissenschaft ist, das ist gewiß. Und darum allein schon, weil sie
sich um das Weltganze bemüht, weil sie sich und dem Publikum ästhe-
tisch-religiöse Befriedigungen gewährt, die sie — wenigstens noch — nicht
bieten kann, und daher nicht bieten darf. Die Psychologie hat sich lang-
sam von der Philosophie befreit, sie hat aber kaum einige Jahrzehnte Zeit
gehabt, noch im Befreiungskampf stehend, ihre eigene Basis zu gewinnen,
als sie mit Haut und Haar der Physiologie verfiel. Sie hat eben jetzt
begonnen, sich dieser neuen Gefangenschaft zu entziehen, sie macht die
ersten Schritte, frei und selbständig, und schon soll sie tanzen und beten
können, daß die Zuschauer erschüttert und erbaut sind; und da sie's nicht
können kann und darf, soll sie schnell wieder der Philosophie ausgeliefert
werden. Bildlich gesprochen.
Die Ursachen dieser theoretischen Verirrung — wie Spranger sagt —
sind leicht zu verstehen. Die Psychologie, so gut wie jede Wissenschaft,
braucht ihre eigene Methode, und zwar Forschungsmethode, was nicht ganz
das gleiche wie „Methode" aus dem I. Abschnitt Sprangers ist. Da nun
3*
56 Sipgfrieil BernU'Id
einmal eingesehen ist, daß die Psychologie sich im Kreise um sich selbst
bewegt, wenn sie die bewußten Phänomene aus bewußten erklärt, bedarf es
einer Methode, die ihr Material schafft, mit dessen Hilfe sie die bewußten
Phänomene erklärt, versteht, deutet. Dies Material aber können nicht Ge-
danken des Psychologen über seine Erlebnisse, und nicht die bewußten
Erlebnisse und die Gedanken über die von fremden Objekten sein. Denn
dies wären wieder Phänomene derselben Kategorie. Also nicht Material
dieser Art darf es in erster Linie xmd ausschließlich sein. Anderseits muß
dies Material empirisch gewonnen und mit den Kriterien wissenschaftlichen
Denkens und Forschens geprüft sein. Spranger hat keine solche Methode
der Forschung. Er verwendet gelegentlich so gefundene neue Fakta. Gelegent-
lich und in jeder Beziehung nach Bedarf. Uie Psychoanalyse — als For-
schungsinstrument — ist solch eine Methode, die Material zur Deutung
der bewußten Phänomene schafft, sie lehrt neue Fakta kennen. Und darauf
kommt es nun einmal bei einem wissenschaftlichen Verfahren an. Ob die
Psychoanalyse die einzige psychologische Lehre ist, die über eine solche
eigene psychologische Methode verfügt, sei hier nicht entschieden. Jeden-
falls ist ihre Methode am längsten, am mannigfaltigsten im Gebrauch, sie
ist sorgfältig nach ihren Grenzen und Möglichkeiten geprüft und erwogen.
Die zweite Stufe ihrer Entwicklung erretcht die Wissenschaft und ebenso
die Psychologie, w^enn sie ihr Material unter dem Gesichtspunkt einiger
einfacher Annahmen zu ordnen beginnt, die vor allem die Besonderheiten
des neuen deutenden Materials berücksichtigen, und wenn sie versucht, es
selbst zu verstehen, zu erklären und zu deuten, indem sie das anfangs
deutende Material mit Beziehung auf diese Annahmen deutet. Es bildet
sich eine Theorie. Spranger bietet keine solche Theorie. Die Psychoanalyse
legt eine Theorie in ihren Annahmen über Natur und Schicksal der Triebe,
im Begriff der psychischen Energie und ihrer Ökonomik vor. Hier mag
noch vieles höchst unsicher sein. Es ist ein Anfang, und, soviel ich sehe,
der einzige Anfang von Belang,
In dieser Situation der Psychologie als Wissenschaft findet Spranger, daß
eine Problemstellung übersehen ist, die nach den Einwirkungen oder Wechsel-
beziehungen der Gesellschaft. Er findet, es sei die wichtigste Fragestellung.
Dies ist sein gutes Recht. Wir überschätzen unseren eigenen Anteil an der
Umwandlung des objektiven Geistes. Wissenschaftlich wäre, mit irgend-
einer Methode, aber mit einer wissenschaftlichen (siehe oben) und der ihr
entsprechenden Theorie, die ersten Schritte zur Klärung des neuen Problems
zu tun. Eine stille und bescheidene, aber eine sehr nützliche Aufgabe. Das
JJi*' lit'uti^i- Piy*-Iiolocif der Pubcrtüt ^7
ist nicht Sprangers Verfahren. Und es ist wieder sein unbestrittenes Recht,
zu verfahren, wie er für gut befindet. Wir aber dürfen — bei aller Be-
scheidenheit — empfinden und sagen, daß er nicht Wissenschaft, nicht
Psychologie betreibt, sondern Seelengemälde malt; und daß er den Auf-
bau einer bescheidenen psychologischen Wissenschaft durch verfrühte Totali-
tätsforderungen, durch unsichere Methodik und durch „tiefe Gedanken
stört.
5) U nxenntnis und ivüniineit
Neben Tnmlirz, der unlheoretisch verfährt, und Spranger, dessen Theo-
rien gewiß keine psychologischen sind, unternimmt Charlotte Bühler*
den „Versuch einer Analyse und Theorie der psychischen Pubertät . Die
Analyse, die Bühler gibt, ist zwar nicht sehr tiefgehend und die Theorie
sehr einfach, beinahe dürftig, wenig ausgebaut und in vielen Punkten
völlig unzureichend, während sie in anderen — nach meiner Meinung —
sehr beachtenswerte Ansätze zeigt, aber man kann der Bühlerschen Theorie
nicht vorwerfen, daß sie im wesentlichen außerpsychologischen Bedürfnissen
dient. Auch Bühler verfällt der Versuchung, an entscheidenden Stellen päd-
agogisch, sogar ethisch zu sein, aber sie versucht eine reinliche Scheidung,
die ihr freilich nicht gelingt, und die gerade an den Problemen, welche
die Psychoanalyse aufwirft, scheitert. Darum betrachten wir auch ihr Buch
von dem Standpunkt aus, welclies ihre Stellung zur Freudschen Lehre ist.
Und wir stellen vorweg fest : Bühler gehört zu der seltenen Art wissen-
schaftlicher Schriftsteller, die zwischen der ersten und zweiten Auflage
eines Buches neue prinzipielle Gesichtspunkte zu lernen vermögen. Leider
gehört sie nicht zu der seltensten Gruppe, die imstande ist, dies Neu-
gelernte auch als erlernt zu bekennen.
Das Literaturverzeichnis der ersten Auflage kennt Freud nicht, immer-
hin das „Tagebuch eines halbwüchsigen Mädchens". Freilich erhebt sie
Einwände gegen dieses; „Das von Freud veröffentlichte Tagebuch benutze
ich mit etwas Vorsicht, da mir niemals Ähnliches begegnet ist und es zwar
merkwürdig gut zu seinen Ideen, aber nur schlecht zu meiner Kenntnis
des normalen Mädchens in der Entwicklung paßt." Solche Vorsicht steht
der Forscherin gut; sie sollte sie freilich auch dort anwenden, wo es sich
um Tagebücher jrmger Mädchen handelt, deren Inhalt merkwürdig gut
i) Dr. Charlotte Bühler: Das Seelenleben des Jugendlichen. Versuch einer Analyse
und Theorie der psychischen Pubertät. Jena igaa.
38 Siegfried BcrnltlJ
ZU ihren Theorien und schlecht zu den Erfahrungen anderer Forscher paßt.
Weniger kleidsam ist meines Erachtens für die Forscherin, daß sie sich „da
vollständig Stern" C74) und anderen Protestkundgebungen anschließt. Und
gar nicht muß man, wenn man schon das Bedürfnis fühlt, den Protest
mit Argumenten zu versehen, eine profunde Unkenntnis der abgelehnten
Anschauungen decouvrieren, wie Bühler sehr frischweg und harmlos tut:
„Es gibt Jugendliche, die vor dem Einschlafen, wo ein kurzes Intermezzo
lebhafter Bilder die Regel ist, von sexuellen Vorstellungen aller Art gepeinigt
und doch gleichzeitig unwiderstehlich angezogen werden, und zwar wie es
scheint, unter stärkerem Hervortreten sadistischer und masoch istisch er 7<üge.
Bei den gesunden jungen Menschen sind das vorübergehende Schatten,
die bei wachem Bewußtsein bedeutungslos geworden sind. Ich vermeide
absichtlich das Freudsche Wort .verdrängt'. Um eine Verdrängimg handelt
es sich hier meiner Ansicht nach gar nicht" (und natürlich niemandes An-
sicht nach, am wenigsten Freuds. Er würde hier ganz gewiß das Wort „ver-
drängt" absichtlich auch vermeiden. Doch scheint es ßühlers Ansicht von
der Psychoanalyse zu sein, daß sie das Wort „verdrängt" niemals zu ver-
meiden bereit ist), „sondern es handelt sich um rein periodische Zustände
(einen Ausdruck, den ich vermeiden würde, weil er nich.ts sagt, am wenigsten
einen Gegensatz zu der Auffassung verdrängt beinhaltet, was ja — fälsch-
lich — Bühler als Freuds Erklärung des Phänomens unterschiebt). „Daß sie
im kranken und überreizten Bewußtsein überhandnehmen und dann aus
erwachendem Schuld- und Schamgefülil einen Akt der Verdrängung pro-
vozieren können, bleibt dabei unbestritten. (Es bliebe aber noch deutlich
zu machen, warum das nicht im gesunden Bewußtsein auch der Fall sein
könnte, und inwieweit nicht das überreizte Bewußtsein in der Pubertät das
Normale ist.) „Aber was dem Psychiater immerhin alltäglich unter Kranken
sein mag, ist darum noch längst nicht eine alltägliche normale Erscheinung
(gewiß darum noch längst nicht, aber Freud hat auch nicht behauptet,
seine Funde gelten darum auch für den Gesunden, weil er sich an sie
gewöhnt hat). „Hiermit ist gleichzeitig eine Stellungnahme zur Psychoanalyse
angedeutet. Mag sie immerhin in maßvoller Anwendung eine Methode zur
Behandlung seelisch Kranker sein" (was zu entscheiden Bühler, die nicht
Psychiater ist, auch die Psychoanalyse nicht kennt, nicht befugt ist, wie
sie wohl selbst anerkennt, aber dann wohl auch nicht befugt ist, durch
„maßvoll" das indizierte Quantum von Psychoanalyse zu beurteilen), „als Er-
ziehungsmethode oder Methode zur Analyse Gesunder halte ich sie direkt
für verhängnisvoll und schließe mich da vollständig Stern und Lindworaky
Die heutige Psycliologie der Pubertät Sg
an." Mag immerhin diese Beurteilung für die Psychoanalyse als Therapie
und für die psychoanal}'tischen Erziehungsmethoden gellen, so wäre doch
interessant, auch ein kräftig kleingedrucktes Wörtlein über die Psychoanalyse
als Psychologie zu hören. Dies ist wohl mit angedeutet in den folgenden
Sätzen: „So wenig das Unbewußte Verdrängungsprodukt zu sein pflegt."
