DEUTSCHES
BIOGRAPHISCHES
JAHRBUCH
HERAUSGEGEBEN VOM
VERBANDE DER DEUTSCHEN AKADEMIEN
BAND III
DAS JAHR 1921
1927
DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT STUTTGART
BERLIN UND LEIPZIG
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te-frffj
REDAKTIONSAUSSCHUSS:
HEINRICH BOEHMER, Leipziger Akademie
KARL BRANDI, Gottinger Gesellsdiaft der Wissensdiaften
WALTER VON DVCK, Mundiener Akademie
ERNST HEVMANN, Berliner Akademie
ALBRECHT KOSSEL, Heidelberger Akademie
ERICH MARCKS, Mundiener Historisdie Kommission
JULIUS PETERSEN, Berliner Akademie
RICHARD VON WETTSTEIN, Wiener Akademie
HERAUSGEBER:
Dr. phil. HERMANN CHRISTERN in Berlin.
BEARBEITER DER TOTENLISTE:
Dr. phil. JOHANNES HOHLFELD in Leipzig
GESCHAFTSSTELLE:
Berlin NW 7, Unter den Linden 38
(PreuBisdie Akademie der WissensAaften)
Alle Rechte vorbehalten
Drack der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart
Papier von der Papierfabrik Satach in Salach, WQrttemberg
VORWORT
VvIR legen heute den ersten Band der regelrechten Reihe des Deutschen
Biographischen Jahrbuches, Band III der neuen Folge, vor; der zweite Band
(1922) und der letzte Uberleitungsband (1917 — 20) sind in reger Vorbereitung
begriffen. Der Herausgeber, sowie derVerfasser der Totenliste sind diegleichen
geblieben. Der Herstellung dieses Bandes wie alien Angelegenheiten des Jahr-
buchs hat Gustav Roethe seine unermudlich tatkraftige Hilfe zugewendet;
auch wir beklagen seinen Tod tief . An seiner Stelle ist Julius Petersen in den
RedaktionsausschuB eingetreten.
Die Biographien Ludwigs III. von Baiern, W. Benzlers, CI. v. Delbriicks,
M. Erzbergers, W. Forsters, O. Seecks, die diesem Bande fest zugesagt waren
— einzelne davon sollten grofleren Umfangs sein — , hat der Herausgeber nicht
zu erlangen vermocht. Wir rechnen darauf , die Liicken durch einen Nachtrag
im Bande 1922 zu fiillen.
Berlin, Januar 1927.
Fiir den Ausschufi:
E. Marcks.
INHALT
Biographien 11 — 284
Totcnlistc 285 — 323
Namenverzeidmis 324
AutorenverzeiAnis 325
BIOGRAPHIEN
Auguste Victoria, Deutsche Kaiserin, * 22. Oktober 1858 auf Dolzig in der
Niederlausitz, f 11. April 192 1 in Haus Doom in Holland. — Ihr Vater war
Herzog Friedrich (VIII.) von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg,
ihre Mutter Prinzessin Adelheid von Hohenlohe-L,angenburg. A. V. war das
alteste iiberlebende Kind. Ihr folgten noch eine Sch wester, Caroline Mathilde,
und ein Bruder, Ernst Gunther. Die Kinder wurden, zunachst in Dolzig,
schlicht und religios erzogen. A. V. hing mit ganzer Liebe am Vater, einem
makellos reinen, ernsten und etwas schwerbliitigen Manne, dessen Treue,
Pflichtgefuhl und Selbstlosigkeit ihr Erbteil wurden. Von der Mutter empfing
sie vor allem eine schone musikalische Begabung und Bildung. Nach dem Tode
Friedrichs VII., des letzten K6nig-Herzogs von Danemark und Schleswig-
Holstein, mit dem der konigliche Mannesstamm des Hauses Oldenburg erlosch,
erhob Herzog Friedrich rechtlich begrundete, aber politisch unerreichbare An-
spriiche auf die Nachfolge in den Herzogtiimern und machte Kiel Ende 1863
zu seiner Residenz. Die Mutter folgte 1865 mit den Kindern nach und verlieB
Schleswig-Holstein erst nach der Annexion, im Mai 1867. * n den Kindheits-
erinnerungen A. V.s behielten diese beiden schleswig-holsteinischen Jahre
lebenslang einen bevorzugten Platz. Das Land ihrer Vater blieb ihr die Heimat
im eigentlichen Sinne. Doch sorgte der Vater dafur, daB die Zerstorung seiner
Lebenshoffnung durch Bismarcks Politik keine Bitterkeit in den Herzen der
Kinder zuriicklieB. Er iiberwachte ihren Unterricht und hielt darauf , daB keine
politischen Neigungen und Stimmungen die Geschichtsvortrage farbten. Die
Kinder sollten gute Deutsche werden, frei von partikularistischem Einschlag.
Sie verlebten eine gliickliche Jugend, nach der Riickkehr aus Kiel erst in Gotha,
dann auf SchloB Primkenau in Schlesien mit alien Reizen des Landlebens. Der
Vater sah die Versohnung mit dem Hause Hohenzollern durch die Verlobung
A. V.s mit dem altesten Sohne des ihm befreundeten deutschen Kronprinzen
noch kommen, als er im Jahre 1880 an einem Herzleiden, erst 51 Jahre alt,
starb.
Der Bund mit dem kiinftigen Erben der deutschen Kaiserkrone war zugleich
politische und Neigungsehe. Was ein gesundes Ehe- und Familienleben an
Gliick bieten kann, das hat A. V. ihrem Gatten geschenkt. Politischen EinfluB
hat sie nicht erstrebt und nur in seltenen Fallen ausgetibt; doch reine Weib-
lichkeit, Herzenstakt und gesunder Menschenverstand machten sie zu einer
vorbildlichen Hausfrau und zu einem treuen Kameraden, dessen Wert der
Kaiser mit den Jahren in steigendem MaBe schatzen lernte. Er, der mit seinen
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personlichen wie mit seinen politischen Freunden wenig Gliick gehabt, hat in
ihr den einzigen treuen Lebensfreund gefunden. Sie war nicht blind gegen seine
Schwachen und hat mit dem Instinkte der reinen Frau Menschen und Dinge
oft richtiger beurteilt als der Kaiser. Ihre Kinder, sechs Sonne und eine Tochter,
hingen mit grenzenloser Liebe an ihr, wie sie, die zur Mutter Geborene, an
ihnen. Sie, nicht der Kaiser, bildete den eigentlichen Mittelpunkt des Familien-
lebens und blieb auch, als die Kinder herangewachsen waren, die Vertraute
ihxer Sorgen und Freuden, selber eine Frau Sorge auf dem Thron, wie der
Kronprinz seine Mutter genannt hat.
Ihre Sorge gait, soweit sie jenseits der Hauslichkeit lag, vor allem der
sozialen Fiirsorge, die sie als ihre Furstenpflicht empfand und ernst nahm. Sie
hat besonders in dem Evangelisch-kirchlichen Hilfsverein und im Vaterlandi-
schen Frauenverein mitgearbeitet. Im Kampfe gegen Sauglingssterblichkeit,
Lungenschwindsucht, Trunksucht, dazu in der Armenunterstiitzung und Ar-
beitslosenfiirsorge, in der Hebung des Diakonissenwesens, auf dem Gebiete der
Jugendpflege, der Krippen und Kleinkinderschulen, doch auch in der Reform
der hoheren Madchenschulbildung hat sie einen ehrenvollen Platz eingenommen
und iiberall stets einen praktischen, nur auf die Sache gerichteten Blick gezeigt.
Am meisten kennzeichnend fur ihre Art sind vielleicht ihre Bemuhungen um
Wiedererweckung eines lebendigen kirchlichen Lebens in der kirchenfremd ge-
wordenen Bevolkerung der modernen GroBstadte. Sie hat daher auch den
Evangelischen Kirchenbauverein eifrig gefordert und zum Bau zahlreicher
neuer Kirchen geholfen. Ihre eigene religiose Auffassung war von einer ge-
wissen Enge nicht frei und erleichterte es der kirchlichen Rechten, die Kaiserin
gelegentlich ihren Zwecken dienstbar zu machen.
Die reprasentativen Pflichten, die ihr Herrscherberuf von ihr verlangte, hat
sie als Last empfunden, sich aber nie den Pflichten des Hoflebens entzogen,
auch dann nicht, als leidende Gesundheit ihr diese Last zeitweilig zur Qual
machte. Die Energie der Selbstiiberwindung, die sie dann aufbringen konnte,
hat ihrem altesten Sohne einen unausloschlichen Eindruck gemacht. Es ist
der fern von der groBen Welt Herangewachsenen nie ganz leicht geworden,
deren Formen zu beherrschen, Befangenheit zu iiberwinden, aber sie hat es
mit den Jahren gelernt, auch die Majestat wiirdig darzustellen. An dem gei-
stigen und kiinstlerischen Leben ihrer Zeit unmittelbaren Anteil zu nehmen,
wie ihre beiden Vorgangerinnen auf dem Throne es getan haben, lag ihrer be-
scheidenen und rein fraulichen Art fern. Ihre geistige Begabung ist deshalb
oft unterschatzt worden; doch hat die Kaiserin, wenn es darauf ankam, sich
rasch und mit sicherem Urteil auch in Materien, die ihr sonst fern lagen, zu-
rechtfinden konnen. Ihre Pflicht zu tun und Menschen zu erfreuen, war ihr
wichtiger, als an ihrer literarischen und kiinstlerischen Bildung zu arbeiten.
Historische Memoirenliteratur war ihre bevorzugte Lektiire. Reiten und
Tennisspiel bildeten, solange sie jung und gesund war, ihre liebste Erholung.
In den Kiinsten weiblicher Handarbeit, die sie fleiBig iibte, war sie geschickt
und geschmackvoll.
Als der Krieg ausbrach, begann fiir A. V. eine Zeit nie rastender Sorge und
Arbeit. Das Bediirfnis, Werke der Liebe zu tun, wurde nun zum alles beherr-
schenden Pflichttrieb. Zu den organisatorischen Arbeiten im GroBen trat die
Beschaftigung mit dem einzelnen Fall. Die ungezahlten Lazarettbesuche waren
Auguste Victoria. Beseler 1 3
f iir sie nicht, wie f iir rnanche andere fiirstliche Damen, die auBerliche Erfiillung
einer Anstandspflicht, sondern entsprangen dem heiBen Wunsche, zu trosten
und zu helfen. Das gelang ihr ofter und besser als anderen, weil sie nicht nur
mit dem Herzen dabei war, sondern auch, dank ihrem Umgang mit Dorf-
kindern und einfachen Leuten in der Jugend, den Weg zum Herzen des Volkes
zu finden verstand. Ihre unermudliche Sorge fiir die Opfer des Krieges aber
machte sie schliefilich selber zum Kriegsopfer. Sie hatte von ihrem Vater nicht
nur den lauteren Charakter geerbt, sondern auch die Anlage zur Herzschwache.
Die ersten Anzeichen davon traten schon vor dem Kriege auf, bald nachdem
sie das Alter ihres Vaters erreicht hatte. Die korperlichen Anstrengungen und
die seelischen Erregungen ihrer Kriegsarbeit fuhrten im August 19 18 zum Zu-
sammenbruch ihrer Kraft.
So trat sie als schwer leidende Frau in den triiben und doch nicht gliicklosen
letzten Abschnitt ihres Lebens ein, in das freiwillig an der Seite des Gatten
gewahlte Exil auf hollandischer Erde. Dem gestiirzten Kaiser sein Los zu er-
leichtern, empfand sie als ihre letzte Lebenspflicht, in deren Erfiillung sie den
besten Trost im Ungliick f and. Unendliche Beweise treuer Liebe und Anhanglich-
keit aus der Heimat taten der tief Gebeugten, aber nicht Gebrochenen von Herzen
wohl. Ihr Gottvertrauen gab ihr die Kraft, sich auch in das Schwerste zu fiigen.
Der Schmerz machte sie zur Dichterin und schenkte ihr Verse von ergreifender
Innerlichkeit. Ihr korperliches und seelisches Leiden aber wurde aufs hochste
durch die Angstzustande gesteigert, in die sie durch die, Volkerrecht und Ge-
sittung verhohnende Forderung der Auslieferung des Kaisers versetzt wurde,
mit der die Sieger im Weltkriege sich schandeten. Als sie von ihren Leiden
endlich erlost wurde, war dem deutschen Volke ihre Gestalt durch die Dornen-
krone des Marty riums verklart. Sie hatte ein groBes Schicksal groB getragen.
Die ehrfiirchtige Trauer aller Schichten des Volkes gab ihr das letzte Geleit,
als sie am 19. April 192 1 im Antikentempel zu Potsdam beigesetzt wurde.
L,iteratur: Karl Strecker, Unsere Kaiserin, Berlin 1921. — A.O.Meyer, Kaiserin
Auguste Victoria, Leipzig 1921. — Johannes Vogel, Auguste Viktoria, Potsdam 1921. —
Bogdan Krieger, Unsere Kaiserin als Landesmutter 1914 — 1918, Berlin 1921. — Auguste
Victoria, Aus nachgelassenen Niederschriften (Gedichte), herausgegeben von Ernst Pfeiffer,
Berlin 1925. — Briefe der Kaiserin in der »Neuen Christoterpe«, herausgegeben von Bartels
nnd Kogel, 1925
Gottingen. Arnold OskarMeyer.
Beseler, Hans Hartwig v., Generaloberst a. D., * am 27. April 1850 in Greifs-
wald, | am 20. Dezember 192 1 in Neubabelsberg bei Potsdam. — v. B. war
zweiter Sohn des Geheimen Rates und Professors der Rechte und spateren
Vizeprasidenten des Herrenhauses Georg B. (vgl. den Nachruf auf Max v. B.
unten S, 19). Er besuchte 1859 — ^68 das Wilhelms-Gymnasium zu Berlin.
Nach gut bestandenem Abiturientenexamen trat er am 1. April 1868 beim
Gardepionierbataillon ein. 1868 bezog er die Kriegsschule zu Potsdam, und
bestand ein Jahr darauf sein Offizierexamen mit koniglicher Belobigung. Am
3. November 1868 wurde er in das Pionierbataillon 5 versetzt, am 9. Oktober
1869 zum Leutnant befordert und in die 1. Ingenieurinspektion versetzt.
B. ist der Tradition seiner Familie — seine Vorfahren hatten studiert —
nicht gefolgt. Sein Wunsch, zur Marine zu gehen, blieb unerfullt, er wurde
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zunachst Pionieroffizier. Als solcher machte er mit Auszeichnung den Krieg
1870/71 mit. Als er dann zur Infanterie iibertreten wollte, gelang ihm dies
erst nach seiner ersten Verwendung im Generalstab (1. April 1880). In schnellem
Wechsel der verschiedensten Dienststellungen und zwischen Front, General-
stab und Kriegsministerium und in raschem Aufstieg durchschritt er eine
glanzende militarische Lanfbahn bis zum General der Infanterie (1907) und
hochsten Waffenvorgesetzten der Pioniere.
Es war ihm beschieden, unmittelbar unter den bedeutendsten Mannern
unseres Heeres seiner Zeit zu arbeiten ; unter dem alteren Moltke, dem Graf en
Haeseler und Freiherrn v. d. Goltz, dem Graf en Waldersee und Graf en Schlief-
fen, im Kriegsministerium unter den Ministern v. Bronsart II und v. Gofiler
und als Divisionskommandeur schlieBlich unter dem General v. Biilow, (s. u.
S. 52 ff.) unserem bedeutendsten Lehrmeister auf dem Gebiet der Truppen-
ausbildung damaliger Zeit, mit dem er sich in vollster Ubereinstimmungbefand.
Seine ungewohnliche militarische Befahigung, seine umfassende Allgemein-
bildung und seine ausgepragte Rednergabe wurden fruhzeitig erkannt und zur
Geltung gebracht. Schon als junger Stabsoffizier Lehrer der Kriegsgeschichte
an der Kriegsakademie (1888 — 1892), wurde er spater zum Mitglied der Stu-
dienkommission der Kriegsakademie ernannt und unter anderem auch 1900
zu den Manovern der schweizeriscjien Armee kommandiert.
Als Oberquartiermeister im GroBen Generalstab (1899 — 1903) hatte er Gele-
genheit, befruchtend auf die jungen Generalstabsoffiziere zu wirken, anregend,
anspornend und belehrend durch die Scharfe seines Denkens, seine iiberzeu-
gende Beweiskraft und seine klare Ausdrucksweise in seiner immer liebens-
wiirdigen und giitigen Art. Er gait als Autoritat auf dem Gebiet der Taktik
und des Generalstabsdienstes. Diese Stellung gab ihm aber auch Gelegenheit,
sich in die Fragen des groBen Krieges zu vertiefen und in die Gedankengange
seines groBen Chefs, des Graf en Schlieffen einzudringen, dieses iiberragenden
Mannes, dessen Verdienst um die Vorbereitung des groBen Krieges und die
Ausbildung des Generalstabs unubertroffen bleibt.
So war es nicht zu verwundern, daB B. als Nachfolger des Graf en Schlieffen
auf dem Posten als Chef des Generalstabs viel genannt wurde; und er war
auch in der Tat ein ernsthafter Kandidat, wie Graf Waldersee in seinen »Er-
innerungen« erwahnt und wofiir auch die spontanen Gnadenbeweise seines
Konigs ein Beweis sein diirften.
Leider fiel letzten Endes jedoch die Wahl nicht auf B. ; er blieb an der Spitze
der Pionierwaffe, zu deren Generalinspekteur er inzwischen (24.Dezember 1905)
ernannt war. Er gehorte nun also wieder der Waffe an, bei der er seine mili-
tarische Laufbahn begonnen hatte und an der sein Herz hing. In dieser fiihren-
den, auch fur unsere gesamte Landesverteidigung hochwichtigen Stellung
konnte B. seine reichen Gaben in vorteilhaf tester Weise sich auswirken lassen
zum Segen der Pioniere, der gesamten Armee und des Vaterlandes.
Als Nachfolger des ideenreichen Generals Colmar Freiherr v. d. Goltz war
es seine Aufgabe, dessen Plane weiterzuverfolgen und in seinem eigenen Sinne
weiter auszubauen, denn er wich in der Beurteilung der Landesverteidigung
und der zu ergreifenden MaBnahmen nicht unwesentlich von seinem geist-
vollen Vorganger ab. Er brachte Ruhe und Stetigkeit in die gesamten Arbeiten,
die von ihm in groBzugigster und planvoller Weise zielbewuBt gefordert
Beseler, Hans 15
wurden. Ein besonderes Verdienst erwarb er sich um die Ausgestaltung der
Befestigungen vor Metz und Diedenhofen und am Oberrhein.
Nicht minder erfolgreich wirkte er fiir die technische Ausbildung der Pionier-
truppe selbst. Wenn diese spater im Weltkriege alien an sie herantretenden
Aufgaben auf den verschiedensten Gebieten in mustergultiger Weise gerecht
und der Infanterie eine unentbehrliche Hilfe werden konnte, so verdankte sie
dies nicht zuletzt ihrem einstigen Generalinspekteur v. B., der die groBen
Pioniertibungen in Anlage und Durchfuhrung dem Ernstfall besonders nahe
zu bringen verstand.
Es war daher sehr zu bedauern, daB dieser bedeutende Kopf, dieser iiber-
ragende General auffallend plotzlich bereits im Januar 191 1 zur Disposition
gestellt und damit noch in der Vollkraft seiner Schaffensmoglichkeit aus seiner
militarischen Tatigkeit gerissen wurde. B. trat nun in den Jahren bis zum
Kriege mehrfach schriftstelleriscli hervor, nachdem er bereits als junger Major
einen, auch im Druck erschienenen Vortrag in der » Militarischen Gesellschaft«
uber » Bluchers Zug nach Lubeck« gehalten und als Generalinspekteur auf der
Hohe seines Wirkens in der Friedenszeit einen Aufsatz » Ingenieurkunst und
Offensive « geschrieben hatte.
In diesem setzt er sich ganz fiir seine Lieblingswaffe, die Ingenieuroffiziere
und die Pioniertruppe, ein, fiir sie bricht er eine Lanze und diesem Aschen-
brodel in der Armee will er die Stellung und Bewertung verschaffen, die ihm
bei richtiger Ausbildung und Verwendung zukommen muJ3. Griindlich raumt
er mit der falschen Auffassung auf, daB Ingenieur gleichbedeutend mit De-
fensive ist. »In den Landesbefestigungssystemen der GroBstaaten spiegeln sich
die Grundsatze ihrer Kriegf iihrung. « Die Grenzbefestigungen dienen der Vor-
bereitung und Einleitung der Offensive, die Festungen iiberhaupt gelten im
Rahmen der Operationen als Hilfsmittel der Offensive, zum Ordnen der Ver-
bande bei Riickschlagen und daran anschlieBende Wiederaufnahme der Offen-
sive, um aus ihnen zum entscheidenden Schlage vorzubrechen, um an Kraften
zu sparen, die an entscheidender Stelle zum Vernichtungsschlage eingesetzt
werden sollen. »Landesbefestigung und Festungsbau sind kein unliebsames,
dem Angriffsgedanken feindliches, sondern ein ihn unter Umstanden in hohem
Grade forderndes Element der Kriegfiihrung. « Das gleiche gilt von der Feld-
befestigung: »Sich die eigene Gefechtskraft so lange wie moglich erhalten, den
iiberlegenen Gebrauch der Waffe sichern zu wollen, ist ein weiser Vorsatz.
Beides bezweckt die Feldbefestigung. Es kommt nur darauf an, was man
darunter versteht.«
Die Schrift spiegelt die Grundsatze wider, auf denen er als Generalinspekteur
seine gesamte Tatigkeit aufgebaut hat. Und im Weltkriege haben seine Pio-
niere dann bewiesen, daB B. ihnen die richtige Wege gewiesen hatte.
In zwei Schriften »Vom Soldatenberufe« und »Die allgemeine Wehrpflicht«
beschaftigt sich B. noch einmal eingehend von hoher Warte mit der Armee,
der sein Herz, sein ganzes Denken und Fiihlen nach wie vor gehort. Er be-
spricht in ersterer den gesamten verwickelten Organismus des modernen
Heeres und vor allem die in ihm lebenden sittlichen Krafte in ihren wechsel-
seitigen Beziehungen. Er singt ein hohes Lied auf den edlen Soldatenberuf,
ohne seine Schattenseiten zu verschweigen. Offenbar hat er nicht nur fiir
das Heer geschrieben, sondern auch in weiteren Kreisen erneut aufklarend
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wirken und dem vielfach angefeindeten Offizierstande neue Freunde gewinnen
wollen.
Mit der zweiten Schrift (17. Marz 1913) hat er augenscheinlich unter dem
Eindruck der bevorstehenden kriegerischen Verhaltnisse ein Mahnwort an das
deutsche Volk und seine Vertretung im Reichstag richten und einen Druck
auf das Kriegsministerium ausiiben wollen. Nochmals ruft er die Entstehungs-
geschichte und die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht sowie die Re-
organisation in das Gedachtnis zuriick und mahnt: »Die allgemeine Wehr-
pflicht hat uns einst aus tiefster Not durch kraftvolle Erhebung zur Freiheit
gefuhrt; moge sie in alle Zukunft der Hort unseres Volkes, die unversiegliche
Quelle deutscher Macht und GroBe bleiben.«
B. wurde am 27. Januar 1912 durch Berufung in das Herrenhaus auf Iyebens-
zeit geehrt, wo er sich bald in mehreren Kommissionen nutzlich machte. Auch
trat er der »Staatswissenschaftlichen Gesellschaf t « sowie der »Gesellschaft
fur Erdkunde« bei, die ihn bald zum zweiten und wahrend des Krieges zum
ersten Vorsitzenden wahlte.
Als dann im August 1914 der Weltkrieg ausbrach, stellte der Kaiser ihn an
die Spitze des III. Reservekorps ; er bekam damit wieder in der Hauptsache
Marker unter seinen Befehl, die er als Divisionskommandeur in Brandenburg
seinerzeit (1903 — 1904) als tiichtige Soldaten schatzen gelernt hatte. Es ent-
sprach durchaus nicht seinen Wiinschen, daB er mit seinem Korps nicht an dem
Siegeszuge bis zur Marne teilnehmen konnte, vielmehr bei Briissel die Deckung
von Riicken und Flanke des deutschen Heeres und seine ruckwartigen Ver-
bindungen gegen die belgische Armee ubernehmen muJ3te. Erst die Mitte Sep-
tember an ihn ergangene Beauftragung mit der »Wegnahme von Antwerpen«
stellte ihn vor eine groBe, selbstandige und besonders schwierige Aufgabe,
fur deren Losung er sein ganzes Wissen und Konnen und seine hohe mili-
tarische Befahigung voll zur Geltung bringen konnte — und mit glanzendem
Erfolg. Sein Vorschlag, die Festung von Westen anzugreifen oder doch wenig-
stens auBer dem Hauptangriff auf anderer Front einen Nebenangriff von
Westen gleichzeitig anzusetzen, konnte von der Obersten Heeresleitung nicht
gebilligt werden. So konnte nicht verhindert werden, daB die belgische Armee
sich der EinschlieBung in der Festung rechtzeitig entzog. B. griff die Festung
von Siiden und Siidosten an trotz des starken Hindernisses, der uberschwemm-
ten Nethe. Es waren ungeheure Anforderungen, die er an seine Truppen und
besonders die Pioniere stellte; er wuBte aber, was er diesen zumuten konnte,
und hat sich nicht getauscht. Mit nur f iinf Divisionen — anstatt der im Frieden
errechneten elf — hat er binnen dreizehn Tagen die zweitgroBte Festung der
Welt am 9. Oktober zu Fall gebracht. Er wurde dafiir mit dem Orden »Pour
le meriten ausgezeichnet.
Ein Jahr spater erhielt B. noch einmal eine ahnliche Aufgabe im Osten,
als die Armee Gallwitz den unteren Narew iiberschritten hatte: Nowo-Geor-
giewsk (Modlin), die starkste russische Festung, muBte genommen werden, und
zwar schnell. B. entschloB sich auch hier zum abgekiirzten, gewaltsamen
Angriff, obwohl seine Truppen sich nicht mit seinem III. Reservekorps vor
Antwerpen vergleichen lieBen; es waren Landwehr-, Landsturm-, Ersatz-
truppen und eben aufgestellte Kriegsfreiwilligenverbande, also alteste und
jiingste Jahrgange mit zum Teil ungeniigender Ausbildung und unter wenig
Beseler, Hans 1 7
geubten Fuhrern. Aber auch hier vertraute B. der Tapferkeit der Infanterie
und der Wirkung der schwersten Artillerie.
Vom Einbruch in die vorgeschobene Stellung auf der Nordostfront am
13. August bis zur Kapitulation am 20. August vergingen nur sieben Tage. Die
Gefangenenzahl betrug 85000, darunter 15 Generale. B.s Truppen hatten —
wie sich ganz wider Erwarten nach der Kapitulation herausstellte — gegen
einen an Zahl und nach Aussehen erheblich iiberlegenen Feind gekampft.
AuBerordentlich groB war die Beute.
Das »Eichenlaub« zum Orden »Pour le merited war der Lohn fiir den Er-
oberer (20. August 1915).
Es ist sehr zu bedauern, daB B.s erfolgreiche Truppenfiihrung nun mit
seiner Ernennung zum Generalgouverneur in Warschau am 24. August 1915
ihren AbschluB fand. Er gehorte schon viel friiher an die Spitze einer Armee
und an eine S telle, wo sein reiches Konnen auf operativen Gebiet sich aus-
wirken konnte. Eine besonders befahigte Fuhrerkraft war damit zum Schaden
der Armee und des Vaterlandes brachgelegt.
Allzu schwer fiel ihm die Trennung von der Truppe, fiir deren Psyche er
ein feines Empfinden hatte und an der er mit ganzem Herzen hing — er
war daher im Frieden als Regiments- und Divisionskommandeur so auch im
Kriege als Fuhrer hochverehrt und geliebt.
Fiir die Stellung als Generalgouverneur in Warschau brachte B. eine groBe
Zahl von Eigenschaften mit, die ihn dazu besonders befahigten. Er war eben
nicht nur ein General altpreuBischer Art, sondern auch ein kluger Kopf mit
reichen Kenntnissen auf den verschiedensten nichtmilitarischen Gebieten
und lebhaftem Interesse fiir Kunst und Wissenschaften. Seine vortreffliche
Erscheinung, sein liebenswiirdiges und gewinnendes Wesen, seine groBe Ge-
wandtheit — auch im Reden — und das Geschick zu reprasentieren, kamen
ihm sehr zustatten.
B. war vor eine ungeheuer schwierige und politisch kaum losbare Aufgabe
gestellt. Er hat den Bethmannschen Gedanken, die Polen von RuBland auBer-
lich und innerlich loszulosen und wahrend der Okkupationszeit eine innere
Umstellung in ihnen zugunsten Deutschlands hervorzurufen, nach sehr griind-
licher Durcharbeitung aufgenommen und ausgebaut. Vor allem betonte er,
daB nicht erst bei FriedensschluB, sondern bei dem Wetteifern der Entente
und Osterreichs um die Gunst Polens es unbedingt notig sei, schon wahrend
des Krieges ein %fait accompli « in Polen zu schaffen. Vorbedingung dafiir
sei aber, daB Deutschland selbst wissen miisse, was es eigentlich mit Polen
wolle, und daB es dann eine Einigung mit Osterreich dariiber herbeizufiihren
habe, die aber niemals in der Deutschlands berechtigtem Interesse entsprechen-
den Weise zustande gekommen ist.
Da es bisher an authentischen Veroffentlichungen fehlt, da noch nicht
feststeht, welche Instanzen — Reichskanzler, Reichsamt des Innern, Aus-
wartiges Amt, Oberste Heeresleitung u. a. — hierbei und in welchem Um-
fange mitgewirkt haben, laBt sich ein abschlieBendes Urteil noch nicht ab-
geben. So viel ist allerdings erkennbar, daB das Schwanken unserer Reichs-
politik und die auf eigene Vorteile abzielenden Machenschaften der Oster-
reicher die Polen in ihrer ablehnenden Haltung gegen Deutschland und in
ihren Hoffnungen auf die Ententemachte bestarkten. Auch die Hoffnung auf
dbj 2
i8 1921
die Gewinnung einer, wenn ^uch nur schwachen, polnischen Armee schlugen
vollig fehl; Pilsudski wuhlte dagegen: »Ein polnisches Heer nur aus polnischer
Hand!« Die Politik war auf den Sieg der Mittelmachte, anf Zusammengehen
mit den in der Minderheit befindlichen Aktivisten in Polen eingestellt; unsere
Niederlage inuBte daher auch den Zusammenbruch unserer Politik in Polen
zur Folge haben.
In hohem Mafie wird aber eine gerechte Geschichtschreibung anerkennen
miissen, was auf kulturellem Gebiet und in der Zivilverwaltung unter B.s
Leitung geschaff en und erreicht wurde ; es sei nur genannt : Verbesserung und
Ausgestaltung des Wegenetzes, sanitare MaBnahmen (Pocken und Fleck-
typhus erheblich eingedammt), Fiirsorge fiir die deutschen Schulen, die
evangelische Kirche, fiir die Ruckwanderer (besonders die deutschen), Ein-
richtung der »landeskundlichen Kommission « und von wissenschaftlichen
Kursen (Vortrage von beruhmten Gelehrten usw. aus Deutschland; Vortrage
spater zum Teil im Druck erschienen) ; Eroffnung der Warschauer Universitat
und Hochschule u. a. m.
Seine hohen Verdienste wurden am 27. Januar 1918 von seinem Allerhochsten
Kriegsherrn durch Beforderung zum Generaloberst anerkannt und am 1. April
1 91 8 wurden ihm zu seinem 5ojahrigen Dienstjubilaum von alien Seiten reiche
Ehren erwiesen.
B. war am 1. Oktober 1918 nach Berlin berufen worden, urn die Fiihrung
der Waffenstillstandskommission zu iibernehmen, muBte dann aber auf Wunsch
des Staatssekretars v. Hintze auf seinem Posten in Warschau bleiben.
Wegen der Vorkommnisse beim Zusammenbruch am 9. November 1918 in
Warschau sind gegen den Generaloberst bittere, aber ungerechte Klagen er-
hoben worden. Der Kriegsminister hat sie in der Nationalversammlung am
29. Juli 1919 entkraftet. Seinem echt soldatischen Denken und Pflichtgefuhl
folgend, ist B., obwohl schwer krank, am 8. November von Berlin nochmals
auf seinen Posten nach Warschau zuriickgekehrt und hat noch bis zum 12.
dort ausgeharrt, obwohl der gegen seine Warming zu friih aus dem Magde-
burger Gefangnis entlassene Pilsudski bereits am 10. die militarische Gewalt
an sich gerissen hatte.
Das Fiasko seiner dreijahrigen Tatigkeit in Warschau, noch mehr aber der
Zusammenbruch unseres Vaterlandes warfen einen tiefen Schatten auf das
Gemut dieses edlen Mannes, der nicht mehr von ihm wich. In einem Sana-
torium bei Potsdam ist er am 20. Dezember 1921 sanft entschlafen, ohne daft
es ihm beschieden war, noch selbst iiber seine Tatigkeit der Nach welt Rechen-
schaft zu geben.
Auch diejenigen, die mit seinem Wirken in Warschau nicht einverstanden
waren, preisen den geraden Charakter dieses aufrechten und bedeutenden
Mannes und erkennen riickhaltlos das ehrliche Streben fiir das Wohl des
Vaterlandes an. In der Geschichte wird sein Name fortleben als der des »Er-
oberers von Antwerpen«.
Titel der gedruckten Broschiiren, Vortrage usw. B.s. Vortrage: Bluchers Zug
nach I,ubeck, Februar 1892. — Der Freiheitskampf Nordamerikas und der Burenkrieg,
Marz 1901. — Am Wilhelmstage 1914, Marz 1914. — Broschiire: Jena oder Sedan? Ein
Wort zur Abwehr, Sommer 1904. — Iin Militar-Wochenblatt : Noch eininal Festungs-
ubungen (olme Namen), 1906; Reinhold Wagner, Gnindlagen der Kriegstheorie, Be-
Beseler, Hans. Beseler, Max ig
sprechung, 1912; Graf Schlieffen, Gesammelte Schriften, Besprechung, Juni 1913; Zum
to. Marz 1910; Militarpolitischer Riickblick auf das Jahr 1913, Januar 1914. — Deutsche
Revue: Politisierende Heere, Mai 191 4; Soldatischer Gehorsam, August 1914. — Aus Georg
B.s Brief en aus dem Frankfurter Parlament. — Preufiische J ahrbiicher : Heeresfragen, 19 1 2 ;
Krieg und modernes Verkehrswesen, 191 3. — Broschiiren: Vom Soldatenberuf, 191 2; Die
allgemeine Wehrpflicht, Kin Gedenkwort zum 1 7. Marz 191 3. — Buch : Gedanken iiber Aus-
bildung und Truppeniibungen, Januar 191 3. — Vierteljahrshefte fiir Truppenfiihrung und
Heereskunde, Heft 3, 1910: Ingenieurkunst und Offensive.
Nachrufe: Deutsches Offizierblatt, Januar 1922 (v. Tschischwitz) ; Wehrbeilage der
»Zeit« (spat er Tagl. Rundschau) 192 1, Nr. 44 (Nethe); Berl. Borsenzeitg. i92i,Nr. 593;
Deutsche AUg. Zeitung, F,nde Dezember 1921 (v. Kuhl); Berl. Tageblatt, Ende Dezem-
ber (v. Dombrowski).
Literatur: Schlachten des Weltkrieges in Einzeldarstellungen : Heft 3 (Antwerpen
1 914), Heft 10 (Schlacht an der Yser und bei Ypern 19 14), Heft 8 (Nowo-Georgiewsk) .
— Denkwiirdigkeiten d. Graf en Waldersee. — Johannes Reinke, Mein Tagewerk. Freiburg
1925. — Ernst v. Dryander, Erinnerungen aus rneinem Leben. — Adolf Eichler, Das
Deutschtum in KongreCpolen.
Berlin-Charlottenburg. Erich v. Tschischwitz.
Beseler, Max Georg Friedrich v., Dr. jur., preuBischer Staats- und Justiz-
minister, Kronsyndikus, Mitglied des Herrenhauses. * 22. September 1841 in
Rostock, | 2 4- Juti I 9 21 m Berlin. — B. stammte aus holsteinischer (ver-
mutlich im 16. Jahrhundert infolge der Religionsverfolgungen durch Herzog
Alba aus Ypern nach Deutschland eingewanderter) Familie ; er wurde als Sohn
des hervorragenden Rechtsgelehrten und Germanisten Georg B. und seiner
Gattin Emilie geb. Karsten in Rostock geboren, wo sein Vater damals eine Pro-
fessur bekleidete. Er besuchte das Gymnasium in Greifswald und in Berlin und
studierte dann in Heidelberg und in Berlin (wo er auch promovierte) die Rechts-
wissenschaften. Im Jahre 1863 trat er als Auskultator in den preuBischen
Justizdienst, 1868 wurde er zum Gerichtsassessor, 1870 zum Richter (zunachst
mit dem Titel »Amtsgerichtsassessor«, seit 1873 als »Amtsrichter«) bei dem
Amtsgericht Hannover ernannt. Im Juli 1870 wurde B., der schon die Feld-
ziige von 1864 un d 1866 mitgemacht hatte, als Reserveoffizier bei dem 4. Garde-
regiment zu FuB wiederum zu den Fahnen einberufen. Er nahm (zuerst
Zug-, spater Kompagniefuhrer und Hauptmann d. R.) an den Schlachten
bei St. Privat, Beaumont, Sedan und an der Belagerung von Paris teil und
wurde nach St. Privat durch das Eiserne Kreuz II. Kl. ausgezeichnet. 1874
wurde er als Stadtrichter an das Stadtgericht Berlin, 1879 als L,andgerichts-
rat an das Landgericht I daselbst versetzt. Nachdem er 1882 zum Land-
gerichtsdirektor befordert worden und als solcher zunachst in Saarbriicken,
dann in Dusseldorf tatig gewesen war, wurde er bereits 1888 — in verhaltnis-
maBig jungen Jahren — zum Landgerichtsprasidenten in Oppeln ernannt.
Als im Jahre 1892 die Stelle eines besonderen Prasidenten fiir das Amts-
gericht I in Berlin hatte geschaffen werden mussen, weil wegen der raschen
Bevolkerungszunahme die Fuhrung einer geordneten Aufsicht durch den
Prasidenten des iibergeordneten Iyandgerichts sich als unmoglich heraus-
gestellt hatte und ernste MiBstande eingetreten waren, wurde B. fiir dieses
schwierige Amt auserwahlt. Mit zaher Tatkraft und ungewohnlichem Or-
ganisationstalent hat er es verstanden, die Verhaltnisse bei dem seiner I^ei-
tung anvertrauten Gericht in kurzer Zeit musterhaft zu regeln. Von Berlin
20 1921
kam er 1897 als Oberlandesgerichtsprasident nach Kiel, von dort 1904 in
gleicher Eigenschaft nach Breslau. Bereits im November des folgenden Jahres
wurde er als Nachfolger Dr. v. Schonstedts zum Staats- und Justizminister
ernannt. Im AnschluB hieran wurde er im folgenden Monat zum Kronsyndikus
bestellt und auf Lebenszeit in das Herrenhaus berufen.
Beinahe zwolf Jahre lang hat B. an der Spitze der preufiischen Justiz-
verwaltung gestanden und sich dabei als eine kraftvolle, auf rechte Personlich-
keit, als ein Mann von strengster Gerechtigkeitsliebe und Unparteilichkeit,
als ein »wahrhafter Minister der Justiz undGerechtigkeit« (wie ihn die Deutsche
Juristenzeitung bei seinem Scheiden vom Amt genannt hat) erwiesen. Mannig-
fache Verdienste hat er sich um die Rechtspflege und ihre Organe erworben.
Mit Erfolg war er um die Hebung und zeitgemaBe Verjiingung des Richter-
standes bemiiht. Ihm ist die Gleichstellung der Richter und Staatsanwalte
mit den hoheren Verwaltungsbeamten zu danken. Im Interesse der Richter
selbst und der Rechtsprechung hat er standig auf eine Einschrankung der
Zahl der Hilfsrichter und ihre Ersetzung durch festangestellte Richter hin-
gewirkt. Die Ausbildung der Richter suchte er durch Anderungen im Prii-
fungs- und Vorbereitungswesen zu bessern. Allem bureaukratischen Wesen
abhold, hat er den Geschaftsverkehr vereinfacht und mit der Entlastung der
Richter von minder wichtigen Geschaften begonnen. Auch eine Besserung der
Verhaltnisse des Kanzleipersonals hat er sich besonders angelegen sein lassen.
Unvergessen ist ihm vor allem, daB er wiederholt mannhaft fur die Unab-
hangigkeit der Rechtsprechung eingetreten ist, wie er selbst sie auch in der
eigenen Amtstatigkeit stets aufs strengste gewahrt hat.
Gegeniiber den ihm unterstellten Beamten verband er mit Strenge, wo sie
not tat, milde Herzensgute, die er haufig hinter einer strengen und unbewegten
Miene zu verbergen suchte, um nicht Hoffnungen zu erwecken, die zu erfullen
sein Pflichtgefiihl ihm — entgegen seinem Wunsche — verbot.
Auf dem Gebiete der Gesetzgebung ist seine eifrige und erfolgreiche Mit-
wirkung an der Gestaltung der durch den Weltkrieg notwendig gewordenen
Gesetze zu nennen.
Schlicht in seinem Wesen, liebte B. es nicht, seine Person in den Vorder-
grund zu stellen. Sein Inneres erschloB sich im engeren Freundeskreise. Rege
war sein Interesse fur die Literatur. Neben Goethe, von dem er sich auch
auf Reisen nicht trennte, standen seinem Herzen die groBen Humoristen (wie
Fr. Reuter und Dickens) besonders nahe, und die ganze Liebenswiirdigkeit
seiner Natur trat zutage, wenn er, der bei allem Ernst selbst ein Mann gemiit-
vollen Humors war, von Szenen oder Gestalten aus den Werken dieser Humo-
risten sprach. Treu, hilfreich und von unbedingter Zuverlassigkeit war er
gegen seine Freunde. Seinem Konig war er — ohne jeden Byzantinismus —
mit aufrichtigster Anhanglichkeit ergeben, wie auch dieser ihm stets gnadig
gesinnt gewesen ist. (Im Jahre 1916 wurde B. durch das Komturkreuz des
Hausordens der Hohenzollern ausgezeichnet.)
Zunehmendes Alter notigte ihn, im Jahre 1917 seine Entlassung aus dem
Amte nachzusuchen. Sie wurde ihm am 6. August 1917 gewahrt und mit
einem Handschreiben des Konigs begleitet, in dem die hohen Verdienste an-
erkannt wurden, die er sich in alien seinen Stellungen um Konig und Vater-
land erworben habe. Gleichzeitig wurde ihm — als Ausdruck des »warmsten
Beseler, Max. Bethmann Hollweg 21
Koniglichen Dankes« — der Orden vom Schwarzen Adler verliehen, womit
die Erhebung in den Adelsstand verbunden war.
Vermahlt war B. seit 1872 mit L,uise Haupt, der selbst literarisch und
philologisch hochgebildeten Tochter des bekannten Germanisten und Philo-
logen Moritz Haupt. Im Jahre 1904 wurde ihm die Gattin durch den Tod ent-
rissen. Aus der Ehe sind vier Kinder hervorgegangen. Der B ruder B.s war der
preuBische Generaloberst Hans v. B. (siehe oben S. 13 ff).
Am 24. Juli 192 1 ist B. im fast vollendeten 80. Lebensjahre nach langerem
Leiden in Berlin entschlafen.
Berlin-Dahlem. RudolfHuber.
Bethmann Hollweg, Theobald v., Reichskanzler a. D., * in Hohenfinow
(Kreis Oberbarnim in der Mark Brandenburg) 29. November 1856, f daselbst
am 2. Januar 192 1, entstammte einem Frankfurter Geschlecht, das erst im
19. Jahrhundert durch Moritz August (1795 — 1877) nach PreuBen gekommen
ist. Moritz August v. B. H. hat sich nicht nur als Rechtsgelehrter einen Namen
gemacht, sondern ist auch im politischen Leben hervorgetreten. Er war einer
der Begriinder der Wochenblattspartei, die sich zu Anfang der 5oer Jahre
von den Konservativen trennte, weil sie deren Reaktion gegen die Verf assung
nicht mitmachen wollte, aber auch auBenpolitisch eigene Wege ging; in der
»neuen Ara« Wilhelms I. war er zeitweise Kultusminister. Sein Enkel Theo-
bald v. B. H. studierte nach dem Besuch der Landesschule Pforta in StraB-
burg, Leipzig und Berlin (nicht aber in Bonn, vor allem nicht beim Korps
Borussia) die Rechte. 1879 Referendar und 1884 Regierungsassessor, folgte er
1886 seinem Vater im Landratsamt des heimatlichen Kreises Oberbarnim.
In die zehnjahrige Landratszeit fallt ein erster kurzer Ausflug in die Politik.
1890 wurde B. H. in den Reichstag gewahlt, wo er sich der Reichspartei an-
schloB ; um der drohenden Ungultigkeitserklarung der Wahl zuvorzukommen,
legte er aber sein Mandat nieder, be vor er politisch irgendwie hervorgetreten
war. Nachdem er von 1896 bis 1899 Oberprasidialrat beim Oberprasidium
in Potsdam gewesen war, wurde er im Sommer 1899 zum Regierungsprasidenten
von Bromberg ernannt; aber schon nach drei Monaten kehrte er als Ober-
prasident in die Mark Brandenburg zuriick. Fiinfeinhalb Jahre spater, im
Marz 1905, wurde er als Nachfolger des verstorbenen Freiherrn v. Hammer-
stein zum Minister des Innern berufen. Die Reden, die er in dieser Eigenschaft
im preuBischen Landtag gehalten hat, atmen einen durchaus freiheitlichen
Geist in der warmen Anerkennung der Selbstverwaltung, in der stark be-
tonten Abneigung gegen den ErlaB entbehrlicher Polizeiverordnungen. Die
Taten freilich entsprachen, soweit sie bekannt wurden, diesen Reden nicht
ganz. Ein ErlaB gegen die Beziehungen zwischen Beamten und Abgeordneten
erregte als AusfluB bureaukratischer Engherzigkeit und Geringschatzung des
Parlaments unliebsames Aufsehen, das B. H. vergeblich durch mildernde
Interpretation zu beschwichtigen suchte. Noch mehr setzte sich B. H. zum
Liberalismus in Gegensatz durch die 1906 eingebrachte Vorlage zur Reform
des preuBischen Wahlrechts. Diese beschrankte sich namlich, statt den libe-
ralen Forderungen nach Einfuhrung des gleichen Wahlrechts entgegenzu-
kommen, auf kummerliches Flickwerk, indem sie lediglich die durch die
22 *9 21
Bevolkerungsvermehrung unhaltbar und praktisch undurchfuhrbargewordenen
VorschHften des Wahlgesetzes von 1849 abanderte und fiir die groBen Stadte
zehn neue Wahlkreise schuf, im iibrigen aber das Dreiklassenwahlrecht und
die offentliche Stimmabgabe unangetastet lieB. B. H. rechtfertigte diese
Zuriicklialtung in einer Rede vom 23. Marz 1906, die mit der Hervorhebung
der jeder befriedigenden Regelung des Wahlrechts entgegenstehenden Schwie-
rigkeiten, des Widerspruchs zwischen der nivellierenden Wirkung eines
gleichen Wahlrechts und dem Bedurfnis nach Befreiung der aufwartsstreben-
den Krafte, und mit der daraus gezogenen Folgerung der Ablehnung jeder
durchgreifenden Reform fiir seine ganze politische Art uberaus bezeichnend
ist. Dafi er sich dabei auf den » groBen Aristokraten des Geistes Kant«
berief, hat ihm den Beinamen des philosophischen Ministers (und spater
Kanzlers) eingetragen. In der Tat bestand zwischen dem leichten Optimis-
mus, mit dem Bulow Schwierigkeiten auszuweichen liebte, und dem griib-
lerischen Ernst, mit dem B. H. den Dingen auf den Grund zu gehen versuchte,
ein auffallender Unterschied, der aber keineswegs nur einen Vorzug B. H.s
bedeutet. Vielmehr war sein Hang zum eindringenden Nachdenken iiber die
Erscheinungen des politischen Lebens zugleich seine empfindlichste Schwache,
weil er dariiber die Kraft des Entschlusses verlor. Auch fuhrte das BewuBt-
sein, daB er die Probleme ernsthafter anpacke und tiefer durchschaue als
die andern, bei B. H. zu einer schulmeisterlichen tjberheblichkeit, die viele
seiner Mitarbeiter beklagt haben.
Als Mann konservativer Anschauungen, der aber zugleich Verstandnis fiir
andere geistige und politische Stromungen besaB, erschien B. H. dem Reichs-
kanzler Ftirsten Bulow besonders geeignet zur Vertretung der Blockpolitik.
So wurde er am 24. Juni 1907 als Nachfolger Posadowskys zum Staatssekretar
des Reichsamts des Innern und auBerdem zum Vizeprasidenten des preu-
Bischen Staatsministeriums ernannt. In dieser Eigenschaft hatte er vor allem
auf eine gewisse Einheitlichkeit zwischen der preuBischen und der Reichs-
politik zu wachen; doch ist er als Vizeprasident wenig hervorgetreten, wie
es ja iiberhaupt an jener Einheitlichkeit dauernd fehlte. Der Schwerpunkt
seiner Tatigkeit lag vielmehr seit 1907 im Reiche. Auf den eigentlichen Haupt-
arbeitsgebieten seines Amtes hat er freilich wenig geleistet. Die Wirtschafts-
politik war durch die Handelsvertrage von 1905 auf mehr als ein Jahrzehnt
festgelegt; B. H. hatte sie nur gegen gelegentliche Angriffe zu verteidigen.
Auch in der Sozialpolitik ist nichts Neues geschaffen worden. Von dem groBen
Reformprogramm, das B. H. am 2. Dezember 1907 im Reichstag aufgestellt
hat, ist nur das Arbeitskammergesetz unter B. H. fertig geworden ; es scheiterte
aber im Reichstag, da es als ein Versuch, zwischen Unternehmern und Ar-
beitern zu vermitteln, nirgends befriedigte. Hauptaufgabe B. H.s in seiner
Stellung als Staatssekretar des Innern, mit der seit langem die Vertretung
des Reichskanzlers in der gesamten inneren Politik verbunden war, war es,
die beiden Half ten des konservativ-liberalen Blocks zusammenzuhalten, so-
wohl die liberalen Zugestandnisse, die Billow dem Block zuliebe brachte,
den Konservativen schmackhaft zu machen, wie ihre Grenzen den Liberalen
gegeniiber zu rechtfertigen. Insbesondere gab die Beratung des Vereinsgesetzes
und hinterher die Besprechungen iiber seine Anwendung in den Einzelstaaten
B. H. Gelegenheit zu versohnlichen Auseinandersetzungen mit dem Block.
Bethmann Hollweg 23
Bei der Reichsfinanzreform, die den Bruch des Blocks herauffuhrte, war er
dagegen nicht in erster Linie beteiligt. Erst nach der Ablehnung der Erb-
schaftssteuer in der zweiten I^esung, die Biilows Riicktritt unwiderruflich
machte, griff er ein, verhandelte mit der neuen, aus Zentrum und Konser-
vativen gebildeten Mehrheit iiber eine fiir die Reichsregierung annehmbare
Oestalt der Steuervorschlage und kiindigte nach dem AbschluB dieser Ver-
handlungen in der dritten Lesung die Unterwerfung der verbiindeten Re-
gierungen unter das Steuerprogramm der neuen Mehrheit an. Deshalb konnte
er trotz seiner engen Verbindung mit dem Block der Nachfolger Biilows
werden.
Das Erbe, das B. H. am 14. Juli 1909 mit dem Reichskanzleramt iiber-
nahm, war keineswegs leicht. Von dem Ernst der auswartigen I,age soil noch
im Zusammenhang gesprochen werden. In der inneren Politik hatte der
Kampf um die Finanzreform zu scharfen Gegensatzen zwischen den Parteien
gefiihrt, das Ansehen der Regierung war durch die Preisgabe des Blocks und
des mit ihm verbundenen Kanzlers und durch die Annahme der auch nach
den KompromiBverhandlungen dem urspriinglichen Programm der Regierung
widersprechenden Steuergesetze schwer erschiittert worden. Die alte Tra-
dition der Unabhangigkeit der Regierung von der Parlamentsmehrheit schien
aufgegeben zu sein. Aber eine haltbare Grundlage fiir eine Regierung mit den
Parteien war nicht vorhanden. B. H. war auch nicht bereit, der Kanzler
der aus den Konservativen und dem Zentrum gebildeten Parteikoalition zu
werden, die eben erst der Regierung ihren Willen aufgedrungen hatte; er
wollte um der Zukunft willen den liber alen Einschlag nicht ganz aufgeben.
Zumal die Einordnung der Arbeiterbewegung in die gesellschaftliche Ordnung,
die er einst als die groBte Aufgabe der Gegenwart bezeichnet hatte, schien
gefahrdet zu sein, wenn diejenigen biirgerlichen Kreise, die da von nichts
wissen wollten, sondern lieber an gewaltsame Unterdriickung dachten — und
das waren vornehmlich die Konservativen — den Ton in der Regierung an-
gaben. Deshalb war er als Kanzler bestrebt, die Regierung iiber den Parteien
zu halten. Aber selbst wenn man in diesem Programm, das er in seinen Be-
trachtungen zum Weltkrieg (Bd. I, S. 18 f.) auseinandergesetzt hat, mehr
sehen will als einen nachtraglichen Rechtfertigungsversuch, so bleibt das Ur-
teil, daB er es nicht verstanden hat, den rechten Weg zum Ziel zu finden. Die
Parteigegensatze und Parteianspriiche konnten nur dann ausgeschaltet werden,
wenn die Regierung energisch die Fuhrung ubernahm und bestimmte Auf-
gaben stellte. Daran hat es B. H. vollig fehlen lassen. Er vertraute, wie er
in seiner ersten Kanzlerrede am 9. Dezember 1909 im Reichstag sagte, auf
den Zwang zum Schaffen, d. h. er iiberlieB die politische Entwicklung den-
jenigen Kraften, die starker waren als er.
So brachte er zwar in PreuBen eine Wahlrechtsvorlage ein, weil sie in der
Blockzeit durch eine Thronrede des Konigs verheiBen worden war und ein
solches Versprechen bei der starken Betonung der selbstandigen Rolle des
Monarchen in PreuBen nicht mit dem Hinweis auf die veranderten partei-
politischen Verhaltnisse abgetan werden konnte. Aber er verteidigte sie nur
matt und zog sie zuletzt zuriick, als er sah, daB sich keine Mehrheit fiir eine
befriedigende Fassung finden werde. Dann ruhte diese Frage auBerlich ganz;
das t)bergewicht der Konservativen Partei in PreuBen blieb unangetastet.
24 T 92i
Und das, obwohl B. H. in seiner Reichspolitik durch die Verschiedenheit
der parlamentarischen Mehrheitsverhaltnisse im Reiche und in PreuBen schwer
gehemmt wurde. Denn im Reichstag waren die Konservativen allein macht-
los, das Zentrum ausschlaggebende Partei, und es nutzte die Moglichkeit der
doppelten Mehrheitsbildung in alter Weise aus. So wurde der Entwurf einer
Verfassung fur ElsaB-Lothringen, den B. H., dem Drangen der Elsasser, des
Zentrums und seiner Freunde nachgebend, dem Reichstag vorlegte, durch
die Aufnahme des gleichen Wahlrechts, das B. H. den PreuBen noch versagen
wollte, wesentlich demokratisiert. DaB B. H. dies, seiner Natur entsprechend,
geschehen lieB, entfremdete ihm das Vertrauen der Konservativen, die klarer
als er die unvermeidlichen Folgen einer solchen Politik der Nachgiebigkeit
fur PreuBen erkannten. Dem hier drohenden Verlust stand fur B. H. kein
Gewinn gegeniiber. Die Reichstagswahlen vom Januar 1912 fielen angesichts
der Taten- und Erfolglosigkeit der Regierung iiberall sehr ungiinstig aus.
B. H. freilich trostete sich mit dem Satze, der dann in vielen Wiederholungen
seine spateren Reden und seine Betrachtungen zum Weltkriege durchzieht:
»Erfolg habe ich nicht gehabt, aber ich habe meine Pflicht getan.« DaB er
damit sein Ungeschick als Politiker offen bekundete, hat er anscheinend nie
empfunden.
Nur auf einem Gebiet hat B. H. die Parteien zu fruchtbarer Arbeit zusammen-
gefuhrt, auf dem der deutschen Wehrkraft. Aber auch das ist weniger das
Verdienst seiner Tatigkeit als vielmehr die Wirkung des wachsenden Druckes
der auswartigen Lage. B. H.s Neigung entsprach es auch auf diesem Gebiete,
den Kampf durch Verzicht auf das Notwendige zu vermeiden. Die Riicksicht
auf die Finanzen war ihm im Sommer 1910 wichtiger als eine der Verschlech-
terung der politischen Stellung Deutschlands entsprechende Ausgestaltung
des Heeres. Da sich der Kriegsminister fugte, sah die Heeresvorlage von 191 1
nur eine auf fiinf Jahre zu verteilende Erhohung des Mannschaftsbestandes
um 9482 Gemeine vor; es ist die kleinste Heeresvorlage des Kaiserreichs.
Als sie am 1. Oktober in Kraft trat, war sie freilich schon langst durch die
Ereignisse uberholt; die Marokkokrisis vom Sommer 191 1 war ein so deut-
liches Warnungszeichen, daB eine namhafte Verstarkung von Heer und Flotte
nicht langer aufgeschoben werden konnte. Aber auch jetzt machte B. H. nur
halbe Arbeit. Wahrend das Schicksal der Flottenvorlage durch die Ver-
standigungsversuche mit England bestimmt wurde, wurde die Heeresvorlage
recht im Gegensatz zum Zeit alter Bismarcks, der Fragen der Wehrkraft als
Hebel fur die innere Politik zu benutzen verstand, aus Scheu vor parlamen-
tarischen Kampfen verkummert. Ihr Rahmen wurde so eng gesteckt, daB die
Mehrkosten ohne wesentliche Steuererhohung, die ohne scharfe politische
Kampf e nicht zu haben war, getragen werden konnten. Sie brachte deshalb
zwar eine Verbesserung der Organisation des Heeres, vermehrte aber die
Zahl der Mannschaften nur um 23750 Mann. Die Erneuerung des Streites der
Parteien um die Erbschaftssteuer war damit verhiitet worden. Dafiir hatte
B. H., wie die bald darauf erfolgte Griindung des Wehrvereins zeigte, in weiten
Kreisen das Vertrauen erschiittert, daB die Reichsregierung ohne innerpolitische
Riicksichten die Fragen der Wehrmacht lediglich nach den auBenpolitischen
Erfordernissen behandle. DaB die Vorlage von 1912 unzureichend war, daB
Deutschlands politische L,age die voile Ausnutzung der lebendigen Volks-
Bethmann Hollweg 25
kraft fur Heereszwecke erforderte, bewies der Balkankrieg des Winters 1 912/13.
Er zwang zu einer neuen Heeresverstarkung um 116 900 Mann. DaB auch die
neue Vorlage, die dritte innerhalb von drei Jahren, nicht ganze Arbeit machte,
daB sie z. B. die Wiinsche des Generalstabs auf Bildung von drei neuen Armee-
korps nicht erfiillte, war in der Hauptsache Schuld des Kriegsministers, der
die Riicksichten auf die friedensmaBig geordnete Entwicklung des Heeres
hoher stellte als das Bediirfnis eines Krieges gegen mindestens zwei Fronten.
Aber daB die endgultige Entscheidung des Kaisers fiir den Kriegsminister
und gegen den Generalstab ausfiel, darauf hat auch B. H. eingewirkt. Die
ihn bestimmenden innerpolitischen Bedenklichkeiten waren aber nicht be-
griindet. So ungiinstig auch die Lage der Regierung gegeniiber dem 191 2 neu
gewahlten Reichstag war, in dem no Sozialdemokraten saBen, und so groB
auch die neuen Anforderungen waren, die die Heeres vorlage stellte, so war
doch angesichts der weltpolitischen Lage eine groBe Mehrheit fiir die Re-
gierung vorhanden. Diese Stimmung fiir die gesamte innere Politik fruchtbar
zu machen, war B. H. freilich nicht der Mann. In der Frage der Deckung der
Mehrkosten, die mit der Heeresverstarkung verbunden waren, lieB er sich
die Fuhrung wieder ganz aus der Hand winden. Zentrum, Fortschrittspartei
und Sozialdemokratie, die schon bei der elsaB-lothringischen Verfassung zu-
sammengewirkt hatten und in diesem Reichstag wahrend des Krieges die
Leitung iibernehmen sollten, legten der Reichsregierung ihren Willen auf.
B. H. war weder stark genug, Widerstand zu leisten, noch war er schon weit
genug aus seinen konservativen Anschauungen herausgewachsen, um mit dieser
Mehrheit grundsatzlich neue Wege in der inneren Politik zu gehen. So blieb
seine Politik unsicher und schwankend und fand nirgends Anhanger. Das
Jahr 1913 endet innerpolitisch mit der unerquicklichen Zabernaffare, die nicht
nur ein Licht auf die triiben Verhaltnisse in ElsaB-Lothringen warf , sondern
dariiber hinaus die mit der Schwache des Reichskanzlers steigende Unzu-
friedenheit und die Vermehrung der Anspriiche des Reichstags erhellte. Es
war das erstemal, daB der Reichstag ein formliches MiBtrauensvotum gegen
den Reichskanzler beschloB. Und wenn dieses auch noch kein praktisches
Ergebnis hatte, so bedeutete es doch eine Minderung des Ansehens der Re-
gierung. DaB B. H. das alles geschehen lieB, fiihrte zu einem scharfen Zu-
sammenstoB zwischen ihm und den Konservativen im preuBischen Abgeord-
netenhaus; B. H. berief sich gegeniiber dem Vorwurf der Schwache ahnlich
wie 191 2 auf den Ernst seines Verantwortungsgefiihls.
Die entscheidende Krisis seines staatsmannischen Lebens erwuchs B. H.
aber nicht auf dem Gebiet der inneren Politik, sondern auf dem der auswar-
tigen, die er seit 1909 ebenfalls verantwortlich leitete. Er war der erste Reichs-
kanzler, der aus der inneren Verwaltung, nicht aus der diplomatischen oder
militarischen Laufbahn gekommen war, und wenn er sich auch mit gewohnter
Gewissenhaf tigkeit in die Auf gaben dieser Seite seines Amtes einzuarbeiten ver-
sucht hat, so hat er doch den Mangel an eigener Anschauung fremder Lander
und richtigem Verstandnis fiir das Wesen der auswartigen Politik niemals ganz
ausgleichen konnen. Seine Natur, die schon in der inneren Politik zur staats-
mannischen Fuhrung nicht geschaffen war, versagte hier vollkommen. Wenn
er in einem Brief e an Lamprecht, den die »Vossische Zeitung« am 12. De-
zember 19 13 veroffentlichte, vor der Cberschatzung der Politik der Gewalt
26 1921
warnte und auf die feineren Mittel der Kulturpropaganda, die im wesentlichen
vom Volk getragen werden mtisse, hinwies, so ubersah er bei diesem an sich
richtigen Gedanken vollig, daB die Voraussetzungen einer solchen Kulturpropa-
ganda von klarer und zielbewuBter Fuhrung der Regierung erst geschaffen und
gesichert werden muBten. Im Grunde war diese Auffassung nichts anderes als
der ins AuBenpolitische iibertragene Glaube an den Zwang zum Schaffen,
den er in der inneren Politik vergeblich beschworen hatte, ein Mangel an Ent-
schluBkraft, der aus dem Gefiihl der Schwere der Probleme und der Unzu-
langlichkeit menschlicher Erkenntnis und menschlichen Wollens erwuchs.
Dabei war B. H. gerade auf dem Gebiet der auswartigen Politik vor ge-
waltige Aufgaben gestellt. Zwar war die Annexionskrisis, die im Winter 1908/09
die Welt hart an den Rand des allgemeinen Krieges gefuhrt hatte, mit einem
Erfolg fur Deutschland ausgegangen. Aber es war ein Augenblickserfolg ge-
wesen, der die L,age flir Deutschland dauernd nicht verbessert und die Ein-
kreisung durch die Erbitterung RuBlands uber das deutsehe Eingreifen eher
verscharft als gelockert hatte. B. H. hat sich uber den Ernst der Lage keinen
Illusionen hingegeben; sein Temperament schiitzte ihn vor einem rosigen
Optimismus, wie ihn sein Amtsvorganger zur Schau getragen hatte. Von An-
fang an sah er sein Ziel darin, den auf Deutschland lastenden Druck durch eine
Verstandigung mit England zu vermindern. Aber die Aufgabe war schwieriger,
als B. H. geglaubt hatte. England forderte erheblich groBere Zugestandnisse
auf dem Gebiet der deutschen Flottenpolitik, als B. H. bieten konnte; anderer-
seits lehnte es ein bindendes politisches Abkommen ab, ohne das B. H. eine
Beschrankung der deutschen Riistung zur See beim Kaiser und dem Reichs-
marineamt nicht durchsetzen konnte. Ebensowenig wurde bei dem anderen
Partner der Einkreisung, bei RuBland, erreicht. Hier bestanden wohl Ver-
standigungsmoglichkeiten, denn die Interessen RuBlands und Englands stieBen
gerade 1910/11 in Persien scharf aufeinander, aber sie lieBen sich nur aus-
nutzen, wenn Deutschland den Russen eine Gegengabe auf dem Balkan und
in Kleinasien bot. Und dazu konnte es sich aus Riicksicht auf das verbiindete
Osterreich-Ungarn und auf die eigenen weltpolitischen Zukunftshoffnungen,
die sich um die Bagdadbahn gruppierten, nicht entschlieBen. Infolgedessen
verliefen die deutsch-russischen Verhandlungen nach hoffnungsvollem Be-
ginn mit dem Potsdamer Abkommen vom November 1910 sehr bald im
Sande.
Die Gefahr der Lage fiir Deutschland wurde bei der Marokkokrisis des
Sommers 191 1 deutlich. Fiir die Einzelheiten der deutschen Marokkopolitik,
zumal fiir Agadir und die Behandlung Englands, tragt Kiderlen-Wachter die
Verantwortung. B. H. hatte im Sommer 1910 seine Ernennung zum Staats-
sekretar des Auswartigen Amtes durchgesetzt, weil er als einer der befahig-
sten deutschen Diplomaten gait und noch aus der Bismarckschen Schule
stammte. Er rechtfertigte seinen Ruf aber gerade in der Marokkofrage nicht,
da er die Wirkung seiner gegen Frankreich gerichteten Politik auf die anderen
Machte nicht ausreichend beriicksichtigte. Infolgedessen sah sich Deutschland
plotzlich nicht nur Frankreich, sondern auch England gegeniiber, wahrend seine
Bundesgenossen keineswegs bereit waren, ihre Unterstiitzung der deutschen
Politik zu leihen. Auf einen Krieg wollte es aber weder Kiderlen noch auch
B. H. oder der Kaiser ankommen lassen. So blieb nur ein Riickzug ubrig,
Beth maun Hoilweg 27
der nach langen unerquicklichen Verhandlungen schlieBlich zum Marokko-
abkommen vom 4. November 191 1 fuhrte.
An dieser unzweifelhaften, in weiten Kreisen Deutschlands schwer emp-
fundenen Niederlage war B. H. nur insofern mitschuldig, als er sich allzusehr
anf Kiderlen verlassen hatte. Von nun an griff er sehr viel nachhaltiger in den
Gang der Politik ein und nahm die Verstandigungsbemuhungen mit England
wieder auf, die jetzt bessere Aussichten zu bieten schienen, da auch in Eng-
land die Gefahr eines Krieges mit Deutschland erkannt worden war. Aber
B. H.s Hand war weder geschickt genug, um Deutschland aus der gefahr-
iichen Lage herauszusteuern, noch fest genug, um alle Gegenstromungen in
Deutschland zu bezwingen und eine einheitliche Politik zu sichern. Ihm fehlte
vor allem der Glaube, da!3 eine Anderung des Kurses die Einkreisung, die fiir
Bismarck nur eine geftirchtete Moglichkeit gewesen, die jetzt aber driickende
Wirklichkeit war, aufheben oder wenigstens mildern konne; die Aufgabe
schien ihm, so schrieb er am 19. Marz 1912 an Ballin, innerlich unlosbar
zu sein. Deshalb brachte er auch nicht die Kraft auf, sich ganz dieser Auf-
gabe hinzugeben und die Widerstande, die ein nur unter Beschrankung
des Ausbaus der Flotte mogliches Abkommen mit England in Deutsch-
land fand, unter Einsatz seiner Personlichkeit und seines Amtes zu iiber-
winden.
Aus der politischen Krisis des Sommers 191 1 hatten die militarischen In-
stanzen in Deutschland die Folgerung gezogen, daB die deutsche Riistung
gesteigert werden musse. Wahrend B. H. gegen die Forderungen des Heeres
innerpolitische Bedenken hatte, hatte er gegen die der Marine, die sich auf
Schiffe, Mannschaften und Indiensthaltung eines dritten Geschwaders zur
Erhohung der Bereitschaft erstreckten, auBenpolitische Bedenken. Es war
klar, daB Verstarkung der Flotte und Verstandigung mit England nicht gleich-
zeitig betrieben werden konnten. Aber statt die Wunsche der Marinefachleute
als Verhandlungsobjekt England gegeniiber zu benutzen, setzte B. H. schon
vorher eine Verkiirzung der neuen Vorlage durch. Aber nicht daran schei-
terten die Verhandlungen, die durch die Sendung Haldanes, des englischen
Kriegsministers, nach Berlin ein besonderes Geprage erhielten. Denn auch der
Rest der Flottenvorlage war noch ein anstandiger Preis, den Deutschland
fiir die Anderung der englischen Politik zahlen wollte. Das Entscheidende
war die Abneigung der Englander gegen jede Bindung ihrer Politik und gegen
jede Gefahrdung ihrer Freundschaften mit Frankreich und RuBland. B. H.
freilich wollte, obwohl er sich iiber die innere Unlosbarkeit der Aufgabe klar
war, den diinnen Verstandigungsfaden weiterspinnen, solange es irgend mog-
lich ware. Aber die Marine wollte nicht mehr so lange warten. Ein ungnadiges
Telegramm des Kaisers zwang B. EL, die Wehrvorlage, die er einstweilen
zuriickgehalten hatte, sofort in die Offentlichkeit zu bringen. B. H. beant-
wortete dieses Telegramm am 6. Marz mit einem Abschiedsgesuch, blieb
aber im Amt, da der Kaiser den Formfehler des Telegramms eingestand.
In der Sache aber hatte er eine Niederlage erlitten und vor dem Reichsmarine-
amt, d. h. vor Tirpitz zurtickweichen miissen.
Die beiden folgenden Jahre sollten freilich zeigen, daB auch ohne schrift-
liches Abkommen und selbst mit dem neuen Flottengesetz ein ertragliches
Verhaltnis mit England moglich war. Wahrend der Balkankriege von 1912/13
28 1921
arbeiteten Deutschland und England gemeinsam an der Erhaltung des Frie-
dens unter den GroBmachten; die Kosten dieser Politik trug allerdings auBer
der Tiirkei in erster Linie Osterreich-Ungarn, der Bundesgenosse Deutschlands;
es war kaum eine Ubertreibung, wenn man in Paris Osterreich-Ungarn »le
grand vaincu de la crise balcanique« nannte. Und die groBe Heeresvorlage
Deutschlands vom Jahre 19 13 bewies auch, daB man in Deutschland dieser
Tatsache Rechnung trug, Dafiir eroffnete sich die Aussicht, auf dem Umwege
liber einen kolonialen Ausgleich doch noch zu einer grundsatzlichen Besserung
der deutsch-enghschen Beziehungen zu gelangen; im Friihsommer 1914 war
man sich in der Hauptsache einig. Die friedliche Politik B. H.s, so oft im
Reichstag und in der Presse Deutschlands der Schwachlichkeit und Un-
fruchtbarkeit geziehen, schien endlich doch ihre Friichte zu tragen, und
B. H.s vertrauter Mitarbeiter Ruedorffer-Riezler durfte sie als ein neues
allgemeingultiges System einer lediglich wirtschaftlich, nicht macht-
politisch gerichteten und sich des wirtschaftlichen Mittels der Kalkulation
des Krieges statt des militarischen Mittels des Krieges bedienenden Welt-
politik feiern.
Diese falsche Anschauung der Weltlage ist Deutschlands Verhangnis ge-
worden. B. H. glaubte so fest an eine »gemeinschaftliche, den Frieden ver-
biirgende Mission Englands und Deutschlands «, daB er trotz den Erfahrungen
der vorhergegangenen Balkankrisen es fiir moglich hielt, die Auseinander-
setzung zwischen Osterreich-Ungarn und Serbien im Juli 19 14 auf diese beiden
Machte zu beschranken. Aber selbst unter dieser Voraussetzung ist es unbe-
greiflich, daB er den Osterreichern freie Hand fiir ihr Vorgehen lieB. Denn
die Lokalisierung des Konflikts setzte im giinstigsten Fall ein MaBhalten
Osterreichs voraus. Als es sich dann in den letzten Julitagen zeigte, daB der
langst drohende allgemeine Krieg sich an dem osterreichisch-serbischen Kon-
flikt entziinden werde, da hat B. H. gewiB mit aller Energie zu bremsen ver-
sucht. Aber es war zu spat. RuBland arbeitete nicht bloB mit der Kalkulation
des Krieges, sondern ging auf den Krieg selbst los. Nie ein Mann der Tat,
stets geneigt, die Schwerkraft der Dinge als unaufhebbar zu betrachten, lieB
B. H. dem Schicksal seinen Lauf. Seine ganze Politik, so hat er es selbst be-
kannt, brach damit wie ein Kartenhaus zusammen. Und dariiber verlor er
die Fassung. Als er am 4. August im Reichstag den Durchmarsch durch
Belgien anktindigte, entfuhr ihm das ungeschickte Wort vom Unrecht an
Belgien. Und dem englischen Botschafter gegeniiber sprach er sogar von dem
Fetzen Papier, der die belgische Neutralitat bedeute, ein boses und unheil-
volles Wort, das wahrend des ganzen Krieges gegen Deutschland ausgenutzt
worden ist und noch heute nachwirkt, das im Auslande das Urteil uber B. H.
ahnlich bestimmt hat, wie sich G. Ollivier 1870 als den Mann des leichten
Herzens charakterisiert hat, und das auch bei ruhiger Betrachtung die diplo-
matischen Fahigkeiten B. H.s, sein Geschick, Menschen zu behandeln und die
Wirkung von Worten und Taten vorher zu berechnen, in noch truberem Licht
erscheinen laBt als jene Reichstagsrede, in der er vom Gegensatz zwischen
Slawen und Germanen gesprochen hatte.
Dariiber, daB B. H. den Krieg nicht gewollt, daB er ihn nicht mit der Frivo-
litat provoziert hat, die die feindliche Kriegsliteratur aus dem Wort vom Fetzen
Papier herauslas oder herauszulesen vorgab, dariiber kann heutzutage kein
Bethmann Hoilweg 20
Zweifel mehr sein. Die Verantwortung dafiir, daB er sich von den Umstanden
so weit hat treiben lassen, bis kein anderer Ausweg mehr als der Krieg in
ungiinstigster diplomatischer Lage of fen war, lastet auf seinem staatsmannischen
Ansehen vielleicht noch schwerer als die feindlichen Vorwiirfe. Aber auch
wer Schwachen und Ungeschick seiner Politik keineswegs beschonigt, wer
vor allem die Ubereilungen der Kriegserklarungen als Fehler bezeichnet, fur
die B. H. als Leiter der deutschen AuBenpolitik die Verantwortung zu tragen
hat, auch der wird die Frage stellen miissen, ob der Krieg uberhaupt ver-
meidbar gewesen ist. Nach aller geschichtlichen Erfahrung, der bisher nur
pazifistische Wiinsche, nicht aber Tatsachen entgegenstehen, lassen sich die
groBen Fragen der Zeit nicht auf friedlichem Wege losen. Und ob Deutschland
in den Kreis der See- und Weltmachte eintreten und in ihm sich dauernd
gleichberechtigt behaupten werde, das war eine solche Frage. Vor allem aber
erscheint es ausgeschlossen, daB die Auflosung der habsburgischen Monarchic,
die mit dem Attentat von Serajewo in ihr akutes Stadium trat, ohne kriege-
rische Auseinandersetzung der interessierten Machte vollzogen werden konnte.
Wenn im folgenden die Politik B. H.s wahrend des Krieges bis zu seiner
Entlassung dargestellt werden soil, so ist einmal zu beachten, daB der Ab-
stand, den wir von dem erschutternden Zusammenbruch des Kaiserreichs
gewonnen haben, noch nicht ausreicht, um den Leiter der Politik wahrend des
groBten Teils des Krieges gerecht zu beurteilen. Auch unsere Kenntnisse
ruhen noch nicht iiberall auf festem Boden. An objektiven Aktenforschungen
und -veroffentlichungen fehlt es noch. Der UntersuchungsausschuB der
Nationalversammlung hat nur einzelne Gebiete und auch diese nur einseitig
beleuchtet. Das gleiche gilt von den zahlreichen Memoirenwerken, B. H.s
Betrachtungen zum Weltkrieg machen darin keine Ausnahme. Vor allem
aber muB anerkannt werden, daB das AusmaB dieses Krieges alle Berech-
nungen weit iiberstieg und ungeheure Aufgaben auf die Schultern der ver-
antwortlichen Manner lud. Das Verhaltnis zwischen Kriegfiihrung und Politik
ist stets ein heikles Kapitel gewesen ; Bismarcks Gedanken und Erinnerungen
beweisen es zur Geniige. Und B. H. war nicht nur kein Bismarck, sondern
wurde auch durch das neue Kriegsmittel des U-Boots vor ungeahnte Schwierig-
keiten gestellt. Denn wenn auch die Kriegfiihrung mit Recht beanspruchte,
daB sie alle zum militarischen Erfolge erforderlichen Mittel anwenden diirfe,
so war es doch selbstverstandliche Aufgabe der Politik, zu verhiiten, daB der
militarische Erfolg durch politische Nachteile aufgehoben werde. Ferner war
die politische Leitung eines Koalitionskriegs stets eine schwierige Aufgabe,
die durch die Unterschiede der politischen Interessen und der militarischen
Leistungsfahigkeit der Bundesgenossen nicht einfacher wurde. Besondere Vor-
sicht verlangten auch in diesem Kriege, der kaum einen Staat unberuhrt lieB,
die Beziehungen zu den neutralen Staaten; auch hier darf an Bismarck und
seine Sorge vor der Einmischung der Neutralen erinnert werden. Ebenso
erforderte die innere Politik, die Behandlung der groBen Massen, die nicht
allein im Heer dienen, sondern auch die Wirtschaft in Gang halten sollten,
starkere Beachtung als je zuvor. Dazu kam die selbstverstandliche Aufgabe,
alle Friedensmoglichkeiten zu beachten und zu benutzen.
Mit all diesen Aufgaben war B. H. belastet. Und doch war er seiner ganzen
Anlage nach nicht der Mann, mit ihnen fertig zu werden. Es war im Grunde
30 192 1
eine unmogliche Zumutung, daB der Mann, der mit dem Kriege seine ganze
bisherige Politik zusammenbrechen sah, der damit den Mangel an sicherem
politischen Instinkt erschreckend bewiesen hatte, nun auch unter gesteigerten
Schwierigkeiten die politische Fiihrung behielt. Auch fehlte ihm, das hatte
er im Innern wie nach auBen bis 1914 oft genug gezeigt, die Kraft des Willens,
die Fahigkeit, von den Erwagungen rechtzeitig zum EntschluB und zur Tat
zu schreiten, ihm fehlte vor allem aber der Glaube an die Moglichkeit, den
Krieg zu einem guten Ende zu fiihren. Nach auBen hin raffte er sich wohl
zusammen ; die Reden, die er wahrend der Kriegszeit im Reichstage gehalten
hat, fanden stolze und kraftvolle Worte fiir das Recht Deutschlands, eine
Wiederkehr der Einkreisungspolitik zu verhiiten und seine Entwicklung zu
sichern. Aber mit ihren ausfiihrlichen und wehmiitigen Erzahlungen der trotz
allem guten Willen gescheiterten Verstandigungsverhandlungen sind sie nur
allzu bezeichnend fiir B. H.s schon friiher zutage getretene Auffassung, daB
im politischen Leben die gute Absicht den Mangel an Erfolg ersetzen konne.
Und scharfer noch zeichnet sich B. H.s Wesen in dem ab, was alien Reden
fehlt: der positive Inhalt. Weder iiber die Kriegsziele, die er nach auBen hin
erstrebte, noch iiber die innerpolitischen Reformen, die er plante, hat B. H.
jemals klare Angaben gemacht. So verloren seine Reden je langer je mehr
an Wirkung. DaB sie im Tone vornehmer waren als die Reden aller feindlichen
Staatsmanner, daB sie auf Wiirde auch dem Gegner gegenuber hielten, dankte
ihm weder Inland noch Ausland. Aber der Mangel an positivem Inhalt machte
allmahlich auch der Offentlichkeit deutlich, was diejenigen, die den Kanzler
naher kannten, schon bald nach Kriegsausbruch bemerkt hatten, daB ihm
selbst jeder positive Gedanke iiber die Fiihrung, die Ziele und den Weg zur
Beendigung des Krieges fehlte.
Nachdem es nicht gelungen war, im ersten Anlauf im Westen die militarische
Entscheidung zu erzwingen, erlangte die Politik im Kriege wieder selbstandige
Bedeutung. Sie erreichte das Biindnis mit der Tiirkei, das trotz der Belastung
mit einem schwachen, dauernder Unterstiitzung bediirftigen Bundesgenossen
durch die Sperrung der Dardanellen und die damit verkniipfte Schwachung
RuBlands fiir die deutsche Kriegfuhrung eine Erleichterung war. Dagegen
konnte sie Italiens Neutralitat nicht retten; ob ein besseres Ergebnis erzielt
worden ware, wenn B. H. sich friiher hatte entschlieBen konnen, Bulow
nach Rom zu schicken und auf Osterreich-Ungarn einen energischen Druck
zum Entgegenkommen gegen Italiens Wiinsche auszuiiben, muB einstweilen
dahingestellt bleiben.
Das Hauptproblem fiir die Politik im Kriege wurde die U-Bootfrage. In
seltsamer Verkennung der Dinge, wenn auch getreu seiner 1909 eingeschlagenen
Politik der Verstandigung, hoffte B. H. zunachst, daB England sich am Kriege
nicht ernsthaft beteiligen werde; er drang deshalb bei der Seekriegsleitung
darauf, daB man England moglichst schonend behandle, »um die Moglich-
keit zu geben, daB England den Frieden herbeif iihren « konne. Dafiir schien
auch die Erwagung zu sprechen, daB eine vorsichtige Verwendung der Flotte
diese als Trumpf fiir die Friedensverhandlungen erhalte. Der Admiralstab,
ohnehin nicht geneigt, die Flotte einer Entscheidungsschlacht auszusetzen,
ging auf diese Wiinsche ein. Aber als sich die Hinfalligkeit der politischen
Voraussetzung B. H.s herausstellte, als England sich offenkundig auf einen
Bethmann Hollweg 31
langen Krieg einrichtete und unter Verletzung der bisher giiltigen Regeln
des Seekriegs Deutschland von allem Welthandel abzuspenen begann, da
schien es dem Admiralstab notwendig, England unmittelbar zu treffen. Das
beste Mittel dazu waren die U-Boote ; mit ihnen hof fte er, Englands Seehandel
unterbinden zu konnen. B. H. gab Anfang Februar 1915 seine Zustimmung
zu dem geplanten U-Bootkrieg, schrankte sie freilich sehr bald ein, als die
Versenkung neutraler Schiffe und die Schadigung von Angehorigen neutraler
Staaten auf englischen Handelsschiffen Reibungen mit den neutralen Staaten
heraufbeschworen. Und als gar die Versenkung der »L,usitania« bis hart an
die Kriegserklarung Amerikas heranfuhrte, da setzte B. H. die Einstellung
des U-Bootkrieges durch, dessen militarische Erfolge der politischen Bedenk-
lichkeit nicht entsprachen.
Aber nachdem weder der siegreiche Sommerfeldzug 191 5 gegen RuBland
noch die Niederwerfung Serbiens, die zugleich die Dardanellensperre end-
gultig sicherte, den Frieden naher gebracht hatte, tauchte im Winter 1915/16
die U-Bootfrage von neuem auf. Die leitenden Manner in Heer und Flotte,
Falkenhayn, Tirpitz und Holtzendorff, sahen klarer als B. H., daB nicht
nur ein durchschlagender Sieg zu Lande unwahrscheinlich sei, solange England
durch die Beherrschung der See in der Lage sei, die feindliche Westfront mit
Kriegsmaterial aus aller Welt zu versorgen und gleichzeitig Deutschland von
aller Zufuhr abzusperren, sondern daB auch die Wirkung selbst des gewaltigsten
Landsiegs zweifelhaft blieb, solange nicht England selbst empfindlich ge-
troffen war. Das einzige Mittel, aber zugleich" ein unbedingt sicheres Mittel
dazu sahen sie im U-Bootkriege, wenn er mit aller Energie gegen jedes mit
England Handel treibende Schiff gefuhrt wiirde. B. H. freilich beurteilte die
Aussichten eines solchen Krieges weit weniger giinstig als die Marine, schatzte
auf der andern Seite, durch die Erfahrungen von 1915 gewarnt, die politischen
Gefahren, zumal die des Bruchs mit Amerika, viel hoher ein. In dem Ringen
der verschiedenen Instanzen um die Entscheidung des Kaisers gelang es ihm,
seinen alten Gegner Tirpitz, der wie vor dem Kriege, insbesondere in den
Tagen der von Haldane gefuhrten Verstandigungsverhandlungen so auch wah-
rend des ganzen Krieges den Standpunkt vertrat, daB man der englischen
Macht nicht Nachgiebigkeit, sondern Macht entgegensetzen miisse, aus dem
Sattel zu heben. Aber in der Sache lieB sich B. H. doch wieder auf eine Halb-
heit ein: er lieB den U-Bootkrieg gegen bewaffnete Handelsschiffe zu. Aber
diese Beschrankung auf bewaffnete Schiffe bedeutete eine empfindliche Ver-
ringerung der Aussichten auf Erfolg, ohne irgendeinen Nutzen zu bringen.
Irrttimer waren fur die U-Boote unvermeidlich, und sie fuhrten schnell zu
ahnlichen Verwicklungen mit den Neutralen wie im Vorjahr. Amerika forderte
mit einer Brutalitat, die von seinem Auftreten gegen die englischen Volker-
rechtsverletzungen auffallend abstach, die Einstellung einer Kriegfiihrung, bei
der amerikanische Rechte beeintrachtigt werden konnten, und da die allge-
meine Kriegslage nicht dazu angetan war, es auf einen Bruch mit Amerika
ankommen zu lassen, muBte die deutsche Diplomatic einen raschen Riickzug
antreten.
Mit dieser Entscheidung war aber der innerdeutsche Kampf um die Ver-
wendung der U-Boote noch keineswegs beendet. Er hatte langst einen all-
gemeinen Charakter angenommen und sich mit dem groBen Kampf der
32 1921
Geister, den der Burgfriede der Parteien nur auBerlich und darum nur auf
kurze Zeit beigelegt hatte, verwoben. Es ist schon bei der Darstellung der
Politik B. H.s vor dem Kriege bemerkt worden, daB B. H. durch seine Nach-
giebigkeit gegen den Reichstag, vor allem in der elsaB-lothringischen Ver-
fassungsfrage, aber auch durch seine Haltung bei den Wehrvorlagen und durch
die geringen Erfolge seiner auswartigen Politik das Vertrauen gerade der
Kreise verloren hatte, die sich als die treuesten Hiiter Bismarckscher Tra-
dition, als die starksten Vertreter des deutschen Machtgedankens fuhlten.
Dieses MiBtrauen wurde wieder wach, je langer sich der Krieg hinzog, je weniger
Erfolge B. H. mit seiner Zunickhaltung in der rednerischen Bekampfung der
Gegner, in der Aufstellung von Kriegszielen, in der Anwendung besonderer
Kriegsmittel — neben den U-Booten spielten auch die Luftschiffe eine Rolle —
aufzuweisen hatte. Diese Kreise, die iiberzeugt waren, daB riicksichtslose An-
wendung aller Deutschland zur Verfugung stehenden Kriegsmittel Deutsch-
land den Sieg bringen miisse, sahen in B. H. nicht nur den Mann, der aus
falscher Sentimentalitat die Kriegfuhrung hemme und damit den Sieg ge-
fahrde, sondern auch den Mann, dessen pessimistisches Wesen nicht imstande
sei, die Einigkeit und Geschlossenheit des Volkes durch Aufstellen gemein-
samer, groBer, begeisternder Ziele wahrend des Krieges zu erhalten, vor allem
aber der Ausnutzung eines Sieges bei den Friedensverhandlungen hindernd
im Wege stehen werde. Die innerpolitische Frage der Neuorientierung der
Politik, des Verhaltnisses von Regierung und Volk, kam hinzu, diesen Zwie-
spalt zu verscharfen. Hatte B. H. vor dem Kriege unter dem Druck der Mehr-
heitsverhaltnisse im Reichstag, aber gegen seine konservative Uberzeugung
sich gelegentlich zur Nachgiebigkeit gegen demokratische Forderungen be-
stimmen lassen, so hatten ihn die Eindnicke des August 1914, die Bejahung
des Staates selbst durch die, die ihn bisher bewuBt abgelehnt hatten, zu der
Oberzeugung gebracht, daB eine wesentliche Anderung in der inneren Ver-
fassung des Staates, eine starkere Heranziehung der Masse, auch und gerade
der sozialdemokratischen Masse zum Staate moglich sei. Und je langer der
Krieg dauerte, der an den Fronten wie in der Heimat die Mitarbeit dieser
Massen forderte, desto mehr hielt B. H. diese Neuorientierung fur notig. Aber
den EntschluB, das Notwendige sofort zur Tat werden zu lassen, fand er nicht.
Infolgedessen wurde das Schlagwort der Neuorientierung zum Kampfruf der
Parteien ; die einen stellten ihre Forderungen auf, zumal die nach durchgreifen-
der Reform des preuBischen Wahlrechts, die andern bekampften den Gedanken
einer Anderung der Grundlagen des Staates, die sich in dem siegreichen Kriege
gegen eine Welt von Waff en neu bewahrt hatten. Und diejenigen, die von den
Neuerungen nichts wissen wollten und B. H. die erforderliche Widerstands-
kraft gegen diese Tendenzen nicht zutrauten, waren eben die, die auch B. H.s
auswartige Politik voll Sorge betrachteten. Sie nahmen, als der Streit um die
Verwendung der U-Boote ihren Zweifeln an B. H.s politischer Eignung er-
neut recht zu geben schien, den Kampf auf mit dem Ziel, ihn von seinem
Amte zu beseitigen. Die wahrend des Krieges bestehende Zensur vermochte
lediglich, den offenen Austrag dieses Kampfes zu verhindern; aber im ge-
heimen wurde er mit vertraulichen Denkschriften energisch gefuhrt. So griff
Kapp in einer Denkschrift »Die nationalen Kreise und der Reichskanzler«
B. H. wegen seines Mangels an politischem Instinkt, wegen seines Festhaltens
Bethmann Hollweg 33
an dem die Gegensatze bloB vertuschenden, in bedenklicher Weise an die Parole
von 1806: »Ruhe ist die erste Biirgerpflicht « erinnernden Burgfrieden, wegen
Kriegszielpolitik und U-Bootfrage aufs scharfste an; und ihm traten Junius
alter mit einer Broschiire »Das Deutsche Reich auf dem Wege zur geschicht-
hchen Episode, eine Studie B. H.scher Politik in Skizzen und Umrissen« und
H. v. Liebig mit einer Arbeit uber »Die Politik v. B. H.s« zur Seite. Die Ver-
traulichkeit dieser Schriften wurde natiirlich nicht ausreichend gewahrt; sie
sollten ja auch ahnlich wie die gleichfalls vertrauliche Kriegszielliteratur auf
weitere Kreise unter Umgehung der Zensur wirken. B. H. sah in diesem
Kampf gegen ihn einen Kampf gegen das Vaterland ; er hatte kein Verstandnis
fiir die heiBe politische Leidenschaft, fiir die starken Krafte, die sich in ihm
geltend machten, darum konnte er sie auch nicht fiir den Krieg nach auBen
nutzbar machen, sondern fuhlte in ihnen nur die Gefahr. Deshalb benutzte
er die Reichstagssitzung vom 5. Juni 1916, um gegen diese »Piraten der offent-
lichen Meinung« zu Felde zu ziehen. Das Ergebnis war, daB die Geister im
Reichstag sich zum erstenmal seit Kriegsbeginn schieden ; auf der einen Seite
stand die spatere Reichstagsmehrheit, Zentrum, Fortschrittspartei und Sozial-
demokratie, mit mehr oder minder of fen ausgesprochener Billigung der Politik
B. H.s, auf der andern Nationalliberale und Konservative mit ebenso unver-
kennbarer Kritik.
Die Gegensatze wurden noch einmal beschwichtigt, als die bedenkliche
Kriegslage des Sommers 1916 zur Berufung Hindenburgs und Ludendorffs
in die Oberste Heeresleitung zwang. Sie genossen bei alien Anhangern einer
kraftvollen, durch keine falschen Riicksichten gehemmten Kriegfuhrung das
Vertrauen, daB sie sich in der Kriegfuhrung wie dereinst bei den Friedens-
verhandlungen lediglich von militarischen Gesichtspunkten leiten lassen wur-
den. So flaute der Kampf im Innern ab;auch die Frage des U-Bootkrieges
verschwand aus der Diskussion, als die neue Oberste Heeresleitung erklarte,
angesichts der Kriegslage dieses zweischneidige Mittel einstweilen nicht an-
wenden zu wollen.
In diesem Verzicht lag zugleich der Zweifel an der Moglichkeit, den Krieg
durch militarische Entscheidungen zu Ende zu fiihren. Im L,ande sah es in den
Monaten der Sommeschlacht, nach dem Scheitern des Verdununternehmens,
nach dem Zusammenbruch der osterreichischen Front vor Brussilow, nach der
Einnahme von Gorz durch die Italiener, nach der Kriegserklarung Rumaniens
bedenklich genug aus. Und zur See hatte die Schlacht am Skagerrak bewiesen,
daB die deutsche Flotte den Ring, den England um Deutschland gelegt hatte,
nicht zu sprengen vermoge. Unter diesen Umstanden wurde fiir B. H. die Frage
brennend, ob der Krieg nicht auf andere Weise beendet werden konne. An Be-
rn uhungen um Wiederherstellung des Friedens hat es natiirlich wahrend des gan-
zen Krieges nicht gefehlt. Namentlich in RuBland hat anscheinend in bestimm-
ten Kreisen viel Neigung bestanden, sich rechtzeitig aus dem Kriege herauszu 1
ziehen, dessen Opfer fiir die Dynastie gefahrlich werden konnten. Ein Ausgleich
zwischen den Lebensinteressen Deutschlands und RuBlands war ja auch durch-
aus moglich. Im Sommer 19 15 waren sich die beiden Machte unter Vermittlung
eines danischen Staatsmannes ziemlich nahe gekommen. Woran die Verhand-
lung zuletzt gescheitert ist, wissen wir noch nicht. Ohne genauere Akten-
kenntnis wird man sich den in der Literatur (Spickernagel, Der Kardinalfehler
dbj 3
34 J 9 21
unserer Politik, S. 25 ff.) gegen B. H. erhobenen Vorwurf, daB seine verfehlte
Politik allein die Schuld trage, nicht aneignen diirfen. Es sind gewifl in Peters-
burg sehr starke russische und noch starkere auslandische Einfliisse gegen einen
Sonderfrieden wirksam gewesen. Soviel aber steht fest, daB B. H. trotz ganz
veranderten Verhaltnissen den Gedankengangen des GroBvaters aus der Zeit des
Krimkriegs treu geblieben ist, daB er westmachtlich gesinnt blieb und keinen
besonderen Wert darauf legte, den Russen goldene Briicken zu bauen, um
hier die Bresche in die Einkreisung zu legen. Er sah vielmehr in der Schwachung
des starksten slawischen Staates eine wichtige Aufgabe Deutschlands — hatte
er doch schon 19 13 im Reichstag von dem Kampf zwischen Germanen und
Slawen gesprochen — ; sie war auch durch Befreiung der von RuBland unter-
worfenen Volkerschaften leicht durchzufuhren. Und wenn der Kampf gegen
die Reaktion des Zarismus ein bequemes innerpolitisches Schlagwort war, das
namentlich auf die Sozialdemokratie Eindruck machte und fiir sie geradezu
das Kriegsziel war, so war die Befreiung der unterdriickten Volker ein Stuck
der deutschen Kulturpropaganda, von der sich B. H. mehr versprach als von
einer nach Machtausgleich strebenden Realpolitik. Wie weit solche Erwagungen
die Friedensverhandlungen von 19 15 beeinfluBt haben, ist, wie gesagt, zweif el-
haft. Im Jahre 191 6 haben sie aber nachweislich einen sehr starken und unheil-
vollen EinfluB ausgeiibt. Die Reichstagsrede vom 5. April 1916 versicherte
bereits, daB die befreiten Volker, Polen, Litauen, Balten und Letten nicht
wieder dem Regiment des reaktionaren RuBland ausgeliefert werden diirften.
Und am 5. November 1916 erfolgte die Errichtung eines selbstandigen Polen-
staates, der entscheidende Fehler von B. H.s Ostmarkenpolitik.
Auch hier ist die Schwierigkeit der Aufgabe anzuerkennen. Einmal beruhrte
die Polenf rage die Interessen der Osterreicher sehr stark ; ihre Wiinsche muBten
also bei der Losung mitberiicksichtigt werden. Und dann sind eben geogra-
phische und nationale Verhaltnisse im Osten nicht auf einen gemeinsamen
Nenner zu bringen. Aber wenn B. H. in seinen Betrachtungen (Bd. II, S. 91)
nach Besprechung der verschiedenen moglichen Losungen zu dem Ergebnis
kommt: »eine gute gab es iiberhaupt nicht «, so ist dabei bezeichnend, daB er
die Moglichkeit einer Verstandigung mit RuBland unter Verzicht auf das er-
oberte und nicht etwa durch seine eigenen Anstrengungen befreite Polen iiber-
haupt nicht erwahnt. Und doch bestand in RuBland in der zweiten Halfte des
Jahres 1916 seit der Ernennung Stunners zum leitenden Minister eine starke
Bereitschaft zum Frieden, auch zum Sonderfrieden. DaB sie durch ein selb-
standiges Polen gestort wiirde, war B. H. klar ; er hat es in einem Telegramm an
die Oberste Heeresleitung vom 4. Oktober selbst zugegeben. Um so unbegreif-
licher ist die Eile, mit der dann die Proklamation erlassen worden ist.
B. H. meinte wohl, die Unterbindung der russischen Sonderfriedensmoglich-
keit auf sich nehmen zu konnen, da er langst auf einen allgemeinen Frieden
hinarbeitete. DaB Deutschland zu einem fiir die Feinde durchaus ertraglichen
Frieden bereit sei, hatte B. H. in seinen Reichstagsreden immer betont. Da
sie keinen Widerhall fanden, setzte er seit dem Friihjahr 191 6 seine Hoffnung auf
die starkste neutrale Macht, Amerika. Fiir das Zuriickweichen in der U-Boot-
frage war diese Hoffnung mitbestimmend gewesen. Zwar verkannte B. H. die
Bedenken nicht, die angesichts der fiir Deutschland offenbar unfreundlichen
Haltung des Prasidenten Wilson gegen dessen Friedensvermittlung sprachen ;
Bethmann Hollweg 35
er empfand auch sehr wohl, daB die deutsche Offentlichkeit sich damit nur
schwer abfinden werde. Aber die Lage Deutschlands und seiner Verbiindeten
schien B. H. im Sommer 1916 derart zu sein, daB er all diese Bedenken uber-
wand und sowohl Bernstorff, den deutschen Botschafter in Washington, wie
Gerard, den amerikanischen Botschafter in Berlin, der sich im Herbst 1916 fiir
kurze Zeit nach Amerika begab, beauftragte, auf einen Friedensschritt des
Prasidenten hinzuarbeiten.
Aber er war nun einmal nicht der Mann, unbeirrt eine feste Linie einzuhalten ;
und wenn ihm auf der einen Seite die Kraft des schnellen Entschlusses abging,
so fehlte ihm auf der anderen die Geduld, die Dinge langsam ausreifen zu lassen.
Nachdem er die russisch-deutschen Sonderfriedensbesprechungen durch die
vorzeitige Verkiindung der polnischen Unabhangigkeit zerschnitten hatte, lieB
er sich durch den osterreichisch-ungarischen Minister des Auswartigen Burian
bestimmen, dem Prasidenten Wilson durch eine selbstandige Handlung der
Mittelmachte zuvorzukommen. Die naheliegende Gefahr, daB ein Friedensgesuch
den Eindruck der Schwache machen werde, hofften B. H. und Burian aus-
schalten zu konnen, indem sie einen militarisch gunstigen Zeitpunkt abwarteten.
In der Zwischenzeit bereitete B. H. die Welt mit einer Rede iiber die Moglich-
keit und Notwendigkeit einer dauernd den Frieden sichernden Weltorganisation
auf die geplante Aktion vor. Als die Einnahme von Bukarest die endgultige
Niederwerfung der im Sommer sehr bedrohlichen rumanischen Gefahr vor
aller Welt bekundet hatte, glaubten die Staatsmanner der Mittelmachte, daB
die Zeit fiir ihr Friedensangebot gekommen sei. Aber weder das stark betonte
SiegerbewuBtsein noch die Berufung auf die Verantwortlichkeit vor der Mensch-
heit konnten verhindern, daB die Welt vor allem das Bediirfnis nach Frieden,
das Eingestandnis der Fruchtlosigkeit der Landsiege heraushorte. Und indem
der ungarische Ministerprasident Tisza die Anregung Osterreich-Ungarns noch
geflissentlich unterstrich, machte er die Welt zugleich auf den schwachen Punkt
des Bundes der Mittelmachte aufmerksam. Die feindlichen Machte zeigten des-
halb auch nicht die geringste Neigung, in die ihnen gebotene Friedenshand
einzuschlagen, sondern antworteten mit heftigen Ausf alien gegen die Politik
der Mittelmachte und mit maBlosen Forderungen.
Das einzige greifbare Ergebnis des Friedensangebots war, daB nunmehr
Wilson mit seiner lange erwogenen, erst wegen der Wahlbewegung, dann aus
anderen Griinden verschobenen Note an die Kriegfuhrenden hervortrat. Aber
eine Erleichterung der Lage fiir Deutschland war die Verbindung der beiden
Friedensaktionen nicht. Gerade auf Wilson, der die deutschen Bemiihungen in
Amerika seit dem Fruhjahr kannte, muBte das deutsche Angebot vom 12. De-
zember den Eindruck einer nicht mehr lange zu bewaltigenden Notlage machen ;
seine wohl niemals groBe Neigung, sich fiir Deutschland einzusetzen, muBte
dadurch noch geschwacht werden, denn ihm kam es auf Amerika, auf einen
diplomatischen Erfolg fiir sich selbst an; und je weniger widerstandsfahig
Deutschland erschien, desto vorsichtiger muBte Wilson die Entente behandeln,
um sich keiner Niederlage auszusetzen. Aber auch jetzt war die Lage nicht
aussichtslos, denn nicht nur Deutschland und seine Verbiindeten antworteten
auf die Wilsonsche Note zustimmend, sondern auch die Entente hielt es fiir
ratsam, Wilson nicht geradezu vor den Kopf zu stoBen. Sie blieb zwar bei den
ungeheuerlichen Friedensbedingungen, die sie als Antwort auf das Friedens-
36 i92i
angebot der Mittelmachte aufgestellt hatte, aber sie ging doch damit auf den
Kern der Note Wilsons, gegenseitige Mitteilung der Bedingungen, ein. Wilson
jedenfalls sah darin eine Grundlage fiir Verhandlungen, aus denen ein Friede
ohne Sieger und Besiegte hervorgehen konne; ebenso meinte der neue oster-
reichisch-ungarische AuBenminister Czernin, daB man diesen Friedensfaden, so
schwach er auch war, weiterspinnen miisse. Und daB die deutsche Politik durch
die vorhergegangenen Besprechungen mit Wilson gebunden war, die weitere
Auswirkung der Note abzuwarten, ist sicher.
