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Full text of "Energie und Trieb. Psychoanalytische Studien zur Psychophysiologie"

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X^nergie und l_rieb 

Psychoanalytische Otuoien 
zur x sycriopnysiologie 



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Oieglried Jjernield 

und 

Oergei reitelberg 



<Dr. ID. SKrolik 

Berlin 510 61 
Yorckstrape 68 



Internationaler Psychoanalytischer "Verlag 

"Vv i e n 



.fcviiergie und lrieb 



-Fsyaioanalytisdie Otudien zur -Psydiophysiologie 



V. 



on 



Oieglried Jiernield 

und 

Oergei Xeitelterg 



Sonderabdruix aus „Imago, Zeiisdirift für Anwendung der 

Psydioanalyse auf die Natur- und Geisteswissensdiaflen" 

(herausgegeben von Sigm. Freu d), Bd. XV (iga^) 

und Bd. XVI (i 93 o) 



i<)3o 

Internationaler Jcsyaioanalytiscner Verlag 
.Leipzig / Wien / Zürich 










Alle Rechte, 

insbesondere die der Übersetzung, 

vorbehalten 




INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 



Druck: Christoph Reisser's Söhne, Wien V 



■ 



* 



_L)as xrrnzip von J_,e V_>hatelier und 
der SelDsternaltungs trieb 

Freud hat sich von Beginn seiner Forschung an durch die Überzeugung 
leiten lassen, daß alle seelischen Vorgänge nichts anderes als ein Teil des 
Naturgeschehens seien. Dementsprechend gelangte er zu Hypothesen, die 
denen ähnlich sind, welche jede Naturwissenschaft auf einem gewissen 
Stadium ihrer Entwicklung erreicht. Ei ne Hypothese dieser Art ist die An- 
nah me psy c hischer En ergi en, die die Arbeitsl eis tungen des psychisch en 
Apparats ermöglichen . Freud trifft sich in dieser Hypothese mit Psycho- 
logen, die von ganz anderem Material ausgegangen sind. Vorläufig ist aber 
der konkrete Dienst, den solche Annahmen der Psychologie leisten, recht 
gering, da eine konsequente Diskussion noch nicht unternommen wurde. 
Ein wichtiges und dringliches Stück dieser Diskussion wird durch Freuds 
Bemerkung in „Das Ich und das Es" hervorgehoben : „ Ohne Annahm e eine r 
verschiebbaren Energie kommen wir überhaupt nicht aus. Es fragt sich nur, 
woher sie stammt, w em sie zu gehört un d was sie bedeu tet. [20, S. 388.] 

Die Diskussion der Befunde und Annahmen der psychologi- 
schen Forschung unter dem Axiom, daß alles Psychische nur 
ein Teil des Naturgeschehens sei, verdient vielleicht als theoretische 
Psychologie abgegrenzt und gepflegt zu werden. [12, S. 102.] 

Als Ausgangspunkt dieser Diskussion könnte folgende Erwägung dienen : 
Ist das Psychische ein Teil des Naturgeschehens, so müssen die Gesetze, die 
für alles Naturgeschehen als gültig erkannt wurden, auch für das Psychische 

1* 











- 





















Siegfried BernfelJ und Sergei Feitelte 



IT*T^ jV-Kf gelten - Der Nachweis dieser Annahme ermöglicht erst die Formulierung der 
Vp+U*« Om^ tft, Spezifität des Psychischen. 

Eine Schwierigkeit für diesen Vergleich psychologischer und physikalisch- 
chemischer Forschungsergebnisse liegt in der Inkommensurabilität ihrer For- 
schungsobjekte. Während die P^ nl^ e das Ver b oten von P.r^.P, 
studiert, be i_denen jeder Einzelvo rgang stre ng eingebettet ist in die Gesam t- 
zusammenhänge zeichnet sich die Arbeitsweise der Physik und Chemie 
dadurch aus, daß sie einzelne Erscheinungen in ihren Abläufen aus 
dem Naturgeschehen heraussondert und sie in ihrem eigentümlichen Kausal- 
zusammenhang betrachten kann. Der Physiker kann zum Beispiel den freien 
Fall der Körper beschreiben und beobachten, indem er von solchen Einflüssen, 
wie Luftwiderstand, Vergrößerung der Beschleunigung mit Annäherung an 
das Erdzentrum, zunächst absieht, während wir in der Psycholo gie das 
•Schicksal einer Triebregungunter Vernachlässigung der Struktur der Ge- 



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samtp e rson übe rhaupt nicht versteh en könne n . 

Die Verwendung des System be'griiies in der Physik, um den sich 
besonders Heinrich Hertz bemüht hat, gibt aber eine erste Basis für 
theoretisch-psychologische Bemühungen. 

In der Physik, beziehungsweise in der physikalischen Chemie wird unter 
einem System ein materielles Gebilde verstanden, dessen Zustand durch eine 
Anzahl von Zustandsgrößen — Parameter genannt — eindeutig beschrieben 
ist. Eine bestimmte Menge gasförmigen Stoffes, die in einem Zylinder 
eingeschlossen ist, wäre zum Beispiel ein System, dessen Zustand durch die 
Parameter: Gewicht, Dichte, Molekülzahl, Druck, Volumen, Temperatur 
Entropie usw. bestimmt ist; oder ein elastisches Prisma wäre ein System 
dessen Zustand durch die Parameter: Grundfläche, Höhe, Neigungswinkel 
der Begrenzungsebenen zueinander, Elastizitätsmodul des Materials usw 
beschrieben ist. Diese Parameter stehen in einer bestimmten Abhängigkeit 

voneinander, so daß eine Zustandsänderung des ganzen Systems eintritt, wenn 
auch nur einer dieser Parameter geändert wird; der Änderung des' einen 
Parameters entspricht eine bestimmte Änderung der anderen Parameter, da 
eine gegenseitige Abhängigkeit der Parameter zum Systembegriff gehört. 
Das Verhalten eines solchen Systems ist eindeutig bestimmt, wenn die Art 
der gegenseitigen Abhängigkeit der Parameter bekannt ist, weil das endo- 
systeme Verhalten durch diese Abhängigkeit beschrieben ist und die exo- 
systemen Einflüsse nur in Parameteränderungen bestehen. 
I Auf die Person ist der Systembegriff der Physik selbstverständlich an- 
wendbar; der Ausdruck Person sagt ja nichts anderes, als daß ihr gesamtes 



Das Prinzip von I <>- Cnatelier und der oelbsternaltungstneb 5 

Verhalten systembestimmt ist. Man kann also ohne jede Begriffsschwierig- / ji-A^L - 
keit das System Person mit allen anderen Systemen in der Natur l &***** ZJ&ßtf***' 
vergleichen und seine spezifischen Eigentümlichkeiten vergleichend fest- 
stellen. 

Diese Anwendung ist für die Biologie unter anderen von Cohen-Kysp_e_r_ 
[// bis 18] versucht worden, und seine Ergebnisse zeigen, daß diese Über- 
tragung aus der Physik auf die Betrachtung der biologischen Person lohnend 
und fruchtbar ist. 1 

Die Frage wäre demnach zunächst: gibt es ein Verhalten. dq s allpn 
physika lischen und chem i schen Systemen gem ei nsam zukommt und ist es 
auch im System Person aufzufinden? 

Die Physiker kennen unter dem Namen Le Chateliersches Prinzip 
folgendes Verhalten jedes Systems: 

„Jeder Vorgang, d er durch eine äußere Einwirkung (oder einen 

a nderen primä ren Vorgang) in einem System hervorgerufen wird, 

i st so gerich tet, da ß er di e Änderung des Systems durch die 

äußere Einwirkung (oder den Primärvorga ng) zu verhind ern suc ht. 1 * 

T2ß, S. 542.J 

Es ist auch den Physikern nicht entgangen, was dem Psychologen sogleich 
höchst auffällig ist, daß hier eine phy sikalische Formulierung de s I 
„Selbsterhaltungstriebe,? vorliegt ; so meint Chwolson [14, S. 476J, . 
daß hier eine Erklärung für das Akkommodationsvermögen der Tiere und s 
Pflanzen gegeben sei, und Grimsehl [2J, S. 544] glaubt, daß damit die 1 
wunderbare Zweckmäßigkeit im Bau der Organismen verständlich gemacht | 
werde. Wir werden daher gern Näheres über das Prinzip erfahren wollen. 

Die Frage nach dem Sinn eines endosystemen Vorganges, der durch 
eine exosysteme Einwirkung hervorgerufen wird, ist zum ersten Male von 
W. Ritchie [/ und 2] bei der Untersuchung der Induktionsströme, die 
durch die Bewegung eines Leiters im magnetischen Feld entstehen, gestellt 
worden. Sein Beantwortungsversuch wurde von Lenz widerlegt und richtig- 
gestellt : 

„Wenn sich ein metallischer Leiter in der Nähe eines galvanischen Stromes 
oder eines Magneten bewegt, so wird in ihm ein galvanischer Strom erregt, 
der eine solche Richtung hat, daß er in dem ruhenden Draht eine Bewegung 

1) Anderseits zeigen seine Arbeiten, die ohne den energetischen Gesichtspunkt 

durchgeführt sind, die engen Grenzen einer mechanischen Betrachtung. — Auf die 1 flv « • . • 

sehr bedeutsame Verwendung des Systembegriffs in der Psychologie durch Köhler I lo UM Viflf\ZCV^W 

wird an anderem Ort zurückzukommen sein. I i 10 *_ » 



Oiegfried Bernfeld unj Sergej FeitelLerg 



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hervorgebracht hätte, die der hier dem Draht gegebenen gerade entgegen- 
gesetzt wäre, vorausgesetzt, daß der ruhende Draht nur in Richtung der 
^Bewegung und entgegengesetzt beweglich wäre." [j, S. 485.] 

Dieses sogenann te Lenzsche Prinzip beansprucht Gültigkeit nur für diese n 
Spezialfall. Fünfzig Jahre später fand Le Chatelier seine G ültigkeit auch 
für chemische Systeme: ~ 

(„Tout systenuTenSquilibre chimique stable soumis a l'inßuence d'une cause 
exterieure qui tend ä faire varier soit la temper ature, soit sa condensation 
(pression, concentration, nombre de molecules dans l'unite de volume) dans sa 
totalite ou seulement dans quelques unes de ses parties, ne peut eprouver que 
des modißcations interieures, qui, si elles se produisaient seules, ameneraient 
un changement de tempe'rature ou de condensation de signe contraire ä celui 
Kesultant de la cause exterieure." 1 [4, S. 787.] 

Drei Jahre später wurde es von Braun [6] ganz verallgemeinert und 






hatte nunmehr den Anspruch, für jedes System in der Natur zu gelten, 
soweit dessen Veränderungen stetig vor sich gehen. Brauns Formulierung 
und der Beweis, den er seinem Satz zu geben versuchte [7, *f\ % wurde von 
Ehrenfest [12] verbessert; gleichzeitig wies Ehrenfest die Gültigkeits- 
grenzen des Prinzips nach (siehe unten). 2 

Soll die allgemeine Formulierung des Prinzips in die exakte Ausdrucks- 
weise der Physik übertragen werden, so braucht man bestimmte Angaben über 
das Verhalten der verschiedenen Parameter und ihre gegenseitige Beein- 
flussung in einem konkreten System. Als solches nehmen wir beispielshalber 
I eine Gasmenge, die in einem Zylinder durch einen Kolben eingeschlossen 
L ist. Durch einen äußeren Einfluß — zum Beispiel durch Belastung des 

Kolbens — werde der Druck erhöht. Dadurch wird das Volumen nach 

dem Boyle-Mariotte-Gesetz — vermindert, aber gleichzeitig erhöht sich 
die Temperatur, weil zur Senkung des Kolbens Arbeit aufgewendet werden 
mußte, die dem System übertragen wurde; diese mechanische Energie ver- 
wandelt sich im Prozeß der Kompression des Gases in Wärme. Die Tem- 
peraturerhöhung bewirkt ihrerseits eine Ausdehnung, — nach dem Gay- 
Lussac sehen Gesetz, — wodurch die ursprüngliche Volumenverminderung 

/ 1) „Jedes System im stabilen, chemischen Gleichgewicht, das der Einwirkung einer 
äußeren Ursache ausgesetzt wird, die seine Kondensation (Druck, Konzentration 
Molekulzahl in Volumeneinheit; in ihrer Gesamtheit oder nur in einem ihrer Teile zu 
verändern sucht, erfährt nur solche innere Änderungen, die, wenn sie allein vor sich 
gehen wurden, Veränderungen der Temperatur oder der Kondensation herbeiführen 
wurden die den Änderungen durch die äußere Einwirkung entgegengesetzt sind.« 
2) Vor kritikloser Anwendung des Prinzips hatte unter anderem Raveau [8] gewarnt. 



Das Prinzip von Le Cliatelier und der Selbsternaltungstrieb 



teilweise rückgängig gemacht wird. Wählen wir für die Betrachtung als 
die zwei Parameter Temperatur (T) und Volumen (v). Wir werden erfahren 
wollen, welche Änderung in der Wirkung des äußeren Einflusses durch 
die endosystem bedingte Parameteränderung (Temperaturerhöhung) hervor- 
gebracht wird. Dazu veranstalten wir den Versuch in zwei Parallelen. 

D Die Druckerhöhung werde isotherm vollzogen. Das heißt, indem die 
Temperatur durch irgendeine Vorrichtung konstant gehalten wird, ist der 
Parameter T an jeder Änderung gehindert. Dann wird bei einer Druck- 
erhöhung um dp eine Volumenverminderung von djv erfolgen. 

II) In dem zweiten Parallelversuch überlassen wir den Parameter T 
sich selbst. Die Temperatur steigt dann — falls wir diesmal das System 
so isoliert haben, daß es keinen Temperaturaustausch mit der Umgebung 
vollziehen kann — und durch diese Temperatursteigerung wird das Gas 
ausgedehnt. Diese Ausdehnung wirkt aber der Volumen&eig^wiag^durch 
die Druckvermehrung entgegen, macht also die Änderung durch den äußeren 
Einfluß zum Teil rückgängig : erhöht den Widerstand des Systems gegen 
ihn. Die Volumen an derung ist ihrem absoluten Betrage nach im zweiten 
Falle kleiner als im ersten, was durch die Ungleichung 
ausgedrückt wird. <V> \djv\>\drrv\ 

Die von Ehrenfest nachgewiesene, oben erwähnte Gültigkeitsgrenze be-\ 
steht darin, daß das Prinzip in dieser_Formulierung nicht bei beliebiger 1 
Parameterwahl gilt, sondern b ei gew issen Parameterverbindungen das Er-/ 
gebnis dem Prinzip geradezu widersp richt. 

Um dies Versagen des Prinzips an einem Beispiel zu zeigen, führen wir die 
beiden Versuche an dem System Elastisches Prisma durch. Es sei ein, der Ein- 
fachheit halber, rechtwinkliges Prisma durch Höhe x t , Breite x 2 und Länge x, 
gegeben. Durch eine Zugkraft werde die Höhe um einen Betrag dix t ver- 
größert, während die Grundfläche, also die Parameter x 2 und x, unverändert 
gehalten werden. Wird den Parametern x 2 und x } die Veränderung freigegeben, 
so verringern sie sich — sie „geben der Zugkraft nach — die Ausdehnung 
des Parameters x t wird größer, so daß die Ungleichung 

<2> |^,|<M^'I 
besteht. Der Sinn dieser Änderung läßt sich deutlich erkennen: es handelt 
sich offenbar um eine Anpassung des Systems an den äußeren Einfluß, 
die dem Chatelier sehen P rinzip gegensi nnig~isf, wä^e^j^sjich^bei . Vor- 
g^en^chjemTypus der Ungleichung <I>"um Wider stände des Syste ms 
gegen äußere Einflüße handelt. 



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Siegfried Bernfeld und Serge! Feitelbc 



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Es wird interessieren, einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen dem 
verschiedenen Verhalten — nach dem Typus <1> oder <2> — kennen zu 
lernen. Ehrenfest k onnte durch eine tabellarische Zusammenstellung ver- 
schiedener Parameterwahlen und ihrer Ergebnisse solch ein allgemeines 
Gesetz aufstellen [10]. 

I Die Parameter können in zwei verschiedene Arten von Größen eingeteilt 
werden: in Intensitäts- und Extensitätsgrößen. Diese Unterscheidung, die 

^von Ostwald, Mach und Helm in die Physik eingeführt wurde,' ent- 
behrt einer exakten axiomatischen Definition, kann aber leicht an Beispielen 
erklärt' werden. So sind z. B. Druck, Temperatur, elastische Kräfte, elektro- 
motorische Kraft eines Elements, Potential eines Konduktors Intensitäts- 
größen, während Volumen, Deformation, Oberfläche, Elektrizitätsmenge, 
Entropie Extensitätsgrößen sind. [Ehrenfest, 10, S. 257 und Helm 24 
S. »gl.] ' 

/ Es zeigte sich, daß die Parameteränderungen nach der Ungleichung <1> 
dann vor sich gehen, wenn man bei der Parameterwahl je einen Intensi- 
täts- und einen Extensitätsparameter ausgesucht hatte, während die Änderung 
der Ungleichung <2> immer dann folgt, wenn die Parameter demselben 
\Typus angehören. 

Bezeichnen wir also die Extensitätsparameter eines Systems mit x t> x 2 
x } , . . . xh, . . . x m , ■ . . und die Intensitätsparameter mit y u y a> y \ 
Xk, • ■ ■ yn, . . ., so gilt: 

Ungleichung <1> |rf/|>|^ 7/ | bei Heteroparameterpaaren (x m , y„) und 
Ungleichung <2> \d x \<\dn\ bei Homoparameterpaaren (x h , x m oder 
yk, y n ). 

Bei jeder physikalischen Betrachtung konnten ebensoviel Homoparameter- 
paare gebildet werden wie Heteroparameterpaare, warum wurde dies schein- 
bare Versagen des Prinzips erst dreißig Jahre nach seiner Aufstellung be- 
merkt? Überlassen wir die Beantwortung dieser Frage dem Physiker: 

„In den Fällen der praktischen Anwendung kennt niemand das Prinzip 
in seiner abstrakten Form, sondern läßt sich von ihm nur zu einer bestimmten 
Art von Vergleich leiten. Neue Fälle löst man nach Analogie mit alten und 
gut bekannten. Dabei stellt man instinktiv 2 dem Typus (0,0) in den zu 



1) Ehrenfest [10, S^f.]. Während die Untersuchungen von Caratheodory [13] 
die axiomatischen Begriffsgrundlagen, die von Planck [27] erweitert wurden, für die 
Thermodynamik geliefert haben, fehlt unseres Wissens immer noch eine ähnliche, von 

J Ehrenfes t geforderte Untersuchung in Bezug auf die Intensitäts- und Extensitätsgrößen. 

2) Sperrung von Ehrenfest. 



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Das Prinzip von I ,r Cliateuer und Jcr Dclbstcrnnltnngstrico 



untersuchenden Fällen den analogen Typus (p, ö) eines bereits bekannten 
Falles gegenüber . . ." [Ehrenfest, 10, S. 242.] 

Diese Erklärung ist bemerkenswerterweise eine psychologische, ebenso 
wie die Deutung des Verhaltens nach Ungleichung <1> als Widerstand und 
nach (Z) als Anpassung auch eine rein psychologische ist, die wohl in An- 
lehnung an das Verhalten der Organismen gemäß dem „Selbsterhaltungs- 
triebe" gefunden wurde. Noch klarer wird dies, wenn man bei den Physikern 
die Bezeichnung des Prinzips als des „Gesetzes vom Widerstand gegen Zwang" 
[26, S. 259] oder der „Flucht vor dem Zwang" [/<?, S. 280] liest. 

Vermutlich rührt diese Neigung zu biologisch-psychologischer Ausdrucks- 
weise daher, daß nur bei den lebenden Systemen die Wahl eines Hetero- 
parameterpaares notwendig ist, will man ihre wesentlichen Reaktionsweisen 
verstehen. Vielleicht wird es nach der — noch ausstehenden — Klärung 
der Begriffe Extensität und Intensität näher präzisierbar sein, welche Rolle 
in organischen Systemen das Heteroparameterpaar als Systemdeterminante 
spielt. Es scheint, als wäre die enge Verbindung von Extensitäts- und In- |j 
tensitätsparameter für das Lebende bezeichnend. 1 Für die nicht lebenden 
Systeme oder für ihre physikalische Betrachtung ist das Heteroparameterpaar 
nicht so entscheidend. Daher führt das Chateliersche Prinzip in den 
Naturwissenschaften eine Art Schattendasein, in der Thermodynamik ist es 
überdies durch die Reziprozitätssätze ersetzbar. Für die theoretische 
Psychologie gewinnt es aber beträchtliche Bedeutung, da es wohl 
die allgemeinste Aussage über das Verhalten von Systemen in 
der Natur überhaupt macht und damit den Beweis stützen hilft, 
daß das System Person in grundlegenden Verhaltensweisen mit 
allen Systemen in der Natur übereinstimmt. 

Hat man den „Selbsterhaltungstrieb" gern als spezifische, gelegentlich 
sogar rätselhafte Eigenschaft der Lebewesen aufgefaßt, so lehrt uns das 
Chateliersche Prinzip eindringlich, Kritik an diesem Dogma der meisten 
Biologen und Psychologen zu üben; weit entfernt davon, eine Spezifi- 
tät des Organischen zu sein, ist Widerstand (und Anpassung) gegen- 
über Zwang ein allgemeines Verhalten aller Systeme. Das System 
Person hat die Tendenz zur Selbsterhaltung mit allen andern gemeinsam. 
Die Selbsterhaltung ist das Resultat verschiedenartigster Kräfte, Arbeits- 
leistungen und Arbeitsweisen des Systems, nicht aber das Ziel eines be- 

1) Ähnliches scheint auch Robert Mayer vorgeschwebt zu haben : „Zahlreiche Appa- 
rate sind im lebenden Tier unausgesetzt beschäftigt . . . die Intensität dieser Prozesse 
zu erhöhen, ihre Extensität zu vermindern" (2j\ S. 63). 



Oiegincd Bernfeld und Sergei Fcitelberg 



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W^K. dlUL VÖ > $L|/W<J stimmten Triebes. Die Frage, ob man nicht dennoch dieses Prinzip im Be- 
InftM^lA r ( reicl1 der Biologie und Psychologie „Trieb" nennen könnte, würde leicht 

(VMmJÜIaA OU? nUl • ZU leerem w ortstreit führen; aber im Interesse der Klarheit wird man 
JLaV ö J w °hl nicht darauf verzichten wollen, den Terminus „Trieb" für spezifisch - 

V*v» * organisches Verhalten aufzusparen. Nur so vermeidet man eine Verwirrung, 

die, extrem, ein Verdauungstrieb oder ein Gravitationstrieb stiften würde. 
Die übliche Nebeneinanderstellung von „Selbsterhaltungstrieben", „Selbst- 
entfaltungstrieben", „Geschlechtstrieben" usw. ist jedenfalls nach Kenntnis- 
nahme des Chateli er sehen Prinzips nicht aufrechtzuerhalten. Die Dignität 
dieser „Triebe" ist höchst verschiedenwertig ; während der „Selbstentfaltungs- 
trieb kein Trieb, sondern ein zusammengesetztes Gebilde ist, das nur in ge- 
wissen Bezirken des Psychischen gilt, wohl im Über-Ich [21, S. 233], ist der 
Geschlechtstrieb gewiß von allgemeinster und spezifischer Bedeutung für 
alles Organische, also ganz eigentlich „der Trieb"; der „Selbsterhaltungs- 
trieb hingegen hat mindestens in seinem Kern ein allgemeinstes 
Nfaturverhalten zur Grundlage. 

Die psychoanalytische Trieblehre gewinnt von hier aus Rechtfertigung 
für eine Aufstellung, die vielfach Befremden hervorgerufen hat. Bekannt- 
lich hat Freud die Einteilung in Fortpflanzungs- und Selbsterhaltungs- 
triebe, die in der Biologie geläufig war, bei der Übernahme des Trieb- 
begriffes in die Psychologie nicht festgehalten, sondern der populären 

(Einteilung in Liebe und Hunger folgend, den Sexualtrieben die Ichtriebe 
entgegengestellt. Die Ichtriebe, übrigens in der Psychoanalyse lange Zeit 
nur beiläufig beachtet, enthalten den „Freßtrieb", den Bemächtigungsdrang 
und andere Einzelfunktionen dessen, was man mit dem „Selbsterhaltungs- 
triebe" zu meinen pflegt. Aber gerade dessen eigentliches Stück, nämlich 
die Selbstbehauptung — Widerstand und Anpassung — hat Freud weder 
dem Sexualtrieb noch dem Ichtrieb eindeutig zugerechnet. In neuerer Zeit 
hat Freud den Selbsterhaltungstrieb, oder doch eine unbestimmte Anzahl 
^von seinen Komponenten dem Eros zugeordnet. 1 

Man sieht, daß in diesem Punkt die Freudsche Trieblehre Unklarheiten 
läßt. Unklarheiten, die, könnte man sagen, mit Recht geblieben sind, da 
ein gewisser Anteil der Tatsachen, welche der Psychoanalyse als „Selbst- 
erhaltungstriebe" aufgedrängt werden, sich dem Triebbegriff Freuds wider- 
setzen. Es kann an dieser Stelle noch nicht entschieden werden, welche 
Momente an dem Komplex „Fressen", „ Bemächtigungi , „Selbstbehauptung", 

1 Die wesentlichen Bemerkungen Freuds über den Selbsterhaltungstrieb finden 
llsich in: 20, S. 384; 21, S. 194, 22g, 242, 244, 245. 












Das Prinsip von Le Chatelier und der Selbsterhaltungstrieb 






„Lebenswille", „Todesangst", „Selbstliebe" usw., die populär im „Selbst- 
erhaltungstrieb" mitgedacht werden, als allgemeines Systemverhalten, welche 
als Ichleistung und welche schließlich alsTrieb voneinander abzugrenzen wären. 

Sicher jedoch scheint uns nunmehr, daß jener Anteil des „Selbsterhaltungs- \ 
triebs", der im Entwickeln von Widerständen gegen einen exosystemen Ein- l 
fluß besteht, allgemeine Eigenschaft des Systems Person ist. Soweit dies vom f 
Ich als „Selbsterhaltungstrieb" erlebt wird, könnte man von dem Seiner-selbst- 
bewußt- Werden eines Systemprinzips sprechen. Solches Bewußtwerden von | 
Furcht, Selbstliebe, Sorge, Selbsterhaltungswünschen bei einer äußeren Ge- f 
fahr entspricht einer Parameteränderung des Systems Person im Sinne der 
Ungleichung <1>, des Chatelierschen Prinzips, die den Widerstand des 
Systems gegen einen Einfluß erhöht, beziehungsweise die Gefahr bewältigt. 
Und hierin ist wohl die Funktion je ner bewußten Vorgänge zu sehen, die 
als Selbsterhaltungstrieb imponiert haben: sie signalisieren die im System 
als Widerstand gegen einen äußeren Einfluß eingetretenen energetischen 
Änderungen und ihre Richtung auf Widerstand, also Selbsterhaltung. Das j 
System Person kommt dadurch in die Lage zu handeln, d. h. durch 
Umweltsänderungen die Richtung der endosystemen Vorgänge festzuhalten 
und deren Kräfte zu ergänzen durch Indienstnahme der Naturkräfte. So 
verteidigen wir unser Leben gegen Angriffe der Natur und der Feinde 
durch Werkzeuge und Maschinen, in welchen die Naturkräfte, die uns 
bedrohen, in unsere Waffen verwandelt sind, ein Unternehmen, das mit 
minimalster Energiemenge („Psychische Energie") sich vollziehen kann, 
da nicht quantitative Vermehrungen in der „Natur" vorgenommen werden, 
sondern die vorhandenen Naturkräfte reguliert und geleitet werden. 

Dynamisch sind diese Vorgänge im System Person zum Teil zweifellos libidi- 
nöser Natur, ein anderer Teil ist als reine Ichleistung desexualisierter Libido 

zuzuschreiben. 

Literaturverzeichnis 

Zum Le Chatelierschen Prinzip: 
i) Rev. William Ritchie: On the Law which connects the various Magneto- 
electric Phenomena lately discovered by Dr. Faraday. [Sitzung der Royal Society vom 
15. Dezember 1832.] Abstracts of the papers printed in the philosophical transactions 
of the Royal Society in London. London 1857, Volume III, 1830—1837, S. 159. 

2) Rev. William Ritchie: On the reduetion of Mr. Faraday's Discoveries in 
Magneto-electric Induction to a general Law. Philosophical Magazine. 1834, Serie III, 

Bd. IV, S. 37. 

3) Lenz: Über die Bestimmung der durch elektrodynamische Verteilung erregten 
galvanischen Ströme. Poggendorfs Annalen der Physik und Chemie. 1834, Bd. 31, S. 483. 



Siegfried BernfelJ und Sergei Feiteltcrg 



4) H. Le Chatelier: Sur un enonce general des lois des equilibres chimiques. 
Comptes rendus des seances de l'Academie de science. 1884, Bd. 99, S. 786. 
^ S) H. Le Chatelier: Sur les lois de la dissolution. Comptes rendus. 1887,' Bd. 104, 

6) F. Braun (Tübingen): Einige Bemerkungen zu dem vorstehenden Aufsatze 
(Untersuchungen über die Löslichkeit fester Körper und die den Vorgang der Lösung 
^gleitenden Volumen- und Energieänderungen). Zeitschrift für physikalische Chemie 
1887, Bd - >• Heft 5, S. 269. 

7) P- Braun (Tübingen): Über einen allgemeinen qualitativen Satz für Zustands- 
anderungen nebst einigen sich anschließenden Bemerkungen, insbesondere über nicht 
eindeutige Systeme. Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie. ,888, Bd.« S **7 

T OW« ^^7= LC f l0iS du «s**— * de l'equilibre et le principe de 
Le Chatelier. Journal de physique theorique et appliquee. 19 o 9 S 572 

"• Ä * Ts d :; r naMnte Le »■*-*?-*■ *** a^« der 

^der J Ti P ' E , hrenf ? St ; DaS J r i nzi P vonLeChatelier-Braun und die Reziprozitätssätze 
der Thermodynamik. Zeitschrift für physikalische Chemie. 10», Bd 77 S 227 

"\^ Y^T *»***» du P^cipe de Lenz au* phenomenes' qui accom- 
pagnent la charge des condensateurs. Comptes rendus. lgll . Bd. ,52, Januar-Juni 
5- 5 J 3- ' 

Sonstige zitierte Literatur: 

\/i2) S. Bernfeld: Psychologie des Säuglings. Wien 1925, Springer. 

13) Caratheodory: Untersuchungen über die Grundlagen der ThermodvnatniV 
Mathematische Annalen. Bd. 67, S. 355. 

14) Chwolson: Lehrbuch der Physik. 2. Auflage. 1905, Bd. 3. 

ij) Cohen-Kysper: Versuch einer mechanischen Analyse der Veränderungen vitaler 
Systeme. Leipzig 1910. 

16) Cohen-Kysper: Die mechanistischen Grundgesetze des Lebens. Leipzig lql . 
i 7 ) Cohen-Kysper: Rückläufige Differenzierung und Entwicklung. Leipzig lqi8 
18) Cohen-Kysper: Kontinuität des Keimplasmas oder Wiederherstellung der Keim 
zelle. Leipzig 1923. 

l/ 19) John Eggert: Lehrbuch der physikalischen Chemie. Leipzig ]q2q 

20) Preud: Das Ich und das Es. Ges. Schriften, Bd. VI. 

21) Preud: Jenseits des Lustprinzips. Ges. Schriften Bd VI 
Bd. 2 Vn Fre " d: V ° rleSUngen ZUr Ei-führung » die Psychoanalyse. Ges. Schrift, 

9$) Grimsehh Lehrbuch der Physik. 6. Auflage. Berlin 1923. 
24) Georg Helm: Die Energetik. Leipzig 1898. 

aj) Robert Mayer: Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem 
Stoffwechsel. Heilbronn 1845. 

V26) Lothar Meyer: Grundzüge der theoretischen Chemie. 5. Auflage. Bonn l9 2i 
2 7 ) Max Planck: Über die Begründung des zweiten Hauptsatzes der Thermo- 
dynamik. Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. lq2 6 
math.-phys. Klasse. 3 ' 



• ■ 

■i 









über psychische Energie, .Libido und 
deren JVle^Darkeit 



I) „Psymisaie Energie" 

Die Diskussion der Anwendbarkeit des Energiebegriffs auf das Psychische 
pflegt von der Frage auszugehen, ob es eine „eigene psychische Energie 
gebe. 1 Es ist kaum sinnvoll im psychologischen Zusammenhang von Energie 
zu reden, wenn das Wort nicht im physikalischen Sinn gemeint wird, wenn 
mit ihm nicht — und wäre es auch bloß ernstlich heuristisch — das 
Postulat aufgestellt wird, die psychisch en Leistungen a ls Energieverschie - 
bungen zu verstehen, wie jede andere Leistun g in der Natur auch._ Dabei 
ist die lienennung eines gewissen Energiequantums als „psychisch die neben- 
sächlichste Frage. Die wesentliche Bedeutung des Energiebegriffes liegt darin, 
daß all die Mannigfaltigkeit mechanischer, elektrischer usw. Vorgänge ein- 
heitlich begriffen werden kann als miteinander vergleichbare, in bestimmten, 
errechenbaren Quantitäten einander äquivalente Größen. Die „eigene 
psychische Energie ist sinnvoll nur, wenn gesagt sein will: es gibt auf- 
findbare Gesetze, nach denen sich bestimmte physikalische Energien in 
psychische „verwandeln" ; es gibt quantitative Äquivalente zwischen physi- 
kalischen und psychischen Arbeitsleistungen. Aber wenn es so etwas gibt, 



1 



1) Auf die Literatur zur Anwendung des Energiebegriffs auf das Psychische gehen 
wir in dieser Arbeit nicht ein, da eine spätere Arbeit der Darstellung und der Kritik 
der bisher vorliegenden Versuche gewidmet sein soll. Eine wohlüberlegte Besprechung 
eines Teiles dieser Literatur findet sich bei Hartmann [14]. 



