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Full text of "Coudenhove-Kalergi-Praktischer-Idealismus"

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R. N. COUDENHOVE KALERGI 

PRAKTISCHER IDEALISMUS 

ADEL - TECHNIK - PAZIFISMUS 

1925 

PANEUROPA - VERLAG 

WIEN-LEIPZIG 



IJBR069031840355 



AUe Rechte Vorbehalten 
Copyright 1 925 by Pan-Europa- Verlag 
Druck der Elbemilhl Papierfabriken und 
Graphische Industrie A. G., Wien VI. 



INHALT 

VORWORT 4 

VOM RUSTIKALEN UND URBANEN MENSCHEN 8 

l.LANDMENSCH-STADTMENSCH 9 

2. JUNKER - LITERAT 12 

3. GENTLEMAN - BOHEMIEN 16 

4. INZUCHT - KREUZUNG 20 

5. HEIDNISCHE UND CHRISTLICHE MENTALITAT 24 

KRISEDESADELS 29 

6. GEISTESHERRSCHAFT STATT SCHWERTHERRSCHAFT 31 

7 . ADELSDAMMERUNG 34 

8. PLUTOKRATIE 39 

9. BLUTADEL UND ZUKUNFTSADEL 44 

10. JUDENTUMUNDZUKUNFTSADEL 49 

AUSBLICK 55 

APOLOGIEDERTECHNIK 1922 59 

L DAS VERLORENE PARADES 61 

l.DERFLUCHDERKULTUR 61 

2. ENTFALTUNG UND FREIHEIT 62 

3.UBERV0LKERUNGUNDN0RDWANDERUNG 64 

4. GESELLSCHAFTUNDKLIMA 64 

5. BEFREIUNGSVERSUCHEDERMENSCHHEIT 66 

II. ETHIK UND TECHNIK 68 

1 . DIE SOZIALE FRAGE 68 

2. UNZULANGLICHKEIT DER POLITIK 69 

3. STAAT UND ARBEIT 70 

4. ANARCHIE UND MUSSE 71 

5. UBERWINDUNG VON STAAT UND ARBEIT 72 

6. ETHIK UND TECHNIK 73 

III. ASIEN UND EUROPA 75 

1. ASIENUNDEUROPA 75 

2. KULTUR UND KLIMA 77 

3.DIEDREIRELIGI0NEN 79 

4. HARMONIE UND KRAFT 80 

IV. EUROPAS TECHNISCHE WELTMISSION 83 

l.DEREUROPAISCHEGEIST 83 

2. HELLAS ALS VOR - EUROPA 84 

3. DIE TECHNISCHENGRUNDLAGEN EUROPAS 85 

4. TECHNISCHE WELTWENDE 87 

5. EUROPA ALS KULTURTANGENTE 88 

6. LIONARDO UND BACON 90 

V. JAGD - KRIEG - ARBEIT 91 

l.MACHT UND FREIHEIT 91 

2. JAGD 92 

3. KRIEG 92 

4. ARBEIT 93 

5. DERKRIEGALSANACHITONISMUS 94 

6. TECHNIK 95 

VI. DER FELDZUG DER TECHNIK 97 

1. EUROPAS MAS SEELEND 97 

2. KOLONIALPOLITIK 98 

3. SOZIALPOLITIK 99 

4. TECHNISCHE WELTREVOLUTION 101 

5. DIE ARMEE DER TECHNIK 102 

6. DER ELEKTRISCHE SIEG 102 

7. DERERFINDERALSERLOSER 104 

VII. ENDZIEL DER TECHNIK 106 

1. KULTUR UND SKLAVEREI 106 



2. DIE MASCHINE 107 

3. ABBAUDERGROSSTADT 109 

4. DAS KULTURPARADIES DES MIILLIONARS Ill 

VIII. DER GEIST DES TECHNISCHEN ZEITALTERS 114 

l.HEROISCHERPAZIFISMUS 114 

2. DER GEIST DER TRAGHEIT 115 

3. SCHONHEIT UND TECHNIK 116 

4. EMANZIPATION 118 

5. CHRISTENTUM UND RITTERTUM 120 

6. DIE BUDDHISTISCHE GEFAHR 121 

IX. STINNES UND KRASSIN 124 

1. WIRTSCHAFTSSTAATEN 124 

2. DAS RUSSISCHE FIASKO 125 

3. KAPITALISTISCHE UND KOMMUNISTISCHE PRODUKTION 127 

4. SOLDNER UND SOLDATEN DER ARBEIT 130 

5. SOZIALER KAPITALISMUS - LIBERALER KOMMUNISMUS 132 

6. TRUST UND GEWERKSCHAFTEN 134 

X. VOMARBEITSSTAATZUMKULTURSTAAT 136 

l.KINDERKULT 136 

2. ARBEITSPFLICHT 138 

3.PR0DUZENTEN-UNDK0NSUMENTENSTAAT 141 

4. REVOLUTION UND TECHNIK 143 

5. GEFAHREN DER TECHNIK 146 

6. ROMANTIK DER ZUKUNFT 148 

PAZIFISMUS 1924 153 

l.ZEHNJAHREKRIEG 155 

2. KRITIK DES PAZIFISMUS 158 

4. REFORM DES PAZIFISMUS 164 

5. WELTFRIEDENUNDEUROPAFRIEDEN 167 

6. REALPOLITISCHES FRIEDENSPROGRAM 171 

7. FORDERUNGDESFRIEDENSGEDANKENS 177 

8. FRIEDENSPROPAGANDA 181 

9. NEUES HELDENTUM 187 



VORWORT 

Praktischer Idealismus ist Heroismus; praktischer Materialismus ist Eudamonismus. Wer nicht an 

Ideale glaubt, hat keinen Grund, ideal zu handeln; oder fiir Ideale zu kampfen und zu leiden. 

Denn er kennt und anerkennt nur einen einzigen Wert: die Lust; nur ein einziges Ubel: den 

Schmerz. 

Heroismus setzt glauben und Bekenntnis zum Ideal voraus: Die Uberzeugung, dass es hohere 

Werte gibt als Lust und groBere Ubel als Schmerz. 

Dieser Gegensatz zieht sich durch die ganze Menschheitsgeschichte; es ist der Gegensatz von 

Epikuraern und Stoikern. Dieser Gegensatz ist viel tiefer als der zwischen Theisten und 

Atheisten: denn es gab Epikuraer, die an Gotter glaubten, wie Epikur selbst; und es gab 

Idealisten, die Atheisten waren wie Buddha. 

Es handelt sich also hier nicht um den Glauben an Gotter - sondem um den Glauben an Werte. 

Der Materialismus ist voraussetzungsloser - aber phantasieloser und unschopferischer; der 

Idealismus ist immer problematisch und verstrickt sich oft in Unsinn und Wahnsinn: dennoch 

verdankt ihm die Menschheit ihre groBten Werke und Taten. 

* 

Heroismus ist Aristokratie der Gesinnung. Heroismus ist mit dem aristokratischen Ideal ebenso 
verwandt, wie Materialismus mit dem demokra- [III] 



tischen. Auch Demokratie glaubt mehr an die Zahl als an den Wert, mehr an Gliick als an GroBe. 

Darum kann politische Demokratie nur dann fruchtbar und schopferisch werden, wenn sie die 

Pseudo-Aristokratie des Namens und des Goldes zertriimmert, urn an deren Stelle eine neue 

Aristokratie des Geistes und der Gesinnung ewig neu zu gebaren. 

Der letzte Sinn der politischen Demokratie also ist: geistige Aristokratie; sie will den 

Materialisten GenuB schaffen, den Idealisten Macht. 

Der Fiihrer soil an die Stelle des Herrschers treten - der edle Sinn an die Stelle des edlen Namens 

- das reiche Herz an die Stelle der reichen Tasche. Das ist der Sinn der Entwicklung, die sich 

demokratisch nennt. 

Jeder andere Sinn ware Kultur-Selbstmord. 

Darum ist es kein Zufall, daB Platon zugleich der Prophet der geistigen Aristokratie und der 

sozialistischen Wirtschaft war; und zugleich der Vater der idealistischen Weltanschauung. 

Denn beide, Aristokratie und Sozialismus, sind: praktischer Idealismus. 

Der asketische Idealismus des Siidens offenbarte sich als Religion; der heroische Idealismus des 

Nordens als Technik. 

Denn die Natur des Nordens war eine Herausforderung an den Menschen. Andere Volkerschaften 

unterwarfen sich; der Europaer nahm die Herausforderung an und kampfte. Er kampfte, bis er 

stark genug war, die Erde zu unterwerfen: er kampfte, bis er die Natur selbst, die ihn 

herausgefordert hatte, in seine Dienste zwang. 

Dieser Kampf forderte Heroismus und zeugte Heroismus. So wurde fiir Europa der Held das, was 

der Hei- [IV] 



lige fiir Asien war; und die Heldenverehrung erganzte die Heiligenverehrung. 

Das tatige Ideal trat an die Stelle des beschaulichen, und es gait als groBer, fiir ein Ideal zu 

kampfen, als zu leiden. 

Der Sinn dieser heroischen Weltmission hat Europa erst seit der Neuzeit ganz erfaBt; denn erst 

mit der Neuzeit beginnt sein technisches Zeitalter, sein Befreiungskrieg gegen den Winter. Dieses 

technische Zeitalter ist zugleich das Zeitalter der Arbeit. Der Arbeiter ist der Held unserer Zeit; 

sein Gegensatz ist nicht der Biirger - sondern der Schmarotzer. Ziel des Arbeiters ist - das 

Schaffen, des Schmarotzers - das GenieBen. 

Darum ist die Technik neuzeitliches Heldentum und der Arbeider praktischer Idealist. 

* 

Das politische und soziale Problem des 20. Jahrhunderts ist: den technischen Fortschritt des 19. 
einzuholen. Diese Forderung der Zeit wird dadurch erschwert, daB die Entwicklung der Technik 
ohne Pause sich im rascheren Tempo weiter vollzieht als die Entwicklung des Menschen und der 
Menschheit. Diese Gefahr kann entweder abgewendet werden, indem die Menschheit den 
technischen Fortschritt verlangsamt, oder indem sie den sozialen Fortschritt beschleunigt. Sonst 
verliert sie ihr Gleichgewicht und iiberschlagt sich. Der Weltkrieg war eine Warnung. So stellt 
Technik den Menschen vor die Alternative: Selbstmord oder Verstandigung! 
Darum wird die Entwicklung der Welt in den kommenden Jahrzehnten ohne Beispiel sein. Das 
heutige MiBverhaltnis von technischer [V] 



und sozialer Organisation wird entweder zu vernichtenden Katastrophen fiihren - oder zu einem 

politischen Fortschritt, der an Raschheit und Griindlichkeit alle historischen Vorbilder hinter sich 

laBt und ein neues Blatt der Menschheitsgeschichte eroffnet. 

Da die Technik der menschlichen StoBkraft und dem Heroismus neue Wege weist, beginnt der 

Krieg im BewuBtsein der Menschheit seine historische Rolle auszuspielen. Sein Erbe ist die 

Arbeit. Die Menschheit wird sich eines Tages organisieren, urn gemeinsam der Erde alles 

abzuringen, was sie ihr heute noch vorenthalt. Sobald diese Auffassung sich durchringt, wird 

jeder Krieg ein Biirgerkrieg sein und jeder Mord ein Mord. Das Zeitalter des Krieges wird dann 

ebenso barbarisch scheinen, wie heute das Zeitalter der Menschenfresserei. 

Diese Entwicklung wird kommen, wenn wir an sie glauben und fiir sie kampfen; wenn wir weder 

so kurzsichtig sind, die groBen Linien der Entwicklung aus den Augen zu verlieren - noch so 

weitsichtig, die praktischen Wege und Hindemisse zu iibersehen, die zwischen uns und unseren 

zielen liegen: wenn wir klarsichtig sind, und das klare wissen urn die bevorstehenden Kampfe 

und Schwierigkeiten verbinden mit dem heroischen Willen, sie zu iiberwinden. 

Nur dieser Optimismus des Wollens wird den Pessimismus der Erkenntnis erganzen und 

besiegen. 

Statt in den Fesseln der unzeitgemaBen Gegenwart zu verharren und tatenlos von besseren 

Moglichkeiten zu traumen, wollen wir also tatigen Anteil nehmen an der Entwicklung der Welt 

durch praktischen Idealismus. 

Wien, November 1925. 

[VI] 



ADEL1920 

Dem Andenken meines Vaters 

Dr. HEINRICH GRAF COUDENHOVE-KALERGI 

in Verehrung und Dankbarkeit 



ERSTER TEIL: 

VOM RUSTIKALEN UND URBANEN MENSCHEN 



1. LANDMENSCH - STADTMENSCH 

Land und Stadt sind die beiden Pole menschlichen Daseins. Land und Stadt zeugen ihre 
besonderen Menschentypen: den rustikalen und urbanen Menschen. 

Rustikalmensch und Urbanmensch sind psychologisch Antipoden. Bauern verschiedenster 
Gegenden gleichen einander seelisch oft mehr als den Stadtern der benachbarten GroBstadt. 
Zwischen Land und Land, zwischen Stadt und Stadt liegt der Raum - zwischen Stadt und Land 
die Zeit. Unter den europaischen Rustikalmenschen leben Vertreter aller Zeitalter: von der 
Steinzeit bis zum Mi ttel alter; wahrend nur die Weltstadte des Abendlandes, die den ekstremsten 
Urbantypus hervorgebracht haben, Reprasentanten neuzeitlicher Zivilisation sind. So trennen 
Jahrhunderte, oft Jahrtausende, eine GroBstadt vom flachen Lande, das sie umgibt. 
Der Urbanmensch denkt anders, urteilt anders, empfindet anders, handelt anders als der 
Rustikalmensch. Das GroBstadtleben ist abstrakt, mechanisch, rational - das Landleben konkret, 
organisch, irrational. Der Stadter ist rationalistisch, skeptisch, unglaubig - der Landmann 
emotionalistisch, glaubig, aberglaubisch. [9] 



Alles Denken und Fiihlen des Landmannes kristallisiert sich um die Natur, er lebt in Symbiose 
mit dem Tier, dem lebendigen Geschopf Gottes, ist verwachsen mit seiner Landschaft, abhangig 
von Wetter und Jahreszeit. Kristallisationspunkt der urbanen Seele hingegen ist die Gesellschaft; 
sie lebt in Symbiose mit der Maschine, dem toten Geschopf des Menschen; durch sie macht sich 
der Stadtmensch moglichst unabhangig von Zeit und Raum, von Jahreszeit und Klima. 
Der Landmensch glaubt an die Gewalt der Natur iiber den Menschen - der Stadtmensch glaubt an 
die Gewah des Menschen iiber die Natur. Der Rustikalmensch ist Naturprodukt, der 
Urbanmensch Sozialprodukt; der eine sieht Zweck, MaB und Gipfel der Welt im Kosmos, der 
andere in der Menschheit. 

Der Rustikalmensch ist konservativ wie die Natur - der Urbanmensch fortschrittlich wie die 
Gesellschaft. Aller Fortschritt iiberhaupt geht von Stadten und Stadtern aus. Der Stadtmensch 
selbst ist meist das Produkt einer Revolution innerhalb eines landlichen Geschlechtes, das mit 
seiner rustikalen Tradition brach, in die GroBstadt zog und dort ein Leben auf neuer Basis 
begann. 

Die GroBstadt raubt ihren Bewohnem den GenuB der Naturschonheit; als Entschadigung bietet 
sie ihnen Kunst. Theater, Konzerte, Galerien sind Surrogate fur die ewigen und wechselnden 
Schonheiten der Landschaft. Nach einem Tagwerk voll HaBlichkeit bieten jene Kunstinstitute 
dem Stadter Schonheit in konzentrierter Form. Auf dem Lande sind sie leicht entbehrlich. - Natur 
ist die extensive, Kunst die intensive Erscheinungsform der Schonheit. 
Das Verhaltnis des Urbanmenschen zur Natur, die ihm [10] 



fehlt, wird von der Sehnsucht beherrscht; wahrend die Natur dem Rustikalmenschen stete 

Erfiillung ist. Daher empfindet sie der Stadter vorwiegend romantisch, der Landmensch klassisch. 

Die soziale (christliche) Moral ist ein urbanes Phanomen: denn sie ist eine Funktion des 

menschlichen Zusammenlebens, der Gesellschaft. Der typische Stadter verbindet christliche 

Moral mit irreligioser Skepsis, rationalistischem Materialismus und mechanistischem Atheismus. 

Die Weltanschauung, die daraus resultiert, ist die des Sozialismus: die moderne 

GroBstadtreligion. 

Fiir den rustikalen Barbaren Europas ist das Christentum kaum mehr als eine Neuauflage des 

Heidentums mit veranderter Mythologie und neuem Aberglauben; -eine wahre Religion ist 

Glaube an die Natur, an die Kraft, an das Schicksal. 

Stadt- und Landmensch kennen einander nicht; darum miBtrauen und miBverstehen sie einander 

und leben in verhiillter oder offener Feindschaft. Es gibt vielerlei Schlagworte, unter denen sich 

diese elementare Gegnerschaft verbirgt: Rote und Griine Internationale; Industrialismus und 

Agrariertum; Fortschritt und Reaktion; Judentum und Antisemitismus. 

Alle Stadte schopfen ihre Krafte aus dem Lande; alles Land schopft seine Kultur aus der Stadt. 

Das Land ist der Boden, aus dem die Stadte sich erneuem; ist die Quelle, die sie speist; die 

Wurzel, aus der sie bliihen. Stadte wachsen und sterben: das Land ist ewig. [11] 



2. JUNKER -LITERAT 

Bliite des Rustikalmenschen ist der Landadelige, der Junker. Bliite des Urbanmenschen ist der 

Intellektuelle, der Literal. 

Land und Stadt haben beide ihren spezifischen Adelstypus gezeugt: Willensadel steht gegen 

Geistesadel, Blutadel gegen Hirnadel. Der typische Junker verbindet ein Maximum an Charakter 

mit einem Minimum an Intellekt - der typische Literat ein Maximum an Intellekt mit einem 

Minimum an Charakter. 

Nicht immer und iiberall mangelte es dem Landadel an Geist, dem Stadtadel an Charakter; wie 

im England der Neuzeit war im Deutschland der Minnesangerzeit der Blutadel ein 

hervorragendes Kulturelement; wahrend anderseits der katholische Geistesadel der Jesuiten und 

der chinesische Geistesadel der Mandarinen in ihrer Bliitezeit ebensoviel Charakter wie Geist 

bewiesen. 

Im Junker und Literaten gipfeln die Gegensatze des rustikalen und urbanen Menschen. Typischer 

Beruf der Junkerkaste ist der Offiziersberuf: typischer Beruf der Literatenkaste der 

Journalistenberuf. [12] 



Der Junker-Offizier blieb, psychisch wie geistig, auf der Stufe des Ritters stehen. Hart gegen sich 
und andere, pflichttreu, energisch, standhaft, konservativ und beschrankt, lebt er in einer Welt 
dynastischer, militaristischer, nationaler und sozialer Vomrteile. Mit einem tiefen MiBtrauen 
gegen alles Moderne, gegen GroBstadt, Demokratie, Sozialismus, Internationalismus verbindet er 
einen ebenso tiefen Glauben an sein Blut, seine Ehre und die Weltanschauung seiner Vater. Er 
verachtet den Stadter, vor allem den jiidischen Literaten und Journalisten. 

Der Literat eilt seiner Zeit voran; vorurteilsfrei vertritt er moderne Ideen in Politik, Kunst, 
Wirtschaft. Er ist fortschrittlich, skeptisch, geistreich, vielseitig, wandelbar; ist Eudamonist, 
Rationalist, Sozialist, Materialist. Er iiberschatzt den Geist, unterschatzt Korper und Charakter: 
und verachtet daher den Junker als riickstandigen Barbaren. 

Wesen des Junkers ist Starrheit des Willens - Wesen des Literaten ist Beweglichkeit des Geistes. 
Junker und Literat sind geborene Rivalen und Gegner: wo die Junkerkaste herrscht, muB Geist 
der Gewalt weichen; in solchen reaktionaren Zeiten ist der politische EinfluB der Intellektuellen 
ausgeschaltet oder mindestens eingeschrankt. Herrscht die Literatenkaste, muB die Gewalt dem 
Geiste weichen: Demokratie siegt iiber Feudalismus, Sozialismus iiber Militarismus. 
Der HaB der Willensaristokratie und der Geistesaristokratie Deutschlands gegeneinander wurzelt 
im MiBverstehen. Jede sieht nur die Schattenseiten der anderen und ist blind gegen deren 
Vorziige. Die Psyche des Junkers, des Rustikalmenschen, bleibt selbst hochstehenden Literaten 
ewig verschlossen; wahrend fast alien [13] 



Junkern die Seele des Intellektuellen, des Urbanmenschen, fremd bleibt. Statt von dem anderen 
zu lernen, blickt der jiingste Leutnant mit Geringschatzung auf die fiihrenden Geister moderner 
Literatur herab, wahrend der letzte Winkeljournalist fiir hervorragende Offiziere nur iiberlegene 
Verachtung empfindet. Durch dieses doppelte MiBverstehen fremder Mentalitat hat erst das 
militaristische Deutschland die Widerstandskraft der urbanen Massen gegen den Krieg 
unterschatzt, dann das revolutionare Deutschland die Widerstandskraft der rustikalen Massen 
gegen die Revolution. Die Fiihrer des Landes verkannten die Psyche der Stadt und ihre Neigung 
zum Pazifismus - die Fiihrer der Stadte verkannten die Psyche des Landvolkes und ihre Neigung 
zur Reaktion: so hat Deutschland erst den Krieg verloren, dann die Revolution. 
Die Gegensatzlichkeit des Junkers und des Literaten ist darin begriindet, daB diese beiden Typen 
Extreme, nicht Gipfelpunkte von Blut- und Geistesadel sind. Denn die hochste Erscheinungsform 
des Blutadels ist der Grand-seigneur, des Geistesadels der Genie. Diese beiden Aristokraten sind 
nicht nur vereinbar: sie sind verwandt. Casar, die Vollendung des Grand-seigneur, war der 
genialste Romer; Goethe, der Gipfel an Genialitat, war von alien deutschen Dichtern am meisten 
Grand-seigneur. Hier wie iiberall entfernen sich die Mittelstufen am starksten, wahrend die 
Gipfel sich beriihren. 

Der vollendete Aristokrat ist zugleich Aristokrat des Willens und des Geistes, aber weder Junker 
noch Literat. Er verbindet Weitblick mit Willensstarke. Urteilskraft mit Tatkraft, Geist mit 
Charakter. Fehlen solche synthetische Personlichkeiten, so sollten die divergierenden [14] 



Aristokraten des Willens und des Geistes einander erganzen, statt bekampfen. In Agypten, 
Indien, Chaldaa herrschten einst Priester und Konige (Intellektuelle und Krieger) gemeinsam. Die 
Priester beugten sich vor der Kraft des Willens, die Konige vor der Kraft des Geistes: Hirne 
wiesen die Ziele, Arme bahnten die Wege. [15] 



3. GENTLEMAN - BOHEMIEN 

Blut- und Geistesadel Europas schufen sich ihre spezifischen Typen: Englands Blutadel den 

Gentleman; Frankreichs Geistesadel den Bohemien. 

Gentleman und Bohemien begegnen sich im Bestreben, der oden HaBlichkeit spieBbiirgerlichen 

Daseins zu entfliehen: der Gentleman iiberwindet sie durch Stil, der Bohemiene durch 

Temperament. Der Gentleman setzt der Formlosigkeit des Lebens Form - der Bohemien der 

Farblosigkeit des Lebens Farbe entgegen. 

Der Gentleman bringt in die Unordnung menschlicher Beziehungen Ordnung - der Bohemien in 

deren Unfreiheit Freiheit. 

Die Schonheit des Gentleman-Ideals beruht auf Form, Stil, Harmonie: sie ist statisch, klassisch, 

apollinisch. Die Schonheit des Bohemi en-Ideals beruht auf Temperament, Freiheit, Vitalitat: sie 

ist dynamisch, romantisch, dionysisch. 

Der Gentleman idealisiert und stilisiert seinen Reichtum - der Bohemien idealisiert und stilisiert 

seine Armut. 

Der Gentleman ist auf Tradition gestellt, der Bohemien auf Protest: das Wesen des Gentleman ist 

konservativ- [16] 



das Wesen des Bohemien revolutionar. Mutter des Gentleman-Ideal es ist England, das 

konservativste Land Europas. Wiege der Boheme ist Frankreich, das revolutionar ste Land 

Europas. 

Das Gentleman-Ideal ist die Lebensform einer Kaste - das Boheme-Ideal Lebensform von 

Personlichkeiten. 

Das Gentleman-Ideal weist jenseits von England zuriick zur romischen Stoa - das Boheme-Ideal 

weist jenseits von Frankreich zuriick auf die griechische Agora. Die romischen Staatsmanner 

naherten sich dem Gentlemantypus, die griechischen Philosophen dem Bohemientypus: Casar 

und Seneca waren Gentlemen, Sokrates und Diogenes Bohemiens. 

Der Schwerpunkt des Gentleman liegt im Physisch-Psychischen - des Bohemien im Geistigen: 

der Gentleman darf Dummkopf, der Bohemien darf Verbrecher sein. 

Beide Ideale sind menschliche Kristallisationsphanomene: wie der Kristall nur in unstarrer 

Umgebung sich bilden kann, so verdanken jene beiden Ideale ihr Dasein der englischen und 

franzosischen Freiheit. 

Im kaiserlichen Deutschland fehlte diese Atmosphare zur Personlichheitskristallisation: daher 

konnte es kein ebenbiirtiges Ideal entwickeln. Zum Gentleman fehlte dem Deutschen der Stil, 

zum Bohemien das Temperament, zu beiden Grazie und Geschmeidigkeit. 

Da er in seiner Wirklichkeit keine ihm angemessene Lebensform fand, suchte der Deutsche in 

seiner Dichtung nach idealen Verkorperungen deutschen Wesens: und fand als physisch- 

psychisches Ideal den jungen Siegfried, als geistiges Ideal den alten Faust. 

Beide Ideale waren romantisch-unzeitgemaB: in der Verzerrung der Wirklichkeit erstarrte das 

romantische [17] 



Siegfried-Ideal zum preuBischen Offizier, zum Leutnant - das romantische Faust-Ideal zum 

deutschen Gelehrten, zum Professor. 

An die Stelle organischer Ideale traten mechanische: der Offizier reprasentiert die 

Mechanisierung des Psychischen: den erstarrten Siegfried; der Professor die Mechanisierung des 

Geistigen: den erstarrten Faust. 

Auf keine seiner Klassen war das wilhelminische Deutschland stolzer als auf seine Offiziere und 

Professoren. In ihnen sah es die Bliite der Nation, wie England in seinen politischen Fiihrern, die 

romanischen Volker in ihren Kiinstlern. 

Will das deutsche Volk Hoherentwicklung, so muB es seine Ideale revidieren: seine Tatkraft muB 

die militarische Einseitigkeit sprengen und sich weiten zu politisch-menschlicher Vielseitigkeit; 

sein Geist muB die reinwissenschaftliche Enge sprengen und sich weiten zur Synthese des 

Di chter-Denker s . 

Das neunzehnte Jahrhundert hat dem deutschen Volke zwei Manner groBten Stiles geschenkt, die 

diese Forderungen hoheren Deutschtums verkorperten: Bismarck, den Heros der Tat; Goethe, den 

Heros des Geistes. 

Bismarck emeuert, vertieft und belebt das kitschig gewordene Siegfried-Ideal - Goethe erneuert, 

vertieft und belebt das verstaubte Faust-Ideal. 

Bismarck hatte die guten Eigenschaften des deutschen Offiziers - ohne dessen Fehler; Goethe 

hatte die guten Eigenschaften des deutschen Gelehrten - ohne dessen Fehler. In Bismarck 

iiberwindet die Uberlegenheit des Staatsmannes die Beschranktheit des Offiziers - in Goethe 

iiberwindet die Uberlegenheit des Dichter-Denkers die Beschranktheit des Gelehrten: in beiden 

das [18] 



organische Personlichkeitsideal das Mechanische, der Mensch, die Marionette. 

Durch seine vorbildliche Personlichkeit hat Bismarck mehr fiir die Entwicklung des Deutschtums 

getan als durch seine Reichsgriindung; durch sein olympisches Dasein hat Goethe das deutsche 

Volk reicher beschenkt als durch seinen Faust: denn Faust ist, wie Goetz, Werther, Meister und 

Tasso, nur ein Fragment von Goethes Menschentum. 

Deutschland sollte sich aber hiiten, seine beiden lebendigen Vorbilder zu verkitschen und 

herabzuziehen: aus Bismarck einen Feldwebel, aus Goethe einen Schulmeister zu machen. 

An der Nachfolge dieser beiden Gipfel deutschen Menschentums konnte Deutschland wachsen 

und gesunden; von ihnen kann es tatige und beschauliche GroBe lernen, Tatkraft und Weisheit. 

Denn Bismarck und Goethe sind die beiden Brennpunkte, um die sich ein neuer deutscher 

Lebensstil bilden konnte, der den westlichen Idealen ebenbiirtig ware. [19] 



4. INZUCHT-KREUZUNG 

Meist ist der Rustikalmensch Inzuchtprodukt, der Urbanmensch Mischling. 
Eltern und Voreltern des Bauern stammen gewohnlich aus der gleichen, diinnbevolkerten 
Gegend; des Adeligen aus derselben diinnen Oberschicht. In beiden Fallen sind die Vorfahren 
untereinander blutsverwandt und daher meist physisch, psychisch, geistig einander ahnlich. 
Infolgedessen vererben sie ihre gemeinsamen Ziige, Willenstendenzen, Leidenschaften, 
Vomrteile, Hemmungen in gesteigertem Grade auf ihre Kinder und Nachkommen. Die 
Wesensziige, die sich aus dieser Inzucht ergeben, sind: Treue, Pietat, Familiensinn, Kastengeist, 
Bestandigkeit, Starrsinn, Energie, Beschranktheit; Macht der Vomrteile, Mangel an Objektivitat, 
Enge des Horizontes. Hier ist eine Generation nicht Variation der vorhergehenden, sondem 
einfach deren Wiederholung: an die Stelle von Entwicklung tritt Erhaltung. 
In der GroBstadt begegnen sich Volker Rassen, Stande. In der Regel ist der Urbanmensch 
Mischling aus verschiedensten sozialen und nationalen Elementen. In ihm heben sich die 
entgegengesetzten Charaktereigen- [20] 



schaften, Vorurteile, Hemmungen, Willenstendenzen und Weltanschauungen seiner Eltem und 
Voreltem auf oder schwachen einander wenigstens ab. Die Folge ist, daB Mischlinge vielfach 
Charakterlosigkeit, Hemmungslosigkeit, Willensschwache, Unbestandigkeit, Pietatlosigkeit und 
Treulosigkeit mit Objektivitat, Vielseitigkeit, geistiger Regsamkeit, Freiheit von Vorurteilen und 
Weite des Horizontes verbinden. Mischlinge unterscheiden sich stets von ihren Eltem und 
Voreltern; jede Generation ist eine Variation der vorhergehenden, entweder im Sinne der 
Evolution oder der Degeneration. 

Der Inzuchtmensch ist Einseelenmensch - der Mischling Mehrseelenmensch. In jedem 
Individuum leben seine Ahnen fort als Elemente seiner Seele: gleichen sie einander, so ist sie 
einheitlich, einformig; streben sie auseinander, so ist der Mensch vielfaltig, kompliziert, 
differenziert. 

Die GroBe eines Geistes liegt in seiner Extensitat, das ist in seiner Fahigkeit, alles zu erfassen und 
zu umfassen; die GroBe eines Charakters liegt in seiner Intensitat, das ist in seiner Fahigkeit, 
stark, konzentriert und bestandig zu wollen. So sind, in gewissem Sinne, Weisheit und Tatkraft 
Widerspriiche. 

Je ausgesprochener die Fahigkeit und Neigung eines Menschen, die Dinge als Weiser von alien 
Seiten zu sehen und sich vorurteilsfrei auf jeden Standpunkt zu stellen - desto schwacher ist meist 
sein Willensimpuls, nach einer bestimmten Richtung hin unbedenklich zu handeln: denn jedem 
Motiv stellen sich Gegenmotive entgegen, jedem Glauben Skepsis, jeder Tat die Einsicht in ihre 
kosmische Redeutungslosigkeit. Tatkraftig kann nur der beschrankte, der einseitige Mensch sein. 
Es gibt aber nicht bloB eine unbewuBte, [21] 



naive: es gibt auch eine bewuBte, heroische Beschranktheit. Der heroische beschrankte - und zu 

diesem Typus zahlen alle wahrhaft groBen Tatmenschen - schaltet zeitweise freiwillig alle Seiten 

seines Wesens aus, bis auf die eine, die seine Tat bestimmt. Objektiv, kritisch, skeptisch, 

iiberlegen kann er vor oder nach seiner Tat sein: wahrend der Tat ist er subjektiv, glaubig, 

einseitig, ungerecht. 

Weisheit hemmt Tatkraft - Tatkraft verleugnet Weisheit. Der starkste Wille ist wirkungslos, 

wenn er richtungslos ist; auch ein schwacher Wille lost starkste Wirkung aus, wenn er einseitig 

ist. 

Es gibt kein Leben der Tat ohne Unrecht, Irrtum, Schuld: wer sich scheut, dieses Odium zu 

tragen, der bleibe im Reiche des Gedankens, der Beschaulichkeit, der Passivitat. - Wahrhafte 

Menschen sind immer schweigsam: denn jede Behauptung ist, in gewissem Sinne, Liige; 

herzensreine Menschen sind immer inaktiv: denn jede Tat ist, in gewissem Sinne, Unrecht. 

Tapferer aber ist es, zu reden, auf die Gefahr hin, zu liigen; zu handeln, auf die Gefahr hin, 

Unrecht zu tun. 

Inzucht starkt den Charakter, schwacht den Geist - Kreuzung schwacht den Charakter, starkt den 

Geist. Wo Inzucht und Kreuzung unter gliicklichen Auspizien zusammentreffen, zeugen sie den 

hochsten Menschentypus der starksten Charakter mit scharfstem Geist verbindet. Wo unter 

ungliicklichen Auspizien Inzucht und Mischung sich begegnen, schaffen sie Degenerationstypen 

mit schwachem Charakter, stumpfem Geist. 

Der Mensch der fernen Zukunft wird Mischling sein. Die heutigen Rassen und Kasten werden der 

zunehmen- [22] 



den Uberwindung von Raum, Zeit und Vomrteil zum Opfer fallen. Die eurasisch-negroide 
Zukunftsrasse, auBerlich der altagyptischen ahnlich, wird die Vielfalt der Volker durch eine 
Vielfalt der Personlichkeiten ersetzen. Denn nach den Vererbungsgesetzen wachst mit der 
Verschiedenheit der Vorfahren die Verschiedenheit, mit der Einformigkeit der Vorfahren die 
Einformigkeit der Nachkommen. In Inzuchtfamilien gleicht ein Kind dem anderen: denn alle 
reprasentieren den einen gemeinsamen Familientypus. In Mischlingsfamilien unterscheiden sich 
die Kinder starker voneinander: jedes bildet eine neuartige Variation der divergierenden 
elterlichen und vorelterlichen Elemente. 

Inzucht schafft charakteristische Typen - Kreuzung schafft originelle Personlichkeiten. 
Vorlaufer des planetaren Menschen der Zukunft ist im modernen Europa der Russe als slawisch- 
tatarisch-finnischer Mischling; well er, unter alien europaischen Volkern, am wenigsten Rasse 
hat, ist er der typische Mehrseelenmenschen mit der weiten, reichen, allumfassenden Seele. Sein 
starkster Antipode ist der insulare Brite, der hochgeziichtete Einseelenmensch, dessen Kraft im 
Charakter, im Willen, im Einseitigen, Typischen liegt. Ihm verdankt das moderne Europa den 
geschlossensten, vollendetsten Typus: den Gentleman. [23] 



5. HEIDNISCHE UND CHRISTLICHE MENTALITAT 

Zwei Seelenformen ringen um Weltherrschaft: Heidentum und Christentum. Mit den 
Konfessionen, die diese Namen tragen, haben jene Seelenformen nur sehr ausserliche 
Beziehungen. Wird der Schwerpunkt vom Dogmatischen ins Ethische, vom Mythologischen ins 
Psychologische verlegt, so wandelt sich Buddhismus in Ultra-Christentum, wahrend 
Amerikanismus als modernisiertes Heidentum erscheint. Der Orient ist Haupttrager christlicher, 
der Okzident Haupttrager heidnischer Mentalitat: die "heidnischen" Chinesen sind bessere 
Christen als die "christlichen" Germanen. 

Heidentum stellt Tatkraft, Christentum Liebe an die Spitze der ethischen Wertskala. Christliches 
Ideal ist der liebende Heilige, heidnisches Ideal der siegende Held. Christentum will den homo 
ferus in einen homo clomesticus wandeln, das Raubtier Mensch in das Haustier Mensch wahrend 
Heidentum den Menschen zum Ubermenschen umschaffen will. Christentum will Tiger zu 
Katzen zahmen - Heidentum Katzen zu Tigern steigern. 
Hauptverkiinder modernen Christentums war Tol- [24] 



stoi; Hauptverkiinder modernen Heidentums Nietzsche. 

