C. D. Daly
(Quetta, Beluasdiistan)
J3er jV^Lenstruationskomplex
Ivine psychoanalytische »jtudie
internationaler Psychoanalytischer Verlag
Leipzig / ~Wi en / Zürich
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JL/er JN^enstruationskomm
Knie psychoanalytisdie orudie
von
C D. Daly
Quetta, Deluascmstaii
SonderabJruck aus „Imago, ZeitsJirift für Anwendung der
JPsydioanalyse auf die Natur- und Creisteswissenschaften
(herausgegeben von bigm. Freud), Dd. 2LL V (lp»8J
Bibliothek d^s Da^irsanalytlscheii
Institutes fO npto und
Psychosomatik, I ■'-'■ ■<■ Boss-Stiftung
SonneggslruSSv3 55, 6006 Zürich
1938
Internationaler Psydioanalytiscker Verlag
Leipzig / "Wi c n / Züridi
J INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
Aus dem englischen Manuskript übersetzt von Peter Mendelssohn
Alle Rechte vorbehalten
Druck : Christoph Reisser's Söhne, Wien V
Vorbemerkung
Die folgende Schrift ist eine Fortsetzung der psychoanalytischen Deutung
der Gestalt der indischen Göttin Kali 1 und umfaßt eine Erweiterung der
Freudschen Tabutheorie. Es sollen in dieser Schrift verschiedene Punkte
in ihrer Beziehung zu ihrer nach meiner Theorie allen gemeinsamen primären
Basis, dem Menstruationskomplex, beleuchtet werden. Diese Basis muß be-
reits in einer primitiven Lebensstufe erstmalig wirksam gewesen sein und
konnte wohl nur durch unbewußte Motive so lange übersehen oder wenig-
stens unterschätzt werden.
Erforschung und Verständnis der primären psychischen Faktoren sollen
aber nicht durch irrationale Motive behindert werden.
Es ist wahrscheinlich, daß der Menstruationskomplex wesentlich mit-
gewirkt hat an der Vertiefung des Unterschiedes zwischen dem Verhalten
des Menschen und dem der übrigen Tierwelt. Das primäre Ich wird nun
durch einen tiefen Konflikt zerspalten, wobei eine Seite, und zwar die anti-
soziale, einer allmählichen Verdrängung unterliegt, während die andere, ver-
drängende, sich als Tabugefühl äußert ; die Verdrängung der Triebe wird an
inneren Veränderungen sichtbar, die von der Außenwelt auferlegt zu sein
scheinen; so beginnt die animistische Entwicklungsphase. Der Wert dieses
Konfliktes als eines Faktors der Entwicklung scheint darin zu liegen, daß
er den archaischeren Wiederholungszwang, von dem die Tierwelt beherrscht
wird, und der auch den Menschen zwingt zu denken, ehe er handelt, im
l) Dalv: Hindu-Mythologie und Kastrationskomple*. Imago XIII (1927), S. 145 fr.
C. D. Daly
Innersten stark erschütterte. Dieser innere Konflikt wird dann in die Außen-
welt projiziert; die Welt ist dann nicht nur voll von jenen vergleichsweise
einfachen und harmlosen Realgefahren, deren Bekämpfung Angelegenheit
des Selbsterhaltungstriebes ist, sondern es finden sich in ihr auch alle jene
spirituellen Projektionsgefahren, deren Schrecklichkeit sich der normale zivili-
sierte Mensch gar nicht mehr annähernd vorzustellen vermag.
I
Eine Erweiterung der psychoanalytischen
Entwicklungstheorie
Die Hemmung
In zwei vorangegangenen Schriften habe ich bereits auf bestimmte
Phänomene hingewiesen, die noch hinter so vielem verborgen liegen, das
selbst bisher für uns unerklärlich war; in meiner ethnologischen Beschreibung
der hinduistischen Göttin Kali finden sich in bezug darauf die folgenden
Bemerkungen: „Obgleich sie eine so zarte Bezeichnung wie die der Mutter
trägt, wird sie doch weit eher gefürchtet und muß als Quelle allen Übels
ausgesöhnt werden, als daß sie als Segenspenderin geliebt wird; und ob-
gleich man von ihr annimmt, daß sie. die Zerstörerin der Furcht sei, soll
sie doch einen besonderen Geruch an sich haben, der eben jene Furcht im
Menschen erweckt." Wir hoffen zeigen zu können, daß das Verständnis für
diesen Widerspruch möglich wird auf dem Wege über die Erkenntnis von
Ursprung und Natur des Menstruations- und Gebärtabus. Havelock Ellis 1
sagt in seiner interessanten Schrift über den „Einfluß der Menstruation auf
die Stellung der Frau", daß die Menstruation eine emotionale Atmosphäre
schafft, durch die der Mann die Frau sieht, und die bis jetzt noch nicht
völlig geklärt und durchschaut ist.
Fast die ganze Tierwelt scheint beeinflußt zu werden von dem, was wir
hypnotische, den Sexualtrieb erregende Gerüche nennen möchten. Sie ent-
strömen den weiblichen Tieren zur Zeit der Brunst. Es wird in der Wissen-
schaft ganz allgemein angenommen, daß die Brunst der Tiere biologisch
1) H. Ellis: Studies in Psychology of Sex. Bd. 1, Anh., S. 284.
g CD. Daly
der Menstruationsperiode der Frau entspricht. Die weiblichen Genitalien
bilden außerdem höchst wahrscheinlich für den primitiven Mann einen
visuellen Reiz. Diese zwei Stimulantien, Geruchs- und Gesichtsreize, müssen
für unsere primitiven Vorfahren die hervorragendste Quelle der Versuchung,
das Inzesttabu zu verletzen, gewesen sein, also zum Verbrechen gegen die
ältesten Gesetze der Menschheit, dessen Aufdeckung den unmittelbaren Tod
bedeutete. Deshalb mußten diese beiden Quellen der frühen Lustvorstellungen
mit dem Begriff der Furcht in Zusammenhang gebracht werden. Sie wurden
für den primitiven Menschen schließlich zu schrecklichen Mahnern an die
Konsequenzen, die aus einer Schwäche den starken Versuchungen gegen-
über entsprängen. So wurde der Geruch und der Anblick des weiblichen
Genitale, die beide von der größten Anziehungskraft für den Mann gewesen
waren, und der Teil des weiblichen Körpers, der ein Zentrum der Schönheit
gebildet hatte, mit der größten Furcht des Mannes verbunden; und nun
folgt die Verdrängung der Triebwünsche und die Verschiebung der Angst,
wobei der Mensch sich zu dieser Zeit im Gegensatz zu der übrigen Tierwelt
den Wunsch nach dem Koitus versagte. 1
FolJcloristisches zum Ursprung der Menstruation
Eine allgemeine frühe Vorstellung über den Ursprung der Menstruation
besagt, daß sie die Folge eines männlichen Angriffs sei, der in einem Raub
gipfelte. In der Folklore und in der Mythologie der meisten Länder wird
l) Es ist immerhin eine anerkannte und bedeutungsvolle Tatsache, daß das Trieb-
verlangen der Frau oft gerade besonders auffällig während ihrer Periode zutage tritt.
H Ellis führt eine Anzahl von Autoritäten an, die diese Tatsache bestätigen. Sir
W F Wade sagt in seinem Ingleby „Lectures": „Ich bin überzeugt, daß es möglich
ist zu beweisen, daß in einigen Fällen die Heftigkeit der Begierde während der tat-
sächlichen Zeit der Periode ihr Maximum erreicht, und ich vermute, daß Fälle vor-
kommen, in denen sie, wenn nicht ganz, so doch zum größten Teil, auf diese Zeit
beschränkt ist." (Lancet, 5. Juni 1*86.) Ellis schreibt: „Die Tatsache, daß eine so
kardinale Beziehung zu dem Sexualleben der Frau von den meisten Autoren über-
sehen oder ignoriert worden ist, stellt einen eigentümlichen Beweis für eine allgemein
herrschende Ignoranz dar. Diese Ignoranz ist besonders dadurch gehegt und gepflegt
worden, daß die Frauen sich selbst oftmals ihre Gefühle verheimlichen. Eine Dame sagte
einmal, daß sie während der Menstruationsperiode zum Koitus durchaus bereit ge-
wesen sei, daß aber die Vorstellung von der Unerfüllbarkeit dieses Wunsches sie ver-
anlaßt habe, sich diesen Gedanken wieder aus dem Kopfe zu schlagen. Ich habe Grund
zu der Annahme, daß diese Feststellung eine Darstellung der wahren Gefühle sehr
vieler Frauen enthält. Die Aversion gegen den Koitus ist real aber oft nicht etwa
dem Fehlen eines sexuellen Verlangens zuzuschreiben, sondern der hindernden Ein-
wirkung mächtiger, aber eigentlich unwesentlicher Kausalitäten.«
Der Mcnstruationskomplex
dieser Angriff der Schlange oder anderen Tieren von ähnlicher symbolischer
Bedeutung zugeschrieben. Ich führe ein Beispiel an: Bei den Chiriguanos
in Bolivien laufen alte Weiber mit Stöcken herum, um die Schlange zu
erschlagen, die die menstruierenden Mädchen verwundet hat.'
Bei dem Studium dieser Phänomene am Material primitiver Völker darf
man nicht aus dem Auge verlieren, daß vielfach Menstruation und Schwänge-
rung noch nicht auseinandergehalten werden, so wie wir sie im Unbewußten
noch heute zuweilen miteinander verbunden finden.
Der folgende Traum einer Frau wurde mir erst kürzlich erzählt: „Ein
Mann stieß ein Messer zwischen meinen ersten und zweiten Finger ; es ging
gerade durch und kam in der Handfläche wieder heraus. Der Mann zog
das Messer heraus und das Blut quoll hervor. Dann verwandelte sich das
Blut in eine kleine Schlange, die ihren Kopf ruckweise hinein und hinaus-
stieß. Der Kopf wurde größer und größer, so daß ich meine Hand auf ihn
hielt und ihn niederdrückte, und jemand bat, schnell ein Messer zu holen
und den Kopf abzuschneiden, nein, ich meine herauszuschneiden . u
Man findet nicht oft einen Traum, der so manifest unbewußtes Material
enthält und in symbolischer Form so deutlich Koitus, Schwängerung, Nieder-
kunft und Kastration behandelt. Ich bedaure, daß ich keine detaillierte
Analyse geben kann, aber wer mit der Traumdeutung vertraut ist, wird
die Symboldeutung ohne Schwierigkeit vollziehen können.
„Diese primitive Theorie vom Ursprung der Menstruation bringt uns
dem Verständnis für das besondere und intime Band in seiner frühesten
Gestalt näher, das nach altem Glauben die menstruierende Frau mit den
natürlichen oder übernatürlichen Kräften der Welt in Zusammenhang bringt.
Überall wird von menstruierenden Frauen angenommen, daß sie von Geistern
besessen oder mit mystischen Kräften ausgestattet seien." 2
Das Triebverlangen der Frau ist zudem — wie gesagt — bei Beginn
der Menstruation auf einem Höhepunkt angelangt, sodaß der Glaube, von
der Schlange gebissen worden zu sein, etwa einer symbolischen Wunsch-
erfüllung entspricht. In einigen Gegenden Brasiliens ist es den Mädchen
im Pubertätsalter verboten, in den Wald zu gehen, aus Furcht vor den
Liebesangriffen der Schlangen. 3
Ähnliche Verbote beziehungsweise Vorsichtsmaßregeln existieren auch
1) H. Ellis, op. eh. I. Bd.; The Phenomenon of Sexual Periodicity, S. 100 und 102
und Anmerkung.
2) Havelock Ellis, op. dt. S. 285.
5) Ibid.
8 C. D. Daly
in anderen Teilen der Welt. So findet sich in abgelegenen Teilen von
Bengalen die Vorstellung, daß der Traum von Schlangen die Geburt eines
Kindes ankündige.
Der bösartige Aspekt, unter dem die Schlange erscheint, entspricht den
sexuellen Angriffen des Mannes. Von diesem nimmt man wieder an, daß
er im Zustand der Erektion von guten oder bösen Geistern besessen sei,
gemäß denen das Objekt entweder zulässig oder tabu ist. Da aber die männ-
liche sexuelle Erregung nicht von blutigen Erscheinungen begleitet ist wie
die weibliche, und da das männliche überdies das stärkere Geschlecht dar-
stellt, hat die Frau den größten Teil des üblen oder bösen Aspektes der
Sexualität zu tragen.
^
Die Menstruation in der Pubertät und im Leben der J^rivacksenen
Unter den primitiven Völkern finden zwei der strengsten Taburegeln,
die sonst bestimmend sind für das Leben der göttlichen Könige oder Priester,
auch Anwendung auf Mädchen im Pubertätsalter. Die eine besagt, daß die
Mädchen während dieser Zeit den Erdboden nicht mit den Füßen berühren
dürfen, da eine solche Berührung Pollution oder irgendwelche Gefahren
nach sich zöge, während die andere vorschreibt, daß eben die Mädchen
nicht von der Sonne (oder vom Licht einer Flamme) beschienen werden
dürfen. In zahlreichen Teilen der Welt werden diese Gesetze mit Gewalt
aufrecht gehalten. Die Einschränkungen und Verbote, denen die Mädchen
während der Zeit der Pubertät unterworfen waren und noch sind, wurden
von Frazer 1 und anderen in weitem Umfange festgestellt, sodaß es hier
nur nötig ist, sie kurz noch einmal aufzuführen. Man hält die Mädchen
beispielsweise in engen Käfigen, in Hütten in den Wäldern, in Löchern
im Erdboden oder an die Decke gebunden, halb in Sand eingegraben, in
Käfigen in Bäumen, in eigens zu diesem Zweck hergestellten, dem jeweiligen
Stamme gehörigen Hütten usw. und das ohne Feuer oder Licht, bei äußerst
eingeschränkter Nahrungsaufnahme und unter dem Zwang, eine Anzahl
von Gebräuchen und Zeremonien zu zelebrieren, deren Ausfall das Elend
über alle anderen heraufbeschwören würde und sie vermutlich unwider-
ruflich aller Gnade verlustig gehen ließe, und zwar für Zeiträume, die von
einigen Monaten bis zu zirka sieben Jahren variieren, jedoch für gewöhnlich
etwa für die Zeit von einigen Monaten. Oft dürfen sie während der ganzen
i) Frazer: The Golden Bough, 2. Ausg., III. Bd., S. 201—230.
Der Menstruationskoniplex
Zeit der Abschließtmg nicht einmal mit den Händen ihren eigenen Körper
berühren oder ihm Nahrung zuführen, auch werden sie zuweilen von der
Unterhaltung mit der Außenwelt völlig abgeschlossen und bleiben dann
für gewöhnlich ganz allein mit einigen alten Weibern. In einigen Fällen
ist es den Mädchen nicht einmal gestattet, sich in ihrer Stellung zu be-
wegen oder sich niederzulegen, vielmehr müssen sie während der ganzen
Zeit entweder hockend, knieend oder auf dem Rücken liegend verharren.
Sie werden dann als unrein oder als von einer Krankheit befallen angesehen.
Bei gewissen brasilianischen Indianern ist es üblich, den Mädchen während
der Pubertät das Haar abzusengen oder bis auf die Kopfhaut abzuschneiden.
Sie werden dann auf einen flachen Stein gelegt und mit einem Tierzahn
geschnitten, und zwar von den Schultern ab den ganzen Rücken hinab,
bis der ganze Körper blutet. Sodann wird die Asche eines wilden Kürbis
in die Wunden gerieben; das Mädchen wird in eine Hängematte gelegt
und so fest darein gewickelt, daß es für niemand sichtbar ist. So hat es
drei Tage ohne Essen und Trinken zu verharren. Nach Ablauf der drei
Tage steigt es aus der Hängematte heraus auf den flachen Stein, denn
seine Füße dürfen den Erdboden nicht berühren. Wenn es ein natürliches
Bedürfnis hat, nimmt eine weibliche Verwandte das Mädchen auf den
Rücken und trägt es hinaus, eine glühende Kohle dabei in der Hand haltend,
um die bösen Einflüsse von dem Eintritt in den Körper des Mädchens
abzuhalten. Wenn es sich wieder in der Hängematte befindet, darf es etwas
Mehl, gekochte Wurzeln und Wasser zu sich nehmen, Salz und Fleisch
aber nicht berühren. So wird bis zum Ende der ersten Monatsperiode fort-
gefahren, nach deren Ablauf dem Mädchen wieder in Brust, Unterleib und
in den übrigen Körper tiefe Wunden geschlagen werden. Während des
zweiten Monats bleibt das Mädchen in der Hängematte; das Gesetz der
Abstinenz ist nun weniger streng, es wird ihm sogar gestattet zu spinnen.
Im dritten Monat wird das Mädchen mit einem gewissen Pigment schwarz
gefärbt und darf dann wie gewöhnlich umhergehen.
Bei den Macusisindianern in Britisch-Guyana finden sich ähnliche Ge-
bräuche. Der Bannspruch, von dem man annimmt, daß ihm die Mädchen
unterworfen sind, muß durch den Magier gelöst werden. Dieser spricht
Zauberworte über sie, haucht sie und die wertvollsten Dinge, mit denen
das Mädchen in Berührung gekommen ist, an. Nach dem ersten Bad muß
das Mädchen sich von der Mutter schlagen lassen, ohne einen Schrei aus-
zustoßen. Dasselbe geschieht am Ende der zweiten Periode.
Andere Indianerstämme setzen die Mädchen gewissen Ameisensorten aus,
C. D. Daly
deren Bisse sehr schmerzhaft sind. Die Leidende hat, solange sie hoch oben
in der Hängematte aufgehängt ist, Tag und Nacht zu fasten, sodaß sie, wenn
sie herabkommt, fast einem Skelett gleicht.
Bei den Uanpes in Brasilien wird das Mädchen für die Zeit eines Monats
völlig abgeschlossen und darf nur geringe Mengen Brot und Wasser zu sich
nehmen. Dann wird es hinausgeführt in den Kreis seiner Verwandten und
Freunde, von denen ihm ein jeder vier oder fünf Schläge mit einem Stück Sipo
gibt (einer elastischen Schlingpflanze), bis es bewußtlos oder tot zu Boden
fällt. Wenn es sich erholt hat, wiederholt sich der Vorgang viermal in
Zwischenräumen von je sechs Stunden. Es wird als Beleidigung der Eltern
angesehen, wenn man nicht stark zuschlägt. Inzwischen werden Töpfe mit
Fleisch und Fisch zubereitet, die Sipos werden hineingetaucht, und das Mädchen
muß daran lecken. Danach wird es als heiratsfähige Frau angesehen.
Hiezu bemerkt Frazer noch: „Die Sitte, das Mädchen zu diesen Zeiten
von Ameisen beißen zu lassen oder mit Buten zu schlagen, wird, und dessen
können wir sicher sein, nicht als Strafe oder als Probe auf seine Leidens-
fähigkeit angesehen, sondern als eine Beinigung, deren Aufgabe es ist, die
bösen und schädlichen Einflüsse auszutreiben, von denen das Mädchen in
dieser Lage angeblich besessen ist, und die es gefangen halten.
Ich kann Frazer nur teilweise zustimmen. Wir können, in Anbetracht
der psychoanalytischen Erkenntnisse, unmöglich über die Befriedigung primi-
tiver grausamer Triebe hinwegsehen, die in diesen Gebräuchen gegeben sind;
denn warum sollte man gerade zu so grausamen Maßnahmen seine Zuflucht
nehmen, wenn eine Beinigung beziehungsweise Läuterung das einzig an-
gestrebte Ziel wäre? In einem solchen Fall würde allein die Tatsache des
Badens genügen. Aber der Widerwille und der Abscheu, den diese Sitten
hervorrufen, ist genügend Gewähr dafür, daß die Primitiven ein beträcht-
liches Maß von Befriedigung und Genugtuung in der Ausübung solcher
Grausamkeiten erleben, obgleich die Bationalisierung ihrer Gebräuche die
Primitiven ohne Zweifel zu der Annahme führt, daß es der einzige Zweck
solcher Maßnahmen sei, irgendwelche übelwollenden Einflüsse zu bekämpfen,
von denen die Mädchen besessen sind. Wie viele europäische Schulkinder
haben von ihren unbewußt sadistischen Schulmeistern ganz ähnliche Er-
klärungen für die Auferlegung schwerer Strafen erhalten.
Frazer zieht zur Stützung seiner Überlegungen den MaraA-Gebrauch
der Cayenneindianer heran, eine Art nationalen Heilmittels, das haupt-
sächlich auf die Jugend beiderlei Geschlechtes Anwendung findet, und von
dem angenommen wird, daß es die jungen Menschen stärkt und in jedei
Der MciistruatioiiskoHiplcx
Weise sichert. Sie unterwerfen sich ihm zwei- oder dreimal während ihres
Lebens. Frazer führt andere Fälle freiwilliger Leiden an, selbst auferlegte
Züchtigungen mittels stechender Nesseln u. dgl, und vergleicht sie ganz
richtig mit Schlägen und Geißelungen in religiösen Kulten, die ursprüng-
lich einen Modus der Reinigung darstellten. Er sagt: „Sie bedeuteten die
Austreibung einer gefährlichen Ansteckung oder Seuche, die entweder in
einem Dämon personifiziert war oder nicht, die sich aber, wie angenommen
wurde, sichtbar oder unsichtbar dem Körper der Leidenden in physischem
Sinne anheftete. Die Schmerzen, die der geschlagenen Person zugefügt werden,
sind nicht anders anzusehen als die, die wir heute bei jeder beliebigen
Operation zu erdulden haben, sie stellen ein notwendiges Übel dar, und
das ist alles." Er bezieht sich sodann auf die Tatsache, daß solche Gebräuche
später in anderer Weise ausgelegt wurden, und daß der Schmerz, der zuerst
eine Begleiterscheinung war, nunmehr zum Hauptgegenstand der Zeremonie
gemacht wurde usw., wozu er noch bemerkt, daß „Askese, in welcher Form
oder Gestalt sie auftreten möge, niemals primitiv sei". Seine Theorien scheinen
darauf hinzuführen, daß er nirgends das Moment der Grausamkeit als primi-
tives Agens zulassen, beziehungsweise zugeben möchte, daß die reine Freude
an der Auferlegung einer Grausamkeit im Dienste des Hasses in den Ge-
bräuchen und Sitten der Wilden eine große Rolle spielt. Der Psychoanalytiker
kann jedoch eine solche Auffassung vom Seelenleben der Primitiven nicht
zulassen, da er weiß, daß die Grausamkeit sowohl bei den Kindern wie
bei den Primitiven durchaus einem primitiven Triebanspruch entspricht.
Ich war verpflichtet, mich über diesen Punkt ein wenig zu verbreiten,
da ich glaube, daß der Menstruationskomplex einen der Gründe
für das Umschlagen der zärtlichen Ausdrucksformen des Sexual-
triebes in die grausamen enthält.
Ehe ich diesen Gegenstand verlasse, ist eine Deutung der Taburegeln,
die auf Sonne und Erde Bezug haben, notwendig. Die Sonne ist der Phallus,
d. h. das schwängernde Agens, die Erde stellt den Mutterschoß dar. Sich
der Sonne auszusetzen bedeutet die Gefahr, geschwängert zu werden; dieses
Verbot entspricht also dem anderen, daß sie keinen Mann — und besonders
ihren Vater nicht — zu dieser Zeit in Versuchung führen darf. Da sie als
unrein gilt, darf sie die Erde nicht berühren, d. h. nicht verunreinigen,
widrigenfalls daraus alle Arten von Übeln entstünden. Wie sie selbst zu
dieser Zeit nicht berührt werden kann, darf sie auch die Erde nicht be-
rühren. Diese Anschauung entspringt einer Furcht der Primitiven vor einer
Befleckung durch eine Frau, die sich in diesem als krankhaft und unrein
C. D. Daly
gedachten Zustand befindet. Während der Perioden ihrer Abschließung und
an deren Ende haben sich die Mädchen allen Arten von Reinigungs-
und Läuterungsgebräuchen zu unterwerfen, wie Baden, Abreiben mit Erde,
Sand, dem Saft von Bäumen oder dem Blut frisch geschlachteter Opfer-
tiere, Schwitzen, zahlreichen Züchtigungen usw. Schließlich werden sie
den Gebräuchen des Landes entsprechend geschmückt, bemalt, mit Blumen
und Blättern, beziehungsweise mit Ornamenten oder Juwelen bedeckt. Die
Kleider und die Gefäße, die sie während dieser Zeit benutzt haben, werden
verbrannt, zerbrochen, vergraben oder in irgendeiner Weise den Gebräuchen
des Stammes gemäß vernichtet.
Frazer schließt daraus, daß der Grund für die Abschließung der Mäd-
chen während der Pubertät in der tief eingewurzelten Furcht liegt, die der
Primitive fast durchweg vor dem Menstrualblut hat, eine Überlegung, mit
der ich völlig übereinstimme.
Von Gegenständen, die eine menstruierende Frau berührt hat, wird an-
genommen, daß sie jeden töten, der sie in die Hand nimmt.
„Ein Australier, der entdeckt hatte, daß sein Weib während der Men-
struationsperioden auf seiner Decke gelegen hatte, tötete es und starb selbst
vor Schreck innerhalb von vierzehn Tagen." (Frazer, op. cit. S. 525.)
Den Knaben dieser Völker wird von Kindheit an gesagt, daß sie graue
Haare bekommen und ihre Kräfte vor der Zeit verlieren würden, wenn
sie Menstrualblut sähen. Während ihrer Perioden müssen die Frauen deshalb
von den Männern gemieden werden, auch sind sie ihrerseits den strengsten
Einschränkungen und Regelungen unterworfen, denn man ist überzeugt,
daß der Einfluß der Frauen während dieser Zeit so unheilbringend ist, daß
schon allein ihre Gegenwart genügen würde, um die Jagd zu verderben,
die fischhaltigen Gewässer zu verunreinigen usw. Starke Schläge oder gar
der Tod sind die Strafen, die einer eingeborenen Australierin auferlegt werden,
wenn sie diese Gesetze verletzt.
Die Dieri in Zentralaustralien glauben, daß, wenn die Frauen zu dieser
Zeit Fisch essen oder in einem Fluß baden, die Fische alle sterben und
das Wasser austrocknet.