Aber die politischen Erwagungen, an sich schon mit vielen zweifelhaften
Momenten belastet, wurden verhangnisvoll durchkreuzt durch die militarischen.
W T enn es nicht gelang, einen fiir Deutschland ertraglichen Frieden durch die
von Wilson eingeleitete Verhandlung zu schlieBen, dann waren die militarischen
Aussichten Deutschlands fiir die Fortsetzung des Krieges nicht nur ungiinstiger
als jetzt, weil die Zeit uberhaupt gegen Deutschland arbeitete, sondern es war
auch die Gelegenheit endgultig verpaBt, durch die Wiederaufnahme des un-
beschrankten U-Bootkriegs den Krieg fiir Deutschland zu gewinnen. Nach den
Berechnungen des Admiralstabs konnten die U-Boote binnen sechs Monaten
geniigend Schiffe versenken, um die Verso rgung Englands so zu erschweren,
daB England friedensbereit wiirde. Voraussetzung aber war, daB die Monate
gewahlt wurden, in denen aus naturlichen Griinden das Zufuhrbediirfnis Eng-
lands am starksten war, die Monate vor der Ernte, d. h. vom Februar bis Ende
Juli. Es konnte also nicht gewartet werden, ob die Friedensverhandlungen
giinstig ablaufen wurden, sondern die Entscheidung muBte vor dem i. Februar
1917 fallen. Wie sie fallen miisse, dariiber waren sich alle militarischen Stellen
einig, namlich fiir den U-Bootkrieg, unbekiimmert um alle politischen Folgen,
die ihrer Berechnung nach durch die militarischen Erfolge wettgemacht werden
muBten. Die Oberste Heeresleitung war entschlossen, alles daran zu setzen,
daB sie in ihrem Sinne falle; einen Kanzlerwechsel nahm sie ohne Bedenken
in Kauf.
Als B. H. am 9. Januar 1917 zum Kronrat nach PleB ging, wo die Entschei-
dung erfolgen sollte, stand er vor der schwersten Frage seines politischen Lebens.
Der Ausweg, der seiner Natur am ehesten entsprochen hatte, das Abwarten,
bis die Friedensaktion zu iibersehen ware, war versperrt durch die Erklarung
des Admiralstabes, daB der U-Bootkrieg am 1. Februar beginnen miisse. Er
muBte wahlen zwischen dem U-Bootkrieg, der nicht nur die Friedensbe-
sprechungen im Keime ersticken, sondern auch zum Kriege mit Amerika
fiihren muBte und in seinem Ergebnis zweifelhaft war, der die letzte Karte
bedeutete, die Deutschland ausspielen konnte, und dem Festhalten an den
Verhandlungen, das offenen Kampf gegen die Oberste Heeresleitung und gegen
einen groBen Teil der offentlichen Meinung Deutschlands bedeutete. DaB er
innerlich dem zweiten Wege zuneigte, nicht nur, weil dieser nicht ein unwider-
ruflicher Einsatz des letzten Mittels war, vielmehr noch allerhand Zukunf tsmog-
lichkeiten bot, sondern vor allem auch, weil B. H. wie im vergangenen Winter
den Optimismus der Berechnungen des Admiralstabs hinsichtlich der Wirkung
der Versenkungen und der Bedeutung der aktiven Teilnahme Amerikas am
Kriege nicht teilte, ist zweifellos. Aber sich auch nach auBen hin zu diesem Wege
zu bekennen, schloB schwerste Verantwortung in sich. Konnte er, dem Gliick
und Erfolg bisher in seinen politischen Handlungen nicht beschieden gewesen
Bethmann Hollweg 37
waren, sich auf einen Kampf mit den Mannern einlassen, die GroBes geleistet
und sich damit das V T ertrauen des Heeres und des Volkes verdient hatten, durfte
er ihnen die Anwendung der Waffe versagen, ohne die sie fiir die Westfront
nicht mehr einstehen zu konnen versicherten, durfte er sich auf unabsehbare
Verhandlungen einlassen, wo der Admiralstab einen sicheren Erfolg in be-
stimrater Frist versprach, durfte er es wagen, durch offene Stellungnahme
gegen die Oberste Heeresleitung Zweifel und Zwiespalt in das Volk zu tragen, wo
doch der Augenblick geschlossene Einigkeit erforderte?
Die Antwort, die B. H. auf all diese Fragen gab, ist fiir sein # ganzes Wesen
iiberaus bezeichnend: er sagte weder Ja noch Nein, seine Antwort lautete viel-
mehr: nicht Nein. In der entscheidenden Sitzung vom 9. Januar 1917 schob er
die Verantwortung der Obersten Heeresleitung zu, indem er erklarte: »Wenn
die militarischen Stellen den U-Bootkrieg fiir notwendig halten, so bin ich nicht
in der Lage, zu widersprechen.«
Aber auch mit dieser negativ gehaltenen Erklarung war die Entscheidung
gefallen, und zwar nicht allein iiber den U-Bootkrieg, der nun mit alien seinen
politischen Folgen unwiderruflich war und alle Friedensverhandlungen 3 ah
zerschnitt, sondern auch iiber B. H. als Staatsmann. Und darum war die Oberste
Heeresleitung im Recht, wenn sie auch nach der in ihrem Sinne gefallenen Ent-
scheidung die Entlassung B. H.s beantragte, denn er hatte sich nicht der
besseren Einsicht, sondern dem starkeren Willen unterworfen. Und er blieb
im Amt, nicht nur um Aufsehen und Beunruhigung zu vermeiden, sondern
auch in der Hoffnung, die von ihm fiir unheilvoll angesehene Politik der
Obersten Heeresleitung bremsen zu konnen. Wie bisher sah er auch jetzt seine
Aufgabe mehr negativ an, in der Verhiitung von Unheil, nicht positiv in der
bewuBten und kraftvollen Arbeit fiir Beendigung des Krieges.
Auf diese Weise konnte der Krieg nicht gewonnen werden. Die politische
Fuhrung bei den Mittelmachten glitt im Friihjahr 1917 fast ganz in die Hande
der Osterreicher, wo Kaiser Karl und sein Minister Czernin seltsame Friedens-
wege unter Vermittlung des Prinzen Sixtus von Parma gingen, und selbst der
Gliicksfall der russischen Revolution wurde nicht recht ausgenutzt. Weder
wurde durch rasche Schlage die Auflosung des erschiitterten Heeres vollendet —
dafiir trifft wohl die Oberste Heeresleitung die Hauptverantwortung — noch
wurde der freilich durch Polen verbaute Weg zum Sonderfrieden energisch be-
schritten. Diese ganze ostliche Entwicklung blieb sich selbst und den dilettan-
tischen Friedensbemiihungen der Sozialdemokratie iiberlassen, die mit ihrem
Schlagwort vom Frieden ohne Annexionen und ohne Entschadigungen die
Machtverhaltnisse natiirlich nicht zu bezwingen vermochte.
Um so starker waren die innerpolitischen Wirkungen der russischen Revo-
lution. Die Spannung in Deutschland, durch den Burgfrieden nur notdiirftig
gebunden, kam nun zu offenem Austrag. Es rachte sich, daB B. H. nicht den
EntschluB hatte finden konnen, das, was er an innerpolitischen Reformen fiir
notwendig hielt, in rascher Tat zu verwirklichen, daB er sich auf unklare Reden
iiber die Neuorientierung und die freie Bahn fiir jeden Tiichtigen beschrankte.
Damit hatte er sich nur zwischen zwei Stiihle gesetzt. Fiir die Verteidiger der
alten Ordnung und des sie verburgenden Dreiklassenwahlrechts in PreuBen
gait er trotz aller Vorsicht als der Mann, der durch Demokratisierung das alte
PreuBen zerstoren wolle; sie miBtrauten seinen Planen, vor allem aber seiner
38 192 1
Widerstandskraft gegen radikale Reformforderungen. Die Beruhigung, die
nach den Friihjahrskonflikten 1916 eingetreten war, blieb nur von kurzer Dauer.
Im Marz 19 17, wenige Tage vor der russischen Revolution, entlud sich die
Sorge dieser Kreise in einem scharfen VorstoB preuBischer Herrenhausmit-
glieder gegen die Neuorientierung. Und die Revolution war fur sie nur ein
neuer Beweis fur die Notwendigkeit einer starken Regierung, fur die Gefahrlich-
keit einer Politik der Nachgiebigkeit. Auf der anderen Seite reichte aber das
bloBe Versprechen einer nach dem Kriege kommenden Neuorientierung auf
die Dauer nictt aus, um diejenigen Schichten, die sich durch die bisherige
Ordnung verkiirzt glaubten — und das war vor allem die groBe Masse der
sozialdemokratischen Arbeiterschaft — , bei den steigenden Schwierigkeiten der
Ernahrung, bei den wachsenden Anspriichen an Wehrkraft und Arbeitskraft
zu williger Mitarbeit anzuhalten. Beim Hilfsdienstgesetz hatte die Sozial-
demokratie bereits eine kleine Kraftprobe gewagt und allerhand sozialpoli-
tische Forderungen durchgesetzt. Aber politische Zugestandnisse wahrend des
Krieges zu machen, lehnte B. H. dauernd ab; er sprach zwar in mehreren
Reden des Winters 1916/17 von der Neuorientierung mit warmen Worten, die
nach dem Urteil des » Berliner Tageblatts« einen Hauch des neuen Geistes wohl
verspiiren lieBen, aber er blieb dabei, daB alles erst nach dem Kriege geordnet
werden konne. Wie um sich selber Mut zu machen zur Oberwindung aller
Widerstande, die sich gegen die Reformen erhoben, rief er ein Wehe iiber den
Staatsmann, der dieZeichen derZeit nicht erkenne. Er sprach damit das Urteil
iiber sich.
Denn wenn er auch nach der russischen Revolution glaubte, mit der bisherigen
zaudernden Politik unbestimmter Versprechungen die Gegensatze beschwich-
tigen zu konnen, so war das eine Verkennung der Zeichen der Zeit. Da der
Kanzler die Reformen nicht brachte, beschloB der Reichstag, das Werk selbst
in die Hand zu nehmen und einen VerfassungsausschuB einzusetzen. Und nun
wurde B. H. unsicher und beschloB selbst zu handeln. Aber auch jetzt raffte
er sich nur zu einem halben Schritte auf, zu der Osterbotschaft 191 7, die das
Dreiklassenwahlrecht preisgab, aber nicht klar sagte, was an die Stelle treten
sollte, die also Ausdruck der Verlegenheit, nicht Ausdruck entschlossenen
Fuhrungswillens war. Sie befriedigte darum die Anhanger der Reform nicht im
geringsten ; der VerfassungsausschuB tagte munter weiter und griff sogar das
Recht des Konigs von PreuBen, seine Offiziere zu ernennen, an. Die Gegner
der Reform aber sahen in der Botschaft den Anfang vom Ende und kiindigten
dem Staatsmann, der sie verantwortlich gezeichnet hatte, alles Vertrauen.
Aber nicht auf innerpolitischem Gebiet entstand die Krisis, die B. H. ver-
schlingen sollte, sondern, wie es im Wesen des Krieges lag, auf dem von Krieg-
fiihrung und Politik. Der Krieg war, wahrend die deutschen Parteien sich um
die inneren Kriegsziele stritten, weitergegangen ; heldenmiitig wehrte die West-
front die Angriffe der Feinde ab, und derU-Bootkrieg tat sein Werk. Die Frie-
densfuhler, die von feindlicher Seite im Fnihjahr 191 7 ausgestreckt wurden,
waren doch wohl nicht bloB dazu bestimmt, die schwachen Stellen im Biindnis-
system Deutschlands zu erkunden, sondern der Ausdruck ernster Besorgnis
um den Ausgang des Krieges. Aber das lieB sich nicht verbergen, daB der
U-Bootkrieg langsamer wirkte, als vom Admiralstab vorausgesagt worden
war. Darauf konnte Czernin seinen Versuch bauen, Deutschland zu einem
Bethman Hollweg 30
opfervollen Frieden mit den Westmachten, wie ihn Osterreich-Ungarn brauchen
konnte, zu zwingen. Sein Werkzeug war dabei Erzberger, der am 6. Juli im
HauptausschuB des Reichstags vor kaum beschrankter Offentlichkeit das Ver-
sagen der auf den U-Bootkrieg gesetzten Hoffnungen in iibertriebenster Weise
schilderte und damit den Boden fur die Friedensresolution vorbereitete.
B. H. hatte nichts get an, um diesem VorstoB die Spitze rechtzeitig abzu-
biegen. Auch in den » Betrachtungen « (Bd. II, S. 224) griibelt er mehr iiber die
Motive Erzbergers, als dai3 er von seinen GegenmaBnahmen sprache. Erst
nachtraglich versuchte er den Sturm zu beschworen, indem er seinen Gegnern
das dem Kaiser und dem preuBischen Staatsministerium miihsam abgerungene
Zugestandnis des gleichen Wahlrechts fur PreuBen machte.
Aber es war zu spat. Denn mit dem Angriff Erzbergers verknupfte sich ein
zweiter Angriff, der von der Obersten Heeresleitung ausging. Diese hatte bald
nach ihrem Amtsantritt erkannt, daB B. H. nicht der Mann war, ihre auf
starkste militarische Kraftentfaltung gerichtete Arbeit durch seine innere und
auBere Politik zu unterstiitzen. Von der Vorbereitung des Hilfsdienstgesetzes
an iiber die Erklarung des U-Bootkrieges bis zu den Kriegs- und Friedensf ragen
des Sommers hatte sie in B. H. den Vater aller Hindernisse gefunden. So erklarte
sie jetzt, daB sie nicht in der Lage sei, mit diesem Kanzler weiterzuarbeiten.
Es war das notwendige Ergebnis einer unsicheren, halben und zaudernden
Politik, daB sich keine Partei fand, die fiir B. H. eingetreten ware. Eine Be-
sprechung, die zwischen dem Kronprinzen und einigen Abgeordneten der ver-
schiedensten Richtungen veranstaltet wurde, unterrichtete die Krone von
diesem Ergebnis. Am 14. Juli 1917 erhielt B. H. seine Entlassung.
Den Umstanden, unter denen sich B. H.s Sturz vollzog, entspricht die Auf-
nahme in der Offentlichkeit. Alle diejenigen, die ihn wegen der Schwachlich-
keit seiner Politik im Innern wie besonders nach auBen seit langem bekampft
hatten, atmeten erleichtert auf, in der Hoffnung, daB nun eine kraftvolle
Politik im Geiste und zur Unterstiitzung der Obersten Heeresleitung beginnen
werde. Aber auch diejenigen, die mit B. H. einig waren in der Beurteilung
der Lage und Aussichten Deutschlands, in der Ablehnung weitgespannter
Kriegsziele, im Streben nach einem Verstandigungsfrieden und die fiir inner-
politische Reformen eintraten, hoben in ihren Urteilen iiber B. H. vor allem
die Schwache hervor; er war fiir sie der Mann, der nicht die Energie gehabt
hatte, das, was er fiir richtig hielt, durchzusetzen und das, was er fiir falsch
hielt, zu verhindern.
Dieses Urteil ist auch nicht etwa dadurch geandert worden, daB der Aus-
gang des Krieges seither dem Optimismus der Obersten Heeresleitung und
ihrer Anhanger unrecht und der pessimistischen Einschatzung B. H. srecht
gegeben hat. Denn einmal ist die Richtigkeit der politischen Einsicht B. H.s
doch sehr begrenzt; sie ist, wie so vieles an ihm, lediglich negativ, Erkenntnis
des Bedenklichen, ja auch des Verfehlten der Schritte, die andere machten oder
machen wollten. Das Positive fehlte ihm ganz; so ist manches von dem, was
er getan hat, es sei nur an die Errichtung des Konigreichs Polen erinnert,
durchaus falsch gewesen. Und dann wird der Staatsmann nicht an seiner Ein-
sicht, sondern am Erfolg seiner Taten gemessen, und diese Beurteilung fallt
auch nach dem Kriege zu ungunsten B. H.s aus. DaB er kein Staatsmann ge-
wesen ist, daB ihm das Wesen politischen Wollens und Handelns niemals auf-
40 1921
gegangen ist, hat er in seinen » Betrachtungen zum Weltkriege« erneut bewiesen,
deren ersten Band er selbst veroffentlicht hat, wahrend der zweite zwar von
ihm ausgearbeitet, aber erst nach dem Tode von seinem Sohne herausgegeben
worden'ist. Man kann ihnen nachrtihmen, was B. H. auch sonst im Leben be-
wiesen hat, vornehme Zuriickhaltung, auch Streben nach sachlicher Beurtei-
lung; fur den Kaiser tritt er gegen die unsinnigen Vorwurfe der Kriegsver-
hetzung mannhaft ein. Aber die politische Unzulanglichkeit B. H.s verrat sich
in erschreckender Weise. Der Glaube an die Richtigkeit seiner politischen
Einsicht wird stark erschiittert, wenn man hier von Menschheitsaufgaben und
Weltthesen als Richtlinien der praktischen Politik des Deutschen Reiches liest ;
man begreift freilich, daB eine derart eingestellte Politik an den realen Macht-
verhaltnissen und der bewuBten Interessenpolitik der groBen Machte vor und
im Kriege gescheitert ist. Vor allem aber fallt in diesen Betrachtungen wieder
der Mangel an Kraft, an Willen, an Glaube an die Moglichkeit der Fuhrung und
Beherrschung der Dinge auf , am starksten in den Abschnitten, die der Recht-
fertigung seiner Haltung wahrend des Weltkrieges gewidmet sind. Nirgends
gibt er hier etwas Positives; iiberall beschrankt er sich darauf, nachzuweisen,
daB er die MaBnahmen, die die Heeresleitung fiir notwendig gehalten habe,
nicht gehindert habe. Mit diesen Betrachtungen hat er selbst die Behauptung
widerlegt, die er in vertrautem Gesprach aufgestellt und die C. HauBmann
gleich nach seinem Tode in die Offentlichkeit gebracht hat : daB die Entlassung
B. H.s aussichtsvolle Friedensmoglichkeiten zerstort habe. Wie er nicht der
Mann gewesen war, Deutschland aus der Einkreisung hinauszusteuern, sondern
wie er Deutschland in den Krieg hatte treiben lassen, so war er auch gewiB
nicht der Mann, den Krieg rechtzeitig und gliicklich zu beenden. Alles in allem :
eine Hamletnatur, in der der angeborenen Farbe der EntschlieBung nur all-
zusehr des Gedankens Blasse angekrankelt war. Es ist sein und Deutschlands
Verhangnis geworden, daB er berufen wurde, die aus den Fugen geratene Zeit
einzurichten.
Quellen: Th. v. B. H., Betrachtungen zum Weltkxiege, 2 Bde., Berlin 1919/21. —
B. H.s Kriegsreden, herausgegeben und historisch-kritiseh eingeleitet von F. Thimme,
Stuttgart und Berlin 1919. — Bench t des zweiten Unterausschusses des TJntersuchungs-
ausschusses iiber die Fried ensaktion Wilsons 1916/ 17, Berlin 1920. — Dazu Fried ensange-
bot und U-Bootkrieg, Wortlaut der Aussage des friiheren Reichskanzlers v. B. H. im
UntersuchungsausschuB, Berlin 19 19. — Urkunden der Obersten Heeresleitung iiber ihre
Tatigkeit 1916 — 191 8, herausgegeben von E. Ludendorff, Berlin 1920.
In zweiter Linie waren hier die zahlreichen Quellenveroffentlichungen und Memoiren-
werke iiber die Vorgeschichte und den Verlauf des Weltkrieges anzufiihren. Es sei aber, da
eine vollstandige Bibliographic nicht gegeben werden kann, nur das Wichtigste genannt fiir
die Zeit vor 1914: O. Hammann, Bilder aus der letzten Kaiserzeit, Berlin 1922; E. Jackh,
Kiderlen-W T achter, Stuttgart und Berlin 1924. — A. v. Tirpitz, Erinnerungen , Leipzig 1919,
und Politische Dokumente, 2 Bde., Stuttgart und Berlin 1924, und Deutsche Ohnmachts-
politik im Weltkriege, Hamburg 1926; A. Wermuth, Ein Beamtenleben, Berlin 1922; Wil-
helm II., Ereignisse und Gestalten, Leipzig 1922. — Fiir die Kriegszeit: C. Haufimann,
Schlaglichter, herausgegeben von U. Zeller, Frankfurt 1924; K. Helfferich, der Weltkrieg,
3 Bde., Berlin 1919; E. Ludendorff , Meine Kriegserinnerungen 1914 — 1918, Berlin I9i9,und
Kriegfiihrung und Politik, Berlin 1922; F. v. Payer, Von B. H. bis Ebert, Frankfurt 1923.
Die L,iteratur iiber B.H.ist unbedeutend. H. Kotschke, Unser Reichskanzler, Berlin
1916, ist volkstiimlich gehalten, ohne alien wissenschaftlichen Wert. Von Kampfschriften
von 1916 sind neu aufgelegt worden: Junius alter, Das Deutsche Reich auf dem Wege zur
geschichtlichen Episode, Miinchen 191 9; H. v. Liebig, Die Politik B. H.s, 3 Bde., Miinchen
1 919. — Unter den Nachrufen sei genannt: Ruedorffer-Riezler, B. H., Deutsche Nation
Bethmann Hollweg. Bonnet ai
i 92 i, S. 125 — 129. — Um die Erforschung von Ivinzelfragen hat sicli, wenn auch mit stark
apologetischer Tendenz, F. Thimme verdient gemacht: Aufsatze in der Deutschen Politik
1917/18 und im Berliner Tageblatt 1917/18; einzeln angefiihrt in der oben genannten
Sammlung der Kriegsreden. Als grofiere Arbeiten, die mir fiir diese Studie forderlich waren,
nenne ich H. Herzfeld, Die deutsche Riistungspolitik vor dem Weltkriege, Bonn 1922, und
R. Fester, Die Politik Kaiser Karls und der Wendepunkt des Weltkrieges, Miinchen 1925.
Berlin -Wil me rsdorf Fritz Hartung.
Bonnet, Robert, ordentlicher Professor der Anatomie an der Universitat
Bonn, Direktor des anatomischen Instituts, Geh. Medizinalrat, * in Augs-
burg am 17. Februar 1851, f in Wiirzburg 13. Oktober 1921. — Robert B.
war der Sohn eines Augsburger Bankiers; er studierte in Miinchen und Got-
tingen Medizin und promovierte 1876 in Miinchen unter Kollmann (damals
Prosektor in Miinchen). 1877 trat B. eine Stelle als Prosektor bei L. Frank an,
dem damaligen Direktor der Zentraltierarzneischule in Miinchen. Zugleich
wurde er mit der Abhaltung von Vorlesungen iiber Histologic und Embryologie
beauftragt.
Als der langjahrige und verdienst voile Miinchener Anatom Bischoff in den
Ruhestand trat, habilitierte sich B. auch an der Universitat Miinchen fiir
Anatomie (1878). Hier las er nach der Berufung Kollmanns als Ordinarius
nach Basel wahrend des dreijahrigen Interregnums des anatomischen Or-
dinariates die gleichen Facher wie an der Tierarzneischule (bis zur Berufung
Kupffers aus Konigsberg).
Inzwischen wurde der pathologische Anatom der Tierarzneischule Bollinger
in gleicher Eigenschaft an die Universitat berufen, wodurch B. unter Bei-
behaltung seiner bisherigen normal-anatomischen Unterrichtsfacher in das
Ordinariat fiir pathologische Anatomie aufriickte, das er bald darauf nach
Franks Tode mit dem der normalen Anatomie vertauschte.
So verlief der Anfangsteil der akademischen Laufbahn B.s fern von der
Universitat; trotzdem blieb B. Anatom, speziell auch menschlicher Anatom,
wie sich insbesondere aus der Art seiner wissenschaftlichen Betatigung ergab.
Das reiche Material an Entwicklungsstadien von Haussaugetieren, die bis
dahin in der Untersuchung stark vernachlassigt waren, das B. bei seiner
Tatigkeit an der Miinchener Tierarzneischule zufloB, gab ihm die erste An-
regung zu seinem spateren Hauptarbeitsgebiet. So stammen aus dieser Zeit
der Tatigkeit B.s seine grundlegenden Arbeiten iiber die Entwicklungsge-
schichte des Schafes und Pferdes, die B. in der anatomischen Welt bekannt-
machten, seinen Namen als embryologischer Forscher begriindeten und ihm
auch den Riicktritt in die menschliche Anatomie und damit zur Universitat
ermoglichten.
Besonders hatte der Wiirzburger Anatom Kolliker Interesse an den Ver-
offentlichungen des jungen Anatomen genommen, so daJ3 auf seine Veran-
lassung die medizinische Fakultat in Wiirzburg, damals eine der ersten in
Deutschland, 1889 B. in erster Linie fiir das freigewordene Extraordinariat
der Anatomie vorschlug. B. folgte dem Rufe, der ihm den Ubergang in die
anatomische Universitatslaufbahn ermoglichte, mit Freuden. Die Umstellung
in das neue Lehrfach geschah ohne Schwierigkeiten — und diese seine erste
Universitatsprofessur hat B. in so dankbarer Erinnerung behalten, daB er
42 1921
die alte frankische Bischofsstadt nach seinem Riicktritt vom Lehramt zum
Orte seines Ruhesitzes wahlte.
Nur drei Jahre wirkte B. in Wiirzburg; 1891 wurde er bereits als ordent-
licher Professor nach GieBen berufen, als erster Spezialanatom ; denn die
hessische Universitat hatte als letzte bis dahin Anatomie und Physiologie
noch vereint. 1895 erhielt B. seinen ersten Ruf an eine preufiische Universitat;
er war gleichzeitig in Greifswald und Halle vorgeschlagen, wahlte aber die
pommersche Hochschule, der er zwolf voile Jahre angehorte, in der er, der
Bayer, schnell heimisch wurde; bot die Ostsseekiistenstadt doch reichliche
Gelegenheit zu B.s Lieblingsbeschaftigung, zu Jagd und Fischerei. Im letzten
Jahre seiner Greifswalder Tatigkeit bekleidete B. das Rektorat. Er iiber-
nahm die Professur und die Direktion des Instituts unter den schwierigsten
Verhaltnissen, wuBte sich aber schnell durchzusetzen und erwarb sich in
kurzer Zeit das Vertrauen aller Fachgenossen, so daB sein Weggang von Greifs-
wald lebhaft bedauert wurde.
Nach dem Riicktritt des Freiherrn v. La Valette-St. George vom Ordinariat
der Anatomie in Bonn wurde dieses B. angeboten, der am 1. April 1907 nach
Bonn iibersiedelte. In dieser Stellung wirkte B. bis zum Ende des Jahres 1918,
um sich nach erfolgter Emeritierung nach Wiirzburg zuriickzuziehen. In Bonn
hat B. auBerordentlich viel fiir die Ausgestaltung des bei seinem Amtsantritt
stark vernachlassigten anatomischen Unterrichts getan. Insbesondere gelang
es ihm durchzusetzen, daB das Institutsgebaude durch Zentralheizung, elek-
trische Beleuchtung usw. modernisiert wurde, dafi zwei geraumige Anbauten
auBer anderen inneren Umbauten errichtet wurden.
B.s Forschungsgebiet ist in erster Linie die Entwicklungsgeschichte der
Haussaugetiere gewesen. Mit der Erforschung der Entwicklung des Schafes
begann er schon wahrend seiner Tatigkeit an der Tierarzneischule ; spater hat
er in einer Serie von Veroffentlichungen die Embryologie des Hundes be-
schrieben, namentlich die Frage der Keimblatterbildung. Besonderen Wert
legte er auf die Erforschung der Ernahrungsmethoden des Saugetiereies in den
ersten Entwicklungsstadien, die bis dahin ganzlich vernachlassigt waren.
Aus seiner Feder wie aus der mehrerer seiner Schuler sind wertvolle Mit-
teilungen iiber Embryotrophe, wie B. das Material nannte, mittels dessen
der Saugetierembryo in der ersten Zeit seiner Entwicklung sich ernahrt,
hervorgegangen .
B. ist ferner der Verfasser eines bekannten Lehrbuches der Entwicklungs-
geschichte, das aus einem kleinen solchen der Haussaugetiere hervorgegangen
ist und schnell hintereinander mehrere Auflagen erlebte. Ferner hat sich B.
auBer mit der Entwicklung der Mammarorgane besonders mit der Anthropo-
logic beschaftigt. Die prahistorischen siidfranzosischen Fundstatten hat er
selbst bereist, von dort wertvolles Material mitgebracht, das zusammen mit
anderem den Grundstock einer Archaolithensammlung bildete. Besonders
bekannt gemacht hat sich B. durch die anthropologisch-somatische Bearbeitung
der Skelette des 191 5 in den Steinbriichen von Oberkassel gegeniiber von
Bonn gefundenen spatdiluvialen Menschenpaares. Das groBe Werk, das er mit
Verworn (s. u. S. 205 ff) und Steinmann herausgegeben hat — es konnte kurz
nach Kriegsende erscheinen — , gehort zu den wertvollsten und umfangreichsten
Veroffentlichungen aus dem Gebiete des prahistorischen Diluvialmenschen.
Bonnet. Bofidorf 13
Wenn auch auBer der Anthropologic, der sich B. besonders in den spateren
Jahren seines Lebens widmete, und der er auch nach seiner Emeritierung
getreu blieb, die Embryologie das Hauptarbeitsgebiet B.s war, so fehlen in
der Zahl seiner wissenschaftlichen Veroffentlichungen keineswegs Arbeiten
aus anderen Gebieten der Anatomie, wie z. B. aus der Histologic (Nerven der
Haare, Bau der Arterienwand u. a.). Ferner grundete B. zusammen mit
Fr. Merkel eine neue — leider nach Kriegsende eingegangene — anatomische
Zeitschrift, die »Anatomischen Hefte«, die bald sich einbiirgerten und die
besten deutschen und auslandischen Anatomen zu ihren Mitarbeitern zahlten.
Literatur: Anatomische Hefte, Bd. 1 (1892) — Bd. 57 (1919). — Nachrufe: Anat.
Anzeig. Bd. 56 (m. Bibliogr. d. Schriften B.s).Munchn. med. Wochenschr. 192 1. Chronik
der Univers. Bonn (fiir 1921/22).
Bonn. Johannes Sobotta.
BoBdorf, Hermann, plattdeutscher Dichter * in Wiesenburg (Flaming) am
29. Oktober 1877, | in Hamburg am 24. September 1921. — Obwohl B. fast
sein ganzes Leben in Hamburg zugebracht hat, ist er eigentlich kein Hanseat.
Er wurde in dem Dorfchen Wiesenburg im Flaming, den einst flamische
Kolonisten besiedelten, als Sohn eines Brieftragers geboren. Der kleine
Hermann, ein sehr aufgeweckter Junge, besuchte zuerst die Dorfschule
seiner Heimat. 1888 bekam der Vater plotzlich seine Versetzung nach
Hamburg. Der Abschied von der Heimat fiel dem Jungen sehr schwer,
und Hamburg mit seiner qualmigen Luft und der feuchten engen Woh-
nung im Eichholz gefiel ihm durchaus nicht. Unter seinen Lehrern war auch
Otto Ernst (Schmidt), der damals schon seinen ersten Band Gedichte ver-
offentlicht hatte. Ihn verehrte der kleine Hermann ganz besonders, und an
seine Gesang- und Deutschstunden hat er sich stets besonders gern erinnert.
Ja, von ihm behauptete er, daft er erst den leise glimmenden Dichterfunken
im verborgensten Innern zu hellen Flammen angefacht habe. Spater ist er
aber niemals wieder mit Otto Ernst in personliche Beruhrung gekommen.
Ganz besonderes Interesse zeigte der Junge bereits in friiher Jugend fiir
das Drama und Theater. Das lag ihm im Blut, und zielsicher ging er auch spater
den Weg, der ihm vorgezeichnet war: den Weg zum Drama. Im Lesebuch
seiner Flamingheimat las er schon Szenen aus » Minna von Barnhelm«; aber
er wufite nichts Rechtes damit anzufangen. In Hamburg fiel ihm aber das
ganze Stuck in die Hande. Er las es mit leuchtenden Augen und heifien Wangen
sofort in einem Zuge. »Da sprang das Tor, vor dem ich so lange fragend und
wartend gestanden hatte, mit einemmal auf — sperrangelweit. « Man staunt,
wenn man hort, was der Volksschiiler schon alles an dramatischer Literatur
gelesen hat: Penthesilea, den ganzen Schiller, vieles von Shakespeare und
Sophokles; den Prometheus des Aschylos konnte er fast auswendig. Auch
Moliere und Sardou verschlang er, begeisterte sich ferner auch fiir Richard
VoB. In der Bibliothek des Arbeitervereins fand er dann auch Aristophanes,
Terenz und Plautus. Natiirlich schrieb er auch selber Dramen, selbstverstand-
lich ganz bluttriefende, und fuhrte sie zum Teil auf seiner selbst gefertigten
Puppenbuhne auf. Er war von seiner dramatischen Sendung so uberzeugt,
dafl er einst einem Freunde, als er mit ihm am Theater vorbeiging, sagte:
44 ! 9 21
»Hier wird man mich auch noch einmal spielen.« Ein Schauspiel »Die Armut«,
in der Sylvesternacht 1890 begonnen und in drei Wochen vollendet, ist uns
von diesen ersten Versuchen noch erhalten geblieben. Wenn der Junge morgens
auf dem Wege zur Schule iiber den GroBneurnarkt ging, hielt er erst vor der
Anschlagsaule seine »Morgenandacht« ab. Am Abend las er in der Zeitung
fast nur Theaternachrichten und Kritiken. Diese schnitt er sorgfaltig aus und
klebte sie sauberlich in ein Heft. Als Junge von zwolf Jahren kam er zum
erstenmal ins Theater. Im Ernst Drucker-Theater auf St. Pauli sah er auBer
Gorners »Dornroschen« das plattdeutsche Lokalsttick »Piepenreimers«. Mit
14 Jahren war es ihm dann endlich vergonnt, im Stadttheater » Hamlet « zu
sehen. »Das waren Hohepunkte meiner Jugend, auf denen hellste Gnaden-
sonne lag. «
Die Berufswahl fiel B. schwer. Er machte zwar die Aufnahmepriifung fur
das Seminar, fand aber mit seinem Freunde aus Platzmangel keine Aufnahme.
Er zeichnete gut, und einige seiner Schiilerzeichnungen, Bilder aus der alten
Flamingheimat, sind nach seinem Tode in dem Auswahlband » Hermann BoB-
dorf-Buch« veroffentlicht worden. Der Junge schwankte lange, ob er Maler
oder Dichter werden sollte; aber der praktisch veranlagte Vater bestimmte
ihn fiir die Laufbahn eines mittleren Postbeamten, und bei dem Postamt in
Hamburg-Eimsbuttel trat er als Postgehilfe ein. Die Jahre, die ihn auch nach
manchen anderen Orten der niederdeutschen Heimat fuhrten, sind fiir ihn
heitere, sorglose Jugend jahre gewesen. Mancherlei dichterische Eindriicke in
dieser Zeit fanden dann nach Jahren Gestaltung. Mit FleiB trieb er seine
literarischen Studien weiter. Heinrich v. Kleist schatzte er besonders; von
dem fiihrte ihn der Weg zu Grabbe und Hebbel und spater weiter zu Ibsen,
Strindberg und zuletzt zu Wedekind. Von den groBen Epikern begeisterten
ihn besonders Raabe und Jean Paul, aus dessen Buchern er ganze Stiicke
auswendig lernte. B. meldete sich inzwischen zum Hamburger Telegraphen-
amt, weil er dann vom Wanderleben erlost war und auch die geplante Heirat
eher wagen durfte. Da er in der nordischen Abteilung beschaftigt wurde, warf
er sich gleich mit dem ihn auszeichnenden FleiB auf das Studium der nor-
dischen Sprachen, und bald konnte er seinen Ibsen und Strindberg in der
Ursprache lesen. Durch diese sprachlichen Studien wurde er auch zum ersten-
mal zum dichterischen Gebrauch seiner plattdeutschen Muttersprache an-
geregt, und 191 1 brachte der »Eekbom« sein erstes plattdeutsches Gedicht.
1900 hatte er sich mit Berta Dannies, einem Hamburger Kind, verheiratet.
Diese eigenartige Frau hat auf die weitere Entwicklung des Dichters be-
stimmenden EinfluB gehabt. Sie brachte ihm auch zum erstenmal die okkul-
tistische Welt naher, die dann fiir seine kiinstlerische Entwicklung mit-
bestimmend wurde. Auf Anregung seiner Frau veroffentlichte er 1900 seine
erste literarische Arbeit, eine Humoreske, in den » Hamburger Nachrichten «.
Eine ganze Anzahl ahnlicher Arbeiten erschienen dann in rascher Folge, meist
in der Postbeamtenzeitschrift »Das Posthorn«, da er sich zur Hauptsache
die Stoffe aus dem Leben der Postbeamten nahm. Jetzt wandte sich der Dichter
aber auch der Ballade zu, die er als Vorstufe zum Drama ansah und mit
heiBem Bemuhen pflegte. Um seiner Sprache Schlagkraft und Gedrangtheit
zu geben und um sich auf den dramatischen Dialog vorzubereiten, schrieb er
ferner in jenen Jahren auch viele Epigramme. 1908 brachten wiederum die
BoBjlorf 45
» Hamburger Nachrichten« (in der Weihnachtsbeilage) seine erste Ballade
»Das freie Hamburg «, von Theodor Herrmann mit einer Zeichnung geschmtickt.
Der schwere Nachtdienst in den ersten Kriegsjahren war der unmittelbare
Anlai3 seines korperlichen Zusammenbruches, der ihn dann zwang, 19 15 vor-
laufig aus dem Dienst auszuscheiden und 19 17 um seine Entlassung ein-
zukommen. Mit einer bescheidenen Pension, von der auch noch Frau und
Schwiegermutter leben wollten, muBte er jetzt seinen Unterhalt bestreiten. Die
letzten Ersparnisse forderte ein Kuraufenthalt in Oeynhausen, der aber keine
Heilung brachte. Sein Riickenmarksleiden zwang ihn bald in die Sofaecke,
von der aus er noch jahrelang sehr interessiert den Lauf der Welt verfolgte.
Aber in der Zeit der Leiden und der Not wurde der Dichter. 1913 war ihm
schon die Idee zum »Fahrkrog« gekommen, den er anfangs noch novellistisch
bearbeiten wollte; aber er sah bald ein, daB nur eine dramatische Gestaltung
moglich sei. Der erste und zweite Akt wurden schon im Entwurf nieder-
geschrieben. Als er nun auf schwerstem Krankenlager lag und der »schwarze
Mann« nicht von seinem Lager wich, umschwebten ihn die Gestalten des
Dramas und heischten gebieterisch Gestaltung. Kaum ein wenig genesen, ging
er mit Feuereifer an die Arbeit, und in kurzer Zeit war der »Fahrkrog« voll-
endet. Nun kam aber die Frage der Auffuhrung. Nach Fritz Stavenhagens
Tod stand es um das niederdeutsche Drama in Hamburg sehr schlecht. Nur
hin und wieder gelang es der »Stavenhagen-Gesellschaft« eine Buhne zu einer
plattdeutschen Vormittagsauffuhrung zu bewegen. B. reichte nun das Stuck
der genannten Gesellschaft ein, und die gab es dann einem ihrer Lektoren,
Peter Werth, der selber als plattdeutscher Dramatiker bekannt wurde. Der
war ganz begeistert von dem Stuck und machte den Dichter auf das »Gleich-
nis« aufmerksam, das in dem Werk stecke. Auf seine Anregung dichtete dann
B. noch den »Vorspruch«, und Hans Langmaack las bald darauf dies erste
plattdeutsche Mysterium auf einem Abend der Vereinigung »Quickborn«
offentlich vor. Man war aufs hochste iiber das Werk iiberrascht und forderte
ungestum die offentliche Auffuhrung, die dann am 5. April 1918 durch die
» Dramatische Gesellschaft « (spater Niederdeutsche Buhne, Hamburg) unter
Leitung von Dr. Richard Ohnsorg im Thaliatheater in Hamburg stattfand.
Das Stuck fand eine glanzende Aufnahme und wurde nun auch bald gedruckt.
Der Erfolg ermunterte den Dichter, ein weiteres Drama zu schreiben. Im
»Bahnmeester Dood« wollte B. ein Gegenstiick zum »Fahrkrog« geben:
der Bose und der Tod sollten Sieger bleiben. Aber die Offentlichkeit nahm
das Werk nur als Drama, zumal die mystische Seite auch fast ganz von der
realen verdeckt wird. Mit diesem Werk hatte der Dichter ebenfalls groBen
Erfolg, und er war mit einem Schlage in ganz Niederdeutschland bekannt.
Jetzt veroffentlichte er auch eines seiner Jugenddramen, »Simson und die
Philister«; aber die Buhne blieb dem Werk zum Leidwesen B.s verschlossen.
Hermann B. war fest davon iiberzeugt, daB er in bezug auf das niederdeutsche
Drama eine besondere Aufgabe zu erfiillen habe. Er schrieb auch eine Reihe
Aufsatze, in denen er seine Ansichten vom plattdeutschen Drama naher er-
lauterte. »Das reale Leben, die wirkliche Welt, die uns alltaglich umgibt,
mit dem Licht der Idee zu durchleuchten und sie dadurch hinaufzuheben in
das Leben der Ewigkeit, in die Welt der Wahrheit: das war meine Absicht . . .
und ich werde auch ferner daran festhalten. Auch in der Komodie. Auch diese
46 1921
kann von einer Idee getragen werden, indem sie mit ihrer Hilfe den klaffen-
den Gegensatz zwischen Sein und Schein aufdeckt, und dadurch den Gegen-
stand aus dem Zeitlichen ins Ewige transloziert oder erhebt.« B. hat sich
auch auf dem Gebiet der plattdeutschen Komodie versucht, aber hier nicht
die klassische Hohe seiner ernsten Dramen erreicht. Nach dem kleinen
»Schattenspeel«, das etwas von dem leichten Lustspielgeist und geschlif-
fenen Dialog franzosischer Komodien hat, schrieb er den lustigen » Kramer
Kray«. Hier wird zwar schon versucht, das komische Motiv in den Charak-
teren zu verankern, aber er bleibt doch noch allzusehr nur Schwank. B.
hat dieses Stiick nach seinem eigenen Gestandnis auch nur als Propaganda
fur Ohnsorgs Niederdeutsche Biihne geschrieben. Kiinstlerisch bedeutend
hoher steht hingegen sein letztes Werk »De rode t)nnerrock«, seine beste
Komodie. Fiir diese Arbeit erhielt er noch kurz vor seinem Tode den zweiten
Preis im Ausschreiben der Stavenhagen-Gesellschaft, erlebte jedoch die Ur-
auffiihrung am 26. November 192 1 im Altonaer Stadttheater nicht mehr.
Als Hermann B. mit seinem plattdeutschen Mysterium groBten Erfolg
hatte, konnte er es auch wagen, nunmehr mit seinen Balladen an die Offent-
lichkeit zu treten, die alle plattdeutschen Balladen seit Groth weit uber-
treffen. Ihm sind Balladen voll Klang, Tiefe und sprachlicher Wucht gelungen,
die fiir immer zu den besten niederdeutscher Herkunft rechnen werden. An
den groBen Balladendichtern Burger, Fontane, Miinchhausen hat er sich ge-
schult. Zwei schmale, wohlgesiebte Bandchen erschienen bald nach dem »Fahr-
krog«: »01e Klocken* (plattdeutsch) und »Eichen im Sturm« (hoch-
deutsch).
Nebenher schrieb B. in hochdeutscher und plattdeutscher Sprache eine
Reihe kleinerer Geschichten, die zwar ganz des Dichters charakteristische
Note zeigen, aber im allgemeinen nicht auf der kiinstlerischen Hohe seines
dramatischen und balladischen Schaffens stehen. Im »Postinspektor« sind
kleine heitere Postgeschichten gesammelt; im plattdeutschen »Verhexten
Karnickelbuck« schieBt sein Humor tolle Purzelbaume; im »Schadel vom
Grasbrook« ist die iibersinnliche Note auBerordentlich stark, ebenfalls in
seinem letzten und weitaus besten Prosabuch »Rode Ucht«, dessen ganze
Fertigstellung er aber nicht mehr erlebte. (Hier findet man auch einleitend
eine autobiographische Skizze, »De swarte Mann«.)
Trotz aller Bemiihungen verschiedener Arzte und trotz aufopfernder Pflege
seiner Gattin schritt sein Ruckenmarksleiden immer weiter. Fiir Augenblicke
konnte er auch ganz zusammenbrechen ; aber immer wieder siegte in ihm der
Wille zum Leben und der iiberaus machtige Drang zum Schaffen; auBerdem
wirkten natiirlich Erfolg und allseitige Anerkennung an ihrem Teile mit. Der
hamburgische Staat zeichnete ihn sogar durch Verleihung eines Ehrengehaltes
aus, das spater auch seiner Witwe weiterbewilligt ist. Monatelang lieB der
leidende Dichter sich an den Schreibtisch tragen. Und trotz Jammer und Not
lebte noch sein Humor, der zwar nicht immer goldig, sondern manchmal recht
grimmig sein konnte. Das Ende, das am 24. September 192 1 nach schwerem
Todeskampf eintrat, war eine Erlosung fiir ihn und seine Umgebung. An einem
wundervollen Herbsttag wurde er in Ohlsdorf unter ungeheurer Beteiligung
begraben. Sein Begrabnis war ein uberzeugender Beweis dafiir, wie sehr man
ihn in ganz Niederdeutschland schatzte. Ein schlichter Findling, symbolisch
Bofldorf. Bracht 47
fur sein Herkommen und Schaffen, erhebt sich jetzt auf seinem Grabhiigel und
tragt nur die Inschrift » Hermann BoBdorf «.
In seinem literarischen Nachlafl, dessen Verwaltung mir vom Dichter und seiner Witwe
(die Ehe blieb kinderlos) anvertraut wurde, fanden sich vor alien Dingen einige Dramen
und dramatische Entwiirfe, auflerdem fast seine gesamte, ziemlich unbekannt gebliebene
Lyrik. In der Zeitschrift »Niedersachsen« (27. Jahrg., Nr. 13, S. 299—301) habe ich iiber
den dramatischen NachlaB ausfiihrlich berichtet. Es fanden sich aufler verschiedenen, zu-
meist hochdeutschen Dramen und Entwurfen drei Fragmente plattdeutscher Biihnenwerke
vor, die teilweise schon aus der Zeit vor dem »Fahrkrog«, teilweise — vor alien Dingen die
bibbschen Tragodien — aus der Anfangszeit der Produktion stammen. »Schane
Hagenah«, das Drama einer Seemannsfrau, ist von mir im »Niedersachsenbuch 1924/25^
S. 59 — 70, veroffentlicht worden. Noch in den letzten Wochen arbeitete er mit Eifer an
dem historischen Trauerspiel »Bernd Beseke, de Vagt up Niewerk«. Audi hiervon ist
nur ein Akt fertiggestellt worden. (Veroffentlicht im »Niedersachsenbuch 1923 «, S. 34- — 47.)
Da im Plattdeutschen noch immer das groBe geschichtliche Drama fehlt, setzte man ganz
besondere Hoffnung auf B.s »Stortebeker«, von dem fast zwei Akte vorliegen. Leider
lieB der Dichter die Arbeit liegen und wandte sich der Gestaltung anderer Ideen zu. Von
diesem Werk, das zu groBen Hoffnungen berechtigte, sind bislang nur Bruchstiicke be-
kannt geworden. Der Dichter selbex veroffentlichte in »Niedersachsen«, 26. Jahrg., S. 270,
den ersten Akt. Erst die geplante Gesamtausgabe wird das ganze Stortebeker-Fragment
bringen. Der NachlaBband »Letzte Ernte« brachte B.s Lyrik (einige Balladen, darunter
die glanzende Nachdichtung von Burgers » Ignore*) , eine Auswahl aus den Fabeln und
Epigrammen und zwei lyrische Naturskizzen . Im Nachlasse fanden sich auch von der einst-
mals geplanten hochdeutschen Ubertragung von »Bahnnieester Dood« fast zwei Akte.
Um den dramatischen Dichter auch den hochdeutschen Kreisen bekannt zu machen,ent-
schloB sich des Dichters Witwe, den »Bahnmeister Tod« zu vollenden. Das Stuck wurde
auch von einer ganzen Reihe groBer hochdeutscher Theater gegeben, beginnend mit Han-
nover, Halle und Hamburg.
Verzeichnis der erschienenen Bucher (mit einer Ausnahme im Richard Hermes'
Verlag, Hamburg) : De Fahrkrog, 191 9; Bahnmeester Dood, 191 9; Simson und die Philister,
1920; Dat Schattenspeel, o. J. (1920, erschien im Quickborn-Verlage, Hamburg); Kramer
Kray, J920; De rode Cnnerrock, 1921; Bahnmeister Tod, 1922; OleKlocken, 1919; Eichen
im Sturm, 1919; Der Postinspektor, 1920; De verhexte Karnickelbuck, 1920; Der Schadel
vom Grasbrook, 1920; Rode Ucht, 1921 ; De swarte Mann (Sonderdruck aus Rode Ucht),
1 921; Iyetzte Ernte, 1922; Hermann B.-Buch (Auswahl), 1924.
Hamburg. Albrecht Janssen.
Bracht, Eugen, Maler, * in Morges am Genfer See am 3. Juni 1842, f in
Darmstadt am 15. November 192 1. — Als Eugen B. dahinschied, beklagte
man in ihm vielfach den letzten bedeutenden Vertreter der romantisch-
heroischen Landschaftsmalerei und mit einer gewissen Berechtigung schien
man ihn so zu bezeichnen, denn er hat eine Anzahl von Werken geschaffen,
die ganz von romantisch-heroischer Stimmung erfiillt sind, und gerade diese
von alien seinen Schopfungen haben ihn in weiten Kreisen bekannt und be-
liebt gemacht. Es hiefie aber heute, da wir sein ganzes Lebenswerk iiberblicken
konnen, B.s Wesen verkennen, es zum mindesten nicht voll erschopfen, wollte
man ihn lediglich als einen Abkommling der J. A. Koch, Carl Rottmann,
Friedrich Preller, K. F. Eessing, J. W. Schirmer betrachten. Seine Vertiefung
in die Natur war zu eindringlich, sie erfolgte mit zu freiem, unvoreinge-
nommenem Blick, zugleich war seine Beschaftigung mit dem kunstlerischen
Problem der Landschaftswiedergabe im Bilde zu hingebend, als daB er kunst-
geschichtlich unter dem einseitigen Begriff des romantisch-heroischen Land-
schafters untergebracht werden diirfte. Auch die grofien nachhaltigen Erfolge
48 1921
mit einigen popular gewordenen Werken konnten ihn nicht auf einen be-
stimmten Bezirk der Stimmungslandschaft festlegen. Er ist zeitlebens ein
ernst Strebender, ein Ringender gewesen.
B. ist in der Schweiz geboren, aber einer deutschen Familie entsprossen;
beide Eltern stammten aus Westfalen. In friiher Kindheit konnte er die Ein-
drucke der grandiosen Hochgebirgsnatur des Genfer Sees in sich aufnehmen,
nicht lange freilich, denn in seinem achten Lebensjahr iibersiedelten seine
Eltern mit ihm nach Darmstadt. Als Knabe schon zeichnete und malte er
auf eigene Faust mit selbstbereiteten Farben, bis er den ersten geregelten
Unterricht durch den Darmstadter Maler F. Frisch und den Galerieinspektor
Karl Seeger erhielt. Ein zufalliges Zusammentreffen mit Johann Wilhelm
Schirmer, dem damaligen Direktor der Karlsruher Kunstschule, auf einem
Ausflug nach Heidelberg wurde entscheidend fur Berufswahl und Schicksal
des jungen B., dessen Vater auf Schirmers Rat ihn nun dem Kiinstlerberuf
zufuhrte. Im Oktober 1859 durfte er in die Karlsruher Kunstschule eintreten.
Hans Thoma war dort sein Mitschuler, an den er sich in enger Freundschaft
anschloB und mit dem er den ersten Studiensommer im Schwarzwald ver-
brachte. Auch mit Karl Friedrich I^essing, neben Schirmer der erfolgreichste
Vertreter der romantischen' Richtung in der Landschaftsmalerei, der damals
die Leitung der Karlsruher Galerie iibernommen hatte, konnte der junge
Kunstschuler in Verbindung treten. Nachdem er die Antiken- und die Mal-
klasse unter Des Coudres absolviert hatte, trat B. i860 in die Landschafts-
klasse Schirmers ein und fuhrte unter dessen Leitung eine Reihe von Bildern
aus, die schon Eigenart und Selbstandigkeit der kiinstlerischen Auffassung
zeigten. Das Gefiihl dieser beginnenden Selbstandigkeit lieB in B. 1861 den
EntschluB reifen, von Karlsruhe nach Diisseldorf zu iibersiedeln, wo der
Norweger Hans Gude an der Akademie als Lehrer der Landschaftsmalerei
wirkte. Im Gegensatz zur komponierten Landschaft der akademischen Ro-
mantiker ging Gudes Kunstauffassung mehr auf intime Beobachtung der
Natur, auf koloristische Wiedergabe von Stimmungs- und Beleuchtungs-
effekten aus. Sein Schuler konnte B. wegen Uberfiillung von Gudes Klasse
zwar nicht werden, doch versprach ihm dieser, ihn bei seinen Arbeiten durch
seinen Rat zu unterstutzen. B. arbeitete also selbstandig weiter. Er malte
Motive aus dem Rheingebiet und dem Hunsriick, spater auch solche aus der
Schweiz, anfangs mit einigem Erfolg, spater mit weniger Gliick. Besonders
blieb der finanzielle Erfolg seiner ersten selbstandigen Kunstbetatigung aus;
dazu kam das weitere MiBgeschick, daB auch sein Vater in wirtschaftliche
Schwierigkeiten geriet. Die MiBhelligkeiten, die sich so fur den angehenden
Maler hauften, lieBen Zweifel an seiner Berufung zur Kunst wach werden,
die ihn schlieBlich ganz entmutigten, so daB er eine ihm sich gerade bietende
Gelegenheit wahrnahm, eine kaufmannische Stellung anzunehmen und dem
Kiinstlerberuf ganz zu entsagen. 1864 — 1870 war er fur den iiberseeischen
Wollimport in Verviers in Belgien tatig, 1870 griindete er sich ein eigenes
Geschaft in Berlin.
Der kaufmannische Beruf sagte B. , je langer er ihn ausiibte, um so weniger zu.
Die lang zuriickgedrangte Liebe zum Malerberuf erwachte aufs neue in ihm
und geschaftliche Schwierigkeiten beschleunigten schlieBlich seinen EntschluB,
sein Geschaft aufzulosen und zur Malerei zuriickzukehren. Er selbst hat
Bracht 49
in seinen Aufzeichnungen geschildert, wie er, noch Kaufmann, auf einer Ge-
schaftsreise durch die Liineburger Heide fuhr und bei Sonnenaufgang die in
zartrosigem Nebel daliegende Heide »mit wiedererwachenden Maleraugen«
sah. Zwei Jahre spater fuhr er dieselbe Strecke, stieg an derselben Station,
an der ihn das lockende Heidebild gegriiBt hatte, aus — nach mehr als zehn-
jahriger Pause wieder Landschaftsmaler von Beruf.
Zunachst vertraute er sich noch einmal Gudes Fuhrung an, ging nach
Karlsruhe, wohin dieser inzwischen berufen worden war. Schon die ersten
Bilder mit Motiven aus der Liineburger Heide, besonders das »Hiinengrab«
brachten ihm Erfolg. In den Jahren 1876 — 1879 malte er ausschlieBlich deutsche
Landschaften, neben den Heidebildern solche von Riigen, den Ardennen und
der Eifel. Schlichte Motive sind es durchweg, denen er aber durch die ge-
schickte Wahl des geschlossenen Bildausschnitts einen starken Ausdruck ver-
Ueh und die er durch die malerisch betonte Stimmung zuweilen zu ^oBartiger
Wirkung steigerte. Im »Hiinengrab« trat die Neigung zu hen scher Ge-
staltung des Iyandschaftlichen zuerst in Erscheinung, doch lag sie nier schon
im Stoff begrtindet.
Zum Verstandnis von B.s seelischer Einstellung darf nicht iibersehen
werden, daB er nicht einseitig Kunstler, sondern auch eine wissenschaftlich
interessierte Geistigkeit war. Diese wissenschaftlichen Neigungen allein hatten
ihm die langen Jahre der nuchternen Kaufmannstatigkeit ertraglich zu
machen vermocht. Auf seinen Streifziigen als Maler wandte er seine Auf-
merksamkeit auch den vorgeschichtlichen Spuren in den von ihm durch-
wanderten Gegenden zu. Fiir die Ausgrabung und Erforschung einer Hohle
mit quarternaren Resten in der Eifel ernannte ihn die Gesellschaft fiir niitz-
liche Forschungen in Trier zu ihrem korrespondierenden Mitglied.
1880/81 unternahm B. eine Studienreise nach dem Orient, durchstreifte
sechs Monate lang Syrien, Palastina und Agypten, ein umfangreiches Material
an Studien sammelnd, das er spater zu Bildern verwertete, die seinen Stoff -
kreis erweiterten und seinen damals schon wohl begriindeten Ruf als Land-
schaftsmaler noch weiter befestigten. Der Orient mit seinen gluhenden Farben
hat vor allem das Kolorit des Kiinstlers, das bis dahin zu gedampfter, oft
zarter Farbengebung neigte, beeinfluBt, er verwendete nun auch kraftigere
Farben und seine Palette wurde reicher. Noch in anderer Hinsicht befruchtete
diese Reise sein Schaffen: die Studien im Orient veranlaBten ihn mehr als
bisher das Figiirliche, Menschen und Tiere, als Staffage oder als wichtigen
Bildbestandteil in seinen Werken anzubringen. So entstanden Bilder wie
»Die Rast in Araba« und »Am Brunnen Ber Saba«, in denen das Figiirliche
das wesentliche Bildmoment ist. Als seine starksten rein landschaftlichen
Schopfungen der ersten Zeit nach der Orientreise sind die dustere »Abend-
dammerung am Roten Meer«, der heroisch empfundene »Sinai«, der groBziigig
komponierte »Elias am Bache Krith« und die ganz von romantischer Stim-
mung erfullte »Fata Morgana* zu nennen.
Bevor B. alle diese Friichte seiner Orientreise zu fertigen Werken reifen lassen
konnte, hatten sich seine auBeren I^bensverhaltnisse geandert : Anton v. Wer-
ner hatte seine Berufung nach Berlin als Nachfolger Christian Wilbergs ver-
anlaBt. B. nahm an und kam im Oktober 1882 als Leiter der Landschafter-
klasse an die Berliner akademische Hochschule fiir die bildenden Kiinste.
DBJ 4
50 19*1
Zugleich hatte ihn A. v. Werner dafiir gewonnen, den landschaftlichen Teil des
von ihm gemalten Sedan-Panoramas zu ubernehmen. Auch fur die zu dem
Rundbild gehorigen kleineren Dioramen schuf er die Landschaften. Der Er-
folg, den diese auf einem mehr untergeordneten, rein dekorativem Gebiet der
Malerei liegenden Arbeiten fanden — B. hat spater mit Selbstironie von seiner
»panoramischen Zeit« gesprochen — , verhalf ihm zu weiteren Auftragen
gleicher und ahnlicher Art: zuerst das groBe Panorama der Schlacht bei
Chatanooga aus dem amerikanischen Sezessionskrieg, das er fur Chikago
malte und spater sogar noch einmal wiederholen muBte; dann das Diorama
einer Elefantenjagd am Kassai fiir Berlin, ein groBes Panorama »Die Sachsen
bei Villiers« fiir Leipzig und ein Diorama »Das historische Eckfenster« fiir
Dresden. Eine umfangreiche, ebenfalls mehr dekorative Arbeit stellen auch
die elf Bilder von Tempeln und Kultstatten aller Zeiten und Lander dar, die
B. fiir die Loge Royal York in Berlin malte. Von seinen spater ausgefuhrten,
als Raumschmuck dienenden Arbeiten ist ein groBes Wandgemalde im Lese-
zimmer des Reichstags als besonders gelungen hervorzuheben.
Auf Reisen suchte der Kiinstler immer wieder neue Eindriicke zu sammeln :
er machte Studien an der ligurischen Kiiste und besuchte wiederholt die
Schweiz, wo eine Anzahl von Hochgebirgsbildern entstand, die der immer
scharfe Selbstkritik iibende Kiinstler spater wegen ihrer etwas harten Zeich-
nung selbst nicht hoch einschatzte. Wertvolle koloristische Anregungen ver-
mittelte ihm eine zehn Jahre nach der ersten unternommene zweite Orient-
reise, die er mit der ausgesprochenen Absicht, mehr dem Malerischen der
Landschaft als dem Stofflichen sich hinzugeben, angetreten hatte.
Zwei Jahre vor dieser Orientreise malte B. »Das Gestade der Vergessenheit«
(1889), das, in zahllosen Reproduktionen verbreitet, den Kiinstler so bekannt
machte wie kein anderes Werk vorher. Schon der Titel kennzeichnet seine
romantische Tendenz: ein Stuck schroffer nordischer Felsennatur, ein ewig-
stilles Gestade unbefahrenen Meeres, in dramatisch gesteigerter Bildhaftig-
keit, senkt uns das Gefuhl eisiger, grabesruhiger Einsamkeit ins Gemiit. Von
ahnlicher, mehr heroischer Stimmung erfullt ist das nicht minder beriihmt
gewordene Bild »Hannibals Grab<( (1893), in der groBen Einfachheit der
Linienfuhrung und den wuchtig zusammengefaBten Farbenflachen noch
packender als das » Gestade der Vergessenheit «. Ein dem eigentlichen Wesen
der bildenden Kunst fremder, literarischer Einschlag ist bei diesen beiden
Werken ebensowenig zu verkennen wie die auf starke auBere Wirkung ab-
zielende Durchfiihrung. B.s Selbstkritik bewahrte ihn gliicklicherweise davor,
die Bahn, auf der er einen so groBen Erfolg beim Publikum gefunden hatte,
weiterzubeschreiten. Die rasch beliebt gewordenen Werke hatten auch Gegner
gefunden, deren Einwendungen ihn wohl nachdenklich stimmen mochten. Die
stete Beruhrung, in der er auf vielen Studienf ahrten mit der Natur blieb, lieB
ihn bald zu klarer Erkenntnis kommen, und vollig bewuBt erstrebte er eine
Wendung seiner Kunst, die ihn fortan »bei ganz unstofflichen Motiven« immer
mehr den rein kiinstlerisch-koloristischen Problemen nahebringen sollte. Was
bei solchem EntschluB zunachst eine Beschrankung seiner Bildmotive schien,
das envies sich in Wahrheit bald als eine Erweiterung seines Stoffgebietes,
denn wohin sein Auge blickte, fand er jetzt — in rein kiinstlerischem Sinne —
Bildmotive. Er selbst bekannte damals: »Wo ich auch jetzt hinkomme, finde
Bracht
51
ich Malerisches und Malenswertes, und da sich mir allerwarts Reizvolles er-
schlieBt, schaue ich gleichsam mit verjiingten Augen um mich in die Welt.«
Die Gefahr des »Gedanklichen« war uberwunden, der Maler hatte sich selbst
gefunden. Es waren dies die wertvollsten Jahre seiner Entwicklung zur Reife,
in denen B. der bedeutende Kolorist wurde, der Maler deutscher Stimmungs-
landschaft, als der er in der Kunstgeschichte weiterleben wird. Jahr fiir Jahr
legten die Bilder, die er anf den Ausstellungen zeigte, Zeugnis davon ab, wie
sich seine neu gewonnene Anschauung immer mehr vertiefte : sie sind in ihren
meist einfachen Motiven nicht »komponiert«, obwohl die klare Linienfiihrang
und Flachenverteilung mit feinster Empfindung erwogen und berechnet ist.
Die Steigerung zum BildmaBigen liegt allein in dieser Vereinfachung. Die
kolorist ische Erscheinung ist durch wenige lebhafte, zuweilen juwelenhaft
kostliche Farben bedingt, die in der Abwandlung ihrer Tonungen trotz der
Einfachheit der Farbenskala eine reiche malerische Wirkung erzielen. In der
Bildstimmung klingt manchmal noch Romantisches mit, wo es sich aus dem
Motiv ergibt.
B.s Technik beruht im allgemeinen auf der Grundlage akademischer Tra-
dition. Voriibergehend hat er sich auch, neue Wege suchend, dem Impressionis-
mus genahert, ohne sich in dessen Problemen von L,uft- und Lichtdarstellung
zu verlieren.
In seiner Lehrtatigkeit, die er, wie es bei seiner Natur nicht anders sein
konnte, auBerordentlich ernst nahm, hat B. viel Befriedigung gefunden. Er
gab jeder Individuality freien Spielraum zur Entwicklung und schopfte aus
dem Ringen der Jugend, die zum Teil die Welt schon wieder mit anderen
Augen sah, Anregungen und Erkenntnisse fiir sich selbst — ein Austausch,
wie er im akademischen Unterricht damals seltener war denn je. Iyeider sollte
diese ideale Lehrtatigkeit nach fast zwei Jahrzehnten fiir B. mit einem MiB-
klang schlieBen: die Akademie hatte ihn fiir die Leitung des freigewordenen
Meisterateliers fiir Landschaftsmalerei, die dem Kiinstler selbst erwiinscht
war, in Vorschlag gebracht. Ein anderer Maler wurde ihm jedoch vorgezogen;
B. gab, dariiber verstimmt, seine Berliner Tatigkeit auf und folgte 1901 einem
Ruf als Lehrer an die Dresdener Akademie. Auch in der sachsischen Haupt-
stadt gewann er bald einen fruchtbaren EinfluB auf die jungen Landschafts-
maler. — Wie groB die Zahl seiner Schuler war, das zeigte eine Ausstellung
von deren Arbeiten im Berliner Kiinstlerhaus, zum 70. Geburtstag ihres Meisters
von seinen Schiilern veranstaltet : 78 Kiinstler waren in ihr vertreten, darunter
nicht wenige, die schon hohes Ansehen im deutschen Kunstleben genossen.
In seiner eigenen Kunst arbeitete B. trotz der zunehmenden Jahre rastlos
weiter, verfeinerte seine Wiedergabe des Atmospharischen und erweiterte
seinen Stoffkreis, indem er das sachsische und das westfalische Industriegebiet
mit in den Bereich seiner Darstellungen zog. Fabriken und groBe industrielle
Anlagen gaben ihm Motive zu Bildern ab, in denen er um modernes tatiges
Leben malerisch-poetische Verklarung wob. Auch dem Hochgebirge wandte er
sich wieder zu, die rauhe Alpenlandschaft jetzt mit gereifter Anschauung und
mit gereifter malerischer Technik gliicklicher bewaltigend als in den Schweizer
Bildern seiner Friihzeit.
Erst der 77Jahrige dachtedaran,sich zuriickzuziehen. Er siedelte nach Darm-
stadt iiber, wo er einst seine Jugend verlebt hatte, um dort auf der Mathilden-
52 : *92I
hohe in dem von Christiansen erbauten »Haus in Rosen « seinen Lebensabend
zu verbringen. Doch auch in dieser letzten Phase seines Lebens gab sich der
Rastlose nicht untatiger MuOe hin. Noch so manches Werk, das das Darmstadter
Atelier verlieB, war Zeugnis seiner nach lebenslangem Ringen abgeklarten
vornehmen Kunst.
Quellen: Max Osborn, Eugen Bracht, Bielefeld und Leipzig 1909, Verlag Velhagen
& Klasing. — Thieme-Becker, Allgemeines I,exikon der bildeuden Kiinstler, Bd. 4, S. 502
(mit weitereti L,iteraturangabea) . — Person alnotizen im Archiv der Akademie der Kiiaste
zu Berlin, mit selbstverfafltem Lebenslauf (bis 1884).
Berlin-Zehlendorf-West. Alexander Amersdorffer.
Billow, Karl Wilhelm Paul v., kdniglich preuBischer Generalfeldmarschall,
* zu Berlin am 24. Marz 1846, f am 3 1 - August 1921 zu Berlin. — »Eine
bezwingende Macht,« sagt Dr. Otto Krack in seiner I^ebensbeschreibung des
Generalfeldmarschalls, »geht von diesem Manne aus. Eine Macht, der sich
keiner entziehen kann. Du stehst vor einem Herrenmenschen, der zum Be-
fehlen geboren ist — das fiihlst du im ersten Augenblick — und dieser wie
gemeiBelte Kopf erinnert dich unwillkurlich an einen anderen, den jeder
Deutsche kennt: an den Kopf Hindenburgs. Derselbe groBziigige Schnitt,
dieselbe kantige, fast vierecke Bildung, dasselbe starke, feste Kinn, dieselbe
Wolbung der breiten, freien Stirn mit dem vollen lichtgrauen Kranz der halb-
kurz geschorenen Haare. Uber dem kraftigen Mund ein voller weiBer Schnurr-
bart. Ein eiserner Wille, eine unbeugsame Entschlossenheit spricht aus den
ehernen Ziigen, und der priifende Blick, der dich trifft, sieht dich durch und
durch.
Aber wenn diese Ziige sich erhellen, von einem Lacheln iibersonnt, schwindet
alle Strenge; und das groBe, offene blaue Auge, das im Zorn Flammen spriiht,
leuchtet im warmen, freundlichen Glanz. Du spurst es im Innersten, welche
Giite in diesem Herzen wohnt. — Auffallend bei der hohen, mannlich deutschen
Gestalt erscheinen die kleinen, feinnervigen Hande: es sind mehr die Hande
eines geistigen Arbeiters, eines Gelehrten oder Kiinstlers als eines Soldaten,
Reiters und Jagers, mehr eines Gedanken- als eines Tatmenschen. «
Und doch war er ein Tatmensch, wie sie die preuBische Armee nur wenige
gehabt hat. Eiserne Energie gegen sich selbst und gegen andere, riicksichtslose
Durchfiihrung des aus eigener Erfahrung in Krieg und Frieden als richtig
Erkannten kennzeichneten das Wesen dieses im Grunde seines Herzens so
giitigen Mannes.
Die Familie des Generalfeldmarschalls v. B. gehort zu einem der altesten
deutschen Uradelsgeschlechter, das im Jahre 1229 zum ersten Male urkund-
lich erwahnt wird. Von dem ersten in einer Urkunde von 1237 namentlich ge-
nannten Gottfried v. B. laBt sich der Stammbaum der Familie bis zur Gegen-
wart liickenlos verfolgen. Das Siegel (Wappen) des Geschlechts zeigt 1359 zum
ersten Male den Schild mit den i4Kugeln. Spater f inden wir in diesem Wappen
noch den »Vogel Biilow«, den Pirol.
Die unmittelbaren Vorfahren des Generalfeldmarschalls waren samtlich
Offiziere, sein UrgroBvater Johann Heinrich v. B. kursachsischer Major; sein
GroBvater Karl v. B., Major im Kolbergschen Infanterieregimentund Komman-
Biilow
53
deur des Leibgrenadierbataillons (spateren Leibgrenadierregiments Nr. 8),fiel
1813 bei GroBgorschen. Seinem Sohn, dem nachmaligen Oberstleutnant Paul
v. B., wurde am 24. Marz 1846 zu Berlin, ein Sohn Karl Wilhelm Paul ge-
boren.
Den seit 1862 das Wilhelms-Gymnasium zu Berlin Besuchenden drangte sein
ererbtes Soldatenblut bald zu praktischer Betatigung im militarischen Beruf .
Schon im Herbst 1864 trat er als Avantageur beim 2. Garderegiment zu FuB
ein. Im Mai 1866 bestand er die Offizierspnifung mit »gut« und zog als bereits
zum Offizier gewahlter Portepeefahnrich in den Krieg gegen Osterreich. Trotz
in den Gefechten des 28. Juni bei Soor erhaltener Verwundung verblieb er bei
der Truppe. In der Schlacht bei Koniggratz am 3. Juli 1866 zeichnete er sich
bei Rosberitz ganz besonders aus, indem er mit 20 Mann die bedrohte Fahne
seines Bataillons in blutigstem Handgemenge gegen mehrfache tJbermacht
rettete. Er wurde hierfur mit dem Militarehrenzeichen I. Klasse dekoriert.
liber seine Erlebnisse im Feldzuge gegen Osterreich hat Karl v. B. ein
Tagebuch gefuhrt und mehrfach in Briefen eingehend nach Haus berichtet.
Schon diese zeigen den geborenen Soldaten.
Vor Wien am 12. Juli 1866 erhielt er seine Beforderung zum Leutnant.
Im Kriege 1870/71 blieb er zunachst als Bataillonsadjutant im 2. Garde-
landwehrregiment mit diesem in der Heimat. Dann aber, wahrend dessen Ein-
satz vor dem belagerten StraBburg bald zum Regimen tsadjutanten ernannt
und spater vor Paris, hatte Karl v. B. mehrfach Gelegenheit, sich auszuzeichnen
und erhielt am 2. Marz 1871 das Eiserne Kreuz. tlber seine Erlebnisse in diesem
Kriege, besonders liber einen Ritt nach Paris hinein, berichtet er auBerordent-
lich fesselnd in Briefen, die uns ebenfalls heute noch erhalten sind.
Bereits am 16. Marz 1872 wurde der am 14. Dezember 1871 zum Ober-
leutnant avancierte Adjutant bei der neu errichteten Inspektion der Infanterie-
schulen. Am 18. Mai 1876 wurde er, ohne vorherigen Besuch der Kriegsaka-
demie, zur Dienstleistung zum GroBen Generalstabe kommandiert, nach nicht
ganz einem Jahr am 19. April 1877 unter Beforderung zum Hauptmann in
den Generalstab der Armee ubernommen. Nach seiner Versetzung am 1. Marz
1881 in den Generalstab der 4. Division, verheiratete er sich am 12. Juni 1883
mit Molly v. Kracht, einer hingebenden und verstandnisvollen I^ebensgefahrtin,
die ihm im Laufe der Jahre eine Tochter und zwei Sohne schenkte, von denen
der altere (Busso) am 26. Mai 1915 in Frankreich als Flieger den Heldentod
starb. Am 3. Januar 1884 erfolgte v. B.s Ernennung zum Kompagniechef im
Infanterieregiment Nr. 96, bereits am 14. Marz 1885 seine Zuriickversetzung in
den Generalstab der Armee, am 14. April 1885 seine Beforderung zum Major.
Am 10. Dezember 1888 wurde er der Kom mission zur Bearbeitung des Exerzier-
reglements fiir die Feldartillerie zugeteilt, fur einen Infanteristen eine selten
auszeichnende Auf gabe, bei der er zum ersten Male Gelegenheit hatte, sein her-
vorstechendstes Talent, das eines weitblickenden mustergultigen I^ehrmeisters
und Truppenerziehers, zu beweisen.
Am 11. Juni 1890 wurde er zum Chef des Generalstabes des Gardekorps
ernannt und in dieser Stellung am 18. November 1890 zum Oberstleutnant,
am 17. Juni 1893 zum Oberst befordert. Am 27. Januar 1894 wurde er Kom-
mandeur des 4. Garderegiments zu FuB, am 22. Marz 1897 unter Beforderung
zum Generalmajor Direktor des Zentraldepartements im Kriegsministerium,
54 l * 21
am 22. Mai 1900 Generalleutnant, am 18. April 1901 Kommandeur der 2. Garde-
infanteriedivision. Durch seine erneute Versetzung in den Generalstab der
Armee am 22. Marz 1902 unter gleichzeitiger Ernennung zum Generalquartier-
meister wurde v. B. der ersteGehilfe und Mitarbeiter des Generalf eldmarschalls
Graf Schlieffen, des nachst dem Graf en Moltke unstreitig genialsten General-
stabschefs der preuBischen Armee. Nur zweimal weisen die Annalen des GroBen
Generalstabes im Frieden diese Stellung auf : zum ersten Male wurde sie fur
den General Graf Waldersee zur Unterstutzung des greisen Generalf eld-
marschalls Graf Moltke geschaffen, zum zweiten und letzten Male fur General
v. B. Aber auch hier bewahrte sich das Sprichwort »Zwei harte Steine mahlen
nicht gut«, deshalb wurde Karl v. B. bereits am 27. Januar 1903 auf seinen
eigenen Wunsch mit der Fiihrung der III. (brandenburgischen) Armeekorps
beauftragt und am 18. April 1903 zu dessen Kommandierendem General er-
nannt. Am 15. September 1904 wurde er General der Infanterie. 1905/06
hatte er als Mitglied der Kommission zur Umarbeitung des Exerzierreglements
fur die Infanterie erneut willkommene Gelegenheit, seine in Krieg und Frieden
gewonnenen reichen militarischen Erfahrungen in mustergultiger Form nieder-
zulegen und dem ganzen deutschen Heere zu vermitteln. Am 13. September
1 91 2 wurde er zum Generaloberst befordert und mit dem 1. Oktofrer 19 12
unter Belassung a la suite des 4. Garderegiments zu FuB zum Inspekteur der
3. Armeeinspektion (Hannover) ernannt. Am 16. Juni 1913 wurde er Chef
des brandenburgischen Grenadierregiments Nr. 12. Mit Kriegsbeginn, am
1. August 1914, iibernahm Generaloberst v. B. den Oberbefehl iiber die 2. Armee.
Der 27. Januar 191 5 brachte v. B. die Ernennung zum Generalf eldmarschall,
aber nicht lange mehr war es ihm vergonnt, als Heerfuhrer zu wirken. Ende
Marz 1915 wurde seine Gesundheit durch einen schweren Schlaganfall so er-
schiittert, daB er sich krank in die Heimat begeben muBte. Am 4. April 1915
wurde er unter Verleihung des Ordens Pour le merite mit einem auBerordent-
lich gnadigen und anerkennenden Handschreiben seines Allerhochsten Kriegs-
herrn von seiner Stellung als Armeeoberbefehlshaber enthoben und zu den
Offizieren von der Armee versetzt. Am 22. Juni 1916 wurde er, da sein Ge-
sundheitszustand sich nicht wieder so weit hob, daB er den Feldzugsstrapazen
gewachsen gewesen ware, auf sein Gesuch zu den Offizieren z. D. ubergefuhrt.
Kurz vorher, zu seinem 70. Geburtstage, hatte ihm der Kaiser gedrahtet:
»Das III. Armeekorps hat sich vor Verdun glanzend geschlagen und ruhmreich
die Friichte Ihrer langjahrigen Friedensarbeit geerntet.« Damit hatte der
oberste Kriegsherr das zum Ausdruck gebracht, wovon nicht nur alle ehe-
maligen Angehorigen des III. Armeekorps, die unter v. B. ihre Ausbildung er-
halten hatten, und auch der groBte Teil der iibrigen deutschen Armee iiber-
zeugt waren, sondern woran auch das sehr viel scharfere Urteil der Geschichte
nichts andern wird: v. B. ist der uniibertroffene Lehrer und Erzieher des
III. Armeekorps im Frieden fur den Krieg gewesen.
Durch zweierlei hatte v. B. dieses erreicht. Einmal dadurch, daB er mit
auBergewohnlichem militarischen Scharfblick die Haupterfordernisse der rauhen
Kriegswirklichkeit richtig erkannte, und dann dadurch, daB er das einmal als
richtig Erkannte mit eiserner Energie und unablenkbarer Folgerichtigkeit in
die Tat umsetzte. General der Kavallerie Freiherr v. Gebsattel wohnte im
Sommer 1910 als bayerischer Militarbevollmachtigter den groBeren Truppen-
Biilow
55
ubungen des III. Armeekorps bei, nachdem er in den Jahren vorher bereits
alle anderen Armeekorps der deutschen Armee, auBer den zwei sachsischen,
gesehen hatte. In seinem Bericht an das bayerische Kriegsministerium erklarte
er, er habe noch nie ein Armeekorps gesehen, das in alien Teilen so absolut
gleichmaBig, so vollkommen nach einheitlichen Grundsatzen und nach einer
Anschauung im besten Sinne »kriegsmaBig« durchgebildet gewesen ware, wie
das preuBische III. Armeekorps. Er habe noch nie ein Armeekorps gesehen,
das er fur gleich fertig gehalten hatte, so wie es sei, vor den Feind zu treten,
und er habe noch nie einen kommandierenden General gekannt, der den
Stempel seines Geistes und seiner taktischen Anschauungen seinem ganzen
Armeekorps so bis zur einzelnen Infanteriegruppe hinunter auf- und einge-
pragt habe, wie General v. B. Wahrlich ein hohes, aber ein verdientes I,ob !
Infolge einheitlicher, vorbildlich klarer Interpretierung von Paragraphen der
Exerzierreglements konnte das preuBische III. Armeekorps zur Zeit v. B.s
mit vollstem Rechte eine Schule fur kriegsmaBige Ausbildung genannt werden.
Offiziere, die diese Schule durchgemacht hatten, brauchten in anderen Korps
nicht umzulernen, sondern galten bei diesen fast stets als Lehrmeister im Hin-
blick auf das Verstandnis der Reglements. v. B. erreichte diese einheitliche
Auslegung der Reglements nicht etwa dadurch, daB er zu jedem Paragraphen
noch besondere Auslegungen gab, sondern er verlangte nur strikt, daB der
klassisch einfache, klare Wortlaut der Reglements wortlich befolgt wurde.
An ganz wenigen Stellen, wo er gelegentlich seiner Mitarbeit an dem Zu-
standekommen des neuen Reglements mit seiner eigenen Ansicht nicht durch-
gedrungen war, verscharfte er seine eigenen Anforderungen gegeniiber den
Forderungen des Reglements. So forderte er z. B. in seinem Korps einen
schematischen Gefechtsdrill des einzelnen Schiitzen und eine einheitliche tech-
nische Durchfuhrung des Gefechtes, auch der kleinsten Einheiten. Er wuBte
aber genau, warum er dies tat; aus eigener Kriegserfahrung war ihm bekannt,
daB der Soldat in der Aufregung des wirklichen Kampfes nur das richtig aus-
fuhrt, was er schematisch so vollkommen in sich aufgenommen hat, daB er
gar nicht mehr anders handeln kann. Neben gewandtester Gelandebenutzung
verlangte v. B. in alien L,agen auf dem Gefechtsfelde eine musterhafte Ord-
nung. Seine Forderung, daB jede, auch die kleinste, Einheit ihren genau
begrenzten Gefechtsstreifen haben muBte, schien selbst seinen unbedingten
Anhangern zu weit gespannt. Er aber blieb fest in dem BewuBtsein, daB durch
die gesteigerte Waffenwirkung im Kriege die Unordnung auch so noch schnell
genug eintreten wurde. Die hohe Stufe der technischen Gefechtsausbildung
seines Korps ermoglichte es v. B., auch groBere Verbande, wie Bataillone, ja
sogar kriegsstarke Regimenter, im Angriffsgefecht scharf schieBen zu lassen,
ohne dabei andere SicherungsmaBnahmen zu treffen, als wie sie die Sicherheit
der Umgebung des betreffenden Ubungsplatzes erforderte.
Die Fiihrer aller Grade schulte v. B. in der Schnelligkeit und Prazision der
Befehlserteilung so, daB der hierin erreichte Ausbildungsgrad fast nicht mehr
iibertroffen werden konnte. MiBverstandnisse waren fur den, der sich an seine
Befehlsweise hielt, so gut wie ausgeschlossen. Die berittenen Fiihrer aller
Dienstgrade muBten sich stets kriegsmaBig benehmen. Um die hoheren Fiihrer
auch auBerhalb der wenigen Manovertage in der Gefechtsfiihrung mit Voll-
truppen zu iiben, vereinigte v. B. als erster alljahrlich ganze Divisionen, ja
56 i92i
manchmal sogar fast das ganze Korps, zu Gefechtsiibungen auf den Truppen-
iibungsplatzen.
Die zur Durchfiihrung aller dieser Forderungen notige ungeheure Energie
und groBe Strenge war dabei aber mit einem nicht alltaglichen Wohlwollen
gepaart. GewiB konnte er da, wo man seinen Intentionen nicht geniigend Ver-
standnis entgegenbrachte oder vereinzelt sogar Obstniktion machte, recht
scharf, sogar erfrischend grob werden. Zu seinen Kritiken, die nach Inhalt und
Diktion gleich mustergtiltig und belehrend waren, drangten sich die Offiziere
von nah und fern, auch die unberittenen, selbst wenn fur sie eine groBe korper-
liche Mehrleistung damit verbunden war. Gelegentliche MiBerfolge eines in
der Fuhrung zu priifenden Offiziers rechnete v. B. nie an, sofern der Be-
treffende sich nur bei seinen Entschlussen etwas gedacht hatte; denn nach
seinem Urteil lernten alle Beteiligten bei auftretenden Friktionen mehr als
beim gewiinschten reibungslosen Verlauf einer tJbung.
Noch einer auch speziell vom General v. B. erfundenen MaBnahme sei hier
besonders gedacht. Um die Manover recht lehrreich zu gestalten, muBte fast
jedem Manovertage eine neue Kriegslage zugrunde gelegt werden. Fruher
wurden solche neuen Kriegslagen immer erst nach Beendigung der vorher-
gehenden tJbung ausgegeben, die Truppen und die jeweils neuen Fuhrer
muBten sich in wenigen Stunden im Geiste in eine Kriegslage hineinarbeiten,
in der sie im Ernstfalle schon seit Tagen und Wochen gelebt hatten. v. B.
lieB nun einfach jede Ausgangslage bis zum Beginn des betreffenden Manover-
tages schon lange Zeit vorher im Sommer von alien in Frage kommenden
Fuhrern durcharbeiten, die infolgedessen bei Beginn ihrer Fuhrung schon
vollig mit der Lage vertraut waren. Ein anderer hochster Truppenfuhrer hat
diese MaBnahme mit Recht »das Ei des Kolumbus« genannt.
Trotz aller Energie und Strenge merkte man bei v. B. nichts von auto-
kratischer Unnahbarkeit. Im Verkehr mit seinen Generalstabsoffizieren und
Adjutanten war er stets von gewinnender Freundlichkeit. Im Kasino nach
Ubungen und Besichtigungen seiner Truppen wollte er nur Kamerad unter
Kameraden sein und war es auch. So kam es, daB er in seinem Korps nicht
nur in ganz ungewohnlichem MaBe Achtung und Ansehen, sondern auch Ver-
ehrung und L,iebe genoB. Es gab wohl niemanden im III. Armeekorps, der
nicht den Generaloberst v. B. im Herbst 191 2 voll aufrichtiger Trauer scheiden
sah, und der nicht von ihm im Ernstfalle die glanzendsten Leistungen erwartet
hatte.
General Freiherr v. Freytag-Loringhoven, im Frieden unter v. B. mehrere
Jahre Kommandeur des GrenadierregimentsNr. 12, behandelt in seinem Buche
»Menschen und Dinger eingehend und sehr anerkennend die Tatigkeit des
Generals v. B. als Kommandierender General des III. Armeekorps, um dann
aber fortzuf ahren :» Der Feldmarschall hat spater im Kriege nicht das gehalten,
was man sich von ihm versprach. Bekanntlich hat er es 19 14 an der Sambre
verabsaumt, die Lage zu einem vernichtenden Schlage gegen die franzosische
Fiinfte Armee auszugestalten, und an der Marne den Riickzug vorzeitig be-
fohlen, wie er glaubte, eine rettende Tat. «
Mit diesem Urteil hat General v. Freytag der wahrend des Krieges und in
den ersten J ahren nach diesem in Deutschland allgemein iiblichen Auffassung
Ausdruck gegeben. Diese Meinung ist aber zum mindesten zu scharf und, wie
Biilow
57
die eingehende objektive Forschung des Reichsarchivs ergeben hat, zum Teil
sogar unrichtig.
Die Fuhrung einer modernen Annee war bereits zu Beginn des Weltkrieges
derart schwierig und kompliziert, daB fur sie die Unterstutzung des Ober-
befehlshabers durch einen gleichgesinnten und gleich tuchtigen Gehilfenstab,
insonderheit durch einen solchen Generalstabschef, eine unabweisbare Not-
wendigkeit bildete. Gerade mit der Auswahl des letzteren fur v. B. hatten aber
die dafiir verantwortlichen Stellen eine selten ungliickliche Hand gehabt. Der
Chef des Generalstabs der 2. Annee, Generalleutnant v. Lauenstein, war ein
sehr feiner Kopf und grower Gelehrter, aber keine militarische Fiihrernatur,
dazu Pessimist und innerlich bereits schwer krank. Nie vorher hatte v. B. seinen
zukiinftigen Generalstabschef militarisch wirklich kennen gelernt.
Beim Beginn des Weltkrieges befand sich die 2. Annee als die zweite von
rechts auf dem im groBen Bogen durch Belgien und Nordf rankreich in Richtung
auf Paris vorgehenden rechten Fliigel des deutschen Westheeres. Der geniale
Generalfeldmarschall Graf v. Schlieffen hatte den Plan zu diesem Vormarsch
entworfen in der Absicht, durch eine weit nach Westen ausholende Umfassungs-
bewegung, mit dem rechten Heeresflugel sogar westlich um Paris herum, das
f ranzosische Heer von seiner Hauptstadt abzudrangen, um ihm im Sudosten
Frankreichs ein Canna oder Sedan groBten AusmaBes zu bereiten. Wir wissen
heute, daB uns der geniale Feldherr mit diesem Plane ein Siegesrezept gegeben
hatte, das unbedingt erfolgreich gewirkt hatte, wenn es folgerichtig angewendet
worden ware. Diese Folgerichtigkeit fehlte aber leider dem die deutschen Ope-
rationen im August-September 1914 leitenden Generaloberst v. Moltke, dem
Nachfolger des Graf en Schlieffen.
Wie bei einer Schwenkung auf dem Exerzierplatz sollte der rechte deutsche
Heeresflugel die Fuhrung nach dem stehenden (bei Metz), die Richtung nach
dem schwenkenden Fliigel nehmen. Von Zeit zu Zeit sollte kurz getreten und
die etwa verloren gegangene Richtung und Fuhlung wiederhergestellt werden.
Eine weitere Hauptforderung des Schlieffenschen Planes war, den auBersten
rechten Heeresflugel dauernd so stark zu halten, daB er nicht nur die groBe
Umfassungsbewegung restlos mit iiberlegenen Kraften durchfuhren, sondern
auch etwaige feindliche Gegenumfassungsversuche und Bedrohungen aus noch
nicht genommenen Festungen vereiteln konnte. Und was geschah in Wirklich-
keit? Anstatt einheitlich und kraftvoll zu fuhren, lieB die Oberste Heeres-
leitung unter Generaloberst v. Moltke die Ereignisse laufen, wie sie sich nach
dem ersten Ansatz des Vormarsches von selbst gestalteten. Die Folge davon
war ein Wetteifern der einzelnen Armeen, die schon deswegen nicht die notige
Riicksicht aufeinander nehmen konnten, weil sie wegen der weiten Entfernung
der Obersten Heeresleitung nur wenig oder garnichts von dieser iiber den Stand
der anderen Armeen erfuhren. Auch die bei jeder Annee gewonnenen Nach-
richten iiber den Feind wurden aus den gleichen Griinden den anderen Armeen
viel zu spat oder gar nicht bekannt. Dazu muBten die an sich schon nicht
starken Armeen des auBersten rechten Fliigels, besonders aber die 2., immer
wieder Divisionen und Armeekorps fur andere Zwecke abgeben.
1st es da ein Wunder, wenn der als Schiiler und Generalquartiermeister des
Grafen Schlieffen ganz besonders mit dessen Planen vertraute Generaloberst
v. B. seine 2. Armee nicht mit der Genialitat gefiihrt hat, die man mit Fug und
58 1921
Recht bei ihm vorausgesetzt hatte ? An Ansatzen zu solch genialer Fuhrung
hat es gleich bei der ersten groBen Schlacht der 2. Armee, bei Mons und
Namur vom 22. bis 24. August 1914 nicht gefehlt. Mit sicherem Blick hatte
v. B. sehr bald die ungiinstige Lage der ihm im Sambre-Maas-Winkel gegen -
iiberstehenden 5. Armee richtig erkannt und versuchte, diese einzukreisen. Er
selbst stieB mit der 2. Armee frontal iiber die Sambre, um den Feind zu fesseln.
Die ihm voriibergehend unterstellte 1. Armee sollte gleichzeitig westlich um
Maubeuge herum die feindliche linke Flanke umfassen, und die links von der
2. Armee gegen die Maas vorgehende 3. Armee wurde gebeten, iiber diesen FluB
hinweg gegen die feindliche rechte Flanke zu operieren. Dieser Plan miBlang;
die 1. Armee, durch andere Aufgaben abgehalten, konnte die Schwenkung um
Maubeuge herum nicht rechtzeitig ausfuhren; die 3. war inzwischen — was
v. B. aber nicht wuBte — von der Obersten Heeresleitung in anderer Richtung
angesetzt worden und wurde auBerdem von der hart bedrangten 4. Armee
dauernd um Unterstiitzung gebeten. SchlieBlich hatte aber auch der Fiihrer der
franzosischen 5. Armee, General Lanrezac, die drohende Gefahr erkannt und
rechtzeitig den Riickzug angetreten. Es ist deshalb verfehlt, dem Generaloberst
v. B. eine Schuld am MiBlingen dieses gerade von ihm nachdriicklichst er-
strebten Umfassungsmanovers zuzuschieben.
Schon wenige Tage spater, in der Schlacht bei St. Quentin am 29. und
30. August , muBte v. B. erneut die Klinge mit dem General Lanrezac kreuzen.
Deutscherseits glaubte man die geschlagenen Franzosen in ununterbrochenem
Riickzug nach Siiden hinter die Aisnelinie, was zunachst auch den Tatsachen ent -
sprach. Aber die schwierige Lage der am 26. August bei LeCateau durch die 1.
deutsche Armee empfindlich geschlagenen Englander hatte den franzosischen
Generalissimus J off re dazu bewogen, seiner 5. Armee zu befehlen, durch sofor-
tigen Angriff in allgemein nordwestlicher Richtung auf St. Quentin den Eng-
landern Luft zu machen. Infolge Nebels traf der linke Fliigel der 2. deutschen Ar-
mee (X. Armeekorps und Gardekorps) am 28. August an der Oise zwischen Guise
und Etreaupont uberraschend auf anscheinend schwacheren Feind, dessen
weiteres Zuriickgehen binnen kiirzester Frist wahrscheinlich war. Der rechte
Fliigel der 2. Armee (VII. Armeekorps, X. Reserve-Armeekorps) blieb deshalb
auch im Vormarsch bis in die Gegend hart sudlich von St. Quentin. Hier wurde
er am Morgen des 29. August, noch in der Sammlung fur den Weitermarsch
begriffen, plotzlich von Osten her iiber die Oise hinweg durch starke feindliche
Krafte ebenfalls uberraschend angegriffen, wahrend gleichzeitig auch die
an der Oise zwischen Guise und Etreaupont stehende linke Armeehalfte in
schwere Kampfe verwickelt wurde. v. B., der zufallig in der Nahe des rechten
Fliigels weilte, leitete die ersten AbwehrmaBnahmen personlich. Aus diesen
einleitenden Kampfen entwickelte sich dann die zweitagige Schlacht, die trotz
mehrfacher ernster Krisen mit dem weiteren Riickzuge der erneut schwer ge-
schlagenen Franzosen endigte. v. B.s Fuhrung war auch in dieser Schlacht
auBerordentlich energisch und zielbewuBt, aber nicht gliicklich. Der rtick-
schauenden Kritik erscheint es so, als ob er nur den durch einen Gluckszufall
schon weit rechts vorwarts gestaffelten rechten Fliigel seiner Armee hatte
links schwenken zu lassen brauchen, um mit diesem, verstarkt durch die von
der 1. Armee zur Verfiigung gestellte 17. Division, die Armee Lanrezac von
ihrer Riickzugslinie abzuschneiden. Diese Moglichkeit lag, wie wir heute wissen.
Btilow
59
tatsachlich vor. Man muB aber zu v. B.s Entschuldigung die damalige Lage
beriicksichtigen. Nach den vorliegenden Feindnachrichten standen der nur
noch 6 x / 2 Divisionen starken 2. Armee mindestens 13 franzosische Divisionen
gegeniiber. War es da nicht wirklich notig, daB v. B. zunachst einmal seine
Reserven an und hinter den bedrohtesten Punkten der eigentlichen Schlacht-
front zusammenzog, anstatt sie auf seinem rechten Fliigel operativ zu ver-
wenden? Zudem befand sich vor diesem rechten Fliigel die kleine Festung
La Fere, die nach den damals noch herrschenden Anschauungen uber den Wert
solcher Festungen dem vorstoBenden rechten Fliigel der 2. Armee ernstlichen
Aufenthalt bereiten konnte. Es fehlte eben auch hier, ebenso wie an der Sambre,
die Oberste Heeresleitung, die allein auf Grund ihrer sehr viel besseren Unter-
richtung uber den Feind viel eher die richtigen Entschliisse hatte fassen konnen.
Am unheilvollsten aber wirkte sich bei der 2. Armee die weite Entfernung
von der Obersten Heeresleitung in der Schlacht an der Marne vom 4. bis
10. September 1 914 aus. Bis weit siidlich der Marne waren die drei Armeen
des rechten deutschen Heeresflugels vorgestoBen, als am 5. September das zur
Deckung des rechten Fliigels der 1. Armee allein noch nordlich der Marne,
westlich des Ourcq, stehende IV. Reserve- Armeekorps iiberraschend mit der
zum Schutze von Paris neu gebildeten franzosischen 6. Armee in Kampf geriet.
Die deutsche 1. Armee hatte zur Unterstiitzung des IV. Reserve- Armeekorps
allmahlich alle ihre anderen Korps aus dem Gelande siidlich der Marne nach
der Ourcqfront herumgeworfen, weshalb nunmehr die 2. Armee den rechten
Fliigel der geschlossenen deutschen Heeresfront bildete. Die 2. Armee stand am
8. September mit ihrem linken Fliigel in fortschreitendem Angriff gegen die
9. franzosische Armee (Foch), ihr reenter, gleichsam in der Luft schwebender
Fliigel dagegen behauptete sich nur mit Miihe gegen die ihrerseits angreifenden
Franzosen, wahrend noch weiter rechts zur Abwehr der sich nun endlich auch
wieder vorwarts bewegenden Englander nur eine halbe Infanteriedivision und
zwei Kavalleriekorps verfugbar waren. Unzweifelhaft fiir Generaloberst v. B.
eine gefahrliche Situation, die er aber auch jetzt noch dadurch zu meistern
versuchte, daB er zunachst weiter die ihm gegeniiberstehenden Franzosen an-
griff. Da traf bei ihm am 8. September abends im SchloB von Montmort der
von der Obersten Heeresleitung entsandte Oberstleutnant Hentsch ein mit
dem Auftrage, die Operationen der 1. und 2. Armee wieder miteinander in
Einklang zu bringen und dazu, falls dies nicht durch andere MaBnahmen mog-
lich sein sollte, ein Absetzen vom Feinde in der allgemeinen Richtung auf
Fismes — Reims anzuordnen. Schon auf der Fahrt zum Generaloberst v. B.
hatte sich bei dem zum Pessimismus neigenden Oberstleutnant Hentsch die
vorgefaBte Meinung vertieft, daB dieses Absetzen unvermeidlich sein wiirde,
und gleich bei seiner Ankunft in Montmort hatte er in diesem Sinne auf v. B.
einzuwirken versucht, wie wir heute wissen, ohne Erfolg. v. B. hatte sich nicht
nur geweigert, den Ruckzug anzuordnen, vielmehr in dem fiir den 9. September
ausgegebenen Armeebefehl erneut den Angriff auf der ganzen Front seiner
2. Armee befohlen. Am Morgen des 9. hatte Oberstleutnant Hentsch kurz vor
seiner Weiterfahrt zur 1. Armee noch eine Unterredung mit v. B.s General-
stabschef, General v. I,auenstem. In dieser gelang es Hentsch, diesem ebenfalls
pessimistischen General das Versprechen abzunehmen, daB die 2. Armee den
Riickmarsch antreten wiirde, falls die Englander bei ihrem VorstoB in die Liicke
6o 192 1
zwischen der 1. und 2. Armee noch am g. die Maine iiberschreiten wiirden. Die
1. Armee sollte in diesem Falle durch Oberstleutnant Hentsch ebenfalls zum
Riickzuge veranlaBt werden.
Eine Kette ungliicklicher Umstande waltete in den nachsten Stunden des
9. September iiber dem rechten deutschen Heeresfliigel. Oberstleutnant Hentsch
fand zwar die 1. Armee in ganz anderer Lage, als er erwartet hatte. Sie war ge-
rade im Begriff, gegen die bereits arg bedrangte franzosische 6. Armee den
letzten entscheidenden Angriff anzusetzen. Hentsch unterlieB es, der
2. Armee von dieser Wendung Kenntnis zu geben, bestand dafiir aber auf der
Einleitung des Ruckzuges bei der 1. Armee. Auch auf anderen Wegen erhielt
die 2. Armee keine Mitteilung iiber den wahren Stand der Schlacht bei der
1. Armee. Dagegen trafen ungewohnlich prompt beim Generaloberst v. B.
weitere, zum Teil sogar unrichtige Meldungen von einem raschen Vordringen
starker englischer Krafte iiber die Marne nach Nor den ein. Es blieb dem Gene-
raloberst v. B. einfach weiter nichts anderes iibrig, als die durch seinen General-
stabschef dem Oberstleutnant Hentsch gegebene Zusage zu halten und nun
auch seinerseits fur die 2. Armee den Riickzug anzuordnen.
Der damals siegreichen 1. Armee wirft niemand vor, daB sie dem sehr be-
stimmt im Namen der Obersten Heeresleitung auftretenden Oberstleutnant
Hentsch nicht noch nachdrucklicher widersprochen hat. Um wieviel weniger
kann ein gerecht denkender Mensch dem Generaloberst v. B. einen Vorwurf
dafiir machen, daB er auf Veranlassung des Oberstleutnants Hentsch den Riick-
zug befohlen hat fiir seine Armee, die sich in durchaus nicht ungefahrlicher
Lage befand.
Nach AbschluB des Riickmarsches des rechten deutschen Heeresfliigels
hinter die Aisne gelang es zwar, die zwischen der 1. und 2. Armee immer noch
klaffende Liicke durch neu herangefiihrte Truppen zu schlieBen und die Aisne-
linie im groBen und ganzen zu halten. Die deutscheOberste Heeresleitung konnte
sich aber bei dem nun auf dem rechten Heeresfliigel einsetzenden Wettlauf
nach dem Meere nicht mehr zu einem groBen operativen EntschluB mit
strategischer Auswirkung durchringen. Vielmehr wurde nur immer der
rechte Fliigel in taktischen AbwehrmaBnahmen gegen die feindlichen tJber-
fliigelungsversuche allmahlich verlangert, obwohl Truppen aus der inzwischen
im Stellungskriege erstarrenden Aisne- und Champagnefront geniigend zur
Verfiigung standen. Gerade Generaloberst v. B. ist es gewesen, der friihzeitig
darauf hinwirkte, daB alle verfiigbaren Krafte aus dem Stellungskampf heraus-
gezogen wurden, und der selbst bei seiner 2. Armee in der Durchfiihrung dieser
MaBnahme mit gutem Beispiel voranging.
Nachdem die 2. Armee fast ganz aus der Aisne-Champagnefront heraus-
gezogen war, wurde eine Neueinteilung der Armeen der Westfront vorge-
nommen, wobei v. B. die neue 2. Armee iibernahm, deren Kampf front, genau
nach Westen gerichtet, sich von nordlich Bapaume bis Roye erstreckte. Sitz
des Armee-Oberkommandos 2 wurde St. Quentin. Hier fand am 25. Januar
1915 eine groBe Aussprache zwischen Generaloberst v. B. und dem Kaiser
iiber die Ereignisse der Marneschlacht statt ; der Erfolg dieser Aussprache war
die Beforderung v. B.s zum Generalfeldmarschall am 27. Januar 1915.
Obwohl er seit dem Schlaganfall Ende Marz 1915 kranklich geblieben war,
hat ihn das unerbittliche Schicksal doch noch den Zusammenbruch des
Biilow. Czapek 6l
Deutschen Reiches im Herbst 1918 und die nachfolgenden furchtbaren Zeiten
erleben lassen. Erst am 31. August 1921 wurde er, zweifellos einer der mar-
kantesten Vertreter der herrlichen deutschen Armee, wie sie 191 4 in den Welt-
krieg zog, selbst zur grofien Armee abberufen.