Die germanische Edda-Religion war reinstes Heidentum. Unter christlicher Maske lebte sie fort: 
im Mittelalter als ritterliche, in der Neuzeit als imperialistische und militaristische 
Weltanschauung. Offiziere, Junker, Kolonisatoren. Industriekapitane sind die fiihrenden 
Reprasentanten modernen Heidentums. Tatkraft, Tapferkeit, GroBe, Freiheit, Macht, Ruhm und 
Ehre: das sind die Ideale des Heidentums; wahrend Liebe, Milde, Demut, Mitleid und 
Selbstverleugnung christliche Ideale sind. Die Antithese: Heidentum-Christentum deckt sich 
weder mit der Antithese: Rustikalmensch-Urbanmensch, noch mit: Inzucht-Kreuzung. Zweifellos 
aber begiinstigen Rustikalbarbarei und Inzucht die Entwicklung heidnischer Urbanzivilisation 
und Mischung die Entwicklung christlicher Mentalitat. 

Allgemeingiiltiger heidnischer Individualismus ist nur in diinnbevolkerten Erdstrichen moglich, 
wo der Einzelne sich behaupten und riicksichtslos entfalten kann, ohne gleich in Gegensatz zu 
seinen Mitmenschen zu geraten. In iibervolkerten Gegenden, wo Mensch an Mensch stoBt, muss 
das sozialistische Prinzip gegenseitiger Unterstiitzung das individualistische Prinzip des 
Daseinskampfes erganzen und, zum Teil, verdrangen. 

Christentum und Sozialismus sind Internationale Grossstadtprodukte. Das Christentum nahm als 
Weltreligion seinen Ausgang von der rasselosen Weltstadt Rom; der Sozialismus von den 
national gemischten Industriestadten des Abendlandes. Beide AuBerungen christlicher Mentalitat 
sind auf Intemationalismus aufgebaut. Der Widerstand gegen das Christentum ging von der 
Landbevolkerung aus [25] 



(pagani); so wie es auch heute das Landvolk ist, das der Verwirklichung sozialistischer 
Lebensform den starksten Widerstand entgegenstellt. 

Immer waren diinnbevolkerte, nordliche Gegenden Zentren heidnischen Wollens, dicht 
bevolkerte siidliche Gegenden Brutstatten christlichen Fiihlens. Wo heute vom Gegensatz 
ostlichen und westlichen Seelenlebens die Rede ist, wird meistens darunter nichts verstanden als 
jener Gegensatz zwischen Menschen des Siidens und des Nordens. Der Japaner, als nordlichster 
Kulturorientale, nahert sich vielfach dem Okzidentalen; wahrend die Mentalitat des Siiditalieners 
und Siidamerikaners orientalisch ist. Fiir die Zustande der Seele scheint der Breitegrad 
entscheidender zu sein als der Langengrad. 

Nicht nur die geographische Lage: auch die historische Entwicklung wirkt bestimmend auf die 
Seelenform eines Volkes. Das chinesische wie das jiidische Volk empfinden deshalb christlicher 
als das germanische, well ihre Kulturvergangenheit alter ist. Der Germane steht zeitlich dem 
Wilden naher als der Chinese oder Jude; diese beiden alten Kulturvolker konnten sich griindlicher 
von der heidnisch-natiirlichen Lebensauffassung emanzipieren, well sie mindestens drei 
Jahrtausende langer dazu Zeit hatten. - Heidentum ist ein Symptom kultureller Jugend, 
Christentum ein Symptom kulturellen Alters. 

Drei Volker: Griechen, Romer, Juden haben jedes auf seine Weise, die antike Kulturwelt erobert. 
Erst das asthetisch-philosophische Volk der Griechen: im Hellenismus; dann das praktisch- 
politische Volk der Romer: im Imperium Romanum schlieBlich das ethisch-religiose Volk der 
Juden: im Christentum. [26] 



Das Christentum, ethisch von jiidischen Essenern (Johannes), geistig von jiidischen 
Alexandrinem (Philo) vorbereitet, war regeneriertes Judentum. Soweit Europa christlich ist, ist es 
(im ethisch-geistigen Sinne) jiidisch; soweit Europa moralisch ist, ist es jiidisch. Fast die ganze 
europaische Ethik wurzelt im Judentum. Alle Vorkampfer einer religiosen oder irreligiosen 
christlichen Moral, von Augustinus bis Rousseau, Kant und Tolstoi, waren Wahljuden im 
geistigen Sinne; Nietzsche ist der einzige nicht-jiidische, der einzige heidnische Ethiker Europas. 
Die prominentesten und iiberzeugtesten Vertreter christlicher Ideen, die in ihrer modernen 
Wiedergeburt Pazifismus und Sozialismus heiBen, sind Juden. 

Im Osten ist das chinesische Volk das ethische par Excellence (im Gegensatz zu den asthetisch- 
heroischen Japanern und den religios-spekulativen Indern) - im Westen das jiidische. Gott war 
Staatsoberhaupt der alten Juden, ihr Sittengesetz biirgerliches Gesetzbuch, Siinde war 
Verbrechen. 

Der theokratischen Idee der Identifikation von Politik und Ethik ist das Judentum im Wandel der 
Jahrtausende treu geblieben: Christentum und Sozialismus sind beides Versuche, ein Gottesreich 
zu errichten. Vor zwei Jahrtausenden waren die Urchristen, nicht die Pharisaer und Sadduzaer 
Erben und Erneuerer mosaischer Tradition; heute sind es weder die Zionisten noch die Christen, 
sondern die jiidischen Fiihrer des Sozialismus: denn auch sie wollen, mit hochster 
Selbstverleugnung die Erbsiinde des Kapitalismus tilgen, die Menschen aus Unrecht, Gewalt und 
Knechtschaft erlosen und die entsiihnte Welt in ein irdisches Paradies wandeln. [27] 



Diesen jiidischen Propheten der Gegenwart, die eine neue Weltepoche vorbereiten, ist in allem 
das Ethische Primar: in Politik, Religion, Philosophie und Kunst. Von Moses bis Weininger war 
Ethik Hauptproblem jiidischer Philosophie. In dieser ethischen Grundeinstellung zur Welt liegt 
eine Wurzel der einzigartigen GroBe des jiidischen Volkes - zugleich aber die Gefahr, daB Juden, 
die ihren Glauben an die Ethik verlieren, zu zynischen Egoisten herabsinken: wahrend Menschen 
anderer Mentalitat auch nach Verlust ihrer ethischen Einstellung noch eine Fiille ritterlicher 
Werte und Vorurteile (Ehrenmann, Gentleman, Kavalier usw.) iibrigbehalten, die sie vor dem 
Sturz in das Werte-Chaos schiitzen. 

Was die Juden von den Durchschnitts-Stadtern hauptsachlich scheidet, ist, daB sie 
Inzuchtmenschen sind. Charakterstarke verbunden mit Geistesscharfe pradestiniert den Juden in 
seinen hervorragendsten Exemplaren zum Fiihrer urbaner Menschheit, zum falschen wie zum 
echten Geistesaristokraten zum Protagonisten des Kapitalismus wie der Revolution. [28] 



ZWEITER TEIL: 
KRISE DES ADELS 



6. GEISTESHERRSCHAFT STATT SCHWERTHERRSCHAFT 

Unser demokratisches Zeitalter ist ein klagliches Zwischenspiel zwischen zwei groBen 
aristokratischen Epochen: der feudalen Aristokratie des Schwertes und der sozialen Aristokratie 
des Geistes. Die Feudal aristokratie ist im Verfall, die Geistesaristokratie im Werden. Die 
Zwischenzeit nennt sich demokratisch, wird aber in Wahrheit beherrscht von der Pseudo- 
Aristokratie des Geldes. 

Im Mittelalter herrschte in Europa der rustikale Ritter iiber den urbanen Burger, heidnische 
Mentalitat iiber christliche, Blutadel iiber Hirnadel. Die Uberlegenheit des Ritters iiber den 
Biirger beruhte auf Korper- und Charakterstarke, auf Kraft und Mut. 

Zwei Erfindungen haben das Mittelalter bezwungen, die Neuzeit eroffnet: die Erfindung des 
Pulvers bedeutete das Ende der Ritterherrschaft, die Erfindung des Buchdrucks den Anbruch der 
Geistesherrschaft. Korperkraft und Mut verloren durch die Einfiihrung der Feuerwafle ihre 
ausschlaggebende Bedeutung im Daseinskampf Geist wurde, im Ringen um Macht und Freiheit, 
zur entscheidenden Waffe. [31] 



Der Buchdruck gab dem Geist ein Machtmittel von unbegrenzter Tragweite; riickte die 

schreibende Menschheit in den Mittelpunkt der lesenden und erhob so den Schriftsteller zum 

geistigen Fiihrer der Massen. Gutenberg hat den Federn die Macht gegeben, die Schwarz den 

Schwertern genommen hatte. Mit Hilfe der Druckerschwarze hat Luther ein groBeres Reich 

erobert als alle deutschen Kaiser. 

In der Epoche des aufgeklarten Despotismus gehorchten Herrscher und Staatsmanner den Ideen, 

die von Denkern stammten. Die Schriftsteller jener Zeit bildeten eine geistige Aristokratie 

Europas. Der Sieg des Absolutismus iiber den Feudalismus bedeutete den ersten Sieg der Stadt 

iiber das Land und zugleich die erste Etappe im Siegeslauf des Geistesadels, im Sturz des 

Schwertadels. An die Stelle der Mittelalterlichen Diktatur des Landes iiber die Stadt trat die 

neuzeitliche Diktatur der Stadt iiber das Land. 

Mit der franzosischen Revolution, die mit den Privilegien des Blutadels brach, begann die zweite 

Epoche der Emanzipation des Geistes. Demokratie beruht auf der optimistischen Voraussetzung, 

ein geistiger Adel konne durch die Volksmehrheit erkannt und gewahlt werden. 

Nun stehen wir an der Schwelle der dritten Epoche der Neuzeit: des Sozialismus. Auch er stiitzt 

sich auf der urbane Klasse der Industriearbeiter, gefiihrt von der Aristokratie revolutionarer 

Schriftsteller. 

Der EinfluB des Blutadels sinkt, der EinfluB des Geistesadels wachst. 

Diese Entwicklung. und damit das Chaos moderner Politik, wird erst dann ein Ende finden, bis 

eine geistige [32] 



Aristokratie die Machtmittel der Gesellschaft: Pulver, Gold, Druckerschwarze an sich reiBt und 
zum Segen der Allgemeinheit verwendet. 

Eine entscheidende Etappe zu diesem Ziel bildet der russische Bolschewismus, wo eine kleine 
Schar kommunistischer Geistesaristokraten das Land regiert und bewuBt mit dem plutokratischen 
Demokratismus bricht, der heute die iibrige Welt beherrscht. 

Der Kampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus urn das Erbe des besiegten Blutadels ist 
ein Bruderkrieg des siegreichen Himadels, ein Kampf zwischen individualistischem und 
sozialistischem, egoistischem und altruistischem, heidnischem und christlichem Geist. Der 
Generalstab beider Parteien rekrutiert sich aus der geistigen Fiihrerrasse Europas: dem Judentum. 
Kapitalismus und Kommunismus sind beide rationalistisch, beide mechanistisch, beide abstrakt, 
beide urban. Der Schwertadel hat endgiiltig ausgespielt. Die Wirkung des Geistes, die Macht des 
Geistes, der Glaube an den Geist, die Hoffnung auf den Geist wachst: und mit ihnen ein neuer 
Adel. [33] 



7. ADELSDAMMERUNG 

Im Verlaufe der Neuzeit wurde der Blutadel durch die Hof - Atmosphare, der Geistesadel durch 

den Kapitalismus vergiftet. 

Seit dem Ende der Ritterzeit befindet sich der Hochadel des kontinentalen Europa, mit sparlichen 

Ausnahmen, im Zustande progressiver Dekadenz. Durch seine Urbanisierung hat er seine 

korperlichen und seelischen Vorziige verloren. 

Zur Zeit des Feudalismus war der Blutadel dazu berufen, sein Land gegen Angriffe des Feindes 

und tibergriffe des Herrschers zu schiitzen. Der Edelmann war frei und selbstbewuBt gegen 

Untergebene, Gleichgestellte, Hohergestellte; Konig auf seinem Landbesitz, konnte er nach 

ritterlichen Grundsatzen seine Personlichkeit frei entfalten. 

Der Absolutismus anderte diese Situation: der oppositionelle Adel, der, frei, stolz und tapfer, auf 

seine historischen Rechte bestand, wurde, soweit es ging, ausgerottet; der Rest wurde an den Hof 

gezogen und dort in eine glanzende Knechtschaft gedrangt. Dieser Hofadel war unfrei, abhangig 

von den Launen des Herrschers und seiner Kamarilla; so muBte er seine besten Eigen- [34] 



schaften verlieren: Charakter, Freiheitsdrang, Stolz, Fiihrerschaft. Um den Charakter und damit 
die Widerstandskraft des franzosischen Adels zu brechen, lockte ihn Ludwig XIV. nach 
Versailles; der groBen Revolution blieb die Vollendung seines Werkes vorbehalten: sie hat dem 
Adel, der seine Vorziige preisgegeben und verloren hatte, seine iiberlebten Vorrechte genommen. 
Nur in jenen Landern Europas, wo der Adel, seiner ritterlichen Mission treu, Fiihrer und 
Vorkampfer der nationalen Opposition gegen monarchischen Despotismus und Fremdherrschaft 
blieb, erhielt sich ein adeliger Fiihrertypus: in England, Ungam, Pol en, Italien. 
Seit der Wandlung der europaischen Kultur aus einer ritterlich-rustikalen in eine biirgerlich- 
urbane blieb der Blutadel in geistig-kultureller Hinsicht hinter dem Biirgertum zuriick. Krieg, 
Politik und die Verwaltung seiner Giiter nahmen ihn so sehr in Anspruch, daB seine geistigen 
Fahigkeiten und Interessen vielfach verkiimmerten. 

Diese historischen Ursachen neuzeitlicher Adelsdammerung wurden noch durch physiologische 
verstarkt. An Stelle des harten, mittelalterlichen Kriegsdienstes brachte die Neuzeit dem Adel 
meist arbeitsloses Wohlleben; aus dem bedrohtesten Stand wurde der Adel durch seinen 
Erbreichtum allmahlich zum gesichertsten; dazu kamen noch die degenerativen Einfliisse 
iibertriebener Inzucht, denen der englische Adel durch haufige Mischung mit biirgerlichem Blute 
entging. Durch das Zusammenwirken dieser Umstande verfiel der physische, psychische und 
geistige Typus einstigen Adels. 

Der Himadel konnte den Blutadel nicht ablosen, well auch er sich in einer Krise, in einem 
Verfallzustand [35] 



befindet. Demokratie entstand aus Verlegenheit: nicht deshalb, well die Menschen keinen Adel 
wollten, sondern deshalb, well sie keinen Adel fanden. Sobald sich ein neuer, echter Adel 
konstituiert, wird Demokratie von selbst verschwinden. Weil England echten Adel besitzt, blieb 
es, trotz seiner demokratischen verfassung, aristokratisch. 

Der akademische Hirnadel Deutschlands, vor einem Jahrhundert Fiihrer der Opposition gegen 
Absolutismus und Feudalismus, Vorkampfer moderner und freiheitlicher Ideen, ist heute zur 
Hauptstiitze der Reaktion, zum Hauptgegner geistiger und politischer Emeuerung herabgesunken. 
Dieser Pseudo-Geistesadel Deutschlands war im Kriege Anwalt des Militarismus, in der 
Revolution Verteidiger des Kapitalismus. Seine Leitworte: Nationalismus, Militarismus, 
Antisemitismus, Alkoholismus, sind zugleich die Losungsworte im Kampfe wider den Geist. Ihre 
verantwortungsreiche Mission: den Feudaladel abzulosen und den Geistesadel vorzubereiten, hat 
die akademische Intelligenz verkannt, verleugnet, verraten. 

Auch die publizistische Intelligenz hat ihre Fiihrermission verraten. Sie, die berufen war, geistige 
Fiihrerin und Lehrerin der Massen zu werden, zu erganzen und zu verbessern, was ein 
riickstandiges Schulsystem versaumt und verbrochen hat - erniedrigte sich in ihrer ungeheuren 
Mehrheit zur Sklavin des Kapitals, zur Verbildnerin des politischen und kiinstlerischen 
Geschmackes. Ihr Charakter zerbrach unter dem Zwang, statt eigener Uberzeugungen fremde zu 
vertreten und zu verteidigen - ihr Geist verflachte durch die Uberproduktion, zu der ihr Beruf sie 
zwingt. 
Wie der Rhetor der Antike, so steht der Journalist der [36] 



Neuzeit im Zentmm der Staatsmaschine: er bewegt die Wahler, die Wahler die Abgeordneten, die 
Abgeordneten die Minister. So fallt dem Joumalisten die hochste Verantwortung fiir alles 
politische Geschehen zu: und gerade er, als typischer Vertreter urbaner Charakterlosigkeit, fiihlt 
sich meist von jeder Verpflichtung und Verantwortung frei. 

Schule und Presse sind die beiden Punkte, von denen aus die Welt sich unblutig, ohne Gewalt 
erneuern und veredeln lieBe. Die Schule nahrt oder vergiftet die Seele des Kindes; die Presse 
nahrt oder vergiftet die Seele des Erwachsenen. Schule und Presse sind heute beide in den 
Handen einer ungeistigen Intelligenz: sie in die Hande des Geistes zuriickzulegen, ware die 
hochste Aufgabe jeder idealen Politik, jeder idealen Revolution. 

Die Herrscherdynastien Europas sind durch Inzucht herabgekommen; die Plutokratendynastien 
durch Wohlleben. Der Blutadel verkam, well er Diener der Monarchic wurde; der Geistesadel 
verkam, well er Diener des Kapitals wurde. 

Beide Aristokratien hatten vergessen, daB mit jedem Vorzug, mit jeder Auszeichnung und 
Ausnahmestellung Verantwortung verkniipft ist. Sie haben den Wahlspruch alles wahren Adels 
verlemt: „Noblesse oblige!" Sie wollten die Friichte ihrer Vorzugsstellung genieBen, ohne deren 
Pflichten zu tragen; fiihlten sich als Herren und Vorgesetzte, nicht als Fiihrer und Vorbilder ihrer 
Mitmenschen. Statt dem Volke neue Ziele zu weisen, neue Wege zu bahnen, lieBen sie sich von 
Herrschern und Kapitalisten zu Werkzeugen ihrer Interessen miBbrauchen: urn Wohlleben, 
Ehrenstellen und Geld verkauften sie ihre Seelen, ihr Blut und ihr Him. [37] 



Der alte Adel des Blutes und des Hirnes hat den Anspruch verloren, weiter noch als Aristokratie 
zu gelten; denn es fehlen ihm die Zeichen alien echten Adels: Charakter, Freiheit, 
Verantwortung. Die Faden, die sie mit ihren Volkern verbanden, haben sie zerschnitten: durch 
Standesdiinkel auf der einen, Bildungsdiinkel auf der anderen Seite. 

Es liegt im Sinne historischer Nemesis, daB die groBe Sintflut, die von RuBland ihren Ausgang 
nimmt, auf blutigem oder unblutigem Wege die Welt von den Usurpatoren reinigt, die ihre 
Vorzugsstellungen behaupten wollen, wahrend sie langst deren einstige Voraussetzungen 
verloren haben. [38] 



8. PLUTOKRATIE 

Bei dem Tiefstand des Blut- und Geistesadels war es nicht zu verwundern, daB eine dritte 
Menschenklasse provisorisch die Macht an sich riB: die Plutokratie. Die Verfassungsform, die 
Feudalismus und Absolutismus abloste, war demokratisch; die Herrschaftsform plutokratisch. 
Heute ist Demokratie Fassade der Plutokratie: weil die Volker nackte Plutokratie nicht dulden 
wiirden, wird ihnen die nominelle Macht iiberlassen, wahrend die faktische Macht in den Handen 
der Plutokraten ruht. In republikanischen wie in monarchischen Demokratien sind die 
Staatsmanner Marionetten, die Kapitalisten Drahtzieher: sie diktieren die Richtlinien der Politik, 
sie beherrschen durch Ankauf der offentlichen Meinung die Wahler, durch geschaftliche und 
gesellschaftliche Beziehungen die Minister. 

An die Stelle der feudalen Gesellschaftsstruktur ist die plutokratische getreten: nicht mehr die 
Geburt ist maBgebend fiir die soziale Stellung, sondern das Einkommen. Die Plutokratie von 
heute ist machtiger als die Aristokratie von gestern: denn niemand steht iiber ihr als der Staat, der 
ihr Werkzeug und Helfershelfer ist. 
Als es noch wahren Blutadel gab, war das System der [39] 



Geburtsaristokratie gerechter als heute das der Geldaristokratie: denn damals hatte die 
herrschende Kaste Verantwortungsgefiihl, Kultur, Tradition wahrend die Klasse, die heute 
herrscht, alles Verantwortungsgefiihles, aller Kultur und Tradition bar ist. Vereinzelte 
Ausnahmen andern nichts an dieser Tatsache. 

Wahrend die Weltanschauung des Feudalismus heroisch-religios war, kennt die plutokratische 
Gesellschaft keine hoheren Werte als Geld und Wohlleben: die Geltung eines Menschen wird 
taxiert nach dem, was er hat, nicht nach dem, was er ist. 

Dennoch bilden die Fiihrer der Plutokratie in gewissem Sinne eine Aristokratie, eine Auslese: 
denn zur Erraffung groBer Vermogen sind eine Reihe hervorragender Eigenschaften notig: 
Tatkraft, Umsicht, Klugheit, Besonnenheit, Geistesgegenwart, Initiative, Verwegenheit und 
GroBziigigkeit. Durch diese Vorziige legitimieren sich die erfolgreichen GroBuntemehmer als 
moderne Eroberernaturen, deren iiberlegene Willens- und Geisteskraft ihnen iiber die Masse 
minderwertiger Konkurrenten den Sieg brachte. 

Diese Uberlegenheit der Plutokraten gilt jedoch nur innerhalb der erwerbenden Menschenklasse - 
sie verschwindet sofort, wenn jene hervorragenden Geldverdiener gemessen werden an den 
hervorragenden Vertretem idealer Berufe. Es ist also gerecht, daB ein tiichtiger Industrieller oder 
Kauftnann materiell und sozial hoher aufsteigt als seine untiichtigen Kollegen - ungerecht aber ist 
es, dass eine gesellschaftliche Macht und Geltung hoher ist als die eines Kiinstlers, Gelehrten, 
Politikers, Schriftstellers, Lehrers, Richters, Arztes, der in seinem Berufe ebenso fahig ist wie 
jener, dessen Fahigkeiten jedoch ideal eren und sozial eren Zielen [40] 



dienen: daB also das gegenwartige Gesellschaftssystem die egoistisch-materialistische Mentalitat 
pramiert gegeniiber einer altmistisch-idealen. 

In dieser Bevorzugung egoistischer Tiichtigkeit gegeniiber altmistischer, materialistischer 
gegeniiber idealistischer liegt das Grundiibel der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur; wahrend 
die wahren Aristokraten des Geistes und Herzens: die Weisen und die Giitigen, in Armut und 
Ohnmacht leben, usurpieren egoistische Gewaltmenschen die Fiihrerstellung, zu der jene berufen 
war en. 

So ist Plutokratie in energetischer und intellektueller Hinsicht Aristokratie - in ethischer und 
geistiger Beziehung Pseudo-Aristokratie; innerhalb der Erwerbsklassen Aristokratie - an 
idealeren Berufen gemessen Pseudo-Aristokratie. 

Wie die Aristokratie des Blutes und des Geistes, so befindet sich auch die des Geldes 
gegenwartig in einer Verfallsperiode. Die Sohne und Enkel jener groBen Unternehmer, deren 
Wille, durch Not und Arbeit gestahlt, sie aus dem Nichts zur Macht emporgefiihrt hatte, 
erschlaffen zumeist in Wohlleben und Untatigkeit. Nur selten vererbt sich die vaterliche 
Tiichtigkeit oder sublimiert sich zu geistigerem und idealerem Schaffen. Den 
Plutokratengeschlechtern fehlt jene Tradition und Weltanschauung, jener konservativ-rustikale 
Geist, der einst die Adelsgeschlechter jahrhundertelang vor Entartung bewahrt hatte. 
Schwachliche Epigonen iibernehmen das Machterbe ihrer Vater ohne die Gaben des Willens und 
Verstandes, durch die es errafft worden war. Macht und Tiichtigkeit geraten in Widerspruch: und 
unterhohlen so die innere Berechtigung des Kapitalismus. Die historische Entwicklung hat diesen 
natiirlichen [41] 



Verfall beschleunigt. Durch die Hochkonjunktur des Krieges emporgetragen beginnt eine neue 

Schieber-Plutokratie die alte Unternehmer-Plutokratie zu zersetzen und zu verdrangen. Wahrend 

mit der Bereicherung des Untemehmers der Volkswohl stand wachst, sinkt er mit der 

Bereichemng des Schiebers. Die Unternehmer sind Fiihrer der Wirtschaft - die Schieber deren 

Parasiten: Untemehmertum ist produktiver - Schiebertum unproduktiver Kapitalismus. 

Die gegenwartige Hochkonjunktur erleichtert skrupellosen, hemmungslosen und gewissenlosen 

Menschen den Gelderwerb. Fiir Spekulations- und Schiebergewinne sind Gliick und 

Riicksichtslosigkeit unentbehrlicher als hervorragende Willens- und Verstandesgaben. So 

reprasentiert die moderne Schieber-Plutokratie eher eine Kakistokratie des Charakters als eine 

Aristokratie der Tiichtigkeit. Durch die zunehmende Verwischung der Grenzen zwischen 

Untemehmertum und Schiebertum wird der Kapitalismus vor dem Forum des Geistes und der 

Offentlichkeit kompromittiert und herabgezogen. 

Keine Aristokratie kann sich ohne moralische Autoritat dauernd behaupten. Sobald die 

herrschende Klasse aufhort, Symbol ethischer und asthetischer Werte zu sein, wird ihr Sturz 

unaufhaltsam. 

Die Plutokratie ist, an anderen Aristokratien gemessen, arm an asthetischen Werten. Sie erfiillt 

die politischen Funktionen einer Aristokratie, ohne die Kulturwerte eines Adels zu bieten. 

Reichtum ist aber nur im Kleide der Schonheit ertraglich, nur als trager einer asthetischen Kultur 

gerechtfertigt. Indessen hiillt sich die neue Plutokratie in ode Geschmacklosigkeit und [42] 



aufdringliche HaBlichkeit: ihr Reichtum wird unfmchtbar und abstoBend. 

Die europaische Plutokratie vemachlassigt im Gegensatz zur amerikanischen- ihre ethische 
Mission ebensosehr wie ihre asthetische: soziale Wohltater groBen Stiles sind ebenso sparlich wie 
Mazene. Statt ihren Daseinszweck im Sozialen Kapitalismus zu erblicken, in der 
Zusammenfassung des zersplitterten Volksvermogens zu groBziigigen Werken schopferischer 
Humanitat - fiihlen sich die Plutokraten in ihrer erdriichenden Mehrheit berechtigt, ihr Wohlleben 
verantwortungslos auf Massenelend aufzubauen. Statt Treuhandler der Menschheit sind sie 
Ausbeuter, statt Fiihrer Irrefiihrer. 

Durch diesen Mangel an asthetischer und ethischer Kultur zieht sich die Plutokratie nicht nur den 
HaB, sondern auch die Verachtung der offentlichen Meinung und ihrer geistigen Fiihrer zu: da sie 
es nicht verstand, Adel zu werden, muB sie fallen. 

Die russische Revolution bedeutet fiir die plutokratische Geschichtsepoche den Anfang vom 
Ende. Selbst wenn Lenin unterliegt, wird sein Schatten ebenso das zwanzigste Jahrhundert 
beherrschen, wie die franzosische Revolution trotz ihres Zusammenbruches die Entwicklung des 
neunzehnten bestimmt hat: nie hatten im kontinentalen Europa Feudalismus und Absolutismus 
freiwillig abgedankt - wenn nicht aus Angst vor einer Wiederholung jakobinischen Terrors, vor 
dem Ende des franzosischen Adels und Konigs. So wird es dem Damoklesschwert 
bolschewistischen Terrors schneller gelingen, die Herzen der Plutokraten zu erweichen und 
sozialen Forderungen zuganglich zu machen als in zwei Jahrtausenden dem Evangelium Christi. 
[43] 



9. BLUTADEL UND ZUKUNFTSADEL 

Adel beruht auf korperlicher, seelischer, geistiger Schonheit; Schonheit auf vollendeter Harmonie 
und gesteigerte Vitalitat: wer darin seine Mitwelt iiberragt, ist Aristokrat. 

Der alte aristokratische Typus ist im Aussterben; der neue noch nicht konstituiert, unsere 
Zwischenzeit ist bettelarm an groBen Personlichkeiten: an schonen Menschen; an edlen 
Menschen; an weisen Menschen. Indessen usurpieren Epigonen des versunkenen Adels die toten 
Formen einstiger Aristokratie und fiillen sie mit dem Inhalt ihrer armseligen Biirgerlichkeit. Die 
Starke Lebensfiille einstigen Adels ist auf Emporkommlinge iibergegangen: doch ihnen fehlen 
seine Formen, seine Vornehmheit, seine Schonheit. 

Dennoch braucht die Zeit an der Idee des Adels, an der Zukunft eines Adels nicht zu verzweifeln. 
Will die Menschheit vorwartsschreiten, braucht sie Fiihrer, Lehrer, Wegweiser; Erfiillungen 
dessen, was sie werden will; Vorlaufer ihrer kiinftigen Erhebung in hohere Spharen. Ohne Adel 
keine Evolution. Eudamonistische Politik kann demokratisch - evolutionistische Politik muB 
aristokratisch sein. Urn [44] 



emporzusteigen, um vorwartszuschreiten sind Ziele notig; um Ziele zu erreichen, sind Menschen 
notig, die Ziele setzen, zu Zielen fiihren: Aristokraten. 

Der Aristokrat als Fiihrer ist ein politischer Begriff; der Adelige als Vorbild ist ein asthetisches 
Ideal. Hochste Fordemng verlangt, daB Aristokratie mit Adel, Fiihrer mit Vorbild zusammenfallt: 
daB vollendeten Menschen die Fiihrerschaft zufallt. 

Von der europaischen Quantitatsmenschheit, die nur an die Zahl, die Masse glaubt, heben sich 
zwei Qualitatsrassen ab: Blutadel und Judentum. Voneinander geschieden, halten sie beide fest 
am Glauben an ihre hohere Mission, an ihr besseres Blut, an menschliche Rangunterschiede. In 
diesen beiden heterogenen Vorzugsrassen liegt der Kern des europaischen Zukunftsadels: im 
feudalen Blutadel, soweit er sich nicht vom Hofe, im jiidischen Hirnadel, soweit er sich nicht 
vom Kapital korrumpieren lieB. Als Biirgschaft einer besseren Zukunft bleibt ein kleiner Rest 
sittlich hochstehenden Rustikaladels und eine kleine Kampfgruppe revolutionarer Intelligenz. 
Hier wachst die Gemeinschaft zwischen Lenin, dem Mann aus landlichem Kleinadel, und 
Trotzki, dem jiidischen Literaten, zum Symbol: hier versohnen sich die Gegensatze von 
Charakter und Geist, von Junker und Literat, von rustikalem und urbanem, heidnischem und 
christlichem Menschen zur schopferischen Synthese revolutionarer Aristokratie. 
Ein Schritt vorwarts im Geistigen wiirde geniigen, um die besten Elemente des Blutadels, die auf 
dem Lande ihre physische und moralische Gesundheit vor den depravierenden Einfliissen der 
Hofluft bewahrt haben, in den Dienst der neuen Menschenbefreiung zu stellen. Denn zu dieser 
Stellungnahme pradestiniert sie ihr [45] 



traditioneller Mut, ihre antibiirgerliche und antikapitalistische Mentalitat, ihr 
Verantwortungsgefiihl, ihre Verachtung materiellen Vorteils, ihr stoisches Willenstraining, ihre 
Integritat, ihr Idealismus. In geistigere und freiere Bahnen gelenkt, konnten sich die starken 
adeligen Energien, die bisher Stiitzen der Reaktion waren, zu neuer Bliite regenerieren und 
Fiihrematuren zeugen, die Unbeugsamkeit des Willens mit SeelengroBe und Selbstlosigkeit 
verbinden; und, statt als Exponenten des Biirgertums (das ihnen im Innersten zuwider ist) 
kapitalistischen Interessen zu dienen, in eine Reihe treten mit den Vertretem des verjiingten 
Geistesadels zur Befreiung und Veredelung der Menschheit. 

Pohtik war in Europa durch Jahrhunderte Adelsprivileg. Der Hochadel bildete eine intemationale 
politische Kaste, in der diplomatische Talente herangeziichtet wurden. Seit vielen Generationen 
lebt der europaische Blutadel in einer politischen Atmosphare, von der das Biirgertum mit 
Absicht ferngehalten wurde. Auf seinen Latifundien lernte der Adel die Kunst des Regierens, der 
Menschenbehandlung - auf den fiihrenden Staatsposten des In- und Auslandes die Kunst der 
Volkerbehandlung. Politik ist Kunst, nicht Wissenschaft; ihr Schwerpunkt liegt mehr im Instinkt 
als im Verstande, mehr im UnterbewuBten als im BewuBten. Politische Begabung laBt sich 
wecken und ausbilden, nie erlemen. Genie durchbricht alle Regeln: an politischen Talenten aber 
ist der Adel reicher als das Biirgertum. Denn, um Kenntnisse zu erwerben, geniigt ein 
Einzelleben: um Instinkte zu ziichten, bedarf es des Zusammenwirkens vieler Generationen. In 
den Wissenschaften und schonen Kiinsten iiberragt das Biirgertum an Begabung den Adel: in der 
Politik ist das Verhaltnis umgekehrt. Daher [46] 



kommt es, daB auch die Demokratien Europas ihre AuBenpolitik vielfach Abkommlingen ihres 
Hochadels anvertrauen, denn es liegt im Staatsinteresse, die Erbmasse an politischer Begabung, 
die der Adel im Laufe der Jahrhunderte aufgespeichert hat, der Allgemeinheit nutzbar zu machen. 
Die politischen Fahigkeiten des Hochadels sind nicht zuletzt auf seine starke Blutmischung 
zuriickzufiihren. Denn diese nationale Rassenmischung weitet vielfach seinen Horizont und 
paralysiert so die iiblen Folgen gleichzeitiger Kasten-Inzucht. Die groBe Mehrheit minderwertiger 
Aristokraten verbindet die Nachteile der Mischung mit denen der Inzucht: Charakterlosigkeit mit 
Geistesarmut; wahrend sich in den seltenen Hohepunkten modemen Hochadels die Vorziige 
beider begegnen: Charakter mit Geist. 

In intellektueller Hinsicht klafft heutzutage zwischen der auBersten Rechten (konservativem 
Blutadel) und der auBersten Linken (revolutionarem Geistesadel) eine gewaltige Niveaudifferenz, 
wahrend im Charakter diese scheinbaren Extreme sich beriihren. Es liegt aber alles Intellektuelle, 
BewuBte an der Oberflache - alles Charakteristische, Unbewusste in der Tiefe der Personlichkeit. 
Erkenntnisse und Meinungen sind leichter zu bilden und umzubilden als Charaktereigenschaften 
und Willensrichtungen. 

Lenin und Ludendorff sind in ihren politischen Idealen Antagonisten: in ihrer Willenseinstellung 
Briider. Ware Ludendorff im revolutionaren Milieu russischen Studententums aufgewachsen; 
hatte er, wie Lenin, in friiher Jugend die Hinrichtung seines Bruders durch kaiserliche Henker 
erlebt: wir wiirden ihn, wahrscheinlich, an der Spitze des roten RuBland sehen. Wahrend [47] 



Lenin, in einer preuBischen Kadettenschule groBgezogen, vielleicht ein Uber-Ludendorff 
geworden ware. Was diese beiden verwandten Naturen scheidet, ist ihr geistiges Niveau. Lenins 
Beschranktheit scheint heroisch-bewuBt, Ludendorffs Beschranktheit naiv-unbewuBt zu sein. 
Lenin ist nicht bloB Fiihrer - er ist auch Geistiger; sozusagen ein vergeistigte Ludendorff. 
Die gleiche Parallele laBt sich ziehen zwischen zwei anderen vertretem der auBersten Linken und 
Rechten: Friedrich Adler und Graf Arco. Beide waren Morder aus idealismus, Martyrer ihrer 
Uberzeugung. Ware Adler im militaristisch-reaktionaren Milieu deutschen Blutadels, Arco im 
sozialistisch-revolutionaren Milieu osterreichischen Geistesadels aufgewachsen- so hatte, 
wahrscheinlich, die Kugel Arcos den Ministerprasidenten Stiirgkh, die Kugel Adlers den 
Ministerprasidenten Eisner getroffen. Denn auch sie sind Briider, getrennt durch die 
verschiedenheit anerzogener Vorurteile, verbunden durch die Gemeinsamkeit heroisch- 
selbstlosen Charakters. Auch hier liegt der Unterschied im geistigen Niveau (Adler ist 
Geistesmensch), nicht in der Reinheit der Gesinnung. Wer den Charakter des Einen lobt, darf den 
des Anderen nicht herabsetzen - wie dies von beiden Seiten taglich geschieht. 
Wo potenzierte Lebenskraft ist, da ist Zukunft. Die Bliite des Bauemtums, der Landadel, hat 
(soweit er sich gesund erhielt) in tausendjahriger Symbiose mit der lebendigen und 
lebenspendenden Natur eine Fiille vitaler Krafte gesammelt und aufgespeichert. Gelingt es einer 
modernen Erziehung, einen Teil dieser gesteigerten Lebensenergie ins Geistige zu sublimieren: 
dann konnte, vielleicht, der Adel der Vergangenheit entscheidenden Anteil nehmen am Aufbau 
des Adels der Zukunft. [48] 



10. JUDENTUM UND ZUKUNFTSADEL 

Haupttrager des kormpten wie des integren Hirnadels: des Kapitalismus, Journalismus und 
Literatentums, sind Juden*. Die Uberlegenheit ihres Geistes pradestiniert sie zu einem 
Hauptfaktor zukiinftigen Adels. 