Ähnliche Vorstellungen und Gebräuche sind bei den verschiedensten Völkern
der ganzen Erde verbreitet; überall gilt die Frau während der Menstruation
als mit einem unheilvollen Einfluß behaftet, und der Mann lebt in der
beständigen Furcht, von ihr befleckt zu werden. Bei dem oben erwähnten
Stamme der Dieri ist es üblich, rund um den Mund der menstruierenden
Frauen ein Zeichen aus rötlichem Ocker anzubringen. Eine solche Frau
Der .Meustruationskomplcx
U
darf dann niemals Fisch essen. In fast allen diesen Gegenden wird den
Frauen verwehrt, während dieser Zeit die aufgespeicherten Lebensmittel zu
berühren oder gar zu essen. Sie dürfen die Felder nicht betreten, die Spuren
der Jagdtiere nicht kreuzen u. dgl., denn dadurch würden, wie sie glauben,
die Herden gestört und die Jagden verdorben werden. Bei den Buschmännern
findet sich der Glaube, daß der Blick eines Mädchens während der Periode
die Männer in jeder Stellung fixiert, in der sie sich eben befinden, oder
daß sie in sprechende Bäume verwandelt werden. Die Viehzucht treibenden
Stämme Südafrikas glauben, daß ihr Vieh stirbt, wenn seine Milch von
einer menstruierenden Frau getrunken wird; damit sie sich nicht von einem
plötzlichen Verlangen übermannen lassen, ist es den Frauen verboten, die
Dörfer auf den Wegen zu betreten, die die Männer benutzen. Nach dem
Talmud wird, wenn eine Frau zu Beginn ihrer Periode zwischen zwei
Männer tritt, der eine von ihnen bestimmt dadurch getötet, befindet sie
sich hingegen am Ende der Periode, so kann sie immer noch durch ihr
Dazwischentreten einen heftigen Streit hervorrufen.
Bei den Guyaquiries am Orinoco findet sich die Ansicht, daß alle Dinge
oder Lebewesen, auf die eine Frau während ihrer Periode tritt, sterben
müssen, und daß die Beine eines Mannes, der den Platz betritt, den ihre
Füße berührt haben, gewaltig anschwellen werden. Die Crecks und die
friedlichen Indianer der Vereinigten Staaten zwingen ihre Frauen, während
der Menstruation in abgesonderten Hütten in einiger Entfernung vom Dorfe
zu leben. Dort müssen sie bleiben, selbst auf die Gefahr hin, von Feinden
überrascht und erschlagen zu werden. Es wird als eine „höchst schreckliche
und gefährliche Befleckung" angesehen, sich einer Frau zu dieser Zeit zu
nähern; und diese Gefahr erstreckt sich auch auf die Feinde, die, wenn sie
die Frauen erschlugen, sich von der Befleckung mittels gewisser geheiligter
Kräuter und Wurzeln zu reinigen haben. Bei den Thompson-River-Indianern
findet sich der Glaube, daß die Pfeife, aus der eine menstruierende Frau
raucht, später beim Rauchen immer sofort heiß wird. Wenn die Frau an
einem Gewehr vorüber geht, bleibt die Waffe hinfort für Krieg oder Jagd
untauglich, es sei denn, der Eigentümer wäscht sie in „Medizin", oder schlägt
die betreffende Frau damit je einmal auf die Hauptkörperteile. Wenn ein
Mann mit einer menstruierenden Frau ißt oder mit ihr in Verkehr steht,
auch wenn er nur von ihr gefertigte oder geflickte Kleider oder Mokassins
trägt, dann hat er auf der Jagd kein Glück und die Bären greifen ihn
heftig an. Im übrigen findet sich bei verschiedenen Stämmen die Meinung,
daß die Annäherung an ein menstruierendes Weib irgendwelches Mißgeschick
i4
C. D. Daly
und unglückliche Ereignisse mit sich zöge, so etwa Krankheit oder Unglück
im Krieg. Anderseits zieht der Gebrauch irgendwelcher Gegenstände, die
eine menstruierende Frau berührt hat, folgenschwere Krankheiten oder Tod
nach sich. Bei anderen Stämmen wiederum dürfen Frauen weder Fleisch noch
irgend etwas Tierisches essen, besonders aber keine Vögel töten, weil deren
Blut imstande wäre, besonders schwere Blutungen oder einen auf unnatür-
liche Weise verlängerten Blutfluß bei der Schuldigen hervorzurufen. Auch
die Tiere könnten davon geschädigt werden. Frazer bemerkt, daß dieser
Glaube vielleicht das Gesetz zu erklären vermag, nach dem es den Frauen
während der Periode nur gestattet ist, vegetarische Nahrung zu sich zu
nehmen. Wir entnehmen diese Ausführungen alle dem „Golden Bough .
Frazer 1 flicht hier noch die folgende Beobachtung ein:
„Wer die menschliche Natur studiert, wird beobachten oder lernen, ohne
dabei sehr zu erstaunen, daß Gedankengänge, die so tief in der Psyche der
Primitiven verwurzelt sind, in einem höheren Entwicklungsstadium der Ge-
sellschaft wieder auftauchen, und zwar in jenen überaus fein ausgearbeiteten
und gegliederten Codices, die von Gesetzgebern zur Führung und Beherr-
schung ihrer Völker aufgestellt worden sind, die ihrerseits für die Autor-
schaft ihrer Gesetze und Vorschriften eine direkte göttliche Inspiration für
sich in Anspruch nehmen." So berichtet der hinduistische Gesetzgeber Manu,
daß „die Weisheit, die Energie, die Kraft, der Blick und der Lebensgeist
eines Mannes, der sich einer Frau während ihrer Perioden nähert, alsbald
dahin schwinden müssen", während all dies wächst und zunimmt, wenn
er die Frau meidet.
Der persische Gesetzgeber Zoroaster sagt, daß die Erscheinung der
Menstruation mit ihren merkwürdigen Äußerungsformen das Werk Ahri-
mans, des Teufels sei, und daß deshalb während ihrer Dauer die Frau
„unsauber und von Dämonen besessen" sei. Sie muß unter strengster Auf-
sicht zurückgehalten werden, fern von den Gläubigen, die durch ihre Be-
rührung verunreinigt würden, und abseits vom Feuer, das durch ihren Blick
verletzt und geschändet würde; es ist ihr nicht gestattet, soviel zu essen
als sie mag, denn die Kraft, die sie dadurch erlangt, geht auf die Feinde
über und kräftigt sie. Die Nahrung wird ihr nicht von Hand zu Hand,
sondern über eine große Entfernung hinweg auf langen hölzernen Löffeln
gereicht. Im Gegensatz hiezu behandelt der Gesetzgeber der Hebräer, Moses,
1) Frazer: The Golden Bough. Zweite Ausgabe, Bd. III, S. 201—230. Dort auch
weitere Literaturangaben.
Der -Mciistruationskoinplex 10
diese Angelegenheit mit noch größerer Breite und Ausführlichkeit, wie
• Frazer ausführlich darstellt, um dann noch hinzuzufügen: „Der Aberglaube,
der sich um diese geheimnisvolle Seite der weiblichen Natur gebildet hat,
ist unter den zivilisierten Völkern Europas nicht weniger stark im Schwange
als bei den Primitiven. In einer alten Enzyklopädie — der Naturgeschichte
des Plinius — findet sich eine Liste aller der Gefahren, die von der
Menstruation ausgehen, die länger ist als irgendeine von denen, die wir
bei den Barbaren gefunden haben. ' Nach Plinius wird Wein durch die
Berührung mit einer menstruierenden Frau in Essig verwandelt, Herden
werden mit Seuchen angesteckt, Saaten vernichtet, Gärten versengt und
verdorben. Klingen werden stumpf, Pferde verunglücken oder gehen ver-
loren usw. In ähnlicher Weise trifft man in verschiedenen Teilen Europas
den Glauben, daß der Eintritt einer menstruierenden Frau in eine Brauerei
das Bier sauer werden lasse; Bier, Wein, Essig oder Milch werden bei
solcher Berührung schlecht, von einer menstruierenden Frau eingekochte
Marmelade hält sich nicht; besteigt sie ein Pferd, so wird sie damit ver-
unglücken, Blumensträuße verwelken bei der geringsten Berührung, und
Kirschbäume, die sie ersteigt, verdorren und gehen ein. In Braunschweig
findet sich noch der Glaube, daß das Fleisch eines Schweins, das unter
Beihilfe einer menstruierenden Frau geschlachtet worden ist, faul wird.
Auf der griechischen Insel Calymnos ist es den Frauen zu dieser Zeit ver-
boten, Wasser vom Quell zu holen, einen Strom zu überqueren oder auf
dem Meere zu fahren. Die Anwesenheit einer Frau während ihrer Periode
in einem Boot soll einen Sturm heraufbeschwören. 2
Auf der anderen Seite werden dem Menstrualblut geheimnisvolle Kräfte
zugeschrieben ; so wird es als magische Kraft gegen Feinde angewandt, es
bannt alle Arten von Übeln, es bewahrt die Felder vor dem Verdorren und
läßt die Raupen von den Obstbäumen herabfallen, oder das Ungeziefer vom
Vieh ablassen.
Über die Anwendung magischer Kraft gegen die entsprechende magi-
sche Kraft, ein Vorläufer der Versuche, „Gleiches durch Gleiches zu heilen",
handelt die einschlägige Literatur so ausführlich, daß es nicht nötig ist,
1) Diese Bemerkung hat jedoch nicht so übermäßig große Bedeutung, wenn wir
bedenken, daß ja von den meisten Primitiven von allem angenommen wird, daß es
Menstruationsfolge sei, und ich glaube, daß, könnten die Primitiven Enzyklopädien
schreiben, diese von beträchtlicher Länge gewesen sein müßten, obgleich das be-
handelte Gebiet an Umfang wesentlich kleiner gewesen wäre.
2) Frazer, op. cit. S. 231 ff.
C. D. Daly
es hier weiter zu verfolgen. Da der Mann in seiner Angst vor Verletzung
des Inzesttabus vor solcher magischer Einwirkung zitterte, ist es verständlich,
daß er von dieser magischen Kraft erwartete, daß sie dieselbe Wirkung auch
auf seine Feinde habe. Ähnliche Vorstellungen sind auch heute in Europa
noch zu finden.
Der Glaube an gute oder böse magische Kräfte der menstruierenden
Frau ist auf der ganzen Welt verbreitet, aber in einzelnen Gebieten in
den Details verschieden. Während z. B. der Glaube an die Heilwirkung
der Menstruation in der zivilisierten Welt meist geschwunden ist, ist der
an die üblen Einflüsse noch sehr verbreitet. Die wohltuenden Einflüsse
werden überwiegend mit der Heilung gewisser Krankheiten in Zusammen-
hang gebracht, schützen vor Stich und Stoß, verhüten das Auslöschen des
Feuers, beruhigen Stürme usw. Die bösen Kräfte, mit denen die Frau aus-
gestattet ist, werden gegen die Feinde des Mannes ausgespielt. Der Gebrauch
des Menstrualblutes als Liebestrank ist weit leichter zu verstehen. H. L. Strack
berichtet, daß es noch im Jahre 1891 in Deutschland vorgekommen ist,
daß Mädchen dem Kaffee ihres Liebsten einige Tropfen Menstrualblut bei-
gefügt haben, um sich seiner- Liebe zu versichern. 1
Auch die Kirche war zu gewissen Zeiten von einer Scheu vor menstru-
ierenden Frauen erfaßt ; es wurde ihnen verboten, sich geheiligten Plätzen
zu nähern, ja häufig wurde ihnen nicht einmal das Sakrament zugebilligt.
Die Priester anderer Religionen treffen menstruierenden Frauen gegenüber
oft ähnliche Anordnungen.
Zahlreiche Aberglauben bezüglich menstruierender Frauen sind noch
heute allerorten unter den europäischen Völkern im Schwange, ja, zum
Ende des letzten Jahrhunderts leistete sogar die offizielle englische Medizin
solchem Aberglauben weitgehendsten Vorschub. Havelock Ell is zitiert eine
Kontroverse aus dem British Medical Journal vom Jahre 1878, in der
versichert wird, daß Hammel, die von menstruierenden Frauen kuriert
werden, unweigerlich eingehen müssen. Ein medizinischer Autor äußerte
daraufhin den Wunsch, zu erfahren, was den Patienten der menstruierenden
Ärztinnen geschähe. 2
1) H. L. Strack: Der Blutaberglaube in der Menschheit. 4. Aufl. Zitiert von
Havelock Ellis.
2) Havelock Ellis, op. cit. S. 291 — 293. Der Verfasser bedauert, daß der Platz-
mangel es ihm nicht gestattet, mehr des wertvollen Materials anzuführen, das Have-
lock Ellis in diesem Band und in dem Appendix (Menstruation or the position of
woman) gesammelt hat. Wer hier näher interessiert ist, muß auf das Original ver-
wiesen werden.
Der Aldis ll IIa ■ IO ::..!■.< > 1 1 1 1 ■ I c- >.
JyLenstrualblut und öatwädie
Es ist ein allen Völkern tief eingewurzelter Aberglaube, daß die Ver-
einigung des Mannes mit der Frau den Mann schwäche; überall findet
sich auch die Furcht des Mannes, er könnte von der Frau beherrscht
werden. Aus diesem Grunde z. B. verraten die Wahaveita ' den Frauen
nicht das Geheimnis des Feueranzündens. Hauptsächlich finden wir aber,
daß die Gegenwart von menstruierenden, schwangeren oder niederkommenden
Frauen auf den Mann diesen schwächenden Einfluß haben soll. Es ist eben
das Menstrualblut oder das Blut des zerrissenen Hymen, das gefürchtet wurde
und dem man eine gefährliche Wirkung zuschrieb. Dieses Phänomen scheint
mir in hohem Grade für die Trennung der Geschlechter verantwortlich
zu sein; ist es doch ein sehr verbreiteter Glaube, daß der Mann, der eine
Frau während einer solchen Zeit berührt, von einer Krankheit befallen
wird. Die Primitiven glauben, daß die Schwäche der Frau gewissermaßen
übertragbar sei. 2 Der Primitive schreibt diese Schwäche nicht seiner Furcht-
samkeit vor Frauen zu, vielmehr projiziert er aus seinem Haßempfinden
heraus diese Ursache direkt auf die Frau selbst, sie ist ihm möglicherweise
übel gesinnt und hat dann die Macht, die Schwäche ihres Geschlechtes
auf ihn zu übertragen. Unter den Barea teilen Mann und Frau in den
seltensten Fällen das Bett. Als Grund dafür wird angeführt, daß „der
Atem des Weibes den Gemahl schwächen könnte . 3 Die Beziehung von
Atem und Geschlechtsgeruch ist eine Tatsache, die den Psychoanalytikern
zu wohl bekannt ist, als daß sie hier weiterer Belege bedürfte. Wir kennen
einen Glauben der Primitiven, daß die Eigenheiten einer Person in ihren
Geruch übergehen und durch Geruch übertragen werden.
Auch das Blut ist lange Zeit als das beste Mittel zur Übertragung starker
menschlicher Eigenschaften angesehen worden, und man hat angenommen,
daß der Kannibalismus die Folge dieses Glaubens wäre. Das Menstrualblut,
obgleich ebenfalls als Überträger aller Arten von Krankheiten durch Be-
rührung angesehen, wurde dennoch in der Medizin auch als Liebesanreiz
benutzt.* Auf Grund des Prinzips, daß die böse Macht notwendig sei, um
die bösen Kräfte zu bekämpfen, ist man von jeher der Ansicht gewesen,
1) E. T. Dalton: Ethnology of Bengal (33), zitiert von Crawley, op. cit.
Bd. HT, S. 43.
2) Crawley in „The Mystic Rose" führt dafür zahlreiche Beispiele an.
3) Munzinger, zitiert von Crawley, op. cit. Bd. V, S. 93.
4) Crawley, op. cit. S. 109.
Daly: Der Menstruationskomplex. 3
.8 C. D. Daly
daß das Menstrualblut und die menstruierende Frau ganz allgemein diese
ganz spezifische Kraft als Gegengift gegen von außen gefürchtetes Unheil
besitzen. Plinius stellt fest, daß das Benetzen der Türpfosten mit der Men-
struationsflüssigkeit genüge, um alle Zauberformeln zu lösen.
Man glaubt weiterhin, daß die intensivierte sexuelle Reizbarkeit der
Menstrualzeit unter besonderen Umständen durch das Agens der Nahrung
übertragbar wird. So darf z. B. in Westvictoria die menstruierende Frau
niemandes Trank oder Speise anrühren, und niemand wird eine etwa
dennoch von ihr berührte Speise zu sich nehmen, „weil sie schwäche". 1
Bei den Maoris wird ein Mann, wenn er eine menstruierende Frau
berührt hat, Tabu, und wenn er Verkehr mit ihr gehabt hat, oder von
ihr gekochte Nahrung gegessen hat, „Tabu einen Zoll dick". 2 Bei einigen
Völkern haben die verschiedenen Geschlechter auch verschiedene Speisen,
die bessere, ursprünglich für die Götter bestimmte, kommt nur den Männern
zu; den Frauen wird, aus Furcht, sie könnten die Speise verunreinigen,
bei Todesstrafe verboten, sie zu berühren. 3
Ctawley macht den Versuch, diese Vorschriften auf rationalem Wege
zu erklären. Er sagt: „Wenn bei den Primitiven die Männer fürchten, daß sie
durch jede gewöhnliche Berührung mit Frauen mit deren Schwäche behaftet
werden, und wenn die Zivilisierten eine moralische Verweichlichung
fürchten, dann ist es ganz natürlich, daß diese Angst beim engsten Kontakt
sich aufs äußerste steigert." 4 Es scheint an dieser Stelle, als ob Crawley
den Kontakt allein als zureichenden Grund ansieht, aber es ist nirgends
ersichtlich, daß etwa auch in der Tierwelt ein sexueller Kontakt von einem
Furchtempfinden begleitet würde; und wir müssen wohl noch nach einem
psychologischen Faktor in der Entwicklung des Menschengeschlechtes suchen,
um die Trennung der Geschlechter als eine Berührungsfurcht zu erklären.
Crawley erklärt den fast allgemein verbreiteten Glauben, daß ein sexueller
Verkehr schwächend wirke, als „eine instinktive Auffassung, die in einer
Besonderheit der sexuellen Funktion wurzelt". Diese Besonderheit liegt in der
Tatsache, daß dem sexuellen Verkehr eine vorübergehende Depression folgt,
die ihre Ursache in einem verstärkten Blutdruck hat. Die Vorstellung, daß
die Berührung mit Frauen Schwäche mit sich bringe, entsteht so auf zwei
1) Crawley, op. cit. S. 167.
2) Crawley, op. cit. S. 167.
3) Ellis, Polynesian Researches, zitiert von Crawley S. 176.
4) Crawley, op. cit. S. 187.
Der Aleiistriiationskomplex
>9
Wegen, die aber durch ein bemerkenswertes Zusammenfallen im sexuellen
Akt zusammentreffen. 1
Crawley macht dann auf die damit in Beziehung stehende Vorstellung
aufmerksam, nach der die Kraft in der Samenflüssigkeit ihren Sitz haben
soll, und führt die Tatsache an, daß die Krieger primitiver Stämme Ent-
haltsamkeit beobachten, um auf diese Weise ihre Kraft und Stärke zu be-
wahren und zu vermehren. Auch erwähnt er die Vorstellung, daß der Vater
dem Kinde die Seele gibt, die Mutter nur den Körper. Er sagt dann: „Wenn
wir nun diese Vorstellungen mit der physiologischen Tatsache in Verbindung
bringen, daß der sexuelle Akt eine vorübergehende Depression zur Folge
hat, dann können wir verstehen, daß sich die mehr oder weniger konstante
Vorstellung fast mit Notwendigkeit ergibt, daß der Mann bei dem sexuellen
Akt einen Teil seiner besten Kräfte, einen Teil seiner Seele oder seines Lebens,
auf die Frau überträgt." 2 Ich halte diese Erklärung Crawleys für unzureichend,
besonders wenn wir bedenken, daß doch normalen sexuellen Beziehungen
ohne einen störenden psychologischen Schuldfaktor ein Gefühl des Wohl-
behagens und der Zufriedenheit folgt. Wenn dem sexuellen Verkehr De-
pressionen folgen, dann weist die Analyse dieser Depressionen regelmäßig
den Einfluß psychischer Faktoren nach, die, wenn überhaupt, so sicher nicht
völlig als Wirkung der physiologischen Funktion anzusehen sind. Eine solche
Depression wird in hohem Maße durch den umstand hervorgerufen, daß
die psychische Entlastung unvollständig gewesen ist, was seinerseits an
Hemmungen, wie Schuld, Furcht, Haß usw. liegen mag.
Crawley schreitet dann weiter zu der Diskussion derjenigen Phänomene,
die uns meiner Ansicht nach einer korrekten Lösung viel näher bringen,
nämlich der Zerreißung des Hymens und des Tabus der Jungfräulichkeit.
Das Tabu der Virginität
Freud bringt in einer Studie 3 das Tabu der Virginität in Zusammenhang
mit der Menstruation und mit der primitiven Lust und Freude am Töten.
Er macht dabei eine Bemerkung, die für uns besonders bedeutsam ist.
Die Menstruation, zumal die erste, denkt er (der Primitive) als den Biß
eines geisterhaften Tieres, vielleicht als Zeichen eines sexuellen Verkehrs
mit diesem Geist. Gelegentlich gestattet ein Bericht, diesen Geist als den
i) Crawley, op. cit. S. 187.
2) Crawley, op. cit. S. 190.
3; Freud: Das Tabu der Virginität. (Ges. Schriften, Bd. V, S. 217.)
ao C. D. Daly
eines Ahnen zu erkennen, und dann verstehen wir in Anlehnung an andere
Ansichten, daß das menstruierende Mädchen, als Eigentum dieses Ahnen-
geistes, tabu ist. 1
Besonders auf diesen letzten Umstand möchte ich Gewicht legen; denn
wenn die Frau hauptsächlich während der Menstruation Eigentum des Ur-
vaters war, so stützt das meine Analyse, daß diese Zeit ursprünglich die
des sexuellen Verkehrs gewesen ist. Die Gefahr dabei ging ursprünglich
nicht von der Frau aus, sondern von dem starken Arm des Urvaters. Später
erst, als die Gesellschaft die Pflicht auf sich nahm, mit Nachdruck das
Inzestgesetz zu stützen, geschah es, daß man die Frau während ihrer Perioden
selbst als eine Gefahr zu betrachten begann. Der Verfasser glaubt, daß die
Menstruation der Frau, die den Mann den frühen gesellschaftlichen Inzest-
gesetzen unterwarf, der Grund für das narzißtische Zurückstoßen der Frau
durch den Mann ist, das so oft mit Verachtung und Widerwillen zusammen-
geworfen und verwechselt wird und die die Psychoanalyse 2 bisher dem Kastra-
tionskomplex zuschrieb, den der Verfasser eher als eine spätere Entwicklung
ansieht, die der religiösen Phase der psychischen Entwicklung angehört. Es
ist nötig, auf diesen Punkt in vielleicht etwas weitschweifiger Weise immer
wieder zurückzukommen, ist es doch meine Absicht, diese Theorie von den
verschiedensten Gesichtspunkten aus zu diskutieren, und zu zeigen, daß das
universale Tabu des weiblichen Geschlechtes außerhalb der die Menstruation
betreffenden Umstände entstand. Was das Tabu der Virginität angeht, so
halten wir es für nötig, seine Beziehungen a) zum Menstruationskomplex,
b) zu dem primären Vaterkomplex in Betracht zu ziehen. Was letzteren
betrifft, so können wir vermuten, daß die Frau zur Zeit der Urhorde sich
den Annäherungen der „Söhne und Brüder" gegenüber widerstrebend ver-
hielt, und zwar bei beiden wegen des libidinösen Bandes, das sie an den
Urvater fixiert und wegen der Züchtigungen, mit denen Schwäche und
Fehltritt ohne Zweifel bestraft wurden. In dem späteren Menstruationskomplex
hingegen dürfen wir den primären Hauptgrund für die Frigidität der Frau
erblicken, — denn der Mann unterzog die Frau, dadurch daß er das Hymen
verletzte und eine Blutung verursachte, der größtmöglichen Demütigung,
d. h. einer Erniedrigung, die er ihr gewissermaßen selbst aufgezwungen hat.
Damit gelangen wir auch zu der Erklärung des Lustgefühls, das die Be-
schneidung der Knaben und dieExstirpation der Clitoris und der Labia minora
1) Von mir gesperrt.
2) Freud, op. cit. S. 226 ff.
..
Der Alcnstruationstomplcx
der Mädchen, bei den erwachsenen Primitiven hervorruft. Diese ist, glaube
ich, einer unbewußten Strebung nach Rache zuzuschreiben, die Demütigungen
der Kinder herbeiführen will, und ist sicher für die Genese des Sadismus
bedeutungsvoll. Freuds Erklärung des Tabus der Virginität, daß in ihm die
feindselige Einstellung der Frau auf den Mann übertragen werde, kann
kaum in Frage gestellt werden. Für uns ist jedoch die Frage von Haupt-
interesse, wie die Frau zu diesem feindseligen Gefühl gekommen ist ; wir glauben
darauf antworten zu können, daß der Mann durch seinen Akt die Frau in
ihren eigenen Augen erniedrigt; dies geschieht auf Grund seines Verhaltens
dem Blut gegenüber; wenn er jeden Kontakt mit Blut und das Zerreißen
des Hymens vermiede, brauchte die Frau in seiner Achtung niemals zu
sinken, sodaß das Menstruationstabu ihn hinfort vor einem neuer-
lichen Kontakt mit dem Blut bewahrt. So gestattet das Tabu der
Virginität beiden Geschlechtern, einander mehr zu schätzen, da der ver-
drängte Haß dadurch an der Manifestation gehindert wird. Man könnte
einwenden, das sei nicht korrekt, da etwa der ältere Mann, der die rituelle
Defloration an Stelle des Ehemanns unternimmt, dieselbe Gefahr auf sich
nehmen müsse, aber in diesem Fall kann der Mann sich mit Hilfe be-
sonderer Reinigungs- und Vorsichtsmaßregeln vor allem schützen, er ist älter
und abgehärteter und Erregungen nicht so zugänglich, und außerdem muß er
nicht in solcher Intimität mit der Frau leben. Bei der Deutung solcher
Phänomene haben wir äußerst vorsichtig zu sein, damit unsere Kenntnis
von den Reaktionen der zivilisierten Völker nicht den Blick für die tatsäch-
lichen Vorgänge bei den Primitiven trübe. Es scheint, als seien aus dieser
Ursache heraus einige sehr bedeutende Faktoren bisher übersehen worden,
Beispiel das Folgende : Wenn der Vater des Mädchens oder ein Priester selbst
erstmalig den Begattungsakt vollzieht, so wird des Mädchens „Sünde am
Vater vermieden, und einem Schuldgefühl, das später sexuelle Lustgefühle
verhindern könnte, vorgebeugt. Ich glaube nicht, daß sehr viele der Gründe,
die für den Widerstand der jungen Frau gegen den ersten Koitus ins Feld
geführt werden, standhalten werden, wenn wir bedenken, daß die jung
verheiratete Primitive in jeder Hinsicht eine weit angesehenere Persön-
lichkeit ist als das junge, unverheiratete Mädchen.