Es gibt also immerhin ein Unbewußtes und es ist, wenn es das auch nicht
pflegt, so doch gelegentlich Verdrängungsprodukt, und Frau Bühler drückt
hier einen sehr schönen Gedanken in recht unzulänglicher Form aus, denn
das Unbewußte ist tatsächlich bei Freud mit dem Verdrängten nicht identi-
fiziert; und der näheren Überlegung der Beziehung beider hat Freud eine
hübsche Anzahl von Sätzen gewidmet, und kommt nicht zu so einseitigen
Anschauungen wie Bühler im folgenden Einschaltesatz; „— im gesunden
Leben ist es meistens das Vorbewußte, Instinktive, aus dem die gefühls-
sichersten Wertungen hervorgehen und in dem das Schaffen seine unerschöpf-
lichen Quellen hat — so wenig kann eine Bewußtwerdung zweckmäßig
sein. Sie bedeutet meist nur eine Verflachung des Erlebens und kann in-
sofern .Afl'eklh eilung' sein." So wenig diese Schlüsse und Antithesen logisch
sind, so wenig haben sie mit der Psychoanalyse als Psychologie zu tun, sondern
noch immer mit ihr als Therapie, und noch weniger Kenntnis verraten sie,
als eben durch die Lektüre der gegnerischen Schriften und heute bereits
aus populärer Literatur zu erfahren ist. und ebensowenig sollte man sich
in — immerhin maßvolle — Polemiken einlassen, wenn man Unbewußtes,
Vorbewußtes, Verdrängtes nicht voneinander zu scheiden vermag. Die zwei
noch übrigen Erwähnungen der Psychoanalyse vermögen an diesem Ein-
druck, daß die Verfasserin über eine Lehre urteilt, von der sie nicht
mehr erfaßt hat als den populären Sinn eines populär gewordenen Schlag-
wortes (Verdrängung), nichts zu ändern; er wird durch sie nur verstärkt,
So bringt S. 3 bereits die gründliche Erledigung der Psychoanalyse, lautend:
„Von erfahrenen Ärzten wird versichert, daß die Jugendlichen der Kultur*
kreise offenbar zwei Wellen bilden: getrennt und unmittelbar neben den
kokettierenden, sexuell eingeweihten und sexuell bedürftigen gibt es zu-
versichtlich Jugendliche, die in ihrer ganzen Pubertät niemals vom Sexual-
leben Kenntnis erhalten, niemals sich damit befaßten und nur alle jene
anderen Übergangserscheinungen erlebten, die man heute vielfach als Pro-
dukt verdrängter Sexualität auffassen will. Dieser Deutung kann ich nach
bisherigen Kenntnissen nicht beipflichten. Vielmehr gibt es zwei durcliaus
normale Bedingungen sexualferner Pubertät: einmal geringere Trieb-
stärke, infolge deren die Sexualität sich überhaupt nicht aktiv meldet.
4o iSii'glrifd Bonilcld
bis sie zu einem durchaus normalen Dasein geweckt wird, sodann lang-
same Reifung, die ja bei allen Funktionen als etwas Normales bekannt
ist." Man muß schon ungewöhnlich wenig von der Psychoanalyse wissen,
um den Mut zu finden, so völlig windschiefe Bemerkungen über sie zu
machen. Denn was mag die geringe Triebstarke und die langsame Reifung
mit der Verdrängungslehre zu tun haben? Wenn nicht diese beiden Fakten
das Resultat von Verdrängungen sind. Aber Biihler hat die Vorstellung,
daß die Psychoanalyse eine Schülerarbeil ist; daß Freud niemals eingefallen
ist, geringe Triebkräfte und langsame Keifung könnten zu dem gleichen
Resultat führen, wie Verdrängungen, und es genüge, irgendeinen Einfall
zu produzieren, um die Psychoanalyse zu erledigen. „Als ein Beispiel solcher
vollkommener ünberührtheit berichte ich hier anmerkungsweise den Brief
einer sechzehnjährigen Fortbildungsschülerin . . .", fügt hier Bühler eine
lange Anmerkung an, die sie in der zweiten Auflage strich, da sie selbst
erkannt hat, daß ihr Begriff von Unberührtheit von der Psychoanalyse be-
stritten wird, oder daß wahrhaftig dieser Brief kein Beweis von Unberührtheit
ist. Und den wir daher in seiner völligen, komischen Deplaciertheit nicht
erörtern wollen.
Die zweite Auflage ist in jeder Hinsicht verändert, bereichert und tat-
sächlich beträchtlich verbessert. Auch in bezug auf die Stellungnahme zur
Psychoanalyse. Die ablehnende Einstellung zum „Tagebuch eines halb-
wüchsigen Mädchens" wird noch verschärft durch eine Begründung der
Unglaubwürdigkeit. Der „kühnen Vermutung", es sei erfunden, schließt
sich Bühler nicht an, „riskiere aber zu behaupten, daß die darin geschilderte
Entwicklung schwerlich normal und als Quelle kaum zu verwerten ist" (47).
Diese Behauptung ist gar nicht riskiert, denn unnormal kann man natür-
lich ohne weiteres die Verfasserin des „Tagebuches" nennen. Die Frage
bliebe offen, ob solches unnormales Verhalten nicht recht häufig ist, was
nach meinen zufälligen Erfahrungen z. B. unzweifelhaft ist, und wie es
zu verstehen ist. Ich halte das Tagebuch für ein Dokument jugendlichen
Seelenlebens, ebenso wie die von Bühler herausgegebenen Tagebücher. Ich
habe schon 1913 die Herausgabe solcher Dokumente gefordert und bin der
Überzeugung, daß jedes Tagebuch, ungekürzt und Ireu publiziert, als Quelle
zu werten ist.
Freilich ist weder das im Psychoanalytischen Verlag erschienene, noch
sind die bei Fischer von Bühler publizierten Tagebücher in dem Sinne
Dokumente, den Bühler für ihre eigenen Publikationen annimmt. 'I'age-
bücher Jugendlicher sind keine Quellen im Sinne historischer Quellen:
DiC liciitigi- P.iyi-liologii- der Pufiertnt ^i
d. h. es kommt bei ihnen ganz und gar nicht auf die Glaubwürdigkeit
der Verfasser an. Und man kann sie nicht als Zeugen für Tatbestände
führen, oder nur mit kritischer, methodischer Vorsicht, die in gleicher
Weise gegenüber den glaubwürdigen Verfassern und Fakten wie gegenüber
den unglaubwürdigen anzuwenden ist. Tagebücher sind durch bewußte und
unbewußte Tendenzen entstellte Darstellungen, genau so wie Träume,
Phantasien, Dichtungen Jugendlicher. Sie leisten uns; i) die Kenntnis des
manifesten (also durch Tendenzen mannigfaltig entstellten) Fühlens, Wün-
Sehens und Erlebens der Pubertät; 2) sind sie Quellen für die Deutung
dieser Tendenzen und des durch sie entstellten psychischen Materials. Solche
Deutung bedarf der Anhaltspunkte, deshalb ist ein Tagebuch als solches,
ohne weiteres Material seines Autors von beschränktem Wert für die
psychologische Erkenntnis des Autors, und man wird sich im allgemeinen
begnügen müssen, es zur phänomenologischen Bereicherung zu verwenden;
was darüber hinausgeht, kann nur den Wert von Annahmen und Kon-
struktionen beanspruchen. Keineswegs aber darf man den Tagebüchern
„glauben" — weder dem halbwüchsigen Mädchen noch dem jungen Mädchen
— in dem Sinne, in dem es Bühler tut, die ihren Mädchen glaubt und
daher dem Hug-Hellmuthschen nicht glaubt, was sehr ungerecht ist und
auf einem methodischen Grundfehler beruht. Anderseits weii3 Bühler natüi-
lich, daß die Tagebücher eine Deutung, d. h. eine Beziehung auf in ihnen
nicht enthaltenes Material verlangen, und sie verbindet mit dem „Glauben'
an ihre Quellen zahllose Deutungen, die über diese Quellen hinausgehen,
indem sie sie z, B. als Belege für ihre Theorie des Ergänzungsbedürfnisses
deutet. Aber diese Deutungen geschehen unmethodiscb nach Belieben, von
keinerlei Prinzipien der Deutung gestört oder eingeschränkt. Dies führt zu
wissenschaftlich recht angreifbaren Verhaltungsweisen,
Ein Beispiel, das diesen Vorwurf belegt, und zugleich unser aktuelles
Thema: Bühler und die Psychoanalyse betrifft, lohnt nähere Betrachtung.
In ihm gestaltet sich die Verfasserin ein lustiges Quidproguo. Anschließend
an die bereits bekannte Ablehnung der Erklärung durch „Verdrängung",
bemerkt Bühler (ia8, 129):
„In Tagebüchern werden gelegentlich ,verrückte' Träume und Träumereien
berichtet und mit einigem Staunen oder einem unangenehmen Gefühl ver-
merkt, aber selten mit nachhaltiger Wirksamkeit." Hier ist Buhler absolut
gläubig. Weil der gelegentlich verrückte Traum nicht wiederkehrt, und der
Tagebuchschreiber auch nicht weiter von einer Wirksamkeit berichtet,
besteht diese nachhaltige Wirksamkeit für Bühler nicht. Das heißt enl-
^a SiogfncJ BeriilKiJ
schieden das glaubwürdige Tagebuch mit einem Notariatsakt verwechseln,
die beide freilich Dokumente sind, aber von verschiedener Art der Glaub-
würdigkeit. Das Beispiel lautet; „Jetzt will ich noch ein paar verrückte
Träume hier aufschreiben. Ich träumte, daß ich beim Roehl (Schulfreund)
wäre, der sagte mir irgend etwas von Geld und fing dann an, mich ab-
zuküssen, und dabei durchströmte mich ein Gefühl von Wärme. Neben
Roehl saß ein Herr, den ich aus der Ausstellung her kannte. — Ich wollte
Roehl besuchen, und als ich zu ihm kam, zog er sich gerade zu einer
Einladung an, wo er als Mädchen auftreten sollte. Ich mußte sofort wieder
fort. Roehl und ich waren in einem riesigen, kalten und kahlen Zimmer,
und er zeigte mir lange Gedichte, die er nachts im Bett gemacht hätte,
auch sah ich sein Tagebuch, in dem fast alles in Versen geschrieben war."