Ein Blick in die Geschichte des jiidischen Volkes erklart seinen Vorsprung im Kampf um die 
Menschheitsfiihrung. Vor zwei Jahrtausenden war das Judentum eine Religionsgemeinschaft, 
zusammengesetzt aus ethisch religios veranlagten Individuen aller Nationen des antiken 
Kulturkreises, mit einem national-hebraischen Mittelpunkt in Palastina. Damals war bereits das 
Gemeinsame, Verbindende und Primare nicht die Nation, sondern die Religion. Im Laufe des 
ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung traten in diese Glaubensgemeinschaft Proselyten aus 
alien Volkern ein, zuletzt Konig, Adel und Volk der mongolischen Chazaren, der Herren 
SiidruBlands. Von da an erst schloB sich die jiidische Religionsgemeinschaft zu einer kiinstlichen 
Volks- 



* Das Folgende bezieht sich in erster Linie auf Mittel- und Osteuropa. 
[49] 



gemeinschaft zusammen und gegen alle iibrigen Volker ab*. 

Durch unsagbare Verfolgungen versucht seit einem Jahrtausend das christliche Europa das 
jiidische Volk auszurotten. Der Erfolg war, daB alle Juden, die willensschwach, skmpellos, 
opportunist sch oder skeptisch waren, sich taufen lieBen, um dadurch den Qualen endloser 
Verfolgung zu entgehen. Anderseits gingen unter diesen vielfach erschwerten 
Lebensbedingungen alle Juden zugrunde, die nicht geschickt, klug und erfinderisch genug waren, 
den Daseinskampf in dieser schwierigsten Form zu bestehen. 

So ging schlieBlich aus all diesen Verfolgungen eine kleine Gemeinschaft hervor, gestahlt durch 
ein heldenmiitig ertragenes Martyrium fur die Idee und gelautert von alien willensschwachen und 
geistesarmen Elementen. Statt das Judentum zu vernichten, hat es Europa wider Willen durch 
jenen kiinstlichen AusleseprozeB veredelt und zu einer Fiihrernation der Zukunft erzogen. Kein 
Wunder also, daB dieses Volk, dem Ghetto-Kerker entsprungen, sich zu einem geistigen Adel 
Europas entwickelt. So hat eine giitige Vorsehung Europa in dem Augenblick, als der Feudaladel 
verfiel, durch die Judenemancipation eine neue Adelsrasse von Geistes Gnaden geschenkt. 
Der erste typische Reprasentant dieses werdenden Zukunftsadel war der revolutionare Edeljude 
Lassalle, der in hohem MaBe Schonheit des Korpers mit Edelmut des Charakters und Scharfe des 
Geistes vereinte: Aristokrat im hochsten und wahrsten Sinne des Wortes, war er ein geborener 
Fiihrer und Wegweiser seiner Zelt. 



* Siehe: „Das Wesen des Antisemitismus" von Dr. Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi (II. 

Auflage, Paneuropa-Verlag, Wien). 

[50] 



Nicht: das Judentum ist der neue Adel; sondern: das Judentum ist der SchoB, aus dem ein neuer, 
geistiger Adel Europas hervorgeht; der Kern, um den sich ein neuer, geistiger Adel gruppiert. 
Eine geistig-urbane Herrenrasse ist in Bildung: Idealisten, geistvoll und feinnervig, gerecht und 
iiberzeugungstreu, tapfer wie der Feudaladel in seinen besten Tagen, die Tod und Verfolgung, 
HaB und Verachtung freudig auf sich nehmen, um die Menschheit sittlicher, geistiger, gliicklicher 
zu machen. 

Die jiidischen Helden und Martyrer der ost- und mitteleuropaischen Revolution stehen an Mut, 
Ausdauer und Idealismus den nichtjiidischen Helden des Weltkrieges in nichts nach - wahrend sie 
dieselben an Geist vielfach iiberragen. Das Wesen dieser Manner und Frauen, die es versuchen, 
die Menschheit zu erlosen und zu regenerieren, ist eine eigentiimliche Synthese religioser und 
politischer Elemente: von heroischem Martyrertum und geistiger Propaganda, revolutionarer 
Tatkraft und sozialer Liebe, von Gerechtigkeit und Mitleid. Diese Wesensziige, die sie einst zu 
Schopfem der christlichen Weltbewegung gemacht haben, stellen sie heute an die Spitze der 
sozialistischen. 

Mit diesen beiden Erlosungsversuchen geistig-sittlichen Ursprunges hat das Judentum die 
enterbten Massen Europas reicher beschenkt als irgendein zweites Volk. Wie denn auch das 
moderne Judentum durch seinen Prozentsatz an bedeutenden Mannem alle iibrigen Volker 
iibertrifft: kaum ein Jahrhundert nach seiner Befreiung steht dieses kleine Volk heute mit Einstein 
an der Spitze moderner Wissenschaft; mit Mahler an der Spitze moderner Musik; mit Bergson an 
der Spitze moderner Philosophic; mit Trotzki an der Spitze [51] 



moderner Politik. Die prominente Stellung, die das Judentum heutzutage innehat, verdankt es 
allein seiner geistigen Uberlegenheit, die es befahigt, iiber eine ungeheuere Ubermacht 
bevorzugter, gehassiger, neidischer Rivalen im geistigen Wettkampf zu siegen. Der moderne 
Antisemitismus ist eine der vielen Reaktionserscheinungen des MittelmaBigen gegen das 
Hervorragende; ist eine neuzeitliche Form des Ostrakismus, angewandt gegen ein ganzes Volk. 
Als Volk erlebt das Judentum den ewigen Kampf der Quantitat gegen die Qualitat, 
minderwertiger Gruppen gegen hoherrvertige Individuen, minderwertiger Majoritaten gegen 
hoherwertige Minoritaten. 

Die Hauptwurzeln des Antisemitismus sind Beschranktheit und Neid: Beschranktheid in 
Religiosen oder im Wissenschaftlichen; Neid im Geistigen oder im Wirtschaftlichen. 
Dadurch, daB sie aus einer internationalen Religionsgemeinschaft, nicht aus einer lokalen Rasse 
hervorgegangen sind, sind die Juden das Volk der starksten Blutmischung; dadurch, daB sie sich 
seit einem Jahrtausend gegen die iibrigen Volker abschlieBen, sind sie das Volk starkster Inzucht. 
So vereinigen, wie beim Hochadel, die Auserwahlten unter ihnen Willensstarke mit 
Geistesscharfe, wahrend ein anderer Teil der Juden die Mangel der Inzucht mit den Mangeln der 
Blutmischung Verbindet: Charakterlosigkeit mit Beschranktheit. Hier fmdet sich heiligste 
Selbstaufopferung neben beschranktester Selbstsucht, reinster Idealismus neben krassestem 
Materialismus. Auch hier bestatigt sich die Regel: je gemischter ein Volk, desto unahnlicher sind 
seine Reprasentanten untereinander, desto unmoglicher ist es, einen Einheitstypus zu 
konstruieren. [52] 



Wo viel Licht, da ist viel Schatten. Geniale Familien weisen einen hoheren Prozentsatz an 
Irrsinnigen und Verbrechern auf als mittelmaBige; das gilt auch von Volkern. Nicht bloB die 
revolutionare Geistesaristokratie von morgan - auch die plutokratische Schieber-Kakistokratie 
von heute rekrutiert sich vomehmlich aus Juden: und scharft so die agitatorischen Waffen des 
Antisemitismus. 

Tausendjahrige Sklaverei hat den Juden, mit seltenen Ausnahmen, die Geste des Herrenmenschen 
genommen. Dauernde Unterdriickung hemmt Personlichkeitsentfaltung: und nimmt damit ein 
Hauptelement des asthetischen Adelsideals. An diesem Mangel leidet, physisch wie psychisch, 
ein GroBteil des Judentums; dieser Mangel ist die Hauptursache, daB der europaische Instinkt 
sich dagegen straubt, das Judentum als Adelsrasse anzuerkennen. 

Das Ressentiment, mit dem die Unterdriickung das Judentum belastet hat, gibt ihm viel vitale 
Spannung; nimmt ihm dafiir viel vornehme Harmonie. Ubertriebene Inzucht, verbunden mit der 
Hyperurbanitat der Ghetto- Vergangenheit, hatte manche Ziige physischer und psychischer 
Dekadenz im Gefolge. Was der Kopf der Juden gewann, hat oft ihr Korper verloren; was ihr Him 
gewann, hat ihr Nervensystem verloren. 

So leidet das Judentum an einer Hypertrophic des Hirnes und stellt sich so in Gegensatz zur 
adeligen Forderung harmonischer Personlichkeitsentfaltung. Die korperliche und nervose 
Schwache vieler geistig hervorragender Juden zeitigt einen Mangel an physischem Mut (oft in 
Verbindung mit hochstem moralischen Mut) und eine Unsicherheit des Auftretens: 
Eigenschaften, die [53] 



heute noch mit dem ritterlichen Ideal des Adelsmenschen unvereinbar erscheinen. 
So hat das geistige Herrenvolk der Juden unter Ziigen des Sklavenmenschen zu leiden, die ihm 
seine historische Entwicklung aufgepragt hat: noch heute tragen viele jiidische 
Fiihrerpersonlichkeiten Haltung und Geste des unfreien, unterdriickten Menschen. In ihren 
Gesten sind herabgekommene Aristokraten oft adeliger als hervorragende Juden. Diese Mangel 
des Judentums, durch die Entwicklung entstanden, werden durch die Entwicklung wieder 
verschwinden. Die Rustikalisierung des Judentums (ein Hauptziel des Zionismus), verbunden mit 
sportlicher Erziehung, wird das Judentum vom Ghetto-Rest, den es heute noch in sich tragt, 
befreien. DaB dies moglich ist, beweist die Entwicklung des amerikanischen Judentums. Der 
faktischen Freiheit und Macht, die das Judentum errungen hat, wird das BewuBtsein derselben, 
dem BewuBtsein allmahlich Haltung und Geste des freien, machtigen Menschen folgen. 
Nicht nur das Judentum wird sich in der Richtung des westlichen Adelsideals wandeln - auch das 
westliche Adelsideal wird eine Wandlung erfahren, die dem Judentum auf halbem Wege 
entgegenkommt. In einem friedlicheren Europa der Zukunft wird der Adel seinen kriegerischen 
Charakter abstreifen und mit einem geistig - priesterlichen vertauschen. Ein pazifiziertes und 
sozialisiertes Abendland wird keine Gebieter und Herrscher mehr brauchen - nur Fiihrer, 
Erzieher, Vorbilder. In einem orientalischen Europa wird der Zukunftsaristokrat mehr einem 
Brahmanen und Mandarin gleichen als einem Ritter. [54] 



AUSBLICK 

Der Adelsmensch der Zukunft wird weder feudal noch jiidisch, weder biirgerlich noch 

proletarisch: er wird synthetisch sein. Die Rassen und Klassen im heutigen Sinne werden 

verschwinden, die Personlichkeiten bleiben. 

Erst durch Verbindung mit bestem Biirgerblut werden die entwicklungsfahigen Elemente 

einstigen Feudaladels sich zu neuer Bliite emporringen; erst durch Vereinigung mit den Gipfeln 

nichtjiidischen Europaertums wird das jiidische Element des Zukunftsadel zur vollen Entfaltung 

gelangen. Den auserwahlten Menschen der Zukunft mag ein physisch hochgeziichteter 

Rustikaladel vollendete Korper und Gesten, ein geistig hochgebildeter Urbanadel vergeistigte 

Physiognomien, durchseelte Augen und Hande schenken. 

Der Adel der Vergangenheit war aufgebaut auf Quantitat: der feudale auf die Zahl der Ahnen; der 

plutokratische auf die Zahl der Millionen. Der Adel der Zukunft wird auf Qualitat beruhen: auf 

personlichem Wert, personlicher Vollkommenheit; auf Vollendung des Leibes, der Seele, des 

Geistes. 

Heute, an der Schwelle eines neuen Zeitalters, tritt an die Stelle des einstigen Erbadels ein 

Zufallsadel; [55] 



statt Adelsrassen adelige Individuen: Menschen, deren zufallige Blutzusammensetzung sie zu 
vorbildlichen Typen erhebt. 

Aus diesem Zufallsadel von heute wird die neue Internationale und intersoziale Adelsrasse von 
morgen hervorgehen. Alles Hervorragende an Schonheit, Kraft, Energie und Geist wird sich 
erkennen und zusammenschlieBen nach den geheimen Gesetzen erotischer Attraktion. Sind erst 
einmal die kiinstlichen Schranken gefallen, die Feudalismus und Kapitalismus zwischen den 
Menschen errichtet haben - dann werden automatisch den bedeutendsten Mannern die schonsten 
Frauen zufallen, den hervorragendsten Frauen die vollendesten Manner. Je vollkommener dann 
im Physischen, Psychischen, Geistigen ein Mann sein wird - desto groBer die Zahl der Frauen, 
unter denen er wird wahlen konnen. Nur den edelsten Mannern wird die Verbindung mit den 
edelsten Frauen freistehen und umgekehrt - die Minderwertigen werden sich mit den 
Minderwertigen zufrieden geben miissen. Dann wird die erotische Lebensform der 
Minderwertigen und MittelmaBigen Freie Liebe sein, der Auserwahlten: Freie Ehe. So wird der 
neue Zuchtadel der Zukunft nicht hervorgehen aus den kiinstlichen Normen menschlicher 
Kastenbildung, sondern aus den gottlichen Gesetzen erotischer Eugenik. 

Die natiirliche Rangordnung menschlicher Vollkommenheit wird an die Stelle der kiinstlichen 
Rangordnung: des Feudalismus und Kapitalismus treten. 

Der Sozialismus, der mit der Abschaffung des Adels, mit der Nivellierung der Menschheit 
begann, wird in der Ziichtung des Adels, in der Differenzierung der Menschheit gipfeln. Hier, in 
der sozialen Eugenik, liegt [56] 



seine hochste historische Mission, die er heute noch nicht erkennt: aus ungerechter Ungleichheit 
iiber Gleichheit zu gerechter Ungleichheit zu fiihren, iiber die Triimmer aller Pseudo-Aristokratie 
zu echtem, neuem Adel. [57] 



APOLOGIE DER TECHNIK 1922 



Motto: 

Ethik ist die Seele unserer Kultur ■ 

Technikihr Leib: 

mens sana in corpore sanol 



/. DAS VERLORENE PARADIES 

1. DER FLUCH DER KULTUR 

Die Kultur hat Europa in ein Zuchthaus verwandelt und die Mehrzahl seiner Bewohner in 

Zwangsarbeiter. - 

Der modeme Kulturmensch fristet ein elenderes Leben als alle Tiere der Wildnis: die einzigen 

Wesen, die noch bemitleidenswerter sind, als er, sind seine Haustiere - weil sie noch unfreier 

sind. 

Das Dasein eines Biiffels im Urwalde, eines Kondors in den Anden, eines Haifisches im Ozean 

ist unvergleichlich schoner, freier und gliicklicher als das eines europaischen Fabrikarbeiters, der, 

Tag fiir Tag, Stunden und Stunden an seine Maschine gekettet, unorganische Handgriffe 

verrichten muB, um nicht zu verhungern. 

Auch der Mensch war einst in der Vorzeit ein gliickliches Wesen: ein gliickliches Tier. Da lebte 

er in Freiheit, als Teil einer tropischen Natur, die ihn nahrte und warmte. Sein Leben bestand in 

der Befriedigung seiner Triebe; er genoB es, bis ihn ein natiirlicher oder gewaltsamer Tod traf. Er 

war frei; lebte in der Natur - statt im Staate; spielte - statt zu arbeiten: darum war er schon und 

gliicklich. Sein Lebensmut und seine Lebens- [61] 



freude waren starker als alle Schmerzen, die ihn trafen und als alle Gefahren, die ihm drohten. 
Im Laufe der Jahrtausende hat der Mensch dieses kostliche, freie Dasein verloren. Der Europaer, 
der sich fiir den Gipfel der Zivilisation halt, lebt in unnatiirlichen und haBlichen Stadten ein 
unnatiirhches, haBliches, unfreies, ungesundes, unorganisches Leben. Mit verkiimmerten 
Instinkten und geschwachter Gesundheit atmet er in diisteren Raumen verdorbene Luft; die 
organisierte Gesellschaft, der Staat, raubt ihm jede Bewegungs- und Handlungsfreiheit, wahrend 
ein rauhes Klima ihn zu lebenslanglicher Arbeit zwingt. 
Die Freiheit, die er einst besaB, hat der Mensch verloren: und mit ihr das Gliick. - 



2. ENTFALTUNG UND FREIHEIT 

Alles irdischen Daseins Endziel ist Entfaltung: das Gestein will auskristallisieren, die Pflanze 
wachsen und bliihen, das Tier und der Mensch sich ausleben. Die Lust, die nur Menschen und 
Tieren bekannt ist, hat keinen eigenen, sondern nur symptomatischen Wert: das Tier befriedigt 
nicht seine Instinkte, well es dabei Lust empfmdet - sondern es empfmdet Lust, well es seine 
Instinkte befriedigt. 

Entfaltung bedeutet Wachstum nach den Gesetzen des eigenen Innern: Wachstum in Freiheit. 
Jeder auBere Druck und Zwang hemmt die Freiheit der Entfaltung. In einer determinierten Welt 
hat Freiheit keine andere Bedeutung als: Abhangigkeit von inneren Gesetzen, wahrend Unfreiheit 
heiBt: Abhangigkeit von auBeren Verhaltnissen. Der Kristall hat nicht die Freiheit, sich eine 
beliebige stereometrische Gestalt zu [62] 



wahlen: die Knospe hat nicht die Freiheit, sich zu einer beliebigen Bliite zu entfalten: aber die 

Freiheit des Gesteines besteht darin, daB es zum Kristall, die Freiheit der Knospe, daB sie zur 

Bliite wird. Das unfreie Gestein bleibt amorph oder kristallinisch - die unfreie Bliite verkiimmert. 

In beiden Fallen ist der auBere Zwang starker als die innere Kraft. Das Produkt menschlicher 

Freiheit ist der entfaltete Mensch; das Produkt menschlicher Unfreiheit: der verkiimmerte 

Mensch. 

Weil der freie Mensch sich entfalten kann, ist er schon und gliicklich. Der freie, entfaltete 

Mensch ist das Ziel aller Entwicklung und das MaB aller menschlichen Werte. 

Der Mensch hat seine einstige Freiheit verloren: das war sein Siindenfall. So wurde er zu einem 

ungliichlichen, unvollkommenen Geschopf Alle wilden Tiere sind schon - wahrend die meisten 

Menschen haBlich sind. Es gibt viel mehr vollkommene Tiger, Elephanten, Adler, Fische, 

Insekten als Menschen: denn der Mensch ist, durch Verlust seiner Freiheit, verkiimmert und 

verkommen. 

Die Sage vom verlorenen Paradiese der Vorzeit verkiindet die Wahrheit, daB der Mensch ein 

Verbannter ist aus dem Reiche der Freiheit, der MuBe und des naturgemaBen Lebens, in dem 

heute noch die Fauna des Urwaldes lebt und dem, unter den heutigen Menschen, einige 

Siidseeinsulaner noch am nachsten stehen. 

Das verlorene Paradies ist die Zeit des menschlichen Tier-Daseins in den Tropen, da es noch 

keine Stadte, keine Staaten und keine Arbeit gab. - [63] 



3. UBERVOLKERUNG UND NORDWANDERUNG 

Zwei Dinge haben den Menschen aus seinem Paradiese vertrieben: die Ubervolkemng und die 

Wanderung in kaltere Zonen. - 

Durch die Ubervolkemng hat der Mensch die Freiheit des Raumes verloren: iiberall stoBt er an 

seine Mitmenschen und deren Interessen - so wurde er zum Sklaven der Gesellschaft. 

Durch die Auswanderung nach Norden hat der Mensch die Freiheit der Zeit verloren: die MuBe. 

Denn das rauhe Klima zwingt ihn zu unfreiwilliger Arbeit, urn sein Leben zu fristen: so wurde er 

zum Sklaven der nordischen Natur. 

Die Kultur hat die drei Formen der Schonheit vernichtet, die das Dasein des Naturmenschen 

verklarten: Freiheit, MuBe, Natur; an deren Stelle hat sie den Staat, die Arbeit und die Stadt 

gesetzt. 

Der Kultureuropaer ist ein Verbannter des Siidens, ein Verbannter der Natur. - 



4. GESELLSCHAFT UND KLIMA 

Die beiden Zwingherm des Kultureuropaers heiBen: Gesellschaft und Klima. 
Die soziale Unfreiheit erreicht ihren Hohepunkt in der modemen GroBstadt, well hier Gedrange 
und Ubervolkemng am groBten sind. Da leben die Menschen nicht nur nebeneinander, sondem 
iibereinander geschichtet, eingemauert in kiinstliche Steinblocke (Hauser); standig bewacht und 
beargwohnt durch die [64] 



Organe der Gesellschaft, miissen sie sich ungefragt einer Unzahl von Gesetzen und Vorschriften 
fiigen; wenn sie gegen dieselben verstoBen, werden sie von ihren Mitmenschen jahrelang 
gemartert (eingesperrt) oder ermordet (hingerichtet). - Weniger driickend als in den Stadten ist 
die soziale Unfreiheit auf dem Lande, am wenigsten driickend in diinn bevolkerten Gegenden, 
wie etwa Westamerika, Gronland, der Mongolei und Arabien. Dort kann sich noch der Mensch 
im Raume entfalten, ohne gleich mit der Gesellschaft in Konflikt zu geraten; dort gibt es noch 
Reste sozialer Freiheit. 

Die klimatische Unfreiheit ist am driickendsten in den Kulturlandem des Nordens. Dort muB der 
Mensch einem sonnenarmen Boden wahrend der kurzen Sommermonate die Nahrung fur das 
ganze Jahr abtrotzen und sich gleichzeitig durch Beschaffung von Kleidung, Wohnung und 
Heizung vor dem Winterfrost schiitzen. Straubt er sich gegen diese Zwangsarbeit, so muB er 
verhungern oder erfrieren. So zwingt ihn das nordische Klima zu rastloser, aufreibender, 
miihsamer Zwangsarbeit. - Mehr Freiheit gewahrt die Natur in gemaBigten Zonen, wo der 
Mensch nur dem einen Zwingherm: dem Hunger, dienen muB, wahrend der zweite: der Frost, 
von der Sonne bezwungen wird. Der freieste Mensch ist der tropische, well dort Friichte und 
Niisse ihn auch ohne Arbeit ernahren. Nur dort gibt es noch klimatische Freiheit. 
Europa ist ein iibervolkerter und nordlicher Erdstrich zugleich: deshalb ist der Europaer der 
unfreieste Mensch, Sklave der Gesellschaft und der Natur. 

Gesellschaft und Natur treiben einander ihre Opfer zu: der Mensch, der aus der Stadt in die 
Einode flieht, [65] 



um doit Schutz zu suchen vor dem Gedrange der Gesellschaft sieht sich bedroht vom 
unbarmherzigen Klima, von Hunger und Frost. Der Mensch, der vor den Naturgewalten in die 
Stadt flieht und dort bei seinen Mitmenschen Schutz sucht - sieht sich bedroht von der 
unbarmherzigen Gesellschaft, die ihn ausbeutet und zertritt. - 



5. BEFREIUNGSVERSUCHE DER MENSCHHEIT 

Die Weltgeschichte setzt sich zusammen aus Befreiungsversuchen des Menschen aus dem Kerker 
der Gesellschaft und dem Exil des Nordens. 

Die vier Hauptwege, auf denen der Mensch versuchte, in das verlorene Paradies der Freiheit und 
der MuBe heimzukehren, waren folgende: 

I. Der Weg nach riickwartst (Auswanderung): zuriick zur Einsamkeit und zur Sonne. Mit diesem 
Ziele wandem seit jeher Menschen und Volker aus dichtbesiedelten Erdstrichen in 
diinnbesiedelte, aus kalteren in warmere Zonen. Fast alle Volkerwanderungen und ein groBer Teil 
der Kriege lassen sich auf diesen urspriinglichen Drang nach Bewegungsfreiheit und Sonne 
zuriickfuhren. - 

II. Der Weg nach oben (Macht): hinauf aus dem Menschengedrange in die Einsamkeit, Freiheit 
und MuBe der oberen Zehntausend! Dieser Ruf erscholl, als infolge der Ubervolkerung Macht 
Vorbedingung der Freiheit - und infolge der klimatischen Verhaltnisse Macht Vorbedingung der 
MuBe wurde. Denn nur der Machtige kann sich entfalten, ohne auf seine Mitmenschen [66] 



Riicksicht nehmen zu brauchen - nur der Machtige kann sich vom Arbeitszwange befreien, indem 
er andere fiir sich arbeiten laBt. In iibervolkerten Landem steht der Mensch vor der Wahl, 
entweder auf die Kopfe seiner Mitmenschen zu steigen oder seinen eigenen Kopf von ihnen 
treten zu lassen: Herr oder Knecht, Rauber oder Bettler zu sein. - Dieser allgemeine Drang nach 
Macht war der Vater der Kriege, Revolutionen und Kampfe zwischen den Menschen.- 

III. Der Weg nach innen (Ethik): weg aus dem auBeren Gedrange in die innere Einsamkeit, aus 
der auBeren Arbeit in die innere Harmonie! Befreiung des Menschen durch Selbstbeherrschung, 
Seibstbeschrankung und Selbstlosigkeit; Bediirfnislosigkeit als Schutz vor Bediirftigkeit; 
zuriickschrauben der Anspriiche auf MuBe und Freiheit, bis sie jenen Minimum entsprechen, das 
eine iibervolkerte Gesellschaft und ein rauhes Klima bieten. - Auf diesen Drang, Ersatz fur die 
auBere Unfreiheit und Arbeit in der Freiheit und Seelenruhe des Herzens zu suchen, gehen alle 
religiosen Bewegungen zuriick. - 

IV. Der Weg nach vorwarts (Technik): heraus aus der Epoche der Sklavenarbeit ein neues 
Zeitalter der Freiheit und MuBe durch den Sieg des Menschengeistes iiber die Naturkrafte! 
Uberwindung der Uberbevolkerung durch Produktionssteigerung, der menschlichen 
Sklavenarbeit durch Versklavung der Naturkrafte. - Auf dieses Streben, durch Bezwingung der 
Natur ihre Gewaltherrschaft zu brechen, ist der technische und wissenschaftliche Fortschritt 
zuriickzufuhren. - [67] 



//. ETHIK UND TECHNIK 

1 . DIE SOZIALE FRAGE 

Die Schicksalsfrage der europaischen Kultur lautet: „Wie ist es moglich, eine auf den engen 

Raum eines kalten und kargen Erdteiles zusammengedrangte Menschheit vor Hunger, Kalte, 

Totschlag und Uberanstrengung zu schiitzen und ihr die Freiheit und MuBe zu geben, durch die 

sie einst zu Gliick und Schonheit gelangen kann?" 

Die Antwort lautet: "Durch Entwicklung der Ethik und der Technik". - 

Die Ethik kann den Europaer durch Schule, Presse und Religion aus einem Raubtier in ein 

Haustier verwandeln und ihn dadurch reif zur freien Gemeinschaft machen - die Technik kann 

durch Steigerung der Produktion und Umwandlung der menschlichen Zwangsarbeit in 

Maschinenarbeit dem Europaer die freie Zeit und Arbeitskraft schenken, die er zum Ausbau einer 

Kultur braucht. 

Ethik lost die soziale Frage von innen - Technik von auBen. - 

In Europa haben nur zwei Menschenklassen die Voraussetzungen zum Gliick: die Reichen, die 

alles tun und haben konnen, was sie wollen - und die Heiligen, [68] 



die nicht mehr tun und haben wollen, als ihnen ihr Schicksal gewahrt. Die Reichen erobem sich 
ein objektive Freiheit durch ihre Macht, Mitmenschen und Naturkrafte in Organe ihres Wollens 
zu verwandeln - die Heiligen erobern sich eine subjektive Freiheit durch die Gleichgiiltigkeit, mit 
der sie irdischen Giitern gegeniiberstehen. Der Reiche kann sich nach auBen entfalten - der 
Heilige nach innen. 

Alle iibrigen Europaer sind Sklaven der Natur und der Gesellschaft: Zwangsarbeiter und 
Gefangene. - 



2. UNZULANGLICHKEIT DER POLITIK 

Es ist das Ideal der Ethik, aus Europa eine Gemeinschaft von Heiligen zu machen; es ist das Ideal 

der Technik, aus Europa eine Gemeinschaft von Reichen zu machen. Die Ethik will die 

Begehrlichkeit abschaffen, damit die Menschen sich nicht mehr arm fiihlen - die Technik will die 

Not abschaffen, damit die Menschen nicht mehr arm sind. 

Die Politik ist weder in der Lage, die Menschen zufrieden zu machen, noch reich. Deshalb 

miissen ihre eigenmachtigen Versuche, die soziale Frage zu losen, scheitern. Nur im Dienste der 

Ethik und Technik kann Politik an der Losung der sozialen Frage mitwirken. 

Bei dem heutigen Stande der Ethik und Technik ware das hochste, was Politik erreichen konnte, 

die Verallgemeinerung der Unfreiheit, Armut und Zwangsarbeit. Sie konnte diese Ubel nur 

ausgleichen, nicht aufheben; konnte aus Europa ein Zuchthaus gleichberechtigter Zwangsarbeiter 

machen - aber kein [69] 



Paradies. Der Staatsbiirger des sozialen Idealstaates ware unfreier und geplagter als der 
Siidseeinsulaner im Naturzustande: die Kulturgeschichte wiirde zur Geschichte eines 
verhangnisvollen Betruges am Menschen. - 



3. STAAT UND ARBEIT 

Solange die Ethik zu schwach ist, um den Menschen vor seinen Mitmenschen zu schiitzen, und 

die Technik zu unentwickelt, um deren Arbeitslast auf die Naturkrafte zu iiberwalzen, - sucht die 

Menschheit die Schaden der Ubervolkerung durch den Staat abzuwehren, die Gefahren des 

Klimas durch die Arbeit. 

Der Staat schiitzt den Menschen vor der Willkiir der Mitmenschen - die Arbeit vor der Willkiir 

der Naturgewalten. 

Der organisierte Zwangsstaat gewahrt unter gewissen Bedingungen dem Menschen, der auf seine 

Freiheit verzichtet, den Schutz der Person und des Eigentums gegen die Mord- und Raubgeliiste 

seiner Mitmenschen - die organisierte Zwangsarbeit gewahrt in nordlichen Gegenden dem 

Menschen, der auf seine Zeit und Arbeitskraft verzichtet, Schutz vor dem Verhungern und 

Erfrieren. - 

Diese beiden Institutionen begnadigen den Europaer, der von Natur aus als iiberzahlig dem Tode 

verfallen ware, zu lebenslanglicher Zwangsarbeit; um sein Leben zu fristen, muB er seine Freiheit 

hingeben. Als Staatsbiirger ist er eingesperrt in den engen Kafig seiner Rechte und Pflichten - als 

Zwangsarbeiter ist er eingespannt in das harte Joch seiner Arbeitsleistung. Lehnt [70] 



er sich gegen den Staat auf - so droht ihm der Galgen; lehnt er sich gegen die Arbeit auf - so 
droht ihm der Hunsertod. - 



4. ANARCHIE UND MUSSE 

Staat und Arbeit geben beide vor, Ideale zu sein; sie verlangen von ihren Opfern Ehrfurcht und 

Liebe. Sie sind aber keine Ideale: sie sind schwer zu ertragende soziale und klimatische 

Notwendigkeiten. 

Seit es Staaten gibt, traumt die Sehnsucht des Menschen von Anarchie, vom idealen Zustande der 

Staatslosigkeit - seit es Arbeit gibt, traumt die Sehnsucht des Menschen von MuBe, vom 

Idealzustand der freien Zeit. 

Anarchie und MuBe sind Ideale - nicht Staat und Arbeit. 

Anarchie ist in einer dichtbevolkerten Gesellschaft, die nicht auf hoher ethischer Stufe steht, 

undurchfiihrbar. Ihre Verwirklichung miiBte den letzten Rest an Freiheit und Lebensmoglichkeit, 

den der Staat seinen Biirgern reserviert, vemichten. In der allgemeinen Panik kollidierender 

Egoismen wiirden die Menschen einander erdriicken. Statt zur Freiheit miiBte Anarchie zur 

argsten Unfreiheit fiihren. 

Bei allgemeiner MuBe miiBten in einem nordlichen Weltteil innerhalb Monate die Mehrzahl der 

Menschen verhungern oder erfrieren. Not und Elend wiirden ihren Gipfel erreichen. - 

Einsiedler-Anarchien herrschen in Wiisten und Schneefeldern unter Eskimos und Beduinen; 

MuBe herrscht in diinnbevolkerten und fruchtbaren Siidlandern. - [71] 



5. UBERWINDUNG VON STAAT UND ARBEIT 

Zwangsstaat und Zwangsarbeit, die beiden Beschiitzer und Zwingherrn des Kulturmenschen, 

konnen durch keine politische Revolution beseitigt werden; nur durch Ethik und Technik. Bevor 

nicht Ethik den Zwangsstaat iiberwunden hat, bedeutet Anarchie allgemeinen Mord und Raub - 

bevor nicht Technik die Zwangsarbeit iiberwunden hat, bedeutet MuBe allgemeinen Hunger- und 

Kaltetod. 

Nur durch Ethik kann sich der Bewohner iibervolkerter Lander aus der Tyrannei der Gesellschaft 

erlosen, nur durch Technik kann sich der Bewohner kalterer Zonen aus der Tyrannei der 

Naturgewalten erlosen. 

Die Mission des Staates ist, durch Forderung der Ethik sich selbst iiberflussig zu machen und 

schlieBlich zur Anarchie zu fiihren - die Mission der Arbeit ist, durch Forderung der Technik sich 

selbst iiberfliissig zu machen und schlieBlich zur MuBe zu fiihren. 

Nicht die freiwillige Menschengemeinschaft ist Fluch - sondem nur der Zwangsstaat; nicht die 

freiwillige Arbeit ist Fluch - sondem nur die Zwangsarbeit. Nicht Ziigellosigkeit ist Ideal sondern 

Freiheit: nicht MiiBiggang ist Ideal - sondern MuBe. 

Zwangsstaat und Zwangsarbeit sind Dinge, die iiberwunden werden miissen: 

aber sie konnen nicht iiberwunden werden durch Anarchie und MuBe, bevor nicht Ethik und 

Technik ausgereift sind; um dahin zu gelangen, muB der Mensch den Zwangsstaat ausbauen, um 

die Ethik zu fordern - die Zwangsarbeit ausbauen, um die Technik zu fordern. [72] 



Der Weg zur ethischen Anarchic fiihrt iibcr Staatszwang, dcr Wcg zu tcchnischcn MuBc fiihrt 

iibcr Arbcitszwang. 

Die Kurve der Kulturspirale, die aus dem Paradiese der Vergangenheit in das Paradies der 

Zukunft fiihrt, nimmt folgenden Doppellauf: 

Naturanarchie - Ubervolkerung - Zwangsstaat - Ethik - Kulturanarchie; NaturmuBe - 

Nordwanderung - Zwangsarbeit - Technik - KulturmuBe. 

Wir befinden uns heute in der Mitte dieser Kurven, von beiden Paradiesen weit entfernt: daher 

unser Elend. Der moderne Durchschnittseuropaer ist nicht mehr Naturmensch - aber noch nicht 

Kulturmensch; nicht mehr Tier - aber noch nicht Mensch; nicht mehr Teil der Natur - aber noch 

nicht Herr der Natur. - 



6. ETHIK UND TECHNIK 

Ethik und Technik sind Schwestern: Ethik beherrscht die Naturkrafte in uns, Technik beherrscht 

die Naturkrafte um uns. Beide suchen die Natur zu bezwingen durch gestaltenden Geist. 

Ethik sucht durch heroische Vemeinung den Menschen zu erlosen: durch Resignation - Technik 

durch heroische Bejahung: durch Tat. 

Ethik kehrt den Machtwillen des Geistes nach innen: sie will den Mikrokosmos erobem. - 

Technik kehrt den Machtwillen des Geistes nach auBen: sie will den Makrokosmos erobem. 

Weder Ethik noch Technik allein kann den nordischen Menschen erlosen: denn eine darbende 

und frierende Menschheit kann durch Ethik weder gesattigt [73] 



noch erwarmt werden, eine bose und begehrliche Menschheit durch Technik weder vor sich 

selbst geschiitzt noch befriedigt werden. 

Was niitzt den Menschen alle Sittlichkeit, wenn sie dabei verhungem und erfrieren? Und was 

niitzt den Menschen aller technische Fortschritt, wenn sie ihn dazu miBbrauchen, einander zu 

schlachten und zu verstiimmeln? 

Kultur-Asien leidet mehr an Ubervolkerung als an Frost: es konnte daher leichter auf Technik 

verzichten und sich seiner ethischen Entwicklung hingeben als Europa, wo Ethik und Technik 

einander erganzen miissen. - [74] 



///. ASIEN UND EUROPA 

1. ASIEN UND EUROPA 

Asiens GroBe liegt in seiner Ethik - Europas GroBe in seiner Technik. 

Asien ist der Lehrmeister der Welt in der Selbstbeherrschung. - 

Europa ist der Lehrmeister der Welt in der Naturbeherrschung. In Asien lag der Schwerpunkt der 

sozialen Frage in Ubervolkerung - in Europa im Klima. 