Freud meint, 1 daß auf den Penisneid eine feindselige Verbitterung folge,
die die Frau gegen den Mann zur Schau trägt; diese Verbitterung ver-
schwindet nie völlig aus den Beziehungen der Geschlechter zueinander,
1) Freud, op. cit. S. 227k
2 _ ! C. D. Daly
wofür die klarsten Beweise in den Schriften und Bestrebungen der „eman-
zipierten" Frauen zu finden sind. Ich stimme mit dieser Anschauung überein,
aber ich glaube nicht, daß diese Regungen bei den Primitiven als primär
anzusehen sind.
Ich sehe keinen Grund für die Annahme, daß ein Penisneid bereits vor
der Bildung des Menstruationskomplexes existiert habe, d. h. einer männlichen
Einstellung, die die Frau aller der Werte beraubte, die ihr aus den natür-
lichen Funktionen der Menstruation und der Geburt erstehen, die bis dahin
ihre Hauptreize ausgemacht haben müssen, — ist doch die Vagina während
des Stadiums der Tumeszenz ursprünglich die Quelle aller Schönheit und
möglicherweise auch des Neides des Mannes gewesen. Da aber als Resultat
des Inzestverbotes ursprüngliche Reize auf den Mann abstoßend wirkten, —
ohne Zweifel zum Teil auf Grund der Beziehungen zwischen Blut und
Tod, — begann die Frau, den Mann um den Besitz eines Organes zu be-
neiden, das fähig ist, in stolzer Erektion gerade nach vorn herauszustehen,
ohne die Begleiterscheinungen der Menstruation, die bei ihr zu den schreck-
lichen Einengungen und Demütigungen führten, die wir oben beschrieben
haben.
Die Kastrationsangst ist das Komplement zum Penisneid und gehört ent-
wicklungsmäßig derselben Periode an ; denn beide Phänomene sind sekundäre
Resultate des Inzestverbotes und des Menstruationstabus. Ist eine stärkere
Ursache für feindselige Reizbarkeit vorstellbar, als die, die ein Mädchen
haben muß, das nach Monaten oder gar Jahren der Abschließung, in denen
es den strengsten Vorschriften unterworfen war, indem auf Nahrungsein-
schränkungen quälende Reinigungsprozesse folgten, begleitet von denkbar
strengster grausamer Behandlung (auf Grund der Pubertätsriten), in roher
Weise defloriert und schließlich verschmäht und verstoßen wird, weil ihrem
zerrissenen Hymen Blut entströmt? Ich kenne Fälle von Europäern, bei
denen die Reaktionen auf den Anblick des Menstrualblutes Gefühlshem-
mungen zur Folge hatten und wo sich bei solchen Anlässen sowohl bei Frauen
als auch bei Männern Liebe in Haß umwandelte. Bei den Frauen waren
diese Erscheinungen von intensiven Gefühlen der Feindseligkeit, der Scham
und der Erniedrigung begleitet, während sie bei den Männern Haß, Ekel
und Widerwillen hervorriefen ; dort war hinter diesen Gefühlen der Penisneid,
hier die Kastrationsangst verborgen, bei unseren primitiven Vorfahren aber
war meiner Überzeugung nach die Todesfurcht primär. Keine andere Furcht
kann im primitiven Menschen so erschütternde Reaktionen zur Folge ge-
habt haben, wie etwa die, die Lust am sexuellen Verkehr völlig zu unter-
Der Memtruationskomplex
binden, oder jegliches Zeugen während der natürlichen Zeit restlos zu ver-
hindern als eben diese Furcht vor dem Tode.
Die Todesfurcht und ihr Zusammenhang mit dem jM.enstrualblut
Nach einem Mythos der Yars und der Wayisa in Ostzentralafrika kam
der Tod ursprünglich durch eine Frau in die Welt, die zwei Männer lehrte,
wie sie schlafen gehen müßten. Eines Tages, als sie schliefen, hielt sie die
Nasenlöcher des einen zu, bis er nicht mehr atmete und starb. 1
Bei den Vedahs von Travancore lebt die Frau zur Zeit der Menstruation
fünf Tage lang in einer Hütte in ziemlich großer Entfernung von ihrem
Heim. Die nächsten fünf Tage verbringt sie in einer anderen Hütte, die
sich auf halbem Wege befindet. Während dieser zehn Tage darf der Gemahl,
aus Furcht, sonst von dem Teufel getötet zu werden, nichts als
Wurzeln essen. 2
Die Maoris glauben augenscheinlich, daß der Tod durch den Ka.huka.hu
(der Personifikation des männlichen Samens) in dem Menstrualblut ent-
halten liegt. Sie vermeiden jeglichen Kontakt mit dem Menstrualblut, als
sei es Gift, und glauben, daß der bloße Kontakt mit Dingen, die ein men-
struierendes Weib berührt hat, genügt, um zu töten.
Es scheint, als ob Crawley zu einer vollständigen Lösung der Phänomene,
die er zu erforschen sucht, nicht gelangen konnte, entweder, weil er den
Begriff der Ambivalenz nicht kannte, den erst spätere psychoanalytische
Untersuchungen fundiert haben, oder weil er persönlichen Hemmungen
unterlag. Auf jeder Seite seines Werkes führt er überwältigende Beweise
an, um das Ausmaß, in dem das Menstrualblut von den Wilden gefürchtet
wird, aufzuzeigen, und doch sucht er mit größter Mühe Gründe für die
Annahme zu finden, daß darin nicht die primäre Ursache der Vermeidungs-
vorschriften liege, sondern daß das Blut vielmehr ursprünglich dazu diene,
Mut einzuflößen, und getrunken werde, um den Durst zu stillen und Kraft
zu geben. Die Furcht vor dem Menstrualblut erscheint als eine der intensiv-
sten Motive für die Ambivalenz der Geschlechter gegeneinander. Diese Furcht
des Mannes bewirkte, daß er die ursprünglichen Beize der Frau nicht mehr
schätzen konnte, daß er aber anderseits, wenn er die Furcht verdrängen
konnte, die Frau vergeistigt und auf ein Piedestal gehoben hat, das sie
1) Pison and Howitt, zitiert von Crawley, op. cit. IL, S. 27.
2) Ploß: Das Kind. II, 455. Zitiert von Crawley, op. cit. IL, S. 61.
*4
C. D. Daly
weder verdient hat, noch selbst wünscht. Ich möchte hier auf die Schwierig-
keit zurückkommen, die bei der Annahme entsteht, daß im Leben der Primi-
tiven noch irgendein anderer Faktor außer der Todesfurcht stark genug
gewesen wäre, um den sexuellen Impuls in dem Maße, als es geschieht,
zu hemmen, und die Unterwerfung der Frau in dem bereits beschriebenen
Ausmaß zu erzwingen.
Der genaue Beobachter wird längst entdeckt haben, wie stark des Mannes
Schuldbewußtsein der Frau gegenüber im allgemeinen ist, und vielleicht
hat er auch schon vermutet, daß die Ursache dieses Phänomens die Zurück-
weisung ihrer Liebe ist.
Ich möchte hier noch einen Punkt aufzeigen, der sich bei unseren primi-
tiven Vorfahren findet, und der von R. Kleinpaul 1 in Zusammenhang mit
dem Tabu des Todes erwähnt wird. Nach diesem Autor gipfelt die Be-
ziehung zwischen Lebenden und Toten in der Überzeugung, daß die nach
Blut dürstenden Toten die Lebenden zu sich in den Tod ziehen wollen.
Aus diesem Grunde müssen die Lebenden in irgendeiner Form zwischen
sich und die Toten Wasser stellen. Später ist man nur mehr gegen solche Tote
ängstlich und böse gesinnt, die ein Recht zur Erbitterung und zum Haß
hatten, wie etwa Bräute, die gestorben waren, ohne daß ihr Ver-
langen befriedigt worden war. Verfolgt man diese Vorstellung weiter,
so findet man, daß ein Teil der primitiven Konflikte des Mannes darin
wurzelt, daß er eigentlich seiner Gatlin ein Recht, ihn zu hassen, ein-
räumen muß, weil er sie aus Angst unbefriedigt gelassen und ihren Ver-
suchungen widerstanden hatte.
Die lneounterarüclcung
Als der Mensch aus dem Selbsterhaltungstrieb heraus die sozialen Gesetze
„Du sollst nicht töten und „Du sollst nicht ehebrechen" schuf, konnte
er diese Gesetze nur aufrecht erhalten und ihnen Nachdruck verleihen durch
die Einführung einer Strafe, durch das gesellschaftliche Übereinkommen, daß,
wer gegen diese Gesetze verstieß, sein Leben verwirkt habe. Es war, um
diese frühen Gesetze, die die fundamentale Basis jeglicher Gesetzgebung
überhaupt sind, praktisch in Anwendung bringen zu können, notwendig,
daß dem Verhalten des Einzelnen den Interessen der Gesellschaft als Ganzem
1) R. Kleinpaul: Die Lebenden und die Toten in Folklore, Religion und Mythos.
1898. Von Freud zitiert in „Totem und Tabu".
Der Moiistruatioiiskoniplex -S
gegenüber gewisse Schranken auferlegt wurden. Der frühe sozial empfin-
dende Mensch äußerte daher ganz instinktiv eine solche kollektive Drohung,
um seine sexuellen Impulse im Zaum zu halten. So waren die sozialen
Gefühle ein Resultat der Notwendigkeit, um die Art als solche zu erhalten,
die egoistischen Impulse der Individuen im ganzen einer Bewachung zu
unterstellen. Die Umstände, die diese Notwendigkeit erzeugte, waren eine
zeitweilige Regression auf ungehemmte libidinöse Impulse bei der Auf-
lösung des Herdensystems, die eine Bedrohung der Arterhaltung darstellten.
Ob die sozialen Gefühle eine Phase der psychischen Entwicklung darstellen,
als Weiterentwicklung eines primitiven Herdentriebes, wissen wir nicht, doch
scheint es wahrscheinlich. Aber soziales Bewußtsein und Herdentrieb müssen
nicht notwendigerweise dasselbe sein, nur weil sie in mancherlei Hinsicht
miteinander verknüpft sind. Gibt es doch einen Unterschied, der ganz offen-
sichtlich ist: Der Herdentrieb enthält keinerlei Konfliktstoff in sich; in ihm
gibt es nur blinden Gehorsam; wohingegen die sozialen Gefühle sich stets
in gewissen Ausmaßen mit den individualistischen Tendenzen in Gegen-
satz befinden, denn sie entstanden ja gewissermaßen bei deren Unterwerfung.
Wir können an dieser Stelle einen Trugschluß feststellen: Es wird oft
gesagt, daß die Art, in der ein Durchschnittsmensch seine Meinung über
Dinge äußert, von denen er keine wirkliche Kenntnis hat, das Produkt
des Herdentriebes sei, der ihn zwinge, sich im Sinne der allgemein vor-
herrschenden Meinung zu äußern; obgleich diese Annahme oftmals der
Wahrheit entsprechen mag, wird doch mindestens ebenso oft festgestellt,
daß dieses Verhalten egoistischen Charakterzügen zuzuschreiben ist; da
aber, wie schon gezeigt wurde, gerade das ungezügelte Nachgeben egoisti-
schen Impulsen gegenüber, zu der Bildung der frühen Gesellschaft ge-
führt hat, ist leicht einzusehen, daß ein anderer Faktor im Menschen vor-
handen sein muß, der ihn fortgesetzt in Konflikte mit seinen Trieben
bringt, und daß dieser Faktor bei den in Herden lebenden und instinkt-
mäßig entsprechend eingestellten Tieren noch nicht vorhanden ist. Darin
scheint die widerspruchsvolle Natur des Menschen zu liegen, die in ihrer
endgültigen Form eine Folge der Bedrohung der Selbsterhaltung ist, jener
Todesdrohung, der der Mensch gegenüberstand, wenn er ungehemmt seinen
Trieben nach leben wollte; ihr Resultat ist die Unterdrückung des indi-
viduellen Altruismus, die Umkehrung seiner psychischen Weichheit in
Grausamkeit, und, wenn sie sich mit der aggressiven Komponente des
Sexualtriebes verbindet, die Entstehung des Sadismus.
C. D. Daly
Der öad
omasochismus
ni6
Wir möchten nun auf die masochistischen Möglichkeiten, sich auf dem
Wege über selbstzugefügte Schmerzen Lust zu verschaffen, besonders nach-
drücklich verweisen (sie werden uns später den Weg, den die Entwicklung
gegangen ist, zeigen), denn jegliche neu erworbene Triebbeherrschung
wird durch selbstauferlegte Leiden erlangt, wobei die neu erworbene innere
oder äußere Herrschaft zu neuen Lustmöglichkeiten führt; das Lustgefühl
selbst ist in erster Linie vollkommen narzißtischer Natur und auf die
eigene Person beschränkt. Des Menschen Auffassung darüber, was lustvoll
ist, mag wechseln, die Wirklichkeit allmählich wertvollere und schweren
Kampfes würdigere Sache werden als die Phantasien, in denen zu leben
noch heute die Mehrzahl der Menschen vorzieht. Es äußert sich z. B. eine
Komponente des Sexualtriebes in dem Bestreben, selbständig durch die Herr-
schaft über die Exkretionsfunktionen Lust zu gewinnen. Das ist möglicherweise
das erste Stadium einer derartigen Verschiebung der entsprechenden Sexual-
komponente (Selbstbeherrschung an Stelle ursprünglicher Organlust), ihre Ur-
sache liegt darin, daß das Kind von der Mutter (besonders an ihren Brüsten)
keine völlige Befriedigung erlangen kann. Wenn des Kindes ungestümer
Wunsch, sich an den Mutterbrüsten zu befriedigen, auf Versagung gestoßen
ist, dann versucht es erst, die Mutter zu verletzen, indem es z. B. die
Brüste zerbeißt und zerkratzt. Wenn auch diese sadistischen Äußerungen
unterbunden werden, versucht es, auf narzißtische Weise sich Genugtuung
zu verschaffen und lernt zu gleicher Zeit, seinem Haß gegen die Mutter
Ausdruck zu verleihen, indem es ihr seine Fäzes vorenthält, so wie sie
ihm die Brüste versagte. Wenn dieser Haß sich gegen das Kind selbst
wendet, so entsteht ein narzißtischer Masochismus. Freud 1 hat darüber
gesagt, es gäbe ein „Zusammenwirken einer großen Beihe von Momenten,
welche die ursprüngliche passive Sexualeinstellung übertreiben und fixieren.
(Kastrationskomplex, Schuldbewußtsein.) Der Schmerz, der hiebei über-
wunden wird, reiht sich dem Ekel und der Scham an, die sich der Libido
als Widerstände entgegengestellt hatten."
Diese Feststellung Freuds scheint meine Hypothese zu sichern, daß Ekel
und Scham als Beaktion des Mannes auf die Menstruation der Frau
aufzufassen sind. Freud sagt weiter: „Daß Grausamkeit und Sexualtrieb
innigst zusammengehören, lehrt die Kulturgeschichte der Menschheit über
1) Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. {Ges. Schriften, Bd. V, S. 52.)
Der JMenstruatiotiskomplex 27
jeden Zweifel, aber in der Aufklärung dieses Zusammenhanges ist man
über die Betonung des aggressiven Moments der Libido nicht hinausge-
kommen." 1
Kehren wir nun zurück zu der Frage nach den Sexualhemmungen. Hypo-
thetisch können wir vermuten, daß in der präanimistischen Periode die Unter-
drückung des Sexualtriebes als Folge des Zwanges entstand, unbewußt die
automatisch sich einstellende Sexualerregung auf äußere oder auf innere
Anlässe hin als eine Quelle von Gefahr für das unreife Ich anzusehen,
da für den Fall des Triebgehorsams die Selbsterhaltung direkt bedroht
war, und die äußere Versagung für die inneren Hemmungen Anlaß wurde,
sich bemerkbar zu machen. Das Resultat war eine innere Spannung, die
der primitive Mensch, ähnlich wie der Neurotiker von heute, auf die Dauer
schwer vertragen konnte. Die neue Gefahr, das Inzesttabu mit seiner unerbitt-
lichen Todesdrohung, brachte so die Verdrängung aller sexuellen Lustgedanken
mit sich, insbesondere aber die des Sexualtriebs zu der Zeit der größten
Anziehungskraft der Frau, der Menstruation. Die den Mann verlockenden
Reize wurden so von ihrem Ziel abgelenkt, wurden gefährlich und irgend-
welchen unbekannten Einflüssen, z. B. Geistern, zugeschrieben.
Nunmehr wird die Angst, die zuerst mutmaßlich durch eine äußere
Gefahr hervorgerufen worden war, verinnerlicht und macht dann jenen
höher entwickelten Teil des psychischen Apparates aus, der den Menschen
zur Kontrolle über die primitiven sexuellen Triebe verhilft, wenn erst das
Bewußtsein für die Notwendigkeit erweckt ist, die Hemmungsfunktion
auszuüben, durch welche — im Interesse der Entwicklung von Kultur
und Gesellschaft — die Triebbefriedigung aufgehoben werden kann.
Wahrscheinlich wurde die Verdrängung des sexuellen Begehrens gerade
während der Zeit der weiblichen Periode so zu einem der kausal bedeutungs-
vollsten Momente der Neurosen bei Primitiven, da der Trieb dadurch eben
zu dieser Zeit unbefriedigt blieb. Ich möchte hier an Freuds Begriff des
Wiederholungszwanges" erinnern, den er als wesentliches Merkmal alter
Triebe in seinem Werke „Jenseits des Lustprinzips beschreibt. Vielleicht
verhält es sich sogar so, daß es gerade das Inzesttabu und der Menstruations-
komplex waren, durch die der Trieb seine erste stärkere psychische Beein-
trächtigung erlitt. Unter den Tieren (besonders deutlich z. B. bei den In-
sekten) ist, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, die sexuelle Lockung
stark genug, um allen gewohnten Sinn für Vorsichtsmaßregeln außer Wirkung
1) Freud, op. cit. S. 52.
=8 C. D. Daly
zu setzen, während die Einrichtung der Todesstrafe für Verletzung
des Inzestverbotes unter allen Umständen den Mann veranlaßt,
gerade zur natürlichen Zeit des Sexualverkehrs seinen Trieb zu
verdrängen. Diese Verhinderung der männlichen sexuellen Befriedigung
durch Verdrängung scheint der Hauptgrund für sein ewiges Vorwärtsstreben
nach Vollkommenheit zu sein.
^Freuds Ansichten über diesen Gegenstand unterstützen meiner Meinung
nach meine Theorie: „Allein ich glaube nicht an einen solchen inneren Trieb
und sehe keinen Weg, diese wohltuende Illusion zu schonen. Die bisherige
Entwicklung des Menschen scheint mir keiner anderen Erklärung zu be-
dürfen als die der Tiere, und was man an einer Minderzahl von mensch-
lichen Individuen als rastlosen Drang zu weiterer Vervollkommnung beob-
achtet, läßt sich ungezwungen als Folge der Triebverdrängung verstehen,
auf welche das Wertvollste an der menschlichen Kultur aufgebaut ist. Der
verdrängte Trieb gibt es nie auf, nach seiner vollen Befriedigung zu streben,
die in der Wiederholung eines primären Befriedigungserlebnisses bestünde ;
alle Ersatz-, Reaktionsbildungen und Sublimierungen sind ungenügend, um
seine anhaltende Spannung aufzuheben, und aus der Differenz zwischen
der gefundenen und der geforderten Befriedigungslust ergibt sich das trei-
bende Moment, welches bei keiner der hergestellten Situationen zu ver-
harren gestattet, sondern nach des Dichters Worten ,ungebändigt immer
vorwärts dringt' (Mephisto im .Faust' I, Studierzimmer). Der Weg nach
rückwärts, zur vollen Befriedigung, ist in der Regel durch die Widerstände,
welche die Verdrängungen aufrecht halten, verlegt, und somit bleibt nichts
anderes übrig, als in der anderen, noch freien Entwicklungsrichtung fort-
zuschreiten, allerdings ohne Aussicht, den Prozeß abschließen und das Ziel
erreichen zu können." 1
Später, in demselben Werk stellt Freud die Frage: „Wie soll man aber
den sadistischen Trieb, der auf die Schädigung des Objekts zielt, vom lebens-
erhaltenden Eros ableiten können ? Liegt da nicht die Annahme nahe, daß
dieser Sadismus eigentlich ein Todestrieb ist, der durch den Einfluß der
narzißtischen Libido vom Ich abgedrängt wurde, so daß er erst am Objekt
zum Vorschein kommt?" (1. c. S. 246.) Ich weiß nicht, wie weit ich hier
mit Freud übereinstimmen kann. Ich sehe den Sadismus als eine Reak-
tionsbildung des lebenserhaltenden Eros gegen sein Objekt an, infolge einer
Todesdrohung, die ursprünglich gegen das Ich selbst gerichtet gewesen war.
m
Der Meiistruationskomplex
29
Wahrscheinlich ist es die Unterdrückung der aggressiven Komponente, die
Mut und Zartheit in Feigheit und Grausamkeit verwandelt. Wenn die
aggressive Komponente des Sexualtriebes geschwächt wird, dann wendet
sich der sadistische Impuls gegen die eigene Person und wird so auf narziß-
tischer Grundlage zum Masochismus. Ich glaube, daß die sadistische Kompo-
nente ruhig als „destruktiv" bezeichnet werden darf in Anbetracht ihres
auf Zerstörung des anderen gerichteten Zieles, das die Reaktion ist auf
die der eigenen Person drohende Todesgefahr. Die Grausamkeit des Sadismus
zeigt, daß sie eine Perversion der Zartheiten des Eros darstellt ; aber ob wir
sie auch als zu dem Todestrieb gehörig betrachten dürfen, ist eine andere
Frage. Denn der ursprüngliche Sexualtrieb ist auch noch im Sadisten wirksam,
wenn auch die Fähigkeit zum Sexualverkehr in extremen Formen garnicht
mehr in Erscheinung treten kann, ehe das Opfer nicht seiner Grausamkeit
den vollen Preis bezahlt hat. Die Funktion der normalen aggressiven Kompo-
nente des Sexualtriebes ist die Unterwerfung des Sexualobjektes, während
die Grausamkeit des Sadismus das Ziel hat, den Schmerz zu überwinden,
den das Ich als Wirkung des verdrängten Traumas der gegen sich gerich-
teten Todesdrohung an sich erfährt.
Wir wollen noch einmal zusammenfassen: Meine Behauptung geht dahin,
daß die aggressive Komponente des Sexualtriebes durch die Angst unter-
drückt wurde, die das Phänomen der Menstruation durch die mit ihm ver-
bundene Todesdrohung erzeugt hat. Der Haß, der so bei der Unterbindung
des Sexualtriebes entsteht, kehrt die zarte Komponente der Sexualität in
Grausamkeit und in den Wunsch um, dem Liebesobjekt Schmerz zuzu-
fügen ; vielleicht ist es richtiger zu sagen, daß ein archaischeres primitives
Grausamkeitsstreben sich jetzt mit der aggressiven Komponente des Sexual-
triebes verbindet, indem diese auf jenes zurückgreift, also indem eine Re-
gression eintritt.
Kehren wir jedoch zu Freuds Vermutungen über die Natur der Triebe
zurück, nach denen ein Trieb „ein dem belebten Organischen inne-
wohnender Drang wäre, „zur Wiederherstellung eines früheren Zu-
standes, welchen dies Belebte unter dem Einfluß äußerer Stö-
rungskräfte aufgeben mußte". 1
Der Menstruationskomplex, der aus dem Inzestverbot entsteht, ist vielleicht
die wichtigste dieser äußeren Störungskräfte, die die Verdrängung der
1) Freud: Jenseits des Lustprinzips. (Ges. Schriften, Bd. VI, S. 226.) — Von mir
gesperrt.
3o
C. D. Daly
Wiederholungszwangskomponente der Triebe verursacht hat, die den Menschen
von der übrigen Tierwelt unterscheidet. Hieraus konnte die Phantasie im
Menschen entstehen, die, wenn von der Realität kontrolliert, sich als seine
wertvollste Eigenschaft herausstellt. Daß der Sexualtrieb auf diese Weise
gehemmt wurde, hatte für die ganze menschliche Art traumatische Wirkungen,
deren Ausmaß wir heute erst ahnen, ohne es ganz zu kennen.
Gemäß unserer Theorie wendet sich der Neurotiker von der Wirklichkeit
ab, weil ihre Perzeption seinem Ich zu schmerzlich ist. Aber wir können am
Grunde dieses „Schmerzes" Bedrohungen der Selbsterhaltung vermuten. Wir
nehmen an, daß die Versagung des Sexualtriebes das Resultat der bekannten
Drohung gewesen ist, und daß der Haß gegen die Frau und die vollständige
Unterwerfung des weiblichen Geschlechtes das Endergebnis der periodischen
Steigerung ihrer sexuellen Anziehungskraft war, nachdem die Liebe ge-
zwungen worden war, sich in Haß zu verkehren; ihre Anziehungskraft
lieferte den Mann an seine von ihm selbst aufgestellten Gesetze zum
Schutze des Inzestverbotes aus, — auf der einen Seite wurde er durch
Gerüche und visuelle Reize angezogen, denen er kaum widerstehen konnte, —
auf der anderen Seite geriet er, wollte er seinem Triebverlangen folgen,
in akuteste Todesgefahr; das Ich mußte diesen Konflikt mit einer Abneigung
gegen sexuelle Reize beantworten, die Lustgefühle, die durch den sexuellen
Anreiz entstanden, mußten zurückgewiesen werden. Es kann kaum be-
zweifelt werden, daß der Begriff der Schönheit sich ursprünglich an den
Reizen, die von den Geschlechtsorganen ausgingen, gebildet hatte und von
dort aus infolge des besprochenen Konfliktes erst verschoben werden mußte.