Literatur: Dr. Otto Krack, Generalfeldmarschall v. B., Berlin, Scherl, 1916. — Karl
v. B., Mein Bericht zur Marneschlacht, Berlin, Scherl, 1919- — Der Weltkrieg 19 14 — 19 18.
bearbeitet im Reichsarchiv. 1. Bd: Die Grenzschlachten im Westen, 1925. 3. Bd.und4. Bd.:
Die Mameschlacht, 1926. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, — Kurt Heydemann, Die Schlacht
bei St. Quentin 1914, 1. und 2. Bd., Oldenburg, Stalling, 1924. — Otto Erich Volkmann,
Der grofle Krieg 1914/18, Berlin, Reimar Hobbing, 1922. — H. v. Kuhl, Der Marne-
feldzug 1914, Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 192 1. — v. Francois, Mameschlacht und
Tannenberg, Berlin, Scherl, 1920. — Baumgarten-Crusius, Die Mameschlacht 19 14, Leipzig,
Lippold, 1919. — Frhr. v. Freytag-Loringhoven, Menschen und Dinge, wie ich sie in
meinem I^eben sah, Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1923. — Forster, Graf Schlieffen und der
Weltkrieg, Heft 1, Berlin, E- S. Mittler & Sohn, 1920. — v. Moser, Ernsthafte Plaudereien
iiber den Weltkrieg, Stuttgart, Chr. Belser A.-G., 1925. — E. Kabisch, Streitfragen des
Weltkrieges, Stuttgart, Bergers literarisches Bureau, 1924. — Wilhelm Groner, Das Testa-
ment des Graf en Schlieffen, Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1927. — • Kronprinz Wilhelm,
Der Marnefeldzug 1914, Berlin, D. O. B.-Verlag, 1926. — Edmund Fiirst v. Wrede,
Stimme aus der Front, B.s Vormarsch, Riickzug und Rettung seiner und der Ersten Armee ;
Bamberg, Hiibscher, 1925. — Wissen und Wehr, Jahrg. 1920, Heft 3 — 5, Beitrage zur
Geschichte der Mameschlacht, von Suevicus, Berlin, E. S. Mittler & Sohn. — Desgl.
Jahrg. 1923, Heft 2, Franzosische Kritik der Mameschlacht, von Oberstleutnant Muller-
Loebnitz. — Desgl. Jahrg. 1925, Heft 1, Das Kriegswerk des Reichsarchi vs : Der Weltkrieg
1914 — 1918, Kritische Betrachtungen zum 1. Bd., Die Grenzschlachten im Westen, von
Generalmajor Wetzell. — Desgl. Jahrg. 1925, Heft 4, Das Testament des Graf en Schlieffen,
von Generalleutnant a. D. Wilhelm Groener. — Miiller-Loebnitz, Der Wendepunkt des
Weltkrieges, Beitrage zur Mameschlacht am 5. bis 9. September 19 14; Berlin 192 1 (Bei-
heft 2 zum Jahrg. 105 des Militar-Wochenblattes.) — Muller-I^oebnitz, Die Sendung des
Oberstleutnants Hentsch, Heft 1 der Forschungen und Darstellungen aus dem Reichs-
archiv, Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1922. — Militar-Wochenblatt, Jahrg. 109, Nr. 44:
Schlieffen-Moltke (Der Jungere)-B., von Generalmajor Wetzell, Berlin, E. S. Mittler &Sohn,
1925. — Desgl. Jahrg. 109, Nr. 46: Zur Beurteilung des Reichsarchi vswerks, von General-
major a. D. v. Wrisberg. — Frankfurter Oderzeitung, 104. Jahrg., Nr. 298 vom 20. De-
zember 1914, Dem Chef des Grenadierregiments Prinz Karl von Preufien (2. Brdbg.) Nr. 12,
von Hauptmann Ernst v. Schoenfeldt. — Kriegs-Echo Nr. 129 vom 20. Januar 191 7, S. 269,
Franz Carl Endres, Generalfeldmarschall v. B. (Fiihrende Manner im Weltkrieg, Heft 69),
Berlin. — Mitteilungsblatt des Gaues Kurmark der deutschen Adelsgenossenschaft vom
September 1924, S. 71: Schicksalswende, Riickblick auf die Mameschlacht 19 14, von
Oberstleutnant a. D. A. v. Olberg. — Miiller-Lcebnitz, Das Ratsel der Mameschlacht, Deut-
sches Offizierblatt, Jahrg. XXX, Nr. 39 u. 40. — Bericht des bayer. Militarbevollmachtigten,
General Frhr. v. Gebsattel, an das bayer. Kriegsministerium iiber Erfahrungen gelegentlich
seiner Teilnahme an den Besichtigungen des Kgl. Preufi. III. Armeekorps vom 20. Juni bis
14. Juli 1910; Abschriftim Familienarchiv. — Familienbuch, Abschriftdes Personalbogens
des Generalfeldmarschalls v. B., kleinere Notizen, zurjVerfiigung gestellt aus dem Familien-
archiv durch die Witwe, Frau Generalfeldmarschall v. B., geb. v. Kracht, Berlin W 15,
Kurfiirstendamm 197/198. — Eigene Erinnerungen des Verfassers.
Potsdam. Martin Reymann.
Czapek, Friedrich Johann Franz, ord. Professor der Botanik, * in Prag-
Karolinenthal am 16. Mai 1868, | am 3 1 - Jtili 1921 in I^eipzig. — Cz. war nach
Abstammung (Vater : Friedrich Cz., Militararzt in Prag, Mutter: Marie geborene
Blechinger aus Siidbohmen) und Geburt Deutschbohme. Schon in friiher
Kindheit geistig auffallend rege und der Natur zugewandt (mit neun Jahren
Pflanzen- und Insektensammlungen, genaue Standortsverzeichnisse der Karls-
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bader Flora, Ausziige aus groBeren Werken, wie Brehms Tierleben usw.), ver-
tiefte er in seinen Prager Gymnasiastenjahren mit Hilfe eines eigenen Mikro-
skops und durch das Studium der Pilze und Algen seine botanischen Kennt-
nisse mit auBerordentlichem Eifer, wobei ihm ein ungewohnliches Gedacht-
nis und rastloser FleLB, die ihn sein ganzes Leben besonders ausszeichneten,
zustatten kamen. Nach Beendigung des Gymnasiums (1886) bezog er die
deutsche Universitat seiner Heimatsstadt, um, einem Wunsch seines Vaters
folgend, Medizin zu studieren. Hier fesselten ihn vor allem die theoretischen
Facher, in denen er sich so auszeichnete, daJ3 er Demonstrator am Patho-
logischen Institut von Chiari, spater (1891) Assistent am Pharmakologisch-
pharmakognostischen Institut bei F. Hofmeister wurde. Besonders letzterer
hat einen zeitlebens von Cz. dankbar anerkannten, nachhaltigen wissenschaft-
lichen EinfluB auf ihn ausgeiibt.
Neben seinen medizinischen Studien, deren Ertrag unter anderem auch in
Arbeiten iiber die pathologische Anatomie der Herzgeschwulste und die Wir-
kung von Selen und Tellur auf den tierischen Organismus zum Ausdruck kam,
blieb aber die Botanik das Hauptziel seines Strebens, der er sich nach seiner
Promotion zum Dr. med. und dem im gleichen Jahre erfolgten Tode seines
Vaters (1892) ganz zuwandte. Er begab sich nach Leipzig zu Wilhelm Pfeffer,
den er fortan stets als seinen eigentlichen Lehrer verehrt hat.
Von seinen dort (1894) entstandenen Untersuchungen iiber die geotropische
Empfindlichkeit der Wurzelspitze ist die von ihm gefundene Methode der
Glaskappchen besonders bekannt geworden, die vielfach nachgeahmt wurde,
aber zu dem erstrebten einwandfreien Nachweis der von Ch. Darwin be-
haupteten Reizperzeption der Spitze, wie sich spater zeigte, nicht gefuhrt hat.
Im Herbst desselben Jahres siedelte er nach Wien iiber und promovierte
dort mit einer unter Leitung v. Wettsteins fniher in Prag ausgefiihrten Arbeit
iiber das Milchsaftsystem der Convolvulaceen. Seine Habilitation erfolgte
schon ein Jahr spater in Wien auf Grund der oben genannten Arbeit iiber den
Geotropismus. Dort folgten Studien (1895) iiber die plagiotrope Richtung
der Seitenwurzeln, wobei er unter anderem zeigen konnte, daB bei senkrecht
aufwarts oder abwarts gekehrten Seitenwurzeln keine Reaktion stattfindet.
Auch beschaftigte er sich erfolgreich mit der Konstruktion eines inter-
mittierenden Klinostaten, um mit ihm den Reizwert der verschiedenen geo-
tropischen Ablenkungswinkel zu untersuchen, Arbeiten, deren Durchfuhrung
leider durch seinen Weggang von Prag unterbrochen wurden. Nicht so gliick-
lich war er bei Versuchen iiber das Zusammenwirken von Geo- und Photo-
tropismus, duch die er unter anderem zeigen zu konnen glaubte, daB der erstere
durch gleichzeitig einwirkendes Licht unter Umstanden unterdriickt werde.
Schon im Jahre 1896 wurde er als Nachfolger Reinitzers zum auBerordent-
lichen Professor an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag ernannt.
Hier schloB er einen gliicklichen Ehebund mit Irene L,ambel, dem zwei Kinder
entsprossen. In wissenschaftlicher Beziehung — speziell in phytochemischer
Richtung — waren die Jahre in dieser sonst fur ihn wenig angenehmen und
befriedigenden Stellung von bewundernswerter Ergibigkeit. Wir nennen hier
nur seine Studien iiber aromatische Stoffe in der Holzsubstanz und den Zell-
membranen von Laub- und Lebermoosen, ferner seine Untersuchungen iiber
die Stickstoffgewinnung und EiweiBbildung bei Schimmelpilzen, in denen
Czapek 63
wohl Anregungen aus seiner Zeit bei Hofmeister und Pfeffer lebendig wurden,
sowie endlich eine Reihe von Arbeiten, welche sich um denNachweis chemischer
Differenzen im Atmungsstoffwechsel zwischen gereizten und ungereizten
Pflanzenorganen bemiihten, die durch ihren Gehalt an anregenden Gedanken
verdienstvoll bleiben, wenn seine Befunde auch keine Bestatigung erfahren
konnten.
Nachdem er inzwischen (1902) zum ordentlichen Professor an seiner Hoch-
schule anfgeriickt war, wurde Cz. im Jahre 1906 in gleicher Eigenschaft an
die Universitat Czernowitz als Nachfolger E. Tangls berufen, wo er nicht nur
bessere Arbeitsbedingungen vorfand, sondern vor allem nunmehr seiner Nei-
gung zur reinen Wissenschaft und physiologischen Arbeitsrichtung freien
Spielraum geben konnte. Da hier auch sein Wirkungskreis ein gr6J3erer war,
versteht man, daJ3 er nach dem Zeugnis seiner Schiller die dort verbrachte
Zeit zu seinen glucklichsten rechnete. Indessen war diese nur von kurzer
Dauer: in die Jahxe 1907/08 fallt eine Tropenreise (die ihn besonders nach
Java fuhrte, und manche interessante Ergebnisse zeitigte: so iiber die Blatt-
entfaltung gewisser tropischer Holzgewachse, das Phytoplankton des In-
dischen Ozeans, die Bewegungsmechanik der Blattgelenke der Menisperma-
ceen usw.), und schon 1909 folgte er einem Rufe an die Prager Deutsche Uni-
versitat als Nachfolger von H. Molisch.
Die Moglichkeiten zur experimentellen Arbeit hatten sich dadurch fiir ihn
wiederum verbessert und nicht minder der Resonanzboden fiir sein Wirken
als akademischer Iyehrer. Es scharte sich eine Anzahl von Schulern um ihn,
die ihm auf seinem eigensten Arbeitsgebiet besser zu folgen vermochten als
der Czernowitzer Kreis. Leider sollten sich die Hoffnungen, mit denen er in
Prag Untersuchungen iiber die Oberflachenspannung der fiir die diosmotischen
Eigenschaften von Pfeffer als ausschlaggebend betrachteten sogenannten
Plasmahaut unternahm, nicht ganz erfiillen. Wir wissen -heute, daB auf dem
von Cz. eingeschlagenen Wege diese Oberflachenspannung nicht zu ermitteln
ist, und auch seine Auffassung von der isokapillaren Beschaffenheit der die
Exosmose und den Eintritt des Zelltodes bewirkenden Grenzkonzentrationen
der Stoffe ist wohl schwerlich richtig. Erwahnt seien aus dieser Zeit noch
seine »Ausblicke auf biologische Adsorptionserscheinungen «, welche 1915 in
der Festschrift fiir Pfeffer erschienen.
Inzwischen war der groBe Krieg ausgebrochen. Im Herbst 191 5 stellte sich
Cz. freiwillig als Militararzt zur Verftigung, in welcher Eigenschaft er durch
eine in Bosnien erworbene Flecktyphusinfektion sch'wer erkrankte. Er wurde
zwar wiederhergestellt, seine Gesundheit blieb aber, wie sich spater zeigte,
schwer geschadigt.
Im September 1918 kehrte er nach Prag zuriick, wo er trotz aller physischen
Schonungsbediirftigkeit und tiefer Niedergeschlagenheit iiber den alsbald er-
folgten staatlichen Zusammenbruch wieder mit aller Energie an die wissen-
schaftliche Arbeit ging. Hier entstand unter anderem eine kiirzere Arbeit
(1919) iiber den direkten mikrochemischen Lipoidnachweis in Pflanzenzellen,
fiir den er eine Mischung von Amylenhydrat, Pyridin und Sudanrot verwendete.
Es ist fraglich, ob dieser Weg zum Ziel fuhrt, doch kann iiber die Methode
wohl noch nicht ganz abschliefiend geurteilt werden. Dies gilt auch von seiner,
ebenfalls in dieser Zeit (1920) entstandenen letzten Arbeit, in welcher er sich
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mit der von O. L,oew, Molisch u. a. studierten Silberreduktion in Zellen, be-
sonders Chlorplasten, naher beschaftigt, und sich bemiiht, die Depsidnatur
des sehr labilen, rednzierenden Stoffes nachzuweisen.
Am 31. Januar 1920 war sein groBer, von ihm dankbar und bewundernd
verehrter Lehrer, Wilhelm Pfeffer, in I^eipzig gestorben. Im Marz 192 1 wurde
ihm eine Berufung als dessen Nachfolger zuteil. Ein tragisches Geschick lieB
die groflen Plane des rastlosen Mannes, die sich an diese Berufung kniipften,
nicht zur Wirklichkeit werden. Wenige Monate nach seiner Ubersiedlung nach
Leipzig, nachdem er dort kaum sein erstes Semester gelehrt hatte, raffte auch
ihn, der seinem geschwachten Korper bis zuletzt kein Ausruhen gegonnt hatte,
der Tod dahin.
Wir haben bisher absichtlich des Hauptwerkes von Cz., seiner umfassenden
»Biochemie der Pflanzen« nicht gedacht, um es an dieser Stelle um so nach-
driicklicher hervorzuheben. Die erste Auflage (Jena 1905, 2 Bande) dieses
groBen Werkes geht auf die Zeit an der Prager Technischen Hochschule zuriick.
Die zweite Auflage erschien in 3 Banden (I, 1913; II, 1920; III, 1921). Es
wird stets bewundernswert bleiben, daB ein einzelner, noch dazu in Lehre und
Forschung aufs intensivste beschaftigter Mann die ungeheure Arbeitskraft
und die Fulle der Kenntnisse besessen hat, um die gesamte, in zahllosen Zeit-
schriften und Btichern der verschiedensten Wissenschaften verstreute, fiir
jeden anderen uniibersehbare Literatur nicht nur zu sammeln, sondern kritisch
zu verarbeiten und ausgezeichnet darzustellen. 1st Cz. in seinen Originalunter-
suchungen auch nicht immer gliicklich gewesen, so hat dieses groBe Werk
seinen Namen beriihmt gemacht und wird mit seinem Andenken stets ver-
bunden bleiben.
Die schonen menschlichen Eigenschaften Cz.s werden von alien, die ihm
nahe gestanden haben, geruhmt. Als akademischen Lehrer zeichnete ihn be-
sondere Gewissenhaftigkeit, ein groBes Lehrtalent, voile Hingabe an seinen
Beruf und mildes Urteil aus. Ein Wissen, das die verschiedensten Geistes-
gebiete umfaBte, kiinstlerische Talente und vielseitigste Interessen waren ihm
in gleichem, seltenem MaBe zu eigen.
Iviteratur: Vgl. vorallemdie Biographie seines SchiilersK. Boresch (Ber. der.Deutschen
Botan. Gesellschaft 1921, Bd. XXXIX, S. 97 — 1 14; dort auch ein treffliches Bild Cz.s und
ein vollstandiges Verzeichnis seiner Schriften, auf das hier verwiesen sei. Derselbe Autor
hat in » Lotos*, Bd. I,XIX, 1921, S. 3 — 14, einen Nachruf auf Cz. gegeben, dem eben falls
ein Bildnis beigegeben ist.
Leipzig. Willy Ruhland.
Def regger, Franz v., * in Stronach bei Dolsach (Pustertal in Tirol) am 30. April
I 835, t am 2 - Januar 1921 in Miinchen. — D., derMaler desTiroler Bauernlebens
und des Tiroler Befreiungskampfes von 1809, verlebte seine Jugend als Bauern-
bub auf dem einsamen Hof seines Vaters, der auf den Abhangen des Pustertales
lag und zu Dolsach eingemeindet war. Das harte Leben des Tiroler Bergbe-
wohners war ihm also von Kindheit auf vertraut : das Wunder ist nur, daB er
als Kiinstler und Stadtmensch sich nicht davon abkehrte und sich in Darstel-
lung mondaner Gestalten erging, wie es beispielsweise der gleichfalls aus dem
Bauerlichen stammende Lenbach gepflegt hat, sondern daB er seinem Jugend-
erlebnis treu blieb und Leben, Leid und Freud' seiner Landsleute zu malen nicht
Czapek. Defregger 65
miide gevvorden ist. Diese Treue zur Heimat, niedergelegt in ungezahlten Bil-
dern, ist ein Charakteristikum des Bergbewohners, insonderheit des Tirolers,
der D. bis an sein Lebensende und auch in der Ehrenstellung des hochberiihmten
Akademieprofessors geblieben ist. Sie ist aber auch in personlicher Hinsicht
durchaus ethisch zu werten ; denn die Entdeckung dieses Volksgenres und seine
bildliche Durchfiihrung mit der groBten Liebe des Bergsohnes sind D.s ur-
eigenstes Verdienst und von keiner Art auBeren Anlasses oder Forderns her-
vorgerufen und genahrt. Seine Lebensaufgabe, die Verherrlichung des Tiroler
Volkes, stieg ihm ohne irgendein fremdes Zutun eines Tages aus dem eigenen
Empfinden, und er hat nicht einen Augenblick geschwankt, ihr treu zu bleiben.
Es ist zu bedenken, daB vor 1870, als er begann, Tirol und seine Bevolkerung
einen so abgelegenen Begriff der Erdkunde darstellten, wie heute etwa Afgha-
nistan, und daB unsere Vorliebe fur diesen Alpenteil ausschlieBlich D.s Ver-
dienst ist. Allerdings haben schon seine ersten Bilder den Erfolg gehabt, der es
ihm ersparte, ein Martyrium fur seine Liebe auf sich zu nehmen ; einen Erfolg,
der in wenigen Jahren zur Weltberiihmtheit fuhrte und Land und Volk seiner
Heimat rasch zum Wallfahrtsziel der zivilisierten Wanderlust gemacht hat. Es
ist aber nicht daran zu zweifeln, daB D. sein Ideal auch durch anfangliche MiB-
erfolge tapfer zum Siege gefiihrt haben wiirde.
Seine bildnerische Begabung auBerte sich schon in den Kinder] ahren. Aus
Krapfenteig formte er Figuren, und als er sich gar im Besitz eines und bald
einer ganzen Herde von Bleistiften sah, war kein Tisch, keine Wand, kein Blatt
Papier vor seiner Schilderungslust sicher. Indessen dauerte der Zustand dieser
paradiesischen Unschuld nicht allzulange. Als er aus dem kontemplativen
Dasein des Hirtenbubleins heraustrat und seinem Vater als Knecht in der
schweren Tagesfron der Landarbeit beistehen muBte, schwand bald die Fahig-
keit zu kiinstlerischer Betatigung vor der korperlichen Miihsal. Eine Anderung
brachte auch keineswegs der Tod seines Vaters, vielmehr lag nun die ganze Last
der Bewirtschaftung allein auf den Schultern des Zweiundzwanzigjahrigen,
und es erwies sich allzu rasch, daB diese den Anforderungen des rauhen Berg-
lebens nicht gewachsen waren. Der Franzl wurde beim Viehverkauf und wo es
sonst gait, der Welt die kalte Schulter zu zeigen, unbarmherzig iibers Ohr ge-
hauen, mit dem vaterlichen Hof ging es schnell bergab, und so war es kein
Wunder, wenn der junge Bauer der Plage iiberdriissig wurde, sein Anwesen
verkaufte und sich entschloB, mit einigen Leidensgefahrten auszuwandern.
Hier aber griff das Schicksal ein, das ein geistiges Wesen fiir diesmal nicht
zugrunde gehen lassen wollte. Die besseren Elemente der Gesellschaft traten
zuriick, und D. verlor die Lust an tjbersee. Es fiel ihm ein, daB er so etwas wie
ein Talent besaBe. Dieses konnte sich freilich in Abwesenheit aller Erfahrung
(oben im einsamen Pustertal) nicht anders auBern als in dem Drang nach der
heimischen Bildschnitzerkunst, und so machte er sich hoffnungsvoll mit seinem
Gelde und seinen sechsundzwanzig Jahren auf und erschien zum erstenmal in
der Landeshauptstadt Innsbruck, wo, wie er in Erfahrung gebracht hatte, der
Bildhauer Michel Stolz ein gutgehendes Atelier nebst Schule fiir junge An-
f anger unterhielt.
Die Erinnerungen D.s an diese Innsbrucker Erlebnisse, wie er sie spater
Friedrich Pecht erzahlt hat, weichen von denen des Michel Stolz einigermaBen
ab. Was Wahrheit sei, kann man nur aus der Intuition ahnen ; aber der Stolzsche
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66 i92i
Bericht ist detaillierter und darum iiberzeugender. Danach kam D. nicht 1859,
wie er berichtete, sondern erst 1861 zu ihm und erklarte auf alles Befragen
kurz und schlicht: er wolle »Maler werden«. Stolz prufte seine zeichnerischen
Gaben, er f and seinen Vortrag zwar primitiv, aber durchaus talentvoll und von
ungewohnlicher Begabung und Auffassung der ihm bekannten Wirklichkeit
und nahm ihn vorlauf ig als Schuler auf. Und dies ist auch durchaus begreiflich
und stimmt iiberein mit den Proben seiner jugendlichen Zeichenkunst, die uns
A. Rosenberg in seiner Monographic des Kunstlers Seite 4 und 5 in Abbildungen
gegeben hat. Diese Jugendarbeiten aus den Jahren 1858— 1860, mogen sie nun
in Dolsach oder in Innsbruck entstanden sein, haben eine so reizvolle Frische
und Urspriinglichkeit der Darstellung landlichen Lebens, eine solche Sicherheit
in der Charakterisierung der Gestalten und ihrer Bewegungen und einen so er-
quickend volkstiimlichen Humor an sich, daB man riickblickend wohl geneigt
sein konnte, das Beste der D.schen Kunst in ihnen zu erblicken. Es sind sil-
houettenhaft-flache Gebilde, ohne viel Kunst der Perspektive, ohne alle Mo-
dellierung und Lichtfiihrung, wie sie die Volkskunst der bayerischen und oster-
reichischen Alpenlander seit Jahrhunderten hervorgebracht hat; naive Szenen
des Alltagslebens oder der Legendenschilderung, die wir seit den letzten Jahr-
zehnten als eine einfache und kiinstlerisch hochstehende Kunstubung haben
wertschatzen lernen, und deren hervorstechendste Beispiele in der Fassaden-
malerei an Bauernhausern und den Hinterglasbildern als Votivtafelchen wir
als vollgiiltige Kunstwerke betrachten.
Es steht zu hoffen, daB sich, bei entfesselter Aufmerksamkeit, noch mehr
derartiger Jugendwerke des hochbegabten Bauernsohnes Franz D. aus der Ver-
borgenheit werden ziehen lassen.
Jedenfalls verdient der treffliche Stolz hochste Anerkennung durch die Art,
wie er das junge Genie erkannte und auf den richtigen Weg leitete. Denn er ver-
anlaBte D. sehr bald, eigene Kompositionen aus der Erinnerung zu liefern, und
das Resultat war, daB der Kunstschiiler Schilderungen aus seiner bauerlichen
Heimat gab, die unmittelbar auf seine eigenste Begabung wiesen. Hierin be-
starkte ihn der einsichtige Stolz — der, man muB es betonen »Herrgott-
schnitzer war« und durchaus kein Maler! — , und da er gleich erkannte, daB
jener bei ihm nicht an der rechten Stelle war, so brachte er ihn nach Miinchen
und klopfte fur ihn bei Piloty an, der dazumal der angesehenste und einfluB-
reichste Maler der Historienkunst war. Historie aber, das war auch noch 1862
das Allerhochste und Beneidenswerteste, was ein strebsamer Maljiingling zu
erreichen sich traumen lieB.
Hiermit beginnt aber auch die Tragodie des Naturburschen, der selber be-
kannt hat, daB er von dem Eindruck des gewaltigen Nerobildes von Piloty,
das erbei ihm auf der Staff elei sah — »Nero beim Brande Roms« — zeitlebens
nicht mehr losgekommen ist. Das natiirliche Talent kam unmittelbar in die
Sphare der unnaturlichsten Theatermalerei, aus der ein Makart, Gabriel Max
und Stuck entsprungen sind : und es war um seine Naivitat und Waldurspriing-
lichkeit geschehen.
Zwar versagte ihm der groBe Mann und Akademiegewaltige vorerst seine
personliche Einwirkung und wies ihn streng auf die Vorschule zur Akademie,
die ein so Ungeschulter und Ungelehrter wie der Dolsacher Bauernbursch in
seinen krachledernen Hosen und seinem Gamsbarthutel unbedingt zuvorderst
Defregger 67
zu absolvieren habe. Er kam fur ein Jahr zuDyck, dem Direktor der Miinchener
Kunstgewerbeschule, der seine ungehobelte Natiirlichkeit in die Fesseln der
»Richtigkeit« und Perspektive schniirte; wozu am Abend das fleiBige Akt-
studium bei dem Maler Filser kam. Und D. war so gelehrig, daB er nach einem
Jahr zur Akademie iibergehen durfte und die Malklasse von Anschiitz bezog.
Aber da behagte es ihm doch nicht recht ; und da ihm auch das Miinchener Klima
nicht bekam (das er zeitlebens im Sommer mit dem Leben in seinen Heimat-
bergen vertauscht hat), so ging er 1863 kurz entschlossen nach Paris.
Hier blieb er bis zum Friihjahr 1865. Seine Malfertigkeit lieB immer noch
sehr zu wiinschen iibrig. Doch war sein Bemiihen, an der Academie anzukommen,
vergeblich, er muBte sich ohne Anleitung weiterhelfen und suchte in An-
schauung groBer Kunstwerke und im Studium vor der Natur das Fehlende sich
anzueignen. Dai3 die revolutionierende Malerei der groBen Zeitgenossen, der
Courbet und Manet, spurlos an ihm voriiberging, beweist sein ganzes Werk.
Hier hat er den AnschluB an die realistische Kunst seiner Zeit verpaBt, und
dies ist das Verdienst oder der Fehler der Miinchener Akademie und Pilotys,
die ihn von Anfang an gefangen hielten. DaB D. das Zeug gehabt hatte, es einem
Leibl und Triibner gleichzutun, kann man aus einigen Arbeiten erkennen, die
in jene Jahre fallen, und in denen er die Natur in ahnlicher Weise unbefangen
und vom malerischen Standpunkt aus erfafit hat: die »Abendlandschaft« der
Nationalgalerie, Interieurs aus Tiroler Bauernhausern und manche anderen
Landschaftsstudien jener Bildungsjahre, bei denen ihn kein vorgefaBtes
Interesse inhaltlicher Art geleitet hat. Diese aber bedeuteten ihm mehr ge-
legentliche Vorstudien ohne weitere Konsequenz: sein Weg als akademischer
Maler war ihm unverriickbar durch seine Erziehung unter Piloty vorgezeichnet.
Bis zum Herbst 1867 nat er dann zum groBen Teil in seiner Heimat gelebt
und seine malerische Handschrift an den schlichten Vorwurfen der Landschaft,
ihren Stadtchen und Bewohnern weiter geiibt. Im groBen und ganzen aber hat
er von 1865 bis 1870 als Schuler Pilotys zu gelten, in dessen Atelier er von dem
Meister aufgenommen wurde. Und hier bildete er sein besonderes Genre aus
und malte seine ersten selbstandigen Bilder, die seinen Ruhm begriindet und
iiber den Erdball getragen haben.
1867 malte er sein erstes Genrebild: »Der verwundete Jager«, der, vom
Wilderer angeschossen, seiner Frau ins Haus getragen wird (Stuttgarter
Galerie). 1869 das zweite: » Speckbacher und sein Sohn Andreas « (Innsbruck,
Ferdinandeum), eine halb humoristische Szene aus dem Tiroler Auf stand 1809.
Mit diesen beiden Erstlingen hatte er sogleich das Gebiet gefunden und ab-
gesteckt, das ihm seinen Ruhm bringen und das er nicht mehr verlassen sollte
bis an seinen Tod : das Bauerngenre, meist humoristisch gefarbt, seltener dra-
matisch zugespitzt, und das Historienbild aus dem Tiroler Volkskrieg gegen
Napoleon, das meist genreartige Ziige tragt und das Lessingsche Wort von
dem »fruchtbaren Moment « vor oder nach dem eigentlichen Hohepunkt, der
Katastrophe, sich zur Richtschnur nimmt. Eigentliche Kampfszenen hat die
gemutvolle und sensitive Natur D.s stets zu vermeiden gewuBt.
Der Erfolg des Speckbacherbildes auf der International Kunst ausstellung
in Wien 1869 war durchschlagend und fiihrte D. auf die Hohen'anerkannter.
Meisterschaft. Es dauerte nicht lange, bis dieser Ruhm sogar den seines Meisters
Piloty iiberstrahlte. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts war D. einer der
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gefeiertsten Namen der Miinchener, d. h. der deutschen Malerei; Museen und
Sammler stritten sich um den Besitz seiner Bilder, und sein Leben verfloB
ahnlich dem des beriihmtesten Bildnismalers seiner Zeit, Lenbachs. Wie dieser
konnte er sich einen kleinen Palast bauen (in der KoniginstraBe, am Rande
des Englischen Gartens). Dazu erwarb er eine Villa in Bozen und ein Sommer-
hauschen in Tirol, zuletzt auf der Hohe iiber Spinges, nicht weit von Franzens-
feste, wo er den Sommer zubrachte. 1878 wurde er Professor an der Miinchener
Akademie und bald darauf geadelt.
Die Stationen seines Lebens fallen nun zusammen mit den Daten seiner
wesentlichsten Bilder, die wir in historischer Folge nennen. 1869 »Ringkampf
in Tirol «. 1871 »Die B ruder «. 1872 »Der Ball auf der Alm« und »Das Preis-
pferd« ; mit diesen Bildern errang er auf der Wiener Weltausstellung 1873 seinen
groBten bahnbrechenden Erfolg. 1873 »Die Bettelsanger«. 1874 »Das letzte
Aufgebot« (Wien, Hofmuseum). 1875 »Tischgebet«, »Wilderer in der Senn-
hiitte«, »Der Besuch«. 1876 »Heimkehr der Sieger « (Berlin, Nationalgalerie).
1877 »Abschied von der Sennerin«. 1878 » Andreas Hofers letzter Gang« (K6-
nigsberg, Museum). 1879 »Hofer in der Hofburg zu Innsbruck «. 1880 »Besuch
auf der Alm«. 1881 »Der Schmied von Kochel«, Bestellung des bayerischen
Staates (Neue Pinakothek). 1882 »Der Salontiroler « (Nationalgalerie). 1885
»Vor dem Aufstand«. 1886 »Speckbacher ruft die Alten auf «. 1887 »Das Abc«,
»Kriegsgeschichten«. 1888 »Vorabend der Schlacht am Berge Isel«, »Selbst-
bildnis«, »Feierabend auf der Alm«. 1897 »Kriegsrat 1809 «. 1898 »Die Kraft-
probe*. 1899 »Der Eif ersiichtige «.
AuBerhalb seines Genres hatD. zahlreiche Studienkopfe, Landschaftsstudien,
einige Bildnisse gemalt ; endlich zwei religiose Bilder, in denen er sich an die
Venezianer des 16. Jahrhunderts anschloB: »Heilige Families (1872), Altarbild
fiir seine Heimatkirche in Stronach, und »Madonna in Wolken« (1868).
Literatur: Eine griindliche und mit zahlreichen Abbildungen versehene Biographie des
Kiinstlers sckrieb Adolf Rosenberg (Velhagen & Klasing, Kiinstlermonographien Nr. iS,
3. Aufl., 191 1). — Dazu: Fr. Pecht, Deutsche Kiinstler des 19. Jahrhunderts, Bd. II, 1879.
— Derselbe, Geschichte der Miinchener Kunst im 19. Jahrhundert, 1888. — Swoboda, Franz
v. D., Biographisches und Kritisches, 1886. — Weitere Iyiteratur in Thieme-Becker,
Kiinstlerlexikon, Bd. 8 (von Ewald Bender).
AuBer in den meisten deutschen Museen finden sich Bilder von D. in den Sammlungen
von Wien (Akademie, Gemaldegalerie), Prag (Rudolf inum), Zurich (Kunsthaus), Kopen-
hagen (Glyptothek) , Neuyork (Metropolitanmuseum) und amerikanischen Privatgalerien ;
vor allem im Ferdinandeum in Innsbruck.
Berlin, Paul F. Schmidt.
Duhring, Karl Eugen, * in Berlin am 12. Januar 1833, f in Nowawes bei
Berlin am 21. September 1921. — Eugen D. war der einzige Sohn eines Ge-
heimen Expedierenden Sekretars, eines lebenstiichtigen Mannes von energi-
schem Temperament, der, friih verwaist, sein Studium hatte abbrechen miissen
und, auf sich selbst angewiesen und zugleich fiir seine jungeren Geschwister
besorgt, die Not des Lebens reichlich kennengelernt hatte. Mit gewissenhafter
Sorgf alt und nach bewuBten Grundsatzen widmete sich der Vater der Erziehung
und Unterweisung seines Sohnes, und in der Tat sind die Anregungen und Ein-
driicke tief und nachhaltig fiir das Leben gewesen, die der begabte Knabe von
Defregger. Diihring 6o
dem f reigesinnten Vater empf ing, wiewohl dieser durch den Tod seiner Familie
entrissen wurde, noch ehe der Sohn das dreizehnte Lebensjahr vollendet hatte.
Die kargliche Witwenpension der krankelnden Mutter ware fur das Studium
nicht zureichend gewesen, wenn nicht eine treusorgende Tante, seine »zweite
Mutter*, Zeit ihres Lebens zum Unterhalt beigesteuert hatte. Seine wissen-
schaftliche Ausbildung empf ing D. zunachst auf dem Kollnischen Gymnasium,
wohin ihn noch sein Vater verbracht hatte, weil dort die Naturwissenschaften
ausgiebigerbehandelt wurden und wo ein verhaltnismaBigfreier Geist herrschte,
dann, von der Obersekunda ab, auf dem Joachimstaler Gymnasium, das in
dem friih kritisch denkenden Schiiler durehaus keine angenehmen Erinne-
rungen hinterlassen hat. Nichtsdestoweniger machte sich auch dort seine Be-
gabung geltend und seine Leistungen fanden voile Anerkennung. Die 48er Re-
volution blieb nicht ohne EinfluB auf den Heranwachsenden.
Noch auf dem Gymnasium hatte sich D. trotz seiner Neigung fur logische
Untersuchungen, Naturwissenschaften und speziell fur Mathematik, fur die
das Interesse schon vom Vater geweckt worden war, zum juristischen Studium
entschlossen und die richterliche Laufbahn in Aussicht genommen. Der Be-
trieb an der Universitat befriedigte ihn so wenig wie der am Gymnasium.
Noch weniger aber befriedigte ihn das gewahlte Studium selbst, so griindlich
er sich darein vertiefte, weil er in ihm nicht fand, was er suchte, den Geist eines
naturlichen, lebendigen Gerechtigkeitsgefuhls. So widmete er sich wahrend
der zu Ende gehenden Universitatszeit und in den darauffolgenden Jahren neben
der juristischen Praxis mehr und mehr seinen anderen vielseitigen Interessen.
Aber auch die philosophische Lekttire behagte ihm nicht; abfallig auBerte er
sich uber Hegel und Fichte, wahrend er Kants Autoritat immerhin damals mit
Achtung gegeniiberstand im Gegensatz zu seiner spateren Entwicklung, die ihn
auch in Kant »nur einen Professor der Methaphysik« sehen lieB. »Jn alien
Richtungen der wissenschaftlichen Literatur sah ich mich nach besserer Nah-
rung um.« Ein hartnackiges Augenleiden veranlaBte ihn, den urspriinglichen
Lebensplan aufzugeben und eine juristische Dozentur anzustreben. Der Ver-
wirklichung der Absicht scheint der zu gewartigende Widerstand des Pro-
fessors Fr. J. Stahl, des bekannten Fiihrers der Feudalpartei in der preuBischen
Ersten Kammer, im Wege gestanden zu sein, dessen judische Abstammung
und Physiognomie von D. in seiner Lebensbeschreibung so nachdriicklich be-
tont wird, daB der Gedanke naheliegt, daB bereits hier einer der Ausgangs-
punkte fur seinen spater zum dogmatisch verallgemeinernden Fanatismus ge-
steigerten JudenhaB vorliegt. Die nunmehr gefaBte Absicht, die Laufbahn des
freien Schriftstellers einzuschlagen, lieB ihm die Erwerbung des Doktorgrades
aus der Philosophic wunschenswert erscheinen. 1861 promovierte er mit einer
Dissertation »De tempore, spatio, causalitate atque de analysis infinite simalis
logica «. Als Nebenf acher hatte er Mathematik und Physik gewahlt. Inzwischen
war sein Augenleiden bis zur Erblindung fortgeschritten. Dennoch wagte er
1862 die Ehe. Die anspruchslose Frau, die ihm zwei Sohne gebar, wurde ihm
eine treue Lebensgefahrtin. Von ihrer Hand wurden jahrzehntelang alle seine
Werke niedergeschrieben. 1863 habilitierte er sich fiir Philosophic an der
Universitat Berlin unter Trendelenburg, nicht zuletzt von der — wie sich
herausstellte, berechtigten — Hoffnung getrieben, als Privatdozent leichter
Annahme seiner schriftstellerischen Arbeiten zu finden. Die nachsten Jahre
70 *92i
waren ungemein fruchtbar und zeigten den jungen Gelehrten in seiner erstaun-
lichen Vielseitigkeit. 1865 erschienen nicht weniger als vier Arbeiten: zwei
philosophische Werke, die sich »wie Kopf zu Herzd verhielten — die »Nattir-
liche Dialektik, neue logische Grundlagen der Wissenschaft und Philosophies
und »Der Wert des Iyebens, eine philosophische Betrachtung«, spater mit dem
Untertitel »Eine Denkerbetrachtung im Sinne heroischer I,ebensauffassung«,
dasjenige Werk, in dem D. den Kampf gegen die lebensfeindlichen Weltan-
sichten aufnahm, dessen Grundgedanken er durch fiinf zig Jahre treu blieb, wie
er selbst als Zweiundachtzigjahriger im Vorwort zur 7. Auflage versichert, und
das von seinem Sohn, der 1922 die 8. Auflage besorgte, als das am meisten
programmatische des Verfassers bezeichnet wird — , und zwei volkswirtschaft-
liche Schriften: »Kapital und Arbeit, neue Antworten auf alte Fragen« und
» Careys Umwalzung der Volkswirtschaftslehre und Sozial wissenschaft*. Auch
D.s Iyehrtatigkeit war durchaus erfolgreich, seine Vorlesungen waren gut be-
sucht. Nichtsdestoweniger hatte seine Bewerbung urn eine vakant gewordene
Philosophieprofessur 1866 keinen Erfolg, obwohl das Ministerium ihm geneigt
schien. Der Versuch scheiterte an dem Widerstand der Fakultat, die erklarte,
»einen wirklichen Philosophen «, nicht »einen Kameralisten« zu wollen und
seine Blindheit als hinderlich fiir die Wahrung des Amtsgeheimnisses vor-
schutzte, aber ein jahrliches Gehalt aus dem Kgl. Dispositionsfonds fiir ihn be-
antragte, eine Gnade, die D. entschieden ablehnte. D.sProduktionskraft wurde
durch den MiBerfolg nicht geschwacht. 1866 erschien seine »Kritische Grund-
legung der Volkswirtschaftslehre «, 1867 die Schrift »Die Verkleinerer Careys
und die Krisis der Nationalokonomie*. Schon der Titel zeigt die Neigung des
Verfassers, fiir verkannte Neuerer einzutreten. Wie er die Ideen des amerikani-
schen Nationalokonomen Carey, der hohe Lohne als durchaus vertraglich mit
wirtschaftlicher Produktion verfocht, so hat sich D. mit Nachdruck auch fiir
den damals noch nicht wie heute anerkannten deutschen Nationalokonomen
Friedrich List eingesetzt und spater mit Leidenschaft der bahnbrechenden
physikalischen Ideen Robert Mayers, des » Galilei des 19. Jahrhunderts«,
sich angenommen. Nach diesen volkswirtschaftlichen Arbeiten erschien 1869
wieder ein philosophisches Werk, die »Kritische Geschichte der Philosophie
von ihren Anfangen bis zur Gegenwart«. Im gleichen Jahr hatte die Got-
tinger (philosophische Fakultat die Preisaufgabe gestellt, eine kritische Ge-
schichte der allgemeinen Prinzipien der Mechanik, ausgehend von der Zeit
Galileis, zu schreiben. D. beteiligte sich, gestiitzt auf jahrzehntelang gesammelte
Materialien, an dem Wettbewerb. Unter den fiinf einlaufenden Bearbeitungen
wurde D.s Arbeit, die einen Ausspruch Lagranges als Kennwort trug, 1872 mit
dem ersten Preis ausgezeichnet. Das Urteil der Fakultat war iiberaus lobend
und ehrenvoll. Das umfangreiche Werk erschien noch im gleichen Jahre im
Druck. Es war ein eigenartiges Zusammentreffen, daB die Preisaufgabe auf
Grund einer Stiftung ausgeschrieben war, die der Konsistorialrat C. G. Beneke
zum Andenken an seinen Bruder F. E. Beneke gemacht hatte, der 1822 als
Privatdozent von der Berliner Universitat anscheinend auf Betreiben Hegels
removiert worden war, spater zwar rehabilitiert und zum auQerordentlichen
Professor befordert wurde, aber »doch schliefilich zu keinem ordentlichen Amt
innerhalb der Fakultat gelangte, obwohl . . . seine philosophischen Arbeiten
den sehr untergeordneten gleichzeitiger ordentlicher Professoren, namentlich
Duhring 71
denen des Herrn Trendelenburg, noch gewaltig iiberlegen geblieben waren.
Beneke scheint gegen das Universitatstreiben nicht gleichgultig genug gewesen
zu sein . . . Sein Leichnam wurde in einem bei Berlin gelegenen Wasser auf-
gefunden. Das seltsame MiBgeschick der Berliner Universitat mit Privat-
dozenten von Ruf stent iibrigens nicht vereinzelt da. Einige zwanzig Jahre
vor dem Beneke- Fall hatte ihr Schopenhauer den Riicken gekehrt . . . zwei
Jahrzehnte nach dem Benekeschen-Todesfall (1875) beschaftigte sich die Univer-
sitat angelegentlich mit der fiir diesmal f reilich noch nicht vonstatten gegange-
nen Remotion des Verfassers dieser Schrift«.Diese iiberaus charakteristische
polemische Anmerkung, die D. der Einleitung zur 2. Auflage seiner Preisschrift
beigibt, zeigt, wi e weit der Konflikt des Privatdozenten mit der Universitat
damals bereits gediehen war. Zwar war seit 1868 scheinbar eine Besserung des
Verhaltnisses eingetreten, Bewerbungen um eine Professur blieben aber ohne
Erfolg und die Spannung nahm bald wieder zu. Der Konflikt, auf den D. in
der Anmerkung anspielt, entsprang aus der Kontro verse mit dem Professor
der Nationalokonomie, dem »Kathedersozialisten « A. Wagner und schloB sich
an das 1871 erfolgte Erscheinen der »Kritischen Geschichte der Nationaloko-
nomie und des Sozialismus von ihren Anfangen bis zur Gegen wart « an. In der
Konfliktzeit, 1875, erschien weiter der »Kursus der Philosophic als streng
wissenschaftlicher Weltanschauung und Lebensgestaltung«, der 1895 umge-
arbeitet als »Wirklichkeitsphilosophie. Phantasmenfreie Naturergriindung und
gerecht freiheitliche Lebensordnung* herauskam, und 1876 der »Kursus fiir
National- und Sozialokonomie«.
Gerade die Anmerkungen zur 2. Auflage der Preisschrift, deren eine oben
wiedergegeben ist, wurden neben einer Schrift iiber »Die hohere Berufsbildung
der Frauen und die Lehrweise der Universitaten« zum Ausgangspunkt eines
endgultigen Verfahrens. Die Gottinger Fakultat erklarte, daB sich ihr Urteil
auf die Zusatze der 2. Auflage nicht bezoge. Speziell wurden ihm ironisierende
Angriffe gegen Helmholtz zum Vorwurf gemacht, vor allem eine Anmerkung,
in der zum Ausdruck gebracht war, daB in dessen Abhandlung »t)ber die Er-
haltung der Kraft « Robert Mayer totgeschwiegen worden sei; auch die Mathe-
matiker Kummer und WeierstraB fiihlten sich verletzt, obwohl D. behauptet,
bei seiner Kritik nicht an sie gedacht zu haben. So kam es wegen anstoBiger
Stellen in der Preisschrift und unstatthafter Kritik der allgemeinen Uni-
versitatszustande iiberhaupt 1877 zum Remotionsverf ahren. Der Kampf wurde
auf beiden Seiten mit groBter Scharfe und in der Offentlichkeit gefuhrt. Grofle
Teile der Studentenschaft ergriffen in Adressen, Versammlungen und Flug-
schriften Partei fiir D. Die Bewegung griff iiber Berlin hinaus; ein D.-Komitee
wurde gebildet ; auch die Sozialdemokratie setzte sich im Interesse der Freiheit
der Wissenschaft fiir ihn ein, wie D. allerdings behauptet, um sich angesichts
der Studentenbewegung die Agitationsgelegenheit nicht entgehen zu lassen;
denn D. haBte nachst den Professoren und Juden am meisten die Sozialdemo-
kratie, aus theoretischen Grtinden und wegen des Anteils der Juden an der
Bewegung ; dennoch glaubte er wahrend des Konfliktes ihrer Parteinahme fiir
ihn sich nicht widersetzen zu diirfen, um bei der Arbeiterschaft nicht in schiefes
Licht zu geraten.
Die Remotion war natiirlich nicht aufzuhalten, sie war eben das SchluB-
glied einer langen Entwicklung. GewiB diirfte mit einer Kampf natur wie D.,
72 192 1
bei seiner Neigung zu schonungsloser Kritik und seiner Erregbarkeit, seineni
MiBtrauen und seinem hochgespannten SelbstbewuBtsein nicht leicht auszu-
kommen gewesen sein, anderseits scheint in den Anfangsstadien die Fakultat
wohl zu jener Duldung und Anerkennung nicht bereit gewesen zu sein, die
gegeniiber dem zwar unbequemen, aber geistig bedeutenden und leidenden
Manne nahegelegen hatte.
Nach seiner Remotion zog sich D., dessen schriftstellerische Position schon
seit 1866 als gesichert gelten konnte, als freier Schriftsteller nach Nowawes
bei Berlin zuriick, wo er weiterhin eine iiberaus fruchtbare literarische Tatigkeit
entfaltete, freilich immer mehr seiner Verbitterung und ungehemmter Polemik
die Zugel schieBen lassend. Von den zahlreichen Schriften dieser zweiten Halfte
seines Lebens ist vor allem zu nennen seine Selbstbiographie, »Sache, Leben
und Feinde als Hauptwerk und Schlussel zu seinen samtlichen Schriften «, die
1882 erschien und aus der im vorstehenden mehrfach zitiert wurde, seine »Logik
und Wissenschaftstheorie, denkerisches Gesamtsystem verstandessouveraner
Geisteshaltung« und »Neue Grundmittel und Erfindungen zur Analysis, Algebra,
Funktionsrechnung und zugehorigen Geometrie, sowie Prinzipien zur mathe-
matischen Reform, nebst einer Anleitung zum Studieren und Lehren der
Mathematik«, deren erster Teil 1884, deren zweiter 1903 von ihm und seinem
Sohn Ulrich herausgegeben wurde. Auch mit literargeschichtlichen Arbeiten
ist D. hervorgetreten. Der Polemik und Propaganda seiner reformerischen
Ideen gewidmet war auBer einer Reihe einzelner Schriften die Halbmonats-
schrift »Personalist und Emanzipator«, die er seit 1899 herausgab, »fur aktions-
fahige Geisteshaltung und gegen korrupte Wissenschaft«, die von seinem Sohn
weitergefuhrt wird und »fast nur das, was anderwarts nicht oder doch nicht
mit gleicher Nachdriicklichkeit zutage tritt«, bringen will. Die reformatorischen
Bestrebungen D.s beziehen sich auf die verschiedensten Gebiete, 3 a auf alle
herrschenden Zustande im Reiche des Geistes, die ihm in der Gegenwart durch
und durch verdorben scheinen, auf soziale und politische Verhaltnisse, Schule
und Ehe, Kunst, Philosophic und Einzelwissenschaft.
Eugen D. pflegt zu den deutschen Positivisten gerechnet zu werden, aber seine
erkenntnistheoretische Einstellung unterscheidet ihn doch wesentlich von dem
Positivismus etwa im Sinne Machs. Nicht die Empfindungen und BewuBtseins-
gegebenheiten sind fur ihn die eigentliche Wirklichkeit und der Gegenstand
unserer Erkenntnis, sondern eine AuBenwelt mit Korpern und Kraften im
Sinne der Naturwissenschaft. Die Begriffe von Ursache und Kraft aufzugeben
und nur von Erscheinungen zu reden, ist ihm »Abweg und zweiflerisch krank-
hafte Verirrung«. Diese Auffassungen lieBen eher seine Einreihung unter die
kritischen Realisten angemessen erscheinen. Was ihn zu den Positivisten zahlen
laBt, ist seine entschiedene Betonung der Grenzen der Erkenntnis und seine
scharfe Kampfstellung gegen jegliche Metaphysik. Schroff lehnt er »ein
Seelengespenst« ab, andererseits aber auch eine Erklarung des Lebens im Sinne
des Mechanismus; auch die besonderen Prinzipien des Lebens sind vielmehr
ernsthaft als Krafte zu nehmen. Trotz seiner grundsatzlichen Ablehnung der
Metaphysik entwickelt D. selbst weit liber die Erfahrung hinausgehende Ge-
dankengange, so z. B. wenn er die Frage nach der Zukunft der Welt erortert,
einen Urzustand und neue Anfange setzt, die selbst w r ieder den Ausgang von
Kausalreihen bilden, oder wenn er Empfindungen aus dem Antagonismus
Duhring 73
mechanischer Krafte entstehen laBt. Er erinnert in dieser inkonsequent schei-
nenden, in seinem Gesamtsystem freilich begriindeten Haltung an Schopen-
hauer, der ebenfalls die Metaphysik bekampfte und selbst ein metaphysisches
System schuf, und der gerade wegen des metaphysischen Einschlags seiner
Philosophic und der damit verbundenen Lebensauffassung von D. bekampft
wird, bei aller Achtung, die er ihm sonst zollte; denn Schopenhauer gehort wie
Comte, Feuerbach, Rousseau, Hobbes zu den wenigen Philosophen, denen D.
seine Anerkennung nicht versagt. Mit Schopenhauer eint ihn iibrigens nicht nur
die leidenschaftliche Polemik gegen die Universitatsphilosophie, sondern auch
das groBe Ziel, Erkenntnis und Leben in einem umfassenden geschlossenen
System zu verkntipfen. D. gehort zu den Philosophen, die nicht nur Gelehrte,
sondern Reformatoren sein wollen. Der Schwerpunkt der Philosophic liegt fiir
ihn in ihrer Bedeutung fiir das Leben. Im Gegensatz zu Schopenhauer bejaht
er das Leben und seinen Wert. Die lebensfeindlichen Weltansichten haben ihren
Ursprung in Ubersattigung und Ausschweifung, der durch sie erzeugte Lebens-
ekel fiihrt zu den Jenseitsphantasien, denen dann auch die in Entbehrung
lebenden Menschen in der Hoffnung auf ein besseres Dasein nach dem Tode
sich in die Arme werfen. Konsequent lehnt darum D. ebenso den »Wiegenwahn«
der Jenseitsreligionen wie ihren Ersatz durch Jenseitsmetaphysik und Nir-
wanasehnsucht ab. Hier trifft sich seine praktische mit seiner theoretischen
Metaphysikfeindlichkeit und andererseits verschmelzen seine grundsatzlichen
Anschauungen mit den triiben Erfahrungen, die er mit Juden gemacht zu
haben glaubt, zu jener dogmatischen Judenfeindschaft, die in den Juden eine
niedrige Rasse schlechthin sieht, deren unersattliche Lebensgier das asketische
Christen turn herauffuhrte. »Das Judentum bleibt den modernen Volkern so-
lange eingeimpft, als sie nicht auch das Christentum iiberwinden.« Wenn man
die Lebensbejahung D.s als Optimismus bezeichnet, darf man darunter nicht
eine Geistesrichtung verstehen, die die Harten und Unbilden des Lebens uber-
sieht. Sie eben gilt es zu meistern. In seiner heroischen Lebensbejahung und
seiner feindseligen Ablehnung der Jenseitsmetaphysik, speziell auch des
Christentums, kann D. als Vorlaufer Nietzsches betrachtet werden, der sich
denn auch mit ihm auseinandersetzt. Allerdings ist D. der ekstatische En-
thusiasmus Nietzsches fremd, dazu ist der positivistisch-realistisch gerichtete
Philosoph und Nationalokonom zu gesund und nuchtern. Auch ist seine Lebens-
philosophie im Einklang mit seinen nation alokonomischen Ideen durchaus sozial
gerichtet ; erbekampft die demoralisierende Formel des Kampfes urns Dasein, die
»zum theoretischen Beschonigungsmittel des frechsten Egoismus« geworden
war. Er bekampft konsequenterweise auch den Militarismus und den Krieg.
Das D.sche Lebenswerk im ganzen ist zu verstehen als Kampf um eine Ge-
sundung des von ihm als krankhaft verirrt empfundenen Lebens und Denkens,
und auch der Gegner wird ihm zugestehen mussen, daB er ein tapferer Kampfer
und origineller Denker war. Seine Biicher, speziell deren positive Partien,
haben etwas zu geben, auch wenn man ihren Standpunkt nicht teilt. Die Sprache
ist klar und lebendig, aber der GenuB der Lektiire wird wesentlich beeintrach-
tigt durch die den positiven Inhalt oft, namentlich in spateren Schriften, iiber-
wuchernde, nicht selten maBlose Polemik.
Literatur: Ein vollstandiges Verzeichnis seiner Schriften enthalt die 8. Auflage des
j>Wert des Lebens«. Bildnis und Namenszug sind seiner Selbstbiographie beigegebeu. Der
74 *9 21
literarische Nachlafl ist in den Handen seines Sohnes Ulrich D., der ihn im »Personalist und
Emanzipator« zur Sprache gebracht hat. Dort finden sich auch weitere Mitteilungen aus
dem Leben des Verstorbenen und der Nachruf des Sohnes. Von den vergriffenen Biichern
Eugen D.s sind bis jetzt in neuer Auflage durch Ulrich D. aufler dem bereits erwahnten
♦Wert des I>bens« herausgegeben die beiden volkswirtschaftlichen Werke »Waffen, Kapital,
Arbeit* (1924) und »Kursus der National- und Sozialokonomie« (1925).
Miinchen. Alois Wenzl.
Dvorak, Max, Kunsthistoriker, * in Raudnitz in Bohmen am 24. Juni 1874,
f in Grusbach in Mahren am 8. Februar 192 1. — D. hat als reiner Historiker
begonnen, als Historiker die Wiener Universitat und ihr Institut fiir oster-
reichische Geschichtsf orschung besucht ; erst gegen Ende seiner Studienzeit ist
er Kunsthistoriker geworden. Seine allerersten Veroffentlichungen zeigen die
Ausbildung D.s in der Schule historischer Kritik am Wiener Institut fiir oster-
reichische Geschichtsf orschung. Diese Einstellung brachte D. in die Kunst-
geschichte mit, die eben durch Wickhof f und Riegl die Uberwindung des asthe-
tischen Dogmatismus vollzog ; er ubernahm von diesen seinen beiden Lehrern
die Auffassung derWissenschaft von der Kunst als einer historischen Disziplin.
Die Kunstwerke, von der asthetischen Bindung losgelost und durch Auffassung
als bloBe historische Tatsachen wesentlicher Elemente beraubt, werden durch
ihre eigene Gesetzlichkeit zu einer Entwicklung zusammengeschlossen, sie bilden
Reihen deren psychische Verkniipfung in der Sonderart der isolierten Kunst-
werke begriindet ist. Die Raum- und Zeitgrenzen, die die Geschichte zieht, be-
stehen nicht fiir ihre Welt, und so zersprengt die evolutionistische Deutung der
Kunst den historischen Dogmatismus. Nicht innerhalb der Nationen und nicht
innerhalb der Stilperioden spielt sich das historische Leben der Kunst ab ; es greif t
aus und liber, ein Strom, der sein Bett sich selber grabt. Eine Auffassung wie
diese muB mit Vorliebe alle Ubergangsgebiete bebauen. Es ist kein Zufall, daB
die groBen Arbeiten Wickhoffs und Riegls den stilistischen Grenzfragen ge-
widmet sind und daB auch D. in seinen ersten Arbeiten an dieser Befreiung der
Kunstgeschichte aus fremdgeistigen Banden mitwirken muBte. In den »Illu-
minatoren des Johann von Neumarkt« (Wiener Jahrbuch 1901), mit denen sich
D., seit 1898 Assistent am kunsthistorischen Institut der Wiener Universitat,
1902 an dieser habilitierte, hat er den Begriff einer abendlandischen Kunst-
synthese als Keimzelle der nordischen Kunstbliite des 15. Jahrhunderts ent-
wickelt. Nicht in den Faden, die von Avignon nach Bohmen fuhren, nicht in der
stilistischen Filiation, die hier nachgewiesen wird, liegt der entscheidende Wert
dieses Buches, sondern in dem Nachweis der Eigenbewegung der Kunst, die
iiber die Grenzen der Nationen und iiber den Strafien der Geschichte ihre Luft-
wege zieht. Mehr ins Zeitliche gewendet erscheint eine ahnliche Fragestellung
in dem »Ratsel der Briider von Eyck« (Wiener Jahrbuch 1903) — wozu die in
der Festschrift fiir Franz Wickhof f erschienene Studie »Iyes Aliscans« ein wich-
tiges Paralipomenon bildet ; eine Stilwandlung wird mit subtilster Hand zer-
legt, das Herauswachsen eines modernen Kunstgefuhls aus einem mittelalter-
lichen verfolgt. Kann man sagen, daB hier Gotik zu Renaissance wird? Die
Starrheit der Stilbegriffe liegt wie ein Fremdkorper im auflosenden Gedanken-
fluB seiner Darstellung; Stil ist etwas, das sich der Begrifflichkeit entzieht, auf
Nationen, Perioden oder Individuen angewendet, vollgesogen mit tausend-
Diihring. Dvorak 75
faltiger Lebendigkeit. Diese Ableitung des Stils aus der Gesamtsumme der
inneren Merkmale fiihrt an einen Punkt, wo die alte evolutionistische Ausdeu-
tung einer intuitiven weicht ; hier heiBt es den Begriff der Geschichte sprengen
— oder erweitern. Eine Selbstbesinnung schien geboten; der Weg konnte zur
philosophischen Konstruktion fiihren — gewissermaBen absehend davon, daB
ein Kunstwerk in erster Lime ein Kunstwerk ist — oder zur Beschrankung auf
die Probleme der Anschaulichkeit. Zu Grundbegriffen, die sich an die Bewalti-
gung der formalen Aufgaben anlehnen.
Diese Krise fallt in die Zeit, in der D. durch eine Fiille anderweitiger Arbeit
an einer reicheren literarischen Tatigkeit gehindert war. Seit 1905 war er — nach
dem Tode Riegls — a.o. Professor, seit 1909 — dem Tode Wickhoffs — o. Pro-
fessor an der Wiener Universitat. Der Umfang der Lehrverpflichtung und die
Tief e seines padagogischen Pflichtgef iihls veranlaBten ihn, den Stoff der Kunst-
geschichte der ganzen Breite nach durchzuarbeiten. Die groBe Anzahl meister-
licher Rezensionen aus den verschiedensten Gebieten, die ab 1904 in den
Kunstgeschichtlichen Anzeigen erschienen, beweist, daB diese Durcharbeitung
nicht eine extensive Aneignung war, sondern eine intensive Durchdringung mit
einer Fiille von Problematik, die literarisch vorlaufig nur diese konzentrier-
testen GelegenheitsauBerungen gestattete. Daneben erfullte der gleiche Reich-
turn die Vorlesungen, die D. mit groBer Gewissenhaftigkeit arbeitete; der
deutschen Sprache im schriftlichen Ausdruck vollig machtig geworden, aber
in ihrer miindlichen Handhabung doch immer gehemmt, hat er jeden Vortrag
schriftlich niedergelegt und auswendig vorgetragen, ohne dadurch etwas an
Spannung verloren gehen zu lassen. Diese erste padagogische Tatigkeit bewegte
sich zunachst auf dem Boden der ersten wissenschaftlichen Auf f assung, die am
ganzen Umfang des Materials durchgeprobt wurde. Der AnstoB zu ihrer Uber-
windung gab die Arbeit in der Denkmalpflege. Seit dem Tode Riegls als General-
konservator an die Spitze der osterreichischen Denkmalpflege gestellt, hat D.
deren Organ, die Zentralkommission fiir Kunst- und historische Denkmale, von
Grund aus umgebaut; er schuf ihre Verwaltungsorganisation, umschrieb ihre
Grundsatze und Absichten (Katechismus der Denkmalpflege, 1916), ermoglichte
ihre enge Verbindung mit der Kunstgeschichte (Deutsche Kunsttopographien
in Kunstgeschichtliche Anzeigen 1906, Herausgabe der Osterreichischen Kunst-
topographie 1907 ff.). Neben dieser groBen organisatorischen Tatigkeit ging eine
entscheidende Mitarbeit an der Schaffung des deutschen Vereins fiir Kunst-
wissenschaft. Diese grofle, uniibersehbare Fiille einzelner Erscheinungen iiber-
individuell verarbeitenden Organisationen machen wissenschaftliche und kiinst-
lerische Arbeit — sonst nur als individuelle Betatigung bewertet — zu sozialen
Erscheinungen. Speziell die Denkmalpflege riickt das alte Grundproblem in ein
neues Iyicht ; hier sind die Individualist des Kunstwerkes und seine Aufgabe
als Ausdruck vielfach verquickter Geistigkeiten verknotet und versohnt. Hier
gibt es keine Halften, sondern nur ein Ganzes, das Ganze, das auf einmal im
Gefiihl gefaBt werden kann. Kunst ist weder Form noch Begriff; die Probleme
der Anschaulichkeit und der philosophische Dogmatismus losen sich in der
hochsten historischenEinstellung, die der Erf assung der gesamten herrschenden
Geistigkeit gilt. Eine Kreiswindung, die bei den groBen Romantikern zu Beginn
des 19. Jahrhunderts anhebt, hat sich geschlossen; aber die ganze hundert-
jahrige Arbeit zur Erkenntnis des rein Historischen und des rein Formalen liegt
76 x 92i
dazwischen und hebt den neu gewonnenen Standpunkt auf eine hohere Stufe.
Kunst und Leben laufen nicht parallel, ineinander wirkend und sich ineinander
spiegelnd ; sie sind Eines, untrennbare Auswirkungen gleichen Geistes, der durch
sein Formwerden sein Wesen — statt es einzubiiBen oder abzuschleifen — ver-
tieft und verklart. Den AbschluBstein in dem neuen Geistesgebaude brachte
das Erlebnis des Krieges ; es hob die letzten Widerstande auf und erzeugte die
auBerste Spannung, die die Kruste eigener wissenschaftlicher Vergangenheit
siegreich durchbrechen konnte. In sturmischer Hast hat D. nunmehr seine neue
Erkenntnis hervorgesprudelt. Nur noch ein Quadriennium akademischer Vor-
lesungen stand ihm zur Verfiigung, den ganzen Stoff der abendlandischen
Kunstgeschichte auf die Tragfahigkeit der geistesgeschichtlichen Idee hin zu
untersuchen. In den Vorlesungen hat sich der im Lauf eines Jahrzehnts voll-
zogene Wandel von einem stark materialistisch gefarbten Positivismus zu einem
neuen Idealismus zuerst ausgesprochen und eine neue Generation von Schulern
zu ungeheurem Enthusiasmus hingerissen; die tjberwindung der analytischen
Methode durch ein Bekenntnis zu einer geistesgeschichtlichen Synthese besaB
fur das durch das Ereignis des Krieges hindurchgegangene Geschlecht die wer-
bende Gewalt unwiderstehlicher Aktualitat. In seinem » Idealismus und Natura-
lismus in der gotischen Skulptur und Malerei« (Miinchen 1919) hat D. seine
neue Auf f assung in einer groBen literarischen Arbeit proklamiert ; in ihren Wur-
zeln hangt noch alte Erde, der Titel verrat noch etwas von der Fragestellung,
vvie sie seinem Lehrer Wickhoff am Herzen gelegen war, als Ganzes aber be-
deutet dieses Buch ein Program m, das eine neue Phase kunstgeschichtlicher Ar-
beit eroffnet. D. will die kiinstlerischen Tatsachen — bei voller Wahrung ihrer
spezifischen Eigenart — in die allgemeinen Zusammenhange historischen Ge-
schehens einbeziehen und wendet diesen an Dilthey und Troeltsch geschulten
Tiefblick mit intensiver Sicherheit auf die ihm von friiher her vertraute Epoche
des hohen Mittelalters an, deren unermeBliche Fruchtbarkeit fiir das Werden
des modernen Geistes sich andern Ausdeutungsweisen bisher im wesentlichen
unfaBbar erwiesen hat. Dieser Instinkt fiir das Aktuelle, der ein Teil der wissen-
schaftlichen Hochstleistung ist, hat D. auch bei den anderen Arbeiten geleitet,
die neben dieser groBen Gotikarbeit entstanden und teilweise in Vortragen oder
Aufsatzen fixiert, teilweise in unvollendeten Bruchstiicken zuriickgeblieben,
das Schauspiel einer gewaltigen Eruption nach langer Zuriickhaltung bieten.
Er hat Perioden herausgegriffen, in denen die Kunst offensichtlicher als in
anderen Ausdruck allgemeiner Bediirfnisse war; nicht Epochen reifer Form-
vollendung, sondern dunkel garender Geistigkeit interessierten ihn aus diesem
Instinkt wissenschaftlicher Okonomie, aber auch aus dem Gefiihl innerer Ver-
wandtschaft heraus. Die Anfange christlicher Kunst, die Gotik — trotz roman-
tischer Bevorzugung fast nur archivarisch, technisch und statistisch durch-
forscht — , der Manierismus — das sind die Zeiten, die ihn am meisten inter-
essieren, Greco, Brueghel und Tintoretto sind seine letzten Helden. Sieben Auf-
satze, die in derNachlaBausgabe seiner Schrif ten unter dem Gesamttitel » Kunst-
geschichte als Geistesgeschichte « vereinigt sind, greifen von der Katakomben-
malerei bis zum Greco einzelne Kapitel aus der Kunstentwicklung heraus ; aber
sie stehen alle in einem groBen Zusammenhang, den D. bei einer Tagung in
Bregenz folgendermaBen formuliert hat: »Die Kunst besteht nicht nur in der
Lbsung und Entwicklung formaler Aufgaben und Probleme, sie ist auch immer
Dvorak. Ehrenberg 77
und in erster Linie Ausdruck der die Menschheit beherrschenden Ideen, ihre
Geschichte, nicht minder als die der Religion, Philosophic oder Dichtung, ein
Teil der allgemeinen Geistesgeschichte. « Diesem Programm wollte er in dem
Jahrbuch des Denkmalamtes, das er seit Jahren herausgab, ein Organ schaffen ;
dieser Plan eines Jahrbuchs geistesgeschichtlicher Kunstgeschichte hat ihn in
den letzten Monaten vor seinem Tode beschaftigt, da er, von unentfliehbar ge-
wordenerTodesahnung gepeitscht, seine Leistung aufs AuBerste steigerte. Seine
Vortrage und Vorlesungen, die immer schon sorgsam ausgefeilte Meister-
leistungen gewesen waren, wuchsen zu einer hinreiBenden GroBe des Stils.
Aus dieser ungeheuren Anspannung, die der ungluckliche Ausgang des Kriegs
und der aufregende Kampf um die Verteidigung des osterreichischen Kultur-
besitzes gegen auBere und innere Feinde ungiinstig belastete, hat ihn der Tod
mit einer fast mythologischen Plotzlichkeit hinweggerissen. D.s ganze Leistung
legt Zeugnis ab flir einen unbedingten Idealismus; seine tJberzeugung, daB der
Geist den Stoff besiegt, hat er durch sein Leben und sein Sterben besiegelt ; denn
er blieb uniiberwunden aufrecht, aber der Stoff rachte sich und zerbrach. —
Iyiteratur: Eine Gesamtausgabe seiner Werke und seiner naehgelassenen Schriften
einschlieBlich der Vortrage und Vorlesungen wird von K. M. Swoboda und J. Wilde (Wien)
besorgt; drei Bande da von sind bei R. Piper in Munchen erschienen, weitere sind in Vor-
bereitung. Nekrologe: Hans Tietze in Kunstchronik 192 1, Nr. 23; Otto Benesch im Reper-
torium fiir Kunstwissenschaft 1923; Max D. zum Gedachtnis (Dagobert Frey), Wien 1922;
Ein Gedenkblatt zur Trauerfeier fiir Max D. (Jos. W r eingartner) , Wien 1921 (mit Biographie
der Schriften D.s).
Wien. Hans Tietze.
Ehrenberg, Richard, Dr. cam. u. Professor der Staatswissenschaften an der
Universitat Rostock, Geh. Hofrat. * 5. Februar 1857 zu Wolfenbiittel, f 17. De-
zember 192 1 zu Rostock i. M. — Richard E. besuchte das Wolfenbuttler Gym-
nasium bis einschlieBlich Unterprima, trat dann als I<ehrling in ein Hannover-
sches Bankgeschaft, im AnschluB daran in ein Berliner Bankhaus ein. Schon
wahrend der Lehrzeit bildeteer sichprivatim wissenschaftlich-theoretischweiter,
sein Beruf sagte ihm nicht zu, kurze Zeit versuchte er im Leipziger Buchhandel
Befriedigung zu finden. Auch dieser Beruf fiillte ihn nicht aus. Auf Zuraten und
Vermittlung seines Bruders ging er wieder ins Bankfach zuriick, und zwar
als Korrespondent in eines der ersten Bankhauser Hamburgs, C. L. Behrens
& Sohn. Er hatte das Gliick, daB sein Chef seine groBe theoretische Begabung
erkannte und ihm iiber das sonstige MaB Zeit gab, seinen Privatstudien weiter
nachzugehen. Hier entstand seine erste Schrift: »Die Fondsspekulation und die
Gesetzgebung«, eine Arbeit, die glanzend kritisiert wurde. Der Erfolg dieser
Arbeit bewog ihn, umzusatteln und sich dem Hochschulstudium zu widmen.
Er ging nach Tubingen, der einzigen Universitat, wo es moglich war, ohne
Abiturientenexamen als Doktor der Staatswissenschaften zu promovieren.
Schon nach zwei Jahren gelang es ihm, seinen Doktor summa cum laude zu
machen. Er setzte sein Studium in Bayern fort, arbeitete in Augsburg im
Fugger-Archiv und legte dort den Grund zu seinem Werk »Das Zeitalter der
Fugger«, ging dann nach Hamburg, wo er an diesem Werk weiterbaute und
gleichzeitig einige kleinere Arbeiten iiber Hamburg und Altona veroffentlichte
(s. u.). Diese Schriften brachten ihm die Stellung eines Sekretars des Commerz
78 i92 1
Kollegiums zu Altona ein (1889). In Altona entfaltete er fast zehn Jahre lang
eine umfangreiche, fruchtbare Tatigkeit, z. B. schuf er die »Hochsee-Fischerei-
Gesellschaft«, auch propagierte er lebhaft den Gedanken der Handelshoch-
schulen. Im Jahre 1896 erschien dann sein zweibandiges Werk: »Das Zeitalter
der Fugger«; es erregte Aufsehen in der wissenschaftlichen Welt und brachte
ihm einen Ruf als auBerordentlicher Professor nach Gottingen, ohne daB er sich
je habilitiert hatte, 1899 kam er als Ordinarius an die Universitat Rostock.
Bis zu seinem Tode wirkte er dort und verof f entlichte eine groBe Zahl national-
okonomischer Biicher und Abhandlungen.
Richard E. war ein so ausgesprochener selbstandiger Charakter, unbeeinflufit
vom Zeitgeist und wissenschaftlichen Stromungen, unbeirrbar in seiner Ziel-
setzung, daB er bald mit anderen hervorragenden Vertretern der national-
okonomischen Wissenschaft in heftigen Kampf geriet, den er mutig und treu
seiner Uberzeugung fiihrte, obwohl er einsam blieb und ohne Bundesgenossen !
Es war die Zeit des Kathedersozialismus, welcher durch Leuchten, wie Wagner,
Schmoller, Brentano u. a. vertreten, die ganze offentliche Meinung beherrschte.
Ein Wagnis war es, gegen diese Richtung, die E. als einseitig, oberflachlich und
gefahrlich fur die deutsche Zukunft zu erkennen glaubte, Front zu machen und
sich zu unterfangen, der Wirtschaftswissenschaft neue W r ege zu weisen! Mit
seiner Schrift »Sozialreformer und Unternehmer « (1904) erhob er seine war-
nende Stimme. BewuBt ging er bei seinen Untersuchungen und Kritiken von
der »Unternehmung« aus, deren inneres Wesen und GesetzmaBigkeit er zu er-
griinden bemiiht war. Die herrschenden Auffassungen iiber die Sozialpolitik
sah er einseitig betont vom Standpunkt der Arbeitnehmer ihren Ausgangs-
punkt nehmen, das Arbeitsverhaltnis sah er immer einseitiger als reines Ver-
tragsverhaltnis hingestellt bei Ubersehung der gegenseitigen Bindungen, er
glaubte, die Wirtschaftswissenschaft politisierend und in ihren sozialpoli-
tischen Forderungen Parteien dienend zu sehen, die wissenschaftliche Methodik
der herrschenden Richtung hielt er fur unvollkommen und ungenau. Gegen alles
dies wandte sich der tapfere Gelehrte ! Zunachst versuchte er die naturwissen-
schaftliche Methode des Vergleichens mit der exakten Genauigkeit ihrer Er-
gebnisse auf die Volkswirtschaftslehre zu iibertragen. Als Vorbild diente ihm
der groBe mecklenburgische Wirtschaftsforscher Johann Heinrich v. Thiinen,
der praktischer Landwirt und hervorragender Gelehrter zugleich war. Es ist ein
unbestreitbares Verdienst Richard E.s, das Werk dieses Mannes aus fast volliger
Vergessenheit wieder mitten in unsere Zeit gestellt und seine Ergebnisse ver-
tieft und ausgebaut zu haben ! Er sammelte mit FleiB Thiinens NachlaB und
griindete das » Thiinen- Archiv« (Archiv f iir exakte Wirtschaf tsf orschung) , das er
zum Organ der von ihm ferner ins Leben gerufenen »Vereinigung fur exakt-
vergleichende Wirtschaf tsf orschung «, eine Vereinigung von fiihrenden Indu-
striellen und Landwirten, machte. Bis zu seinem Tode entstand jahrlich ein
Band des Thiinen- Archivs, dessen Herausgabe mit seinem Tode vorlaufig ein-
gestellt wurde. Die Tatsache, daB E. in engstem Austausch mit deutschen
Unternehmern arbeitete, brachte ihm den Vorwurf der Gegenseite ein, daB er
ein »Unternehmersoldling« sei. Mit Stolz und Wiirde ertrug ein Mann wie E.
solche Gehassigkeiten. In edler Reinheit, durchdrungen von der Wahrheit
seines Ziels, als wahrhafter Christ voll tiefer Religiositat, anspruchslos und
bescheiden fiir sich selbst, kampf te dieser ringende Gelehrte bis zum letzten
Ehrenberg yg
Augenblick einsam, aber hoch geachtet von seinen Freunden und wenigen
Schulern, die er durch Herzensgiite und Hebe voiles Verstandnis an sich zu
fesseln verstand, seine Frau war ihm stets die treueste Gefahrtin seiner Arbeit,
seine einzige Erholung seine Familie. Die Bedeutung Richard E.s liegt nicht
in seiner Methode der exakt-vergleichenden Wirtschaftsforschung, Methoden
sind nur Werkzeuge und es gibt deren manche, die ihren Wert in sich tragen.
Seine Bedeutung, die ihm wohl erst in kommenden Zeiten einen Platz unter
den groBten Wirtschaftswissenschaftlern einraumen wird, liegt vielmehr darin,
daB er als der erste Gelehrte zu nennen ist, der es unternommen und gewagt
hat,denKathedersozialismuszuiiberwinden. AufGrund seiner Untersuchungen,
die er in der deutschen Industrie, vor allem bei Krupp, und in der Landwirt-
schaft anstellte, kam er zu der fundamentalen Erkenntnis, daB jede Unterneh-
mung eine »Arbeitsgemeinschaft« sei, daB jedes » Arbeitsverhaltnis als Arbeits-
gemeinschaft« aufzufassen und dementsprechend zu gestalten und als orga-
nische Zelle jeder Organisationsform zu dienen habe. (Archiv fur ex. Wirt-
schaftsforsch.,Bd. II, Heft i., 1907). So wies E. mit seherischem Blick schon zu
Zeiten, als Deutschland sich durch Klassengegensatze und Klassenkampf in
stetig fortschreitendem MaBe innerlich spaltete, ohne daB andere fiihrende
Geister die Gefahr erkannten und entsprechende Folgerungen zogen, Wege,
deren Richtigkeit erst jetzt nach dem Zusammenbruch allmahlich offenbar
werden. Der Begriff der »Arbeitsgemeinschaft«, der auf ihn zuruckgeht, hat
seinem Namen in der Geschichte der Deutschen Sozialwissenschaft ein ehernes
Denkmal gesetzt ! Allerdings hat er dem Wesen der Arbeitsgemeinschaft einen
tieferen Sinn und Inhalt gegeben, als die Vorstellungen, die sich heute noch mit
diesem Begriff verbinden. In seiner letzten Schrift, die als Einleitung zu einem
groBen abschlieBenden Lebenswerk gedacht war und druckfertig auf dem
Schreibtisch lag, als der Tod ihn abrief , betitelt : » Klassenkampf und Sozial-
friede« (Archiv fiir ex. Wirtschaftsforsch., Bd. IX, 1922) kommt dies mit voller
Klarheit zum Ausdruck. Treffend wird es mit folgenden Worten charakteri-
siert, die als FuBnote dieser Studie mitgegeben wurden: »Es ist das letzte Wort
eines Mannes, der nicht miide wurde in seinem Streben, die schroffen Klassen-
gegensatze zu iiberbriicken, der immer wieder versuchte, gegenseitiges Ver-
standnis zu erwecken, der lange, lange die drohende Gefahr sah und mit tiefem
Ernst zum inneren Frieden mahnte. Sein letzter Aufsatz, der als Anfang eines
groBen Werkes gedacht war, ist so recht eine Charakterisierung seines geistigen
Lebenswerkes, ist ein feines und reines Bild der Ideale, von denen sein wissen-
schaftliches Tun im wahrsten Sinne des Wortes beseelt gewesen ist.« E.s
Ruhm und Bedeutung liegt somit zweifellos darin, daB er der erste wissen-
schaftliche Verfechter des »wirtschaftsfriedlichen Gedankens« war, daB er der
erste wissenschaftliche Vorkampfer der »wirtschaftsfriedlichen Arbeiterbewe-
gung« wurde, die sich mit ihm zum Ziel gesetzt hat, den Marxismus zu iiber-
winden. Fiir E. selbst gilt in hohem MaBe das Wort, das er als Motto seiner
letzten Schrift voransetzte: »an ihren Friichten sollt ihr sie erkennen.«
Iyiteratur: Verzeichnis der Schriften: Die Fondsspekulation und die Gesetzgebung,
Berlin 1883. — Wie wurde Hamburg grofl, Hamburg und Leipzig 1888. — Altona unter
shaumburgischer Herrschaft, Altona 18 91. — Das Kgl. Kommerzkollegium in Altona,
Altona 1892. — Burger und Beamte. Ernste Worte eines deutschen Burgers, Braunschweig
1894. — Hamburg und England im Zeitalter der Konigin Elisabeth, Jena 1896. — Das
Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Kreditverkehr im 16. Jahrhundert, 2 Bde, Jena 1896.
8o 1921
Anast. Neudruck 1912 und 1922, — Der Handel, seine wirtscbafttfche Bedeutung, seine
nationalen Pflkhten und sein Verhaltnis zum Staate, Jena 1897, — Au ^ der VoTzeit von
Blankenese, Hamburg 1897, — Handelspolitik, Fiinf Vortrage, Jena 1900. — GroUe Ver-
mogen. Hire Entstehung und ihre Bedeutung. I. Bd,: Die Fugger-Rothschild-Krupp, Jena
1902, 2. Aufl. 1905. II. Bd.: Das Haus Parish in Hamburg, Jena 1905. — Sozialr efonner
und Unterneumer, Jena 1904. — Die Uutemehmungen der B ruder Siemens. I. Bd.* Bis
zum Jahre 1870, Jena 1906. — MeBeinwirkung von Schlagworten in unserem often tlic hen
Leben, Hamburg igoS* — Exakte Wirtschaftsforschung. Bericht der XXXV. Geueral-
versammltmg der Steuer- und Wirtschaftsreformer, Berlin 1910. — Bisherige Ergebnisse
und naehste Aufgaben der exakt vergleichenden Wirtschaftsforscbung {stenographischer
Bericht der ersten Hauptversammlnng der Vereiaigung fiir exakte Wirtschaltsf orschung) ,
Jena 191 1 . — Die Familie in Hirer Bedeutung fiir das Volksleben, Jena 1 gt6. — Der Kriegs-
teilnehmer und sein Beruf, 1917.- — Mitarbeiter am Hand wort erbuch der Staatswissen-
schaft, Grunder und Herausgeber des Arehivs fiir exakte Wirtschaftsforscbung (Bd. I bis
IX, 1906 — 1922 u. Erg.*Heft VI, 1912), das in jedem Bande zahlreiche Aufsatze von E.
en t halt.
Finkenwalde i. Pommern. Claus v. Eickstedt.
Ehren worth, Josef G&ngl v., Drying, e. fcu Dr, mont. e. h., Ing. o. 6, Professor
der montanistischen Hochschule in Leoben, Steiennark, * 14, Juni 1843 in
Spital an der Drau, f 12. Januar 1921 in Kiagenfurt in Karnten, — Er war
der zweitjiingste Sohn des fiirstlich Porziaschen Rentmeisters Josef G. v. E.
aus Spital an der Drau. Die E.s sind eine alte karntnerische Familie, die
schon vor dem 17. Jahrhundert im Gitschtale in Karnten ansassig waren
und im Jahre 1709 dmcli Kaiser Josef L in den erblichen Adelsstand er-
hoben wurde,
Nach Absolvierung der Normalschule in Spital an der Drau kam Josef v, E.
im Alter von zirka 10 Jahren an die Realschule in Kiagenfurt, die er mit aus-
gezeichnetem Erfolge verliefl. Nachdem er ein Jahr in Wien im Polytechnischeu
Institut hohere Mathematik, Physik und darstellende Geometrie gehort hatte,
trat er an die damalige k. k. Bergakademie in I^eoben uber. Hier war er noch
ein Jahr Schuler von Peter v. Tunner und nachher von dessen Nachfolger
Franz Kupelwieser,
Hier studierte er Berg- und Hiittenfach tind verlieB im Jahre 1866 nach
ausgezeichneten Studienerfolgen die Bergakademie. Zuerst praktizierte er kurze
Zeit an der heute nicht mehr bestebenden Bleibutte in Feistritz in Karnten
und trat dann als Bergwesenspraktikant der Finanzdirektion in Salzburg bei
der Berg- und Hiittenverwaltung in Werfen in den staatlichen Montandienst.
In den folgenden Jahren war er auch in dem Kupferwerk Ebenau und bei
der Eisenwerksdirektion in Eisenerz tatig.
Da er mit dem damab geradezu minimalen Taggeld als k. k. Praktikant leben
mutite, nahm er 1868, offenbar um auf auskommlichere Beziige zu kommen,
eine Stellung als Htittenassistent bei der Berg- und Hiittenwerks-A.-G. Store
bei Cilli {Steiermark) an. Auch hier scheint die Entlohnung ziemlich karg ge-
wesen zu sein, da er wegen Gehaltsdifferenzen 1870 seine Stellung bei der
Gesellschaft verlieB und nunmehr fiir die Dauer eines Jahres Snpplent an der
Realschule in Kiagenfurt wurde, woselbst er Mathematik und darstellende
Geometrie lehrte.
Im Anfange des Jahres 1871 trat er als Assistent bei der Lehrkanzel fiir
Bergbau-, Aufbereitungs- und Markscheidekunde an der k. k. Bergakademie
Ehrenberg. Ehrenwerth 8 1
in Pribram abermals in den osterreichischen Staatsdienst und erhielt einen
Iyehrauftrag fur »Aufbereitungskunde«.
Ein Jahr spater wurde er an derselben Anstalt von der Lehrkanzel fiir Hiitten-
und Probierkunde iibernommen, und im Jahre 1873 in der gleichen Eigenschaft
nach der k. k. Bergakademie in I^eoben iibersetzt.
1875 erfolgte die Ernennung zum Adjunkten. 1879 erhielt E. einen Lehr-
auftrag fiir eine selbstandige Vorlesung iiber Technologie der Metalle. Auf
Grund seiner hervorragenden Leistungen erhielt er im Jahre 1880 den Titel
und Charakter eines a. o. Professors und wurde 1895 o. Professor fiir Eisen-,
Metall- und Sudhuttenkunde an der Bergakademie zu Pribram, woselbst er
1897 — 1899 die Wiirde eines Rektors bekleidete. Im Jahre 1899 wurde er in
gleicher Eigenschaft nach Leoben berufen, wo er am 1. Dezember 1914 nach
Uberschreitung des 70. Lebensjahres in den dauernden Ruhestand trat. An-
lafllich der tlbersetzung in den Ruhestand wurde er durch Zuerkennung des
Titels »Hofrat« und vom Professorenkollegium der Montanhochschule durch
Verleihung des Doktortitels der montanistischen Wissenschaften geehrt.
Josef v. E. war unverheiratet und lebte stets still und bescheiden. Er zeigte
immer ein aufierordentlich feines Rechtsempf inden und verteidigte seine Uber-
zeugung mit grofler Energie, die zuweilen in Hartnackigkeit ausartete. Im
77. Jahre starb er an den Folgen einer Operation, auf deren Durchfuhrung er
bestand, im Krankenhause in Klagenfurt.
E. ging in dem Beruf eines akademischen Lehrers und in der wissenschaft-
lichen Erforschung seines Faches vollkommen auf. Seine groBen Leistungen
wurden in der ganzen Welt anerkannt. So wurde er vom Iron and Steel-Insti-
tute in London 1906 zum Ehrenmitgliede ernannt, im Jahre 1910 wurde ihm
der Dr.-Ing. e. h. von der Hochschule in Aachen verliehen. Die Ehrenmitglied-
schaft des allgemeinen Bergmannstages in Teplitz im Jahre 1899 sowie die
Funktion als Ehrenprasident zu Luttich im Jahre 1905, zu Rom 1906, zu Diis-
seldorf 19 10 zeigen deutlich die internationale Anerkennung der hervorragen-
den Leistungen E.s. Durch seine Auslandsreisen nach Amerika, England,
Schweden usw. hatte er auch Gelegenheit, die hauptsachlichsten Industrie-
zentren der Welt personlich kennenzulernen. Die Tatigkeit E.s erstreckte sich
auf die gesamten Gebiete der Eisenhiittenkunde und seine Stellungnahme
zurVerteidigung und Forderungdes Thomasprozesses hat besonders dazu bei-
getragen, die Aufmerksamkeit der gesamten Fachwelt auf ihn zu lenken. Wie
zahlreich seine literarisch-wissenschaftlichen Arbeiten sind, geht aus den fol-
genden hauptsachlichsten Abhandlungen hervor:
Literatur: 1872, Zeitschr. f. Berg- u. Hiittenwesen : Cber Verwendung von Gesteins-
bohrmaschinen und Dynamit im Bergbau. — 1873 — l %74* ebenda: t)ber die Durchfiihrung
der Eggertzprobe und Vermeidung der griinen Farbung bei kohlenstoffarmen Stahlsorten.
— 1875, ebenda: Erzeugung von gegossenem Puddlingsstahl und Puddlingseisen. — 1876,
ebenda: Prinzipien fiir die Wahl von Hochofen (Sehachtofen) Zustellungsmaterialien. —
1880, ebenda: Studien iiber den Thomas-Gilchrist-Prozefl; t)ber Ingotmetall ; tTber FluB-
stahlerzeugung unter Verwendung von Erzblooms. — 188 1, ebenda: tlber den derzeitigen
Stand des Thomas-Gilchrist- Prozesses in Osterreich. — 1882, ebenda: Zur direkten Dar-
stellung von Eisen und Stahl; t)ber den MartinprozeB mit Erzen. — 1883, ebenda: Die
Produktion von Roheisen und Bessemermetall der Vereinigten Staaten in Nordamerika
in den letzten Jahren; Zwei neuere Prozesse der Eisenerzeugung; Die elektrische Beleuch-
tung der Hiitte Gradenberg bei Koflach; Cber den Wert und die Verwendung der Hoch-
ofengase zur Erzeugung hoher Temperaturen. — 1884, Stahl u. Eisen: Die Regenerierung
DBJ 6
82 192 1
der Hochof engichtgase ; Wassergas als Brennstoff. — 1884, Zeitschr. f. Berg- u. Hiitten-
wesen: Der Bessemerprozefi zu Avesta in Schweden; Schwedens Eisenindustrieverhalt-
nisse. — 1885, Stahl u. Eisen: Direkte Gasfeuerung mit in Generatoren erhitzter I,uft
nebst Anwendung auf den Puddelofen; Das Eisenhiittenwesen Schwedens. — 1885, Zeit-
schr. f. Berg- u. Hiittenwesen: Zur Frage der Kleinbessemerei; Uber Gasgeneratoren und
iiber einen verbesserten Treppenrostregenerator; Forstbergs Frischfeuer; Eisen- und Stahl-
draht in den Vereinigten Staaten. — 1886, Stahl- u. Eisen: Neuere Fortschritte auf dem
Gebiete der Herdfrischerei, insbesondere G. A. Forstbergs dreiformiger Herd, genannt
schwedischer Herd ; Zur direkten Gasfeuerung mit in Regeneratoren erhitzter Luft unter
Anwendung der Glockenumsteuerung. — 1886, Zeitschr. f. Berg- u. Hiittenwesen: Hohe
Produktionsf ahigkeit einer Bessemerhiitte ; t)ber den derzeitigen Stand des Bessemers im
Clopp-Griffith-Converter in Amerika; Uber den Martinprozefl mit ausschlieBlicher oder
vorwiegender Verwendung von Roheisen und Erzen. — 1887, ebenda: Brennofen mit
Regenerativgasfeuerung. — 1888, Stahl u. Eisen: Regenerativgasflammofen fur perio-
dischen (intermittierenden) Betrieb. — 1889, Zeitschr. f. Berg- und Hiittenwesen: tJber
Brennen von Magnesit und Ofen hierfiir; Schachtofen mit Regenerativgasfeuerung. —
1890, Stahl und Eisen: Steiermarks Eisenindustrie. — 1890, Zeitschr. f. Berg- u. Hiitten-
wesen : Riickkohlung mit fester Kohle. — 1 89 1 , Stahl u. Eisen : Zur direkten Eisenerzeugung ;
1st die direkte Darstellung von schmiedbarem Eisen aller Art bzw. die Darstellung von
Roheisen mit Gasen moglich, und was haben wir davon zu erwarten ? — 1891, Zeitschr. f.
Berg- u. Hiittenwesen: TJber Verwertung von Holzkohlenlosche als Brennmaterial. —
1895, Verlag der k. k. Zentralkommission: Das Berg- und Hiittenwesen auf der Welt-
ausstellung in Chicago. — 1907, Stahl u. Eisen: Bestimmung der Gichtgasmenge und
deren Warmeeffekt bei Eisenhochofen. — 1907, Zeitschr. f. Berg- u. Hiittenwesen: Zur
einheitlichen Bezeichnung von Eisen und Stahl. — 1907, Iron and Steel: The determination
of the total quantity of blast furnace gas for a given make and its calorific value. — 1908,
Stahl u. Eisen : Zur Berechnung und Profilierung der Eisenhochofen ; Bausystem der Eisen-
hochofen, deren Beurteilung und Wahl. — 1908, Zeitschr. f. Berg- u. Hiittenwesen: t)ber
elektrische Eisendarstellung. — 1909, ebenda: Welche Temperaturen konnen wir mit
unseren gewohnlichen Brennstoffen erreichen; Der Warmeeffekt des Brennstoffes im
Schachtofen und insbesondere im Eisenhochofen. — 191 3, Iron and Steel: The economy
of dry blast. — 1914, Verlag ' J . Springer, Berlin : Peter Ritter v. Tunner und seine Schule.
Leoben. Othmarv. Keil-Eiche'nthurn.
Erb, Wiihelm, Prof, der inneren Medizin, * in Winnweiler in der Pfalz am
30. November 1840 als Sohn eines Kgl. Forstmeisters, f am 29. Oktober 192 1
in Heidelberg. — E. besuchte das Gymnasium in Zweibrucken, das er im Alter
von 17 Jahren verlieB, und studierte an den Universitaten Heidelberg, Er-
langen und Miinchen Medizin. In Miinchen war er kurze Zeit Assistent bei dem
hervorragenden pathologischen Anatomen Buhl, wurde aber bereits im Alter
von 22 Jahren Assistenzarzt an der medizinischen Klinik in Heidelberg, die da-
mals von dem auch noch in jungen Jahren befindlichen, aus Wurzburg berufenen
Prof. Nikolaus Friedreich geleitet wurde. Friedreich hatte sich bereits vor
seinem Rufe nach Heidelberg (1858) durch eine groBe Reihe von Arbeiten be-
sonders auf dem Gebiete der pathologischen Anatomie und der physikalischen
Diagnostik hervorgetan und sich vor allem durch eine Monographic iiber die
Krankheiten des Herzens in Virchows Handbuch der speziellen Pathologie und
Therapie beriihmt gemacht.
Seinen jungen arbeitseifrigen Assistenten veranlaBte er alsbald nach dessen
Eintritt in die Klinik zu Untersuchungen iiber die physiologischen und thera-
peutischen Wirkungen der Pikrinsaure, der er Heilwirkuhgen gegen Trichinen
und Bandwurmer zuschrieb. Das Ergebnis dieser Arbeit schrankte diese Hoff-
nungen sehr ein. Die gediegene Arbeit selbst wurde aber als Doktordissertation
Ehrenwerth. Erb 83
beniitzt (1864). Man konnte damals, wie auch noch viele Jahre nachher,
klinischer Assistenzarzt ohne den Doktortitel sein.
Bald folgte eine Arbeit »Zur Entwicklungsgeschichte der roten Blutkorper-
chen« (1865), die zugleich Habilitationsschrift wurde. Sie enthielt sowohl ex-
perimentelle als auch histologische, toxikologische und therapeutische Unter-
suchungen auf diesem Gebiet und lehrte wohl zuerst in genauer Weise die
spater so viel untersuchte Hamolyse der roten Blutkorper kennen, besonders
auch im kreisenden Blute durch Einwirkungen von Giften. Ferner wurde in
ihr u. a. wohl erstmalig mit kummerlichsten Reagenzien und Mikroskopen das
Vorhandensein von groBen Mengen kernhaltiger roter Blutkorper bei Leuk-
amien festgestellt.
Beide Arbeiten des jungen Verfassers zeigten bereits einige seiner Haupt-
eigenschaf ten : groBe Sorgfalt und Genauigkeit der Beobachtungen, kritische
Vorsicht bei ihrer Verwertung und klaren, durchsichtigen Stil. Als junger
Privatdozent beschaftigte er sich dann, ebenfalls auf Anregung seines Chefs,
aber durchaus auf eigenen FuBen stehend, im AnschluB an die von ihm geiibte
galvanische Behandlung von Nervenkran kh eiten mit der Elektrotherapie, und
zwar zunachst mit Untersuchungen iiber das galvanische Zuckungsgesetz und
iiber die elektrotonischen Erscheinungen beim lebenden Menschen. Er zeigte
u. a. durch Versuche, daB mit groBter Wahrscheinlichkeit der galvanische Strom
das zentrale Nervensystem selbst durchdringe.
Vor allem aber begriindete er in den Jahren 1867 und 1868 in einer groBen,
grundlegenden Arbeit von bleibendem Wert die Lehre von der von ihm so-
genannten »Entartungsreaktion« der Nerven und Muskeln. Diese Hauptarbeit
erschien im Deutschen Archiv fiir klinische Medizin 1868 und enthielt sowohl
klinische als auch experimentelle und histologisch-pathologische Unter-
suchungen. Wenn auch schon vorher das gegensatzliche Verhalten der fara-
dischen und galvanischen Erregbarkeit in Fallen von sogenannter »rheuma-
tischer« Facialislahmung festgestellt worden war, und auch die charakteristische
trage Zuckung der Muskeln bei direkter galvanischer Reizung in Fallen von
peripher bedingten Lahmungen bekannt war, so wurden doch die noch vor-
handenen groBen Liicken in der Kenntnis dieser Dinge in system atischer Weise
erst von ihm, und teilweise neben ihm von Ziemssen, ausgefiillt. Von ihm wurden
aber vor allem die zugehorigen beweisenden histologischen Untersuchungen
zuerst ausgefuhrt. Der von ihm gewahlte Name der Entartungsreaktion wurde
allgemein angenommen. Friedreich selber hat sich niemals mit elektrischen
Untersuchungen befaBt.
Im Anschlusse an diese Arbeiten entstand im Jahre 1868 eine weitere iiber
die Verschiedenheit der Leitungs- und Aufnahmefahigkeit in pathologisch ver-
anderten Nerven gegen elektrische und mechanische Reizung, ein wichtiger
Beitrag zu einer damals viel behandelten physiologischen Streitfrage. Ebenso
wurden genauere physiologisch-klinische und therapeutisch-kritische Unter-
suchungen iiber die Wirkung des galvanischen Stromes auf den normalen und
kranken Gehorapparat vorgenommen (1868 — 1871), die vor allem wegen ihrer
Genauigkeit fiir die Begriindung einer Otiatrik von Wert sind. Vor allem ragt
dann aber weiterhin auf dem Gebiete der Elektrodiagnostik eine beruhmt ge-
wordene Arbeit iiber die von ihm gefundene gesteigerte elektrische Erregbarkeit
bei dem merkwiirdigen Krankheitsbilde der Tetanie hervor, einer in Heidelberg
84 X 92I
besonders haufigen ratselhaften Krankheit. Diese gesteigerte elektrische Erreg-
barkeit, das »Erbsche Phanomen«, ist neben dem Trousseauschen und neben
einer gesteigerten mechanischen Erregbarkeit der Nerven ein Haupterkennungs-
zeichen des Leidens. AuBer dieser Entdeckung enthalt aber die Arbeit die Dar-
stellung einer neuen Methodik der quantitativen elektrischen Erregbarkeits-
prufung motorischer Nerven. In seinem groBen »Handbuche der Elektrothera-
pie« faBte er spater (1882 und in zweiter Auflage 1886) alle seine Untersuchungen
und Erfahrungen auf diesem Gebiete zusammen, zu denen sich spater noch eine
Monographic liber die Thomsensche Krankheit oder Myotonia congenita ge-
sellte, die er 1886 als besonderes Werk der Universitat Heidelberg zu ihrem
5oojahrigen Jubilaum widmete. Er fand bei dieser Krankheit eine eigentiim-
liche sogenannte myotonische Reaktion auch gegeniiber elektrischen Reizen
und studierte die zugehorigen histologischen Veranderungen der Muskelfasern.
Auch dieses Werk hat einen grundlegenden klassischen Charakter.
In seinem erwahnten Handbuche gab er auBer der Geschichte der Elektro-
therapie zunachst eine auBerordentlich klare und eingehende Darstellung der
Elektrodiagnostik, so daB das Buch eigentlich den Titel eines Buches tiber
Elektrodiagnostik und Elektrotherapie fiihren miiBte. In bezug auf die Heil-
wirkung der Elektrizitat huldigte der sonst so kritische Forscher einem starken
Optimismus und glaubte sie z. B. sogar als Heilmittel bei eigentlichen Geistes-
krankheiten empfehlen zu diirfen. Er ubersah die so haufige seelische, rein
suggestive Einwirkung des elektrischen Stromes bei so manchen Krankheits-
zustanden. Offenbar iiberwog der Drang des leidenschaftlichen Arztes zum
Helfen in ihm die sonst so gewohnte kiihle kritische Zuriickhaltung.
In aller Scharfe trat aber sein Beobachtungstalent bei der Untersuchung
krankhafter Zustande besonders auf dem Gebiete organisch bedingter Nerven-
leiden hervor, unterstiitzt durch die groBte Sorgfalt bei der Feststellung alles
Tatsachlichen.
So fand er, daB bei einer eigentiimlich verteilten Lahmung in gewissen Arm-
und Schultermuskeln diese Erkrankung von einem umschriebenen Punkte im
Nervengeflecht oberhalb des Schliisselbeines ausgeht, bei dessen Reizung durch
eine kleine Elektrode des faradischen Stromes man beim Gesunden eine Zu-
sammenziehung der in Betracht kommenden Muskeln erhalt. (Erbscher Punkt,
Duchenne-Erbsche Armlahmung.)
Ferner stellte er vorausschauend im Jahre 1878 das Bild einer neuen Krank-
heit fest, die mit der fruher bekannten sogenannten atrophischen Bulbaer-
paralyse eine gewisse auBerliche Ahnlichkeit hat, und dann spater als Myas-
thenia gravis bezeichnet wurde, mit eigentumlichem Verlauf und eigentiim-
lichem Verhalten der elektrischen Erregbarkeit (Erb-Goldflam-Oppenheimsche
Krankheit).
Vor allem aber vertiefte er sich vom Anfang der 8oer Jahre an in das Studium
der unter dem Sammelnamen der »fortschreitenden Muskelatrophie* be-
kannten Erkrankungen und beschrieb insbesondere eine » juvenile Form* dieser
fruher wesentlich bei Kindern beobachteten Muskelerkrankung. Er faBte diese
sich von den vom Riickenmarke ausgehenden, sich aber von ihnen unterschei-
denden Arten des Muskelschwundes unter dem gliicklich gewahlten gemein-
samen Namen der Dystrophia muscul propr. zusammen, dabei fuBend sowohl
auf den vielfachen klinischen und anatomischen Arbeiten friiherer Forscher
Erb 85
als auch auf einer Fiille eingehender eigener Untersuchungen (1890/91). Ein
weiterer sehr groBer Teil seiner klinischen Arbeit gehorte dann bereits von 1879
an einer der haufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems, der Tabes
dorsalis. In einer groBen Reihe von Arbeiten, deren letzte noch im Jahre 1913
erschien, beschaftigte er sich mit der Symptomatologie, Diagnose und Therapie
dieser schweren Erkrankung und besonders auch mit ihrer Ursache.