Asien muBte vor allem versuchen, ein friedliches Zusammenleben zwischen einer Uberzahl von 

Menschen zu ermoglichen: das konnte es nur durch Erziehung des Menschen zur Selbstlosigkeit 

und Selbstbeherrschung, durch Ethik. 

Europa muBte vor allem versuchen, die Schrecken des Hungers und der Kalte zu bannen, die 

seine Bewohner standig bedrohten: das konnte es nur durch Arbeit und Erfmdung, durch 

Technik. - 

Es gibt zwei Grundwerte des Lebens: Harmonic und Energie; auf sie sind alle iibrigen Werte 

zuriickzufiihren. 

Asiens GroBe und Schonheit beruht auf Harmonic. [75] 



Europas GroBe und Schonheit bemht auf Energie; Asien lebt im Raume: sein Geist ist 

beschaulich, in sich gekehrt, ruhig und geschlossen; es ist weiblich, pflanzenhaft, statisch, 

apollinisch, klassisch, idyllisch - 

Europa lebt in der Zeit: sein Geist ist tatig, nach auBen gerichtet, bewegt und zielstrebig; es ist 

mannlich, tierhaft, dynamisch, dionysisch, romantisch, heroisch. 

Asiens Symbol ist das allumfassende Meer, der Kreis - 

Europas Symbol ist der vorwartsstrebende Strom, die Gerade. Hier enthiillt sich der tiefste Sinn 

des kosmischen Symboles Alpha und Omega. In der Zeichensprache vermittelt es uns jene 

mystische, immer wiederkehrende Polaritat von Kraft und Form, von Zeit und Raum, von 

Mensch und Kosmos, die sich hinter der Seele Europas und Asiens verbirgt: 

das groBe Omega, der Kreis. dessen weites Tor dem Kosmos zu offensteht - ist ein Sinnbild der 

gottlichen Harmonie Asiens; 

das groBe Alpha, ein nach oben weisender spitzer Winkel, der das Omega durchstoBt - ist ein 

Sinnbild der menschlichen Aktivitat und Zielstrebigkeit Europas, die mit der ewigen Ruhe Asiens 

bricht. A und Q sind auch im Freudschen Sinne unverkennbare Symbole des mannlichen und des 

weiblichen Geschlechtes: die Vereinigung dieser Zeichen bedeutet Zeugung und Leben und 

offenbart den ewigen Dualismus der Welt. Die gleiche Symbolik liegt wahrscheinlich auch den 

Ziffem 1 und zugrunde: das endliche Eins als Protest gegen die unendliche Null - Ja gegen 

Nein. - [76] 



2. KULTUR UND KLIMA 

Die Seele Asians und Europas ist hervorgegangen aus dem asiatischen und europaischen Klima. 

Asians Kulturzentren liegen in warmen - Europas Kulturzentren in kalten Gegenden. Das ergab 

ihre gegensatzliche Einstellung zur Natur: wahrend sich der Siidlander als Kind und Freund 

seiner freigebig spendenden Natur fiihlen darf - ist der Nordlander gezwungen, in hartem Kampfe 

alles, was er zum Leben braucht, einem geizigen Boden abzuringen; so steht er vor der Wahl: 

entweder Herr oder Knecht der Natur zu werden - auf jeden Fall aber ihr Gegner. 

Im Siiden war die Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur friedlich-harmonisch - im 

Norden war sie kriegerisch-heroisch. 

Europas Dynamik erklart sich dadurch, daB es das nordliche Kulturzentrum der Erde ist. Seit 

zehntausenden von Jahren stellen Kalte und Kargheit des Bodens den Europaer vor die Wahl: 

„Arbeite oder stirb!" Wer nicht arbeiten wollte oder konnte, musste verhungern oder erfrieren. 

Durch viele Geschlechter rottete der nordische Winter systematisch die schwachen, passiven, 

tragen und beschaulichen Europaer aus und ziichtete so einen harten tatigen, heroischen 

Menschenschlag. 

Seit prahistorischer Zeit ringt die weiBe, langer noch die blonde Menschheit mit dem Winter, der 

sie gebleicht, zugleich aber gestahlt hat. Dieser vorzeitlichen Abhartung hat es der Europaer zu 

verdanken, daB er seine Gesundheit und Tatkraft durch all seine Kultursiinden hindurch bis heute 

bewahrt hat. [77] 



Der weiBe Mensch ist ein Sohn des Winters, der Sonnenferne: um die Kalte zu iiberwinden, 

muBte er Muskeln und Geist zu Hochstleistungen anspannen und selber neue Sonnen schaffen; 

muBte die ewig feindliche Natur iiberwinden, umschaffen, unterwerfen. 

Unter diesem Zwang, zwischen Tat und Tod zu wahlen, entstand am Nordrande jeder Kultur ihr 

starkster, heroischster Typus: in Europa der Germane (Nor[d]-manne), in Asien der Japaner, in 

Amerika der Azteke. - 

Die Hitze zwingt den Menschen, seine Aktivitat auf ein Minimum zu beschranken - die Kalte 

zwingt ihn, seine Aktivitat auf ein Maximum zu steigern. 

Stets hat der aktive, heroische Mensch des Nordens den passiven, harmonischen Siiden besiegt 

und erobert: dafiir hat dann der kultiviertere Siiden den barbarischen Nordmenschen assimihert 

und zivilisiert - bis er schheBhch selbst durch einen neuen Norden erobert, barbarisiert und 

regeneriert wurde. 

Die meisten kriegerischen Eroberungen in der Geschichte gehen von Nordvolkem aus und 

richten sich gegen den Siiden - die meisten geistig - religiosen Storungen gehen von den 

Siidvolkem aus und wenden sich gegen Norden. 

Europa ist religios von Juden, - militarisch von Germanen erobrert worden: in Asien siegten die 

Religionen Indiens und Arabiens: - wahrend dessen politische Vormacht Japan ist. 

Die aktiven Volker warmerer Zonen (Araber. Tiirken, Tartaren, Mongolen) stammen aus Wiisten 

oder Steppen: hier war an Stelle des nordischen Winters die Diirre des Bodens ihr Zuchtmeister: 

aber auch hier vollzog sich [78] 



zwangslaufig der Sieg des heroischen Menschen iiber den idyllischen, des aktiven iiber den 
passiven, des hungrigen iiber den satten. - 



3. DIE DREI RELIGIONEN 

Indiens Hitze, die jede Tatigkeit lahmt, schuf dessen beschauliche Mentalitat; 

Europas Kalte, die zur Tatigkeit zwingt, schuf dessen aktive Mentalitat; 

Chinas mittlere Temperatur, die einen harmonischen Wechsel von Tatigkeit und Beschaulichkeit 

verlangt, schuf dessen harmonische Mentalitat. 

Diese drei Temperaturen haben drei religiose Grundtypen gezeugt den beschaulichen, heroischen 

und harmonischen Typus. 

Die heroische Religion und Ethik des Nordens kommt zum Ausdruck in der Edda sowie in der 

Weltanschauung des europaischen und japanischen Rittertums, und erlebt ihre Auferstehung in 

der Lehre Nietzsches. Ihre hochsten Tugenden sind Tapferkeit und Tatkraft, ihr Ideal ist der 

Kampf und der Held: Siegfried. Die beschauliche Religion und Ethik des Siidens findet ihre 

Vollendung im Buddhismus. Ihre hochsten Tugenden sind Entsagung und Milde, ihr Ideal ist der 

Friede und der Heilige: Buddha. 

Die harmonische Religion und Ethik der Mitte entfaltete sich im Westen in Hellas, im Osten in 

China. Sie fordert weder die Askese des Kampfes noch der Entsagung. Sie ist optimistisch und 

diesseitig; ihr Ideal ist der edle Mensch: der Weise Konfuzius, der Kiinstler [79] 



Apollon. Das griechische Ideal des apollinischen Menschen steht in der Mitte zwischen dem 

germanischen Helden Siegfried und dem indischen Heiligen Buddha. - 

Alle religiosen und ethischen Gebilde sind Kombinationen aus diesen drei Grundtypen. Jede 

Religion, die sich ausbreitet, muB sich diesen klimatischen Forderungen anpassen. So nahert sich 

das orientalische Christentum der Siidreligion, das katholische der Mittelreligion, das 

protestantische der Nordreligion. Das gleiche gilt vom Buddhismus in Ceylon, China und Japan. - 

Das Christentum hat unserer Kultur die asiatischen Werte des Siidens iibermittelt; die 

Renaissance hat uns die antiken Werte der Mitte iibermittelt: 

das Rittertum hat uns die germanischen Werte des Nordens iibermittelt. - 

4. HARMONIE UND KRAFT 

Europas Kulturwerte sind gemischt - sein Geist vorwiegend nordisch. 

An Giite und Weisheit ist der Orientale dem Europaer iiberlegen - an Tatkraft und Klugheit steht 

er ihm nach. 

Die europaische Ehre ist ein heroischer Wert - die orientalische Wiirde ein harmonischer. 

Dauernder Kampf hartet, dauernder Friede mildert das Herz. Darum ist der Orientale milder und 

sanfter als der Europaer. Dazu kommt, daB die soziale Vergangenheit der Inder, Chinesen, 

Japaner und Juden um ein vielfaches alter ist als die der Germanen, die noch vor 2000 Jahren in 

Anarchic lebten: so konnten die Asiaten ihre sozialen Tugenden besser und langer entwickeln als 

die Europaer. [80] 



Der Giite des Herzens entspricht die Weisheit des Geistes. Weisheit bemht auf Harmonie - 

Klugheit auf Scharfe des Geistes. 

Auch Weisheit ist eine Frucht des reiferen Siidens, die im Norden selten ist. Selbst die 

Philosophen Europas sind selten weise, seine Ethiker selten giitig. Noch die antike Kultur war 

reicher an weisen Mannem, deren Gesamtpersonlichkeit den Stempel geklarter Geistigkeit trug - 

wahrend dieser Typus im modernen Europa (unter Christen) beinahe ausgestorben ist. Auch das 

hangt mit der kulturellen Jugend der Germanen zusammen und mit der Leidenschaftlichkeit des 

europaischen Geistes. Dazu kommt, daB im christlichen Mittelalter die Kloster mitten in einer 

kriegerischen und tatigen Welt die einzigen Asyle waren fiir beschauliche Weisheit: dorthin 

zogen sich die Weisen zuriick und starben, als Opfer des Keuschheitsgeliibdes, aus. 

Die europaischen Christusbilder blicken ernst und traurig wahrend die Buddhastatuen lacheln. 

Die Denker Europas sind tiefernst - wahrend die Weisen Asiens lacheln: denn sie leben in 

Harmonie mit sich, der Gesellschaft und der Natur, nicht im Kampfe; beginnen jede Reform an 

sich, statt an anderen und wirken so mehr durch ihr Beispiel als durch Biicher. Jenseits des 

Denkens fmden sie ihre Kindlichkeit wieder - wahrend Europas Denker friih vergreisen. 

Und dennoch ist Europa auf seine Art ebenso groB wie Asien: aber seine GroBe liegt weder in der 

Giite noch in der Weisheit - sondern in der Tatkraft und im Erfmdergeist. 

Europa ist der Held der Erde; auf jeder Kampffront der Menschheit steht es an der Spitze der 

Volker: in Jagd, Krieg und Technik hat der Euro- [81] 



paer mehr geleistet als irgendein historisches Kulturvolk vor oder neben ihm. Er hat fast alle 
gefahrlichen Tiere in seinen Landem ausgerottet; hat fast alle dunkelfarbigen Volker besiegt und 
unterworfen, und schlieBlich durch Erfindung und Arbeit, durch Wissenschaft und Technik eine 
solche Macht iiber die Natur errungen, wie nie und nirgends zuvor fiir moglich gehalten wurde. 
Asiens Weltmission ist die Erlosung der Menschheit durch Ethik - Europas Weltmission ist die 
Befreiung der Menschheit durch Technik. 

Europas Symbol ist nicht der Weise, nicht der Heilige, nicht der Martyrer - sondern der Held, der 
Kampfer, Sieger und Befreier. - [82] 



IV. EUROPAS TECHNISCHE WELTMISSION 

1. DER EUROPAISCHE GEIST 

Mit der Neuzeit beginnt die groBe Kulturmission Europas. 

Das Wesen Europas ist der Wille, die Welt durch Taten zu verandem und zu erbessern. Europa 

strebt bewuBt aus der Gegenwart in die Zukunft; es befindet sich im Zustande standiger 

Emanzipation, Reformation, Revolution; es ist neuerungssiichtig, skeptisch, pietatlos und ringt 

mit seinen Gewohnheiten und Traditionen. 

In der jiidischen Mythologie entspricht der europaische Geist Luzifer - in der griechischen 

Prometheus: dem Lichtbringer, der den gottlichen Funken zur Erde tragt, der sich auflehnt gegen 

die himmlisch-asiatische Harmonie, gegen die gottliche Weltordnung, der Fiirst dieser Erde, der 

Vater des Kampfes, der Technik, der Aufklarung und des Fortschrittes, der Fiihrer des Menschen 

in seinem Ringen gegen die Natur. 

Der Geist Europas hat den politischen Despotismus gebrochen, und die Gewaltherrschaft der 

Naturkrafte. Der Europaer ergibt sich nicht in sein Schicksal, sondern sucht es durch Tat und 

Geist zu meistern: als Aktivist und als Rationalist. [83] 



2. HELLAS ALS VOR - EUROPA 

Hellas war der Vorlaufer Europas; es empfand zuerst den Wesensunterschied zwischen sich und 
Asien und entdeckte seine aktivistisch-rationalistische Seele. Sein Olymp war nicht ein Paradies 
des Friedens - sondern eine Statte des Kampfes; sein hochster Gott war ein pietatloser Rebell. 
Hellas stiirzte seine Konige und Gotter - und setzte an deren Stelle den Staat des Burgers und die 
Religion des Menschen. 

Diese europaische Periode Griechenlands begann mit dem Sturze der Tyrannen und schloB mit 
der asiatischen Despotie Alexanders und der Diadochen; fand eine kurze Fortsetzung im 
republikanischen Rom urn sich dann endgiiltig an das romische Kaiserreich zu verlieren. 
Alexander der GroBe, die hellenistischen Konige und romischen Kaiser waren Erben der 
asiatischen Idee des GroBkonigtums. Das romische Kaiserreich unterschied sich in keiner 
wesentlichen Hinsicht von den orientalischen Despotien Chinas, Mesopotamiens, Indiens und 
Persiens. - 

Im Mittelalter war Europa eine geistige Kulturprovinz Asiens. Es war beherrscht von der 
asiatischen Religion Christi. Asiatisch war seine religiose Kultur, seine mystische 
Grundstimmung, seine monarchische Staatsform und der Dualismus von Papsten und Kaisern, 
Monchen und Rittem. 

Erst mit der Emanzipation Europas vom Christentum, die mit Renaissance und Reformation 
begann, in der Aufklarung ihre Fortsetzung und in Nietzsche ihren Hohepunkt fand - kam Europa 
wieder zu sich und trennte sich geistig von Asien. - [84] 



Die europaische Kultur ist die Kultur der Neuzeit. 



3. DIE TECHNISCHEN GRUNDLAGEN EUROPAS 

Die Welt Philipps II. bedeutet in keiner wesentlichen Hinsicht einen Kulturfortschritt gegen iiber 
der Welt Hammurabi s: Weder in der Kunst, noch in der Wissenschaft, noch in der Politik, noch 
in der Justiz, noch in der Verwaltung. In den dreieinhalb Jahrhunderten, die zwischen uns und 
Philipp liegen, hat sich die Welt griindlicher geandert als in den vorhergehenden dreieinhalb 
Jahrtausenden. 

Es war die Technik, die Europa aus seinem asiatischen Dornroschenschlaf des Mi ttel alters 
weckte. Sie hat Rittertum und Feudalismus durch die Erfmdung der Feuerwaffe - Papsttum und 
Aberglauben durch Erfmdung des Buchdruckes besiegt; durch KompaB und Schiffstechnik hat 
sie dem Europaer die fremden Weltteile erschlossen, die sie dann, mit Hilfe des Pulvers, erobert 
hat. 

Der Fortschritt der modemen Wissenschaften ist von der Entwicklung der Technik nicht zu 
trennen: ohne Teleskop gabe es keine moderne Astronomic, ohne Mikroskop keine Bakteriologie. 
Auch die moderne Kunst steht in engstem Zusammenhange mit der Technik: die moderne 
Instrumentalmusik, die moderne Architektur, das moderne Theater ruhen teilweise auf 
technischer Grundlage. Die Wirkung der Photographic auf die Portratmalerei wird sich ebenfalls 
verstarken: denn, da die Photographic in der [85] 



Reproduktion der Gesichtsformen uniibertrefflich ist, wird sie die Malerei zwingen, sich auf ihr 

eigenstes Feld zuriickzuziehen und das Wesen, die Seele des Menschen festzuhalten. - Eine 

ahnliche Wirkung wie die Photographie auf die Malerei konnte die Kinematographie auf das 

Theater ausiiben. 

Die modeme Strategie hat sich unter dem EinfluB der Technik griindlich geandert. Aus einer 

psychologischen Wissenschaft ist Kriegskunst vorwiegend zu einer technischen geworden. Die 

heutigen Kriegsmethoden unterscheiden sich von den mittelalterlichen wesentlicher als diese von 

der Kampfesweise der Naturvolker. 

Die ganze Politik der Gegenwart steht im Zeichen der technischen Entwicklung: Demokratie, 

Nationalismus und Volksbildung lassen sich auf die Erfindung des Buchdruckes zuriickfuhren: 

Industrialismus und kolonialer Imperialismus. Kapitalismus und Sozialismus sind 

Folgeerscheinungen des technischen Vortschrittes und der durch ihn bedingten Umstellung der 

Weltwirtschaft. Wie der Ackerbau eine patriarchalische, das Handwerk eine individualistische 

Mentalitat schafft - so schafft die gemeinsame, organisierte Industiearbeit die soziahstische 

Mentahtat: die technische Organisation der Arbeit spiegelt sich wieder in der sozialistischen 

organisation der Arbeiter. 

Endlich hat der technische Fortschritt den Europaer selbst verandert: er ist hastiger, nervoser, 

unbestandiger, wacher, geistesgegenwartiger, rationahstischer, tatiger, praktischer und kliiger 

geworden. 

Streichen wir all diese Folgeerscheinungen der Technik von unserer Kultur ab, so steht das, was 

iibrig bleibt, in keiner Hinsicht hoher als die alt-agyptische und altbabylonische Kultur - in 

mancher Hinsicht sogar tiefer. [86] 



Der Technik also verdankt Europa seinen Vorsprung vor alien anderen Kulturen. Erst durch sie 

wurde es zum Herrn und Fiihrer der Welt. 

Europa ist eine Funktion der Technik. Amerika ist die hochste Steigerung Europas.- 

4. TECHNISCHE WELTWENDE 

Das technische Zeitalter Europas ist ein weltgeschichtliches Ereignis, dessen Bedeutung mit der 

Erfindung der Feuerung in der menschlichen Urzeit zu vergleichen ist. Mit der Erfindung des 

Feuers begann die Geschichte der menschlichen Kultur, begann die Menschwerdung des 

Tiermenschen. Alle folgenden geistigen und materiellen Fortschritte der Menschheit bauen sich 

auf diese Entdeckung des Ur-Europaers Prometheus auf. 

Die Technik bezeichnet einen ahnlichen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte wie das 

Feuer. In Zehntausenden von Jahren wird die Geschichte eingeteilt werden in eine vor - 

technische die und in eine nach - technische Epoche. Der Europaer, - der bis dahin langst 

ausgestorben sein wird - wird von jener kiinftigen Menschheit als Vater der technischen 

Weltwende wie ein Erloser gepriesen werden. 

Die Wirkungsmoglichkeiten des technischen Zeitalters, an dessen Beginn wir stehen, sind 

uniibersehbar. Es schafft die materiellen Grundlagen fiir alle kommenden Kulturen, die sich 

durch ihre veranderte Basis wesentlich von alien bisherigen unterscheiden werden. 

Alle bisherigen Kulturen, von der altagyptischen und chinesischen bis zu der des Mittelalters, 

waren einander in ihrem Ablauf und in ihrer Entfaltung so ahnlich, well [87] 



sie auf den gleichen technischen Voraussetzungen ruhten. Von der agyptischen Friihzeit bis zum 
Ausgange des Mi ttel alters hat die Technik keinen wesentlichen Fortschritt zu verzeichnen. 
Die Kultur, die aus dem technischen Zeitalter hervorgehen wird, wird ebenso hoch iiber der 
antiken und mittelalterhchen stehen - wie diese iiber den Kulturen der Steinzeit. - 



5. EUROPAALS KULTURTANGENTE 

Europa ist kein Kulturkreis - es ist eine Kulturtangente: die Tangente zum groBen Kreislaufe der 

orientalischen Kulturen, die entstanden, bliihten und vergingen, urn an anderer Stelle verjiingt 

wieder aufzuerstehen. 

Diesen Kulturkreislauf hat Europa gesprengt und in dessen Bahn eine Richtung getragen, die 

unbekannten Lebensformen entgegenfiihrt. 

Innerhalb der orientalischen Kulturen des Ostens und des Westens war alles schon dagewesen: 

die technische Kultur Europas aber ist etwas Niedagewesenes, etwas wahrhaft Neues. 

Europa ist ein Ubergang zwischen dem in sich geschlossenen Komplex aller bisherigen 

historischen Kulturen und den Kulturformen der Zukunft. 

Ein Zeitalter, das dem europaischen an Bedeutung und Dynamik vergleichbar ist, dessen Spuren 

wir aber verloren haben, muB der altbabvlonischen, altchinesischen und altagyptischen Kultur 

vorausgegangen sein. Diese prahistorische Vor - Europa hat das [88] 



Fundament geschaffen fiir alle Kulturen der letzten Jahrtausende; wie das moderne Europa war es 
eine Kulturtangente, die sich losgelost hatte vom Kreislaufe der prahistorischen Vor-Kulturen. 
Der Ablauf der groBen Weltgeschichte setzt sich zusammen aus asiatischen Kulturkreislaufen 
und europaischen Kulturtangenten. Ohne diese Tangenten (die nur im geistigen, nicht im 
geographischen Sinne europaisch sind) gabe es nur Entfaltung, nicht Entwicklung. Nach einer 
langen Periode der Reife lost sich immer wieder ein geniales Volk aus dem Dunkel der Zeiten, 
sprengt den natiirlichen Kulturablauf und hebt die Menschheit auf eine hohere Stufe. 
Erfindungen, nicht Dichtungen oder Religionen, bezeichnen diesen Staten der 
Kulturentwichlung: die Erfindung der Bronze, des Eisens, der Elektrizitat. Diese Erfindungen 
bilden das ewige Vermachtnis eines Zeitalters an alle kommenden Kulturen. Von der Antike wird 
nichts iibrig bleiben - wahrend die Neuzeit die Kultur bereichert durch die Bezwingung der 
Elektrizitat und anderer Naturkrafte: diese Erfindungen werden den Faust iiberleben, die 
Gottliche Komodie und die Ilias. 

Mit dem Mittelalter schloB der Kulturkreis des Eisens - mit der Neuzeit beginnt der Kulturkreis 
der Maschine: hier beginnt nicht eine neue Kultur - sondem ein neues Zeitalter. 
Schopfer dieses technischen Zeitalters ist das geniale Promethiden-Volk der germanisierten 
Europaer. Auf ihrem Erfindergeist beruht die moderne Kultur ebenso wie auf der Ethik der 
Juden, der Kunst der Hellenen und der Politik der Romer. - [89] 



6. LIONARDO UND BACON 

Zu Beginn des technischen Zeitalters haben zwei groBe Europaer den Sinn Europas 

vorausgeahnt: Lionardo da Vinci und Bacon von Verulam. Lionardo widmete sich technischen 

Aufgaben mit der gleichen Leidenschaft wie kiinstlerischen. Sein Lieblingsproblem war der 

Menschenflug, dessen Losung unsere Zeit staunend miterlebt hat. 

In Indien soil es Joghis geben, die durch Ethik und Askese die Schwerkraft aufheben und in der 

Luft schweben konnen; in Europa bezwang der Erfindergeist von Ingenieuren und dessen 

Materialisation: das Flugzeug, die Schwerkraft auf technischem Wege. Levitation und 

Flugtechnik stellen symbolisch den asiatischen und europaischen Weg zur Macht und Freiheit 

des Menschen dar. - 

Bacon war der Schopfer der kiihnen technischen Utopie „Nova Atlantis". Ihr technischer 

Charakter unterscheidet sie wesentlich von alien vorhergehenden Utopien; von Platon bis Norus. 

Der Wandel des mittelalterlich-asiatischen Denkens in ein neuzeitlich-europaisches driickt sich 

aus in dem Gegensatz von Morusethisch-politischer "Utopia" und Bacons technisch- 

wissenschaftlicher "Nova Atlantis". Moms sieht noch in sozial - ethischen Reformen den Hebel 

der Weltverbesserung - Bacon in technischen Erfindungen. 

Moms war noch Christ - Bacon schon Europaer. - [90] 



y. JAGD - KRIEG - ARBEIT 

1. MACHTUND FREIHEIT 

Der beschauliche Mensch lebt im Frieden mit seiner Umwelt - der tatige in dauemden 
Kriegszustande. Um sich zu erhalten, durchzusetzen und zu entfalten muB er standig fremde und 
feindliche Krafte abwehren, vernichten, versklaven. 

Der Lebenskampf ist ein Kampf um Freiheit und Macht. Siegen heiBt: seinen Willen durchsetzen. 
Deshalb ist nur der Sieger frei, nur der Sieger machtig. Zwischen Freiheit und Macht laBt sich 
keine Grenze ziehen: der Vollgenuss der eigenen Freiheit verletzt fremde Interessen: Macht ist 
die einzige Sicherung ungehemmter Freiheit. 

Der Kampf der Menschheit um Freiheit fallt zusammen mit ihrem Kampfe um Macht. In dessen 
Verlauf hat sie den Erdball erobert und bezwungen: das Tierreich durch Jagd und Viehzucht - das 
Pflanzenreich durch Ackerbau - das Mineralreich durch Bergbau - die Naturkrafte durch Technik. 
Aus einem unscheinbaren, schwachen Tier hat sich der Mensch zum Herrn der Erde 
aufgeschwungen. - [97] 



2. JAGD 

Die erste Phase des menschlichen Kampfes war das Zeitalter der Jagd. 

In hunderttausenden von Jahren wahrenden Kampfen hat der Mensch die Herrschaft iiber die 

Tierwelt errungen. Dieser siegreiche Kampf des relativ schwachen Menschen gegen alle 

ausgerotteten und noch vorhandenen groBeren und wilderen Tierarten ist in seiner GroBartigkeit 

zu vergleichen mit der Eroberung der antiken Welt durch das kleine latinische Dorf Rom. 

Der Mensch siegte iiber alle Horner und Zahne, Pranken und Krallen seiner physisch besser 

geriisteten Rivalen einzig durch die Waffe seines iiberlegenen Verstandes, der sich im Laufe 

dieses Kampfes standig gescharft hat. 

Die Ziele des menschlichen Kampfes gegen seine tierischen Feinde waren defensiv und offensiv: 

Abwehr und Versklavung. 

Zuerst begniigte sich der Mensch damit, die feindlichen Tiere unschadlich zu machen durch 

Abwehr und Vertilgung; spater begann er sie zu zahmen und sich ihrer zu bedienen. Er 

verwandelte Wolfe in Hunde, Biiffel in Kinder, wilde Elefanten, Kamele, Renntiere, Esel, Pferde, 

Lamas, Ziegen, Schafe und Katzen in zahme. So unterwarf er sich aus der Schar vorzeitlicher 

Rivalen ein Heer von Tiersklaven, ein Arsenal von lebenden Maschinen, die in seinen Diensten 

arbeiteten und kampften, seine Freiheit mehrten und seine Macht. - 

3. KRIEG 

Um die errungene Macht zu behaupten und zu mehren, ging der Mensch dazu iiber, seine 
Mitmenschen [92] 



mit den gleichen Methoden zu bekampfen wie die Tierwelt. Das Zeitalter der Jagd wandelte sich 
in ein Zeitalter des Krieges. Der Mensch rang mit dem Menschen urn die Verteilung der von der 
Tierwelt eroberten Erde. Der Starkere wehrte den Schwacheren ab, vertilgte oder versklavten: 
Krieg war eine Spezialform der Jagd, Sklaverei eine Spezialform der Tierhaltung. Im Kampfe urn 
Macht und Freiheit siegte der starkere, kiihnere und kliigere Mensch iiber den schwacheren, 
feigeren, diimmeren. Auch der Krieg scharfte den Menschengeist, stahlte die Menschenkraft. - 



4. ARBEIT 

Auf die Dauer konnten weder Jagd noch Krieg allein den Menschen emahren: er muBte wieder 

einen Frontwechsel vomehmen, und den Kampf aufnehmen gegen die leblose Natur. Das 

Zeitalter der Arbeit begann. Noch brachten Kriege und Jagdabenteuer Ruhm und Sensationen - 

aber der Schwerpunkt des Lebens verschob sich nach der Arbeit, well nur sie ihm die Nahrung 

brachte, deren es zu seiner Erhaltung bedurfte. 

Die Arbeit war eine Spezialform des Krieges - die Technik eine Spezialform der Sklaverei: statt 

Menschen wurden Naturkrafte besiegt und versklavt. 

Durch Arbeit bekampfte der Mensch den Hunger: er unterwarf sich den Boden und die 

Feldfriichte und erntete ihren Ertrag. Durch Arbeit bekampfte der Mensch die Winterkalte: er 

baute Hauser, wob Stoffe, fallte Holz. So schiitzte er sich durch Arbeit vor den feindlichen 

Naturgewalten. - [93] 



5. DER KRIEG ALS ANACHITONISMUS 

Jagd, Krieg, Arbeit gingen so vielfach in einander iiber, daB es unmoglich ist, sie chronologisch 

von einander zu trennen. Friiher lief das Zeitalter der Jagd durch Jahrtausende parallel mit dem 

des Krieges - wie heute das Zeitalter des Krieges parallel lauft mit dem der Arbeit; aber der 

Schwerpunkt der Kampffront verschob und verschiebt sich bestandig. Wahrend urspriinglich die 

Jagd im Mittelpunkte menschlicher Tatigkeit stand, trat in der Folge der Krieg an ihre Stelle und 

zuletzt die Arbeit. 

Der Krieg, der einst fiir den Kulturfortschritt wesentlich und notwendig war, hat diese Bedeutung 

verloren und ist zu einem gefahrlichen Kulturschadling geworden. Heute bezeichnen nicht Kriege 

die Etappen des Fortschrittes - sondern Erfmdungen. 

Die Entscheidungskampfe der Menschheit um Freiheit und Macht spielen sich heute an der Front 

der Arbeit ab. 

In einer Zeit, da der Weltkrieg nur mehr Historiker interessieren wird, wird unsere 

Jahrhundertwende ruhmvoll dastehen als Geburtsstunde des Menschenfluges. 

Wie im Zeitalter des Krieges sich die Jagd als Anachronismus erhielt - so erhalt sich im Zeitalter 

der Arbeit der Krieg als Anachronismus. Aber in dieser Epoche ist jeder Krieg Biirgerkrieg, well 

er sich gegen Mitkampfer richtet und die gemeinsame Arbeitsfront verwirrt. 

Im Zeitalter der Arbeit ist die Verherrlichung des Kriges ebenso unzeitgemaB, wie in der 

Kriegsepoche die Verherrlichung der Jagd. Urspriinglich war der [94] 



Drachen- und Lowentoter der Held; dann war es der Feldherr; schlieBlich ist es der Erfinder. 

Lavoisier hat fiir die menschliche Entwicklung mehr geleistet, als Robespierre und Bonaparte 

zusammen. 

Wie in der Jagdepoche der Jager herrschte, in der Kriegsepoche der Krieger - so wird im Zeitalter 

der Arbeit der Arbeiter herrschen. - 

6. TECHNIK 

Das Zeitalter der Arbeit zerfallt in das des Ackerbaues und der Technik. 

Als Ackerbauer ist der Mensch der Natur gegeniiber vorwiegend defensiv - als Techniker 

offensiv. 

Die Methoden der Arbeit entsprechen denen des Krieges und der Jagd: Abwehr und Versklavung. 

Die Epoche des Ackerbaues beschrankt sich darauf, Hunger und Kalte abzuwehren - wahrend die 

Technik dazu iibergeht, die ehemals feindlichen Naturkrafte zu versklaven. Der Mensch herrscht 

heute iiber Dampf und Elektrizitat und iiber ein Sklavenheer von Maschinen. Mit ihnen wehrt er 

sich nicht nur gegen Hunger und Kalte, Naturkatastrophen und Krankheiten - sondem 

unternimmt es sogar, gegen die Schranken von Raum, Zeit und Schwerkraft anzugehen. Sein 

Kampf urn Freiheit von den Naturkraften geht iiber in ein Ringen urn Macht iiber die Naturkrafte. 

Technik ist praktische Anwendung der Wissenschaft zur Beherrschung der Natur; zur Technik im 
weiteren Sinne gehort auch Chemie als Atom-Technik und Medizin als organische Technik. 
Technik vergeistigt die Arbeit: dadurch [95] 



mindert sie die Arbeitslast und steigert sie den Arbeitsertrag. 

Technik beruht auf heroischer, aktivistisher Einstellung zur Natur; sie will sich nicht dem Willen 

der Naturkrafte fiigen, sondern ihn beherrschen. Der Wille zur Macht ist die Triebfeder 

des technischen Fortschrittes. In den Naturkraften sieht der Techniker Zwingherm, die zu stiirzen, 

Gegner, die zu besiegen, Bestien, die zu zahmen sind. - 

Die Technik ist ein Kind des europaischen Geistes. - 



VI. DER FELDZUG DER TECHNIK 

1. EUROPAS MASSEELEND 

Durch die Bevolkerungzunahme wird die Lage des Europaers immer verzweifelter; trotz aller 
bisherigen Fortschritte der Technik befindet er sich noch in einem recht erbarmlichen Zustande. 
Die Gespenster des Hungers und des Erfrierens hat er zuriickgedrangt - aber urn den Preis seiner 
Freiheit und seiner MuBe. 

Die furchtbare Zwangsarbeit beginnt fiir den Europaer im siebenten Lebensjahr mit dem 
Schulzwange und endet gewohnlich erst mit dem Tode. Seine Kindheit wird vergiftet durch die 
Vorbereitung zum Lebenskampfe, der in den folgenden Jahrzehnten seine ganze Zeit und 
Personlichkeit, seine Lebenskraft und Lebensfreude verschlingt. Auf MuBe steht Todesstrafe; der 
vermogenslose Durchschnittseuropaer steht vor der Wahl: entweder bis zur Erschopfung zu 
arbeiten oder samt seinen Kindern zu verhungem. Die Hungerpeitsche treibt ihn an, trotz 
Erschopfung, Ekel und Erbitterung weiterzuarbeiten. 

Die europaischen Volker haben zwei politische Versuche unternommen, diesen erbarmlichen 
Zustand zu verbessern: Kolonialpohtik und Sozialismus. - [97] 



2. KOLONIALPOLITIK 

Die erste Form der Kolonialpolitik besteht in der Erobemng und Besiedelung diinnbevolkerter 
Erdstriche durch Nationen, die an Ubervolkemng leiden. Die Auswanderung ist tatsachlich 
imstande, Lander vor Ubervolkemng zu retten und Menschen, denen das europaische Gedrange 
unertraglich wird, ein freies und menschenwiirdiges Dasein zu sichern. Die Auswanderung bietet 
noch vielen Menschenmillionen einen Ausweg aus der europaischen Holle und sollte daher auf 
jede Weise gefordert werden. - 

Die zweite Form der Kolonialpolitik beruht auf Ausbeutung warmerer Erdstriche und farbiger 
Volker. Menschen siidlicher Rassen werden durch europaische Kanonen und Gewehre aus ihrer 
goldenen MuBe aufgescheucht und gezwungen, im Dienste Europas zu arbeiten. Der armere, aber 
starkere Norden pliindert systematisch den reicheren aber schwacheren Siiden; er raubt ihm 
Reichtum, Freiheit und MuBe und verwendet diesen Raub zur Mehrung des eigenen Reichtums, 
der eigenen Freiheit und der eigenen MuBe. 

Diesem Hilfsmittel des Raubes, der Ausbeutung und der Sklaverei haben einige europaische 
Volker einen Teil ihres Wohlstandes zu verdanken, der sie in die Lage versetzt, das Los ihrer 
einheimischen Arbeiter zu verbessern. - 

Auf die Dauer muB dieses Hilfsmittel versagen: denn seine unausbleibliche Folge ist ein 
ungeheurer Sklavenaufstand, der die Europaer aus den farbigen Kolonien wegfegen und damit 
Europas tropische Kulturbasis stiirzen wird. - [98] 



Auch die Auswanderung ist nur ein provisorisches Hilfsmittel: heute schon sind einige Kolonien 
ebenso dichtgedrangt wie ihre Mutterlander und nahren das gleiche Elend. Die Zeit muB 
kommen, da es keine menschenleeren Gebiete auf Erden mehr geben wird. 

Bis dahin miissen neue Mittel gefunden werden, um dem europaischen Verhangnis 
entgegenzutreten. - 



3. SOZIALPOLITIK 

Den zweiten Versuch, das europaische Massenelend zu lindern, untemimmt der Sozialismus. 
Der Sozialismus will die europaische Holle bannen durch gleichmaBige Verteilung der 
Arbeitslast und des Arbeitsertrages. Es unterliegt keinem Zweifel, daB sich das Los der 
europaischen Massen durch verniinftige Reformen wesentlich verbessern lieBe. Wenn aber der 
soziale Fortschritt nicht getragen wird durch einen Aufschwung der Technik, kann er das soziale 
Elend nur lindern, nicht beheben. 