'^ Siegfried Bernfeld und Serge! Feiteltcrg 



wie eine öffentliche Meinung in der Psychologie, und wenn sie über etwas 
einstimmig urteilt, dann darüber, daß es unmöglich sei, quantitative Fest- 
stellungen über das Seelische zu machen, die präzise, umfänglich und zentral 
genug wären, um einem physikalischen Begriff psychischer Energie zu 
genügen. Trotzdem wir nun im folgenden diesem so häufig mit Nachdruck 
vertretenen Urteil zu widersprechen unternehmen, so muß doch zugegeben 
werden, daß derzeit die Energien der psychischen Vorgänge nicht meßbar 
sind. Dagegen hilft am wenigsten die Einführung des bloßen Wortes von 
der eigenen psychischen Energie. Andererseits ist der modernen Psychologie 
nichts gewisser, als daß in irgendeiner Weise „Seele und Leib" miteinander 
«* verbunden sind, daß die „Seele" abhängig ist von den Arbeitsleistungen 

des Körpers und daß diese physikalischen Energieleistungen entsprechen. 
Chemische, thermische, elektrische, mechanische, vielleicht radioaktive 
Energien sind in den Zellen des Körpers tätig, begleiten und bedingen, 
mindestens im Zentralnervensystem, die seelischen Prozesse; — irgendwie 
wirkt das Seelische zweifellos auf sie ein, es muß also irgendeine Stelle 
im Energiehaushalt des Körpers haben. Das System Person 1 — wie wir 
„Körper" und „Seele" zusammenfassend sagen — wird von den Energien 
des Kosmos getroffen und leistet reagierend und spontan Arbeit an und 
mit ihnen. 

Bei dieser Fülle von Energien wohlbekannter Form, die dem System 
Person zur Verfügung stehen, wenn es sich in Widerstand und Anpassung 
mit den gleichfalls wohlbekannten Umweltsenergien ausgleicht, bei der 
bestehenden Unmöglichkeit eine „eigene psychische Energie" naturwissen- 
schaftlich zulänglich aufzufinden, drängt sich der Ausweg gebieterisch auf 
statt der psychischen Energie, die Energien des Systems Person zu studieren' 
und nicht am Anfang, sondern am Ende der Diskussion zu entscheiden' 
I ob es zur Erklärung der seelischen Vorgänge einer eigenen Energieform 
. überhaupt bedarf und wie sie zu definieren wäre. 2 

' Die Verschiebung des Akzentes, die wir gegenüber der gebräuchlichen 
Fragestellung in der Psychologie vorschlagen, ist in der Physik längst vor- 
genommen. So ist die Wärmetheorie von ihrem ursprünglichen „eigenen 
I WärmestofT vorgeschritten bis zu dem Satz von Caratheodory: „M an 

1) Vgl. [3 und 25]. 

2) Kurt Laßwitz, der wohl als erster der Frage der psychischen Energie eine 
e.gene Untersuchung gewidmet hat, ist gleichfalls von diesem Gesichtspunkt aus- 
gegangen, seine Nachfolger aber haben ihn unberücksichtigt gelassen, so daß wir 
mit diesen Erörterungen gewissermaßen an den Ausgangspunkt der Diskussion zu- 
rückkehren. 









L 



übe 



sycLiscne Energie, Libido und deren Meßbarkeit 



• - 



• 



kann die ganze Theorie ableiten, ohne die Existenz einer, von den gewöhn- 
lichen mechanischen Größen abweichenden physikalischen Größe, der Wärme, 
vorauszusetzen." [;, S. 356.] Die strenge Abgrenzung der verschiedenen 
Energieformen ist durch die Empirie, durch die Eigenart unserer Wahr- 
nehmungsorgane gegeben, sie ist eine Frage der phänomenalen Qualitäten, 
für die Energietheorie ist sie Epiphänomen. Sie überschreitet deren Forschungs- 
bereich. Sie in der Psychologie festzuhalten ist aber allein schon darum 
nicht möglich, weil ein Teil der Wirkungen der sogenannten psychischen 
Energie, die unbewußten Vorgänge, gar nicht wahrnehmbar sind, der andere 
Teil in eigentümlicher Weise, mit der Wahrnehmung der Qualitäten der 
anderen Energieformen inkommensurabel, als bewußte innere Wahrnehmung, 

gegeben ist. 

Eine Hilfs vor Stellung über die Energieverhältnisse des Systems Person 
und seiner Beziehungen zu der Umwelt werden wir freilich nicht entbehren 
können. Aber wir werden ihr Vorbild kaum zu aller Anfang in der un- 
belebten Natur suchen, denn offenkundig liegt die Schwierigkeit unserer 
Aufgabe eben darin, daß es die Energielehre außerhalb der Psychologie 
mit so sehr viel einfacheren Systemen zu tun hat. Das System Person ist 
hoch zusammengesetzt. Nicht allein daß „Körper" und „Psyche" Systeme' 
sind, die im System Person integriert sind; die Körperorgane und in ihnen 
jede einzelne Zelle stellen bereits sehr viel höhere Systeme dar als die 
Atome, Ionen und Moleküle, mit deren Energien die Physiker arbeiten. 
Hingegen kennen wir aus Erfahrung genügend gut ein noch komplizierteres 
Gebilde als das System Person, nämlich die sozialen Gruppen von Personen, 
das Kollektiv, das einem System entspricht, in dem zahlreiche Personen inte- 
griert sind: es übt einheitlich Widerstand und Anpassung gegen exosysteme 
Einflüsse aus und kann diese Arbeit natürlich nicht leisten ohne Energien 
in seinen Dienst zu stellen, und zwar deren bekannte physikalische Formen 
und die Energien der Personen, ihre körperlichen und psychischen Kräfte. 
Über die Verhältnisse der Energien im System Kollektiv wissen wir trotz 
seiner Kompliziertheit aus unmittelbarer Anschauung Bescheid; es empfiehlt 
sich daher, diese Verhältnisse zur Orientierung auf dem so sehr viel undurch- 
sichtigeren Gebiet des Systems Person heranzuziehen. 

Da wäre als Beispiel etwa eine Fußballmannschaft. Dies Kollektiv leistet \ , . -, 

seine Arbeit gewiß mit Energien, die höherer Ordnung sind, als die gleiche '^M*/AU/p*!*** 
Menge von Spring-, Lauf-, Stoßkräften aller beteiligten Einzelnen wäre. Und / 
doch gibt es keine „eigene Kollektivenergie". Zwar spricht man von Kollektiv- 
geist, aber so hoch jemand auch die Bedeutung des Kollektivgeistes einschätzen 






. I 



Wttjm 



■ 






Siegfried Benileld und Serge« FeitelLerg 




!**, "ÜMi \ mag ' niemand ist in Gefahr, ihn als physikalische Energieform aufzu- 

I» fitt, faSSeD ' S0Udern man weiß ' daß er eine der Kräfte ist > die dem niedrigeren 

•Jt/Ui WMi I System Person angehören, aber in die Leistungen des Kollektivs eingehen. 

idtaWLii, DiCSe Leistun S en g eschehen mit mechanischen Energien (Stoß, Schlag, 
^K^p 1 * Körperbewegungen), mit den psychischen Energien der Personen (der Spieler, 
Schiedsrichter, gelegentlich auch der Zuschauer) nach Regeln (Systembedin- 
gungen), die historisch entstanden sind, und unter Verwertung eines 
gleichfalls historisch gewordenen, nämlich eigens produzierten Apparates 
(Spielplatz, Ball usw.). Die Leistungen des Kollektivs sind bestimmt vo a 
den Naturgesetzen, die den Apparat und die integrierten Systeme (Personera) 
beherrschen, und von den Spielregeln: den historisch entstandenen Kollektiv- 
bedingungen. Grundsätzlich lassen sich die Energien, die hier tätig sind 
berechnen und als „Energie des Kollektivs" ausdrücken, trotzdem es keine 
eigene „kollektive Energie" gibt. Wesentlich wäre aber für dieses Gedanken- 
experiment einer Berechnung der Energie des Kollektivs, — und vor allem 
für die Anwendung, die wir von diesem Beispiel machen wollen, — daß 
man keineswegs die Energien der integrierten Systeme, der Personen, über- 
haupt ansetzen dürfte, sondern bloß jenen Anteil von ihnen, der dem Kollekti 
tatsächlich zur Verfügung gestellt ist. Denn nicht alle Gedanken, Gefühle. 
Sexual- und Körperkräfte der Person gehören dem Kollektiv, sondern dere * 
ein bestimmter, und zwar variabler Teil. Der Spieler kann mehr oder weni ff 
^bei der Sache sein; er gehört nach dem Spiel wieder sich selbst. 

Der Sachverhalt, der auf der Systemhöhe Person uns so verwirrend 
schien, wird auf dem nächst höheren Niveau „Kollektiv" recht übersicht- 
lich. Die Arbeit des Systems Kollektiv wird mit einem Anteil der Energien d 
integrierten Systeme Person geleistet, mit deren kollektivierter Energie l 
Diese kollektivierte Energie hält einen historischen^tan^en^^pplr^**^ n 







, *.f 



historisch gewordenen Regeln geleitet, in Gang. Die Systemeigenschaften 
der Personen, die Eigenschaften des Apparates und die Regeln werden zu 
den Systembedingungen des Kollektivs. 

Betont ^sei, daß mit dieser Betrachtung keineswegs die „organizistische 
Soziologie" neu belebt werden soll. Diese suchte in der Gesellschaft bio- 
logische Analogien zu finden, während wir uns umgekehrt aus den unmittelbar 
bekannten Mechanismen der kollektiven Prozesse vorläufige Anschauungen 
V für die unbekannten biopsychischen zu bilden versuchen. Ein Verfahren, 

MlÜ W I V n ern f lläSSi8en UW der Ve «^chung halber das an sich bedeutsame 
Jiman, daü nicht nur die Energien von Personen, sondern auch Energien der be- 
kannten physikalischen Formen kollektiviert werden. 



üter psyAisd.e Energie, Libido und deren Meßbarkeit 



*■? 



das von Freud immer wieder mit Erfolg versucht wurde (z. B. im Begriff 
„Zensur") und das auch Planck im Schluß vom Makroskopischen aufs 
Mikroskopische gebraucht. [2), S. 33.] u 

Die Bildung einer vorläufigen Anschauung über „psychische Energie 
am Vorbild des Kollektivs ist gewiß zulässig, weil die Person eine komplizierte 
Einheit von Systemen niedrigerer Höhe, von Zellen ist und trotz aller be- 
deutenden Unterschiede in diesem Moment mit dem Kollektiv vergleichbar 
wird Gewiß hat die einzelne Gewebezelle nicht so viel Freiheiten gegen- 
über der Person, 1 wie der Spieler in seinem Kollektiv; aber ebenso gewiß 
ist die Zelle nicht ein „Teil" des Körpers, sondern ein System mit seinen 
Bedingungen und Kräften, das in die Person integriert ist. Die Arbeits- 
leistungen des Systems Person geschehen mit den Energien der Zellen, 
vermittels eines historisch entstandenen Apparats, von historisch entstandenen 
Begeln" geleitet. Die Systemeigenschaften der Zellen, die (physikalischA 
chemischen usw.) Eigenschaften des Apparates und die Begeln sind System- 
bedingungen der Person. Wir gewinnen so eine erste Vorstellung von per-' 
sonierten Energien. Das wäre jener Anteil der Zellenenergien, 
mittels dessen der Apparat des Systems Person Widerstand und 
Anpassung leistet, also eine Energiemenge, die von den Zellen 
an die Person abgegeben wird. Es ist nicht schwierig, prinzipiell zu 
entscheiden, was zum Apparat der Person gehört. Jedes einheitliche, ge- 
ordnete, historisch bedingte Verhalten der Person ist per deßnitionem ihre 
Systemleistung und geschieht unter Mitwirkung ihres Apparates. Schwieriger 
ist die Scheidung in Zellenleistung oder Apparatleistung bei bestimmten 
Einzelphänomenen; diese Frage dürfen wir hier noch offen lassen. Jeden- 
falls ist all das, was psychisch genannt wird, an die Leistungen des Apparats 
gebunden, gehört dem System Person an und nicht den einzelnen Zellen. 
Der Tod bringt das sofortige Erlöschen der Funktionen des Apparates, des 
Psychischen somit, während die Zellen ihr Leben - wenn auch nur kurz - 
weiterleben. Ähnlich ist der Apparat des Kollektivs das die einzelnen Per- 
sonen Zusammenfassende, zum Kollektiv Integrierende, das sie Überdauernde 
und ihnen Übergeordnete. Gewiß kann das Kollektiv nicht ohne die notige 
Zahl integrierter Personen (geeigneter Spieler) leben, aber die Personen ohne 
den Apparat und ohne die Regeln des Kollektivs sind kein Kollektiv, sondern 
zweiundzwanzig Personen. Es herrscht hier dieselbe Beziehung wie zwischen 



y^uwvv 






x) Wo von Person, Kollektiv, Zelle die Rede ist, sei „System Person«, „System 
Kollektiv«, „System Zelle" gemeint. 

2 



Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelberg 



iaL W 



V* 



(• i . . Dampf und Maschine. Die Personen sind die Energiequelle des Kollektivs. 

W, Wftouvj^-vw. ^ Joie Systeme Zelle sind die Energiequelle des Systems Person, 
ta ; '(|<tUi'M ( i^. • - ( Ueines Apparates, seiner Regeln, seiner Psyche. Was also psychische 
/4>H, "^y[ i^rV'^*" Energie genannt wird, fällt jedenfalls unter den neuen Begriff der perso- 
U& vW ^A^w-Kl^ Wi nierte n Energie. 1 Aber der Begriff der personierten Energie umfaßt noch 
«Y&A*. einiges mehr. 

U Dies zu demonstrieren, reicht der Vergleich mit dem Fußballkollektiv 

nicht aus. Wenn etwa das System Fußballkollektiv aufgelöst wird, wenn 
lA ^V*j4.VK <vM<*\ es » st "* )t "' werden seine Personen frei, sie sterben keineswegs mit, während 
1 der Tod des Systems Person unausweichlich den Tod aller seiner Zellen 
nach kurzer Zeit zur Folge hat. Die Abhängigkeit der integrierten Systeme 
vom Funktionieren des Apparates des übergeordneten Systems ist auf dem 
Niveau Person außerordentlich viel größer als auf dem Niveau Kollektiv: 
die Integrierung im System Person ist vollendet. 

Immerhin lassen sich auf Systemhöhe Kollektiv Gebilde finden, die der 
Person in dieser Beziehung recht ähnlich sind. Man denke etwa an eine 
Truppe im Schützengraben. Jede einzelne Person, der Soldat, ist beinahe 
restlos vom Kollektiv abhängig. Die einzelne Person kann ihr Verhalten 
nicht nach ihren eigenen Wahrnehmungen regulieren, sie ist „blind", wenn 
nicht beim Stab die Meldungen über den Feind, den ganzen Frontabschnitt 
entlang zusammenlaufen, wenn nicht dort die Wahrnehmungen dieser 
einzelnen Facetten zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden, wenn 
nicht vom Stab an die Person Nachrichten für ihr Verhalten gelangen, 
die auf der „Kollektivwahrnehmung" beruhen. Die einzelne Person ist 
wehrlos, wenn ihr nicht vom Stab Munition zugeführt wird; sie ist lebens- 
unfähig, wenn ihr nicht, wiederum vom Stab, Nahrungsmittel zugeführt 
werden. Der Soldat ist vom Funktionieren des Apparates des Kollektivs, 
dem er angehört (Stab, dessen Transportmittel, usw.), völlig abhängig, beinahe 
wie die Zelle vom Funktionieren des Apparates der Person. Aber die Mög- 
lichkeit der Rebellion, des Überlaufens usw. zeigt die Grenze auch dieses 
Vergleichs. 

Die Person unterscheidet sich vom Kollektiv durch die vollendete Inte- 
gration. Die Zellen sind von der Person absolut abhängig in allen vege- 
tativen Funktionen: Nahrungsbeschaffung, -Verteilung, Sauerstoffzufuhr, Ab- 
fuhr der Abfallstoffe. Die Regulierung des Atmungs-, Zirkulations- und 

l) Wenn wir den Ausdruck personierte Energie dem synonymen personierte 
Energien vorziehen, so will betont sein, daß dabei nicht etwa an eine bestimmte, 
„eigene" Energieform gedacht werden darf. 



Über psydilsdie Energie, Libido und deren Mcljbnrkcit 



Verdauungssystems gehört ebenso wie das Psychische zu den Leistungen 
des Apparates der Person. Die Energien, die diese Arbeit ermöglichen, 
gehören zur personierten Energie. Es ist ungebräuchlich, — und wäre auch 
nach dieser Auffassung nicht korrekt, — die Regulierung der Atmung usw. 
dem Psychischen zuzurechnen. Aber gerade die Erfahrungen der Psycho- 
analyse von der psychischen Ansprechbarkeit der Zirkulations- und Verdauungs-\ I 
organe weisen auf eine enge Verwandtschaft hin und es scheint uns kein 1 , 
geringer Vorteil dieses Umfangs des Begriffes der personierten Energie, daß I 
wir durch ihn zu vereinfachten Vorstellungen über die energetischen Fragen ' 
der Hysterie und der Organneurosen gelangen können. 

Personierte Energie wäre jener Anteil der Zellenenergie, der dem Zentral- 
nervensystem abgegeben wird, denn die Arbeitsleistungen des Apparates des 
Systems Person sind die Leistungen des Zentralnervensystems, des Zentral- 
apparates, wie wir sagen wollen. Die Person wäre „zusammengesetzt aus 
den zwei voneinander räumlich getrennten, funktional gekoppelten Systemen 
Zellen und Zentralapparat, oder genauer, sie ist die synthetische Einheit 
dieser beiden Gegensätze. Daß Energien des Zentralnervensystems vorhanden 
sind, ist oft genug angenommen worden, man spricht von Nerven-, Neuronen-, 
von Ganglienenergie, von psycho-physischer Energie usw. Physikalische 
Energien sind ebenfalls im Zentralapparat festgestellt. Welche Beziehungen 
die personierte Energie zu diesen allen hat, kann noch nicht entschieden 
werden; als Vorteil unserer Begriffsbildung ergibt sich, daß diese Frage 
unentschieden bleiben darf. Die Energien der Ganglienzellen brauchen 
durchaus nicht mit personierter Energie identisch zu sein. Der Meldeoffizier 
einer Truppe ist gewiß ein Teil des Apparates des Kollektivs, aber beiweitem 
nicht alle seine Energien werden kollektiviert, sondern davon ein erst fest- 
zustellender Anteil; ja sie können fast völlig ersetzt werden durch Elek- 
trizität; so mag auch für die Ganglienzelle gelten, daß ihre Neuro-Energie 
bloß einen Teil personiert. Weder die Energieform noch auch die Energie- 
stätte findet beim Begriff der personierten Energie Berücksichtigung, sondern 
sie wird lediglich von den Zellenenergien und den Umweltsenergien abge- 
grenzt durch das Kriterium, welches System durch sie Arbeit leisten kann. 

Es ist hier nicht unsere Aufgabe, die Ähnlichkeiten und Unterschiede 
zwischen Person und Kollektiv zu behandeln ; aber um über die Beziehung des 
Systems Zelle zum System Person und seinem Apparat (dem Zentralapparat) 
eine deutlichere vorläufige Anschauung zu gewinnen und um nachdrücklicher 
zu betonen, daß unsere Betrachtungsweise mit der organizistischen Soziologie 
nichts zu tun hat, sei auf zwei wichtige Differenzen hingewiesen, die sich 






10VA/fc*#. 



2' 



öicglrjed Bernfcld und Sergei FcilclLerg 



aus der vollendeten Integrierung im System Person ergeben. Da die Personen 
gegenüber dem Kollektiv so viel freier sind als die Zellen gegenüber der 
Person, bedarf das Kollektiv eigener Mittel, um seine Personen dazu zu 
veranlassen, etwas von ihren Energien zu „opfern", zu kollektivieren; bedarf 
es ferner besonderer Mittel, um trotz der räumlichen und seelischen Distanzen 

1 zwischen den Personen eine Koordinierung ihrer Bedürfnisse und Handlungen 
zu erzielen. Jenem Zweck dient der Herrschaftsapparat, diesem die Sprache. 
Beide besitzt das System Person nicht gegenüber den Zellen, oder genauer 
gesagt, eben dieselben Funktionen, die auf Systemhöhe Person der Zentral- 
apparat erfüllt, vollzieht auf Systemhöhe Kollektiv Sprache und Herrschafts- 
apparat: Die Regulation der Zellenleistungen und ihre Integrierung zu 
: Personleistungen. Hoch rationalisierte Wirtschaftsbetriebe, etwa die Fabrikation 
am laufenden Band, erreichen dies ähnlich auf der Systemhöhe Kollektiv. 
:Die Arbeiter am laufenden Band bedürfen keiner Sprache, weil der Arbeits- 
strom ihre Tätigkeit reguliert, so wie der Chylus die Darmzellen ohne 
[Signale in Funktion setzt. Die Person muß nur Nahrung in den Mund 
tun, ein historisch gewordener, automatisierter Apparat leitet den Strom 
und erzwingt die dem übergeordneten System genehmen Funktionen der 
Zelle. 

Die Zellen befinden sich demnach gegenüber dem Apparat der Person 
wie gegenüber einem exosystemen Einfluß, an den sie angepaßt sind. Si 
sind gewissermaßen wie eine parasitäre Vegetation am Zentralapparat, vor, 
dessen Leistungen sie abhängig sind, an dessen Bedingungen sie angepaßt 
sind, wie an andere Naturbedingungen auch ; er setzt ihre Lebensbedingungen 
er produziert und verteilt ihre Nahrung. Aber dieser Apparat selbst i 
umgekehrt wieder von den Zellen abhängig, denn nur lebend geben sie 
ein Quantum Energie an ihn ab, das allein ihn funktionieren läßt. Für 
ihn sind sie die Energiequelle, er ist wie ein Parasit auf ihnen. Dies scheint 
die kompliziertere, aber präzisere Formulierung der Anschauungen von 
psychophysischer Wechselwirkung, oder von psychophysischem Parallelismus 
zu sein, die durch unsere Betrachtungsweise nahegelegt wird.' 

Die personierte Energie steht in funktionaler Abhängigkeit von den 
Zellenenergien. Je mehr die Zellen Energie besitzen, die sie abgeben können, 
um so „gefüllter", mächtiger ist der Apparat; je ärmer sie sind, um so 
leerer, schwächer die Person. Aber diese naheliegende Annahme einer ein- 



i) Von den metaphysischen Tendenzen dieser beiden Lehren, Wechselwirkung und 
Parallelismus, wird hier völlig abgesehen. 



Über psydiisilic Energie, Libido und deren .Meßbarkeit 



fachen proportionalen Funktion bedarf offenbar entscheidender Korrekturen. 
Im Schlafzustand ist das der Person abgegebene Energiequantum sehr gering, 
während die Zellen für ihr Wachstum beträchtliche Energiemengen ver- 
brauchen. Umgekehrt scheint im Zustand angestrengter Tätigkeit der Person 
den Zellen mehr Energie entzogen zu werden als gewöhnlich. Es ist, als 
wenn die Ermüdung das psychische Anzeichen hierfür wäre. Es spricht alles / 
dafür, als würde nicht ein konstantes Quantum Energie personiert, sondern 
als wäre seine Menge abhängig von den „Aufgaben", die der Bewältigung 
harren, den exosystemen und endosystemen Reizen, soweit sie nicht von den 
Zellen sondern vom Apparat der Person bewältigt werden müssen. Diese 
Abhängigkeit der personierten Menge von den zu bewältigenden System- 
aufgaben bedarf besonderer Berücksichtigung, denn sie mahnt uns, die 
Umweltenergien in Rechnung zu stellen. Indem wir nach den Energie- 
quellen des Systems Person suchten, war unsere Aufmerksamkeit auf die 
endosystemen Kräfte gerichtet; nun werden wir erinnert, die exosystemen 
einzusetzen. Während wir bisher summarisch von Zellenenergien sprachen, 
haben wir es in der Umwelt mit genau benennbaren Energieformen zu tun. 
Denn die Umwelt des Systems Person besteht aus den Energiemengen der 
bekannten physikalischen Formen, die als Reize die Systemgrenze erreichen. 
Die Bewältigungsaufgabe, die dem System diese Umwelt bietet, ist: durch 
Systemleistungen (Widerstand und Anpassung) sich mit diesen Energiemengen 
auszugleichen. Für die Art der Systemleistung nun ist die Quantität dieser 
Reize entscheidend. Bekanntlich reagiert es überhaupt erst, wenn die zu- 
geführte Reizmenge eine gewisse Höhe erreicht hat, und ändert Intensität 
und Richtung seines Verhaltens je nach dem Wachstum der Reize. Natürlich 
sind auch minimalste Reizmengen nicht wirkungslos, sondern sie haben 
Reaktionen zur Folge, aber nicht Reaktionen des Systems Person ; für dessen 
Verhalten bleiben sie neutral und werden vielmehr von den Zellen selbst 
bewältigt. Die Person tritt erst in Funktion, wenn die Reizmenge die 
Bewältigungsfähigkeit der Zellen übersteigt, wäre man versucht zu sagen. 
(Den Ausdruck Reizschwelle müssen wir hier ausdrücklich vermeiden, denn 
er meint die Reizgröße, die zum Bewußtwerden führt; eine Frage, die 
hier unerörtert bleibe.) 

Die jeweils personierte Energiemenge ist also sowohl von der vorhandenen 
Zellenenergiemenge, vom Energievorrat, als auch von der zu bewältigenden 
Reizmenge, der Nachfrage, abhängig. Wir möchten diese doppelte funk- 
tionale Abhängigkeit der personierten Energie als unsere Grundhypothese 
zum Gegenstand weiterer Untersuchungen machen. Um schon hier die 



n 



Siegfried Bernfcld und Sergei Ifeitelberg 






Absicht, zu mathematischer Auswertung zu gelangen, festzulegen, wollen 
wir diese Hypothese als Problem formel schreiben: 

<1> E P =f(E R> Ec) 

wobei wir die personierte Energie als Ep, die Zellenenergien als Ec, die 
Umweltenergien, soweit sie auf das System Person übertragen werden, als 
Er schreiben. 

II) JUVit energetischen lJeutung des Weber- Fechnersohen Gesetzes 

Da wir die Fragen der theoretischen Psychologie unter der Grundvoraus- 
setzung diskutieren [vgl. oben S. 3], daß die psychischen Erscheinungen den 
bekannten Naturgesetzen folgen, kann diese unsere Problemformel, soweit 
es sich um die quantitativen Beziehungen zwischen der personierten Energie 
und den Zellenenergien einerseits, den Reizenergien anderseits handelt 
deduktiv bestimmt werden. Denn diese Energien müssen dem ersten Haupt- 
satz der Energielehre, dem sogenannten Gesetz von der Erhaltung der Energie 
entsprechen. Jede Vergrößerung der Energie des Organismus muß einer 
gleich großen Zufuhr an Energie von außen entspringen, und jede Ver- 
minderung der Energie des Organismus muß in einer Abgabe von Energie 
an die Außenwelt bestehen. 1 Zunächst bleibe dabei eine offene Frage, wi P 
sich die Energiemengen des Organismus jeweils auf das Zellensystem und 
auf den Apparat des Systems Person verteilen; es ergibt sich dann der Satz- 
jede Änderung in der Reizenergiemenge hat die entsprechende Änderun» 
in der Energiemenge der beiden Systeme Zentralapparat und Zellen zur 
Folge. Was zu schreiben wäre 

<2> dE R =dE P + dEc 

Fassen wir die deduktive Erwägung, die uns zu dieser, wie sich zeigen 
wird, fruchtbaren Grund formel führt, präziser, so ergibt sich die folgende 
Ableitung : 

Soll U die Energie der Umwelt sein, E P und Ec die Energien der Person, 
Er die Energie, welche von der Umwelt in das System Person übergeführt 
wird, so muß die Beziehung bestehen, falls man die Gesamtenergie der 
„Welt" 2 mit W bezeichnet, 

1) Die Präzisierungen, die sich aus dem Entropiesatz ergeben, werden in Kapitel IV 
diskutiert. 

2) Mit „Welt" ist hier natürlich nicht das Universum gemeint, sondern jene „Welt", 
in der die Gültigkeit des Erhaltungsgesetzes empirisch gesichert erscheint. 






über psydiisdie Energie, Libido und deren Meßbarkeit 



oder 

W—U=E P + Ec 

Die Differenz W—U ist in der Gleichung tautologisch als der Energie- 
gehalt des Systems Person ausgedrückt. Differenzieren wir die Gleichung, so 
ergibt sich unter Berücksichtigung der Konstanz der „Weltenergie" (dW=0) 

— dU=dE P + dEc 

dU ist das Differential des Weltenergiebetrages, das der Umwelt entzogen, 
dem System Person übertragen wird. Da wir die Energiezufuhr der Umwelt 
an die Person Er nennen wollten, können wir ersetzen 

— dU=dE R 
und erhalten dann: 

<2> dEn = dE P + dEc 

Aus dieser Formel allein, die zwei unbekannte Größen enthält, dEp und 
dEc (da sich deduktiv über die Verteilung der Energien des Organismus 
auf die beiden Systeme nichts aussagen läßt),' ergibt sich zunächst keine 
Möglichkeit zur eindeutigen Bestimmung — es sei denn, wir könnten 
Prozesse untersuchen, an denen eine der beiden Größen nicht beteiligt, 
also in der Formel gleich O zu setzen wäre. Prozesse, an denen Ep sicher 
unbeteiligt ist, gibt es gewiß reichlich, aber sie sind eben darum solche, 
für die die Psychologie nicht zuständig ist. Hingegen sind die Sinnesorgane 
Apparate, die gewiß nicht ohne Arbeitsleistungen des Zentralapparates 
funktionieren, in denen aber entweder keine lebenden Zellen vorhanden 
sind, oder diese doch an der Funktion des Sinnesorgans mit vernachlässig- 
baren Werten eigener Energie beteiligt sind. Die Energielieferung der Zellen 
kommt bei der Funktion der Sinnesorgane nicht in Rechnung. Für sie 
ergibt sich daher eindeutig aus der Grundformel: 

<3> dE P = dE R 

Da dEn als Änderung von Licht, Schall, Druck usw. sehr wohl meßbar 
ist, ergibt sich danach die Möglichkeit, die personierte Energiemenge zu 
bestimmen, die durch den Reiz dem System Person zugeführt wird. 

Dieser Deduktion widerspricht aber, freilich wie noch zu zeigen sein wird 
nur anscheinend, alles was bisher empirisch über die Beziehung zwischen 
Reiz und Wahrnehmung festgestellt wurde. Dieser Widerspruch fällt um 

1) Auch die empirische psychologische Forschung allein kann hier nicht zu defini- 
tiven Ergebnissen führen, sondern es bedarf dazu biologisch -physiologischer Fakten. 



n 



M 



ibiegfned Bernfeld und öergei Feitelberg 









so schwerer ins Gewicht, als die Lehre von den Beziehungen zwischen Reiz 
und Wahrnehmung zu den sichersten Ergebnissen der Psychologie gehört, 
ja man darf sagen, ihr einziges, wirkliches Gesetz darstellt: das Weber- 
Fechnersche Gesetz. Dieses Gesetz enthält eine Aussage über die Reiz- 
größe und ihre Beziehung zur Wahrnehmung, die unsere Aufmerksam- 
keit nicht allein darum verdient, weil sie unserer deduktiven Grundformel 
widerspricht, sondern weil mit ihrer Gültigkeit jede energetische Betrachtung 
des Psychischen in Frage gestellt zu sein scheint. Gleiche Reize haben nach 
dem Weber-Fechnerschen Gesetz bekanntlich nicht gleiche psychische Er- 
lebnisse (Empfindungen) zur Folge,\ Änderungen der Reizgröße sind nicht 
von proportionalen Änderungen im System Person gefolgt, wie sie Formel <3> 
verlangen würde, sondern die Abhängigkeit ist wesentlich komplizierter. 
Zunächst besteht das Gesetz der Schwelle, das besagt, daß Reizzuwächse 
bis zu einer gewissen unteren Grenze überhaupt nicht, und von einer 
gewissen oberen Grenze an gleichfalls nicht von bestimmten Unterschieden 
der Wahrnehmung gefolgt sind. Innerhalb dieser Grenzen aber ist die Wahr- 
nehmung des Reizzuwachses nicht nur von diesem selbst, sondern auch von 
seinem Verhältnis zu dem voraufgegangenen Reiz abhängig. Es genüge zum 
(Beispiel ein Gewicht von 3 g- an einer bestimmten Körperstelle, um das 
'Erlebnis einer „eben merklichen Empfindung", wie Fechner sagt, hervor- 
zurufen. Belasten wir dieselbe Körperstelle mit 2.0 g und fügen dann 5 g 
hinzu, so wird keine Empfindung eines Unterschiedes eintreten, sondern 
diese ergibt sich erst bei, zum Beispiel, 7 g; zu 40 g aber müßten 1 1 g hinzu- 
gefügt werden, ehe das gleiche Erlebnis des eben merklichen Unterschiedes 
eintritt. Die Wahrnehmung ist also weder proportional der Reizgröße, noch 
ist sie etwa völlig unabhängig, sondern sie ist regelmäßig gebunden an ein 
bestimmtes Verhältnis von Reiz und Reizzuwachs. 

Bezeichnet man mit Fechner die Empfindung eines eben merklichen 
Unterschiedes mit AE, den zu ihrer Hervorrufung notwendigen Reizzuwachs 
mit AR, so erscheint das Weber-Fechnersche Gesetz in der bekannten 
mathematischen Form der Fechnerschen Fundamentalformel 




wo k einen Koeffizienten bedeutet, der für verschiedene Sinnesorgane be- 
stimmbar und konstant ist. Schreibt man diese Gleichung in der Form: 



<a> 



AE 1 

AR~ R 



üfcc-r psyAJsAc Energie, Libido ur,J Jercn Meßbarkeit 



SO 



bedeutet — das Verhältnis zwischen der Empfindungsänderung und dem 
AR t -%.-,• 

Reizzuwachs, das für kleine Größen von äR und AR Gültigst hat. Nimmt 
man für das Psychische Stetigkeit' an, so läßt sich <a> auch m Form einer 
Differentialgleichung schreiten : 



dE 1_ 

dR R 



oder 



dE = k 



dR 
R 



deren Integration die Abhängigkeit der Empfindung von dem Reiz ergibt, 
die Fechnersche Maßformel 

E== J k d A + C=khg?uitR + C 
R 

wo C die Integrationskonstante bedeutet, deren Elimination durch die Be- 
stimmung des Integrationsintervalls möglich ist. 

Zwei Einwände, die gegen diese Fechnerschen Aufstellungen anfangs 
gemacht wurden, haben sich in der Folge als falsch erwiesen. Fechner 
behielt recht: das Webersche Gesetz kommt sonst „in der Natur nicht vor ;\ 
und es gilt zweifellos in der Sinnespsychologie, wenn auch nur in Grenzen 
und nicht einwandfrei für alle Sinnesorgane. Hingegen fand seine psycho- / ^ . 
physische Deutung des Gesetzes kaum Anhänger: Da in der „Natur bei 
Kraftübertragungen Proportionalität herrscht, war für Fechner sicher daß 
die eigenartige logarithmische Beziehung, die er auffand, für die Beziehung 
von Körper und Seele spezifisch sei. Von unserer Grundformel aus müssen 
auch wir Fechner in diesem metaphysischen Punkt die Nachfolge versagen. 