Zuerst studierte er das Verhalten der Reflexe bei ihr, besonders der von ihm
zugleich mit C. Westphal, aber unabhangig von ihm, im Jahre 1875 entdeckten
Sehnenreflexe, ebenso das eigentiimliche Verhalten der Pupillen mit ihrer re-
flektorischen Starre (Lichtstarre) und ihrer Reaktion gegen sensible Reize.
Die Auffindung der Sehnenreflexe erwies sich iiberhaupt als ungemein folgen-
reich. Erst durch ihre Priifung wurde es moglich, den Sitz und die Natur vieler
Erkrankungen des Nervensystems festzustellen, und sie oft schon in recht f riihen
Stadien zu erkennen. Die Diagnostik der Nervenkrankheiten gewann durch sie
einen ungeahnten Aufschwung und gegeniiber fruher vielfach eine ungeahnte
Sicherheit. Bei der Tabes fehlten, wie sich herausstellte, besonders die Sehnen-
reflexe an den Beinen oft genug schon sehr friih, und bei der »spastischen
Spinalparalyse«, die von Charcot und E. auf eine alleinige Erkrankung der
Pyramidenbahnen bezogen wurde, sind sie umgekehrt krankhaft gesteigert.
Wenn auch diese Erkrankung in ihrer reinen Form sehr viel seltener ist, als
beide Forscher annehmen, so bleibt doch eine erhebliche Steigerung der Sehnen-
reflexe sehr oft mit einer zugleich neben anderen Veranderungen im Gehirn und
Riickenmark bestehenden Erkrankung der Pyramidenbahnen verbunden.
Sehr bald kam dann aber E. nach dem Vorgange von Fournier bei seinen
Untersuchungen iiber die Ursache der Tabes zu dem seiner friiheren Meinung
widersprechenden Ergebnis, daB die Syphilis die ausschlaggebende Rolle spiele.
Schon 1879 wies er auf diese Beziehungen hin, und kam dann allmahlich auf
Grund ungewohnlich reichen Materials zu dem Ergebnisse, daB die Syphilis
unzweifelhaft die haufigste und wichtigste Schadlichkeit sei, die zur Tabes
fuhrt. Vergebens stemmten sich vor allem Berliner Kliniker, wie C. Westphal
und besonders E. Leyden gegen die erdriickende Wucht der von E. vor-
gebrachten Tatsachen und suchten sie als bloB statistische Feststellungen ohne
Beweiskraft hinzustellen. Aber viele andere Untersucher bestatigten die Funde
von Fournier und E. und konnten ebensowenig wie sie einen rein zufalligen
Zusammenhang annehmen. E. selbst konnte auf Grund zahlreicher, sorg-
faltigster Kontrolluntersuchungen immer neue Sttitzen seiner Auffassung bei-
bringen und erlebte endlich nach langen Kampfen die glanzende Genugtuung,
daB auf Grund der Entdeckung des Syphiliserregers und der spezifischen
Wassermannschen Reaktion der unantastbare Nachweis fur den ursachlichen
Zusammenhang beider Krankheiten geliefert wurde. —
Schon vor diesem Hauptkampfe seines I,ebens hatte er seine vielfachen Er-
fahrungen auf dem Gebiete der peripheren Nervenerkrankungen. sowie auf dem
der Erkrankungen des Ruckenmarkes und des verlangerten Markes in zwei
Werken zusammengefaBt, die als Teile des groBen Ziemssenschen Handbuches
der speziellen Pathologie und Therapie in je zwei Auflagen erschienen, das erst-
genannte 1874 und 1876, das zweite 1876 und 1878. Es sind auBerordentlich
grundliche Arbeiten, die unsere damaligen Kenntnisse in eingehender und klarer
Weise zusammenfaBten.
86 1921
Gegenuber dieser Beschaftigung mit den peripheren Nervenkrankheiten und
den Riickenmarkserkrankungen hat sich E. weniger mit der Pathologie der
Hirnkrankheiten und den allgemeinen Neurosen, den Psychoneurosen litera-
risch beschaftigt, in bezug auf die letztere am meisten noch mit der friiher
sogenannten »Spinalirration« und der spinalen Neurasthenie, die in beson-
deren Kapiteln seiner Riickenmarkskrankheiten abgehandelt wurden. Uber
die Neurasthenie im allgemeinen und ihre Behandlung hat er sich spater noch
(1907) in der »Therapie der Gegenwart* ausfuhrlicher auf Grund seiner lang-
jahrigen Erfahrungen in einer groBen Praxis ausgesprochen. Er weist in dieser
Abhandlung die so beliebte Auffassung zuriick, daB die meisten Erscheinungen
oder gar das ganze Leiden »psychogen« entstehen, wenn auch selbstverstandlich
bei vielen Neurasthenikern zahlreiche seelische Symptome in den mannig-
faltigsten Gestaltungen bestiinden.
Auf dem Gebiete der Hirnpathologie ist eine Arbeit »Zur Chirurgie der Hirn-
geschwiilste« aus dem Jahre 1902 von Bedeutung und ferner eine sorgfaltige
Studie iiber Akromegalie (1888).
Eine Reihe von Arbeiten von 1898 an bis 191 1 beschaftigte sich mit der Fest-
legung der Krankheitszeichen und der Entstehungsweise des von Charcot be-
reits friiher beschriebene Krankheitsbild des »intermittierenden Hinkens«.
E. schlug im Anschlusse an seine Untersuchungen fur diese Erkrankung den
spater gebrauchlich gewordenen Namen der »Dysbasia arteriosclerotica« vor
und wies auf die groBe Bedeutung des TabakmiBbrauches fur ihre Ent-
stehung hin.
Besondere weitere Arbeiten betrafen rein therapeutische Fragen, so die Ein-
fiihrung des Hyoscin als erhebliches Linderungsmittel bei der Parkinsonschen
Krankheit und mehrere zum Teil popular gehaltene Abhandlungen iiber
»Winterkuren im Hochgebirge«. E. selbst war ein grofier Wanderer und verlebte
viele Jahre hindurch seine Ferien in dem von ihm sehr geliebten St. Blasien im
siidlichen Schwarzwald. —
Gegenuber seiner vorwiegenden Beschaftigung mit den Nervenkrankheiten
traten seine mannigfachen Arbeiten auf dem Gebiete der sonstigen inneren
Medizin an Bedeutung zuriick. Sie waren vielfach mehr kasuistischer Art, be-
schaftigten sich aber auch oft mit therapeutischen Fragen.
Als Lehrer hat er das Gesamtgebiet der inneren Medizin viele Jahre hindurch
vertreten, seitdem er im Jahre 1880 als Professor der speziellen Pathologie und
Therapie und als Direktor der medizinischen Poliklinik nach Leipzig berufen
worden war. Von dort kam er bereits 1883 als Nachfolger seines Lehrers Fried-
reich nach Heidelberg zuriick, dem er 1903 einen pietatvollen, eingehenden
Nachruf in der Festschrift der Universitat zur Zentenarfeier ihrer Erneuerung
widmete. Er behielt sein Amt bis 1907, in welchem Jahre er auf sein Ansuchen
in den Ruhestand trat, den er in Heidelberg bis zu seinem Tode verbrachte,
praktisch und literarisch weiter tatig.
Freilich litt er seit dem Ausb ruche des Krieges schwer unter dem Schmerz
iiber den Verlust zweier Sonne, von denen der eine gleich im Beginne des
Krieges fiel, der andere, der sich bereits als junger Forscher in der medizinischen
Wissenschaft einen Namen gemacht hat, einer schweren Krankheit erlag. Er
selbst hatte schon vor dem Kriege eine sehr schwere Gallensteinoperation durch-
machen miissen, die ihn lange an das Krankheitslager fesselte. —
Erb 87
Zur Zeit des Beginnes des Krieges war er im November 1914 noch einmal auf
einen Gegenstand eingegangen, der ihm schon seit lange am Herzen lag, in einer
Abhandlung »Was wir erstreben*. Entsprechend seiner bereits fruhzeitigen Ein-
stellung auf die Neuropathologie war er schon viele Jahre vorher in steigendem
MaBe fur eine Selbstandigkeit dieses Faches und des neurologischen Unter-
richtes an den Hochschulen eingetreten. Er wollte sie vor allem von der Psychia-
trie im engeren Sinne loslosen und zuletzt auch wegen ihres stetig zunehmen-
den Umfanges von der inneren Medizin. Er half in der Richtung dieser seiner
Wiinsche im Jahre 1901 die deutsche Zeitschrift fiir Nervenheilkunde mit
Lichtheim, Schultze und Stnimpell griinden, drei inneren Klinikern, und be-
teiligte sich spater auf das lebhafteste an der von Oppenheim gegriindeten Ge-
sellschaft deutscher Nervenarzte (1907). Er wurde zu ihrem ersten Vorsitzen-
den und spater zum ersten Ehrenvorsitzenden gewahlt. Gerne nahm er auch
oft an den groBen internationalen Arztekongressen teil und fehlte fast nie bei
den Sitzungen der von ihm besonders geliebten Wanderversammlung der siid-
westdeutschen Neurologen und Irrenarzte. — Im klinischen Unterricht war er
auBerordentlich gewissenhaft und genau. Er hielt auf sorgfaltige und nichts ver-
nachlassigende Untersuchung der Kranken und konnte bei seinem lebhaf ten und
cholerischen Temperament auch manchmal recht derb werden. Das veriibelte
ihm aber niemand. Denn jeder empfand, dafl er es mit einem grundgiitigen
Manne zu tun hatte, der das Beste fiir seine Schuler wollte. Er war neidlos, ein-
fach und treu. Alle seine Assistenten hingen fiir immer an ihm und liebten thn T
Auch war er eine gesellige Natur und als echter Pfalzer mit Heiteren stets
heiter. Anders wie sein Lehrer Friedreich, der fast nur in der Arbeit als Kliniker,
Forscher und Arzt aufging, beteiligte er sich auch an offentlichen Angelegen-
heiten, und war eine Zeitlang Stadtverordneter von Heidelberg, das er einst so
ungern verlassen. Die politischen Vorgange verfolgte er allezeit mit lebhaf tern
Interesse und war als Nationalliberaler ein begeisterter Verehrer Bismarcks.
Er liebte die Kiinste und vor allem die Musik. Beim Anhoren der Eroica er-
eilten ihn die Anfange seiner todlichen Krankheit.
Als Forscher hat er einen Namen hinterlassen, der mit einer ganzen Reihe von
Entdeckungen fiir immer verknupft bleibt. Er gehort zu den ersten GroBen, den
Klassikern der Neuropathologie.
Die Gesellschaft deutscher Nervenarzte stif tete in Anerkennung seiner groBen
Verdienste eine Erb-Denkmiinze, die alle drei Jahre mit einer Wiirdigung der
LebensarbeitE.s verteilt wird. Eine Bronzebiiste ist an der Stelle seiner Haupt-
wirksamkeit, im akademischen Krankenhause in Heidelberg aufgestellt.
Literatur: Die Zahl seiner Arbeiten ist sehr groB. Die Hauptarbeiten sind folgende:
Galvanotherapeutische Mitteilungen, 1867 (D. Archiv fiir klinische Medizin, III). — Zur
Pathologie und pathologischen Anatomie der peripheren Paralysen (mit der L,ehre von der
Entartungsreaktion (ebenda, Bd. V, 1868). — ZurLehre von derTetanie (Archiv fiir Psych,
und N., Bd. IV, 1873). — tfber Sehnenreflexe bei Gesundenund Riickenniarkskranken
(ebenda, Bd. V, 1875). — t)ber eine eigentumliche Lokalisation von Lahmungen im Plex
broch. (Verhandlungen des Heidelberger naturhistorischen Vereins 1875). — t!ber einen
eigentiimlichen bulbaren ( ?) Symptomenkomplex. (Archiv fiir Psych, und N., VIII, 1878.) —
Tabes zusammenfassend in derDeutschen Klinik am Anfangdes 20. Jahrhunderts (1905).
— Die Thomsensche Krankheit, Leipzig 1886. Dystrophia muscul. progress. (D. Z. fiir
Nervenheilkunde, Bd. I, 1891.) — t)berdasintermittierendeHinkenusw. (ebenda, Bd. XIII
1898) und endlich die drei im Text erwahnten Handbiicher.
Bonn. Friedrich Schultze.
88 i92i
Erdmann, Benno, * am 30. Mai 1851 in Guhrau bei Glogau, | am 7. Januar
1921 in Berlin. — Das Buch des Vaters, des freichristlichen Predigers Karl E.,
»Die theologische und philosophische Aufklarung des 18. und 19. Jahrhun-
derts usw.«, Leipzig 1849, zeigt den charaktervollen und selbstandigen Ver-
treter dieser Bewegung. Der SchluBsatz des Vorwortes: »Nur die Philosophie
der freien Erkenntnis gibt jenen festen Mittelpunkt ab, auf welchen sich die
Uberzeugungen stiitzen ; nur durch sie lassen sich die individuellen Ansichten
mit dem Allgemeinen in einen Einklang setzen, welcher alles Tergiversieren
und oberflachliche Abfinden unnotig und unmoglich macht« (a. a. O., S. X)
konnte als Motto des E.schen Denkens und Forschens gelten. So lebte im Vater
ein wacher Drang zu heller, verstandesklarer Auffassung der Dinge, den der
Sohn als sichtbarste Gabe seiner reichen und festen Natur erbte und zum voll-
endeten Besitz seines unermudeten Forscherlebens zu bilden verstand. Jener
andere Zug des Vaters, schlichte, alles Tun und Denken bestimmende Reli-
giositat, war ganz in das Innere der Seele, wie es scheint, zuruckgenommen ;
wie Carl Stumpf berichtet hat, auflerte E. einmal dariiber: »Dariiber spricht
man nicht. « Jedenf alls hat die Atmosphare des Vaterhauses das eigenste Wesen
des regen Jiinglings auf das glucklichste zu bewuBter Entfaltung getrieben.
Den entgegengesetztesten Machten, dem Evangelium, der Vernunft, dem sieg-
reichen Darwinismus gait der erste jugendliche Kampf. An denVersammlungen
seines Vaters hat er als Jungling teilgenommen, ja auch selbst das Wort er-
griffen, aber der Drang seines Denkens fuhrte ihn auf philosophische, natur-
wissenschaftliche und philologische Studien. Als Lehrer an der Realschule in
Seesen hat er ohne den ersehnten Erfolg seine Schuler zu einem an Schillers
Feuergeist genahrten Idealismus emporzuheben versucht. Seine eigene Bildung
auf der Realschule erganzte E. im Gymnasium zum grauen Kloster in Berlin :
er lernte und arbeitete Griechisch unter der meisterlichen Fuhrung von Bonitz,
dessen philosophische Vorlesungen an der Universitat er spater horte. Bonitz
war Herbartianer : diese psychologische Betrachtungsweise hat auf E.s psycho-
logische Grundiiberzeugung bis in seine reifsten Altersleistungen bestimmend
gewirkt. Vor allem aber war es — nach einem Hinweis von Stumpf — Stein-
thals »Einfuhrung in die Psychologie und Sprachwissenschaf t «, die durch die
Lehre von der Apperzeption, dem spateren Lieblingsgegenstande der Psycho-
logie E.s, eine entscheidende Anregung blieb. Aber nicht nur Bonitz allein
unterwies E. in der Philologie, auch Tobler und Mullenhoff wurden ihm Lehrer
in jener Methode, die er spater als erster Kantphilologe selbst mit einer Ge-
wissenhaftigkeit und Geduld handhaben sollte, welche hochste Achtung, ja
Bewunderung verdient. Zugleich war er mit gleichem Feuereifer, Ernst und
Verstandnis den exakten Wissenschaften zugewandt; er vertiefte sich in
Berlin und Heidelberg unter Kummer, Konigsberger, Kirchhoff in die Pro-
bleme der Mathematik. Als er von 1871 an wieder in Berlin studierte, erfuhrE.
den iiberwaltigenden EinfluB von Helmholtz. In einer Akademieabhandlung
(Jahrg. 1921, phil.-hist. KJasse Nr. 1): »Die philosophischen Grundlagen von
Helmholtz' Wahrnehmungstheorie, kritisch erlautert«, seiner letzten Arbeit,
die denn auch erst nach seinem Tode erschien, spricht E. von der » person-
lichen Note« dieser Abhandlung. Er fahrt fort: »Es ist mir ein Bediirfnis, voll
bewundernder Verehrung ein Zeugnis dafiir abzulegen, welch entscheidende
Anregungen ich dem fruhen Studium von Helmholtz' Schriften verdanke. Der
Erdmann
8 9
Versuch, in diese seine Lehren einzudringen und sie, wo ich nicht zuzustimmen
vermochte, umzuarbeiten, hat anf mein jugendliches Denken vor allem rich-
tunggebend gewirkt. Was speziell an meinen reproduktionspsychologischen
Arbeiten wertvoll sein mag, geht fur mein BewuBtsein auf diese friihen An-
regungen zuriick* (a. a. O., S. 3). In seiner 1877 erschienenen Abhandlung: »Die
Axiome der Geometrie, eine philosophische Untersuchung der Riemann-Helm-
holtzschen Raum theories hat denn auch spater E. diesen groBen EinfluB
mathematischer und speziell erkenntnistheoretischer Uberzeugungen selb-
standig verarbeitet. Helmholtz hinwiederum hat die sehr streitbare Schrift
»als Grundlage der Habilitation empfohlen« (Stumpf in seinem Akademie-
nachruf, S. 6). Aber schon kurz nach dieser ersten groBeren Veroffentlichung
bemerkt E. nicht ohne einen Anflug ironischer Selbstbeurteilung : »Die Arbeit
ware besser geworden, wenn sie nicht so gut hatte sein wollen . . . Das dritte
Kapitel (,Die philosophischen Konsequenzen der Theorie') ist das schwachste,
es enthalt zu wenig Sache und zu viel Polemik. Ersteres, weil ich ausfuhrlich
nur hatte sein konnen, wenn meine psychologischen und erkenntnistheoreti-
schen Studien bereits tiefer gewesen waren, letzteres, weil die Sicherheit der
Uberzeugung die Jugend selbst dann ungerecht macht, wenn sie in abstracto
weiJ3, daB dieselbe keinen MaBstab bietet fur die Wahrheit. Ich werde ver-
suchen, mir alle Polemik abzugewohnen. Dieselbe kann sachlich nur in sehr
seltenen Fallen nutzen, nur dann, wenn man gegen denkende Gegner schreibt
Helmholtz kann auch hierin ein Muster sein.« (Stumpf, a. a. O., S. 6.) Der
andere bedeutende Gelehrte — bezeichnenderweise fur E. nun wieder ein alt-
philologisch-klassischer, theologisch und historisch gleichgeriisteter Geistes-
philosoph — , der auf E. sachlich wie personlich auBerordentlich wirkte, war
Zeller, an dem E. einen Freund und Fuhrer gewann. 1873 promovierte E. mit
einer Dissertation: »l)ber die Stellung des Dinges an sich in Kants Asthetik
und Analytik. <c Damit war der Weg zu seinen unablassig immer wieder auf-
genommenen, bis in die letzten Lebensjahre fortgesetzten Erforschungen des
Gehaltes und der Entwicklungder Kantischen Philosophic gliicklich beschritten.
E.s Universitatslaufbahn fuhrte von Stufe zu Stufe den emsigen Forscher, den
lebendigen Dozenten, den auBerst gewissenhaften, unermudlichen Beamten
ohne Widerstande, wie es scheint, zur verdienten Hohe und Vollendung: 1876
Privatdozent in Berlin, war er 1878 Professor in Kiel, seit 1884 in Breslau, seit
1890 in Halle, seit 1898 in Bonn und seit 1909 bis zu seinem am 7. Januar 1921
erfolgten Tode in Berlin, an welcher Universitat er als Student und Dozent
begonnen. Die elfjahrige Lehrtatigkeit an der Bonner Universitat stellt nach
alien Zeugnissen seiner Schuler und Verehrer seine intensivste und nachhaltigste
Wirkung dar, mag auch die Vollendung seiner Lehrtatigkeit in Berlin den im-
posantesten Ausdrmck gefunden haben. Der Zauber unverdrossenen Selbst-
denkens, unemiudlicher Lehre ging damals von ihm aus. Schweren Herzens
folgte er dem ehrenvollen Rufe der Berliner Universitat: er mochte wohl fuhlen,
daB, wollte er seine energische Doppeltatigkeit als Forscher und Lehrer unter
den erschwerenden Umstanden des hauptstadtischen I^ebens fortsetzen, er
seine Krafte in zunehmendem Alter kaum okonomisieren konne. In tieferem
Sinne stellt E.s Berliner Tatigkeit den reifsten und abschlieBenden Teil seines
Lebens dar. Ihm gelang die Vollendung seiner ausgebreiteten Forschungen
(die er zum groBten Teil in den Abhandlungen der PreuBischen Akademie der
go 1921
Wissenschaften niedergelegt hat, deren tatkraf tiges Mitglied er war; (Leitung
der Kant- und Leibniz- Ausgabe), ihm gelang neben hingebender Vor-
lesungstatigkeit das menschliche, organisatorische, padagogische Knnstwerk
eines mustergultig eingerichteten und fur die Studierenden aller Fakultaten
fruchtbar gemachten Seminars (das Haus in der DorotheenstraBe Nr. 10),
welches dem groBen Stile der Berliner Universitat alle Ehre macht
Der Ertrag der E.schen Lebensarbeit gehort vornehmlich den drei Gebieten
der Geschichte der Philosophic, der Logik mit EinschluB der Erkenntnistheorie
und vor allem der Psychologie an. GewiB hat er auch auf anderen Gebieten
reges Interesse und eigene Stellungnahme bewiesen. So erschien in Schmollers
Jahrbuch (XXXI, 1907) ein ebenso instruktiver als heute noch sachlich nicht
entfernt ausgeschopfter Auf satz iiber die materialistische Geschichtsauf f assung ;
so brachte die Deutsche Rundschau (1917, Augustheft) von ihm einen Beitrag
zur systematischen Ethik. Der Historiker E. kann mit Fug und Recht als erster
Kantphilologe bezeichnet werden. Mit einer schier unbegreiflichen Sorgfalt hat
er die Herausgabe der kritischen Hauptschriften mit erlauternden und histo-
rischen beleuchtenden Einfuhrungen besorgt. Als klassisch muB seine Ausgabe
der »Kritik der reinen Vernunft« bezeichnet werden. Die beiden Auflagen,
deren Abweichungen, die ja nicht nur historisch, sondern auch sachlich von
bleibendem Interesse sind, sind hier in vorbildlicher Ubersichtlichkeit zu ver-
gleichen. Die Ausgaben der » Prolegomena « und der »Kritik der Urteilskraft«
enthalten hochst wichtige Beitrage zur Entwicklungsgeschichte des kritischen
Systems. Von entscheidender Wichtigkeit jedoch war das zweibandige Werk
aus dem NachlaB, kurz die » Reflexionen « genannt, das zusammen mit Reikes
»L,osen Blattern« und dem Brief wechsel Kants eine vollig neue Grundlage fiir
eine den Kantischen Buchstaben ehrende Entwicklungsgeschichte darbot. Wer
einmal Einsicht in den handschriftlichen NachlaB Kants genommen hat, weiB,
welche unsaglichen Muhen diese ungeheuer kleine und sich oft iiberquerende
Schrift dem Entziffern und Bestimmen bereitet. Die zeitlichen Datierungen
freilich, die E. aus dem Inhalt der Reflexionen zu erschlieBen suchte, werden
von dem jetzt groBten und einzigen Kenner und Bearbeiter des Nachlasses,
Erich Adickes, als » vollig miBgluckt« (Akademie Ausg., Bd. XVII, S. VI) be-
zeichnet. E. hat weder auf die Schriftveranderung noch auf die Rahmenstellung
der einzelnen Reflexionen geniigend geachtet. Hier ist die Wissenschaft zu
neuen Methoden und neuen Resultaten vorgeschritten. Nach dem Tode Diltheys
hat E. die Herausgabe der Akademischen Kantausgabe geleitet und selber die
» Kritik der reinen Vernunft« in beiden Auflagen und »Prolegomena« neu besorgt.
Die Peinlichkeit und — man darf sagen — asketische Zuriickhaltung, mit der
hier die Geschichte eines Buches in seiner auBeren Entstehung und Textgestal-
tung durchforscht wird, notigt die hochste Achtung ab, zumal E. seine An-
schauung von der doppelten Redaktion der »Prolegomena« vollig im Hinter-
grunde laBt, dafiir aber mit unsaglichem FleiB die verschiedenen Wormser
Drucktypen der »Prolegomena« vergleicht, um iiber die Textgestaltung ein Er-
gebnis zu erlangen, das fiir die Forschung als endgiiltig gelt en kann. Von seinen
vielen Arbeiten zur Kantischen Philosophic seien hier nur noch folgende drei
genannt. 1. Martin Knutzen und seine Zeit, 1876, 2. Kritik der Problemlage in
Kants transzendentaler Deduktion der Kategorien, 191 5 (Sitzungsber. d. Pr.
Ak.), 3. Die Idee von Kants Kritik der reinen Vernunft, 1917 (Abh. d. Pr. Ak.).
Erdmann gi
Die friihe Arbeit ist auch heute noch unausgeschopft, denn Kants person-
lichster und sachlich wichtigster Lehrer in dem damaligen Konigsberg steht leib-
haftig vor uns. Wir erfahren, wie sich Pietismus und Wolffianismus in den
engen Mauern der Heimatstadt bekriegen und versohnen. Glanzend ist der
Nachweis gelungen, daB derTheologie studierende Kant eine Legende ist. Noch
glanzender der Nachweis, wie diese Legende entstehen konnte. Von der Ab-
handlung aus dem Jahre 191 7 ist zu sagen, daB sie das Schonste und Tiefste
darstellt, was je iiber die Idee »der Kritikder reinen Vernunft* gedacht und
gesagt worden ist. — E.s Grundverdienst in der Kantforschung ist folgendes.
Er hat auf den Hintergrund der Leibnizschen Monadologie, auf die Wolff-
Crusiusschen Bedingtheiten des Systems, auf die primare Unabhangigkeit von
der englischen Philosophic und vor allem auf die zentrale Bedeutung des Anti-
nomienproblems erstmalig und mit dem Nachdruck philologischer Behut-
samkeit hingewiesen. (Uber kleinere historische Arbeiten E.s siehe insbesondere
das Archiv fiir Geschichte der Philosophic) Eine auBerst wertvolle Abhand-
lung zur inneren Geschichte und Gestalt des Berkeleyschen Systems erschien
als Akademieabhandlung und zugleich Neuherausgabe des Berkeleyschen
Tagebuches ein Jahr vor seinem Tode (1919). Auch hier wieder der »impetuose«
Drang nach gegenseitiger Erhellung von Textkritik, Entwicklungsgeschichte
und Systemexegese. Wundervoll die feinen Lichter, die die tieferen religiosen
Unterstromungen des 17. Jahrhunderts aus dem Dunkel abheben.
E.s systematisches Hauptwerk, seine in 2. Auflage 1907, in 3. Auflage nach
dem Tode erschienene »Logik« ist durch die ebenso eingehenden wie selbstan-
digen Analysen seines Schlilers J. B. Rieffertim2. Bande des»Lehrbuches der
Philosophies, herausgegeben von M.Dessoir (Berlin 1925) so griindlichundmaB-
geblich dargestellt und kritisiert worden, dafl dieser Hinweis hier geniigen
mag. Wie man auch zu dieser ungemein konsequenten und hochst luziden
Leistung sich stellen moge : nach dem Werke von Sigwart und vor der Leistung
Edmund Husserls bedeutet diese an Cantors Mannigf altigkeitslehre ankniipf ende
Ordnungslehre mit zentraler Heraushebung des Urteils eine ebenso bleibende
als didaktisch vorbildliche Leistung. Zum Leib-Seelenproblem hat er in der
fliissig geschriebenen Schrift: »Hypothesen iiber Leib und Seeled Stellung
genommen.
E.s psychologische Forschungen gehoren der heute so verhohnten Asso-
ziationspsychologie an. Er hat sie jedoch hochst selbstandig und fruchtbar fort-
gebildet. Bewufltsein ist ihm nur ein kleiner Ausschnitt aus der Welt des
Psychischen : UnbewuBtes und Unterbewufites werden fiir seinen introspektiven
Scharfblick keineswegs zu bloBen Hilfsbegriffen, sondern zu entscheidenden
Grundlagen seiner Apperzeptionstheorie, die sich hier von der Assoziations-
psychologie vollig entfernt. Denn fiir diese Theorie, deren reifster Ausdruck in
der zusammenfassenden Altersabhandlung : »Grundzuge der Reproduktions-
psychologie« (Berlin 1920) vorliegt, sind die unbewuBten Bedingungen
des BewuBtseins entscheidend. Sein Begriff des Residuums, der Residual-
komponente, der apperzeptiven Verschmelzung im Gegensatz zur assoziativen :
alle diese auBerst feinen psychologischen Begriffe, gefunden zunachst durch
meisterhafte Selbstbeobachtung, bestatigt aber auch durch seine mit R. Dodge
ausgefuhrten »experimentellen psychologischen Untersuchungen iiber das
Lesen« (Halle 1898), sind in E.s psychologischen Arbeiten, vor allem aber in
92 192 1
der schon genannten Abhandlung von 1920 zu einer hochst geistvollen und
in sich widerspruchslosen Theorie von der Seele entwickelt.
Der Mensch und Lehrer E. war eine geschlossene Willenspersbnlichkeit. So
ist von auBen zuweilen seine Energie als bloBer Machttrieb, nicht als der Ab-
glanz eines leidenschaftlichen VerantwortungsbewuBtseins gedeutet worden.
Seine Seminarubungen miissen als ganz bedeutende und unvergeBliche Exer-
zitien im strengen, systematischen und historischen Geiste der Philosophic be-
trachtet werden. Hier stand ein Mann vor der jungen Generation, dem Treue
zur Sache Grundbedingung alles geistigen Strebens war: die Omniprasenz
alles zu einer Ubung notigen, ja auch moglichen Wissens und Denkens gab
dem Manne mit dem herrlichen Gelehrtenkopf und den wundervoll belebten
Augen die Wiirde, die Kraft und den Erfolg einer akademischen Fiihrernatur
im besten Sinne der Tradition.
Literatur: Carl Stumpf, Gedachtnisrede in Sitz.-Ber. d. PreuB. Akademie der Wiss.
1921,497/508.
Berlin. Albert Dietrich.
Eulenburg, August Ludwig Traugott Graf zu, Minister des Koniglichen
Hauses* am 22. Oktober 1838 zu Konigsberg i. Pr., f zu Berlin 18. Juni 1921. —
Sein Vaterwar der am 27. Dezember 1804 geborene Graf Botho zu Eulenburg,
Erbherr auf Wicken im Kreise Friedland, von 1850 bis 1875 Regierungsprasident
in Marienwerder und danach President der preuBischen Staatsschuldenverwal-
tung. In PreuBen bekleidete er die Wiirde des Oberburggrafen und spater die
des Landhofmeisters. Die Mutter des Grafen August war Therese, geborene
Graf in von Donhoff-Friedrichstein. Sein alterer B ruder, Graf Botho, war von
1878 bis 188 1 preuBischer Minister des Innern, nach seinem Riicktritt aus dem
Ministerium Oberprasident von Hessen-Nassau und unter dem Reichskanzler
Caprivi preuBischer Ministerprasident, sein jiingerer Bruder Karl preuBischer
General der Kavallerie. Der jiingste, Wend, starb in jungen Jahren als Brauti-
gam der Tochter Marie des Fiirsten Bismarck, der spateren Graf in Rantzau.
Nachdem Graf August E. im Herbst 1856 in Marienwerder das Abiturienten-
examen im Alter von 17 1 / 2 Jahren bestanden hatte, trat er am 1. November
desselben Jahres mit der dazu notwendigen personlichen Genehmigung des
Konigs auf Avancement beim 1. Garderegiment zu FuB ein. 1 7« Jahre spater
wurde er zum Offizier befordert.
Als im Herbst i860 sein Onkel Graf Friedrich zu (E., * 1815), als Koniglicher
Gesandter mit der wichtigen Aufgabe betraut wurde, nach dem Beispiel der
Vereinigten Staaten, Frankreichs, Englands und RuBlands mit den asiatischen
Staaten Japan, China und Siam Freundschafts-, Handels- und Schiffahrts-
vertrage abzuschlieBen und zu dem Zweck an die Spitze einer preuBischen
Expedition gestellt wurde, erhielt sein Neffe Graf August auf den Antrag des
Onkels beim Auswartigen Amt die Genehmigung, die Expedition in der Eigen-
schaft eines Attaches zu begleiten. Auf dieser vom 30. April i860 bis zum
3. Oktober 1862 dauernden Reise erweiterte sich der geistige Horizont des
jungen Offiziers nicht nur dadurch, daB er Lander und Volker kennen lernte,
sondern auch Einblick bekam in das diplomatische Raderwerk und an dem
Beispiel seines klugen und willensstarken Oheims erkannte, daB Schwierig-
Erdmann. Eulenburg 03
keiten nur dazu da seien, um iiberwunden zu werden. In einem eingehenden,
von scharfer Beobachtungsgabe zeugenden und unterhaltend geschriebenen
Tagebuch, das sich im Besitz seiner Familie befindet, hat Graf E. den Verlauf
dieser Reise, den Gang der diplomatischen Verhandlungen mit den drei in Be-
tracht kommenden Regierungen und seine Eindriicke von Land und Leuten
geschildert. Er lernte Agypten, Ceylon, Hinterindien, Japan, China und Siam
durch langeren Aufenthalt in alien diesen Landern und durch freundliches
Entgegenkommen besonders der englischen Behorden gut kennen.
Nachdem er die urspriingliche Absicht, die Weltreise mit einem Besuch von
Paris abzuschlieBen, wegen Ubermiidung aufgegeben hatte, ging er uber Triest,
Venedig, Verona, Bozen, Wien und Breslau zunachst zu den Eltern nach
Marienwerder, um dann wieder den militarischen Dienst in Potsdam aufzu-
nehmen. Allerdings nur noch fur 3 1 /, Jahre. Denn am 18. April 1865 wurde der
Sekondeleutnant Graf E. zur Dienstleistung als personlicher Adjutant zum
Kronprinzen Friedrich Wilhelm kommandiert, noch in demselben Jahre zu
Weihnachten unter Beforderung zum Premierleutnant a la suite des 1. Ost-
preufiischen Grenadierregiments Nr. 1 Kronprinz gestellt und endgultig zum
personlichen Adjutanten des Kronprinzen ernannt. Als solcher nahm er im
kronprinzlichen Hauptquartier am Feldzug gegen Osterreich teil.
Im September 1868 schied E. aus dem Militardienst aus, um unter Ernennung
zum Kammerherrn auf Antrag des Kronprinzen Hofmarschall bei ihm zu
werden. Wahrend des Krieges gegen Frankreich wurde er wieder zum Adju-
tanten des Kronprinzen ernannt. Nach FriedensschluB wurde Graf E. unter
dem Oberzeremonienmeister Grafen Stillfried- Alcantara durch Kabinettsorder
vom 7. Mai 187 1, also noch nicht 33 Jahre alt, Vize-Oberzeremonienmeister.
In dieser Stellung nahm er wesentlichen Anteil an der Bearbeitung des Zere-
monialbuchs fiir den Koniglich PreuBischen Hof , einer Zusammenfassung der
am Berliner Hof geltenden zeremoniellen Vorschriften. Es diente als unter-
richtendes Handbuch nicht nur den in amtlicher Eigenschaft zum Hofe ge-
horenden Personen, sondern auch denen, die zu Hofe geladen wurden. Die
systematische Zusammenstellung der fiir den Verkehr am preufiischen Hofe
geltenden reglementarischen Bestimmungen war um so notwendiger, weil
hier die Gesellschaft sich nicht aus so stabilen Elementen zusammensetzte und
haufiger wechselte als an anderen, z. B. dem Wiener und Londoner Hof, und
sich infolgedessen die Kenntnis mancher Einrichtungen und Vorschriften nicht
so traditionell forterbte. NaturgemaB kam auch im preufiischen Hofleben der
militarische Charakter des Volkes zum Ausdruck, ganz besonders in den Rang-
verhaltnissen, die im Lauf der Zeit entsprechend den veranderten Zeitverhalt-
nissen hatten umgestaltet werden miissen. Durch die Festlegung und Ver-
offentlichung der geltenden Bestimmungen sollte die korrekte Handhabung des
geltenden Zeremoniells gewahrleistet werden. Wie wenige andere war Graf
August E., der nach Mitteilung seines Onkels durch seine Gewandtheit sich
schon wahrend der ostasiatischen Reise als zukiinftiger Hofmarschall emp-
fohlen hatte, berufen, an dem Zeremonialbuch mafigebend mitzuarbeiten. Sein
Taktgefuhl, sein Organisationstalent, seine Klugheit, Umsicht und Voraus-
sicht, seine rasche EntschluBfahigkeit und Sprachenkenntnis pradestinierten
ihn zur leitenden Stellung am Hofe. So wurde er am 1. Februar 1883 als Nach-
folger des Grafen Stillfried Oberzeremonienmeister, nachdem ihm kurz vorher
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das Pradikat Excellenz verliehen worden war. 1887 wurde E. auch Vorsitzender
des Koniglichen Heroldsamtes.
Als im Mai 1890 der Oberhof- und Hausmarschall v. Liebenau als solcher
und als Intendant der koniglichen Schlosser seine Entlassung erhielt, wurde
Graf E. mit der Wahrnehmung seiner Geschafte betraut und am 7. Jnni des-
selben Jahres neben Beibehaltung seines Amtes als Oberzeremonienmeister
zum Oberhof- und Hausmarschall ernannt. Im Dezember wurde ihm auch
noch als Nachf olger des Grafen Perponcher die Leitung der koniglichen Garten-
intendantur iibertragen. Zu seiner Entlastung wurde er vom Vorsitz im
Heroldsamt entbunden.
Diese ersten Jahre der Regierung Kaiser Wilhelms II. mit den vielen An-
trittsbesuchen des Kaisers und den Gegenbesuchen der fremden Furstlich-
keiten in Berlin stellten hohe Anforderungen an die Arbeitskraft und das Ver-
waltungstalent des Chefs der Hofverwaltung. In vollem MaBe hat ihnen Graf E.
in treuer Pflichterfiillung und in hingebungsvoller Anhanglichkeit an das
Hohenzollernhaus Geniige geleistet.
In manchen Krisen war E. seines Herrn getreuer Eckart, ohne jemals
politisch hervorgetreten zu sein. Er liebte es nicht, von sich reden zu machen.
Und doch wurde, wer in ihm nur den Hofmann sieht, sein Wesen und
Wirken unterschatzen. Seine Stellungnahme. in den Tagen der Entlassung Bis-
marcks entnehmen wir einem vom Fiirsten Philipp E. in seiner Selbstbiographie
veroffentlichten Brief vom 26. Februar 1890, in dem es heiBt: »Jedenfalls
wollen wir froh sein, daB eine augenblickliche Katastrophe verhindert und
Zeit gewonnen ist.« Phlipp E. nennt ihn »einen der kliigsten Manner, die
PreuBen besaB, von edler, groBer Unabhangigkeit der Gesinnung, einen weiBen
Raben im Leben aller H6fe«. Mit dem Grafen Cuno Moltke setzte sich Graf E.
fur die Versohnung des Kaisers mit Bismarck ein und war einer der Forderer
des Gedankens, Bismarck zu einem Besuch in Berlin zu bewegen.
Wahrend einer Erkrankung im Winter 1891/92 wurde E. in seinen
dienstlichen Funktionen vom ObersttruchseB Fiirsten Radolin vertreten. In
seiner militarischen Stellung brachte er es bis zum General der Infanterie a la
suite der Armee. Die hochste Ordensauszeichnung, der Schwarze-Adler-Orden,
war ihm bereits am 21. Oktober 1897 verliehen worden.
Nach dem Riicktritt des Hausministers v. Wedel-Piesdorf wurde Graf E.
am 1. Oktober 1907 mit der Verwaltung des Hausministeriums beauftragt unter
Beibehaltung seiner Stellung als Oberhof- und Hausmarschall und Oberzere-
monienmeister. Von diesen beiden Amtern trat er erst am 1. Januar 1914 zuruck,
nachdem er endgultig zum Minister des Koniglichen Hauses ernannt war. Sein
Nachf olger als Oberhof marschall und Oberzeremonienmeister wurde der bis-
herige Oberstallmeister Hugo Freiherr v. Reischach. »Ein selten bedeutender
Mann, mit politischem Flair, der jede Stellung imlnnern, vom Reichskanzleran-
gefangen, sicher glanzend ausgefiillt hatte, aber auch jeden Botschafterposten,
jedenfalls der geschickteste Hofmann, der mir in den vierzig Jahren in alien
Landern vorgekommen, « so kennzeichnet Freiherr v. Reischach seinen Amts-
vorganger in seinen 1925 unter dem Titel » Unter drei Kaisern« erschienenen
Lebenserinnerungen. GroBe Menschenkenntnis, vieljahrige Welterfahrung,
scharfer Verstand, politischer Blick und gute Beziehungen zu alien Souve-
ranen und maBgebenden Personlichkeiten waren Eigenschaften, die die Ge-
Eulenburg. Eulenburg-Hertefeld qj
wahr gaben, dafi er jede staatsmannische Stellung mit gleichem Erfolg aus-
gef iillt hatte, wie seine hofische. Vasallentreue, sein personlichesTreuverhaltnis
zu drei Kaisem hat ihn auf den Posten festgehalten, auf die ihr Vertrauen ihn
benifen hatte. Treu bis zum Tode hat er auch nach dem Thronverzicht des
Kaisers die Sache seines Herrn und des Koniglichen Hauses vertreten und die
Interessen der Hohenzollern in den Fragen der Auseinandersetzung mit dem
Staate wahrgenommen, nachdem er in seiner Stellung als Hausminister mit
dem i. April 192 1 in den Ruhestand versetzt worden war. Im Auftrag des
Kaisers fiihrte er als dessen Generalbevollmachtigter die Geschafte der Sonder-
verwaltung des vormals Koniglichen Hauses weiter.
»Das war ein Gegner,« sagt ein voriibergehend zur Mitarbeit in der Aus-
einandersetzungsfrage im preuBischen Finanzministerium tatig gewesener
sozialdemokratischer Journalist, »mit einem Weitblick, der nicht nur durch
die Erkenntnis und die Gleichmutigkeit des Alters errungen war. Manchmal
muBte man glauben, es wirke eine Mission in ihm und gebe ihm Kraft. Jede
Position seines Herrn verteidigte er wie ein Offizier seinen Platz . . . Immer
ging es ihm um seine Aufgabe, der Krone zu dienen und ihr zu retten, was
irgendwie moglich schien. Das hat er meisterhaft verstanden. « So urteilt ein
politischer und sachlicher Gegner.
In diesem Kampf um die Geltendmachung der Rechte seines Konigshauses
ist Graf E. am 18. Juni 1921 einem Herzschlag erlegen.
Berlin. Bogdan Krieger.
Eulenburg-Hertefeld, Furst Philipp zu, * 12. Februar 1847, t I 7- September
1 92 1 zu Liebenberg. — Philipp E. trat von Vater und Mutter, dem Graf en
Philipp Eulenburg, Adjutanten des alten Generals Wrangel, und Alexan-
drine v. Rothkirch, der kiinstlerisch reich veranlagten Tochter eines schle-
sischen Adelsgeschlechtes, eine Doppelerbschaft an, deren innere Widerspriiche
das Scheitern seines Lebens bedingt haben. Den Grundzug seines Wesens
bildet eine tiefgehende Weichheit, die ihn physisch und psychisch zur Beute
der auf ihn eindringenden Eindriicke machte, ohne die Kraft, aus eigenem eine
innerlich beruhigende, selbstandige Dominante seines Wirkens und Strebens
herauszuarbeiten. Subjektiv ist das Erbteil der Mutter in ihm starker ge-
wesen: kunstlerische Empfanglichkeit, ein an sich betrachtlicher Antrieb zu
eigener literarischer und musikalischer Produktion, eine doch mehr dilettan-
tische Neigung, sich auch an zeichnerischen und architektonischen Versuchen
zu erproben, schlieBlich die mit dieser gefahrlichen Vielseitigkeit eng zusammen-
hangende Gabe fesselnder Geselligkeit sind die Lebensbetatigungen gewesen,
die ihn eigentlich anzogen. Noch bis auf die Hohe des Mannesalters hat ihn der
Wunsch gequalt, sich ganz seinen kiinstlerischen Zielen zu widmen. Ein selbst
so ganz politisch veranlagter Freund wie Biilow hat vorsichtig, aber doch ernst
ihn gelegentlich gemahnt, dieser inneren Stimme zu folgen. Zeitig hat ein
kiinstlerisch wirklich bedeutender Mann die Gefahr erkannt, daB ohne die
ernste Konzentration seiner ganzen Fahigkeit auf diese Auf gaben E.s dichte-
rische Anlagen in leichtzufriedenem Dilettantismus endigen wiirden. Er hatte
durch den Reichtum seiner geistigen Interessen in Stockholm die Freundschaft
des Grafen Gobineau gewonnen, der gleich ihm unter dem Konflikt kiinst-
g6 1921
lerischer Traume und des diplomatischen Berufes litt. Gobineau hat in ernsten
Warnungen, die E., unkritisch gegen das Fazit des eigenen Lebens, 1906 selbst
veroffentlichte, den Freund gemahnt, sich nicht mit zu leichten Erfolgen —
mehr der geselligen Atmosphare als starken Kunstlertums — zu begniigen.
»Ich fiirchte den Dilettantismus fur Sie «, da furE.sankleinenTriumphen leicht
erfreute, nervose Natur geringfiigige Arbeiten tatsachlich erschlaffend wirken
muBten. Diese Prophezeiung ist tragisch in Erf ullung gegangen. Der Dichter E.
hat Liebenswtirdiges geleistet, wo er — in den Kindergeschichten — sein
eigenes Familiengliick anspruchslos, aber anziehend spiegelt. Er hat mit einer
einzelnen Produktion, der gefalligen Sentimentalitat der Rosenlieder, einen
Augenblickserfolg bei den Massen errungen. Er hat — in den Skaldenliedern —
umsonst versucht, den Ton strenger Herbheit zu treffen, der sich nur einem
gesammelten Kunstlertum erschlieBt, das alles Lebensblut in das Kunstwerk
sammeln kann. Er hat keinen wirklich eigenen Klang gefunden und seine dich-
terische Lebensarbeit zahlte schon bei seinem Tode nicht mehr zum lebendigen
Gut der Zeit, ohne daB der geringste AnlaB vorlage, eine spatere Wieder-
belebung zu erwarten. Die politische Laufbahn hat zu starke Krafte abgegraben,
wenn sie uberhaupt geniigt hatten, um dem Kiinstler eine den Tag uberdauernde
Tragfahigkeit zu verleihen. E. hat sich mit dem Blut und den Neigungen der
bis ins hohe Alter zartlich geliebten Mutter doch widerstandsunfahig der ost-
preuBischen Tradition der vaterlichen Familie mit ihrer langen Reihe von Be-
amten und Offizieren gefangen gegeben. Finanzielle Riicksicht, ausschlaggebend
nach seiner EheschlieBung, hat die Entscheidung schlieBlich nur besiegelt. Die
Nachgiebigkeit gegen sie verriet doch auch nur, daB in ihm nicht ein Tropfen
Kampferblut war.
E. ist nach einer gliicklichen Kindheit 1866 bei dem Gardedukorps als Fahnen-
junker eingetreten, im Winter 1868/69 Offizier geworden und hat den Krieg
von 1870/71 mitgemacht. Seine sensible Natur hat die Reibung mit anscheinend
unerfreulichen Vorgesetzten nicht iiberwinden konnen. Der Mann, der einen
Friedrich Wilhelm I. wegen seiner Harte gegen Katte einfach als halbverriickt
abtat, war im Kern seiner Natur trotz gutem Willen und gelegentlicher
Sehnsucht unfahig, mit der altpreuBischen Strenge militarischer Tradition zu
verwachsen. Schon vor dem Kriege hat er — die erste Vorbereitung zum Wech-
sel der Laufbahn — langeren Urlaub genommen, um das Abiturium nachzu-
holen. Nach dem Kriege nahm er den Abschied; 1875 folgte das Referendar-
examen in Kassel und der Doktor juris in GieBen; gegen Ende des Jahres in
Stockholm seine Hochzeit mit der fur Deutschland begeisterten Grafin Augusta
von Sandels, einer Lebensgefahrtin, die auch in der auBersten Not seiner letzten
Jahre nicht von ihm gewichen ist. Ihre frauenhaft ergreifende Verteidigung des
Gatten ist fur den Historiker abseits von der Rechtsfrage der Tatsachhchkeit
einer moglichen vereinzelten Verfehlung doch ein schliissiges Dokument dafiir,
daB der Mensch E. als Ganzes nach seiner zweifellos gliicklichen langen, kinder-
gesegneten Ehe, nicht nach der mit fragwiirdigsten Mitteln arbeitenden An-
klage eines Harden zu beurteilen ist.
Auch jetzt wagte er jedoch nicht, sich den Weg in die Freiheit zu bahnen,
obwohldie ersten Sprossen richterlicher Betatigung auf ihn ebenso abschreckend
wirkten, wie einst der Heeresdienst, sondern beugte sich erneut dem Willen
seines Vaters, dem Zwang einer beamteten Laufbahn. Langjahrige Familien-
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freundschaft mit den Bismarcks und personliche Neigung zwischen ihm und
Herbert erleichterten ihm den Eintritt in die diplomatische Laufbahn, ohne
daB in seinem Aufstieg vor 1888 von besonderer Begiinstigung gesprochen wer-
den kann. Die diplomatische Ausbildungszeit von 1877 bis 1881 verstarkte diese
enge Verbindung zur Familie Bismarck. E. war bis 1886 durch enge personliche
Freundschaft mit Herbert verbunden und hat dessen Kampf gegen den Vater
um die Ehe mit Elisabeth Hatzfeldt als vertrauter Berater des Sohnes mit-
erlebt. Diese erste Probe ergab schon die innere Unvereinbarkeit seiner
gefuhlsmaflig urteilenden Natur mit der unerbittlichen Mannlichkeit der Bis-
marckschen Atmosphare. Der leidenschaftliche Widerstand des Kanzlers gegen
die Neigung seines Sohnes, in dem gekrankte Liebe des Vaters und zornige Ver-
teidigung seines politischen Erbes untrennbar zusammenflossen, erschien einem
E. nur als Ausdruck einer organisierten, im Grunde gemiitskalten Macht-
maschine, die zu verstehen ihm im tiefsten Grunde unmoglich war. Aus diesen
Erfahrungen, verbunden mit dem hochmiitigen Herabsehen einer Natur, die
vom Kiinstler die Nerven, nicht die Lebenstiefe besaB, auf den als unasthetisch
verworfenen auBeren Rahmen des Bismarckschen Famihenlebens sind die
ersten Keime zu jenem Zerrbild entstanden, das E. in der Verbitterung seiner
letzten Lebensjahre von dem einst bewunderten Reichskanzler entworfen hat.
Auch die Geschichte seiner diplomatischen Berufstatigkeit ist die Geschichte
einer wachsenden Entf remdung gegen Bismarck und die Bismarcks. Nach einem
kurzen Pariser Intermezzo (1881), das ihm durch den schnell aufeinander fol-
genden Tod zweier Kinder verleidet wurde, folgte von 1881 bis 1888 die gliick-
lichste Zeit seines Lebens in Munchen. Hier zuerst wie spater in Wien zeigt sich
bei E. doch die typische Diplomatenschwache, sich iiberstark durch die Ein-
driicke des jeweiligen Postens bestimmen zu lassen. Weil er in der bayerischen
Hauptstadt durch Jahre hindurch das liberale Ministerium Lutz gegen die dem
Reichsgedanken abgiinstigen Kreise des ultramontanen Hochadels zu stutzen
hatte, wurde zunachst das Zentrum fiir den konservativen Protestanten E.
generell der politische Gegner. Das hat bis in die Entlassungskrise Bismarcks
gewirkt, in der E.s Haltung durch die ihm verdachtige Annaherung des Kanz-
lers an Windthorst verscharf t wurde. Fuhlte er sich in Munchen zunachst dank
dem Hintergrund des anregenden kunstlerischen und geselligen Lebens wohl,
so erwachte doch auf diesem Boden bei ihm auch eine gewisse, stark person-
lich gefarbte Neigung fiir seinen pohtischen Beruf : der tragische Ausgang Konig
Ludwigs II. gab ihm eine erste Gelegenheit, sein Talent geschickter, schmieg-
samer Menschenbehandlung so zu entfalten, daB er nicht nur Bismarcks An-
erkennung erntete, sondern auch eine Schicksalsgestalt seiner spateren Lauf-
bahn : Holstein, mit ihm ankniipfte. E. hat eigentlich personlichen starken Ehr-
geiz zweifellos nie besessen, da sich seine Empfindlichkeit den Anfeindungen
eines exponierten Postens nicht gewachsen fuhlte. Der Versuchung, seine
Stimme zur Geltung zu bringen, hat er sich naturnotwendig nicht entziehen
konnen, da er mehr wie einmal in Lagen kam, in denen wirkliche Neutralitat
zwischen scharf gegensatzlichen Lagern eine einfache Unmoglichkeit war. Die
notwendige Folge dieser Halbheit ist fiir ihn immer wieder eine innerlich un-
haltbare schief e Stellung gewesen : er selbst versuchte als Geist der Versoh-
nung iiber den erregten Wassern zu schweben und warf doch tatsachlich das
Gewicht seines Einflusses in die Schale einer Partei. Es wirkt als Vordeutung
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dieses Verhangnisses, wenn Holstein ihn jetzt anscheinend vorsichtig daraufhin
sondiert, ob er Neigung habe, das politische Erbe seines Miinchener Vor-
gesetzten, desGrafen Werthern-Beichlingen, anzutreten. E. verehrte diesen per-
sonlich; in der Antwort an Holstein aber zeicbnete er das Bild eines idealen
Nachfolgers, eines Musters »freundlicher Energies in einer Weise, die dem
Empfanger des Briefes als Selbstportrat des Scbreibers, als vorsichtiger An-
spruch auf den f raglicben Posten erscheinen muBte. E., ehrlich, unpolitisch im
Grunde seiner Natur, wurde in der politischen Luft notwendig zum Intriganten
ausSchwacheundNachgibigkeit, oft, kaum stets zum Intriganten wider Willen.
Diese Eigenscbaften sind aucb das Verhangnis der im gleichen Jabr 1886 an-
gekniipften zweiten Schicksalsbeziebung, der Freundschaft zu dem damaligen
Prinzen Wilhelm, geworden. Damit trafen sich zwei gefuhlsmaBig iiberschweng-
licbe Naturen, die im Enthusiasmus der Anfange ibrer Beziebungen sicb einer
iiber des anderen Wesen tauschten, wechselseitig aber durcb die Toleranz der
Blindbeit iiber den Charakter des Gegenspielers zunacbst obne Reserve die ge-
fahrlichen Seiten ibrer Veranlagung steigerten. Der unkiinstleriscbe Tbronerbe
begeisterte sicb an den Skaldenliedern, die der gegen andere so asthetiscb emp-
findliche Dichter und Komponist unbedenklicb an die geliebte Militarmusik
des Prinzen auslieferte, wabrend beide sich zum ironischen Erstaunen der
Nachwelt spater als Bauherren bewunderten. Dieselbe Gefiiblswelt aucb in
der Politik. Welche Wirkung muB es auf den spateren Kaiser Wilbelm gebabt
baben, wenn der altere Freund ibm scbon 1887 sein Gefuhlsdogma eines ger-
maniscb-slawiscben Rassenkrieges der Zukunft ausplauderte. Die pflichtgemaBe
Reserve, die E. in Riicksicbt auf die Bisniarckscbe Politik machte, diesen Krieg
nicbt in der eigenen Generation austragen zu wollen, ist an dem Prinzen spurlos
voriibergegangen, dem Waldersee den gleichen Gedanken mit militarischer
Begriindung einzufloBen sucbte. Von Anfang an nistete sich in dies Verhaltnis
durch die Uberscbwenglichkeit der Anfange der Ton maBloser Bewunderung
des kiinftigen Herrschers ein. An der Ehrlichkeit dieser Illusion, die auch durcb
rechtzeitige Warnungen Herbert Bismarcks nicht gestort wurde, diirfte kein
Zweifel sein. Noch nach Jahren bat dieser Ton der Heldenverehrung gegen den
Kaiser, der hochstens als tragische Gestalt in einer wesensfremden Zeit be-
dauert, erst viel zu spat in seiner wirklichen Schwacbe durchschaut wurde, auf
den schon skeptischen Waldersee den Eindruck der Echtheit gemacht (1890/91).
tJber die vernichtenden Wirkungen dieser Atmosphare des Weihrauchs auf
den jugendlichen Wilhelm II. kann aber kein Zweifel sein, wenn man liest,
daJ3 Biilow 1890 seinem Freunde E. widerspruchslos den Monarchen als
Herrschergestalt vom GroBenmaB der heldenbaften Saber und Hohenstaufen
des Mittelalters bezeichnen konnte. Alle spateren Warnungen an den Kaiser
muBten scbon mit Riicksicht auf diesen anfanglichen Irrweg in sehr gedampftem
Klang, in einer von modifizierter Schmeichelei bis zum Ende der goer Jahre
so wenig verschiedenen Tonart gegeben werden, daB sie das unheilvolle Ergeb-
nis dieses Anfangseinflusses nicht mehr umstoBen konnten. Sieht man dann
noch, daB auch ein Holstein mit E. zunachst im Tone superlativer Schmeichelei
verkehrt, daB auch Biilow dies oft genug tut, so laBt sich nicht verkennen, daB
hier eine konstitutive Scbwache des Dichter-Diplomaten vorgelegen hat. Konnte
er sich auch im Notf alle zu pflichtgemaBer Strenge auf raff en, so hat er sich doch
im Grunde nur in einer Atmosphare gegenseitiger Anerkennung wohl gefuhlt,
Eulenburg-Hertefeld 00
die sich im Fahrwasser angenehmen gesellschaftlichen Verkehrs, nicht in der
harten politischen Tagesarbeit im innersten Kreise der Verantwortlichen be-
wahren laBt. Die boshafte Walderseesche Anekdote, er solle unter Tranen er-
klart haben, dem Kaiser keine Harten sagen zu konnen, zeigt die durchschnitt-
liche Ubertreibung solcher liebevollen gesellschaftlichen Erf indungen ; sie trifft
aber doch richtig, wie sich diese unkritische Freundschaft in einer kritischen
Umgebung schlieBlich spiegeln muBte.
E. ist durch seine Bewunderung des jungen Kaisers einer der Mitverantwort-
lichen an Bismarcks Sturz geworden. Zwar hat er lange gesucht zu vermitteln
tind auszugleichen ; sein Herz hat ihn stets auf der kaiserlichen Seite gehalten
und wo es sich zu entscheiden gait, hat er gegen den Reichsgriinder entschieden,
in der letzten Phase der Kampfe mit bewuBter Klarheit des Ziels : er wuBte, daB
die Entlassung kommen werde, aber sie sollte sich nach seinem Willen nur so
vollziehen, daB der Ruf des Herrschers nicht zu sehr geschadigt wiirde. Er hat
schon in der Frage der Stockerschen Stadtmission im Grunde mit seinen Sym-
pathien auf der Seite des Prinzen Wilhelm gestanden und diesen nur sehr ge-
linde gewarnt. Im Jahre 1889 stellt sich sein Gegensatz zu Bismarck und den
Bismarcks klar heraus. E. bekampft den personlichen EinfluB Herbert Bis-
marcks am Hofe ; gemeinsam mit Waldersee arbeitet er der russischen Politik
des Kanzlers entgegen. E. hat (Dezember 1889) durch seine Veranlassung den
unheilvollen VorstoB Waldersees ausgelost, der im Januar 1890 bei dem Kaiser
Bismarcks ungeniigende Berichterstattung iiber RuBland denunzierte. E. hat
sich ferner im gleichen Monat ganz greifbar mit dem Generalstabschef ver-
schworen, um den Monarchen vom EinfluB des Kanzlers loszulosen. Seine ganze
Sorge war nicht der Verlust der Nation durch den Sturz des Reichsgriinders,
sondern der »Krach«, der bei dieser Gelegenheit zu entstehen drohte. In der
letzten Phase der Krise hat er erfolgreich Bismarcks Widerstreben gegen die
Internationale Sozialkonferenz in Berlin durchkreuzt. Und als das Unheil dann
wirklich eintrat, riefen ihn bezeichnenderweise Bismarcks bitterste Feinde —
Waldersee und Holstein — als zuverlassigen Heifer nach Berlin. Wenn sich E.
noch Februar 1890 vorredete, er halte trotz alien Gegengriinden am Kanzler
fest — allerdings nur bis die Stellung Wilhelms II. unzweifelhaft gefestigt sei — ,
so zeigt das nur das bei ihm mogliche MaB innerer Unklarheit. Je naher er dem
Kaiser stand, desto schwerer muB seine tatsachliche Bismarckfronde in die
Wagschale gef alien sein. Er trug zum erstenmal ein groBes MaB der Mitverant-
wortung am Sturze eines deutschen Kanzlers.
Seine Verantwortung fur den Gang der Dinge beruht schon seit 1888 auch
auBerlich auf fester Grundlage. Zugleich mit der Ernennung zum preuBischen
Gesandten in Oldenburg und Braunschweig — im letzteren gliickte es seinem
ganz personlichen Appell an die Ritterlichkeit des Prinzregenten, diesen von der
Absicht der Resignation abzubringen — war er offiziell als Mittelsmann
zwischen Auswartigem Amt und Kaiser anerkannt worden. Er hat in dieser
Stellung, als Reisebegleiter des Monarchen und in oft wiederholten Gelegenheits-
einwirkungen, wahrend der ersten Jahre des neuen Kurses das HochstmaB
seines Einflusses ausgeiibt. 1890 — nach kurzer Stuttgarter Mission — hat er
auch den ersehnten Miinchener Posten erlangt, den bereits der Prinz Wilhelm
vor Jahren dem Freunde zugedacht hatte. Trotzdem beginnt jetzt die Tragodie
seines politischen Lebens: die Enttauschung an Wilhelm II.; gegen dessen
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sprunghafte Subjektivitat er von den verantwortlichen politischen Fuhrern un-
aufhorlich auf die Bresche gerufen wurde. Damit begann ein Verhaltnis, in dem
auch die alte personliche Freundschaft beider Manner schlieBlich erlahmen
muBte. E. ist noch lange nicht eigentlich zum Skeptiker an dem Herrscher
geworden, aber triftige politische Mahnungen muBte er ihm immer wieder vor-
tragen und konnte nicht hindern, daB der Monarch es vorzog, sein Ohr in stei-
gendem MaBe bequemeren militarischen Ratgebern seiner personlichen Um-
gebung zu leihen, daB die Politik des Freundes von der Politik der Adjutanten
aus dem Felde geschlagen wurde. Es ist kein zuf alliger Ausgang, daB Wilhelm II.
ihn zwar noch durch ein ganzes Jahrzehnt mit auBeren Wurden beschenkt, ihn
aber schlieBlich in der Probestunde der Hardenschen Angriffe, sehr unvorteil-
haft von dem Verhalten seines Oheims Eduard VII. in ahnlichen Klippen sich
unterscheidend, schweigend im Stich lieB und auch nachtraglich in seinen
Erinnerungen den einst vertrautesten Freund mit keiner Silbe erwahnt hat.
E. hat die ersten Jahre nach 1890 loyal mit den nun maBgebenden Mannern,
Caprivi, Marschall, Holstein, zusammengearbeitet. Zeitig wich er jedoch von
ihnen in der relativen Schwache seiner Abwehrstellung gegen die Bismarcks ab.
Waldersee holte sich durch ihn die kaiserliche Erlaubnis zu seinem ersten Be-
such in Friedrichsruh ; 1894 hat sich E. vorsichtig zugunsten des Bismarckischen
Besuches in Berlin geauBert. Je schwacher Caprivis Stellung beim Kaiser
wurde, je mehr ist auch E. wieder in eine ungliickselige Zwitterstellung, wie
einst in der Bismarckkrise, gesunken. Die Energie, bei der Partei des Kanzlers
zu bleiben, hat ihm zum zweitenmal gefehlt. Konservativ gesinnt, erfaBte ihn
auch allmahlich das MiBtrauen seiner Parteigenossen gegen den politischen
Kurs des Kanzlers, der fur sie sich den Demokraten und dem Zentrum zu ent-
gegenkommend envies. Diese Einstellung wurde personlich dadurch verstarkt,
daB sein von Philipp E. hochgeschatzter Vetter Botho, seit dem Scheitern des
Zedlitzschen Schulgesetzes preuBischer Ministerprasident, der Hauptgegner des
Kanzlers war. Schon im Juli 1892 durfte Waldersee zu E., der zugab, daB alles
bergab gehe, von der wiinschenswerten Nachfolge Bothos auch in der Kanzler-
schaft des Reiches sprechen. Im September 1893 — noch lange vor Caprivis
wirklichem Sturz — war E. wie einst von Bismarcks, nun auch von Caprivis
Unhaltbarkeit iiberzeugt; damals ist offenbar schon der Zeitpunkt eingetreten,
in dem er sich, nach seinem spateren Gestandnis an Billow, erlaubte, auch andere
Kombinationen ins Auge zu fassen. Er hat zu Hohenlohe seinen Vetter als ge-
eigneten Nachfolger erwahnt. Wenn er also auch jetzt keinen eigenen Ehrgeiz
entwickelte und das Staatssekretariat des AuBeren mied, das ihm Holstein ein-
mal zugedacht hatte, so ist doch klar, daB seine Stimmung entsprechend seinen
konservativen Anschauungen und parallel der Haltung seiner einfluBreichen
Verwandtschaft gegen Caprivi sprach ; seine Vermittlungsbestrebungen konnen
wieder nur Lippendienst gewesen sein. Seine Kandidaten — Botho Eulenburg
und Biilow fiir Caprivi und Marschall — stehen seit Marz 1894 fest; in der
letzten Krise iiber die Frage des Sozialistengesetzes stand er ausgesprochen auf
seiten der Gegner des zweiten Kanzlers. Und als die letzte, auch ihn iiber-
raschende Wendung des Kampfes hinter den Kulissen seinen Vetter als dritten
Kanzler des Reiches unmoglich machte, hat er dem Kaiser in Liebenberg Hohen-
lohe vorgeschlagen, dessen Altersschwache seinem zweiten Reservemann,
Biilow, den Weg offen lieB. Wenn der Wille zum politischen Angriff nicht aktiv
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gewesen ist wie bei dem energischeren Botho, der in dieser Periode zweifellos
iiberlegenen EinfluB auf ihn ausiibte, so ist doch wieder seine scheinneutrale
Stellung fiir den unterliegenden Teil doppelt gefahrlich gewesen.
Diese Doppeldeutigkeit seines Verhaltens hat ihm den griindlichen HaB seines
alten Gonners Holstein eingetragen. Dieser hat in den Jahren 1894 und 1895
E. im Zentrum angegriffen: mit dem Vorwurf, daJ3 seine nachgiebig weiche
Freundschaft eine schwere Verantwortung an der unheilvollen Selbstherrlich-
keit Wilhelms II. trage. E. hat sich, dadurch imlnnersten getroffen, in die un-
haltbare Gegenanklage gefliichtet, daB Holstein, ein verkappter Revolutionar,
die Entthronung des Monarchen anstrebe. Er hat im Grunde doch kaum ver-
kennen konnen, was dieser wollte: den entschlossenen Widerstand der hochsten
Reichsbeamten gegen die Eingebungen der kaiserlichen Launen, die Wieder-
herstellung des Kerns der Bismarckschen Reichsverf assung : der realen Ver-
antwortlichkeit des Kanzlers. Daher seine unklare Gefiihlsverteidigung, daB die
Herrschernatur Wilhelms II. ein Naturverhangnis sei, dessen Folgen Deutsch-
land nun einmal tragen miisse. Daher die geschichtlich drapierte Klage, daB
der Grund des Verhangnisses die GroBe Bismarcks sei, der die Nation in dem
langen Greisenalter Wilhelms I. der Selbstregiemng des Monarchen entfremdet
habe. In der ganzen Auseinandersetzung ist nur schlecht verhiillt, daB ihm
innerlich der Glaube an die Begabung des Kaisers schon abhanden gekommen
war. Er hielt die Illusion noch fest, weil das Erwachen angesichts der erhobenen
Anklage zu schrecklich war, weil er fiihlte, daB ihm selbst die Starke fehlte, die
Konsequenz aus der Enthiillung seines Irrtums anders als in der Form der
Resignation, der miiden Kapitulation vor dem Schicksal zu ziehen. Aber er
kampfte bereits in der Defensive ohne rechte Hoffnung auf geschichtliche Be-
wahrung seines Standpunktes.
Als es ihm 1897 gegluckt war, seinen Freund Biilow ans Ruder zu bringen,
hat er noch einmal fliichtig geglaubt, den Mann gefunden zu haben, der den
Kaiser lenken und dadurch alles retten konne. Schneller als die meisten anderen
hat er dann begriffen, daB Biilows aalglatte Gewandtheit und nachgiebige
Schmeichelkunst im Grunde doch den eigenen Fehler ohne entscheidende Besse-
rung fortsetzte. In den letzten Jahren vor 1900 vollendete sich seine Erniichte-
rung. Er fand jetzt gelegentlich den Mut zu ernstester Warnung an den Kaiser,
den Holstein vor 4 Jahren vergeblich von ihm verlangt hatte, muBte aber fest-
stellen, daB auf die Dauer sein EinfluB zu einer inneren Bekehrung des Herr-
schers nicht mehr geniigte; daB er der Gefangene seiner alten Irrtumer blieb.
Uber Wilhelm II. hat er nun — zu spat fiir seinen eigenen Ruf als Staatsmann
und Menschenkenner — mit groBer Scharfe geurteilt: »Der Kaiser ist die groBte
Enttauschung meines Lebens ; ich hatte alles von ihm gehofft und er hat nichts
gehalten. « Es ist aus dem Munde eines ganz nahen Freundes das Gegenstiick
zum Urteil Eduards VII.: Wilhelm II. sei der glanzendste MiBerfolg der Ge-
schichte.
Parallel dieser Entwicklung ist in dem letzten Jahrzehnt seiner Amtszeit
auch E.s EinfluB auf die Gestaltung der Dinge in der Berliner Zentrale zuriick-
gegangen. Er hat sich mehr und mehr auf die Wahrnehmung der Geschafte der
Wiener Botschaft beschrankt, die er von 1894 bis 1903, seit 1900 in den Fiirsten-
stand erhoben, innehatte. Erfolge personlicher Beeinflussung hat er auch hier
errungen. Seine Beziehungen zu dem alten Kaiser Franz Joseph waren die besten,
102 1921
und er hat den urspriinglich zu RuBland neigenden Thronfolger Franz
Ferdinand durch diskrete Begiinstigung seiner Ehe fur Deutschland gewonnen
und mit Kaiser Wilhelm II. zusammengebracht. Sonst bestatigte auch der Ver-
lauf dieser seiner letzten groBen Mission, daB E., trotzdem er nach Kraften seine
politikfeindliche Natur in die Bahnen gewissenhafter Pflichterfullung zwang,
zum Staatsmann nicht werden konnte, allein schon weil ihm dazu die Nerven
fehlten. Wie der ganze neue Kurs, der leichtfertig die russische Politik Bismarcks
preisgegeben hatte und nun immer wieder erfahren muBte, daB Deutschland
fortan nicht mehr die Macht war, die eher als andere den Weg nach Petersburg
finden konnte, stand er in diesen ganzen Jahren unter dem Alpdruck drohender
Untreue des osterreichischen Bundesgenossen. Seine Mission begann mit dem
Argwohn, daB Graf Kalnoky gegen Ende seiner Amtszeit sich an Frankreich
und RuBland anzunahern suche. Die gefahrliche Abneigung gegen RuBland,
die dann sein Nachfolger Goluchowsky in den Anfangen seiner Balkanpolitik
entwickelte, wurde von ihm im Vergleich dazu als relative Erleichterung
seiner Stellung freudig begniBt. Schon 1896 muBte ihn Hohenlohe mahnen,
nicht zu nachgiebig gegen die Wiener Politik zu sein, deren Drang nach den
Meerengen von Deutschland gehemmt werden miisse. In der Kretakrise des
Jahres 1897 hat E. doch wieder kritiklos in der deutschen Ablehnung eines
Wiener Blockadevorschlages eine Lebensgefahr fur das Biindnis gesehen und
die Griinde des Berliner Verhaltens blindlings nur in personlichen Motiven Hol-
steins erblicken wollen. Das Jahr 1898 brachte dann tatsachlich eine ernstere
Verstimmung zwischen den Bundesgenossen, die durch osterreichische Reaktion
gegen MaBnahmen der preuBischen Polenpolitik veranlaBt wurde. E. hat in
diesem Falle sich standhafter gehalten, als sein Biograph Haller dies geschil-
dert hat. Er hat die ernste Verwahrung Billows selbst gewiinscht. Aber im
Hintergrund ist seine nervoseAngstlichkeit die alte geblieben. Er hat zunachst
Goluchowsky, sich an ihn als Nothelfer klammernd, als unbedingt dreibund-
freundlich verteidigt und diesem durch die deutsche Beschwerde nur indirekt
eineEntlastung verschaffen wollen. Bald darauf hat er selbst den osterreichischen
Minister sehr viel niichterner beurteilen miissen, da Goluchowsky den tsche-
chischen Angriff auf den Dreibund als abgespieltes Luxusklavier (Kramarc,
Februar 1899) sehr kiihl und gemessen hinnahm. Zu nachtraglichen Anklagen
gegen ttolstein und Biilow als Zerstorer des Dreibundes hat er nach dieser.
Botschaftertatigkeit jedenfalls nicht das Recht gehabt. Der eigentliche Fehler
der wilhelminischen Biindnispolitik, sich aus Sorge vor Isolierung in iiber-
triebene Abhangigkeit von dem weitaus schwacheren, allein verlorenen Alli-
ierten zu begeben, ist von ihm noch starker und zeitiger vertreten als von seinem
gewandten Freunde Biilow.
E. trat als schwerkr anker Mann 1903 in den Ruhestand. In diesem ereilte ihn
nach wenigen Jahren die furchtbare Katastrophe der Hardenschen Angriff e.
Ein abschlieBendes Urteil iiber die Frage des nicht ausgetragenen Prozesses ist
auch jetzt noch nicht recht moglich. Nur das steht fest, daB politische Feigheit
vor dem Grollen einer aufgepeitschten offentlichen Meinung eine Rolle gespielt
hat, die nicht hatte sein durfen, und daB die Anklage, die sich systematisch
auch ersichtlich unzuverlassiger Zeugnisse bediente, keinen Anspruch auf be-
sondere Glaubwiirdigkeit hatte. Nimmt man alles, was Haller aus E.s privatem
I^eben berichtet, als Ganzes, so bleibt der Eindruck, daB unleugbare Schwachen
Eulenburg-Hertefeld. Francke IO3
E.s mit raffiniertem Geschick zu einem zunachst todlich wirkenden VorstoB
ausgenutzt sind, daB aber sein Familienleben die Anklage dauernder Perversitat
als im hochsten Grade unwahrscheinlich erscheinen laBt. Auf jeden Fall be-
schrankt sich nach dem Zusammenbruch der meisten Einzelanklagen selbst
der Verdacht auf einen Rest, der fur die historische Wiirdigung seiner Gestalt
nicht mehr ausschlaggebend ist.
Sein Leben war mit dieser Katastrophe auch aufierlich unheilbar zerstort.
Von der Einstellung des Prozessesim Juli 1907 ab hat er nur durch ausgesuchte
Pflege, gefesselt an das heimatliche Liebenberg, sein Leben als stets schwer ge-
fahrdeter Mann bis 192 1 fristen konnen. Ein Gliicksgeschenk ist fiir den Leiden -
den auch diese Frist nicht gewesen. Zu der Zertrummerung seines personlichen
Daseins hat er, ihn jetzt mit fruchtlosen Kassandrarufen begleitend, die sich
im Kreise der nicht von ihm befurwortetenKontinentalpohtikbewegten, ohne
doch England verletzen zu wollen, auch noch den Untergang seines Kaisers
und die Demiitigung seiner Nation erlebt.
Schriftlicher Nachlafl: Rechtsanwalt Robert HauBmann, Stuttgart. — Literarische
und musikalische Werke: a) Erzahlungen und Gedichte: Skaldengesange 1892. — Das
Weihnachtsbuch, 1892. — Erich und Erika und andere Erzahlungen fiir Kinder, 1893. —
Abenderzahlungen, Marchen und Traume, 1894. — Drei Marchen, 1899. — b) Schauspiele
(unter Pseudonym aufgef iihrt) : Margot, 1885. — Der Seestern, 1887 (Pseudonym: Iwan
Svenson.) — c) Kotnpositionen : 8 Hefte Skaldengesange, Waldmarchen, Seemarchen,
Rosenlieder. Eine Liebesgeschichte. 2 Hefte Nordlandslieder, Gesange fiir dramatischen
Vortrag, Methgesange, Die Tonne, Weihnachtsgesange, Das Marchen fiir die Freiheit,
1892/94. Aus Freundschaftstagen, Liebeswende, Ostliche Lieder, 1895 f. Sternenlieder,
1897 f-
Autobiographisches: Eine Erinnerung an Graf Arthur Gobineau, Stuttgart 1900. —
Erinnerungen an ein Clevisches Rittergeschlecht, 1899 (Manuskriptdruck) . — Erinnerungs-
blatt an seine Mutter, 1902 (ebenso). — Aus 50 Jahren, Berlin 1923 (Herausgeber Joh.
Haller). — Eulenburgs diplomatische Examensarbeit (Die Veranlassung zu der militari-
schen Intervention PreuCens in Holland im Jahre 1787) ist veroffentlicht in Nord und Slid,
Februar 1888, unter dem Titel: Ein Blatt preuCischer Politik vor 100 Jahren.
Literatur: Joh. Haller, Aus dem I^eben des Fiirsten Philipp zu Eulenburg-Hertefeld,
Berlin 1924. — Vgl. ferner: Memoiren von Hohenlohe, Waldersee, Zedlitz-Triitzschler. —
O. Hammann, Um den Kaiser, 19 19. — v. Treskow, Von Fiirsten und anderen Sterblichen,
1922. — Harden in der »Zukunft« von August 1906 ab und in den »K6pfen«. — Thadden-
Trieglaff, Deutsche Revue, 192 1, II, S. 81 ff. — v. Ebermeyer, Deutsche Revue, 1922,
IV, S. 193 ff. — Alexander Hohenlohe, Deutsche Revue 1919, Bd. I, S. 104. — v. Below,
Deutschlands Erneuerung, Januar 1924, S. 17. — t)ber die Zeit der Wiener Botschaft
jetzt: O. Becker, Bismarck u. die Einkreisung Deutschlands. Teil II. Das franzosisch-rus-
sische Biindnis, Berlin 1925. B. teilt die Ansicht Eulenburgs, dafl Kalnoky ernsthaft
eine Anderung der osterreichischen Bundnispolitik erwogen haben. Vgl. dazu meine Be-
sprechung ^Deutsche Literaturzeitung* 1926, 42. Heft, Sp. 2094 ff.
Halle a. d. S. Hans Herzfeld
Francke, Ernst, Professor Dr. oec. publ, in Koburg am 10. November 1852.
t am 23. Dezember 1921 in Freiburg i. B. — Professor F. war zwei Jahrzehnte
lang einer der fiihrenden deutschen Sozialpolitiker. Sein Name ist aufs engste
mit dem des friiheren preuflischen Handelsministers Freiherrn v. Berlepsch
verbunden, der mit Francke, Hitze, Trimborn, Hugo Heinemann, Karl Legien,
Theodor Leipart, Adam Stegerwald, Giesberts, Richard Roesicke, Friedrich
Naumann, Mumm, Behrens, Bassermann und vielen anderen Mannern der
verschiedensten Parteilager sowie mit Gelehrten wie Schmoller, Brentano,
104 x 9 21
Sombart einen wechselreichen Kampf um Ausbau der sozialen Gesetzgebung,
Anerkennung der Berufsvereine und verstandnisvolle Betrachtung der Ar-
beiterbewegung in den iibrigen Gesellschaftsschichten fiihrte. Das beredteste
Zeugnis seines Wirkens sind die von ihm herausgegebenen Bande der Wochen-
schrift »Soziale Praxis« aus den Jahren 1897 bis 1921 — ein »Denkmal aere
perenniusn nach dem Urteil Gustav Schmollers (»Charakterbilder«, Leipzig
und Miinchen 191 3).
F., der seinen Vornamen seinem Paten Ernst Moritz Arndt verdankte, war
der Sohn des koburgischen Ministers Geh. Staatsrat Karl Philipp F., und miit-
terlicherseits ein Enkel des Historikers Niebuhr. Er verlebte seine Gymnasial-
zeit groBtenteils in Kiel, wo sein Vater die Anspriiche des Augustenburgers ver-
focht, und studierte in StraBburg, Gottingen und Leipzig, unterbrach sein
Studium jedoch durch Ubernahme einer Hauslehrerstelle in St. Petersburg.
1877 begann seine glanzende journalistische Laufbahn beim »Frankischen
Kurier« in Niirnberg. Sie fiihrte ihn 1881 nach Miinchen, wo er vielfaltige An-
regungen von Lujo Brentano empfing, bei dem er auch mit einer Untersuchung
uber das Schuhraachergewerbe und seine Umbildung zur GroBindustrie (»Die
Schuhmacherei in Bayern«, Stuttgart 1893) promovierte. Hierin zeigte sich
seine auBergewohnliche Arbeitskraft, denn die Aufgabe, die ihm im Berufs-
leben oblag, hatte durchaus geniigt, auch eine schaffensfrohe Natur auszu-
fullen; gait es doch, aus den »Miinchener Neuesten Nachrichten« deren
Chefredaktion er, als sie 20 000 Abonnenten hatten, ubernahm, ein fuhrendes
Blatt f iir Siiddeutschland zu machen. DaBF. dies gelungen ist, zeigte sich schon
auBerlich darin, daB er die Zeitung, als er nach zwolf Jahren zum » Hamburger
Correspondenten« iiberging, mit 85 000 Beziehern hinterlieB. Das Jahr 1897
brachte die entscheidende Wendung im Leben des Mannes, der bis dahin mit
Leib und Seele nur Journalist gewesen war. Durch Schmoller wurde Freiherr
v. Berlepsch bald nach seinem Riicktritt vom preuBischen Staatsdienste auf
das sozialpolitische Interesse und die hervorragende taktische Geschicklichkeit,
den wissenschaftlichen Scharfsinn und den menschlichen Takt Dr. F.s auf-
merksam gemacht, als er mit Wilhelm Merton, v. Rottenburg, Roesicke,
Brandts, Hitze, Schmoller und dem Verlagsbuchhandler Geibel die »Soziale
Praxis«, das von Dr. Heinrich Braun und spater von Professor Jastrow ge-
leitete Fachblatt, iibernommen hatte und nach einem geeigneten Herausgeber
suchte. F. fand sich bereit, diese Aufgabe zu ubernehmen. Zwar blieb er auch
fernerhin journalistisch nebenher rege tatig, wirkte insbesondere im Sinne
Billows in seinen auBenpolitischen Aufsatzen in den »Munchener Neuesten
Nachrichten «, arbeitete sehr rege am »Nauticus« mit und wurde vom preuBi-
schen Kultusministerium kaum weniger wegen seiner Flottenpropaganda als
wegen seiner sozialwissenschaftlichen Leistungen — es seien seine Arbeiten
liber die Arbeitsverhaltnisse im Hafen von Hamburg (Jahrbuch fur Gesetz-
gebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 1898), iiber die Hausindustrie in
der Schuhmacherei Deutschlands (in den Schrif ten des Vereins f iir Sozialpolitik
LXXXVII, Bd. 4, Leipzig 1899) und iiber zollpolitische Einigungsbestrebungen
in Mitteleuropa wahrend des letzten Jahrzehnts (in den Schrif ten des Vereins
fiir Sozialpolitik, LXXXX, 1. Bd., Leipzig 1900) genannt — im Jahre 1900 mit
dem Professortitel ausgezeichnet ; aber immer mehr konzentrierte er sich doch
auf die sozialreformerische Arbeit als Lebensaufgabe. Er wurde zum Mittler
Francke. Fried 105
zwischen Reichsregierung und Arbeiterorganisationen und gewann, wiewohl
zeitlebens liberal in seiner politischen Parteigesinnung, mehr und mehx das
gleiche Vertrauen im christlich-sozialen, besonders im katholischen, Arbeiter-
lager wie bei den Fiihrern der sozialistisch gerichteten Gewerkschaften. Diese
Entwicklung vollzog sich vor allem durch sein unparteiisches, streng sachliches
Arbeitenals Generalsekretar der 1901 gegriindeten Gesellschaft fiir Soziale
Reform, der deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung fiir gesetz-
lichen Arbeiterschutz (Sitz Basel). Mit Berlepsch, nach dessen Riicktritt F.
auch selbst noch wenige Jahre vor seinem Lebensende den Vorsitz in der Ge-
sellschaft ubernahm, gestaltete er diesen Verein zu einem die Gegensatze neu-
tralisierenden Sammelpunkt der sozialen Arbeit. Als Geschaftsstelle schuf er
ihm 1904 das »Bureau fiir Sozialpolitik« in Berlin, wo auch die »Soziale
Praxis* redigiert wurde. Diesem Bureau gliederte er spater eine »Auskunftstelle
fiir Heimarbeitsref orm « und die Geschaftsstelle des Vereins der Rechtsauskunf t-
stellen Berlins an. Im Kriege kristallisierte sich die j> Auskunftsstelle fiir Kriegs-
wohlfahrt«, ein besonders fiir die kommunale Wohlfahrtspflege im Kriege
wichtig gewordenes Organ, an. Als Vorsitzender des Arbeitsausschusses der
Kriegerwitwen- und -waisenfiirsorge, als Prasidialmitglied der Nationalstiftung
fiir die Hinterbliebenen, als ehrenamtlicher Stadtrat von Schoneberg und als
Vorsitzender des der »Vaterlandspartei« entgegenwirkenden »Volksbundes fiir
Freiheit und Vaterland« — um nur einige der wichtigsten und zeitraubendsten
Funktionen zu nennen — arbeitete F. im Kriege, Betaubung nach dem Verluste
seiner Gattin suchend (1913), weit iiber Menschenkraft. Ende 1918 zog er sich
aus der Tagesarbeit zuriick und lebte fortan statt in Berlin am Ammersee, in
Diessen. Aber immer wieder wurde er in die Metropole zuriickgerufen. Den im
Kriege mit dem Eisernen Kreuz am weifien Bande ausgezeichneten Patrioten
berief die erste Regierung nach der Revolution zum stellvertretenden Vor-
sitzenden der Sozialisierungskommission. Bei Schaffung des vorlaufigen Reichs-
wirtschaftsrates gehorte F. zu den zwolf Personlichkeiten, die die Reichsregie-
rung nach freiem Ermessen zu ernennen hatte. Der Reichsarbeitsminister be-
rief ihn in den ArbeitsrechtsausschuB seines Ministeriums, iibertrug ihm die
Leitung schwieriger Untersuchungen iiber die Arbeitszeit im Ruhrbergbau und
bezog ihn in die kleine Zahl der Sachverstandigen ein, die zu den Arbeitskon-
ferenzen in Genua und Genf entsandt wurden. In Genf erkrankte F. an einer
Venenentziindung, von der er sich nicht mehr erholte: auf der Ruckreise ereilte
ihn der Tod.
Sein Leben ist das eines Mannes von humanster Gesinnung gewesen, eines
Politikers mit sicherstem Instinkt fiir das jeweils Mogliche, eines Fachmannes
von beispiellosem Wissen und eines selbstlosen Menschen, der seine unerhorte
Arbeitskraft immer in den Dienst des Gemeinwohles stellte.
Kiel (Berlin). Ludwig Heyde.
Fried, Alfred H., Schriftsteller, * in Wien am 11. November 1864, f in Wien
am 4. Mai 1921. — F. wandte sich, als er mit 15 Jahren die Schule verlassen
hatte, zunachst dem Buchhandlerberufe zu und begriindete 1887 in Berlin einen
eigenen Verlag. Durch das Wirken der Baronin Suttner wurde er 1891 auf die
Friedensbewegung aufmerksam, der er von nun an sein Leben widmete. Er
io6 1921
begriindete 1892 die » Deutsche Friedensgesellschaft«. Seine Hauptverdienste
liegen aber nicht auf organisatorischem, sondern auf publizistischem Gebiete.
Als Forderer und Mitarbeiter (zuerst auch als Verleger) der Suttnerschen Zeit-
schrift j>Die Waff en nieder«, als Herausgeber der »Monatlichen Friedenskor-
respondenz« (1896 — 1899) und der »Friedenswarte« (seit 1899, noch heute er-
scheinend)* als Ubersetzer bedeutsamer auslandischer pazifistischer Werke
(besonders von Novicow) , als Verf asser zahlreicher Auf satze in Tageszeitungen
sowie einer Fiille auch wissenschaftlich beachtenswerter Arbeiten hat er die
Aufmerksamkeit der Zeitgenossen vor und wahrend des Weltkrieges auf die
Fragen der Weltorganisation gelenkt und die Forderungen der Friedensbewe-
gung wissenschaftlich zu begriinden versucht. Seine ersten Schriften gingen
noch von dem Gedanken aus, man brauche neben der Kodifikation des inter-
nationalen Rechts nur ein allgemeines Schiedsgericht zu begriinden und die
Abriistung durchzufiihren, um den Frieden zu sichern. Nach den Erfahrungen
der ersten Haager Friedenskonferenz hat sich Fried dann zu der Uberzeugung
durchgerungen, daB die Kriege nicht mit einem Schlage beseitigt werden
konnten, sondern nur infolge der Entwicklung der internationalen Organi-
sation, die in der Hauptsache ganz von selbst vor sich gehe und mit jedem
Jahre an Bedeutung zunehme. Um das Werden der realen Grundlagen der
Friedensbewegung darzutun, begriindete er 1905 das »Annuaire de la Vie
internationalen und berichtete eingehend von den Fortschritten der panameri*-
kanischen Bewegung wie von dem Werke der Haager Friedenskonferenzen.
Immer wieder wies er auf die Fortschritte der Volkerorganisation hin
und auf die Moglichkeit, im Wege des Rechtsverfahrens oder direkter diplo-
matischer Verhandlungen schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten zwi-
schen den Volkern auszugleichen. Als seine bedeutsamsten Werke konnen das
»Handbuch der Friedensbewegung « (2. Aufl., 2 Bde., Leipzig 1911/13), »Die
Grundlagen des ursachlichen Pazifismus« (2. Aufl., Zurich 1916) und sein
» Kriegstagebuch « (4 Bde., Zurich 1918/20) angesehen werden. F. war schliefl^
lich der anerkannte Fiihrer der deutschen Friedensbewegung, erhielt 191 1 zu-
sammen mit dem hollandischen Minister Asser den Friedensnobelpreis und
1913 anlafilich der Einweihung des Haager Friedenspalastes den Ehrendoktor
der Universitat Leyden zusammen mit Asser, Renault und Root. Nach Aus-
bruch des Weltkrieges versuchte er, die »Friedenswarte« erst in Deutschland
weiter erscheinen zu lassen, und ging, als ihm dies nicht gelang, in die Schweiz,
wo er in hef tiger Opposition zu der offiziellen deutschen Politik stand. Nach
dem Krieg kehrte er nach Wien zuriick, tief enttauscht von den Friedens-
schliissen, denen er den Kampf seiner letzten Lebenszeit widmete, und durch
den Zusammenbruch Osterreich-Ungarns zum Bettler geworden. Er starb an
einer sich lange hinziehenden Lungenentziindung am 4. Mai 1921.
Literatur: Vgl. Goldscheid, Rud., A. H. F., eine Sammlung von Gedenkblattern,
Leipzig 1922 (mit einer Aufzahlung saratlicher Schriften F.s, zu denen nach seinera Tode
noch die »Jugenderinnerungen«, Berlin 1925, hinzugekommen sind) ; Wehberg, Die Fiihrer
der deutschen Friedensbewegung, Leipzig 1923, S. iQff. — Die Bibliothek F.s ist von
der «Leland Stanford Universitat* (Kalifornien) erworben worden. Sein literarischer Nach-
laC befindet sich in den Hiinden seiner Wit we, Wien II, Praterstr. 25 a.
Berlin. Hans Wehberg.
Fried. Gaul IO7
Gaul, August, Bildhauer, * am 22. Oktober 1869 in GroB-Auheim im Kreis
Hanau a. M., f am 18. Oktober 192 1 in Berlin. — Als August G. viel zu friih
der deutschen Kunst entrissen wurde, stand er auf der Hone seines Schaffens,
ein langst gereifter Meister, der die Gabe personlicher Eigenart, die ihm wie
kaum einem anderen deutschen Bildhauer des ausgehenden vorigen Jahrhun-
derts verliehen war, mit charaktervollem Ernst und mit weiser Beschrankung
auf das Sondergebiet der Tierplastik ausgebildet und entwickelt hatte. DaB
auch er, wie die meisten Berliner Bildhauer seiner Zeit, einst durch die Reinhold
Begas-Schule hindurchgegangen war, das verriet nichts mehr an der Formen-
sprache und Kunstauffassung des Gereiften. Viel wesentlicher ist fur seinen
Werdegang, daB er aus dem Handwerk hervorgegangen ist und daB handwerk-
liche Ubung der Kunst immer die sichere Grundlage seines ganzen Schaffens
geblieben ist.
Als der Sohn eines Steinmetzmeisters, der bei der Herstellung von Grab-
steinen selbst schon primitive Kunst iibte, durfte er, erst i4Jahrig, die Zeichen-
akademie in Hanau besuchen. Bis 1886 wahrte diese erste Vorbildung; dann
arbeitete der junge G. zwei Jahre lang praktisch in einer kunstgewerblichen
Silberwarenfabrik. 1888 wandte er sich nach Berlin, wo er zunachst ein Jahr
lang ebenfalls kunstgewerblich tatig war. Den tJbergang zur Bildhauerei fand
er dann im Atelier Calandrellis, in dem er mehrere Jahre als Gehilfe arbeitete.
Bestrebt, durch geregelten Unterricht sich weiterzubilden, besuchte er wahrend
dieser Zeit den Abendunterricht der Lehranstalt des Kunstgewerbemuseums,
an der Bergmeier, Henseler und Schafer seine Lehrer wurden. Von 1894 an
studierte er zwei Semester im Bildhaueraktsaal und in der Klasse Paul Meyer-
heims an der Hochschule fur die bildenden Ktinste. Die Wahl Meyerheims als
Lehrer verrat die schon damals erwachte Vorliebe des jungen Kiinstlers fur
Tierdarstellungen, die durch einen Zufall wenn auch vielleicht nicht hervor-
gerufen, so doch in entscheidender Weise unterstiitzt worden ist : als Studieren-
der der Abendschule des Kunstgewerbemuseums hatte G. bei einer Verlosung
unter den Schulern eine Freikarte fur den Besuch des Zoologischen Gartens
gewonnen, den er von da ab in den friihen Morgenstunden vor seiner Arbeit
in Calandrellis Atelier taglich besuchte, um die Tierwelt des Gartens zu be-
obachten und zu zeichnen mit der ganzen liebevollen Hingabe an das Studium
der Kreatur, die fiir G.s Wesensart bezeichnend ist. So wurde ein Zufall zum
mindesten richtunggebend fiir sein besonderes Betatigungsgebiet, auf dem er
spater hochste Erfolge erringen sollte.
Fast zufallig kann auch das Ereignis genannt werden, durch das G.s Be-
gabung und Konnen zum erstenmal in das Licht der Offentlichkeit ge-
riickt wurden: Reinhold Begas, der damals an dem Kaiser -Wilhelm-
Denkmal arbeitete, wurde durch Peter Breuer auf den jungen Kunstler
und auf seine scharf beobachteten Tierstudien aufmerksam gemacht.
G. wurde daraufhin von Begas als Gehilfe angenommen und schuf unter
der Leitung dieses Meisters die gewaltigen, sehr barocken, aber dekorativ
ungemein wirksamen Lowen am Sockel des Denkmals, die G.s Namen
zuerst bekannt machten. Zur Vollendung seiner Ausbildung trat G. in Begas'
Meisteratelier ein, Schiiler und Mitarbeiter zugleich. Mit einer selbstandigen
Arbeit, einem Relief errang er einen Preis der Akademie fiir eine Studien-
reise nadh Italien.
io8 1921
G. fiihlte sich nun der Lehrzeit entwachsen, auf eigenen FiiBen stehend. So
zog er 1897 nach Italien, iiber Florenz kam er nach Rom, wo er sich dem Kreis
Adolf Hildebrands und Louis Tuaillons anschloB, die die Gedanken des klassisch
empfindenden, fonnenstrengen Hans v. Maries weiterspannen und fiir die
Plastik fruchtbar machten. Die Ideen, die diesen Kreis bewegten und denen
Hildebrand spater in seinem » Problem der Form « literarischen Ausdruck ver-
lieh, vermittelten G. im Verein mit den Eindriicken der vorbildlichen Schop-
fungen der Alten, die er in Rom um sich sah, Erkenntnis und Klarheit iiber
das Wesen des Kunstwerks und des kunstlerischen Schaf f ens uberhaupt, iiber das
Verhaltnis der Wahrnehmung des Naturobjekts zu der im Kunstwerk Exi-
stenz gewinnenden Vorstellung.
Bei alle dem, was der romische Aufenthalt G. vermittelte, war doch das
Wesentlichste : er hatte ganz sich selbst gefunden, war innerlich vollig gereift,
als er 1898 nach Berlin zuriickkehrte. Seinem Lieblingsgebiete, der Darstellung
der Tiere, war er treu geblieben. Ein Ziegenrelief (Dresden, Albertinum) war
noch in Rom entstanden, eine Gruppe ruhender Ziegen, ein Paar liegende
Schafe und andere Werke gehoren der Erfindung nach ganz der romischen
Zeit an, fanden aber erst in Berlin ihre letzte Gestaltung. Es waren durchweg
Arbeiten kleineren Formats. Das erste groBere Werk, das in Berlin entstand,
eine stehende Lowin (Sammlung Arnhold), brachte G. einen groBen Erfolg,
der ihn iiber Berlin und Deutschland hinaus bekannt machte. Auch im offent-
lichen Kunstleben begann er, der sich der Sezession angeschlossen hatte und
bald in deren Vorstand eintrat, Ansehen und EinfluB zu gewinnen ; doch blieb
er stets eine vornehm zuriickhaltende Natur, die in stiller Arbeit zuriick-
gezogen wirkte. In liebevoller Versenkung in das Wesen seiner Naturobjekte
schuf er nun jene lange Reihe von Plastiken, in denen er Baren, Esel, Katzen,
Biber, Pinguine, Pelikane, Fischotter, Ganse, Enten, Fasanen, Schwane,
Reiher und viele andere Tiere wiedergab, alle in lebendiger, die Eigenart der
Kreaturen, ihr zuweilen drolliges oder groteskes Wesen aufs scharfste charakte-
risierender Gestaltung, zugleich aber in einer das Wesentliche ausdrucksvoll
herausarbeitenden vereinfachenden Form, deren stilisierendes Moment haupt-
sachlich in ihrer Geschlossenheit liegt. Selten ist, wenn es Aufgabe und Absicht
verlangte, die Form stark gelockert: so im »Laufenden StrauB«, der in seinem
beschwingten Linienspiel trotz kuhn ausgreifender Bewegung eine Figur von
vollendetem Rhythmus ist.
Aus dem Gedachtnis, ohne Zuhilfenahme der vielen vorher gezeichneten
Studien pflegte G. zu modellieren, seine genaue Kenntnis der Anatomie lieB
ihn die verschiedenartigen Tiere in organisch richtigem Aufbau, in treffsicherer
Wiedergabe der auBeren Form und der Eigenart der Haltung und Bewegungen
gest alten. In der Oberflachenbehandlung verstand er dank seiner groBen hand-
werklichen Geschicklichkeit Haut, Fell oder Gefieder mehr andeutend wieder-
zugeben ohne jede realistische Nachahmung von Einzelheiten. Die kiinst-
lerische tlbersetzung der Natur ist in der Gesamtform wie in der Oberflache
eine gleich vollkommene. Dabei ist die Kunstform aus den besonderen Be-
dingungen des Materials (Bronze, Stein usw.) heraus empfunden und fiir dessen
Eigenart undWirkung mit sicherem Gefuhl berechnet.Beide Momente zusammen
bedingen G.s personlichen Stil , von dem bei diesem genialen Kunstler mit mehr
Berechtigung gesprochen werden darf als bei den meisten seiner Zeitgenossen.
Gaul
109
G. gibt seine Tiere in groBter Natiirlichkeit wieder, die Naturnahe des Tieres
ist ihm heilig. Es liegt ihm nur daran, das rein Animalische der Kreatur zum
Ausdruck zu bringen, und er venneidet jede Steigerung nach der Seite der
Empfindung oder auBeren Wirkung hin. Effekt und Pathos, wie sie sich in
Tierplastiken von Barye oder Fremiet finden, fehlen bei ihm ganz. G. ist in
dieser Hinsicht der vollkommene Gegenpol zu den beiden franzosischen Pla-
stikern. Wo es gait, Kraft und GroBe darzustellen, wie beim I^owen, driickte er
diese allein durch die gesammelte Wucht volliger Ruhe aus. Auch die bewegtere
Gruppe der kampfenden Wisente auf dem Brunnen in Konigsberg i. Pr. bildet
hiervon nur scheinbar eine Ausnahme. Auch hier ist die groBe geschlossene
Masse der beiden Tierkolosse das Entscheidende fiir Ausdruck und Wirkung.
Der Charakter von G.s Kunst ist ein vorwiegend intimer; die weitaus
groBte Zahl seiner Werke ist kleinplastisch und doch ist fast alien trotz des
kleinen Formats ein Zug innerer GroBe eigen. Auch Medaillen und Plaketten
hat er geschaffen, sowie eine Reihe miniaturhaft kleiner, mit der Sorgfalt und
Liebe der altdeutschen Kleinmeister durchgefiihrter Tierfigiirchen, die zum
Teil als Schmuck von Petschaften dienen. Von seinen groBen Plastiken sind
noch der wenige Jahre nach der Lowin entstandene, im Besitz der Berliner
Nationalgalerie befindliche Lowe (1903) und der machtvolle sitzende Adler zu
nennen. Sonst hat G. nur wenige Arbeiten geschaffen, die in das Gebiet der
GroBplastik gehoren. AuBer dem erwahnten Wisentbrunnen fiir Konigsberg i.Pr.
modellierte er einen groBen Elefantenbrunnen, der auf dem Steinplatz in Char-
lottenburg Aufstellung finden sollte, aber unausgefuhrt blieb. Ein Schwanen-
brunnen, den die Stadt Kref eld ihm in Auftrag gab, ist geringeren Umfangs; die
Gruppen junger Schwane gehoren aber zu G.s besten Leistungen, ebenso wie
die in seinen letzten Lebensjahren entstandenen Pinguine fiir einen Brunnen
in Hamburg. Berlin besitzt zwei Brunnen von ihm: den am Wertheimschen
Warenhause und den unter dem Namen »Streichelbrunnen« volkstumlich ge-
wordenen in Charlottenburg mit den wundervoll komponierten lebensvollen
Entengruppen. Im Schoneberger Stadtpark steht ein Hirsch von ihm. Ein sehr
originell erdachter Brunnen mit Schweinegruppen fiir den Nollendorfplatz war
leider nicht iiber den Entwurf hinaus gediehen, als der Kiinstler starb.