Die volle Bedeutung dieses Konfliktes kann nur richtig eingeschätzt werden,
wenn man bedenkt, wie vollständig die einschlägigen Vorstellungsinhalte
aus dem menschlichen Bewußtsein geschwunden sind und wie viele sekundäre
Folgen daraus entstanden sind. Auch in der Belletristik wie in der Mythologie
sind Schönheit und Tod stets miteinander verknüpft geblieben. Judith sagt
in Hebbels Tragödie: „Meine Schönheit ist die einer Tollkirsche. Ihr
Genuß bringt Wahnsinn und Tod." 1 Jetzt ist es verständlich, warum die
Vagina und die Frau überhaupt, besonders während der Menstrualzeit, so
„unheimlich" werden mußte, und der Ursprung der Hexenkraft, auf die
wir in der nächsten Studie zu sprechen kommen werden, liegt jetzt klar
auf der Hand.
1) Zitiert nach Freud: „Das Tabu der Virginität." (Ges. Schriften, Bd. V, S. 229.)
-^ ;
Der Ateiistniatioiisliomplex
Homosexualität und -P.
erversion
Freud und Ferenczi haben in bezug auf die Objekthomoerotik Fest-
stellungen gemacht, die meine Ansichten zu stützen scheinen. Ferenczi
meint, daß die Objekthomoerotik a\if Sadismus und Analerotik beruht, 1
während Freud in seiner Arbeit „Die Disposition zur Zwangsneurose"
ebenfalls der Meinung ist, daß als ihre konstitutionelle Basis die prä-
genitale sadistisch-anale Entwicklungsstufe der Libido anzusehen ist. 2 Es ist
anzunehmen, daß diese beiden prägenitalen Regungen in der dunklen
Vergangenheit in dem von mir oben beschriebenen Phänomen einen gemein-
samen Ursprung gehabt haben. Man kann auch daraus ersehen, welche
Bedeutung diesem Konflikt zukommt, daß er das Wiederauftauchen einer
Sehnsucht nach dem Vater ermöglichte, nachdem die Ursache des Streites
mit ihm, das Verlangen nach der Mutter resp. der Frau überhaupt, nicht
mehr so stark war, sodaß die Liebe der Männer zueinander wieder ge-
kräftigt werden konnte.
Der primitive Menstruationskomplex spielt aller Wahrscheinlichkeit nach
auch für die Inversion keine geringe Rolle, obgleich sein rezessiver Charakter
ihn später durch andere Abweichungen und Verschiebungen des Sexual-
triebes hat überdecken lassen. Freud sagt so z. B. von den männlichen
Invertierten: „Ihr zwanghaftes Streben nach dem Manne erwies
sich als bedingt durch ihre ruhelose Flucht vor dem Weibe." 3
„Pervers" nennt man Menschen, die sexuelle Lust bei Handlungen
empfinden, die in anderen Ekel und Widerwillen hervorrufen, wie Über-
treibungen normaler Vorbereitungsakte zum Geschlechtsakt, Äußerungen
der Analerotik u. dgl., die primitiver Natur sind und vermutlich normal
waren vor dem Auftreten des Inzesttabus, das den Gefühlsumschwung in
der männlichen Einstellung zum Sexualobjekt mit sich brachte. Diese
Annahme stimmt mit Freuds Theorie überein, daß der Ekel einer der
Kräfte war, die die Einschränkung der Sexualität besorgten.
Freud sagt, daß es einzig die Ausschließlichkeit und die Fixierung*
der Perversion seien, die es rechtfertigten, sie als krankhaft anzusehen. Be-
trachten wir z. B. die Fellatio unter phylogenetischen Gesichtspunkten.
1) Ferenczi: Zur Nosologie der männlichen Homosexualität. (Bausteine zur Psycho-
analyse, Bd. I. Internationaler Psychoanalytischer Verlag.)
2) Freud: Die Disposition zur Zwangsneurose. (Ges. Schriften, Bd. V.)
5) Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. (Ges. Schriften, Bd. V, S. 18.)
4) Freud, op. cit. S. 35.
02
C. D. Daly
Dieses Phänomen mag aus der Zeit stammen, in der es als etwas ganz
Natürliches erschien, sich gegenseitig die Genitalien zu beriechen und zu
belecken, während in der prähistorischen Zeit des heutigen Individuums
die Fellatio erstens mit der Reaktion auf den Verlust der Mutterbrust
verbunden ist, da das Kind wünscht, sich für den Verlust am eigenen
Körper zu entschädigen, und zweitens damit, daß später bei Beginn der
Objektliebe dieser Wunsch die Form annimmt, die Eltern mögen dieses
Zeichen der Liebe ihm zuteil werden lassen, eine sexuelle Phantasie, die
oft durch die Angewohnheit mancher Mütter, die Genitalien des Kindes
zu küssen, aufs äußerste gesteigert werden kann. Als Perversion kann die
Fellatio eigentlich nur dann angesehen werden, wenn die sexuelle Be-
friedigung ohne sie beim normalen Vollzug des Koitus nicht erreicht werden
kann. Wenn die plötzliche Abwendung von der Frau in einem frühen
sexuellen Entwicklungsstadium stattfindet, kann dieser Wunsch auf den
Vater verschoben werden, oder es kann eine Regression stattfinden, auf
koprophile Neigungen, die ihrerseits mit den Perversionen des Schmeckens,
Beriechens und Befühlens der eigenen Fäzes verbunden sind. Der Ekel
und Widerwille, den die Perversionen beim Gesunden hervorrufen, deutet
darauf hin, daß auch bei ihnen ähnliche Wünsche tief im Unbewußten
verdrängt liegen.
Genetisch gesehen, ist für die Überschätzung des sexuellen Wertes extra-
genitaler Körperteile wieder der Menstruationskomplex verantwortlich zu
machen ; ebenso ist ihm die mit vollem Erlöschen des normalen sexuellen
Verlangens einhergehende Knüpfung der Libido an ungeeignete Objekte
zuzuschreiben, wie sie im Fetischismus und in der Homoerotik statthat.
Ferenczi sagt z.B. von den Objekthomoerotikern : „Ich kann hier nur Weniges
hervorheben: Die Koprophilie und die Riechlust ist bei ihnen tief ver-
drängt, oft zu Ästhetentum, Vorliebe für Parfüms, Kunstenthusiasmus subli-
miert. Charakteristisch ist weiter ihre Idiosynkrasie gegen Blut
und alles Blutige. '
Wir geben nachfolgend in abgekürzter Form wieder, was er zu der
frühen Geschichte der Homoerotiker männlichen Geschlechtes sagt:
„Sie waren alle schon sehr frühzeitig sexuell, und zwar heterosexuell
aggressiv . . . Ihre Ödipus-Phantasien waren immer normal und gipfelten
in sexuell-sadistischen Angriffsplänen gegen die Mutter und grausamen
1) Ferenczi: Zur Nosologie der männlichen Homosexualität. (Bausteine zur Psycho-
analyse, Bd. I, S. 159 f.)
Der Mcnstrtiationskomplcx 33
Todeswünschen, gegen den störenden Vater. Sie waren alle auch intellektuell
frühreif und schufen in ihrem Wissensdrang eine Menge infantiler Sexual-
theorien . . . Nebst Aggressivität und Intellekt ualität ist die Konstitution durch
ungewöhnlich starke Analerotik und Koprophilie charakterisiert. Sie wurden
in frühester Kindheit von einem der Eltern wegen eines heteroerotischen
Vergehens . . . hart bestraft und mußten bei dieser Gelegenheit . . . einen
heftigen Wutanfall unterdrücken . . . Beim Libidoschub der Pubertät wendet
sich die Neigung des Homoerotikers zunächst wieder dem anderen Geschlecht
zu ; es genügt aber die leiseste Rüge oder Mahnung seitens einer Respekts-
person, um die Angst vor den Weibern wieder zu erwecken, worauf dann
unmittelbar oder nach kurzer Latenz die endgültige Flucht vom weiblichen
zum eigenen Geschlecht stattfindet." 1 «
Diese Feststellung Fe renezis scheint die Theorie vom phylogenetischen
Ursprung der Gesellschaftsbildung auf homosexueller Grundlage zu recht-
fertigen. Einzig nicht ganz klar ist, was in diesem Zusammenhange die
von Freud nachdrücklich erwähnte Tatsache bedeutet, daß ein Verweis von
seiten der Mutter als ursächlicher Faktor der Homosexualität häufig auf-
trete. Wir mögen uns hier an das Bild der Kali erinnern und werden be-
rechtigt sein, zu behaupten, daß — phylogenetisch betrachtet — die älteste
Drohung als von der Frau selbst kommend empfunden wurde, und zwar
gerade zu der Zeit der Menstruation, da sie am weiblichsten war. Vielleicht
beruht in diesem Sinne die Idiosynkrasie der Homoerotiker gegen das Blut
und alle blutigen Gegenstände auf einer phylogenetischen Erfahrung. Die
Tatsache der tief verdrängten Riechlust der Objekthomoerotiker sichert die
Annahme eines solchen Zusammenhangs, besonders wenn man sie im Lichte
der Phänomene betrachtet, die ich in meiner Schrift : „Psychological Reactions
to Olfactory Stimuli" besprochen habe, wo ich die Verdrängung der Riech-
lust dem Umstand zuschreibe, daß der Sexualgeruch, der von der Frau
ausgeht, für den Mann eine Anziehungskraft darstellte, die in ihm nach
Einführung der gesellschaftlichen Institution des Inzestverbotes die stärksten
Konflikte hervorrief.
Das JyLcnstruatioiistauu
Zum Schluß müssen wir uns noch fragen, wieso die Tabus, die Men-
struation und Niederkunft betreffen, sich so hartnäckig trotz aller Fort-
schritte der Erziehung in den vergangenen Jahrhunderten erhalten haben.
1) Ferenczi, 1. c.
Daly: Der Menstruationskoraplex 5
54 C. D. Daly
Ich glaube, daß das darin seine Ursache findet, daß die Kinder von Anfang
an unter dem Einfluß der Tabus der Frau stehen und dadurch notwendiger-
weise den Einschränkungen von sehen der Mutter unterworfen werden, sodaß
die Tabus sich in ihnen geradezu vom Beginn ihrer Existenz an befestigten.
Wie Freud gezeigt hat, 1 ist der Ursprung des Schuldgefühls auf ein
Tabu zurückzuführen. Die strenge Gültigkeit des Tabu mag teilweise aus
Furcht vor den Konsequenzen entstanden sein, die seine Verletzung nach sich
ziehen mußte (obwohl der letzte Ursprung des Inzestverbotes ungewiß ist
und nur sehr unbestimmt gemutmaßt werden kann). Die Inzestsünde war
mit einem ungeheuren Schuldgefühl verbunden, — aber mehr als das, —
schon der bloße Gedanke einer Verletzung des Inzestverbotes, den doch jeder
Mann haben mußte, scheint eine so gewaltige Angst zur Folge gehabt
zu haben, daß der Mann sich von ihr nur dadurch befreien konnte, daß
er sie auf das schwächere Geschlecht verschob, das aus physiologischen
Gründen für ihn eine so schwere Versuchung bedeutete. Dies bedarf einiger
Erläuterungen. Zu diesem Zweck muß ich auch auf die bisher unerklärte
Tatsache verweisen, daß, während die Frau ihre der tierischen Brunst
analoge Periodizität, die doch ohne Zweifel — wie noch heute bei den
Tieren — einmal beiden Geschlechtern zukam, beibehalten hat, der Mann
eine bestimmte Periode der „Brunst an sich aber nicht mehr erfährt.
Es mag auf den ersten Blick scheinen, als ob unsere primitiven Vor-
fahren uns durch ihr Bestreben, sich selbst von dem Schuldgefühl zu be-
freien, das ihnen aus den Versuchungen, das Tabu zu verletzen, entstanden
war, einen sehr zweifelhaften Segen hinterlassen haben. Denn eben dieses
Bestreben, den Qualen des Schuldgefühles zu entrinnen, indem man es
auf das weibliche Geschlecht verschiebt, mag einerseits den ersten Anlaß
gegeben haben zur Entstehung jener subtilen Triebabwehren der Zwangs-
neurotiker, die in der Analyse so schwer zu verstehen sind, während ander-
seits die gleiche Reaktion in späterer Zeit die Quelle des höheren Gewissens
gewesen sein könnte, das den Mann zwang, seinen Narzißmus zu erkennen.
Auf jeden Fall scheint sich diese Vorstellung unserer Kenntnis einzufügen,
daß im Charakter der Zwangsneurotiker der Zug der peinlichen Gewissen-
haftigkeit hervortritt als ein Reaktionssymptom gegen die im Unbewußten
lauernde Versuchung und daß bei Steigerung des Krankseins die höchsten Grade
von Schuldbewußtsein von ihnen entwickelt werden. 2 Dieses Vermächtnis der
1) Freud: Totem und Tabu.
2) Freud: Totem und Tabu. (Ges. Schriften, Bd. X, S. 86.)
Der .Menstruationskomplex 35
Primitiven, das bei den Zwangsneurotikern wieder manifest wird, kommt
mit unseren höheren Ichidealen in Konflikt, der sich infolgedessen möglicher-
weise bei den Europäern sogar noch vergrößert hat. Diese Erscheinung hängt
auch damit zusammen, daß die Frauen im Laufe der Entwicklung in der
sozialen Achtung stiegen, so daß die Schuld, die der Mann seinerzeit auf
das weibliche Geschlecht verschoben hatte, nun zu ihm in Form eines
Schuldbewußtseins der Frau gegenüber wieder zurückkehrt. Der Grund
hiefür liegt allerdings noch völlig im Dunkeln.
Die Angst des Primitven, die sich, wie Freud gezeigt hat, aus der durch
die Verdrängung umgewandelten Libido gebildet hat, wird nun leichter
verständlich. Das Motiv für die Verdrängung jenes Wunsches, das Tabu zu
verletzen, liegt in der Todesfurcht, 1 während die Verschiebung der Schuld
auf die Frau ihren Grund in dem Schmerz hat, der der Furcht entsprang,
die das Ich des Primitiven zu ertragen unfähig war. So setzte der Primitive
die Frau herab, deren visuelle und geruchliche Reize seine Furcht ge-
weckt hatten.
Freud gelangt zu dem Verständnis dieser Dinge durch einen Vergleich
des Tabus mit den Zwangshemmungen des Neurotikers und faßt sie wie
folgt zusammen:
„Das Tabu ist ein uraltes Verbot, von außen (von einer Autorität) auf-
gedrängt und gegen die stärksten Gelüste der Menschen gerichtet. Die Lust,
es zu übertreten, besteht in deren Unbewußtem fort; die Menschen, die dem
Tabu gehorchen, haben eine ambivalente Einstellung gegen das vom Tabu
Betroffene. Die dem Tabu zugeschriebene Zauberkraft führt sich auf die
Fähigkeit zurück, die Menschen in Versuchung zu führen; sie benimmt
sich wie eine Ansteckung, weil das Beispiel ansteckend ist, und weil sich
das verbotene Gelüste im Unbewußten auf anderes verschiebt. Die Sühne
der Übertretung des Tabu durch einen Verzicht erweist, daß der Befolgung
des Tabu ein Verzicht zugrunde liegt." 2
An anderer Stelle finden wir die folgenden Ausführungen:
„Wir werden also eher die psychologischen Bedingungen für das Tabu
zu bestätigen suchen, welche wir für die Zwangsneurose kennengelernt
1) Oder auch in Furcht vor Krankheit. Wir wissen aus Analysen, daß eine solche
Angst oft die Angst deckt, geschwängert zu werden. In unserem Falle könnte man
in dieser Angst eine Wiederkehr des verdrängten Wunsches sehen, die Frau zu
schwängern, weiters die Angst vor der Ansteckung, mit der bei der Frau vermuteten
Krankheit, also letzen Endes wieder Todesfurcht.
2) Freud: Totem und Tabu. (Ges. Schriften, Bd. X, S. 46.)
36 C. D. Daly
haben. Wie gelangten wir bei der Neurose zur Kenntnis dieser psycho-
logischen Momente ? Durch das analytische Studium der Symptome, vor allem der
Zwangshandlungen, der Abwehrmaßregeln und Zwangsgebote. Wir fanden
an ihnen die besten Anzeichen für ihre Abstammung von ambivalenten
Regungen oder Tendenzen, wobei sie entweder gleichzeitig dem Wunsche,
wie dem Gegenwunsche entsprechen oder vorwiegend im Dienste der einen
von den beiden entgegengesetzten Tendenzen stehen. Wenn es nun gelänge,
auch an den Tabuvorschriften die Ambivalenz, das Walten entgegengesetzter
Tendenzen aufzuzeigen, oder unter ihnen einige aufzufinden, die, nach der
Art von Zwangshandlungen, beiden Strömungen gleichzeitigen Ausdruck
geben, so wäre die psychologische Übereinstimmung zwischen dem Tabu
und der Zwangsneurose im nahezu wichtigsten Stücke gesichert.
Am Menstruationstabu kann man den Anteil beider ambivalenter Regungen
deutlicher erkennen, als bei irgendwelchem anderen Tabumaterial, das Gegen-
stand psychoanalytischer Untersuchungen geworden ist. Wir wollen dies
noch an Hand von einigen weiteren kurzen Anführungen aus der ein-
schlägigen Literatur verfolgen. Es wird dabei klar werden, wie viel im
heutigen Verhalten der Männer gegenüber den Frauen in den gleichen
psychischen Erscheinungen wurzelt, auf Grund deren die Frauen ursprünglich
während ihrer Periode tabu wurden.
„Bei den Surinam-Negern muß die Frau während der Dauer ihrer Periode
in der Einsamkeit leben; es ist für Mann und Weib gleicherweise ge-
fährlich, sich ihr zu nähern. Wenn sich ihr jemand nähert, so ruft sie
angstvoll: ,Mi Kay! Mi Kay! Ich bin unrein!'" 2
Hier erblicken wir die Wirkung des Inzesttabus. Die Frau hat schon
gelernt, die Hauptquelle ihrer Anziehungskraft zu fürchten, selbst zu glauben,
daß ihr Übel und Gefahr für die Gemeinschaft entspringt; sie nimmt das
Gesetz und die Oberherrschaft des Mannes an, sodaß, was vorher ihr
stärkster Reiz war, nun ihre Schande wurde.
Beachten wir, wasFrazer dazu sagt. Er faßt seine Ansichten wie folgt
zusammen: „Der Zweck dieser Abschließung der Frau während der Men-
struation ist die Neutralisation der gefährlichen Einflüsse, die, wie man an-
nimmt, von ihr ausgehen. Man glaubt vom Mädchen, es sei im Besitz einer
mächtigen Kraft, die, wenn sie nicht gefesselt wird, zur Folge hat, daß
nicht nur das Mädchen selbst, sondern auch alle Personen, mit denen es in Be-
il Freud: Totem und Tabu. (Ges. Schriften, Bd. X, S. 46 f. 1
2) H. Ellis, op. cit. S. 284.
Der ivlenstriiatioriskoniplex
*7
rührung kommt, dem Untergang anheim fallen. Diese Kraft zum Heil aller
zu bändigen, ist der Zweck des in Frage stehenden Tabus." 1
Wir können dies mit dem vergleichen, was Freud über die Tabuverbote
sagt: Es scheint, „als ob die Verbote notwendig wären, weil gewissen Per-
sonen und Dingen eine gefährliche Kraft zu eigen ist, die sich durch Be-
rührung mit dem so beladenen Objekt überträgt, fast wie eine Ansteckung .
Diese Kraft haftet nun an allen Personen, die etwas Besonderes sind, wie
Könige, Priester, Neugeborene, und allen Ausnahmszuständen, wie den körper-
lichen der Menstruation, der Pubertät, der Geburt . . . 2
Der Hauptzweck des Tabus scheint nun der Schutz des Individuums
und der Gemeinschaft vor ihren eigenen primitiven Begierden zu sein,
deren Befriedigung nicht im Interesse der Gemeinschaft liegt.
Die Tatsache, daß alle tabuierten Gegenstände gleichzeitig heilig und
unrein sind, wird verständlich, wenn wir bedenken, daß die jetzt abstoßenden
Objekte stets früher in der einen oder anderen Weise anziehend gewesen
sind. Eine Triebversagung verwandelt die Anziehung in Abstoßung. Die
Frau während der Menstruation ist für den Primitiven gleicherweise un-
rein und unheilbringend wie heilig und gesegnet. Sie ist dem Manne
zu eben der Zeit versagt, in der sie früher so anziehend gewesen ist, daß
die Männer sich gegenseitig in einem Ausmaße bekämpft und vernichtet
haben, das für die Gemeinschaft allmählich unerträglich wurde. Daher
schuf die primitive Gesellschaft Gesetze zum Schutze der Individuen vor-
einander, Gesetze, die das Faustrecht als alleinigen Schutz des Besitzes be-
seitigten und dem Stamme Macht über den Einzelnen gaben. Infolge der
besonderen Stärke des Sexualtriebes wurden diese Gesetze aller Wahrschein-
lichkeit nach immer und immer wieder verletzt, was stets die unerbittliche
Vollstreckung der primitiven Gesetze nach sich zog, nämlich das damals
einzig mögliche Schreckmittel, die Tötung. Man muß daran denken, daß
einmal die Menschen noch Brunstperioden hatten, in denen ihr Sexualtrieb
so stark war, daß jede vernünftige Triebeinschränkung, die vielleicht sonst
schon vorhanden war, hinfällig wurde, indem der Trieb im Nu jeglichen
Gedanken an das Gesetz und an seine Konsequenzen über den Haufen
warf. Früher stellten die Männer während der Brunstperiode füreinander
Feinde dar; nun jedoch wurden die Frauen zur eigentlichen Gefahr. Die
Zurückdämmung der männlichen Aggressivität gegen Mann und Frau, der
1) Frazer: The Golden Bough. Kap. IV, S. 28.
2) Freud: Totem und Tabu. (Ges. Schriften, Bd. X, S. 30 f.)
38
C. D. Daly
nun jegliches Ventil verschlossen war, erhöhte das libidinöse Verlangen, so-
daß die Gefahr der weiblichen Anziehung noch weit größer wurde als
vorher; denn die Perioden der Frau wurden allmählich eine Mahnung an
den Tod, sie weckten nur Gefühle der Angst und Schwäche, anstatt alle
Aggressivität wieder ins Leben zu rufen und den Mann zum Kampfe mit
den Rivalen zu veranlassen, der, hätte er siegreich geendet, alle Begierden
neu erweckt hätte.
So wurde das Menstrualblut für den Mann allmählich weit abstoßender
als irgend etwas sonst; die Frau, die mit dieser widerwärtigen Erscheinung
behaftet war, wurde zum Gegenstand der Angst, des Ekels und des Ab-
scheus, wurde eines der nötigen Übel des Lebens, das für die Zwecke des
Mannes gebraucht und mißbraucht wurde. Und er hat, wie wir gerade
hier zeigen möchten, die Frau von jeher so angesehen, indem er seinem
Haß durch Einschränkungen, die er der Frau auferlegte, Luft machte. Zur
selben Zeit jedoch hat er sie infolge seiner Furcht auch zu einem Ideal
erhoben, wofür das beste Beispiel die Madonna ist, die unbefleckt empfing.
Jetzt wird die ganze Frage der großen Muttergöttinnen verständlicher. Eine
Vereinigung mit ihnen wurde fast allgemein für todbringend gehalten.
Die Entstehung der Muttergottheit ist in weitem Ausmaße die Folge
der Verschiebung der Angst vom Mann auf die Frau. Infolge seiner Un-
befriedigtheit fürchtet der Mann die Vergeltung und so bezaubert die Göttin
den sterblichen Mann, befriedigt ihre Begierde, aber vernichtet ihn an
Körper und Seele.
Kehren wir zu den Primitiven und zu dem Tabu zurück. Zahlreiche
findige Argumente sind vorgebracht worden, um zu zeigen, daß die Un-
reinheit des Primitiven etwas anderes bedeutet als unsere moderne Vor-
stellung von Unreinheit, nämlich daß sie mit dem Heiligen und dem Tabu
zusammenhängt. In Wahrheit ist der „heilige" Charakter des Tabu (der
Begriff der Reinheit) seither weggefallen und hat sich mit unseren Vor-
stellungen in Verbindung gesetzt. Ursprünglich war die Frau zwischen
ihren Perioden rein, jedoch nicht heilig, während ihrer Perioden unrein
und heilig, jetzt wird sie für „heilig" gehalten, wenn sie rein ist, d. h.
erhaben über alle sexuellen Vorstellungen. Dies findet sich besonders deut-
lich seit der Erhebung der Madonna in ihre Stellung der Heiligkeit im
Christentum. In anderen Religionen, besonders bei den Hindus, sind diese
beiden Elemente auf verschiedene Göttinnen aufgespalten; es gibt furcht-
bare, die versöhnt werden müssen, und solche, die sich dem Madonna-
Ideal mehr nähern. Die ersten sind jedoch immer noch Göttinnen und
Der jMciistrtiationskonimcx
oq
noch nicht zu Teufeln geworden, die letzteren sind nicht so vollkommen
über die menschlichen Leidenschaften erhaben wie die Madonna, und von
beiden wird angenommen, daß sie verschiedene Äußerungsformen der einen
großen Muttergottheit sind. Die Göttin Kali gilt, wie wir gesehen haben,
als Göttin der Cholera, der Zerstörung und des Todes. Sie unterscheidet
sich trotzdem wenig von der anderen großen Muttergöttin, sie stellt nur
in ihrer besonderen Form den übelwollenden Aspekt der Mutter als Ver-
körperung von Haß und Ekel dar. Sie kennt keinerlei Scham. Sie schreckt
den Mann mit ihrer blutigen Vagina, sie kastriert ihn, tritt ihn mit Füßen,
demütigt ihn aufs äußerste und schlägt ihn mit Krankheiten. Mit anderen
Worten, sie ist das von dem Primitiven so gefürchtete menstruierende
Weib. Sie ist auch, wie schon erwähnt, die Beschützerin der Prostituierten;
auch diese sind schamlos und verbreiten Krankheiten. Sie ist die Schutz-
göttin der Diebe und derer, die das Gesetz übertreten, d. h. derer, die
ihre verbrecherischen Neigungen auf Kosten der Gesellschaft befriedigen.