Denn die Arbeitslast, die zur Fiitterung und Warmung der vielzuvielen Europaer notig ist, ist 
groB; der Arbeitsertrag, den das rauhe und nicht geniigend fruchtbare Europa auch bei 
intensivster Ausniitzung abwirft, relativ klein, so daB auch bei gerechtester Verteilung auf jeden 
Europaer sehr viel Arbeit und sehr wenig Lohn fiele. Beim heutigen Stande der Technik wiirde 
sich das Leben in einem sozialistischen Europa in die Doppeltatigkeit auflosen: arbeiten um zu 
essen und essen um zu arbeiten. Das Gleichheitsideal ware erreicht: aber von Freiheit, MuBe und 
Kultur ware [99] 



Europa ferner denn je. Um die Menschen zu befreien, ist Europa einerseits zu barbarisch, 
andererseits zu arm. Das Vermogen der wenigen Reichen, auf alle verteilt, wiirde spurlos 
verschwinden: die Armut ware nicht abgeschafft, sondern verallgemeinert. 

Der Sozialismus ist allein nicht imstande, Europa aus seiner Unfreiheit und seinem Elend zu 
Freiheit und Wohlstand zu fiihren. Weder Stimmzettel noch Aktien konnten den Kohlenarbeiter 
dafiir entschadigen, daB er sein Leben in Hohlen und Schachten verbringen muB. Die meisten 
Sklaven orientalischer Despoten sind freier als dieser freie Arbeiter eines sozialisierten Werkes. 
Der Sozialismus verkennt das europaische Problem, wenn er in der ungerechten Verteilung das 
Grundiibel der europaischen Wirtschaft sieht, statt in der ungeniigenden Produktion. Die Wurzel 
des europaischen Elends liegt in der Notwendigkeit der Zwangsarbeit nicht in der 
Ungerechtigkeit ihrer Verteilung. Der Sozialismus irrt, wenn er im Kapitalismus die letzte 
Ursache der furchtbaren Zwangsarbeit sieht, unter der Europa stohnt; denn in Wahrheit flieBt nur 
ein sehr geringer Teil der europaischen Arbeitslei stung den Kapitalisten und ihrem Luxus zu: der 
allergroBte Teil dieser Arbeit dient dazu, einen unfruchtbaren Weltteil in einen fruchtbaren zu 
verwandeln, einen kalten in einen warmen und auf ihm eine Menschenzahl zu erhalten, die er auf 
natiirlichem Wege nicht emahren konnte. 

Der Winter und die Ubervolkerung Europas sind hartere und grausamere Despoten, als samtliche 
Kapitalisten: aber nicht die Politiker fiihren die europaische [100] 



Revolution gegen diese unbarmherzigen Zwingherrn - sondern die Erfinder. - 



4. TECHNISCHE WELTREVOLUTION 

Der koloniale Imperialismus ebenso wie der Sozialismus sind Palliative, nicht Heilmittel der 
europaischen Krankheit; sie konnen die Not lindern, nicht bannen; die Katastrophe aufschieben, 
nicht verhiiten. Europa wird sich entscheiden miissen, entweder seine Bevolkemng zu dezimieren 
und Selbstmord zu begehen - oder durch groBziigige Steigerung der Produktion und 
Vervollkomnung der Technik zu genesen. Denn nur dieser Weg kann die Europaer zu Wohlstand, 
MuBe und Kultur fiihren, wahrend die sozialen und kolonialen Rettungswege schlieBlich in 
Sackgassen miinden. 

Europa muB sich dariiber klar sein, daB der technische Fortschritt ein Befreiungskrieg 
allergroBten Stiles ist gegen den hartesten, grausamsten und unbarmherzigsten Tyrannen: die 
nordische Natur. 

Von dem Ausgange dieser technischen Wei tr evolution hangt es ab, ob die Menschheit die sich 
einmal in Aonen bietende Gelegenheit: Herrin iiber die Natur zu werden - niitzt, oder ob sie diese 
Gelegenheit, vielleicht fiir immer, ungeniitzt voriiber gehen laBt. - 

Vor hundert Jahren etwa eroffnete Europa die Offensive gegen die iibermachtige Natur, gegen 
die es sich bis dahin nur verteidigt hatte. Es begniigte sich nicht mehr damit, von der Gnade der 
Naturgewalten zu leben: sondern es begann, seine Feinde zu versklaven. [101] 



Die Technik hat begonnen, das Sklavenheer der Haustiere zu erganzen und das Sklavenheer der 
Schwerarbeiter zu ersetzen durch Maschinen, die betrieben werden von Naturkraften. - 



5. DIE ARMEE DER TECHNIK 

Europa (und mit ihm Amerika) hat zu diesem groBten und folgenschwersten aller Kriege den 

Erdball mobihsiert. 

Die Fronttruppen des weltumspannenden Arbeitsheeres, das gegen die Willkiir der Naturkrafte 

kampft, sind die Industriearbeiter; ihre Offiziere, Ingenieure, Untemehmer, Direktoren, ihren 

Generalstab bilden die Erfinder, ihren Train Bauern und Landarbeiter, ihre Artillerie die 

Maschinen, ihre Schiitzengraben Bergwerke, ihre Forts Fabriken. 

Mit dieser Armee, deren Reserven er alien Weltteilen entnimmt, hofft der weiBe Mensch die 

Tyrannis der Natur zu brechen, ihre Krafte dem Menschengeiste zu unterwerfen und so den 

Menschen endgiiltig zu befreien. - 



6. DER ELEKTRISCHE SIEG 

Die technische Armee hat ihren ersten entscheidenden Sieg davongetragen iiber einen der altesten 
Widersacher des Menschengeschlechtes: den Blitz. 

Seit jeher hat der elektrische Funke als Blitz den Menschen bedroht, verwundet, getotet; hat seine 
Hauser verbrannt und sein Vieh erschlagen. Diesem tiickischen Feinde, der ihm nie in irgend 
einer Weise half, war der Mensch durch hunderttausende von Jahren preisgegeben: bis Benjamin 
Franklin durch Erfmdung [102] 



des Blitzableiters seine Schreckensherrschaft iiber den Menschen brach. 

Der elektrische Funke als GeiBel der Menschheit war damit abgewehrt. Aber der weiBe Mensch 

begniigte sich nicht mit diesem Abwehrsiege: er ging zur Offensive iiber und erreichte es, in 

einem Jahrhundert diesen Feind in einen Sklaven, dieses gefahrlichste Raubtier in sein 

niitzlichstes Haustier zu verwandeln. 

Heute beleuchtet der elektrische Funke, der einst unsere Vorvater mit Entsetzen erfiillt hat, unsere 

Zimmer, kocht unseren Tee, biigelt unsere Wasche, heizt unsere Zimmer, lautet unsere Glocken, 

befordert unsere Briefe (Telegramme), zieht Bahnen und Wagen, treibt Maschinen - ist also, mit 

einem Worte, unser Bote, Brieftrager, Dienstmann, Koch, Heizer, Beleuchter, Arbeiter, 

Lasttrager und sogar unser Henker geworden. Was heute der elektrische Funke in Europa und 

Amerika im Dienste des Menschen leistet, ware selbst durch Verdoppelung der menschlichen 

Arbeitszeit nicht entfernt zu ersetzen. 

So wie diese ehemals feindliche Naturkraft nicht nur zuriickgeschlagen wurde, sondern sich in 

den unentbehrlichsten und niitzlichsten Diener des Menschen verwandelt hat - so werden dereinst 

auch die Fluten des Meeres und die Gluten der Sonne, Stiirme und Uberschwemmungen aus 

Feinden zu Sklaven des Menschen werden. Aus Giften werden Heilmittel, aus todlichen Bazillen 

Schutzimpfungen. Wie der Mensch der Urzeit wilde Tiere gezahmt und unterworfen hat - so 

zahmt und unterwirft der Mensch der Neuzeit wilde Naturkrafte. 

Durch solche Siege wird sich der nordische Mensch [103] 



einst Freiheit, MuBe und Kultur erobem: nicht durch Entvolkerung oder Entsagung, nicht durch 
Krieg und Revolution - sondern durch Erfindung und Arbeit, durch Geist und Tat. - 



7. DER ERFINDER ALS ERLOSER 

In unserer europaischen Geschichtsepoche ist der Erfinder ein groBerer Wohltater der Menschheit 

als der Heilige. 

Der Erfinder des Automobils hat mehr Gutes fiir die Pferde getan und ihnen mehr Leiden erspart 

als samtliche Tierschutzvereine der Welt. 

Das Kleinauto ist im Begriffe, Tausende von ostasiatischen Kulis aus ihrem Zugtierdasein zu 

erlosen. 

Die Erfinder des Diphterie - und Blattemserums haben mehr Kindem das Leben gerettet, als alle 

Sauglingsheime. 

Die Galeerensklaven verdanken der neuzeitlichen Schiffstechnik ihre Befreiung, wahrend durch 

die Einfiihrung der Petroleumfeuerung die modeme Technik die Schiffsheizer aus ihrem 

Hollenberufe zu erlosen beginnt. 

Der Erfinder, der, etwa durch Atomzertriimmerung, einen praktischen Kohlenersatz schafft - wird 

fiir die Menschheit mehr geleistet haben als der erfolgreichste soziale Reformator: denn er wird 

die Millionen Kohlenarbeiter aus ihrem menschenunwiirdigen Dasein erlosen und einen groBen 

Teil der menschlichen Arbeitslast tilgen - wahrend heute kein kommunistischer Diktator es 

vermeiden konnte, Menschen zu jenem unterirdischen Grubenleben zu verurteilen. 

Der Chemiker, dem es gelingt, Holz genieBbar zu [104] 



machen, wiirde die Menschheit aus dem Sklavenjoche des Hungers befreien, das sie langer und 

grausamer driickt als jede menschliche Gewaltherrschaft. - 

Weder Ethik, noch Kunst, noch Religion, noch Politik werden den paradiesischen Fluch tilgen, - 

sondern Technik. Der organischen Technik, der Medizin, ist es vorbehalten, den Erbfluch der 

Frau zu bannen: „Du sollst unter Schmerzen Deine Kinder gebaren"; der anorganischen Technik 

ist es vorbehalten, den Erbfluch des Mannes zu bannen: "Im SchweiBe Deines Angesichtes sollst 

Du Dein Brot essen". - 

In vieler Hinsicht gleicht unser Zeitarter dem Beginn der romischen Kaiserzeit. Damals hoffte die 

Welt auf Erlosung durch das Friedensreich der pax romana. Die erhoffte Weltwende kam - aber 

von ganz anderer Seite: nicht von auBen - sondern von innen; nicht durch Politik - sondern durch 

Religion; nicht durch Casar Augustus - sondern durch Jesus Christus. 

Auch wir stehen vor einer Weltwende; die Menschheit erwartet heute von der sozialistischen 

Aera den Anbruch des goldenen Zeitalters. Die erhoffte Weltwende wird, vielleicht, kommen: 

aber nicht durch Politik - sondern durch Technik: nicht durch einen Revolutionar - sondern durch 

einen Erfinder: nicht durch Lenin - sondern durch einen Mann, der vielleicht heute schon 

irgendwo namenlos lebt und dem es eines Tages gelingen wird, durch ErschlieBung neuer, 

ungeahnter Energiequellen die Menschheit aus Hunger, Frost und Zwangsarbeit zu erlosen. - 

[105] 



VII. ENDZIEL DER TECHNIK 

1. KULTUR UND SKLAVEREI 

Jede bisherige Kultur war auf Sklaverei gegriindet: die Antike auf Sklaven, die mittelalterliche 
auf Leibeigene, die neuzeitliche auf Proletarier. - 

Die Bedeutung der Sklaven bemht darauf, daB sie durch ihre Unfreiheit und Mehrarbeit Raum 
schaffen fiir die Freiheit und Musse einer Herrenkaste, die Vorbedingung jeder Kulturbildung ist. 
Denn es ist nicht moglich, daB die gleichen Menschen die ungeheuere physische Arbeit leisten, 
die zur Ernahrung, Kleidung und Behausung ihrer Generation erforderlich - und zugleich die 
ungeheure Geistesarbeit, die zur Schaffung und Erhaltung einer Kultur notig ist. 
Uberall herrscht Arbeitsteilung: damit das Gehirn denken kann, miissen die Eingeweide 
verdauen; ohne daB ihre Wurzeln in der Erde wiihlen, kann keine Pflanze zum Himmel bliihen. 
Trager jeder Kultur sind entfaltete Menschen. Entfaltung ist unmoglich ohne eine Atmosphare 
von Freiheit und MuBe: auch das Gestein kann nur in fliissigem, freiem Zustande 
auskristallisieren; wo es eingeschlossen, unfrei ist, muB es amorph bleiben. 
Die Kultur bildende Freiheit und MuBe [106] 



weniger konnte nur geschaffen werden durch Knechtschaft und Uberarbeitung vieler. In 

nordlichen und iibervolkerten Strichen war das gottliche Dasein von Tausenden immer und 

iiberall aufgebaut auf einem tierischen Dasein von Hunderttausenden. 

Die Neuzeit mit ihren christlichen, sozialen Ideen stand vor der Alternative: entweder auf Kultur 

zu verzichten - oder die Sklaverei beizubehalten. Gegen die erste Eventualitat sprachen 

asthetische - gegen die zweite ethische Bedenken: die erste widerstrebte dem Geschmack, die 

zweite dem Gefiihl. 

Westeuropa entschied sich fiir die zweite Losung: urn den Rest seiner biirgerlichen Kultur zu 

erhalten, behielt es im Industrieproletariate in verkappter Form die Sklaverei bei - wahrend 

RuBland sich anschickt, zur ersten Losung zu greifen: es befreit seine Proletarier, bringt aber 

dieser Sklavenbefreiung seine ganze Kultur zum Opfer. 

Beide Losungen sind in ihrer Konsequenz unertraglich. Der Menschengeist muB nach einem 

Ausweg aus diesem Dilemma suchen: er fmdet ihn in der Technik. Sie allein kann zugleich die 

Sklaverei brechen und die Kultur retten. 



2. DIE MASCHINE 

Endziel der Technik ist: Ersatz der Sklavenarbeit durch Maschinenarbeit; Erhebung der 
Gesamtmenschheit zu einer Herrenkaste, in deren Dienst ein Heer von Naturkraften in 
Maschinengestalt arbeitet. [107] 



Wir befinden uns auf dem Wege zu diesem Ziele: friiher muBten fast alle technischen Energien 

von Menschen- oder Tiermuskeln erzeugt werden - heute werden sie vielfach durch Dampfkraft, 

Elektrizitat und Motorkraft ersetzt. Immer mehr fallt dem Menschen die Rolle eines Regulators 

von Energien zu - statt der eines Erzeugers. Gestern noch zog der Arbeiter als Kuli die Kultur 

vorwarts - morgen wird er deren Chauffeur sein, der beobachtet, denkt und lenkt, statt zu laufen 

und zu schwitzen. 

Die Maschine ist die Befreiung des Menschen aus dem Joche der Sklavenarbeit. Durch sie kann 

ein Hirn mehr Arbeit leisten und mehr Werte schaffen als Millionen Arme. Die Maschine ist 

materialisierter Menschengeist, gefrorene Mathematik, das dankbare Geschopf des Menschen, 

gezeugt aus der Geisteskraft des Erfmders, geboren aus der Muskelkraft der Arbeiter. 

Die Maschine hat eine doppelte Aufgabe: die Produktion zu mehren und die Arbeit zu 

vermindern und zu erleichtern. 

Durch Mehrung der Produktion wird die Maschine die Not brechen - durch Minderung der Arbeit 

die Sklaverei. 

Heute darf der Arbeiter nur zum geringsten Telle Mensch sein - well er zum groBten Telle 

Maschine sein muB: in der Zukunft wird die Maschine das Maschinelle, das Mechanische der 

Arbeit iibernehmen und dem Menschen das Menschliche, das Organische iiberlassen. So eroffnet 

die Maschine die Aussicht auf Vergeistigung und Individualisierung der menschlichen Arbeit: 

ihre freie und schopferische Komponente wird wachsen gegeniiber der auto- [108] 



matisch-mechanischen - die geistige gegeniiber der materiellen. Dann erst wird die Arbeit 
aufhoren, den Menschen zu entpersonlichen, zu mechanisieren, zu entwiirdigen; dann erst wird 
die Arbeit dem Spiel, dem Sport und der freien schopferischen Tatigkeit ahnlich werden. Sie wird 
nicht, wie heute, eine Geisel sein, die alles Menschliche unterdriickt - sondern ein Hilfsmittel 
gegen Langeweile, eine Zerstreuung und eine korperliche oder geistige Ubung zur Entfaltung 
aller Fahigkeiten. Diese Arbeit, die der Mensch als Hirn seiner Maschine leisten wird und die auf 
Herrschaft gegriindet ist, wird anregen statt abzustumpfen, erheben statt herabzudriicken. - 



3. ABBAU DER GROSSTADT 

Neben diesen beiden Aufgaben: Linderung der Not durch Steigerung der Produktion und Abbau 

der Sklaverei durch Minderung und Individualisierung der Arbeit - hat die Maschine noch eine 

dritte Kulturmission: die Auflosung der modernen GroBstadt und die Zuriickfiihrung des 

Menschen in die Natur. - 

Der Ursprung der modernen GroBstadt fallt in eine Zeit, da das Pferd das schnellste 

Verkehrsmittel war und es noch keine Telephone gab. Damals war es notwendig, daB die 

Menschen in nachster Nahe ihrer Arbeitsstatten und infolgedessen auf einen engen Raum 

zusammengepfercht lebten. 

Die Technik hat diese Voraussetzungen geandert: Schnellbahn, Auto, Fahrrad und Telephon 

erlauben es heute dem Arbeiter, viele Kilometer von seinem Bureau entfernt zu Wohnen. Fiir den 

Bau [109] 



und die Anhaufung von Zinskasemen besteht keine Notwendigkeit mehr. Kiinftig werden die 
Menschen die Moglichkeit haben, nebeneinander zu wohnen statt iibereinander, in Garten 
gesunde Luft zu atmen, und in hellen geraumigen Zimmern ein gesundes, reinliches, 
menschenwiirdiges Leben zu fiihren. Elektrische und Gasofen werden (ohne die Miihe des 
Heizens und der Beschaffung des Brennmateriales) vor der Winterkalte schiitzen, elektrische 
Lampen vor den langen Winternachten. Der Menschengeist wird iiber den Winter triumphieren 
und die nordliche Zone ebenso wohnlich machen, wie die gemaBigte. 

Die Entwicklung zur Gartenstadt hat bereits begonnen: die Reichen verlassen die Zentren der 
GroBstadte, die sie friiher bewohnten, und siedeln sich an deren Peripherie oder in deren 
Umgebung an. Die neuentstehenden Industriestadte dehnen sich in die Weite statt in die Hohe. - 
Auf hoherer Ebene werden die Stadte der Zukunft in der Anlage etwas Ahnlichkeit haben mit 
denen des Mittelalters: wie dort urn einen riesigen Dom die niedrigen Biirgerhauschen gruppiert 
waren - so werden einst urn einen riesigen Wolkenkratzer (der alle offentlichen und privaten 
Bureaus umfassen und Waren und Speisehaus sein wird) sich die niedrigen Hauser und weiten 
Garten der Gartenstadt ausdehnen. In Fabriksstadten wird die Fabrik jene zentrale Kathedrale der 
Arbeit sein: die Andacht des Menschen in diesen Kathedralen der Zukunft wird Arbeit fiir die 
Gemeinschaft sein. 

Wer nicht beruflich an die Stadt gefesselt sein wird, wird auf dem Lande leben, das durch 
Femleitungen und drahtlose Verbindungen an den Bequemlichkeiten, [110] 



Tatigkeiten und Zerstreuungen der Stadte teilnehmen wird. 

Es wird eine Zeit kommen, in der die Menschen nicht mehr verstehen werden, wie es einmal 
moglich war, in den Steinlabyrinthen zu leben, die wir heute als moderne GroBstadte kennen. Ihre 
Ruinen werden dann bestaunt werden, wie heute die Behausungen der Hohlenbewohner. Die 
Arzte werden sich die Kopfe zerbrechen, wie es vom hygienischen Standpunkte iiberhaupt 
moglich war, daB Menschen in solcher Abgeschlossenheit der Natur, Freiheit, Licht und Luft, in 
einer solchen Atmosphare von RuB, Rauch, Staub und Schmutz iiberhaupt leben und gedeihen 
konnten. - 

Der kommende Abbau der GroBstadt als Folge des Aufschwunges der Verkehrstechnik, ist eine 
notwendig Voraussetzung wirklicher Kultur. Denn in der unnatiirlichen und ungesunden 
Atmosphare der heutigen GroBstadt werden die Menschen systematisch an Leib, Seele und Geist 
vergiftet und verkriippelt. Die GroBstadtkultur ist eine Sumpfpflanze: denn sie wird getragen von 
degenerierten, krankhaften und dekadenten Menschen, die freiwillig oder unfreiwillig in diese 
Sackgassen des Lebens geraten sind. - 



4. DAS KULTURPARADIES DES MIILLIONARS 

Die Technik ist in der Lage, dem modernen Menschen mehr Gliicks- und 
Entfaltungsmoglichkeiten zu bieten als vergangene Zeiten ihren Fiirsten und Konigen. 
Freilich ist heute noch, zu Beginn der technischen Weltperiode, die Zahl derjenigen, denen die 
Erfmdun-[111] 



gen der Neuzeit unbeschrankt zur Verfugung stehen, gering. 

Ein modemer Dollarmillionar kann sich mit allem Luxus, allem Komfort, aller Kunst und aller 
Schonheit umgeben, die die Erde bietet. Er kann alle Friichte der Natur und Kultur genieBen, 
kann, ohne zu arbeiten, leben, wo und wie es ihm gefallt. Durch Telephon und Auto kann er nach 
Wahl mit der Welt verbunden oder von ihr geschieden sein; er kann als Einsiedler in der 
GroBstadt leben oder in Gesellschaft auf seinem Landsitz; braucht weder unter dem Klima zu 
leiden noch unter der Ubervolkerung; Hunger und Frost sind ihm fremd; durch seine Aeroplane 
ist er Herr der Luft, durch seine Jacht Herr der Meere. In vieler Hinsicht ist er freier und 
machtiger als Napoleon und Casar. Sie konnten nur Menschen beherrschen - aber nicht iiber 
Ozeane fliegen und iiber Kontinente sprechen. Er hingegen ist Herr der Natur. Naturkrafte 
bedienen ihn als unsichtbare, machtige Diener und Geister. Mit ihrer Hilfe kann er schneller und 
hoher fliegen als ein Vogel, schneller iiber die Erde rasen als eine Gazelle und unter Wasser leben 
wie ein Fisch. Durch diese Fahigkeiten und Gewalten ist er freier sogar als der Eingeborene der 
Siidsee und hat den paradiesischen Fluch iiberwunden. Auf dem Umwege iiber die Kultur ist er in 
ein vollkommeneres Paradies heimgekehrt. - 

Die Grundlage zu so vollkommenem Leben hat die Technik geschaffen. Fiir einige Auserwahlte 
hat sie aus den nordischen Urwaldem und Siimpfen Kulturparadiese gemacht. In diesen 
Gliickskindem kann der Mensch ein Versprechen des Schicksals an seine Kindeskinder sehen. 
Sie sind die Vorhut der Menschheit auf ihrem Wege in das Eden der [112] 



Zukunft. Was heute Ausnahme ist, kann, bei weiterem technischen Fortschritte, Regel werden. 
Die Technik hat die Tore des Paradieses gesprengt; durch den schmalen Eingang sind bisher nur 
wenige geschritten: aber der Weg steht offen und durch FleiB und Geist kann einst die ganze 
Menschheit jenen Gliickskindern folgen. Der Mensch braucht nicht zu verzweifeln: 
niemals war er seinem Ziele so nahe wie heute. 

Vor wenigen Jahrhunderten war der Besitz eines Glasfensters, eines Spiegels, einer Uhr, von 
Seife oder Zucker ein groBer Luxus: die technische Produktion hat diese einst seltenen Giiter iiber 
die Massen verstreut. Wie heute jedermann eine Uhr tragt und einen Spiegel besitzt - so konnte 
vielleicht in einem Jahrhundert jeder Mensch ein Auto, seine Villa und sein Telephon haben. Der 
Wohlstand muB umso schneller steigen und umso allgemeiner werden, je rascher die 
Produktionsziffern steigen im Verhaltnis zu den Bevolkerungsziffern. Es ist das Kulturziel der 
Technik einst alien Menschen die Lebensmoglichkeiten zu bieten, iiber die heute jene Millionare 
verfiigen. Deshalb kampft die Technik gegen die Not - nicht gegen den Reichtum; gegen 
Knechtschaft - nicht gegen Herrschaft. Ihr Ziel ist Verallgemeinerung des Reichtums, der Macht, 
der MuBe, der Schonheit und des Gliickes: nicht Proletarisierung, sondem Aristokratisierung der 
Menschheit [113] 



VIII. DER GEISTDES TECHNISCHEN ZEIT ALTERS 

1. HEROISCHER PAZIFISMUS 

Das Paradies der Zukunft laBt sich nicht durch Putsche erschleichen - es laBt sich nur durch 

Arbeit erobern. Der Geist des technischen Zeitalters ist heroisch-pazifistisch: heroisch, well 

Technik Krieg mit verandertem Objekt ist - pazifistisch well sich sein Kampf nicht gegen 

Menschen richtet, sondern gegen Naturgewalten. - 

Das technische Heldentum ist unblutig: der technische Held arbeitet, denkt, handelt, wagt und 

duldet, nicht urn seinen Mitmenschen nach dem Leben zu trachten, sondern urn sie aus dem 

Sklavenjoch von Hunger, Kalte, Not und Zwangsarbeit zu erlosen. 

Der Held des technischen Zeitalters ist ein friedlicher Held der Arbeit und des Geistes. - 

Die Arbeit des technischen Zeitalters ist Askese: Selbstbeherrschung und Entsagung. In ihrer 

heutigen Form und ihrem heutigen AusmaBe ist sie kein Vergniigen, sondern ein hartes Opfer. 

das wir unseren Mitmenschen und Nachkommen darbringen. [114] 



Askese heiBt Ubung: sie ist der griechische Ausdmck fiir das, was auf englisch Training heiBt; 
durch diese Ubersetzung verliert der Begriff Askese seinen pessimistische Charakter und wird 
optimi sti sch-heroi sch . 

Die optimi sti sche, lebensbejahende Askese des technischen Zeitalters bereitet ein Reich Gottes 
auf Erden vor: sie rodet die Erde zum Paradiese; zu diesem Zwecke versetzt sie Berge, Fliisse 
und Seen, wickelt den Erdball in Kabel und Schienen, schafft aus Urvaldern Plantagen, aus 
Steppen Ackerland. Wie ein iiberirdisches Wesen verandert der Mensch die Erdoberflache nach 
seinen Bediirfnissen. - 



2. DER GEIST DER TRAGHEIT 

Im Zeitalter der Arbeit und Technik gibt es kein groBeres Laster als Tragheit - wie es im Zeitalter 

des Krieges kein groBeres Laster als Feigheit gibt. 

Die Uberwindung der Tragheit ist die Hauptaufgabe des technischen Heroismus. 

Wo das Leben sich als Energie manifestiert - steht die Tragheit im Zeichen des Todes. Der 

Kampf des Lebens gegen den Tod ist ein Kampf der Tatkraft gegen die Tragheit. Der Sieg des 

Todes iiber das Leben ist ein Sieg der Tragheit iiber die Tatkraft. Die Boten des Todes sind Alter 

und Krankheit: in ihnen gewinnt die Tragheit Ubermacht iiber die Lebensenergie: Ziige, Glieder, 

Bewegungen werden schlaff und hangend, Lebenskraft, Lebensmut und Lebensfreude sinken, 

alles neigt sich zur Erde, wird miide und trage - bis der Mensch, der nicht mehr vorwartsschreiten 

und sich [115] 



nicht mehr aufrechthalten kann, als Opfer der Tragheit ins Grab sinkt: doit triumphiert die 

Tragheit iiber das Leben. 

Alle jungen Bliiten streben, der Schwerkraft entgegen, zur Sonne: alle reifen Friichte fallen, von 

der Schwerkraft iiberwaltigt, zur Erde. - 

Symbol des technischen Sieges iiber die Schwerkraft, des triumphalen Menschenwillens und 

Menschengeistes iiber die Tragheit der Materie ist der fliegende Mensch. Wenige Dinge sind so 

erhaben und so schon wie er. Hier vermahlen sich Dichtung und Wahrheit, Romantik und 

Technik, die Mythen von Daedalus und Wieland mit den Visionen Lionardos und Goethes; durch 

Taten von Technikern werden die kiihnsten Dichtertraume Wirklichkeit: auf Fliigeln, die sein 

Geist und sein Wille gespannt haben, erhebt sich der Mensch iiber Raum, Zeit und Schwerkraft, 

iiber Erde und Meer. - 



3. SCHONHEIT UND TECHNIK 

Wer an den Schonheitswert der Technik noch zweifelte, muB angesichts des fliegenden 
Menschen verstummen. Aber nicht nur das Flugzeug schenkt uns neue Schonheit: auch 
Automobil, Motorboot, Schnellzugslokomotive, Dynamomaschine sind in Tatigkeit und 
Bewegung von eigener, spezifischer Schonheit. Weil aber diese Schonheit dynamisch ist, kann 
sie nicht, wie die statische Schonheit der Landschaft, von Pinsel, Griffel und MeiBel festgehalten 
werden: deshalb existiert sie nicht fur Menschen ohne originalen Schonheitssinn, die der Kunst 
als Wegweiserin im Irrgarten der Schonheit bediirfen. [116] 



Ein Ding ist schon durch die Ideale der Harmonie und Vitalitat, die es uns vermittelt und die 

Impulse, die es uns nach diesen Richtungen gibt. So schafft sich jede Kultur ihre eigenen 

Symbol e der Kraft und Schonheit: 

der Grieche steigerte seine eigene Harmonie an Statuen und Tempeln; 

der Romer steigerte seine Kraft und Tapferkeit an den Zirkuskampfen seiner Raubtiere und 

Gladiatoren; 

der mittelalterliche Christ vertiefte und verklarte seine Seele durch Einfiihlung in die Passion im 

MeBopfer und Altarsakramente; 

der Burger der Neuzeit wuchs an den Helden seiner Theater und Romane; 

der Japaner lemte Grazie, Anmut und Schicksalsergebung von seinen Blumen. - 

In einer Zeit rastlosen Fortschrittes muBte das Schonheitsideal dynamisch werden - und mit ihm 

sein Symbol. Der Mensch des technischen Zeitalters ist ein Schiiler der Maschine, die er 

geschaffen hat: von ihr lernt er unermiidliche Tatigkeit und gesammelte Kraft. Die Maschine als 

Geschopf und Tempel des heiligen Menschengeistes symbolisiert die Uberwindung der Materie 

durch den Geist, des Starren durch die Bewegung. der Tragheit durch die Kraft: das Sich 

aufreiben im Dienste der Idee, die Menschheitsbefreiung durch die Tat. - 

Die Technik hat dem kommenden Zeitaltet eine neue Ausdrucksform geschenkt: das Kino. Das 

Kino steht im Begriffe, das Theater von heute, die Kirche von gestern, Zirkus und Amphitheater 

von vorgestem abzulosen und im Arbeitsstaate der Zukunft eine fuhrende Kulturrolle zu spielen. 

[117] 



Bei all seinen kiinstlerischen Mangeln beginnt heute schon der Film ein neues Evangelium 
unbewuBt in die Massen zu tragen: das Evangelium der Kraft und der Schonheit. Er verkiindet 
jenseits von Gut und Bose, den Sieg des starksten Mannes und der schonsten Frau - ob nun der 
Mann, der seine Rivalen an Korper-, Willens- oder Geisteskraft iiberragt, Abenteurer oder Held, 
Verbrecher oder Detektiv ist, und ob die Frau, die reizvoller oder edler, grazioser oder selbstloser 
ist als die anderen, Hetare oder Mutter ist. So predigt die Leinwand in tausend Variationen den 
Mannern: 

"Seid stark!" denFrauen: "Seid schon!" 

Diese massenpadagogische Mission, die im Kino schlummert, zu lautern und auszubauen, ist eine 
der groBten und verantwortungsvollsten Aufgaben der heutigen Kiinstler: denn das Kino der 
Zukunft wird fraglos auf die proletarische Kultur einen groBeren EinfluB haben, als das Theater 
auf die biirgerliche. - 



4. EMANZIPATION 

Der Kultus des technischen Zeitalters ist ein Kultus der Kraft. Fiir die Entfaltung der Harmonie 

fehlt Zeit und MuBe. In ihrem Zeichen wird einst das goldene Zeitalter der Kultur stehen, das 

dem eisemen Zeitalter der Arbeit folgen wird. 

Bezeichnend fur die dynamische Einstellung unserer Epoche ist ihr mannlich - europaischer 

Charakter. Die mannlich-europaische Ethik Nietzsches bildet den Protest unseres Zeitalters gegen 

die weiblich-asiatische Moral des Christentums. 

Auch die Emanzipation der Frau ist ein Sym- [118] 



ptom fiir die Vermannlichung unserer Welt: denn sie fiihrt nicht den weiblichen Menschentypus 
zur Macht - sondern den mannlichen. Wahrend friiher die weibliche Frau durch ihren EinfluB auf 
den Mann teilnahm an der Weltbeherrschung - schwingen heute Manner beiderlei Geschlechtes 
das Zepter der wirtschaftlichen und politischen Macht. Die Frauenemanzipation bedeutet den 
Triumph des Mannweibes iiber die wirkliche, weibliche Frau; sie fiihrt nicht zum Siege - sondern 
zur Abschaffung des Weibes. Die Dame ist schon im Aussterben: die Frau soil ihr folgen. - 
Durch die Emanzipation wird das weibliche Geschlecht, das bisher teilweise enthoben war, fiir 
den technischen Krieg mobilisiert und eingereiht in die Armee der Arbeit. - 
Die Emanzipation der Asiaten vollzieht sich unter den gleichen Bedingungen wie die 
Emanzipation der Frauen; sie ist ein Symptom fiir die Europaisierung unserer Welt: denn sie 
fiihrt nicht den orientalischen Typus zum Siege - sondern den europaischen. Wahrend friiher der 
orientalische Geist durch das Christentum Europa beherrschte - teilen sich heute weiBe und 
farbige Europaer in der Weltherrschaft. Das sogenannte Erwachen des Orients bedeutet den 
Triumph des gelben Europaers iiber den wahren Orientalen; es fiihrt nicht zum Siege - sondern 
zur Vemichtung der orientalischen Kultur. Wo im Osten das Blut Asiens siegt, siegt mit ihm der 
Geist Europas: der mannliche, harte, dynamische, zielstrebige, tatkraftige, rationalistische Geist. 
Um am Fortschritte teilzunehmen, muB Asien seine harmonische Seele und Kultur gegen die 
europaisch-vitale vertauschen. - Die Emanzipation der Asiaten bedeutet ihren Eintritt in die 
europaisch- [119] 



amerikanische Armee der Arbeit und ihre Mobilisierung fiir den technischen Krieg. 
Nach dessen siegreicher Beendigung wird Asien wieder asiatisch, die Frau wieder weiblich sein 
konnen: dann werden Asien und die Frau die Welt zu reinerer Harmonie erziehen. Bis dahin aber 
miissen die Asiaten die europaische Uniform tragen - die Frauen die mannliche. - 

5. CHRISTENTUM UND RITTERTUM 

Wer unter Kultur Harmonie mit der Natur versteht, muB unsere Epoche barbarisch nennen - wer 
unter Kultur Auseinandersetzung mit der Natur versteht, muB die spezifische, mannlich- 
europaische Form unserer Kultur wiirdigen. Der christlich-orientalische Ursprung der 
europaischen Ethik lieB sie den ethischen Wert des technischen Fortschrittes verkennen; erst 
unter der Perspektive Nietzsches erscheint das heroisch-asketische Ringen des technischen 
Zeitalters um Erlosung durch Geist und Tatkraft als gut und edel. 

Die Tugenden des technischen Zeitalters sind vor allem: Tatkraft, Ausdauer, Tapferkeit, 
Entsagung, Selbstbeherrschung und Solidaritat. Diese Eigenschaften stahlen die Seele zum 
unblutigen, harten Kampf der sozialen Arbeit. - 

Die Ethik der Arbeit kniipft an die ritterliche Ethik des Kampfes an: beide sind mannlich, beide 
nordisch. Nur wird sich diese Ethik den neuen Verhaltnissen anpassen und an die Stelle der 
iiberlebten Ritterehre eine neue Arbeitsehre setzen. Der neue Ehrbegriff wird auf Arbeit beruhen 
- die neue Schande [120] 



auf Faulheit. Der faule Mensch wird als Deserteur der Arbeitsfront betrachtet und verachtet 
werden. Die Objekte der neuen Heldenverehmng werden Erfinder sein, statt Feldherrn: Werte- 
Schopfer statt Werte-Zerstorer. 