Zu diesem Tagebuchbruchstück meint Bühler neckisch: „Welche , Fund-
grube* wäre das für den Analytiker! Was würde er hier alles herauslesen I
Da ich wenig Hoffnung habe, Bühler zu überzeugen, könnte ich in Revanche
sie necken und könnte fragen, warum sie Fundgrube unter Anführungs-
zeichen setzt, ihr zeigen, daß dies nicht das Zeichen des Zitierens, sondern
der Ironie ist, und mich sehr über sie lustig machen, daß sie so tiefe
Deutungen über ihren Widerstand dem Analytiker ermöglicht und über
die ihr unbewußten Motive ihres Sich-Lustig-Macliuns. Aber, da ich doch
die HolTnung habe, einige Leser zu überzeugen, erkläre ich hier feierlich
und im Elrnst, daß der Psychoanalytiker aus dieser „Fundgrube gar kein
Gold „herauslesen" kann. Denn unsere Deutungen verlangen Deutungs-
material, das über das zu Deutende hinausgeht. Wir brauchen unbedingt
die Einfälle des Träumers zu seinem Traum, um über ihn irgend etwas
aussagen zu können. Dieser Traum sagt über sich selbst nichts aus. Ein
Analytiker, der soviel riskiert wie Bühler auf der nächsten Seite, konnte
allerbesten Falles vage Vermutungen haben über dieses oder jenes Detail
des Traumes, Vermutungen, die aber gerade das Individuelle nicht treffen
könnten, und die überdies erst der Bestätigung bedürften, die uns wieder
nur der Träumer selbst geben kann. Es tut mir leid, daß das Bild, das
sich Bühler vom Analytiker gemacht, so völlig unzutreffend ist. Vielleicht
korrigiert sie es durch Studium der Freudschen Schriften. Wir lesen hier
nichts heraus. Höchstens werden wir uns sagen: wir wissen zwei Fakta,
die über den berichteten Traum hinausgehen, und beide vom Träumer
seihst: Erstens, daß er selbst den Traum für „verrückt" erklärt. Das heißt
zweifellos, daß er ihn als einen bezeichnen will, mit dem seine Persönlich-
keit nicht einverstanden ist, für den er nicht verantwortlich ist. Zweitens.
'^
Die heutige Pjyclioiogie Jer Pubcrtnl ^5
daß er ihn trotzdem für wert hielt, nicht allein gemerkt, sondern im
Tagebuch vermerkt zu sein. Aber daraus läßt sich so gut wie nichts
Konkretes schließen. Wir würden freilich nur wenig erstaunt sein, wenn
sich zeigen sollte, daß der Inhalt des Traumes vom sonstigen Verhalten
des Träumers recht weit absteht; wir würden ferner auf einen ziemlichen
Widerstand des Träumers gegen den Versuch der Deutung gefaßt sein, und
diese erst dann wagen, wenn wir mehr über den Träumer, sein Verhalten,
seine Gedanken, den Traumanlaß usw. wüßten. Wollten wir den berichteten
Traum deuten, ohne daß der Träumer seine Einfälle mitteilte, so müßten
wir aus dem übrigen Tagebuch uns jene Stellen zusammensuchen, die wir
als Einfälle" verwenden könnten. Es ist das ein Verfahren, das natürlich
sehr beträchtliche Fehlerquellen enthält, aber das sich immerhin recht-
fertigen läßt. Bühler selbst scheint es für einwandfrei zu halten, denn
nachdem sie durch die neckische Apostrophe verraten hat. daß sie auch
in der zweiten Auflage noch keine Kenntnis vom analytischen Verfahren
besitzt, erklärt sie: „Und doch sind faktisch die Beziehungen von V.
(dem Träumer) zu diesem Freunde sehr ruhige und kindliche. V". steht ihm
sogar kritisch gegenüber und kommt bald sehr sang- und klanglos mit
ihm auseinander." Für den Versuch der Traumdeutung sind diese Sätze
von Wichtigkeit. Sie beinhalten, wie V. sein Verhältnis zu Roehl schildert.
Man muß ihm nicht glauben, daß es wirklich so war; sondern so erschien
es ihm selbst. Und weil der Traum von diesem Verhalten sehr weit ab-
steht, wird er als „verrückt" bezeichnet. Für Bühler sind die von V. be-
richteten Einstellungen nicht Fakten, sondern die faktischen Beziehungen.
Dies aber selbst zugegeben, irrt sie sehr, wenn sie diese faktischen Be-
ziehungen gegen das ausspielt, was nach ihrer Meinung der Analytiker
„alles herauslesen" würde, sie teilt ja nicht mit, was sie in dieser Grube
unter dem Anführungszeichen angeblicher Analjtikermeinung gefunden
hat, es war jedenfalls unkindlich und unruhig. Aber in jedem Fall kann
natürlich im Traum ein faktisches Verhalten durch ein nie stattgehabtes
ersetzt sein; und unbewußte Gedanken, die der Träumer als seine nicht
gelten lassen würde, können sich im Traum Ausdruck verschaffen. Vor der
Deutung muß der Analjniker wissen, wie V. zu Roehl steht; es kann ihm
gleichgültig sein, ob ruhig oder wild, die Fakta aber muß er kennen.
Von diesen gibt Bühler noch ein Stück: „V. charakterisiert ihn unter
anderen Mitschülern kurz nach dem Traumbericht zweimal folgendermaßen:
, Roehl ist sehr hübsch, mein bester Freund, hat einen sehr anständigen
Charakter, hat aber sehr viel Neigung zum unangenehm vornehmen
^4 iSii-glnnl Bvi-iilcK!
Herrchen. — Roehl ist ein Mensch, der eigentlich sehr anständig ist, aber
er hat zuviel Freunde und Freundinnen, und diese haben ihn vollständig
verrückt gemacht. Er ist sehr hübsch, zwar hat sein Gesicht etwas Mädchen-
haftes, er weiß auch zu sehr, daß er hübsch ist, und bis vor kurzem hatte
er absolut keinen Freund oder Freundin, den er wirklich gern gehabt
hätte. Aber vorgestern las er mir eine Geschichte, die er gemacht hatte,
vor, sie hatte ungefähr folgenden Inhalt: Ein Junge ist in den Ferien
auf dem Lande und trifft dort ein Mädchen, das ihn durch ihr Auge
zwingt, sie zu küssen. Am nächsten Tage sagte er mir, daß er der Junge
gewesen sei.' Roehl ist mädchenhaft und redet schon viel vom Küssen
und Dingen aus einer Welt, die den damals noch sehr kindlichen V. sehr
erstaimen. Diese Zuge kehren im Traum wieder. Ich bin so kühn, weiter
nichts wie dieses als Grundlage des obigen Traumes anzunehmen und die
Ausgestaltung der Bilder im Traume der im ersten Erregungsbeginn stehenden
Puberlätsphantasie zuzuschreiben, Weder verkappte Wünsche, noch ver-
kappte Abwehr, noch sonst Geheimnisse enthält dieser Traum für den,
der die Entwicklung von V. kennt . . . Die Freundschaft mit Roehl ist
nur eine kurze Episode für V. Kurz vor diesen Träumen macht V. eine
Überlegung über Freundschaft und Liebe, bei der Roehl noch gar nicht
genannt wird. ,. . . Ich glaube, daß wahre Freundschaft oft Liebe ist. Aber
während man einen Schuft lieben kann, so kommt bei der Freundschaft
noch die gegenseitige Achtung. Deshalb ist Freundschaft nur unter An-
ständigen möglich. Eichwald habe ich geliebt, nicht geachtet. Richter
achtete ich nur. In der Erinnerung liebe ich ihn auch.'" Zu Eichwald
macht Bühler in Parenthese die Bemerkung; „Dieser wird einmal als ge-
meiner Schuft bezeichnet. Seine Sache hätte weit eher zu Traumen im
Sinne der Analytiker Anlaß geben können, tat es aber nicht." Sic.' O Gläubig-
keit! Weil V. solche Träume nicht berichtet, hatte er auch keine! Nein,
so darf man Tagebücher nicht als Quellen für die jugendliche Forschung
benutzen. Noch weniger darf man von „Träumen im Sinne des Analytikers"
sprechen. Man verrät dadurch, daß man nicht weiß, daß die Analytiker
nicht vom manifesten Trauminhalt, sondern von seinen latenten Gedanken
sprechen, und man zeigt, daß man die Vorstellung der Provinzzeilungen von
Psychoanalyse teilt, „im Sinne der Analytiker" sei ein Trauminhalt, der —
unanständig ist.
Bühler gibt also eine Deutung, die sie selbst kühn nennt. Ein Ana-
lytiker würde nicht so kühn, aber etwas methodischer verfahren. Wir
nehmen die Gelegenheit, dies analytische Verfahren an diesem Beispiel zu
Dil* lii'uli^f PsyrliologiL- Jit Piilu'itiil J^
demonstrieren. Und hoffen zugleich 2u zeigen, was der rechte Glauben
gegenüber Tagebüchern unserer Meinung nach ist. Die von Bühler auf-
geworfene Frage ist, was man aus jenem Traum „herauslesen" kann. Wo-
bei das Tagebuch an Stelle der „Einfälle" des Träumers stehen muß. Bühler
selbst sammelt nun „Einfälle'" aus dem Tagebuch, in dem sie teils vor,
teils nach dem Traumbericht niedergeschriebene Stellen aussucht, die dazu
zu gehören scheinen. Das ist das richtige Verfahren, aber Bühler ver-
wendet es nicht konsequent- Sie sucht aus, was sie brauchen kann zur
Polemik gegen die analj-tische Windmühle, die sie sich errichtet hat.