Wie läßt sie sich mit den anderen großen Muttergöttinnen vergleichen?
Wir erinnern uns da an die Mythen von Attis und Cybele, von Adonis
und Aphrodite, von Isis und Osiris. Es gibt in der ganzen Welt zahllose
solche Mythen, die erzählen, wie ein Sohn, der Inzest beging, mit dem
Tode bestraft wird; es ist bemerkenswert, daß das sich meist im Frühling
abspielt. Warum der Mann gerade die Kastration durch die Mutter so
fürchtet, ist ein Punkt, in dem ich mich nicht festlegen möchte, obgleich
wir nachgewiesen haben, daß der primitive Haß gegen die Frau stark genug
ist, um eine erbliche Vergeltungsangst zu erklären, während anderseits
der männliche Protest der Frau sie dazu veranlaßt haben mag, männlichen
Kindern „im Spiel" zu drohen. Es ist sehr wohl bekannt, daß Frauen oft
„im Spiel" ihrem Kinde drohen, ihm den Penis abzuschneiden. Tatsächlich
werden solche Drohungen als Einschüchterungsmittel gegen die Mastur-
bation häufig angewandt. Die meisten Kinder bekommen irgendeinmal diese
Drohung zu hören. Die Erektion des Phallus ähnelt in den Charakteren
ihrer psychisch-teleologischen Bedeutung denen der Menstruation, denn
der Penis ist selbst ein Tabugegenstand, wie seine Verehrung bei späteren
Völkern bezeigt. Der Zustand der Erektion, obwohl primär ein Sinnbild
der Macht, ist wahrscheinlich später in einem gewissen Ausmaß für ebenso
„unrein angesehen worden wie das weibliche Organ; da er aber nicht von
blutigen Erscheinungen begleitet war, erregte er nicht in demselben Maße
Ekel und Widerwillen.
Die in vielen Teilen der Welt verbreiteten Menschenopfer für die Erd-
4o C. D. Daly
göttin und das Aussprengen von Menschenblut auf Getreidefeldern, hat
sicher eine Beziehung zum Menstrualblut. Denn obgleich das Menstrual-
blut später eine Abschreckung bedeutete, muß es letztlich doch sogar im
Unbewußten des Mannes mit der Schwängerung im Zusammenhang stehen.
Die Tatsache, daß die Männer dieser Stämme die Frau so verehrten und
fürchteten, daß sie sie gleichzeitig auf der einen Seite in jeder Hinsicht
erniedrigten und auf der anderen sie als eine Gottheit verehrten, genügt,
um den doppelten Zweck zu zeigen, den diese beiden Opfer aller Wahr-
scheinlichkeit nach zu erfüllen hatten, nämlich die Erde durch Blut und
Fleisch des Opfers fruchtbar zu machen und die Göttin durch Leid und
Tod zu besänftigen, weil sonst ihre unbefriedigten Begierden zum Verderben
des Mannes würden. Wir wissen, daß in höheren Religionen die Mutter-
göttin oft den Mann zum Geschlechtsverkehr verführt, einem nur kurz
dauernden Glück, da ihm bald der Tod des Mannes, entweder selbst auf-
erlegt oder als Kulthandlung, folgte. Unter einigen Völkern gilt das Inzest-
verbrechen als Ursache für die Vernichtung der Ernte des laufenden Jahres,
während auch schon Unzucht und Ehebruch die Ernte sehr verschlechtern.
Geheime Sünde verbittert die Erde. Noch heute bringt man schwere Kata-
strophen mit Verbrechen dieser Art in Zusammenhang. Die Opferung eines
Schweines ist eines der häufigsten Mittel, um eine Katastrophe abzuwenden,
die durch ein solches Verbrechen entstehen könnte. Typisch ist ja das
ambivalente Verhalten der Menschen dem Schweine gegenüber. Die diesem
Tier geltende Verehrung und Angst, die auf der ganzen Erde verbreitet
sind, sind in hohem Grade der assoziativen Verbindung mit Schmutz, Un-
reinheit, Diebstahl zuzuschreiben (früher war das wilde Schwein ein ge-
fährlicher Feind der Felder des Menschen), daher erinnert das Graben mit
der Schnauze in der Muttererde an den verbotenen Inzest. Es vereinigt die
Tabus von Mann und Frau, denn es ist — ähnlich wie die Frau — unrein
und in seinem symbolischen Inzestvergehen schamlos. Die Sünde des Ehe-
bruches und der Unzucht zerstört angeblich die Fruchtbarkeit des Landes ;
um sie wiederherzustellen, muß ein Schwein geschlachtet und sein Blut
der Erde dargebracht werden. 1
Wir können in den in Frage kommenden Tabuvorschriften den Ausdruck
der Furcht des Primitiven vor seinen Trieben sehen, die ihn dazu verführen
wollen, Inzest zu begehen, wenn er durch die physiologischen Anzeichen
der Bereitschaft der Frau in Versuchung geführt wird; er bemüht sich,
i) Siehe Frazer, Bd. II, „The Golden Bough«.
Der Mcnstmntionskomplcx ^i
dem dadurch geweckten Schuldgefühl zu entgehen, indem er die Frau als
Ursache alles Übels ansieht, denn die Reaktionen auf ihre Menstruation,
von der ja ursprünglich die Anziehung und die Versuchung ausgingen,
finden ihren Ausdruck in der Umwandlung der Gefühle in Schrecken, Wider-
willen, Ekel und Scham.
I
II
-M-enstruationstabu und Oexualnemmung
Vorbemerkung
Havelock Ellis stellt die Merkmale der sexuellen Zurückhaltung folgender-
maßen zusammen (1. c. S. 80):
„Unter den Merkmalen, die die Zurückhaltung ausmachen, haben wir
gefunden: l) Die primitive, auch bei Tieren zu beobachtende Ablehnung
männlicher sexueller Annäherungen durch das weibliche Wesen, das sich
nicht gerade in der Zeit befindet, in der sie die Annäherung des Mannes
wünscht ; 2) die Furcht vor aufsteigendem Ekel ; diese Furcht ist vorerst der
Nachbarschaft von sexuellem Zentrum und Exkretionsorganen zuzuschreiben,
deren Produkte auch meist für die Tiere nutzlos und ohne Lustbedeutung sind;
"}) die Furcht vor der magischen Wirkung sexueller Handlungen, und die
Zeremonien und rituellen Übungen, die ursprünglich auf diese Furcht
gegründet waren und später zu einfachen Sittengesetzen wurden, Zeichen
und Hüter der Zurückhaltung; 4) die Entwicklung von Schmuck und
Kleidung, die zu gleicher Zeit die sexuelle Zurückhaltung fördern, die die
männliche sexuelle Begierde zurückweist, und die Koketterie begünstigen,
die sie wieder lockt und anreizt; f) die Auffassung der Frau als Eigentum,
die ihrer affektiven Zurückhaltung, die bereits vorher auf natürliche und
primitive Tatsachen gegründet war, eine neue und gewichtige Berechtigung
verleiht."
Ich meine nun, daß eine Anzahl dieser Faktoren nicht länger mehr
haltbar ist in Anbetracht der hier von uns vertretenen Theorien über
primäre Faktoren der Triebhemmung, die von Ellis übersehen worden
Der Mcnstruationskomplex 43
sind. Wir wollen nun aus dem höchst wertvollen Sammelwerk über diesen
Gegenstand Auszüge machen und diese analytisch betrachten und kommen-
tieren. 1
Zurückhaltung, Widerwillen und /Scham
Havelock Ellis definiert das Schamgefühl als eine instinktive Furcht,
die zur Verheimlichung anreize, für gewöhnlich in den sexuellen Prozessen
ihren Mittelpunkt habe und, obwohl sie beiden Geschlechtern gleicherweise
zukomme, doch ausgesprochen feminin sei (S. 1). Er weist auf die
enorme Bedeutung der schamhaften Zurückhaltung für die Entstehung der
männlichen Leidenschaft hin und führt einige überaus scharfsinnige Beob-
achtungen Stendhals an: „Der Nutzen des Schamgefühls liegt darin, daß
es die Mutter der Liebe ist. Was den Mechanismus dieses Gefühls anlangt,
so ist er höchst einfach: Die Seele ist nun von einem Gefühl der Scham
erfüllt, anstatt von Begierde und Verlangen. Begierde ist verboten,
denn Begierde führt zur Tat" (S. 2).
Diese Definition zeigt meiner Ansicht nach auf Grund unserer Kenntnis
des Inzesttabus, daß der Primitive unter dem Antrieb der Furcht vor dem
als Strafe für den begangenen Inzest drohenden Tode, das Tabu der Men-
struation als Schutz einsetzte gegen seine eigenen Begierden zur Zeit seiner
größten Versuchung, während die Frau allmählich in Anbetracht ihrer
Unreinheit während der Perioden die Herrschaft des Mannes anerkannte
und während dieser Zeit ihres größten sexuellen Verlangens auf sich selbst
voller Scham blickte, besonders da die Befriedigung dieser Begierde für
den Mann den Tod bedeutete. Die Befriedigung mußte nun zwischen den
Menstruationsperioden gefunden werden. Das Gefühl der Scham als Folge
des nicht befriedigten Sexualtriebes bei beiden Geschlechtern und des Schuld-
gefühls beeinflußte allmählich das gesamte psychische Leben der primitiven
Gesellschaft. In unseren Kulturkreisen tritt sie nur mehr unter Umständen
1) Alles, was von besonderer Bedeutung für meine Theorie ist, wurde von mir
gesperrt, in einigen Fällen, in denen das Original gesperrt ist, wird dies besonders
bemerkt werden. Die Seitenzahlen, die sich auf Havelock Ellis beziehen, gelten,
wenn nicht anders bemerkt, für Bd. I seiner „Studies in the Psychology of Sex".
Bezugnahmen auf andere Werke werden in den Fußnoten angemerkt. — Der Autor
ist an der indischen Grenze stationiert, wo ihm eine einschlägige Bibliothek fehlt
und die Umstände es ihm nicht gestatten, andere als seine eigenen Bücher mit sich
zu führen. Die Leser werden die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, würdigen.
In dieser Position sind die Werke Havelock Ellis unschätzbar; hingegen bedauert
der Verfasser es sehr, sich nicht auf andere anerkannte Werke beziehen zu können.
I
44 C. D. Dalv
zutage, die bereits sehr weit von ihrer ursprünglichen Quelle entfernt
sind. Ellis führt Madame Celine Renvoy als Autorin einiger sehr treffender
Bemerkungen an, obgleich sie seiner Meinung nach falsche Schlüsse zieht,
indem sie primäre Tatsachen durch Rückführung auf sekundäre Faktoren
erklären will, die sich in Wahrheit erst während der Dauer der Entwick-
lung aus jenen gebildet haben. Sie schreibt: „Der Lauf der menschlichen
Entwicklung hat die Psychologie der Geschlechter ins Gegenteil verkehrt, in-
dem der Frau eine Konsequenz der männlichen Sexualität aufgezwungen wurde.
Hier liegt der Ursprung der konventionellen Lügen, die durch eine Art so-
zialer Suggestion die Frau eingeschüchtert und furchtsam gemacht haben. Sie
hat, wie sich endlich herausstellt, den Zwang zur Schamhaftig-
keit, den der Mann ihr auferlegt hat, angenommen, die Sitt-
samkeit, um derentwillen sie gepriesen wird, wird nur durch
Sitte und Gewohnheit stets von neuem angeregt und gefördert.
Sie bedeutet in Wahrheit einen Frevel an ihrem Geschlecht"
(S. 3 )-
Diese Autorin scheint unter dem Einfluß eines überstarken männlichen
Protestes zu arbeiten, wenn sich auch in einigen ihrer Bemerkungen eine
scharfe Intuition zeigt. Der letzte Teil des Zitats bestätigt meine Theorie,
daß das Schamgefühl auf eine bestimmte primäre Ursache zurückzuführen
ist, nämlich auf die Äußerungen des Schreckens, des Widerwillens
und des Ekels beim Manne.
Die Sittsamkeit ist also in sehr verschleierter Form eine Nachgiebigkeit
jenen Begierden gegenüber, die Inzestverbot und Sitte im Menschen ver-
borgen wissen wollen, eine Nachgiebigkeit, die aber die Angst durchblicken
läßt, erstens die Furcht vor den Konsequenzen und zweitens die Ungewiß-
heit, ob das Resultat einer Enthüllung Ekel und Widerwille (mit dahinter
verborgener Todesangst) oder eine Wertschätzung sein würde.
„Verlangen und Widerwillen vermengen sich in seltsamer Weise, wenn
man, selbst unbefriedigt, die Befriedigung eines anderen mit ansieht. Hier
sehen wir den Beginn des altruistischen Stadiums, das zwei Seiten hat:
die Furcht, Verlangen im anderen zu erwecken, und die Furcht,
Ekel zu erregen; in jedem Falle ist eine Vereinsamung das
Ergebnis". 1
Die Sittsamkeit scheint aus einem Wissen um die Quellen der ver-
botenen Anziehung zu entstehen, während die Schamhaftigkeit in der
j) Crawley: The Mystic Rose. S. 159.
- J ■ ■ - — ^"
Der Menstriiationstoinplcx j£
Furcht, Ekel zu erregen, ihren Ursprung hat. So sind sie beide, da ihre
letzte Ursache schließlich die gleiche ist, aufs innigste miteinander ver-
schmolzen. Gibt es einen Anblick, der mehr verlegen macht, als der einer
feinfühligen Frau, die unter den unkontrollierbaren Erschütterungen ihres
Unbewußten leidet, da Scham und Sittsamkeit all das zu verdrängen suchen,
was im Grunde natürlicher Ausdruck ihrer brennendsten Sehnsucht ist,
während sie mit der Furcht kämpft, sie könnte Mißfallen oder Abscheu
erregen, — und wie herrlich reizvoll kann sie dann plötzlich werden, wenn
diese Tabuvorstellung beiseite geschoben wird.
Die Frau muß unter einer schweren Demütigung als Folge des ihr vom
Manne auferlegten Menstruationstabus gelitten haben, von der sie sich nie
wieder erholt hat, während sie anderseits vielleicht auch aus den magischen
Kräften, die man ihrer sexuellen Anziehung zuschrieb, einige Vorteile ziehen
konnte, obgleich die meisten Frauen höchst willfährig, auf das Piedestal,
auf das sie wegen ihres magischen Einflusses erhoben worden sind, verzichten
würden; die normale Frau zeigt bei Gelegenheit sehr klar, daß sie lieber
als Frau, denn als Göttin behandelt zu werden wünscht.
Die Sittsamkeit scheint daher mit den magischen und religiösen Attributen
dieses Erscheinungsgebietes verknüpft zu sein, während die Scham wohl fast
ausschließlich mit dem Moment der Erregung von Abscheu zusammenhängt.
Professor Richet 1 unterstützt diese Annahmen desgleichen, wenn er (nach
Ellis. S. 47) den Schluß zieht, daß es das Gefährliche und das Nutz-
lose sei, was Widerwillen errege (im Original gesperrt). Aber diese beiden
Faktoren sind wohl im Grunde ein und dasselbe, da im Leben der Primi-
tiven das Nutzlose gefährlich ist, wie der Glaube an die Gefährlichkeit
alter Leute beweist, die nicht mehr jagen oder arbeiten können, oder
Kranker, die ebenfalls zur Arbeit unfähig sind und die Gesunden gefährden
sollen.
Havelock Ellis gibt eine lange Reihe von Zitaten aus verschiedenen
Werken an, die auf die Sittsamkeit bei den Primitiven und unter den
modernen Völkern Bezug haben. Für uns ist dabei bemerkenswert, daß in
nahezu allen diesen Werken eine Bezugnahme auf die Menstruationsperioden
der Frau fehlt, da fast das ganze Interesse der modernen Forschung auf die
Zusammenhänge von Sittsamkeit und Nacktheit u. dgl. konzentriert ist.
Ziehen wir einige der wenigen Ausführungen in Betracht, in denen
dennoch die Menstruation erwähnt wird: „Die Manduricu-Frauen Brasiliens
1) G. Richet: Les causes du Degout. L'homme de l'intelligence.
46 C. D. Daly
sind vollständig nackt, aber sie vermeiden jede unschickliche Haltung, so
daß es ganz unmöglich ist, zu bemerken, wann sie menstruiert sind."'
Diese Bemerkung ist nicht von Bedeutung, da die Frauen stets darauf
achten, sich in dieser Zeit keine Blöße zu geben.
Eine Autorin bemerkt hinsichtlich der Menstruation, daß die Masai und
andere ostafrikanische Stämme die größte Zurückhaltung beobachten und
fast mehr als sittsam sind. 2 Diese Bemerkung hat mehr Bezug auf
unseren Gegenstand, besonders die Beobachtung, daß sie „mehr als sitt-
sam sind".
Unter etwa hundert Zitaten wird nur in diesen beiden Fällen die Men-
struation überhaupt erwähnt. Wüßten wir nicht, daß die ganze Frage der
Menstruation auch heute noch tabu ist, wäre diese Tatsache wohl recht
verwunderlich. Eine besonders prägnante Bemerkung aus der Feder eines
geschulten und klugen Beobachters bestätigt dies. Ellis sagt von diesem
Autor (S. 55), er beweise, daß „jedes Gefühl des Widerwillens, das von einer
Frau ausgeht, notwendigerweise immer die Gegend ihres Schoßes zum
eigentlichen Inhalt hat. Er schließt daraus, daß diese Gegend am meisten
tabu ist und daß in diesem Tabu der Ursprung der Sittsamkeit liege".
„Die Geschlechtsorgane mußten schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt
verhüllt werden, um zu vermeiden, daß die Gefahr, die von ihnen
ausströmt, die Umgebung schädige. Die Verhüllung ist ein Mittel,
magische Einwirkungen zu verhindern. Die Verhüllung wurde dann einmal
eingerichtet, beibehalten und umgeformt. 3
Die Sitte, das Antlitz zu verhüllen, kann nun nach Dürkheims Fest-
stellungen über den Zweck der Genitalverhüllung als Verschiebung von
unten nach oben aufgefaßt werden. Die Singalesen-Frauen glauben, daß sie
die Vulva verhüllt halten müssen, damit die Dämonen keinen Verkehr mit
ihnen haben können (S. 56). Es besteht also kaum ein Zweifel, daß das
Verhüllen im Grunde eine Vorsichtsmaßregel ist, die in Zusammenhang
mit dem Tabu entstand, und deren Funktion es war, die von den weib-
lichen Genitalien ausgehende Inzestversuchung zu verdecken. 4 Später wurde
die Verhüllung in verschiedene Zeremonien und Riten und in zahlreiche
1) Tocantins, zitiert von Mantegazza. Fisiologia della Donna, cap. 9 (p. 12).
2) Mrs. Frence-Sheldon: Journal of the Anthropological Institute. 1894, p. 382.
3) Dürkheim: La Prohibition de l'inceste. L'annee sociologique 1898, S. 50.
4) Die Frauen, die ihre Genitalien verhüllen, verfolgen damit offenbar einen
doppelten Zweck: Einmal wollen sie das Entweichen der dort zentrierten magischen
Kräfte verhindern, um sie für sich zu behalten, dann wollen sie aber auch die andern
vor dem Übel bewahren, dessen Opfer sie selbst schon geworden sind.
Der Meiistruationskoniplcx i-
magisch-religiöse Gebräuche aufgenommen, — so verhüllten die Leute sich
beispielsweise, um sich vor dem bösen Blick zu schützen u. dgl. Das Ver-
hüllen entspricht also in seiner eigentlichen Bedeutung einer Vorsichts-
maßregel gegen Gefahr; daß es später auch zur Quelle sexueller Anziehung
wurde, können wir in gewissem Sinne der Abschwächung des Tabu zu-
schreiben, denn hinter der Furcht lag ja immer der verdrängte Wunsch
bereit, sich wieder geltend zu machen, sobald die Gefahr nachließ. Diese
Bemerkungen beziehen sich bereits allgemein auf die Frage der Kleidung,
die wir hier kurz besprechen wollen.
Ellis weist (S. 55) daraufhin, daß auf einer frühen Kulturstufe „die Men-
struation als ein Beinigungsprozeß, als ein gefährlicher Ausfluß schlechter
Säfte angesehen wurde. Daher nannten die alten Hellenen die Menstruation
auch ,Beinigung"\ Mit Hilfe unserer neuen Theorie ist es für uns nicht
allzu schwierig zu verstehen, wie es dazu kam. Ellis führt auch das
mosaische Gesetz an, das besagt: „Wenn ein Mann ein menstruierendes
Weib enthüllt, dann werden sie beide zugrunde gehen." (Leviticus, Kap. XX.
V. 18.) Hieraus ist zu ersehen, daß ein Verstoß gegen das Tabu mit den
schwersten Strafen geahndet wurde. In den Kastrationsdrohungen der Mütter
oder Ammen gegenüber dem mit dem Genitale spielenden Kind ist das gleiche
Prinzip noch heute wirksam.
Ellis meint, daß die Sittsamkeit weit eher sozialen als sexuellen Ursprungs
sei (S. 56). Ich glaube jedoch zeigen zu können, daß diese beiden Faktoren
sich nicht so leicht voneinander trennen lassen. Ich möchte die Sittsamkeit
als Beaktion auf den Menstruationskomplex auffassen, der seinerseits aus
der Inzestschranke entstanden ist.
Ellis sagt, indem er Prof. Starbook (Psychology of Beligion, Kap. XXX)
zitiert: „Man kann wohl sagen, daß die volle Entwicklung der
Sittsamkeit erst zur Zeit der Pubertät statthat", obwohl er zugibt,
daß die Sittsamkeit ein einfaches und primitives affektives Element ist. Ich
glaube, daß er im Irrtum ist, wenn er annimmt, daß die sexuelle Zurück-
weisung, die beispielsweise eine nicht brünstige Hündin einem Hund zuteil
werden läßt, psychologisch der menschlichen Sittsamkeit entspricht, deren
klassisches Beispiel die Venus von Medici darstellt, die das Becken zurück-
zieht, mit der einen Hand die Schamgegend und mit der anderen die Brüste
schützt. Ellis hält das für äquivalent, denn er meint: „Das wesentliche
Moment ist in jedem Falle die Verteidigung der Genitalgegend gegen eine
unerwünschte männliche Annäherung" (S. 38). Die Hündin versagt sich
allerdings, weil sie sich nicht im Stadium der Bezeptivität befindet. Die
4 8 C. D. Daly
primitive Frau hingegen versagt sich genau aus dem gegenteiligen Grunde,
denn sie versagt sich gerade im Stadium der Empfänglichkeit, weil sie be-
fürchtet, daß ihre sexuellen Reize den Mann zu Handlungen hinreißen
würden, die sie beide der Grausamkeit des Inzestgesetzes ausliefern müßten.
Diese Angst ist der Ursprung der Sittsamkeit. Ellis betont selbst an anderer
Stelle seiner Studien, daß die Zurückhaltung der Frau im Manne eine Leiden-
schaft auslöst; aber wie sollte das möglich sein, wenn seine ererbten Triebe
ihm zeigen müßten, daß die sich versagende Frau sich nicht im Stadium
der Empfänglichkeit befand?
Ich stimme also mit Ellis darin überein, daß die sexuelle Sittsamkeit
in der sexuellen Periodizität der Frau wurzle (S. 39), nicht aber darin, daß
sie „ein unwillkürlicher Ausdruck für die organische Tatsache
sei, daß für die Liebe die Zeit nicht da wäre" (S. 59). Er meint ja
in seinen Studien, daß die Brunst der Tiere der Periodizität der Frau ent-
spreche. Er unterstützt seine Meinung, indem er die Frage nach der
Koketterie unter den weiblichen Tieren aufwirft, deren die Weibchen sich
bedienen, um die Männchen in die größte sexuelle Erregung zu versetzen.
Aber irrt er nicht auch hier, wenn er meint, daß Koketterie dasselbe sei
wie sittsame Zurückhaltung? Die Koketterie ist viel älter und mächtiger als
diese. Wenn er jedoch Koketterie und sittliche Zurückhaltung als gleich an-
sieht, dann hätte ja die Zurückhaltung während der Perioden eben zu be-
deuten, daß gerade jetzt die Zeit gekommen sei! Sie würde für den Mann
nicht Versagung, sondern Ermutigung bedeuten. Auch legt die moderne Frau
für gewöhnlich außerhalb ihrer Perioden eine weit größere Neigung zur
Koketterie an den Tag, als während dieser Zeit; während dieser Zeit neigt
sie vielmehr zu Depressionen und schämt sich ihres Zustandes.
Ellis führt die Koketterie auf den Faktor der sexuellen sittlichen Zurück-
haltung zurück und führt zahlreiche andere Autoren an, die ähnlicher An-
sicht sind. Ich möchte diesen Zusammenhang umkehren. Die sitt-
liche Zurückhaltung hat ein Element der Scham in sich, wohingegen die
Koketterie bei den Tieren nichts damit zu tun hat, vielmehr eine Form
der Ermutigung durch Versagung und Verzögerung darstellt. Ellis zieht
auch Montaignes Meinung über die jungfräuliche Sittsamkeit heran. „Was
ist der Zweck dieser jungfräulichen Scham, jener gelassenen Kälte, jenes
strengen Verhaltens, wenn das alles in uns nicht den Wunsch nach Er-
oberung und Unterwerfung stärken sollte?" (S. 42.) Ellis benutzt hier
dasselbe Argument, mit dem er vorher bewies, daß die Zeit nicht gekommen
sei, um nun nachzuweisen, daß sie gekommen sei.
Der Meii.struationskomplcx 4^
Ich möchte betonen, daß für den Psychologen die Frage, ob die Men-
struation dem Oestrum oder dem Praeoestrum der Tiere entspreche, nicht
bedeutungsvoll ist. Denn auch das Praeoestrum ist für das männliche Tier
auf jeden Fall ein Zeichen, daß die Zeit, in der seine Begierden befriedigt
werden sollen, sich nähert, und ein Mittel, seine Erregung aufs höchste
zu steigern. 1
Die Sittlichkeit entsteht also aus Zweifeln darüber, wie der Partner sich
verhalten werde; sie wird, worauf zahlreiche Autoren bereits hingewiesen
haben, angelegt wie eine Hülle und wieder abgelegt, sobald der Träger
merkt, daß der Partner das nicht mißbilligt.