Aus der christlichen Moral wird die Ethik der Arbeit den Geist des Pazifismus und des 
Sozialismus iibemehmen: weil nur der Friede fiir die technische Entwicklung produktiv - der 
Krieg destruktiv ist, und weil nur der soziale Geist der Zusammenarbeit aller Schaffenden zum 
technischen Siege iiber die Natur fiihren kann. - 



6. DIE BUDDHISTISCHE GEFAHR 

Jede passivistische und lebensfeindliche Propaganda, die sich gegen die technische und 
industrielle Entwicklung richtet - ist Hochverrat an der Arbeitsarmee Europas: denn sie ist 
Aufforderung zum Riickzug und zur Fahnenflucht wahrend des Entscheidungskampfes. - 
Tolstoianer und Neo-Buddhisten machen sich dieses Kulturfrevels schuldig: sie fordern die weiBe 
Menschheit auf, kurz vor ihrem Endsiege vor der Natur zu kapitulieren, das von der Technik 
eroberte Gelande zu raumen und freiwillig zur Primitivitat des Ackerbaues und der Viehzucht 
zuriickzukehren. Miide des Kampfes wollen sie, daB Europa kiinftig in seiner armlichen Natur ein 
armliches, kindliches Dasein fristet - statt sich durch hochste Anspannung des Geistes, des 
Willens und der Muskeln siegreich eine neue Welt zu schaffen. 

Was in Europa noch lebensfahig und lebenstiichtig ist, lehnt diesen Kulturselbstmord ab: es fiihlt 
die [121] 



Einzigartigkeit seiner Lage und seine Verantwortung vor der kiinftigen Menschheit. Eine 
Waffenstreckung der Technik wiirde die Welt in den asiatischen Kulturkreislauf zuriickwerfen. 
Hart vor ihren Ziele wiirde die technische Wei tr evolution, die Europa heiBt, zusammenbrechen 
und eine der groBten Menschheitshoffnungen begraben. Das Nordland Europa, das von seinem 
heroischen Schaffen lebt, muB den entnervenden Geist des Buddhismus abwehren. Japan muB, je 
mehr es sich industrialisiert, vom Buddhismus innerlich abriicken; so miiBte Europa, je mehr es 
sich innerlich dem Buddhismus hingibt, seine technische Mission vemachlassigen und verraten. 
Der Buddhismus ist eine wunderbare Kronung reifer Kulturen - aber ein gefahrliches Gift fiir 
werdende Kulturen. Seine Weltanschauung taugt fiir das Alter, fiir den Herbst - wie die Religion 
Nietzsches fiir Jugend und Friihling - der Glaube Goethes fiir die Bliite des Sommers. - 
Der Buddhismus wiirde die Technik ersticken - und mit ihr den Geist Europas. - 
Europa soil seiner Mission treu bleiben und nie die Wurzeln seines Wesens verleugnen: 
Heroismus und Rationalismus, germanischen Willen und hellenischen Geist. Denn das Wunder 
Europa entstand erst aus der Vermahlung dieser beiden Elemente. Der blinde Tatendrang der 
nordischen Barbaren wurde sehend und fruchtbar durch die Beriihrung mit der mittellandischen 
Geisteskultur: so wurden aus Kriegem Denker, aus Helden Erfmder. 

Der Mystizismus Asiens bedroht Europas geistige Klarheit - der Passivismus Asiens bedroht 
[122] 



seine mannliche Tatkraft. Nur wenn Europa diesen Versuchungen und Gefahren widersteht und 
sich auf seine hellenischen und germanischen Ideale besinnt - wird es den technischen Kampf zu 
Ende kampfen konnen, um einst sich und die Welt zu erlosen. - [123] 



IX. STINNES UND KRASSIN 

1 . WIRTSCHAFTS STAATEN 

Stinnes ist der Fiihrer der kapitalistischen Wirtschaft Deutschlands - Krassin der Fiihrer der 

kommunistischen Wirtschaft RuBlands. Im Folgenden gelten sie als Exponenten der 

kapitalistischen und der kommunistischen Produktion, nicht als Personlichkeiten. - 

Seit dem Zusammenbruch der drei groBen europaischen Militarmonarchien gibt es in unserem 

Weltteile nur noch Wirtschaftsstaaten: wirtschaftliche Probleme stehen im Zentrum der inneren 

und auBeren Politik: Merkur regiert die Welt; als Erbe des Mars - als Vorlaufer Apollons. 

Die Wandlung vom Militarstaate zum Wirtschaftsstaat ist der politische Ausdruck der Tatsache, 

daB an Stelle der Kriegsfront die Arbeitsfront in den Vordergrund der Geschichte geriickt ist. 

Dem Zeitalter des Krieges entsprachen Militarstaaten - dem Zeitalter der Arbeit entsprechen 

Wirtschaftsstaaten. 

Der kommunistische wie der kapitalistische Staat sind Arbeitsstaaten: nicht mehr [124] 



Kriegsstaaten - noch nicht Kulturstaaten. Beide stehen im Zeichen der Produktion und des 
technischen Fortschrittes. Beide werden von Produzenten beherrscht, wie einst die Militarstaaten 
von Militars: der kommunistische von den Fiihrern der Industriearbeiter - der kapitalistische von 
den Fiihrern der Industriellen. 

Kapitalismus und Kommunismus sind ebenso wesensverwandt, wie Katholizismus und 
Protestantismus, die sich durch Jahrhunderte fiir extreme Gegensatze hielten und mit alien 
Mitteln blutig bekampften. Nicht ihre Verschiedenheit, sondern ihre Verwandtschaft ist die 
Ursache des erbitterten Hasses, mit dem sie einander verfolgen. 

Solange Kapitalisten und Kommunisten auf dem Standpunkte stehen, es sei erlaubt und geboten, 
Menschen totzuschlagen oder auszuhungern, well sie andere wirtschaftliche Grundsatze vertreten 
- befmden sich beide praktisch auf einer sehr niedrigen Stufe der ethischen Entwicklung. 
Theoretisch sind freilich die Voraussetzungen und Ziele des Kommunismus ethischer als die des 
Kapitalismus, well sie von objektiveren und gerechteren Gesichtspunkten ausgehen. 
Fiir den technischen Fortschritt sind aber ethische Gesichtspunkte nicht maBgebend: hier ist die 
Frage entscheidend ob das kapitalistische oder das kommunistische System rationeller und 
geeigneter ist, den technischen Befreiungskampf gegen die Naturgewalten durchzufiihren. - 

2. DAS RUSSISCHE FIASKO 

Der Erfolg spricht fiir Stinnes, gegen Krassin: die kapitalistische Wirtschaft bliiht, wahrend die 
kommu- [125] 



nistische darniederliegt. Aus dieser Feststellung auf den Wert der beiden Systeme zu schlieBen, 
ware einfach aber ungerecht. Denn es darf nicht iibersehen werden, unter welchen 
Begleitumstanden der Kommunismus die russische Wirtschaft iibemommen und gefiihrt hat: 
nach einem militarischen, politischen und sozialen Zusammenbruch, nach Verlust wichtigster 
Industriegebiete, im Kampfe gegen die ganze Welt, unter dem Druck jahrelanger Blockade, 
dauernden Biirgerkrieges und der passiven Resistenz der Bauern, der Burger und der Intelligenz; 
dazu trat noch die katastrophale MiBemte. Wenn man all diese Umstande, sowie die geringere 
organisatorische Begabung und Bildung des russischen Volkes in Rechnung zieht - so kann man 
nur dariiber staunen, daB sich noch Reste einer russischen Industrie erhalten haben. 
Die MiBerfolge des fiinljahrigen Kommunismus unter diesen erschwerenden Umstanden an den 
Erfolgen des ausgereiften Kapitalismus messen zu wollen, ware ebenso ungerecht, wie ein 
neugeborenes Kind mit einem erwachsenen Manne zu vergleichen und daraufhin festzustellen, 
das Kind sei ein Idiot - wahrend in ihm, vielleicht, ein werdendes Genie schlummert. - 
Selbst wenn der Kommunismus in RuBland zusammenbricht, ware es ebenso naiv, die soziale 
Revolution damit fiir abgetan zu erklaren - wie es nach dem Zusammenbruch der hussitischen 
Bewegung toricht gewesen ware, die Reformation fiir erledigt zu halten: denn nach wenigen 
Jahrzehnten erschien Luther und fiihrte viele der hussitischen Ideen zum Siege. - [126] 



3. KAPITALISTISCHE UND KOMMUNISTISCHE PRODUKTION 

Der wesentliche Vorspmng der kapitalistischen Wirtschaft liegt in ihrer Erfahrung. Sie beherrscht 

alle Methoden der Organisation und Produktion, alle strategischen Geheimnisse im Kampfe 

zwischen Mensch und Natur und verfiigt iiber einen Stab geschulter Industrieoffiziere. Der 

Kommunismus dagegen sieht sich gezwungen, mit einem unzureichenden Generalstab und 

Offizierskorps neue Kriegsplane zu entwerfen, neue Organisations- und Produktionsmethoden zu 

versuchen. Stinnes kann auf eingefahrenen Geleisen vorwartsdringen - wahrend Krassin 

Pfadfinder sein muB im Urwald der wirtschaftlichen Revolution. - 

Durch Konkurrenz, Gewinn und Risiko verwendet der Kapitalismus einen uniibertrefflichen 

Motor, der den Wirtschaftsapparat in standiger Bewegung erhalt: den Egoismus. Jeder 

Unternehmer, Erfinder, Ingenieur und Arbeiter sieht sich im kapitalistischen Staate gezwungen, 

seine Krafte aufs hochste anzuspannen, um nicht von der Konkurrenz iiberrannt zu werden und 

zugrunde zu gehen. Die Soldaten und Offiziere der Arbeitsarmee miissen vorriicken, um nicht 

unter die Rader zu kommen. 

In der freien Initiative des Untemehmens liegt ein weiterer Vorzug des Kapitalismus, dem die 

Technik viel zu verdanken hat. Eines der schwierigsten Probleme des Kommunismus liegt in der 

Vermeidung des wirtschaftlichen Biirokratismus, von dem er standig bedroht ist. - 

Der technische Hauptvorzug des Kommunismus liegt darin, daB er die Moglichkeit hat, samt- 

[127] 



liche produktive Krafte und Naturschatze seines Wirtschaftsgebietes zusammenzufassen und 
nach einem einheitlichen Plane rationell zu verwenden. Damit erspart er all die Krafte, die der 
Kapitalismus auf die Abwehr der Konkurrenz verschwendet. Die prinzipielle PlanmaBigkeit der 
kommunistischen Wirtschaft, die es heute unternimmt, das russische Riesenreich nach einem 
einheitlichen Plane rationell zu elektrifizieren, bedeutet technisch einen wesentlichen Vorzug 
gegeniiber der kapitalistischen Produktionsanarchie. Die kommunistische Arbeitsarmee kampft 
unter einheitlichem Kommando geschlossen gegen die feindliche Natur - wahrend die 
zersplitterten Arheitsbataillone des Kapitalismus nicht nur gegen den gemeinsamen Feind 
kampfen, sondem zum Teil auch gegeneinander, zur Niederwerfung der Konkurrenten. 
Krassin hat auBerdem seine Armee fester in der Hand als Stinnes; denn die Arbeiter der 
Stinnesarmee sind sich dariiber klar, daB ein Teil ihrer Arbeit der Bereicherung eines fremden, 
feindlichen Untemehmers dient, wahrend die Arbeiter der Krassinarmee sich bewuBt sind, daB 
sie fur den kommunistischen Staat arbeiten, dessen Teilhaber und Stiitzen sie sind. Stinnes 
erscheint seinen Arbeitern als Unterdriicker und Gegner - Krassin als Fiihrer und Verbiindeter. 
Deshalb kann es Krassin wagen, Streiks zu verbieten und Sonntagsarbeit einzufiihren - wahrend 
dies fur Stinnes unmoglich ware. 

Die Stinnesarmee ist zersetzt durch wachsende Unzufriedenheit und Meuterei (Streik) - wahrend 
die Krassinarmee trotz ihrer materiellen Not von einem idealen Ziele getragen wird. Kurz: der 
Krieg gegen die Naturkrafte ist in RuBland Volkskrieg - in Europa und [128] 



Amerika ein dynastischer Krieg von Industriekonigen. - 

Die Arbeit des kommunistischen Arbeiters ist ein Kampf fiir seinen Staat und seine Staatsform - 
die Arbeit des kapitalistischen Arbeiters ein Ringen urn sein Leben. Hier ist die Haupttriebfeder 
der Arbeit der Egoismus - dort der politische Idealismus: beim heutigen Stande der Ethik ist, 
leider, Egoismus ein starkerer Motor als Idealismus und damit der Kampfwert der 
kapitalistischen Arbeitsarmee groBer als der der kommunistischen. Der Kommunismus verfiigt 
iiber einen rationelleren Wirtschaftsplan - der Kapitalismus iiber einen starkeren Arbeitsmotor. 
Der Kapitalismus wird nicht an seinen technischen, sondem an seinen ethischen Defekten 
scheitem. Die Unzufriedenheit der Stinnesarmee wird sich auf die Dauer nicht durch 
Maschinengewehre niederhalten lassen. Der reine Kapitalismus griindet sich auf die 
Unselb standi gkeit und Unwissenheit der Arbeiter - wie der militarische Kadavergehorsam auf die 
Unselb standi gkeit und Unwissenheit der Soldaten. Je selbstandiger, selbstbewuBter und 
gebildeter die Arbeiterklasse wird - desto unmoglicher wird es fur Privatleute sein, sie fur ihre 
Privatinteressen arbeiten zu lassen. - 

Die Zukunft gehort Krassin - iiber die Wirtschaft der Gegenwart entscheidet das russische 
Experiment. Darum liegt es im eigensten Interesse der ganzen Welt, dieses Experiment nicht nur 
nicht zu storen, sondern nach Kraften zu fordem: denn nur dann ware dessen Ausgang eine 
Antwort auf die Frage, ob der Kommunismus fahig ist, die heutige Wirtschaft zu [129] 



reformieren - oder ob ihm das notwendige Ubel des Kapitalismus vorzuziehen ist. - 

4. SOLDNER UND SOLDATEN DER ARBEIT 

Dem Kapitalismus entsprach im Zeitalter des Krieges das Soldnerheer - dem Kommunismus das 
Volksheer. Zur Soldnerzeit konnte sich jeder reiche Privatmann ein Kriegsheer anwerben und 
ausriisten, das er besoldete und befehligte - so wie sich heute jeder reiche Privatmann ein 
Arbeitsheer anwerben und ausriisten kann, das er besoldet und befehhgt. 

Vor drei Jahrhunderten spielte Wallenstein eine analoge Rolle in Deutschland, wie heute Stinnes: 
mit Hilfe seines Vermogens, das er im bohmischen Kriege vermehrt hatte, und der Armee, die er 
mit demselben warb und unterhielt, wurde Wallenstein aus einem Privatmanne zur machtigsten 
Personlichkeit des Deutschen Reiches - wie heute Stinnes durch sein Vermogen, das er im 
Weltkriege vermehrt hat, sowie durch Presse und Arbeitsarmee, die er mit demselben wirbt und 
unterhalt, zum machtigsten Manne der deutschen Republik geworden ist. - 

Im kapitalistischen Staate ist der Arbeiter Soldner, der Unternehmer Kondottiere der Arbeit - im 
kommunistischen Staate ist der Arbeiter Soldat eines Volksheeres, das staatlich angestellten 
Generalen untersteht. Wie damals die Kondottieri mit dem Blute ihrer Soldner Fiirstentiimer 
eroberten und Dynastien griindeten - so erobern die modemen Kondottieri [130] 



mit dem SchweiBe ihrer Arbeiter Reichtiimer und Machtstellungen und griinden Plutokraten- 

Dynastien. Wie einst jene Soldnerfiihrer - so verhandeln heute Industriekonige als 

gleichberechtigte Faktoren mit Regierungen und Staaten: sie lenken die Politik durch ihr Geld, 

wie einst jene durch ihre Macht. 

Die Reform der Arbeitsarmee, die der Kommunismus durchfiihrt, entspricht in alien Einzelheiten 

der Heeresform, die alle modemen Staaten durchgemacht haben. 

Die Heeresreform hat die Soldnerheer deurch Volksheere ersetzt: sie hat die allgemeine 

Wehrpflicht eingefiihrt, das Heerwesen verstaatlicht, private Anwerbungen verboten, die 

Landsknechtfiihrer durch staatlich angestellte Offiziere ersetzt und die Wehrpflicht ethisch 

verherrlicht. 

Der Arbeitsstaat fiihrt die gleichen Reformen in der Arbeitsarmee ein: er proklamiert die 

allgemeine Arbeitspflicht, verstaatlicht die Industrie, verbietet private Untemehmungen, ersetzt 

die Privatunternehmer durch staatlich angestellte Direktoren und verherrlicht die Arbeit als 

sittliche Pflicht. - 

Stinnes und Krassin sind beide Befehlshaber gewaltiger Arbeitstruppen, die gegen den 

gemeinsamen Feind kampfen: die nordische Natur. Stinnes fiihrt als moderner Wallenstein ein 

Soldnerheer - Krassin als Feldmarschall eines Arbeitsstaates ein Volksheer. Wahrend diese 

beiden Feldherrn sich fur Gegner halten, sind sie Verbiindete, marschieren getrennt, schlagen 

vereint. - [131] 



5. SOZIALER KAPITALISMUS - LIBERALER KOMMUNISMUS 

Wie die Regeneration des Katholizismus eine Folge der Reformation war, so konnte die Rivalitat 
des Kapitalismus und Kommunismus beide befruchten: wenn sie, statt einander durch Mord, 
Verleumdung und Sabotage zu bekampfen, sich darauf beschranken wiirden, durch kulturelle 
Leistungen ihren hoheren Wert zu erweisen. 

Keine theoretische Rechtfertigung des Kapitalismus wirbt starker fiir dieses System als die 
unbestreitbare Tatsache, daB das Los der amerikanischen Arbeiter (von denen manche im eigenen 
Auto zur Fabrik fahren) praktisch ein besseres ist als das der russischen, die mit ihren 
Mitarbeitern gleichmaBig hungem und verhungem. Denn Wohlstand ist wesentlicher als 
Gleichheit: besser, alle werden wohlhabend und wenige reich als daB allgemeines, gleichmaBiges 
Elend herrscht. Nur Neid und Pedanterie konnen sich gegen dieses Urteil stemmen. Am besten 
freilich ware universeller, allgemeiner Reichtum - aber der liegt in der Zukunft, nicht in der 
Gegenwart: ihn herbeifiihren kann nur die Technik, nicht die Politik. - 

Der amerikanische Kapitalismus ist sich bewuBt, daB er sich nur durch groBziigiges soziales 
Wirken behaupten kann. Er betrachtet sich als Verwalter des nationalen Reichtums, den er zur 
Forderung von Erfmdungen, zu kulturellen und humanitaren Zwecken verwendet. 
Nur ein sozialer Kapitalismus, der so unternimmt, sich mit der Arbeiterschaft auszusohnen, hat 
Aussicht auf Bestand: nur ein liberaler Kommunismus, der es unternimmt, sich mit der 
Intelhgenz [132] 



auszusohnen, hat Aussicht auf Bestand. Den ersten Weg versucht England, den zweiten 
neuerdings RuBland. Gegen den Widerstand der Offiziere einen Krieg zu fiihren, ist auf die 
Dauer ebenso unmoglich, wie gegen den Widerstand der Mannschaft. Das gilt auch von der 
Arbeitsarmee: sie ist auf sachverstandige Fiihrer ebenso angewiesen, wie auf willige Arbeiter. 
Krassin hat erkannt, daB es fur den Kommunismus notwendig ist, vom Kapitalismus zu lemen. 
Deshalb fordert er neuerdings die private Initiative, ernennt zu Leitem der Staatsbetriebe 
energische und sachverstandige Ingenieure mit weitestgehenden Vollmachten und 
Gewinnbeteiligung und ruft einen Teil der vertriebenen Industriellen zuriick; schlieBlich 
unterstiitzt er den schwachen Arbeitsmotor Idealismus durch Egoismus, Ehrgeiz und zwang und 
sucht durch dieses gemischte System die Arbeitslei stung des russischen Proletariats zu steigern. 
Nur diese kapitalistische Methoden konnen den Kommunismus retten: denn er hat erkennen 
gelernt, daB der Winter und die Diirre grausamere Despoten RuBlands sind als samtliche Zaren 
und GroBfursten: und daB der entscheidendere Befreiungskrieg ihnen gilt. Darum stellt er heute 
die Bekampfung der Hungersnot, die Elektrifizierung und den Wiederaufbau der Industrie und 
des Eisenbahnwesens in den Mittelpunkt seiner Gesamtpolitik und opfert sogar diesen 
technischen Planen eine Reihe politischer Grundsatze. Er weiB, daB sein wirtschaftlicher Erfolg 
oder MiBerfolg den politischen bestimmen wird und daB es von ihm abhangt, ob die russische 
Revolution schlieBlich zur Welterlosung fiihrt - oder zur Weltenttauschung. - [133] 



Die Abschaffung des Privateigentums muB beim heutigen Stande der Ethik an uniiberwindlichen 
psychologischen Widerstanden scheitern. Dennoch bleibt der Kommunismus ein Wendepunkt in 
der wirtschaftlichen Entwicklung vom Untemehmer- zum Arbeiterstaate - und in der politischen 
Entwicklung vom unfruchtbaren System der plutokratischen Demokratie zu einer neuen sozialen 
Aristokratie geistiger Menschen. 

6. TRUST UND GEWERKSCHAFTEN 

Solange der Kommunismus sich als unreif erweist, die Fiihrung im technischen 
Befreiungskampfe zu iibernehmen, werden Krassin und Stinnes sich verstandigen miissen. 
Diesen Weg, der zur Zusammenarbeit fiihrt statt zur Gegeneinanderarbeit, werden die fanatischen 
Dummkopfe des Kapitalismus wie des Kommunismus von sich weisen: nur die heilsten Kopfe 
beider Lager werden sich begegnen in der Erkenntnis, daB es besser ist, die Weltkultur durch 
einen Verstandigungsfrieden zu retten, als durch einen Vernichtungssieg zu zerstoren. Dann 
werden aus den Kondottieri der Wirtschaft Generale werden, aus Soldnern der Wirtschaft 
Soldaten. 

In der roten Wirtschaft von morgen kann es ebensowenig Gleichheit geben zwischen Fiihrern und 
Gefiihrten, wie in der roten Armee von heute: aber die kiinftigen Industriellen werden nicht mehr 
unverantwortlich sein wie heute, sondern sich der Gesamtheit verantwortlich fiihlen. Die 
unproduktiven Kapitalisten, (Schieber) werden aus dem Wirtschaftsleben ebenso verschwinden, 
wie einst die dekorativen Hofgenerale aus der [134] 



Armee. Wie dies heute schon vielfach der Fall ist, wird der produktive Kapitalist zum 
intensivsten Arbeiter seiner Fabrik werden miissen. Durch ein gleichzeitiges Sinken seines 
ubermaBigen Gewinnes wird ein gerechter Ausgleich eintreten zwischen seiner Arbeit und 
seinem Einkommen. 

Zwei wirtschaftliche Kraftgruppen beginnen sich in den kapitalistischen Arbeitsstaaten in der 
Fiihrung der Wirtschaft zu teilen: die Vertreter der Unternehmer und der Arbeiter - Trusts und 
Gewerkschaften. Ihr EinfluB auf die Politik ist im Wachsen und wird die Parlamente an 
Bedeutung iiberflugeln. Sie werden einander erganzen und kontrollieren wie einst Senat und 
Tribunat, Oberhaus und Unterhaus. Die Bezwingung der Naturkrafte und die Eroberung der 
Naturschatze werden die Trusts leiten - die Verteilung der Beute werden die Gewerkschaften 
kontrollieren. 

Auf dem gemeinsamen Boden der Produktionssteigerung und der Vervollkommnung der Technik 
werden sich Stinnes und Krassin begegnen: denn sie sind Gegner in der Frage der Verteilung - 
Bundesgenossen in der Frage der Erzeugung: gegeneinander kampfen sie in der Frage der 
Wirtschaftsmethode - mit einander im Menschheitskriege gegen die Naturkrafte. - [135] 



X. VOM ARBEITSSTAA T ZUM KUL TURSTAA T 

1. KINDERKULT 

Unsere Epoche ist gleichzeitig die Kampfepoche der Technik und die Vorbereitungsepoche der 
Kultur. Sie stellt an uns die Doppelfordemng: 

1 . Ausbau des Arbeitsstaates. 

2. Vorbereitung des Kulturstaates. 

Die erste Aufgabe stellt die Politik in den Dienst der Technik - die zweite in den Dienst der Ethik. 
Nur der Blick auf das kommende Zeitalter der Kultur gibt der leidenden und kampfenden 
Menschheit des technischen Zeitalters die Kraft, den Kampf mit den Naturgewalten bis zum 
Siege fortzusetzen. 

Die Mehrarbeit, die der modeme Mensch gegeniiber dem mittelalterlichen leistet, ist sein 
Vermachtnis an den Menschen der Zukunft; durch diese Mehrarbeit hauft er ein Kapital an 
Erkenntnissen, Maschinen und Werten an, dessen Zinsen einst seine Enkel genieBen werden. 
Die Teilung der Menschheit in Herren und Sklaven, in Kulturtrager und Zwangsarbeiter, wird 
auch heute anerkannt: aber diese Kasten beginnen sich aus dem Sozialen ins Zeitliche zu 
verschieben. Wir sind nicht [136] 



die Sklaven unserer Zeitgenossen - sondern unserer Enkel. Statt eines neben einander 
bestehenden Herren- und Sklavenstandes setzt unsere Kulturauffassung eine nacheinander 
bestehende Sklaven- und Herrenepoche. Die Arbeitswelt von heute errichtet die Grundlagen der 
Kulturwelt von morgen. 

Wie einst die KulturmuBe der Herren aufgebaut war auf der Uberarbeitung der Sklaven - so wird 
die KulturmuBe der Zukunft aufgebaut sein auf der Uberarbeitung der Gegenwart. Die jetzige 
Menschheit steht im Dienste der kommenden; wir saen, auf daB andere ernten; unsere Zeit 
arbeitet, forscht und ringt - damit eine kiinftige Welt in Schonheit erstehen kann. 
So tritt an die Stelle des ostlichen Ahnen-Kultes ein westlicher Kinder-Kult. Er bliiht im 
kapitalistischen wie im kommunistischen Arbeitsstaate: in Amerika wie in RuBland. Die Welt 
kniet vor dem Kinde als Idol, als Versprechen einer schoneren Zukunft. Es ist zum Dogma 
geworden, bei aller Wohltatigkeit zuerst des Kindes zu gedenken. Im kapitalistischen Westen 
arbeiten sich die Vater zu Tode, um ihren Kindem reichere Lebensmoglichkeiten zu hinterlassen 
- im kommunistischen Osten lebt und stirbt eine ganze Generation im Elend, um ihren 
Nachkommen eine gliicklichere und gerechtere Zukunft zu sichern. Die Pietat des europaischen 
Zeitalters ist nach vorwarts gerichtet. 

Der westliche Kinder-Kult wurzelt im Entwicklungsglauben. Der Europaer sieht im spateren das 
bessere, hoherentwickelte; er glaubt, daB seine Enkel der Freiheit wiirdiger sein werden als er und 
seine Zeitgenossen: er glaubt, daB die Welt vorwartsgeht. Wahrend der Orientale die Gegenwart 
schwebend sieht, im Gleich- [137] 



gewicht zwischen der Vergangenheit und der Zukunft - erscheint sie dem Europaer als rollende 
Kugel, die sich immer schneller von ihrer Vergangenheit loslost, um einer unbekannten Zukunft 
zuzueilen. Der Orientale steht jenseits der Zeit; der Europaer geht mit der Zeit: er stoBt die 
Vergangenheit ab und umarmt seine Zukunft. Seine Geschichte ist eine stete Abrechnung mit der 
Vergangenheit und ein Drangen nach Zukunft. Weil er das Vorwartsschreiten der Zeit miterlebt, 
bedeutet Stillstand fur ihn Riickschritt. Er lebt in der heraklitischen Welt des Werdens - der 
Orientalien der parmenidischen Welt des Seins. 

Infolge dieser Einstellung ist unser Zeitalter nur aus der Perspektive des kommenden zu werten. 
Es ist eine Zeit der Vorbereitung und des Kampfes, der Unreife und des Uberganges. Wir sind ein 
junges Geschlecht, das iiber die Briicke zweier Welten schreitet und am Beginn eines 
unbetretenen Kulturkreises steht: so erleben wir unser starkstes Gefiihl im Vorwartsdringen, im 
Wachsen und Kampfen - nicht im friedlichen GenuB orientalischer Reife. Nicht Lust ist unser 
Ziel - sondern Freiheit; nicht Beschaulichkeit ist unser Weg sondern Tat. - 



2. ARBEITSPFLICHT 

Der Ausbau des Arbeitsstaates ist die eine Kulturpflicht unseres Zeitalters. Der Arbeitsstaat ist 
die letzte Etappe des Menschen auf seinem Wege in das Kulturparadies der Zukunft. 
Den Arbeitsstaat ausbauen, heiBt: alle erfaBbaren Arbeitskrafte der Natur und des Menschen auf 
rationellste Weise in den Dienst der Produktion und des technischen Fortschrittes stellen. - [138] 



In einer Epoche, die an den Grundlagen kommender Kulturen baut, hat niemand ein Recht auf 
MuBe. Die allgemeine Arbeitspflicht ist eine ethische und technische Pflicht zugleich. 
Ein ideales Programm fiir den Ausbau des Arbeitsstaates hat Popper-Lynkeus entworfen in 
seinem Werke: "Die allgemeine Nahrpflicht." Er fordert darin, daB an die Stelle der Wehrpflicht 
eine allgemeine, obligatorische Arbeitsdienstpflicht tritt, diese wiirde mehrere Jahre dauern und 
den Staat in die Lage setzen, jedem seiner Mitglieder zeitlebens ein Existenzminimum an 
Nahrung, Wohnung, Kleidung, Heizung und arztlicher Pflege zu garantieren. Dieses Programm 
konnte das Elend und die Sorge brechen und zugleich die Diktatur der Kapitalisten und 
Proletarier. Die Klassenunterschiede wiirden durch die allgemeine Arbeitspflicht ebenso 
aufhoren, wie durch die Durchfiihrung der allgemeinen Wehrpflicht im Kriege der Gegensatz 
zwischen Berufssoldaten und Zivilisten. - Die Abschaffung des Proletariates aber ist ein 
erstrebenswareres Ideal als dessen Herrschaft. - 

Die allgemeinste Zwangsarbeit ist der Preis, den Popper-Lynkeus fur die Beseitigung des Elends 
und der Sorge fordert. Diese Zwangsarbeit durch Forderung der Technik und Verbesserung der 
Organisation auf ein Minimum zu reduzieren und schlieBlich durch freiwillige Arbeit zu ersetzen 
- bildet den zweiten Programmpunkt des Arbeitsstaates. 

Die Hoffnung, die Lenin in "Staat und Revolution" auBert, die Menschheit wiirde auch nach 
Abschaffung der Zwangsarbeit freiwillig welter arbeiten, ist fiir den Nordlander keine Utopie. 
Denn der rastlose Europaer und Amerikaner fmdet in der Untatigkeit keine [139] 



Befriedigung; durch mehrtausendjahrigen Zwang ist ihm Arbeit zur zweiten Natur geworden: er 

braucht sie, um seine Krafte zu iiben und das Gespenst der Langeweile zu bannen. Sein Ideal ist 

tatig, nicht beschaulich. Aus diesem Gmnde - nicht aus Habsucht - arbeiten die meisten 

Millionare des Westens rastlos weiter, statt ihren Reichtum sorglos zu genieBen; aus dem 

gleichen Grunde betrachten auch viele Angestellten ihre Pensioniemng als Schicksalsschlag, weil 

sie die gewohnte Arbeit dem erzwungenen MiiBiggang vorziehen. - 

Beim heutigen Stande der Technik ware diese freiwillige Arbeit noch unzureichend zur Bannung 

der Not: noch sind viel Uberarbeitung und Zwangsarbeit notwendig, um den Weg freizumachen 

fiir eine schone und freie Arbeit der Zukunft. 

Diesen Weg in die Zukunft bahnen die Erfmder. Ihr unermiidliches und stilles Schaffen ist 

wesentlicher und bedeutsamer fiir die Kultur als das laute Treiben der Politiker und Kiinstler, die 

sich in den Vordergrund der Weltarena drangen. Die modeme Gesellschaft ist verpflichtet, auf 

jede erdenkliche Weise ihre Erfmder und deren Tatigkeit zu fordem: ihnen miiBte sie die 

Vorzugsstellung gewahren, die das Mittelalter seinen Monchen und Priestern einraumte und 

ihnen so die Moglichkeit bieten, ohne Sorgen ihre Erfmdungen auszubauen. 

Wie die Erfmder die wichtigsten Personlichkeiten unserer Epoche sind, so sind die 

Industriearbeiter deren wichtigster Stand: denn sie bilden den Vortrupp im Kampfe des 

Menschen um die Erdherrschaft und gebaren die Gebilde, die von Erfmdern gezeugt werden. - 

[140] 



3. PRODUZENTEN- UND KONSUMENTENSTAAT 

Eine weitere Pflicht des Arbeitsstaates ist die Hebung des allgemeinen Wohlstandes durch 
Steigemng der Produktion. 

Sobald mehr Lebensmittel auf den Markt geworfen werden, als verzehit werden konnen - hort der 
Hunger auf und der selige Naturzustand der Brotbaumlander kehrt auf hoherer Stufe wieder. 
Nur wenn eine Stadt mehr Wohnungen baut, als sie Familien beherbergt, bannt sie die 
Wohnungsnot, die sie durch Zwangseinquartierungen nur lindert, verteilt und verschiebt. 
Nur wenn ebensoviele Autos erzeugt werden wie Taschenuhren, wird jeder Arbeiter Autobesitzer 
sein: nicht, indem Volkskommissare sich in beschlagnahmte Autos von Bankdirektoren setzen. 
Nur durch Produktion, nicht durch Konfiskation kann sich der Wohlstand eines Volkes dauemd 
heben. - 

Im kapitalistischen Staate ist die Produktion abhangig von der Preisbildung. Wenn es im 
Interesse der Preisbildung liegt, ist der Produzent ebenso entschlossen, Waren zu vernichten wie 
zu erzeugen, die Technik zu hemmen wie zu fordern, die Produktion zu drosseln wie zu steigem. 
Steht die technische und kulturelle Entwicklung im Einklang mit seinen Interessen, so ist er 
bereit, sie zu fordern - stehen sie zu einander im Widerspruch, so entscheidet er sich 
unbedenklich fur den Gewinn gegen die Technik, Produktion und Kultur. Es liegt im dauernden 
Interesse der Produzenten, daB die Nachfrage immer das Angebot iiber - [141] 



steigt - wahrend es im Interesse der Konsumenten liegt, daB das Angebot die Nachfrage 
iibersteigt. 

Der Produzent lebt von der Not des Konsumenten: die Getreideproduzenten leben davon, daB 
Menschen hungem; die Kohlenproduzenten leben davon, daB Menschen frieren. Sie haben ein 
Interesse daran, Hunger und Frost zu verewigen. Das Getreidekapital ware entschlossen, die 
Erfindung eines Brotersatzes - das Kohlenkapital, die Erfindung eines Kohlenersatzes zu 
sabotieren; sie wiirden gegebenenfalls versuchen, die betreffende Erfindung aufzukaufen und zu 
vernichten. Die Arbeiter der betreffenden Produktionszweige waren mit ihren Untemehmem 
solidarisch, urn nicht Arbeit und Einkommen zu verlieren. 

Die industriellen Unternehmer und Arbeiter sind an der Preissteigerung ihrer Industrieartikel 
interessiert, - die Landwirte und Landarbeiter an der Preissteigerung ihrer Bodenprodukte. Als 
Produzenten gehen die Wiinsche der Menschen auseinander - wahrend als Konsumenten alle 
Menschen das gleiche, gemeinsame Ziel haben: Reduktion der Preise durch Steigerung der 
Produktion. 

Ein weiterer Unfug des Produzentenstaates ist die Reklame. Sie ist eine notwendige Folge des 
Konkurrenzkampfes und besteht in der Erhohung der Nachfrage durch kiinstliche Weckung der 
menschlichen Begehrlichkeit. Dieses Zurschaustellen und Aufdrangen des Luxus, der die 
Begehrlichkeit weckt, ohne sie je befriedigen zu konnen - wirkt heute als Hauptursache des 
allgemeinen Neides, der allgemeinen Unzufriedenheit und Verbitterung. Kein GroBstadter kann 
alle ausgestellten Waren kaufen, die [142] 



in den Auslagen seine Augen blenden: er muB sich also immer arm fiihlen, gemessen an diesen 

aufgestapelten, ausgestellten Reichtiimern und Geniissen. Die seelischen Verheerungen, welche 

die Reklame anrichtet, lassen sich nur beseitigen durch Abschaffung der Konkurrenz; der 

Konkurrenzkampf wieder laBt sich nur beseitigen durch eine Abkehr vom Kapitalismus. 

Trotz der groBartigen Forderung, die das technische Zeitalter dem Kapitalismus verdankt, darf es 

nicht blind werden gegen die Gefahren, die von dieser Seite drohen: es muB rechtzeitig ein 

besseres System zur Durchfiihrung bringen, das die Fehler des Kapitalismus vermeidet. 

Der Rivale und Erbe des kapitalistischen Untemehmerstaates, der kommunistische Arbeiterstaat, 

iibernimmt einen Teil der Fehler seines Vorgangers: denn auch in ihm herrscht eine 

Produzentengruppe, auch er ist ein Produzentenstaat. 

Der Kulturstaat der Zukunft hingegen wird Konsumentenstaat sein: seine Produktion wird von 

den Konsumenten kontrolliert werden - nicht, wie heute, der Konsum durch die Produzenten. Es 

wird nicht dem Gewinn - sondem der allgemeinen Wohlfahrt und Kultur zuliebe produziert 

werden: nicht um der Produzenten, sondern um der Konsumenten willen. 

Es ist die kiinftige Mission des Parlamentes, die iibereinstimmenden Interessen aller 

Konsumenten zu vertreten und zu verteidigen gegen die divergierenden Interessen der 

Produzentengruppen, deren Sprachrohr heute noch die Abgeordneten und Parteien sind. 