Die sehr umfangreiche Literatur um das Weber-Fechnersche Gesetz - 
gehört doch ein guter Teil der gesamten experimentellen Psychologie hierher 
hat eine befriedigende Deutung bisher kaum erbracht. Die sogenannten psycho- 
logischen Deutungsversuche, die im wesentlichen von Wundt ihren Aus- 
gang nehmen, versuchen das Webersche Gesetz als Spezialfall eines Relations- 
gesetzes aufzufassen; aber unseres Erachtens werden sie allein dadurch arg 
eingeschränkt, daß das Gesetz nicht allein für das Psychische, sondern für 
alle Organisme n - auch für Amoeben, Bakterien, Pflanzen - gilt, also 

Psychoanalyse über das Unbewußte erhält .» eine empirische Grundlage. 



^(v^WtoW 






a " Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelfcerg 



biologischer Natur ist. Die sogenannten physiologischen Deutungsversuche, 
von G. E. Müller eingeleitet, nehmen Verluste der Reizenergie bei der 
Heizleitung oder im Apparat der Sinnesorgane an; aber sie vermögen nicht 
zu erklären, weshalb nicht beliebige Verluste eintreten, sondern daß diese 
dem höchst eigenartigen Gesetze gehorchen. 

Die Deutungsversuche der modernen Physiologie, die vom Massenwirkungs- 
gesetz ausgehen (siehe Pauli), vermögen immer nur eine Seite des Problems 
zu erfassen, und dies nur unter Heranziehung einer unbefriedigend großen 
Anzahl von Hilfslvypothesen. 
f Merkwürdigerweise ist eine energetische Deutung, wie wir sie hier ver- 
buchen, bisher nicht unternommen worden. Die Psychologen, die das Problem 
der psychischen Energie erörterten, haben das Weber-Fechner-Gesetz un- 
beachtet gelassen, obzwar es in seiner gegenwärtigen Fassung ein ent- 
scheidendes Argument gegen die Annahme psychischer Energie ist. Die 
Experimentalpsychologen haben keinen Anlaß gehabt, sich um die physi- 
kalische Bedeutung der Grundlage ihrer Maßmethoden zu kümmern, und 
doch vermag eine recht einfache Anwendung der Energielehre das Weber- 
Fechnersche Gesetz seiner Paradoxie zu berauben. 

Fechner selbst hat den Ansatz zur energetischen Klärung des Sachverhaltes 
versucht, indem er das Gesetz von der Erhaltung der Kraft heranzieht und 

I seine Psychophysik auf dessen Gültigkeit aufbaut. Er argumentiert, daß die 
lebendige Kraft des Reizes, die nicht verloren gehen könne, sich in di«* 
Intensität der Empfindung umsetzt. 

Fechner kannte die präzise Fassung des Begriffs „lebendige Kraft" nicht 
die seither die Physik gebraaht hat und die allein man einer Untersuchun ' 
zugrunde legen darf, die das Problem der Anwendbarkeit des Erhaltun^s- 
gesetzes auf das Psychische diskutiert. An einem konkreten Beispiel läßt 
sich diese präzisere Fassung des Energiebegriffes und die Tragweite der 
Begriffsunklarheit, die Fechner hatte (und mit der die heutigen Deutungs- 
versuche im allgemeinen noch arbeiten) am eindringlichsten zeigen. 

Von jedem Reiz wird dem System Person eine bestimmte Energiemenge 
zugeführt, sowie etwa von einem Gewicht dem System Waage. Unser Interesse 
richtet sich auf die Bestimmung dieser zugeführten Energiemenge. Sie ist 
anscheinend allein vom Energiegehalt des Gewichtes (oder Reizes) abhängig. 
Das Fehlerhafte dieser Ansicht wird aber offenbar, wenn man sich die 
Definition der Energie, die das Gewicht besitzt, vergegenwärtigt : der Energie- 
gehalt eines Gewichtes ist die Größe der Arbeit, die es leisten kann. Diese 
Arbeit ist gleich der Kraft, mit der das Gewicht von der Erde angezogen 






■- 



über psyAlsAe Energie, LftiJo -°J Jcrcn Meßbarkeit 



3 7 



wird mal dem Weg, den es in der Richtung nach dem Erdzentrum zurück- 
legt ' Die Größe der Energie wird also durch das Produkt zweier Kom- 
ponenten, in unserem Falle einer Kraft- und einer Wegkomponente, be- 
stimmt; jede Energieart läßt sich ähnlich in zwei verschiedene Komponenten 
zerlegen, wobei die eine Größe allgemein als Intensität („Kraft ), die andere V 
als Extensität („Weg") bezeichnet wird. Da der Weg, den das Gewicht \ 

an sich" zurücklegen könnte (also die Extensitätskomponente seiner Energie) 
bei der Energieübertragung vom Gewicht auf die Waage - die wir Wägung 
nennen - keine Rolle spielt, ist offensichtlich nicht der Energiegehalt des 
Gewichtes entscheidend, sondern allein die Kraft, die es auf die Waagschale 
ausübt also die Größe seiner Intensitätskomponente. Die Energieüber- 
tragung geschieht in Abhängigkeit von der Kraft und nicht von der Gesamt- 
energie ihrer Quelle. Die übergeführte Energiemenge wird gemessen durch 
den Weg, den das Gewicht mit der Waagschale zurücklegt. Die augenschein- 
liche Änderung, die am Gewicht und an der Waage vor sich geht, ist 
allein dieser Weg. Er wird von seiten des Gewichtes durch seine Kraft, 
von seiten der Waage durch die Spannung der Feder bestimmt. Da der i 
Weg von den Kräften allein, die auf die Schale wirken, abhängig ist, erfahrt ]. 
man mittels der Waage nichts über die Energieinhalte der Gewichte, sondern j 
stets nur von deren Kräften. Allgemein gesagt, sind alle Änderungen im j ^^ ,**,-{* 
System Waage nur von den Kräften, die auf sie wirken, abhängig. Hätte ^ GwKto**«.* 
die Waage ein Bewußtsein, so würde sie die Kraftwirkungen ihrer Umwelt, | ( .hu*JMvlt «^ 
die sie uns anzeigt, (nicht den Energiegehalt), als Empfindungen selbst wahr- I 

nehmen. 1 

Das System Person nimmt tatsächlich die Umweltsintensitäten, die seine 
Grenze erreichen, in Erlebnissen wahr (in den Empfindungen, die die Sinnes- 
organe vermitteln). Jeder dieser Empfindungen entspricht eine Energieüber- 
tragung aus der Außenwelt, deren Größe als Intensität der Empfindung erlebt 
wird und von der Intensitätskomponente des Reizes abhängt. Die Bestimmung 
dieser funktionalen Abhängigkeit der Empfindung von der Intensitäts- 
komponente des Reizes mag die Fechnersche logarithmische oder eine be- 
liebige andere Beziehung aufweisen, sie widerspricht nicht dem Energie- 
erhaltungsgesetz, das sich auf die übertragene Energiemenge (Intensität X Ex- 
tensität) bezieht; also auch nicht unserer Formel <3>. 



U 



rt Die beachtenswerte Betonung des Satzes, daß wir nur innere Kräfte wahrnehmen, 
die Schilder [24, S. 54 f.] verdankt wird, erhält hiedurch eine Stutze aus der physi- 
kischen Diskisstn -wahrend Schilder gegen die Auffassungen der modernen Physik 
von seiner psychologischen Theorie aus polemisieren zu müssen glaubt. 






a8 



■Siegfried BernfclJ und Sergej Fci'tellcrg 



Wollen wir die Beziehung unserer Grundformel zum Fechnerschen Gesetz 
präzisieren, so müssen wir ihr die Gestalt geben 

dE P = dE R =df(J R ,C R ) 
wobei J R die Intensitätskomponente und C R die Extensitätskomponente (auch 

I Kapazitätskomponente genannt) von E R bedeutet. Das Fechnersche dB. ent- 
spricht dJ R . Alle Unklarheiten, die sich in bezug auf Energiefragen aus der 
fechnerschen Psychophysik ergeben haben und zum Teil auch die heutige Dis- 
kussion darüber noch beeinflussen, entstammen der Gleichsetzung des Fechner- 
schen dR mit dE R , der stillschweigenden Identifizierung der „Reizgröße" mit 
der Reizenergie beziehungsweise ihrem, dem System Person übertragenen Anteil 
Dadurch verwandelt sich das Fechnersche Gesetz aus der falschen Form 
I in der es häufig - unausgesprochen - verstanden wird, und die man 
schreiben mußte 



dE P =k 



dE R 
E R 



und die dem Erhaltungsgesetz tatsächlich widersprechen würde, in die 
richtige Form 

dJ R 



<4> 



dE P =k 



Jr 



Diese einfache physikalische Überlegung ist unseres Wissens bisher in 
der Diskussion um Fechners Psychophysik nicht ausdrücklich durchgeführt 
worden.' Daß sie ohne entscheidenden Schaden vernachlässigt werden konnte 
rührt daher, daß energetische und Energiemessungsaufgaben der psycho' 
logischen Forschung fernliegen. Sie hat allerdings daher auch nicht Fechners 
ursprungliches Ziel, zu einer echten Psychometrie zu gelangen, erfüllen können 
Haben wir somit den auffallenden anscheinenden Widerspruch Fechners 
zum Erhaltungssatz der Energielehre beseitigt, so ist damit doch eine energeti 
sehe Deutung des Gesetzes noch nicht gegeben. Es bleibt die Sonderbarkeit der 
logarithmischen Abhängigkeit der übergeführten Energie von der Intensitäts- 
ycomponente des Reizes bestehen. Um sie zu verstehen wird sich empfehlen 
ein Modell dieser eigenartigen psychophysischen Beziehung aufzufinden. ' 
Das Weber-Fechnersche Gesetz, dessen Gültigkeit nur innerhalb bestimmter 
/Grenzen der Reizgröße besteht, ist heute als allgemeine Eigenschaft des 
1 lasmas anerkannt. Es ist aber nötig fest zustellen, ob es eine einzigartige 

( l) Andeutungen im philosophischen Zusammenhang enthält Sterns Personalismus, 
der übrigens den Fechnerschen Gedanken der Systemhöhen, den wir im Kapitel I 
J verwenden, umfassend ausbaut. 



über psydüsd.e Energie, Libido und deren Meßbarkeit 



29 



Fähigkeit des organischen Plasmas ist, oder ob diese Beziehung sich nicht auch 
sonst unter gegebenen Bedingungen einstellt. Solches Suchen mag im Erfolgs- 
falle manche Förderung und Klärung unserer Vorstellungen über die Wirkungs- 
weise organischer Systeme und die Rolle des psychischen Apparates bringen. 
In der „Natur" findet es sich nun freilich nicht außerhalb der Plasmawelt. 
Aber es läßt sich eine einfache Maschine konstruieren, in welcher die Um- 
setzungen zwischen einwirkender Kraft und den daraus folgenden Energie- 
verschiebungen im Sinne des Weber-Fechnerschen Gesetzes erfolgen. 

Die nächstliegende Maschine, die 
Waage, die man gern zum Vergleich 
herangezogen hätte, kann uns keine \ 
Dienste leisten, weil in ihr, nach 
dem Hookschen Gesetz die zugeführte 
Energie der Kraft einfach proportional 
ist. Hingegen entspricht dem Weber- 
Fechnerschen Gesetz die folgende An- 
ordnung. 

Der Zylinder a (Fig. 1), von einem 
beweglichen Kolben abgeschlossen, ist 
mit idealem Gas gefüllt. Die Metall- 
kugel b, durch eine Wärmeleitung mit 
dem Zylinder verbunden, hat eine nied- 
rigere Temperatur als der Zylinder, 
dessen Temperatur konstant gehalten 
wird, indem bei jeder Temperatur- 
erhöhung des Zylinders eine ent- 
sprechende Wärmemenge Q in die Kugel geleitet wird, wobei eine spezielle 
Anordnung, auf die wir hier nicht eingehen müssen, einen spontanen 
Temperaturausgleich (dem eine Temperaturerniedrigung des Zylinders folgen 
würde) verhindert. Wirkt nun der Druck p auf den Zylinder, der großer 
als der Gegendruck des Gases ist, so senkt sich der Kolben; diese Arbeits- 
leistung hätte eine bestimmte Temperaturerhöhung des Gases zur Folge, zu 
deren Ausgleichung das entsprechende Wärmequantum dQ an die Kugel 
abgegeben wird und dementsprechend deren Temperatur erhöht. Höchst 
bemerkenswerterweise ist nun die Beziehung zwischen der Größe des Druckes 
und der Größe der überschüssigen Wärmemenge 




.KUtwJu 



Fig. 1 



<5> 



.dp 

dQ=k-£- 

p 






äo 



Siegfried Bcrnfeld und Sergei Feitelkerg 



also die gleiche, die nach Fechner zwischen der „Reizgröße" und der 
Empfindung besteht. dQ ist aber gleich der Arbeitsleistung der Energie- 
quelle des Druckes, also gleich der Energiemenge des „Reizes", die auf 
das System übertragen worden ist. p ist die Intensitätskomponente dieser 
Energie, so daß die Gleichung <5> 

dJ R 



der Gleichung <4> 



dE R =k 



J* 



entspricht. 

In dieser Koppelung von Kugel und Zylinder zu einem Systemdual ist 
demnach ein energetisches Modell des Weber-Fechnerschen Gesetzes, also 
v des Psychischen — zunächst soweit es nach diesem Gesetz verläuft — gegeben. 

Ehe wir die Konsequenzen aus dieser neuen Modellanschauung ziehen, 
sei sie im einzelnen physikalisch gesichert. Die Gasmenge sei durch die 
Anzahl Mole v (die Anzahl der Mole ist durch die Gleichung 

Gewicht 
v = 

Molekulargewicht 
bestimmt) angegeben. Auf den Kolben wirke ein Druck p, das Volumen 
sei v. Dann gilt die Clapeyronsche Zustandsgieichung der idealen Gase- 

pv = R v Ti 
wo 7\ die absolute Temperatur bedeutet und R für ideale Gase eine Konstante 
ist. Vergrößern wir nun den Druck, der auf dem Kolben lastet, u m einen 
unendlich kleinen Wert dp, unter der Voraussetzung, daß die Temperatur 
des Systems, in dem das Gas sich befindet, unverändert bleibe, dann muß 
jede Temperaturvergrößerung, wie sie durch Druckzunahme entsteht, auf 
die Weise kompensiert werden, daß genau die gleiche Wärmemenge' die 
sie verursacht hat, vom System fortgeführt werde. Wir nehmen dazu' eine 
Metallkugel, die eine Temperatur T habe, und zwar so daß 

T X >T 

ist. Diese abzuführende Wärmemenge, die durch die Druckzunahme d 
entsteht, wollen wir berechnen. Es ist 

<6> dQ = %dA 

wo clA die mechanische Arbeit bedeutet, die durch die Druckzunahme auf 
das System übertragen worden ist, um das Gleichgewicht wieder herzu- 
stellen. 1 Diese Arbeit ist gleich 

<7> dA = pdv 



i) % ist das mechanische Wärmeäquivalent = 0-23865 • io~' cal/Erg. 



11 



Ulier psydiisdie Energie, Libido und deren Meßbarkeit 



5i 



wenn d v die Volumenverminderung durch die Wirkung des Druckzuwachses 
dp ist, die wir aus der Zustandsgieichung v = RvT— berechnen können. 



Es ist v = RvT- 

P 

Diesen Wert setzen wir in <7> mit positivem Vorzeichen ein, da bereits 
dort dv auf Zusammendrückung bezogen wurde, und erhalten 

dA = RvT^- 



oder endlich durch Einsetzen nach <6> 
<5a> dQ 



:u; v t^ 



Der Sachverhalt, den Gleichung <5a> ausdrückt, ist also in seiner quanti- 
tativen Bedeutung mit der Aussage des Weber-Fechnerschen Gesetzes identisch. 
Dieses Modell zeigt uns ein System mit Maschinenbedingungen, die das- 
selbe Verhalten erzwingen, das der Organismus in der identischen Situation 
aufweist. Denn die Leistungen jener Sinnesorgane, für die das Webersche 
Gesetz am genauesten und sichersten gilt, sind Reaktionen auf Druckkräfte : 
Tastsinn und Ohr; für das Auge und den Geschmacksinn gilt energetisch 
prinzipiell das Gleiche. 1 Dies legt die Vermutung sehr nahe, daß das 
Webersche Gesetz von den Maschinenbedingungen des Organismus, die denen \ 
des Modells ähnlich sein dürften, erzwungen wird. Die Vermutung erhält ) 
eine sehr bedeutende Stütze durch die Tatsache, daß ein osmotisches Modell 
ganz dasselbe Verhalten zeigt, wie unser Gasmodell. Wenn wir nämlich statt 
des Gases eine verdünnte Lösung nehmen, die Wände unseres Zylinders 
semipermeabel gestalten und ihn ganz in Wasser tauchen, so ändert sich 
unsere Rechnung in keinem Punkte, da sich verdünnte Lösungen in diesen 
Verhältnissen genau wie Gase verhalten, indem nämlich der wirkende Gegen- 
druck in diesem Falle nicht mehr der Gasdruck, sondern der osmotische 
Druck wird (Van 't Hoffsches Gesetz). 

Jede osmotische Maschine, für die die Bedingungen der Temperatur- 
konstanz in dem einen Systemteil (in dem die osmotischen Vorgänge statt- 
finden) und die Abführung des Energiezuwachses an den anderen System- 

1) Gegen die Zurückführung der Lichtwirkung auf Druckkräfte könnten Bedenken | 
geltend gemacht werden; die aber, soweit sie unser Thema berühren, durch die Be- , 
rechnungen Köhlers behoben sind. 






3a 



öiegfried Beriifeld und Sergej Feitelberg 



teil, wie in unserem Modell, zutreffen, zeigt das Weber-Fechnersche Ver- 
halten. Den Organismus als eine osmotische Maschine anzusprechen, ist 
gewiß mehr als eine bloße Metapher. Vielmehr ist die Osmose für den 
Organismus spezifisch. Die Erscheinungen der Osmose sind an ihm entdeckt 
worden und semipermeable Membranen finden sich außerhalb des Organischen 
überhaupt nicht und können synthetisch nur unvollkommen hergestellt 
werden. Tatsächlich gilt die Weber-Fechnersche Beziehung für die Lebens- 
prozesse so allgemein, daß sie Abderhalden „als der Ausdruck einer ganz 
allgemeinen Eigenschaft sämtlicher protoplasmatischen Gebilde" erscheint. 
So ist es wohl kein Zufall, daß sich das gekoppelte System, das wir an 
unserem Modell beschrieben haben, im morphologischen Bau der Zelle 



c, 



Ak 





:■&) 




Fig. 2 a 



Fig. zb 



deutlich wiederfindet. (Fig. aa.) Zwar ist die Zelle ein einheitliches System, 
mit einheitlichem Verhalten, aber Kern und Plasma in ihrer gegenseitigen 
eigenartigen Bedingtheit und relativen Unabhängigkeit, die ihren Ausdruck 
zum Beispiel in der bekannten Kern-Plasma-Relation findet, haben die Biologen 
längst als zwei kompliziert miteinander verbundene Systeme erkannt. Die 
Funktion des Kerns ist noch nicht restlos aufgeklärt, aber weitgehend herrscht 
darin Übereinstimmung, daß er als Regulator der wichtigsten Systemfunktionen 
anzusprechen ist. Es ist mehr als ein Bild, wenn wir die Kugel in unserem 
Modell als Regulator des gekoppelten Systems, des Systemduals Zylinder-Kugel 
bezeichnen. Die wesentliche Bedingung unseres Modells, die Konstanz der 
Temperatur im Zylinder, ist eine Bedingung, die für die Organismen zu- 
trifft, welche, soweit sie sich nicht isotherm erhalten können, wie etwa die 
Protisten, bestimmte Temperaturverhältnisse in der Umwelt aufsuchen. 1 

l) DaG bei den Organismen nicht eigentlich die Temperatur konstant erhalten 
[wird, sondern die Lebensprozesse an eine gewisse optimale Breite der Temperatur 









über psydiisdie .Energie, Libido und deren Aaefjbai-Keit 33 

Es mag jedoch eingewendet werden, daß die Reize, bei denen die Reaktionen 
der Amoebe dem Weberschen Gesetz entsprechen, keine Druckreize sondern 
chemische Reize sind. Es läßt sich aber dem gegenüber darauf hinweisen, 
daß die chemischen Lösungen, in denen die Amoeben reagieren, osmotischen 
Druck auf die Amoebe ausüben. Und zwar nach der Gleichung: 

RvT 

V 

wobei v und v auf das Reizmittel bezogen sind. Der Quotient — ist aber 
nichts anderes als die Konzentration des Reizmittels, so daß sich der Druck zu 

p = RTc 
ergibt, wenn c die Konzentration ist. Da ebenfalls 

dp = RTdc 
ist, folgt aus der Gleichung <5a> 

<5b> dQ = %RvT— 

c 

In seiner Gültigkeit für die Einzelzelle scheint demnach eine energetische 
Deutung des Weber-Fechnerschen Gesetzes leicht durchführbar. Daß die 
Arbeitsleistungen, die an oder durch osmotische Zellen vorgenommen werden 
(bei isothermer Prozeßführung), der logarithmischen Beziehung, die wir hier 
abgeleitet haben, gehorchen, ist der Physik längst bekannt und ist auch vielfach 
bei früheren Versuchen der Deutung des Gesetzes implicite mitenthalten. Man 
hat aber nicht versucht, diese Tatsache zur Grundlage der Deutung der 
Gültigkeit des Gesetzes auch bei den Wahrnehmungsprozessen der höheren 
Organismen heranzuziehen. Unsere Modellvorstellung legt aber diesen Ver- 
such dringend nahe. Das System Person ist nicht minder wie die Zelle ein 
Systemdual, der (siehe Fig. 2 b) den Maschinenbedingungen unseres Modells | *) 
entspricht. Der Zentralapparat des Systems, der morphologisch und funktionell 
ungefähr dem Zentralnervensystem entspricht, steht als Regulator den inte- 
grierten Zellensystemen gegenüber, wie der Kern dem Plasma, wie die Kugel b 
dem Zylinder a unseres Modells. Der energetisch relevante Vorgang bei der 
Wahrnehmung vollzieht sich nach unserer Hypothese als Druck auf den 
Systemteil a, der die ihm durch diese Einwirkung übertragene Energie- 
gebunden sind, trifft das Gerüst unseres Gedankenganges nicht; könnte aber nur an 
Hand des — übrigens derzeit noch kaum ausreichenden — empirischen Materials 
zulänglich diskutiert werden. * 



M 



Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelberg 



menge an den Systemteil b abführt, wobei die Beziehung zwischen der 
Intensität des „Reizes" und der von diesem dem Systemteil b übertragenen 
Energiemenge die bekannte logarithmische des Weber-Fechnerschen Ge- 
setzes ist. 

Das Weber-Fechnersche Gesetz wäre demnach restlos das Er- 
gebnis der Maschinenbedingungen des Systems Person. Wie jedes 
andere System auch, erfährt es durch die Wirkung der Umweltskräfte eine 
Erhöhung seiner Energie. Da das System Person als Plasmamaschine den 
Gesetzen der Osmose folgt, so besteht zwischen diesen beiden Größen (Um- 
weltskräfte und Systemenergien) die bekannte logarithmische Beziehung. Der 
komplizierte Aufbau des Systems Person als Systemdual bewirkt die Speiche- 
rung des, durch die Reizwirkungen entstandenen, Energiezuwachses in dem 
einen Systemteil, dem Zentralapparat. Die Energien des Zentral apparates 
erfahren so durch jeden Reiz eine Vergrößerung; das Anwachsen der Energie 
im Zentralapparat erlebt das System Person als bewußte Empfindung, die 
daher proportional ist dem Logarithmus der Reizintensität. 

So klar und eindeutig das Weber-Fechnersche Gesetz für Druck- und 
verwandte Reize aus den Maschinenbedingungen des Organismus und dem 
Gesetz der Energieerhaltung deduktiv abgeleitet werden kann, so genau ist 
es auch empirisch für die betreffenden Sinnesorgane erwiesen. Die Ungenauig- 
keiten und Abweichungen, die sich ergeben, lassen sich durch einige Prä- 
zisierungen der Fechnerschen Maßformel, die aus unserer Theorie folgen und 
die wir im IV. Kapitel vornehmen werden, korrigieren. 

Hingegen ist die Gültigkeit des Weberschen Gesetzes für die Wärme strittig 
geblieben; sie wird meistens geradezu abgelehnt. Für unseren Deutungs- 
versuch ist diese Gültigkeitsgrenze keineswegs einschränkend, sie bestätigt 
ihn vielmehr in sehr bedeutsamer Weise. Denn die Beziehung zwischen der 
Energiemenge, die vom Reiz dem System Person übertragen wird und der 
Intensitätskomponente des Reizes, die bei Druck- und verwandten Ein- 
wirkungen durch das Boyle-Mariottsche Gesetz bestimmt wird und im Weber- 
Fechnerschen Gesetz ihren Ausdruck findet, gilt nicht für Übertragungen 
von Energieformen wie Wärme. In der Ungültigkeit des Weber-Fechnerschen 
Gesetzes für Wärme bestätigt sich empirisch das Resultat, das sich aus unserem 
energetischen Deutungsversuch auch deduktiv gewinnen läßt. 

Gegenüber den anderen physikalisch-physiologischen Versuchen, dieses 
Gesetz deduktiv abzuleiten, also zu erklären, hat der hier vorgelegte den 
Vorteil, einer hypothetischen Annahme weniger zu bedürfen. Denn war 
auch die Ableitung anderer Autoren mehrfach in verschiedenen Formen 



Über psydiisdie Energie, Libido und deren Meßbarkeit 35 



gelungen, so ging sie doch stets von einer bestimmten Energieform aus, 
meist von der elektrischen, und war bemüht, von ihr aus die logarithmische 
Beziehung zu gewinnen. Dies macht unnötige Annahmen über die Art der 
Energieübertragung bei der Wahrnehmung und über die Art des Energie- 
transports innerhalb des Systems Person erforderlich. Diese Annahmen 
werden vermieden, indem die Energie als quantitative Größe eingeführt 
wird, die von jeder Annahme über die Energieform abzusehen gestattet. 
Mag die „Nervenenergie" Elektrizität, Wärme, eine besondere Neuronen- 
energie oder eine eigene psychische Energie sein, unsere Deutung wird 
dadurch nicht tangiert, während die anderen sich gerade von diesem Ent- 
scheid abhängig machen. 

Nach dieser ausführlichen, aber notwendigen Diskussion des Weber- 
Fechnerschen Gesetzes, als des einzigen strengen, empirischen Gesetzes der 
Psychologie, das anscheinend mit unserer Grundformel im Widerspruch steht, 
dürfen wir sie nunmehr, da empirische Einwände gegen sie nicht mehr 
vorliegen, als gesicherte Grundlage für die weitere Diskussion betrachten. 

III) Strukturierung 

Es sind demnach die Intensitäten der Außenwelt, die unter gegebenen 
Bedingungen das entsprechende Wachstum der personierten Energie be- 
wirken. Schon Fechner hat den Gedanken in die Psychologie eingeführt, 
daß wir — unter bestimmten quantitativen und Apparatbedingungen, wie 
wir heute sagen würden — das Anwachsen dieser Energie als Empfindung 
bewußt erleben. Dieser Gedanke hat zwar eine Beihe von Einwänden 
philosophischer Natur und gewisse Einschränkungen aber keine zwingende 
Widerlegung erfahren. Wir dürfen uns jede Diskussion dieses Punktes um 
so eher ersparen, als wir auf dem Boden der Freudschen Auffassung stehen. 
Für Freud ist das Bewußtsein ein „Sinnesorgan", das uns Signale über die 
Vorgänge in der Außenwelt und in unserem eigenen Körper gibt. Energetisch 
formuliert: Bewußtsein ist Wahrnehmung von Intensitätsänderungen der 
Energien von Umwelt und Körper. Aber diese Energien werden nicht als 
solche, sondern an den Wirkungen, die sie auf die personierte Energie haben, 
als Veränderung der Intensitätskomponente der personierten Energie wahr- 
genommen. 1 Denn selbstverständlich muß die Sonderung in die beiden 

1) Doch muß hier auf eine Unklarheit hingewiesen werden, die durch die Unter- 
scheidung von intensiven und extensiven Empfindungen, die auch heute noch unter 
verschiedenen Namen in der Psychologie gebräuchlich ist, hervorgerufen wird. Als 

5' 



\ 



36 



öieglried BernlelJ und Sergei Feitelberg 



V 



Komponenten, die wir für die Reizenergien durchgeführt haben, auch auf 
die personierte Energie angewendet werden. Was wir personierte Energie 
nennen, muß, wie jede Energie als Produkt aus einer Intensitäts- und 
Extensitätskomponente darstellbar sein. Wenn die personierte Energie durch 
zugeführte Reizintensität wächst, so geschieht dies Wachstum durch die 
entsprechende Vergrößerung ihrer Intensitätskomponente. Bewußtsein ist die 
Wahrnehmung von Intensitätsänderungen der personierten Energie. Nur an 
Intensitätsänderungen der personierten Energie, bedingt vom Zentral ap parat 
und von bestimmten quantitativen Verhältnissen, ist uns das Phänomen 
Qualität gegeben. Änderungen der Extensität der personierten Energie werden 
'so wenig wie Änderungen der Extensitäten der übrigen Energien wahr- 
genommen, sondern müssen aus Intensitätsänderungen erschlossen, beziehungs- 
jweise errechnet werden. 

Unsere Aufgabe ist, die Extensitätskomponente der personierten Energie 
in unsere Rechnung einzubeziehen. Und zwar werden wir versuchen, uns 
zunächst per exclusionem eine Vorstellung von dem psychischen Wirkungs- 
bereich ihrer Extensität zu verschaffen. Alle bewußtseinsfähigen Vorgänge 
im Zentralapparat gehören der Intensität an. Und es bleiben die Gebiete 
die man so unklar als Gedächtnisspuren, als Dispositionen, als Gestalten 
oder als Strukturierungs Vorgänge im Zentralapparat bezeichnet für die Ex- 
tensitätsänderungen der personierten Energie übrig. Diese Strukturierungen 
sind tatsächlich Wirkungen psychischer Vorgänge und bedingen nachfolgende 
psychische Vorgänge, sie sind aber offenbar eigenartiger Natur und von den 
Intensitätsvorgängen wesentlich unterschieden. Daher hat auch die Bewußt- 
seins-Psychologie immer wieder mit der Schwierigkeit zu kämpfen gehabt, 
diese „nicht eigentlich psychischen" Vorgänge von den eigentlich psychischen, 
den bewußten abzugrenzen, und das breite Zwischengebiet entsprechend 
aufzuteilen. Wir wollen diese Erscheinungen unter dem gemeinsamen Namen 
der Strukturierung zusammenfassen und versuchen, die Strukturierungs- 
vorgänge als Änderungen der Extensitätskomponente der personierten Energie 
zu verstehen, so wie wir die bewußten und vorbewußten Vorgänge als 
Änderungen der Intensität erfassen. Die Vorstellung, die wir uns bilden 
und deren Brauchbarkeit sich an den folgenden Diskussionen bewähren 
soll, ist also, daß am Zentral apparat als Wirkungen der bewußten Abläufe 



extensive Empfindung bezeichnet man etwa Wahrnehmung von räumlicher Aus- 
dehnung. Das hat aber nichts mit den energie-theoretischen Begriffen von Extensität 
und Intensität zu tun; auch die „extensiven" Empfindungen sind Wirkungen der 
Intensitätskomponente der Außenwelt auf die personierte Energie. 



Uter psycnisdie Energie, Libido und deren Meßbarkeit 



3 7 



gewisse reale Veränderungen vor sich gehen, welche seine fortschreitende 
Strukturierung bewirken. Diese bestimmt die Kapazität des Zentralapparats, 
also die Extensitätskomponente der personierten Energie. Diese Extensitäts- 
komponente der personierten Energie wollen wir der Einfachheit halber 
mit dem in diesem Zusammenhang wohl nicht mißverständlichen Terminus 
Struktur bezeichnen. Der Ausdruck Struktur bezeichnet sowohl die Struk- 
turierung des Zentralapparates als auch die Extensität der personierten 
Energie, zwei Begriffe, die energietheoretisch identisch sind. Mit der Kapazität, 
zum Beispiel der Wärme, bezeichnet man sowohl die Wärmekapazität des 
Wärmespeichers, die von seiner Struktur bestimmt ist (Größe, Stoff, Molekül- 
lagerung usw.) als auch die Extensitätskomponente der Wärmeenergie. 1 Ist 
etwa die Wärmekapazität eines Körpers zu M bestimmt, so ist damit die 
Beschreibung seiner physischen Eigenschaften ergänzt, und gleichzeitig 
berechnet sich sein Gehalt an Wärmeenergie, falls er die Temperatur T 

hat, zu der Größe MT. 

Köhler hat die sehr interessante Tatsache ausführlich erörtert, daß in 
der Physik elektrischen und magnetischen Feldern Gestalts- (Struktur-) 
Eigenschaften zukommen. Er hat mit Werth eimer gezeigt, welche Bedeutung 
den psychischen Gestalten zukommt. Eine Verbindung dieser beiden Phänomene 
wird nicht versucht oder abgelehnt. Auf dem Boden der energetischen Auf- 
fassung, die wir hier vertreten, ergibt sich eine solche Verbindung als not- 
wendige Konsequenz des Begriffes personierte Energie. Alle Phänomene des 
bewußten Erlebens, an denen Eigenschaften haften, die mit den Ausdrücken: 
Strukturiert, Form, Gestalt erfaßt werden, können in diesem ihren Gestalts- 
moment nicht bloß die Wahrnehmung von Intensitätsänderungen der per- 
sonierten Energie sein, sondern sind Ergebnis der Struktur der personierten 
Energie (der Strukturierung des Zentralapparates). Soweit sie nicht bewußt 
erlebt werden, bestimmen sie als Vbw und Ubw die Abläufe des Systems 
Person, insofern diese durch den Zentralapparat bedingt sind. Da die Struktur 
der personierten Energie jeden Prozeß mitbestimmt, so ist an jedem bewußten 
Erleben ein Gestaltmoment auffindbar. Jedes Erlebnis hat ein Moment der 
Intensität und eins der Struktur. 