Ellis zitiert in diesem Zusammenhang Chaucers „Wife of ßath's
Prologue" (S. 50):
„He sayde, an woman cast her shame aiuay
When she cast of her smock."
Er sagt: „Es ist natürlich unmöglich, aus der Tatsache, daß die Scham-
gegend des Körpers das Hauptobjekt der Geheimnistuerei ist, die Bedeutung
dieses Faktors der Sittlichkeit nachzuweisen.'' Er fügt hinzu: „Wohl kann
man aber sagen, daß der Schamgegend diese Rolle nicht nur deshalb zu-
kommt, weil sie der Sitz der Exkretionsfunktionen ist" (S. 51). Diese be-
deutsame Frage verlangt eine Lösung. Es steht fest, daß heute die meisten
Menschen die Nachbarschaft von Anus und Vagina als eine Ursache ihrer
Sexualhemmungen ansehen, und Traumanalysen zeigen, daß dieser Konflikt
allgemein verbreitet ist. Aber das kleine Kind empfindet den Anus jedenfalls
nicht als abstoßend, und ich bezweifle, daß die Kinder der Primitiven ihn
so empfunden haben.
Es ist anzunehmen, daß gerade das Gegenteil zutreffend ist, und
daß der Anus ursprünglich seiner Nachbarschaft zurVagina wegen
ekelerregend wurde; denn der größte Schrecken und Widerwillen
des Mannes galt ursprünglich der Menstruation. Derselbe Umstand
spielt wohl eine Rolle bei der Verdrängung der Analerotik und der Riech-
lust beim Manne. Die umgekehrte Ansicht hat möglicherweise ihren Grund
im Unbewußten der Autoren. Wenn man den Ekel den Tatsachen ent-
sprechend auf die Vagina bezogen hätte, so hätte das dank der Verdrän-
1) Heape unterscheidet zwischen dem Praeoestrum oder der Periode der Kongestion
bei weiblichen Tieren und dem unmittelbar darauffolgenden Oestrum, der Periode
des Verlangens. Bei den niederen Tieren findet unter allen Umständen der sexuelle
Verkehr nur während des Oestrums statt und nicht während des Praeoestrums. —
W. Heape: The Sexual Season of Mammals. Zitiert von H. Ellis, op. cit., Bd. II, S. 26.
Daly: Der Menstruationskotnplex. +
5o C. D. Daly
gung einen schweren Konflikt hervorgerufen. Deshalb wurde der Ur-
sprung des Widerwillens auf die Analgegend bezogen, die eine
geringere sexuelle Anziehungskraft hat und damit weniger
gefährlich ist.
Havelock Ell is ist der Meinung, daß „die soziale Angst der Menschen,
sie könnten Abscheu erregen, sich auf dieser animalischen Basis entwickelt
hat" (S. 50). Ich persönlich glaube, daß Lombroso und Ferrero, die er
in einer Fußnote zitiert, der richtigen Lösung weit näher gekommen sind.
Er sagt, daß sie pudor von puderi herleiten, d. h. von dem Widerwillen,
der durch die sich zersetzenden Vaginalsekrete hervorgerufen wird; man
muß dabei beachten, daß die Furcht, Ekel zu erregen, bei den
Frauen der Primitiven das einzige Motiv der sittlichen Zurück-
haltung ist, wie sie auch noch heute unter den Prostituierten die ein-
zige Form der Scham bildet (S. 52). (LaDonna Delinquenta, S. 540.) Durgas
ruft aus: „Welche Gefahr bringt doch die Aufdeckung der sonst geheimen
Begleiterscheinungen der Liebe mit sich! Es drohen Desillusionierung,
Widerwille, das Bewußtwerden von physischen Unvollkommenheiten, von
Brutalität und Kälte, Entzauberung ästhetischer Erwartungen, eine empfind-
liche Erschütterung, die wahrgenommen oder nur geahnt werden. Um ohne
sittliche Zurückhaltung zu sein. d. h. keine Furcht vor der Feuerprobe
der Liebe zu haben, muß man seiner selbst ganz sicher sein . . . Nehmen
wir also an, daß die sittliche Zurückhaltung auf ein ästhetisches Unbe-
hagen zurückzuführen sei, auf die Furcht der Frau, nicht zu gefallen, oder
nicht schön genug zu erscheinen" (S. 52). Wir können mit der größten
Wahrscheinlichkeit weiterschließen, daß diese Furcht der Frauen, nicht
schön genug zu sein, die Folge des Schreckens ist, von dem der Mann be-
fallen wurde, als ihm nach Errichtung des Menstruationstabus das gezeigt
wurde, was einst der Hauptreiz der weiblichen Schönheit und Anziehung
war, so unbegreiflich uns das auch heute scheinen mag.
Ich beabsichtige nicht, mich hier näher mit der Wandlung des Schön-
heitsbegriffes und mit der Ausdehnung der Sittsamkeit zu befassen, die
mit dieser Wandlung Hand in Hand gegangen ist. Ein solches Unterfangen
überschritte die Grenzen dieser Schrift. Ein Hinweis darauf wurde bereits
in der ersten dieser Studien gegeben, als die Entwicklung des künstlerischen
Ausdrucks gestreift wurde. 1
1) Ich befasse mich hier nur mit den primären Fakten und beschränke mich
darauf, genügend Beweise für meine Theorie beizubringen. Um den kritischen Ein-
Der -Meiistruntioiiskoinplcx
Ellis hat beobachtet, daß „die Moden der weiblichen Kleidung den
doppelten Zweck der Verhüllung und der Anziehung haben, wie übrigens
auch zuweilen der Gebrauch von Parfüms". Ebenso verhält es sich mit
dem kleinen Schurzfell der primitiven Schönen (S. 59). Die Erhöhung
der Anziehung ist in der Tat eine durchaus logische Folge der
Furcht, Ekel zu erregen (S. 5g). Sollte darin das einzige Motiv für
die weibliche Freude am Schmuck liegen, so können wir damit höchst-
wahrscheinlich auch die Entstehung dieser Freude am Schmuck auf die
Schwächung der weiblichen Anziehungskraft und Schönheit zurückführen,
die das Menstruationstabu mit sich gebracht hat. So kam es, daß die Frau
sich mehr an Schmuck und Zierat freut als der Mann.
Zahlreiche Autoren haben Beweise dafür gesammelt, daß der ursprüng-
liche Zweck der Kleidung nicht die Verhüllung, sondern der Schmuck des
Körpers war; aber dieses Beweismaterial ist nicht sehr belangvoll, wie man
leicht erkennen kann, wenn man bedenkt, daß von zehn Autoren, die so viel
Material über diesen Gegenstand sammelten, neun einen so bedeutenden
Faktor im Leben der Frau, wie die Menstruation, nicht einmal erwähnen.
Aber selbst die wenigen, die sie erwähnen, scheinen ungenügend informiert,
da man ihnen über dieses Phänomen, das streng tabu war, wahrscheinlich
allzuwenig mitgeteilt hat. Sie verweisen auf das Tätowieren der Geschlechts-
organe, auf den Gebrauch von Perlenschmuck u. dgl., weiterhin noch auf die
zahlreichen Belege dafür, daß, wenn irgendeine Verhüllung der Genitalien
stattfand, sie nur den Zweck hatte, anzuziehen und die Aufmerksamkeit
zu wecken und nicht zu verbergen. Ohne Zweifel hatten sie recht, wenn sie
annahmen, daß das Schmücken der Genitalien den sexuellen Reiz nur erhöhe.
Aber es ist auch zu sagen, daß die Frauen während der Menstruations-
perioden oft vollkommen in Kleider eingehüllt und jedem Blick völlig
entzogen werden. Da aber die Frauen der Primitiven gerade in dieser Zeit
gewöhnlich überhaupt nicht zu sehen sind und sie und ihre Männer
von selbst nicht davon sprechen, können wir verstehen, wieso es kam, daß
von den Autoren das größere Gewicht auf Schaustellung und Schmuck
gelegt wurde, die der Beobachtung leichter zugänglich waren und die die
Leute jederzeit stolz zu zeigen und zu besprechen bereit waren. Außerdem
ist noch zu sagen, daß in Ländern, in denen sonst Nacktheit ohne Scham
wand der Einseitigkeit zu verhindern, muß ich feststellen, daß ich wohl weiß,
daß der männliche Exhibitionismus in der Hervorbringung der in
Frage stehenden Faktoren eine Rolle gespielt hat. Ich hoffe, diese Seite
der Frage in einer späteren Veröffentlichung vollständiger behandeln KU können.
4*
5 2 C. D. Daly
ganz allgemein ist, ausnahmsweise getragene Kleider den Körper sicher
bedecken und verhüllen und nicht enthüllen sollen.
Ich möchte also annehmen, daß die Kleider möglicherweise ursprünglich
getragen wurden, um die Tatsache der Menstruation zu verbergen,
und daß gewisse Parfüms demselben Zweck dienten, daß aber, als die
Frauen merkten, daß die Kleider einen Anreiz bildeten, sie zur Zeit, da sie
nicht tabu waren, Kleider und Parfüms weitergebrauchten, jetzt aber, um
ihr Objekt anzulocken. In frühester Zeit verbargen die Frauen ihre Ge-
schlechtsteile wahrscheinlich soweit als möglich (wie die Primitiven es
noch heute tun), dann aber, sobald sie nicht mehr der Menstruation wegen
abgeschlossen waren, verfielen sie wohl in das entgegengesetzte Extrem,
schmückten ihre Genitalien und benutzten Parfüms, um sich in den Augen
ihrer Männer anziehend zu machen. Damit hängt es auch zusammen, daß
viele Frauen, die sich nicht scheuen, vor dem Manne nackt zu erscheinen,
doch eine außerordentliche Scheu davor haben, sich in Gegenwart von
Männern zu entkleiden. Denn wenn die Kleidung einst benutzt wurde,
um die unausprechliche Schande der blutigen Genitalien zu verbergen,
dann verstehen wir, daß diese Ängstlichkeit der Möglichkeit gilt, vom
Manne gesehen zu werden, wenn sie ihre Kleider ablegen, ehe sie sich
nach der Abschließung gewaschen haben. Und wenn die Frauen später
ihr Möglichstes taten, um sich auf einem primitiven Wege dem stärkeren
Geschlecht gefallig zu zeigen, dann mag der Mann im Zurückblicken seine
Sympathie auf sie ausgedehnt, im Vorwärtsblicken aber erkannt haben,
daß viele der Züge, die ihm an der Frau mißfallen, eben durch ihn selbst
der Frau aufgezwungen worden sind.
Wir dürfen nicht übersehen, daß das Entkleidetwerden immer eine
Demütigung bedeutet, mag es sich nun um den Schurz und anderen
Schmuck der Primitiven, oder um die Kleidung des modernen Europäers
handeln. Ellis sagt darüber: „Das war schon so zu Zeiten des Homer;
erinnern wir uns doch an Odysseus' Drohung, den Theyester zu ent-
kleiden.
Es ist interessant zu bemerken, daß, wenn immer die Frage der Sitt-
samkeit und Keuschheit in Verbindung mit der Auffassung diskutiert wird,
die Frau sei Eigentum ihres Mannes, d. h. wenn der Gegenstand weit
genug von dem gefürchteten Menstruationskomplex abgerückt
ist, daß dann einige Autoren, Ellis eingeschlossen, die Sache
vollkommen richtig ansehen. Ellis sagt diesbezüglich: „Diese Sittsam-
keit ist der Frau so streng auferlegt worden, damit der Mann vor Ver-
Der Aieiistruationskomplex 53
suchung bewahrt bleibt" (S. 64), während Hinton, den er zitiert, so weit
geht, zu meinen, die körperliche Zurückhaltung sei der Frau vom Manne
zum Zweck der Erhaltung seiner eigenen Kraft und Tugend auferlegt
worden. Mit diesen Feststellungen stimme ich überein. — Sodann dis-
kutiert Ellis die Sprache in ihrem Zusammenhang mit der Sittlichkeit
und hier werden wir weitere Bestätigungen für den Menstruationskomplex
finden.
Wie man aus der frühen realistischen dramatischen Literatur verschie-
dener Länder ersehen kann, bestand in Europa bis zum 17. Jahrhundert
unter dem Volk keine besondere Abneigung gegen eine offene Ausdrucks-
weise in sexuellen Angelegenheiten. Von dieser Regel findet sich nur eine
bemerkenswerte Ausnahme. Es existierte eine solche Abneigung ganz deut-
lich im Hinblick auf die Menstruation. Es ist nicht schwer zu verstehen,
warum eine solche Scheu gerade bei dieser Funktion eingesetzt hat. Wir
haben hier nicht nur eine Funktion, die auf nur ein Geschlecht beschränkt
ist, und für die eine Bezeichnung sich daher auch leicht nur im Wort-
schatz dieses Geschlechtes finden mag; sondern, was wichtiger ist, ein
Glaube, der schon bei den Römern und überall sonst in der Welt bestand,
hat sich auch das ganze Mittelalter hindurch erhalten. 1 Die Bezeichnung
menses" (Monate) ist ein Euphemismus, die meisten alten wissenschaft-
lichen Bezeichnungen für diese Funktion sind in ähnlicher Weise um-
schreibend. Was die populäre Ausdrucksweise der Frauen vor dem 1.8. Jahr-
hundert angeht, so gibt Sc hur ig darüber weitgehende Auskünfte. 2 Er
bemerkt, daß sowohl' in den lateinischen wie auch in den germanischen
Ländern die Menstruation gewöhnlich mit einem Terminus bezeichnet
wurde, der etwa dem Ausdruck „Blumen" gleichkommt. Die Menstruation
ist ja tatsächlich ein Blühen, das die Möglichkeit einer späteren Frucht
anzeigt. Die deutschen Bauernfrauen haben dafür die Bezeichnung „Rosen-
kranz" (S. 68).
Bezüglich der Erklärung der für „Menstruation" gebräuchlichen Aus-
drücke möchte ich bemerken :
Blumen und Rosenkranz: Diese beiden Bezeichnungen ersetzen die
verabscheute Vorstellung durch eine angenehme. Die unangenehm ge-
wordenen Vorstellungen der Periode werden verhüllt, aber die ursprüng-
lichen anziehenden Elemente (Gesichts- und Geruchsreize) verraten sich
1) Siehe z.B. Ploß und Bartels: Das Weib. Bd. I, XIV. Auch H. Ellis: Man and
Woman. 4. Aufl., Kap. XI.
2) Parthenologia 1729, S. 27 fr.
54 CD. Daly
noch in der Wahl der Ersatzvorstellung (schöne und wohlriechende Blumen) •
auch das Anzeichen, daß die Möglichkeit der Geburt da sei, wird bei-
behalten (Blüte!).'
Genau denselben Mechanismus kann man in Träumen beobachten, in
denen die menstruierende Vagina durch Blumen sj'mbolisiert wird. Ähn-
liche Symbolik findet sich im Hinduismus, — so Smaret Prathna, Pushpinin,
wörtlich „als hätte sie die erste Blüte".
Das Erröten
Mit dem Phänomen des Errötens sind Sittsamkeit, Scham, Schüchtern-
heit, Furchtsamkeit und Verwirrung eng verknüpft. Partridge sagt: „Aller
Augenschein zeigt, daß der seelische Zustand des Errötenden eine Art Furcht
ist. Das Vorhandensein von manifester Angst, von Herzklopfen, Neigung
zur Flucht und zum Verstecken, innerer Erschütterung, all dies bestätigt
diese Anschauung." Auch Medinaud 2 stellt fest, daß das Erröten stets mit
der Furcht in Zusammenhang steht, — daß der Errötende etwas zu ver-
hüllen hat, von dem er fürchtet, es könnte entdeckt werden (S. 62).
Ellis sagt, „man habe nachzuweisen versucht, daß das Erröten der letzte
Überrest einer allgemeinen krankhaften sexuellen Reizbarkeit
sei, aus der die Scham entsprang" (S. 73). Diese Feststellung stimmt mit
meiner eigenen Ansicht überein, und es ist wahrscheinlich, daß das Er-
röten sich ursprünglich hauptsächlich an den Geschlechtsorganen abgespielt
hatte und in engem Zusammenhang mit der Tumeszenz steht.3
1) Eine bekannte englische Schauspielerin erhielt einst beim Verlassen der Bühne
einen Blumenstrauß. Ein bekannter Komiker betrat nun die Szene und sein Erscheinen
wurde mit großen Ovationen begrüßt, worauf er sagte: „Sie ist mit den Blumen
davongegangen, und „I haue come on with the clap" (clap = Applaus, aber aucli vulgärer
Ausdruck für Gonorrhöe - ). Man hat mir gesagt, daß dieser Scherz eines der größten
Gelächter hervorgerufen hat, die London je gehört hat. Die psychologische Bedeutung
dieses Scherzes ist nicht zu übersehen; ganz abgesehen davon, daß eine schöne Frau
bloßgestellt worden war, als sähe man ihr die blutige Ausscheidung an, die sie doch
zu verbergen bemüht sein würde, und daß ein Mann offen zugab, an einer Geschlechts-
krankheit zu leiden, die allgemein gefürchtet und verheimlicht wird, findet sich noch
eine tiefere Bedeutung in der Beziehung zwischen der Periode und der Ansteckung,
die hier in nahen Zusammenhang zueinander gebracht werden und zu der Tatsache,
daß nur ein paar Sekunden zwischen beiden Ereignissen vergangen waren.
2) Pourquoi rougit-on? Bevue des deux mondes, Octobre 1895. Zitiert von H. Ellis.
5) Das erste Zeichen des Praeoestrums, das bei den niederen Säugetieren zu bemerken
ist, ist Schwellung und gesteigerter Turgor der Vulva, sodann Ruhelosigkeit, Er-
regbarkeit und Unbehagen. Zahlreiche Affenarten weisen einen Blutandrang im
Der Meiistruntioiiskomplcx
Stanley Hall scheint ebenfalls Ansichten zu haben, die mit meiner
Theorie über den Ursprung der Scham übereinstimmen; aber immerhin
führt er sie nicht auf das Menstruationstabu zurück. Er wird von Ellis
wie folgt zitiert: „Hall scheint anzunehmen, daß das sexuelle Erröten
vikariierend für eine genitale Blutüberflutung eintrete, die von der genitalen
Sphäre durch eine Furchtregung abgelenkt worden ist, wie auch beispiels-
weise das Gekicher der Mädchen sehr oft einer Schamregung entspricht;
das sexuelle Erröten wäre somit die Auswirkung einer archaischen Sexual-
furcht; daß das Erröten ein Lustelement enthält, entspricht dem Umstand,
daß es ein Abkömmling der sexuellen Reizbarkeit ist. 1
Ellis zitiert eine Stelle aus einem Brief, den er erhielt: „Glauben Sie
nicht, daß das schamhafte Erröten letzten Endes wirklich ebenso wie die
Erektion nicht im Grunde ein vasomotorischer Entspannungseffekt ist? Das
Unbehagen des Errötens entsteht, wenn diese vasomotorische Reaktion unter
Umständen wahrgenommen wird, die im Augenblick als unpassend emp-
funden werden. Wahrscheinlich entsteht dann Furcht, Mißfallen zu er-
regen, wenn man seine unangebrachte Erregung merkte. Bekannt ist das
Erröten junger Mädchen, wenn sie mit Komplimenten überhäuft werden.
Dieses Erröten scheint von einem Lustgefühl begleitet zu sein, das nicht
in Furcht oder Widerwillen umschlägt, sondern als reizvoll empfunden
wird. Wenn es doch unbehaglich wird, so drücken das die Frauen meistens
aus: „das sieht ja so aus, als könnte ich mich nicht beherrschen." Wird
solche Selbstbeherrschung überflüssig, so hört die Angst auf, so daß sich
Gesicht und in den Brustwarzen auf, auch in den Hinterbacken, den Oberschenkeln
und den benachbarten Körperteilen; zuweilen sind diese in bemerkenswerter Weise
angeschwollen. Bei einigen Arten zeigt ein gelegentlich sogar außerordentliches An-
schwellen der zarten Gewebe um den Anus und die Vagina das Fortschreiten des
Praeoestrums an. Im Uterus folgt während des Praeoestrums einer Proliferation des
Stromas rasch eine Proliferation der Gefäße des Stromas. Das Ganze erhält eine
stärkere Blutzufuhr, die Oberfläche ist gerötet und in hohem Maße gefäßreich. Der
Prozeß schreitet vor, bis das ganze innere Stroma gespannt und stark injiziert ist. —
Die Menstruation der Frau ist in allen wesentlichen Punkten mit der des Affen
identisch.
W. Heape: The Sexual Season of Mammals, wie zitiert von H. Ellis, op. cit. III.
S. 26. Ellis sagt: „Diese Beschreibung zeigt ganz klar den fundamentalen vaskulären
Charakter des Prozesses, den ich Tumeszenz genannt habe. Es muß jedoch hinzu-
gefugt werden, daß die nervösen Elemente im Menschen in diesem Prozeß
mehr in Erscheinung treten und diese primitiven Äußerungen mehr oder weniger
verwischen. (Von mir gesperrt, da die Bemerkung für die hier vorgetragenen Theorien
von Bedeutung ist.) Ellis bezieht sich noch auf Heapes Feststellung, daß bei den
Tieren, die menstruiert sind, der Koitus immer nach der Menstruation statthat.
1) Stanley Hall: „A Study of fears." American Journal of Psychology 1897.
56 C. D. Daly
dem vasomotorischen Effekt ein weiteres Gebiet eröffnet und eine allgemeinere
Durchblutung entsteht infolge einer Anregung der spinalen sexuellen Zentren.
So scheint ein solches Erröten ein sexuelles Äquivalent zu sein, das andere
sexuelle Erscheinungen verhindern kann, sowohl indem es vor ihnen warnt
und Angst erzeugt, als auch indem es selbst ein bequemes Ventil für die
vasomotorische Erregung bildet. Wenn die Beziehungen der Beteiligten
eine ungezwungene ist, wie zum Beispiel in der Ehe, dann findet sich das
Erröten nicht so oft, noch ist es immer eine Folge von Angst (S. 74).
Hingegen schreibt Ellis: „Die Bedeutung des Errötens und der da-
hinter verborgenen Affektstörung als Zeichen der Schamhaftigkeit erweist
sich an der Tatsache, daß es möglich ist, durch Beschwichtigung der Affekt-
störung das Gefühl der Scham zu unterbinden. Mit anderen Worten, wir
haben es hier mit einer Angst zu tun, und zwar in weitem Ausmaß mit
Sexualangst, die verborgen bleiben möchte und die Aufmerksamkeit der
anderen fürchtet. Diese Angst verschwindet natürlich, sogar wenn ihre
augenscheinliche Ursache bestehen bleibt, sobald es offenbar wird, daß kein
Grund für Angst vorhanden ist" (S. 75).
In diesem Kapitel über das Erröten, in dem weder von Ellis noch
von einem der zahlreichen zitierten Autoren der Menstruation
Erwähnung getan worden ist, gelangen dennoch sowohl Ellis als auch
manche der anderen Autoren zu Schlüssen, die den meinen weitgehend
entsprechen. Ich halte das für eine bedeutsame Tatsache und meine, daß
die Autoren zu ganz korrekten Schlußfolgerungen gelangen, solange es sich
nicht um die Menstruation handelt, bei der das Tabu, das auf der ganzen
Menschheit ruht, auch die Verfasser hemmt, so daß sie, wenn im unter-
suchten Material eine Verbindung mit der Menstruation auftaucht, oftmals
der Wahrheit völlig blind gegenüberstehen.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der Menstruationskomplex an
der Wurzel von Zwang und Zweifel liegt, die in der menschlichen Xatur
und in pathologischen Formen in der Zwangsneurose ganz alltäglich sind.
Oft habe ich bemerkt, daß viele Menschen, wenn man mit ihnen auf Dinge
zu sprechen kommt, die die Menstruation betreffen, Zwang und Zweifel
produzieren, und dies kann nirgends besser beobachtet werden als bei den
persönlichen Hemmungen des Autors jenes unschätzbaren Sammelwerkes, dem
ich das Material für die vorliegende Arbeit verdanke. Der Verfasser wendet
sich, wenn er sich den zentralen Faktoren genähert hat, immer wieder von
ihnen ab und leugnet ihre primäre Bedeutung. Wie nahe kommt er z. B. im
Folgenden der korrekten Lösung: „Ein anderer Faktor der Sittsamkeit, der
Der M-cnstruatioiiskoinpIcx 5/
im primitiven Seelenleben zu hoher Entwicklung gelangt, ist das rituelle
Element, vor allem die Vorstellung von der zeremoniellen Unreinheit, die
der Furcht vor den übernatürlichen Einflüssen entspricht, die, wie man
annimmt, von den sexuellen Organen und Funktionen ausgehen. In ge-
wissem Grade mag es auf die Elemente, die hier schon erwähnt wurden,
zurückzuführen sein." (S. 54.) Und weiter: „Durch diese geheimnisvolle
Furcht wurden Verstöße gegen das Ritual notwendig; obgleich sie ernsterer
Natur sind als Verstöße gegen sexuelle Zurückhaltung oder gegen die Furcht,
Widerwillen zu erregen, so verdichten sich doch alle diese Elemente, ver-
stärken einander und sind nur schwer auseinanderzuhalten.
Die Verfolgung der Frau dural den Mann
Jetzt ist es vielleicht möglich, ein wenig besser zu verstehen, warum
der Mann die Frau verfolgt. Der Mann fürchtete seine primitiven Impulse
der Frau gegenüber; er errichtete Tabus, um sich vor ihnen zu schützen,
er mußte sich gerade während der Menstruationsperioden das sexuelle
Objekt vorenthalten. Auf dem Wege über das Inzesttabu entstand
die wahre Brüderschaft der Männer; das Menstruationstabu ist
eine der Ursachen jener Gegensätzlichkeit der Geschlechter,
die sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Darin sehen wir
die Richtigkeit von Freuds Vermutung, daß die Gesellschaft auf homo-
sexuellen Bindungen basiert sei, während die Heterosexualität ursprünglich
auf eine Desintegration der Gesellschaft hinzielt.
Wir hoffen, nunmehr die Behauptung gerechtfertigt zu haben, daß der
primitive Menstruationskomplex eine reiche Quelle der Ambivalenz des
Mannes darstellt.