Methodisch wäre, konsequent zu verfahren, d. h. alle Tagebuchstellen
zu verwenden, die sich auf den Traum beziehen können. Natürlich nicht
nur jene, die sich auf Roehl beziehen, denn der Traum handelt nicht
bloß von Roehl, es ist fraglich, wie weit er sich auf ihn überhaupt be-
zieht. Die Vollständigkeit ist eine absolut nötige methodische Forderung,
da ja auch dann längst nicht die wünschenswerte Menge Deutungs-
material zustande kommt. Nicht alles Gedachte und Erlebte wird ins Tage-
buch aufgenommen, sondern bloß eine Auswahl. Natürlich nicht eine zu-
iallige Auswahl, sondern eine motivierte. Das ist der Glaube, mit dem
wir an ein Tagebuch herantreten : Es stellt eine streng motivierte Auswahl
des Erlebten dar; jedes niedergeschriebene und ausgelassene Wort hat seinen
Sinn. Nur sind uns leider die Kriterien der Auswahl unbekannt; sie waren
es auch dem Tagebuchschreiber. Wir werden die Fehler, die aus dieser
Quelle fließen, nicht vermehren dürfen, indem wir noch eine willkürliche
Auswahl treffen. Nirgends im Bühlerschen Buch sind Tagebücher in diesem
Sinn verwendet, nirgends werden sie sorgfältig untersucht und das Ergebnis
der Untersuchung mitgeteilt, sondern sie werden benutzt, um Belege für
die Bühlerschen Anschauungen zu liefern, die freilich aus den Tagebüchern
gewonnen sind, aber nicht anders, als daß diese Lektüre der Tagebücher
der Verfasserin Eindrücke gab, die sie je nach ihren sonstigen eigenen
Jugenderfahrungen und Fremdmitteilungen verarbeitete. Was ein impressio-
nistisches Verfahren ist, durch das man niemals zu ernsthafter Analyse und
Theorie der Pubertät gelangen kann.
Der gedachte Traum ist Bühler nicht sehr wichtig, trotzdem sie zu sehr
kühnen Behauptungen bei seiner Deutung gelangt, Er ist nur ein Detail
und freilich ein typisches, wir wollen daher über die Unvoliständigkeit
der „Einfälle**, die sie zur Deutung präsentiert, nicht rechten. Wir haben
erklärt, ohne Einfälle als Analytiker nicht deuten zu können. Allerdings
erweckt der Traum im Analytiker gewisse Erwartungen. Er würde sich
j-^ äifgfiinl EiMiJi'l.!
nicht wundern, wenn z. B. der Träumer, falls er nur alle seine Einfälle
sagen wollte: zu den „langen Gedichten, die er nachts im Bett gemacht
hatte", eine Reihe von sexuellen Symboleinfällen brächte, die vielleicht in
tiefere Schichten führen könnten. Aber ohne Einfalle oder deren Ersatz
diu-ch Tagebuchstellen ist unmöglich Konkretes auch nur mil einem An-
schein von wissenschaftlicher Berechtigung zu sagen. Und vielleicht trifft
sogar die Deutung des Analytikers ungefähr mit der Bühlers zusammen.
Nur ist Bühler so kühn, auch eine negative Deutung sehr energisch zu
behaupten. Mit welcher Methode wohl diese gefunden ist; „Weder ver-
kappte Wünsche, noch verkappte Abwehr, noch sonst Geheimnisse enthält
dieser Traum"? Nun, ich finde reichlich Geheimnisse. Man muß zwar
nicht anspruchsvoll sein in den Ergebnissen, aber doch wohl in den Pro-
blemen, Und ich meine, keine Geheimnisse enthält solch unbedeutende
Tagebuchnotiz erst dann, wenn wir jedes Detail in Determination und
Sinn verstanden haben, und wenn wir verstehen, was den Schreiber ver-
anlaßte, gerade dieses Erlebnis gerade in dieser Form niederzuschreiben.
Und von diesem letzteren Problem, das Bühler nirgends auch nur anmerkt,
abgesehen, bleibt doch noch viel in diesem Traum völlig ungeklärt: Was
ist z. B. mit dem Geld, von dem Roehl irgend etwas sagt; was mit dem
riesigen, kahlen und kalten Zimmer; was mit dem Tagebuch in Versen;
was mit dem Herrn aus der Ausstellung usw.? Es bedarf keiner Entschul-
digung, daß Bühler diesen Details nicht nachgeht, es würde den Rahmen
ihres Buches überschreiten. Aber es muß festgehalten werden, daß sie die
Methode, die aus dem Tagebuch Forschungsergehnisse brachte, überhaupt
nicht verwendet. Und es verlangt schärfste Ablehnung, wenn sie ohne jede
Untersuchung erklärt, hier seien keine Geheimnisse mehr. Woher will sie
wissen, ob nicht die sorgfältige Untersuchung des Traumes, trotz allem, ent-
stellte Wünsche aufdecken würde? Wie kann dies geleugnet werden, wo
doch Bühler selbst zugibt, daß dieser Traum wirklich Wünsche darstellt,
gegen die der kindliche Knabe sich noch in heftiger Abwehrstellung be-
findet? Und da es kaum die Wünsche sind, die deutlich im Traum aus-
gesprochen sind, so dürften sie sich in diesen manifesten Bildern doch „ver-
kappt" äußern. Die Verfasserin macht sich doch wahrhaftig die 'J'raumpsycho-
logie zu leicht. Sie ist zu kühn. Fast so kühn wie jene Pseudopsycho-
analytiker, gegen die ihre Polemik am Platze sein mag, die aber am besten
im Namen der Psychoanalyse und nicht mit ihr zugleich bekämpft würden.
Durchgreifend hat sich demnach das Niveau der Bühlerschen psycho-
analytischen Kenntnisse nicht gebessert. Doch stellenweise. Im Literatur-
Dif heutige Psycliolnglc Jer PuliertÖt J^
Verzeichnis z. B., in das (2. Aufl.) Freud eingezogen ist — mit dem Heft-
chen: Über Psychoanalyse und mit den „Drei Abhandlungen zur Sexual-
theorie . Viel ist das nicht, und wie gezeigt wurde, viel Kenntnis und
Studium der Psychoanalyse verrät auch die zweite Auflage nicht. Dennoch
hält sie sich für berufen, endgültig Stellung zu nehmen. Sie glaubt in der
Frage Sexualität — Erotik „zwischen Spranger und Freud sachlich abwägend
eine klare Position gefunden zu haben. Was Spranger im ,Eros' vorschwebt,
ist Pubertät" (der erste Abschnitt der Pubertät in der Bühlerschen Termino-
logie), „Adoleszenz" (der zweite Abschnitt der Pubertät) „im Anfangsstadium
oder bei sehr hochkultivierter Entwicklung. Was der Gegenpartei" (in Wahr-
heit ist Spranger die Gegenpartei, da es ja Freud bisher noch nicht einfiel,
seine Begriffe gegen Sprangers Aufstellungen zu formulieren) „vorschwebt,
ist durchschnittliche Adoleszenz, niemals aber gesunde, reine Pubertät. In
ihr ist der seelische Drang noch erdenfrei, noch getrennt von allem Körper-
haften, und wird als Sehnsucht erlebt". Merkwürdig, daß auch Bühler
poetisch wird, wenn es gilt, die Beziehung zwischen Sexualität und Erotik
wissenschaftlich zu beslimmen. trotzdem sie klarer und nüchterner als
Spranger sieht, daß wenigstens für die späteren Jahre der Pubertät die
Aufrechterhaltung der Erotik als einer Grundform des Erlebens, die nicht
weiter ableitbar ist, unmöglich wird. Von einem Verständnis der Freud-
Bchen Anschauung freilich ist sie weiter entfernt als Spranger. Ihre klare
Position zwischen Spranger und Freud, im Grunde die Mollsche, lautet :
„In der Adoleszenz haben die Triebe (Annäherungs- und Detumeszenztrieb)
sich zwar zum Ganzen geeint, aber unsere kulturellen und wirtschaftlichen
Verhältnisse verbieten eine sofortige Eheschließung nach abgeschlossener
Reife und überlassen es der Selbstbeherrschung des einzelnen, wie er diese
Wartezeit zubringt. Dieser einfachste Typus dürfte der am weitesten ver-
breitete sein . . . Mit diesem Kampf des Adoleszenten beginnt das, was
Freud Sublimierung nannte, die Bemühungen, das Triebhafte in Geistiges
umzuwandeln, die Aufmerksamkeit auf höhere Ziele abzulenken und mit
dem Streben nach ihnen die latente Kraft zu sättigen . . . Noch sind beide
Triebwellen getrennt wie in der Pubertät, der Körperlrieb wird in gar
keine Verbindung gebracht mit dem vom Annäherungstrieb gewählten,
verehrten Objekt. Aber doch schon beginnt — und damit die Adoleszenz —
der Körpertrieb sich mit dem Annäherungstrieb zu neuartiger Objektwalil
zu verbinden. Und die reine Liebe der Pubertät wird ajs Hilfe zur Sub-
limierung angerufen. Dies alles hat bereits Moll ähnlich aufgefaßt." (Also
hat eigentlich Moll die klare Position zwischen Spranger und Freud ge-
^■8 iSiogJrifJ BiTiiIfU
funden?) Diese Erörterung ist uns interessant, nicht so selir, weil sie zeigt,
wie Bühler von der Phänomenologie, die ein Jugendt>-pus aufweist, nicht
loskann, trotzdem sie weiß, daß der verbreitetste anders strukturiert ist,
und sie durch die Einschränkung : so sei es bei „reiner Jugend , die
Kenntnis, daß diese Behauptung nicht die ganze Pubertät, sondern höchstens
eine Verlaufsform trifft, durch eine ethische Einteilung entwerten möchte,
obzwar doch kein Grund ist, warum psychologische Feststellungen nicht
auch für „unreine Jugend" gelten sollten, Sie interessiert uns durch die
Selbstverständlichkeit, mit der Freudsche Begriffe Objekt, Objektwahl, Sub-
limierung verwendet werden ohne die Freudsche Prägnanz, nicht als wissen-
schaftliche Begriffe, sondern als Worte der Umgangssprache. Freud nimmt
das Wort Trieb als Grundphänomen der Psychologie ernst. Bühler verwendet
Trieb als ein bequemes Wort zur Bezeichnung von Drängendem; plötzlich
führt sie einen Körpertrieb ein. Das ist für sie beinahe eine stilistische
Frage. Nicht aber für die Psychoanalyse, die versucht, eine Wissenschaft
vom Seelenleben auf den Trieb als eines der — weiter für die Psychologie
nicht ableitbaren — Grund phänomene aufzubauen. Und nur ein solcher
Versuch mit diesen formalen Qualitäten verdient den Namen einer Theorie.
Bühler antwortet auf Freuds Theorie, wie jemand sprechen würde, der
unter Zelle eine Kloster- oder Gefängniszelle versteht und Schleidens Theorie
von der Zelle als Baustein alles Lebendigen hörte, und nicht verstehen
könnte oder wollte, daß Schleidens Zelle ein botanischer Begriff und nicht
die vage Bezeichnung für kleines Zimmerchen ist.