Eine ebenso schone wie eigenartige Aufgabe bot G. 1913 Gelegenheit, Bild-
hauerei mit Architektur in groBziigiger Weise in harmonischen Zusammenhang
zu bringen: Entwurf und Ausschmiickung der Fassade des Klopperhauses in
der MonckebergstraBe in Hamburg. Er loste sie in meisterlicher Weise durch
die Verteilung des plastischen Schmucks, der aus Schafen, Schweinen und Ele-
fanten, in verschiedenem Material ausgefuhrt, besteht. Besonders eindrucks-
voll sind die bronzenen, friesartig angeordneten, aber als Freiplastiken ge-
arbeiteten ziehenden Schafgruppen. Auch die Figur eines Merkurs schuf er fiir
das Klopperhaus und bewies damit, daB er sich nicht vollig einseitig auf die
Tierplastik einstellen wollte, der Aufgabe der Gestaltung der menschlichen
Figur jedenfalls nicht aus dem Wege ging. Jede herkommliche, antikisierende
Darstellung des Gottes des Handels vermeidend, erf and er geistvoll-witzig die
recht ungottliche Gestalt eines Protektors der Borse, dessen Nacktheit die
Satyre um so drastischer erscheinen laBt. Die Statue, die G.s auchgeistig iiber-
legene Begabung zeigte, erregte nicht geringes Aufsehen, als sie im Modell auf
der Ausstellung der Berliner Sezession erschien. An weiteren menschenfigiir-
no 1921
lichen Arbeiten des Kunstlers sind noch seine Eselreiter, eine Circe auf einem
Schwein und einige Kopfe, besonders der des Malers Berneis, zu verzeichnen.
Gegen Ende seines Lebens sammelte G. noch einmal seine ganze Kraft zu
einem groBen Werk, den Menschenaffen, den er fiir den Garten eines Breslauer
Kunstfreundes modellierte und in Stein ausfiihrte. Als schon schwere Krankheit
ihn dahinsiechen lieB, arbeitete er noch mit letzter Anspannung an dieser
monumentalen Tiergestaltung, fiir die eine etwa zehn Jahre vorher geschaffene
kleinere Aff enf igur und der ebenf alls f riiher entstandene groBe Kopf eines Orang-
Utang die Vorstufen bildeten. Machtvoll ist die gesammelte Wucht dieses
letzten Werkes, packend das dumpf Animalische und zugleich halb BewuBte
in dem Vortasten des Riesentieres. GewiB lag es dem Kiinstler fern, natur-
wissenschaftlichen Problemen mit dieser Arbeit nachzugehen, aber instinktiv
hat er etwas wie ein Symbol ratselvoller Naturentwicklung geschaffen. Das
kostbare, in Stein ausgefiihrte Werk ist neuerdings in den Besitz der Ber-
liner Nation algalerie gelangt.
DaB G., als vorziiglicher Zeichner, auch graphisch tatig war, versteht sich
fast von selbst. Wir besitzen einige Radierungsfolgen von ihm, Tiere beim
Fressen und Trinken darstellend, zumeist relief artig komponiert, Dokumente
seiner scharfen Beobachtung des Tierlebens. Auch die Lithographic hat er ge-
pflegt und besonders wahrend des Krieges eine Anzahl politisch-satirischer
Steindrucke geschaffen. Wie mit dem Modellierholz und dem MeiBel ging G.
auch mit Stif t, Feder und Radiernadel der Ergriindung der reinen Form nach,
blieb auch in diesen flachenhaften Arbeiten immer der Plastiker.
Viel zu kurz war ihm die Lebensspanne vom Schicksal bemessen, und doch
hat er in dieser kurzen Spanne viel Unvergangliches geschaffen. Sein Wesen
laBt sich nicht besser kennzeichnen als durch die Worte Max Liebermanns in
seiner Gedachtnisrede bei der Beisetzung des Kunstlers auf dem schonen alten
Friedhof in Dahlem : » Weil G. nur ein vollendetes Handwerk schaffen wollte,
deshalb schuf er vollendete Kunstwerke : er war — ihm natiirlich unbewuBt —
genial, und weil er genial, war nicht die geringste Spur von ,Genialischem' in
ihm. Er wollte kein Ubermensch sein, sondern der einfache, tiichtige Meister
wie die Diirer, Veit StoB und anderen Nurnberger Kiinstler der Renaissance,
mit denen der bei Hanau, unweit Frankfurt, Geborene auch sonst manche
Ahnlichkeit hat. «
Literatur: Emil Waldmann, A. G., Berlin 1919. — Hans Rosenhagen, Bildwerke
von A. G., Berlin 1905, Verlag Paul Cassirer. — Thieme-Beeker, Allgemeines Kiinstler-
lexikon (mit weiteren Literaturangaben) . — Max Liebermann, Gedachtnisrede auf A. G.
(Kunst und Kiinstler, Jahrg. 1 92 1 ) . — Personalnotizen im Arehiv der Akademie der Kiinste
zu Berlin. — Katalog der G.-Gedaehtnisausstellung der Akademie der Kiinste 1922 (un-
gedruckt; Prasidialbibliothek) .
Berlin-Zehlendorf-West. Alexander Amersdorffer.
Gierke, Otto v., ord. Professor der deutschen Rechtsgeschichte an der Uni-
versitat Berlin, * in Stettin am 11. Januar 1841, f in Berlin am 10. Oktober
192 1. — Vom deutschen Genossenschaftsgedanken ausgehend, hat G. den
zentralen Problemen des Staatsrechts und des Privatrechts neue Fragestel-
lungen gegeben und die Ersetzung der individualistischen Rechtswissenschaft
des 19. Jahrhunderts durch eine solche sozialer Pragung eingeleitet.
Gaul. Gierke III
G. stammt aus einem Juristenhaus. Sein Vater Julius G., Stadtsyndikus zu
Stettin, 1848 Mitglied der preuBischen National versammlung und Landwirt-
schaftsminister im Ministerium Auerswald, starb bereits 1855 als Prasident
des Appellationsgerichts zu Bromberg. Als Vollwaise wurde er nun im Hause
des Bruders seiner Mutter, des Rechtsanwalts Otto Zitelmann in Stettin,
erzogen. Sein ererbter Hang zur Rechtswissenschaft paarte sich durch den
EinfluB ausgezeichneter Lehrer mit dem zur Geschichte. So wahlte er als Be-
rufsstudium die Rechtswissenschaft, die er von 1857 bis i860 in Berlin, Heidel-
berg und wieder in Berlin studierte; von alien seinen Lehrern hat aber nur
Georg Beseler, der ausgezeichnete Berliner Germanist, einen entscheidenden
EinfluB auf ihn ausgeiibt. Bereits am 21. August i860 promovierte er in Berlin
auf Grund der Dissertation »De debitis feudalibus« zum Doktor der Rechte.
Er erledigte sodann das Militarjahr und den Vorbereitungsdienst und wurde
am 27. Juni 1865 zum Gerichtsassessor ernannt. Die Vorbereitung zur Habili-
tation wurde durch seine Beteiligung am Kriege 1866 unterbrochen. Aber
schon am 27. Mai 1867 wurde er als Privatdozent in Berlin zugelassen. Seine
Habilitationsschrift befafite sich auf Anregung Beselers mit der deutschen Ge-
nossenschaf t ; sie war ein Teil der 1868 veroffentlichten Rechtsgeschichte der
deutschen Genossenschaft. Mit einer offentlichen Vorlesung iiber die Hand-
werkerziinfte fuhrte er sich als Privatdozent ein. Den franzosischen Feldzug
machte er als Artillerieoffizier mit und erwarb sich das Eiserne Kreuz. Noch
im Felde erhielt er einen Ruf an die Universitat Zurich, doch wuBte man ihn
durch Ernennung zum a. o. Professor in Berlin festzuhalten. Aber schon Ostern
1872 nahm er den ordentlichen Lehrstuhl Stobbes in Breslau ein, den er zwolf
Jahre mit dem groBten Erfolg inne hatte. In dieser Zeit hat er seine bedeutend-
sten Arbeiten geschrieben: den zweiten und dritten Band des deutschen Ge-
nossenschaftsrechts und den Johannes Althusius. 1882 — 1883 hatte er die
Wiirde des Rektors inne. Zum Wintersemester 1884 — 1885 folgte er einem
Rufe nach Heidelberg auf Renauds Lehrstuhl, den er aber schon 1887 mit dem
Lehrstuhl Beselers in Berlin vertauschte. Siebzig Semester hat er hier gewirkt
und iiber deutsche Rechtsgeschichte, deutsches Privatrecht, Handelsrecht,
Staatsrecht, spater auch iiber Sachen- und Familienrechtgelesen sowie Sachsen-
spiegeliibungen abgehalten. Durch den inneren Wert seiner Vorlesungen iibte
er auf seine zahlreichen Horer einen weitreichenden EinfluB aus, wenn er auch
eigentlich nicht Schule gemacht hat. Er verheiratete sich 1873 mit Lili Loe-
ning. Der iiberaus gliicklichen Ehe entsprossen drei Sohne und drei Tochter;
der jiingste Sohn ging ihm zu seinem Schmerze nach Kriegsende im Tode vor-
aus. Im Verein mit seiner Gattin pflegte er eine edle hausliche Geselligkeit und
hielt treue Freundschaft mit ausgezeichneten Mannern wie Adolf Wagner,
Gustav Schmoller, I,ujo Brentano, Wilhelm Dilthey und anderen. Seine Un-
abhangigkeit und Rechtlichkeit gewann ihm das unbegrenzte Vertrauen der
Kollegen. So war er 1902 — 1903 Rektor der Berliner Universitat, dreimal
Dekan der juristischen Fakultat. Seine wissenschaftlichen Verdienste wurden
durch zahlreiche Ehrungen anerkannt. TJnter anderem erhielt er den Ehren-
doktor der Staatswissenschaften von Miinster (1903) und Freiburg, der Philo-
sophic von Berlin (19 11), der Theologie von Breslau (191 1), den Doktor leg.
von Boston (1909). 191 1 wurde ihm der erbliche Adel verliehen, 1915 die
Friedensklasse des Ordens pour le m£rite. Zahlreiche Akademien ehrten ihn
112 1921
durch UbertragungihrerMitgliedschaft. BedeutendeFestschriften, die ihm zum
70. Geburtstag gewidmet wurden, zeugen von der groBen Verehrung, die ihm
seine Kollegen, Schuler und Freunde entgegenbrachten.
G.s L,ebensarbeit hat unter einem einheitlichen Richtpunkt gestanden : den
»unverlierbaren« nationalen Rechtsgedanken zu erforschen, sein Fortleben im
geltenden Rechte zu erkennen und durch wissenschaftliche Tat zu fordern.
Aber in seiner ersten Schaffensperiode, die mit dem Jahre 1887, dem Jahr des
Antritts seiner Berliner Professur, abschlieBt, beschrankte er sich auf das Ein-
zelproblem der Genossenschaf t, f reilich in grandiosen Ausmai3en erf aBt, und be-
tonte in erster Linie das Erkenntnisziel. In der zweiten Periode, die erst sein
Tod beendete, erf afite er das ganze Gebiet des Privatrechts, ging er zum Kampfe
fiir die Erhaltung und Vertiefung der deutschen Rechtsgedanken im Gesamt-
bereiche des geltenden Privatrechts uber.
Die deutschen Korporationen in ihrer unendlichen Fulle und Mannigfaltig-
keit spotteten seit jeher der Einzwangung in die romischen Kategorien der
societas und universitas. Fiir diese aus dem deutschen Assoziationsgeist er-
zeugten lebendigen Gebildehatte bereits Beseler (Volksrecht und Juristenrecht,
1843) die Fiktionstheorie bekampft und die Realitat der Korporation be-
hauptet. Hier setzt G. mit seinem deutschen Genossenschaf tsrecht ein, dessen
erster Band 1868 herauskam. Dieser erste Band bringt eine Rechts-
geschichte der deutschen Genossenschaf t. G. verfolgt hier die geschichtliche
Entwicklung der Genossenschaft von ihren Anfangen bis zu seiner Zeit. Er
findet den Ausgangspunkt der Entwicklung in dem Kampf zwischen genossen-
schaf tlichem und herrschaf tlichem Verb and. Wahrend dieser im Lehnsstaate
die freien naturlichen Genossenschaften verdrangt, muJ3 er doch den korpo-
rativen Geist der alteren Genossenschaft in sich aufnehmen. Und im Hoch-
mittelalter wird die herrschaftliche Genossenschaft wieder durch neue auf
dem Prinzip der freien Einung beruhende (gewillkurte) Genossenschaften er-
setzt. So entsteht in Staat, Gemeinde und Korperschaft zum ersten Male der
Begriff der »idealen« Gesamtpersonlichkeit. Aber auch dieses Genossenschaf ts-
wesen, das im absoluten Staat zu einem privilegierten Korporationswesen um-
schlagt, wird in ihm zerbrochen, und so wird die Bahn frei fiir das auf der biir-
gerlichen Freiheit aller beruhende Assoziationswesen des 19. Jahrhunderts, in
dem die deutsche Genossenschaft ihre Vollendung gefunden hat. Diese fiihren-
den Gedanken sind das Resultat einer die unendliche Fulle der deutschen Ge-
nossenschaften bis ins einzelne verfolgenden Forschung. Alle wichtigeren
Fragen der Geschichte des privaten wie des offentlichen Rechts werden hier
beruhrt und in neues Licht gesetzt. Die Wichtigkeit der Einung fiir das mittel-
alterliche Verfassungsleben wurde hier erst entdeckt, die Struktur des land-
standischen Staates zum ersten Male erkannt, zum ersten Male der Versuch
gemacht, die modernen Korperschaften in den I^auf der geschichtlichen Ent-
wicklung einzugliedern. Wenn auch dieser erste Band durch die spatere For-
schung in vielen Einzelheiten uberholt worden ist, so war doch durch ihn mit
einem Schlage eines der wichtigsten, bis dahin vollig vernachlassigten Probleme
der deutschen Rechtsentwicklung in das hellste Licht gesetzt und in den Grund-
gedanken treffend gelost. Nur in der Ablehnung der Staatseigenscbaft fiir das
Reich Karls des GroBen und seiner Nachfolger zeigt sich G. noch in alteren,
heute iiberwundenen Anschauungen befangen.
Gierke
113
Der zweite Band des Genossenschaftsrechts sollte die rechtliche Natur der
deutschen Genossenschaft darstellen. Aber der Stoff wuchs dem Verfasser unter
der Hand so, daB er auf vier Bande verteilt werden muBte, von denen der letzte
nicht mehr erschienen ist. Der zweite Band (1873) brachte sonach nur die Ge-
schichte des deutschen Korperschaftsbegriffes bis zur Aufnahme der fremden
Rechte, der dritte (1881) die Staats- und Korporationslehre des Altertums
und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland ; der vierte, 1913 un-
vollendet veroffentlichte Band enthalt den Hauptteil einer Darstellung der
Staats- und Korporationslehre der Neuzeit bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
G. hat dann noch das Genossenschaftsrecht seiner Zeit in seinem Buche »Die
Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung« (1887) in alien Ein-
zelfragen durchforscht und weiter das gesamte Recht der Verbandspersonlich-
keit und der personenrechtlichen Gemeinschaften im ersten Bande seines
deutschen Privatrechts (1895) zusammenfassend dargestellt.
Fast 5000 Druckseiten hat G. dem Problem der Genossenschaft gewidmet.
Kein Wunder, daB ihm der Vorwurf der Breite und Schwerfalligkeit nicht er-
spart blieb. Kein Zweifel aber heute auch, daB nur ein solcher monumentaler
Bau die Grundgedanken der deutschen Genossenschaft in der modernen
Dogmatik fest zu verankern vermochte. Denn gleichzeitig mit dem Erscheinen
der Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft hatte die gemeinrechtliche
Wissenschaft in Windscheids Iyehrbuch des Pandektenrechts ihre kanonische
Formung erhalten (1862 — 1870). Gewifl hatte schon die vorausgehende Ger-
manistik auch fiir das Privatrecht erhebliche Fortschritte gebracht; aber sie
blieben im wesentlichen auf das Sachenrecht und Familienrecht beschrankt
und vielfach ohne unmittelbare Verbindung mit der Dogmatik des geltenden
Rechtes. G. ist der erste germanistische Privatrechtsdogmatiker groBen Stiles
gewesen. Nicht so, daB in den weiteren Banden seines Genossenschaftsrechts
der Rechtshistoriker vollig vom dogmatischen Juristen verdrangt worden ware.
Er beherrscht das historische Material in vollem MaBe, ohne es zu vergewal-
tigen. Und es finden sich in diesen Banden Stticke, die auch vom Standpunkt
des reinen Historikers aus Meisterleistungen ersten Ranges sind. Ich erinnere
an die Ausfuhrungen iiber das Recht der Grundstiicke im zweiten Band, die be-
ruhmt gewordene, auch in das Englische und Franzosische iibersetzte Dar-
stellung der Anschauungen des Mittelalters iiber die Beziehungen zwischen
Staat und Kirche im dritten Band, der Soziallehren des Naturrechts im vierten
Band. Aber die Hauptbedeutung dieser Forschungen liegt in der Aufdeckung
der Grundgedanken der deutschen Genossenschaft und ihrer dogmatischen
Ausbeutung fiir die Gegenwart.
G. scheidet im Bereich der menschlichen Verbande die personenrechtlichen
Gemeinschaften von der Verbandspersonlichkeit. Jene schafft sich eine von
den Sonderspharen der Beteiligten rechtlich unterschiedene Gemeinsphare,
ohne ein selbstandiges soziales Lebewesen mit eigener Personlichkeit zu werden.
Nur nach auBen erscheint sie als rechts- und handlungsfahige Kollektiveinheit.
Die Korperschaft dagegen ist Verbandspersonlichkeit. Auch hier wird das Viel-
heitsrecht der Glieder nicht notwendig durch das Einheitsrecht des Ganzen
aufgezehrt, aber sie besitzt als reale Gesamtperson eine korperschaftliche Or-
ganisation, ist als solche rechts- und handlungsfahig. Die Lebenstatigkeit der
Korperschaft kann nur durch Menschen verwirklicht werden. Diese aber sind
BDJ 8
114 J 9 21
Organe der Korperschaft, deren Wollen und Handeln nur das eigene Wollen
und Handeln der Korperschaft betatigt.
Diese Theorie der realen Verbandspersonlichkeit hat iiberhaupt erst das
Verstandnis fur die Bedeutung und das Funktionieren der Korperschaften als
sozialer Organismen eroffnet. Die organische Theorie hat die Moglichkeit ge-
geben, die Handlungs-, insbesondere die Deliktsfahigkeit der Korperschaften
einleuchtend zu erklaren. Die G.sche Theorie hat denn auch die Weiterbildung
des deutschen Korperschaftsrechts in Gesetzgebung und Rechtsprechung
mai3gebend beeinfluBt. Seine Lehre vom konstitutiven Gesamtakt beherrscht
z. B. die Rechtsprechung des Reichsgerichts in der Beurteilung der Griindungs-
vorgange bei der Aktiengesellschaft. Indem er trotz strenger Scheidung von
Korperschaft und Gesamthand auf die nahe Beriihrung hinwies, »die im Leben
zwischen den untersten Gliedern der Korperschaftsreihe und den obersten
Gliedern der Gesellschaftsreihe stattfindet«, bahnte er das Verstandnis an fur
die innere Verwandtschaft, die alien menschlichen Assoziationen eignet. Dieser
Gedanke ist fur die Fortbildung des geltenden Privatrechts auBerst fruchtbar
gewesen. So hat er bei der Gesamthand die Anwendung korperschaftlicher
Grundsatze ermoglicht und damit z. B. die Haftung der Gesamthand fiir das
Verschulden des fiir sie handelnden Gesellschafters zur Anerkennung gebracht.
So hat G. selbst durch eine ausgezeichnete Abhandlung Vereine ohne Rechts-
fahigkeit (1900) diese vom BGB. falschlich der Gesamthand unterstellten Ver-
bande als Korperschaften erkannt und die praktische Anwendung des Korper-
schaftsrechts herbeigefuhrt. Im Gebiet des Korperschaftsrechts selbst hat
dieser Gedanke den Blick gescharft fiir das »vielheitliche Sonderrecht der
Glieder«, damit fiir die Abgrenzung der Sonderrechte im engeren Sinne gegen-
iiber den Minderheitsrechten.
Aber G.s Forschungen haben weit iiber den Bereich des Privatrechts hinaus
gewirkt. Alle Zweige der Gesellschaftswissenschaften sind von der Theorie der
realen Verbandsperson befruchtet worden. Das gilt vor allem vom Staatsrecht.
Die organische Staatstheorie, die den Staat als eine reale Lebenseinheit eines
aus Teilen bestehenden Ganzen, als geistig-sittlichen Kollektivorganismus be-
trachtet, hat erst durch G.s Genossenschaftsrecht Fleisch und Blut historischer
Wahrheit erhalten. In der neueren Staatslehre wird sie freilich von verschie-
denen Gedankengangen aus heftig bekampft. Was gegen die Gleichsetzung
menschlicher und staatlicher Organismen gesagt worden ist, trifft G. nicht,
da er sie selbst ablehnt. DaB Staaten als historische Erscheinungen willkiirlich
geschaffen werden konnen, beweist nichts, da die Entstehung eines sozialen
Organismus nichts iiber sein Wesen aussagt. Das starkste Bedenken gegen die
organische Staatstheorie kann nur aus der ihr innewohnenden metaphysischen
Wendung hergeleitet werden. Zweifellos kann sie aber durch eine rein erkennt-
nistheoretische Betrachtung, die in ihrer auBersten Konsequenz zur Identifi-
zierung von Staat und Recht fortgeschritten ist, nicht entthront werden. Die
brutale Realitat des Staates spottet solcher Bemiihung. Die Theorie der realen
Verbandsperson ist noch heute nicht zu entbehren. Und wenn sie auch einmal
einer neuen Theorie weichen muB, so wird sie doch bei dieser Pate gestanden
haben. Denn die Wirkungen, die sie auf Gesetzgebung, Rechtsprechung und
Wissenschaft hervorgebracht hat, werden unvergangliche sein. Dauernde Be-
deutung wird auch der von G. entdeckte Anstaltsbegriff behalten, der, aus der
Gierke
"5
mittelalterlichen Anstaltskirche abgeleitet, zu einem Grundpfeiler des mo-
dernen Staats- und Kirchenrechts geworden ist.
G.s genossenschaftliche Untersuchungen haben ihn endlich zu einer grund-
legenden neuen Scheidung des gesamten Rechtsstoffs geftihrt: in Individual-
und Sozialrecht. Grundlegend, weil in ihr die Syn these der individualistischen
Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts mit den sozialen Gestaltungen der
neuesten Zeit gefunden ist. Denn das Sozialrecht G.s greift weit iiber den Be-
reich des offentlichen Rechtes hinaus. Es nmfaBt nach ihm auch das Familien-
recht, das Gesellschaftsrecht, das Korperschaftsrecht der privaten Verbande.
Durch die Anerkennung privatrechtlichen Sozialrechts, das fiir die Be-
ziehungen der menschlichen Willenstrager als Gesellschaftswesen eine besondere
Rechtskategorie erschlieBt, wird eine neue Betrachtungsweise der modernen
sozialen Bildungen, wie z. B. des Arbeitsrechts, iiberhaupt erst ermoglicht. So
wird G. zum Begriinder einer neuen Privatrechtsdogmatik. Zugleich ist da-
mi t eine »soziologische Hauptarbeit« getan.
Damit kommen wir zu der zweiten Schaffensperiode G.s, die, vom Einzel-
problem losgelost, den Gesamtbereich des Privatrechts erfafit. Den AnstoB
gab 1888 das Erscheinen des ersten Entwurfs zum BGB. Was G. mit anderen
schmerzlich beriihrte, war nicht nur der vollige Mangel des Gemeinschafts-
gedankens, sondern vor allem auch die rein romanistische Haltung, die den
dogmatischen Purismus der gemeinrechtlichen Rechtswissenschaft des 19. Jahr-
hunderts zum geltenden Recht zu erheben suchte. Hiergegen wendet er sich
in seinem Vortrag iiber die soziale Aufgabe des Privatrechts (1889), vor allem
aber in seiner beruhmt gewordenen kritischen Schrift »Der Entwurf eines biir-
gerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht « 1889. Hier nitfunt er den Kampf
um die Geltung der deutschen Rechtsgedanken im kiinftigen Reichsrecht auf .
Denn in ihnen sieht er »das Erbe der Vater«, ein dem germanischen Volksgeist
entstammendes und ihm allein gerecht werdendes Recht, ihnen spricht er einen
»unvergleichlichen Wert fiir die Weiterbildung des Rechtes im Geiste einer
heilsamen sozialen Ordnung« zu. Fiir das BGB. selbst konnte er freilich sein
Ziel nur unvollkommen erreichen. Aber er gab den Kampf nicht auf. Noch vor
den Schlufiberatungen des BGB. lag der erste Band seines deutschen Privat-
rechts vor (1895). Dieses Werk ist wieder in grandiosen Ausmafien angelegt.
Von seinen fiinf Banden sind drei erschienen, der vierte ist zum Teil im Manu-
skript vollendet hinterlassen worden. Das Ziel seines Werkes war, »dem un-
gebrochenen deutschen Rechtsgedanken nachzugehen, ihn im innersten Kerne
des geltenden Rechts zu suchen, die Kraft und Fulle seiner schopferischen
Wirksamkeit zu enthullen«. Jetzt wird er also ganz zum Dogmatiker des gel-
tenden Rechtes, noch mehr in den spateren Banden, die unter der Herrschaft
des BGB. erschienen. Das Sachenrecht und das Schuldrecht sind damit Dar-
stellungen des geltenden Rechts geworden, vom Standpunkt des Germanisten
aus gesehen. Aber diese Grundeinstellung hat manche bedeutsamen Gesichts-
punkte zutage gefordert. Nur einiges Grundsatzliche sei hervorgehoben. G.
legte besonderes Gewicht auf das Recht der Personlichkeit, nicht nur wegen
der deutsch-rechtlichen Herleitung dieses Rechtes, sondern auch aus dem
ethischen Bediirfnis der Sicherung der Personlichkeitssphare. Die beruhmte
Darstellung der Personlichkeitsrechte im ersten Band, insbesondere des Ur-
heber- und Erf inderrechts, hat Praxis und Wissenschaft weitgehend beeinfluBt.
n6 1921
Gleiche Gedanken beherrschten auch seine Darstellung des Arbeitsrechts im
dritten Band, welcher Ausfiihrungen schon im ersten Band des Genossenschafts-
rechts, insbesondere aber eine Untersuchung iiber die Wurzeln des Dienst-
vertrages (1914) vorausgingen. »Betatigung der freien Personlichkeitd ist es,
die der deutsche Arbeitsvertrag, der dem Treudienstvertrag entstammt, im
Gegensatz zur romischen Dienstmiete fordert. Zugleich werden auf einen solchen
individuellen Arbeitsvertrag, soweit er »der Organisation der Arbeit durch ihre
Einfiigung in ein herrschaftlich geleitetes Ganze« dient, sozialrechtliche Satze
anwendbar. Diese Grundgedanken haben der Wissenschaft des Arbeitsrechts
ein sicheres Fundament gegeben. Dauernde Schuldverhaltnisse dieser und
anderer Art gaben ihm dann die Anregung, dieser Kategorie eine besondere
Abhandlung zu widmen (1914), die einen bedeutenden dogmatischen Ertrag
brachte und der gemeinrechtlichen Tendenz zur Individualisierung der Obli-
gation entgegenwirkte. Im iibrigen sind gerade die dogmatischen Grundlagen
seines Schuldrechts, zu deren historischer Fundierung er noch einmal eigene
Quellenstudien unternahm (Schuld und Haftung im alteren deutschen Recht,
insbesondere die Form der Schuld- undHaftungsgeschafte, 1910), angefochten.
Die von ihm zugrunde geiegte »objektivierende« Vorstellung des alteren Schuld-
rechts ist gewiB fiir das deutsche Mittelalter unbestreitbar, aber die Nachwir-
kungen im modernen Recht sind zweifelhaft. Ihre Verwendung fiir die Be-
griindung einer Schuldnachfolge (Schuldnachfolge und Haftung, 191 1) ist da-
her bedenklich, auch schon deshalb, weil G. der Veranderung in den Haftungs-
verhaltnissen hierbei nicht gerecht wurde. Die Losung des Ratsels von Schuld
und Haftung, das G. lange Jahre beschaftigte, ist ihm nicht mehr gegliickt. So
ist auch seine schon im Sachenrecht vorgetragene Konstruktion einer ding-
lichen Schuld, die er zur Erklarung der Reallast und des Grundpfands ver-
wendete, heute aufgegeben. Im iibrigen hat auch das Sachenrecht manche
Fragen neu beantwortet, wie etwa die Lehre von den unkorperlichen Gesamt-
sachen, die der Atomisierung des Vermogensbegrif f s durch das BGB. entgegen-
zuwirken sucht (vgl. schon die besondere Abhandlung Personengemeinschaften
und Vermogensbegriff im Entwurf eines BGB. 1889) oder die Lehre vom Fahr-
nisbesitz, die er in einer eigenen Abhandlung klarte (Bedeutung des Fahrnis-
besitzes fiir streitiges Recht, 1897).
Damit ist G.s L,ebenswerk keineswegs erschopft. Eine Fiille von Gutachten
fiir den Juristentag und fiir Prozesse, von Vortragen und selbstandigen Ab-
handlungen geht nebenher. Kurze Zusammenfassungen widmete er dem deut-
schen Privatrecht und dem Handelsrecht (1904), quellenkritische Unter-
suchungen badischen Stadtrechten (1888) und der lex Salica (1916), in seinem
»Humor im deutschen Recht « (1871) und dem Vortrag iiber » Jugend und Altern
des deutschen Rechts« (1879) IQ lgte er den Spuren Jakob Grimms. Eine beruhmt
gewordene wissenschaftliche Untersuchung befafit sich mit dem Werke des
Johannes Althusius (1881), dessen von G. entdeckte Staatslehre (1603) die Idee
der Volkssouveranitat bereits vollkommen ausbaut und als Grundlage der mo-
dernen staatsrechtlichen Wissenschaft gelten kann. Daneben gab er seit 1879
eine Sammlung von Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsge-
schichte heraus, die er bis auf mehr als 130 Bande forderte.
Ehrfurcht und Bewunderung mu!3 eine solche Lebensleistung erwecken. Und
beides miissen wir auch der inneren Geschlossenheit seines Lebenswerkes zollen.
Gierke 117
Da stromt alles aus einer Quelle, da ist nichts, das blendet und iiberrascht:
G.s Werk ist die Frucht eines zur organischen Einheit geschlossenen Weltbildes.
Denn wie das Werk, so der Mann. Von hoher Statur, ein blonder Germane, ist
er die Verkorperung des Idealbildes vom deutschen Wesen. Altliberalen Kreisen
entstammend, hatte ihn seine tJberzeugung mehr und mehr ins konservative
Lager preuBisch-deutscher Farbung gefuhrt. Doch war er nie Parteimann und
auch seine religiose Gesinnung hatte keine kirchliche Wendung. Ein iiberzeugter
Freund der Ordnung und Autoritat, wahrte er seine innerliche Unabhangigkeit.
So blieb er trotz Ruhm und auBerer Ehren frei von jeder Eitelkeit. Stets ernst
und sachlich war sein ganzes Denken seinem Werke zugewandt. In schwerer
Geistesarbeit rang er mit den Problemen, ihnen gehort die ganze Hingabe seines
begeisterungsfahigen Herzens. Bis ins hochste Alter wahrte er sich die reine
Giite einer groBen Seele.
So steht er vor unserem Auge als die innerlich gefestigte, ausgeglichene Per-
sonlichkeit eines wahrhaft gottbegnadeten Forschers. Zwei Gedankenkreise
aber waren es, die seinem Leben immer wieder Richtung und Ziel gaben : der
nationaldeutsche Gedanke und der Gedanke der Gerechtigkeit. G. fuhlte sich
immer in erster Linie als deutscher Mann, und er hat seinen Glauben an das
deutsche Volk und seine Zukunft auch in den schweren Zeiten des Zusammen-
bruches nicht verloren. Der Wahrheit und Schonheit des nationaldeutschen
Rechtes gilt seine leidenschaftliche Liebe. Es ist das bodenstandige Recht, das
Produkt des germanischen Volksgeistes. Es ist aber auch das bessere Recht,
denn der alte Zusammenhang von Recht und Sittlichkeit ist in ihm noch nicht
durch Rechtstechnik iiberwuchert. So preist er das Naturrecht, dessen zeitlose
Satze vielfach nur die Wiedererweckung scheinbar erstorbener deutschrecht-
licher Gedanken gewesen seien (Naturrecht und deutsches Recht, 1883). So
ist der Kampf fur deutsches Recht gegen die Romanistik ihm Gewissenspflicht.
G. setzt hier den Kampf der germanistischen Vertreter der historischen Rechts-
schule fort und fiihrt ihn bis zu einem gewissen AbschluB. GewiB bleibt er auch
darin ein Fortsetzer der historischen Rechtsschule, als seine nationale Ein-
stellung einer romantischen Farbung nicht entbehrt. Aber wenn er hier in
einem historischen Irrtum begriffen war, so ist dieser jedenfalls fur sein Lebens-
werk unendlich fruchtbar gewesen. Und das Gerechtigkeitsgefuhl, das sein
tiefstes Wesen beherrschte, bewahrte ihn vor jeder Engherzigkeit gegentiber
fremden Nationen. Die GroBe des romischen Rechtes hat er mit schwungvollen
Worten gepriesen, und der dritte Band seines Genossenschaftsrechts beschaftigt
sich zum groBten Teil mit der Korporationslehre des Altertums und der auBer-
deutschen mittelalterlichen Wissenschaft. So konnte auch seine wissenschaft-
liche Wirkung weit iiber die deutschen Grenzen gehen. Nicht nur, daB er zahl-
reiche Schiller aus auBerdeutschen Landern nach Berlin zog, er hat auch selbst
bei internationalen Kongressen im Auslande die deutsche Wissenschaft ver-
treten (1903 in Rom, 1913 in London).
Die tiefste Wurzel seines Wesens aber lag in seinem leidenschaftlichen Ge-
rechtigkeitsgefuhl. Die Rechtsidee ist ihm »eine in der Menschennatur angelegte
urspriingliche und eigenartige Geistesemanation « (Recht und Sittlichkeit, Logos,
Bd. 6, S. 211 ff.). Die Rechtsordnung hat die Gerechtigkeit zu verwirklichen :
insofern ist »das Recht Selbstzweck«. Aber die Richtung ist durch die »Mensch-
heitszwecke« bestimmt; denn die Lebenszwecke aller endlichen Wesen miissen
n8 1921
den Menschheitszwecken dienen. So kommt er schon in seiner Studie iiber die
Grundbegriffe des Staatsrechts (1874) zur Ablehnung jedes formalistischen
Positivismus und der »Verengung der juristischen Methode zu einer einseitig
juristischen Technik«. So weiB er selbst durch Auslegung und Liickenausful-
lung die bedenklichen Folgen positiver Gesetzesvorschriften zu mildern. »Die
Erhohung der Rechtsidee iiber das positive Recht« bleibt ihm das unsterb-
liche Verdienst der Naturrechtslehre. Diese freie Einstellung gegeniiber dem
positiven Recht ist das Ergebnis seiner tiefschiirf enden historischen Forschung.
Sie scharfte ihra den Blick fur die Dynamik und die zukunftskraftigen Triebe
des Rechtslebens. So ist er zum Wegbereiter kiinftigen deutschen Rechts ge-
worden.
Literatur: Ulrich Stutz in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung fiir Rechtsgeschichte,
German. Abt., Bd. 43 (1922), S. VII ff ., dazu eingehendes Schriftenverzeichnis daselbst
S. XLVff. (auch Sonderdruck mit Bild). — Gurwitsch, O. v. G. als Rechtsphilosoph
im Logos, Bd. 11 (1922), S. 86 — 132. — Alfred Schultze, O. v. G. als Dogmatiker des
biirgerlichen Rechts. Jherings Jahrb. n (1923), S. I — XLV. — Voltelini, Almanach der Aka-
demie der Wissenschaften in Wien 1922, S. 212 — 223. — Wieland in Zeitschr. fiir das ges.
Handelsrecht 86 (1923), S. 269 — 272. — Sinzheimer im Arbeitsrecht, Bd. 9 (1922), S. 1 — 6.
— v. Schwerin in Leipziger Zeitschr. fiir deutsches Recht, Bd. 15 (192 1), S. 633 — 637. —
Goldschmidt u. Seckel in Deutsche Juristenzeitung Bd. 26 (1921), S. 709 — 714. — Sozia-
listische Monatshefte 1921, S. 1 1 25 und 1922, S. 133. — Heymann, Berl. Hochschul-
nachr., 6. Sem., (1921), S. 4 — 6. — Pappenheim, Kieler Zeitung 1921, Nr. 510.
Koln-Marienburg. Hans Planitz.
Hann, Julius, von Aistprugg, Universitatsprofessor fiir Physik der Erde, * in
SchloB Haus im Miihlkreis (Oberosterreich) am 23. Marz 1839, f in Wien am
1. Oktober 1921. — Julius H. entstammt einer kinderreichen Familie. Sein
Vater war, als H. geboren wurde, Pfleger und Distriktskommissar der graflich
Starhembergschen Herrschaft Haus im Miihlkreise und wohnte auf SchloB
Haus, wo H. die ersten 13 Jahre seiner Kindheit verbrachte Aus derEhe der
Eltern Joseph und Anna H., geb. Scheichenfellner, entsprossen 13 Kinder,
von denen die Mehrzahl noch im Jugendalter starb. Den iiberlebenden war es
nicht vergonnt, lange den Segen eines gliicklichen Familienlebens zu genieBen ;
denn schon am 10. Juli 1852 starb der Vater und hinterlieB seine Gattin mit
den Kindern in schwierigen Verha'tnissen. Damals gab es fiir osterreichische
Staatsangestellte noch keine regelrechte Witwenpension, und die Mutter H.s
erhielt nur auf ein Majestatsgesuch hin im Jahre 1853 eine Gnadengabe von
jahrlich 300 Gulden zugesprochen. Sie zog mit ihren Kindern nach Iyinz und bald
darauf nach Kremsmiinster, wo sie ein Kosthaus fiir Schuler des dortigen
Gymnasiums eroffnete und mit dieser Arbeit muhsam ihre Kinder und sich
selbst fortbrachte.
So ist der Ort Kremsmiinster H.s zweite Heimat geworden, die er auch bis zu
seinem Lebensende immer wieder besucht hat. In SchloB Haus war er recht
landlich und einsam aufgewachsen, hatte wenig Unterricht genossen und wenig
von der AuBenwelt gesehen. Sein eigentliches L,ernen begann erst mit 13 Jahren
in Kremsmiinster, wo er in das Gymnasium eintrat. Aus dieser Zeit bis zu seiner
Reifepriifung sind Tagebiicher erhalten, die wenig Tatsachen bringen, sondern
im wesentlichen Naturbeschreibungen und lyrische AuBerungen eines ganz
ausgesprochenen Liebhabers der freien Natur. H.s Vorliebe fiir die Erschei-
Gierke. Hann ng
nungen des Himmels, die Wolken, Gewitter, gehen auf diese Jugendzeit zuriick,
in der er gefuhlsschwer die wundervolle oberosterreichische Landschaft durch-
streifte, ohne mit dem Leben und den Menschen in naherer Verbindung zu
stehen.
Ende Juli i860 legte er in Kremsmiinster die Maturitatsprufung mit Aus-
zeichnung ab. Die Beurteilung, die damals nicht in Noten, sondern in langerer
Form gegeben wurde, ist nicht ohne Interesse; fur griechische Sprache
findet sich z. B. folgendes Urteil: erschopfendes Verstandnis, sehr gewandte
Darstellung; fur Mathematik: vollstandiges und griindliches Wissen bei sehr
grofler Gewandtheit.
Im Herbst i860 iibersiedelte H. nach Wien, wo er sich an der Universitat
unter dem Rektorat von Oppolzer an der philosophischen Fakultat inskribierte,
um Mathematik und Physik fur das Lehrfach an Mittelschulen zu studieren.
Nach sechs Semestern, die anfangs der Mathematik, Chemie und Physik, dann
auch der Geologie und Palaontologie unter SuB und der physischen Geographie
unter Simony gewidmet waren, legte H. im Winter 1863 sem erstes Rigo-
rosum aus Mathematik und Physik ab und widmete sich darauf den schrift-
lichen Hausarbeiten fiir die Lehramtsprufung. Diese absolvierte er schon am
8. Juli 1864, worauf er am nachsten Tage das zweite Rigorosum aus Philosophic
ablegte.
In der nun folgenden Ferialzeit begann H. seine erste meteorologische Arbeit,
zu welcher er den Stoff schon* wahrend der Gymnasialzeit in Kremsmiinster
gesammelt hatte. Die Knappheit seiner Mittel zwang ihn jedoch, noch vor Ab-
legung des dritten Rigorosums im Herbst 1864 eme Supplentur fiir Physik
an einer Wiener Oberrealschule (Schottenfeld) anzunehmen. Schon 1865 wurde
er durch den damaligen Direktor der Zentralanstalt fiir Meteorologie und Erd-
magnetismus in Wien aufgef ordert, sich an der Redaktion der eben begriindeten
Zeitschrift der osterreichischen Gesellschaft fiir Meteorologie zu beteiligen, und
damit begann seine Redaktionstatigkeit, die bis kurz vor seinem Tode, durch
55 Jahre, andauerte und eine der wichtigsten I^eistungen seines Lebens darstellt ;
denn durch H. wurde die Zeitschrift der osterreichischen Gesellschaft fiir
Meteorologie das fuhrende meteorologische Blatt, das nicht nur iiber die
wissenschaftlichen Fortschritte im deutschen Sprachgebiet, sondern iiber die
der ganzen Erde berichtete und so die Lehren von der Atmosphare zu einer
eigenen Wissenschaft, der Meteorologie, entwickelte.
An der Schottenf elder Realschule verblieb H. durch zwei Jahre und schied
unter besonderer Anerkennung seiner Dienstleistung, um im Herbst 1866 an
der Oberrealschule in I^inz weiter zu supplieren.
Im folgenden Winter veroffentlichte er mehrere physikalisch-geographische
Arbeiten. Als seine Stelle nach sieben Monaten anderweitig besetzt wurde, lud
ihn Dr. C. Jelinek, der Direktor der Zentralanstalt fiir Meteorologie und Erd-
magnetismus in Wien im April 1867 em > die Adjunktenstelle an dieser Anstalt
als Assistent zu versehen. Dieser Berufung folgte H. mit Vergniigen, und damit
begann seine Tatigkeit an der Zentralanstalt fiir Meteorologie, die bis zum
Jahre 1897, also durch 30 Jahre, wahrte. Kurz nach seinem Eintritt in die An-
stalt wurde er zum Doctor philosophiae promoviert, im Jahre 1868 habilitierte er
sich an der Universitat und die folgenden zehn Jahre bis 1878 bildeten seine
arbeitsame Junggesellenzeit, in der wohl der Grund zu den meisten wissenschaft-
120 1921
lichen Ideen gelegt wurde, die er in spaterer Zeit ausgearbeitet und ver-
offentlicht hat.
Die Tatigkeit H.s an der Zentralanstalt fiir Meteorologie scheint sehr rasch
fiir dieselbe von groBer Bedeutung geworden zu sein. Zwei Jahre nach seinem
Eintritt wurde er zum Adjunkten befordert und im Jahre 1873 in die achte
Rangklasse ernannt. Im folgenden Jahre wurde er auBerordentlicher Professor
der physikalischen Geographie an der Wiener Universitat. Schon im Herbst
1872 ubernahm er auch die Dozentur fiir Klimatologie an der damals neuge-
griindeten Hochschule fiir Bodenkultur, die er bis 1875 behielt. Als im Sep-
tember 1873 der erste international meteorologische KongreB in Wien zu-
sammentrat, wurde H. als Delegierter Osterreichs zusammen mit Direktor
Jelinek in den KongreB entsendet und trat damit zum ersten Male mit den
Meteorologen der iibrigen Lander in jene international wissenschaftliche und
personliche Verbindung, in welcher er spater so vieles geleistet hat und eine
fiihrende Rolle spielte.
Vier Jahre spater, 1877, nach dem Abgange Jelineks, wurde H. zum Direktor
der Zentralanstalt fiir Meteorologie und Erdmagnetismus und zum ordentlichen
Professor fiir Physik der Erde an der Universitat Wien ernannt. Am 10. No-
vember 1878 heiratete er Fraulein Luise Weismayr, die Tochter des Kreis-
gerichtsprasidenten Weismayr in Steyr (Oberosterreich). Aus H.s gliicklicher
Ehe entsprossen vier Kinder, drei Sonne und eine Tochter, von denen jedoch
zwei Sonne vor ihm starben.
H.s wissenschaftliche Tatigkeit ist so umfassend, daB es nicht moglich ist,
auf Einzelheiten einzugehen. Die Anstellung an der Zentralanstalt als Adjunkt
und spater als Direktor, dazu die Stellung als Redakteur der meteorologischen
Zeitschrift und Universitatsprofessor hatte die Arbeitskraft eines anderen voll-
standig ausgefullt. H. aber bewaltigte alle die genannten Aufgaben und leistete
auBerdem noch so ungeheuer viel rein wissenschaftliche Arbeit, daB man stau-
nend vor dieser ganz seltenen Schaffenskraft steht.
H. war Meteorologe und Klimatologe von Anfang an. Im ersten Jahrgang
der osterreichischen Zeitschrift fiir Meteorologie findet sich schon der erste
seiner Aufsatze tiber den Fohn, der seinen Namen zuerst in aller Welt beriihmt
machte. Diesem Thema folgte das bekannte Problem der wannen Antizyklone,
dasdeshalb auch heute nochprinzipielleWichtigkeit hat, weilH.s auf den Tat-
sachen stehende Schlusse mit den damaligen Theorien nicht in Einklang zu
bringen waren. Erst Jahrzehnte spater konnten H.s Ergebnisse verstanden
werden. Besondere Aufmerksamkeit widmete H. den meteorologischen Beob-
achtungen auf Gipfelstationen, fiir deren Ausbau er sehr viel getan hat. Hand
in Hand mit dem Studium der physikalischen Vorgange in der Atmosphare
ging H.s klimatologische Arbeit, die sich auf die ganze Erde erstreckte und
in der H. nicht nur tonangebend, sondern ganz einzig dastand. Aus dem unge-
heuren, seinem Geiste gegenwartigen Tatsachenmaterial hat er die allgemeine
und die spezielle Klimatologie geschaffen und dadurch dieser Wissenschaft die
Grundlage fiir ihre spatere Entwicklung gegeben.
Das erste zusammenfassende Werk H.s, »Die Erde als Ganzes, ihre Atmo-
sphare und Hydrosphare« (Wien, 1. Aufl. 1872, 3., sehr vermehrte Aufl. 1880,
5. Aufl. 1897), behandelt die Geophysik in alien ihren Teilen. Spater, im Jahre
1883, entstand sein beriihm testes Werk, das »Handbuch der Klimatologie*,
Hann 121
zunachst einbandig, schlieBlich in 3. Auflage (1908) dreibandig und sehr er-
weitert. Es bildet die Grundlage der heutigen klimatologischen Kenntnisse und
wird von keinem ahnlichen Werk auch nurannahernd erreicht. Der erste Band
behandelt die allgemeine Klimalehre, die beiden letzten das spezielle Klima
der einzelnen Lander der Erde. Dieser letztere Teil konnte, dem Thema nach,
ermudend sein; er ist es nicht, da H. es verstand, die in Zahlen ausgedriickten
Tatsachen durch ausgezeichnete Schilderungen zu beleben. Obwohl H. Europa
niemals verlassen hat, ist doch die Darstellung ganz urspriinglich ; so sehr
konnte er sich in seiner Liebe zur Natur in feme Lander hineindenken.
Das zweite groBe Werk, das »Lehrbuch der Meteorologies, erschien in 1. Auf-
lage im Jahre 1901, gegenwartig ist die 4. Auflage unter R. Siirings Hand
erschienen. DaB dieses Lehrbuch in Wahrheit ein Handbuch ist, eine
Fundgrube an Tatsachen fur jeden Forscher auf dem Gebiete, ist wohl
allgemein bekannt. Von kleineren Buchern sei noch H.s Meteorologie in
der allgemeinen Physik von Miiller-Pouillet genannt; ferner H.s Atlas der
Meteorologie (1887).
In den Jahrzehnten seiner groBten wissenschaftlichen Tatigkeit hat H.
seine Zeit ungemein genau ausgenutzt. Die Arbeit erfiillte ihn ganz; auBer den
regelmaBigen Sommerreisen, die ihn stets in die osterreichischen und Schweizer
Alpen fuhrten, besuchte er nur einige meteorologische Kongresse (1879 Rom,
1882 Kopenhagen, 1885 Paris, 1894 Upsala) und trennte sich sonst nie auf
langere Zeit von seinem Schreibtische und seiner Bibliothek. Trotz dieser an-
dauernden Anstrengung war H.s Gesundheit bis zu seinen letzten Lebens-
jahren eine ausgezeichnete. Als er im Jahre 1897 durch 20 Jahre lang Direktor
der Zentralanstalt fur Meteorologie gewesen war, entschloB er sich, die ad-
ministrativen Arbeiten ganz aufzugeben, und legte seine Stelle als Direktor
nieder. DerStaat verlieh ihm darauf eine ordentliche Professur der Meteorologie
an der Universitat Graz. Dort blieb H. nur drei Jahre und kehrte schon 1900
als Ordinarius nach Wien zurtick, wo er noch durch zehn Jahre Vorlesungen
hielt. Als er mit 71 Jahren schlieBlich in den Ruhestand trat (1910), war seine
Arbeitskraft noch lange nicht erschopf t : er f iihrte die Redaktion der meteoro-
logischen Zeitschrift noch bis 1920 (gemeinsam mit R. Stiring) weiter und be-
suchte bis 1 9 19 noch taglich die Zentralanstalt fur Meteorologie, wo ihm fur
seine wissenschaftliche Tatigkeit ein Arbeitszimmer zur Verfiigung stand.
Die Akademie derWissenschaften hat H. schon 1873 zum korrespondierenden,
dann 1877 zum wirklichen Mitglied gewahlt. Von 1893 an bis zu seiner t)ber-
siedlung nach Graz war er Sekretar der mathematisch-naturwissenschaftlichen
Klasse der Akademie. Im Laufe seines langen Lebens ist H. auch Mitglied sehr
vieler auslandischer Akademien und gelehrter Gesellschaften geworden und be-
kam die Hann-Medaille, die Buys-Ballot- und die Symons-Medaille. Im Jahre
1893 erhielt er das osterreichische Ehrenzeichen fiir Kunst und Wissenschaft,
1906 den Roten-Adler-Orden, 1909 den preuBischen Kronenorden mit dem
Stern und 1913 den preuBischen Orden pour le merite fiir Wissenschaft und
Kunst. Der Kaiser von Osterreich verheh ihm 1910 den erblichen Adel. Die
Osterreichische Gesellschaft fiir Meteorologie hat H. zu Ehren im Jahre 1898
die Hann-Medaille gestiftet. Zu seinem 40 jahrigen Redaktionsjubilaum (1906)
wurde von der Meteorologischen Zeitschrift ein eigener » Hann- Band « heraus-
gegeben und wieder 13 Jahre spater haben Gelehrte des In- und Auslandes eine
122 1921
Geldsumme gewidmet, derenErtrag zur Verteilung von »Hann-Preisen« durch
die Wiener Akademie der Wissenschaften bestimmt war.
All diese so berechtigten Anerkennungen waren fur H. Nebensache. Er zog
sich immer wieder rasch von ihnen zu seiner Arbeit zuriick, sie storten die Be-
scheidenheit seiner Natur.
Die Stellung, die H. unter den Fachgenossen der Erde einnahm, war jahr-
zehntelang eine erste, fiihrende. Seine Rune, Objektivitat und Menschenfreund-
lichkeit vefschafften ihmuberallFreunde, gaben ihmuberaUEinflufi.H. warim
Leben auBerst einfach und bescheiden, die Arbeit war ihm alles, nur die Natur
hat ihn bisweilen vom Schreibtisch abgezogen. Er hatte viel Humor und war
von groBter Giite und Riicksicht fiir seine Umgebung. Die Meteorologen Oster-
reichs verdanken ihm unendlich viel. Er war es, der den Ruf der osterreichi-
schen Meteorologie begriindete, ihm ist es zuzuschreiben, daB in Osterreich
an alien Universitaten Lehrstiihle fiir Meteorologie und Geophysik errichtet
wurden. Blickt man auf die Folgen seiner Tatigkeit, was Wissenschaft und Or-
ganisation betrifft, zuriick, so kann man die Freude nicht unterdriicken, daB
dies alles durch rein sachliche Arbeit erreicht wurde. So fuBt der durch H. be-
dingte Fortschritt auf der haltbarsten Grundlage, die sich denken laflt.
Iyiteratur: H.s Hauptwerke wurden oben genannt. Seine Abhandlungen sind haupt-
sachlich in den Sitzungsberichten und Denkschriften der Wiener Akademie der Wissen-
schaften und in der » Meteorologischen Zeitschrift* erschienen; ihre Zahl ist ungeheuer
grofl, namentlich durch die ungezahlten kleinen klimatologischen Mitteilungen in der ge-
nannten Zeitschrift, die oft von ihm als Redakteur geschrieben, aber gar nicht gezeichnet
wurden. t)ber seine wissenschaftlichen Arbeiten ist Naheres in der » Meteorologischen Zeit-
schrift*, Jahrg. 192 1, S. 322 — 326 zu finden. Der NachlaB befindet sich in den Handen
der Witwe Frau Hofrat Luise Hann, Wien XIX, Dollinergasse 10.
Wien. Felix M. Exner.
v. Hase, Georg Oskar Immanuel, Dr. phil. , Seniorchef der Verlagsbuchhandlung
Breitkopf & Hartel in Leipzig, Kgl. sachs. Geh. Hofrat, * am 15. September 1846
in Jena, f am 26. Januar 192 1 in Leipzig. — Oskar v. H. ist einem alten Thiiringer
Pastorengeschlecht entsprossen, um dessen Geschichte er sich mit seinen Brii-
dern lebhaft bemuht und verdient gemacht hat. Die schon vom Vater, dem be-
ruhmten Jenenser Kirchenhistoriker, begonnenen Stammtafelforschungen
nahm zuerst der f ruh verstorbene Bruder Viktor als Jenaer Student wieder auf ;
Paul, der Berliner Arzt, brachte sie 1877 erstmals in Druck. Zu des Vaters
6ojahrigem Doktorjubilaum veroffentlichten die Bruder 1883 gemeinsam eine
Schrift »Magister Immanuel Hase 1570 — i62i«. Zu des Vaters 90. Geburtstage
legte Oskar die Ergebnisse seiner Tautenburger Nachforschungen in einem
Familienschriftchen » Samuel Hase und die Seinen* vor. Dann verarbeitete der
Theologe unter den Brudern, Dr. theol. et phil. Karl Alfred v. H. die Ergeb-
nisse der gemeinsamen Forschungen in einem stattlichen Lederbande »Unsere
Hauschronik«, an der Oskar stark mitgearbeitet hatte und deren Drucklegung
bei Breitkopf & Hartel er besorgte. Nach neuen und eingehenden Nachfor-
schungen schloB dann Oskar v. H. selbst 1913 mit Herausgabe des Buches
»Das Aumaer Hasennest. Urkundliches aus unserer Hauschronik. Geschichte
der Aumaer Hasen in ftinf Jahrhunderten« (Leipzig: Breitkopf & Hartel, 1913)
die Familiengeschichte ab. So hat die Beschaftigung mit der Geschichte des
Hann. v. Hase 123
eigenen Geschlechtes Oskar v. H. durch sein ganzes Leben begleitet — be-
seelt von dem Gedanken, den einmal sein Vater in Hinblick auf die erfor-
schten zehn Hasen-Generationen ausgesprochen hat: »Es ist auch eine Gottes-
gabe, einer Familie anzugehoren und ihre Geschlechter zu ubersehen, die seit
drei Jahrhunderten in ihrer burgerlichen Einfachheit sich ehrlich durch-
gefochten hat. « Wie den in den Adelsstand erhobenen Vater hat auch den Sohn
niemals das SelbstbewuBtsein eines stolzen Biirgertums verlassen. Und wenn
auch selbst nicht Theologe, war er stolz und dankbar, einem alten Pastoren-
geschlecht anzugehoren, wie er denn auch gewiinscht hat, daB so wie der Name
Bach gleichbedeutend mit Kantor, der Name Hase gleichbedeutend mit Pf arrer
sein mochte und daB auch kunftig tiichtige und geistvolle Theologen von des
Vaters mildem Sinne aus dem Stamme hervorgehen mochten.
Dieser gemiitvoll-historische Familiensinn hat nicht nur Oskar v. H.s Cha-
rakter, sondern auch seinen auBeren Lebensgang mitbestimmt. Denn obwohl
schon friih zum Buchhandler bestimmt, hat er doch niemals auf eine abge-
schlossene akademisch-humanistische Bildung verzichten wollen. Daher ginger,
nach Absolvierung der humanistischen Schulbildung in Jena, Eisenach (1861
bis 1863) un d Meiningen (1863 — 1866), wo er die lateinische Abschiedsrede hielt,
zugleich als Student (Horer bei Springer und v. Sybel) und als Buchhandler-
lehrling (bei Marcus* Handlung) nach Bonn. Achtung vor Wissenschaft und
Kunst und klarer Einblick in die realen Schwierigkeiten wirtschaf tlichen Lebens
wurden ihm so zugleich anerzogen und schufen in ihm das Gleichgewicht eines
weltzugewandten Idealismus. Nach einjahrigem weiterem Studium in Jena
(1868/69) promovierte er in Jena mit einer Arbeit iiber den buchhandlerischen
Geschaftsbetrieb der Niirnberger Familie Koberger in der Zeit des Uberganges
vom Mittelalter zur Neuzeit, damit eine wichtige Zeit der Buchhandelsgeschichte
erstmals in das voile L,icht der Geschichte riickend. Nach einem Lehrjahre im
Hause Breitkopf & Hartel, das der ihm verwandten Familie Hartel gehorte,
hatte der junge Doktor soeben eine auf zwei Jahre berechnete groBe Reise an-
getreten, um die Welt kennenzulernen, als ihn in Genf der Ausbruch des
Deutsch-Franzosischen Krieges iiberraschte. Den letzten Abend verbrachte er —
heute vergessenen ritterlichen Sitten gemaB — f reundschaftlich in einem Kreise
franzosischer Studenten. Am 25. Juli 1870 riickte er — gleich seinen Briidern —
als Kriegsfreiwilliger der rheinischen Kiirassiere ins Feld und ritt als Flugel-
mann des Regimentes am 14. August bei Metz seine erste Attacke mit. Als
erster unter den Mannschaften seiner Schwadron erhielt er das Eiserne Kreuz.
Zum Unteroffizier befordert, lehnte er wei teres Avancement ab, um nicht
durch Friedensiibungen an der kunftigen Leitung des Leipziger Verlags ge-
hindert zu sein. Seine Kriegsbriefe erschienen 1895 als » Kiirassierbrief e eines
Kriegsfreiwilligen« im Druck. Heil aus dem Felde heimgekehrt, trat er am
1. Mai 1 87 1 wieder als Gehilfe bei Breitkopf & Hartel in Leipzig ein, wurde be-
reits 1873 Prokurist und — nach dem Tode des Onkels Hermann Hartel —
1875 Teilhaber der Firma, die er ein Vierteljahrhundert lang gemeinsam mit
dem Vetter Wilhelm Volkmann und nach dessen Tode (1896) noch ein weiteres
Vierteljahrhundert mit dessen Sohn Dr. Ludwig Volkmann fuhrte.
Als Chef und zuletzt als Seniorchef des alten, weltangesehenen Hauses ent-
faltete Oskar v. H. eine vielseitige und erfolgreiche buchhandlerische Tatigkeit.
Er fuhrte den wissenschaf tlichen Verlag bescheiden, den musikgeschichtlichen
124 x 92l
kraftig vorwarts und gliederte einen schongeistigen Verlag — besonders durch
den Gewinn von Dahns-Werken — an. Als Lebensaufgabe betrachtete er den
Ausbau des Musikverlags. 1877 begann er mit der Herausgabe der »Volks-
ausgaben Breitkopf &Hartel«, jetzt »Edition Breitkopf «, die in rascher Folge
f ast alle klassischen Werke weitesten Kreisen zugangig machten. Es folgten die
kritischen Gesamtausgaben der Werke von Palestrina, Orlando di Lasso,
H. Schiitz, Bach, Mozart, Beethoven, Schubert, Chopin, Joh. StrauB, Wagner,
Liszt usw., ferner die »Urtexte klassischer Musikwerke«, Prachtausgaben der
Opern Glucks, ausgewahlte Werke Friedrich des Grofien. Die buchhandlerische
Organisation des Hauses wurde durch Zweigniederlassungen in Briissel (1883),
London (1900) und Neuyork (1891) und durch Kommissionsubernahme aus-
landischer Verlage ausgebaut. Uber die engeren Aufgaben eines Musikverlages
hinausgreifend, erblickte Oskar v. H. seine Lebensaufgabe darin, der Musik-
wissenschaft einesteils und dem Buchhandel im ganzen andererseits ein reger
und opferbereiter Forderer und Heifer zu sein, damit zugleich der Doppel-
seitigkeit seines eigenen gelehrt-praktischen Wesens und dem gleichen Charakter
eines pflichtbewuCten Buchhandels gerecht werdend. Sein Haus hat stets mit
erheblichen Opfern musikwissenschaftliche Literatur gedruckt und verlegt.
Die»Denkmaler deutscher Tonkunst« verdankten seiner Forderung wesentHch
ihr Forterscheinen. Die Griindung der »Internationalen Musikgesellschaft«
1899 war vor a U em se * n Verdienst, ihre Publikationen waren ohne seine mate-
rielle Hilfe nicht moglich gewesen. Er arbeitete nach dem im Kriege erfolgten
Zerfall der »InternationalenMusikgesellschaft« auf Griindung einer »Deutschen
Musikgesellschaft« hin und setzte dieselbe auch durch. Auch der »Neuen Bach-
Gesellschaft« war er Mitbegriinder und tatiger Heifer. Lange Zeit war er
Schatzmeister des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, 1888 — 1898 Vor-
sitzender des Leipziger Riedel-Vereins. Die Geschichte des Hauses Breitkopf
& Hartel, die er bescheiden, aber treffend als »Arbeitsbericht« bezeichnete,
war zugleich ein Riickblick auf seine eigene reichgesegnete Lebensarbeit.
Als Fiihrer seines Standes trat Oskar v. H. mannigfach hervor. 1875 — 1901
war er Vorsteher des Vereins der deutschen Musikalienhandler, 1884 — 1901
auch des Deutschen Buchgewerbevereins. Das Deutsche Buchgewerbehaus in
Leipzig wurde nach einem von ihm zur Ostermesse 1884 vorgetragenen Plane
errichtet. In dessen Grundstein versenkte er sein Eisernes Kreuz. 1894 — 1898 war
er ferner Vorsteher des Vereins der Buchhandler zu Leipzig, 1889 — 1893 Vor-
sitzender der Historischen Kommission des Borsenvereins der Deutschen Buch-
handler — als solcher wirkte er grundlegend mit beim Zustandekommen der
vierbandigen Geschichte des Deutschen Buchhandels von Kapp-Goldfriedrich.
Ferner war er 1877 — 1885 Vorsteher der Sachsischen Buchdrucker, 1886 — 1888
Vorsitzender der Buchdrucker-Berufsgenossenschaft. 1887 griindete er den Ver-
band der Berufsgenossenschaften [ist dasselbe wie Buchgewerbeverein s. o.].
An der Neuregelung des nationalen und internationalen Urheberrechtsschutzes
war er fuhrend beteiligt. Seit 1898 stand er der Anstalt fur musikalisches Auf-
fiihrungsrecht vor. So umfaBte seine ehrenamtliche Tatigkeit das gesamte
»Buchgewerbe« — ein Begriff, den er erst gepragt hat. Nichtberuflicher, be-
sonders politischer Vereinstatigkeit dagegen war er abgeneigt. Die Worte, mit
denen er seine Hammerschlage bei der Grundsteinlegung des Deutschen Buch-
handlerhauses 1898 begleitete, konnen als Selbstcharakteristik angesehen
v. Hase. Hauptmann 125
werden: »Einheit und Freiheit! Deutschtum und Weltberuf ! Erf indergeist und
Kunstfleii3!«
Nach eignetn 5ojahrigem Geschaftsjubilaum (1919) und nach der 200jahrigen
Jubelfeier seines Hauses zog sich Oskar v. H. zuriick, um seinen Lebensabend
im heimatlichen Jena zu vollbringen. Am 25. Januar 192 1 kam er zur Taufe des
jiingsten Enkels nach I^eipzig. Tags darauf machte ein plotzlicher Tod seinem
I^eben ein Ende.
Oskar v. H. fiihrte am 10. September 1873 die damals 17 jahrige Tochter Jo-
hanna des gef eierten Leipziger Germanisten Friedrich Zarncke als Gattin heim.
Sie gebar ihm sieben Sonne und zwei Tochter, Von ihnen hat Hellmuth v. H.
die berufliche Nachfolge des Vaters angetreten.
L,iteratur: Karl Alfred v. H., Unsere Hauschronik, Leipzig 1898 (darin S. 303 — 320
Iyebenslauf O. v. H.s); O. v. H., Das Aumaer Hasennest Leipzig 1913 (darin S. 206 — 208
Verzeichnis der von O. v. H. verfaflten Pamilienschrif ten) ; Adolf Aber, O. v. H. f. »Zeit-
schrift fiir Musik«, Jahrg. 88, 1921, S. 85 f; Gerhard Menz, Deutsche Buchhandler, 24 I*e-
bensbilder, S. 263 — 270, Leipzig 1925.
Leipzig. Johannes Hohlfeld.
Hauptmann, Carl, Dr. phil., Dichter, * 11. Mai 1858 in Obersalzbrunn in Mittel-
schlesien, f 4. Februar 1921 inMittel-Schreiberhau. — Die FamilieH. stammtaus
Bohmen. Des Dichters UrgroBvater, ein armer Weber, war iiber das Gebirge nach
Schlesien gewandert und hatte sein Heim in dem kleinen Herischdorf bei
Warmbrunn in Riesengebirge aufgeschlagen. Auch sein Sohn Carl Ehrenfried
H., Carls GroBvater, wurde Weber wie sein Vater und seine drei Briider. Aus
den Befreiungskriegen 18 15 zuriickgekehrt, die er von Anfang an als Frei-
williger mitgemacht hat, hing er sein friiheres Gewerbe an den Nagel, um sich
als Kellner in einer Gastwirtschaft zu verpflichten. Er war viele Jahre Ober-
kellner und heiratete in dieser Zeit. Aus seinen Ersparnissen erwarb er ein
Hotel in Flinsberg. Als ihm am 13. Mai 1824 em Sohn geboren wurde, den er
Robert taufen lieB, befand er sich immerhin in der Lage, ihm eine gute Er-
ziehung angedeihen zu lassen : er schickte ihn auf das Gymnasium in Schweid-
nitz. 1832 ubersiedelte er nach dem Kurort Obersalzbrunn in Mittelschlesien
und pachtete dort das Hotel »Zur PreuBischen Krone «, das er sieben Jahre
spater als Eigentum erwarb. Robert sollte der Erbe sein. Um ihn auf seinen
kiinftigen Beruf vorzubereiten, nahm er ihn f riihzeitig aus der Tertia und steckte
ihn in eine gut renommierte Breslauer Weinhandlung in die Lehre. Der junge
Robert muBte tuchtig anf assen , iiberall — im Keller, in der Kiiche, im Hof
und in der Gaststube — eifrig mitarbeiten, bis ihn der Vater zu seiner Unter-
stiitzung nach Obersalzbrunn heimholte. Robert heiratete Marie Straehler
(* 21. April 1831), die Tochter des furstlich plessischen Brunneninspektors
Straehler, der ebenfalls im Salzbrunnischen angesiedelt war. Die Straehlers
waren eine landeingesessene Familie, die immer in Diensten der schlesischen
Herrengeschlechter gestanden hatte. Von Generation zu Generation hatten
sie sich aus niederem Stande emporgearbeitet. Erst waren die Straehlers
Diener, dann Beamte der hohen schlesischen Adelsgeschlechter gewesen. Sie
hatten sich allmahlich sogar in besondere Vertrauensstellungen emporgestrebt.
Mutter Marie war nicht wenig stolz auf ihre Abstammung. War doch ihr GroB-
126 1921
vater bereits in eigener Kutsche gefaliren. Nur schwer konnte sie sich anfangs
an den Gasthausberuf ihres Mannes gewohnen, auf den sie immer ein wenig
herabsah.
Vier Kinder gebar sie ihrem Manne: Georg (* 1854), Johanna (* 1856),
Carl (*i858) und Gerhart (*i862).
Der Familie ging es sehx gut. Bad Salzbrunn war vom preuBischen, besonders
aber von dem reichen polnischen Adel stark besucht. Und immer war die
»PreuBische Krone « vom besten und vornehmsten reisenden Publikum besetzt.
Carl verlebte eine sehr gliickliche Jugend. Der verstandige Vater hielt die
Kinder vom Gasthausleben fern. Er durfte sich mit seinen Geschwistern auf
den Feldern rings um Salzbrunn und im Fiirstensteiner Grund des Fiirsten
von PleB nach Herzenslust tummeln. Mit sieben Jahren kam er zum Lehrer
Brendel auf die Dorfschule in Obersalzbrunn. Der etwas pedantische Herr
zeigte den Kindern nicht nur die Schonheiten der Natur, sondern unterwies
sie auch an Hand des Bakels in den Genusregeln. Erst 1872, fast vierzehn
Jahre alt — er krankelte viel — , kam der aufgeweckte Junge nach Breslau in
das stadtische Realgymnasium erster Ordnung am Zwinger, das er bis zum
Abiturientenexamen (1879) besuchte. Carl war gescheit und lernbegierig,
f leiBig und pflichttreu, kurz, ein guter Schiiler, im Gegensatz zu seinem um vier
Jahre jiingeren B ruder Gerhart, der im Zwinger nie recht vorwarts kommen
konnte. Treu, wenn auch zunachst mit wenig Erfolg, nahm sich Carl des Jiingeren
an. Gerhart fuhlte sich wohl bei ihm behiitet und lie.fi sich gern von ihm leiten
und lenken. Ihm zeigte er die ersten poetischen Ergiisse. Ihm vertraute ersich
in allem ganz. In der Tat hatte Carl lange Jahre (noch wahrend der gemeinsamen
Ubersiedlung nach Schreiberhau) entscheidenden EinfluB auf Gerharts Leben
und Vorwartskommen. »Bruder Carl,« schreibt Paul Schlenther in seinem um-
fassenden, von Arthur Eloesser gliicklich umgearbeiteten und erweiterten
Werk: Gerhart H. — 1922, bei S. Fischer Verlag, Berlin — , »Bruder Carl, dessen
wissenschaftlicher Geist zeitig erwacht war, der friiher als andere hinter dem
schulscheuen Wesen des Kleinen tiefe Veranlagung erkannt hatte, sah, wie
wenig Gerharts Geist und Gemiit im Zwinger gediehen. «
Inzwischen ging das Hotel der Eltern mehr und mehr zuriick. Der reiche
polnische Adel besuchte Salzbrunn nicht mehr. Einfache Touristen kamen und
gingen schnell und suchten anstatt des vornehmen »PreuBischen Hofes« ein-
fachere und billigere Gasthofe auf. Noch wuBte man nichts von der Heilkraft
jener Quelle auf H.schem Anwesen, die spater unter dem Namen »Salzbrunner
Kronenquelle « Weltruf erlangte und Familie H. im Handumdrehen zu Wohl-
stand und Reichtum gebracht hatte. Sie diente im Augenblick lediglich als
Pferdetranke. Die Eltern konnten das hoch mit Hypotheken belastete Anwesen
nicht mehr halten und muBten es 1877 mit schwerem Herzen verkaufen. Nur
ein Notgroschen blieb ihnen. Zwar verschaffte ihnen die giitige Fiirsorge des
Realschuldirektors Kletke die Pacht der Gastwirtschaft in dem neu einge-
richteten Bahnhof Sorgau (jetzt Nieder-Salzbrunn), aber mit dem Wohl-
stand war es zu Ende. Fur eine kostspielige Erziehung der Kinder reichte es
nicht mehr. Georg, der nach bestandenem Abitur dem Vaterin der Krise hilf reich
zur Seite gestanden hatte, kam in ein Handelshaus nach Hamburg. Carl durfte
das Gymnasium weiter besuchen, da er sich als strebsam und fleiBig erwiesen
hatte. Gerhart wurde zu seinem Onkel Schubert auf das Gut Lederose im Strie-
Hauptmann 1 27
gauerKreisgeschickt. Aber nach kurzer Zeit hatte er von dem Gutsleben genug
und ging mit Carls Hilfe auf die Kunstschule nach Breslau. In diesen Jahren ge-
horte Carl mit Gerhart einem von Felix Dahn inspirierten pangermanischen Ge-
heimbunde an. Nachdem Carl das Abitur bestanden hatte, inskribierte er sich
1880 in der philosophischen Fakultat der Universitiit Jena, wo er bei Ernst
Haeckel, Ernst Stahl, Rudolf Eucken, Karl Snell, Eduard StraBburger, Hartwig,
Liebmann Naturwissenschaften und Philosophic studierte. Aber seine strengen
und eif rig betriebenen Studien hinderten ihn nicht, sich sorglosstudentischen Ver-
gniigungen hinzugeben. Er trat dem Akademisch-Naturwissenschaftlichen
Verein bei. Ein vergniigter, wissenschaftlich reger Kreis sammelte sich um ihn,
dessen Heros Darwin war. Gerhart hatte inzwischen das sogenannte »Kunst-
ler-Einjahrige« gemacht und folgte nun, da ihm ein Gnadenakt des GroBherzogs
von Weimar gestattet hatte, zu studieren, dem geliebten alteren Bruder nach
Jena. Hier hielt damals gerade Otto Devrient Vorlesungen iiber die Geschichte
des Dramas mit Rezitationsproben. Die Bruder H. waren begeisterte Horer
des Vortragsmeisters.
Ihr altester Bruder Georg, der, wie erwahnt, Kaufmann war und sich genial-
dilettantisch mit Karikaturenzeichnen beschaftigte, hatte eine der reizenden
fiinf Tochter des GroBkaufmanns Thienemann geheiratet und sich in Bergedorf
bei Hamburg niedergelassen. Der Kaufherr Thienemann starb. Carl machte
Weihnachten auf der Fahrt von Jena nach Salzbrunn bei den nun ganz ver-
waisten vier Jungfrauen, den Burgfraulein (Carls »Rebhuhner«, Gerharts
»Jungfern von Bischofsberg«) auf dem alten Bischofsitz, dem Hohenhaus bei
Zitschewig in der LoBnitz zwischen Dresden und MeiBen Station, der Schwa-
gerin und deren vier Schwestern sein Beileid auszusprechen. Der schlanke,
gewandte Student mit den groBen, blauen, sprechenden Augen wurde mit
offenen Armen empfangen und verliebte sich in die braune Martha. Im
Friihling verlobte er sich mit ihr. 1883 promovierte er mit einer Dissertation
iiber »Die Bedeutung der Keimblattertheorie fur die Individualitatslehre und
den Generationswechsel«. Zur Erholung wanderte er iiber die Alpen nach
Italien, wo er in Genua mit Gerhart zusammentraf, der die Riviera besucht
hatte. Mit ihm reiste er nach Neapel. Sechs Wochen lebten die beiden Bruder
auf Capri, schwarmten die Schonheit der siidlichen Natur an und begeisterten
sich an der Buntheit und Farbenfreudigkeit des Volkslebens. » Abends pflegten
sich um die lichtblonden deutschen Jiinglinge ein kleines Lumpengesindel
schwarzgeaugter Lausebiibchen zu sammeln. Die junge italienische Volksseele
klang und sang. Als endlich die Bruder Abschied nahmen, vergoB Jung-Capri
bitterliche Tranen.« (Schlenther-Eloesser.) Im Juni mufite Carl zu einer mili-
tarischen Ubung nach Deutschland zuriick, wahrend Gerhart mit Bildhauer-
arbeiten noch in Rom blieb, bis ihn der Typhus ebenfalls heimtrieb. Carl
heiratete 1884 Martha Thienemann, Gerhart ein halbes Jahr spater Marie
Thienemann. Carls erster Wohnsitz als junger Ehemann wurde Zurich. Im
Sommer 1885 gingen Carl und Gerhart mit ihren jungen Frauen und dem
Freunde Hugo Ernst Schmidt (dem spateren Landschaftsmaler und Urbilde
Gabriel Schillings) nach Riigen. Gerhart griindete sich sein Heim in Erkner
bei Berlin (wo im Sommer dieses Jahres seine erste Dichtung »Pomethidenlos«
erschien), wahrend Carl neue naturwissenschaftliche und philosophische Stu-
dien in Zurich begann. Hier schloB er sich dem Philosophen Richard Avenarius
128 1921
(dem alteren Bruder von Ferdinand Avenarius), dem Psychiater August Forel
und J. Gaule an.
»Aus seinem Vaterhause und dem Salzbrunner Badeleben kannte er die
Fremdheit polnischer und ungarischer Magnaten; hier lernte er die Russen
kennen.« (Will-Erich Peukert, Breslau, Unser Schlesierland). Josepha Kodis
widmete er 1894 seine » Marianne*. Anna Teichmuller, die feinsinnige Kompo-
nistin, Tochter des bekannten Platonforschers, blieb von da seine treue Freun-
din fiirs ganze Leben.
1889 siedelte er endgultig nach Berlin iiber, wo er oft und gem von Zurich
aus Gerhart und seinen Kreis — Max Kretzer, Adalbert v. Hanstein, Leo
Berg und dessen Verein »Durch«, Bruno Wille, Wilhelm Boelsche, Ferdinand
Simon (August Bebels spateren Schwiegersohn), Hugo Ernst Schmidt — be-
sucht und an deren interessanten Wortgefechten teilgenommen hatte. Gerhart
las Carl, »der ihm immer noch der beste, auch in Rat und Tat forderlichste
Freund war«, sein erstes Drama »Vor Sonnenaufgang« vor. Als es erschien,
sandte es Gerhart seinem Bruder mit herzlichsten Widmungsworten ins
Manover, und Carl drahtete: »Tausend Freuden iiber Deinen ersten Schritt in
die Unsterblichkeit. « Es muB hier deutlich gesagt werden, daB Carl fur Ger-
hart damals sehr viel, ja alles bedeutete. Immer wieder reichte er ihm hilfreich
die Hand, fuhrte und leitete ihn, spornte und ermunterte ihn zur Poesie. Bei
der Urauffiihrung von Gerharts umstrittenem Drama »Vor Sonnenaufgang«,
die im Lessingtheater am 20. Oktober 1889 mittags 12 Uhr durch Otto Brahms
»Freie Buhne« stattfand, stand der inzwischen nach Charlottenburg iiber-
siedelte Carl dem Bruder treu und hilfreich zur Seite. In nachster Zeit beschaf-
tigte er sich viel mit Planen fiir eine Forschungsreise ins Innere Brasiliens, die
das Schicksal ihm allerdings versagte.
1890 kaufte den Briidern und Freunden Carl und Gerhart der Vater ein
altes Bauernhaus in den Siebenhausern (Mittel-Schreiberhau im Riesengebirge).
Carl lebte hier bis an sein Ende, wahrend Gerhart 1892 nach Agnetendorf
zog. (Seit 1888 wohnten die Eltern bei ihrem altesten Sohn Georg.)
1892 gab Carl bei Gustav Fischer in Jena sein erstes und einziges selbstan-
diges wissenschaftliches Buch »Metaphysik in der modernen Physiologies her-
aus, das als erster Band einer Reihe »Beitrage zu einer dynamischen Theorie
der Lebewesen« gedacht war. Aber schon wahrend seiner wissenschaftlichen
Arbeiten wandte er sich, da ihn die exakte Forschung nicht ausfullen konnte,
der Poesie zu. 1890 begann er mit der Niederschrift seines ersten poetischen
Werkes »Sonnenwanderer«. In dem herrlichen Riesengebirge wurde aus dem
selbstandig denkenden Psychologen und Physiologen der Dichter. In der auBer-
ordentlich f einen Studie » Carl H. « von Dr. Hanns Martin Elster (Deutsche
Dichterhandschriften. Lehmannsche Verlagsbuchhandlung, Lehmann &
Schulze, Dresden) heiBt es: »Es waren die Jahre, da Carl H. unter dem Ein-
fluB der Werke seines jiingeren, schnell beriihmt gewordenen Bruders sich
selbst eingestehen muBte, daB auch der andere Teil seiner Natur, seine lyrische
Traumerwelt, das Recht auf Wirken und Sichausgeben habe, daB er kein Wis-
senschafts-, kein Intellektualmensch sei, sondern neue Pfade bahnbrechend
wandeln miisse als ein Entdecker und Offenbarer, als Dichter. «
In Schreiberhau ging er froh an die Arbeit. Er war ein Friiharbeiter. Fast
noch vor Tag — oft urn drei Uhr schon — saB er in seinem kleinen Arbeits-
Hauptmann 1 29
zimmer am Schreibtisch, und Seele und Herz voll der erwachenden Schonheit
der Hohen des Riesengebirges suchte er in seine Seele zu dringen und in die
Seelen der Menschen, die seine Pfade kreuzten. Auf langen, einsamen Spazier-
gangen tauchte er tief in das geheimnisvolle, ratselreiche Leben der Natur, urn
ihre und der Menschen Ratsel zu losen und zu entwirren. Immer » auf der Wall-
fahrt nach dem Gott in der eigenen Seele «. Denn er war — auch im Anfang
nicht — eigentlich nie Naturalist ; konnte also auch nie der Epigone Gerharts
sein, wie tatsachlich behauptet wurde. Das Schicksal seiner Menschen war stets
Ausnahmeschicksal, wenn es auch — wie bei Gerhart — naturgemaB in der
schlesischen Heimat wurzelte. Er war ein Traumer, ein Sinnierer. Er war Ro-
mantiker. Er borgte vom Naturalismus wohl Effekte, seine Gestalten und deren
Schicksale aber waren romantisch, zum Teil unwirklich. Seine Empfindung
und Erfindung waren so groB, daB seine Gestaltungskraft rait dem blitzschnell
schaffenden Gehirn und der reich quellenden Phantasie nicht Schritt halten
konnte. Carls Werke greifen ans Herz, weil sein Herz voll von Gesichten, sein
Gemiit iiberreich war.
In rascher Folge erschienen nun seine Werke, zunachst bei S. Fischer, Berlin
(die ersten in der Zeitschrift »Freie Biihne«): 1894 das Schauspiel » Marianne «,
1895 das Schauspiel »Waldleute«, »des Dichters Lehrlingsarbeiten, die sich
aber sofort eigenartig genug aus all den naturalistischen Schopfungen der Zeit
heraushoben« (Dr. Hanns Martin Elster); 1896 die Dithyramben »Sonnen-
wanderer«, 1899 das biihnenwirksame Schauspiel »Ephraims Breite« und 1899
» Aus meinem Tagebuch « (die zweite, vermehrte Auflage 1910 bei Georg D. W.
Callwey, Miinchen). »Aus meinem Tagebuch« enthalt unter einer Fiille person-
licher Bekenntnisse und Erkenntnisse auch seine Lyrik. In diesen Blattern
zeigte er sich ganz als Naturlyriker, enthiillte auch seine Stellung zu Zola und
Meunier. Beide verkiinden nach Carl H. das Hohelied der korperlichen Arbeit,
des Hand- und Schwerarbeiters. Aber ihn lockt nicht der nuchterne Zola,
sondern der begeisterte Meunier. In diesem Tagebuch stehen die Satze : » Aber
das, was letzten Endes wirklich werden will in der Kunst, wird doch immer der
weite Horizont aus der Vogelperspektive, der offenbarteGeist im Zusammenhang
sein. « Und aus dem Tagebuch stammt der Satz, den er mir am 14. Juli 1912 ge-
legentlich der Urauffuhrung seiner »Bergschmiede« auf die Zeichnung des
Malers und Dichters Ludwig Fahrenkrog-Barmen » zur Erinnerung an die Berg-
kampagne« nach Thale im Harz und dem Hexentanzplatz schrieb: »Unser
Leben schauend gelebt, ist unsere Ernte gehalten.« Weiter: »Ich fahnde allent-
halben nach Seele. Seele ist immer gut, wie Licht immer leuchtend.« Das sind
die Leitsatze seines Lebens, die Grundziige seines dichterischen Werkes. So vor-
bereitet, erschien 1902 bei Georg D. W. Callwey in Miinchen sein schonstes
dichterisches Werk, die dramatische Dichtung »Die Bergschmiede«, die mit
dem Volks-Schillerpreis gekront wurde. Dieses vieraktige Drama kam am
14. Juli 1912 in Dr. Ernst Wachlers Bergtheater bei Thale am Harz unter Leo
Ingbers Leitung zur Urauffuhrung. Die zur Handlung gehorige Musik schrieb
Karl Bucha. Regie fuhrte Franz Herterich.
»Die Bergschmiede« ist das Drama der Liebe und Liebessehnsucht. Einge-
ordnet in die Wunder der Riesengebirgswelt hebt Carl das an und fur sich
einfache, naturalistische Thema der Liebe des alternden Schmieds zur jungen
Frau und deren Liebe zum jungen Knecht iiber den Tag ins Allgemeingultige
DBJ
130 1 92 1
empor. Die Gestalten sind symbolistisch, alles etwas unwirklich — »wie im
Traum, weiBe Schleier wehen . . . «
In einsamer Schmiede an einer PaBstraBe lebt der alternde Schmied mit
seiner jungen, schonen Frau Kathrina, dem Gesellen Horant und dem Lehr-
ling Robert ein einsames, trauriges, weltabgeschiedenes Leben. Ihn und sein
Haus meiden die Menschen, denn er ist hart und finster und hat viel Boses
getan. An der Liebe zu ihm ging die Mutter seiner Frau zugrunde. Er raubte
sich Kathrina aus brennendem Baudenhaus, an das er selbst im Liebeswahn
Feuer gelegt hatte. Und in dem Feuer verbrannte der GroBvater seiner Frau.
Ihren Liebsten stiirzte er in dunkler Nacht in den Abgrund hinab. Er wiihlt
in den Bergen nach Schatzen, reich zu sein fur das abgottisch geliebte Weib.
Er liebt sie, wie er vordem nie geliebt hat, und kann ohne sie nicht leben. Er
hat es ihr oft gesagt, beweist es taglich. Aus seiner groBen, fast iibermensch-
lichen Liebe zu Kathrina entwickelt sich, ohne daB sie es recht merkt, ihre
Liebe zu ihm. Sie, die ihn haBt, die ihn fiirchtet, sie gibt er frei:
»Wenn deine Seele einen andern liebt,
Es wird mein Tod sein — doch du sagst es frei.«
Doch sie kann nicht los von ihm, sie liebt ihn, weil er sie liebt; weil seine
Liebe so groB ist, daB sie ihn wiederlieben muB, daB sie ihm vertrauen kann.
Denn das Wesen der Liebe ist nicht Sinnenlust, nicht eine Machtfrage (hier
stunde Macht wider Macht), sondern das Vertrauenwollen zueinander, das
Vertrauenmiissen, das Vertrauenkonnen.
»Dem, der aus alien irdnen Tiefen lebt,
Wird sie als trotzige Sklavin dennoch folgen!
Wenn noch so wild ihr Gram. Wird ihre Freiheit
Hinwerfen wie ein eitel toricht Gut!«
». . . Hast du denn je begriffen,
Was Liebe will? Aus welchem dunklen Grunde
Die Menschenseele nach der Liebe schreit.
Auf unsrem starren, steinigen Erdenrunde ? ! «
Horant, der Geselle, will mit dem starken Meister urn Kathrina kampfen.
In letzter Minute wirft der Schmied den Dolch fort. Er ist mude worden im
ewigen Kampf um die HeiBgeliebte. Er mag nicht mehr ringen. Er hat ihr seine
Liebe genug bewiesen. Erschopft schlaft er ein vor dem drohenden Messer
Horants. Der Geselle zuckt den Stahl, aber das Weib halt ihn zuriick. Sie liebt
den alternden Gatten und hat fur den jungen, schonen Horant nur ein kaltes
»Geh!«
Mag Kathrina in einigen Zugen Rautendelein oder Signes alterer Schwester
im »Fest auf Solhaug« ahneln, mag sich ein kleiner Anklang finden an Ibsens
»Frau vom Meer« — Carl H.s Kathrina bleibt ureigenste Schopfung. Seine
Gestalten fiihren Ratselleben, halten nachtens geheime Zwiesprache mit den
Stimmen in ihrer Brust und schiirfen und graben im Leben, dem eigenen und
dem der Natur, nach Griinden.
Am 13. September 1898 starb des Dichters Vater, dem sein altester Sohn
Georg 1899 im Tode folgte.
Hauptmann igi
Im Giordano-Bruno-Bunde im Biirgersaal des Rathauses zu Berlin hielt
Carl am 19. Februar 1902 den Vortrag »Unsere Wirklichkeit « (Karl Erdmann
Dresden, in herzlicher Freundschaft gewidmet) : »Wer nun den Sinn und das Er-
lebnis des Lebens wieder leben will um seiner selbst willen, der muB dem Ge-
heimnis der speisenden Mitteilung der Wirklichkeiten sich wieder ganz hin-
geben und rein ftihlen die Gefuhle, die in solcher Urmitteilung sich im Gemiite
losen, der muJ3 ganz und voll nur das Wirkliche seiner Personlichkeit setzen,
sich zuriickfiihlen auf sich selber und auf die wirklichen lebendigen Quellen,
auf die eigensten klaren und unzweideutigen Lebensmachte, dafl er aus sich
und ohne Nachfrage bei anderen weifi, was ihn anriihrt, ihm wohltut oder ihn.
herabwiirdigt . . .«, und als Ende des Vortrags: »Wissen Sie auch, daJ3 wer
Sinn und Erlebnis des Lebens rein schmecken will um seiner selbst willen, wie
jene Kindheitsmenschen immer wieder nur den wirklichen Quellen nahen und
dort wie ehedem — in anbetender Erregung Brot und Blumenkranze in den
Grotten niederlegen muB?«
Im selben Jahre (2. Aufl. 1907) gab er bei Callwey in Miinchen den er-
schutternden Roman »Mathilde«, Zeichnungen aus dem Leben einer armen
Frau, heraus. Es ist die Geschichte einer Frauenseele. Er schildert das
Leben Mathildens vom funfzehnjahrigen Madel, das dem Gemeindehaus ent-
flieht, um in der Stadt Fabrikarbeiterin zu werden, ihr keusches Lieben bis
zur funfunddreiBigjahrigen geplagten, ganz in Mutterliebe und Muttergluck
aufgehenden tapferen Frau des Schlossers Simoneit.
»Der treuesten Mutter « ist dies Alltagslos der einfachen Frau aus dem Volke
zugeeignet.
Im selben Jahre erschienen die Prosastudien und kleinen Erzahlungen »Aus
Hiitten am Hange« (Armeleutegeschichten), 1903 das marchenhafte Biihnen-
spiel »Des Konigs Harfe«, 1905 die Erzahlungen »Einfaltige«, die prachtvollen
»Miniaturen« und das tragische Schauspiel »Die Austreibung«; 1906 die
Biihnendichtung in funf Akten » Moses «. Am Ende dieses Jahres traf CarlH. ein
groBer Schmerz: die geliebte Mutter starb am 6. Dezember. 1907 erschien sein
bedeutendstes Prosawerk, der oft mifideutete Roman »Einhart der Lachler«.
Der Roman eines Kiinstlerlebens. Seelengeschichte. Der Stil des Romans —
sicher von Otto Muller von der Kunstlervereinigung »Die Briicke<( beeinfluBt —
ist expressionistisch und bedeutet der jungen Generation Anfang einer neuen
Epoche.
Es trieb ihn nach Worpswede, wo Paula Modersohn gemalt hatte, zu dem
Maler Heinrich Vogeler. Er entfremdete sich dem alten Kreis Bruno Wille,
Wilhelm Bolsche, Georg Reicke ein wenig. Bei Vogeler in Worpswede lernteer
Maria Rohne kennen. Im Juni 1908 trennte er sich von der ersten Frau Martha
(die zur Zeit in Schreiberhau lebt) und heiratete im Oktober desselben Jahres
Maria Rohne, die Tochter des Generals Rohne. Die Hochzeitsreise ging nach
Amerika, wo er am 2. Dezember 1908 vor der germanistischen Gesellschaft
seinen Vortrag »Das Geheimnis der Gestalt« hielt. 1909 wurde ihm sein einziges
Kind, eine Tochter, Monona Gluckl geboren.
Georg Reicke, dem Dichter und zweiten Burgermeister von Berlin, widmete
er »in alter Freundschaft « seinen » Judas «, der drei Geschichten enthalt: »Ein-
faltige«, » Judas « und »Graf Michael «. Im selben Jahre veroffentlichte er die
Tetralogie »Panspiele«. Sie kamen am 18. November 1912 in der Lessing-Gesell-
132 19*1
schaft zu Hamburg durch Emanuel Stockhausen zur Auffiihrung. Jean Paul
d'Ardeschah nennt sie ein »vertraumtes Praludium*.
»Im goldenen Tempelbuch verzeichnet«, so heiBt der erste Akt, ist das Lied
vom wankelmiitigen Eros. Der Dichter singt von der Liebe, die kommt und
geht, den Menschen hin und her wirft und biegt wie Schilf im Winde.
»Du tragst einen Ring von Golde schwer,
Die siiBe L,iebe, die unbetriibt.
Hiite den Ring vor den Tiefen im Meer —
Vereinsamt blutet das Herz, das liebt.«
Diesem »Taumeltanz der I / iebe«, wie es Carl H. einmal bezeichnete, folgte
die Komodie »Der Antiquary, der von grotesker Komik ist. Die junge schone
Sara singt das Panlied, das wie dasHohelied tont. Sie erzwingt sich des jungen
Samuel zogernde Liebe und macht den geizigen Nelken toll und eifersiichtig.
Der tragische Akt »Nadja Bielew« blieb in der Hamburger Auffiihrung fort.
Der vierte Teil der Pansymphonie heiBt »Fasching«. Paul Juon schrieb die
Musik dazu. Manfred Gurlitt vertonte »Im goldenen Tempelbuch verzeichnet«
und iibergab diese Oper unter dem Namen »Die Heilige« der Offentlichkeit.
191 1 erschien das Monumentalwerk » Napoleon «. Erster Teil: Burger Bona-
parte. Zweiter Teil: Kaiser Napoleon. Es ist die Tragodie des Genies. 1912
kamen »Die Nachte«. Im selben Jahr bereitete die damals noch deutsche Stadt
Posen unter Fiihrung der Akademieprofessoren Gustav Buchholz, L,udwig
Kammerer, Friedrich Giese, Mitscherlich, Focke, Brecht, mit denen ich inn be-
kannt machen konnte, dem Dichter eine Carl-H.-Feier. Oberregierungsrat
v. Booth zeigte ihm im Auftrage der Regierung die Ansiedlungen Posens. Er
selbst, ein genialer Vorleser, der sofort in seinen Bann riB, las »Im goldenen
Tempelbuch verzeichnet« und die Novelle » Judas« am 29. November. Am fol-
genden ,Tage fiihrte das Stadttheater »Ephraims Breite« auf. Von seinen
Freunden wohnten Werner Sombart, Wiihelm Bolsche, Anna Teichmiiller,
Heinrich Vogeler, der Maler Hannes Avenarius, der Dichterkomponist Paul
Geisler und Paul Juon der dreitagigen Feier bei. Hier lernte er auch den Maler
Arthur Rudolph, einen Angelo Jank-Schiiler, kennen, der ihn spater oft malte.
Am 28. September dieses Jahres las der Dichter in Schreiberhau sein Drama
in fiinf Akten »Die lange Jule« vor (erschienen 1913 im Kurt Wolff -Verlag. Ur-
auffiihrung in Dresden). Er schilderte hier ein damonisches Weib, das an der
Liebe zu seiner Heimat zugrunde geht:
In Schreiberhau lebt der trotzige GroBbauer Stief, der seine einzige Tochter,
die lange Jule, um seines zweiten Weibes, der sanften Beate wiilen, in der
Todesstunde enterbt. Die Tochter, die ihn weich zu machen sucht, verflucht
er. Zweierlei treibt die lange Jule zu ihrem Ziel, das vaterliche Gut in ihre
Gewalt zu bringen : der HaB gegen die Stiefmutter und die iibergroBe Liebe
zu dem Boden, auf dem sie geboren und aufgewachsen, mit dem sie gleichsam
verwachsen ist. Alles stellt sich ihr bei diesem Vorhaben in den Weg. Alles
zwingt die Kraft ihres Willens nieder. Leicht iiberwindet sie die Bitten ihres
Mannes, der besser zum Weibe getaugt hatte ; ihres buckligen Stief sohnes Theo-
bald, den sie mit einer an ihr sonst fremden, zartlichen Liebe umfaBt, und
ihrer kindlich reizenden Tochter, der funfzehnjahrigen Gertrud. Alle Weiber-
list wendet sie gegen den schurkischen, wucherischen Schuster und Hauser-
Hauptmann jqo
makler Dreiblatt an, der wegen Notzucht im Zuchthaus gesessen hat und nun
den toten Vinzenz Stief , der ihn einst wieder ehrlich machte, der ihm das Ver-
sprechen abnahm, die Hypothek, die Dreiblatt auf dem Gut hat, nicht weiter-
zugeben, die Treue halten will. Mit List und Liebe macht sie ihn sich schlieBlich
gefugig. Das schone Weib, dem die Manner nichts bedeuten, gibt sich ihm. Ihr
Lohn ist die Hypothek. Die harmlose Beate, Jules Stiefmutter, kann die ihr
gekundigte Hypothek nicht zahlen; sie wirft sich ihr zu FiiBen. Jule verhohnt
sie. Nachts, da sie alle schlafen, gebiert ihr aufgeregter Sinn, der sich rastlos
um das vaterliche Gut krampft, den Geist des alten Vinzenz. Zweimal schreckt
er sie, und laut ruft sie um Hilfe, wirft TintenfaB und Stuhl nach dem Gespenst;
das drittemal aber setzt sich das furchterliche Weib ihm gegenuber, sieht dem
Starren starr und furchtlos in die gebrochenen Augen: »Du bist tot. Ich muB
das Gut haben, denn ich bin deine Toehter.« Und lacht. Das Gut kommt in
Subhastation und wird der langen Jule zugesprochen. Und die Nacht kommt,
die vor dem Tage ist, an dem sie im Triumph auf dem vaterlichen Gute ein-
ziehen will. Ein wundersamer Siegestaumel kommt iiber das Weib, dessen
Nerven fieberisch gespannt sind. Sie entztindet viele Lichter und zwingt ihre
miide Familie aus dem Schlaf, trunkene Siegeslieder mit ihr zu lallen und um-
herzutanzen. Sie hat ihr Ziel erreicht: morgen muB die Stiefmutter von Haus
und Hof ins Armenstiibel. Morgen kehrt sie triumphierend heim ins vaterliche
Haus. Ihr Haus. Da schallen schreckliche Rufe in den Siegestaumel. »Feuer!
Feuer!« gellt's durch die Stille von Schreiberhau. Der irrsinnige Vater Jona-
than, den Jules Rachsucht aus dem Ausgedinge, das dem alten Artilleristen
sein Kriegskamerad Stief schuf, vertrieben hat, ziindete das Gut an alien vier
Ecken an. Wie eine Wahnsinnige stiirzt sie sich in die Flammen. Vergeblich.
Alles brennt nieder. Keine Hilfe. Das wiitende Element — vom Winde immer
weiter geworfen — rast unaufhaltsam, bis der letzte Balken in der Glut zu
Asche wird. All ihr Tun war umsonst. Sie ist mit dem Leben fertig. Auf den
Trummern ihres Gliickes sitzt die besiegte Siegerin. Sie schneidet sich die
Pulsadern durch. Wofiir sie schaffte, was sie mit alien Sinnen erstrebte, ist
nicht mehr. Sie hat kein Ziel mehr. Sie braucht nichts mehr. Sie kann nicht
mehr leben. Die einfaltigen Bauern sagen: »Der tote Vater hat sie geholt.«
Nein. Heimatlos mag sie nicht sein, der die Heimat alles ist. —
Wir beugen uns vor diesem W T eibe, das bose war und Boses alien brachte,
mit denen sie zusammenkam ; wir beugen uns dennoch vor dieser Furie, weil
ihr HaB heldenhaft ist und dem tiefinnerlichen Gefiihl der leidenschaftlichsten
Heimatliebe entspringt. Ihr Untergang, ihr Scheitern, ihr Tod, der ihr Leben
siihnt, verursacht uns Schmerz und Trauer, denn die Helden des Lebens, die
Helden der Tat stehen ja immer mit einem FuB auf dem Schafott und sind
kiihn genug, sich nicht davor zu furchten. Erst der Erfolg laBt uns das Tun
jener Helden vergessen, idealisiert das Leben dieser Tatmenschen, das uns in
anderem Falle verabscheuungswurdig, verdammenswert erschienen ware. »Die
lange Jule« ist das erschiitternde Drama eines damonischen Weibes, das die
Heimat mehr liebt als Eltern, Mann und Kinder. Mehr als sich selbst; eine
Heldin des Lebens, eine Frau der Tat, eine Kraftnatur, »die koniglich unbesorgt
um Einzelheiten den Blick allein auf das Ziel gerichtet halt«. Es ist die Tra-
godie der Heimatliebe. In die tiefsten Winkel menschlichen Wollens und Han-
delns dringt forschend der Dichter. Menschen, die abseits vom Wege gehen,
134 I921
herostratische Naturen, deren Tun wir ratios gegeniiberstehen, sucht er zu er-
gr iinden und menschlich begreiflich zu machen. Seine alles verstehende Liebe,
sein unerschiitterlicher Glaube an das Gute im Menschen breiten eine zarte
Marchenstimmung, eine seltene SiiBigkeit iiber die Gestalten, vor deren skrupel-
losem Handeln wir erschrecken. Im Gegensatz zur langen Jule liegt iiber dem
buckligen Stiefsohn, einem Zwilling des Hans Thotnaschen Geigers, der im Mond-
schein die Geige streicht, sehnsiichtige Melodie. Tor Jonathan und Tochter
Gertrud sind von entziickender Weichheit. — Ich gehe besonders auf »Die
lange Jule« und »Die Besenbinder« ein, um kenntlich zu machen, daB der
Dichter hier vom Naturalistischen, dort vom Volkstumlich-Marchenhaften
ausgeht und immer zum Romantischen kommt. Beide Werke scheinen mir fur
sein Schaffen besonders charakteristisch.
Am 13. Oktober war Carl H. in Berlin, um in Friedenau im Hause des Pro-
fessors Paul Juon, der die Musik dazu schreiben sollte, sein altes Marchen in
fiinf Akten »Die armseligen Besenbinder« (erschienen 1913 im Verlag Kurt
Wolff, Leipzig) vorzulesen, diese Dichtung, die so innig ist, wie es alle deutschen
Marchen sind. — Es war um die Stunde, die der Dichter in seinen »Nachten«
besingt: »Am Hause . . . kroch die Herbstsonne iiber Dachwerk und Giebel
und legte die groflen Zackenschatten mitten hinein in braunes, raschelndes
I,aub und blaue Astern . . . «, da erzahlte er :
»Gestern oder schon vor langen Jahren lebte in Schreiberhau eine Besen-
binderfamilie Raschke, die war sehr, sehr arm. Sie war so arm, daB sie iiber-
haupt nicht mehr unterscheiden konnte zwischen gut und schlecht. Wie in
alien Menschen gluhte auch in ihnen eine heiBe Sehnsucht nach dem Gliick,
die besonders stark in dem alten Raschke und seinem wunderschonen Enkel-
kinde Rapunzel war. Wie das Gliick nun eigentlich aussah, das freilich wuBten
sie alle nicht. Der alte Raschke, der versuchte es immer in Einklang zu bringen
mit seinem zweiten Sohn Johannes, dem Vater der Rapunzel, der vor vielen,
vielen Jahren in die Welt gegangen war. Und er traumte, und Rapunzel
traumte Vieles und Seltsames : er sah sich von seinem Sohn Johannes vor die
Himmelstur gefiihrt. Da kamen sie alle vorbei, die bosen vornehmen Leute,
die keine Besen von ihm kaufen wollten, die nur Hohn fiir ihn hatten, der hoch
oben am Waldrand im Gemeindehause hauste. Es beugten sich vor ihm der
Herr Gendarm, der Herr Pastor und der Herr Amtssekretar. Und der alte
Raschke wuBte nun, wie das Gliick aussah. Statt Krahenbraten und Wiirsten,
die der alteste Sohn dem Wirt der » Sonne « stiehlt, gibt's nun Schinken und
Zuckerbrot zu essen . . . Ach Gott! Er und Rapunzel haben ja so viel Zeit zu
traumen. Der Winter ist hart. Um Licht und Holz zu sparen, liegen die Raschkes
den groBten Teil der Zeit im Bett und warmen sich aneinander. Der Traum
umspinnt die Stunden ihrer Tage so fest mit seinen weichen, weiBen, seidenen
Zauberfaden, daB sie Traum und Wirklichkeit nicht mehr voneinander trennen
konnen: Johannes kehrt zunick und bewirtet das ganze Dorf auf goldenen
Schiisseln. Sogar der Herr Amtssekretar, der vor dem Reichtum des Johannes
Scheu empfindet, nimmt dessen Einladung an. Die Raschkes sind verklagt.