Jedoch kann der intensive Haß, der gelegentlich gegen die Frauen an
den Tag tritt, auf diesem Wege nicht ganz erklärt werden. Ich muß auf
verschiedene, noch unerwähnte Gedankengänge zu sprechen kommen, die
meine Theorien angehen. Ich muß mir dabei immer wieder die Frage vor-
legen, ob ein erörterter Faktor für sich allein ausreichend sei,
um die Intensität der Reaktion zu erklären. Ist er es. dann ist in
ihm die Hauptursache gefunden; ist er es nicht, so muß man tiefer suchen.
Im Falle des Hasses gegen die Frauen sind die ausschlaggebenden Faktoren
nicht schwer zu finden. Der Ermordung des Urvaters folgte ohne Zweifel
eine lange Periode, in der ein heftiger Kampf der Männer um den Besitz
der Frauen tobte. So war zwar ihrer Aggressivität ein Ventil dauernd ge-
58
C. D. Daly
öffnet, aber das Leben wurde unerträglich. So wurde das Gesetz „Du
sollst nicht töten" begründet, mit dem gleichzeitig auch das Inzesttabu
entstand, das ohne jenes nicht denkbar wäre. So konnten sich die Haß-
tendenzen des Mannes am bisherigen Objekt nicht mehr befriedigen. „Eva"
war der unschuldige Anlaß gewesen, und schließlich wandte sich der Haß
gegen sie. Wir dürfen annehmen, daß die Hemmung der aggressiven Im-
pulse von einem Anwachsen der Sexualtriebe begleitet wurde, die aber
wiederum durch das Inzesttabu, später durch den daraus entstehenden Men-
struationskomplex gehemmt wurden. Wir können eine Bestätigung dafür
darin finden, daß die Verfolgung für gewöhnlich unter mehrminder ähn-
lichen Umständen stattfindet, so wie etwa während des verschärften Zölibats
im Dienste des religiösen Idealismus, während der auf einen Krieg folgenden
Friedenszeiten, während der Vorherrschaft des Feindes in einem eroberten
Lande, dessen religiöse Vorstellungen von den landesüblichen abweichen.
Anderseits zeigt die ganze Geschichte der Zivilisation, daß das Sexual-
verlangen, das nicht mehr auf Brunstperioden beschränkt ist, stetig wächst
und daß die Notwendigkeit, es zu stillen, unter den Zivilisierten viel größer zu
sein scheint als unter den Primitiven. Hier machen sich ökonomische
Faktoren geltend. Die intensiven Energien, die ursprünglich nur während
der Zeit der Brunstperioden frei wurden, äußern sich nun unausgesetzt
wahrend des ganzen Lebens. Die Liebe verlangt fortgesetzt ihren Tribut:
Lust, eine periodische Explosion, gefolgt von Perioden der Inaktivität.
Hinter allem Tabu liegen Versuchung, Feindseligkeit und Todeswunsch gegen
die geliebte Person verborgen.
In Zeiten religiöser Zölibate ist an Frauen oft schreiendstes Unrecht
verübt worden, z. B. bei den Hexenverfolgungen in Europa. Hierin spiegelt
sich die Ruckkehr des Verdrängten weit stärker als in allen anderen Bei-
spielen für meine Theorie. Keiner war bei der Verfolgung der Frau als
der Quelle allen Übels gewalttätiger als die Priester, ob heidnisch oder
christlich. Wieviel unschuldiges Leben hat im sechzehnten und siebzehnten
Jahrhundert die Kirche vernichtet! Sie lehrte, daß Barmherzigkeit einer
Hexe gegenüber eine Beleidigung des Allmächtigen sei. 1 „Kirchliche Tribu-
nale verdammten Tausende zum Tode und zahllose Bischöfe wandten ihren
ganzen Einfluß auf, um die Zahl der Opfer noch zu vergrößern. Wenn
ein Volk von einer Art Massenneurose befallen ist, wie es die europäischen
Völker zur Zeit der Hexenverfol gungen waren, dann finden wir oft, daß
1) Lecky: The Rise and Influence of Rationalism in Europe. Maeic and Witch-
craft. S. 6/7.
Der Mcnstruatlonskoinplex ^>9
es vor einer vorgestellten äußeren Gefahr zittert, die der Projektion jener
inneren Gefahr entspricht, die auf das Opfer verschoben worden ist, an
dem nun die grausamen Impulse befriedigt werden, deren Psychogenese
mit dem Menstruationskomplex in ganz enger Verbindung steht.
Auf diese Weise ist der Einfluß des Heidentums auf die christlichen
Taten im Römischen Reich mit Leichtigkeit erkennbar. Damals herrschte
die schreckliche Vorstellung von einer ewigen Strafe in ihrer materia-
listischsten Form. Sie ist das natürliche Resultat der Rückkehr des Ver-
drängten, wenn man annimmt, daß eine der primitivsten Quellen der
Grausamkeit im Menstruation s- und Inzestkomplex zu suchen ist, durch
den das frühere Paradies des Menschen zu seiner Hölle und die größte
Anziehungskraft der Frau zu ihrer größten Scham und Erniedrigung ge-
worden ist. Die Christen glauben, daß aller derer, die ihrer Kirche an-
gehören, ewiger Friede wartet, und daß alle Außenstehenden zu ewigen
Qualen verurteilt seien. Eine interessante Rückkehr des Verdrängten sehen
wir in der Prophezeiung des Enoch. Man nahm damals an, daß die Welt
voll von Geistern sei; einige Engel, die sich vor der Sintflut mit den
Töchtern der Menschen verbunden und sie gelehrt hatten. Wolle zu
färben, und — eine noch größere Schandtat — sich die Ge-
sichter zu bemalen (worin wir eine Verschiebung von unten nach oben
erblicken), waren zu ewigem Leiden verurteilt worden. Alle bösen Geister
„versuchen nun, auf jede Weise die Pläne des Allmächtigen zu durch-
kreuzen, und ihre besondere Freude ist es, die Verehrung, die allein
ihm gebührt, auf sich abzulenken". 1
Alle, sogar die alleredelsten heidnischen Gottheiten, wurden von den
Christen als unzweifelhaft „teuflisch" angesehen. Die Verlegung der eigenen
libidinösen Regungen des Mannes in die Frau zeigt sich auch deutlich in
dem Glauben, daß die Hexen Teufel geheiratet hätten, was übrigens eine
der gewöhnlichsten Anklagen auf den Hexentribunalen war; sogar noch in
späteren Tagen sagte man, daß sie fleischlichen Verkehr mit dem Teufel
hätten. 2 Das Phänomen des Nachtmahr (Alpdrücken) war, wie schon der
Name sagt, mit diesem Glauben verknüpft. Frauen, die ein eingeschränktes
Geschlechtsleben führten, glaubten, daß sie, wenn sie vom Alpdrucken
heimgesucht worden waren, den Resuch des Teufels empfangen hatten.
Die Griechen schrieben den Alpdruck einem Dämon namens Ephialtes zu.
Die mittelalterlichen C hristen glaubten sich von allen Arten von bösen
i) Von mir gesperrt.
2 l H. Ellis, op. cit. Bd. I, S. 87.
60 C. D. Daly
Geistern verfolgt. Diese waren aber nicht so schrecklich, wie wir vielleicht
heute glauben könnten; konnten sie doch durch das Zeichen des Kreuzes,
durch einige Tropfen Weihwasser oder durch den Namen der Maria aus-
getrieben werden. Man sieht, wie die Regression der Massenneurose die
Menschen ihren primitiven Vorfahren wieder angenähert hat. 1 In ganz
Europa und Amerika wurden die Hexen Verfolgungen 2 bis in das achtzehnte
Jahrhundert mit größtem Eifer und mit unbegreiflicher Grausamkeit durch-
geführt. 3
Das angebliche Verbrechen der Hexen, nämlich fleischlicher Verkehr mit
dem Teufel, und seine Bestrafung unter der Begründung, daß es eine
Beleidigung des Allmächtigen sei, stellt einen seelischen Inhalt dar,
der in der ganzen Menschheitsgeschichte seine Rolle spielt und bei den
Neurotikern in überspitzter Form auftritt. Es handelt sich um den Wunsch
des Mannes, der im Ödipusmythos dargestellt ist, den Vater zu töten und
geschlechtliche Beziehungen zur Mutter zu haben, um die archaischeste
Sünde, die später unter dem Einfluß der Religion als gegen Gott, gegen
das projizierte Vaterideal, gerichtet empfunden wurde. Der Einfluß des
religiösen Idealismus übertönte alle alten verdrängten Feindschaftsgefühle
gegen den nunmehr bewußt idealisierten Vater, so daß diese nur in einer
Hinwendung auf die Frau Befriedigung finden konnten.
Der Teufel
Der Teufel ist eine verdichtete Figur und stellt sowohl den gehaßten
Vater als auch den Sohn dar. Der Sohn schiebt in seiner Phantasie seine
schuldhaften Begierden den (im Unbewußten) gehaßten Eltern, besonders
aber der Mutter zu. Wenn er glauben kann, daß sie gegen den All mäch -
1) Sigm. Freud: Totem und Tabu. (Ges. Schriften, Bd. X.)
2) Lecky hat Statistiken darüber mit der größten Einsicht zusammengestellt und
kommentiert. Er hat einen so überwältigenden Beweis erbracht, der die psychoanaly-
tischen Gesichtspunkte in einer Weise stützt, daß sie keiner weiteren Erläuterung
mehr bedürfen.
5) Jede christliche Glaubensgemeinschaft hat irgendwann eine andere verfolgt.
So verfolgte die englische Regierung beispielsweise auf Anstiftung der schottischen
Bischöfe und unter Zustimmung der Englischen Kirche die Presbyterianer in Schott-
land. Man riß ihnen die Ohren ab, verbrannte sie mit heißen Eisen, zerquetschte
ihnen die Finger in Daumenschrauben, man zerbrach ihnen die Knochen, Frauen
wurden öffentlich durch die Straßen gegeißelt usw. Ähnliche Barbareien können
anderen Regierungen nachgewiesen werden, und unaufhörlich verfolgten die christ-
lichen Sekten einander.
Der Meustruationskomplex
ti^en gesündigt habe, so wird er selbst von seiner Inzestschuld befreit,
indem er sie auf die unschuldige Mutter verschiebt. Das wird dadurch
erleichtert, daß die Mutter, die dem Vater erlaubte, sich ihr zu nähern,
dem Sohne aber nicht, in dessen Unbewußtem schon deswegen keineswegs
als wirklich unschuldig galt. Der Teufel, der mit der Mutter Sexualverkehr
hat, ist auch ein verdrängtes Vaterideal und hilft vieles im Verhalten des
Sohnes als Rückkehr des Verdrängten verständlich zu machen. In der
Phantasie ahmt er die sexuelle Aggression seines früheren Vaterideals nach,
in der Realität handelt er grausam nach außen hin. Wie ist das zu er-
klären? Seine homosexuellen Tendenzen gestatten ihm nicht, seine Aggres-
sivität gegen den Vater zu wenden, und zwar aus zwei Gründen: Erstens
der verschobenen Liebe zu seiner Mutter wegen, denn er würde damit
sein primäres Mutterideal töten, und zweitens der Furcht vor der Gesell-
schaft wegen, die ursprünglich aus dem Gesetz: „Du sollst keinen Mann
töten" entstand. In der Verfolgung der Frau aber finden seine grausamen
Impulse, die teilweise durch die Erinnerung an den Menstruationskomplex
verstärkt sind, dessen Inhalt zwar verdrängt wurde, dessen Wirkung aber
fortbesteht, offenen Ausdruck.
Daß der Mann als Resultat einer Gefühlshemmung der Frau gegenüber
homosexuelle Tendenzen entwickelte, muß doch in großem Ausmaß dem
Menstruationskomplex zuzuschreiben sein.
Auch der Primitive sieht die Frau als mächtige Hexe an und glaubt,
daß sie zur Zeit der Menstruation Beziehungen zur Geisterwelt unterhält.
Die frühere unbewußte Quelle dafür mag der Periode der Urhorde an-
gehören.
Das Opfer
Hiebei ist noch ein anderer Faktor zu beachten. Mit diesem seelischen
Mechanismus vermied der Mann Konflikte mit dem Vater; überdies be-
sänftigte er ihn durch Opfer. Die spanische Inquisition und die Hexen-
verfolgungen haben durchaus die Natur eines Opfers gehabt. Ich möchte
das an Hand eines Traumes eines Mannes erläutern: „Der Vater (der
schon tot ist) kommt, seinen Sohn zu besuchen; er bringt ihm als Geschenk
zwei gebratene Seelen mit. Er gibt sie dem Sohn jedoch nicht, sondern
setzt sich nieder und ißt sie mit ihm auf." Hier findet sich in einem
Traume eine Art Kommunion, in der Vater und Sohn sich in die In-
korporation des mütterlichen Leibes teilen. Die beiden gebackenen Seelen
stellen die Mutter und die Schwester des Träumenden dar. (Die Mutter
» CD. Daly
war schon tot, und der Träumende wünscht unbewußt, daß seine Schwester
es auch sei.) So kehrt der gefürchtete und abgeschiedene Vater mit den
Seelen der abgeschiedenen Mutter (und Schwester) zurück, nachdem er
sie getötet und gebacken hat. Dies zeigt, wie der Sohn seine auf die
Mutter gerichtete sadistisch gefärbte, unbewußte Aggressivität dem gehaßten
Vater zuschiebt und sich so von der Last seines Schuldgefühls befreit. Die
sadistische Sexualauffassung stammte aus einer frühen Urszene und hatte
sich anläßlich des Anblicks einer Vagina reaktiviert; seine natürliche Ag-
gressivität war in Grausamkeit gewandelt (Regression auf die sadistische
Stufe), während die Liebe zur Mutter auf den vormals gehaßten Vater
übertragen wurde.
Was für Konsequenzen hätte eine solche Entwicklung in einem überaus
religiösen Zeitalter gehabt, wenn eine solche Persönlichkeit in einem Hang
zum Idealismus sich dem Leben im Zölibat hingegeben hätte? Die Antwort
darauf vermittelt eine genaue Lektüre des ersten Kapitels von Leckys The
History of the Rise and Influence of the Spirit of Rationalism in Europe"
Wenn ein Mann unserer Tage in die entsprechende seelische Situation
gelangt, dann ist, wie wir wissen, eine ernste Neurose die nahezu unver-
meidliche Folge.
JLeoen und loa
Ich möchte nunmehr einen Traum in drei Fragmenten hier wieder-
geben, der ein verdrängtes Kindheitstrauma klar durchschauen läßt, indem
der Träumer einen Teil seiner längst für begraben gehaltenen Vergangen-
heit wieder belebt.
Erstes Fragment. „Der Träumende ging, um eine bekannte alte Pro-
stituierte aufzusuchen, mit der Absicht, mit ihr zu verkehren. Er wußte
daß sie hübsch und sauber war, obgleich ihre Vagina trocken und sie selbst
rncht sehr anziehend war. Als sie sich jedoch ihm hingab, war ihm der An-
blick ihrer Genitalien ekelerregend und widerwärtig und dabei unbegreif-
lich aufregend."
Zweites Fragment. „Der Träumer traf einen Mann mit einem roten
Hut, der eine Frau für ihn finden sollte, und er führte ihn mit sich
an einen Ort, wo eine Anzahl junger, sauberer und anziehender Mädchen
sich unter Aufsicht einer alten Frau befand. Er wollte ihre Klitoris küssen,
hatte aber Angst vor Ansteckung. Er wählte eine, die auf einer Felsenplatte
stand. Er legte seine Hand zwischen ihre Beine und war erfreut, zu finden,
daß sie regelmäßig gebildet und erregt war. Das war für ihn ein Zeichen
Der .Menstruationskomplex o^
der Liebe und beruhigte seine Angst. Da merkte er aber, daß sie leicht
blutete, weil sie gerade ihre Periode hatte.* Hier brach die Erinnerung des
Traumes unmittelbar ab.
Drittes Fragment. „Der Träumer ging mit einer anziehenden Frau in
Schwarz spazieren. Sie sagte, die Landschaft (man war mitten in den Bergen)
sei sehr schön. Er fand das nicht, denn er hatte die Gegend schon einmal
gesehen und sie gefiel ihm ganz und gar nicht. Die auffallend großen,
länglichen, roten Lehmflecken fand er sehr häßlich. Sie aber lenkte seine
Aufmerksamkeit auf eine schöne Stelle mit bunten Blumen in der Mitte eines
Tales. Er blickte auf sie und wurde alsbald bewußtlos. Als er wieder
zu sich kam, fand er, daß er mit einem Arm an der Spitze einer Klippe
hing, die Frau lag auf dem Weg über ihm. Er bat sie, sich nicht zu be-
wegen, denn sie würde, wenn sie es täte, unweigerlich herabfallen und tot
sein. Wenn er sich aber nur von der Klippe erheben könnte, dann würde
alles gut sein und er zu ihr Beziehungen unterhalten können.
Es ist hier nicht möglich, eine vollständige Analyse dieses Traumes zu
geben. Der Patient hat in seiner Kindheit unter Ohnmachtsanfällen ge-
litten. Dieser Traum stellt nun die ausschlaggebenden Erlebnisse seiner
Kindheit dar. Das erste Fragment bezieht sich auf seine Mutter und auf
seine Großmutter, zu denen er verdrängte Inzestneigungen hatte, und
der zufällige Anblick der Vagina der einen von beiden hatte den ersten Ohn-
machtsanfall ausgelöst. Er versichert wiederholt, was für ein abstoßender
Anblick es gewesen sei und was für ein stechender Geruch davon aus-
gegangen sei.
Das zweite Fragment betrifft seine um vier Jahre ältere Schwester. Als
er vier Jahre alt war und ein kleiner Bruder geboren wurde, war die
Schwester beim Anblick einer Schüssel mit Blut, die aus dem Schlafzimmer
der Mutter getragen wurde, ohnmächtig geworden. Diesen Vorfall ahmte
der jüngere Bruder in seinen Anfällen nach; bald danach versuchte die
Schwester, mit ihm Vater und Mutter zu spielen; dabei verletzte er sich
am Penis ; überdies erschreckte ihn der Anblick ihrer Vagina um so mehr,
als ihm die Schwester auch drohte, sie werde ihm den Penis abschneiden,
wenn er nicht täte, was sie verlangte. An diesem Traumteil ist bemerkenswert,
daß alle Erinnerung mit dem Anblick der blutenden Vagina aufhört.
Das dritte Fragment reproduziert eine wirklich durchgemachte Ohnmacht.
Mutter und Schwester sind in dem Traum enthalten. Die Schwester hatte
ihm ihre Vagina gezeigt und ihm gesagt, sie sei viel schöner als sein Penis.
Auf Grund dieser Erfahrungen an der Schwester hat er sich dann Vorstel-
64 C. D. Daly
lungen über die Genitalien der Mutter gemacht. Der Ort mitten in den
Bergen ist die Vagina, die er für häßlich und sie für schön hielt. Die
Berge sind auch die Brüste der Mutter. Die Stelle mit den Blumen in der
Mitte des Tales bedeutet die Ideal -Vagina, während die großen roten Flecken
die geöffneten weiblichen Genitalien darstellen, wie er sie in Wirklichkeit
gesehen hatte; er hatte sie damals als unangenehm empfunden und wollte
diesen Anblick nicht wieder haben. Beim realen Anblick der Vagina hatte
er ja die Handlungsweise seiner Schwester bei der Geburt des Brüderchens
nachgeahmt und zum erstenmal das Bewußtsein verloren. In allen drei
Fragmenten finden wir die gegensätzlichen Vorstellungen von Sauberkeit
und Schmutz, von Anziehung und Abstoßung. Im zweiten Fragment erscheint
der Mann mit dem roten Hut = der Vater, sowie die alte Frau = die Groß-
mutter oder Mutter, die seine Begierde erregt und dadurch hemmende Kräfte
geschwächt hatten. Sie konnten jedoch nicht völlig beseitigt werden, weil
das Tabu doch zu stark war. Daß die Frau im Traum sich auf einer höher
gelegenen Felsplatte befindet, bedeutet, daß sie auf Grund des Inzesttabus
für ihn unerreichbar ist. Als der Träumende dennoch versucht, das Tabu
zu überwinden, sieht er sich dem Schrecken der Menstruation gegenüber.
Im dritten Fragment ist die Frau schwarz gekleidet und anziehend und
verbindet so Vorstellung des Todes mit der sexuellen Anziehung. Das be-
deutet dasselbe wie der Gegensatz des schönen und des häßlichen Ortes,
nämlich die Verlegung des Begriffes des „Schönen" von den Genitalien zur
Brust und zum Antlitz. Die Berge stellen die Brüste dar, während die
schönen Seen, die dort waren, die Augen symbolisieren. Die Blumen stehen
symbolisch für die Vagina und sind ein sehr volkstümliches Bild für die
Menstruation.
Die Vagina übt auf den Träumenden eine verhängnisvolle Anziehungs-
kraft aus: Er blickt nach ihr und verliert das Bewußtsein. Dann sieht er
sich dem Tod gegenüber, indem er mit einer Hand an der Spitze eine
Klippe hängt, während seine Mutter in Schwarz, die auch den Tod dar-
stellt, auf einem nahen, sicheren Weg liegt. Er bittet sie, sich nicht zu
rühren, sonst würde sie herabfallen. Hier sehen wir den Kampf mit der
Begierde und deren Verschiebung auf die Mutter. Eigentlich ist gemeint:
Beweg dich nicht oder ich werde getötet! Und dann ist da noch jene
Bemerkung, daß er, wenn er sich zur Klippe erheben, also das Inzesttabu
überwinden kann, mit ihr Beziehungen haben wird. Aber auch sie ist auf
der Klippe über ihm unerreichbar, und er hat nicht die Kraft, sich zu
ihr hinaufzuziehen.
Der Alenstruationskomplex 65
Haß und Zwangsneurose
Ich komme nunmehr zu der Vermutung, daß viele der Erscheinungen,
die der Analerotik zugerechnet werden, einer regressiven Verschiebung der
genitalen Erotik entsprechen; der Umstand, daß wir nichts vom Menstruations-
komplex wußten, hat zur Folge gehabt, daß wir viele Erscheinungen als
primär anal aufgefaßt haben, die in Wirklichkeit durch eine Regression
von der schon erreichten genitalen Stufe auf die anale zustande gekommen
sind. Es scheint mir z. B., daß wir in der Frage der Psychogenese des
Hasses manches werden neu sehen lernen müssen, ebenso in der des Sadis-
mus und in noch manchen anderen bedeutungsvollen Fragen.
Sicher liegt eine der bedeutungsvollsten Quellen von Zwang und Zweifel
in diesem Konflikt zwischen sexueller Begierde und hindernder Todesfurcht,
entsprechend der psychischen Situation des Sohnes der Urhorde vor dem
Vatermord, die seit dem Erscheinen von Freuds „Totem und Tabu
klassisch geworden ist. Jones meint, daß irgendein ererbter Zusammen-
hang bestehen müsse zwischen dem Haß und der Analerotik, der in der
Zwangsneurose besonders deutlich werde. 1 Wir hoffen, daß unsere Über-
legungen auch die Existenz dieses ererbten Zusammenhanges deutlich
machen kann.
Jones macht die interessante Beobachtung, daß wir „niemals eine
Person hassen, die nicht in irgendeiner Weise, oft ganz unauffällig, stärker
ist als wir oder uns doch in irgendeiner Hinsicht in ihrer Macht
hat". 2
Es scheint, als habe sich der Haß in erster Linie gegen den Urvater
entwickelt, der den Sohn von der Mutter und den anderen Frauen der
Horde trennte. Aber die Mutter war auch für den Sohn die große Ver-
sucherin, die in ihm den Wunsch hochkommen ließ, den Vater zu er-
morden, damit er seine Inzestneigungen befriedigen könne. Später jedoch
wandelten die abschreckenden und an das Tabu gemahnenden Menstruationen
die Einstellung zur Mutter in einen intensiven Haß, während der Sohn
unter einem unbewußten Schuldgefühl leidet und sich vielleicht nach seiner
alten Sicherheit zurücksehnt.
Die erste Beziehung zum Vater war die der Rivalität, aber die Angst
vor dem als Strafe drohenden, nahezu gewissen Tode, war vermutlich noch
1) Jones: Haß und Analerotik in der Zwangsneurose. Internationale Zeitschrift
für Psychoanalyse, I, 1913, S. 427.
2) Von mir gesperrt.
Daly: Der Menstruationskomplex. »
G€ C. D. Daly
nicht vorhanden. Sie entstand erst mit der Einrichtung des Inzestgesetzes.
Mit ihr treten andere Faktoren, hauptsächlich Furcht und Schuld, ins Spiel,
und wandeln den Haß aus der ursprünglichen Äußerung der sexuellen
Rivalität zu einem hochentwickelten Gebilde mit komplizierter Psycho-
gen ese.
Jones 1 meint, daß der Haß sich zuerst gegen die Imago der späteren
Liebesobjekte entwickelt, so daß die Liebesfähigkeit schon bei ihrem Ur-
sprung „gehemmt oder vernichtet wird". Wenn das richtig ist, dann werden
meines Erachtens die Probleme immer schwieriger. Aber wir wollen unsere
Hypothese weiter verfolgen, ohne uns unbedingt auf sie in allen Details
festzulegen. Wenn also diese Feststellung richtig ist, dann glaube ich, werden
wir annehmen müssen, daß der Haß gegen die Mutter sich als Resultat
des Inzestverlangens des Sohnes entwickelte, und zwar vor dem Tode des Ur-
vaters, wenn die Mutter möglicherweise den Sohn, bei Eintritt einer späteren
Schwangerschaft, vernachlässigte und verachtete, so daß dieser seine früheren
Leidenschaften zum Teil aufgeben und die nötige Energie entwickeln mußte,
um selbst in kurzer Zeit Vater einer Horde zu werden. (Dies ist kaum mehr
als Hypothese, aber das Studium der Verhaltungsweise der weiblichen Tiere
ihren Jungen gegenüber stützt sie einigermaßen.)
Darüber dürfen wir aber nicht vergessen, daß noch ursprünglicher der
Haß sich gegen den Urvater richtete, der versagend zwischen den Mann
und seine Begierden trat. Wir dürfen nicht übersehen, daß der Sohn sich
gegen den Vater mit Erfolg auflehnt, während beide gegen die Tabus der
frühen Gesellschaftsordnung verstoßen.