Dieses selbe Mißverstehen der Tatsache, daß Freud die Psychologie als
Wissenschaft mit definierten Terminis und einigen wenigen Grundannahmen
aufbaut, führt zu den schiefen Erörterungen (59) : „Trieb zur gegenseitigen
Annäherung — das ist eine gemeinsame Wurzel vieler Bedürfnisse der
Lebewesen, ein Trieb, der schon von Geburt an besteht. Durchaus nicht
nur das sexuelle und erotische Bedürfnis gipfelt in ihm, vielmehr ist der-
selbe Trieb die Wurzel auch aller" {bekannte Kühnheit Bühlers) „sozialen
Bedürfnisse der Lebewesen . . . Wenn wir der Psychoanalyse hier nur einen
Vorwurf machen, so ist es vor allem der, daß sie von der doppelten Wui7.el
des Annäherungstriebes nichts zu wissen scheint und leichtfertig alles auf
die sexuelle Seite schiebt," Hier ist Bühler entschieden der Vorwurf zu
machen, daß sie das Wort Wurzel statt als Begriff der Entwicklungspsycho-
logie als Bild nimmt und daher sich — und ihre Leser verwirrt, aber
jedenfalls der Psychoanalyse Vorwürfe macht. Oben heißt es: Annäherungs-
trieb ist die Wurzel von a) Sexualität + Erotik; b) von sozialen Bedürf-
Die neutigo Psycliologie Jcr Piitcrtüt Ja
nissen. Unten heißt es: Annäherungstrieb = a^ Sexualität + Erotik • bj so-
ziale Bedürfnisse. Ferner; Annäherungstrieb von Geburt an. Hier ist bei
aller Verniengung von Biologie und Psychologie doch zugegeben, daß die
sexuell-erotischen Phänomene dieselbe Entstehung haben, wie die sozialen.
Beides behauptet die Psychoanalyse und ist der Psychologie eben durch die
Psychoanalyse bekannt und schmackhaft geworden. Der Unterschied zwischen
Biihler und der Psychoanalyse ist nur: i) Freud nennt die Annäherungs-
triebe nicht so, sondern anders. Und zwar im psychologischen Zusammen-
hang Sexualtriebe, im biologischen Erostriebe. 2) Freud hat sich nicht
damit begnügt, diese allgemeine Formel aufzustellen (die Bühler ja nicht
einmal aufstellt, sondern einfach mit anderen Worten übernimmt, allerdings
ohne vorheriges gründliches Studium und daher mit verwirrenden Entstel-
lungen), sondern hat die Differenzierung der sexuell-erotischen aus der mit
den sozialen gemeinsamen Wurzel, dem „Annäherungstrieb", sorgfältigst stu-
diert. Oder wenn die zweite Formel richtig ist: den Anteil der sexuell-
erotischen Wurzel im Sozialen sorgfältig untersucht. 3) Freud hat dieses
Studium nicht an beliebiger Stelle abgebrochen und sich nicht gescheut,
sein ihn selbst erstaunendes Ergebnis: daß der Anteil des sexuell-erotischen
sehr beträchtlich ist, immer aufs neue zu prüfen und, den Regeln der
empirischen Forschung entsprechend, schließlich selbst anzuerkennen. Leicht-
fertig dürfte die am wenigsten zutreffende Vokabel für einen Gelehrten sein,
der den Fragenkomplex, welchen Bühler in elf Sätzen erledigt, in elf Bänden
Forschungsarbeit, zudem erstmalig, studiert hat.
Aber, wie bezeichnet man das formale Verfahren, das Bühler richtig
scheint, um dasjenige, was sie von Freud gelernt hat und das sie als
integrierenden Bestandteil in der zweiten Auflage neu in ihre Theorie
aufgenommen hat, ihren Lesern mitzuteilen? Bühler ist nämlich in die
Reihe jener eingetreten, die erfreulicherweise die Freudsche Aufstellung
der infantilen Sexualität im allgemeinen akzeptieren. Dieser bedeutsame
Schritt über die offizielle Psychologie hinaus wird leider nicht ohne Mög-
lichkeit der Erweckung von Mißverständnissen getan. Bühler sagt (S. 17):
„Ich stelle die These auf, daß ein der Pubertät entsprechender Reifungs-
prozeß in kleinerem Maße schon einmal in der Kindheit auftritt, und
zwar zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr. Auf allen Gebieten
funktionaler Umgestaltung habe ich Parallelen zwischen der Pubertät und
dem dritten bis vierten Lebensjahr auffinden können, Sie häuften sich zu
meinem eigenen Erstaunen von allen Seiten her zusammen, angefangen
von der Parallele des ersten und zweiten Trolzalters bis zur Parallele ge-
5o Sifglried Bciiili^ld
steigerter Zuneigungseriebnisse und Affekte über mehrere andere Überein-
stimmungen hinweg, die an Ort und Stelle zur Sprache kommen. Es muß
also zwischen Babyalter und Kindheit in kleinerem Maßstab, daher weniger
bemerkt, einen ebensolchen Schub und Abschnitt schon einmal geben, wie
ihn die Pubertät später im großen zeigt. Es muß an diesem Zeitpunkt
auch einen ersten Ruck oder ersten Anfang sexueller Entwicklung geben,
eine kurz aufflammende Bewegung, die später verebbt und erst in der
Pubertät wieder aufgenommen wird. So muß ich zu meinem Staunen auf
Grund zahlreicher Beobachtungen an diesem Punkte mit Freud zusammen-
treffen, den offenbar ähnliche, wenn auch leider nicht mitgeteilte Beob-
achtungen zur Annahme eines ebenso datierten Entwicklungsabschnittes
bewogen haben, wie später ausgeführt. Hiemil soll übrigens noch keine
der sonstigen Freudschen Theorien und am wenigsten seine psychoana-
lytische Methode akzeptiert sein."
Es ist recht kühn, die Freudsche Lehre mit dem Satz einzuleiten: „Ich
stelle die These auf. Vor fünfundzwanzig Jahren mochte jemand so schreiben
dürfen, weil damals die Möglichkeit einer gleichzeitigen unabhängigen
Entdeckung bestand. Auch heute noch ist solche unabhängige Nachentdeckung
möglich ; man wird sich aber hüten müssen, sie als solche zu bekennen,
dem eigentlich sollte ein psychologischer Forscher von Freud und seiner
Lehre gehört haben. So viel über die reichlich unvorsichtige Formulierung
der Tatsache durch Bühler, daß sie zwischen der ersten und zweiten Auf-
lage einsehen gelernt hat, daß Freud mit den Aufstellungen der Drei Ab-
handlungen recht hat. Ihre eigenen Beobachtungen bestätigen seine von
ihr inzwischen im Original zur Kenntnis genommenen Befunde. Erstaunlich
bleibt, daß Bühler sich so energisch dagegen verwahrt, auch sonst mit
Freud gemeinsamer Anschauung zu sein. Wer erlebt hat, daß eine bekämpfte
Theorie in ihrem wesentlichen Stück sich als richtig bewährt, wird nach
dem ersten Staunen darüber, daß die anderen die Lehre bekämpfen, trotzdem
leicht zu machende Beobachtungen sie besliiligen, doch wohl das Bedüifnis
haben, zu prüfen, ob nicht noch mehr Richtiges an dieser Lehre ist, ob nicht
die Methode, die zur Auffindung dieser Fakten und Thesen führte, wohl
doch eine gewisse Brauchbarkeit hat, ob nicht die Ablehnung dieser Lehre
und die Festhaltung der üblichen ihr entgegenstehenden einer Revision
bedarf. Das wäre heute noch kühn und mutig und wird morgen schon
selbstverständlich sein. Vielleicht wird Bühler, die zwischen 1922 und igaS
soviel von Psychoanalyse gelernt hat, beinahe alles, was aus den zwei von
ihr genannten Freudschen Schriftchen zu lernen ist, sich bald entschließen.
Dil- lifiitigo Psychologie der Pubertät
noch weitere Freudsche Schriften zu lesen: Damit sie nicht länger bei der
Meinung bleibe, Freud habe ähnliche, wenn auch leider nicht mitgeteilte
Beobachtungen gemacht wie sie, sondern bemerke, daß Freud seine Beob-
achtungen reichlich mitgeteilt hat. Wir dürfen hoffen, daß die weitere
Lektüre Bühler, und wäre es zu ihrem eigenen Staunen, weitere Über-
einstimmungen mit Freud zeigen wird.
^) Die Pädagogik
W. Hoffmanns Buch' ist mehr vom Standpunkt des Pädagogen und des
Jugendfürsorgers als dem des Psychologen geschrieben. Damm liegt auf
„dem sechsten Kapitel über die soziale Reifung mit seinen Ausführungen
über die historische und soziale Bedingtheit der Seelenstruktur geradezu
das Schwergewicht der ganzen Arbeit" {V); Hoffmann ist wie Spranger
führerisch eingestellt. Dies wird nicht allein in dem Abschnitt deutlich,
von dem er es bekennt ; „eigens meinen jungen Freunden zum Danke
habe ich das Schlußkapitel geschrieben (VI) über Jugendkultur". Zugleich
versucht er — ähnlich Ch. Bühler — auf dem allzuschwachen Fundament
eines einzigen Begriffs, dem Prinzip der seelischen Resonanz, eine einheit-
liche Psychologie der Jugend, ja eigentlich der Psychologie überhaupt auf-
zubauen. Wie wenig dieses Prinzip besagt, kann im Rahmen dieser Sammel-
kriiik nicht nachgewiesen werden. Für unser Thema bietet Hoffmans Buch
neben Spranger und Bühler, die geradezu Typen repräsentieren, keinen
wesentlichen Beitrag. Doch gibt er ähnlich wie Tumlirz, auf einem anderen
Niveau als dieser, Belege für das Maß, in dem die Psychoanalyse bereits
in die Psychologie eingedrungen ist und für die Motive, aus denen von
einem gewissen Punkt an den Freudschen Lehren die Gefolgschaft ver-
weigert wird.
Die neuen Gedanken, die die moderne Psychologie beherrschen, und
die, soweit sie nicht direkt dem Freudschen Werk entstammen, doch zu
einer großen Annäherung zwischen Psychoanalyse und Psychologie führen,
sind auch in Hoffmanns Buch lebendig: „Das Ideal der Psychologie wäre,
seelische Vorgänge möglichst vollständig nach gesetzmäßigen Abhängigkeiten
(Determinationen) zu ordnen" (5). „Die Beobachtung der jugendlichen Ent-
wicklung hat es nahegelegt, die Triebhandlung als fundamentale Form
i) Dr. Walter Hoffmaiin, Die Reifeaeit. Probleme der Entwickhingspsychologie
und Sozialpadagogik. Leipzig 192!-
♦•
Sicglriod BeriifflJ
alles WoUens anzusehen ... Es wird damit nichts gewonnen, daß man für
jeden besonderen Inhalt des Wollens einen eigenen ,Trieb' annimmt. So
wird von einem Spieltrieb, einem Kampftrieb, einem Wissenstrieb ge-
sprochen. Diese Art, das Seelenleben nach Bedarf in Triebe zu zerfasern,
bedeutet doch nur eine Neuauflage der Lehre von dem , Seelenvermögen' " (lo).