4. REVOLUTION UND TECHNIK 

Der wirtschaftliche Umsturz, der die heutige Produktionsanarchie Europas zu neuer Ordnung um 
[143] 



schaffen soil, darf seine produktive Mission nie vergessen und muB sich hiiten, in die 

destruktiven Methoden RuBlands zu verfallen. Denn Europa ist durch seine Nordlage und 

Ubervolkerung mehr als jeder andere Erdteil auf organisierte Arbeit und industrielle Produktion 

angewiesen. Es kann nicht einmal voriibergehend von den Almosen seiner geizigen Natur leben; 

alles, was es erreicht hat, verdankt es den Taten seiner Arbeitsarmee. Deren radikale 

Desorganisation durch Krieg oder Anarchie bedeutet den Kulturtod Europas: denn durch einen 

voriibergehenden Stillstand der europaischen Produktion miiBten mindestens hundert Millionen 

Europaer verhungern; eine solche Katastrophe konnte Europa, dem die Widerstandskraft 

RuBlands fehlt, nicht iiberleben. - 

Die Ethik fordert vom kommenden Umsturz Europas, daB er das menschliche Leben schont und 

heiligt - : 

die Technik fordert vom kommenden Umsturz Europas, daB er das menschliche Schaffen schont 

und heiligt. 

Wer einen Menschen mutwillig totet - frevelt am heiligen Geiste der Gemeinschaft; wer eine 

Maschine mutwillig zerstort - frevelt am heiligen Geiste der Arbeit. Dieses doppelten Frevels hat 

sich im hochsten Grade schuldig gemacht der Kapitalismus im Weltkriege, der Kommunismus in 

der russischen Revolution. Beide kannten weder Ehrfurcht vor menschlichem Leben noch vor 

menschlichem Schaffen. 

Wenn Europa belehrbar ist, kann es von der russischen Revolution lernen, welche Methoden es 

nicht anwenden darf; denn an ihr hat es ein warnendes Beispiel fur die Bedeutung der Technik 

und fur die [144] 



Rache, die sie an ihren Verachtern nimmt. RuBlands Machthaber wahnten, ihr Land und die Welt 
mit ethischen Zielen und militarischen Mitteln allein erlosen zu konnen - statt durch Arbeit und 
Technik. Sie haben die Industrie und Technik ihres Landes der Politik zum Opfer gebracht. 
Wahrend sie aber nach den Sternen der Gleichheit griffen, verloren sie den Boden der Produktion 
unter ihren FiiBen - und stiirzten so in den Abgrund des Blends. Urn sich aus diesem Abgrund, in 
dem RuBlands Volker verkommen, zu retten, sehen sich die Kommunistenfiihrer gezwungen, ihre 
kapitalistischen Todfeinde zu Hilfe zu rufen gegen die iibermachtige russische Natur, die einst 
Napoleons groBe Armee zerschmettert hat und heute den Bolschewismus mit dem gleichen 
Verhangnis bedroht. 

Folgt Europa dem destruktiven Beispiel der russischen Revolution, so riskiert es, statt zu einer 
neuen, nachkapitalistischen Ordnung durchzudringen, in die Primitivitat vorkapitalistischer 
Barbarei zuriickzusinken und gezwungen zu sein, noch einmal die kapitalistische Epoche zu 
durchleben. Seine Geistesklarheit moge es vor diesem tragischen Schicksal bewahren: sonst 
ergeht es ihm wie einem Patienten, der in der Narkose an Herzschwache stirbt - wahrend an ihm 
eine geniale Operation vollzogen wird. Denn der Herzschlag Europas ist die Technik: ohne 
Technik kann es nicht leben - auch unter der freiesten Verfassung. Bevor an die Giiterverteilung 
geschritten werden kann, muB die Giitererzeugung gesichert werden: denn was niitzt Gleichheit, 
Wenn alle verhungern? Und was schadet Ungleichheit, wenn niemand Not leidet? 
Die europaische Revolution miiBte ihre Produktion vervielfachen, statt sie zu vemichten - ihre 
[145] 



Technik beleben, statt sie zu zerstoren. Nur dann hatte sie Aussicht auf Erfolg und auf dauernde 
Verwirklichung ihrer ethischen Ideale. 

Die technische Organisation und der Maschinenpark Europas bilden das Fundament seiner 
kiinftigen Kultur; versucht Europa, diesem Kulturbau das politische Dach aufzusetzen, bevor 
dessen technische Grundmauern stehen - stiirzt der Bau zusammen und begrabt unter seinen 
Trummern die leichtfertigen Baumeister mitsamt den bedauemswerten Bewohnem. - 



5. GEFAHREN DER TECHNIK 

Wohin ethische Forderungen fiihren, wenn sie bhnd sind gegen technische Notwendigkeiten - hat 
der Verlauf der russischen Revolution gezeigt; wohin technische Fortschritte fiihren, wenn sie 
blind sind gegen ethische Notwendigkeiten - hat der Verlauf des Weltkrieges gezeigt. 
Technik ohne Ethik muB ebenso zu Katastrophen fiihren, wie Ethik ohne Technik. Wenn Europa 
in ethischer Hinsicht keine Fortschritte macht, muB es aus einem Weltkriege in den anderen 
taumeln: diese werden urn so fiirchterlicher sein, je hoher sich inzwischen die Technik 
entwickelt. Europas Zusammenbruch ist also unvermeidlich, wenn nicht sein ethischer Fortschritt 
Schritt halt mit dem technischen. Dennoch ware es ebenso lacherlich und feige, wegen der 
Moglichkeit technischer Kulturkatastrophen die Technik als solche zu bekampfen und zu 
verdammen - wie es lacherlich und feige ware, wegen der Moglichkeit von Eisenbahnunfallen die 
Eisenbahn zu vermeiden und zu verponen. [146] 



Wahrend Europa den Arbeitsstaat ausbaut, darf es nie vergessen den Kulturstaat vorzubereiten. 
Die Trager der ethischen Entwicklung: Lehrer und Priester, Kiinstler und Schriftsteller - bereiten 
den Menschen auf den groBen Festtag vor, der das Ziel der Technik ist. Ihre Bedeutung ist ebenso 
groB, wie die der Ingenieure, Chemiker, Arzte: diese gestalten den Leib der kommenden Kultur - 
jene die Seele. Denn Technik ist der Leib, Ethik die Seele der Kultur. Hier liegt ihr Gegensatz - 
hier ihre Verwandtschaft. - 

Ethik lehrt den Menschen den rechten Gebrauch der Macht und Freiheit, die ihm Technik 
gewahrt. Ein MiBbrauch der Macht und Freiheit ist fiir den Menschen verhangnisvoller als 
Ohnmacht und Unfreiheit: durch die menschliche Bosheit konnte das Leben in der kiinftigen 
Periode der MuBe noch schrecklicher werden als in der gegenwartigen Periode der Zwangsarbeit. 
Von der Ethik hangt es ab, ob die Technik den Menschen in die Holle fiihrt oder in den Himmel. 
Die Maschine tragt einen Januskopf: geistvoll gehandhabt, wird sie Sklavin des 
Zukunftsmenschen sein und ihm Macht, Freiheit, MuBe und Kultur sichern - geistlos gehandhabt, 
wird die Maschine den Menschen versklaven und ihm den Rest seiner Macht und Kultur rauben. 
Gelingt es nicht, die Maschine zu einem Organ des Menschen zu machen - so muB der Mensch 
zu einem Bestandteil der Maschine herabsinken. 

Technik ohne Ethik ist praktischer Materialismus: er fiihrt zum Untergang des Menschlichen im 
Menschen, und zu seiner Verwandlung in eine Maschine; er verleitet den Menschen, sich zu 
verauBerlichen und seine Seele an Dinge hinzugeben. Aller technische [147] 



Fortschritt aber wird schadlich und wertlos, wenn der Mensch, indes er die Welt erobert, seine 
Seele verliert: dann ware es besser, er ware Tier geblieben. 

Wie unter Kriegsvolkem Heere und Kriege notwendig waren zur Erhaltung der Freiheit und der 
Kultur - so sind in armen und iibervolkerten Erdteilen Arbeit und Technik notwendig zur 
Erhaltung des Lebens und der Kultur. Die Armee muB aber politischen Zielen dienstbar bleiben - 
die Technik ethischen. Eine Technik, die sich von der Ethik emanzipiert und sich fiir einen 
Selbstzweck halt, ist ebenso verhangnisvoll fiir die Kultur, wie fiir einen Staat eine Armee, die 
sich von der Politik emanzipiert und sich fiir einen Selbstzweck halt: ein fiihrerloser 
Industrialismus muB die Kultur ebenso in den Abgrund reiBen - wie ein fiihrerloser Militarismus 
den Staat. 

Wie der Korper Organ der Seele ist, so muB sich die Technik der ethischen Fiihrung unterwerfen; 
sie muB sich hiiten, in den Irrtum zu verfallen, den die Kunst bei der Proklamierung des I'art pour 
I'art begangen hat; denn weder Kunst noch Technik, noch Wissenschaft, noch Politik sind 
Selbstzweck: sie alle sind nur Wege, die zum Menschen fiihren - zum starken, vollendeten 
Menschen. - 



6. ROMANTIK DER ZUKUNFT 

In harten und schweren Zeiten wachst die Sehnsucht und mit ihr die Romantik. 

Auch unsere Zeit hat eine Romantik geboren: iiberall regt sich die Sehnsucht nach fremden, 

schoneren Welten, die uns hinweghelfen sollen iiber das graue Einerlei [148] 



unserer Arbeitstage. Die Pflegestatten modemer Romantik: Kinos, Theater und Romane sind wie 

Fenster, aus denen die Zwangsarbeiter des europaischen Zuchthauses hinausblicken konnen ins 

Freie. - 

Die moderne Romantik hat vier Hauptformen: 

Die Romantik der Vergangenheit, die uns zuriickversetzt in buntere und freiere Epochen unserer 

Geschichte; 

die Romantik der Feme, die uns den groBen Osten und den wilden Westen erschlieBt; die 

Romantik des Okkulten, die eindringt in die verschlossenste Bezirke des Lebens und der Seele 

und den oden Alltag mit Wundern und Geheimnissen erfiillt; 

die Romantik der Zukunft, die den Menschen iiber das trostlose Heute hinwegtrostet durch den 

Ausblick auf ein goldenes Morgen. 

Spengler, Kayserhng und Steiner kommen dieser modernen Romantik entgegen; Spengler 

erschlieBt uns die Kuhuren der Vergangenheit - Kaiserling die Kulturen der Feme - Steiner das 

Reich des Okkulten. Die groBe Wirkung, die diese Manner auf das deutsche Geistesleben 

ausiiben, ist teilweise zuriickzufiihren auf die romantische Sehnsucht des schwergepriiften 

deutschen Volkes, das in die Vergangenheit, in die Feme und zum Himmel blickt, um dort Trost 

zu fmden. - 

In die Vergangenheit, in die Feme und ins Jenseits fiihrt die Phantasie - in die Zukunft die Tat. 

Daher wirkt weder Historismus, noch Orientalismus, noch Okkultismus als die eigentlich 

treibende Kraft unserer Zeit - sondern die Romantik der Zukunft: sie hat die Idee des 

Zukunftsstaates geboren und damit die Weltbewegung des Sozialismus: sie hat die Idee des [149] 



Ubermenschen gezeugt und damit die Umwertung der Werte eingeleitet. 

Marx, der Verkiinder des Zukunftsstaates und Nietzsche, der Verkiinder des Ubermenschen sind 

beide Romantiker der Zukunft. Sie verlegen das Paradies weder in die Vergangenheit - noch in 

die Feme - noch in das Jenseits: sondern in die Zukunft. 

Marx predigt das kommende Weltreich der Arbeit - Nietzsche das kommende Weltreich der 

Kultur. Alles, was sich heute mit dem Ausbau des Arbeitsstaates befaBt, muB Stellung nehmen 

zum Sozialismus - alles, was sich heute mit der Vorbereitung des Kulturstaates befaBt, muB 

Stellung nehmen zum Ubermenschen. Marx ist der Prophet des Morgen - Nietzsche der Prophet 

des Ubermorgen. 

Alle groBen sozialen und geistigen Ereignisse im heutigen Europa kniipfen irgendwie an das 

Werk dieser beiden Manner an: die soziale und politische Weltrevolution steht im Zeichen Marx'- 

die ethische und geistige Weltrevolution steht im Zeichen Nietzsches. Ohne diese beiden Manner 

ware das Antlitz Europas ein anderes. - 

Marx und Nietzsche, die Verkiinder des sozialen und des individualen Zukunftsideales, sind 

beide Europaer, Manner, Dynamiker. Aus der Fixierung ihrer Ideale in die Zukunft ergeben sich 

Wille und Notwendigkeit, sie durch Taten zu verwirklichen. Ihre dynamischen Ideale enthalten 

Forderungen: sie wollen den Menschen nicht nur belehren, sondern bezwingen; sie drehen seinen 

Blick nach vorwarts und wirken so als Umschopfer der Gesellschaft und des Menschen. In ihrer 

Polaritat spiegelt sich das Wesen des europaischen Geistes und die Zukunft des europaischen 

Schicksals. - 

Das hochste, letzte Ideal europaischer Zukunfts- [150] 



romantik ist: nicht Abkehr - sondern Riickkehr zur Natur auf hoherer Ebene. Im Dienste dieses 
Ideales steht die Kultur, die Ethik und die Technik. Nach hunderttausenden von Kriegsjahren soil 
der Mensch wieder Frieden schlieBen mit der Natur und heimkehren in ihr Reich; aber nicht als 
ihr Geschopf - sondern als ihr Herr. Denn der Mensch steht im Begriffe, die Verfassung seines 
Planeten zu stiirzen: gestem war sie anarchisch, morgen soil sie monarchisch werden. Eines unter 
den Milliarden Geschopfen greift nach der Krone der Schopfung: der freie, entfaltete Mensch als 
koniglicher Gebieter der Erde. - 

151 



PAZIFISMUS1924 

Den toten, lebenden, kommenden 
Helden des Friedens! 



1. ZEHN JAHRE KRIEG 

Der Friede, der vor zehn Jahren in Triimmer ging, ist bis heute nicht wiederhergestellt. 

Auf die fiinfjahrige Kriegsperiode folgte fiir Europa eine fiinljahrige Halbkriegsperiode. In diese 

Periode fallt der russisch-polnische und der griechisch-tiirkische Krieg, die Ruhrbesetzung, die 

Kampfe in Oberschlesien, Litauen, Westungarn, Fiume, Korfu, die Biirgerkriege in Deutschland, 

Italien, Spanien, Ungarn, Irland, Griechenland, Bulgarien und Albanien, das Umsichgreifen der 

politischen Morde und der Volkerverhetzung, der Zusammenbruch von Wahrungen und die 

Verarmung ganzer Volker. 

Dieses schlimmste Jahrzehnt europaischer Geschichte seit der Volkerwanderung bildet eine 

schlimmere Anklage gegen den Krieg, als Pazifisten sie jemals vorbringen konnten und konnen: 

dennoch ist dieser Angeklagte weder an seiner Freiheit, noch an seiner Ehre, noch an seinem 

Leben bestraft worden, sondern laBt sich iiberall als Triumphator feiern, diktiert die europaische 

Politik und bereitet sich vor, von neuem iiber die Volker Europas herzufallen, urn sie endgiiltig zu 

vernichten. 

Denn es ist zweifellos, daB infolge der Fortschritte der Kriegstechnik, insbesondere der 

Giftfabrikation und der Aviatik, der nachste europaische Krieg diesen Erdteil nicht schwachen, 

sondern vernichten wiirde. 

Zu dieser Gefahr, die ihn personlich unmittelbar betrifft, muB jeder Europaer Stellung nehmen. 

Erscheint sie ihm unabwendbar, so bleibt als einzige logische Konsequenz die Auswanderung 

nach einem fremden [155] 



Erdteil. Erscheint sie ihm abwendbar, so bleibt als Pflicht der Kampf gegen die Kriegsgefahr und 

deren Trager: die Pflicht zum Pazifismus. 

Europaer zu bleiben, ist heute nicht nur ein Schicksal - sondern auch eine verantwortungsvolle 

Aufgabe, von deren Losung die Zukunft aller und jedes Einzelnen abhangt. 

* 

Pazifismus ist heute in Europa die einzige Realpohtik. Wer von einem Kriege das Heil hofft, gibt 

sich romantischen Illusionen hin. 

Die Mehrzahl der europaischen Politiker scheint dies zu erkennen und den Frieden zu wiinschen - 

und mit ihnen die iiberwaltigende Mehrzahl der Europaer. 

Diese Tatsache kann den Pazifisten nicht beruhigen, der sich daran erinnert, daB dies auch 1914 

der Fall war; auch damals wollten die meisten Staatsmanner und die Majoritat der Europaer den 

Frieden: und dennoch brach, gegen ihren Willen, der Krieg aus. Dieser Kriegsausbruch erfolgte 

durch einen internationalen Staatsstreich der kriegsfreundlichen Minoritaten gegen die 

kriegsfeindlichen Majoritaten Europas. 

Dieser Staatsstreich, von langer Hand vorbereitet, ergriff einen giinstigen AnlaB, iiberrumpelte 

durch Lagen und Schlagworte die ahnungslosen Volker, deren Schicksal nun durch Jahre jenen 

Minoritaten preisgegeben blieb. 

So kam es zum Weltkrieg durch die Entschlossenheit der Militaristen und die Schwache der 

Pazifisten. Solange dieses Verhaltnis bleibt, kann taglich ein neuer europaischer Krieg 

ausbrechen. Denn heute wie damals steht eine kleine aber tatkraftige Kriegsminoritat einer 

groBen aber energielosen Friedensmajoritat gegeniiber; sie spielt mit dem Krieg, statt ihn zu 

zerstampfen; sie besanftigt die Kriegshetzer, statt sie niederzuwerfen und schafft so die gleiche 

Lagewie 1914. 

* 

[156] 



Der Pazifismus vergiBt, daB ein Wolf starker ist als tausend Schafe - und daB die zahl in der 
Politik wie in der Strategie nur dann entscheidet, wenn sie gut gefiihrt und gut organisiert ist. 
Dies ist der Pazifismus heute so wenig wie vor zehn Jahren: Ware er dies schon damals gewesen, 
so ware der Krieg nicht ausgebrochen; ware er dies heute, so ware Europa vor einem neuen 
Kriege sicher. 

Die Ohnmacht des Pazifismus liegt heute wie damals darin, daB zwar sehr viele den Frieden 
wiinschen, aber sehr wenige ihn wollen; daB viele den Krieg furchten - aber nur wenige ihn 
bekampfen. [157] 



2. KRITIK DES PAZIFISMUS 

Die passive Kriegsschuld trifft den europaischen Pazifismus. Seine schlechte Fiihrung, seine 

Schwache und Charakterlosigkeit hat die Kriegshetzer ermutigt, den Krieg zu beginnen. 

Die Anhanger des Friedensgedankens, die 1914 fiir ihr Ideal nicht rechtzeitig und nicht stark 

genug eingetreten sind, sind mitverantwortlich am Kriegsausbruch. 

Wenn aber heute, nach dieser Erfahrung und Erkenntnis, ein Gegner des Krieges bei jener 

Passivitat beharrt, so ladet er eine noch schwerere Schuld auf sich, indem er dem Zukunftskrieg 

indirekt Vorschub leistet. 

Ein reicher Pazifist, der heute den Frieden nicht finanziert, ist ein halber Kriegshetzer. 

Ein pazifistisch gesinnter Journalist, der heute den Frieden nicht propagiert - ist ebenfalls ein 

halber Kriegshetzer. 

Ein Wahler, der aus innerpolitischen Motiven einen Kandidaten wahlt, von dessen Friedenswillen 

er nicht iiberzeugt ist - unterschreibt damit sich und seinen Kindern ein halbes Todesurteil. 

Die Pflicht jedes Pazifisten ist: im Rahmen seiner Moglichkeiten den drohenden Zukunftskrieg 

zu verhindern; tut er nichts nach dieser Richtung, so ist er entweder kein Pazifist oder 

pflichtvergessen. 

* 

Der Pazifismus hat aus dem Kriege nichts gelemt: er ist heute wesentlich der gleiche wie 1914. 
Wenn er seine Fehler nicht erkennt und sich nicht [158] 



wandelt, wird der Militarismus auch in Zukunft iiber ihn hinwegschreiten. 

Die Hauptfehler des europaischen Pazifismus sind: 

Der Pazifismus ist unpolitisch: unter seinen Fiihrern sind zu viele Schwarmer, zu wenig Politiker. 

Darum baut der Pazifismus vielfach auf Illusionen, rechnet nicht mit gegebenen Tatsachen, nicht 

mit der menschlichen Schwache, Unvemunft und Bosheit: so zieht er aus falschen 

Voraussetzungen falsche Schliisse. Der Pazifismus ist uferlos; er versteht es nicht, seine Ziele zu 

beschranken; er erreicht nichts, weil er alles zugleich will. 

Der Pazifismus ist weitsichtig; er ist vemiinftig im Ziel - aber unverniinftig in den Mitteln. Er 

richtet sein Wollen auf die Zukunft - und uberlaBt die Gegenwart den Intriguen der Militaristen. 

Der Pazifismus ist planlos: er will den Krieg verhindern, ohne ihn zu ersetzen; seinem negativen 

Ziel fehlt das positive Programm einer aktiven Weltpolitik. Der Pazifismus zersplittert; er hat 

Sekten, aber keine Kirche; seine Gruppen arbeiten isoliert, ohne einheitliche Fiihrung und 

Organisation. 

Der Pazifismus pflegt Anhangsel, statt Mittelpunkt politische Programme zu sein; ihr Mittelpunkt 

ist eine innerpolitische Einstellung, wahrend ihr Pazifismus mehr taktisch als prinzipiell ist. 

Der Pazifismus ist inkonsequent; er halt sich meist bereit, einem "hoheren Ideal", das heiBt einem 

geschickten Schlagwort gegeniiber kritiklos zuriickzutreten, wie er dies 1914 getan hat und auch 

kiinftig zu tun bereit ware. 

* 

Das groBte Ubel des Pazifismus sind die Pazifisten. Daran andert auch die Tatsache nichts, daB 
sich unter ihnen die besten und bedeutendsten Manner unserer Zeit finden. Diese sind von der 
folgenden Kritik ausgenommen. [159] 



Die meisten Pazifisten sind Phantasten, welche die Politik und deren Mittel verachten, statt sie zu 
betreiben; damm werden sie, sehr zum Schaden ihres Zieles, politisch nicht ernst genommen. 
Viele Pazifisten glauben, die Welt durch Predigen zu andern - statt durch Handeln: sie 
kompromittieren den politischen Pazifismus, indem sie ihn mit religiosen und methaphysischen 
Spekulationen durchsetzen. 

Meist ist die Furcht vor dem Kriege die Mutter des Pazifismus. Erstreckt sich diese Furcht vor 
der Gefahr auch auf das sonstige Leben der Pazifisten, so verhindert es sie, sich fur den 
Friedensgedanken zu exponieren. 

Die Tapferkeit und Opferwilligkeit der Pazifisten ist seltener als die der Militaristen; viele 
erkennen die Kriegsgefahr - aber wenige bringen personliche oder materielle Opfer, urn sie 
abzuwenden. Statt Kampfer- sind sie Driickeberger des Pazifismus, die anderen den Kampf 
iiberlassen, an dessen Friichten sie teilnehmen. 

Viele Pazifisten sind sanfte Naturen, die nicht nur den Krieg scheuen - sondem auch den Kampf 
gegen den Krieg; ihr Herz ist rein, aber ihr Wille schwach und daher ihr Kampfwert illusorisch. 
Die meisten Pazifisten sind iiberzeugungsschwach - wie die meisten Menschen; unfahig, einer 
Massensuggestion im entscheidenden Augenblick zu trotzen - sind sie Pazifisten im Frieden, 
Militaristen im Kriege. Nur eine feste Organisation, gefiihrt von einem starken Willen, kann sie 
dauernd in den Dienst des Friedens zwingen. [160] 



3. RELIGIOSER UND POLITISCHER PAZIFISMUS 

Der religiose Pazifismus bekampft den Krieg, unsittlich - der politische Pazifismus, weil er 

unrentabel ist. 

Der religiose Pazifismus sieht im Krieg ein Verbrechen - der politische Pazifismus eine 

Dummheit. 

Der religiose Pazifismus will den Krieg abschaffen durch Anderung des Menschen - der 

politische Pazifismus will den Krieg verhindem durch Anderungen der Verhaltnisse. - 

Beide Formen des Pazifismus sind gut und berechtigt: gesondert dienen sie dem menschlichen 

Frieden und Fortschritt; nur im ihrer Vermischung schaden sie einander mehr, als sie einander 

niitzen. Hingegen sollen sie einander bewusst unterstiitzen: es ist also selbstverstandlich, dass der 

politische Pazifist sich auch ehtischer Argumente bedient, um die Werbekraft seiner Propaganda 

zu starken; und dass der religiose Pazifist im Entscheidungsfall die pazifistische Politik 

unterstiitzen wird - statt der militaristischen. 

* 

In seinen Methoden muB sich aber der praktische Pazifismus vom ethischen Pazifismus 
emanzipieren: sonst bleibt er unfahig, den Kampf gegen den Militarismus erfolgreich zu fiihren. 
In der Politik haben sich die machiavellistischen Methoden des Militarismus besser bewahrt als 
[161] 



die tolstoischen Methoden des Pazifismus, der infolgedessen 1914 und 1919 kapitulieren muBte. 
Will kiinftig der Pazifismus siegen, so muB er, von seinen Gegnern lernen und seine tolstoischen 
Ziele mit machiavellistischen Mitteln verfolgen: er muB von Raubem lernen, wie man mit 
Raubem umgeht. Denn wer unter Raubern im Sinne der Gewaltlosigkeit seine Waffe wegwirft, 
hilft damit nur den Raubern, nur der Gewalt, nur dem Unrecht. Darum muB der politische Pazifist 
die Tatsache anerkennen, daB in der Tagespolitik die Gewaltlosigkeit der Gewalt nicht 
gewachsen ist; daB nur der auf Gewalt verzichten kann, der, wie einst das Christentum, mit 
Jahrhunderten rechnet. Das kann aber Europa nicht: siegt hier der Friede nicht bald, so werden in 
300 Jahren nur noch chinesische Archaologen seine Kirchhofsruhe storen. Es geniigt also nicht, 

daB der europaische Friede siegt: siegt er nicht bald, ist sein Sieg illusorisch. 

* 

Wer ein Spiel erfolgreich spielen will, muB sich den Spielregeln unterwerfen. Die Spielregeln der 

Politik sind: List und Gewalt. 

Will der Pazifismus in die Politik praktisch eingreifen, so muB er sich dieser Mittel zur 

Bekampfung des Militarismus bedienen. Erst nach seinem Siege konnte er die Spielregeln andem 

und Recht an die Stelle von Macht setzen. 

Solange jedoch in der Politik Macht vor Recht geht, muB der Pazifismus sich auf Macht stiitzen. 

UberlaBt er die Macht den Kriegsfreunden, wahrend er sich selbst nur auf sein gutes Recht stiitzt 

- so leistet er, als Prinzipienreiterei, nur dem Zukunftskriege Vorschub. 

Ein Politiker, der keine Gewalt anwenden will, gleicht einem Chirurgen, der nicht schneiden will: 

hier wie dort kommt es darauf an, das richtige MaB zu finden zwischen zu viel und zu wenig: 

sonst stirbt der Patient, statt zu genesen. [162] 



Politik ist die Lehre von der Eroberung und dem richtigen Gebrauch der Macht. Der innere 

Frieden aller Lander wird aufrechterhalten durch Recht und Gewalt: Recht ohne Gewalt miiBte 

sofort zu Chaos und Anarchie fiihren, also zur schlimmsten Form der Gewalt. 

Das gleiche Schicksal droht dem internationalen Frieden - wenn sein Recht keine Stiitze in einer 

intemationalen Machtorganisation fmdet. 

Der Pazifismus als politisches Programm darf also keinesfalls die Gewalt ablehnen: nur muB er 

sie gegen den Krieg einsetzen - statt fiir den Krieg. 

* 

Das MiBtrauen der friedliebenden Massen in die politische Fiihrung der Pazifisten, das scheinbar 
paradox ist, erklart sich daraus, daB die meisten Pazifisten das ABC der Politik nicht beherrschen. 
Denn wie wir in einem ProzeB unsere Vertretung lieber einem geschickten Anwalt anvertrauen, 
als einem ungeschickten - auch wenn dieser noch so giitig ist: so legen auch die Volker ihr 
Schicksal lieber in geschickte, als in giitige Hande. 

Die Pazifisten werden erst dann das politische Vertrauen der Massen erobem, wenn sie, nach den 
Worten der Bibel, nicht nur sanft sind wie die Tauben - sondern auch klug wie die Schlangen; 
wenn sie nicht nur edler in den Zielen - sondern auch geschickter in den Mitteln sind, als ihre 
militaristischen Rivalen. [163] 



4. REFORM DES PAZIFISMUS 

Die neue Zeit fordert einen neuen Pazifismus. Staatsmanner sollen an seine Spitze treten, statt 

Traumer; Kampfer sollen seine Reihen fiillen, statt Norgler! 

Nur ein staatskluger Pazifismus kann die Massen iiberzeugen, nur ein heroischer Pazifismus kann 

sie hinreiBen! 

Die neuen Pazifisten sollen Optimisten des Willens sein - aber Pessimisten der Erkenntnis. Sie 

sollen die Gefahren, die dem Frieden drohen, weder iibersehen noch iibertreiben - sondern: 

bekampfen. Die Behauptung: "Ein neuer Krieg ist unmoglich." ist ebenso falsch wie die 

Behauptung: "Ein neuer Krieg ist unvermeidlich." Ob die Kriegsmoglichkeit sich in 

Kriegswirklichkeit verwandeln wird oder nicht, hangt in erster Linie von der Tatkraft und 

Umsicht der Pazifisten ab. Denn Krieg und Frieden sind keine Naturereignisse - sondern 

Menschenwerk. 

Darum muB der Pazifist dem Frieden gegeniiber folgenden Standpunkt einnehmen: 

"Der Friede ist bedroht; 

Der Friede ist moglich; 

Der Friede ist wiinschenswert: 

Schaffen wir also den Frieden!" 
* 

Der neue Pazifismus muB seine Ziele beschranken, um sie zu erreichen und nur das fordern, was 
er entschlossen ist, durchzusetzen. Denn das Reich des Friedens laBt sich nur schrittweise erobern 
und ein [164] 



Schritt vorwarts in der Wirklichkeit gilt mehr als tausend Schritte in der Phantasie. 

Uferlose Programme locken nur Phantasten - wahrend sie Politiker abstoBen: ein Politiker kann 

aber fiir den Frieden mehr tun, als tausend Phantasten! 
* 

Die Pazifisten aller Nationen, Parteien und Weltanschauungen miissen in der internationalen 

Politik eine Phalanx bilden mit einheitlicher Fiihrung und gemeinsamen Symbolen. 

Eine Fusion so vieler divergierender Gruppen ist unmoglich und unzweckmaBig - aber ihre 

Kooperation ist moglich und notwendig. 

Der Pazifismus muB von jedem Politiker Klarheit fordern iiber seine Stellung zu Krieg und 

Frieden. In dieser Lebensfrage hat jeder Wahler ein Recht, den Standpunkt seines Kandidaten 

genau zu kennen, zu wissen, unter welchen prazisen Umstanden dieser fiir den Krieg stimmen 

wiirde und welche Mittel er anwenden will, um den Krieg zu verhindern. 

Nur wenn die Wahler auf diese weise in die AuBenpolitik eingreifen, statt sich wie bisher mit 

Phrasen und Schlagwortem abspeisen zu lassen - konnten die Parlamente zu Spiegelbildern des 

Friedenswillen werden, der die Massen der Arbeiter, Bauern und Biirger aller Nationen beseelt. 

* 

Der neue Pazifismus muB vor allem auch die Pazifisten reformieren. 

Der Pazifismus kann nur siegen, wenn die Pazifisten bereit sind, im Kampf um den Frieden Opfer 

zu bringen an Ehre, Geld und Leben; wenn die zahlkraftigen Pazifisten zahlen - die tatkraftigen 

handeln. 

Solange die Massen in den Militaristen, die taglich bereit sind, ihr Leben fiir ihr Ideal 

hinzugeben, Helden [165] 



sehen - in den Pazifisten aber Schwachlinge und Feiglinge, wird die Begeisterung fiir den Krieg 
starker sein, als die Begeisterung fiir den Frieden. 

Denn die Uberzeugungskraft liegt in den Dingen - die Begeisterungskraft aber in den Menschen. 
Diese Kraft, zu begeistem, wird urn so starker sein, je mehr die Pazifisten Kampfer, Apostel, 
Helden und Martyrer ihrer Idee werden - statt deren Anwalte und NutznieBer. - [166] 



5. WELTFRIEDEN UNO EUROPAFRIEDEN 

Die Ziele des religiosen Pazifismus sind absolut und einfach - die Ziele des politischen 

Pazifismus relativ und vielfaltig. Jedes politische Problem fordert eine besondere Stellungnahme 

des Pazifismus. 

Es gibt drei Haupttypen des Krieges: der Angriffs- , Verteidigungs - und Befreiungskrieg. 

Alle Pazifisten sind Gegner des Eroberungskrieges; der Weg zu seiner Bekampfung ist klar 

vorgezeichnet: gegenseitige Versicherung von Staaten zu gemeinsamen Abwehr des 

Friedensbrechers. Eine solche Organisation, wie sie heute der Volkerbund im Garantiepakt plant, 

wird in Zukunft die Volker vor Eroberungskriegen schiitzen und ihnen zugleich individuelle 

Verteidigungsaktionen ersparen. 

Viel schwieriger ist das Problem des Befreiungskrieges. Denn dieser ist in der Form ein 

Angriffskrieg - im Wesen aber ein Verteidigungskrieg gegen eine erstarrte Eroberung. Ein 

Pazifismus, der Befreiungskriege unmoglich macht, ergreift damit die Partei der Unterdriicker. 

Anderseits ware die Internationale Legitimierung des Befreiungskrieges ein Freibrief fiir 

Er ob erung skri ege . 

Denn die Befreiung unterdriickter Volker und Klassen bildet den beliebtesten Vorwand aller 

Eroberungskriege; und da es iiberall Volker, Volkssplitter, Rassen und Klassen gibt, die sich 

unterdriickt fiihlen oder es wirklich sind, ware heute ein Pazifismus, der den Befreiungskrieg 

gestattet, praktisch illusorisch. [167] 



Zwei Theorien stehen sich also hier gegeniiber: der konservative Pazifismus saturierte Volker, 

deren Ziel die Bekampfung jedes Friedensbrechers, die Erhaltung des Status quo und der 

gegenwartigen Herrschaftsverhaltnisse ist - und der revolutionare Pazifismus, dessen Ziel ein 

letzter Weltkrieg zur Befreiung aller unterdriickten Klassen, Volker und Rassen und damit die 

Vernichtung jeder kiinftigen Kriegsursache und die Begriindung - der pazifistischen Weltrepublik 

ist. 

Der konservative Pazifismus hat seine Zentrale im Genfer Volkerbund - der revolutionare in der 

Moskauer Internationale. 

* 

Der Genfer Pazifismus will heute den Frieden erhalten, ohne die Konfliktstoffe zu beseitigen, die 

zu einem Zukunftskrieg zu fiihren drohen; der Moskauer Pazifismus will die Internationale 

Explosion beschleunigen, um wenigstens fiir die Zukunft ein gesichertes Friedensreich zu 

errichten. 

Es ist zu fiirchten, daB Genf zu schwach sein wird, um den Frieden zu erhalten - und Moskau zu 

schwach, ihn zu errichten. Darum bedrohen beide Tendenzen in ihrem Radikalismus den 

Weltfrieden. 

Ein teilweiser Ausweg aus diesem Dilemma ist ein evolutionarer Pazifismus, dessen Ziel ein 

schrittweiser Abbau der nationalen und sozialen Unterdriickung bei gleichzeitiger 

Aufrechterhaltung des Friedens ist. Dieser Pazifismus, der wie ein schmales Sell iiber einen 

doppelten Abgrund fiihrt, erfordert das hochste politische Geschick der Fiihrer und ein groBes 

politisches Verstandnis der Volker. Dennoch muB er von alien versucht werden, die ehrlich den 

Frieden wollen. 
* 

Die beiden schwierigsten Friedensprobleme der Zukunft sind: das indische und das australische 
Problem. In der indischen Frage (die ein Spezial- [168] 



fall der allgemeinen Kolonialfrage ist) stehen sich der Wille der indischen Kulturnation zur 

politischen Unabhangigkeit und der Wille GroBbritanniens, es in seinem Staatsverbande zu 

halten, scheinbar unversohnlich gegeniiber. Diese Lage reizt die asiatischen (und halbasiatischen) 

Volker, sich eines Tages mit Indien zu einem groBen Befreiungskampfe zu vereinigen. 

Die australische Frage (die ein Spezialfall der pazifischen Einwanderungsfrage ist) dreht sich urn 

die Aussperrung der Mongolen aus den angel sachsischen Siedlungsgebieten. Der starke 

Bevolkerungszuwachs der Mongolen steht in keinem Verhaltnis zu ihrem Mangel an 

Siedlungsgebieten und droht eines Tages zu einer Explosion im pazifischen Ozean zu fiihren, 

wenn ihnen kein Ventil geoffnet wird. Anderseits wissen die weiBen Australier, daB eine 

Zulassung der Mongolen sie binnen kurzem in die Minoritat drangen wiirde. Welche Losung 

dieses Problem finden wird, wenn einst China ebenso geriistet sein wird wie Japan, ist 

unbestimmt. 