An physikalischen Beispielen läßt sich die Beziehung zwischen der Struktur 
als Formmoment des Energiespeichers und der Extensität der Energiegröße 
verdeutlichen. Aus der Wärmelehre ist uns bekannt, daß eine Änderung 
der Moleküllagerung innerhalb einer bestimmten Stoffmasse, eine Änderung 



1) Genauer: Entropie. 



38 



öieglried Bernleid und Sergei Feitelbcrg 



ihrer Wärmekapazität im Gefolge haben kann. In der Elektrostatik bestimmt 
schon die äußere Gestalt die elektrische Kapazität des Konduktors. 

„Im allgemeinen nimmt die Kapazität eines Körpers mit seiner Ober- 
fläche zu. Das läßt sich durch folgenden einfachen Versuch vorführen : Auf 
der Stange eines Elektroskops wird eine zusammengefaltete Papierlaterne, 
wie sie zu Illuminationen verwendet wird, befestigt; dann wird das Elektro- 
skop (damit also auch die Laterne) geladen. Hierauf zieht man mit einem 
isolierten Stabe die Papierlaterne auseinander. Der Ausschlag des Elektroskops 
wird dann geringer. Drückt man die Laterne wieder zusammen, so wird der 
Ausschlag des Elektroskops wieder so groß, wie er zuerst war." [/?, S. 50.] 

Wir betonen diese physikalischen Beispiele, um zu zeigen, daß es sich 
bei unserem Begriff Struktur nicht um „Philosophie" handelt, sondern um den 
Versuch einer konsequenten Anwendung naturwissenschaftlicher Gedanken- 
gänge auf ein Gebiet, das bisher nur „philosophisch" behandelt wurde. So mag 
zunächst dieser unser Ansatz als „Philosophie erscheinen; er unterscheidet 
sich aber von ihr durch die, wenn auch im Augenblick noch nicht reali- 
sierbare, Möglichkeit experimenteller Bestätigung oder strikter Widerlegung l 

Der Begriff Struktur hilft uns eine Schwierigkeit zu überwinden, die bei 
jedem Versuch aufzutauchen pflegt, die psychische Energie zu diskutieren 
Die naheliegende Vorstellung, die sich zur Einführung des Energiebegriffs 
in die Psychologie anbietet, ist schematisch folgende : die Reizenergie erhöht 
die Intensitäten des psychischen Apparates; dieser Intensitätszuwachs wird 
unter gegebenen Bedingungen durch motorische Abfuhr wieder ausgeglichen 
In diesem Schema mag dann das Erhaltungsgesetz in der Weise als gültig 
gedacht werden, daß die durch den Reiz zugeführte und in psychische Energie 
verwandelte physikalische Energie durch die Abfuhr wieder in physikalische 
Energie rückverwandelt wird. Diese Vorstellung über die Gültigkeit des 
Erhaltungsgesetzes haben wir, was die Umwandlung der „Reiz- Energie" in 
„psychische Energie" angeht, oben korrigiert. Es liegt freilich keine Denk- 
notwendigkeit vor, die „psychische Energie" ganz in physikalische rück- 
verwandelbar zu denken, schon gar nicht den Rück Verwandlungsprozeß in 
der motorischen Abfuhrarbeit zu sehen. Es bestehen sogar sehr beträcht- 
liche Schwierigkeiten, die Rückverwandlung so einfach, so grobschlächtig 

1) Laßwitz, unseres Wissens der einzige Autor, der die Extensitätskomponente 
der »psychophysischen Energie" berücksichtigte, nennt sie Potential; diesen Ausdruck 
möchten wir für einen anderen Begriff reservieren. Laßwitz ordnet die Empfindungen 
der Intensität zu und nimmt für die Extensität die Gefühle Lust-Unlust in Anspruch. 
Eine Auffassung, die wir nicht teilen können. Zu deutlich sind an Gefühlen und Lust- 
Unlust- Vorgängen die beiden Momente Intensität und Struktur vorhanden. 



Uter psycnisAe Energie, Libido und deren Meßbarkeit ^9 



zu denken. Aber, und hier setzt die Schwierigkeit ein, was geschieht mit 
der Intensität? An sich wäre möglich, daß sie unvermindert anwachse; jedoch 
keinesfalls ganz ohne Grenze. Sie dürfte die entsprechenden Intensitäten 
der Umwelt nicht überschreiten, da sonst keine Energieverschiebungen mehr 
möglich wären, also etwa keine Wahrnehmungen mehr stattfinden könnten. 
Immerhin wäre möglich, daß die Erreichung dieses Maximums in der 
empirischen Lebensdauer nicht möglich wäre. Aber es gibt sehr gewichtige 
Tatsachen, die dieser Konstruktion völlig widersprechen. Die Intensität der 
Lebens- und Seelenprozesse, nimmt offenkundig im Verlaufe des Lebens 
ab. Zwar wäre hier Intensität nicht im physikalischen Sinn gemeint, aber 
dieser ist nur eine Präzisierung der landläufigen Auffassung von Intensität. 
Die Abfuhr ermöglichte diese Intensitätsverminderung zu erklären, aber sie 
setzt eine ganze Reihe von theoretischen und empirischen Schwierigkeiten.' 
Der Begriff der Struktur eröffnet die Möglichkeit, Intensitätsminderungen 
der personierten Energie vorzustellen ohne Zuhilfenahme der „Abfuhr". 
Durch Anwachsen der Struktur - deren Ursachen und Art wir an dieser 
Stelle noch nicht untersuchen wollen - wird bei gleichbleibender Menge 
der Energie ihre Intensität verringert. Tatsächlich besteht ein gewisses 
Alternativverhältnis zwischen Intensität und Struktur; so sind Wahrnehmung 
und Erinnerung auf zwei einander folgende Akte verteilt (von Freud 
mit vollem Recht zwei verschiedenen psychischen Systemen zugeschrieben). 
Für die große Periode Wachen-Schlafen gut ein ähnliches Alternieren von 
Intensität und Struktur; genauer gesagt, im Schlaf wird die Energiemenge, 
wenigstens durch Außenweltreize, kaum erhöht, die Intensitäten sinken auf 
ein Minimum; es liegt sehr nahe, ein entsprechendes Wachstum der Struktur 
anzunehmen. Ohne in dieser Frage endgültig entscheiden zu wollen, darf 
doch behauptet werden, die Strukturierung hat eine Funktion bei der 
Intensitätsverminderung. Ob nicht Abfuhrprozesse doch eine Rolle spielen, 

bleibe zunächst unerörtert. 

Wenn wir diese Gedankengänge in präziser Fassung formulieren, so nimmt 
unsere Grundformel, in der die Sonderung der beiden Komponenten der 
Energien nicht berücksichtigt ist, folgende Form an: 

<2a > I p Cp = IrCr — IcCc 

wobei I die Intensitäts-, C die Extensitätskomponente von Ep, Er und Ec 

bedeutet. 



i) Hierüber siehe auch Bernfeld [2] und Hartmann [14]- 



4° Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelberg 



Der einfachen Schreibweise wegen wollen wir statt Ip, Intensität der per- 
sonierten Energie: /, statt Cp, Struktur der personierten Energie: iV schreiben. 
Die Formel gewinnt dann die Gestalt 

<2b> JN=JrCr-JcCc 

oder differenziert: 

<8> IdN+ Ndl= lRdC R + C R dI R - IcdCc- Ccdlc 

IV) Uter M.e^tarkeit der personierten Energie 
Das Problem der Meßbarkeit des Psychischen, von Fechner zuerst mit 
Nachdruck gestellt, und Ursache jahrzehntelanger Diskussionen, gilt heute 
vielen Psychologen als positiv, einigen andern aber als negativ gelöst. Dieser, 
für die Psychologie so bedeutsame Widerspruch hat durch die Verschiebung 
des Interesses der führenden Schulen von der Bewußtseins- zur Instinkt- 
psychologie (Bekaviorism), von der Sinnes- zur Denkpsychologie, von der 
Elementen- zur Gestaltpsychologie augenblicklich an Schärfe verloren. Er 
gewinnt seine Bedeutsamkeit aber aufs neue durch die Psychoanalyse, die 
immer dringender fordert, die ökonomischen, d. h. quantitativen Fragen des 
Psychischen anzugehen. 

Zunächst beruht dieser Widerspruch auf einer Begriffsunklarheit, indem 
unter Meßbarkeit des Psychischen zwei sehr verschiedene Dinge gemeint 
sein können. Daß psychische Vorgänge untereinander bis zu einem gewissen 
Grade vergleichbar, also, wenn auch nicht mathematisch genau, meßbar 
sind, wird kaum bestritten. Soweit eine Abhängigkeit psychischer Vorgänge 
von Umweltsvorgängen, zum Beispiel von Reizen, empirisch festgestellt ist, 
kann, das sollte gleichfalls nicht mehr strittig sein, diese Abhängigkeit durch 
Indikatoren weitgehend präzis verglichen, gemessen werden. In diesem Sinn 
ist Meßbarkeit des Psychischen unbestreitbar möglich und wird mit großem 
Erfolg nicht nur in der Experimentalpsychologie geübt. Die Experimental- 
psychologie zeigt sogar, eben durch ihr Weber-Fechnersches Gesetz, daß die 
Messung auf bestimmten Gebieten der Psychologie in mathematischer Aus- 
drucksweise und mit mathematischem Gehalt möglich ist. 

Die Messung des Psychischen in diesem ersten Sinn ist aber nicht das- 
jenige Messen, das die Psychoanalyse braucht, die nicht mit Hilfe von Reiz- 
indikatoren die Bewußtseinsphänomene präzis untereinander vergleichen will, 
sondern die Bewußtseinsphänomene als Indikatoren für diejenigen Vorgänge 
im Zentralapparat und im Körper erfassen muß, die jenseits der Qualität 
des Wahrnehmbaren liegen. Die Bewußtseinsphänomene müssen als Indikatoren 



über psychisdie Energie, Libido und deren Meßbarkeit 4 1 



für die unbewußten Prozesse verwertbar werden. Sie müssen nicht nur unter- 
einander relativ meßbar sein, sondern sie müssen als universelles Maß für 
Unbewußtes verwertbar werden. Wenn wir das Ziel erreichen wollen, Libido 
zu messen, die an sich nicht wahrnehmbar ist, so müssen wir sie durch ihre 
wahrnehmbaren Wirkungen, also in erster Linie durch die Bewußtseins- 
vorgänge messen lernen.' Dieses Bedürfnis der Psychoanalyse trifft sich mit 
dem in der Physik üblichen Begriff der Energiemessung. Mit jener relativen 
Meßbarkeit des Psychischen ist nichts über die Meßbarkeit der Energien der 
Person entschieden. Für diese ist nicht entscheidend, welchen Grad von mathe- 
matischer Präzision die Messung des Psychischen erreicht haben mag. Fechner 
hat hier durch seine Maßformel wesentliche Fortschritte ermöglicht. Es 
schwebte ihm auch eine Art Energiemessung des Psychischen vor, etwa in 
seiner sogenannten inneren Psychophysik. Aber infolge der Unentwickeltheit 
der physikalischen Energietheorie mußte er selbst sich darüber unklar bleiben, 
daß er ein relatives Maß gefunden hatte, während es nötig ist, das Psychische 
mit den Maßen und in der Art zu messen, die für alle übrigen Energie- 
vorgänge möglich ist, also mit einem universellen Maß. Die seelischen Vor- 
gänge müssen in Kalorien (beziehungsweise einem beliebigen physikalischen 
Maßsystem) ausdrückbar werden. Dies vermag die Fechnersche Psychophysik 
prinzipiell nicht, wenngleich Fechner solches angestrebt haben mag. Be- 
mühungen in dieser Richtung sind uns von Psychologen nach Fechner nicht 
bekannt geworden. Doch fehlt es nicht an der gelegentlich geäußerten 

Problemstellung. 

Wie wir in Kapitel II zu zeigen versuchten, ist Fechners Fundamental- 
formel einer energetischen Deutung zugänglich, und es wird demnach zu- 
nächst zu untersuchen sein, ob nicht seine Maßformel durch die entsprechenden 
Korrekturen theoretisch für die neue Aufgabe, Veränderungen personierter 
Energie zu messen, verwertbar gemacht werden kann. Selbstverständlich 
wird erst die Empirie endgültigen Entscheid bringen. Aber ihr muß eine 
Vorarbeit geleistet werden, die in dem Versuch besteht, die vorliegende 
Empirie, in der Fechnerschen Maßformel verdichtet, dahin zu prüfen, ob 
sich auch energietheoretisch einwandfreiere Grundlagen für neue experi- 
mentelle Untersuchungen ableiten lassen. 

Es sei versucht, diese Diskussion an die vollständige Grundformel <8> 
anzuknüpfen. Da unsere quantitativen B etrachtungen zunächst auf Wahr- 

i) Ein anderer Weg wäre die Messung der „Ausdrucksbewegungen«; dies ist wohl 
der praktisch aussichtsreichste, beruht aber auf Voraussetzungen, die erst durch die 
in dieser Arbeit gegebene Grundlage diskutierbar werden. 



4 2 Oicglried BernfeU und Sergci Feitelbere 



nehmungen der Sinnesorgane beschränkt bleiben, genügt uns die Zerlegung 
in Extensitäts- und Intensitätsfaktoren der Gleichung <3>, also 
<3a) IdN+NdI=dE P = dE R 

äEr wurde bereits im II. Kapitel als Funktion ihrer Intensität dargestellt, so 
daß wir jetzt die Gleichung <3a> mit der Gleichung <4> kombinieren können 
und erhalten : j r D 

IdN+NdI = k^^- 
Ir 

Für die Wahrnehmung werden wir eine weitere Vereinfachung dieser 
Formel vornehmen können. Die Änderungen der Struktur sind Funktionen 
des Zentralapparates und folgen den Änderungen der psychischen Energie, 
wenn nicht — wofür einige Überlegungen zu sprechen scheinen — die 
Struktur auch noch von ganz anderen Einflüssen (Ernährung des Zentral- 
apparates zum Beispiel) mit abhängig ist. Jedenfalls ist die Strukturierung 
ein Prozeß, der im Verhältnis zu den Bewußtseinsprozessen langsam vor 
sich geht, so daß man für kurze Zeiten — für die das Weber-Fechnersche 
Gesetz gilt — IdN gegenüber Ndl vorläufig vernachlässigen kann. 1 

Daher erhält man schließlich die Gleichung: 

NdI=dE? 

aus der sich die erwartete Korrektur der Fechnerschen psychophysischen 
Grundformel in der Weise ergibt, daß 

l • Ix 

und weiter 

N In 



i) Die Herzensche Behauptung, daß Reize erst dann wahrgenommen werden, wenn 
die Geschwindigkeit der Reizzufuhr g eine Grenze, ein Minimum übersteigt, gewinnt 
von hier aus eine Stütze. Nimmt man nämlich an, daß die Struktur! erung ein Prozeß 
gleicher Geschwindigkeit (~ = v^ sei, so muß dl, damit ein Bewußtseinsphänomen 
der Energiezufuhr entspräche, eine bestimmte Größe haben, dl berechnet sich 

._ dEp — IdN 

dl = 

N 

Ist nun dN und dEp eine Funktion der Zeit, so wandelt sich diese Formel um in 

6E P 6N 

dl dt 

da nun -j- = v sein soll, so ist dl> nur wenn ^?>I» ist. 



Über psycaisdie Energie, Libido und deren Mef3karkcit 4-> 



oder indem wir abkürzend I R = p setzten 

N p 
ist Hier ist der konstante Faktor der Fechnerschen Formel in zwei Faktoren 
aufgelöst von denen der eine vom Wahrnehmungsorgan selbst (in Anlehnung 
an den Faktor RvT für Lösungen) und der andere N vom Zentralapparat 
bedingt ist. Bevor wir diese Diskussion weiterführen, muß die genaue 
Integration und die Bestimmung des Integrationsintervalls der Fechnerschen 
Maßformel gegeben werden, die Fechner selbst, seinen anderen Voraus- 
setzungen entsprechend, in einer energietheoretisch ungenügenden Weise 
vorgenommen hat. 

Fechners Maßformel lautet: 

E = kf^ + C=klognatR + C 

wobei E die Größe der Empfindung und R die Reizgröße bedeuten. Unsere 
energetische Diskussion des Weber-Fechnerschen Gesetzes ermögheht uns 
eine präzisere Bezeichnung der einzelnen Größen, so daß wir zum Aus- 
gangspunkt für das Bemühen um eine universelle Maßformel die energetische 
Gleichung für die personierte Energie nehmen können. 

<9> E P =fdE P +C = kfJ + C = klognatp + C 

Zur Eliminierung der Integrationskonstante schreiben wir als bestimmtes 

Integral: ^ 

<io> E *T k f~£ 

p< 
Die Notwendigkeit, die Integrationsgrenzen in Übereinstimmung mit der 
Empirie einzusetzen, nötigen, eine in der Diskussion um das Weber-Fechnersche 
Gesetz nicht immer beachtete Tatsache zu unterstreichen. Bewußtseins- 
änderungen (dl) treten ein, wenn die Wirkungen der Außenwelt von einem 
bestimmten „Normalzustand" abweichen (z. B. Luftdruck, Zimmertemperatur 
werden in normalen Grenzen nicht wahrgenommen). Daher müssen wir der 
unteren Grenze Pl einen bestimmten, ausgezeichneten Wert beilegen, nämlich 
den Wert jeder „normalen" Außenweltsintensität. An diese „normalen Außen- 
weltsintensitäten ist der Organismus (System Person) angepaßt, d. h. er wird 
ihr die gleiche Intensität entgegensetzen. An diesem Punkt, der Pl ent- 
spricht, finden keine Energieübertragungen statt. Soll eine Energieuber- 






A4 



SiegfrieJ BernfelJ unA Sergej Feüelterg 



2T5f 3 T US ^^ iD d3S SySt6m PerS0D Überluu * t «-«finden, so 

muH die Intensitatskomponente ihrer Energie p a>pi sei „. Es ergeben sich 

ßZttn/ 1 T d W a \ In ; egrati ° DSgrenZen ' d6nen *■*■»» empirische 
Bedeutung zukommt; schreiben wir daher die Außenweltsenergie, die dem 
System Person zugeführt wird, als Funktion ihrer Intensität 

E R =f(p) 
dE R =f(p)dp 

wobei diese Funktion sich eindeutig aus den Maschinenbedingungen des 
Systems Person ergibt, dann ist gungen des 

Pt 

E p=Sf(?)dp 

Die Regel zur Berechnung bestimmter Integrale ergibt zunächst: 

Pt Pl 

E *=$f(p)dp-$f(p)dp 



woraus 



folgt. E *=ßPsJ~f(pJ 

Man wäre versucht, in diesem Ausdruck ff n ) fl« P i „ 

gleichzusetzen (die konstant ist da ia au ch / l "** ** ^ 

ur.f1 A* j- 7 „ . ' ]a auch /* einen konstanten Wert hat 

und es ergäbe sich eine Bestimmung der Gleichun. 

zu E P =f(E R ,Ec) 

Ep = Er—E c 
somit also auch der Konstante C der Gleichung <9> 

C = ~E C 

was eine neuerliche Bestätigung unserer Grundformel ist. 



über psyAisAe Energie, Libido und deren Meßbarkeit 



45 



<1D 

und 



dl- 



I 



k dp 

Np + P 

p+v 
dp 



nJ , 



p + p 



Diese Gleichung unterscheide, sich beträchtlich von der GWchm«, dte 
Fechner abgeleite, und benutz« hat. Ihrer Form nach ,st s.e mch, neu. 
Scnon DM ha, bei seinem Versuch, Fechners Gedankengange der 
Empirie anzugleichen und die wichtigsten Widersprüche mtt der Erfahrung 
zu beheben - nämlich das Problem der Reizschwelle das aus Fechners 
Tuftteuungen Kaum zu beantworten war, und das Problem der negat.ven 
Bedungen für unterschwellige Reize, das sich aus der Fechnerschen 
ForLl ergab _ rein empirisch eine Formel aufgestellt, d.e gletche Gestalt 
h , ^ e 1 unserigo, die aus <4> abgeleitet ist.- Es is, allgeme.n bekatxn«, 







„„deren Wege gelangte in neuerer Zeit auch Lehmann 

&**Slt3ÄÄ SL« -O— — Physiologisch.» «-» 



Siegfried BernfelJ und Sergej Feitelterg 



daß diese Gleichung die Tatbestände, die das Experiment liefert, am besten 
wiedergibt, indem sie unter anderem besonders für kleine Reize Gültigkeit 
hat, bei denen die Fechnersche Formel versagt. 

Dies sei an einem Beispiel gezeigt. In dem Diagramm (Fig. 3) sind die 
Werte der Gesamtreize als Abszissen und die der Reizzuwächse, die zum 
Hervorrufen einer „eben merklichen Empfindung" notwendig sind als 
Ordinalen abgetragen. 1 Die Kreuze (+) bezeichnen die empirisch gefundenen 
Werte. Die punktierte Linie entspricht der Weber-Fechnerschen Formel 

AI 



T =a 



wobei a als Mittelwert aus den einzelnen Wertepaaren gewonnen wurde 
Diese punktierte Gerade entspricht also der Gleichung 

Al=al 
und muß durch den 0-Punkt des Koordinatensystems gehen, was bedeutet, 
daß bei der Annäherung des Reizes an kleine Größen auch der Reizunter- 
schied kleiner wird, und zwar so, daß mit dem Wert 1=0 auch Al=0 
wird. Es mußte also rein mathematisch aus der Weber-Fechnerschen Formel 
die Reizschwelle A x I=0 sein, was in Wirklichkeit aber nicht der Fall ist 
Eine graphische Interpolation der Werte aus dem Diagramm ergibt wie 
es aus der Figur deutlich wird, eine ganz andere (ausgezogene) Gerade', die 
nicht durch den Ö-Punkt des Koordinatensystems geht, und die unserer 
(jleichung 



= a 



P + V 
entspricht, oder wenn wir statt p / einführen 

AI 



. = a 



p + I 
denn diese läßt sich umformen zu 

AI=aI + ap 
also zu einer Gleichung, in der AI für kleine Werte von / nicht mehr 
nach 0, sondern nach dem Werte ap konvergiert. Aus der (ausgezogenen) 
Geraden, die unserer Formel entspricht, läßt sich auch die Reizschwelle 
bestimmen, und sie ergibt sich zu o 7 g, was mit der Erfahrung mit hin- 
länglicher Genauigkeit übereinstimmt. 

u^TrrmYrhieh 6 " 111 ^ aUfSteUte ' * *"* V «*"**«*« und Annäherungen 

w Ü Di ? Werte Sind Höber entnommen, der sie anführt, um die Gültigkeit des 
Weberschen Gesetzes in Frage zu stellen. 



Uoer psyAisAe Energie, Libido und deren Meßbarkeit 47 



Aus der Fechnerschen Maßformel ergibt sich für die Größe der Empfindung 
die Gleichung E = klognatR 

Es würden also aus der Gleichung, auch wenn sie so eingerichtet wäre, 
daß sie bei il = der Reizschwelle einen positiven Wert hätte, negative 
Empfindungen folgen müssen, die man sich in keiner Weise — psycho- 
logisch oder physiologisch — vorstellen kann. Aus unserer Gleichung <12> 

I=-z- T lognat{l + *-) 

folgt jedoch nur, daß für p = keine Empfindungen eintreten. Allerdings 
ist auch bei uns die Schwierigkeit — mathematisch — nicht aus dem Wege 
geräumt, daß nicht jeder Reiz, also nicht jede Intensitätsänderung, nach der 
Gleichung k dp 

dI := ~TZ 



Np + v 

merklich ist. Für die Psychoanalyse bietet die Tatsache unbewußter Emp- 
findungen aber keine Schwierigkeiten. Die Reizschwelle, als eine Größe der 
Intensitätskomponente der Reizenergie, wird wohl in der Weise zu begreifen 
sein, daß es diejenige Reizintensität ist, die notwendig ist, um im Zentral- 
apparat diejenige Intensitätsänderung der personierten Energie (AI) zu er- 
wirken, die groß genug ist, um „bewußtseinsfähig", also „merklich" — 
bewußt — zu werden. 1 

Es ist nun deutlich, weshalb das Weber-Fechnersche Gesetz für größere 
Werte von R gut zu stimmen schien, während es bei den kleinen versagte. 

Die Gleichung ^p 

— i — = a 
P + V 

kann für große Werte von p die gegenüber p vernachlässigt werden dürfen, 

auch zip 

= a 

P 
geschrieben werden, für kleine Werte von p, die gegenüber von p nicht 
vernachlässigbar sind, mußte diese Vereinfachung beträchtliche Fehler ergeben. 
Die untere Gültigkeitsgrenze des Weber-Fechn ersehen Gesetzes scheint 
uns durch dessen energetische Erweiterung aufgehoben. Es bliebe noch die 
obere Grenze zu erwähnen. 



1) Da bei p = unsere Gleichung in die Webersche übergeht, und so keine Er- 
klärung für die Reizschwelle gibt, scheint p (das dem Energievorrat der Zelle ent- 
stammt) diese Reizschwelle neben den Eigenschaften des Zentralapparates zu bedingen. 



48 Siegfried BcrnfclJ und Sergci Feitelberg 

Es ergibt sich als direkte Folgerung aus der osmotischen Vorstellung 
über die Arbeitsweise der Sinnesorgane, daß bei hoher Konzentration der 
intrazellularen Flüssigkeiten, wie sie durch großen Druck erzwungen werden, 
die Clapeyronsche Zustandsgieichung nicht mehr gilt. Daher ist auch aus 
unserer Ableitung eine obere Gültigkeitsgrenze für das Weber-Fechnersche 
Gesetz deduzierbar. 

Die gute Übereinstimmung, in der sich unsere theoretisch abgeleitete 
Korrektur an der Fechnerschen Maßformel mit der Empirie befindet, be- 
antwortet die oben gestellte Frage positiv: prinzipiell läßt sich aus der 
Fechnerschen Maßformel eine physikalisch zulängliche Maßformel gewinnen, 
so daß der Weg zur Auffindung einer universellen Maßeinheit der perso- 
nierten Energie frei wäre. Die Fechnerschen Messungen konnten dieses Ziel 
nicht erreichen, nicht nur weil sie energietheoretisch unklar waren, sondern 
weil der Faktor k für jede Person, für jedes Sinnesorgan, ja für jede einzelne 
Körperstelle verschieden ist. Ein Mangel, der "bei Fechner nicht korrigierbar 
ist, weil dieses k bei Fechner für jede Maßeinheit bestimmend sein mußte. 

Durch die hier versuchte Aufteilung des Faktors k in — einerseits und die 

Möglichkeit statt der logarithmischen Intensitätsfunktion der dem System 
Person zugeführten Außenweltsenergie diese selbst zu setzen andererseits, wird 
diese Schwierigkeit überwindbar. Die personierte Energie wird durch die 
Intensität (Empfindung) meßbar nach der Gleichung 

, Br 

N 

Da nun nach Gleichung <3> dEp = dEn 

ist auch 1= 

N 

Er, also entsprechend Ej>, kann in beliebigen Maßen der physikalischen 
Energie ausgedrückt werden. Es bliebe eine Maßfestsetzung für / und N 
zu entscheiden. Wollen wir von der Energieeinheit der Kalorie ausgehen, 
die für uns den Vorteil hat, daß dabei die Rechnungen unverändert bleiben, 
so können wir eine der beiden Einheiten für / oder AT beliebig wählen. 
Es erscheint zweckmäßig, die Fechnersche Einheit der Empfindung, die dem 
Werte der Intensität entspricht, der für das Bewußtwerden einer Empfindung 
notwendig ist, beizubehalten. Dann wäre die Einheitsgröße von N zu 
definieren: N hat in einem bestimmten Falle soviel Einheiten der Ex- 
tensitätsgröße der personierten Energie (der Struktur) als Kalorien notwendig 



über psychische Energie, Libido und deren Meßbarkeit 



49 



sind, um eine Empfindung J hervorzurufen. Ein bestimmter Zentralapparat 
hat also dann die Struktur von der Größe /, wenn eine Kalorie in ihm 
eine Intensitätserhöhung von der Größe / hervorruft. 

Wenngleich über die praktische Brauchbarkeit dieses Maßsystems erst 
die Empirie entscheiden wird, können wir das Verfahren selbst und seine 



























Fig. 4. 

Identität mit physikalischen Energiemessungen an unserem Modell veran- 
schaulichen. Die parallele Aufgabe am Modell wäre die Messung der Energie- 
änderungen in der Kugel. Bekanntlich mißt man Wärme durch die Be- 
stimmung der Temperatur. Die Wärmeenergieänderungen an der Kugel können 
zunächst nur durch ein Thermometer sichtbar = meßbar gemacht werden. 
Durch das Thermometer wird die Intensitätskomponente der Wärmeenergie 
gemessen. Die zugeführte Energie selbst berechnet sich aus dem Produkt 
aus dieser Intensitätskomponente — der Temperatur — und der zugehörigen 



5° Siegfried Bernfcld und Scrgei Feiteltcrg 



Extensitätskomponente, also der Wärmekapazität der Kugel. Da diese an dem 
Modell einen konstanten Wert hat, der aus einem beliebigen Experiment 
zu M bestimmt worden sei, so wird an unserem Modell eine Energiezufuhr 
Er — in das System Zylinder-Kugel eine Intensitätsänderung — Temperatur- 
steigerung T zur Folge haben, die sich zu 

berechnen läßt. 

Wir hätten an unserem Modell (Fig. 4), um den Vorgang der Messung 
personierter Energie zu demonstrieren, an der Kugel ein Thermometer an- 
zubringen. Das Thermometer entspräche als Indikator für Änderungen der 
Intensität dem Bewußtsein. Die Kapazität der Kugel ist gleich der Struktur 
und wird bestimmt, indem man eine bestimmte Energiemenge dem Zylinder 
zuführt und die Temperaturänderung abliest. Wir sagen dann, die Kapazität 
der Kugel sei M Einheiten, wenn M durch die Gleichung 

*-# 

T 

definiert ist. Die Zahl, durch die M ausgedrückt wird (der Quotient aus 
der Anzahl Einheiten von Er und der Anzahl Einheiten von T, die ihrer- 
seits eine beliebige Bestimmung haben können: Erg, Kalorien, Watt usw. 
beziehungsweise Fahrenheit, Celsius, R&mmur), ist von der Einheitssetzung 
der beiden Größen Er und T bestimmt. Bei der physikalischen Bestim- 
mung der Größen und der Einheit der Wärmeenergie wird der gleiche 
Gedankengang befolgt, wie wir ihn bei der Maßeinheitendiskussion für die 
personierte Energie durchgeführt haben. So wie Temperaturänderungen an 
der Thermometerskala abgelesen werden, so werden die Intensitätsänderungen 
der personierten Energie als bewußte Erlebnisse wahrgenommen (als Emp- 
findungsänderungen); ihrer Größe nach entsprechen diese Änderungen — 
nach den Maschinenbedingungen des Systemduals — den Energieänderungen 
in den Zellen (Zylinder). Die Verschiebung der Quecksilbersäule des Thermo- 
meters um einen Teilstrich entspricht einer bestimmten zugeführten Energie- 
menge, die durch die Größe M bestimmt ist; ebenso ist jeder Bewußtseins- 
sprung (AI) durch die Zufuhr einer bestimmten Energiemenge Er, die vom 
Faktor N abhängig ist, bedingt; also durch diese beiden Größen universell 
ausdrückbar. Bei der praktischen Messung wäre eine vorherige Bestimmung 
des Faktors N nötig, indem die Energiemenge gemessen wird, die notwendig 
ist, um eine kleinst merkliche Bewußtseinsänderung herbeizuführen. Diese 
Energiemenge ist gleichzeitig per definitionem die Maßzahl für die Struktur. 



XJter psydisdie Knergic, Limdo und deren Ale^linrkeit 5i 

Es ist kaum anzunehmen, daß der Zentralapparat in seiner Gänze in 
bezug auf die Kapazität homogen sei, vielmehr spricht alles dafür, die Zentren, 
Schichten, Sphären, die die Neurologie abgegrenzt hat, als Gebiete von ver- 
hältnismäßig selbständiger Kapazität anzunehmen. Wollten wir diese Vor- 
stellung in unser Modell eintragen, so würde der Zentralapparat durch eine 
Anzahl wärmeisolierter Kammern kompliziert werden, die am Thermometer- 
bulbus kommunizieren (Fig. 4). 

V) Personierte Energie und -Libido 

Auch wenn unsere Aufstellungen über die personierte Energie sich be- 
währen sollten, wäre damit doch zunächst für unser eigentliches Problem, 
die Libidomessung, nichts entschieden. Was wir personierte Energie nennen, 
entspricht dem Begriff Libido nicht, und es ist vorerst noch unklar, ob sich 
die beiden, wenigstens teilweise, decken. Der Entscheid darüber ist aber 
darum nicht ganz einfach, weil der Begriff Libido in der Psychoanalyse 
selbst nicht eindeutig festgelegt ist. Mit Libido wird einmal das Verhalten 
des Systems Person, ein andermal die Energie oder auch die Triebkraft 
bezeichnet, die dieses Verhalten leistet. In der ersten Bedeutung meinen 
wir zum Beispiel unter oraler Libido historisch, phylo- und ontogenetisch 
entstandene Bedürfnisse der oralen Körperzone, die durch historisch ent- 
wickelte Mittel direkt oder entstellt befriedigt werden. In der zweiten 
Bedeutung wäre orale Libido der „Spannungszustand" in der Mundzone 
oder im psychischen Apparat, der als Bedürfnis erlebt wird, und zugleich 
die Triebkraft, die zu Arbeitsleistungen drängt, um diesen Spannungs- 
zustand aufzuheben; oder auch die Summe der Kräfte, die bei diesem 
Befriedigungsbemühen aufgewendet werden. In der ersten Bedeutung ist 
Libido mit der personierten Energie nicht vergleichbar; denn alles historisch 
entstandene Verhalten entzieht sich vorläufig noch völlig der energetischen 
Betrachtung. In der zweiten Bedeutung fehlt den Begriffen Triebkraft, 
Arbeit, Spannung die Präzision, die eine energetische Diskussion nicht 

entbehren kann. 