„Die theoretische Aufgabe ist erfüllt, nachdem die Bedeutung der im
seelischen Unterbau verlaufenden Prozesse klargestellt und auf die all-
gemeine Gesetzmäßigkeit der Resonanz zurückgeführt worden ist" (28).
„Überblickt man das Gesamtbild der geistigen Reifung, so ist es gekenn-
zeichnet durch ein Übermaß an seelischen Konflikten . . . Konflikte be-
deuten Dissonanzen im seelischen Unterbau und jede Dissonanz stört die
seelische Einheit, die sich als Ich-Bewußtsein spiegeh" (107).
Für Hoffmann sind solche Gedanken nicht gelegentlich berührte Hilfen,
sondern sie sind die konsequent durchgeführten methodischen Grund-
anschauungen seiner Psychologie. Nur daß sein Begriff vom Trieb und der
Triebhandlung unsicher und blaß ist, völlig unzureichend, um die Welt
des Trieblebens zu ordnen und zu erklären, und die allgemeine Gesetz-
mäßigkeit im seelischen Unterbau, das Prinzip der Resonanz, kein Funda-
ment für eine umfassende Entwicklungspsychologie ist. Man wird aber gerne
zugeben, daß in diesen methodischen Gedanken Elemente einer wissen-
schaftlichen Psychologie enthalten sind. Ungeduldige Einbrüche einer außer-
vrissen schaftlichen Weltanschauung verderben jedoch an allen für die
Jugendpsychologie entscheidenden Punkten das wissenschaftliche Konzept.
Und zwar ist es auch bei Hoffmann immer wieder Auseinandersetzung mit
der Psychoanalyse, die sonst verborgene Werteinm engungen decouvriert.
So heißt es : „Hierin finden die von der psychoanalytischen Schule
benutzten symbolischen Deutungen ihre wissenschaftliche Grundlage; nur
darf man nicht verkennen, daß sie Resonanzerscheinungen bei kranken
Seelen betreffen . . . Die psychoanalytische Schule braucht sich nicht zu
wundern, wenn bei einem normal veranlagten Seelenleben die Zumutung,
sich auf solche krankhafte Resonanzerscheinungen einzulassen, lebhaft
widerstrebende Affekte auslöst. Das ist eben in diesem Falle ein Zeichen
von Gesundheit" (25). Eben. Punktum. Und woher bezieht dieses Diktum
seine Überzeugungskraft ? Schwerlich aus den wissenschaftlichen Gewiß-
heiten, die mit den Worten krank und gesund verkündet werden. Die
Psychoanalyse hat die banale und naive Bedeutung dieser Worte sehr be-
trächlich erschüttert, die Grenze zwischen beiden als viel undeutlicher und
komplizierter erwiesen, wie populärem Meinen entspricht. Die wissen-
Die heutige PiycKologie der Pubertät 53
schaflliche Selbstgewißheit des Wortes gesund gegen die Psychoanalyse als
Argument zu verwenden, ist etwa vom Rang des Einwandes; „Wie töricht
die Anschauungen der Astronomie über die Große der Fixsterne sind, er-
weist sich aus ihrer jedermann in sternenklarer Nacht sichtbaren Winzig-
keit l"
Aber man muß sich nicht in die Problematik der Wertungen Gesund —
Krank begeben, um auch an Hoffmann die gründliche Wissenschaftlich-
keit unserer Jugend psych ologen aufzudecken. Mit der Libidotheorie vermag
sich Hoffmann nicht ganz zu befreunden, obwohl er manchen wichtigen
Tatbestand und einzelne Gesichtspunkte wohl akzeptiert. Seine Einwände
sind stellenweise durchaus erwägenswert, z.B.: „Aber von dem Freudschen
Standpunkte aus werden doch alle anderen Gebiete des Seelenlebens, denen
beim Gesunden eine gleiche Bedeutung zukommt, in zu weite Feme ge-
rückt. Insbesondere geraten die Beziehungen zur Außenwelt außer Sicht-
weite, und so erklärt es sich, daß eine Analyse des Vorstellungslebens jenen
Theorien (seil. Adler und Freud) fehlt, so daß mit .unbewußten Vor-
stellungen' und symbolischen Deutungen ausgeholfen werden muß, die
den wissenschaftlichen Kritiker befremden" {28). Gewiß hätte der wissen-
schaftliche Kritiker sein Studium der Psychoanalyse nicht mit Freuds „Ein-
führung des Narzißmus beenden müssen, wie das Literaturverzeichnis aus-
weist (353) ; er hatte sonst vielleicht entdeckt, daß die Psychoanalyse all-
mählich auch diese Lücke — die tatsächlich bis vor etlichen Jahren
empfindlich bestand — zu schließen bemüht ist. Doch fehlt uns einiges
Zutrauen in seine Beiehrbarkeit, wenn der wissenschaftliche Kritiker auf
Seite 115 sich zum gleichen Thema also vernehmen läßt: „Es ist unbedingt
notwendig, zwischen sexuellen Reizen und Vorgängen auf organischem Ge-
Mete und den erotischen Beziehungen auf seelischem Gebiete zu unter-
scheiden, um aus jener schwülen hysterischen Atmosphäre" (id est Freuds
Libidotheorie) „herauszukommen." Also nicht weil die Freudsche Theorie
nicht ausreicht, das Vorstellungsleben zureichend zu erklären, sondern um
einer peinlichen Atmosphäre zu entrinnen, darf man bestimmte Annahmen
nicht als wissenschaftliche Hj-pothesen aufstellen. Und wenn sich diese
Annahmen als Gewißheiten erweisen sollten, wäre es auch dann unbedingt
notwendig, sie abzulehnen? Ist das Entrinnen aus jener Atmosphäre oberstes
Erkenntnisziel der Psychologie?
Hoffmann bemüht sich unzweifelhaft — und nicht allenthalben ohne
Erfolg — um Psychologie als Wissenschaft, Kap. V. „Die geschlechtliche
Reifung" (114—165) aber stellt den Zusammenbruch dieser Bemühungen
5^ Siiiglncd Btniii:lo
dar. „Die Art des Stoffes hat es mit sich gebracht, daß sich bisher vor-
wiegend Mediziner und namentlich Psychiater damit befaßt huben." Hoff-
mann will dejn die Bemühungen des Psychologen hinzufügen, so scheint es,
aber er flieht mit fliegenden Fahnen ins Lager der l'ädagogen. „Sexualität
und Perversion nehmen leider heute in unserer Kultur einen so breiten
Raum ein . . ." (116). „. . . wenn sie ausfallen, so würde eine zynische Auf-
fassung des Geschlechtslebens die höchst unerwünschte Folge sein . . . (118).
„. . . dieser natürliche Übergang zum Wirklichkeitsleben bietet sich in der
Weise, daß der Jugendliche seine Aufmerksamkeit der Ausbildung und Pflege
seiner Körperkräfte zuwendet. Turnen und Sport bringen also wiederum den
nötigen Ausgleich . . / (ug)- Kein Wort über die Psychologie der Onanie,
aber deren etliche über ihre Behandlung: „. . . Als wesentlich erscheint mir,
den Jugendlichen darauf hinzuweisen, was er sich an echter Lebensfreude
verscherzt . . ." (123). „■ ■ ■ ungetrübte Jugend . . ." {15) usw. Die Päd-
agogik ist gewiß eine interessante Angelegenheit, wenngleich eine höchst
problematische. Aber sie hat Psychologie zur Voraussetzung. Hoffmanns
Sexualpädagogik ist in ihren wesentlichen Gedanken nach meiner Meinung
sehr beachtenswert, sie folgt nur leider nicht aus seiner Sexuolpsychologie,
sondern sie steht an deren Stelle; und so nimmt sie ihr im eigentlichen
Sinne des Wortes den Platz weg. Der wissenschaftliche Kritiker sollte be-
fremdet sein von diesem Verhalten, das er mit den anderen Jugendpsycho-
logen völlig gemeinsam hat. Insbesondere dürfte sich nicht mit dem An-
spruch auf Wissenschaftlichkeil das sonderbare Quidproguo verbinden, das
einige für die Psychologie der Jugendpsychologie interessante Seiten des
Hoffmannschen Buches darbieten. F,r vertritt die pädagogische Ansicht, die
sexuelle Frühreife müsse verhindert, die Sexualabslinenz bis weit in die
Pubertät hinein aufrecht erhalten werden. Gewiß eine pädagogische Forde-
rung und kein psychologisches Fakluni. Die Gegner „berufen sich in
letzter Linie darauf, daß eine Verdrängung des Geschlechtstriebes xu hyste-
rischen Erkrankungen führe. Sollte wirklich die geistige Höherentwicklung
auf Kosten der Gesundheit gehen, oder sind es nicht wiederum die schwachen
Naturen, die solchen Hochspannungen nicht gewachsen sind? Wir müssen
daher" {!!) „kurz zu der Frage Stellung nehmen, wie die Erscheinung der
Hysterie psychologisch zu deuten ist" {141). Folgen vier Seiten, die das
„Rätselhafte der Hysterie" lösen: „Die Hysterie ist letzten Endes eine Auto-
suggestion des Kranken" und diese Lösung gegen Freuds Hysterielehre
sichern, um zu gipfeln: „Somit bildet die Erscheinung der Hysterie keinen
Anlaß, von den vorgetragenen pädagogischen Grundsätzen abzugehen. Zu
Die kcutige Pjycliolo^ic der Pubertät
diesem tröstlichen Ende hätte man einfacher und redlicher (wissenschaft-
licher) gelangen können ohne eine oberflächliche, schiefe und unrichtige
Hysterietheorie von zweihundert Zeilen. Denn man kann so gut aus der
Freudschen wie aus jeder wissenschaftlichen Hysterietheorie schließen „auf
die Notwendigkeit, sexuelle Frühreife zu vermeiden, um das Kind nicht
vor Konflikte zu stellen, denen es auf dieser Entwicklungsstufe noch nicht
gewachsen ist". Ob die Hysterie Autosuggestion ist oder aus den kompli-
zierteren Prozessen entsteht, die Freud nachwies, dem Pädagogen bleibt es
unbenommen, die Forderung zu vertreten, das Kind sei vor Frühentwicklung
seiner Sexualität zu schützen. Die Frage ist, vrieweit dies dem Pädagogen
gelingen wird. Freuds Meinung ist: jeder Fall von Hysterie beweist, daß
diese pädagogischen Bemühungen an diesem Individuum mißlungen sind.