Sie haben eingebrochen. Aber wegen der Einladung wird die Sitzung unter-
brochen. Ehe aber das Verfahren gegen die Raschkes fortgesetzt werden kann,
kommt der unerbittlichste Richter — der Tod — und nimmt den alten Raschke
mit sich. — Es ist Abend geworden, die Raschkes schlafen, der Alte sitzt und
Hauptmann joe
sinnt seinen Traumen nach. Die Tiir offnet sich. Der langersehnte Johannes
tritt ein. In einem Korbe bringt er goldene Apfel und Kugeln mit. Flustert
dem Alten ins Ohr: »Ich bin wieder da. Ich bin's, Johannes. « Und der Alte
nimmt spielend das Gold in seine Hande und schlaft ruhig und gliicklich ein,
um nie wieder zu erwachen. Johannes aberbeugt sich iibersein KindRapunzel
und erzahlt der Sechzehnjahrigen von der Welt, von bun ten seidenen Tuchern
und von blitzenden, glitzernden Steinen. Sie taumelt aus dem Schlaf, an dem
toten GroBvater vorbei, Johannes nach. Wohin ? J a, wer konnte das sagen.
Sie sucht das Gluck ; sie, wie wir alle es suchen und nicht f inden, weil wir es
suchen.
In diesem Marchen klingt die Musik unserer Seele. Es gelangte Oktober
1913 im Dresdener Hoftheater zur Urauf fuhrung ; 1917 unter Friedrich KayBler
in der Volksbuhne, Berlin. AuBer Paul Juon schrieb auch Heinz Thiessen eine
Musik zu diesem Marchen.
Nach den Romanen »Mathilde« und »Einhart« erschien 19 13 » Ismael Fried-
mann«. Der Roman eines Halbjuden; eines Mischlings, Sohn eines reichen,
machtvollen jiidischen GroBindustriellen und einer stillen, feinen, blonden
Pastorentochter. Zwei Kinder gingen aus dieser Ehe hervor : die f rische, lebens-
freudige Tochter und Ismael, der immer voller Sehnsucht ist. Ismael, der
schone, hinkende Gelehrte, kehrt von einer Weltreise zuriick. Er versucht auf
SchloB Jungholz heimisch zu werden, aber seine Sehnsucht — die Sehnsucht
des reichen Jiinglings aus der Bibel — laBt ihn den Frieden der Seele nicht
f inden. Sein Freund Juvelius, der Ismaels Schwester, die voll quellendem,
achtlos gesundem Leben ist, heiratet, ist ihm kein Gefahrte der Seele. Auch
bei der empfindsamen Mutter, die an dem Sohn mit heiBer Liebe hangt, findet
er nicht das Verstehen, das sein Herz sich wiinscht. Um Herr dieser Sehnsucht
nach dem Gluck zu werden, fehlt ihm der Mut zu handeln. Er wagt nicht nach
dem Gluck zu greifen, das sich ihm stiindlich beut. Er sieht es und laBt es
voriiberziehen. Er liebt Isabel v. I,andre\ Sie scheint seine Neigung zu er-
widern. Sie gibt ihr Jawort. Zum erstenmal schweigt die Sehnsucht ganz in
Ismael. Da geht dieses feine, herbe Madchen still und ruhig in den Tod. Denn
die im Gliicksrausch geforderte EntbloBung stellt ihrer Scham eine fast un-
mogliche Aufgabe. Und Ismael, der nicht den Mut des reichen Jiinglings hat,
zu entsagen, lebt einsam und sehnsuchtsvoll weiter. Ein Sonderlingsleben
ohne Tat, ohne Nutzen fur sich und die anderen. — Ismael Friedmann ist die
Geschichte einer Sehnsucht.
Carl H. aber liebte die Tat. In ein Buch, das er mir am 1. Dezember 1912
»Dem treuen Tater den frohen Dank fur die erfolgreichen Posener Tage«
sandte, schrieb er: »Die Tat ist alles!« Und sein Iyeben war stets der Tat, dem
Tun geweiht.
Den groBen Krieg vorahnend, schrieb er 1913 das Tedeum »Krieg« (1914 er-
schienen). Dann kamen im Anfang des Krieges seine Novellen »Schicksale«
und die dramatischen Szenen »Aus dem groBen Kriege<(. Am 15. Januar 1915
hielt er vor der Freien Studentenschaft der Universitat Berlin den Kriegsvor-
trag »Die uralte Sphinx « (gewidmet »der kampfenden und ringenden Jugend
des geliebten deutschen Vaterlandes«. Kurt Wolff-Verlag, Leipzig). Ebendort
erschien sein »Riibezahl-Buch« und dann die herrlichen, traumschonen Sonette
»Dort, wo im Sumpf die Hiirde steckt«. Diese entstanden teilweise in Worps-
136 192 1
wede, erfiillt von dem, was er Maria Rohne zu sagen hatte. Friihling 1916 war
er mit mir zur Urauffiihrung von Kokoschkas »Brennendem Dornbusch* in
Dresden, fur den er als Maler und Dichter gliihendes Interesse hatte. Auch
Werfel, Johst und Hasenclever schatzte er sehr. Nach der dreiaktigen Ko-
modie »Die Rebhuhner* kam die fiinfaktige burleske Tragodie » Tobias Bunt-
schuh«, deren Urauffuhrung mit Max Pallenberg in der Hauptrolle im Deut-
schen Theater in Berlin stattfand. Es ist dies die Tragodie des Machtmenschen,
des genialen Erfinders. Alfred Kerrs gescharfter Instinkt erkannte in Carl H.
das AuBerordentliche, und er sagt treffend in seiner Kritik iiber » Tobias Bunt-
schuh« von ihm: »Erschiitterndes liegt in einem Auftritt von bleibender Ge-
walt — wenn der kriipplige Sohn, der Machtmensch ohne Liebesgluck neben
seiner Mutter hockt und ihr vorwirft : Das Letzte kannst du mir nicht schaf fen :
das Madel. Du kannst mir nicht alles ersetzen ! Du reichst nicht aus. Das geht,
Hand aufs Herz, in die tiefsten menschlichen Dinge. Wer das schuf, ist ein
Beweger.« (Alfred Kerr, »Die Welt im Drama «, Bd. Ill, S. Fischer- Verlag,
Berlin.)
Es folgen »Gaukler, Tod und Juwelier«, ein Spiel in fiinf Akten, und das
vieraktige Spiel »Musik«, die mit » Tobias Buntschuh« die Trilogie »Die gol-
denen StraBen« bilden. Sechs I^egenden »Lesseps«, »Des Kaisers Liebkosende«,
»Der schwingende Felsen von Tandil«, »Der abtriinnige Zar« (Auffiihrung in
der Volksbiihne Berlin mit Ludwig Wiillner), » Eva-Maria «, »Die lilienweiBe
Stute«, »Wendolin und Serafine« und das Gedicht »Der M6rder« sind Carls
letzte Werke, die erschienen sind. (ZusammengefaBt unter »Legenden von
Verbrechen und Abenteuern«, Wegweiser- Verlag, Berlin.)
Am 4. Februar 1921, nach fast einjahrigem I^eiden, starb der Dichter Carl H.
In Nieder-Schreiberhau hat man ihn zu Grabe getragen. Werner Sombart, der
Freund, hielt ihm die Grabrede. Er ruht auf dem alten Dorffriedhof unter
einer alten Linde. Sein Denkmal schuf sein Freund Professor Hans Poelzig.
Auf dem Stein steht Einhart des Lachlers Grabschrift, das alte Volkslied :
»Wohl unter dem Roslein,
Wohl unter dem Klee,
Darunter verderb' ich
Nimmermeh' !
Denn jede Trane,
Die dem Aug' entquillt,
Macht, daB mein Sarg
Mit Blut sich fullt.
Doch jedesmal,
Wenn du frbhlich bist,
Mein Sarg voll
Duftender Rosen ist.«
Im NachlaB fand sich ein groBes Prosawerk »Tantaliden«-Gesichte (aus
der Zeit Ende des Krieges). Will-Erich Peukert bereitet eine ausfiihrliche
Carl-H.-Biographie vor. Viele Daten finden sich bei Paul Schlenther-Eloesser,
Dr. Hanns Martin Elster, Adolf Bartels und Paul Fechter. Wichtig fiir die Be-
urteilung Carl H.s ist, was Alfred Kerr iiber ihn sagt. Sein dichterischer Nach-
laB befindet sich bei Frau Maria H. -Rohne.
Hauptmann. Heusler 137
Mit Carl H. ging ein echter deutscher Dichter zu Grabe, dessen grofie Be-
deutung, besonders fur die junge Generation, erst spater erkannt werden wird.
Sein Einflufl auf Gerharts dichterisches Schaffen, jetzt noch in tiefes Dunkel
gehullt, muB spaterer Forschung iiberlassen bleiben; vielleicht wenn Einblick
gewahrt wird in die Briefe und Tagebiicher gemeinsamer Freunde. Carls
reiche Seele ist in vielen Werken. In den Versen:
»t)ber uns in wolkigen Liiften
Jubeln Lerchen traumverloren.
Tief im Haidekraute lieg' ich,
Fuhle mich so erdgeboren.
Ganz, als ob ich aus der Scholle
Wild entwachsen war', wie Baume,
Leicht vom Haidewind geschaukelt,
Erde halb — und halb auch Traume.
Ganz, als ob ich aus der Scholle
Aufgeflogen war' mit Schwingen,
Hoch im Sommerwinde aufsteigend,
Erde halb — und halb doch Klingen. — «
Berlin. Karl Wilczynski.
Heusler, Andreas, * Basel 30. September 1834, t daselbst 2. November 1921.
1. LebenundWirken. Abkunft und Uberlieferung weisen den jungen H.
auf Fuhrerrang in der Heimatstadt Basel. Der Vater Andreas H. war Professor
und Ratsherr, im politischen Kampf Fuhrer der konservativen Partei; die
Mutter Dorothea geb. Ryhiner gleich ihrem Gatten altbaslerischen Geschlechts.
Als Abiturient des Basler Gymnasiums wird der fiir Musik und Graphik be-
geisterte Sohn nach einigem Schwanken der Geschichtsforschung gewonnen und
entscheidet sich fiir Rechtsgeschichte. Aber vom germanistischen Katheder
kommen ihm keine starken Eindriicke zu. Die Universitatsjahre in Basel, Got-
tingen und Berlin erwecken zivilprozessuale (Briegleb) und romanistische Inter-
essen ; aus dem romischen Servitutenrechte geht auch die bei F. L. Keller in
Berlin eingereichte Dissertation. Zuriickgekehrt, wirkt H. 1856 — 1858 bei der
Ordnung des Basler Archivs mit, und hier gewinnt er unmittelbare Fiihlung mit
dem mittelalterlichen Rechtsleben. Um dieselbe Zeit tritt er (1857) als Gerichts-
schreiber am Basler Zivilgericht ein, bald von der Rechtsprechung lebhaft ge-
fesselt. Das Jahr 1858 bringt die Entscheidung fiir die akademische Laufbahn;
H. habilitiert sich fiir ZivilprozeJ3. Nach C. W. Arnolds Weggang erhalt er 1863
die gennanistische Professur an der Basler Juristenfakultat, die er in der Folge
ein halbes Jahrhundert hindurch bekleidet und auch auf auswartige Rufe
(Zurich 1871, Tubingen 1873) hin nicht aufgibt. Neben der I^ehrtatigkeit lauft
bald auch das Richteramt einher: 1859 wird H. Ersatzrichter, 1863 Richter,
1866 Statthalter des Zivilgerichts. Von 1891 bis 1907 ist er President des Appel-
lationsgerichts seiner Vaterstadt.
Doch nicht genug damit. Der engere Raum der kleinen Stadtrepublikbe-
dingt allseitigere Inanspruchnahme geistig Fiihrender. H. nimmt seit i860 auch
an der Basler Gesetzgebung teil und gehort seit 1863 der Justizkommission an,
138 1921
welche als Auf sichtsinstanz vor allem in Sachen der f reiwilligen Gerichtsbarkeit
und Justizverwaltung amtet. Der Sechsundzwanzigjahrige verfaBt i860 den
motivierten Bericht iiber das Grundbuchgesetz (i860). Dann geht er im behord-
lichen Auftrag an die Ausarbeitung eines Zivilgesetzentwurfs (Text 1865, Mo-
tive 1866/68), der in Erwartung eines schweizerischen Zivilgesetzbuches freilich
nicht Gesetz wurde, wohl aber in Teilgesetzen (Vonnundschaftsgesetz 1880,
H.s Entwurf 1877 — Gesetz iiber ehel. Giiterrecht, Erbrecht und Schenkungen
1884, H.s Entwurf 1878) Geltung gewann. SchlieBlich folgt die nun durch
50 Jahre bewahrte ZivilprozeBordnung (1875; H.s Entwurf 1873). Fast gleich-
zeitig lenkt der in Basel Anerkannte das Augenmerk des Bundes auf sich. Ein
im schweizerischen Juristenverein 1865 gehaltenes Refer at iiber Konkurs-
privilegien zieht 1868 den behordlichen Auftrag nach sich, den Entwurf eines
allgemeinen Konkursgesetzes und eines Gesetzes (oder Konkordats) iiber Be-
treibung auszuarbeiten. H. legt 1870 den Entwurf vor und bleibt bis 1889 an
der Schaf f ung des schweizerischen Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes be-
teiligt, muB aller dings eine vollige Umgestaltung seines Entwurfs zugunsten des
Saisie-Verfahrens der welschen Kantone hinnehmen. An der Abfassung des
schweizerischen Obligationenrechts (1881) hat er nur mehr literarischen Anteil,
an jener des Zivilgesetzbuches wirkt er nicht mehr mit. Die gesetzgeberische
Fiihrung war inzwischen auf Eugen Huber ubergegangen.
Auf der Hohe seiner Jahre nimmt H. auch als Politiker am offentlichen Leben
teil: 1866 — 1902 als konservatives Mitglied des Basler groBen Rates, insbeson-
dere aber 1873 bis Mitte der achtziger Jahre durch politische Artikel in der
Allgemeinen Schweizerzeitung, worin er namentlich gegen die Zentralisierungs-
plane der radikalen Partei Stellung bezog.
Neben all dem dient er mit der selbstverstandlichen Hingabe des Basler Alt-
burgers an seine Vaterstadt offentlichen Veranstaltungen und gemeinnutzigen
Einrichtungen. Vor allem gilt seine L,iebe der wertvollen Universitatsbibliothek,
deren Kommission er seit 1872 angehorte, seit 1886 vorstand. Der sonst pein-
lich sparsame Mann war ihr gegeniiber im Schenken verschwenderisch, in der
Wahrung ihrer Belange ein Eiferer. Ihr Reichtum ist mit sein Werk.
Sein eigenes Haus griindete H. 1862 durch Vermahlung mit Adele Sarasin,
Tochter des Basler Ratsherrn Karl Sarasin. Der Ehe entsprossen zwei Tochter
und als einziger Sohn Andreas, Professor der germanischen Sprachen und Lite-
ratur zu Berlin, jetzt Basel. Die eingangs der siebziger Jahre ausbrechende Er-
krankung der Gattin, ihr 1878 erfolgter Tod wirft iiber diese Jahre tiefen
Schatten. Immerhin bringt freundschaftlicheur Verkehr mit Gelehrten (W. Vi-
scher/ P. F. v. Wyfl, G. Hartmann. R. Sohm u. a.) wieder Sonnigkeit ; A. Wach
und K. Binding bleiben H. zeitlebens nahverbundene Freunde.
Mehr und mehr steht er nun als Gelehrter im Vordergrunde seiner Vaterstadt
und ihrer Hochschule. Er wird 1871 Rektor der Universitat, erhalt 1888 den
Dr. h. c. der Basler Philosophischen Fakultat, 1904 jenen der Staatswissen-
schaften seitens der Universitat Tubingen, 1909 jenen der Rechte seitens der
Genfer Schwesterfakultat. Hinzu tritt 191 1 die Verleihung des Ordens Pour le
m£rite und 19 13 die Ernennung zum Ehrenmitglied des Schweizerischen
Juristenvereins.
Als H. 1913 sich aus dem Lehramte zurtickzog, geschah es, um den Rest
seiner Jahre in Zuriickgezogenheit literarischen Vorwiirfen zu widmen. Da
Heusler
139
brach der Krieg aus und Eckart Meister zog ins Feld, ohne die von Planitz nur
kurz versehene, jetzt freigewordene Lehrkanzel bestiegen zu haben. So trat
denn der Achtzigjahrige noch einmal in die Lucke. Wie frisch sein Geist noch
immer war, davon zeugen seine letzten literarischen Schopfungen. Erst das
Jahr 1 92 1 brachte zu den Altersbeschwerden des Leibes eine unverkennbare
Ermattung des Geistes, von der er sich nicht mehr erholen sollte. Nach kurzem
Krankenlager entschlief er einem erfullten Leben.
2. Das wissenschaf tliche Werk. Nur kurz gestreift sei hier H.s Tatigkeit
als Letter der Zeitschrift fiir schweizerisches Recht (1882 — 1920). In ihr hat er
Jahr fiir Jahr die schweizerische Rechtsliteratur gesichtet und zum groBen Teile
selbst gewiirdigt, schweizerische Rechtsquellen der Forschung zuganglich ge-
macht und mit sorgfaltig berichtender Feder die gesamte Gesetzgebung der
Schweiz verfolgt.
Daneben und fiir die Wissenschaft davor steht sein eigenes literarisches
Schaffen. Wie aller GroBen geht auch H.s Absicht bei jeglicher Forschung auf
schrittweise Aneignung eines Gesamtbildes. Von der Einzelstudie ausgehend,
halt er erst inne, wenn das ganze Feld gemeistert vor seinem Blicke daliegt.
a) ProzeBrechtliche Schriften. Die erste rechtsgeschichtliche Arbeit
nach der Dissertation gilt dem Rechtsgang. Der Vierundzwanzigjahrige wan-
delt noch in den Bahnen Fr. v. WyB\ dessen Abhandlung vom altzurcherischen
Konkurs H. (1858) an weiterem Schweizer, insbesondere Basler Material fort-
fuhrt. Das durch sie veranlaBte Referat iiber Konkurs vorrechte (1865) zieht in
der Folge (1882) eine Untersuchung iiber das Weibergutprivileg nach sich, dem
er eine Hochstgrenze gesetzt wissen wollte, und eine ahnlich skeptische Ein-
stellung zeigt auch das Referat vom gleichen Jahre auf dem schweizerischen
Juristentag. Abrundung und AbschluB der Studien bildet auf konkursrecht-
lichem Gebiete der Gesetzentwurf selbst, in dem er sich fiir die grundsatzlich
simultane Zwangsbefriedigung aller Glaubiger (Konkurssystem) einsetzte, weil
er sie fiir wohlfeiler, gerechter und einfacher hielt als die Einzelbetreibung.
Dem ZivilprozeB i.e.S. gilt eine methodisch vortreffliche Abhandlung iiber
die Nichtigkeitsbeschwerde in schweizerischen ProzeBordnungen (1867), worin
er insbesondere eine Abgrenzung der nur durch Kassation heilbaren Verfahrens-
mangel trifft, wie er sie spater auch seinem Entwurf einer Basler ZPO. zugrunde
legte. Gegeniiber dem vom franzosischen ProzeB beeinfluBten Standpunkte
deutscher und schweizerischer ProzeBgesetze verteidigt H. den gemeinen deut-
schen ProzeB mit seinem Schriftlichkeitsverf ahren. — Stark geschichtlich unter-
baut ist ein Aufsatz vom Forum contractus (1881), der wiederum die schweize-
rischen Verhaltnisse im Auge hat. — Begrifflicher Klarung dient die 1879 er-
schienene meisterhafte Abhandlung iiber die Grundlagen des Beweisrechts ; sie
scheidet die noch wahrnehmbaren Tatbestandselemente aus dem Anwendungs-
bereich der Beweismittel aus und weist sie richterlichem Augenschein zu. Der
hierbei sich aufdrangenden Frage nach der Rolle des Sachverstandigen ist H.
ausfuhrlicher in einer 1915 veroffentlichten Studie vom sachverstandigen
Richter nachgegangen. Der Sachverstandige ist ihm Richtergehilfe, daher kann
der Einzelrichter stets, der Kollegialrichter wenigstens in Fragen des taglichen
Lebens sehr wohl als Sachkundiger urteilen. — Ein gleichfalls 1915 mit dem
vorigen zusammen erschienener Aufsatz bekampft die Lehre, wonach die Ent-
scheidungsgriinde der Rechtskraft entzogen bleiben; soweit diese notwendige
140 1921
Elemente des Urteils bildeten, miisse auch die Rechtskraft auf sie erstreckt
werden. — Den AbschluJS derteils legislativen, teils dogmatischen Arbeiten aus
dem ProzeBrecht bildet die nach H.s Tod erschienene Darstellung des Zivil-
prozesses der Schweiz. Diese kurzgefaBte Einfiihrung konnte keine erschopfende
Behandlung des Stoffs bedeuten, wohl aber ist sie nicht nur ein Werk echt
H.scher Gestaltungskunst, sondern zugleich auch die reife Frucht langjahriger
Beschaftigung mit den prozeBrechtlichen Problemen selbst, denen er treffende
Ausfiihrungen widmete.
Umrankt wird dieser fruchtbare Zweig IJ.scher Forschung von drei geschicht-
lichen Studien. Eine umfangreiche Abhandlung iiber den ExekutivprozeB (1867)
zeigt bereits den sicheren Griff und die Darstellungskunst seiner Feder. Sie ent-
hiillt die spatmittelalterlichen Wurzeln des Urkundsprozesses und berichtigt
die gemeine Ansicht von dessen rein romisch-kanonischem Ursprung. — Einem
breiteren Leserkreise zugedacht, daher gemeinverstandlieher geben sich zwei
weitere Aufsatze. In der Festschrift der Universitat erschien (1910) der erste,
von der Basler Rechtspflege durch fiinf Jahrhunderte erzahlend. Als nach-
gelassene Schrift der andere (1922) iiber Basels Gerichtswesen im Mittelalter.
b) H.s verfassungsgeschichtliche Arbeiten gehen von der Stadt-
verfassung und auf schweizergeschichtlichem Boden von den alten eidgenos-
sischen Biinden aus, urn in zwei Gesamtdarstellungen ihre Kronung zu finden.
Gleich der erste Wurf ist ein Meisterwerk: die i860 der feiernden Universitat
gewidmete Verfassungsgeschichte der Stadt Basel, auf lange Zeit »die beste
deutsche Stadtegeschichte « (Schmoller). Die Zeitgenossen bewegend durch den
Gegensatz zur Jahrszuvor erschienenen Schrift Nitzschens iiber Ministerialist
und Biirgertum, erfuhr dieses ortsgeschichtliche Werk aus der Feder des ge-
reiften H. 1872 eine Steigerung zu allgemeiner Fragestellung ; denn seine Schrift
vom Ursprung der deutschen Stadtverfassung miinzt den Ertrag der Basler
Lokalforschung in allgemeine Satze aus, die, gegen Nitzsch und v. Maurer ge-
wandt, den Standpunkt des Basler Freundes und Vorgangers Arnold von der
freien Biirgergemeinde als Keimzelle des Stadtstaats verteidigen. In der Folge
war es dann Sohms spekulative Schrift von der Entstehung des Stadtewesens
(1890), welche H.s Anschauung bis zuletzt beherrschte, wahrend er die frucht-
bareren Forschungen Jiingerer zur Stadtverfassung des Mittelalters nicht mehr
beriicksichtigt hat.
Forderten diese und andere Studien, nicht zuletzt sein Institutionenwerk,
haufig Seitenblicke auf andere Fragen der Verfassungsgeschichte, so holte H.
1905 mit seiner Deutschen Verfassungsgeschichte zu einer abschlieBenden Dar-
stellung aus. Sie sollte indes kein mit gelehrten Nachweisen und Erorterungen
ausgeriistetes Handbuch, vielmehr ein Lesebuch fiir den Gebildeten sein, und
zu einem solchen brachte seine gepflegte Darstellungskunst und sein Blick
fiir die groBe Linie ja auch besondere Eignung mit. Freilich bedeutete dies
zugleich Verzicht auf kritische Wiirdigung der iiberwiegend in Einzelfragen
und lokalgeschichtliche Bilder festgebissenen verfassungsgeschichtlichen Lite-
ratur. Fehlte dem vielbeschaftigten Manne Kraft und Zeit, ihr zu folgen, oder
verspiirte der Wesentlicherem zugewandte Jurist H. keine Lust mehr dazu ?
DaB der Stoff selbst fiir ihn seine Anziehungskraft nicht verloren hatte,
zeigen die literarischen Gaben des Hochbetagten. Der Basler Biirgerschaft be-
scherte H. 1917 eine gemeinverstandlich geschriebene Geschichte der Stadt
Heusler IJ.I
Basel; der schweizerischen Juristenschaft aber legte er noch 1920 seine aus einer
Kriegsvorlesung hervorgegangene Schweizerische Verfassungsgeschichte vor.
Sie hat ihre Vorlaufer teils in vortrefflichen Einleitungen zu den von ihm ver-
offentlichen Rechtsquellen (Wallis, Tessin), teils in einer Analyse der eid-
genossischen Bundesbriefe, die H. 1901 zuerst in seiner Festrede zu Basels Auf-
nahme in die Schweizerische Eidgenossenschaft (1501) bot, und sodann in den
1904 veroffentlichten Glossen zum Basler Bundesbriefe weiterspann.
c) Privatrechtliche Schriften. Tritt H. auf prozeBrechtlichem und ver-
f assungsgeschichtlichem Boden hinter GroBeren zuriick, so fiihrt inn das Privat-
recht in vorderste Reihe. Von geringerem Range ist freilich eine Erstlingsarbeit
iiber Biirge und Selbstzahler (1861), und auch die zu den Uerten- und Teilsamen-
rechten Unterwaldens geschriebene Einleitung (1862) zeigt noch deutlich den
EinfluB Fr. v. WyB\ Immerhin geht es da bereits um einen der Kernpunkte
des mittelalterlichen Privatrechts, um die Rechtsnatur der Genossenschaft.
Und den einmal bezogenen Standpunkt (von der juristischen Personlichkeit der
germanischen Genossenschaft) hat H. weder Gierkes breit unterbauter Ge-
nossenschaftstheorie gegeniiber preisgegeben noch dem Sohmschen Versuch einer
nach AuBen- und Innenseite gespaltenen Konstruktion. Zum Sachenrecht leitet
sodann eine Studie iiber Fahrnisverfolgung (187 1) hin. Was hier von der pro-
zessualen Seite angegangen wird, verfolgt das 1872 erschienene Buch von der
Gewere auch in materiellrechtlicher Richtung. In ihm bewahrt sich H. erst-
mals auf privatrechtlichem Gebiet an groBem Stof f als vollig selbstandiger For-
scher von erstem Rang. Das Werk bleibt seine methodisch strengste und
quellenmaBig umfassendste Abhandlung, »ein Stuck europaischer Rechts-
geschichte« (Laband). Es geht gegen Albrechts Geweretheorie ; die Gewere er-
halt als reale Sachherrschaft wieder Fleisch und Blut, unbeschadet ihrer aus-
schlaggebenden Wirkung im Rechtsgang. Die geistreiche Verknupfung H.scher
Ergebnisse mit dem Grundgedanken Albrechts auf dem Boden der Kundbar-
keitswirkung, wie sie E. Huber und O. Gierke spater fanden, hat H. zeitlebens
abgelehnt. Die Besonderheiten der germanischen Fahrnisklage schienen ihm
prozessual-polizeilichen, nicht materiell-publizitatsrechtlichen Grund zu haben.
Auf Bindings Drangen tibernahm H., dergestalt als Beherrscher weiter
Privatrechtsgebiete ausgewiesen und fraglos durch den starken Eindruck seiner
Geweretheorie auf die zeitgenossische Fachwissenschaft ermutigt, die Darstel-
lung des Deutschen Privatrechts in des ersteren Handbuch. Bald gab er freilich
das geltende Privatrecht, die germanistische Pandektenlehre, an O. Gierke ab
und ubernahm statt dessen die geschichtliche Einfuhrung, die auf Brunners Vor-
schlag unter dem Stichwort Institutionen gehen sollte. Das zweibandige Werk
erschien 1885/86 ; es wurde fur die Fachwelt ein liter arisches Ereignis und hat
seinem Verf asser f iir immer einen Platz unter den Klassikern der Rechtswissen-
schaft gesichert. Es hat zugleich die germanistische Forschung erneut zu Ehren
gebracht; denn keine Darstellung hatte zuvor »so im Zusammenhange das ganze
mittelalterliche Recht erfaBt* (Stobbe). Auch im romanistischen Lager er-
hoben sich begeisterte Stimmen, zumal seitens R. v. Jherings, der das Werk als
ebenbiirtiges Seitenstiick zu seinem Geist des romischen Rechts begruBte. Das
Buch bietet bei biindigster Gedankenfiihrung eine Fiille geistvoller Deutungen
und ist, wenn auch naturgemaB in manchem iiberholt, noch heute die hochst-
stehende Einfuhrung in das mittelalterliche Privatrecht. Kaum in einer
I42 1921
anderen Schrift hat H. seine intuitive Sicherheit im Herausgreifen des Wesent-
lichen so meisterhaft bewahrt, kaum irgend sonstwo bluht seine Sprache zu
solcher Vollendung auf. Alles lebt, alles ist geschaut, und unbeschwert von
antiquarischem Beiwerk wie von unfruchtbarer Konstruktionssucht er-
schlieBt seine Darstellung Sinn und Geist der entschwundenen Rechtswelt in
einem monumentalen Bau von iiberraschender ZweckmaBigkeit. — H. wird
unter den groBen Gelehrten seinen besonderen Platz behaupten. Er ver-
bindet geschichtliche Intuition mit fesselnder Darstellungskunst. Dabei geht
er, der auch im Umgang kantig sein konnte, in der Wissenschaft gerne seinen
eigenen Weg, unbekummert um Beifall und Widerspruch der andern. Er ist
einer der markantesten Vertreter aus dem Gelehrtenkreise vornehmer Basler,
dem er entstammte und zeitlebens angehorte.
Literatur : Worte des Sohncs (als Manuskript gedruckt) ; Nachrufe schrieben: U.Stutz,
Ztschr. d. Savignystift. f . Rechtsgesch., XUII, Germ. Abt., p. LXIV ss. ; derselbe, Schweiz.
Monatshefte f. Politik und Kultur I, 4i2ff.; C. Bischoff, Basler Jahrbuch 1923, iff.;
W. Vischer, Basler Ztschr. f. Geschichte und Alt., XX 38iff.; E. His und F. Beyerle,
Ztschr. f . Schweiz. Recht NF. XU ff . — Schriftenverzeichnis von E. His am zuletzt genann-
ten Orte, S. iooff. — Der literarische Nachlafl ist, soweit wissenschaftlichen Inhalts,
gedruckt. Eine Ausnahme macht nur ein erster Teil der zur zweiten Auflage bestimmten
Deutschen Verfassungsgeschichte, welcher dem Verf asser dieses Nachrufs iibergeben wurde.
Teile einer unvollendeten Autobiographic, Notizen und Briefe beim Sohn A. H., Haus
Thule, Arlesheim.
Basel. Franz Beyerle.
Hildebrand, Adolf v., Bildhauer, * in Marburg am 6. Oktober 1847, t am
18. Januar 1921 in Mtinchen. — Dem Begriffe »Personlichkeit« ist wohl niemals
vorher so viel Wichtigkeit fur die Beurteilung eines Kiinstlers und seiner Lei-
stungen beigelegt worden als zu der Zeit, da Adolf v. H. in die Ewigkeit ging.
Leider hat seitdem die allgemeine Vorstellung von dem, was ein Kunstwerk zu
einer personlichen Schopfung macht, die starkste VerauBerlichung und Ver-
groberung erfahren. Damit sind alle die Werke einer gewissen Unterschatzung
ausgesetzt, die, wie die H.s, ihren besonderen Vorzug in ihrem engen Verhaltnis
zur Wirklichkeit, in der inneren Wahrheit und in dem Bestreben des ausfuhren-
den Kiinstlers, die Schonheit der natiirlichen Erscheinung zum Ausdruck zu
bringen, haben. Mit groBem Unrecht. Man braucht nicht der Natur ins Gesicht
zu schlagen, um seine Originalitat zu beweisen. Ware H. auf dem Gebiete der
Bildhauerei nicht einmal ein »Neuer« gewesen und als Personlichkeit erkannt
und geschatzt worden, wurde er niemals so anregend auf seine Kunstgenossen
gewirkt haben, wie es tatsachlich der Fall war. Er bedeutet — und das sollte nie
vergessen werden — fiir seine Kunst sicherlich nicht weniger als Hans v. Marees
fiir die Malerei, und er bedeutet mehr. Denn er gibt Vollendetes, wo dieser nur
groBe Absichten aufzuweisen hat. Und er war nicht nur Bildhauer, sondern, wie
die groBen Leuchten der Renaissance, auch Maler und Architekt in einer Per-
son. Seine vielbesprochene Abhandlung »Das Problem der Form« hat bedauer-
licherweise Veranlassung geboten, seiner Kunst die Urspriinglichkeit abzu-
sprechen, sie als verstandesgemaB zu bezeichnen. Aber mit dem Verstande
allein bringt man doch kein Kunstwerk zustande. AuBerdem ging die Absicht
H.s bei der Abfassung seiner Schrift zunachst dahin, gewisse von ihm
erkannte Gesetze in seiner Kunst so zu formulieren, daB die naheren Kunst-
Heusler. Hildebrand
143
genossen Kenntnis davon nehmen konnten und der ubrigen Menschheit klar
wiirde, in welcher Richtung die Probleme der Plastik liegen. I,eider hat er das
in einer so umstandlichen und schweren Form getan, daB selbst ganz einfache
Gedanken dem ungelehrten Leser in Dunkelheit gehiillt blieben. Immerhin hat
er einige Ansichten ausgesprochen, deren Richtigkeit nicht bestritten werden
kann: daB jedes gute plastische Werk eine Hauptansicht haben miisse, in der
die Flachendimensionen so klar zum BewuBtsein des Betrachtenden kommen,
daJ3 er die Tiefen- und Raumverhaltnisse des Ganzen sofort erfasse. DaB zur Er-
reichung dieses Zieles der Bildhauer am vorteilhaftesten vom Relief ausginge,
auch beim Schaffen von Rundfiguren, damit diese von jedem Standpunkt aus
den klaren, alle Tiefen- und Raumverhaltnisse bestimmenden UmriB boten.
DaB die von der Gegenwart bestandig geforderten Rundmonumente zu einer
Verodung des Begriffes Plastik gefuhrt hatten, indem man solche Monumente
meist in die Mitte eines Platzes setze und dadurch die unbedingt notige bild-
hafte Wirkung unmoglich mache. Der Platz an sich sei kein Hintergrund, und
eines solchen bediirfe selbst die Rundplastik, weil dadurch erst dem Betrachten-
den die dritte Dimension, die Tiefenvorstellung zum BewuBtsein kame. Die
Plastik allein gabe keine Raumvorstellung, sondern sie wirke eben durch ihr
Verhaltnis zum Raum. Indem H. so auf die engen Beziehungen von Architektur
und Plastik hingewiesen, hat er sehr viel dazu beigetragen, daB sie ihrer ur-
spriinglichen Bestimmung, dem Werke des Baumeisters Zier und kiinstlerischer
Schmuck zu sein, haufiger wieder zugefiihrt wurde, vor allem in der Form des
Reliefs.
Warum soil ein Kunstler das GesetzmaBige seiner Kunst sich nicht klar-
zulegen suchen, wenn er die Fahigkeit besitzt, mit Geschmack davon Gebrauch
zu machen, wenn er es nicht als Schema anwendet ? Niemand vermag H. nach-
zuweisen, daB er nach einem solchen gearbeitet; denn seine Schopfungen zeigen
unter sich die groBten Verschiedenheiten. Ubrigens ist er nicht der einzige Bild-
hauer, der iiberzeugt war, daB seine Kunst gewissen Gesetzen unterliege. Der
franzosische Bildhauer Auguste Rodin, dessen Schopfungen gewiB nichts Ver-
standesgemaBes haben, bekennt ganz of fen, daB er in seiner Skulptur immer
nach der Wissenschaft sich gerichtet habe, und sagt den Griechen nach, ihre
Kunst ware die reine Geometric
Wenn man H.s Plastik fur Verstandeskunst halt, muBte man ja auch die
herrlichsten Schopfungen der griechischen Bildhauer als die Erzeugnisse einer
solchen ansprechen; denn von ihnen hat der deutsche Kunstler gelernt, be-
ruhigtes Leben wahr und groB aufzufassen und darzustellen, ohne in Nach-
ahmung zu verfallen. Bei H. findet man weder jene klassizistische Richtung,
die Canova, noch die verallgemeinernde, die Thorwaldsen vertritt. Er ist durch-
aus eine Erscheinung fiir sich, die allerdings mehr durch ihre Abgeklartheit als
durch ihr Temperament wirkt. Er ist Realist, indem er die charakteristischen
Eigentiimlichkeiten eines Menschenkorpers, eines Gesichts mit aller Scharfe
zum Ausdruck zu bringen sucht, Idealist, indem er alles Nebensachliche
vereinfacht, um der plastischen Wirkung keinen Eintrag zu tun. Ein Meister
im MaBhalten, ist er den groBen griechischen Bildhauern naher gekommen als
irgendein anderer Plastiker des 19. Jahrhunderts, und insofern haben viele
seiner Schopfungen, nicht alle, jenes erhaben Zeitlose, das immer als sicheres
Kennzeichen der hochsten Kunstlerschaft gelten wird.
144 lg21
H. entstammt einer Gelehrtenfamilie. Sein Vater war der Nationaldkonom
Bnino H., der zuerst in Marburg, dann in Zurich und Bern gewirkt und in Jena
sein I^eben beschlossen hat. In Jena zeigten sich bei dem Knaben die ersten
kiinstlerischen Regungen. Mit Vorliebe knetete er aus Ton allerlei Figiirchen,
was die Eltern bestimmte, die Kiinstlerlaufbahn fur ihn in Aussicht zu nehmen.
Er selbst, obgleich kein guter Schuler, dachte daran, Gelehrter, wie der Vater,
zu werden. Doch man ging auf diesen kindlichen Wunsch nicht ein und schickte
den Achtzehnjahrigen nach Niirnberg auf die Kunstschule. Sein Lehrer dort
war August Kreling, ein Schuler Schwanthalers. Schon ein Jahr spater, 1866,
befand er sich in Miinchen bei Kaspar Zumbusch, dem spateren Direktor der
Wiener Akademie. Der, die groBe Begabung des Junglings bald erkennend,
nahm ihn auf eine Reise nach Italien mit, die am Silvestertage des gleichen
Jahres angetreten wurde. Bis zum Sommer 1868 wahrte H.s Aufenthalt, haupt-
sachlich in Rom. In der Ewigen Stadt machte er die fur seine kunstlerische
Entwicklung so bedeutsame Bekanntschaft mit Konrad Fiedler und Hans
v. Marees, die zu einer fur alle Beteiligten auBerst fruchtbaren Freundschaft
sich auswuchs. Es wird nicht mehr festzustellen sein, wer in diesem Freund-
schaftsbunde der Gebende und wer der Empfangende war. Den klarsten Kopf
besaB sicherlich H., und so ist anzunehmen, daB seine Ideen von Kunst Marees
beeinfluBt haben, nicht dessen kunstlerische Uberzeugungen ihn. Ende 1869
waren die drei Freunde in Berlin. Um den Aufenthalt bestreiten zu konnen,
trat H. als Gehilf e in Siemerings Atelier ein und arbeitete in seinen Freistunden
an dem »Hirtenknaben« und dem »Trinkenden Knaben «. Oberzeugt von der
groBen Zukunft seines Talents, bestellte Fiedler diesen bei ihm in Bronze und
gewahrte ihm zugleich die Mittel, seine Studien in Italien fortsetzen zu konnen.
H. lieB sich in Florenz nieder, begleitete aber Maries nach Neapel, als dieser
dort die Fresken fiir die deutsche zoologische Station malte und half ihm dabei.
Im gleichen Jahre (1873) errang er auf der Wiener Weltausstellung die ersten
kiinstlerischen Erfolge mit dem Hirtenknaben, der Biiste des Sprachforschers
Th. Heyse und dem trinkenden Knaben. Seine Verhaltnisse besserten sich bald
so weit, daB er 1874 in der Lage war, das von ihm als Atelier benutzte Kloster
San Francesco di Paola bei Florenz zu erwerben und mit Marees zu beziehen.
Hier ist die Mehrzahl seiner Werke entstanden, hier lieB Maries, als die Freund-
schaft in die Briiche ging, einen groBen Teil seiner spater so hoch geschatzten
Bilder zuriick. In Deutschland lenkte H.s Ausstellung bei Fritz Gurlitt im
Jahre 1884 die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Ktinstler. Sie enthielt u. a.
die jetzt in der Nationalgalerie befindliche Statue des » Jugendlichen Mannes«,
eines der fiir seine Art besonders bezeichnenden Werke; sie, der »Adam«, der
»Kugelspieler«, der »sitzende Marsyas«, der »Merkur« sind wohl die am meisten
charakteristischen Beispiele fiir H.s Auffassung und Wiedergabe des mensch-
lichen Korpers. Bei der Konkurrenz fiir das Berliner Kaiser- Wilhelm-Denkmal
1889 errang der Kunstler den zweiten Preis. Eine Ausstellung seiner Werke in
Miinchen 1891 hatte den Erfolg, daB er mit der Errichtung des Wittelsbacher
Brunnens beauftragt wurde. Er entschloB sich nunmehr, seinen Wohnsitz nach
Miinchen zu verlegen und erbaute sich dort die schone Villa in der Maria-
Theresia-StraBe, die fiir ihn freilich nur eine Sommerresidenz war, da er den
Winter in Italien zuzubringen pflegte. Diese Villa und der »Wittelsbacher
Brunnen« waren so iiberzeugende Beweise seiner architektonischen Begabung,
Hildebrand
145
daB sie die Ausgangspunkte bildeten fiir eine Reihe von Schopfungen, die zu
den bedeutendsten und schonsten deutschen Werken dieser Art gehoren. Es sei
nur an den leider von den Franzosen zerstorten » Rheinbrunnen « in StraJ3burg
von 1903, den »Hubertusbrunnen« in Miinchen von 1907, den »Siegfried-
brunnen« in Worms von 1914, den » Rheinbrunnen « in Koln von 1920, an die
Grabdenkmaler der Kaiserin Friedrich, Herzog Georgs von Meiningen, des
Herzogs Karl Theodor von Bay era, Hermann Levys, Joseph Joachims, Hans
v. Bulows und des Stuttgarters Siegle erinnert. Dann an die kostlichen Denk-
maler von Brahms und Otto Ludwig, von Schiller, an die Reiterstandbilder
Bismarcks in Bremen und des Prinzregenten Luitpold in Miinchen.
Als Portratbildhauer hatte H. vielleicht seine groBten Erfolge. Er steht
als solcher ebenbiirtig neben den besten Kiinstlern des Altertums und der
Renaissance, gab nicht nur Personlichkeitsschilderungen, sondern Charakter-
offenbarungen von einer Tiefe und Klarheit, die von keinem anderen Kiinstler
des Jahrhunderts erreicht worden sind und Stil im hochsten Sinne haben. Auch
den Stil des Materials, sei dieses Marmor, Bronze oder Terrakotta. Die geistig-
sten Personlichkeiten seiner Zeit fanden in H. einen Kiinstler, der fahig war,
ihre Bedeutung und ihr Wesen vollkommen zu erf assen und als Form zum Aus-
druck zu bringen. Es ist unmoglich, die groBe Zahl seiner besten Bildnisbiisten
hier aufzuzahlen; aber die von Bocklin, Wilhelm v. Bode, Siemens, General
v. Bayer, Bildhauer FloBmann, Pettenkofer, Konrad Fiedler, Herzog Karl
Theodor, Frau H., die beiden Brewster, Hermann Levi, Bismarck, Frau Fiedler
seien wenigstens genannt. Dann die herrlichen Reliefs: Das »bacchische Relief «,
die »Leda«, der »F16tenblaser«, die Gedenktafel fiir Fiedler, von Werner
v. Siemens, die Mutter mit ihren Kindern, die Wilhelm v. Bode-Plakette und
vor allem auch die Bismarck-Medaille, das schonste Werk, das auf diesem be-
sonderen Gebiete in Deutschland geschaffen wurde. Ein erstaunlich groBes,
kaum ubersehbares Lebenswerk, zu dem noch gemalte Bildnisse und prachtvolle
Zeichnungen kommen, und, was das Wunderbarste ist, kaum eine verfehlte Ar-
beit darunter. Eine solche aus seinem Atelier hinausgehen zu lassen, war H.
viel zu gewissenhaft. Die Sicherheit seiner Hand, seines Auges und seines Ur-
teils hat ihn kaum je im Stich gelassen.
Nie war ein Kiinstler seiner Mittel, seines Einfuhlungsvermogens, seiner
Ausdruckskraft und der Erreichung des vorgesetzten Zieles so gewiB wie dieser.
Er empfand das GroBe groB und die Harmonie der Schonheit so vollkommen
als Form und Charakter, verbunden zu einer Einheit, daB seine Schopfungen
immer als einzig in ihrer Art erscheinen werden, als Offenbarungen einer Per-
sonlichkeit, in der alle hohen Eigenschaften des Menschen und das Gefuhl der
Gottahnlichkeit lebendig waren, und deren Tatigkeit in der Erkenntnis wur-
zelte, daB Kiinstler sein heiBt: ein Priesteramt verwalten.
Literatur: Eigene Schriften: Problem der Form, Straflburg 1893. — Gesammelte Auf-
satze, Straflburg 1909. — t^ber Adolf v.H.: Adolf Rosen berg, Zeitschrift fiir bildende Kunst
XX (1885) ; Cornelius Gurlitt, Kunst unserer Zeit II, 1893 ; derselbe, Kunst des 19. Jahrhun-
derts, Berlin 1899; Gustav Keysner, Kunst fiir Alle, 1899; A. Heilmeyer, Kiinstler -
monographien, herausgegeben von KnackfuC, IyX, Bielefeld und Leipzig 1902; derselbe,
Die moderne Plastik in Deutschland, Illustrierte Monographien 10, Bielefeld und Leip-
zig 1903; Friedrich Fuchs, Westermanns Monatshefte XCIII, Braunschweig; Hans Rosen-
hagen, Velhagen & Klasings Monatshefte XVIII, 1904; Karl Scheffler, Kunst und
Kiinstler IV, 1906; Julius Meier-Griife, Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst II
DBJ 10
I46 192 1
Miinchen, 1904; derselbe, Hans v. Maries, Miinchen 1909; Isolde Kurz, Deutsche
Rundschau CXXXIII, Berlin 1907; Alfred Kuhn, Die neuere Plastik von 1800 bis zur
Gegenwart, Miinchen 192 1; A. Heilmeyer, A. v. H., Verzeichnis der samtlichen Werke,
Miinchen 1922. — Nekrologe und kleinere Aufsatze von H. Kohnert, Alfred Kuhn, J . Wolf,
Heilmeyer, Hover, Walter Riezler, Gedachtnisrede von G. Jachmann und anderen im
Miinchener Jahrbuch der Bildenden Kunst, Bayerland, Hohenzollern-Jahrbuch, Blatter
fur Miinzkunde, Kunstwanderer, Die Bildenden Kiinste, Die Plastik; ferner die Biographie
von Walter Riezler im Kiinstlerlexikon Thieme und Becker.
Berlin. Hans Rosenhagen.
Humperdinck, Engelbert, Komponist, * in Siegburg 1. September 1854,
f in Neustrelitz 27. September 1921. — H. wurde als altester Sohn des Gym-
nasialoberlehrers Gustav H. und dessen Frau Gertrud, geb. Hartmann geboren.
Der Vater war ein stiller Gelehrter, die Mutter entstammte einer musikalischen
Familie : ihr Vater war der aus Bohmen eingewanderte Paderborner Domkantor
Hartmann. Die Mutter sorgte fiir die musikalische Erziehung ihrer Kinder und
wanderteoftersmit dem Knaben nach Bonn zu guten Konzerten mitHaydnschen
oder Mozartschen Sinfonien. Schon in der Jugend zeigte H. Neigung zu selbstan-
diger Tonschopfung, unter anderem zur Vertonung von Goethes Singspiel
»Claudine von Villa Bella «. H. muBte im Alter von 13 Jahren das Elternhaus
verlassen, um in Paderborn das Vollgymnasium bis zur Reifepriifung zu be-
suchen. Er empfing aus den Messen des dortigen Domchors mit Orchester-
begleitung neue musikalische Anregungen und vertiefte sich ins Stadium der
Sinfonien der klassischen Meister. Zur Heimkehr des siegreichen Heeres 1871
schrieb der i6jahrige H. einen Jubelhymnus fiir Chor und Orchester, der
wegen mannigfacher Satzfehler vom Paderborner Musikdirektor verworfen
wurde. Nach AbschluC der Gymnasialzeit wurde H. furs Baufach bestimmt
und versprach, der Musik fiir immer zu entsagen. Glucklicherweise war er nicht
imstande, dieses Versprechen zu halten. Er arbeitete neben seinem Beruf an
der »Claudine von Villa Bella « weiter und fuhr eines Tages nach Koln, um das
Urteil Ferdinand Hillers einzuholen, das iiberraschend giinstig ausfiel. Damit
war H.s Schicksal entschieden, der von seinen Eltern die Erlaubnis zum Besuch
des Kolner Konservatoriums erhielt. Hiller, Gernsheim, Jensen u. a. waren
seine Lehrer. Die musikalischen Studien fanden ihren vorlaufigen AbschluB
1876 durch Verleihung des Mozart-Stipendiums. Die Giirzenich-Konzerte und
die Opernvorstellungen, die ihm zuerst die Bekanntschaft mit den Werken
R. Wagners vermittelten, erweiterten die musikalischen Kenntnisse H.s auf
bisher unbekanntem Gebiet. Vom ersten Augenblick an war seine Stellung zu
R. Wagner vollig klar und fest, unbedingte Hingabe und Begeisterung, obwohl
die Kolner Umwelt und die Theaterauffiihrungen keineswegs dazu angetan
waren, diese Richtung ihm zu weisen. Nach Hillers gutem Rate wandte sich
H. mit seinem Stipendium nach Miinchen, um sich dort in der Musik weiter
auszubilden. Franz Lachner, Rheinberger und J. Hieber wurden seine Lehrer.
Fiir die alljahrlich stattfindenden Priifungskonzerte schrieb H. damals seine
ersten groBeren Werke fiir Einzelstimmen, Chor und Orchester, »Die Wallfahrt
nach Kevelaer« und »Das Gliick von Edenhall«. Der Miinchener Intendant
v. Perfall erteilte ihm den Auftrag zu einer Musik zu den »Froschen« des
Aristophanes. AuOer diesen mit dem Schulbetrieb zusammenhangenden Kom-
positionen entstand in Miinchen eine Humoreske fiir kleines Orchester, die
Hildebrand. Humperdinck 147
in jenen Jahren haufig in Sommerkonzerten gespielt wurde. Diese Werke
trugen ihm abermals einen Preis ein, den der Mendelssohn-Stiftung, die den
Empf anger zu einer Reise nach Italien verpflichtete. Mit der Miinchener Musik-
schule ist die eigentliche Studienzeit abgeschlossen, H. beherrschte alle Kiinste
der Satzlehre, des Kontrapunkts und der Instrumentierung.
Die tiefsten Eindriicke empfing er aber auBerhalb der Schule. Die Werke
Wagners wurden damals nur in Miinchen einigermaBen stilgerecht und an-
nehmbar gegeben. Junge Musiker, Kiinstler und Studenten hatten sich zu einer
Vereinigung zusammengetan, um das Verstandnis fur die Kunst R. Wagners
und Bayreuth zu vertiefen. Der »Orden vom Gral« nahm nur gesinnungstreue
Mitglieder auf, die durch Vortrage und gehaltvolle Gesprache den Bayreuther
Gedanken nach Kraften zu verwirklichen suchten. H. ward »Ritter vom Gral«,
er bestand die hierzu vorgeschriebenen strengen Prufungen. Der junge Grals-
ritter fuhr nun gutes Mutes mit dem Mendelssohn-Preis nach Italien, dessen
musikalische Zustande ihm wenig zu bieten vermochten. Um so mehr sorgte
er fiir seine aUgemeine Bildung angesichts der Denkmaler und in den Samm-
lungen. Er suchte auch Verkehr mit Kiinstlern und Musiker n. R. Wagner weilte
im Winter 1879/80 in Neapel in der Villa Angri, mit der Partitur des »Parsifal«
beschaftigt. H. war kuhn genug, dem Meister einen Besuch zu machen und
wurde angenommen. Nach langerer freundlicher Unterhaltung entlieB ihn
R. Wagner mit der Aufforderung, im Mai auf der Riickreise wieder vorzu-
sprechen. Frohen Herzens setzte H. seine Fahrt weiter siidwarts bis nach
Sizilien fort. Am 2. Mai 1880 stellte er sich wieder in der Villa des Meisters ein,
abermals aufs freundlichste empfangen. Martin Pliiddemann, der Balladen-
komponist, und Josef Rubinstein, der Pianist, verkehrten damals bei R.Wag-
ner. Zum 22. Mai wurde eine Auffuhrung der Liebesmahlszene aus dem » Parsifal «
im engsten Freundes- und Familienkreise in der Villa Angri verabredet. H. hat
diesen herrlichen Geburtstag des Meisters anschaulich nach seinen unverlosch-
lichen Erinnerungen beschrieben. Am selben Tage schlug Wagner ihm vor, bei
der Reinschrift der Parsifal- Partitur zu helfen. H. sagte mit Freuden zu und
wurde zu Beginn 1881 zu standigem Aufenthalt nach Bayreuth eingeladen,
wo er am »Parsifal« ein ahnliches Amt verwalten sollte, wie einst H. Richter an
den »Meistersingern«. Inzwischen war H. abermals ein Preis zugef alien, und
zwar durch seltsame Schicksalsfiigung derjenige der Meyerbeer-Stiftung. Die
Ouvertiire zu den »Froschen«, eine achtstimmige Fuge und die Vertonung von
Goethes »Fischerin« verschafften ihm diese dritte und letzte Auszeichnung.
Zuvor aber genoB H. das Gliick der Bayreuther Jahre, die Wahnfriedabende,
die Bekanntschaft mit Liszt und Gobineau, die Vorbereitung und Mitwirkung
am Parsifal-Festspiel von 1882. Diese Bayreuther Zeit bestimmte endgultig seine
kiinstlerische Entwicklung und Weltanschauung. Die tonschopferische Tatig-
keit tritt in diesen Jahren zuriick, um nach der notigen Sammlung und Ruhe
erst spater zur selbstandigen Meisterschaft sich zu erheben. Nachdem sich H.
von den Anstrengungen der Festspiele durch eine Reise nach Italien und einen
Aufenthalt in Paris, wo er mit Turgenjeff bekannt wurde, erholt hatte, berief
ihn Wagner nach Venedig zur Mithilfe an der Einiibung der Jugendsinfonie,
die der Meister seiner Gattin am 24. Dezember vorfiihren wollte. Es war das
letzte Zusammensein mit R. Wagner. Bei dessen Tod (13. Februar 1883) und
Bestattung weilte H. wieder in Paris. Tief erschiittert empfing er die Todes-
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nachricht am 14. Februar. In einem Brief in die Heixnat faBt er seine Empfin-
dungen zusammen, den Dank fur das, was Wagner ihm war, ein »vaterlicher
Freund«. Als der Friihlmg ins Land zog, ward H. von neuer Wanderlust und
Lebenshoffnung ergriffen, er bereiste Spanien, wie in Italien ohne musikalischen
Gewinn,aber mit machtigen Eindriicken von Land und Leuten. Mit lebhafter
Teilnahme betrachtete er die Uberreste arabischer Kultur. Ein Ausflug nach
Siiden, von Gibraltar nach Marokko, klingt in der erst 1898 vertonten »Mauri-
schen Rhapsodie« nach.
Die Lehr- und Wanderjahre waren zu Ende: H. muBte sich nach einer festen
Anstellung umsehen. Als zweiter Kapellmeister am Stadttheater zu Koln
machte er sich dadurch, daB er Striche im »Tannhauser« beseitigen wollte, un-
bequem. Im Hause seines Schwagers Dr. H. Wette f and er liebevolle Aufnahme.
In der Kinderstube seiner Schwester Adelheid Wette wuchsen ihm hernach
die ersten Keime zu » Hansel und Gretel« zu, vorlaufig ohne jeden Gedanken
an kunstlerische Verwertung und Veroffentlichung. Im Jahre 1884 riefen ihn die
Festspiele wieder nach Bayreuth. Im Fnihjahr 1885 war er kurze Zeit als Kla-
vierspieler in der Villa Hiigel bei Krupp beschaftigt. Im Herbst 1885 iibernahm
H. die Stelle eines Lehrers am Konservatorium zu Barcelona, wo er zuerst in
italienischer, bald aber in spanischer Sprache unterrichtete. Gegen Weih-
nachten erkrankte er ernstlich und ward von unbezwinglichem Heimweh be-
fallen. Der Betrieb an der spanischen Musikschule konnte ihn nicht lange be-
friedigen. Sein Hauptverdienst war die Einfuhrung der in Barcelona bis dahin
ganz unbekannten Beethovenschen Sonaten. Er entwarf in spanischer Sprache
eine Harmonielehre und eine Instrumentierkunst, die nicht veroffentlicht
wurden. Im Juni 1886 verlieB er Spanien und reiste iiber Frankreich heim. In
Bayreuth horte er den » Tristan*. Den Winter 1886/87 verbrachte er bei seinen
inzwischen nach Bonn iibersiedelten Eltern. Zu Ostern wurde er ans Kolner
Konservatorium berufen, wo er mit Arnold Mendelssohn Freundschaft schloB.
Im Sommer gelangte beim Kolner Tonktinstlerfest die iiberarbeitete »W T all-
fahrt nachKevelaer«zu Gehor. Seine Gesundheit notigte ihn, im Winter 1887/88
bei den Eltern in Bonn Zuflucht und Erholung zu suchen. Im Sommer war er
so weit wieder zu Kraften gekommen, um an den Bayreuther Festspielen mit-
zuwirken. Zum Herbst fand er im Mainzer Verlag von Schott als Herausgeber
und Bearbeiter wertvoller musikalischer Werke Anstellung. Aubers Marchen-
oper »Das eherne Pferd« wurde durch H. furs Theater wiedergewonnen. Er
erwarb sich das groBe Verdienst, dem Schottschen Verlag die Annahme von
H. Wolfs Liederbiichern zu empfehlen, woraus ein schones Freundschafts-
verhaltnis erwuchs. In Mainz kam Siegfried Wagner als Schuler zu H., um sich
zum musikalischen Beruf vorzubereiten : »Es waren sehr stille Stunden, in
denen Meister und Schuler miteinander arbeiteten, eine Zeit, in der der Grund
zu viel Bedeutendem und Schonem gelegt wurde. « Was H. Richard Wagner
verdankte, durfte er dem Sohne vergelten. Im September 1889 verlobte sich H.
mit Hedwig Taxer aus Bonn, die ihm von 1892 an eine treue Lebensgefahrtin
und Mithelferin wurde. Zum Herbst 1890 ging H. nach Frankfurt a. M. als
Lehrer am Hochschen Konservatorium, an Stockhausens Gesangsschule und als
musikalischer Berichterstatter an der » Frankfurter Zeitung«. In diesen Jahren
gedieh langsam und fast unbewuBt das Marchenspiel von » Hansel und Gretel«,
das im Fruhjahr 1883 bis auf die Instrumentierung fertig war. Wo er es im
Humperdinck 1 49
Freundeskreis, z. B. beim Bayreuther Festspiel mit Heinrich Porges und Oskar
Merz durchging, stieB er auf Bedenken und Widerspnich: die Einfalt sei doch
gar zu groB! Richard StrauB, damals Hofkapellmeister in Weimar, erkannte
als erster den Wert von Dichtung und Musik: »Es ist eine der schonsten Er-
innerungen meiner Kapellmeisterlaufbahn, daB ich diesem Meisterwerk den
Weg zur Buhne eroffnen durfte.« Der Intendant v. Bronsart wagte am 23. De-
zember nur eine Nachmittagsvorstellung, ein Weihnachtsstiick ftir Kinder!
Am 30. Dezember folgte Miinchen, bald darauf andere Stadte. Die beiden ersten
Auffuhrungen hatten zwar Erfolg, aber nur wenige erkannten den vollen und
unverganglichen Wert des Spieles, das in langsamem ZeitmaB seinen Siegeslauf
begann. Damals beherrschten die blutriinstigen Verismo-Opern der Italiener
die deutschen Theater. Das deutsche Marchen, die Heimatkunst hatte schweren
Stand, setzte sich wider Erwarten aber diesmal durch. In Kiinstlerkreisen gait
H. mit Recht als der Erloser aus der Verwelschung der deutschen Opernhauser.
So folgte er dem Vorbild R. Wagners, ohne ihn nachzuahmen, mit weiser Ein-
sicht sich beschrankend, »die Heldenwelt uns zaubernd zur Idylle«.
Durch » Hansel und Gretel« wurde H. weltberiihmt. Auch in seinem auBeren
Leben vollzog sich eine erfreuliche Wandlung, er konnte seine amtlichen Burden
aufgeben, um sich im Marz 1897 auf einen anmutigen Landsitz zu Boppard
am Rhein zuriickzuziehen, wo er nur den Seinen, seiner Kunst und wenigen
Schulern (z. B. Leo Blech) lebte. Neben einigen kleinen Marchenspielen fur
Kinder, gleichsam Keimbildungen, die nicht zur Bliite gediehen (»Die sieben
GeiBlein«; »Der Froschkonig«), entstand die zweite groBe musikalische Mar-
chendichtung » Konigskinder « in der melodramatischen Urfassung (Erstauf-
fiihrung in Miinchen 23. Januar 1897), deren Biihnenerfolg hinter » Hansel
und Gretel« zuriickblieb. Zur Jahrhundertwende erhielt H. einen Ruf nach
Berlin als Professor und Leiter der Meisterschule fiir Komposition an der Kgl.
Akademie der Tonkunst. In Berlin schuf er seine weiteren Opera »Dornroschen«,
»Heirat wider Willen« und die beiden Singspiele »Marketenderin« und »Gau-
deamus«, die Musik zu Vollmollers „Mirakel" und zu Shakespeares Drameru
Auf den verschiedensten Gebieten versuchte er sich, aber » Hansel und Gretel«
stellte alles andere, mit Unrecht, in Schatten. ImHerbst 1910 wurde H. bei der
Hundertjahrfeier der Berliner Universitat zum Ehrendoktor ernannt. Die Um-
gestaltung der » Konigskinder « zur vollstandigen Oper veranlaBte eine Amerika-
reise H.s, da die Urauffuhrung Weihnachten 1910 in Neuyork stattfand. Bei
seiner Riickkehr folgte im Januar 191 1 die deutsche Erstauffiihrung in Berlin
unter Leo Blech. Das »Mirakel« rief H. Weihnachten 191 1 nach London. Trotz
schwerer Erkaltung wohnte er am 23. Dezember der Urauffuhrung bei, wurde
mit jubelnder Begeisterung gefeiert, brach aber infolge der Aufregung und An-
strengung zusammen. Er glaubte, Webers Schicksal, der am 12. April 1826 nach
der Londoner Oberonauffuhrung in der Fremde gestorben war, teilen zu mussen.
Glucklicherweise erholte er sich so weit, daB er anfangs Januar 19 12 heimfahren
konnte. In der Nacht vom 5-/6. Januar erlitt er einen Schlaganfall, von dem er
wider Erwarten genas. In Meran und Italien kam er wieder zu Kraften, so daB
er im Oktober sogar alle seine Amter an der Kgl. Hochschule fiir Musik auf-
nehmen konnte. In seinem schonen Landhaus im Berliner Vorort Wannsee,
einem wahren MarchenschloB, durfte er sich neuer Lebenshoffnung hingeben,
neuen Arbeitsplanen im Verein mit Robert Misch, der ihm die Texte der Sing-
150 1921
spiele schrieb. Im Friihjahr 1914 machte er noch eine grofie Fahrt ins Morgen-
land, nach Algier, Tunis, Agypten, mit der Libanonbahn nach Damaskus und
dann zuriick iiber Rhodos, Kreta, Korfu, Cattaro, Venedig. Es war die schonste
Reise seines Lebens, die viel zur Starkung und vollen Gesundung beitrug. Dann
kam die Verfinsterung seines so gliicklichen Lebens durch den Krieg, der seinen
einzigen Sohn Wolfram schon am ersten Tag an die russische Grenze rief. Im
Friihjahr 1916 reiste er mit seiner Frau nach Bruchsal, wo Wolfram auf kurze
Zeit in Garnison lag. Im ungeheizten Gasthauszimmer zog sich H. eine gefahr-
liche Erkaltung zu, wie fruher in London beim »Mirakel«. Seine Frau pflegte
den Kranken, wurde selber von einer Lungenentziindung befallen und starb
im Spital. H. genas. Seine Kinder umsorgten ihn aufs liebevollste, um ihm fiir
den Verlust Ersatz zu bieten. Zunehmende Schwerhdrigkeit beschrankte den
Verkehr mit der Umgebung, H. wurde noch schweigsamer und einsamer als
zuvor. Aber er nahm trotzdem noch an allerlei kiinstlerischen Erlebnissen teil,
so im Herbst 1919 an der Rostocker Erstauffiihrung von »Gaudeamus« unter
der Spielleitung seines Sohnes. Im September 192 1 besuchte er Wolfram in
Neustrelitz, der am dortigen Theater als Spielleiter angestellt war. Ein zweiter
Schlaganfall mit darauffolgender Lungenentziindung setzte seinem Leben ein
Ziel. Er starb am 27. September, nachmittags 5 Uhr, im Neustrelitzer Kranken-
haus, im Karolinenstift, im Alter von 67 Jahren. Des Spielmanns letzter Ge-
sang aus den » Konigskindern « und der »Abendsegen« aus » Hansel und Gretel«
erklangen bei der Totenfeier am 1. Oktober im Stahnsdorfer Waldfriedhof, wo
er neben seiner Frau zur ewigen Ruhe gebettet ist. Der Geistliche wahlte das
Bibelwort: »Selig sind, die reinen Herzens sind.« Reinheit ist die wesentlichste
Eigenschaft des Menschen und Kiinstlers H. !
H.s Kunst wurzelt im deutschen Haus, wo ihre Anfange liegen. Seine Lieder,
darunter eine entziickende Vertonung von Walters » Unter der Linde«, sind
einfach und schlicht im Volkston gehalten. Obwohl H. fiir Hugo Wolf voiles
Verstandnis hatte, bleibt er doch selber dem modernen Kunstlied absichtlich
fern. »Rosmarin«, »Wiegenlied«, »Rosenringel«, »Die Lerche« stehen dem
Volkslied ganz nahe; ebenso seine Weihnachtslieder, darunter »Der Stern von
Bethlehem « und » An das Christkind«. Schon die Wahl der Gedichte, unter deren
Verfassern nur Dehmel (»Weihnachtsfreude«) als Vertreter der Kunstdichter
begegnet, halt sich von den modernen Lyrikern grundsatzlich fern. H.s Stil-
gefiihl sucht in Wort und Weise den Volkston, der ihm vorziiglich gelingt. Den
Liedern schlieBen sich Singspiele fiir die Kinderstube an: »Biibchens Weih-
nachtstraum«, nach einer Dichtung von G. Falke, fiir Einzelstimme und Kin-
derchor. Der »Wolf und die sieben GeiBlein« und der »Froschkonig« sind Mar-
chenspiele, die auch auf der Biihne, etwa in Kindervorstellungen, klein und groB
erfreuen wiirden. Sie werden kaum beachtet, obwohl sie aus derselben Stimmung
und Umwelt wie » Hansel und Gretel« herauswuchsen. An der Spitze der Biihnen-
werke steht das Marchenspiel von » Hansel und Gretel« mit seinem beispiellosen
Erfolg, eine deutsche Volksoper wie der »Freischiitz«. Ein Blick auf die Mar-
chenoper vor H., wie sie aus L. Schmidts Rostocker Dissertation zur Geschichte
der Marchenoper (1895) zu iibersehen ist, belehrt, wie hoch H.s Werk alle Vor-
laufer iiberragt. Der Text von H.s Sch wester, Adelheid Wette, will nichts
anderes, als die Verwandlung des Marchens in eine Reihe zwanglos aneinander-
gereihter Buhnenbilder, ohne literarische Anspriiche. Urspriinglich war es ja
Humperdinck 1 5 1
»Hausmusik«! Nur zwei wirkliche Kinderlieder, »Suse, Hebe Suse« und »Ein
Mannlein steht im Walde« sind ubernommen, alle iibrigen, Tanzlied, Abend -
segen, Sandmannchen, Taumannchen, Besenbindergesang und Hexenritt selb-
standig erfunden, aber wie Webers Musik zum »Freischiitz« volksttimlich ge-
worden! In melodischer Erfindung ist H. iiberreich und unvergleichlich. Um
diese geschlossenen Satzchen webt und wogt der heimliche und unheimliche
deutsche Waldeszauber. Die Vor- und Zwischenspiele spinnen die Musik zu sin-
fonischer Dichtung weiter. H.s Satzkunst und Stimmftihrung hat ihresgleichen
nur in R. Wagners Meistersingern. Die Meisterschaft des Kontrapunktes ist
bewundernswert, wie sich die einzelnen Motive verschlingen, iiber- und durch-
einander laufen. Musiker aller Richtung sind in der staunenden Bewunderung
der Partitur einig. Die Instrumentierung und Klangwirkung im ganzen, das
Verhaltnis der Singstimmen zum Orchester ist vorbildlich. In diesem Punkte
steht H. hoch iiber Weber. Diese musikalische Feinkunst ohnegleichen wirkt
aber nie gelehrt oder gesucht, das einzigartige Werk bereitet dem Laienverstand
nicht die geringste Schwierigkeit. Die Klangschonheit und Klangfulle, die rest-
lose Einheit von Wort und Ton offenbart sich unmittelbar dem Gefiihls-
vermogen jedes musikalisch begabten Horers, wahrend der Musiker die Partitur
zugleich als ein kostbares Kunstwerk anerkennt, dessen einzelne Schonheiten
schier unerschopflich scheinen. H. bewies im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen
aus der Wagner-Nachfolge, daB mit den durch Wagner gewonnenen Ausdrucks-
mitteln ein volkstumlicher Stoff auch volkstumlich zu gestalten war. Er schrieb
keine Heldenoper, kein pathetisches Musikdrama, das seiner Veranlagung ganz-
lich fern lag, sondern ein deutsches Waldmarchen, das seiner Eigenart entsprach.
Die Reinheit der Auffassung und Ausfuhrung verbiirgte den Erfolg, den H. den
von Wagner empfangenen Anregungen verdankte. In der Zeit des unmittel-
baren personlichen Verkehrs mit R. Wagner in Bayreuth blieb H. Schuler, der
jeder voreiligen eigenen Arbeit entsagte; als er aber mit den Bayreuther Ein-
driicken innerlich fertig geworden war, da schuf er in voller Freiheit sein
Meisterstiick, das deutsche Marchenspiel als Erganzung zum deutschen Hel-
denspiel.
Dem Kindermarchen folgt in den »K6nigskindern« das Kunstmarchen nach
der Dichtung von Ernst Rosmer (Elsa Porges-Bernstein) . Konigssohn und
Gansemagd, der Spielmann, die Hellabrunner SpieBbiirger sind Trager der
Handlung, die im Maienwald beginnt, im mittleren Bild nach Hellabrunn fuhrt,
wo die Burger den Einzug eines neuen Konigspaares erwarten und die in der
Mittagssonne strahlenden Konigskinder verjagen, im dritten Bild im Winter-
wald endet: »Verdorben, gestorben.« Die Dichtung wurde wegen ihrer mitunter
gesuchten Sprache, wegen Heinescher Anklange, wegen sinnbildlicher Zielung
(Verkennung der Konigsmenschen durch SpieBer, nur der Spielmann und die
unmiindigen Kinder ahnen die echten Konigskinder) angefochten. Mit Unrecht !
Sie ist echt empfunden, eindrucksvoll gestaltet und jedenfalls in der letzten
Opernfassung H.s von alien Hemmungen durch seine wunderherrliche, edle
Tonkunst gereinigt. Was H. an dem Gedicht anzog, war wieder der Waldes-
zauber, die Gegensatze von Maienwonne und Winterleid, von Marchenkindern
und Alltagsmenschen, zwischen ihnen der Spielmann, lauter Gestalten und
Vorgange, die nach musikalischer Beseelung verlangten. Die erste Fassung war
ein Singspiel, d. h. nur musikalische Vor- und Zwischenspiele mit unvertonten
152 1921
Gesprachen. Ein Teil der Gesprache war allerdings melodramatisch, mit Sprech-
noten, die dem Schauspieler Tonfall und Ausdruck der Rede genau vorschrieben.
Die Auffuhrungen versagten, weil es nur wenige fur solchen Vortrag geeignete
Schauspieler gab, weil die Verrnischung des gesprochenen und gesungenen
Dramas stilwidrig war. Die zweite Fassung verkiirzte die redselige Wort-
dichtung zu einem durchkomponierten Operntext. So war ein Kunstwerk von
einheitlicher Wirkung und edlem Gehalt gewonnen. Die Partitur der »K6nigs-
kinder« ist ebenso meisterhaft wie die von » Hansel und Gretel«. Wiederum
fuhren die sinfonischen Vorspiele in die Stimmung der drei Aufziige ein, in
denen sich Handlung und Musik reich und fesselnd entfalten. Ernste Ziige
iiberwiegen. Die Knusperhexe ist zur unheimlichen Waldfrau, der Pflege-
mutter der lichten Gansemagd, gewandelt. Beim winterdunkeln Tod der K6-
nigskinder unter der verschneiten L,inde, unter der sie sich einst in Maien-
wonne fanden, klingen die holden Weisen von Lenz und L,iebe wieder auf und
wiegen die armen Verirrten in ewigen Schlaf. Aus den in eins verflieBenden
Gegensatzen von einst und jetzt, von Winter und Mai gestaltet sich ein Ton-
gedicht von wahrhaft ergreifender Schonheit. Des Spielmanns letzter Gesang
ist ein wehmutiger Nachruf. Im Hellabrunner Sommerfest waltet meister-
singerlicher Humor. Mit der reicheren Handfung hat auch der Tondichter die
im Kindermarchen gesteckten Grenzen iiberschritten und damit seine Aus-
drucksmittel wesentlich erweitert und gesteigert. Die »K6nigskinder« sind
H.s zweites groBes Meisterwerk.
Der dritte Versuch mit dem Marchen »Dornroschen« miBlang, weil der Text
von Elisabeth Ebeling keine dichterischen Vorziige besitzt. Die Musik besteht
aus einer Anzahl von Orchesterstiicken, Liedern, Choren, melodramatischen
Satzen, die an Umfang und Gehalt sehr verschiedenartig ausfielen. H. hat die
wertvollen Teile seiner Dornroschenmusik zu einer Orchestersuite vereinigt
und sie also von der Buhne in den Konzertsaal verpflanzt, wo aber wiederum
der Zuhorer nicht das notige Verstandnis fur die vertonten Vorgange mit-
bringt.
Mit der »Heirat wider Willen«, von Hedwig H. nach dem franzosischen
Lustspiel »Les Demoiselles de St. Cyrn von A. Dumas zum Operntext be-
arbeitet, wandte sich H. der heiteren Oper zu, die in Deutschland so wenige
lebensfahige Werke aufzuweisen hat, und zwar meist aus dem gleichen Grunde,
weil die Textbiicher nicht buhnenwirksam sind, so daB alle musikalische Miihe
und Arbeit umsonst aufgewendet wird. Es ist die Geschichte zweier franzosi-
scher Edelleute, die mit zwei Madchen aus dem Kloster St. Cyr ein Stelldichein
haben, iiberrascht und auf koniglichen Befehl eingesperrt werden, bis sie sich
dazu entschlieBen, die Ehre der Damen durch regelrechte Ehe wiederherzu-
stellen. Nach der Hochzeit laufen sie ihren jungen Frauen davon und begeben
sich an den Hof Konig Philipps nach Madrid. Auf einem lustigen Maskenfest
begegnen sie wider Erwarten ihren Frauen. Aus Eifersucht erkennen sie end-
lich den Wert ihrer Gattinnen und fiigen sich dem Ehejoch. Der Lustspielstoff
ist nicht musikalisch, so daB die Vertonung der inneren Begriindung und Not-
wendigkeit entbehrt. Aber die Partitur bildet trotzdem das Entziicken jedes
Musikers und kann abermals nur mit den »Meistersingern« verglichen werden.
Bemerkenswert ist der Wechsel durchkomponierter Stiicke, melodramatischer
Teile und gesprochener Stellen. Die »Heirat« miiBte, wie die »K6nigskinder«,
Humperdinck 153
einheitlich neu bearbeitet werden. Aber auch dann wiirde der I,ustspielstoff,
selbst bei erheblicher Anpassung an die Forderungen der Oper, der Vertonung
kein restlos dankbarer Vorwurf werden.
Max Reinhardt gewann H. fur dieMusik zu » Wintermarchen «, »Kaufmann
von Venedig«, »Was ihr wollt«, » Sturm «. Die Shakespeare-Dramen erfuhren
durch die Mitwirkung von H.s Musik eine bisher kaum geahnte Verschonerung,
sie soil ten nirgends mehr ohne diesen kostlichen Schmuck gespielt werden.
Auch zu Maeterlincks »Blauem Vogel« und zur »Lysistrata« des Aristophanes
schrieb H. die Buhnenmusik. Endlich wurde Vollmollers »Mirakel«, eine
tanzerische Legende von starker auBerer Biihnenwirkung, durch H.sTonkunst
beseelt und veredelt.
H.s letzte Buhnenwerke sind zwei Spielopern zu Robert Mischs Dichtungen
»Die Marketenderin « und »Gaudeamus«. »Die Marketenderin «, die auf ge-
schichtlichem Hintergrund, Bluchers Rheiniibergang bei Kaub in der Neu-
jahrsnacht 1813/14, spielt, ist nur an geeigneten Stellen musikalisch untermalt,
»Gaudeamus« durchkomponiert. Das Studentenspiel, von allbekannten Liedern
durchwoben, ist eine lustige L,iebesgeschichte. Der Senior der Bonner Teutonen
entfiihrt, als Marquise verkleidet, die Biirgermeisterstochter aus einer Mad-
chenerziehungsanstalt und laJ3t sich von seinem Oheim, der Pfarrer ist, mit
ihr trauen. Der beckmesserhafte Freier, ein Stadtrat, hat das Nachsehen und
der Vater muJ3 seinen Segen geben. Behaglich heitere Stimmung ist der Grund-
ton des reizenden Spiels, das in einer Universitatsstadt, wie die Rostocker Erst-
auffiihrung im Beisein H.s erwies, unter Mitwirkung richtiger Studentenchore
hellen Jubel erregen muB. Die Partitur ist mit bekannter Meisterschaft ge-
arbeitet. Das leuchtet und funkelt in alien Farben, die Stimmen sind kunst-
voll durcheinander gewoben, nirgends eine leere Stelle, liebliche, deutsch volks-
tumliche Weisen durchfluten das ganze Werk, in dem, wie in der alten Oper,
zahlreiche geschlossene Satze, Liebeslieder, zwei- und dreistimmige Gesange,
Walzer usw. einander ablosen. In unserer Zeit muBte ein so kostliches, von
Humor durchsonntes Singspiel als wahre Labung und Erlosung iiberall
freudig begruBt werden! Es war ein ergreifender Augenblick der Rostocker
Auffuhrung, als die Zuhorer am SchluB dem greisen Meister zujubelten und
einer der mitspielenden Studenten auf der Buhne H. den Dank der akademi-
schen Jugend, der die Oper gewidmet ist, zurief. Mir scheint »Gaudeamus« eine
rechte deutsche Volksoper, kein Alterswerk, an dem man achtlos vorbeigeht.
Die deutschen Theater wiirden zum eigenen Vorteil gut tun, nicht nur auf
» Hansel und Gretel« und daneben allenfalls noch »K6nigskinder« sich zu be-
schranken, sondern mindestens auch »Heirat wider Willen« als eine der seltenen
deutschen komischen Opera und »Gaudeamus« als grunddeutsche Volksoper
zum dauernden Besitz unseres mit modernem MiBgeton und welschem Tand
schwer belasteten, oft ungenieBbaren und widerwartigen Spielplanes zu ge-
winnen.
Die Werke fiir den Konzertsaal sind zumeist Jugendarbeiten, Orchester-
suiten, ein Streichquartett, »DasGliick vonEdenhalUund »Die Wallfahrt nach
Kevelaer « fiir Chor und Orchester . Von Bedeutung ist die » Maurische Rhapsodie «
(1898), die Eindriicke der spanischen Reise von 1883 wiedergibt. Sie gliedert
sich in drei Teile: Tarifa, Elegie bei Sonnenuntergang. Das Meer dehnt sich
weit aus, die Augen werden durch die stechenden Strahlen der sinkenden
154 lg21
Sonne geblendet, eine schwermutige Hirtenweise klingt aus dem grauen Fels-
geklipp des Strandes, aus der Ferae lockt eine seltsame Weise zu unbekannten
Ufern. Das zweite Bild: eine Nacht im Mohrencafe zu Tanger lai3t seltsame
Rhythmen aufklingen. Ein greiser Sanger hebt ein Lied aus stolzen Tagen von
Sevilla und Granada, von verlorenen Paradiesen an. Begeistert stimmt der
Chor ein, das KraftbewuBtsein der Vergangenheit wacht auf, bis schlieBlich
die ganze Gesellschaft in Opiumschlaf versinkt. Das dritte Bild : Tetuan, Ritt
in die Wiiste, fiihrt den Reiter auf dem Berberhengst durch erhabene und
schreckliche Eindriicke bis zur abendlichen Ruhe im Schatten einer Palme.
Arabische Rhythmen und Klangfarben verleihen dieser sinfonischen Dichtung
ihre Eigenart, deren bezauberndem Reiz der Horer sich willig hingibt.
H.s Leben und Schaffen steht wie ein trauliches, stilles und freundliches
deutsches Marchen im lauten, fremden Tagesgetriebe. Auch ihm gelten die
Worte, mit denen R. Wagner einst Weber ehrte: »Lieben kann dich nur der
Deutsche; du bist sein, ein schoner Tag aus seinem Leben, ein warmer Tropfen
seines Blutes, ein Stuck von seinem Herzen.«
Literatur: Der handscliriftliche NachlaB ist im Besitz von H.s Erben, insbesondere
seines Sohnes Wolfram, Oberspielleiter der Oper in Oldenburg. Von 1882 an fiihrte H.
Tagebucher, die mit peinlicher Genauigkeit an jedem Tag alle aufleren Erlebnisse ver-
zeichnen. Im ganzen liegen 40 Hefte vor, die dem kiinftigen Schilderer seines Lebens von
grofitem Wert sein konnen. — Lebensbeschreibung von Otto Besch, Leipzig 19 14; Auf-
satze iiber H. von Paul Bekker, Westennanns Monatshefte 1908; R. Batka in Musik, 1908,
Aprilheft; Oskar Bie, Die Oper, Berlin 1913; A. Lorenz, Hochland, 1921; W.Niemann,
Zeitschrift fiir Musik 21, 192 1 ; J. Korngold, »Neue Freie Presse«, Wien, 5. Oktober 192 1 ;
P. Bekker, Klang und Eros, Berlin 1922; A. Piiringer, Bayreuther Blatter, 1922; O. Besch,
Neue Musikzeitung 1922; R. Misch, Velhagen & Klasings Monatshefte, 1922; Siegfried
Wagner, Erinnerungen, Stuttgart 1923; E. Rosmer, »Miinchener Neueste Nachrichten« 28,
September 1924, Unterhaltungsbeilage ; H. J.Moser, Geschichte der deutschen Musik,
Stuttgart und Berlin II, 2, 1924.
Rostock i. M. WolfgangGolther.
Ilgner, Carl, * am 27. Juli 1862 zu Neifie i. Schl., f 18. Januar 1921 in Ber-
telsdorf i. Schl. Seine Kindheit verbrachte I. am Rhein, wo er in Koln die Real-
schule 1. Ordnung besuchte. Das starke Interesse, das er schon fruhzeitig fiir
alle naturwissenschaftlichen Fragen besaB, veranlafite ihn dazu, den Ingenieur-
beruf zu ergreifen und nach beendeter Schulzeit im Jahre 1883 nach Charlotten-
burg iiberzusiedeln, um sich an der dortigen Gewerbeakademie, der spateren
Technischen Hochschule, dem Studium des Maschinenbaufaches zu widmen.
Seine Anfangsstellung fand er bei der AUgemeinen Elektrizitatsgesellschaft,
bei der er bis zum Jahre 1892 tatig war, und iibernahm dann die Leitung der
elektrotechnischen Abteilung der Firma Gebriider Korting in Kortingsdorf bei
Hannover, wo er besonders den Bau langsam laufender Gleichstrommaschinen
zur unmittelbaren Kupplung mit Gasmaschinen forderte. Im Jahre 1895 trat
er zu der Lahmeyer-A.-G. iiber, um deren Interessen in Schlesien zu vertreten.
In den Jahren 1895 — 1897 hatte diese Vertretung ihren Sitz in Beuthen und
verlegte ihn in diesem Jahre nach Breslau. Die nahe Beruhrung mit den ober-
schlesischen Berg- und Hiittenwerken sollte fiir seine Entwicklung und die-
jenige der Bergwerks- und Hiittenmaschinen von entscheidender Bedeutung
werden.
Humperdinck. Ilgner 1 55
Der elektrische Antrieb der Bergwerks- und Hiittenmaschinen steckte da-
mals noch in den Kinderschuhen und beschrankte sich auf kleine und mittel-
groBe Forderhaspel und Pumpen, kleine Grubenbahnen und verschiedene Ar-
beitsmaschinen in den liber Tage liegenden Werkstatten, Kohlenwaschen usw.
Auf vielen Anlagen hatten anfangliche MiBerfolge mit den fur die rauhen Be-
triebsverhaltnisse, die besonders unter Tage herrschten, wenig geeigneten
Gleichstrommotoren normaler Bauart den elektrischen Antrieb in MiBkredit
gebracht und seine weitere Verbreitung erheblich erschwert. GroBe Maschinen,
wie die groBen Hauptwasserhaltungen, besonders aber die groBen Forder-
maschinen, so wie in den Hiittenwerken die groBen WalzenstraBen, schienen
fiir den elektrischen Antrieb zu groBe Schwierigkeiten zu bieten, als daB er fiir
sie in Betracht gezogen werden konnte, schon wegen der durch die haufige
Umkehrung der Drehrichtung bedingten Schwierigkeiten bei der Ausbildung
der Steuerapparate sowie der sicheren Beherrschung der Massen und der
schweren Riickwirkungen auf die Kraftwerke. Andererseits verlangte die groBe
Steigerung der Leistung der verschiedenen Arbeitsmaschinen und das zum
Teil auBerordentlich unwirtschaftliche Arbeiten des Dampfantriebes dieser
Maschinen dringend, ihrer Verbesserung hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und
Leistungsfahigkeit besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Als neues wert-
volles Hilfsmittel zur Erhohung der Wirtschaftlichkeit der Bergwerks- und
Huttenbetriebe stellten sich damals die GroBgasmaschinen ein, die es ermog-
lichten, die in den Hochofen- und Koksofengasen enthaltene Energie gunstig
auszunutzen und sie in Verbindung mit der elektrischen Energieiibertragung
zum Betrieb aller Werksmaschinen nutzbar zu machen. Die Donnersmarck-
hiitte A.-G. in Hindenburg war es, die zuerst die Aufgabe genauer aufstellte,
auch fiir die groBen Fordermaschinen den elektrischen Antrieb derart auszu-
bilden, daB es moglich wurde, sie im AnschluB an ein mit GroBgasmaschinen
arbeitendes Kraftwerk zu betreiben. Sie stieB bei der Verfolgung dieser Auf-
gabe auf Carl I., der iiber eine brauchbare Losung zu verfiigen schien.
Er hatte nach seiner Ubersiedlung nach Oberschlesien sich der gleichen Auf-
gabe zugewandt, die ihm bei der Ausbildung elektrischer Bergwerksanlagen
in mannigfacher Form entgegengetreten sein muB. Zwei groBe Hauptschwierig-
keiten zeigten sich dabei die Notwendigkeit der Beherrschung der Steuerung
unter Vermeidung schwer zu handhabender Apparate und in Verbindung da-
mit die Erzielung der unbedingt erforderlichen hohen Betriebssicherheit sowie
weiter die heftigen Riickwirkungen auf das Kraftwerk und die dadurch herbei-
gefuhrten unangenehmen Storungen anderer Stromverbraucher. Fiir die erste
Aufgabe f and er im Jahre 1900 eine geeignete Losung auf der Weltausstellung in
Paris, wo unter der Bezeichnung »Trottoir Roulant« ein dem Verkehr zwischen
den einzelnen Ausstellungsgebauden dienendes Fordermittel eingerichtet war,
das nach der von dem Amerikaner Ward Leonard ausgebildeten Schaltung be-
trieben wurde. Danach war der Antriebsmotor an die Gleichstromseite eines
vom Netz gespeisten Drehstrom — Gleichstrom — Umformers angeschlossen,
und die Drehzahl des Motors wurde dadurch geregelt, daB mit Hilfe eines im
Magnetstromkreis des Gleichstromgenerators liegenden Regelwiderstandes seine
Ankerspannung zwischen Null und einem Hochstwert feinstufig verandert
wurde. I. erkannte sof ort die groBe Bedeutung dieser Schaltung fiir den Forder-
betrieb, da sie es ermoglicht, bei einem sehr geringen Energieverlust im Regel-
156 1921
widerstand die Drehzahl eines Gleichstrommotors unabhangig von der GroBe
der Belastung sowie bei einer Fordermaschine davon, ob mit ihr Last gehoben
oder in den Schacht hinabgelassen wird, zu regeln und damit die Anforderungen
an eine Fordermaschine sowohl in betriebstechnischer wie wirtschaftlicher Hin-
sicht in vollkommener Weise zu erfullen.
Zur Uberwindung der zweiten Schwierigkeit, die durch die groBen StoBe
auf das Kraftwerk und die dadurch herbeigefuhrten Storungen anderer Strom-
verbraucher gegeben war, standen zwei Hilfsmittel zur Verf iigung, das Schwung-
rad und die Akkumulatorenbatterie. I. wahlte als das einfachere und billigere
das Schwungrad und stellte durch eingehende Berechnungen und Verhand-
lungen mit den Stahlwerken fest, daB es tatsachlich moglich war, so groBe
Energiemengen, wie sie beim Antrieb groBer Fordennaschinen und Walzen-
straBen in Betracht kommen, im Schwungrad aufzuspeichern und derart zum
Ausgleich der Belastungsschwankungen zu benutzen, daB die schadlichen Riick-
wirkungen auf das Netz und das Kraftwerk beseitigt wurden. Die Umfangs-
geschwindigkeit des Schwungrades, besser gesagt der Schwungscheibe, konnte
schon bei den ersten Ausfuhrungen zu 80 m/s gewahlt werden und ist im Laufe
der Jahre auf 150 m/s, das sind 540 km/h, also mehr als das Fiinffache der
Schnellzugsgeschwindigkeit, erhoht worden. Im Jahre 1901 meldete I. die
Vereinigung dieser beiden wichtigen Hilfsmittel, der Leonard-Schaltung und
des mit einem Umformer verbundenen Schwungrades, zum Patent an. Der
Patentanspruch seines fur die ganze Entwicklung der Fordennaschinen wie
der UmkehrwalzenstraBen bahnbrechenden Patentes, das ihm unter D. R. P.
138387 erteilt wurde, lautete:
»Einrichtung, um in elektrisch betriebenen Forderanlagen die Geschwin-
digkeit der Fordermotoren ohne Anwendung von Vorschaltwiderstanden zu
regeln und eine allmahlich erfolgende Entnahme von Strom aus der Haupt-
stromquelle zu sichern, welche nicht bis zur vollen Hohe des der Kraftleistung
des Fordermotors beim Anlassen entsprechenden Stromverbrauches ansteigt,
dadurch gekennzeichnet, daB der Fordermotor unmittelbar durch eine von
der Hauptstromquelle betriebene, mit einer Schwungmasse versehene Motor-
dynamo gespeist wird, wobei die dem Fordermotor zugefuhrte Spannung
durch Anderung der Erregung des stromabgebenden Teiles der Motordynamo
geregelt werden kann.«
Fiir die Entwicklung des elektrischen Antriebes von Fordennaschinen
und WalzenstraBen, insbesondere nach dem I. -System war es bedeutsam, daB
um die gleiche Zeit wie I. bei der Siemens & Halske A.-G. Kottgen zusammen
mit G. Meyer und W. Philippi an der Ausbildung des elektrischen Antriebes von
Fordennaschinen arbeitete. Er stieB dabei auf das Patent I.s und setzte sich,
da durch die von diesem ausgearbeitete Anordnung die Hauptschwierigkeiten
beseitigt waren, mit ihm wegen gemeinsamer Bearbeitung der weiteren Einzel-
heiten des elektrischen Fordermaschinen antriebes in Verbindung. Andererseits
erwarb die Donnersmarckhiitte in Verfolg ihrer Bestrebungen, den Forder-
maschinenantrieb im AnschluB an Gasmaschinenkraftwerke zu elektrisieren,
das Patent I.s. Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen ihr, I. und der Sie-
mens & Halske A.-G. war der AbschluB eines Vertrages zwischen der Donners-
marckhiitte und der Siemens & Halke A.-G., wonach der letzteren das Aus-
Ilgner 157
fiihrungsrecht von Anlagen nach dem I. -System iibertragen wurde. Gleiche
Vertrage mit den anderen groBen Elektrizitatsfirmen folgten in kurzer Zeit.
I. selbst ubernahm nach einer kurzen Tatigkeit bei der Westinghouse-Gesell-
schaft die Leitung eines neuen Bureaus der Donnersmarckhiitte zum Bau
groBer Fordermaschinen.
Dem Patent D. R. P. 138 387 folgten dann alsbald ein ahnliches Patent fur
den elektrischen Antrieb groBer UmkehrwalzenstraBen sowie einige Zusatz-
patente, die, ebenso wie die Hauptpatente, in den Besitz der Donnersmarck-
hiitte ubergingen.
Nachdem I. bei der Donnersmarckhiitte vier Jahre lang das Bureau fur den
Bau elektrischer Fordermaschinen und UmkehrwalzenstraBen geleitet und
dabei an der Ausbildung und Vervollkommnung dieser Maschinen wesentlichen
Anteil genommen hatte, trat er im November 1904 in die Dienste der Oster-
reichischen Siemens-Schuckert-Werke, Wien, iiber, um dort die Leitung des
Montanbureaus, auf dem elektrische Bergwerks- und Hiittenanlagen jeder Art
projektiert und ausgefiihrt wurden, zu iibernehmen. Bald aber begann sein Ge-
sundheitszustand unsicher zu werden. Infolge mehrfacher Erkrankungen sah
er sich schlieBlich genotigt, auf seinen Korper mehr Riicksicht zu nehmen, als
es ihm bei der von ihm iibernommenen regelmaBigen Tatigkeit moglich sein
konnte. Das veranlaBte ihn, schon im Mai 1907 seine Stellung bei den Oster-
reichischen Siemens-Schuckert-Werken aufzugeben und sich in Wien als be-
ratender Ingenieur niederzulassen, um so die fur seine Gesundheit erwiinschte
Bewegungsfreiheit zu erhalten.
Als beratender Ingenieur war er dann hauptsachlich fiir mehrere Gruben in
Polnisch-Schlesien und Niederschlesien tatig, auf denen es gait, durch Umge-
staltung des gesamten maschinellen Betriebes, zweckmaBige Anordnung und
Ausfiihrung der Kessel, Maschinen usw. die Betriebskosten auf ein MindestmaB
herunterzudrucken. Dadurch kam er auch mit der Technischen Hochschule in
Breslau bald in nahere Verbindung. Auf seine Anregung hin wurde im Jahre
19 10 als Doktorarbeit die Untersuchung der gesamten Dampf- und Energie-
wirtschaft der Ferdinandgrube der Kattowitzer A.-G. fiir Bergbau und Hiitten-
betrieb ausgeschrieben. In Ausfiihrung dieser Aufgabe gelang es Diplominge-
nieur Schulze, iiber die auBerordentlichen Verluste in den Dampfleitungen still-
stehender Dampfmaschinen sowie in den stillstehenden, unter Dampf gehalte-
nen Fordermaschinen wert voile Aufklarungen zu beschaffen, die fiir die tjber-
legenheit des elektromotorischen Antriebes aller Arbeitsmaschinen auf Gruben
und Hiitten wichtige Anhaltspunkte gaben. Bisher waren Dampf verbrauchs-
versuche an Fordermaschinen und WalzenstraBen stets nur wahrend weniger
Betriebsstunden gemacht und die Verluste wahrend des Stillstandes sowie
diejenigen in den Dampfleitungen oberflachlich geschatzt oder ganz vernach-
lassigt worden. Die Versuche auf der Ferdinandgrube haben wohl zum ersten
Male gezeigt, wie hoch sich bei einer mit an sich durchaus brauchbaren Dampf-
maschinen ausgeriisteten Grube der tagliche Dampfverbrauch im Laufe von
mehreren Monaten stellen kann.
Im Jahre 1911 erhielt I. von der Technischen Hochschule Breslau am Tage
der feierlichen Eroffnung des Eisenhuttenmannischen Institutes, gelegentlich
der Anwesenheit des Kaisers, die Ernennung zum Dr.-Ing. e. h. Der Wortlaut
des Doktordiploms war:
158 1921
»Die Konigliche Technische Hochschule zu Breslau unter dem Rektorat
des Professors Dr. phil. Rudolf Schenk verleiht mit dieser Urkunde auf ein-
stimmigen Antrag der Abteilung fiir Maschineningenieurwesen und Elektro-
technik durch BeschluB von Rektor und Senat dem Herrn Ingenieur Carl
Ilgner in Wien in Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste um die
Durchbildung des fiir den Berg- und Huttenbetrieb besonders wichtig ge-
wordenen, belastungsausgleichenden Schwungradumfonners, insbesondere
um die Durchbildung des Umformers zum betriebs- und steuersicheren An-
trieb von Forder- und Walzwerksmaschinen die akademische Wiirde eines
Doktor-Ingenieurs ehrenhalber. «
Mit Riicksicht auf diese vielf achen Beziehungen zu Schlesien entschloB er sich
im Jahre 1912, ganz nach Breslau iiberzusiedeln, wo er sich eine Villa baute,
die er, einer besonderen Liebhaberei nachgehend, mit wertvollen Kunstschatzen,
besonders solchen aus dem Mittelalter, ausstattete. Um auch der Stadt Breslau
seine Ingenieurerfahrungen zugute kommen zu lassen, iibernahm er das Ehren-
amt eines Stadtverordneten, wurde Mitglied der stadtischen Betriebsdeputation
und war auch sonst fur das Wohl der Stadt Breslau fordernd tatig.
Bei Beginn des Krieges stellte er sich sofort in den Dienst seines geliebten
Vaterlandes, indem er verwundete Offiziere in seinem Hause pflegte. Noch
kurz vor SchluB des Krieges fand er Gelegenheit, seine Kenntnisse auf dem
Gebiete der Berg- und Hiittenanlagen im Dienste der deutschen Regierung
nutzbar zu machen. Er reiste fiir die Reichsentschadigungskommission im
Juli 1918 nach Briissel, um die in den Operationsgebieten befindlichen Hiitten-
werke und sonstige Fabriken zu bewerten. Bei Ausbruch der Revolution kam
er mit dem letzten Zuge iiber die Grenze nach Mainz zuriick und langte nach
einer schwierigen Reise wohlbehalten in Breslau an. Nach der Revolution ar-
beitete er weiter noch bei der Reichsentschadigungskommission in Berlin, um
die von ihm auf dem Kriegsschauplatze angefangenen Arbeiten zu vollenden.
Im September 1919 mui3te er aber die Tatigkeit einstellen, da seine Gesundheit
unter den hinter ihm liegenden Anstrengungen doch zu sehr gelitten hatte.
Der Besuch einer Anzahl von Sanatorien nutzte nichts mehr, es trat eine
dauernde Verschlimmerung der alten Kopfschmerzen ein, und am 18. Januar
1 92 1 erloste ihn ein sanfter Tod von seinen Leiden. Kurz vor seinem Tode
hatte er seinen Wohnsitz in die Einsamkeit, an den FuB des Riesengebirges,
nach Bertelsdorf verlegt, um dort ganz der Ruhe pflegen zu konnen ; es war zu
spat. Das Eiserne Kreuz am weiBen Bande wurde ihm noch kurz vor Aus-
bruch seiner letzten schweren Erkrankung als Belohnung fiir seine aufopfernde
Tatigkeit im Interesse des Vaterlandes iiberreicht.
Man wiirde I. unrecht tun, wenn man seine Verdienste lediglich in einer
gliicklichen Erfindung und ihrer Ausnutzung suchen wollte, von so groBer
wirtschaftlicher Bedeutung jene auch fiir die Berg- und Hiittenwerke geworden
ist. Seine Arbeiten gingen vielmehr mit Nachdruck dahin, die ganzen Gruben-
und Hiittenbetriebe vom Kesselhaus an wirtschaftlich aus- und umzugestalten
und so die in der Kohle enthaltene Energie weitgehend auszunutzen, was bis
dahin mit Riicksicht auf die geringen Kosten der im eigenen Betriebe gefor-
derten oder billig beschafften Kohle vielf ach uberflussig erschien. Wahrend er
in den Stellungen bei der Donnersmarckhiitte und den Osterreichischen Sie-
mens-Schuckert-Werken sich hauptsachlich mit der Ausbildung der elektri-
Hgner 159
schen Anlagen bef assen muBte, hat er in seiner spateren Tatigkeit als beratender
Ingenieur seine ganze Kraft der einheitlichen wirtschaftlichen Ausgestaltung
der Gruben- und Hiittenbetriebe zugewandt, um die gesamten Betriebskosten
soweit wie irgend moglich herunterzudriicken. Die von ihm angegebene Aus-
fiihningsform elektrischer Fordermaschinen und UmkehrwalzenstraBen ist da-
bei nur ein Hilfsmittel unter vielen gewesen.
I. ist kein Theoretiker und unpraktischer Erfinder, sondern durchaus Prak-
tiker gewesen, der groBzugig das, worauf es bei der Verbesserung der Wirt-
schaftlichkeit der Berg- und Hiittenbetriebe ankommt, erfaBt und, soweit sich
ihm die Moglichkeit dazu bot, zielbewuBt verfolgt hat. Die durch die Schwach-
lichkeit seines immer wieder von schwerer Krankheit heimgesuchten Korpers
verursachten Hinderungen erschwerten seine Tatigkeit in den letzten Jahren
wesentlich, konnten ihn jedoch in der stetigen Verfolgung seiner Bestrebungen
nicht aufhalten. Zu seiner durch Krankheit nicht dauernd zu beugenden Energie
kam, um das Bild eines vorbildlichen deutschen Ingenieurs zu vervollstandigen,
eine leidenschaftliche Liebe zu seinem deutschen Vaterlande, die er schon vor
dem Kriege in mehrf acher Vertretung deutscher Interessen dem Auslande gegen-
iiber bewiesen hat, und die wahrend des Krieges und in den schweren Nach-
kriegsjahren besonders zum Ausdruck gekommen ist. Auch im Auslande sind
seineVerdienste vor dem Kriege im wesentlichen anerkannt undUmkehrbetriebe,
bei denen ein mit zusatzlichenSchwungmassenausgeriisteterLeonard-Umformer
benutzt wurde, selbst in England, wo ihm ein Patent versagt worden ist, alsl. -An-
lagen bezeichnet worden. Seit Ausbruch des Krieges und noch mehrere Jahre
nach dem Kriege ist dies in englischen und franzosischen Fachkreisen nicht
mehr f iir notig erachtet worden. Erst neuerdings f indet man wieder seinenNamen
in Verbindung mit Anlagen, die nach der von ihm angegebenen Anordnung aus-
gefiihrt worden sind, auch in auslandischen Fachkreisen haufiger genannt.