Doch hat Freud in dem Begriff der „freien Energie" und ihrer Beziehung 
zu Trieb und Lust eine Vorstellung ausgebildet, die eine Einreihung der 
Libido in die Energien des Systems Person ermöglicht. Die Freudsche Vor- 
stellung erklärt Libidoregungen als Spannungszustände im Körper, die durch 
Ansammlung eines Quantums von Energie entstehen, das er die „freie 
Energie" nennt. Der Spannungszustand wird als Unlust erlebt und drängt 



^2 Siegfried Bernfcld und Serge! FcitelLerg 






dahin, in irgendeiner geeigneten Weise das übergroße Quantum freier Energie 
zu vermindern. Die freie Energie will in gebundene übergeführt werden. 
Die Weise, in der unter gegebenen Bedingungen die Verringerung des 
freien Energiequantums möglich ist, wird durch eine ganze Reihe historisch 
gewordener Triebziele, Ich- und Über-Ich-Anforderungen bestimmt. Ebenso 
sind die Körperzonen, an denen sich freie Energie bildet, zum Teil durch 
die individuelle Lebensgeschichte bestimmt, zum anderen Teil biologisch, 
d. h. phylogenetisch geworden. Die allgemeinste Arbeitsweise des psychischen 
Apparates ist durch eine deutliche Richtung der Abläufe charakterisiert: 
die immer wieder entstehenden Mengen freier Energie in historisch ge- 
wordenen Bahnen zu verringern (Freuds Lust- Unlust-Prinzip, im Sinne des 
Fechnerschen Stabilitätsprinzips). Die psychischen Abläufe haben ein Gefälle 
von Zuständen hoher „Spannung" zu solchen niedriger. Sie folgen dem 
„Todestrieb". Ihre Ablaufsbahn ist historisch bestimmt; die „Todesbahn" 
wird durch den Lebenstrieb gesichert. Diese Vorstellung bewährt sich aber 
nicht allein für die psychischen Abläufe, sondern, wie Ehrenberg zeigt, 
für die Lebensvorgänge überhaupt, die nach ihm unter dem Gesetz des 
Todes stehen, d. h. eine Richtung auf Ausgleich ihrer Intensitätsdifferenzen 
haben. 

Der Begriff der freien Energie erfaßt innerhalb des Bereiches der Libido die 
allgemeinen Gesetzlichkeiten und Richtungen, abgesehen von dem historisch 
Entstandenen. Er bietet daher diejenige Fassung des Begriffes Libido, die 
allein für unsere Betrachtungsweise verwendbar ist. Es handelt sich bei 
ihm um Energiemengen, die im System Person entstehen und von ihm 
bewältigt werden müssen. Als Entstehungsstätte sind, ungenau und vor- 
läufig gesprochen, die Zellen anzusehen. Die „freie Energie" wirkt als 
innerer Reiz (Trieb), der zur Bewältigung — d. h. zur Verringerung — 
drängt. Sie ist das Gegenstück zur Wahrnehmung, bei der Umweltsenergien 
in das System Person eindringen und als Reize von ihm bewältigt werden, 
indem die Intensitätsdifferenz ausgeglichen wird, wie auf S. 74 dargestellt 
wurde. Wir haben uns bisher mit Erscheinungen beschäftigt, bei denen die 
Änderungen der Zellenenergien vernachlässigbar waren ; beim Problem der 
Libido haben wir es offenbar mit Energieänderungen in den Zellen und 
mit deren Schicksal zu tun, wobei wir die Umweltsenergien, die Reize, 
vorerst vernachlässigen können, obzwar auch sie de facto bei den libidi- 
nösen Umsetzungen eine Rolle spielen. 

Die Freudsche Vorstellung von freier Energie kommt sowohl begrifflich, 
als auch in der Funktion, die ihr Freud zuschreibt, der physikalischen Be- 



über psyAisdie Energie, Libido und deren Meßbarkeit 53 

griffsbildung außerordentlich nahe. Ein Zitat aus Helmholtz [//, S. 401 ff.] 
möge dies belegen: 

„1) Jedem (chemischen) Körper oder System von Körpern kommt ein be- 
stimmtes Quantum von freier ,Energie zu, welches nur von der Temperatur 
und seinem augenblicklichen Zustand (z. B. Aggregatzustand) abhängt, nicht aber 
von dem Wege, auf welchem dieser Zustand erreicht wurde. 

Davon zu unterscheiden ist die , Gesamtenergie , welche außer der ,freien' 
Energie noch das Äquivalent der im Körper enthaltenen umwandelbaren Wärme 
umfaßt. 

2) Die Arbeit, welche durch irgendeine isotherme Zustandsänderung (z. B. 
chemischen Prozeß, Lösung, Aggregatsänderung, Änderung der Kapillarfläche) 
in maximo geleistet werden kann, ist zu messen durch die eintretende Abnahme 
der freien Energie; während die Differenz der Gesamtenergie das Maximum 
der möglichen Wärmeabgabe angibt. 

Die freie Energie spielt daher für chemische Systeme dieselbe 
Rolle, wie die potentielle Energie für mechanische. 

5) Demgemäß ist ein chemisches System nur dann in stabilem Gleich- 
gewicht, wenn seine freie Energie den kleinsten bei der herrschenden Tem- 
peratur möglichen Wert angenommen hat. ' 

In psychologische Begriffe übersetzt: Die freie Energie, die im Körper 
produziert wird, gibt den inneren Antrieb auch bei unveränderter Umwelt, 
spontane Handlungen, Triebhandlungen zu vollführen; sie ist zugleich der 
Energie vorrat, mit dem diese „Arbeit geleistet wird und das innere Ziel 
der Arbeit ist der Aufbrauch der freien Energie. Das Wesen des Triebes 
oder einer libidinösen Strebung ist damit, vom historischen Charakter der 
Befriedigungsmittel abgesehen, vollständig bezeichnet. 

Es wird sich also wohl lohnen, den Freudschen Begriff der freien Energie 
zu diskutieren, da offenbar Freud in ihm eine jener Eigenschaften des 
Systems Person erkannt hat, die auch allen anderen Systemen in der Natur 
zukommt. 

Wir haben bisher die Zufuhr von Energie aus der Außenwelt in das 
System Person studiert und haben gesehen, daß die zugeführte Energie, 
den Maschinenbedingungen entsprechend, die Energie des Zentralapparates 
erhöht. Bei der freien Energie handelt es sich um Energieänderungen 
innerhalb des Systems Person, wobei nicht aus der Außenwelt, sondern aus 
dem System Zelle dem Zentralapparat Energie zugeführt wird. Eine Zufuhr 
ist aber nur möglich, — wie wir bei der Zufuhr von Energien aus der 

1) Die freie Energie nach Helmholtz, die bei isothermen Prozessen das isotherme 
Potential des Systems genannt wird, bezeichnet übrigens Le Chatelier [fa, S. 290 f.] 
geradezu als „Triebenergie" (puissancr matrice). 



54 Siegfried Bernfeld und Oergei Feitelberg 

Außenwelt betont haben, — wenn eine Intensitätsdifferenz zwischen den 
beteiligten Systemen besteht, in unserem Fall zwischen den Systemen Zelle 
und Zentralapparat. An diese Intensitätsdifferenz ist die Möglichkeit eines 
Energieaustausches zwischen den Zellen und dem Zentralapparat gebunden. 
Es bewährt sich hier neuerlich die Vorstellung vom System Person als einem 
Systemdual, ja die Möglichkeit, Libido energetisch zu erfassen, scheint ganz 
an diese Vorstellung gebunden, indem nur eine Intensitätsdifferenz zwischen 
zwei realen Systemen, die relativ voneinander abgeschlossen, aber dennoch 
völlig voneinander abhängig sind, Energiebewegungen von der Art vorstellbar 
macht, die der psychoanalytische Begriff Libido voraussetzt. Der Versuch, 
biopsychische Abläufe energetisch zu verstehen, hat schon mehrfach die 
Analogie mit der Potential differenz hervorgerufen. Dieser Ausdruck bleibt 
aber so lange eine vage Analogie, als man nicht die Energieträger angeben kann, 

[zwischen denen diese Potentialdifferenz besteht. Die „psychische Energie" kann 
keine Potentialdifferenz haben, sondern diese besteht zwischen dem System 
Zelle und dem System Zentralapparat innerhalb des Systems Person. 

In unserem Modell wurde die nötige Potentialdifferenz zwischen Zylinder 
und Kugel durch die beiden Bedingungen gesetzt, daß der Zylinder isotherm 
erhalten werden müsse und die Kugel eine geringere Temperatur als der 
Zylinder habe. Bei Festhaltung dieser Bedingungen (wobei für die Modell- 
vorstellung gleichgültig ist, durch welche Maschineneinrichtungen der auto- 
nome Temperaturausgleich verhindert wird) wird das Modell auch zur Ver- 
anschaulichung des energetischen Libidoproblems tauglich. Das Modell besitzt 
eine freie Energie, die durch die Temperaturdifferenz bestimmt wird. Diese 
freie Energie bestimmt ihrerseits seine Fähigkeit, Arbeit nach der Außen- 
welt zu leisten. 

Durch eine beliebig gedachte Entstehung einer Menge freier Energie 
im Zylinder unseres Modells — die wir etwa mit der Produktion von Sexual- 
stoffen in den Zellen vergleichen können — sind zwei prinzipiell verschiedene 
Verhalten des Systemduals — Zylinder und Kugel — möglich. Diese freie 
Energie (z. B. Erhöhung der Gasspannung und der Lösungstension) kann 
erstens durch eine Arbeitsleistung in der Außenwelt aus dem System Modell 
entfernt werden; ist dies durch irgendwelche Bedingungen unmöglich ge- 
macht, so würde sich zweitens die Temperatur des Zylinders, infolgedessen 
auch die Temperaturdifferenz zwischen Kugel und Zylinder, erhöhen, also 
die freie Energie des Systems sich vergrößern. Das ist aber durch die 
Maschinenbedingungen, nach denen die Temperatur des Zylinders konstant 
bleiben muß, verhindert, die Energiemenge (Wärme), die im Zylinder als 



Über psyAIscLe Energie, Libido und deren Meßbarkeit 



55 



freie Energie des Systemduals entstanden ist, wird daher an die Kugel ab- 
geführt und deren Temperatur entsprechend erhöht, die Temperaturdifferenz 
zwischen Kugel und Zylinder, somit anch die freie Energie des Systems 
verringert. 

Diese Vorgänge passen sehr gut zu der Freudschen Vorstellung von der 
freien Energie und ihrer Funktion; so gut, daß man zu sagen versucht ist: 
hätte unser Modell ein Bewußtsein, so müßte es jede Erhöhung seiner freien 
Energie als unlustvollen inneren Drang erleben, der es zu verschiedenen 
Tätigkeiten treibt und die Verringerung der Potentialdifferenz, die es zur 
Ruhe bringt, müßte es als lustvolle Befriedigung erleben. 

Danach ist wohl die Beziehung zwischen der personierten Energie und 
der Libido — als der freien Energie des Systems — so darstellbar: die | 
personierte Energie umfaßt die Energie des Zentralapparats (von der allein 
bei den Wahrnehmungsvorgängen die Rede war) und die Energie, die durch 
die Potentialdifferenz zwischen Zellensystem und Zentralapparat bestimmt 
ist. Diese Potentialdifferenz wollen wir das Potential des Systems Person 
nennen. Für die Energietheorie, die von allen historisch gewordenen Maschinen- 
bedingungen, Befriedigungsmitteln usw. absieht, die also vorerst den dynami- 
schen Begriff der Libido und ihre strukturelle Bedeutung vernachlässigt, ist 
Libido als Energiegröße gleich dem Potential der Person. 

Es verdient nachdrücklich betont zu werden, daß die Libido Ausdruck 
der Beziehung zwischen den zwei Systemen innerhalb der Person ist. Die 
gleiche Libidospannung kann daher grundsätzlich das Resultat von entgegen- 
gerichteten Vorgängen in jedem der beiden Systeme sein, indem einerseits 
die Intensität in den Zellen sich steigert, oder anderseits im Zentralapparat 
Intensitätsverringerungen geschehen. Wie dieses Letztere — ohne daß dem 
Zentralapparat Energie entzogen wird — durch Strukturierung geschehen 
kann, ist im Kapitel III besprochen worden. Daß das Potential, also die 
Libido, von zwei Größen abhängig ist, wird für die theoretische Psycho- 
logie auch darum belangvoll, weil es unsere Erörterungen und die Libido- 
theorie unabhängig macht von der bisher geläufigen Anschauung über die 
Entstehung der freien Energie in den Zellen. Die Psychoanalyse hat diese 
Auffassung zwar nicht dogmatisch entwickelt, doch liegt sie sehr nahe, 
und insbesondere bei dem Bemühen, den Anschluß an die Biologie zu ge- 
winnen, drängen sich Vorstellungen, wie die von den Sexualstoffen auf, denen 
die Produktion der freien Energie im Körper zugeschrieben wird. Diese Auf- 
fassung hat aber nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten und es ist ein Vorteil, 
die Libidolehre von ihr unabhängig zu wissen. Trotzdem bleibt natürlich 



5b Siegfried Bernfeld und Serge! Feitelberg 



die Libido ein Innenreiz, nur daß als seine Entstehungsstätte nicht mehr 
das Zellensystem allein angenommen werden muß. Libido wird bei allen 
^Vorgängen gebildet, die die Potentialdifferenz vergrößern. 

vi) Entropie 

So oft wir unser Modell zur Veranschaulichung der Energievorgänge in 
der Person heranzogen, wurde die personierte Energie mit der Wärme ver- 
glichen. Dieser Vergleich führt tatsächlich eine Strecke lang zum Verständnis. 
Mehrfach schon hat den Psychologen (z. B. Heymanns) die Ähnlichkeit zwischen 
dem Verhalten der Wärme und der „psychischen Energie" imponiert. Ehe 
wir die auffallenden tatsächlichen Übereinstimmungen weiter verfolgen, sei 
ausdrücklich bemerkt, daß wir uns, so interessante naturphilosophische Er- 
wägungen auch aus dieser Ähnlichkeit folgen mögen, die Vermutung einer 
Identität so lange streng versagen müssen, als nicht zwingende empirische 
Befunde solche Annahme notwendig machen. Obgleich auch in unserem 
Modell der Energietransport zum Zentralapparat, die Personierung, vermittels 
der Wärmeenergie gedacht wurde, sei betont, daß die Isothermität des 
Körperplasmas in keiner Weise der Vorstellung bedarf, der Energietransport 
zum Zentralapparat geschehe als Wärme. Diese Energieverschiebung kann 
vermittels zahlreicher Einrichtungen durch ganz andere Energieformen ge- 
schehen, ebenso wie die Potentialdifferenz die Intensitätsdifferenz eben dieser 
verschiedenen Energien sein kann, und nicht von einer Energieform ver- 
anlaßt sein muß, schon gar nicht Temperatur di ff erenz sein müßte. Bei den 
elektrolytischen Eigenschaften des Plasmas ist es nicht unwahrscheinlich, 
daß diese Energie Elektrizität ist, wofür die elektrischen Erscheinungen, 
die der Physiologie bekannt sind (Ruhestrom zum Beispiel), zu sprechen 
scheinen. Für die Meßbarkeit der personierten Energie und des Potentials 
spielt diese Frage keine entscheidende Rolle; ebenso für den Begriff der 
personierten Energie, der den Energieformen gegenüber neutral ist. 1 

Die auffallendste Ähnlichkeit des Psychischen mit der Wärme hat man 
im Entropiegesetz sehen wollen. Nach der Freudschen Vorstellung, die 
bekanntlich Fechner vorbereitet hat und die übrigens Psychologen und 
Philosophen, die der Psychoanalyse fernstehen, gleichfalls vertreten, ist das 
Grundgesetz, oder doch die wesentliche Tendenz des Psychischen, die 
Richtung auf H erabminderung des Intensitätsgefälles, die Tendenz zur 

1) Unsere EinheitsfestseUung- in Kalorien für E P präjudiziell gleichfalls nichts 
in dieser Frage. 



Ulier psycnisdie Energie, Libido und deren Mcljburlccit öy 



Stabilität (Ruhe, Tod, Nirwana) oder in der präziseren Freudschen Fassung 
zur Bindung aller freien Energie. Das wäre in unserer Betrachtung die 
Richtung zur Verminderung des Gefälles zwischen den beiden Systemen 
des Systemduals, d. h. zur Verringerung des Potentials (Libido). 

Das einzige Gesetz in der Lehre von der unbelebten Natur, das über 
die Richtung der Naturabläufe ganz Allgemeingültiges aussagt, ist das 
sogenannte Entropiegesetz. Es ist in den zitierten Worten von Helmholtz 
implicite enthalten; von Boltzmann wurde es so formuliert, daß die Natur 
aus einem unwahrscheinlicheren Zustand zu einem wahrscheinlicheren strebt. 
Dieser wird folgend beschrieben: „Der wahrscheinlichere Zustand in einem 
sich selbst überlassenen abgeschlossenen System ist der der völligen Un- 
ordnung, in welcher alle irgendwie gerichteten Zustände, Temperatur-, Druck-, 
Konzentrationsgefälle, fehlen. Es ist jener Zustand, in welchem jede Energie- 
verdichtung an einer Raumstelle fehlt, in welchem eine vollkommen gleich- 
mäßige Verteilung stattfindet." Als Maß dieses Zustandes wird in der Physik 
eine Größe gebraucht, die als Entropie bezeichnet wird und für die Boltz- 
mann die quantitative Beziehung zur Wahrscheinlichkeit des Systemzustandes 
als S=lognatW x ableitet. 

Diese Fassung hat für unsere Zwecke — da wir die personierte Energie 
nicht mit Wärme identifizieren — einen Vorteil gegenüber der gebräuch- 
lichen thermodynamischen Definition der Entropie. Sie sagt allgemein aus, 
daß in einem abgeschlossenen System alle Abläufe so gerichtet sind, daß 
durch sie die Summe aller Intensitätsdifferenzen im System verringert, die 
Entropie vergrößert wird. Ist ein System nicht geschlossen, so gelingt 
der Ausgleich der Intensitätsdifferenzen — die Vergrößerung der Entropie — 
nicht, weil von außen immer neue Intensitäten zugeführt werden. Aber 
die vom System inaugurierten Prozesse — Widerstand und Anpassung — 
haben die Tendenz zur Entropievermehrung, zur Stabilität. 

Die Freudsche Konzeption einer freien Energie, beziehungsweise des Stabili- 
tätsprinzips gewinnt von hier aus in hohem Grade Wahrscheinlichkeit. Sie ist 
die Anwendung des allgemeinen Richtungsgesetzes (Entropie) auf den Spezial- 
fall des Biopsychischen. Dementsprechend ist auch die Freud-Fechnersche 
Zuordnung des Lusterlebnisses zur Abnahme der freien Energie und des 
Unlusterlebnisses zu ihrer Zunahme, so sehr auch diese Annahme dem 
bewußten Erleben selbst zu widersprechen scheint, naturwissenschaftlich voll 
gerechtfertigt. Vor der experimentellen Bestätigung dieser Zuordnung — die uns 

1) Wo S die Entropie und W die Wahrscheinlichkeit bedeuten. 






~° Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelterg 



prinzipiell möglich scheint — ist die Freudsche Lusttheorie freilich nicht end- 
gültig beweisbar. Aber der Organismus steht ja offenkundig nicht im Kampf 
gegen die Naturgesetze, die sein eigenes Plasma und seine eigene Organisation 
beherrschen, sondern er ist gewissermaßen der Exekutor dieser Gesetze und seine 
sämtlichen Einrichtungen, die ja der Selbsterhaltung dienen, können nichts 
anderes sein, als Sicherungen dafür, daß die Naturgesetze im Sinne dieser 
seiner Selbsterhaltung ablaufen. Es wäre demnach höchst unwahrscheinlich, 
daß das bewußte Erlebnis Lust, welches das Verhalten des Organismus in 
die Richtung: Gewährenlassen, Zuwendung, Bejahung eines Reizes oder Vor- 
ganges lenkt, der Richtung entgegengesetzt sein sollte, die alle physikalisch- 
chemischen Vorgänge im Organismus nach dem Entropiegesetz nehmen müssen. 
Die Vorstellung, daß der Organismus sich in dem aussichtslosen Titanenkampf 
gegen die Naturkräfte in seinem eigenen Körper aufzehrt, mag philosophisch 
reizvoll sein; nicht eine einzige Tatsache spricht für sie. Das Lust-Unlust- 
prinzip, als das einzige Richtungsprinzip von allgemeiner organischer Gültig- 
keit, wird wohl am ehesten die Repräsentanz des einzigen physikalischen 
Richtungsgesetzes, des Entropiegesetzes, auf der Systemhöhe Person sein. Wenn 
das Bewußtsein Intensitätsänderungen der personierten Energie als Qualitäten 
erlebt, so wäre die Qualität Lust- Unlust speziell das Erlebnis von Potential- 
änderungen. Diese Qualität reguliert das bewußte Handeln der Person im 
Sinne der Entropiegesetzlichkeit, welche die unbewußten Abläufe richtet. 
Der Entropiesatz, in Boltzmanns Formulierung, dessen Anwendbarkeit 
auf das Psychische wir uns hier wahrscheinlich zu machen bemühen, gibt 
an, daß die freien Energien eines Systems bei allen Abläufen verringert, 
d. h. in gebundene übergeführt werden. Als gebundene Energie eines Systems 
wird der Energiebetrag bezeichnet, dessen Intensität kleiner ist als die Intensi- 
täten derselben Energieart in anderen Teilen des Systems, d. h. gebundene 
Energie ist diejenige Energie, welche nicht mehr verschoben werden, die 
keine Arbeit leisten kann. 

Es ergibt sich daraus im Rahmen unserer Auffassungen, daß das Potential — 
die freie Energie des Systems Person — in der Weise gebunden werden 
kann, daß es in personierte Energie im Zentralapparat verwandelt wird. 
Diese Energiebindung im Zentralapparat ist zu einem Anteil identisch mit 
der Strukturierung, die S. 92 beschrieben wurde. Die Strukturierung ist 
im strengen physikalischen Sinn ein irreversibler Prozeß, so wie sie unpräziser 
schon immer als dauernde Veränderung (Gedächtnisspur usw.) gedacht wurde. 
Selbstverständlich können die Gedächtnisspuren sowohl zerstört als auch neu 
belebt werden, zu Beidem bedarf es aber eines neuerlichen Energieaufwandes. 



Uter psyAtsdic Energie, Lil>iJo und deren Meßbarkeit 5q 



Zu der oft gestellten Frage, ob die „psychische Energie" irreversibel sei, 
möchten wir die Vermutung wagen, daß nicht nur die Strukturierung ein — 
bei Bestehen der Lebensbedingungen, bei der Intaktheit der Maschinenein- 
richtungen des Systems Person — irreversibler Prozeß ist, sondern daß die 
gesamte, dem Zentralapparat zugeführte Energie irreversibel gebunden wird. 
In dieser Vermutung bestärkt uns die Stimme des Biologen Ehrenberg, 
der die Lebensabläufe in der Zelle auffaßt als gerichtet auf vermehrte 
Strukturierung, insbesondere am Kern, und diese Strukturierung als irre- 
versiblen Prozeß im physikalischen Sinn meint, ja als „Ziel" des Lebens, 
mit Freud übereinstimmend, aufstellt. 

Ob die freie Energie nur durch Personierung gebunden werden kann, oder 
ob eine Bindung in den Zellen, etwa durch entsprechende Struktur ierungs- 
vorgänge möglich ist, braucht für unsere Aufgabe so wenig entschieden zu 
werden, wie die Frage, ob alle Personierungsvorgänge zu irreversibler Bindung 
führen. Jedenfalls muß der bedeutsamste Anteil der libidinösen Prozesse durch 
Personierung und Strukturierung charakterisiert sein, da ja von den libidi- 
nösen Erregungen Niederschläge verschiedener Art, also Strukturierungen 
im Zentralapparat, bestehen bleiben. Wie die Psychoanalyse lehrt, gilt dies 
nicht nur für die bewußten, sondern auch für die Ubw -Vorgänge libidinöser 
Natur. Diese Erwägung läßt die freilich fremdartige Behauptung als höchst 
wahrscheinlich erscheinen: innerhalb des Systemduals verläuft die Energie- 
bewegung, mindestens zu ihrem wesentlichen Anteil, in der einen Richtung 
nach dem Zentralapparat. Diese Auffassung, die für die Frage der Meßbarkeit 
der Libido größte Wichtigkeit hat, scheint durch zwei einfache Einwände 
widerlegbar. Erstens ist unser bewußtes Erleben erfüllt von Impulsen, die 
nach der Außenwelt drängen; zweitens kennt die Neurologie sicher genug 
die Funktion zentrifugaler Bahnen, die zweifelsfrei Impulse aus dem Zentral- 
apparat nach dem Zellensystem (Muskel) leiten. Die erlebten Impulse nach 
der Außenwelt zu, haben nun mit der Richtung der Energieverschiebung 
nichts zu tun, denn hier handelt es sich um Ziele, Wünsche, Intentionen 
der Person nach der Außenwelt zu. Sie sind zwar von Intensitätsänderungen 
der personierten Energie bedingt, aber nichts spricht dafür, daß wir in einer 
der Bewußtseinsqualitäten die Richtung der Energiebewegung bewußt erleben, 
denn als Bewußtseinsqualität (Lust- Unlust) werden zwar Potentialänderungen 
erlebt, d. h. die Richtung auf Entropievergrößerung oder -Verringerung, nicht 
aber die Wegrichtung zwischen den Systemen Zelle und Zentralapparat. 

Der neurologische Einwand ist ähnlich entkräftbar. Denn die Nerven- 
erregung, oder in welcher Weise sonst man sich den Transport des bewußten 



6o 



Siegfried BernfeU und Sergej Feitelberg 



Impulses vorstellen mag, wird gewöhnlich nicht als Energie im physikali- 
schen Sinn gedacht. Aber auch auf der Ebene des physikalischen Energie- 
begriffes liegt hier kein Widerspruch gegen uns vor, denn die Richtung 
der Energieübertragung muß keineswegs die gleiche sein, wie die durch 
ihre Wirkung ausgelösten Erscheinungen. Ein einfaches Beispiel in An- 
lehnung an unser Modell mag dies demonstrieren: Fig. 5 zeigt als schwarze 




Encrgte 



o 




F'g-5 

Kugel einen kalten Körper, dem ein weißglühender Draht, an dessen Ende 
als Wärmespeicher eine weißglühende Kugel dient, angenähert wird. Bei 
Berührung findet eine Energieübertragung von der weißglühenden zur kalten 
Kugel statt, während die Abkühlung, als Erlöschen des Drahtes, in entgegen- 
gesetzter Richtung sichtbar wird. Bei den komplizierten Maschinenbedingun- 
gen des Zentralapparates macht es keine Schwierigkeit sich vorzustellen daß 
mit dem zentripetalen Transport der personierten Energie sich zentrifugale 
sekundäre Effekte, z. B. Muskelkontraktionen, einstellen. 



Energie 



=K>= 




Imfiu / s 

Fig. 6 

Dementsprechend ist der bekannte Reflexbogen kein Einwand gegen die 
von uns angenommene einheitliche Richtung der Energieverschiebung bei 
der Personierung nach dem Zentralapparat. Fig. 6 veranschaulicht diese 
Auffassung. 1 



1) Herrn Prof. Schilf, Berlin, verdanken wir die freundliche mündliche Mitteilung 
daß die heutige Nervenphysiologie Fakten, die diese Auffassung widerlegen, nicht 
beizubringen hat. 



Über psyAisdie Energie, Libido und deren Meßbarkeit Di 

VII) Über die Meßbarkeit der Libido 

Falls die in den voranstehenden Kapiteln gegebenen Erörterungen im 
wesentlichen richtig sind, dann scheint uns die Frage nach der Meßbarkeit 
der Libido grundsätzlich, d. h. theoretisch positiv beantwortbar. In diesem 
Fall nämlich gibt es quantitative Zusammenhänge zwischen den Bewußtseins- 
vorgängen, den Intensitäten im Zentralapparat, und den libidinösen Prozessen, 
dem Potential der Person; quantitative Abhängigkeiten, die durch die Inten- 
sitätsänderungen als Indikatoren ausdrückbar sind. Über die Wege und die 
Schwierigkeiten, ja selbst über die Bedeutsamkeit einer praktischen Libido- 
metrie ist damit nichts ausgesagt. Freilich wäre es sonderbar, daß der Weg von 
theoretischer Einsicht zu praktischer Ausnützung im Psychischen allein durch 
praktische Schwierigkeiten dauernd verlegt sein sollte. Es wird also für die 
Beurteilung der theoretischen Möglichkeit der Libidomessung alles davon 
abhängen, inwieweit unsere Erörterungen haltlose Spekulation sind oder auf 
gesicherten Annahmen und Kenntnissen beruhen. Ein Entscheid darüber 
ist natürlich endgültig überhaupt noch nicht und von uns am wenigsten 
fällbar. Doch sei, ehe wir hypothetisch die Meßbarkeit der Libido annehmen, 
um aus dieser angenommenen Möglichkeit den Ansatz zu Maßformeln zu 
entwickeln, eine Prüfung der Voraussetzungen unserer Diskussion versucht. 
Die Grundvoraussetzung, daß das Psychische universellen Naturgesetzen 
ohne Einschränkung unterworfen ist, bedarf einer Diskussion nicht. Zwar 
ist diese Grundvoraussetzung mannigfaltigen, schwersten erkenntnistheoreti- 
schen Bedenken ausgesetzt, aber sie ist für die naturwissenschaftlich gerichtete 
Forschung Axiom. Nur die Forschung selbst kann entscheiden, ob sie mit 
diesem Axiom auf einem bestimmten Gebiet zu Besultaten gelangt und 
wird sich nicht von erkenntnistheoretischen Bedenken hemmen lassen dürfen, 
den Versuch immer aufs neue zu wagen; gelang der Versuch nach dem Urteil 
der Forschung, so hat die Erkenntnistheorie sich danach zu richten und 
ein Problem mehr zu bewältigen. „Ihre eigene wissenschaftsgeschichtliche 
Position wird die Psychoanalyse daher nicht durch Anlehnung an gangbare 
Denkformen und Voraussetzungen erringen können, sondern nur dadurch, 
daß auch in ihrem Schulbegriff ein Impuls zum radikalen Umdenken der 
Erkenntnisidee deutlich betont wird." (Grünberg.) 

Aus dieser Grundvoraussetzung folgt die Forschungseinstellung, gewiß nicht 
die einzig notwendige, aber eine mögliche und vielfach bewährte, alle 
Vorgänge, auch psychische, als Arbeitsleistungen (von Energien) zu verstehen, 
und soweit von ihren Qualitäten abzusehen. In dieser Zeitschrift darf 



Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelberg 



auch diese Voraussetzung undiskutiert bleiben. Wir gehen allerdings einen 
Schritt weiter, indem wir die Qualitäten als nichts anderes erklären, denn 
als erlebte Energiequantität — dialektisch gesprochen als Umschlag der 
Quantität in die Qualität — dies sei aber zunächst als kontroverse philosophische 
Ansicht gemeint und hat keinerlei Belang für die Beurteilung der Besultate 
unserer Arbeit. 

Grundlegend wichtig scheint uns die Hypothese vom Systemdual. Sie 
scheint uns nichts zu enthalten, was durch biologische Tatsachen wider- 
legt würde. Da sie eine einfache umfassende Deutung des Weber-Fechnerschen 
Gesetzes ermöglicht; da von ihr aus jene Korrekturen der Fechnerschen 
Formel durch theoretische Ableitung sich ergeben, die bisher als bloß 
empirisch gefundene Formulierung des Sachverhalts bekannt waren; da sie 
eine Reihe von Tatbeständen, die durch die psychoanalytische Empirie 
gesichert sind, die in der psychoanalytischen Theorie eine wesentliche Rolle 
spielen, präziser zu erfassen erlaubt, und da sie schließlich physikalisch 
einwandfrei konstruierbar ist, so scheinen Konsequenzen, die aus ihr gezogen 
sind, solange nicht die Biologie ihre Unmöglichkeit erwiesen hat, einen 
genügenden Grad von Wahrscheinlichkeit zu haben, um die Befassung mit 
ihnen zu lohnen. Die von uns vorausgesetzte Identität der Sinnesorgane mit 
dem osmotischen Modell, was die für unsere Zusammenhänge wesentlichen 
Fakten angeht, wird von einem beachtlichen Teil der Biologen und Physio- 
logen als gesichert angesehen. Die für unsere Ableitung wichtige Beziehung 
Er=/(Ir) läßt sich empirisch prüfen, so daß eine theoretische Diskussion 
erübrigt. Ein negatives Ergebnis bezöge sich auf die Deutung des Weber- 
Fechnerschen Gesetzes, berührte aber kaum die für die Libidomessung 
entscheidenden Gesichtspunkte. 

Die Irreversibilität der bedeutsamen (wahrscheinlich aller) Anteile der 
personierten Energie, auf der tatsächlich unsere Vermutung der Meßbarkeit 
der Libido als heute bereits spruchreifes Problem beruht, ist bloß Annahme. 
Freilich eine, die im Rahmen der Grundvoraussetzungen nahe genug liegt, 
die aber in keiner Weise als gesichert gelten kann. Dennoch erscheint sie 
uns als unerläßliche Arbeitshypothese, da es einen anderen Weg, die Irre- 
versibilität zu erweisen, kaum gibt, als den der Libidomessung. 

Weitere Annahmen sind in unserer Arbeit nicht enthalten oder beziehen 
sich auf Nebenwege. 

Die neuen Termini : Struktur, Potential, Intensität und personierte Energie 
ergeben sich ganz und gar aus der energietheoretischen Grundlage. Eine 
Übersicht über sie ist wohl erwünscht. Der Systemdual enthält drei syste- 



Ulicr psycnischc Energie, Libido und deren Meßbarkeit 63 

inatisch scheidbare Gebiete, denen Anteile der zu beschreibenden Energie 
zukommen. 1) System Zelle (populär: Körper). 2) System Zentralapparat 
(vermutlich ungefähr entsprechend dem anatomischen Begriff Zentralnerven- 
system). 5) System Person (populär: beseeltes Individuum). (Für den popu- 
lären Begriff „Seele" ist kein Raum. Der Schulgegensatz Körper-Seele ist 
energietheoretisch unbrauchbar, da die Seele kein Gegensatz zum Körper ist, 
sondern die qualitätsbegabte an den [Körperteil] Zentralapparat gebundene 
Funktion des Gesamtindividuums, der Person.) Die Energien des Systems 
Zelle fassen wir als Zellenergien zusammen; ihnen konnte in dieser Arbeit 
kein gesondertes Studium gewidmet werden. Die Energien des Systems Person, 
abgesehen von den Zellenenergien, die man terminologisch korrekt auch 
zu den Energien der Person zählen könnte, fassen wir zusammen als per- 
sonierte Energie. (Korrekter aber schwerfälliger wäre vielleicht „personierte 
Energien" zu sagen.) Die Energien des Zentral apparats haben wir termino- 
logisch von den anderen personierten Energien nicht unterschieden. Sie 
entsprechen etwa der „psychischen Energie" im Sinne der Bewußtseins- 
ps)*chologie plus den Energien des vegetativen Nervensystems. Zur perso- 
nierten Energie gehört neben dieser Energie des Zentralapparats die Energie 
der Potentialdifferenz zwischen dem System Zelle und dem System Zentral- 
apparat. Diese freie Energie des Systems Person haben wir in dieser Arbeit 
mit dem Terminus Potential belegt. Es soll angemerkt sein, daß damit nicht 
der Gesamtvorrat von freier Energie in der Person umfaßt wird, da die 
freie Energie, soweit sie in den Zellen vorhanden ist und nicht an der 
Potentialdifferenz beteiligt ist, hier nicht einbezogen wurde. Die Energie, 
die durch die Potentialdifferenz bestimmt wird, das Potential des Systems 
Person, entspricht der freien Energie Freuds, demnach der Libido als 
Energie. — 

Aus den gegebenen Erörterungen läßt sich der Ansatzpunkt gewinnen, 
von dem aus versucht werden könnte, die Grundlage für eine experimentelle 
Libidometrie zu schaffen. 