Die Aufstellung einer neuen Hysterietheorie schafft die Fälle nicht aus
der Welt, zu deren Erklärung die alte aufgestellt wurde. Daß es verdrängte
Triebregungen gibt, daß sie Neurosen zur Folge haben können, ■ — daraus
folgt keineswegs, daß es keine Verdrängungen geben dürfe. Und wenn der
Psychoanalytiker mißglückte Verdrängungen korrigiert, so vertritt er nicht
die pädagogische Anschauung : die Kinder sollen sich sexuell ausleben. Sondern
er verschließt sich bloß nicht der Einsicht, daß die pädagogischen Maß-
nahmen nicht immer ausreichen, den erwünschten Idealeffekt dem Trieb-
leben aufzuzwingen. Es ist schlimm genug, daß die Sexualpädagogik die
Jugendpsychologie verdrängt. Ganz böse wird die Situation, wenn die ver-
drängende Sexualpädagogik zu der grenzenlos optimistischen Art gehört. Als
solche verrät sich Hoffmanns, in der folgenden Argumentation (die übrigens
der anli psychoanalytischen Weltliterarur angehört): „Wenn man z. B. den
Bericht Freuds über die Psychoanalyse eines fünfjährigen Knaben prüft, so
sieht man, wie durch irgendeinen unglücklichen Zufall die Aufmerksamkeit
des Kindes auf den „Wiwimacher" gelenkt worden ist und sich hieraus
ein ganzer Komplex schmarotzender Ideen entwickelt hatte. Auch scheinen
Erziehungsfehler vorgekommen zu sein . . ." (144). Gewiß waren da unglück-
liche Zufälle und ganz gewiß waren da Erziehungsfehler, denn es gibt gar
kein Kinderleben ohne jene und ganz gewiß keine Eltern und Erzieher,
die nicht Erziehungsfehler machen. Ein Kind, bei dem Erziehungsfehler
vorgekommen zu sein scheinen, als sonderbaren, nicht für das Normale
maßgeblichen Fall betrachten, heißt den, einen wissenschaftlichen Kritiker
mit Recht befremdenden, Standpunkt der Morgensternschen Philosophie ein-
nehmen, daß nicht sein kann, was nicht sein darf.
Nach alledem werden wir wenig erschüttert sein von dem Anathema,
/
I
56 Siegfried Bcriifcld
das Hoffmann der Psychoanalyse im Namen der Wissenschaft zuruft: „Wer
nicht zwischen Erotik und Sexualität unterscheiden kann, dem wird das
Liebesleben stets ein Rätsel bleiben, denn es ist erfiUli mit Konflikten
zwischen sexualer und geistiger Anziehung. Dann sieht man mit Freud
selbst in den Äußerungen reinster Mutterliebe eine Befriedigung geschlecht-
lichen Verlangens, und die Liebe eines alten Ehepaares wäre nur ein Kenn-
zeichen der Altersverblödung. Wer wie Plato die geistigen Wurzeln der
Liebe aufdeckt, wird von der Gegenseite als Heuchler gebrandmarkt. Waren
aber nicht die Griechen in geschlechtlichen Dingen viel offenherziger wie
wir? Glaubt man wirklich, ein Bild des geistigen Lebens zeichnen zu
können, wenn man nur zwei Farben auf seiner Palette hat? Gewiß ist
diese Schnellmalerei überraschend einfach, aber man hat keinen Grund,
sich darüber zu beschweren, wenn die Wissenschaft das Bild nicht in allen
Teilen für richtig anerkennt" {121). Gewiß ist diese Zauber- und Schnell-
malerei, die in jedem Salz ein Faktum fälscht, überraschend, aber Hoff-
mann hat keinen Grund, sich darüber zu beschweren, wenn man sein
Bild von Wissenschaft in keinem Teil für richtig anerkennen kann.
5) Überwundene Belastungen
Eine der Thesen, derentwegen die ausführliche Kritik der angezeigten
Bücher hier unternommen wurde, ist sozusagen eine wissenschaftshistorische.
Die Psychoanalyse mit ihren neuartigen Gesichtspunkten, Methoden, Ent-
deckungen und Hypothesen hat die Revolution, welche seit einigen Jahren
das gesamte psychologische Forschen und Denken umwälzt, wenn auch
vielleicht nicht erzeugt, so gewiß katalytisch beschleunigt und vertieft.
Weder die Fakten, welche unsere Jugendpsychologen beschäftigen, noch die
Theorien, die sie aufbauen, sind unbeeinflußt von der Psychoanalyse, ob
diese nun bejaht oder verworfen wird. Im Gegenteil, sie weisen unverwisch-
bare Spuren eines Kampfes mit Freud auf. Im Zusammenhang mit dieser
Erörterung wird das kleine Buch von Th. Ziehen: „Das Seelenleben der
Jugendlichen"' zu einem interessanten Beleg. Es ist eine Ausnahme und
bestätigt die Regel gerade dadurch aufs trefflichste. Ziehen erwähnt Freud
und die Psychoanalyse mit keinem Wort, er findet auch keinen Anlaß, sich
anonym mit ihr auseinanderzusetien. Sein Buch gehört aber auch nicht der
psychologischen Literatur unserer Zeit an , es ist ein sonderbares Relikt
1) Langensalza 1925.
iJit- Ikculttfe Piy*-'liQioi?ie ticr Pubertät 57
aus dem längstvergangenen vorigen Jahrzehnt, Nicht etwa, daß Ziehen prüde
wäre, und sich scheute, Sexualfakta anzuerkennen. Man ist eher erfreut zu
sehen, daß er durch keine pseudo-platonische Philosophie getrübt, Tatsachen
kennt und beim Namen nennt, die anderen lugendpsychologen den Verdacht
psychoanalytisch-materialistischer Denkweise erwecken könnten. Zum Beispiel
heißt es schlicht: „Die geschlechtlichen Phantasievorslellungen knüpfen in
der Regel an irgendein geschlechtliches Erlebnis im allerweitesten Sinne
an: das Kind beobachtet oder belauscht zu Hause einen Geschlechtsakt seiner
Eltern oder . . ." (78). Schön sagt er es auch Sprangern: „Matthias hat die
zunächst sehr ansprechende, freilich schwer beweisbare Vermutung aus-
gesprochen, daß die idealische Richtung des puheralen Gefühlslebens eine
biologische Schutzeinrichtung gegenüber der erwachenden Sinnlichkeil sei.
Ich muß Sie aber daran erinnern, daß gerade bei solchen schwärmerischen
Jugendlichen schwere sexuelle, und zwar onanislische Exzesse recht häufig
'sind" {44). Aber ein wenig Offenheit in sexualibus ist noch lange nicht
Psychoanalyse, am wenigsten psychoanalj-tische Psychologie. Von dieser ist
Ziehen völlig unbeschwert. Höchstens dürfte man stutzig werden bei der
Anmerkung: „. . . die Hysterie, die nach meiner Theorie gerade durch die
abnorme Wirksamkeit latenter gefühlsbetonter Vorstellungen charakterisiert
ist" {45). Doch heißt latent keineswegs unbewußt, und so fehlt wirklich
jede Spur von Psychoanalyse — und zugleich jede Spur von Psychologie
in irgendeinem heutigen Sinne. Dies wird aus einigen wenigen Proben
genügend deutlich werden,
„Drei ursächliche Momente wirken in der Regel zusammen, um das
eigentümliche Seelenleben der Jugendlichen zur Pubertätszeit hervorzurufen.
1) Die anatomische Weiterentwicklung des Zentralnervensystems, . . .; 2} die
Reifung der Geschlechtsdrüsen . . .; 5) die meistens in die Pubertät fallende
Umwälzung der Umwelt und Lehensbedingungen" (7}. „Resonders scharf
tritt dies dritte Moment bei dem Volksschüler und der Volksschülerin hervor.
Mit der Schulentlassung im vierzehnten beziehungsweise fünfzehnten Lebens-
jahr erweitert sich der Lebenskreis ganz enorm . . . Nach der Schulentlassung
erlebt der Jugendliche oft in einem Monat mehr, als er früher in einem
Jahr erlebt hat . . . Nachlaß der Aufsicht, Strafen und Straffurcht treten
zurück . . . Zufall der Verführung . , ." (14). Bei den höheren Schülern tritt
„an Stelle der äußeren Erweiterung der Umwelt eine analoge innere. Durch
die Lektüre zahlreicher Schriftsteller dehnt sich der Erlebniskreis der Phan-
tasie ... in vielleicht noch höherem Maße aus als bei dem Volksschüler
durch den Eintritt in das .wirkliche Leben'" (15). Es ist nicht unsere Auf-
58 Bcnilcltl : Diu ln;ii(ijjr.> PsyclioUigii- di-i' I iinril.-il
gäbe, diese physiologische und Vererbungspsycholagie als unfruchtbar zu
erweisen. Aus ihrer Überwindung ist die moderne Psychologie entstanden,
die auch jenseits der Psychoanalyse nichts mehr anzufangen weiß mit ab-
schliei3enden Formulierungen wie die Ziehenschc: „Ganz allgemein können
wir sagen: die Pubertät ist die Klippe, an der namentlich erblich belastete
Individuen scheitern (ig).
Freilich — so sehen wir an der Jugendpsychologie - — auch die modernen
Psychologen sind vom Ursprungsland ihrer Wissenschaft der physiologischen
Psychologie bei weitem noch nicht soweit vorgedrungen wie die Psycho-
analyse, und sie haben noch viel wissenschaftlicher zu werden, um wirklich
vorwärts zu kommen. Ganz allgemein können wir sagen: die Pubertät ist
die Klippe, an der namentlich physiologistisch und weltanschaulich belastete
Psychologen scheitern.
/
INHALTSVERZEICHNIS
Sdte
i) Der Mcnsaien verstand 5
[Dr. Otto Tumlirz: Die Reifejahre. I. Teil: Die seelischen Erscheinungen
der Reifejahre]
a) Die Pliilosopliie a3
[E. Spranger: Psychologie des Jugendalters]
3) Unkenntnis uwA Külinncit 3/
[Charlotte Bühler: Das Seelenleben d£s Jugendlichen]
4) Die Pädagogik 5i
[Walter Hoffmann: Die Reifezeit]
5) überwundene Belastungeti 56
l'I'h. Ziehen: Das Seelenleben der Jugendlichen)
Von J_)r. Oieglried üernleld ersckien früliei im Iiiteruatjonalen
"syckoaualy tisclieu Verlag :
Vom (jemeiiiscnaltsleDen aer Jugeno. Beiträge zur Jugena-
lorsdiung. 1^33. Halbleinen M. 12' —
Inhall: Die Psydioaiinlyso in der Jugend lorsdiuilg (dc rnic] J). — Ein FrciiiiJülilcnkrcis
(BiTnlcId). — Ein SJiülervi'reiii (GerliarJ Fiidis). — Ein RnitlipnliiiiiJ in einer SJnil-
gcineinile (Willielm Hoffer). — „Ktiurrlniid." Vciüudi der Analyse eines Kinderspieluti
(Crerkard Fudis). — Dit Initiation«ritCn der liistorisdicn BerufsÄti'iii Je (Erwin KoIiJi).