Die Notwendigkeit, bei den groBen Forderanlagen und UmkehrwalzenstraBen
einen Ausgleich der starken Belastungsschwankungen vorzusehen und daher
ihrer Ausfiihrung das I. -System zugrunde zu legen, ist in den letzten Jahren
durch die Vervollkommnung der Dampfturbine, deren Drehzahlregler auch
bei den groBten Belastungsschwankungen die Drehzahl annahernd unverander-
lich halten, stark zuriickgegangen, und immer haufiger werden jetzt groBe
Fordermaschinen mit schwungradlosem Umformer ausgefuhrt. Das darf aber
nicht dazu verleiten, den Namen I.s und seine bedeutenden Verdienste um die
Einfuhrung des elektrischen Antriebes dieser Maschinen in Vergessenheit ge-
raten zu lassen. Erst durch seine Erfindung ist es Anfang dieses Jahrhunderts
moglich gemacht worden, auch die groBten Fordermaschinen und Umkehr-
walzenstraBen wie einen beliebigen gleichmaBig belasteten Motor an jedes
Kraftwerk anzuschlieBen, wenn nur dessen Leistungsf ahigkeit zur Deckung des
mittleren Energieverbrauches der angeschlossenen Anlage ausreichte. Dadurch
ist die Moglichkeit gegeben worden, jene so auBerordentlich unwirtschaftlich
arbeitenden Maschinen in wirtschaftlich giinstig arbeitende umzuwandeln.
Diese Tatsache geniigt fiir uns, daB wir I. dauernd zu den ersten Ingenieuren
unserer Zeit rechnen und dies insbesondere auch dem Auslande gegeniiber, das
stets geneigt ist, die Verdienste groBer deutscher Ingenieure unbeachtet zu
lassen, immer wieder betonen mtissen.
Berlin-Siemensstadt. Wilhelm Philippi.
i6o 1921
Jaff6, Edgar, a. o. Professor an der Handelshochschule in Munchen, Finanz-
minister in der Regierung Eisner im Freistaat Bayern, * am 24. Mai 1866 in
Hamburg, f am 29. April 192 1 in Munchen. — Geboren als Sohn eines be-
kannten hamburgischen GroBkaufmanns, besuchte Edgar J. eine Hamburger
SchuleundspaterdasRealgymnasiuminGothabisObersekunda. Miti7 Jahren
trat er als Lehrling in ein Hamburger Exportgeschaft ein, worauf er seine kauf-
mannische Lehrzeit als Volontar bei verschiedenen Firmen in Frankreich und
Spanien beschloB. 1888 trat er als 3 lingerer Teilhaber in ein von seinem Vater
gegriindetes Textilexportgeschaft in Manchester ein, wo er zehn Jahre blieb
und sich jene grundliche Anschauung des englischen Geschaftslebens erwarb,
die seinem spateren Hauptwerk iiber das engUsche Bankwesen und seiner
akademischen Lehrtatigkeit zugute kam. Vom kaufmannischen Beruf unbe-
friedigt und damals schon, von noch unklaren Empfindungen den sozialen
Fragen zugetrieben, siedelte J. 1898 nach Berlin iiber, um sich ganz seinen
geistigen Interessen zu widmen. Von Philosophic, Religionsgeschichte und Ge-
schichte ausgehend, geriet er bald in den Bannkreis der Ideen Friedrich Nau-
manns und schloB sich einer Schar j lingerer Nationalokonomen aus dem
Schmollerschen Seminar an. J. wandte sich ganz der Nationalokonomie zu,
horte insbesondere bei Schmoller, Sering und Wagner und lieferte noch als
Studierender fur die Untersuchungen des Vereins fur Sozialpolitik iiber die
Heimarbeit Beitrage iiber die westdeutsche Konfektion- und die Zigaretten-
industrie. Seinen sozialen Interessen entsprang sodann die Mitarbeit bei dem
Erziehungsbeirat fur schulentlassene Waisen, fur dessen »Wegweiser fur die
Beruf swahl« er einen Teil bearbeitete.
1 90 1 promo vierte er in Heidelberg mit einer Arbeit iiber die Arbeitsteilung
im englischen Bankwesen. 1904 ging das Archiv fur soziale Gesetzgebung und
Statistik aus den Handen seines Begriinders, Heinrich Braun, in seinen Besitz
iiber. Die Zeitschrift wurde unter dem Namen »Archiv fiir Sozialwissenschaft
und Sozialpolitik « weitergefuhrt. Als Mitredakteure gewann er Werner Sombart
und Max Weber. Besonders die Aussicht, denihm freundschaftlich verbundenen
Max Weber zu gewinnen und ihm gewissermaBen ein Organ zu schaffen, hatte
ihn zu diesem Schritt angeregt. Das Braunsche Archiv hatte es sich zur Auf-
gabe gemacht, die Arbeiterfrage in ihrer kulturellen Bedeutung zu studieren,
und zwar von vornherein unter starker Heranziehung des Auslandes; es war
international und die wirklich erste interfraktionelle Zeitschrift des Faches.
Ihr Arbeitsgebiet wurde nun prinzipiell erweitert: »Unsere Zeitschrift wird
heute die historische und theoretische Erkenntnis der allgemeinen Kulturbe-
deutung der kapitalistischen Entwicklung als dasjenige wissenschaftliche Pro-
blem ansehen miissen, in dessen Dienst sie steht. Und gerade weil sie selbst
von einem durchaus spezifischem Gesichtspunkt ausgeht und ausgehen muB:
dem der okonomischen Bedingtheiten der Kulturerscheinungen, kann sie nicht
umhin, sich im engen Kontakt mit den Nachbardisziplinen, der allgemeinen
Staatslehre, der Rechtsphilosophie, der Sozialethik mit den sozialpsycho-
logischen und den gewohnlich unter dem Namen Soziologie zusammengefaBten
Untersuchungen halten« — (Archiv, Neue Folge, Band 1 , Geleitwort der Heraus-
geber). Auf Reisen in Osterreich, Italien, Frankreich, Belgien und Holland
kniipfte er zahlreiche personliche Beziehungen an, die den Kreis der Mitarbeiter
dieser hervorragendsten nationalokonomischen Zeitschrift, deren Bedeutung
Jafite 161
immer mehr zu steigern sein besonderer Ehrgeiz war, weit iiber die deutsche
Gelehrtenwelt hinaus vergrofierten. 1904 habilitierte sich Edgar J. in Heidel-
berg und las in den folgenden Jahren vorwiegend iiber Bank-, Borsen-, Geld-,
Finanz- und Kreditwesen, Sozialpolitik und Sozialismus. Gleichzeitig erschien
sein Hauptwerk : Das englische Bankwesen, in welchem der Verf asser die be-
deutsamen Unterschiede zwischen dem englischen und deutschen Bankwesen
herausarbeitete. J. prazisierte mit seinem Werk die Stellungder Bank inner-
halb der modernen Wirtschaft. 1909 erhielt er den Titel eines a. o. Professors
und einen Lehrauf trag fur Geld- und Kreditwesen an der Universitat Heidel-
berg. Zusammen mit Geh. Rat Prof . Eberhard Gothein beteiligte er sich gleich-
zeitig intensiv am Ausbau der damals neugegriindeten Handelshochschule
in Mannheim. 1910 nahm J. einen Ruf an die neugegrundete Handelshoch-
schule in Munchen an. Im Kriege wurde J. gleich nach der Besetzung Belgiens
ein Jahr lang als wirtschaftlicher Sachverstandiger speziell fur die Abteilung
Banken beim Zivilgouvernement Briissel verwandt. Er arbeitete dort, unter-
stiitzt durch das Vertrauen, das auch belgische Handelskreise dem das
Franzosische vollkommen beherrschenden, ihrerLageobjektiv gerecht werden-
den Mann entgegenbrachten, grossere Gutachten aus. (Der Belfried : 2. Jahrgang,
4. Heft : Die Zahlungsbilanz und die internationalen f inanziellen Beziehungen
Belgiens.) Seit dem zweiten Kriegsjahre wirkte er weiter an der Handels-
hochschule in Munchen. Vom 1. April 1916 ab gab J. zusammen mit dem
bayerischen Staatsminister D. v. Fraundorfer die Europaische Staats- und
Wirtschaftszeitung her aus. In dieser Zeit entstanden eine Reihe wichtiger
Publikationen sowohl im Archiv (Band 40) wie in den Schriften des Vereins
fiir Sozialpolitik (Band 156) — grundsatzliche Darlegungen zur Frage der
Militarisierung des deutschen Wirtschaftslebens, der Rohstoffversorgung
sowie insbesondere zu den Problemen der Kriegskostendeckung und der
Steuerreform.
J.s durch fruhere praktische kaufmannische Tatigkeit gescharften Ein-
sichten entging die Verstrickung des deutschen Schicksals, die Rohstof fnot und
die wirtschaftliche Aussichtslosigkeit der weiteren Kriegf uhrung nicht — er
wurde infolgedessen immer mehr dahingetrieben,zueinembaldigen AbschluB
des Krieges zu raten. Nach der Waff enstillstandserklarung setzte sich J. in aller
Offentlichkeit mit Leidenschaft fiir eine Abdankung des Kaisers ein. Nach dem
9. November 1918 trat er auf Vorschlag Auers als Finanzminister in das Mini-
sterium des neuen Volksstaates Bayern ein. J. glaubtesich als Fachmann und
Wissenschaftler der konkreten Aufgabe der Neuordnung der bayerischen
Finanzen nicht entziehen zu diirfen und hoffte, als Mitglied der Regierung
Eisner temporisierend und ausgleichend wirken zu konnen. Die weitere Ent-
wicklung der Dinge in Bayern, insbesondere nach der Ermordung Eisners, er-
wiesen sich jedoch starker als er; es gelang J. nicht mehr, seinen EinfluB ent-
sprechend geltend zu machen, wie ihm dies zu Lebzeiten des abstrakt-ideali-
stischen Eisner zum Teil wenigstens gelungen war. Anfang April 1919 erklarte
er daher, innerlich enttauscht und gebrochen, wenige Tage vor der Ausrufung
der Raterepublik seinen Austritt aus dem Ministerium und verlieB Bayern. Vor
der beabsichtigten tlbernahme seiner alten Dozentenpflichten an der Handels-
hochschule erkrankte er und verschied nach langerem schweren Leiden am
29. April 1921.
dbj 11
162 1921
Fiir seine internationale Anerkennung spricht, daJ3 er bis zu seinem Tod als
Korrespondent des » Fight the Fancine Council for Economic Reconstruction «
gefuhrt wurde.
Edgar J.s wesentliches Verdienst ist es, die Kenntnis iiber das Wesen und die
Bedeutung der Banken verbreitet zu haben, insbesondere auf die in wirtschaft-
licher Hinsicht wichtigen Unterscheidungen zwischen der englischen, deutschen,
franzosischen, belgischen usw. Arbeitsweise und Teilung im Bankbetriebe
hingewiesen zu haben. Seine Beitrage zur Geschichte der deutschen Kriegs-
wirtschaft werden ihre damalige Bedeutung auch fiir die Zukunft behalten, da
sie als Ausdruck einer zum Sozialismus hinneigenden Natur den Versuch ent-
hielten, die deutsche Kriegswirtschaft als organisierte planmaBige Gemein-
schaftsordnung zu sehen und zu gestalten.
I,iteratur: E. Js Schriften: Hausindustrie und Fabrikbetrieb in der deutschen Ziga-
rettenfabrikation. Schriften des Vereins fiir Sozialpolitik, Bd. 86, III. — Das englische
Bankwesen. Verlag Duncker & Humblot, 1. Aufl. 1904, 2. Aufl. 1910. — Die Militari-
sierung unseres Wirtschaftslebens durch den Krieg. Archiv fiir Sozialpolitik und Sozial-
wirtschaft, Bd. 40, 191 5. — Grundsatzliches zur Frage: Kriegskostendeckung und Steuer-
refonn. Schriften des Vereins fiir Sozialpolitik, Bd. 156, II, 1918. — Volkswirtschaft und
Krieg, Tubingen 191 5. — Das englisch-amerikanische und das franzosische Bankwesen.
Grundrifl der Sozialokonomik, Abt. V, Teil II. — Die Arbeiterschaft iin neuen Deutsch-
land, Leipzig 191 5 (Die Vertretung der Arbeiterinteressen im neuen Deutschland) — (Ar-
chiv, Bd. 40, I, 191 5) — Das theoretische System der kapitalistischen Wirtschaft. — Die
westdeutsche Konf ektionsindustrie mit besonderer Beriicksichtigung der Heimarbeit, Ver-
ein fiir Sozialpolitik, Bd. 86/111. — Deutsche Bankverwaltung in Belgien, Bankarchiv
XIV, Heft 24. — BelgiensStellungin der Weltwirtschaft, Bankarchiv XIV, Heft 19, 20, 21.
— Finanz- und Steueraufgaben im neuen Deutschland. Miinchen und Leipzig 19 19.
Heidelberg Hans v. Eckardt.
Kndpfler, Alois, o. 6. Professor der Kirchengeschichte an der Universitat
Miinchen, * in Schomburg (Wurttemberg) am 29. August 1847, t m Schomburg
am 14. Juli 1921. — Alois K. gehort in den Kreis der katholischen historischen
Tiibinger Schule. Als einer der bedeutendsten Vertreter derselben hat er deren
Geist und Traditionen weiter gepflegt und besonders nach der Seite des semi-
naristischen Unterrichtsbetriebes entwickelt.
K. wurde am 29. August 1847 i m wiirttembergischen Allgau, in Schomburg
bei Wangen, geboren. Nach der Absolvierung des Gymnasiums (in Ehingen und
Rottweil) trat er im Herbst 1868 in das Wilhelmsstift in Tubingen ein, um
Philosophic und Theologie zu studieren. Den starksten EinfluB haben auf ihn
ausgeiibt: Hefele, der Kirchenhistoriker und beriihmte Verfasser der Konzilien-
geschichte, den er noch bis Weihnachten 1869 horen konnte (Hefele war imOk-
tober 1868 zum Konsultor der Zentralkommission zur Vorbereitung auf das
vatikanische Konzil berufen und im November 1869 zum Bischof von Rotten-
burg erhoben worden), Abele, der Exeget, und der Germanist Adalbert v. Keller.
Auf Veranlassung des letzteren hat K. eine Preisaufgabe iiber den Verfasser des
Nibelungenliedes bearbeitet und gelost und den philosophischen Doktorgrad
sich erworben. Am 3. August 1874 erhielt er nach AbschluB seiner theologischen
Studien im Priesterseminar zu Rottenburg die Ordination durch Bischof Hefele,
der auf dem Vaticanum gegen die Definition der papstlichen Unfehlbarkeit auf-
getreten war und als letzter der deutschen Bischofe erst am 10. April 1871 die
Konzilbeschliisse anerkannt und in seiner Diozese verkiindigt hatte.
Jaff£. Knopfler 163
K. war nun fast zwei Jahre in der Seelsorge tatig als Vikar in Ravensburg.
Ostern 1876 wurde er als Repetent fiir Kirchengeschichte an das Wilhelmsstift
nach Tubingen berufen, wo er mit eisernem FleiBe seiner wissenschaftlichen
Weiterbildung oblag und sich zugleich auf das Professoratsexamen fiir neuere
Sprachen, Deutsch, Geographie und Geschichte vorbereitete. Vom Juli bis
Dezember 1878 machte er eine Studienreise, welche ihn in die franzosische
Schweiz bis Genf , nach Paris und I^ondon fuhrte ; und im Mai 1879 unterzog er
sich dem Professoratsexamen. JournalistischeNeigung undTatigkeit hattenK.
in Beziehung gebracht zu Dr. Max Huttler, der geistlicher Verleger der Augs-
burger Postzeitung und (bis 1875) bayerischer Landtagsabgeordneter war.
Dieser hat nun den bayerischen Kultusminister Lutz auf den begabten jungen
Tiibinger Repetenten hingewiesen, der dam als auch schon durch eine Rezen-
sion in der »Literarischen Rundschau « iiber Prof. Friedrichs Buch »Zur
altesten Geschichte des Primates in der Kirche« die Aufmerksamkeit weiterer
Kreise auf sich gezogen hatte. Juli 1880 erhielt K., der inzwischen als der erste
katholische Geistliche Wiirttembergs Reallehrer an der Realschule zu Schram-
berg geworden war, einen Ruf als Professor fiir Kirchengeschichte und Patro-
logie an das Kgl. Lyzeum in Passau. »Nehmen Sie an . . . Tun Sie es der Sache
zu lieb, daft wir wieder einmal Tiibinger Edelreis aufgepfropft erhalten.« So
schrieb ihm damals Huttler.
K. hat die auf ihn gesetzten groften Hoffnungen vollauf erfullt. Wahrend der
fiinfjahrigen Lehrtatigkeit zu Passau bearbeitete er eine Kirchengeschichte der
Vorreformationszeit von 1447 — I 5 I 7» welche im Jahre 1883 als 23. Band von
Rohrbachers Universalgeschichte der katholischen Kirche erschien. Das Buch ist
Bischof Hefele zu dessen goldenem Priesterjubilaum gewidmet. Schon 1882 war
K. von Hefele mit der Neubearbeitung des V. Bandes der Konziliengeschichte
(1073 — 1250) betraut worden. Nach vier Jahren (1886) war der neue Band von
1200 Druckseiten fertig. K. ist dadurch mit einem Schlage an die Seite seines
groften Lehrers und mit in die vorderste Reihe der katholischen Kirchen-
historiker getreten. Noch bevor der Band erschienen war, hatte K. von Althoff
einen Ruf nach Minister i. W. erhalten,den er ablehnte. Ein Jahr spater (1886)
kam dann der Ruf auf den durch Mohler und Dollinger so beruhmt gewordenen
Lehrstuhl fiir Kirchengeschichte nach Miinchen und damit auf einen Boden,
wie er giinstiger und fruchtbarer wohl nicht gedacht werden konnte. Wahrend
eines vollen Menschenalters war es K. beschieden, hier zu wirken.
Schon nach vier Jahren erschien — ich ubergehe im folgenden die kleineren
Arbeiten — 1890 die Neubearbeitung des VI. Bandes der Hef eleschen Konzilien-
geschichte (1250 — 1409 inkl.). Das Jahr 1891 brachte das Buch iiber die »Kelch-
bewegung in Bayern unterHerzog Albrecht V. 1550 — 1579 «, womit K.s Arbeiten
zur Reformationsgeschichte ubergingen. Im selben Jahre begann K. mit den
beiden Kirchenhistorikern Schroers in Bonn und Sdralek in Miinster die
» Kirchengeschichtlichen Studien« herauszugeben. Als 1893 die Wahl zum
Rektor der Universitat auf ihn fiel, war er zu einem fuhrenden Kirchenhistoriker
auf katholischer Seite herangereift. Seine Rektoratsrede »t)ber Wert und Be-
deutung des Studiums der Kirchengeschichte « hat Aufsehen erregt. Der hun-
dertjahrige Geburtstag Mohlers 1896 gab ihm den Anlai3, in einem eigenen Buche
seinem groften Landsmann und Vorganger ein Gedenkblatt der Liebe und Ver-
ehrung zu widmen. In den Jahren 1886 — 1901 hat K. nach dem Beispiele
164 J 9 21
Hefeles iiber hundert kirchengeschichtliche Artikel fiir das Herdersche Katho-
lische Kirchenlexikon bearbeitet, von denen einzelne, wie die iiber » Kirchen-
geschichte* und »das Konzil von Trient«, ganze Abhandlungen waren. Auch
mit zwei Neueditionen friihmittelalterlicher Werke, die schlecht herausgegeben
waren, hat sich K. in diesem Dezennium von 1890 bis 1900 befaBt. Im Jahre 1890
erschien »Walafridi Strabonis liber de exordiis et incrementis quarundam in
observationibus ecclesiasticis rerum«, eine Art Kompendium der christlichen
Archaologie etwa vom Jahre 840. Zehn Jahre spater, 1900, folgte die Edition
der 819 verfaBten Schrift von Rabanus Maurus »De institutione clericonim
libritres«; denlnhalt bilden Unterweisungen der Kleriker iiber ihre Ausbildung
iiber ihre Standes- und Amtspflichten.
Eine Berufung K.s nach Freiburg i. Br. 1903 beweist die wachsende hohe
Wertschatzung des Lehrers und Gelehrten. Wenn sein eigenstes wissenschaft-
liches Arbeitsgebiet auch das Mittelalter und die Reformationszeit gewesen ist,
so hat er sich doch auch eingehend mit den Problemen der Urgeschichte der
Kirche befaBt. Seine zweite Rektoratsrede von 191 1 handelte iiber »Das
Christusbild und die Wissenschaft«. Auch die allerneueste Kirchengeschichte
hat ihn besonders interessiert ; er trug sich mit dem Gedanken, eine groBere
Biographie Hefeles zu schreiben. Noch in den letzten Jahren seines Lebens hat
er daran gearbeitet ; das fertige Manuskript reicht bis zum Beginne der Konzils-
tatigkeit Hefeles.
An der Miinchener Universitat war K. eine der markantesten Gestalten und
beliebtesten Personlichkeiten. Er war zweimal deren Rektor, saB voile 21 Jahre
als eines der geschaftskundigsten Mitglieder im akademischen Senat und war
mehrere Ma 1 e Dekan seiner Fakultat.
Jelanger, desto mehr ist, namentlich seit 1900, die Uterarische Produktion K.s
in den Dienst des kirchengeschichtlichen Unterrichts und der Ausbildung junger
Forscher auf dem Gebiete der Kirchengeschichte getreten. Sein Lehrbuch fiir
Kirchengeschichte, sein kirchenhistorisches Seminar mit seinen wissenschaft-
lichen Arbeiten haben ihn in dem Dezenium von 1900 bis 1910 fastganz mitBe-
schlag belegt. Als Lehrer hat K. das GroBte und Beste in seinem Leben ge-
leistet. Im Geiste Hefeles und im AnschluB an dessen Vorlesungen hat er die
Kirchengeschichte vorgetragen. Und 1895 hat er, einem wirklich dringenden
Bediirfnisse entsprechend, diese Vorlesungen herausgegeben als 4 » Lehrbuch der
Kirchengeschichte auf Grund der akademischen Vorlesungen von Hefele«. Von
der Vortrefflichkeit und Beliebtheit dieses Lehrbuches zeugt die Tatsache, daB
im Jahre 1920 die sechste Auflage gedruckt werden muBte, und daB das Buch
auch ins Spanische und Ungarische iibersetzt wurde. Wissenschaftlich noch
wertvoller ist aber eine andere Tatigkeit auf dem Gebiete des kirchengeschicht-
lichen Unterrichts gewesen. Das war die Arbeit K.s in dem von ihm begriindeten
und reichlich ausgestatteten Miinchener Kirchenhistorischen Seminar. Hier
liegt wohl sein groBtes Verdienst um die Kirchengeschichte. Seit seiner Be-
rufung nach Miinchen wurde K. in immer steigendem MaBe in Anspruch ge-
nommen durch die Ausbildung junger Theologiestudenten und Priester fiir die
wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiete der Kirchengeschichte. Zu diesem
Zwecke hat er das Kirchenhistorische Seminar an der Universitat eingerichtet.
Nach Uberwindung starker finanzieller Hindernisse und manch anderer Wider-
stande hat K. dieses Institut zu groBer Bliite gebracht. Es war, als er sein Lehr-
Knopfler. Korting 1 65
amt im Jahre 191 7 niederlegte, dank der staatlichen finanziellen Mittel und
dank der personlichen Stiftungen und Schenkungen K.s so gut gestellt wie kein
anderes kirchenhistorisches Seminar an einer katholisch-theologischen Fakultat
Deutschlands. Durch letztwillige Verfiigung hat K. seinem Seminar auch noch
jene Biicher seiner eigenen Bibliothek vermacht, welche das Seminar noch nicht
besafl. Ein Zeugnis von der ungemeinen Fruchtbarkeit und dem wissenschaft-
lichen Geist der seminaristischen Tatigkeit K.s sind die 1899 von ihm begriin-
deten »Veroffentlichungen aus dem Kirchenhistorischen Seminar Miinchen«.
Sie umfaBten 1920 die Zahl von 45 Heften ; das bedeutet, wenn man die Kriegs-
jahre abrechnet, einen Durchschnitt von drei gedruckten wissenschaftlichen
Schiilerarbeiten in einem einzigen Jahre. Ein enges personliches Band hat sich
um Lehrer und Schuler jeweils geschlossen ; das zeigen die beiden Festschriften,
die zu K.s 60. und 70. Geburtstag erscheinen konnten. An zwanzig seiner
Schuler stehen bzw. standen in akademischem Lehramt an Universitaten oder
Lyzeen; und viele andere pflanzen in anderen Lehrstellungen in Wort und
Schrift das fort, was sie bei ihm gelernt haben. Man mufi angesichts dieser Tat-
sachen von einer Miinchener kirchengeschichtlichen Schule sprechen, die K.
durch seine glanzende Lehrgabe und durch seinen nie rastenden Tatendrang
gegriindet hat.
Mit Vollendung seines 70. Lebensjahres hat sich K. vom Lehramt zuriick-
gezogen in der Absicht, die ihm noch verbleibenden Jahre zu benutzen zur
Fertigstellung der Biographie Hefeles, zur Ausarbeitung einer Geschichte seines
Kirchenhistorischen Seminars und, so die Krafte noch reichen wiirden, zur Be-
schaftigung mit dem Konzil von Trient. Die Inangriffnahme dieser Arbeiten
wurde aber verzogert durch die notwendig gewordene 6. Auflage seines Lehr-
buchs der Kirchengeschichte und durch den Zusammenbruch unseres Vater-
landes seit dem Herbst 191 8. Unter diesem hat K. unsagbar gelitten. Die Zeit
seit Friihjahr 1919 brachte er meist auf seiner Villa im heimatlichen Schomburg
zu, die er sich zu einem schonen Tuskulum geschaffen hatte.
Dort ist er am 14. Juli 1921 im Alter von beinahe 74 Jahren nach schwerem
Leiden an einer Lungenentzundung gestorben.
Literatur: Nachrufe sind erschienen von Hochschulprofessor Dr. A. Bigelmair in
Dillingen in der LjterarischenBeilage zur »Augsburger Postzeitung* Nr. 33 vom 16. Au-
gust 1 92 1 ; von mir in der Literarischen Beilage zum »Bayerischen Kurier« Nr. 29 vom
23. Juli 192 1 und (sehr viel umfangreicher) in dem von der wurttenibergischen Kommission
fiir Landesgeschichte herausgegebenen »Wurttembergischen Nekrolog fiix das Jahr 1927*
(noch nicht gedruckt!). — Der literarische NachlaB K.s ist in den Handen seiner Nichte,
Frau Frieda Ulrich in Schomburg, Post Wangen (wiirttembergisches Allgiiu). — Die
Titel der beiden Festschriften lauten: 1. Festgabe, A. K. zur Vollendung des 60. Lebens-
jahres gewidmet von (folgen die Namen der 17 Mitarbeiter). Lcntner, Miinchen 1907.
8°. VIII, 348 S. 2. Festgabe, A. K. zur Vollendung des 70. Lebensjahres gewidmet von
seinen Freunden und Schulern folgen die Namen der 26 Mitarbeiter). Herausgegeben von
H.M. Gietl und G. Pfeilschifter. Herder, Freiburg i. Br. 1917. Gr. 8°. VIII, 415 S.
Miinchen. Georg Pfeilschifter.
Korting, Ernst, Dr.-Ing., * 12. Februar 1842 in Hannover, f 4. Januari92i
in Hannover. — Ernst K. wurde am 12. Februar 1842 in Hannover als dritter
Sohn des Direktors des dortigen Gaswerkes geboren und wuchs auf demWerke
auf, in dessen verschiedenen Reparaturwerkstatten — Schmiede, Tischlerei,
i66 192 1
Klempnerei — er ganz und gar zu Hause war. Da auf dem Werke auch Ammo-
niak gewonnen wurde, bekam er schon als heranwachsender JungeeinigeEin-
sicht in die Chemie, was ihm fur spater von Nutzen war.
Vom 6. bis zum 15. Jahre besuchte er die lateinische Realschule seiner Vater-
stadt, die den Grund zu seiner technischen Laufbahn legte, fiir die ihm dann die
polytechnische Schule in Hannover eine vorziigliche Lehranstalt darbot.
Da er mit der Schule in zu jugendlichem Alter fertig wurde, um unmittelbar
auf das Polytechnikum iiberzugehen, arbeitete er zunachst anderthalb Jahre
in den Reparaturwerkstatten der Hannoverschen Baurawollspinnerei und
Weberei, wo er alle wiinschenswerten Kenntnisse in Dreherei, Schlosserei und
Modelltischlerei erwarb.
Im Oktober 1858 kam er auf die Vorschule zum Polytechnikum, da er fiir die
Hauptschule immer noch zu jung war. Dort horte er den Vortrag des Prof.
Dr. Grelle iiber niedere Mathematik, dem er selbst groBe Wirkung auf sein
Wissen zuschrieb, und kam 1859 vollig reif auf die Hauptschule, um dort alle
Facher, theoretisch wie praktisch, des Maschinenbaues, Eisenbahnbaues,
Wasserbaues und der Architektur zu studieren, so daB er sein Staatsexamen in
irgendeinem der vier Facher hatte machen konnen. Er hatte mit groBem FleiB
und Erfolg studiert, wie sein Abgangszeugnis bewies, war aber trotzdem kein
Duckmauser gewesen; hatte er doch als bester Schlager des Polytechnikums
gegolten! Das liebste Studium war ihm das der Mechanik gewesen, die August
Ritter damals in Hannover in einer Weise vortrug, daJ3 alle Schiiler, die lernen
wollten, das Gelernte frei anwenden konnten. Ernst K. betonte selbst, daB er
Ritter die Fahigkeit verdanke, jedes Problem so zu erfassen, daB er auf das
Gesetz zurtickging, von diesem auf die Methode und weiter auf die Ausfiih-
rungsmittel kam, und dieser Fahigkeit schrieb er insbesondere die Erfolge in
technischer und kommerzieller Beziehung zu, die ihm spater beschieden waren.
Auf dem hannoverschen Polytechnikum folgten auf den neunmonatigen
Jahreskurs jeweils drei Monate Ferien, die Ernst K. zu praktischen Arbeiten
in den hannoverschen Eisenbahnwerkstatten als Schlossergeselle und in der
hannoverschen EisengieBerei als Former- Volontar benutzte. Insbesondere der
letzteren Tatigkeit legte er spater hohe Wichtigkeit bei.
Im Winter 1864 legte K. das Staatsexamen im Eisenbahnmaschinenbau im
Staate Hannover ab. Er hatte nicht die Absicht, in den Staatsdienst zu gehen,
wollte vielmehr als Zeichner bei der Lokomotivfabrik von Georg Egestorff ein-
treten ; zufallig bot sich ihm aber Gelegenheit, eine Stelle als bauleitender In-
genieur bei der Schweizerischen Gasgesellschaft in Schaffhausen fiir den Bau
des Gaswerks in Pisa zu erhalten.
Am 1. April 1865 trat Ernst K. dort ein und blieb in Pisa bis Ende
1866, bis der Bau vollendet war. Diese Stellung war insofern fiir K.s ganze Zu-
kunft entscheidend, als sie ihm das Gefiihl volliger Selbstandigkeit im Auslande
verlieh und ihm zugleich das BewuBtsein der Uberlegenheit der damaligen
deutschen technischen Wissenschaft gegeniiber der des Auslandes verschaffte.
Auch hatte ihm die Stellung in Pisa Obung nicht allein in der italienischen,
sondern auch in der franzosischen und englischen Sprache verschafft, so daB
er sich auch in den betreffenden Landern geschaftlich frei bewegen konnte.
Als der Bau in Pisa vollendet war, suchte und fand K. eine andere Stellung
bei der schweizerischen Nord-Ost-Bahn in Zurich. Es kam aber nicht zur Aus-
Korting 1 67
fiihrung seines urspriinglichen Auftrages, der auf die Anlage von Gaswerken
fur die Hauptbahnhofe der Linie lautete, und so erstrebte K. den Ubertritt zur
maschinentechnischen Abteilung des Maschinenmeisters May, eines vorziig-
lichen Ingenieurs und erfinderischen Kopfes. K.s Gesuch wurde angenoramen,
undihmwurde die Durcharbeitung von neuen Lokomotivtypen iibertragen, die
auf Grund einer Eigenanfertigung bei den verschiedensten Fabriken bestellt
wurden. Die Aufgabe wurde gut gelost, insofern das schlieBliche Istgewicht der
Lokomotiven um nicht mehr als 150 kg vom Sollgewicht abwich.
Seine nachste Stellung erhielt K. bei der Nordbahn in Wien als Ingenieur
erster Klasse beim Zentralinspektor Pecker, auf dessen Rat und Empfehlung
er zunachst bei Alexander Friedmann in Wien eintrat, der Ingenieure fiir den
Vertrieb seiner neu konstruierten Injektoren im Auslande suchte.
K. ubernahm die Einfiihrung in Italien und England. Klingender Erfolg war
ihm so gut wie gar nicht beschieden ; dagegen hat er nach eigenem Urteil alles
dort gelernt, was er spater an Geschaftskenntnissen im I^eben notig hatte, um
sein technisches Wissen fruchtbar zu machen. Auch erweiterte er seine Lebens-
und Menschenkenntnis.
Im Jahre 1869 konstruierte K. einen Injektor mit Zufuhr von Abdampf in die
Mischduse, der, nachdem er patentiert war, starke Verbreitung gefunden hat.
Spater traf K. in London seinen alten Verbindungsgenossen L. Schiitte und
faBte den Plan, mit diesem zusammen in Amerika ein Geschaft zur Verbreitung
Friedmannscher Injektoren aufzutun, was alsbald verwirklicht wurde. Schiitte
studierte die Injektoren in Wien, und ging dann hiniiber. Das Geschaft schei-
terte aber daran, daB Friedmann sich weigerte, mit Wm. Sellers als dem Lizenz-
nehmer der Giffard-Patente ein Abkommen zu treffen. Das fuhrte zwar zu
Weiterungen zwischen Friedmann und K., ihr Verkehr blieb aber erhalten.
Ernst K. hatte nun aber die Welt zur Geniige kennen gelernt, um sich auf
eigene FiiBe zu stellen. So beschloB er, im Jahre 1871, zusammen mit seinem
Bruder Berthold, der kaufmannisch ausgebildet war, ein Geschaft fiir Indika-
toren und Dampfstrahlelevatoren zu griinden, und zwar in seiner Vaterstadt
Hannover.
Aus der Praxis als Gastechniker kam K. alsbald der Gedanke, den Dampf-
strahl zum Absaugen des Gases aus den Retorten zu benutzen, und am 2. De-
zember 1872 konstruierte er den ersten Exhaustor zugleich mit selbsttatigem
Druckregler, der seinem Zweck voll entsprach und in grofler Menge Absatz
fand, namentlich in England. Im gleichen Jahre (1872) brachte K. auf dem Gas-
werk in Hannover einen Dampfstrahlelevator mit umgekehrter Wirkung —
Dampfdiise als Wasserdiise, Wasserduse als Dampfeintritt — an, um den Ab-
dampf der Maschine zu kondensieren und ein Vakuum zu schaffen. Der Erfolg
fuhrte zu einer ganzen Reihe von Strahlkondensatoren, die in die Liste der Ver-
kaufsgegenstande eingereiht wurden. Das Geschaft erforderte bald eine eigene
kleine Fabrik, da die Beteiligung anderer nicht unbedenklich war. Damals kon-
struierte K. auch den ersten Wasserstrahl-Luftsaugapparat, der als Fischerei-
diise viel Absatz fand, um L,uft durch Dampf in Wasserbehalter zu schaffen,
wenn Druckluft fehlt. Sofern das moglich war, entschied der Preis stets zu-
gunsten des Injektors an Stelle der mechanischen Vorkehrung.
Die gemieteten Werkstatten geniigten nur kurze Zeit, und so wurde denn
schon 1872 eine eigene kleine Fabrik mit geliehenem Gelde des Vaters gebaut.
i68 1921
Das gab die Anregung zur Konstruktion von Dampfstrahl-Luftsauge- und
Luftdruckapparaten, Unterwindgeblasen, Schmiedefeuergeblasen, Kohlen-
saure- und Nutschgeblasen fiir Zuckerfabriken, Wasserstrahlkondensatoren in
groBer Zahl. Zugleich entwarf Ernst K. die Verfahren zum genauen Messen der
Leistung in einfacher, fast kostenloser Weise, die sich bis heute fast unverandert
erhalten haben.
Im Jahre 1876 konstmierte dann K. den Doppelinjektor, Universalinjektor
genannt; die Konstruktion ging von der Betrachtung aus, daB unter Druck
auch sehr warmes Wasser noch Dampf zu kondensieren vermag. Der Apparat
erzielte leicht Saughohen bis 6 Meter und vermochte Wasser bis 70 Grad anzu-
saugen und zu speisen und fand sofort einen groBen Markt. Im AnschluB an
diesen Injektor brachte K. auch den Rohrenvorwarmer mit ganz engen Rohren
auf den Markt, um Wasser mit Abdampf vorzuwarmen.
Ebenfalls im Jahre 1876 baute Ernst K. eine EisengieBerei fiir den GuB von
Strahlapparaten, also in ganz kleinen Abmessungen. Um fiir diese GieBerei einen
Fullartikel zu haben, entwarf er Rippenheizkorper verschiedenster Art, zu
denen 1880 auch Rippenrohre hinzukamen. 1883 wurde die erste Formmaschine
in Deutschland von K. erbaut, mit der die Fabrikation ganz erheblich ver-
billigt wurde. Am 22. Mai 1884 wurden dann die schragrippigen Heizkorper
patentiert, die ihrer gedrangten Form wegen viel Anwendung gefunden
haben.
Bereits im Jahre 1881 wurde K.s Aufmerksamkeit zufallig auf Gasmaschinen
gelenkt ; er machte allerhand Explosion sversuche und baute einen ganz primi-
tiven Explosionsmotor, der zur Not herumlief. Zusammen mit dem Ingenieur
Lieckfeld baute er dann einen Zweitaktmotor mit Gemischpumpe, der im Wett-
bewerb mit dem Otto-Motor auf den Markt gebracht wurde. Als Neuheit zeigte
er das Ventil als AbschluBorgan statt des Schiebers. Gesttitzt auf seine Er-
fahrungen an Strahlapparaten konstruierte K. den Freifall-Ventilziinder mit
konisch erweitertem Ziindrohr und ferner das Misch ventil, durch das unter
alien Umstanden bei groBer und geringer Geschwindigkeit eine gleichartige
Brennmischung selbsttatig geschaffen wird. Obschon die Maschine von der
Deutzer Konstruktion vollig verschieden war, griff die Deutzer Firma das
Patent an. K. blieb nichts anderes iibrig, als es zu verteidigen und seinerseits
den Patentanspruch von Deutz anzugreifen, mit dem Erfolg, daB nach fiinf-
jahrigem Kampf im Jahre 1886 das Deutzer Patent in alien wesentlichen An-
spriichen vernichtet wurde. Die Bahn war nun frei, und der K.sche Gasmotor
nahm sofort eine ganz gewaltige Entwicklung.
Am 30. Marz 1900 wurde K. dann der doppeltwirkende Zweitakt in praktisch
moglicher Ausfiihrung patentiert und damit wohl konstruktiv das Endglied im
Gasmotorenbau geschaffen. Es wurde sofort auch eine 500pferdige Gasmaschine
gebaut, die vollstandig gelang. Die groBe grundsatzliche Schwierigkeit, die in
dem Ausspruch liegt: ich kann nur verdrangen, wenn ich nicht mische, ver-
langte einen Ersatz der nach vorn gerichteten Bewegung durch eine walzende
Bewegung, die durch zwei einander schneidende Stromungen entsteht. Das
wurde dem Patentamt, das Zweifel hegte, in einer einfachen Versuchseinrich-
tung mit Tabakrauch vorgef uhrt !
Die K.sche Gasmaschine ist anerkanntermaBen fiir Geblase und Pump-
maschinen, wo ein langsamer Gang erforderlich ist, die betriebsicherste GroB-
Korting 1 69
gasmaschine, die sich nur deshalb fiir raschen Gang nicht eignet, weil die La-
dung nur in einem Bnichteil eines Kolbenhubes hineingeschafft werden muB,
Im Jahre 1882 erf and K. den Strahlkondensator mit zylindrischer Konden-
sationsdiise und allmahlicher Dampfeinfiihning in Einzelstrahlen, die in
schrager Richtung den zentralen Wasserstrahl treffen. Ein Patent auf die
Streudiise ward zwar erteilt, das auf die Kondensation aber versagt.
Schon 1875 hatte K. die Wasserdiise des Kondensators als einen Haufen von
Einzelstrahlen ausgefuhrt, urn die Beruhrungsflache zwischen Dampf und
Wasser moglichst groB zu halten. Die Einzeldiisenlocher waren auf einer kon-
kaven Kugelflache gebohrt, und die Strahlen konvergierten nach dem Kugel-
mittelpunkt, wo sie sich zu einem vollen Einzelstrahl vereinten, der dann in
gleicher Weise ins Freie trat wie bei Vollstrahlkondensatoren. Die Notwendig-
keit geringen Wasserverbrauchs bei hohem Vakuum war aber damals noch
nicht so zum Ausdruck gekommen, und die Konstruktion bheb liegen. Erst als
die Dampfturbine mit den hohen Anspriichen an Luftleere auftrat, suchte K.
die Konstruktion wieder hervor und lieB sie 1907 als Vielstrahlkondensator
patentieren.
Im Jahre 1908 endlich griff K. die Konstruktion eines Doppelinjektors an,
der bis 40 v. H. der Hochstleistung von Hand reguliert werden kann.
Er wird dadurch gekennzeichnet, daB die Dampf diise ubermaBig groB gehalten
wird, so daB der geforderte Wasserstrahl noch einmal Wasser anzusaugen und
in den Kessel zu schaffen befahigt wird.
Als die Firma Gebr. K. 1903 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde,
blieb Ernst K. noch eine Zeitlang im Aufsichtsrat dieser Gesellschaft. Mit zu-
nehmendem Alter aber zog er sich von der unmittelbaren Tatigkeit zuriick. Er
verbrachte die nachsten Jahre in Pegli in Italien, bis ihn der ausbrechende
Krieg zur Riickkehr nach Hannover zwang, wo er bis zu seinem Tode im Jahre
1 92 1 in stiller Zuriickgezogenheit lebte.
Die vorstehenden Zeilen geben einen Anhalt, die Leistungen Ernst K.s als
Ingenieur und Geschaftsmann zu wiirdigen und seine groBe Vielseitigkeit zu
erkennen. Neben seinen eigenen Gebieten beherrschte er auch die iibrigen
Naturwissenschaften. Bis in sein hochstes Alter befaBte er sich auBer mit tech-
nischen Aufgaben auch mit sozialen Fragen, die er in einer Reihe lesenswerter
Aufsatze treffend bearbeitete. Sein Leitmotiv hat Ernst K. in den »Beitragen
zur Geschichte der Technik und Industrie « 1919 wie folgt gegeben: »Die Be-
herrschung der Mechanik ist fiir den Ingenieur meines Erachtens unumgang-
lich, wenn er selbstandig schaffen, forschen und die Technik fordern will. —
Mir hat sie die Wege geebnet und mich vor technischen MiBerfolgen geschiitzt,
da ich stets den Weg des , Gesetzes' gegangen bin und geforscht habe, ehe ich
konstruierte. «
Ernst K. war nicht allein ein erfolgreicher Ingenieur, sondern auch ein guter
Geschaftsmann. Das bewies er schon im Beginn seiner Tatigkeit, als Alexander
Friedmann dem 28jahrigen Ingenieur, um ihn an sich zu fesseln, ein jahrliches
Einkommen von 20000 Gulden bot. Dieses fiir die damalige Zeit ungewohnliche
Angebot schlug aber K. in richtiger Erkenntnis seiner Fahigkeiten aus. Er
wuBte nicht allein zu konstruieren, sondern verstand auch durchaus, seine
Konstruktionen der Praxis anzupassen. Aus alien seinen Arbeiten schaut seine
klare, selbstandige Denkweise hervor, kraft deren er die ihm gesteckten Grenzen
170 1921
deutlich erkannte; zumal in den letzten Jahren, als seine Leistungsfahigkeit
nach und nach erlahmte.
Die Technische Hochschule in Hannover hat ihren Schuler zum Ehrendoktor
gemacht, der Verein deutscher Ingenieure verlieh ihm die Grashof-Denkmiinze,
der Verein deutscher Eisenhiittenleute die Carl-L,ueg-Denkmunze, die Preu-
Bische Akademie des Bauwesens die Goldene Medaille.
Literatur: Eigene Niederschrift von Dr.-Ing. E. K. aus Pegli vora 20. Juli 1909, im
Besitz des Vereines deutscher Ingenieure, Berlin NW 7. — V. d. I.-Zeitschrift, Jahrg. 1921,
S. 189. — Stahl und Eisen, Diisseldorf 192 1, I, S. 141.
Berlin. Diedrich Meyer.
Korum, Michael Felix, Bischof von Trier, * in Wickerschweier bei Kolmar
2. November 1840, f 4. Dezember 1921 in Trier. — Hervorgegangen aus einer
bescheidenen Lehrersfamilie im OberelsaB, versprach K. schon f run ganz AuBer-
ordentliches. Nach glanzenden Studien auf der Universitat Innsbruck wurde
er von Bischof RaB sogleich als akademischer Lehrer fur den Theologennach-
wuchs der StraBburger Diozese berufen. In dieser Stellung, wie auch gleich-
zeitig als Prediger an der Kathedrale, lenkte er die allgemeine Auf merksamkeit
derart auf sich, daB ganz StraBburg es mit Genugtuung begruBte, als er im
Jahre 1880 zum Miinsterpfarrer und Erzpriester ernannt wurde. Wahrend des
einen Jahres, das er an dieser Stelle verbrachte, hatte er in der Stille einen hef-
tigen Kampf zu bestehen ; er wehrte sich mit aller Macht namlich gegen seine
Ernennung zum Weihbischof und Koadjutor, erst fur Metz, dann fur StraBburg.
Kaum war er als Sieger aus diesem Kampf e hervorgegangen, da rief inn der
Wille Leos XIII. auf den jahrelang verwaisten Bischofsstuhl von Trier. Es war
die erste Bischofsernennung in PreuBen seit Ausbruch des Kulturkampfes. Die
verzweifelten Versuche des Miinsterpfarrers, sich auch diesem Rufe zu ent-
ziehen, waren umsonst. Er muBte sich dem Willen des Papstes fiigen und die
Leitung der Diozese iibernehmen, die mit am schwersten unter der Kultur-
kampfgesetzgebung gelitten hatte.
Es war ein Trummerfeld, das der junge Bischof vorfand, und der Wieder-
aufbau erforderte seine ganze Kraft, die ganze gewaltige Begeisterung dieses,
von seiner Mission durchdrungenen Priesters. Mit ruhiger, sicherer Hand ging
er an die Arbeit, und es gelang ihm, nicht nur die vorhandenen Wunden auszu-
heilen, sondern auch die seelsorgerlichen Verhaltnisse der Diozese den Bediirf-
nissen der Zeit entsprechend auszugestalten. Beim Beginn seiner Tatigkeit
zahlte das Bistum 940000 Seelen in 731 Pfarreien mit 449 Pfarrern und 70 Ka-
planen. Bei seinem Tode war die Seelenzahl um eine halbe Million gestiegen;
die Zahl der Pfarreien war um 42 vermehrt worden, nicht eingerechnet 30
selbstandige Vikarien. Und aus den 449 Pfarrern waren deren 739, aus den 70
Hiifsgeistlichen 279 geworden. Pfarrkirchen sind 250, daneben noch 80 groBere
Filialkirchen und eine grofie Anzahl kirchlicher und klosterlicher Anstalten neu
entstanden ; besonders auch sind die wichtigsten Diozesananstalten (Seminar,
Konvikt, General vikariat) mit den modernen Anforderungen entsprechenden
Neubauten so versehen worden, daB sie den gesteigerten Bediirfnissen fur lange
.>it zu geniigen vermogen. Auch der Trierer Dom, eines der interessantesten
Ivuidenkinaler Deutschlands, erlebte unter K.s Regierung eine durchgreifende
Korting. Korum 17I
Restaurierung. Im Beginne dieser durch zwei Jahrzehnte sich hinziehenden
Arbeiten wurde auch der Grund gelegt zu einem Diozesanmuseum, das alle fiir
die Kunst- und Kulturgeschichte der Diozese wichtigen Gegenstande aufbe-
wahren, das Studium der kirchlichen Kunst und der gewerblichen Technik
f ordern und das Kunstgewerbe durch alte stilgerechte Muster und Vorbilder zur
Nachahmung anregen soil. Auch fiir die Bestrebungen der prof anen Altertums-
f orschung bewies der Bischof stets lebhaftes Interesse, wie er fiir alle derartigen
Erwerbungen, Ausgrabungen und dergleichen allzeit eine offene Hand hatte.
Es ist leicht zu verstehen, daB die Losung der dem Bischof gestellten Auf-
gabe nicht moglich war, ohne daB er auf mancherlei MiBverstandnisse und An-
feindungen stieB. Es sei hier nur erinnert an die Angriffe, welche sich gelegent-
lich der Ausstellung des hi. Rockes (1891), die iiber zwei Millionen Pilger nach
Trier zog, gegen ihn erhoben, und an den beriihmt gewordenen Trierer Schul-
streit. In letzterem war das Vorgehen des Bischof s nicht unbegriindet; auch
gegnerische Blatter muBten manche Beschwerde als berechtigt anerkennen.
Rom traf in diesem Streite schlieBlich eine Losung, die den Bischof fast zur
Demission veranlaBt hatte.
Diese Kampfe tragen ihm in manchen Kreisen den Vorwurf ein, als sei er
ein Fanatiker des MachtbewuBtseins, ein Eiferer, der an Streit und Zwietracht
Freude fande. Diesen Vorwurf hat er nicht verdient. Es ist wahr, in den Grund-
satzen lieB er nicht mit sich markten ; nichts war ihm so zuwider, wie ein Kom-
promiB, der eine eindeutige Situation zweideutig machte. Aus dieser Anschau-
ung heraus sah K. sich auch genotigt, in der Arbeiterfrage, im Gegensatz zu
weiten katholischen Kreisen, an den Grundsatzen festzuhalten, welche die
Bischofe in ihrem Pastorale vom Jahre 1900 ausgesprochen hatten. Er war ge-
wohnt, die Probleme nicht so sehr in ihren auBeren Symptomen zu schauen,
als vielmehr immer an die eigentlichen Quellen heranzugehen und die groBen
Zusammenhange der Einzelfragen und Note mit dem gottlichen Sittengesetze
zu verfolgen. Seine Stellung in diesen Fragen wie auch in den Fragen der Politik
entsprang vor allem den religiosen Interessen; diese waren fiir ihn stets das
Ausschlaggebende. Wie entschieden der Bischof auch seinen Standpunkt
jeweils vertrat, in der Form war er stets vornehm, ein Edelmann vom Scheitel
bis zur Sohle. Wie die andersglaubigen Mitburger Triers den Bischof ein-
schatzten, bewiesen sie durch ihre groBartige Teilnahmean den Huldigungs-
feiern zu seiner Ehre, sowohl im Jahre 1906 als auch im Jahre 1915 und be-
sonders 192 1.
Trotz mancher Konflikte, die der Bischof mit der preufiischen Regierung zu
bestehen hatte, war sein Verhaltnis zu derselben doch nicht ganz so, wie es zu-
weilen dargestellt wurde. Seine prinzipielle Charakterfestigkeit besiegte auch
in diesen Kreisen nach und nach viele Vorurteile. Und sein gerades, ehrliches
Vorgehen gewann ihm zuletzt endgiiltige Sympathien. »Mit K. weiB man immer,
wie man dran ist; er handelt nach Grundsatzen, nicht nach Launen!«, auBerte
einmal ein Oberprasident, der zu seinen Gegnern zahlte. Der letzte Kaiser hat
den Bischof von Trier geschatzt, wenngleich er viele Vorurteile gegen ihn hegte.
Auch bei seinem letzten Besuche in Trier, im Jahre 1913, wo er von der Be-
volkerung so sympathisch aufgenommen wurde, brachte der Monarch die Vor-
urteile zum Teil noch mit und auBerte sie auch. Aber er verlieB Trier und seinen
Bischof auf das angenehmste enttauscht, woraus er auch kein Hehl machte.
172 1921
Der letzte Schleier des MiBtrauens beim Kaiser und der Regierung ist aber erst
gefallen in der schweren Zeit und Not des Krieges und in den bitteren Tagen
nach dem Zusammenbruch. Es ist allgemein bekannt, wie der Bischof damals
als ein treuer Eckart zu seinem schwergepruften Volke stand, wie er mit
Wiirde und edlem SelbstbewuBtsein die Sache seines Volkes vor den fremd-
landischen Machthabern vertrat.
Fast 80 Jahre war er alt geworden, da traf ihn auf einer Firmungsreise ein
schlimmer Unfall, der ihn seiner rastlosen Tatigkeit entzog. Monatelang war
der greise Bischof ganz hilflos; es war eine furchterliche Priifung fur den ar-
beitsfreudigen Mann. Er erholte sich noch einmal so weit, da£ er seine Amts-
geschafte erledigen, ja sogar vor groCen Versammlungen auftreten konnte. Er
hatte die Hoffnung, dai3 er im Friihjahre seine Firmungsreisen wieder auf-
nehmen konnte. Am 4. Dezember 1921 empfing er noch zwei Lehrerdelegierte
aus dem Saarrevier, mit denen er sich angelegentlich unterhielt. Als sie ihn ver-
lieflen, wartete der Todesengel schon an seiner Ture. Eine Stunde spater ver-
kiindeten die Domglocken die Trauerbotschaft, daJ3 das Herz des edlen Bischof -
greises zu schlagen aufgehort hatte.
Sein Leichenbegangnis wurde zu einem wohlverdienten Triumphzug ; es war
fiirstlich, koniglich und inniglich. DieTausende der Teilnehmer und die Aber-
tausende derer, die den Weg umdrangten, sie alle bekundeten in Haltung und
Wort: er war ein GroBer! Er war ein Edler! Er war unser Stolz!
In seltener Einmiitigkeit haben am Grabe des heimgegangenen Kirchen-
fiirsten auch alle die Vertreter der verschiedensten religiosen und politischen
Anschauungen den Degen gesenkt vor der erhabenen Grofle dieses hohen
Geistes, dieses edlen Herzens.
»Dedimus vobis insignem episcopumla, so hatte Papst Leo XIII. einmal
Trierer Geistlichen gegeniiber sich geauBert. In dem kurzen Worte ist alles
gesagt. Bischof K. war nicht nur groB an Vorziigen des Geistes — er war, nicht
ein Gelehrter im eigentlichen Sinne, aber ein Mann von universaler Bildung,
ein erstklassiger Kanzelredner, ein geborener Fiihrer des offentlichen Lebens,
»potens in opere et in sermonen — , er war aber auch edel und gut. Alle seine her-
vorragenden naturlichen Eigenschaften hatte er in den Dienst seines Amtes
gestellt. Man kann ihn nicht besser charakterisieren als mit dem Satze: Was
immer er tat und unternahm, er tat und unternahm es als Bischof der katho-
lischen Kirche.
Literatur: Korum, Wunder und gottliche Gnadenerweise bei der Ausstellung des
heiligen Rockes im Jahre 1891, Trier 1894. — Unerbauliches aus dem Bistum Trier
(Schulfrage), Trier 1903. — Die katholische Kirche und die modernen Reformbestre-
bungen, Trier 1902. — Das ehristliche Familienleben, Hirtenbriefe, Trier 191 7. — Irenaus
Themistor (Pseudonym fur K.-Endres). — Die Bildung und Erziehung der Geistlichen,
Koln 1884. — Schiitz, Festschrift zum 2 5jahrigen Bischofsjubilaum 1906. — Tesche-
macher, Ein deutscher Bischof, Erinnerungsgedanken an M. F. K. (Broschiire), Miin-
chen 1922. — Wies, Unseres Bischofs Jubelfest, Trier 192 1. — Treitz, M. F. K., Bischof
von Trier. Ein Lebens- und Zeitbild, Theatiner-Verlag, Munchen 1925, 426 S.
Trier. Jakob Treitz.
Lang, Viktor Edler v., Universitatsprofessor, President der Akademie der
Wissenschaften in Wien. * am 2. Marz 1838 in Wiener-Neustadt (Niederoster-
reich), | in Wien am 3. Juli 1921. — L.s Vater war Steuerbeamter, spater Be-
Korum. Lang 173
amter im Finanzministerium in Wien, ein fur die Naturwissenschaften lebhaft
interessierter Mann; seine Mutter eine geborene Perger, deren Bruder in der
Geschichte der Wiener Revolution von 1848 als Exponent des freisinnigen
Wiener Biirgertums eine Rolle gespielt hat. Das Adelspradikat der Familie geht
auf den GroBvater L.s zuriick, welcher Militararzt war und dasselbe fur be-
sondere Verdienste um die Verwundetenfiirsorge in den Napoleonischen
Kriegen erhalten hatte. Die Neigungen des Vaters forderten die naturwissen-
schafttichen Interessen des heranwachsenden Jiinglings, der durch privates
Studium iiber die Grenzen des in der Schule Gebotenen hinausgelangte, was
zur Folge hatte, dafl er dem Abgang vom Gymnasium, das ihn zuletzt sehr
langweilte, mit Ungeduld entgegensah. Seine Universitatsstudien begann er in
Wien, setzte sie in Heidelberg fort und promovierte 1858 in GieBen, nachdem
er schon in den Jahren 1856 und 1857 einige selbstandige Abhandlungen ver-
offentlicht hatte, zum Doktor der Philosophic Ein Jahr spater ging er nach
Paris, wo er ein Jahr hindurch im physikalischen Laboratorium des College de
France arbeitete. Der EinfluB Regnaults befestigte in ihm die Neigung zur
messenden Physik, die in seinem wissenschaftlichen Leben eine bedeutende
Rolle gespielt hat. Hier traf er neuerdings mit einem Wiener Studienfreund,
Pietro Blaserna, der spater Professor der experimentellen Physik in Rom war,
zusammen. 1861 kam L. nach Wien zuriick, an dessen Universitat er sich nun
fur » Physik der Kristalle« habilitierte. 1862 ging er, einem an ihn ergangenen
Rufe folgend, voriibergehend als Assistent an die mineralogische Abteilung des
Kensington-Museums in London; er blieb hier zwei Jahre, mit kristallogra-
phischen Arbeiten eifrig befaBt. Den Antrag, in eine dauernde Stellung iiber-
zugehen, die sonst seinen Neigungen sehr entsprochen hatte, lehnte er ab, weil
er zur englischen Hochkirche hatte iibertreten miissen. Ein solcher Schritt er-
schien ihm aber nur moglich, wenn Uberzeugung ihn diktierte.
Der Aufenthalt in Paris und London brachte ihm nicht nur vielfache, durch
ein langes Leben fortdauernde Beziehungen zu den gelehrten Kreisen des Aus-
landes, aus welchen sich zum Teil starke personliche Freundschaften ent-
wickelten, sondern auch eine bedeutende Erweiterung seines Gesichtskreises
und seiner Welt- und Lebensauffassung. So ward er ein Weltmann, der trotz
seiner zuriickhaltenden Ruhe es ausgezeichnet verstand, die internationalen
wissenschaftlichen Beziehungen zwischen seinem Vaterland und den anderen
Kulturstaaten zu pflegen und fester zu kniipfen. 1864 kehrte L. in die Heimat
zuriick, und zwar bereits als auBerordentlicher Professor an der Universitat
in Graz; schon ein Jahr darauf wurde er als ordentlicher Professor der Experi-
mentalphysik an die Universitat in Wien berufen. Diese Lehrkanzel und die
Leitung des mit ihr verbundenen Institutes hatte -er bis zur Niederlegung des
Lehramtes nach Erreichung der Altersgrenze (70 Jahre) und Zuriicklegung des
sich anschlieBenden »Ehrenjahres« durch voile vierundvierzig Jahre inne. 1866
wurde er korrespondierendes, ein Jahr darauf wirkliches Mitglied der Wiener
Akademie der Wissenschaften, in welcher er im Laufe der Jahre zu alien Ehren-
stellen gelangte, die sie zu vergeben hat. 1898 wurde er zum provisorischen
Sekretar der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse, 1899 zum General-
sekretar der Gesamtakademie gewahlt. Nach dem RiicktrittEduardSueB' von
der Prasidentschaft wurde er 191 1 Viezeprasident und nach dem Tode des
Prasidenten Bohm-Bawerk President der Akademie. Diese Stelle legte er bald
174 Ig21
nach Uberschreitung des 80. Lebensjahres freiwillig nieder. An der Universitat
bekleidete er die Ehrenstelle eines Dekans der philosophischen Fakultat 1870,
die des Rektors zweimal, 1884 und 1889.
Im Jahre 1871 wurde in Osterreich durch ein Gesetz das metrische Mall-
system eingefuhrt und die Normaleichungskommission begriindet, welcher die
gesamten, mit der Umgestaltung des MaJ3- und Gewichtswesens verbundenen
Arbeiten und das Eichwesen zugewiesen wurden. Fur diese Kommission wur-
den Laboratorien eingerichtet, welche Prazisionsarbeiten auf dem Gebiete des
MeBwesens ermoglichten, sie war die Verwahrerin der osterreichischen Proto-
type des Meters und des Kilogramms. L. wurde Mitglied dieser Kommission,
1904 ihr President . Im Zusammenhange damit wurde er 1871 zum Mitglied des
Cotnite international des poids et des mesures ernannt, in welchem er durch
Jahrzehnte hindurch sein Vaterland vertrat. Er nahm an den Jahressitzungen
dieses Institutes, die in Paris stattfanden, regelmaBig teil. Durch die standige
hier gegebene Zusammenarbeit mit Vertretern der gesamten Kulturwelt wur-
den seine schon in der Jugend angebahnten Beziehungen zum Ausland be-
reichert und vertieft. Es kniipften sich dann noch solche neuer Art in dem
Kartell der Akademien, welches I,., dem das Gedeihen der Wiener Akademie
sehr am Herzen lag, mit lebhaftester Anteilnahme zu fordern bemuht war.
Der Weltkrieg, bei dessen Ausbruch er 76 Jahre zahlte, war fiir ihn ein
auBerst schmerzliches Ereignis auch in personlicher Beziehung ; denn eine un-
iibersteigbare Scheidemauer richtete sich auf zwischen ihm und seinen aus-
landischen Freunden. Wie er seinem Kummer iiber die Tragik des Krieges
Ausdruck gab, ist fiir seine Beurteilung des Kulturzustandes und der Ent-
wicklungshohe der zwischenvolkischen Beziehungen ungemein charakteristisch.
Wiederholt sagte er: »Es ist mir unbegreiflich, daB die Volker so dumm sein
konnen, einen Krieg zu fiihren.« Diese Auffassung hinderte ihn aber nicht, an
dem deutschen Schicksal den lebhaftesten und warmsten Anteil zu nehmen,
denn er empfand gut deutsch und hatte ein starkes Gefiihl fiir das Ungluck des
deutschen Volkes und das Unrecht, das man ihm antat.
Sein Wirken als Forscher, Lehrer und Vertreter seines Landes bei inter-
national wissenschaftlichen Unternehmungen fand von seiten der Staats-
gewalt voile Anerkennung; von fruheren Auszeichnungen, die hier nicht er-
wahnt zu werden brauchen, abgesehen, wurden ihm die hochsten moglichen
Auszeichnungen zuteil: er wurde im Jahre 1905 ins Herrenhaus berufen und
an seinem 80. Geburtstage zum Geheimen Rat mit dem Pradikat Exzellenz er-
nannt. Er schatzte derartige Auszeichnungen nicht als personliche Ehrung,
sondern als Ausdruck der Einschatzung der Bedeutung der Wissenschaft und
legte aus diesem Grunde Wert auf sie. Die Wertschatzung, deren er sich im
Auslande erfreute, ist ersichtlich aus dem Umstand, daB er Ehrendoktor von
Oxford war ; sie zeigte sich in groBartigster Weise anlaBlich seines 70. Geburts-
tages, zu welchem ihm die namhaftesten Physiker aller Lander ihre Gliick-
wiinsche iibersandten.
Einer vorziiglichen Konstitution und Gesundheit sich erf reuend, gelangte L.
zu hohen Jahren, erst in der letzten Zeit von Altersbeschwerden gequalt. Er
starb am 3. Juli 192 1 in Wien und wurde in Baden bei Wien bestattet.
L.s wissenschaftliches Gesamtwerk laBt sich in verschiedene Gruppen teilen.
Seine erste Liebe gait der Kristallographie, er blieb ihr durch das ganze Leben
Lang j.75
treu, und als er sich im Ruhestande von der experimentellen Physik zuriick-
gezogen hatte, widmete er seine MuJ3e der kristallographisch-optischen Unter-
suchung von Mineralien und kiinstlichen Erzeugnissen der chemischen For-
schung. Schon mit 18 Jahren beschaftigte er sich mit Untersuchungen iiber die
Struktur des Quarzes, und zwei Jahre spater schloB er eine gemeinsam mit
Grailich durchgefuhrte Arbeit » Physikalische Verhaltnisse der kristallisierten
K6rper« ab, in welcher der EinfluB der Substanz und der Kristallform auf die
physikalischen Eigenschaften der Kristalle studiert und Mitteilungen iiber die
Elastizitatsachsen und die magnetischen Eigenschaften der Kristalle des
rhombischen Systems gemacht wurden. Im Jahre 1866 veroffentlichte er sein
Lehrbuch der Kristallographie (Verlag Braumiiller, Wien), in welchem er eine
strenge und systematische Darstellung dieser Wissenschaft gab. Der kristallo-
graphischen Forschung schenkte er zwei MeBinstrumente, ein Goniometer und
einen Apparat zum Messen der Achsenwinkel.
Die kristallographischen Studien fuhrten ihn, nachdem sich sein Interesse
auf das Gebiet der Physik zu erstrecken begann, sozusagen zwangslaufig zur
Kristalloptik und Optik iiberhaupt. Es fesselten ihn vor allem die Doppel-
brechung und die Polarisationserscheinungen, die Zirkularpolarisation und die
Dispersion in Kristallen. Dazu kommen kleinere optische Arbeiten. Besondere
Erwahnung verdient die Konstruktion eines Spektrometers. Seine optischen
Arbeiten lenkten die Aufmerksamkeit auf seine Person, als man fur eine Neu-
auflage von Beers Optik einen wiirdigen Bearbeiter suchte. L. unterzog sich
dieser Aufgabe und schloB mit derselben seine optischen Arbeiten ab.
Sein Interesse wendete sich nun der Elektrizitatslehre zu. Ehe seine Tatig-
keit auf diesem Gebiete besprochen wird, moge seiner Arbeiten auf den iibrigen
Gebieten der Physik gedacht werden, die sich nahezu iiber den ganzen Zeit-
raum seiner Forschertatigkeit verteilen. In seine Jugendzeit fallt eine Unter-
suchung iiber die Querschwingungen eines elastischen Stabes ; 1878 beschaftigt
er sich mit tonenden Luftsaulen und zeigt, daB die Abgabe der Schallenergie
an die Umgebung hauptsachlich in den Schwingungsknoten erfolgt. Hier ist
auch seiner Mitarbeit an der internationalen Festlegung des Normal-a mit 435
Schwingungen zu gedenken. Er leistete hierfiir auch experimentelle Vor arbeiten.
1891 wurde das osterreichische »Stimmgabelverifikationsburo« (mit diesem
schrecklichen Namen wurde die Prufungsstelle fur Normal-a-Stimmgabeln be-
gliickt!) eingerichtet und ihm unterstellt. 1899 bemerkt er die merkwiirdige
Erscheinung, daB die Tonhohe eines gespannten querschwingenden Kautschuk-
fadens ungeandert bleibt, wenn man die Spannung andert; er studiert sie naher,
untersucht auch die Langstone und gibt die Erklarung der beobachteten Tat-
sachen. Zur physikalischen Mechanik zahlen seine bekannte Untersuchung iiber
die Reibung zwischen Wasser und L,uft (1878) und seine Studien iiber die
Fehlerquellen beim Senkaraometer, die ihn zur Konstruktion eines geistreichen
Apparates, der Kapillarwage, fuhrten. Zur Warmelehre zahlen eine Arbeit
»Orientierung der Warmeleitungsfahigkeit einachsiger Kristalle « (1866) und
eine kleine Abhandlung zur Thermodynamik (1890), in welcher derZusammen-
hang zwischen Dampfdruck, Oberflachenspannung und Elektrisierung unter-
sucht wird. Der kinetischen Gastheorie nahert er sich mehr vom Standpunkt
des Lehrers, er vereinfacht die Rechnung, indem er zeigt, daB es ausreicht, je
ein Drittel der Molekiile als in drei zueinander senkrechten Richtungen sich
I76 1921
bewegend anzunehmen. Der Lehre vom Magnetismus ist die Feststellung der
magnetischen Orientierung einer Anzahl einachsiger Kristalle hinzuzuzahlen.
Der Elektrizitat wendet er sich erst nach seinem 50. Lebensjahre zu. Auch
hier ist er mit Apparatenkonstruktionen, einem Quadrantenelektrometer und
einem Spiegelgalvanometer vertreten. Grundlegend sind seine Arbeiten iiber
die elektromotorische Kraft des elektrischen Lichtbogens, an welche sich eine
umfangreiche Literatur anschlieBt. L. gab fiir den internationalen Physiker-
kongreJ3 in Paris 1900 ein Referat iiber dieses Problem. Die Entdeckungen von
Hertz nehmen sein Interesse in starkem MaBe gefangen. Er sucht die von
Branly entdeckte Koharerwirkung der Messung zuganglich zu machen, indem
er Beobachtungen iiber die Widerstandsanderung des Kontaktes zweier Leiter
durch elektrische Bestrahlung anstellt, wobei der Kontakt mikrometrisch ge-
andert wurde. Dann stellt er einen Interferenzversuch mit elektrischen Wellen
an, indem er das Quinckesche akustische Interferometer ins Elektrische iiber-
setzt. Seine letzte Neigung gait den Wechselstromerscheinungen im weitesten
Sinne. Er baute Apparate fiir die bequeme Darstellung derselben und kon-
struierte einen einf achen Modellapparat fiir die Herstellung eines Ferrarisschen
Drehfeldes. War er hier wesentlich als lehrender Experimentator interessiert,
so wendete er sich den elektrostatischen Drehfeldern vor allem als Forscher zu.
Er gab eine sehr vereinfachte Anordnung fiir die Herstellung solcher Felder,
die zugleich einen hohen Grad der Homogenitat derselben in groBerer Aus-
dehnung ermoglichte, und untersuchte dann das Verhalten verschiedener Sub-
stanzen in dem elektrostatischen Drehfeld, wodurch die Frage der dielek-
trischen Hysteresis neu aufgerollt wurde.
Endlich ist noch seines L,ehrbuches der theoretischen Physik zu gedenken,
welches 1891 in zweiter Auflage erschien (Verlag Vieweg, Braunschweig). Es
war das erste Buch dieser Art und in engem Zusammenhang mit seinen Vor-
lesungenentstanden. L.sBestreben ging darauf hinaus, in seiner zweisemestrigen
Vorlesung iiber Experimentalphysik ein geschlossenes Bild der gesamten
Wissenschaft zu geben. Er veranstaltete dabei, wie sein letzter Assistent, Pro-
fessor Ehrenhaft, festgestellt hat, iiber 4000 Versuche und Vorweisungen, zeigte
aber auch in kurzen Ableitungen die wichtigsten theoretischen Zusammen-
hange. Das Buch war darauf berechnet, den Anf anger iiberhaupt in den* Geist
der Wissenschaft einzufuhren, fiir seine Horer zugleich eine Erganzung der
Vorlesung.
In der experimentellen und in der theoretischen Methodik seiner Vorlesung
war er ein uniibertroffener Meister. Er hat gewissermaBen praktisch, aus dem
Innersten seiner geistigen Konstitution heraus, betatigt, was Mach als Ergebnis
erkenntnistheoretischer Untersuchungen formuliert hat : das Prinzip der Oko-
nomie. In experimentellen Dingen war es fiir den J linger, aber noch viel mehr
fiir den Kenner oft verbliiffend, wie er komplizierte Anordnungen der ersten
Urheber zu vereinf achen wuBte, sie obendrein auch zugleich optisch klar iiber-
sehbar gestaltend. Dabei wurde auch gewohnlich das GroBteil der notwendigen
feineren Handarbeit von ihm selbst ausgefiihrt, der Institutsmechaniker war
nur Heifer fiir die grobere Arbeit am Schraubstock und Drehbank ; denn einen
wirklichen Prazisionsmechaniker hat L. in seinem Institut niemals gehabt. Die
Feinarbeit machte er selbst, einzelnes iiberlieB er manchmal seinen Assistenten,
welche dies als ein besonderes Zeichen seiner Anerkennung und seines Ver-
Lang 177
trauens zu wiirdigen wuBten. Jede bedeutungsvollere neue Entdeckung wurde
in I/.s Institut sofort fur die Vorlesung eingerichtet und auch den engeren und
weiteren Fachgenossen in der chemisch-physikalischen Gesellschaft und im
Verein zur Forderung des physikalischen und chemischen Unterrichtes (an
Mittelschulen) entweder von ihm selbst oder von seinen Assistenten vorgefuhrt.
Der genannte Mittelschullehrerverein, dessen Ehrenprasident er war, lag ihm
sehr am Herzen; es ist nicht abzuschatzen, wie sehr er durch das Medium dieses
Vereines den Mittelschulunterricht gefordert hat. Wie mit den neuen Ent-
deckungen, so hielt es L. auch mit neuen Apparaten. Alles bedeutungsvolle
Neue wurde angeschafft, so z. B. war I^.s Institut das erste und lange Zeit hin-
durch einzige Institut in Osterreich, das Iyindes Maschine zur Luftverfliissigung
besaB, es war das erste, welches ein Ultramikroskop ans^haffte, usw.
Es bleibt dem Schreiber dieser Zeilen unvergeBlich, mit welcher inneren Er-
schutterung der Chemiker Hugo Weidel das erstemal der I,uftverflussigung zu-
sah und, in einer Art Vorahnung seines fruhenTodes, seinem Dankgef uhl dafiir
Ausdruck gab, daJ3 er dieses Wunder noch erleben durfte, und ebenso unver-
geBlich, mit welcher Begeisterung Ludwig Boltzmann ein Goldsol im Ultra-
mikroskop betrachtete. »Nun, es wird nicht mehr lange dauern, so wird man
die Molekule wahrnehmbar machen!«, also entrang es sich dem Busen des
enthusiastischen Atomisten, als er das »Gewimmel« sah.
Durch diese Art, die neuesten Ergebnisse der physikalischen Forschung und
Technik den Fachgenossen und auch weiteren Kreisen (im Verein zur Ver-
breitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse) zuganglich zu machen, war L.
der Mittelpunkt des physikalischen Lebens in Wien. Er machte nicht viel Auf-
hebens davon und sich kein Verdienst daraus, aber es ist Pflicht der Nachwelt,
dieser Tatsache zu gedenken. Und wenn die heutige Generation der Wiener
Physiker in groBartigen Instituten, denen in der Gegenwart allerdings die Mittel
karg zugemessen sind, hausen und arbeiten diirfen, so ist es nicht zum ge-
ringsten Teile das Verdienst L.s, der seine ganze lange Laufbahn als Forscher
und Lehrer in einem Provisorium, das in einem Miethause bereitet war, ver-
bringen muBte und das neue Institut erst im Ruhestande betrat, wo er sich
dann noch einige Jahre mit seinen geliebten Kristallen beschaftigt hat.
Die hervorragendsten Ziige seines Charakters waren allerstrengste unbeirr-
bare Rechtlichkeit und Folgerichtigkeit. Er handelte nach Grundsatzen, lieB
aber in jedem Falle, soweit es mit seinen Grundsatzen irgendwie vereinbart
werden konnte, dem menschlichen Wohlwollen aus innerem Bediirfnisse Raum.
Der Folgerichtigkeit und Festigkeit im Denken und Handeln entsprach die
Treue auf moralischem Gebiete, die er in alien Verhaltnissen bewahrte. Seine
auBere Erscheinung, die durch mannliche Schonheit bestach, erweckte in dem
Menschenkenner auf den ersten Blick die Vorstellung einer bedeutenden Per-
sonlichkeit, deren innere Beschaffenheit mit der auBeren ubereinstimmen
miisse. Ein nicht gewohnlicher Humor, der mit seiner Wortkargheit in selt-
samem Kontraste stand, gesellte der Wurde seines Wesens einen Zug ge-
winnender Liebenswiirdigkeit.
L. war mit einer Tochter des Astronomen, Direktors der Universitatsstern-
warte Karl v. Littrow, Ella v. Littrow, vermahlt. Der Ehe entsprangen drei
Tochter. Eine derselben, Frau Eugenia v. Paliczek, Wien III, Rochusgassen,
verwahrt den NachlaB ihres Vaters. Ein Portrat L.s findet sich im Almanach
dbj 12
i 7 S
ioti
der Wiener Akademie der Wissenschaften for das Jahr 1922, eine Portratbdste
desselben xst im Beshze der Wiener Unhnersrtat. Von der Kmirianffnhnmg
samtbcner Veioffentlk&taigeii L_s darf hier abgesehen werden, sie findet sach
in Poggendorfs biographiscbem Lexikon mid dessen Xachtragen.
Hadexsdorf-Weidlingen bei Wien. Anton Lampa.
Kari Wmfim, Dr. sc nat. h. c. Grofiin(histrieDer. * iS. Mai 1S73 in
Mannheim, + 1$. Angus* 1021 in ^MaTmiiffm — Nach dem Besncn desGynma-
sinm* seiner VaterstaAnndnac&ctemer seiner Dienstpflicht bei denHagenaner
Pragcsaexn genrigt hatte, stndierte Karl Wiinehn L. das Maschmemngemenx-
wesen an der Tadmiscben Hochscbnle in Charlottenbnrg. Im Jahre 1S97 trat
er nach bessandenezn Examen in die von semem Vater gegrfrodete landwirt-
scbafrbcbe V ayfrrnenf aVik em.
Sesn Vater, Heinrich L. -r>5> — 1905), hatte imjahxe 1S50 ein Untemebmen
far Ian dm ii Isrb a f t-dcbe M a yrinen gegrandet. die er ans England irod Amerika
emfnhrte.W f'-rg e Jahre spate? war esnotmTesdig gc>o rden < (Trsf'ji}Grsri ia f t efiiP
Repaxatnrans&ah anrrjsrneoerri. Anf Grand seiner mnfassenden Kenntmase der
Msschrnesmesiens smd ans der ErkerrTtnis berans, d?.z es ocirtiger
Mascrines im e^genes Lande m binen. eracrrtete er eine Fabdk ,ixr\ deren
Beoecttmg bajd die aZjer andereri n brS gen Fabriken nbersteagen so!?te. Zoezst
wxrrden in s e'. i r... Urrrernehrnen HfiT>ddrescV7ta*cr:T7if"n, Gcoe2 mid Fntter-
schaeidezriaschrneE bergesteiLt- Darm wnrden Separatccen, I>ampcdxesd*-
r^re iv i e s tmd LotccnrccjeE geb*rrr: ciese anch ffir gemertocbe nnd mdn-
sSjieDe Zwecke. I>» in der Fabr£k bergesSeShen Maschrnen ianden ba>i wegui
irrer nervarTagendeir Gdrre m der ganoen We2r Vert«rrzrr§ nr»d Vs n rilwunjng .
Im Jarre iS*—, ais Kari \\ - «y:— * L. in das XTrjteEDe^men seines Vatess ein-
trat. wcrden berets rrmd 1-5.: Arbcirer bescbafrict. Urrser der Lerrzrrig seines
Varers wrrrde L~ wahrend der -sk±sten Jahre in ale Emiadlberresi 5er graven
Fabc£k **' {tr*^ ^ die sk± sss^rk werter errrwkkierre zmd vergT-^erte- Als ini
Tahre ro;-> sen: Viter scar^ war er dank der crtesi Fd d_: ^ zri
irt md krrnrrte stlbsc dae Lt£">.-.T>g
• ware- in der Farrfk •Src Arberter tatig.
Lri ;r^e der crriiesr: Nadrdrx^e r^dr. den bsrvnrra5e=»der. Erre^rrdssen oer
Frrmi war erDe Verk^rr^: der Her^eljzr^gsir — idi:-.- ":ger^ dae sach in der Ver-
ses dt S dm^t-i Lrg- y r — Vr b2T-Lr?iez- ni»ci der Vnrscadt Ii=)der-brc-MaEn-
Tfc^— r nrcwerjd^: gjewrrdem. T^ rjjerftr erfrrde±»dbe^ Arberrec warer beserts
rx se^nerx V^rer rr. Ancrjf: ^gr»n er. T-a> neoe Werk ier5tdl rr: rwei Tefje:
•dem Xnrdw*rk, ir: den r ^arrrf drgv^ — . .%-^r* — wt kjeruere lir>J! » l:is^r £ incbe
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: wrrde d]e Farcrk Werv
Lang. Lanz 179
erworben. Hierdurch gliederte L. dem Unternehmen den Bau von Ernte-
rnaschinen an. Ein weiterer Beitrag zur Industrialisierung der Landwirtschaft
und zu den wirtschaftlichen Arbeitsverfahren war die Aufnahme des Motor-
pflugbaues. Die Firma erwarb hierzu das Patent Koscegi, das zum Gegenstand
den Bau eines Landbaumotors nach den Grundsatzen der Fraserbearbeitung
hatte.
In Rheinau bei Mannheim wurde im Jahre 1908 eine Luftschiffwerft errichtet,
in der nach dem System von Prof. Schiitte, Danzig-Langfuhr, starre L,uftschiffe
gebaut wurden. Das erste wurde 191 1 fertiggestellt. Der Schiffskorper der Iyuft-
schiffe war ein steifes, fachwerkartiges Gerippe, das von einer Hiille umspannt
wurde und im Innern eine Anzahl voneinander unabhangiger Gaszellen ent-
hielt. Die Maschinengondeln, in denen Antriebsmotore untergebracht waren,
und die Fuhrergondel waren mit Hilfe von Drahtseilen und steifen Streben an
das Gerippe angeschlossen. Das Gerippe wurde aus besonders verarbeitetem
Holz hergestellt. Die Luftschiffe sind unter dem Namen Schiitte-Lanz-Luft-
kreuzer in der ganzen Welt bekannt geworden und die mit ihnen erzielten Er-
folge haben den Namen L. in alle Kreise getragen.
Wahrend des Weltkrieges wurden die Luftschif fe von der Marine verwendet.
Bei Schlufi des Krieges ist infolge der immer groBer werdenden Schiffsabmes-
sungen auch Schiitte-Iy. dazu iibergegangen, Duraluminium als Baustoff fiir das
Gerippe zu verwenden, und zwar in Form von Rohren, da das Holz den Ein-
fliissen der Witterung nicht geniigend widerstand. In Rheinau und in dem
neugegriindeten Werk Zeesen sind von Ende 1916 bis zum Ausgang des
Krieges zahlreiche Klein- und Riesenflugzeuge gebaut worden.
Karl Wilhelm L. hat, beseelt durch den Geist seines Vaters, nicht nur das
Fabrikunternehmen weiter geleitet und erweitert, er hat auch die gegriindeten
Wohlfahxtseinrichtungen fiir die Arbeiter und Angestellten weiter ausgebaut
und dariiber hinaus Wohlfahrtseinrichtungen fiir seine Vaterstadt und sein
Vaterland geschaffen. Hierher gehoren die bereits durch seinen Vater begriin-
dete Kasse fiir Kranken- und Familienunterstiitzungen und die Fursorge fiir
die in der Fabrik arbeitsunfahig gewordenen Arbeiter. Ferner wurde das im
L.schen Park gelegeneHeinrich-Lanz-Krankenhaus, in dem Kranke allerStande
aufgenommen und behandelt werden, geschaffen und am 17. November 1907
vollendet. In diesem Hause, das der Tatigkeit menschlicher L,iebe gewidmet ist
und bestimmt war, menschliches Leid zu lindern, ist Karl Wilhelm L,. ge-
storben.
Neben den Arbeiten fiir die soziale Fiirsorge muB auch dessen gedacht wer-
den, was L. fiir die Wissenschaft getan hat. Denn die genaueste Beobachtung
der wissenschaftlichen Entwicklung auf dem Gebiete der Landwirtschaft ist es
gewesen, die dem Unternehmen eine Grundlage seiner Erfolge geschaffen hat.
Um die engen Beziehungen zwischen W r issenschaft und Technik zu fordern,
wurde durch eine Stiftung bei der altesten Universitat Deutschlands, Heidel-
berg, die Heidelberger Akademie der Wissenschaften im Jahre 1909 gegriindet.
Im gleichen Jahre ernannte die naturwissenschaftlich-mathematische Fakultat
der Universitat Heidelberg L. zum Doctor scientiae naturalis h. c.
In der Ernennungsurkunde wurde folgendes zum Ausdruck gebracht: »Die
naturwissenschaftlich-mathematische Fakultat fuhlt sich vor allem berufen,
Ihnen durch die Verleihung des Ehrendoktors zu danken, weil sie Sie bis zu
i8o 1921
einera gewissen Grade zu den Ihrigen rechnen darf , weil Sie als Leiter einer der
groBten technischen Betriebe gleichsam angewandte Naturwissenschaft treiben.
Um so mehr wiinschen wir, Sie in den Kreis unserer Ehrendoktoren aufzu-
nehmen, als Sie jetzt durch Ihre Stiftung in uneigenniitziger Weise mit weit-
blickendem Verstandnis und klarer Einsicht dem Fortschritt der reinen Wissen-
schaft dienen, die in tiefer Arbeit, zunachst nur nach objektiver Erkenntnis
strebend, schlieBlich doch durch ihre Tatigkeit tief in das Leben und Denken
der Menschheit eingreift.«
Aber auch durch andere Leistungen hat Dr. L. die Wissenschaft gefordert.
Er hat durch Schenkungen von Modellen und Zeichnungen landwirtschaftlicher
Maschinen.diesen Zweig der Technik an den technischen Hochschulen gefor-
dert. Besondere Aufmerksamkeit widmete er dem Prufungswesen der land-
wirtschaftlichen Maschinen. Der Wunsch, auch die neuesten Entwicklungs-
stufen neuzeitlicher Technik zu unterstiitzen, fiihrte zu weiteren Stiftungen.
Erwahnt seien hier der Wanderpreis fiir Motorboote, der Lanzpreis der Liifte,
der Ermunterungspreis zur Unterstiitzung deutscher Ingenieure und Erfinder
auf dem Gebiete der Luftschiffahrt.
Den Weltkrieg hat L,. als Rittmeister an der Westfront mitgemacht. Er hat
hierbei die landwirtschaftlichen Arbeiten der Heeresleitung durch seine Er-
fahrungen auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Bodenausnutzung weitgehend
unterstlitzt.
Nach langem schweren Iyeiden ist L. am 18. August 192 1 gestorben. Obwohl
er in der Offentlichkeit wenig hervorgetreten ist, hat er viel zur Forderung von
Industrie und Wissenschaft geschaffen.
Literatur: P. Ncubauer, Heinrich Lanz, 50 Jahre des Wirkens in I^andwirtschaft
und Industrie, 1859 — 1909; Die Technik in der Landwirtschaft, Bd. 2, 1920/21. —
C. MatschoC, Manner der Technik, Berlin 1925; J. Schutte, Der L/iiftschiffbau Schiitte-
Lanz 1909 — 1925, Munchen u. Berlin 1926.
Berlin. Erich Gossow.
Leonhard, Rudolf Karl Georg, ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft,
Dr. juris et honoris causa i. leg. der Columbia-Universitat zu Neuyork, Geheimer
Justizrat, * am 26. Dezember 185 1 zu Breslau, f am 1. Januar 1921 ebenda. —
Vater: Justizrat Joh. Osk. t,., f zu Magdeburg; Mutter: geb. Sachs. Seit
15. Marz 1885 mit Clara, geb. Goll, verheiratet. Die Ehe blieb kinderlos. I,, be-
suchte die Gymnasien zu Breslau, Beuthen (O.-S.) und Brieg, wo er 1869 das
Abiturientenexamen ablegte, studierte dann die Rechte an den Universitaten
Heidelberg, Berlin und Giefien bis Michaelis 1871. An letztere Universitat zog
ihn, wie er selbst erklarte, namentlich Ernst Eck, dem er seine wissenschaftliche
Vorbildung vornehmlich verdankte. Am Feldzug 1870/71 nahm L. als Kriegs-
freiwilliger teil und lag als Kombattant vor Paris. Er wurde spater Premier-
leutnant der Reserve des Gardef iisilier regiments. In Berlin bestand L- im Herbst
1872 die Referendarpriifung und trat am 6. Dezember 1872 in den preuBischen
Justizdienst. Am 18. November 1874 promovierte er in Berlin auf Grund der
Dissertation De natura actionis quae praeiudicialis vocatur zum Dr. juriL Als
Gerichtsreferendar arbeitete er vom Dezember 1872 bis zum Februar 1878 in
Frankfurt a. O. und in Berlin. Das Assessorexamen bestand er im Februar 1878
mit dem Pradikate »gut«. Als Assessor war L,., zuerst beim Kreisgericht Berlin,
Lanz. Leonhard l8l
bis 1879 im Amte und erhielt am 28. Januar 1880 antragsgemaC seine Ent-
lassung aus dem Justizdienst. Er habilitierte sich am 13. Dezember 1878 an
der Universitat Berlin mit einer nicht veroffentlichten Schrift iiber die Be-
griffsmerkmale der juristischen Personen und war hier bis 1880 als Privatdozent
fur romisches Recht tatig. Fur Ostern 1880 erhielt L,. einen Ruf als auBer-
ordentlicher Professor an die Universitat Gottingen und las dort, an der Seite
Jherings, iiber Pandektenrecht, aber auch von Anfang an iiber Entscheidungen
des Reichsgerichts sowie juristische Methodologie, wobei er Anleitung zu
groBeren wissenschaftlichen Arbeiten gab. Er dozierte hier ferner iiber einige
Reden Ciceros. Fur Ostern 1884 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor
an die Universitat Halle, 1885 von hier nach Marburg mit einem Lehrauftrag
fur romisches Recht, preufiisches Landrecht, ReichszivilprozeB und juristische
Enzyklopadie. In Marburg bekleidete er im Studienjahr 1891/92 das Amt des
Rektors der Universitat. Zu Michaelis 1895 wurde L. an die Universitat Breslau
berufen, und zwar mit einem Lehrauftrag ftir romisches Recht und fur den
Entwurf eines burgerlichen Gesetzbuches ftir das Deutsche Reich. Im Studien-
jahr 1902/03 war L- auch an der Universitat Breslau Rector magnificus. Von hier
aus wurde er im Jahre 1907 eingeladen, als sogenannter Kaiser- W ilhelm-Pro-
fessor an der Columbia- Universitat zu Neuyork Vorlesungen zu halten. Diesem
Auftrag folgte er 1907/08 und wurde durch Verleihung des Ehrendoktorats
dieser Universitat ausgezeichnet. L. war auch Ehrenmitglied des Istituto di
storia del diritto Roni., Catania.
L. war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller (vgl.Schriftenverzeichnis am SchluG).
Die Wissenschaften des Pandektenrechts und des deutschen burgerlichen Rechts
verdanken seiner geistvollen und von weitem Blick getragenen Arbeitsweise
vielfache Forderung und reiche Anregung. Seit dem Inkrafttreten des BGB.
gehorte seine Arbeit fast ausschlieBlich diesem Gebiet an. Hervorzuheben ist
sein » Allgemeiner Teil des burgerlichen Gesetzbuchs« (1900), mit dem L. als
einer der Ersten erfolgreich bestrebt war, das Gesetz aus den Banden der Mate-
rialien zu bef reien und seinen Stoff einerseits tief er in den geschichtlichen Quellen
zu verankern, andererseits dem Zweck des Rechts dienstbar zu machen , was be-
sonders in den abstrakten Regionen des allgemeinen Teiles notwendig war.
I,. erlebte bald darauf die Freude, daJ3 sein vor einem Vierteljahrhundert er-
schienenes Buch, »Der Irrtum bei nichtigen Vertragen« eine neue Auflage er-
forderte. Angesichts der inzwischen durchaus veranderten Rechtsgrundlage
moBte es ein neues Buch werden. Er lieB es 1907 als Heft 22 und 23 in seinen
»Studien« erscheinen und gab ihm den neuenTitel: »Der Irrtum als Ursache
nichtiger Vertrage. i.Teil: Vertragsbestandteile und Irrtum. 2. Teil: Irr-
tumsfalle in den romischen Rechtsquellen«. Nicht der gemafi § 119 BGB. zur
Anfechtung fiihrende Irrtum bei Willenserklarungen ist der Gegenstand der
Untersuchung, sondern die Lehre vom Konsens und Dissens beim Vertrags-
schlufl, hinsichtlich deren das Gesetz selbst keine unmittelbare Regelung ent-
halt. Als richtig aufgestellt hat sich der Satz L.s erwiesen: »Die Nichtigkeits-
frage ist hier eine Auslegungsf rage « (I, S. 6). Es ist unzutreffend, L. als Er-
klarungstheoretiker zu bezeichnen. (Vgl. dagegen seine durchaus anders orien-
tierten Ausfuhrungen I,S. 119 und 121.) SchonL. sah seine Aufgabe vornehmlich
darin, die Erheblichkeit des Willens gegen iiber der Erklarung zu erweisen.
Im Allgemeinen Teil, S. 463 f., lehrteer: »Dieunzweideutige, nachihrem Inhalt
182 192 1
ungewollte Erklarung gilt also nicht, weil der Empf anger ihr vertraut, sondern
weil der Erklarende selbst es im Zweifel so will.« Er forderte hier: »Der Name
Erklarungstheorie ist aufzugeben. Was in der Erklarungstheorie wahr ist, ergibt
sich aus dem richtig gefafiten Willensdogma von selbst. « »Die Frage: ,Wille
oder Erklarung/ war falsch gestellt.« Diese Satze L.s werden ihren Wert be-
halten. tJbrigens bittet L. a. a. O., S. 464, Anm. 2 selbst, ihn in Zukunft nicht
mehr als Vertreter der Erklarungstheorie anzufiihren.
Seine tief aus den Quellen schopfenden Institutionen des romischen Rechts,
die er dem Andenken Jherings widmete, wollten getreu dessen Worten: »Durch
das romische Recht hindurch, iiber es hinaus« auch Dienst am geltenden Recht
sein. Deswegen glaubte L. den Stoff des romischen Rechts in Abweichung von
den sonstigen Institutionenwerken auf einer der alten Legalordnung angepaBten
Grundlage aufbauen zu miissen. L. sah die Institutionen als eine einleitende
Ubersicht iiber den Inhalt des nach Deutschland aufgenommenen Justiniani-
schen Gesetzbuches an. Er wollte eine Art Kommentar zu Justinians Insti-
tutionen schreiben, der das Verstandnis dieser vom Standpunkt des gegen-
wartigen Denkens ermoglichte und in den Sinn ihrer Einteilung einfiihrte,
wahrend die friiheren Institutionenlehrbucher nach seiner Auffassung zwar im
Aufbau, nicht aber im Inhalt iiber das romische Recht hinausgekommen
waren.
Als Frucht von L.s amerikanischen Rechtsstudien, die er nach seiner Emeri-
tierung besonders betreiben wollte, ist hier noch auBer der Ubersetzung von
Holmes' in Amerika in hoher Geltung stehenden Sammlung von Abhandlungen
der in der Festgabe fur Siegfried Brie (l>ipzig 1912) erschienenen Abhand-
lung: »Schiffe als ProzeBparteien. Ein Beitrag zur Begriffsbestimmung der
juristischen Personlichkeit« zu gedenken. Der Autor berichtet hier iiber eine
eigentiimliche Praxis der englischen und amerikanischen Admiralitatsgerichte,
unter Umstanden die Schiffe selbst als ProzeBpartei zuzulassen, um bei un-
erlaubten Handlungen von Schiffsleuten, aber auch bei Vertragsschliissen
seitens des Personals die Schiffe in der Vollstreckung dieser Anspriiche haften
zu lassen. Der amerikanische Oberrichter sagte in der Urteilsbegriindung, daB
es kein Verfahren gegen den Schiffseigentiimer, sondern gegen das Schiff selbst
sei. L. kennzeichnet diese Praxis als beachtenswerte auBerordentliche MaB-
regel des Glaubigerschutzes. Er mahnt zur Beobachtung des auslandischen
Rechtslebens und warnt vor iibertriebenem Rechtsnationalismus (S. 9f.).
Und wenn L. hier sagt: » Dieses GroBeuropa besitzt einen gemeinsamen juristi-
schen tJberlieferungsschatz, der ebenso tatsachlich ist wie das Sonderrecht
der einzelnen Nationen, und an den sich seit Jahrhunderten ein ubernatio-
naler Wissenschaftsbetrieb anlehnt,« so werden auch diese Satze ihren Wert
behalten.
f# L. entwickelte neben dieser ergiebigen schriftstellerischen Tatigkeit eine sehr
erfolgreiche Lehrtatigkeit. Er war ein glanzender Redner. Sein Vortrag fesselte
die alten wie die jungen Juristen. In den vier Gottinger Jahren an der Seite
Jherings war er im Gegensatz zu der von diesem bekampften philologisch-
antiquarischen Richtung zu einem bleibenden Anhanger der Zwecktheorie ge-
worden. Vor den Augen der jungen Juristen, die in seine Digestenexegese
stromten, erstand hinter den lateinischen leges durch die Kunst des Meisters
das gesamte kulturelle Leben des alten Rom. Wo er Leistungen anderer zu be-
Leonhard. Leutwein 183
urteilen hatte, war er von hochstem Wohlwollen, immer ein Mensch, edel, hilf-
reich und gut.
Literatur: Versuch einer Entscheidung der Streitfrage iiber den Vorzug der successio
graduum vor dem Akkreszenzrecht nach romischem Recht, 1 874. — Inwieweit gibt es nach
den Vorschriften der deutschen Zivilprozefiordnungen Fiktionen ? 1880. — Irrtum bei
nichtigen Vertragen nach romischem Recht., 2 Bde. 1882/83. — 2. Auflage unter dem
Titel: Der Irrtum als Ursache nichtiger Vertrage, 1907, als Heft 22 und 23 der Studien
zur Erlauterung des biirgerlichen Rechts. — Rechtsfalle zum vergleichenden Studium
des rdmischen Rechts und des preuflischen Landrechts, 1887. — Die Universitat Bologna
im Mittelalter, 1888. — Roms Vergangenheit und Deutschlands Recht, 1889. — Irrtum als
Nichtigkeitsgrund im Entwurf des BGB., 1889. — Eideszuschiebung im Familienrechts-
prozefl, 1890. — Der Entwurf eines BGB. fiir das Deutsche Reich und seine Beurteilung,
1891. — Lebensbedingungen der Rechtspflege, 189 1. — Die Anfechtbarkeit der Vertrage
fiir das Vermogen eines Dritten, 1892. — Institutionen des romischen Rechts. Ein Lehr-
buch, 1894. — Der Erbschaftsbesitz, 1899. — Die Hauptziele des BGB., 1900. — Der
Allgemeine Teil des BGB. in seinem Einflusse auf die Fortentwicklung der Rechtswissen-
schaft, 1900 (Guttentags Sammlung: Das Recht des BGB. in Einzeldarstellungen, Bd. 10). —
Das neue Gesetzbuch als Wendepunkt der Privatrechtswissenschaft, 1900 (Studien zur
Erlauterung des BGB., Heft 1). — Der Schutz der Ehre im alten Rom, 1902 (Breslauer
Rektoratsrede) . — Ecks Vortrage iiber das Recht des BGB., nach des Verfassers Tode
durch Feststellung des Wortlautes fortgefiihrt und mit Anmerkungen versehen, 3 Bde.,
1903, 1904. — tlbersetzung von R. Saleilles, Einfiihrung in das Studium des biirgerlichen
Rechts, 1905. — Die Replik des ProzeBgewinns, 1905. — Stimmen des Auslands iiber die
Zukunft der Rechtswissenschaft, 1906 (Heft 17 der » Studien*). — Der Verstofi gegen die
guten Sitten, 1907. — tJbersetzung von O. W. Holmes »The Common Law. Boston i88i«,
Leipzig 19 1 2. — Methods followed in Germany by the historical school of law, 1907. —
The Vocation of America for the science of Roman law (Harward Law Review. 26, 5.)
191 3, Antrittsvorlesung an der Columbia-Universitat. — Schiffe als Prozeflparteien,
19 12. — Die deutsch-amerikanische Bewegung. Vortrag in der Schlesischen Gesellschaft
f iir vaterlandische Kultur, Breslau 1915. — Der Einflufi der romischen Rechtsgeschichte auf
die Kriegsgebrauche der Gegenwart. Festrede 27. Januar 19 16.
L. verfafite ferner mehrere Gutachten fiir den deutschen Juristentag: 1880 iiber das
constitum possessorium ; 1882 iiber die unvordenkliche Verjahrung; 1884 iiber die Haftung
des Unternehmers fiir das Verschulden der Arbeiter; 1895: »Sind die Grundsatze des
Entwurfes des BGB. 2. Lesung iiber eingetragene Vereine zu billigen ?«. Er schrieb zahl-
reiche Aufsatze und Biicherbesprechungen fiir die Fachzeitschriften. — L. war standiger
Mitarbeiter von Pauly-Wissowa-Krolls Realenzyklopadie der klassischen Altertumswissen-
schaften und trug eine grofie Anzahl Artikel fiir sie bei. Seit 1900 gab er »Studien zur Er-
lauterung des BGB.« (Breslau) heraus, von denen bei seinen Lebzeiten 37 Hefte er-
schienen.
Breslau. Alfred Manigk.
Leutwein, Theodor, Generalmajor und Gouverneur a. D., * am 9. Mai 1849 in
Striimpfelbronn bei Freiburg i. Br., | am 13. April 1921 in Freiburg i. Br. —
Theodor Gotthilf L. stammte aus einer evangelischen Familie. Er besuchte das
Gymnasium in Konstanz, studierte zwei Semester Rechtswissenschaft in Frei-
burg. Am 16. Februar 1868 trat er als Avantageur in das 5. Badische Infanterie-
regiment in Freiburg ein, am 15. Oktober 1869 wurde er zum Leutnant
befordert. Den Krieg 1870/71 machte L. als Adjutant des 5. Badischen
Landwehrbataillons mit. Nach dem Kriege verblieb er bei dem 5. Badischen
Infanterieregiment in Freiburg; am 12. April 1877 wurde er zum Oberleutnant
befordert. Von 1879 — I ^^ 2 war er ^ Berlin auf der Kriegsakademie und kehrte
dann nach Freiburg in sein Regiment zuriick. Am 15. Januar 1885 wurde er
zum Hauptmann befordert. 1887 benutzte er eine langere Schweizer Reise, urn
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eine Abhandlung iiber die Schweizer Milizarmee zu schreiben, die in der Schweiz
eine sehr giinstige Beurteilung fand. Von 1887 — 1891 war L. Lehrer derTaktik
an der Kriegsschule in Neifle, von 1891 — 1893 an der Kriegsschule in Hers-
feld. Am 27. Januar 1893 wurde er zum Major befordert und in das 46. In-
fanterieregiment in Posen versetzt.