Soll die Libido (Potential) durch die Größe H bezeichnet werden, so folgt, 
daß die Verminderung dieser Größe 

— dH=dE P 
ist. 

Da die Veränderungen von Ep meßbar sind, ist — dH bestimmbar. Der 
unmittelbaren Messung ist allerdings nur die Intensität im Zentralapparat 
zugänglich, doch berechnet sich aus dieser die gesuchte Änderung der Libido 

aus -dH=NdI 



l>4 Siegfried BernfelJ tiud Sergei Feitelberg 

oder die Libido 

JdH= — Nfdl 

Es sei an dieser Stelle auf den Gedankengang hingewiesen, der die Ein- 
teilung des Zentralapparats in verschiedene Zonen mit verschiedenen Größen 
2V vorgenommen hat. Es folgt daraus, daß die freie Energie im System 
Person verschiedene Änderungen bei gleichem bewußten Erlebnis erfahren 
kann, da für diese verschiedenen Zonen die Werte von ZV verschiedene Größe 
haben. Das heißt, daß die Intensitätsänderung — das bewußte Erlebnis — 
von der Struktur abhängig ist. 

Mit der Libidomessung eng verknüpft ist die Frage der Lustmessung, 
für die sich die Überlegung ergibt, daß Lust ein Intensitätsindikator für 
Potentialabnahme ist. Das Problem der Lustmessung sei einer eigenen Arbeit 
aufgespart. Doch möchten wir nicht unterlassen, anmerkungsweise zwei Punkte 
noch in diesem Zusammenhang zu erwähnen. 

Es ist schon von Freud bemerkt worden, daß die Größe der Libido- 
änderungen, mit deren Verringerung Lust und mit deren Vergrößerung 
Unlust verbunden äst, nicht das Maß für Lust abgeben kann. Er schlug 
vor, die Lust als die Geschwindigkeit der Libidoabnahme anzunehmen, so 
daß als ihre Maßzahl die Größe der Libidoabnahme in der Zeiteinheit zu 
gelten hätte. Dies würde heißen, daß die Größe der Lust L durch die 
Gleichung bestimmt wäre » u 

J-i 

öt 
Daraus ergäbe sich für die Messung der Lust 

L = N 6 -i- 

öt 

denn auch hier ist der unmittelbaren Messung nur / zugänglich. 

Aus dieser Gleichung würde das offenbare Paradoxon folgen, daß alle 
Bewußtseinsvorgänge lustvoll sind. Die Aufklärung der Tatsache unlust- 
voller Bewußtseinsvorgänge kann nur im Rahmen der Diskussion der so- 
genannten narzißtischen und Objektlibido gegeben werden. 

L/iteraturverzeicnnis 

1) E. Abderhalden: Lehrbuch der Physiologie in Vorlesungen. Teil III: Sinnes- 
funktionen. Berlin 1926. 

2) S. Bernfeld: Psychologie des Säuglings. Wien 1925. 

3) S. Bernfeld und S. Feitelberg: Das Prinzip von Le Chatelier und der Selbst- 
erhaltungstrieb [in diesem Bande S. 5 ff.]. 



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Uter psydiisdie Energie, Libido und deren Meßbarkeit 65 



4) L. Boltzmann: Vorlesungen über Gastheorie. Leipzig 1898. 

5) Caratheodory: Untersuchungen über die Grundlagen der Thermodynamik. 
Mathemalische Annalen. Bd. LXVII, S. 555. 

5a) H. Le Chatelier: Les prineipes fondamentaux de l'energetique et leurs 
applications aux phenomenes chimiques. Journal de Physique. 1894, Bd. III, S. 289. 

6) J. R. L. Delhoeuf: Elements de psychophysique generale et speciale. 1882. 

7) H. Dingler und R. Pauli: Untersuchungen zum Weber-Fechnerschen Gesetz 
und zum Relativsatz. Archiv für die gesamte Psychologie. 1925, Bd. VIL, S. 525. 

8) R. Ehrenberg: Theoretische Biologie vom Standpunkte der Irreversibilität des 
elementaren Lebensvorganges. Berlin 1925. 

9) G. Th. Fechner: Elemente der Psychophysik. Bd. I, 1859. Bd. II, 1860. 

10) Freud: Jenseits des Lustprinzips. Ges. Schriften, Bd. VI. 

11) Freud: Das Ich und das Es. Ges. Schriften, Bd. VI. 

12) Grünberg: Erkenntnistheorie und Psychoanalyse. In: Prinzhorn, Krisis der 

Psychoanalyse. 1928. 

15) Grimsehl: Lehrbuch der Physik. Bd. II: Magnetismus und Elektrizität. 

Berlin 1920. 

14) Heinz Hartmann: Die Grundlagen der Psychoanalyse. Leipzig 1927. 

15) Robert Helmholz: Die Änderung des Gefrierpunktes, berechnet aus der Dampf- 
spannung des Eises. Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie. 1887, Bd. XXX, S. 401. 

16) A. Herzen: Grundlinien einer allgemeinen Psychophysiologie. Leipzig 1889. 

17) G. Heymans: Über die Anwendbarkeit des Energiebegriffs in der Psychologie. 

Leipzig 1921. 

18) Höber: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Berlin 1922. 

19) W. Köhler: Physische Gestalten. Erlangen 1924. 

20) K. Laßwitz: Über psychophysische Energie und ihre Faktoren. Archiv für 
systematische Philosophie. 1895, Bd. I, S. 46. 

21) A. Lehmann: Grundzüge der Psychophysiologie. Leipzig 1912. 

22) R. Pauli und A. Wenzel: Experimentelle und theoretische Untersuchungen 
zum Weber-Fechnerschen Gesetz. Archiv für die gesamte Psychologie. 1925, Bd. LI, 

S- 599- 

25) M.Planck: Kausalgesetz und Willensfreiheit. Berlin 1923. 

24) P. Schilder: Gedanken zur Naturphilosophie. Wien 1928. 

25) L. W. Stern: Person und Sache. Leipzig 1906. 

26) H. Zwaardemaker: Die Energetik der finitiven Prozesse. Ergebnisse der 
Physiologie. 1912, Bd. XII, S. 586. 



über die Temperaturdillerenz zwischen 
Lrenirn und Körper 

iwine Iibiaomerrische Untersuchung 

In der theoretischen Arbeit über die Meßbarkeit der Libido [2] hatten 
wir versucht, die Libido als die freie Energie des Systems Person zu ver- 
stehen. Wir machten uns dabei von der Beschreibung der freien Energie 
als des th er modynami sehen Potentials eines Systems frei, indem wir 
an Boltzmanns Formulierung des Entropiegesetzes anknüpfend, die Libido 
als durch die Intensitätsdifferenz der beliebigen Energien im Systemdual 
(„Zentralapparat" und „Zellen" = „Körper") bestimmt ansahen. Es sollte 
damit ein Präjudiz über die energetische Natur der Libido, vor allem ihre 
Gleichsetzung mit Wärme einerseits, mit „psychischer" Energie anderseits 
vermieden werden. Wir schlugen daher auch den unvorgreiflichen allge- 
meinen Ausdruck „Potential" für die freie Energie des Systems Person 
vor. Theoretisch wäre, wie wir ausführten, die Libido grundsätzlich meß- 
bar, falls sie das Gefälle irgendwelcher Energien zwischen zwei kon- 
kreten Systemen wäre. Unser Ansatz zu einer Libidomaßformel beruht auf 
einer Einheitsfestsetzung vermittels der Bewußtseinsvorgänge, die durch 
Libidoänderungen hervorgerufen werden. 

Da eine praktische Auswertung dieses Ansatzes derzeit noch unabsehbare 
Schwierigkeiten hindern, entsteht das Bedürfnis, auf dem physiologischen 
Wege zu einer Sicherung der Arbeitshypothese vom Potential zu gelangen 
und womöglich das Verhalten eines Faktors dieses Potentials zu bestimmen. 
Es käme darauf an, festzustellen, welche Arten von Intensitätsdifferenzen 



Über die Temperaturdifferen: iwisdien Gehirn und Körper 67 

zwischen Zentralapparat und Körper bestehen und welche Beziehung sie 
zur freien Energie haben. 

An sich wäre es gleichgültig, mit welcher Energieform die Untersuchung 
der Potential faktoren begonnen wird. Es liegt aber unserem Gedanken- 
gange, der von einem thermodynamischen Modell des Systems Person aus- 
gegangen ist, die Bevorzugung der Wärme nahe. Wir werden darin durch 
eine physiologische Überlegung bestärkt: „Bei dem großen Umfange, den 
gerade die Oxydationsprozesse in dem Nervensystem einnehmen, muß, zu- 
mal die Erzeugung anderer Energieformen fast gänzlich fehlt, die Bildung 
beträchtlicher Wärmemengen geradezu als Postulat erscheinen." [Winter- 
stein 70, S. 604.] 

Unsere Fragestellung hat die Physiologen bisher nicht beschäftigt. Doch 
findet sich in den vorliegenden Untersuchungen über die Gehirntemperatur, 
die mit genügend ausführlichen Tabellen und Kurven versehen sind, für 
unsere Zwecke vorläufig ausreichendes Material. 

Die vorhandenen Untersuchungen 1 gehen darauf aus, die Gehirn- 
temperatur mit der Temperatur der anderen Körperorgane zu vergleichen 
und die Änderungen der Gehirntemperatur in bestimmten Zuständen 
(Wachen, Schlaf, Narkose) und unter der Wirkung verschiedenartiger Reize 
zu beobachten. 

Im allgemeinen ist nach den vorliegenden Experimenten die Temperatur 
des Gehirns niedriger als die der verglichenen Organe. Die Differenz 
zwischen der Temperatur des Gehirns und des Rektums wird z. B. von 
Mosso [8, S. 11] bei Hunden mit 0418 für den Winter und 0055 im 
Frühling (auf den Mastdarm bezogen) angegeben. Diese Tatsache ist bereits 
Davy [/] aufgefallen, der als erster den Versuch gemacht hat, Messungen 
der Gehirntemperatur (an Schafen) vorzunehmen. Doch gibt es eine be- 
achtliche Zahl von Fällen, wo die Temperatur des Gehirns die des Rektums 
und seltener auch die des arteriellen Blutes übertrifft. Eine Aufklärung 
dieser Verhältnisse steht noch aus. Herlitzka [6] fand, daß die Temperatur 
des Rückenmarks stets (mit einer einzigen Ausnahme) kleiner als die 
Temperatur der Peritonealhöhle ist. Aus Criles [_?] Arbeit ergibt sich gleich- 
falls im allgemeinen höhere Temperatur, und zwar der Leber; auch hier 
mit einigen Ausnahmen. Für unsere Frage ist das Vorzeichen der Differenz 
ohne Belang, denn für unsere Fragestellung ist nicht das Vorzeichen, 
sondern das Verhalten der Differenz entscheidend. Wir betonen dies, da in 

1) Eine Übersicht der Literatur über die Temperatur des Nervensystems findet 
sich bei Soury [8, S. 1261], Mannino [7] und Winterstein [10]. 



68 



Siegfried Bernfcld und Sergei Feitelberc 



unserem Modell [2, Fig. 1, S. 29] die Kugel, die dem Zentralapparat ent- 
spricht, tatsächlich eine geringere Temperatur haben muß als der Zylinder 
der den übrigen Körper repräsentiert. Das Potential aber des Systems Person, 
das in unserem Modell durch die Temperatur bestimmt ist, braucht mit 
der Temperaturdifferenz von Gehirn und Körper keineswegs identisch zu 
sein. Im Modell mußte die Kugel kälter als der Zylinder angenommen 
werden, weil der Energietransport als Wärmeleitung gedacht war. Für 
den lebenden Organismus aber gilt diese Einschränkung nicht, denn hier 
kann durch verschiedenartigste Einrichtungen ein Energietransport auch 
vom kälteren Systemteil in den wärmeren bewerkstelligt werden. Übrigens 
ist die Rektaltemperatur, die in den für uns verwertbaren Untersuchungen 
allein gemessen wurde, nicht der Körpertemperatur überhaupt gleichzusetzen; 
der Körper bildet bekanntlich kein homogenes Wärmeganzes, wobei das 
Rektum jedenfalls nicht die Stelle höchster Temperatur ist. Uns dient die 
Rektaltemperatur bloß als Anzeichen der Änderungen der durchschnittlichen 
Körpertemperatur; hiefür ist ihre Brauchbarkeit durch die medizinische 
Klinik bewiesen. 

Irgendeine Abhängigkeitsbeziehung zwischen Gehirn- und Körper- 
temperatur ist bisher nicht erkannt worden. Im Gegenteil formuliert 
Berger [7], daß die Gehirntemperatur unabhängig von der Rektaltemperatur 
sich ändere, und zwar erhöht sich die Gehirntemperatur im allgemeinen 
bei Arbeitsleistungen und Wahrnehmungen. Eine Beziehung zwischen den 
Änderungen der Rektal- und Gehirntemperatur ist gelegentlich von Mosso 
bei Schlafuntersuchungen beobachtet worden. „Wenn man die Kurven des 
Gehirns und des Mastdarmes vergleicht, dann sieht man, daß sie unter- 
einander divergieren" [8, S. 132]. In neuerer Zeit stellte Herlitzka [6] fest, 
daß bei tetanischen und epileptischen Anfällen, die experimentell erzeugt 
werden, die Temperatur des Rückenmarks schneller als die der Peritoneal- 
höhle steigt. So stieg die Temperatur des Rückenmarks bei Stxychnin- 
krämpfen im Verlaufe von zehn Minuten von 3742° auf 38'g2°, während 
die der Peritonealhöhle sich von 3846° nur auf 39-29° erhöhte. 

Da Mosso und Berger in ihren Publikationen die nötigen Angaben so- 
wohl für die Rektal- als auch für die Gehirntemperatur bringen, so ist 
es möglich, aus ihren Experimenten die Temperaturdifferenz zu berechnen 
und zu studieren. 

Für unsere Aufgabe der Feststellung des thermodynamischen Potentials 
des Systems Person ist das Temperaturgefälle vom Körper zum Gehirn 
maßgebend. Wir hätten also die Temperaturdifferenz 



Über die Teraperaturdifferens swisdien Gehirn und Körper 69 

AT=T 1 —T 2 

wobei Tz die Körpertemperatur, T 2 die Gehirntemperatur bedeute, fest- 
zustellen, d. h. die Differenz zwischen den beobachteten Temperaturen des 
Rektums und des Gehirns in den einzelnen Zeitpunkten zu berechnen. 
Wo das Temperaturgefälle umgekehrt verläuft, ergeben sich in unserer 
Berechnung negative Werte. Wie wir oben bemerkten, ist für die vor- 
liegende Arbeit das Vorzeichen der Differenz ohne Belang, da es ausschließ- 
lich auf das Verhalten der Temperaturdifferenz in Abhängigkeit vom Ver- 
halten der Person ankommt. 

Diese Berechnungen haben wir an sämtlichen Tabellen von Berger 
durchgeführt und haben aus der älteren Arbeit von Mosso die fünf Kurven 
der Delphina Parodi als Stichprobe herangezogen. Diese Bevorzugung der 
Untersuchungen von Berger schien deshalb angezeigt, weil er die Thermo- 
meter stets in die Gehirnsubstanz selbst einführte, dabei aber keine schweren 
Läsionen setzte, während Mosso bei der Parodi das Thermometer nur an 
die Hirnrinde (nach Einführung in den Subduralraum) anlehnte, wobei 
unentscheidbar ist, ob das Thermometer auch in den Subarachnoidalraum 
eindrang, oder ob die Arachnoidea neben der Pia mater noch den Bulbus 
von der Hirnrinde trennte. 

Das Ergebnis unserer Berechnungen läßt sich in folgender Weise zu- 
sammenfassen: 

DieTemperaturdifferenz zwischen Zentralapparat und übrigem 
Körper steigt im Ruhezustand des Systems Person und sinkt bei dessen 
Arbeitsleistung en. 

Während sich bemerkenswertervveise weder die Körper- noch die Gehirn- 
temperatur in einer deutlichen Abhängigkeit zum Verhalten der Person 
entwickelt und sich die Erwartungsvorstellungen, mit denen die Gehirn- 
temperaturmessungen unternommen wurden, gar nicht oder nur sehr ein- 
geschränkt erfüllten, ist, soweit aus unserer Untersuchung geschlossen werden 
kann, die Abhängigkeit der Temperaturdifferenz vom Verhalten der Person 
einfach und eindeutig: 

Die Temperaturdifferenz benimmt sich genau so, wie sich die freie 
Energie des Systems Person benehmen müßte. Die freie Energie als Maß 
der Arbeitsfähigkeit des Systems Person muß bei Arbeitsleistungen sich 
verringern und im Ruhezustand anwachsen. 1 

1) Das Anwachsen der freien Energie im Ruhezustand tritt natürlich in keinem 
physikalischen angeschlossenen System ein. Es ist aber eine wichtige Eigenschaft 



Siegfried Berafeld und Sergci Feitelberg 



Dieses Verhalten stützt unsere Auffassungen vom Systemdual, von der 
Libido als der freien Energie dieses Systemduals so sehr, gibt der auf diese 
Annahmen gebauten Möglichkeit einer Libidometrie einen so konkreten 
Inhalt, daß sich wohl eine spezielle Diskussion des empirischen Materials 
trotz seines physiologischen Charakters in einer psychoanalytischen Zeit- 
schrift rechtfertigt. 

Das Material, auf dem die Untersuchung beruht, wird am einfachsten 
in folgende fünf Gruppen zusammengefaßt: I) Experimente an Tieren 
(Schimpansen und Hunden) im Normalzustand; II) An Menschen im Normal- 
zustand; III) Im Schlaf; IV) In Narkose; V) Unter Wirkung von Drogen 
(Morphium, Hyascin, Curare). Die Versuche wurden sowohl von Mosso wie 
von ßerger in der Weise durchgeführt, daß die Temperatur mit Queck- 
silberthermometern in trepanierten, beziehungsweise durch Wunden ge- 
öffneten Schädeln gemessen wurde. Bei Bergers Versuchen an Schimpansen 
wurden mehrere Trepanationen vorgenommen, um das Verhalten der Tem- 
peratur in den verschiedenen Hirnzentren zu vergleichen. Aus jeder der 
fünf Gruppen (I— V) bringen wir im folgenden eine Kurve als Beispiel 
mit spezieller Diskussion. 1 

/; Fig. i. Das Thermometer befindet sich im Gyrus frontalis medialis 
des Schimpansen [Berger, I, S. 16]. An den Punkten der Kurve, die durch 
die Pfeile r, 2 und 4 gekennzeichnet sind, notiert der Beobachter Arbeits- 
leistungen. Die Kurve zeigt Verringerung der Temperaturdifferenz. Bei 
/ und 2 handelt es sich um heftige Bewegungen des Tieres, bei 4 um 
Schreien des ruhig liegenden Tieres. Bei 4 zeigt sich die Abnahme der 
Temperaturdifferenz als Verringerung des Anstieges, der bei 4 Uhr 59 Mi- 



des Systems Person, denn ihm ist die stete Wiederproduktion der freien Energie — 
der Libido — eine Lebensbedingung. Vgl. [2, Abschnitt III und V.] 

Um einer anderen mißverständlichen Auffassung zu begegnen, sei im Anschluß 
an jene Untersuchung angemerkt, daß hier mit den energetischen Änderungen im 
System Person nicht die Abnahme jener freien Energien gemeint ist, die in den 
Muskeln (System Zelle) gespeichert wurde und deren Abnahme bei Arbeitsleistungen 
(nach Helmholtz' klassischen Untersuchungen) eine Selbstverständlichkeit ist, sondern 
die Abnahme jener freien Energie, die als Potential des Systems Person (eines 
Systemduals) seine Tätigkeiten koordinierend lenkt. 

1) Die Kurven sind ursprünglich auf Millimeterpapier gezeichnet, doch ist die 
Ausziehung der Millimeterlinien bei der Herstellung der Klischiervorlage unterlassen 
worden, um die Deutlichkeit der Kurven nicht zu beeinträchtigen. Die Kurven nach 
Berger wurden aus seinen Tabellen berechnet. Jeder so bestimmte Punkt ist als • 
gekennzeichnet. Die Kurven nach Mosso wurden nach dessen Kurven graphisch er- 
mittelt, da er keine Tabellen angegeben hat. 







Über die leniperaturailiereii« zwischen (jcliini und Körper ^l 

nuten eingesetzt hatte. Die quantitativen Unterschiede, die zwischen I, 2 
und 4 so auffällig sind, seien nicht diskutiert, so sehr sich der Gedanke 
aufdrängt, daß das bloße Schreien einen geringeren Energieaufwand dar- 
stellt als die Körperbewegungen. Da aber die Stelle, an der die Messungen 



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Fig. i 



vorgenommen wurden, natürlich nicht immer zusammentraf mit den für 
die zufällig beobachteten Aktionen belangvollen Zentren, so läßt sich eine 
quantitative Beziehung zwischen der Temperaturdifferenz und der Größe 
der Arbeitsleistung nicht erwarten. Wir werden daher im folgenden den 
quantitativen Verhältnissen keine Aufmerksamkeit schenken, sondern bloß 
die Richtung der Änderungen berücksichtigen. Bei ) notiert Berger Ruhe, 
dementsprechend steigt die Temperaturdifferenz. 

In diese Gruppe / gehören zwei Kurven von Berger 1 und die Anfänge 
von drei Kurven von Berger. 2 Im ganzen hat Berger in diesen Kurven 
neun Aktions- und drei Ruhebeobachtungen notiert; von denen nur eine, 
und zwar eine Aktionsbeobachtung unserer Verhaltensregel nicht entspricht. 
Bei dieser Abweichung handelt es sich um einen Befreiungsversuch des 

i) Die Kurven l und 3 auf S. 16 und 20 in [1]. 
2) Die Kurven 2, 4 und 5 auf S. 18, 23, 25 in [1]. 



Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelberg 



Tieres. Möglicherweise ist hier die Auswirkung der Aktion auf die Tem- 
peraturdifferenz durch begleitende Angst oder andere Affekte getrübt. In 
einem Fall, den wir mit den richtigen verrechnet haben, beginnt der Ruhe- 
anstieg der Kurve erst eine Minute nach der Ruhenotierung. 



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Fig. 2 

II) Fig. 2 stellt die Änderungen der Temperaturdifferenz bei dem 
Mädchen Delphina Parodi nach den Beobachtungen von Mosso dar [8, 
S. 128]. Nach dessen Ansicht war das Thermometer im Sulcus Sylvii ge- 
legen. Bei den Punkten / bis J? vermerkt Mosso Leistungen des Mädchens: 
Sprechen, Händedrücken, Zählen usw. Bei jeder Beobachtung ist Abnahme 
der Temperatur festzustellen, mit Ausnahme von 2, wobei Mosso Hand- 
pressen vermerkt. Es handelt sich offenbar um schwache Bewegung, denn 
gewöhnlich, so bei /, spricht Mosso ausdrücklich von „starkem Hand- 
pressen". Bei ; ist die Abnahme deutlich 1 . 

In die Gruppe II gehören eine Kurve von Berger 2 und Mossos Versuche 
an der Delphina Parodi vom 25. Juni und 26. Juni 1893 [8, S. 125 und 
128]. Es handelt sich um siebzehn Notierungen von Aktionen, von denen 
fünfzehn Abnahme zeigen und um zwei Ruhenotierungen, die beide Zu- 
nahmen zeigen. Die zwei Fehlpunkte sind Händedrücken und Kiefern- 
zusammenpressen. 

III) Fig. 5. Delphina Parodi, nach der Beobachtung Mossos vom 4. Juli 
1893 [8, S. 175], zeigt die Änderungen der Temperaturdifferenz im Schlaf. 
Das Rind ist bei I „anscheinend" eingeschlafen und wird bei •) geweckt. 
Deutlich im Gegensatz zu dem Kurvenstück vor dem Einschlafen und 

1) In Fig. 2, Punkt 4, j, 7 und o ergeben sich kleine Zeitdifferenzen, diese haben 
wir bei Verschiebungen bis zu 1 Minute zu den richtigen, bei größeren zu den falschen 
Fällen gerechnet. Es handelt sich hiebei um Ungenauigkeiten, die vom Fehlen der 
Tabellen zu den Kurven von Mosso herrühren. Siehe S. 70, Anmerkung 1. 

2) r, die Kurve 15 auf S. 66. 






über die Tcmperaturdifferens swisdien Geliiru und Körper 



nach dem Erwachen zeigt die Kurve bis 4 allgemeinen Anstieg, der nach 
11 Uhr 15 Minuten wieder beginnt. Die Zeit von 4 bis 11 Uhr 10 Mi- 
nuten ist offenbar ein Schlaftal: bei 4 notiert Mosso spontane Arm- 
bewegungen, bei j: „spricht im Schlaf einige Worte, bewegt die Arme, 
kratzt sich." Noch deutlicher kommt die Tendenz zum Anstieg der Tem- 



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Fig- 3 

peraturdifferenz bei ungestörtem Schlaf zum Ausdruck, wenn die Abfall- 
stellen 2, ß, 7 und 8 zusammenfallen mit den Beobachtungen: „Schnar- 
chen" (2), „Berührung der Hand zur Pulskontrolle reaktives Zurückziehen 
der Hand" (?), „Sprechen im Schlaf" (7 und 8). Bei allen diesen Aktionen 
findet Verringerung des Anstieges, beziehungsweise Abfall statt. Bemerkens- 
wert ist, daß bei 8 Mosso an den Gehirn- und Rektaltemperaturen keine 
Veränderung bemerkt, die erst in der Temperaturendifferenz deutlich zum 

Ausdruck kommt. 

In diese Gruppe III gehören zwei Kurven (nach Mosso an Delphina 
Parodi vom 27. Juni und 4. Juli 1893 [8, S. 131 und 145]) mit zehn 
Aktionsangaben, bei denen ausnahmslos deutlicher Abfall, ganz wie bei 
den entsprechenden Punkten der Fig. 3 stattfindet. 



74 



ibiegfriej Bernfcld und Sergei Feitelherg 



W> Fig. 4 (nach Kurve 2 bei Berger [r, S. 18]). l Um 4 Uhr 58 Minuten 
beginnt bei 7 die Chloroformierung des Schimpansen. Sie setzt ein mit 
dem üblichen Exzitationsstadium mit ent- Q 

sprechendem Abfall, der nach einer Mi- 
nute in Anstieg übergeht. 

In Kurve 5 (nach Berger 11 [/, S. 50]) 2 
wird bei / die Maske abgenommen, bei 
2 besteht noch tiefer Schlaf, bei J treten 

Brechbewegungen ein und der Corneal- 

reflex wird nachweisbar; es findet also 

das Erwachen statt. Bei 6 wird die Maske 

wieder aufgesetzt, bei 7 erlischt der Cor- 

nealreflex, bei 8 ist wieder tiefe Narkose eingetreten. Alle Narkosekurven 

zeigen übereinstimmend, wie die Schlafkurven, deutlichen Anstieg während 



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der Bewußtlosigkeit (von 4 Uhr 59 Minuten an). Es entspricht dies völlig der 
Verhaltensrege], die bei Ruhe des Systems das Anwachse n der Temperatur- 

1) Thermometer im Sulcus Rolandi, in der Höhe des Gyrus frontalis medius 

2) Inermometer in der Mitte des Gyrus frontalis medius. 



Über die Teraperaturtlillerens zwischen Gehirn und Körper 



differenz, die Ansammlung eines Vorrates freier Energie, ergibt. Beim Er- 
wachen verhalten sich alle Narkosekurven wie bei Arbeitsleistungen. Sie 
zeigen die Tendenz zur Abnahme (Fig. 5, Punkt 2 — 6). Dies Verhalten 
läßt sich im Zusammenhang mit einer Diskussion des energetischen Schlaf- 
mechanismus aufklären, für die hier nicht der Ort ist. 1 Unsere Verhaltens- 
regel wird aber dadurch nicht tangiert, da sie nicht sagen will, daß jede 
Abnahme der Temperaturdifferenz nur von Arbeitsleistungen bedingt ist. 
Es sei angemerkt, daß auch nicht jede Zunahme nur auf Ruhe zurück- 
zuführen ist, vielmehr läßt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten, 
daß hiebei auch Affekte (Angst) eine Rolle spielen. So würden sich ge- 
legentlich in den Kurven vorkommende Anstiege auf Angst deuten lassen, 

wofür Fig. 6 ein Beispiel sei. 2 

Bei / bringt Berger eine Natter in 
das Operaiionszimmer, ohne sie dem 
Affen zu zeigen; nach einer Minute 
beginnt ein steiler Anstieg der Kurve; 
den wir geneigt wären, als Angst vor 
der gewitterten Schlange zu deuten. Bei 
2 wird die Natter dem Affen gezeigt; 
er beißt nach ihr; durch diese Aktion 
und Angstbewältigung mag das Auf- 
hören des Anstieges verursacht sein. 
Bei den fünf Beobachtungen über 
den Beginn der Narkose ist ausnahms- 
los ein Anstieg zu erkennen (in den 
Kurven 2, 7, 8 und 11 von Berger 
und nach der Mosso-Kurve an der 
Parodi vom 19. Juli 1863 [/, S. 18, 
30, 34 und JO, beziehungsweise 8, 
S. 154]). Unter zwanzig Aktionsbeobachtungen zeigen zwei Anstieg, unter 
neun Ruhebeobachtungen drei Abstieg. Die größere Quote der Fehler in 
diesen Fällen ist wohl den noch unbekannten Einzelheiten des Narkose- 
zustandes, der das normale Verhalten der Person stark beeinträchtigt, zu- 
zuschreiben. 




Fig. 6 



1) Es mag jedoch an unsere Auffassung der Wahrnehmungsprozesse erinnert 
werden (2, Abschnitt II), wonach bei der Wahrnehmung eine Herabsetzung der per- 
sonierten Energie (= freie Energie oder Libido) eintritt. 

2) Nach Berger 3 [1, S. 20]. Thermometer im Labus parietalis superior. 



7 G 



Siegfried Berufeid unj Sergei Feitelberg 



V) In den drei Kurven von Berger [/, die Kurven 4, 5 und 6 auf 
S. 23, 25 und 27], die unter der Wirkung von Hyascin und Morphium 
aufgenommen sind, ergeben sich unter vierzehn Aktionsbeobachtungen vier 
Fehler, unter 8 Ruhebeobachtungen zwei Fehler. Diese nicht mehr un- 
beträchtliche Fehlerzahl hat uns nicht gehindert, unsere Verhaltensregel 
oben allgemein zu formulieren, da unter der Wirkung dieser Drogen ein 
normales Verhalten des Systems noch weniger als unter der Nachwirkung 
der Narkose zu erwarten ist. Die immerhin nicht geringe Zahl der be- 
stätigenden Fälle fallt dabei um so entscheidender ins Gewicht, als an der 
Morphiumkurve die beiden Ruheabweichungen sich als nur scheinbar er- 
weisen, wenn die wahrscheinliche Wirkung des Morphiums in Rechnun e 
gestellt wird. 5 

Q3V 




Fig. 7 zeigt einen Ausschnitt aus der Morphiumkurve (nach Bergers 
Kurve 6, Schimpanse).* Bei / wird eine Injektion von «"04 g morphinen 
muruztwum verabreicht (subkutan unter die Haut der Bauchdecken) Bei 2 
scheint die Injektionsmasse resorbiert zu sein, denn Berger notiert auf- 
fallende Ruhe. Bei ß und 4 ist Ruhe angemerkt. Bei S „schläft das Tier 
nicht . 2 und 3 widersprechen offensichtlich der Regel, und sind vermut- 
hch spezifische Morphiumwirkungen. Bekanntlich ist die psychophysische 
Wirkung des Morphiums die (lustvolle) Herstellung einer Ruhesituation. 
Aus früheren Erörterungen gewinnen wir einen Anhaltspunkt für das 

1) [1, S. 27]. Thermometer im unteren Ende des Gyrus centralis posterior. 



Utcr die Temperaturdiffcrens zwistten Gehirn und Körper 77 



libidometrische Verständnis eines solchen Vorganges. Wir haben zu zeigen 
versucht, daß bei Libidoabnahme Ruhezustände auftreten, die oft in den 
Schlaf übergehen. Es liegt also die Annahme nahe, die beruhigende Wirkung 
des Morphiums darauf zurückzuführen, daß es die Libido verringert, was 
der psychoanalytischen Erfahrung entspricht und durch die Kurve anschau- 
lich bestätigt wird. In der Zeit vom Beginn der Morphiumwirkung (laut 
Beobachtung des Verhaltens des Versuchstieres) um 5 Uhr 30 Minuten bis 
5 Uhr 56 Minuten, zeigt die Kurve einen geradlinigen Abfall an vier Be- 
obachtun gspunkten . 

Das Zutrauen zur Temperaturdifferenz als Indikator für Libidoänderungen 
wird stark vermehrt, wenn bei äußerlich gleichartigen Ruhezuständen, wie 
bei Schlaf und Morphiumruhe, die psychologisch so sehr verschiedene 
Struktur haben, auch die Kurven sich verschiedenartig verhalten. 

Versuchen wir nun einen Überblick über die Zahl der richtigen und 
falschen Fälle zu gewinnen. In allen fünf Gruppen zusammen haben wir 
zweiundneunzig Beobachtungen, von denen achtundsiebzig der Regel ent- 
sprechen, vierzehn ihr widersprechen, von diesen Fehlern sind zwei in 
Gruppe II, einer in Gruppe / aus den Versuchsbedingungen deutbar. Was 
eine noch sehr vorsichtige Berechnung von einundachtzig richtigen und 
elf falschen Fällen unter zweiundneunzig ergibt. Von diesen elf falschen 
Fällen kommen auf Gruppe IV (Narkose) und V (Drogen) neun. Für die 
Normalgruppen (I — III) allein ergibt sich also das durchaus befriedigende 
Ergebnis von drei Fehlern auf einundvierzig Beobachtungen. 