Die einleitende Studie über die „Psychoanalyse in der Jugendforschung" ist eine
sachHche und gedankenreiche Einordnung der Psychoanalyse unter die Wissen-
schaften, deren Ergebnisse, soweit sie den unerwachsenen Menschen betreffen,
wir als Jugendkimde bezeichnen. Es ist auch für den der Psychoanalyse nicht
nahestehenden Erzieher äußerst anregend, sich hier auf neu erschlossenen und
weiter zu erschließenden Pfaden der Jugendkunde führen zu lassen, die, hinaus-
gehend über die gebundenen Maßmethoden, dem Ideal absolut getreuer und
restloser Erfassung psychischer Phänomene zweifellos naher kommen. — Die
Einzelarbeiten sind reich an analytischen Deutungen der jugendlichen Verkehrs-
formen, als sexuell respektive homosexuell bedingt, die zum Teil auch für den
Nichtanalytiker einer gewissen Wahrscheinlichkeit niclit enthehren.
(„Schxveiz. Pädagog. Zcitschr.")
Den Lehrer dürften besonders die Abhandlungen interessieren, welche direkt
Schülerorganisationen, den „Klassengeist", die Freundschaften und die geheimen
Schülerorganisationen betreffen ... Die letzte Abhandlung wird ganz besonders
auch die Freunde der Geschichte und der Folklore anregen.
(„Berner Schulblatt")
Vom diditerisdien 5aiaflen aer JugeiiJ. Neue Beiträge
zur JugendforÄcliung. 1924. Halbleinen M. 14' —
lulialt: Die psydiologudic Literatur über Jaa diditiTisdie Sdiiilleii der Jiigeiitllidicn. —
Das Diditcn eines Jugend Iitlieii, dnrgi^stellt nndi de.weri Si?ll)St:eugjiIs.iieii. — Plinntasie und
B-calität ini tiedidit einer iSicbselinjolingeii. — ülier Novellen Jtiaendlidicr Diditcr. —
DLer ein Alotiv ;ur Produktion einiger sntinsdicr Gcdidite. — Diu Erillingswerk nodi
Selbst Zeugnissen. — Pliaiitasie Beispiele der Kinder und ilire Bcsieliung sur diditerijdieii
Produktivität (Dr. \Villiclm HoIIerJ. — Ergebnis iiiiJ Aiilgnbeii,
Die vorHegende Arbeit ist ein wertvoller Beitrag zum Problem der Psychologie
der Pubertät, und zwar in erster Linie durch die Wiedergabe eines selir inter-
essanten Materials von Dichtungen Jugendlicher . . . Besonders die Ausführungen
über die Beziehungen seiner Fragestellungen zu dem Problem des künstlerischen
Schaffens überhaupt zeugen von einer ungewöhnlichen Klarheit des Denkens
und Sorgfalt der Vertiefung in das Grenzgebiet.
(„Zentralhl. f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie")
Neue Perspektiven für das Verständnis des Künstlers überhaupt . . . Auch dem
nichtanalysekundigen Erzieher äußerst schätzenswerte Erkenntnisse zum Ver-
ständnis der Jugend. („Schutreform" , BeraJ
Oisypnos oder die Crrenzen der Erzienung. 1925.
Geh. M. s'—, Ganzleinen M. 6jO
Der geistreichste unter den Schülern des großen, genialen Sigmund Freud hat
da den Pädagogen ein Büchlein gewidmet, das sie hoffentlich lesen und sobald
nicht vergessen werden. Ich meinerseits glaube, daß seit langem im fragwürdigen
Bereich der Pädago^k keine wichtigere Erscheinung zu verzeichnen war, als
diese Schrift. Übrigens auch keine bei allem bitteren Ernst witzigere und ver-
gnüglichere . , . Bemfelds zentrale These wird für manchen etwas Erschreckendes
haben . . . Aber ob wir die Gedankengänge dieses merkwürdigen Büchleins nun
als unverhoffte Bestätigung eigener Ansichten oder als unbequeme Störung des
pädagogischen Burgfriedens empfinden: wir werden nicht an ihm vorbei können,
nicht an ihm vorbei dürfen. So sei es denn nachdrücklichst empfohlen.
(Gustav fVyneken im „Berliner Tageblatt'^)
Das ist Tubaton gegen das Treiben befugter und weniger befugter Er^iehungs-
künstler, die sich erschreckend vermehren und auf die Kinder stürzen. Ehedem
versuchte man es mit strenger Er^ehung: Knüppeldick und Hungergurt feierten
sadistische Orgien. Das ist nun ins Gegenteil umgeschlagen. Bände pädagogischer
Zeitschriften werden mit dem Schlagwort: lieben und ermutigen angefüllt, so
daß alle Tanten von Europa zu tun bekommen, um die Kinderchen zu er-
mutigen, während Mutter die Suppe kocht . . . Ein geistreicher Beobachter der
jungen Brut hat ein Buch herausgebracht, das er mit kühnem Mute „Sisyphos"
nennt . . . Bemfeld sieht die Welt von einer Brücke, deren Köpfe auf Freud
gestützt sind und auf Marx. Die bürgerliche GeseUschaft sieht er als einen Ozean
der Lüge, auf dem die angeblichen Ziele der Erziehung treiben, wie verfaulte
Schiffstrümmer . . . Bemfeld wird wohl recht haben, wenn er sich alles vom
Gemeinschaftsleben der Jugend erhofft, w^omöglich ganz ohne Erwachsene. Man
soll das Kind unter seinesgleichen aufwachsen lassen. Die rasende Pädagogik,
die in die Herde der Kinder einbricht, um sich da auszutoben, — gleichgültig
ob in Liebe oder in Haß — bleibt immer verdächtig, auch im Schafpelze . . .
Erst wenn wir unsere Kinder in Ruhe lassen werden, erst dann ist das Jahr-
hundert des Kindes gekommen. (Fritz Witteh im „Tag^)
Selten sind die scheinbar so sicheren Grundlagen der Pädagogik so gründlich
unterwühlt worden, wie in dem vorliegenden geistvollen Buche, das Eräehem
von Beruf und Amt' dringend zu empfehlen ist, selbst auf die Gefahr hin, daß
es energisch abgelehnt wird. („Zeitsckr.f. Sexualwissenschaft")
Geistreiche Sachlic}ikeit und aimiulige Ironie. („Ostsee-Zeitung")
Vielleicht der erste Versuch, mit biologischem Rüstzeug das Erziehungsproblem
zu klären. Während bisher die Erziehung eigentlich als Kunst gewertet wird,
wird hier der Versuch gemacht, sie exakt wissenschaftlich zu begründen.
(„Zeitschr. f. Kinderforsckung")
Bemfelds Buch ist natürlich, wesentlich und notwendig . . .Vollzieht in eigen-
kräftiger Klarheit die Paarung oder besser: ^e Durchdringung Freud-Marx . . .
Sezierarbeit am didaktischen Größenwahn.
(Paul Oestreich in „Die neue Erziehung")
Internationale Psydioanalytisfjie Bibliotkek
BJ. XIX
VerwranrloÄte J iigend
xj'ie Psyoioanalyse in der iüirsorgecr-icnung
Ztaa Vorträge lur ersten EiiiIüliruiLg von
August Aicnnorn
M!it einem Geleitwort von Prof. Sigm. Freud
Geheftet M. 5»"—, Ganzleinen M. II' —
Aus dem Geleitwort von Prof. Freud: »Von allen Anwendungen der Psychoanalyse
hat keine so viel Interesse gewonnen, so viel HofTiiitngen erweckt und demzufolge
so viele tüchtige Mitarbeiter herangezogen wie die auf die Theorie und Praxis der
Kindereriiehung, Dies ist leicht zu verstehen. Das Kind ist das hauptsächliche Objekt
der psychoanalytischen Forschung geworden; es hat in dieser Bedeutimg den Neuro-
tiker abgelöst, an dem sie ilire Arbeit begann. Die Analyse hat im Kranken das wenig
verändert fortlebende Kind aufgezeigt wie im Träumer und iin Künstler, sie hat die
Triebkräfte und Tendenzen belenchtot, die dem kindlichen Wesen sein ihm eigenes
Gepräge geben, und die Entwicklungswege verfolgt, die von diesem zur Reife des
Erwachsenen führen. Kein Wunder also, wenn die Erwartimg entstand, die psychn-
analytische Bemühung um das Kind werde der eriieherischen Tätigkeit zugute kommen,
die das Kind auf seinem Weg znr Keife leiten, fordern und gegen Irrnnge» sichern
will . . . Das vorliegende Bnch des Vorstandes A. Aichhorn beschüftigl sich mit einem
Teilstück des großen Problems, mit der erzieherischen Beeinflussung der jugendlichen
Verwahrlosten, Der Verfasser hatte in amtlicher Stellung als Leiter stiidtischer Für-
sorg eaustalten lange Jahre gewirkt, ehe er mit der Psychoanalyse beknnnt wurde.
Sein Verhalten gegen die Pflegebefohlenen entsprang ans der Quelle einer warmen
Anteilnahme an dem Schicksal dieser Unglücklichen und wurde durch eine intuitive
Einfühlung in deren seelische Bedürfnisse richtig geleitet."
Durch die Bildhaftigkeit seiner Ausdrucksweise, durch eine geschickte Verbrämung
der praktischen Fürsorgeergehnisse mit den theoretischen Erklärungen hat Aichhorn
diesen zehn Vorträgen die Spannung von der ersten bis ziu- letzten Seite erhalten.
Man hat wirklich das Gefühl, einen lebendigen Sprecher zu hören. („Soziale Arbeit'*}
Wer sich für die Probleme der Verwahrlosung interessiert, wird an dem Buche von
Aichhorn nicht vorübergehen können und die dort geschilderten Fülle eingehend
studieren müssen. {„Preußische Ltkrtrxtitung" )
Internationaler PsyJioanalytisiiier Verlag
AV^en VII, Andreasgasse 3
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