Die friedliche Losung dieser Weltprobleme bildet eine sehr schwierige Aufgabe der britischen, 

asiatischen und australischen Pazifisten. 

Die europaischen Pazifisten jedoch miissen klar erkennen, daB eine kriegerische Losung dieser 

Fragen wahrscheinlicher ist als eine friedliche, daB ihnen aber die Macht und der EinfluB fehlt, 

diese drohenden Kriege zu verhindem. 

* 

Diese Erkenntnis klart die Mission des europaischen Pazifismus: er hat nicht die Macht, den 
Erdball zu pazifizieren - wohl aber hat er die Macht, Europa den Dauerfrieden zu schenken, 
indem er die europaische Frage lost und seinen Erdteil davor bewahrt, in jene asiatische und 
pazifische Zukunftskonflikte verwickelt zu werden. Infolgedessen muB der politische Pazifismus 
Europas seine Ziele beschranken und unterscheiden lemen, was er nur [169] 



wiinschen - und was er auch erreichen kann. Ohne seine Krafte zu iiberspannen, muB er zunachst 

in seinem eigenen Erdteil um den Dauerfrieden ringen und es den Amerikanern, Briten, Russen 

und Asiaten iiberlassen, in den ihnen zugefallenen Weltteilen den Frieden zu erhalten. Dabei 

miissen aber alle Pazifisten der Welt miteinander in standiger Fiihlung bleiben, da viele Probleme 

(vor allem die Abriistung), nur international zu losen sind, und da der Internationale Pazifismus 

versuchen muB, Konflikte zwischen jenen Weltkomplexen zu vermeiden und zu schlichten. 

Im Verhaltnis zu jenen ostasiatischen Kriegsgefahren sind die europaischen Friedensprobleme 

relativ leicht zu losen. Kein uniiberwindliches Hindemis steht dem europaischen Frieden im 

Weg. Bei einem europaischen Kriege konnte niemand etwas gewinnen aber alle alles verlieren. 

Der Sieger wiirde todlich verwundet - der Besiegte vernichtet aus diesem Massenmorden 

hervorgehen. 

Deshalb konnte ein neuer europaischer Krieg nur entstehen durch ein Verbrechen der 

Militaristen, durch den Leichtsinn der Pazifisten und die Dummheit der Politiker. 

Er kann verhindert werden, wenn in jedem Lande die Kriegshetzer in Schach gehalten werden, 

die Pazifisten ihre Pflicht erfiillen und die Staatsmanner die Interessen ihrer Volker wahren. 

* 

Die Sicherung des Friedens in Europa, das heute zum Balkan der Welt geworden ist, bildet einen 
wesentlichen Schritt vorwarts zum Weltfrieden. Wie der Weltkrieg von Europa seinen Ausgang 
nahm - so konnte vielleicht auch der Weltfrieden einst von Europa seinen Ausgang nehmen. 
Keinesfalls ist an einen Weltfrieden zu denken, bevor nicht der europaische Frieden in einem 
stabilen System verankert ist. [170] 



6. REALPOLITISCHES FRIEDENSPROGRAM 

Die europaische Kriegsgefahr gliedert sich in zwei Gruppen: die erste ist in der nationalen 
Unterdriickung begriindet - die zweite in der sozialen. Heute bedrohend die Grenzfragen und die 
mssische Frage den europaische Frieden. - 

Das Wesen der Grenzfrage ist, daB die meisten europaischen Staaten und Volker mit ihren 
derzeitigen Grenzen unzufrieden sind, da sie den nationalen, wirtschaftlichen oder strategischen 
Forderungen der Nationalisten nicht entsprechen. Eine friedliche Anderung der heutige Grenzen 
ist bei deren gegenwartigen Bedeutung unmoglich: daher bereiten die Nationalisten jener 
unzufriedenen Staaten eine gewaltsame Grenzanderung durch einen neuen Krieg vor und 
zwingen ihre Nachbarn zu Riistungen. 

Die mssische Frage wurzelt heute in der Tatsache, daB an der offenen Ostgrenze Europas eine 
Weltmacht steht, deren Fiihrer es als ihr Ziel bekennen, das bestehende System in Europa 
gewaltsam zu stiirzen. Urn dieses Ziel zu erreichen, unterstiitzen sie die soziale Irredenta Europas 
mit Geld und hoffen bald in die Lage zu kommen, diesen Propagandageldern beim Ausbruch der 
europaischen Revolution Sowjettruppen nachsenden zu konnen. 

Aus prinzipiellen Griinden ist RuBland Gegner des heutigen Pazifismus, bekennt sich zu 
militaristischen Methoden und organisiert eine starke Armee, um mit deren Hilfe die Weltkarte, 
wenigstens in Europa [172] 



und Asien, griindlich zu andern. Sobald diese Armee stark genug sein wird, wird sie zweifellos 

gegen Westen marschieren. 

* 

Diese beiden Probleme, die sich an einzelnen Punkten (Bessarabien, Ostgalizien) begegnen, 
bedrohen taglich den Frieden Europas. Jeder europaische Pazifist muB sich mit ihnen 
auseinandersetzen und versuchen, sie abzuwenden. 

Das Pan-Europa-Programm*) ist der einzige Weg, diese beiden drohenden Kriege mit 
realpolitischen Mitteln zu verhindern und den europaischen Frieden zu sichern. Sein Ziel ist: 

1. Sicherung des innereuropaischen Friedens durch paneuropaischen Schiedsvertrag, 
Garantiepakt, Zollbund und Minoritatenschutz. 

2. Sicherung des Friedens mit RuBland durch ein paneuropaisches Defensivbiindnis, durch 
gegenseitige Anerkennung, Nichteinmischung und Grenzgarantie, gemeinsame Abriistung und 
wirtschaftliche Zusammenarbeit, sowie durch Abbau der sozialen Unterdriickung. 

3. Sicherung des Friedens mit Britannien, Amerika und Ostasien durch obligatorische 

Schiedsvertrage und regionale Volkerbundsreform. 

* 

Das Pan-Europa-Programm ist die einzig mogliche Losung des europaischen Grenzproblems. 
Denn die Unvereinbarkeit aller nationalen Aspirationen, sowie die Spannung zwischen den 
geographisch-strategischen, historisch-wirtschaftlichen und nationalen Grenzen in Europa macht 
eine gerechte Grenzfiihrung unmoglich. Eine Veranderung der Grenzen wiirde 



*) Siehe: „Pan-Europa" von R. N. Coudenhove-Kalergi (Pan-Europa-Verlag, Wien). 
[172] 



alte Ungerechtigkeiten beseitigen, aber neue an deren Stelle setzen. 

Darum ist eine Losung des europaischen Grenzproblems nur durch dessen Ausschaltung moglich. 

Die beiden Elemente dieser Losung sind: 

A. Das konservative Element des territorialen Status quo, das die bestehenden Grenzen 
stabilisiert und so den drohenden Krieg verhindert; 

B. das revolutionare Element der allmahlichen Beseitigung der Grenzen in strategischer, 
wirtschaftlicher und nationaler Hinsicht, das die Keime kiinftiger Kriege zerstort. 

Diese Sicherung der Grenzen, verbunden mit deren Abbau, bewahrt die formale Gliederung 

Europas, wahrend sie deren Wesen andert. 

So sichert sie zugleich den gegenwartigen und kiinftigen Frieden, die wirtschaftliche und die 

nationale Entfaltung Europas. 

* 

Die andere europaische Kriegsgefahr ist die russische. Die russische Militarisierung entspringt 

einerseits der Furcht vor einer antibolschewistischen Invasion, die durch Europa unterstiitzt 

wiirde - andererseits dem Willen, im Zeichen der sozialen Befreiung einen Angriffskrieg gegen 

Europa zu fiihren. 

Darum muss es das Ziel des europaischen Pazifismus sein zu gleich RuBland vor einem 

europaischen und Europa vor einem russischen Angriff zu sichern. Das erste ist nur durch 

ehrliche Friedenswillen moglich - das zweite durch militarische Uberlegenheit. Diese militarische 

Uberlegenheit kann Europa ohne Steigerung seiner Riistungen sofort erreichen durch ein 

paneuropaisches Defensivbiindnis. 

Der europaische Pazifismus darf aber diese militarische Ubermacht nicht in ein Wettriisten 

ausarten [173] 



lassen, sondern muB sie zur Basis einer mssisch-europaischen Abriistung und Verstandigung 
machen. 

Europa hat nicht die Moglichkeit, die politische Einstellung der russischen Machthaber, deren 

System expansiv ist, zu andern. Da es dieselben zum Frieden nicht iiberreden kann, muB es sie 

zum Frieden zwingen. Wenn ein Nachbar friedlich orientiert ist, der andere kriegerisch, so fordert 

der Pazifismus, daB die militarische Uberlegenheit auf Seiten des Friedens steht. Eine Umkehr 

dieses Verhaltnisses bedeutet den Krieg. 

Es ist ein Irrwahn vieler Pazifisten, in der eigenen Riistungsbeschrankung den sicheren Weg zum 

Frieden zu sehen. Unter Umstanden fordert der Friede Abriistung - unter anderen Umstanden 

aber Riistung. Hatten beispielsweise England und Belgien 1914 iiber starke Armeen verfiigt, so 

hatte der englische Vermittlungsvorschlag unmittelbar vor der Katastrophe mehr Aussicht auf 

Annahme gehabt. 

Wenn sich heute etwa ein Volk aus Pazifismus zur Kriegsdienstweigerung bekennt, wahrend sein 

Nachbar auf die Gelegenheit lauert, es zu iiberfallen, so fordert es nicht den Frieden, sondern den 

Krieg. 

Wenn ein anderes Volk zur Sicherung seines Friedens seine Riistungen steigert und dadurch 

einen friedlichen Nachbarn zum wettriisten provoziert - so fordert es auch nicht den Frieden, 

sondern den Krieg. 

Jedes Friedensproblem fordert eine individuelle Behandlung. Darum kann Europa heute nicht die 

gleichen Friedensmethoden gegeniiber England und RuBland anwenden. 

Der Friede mit England, dessen Politik stabil und pazifistisch ist, laBt sich auf Vertrage stiitzen - 

der Friede mit RuBland, das sich in einer Revolution befmdet und seine Kriegsplane gegen das 

europaische System nicht verleugnet, bedarf militarischer Sicherungen. [174] 



Es ware ebenso unpolitisch und unpazifistisch, sich den Sowjets gegeniiber auf Vertrage zu 
verlassen - wie England gegeniiber auf die Flotte. Hingegen muB der europaische Pazifismus 
jederzeit bereit sein, einem pazifistischen RuBland, das abriistet und auf seine Interventionsplane 

ehrlich verzichtet, ebenso gegeniiberzutreten, wie dem pazifistischen England. 

* 

Europas Pazifisten diirfen aber nie vergessen, daB RuBland im Namen der sozialen Befreiung 
riistet und daB Millionen Europaer eine russische Invasion als Befreiungskrieg auffassen wiirden. 
Dieser Krieg wird urn so drohender, je mehr diese Uberzeugung in den Massen Europas urn sich 
greift. 

Wie die nationalen Kriegsgefahren dauemd nur gebannt werden konnen durch einen Abbau der 
nationalen Unterdriickung, kann diese soziale Kriegsgefahr nur gebannt werden durch Abbau der 
sozialen Unterdriickung. 

Die soziale Irredenta Europas wird erst dann von der Moskauer Internationale abfallen, wenn ihr 
der praktische Beweis erbracht wird, daB die Lage und die Zukunft der Arbeiterschaft in den 
demokratischen Landern eine bessere ist als in den sowjetischen. Gelingt dem Kommunismus der 
Gegenbeweiss, so kann keine AuBenpolitik Europa vor der Revolution und dem AnschluB an 
SowjetruBland bewahren. 

Hier zeigt sich die enge Verbindung zwischen Innen und AuBenpolitik, zwischen Freiheit und 
Frieden. Da jede Unterdriickung, ob sie nun national oder sozial ist, den Keim eines Krieges in 
sich birgt, bildet der Kampf gegen die Unterdriickung einen wesentlichen Bestandteil des 
Kampfes um den Frieden. [175] 



Jede Unterdriickung zwingt die Unterdriicker zur Aufrechterhaltung einer Militarmacht, die 
Unterdriickten und deren Verbiindete aber zur Kriegshetze. Umgekehrt gibt eine Kriegs- und 
Riistungspolitik den staatlichen Machthabern das starkste Instrument zur innerpolitischen 
Unterdriickung in die Hand: die Armee. Darum wird der europaische und der Weltfriede erst 
dann endgiiltig gesichert sein, wenn die Religionen, Nationen und Klassen aufhoren werden, sich 
unterdriickt zu fiihlen. 

Das ist der Grund, weshalb friedliche AuBenpolitik Hand in Hand geht mit freiheitlicher 
Innenpolitik - Kriegspolitik nach auBen aber mit Unterdriickung nach innen. [176] 



7. FORDERUNG DES FRIEDENSGEDANKENS 

Neben der Erkampfung seines auBenpolitischen Friedensprogrammes soil der Pazifist keine 

Gelegenheit versaumen, die internationale Zusammenarbeit und Verstandigung zu fordem. 

Dies bestimmt die Einstellung des Pazifismus zum Volkerbund. 

Der heutige Volkerbund ist als Friedensinstitution sehr unvollkommen; er ist, vor allem, schwer 

belastet durch die Erbschaft des Krieges, der ihn geboren hat. Er ist schwach, ungegliedert, 

unzuverlaBlich; auBerdem ist er ein Torso, so lange die Vereinigten Staaten, Deutschland und 

RuBland ihm fembleiben. Dennoch ist der Genfer Volkerbund der erste Entwurf zu einer 

intemationalen Staatenorganisation der Welt, die an die Stelle der bisherigen Staatenanarchie 

treten soil. 

Er hat den unermeBliche Vorteil der Existenz gegeniiber alien besseren Institutionen, die nur 

Projekte sind. 

Darum muBjeder Pazifist den schwachen, gebrechlichen, embryonal en Volkerbund unterstiitzen: 

er soil ihn kritisieren aber nicht bekampfen; an seiner Umgestaltung arbeiten - aber nicht an 

seiner Zerstorung. 

Jeder Pazifist soil dazu beitragen, den dummen VolkerhaB zu beseitigen, der alien schadet und 
keinem niitzt. Dies kann er am besten durch Verbreitung der Wahrheit und durch Bekampfung 
der boswilligen und ungebildeten Volkerverhetzung. [177] 



Denn eine Hauptursache des nationalen Hasses ist, daB die Volker einander nicht kennen und 
nach den AuBerungen einer chauvinistischen Presse und Literatur nur in Zerrbildern sehen. Um 
diese Entstellungen zu bekampfen, soil der Pazifismus eine aufklarende Volksliteratur schaffen, 
Ubersetzungen fordem, ebenso den Austausch von Professoren, Lehrem, Studenten und Kindern. 
Durch Internationale Vereinbarung soil die chauvinistische Hetze gegen fremde Nationen in 
Schule und Presse riicksichtslos bekampft werden. 

Zur Forderung des Friedensgedankens und zur Bekampfung der Kriegshetze sollten in alien 
Staaten Friedensministerien entstehen, die, in standigem Kontakt miteinander und mit alien 

pazifistischen Organisationen des In- und Auslandes, der international en Versohnung dienen. 

* 

Eine der wesentlichsten Aufgaben des Pazifismus ist die Einfiihrung einer internationalen 
Verstandigungssprache. Denn, bevor die Volker miteinander reden konnen, laBt sich schwer von 
ihnen verlangen, daB sie einander verstehen. 

Ein Internationale Verkehrssprache hatte den Zweck, daB daheim jeder Mensch seine 
Muttersprache spricht, wahrend er sich im Umgang mit Angehorigen fremder Nationen der 
Verstandigungssprache bedient. So brauchte jeder Mensch, der seine Heimat verlaBt, nur die eine 
Verstandigungssprache zu beherrschen, wahrend er heute im Ausland mehrerer Sprachen bedarf. 
Als Internationale Verkehrssprache kommen nur Esperanto und Englisch in Frage. Welche dieser 
beiden Sprachen fiir den internationalen Verkehr gewahlt wird, ist belanglos neben der 
Forderung, daB sich die Welt auf eine dieser beiden Sprachen einigt. [178] 



Die englische Sprache hat gegeniiber Esperanto den groBen Vorteil, daB sie in Australien, in halb 
Asien, Afrika und Amerika sowie in groBen Teilen Europas bereits die Rolle einer 
intemationalen Verkehrssprache ubernommen hat, so daB in diesen Gebieten ihre offizielle 
Einfiihrung nur die Sanktion einer bestehenden Ubung ware. Dann kommt, daB sie in ihrer 
Zwischenstellung zwischen den germanischen und romanischen Sprachen fiir Germanen wie fiir 
Romanen leicht erlernbar ist, ebenso fiir Slawen, die bereits eine germanische oder romanische 
Sprache beherrschen. AuBerdem ist Englisch die Sprache der beiden machtigsten Reiche der Erde 
und die verbreitetste Muttersprache der weiBen Menschheit. 

Die Einfiihrung der intemationalen Hilfssprache konnte durch einen Vorschlag des Volkerbundes 
erfolgen, sie zunachst in alien Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten der Welt obligatorisch 

einzufiihren und nach einem Jahrzehnt auch in den Volksschulen. 

* 

Die Verbreitung der Aufklarung und der Kampf gegen die menschliche Unwissenheit birgt 
raschere Aussichten auf Erfolg der Friedenspropaganda in sich, als die Verbreitung der 
Humanitat und der Kampf gegen die Bosheit. 

Denn menschliche Uberzeugungen wandeln sich rascher als menschliche Instinkte. Und die 
Friedensbewegung hatte es, wenigstens in Europa, gar nicht notig, an das menschliche Herz zu 
appelieren - wenn sie sich einigermaBen auf den menschlichen Verstand verlassen konnte. 
Wie die Aufklarung mit Hexenverbrennungen, Folter und Sklaverei fertig geworden ist - so wird 
sie eines Tages auch mit dem Kriege, jenem Uberbleibsel aus einem barbarischen Zeitalter der 
Menschheit, fertig werden. [179] 



Wann dies geschehen wird, ist unbestimmt; daB dies geschehen wird, bestimmt. Das Tempo 
hangt von den Pazifisten ab. DaB die Menschen nach hunderttausenden von Jahren endlich 
fliegen gelernt haben, war viel wunderbarer und unwahrscheinlicher, als daB sie eines Tages 
lemen werden, in Frieden miteinander zu leben. - [180] 



8. FRIEDENSPROPAGANDA 

Die Friedenspropaganda ist die notwendige Erganzung der Friedenspolitik: denn die pazifistische 

Politik ist kurzfristig - die pazifistische Propaganda langfristig. 

Die Friedenspropaganda allein ist unfahig, den unmittelbar drohenden Krieg zu verhindern, da sie 

zu ihrer Auswirkung mindestens zweier Generationen bedarf; die Friedenspolitik allein ist 

unfahig, den Dauerfrieden zu sichem, da bei der raschen Entwicklung unseres Zeitalters der 

Wirkungskreis der Politik kaum iiber zwei Generationen reicht. 

Die Friedenspolitik kann bestenfalls durch groBes Geschick ein pazifistisches Provisorium 

schaffen, urn der Friedenspropaganda indessen die Moglichkeit zu bieten, die Volker moralisch 

abzuriisten und sie davon zu iiberzeugen, daB der Krieg ein barbarisches, unpraktisches und 

veraltetes Mittel zur Austragung intemationaler Differenzen ist. 

Denn, so lange sich diese Erkenntnis nicht international durchgesetzt hat und so lange es Volker 

gibt, die den Krieg fur das geeignetste Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele betrachten, 

kann sich der Friede nicht auf Abriistung stiitzen, sondern nur auf die militarische Uberlegenheit 

der Pazifisten. 

Vollige Abriistung ist erst nach dem Siege des Friedensgedankens moglich - so wie die 

Abschaffung der Polizei erst moglich ware nach dem Aussterben des Verbrechertums: sonst fiihrt 

die Abschaffung der Polizei zur Diktatur des Ver- [181] 



brechens - die Abschaffung der Armee zur Diktatur des Krieges. 



* 



Die pazifistische Propaganda richtet sich gegen die Kriegsinstinkte, Kriegsinteressen und 

Kriegsideale. Der Kampf gegen die Kriegsinstinkte muB gefiihrt werden durch deren 

Schwachung und Ablenkung sowie durch Starkung der Gegeninstinkte. 

Vor allem gilt es die Volker des Krieges zu entwohnen und so ihre Kriegsinstinkte absterben zu 

lassen, wie Raucher, Trinker und Morphinisten ihre Neigungen durch deren Nichtausiibung 

ablegen. Das Mittel zur Kriegsentwohnung ist Friedenspolitik. 

Der Sport ist sehr geeignet, die menschlichen, insbesondere die mannlichen Kampfinstinkte, von 

der Kriegseinstellung abzulenken. Es ist kein Zufall, daB die sporthebendsten Volker Europas 

(Englander, Skandinavier) zugleich auch die friedlichsten sind. 

Nur die Jagd bildet hier eine Ausnahme: sie konserviert die primitivste Kampfesform und starkt 

die Mordinstinkte, statt sie abzuleiten. Es hat viel zur Erhaltung des europaischen Militarismus 

beigetragen, daB in vielen europaischen Landern die Jagd der Hauptsport der herrschenden 

Kasten und Manner war: denn die Jagd erzieht leicht zur MiBachtung fremden Lebens und 

stumpft ab gegen BlutvergieBen. 

* 

Die Verurteilung des Krieges darf nie ausarten zu einer Verurteilung des Kampfes. Eine solche 
Entgleisung des Pazifismus wiirde nur den Militaristen schlagende Gegenargumente in die Hande 
spielen und den Pazifismus ethisch und biologisch kompromittieren. 

Denn Kampf und Kampfeswille sind Schopfer und Erhalter der menschlichen Kultur. Das Ende 
des [182] 



Kampfes und das Absterben der menschlichen Kampfinstinkte ware gleichbedeutend mit dem 

Ende und Absterben der Kultur und des Menschen. 

Der Kampf ist gut; nur der Krieg ist schlecht, well er eine primitive, rohe und veraltete Form des 

intemationalen Kampfes ist wie das Duell eine primitive, rohe und veraltete Form des 

gesellschaftlichen. 

Ziel des Pazifismus ist daher nicht die Abschaffung des Kampfes, sondem die Verfeinerung, 

Sublimierung und Modemisierung seiner Methoden. 

* 

Heutzutage ist die wirtschaftliche Kampfesform im Begriffe, die militarische abzulosen: Boykott 
und Blockade treten an die Stelle des Krieges, der politische Streik an die Stelle der Revolution. 
China hat mit der Waffe des Boykotts mehrere politische Schlachten gegen Japan gewonnen und 
Gandhi versucht, auf diese unblutige Methode den indischen Befreiungskampf durchzufuhren. 
Eine Zeit wird kommen, in der die nationale Rivalitat statt mit Messern und Bleikugeln mit 
geistigen Waffen ausgefochten werden wird. Statt wettzuriisten, werden dann die Volker 
miteinander wetteifem in wissenschaftlichen, kiinstlerischen und technischen Leistungen, in 
Gerechtigkeit und sozialer Fiirsorge, in Volksgesundheit und Volksbildung und in der 
Hervorbringung groBer Personlichkeiten. 

Die zweite Aufgabe der Friedenspropaganda bildet der Kampf gegen die Kriegsinteressen. 
Diese Propaganda besteht darin, den Volkern und Individuen die geringen Chancen des 
Gewinnes und das ungeheuere Risiko des Verlustes nachzuweisen mit dem Ergebnis, daB der 
Krieg gegenwartig [183] 



zu einem schlechten, riskanten und unrentablen Geschaft geworden ist. 

Was die Volker betrifft, hat Norman Angell *) bereits vor dem Kriege diesen Beweis erbracht 

und der Weltkrieg hat seine These glanzend bestatigt. 

Ob vom nationalen Standpunkt aus ein siegreicher Befreiungskrieg Indiens oder eine Eroberung 

Australiens durch die Mongolen die Opfer aufwiegen wiirde, mag hier unerortert bleiben: sicher 

ist jedoch, daB in einem neuen europaischen Kriege der Sieger, in politischer, wirtschafthcher 

und nationaler Hinsicht schwer geschadigt, aus dem Kampfe hervorgehen wiirde, wahrend das 

besiegte Volk fiir immer vemichtet ware. Der mogliche Gewinn steht in keinerlei Verhaltnis zu 

den sicheren Verlusten. 
* 

Personlich am Kriege interessiert sind nur ehrgeizige Politiker und Militars einerseits, die sich 
Ruhm erhoffen - und habsiichtige Kriegslieferanten anderseits, die sich Geschafte erhoffen. Diese 
Gruppen sind sehr klein, aber sehr machtig. 

Die erste Gruppe kann in demokratischen Staaten von einem entschlossenen Pazifismus 
kaltgestellt werden: Politiker, die ihren Ehrgeiz iiber das Wohl ihrer Volker stellen, sollen als 
Verbrecher behandelt werden. 

Von den Offizieren wird oft behauptet, daB ihre kriegerische Einstellung Berufspflicht ist. In 
Staaten, deren Politik pazifistisch ist, ware dies ein schwerer Fehler; denn dort gilt die Armee 
nicht als ein Mittel zur Eroberung, sondern als notwendige Waffe gegen fremden Kriegswillen. 
Es ware daher notig, daB gerade die Offiziere zu Pazifisten erzogen werden, aber zu heroischen 
Pazifisten, die jederzeit bereit sind, ihr Leben fiir die Erhaltung des Friedens einzusetzen und sich 
als Kreuzritter im Kampfe gegen den Krieg fiihlen. 



*) „Die falsche Rechnung" von Norman Angell. 
[184] 



Die Industriellen, die den Krieg wegen der Kriegsgewinne herbeisehnen, sollen darauf verwiesen 
werden, daB am Ausgang des nachsten europaischen Krieges wahrscheinlich der Bolschewismus 
steht. Es erwartet sie also mit einer Wahrscheinlichkeit von iiber 50% am Kriegsende die 
Expropriation, wenn nicht der Galgen. Das Kriegsgeschaft verliert durch diese Aussicht seinen 
Reiz. Denn es erscheint immerhin vorteilhafter fiir die Industrie, sich mit den relativ schmalen 
aber gefahrlosen Friedensgewinnen zu begniigen, statt nach den fetten aber lebensgefahrlichen 
Kriegsgewinnen zu greifen. 

Diese Argumentation ist wichtig, weil sie der Kriegspropaganda ihren goldenen Motor entzieht 
und der Friedenspropaganda zufiihrt. 

Die Friedenspropaganda muB auch die menschliche Phantasie gegen den Zukunftskrieg 
mobilisieren. Sie muB die Massen aufklaren iiber die Gefahren und Schrecken, die sie im 
Kriegsfalle bedrohen: iiber die neuen Strahlen und Gase, die ganze Stadte ausmorden konnen; 
iiber den drohenden Ausrottungskrieg, der sich weniger gegen die Front, als gegen das Hinterland 
richten wiirde; iiber die politischen und wirtschaftlichen Folgen, die ein solcher Krieg fiir Sieger 
und Besiegte nach sich ziehen wiirde. 

Diese Propaganda muB der schwachen menschlichen Erinnerung und der schwachen 
menschlichen Phantasie nachhelfen: denn, hatten die Menschen mehr Phantasie - so gabe es 

keinen Krieg mehr. Der Wille zum Leben ware der starkste Verbiindete des Pazifismus. 

* 

Die Kriegsinstinkte sind roh und primitiv - die Kriegsinteressen problematisch und gefahrlich - 
die Kriegsideale verlogen und veraltet. [185] 



Sie leben von der Falschung, die Krieg mit Kampf indentifiziert, Krieger mit Helden, 

Phantasielosigkeit mit Tapferkeit, Furcht mit Feigheit. 

Sie stammen aus einer versunkenen Epoche, aus iiberwundenen Verhaltnissen. Sie wurden einst 

von einer Kriegerkaste gepragt und von freien Volkem kritiklos iibernommen. 

Einst war der Krieger der Hiiter der Kultur, der Kriegsheld der Held an sich, der Krieg das 

Lebenselement der Volker, deren Schicksal entschieden wurde durch ihre Tapferkeit im Felde. 

Seither ist der Krieg unritterlich geworden, seine Methoden gemein, seine Formen haBlich; die 

personliche Tapferkeit ist nicht mehr entscheidend: an die Stelle der ritterlichen Schonheit eines 

Massentumieres ist die elende HaBlichkeit eines Massenschlachthauses getreten. Der 

mechanisierte Krieg von heute hat fiir immer seine einstige Romantik verloren. 

Vom ethischen Standpunkt ist der Verteidigungskrieg organisierte Notwehr - der Angriffskrieg 

organisierter Mord. Noch schlimmer: friedliche Menschen werden gewaltsam gezwungen, andere 

friedliche Menschen zu vergiften und zu zerfleischen. 

Die Schuld an diesem angestifteten Massenmord trifft nicht die Ausfiihrenden, sondern die 

Anstifter. Diese Anstifter sind in demokratischen Staaten unmittelbar die kriegsfreundlichen 

Abgeordneten, mittelbar deren Wahler. 

Wer sich daher scheut, einen Mord zu begehen, soil es sich gut iiberlegen, wen er als seinen 

Vertrauensmann ins Parlament schickt! [186] 



9. NEUES HELDENTUM 

Die Erneuerung des Heldenideals durch den Pazifismus zerschlagt die Hauptwaffe der 

militaristischen Propaganda. Denn nichts gibt dem Militarismus eine starkere Werbekraft als die 

Monopolisiemng des Heldentums. 

Der Pazifismus wiirde durch einen Kampf gegen das Heldenideal Selbstmord begehen; er miiBte 

damit alle seine wertvollen Anhanger verlieren: denn die Ehrfurcht vor dem Heldentum ist das 

MaB des menschlichen Edelmuts. 

Der Pazifismus soil in der Heldenverehrung mit dem Militarismus wetteifern und versuchen, ihn 

im Heidentum zu iibertreffen. Aber zugleich soil er den Heldenbegriff aus seiner mittelalterlichen 

Schale befreien und ihn mit dem ganzen Inhalt einer modernen Ethik erfiillen. 

Die Erkenntnis muB sich durchringen, daB das Heldentum Christi eine hohere Entwicklungsform 

darstellt als das Heldentum des Achilles - und daB die physischen Helden der Vergangenheit nur 

Vorlaufer sind der moralischen Helden der Zukunft. 

* 

Kein redlicher Pazifist wird versuchen, den Mannem das Heldentum abzustreiten, die iiber den 
Wehrzwang hinaus an der Front ihr Leben fur ihre Ideale eingesetzt haben; die freiwillig ihr 
Framiliengliick, ihre Bequemlichkeit, ihre Sicherheit und Gesundheit zuriickgestellt haben, um 
ihre Pflicht zu erfiillen. Ihr Heldentum wird durch die Frage, ob sie von falschen oder richtigen 
[187] 



Voraussetzungen ausgingen, nicht beriihrt. Nichts ware gemeiner als die Verhohnung dieses 

Heldentums. 

Den Gegenpol zu diesen Helden bilden jene Demagogen, die in Bureaus, Versammlungen, 

Redaktionsstuben und Parlamenten zum Kriege hetzten und hetzen, urn dann, fern von der Front, 

den niedrigsten MiBbrauch zu treiben mit fremdem Heldentum. 

Der Versuch mancher Militaristen, das Heldentum fiir die Kriegspartei zu monopolisieren, ist 

ebenso unredlich, wie der Versuch mancher Nationahsten, fiir ihre Partei das Nationalgefiihl zu 

monopolisieren. 

Denn, wer sein Volk vor der groBten Katastrophe der Weltgeschichte bewahren will, ist 

mindestens so patriotisch wie der, der es durch einen siegreichen Krieg zu neuer Macht zu fiihren 

hofft: nur baut dieser auf Irrtum, jener auf Wahrheit. 

Es gibt heute manche Lander in Europa, in denen es lebensgefahrlicher ist, fiir den Frieden 

einzutreten als fiir den Krieg: in diesen Landem beweisen die Friedensapostel einen groBeren 

Heldenmut als die Kriegsapostel. 

* 

Die schwerste und ungerechteste Beleidigung fiir ein Volk aber ist es, wenn ein Stand, namlich 

der Offiziersstand, den Heldencharakter fiir sich monopolisiert: denn es gibt Heldentum in jedem 

Beruf, stilles und groBes Heldentum, ohne Ruhm, ohne Romantik und ohne glanzende Fassade: 

das Heldentum der Arbeit und des Geistes, das Heldentum der Mutterschaft, das Heldentum der 

Uberzeugung. 

Und wer die Biographien der groBen Kiinstler, Denker, Forscher, Erfmder und Arzte studiert, 

wird verstehen lernen, daB es auch anderes Heldentum gibt, als das der Krieger und Abenteuerer. 

* 

Jeder ist ein Held, der sein privates Interesse seinem Ideal zum Opfer [188] 



bringt: je groBer das Opfer, desto groBer das Heldentum. 

Wer sich nicht fiirchtet, ist nicht heroisch, sondem nur phantasielos. Heroisch handelt nur der, der 

seinen Idealen zu liebe die Furcht iiberwindet. Je groBer seine Furcht ist - desto groBer seine 

Uberwindung und sein Heroismus. 

* 

Europa hat sich aus der Herrschaft des Feudalismus befreit - aber nicht aus der Herrschaft der 

feudalen Werte. Dadurch ist das Heldenideal ebenso unzeitgemaB und morsch geworden wie der 

Ehrbegriff. Nur eine Emeuerung kann sie retten. 

Die Ehre eines Menschen und eines Volkes soil unabhangig werden von fremden Handlungen 

und einzig bestimmt werden durch eigene Taten. 

Der Grundsatz muB sich durchsetzen, daB die Ehre einer Nation niemals dadurch verletzt werden 

kann, daB ihre Fahne irgendwo von Betrunkenen herabgerissen wird: sondern nur dadurch, daB 

ihre Richter parteiisch, ihre Beamten bestechlich, ihre Staatsmanner wortbriichig sind; daB sie 

ihre besten Sohne verbannt oder ermordet, daB sie schwachere Nachbarn provoziert, Minoritaten 

bedriickt, ihre Verpflichtungen vemachlassigt und Vertrage bricht. 

Durch diesen neuen Ehrenkodex werden alle Streitfragen, die wegen Ehrensachen Volker 

entzweien und in Kriege treiben, von selbst aufhoren: denn jedes Volk wird es dann als seine 

Ehrenpflicht betrachten, einem anderen Genugtuung zu leisten nicht urn dessen Ehre, sondern urn 

die eigene nationale Ehre zu wahren oder wiederherzustellen. Die Form dieser Genugtuung wird 

dann durch Schiedsgerichte leicht zu bestimmen sein. - [189] 



Der Pazifismus muB die gegenwartige und die kommende Generation zum Heldentum der 
Uberzeugung erziehen. Die Liige und Gesinnungsfeigheit waren mit schuld am Ausbruch des 
Krieges, sie haben ihn genahrt und erhalten, um ihren Stempel schlieBlich auch dem Frieden 
aufzudriicken. Darum ist der Kampf gegen die Liige auch ein Kampf gegen den Krieg. Das 
Heldentum des Friedens wird ein Heldentum der Gesinnung, der Uberzeugung, der 
Selbstbeherrschung sein; nur dann kann es iiber das Heldentum der Militaristen triumphieren. 
Dieses Heldentum des Friedens ist schwieriger und seltener als das des Krieges. Es ist schwerer, 
seinen Leidenschaften zu gebieten, als seiner Mannschaft; schwerer, seinen eigenen Charakter zu 
disziplinieren, als ein Heer von Rekruten. Und viele, die ohne Bedenken einem Feinde ein 
Bajonett in den Leib rennen konnten, fmden nicht den Mut, ihre Uberzeugung einem Freunde 
gegeniiber zu bekennen. Diese moralische Feigheit ist der Nahrboden aller Demagogic, auch der 
militaristischen: aus Angst, feige zu erscheinen, verleugnen heute Millionen ihren inneren 
Pazifismus; es ist ihnen lieber, feige zu sein, als fiir feige zu gelten. 

Der Sieg des Friedensgedankens hangt also innig zusammen mit dem Siege des moralischen 
Heldentums, das bereit ist, lieber alles zu opfern, als die Uberzeugung und sich rein zu halten 

gegen alle Uberredungs-, Erpressungs- und Bestechungsversuche einer unreinen Zeit. 

* 

Solche Friedenshelden soil der Pazifismus zunachst in alien europaischen Landem zu einer 
freiwilligen Armee des Friedens organisieren. 

Diese Friedensarmee soil sich aus Helden rekrutieren, die den Krieg als barbarisches und 
unsinniges Mittel der Politik und als Feind der Menschheit verwerfen [190] 



und jederzeit bereit sind, fiir ihren pazifistischen Glauben jedes Opfer zu bringen. 

Zunachst sollen diese Kampfer des Friedens als Propagandisten und Agitatoren ihrer Idee die 

Millionen um Sich scharen, die den Frieden wiinschen. Die Friedensarmee muB aber auch bereit 

sein, im entscheidenden Augenblick der Gefahr gegen den Krieg zu marschieren und den Frieden 

durch ihr tatkraftiges Eingreifen zu retten. 

An die Spitze dieser Friedensarmee sollen Manner treten, die staatsmannische Einsicht verbinden 

mit einem unbeugsamen und unerschiitterlichen Willen zum Frieden. 

Nur wenn solche Fiihrer an die Spitze solcher Kampfer treten, darf Europa hoffen, nie mehr von 

einem Kriege iiberrannt und zerstampft zu werden. [191] 

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