Das Ergebnis der Untersuchung, das noch durch die Experimente 
Herlitzkas [6] und Criles [j] bestätigt wird, scheint uns nachdrücklich darauf 
hinzuweisen, daß die Wärme im Libidohaushalt eine bedeutsame Rolle 
spielt; daß die Temperaturdifferenz zwischen dem Zentralapparat und dem 
übrigen Körper einen wichtigen Faktor des Potentials des Systems Person dar- 
stellt, die freie Energie durch sie daher vorläufig meßbar wird. Die Rolle der 
Wärme im Libidohaushalt entspricht der Bedeutung, die der Wärme für 
die Entstehung und die Funktionen des Organischen zukommt. Merk- 
würdigerweise zeigt die Wärme, wie es scheint, unter den Maschinen- 
bedingungen des Organismus dasjenige Verhalten, das von der freien Energie 
des Systems (der Libido) zu erwarten war. Das gibt den schon oft bemerkten 
Ähnlichkeiten zwischen Wärme und Psychischem (Entropie, Irreversibilität) 
einen experimentell faßbaren Inhalt. 

Diese Befunde gewinnen beträchtlich an theoretischer Bedeutung durch 
die Tatsache, daß nach vorliegenden Experimenten auch die elektrische 



7° SiegfrieJ Bernfeld unj Sergei Feitelliurg 



Potentialdifferenz im System Person das gleiche Verhalten zeigt, wie die 
Temperaturdifferenz. Crile [4] hat durch umfangreiche Experimente das 
Verhalten der elektrischen Potentialdifferenz zwischen Gehirn, Fascien und 
Leber untersucht (Kaninchen). Er gelangt auf Grund seiner Experimente 
zu folgendem Ergebnis : 

„Erregung und Reizung, die durch physische Verletzungen, Medikamente 
oder andere Einflüsse erzeugt werden, verursachen einen sofortigen Abfall 
der Potentialdifferenz. 

Anästhetica, Narcotica, Blutungen, Erstickung verringern fortschreitend 
die Potentialdifferenz; falls sie den Nullpunkt erreicht, tritt der Tod ein. 
Bewußtsein und Tätigkeit werden anscheinend auf Kosten der Potential- 
differenz aufrechterhalten. 

Schlaf ist anscheinend notwendig, um eine ständige Potentialdifferenz 
im Gehirn zu unterhalten, da verlängerte Schlaflosigkeit die Potential- 
differenz zwischen Gehirn und der Fascie fortschreitend verringert. 

Das Leben eines Organismus besteht nur so lange, als Potentialdifferenzen 
innerhalb des Organismus unterhalten werden." 1 

Die von Crile gemessene elektrische Potentialdifferenz besteht demnach 
zwischen dem Zentralapparat und dem System Zelle des Systems Person 
(unserer Nomenklatur), sie steigt im Ruhezustande und sinkt bei Arbeits- 
leistungen, bei Wahrnehmungen und unter Wirkung von Narkotika Die 
Postulierung eines Potentials der Person (Libido), die Unterscheidung 
von dessen Faktoren, deren einer die Wärme, ein anderer offenbar die 
Elektrizität ist, scheint demnach experimentell begründbar. 



Li 



teratur 



X J f* n \ B "| er: Untersuchungen über die Temperatur des Gehirns. Jena 1010 
2) Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelberg: Üher psychische Energie, Libido 

und deren Meßbarkeit. [In diesem Bande, S. 13 ff.] 

5) Georg W. Crile, Amy F. Rowland and S. W. Wallace: Bio-physical studies 

of the Effects of various drogs upon the temperature of the brain and the liver. 

Journal ot pharmacology and experimental therapeutics. 1923. Bd. XXI, S. 4*0 

4) Georg W. Crile, Amy F. Rowland and Maria Telkes: An interpretation of 
exctation, exhaustion and death in terms of physical constants. Proceedines of the 
national Academy of sciences of U. S. A. 1928. Bd. XIV, S. 532. 

5) J. Davy: An account of some experiments on animal heat. Philosophical 
transactions. 1814. S. 590. 

4< S. 538. Von uns aus dem Englischen übersetzt. 



Über die Tcmperaturdiflerenz zwischen Gehirn und Körper 79 

6) Amedo Herlitzka: Sulla temperatura del midolo spinale durante la (IM 
attivita. Nota prelim. Arch. di Sei. biol. 1928. Bd. XII, S. 595. 

7) Lorenzo Mannino: Sulla temperatura del cervello. Annali di clinica medica 
e di medicina sperimentale. 1926. Neue Serie, Bd. XVI, S. 561. 

8) Angelo Mosso: Die Temperatur des Gehirns. Leipzig 1894. 

9) Jules Soury: Systeme nerveux central. Structure et fonetion. Paris 1899. 

10) Hans Winterstein: Stoffwechsel des Zentralnervensystems. In Band IX des 
Handbuches der normalen und pathologischen Physiologie: Allgemeine Physiologie 
der Nerven und des Zentralnervensystems. Berlin 1929, S. 604. 



Der Entropiesatz und der Todestriek 

In der psychoanalytischen Trieblehre nimmt der Todestrieb eine eigen- 
artige Stellung ein. Während ein Teil der Psychoanalytiker meint, ihn völlig 
entbehren zu können, operieren andere mit ihm, wie mit einem Stück Theorie, 
das auf gesicherter klinischer Erfahrung aufgebaut ist. Freud betont immer 
wieder den spekulativen Charakter des Todestriebes 1 und will die Einführung 
von Todestrieb und Erostrieb durchaus anders bewertet wissen, als seine 
übrigen Aufstellungen zur Libidotheorie. Die Libidotheorie erhält nach Freuds 
Meinung durch den Todestrieb ein spekulatives Moment, weil Freud hier 
über die Grenzen der psychologisch-psychoanalytischen Methode hinausgeht, 
indem Todestrieb und Eros biologische Tatbestände, ja allgemeines Natur- 
verhalten (Stabilitätsprinzip) erfassen wollen. Manche Unsicherheiten, Ver- 
wirrungen und Irrtümer rühren daher, daß die verschiedenen Bedeutungen, 
die so das gleiche Wort Trieb erhält, nicht immer genügend auseinander- 
gehalten werden [/]. 

Psychologisch, das heißt als konkrete Kräfte innerhalb der Person (Es, 
Ich und Über-Ich) unterscheidet Freud bekanntlich „Sexualtrieb" und 
„Destruktionstrieb". Diesen stehen „spekulativ"-biologisch „Eros und Todes- 
trieb" gegenüber, die nicht Kräfte in der Person meinen, sondern das all- 
gemeinste Verhalten der lebenden Substanz charakterisieren wollen. Sie sind 
Prinzipe, oder, wenn man will, Naturgewalten, aber nicht Triebe im engeren 
Sinn des Wortes. „Todestrieb" bezeichnet die Tatsache, daß alles Lebende 

1) Nicht nur in „Jenseits des Lustprinzips" [ri], sondern auch z. B. 12, S. 585 
•ind S. 387; r 3 , S. 170; 14, S. 222; ir, S. 91. 



Der Eutropiesat; imJ der Todestrieb 



von begrenzter Dauer ist, Anfang und Ende hat, und stellt den Lebenslauf 
als Wiederherstellung des leblosen Zustandes, aus dem das Leben hervor- 
gegangen ist, dar. „Eros" bezeichnet die stete Verlängerung des Lebens durch 
die Tatsache der Fortpflanzung und die Zusammenballung immer größerer 
organischer Massen zu immer komplizierteren Einheiten. 

Diese klare, von Freud oft hervorgehobene Unterscheidung des „spekula- 
tiven" (biologischen) und des psychologischen Gesichtspunktes, konnte den- 
noch zu Mißverständnissen führen, weil Freud bemüht ist, diese Scheidung 
durch einen grundlegenden Gedanken wieder aufzuheben. Freud sucht die 
Verbindung zwischen den beiden Trieben (Sexualtrieb und Destruktionstrieb) 
und den außerpsychischen Naturgewalten Eros und Todestrieb. Er sucht die 
Entsprechungen für diese beiden im Ich, und findet den Sexualtrieb als den 
im Ich wirkenden Eros und den Destruktionstrieb als den im Ich wirken- 
den Todestrieb. Tatsächlich ist dieser Gedanke der eigentlich theoretische und 
er ist es auch, der einerseits Verwerfung als leere Spekulation erfährt, der 
anderesreits unkritisch wie ein bewiesenes Faktum verwendet wird. 

Der Entscheid, ob Freud eine nichts besagende Analogie spekulativ miß- 
braucht, oder ob er eine neue naturwissenschaftliche Theorie in Biologie 
und Psychologie eingeführt hat, ist um so dringender, als Freud die psycho- 
analytischen Grenzen nicht nur in die Biologie hin, sondern auch in die 
Physik überschritten hat, 1 indem er nachdrücklich betont, daß er den Todes- 
trieb mit dem allgemeinen Stabilitätsprinzip in der Natur identifiziere [//]. 

Für unsere theoretisch-psychologischen Bemühungen um Energie und Trieb 
wird dieser Entscheid insbesondere wichtig. Wir möchten ein Kriterium hier- 
für aus der naturwissenschaftlichen Methodologie übernehmen und meinen: 
Ähnlichkeiten zwischen physikalischen, biologischen, psychischen Prozessen 
dürfen als mehr denn bloße Analogie gewertet werden, wenn sie sich als 
spezielle Fälle eines umfassenderen Naturgesetzes erweisen lassen. 

Freud versteht den Todestrieb ausdrücklich als speziellen, biologischen 
Fall des Stabilitätsprinzipes [//]. Das Lustprinzip, das im Dienste des Todes- 
triebes steht, wäre der psychologische spezielle Fall des Stabilitätsprinzips. 
Die Gegner von Freuds Todestrieblehre, die Mystik und Religion in der 
Schrift „Jenseits des Lustprinzips" wittern, haben dies völlig übersehen. 
Die Verbindung physikalischer, biologischer, physiologischer und psycho- 
logischer Fakten und Gesetzmäßigkeiten ist weder unzulässig noch „unwissen- 
schaftlich", noch gar sinnlos. Es kommt ganz und gar darauf an, ob der 



1) Neuestens auch nach der Kulturwissenschaft hin [ij]. 



öa Oicglried JBernlcld und Oercei Fcitcloerg 



Nachweis eines bisher unbekannten speziellen Falls für ein allgemeineres 
Gesetz konkret glückt. Aber Bemühungen, die diese Richtung einhalten, 
verdienen keineswegs Entwertung als spekulativ oder als a priori metho- 
dologisch unzulässig. 

Wie sehr die Freudsche Konzeption von bloßer physikalisch-psycho- 
logischer Analogisierung entfernt ist, zeigt eben das bedeutsame Stück 
der Freudschen Todestrieblehre, das das Lustprinzip als Spezialfall des 
Todestriebes hinstellt, als den Todestrieb auf der Systemhöhe Person er- 
kennt, würden wir sagen. Das Außerordentliche dieser Aufstellung ist ja 
gerade, daß sie augenscheinliche Gegensätze, nicht Analoga, unifiziert. 
Selbstbeobachtung, naive Auffassung und Wertung vermögen Tod und 
Lust nur als unversöhnliche Gegensätze zu sehen. Freud behauptet einen 
verborgenen Funktionszusammenhang der beiden anscheinend völlig hetero- 
nomen Sphären. 

Daß Freud den Nachweis dafür erbracht hätte, kann freilich nicht be- 
hauptet werden. Aber es ist auch keineswegs Freuds Absicht, die para- 
doxe und befremdliche Theorie bloß dogmatisch zu verkünden, sondern 
er entwickelt sie als echte Arbeitshypothese mit den Sätzen: „Das Lust- 
prinzip scheint geradezu im Dienste der Todestriebe zu stehen . . . hieran 
knüpfen sich ungezählte andere Fragen, deren Beantwortung jetzt nicht 
möglich ist. Man muß geduldig sein und auf weitere Mittel und Anlässe 
zur Forschung warten" [//, S. 257]. 

Es sei versucht zu prüfen, ob die Vorstellungen vom Systemdual und 
seinen Energien, die wir entwickelten [3, 4, j], ein geeignetes Mittel 
sind, die Freudschen Gedanken in einigen Punkten zu belegen. 

Das Stabilitätsprinzip, von dem Freud ausgeht, scheint uns aber keine 
genügend präzise und konkrete Formulierung der Tatbestände zu sein, die 
es meint. In der modernsten Fassung, der Petzoldschen, lautet dieses 
Prinzip: „Jedes sich selbst überlassene, in Entwicklung begriffene System, 
mündet schließlich in einen mehr oder weniger vollkommenen Dauer- 
zustand aus, oder doch in einen Zustand, der in sich selbst entweder 
überhaupt keine Bedingungen für eine weitere Änderung mehr trägt 
oder solche wenigstens eine geraume Zeil hindurch nur noch in gering- 
fügigem Maße enthält" [16, S. 24t]. Ob man nun diese oder die sehr 
ähnliche Fechnersche oder Spencer sehe Formulierung zugrunde legt [6\ 
das Stabilitätsprinzip sagt eigentlich nicht mehr, als daß alle Bewe- 
gung oder auch alle Änderung von begrenzter Dauer ist; womit, unbe- 
schadet eines vielleicht vorhandenen philosophischen Gehalts, kaum ein 



i. 



Der Lntropiesatz und der Todestrieb 85 

belangvoller Fortschritt über das naive Wissen hinaus gegeben ist. Es 
wird auch nichts gewonnen, wenn der Ruhezustand als Tod analogisiert 
wird und das Prinzip dann lautet, alles Bewegte führe zum Tod. Noch 
mehr verringert den Wert des Prinzips die Überlegung, daß Bewegung 
und Ruhe, Leben und Tod Begriffe von relativer Bedeutung sind, die 
immer nur mit Bezug auf ein bestimmtes System im Vergleich zu anderen 
Systemen oder für eine bestimmte Systemhöhe faßbar sind. So bedeutet 
die „makrokosmische" Ruhe eines eben zur Erde gefallenen Steines inten- 
sivierte Bewegungen „mikrokosmischer" Natur (Wärmebewegung der Mole- 
küle), so bedeutet der Ruhezustand des schlafenden Menschen Ruhe im 
System Person, aber intensivierte Tätigkeit (Wachstum) der integrierten 
Systeme Zelle. Ruhe und Bewegung, Leben und Tod können überhaupt 
nur durcheinander definiert werden, d. h. sie sind dialektische Gegensätze. 
Solange wir allgemeinste Verhaltensweisen aus ihnen deduzieren, ver- 
bleiben wir auf dem Boden der Philosophie. 

Prägnant und konkret sind die vom Stabilitätsprinzip gemeinten Tat- 
sachen in der Energielehre formuliert. Ob die Energietheorie den Inhalt 
des Stabilitätsprinzips physikalisch erschöpft, bleibe unerörtert. Wir be- 
schränken uns auf die Energielehre, weil sie theoretisch weit genug 
gediehen ist und weil sie für unsere psychoanalytische Fragestellung zu 
allererst in Betracht kommt. Die Energielehre erfaßt Quantität und Rich- 
tung jener Veränderungen, von denen das Stabilitätsprinzip spricht, und 
formuliert eindeutig jenen Zustand, der in der Sprache des Stabilitäts- 
prinzips unbestimmt Ruhe oder Tod heißt. Der zweite Hauptsatz der 
Energielehre besagt, daß die Gesamtheit physikalischer Vorgänge in einem 
abgeschlossenen System eine bestimmte Richtung innehält, nämlich auf 
Ausgleich der Intensitätsdifferenzen der Energien des Systems ; es wird ein 
Zustand angestrebt, in dem keine Intensitätsdifferenzen mehr bestehen, in 
dem also auch keine Bewegung mehr durch endosysteme Faktoren allein 
bewirkt werden kann. Da nur bei dem Ausgleich von Temperaturdiffe- 
renzen solche endgültige Entwertung eintritt (bei dem Ausgleich mechani- 
scher Intensitätsdifferenzen treten Schwingungen auf, die im Prozeß des 
Ausgleiches neue Intensitätsdifferenzen schaffen), bedeutet die Aussage des 
zweiten Hauptsatzes, daß dieser maximale Ruhezustand nur eintreten kann, 
wenn alle Energien sich in Wärme verwandelt haben. 

Dieser Zustand, zu dem jedes geschlossene System (also vielleicht das 
ganze Universum) tendiert, enthält maximale Dauerhaftigkeit, denn er 
muß so lange währen, als die Abgeschlossenheit des Systems (des Univer- 



4 Siegfried BernfeU und Sercei Feitell.er 



sums) währt. Von einem absoluten Ruhezustand wäre aber auch dabei 
kerne Rede, denn die „mikrokosmischen" Wärmeschwingungen der Mole- 
küle bleiben bestehen. Wegen der makrokosmischen dauernden Starre des 
Systems m seinem „Endzustand" hat man ihn mit dem Tod analogisiert 
und „Warmetod" genannt. Ein präziserer Ausdruck ist „der wahrschein- 
lichere Zustand" (Boltzmann), dessen Maß Entropie heißt. Wir wollen in 
der Folge diesen zweiten Hauptsatz der Energielehre nicht völlig genau 
aber kurz Entropiesatz nennen und von der Entropiegesetzlichkeit oder' 
dem Jintropiestreben sprechen. 

An den „Wärmetod" haben interessante philosophische Diskussionen 
angeknüpft mit dem Bemühen, seine Vermeidbarkeit zu erweisen, oder 
wenigstens die Möglichkeit offen zu lassen, daß der Wärmetod nicht auch 
den lod des Lebenden zur Folge habe. In geistreicher Weise hat Stern 
[19, »0] hiefur das Fechnersche Gesetz herangezogen, das die denkbar 
guns.gste Emnchtung für Organismen sei, die sich trotz stetig abnehmender 
Intensitatsdifferenzen m lh rer Umwelt erhalten wollen. Durch die Fechner- 
sche Gesetzhchkext werden die Organismen nicht von der absoluten, sondern 
von der relativen Große der Intensitätsdifferenzen abhängig; ihre Existenz 

U £°P T dEn NUU T kt mÖgHCh " Den Wich ^-n Versuch ^ 
Z t d Problem anzugreifen, hat Nernst [ l8 ] unternommen, indem er 
mit Hilfe neuer physikalischer Erkenntnisse die Anwendung des Entropie- 

ü e b S r Sa h d n ni r Um ^ UDStatthaft ZU ~*- ^ Für uns'er- 

hab n die 7 ^ * "* " 3USSChließlich «* Systemen zu tun 
S^'t* ^ *"** endHch Sind - ■* diese aber gilt der dritte 
Hauptsatz der Ihermodynamik, das Nernstsche Theorem, nach dem es nicht 
möglich ist m endlichen Systemen den Nullpunkt zu erreichen; zwar kann 
in einem konkreten System alle Energieintensitätsdifferenz ausgeglichen 
-erden so daß in ihm nur mehr Wärmeenergie vorhanden ist, aber es ist 
durch keinen exosystemen Einfluß möglich, diese Energie dem System 
gänzlich zu entziehen, also seine Temperatur auf den absoluten Nullpunkt 
zu bringen: „makrokosmisch" ist demnach „absolute" Ruhe erreichbar, aber 
mit ihr ist eine entsprechende Erhöhung „mikrokosmischer" (molekularer) 
Bewegung verbunden, und diese kann nie völlig vernichtet werden. Ab- 
solute Ruhe ist unerreichbar. 

Die Diskussion des Todestriebes geht statt vom Stabilitätsprinzip frucht- 
barer vom Entropiesatz aus. Es wäre zunächst zu fragen, ob der Todes- 
trieb als spezieller Fall des Entropiesatzes im Bereiche des or- 
ganischen Geschehens aufgefaßt werden kann. 



Der Entropiesat: und" der Todestrieb 



85 



Daß Freuds Gedankengänge in diese Richtung gehen, braucht an dieser 
Stelle nicht belegt zu werden; es will aber betont sein, daß selbst ein 
Nachweis der Identität von Entropiesatz und Todestrieb, von Tod und 
„Wahrscheinlichem Zustand" die Freudschen Gedankengänge nicht er- 
schöpfte. Denn eine bedeutsame Rolle spielt der historische Charakter 
aller Triebe auch für den Todestrieb, den Freud geradezu als Streben des 
Organischen zum früheren Zustand des Leblosen zurückzukehren, deutet. 
Von diesem historischen Moment muß bei der energetischen Betrachtung 
abgesehen werden. Die neuerliche ausdrückliche Betonung dieser Selbst- 
verständlichkeit möchte uns vor der Verwechslung mit Ostwaldscher oder 
ähnlicher Naturphilosophie und vor dem Vorwurf schützen, wir ersetzten 

Psychologie durch Physik. 

Den geforderten Nachweis können wir freilich auch in diesen Grenzen 
nicht erbringen, weil die heutige Biologie und Physiologie über die ersten 
Ansätze einer Energetik des Lebensprozesses noch nicht hinaus sind. Immer- 
hin steht fest, daß die Lebensvorgänge stationäre Prozesse sind. Für solche 
ist bezeichnend, daß bestimmte Bedingungen innerhalb des Systems einen 
Kreislauf der Energieverwandlung erzwingen, so daß die Ausgangsphase 
immer wieder erreicht wird. Solange die exosysteme Energiezufuhr gesichert 
ist, und solange die Bedingungen im System, die den Kreislauf verursachen 
unverändert bleiben, dauert das stationäre System. Der „Tod ereignet S1 ch 
nur als Betriebsunfall. Tatsächlich geht die Auffassung vieler Biologen in diese 
Richtung. Durch die Lebensprozesse selbst (abgesehen von traumatischen 
Schäden) wird eine fortschreitende Verschlechterung der „Maschine be- 
wirkt, die beim Anwachsen der sogenannten nekrobiotischen Prozesse zu 
einer gewissen Höhe, die endgültige Schädigung der Kreislauf bedingungen, den 
Tod, zur Folge hat. „Der Tod entwickelt sich aus dem Leben [Verworn, 
20 S. 160]. Der Tod wäre gewissermaßen ein Betriebsunfall, der von Geburt 
an' langer Hand durch die Unzulänglichkeiten des Betriebes vorbereitet 
wird. Er ist unvermeidlich, weil die Kreislaufbedingungen sehr kompliziert 
sind, die Rationalität der Maschine recht schlecht ist-, er wäre aber prin- 
zipiell bloß Unfall, Unzulänglichkeit. 

Der „Tod als Ereignis", wie Ehrenberg [8, S. 29] «gt, der einmalige Vor- 
gang des Sterbens des Individuums geschähe demnach nicht im Dienste der 
Entropie. „Der Tod ist so wenig wie die Unterbrechung eines elektrischen 
Stromes ein energieliefernder Vorgang." [8, S. 29 f.] Man muß dagegen 
darauf hinweisen, daß die Folge des Todes der Zerfall des Systems ist, d. h. 
daß beträchtliche Intensitätsdifferenzen zwischen System und Umwelt ent- 



86 



kiegfriej BcrnfcIJ und Scrgci Feitelberg 



stehen, die während des Lebens, eben durch das Leben, kompensiert wurden. 
Allerdings hat der Zerfall nach einer gewissen Zeit den endlichen Ausgleich 
dieser während des Lebens kompensierten Differenzen zur Folge, den das 
Leben verhinderte. Diese Widersprüche klären sich bei der Verwendung 
unseres Begriffs von der Person als Systemdual. Wir unterscheiden die Vor- 
gänge in den Zellen von den Vorgängen im System Person. Der Tod ist 
ein Ereignis, das das System Person betrifft. Der Tod zerstört die regulierende 
Funktion des Systems Person, an die die Existenz der Zellen unzertrennlich 
gebunden ist, die nun zerfallen. Dadurch wird freilich die Erreichung des 
Gleichgewichts in dem System Zellen selbst beschleunigt, die aus den Lebens- 
Gesetzmäßigkeiten in die physikalischen übergehen. Für das System Zelle 
bedeutet der Tod seines übergeordneten Systems beschleunigten Ausgleich- 
der Tod des Systems Person steht, könnte man vorläufig sagen, „im Dienste 
der Entropie« der Zellen. Für die Entropie des Systems Person (für die Größe 
seines Potentials = Intensitätsdifferenz zwischen Zentralapparat und Körper) 
kann dem Tod aus dem Grunde keine konkrete Bedeutung beigemessen 
werden, weil durch den Tod gerade die Beziehung zwischen den Teilen 
des Systemduals aufgehoben worden ist. 1 Das System Person führt die ge- 
meinsame Energierechnung für die Zellen, und ist bemüht, seine „Energie- 
bilanz' im Gleichgewicht zu halten. Im Augenblick des Todes des Systems 
wird die Frage gegenstandslos, ob seine Buchführung stimmt, denn es gibt 
keine mehr. Die Zellen reißen die Barbestände an sich und jede führt 
ihr eigenes Buch, das der Physiker nun auf seine Energiebilanz prüfen 
kann. Die Frage kann also nicht sein, ob der Tod des Systems Person eine 
Entropievergrößerung des Systems Person bedeutet, 2 sondern ob das Leben 
des Systems Person diese die Entropie vergrößernde Funktion hat. 

Soll der Todestrieb als Trieb nach dem Ereignis „Tod eines Individuums" 
aufgefaßt werden, so wäre er nicht als spezieller organischer Fall des Entropie- 
Satzes zu verstehen, sondern ist. was übrigens auch Freuds Meinung ist, 
historisch, wie jeder echte Trieb, determiniert. 

Dennoch läßt sich für das lebende Organische der Satz „Ziel alles Lebens 
ist der Tod" bei entsprechender Definition der Begriffe, energetisch sehr 
wohl rechtfertigen. Erfreuli cherweise kann hier ein Biologe referiert werden : 

1) DasselLe scheint übrigens auch für das lebende System Zelle zu gelten, das ja 
gleichfalls ein Systemdual (von Plasma und Kern) niedrigerer Ordnung ist,' dessen 
Tod durch die Kariolyse einsetzt. 

2) Eine Beobachtung Criles [4, S. 556] scheint sogar auf das Gegenteil hinzudeuten, 
indem nach dem Tode die elektrische Potentialdifferenz zwischen Gehirn und Körper' 
die bei dem Ereignis den Wert O hatte, postmortal wieder ansteigt. 



Der Entropicsats und der Todestrieb «7 



Auf dem Gedanken der Irreversibilität der elementaren Lebensvorgänge 
baut Ehrenberg eine theoretische Biologie auf. Das Leben besteht in 
dem kontinuierlichen Prozeß der Strukturierung, des Wachstums von Sub- 
stanz auf Kosten der Flüssigkeit, besteht im Verbrauch von Energieinten- 
sitäten zum Aufbau von Substanz, aus der keine Arbeit mehr gewonnen 
werden kann, die teils auf dem Körper ausgeschieden, teils in ihm, als 
Zellkernstruktur, als Apparatstruktur, niedergeschlagen wird. Die Struktur- 
substanz (der Kern der Zelle z. B.) bestimmt Geschwindigkeit, Intensität usw. 
der weiteren Lebensabläufe. Leben ist dieser Umsatz, dieses Substanz- 
Schaffen, dies Tod-Werden. Was wir das Leben eines Individuums nennen, 
ist die Integration zahlloser elementarer Lebensvorgänge (Biorrheusen) zu 
einer durch die Strukturen, die die Lebens Vorgänge schaffen, bestimmten 
Einheit. Jeder einzelne elementare Lebensvorgang führt zur irreversiblen 
Bindung der Energien in Struktur, zum „Tod". Das Leben des Individuums 
tendiert auf die Erfüllung seines „Vitalraumes" mit Struktur; es ist in seiner 
Intensität und Dauer vom Gefälle zwischen dem „Vitalraum" und dessen 
Strukturerfülltheit bestimmt. An beliebiger Stelle vor dem — wohl nie 
erreichbaren — Ende kann das „Ereignis Tod" den Prozeß Leben-Tod 
zum Stillstand bringen [6]. 

Wenn Freud dem Organischen die Tendenz zuschreibt, nach stabilen 
Zuständen zu streben, dauernde Ruhezustände zu erreichen, und den Exekutor 
dieser Tendenz Todestrieb nennt, so scheint die Erwartung nicht unberechtigt, 
daß die fortschreitende Biologie und Physiologie den strengen Beweis erbringen 
wird, daß diese Tendenz der spezielle Fall des Entropiesatzes für organische 
Systeme ist. Der Todestrieb (in dieser seiner biologisch-theoretischen Bedeu- 
tung) ist, vom historischen Moment abgesehen, energietheoretisch als wissen- 
schaftliche und nicht bloß spekulative Aufstellung rechtfertigbar. Das Wort 
Tod freilich ebenso wie das Wort Trieb drängen gerade die historischen 
Momente am Systemverhalten in den Vordergrund und eröffnen leicht 
Möglichkeiten zu Mißverständnissen. Es würde sich darum empfehlen, dieser 
Deutung des Todestriebes, durchaus im Sinne Freuds, den Namen Nirwana- 
prinzip zu reservieren [io, S. 375]. 

Auch der Versuch, nun das Lustprinzip als den psychologischen 
Spezialfall des Entropiesatzes zu verstehen, muß vorläufig bei einem 
ersten theoretischen Ansatz stehen bleiben. Allerdings ist diese Frage grund- 
sätzlich innerhalb der psychoanalytischen Psychologie zum exakten Beweis 
zu bringen, falls es gelänge, Methoden zur Messung der Libido bis zur 
genügenden Brauchbarkeit zu entwickeln. Freud hat immer wieder gezeigt, 



88 Siegfried BcriifclJ niicl Sergej Feitclterg 



daß die Fragen des Lustprinzips quantitative sind und hat sie als eigenen 
ökonomischen Gesichtspunkt gewürdigt. Freud stellt die ökonomische Hypo- 
these auf, Lust sei das Erlebnis der Abnahme von Erregungsgrößen inner- 
halb des Psychischen, Unlust das Erlebnis ihrer Zunahme. Freud läßt nicht 
unberücksichtigt, daß hierbei nicht die absoluten Quantitäten entscheiden und 
möglicherweise auch Qualitäten der Spannung wirksam sind [l2, S. 575]. 
Wenn sich diese Erregungs- und Spannungsgrößen experimentell als Energie- 
größen erwiesen, wäre der Beweis möglich, daß die Regulierung des ent- 
scheidenden Anteils alles Verhaltens der Person im Sinne des Entropiesatzes 
geschieht. 

Unser erster Versuch zur experimentell fundierten libidometrischen Be- 
rechnung [/] spricht entschieden für die Freudsche Lusttheorie, falls man 
sich bei der Diskussion vor vagen Analogien hütet. Unser Befund besagt, 
daß im Ruhezustand (Schlaf) das Potential der Person wächst. Die Ruhe ist 
demnach keine Entropievermehrung, sondern im Gegenteil steigen die 
Intensitätsdifferenzen nicht unbeträchtlich. Wollte man Ruhe mit „Entropie" 
analogisieren, so ergäbe sich ein für die psychoanalytische Trieblehre ungünstiges 
Resultat. Aber der Ruhezustand des Systems Person darf nicht wegen des 
Phänomens Ruhe als ein physikalischer Ausgleichszustand aufgefaßt werden. 
Im Schlaf ist offenbar das System Person zu beträchtlichem Teil ausgeschaltet. 
Mit dem Erwachen und bei motorischen Aktionen, die vom System Person 
reguliert werden, verringert sich das Potential augenblicklich. Unter Fest- 
haltung des Gedankens, daß die Person ein übergeordnetes System ist, darf 
man formulieren, daß die Funktion des Systems Person die Verringe- 
rung und Niedrigerhaltung des Potentials ist, das ansteigt, sowie die 
Person ausgeschaltet ist. Die Ausschaltung des Systems Person (Ruhezustand) 
schafft eine Energiesituation, die dem Entropiesatz entgegen ist, die Funktion 
des Systems steht also im „Dienste der Entropie". 

In einer der Schlafkurven nach Mosso [j, S. 75] zeigt sich bei unruhigem 
Schlaf, beim Sprechen im Schlaf usw. je Abnahme der Temperaturdifferenz 
(nach unserer Auffassung eines Faktors des Potentials). Die Vermutung ist 
nicht ganz von der Hand zu weisen, daß der Potentialabnahme während des 
Ruhezustandes das Träumen entspricht. Der Traum ist eine teilweise Wieder- 
einschaltung des Systems Person mit der Funktion, den Schlaf zu hüten. 
Ohne künftigen Experimenten vorzugreifen, könnte hierin eine weitere 
Bestätigung für die entropievergrößernde Wirksamkeit des Systems Person 
liegen. Wir gelangen so zu der Vorstellung, die mit den Ergebnissen der 
Schlafbiologie und -physiologie, wenn auch nicht mit deren Theorien, gut 



Der Entropiesats und der Todestrieh °9 






übereinstimmt, daß aus dem lebhaften Stoffwechsel der Zellen während des 
Schlafes sich ein ansehnliches Maß von Potentialdifferenz ansammelt, das 
nach Herabsetzung drängt. Die Person erwacht, die Energien werden personiert 
L] und durch die psychischen Arbeitsleistungen während des Wachseins 
verringert. Das spontane Erwachen geschähe geradezu, weil das Potential 

zu groß geworden ist. 

In der Tat zeigen die Schlafkurven und Narkosekurven \J % b löij, dalJ 
mit dem Erwachen das Potential abzunehmen beginnt. Das teilweise Er- 
wachen, das Träumen mit seiner Erniedrigung des Potentials wäre auch 
von hier aus als „Hüter des Schlafes" zu verstehen. 

Das wache, ausgeruhte System besitzt einen großen Vorrat an Potential, 
das erschöpfte System ein Minimum. Die offenbare Aufzehrung des Poten- 
tials durch die Leistungen des Systems Person scheint auf den ersten Blick 
eine energetisch fast selbstverständliche Sache zu sein. Denn Arbeitsleistungen 
verbrauchen Energie. Wenn wir uns aber vergegenwärtigen, daß wahrend des 
Wachseins eine ständige Energiezufuhr in das System Person statt hat z B. 
durch die Wahrnehmung, wenn wir daran erinnern, daß eine Anzahl Überle- 
gungen uns genötigt haben, die Muskelleistungen nicht einfach als Verbrauch 
der Energien des Systems Person aufzufassen (vielmehr steigt gleichzeitig em 
Anteil der Energien im System Person durch die Muskelarbeit) [* ; S. 11*], 
dann erhebt sich die Frage, in welcher Weise die potentialvernngernde 
Funktion des Systems Person sich durchsetzt. Das wache, ausgeruhte Indi- 
viduum zeigt lebhafte Zuwendung zu den Reizen und Objekten der Um- 
welt, wird von Reizhunger getrieben, dessen Befriedigung Lust birgt. Ein 
Verhalten, das insbesondere für die Sexualtriebe als Objektzugewandtheit, 
als Bindung an Objekte charakteristisch ist, das aber auch im Bereich des 
Destruktionstriebs nachweisbar ist. Die Zuwendung zu den Objekten hat 
zur Folge, daß Energiezufuhren in das System stattfinden, die um so wider- 
sinniger zu sein scheinen, als eben das ausgeruhte System ein sehr hohes 
Potential besitzt, während das schläfrige mit niedrigem Potential sich den 
Reizen verschließt. Zunächst scheint dies Faktum des Reizhungers einer 
Tendenz des Systems Person, die „Erregungssumme möglichst niedrig 
zu erhalten, strikt zu widersprechen. Wir stoßen hier in psychologischer 
Fassung auf dasselbe Problem, das die Lebenstriebe dem Nirwanaprinzip 
bieten. 1 . 