Die Intensität dieses Hasses ist von sehr großer Bedeutung und für die
Schwere des späteren Kastrationskomplexes ausschlaggebend. Jones meint,
daß der Zusammenhang mit der Analerotik zu erklären vermag, warum
die Zwangsneurose bei Männern viel häufiger auftritt als bei Frauen. Ich
kann ihm hierin nicht mehr beistimmen, weil ich finde, daß der genitale
Kastrations- und Menstruationskomplex von weit größerer Bedeutsamkeit ist
als die Analerotik, und daß diese Komplexe erst die Regression auf die
anale Stufe hervorriefen. Mit der Annahme, daß der Haß primär in Ver-
bindung mit der Analerotik entstand, gingen wir wohl fehl. Diese Annahme
hätte nicht mehr Recht, als daß die Vagina ekelerregend sei, weil sie dem
Anus benachbart ist, während meiner Ansicht nach, gerade das Umgekehrte
richtig ist. Es fehlt jeder Beweis dafür, daß der Haß zuerst in Verbindung
1) Jones, op cit. S. 428.
4
T
Der Ali nati iiiiiiuii -. iv 1 1 in | >[ .- \ g_
mit der Analerotik entstand, aber ich glaube, daß das Menstrualtabu
uns Beweis genug dafür ist, daß der Anblick der menstruierenden Frau den
Mann mit Angst, mit Schrecken und Ekel erfüllte. An dieser Theorie
dürfen wir so lange festhalten, bis sie jemand widerlegt.
Der Verfasser will in keiner Weise die Analerotik etwa als irrelevant
hinstellen, besonders von ihrer Bedeutung, für die Erziehung und die Charakter-
bildung ist er überzeugt. Wir wollen nur unsere Werteinschätzung der
Analerotik um ein weniges korrigieren. Sie wird erst nach einer Regression
von der bereits erreichten genitalen Stufe bedeutungsvoll. Es ist offensichtlich,
daß Erlebnisse während der analen Phase in der Kindheit eine Fixierung
setzen und so eine nachmalige Regression aus Kastrationsangst erleichtern
können.
Min Hoßiiiingsstrahl
Ferenczi 1 sagt: „Es ist in der Tat erstaunlich, wie sehr den heutigen
Männern die Neigung und die Fähigkeit zur gegenseitigen Zärtlichkeit und
Liebenswürdigkeit abhanden gekommen ist. Statt dessen herrscht unter
Männern ausgesprochene Schroffheit, Widerstand und Streitsucht." Er faßt
diese Symptome als Zeichen der allgemeinen Verdrängungsneigung gegen-
über homosexuellen Regungen auf. Wollen wir solche Tatbestände verstehen,
so müssen wir, obgleich das Kind in seiner Entwicklung auch die psychi-
sche Phylogenie der Menschheit wiederholt, uns von dem Bilde des
einzelnen heutigen Neurotikers losmachen und zu unserem Studium der
Massenneurose eines ganzen Volkes zurückkehren, denn das Individuum
gibt mit allen seinen Regressionen kein vollständiges Bild der phylogeneti-
schen Vergangenheit. Zahlreiche, für die Phylogenie belangreiche Sym-
ptome mit rezessivem Charakter, wie eben der Menstruationskomplex,
können als offenkundige aktive Faktoren in Individualneurosen bereits
verschwunden sein und nur außergewöhnlich als sehr starke konflikt-
lose Tendenzen zurückbleiben. Ich möchte daher annehmen, daß die von
Ferenczi hervorgehobene Kulturerscheinung auch teilweise der Abnahme
der Furcht des Mannes vor der Frau zuzuschreiben ist, die mit einer
allmählichen Rückkehr seiner früheren Aggressivität zusammengeht. Sollte
diese Annahme, so anfechtbar sie in mancher Hinsicht sein mag, richtig
sein, dann dürfen wir eine Phase erwarten, in der die Zuneigung
1) Ferenczi: Zur Nosologie der männlichen Homosexualität. („Bausteine zur Psycho-
analyse." Internationaler Psychoanalytischer Verlag.)
5'
68 C. D. Daly
zwischen den Männern in noch höherem Maße abnehmen und ihre Ver-
haltungsweise beiden Geschlechtem gegenüber noch weniger ambivalent
sein wird. Wir sollten dieses Stadium begrüßen, denn es bedeutet eine
natürliche Remission einer auf der ganzen Welt verbreiteten Neurose der
Menschheit (nämlich der Menstruationsangst), vielleicht den Anfang des
größten Fortschritts, den die Menschheit jemals gemacht hat, die erste
wahre Frucht der vereinigten Wirksamkeit der modernen Wissenschaften.
Das wäre aufs innigste zu wünschen und die Tatsachen, die zu diesen An-
schauungen führten, scheinen eine solche hoffnungsvolle Prognose zu ge-
statten. Allerdings bin ich nicht optimistisch genug, um zu glauben, daß
ein solcher Wechsel sich sehr schnell vollziehen wird. Es wird dem Mann
nur nützen, wenn er ein wenig von seiner verdrängten Feindseligkeit
vom weiblichen Geschlecht auf sein eigenes wird hinübergleiten können.
Ich glaube nicht, daß wir dabei nachteilige Folgen zu befürchten hätten,
da es sich ja nicht um eine Regression, sondern um die Lösung einer
unserer schwersten Hemmungen handelte. Würde eine solche Verstärkung
der Aggressivität mit einer Überwindung der so tief verwurzelten Furcht-
und Haßgefühle, mit einer Herabminderung der Grausamkeit bei gleich-
zeitig wachsender Unabhängigkeit einhergehen, dann können wir auf das
Nahen einer wahren Freundschaft zwischen den Geschlechtern hoffen,
die auf gegenseitigem Verständnis und nicht auf Furcht gegründet sein
wird.
Die Annahme einer möglichen Selbstheilung einer Neurose ist nicht
unwahrscheinlich. Ebenso wie die Natur jeweils eine Immunität gegen
Infektionskrankheiten herstellt, so wird sie in der Sphäre des Psychischen
auch die Neurose allmählich überwinden, wenn diese ihren Zweck erfüllt
hat; natürlich könnte auch der Zweck der Neurosen sein, den Menschen
zu vernichten, um den Weg für eine höher entwickelte Art frei zu machen,
aber ich bin nicht dieser pessimistischen Ansicht. Die psychoanalytische Auf-
fassung der „Sublimierung" zeigt den Weg, auf dem eine Weiterentwick-
lung möglich ist. So wichtig aber die Sublimierung auch sein mag, ebenso
wichtig ist auch die Aufhebung jener Schranken, die uns die freie Ver-
fügung über unsere Triebenergien und damit auch die Möglichkeit noch
weitergehender Sublimierungen rauben.
„Die Anerkennung der Umwelt, d. h. die Bejahung auch der Unlust, ist
aber nur möglich, wenn vorerst die Abwehr der unlustbringenden Objekte
und deren Verneinung aufgegeben wird und deren Reize ,dem Ich' ein-
verleibt, zu inneren Antrieben umgewandelt werden. Die Macht, die diese
Der Menstruationskomplex (Jg
Umwandlung verwirklicht, ist der bei der Triebentmischung freiwerdende
Eros." 1
Wer weiß, welche Möglichkeiten sich dem Menschengeschlecht eröffnen
werden, wenn es gelernt haben wird, inneres Leid zu ertragen, Illusionen
beiseite zu tun und für die Wahrheit den Blick zu öffnen?
l) Ferenczi: Das Problem der Unlustbejahung. („Bausteine iut Psychoanalyse",
Bd. I, S. 99. Internationaler Psychoanalytischer Verlag.)
Innaltsverzeicnnis
Seite
Vorbemerkung
I) Eine Erweiterung der psychoanalytischen Entwicklungstheorie
Die Hemmung c
Folkloristisches zum Ursprung der Menstruation 6
Die Menstruation in der Pubertät und im Leben der Erwachsenen 8
Menstrualblut und Schwäche i-
Das Tabu der Virginität 10/
Die Todesfurcht und ihr Zusammenhang mit dem Menstrualblut . 25
Die Triebunterdrückung 2 ±
Der Sadomasochismus 26
Homosexualität, und Perversion 51
Das Menstruationstabu sz
II) Menstruationstabu und Sexualhemmung
Vorbemerkung > a
Zurückhaltung, Widerwillen und Scham 4,3
Das Erröten <-
Die Verfolgung der Frau durch den Mann 57
Der Teufel 6o
Das Opfer g r
Leben und Tod g 2
Haß und Zwangsneurose gc
Ein Hoffnungsstrahl 67
.
J
-—1
Von C. D. DALY ersckien frülier
im »Internationalen Psychoanalytischen Verlag«
.Hindu --M-ytliologie und
Ivastrationskomplex
SiänC psychoanalytische Studie
(Mit einer Kunstbeilage)
Geheftet M. a.8o, Ganzleinen M. 4.20
Inhalt:
I) Einleitung. Allgemeines zur Psychologie der Hindu. Die
Abspaltung. Kurze Analyse gewisser Bestandteile des Hinduis-
mus. Die Rückkehr zu den analen Interessen und die Fixierung
in ihnen als Resultat der Kastrationsangst. Ambivalente Ein-
stellung zu den weiblichen Genitalien. — II) Die hinduis ti-
sche Göttin Kali. Allgemeine Beschreibung der Göttin und
ihrer Attribute. Lha-Mo, das tibetanische Gegenstück zu Kali.
Bemerkungen zu einer hinduistischen Abhandlung über Kali. —
III) Der Kalisymbolismus. — IV) Der Penisneid. —
V) Schluß. Die Todesangst der Hindu. Kali, die Schlachten-
königin. Das „Unheimliche" und das „Geheimnisvolle". Der
Menstruationskomplex.
r
I
INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER \ "ERLAG
WIEN, VII., ANDREASGASSE 3
IMAGO-BÜCHER
I) OTTO RANK, Der Künstler und andere Beiträge zur Psycho-
analyse des dichterischen Schaffens. 4. vermehrte Auflage. Geh. M. f — ,
Halbleinen M. S'JO, Halbleder M. II' $0
Es gehört eine große Freiheit des Geistes und eine sehr schätzbare Unbefangenheit dazu.
das Sexuelle offen als den Anfang und Ausgangspunkt dessen zu bezeichnen, womit abgerechnet
werden muß. Otto Rank hat den Vorwurf der zynischen Brutalität, der bei solchen Dingen
niemandem erspart bleibt, nicht gescheut. (Münchner Allg. Zeitung)
Auch unser Zeitalter hat seine Sophisten. Der in seiner verblüffenden Dialektik au Otto
Weininger gemalmende Wiener Psychologe Otto Rank — ein Reineke Fuchs der Philosophie
an staunenden Ränken — leitet in der Schrift „Der Künstler" überhaupt alles menschliche Leben
mit seinen Kulturbestrebungen, Religion, Wissenschaft, Philosophie, Poesie samt den anderen
Künsten aus dem geschlechtlichen Urzustand und dessen allmählicher Entwicklung ab.
(Der Bund)
Das Studium dieser geistreichen Schrift kann sehr empfohlen werden.
(Zeitschrift für Religionspsychologie)
fl) N. OSSIPOW, Tolstois Kindheitserinnerungen. Ein Beitrag
ZU Freuds Lihidotheorie. Geh. M. 6'—, Halbleinen M. ffO, Halbleder M. 10'—
Die Arbeit hält sich nicht streng an die Freudsche Doktrin, sondern versucht, in der Richtung
Freudscher Gedankengänge zu neuen grundsätzlichen Aufstellungen zu gelangen . . . I 1
beherrscht das Material und wirft stellenweise Schlaglichter von überraschender Wirkimg
auf Leben und Werk des seltsam gespaltenen Genies . . . Besonders die Abschnitte über
den Narzißmus und die kindliche Amnesie sind wertvoll und anregend.
(ZentralblaU f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie)
Die Schrift Ossipows ist eine vollständige Darstellung der Freudschen Entwicklungslehre von
der Zeugung ab am Beispiel Tolstois und findet als seinen Hauptcharakterzug den Nar/.iKmus,
d. h. die Liebe zu sich selbst als körperlich geistigem Wesen. (Sozialistisdte Monatshefte)
III) THEODOR REIK, Der eigene und der fremde Gott. Zur
Psychoanalyse der religiösen Entwicklung. Geh. M. S'jo, Halbleinen M. 10' — ,
Halbleder M. Iß'—
Der tiefblickendste und scharfsinnigste Religionspsychologe unserer Zeit . . .
(Scliul reform, Bern)
Ein geistreiches Buch . . . Einer der hellsten Köpfe unter den Psychoanalytikern.
(Alfred Dbblin in der Vossischen Zeitung)
Gut ist die Analyse des Fanatismus . . . Man wird eine Methode, die so tiefe Sachverhalte
aufdecken kann, nicht a limine ablehnen. (Prof. Titius in der Theologischen Literaturzeitung)
Das Buch ist unmittelbar erschütternd. Es versäume niemand, dem psychologischen Zusammen-
hang zwischen Christus und Judas Ischarioth unter Reiks sachkundiger Führung nachzusinnen.
Der erste Eindruck mag leicht ähnlich erschreckend wirken, wie die Begegnung mit dem
Hüter der Schwelle; allein auch hier wird sich der Schreck, vom Richtigen richtig erlebt.
als heilsam erweisen. {Graf Hermann Keyserling im Weg zur Vollendung)
IV) JOLAN NEUFELD, Dostojewski. Skizze zu seiner Psychoanalyse.
Geh. M. y — , Halbleinen M. 4'JO, Halbleder M. 7'—
Wer sich von der Behauptung beunruhigt fühlt, daß Dostojewski ein Chaotiker gewesen sei,
der alle Sympathien auf die Verbrecher gelegt habe, dem sei dieses Buch empfohlen . . .
Diese ruhigen Untersuchungen, die dem Dichter und Menschen rein analysierend nahezxikommen
suchen, heben aus ihm allgemeine, typische Züge heraus und lehren ihn menschlich verstehen.
Dieses Verstehen aber birgt in sich zugleich das Vorbeugemittel gegen die suggestive Einfluß-
gewalt, die von den Schöpfungen des russischen Dichters ausgeht. Die kühle Luft zerlegender
Wissenschaft nimmt den Gestalten das Bezwingende . . . Wir wissen um den Mechanismus
dieser Welt, und sie wird uns nicht mehr zu willenlosen, blinden Verführten machen können.
(Deutsche Allgemeine Zeitung)
Der ernste, etwas analytisch orientierte Leser wird die flüssige und beredte Dostojewski-
Skizze in einem Zuge durchlesen und ohne Widerspruch. (Neue Zürcher Zeitung)
V) HANNS SACHS, Gemeinsame Tagträume. Geh. M. 6— t
Halbleinen M. 7' $0, Halbleder M. 10' —
Als die Psychoanalyse auf die entscheidende Bedeutung der Tagträume für den Lebensweg
und die Liebeswahl des einzelnen hinwies, traf sie mit einer längst gangbaren Überzeugung
zusammen, daß nämlich die Tagträume die Vorstufe seien, von der aus sich in begnadetem
Sonderfalle der Aufstieg zum Kunstwerk vollziehe. Sachs untersucht nun, wie sich der Tag-
traum zum Kunstwerk verwandelt, wobei er besonders den Fall ins Auge faßt, wenn zwei
irgendwie Gleichgerichtete sich zusammentun, um gemeinsam einen Tagtraum auszuführen,
der dann eine Zeitlang beiden den eigenen, allein geführten Tagtraum ersetzt. Sachs behandelt
auch die Frage, wodurch sich der Dichter vom Neurotiker, vom Verbrecher, vom Führer der
Masse unterscheidet. Er weist auf den Zusammenhang zwischen dem nach Entlastung lech-
zenden Schuldbewußtsein und dem zur Verschiebung auf das Werk bereiten Narzißmus hin,
Auch die formal-ästhetischen Elemente, die der künstlerischen Form, haben den Endzweck,
hinter der Fassade einer vorläufigen Lustprämie, der Vorlust, unbemerkt und straflos die
aus dem Unbewußten stammende Lust zu genießen. Besonders analysiert er dann zwei
Kunstwerke, die Anzeichen einer Produktionshemmung im Leben ihrer Schöpfer darstellen:
Schillers „Geisterseher" und Shakespeares „Sturm". Die Psychoanalyse entwickelt
sich „nach dem Gesetz, nach dem sie angetreten"; aus der Erforschung der Störungen
erwachsen, die der unvollkommenen Bewältigung unbewußter Wünsche ihr Dasein verdanken,
vermag sie sich den Problemen der künstlerischen Schöpfung auch am besten von der Seite
der Hemmungen her zu nähern. Abgründe öffnen sich bei Shakespeare und bei Schiller, die
das Schaffen überspannen und verdecken konnte, solange es ungehemmt dem Lichte zustrebte.
VD GUSTAV HANS GRABER, Die Ambivalenz des Kindes.
Geh. M. y SO, Halbleinen M. J'—, Halbleder M. 7 —
Inhalt: Der Begriff der Ambivalenz; bei Bleuler; bei Freud. Das Wesen der Ambivalenz.
Ambivalenzbildung. Hereditäres und Akzidentelles. Der Urhaß. Bindungen ans Ich. Der
Geschlechtsunterschied. Das Lustverbot. Symbolisierung. Tierphobien. Aufhebung der
Ambivalenz und Regression. Ausblick.
Besonders fruchtbar. Bringt neues individuelles Material von Kindern selbst. Lesenswerter
systematischer Versuch. (Zeitschr. f. Sexualwissenschaft)
Wichtige Fingerzeige zur Kindererziehung. (Berner Woche)
Jeder, der mit Kindern zu tun hat, wird diese Arbeit mit Gewinn lesen.
(Prof. Schneider, Riga in der Schulreform)
VII) IMRE HERMANN, Psychoanalyse und Logik. Individuell-
logische Untersuchungen aus der psychoanalytischen Praxis. Geh. M. yjo,
Halbleinen M. f — , Halbleder M. f —
Hermann untersucht mit Hilfe der Psychoanalyse das „logische Denken", wohei er besonders
den Denkmechanismus der Neurotiker zum Verständnis heranzieht. Z. B. erörtert er an Hand
des Einfallmaterials einer Patientin (die sich in der Liebe immer das Vorhandensein einer
Konkurrentin vorstellen mußte) den „Dualschritt", dessen Auftreten er mit Beispielen aus
der Kinderpsychologie, Ethnologie und Kulturgeschichte belegt. In Zurückführung der Denk-
schritte ins Biologische wird deren Verhältnis zur Trieblehre verfolgt. Das Evidenzeefühl
wird aus den Beziehungen der Ich-, bezw. Liebesideale verfolgt. In der psychoanalytischen
Behandlung der individuellen Logik sieht Hermann eine der Grundlagen der Charakterologie.
VIII) ALFRED WINTERSTEIN, Der Ursprung der Tragödie.
Ein psychoanalytischer Beitrag zur Geschidite des griechischen Theaters.
Geh. M. 8'JO, Halbleinen M. fjO, Halbleder M. 12' JO
Es wird der Versuch unternommen, einen im Gebiete des alten Thrakiens beobachteten
Karnevalsbrauch aus einer antiken ländlichen Dionysosfeier herzuleiten, die die Keim-
zelle des attischen Dionysosdramas gebildet haben dürfte. Anderseits wird das moderne
Maskenspiel in die weit verbreitete Gattung der Frühlingsfeste des „Vegetationsdämons"
eingereiht und an reichem Material deren Verwandtschaft mit den Knaben weihen der
Wilden nachgewiesen. Auch der Anteil des Toten- und Heroenknltes an der Entstelnm»-
der Tragödie wird gewürdigt und sein Niederschlag im ausgebildeten Drama des näheren fesN
gestellt. Anschließend wird die Bedeutung des Wortes Tragödie — Bocksgesang erläutert.
Die historische Entwicklung der attischen Tragödie und die Entstehung des mittelalterlichen
Dramas aus der kirchlichen Liturgie bilden den Gegenstand der späteren, durch Betrachtungen
über den tragischen Helden, den Chor, den Schauspieler und den Zuschauer ergänzten Aus-
führungen. An einem Beispiel aus einem völlig entlegenen Kulturkreise — an einem Tanz-
schauspiel der Indianer in Guatemala in vorkolumbischer Zeit — wird schließlich gezeigt,
daß auch hier der ewige Konflikt zwischen Vater und Sohn das tiefste Motiv für die Schöpfung
des Dramas darstellt.
DC) ERWIN KOHN, Lassalle - der Führer. Geh. M. 4-, Ganz-
leinen M. 6' —
Inhalt: I) Die psychologische Entstehung des Führers. - II) Die psychologische Technik
der Fuhrung bei L. — in) Das Liebesschicksal Ls. — IV) Die psychische Struktur des
Führertums bei L. Die Nachfolge Ls. und das Ende seiner Organisation.
Aus der Fülle des Materials und der überall durchblitzenden Helle entsteht ein geistiges Bild
des einstigen Arbeiterführers, das in seiner Zwingkraft beinahe schmerzt. Ausgezeichnet das
Kapitel über die psychische Struktur des Führertums bei Lassalle, der aus dem seine
Erfolge erklärenden Narzißmus herauswuchs und mit den Jahren immer mehr den Cäsarismus
an sich emporkommen ließ . . . Interessant die Gegenüberstellung der ganz wesensverschie-
denen Führer Marx und Lassalle. (Volksrtcht, Zürich)
X) ECKART von SYDOW, Primitive Kunst und Psychoanalyse.
Eine Studie über die sexuelle Grundlage der bildenden Künste der
Naturvölker. (Mit Kunstbeilagen). Geh. M. 8' — , Ganzleinen M. 10'—
Inhalt: Die Wiedererweckung der primitiven Kunst. — Die drei Wege zur Erkenntnis der
naturvölkischen Kirnst. — Die sexuelle Grundlage der Baukunst, der Plastik, der
zeichnerischen Künste. — Lust und Unlustprinzip in ihrem Verhältnis zum natur-
völkischen Kunstwerk. Kunst- und Wirtschaftsformen bei den Naturvölkern. — „Körper-
kunst" und deren sexuelle Grundlage. — Die geschichtliche Reihenfolge der Künste. —
Die geistige Kunstform als selbständige Kulturmacht. — Der Grund des Stillstandes der
primitiven Kunst.
Biologie und Sexualwissenschaft, Philosophie, Psychologie und Biographik, Ästhetik
und Literaturforschung, Soziologie, Religionswissenschaft und Ethnologie, Pädagogik
und Jugendpsychologie sind die hauptsädilidisten Stoffgebiete der
IMAGO
Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die
Natur- und Geisteswissenschaften
Herausgegeben von Sigm. Freud
Redigiert von Sandor Radö, Hanns Sachs, A. J. Storfer
Jährlich (4 Hefte, 500-600 Seiten Großquart) M. 22-, (1928 erscheint Band XIV)
Die letzten Jahrgänge enthielten unter anderem folgende Arbeiten:
Abraham, Geschichte eines Hochstaplers
Alexander, Der biologische Sinn psycholo-
gischer Vorgänge (Buddhas Versenkungsichre)
Arndt, Über Tabu und Mystik
Balint, Die mexikanische Kriegshieroglyphe
atl-tlachlnolll
Berger, Zur Theorie der menschlichen Feind-
seligkeit
Bernfeld, Über eine typische Form der männ-
lichen Pubertät
Chadwick, Die Gottphantasie bei Kindern
Chi|s, Iufaiitilisiiuis in der Malerei
— Das Unisono Inder musikalischen Komposition
Christoffel, Farbensymbolik
D aly, Hlndumythologlc und Kastrationskomplex
Deutsch, Okkulte Vorgänge wahrend der
Psydioaualyse
Fromm, Der Sabbatli
Fromm-Reichmann, Das Jüdische Speise-
ritual
Gl esc, Psychoanalytische Psychotcchnik
Gompcrz, Beobachtungen an griechischen
Philosophen
Graber, C G. Carus
Gr o ddc ck, Symbollslcrungszwang
Harnlk, Die Irlcbhaft-alfckiiven Momente im
Zeitgefühl
Hermann, G. Th. Fechncr
— Bcnvcnuto Ccllinls dichterische Periode
Hermann-Cziner, Die zeichnerische Bega-
bung bei Marie Bashkirtscff
Hitschmann, Ein Gespenst aus der Kindheit
Knut Hamsuns
Jckels, Psychologie der Komödie
Jones, Probleme des Jugendlichen Alters
— Psychoanalyse und Anthropologie
— Mutterrecht und sexuelle Unwissenheit der
— "Wilden
Klug lein, Die Romane Ina Seidels
Kolnal, Max Schelers Kritik und Würdigung
der Frcudschen Libidolchre
Kraus, Die Frauensprache bei primitiven. Völ-
kern
Kühnen, Psychoanalyse und Baukunst
Lowtzky, Bedeutung der Libidoschlcksale für
die Bildung religiöser Ideen
Mallnowski, Muttcrrcchtllchc Familie und
Ödipuskomplex
Marbach, Die Bezeichnungen für Blutsver-
wandte
Müllcr-Braunschwcig, Beitrage zur Meta-
psychologie (Dcscxuallsierung; Verliebtheit,
Hypnose und Schlaf usw.)
Pflstcr, Die primären Gefühle als Bedingungen
der höchsten Geistesfunktionen
— Die menschlichen Einigungsbestrebungen
Pötzl, Zur Metapsydiologle des „dejä vu"
Radö, Die Wege der Naturforschung im Lichte
der Psychoanalyse
Rank, Beata, Zur Rolle der Frau in der Ent-
wicklung der menschlichen Gesellschaft
Rcik, Dogma und Zwangsidee
Robitsck, Der KotUlou. Beitrag zur Sexual-
symbolik
Röheim, Die Sedna-Sage
— Die wilde Jagd
— Mondmythologie und Mondrcligion
Rorschach, Zwei schweizerische Sektenstifter
Sachs, Carl Spittclcr
Schilder, Zur Naturphilosophie
Schmidt, Brustsaugen und Fiugerlutschen
Schneider, Identifikation
Sperber, Die seelischen Ursachen -des Alterns,
der Jugendlichkeit und der Schönheit
Stärcke, Über Tanzen, Schlagen, Küssen usw.
Stcrba, Zur Analyse der Gotik
Westermon-Holstljn, Die psychologische
Entwicklung Vincent van Goghs
Winterstein, Psychoanalyse des Spuks
Wulff, Die Koketterle in psychoanalytischer
Beleuchtung
Waldholm-Eberlo A. Q., Wien Vil.
H
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C. D. Daly
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(Quetta, Beludschistan)
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Eine psychoanalytische Otudie
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^ internationaler Psychoanalytischer Verlag
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Leipzig / YVi en / Zürich
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