,1 Der Versuch, das Problem des Reizhungers und der Reizlust in Übereinstimmung 
mit dem Nirwanaprinzip zu lösen, den Bernfeld [l] unternommen hat, erfahrt durch 
die folgenden Ausführungen eine präzisierende Mod.fikation. 



!*!! SiegfrieJ BernfelJ u n J Sc*g« Fcitelterg 



Liegt hier wirklich ein Widerspruch zum Entropiesatz vor, so muß er 
aus den Maschinenbedingungen des Systems Person verständlich und als 
letz theh bloß scheinbarer auflösbar sein. Im thermodynamisch-osmotischen 
Modell des Systemduals Person [,, S. ag ] entsteht die Potentialdifferenz 
zwischen Kugel (Zentralapparat) und Zylinder (System Zelle gleich „Körper") 
dadurch, daß die Kugel eine niedrigere Ausgangstemperatur hat als" d er 
Zylinder Der autonome Temperaturausgleich ist durch die Bedingung ver- 
hindert, daß die Temperatur des Zylinders stets konstant erhalten werde 
Die anscheinend einfachste Möglichkeit ein Minimum des Potentials -' 
d« Temperaturdifferenz - am Modell zu sichern, wäre die Verhinderung 
neue Ener gl ezufuhr m den Zylinder von außen he. Dies entspricht der 
naheliegenden psychologischen Vorstellung, daß durch die Vermeidung von 
,eh t , ™ Z f -* e Abschließung, das „Erregungsniveau" nfedrig 

nchl IT, ° UrCh n dieAbschI ^- g ^nn aber nur L Modell, jedoch 
lebenV O <****«* das Potential erhalten werden, denn im 

lebenden Organismus wird das Potential endosystem erhöht. Potemialverrin 
gemn ; kan n an dem Modell nur durch Zufuhr neuer Energie in den ZjnTer 

werte! ' f "f ^ M ^^^^ ge n an die" Kugel abg" üh 
.erden muß, so deren Temperatur erhöht und damit die Temperatur 
differenz zwischen Zylinder und Kugel - das Potential - verr^ger 

pa; S d e o X erv°r;; eiSe d deS , MOde,,S **** ^ *" anscheinend"" 

Et ^System k" S p yStemS Per$0n - N " ^^ *** - E - g ie 
in das System kann sein Potential verringert werden. Die Zufuhr geschieht 

dur b , wache psychisch ,e Leistungen und ist durch das psychische P nom en 

Z^^TZT 6 DiB ^ ÄUßenWeIt »«"«dete ^bido, alle 

tlnstriebe ^^^ ™* *> ««« Teil der Handlungen des Destruk- 

onstnebes, erfüllen energetisch die Funktion des Abbaus der Intensitäts- 

F f kr" 7 r' S,em PerS0H ' d6r Herabselz -g -ines Potentials; also die 
Funktion des Entropiewachstums des Systems Person. Für die energetische 
Betrachtung trifft Freuds Auffassung, daß die Lebens.riebe die Todesbahn 
sichern, genauestens zu. Das Lustprinzip ist der allgemeinste, bewußte 
Regulator des Verhaltens der Person. In seiner Funktion, Unlust zu ver- 
meiden, Lust aufzusuchen, in seiner modifizierten Entwicklungsform als 
Reahtatspnnzip, vollzieht es die Herabminderung des Potentials im Sinne 
des Entropiesatzes. Das Lustprinzip erhöht zu Werten, zu Lustwerten zu 
Lebenswerten jene Objekte, Handlungen und Affekte, die energetisch Ab- 
laufe ln der Richtung der Entropiesteigerung des ^^ ^^ 

f« die opümale Entropiegröße erreicht, nach Erfüllung seiner Aufgabe' 



Der Entropiesat: und Jer Todestricli 



„geht das System beruhigt schlafen", seine Funktion setzt aus. Ohne seine 
energieentwertende Arbeit steigt aber das Potential bald wieder zu einer 
Größe an, die das System Person zu neuer Arbeit weckt. 

Wenn so die Lusterlebnisse an Herabminderung des Potentials gebunden 
sind und wenn diese sich, man möchte sagen, als physikalische Gewalt 
durchsetzt, so erhebt sich eigentlich die Frage, wie es überhaupt zu Un- 
lusterlebnissen kommt oder zu anderen als ganz kurzen initialen Unlust- 
spannungen, die alsbald lustvoll abgeglichen werden? 

Es liegt, nach Fechner-Freud, nahe, den Unlusterlebnissen Vorgänge im 
System Person zuzuordnen, die den Lustbedingungen entgegengesetzt sind, 
also anzunehmen, Unlust trete dann auf, wenn das Potential des Systems 
Person zunimmt. Welches sind die Bedingungen im Systemdual, unter 
denen solche andauernde Zunahme des Potentials, entgegen der „natur- 
lichen Richtung" der Naturvorgänge, eintreten kann? 

Bei der Besprechung der Wahrnehmung haben wir zu zeigen versucht 
U S 80 und S 88 f.], wie durch die Wirkung der Intensitäten der Umwelt. 
Energien dem System Person zugeführt werden, und wie durch Persomerung 
dieser Energie das Potential verringert wird. Die zugeführte Energie ge- 
langt durch die Sinnesorgane in den Zentralapparat. Durch diese Abgabe 
der Energie an den Zentralapparat, durch ihre Personierung, d. h. durch 
die Erhöhung des Energieniveaus an dem einen Teil des Systemduals, wird 
die Abnahme des Potentials erreicht. Andererseits ist diese Abgabe an das 
Bestehen einer Intensitätsdifferenz zwischen den Zellen und dem Zentral- 
apparat, also an das Vorhandensein des Potentials gebunden. Bei einer 
weitgehenden Verminderung muß die Bewältigung der Energien, die dem 
System von der Außenwelt durch die Reize zugeführt werden, auf Schwierig- 
keiten stoßen. Die zugeführte Energie wird in den Sinnesorganen, im 
Systemteil Zelle — am Modell: im Zylinder — verbleiben müssen, dessen 
Intensität erhöhen, also ein Steigen des Potentials herbeiführen. So zeigt 
sich daß die Vorstellung vom Systemdual auch eine energetische Deutung 
der Unlust ermöglicht. Diese ist an Zustände mit geringem Potential ge- 
bunden, wie sie bei der Ermüdung, vor dem Einschlafen, angenommen 
seien- was auch mit der Empirie übereinstimmt, denn diese Zustände sind 
dadurch ausgezeichnet, daß Reize als unlustvoll erlebt werden, ihre Ursachen 
— die Objekte — gemieden und ausgeschaltet werden. 

Ist das Verhalten der Person bei hohem Potential durch eine Zuwendung 
zu den Objekten, durch ein libidinöses Begehren nach ihnen ausgezeichnet, 
so könnte man den Zustand mit minimalem Potential (im Modell Gleichheit 



2! Siegfried BeriifelJ und Serge, FeitelLcr« 



der Temperatur des Zylinders und der Kugel), in dem Reize und Objekte 
gemieden werden, als Objektflucht, als narzißtisch beschreiben. Reizhunger 
und Objektflucht wären als zwei wohlunterscheidbare Verhaltensweisen 
des Systems Person energetisch wohl zu begreifen. Beide streben durch 
personale Regulation Entropie an, aber unter je verschiedenen Maschinen- 
bedmgungen. Die Diskussion des Energiehaushaltes im Systemdual bei Ge- 
ringem Potential gibt Auskunft auf die Frage, die am Schluß unseL 
zweiten Arbeit ,] offen gelassen werden mußte: Unlustvolle Bewußtseins- 
vorgange treten dann auf wenn die Intensitätsvermehrung im Zentralappara, 

D? ß a s r :\ r gien der Zeiien zum z ^^v^ ««w * 

Daß also trotz des Lustprinzips und dem physikalischen Entropiestreben 

mTZte ^ r ^ menSChHche Leben unter Sü viel wS 2 

lauft, findet seinen Grund m den Bedingungen des Systemduals, die bei 
gewissem Zustand der Energieverteilung zu vorübergehender Dy funktion 
fuhren Daß diese Möglichkeit in der Tat so überaus reichlich realisl" 
-d hat semen Grund in all den sozialen und psychologischen Beding 
und Kompilierungen des natürlichen Geschehensablaufs, über die die 
Psychoanalyse zureichende Auskunft zu geben vermag Fe i au- V 

RinwWtn»«.». i . • . . S eDe n vermag. Es sind historische 

Unwtrtetngen (on.ogenettsche, phylogenetische und durch die historisch 
gewogen Bedingungen de« sozial Ortes, an dem da, Individuum eb 

verbieten „eiche zu emer lu S ,vo]len Abweichung der Spannungen führen 
Z dl s'ri ^ ? ™*-™***»A *e Laiita^nd Ob" 

Ma!chine W nt r „L h ' !inliCh "Y" ^*» tto » U « "**■» >• 1« ungewöhnliche 
To «Wd ff 'T "• Physi0l< * is<:he Erschwernisse für deu Ausgleich der 
s«ften o T J t Chm " " °»~-™*" Unlustentwicklung, 

namBnsch abgeschlossen machen. Es „are vor allem zu erwarten, daß Wer- 
bet patholog.sche Struktur de« Zentralappara,« bedeutsam beteilig, i«, (wö- 
bet unter Straten, die Energiekapazität in beiden Bedeutungen des Worte« 
verstanden sei [ 4 , S. 3S ff.]). oe« Wortes 

E« scheint uns, «owei, hierüber vor experimentell psychoanalytischer 
Artet eme Aussage möglich ist, sehr wohl denkbar, das Lustprinzip al« 
wln " Emr0 P ieSMZ<!s ■* to *—»«i der Person zu er- 



r 



Der Entropiesat: und der Todestrieb 9-3 



Die Aufgabe, die dieser Arbeit gesetzt ist, kann aber damit noch nicht 
erledigt sein, denn der Gedankengang Freuds, den wir bisher ausschließ- 
lich verfolgten, hat in der psychoanalytischen Diskussion wenig Beachtung 
gefunden. Wenn vom Todestrieb geredet wird, stehen eine ganze Reihe 
anderer Elemente der Freudschen Konstruktion im Vordergrund. Vor allem 
das Sterben als Ereignis. Man kann gelegentlich bei psychoanalytischen 
Autoren die Auffassung finden, als wäre das frühe Hinsterben von Kindern 
oder auch von Erwachsenen eine Äußerung ihres Todestriebes (z. B. 
Ferenczi, 9). Wobei der Natur der Sache nach diese Meinung klinisch 
nicht belegbar ist, da es ja zum Wesen des Todestriebes gehört, unauf- 
fällig oder völlig unauffindbar zu sein. Vom energetisch -ökonomischen 
Gesichtspunkt aus kann die Berechtigung dieser Hypothese nicht ent- 
schieden werden. Hingegen sei darauf hingewiesen, daß jedenfalls das 
Sterben, wie wir oben ausführten, kein energetisch faßbarer Begriff ist, 
und biologisch wohl als Triebziel im eigentlichen Sinn des Wortes nicht 
aufgestellt werden kann. Daß Sterben und Tod auch kein Triebziel des 
Es sein können, hat Freud wiederholt betont. Es könnte sich also nur um 
ein Ich-Ziel oder um eine Über-Ich-Forderung handeln. Jedoch sei gerne 
zugegeben, daß anhaltend fehlendes Geliebtwerden, dauernde Unbefriedigung 
und Unlust für die Funktionskraft des Systems Person schädlich sein können. 
Beim Selbstmord scheint man allerdings geradezu vor einer Äußerung des 
„Todestriebes" zu stehen. Die Analyse zeigt freilich immer wieder nichts 
anderes, als komplizierte libidinöse Situationen, unerbittliche Über- Ich- 
Ansprüche, Identifizierungen und schließlich Haß gegen das eigene Ich 
oder den eigenen Körper, dessen Ursprung an Objekten nachweisbar zu 
sein pflegt. Was am Selbstmord rätselhaft bleibt, die Intensität des Hasses 
oder andere schwerfaßbare qualitative Eigentümlichkeiten, haben vielleicht 
mit dem Resultat, der Selbstzerstörung, wenig zu tun. Sie werden, wie 
der entsprechende Anteil des Sadismus, eher dem Destruktionstrieb als dem 
Todestrieb (Nirwanaprinzip) zuzuschreiben sein. 

Die eigentliche Schwierigkeit bildet in der psychoanalytischen Diskussion 
aber dieser Destruktionstrieb selbst. Wenn Freud in „Jenseits des Lustprinzips" 
den biologisch-spekulativen Todestrieb im Ich als Lustprinzip wiederfindet 
(worüber wir bisher ausschließlich gesprochen haben), so hat Freud seit- 
dem immer deutlicher eine Identifizierung des Todestriebes mit dem 
Destruktionstrieb vorgenommen; er verwendet beide Termini füreinander: 
„Todes- oder Destruktionstrieb." Und die Frage wäre, ob diese Identifi- 
zierung auch vom energetisch-ökonomischen Gesichtspunkt aus zu recht- 



94 Siegfried BernfeU und Seraei FeitelL 



erg 



fertigen ist. Die folgende Erörterung zeigt, daß dies nicht möglich ist 
wenn der Todestrieb, den Freud mit dem Destruktionstrieb identifiziert 
nicht selbst bereits einen anderen Sinn bekommen hat als jener Todes- 
trieb, der in „Jenseits des Lustprinzips" als Spezialfall des Stabilitätsprinzips 
aufgefaßt wurde. Aus Freuds Schriften der letzten Jahre ist darüber bündiger 
Entscheid nicht zu gewinnen. Aber es fällt doch auf, daß Freud den Todes- 
oder Destruktionstrieb ohne biologisch-theoretische Charakterisierung schon 
gar nicht in Verbindung mit dem Stabilitätsprinzip, sondern immer nur 
als psychologische (als dynamische, nicht mehr als ökonomische) Gegeben- 
heit, als Gegenstück zum Sexualtrieb, nicht aber in Beziehung zum Lust- 
prinzip betrachtet. So heißt es z. B, „Es ist zuzugestehen, daß wir letzteren 
(den lodestneb) um so viel schwerer erfassen, gewissermaßen nur als Rück- 
stand hinter dem Eros erraten, und daß er uns sich entzieht, wo er nicht 
durch die Legierung mit dem Eros verraten wird." [// S 06 1 

Destruktionstrieb und Sexualtrieb sind zwei wohlunterscheidbare Ver- 
haltensweisen der Person gegenüber ihrer Umwelt; sie sind zweifellos als 
zwei verschiedene Triebe verstehbar. Trieb ist der Drang nach Wieder- 
herstellung einer verlorengegangenen Befriedigungssituation [xj]. Wenn 
auch nicht deutlich eine bestimmte Befriedigungssituation angebbar ist, die 
,e einem dxeser beiden Triebe ausschließlich zukäme, so ist doch im ganzen 
die Richtung des Destruktionstriebes die Wiederherstellung der Befriedi- 
gungssnuauon durch Vernichtung der Umwelt und wohl auch durch Ab- 
schluß von den Objekten; die Richtung des Sexualtriebes: durch Zuwendung 
zur Umwelt, durch Festhaltung der Objekte, also durch deren Erhaltung 
die Befriedigung zu erreichen. Liebe bezeichnet den einen, Haß bezeichnet 
den anderen Trieb. Diese beiden Triebe sind gewiß biologischer Natur 
aber mcht wie der Todestrieb bloß biologisch-theoretisch, sondern diese 
be,den wohlunterscheidbaren Verhalten sind auch in der Tierwelt bis zu 
den Protozoen als konkrete Fakta nachweisbar. Wenn Freud die Bemer- 
kung macht, daß es der Psychoanalyse so merkwürdig schwer wurde, den 
Destruktionstrieb anzuerkennen [r S , S. 94 ], s0 i st dem Biologen gerade 
das Destruktionsverhalten, das unbestreitbar gegebene, während Handlungen 
der Liebe, die nicht mit einem destruktiv gefärbten Sexualtrieb verbunden 
waren, schwieriger aufzufinden sind. Auch beim Studium der frühesten 
Kindheit zeigt sich deutlich, daß ursprünglich, in den ersten Lebenswochen 
jenes Verhalten, das die Reize der Umwelt ablehnt, sich vor ihnen ver^ 
schließt, sie „haßt", vorherrschend ist [Bernfeld, /]. Wenn allmählich die 
Umwelt interessant und reizvoll zu werden beginnt, so richtet sich zu- 



Der Entropiesat: und der Todestrieb 



90 



nächst der Trieb des Säuglings darauf, sich ihrer zu bemächtigen, um sie 
oral zu vernichten oder wegzuwerfen 5 schließlich mündet dieser Bemächti- 
gungsdrang in eine aktive, aggressive, destruktive Phase, die der prägeni- 
talen Entwicklung des Kindes einen deutlich sadistischen Charakter gibt. 
In der „Psychologie des Säuglings" [1] werden alle diese Fakten nach 
ihrem ursprünglichsten Ziel: die durch die Störungswerte der Umwelt und 
durch die Hungerreize unterbrochene Schlafruhe wiederherzustellen, als 
Ruhetrieb" unifiziert. „Destruktionstrieb" bezeichnet aber die spätere Ent- 
wicklung sehr viel klarer. Er ist der exquisit konservative Trieb, der die 
Erhaltung des Schlafzustandes, der narzißtischen Ruhe, intendiert, die Welt 
als Störung erlebt und behandelt, sich ihr entzieht oder sie vernichtet. 
Ontogenetisch ist der Destruktionstrieb als Schlafhüter, als Hunger, als 
Bemächtigungsdrang der ursprünglichere. In Anlehnung an seine Befriedi- 
gung erfährt der Säugling die Lust der erogenen Zonen und entwickelt 
durch Milderung, Einschränkung und Verwandlung der Destruktionstrieb- 
handlungen Zärtlichkeitsäußerungen, libidinöse Objektzugewandtheit.' 

Beim Studium des Sexualtriebes und des Destruktionstriebes (auch bei 
der Ausdehnung dieses Studiums auf die Lebewesen überhaupt), bei der 
Aufzeigung ihrer Unterschiede, ihrer Entstehung, ihrer gegenseitigen Be- 
dingtheiten, der Geschichte ihrer Triebziele, der individuellen und säku- 
laren Entwicklung der Befriedigungsmittel bleiben wir im Reiche des 
Qualitativen. Es sind Fragestellungen, die Freuds dynamischem Gesichts- 
punkt zugehören. Wenn auch die Triebe allgemein charakterisierbar sind 
als auf Befriedigung gerichtet und wenn die Befriedigung auch tatsächlich 
die Herstellung eines Ru he- oder Gleichgewichtszustandes ist, und selbst 

1) Die sehr enge Beziehung zwischen Narzißmus und Destruktionstrieb, die hier 
vertreten wird, und die von Bernfeld [r] ausführlich dargestellt wird, kann hier nicht 
näher begründet werden. In der Arbeit über Fascination [2] ist gezeigt worden, wie 
die Vorstufen libidinöser Identifizierung an die Bedingung der Unterdrückung der 
motorischen Aktion (Bemächtigung) gebunden sind. - Vielleicht liegt in dieser Rich- 
tung die Möglichkeit, zu konkreteren Vorstellungen über die Energie des Todes- oder 
Destruktionstriebes im Gegensatz zur Libido [ij, S. 95] zu gelangen- — In der fol- 
genden Bemerkung scheint Freud auf die Verwandtschaft zwischen Narzißmus und 
Destruktionstrieb und den Prozeß der Verbindung mit der Libido hinzuweisen: „Aber 
auch wo er ohne sexuelle Absicht auftritt, noch in der blindesten Zerstörungswut 
läßt sich nicht verkennen, daß seine Befriedigung mit einem außerordentlichen hohen 
narzißtischen Genuß verknüpft ist, indem sie dem Ich die Erfüllung einer alten All- 
macht zeigt. Gemäßigt und gebändigt, gleichsam zielgehemmt muß der Destruktions- 
trieb, auf die Objekte gerichtet, dem Ich die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse 
und die Herrschaft über die Natur verschaffen" [rf, S. 96]. Hierher ist vielleicht auch 
die Wendung zu rechnen, die Todestriebe wollten Ruhe haben und den Störenfried 
Eros . . . zur Ruhe bringen [6, S. 405]. 



9" Siegfried Bernfcld und Sergei Fcitclbcr^ 



wenn dieser Gleichgewichtszustand der „Entspannung" identifizier bar wäre 
mit einem physikalischen Gleichgewichtszustand, so handelt es sich dabei 
doch nur um eine ganz allgemeine Aufstellung, die zur Charakterisierung 
eines Triebes, zur Unterscheidung von anderen Trieben nicht ausreicht. 
Die erstrebte Befriedigung (und wäre sie auch physikalisch Entropievermeh- 
rung des Systems) ist allemal eine historisch gewordene außerenergetisch 
mitbedingte, qualitativ bestimmte Situation. Energietheoretisch ist nur ihr 
quantitativer Aspekt sinnvoll betrachtbar. Das Qualitative und Historische 
gehört anderen Gesichtspunkten zu. Es wird freilich auch für den ener- 
getisch-ökonomischen Standpunkt erfaßbar, soweit es in die Maschinen- 
bedingungen des Systems oder der integrierten Untersysteme eingeht. Dies 
für den Fall Destruktionstrieb und Sexualtrieb zu prüfen, muß künftigen 
Forschungen überlassen bleiben. 

Doch sei eine Andeutung gewagt. Haben wir doch bei der Ableitung 
der Unlust aus den Maschinenbedingungen des Systemduals einen Zustand 
kennengelernt, bei dem durch die energetische Intensitätsverteilung, um 
das Minimum von Potential zu sichern, die Ausschaltung, Vernichtung der 
Reizquellen, also der Objekte, notwendig wird. Dies entspräche vielleicht 
der psychischen Situation, in der Außenweltreize als Störungswerte erlebt 
werden, die vernichtet werden müssen, wenn sie nicht ignoriert werden 
können, also dem Destruktionstrieb. 

Faßte man alle Aussagen, die Freud über den Todestrieb im Laufe der 
Zeit, von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehend, bei verschiedenen An- 
lässen machte, als eine Einheit zusammen, weil sie mit demselben Wort 
Todestrieb bezeichnet sind, so gelangte man zu einem energetisch wider- 
spruchsvollen Gebilde, indes Freud mit Betrachtungen vom dynamischen 
und ökonomischen Gesichtspunkt aus wechselt. Für den Destruktionstrieb 
ist „Todestrieb " ein Synonym, hat als Partner den Sexualtrieb und ist ein 
dynamischer Begriff der Trieblehre, somit auch zugleich ein historischer, 
der qualitative Elemente entscheidend mitenthält. Er ist im Ich auffindbar, 
wie der Sexualtrieb, er erscheint natürlich meistens mit ihm gemischt und 
bietet vielleicht mehr, aber keine andersartigen, Forschungsprobleme als 
der Sexualtrieb. Bei seiner Ubiquität hat er biologische Geltung. Als psycho- 
physischer Grenzbegriff, wie der Sexualtrieb, ist er auch physiologischer 
Betrachtung zugänglich, nicht aber der energetischen. 

Etwas „anderes" als Destruktionstrieb ist der Todestrieb nur dann, wenn 
er als der biopsychische Spezialfall des Stabilitätsprinzips gemeint wird. 
Physikalisch prägnanter: wenn mit dem Wort Todestrieb das allgemeine 



Der Entropiesati und der Todestrieb 07 

Entropiestreben aller Systeme in der Natur bezeichnet werden soll. Es würde 
sich empfehlen, solch allgemeines Systemverhalten nicht als Trieb zu be- 
zeichnen; denn diese Terminologie verdunkelt das Problem: welche Funktion 
die Triebe (Destruktionstrieb und Sexualtrieb) für das allgemeine System- 
verhalten, den Ausgleich der Intensitätsdifferenzen haben. 

Sollten diese Betrachtungen einen richtigen Kern enthalten, so würde 
allerdings die Freudsche Konstruktion des Todestriebes die philosophische 
Schönheit verlieren, die sie so anziehend, aber auch so umstritten macht. 
Den Gegensätzen Destruktionstrieb und Sexualtrieb stellt nämlich Freud 
den Gegensatz von Todestrieb und Eros entgegen. In der biologisch-physi- 
kalischen Fassung des Todestriebes ist nun für den Eros kein Raum. Die 
Energielehre kennt keinen Partner, Gegenspieler und Gegenkämpfer gegen 
die Entropiegesetzlichkeit, wenigstens keinen anderen als die „Maschinen- 
bedingungen , welche gegebenenfalls den Weg zur Entropie verlängern 
und Umwege erzwingen. Auch die Zusammenfassung immer größerer Sub- 
stanzmengen zu Einheiten ist nicht die Richtung des physikalischen Geschehens, 
das vielmehr nicht nur die Zerstreuung der Energie, sondern auch die Zer- 
streuung der Substanz intendiert. Die philosophisch befriedigende Idee von 
„Antitodeskräften" ist physikalisch kaum, energietheoretisch gewiß nicht 
sinnvoll. Der Todestrieb als Systemverhalten hat keinen Eros zur Seite. 
Eros ist kein allgemeines Systemverhalten, sondern für die organischen 
Systeme spezifisch. Ebenso wie die Tendenz zur Destruktion kein physi- 
kalisches Verhalten der Systeme ist, sondern gleichfalls für die organischen 
Systeme spezifisch ist. Diese beiden Verhaltensweisen haben im engsten 
Sinn des Wortes die Dignität des Triebes, der das Verhalten organischer 
Systeme von den anderen unterscheidet. 

Vielleicht hat man den Eindruck, daß diese Gedanken zu einem Monismus 
tendieren, der dem von Freud streng festgehaltenen Triebdualismus wider- 
spricht. Insbesondere mag sich bei unserer Gleichsetzung von Libido mit 
freier Energie (Potential der Person) [4, S. 51] eine Ähnlichkeit zu dem 
psychoenergetischen Monismus Jungs, seiner Gleichsetzung von Libido und 
Energie (Urlibido) aufdrängen. Eine Auseinandersetzung mit Jung sei an 
dieser Stelle vermieden. Was er Energetik nennt [17], hat mit dem physi- 
kalischen Begriff der Energie kaum das Wort gemeinsam. Gerade im Inter- 
esse der Durchführung des Triebdualismus muß die Einheitlichkeit der 
Energie und ihre Abgrenzung gegen die Mannigfaltigkeit (Dualismus) der 
Triebe scharf betont werden. Energie ist eine Maßgröße für die Fähig- 
keit, Arbeit zu leisten. Es ist also „dieselbe" Energie, die als Libido und 



9" Siegfried Bernfeld und Sergej Feitelterg 



die als Triebkraft des Destruktionstriebs wirkt. Die freie Energie des Systems 
Person, sein Potential, kann nur, „monistisch" berechnet, gemessen werden. 
Das Potential hat auch nur eine Richtung, wie alle Energiebewegung in 
der Natur, die auf Verringerung. Es liegt an den spezifisch organischen System- 
bedingungen, daß die Organismen diese eine Richtung auf zwei qualitativ 
so verschiedenen, phänomenal so entgegengesetzten und bewußt als so in- 
kommensurabel erlebten Wegen verfolgen müssen; psychoanalytisch: als 
Äußerungen des Destruktions- und Sexualtriebes. 

Wir haben versucht, über diese spezifischen Systembedingungen etwas 
zu erraten: Wenn energetische Prozesse in einem Systemdual unter den 
Maschinenbedingungen der Osmose so ablaufen, daß eine einheitliche Poten- 
tialdifferenz zwischen seinen beiden Systemteilen (Zentralapparat [Gehirn 
plus Nervensystem] und Zellen [Körper]) entsteht, so drängt die Entropie- 
gesetzlichkeit auf Herabminderung des Potentials. Dies kann, solange das 
Potential einen gewissen Minimumwert nicht überschreitet, durch Abschluß 
des Systems von Energiezufuhren aus der Außenwelt erreicht werden. Andern- 
falls aber nur, indem neue Energiemengen in das System zugeführt werden. 
Unser physikalisches Modell kann also auf zwei einander entgegengesetzten 
Wegen zur Erreichung seiner Entropie gelangen. Diese beiden Wege ent- 
sprechen dem narzißtisch-destruktiven und dem objektlibidinösen Verhalten. 
Genauer gesagt, diese beiden Triebverhalten sind in ihrem energetischen 
Anteil mit den beiden Modellverhalten identisch. So daß bei voller Auf- 
rechterhaltung des Triebdualismus, die Einheitlichkeit der Richtung des 
physikalischen Geschehens im System besteht. Ja, diese „Zurückführung" 
der beiden Triebe auf das sie beide umfassende einheitliche energetische 
Geschehen, sichert die Freudsche These, daß die beiden Triebsgruppen dyna- 
misch wesensverschieden sind. 

Das allgemeine System verhalten, das unter dem Namen des Le Chate- 
lierschen Prinzips bekannt ist \j] und das besagt, jedes System setze den 
Einflüssen der Außenwelt Widerstand entgegen, tendiere also auf „Selbst- 
erhaltung", ist eine spezielle Formulierung des umfassenderen Entropie- 
satzes. Es gilt für Systeme im stabilen Gleichgewicht. Das System Person 
kann sich nicht einfach im Sinne des Prinzips von Le Chatelier verhalten, 
weil es nur in besonderen Grenzzuständen ein stabiles Gleichgewicht (wenig- 
stens über kurze Zeiträume hin, z. B. im Schlaf) besitzt. In diesen Zu- 
ständen besteht das Systemverhalten auch tatsächlich nur in den einfachsten 
Handlungen des Widerstandes oder der Folgsamkeit, des „Ruhetriebes" (des 
Destruktionstriebes). Im allgemeinen aber hat es nicht nur die Aufgabe der 



Der Entropiesati und der Todestrieb 99 



Außenwelt gegenüber zum Energieausgleich zu kommen, der bald zu einem 
stabilen Zustand führen würde, sondern hat die in seinem Innern ent- 
stehenden Energiedifferenzen zu bewältigen und hat daher den komplizier- 
teren Mechanismus des Reizhungers, des libidinösen Verhaltens, der Sexual- 
triebe, nötig. 

Es ergibt sich aus der Hypothese des Systemduals, daß die Dignität des 
Triebes, als des spezifischen Verhaltens lebender Systeme (osmotischer System- 
duale), bloß dem Sexual- und dem Destruktionstrieb zukommt, während der 
Todestrieb, im Sinne des Nirwanaprinzips, allgemeines Systemverhalten in 
der Natur ist, (somit auch der sogenannte „Selbsterhaltungstrieb" [)]), das 
auf der Systemhöhe Person unter ihren historisch gewordenen Maschinen- 
bedingungen nur durch das Wirken von Destruktions- und Sexualtrieben 
gesichert wird. 

.Literaturverzeichnis 

1) Siegfried Bernfeld: Psychologie des Säuglings. Wien 1925. 

2) Siegfried Bernfeld: Faszination. Imago, 1928, Bd. XIV, S. 76. 

5) Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelberg: Das Prinzip von Le Chatelier 
und der Selbsterhaltungstrieb. [In diesem Bande, S. 5 ff.] 

4) Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelberg: Über psychische Energie, Libido 
und deren Meßbarkeit. [In diesem Bande, S. 15 ff.] 

5) Siegfried Bernfeld und Sergei Feitelberg: Über die Temperatur differenz 
zwischen Gehirn und Körper. [In diesem Bande, S. 66 ff.] 

6) Cohen-Kysper: Die mechanistischen Grundgesetze des Lebens. Leipzig 1914- 

7) Crile, Rowland und Telkes: An interpretation of Excitation, Exhaustion 
and Death in Terms of Physical Constants. Proceedings of the National Academy 
of Sciences of U. S. A. 1928, Bd. XIV, S. 532. 

8) Rudolf Ehrenberg: Theoretische Biologie vom Standpunkte der Irreversibilität 
des elementaren Lebensablaufs. Berlin 1923. 

9) S. Ferenczi: Das unwillkommene Kind und sein Todestrieb. Internationale 
Zeitschrift für Psychoanalyse. 1929, Bd. XV, S. 149. 

10) Freud: Das ökonomische Problem des Masochismus. Ges. Schriften, Bd. V, 

S. 374. 

11) Freud: Jenseits des Lustprinzips. Ges. Schriften, Bd. VI, S. 18g. 

12) Freud: Das Ich und das Es. Ges. Schriften, Bd. VI, S. 355. 
13} Freud: Selbstdarstellung. Ges. Schriften, Bd. XI, S. 118. 

14) Freud: Psychoanalyse und Libidotheorie. Ges. Schriften, Bd. XI, S. 201. 

15) Freud: Das Unbehagen in der Kultur. Wien 1930. 

16) A. Herzberg: Das Stabilitätsprinzip in der modernen Psychologie. Annalen 
der Philosophie und philosophischen Kritik. 1929, Bd. VIII, S. 238. 

17) G. G. Jung: Über die Energetik der Seele. Zürich 1928. 

18) N ernst: Das Weltgebäude im Lichte der neueren Forschung. Berlin 19a l, 

19) L. W. Stern: Der zweite Hauptsatz der Energetik und das Lebensproblem. 
Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. 1903, Bd. CXXI, S. 175. 

20) Max Verworn: Allgemeine Physiologie. 6. Auflage. Jena 1915. 



In halts Verzeichnis 

Seite 

Das Prinzip von Le Cbatelier und der Selbsterhaltungstrieb 5 

Über psychische Energie, Libido und deren Meßbarkeit . . 15 

I) „Psychische Energie" ]i 

II) Zur energetischen Deutung des Weber-Fechnerschen 

Gesetzes 22 

III) Strukturierung 25 

IV) Über Meßbarkeit der personierten Energie 40 

V) Personierte Energie und Libido 51 

VI) Entropie 56 

Über die Temperaturdifferenz zwischen Gehirn und Körper 66 

Der Entropiesatz und der Todestrieb 80 











3 



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