^ Durch Allerhochste Kabinettsorder vom 16. Dezember 1 ^9 3 wurde L. zum
IAuswartigen Amt kommandiert und noch im gleichen Monat vom Reichs-
kanzler Grafen Caprivi in besonderem Auftrag nach Deutsch-Siidwestafrika
entsandt. Dort war der Reichskommissar Major v. Francois mit seiner kleinen
Schutztruppe von 200 Mann in Kampfe mit den Witbooi-Hottentotten ver-
wickelt. L. erhielt den Auftrag, aus eigener Anschauung sich iiber die Sach-
lage sowohl in militarischer wie in administrativer Beziehung ein Urteil zu
bilden und dariiber zu berichten. Er traf am 31. Dezember 1893 im Schutz-
gebiet ein. Gemeinsam mit Major v. Francois unternahm L,. Schritte, um
die deutsche Schutzherrschaft im Namalande im siidlichen Teil der Kolonie
aufzurichten. Am 15. Marz 1894 wurde L. mit der Wahrnehmung der Ge-
schafte des I,andeshauptmanns beauftragt, wahrend Major v. Francois nach
vierjahrigem Aufenthalt in der Kolonie sich in die Heimat zuriickbegab. L,.
trat am 24. April 1893 den Vormarsch gegen den Kapitan Hendrik Witbooi,
den Fuhrer der Witbooi-Hottentotten, an, welcher sich im Naukluftgebirge
befand. Ein Brief wechsel und eine personliche Zusammenkunft zwischen L,.
und dem Hottentottenkapitan fuhrten nicht zu der Unterwerfung des letz-
teren, sondern lediglich zu einem Waffenstillstand. Nachdem die erbetene
Verstarkung der Schutztruppe um 250 Mann in Deutsch-Siidwestafrika einge-
troffen war, griff L. am 27. August mit 300 Mann und 2 Geschutzen die in
der Naukluft stehenden Witboois an. Deren Hauptstellung wurde ersturmt,
jedoch schloB sich ein schwieriger Gebirgskrieg daran. Da die vorhandenen
Krafte zu einem Vernichtungsschlag gegen die Witboois nicht hinreichten, so
entschloB sich L,. dem Hottentottenkapitan einen Frieden unter milden Be-
dingungen zu gewahren. Am 15. September wurde der Schutzvertrag ab-
geschlossen, durch den sich Hendrik Witbooi der deutschen Herrschaft unter-
warf, wahrend ihm die Belassung seiner Waffen und Munition zugestanden
wurde.
I,, widmete sich nun der Befestigung und Ausdehnung der deutschen Schutz-
herrschaft im mittleren und siidlichen Teil der Kolonie, dem Hereroland und
Namaland. Am 27. Juni 1895 wurde er zum Landeshauptmann ernannt. Im
Jahre 1896 brach der Aufstand der Khauas-Hottentotten aus. L. riickte gegen
die Aufstandischen vor und brachte sie nach einem Gefecht bei Otjunda-Sturm-
feld am 6. Mai zur Unterwerfung. Die beiden Fuhrer Nikodemus und Kahimma
wurden wegen Anstiftung zum Aufstand zum Tode verurteilt und am 12. Juni
erschossen.
Die Entwicklung der Kolonie wurde in denfolgenden Jahren noch wiederholt
durch Aufstande unterbrochen, welche jedoch auf einzelne Teile des Landes be-
schrankt blieben. 1897 brach der Aufstand der Afrikaner-Hottentotten aus,
der aber schnell niedergeworfen wurde. 1897/98 erfolgte der ernstere Aufstand
der Swartbooi-Hottentotten. Diese unterwarf en sich nach einem fur sie verlust-
reichen Gefecht. 1898 kam es infolge derzurWaffenkontrolleeingefuhrten Ge-
wehrstempelung zu UnruhenbeizweiStammendesNamalandes. Darauf riickte
Leutwein 1 85
L. mit Tnippen dorthin. Es gelang ihm, ohne daB es zu Kampfen gekommen
ware, die aufriihrerischen Stamme zur Unterwerfung und zur Leistung einer
BuBe zu bestimmen. 1899 untemahm L. eine Expedition gegen den wider-
setzlichen Hererohauptling Tjetjo im Osten der Kolonie, 1900 eine solche in
das Ovamboland im Norden. 1901 brach ein Aufstand der Bastard von Groot-
fontein aus, der jedoch mit schneller Niederwerfung und Aburteilung der
Radelsfuhrer endete.
L,. war gleichzeitig Landeshauptmann, welche Bezeichnung spater in Gou-
verneur umgewandelt wurde, und seit dem 10. November 1897 Kommandeur
der Schutztruppe. Er wurde 1899 Oberstleutnant, 1901 Oberst.
Als oberster Leiter der Zivilverwaltung hat L. sich bemiiht, die Kolonie
wirtschaftlich zu entwickeln. Die Einschleppung der Rinderpest 1897 ge-
fahrdete nicht nur die auf Viehzucht eingestellte Wirtschaft, sondern auch
den auf Zugochsen angewiesenen Verkehr. Es wurde mit Beschleunigung
eine Eisenbahn von dem Haupthafenplatz Swakopmund nach Windhuk ge-
baut. Die Eingeborenen verhaltnisse boten groBe Schwierigkeiten. L. be-
trachtete als das beste Mittel zur Aufrechterhaltung des Friedens neben
gerechter und wohlwollender Behandlung der Eingeborenen, ihnen den Besitz
von Waff en und Munition zu erschweren. 1897 fuhrte er das Regierungsmonopol
fiir den Handel mit Waffen und Munition ein mit Zwang der amtlichen Ab-
stempelung der vorhandenen Gewehre. Ebenso war er auch auf Verminderung
der Alkoholeinfuhr bedacht. MiBstande brachte auch die wachsende Verschul-
dung der Eingeborenen gegeniiber den WeiBen mit sich, besonders gegenuber
den im Lande herumreisenden Viehhandlern. L. wollte im Verordnungs-
wege die Kreditgewahrung verbieten; die im Jahre 1903 vom Reichskanzler
erlassene Kreditverordnung fuhrte dagegen eine einjahrige Verjahrungsfrist
ein, was einen KompromiB zwischen den Anschauungen des Gouverneurs und der
Interessenten bedeutete. Dies hatte zur Folge, daB die Handler, um der Ver-
jahrung ihrer Forderungen vorzubeugen, mit aller Macht und mit alien Mitteln
sich auf die Schuldeneintreibung unter den Eingeborenen verlegten. Dieses
Vorgehen trug wesentlich zum Ausbruch des groBen Hereroaufstandes bei.
Die Hauptursache dieses Aufstandes, der von 1904 ab das Schutzgebiet durch-
loderte, war aber der Umstand, daB immer mehr Land in die Hande der WeiBen
kam, und daB die Eingeborenen sich mit der zunehmenden Besiedlung in
ihrer Unabhangigkeit bedroht fuhlten. I,, war bemiiht gewesen, diesen mit
der Besiedlung einer Farmkolonie mit WeiBen unvermeidlich verbundenen
Vorgang nach Moglichkeit fiir die Eingeborenen zu mildern, indem er diese
gegen die Verschleuderung des Stammeseigentums durch ihre Kapitane zu
schutzen suchte und schlieBlich zur Bildung unverauBerlicher Reservate fiir
die Eingeborenen schritt. Aber gerade diese letztere MaBnahme scheint vielfach
miBverstanden zu sein und mit zum Ausbruch des Aufstandes beigetragen zu
haben.
Im Oktober 1903 brach aus einem an sich geringfiigigen AnlaB — Festnahme
eines Kapitans durch einen Leutnant wegen einer geringen Ubertretung — der
Aufstand der Bondelswart-Hottentotten im Siiden der Kolonie aus. L. begab
sich mit dem groBten Teil der Truppe nach dem Siiden ; da brach plotzHch
am 12. Januar 1904 der Hereroaufstand aus. Er begann mit der Ermordung
der weiBen Farmer und Handler und Pliinderung der Farmen. Die von WeiBen
i86 1921
bewohnten Platze Okahandja und Omaruni wurden von den Herero einge-
schlossen, aber von der ersten aus dem Siiden herbeieilenden Kompagnie
(Franke) entsetzt. S. M. S. »Habicht« sandte ein Landungskorps zur Hilfe, aus
der Heimat wurden ein Marine-Expeditionskorps und weitere Verstarkungen
gesandt. Doch gelang es L,., obwohl er den Herero verschiedene Schlap-
pen beibrachte, nicht, den Auf stand zu unterdriicken. In den Kampfen, be-
sonders bei Onganjira am 9. April und bei Oviumbo am 13. April 1904, zeigten
die Herero eine bisher unbekannte Tapferkeit und Hartnackigkeit. Es wurden
nunmehr aus der Heimat betrachtliche Verstarkungen gesandt. Mit dem
Oberbef ehl wurde der Generalleutnant v. T r o t h a betraut . L. wurde durch Tele-
gramm des Reichskanzlers vom 4. Mai da von verstandigt und angewiesen,
nach Ankunft Trothas lediglich die Geschafte des Gouverneurs beizubehalten.
Im Juni 1904 gab er das Kommando an Trotha ab. Im Siiden erschien im Juli
1904 der Fuhrer der in die Kapkolonie gefliichteten Bondelswarts, Morenga,
wieder in der Kolonie und begann mit der Auspliinderung der Farmen. Schliefi-
lich fiel auch der 8ojahrige Hendrik Witbooi ab und richtete am 3. Oktober an
samtliche Hottentottenkapitane die Aufforderung zum AnschluB. L. iiber-
nahm bis zum Eintreffen des fur das Kommando im Siiden bestimmten
Obersten Deimling den Befehl gegen die Witboois.
Am 30. November 1904 trat L,. die Heimreise nach Deutschland an. Am
22. April 1905 wurde inm vom Kaiser der Charakter als Generalmajor unter
Belassung a la suite der Schutztruppe verliehen. Durch Allerhochste Order vom
19. August 1905 wurde er auf seinen Antrag in den Ruhestand versetzt.
L.s Politik und Verwaltung in Deutsch-Siidwestafrika haben nach dem
Ausbruch des Hereroaufstandes viele Angriffe erfahren. Richtig ist, daB er
dabei nicht frei von Fehlern und Irrtumern gewesen ist. Aber er hat doch
stets das rechte Ziel der Kolonisation vor Augen gehabt, wie er es nach dem
AbschluB seiner Koloniallaufbahn in dem Vorwort zu seinem Werk »Elf Jahre
Gouverneur in Deutsch-Siidwestaf rika « umschrieben hat: »Die Angliederung
der Urbevolkerung und nicht deren gewaltsame Unterdriickung oder gar Ver-
nichtung. « Wenn ihm die f riedliche Erreichung dieses Zieles nicht gelungen ist,
so lag das hauptsachlich an der Lage, die durch die Entstehung weiBer Farmen
in dem Gebiet von Unabhangigkeitsdrang beseelter Eingeborenen geschaffen
wurde. Fiir die Kolonie wiirde es besser gewesen sein, wenn L. auch nach
dem Wechsel im militarischen Kommando die oberste Entscheidung in den
Eingeborenenangelegenheiten behalten hatte.
Nach seinem Abschied wohnte L. zunachst in Freiburg i. Br., erwarb dann
ein Landhaus in tjberlingen am Bodensee und zog dorthin. Verschiedentlich
trat die Anregung an ihn heran, sich als Reichstagskandidat aufstellen zu
lassen, doch kam dies nicht zustande, da er immer auf einer biirgerlichen
Sammelkandidatur bestand. Etwa seit 191 1 zog sich L. aus der Offentlichkeit
zuriick 1919 zog er nach Freiburg, am 13. April 1921 ist er dort gestorben.
L. erfreute sich infolge seiner Art, sich zu geben und des Siiddeutschen seines
Wesens in seiner badischen Heimat groBer Beliebtheit.
L. war zweimal verheiratet. Nur aus der ersten Ehe mit Frieda, geb. Mammel,
Tochter des Kaufmanns Mammel in Freiburg, stammen Kinder, und zwar
zwei Sonne und zwei Tochter. Der alteste Sohn Friedrich fiel als Haupt-
mann am 25. August 1914 vor Antwerpen. Der zweite Sohn, Hauptmann a. D.
I^eutwein. I^owenstein 1 87
Dr. Paul L., ist als kolonialpolitischer und auBenpolitischer Schriftsteller her-
vorgetreten und hat die » Rednerschule fiir Weltpolitik« in Berlin gegriindet.
Literatur: Gouverneur L- hat neben militarischen Aufsatzen aus friiherer Zeit ge-
schrieben: Elf Jahre Gouverneur in Deutsch-Siidwestafrika, Berlin 1906. Im Jahre 19 12
wurde ein Abschnitt aus diesem Buche in erganzter Form als Band 5 von Voigtlanders
Quellenbiichern herausgegeben. Er veroffentlichte weiter zahlreiche Artikel und Aufsatze,
darunter »Die Konzessionsgesellschaften* (Deutsche Revue, August 1906), »Zur Besied-
lungsfrage* (Deutsche Revue, J uni 1908). Sein handschriftlicher NachlaB befindet sich im
Besitz seines Sohnes Dr. Paul I,, in Berlin.
Berlin-Charlottenburg. Heinrich Schnee.
Lowenstein, Karl Fiirst zu, * am 5. Mai 1835 zu Haid in Bohmen, f 8. No-
vember 192 1 zu Koln am Rhein. — Allzufruh verlor er beide Eltern, 1835
die Mutter und 1839 den Vater. Pflichtgetreue Vormiinder HeBen ihm eine
echt christliche Erziehung zuteil werden. Er durchlief die gewohnliche Studien-
bahn und beschloB diese auf der Universitat Bonn. GroBere Reisen weiteten
sein geistiges Gesichtsfeld. 1858 iibernahm er die Verwaltung seiner ausge-
dehnten Giiter, 1859 vermahlte er sich mit der Prinzessin Adelheid zu Isenburg-
Birstein. Ein Tochterlein, die nachmalige Nonne Mere Benedicta der Abtei
Solesmes, entsproB dieser Verbindung. Leider starb die innig geliebte Gattin
schon 1861, einige Tage nach der Geburt des Kindes. 1863 vermahlte er sich
in Wien zum zweiten Male. Seine Wahl war auf die Prinzessin Sophie Liechten-
stein gefallen. 36 Jahre lebte er mit ihr in glucklichster Ehe. Sie gebar ihm acht
Kinder. 1907 trat er, nachdem 1899 auch seine zweite Gattin gestorben und alle
seine Kinder versorgt waren, in den Dominikanerorden ein und legte daselbst
1908 die feierlichen Geliibde ab. Im gleichen Jahre wurde der 74Jahrige zum
Priester geweiht. Und am 8. November 1921 ist P. Raimundus, den die Welt
als Karl Fiirst zu L. gekannt, im Dominikanerkloster zu Koln gestorben.
Fiirst L. war ein Mann im wahrsten Sinne des Wortes. Einfach und schlicht
in Lebenshaltung und Kleidung und doch wieder ein Fiirst vom Scheitel bis
zur Sohle. Mannesmut und echte Demut, Duldsamkeit und wahre Frommigkeit,
unbeirrbares PflichtbewuBtsein und rastloser Arbeitsgeist zeichneten ihn aus.
Dies und eine weitausschauende Welterfahrung, gepaart mit tiefer Menschen-
kenntnis, HeBen ihn oft scheinbar Unmogliches gliicklich durchfuhren.
Der Fiirst war in sehr umf assendem MaBe politisch tatig. Er war Mitglied der
bayerischen Kammer der Reichsrate, der badischen Ersten Kammer, der wiirt-
tembergischen Kammer der Standesherren, der Ersten Kammer der hessischen
Landstande und des ersten Deutschen Reichstages. Er gehorte zu den Griin-
dern der Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstages. Das erste Programm
der Zentrumsfraktion, das unter dem Motto: vjustitia fundamentnm regnoritmn
die Grundsatze fiir die kiinftige Tatigkeit aufstellte, trug die Unterschriften :
v. Savigny, Dr. Windthorst (Meppen), v. Mallinckrodt, Probst, P. Reichen-
sperger (Olpe), Karl, Fiirst zu Lowenstein, Freytag. Aber auch auBerhalb des
Zentrums hatte Fiirst L. auf die parteipolitischen Dinge und Geschehnisse in
Deutschland den nachhaltigsten EinfluB, besonders auf sozialpolitischem Ge-
biete. Sein Berater und Freund war schon im fruhen Mannesalter der Mainzer
Bischof Wilhelm Emanuel Ketteler gewesen, und mit anderen Fiihrern der
sozialen Bewegung, so dem Prinzen Alois Liechtenstein, dem Freiherrn Felix
i88 1921
v. Loe, dem Freiherrn Karl v. Vogelsang in Wien, stand er Zeit seines Lebens
im regsten Briefverkehr. Mit ganz besonderem Interesse verfolgte der Fiirst
die Wirksamkeit des Freiherrn v. Vogelsang, der erstmalig Ende der siebziger
Jahre im Wiener »Vaterland« seine sozialpolitischen Reformplane ztisammen-
hangend darlegte und erlauterte. »Ich kann Ihnen nicht sagen,« schrieb der
Fiirst am 21. Juni 1878 dem Graf en Leo Thun, »mit welcher Freude und wel-
chem Interesse ich die sozialen und nationalokonomischen Artikel des ,Vater-
landes' gelesen habe. Ich halte diese Ideen wirklich fiir epochemachend, und
Gott gebe, daB sie Eingang finden, ehe es zu spat ist. « Kaum wurde durch das
langsame Abbauen des kirchenpolitischen Kampfes in Deutschland die Bahn
auch nur ein wenig fiir positive Arbeit frei, so ging der Fiirst daran, die von
Baron Vogelsang in Osterreich vertretene soziale Bewegung »auch bei uns besser
in FluB zu bringen«, nachdem er 1880 schon auf dem Katholikentag zu Kon-
stanz eine prazise Stellungnahme der gesetzgebenden Korperschaften zugunsten
der arbeitenden Klassen nachdriicklichst gefordert hatte. Unter den Referenten
der Konferenz, welche die vom Fiirsten gegriindete »Freie Vereinigung katho-
lischer Sozialpolitiker« auf SchloB Kleinheubach 1886 abhielt, finden wir die
Namen : Baron Vogelsang, Dr. Scheicher, Graf Blome. Und die genannte Ver-
einigung, zusammen mit der in den Jahren 1882 und 1883 in Rom unter dem
Vorsitz der spateren Kardinale Jacobini und Mermillod tagenden katholischen
Studienkommission, fiihrte zur Griindung eines weiteren Verbandes auf inter-
nationaler katholischer Grundlage, der »Union catholique d'etudes sociales et
economiquesn in Freiburg in der Schweiz, welche vom Jahre 1884 bis 1891
wirkte. Diesem Verbande gehorte aus dem Deutschen Reiche wieder vor allem
Fiirst L. an, der zugleich dessen Ehrenprasident war. Den Arbeiten dieser
Konferenz, deren Wiederaufnahme iibrigens noch im Jahre 1893 in einer am
17. April unter dem Vorsitze des Fiirsten in Rom abgehaltene Sitzung beraten
wurde, kommt eine auBerst weittragende Bedeutung zu. Denn das Programm
der internationalen Vereinigung, dessen einzelne Punkte fruher vielfach um-
stritten waren, wurde durch die Arbeiterenzyklika Papst Leos XIII. zum Ge-
meingute der ganzen Welt. In dieser ernsten sozialen Arbeit wurde auch
die herzliche Freundschaft begriindet, die den Fiirsten mit mehreren hervor-
ragenden Fuhrern des katholischen Frankreich, besonders mit dem Graf en
Albert de Mun, dem Marquis de la Tour du Pin und dem Industriellen L£on
Harmel verband. Je tiefer Fiirst L. in das Wesen der Dinge eindrang, um so
klarer sah er in dem stets krasser auftretenden menschlichen Egoismus den
Urgrund aller sozialen Kampfe. Seinem christlichen Empfinden widerstrebte
es, den Fabrikarbeiter sozusagen ganz und gar als Eigenhorigen des
Fabrikherren und den Landarbeiter gewissermaBen dem Grundbesitzer
robotpflichtig zu sehen. Es war ihm fraglos klar, daB die sozialen Un-
ruhen nur deshalb so gefahrliche Dimensionen angenommen hatten, weil
wirklich vielfach triftige Griinde zu Beschwerden vorlagen. Dberdies
verhehlte er sich keineswegs, daB durchaus nicht die Wohlhabenden allein
die besseren, christlicheren, aufgeklarteren Klassen des Volkes reprasentieren,
denn er stimmte vollig mit der Auffassung seines Vetters, des Prinzen
Alois Liechtenstein, uberein, »daB die Armeren und Besitzlosen, gerade weil
sie die Massen der besteuerten Burger darstellen, die eigentlichen Stiitzen des
Staates sind<<. Obendrein sah er, daB diese »von Haus aus keineswegs revo-
Lowenstein l8g
lutionar gesinnt seien; sie wollen nur bessere Lohne, kiirzere Arbeitszeit, ge-
sichertes Alter und Hebung ihrer materiellen, geistigen und Klassenstellung«.
NaturgemaB versaumte der Fiirst keine Gelegenheit, diese Erkenntnis zur
Grundlage praktischer Tatigkeit zu machen. Als Kommissar der deutschen
Katholikentage verlangte er im Artikel 10 der Instruktionen »iiber die Gegen-
stande, welche teils durch Reden in offentlichen Versammlungen, teils durch
Antrage und Besprechungen in den geschlossenen Sitzungen behandelt werden
sollen«, daB an sozialen und nationalokonomischen, wirtschaftlich brennenden
Fragen zu beraten seien: »a) Reorganisation der Gesellschaft auf christlicher
und korporativer Grundlage; b) Kapitalismus, Wucher und Zins, Plutokratie
und Juden; c) die richtigen Grundsatze uber Arbeitslohn . . .« Und in einem
von ihm verfaBten Programmentwurf fur die vereinigten katholischen
Parteien in Bayern heiBt es: »Auch auf dem sozialen Gebiete ist eine Heilung
der schweren Schaden und I^eiden unserer Zeit nur durch Ruckkehr der
wirtschaftlichen Gesetzgebung zu den Grundsatzen des Christentums
moglich. Wir treten daher dem modernen Staat entgegen, der durch seine
selbstsiichtige und unchristliche Wirtschaftspolitik zugunsten des Kapitals das
Volk ausbeuten laBt. Wir erstreben: i. Heilighaltung der Sonn- und Feiertage;
2. Anerkennung des christlichen Eherechtes; 3. Heilighaltung der Rechte der
Familie, insbesondere beziiglich der Erziehung der Kinder; 4. Schutz des Indi-
viduums gegen das Uberwuchern der Macht des Kapitals, insbesondere durch
ErlaB von Wuchergesetzen nach dem Geiste des kanonischen Rechtes ; 5. gleich-
maBigen Schutz und Forderung der Rechte und Interessen aller Berufsstande,
insbesondere der Grundbesitzer; 6. ein christliches Arbeiterrecht nach Verein-
barung mit den Arbeitern und Arbeitgebern . . . «
Immer wieder betonte der Fiirst die Pflicht zur Arbeit als der Hauptquelle
wirtschaftlicher Werte : » Wir sollen die zeitlichen Giiter nicht brachliegen lassen,
sondern sie durch Verwertung unserer personlichen Krafte und Fahigkeiten
mehren.« Diese Vermehrung der Werte durch nutzbringende Tatigkeit »ist
fur jeden Menschen eine Pflicht gegenuber der Gesellschaft. Ohne Erfullung
dieser Pflicht gebe es keinen Wohlstand, sondern gar bald allgemeinen Ruin«.
Mit besonderer Umsicht suchte sich der Fiirst uber die Frage der Erlaubtheit
der Kapitalwirtschaft im allgemeinen und der Zinsennahme im besonderen zu
unterrichten. Anfang der achtziger Jahre erbat er sich dariiber Gutachten von
hervorragenden Theologen, besonders vom Dominikanerpater Albert Maria
WeiB und vom Jesuitenpater Lehmkuhl. Alle literarischen Erscheinungen,
die Fragen von Kapital und Zins betrafen, verfolgte er mit groBter Auf-
merksamkeit, und bei den » Haider Konferenzen« nahm die Erorterung iiber
dieses Thema einen auBerordentlich breiten Raum ein.
Als Ideal einer gesetzgebenden Korperschaft erschien dem Fiirsten die be-
rufsstandische Interessenvertretung ; diese allein entspreche den Bedurfnissen
der Zeit. Als Freiherr v. Loe im Winter 1895/96 mit seinem damals viel urn-
strittenen sozialpolitischen Programm an die Offentlichkeit trat, hielt Fiirst L.
dessen Kern und Angelpunkt fur durchaus richtig, namlich den Gedanken,
daB die » Atomisierung der Gesellschaft von Ubel, und daB die Reorganisation
der Gesellschaft durch Gliederung derselben und korporative Organisation
neben Wiedererweckung des christlichen Geistes und Beobachtung des gott-
lichen Willens als Richtschnur fiir Gesetz und offentliches und privates Leben
190 1921
das einzige Mittel ist, um wieder zu gesunden, gliicklichen sozialen Umstanden
zu gelangen«. Ihm schwebte vor, »daB sich die biirgerliche Gesellschaft nicht,
einem losen Sandhaufen gleich, als eine unorganisch zusammengefafite Menge
von Individuen gestalten, sondern sich aufbauen miisse auf der Familie, um
sich den einzelnen Berufsstellen entsprechend weiter zu gliedern zum Schutz
und zur Forderung der Interessen aller, insbesondere der wirtschaftlich
Schwachen. Durch eine solche berufstandische Organisation werde am erfolg-
reichsten eine gleichmafiige Zuwendung des Wohlstandes in weiten Kreisen,
die Griindung gesicherter, selbstandiger Existenzen und die Schaffung eines
ausgebreiteten selbstandigen Mittelstandes angestrebt«. Wiederholt sprach der
Fiirst diesen Gedanken auf den deutschen Katholikentagen aus, das erstemal
1879 in Aachen. »Ich habe die voile tJberzeugung, « erklarte er dann ferner am
5. Juli 1904 in der badischen Ersten Kammer, »daJ3 eine wahre, gesunde Volks-
vertretung erst erreicht werden wird, wenn sich die Berufstande gesellschaftlich
wieder in Berufskorperschaften organisiert haben und wenn diese neu organi-
sierte Gesellschaft eine berufsgenossenschaftliche Interessenvertretung haben
wird. « Deshalb wiinscht er auch in den Ersten Kammern Vertreter der Handels-
kammern und der Gewerbekammern sowie der Landwirtschafts-, Handwerks-
und der Arbeiterkammern zu sehen, sobald solche erst einmal gesetzlich mog-
lich sein wiirden. »Im Mittelalter waren es Geburtsstande, « betonte er, »das,
was ich aber fur die Jetztzeit als das zu Erstrebende und zu Erwunschende er-
achte, sind Berufstande oder, wenn man will, berufsgenossenschaftliche Ge-
staltung und Vertretung.«
Unbedingt lehnt er »den allmachtigen, absoluten Staat« ab, »der alles leitet,
regelt und beherrscht, demgegeniiber kein selbstandiges Recht bestehen darf ,
wahrend alles von seiner Gnade und Macht abhangt«. Gegen die Bestrebungen
auf Schaffung des Staatsschulmonopoles fiihrte der Fiirst einen erbitterten
Kampf . » Durch Anstalten und Institutionen helfend einzugreifen, wo die Krafte
des einzelnen nicht ausreichen, das ist Pflicht und Obliegenheit der weltlichen
Obrigkeit. «
Gar kein Freund bureaukratischer Gleichmacherei, verlangt er »vor allem
Anerkennung des Grundsatzes, hochstes und bestes Recht in der Welt ist das
Recht vor unserem lieben Herrgott und Verwerfung jener Uniformitat, der
als Ideal aller Staatseinrichtungen das Prokrustesbett erscheint: paBt er oder
paBt er nicht, er muB hinein. « Der Staat, erklart er, diirfe »nur dort zu Zwangs-
maBnahmen greifen, wo es sich darum handelt, Rechte zu schutzen, einen
Zwang also nur ausuben, um eine Rechtsverletzung zu verhindern oder eine
Rechtsverletzung wieder zu beseitigen. Uber dies hinaus tritt das Recht des
Zwanges fur die weltlichen Behorden dann ein, wenn wichtige, notige, dem
allgemeinen Wohl erforderliche Dinge in Frage kommen«. AUe seine poli-
tische Tatigkeit bezweckte durch richtige Abgrenzung der Macht- und EinfluB-
spharen immer nur eine Kraftigung des staatlichen Gefiiges, niemals dessen
Erschiitterung.
Dem Fiirsten war erstrebenswertes Ziel jeder politischen Tatigkeit, »mitzu-
wirken an der Wiederherstellung christlicher Grundsatze in alien Verhaltnissen
des offentlichen Lebens, die Erkampfung vollkommener Freiheit der katho-
lischen Kirche auf kirchlichem Gebiete und ihre Anerkennung als eine voll-
kommen eigenberechtigte Gesellschaft «. Die These, »die weltliche Macht und
Lowenstein igi
Autoritat sei nur ein AusfluB der geistlichen und stehe unter Oberleitung der
letzteren«, lehnt er aber entschieden ab; demgemaB erklarte er 1907 anlaBlich
der in Bayern vom Zentrum ausgegebenen Stichwahlparole : »Mit den Sozial-
demokraten gegen die L,iberalen«, die dann tatsachlich dem bayerischen Libe-
ralismus eine vernichtende Niederlage beibrachte, in einer Versammlung in
Miinchen, »daB die Zentrumspartei, als eine politische, nicht konfessionelle
Partei, in rein politischen Angelegenheiten unabhangig sei von der Beurteilung
der kirchlichen Oberen«.
Ebenso bemerkenswert wie diese kurz skizzierten grundsatzlichen Auf-
fassungen des Fiirsten sind seine Lbsungsversuche verschiedener Einzelfragen.
So ist ihm »die Schnle nur eine Hilfsanstalt fur die Families Er war der Mei-
nung, die Volksschule sei »mit Lehrstoff iiberbiirdet und sollte wieder auf den
fniheren Stand der reinen Elementarschule zunickgefuhrt werden«. Ganz be-
sonders dringend erschien ihm die Notwendigkeit, daB die Gesetzgebung mit
genossenschaftlichem Schutze zur Erhaltung eines bodenstandigen Handwerks
vorgehe. Handel mit handwerksmaBigen Produkten will er nur von Innungen,
Korporationen, Meisterverbanden oder Meistern des betreffenden Handwerkes
betrieben wissen. »Solange jeder Jude einen Schuhwarenladen betreiben und
zu Schleuderpreisen seine Waren, die er gegen Spottgeld vom armen Hand-
werker sich liefern lieB, verkauf en und groBen Profit einstecken darf , « schrieb
er, »sind alle anderen MaBnahmen zur Hebung des Handwerks vergeblich. «
Es seien daher alle Magazine und Verkaufsgenossenschaften der Handwerker
mit den starksten staatlichen Mitteln zu unterstiitzen. Uberdies wollte er die
von ihm angestrebte f achgenossenschaf tliche Organisation auch f iir die gewerb-
lichen Arbeiter in den Industrien eingefiihrt sehen.
Auch fiir Arbeiterinnenorganisationen verwendete er sich bereits auBerst
lebhaft zu einer Zeit, da solche im katholischen Lager noch sehr miBtrauisch
betrachtet wurden. Zum besseren Schutze der industriellen Arbeiter verlangte
der Fiirst nicht nur eine strenge Handhabe des Gewerbeaufsichtsgesetzes,
sondern auch geregelte Fabrikinspektion, wobei ihm »erwunscht schien, daB
der Fabrikinspektor auch ein Horrohr habe, durch das ihm die Beschwerden
der Arbeiter bekannt wurden «.
Abgesehen von dieser sozialen und politischen Tatigkeit ist das Leben des
Fiirsten L. dadurch besonders markant, daB er an der Spitze jener katholischen
Laien in Deutschland stand, die ihr Leben ganz in den Dienst der katholi-
schen Religion und Kirche gestellt hatten.
Manche seiner Vorschlage sind allermodernster Art, so z. B. der, man solle
»bei Bemessung einer Strafe die Bestrafung jenach dem Vermogen desjenigen
durchfiihren, der das Unrecht begangen hat«. Zur Begriindung dieses Vor-
schlages fiihrte er sehr zutreffend aus, »daB jedes feststehende MaB von Strafen
in den ziemlich engen Grenzen des Maximums und Minimums, wie es jetzt die
Gesetze uns geben, zum groBen Teil eigentlich eine Ungerechtigkeit fiir die
kleinen, schwachen Krafte ist, wahrend fiir diejenigen, die im Gelde schwelgen
und reich begiitert sind, die Strafe eine Bagatelle sei«.
Am bekanntesten wurde Fiirst L. in der breiten Offentlichkeit durch das
Amt eines Kommissars der deutschen Katholikentage, das er von 1872 bis 1898
verwaltete. Als solcher war er an hervorragender Stelle im Mittelpunkte der
katholischen Laienbewegung tatig. Ihm oblag die Fuhrung im Kampfe fiir
192 I92X
die Unabhangigkeit des Papsttums und zugunsten der Losung der » romischen
Frage«; er stand in der vordersten Reihe bei Bekampfung der Freimaurerei
und des Duells. Unablassig war er besonders in der Kulturkampfzeit fiir die
Unterstutzung der Kirchen und Priester, der Kloster und Ordensleute tatig.
Die beiden hervorragendsten Beispiele dieser Art von Tatigkeit sind: seine
gastfreundliche Auf nahme des Bekennerbischofs Peter Josef Blum von Limburg
auf seinem furstlichen Schlosse Haid in Bohmen und die Errichtung der
Benediktinerinnenabtei St. Hildegard bei Bingen. Seiner Tatkraft ist tiberdies
die kunstlerische Ausschmiickung der deutschen Kapelle in Loretto zu ver-
danken, in der Ludwig Seitz das Portrat des Fiirsten in einem Wandgemalde
verewigt hat. In alien seinen Werken bewahrte sich der Fiirst als der ritter-
lichste » A dvocatus ecclesiae «, auf dessen Schilde die Worte standen : » Ich diene « ;
irgendwelche Herrschsucht und eitle Bestrebungen lagen seinem demiitigen
Sinne vollig fern. Gerade diese absolute Lauterkeit in alien seinen Handlungen
hat ihm die groBten Sympathien bei seinen Mitarbeitern und alien deutschen
Katholiken eingetragen.
Dafl diese so sehr von iibernatiirlichen Gesichtspunkten geleitete Personlich-
keit schlieBlich als armer »Bruder Raimundus« im Predigerorden den Abend
seines Lebens beschloB, ist nur der beste Beweis fiir die Folgerichtigkeit im
Leben dieses seltenen Mannes. Mit Riihrung verfolgt man die letzten 14 Jahre
des Greises im Ordensleben, das nicht weniger groB erscheint als das friihere
Schaffen und Ringen des hochverdienten Fiirsten in der Welt.
Literatur: K. Fiirst zu L. Ein Bild seines Lebens und Wirkens. Nach Briefen, Akten
und Dokumenten. Von Paul Siebertz. Munchen 1924, Kosel-Pustet. XV und 577 S.
Iyinza.d.D. Johann Knogler.
Monger, Carl, o. Professor der Staatswissenschaften an der Universitat Wien,
* am 28. Februar 1840 in Neu-Sandez in Galizien, f 26. Februar 1921 in Wien. —
Carl M.s Vater betatigte sich in Neu-Sandez in Galizien als Rechtsanwalt. Die
Manner der angeblich aus dem Egerlande stammenden vaterlichen Familie
wandten sich zumeist der Staatsbeamtenlaufbahn oder dem Offizierstande zu,
woraus sich der erbliche Adel erklart, den schon M.s GroBvater mit dem Pra-
dikate: Edler von Wolfensgriin fuhrte. Aber M. und seine Briider, der seit den
siebziger Jahren als deutschliberales Mitglied des osterreichischen Abgeordneten-
hauses im Vordergrund stehende Rechtsanwalt in Wien Max M. und der spater
durch seine hervorragenden juristischen und sozialwissenschaftlichen Werke
beruhmt gewordene nachmalige Wiener Universitatsprofessor Anton M., legten
den Adel schon friihzeitig einverstandlich ab. Die Mutter war die Tochter eines
vermogenden Kaufmannes, der aus Bohmen nach Galizien iibersiedelte, wo er
eine Staatsdomane angekauft hatte. M. besuchte die rechts- und staatswissen-
schaftlichen Fakultaten in Wien und Prag. Schon als Student in Prag schrieb
er fiir Prager und Lemberger deutsche Zeitungen, und in Wien, wohin er in der
Mitte der sechziger Jahre zuruckkehrte, setzte er seine journalistische Tatigkeit
fort, die ihm schon f ruh die Beschaftigung mit volkswirtschaftlichen und staats-
finanziellen Problemen nahelegte, welche damals in Osterreich wegen der ein-
heimischen Vorgange die offentliche Aufmerksamkeit besonders stark in An-
spruch nahmen. Er arbeitete sich auf diesem Gebiete immer mehr ein; im
Lowenstein. Menger Iqq
Jahre 1871 unter dem Ministerium Auersperg in das Ministerratsprasidium be-
nifen, wurde er im volkswirtschaftlichen Teile der amtlichen » Wiener Zeitung«
beschaftigt, wo er die nationalokonomischen und staatsfinanziellen Tages-
ereignisse zu bearbeiten hatte. Eine Anzahl von Jahren vorher war er, um
das voile Verstandnis der erwahnten Vorgange zu erreichen, daran gegangen,
sich mit der Wirtschaftstheorie zu befassen, und die unbefriedigenden Ein-
driicke, die das Studium der volkswirtschaftlichen I,iteratur bei ihm hervor-
rief, die Einsicht, daB die herrschenden Auffassungen erfahrungswidrig und
liickenhaft seien, bestimmten ihn, seine eigenen Ansichten zu entwickeln. Mit
einer bei seiner vielfachen sonstigen Beschaftigung erstaunlichen Kraftleistung
vollendete er im Jahre 1870 diese Darlegung seiner Ideen, die dann im Jahre
1871 unter dem Titel »Grundsatze der Volkswirtschaftslehre. Erster allge-
meiner Teil« in Wien erschienen ist. Mit diesem Buche habilitierte er sich im
Jahre 1872 als Privatdozent fur politische Okonomie an der rechts- und staats-
wissenschaftlichen Fakultat der Wiener Universitat. Schon im folgenden Jahre
zum auBerordentlichen Professor in Wien ernannt, schied er aus dem Ministe-
rium aus. Im Jahre 1876 wurde er zum Lehrer des Kronprinzen Rudolf fur poli-
tische Okonomie und Statistik bestellt und begleitete ihn dann auf seinen
Studienreisen durch die Schweiz, England, Schottland, Irland, Frankreich und
Deutschland in den Jahren 1877 und 1878. Im Sommersemester 1878 nahm er
seine akademische Lehrtatigkeit in Wien wieder auf und setzte sie (seit Fe-
bruar 1879 als ordentlicher Professor) mit groBem Erfolge fort, bis zu seinem
Riicktritt vom Lehramte, den er 1903, acht Jahre vor erreichter Altersgrenze,
vollzog, um mehr Zeit fur seine wissenschaftlichen Forschungen zu gewinnen.
Die »Grundsatze der Volkswirtschaftslehre « sind eine hervorragende Lei-
stung, in der iiber grundlegende Probleme der Volkswirtschaft neue Ansichten
entwickelt werden, die zu den damals herrschenden klassischen L,ehren in
vollem Gegensatz sich befinden, und schlieBlich als zutreffend von der Wissen-
schaft groBtenteils angenommen wurden. So wird zunachst das Wesen des
wirtschaftlichen Gutes erklart, indem M. als dessen Merkmal die Tatsache in
den Vordergrund stellt, daB die Giitervorrate im ganzen dem Bedarfe nicht
geniigen, eine Auffassung, die spater unter der Bezeichnung der Knappheit der
Giiter zur Geltung gelangte. Er hat ferner die Welt der Giiter nach deren Be-
stimmung gegliedert, in Ordnungen eingeteilt. Die erste Ordnung umfaBt die
Giiter, die unmittelbar Bedurfnisse befriedigen, z. B. Brot; Mehl gehort in die
zweite Ordnung, Weizen in die dritte Ordnung usw. Die Giiterqualitat eines
Gutes zweiter, dritter usw. Ordnung setzt die Verfiigung iiber die komplemen-
taren Giiter derselben Ordnung voraus, also zum Mehl miissen beim Backer
hinzutreten: Feuerungsmaterial, Werkzeuge, Backofen, Arbeitsleistungen, und
indem jedes einzelne in dieser Weise durch die iibrigen erganzt wird, erlangt es
die Gutsbeschaffenheit. Aber diese ist von der Gutsbeschaffenheit der ent-
sprechenden Giiter niederer Ordnung bedingt: Weizen von der des Mehles,
dieses von der des Brotes. Der ganze Produktionsverlauf der Giiter wird durch
diese Betrachtung klar und es ist offenkundig, daB ein Gut hoherer, also zweiter,
dritter usw. Ordnung seine Gutsqualitat nur daraus ableiten kann, daB es bei
der Herstellung des SchluBgutes mitwirkt und daB die Gutsqualitat des letzteren
nicht davon abhangt, daB zu seiner Herstellung Giiter hoherer Ordnung auf-
gewendet wurden.
DBJ 13
194 I 9 21
In Entfaltung der dargestellten Auffassungen gelangt M. in seinen weiteren
Erorterungen zu hochst bemerkenswerten Ergebnissen. Die relative Seltenheit
der wirtschaftlichen Giiter hat zur Folge, daB man mit dem Verluste irgend-
eines Teiles des Besitzes an solchen Giitern eine NutzenseinbuBe erleidet. Da-
mit ist der Begriff des subjektiven Wertes gewonnen, unter dem die Bedeutung
konkreter Giiter zu verstehen ist, da!3 wir bei der Befriedigung unserer Bediirf-
nisse von der Verfiigung iiber sie abhangig zu sein uns bewuBt sind. Das gilt
von wirtschaftlichen Giitern erster wie hoherer Ordnung. Wert ist also etwas
anderes als Niitzlichkeit, Giiter, die in gesicherter iiberschiissiger Fiille arbeits-
los zur Verfiigung stehen, haben Niitzlichkeit, aber keinen Wert. Der subjek-
tive Giiterwert, also die dem Einzelnen zu BewuBtsein gelangende Abhangig-
keit von einem konkreten Gute, ist von der der Bedurfnisbefriedigung, dk
durch das Gut hervorgerufen wird, individuell beigelegten Wichtigkeit abge-
leitet, und indem M. diese darlegt, entwickelt er das damals unbekannte
psychische Gesetz, daB innerhalb einer Bediirfnisperiode jeder hinzukommende
Akt der Befriedigung desselben Bediirfnisses als minder wichtig empfunden
wird, als der vorausgehende, der mit einer Gutermenge gleicher Art und GroBe
vorgenommen wurde. Man hat zwischen der Wichtigkeit der Bediirfnisgat-
tungen und der der einzelnen Regungen des Bediirfnisses in derselben Bediirf-
nisperiode zu unterscheiden ; ist z. B. das Nahrungsbedurfnis einer Person
wegen vorausgegangener Befriedigungsakte sehr abgespannt und das Rauch-
bediirfnis derselben Person im selben Zeitpunkte sehr angespannt, so wird eine
Zigarre als wichtiger dem letzten Gang der Mahlzeit vorgezogen. Selbstverstand-
lich kann der einzelne, je nachdem ihm fur die Bediirfnisperiode mehr oder
weniger von einer GenuBgiitergattung zur Verfiigung stent, Bediirfnisregungen
desselben Bediirfnisses von sehr verschiedener Wichtigkeit befriedigen. Fur den
subjektiven Wert der Teilmenge aus einem Giitervorrat ist maBgebend die
Wichtigkeit der Befriedigung, auf die bei Verlust verzichtet werden miiBte, und
das ist die der unwichtigsten Bediirfnisregung, fur die die Teilmenge in Be-
tracht kommt. In demselben Sinne vollziehen sich die Erwagungen bei Er-
werbung von Teilmengen einer GenuBgiiterart. Die subjektive Bewertung der
Giiter hoherer Ordnung hangt von der des GenuBgutes ab, das aus ihnen hervor-
geht. Der subjektive Wert eines Gutes erster Ordnung bestimmt den der Giiter-
gruppe zweiter Ordnung, aus der jenes hervorgegangen und das setzt sich fiir
die weiteren in Betracht kommenden Gruppen von Giitern hoherer Ordnung
fort. Die damals herrschende Lehre machte den Wert der GenuBgiiter von den
bei ihrer Herstellung erforderlichen Giiteraufwendungen abhangig, eine unzu-
langliche Auffassung, die z. B. bei der Bewertung des Bodens als Produktions-
gut und der Arbeit versagt. M. kehrt das Verhaltnis um, indem der subjektive
Wert der Giiter hoherer Ordnung von dem voraussichtlichen Wert der aus
ihnen hervorgehenden GenuBgiiter bedingt ist. Er gibt auch die Methode an,
um den Wert des GenuBgutes auf die einzelnen Giiter hoherer Ordnung zu ver-
teilen, die wegen der Komplementaritat die Produktionsgiitergruppe bilden,
der das GenuBgut entstammt, was dann auf alle Giiter hoherer Ordnung an-
gewendet werden kann. Dadurch ist die einheitliche Erklarung des Wertes der
Boden- und Kapitalnutzungen und der Arbeitsleistungen ermoglicht. Das oben
erwahnte Gesetz der Nutzensabnahme wurde im selben Jahre 1871 von Jevons
selbstandig und im Jahre 1874, unabhangig von diesem und von M. von Walras
Menger ig«j
entwickelt. Nachtragliche Durchsuchung der Literatur hat ergeben, dai3 auf
den abnehmenden Nutzen 1738 vom Mathematiker Bernouilli hingewiesen
wurde, ebenso dafi Bentham sich eingehend mit dieser Tatsache beschaftigt,
ferner dafl Dupuit sie im 19. Jahxhundert ausgesprochen hat. Aber das spielt
keine Rolle. Das Buch von Gossen »Entwicklung der Gesetze des menschlichen
Verkehres« usw. aus dem Jahre 1854, das dieses psychische Gesetz eingehend
erortert, ist den genannten drei neuen Forschern bei Abfassung ihrer erwahnten
Werke nicht zur Kenntnis gelangt, iiberhaupt lange Zeit ganz unbeachtet ge-
blieben, so daB man sagen kann, das Gesetz vom abnehmenden Nutzen sei in
der entscheidenden Zeit unbekannt gewesen.
Die subjektiven Werte sind fur die Preisbildung maflgebend, weil das, was
der einzelne fiir ein Gut bietet oder verlangt, schlieBlich von seinen Nutzens-
erwagungen bedingt ist. Die Lehre faBte das dabei zu losende Problem friiher
haufig so auf, als handle es sich darum, die vermeintliche Wertgleichheit
zwischen den ausgetauschten Giitern zu erklaren, die es aber, wie M. feststellt,
gar nicht gibt, weil Aquivalente im objektiven Sinne nicht bestehen. Eine solche
Auffassung wiirde dem Wesen des Tausches und der subjektiven Natur des
Wertes widersprechen. Die Preisbildung wird von M. bei isoliertem Tausch, bei
Angebotsmonopol und bei freier Konkurrenz immer auf der Wertgrundlage in
origineller, geistvoller Weise dargestellt, wonach er die wenig behandelte Frage
der ungleichen Absatzfahigkeit der Giiter erortert, was ihn zur Geldtheorie
hiniiberleitet. Der Tauschzweck, so fiihrt er aus, wird leichter erreicht, wenn
der einzelne das Gut, das er abgeben will, zunachst gegen ein Gut besserer Ab-
satzfahigkeit vertauscht und derartige Tauschakte bis zur Erreichung seines
Zieles wiederholt. Durch die Haufung solcher Tauschgeschafte wird allmahlich
ohne Ubereinkunft der Beteiligten, ohne staatlichen Zwang, ja ohne Riicksicht-
nahme auf das allgemeine Interesse die Erscheinung zustande gebracht, dafi
eine gewisse Anzahl von Giitern, und zwar jene, die mit Riicksicht auf Ort und
Zeit die absatzfahigsten sind, von jedermann im Austausche angenommen
werden, deshalb auch gegen jede andere Ware umgesetzt werden konnen, und
das Geld bilden.
»Die Grundsatze« hatten trotz ihres reichen Inhaltes, trotz der Neuheit der
entwickelten Ideen und trotz ihrer strengen Wissenschaftlichkeit zunachst
keinen Erfolg. Auf den deutschen Universitaten herrschte die geschichtliche
Richtung der Nationalokonomie, die theoretischen Untersuchungen nur ge-
ringes Interesse entgegenbrachte und sich auf diesem Gebiete mit den haltlosen
Ergebnissen der klassischen Doktrin begniigte. Im Laufe der Zeit hat sich die
Beurteilung aus verschiedenen Griinden vollig geandert. Wie schon erwahnt,
entwickelte Jevons in seinem fast gleichzeitig mit den »Grundsatzen« M.s er-
schienenen bedeutenden Werke »The theory of political Economy « eine auf
der Nutzensidee beruhende, mit der M.s ubereinstimmende Wertlehre; er
betont ebenfalls die ungleiche Wichtigkeit der dem einzelnen fiir eine Bediirf-
nisperiode zur Verfiigung stehenden Teilmengen eines Gutes, bezeichnet den
jeweils wirtschaftlich gestatteten geringsten Nutzen als final degree of utility
(Grenznutzen nach Wieser) und hebt dessen entscheidende Bedeutung fiir das
Verstandnis der wirtschaftlichen Erscheinungen hervor. Da in der englisch ge-
schriebenen volkswirtschaftlichen Literatur die Auffassungen der deutschen
geschichtlichen Schule iiber die Aufgaben der Nationalokonomie weit iiber-
ig6 1921
wiegend nicht geteilt wurden und die Pflege der Theorie dort nie unterbrochen
war, so fanden die Lehren von Jevons von vornherein Beachtung und schon
fruh Zustimmungen von gewichtiger' fachmannischer Seite. Das wirkte natiir-
lich auch zugunsten M.s. Dazu kommt, daB fur dessen volkswirtschaftliche
Lehren zwei bedeutende wissenschaftliche Krafte eintraten, die besonders seine
Wert- und Preis theorie in alle Einzelheiten verfolgten und derart erganzten,
daB sie ein in sich abgeschlossenes Ganzes bildet. So fiigte Wieser die Kosten-
auffassung in die Grenznutzenlehre ein; Bohm-Bawerk (s. DBJ 1, S. 3 — 7) hat
ebenfalls die Wert- und Preislehre wesentlich erganzt und sie in hochst wirk-
samer Weise dargestellt. Als Bestandteil in sein beruhmtes Werk »Kapital und
Kapitalzins« aufgenommen, fand diese Wert- und Preistheorie durch die eng-
lische und franzosische Ubersetzung weiteste Verbreitung, was auch von der
englischen Ubersetzung des Wieserschen Werkes »Der natiirliche Wert« gilt.
Kennzeichnend fiir den Eindruck dieser Richtung ist das Buch von Smart : An
introduction to the theory of value on the lines of Menger, Wieser and Bohm-
Bawerk, aus dem Jahre 1891, das jetzt bei der vierten Auflage halt. Das Werk
von Walras wirkte gleichfalls mit, um die neue Wertlehre zur Geltung zu
bringen. Endlich fallt auch die Anderung der methodologischen Auffassungen
ins Gewicht, zu der M. den AnstoB gab, was nun darzustellen ist.
Das Erkenntnisobjekt der alteren deutschen geschichtlichen Schule der
Wirtschaftswissenschaften tritt gegeniiber dem des neueren deutschen volks-
wirtschaftlichen Historismus in den Hintergrund. Dieser wandte gegen die
klassische Nationalokonomie wie auch gegeniiber dem Marxismus ein, daB sie
von einer abstrakten Menschennatur ausgehen und auf dieser unwirklichen
Grundlage ein System der Volkswirtschaft aufbauen, das nicht anders als un-
richtig sein konne. So wie die psychische, fehle die Fundierung durch ent-
sprechende Kenntnisse auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Rechtsgeschichte.
Daraus folge die Notwendigkeit von Einzelforschungen nach diesen Rich-
tungen und es wird die Gewinnung partieller feststehender Wahrheiten als
nachstes Ziel aufgestellt. Die Erfolge anderer Wissenschaften, die auf empi-
rischem Wege gewonnen wurden, zeigen die einzuschlagende Richtung ; bei der
volkswirtschaftlichen Forschung sei die Enge des Horizontes und des verfiig-
baren Erfahrungsmaterials unverkennbar. Methodische Einzelarbeit, reali-
stische Detailforschung in der Wirtschaftsgeschichte, der Wirtschaftspsycho-
logie, wie bei Behandlung von Einzelgebieten trete an die Stelle der fruheren
Generalisationen ; groBe langwierige Beobachtungsreihen und sorgfaltig aus-
gefuhrte Materialsammlungen seien notig, und zu wirtschaftlichen Gesetzen
und sicheren allgemeinen Urteilen iiber Bewegungstendenzen konne man nur
gelangen, wenn vorher eine groBe brauchbare Literatur hergestellt ist. Fiir die
Nationalokonomie werde eine neue Epoche kommen, »aber nur durch Ver-
wendung des ganzen historisch-deskriptiven Materials, das jetzt geschaffen
wird, nicht durch weitere Destination der hundertmal destillierten abstrakten
Satze des abstrakten Dogmatismus«.
Dieser fiir die deutsche Nationalokonomie jener Zeit maBgebend gewordenen
Auffassung ist M. in seinem Buche: »Untersuchungen iiber die Methode der
Sozialwissenschaften und der Politischen Okonomie insbesondere« (Leipzig
1883) entgegengetreten. Es handelt sich iibrigens in diesem Werke nicht um die
Wege, sondern um die Ziele der Forschung auf volkswirtschaftlichem Gebiete.
Menger 197
Zu denErorterungen iiber dieseFragen, diesich an dasM.scheBuch anschlossen,
ist zu bemerken, daB die ausschlieBliche Anwendung eines wissenschaftlichen
Verfahrens, welches die auBeren volkswirtschaftlichen Tatsachen sammelt, um
daraus Schliisse abzuleiten, nicht immer zum Ziele fuhrt, indem bei nicht
wenigen Untersuchungen die Ermittlung der Gesetze der Wirtschaftlichkeit
die erwiinschten Einsichten in die Wirklichkeit eroffnet, deren Verstandnis der
Endzweck der wissenschaftlichen Betatigung bleibt. Man versteht z. B. die
Preise iiberhaupt oder leichter, wenn man von der streng wirtschaftlichen
Preisbildung ausgeht, die man allein durch Feststellung der Gesetze der Wirt-
schaftlichkeit kennen lernt. Die bekannten Annahmen, unter denen man den
ProzeB der Herausbildung der Preise unter solchen Umstanden verlaufen lassen
muB, entsprechen der Wirklichkeit nicht, aber diese ist von dem vorausgesetzten
Zustand der in Betracht kommenden Erscheinungen keineswegs so verschieden,
daB die Ergebnisse fur das Verstandnis der gegebenen Preise entbehrlich waren.
Diese Forschungsrichtung, deren Ziel die Feststellung von strengen Gesetzen
der Erscheinungen ist, nennt M. exakt. Bei alien exakten Wissenschaften wird
auf die einfachsten Elemente der Erscheinungen zuriickgegangen, ohne Riick-
sicht darauf , ob sie in der Wirklichkeit als selbstandige Erscheinungen vor-
handen oder in voller Reinheit iiberhaupt selbstandig darstellbar sind, und aus
diesen unempirischen Elementen werden in gleichfalls unrealistischer Isolie-
rung die komplizierten Erscheinungen abgeleitet. In diesem Sinne spricht M.
von einer exakten Nationalokonomik, welche die typischen volkswirtschaft-
lichen Erscheinungen und Zusammenhange entsprechend der Beschaffenheit
der einfachsten Elemente, die den Ausgangspunkt bilden, allein vom Gesichts-
punkte der Wirtschaftlichkeit erf aBt ; sie entfernt sich, so wie einzelne Natur-
wissenschaften und die Mathematik in ihren Grundannahmen von der Wirk-
lichkeit, aber sie hilft mit, diese verstandlich zu machen.
Neben der exakten gibt es nach M. eine zweite Richtung der theoretischen
Forschung auf volkswirtschaftlichem Gebiete, welche die Ermittlung tatsach-
licher RegelmaBigkeiten in dem Nebeneinander und in der Aufeinanderfolge
der realen Erscheinungen bezweckt. Er nennt sie empirisch-realistisch ; es ist
das die von der nationalokonomisch-historischen Schule als allein berechtigt
anerkannte wissenschaftliche Forschungsweise, deren groBe Leistungen und
Erfolge bekannt sind, die M. selbst hervorhebt, deren Einseitigkeit oben er-
wahnt wurde. Was ihre Anwendung betrifft, so gibt es viele Falle, wo die Tat-
sachengrundlage so verwickelt ist, daB umstandliche Erhebungen erforderlich
sind, um sie festzustellen. Bei den Preisen z. B. werden in diesem Sinne die
GroB- und die Kleinverkehrspreise derselben Giiter immer wieder ermittelt,
man stellt ihren Abstand und ihre Bewegungen fest, die beziiglich ihres
Parallelismus verglichen werden, wobei sich GleichmaBigkeiten des Neben- und
Nacheinander dieser Erscheinungen zeigen, auf deren Wiederkehr nach den
Grundsatzen der Induktion gerechnet werden kann. Ferner: beim Arbeits-
verhaltnis in den kapitalistischen Gewerbebetrieben sind die Stimmungen der
Arbeiterschaft, ihre Anspriiche wegen Stellung in der Unternehmung zu er-
heben, die sich als typisch erweisen und die richtige Beurteilung dieses Gebietes
ermoglichen. Damit ist fiir unsere Zwecke der Standpunkt M.s in diesen Fragen
geniigend gekennzeichnet, so daB ein Eingehen auf die anderen Teile des Werkes
unterbleiben kann.
198 1921
Dieses Buch M.s wurde von vornherein von den Fiihrern der neueren national -
okonomisch-historischen Richtung in Deutschland bedingungslos abgelehnt,
aber im L,aufe der Zeit hat sich die Beurteilunggewandelt. Ohne von M. zu wissen
und ohne Beachtung der Wirtschaftswissenschaften hat mehr als zehn Jahre
nach dem Erscheinen des Buches von M. uber die Methodenf rage ein hervorragen-
der Vertreter der logischen Fachwissenschaft in Deutschland, Windelband, l eine
Gliederung der Wissenschaften unternommen, die alsbald Zustimmung fand,
wonach die Wissenschaften unterschieden werden in solche, die Gesetze auf-
finden, und in solche, die einen besonderen Vorgang oder Zustand darstellen
wollen, was spaterhin in der Weise abgegrenzt wurde, daB man Wissenschaften
mit naturwissenschaftlicher und solche mit geschichtlicher Betrachtungsweise
der Wirklichkeit, Gesetzes- und Geschichtswissenschaft unterschied. Dieselbe
Gliederung hatte M. mit den Bezeichnungen : Erkenntnis des Generellen oder
des Individuellen gegeben. Zur theoretischen Durchdringung des Forschungs-
gebietes wird in den erstgenannten Wissenschaften ein vom Erfahrungsobjekt
verschiedenes Erkenntnisobjekt gebildet. Welche Annahmen beziiglich der
Volkswirtschaft gemacht werden, um die typischen Erscheinungsformen und
Zusammenhange zu finden, wurde oben erwahnt. In der Volkswirtschaftslehre
ist, wie dargetan, die Ermittlung der Gesetze der Wirtschaftlichkeit nicht zu
entbehren, um die Wirklichkeit zu verstehen, so daB beide Richtungen der
Forschung berechtigt sind, und auf dieser Grundlage ist schlieBlich Beruhi-
gung eingetreten. Gide sagt von dem Buche M.s, es sei »un livre veritablement
classique par le style et par la penetration de la penseen (»Histoire des doctrines
economiques depuis les Physiocrates ptsqu'd nos jours «, von Gide und Rist,
4. Aufl. 1922, S. 463).
Die beiden besprochenen Werke M.s sind seine wissenschaftlichen Haupt-
leistungen. Ein Teil seiner iibrigen Veroffentlichungen gehort zur Theorie der
Volkswirtschaft, und zwar die Abhandlung uber das »Kapital«, die den neuen
Auffassungen dieses Problems nahesteht, dann der groBe Beitrag iiber das »Geld«
im Handworterbuch der Staatswissenschaften, durch den die Geldlehre in
wesentlichen Punkten stark gefordert wurde. Einzelne Arbeiten hangen mit der
Methodenf rage zusammen; das gilt von der Streitschrift gegen Schmoller »Die
Irrtiimer des Historismus in der deutschen Nationalokonomie« und von der
Abhandlung »Grundziige der Klassifikation der Wirtschaftswissenschaften «.
Die Mitwirkung M.s an der Enquete iiber die Reform der osterreichischen Wan-
ning im Jahre 1892, die anschlieBenden Gesetzgebungsakte und Vorgange auf
dem Gebiete des osterreichischen Geldwesens boten M. den AnlaB zu einer Reihe
von Veroffentlichungen.
Von M. nimmt die sogenannte osterreichische Schule ihren Ausgang, als deren
Haupt und Begriinder er bezeichnet wird. Die Tatsache, daB eine Anzahl von
osterreichischen Nationalokonomen, wie ihre Arbeiten beweisen, die Pflege der
volkswirtschaftlichen Theorie in den Vordergrund stellt, dabei die von M. als
exakt bezeichnete Forschungsrichtung als berechtigt anerkennt, unterschied
sie von dem damals in Deutschland herrschenden deskriptiven und wirtschafts-
geschichtlichen Wissenschaftsbetriebe, und fuhrte zu einer besonderen Be-
1 In seiner Strafiburger Rektoratsrede vom 1. Mai 1S94: Geschichte und Naturwissen-
schaft, 3., unveriinderte Auflage, StraBburg 1904, s. Deutsches Biogr. Jahrb. 1914 — 16,
5. 183.
Meager igg
zeichnung dieser Gruppe. Es handelte sich darum, die Theorie der Volkswirt-
schaft auf den von M. gelegten Grundlagen auszubauen ; man hat es mit iiber-
einstimmenden Grundauffassungen einer Reihe von Forschern aus dem ehe-
maligen Osterreich zu tun, unter denen Bohm-Bawerk und Wieser hervorragen.
Man brachte dieser Richtung groBes Interesse in den Gebieten entgegen, wo die
volkswirtschaftliche Theorie immerfort gepflegt wird, also neben Osterreich-
Ungarn in England, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Italien,
den Niederlanden und Schweden, von wo auch die ersten Zustimmungen zu den
neuen Lehren kamen ; auch von Deutschland blieb nach f riiherer vereinzelter
eine allgemeinere Anerkennung nicht aus, namentlich ist die Wurdigung des
methodologischen Standpunktes und der Wertlehre M.s durch Max Weber her-
vorzuheben. Durch die Verbreitung seiner Lehren wurde M. ein weltbekannter
Fachmann und er hat alle Ehrungen erfahren, die Forschern von gehobener
wissenschaftlicher Stellung zuteil werden. AnlaBlich seines 60. Geburtstages
wurde er zum Mitgliede des osterreichischen Herrenhauses ernannt, doch ist er
als solches nie hervorgetreten, da ihm die Politik keinen Anreiz bot. Er war
wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien und gehorte
auswartigen Akademien an. Er war mehrfacher Ehrendoktor. Zu seinem
80. Geburtstage verlieh ihm die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultat
in Wien das Ehrendoktorat der Staats wissenschaften, das zugleich das erste
osterreichische staatswissenschaftliche Doktorat war. Wenige Tage nach ab-
geschlossenem 81. Lebensjahre starb er nach kurzer Krankheit am 26. Februar
1 92 1 in Wien. Mit ihm ist ein Forscher dahingegangen, der nach Prof. Wicksell
die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Theorie in starkerem MaBe beein-
fluBt hat als irgendein Nationalokonom seit Ricardo.
Q u e 1 1 e n : Die samtlichen in Buchfonn oder in Zeitschriften erschienenen Ver-
offentlichungen M.s sind aufgezahlt im Almanach der Wiener Akademie der Wissen-
schaften, Jahrg. 71 (192 1), S. 25 if.
Im Jahre 1923 hat der Sohn M.s, der Mathematiker Dr. Karl M., eine zweite Auflage
der »Grundsatze der Volkswirtschaf tslehre « aus dem NachlaO herausgegeben. Sie enthalt
mannigfache Erganzungen aus den Aufzeichnungen des Verfassers und an Stelle des Ab-
schnittes iiber das »Geld« der ersten Auflage wurde der Artikel »Geld« aus der dritten Auf-
lage des Handworterbuches der Staatswissenschaften mit einigen, vom Verfasser her-
riihrenden spraclilichen Anderungen und kiirzeren Ausgestaltungen an wenigen Stellen
abgedruckt. Die zweite Auflage der »Grundsatze« ist vom Herausgeber, wie er in der
Einleitung mitteilt, als der erste Band der Gesammelten Werke von M. gedacht; der
zweite Band soil teils publizierte, zum groflen Teil aber bisher unveroffentlichte methodo-
logische Schriften, der dritte Band kiirzere Aufsatze vermischten. insbesondere wirtschafts-
theoretischen, methodologischen und erkenntnistheoretischen Inhalts, sowie autobiogra-
phische Aufzeichnungen M.s enthalten. In der Einleitung zu den »Grundsatzen« wird vom
Herausgeber dargestellt, warum bei Lebzeiten des Verfassers dieses langst vergriffene
Werk nicht neu aufgelegt wurde und seit den neunziger Jahren t)bersetzurigen in fremde
Sprachen unterblieben. In der Festnummer der Ekonotnisk Tidskrift, Stockholm, zu Ehren
von Knut Wicksell, Nr. 12, 1921, ist ein Brief von M. an Bohm-Bawerk iiber das Zins-
problem aus dem Jahre 1884 abgedruckt, der also nach Erscheinen des ersten Bandes
des Bohmschen Werkes, der die Geschichte und Kritik der Kapitalzinstheorie enthalt,
verfafit wurde.
Literatur: Fiir die Zeit bis 1910 wird auf die Literaturangaben der dritten Auflage
des Handworterbuches der Staatswissenschaften, Art. Carl M., 6. Bd., S. 648 f., verwiesen,
wozu hier einige Erganzungen beigef iigt sind, und zwar Max Weber, Roschers historische
Methode, 1903; Die Objektivitiit sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkennt-
nis, 1904; Die Grenznutzenlehre und das » psychophysische Grundgesetz«, 1908, samtlich
abgedruckt in »Gesammelte Aufsatze zur Wissenschaf tslehre « von Max Weber, Tii-
200 1921
bingen 1922; — Gide-Rist, Histoire des doctrines iconomiques depuis les physiocrates jusqu'b
nos jours, Paris 1909, 4. Aufl. 1922. — Fur die Jahre seit 1910 sind zu erwahnen: Zucker-
kandl, CM., Zeitschrift fiir Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 19, 191 o;
— Spann, Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre, Leipzig 19 10, 16. Aufl. 1926; —
Feilbogen, L'Ecole Autrichienne de Viconomit politique, Journal des Economistes, 191 1 bis
19 1 4 (besonders kommen die Jahrgange 191 1 und 191 2 in Betraeht); — Schumpeter,
Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte (Grundrifi der Sozialokonornik, I. Abt.„
Tubingen 19 14, 2. Aufl. 1924) ; — Wieser, Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft (Grund-
rifl der Sozialokonornik, I. Abt., Tiibingen 1914, 2. Aufl. 1924) ; — Wieser, Carl M., Almanach
der Akademie der Wissenschaften in Wien fiir das Jahr 192 1, Wien 192 1 ; — Schumpeter,
Carl M., Zeitschrift fiir Volkswirtschaft und Sozialpolitik, N. F., Bd. 1, 1921 ; — Wieser in
der Universitatsschrift: Die feierliche Inauguration des Rektors der Wiener Universitat
fiir die Studienjalire 1921/22, W T ien 192 1 ; — Knut Wicksell, Carl M., Ekonomisk Tidskrift,
1922 ; — Salin, Geschichte der Volkswirtschaftslehre (Knzyklopadie der Rechts- und Staats-
wissenschaften, Abt. Staatswisscnschaft, Herausgeber Arthur Spiethoff, Berlin 1923); —
Wieser, Carl M., Neue Osterreichische Biographie, Wien 1923; — Bohm-Bawerk, Die oster-
reichische Schule (Gesammelte Schriften von Eugen v. Bohm-Bawerk, Wien 1924, deutsche
Ubersetzung der in englischer Sprache erschienenen Abhandlung: The Austrian Econo-
mists); — Bousquet, Les nouvelles tendences de Vicole autrichienne, Revue d' Economic
politique, Bd. 38, 1924.
Prag-Smichow. Robert Zuckerkandl. f
Mitteis, Ludwig, ordentlicher Professor fiir romisches Recht und deutsches
btirgerliches Recht an der Universitat Leipzig, Dr. jur. und Dr. phil. h. c,
Geh. Rat, * in Laibach (Krain) am 17. Marz 1859, f in Leipzig am 26. Dezember
192 1. — M. entstammte einer altosterreichischen Beamtenfamilie. Der Vater
war zur Zeit der Geburt des Sohnes Gymnasialdirektor in Laibach, einer damals
noch deutschen Stadt, an deren Mauern aber bald die slowenisch-nationale Be-
wegung brandete. In dem fiir Osterreich und — wie die Folge zeigte — in seinen
Auswirkungen auch fiir die groBdeutsche Idee folgenschweren Jahre 1866
siedelte die Familie nach Wien uber, wo der Vater zur Leitung des Theresia-
nischen Gymnasiums und der damit verbundenen Theresianischen Akademie,
einer adeligen Erziehungsanstalt, berufen wurde. Dieser stark altosterreichische
EinfluB ist fiir den Knaben bestimmend geworden und hat den Mann in alien
politischen und nationalen Enttauschungen der Folgezeit bis zum oster-
reichischen und deutschen Zusammenbruch begleitet. J a, die osterreichische
Einstellung, die sich nicht schildern, auch kaum richtig verstehen laJ3t, es sei
denn, daB man sie selber habe, ist in den letzten Jahren in Gesprachen starker
hervorgetreten als zeitweise fruher. Aus seiner Werdezeit nimmt er dann noch
die entschiedene und jedem Zugestandnis abholde Vorliebe fiir die humanistische
Ausbildung mit sich, die er noch in seinen letzten Jahren gegen bekannte
Modernisierungsversuche Unkundiger in einem Wiener Vortrage verteidigt hat.
Insbesondere fiir die juristische Schulung halt er — schon um der Lehre des
romischen Rechtes willen — das Gymnasium alten Stils fiir die beste, wenn nicht
einzig wirklich brauchbare Vorbereitung. Gymnasium und Universitat werden
in Wien absolviert. Dort wird der Doctor iuris utriusqne erworben, dem sich
spater ein deutscher Ehrendoktor der Philosophic zugesellt. Erst im Laufe der
in Wien begonnenen und erfolgreich fortgesetzten Gerichtspraxis folgt ein Ur-
laubssemester an der Universitat Leipzig. 1884 habilitiert sich M. in Wien mit
einer noch vorwiegend juristisch-dogmatisch gehaltenen Arbeit zur Stell-
vertretung. Schon 1887 bringt die Berufung nach Prag, 1895 holt ihn die
Menger. Mitteis 201
Heimatuniversitat zuriick, muJ3 ihn aber 1899 dauernd an Leipzig abtreten,
wo er bis zum friihen Tode wirkt — Berlin und Munchen ausschlagend. Uberall
war er ein gefeierter Lehrer nicht bloB der Studenten — die von Semester zu
Semester kommen und gehen — , sondern auch der Doktoren und Dozenten, die
in seinem beruhmten Seminar und in seiner stets hilfsbereiten Studierstube von
ihm lernen durften. So hat M. eine Gelehrtenschule herangebildet, die weit
uber Deutschlands und Osterreichs Grenzen hinausreichte. So erlebte er die
Freude, auf so vielen Lehrkanzeln Schuler wirken zu sehen, die seine Ideen
verbreiten half en. So ist er das Haupt einer Schule geworden, die von der
romischen Rechtsgeschichte ausgehend und stets zu ihr zuriickkehrend, da sie
das groBte aller geschichtlich gewordenen Rechte zum Forschungsgegenstande
hat, vor allem unter dem Einflusse neuer Quellen sich auch der Erforschung
griechischer, hellenistischer, und spater auch orientalischer Rechtsgebiete zu-
wendete und so eine Vergleichung antiker Rechte inaugurierte, an die man vor
M.s Arbeit nicht denken durfte.
War M. zu Anfang seiner literarischen Tatigkeit ein Dogmatiker des Pan-
dektenrechts gewesen, dessen Name von gutem Klange war, der aber darum
sich doch nicht entscheidend hervorgehoben hatte, so bedeutete die junge
Prager Professorenzeit, die Zeit, die auch mit einer glucklichen Ehe den Men-
schen zur irdischen Hone emporfiihrte, die entscheidende Wendung in der
Gelehrtenlaufbahn. In Prag entstand sein Werk: Reichsrecht und Volksrecht
in den ostlichen Provinzen des romischen Kaiserreichs (1891). Neue Quellen
flossen um diese Zeit und zu einem ganz neuen Leben erbluhte um sie die roma-
nistische Forschung. Den Schlussel zu diesem Garten aber hatte ein freund-
liches Geschick Ludwig M. in die Hand gegeben. Und er war dieser Gabe
wiirdig. Es war wirklich wie ein Blumengarten, was um diese neuen Quellen
erstand, ein Garten, der die gewaltigen Triimmer des Staates und des Rechtes
der Romer und Griechen umbluhte. Hatte die bisherige Uberlieferung nur die
groCen Linien schauen lassen, in denen das antike Leben verlaufen war, so tat
sich jetzt der Blick auf in die Gerichtsstuben der Behorden, in die Bureaus der
Aktenschreiber, in den kleinen Haushalt des Bauern und des Handwerkers. Das
Leben des kleinen Mannes von der Geburt bis zum Tode war in Akten, Schriften
und Zetteln verewigt. Vor uns lagen Geburtsanzeigen und Eheschliefiungs-
akten, Testamente, Kauf- und Mietvertrage, Pachtungen und Darlehensschuld-
scheine, Klagen und Beschwerden, Urteile und Verwaltungsakten aller Art.
Steuerbekenntnisse und Steuermandate lieBen einen Blick tun in das verwickelte
Gewebe von Recht und Wirtschaft. Schulhefte zeigten den buchstabenmalen-
den Buben und die dichterischen Ergiisse des Landpoeten. Der Boden aber, der
all das wiedergab, der, um mit M. zu reden, diese »Momentaufnahmen des
lebendigen biirgerlichen Daseins« aus dem Altertume bewahrt hatte, war
Agypten. Und die Urkunden, die uns von all dem Genannten und von vielen
anderen berichteten, waren auf den zarten Papyrusschreibstoff geschrieben, den
wieder der trockene Staub und Schutt vor Wasser und Verwesung bewahrt hat,
bis erst Zufall, dann zielbewuBte Ausgrabung diese Zeugnisse der Antike uns
zuganglich machte. Neben dem wertvollen neuen Material, das fur die roma-
nistische Forschung das syrisch-romische Rechtsbuch, ein Rechtsspiegel der
antiken Welt bot, sind es vor allem die Papyri, die M. als erster fur die Erkennt-
nis des Rechts der Antike nutzbar machte. Aber er war nicht der Mann, sich
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an der Schilderung all der bunten Neuheit, die sich auftat, geniigen zu lassen.
Sofort erhebt sich fiir ihn in scharfster Formulierung das wissenschaftliche Pro-
blem, an dessen endgiiltiger Losung wir noch heute und vermutlich auchmorgen
noch arbeiten werden : wie verhalt sich dieses vom of f iziellen romischen Recht
des Corpus Iaris sowohl als auch von der durch die Interpolationenforschung
gereinigten romischen Rechtsuberlieferung so sehr abweichende Recht, das der
romische Untertan und sein Rechtsberater in Agypten anwenden, zum » ro-
mischen Recht «, von dem die friihere Generation als von einer gegebenen
GroBe sprach ? Denn da begegnen uns Rechtsbrauche, die nicht bloB dem ius
civile, sondern auch dem ius gentium unserer Quellen, nicht bloB dem legalen,
sondern auch dem honorarischen Recht, nicht bloB dem klassischen, sondern
auch dem justinianischen fremd sind. M. hat sie als » Volksrecht « dem »Reichs-
recht« gegeniibergestellt. Begreiflich, daB Juristen und Politiker der Haupt-
stadt — mag sie Rom oder Byzanz heiBen — alles ignorieren, was nicht of fizielles
Reichsrecht ist. Aber unter dieser ausgleichenden, Partikularismen iibersehen-
den oder schlankweg leugnenden, grundsatzlich zentralisierenden Jurisprudenz
regt sich doch allerorten buntes Leben auch im Recht; ja dieses von der
off iziellen Satzung so oft abweichende, altere, unberuhrt gebliebene, der Aus-
gleichung widerstrebende Recht ist durch diese neuen Urkunden als das wirk-
lich »lebendige Recht « erkannt worden, das in stiller und starker Opposition
das sich um die Sonderbedurfnisse der Provinz nicht kummernde, vom griinen
Tisch kommende » Reichsrecht « ignoriert und ohne viel Aufsehen uberwmdet.
An einer Reihe von Einzelerscheinungen hat M. schon im genannten Buche
diesen Antagonismus von Reichsrecht und Volksrecht behandelt. Mit der be-
greiflichen Freude und Schaffenslust desjenigen, der Neuland als erster be-
treten und erforschen darf , hat er sich der Papyrusforschung zugewandt. Die
ihm zunachst besonders nahestehende Wiener Sammlung des Papyrus Erz-
herzog Rainer, deren griechische Texte eben Wessely zu veroffentlichen be-
gann, bot willkommenen AnlaB zu gelehrten Kommentaren, vorbildlichen Ar-
beiten fiir alle folgenden Papyrologen. Die Ausgaben der Berliner und der eng-
lischen Texte wurden standig verfolgt und verwertet. In Leipzig war eine
Sammlung entstanden, die in M. den gelehrten Herausgeber fand. Mit Ulrich
Wilcken zusammen wird in staunenswerter, neben aller anderen Berufs- und
literarischen Tatigkeit hergehender Arbeit ein zusammenfassendes, heute noch
und trotz des raschen Flusses des neu Hinzukommenden wohl noch jahre-
lang unersetzliches Sammelwerk geschaf fen : die Grundziige und Chrestomathie
der Papyruskunde, deren juristischen Doppelband eben M. bearbeitete. Wenn
sein Name als der des Schopfers der juristischen Papyrusforschung in dieser
Disziplin stets genannt werden wird, so ist, wie gesagt, fiir den Rechtshisto-
riker diese Tat nur eine Teilerscheinung dessen, was M. mit der Erkenntnis
des Volksrechts innerhalb der romischen Rechtsgeschichte gewirkt und geleistet
hat. Seine Zugehorigkeit zum ziinftigen Kreis der Romanisten hat er darum nie
verleugnet ; ist gleich sein letztes groBes Werk, das romische Privatrecht bis
auf die Zeit Diokletians, nur ein einbandiger Torso geblieben, der Grundbe-
griffe und die L,ehre von den juristischen Personen behandelt — eine Anzahl
aneinandergeschlossener Monographien, aus denen andere ebenso viele Bucher
gemacht hatten — , so zeigt doch gerade dieses Werk, wie M. iiber aller Ent-
deckerfreude am Volksrecht das Reichsrecht nicht vergiBt. Seite fiir Seite sehen
Mitteis. Morf 203
wir die bewunderte Fulle seiner Literaturkenntnis, die souverane Beherrschung
des von ihm selber so sehr vergroBerten Quellenkreises. Wie er aber in diesem
Buche zum romischen Rechte zuriickkehrt, so hat er sich vor einer zu weiteu
Entfernung der Forschung von dem fur das romische Recht und seine Geschichte
Erkennbaren fast angstlich ferngehalten. Weder liegen ihm Hypothesen iiber
die alteste Zeit des romischen Staates und Rechtes, Hypothesen, die bejahend
oder verneinend zum etruskischen Problem hinf iihren ; noch wiinscht er es,
orientalische Einfliisse im Recht der Romer zusuchen; ja auch fur das syrische
Rechtsbuch will er die alte Frage » Orient oder Hellas « im griechischen Sinne
beantwortet haben. Und endlich hat er dem werdenden Streben, iiber der ro-
mischen und griechischen eine antike Rechtsgeschichte aufzubauen, eine Skepsis
entgegengehalten, die sich freilich letzten Endes nur gegen angenommene Aus-
wiichse eines solchen Versuches wendet. Die Vorsicht seiner geschichtlichen
Methode, nicht zuletzt auch in der Interpolationenforschung, der er gem gab,
was ihr gebuhrte, ist gerade fur seine Schule Muster und Vorbild, soil diese
die Quellen, die neu erschlossen sind, fiir und gegen alte Lehren . f ruchtbar
machen. Mag diese Schule auch manchmal andere Wege gehen, um andere Ziele
zu erreichen — auch wo sie iiber M. hinauskommen wird. ware dies ohne ihn,
den fortlebenden Meister, nicht moglich. Sein Wirken bleibt ein hochragender
Merkstein in der Romanistik des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahr-
hunderts, ein Merkstein, auf den die deutsche Wissenschaft mit Stolz hin-
weisen darf, hat doch ein osterreichisch-deutscher Mann ihn an der Wende
schwerer Zeiten gesetzt.
Krankheit, wohl auf Uberarbeitung zuriickzuf iihren, hat den starken Korper
geschwacht, in dem ein so starker, schaffensfroher und lebensfreudiger Geist
wohnte. Der Krieg hat auch dieses Leben endgiiltig gebrochen. Im 63. Lebens-
jahre ist M. langer Krankheit erlegen. Ein ausdriickliches Verbot verhindert
die Herausgabe nachgelassener Schriften, insbesondere weiterer Teile seines
Privatrechts. Aber, was er schaffen durfte, ist ein monumentum aere perennius.
Literatur: Der Verfasser dieser Zeilen hat unter dem Titel »Ludwig M. und sein Werk«,
Wien 1923, eine eingehendere Darstellung des Lebenslaufes und Werdeganges dieses Ge-
lehrten gegeben. Dort ist auch S. 75 — 82 die lange Reihe seiner Biieher und Schriften ver-
zeichnet. Der NachlaC befindet sich in der Hand des Sohnes Heinrich M., Professor in
Heidelberg.
Wien. Leopold Wenger.
Morf, Heinrich, Universitatsprofessor, Geh. Regierungsrat, Dr., Dr. h. c,
* in Hofwil bei Miinchenbuchsee (Kt. Bern) am 23. Oktober 1854, t in Thun am
23. Januar 1921. — M. war der Sohn des bekannten Pestalozzi-Forschers urrd
Waisenvaters Dr. H. M. und studierte klassische, indogermanische und roma-
nische Philologie in Zurich und StraBburg, wo er 1877 promoviert wurde mit
der Dissertation: »Die Wortstellung im altfranzosischen Rolandsliede« (Roma-
nische Studien 3). Reisen fiihrten ihn nach Spanien, Italien, Frankreich. Nach
alter Philologenmethode kopierte er in der Madrider Nationalbibliothek die
arabische Aljamiahandschrift des »Poema de Jose«, das er 1883 in Leipzig als
Gabe der Berner an die Zuricher Universitat herausgab. Von den herkomm-
lichen kritischen Textausgaben hielt er nicht viel, wandte sich vielmehr der
Moderne zu, ohne dabei das Studium des Altfranzosischen und Altprovenza-
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lischen zu vernachlassigen. Mit neuen Anregungen und neuen Zielen kam er aus
Paris zuriick, wo er in Gaston Paris einen ausgezeichneten I<ehrer und kon-
genialen Freund gefunden hatte. Die Erforschung der lebenden Mundarten
machte er zum Kernpunkt und Priifstein der Linguistik, als er mit noch nicht
25 Jahren Professor der romanischen Philologie an der Universitat Bern wurde.
Dieser Wissenschaft verschaffte er dort erst Selbstandigkeit und Geltung und
versah nebenbei den franzosischen Unterricht am dortigen Gymnasium. Da-
mals und spaterhin wirkte er entscheidend auf die Gestaltung des neusprach-
lichen Unterrichts ein, die er prinzipiell begriindet in der Ziiricher Antritts-
vorlesung von 1890: »Das Studium der romanischen Philologie « (Aus Dichtung
und Sprache der Romanen II). Sprache ist gesprochene Sprache! Es war ein
Ruf der Befreiung vom Buchstaben der Orthographie, von der ziinftigen Schul-
grammatik im Stile des Ploetz. Weg von den Handschriften, weg von der
Schriftsprache zum Leben der Mundarten ! Phonetik tut dem Lehrer not und
historische Sprachbetrachtung. Ein neues Denken lehrte M., das »linguistische
Denken« (Verhandlungen des Neuphilologentages in Frankfurt 1912), das mit
Logik streng genommen nichts zu tun hat. Als Universitatslehrer machte er von
Bern und Zurich (1889 — 1901) aus die linguistischen Ausfliige ins Mundarten-
gebiet mit seinen Studenten. Und da wirken sie heute noch, die lebenden und
stummen Zeugen : die gegenwartigen Lehrer der Schweizer Universitaten und
die stattliche Reihe der Dissertationen, die allmahlich erscheinenden Sprach-
atlanten und Worterbiicher (vgl. »Die romanische Schweiz und die Mundarten -
forschung« in Dichtung und Sprache der Romanen II). M. fuhrte seine Schuler
ein in die Wissenschaft strenger Observanz, in die Forscherarbeit und schulte
an ihr ihren Charakter und Geist, er vergafi aber nicht in ihnen zukunftige
Lehrer zu erziehen, die er auf das Wesentliche, Naheliegende wies, zur Methode,
zur klaren Erf assung der Probleme, zur wissenschaftlichen Ehrlichkeit anhielt ;
er vernachlassigte nicht die Pflege des Ausdrucks : alles Tugenden, die er an sich
selbst geiibt hatte. Seine literarhistorischen Vorlesungen behandelten besonders
die franzosische Literatur von ihren Anfangen bis ins 19. Jahrhundert, auch
Leben und Werke Dantes, Petrarcas und Boccaccios. Dabei kam es ihm nicht
so sehr auf die formale kiinstlerische Fertigkeit einer historischen Personlichkeit
an, als auf ihre Projektion nach auBen, ihren Platz in der Zeitstromung.
Auch in der Frankfurter Zeit, wo er seit 1901 zwei Jahre lang Rektor der
neugegriindeten Akademie fur Sozial- und Handelswissenschaften war, und
bis 191 o in dem von ihm eingerichteten Romanischen Seminar tatig war, lief en
literarhistorische Studien neben linguistischen her. Hier war so recht ein Wir-
kungsfeld fiir diesen Mann der Tat, dem es Freude machte, auf dem Neuland zu
organisieren. Manchen Baustein hat er fiir die heutige Universitat tragen helfen.
Ungern lieB ihn, wie einst die Ziiricher, die angeregte Gesellschaft der Stadt
ziehen. Nicht leicht fand sie wieder einen Redner, dem es gegeben war, die
Kunst gemeinverstandlicher Rede wissenschaftlicher und allgemeiner Forde-
rung dienstbar zu machen, und seine Horer auf die Hohen eines weiten Blick-
feldes personlich zu geleiten, bei aller Sachlichkeit der Darstellung. Er hat ein-
mal im Jahre 1909 vorausschauend in einem Vortrage »t)ber Aufgabe und
Methode der Volksvorlesungen « (Dichtung und Sprache der Romanen III) auf
die Notwendigkeit der Volksbildung hingewiesen und mit seltenem Takt von
Wesen und Inhalt popularer Rede gesprochen, die er selbst souveran meisterte.
Morf
205
Sein Aufenthalt in Spanien, im rumanischen Siebenbiirgen, seine wiederholten
Reisen nach Italien und Frankreich, seine Wanderungen durch das ratoroma-
nische Sprachgebiet boten ihm das Rustzeug zu jenem einzigartigen Werke:
Die romanischen Literaturen (in Hinnebergs Kultur der Gegenwart 1909), einer
Geistesgeschichte der Romania, dem Denkmal ihrer Einheit und Vielseitigkeit.
Seine zutreffende, strenge, aber wohlwollende Kritik weisen zahlreiche Seiten
des »Archivs fur das Studium der neueren Sprachen und Literaturen« auf, das
er 1903 — 1914 herausgab. Sein Stolz war es, diesem altehrwiirdigen Organ einen
modernen Zug zu geben, es zum fiihrenden zu machen, indein er der Sprach-
geographie Eintritt verschaffte. Inzwischen hatte er 1894 Hettners »Geschichte
der franzosischen Literatur im 18. Jahrhundert« und 1905 die Braunfelssche
Ubersetzung des »Don Quichote« neu erscheinen lassen und als eigenes Werk
1898 die »Geschichte der franzosischen I^iteratur I. Das Zeitalter der Renais-
sance «, das 1914 als Bestandteil von Gr6bers»Grundri£ der Romanischen Philo-
logie« eine 2. Auflage erlebte. Alle fiihrenden Zeitschriften und Tagesblatter
hatte er sich zuganglich gemacht durch zahlreiche Artikel und Kritiken. Die
besten sind von ihm gesammelt in den beiden Banden »Aus Dichtung und
Sprache der Romanen« (StraBburg 1903 und 1911), denen 1922 ein posthumer
herausg. von Eva Seifert folgte. Besonders am Herzen lagen ihm : Voltaire, Mo-
liere, Rousseau, Corneille, Diderot, Mme de Stael, Cervantes, Mistral, Dante,
Petrarca ; das Volkslied, die Roland-Orlandosage, dieSage^desInf anten von Lara ;
die Anfange des Dramas ; die beiden Freunde Gaston Paris und Adolf Tobler.
Reich war schon die geleistete Arbeit, als ihn die Berliner Universitat 191 auf
den Iyehrstuhl Adolf Toblers rief . In Scharen stromten die Studenten in seine
Vorlesungen und in sein Romanisches Seminar, dem er auch in Berlin eine wur-
dige Statte verschaffte. Hier pflegte er interromanische Studien, Ubungen am
franzosischen Sprachatlas, syntaktische und methodische Probleme. Die Mit-
glieder der Herrigschen Gesellschaft und der PreuBischen Akademie der Wissen-
schaften, die ihn 1911 aufnahm (Antrittsrede in dem Sitzungsbericht 1911),
ruhmen ihm manchen bahnbrechenden Vortrag nach : so die zarte Deutung aus
Dantes Commedia: Galeotto fu il libro e chi to scrisse (Sitzungsberichte 1916),
wo er zeigt, wie eine vorurteilsfreie Textkritik der fruhesten Dante-Interpreten
auf eine scheinbar erledigte Frage neues Licht wirft; so den »Ursprung der
provenzalischen Schriftsprache« (Sitzungsberichte 1912), indem er die Wiege
in der Gallia Narbonensis sucht; so die kritische Beleuchtung der Aufzeich-
nungen eines Schauspielers zur ersten Tartuffe-Auffuhrung (»Molieres Hof-
festspiel vom Tartiiffe«, Dichtung und Sprache III) ; so die geistvolle Hypothese
vom Zusammenfall der Bistums- und Dialektgrenzen (Zur sprachlichen Glie-
derung Frankreichs, Abhandlungen 1911) ; endlich ^Lessings Urteil iiber Vol-
taire« (Dichtung und Sprache der Romanen III).
Fast mochte dies weite Arbeitsfeld zu groB erscheinen fur einen Mann, der
die schon oft vorgetragenen Vorlesungen neu durcharbeitete und erganzte, der
jede Schiiler arbe it gewissenhaft durchlas, gern an geselligen Vereinigungen als
ihr geistvollster Erzahler und schlagfertigster Plauderer teilnahm und auch fur
die Bittenden und Suchenden stets Zeit und Rat hatte weit iiber die Sphare des
Philologen hinaus. Der Krieg schwachte nicht seine unermudliche Freudigkeit
an der wissenschaftlichen Arbeit, die er als verbindende Macht iiber den Strei-
tenden erkannte in der schonen Ansprache : Civitas Dei (Internationale Monats-
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schrift 1915). Der Krieg aber untergrub seine korperliche und seelische Wider-
standskraft und zerbrach friihzeitig (1918) den hohen Geist, der sieh hier wie
uberall ganz fur seine Uberzeugung eingesetzt hatte.
Durch seine Arbeiten zieht sich in den gxoBen Linien dieselbe friihgewonnene
Anschauung. Trotzdem liegt nichts Starres in dieser Geschlossenheit, da sein
Wesen immer Fiihlung mit dem Leben suchte, an dessen vielseitigen Problemen
es klugen Anteil nahm. M. war einer der begnadeten Lehrer, deren es nur wenige
gibt. Die Sicherheit der Methode, die Universalitat seiner Bildung, die Anschau-
lichkeit der Darbietung in ihrer ziselierten vollendeten Form machten einen
Vortrag M.s zum festlichen Erlebnis, und nicht wenig trug dazu bei die voile
jugendliche Hingabe an den Stoff und die Lauterkeit einer grofien Gesinnung,
die er, eine wahre humane Natur, allzeit bewiesen hat.
Literatur: M.sNachlafi ist im Besitze seiner Witwe. Eine vollstandige Bibliographic
enthalt Bd. 3: Aus Dichtung und Sprache der Romanen. — Nachmfe erschienen im Ar-
chiv fiir das Studium der neueren Sprachen 142 (Lommatzsch) ; in den Sitzungsberichten der
Preuflischen Akademie der Wissenschaften XXXIII, 1921 (Roethe) ; Zeitschrift fiir roma-
nische Philologie 41 (Rohlfs) ; Neuere Sprachen 29 (Seifert), Schweizerische Lehrerzeitung
8, 1921 (Gauehat, Hoesli, Klara Tobler), Neue Ziircher Zeitung 25. Januar 1921 (Gauchat),
Basler Nachrichten, Beilage, 1. Februar 1921 (Tappolet), Frankfurter Zeitung 8.Fe-
bruar 1921 (Fried wagner), Berliner Hochschulnachrichten 5. /6. Heft 1921 (Lommatzsch).
Berlin. Eva Seifert.
Paul, Hermann, ordentlicher Professor der deutschen Philologie an der Uni-
versitat zu Miinchen, * in Salbke, einem Dorfe oberhalb Magdeburgs an der
Elbe, am 7. August 1846, | m Miinchen am 29. Dezember 1921. — Das auBere
Leben P.s verlief, wie eine von ihm selbst verfaCte Skizze zeigt, in ruhigen
Bahnen. Er besuchte zunachst die Dorfschule seines Geburtsortes, sodann das
Gymnasium zum Kloster Unser lieben Frauen in Magdeburg, schon friihzeitig
von alterer deutscher Sprache und Literatur sowie, bezeichnenderweise, auch
von Mathematik angezogen. In dieser Gymnasialzeit befiel ihn eine Augen-
entzundung, die eine dauernde Schwachung hinterlieB, so dafl er von da ab ge-
notigt war, seine Augen zu schonen. Michaelis 1866 bezog er die Universitat
Berlin, Ostern darauf ging er nach Leipzig. War es dort Steinthal, so waren es
hier Zarncke, Ebert, Curtius und Leskien, die besonders auf ihn wirkten. Da-
neben verdankte er vielfache Anregung seinen Studiengenossen Sievers und
Braune, mit denen ihn bis ans Ende feste Freundschaft verband. Die Univer-
sitat Leipzig eroffnete ihm auch den Zugang zum akademischen Lehramte
(August 1870), nachdem sie ihm zwei Jahre zuvor den Doktorhut verliehen
hatte. Im Mai 1874 ging er als auBerordentlicher Professor an die Universitat
Freiburg i. Br., wo er im Marz 1877 zum ordentlichen Professor vorriickte.
Wiederholte Nennungen an erster Stelle (in Kiel, in Jena, wieder in Kiel und in
Tubingen) fuhrten zu keiner Berufung und erst die Ablehnung eines Rufes nach
GieBen brachte ihm im Sommer 1888 eine einigermaCen auskommliche Be-
soldung. Nachdem er dann auch noch in Halle an erster Stelle vorgeschlagen
worden war, wieder ohne berufen zu werden, folgte er schlieJ31ich Ostern 1893
einem Rufe an die Universitat Miinchen. Hier hat er bis zu seiner Emeritierung,
zu der ihn eine Netzhautablosung zwang, die ihm das Lesen unmoglich machte,
durch 23 Jahre gewirkt. Eine stattliche Festschrift, die ihm seine Sehuler zur
Morf. Paul 207
Feier des 60. Geburtstages iiberreichten, gibt von dem Eindruck, den er als
akademischer Lehrer iibte, ehxendes Zeugnis.
Ein groBer und wohl der wichtigste Teil von P.s Arbeiten ist der Erfor-
schung unserer Sprache in all ihren Stadien gewidmet. Nachdem er in einer
seiner ersten Schriften das Bestehen einer festnormierten mittelhochdeutschen
Schriftsprache geleugnet hatte, wendete er sich wichtigen Problemen der alt-
germanischen Sprachgeschichte zu. Diese Untersuchungen, die in den ersten
Banden der von ihm gemeinsam mit seinem Freunde Wilhelm Braune heraus-
gegebenen Beitrage zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur er-
schienen sind, stellten den Verfasser neben Braune, Kluge und Sievers an die
Spitze der sogenannten »Junggrammatiker«, mit welchem Namen man eine
Gruppe von Gelehrten bezeichnete, die, wie abseits von ihnen Wilhelm Scherer,
die Erkenntnisse der indogermanischen Grammatik fur die Erforschung der
altesten Sprachzustande des Germanischen nutzbar zu machen bestrebt waren
und dabei mit den von der Phonetik ermittelten Ergebnissen, mit der Analogie
als wichtigen Faktor im Leben der Sprache und mit dem Grundsatz von der
Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze in konsequenter Weise operierten. Sie
haben mit Scherer ihre groBen und bleibenden Verdienste um den Ausbau der
von Jakob Grimm begriindeten Deutschen Grammatik. P. hat daran wesent-
lichen Anteil. In seinen Untersuchungen steckt nicht blofl eine bewunderungs-
wiirdig energische geistige Arbeit, eine auch iiber das Schwierigste mit logischer
Konsequenz vordringende Kraft, sondern auch groBer Scharfsinn beim tJber-
winden toter Punkte und zaher FleiB im Herbeischaffen entlegenen Materiales.
So sind viele seiner Ergebnisse heute Gemeinbesitz der germanischen Gram-
matik geworden und aus ihrem Bestand gar nicht hinweg zu denken.
Das BewuBte hat an diesen Untersuchungen wie uberhaupt im ganzen Schaf-
fen P.s einen weit starkeren Anteil als die naive Intuition oder die wissenschaft-
liche Phantasie. Und so ist es kein Zufall, daB er iiber die Prinzipien der Sprach-
wissenschaft, iiber die Methoden philologischer Forschung und iiber die Auf-
gaben wissenschaftlicher Lexikographie tiefer gegriibelt und ausfiihrlicher ge-
schrieben hat als irgendein anderer deutscher Philologe. Die Ergebnisse seines
Nachdenkens liegen zum Teil in groBeren Werken vor — hier stehen seine Prin-
zipien der Sprachwissenschaft, jetzt in 5. Auflageerschienen, in ersterReihe —
teils hat er sie in Aufsatzen und Reden niedergelegt. Gemeinsam ist alien diesen
Arbeiten die hohe philosophische und psychologische Schulung, die Fiille der
Erf aiming und die Weite der Ziele. Theorie und Anwendung gehen dabei ofter
miteinander verbunden einher: wie seine »Prinzipien« die Summe aus seinen
fruheren Arbeiten ziehen, so ist seinen theoretischen Darlegungen iiber die Auf-
gaben der Lexikographie sein »Deutsches W6rterbuch« gefolgt, das seine Eigen-
art dadurch bekundet, daB das Hauptgewicht auf die Entwicklung der Be-
deutungen gelegt wird, daB es die Grenzen fur die Verbreitung mundartlicher
Worter in pragnanter Form feststellt und mit besonderer Liebe auf die Er-
klarung alterer Ausdriicke besonders bei Luther, aber auch bei den Klassikern
des 18. Jahrhunderts aus war.
Indem P. in der zweiten Auflage auch noch die sicheren Etymologien der
Stammworter hinzufiigte, hat er aus seinem Worterbuch auch ein Werk fur alle
Gebildeten gemacht. Und so zeigt auch seine »Mittelhochdeutsche Grammatik «
die beiden so schwer zu vereinigenden Vorziige einer originellen Leistung und
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eines ausgezeichneten Handbuches, aus dessen elf Auflagen wohl seit Jahr-
zehnten jeder J linger der deutschen Philologie die Grundlagen der mittelhoch-
deutschen Sprache kennengelernt hat, und zwar nicht nur ihre Laute und For-
men, sondern auch ihrer Syntax.
Eine Gruppe anderer Arbeiten dient der mittelhochdeutschen Philologie in
engerem Sinne. Hierher gehoren seine handlichen Ausgaben von Hartmanns
Gregorius und Armen Heinrich, der Gedichte Walthers von der Vogelweide,
und die Erstedition des » Tristan als M6nch«, ferner mehrere umfangreiche Auf-
satze, die der Textkritik und Metrik unserer alteren Minnesanger, der Unter-
suchung des Handschriftenverhaltnisses im Iwein, der Erorterung schwieriger
Stellen in Gottfrieds Tristan und in Wolframs Willehalm, der Nibelungenfrage,
dem Verhaltnis dieses Epos zu der entsprechenden Partie der Thidhrekssaga und
schlieBlich dem Problem der urspriinglichen Anordnung von Freidanks Be-
scheidenheit gewidmet sind.
Das Streben nach Zusammenfassung unserer Erkenntnisse veranlaflte P., dem
GrundriB der romanischen Philologie einen der germanischen Philologie zur
Seite zu stellen, zu dem er selbst neben der schon erwahnten Methodenlehre
einen Aufsatz iiber Begriff und Aufgabe seiner Wissenschaft, einen Abru3 ihrer
Geschichte, der zeitlich das ausgezeichnete Werk von Raumers weiter fort-
fiihrte, und eine knappe Deutsche Metrik beisteuerte, die seine in friiheren Ar-
beiten an den Texten der mittelhochdeutschen Blutezeit gewonnenen Ansichten
zusammenhangend und erweitert darlegte.
Sein letztes groBes Werk, aus den reichen Sammlungen friiherer Jahre
erwachsen und trotz Alter, Krankheit und Erblindung mutig zu Ende
gebracht, ist seine stattliche ftinfbandige Deutsche Grammatik, eine nament-
lich in der Flexionslehre und in der Syntax reiche Gabe, die bedeutsamste
Erganzung fiir die jiingeren Perioden, die Jakob Grimms unsterbliche
Leistung erfahren hat.
Literatur: P., Mein Leben (nebst einem Schriftenverzeichnis und einem Nachwort
Braunes). — Beitrage zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 46, S. 495 — 503
(Quelle fiir die obige Darstellung seines aufleren Lebensganges) . — E. K. Fischer, Kunst-
wart 35, S. 294f . — M. H. Jellinek, Almanach der Akademie der Wissenschaften in Wien,
72. Jahrg., S. 261 — 267, Wien 1923. — Friedrich Kluge, Literarisches Echo 24, S. 645 — 648.
— Carl v.Kraus,MiinchenerNeuesteNachrichten 1922, Nr. 2, und Jahrbuch derBayerischen
Akademie der Wissenschaften, S. 27 — 35, Miinchen 1922 (Quellen fiir obige Wiirdigung).
— Eugen Lerch, Frankfurter Zeitung 5. Januar 1922, Nr. 3. — Otto MauBer, Miinchen-
Augsburger Abendzeitung 1922, Sammler Nr. 3. — Friedrich Panzer, Kolnische Zeitung
1922. Literaturblatt 35a, und Zeitschrift fiir Deutschkunde 36, S. 123 — 125. — R. S., Ein
Meister der Sprachforschung, Vossische Auslandausgabe Jahrg. 2, Nr. 1, S. 12. — Edward
Schroder, Anzeiger fiir deutsches Altertum 41, S. 205. — Friedrich Wilhelm, Miinchener
Museum fiir Philologie des Mittelalters und der Renaissance 4, S. 2.
Miinchen. Carl v. Kraus.
Possart, Ernst, Schauspieler, Regisseur und Biihnenleiter, * am 11. Mai 1841
in Berlin, | 8. April 1921 in Charlottenburg. — Als der Sohn wohlhabender
Eltern wurde P. fiir die geschaftliche Laufbahn bestimmt. Er trat 1857 a * s
Lehrling in die Schrodersche Buchhandlung in Berlin ein. Der Drang zur Buhne
brachte ihn in Beriihrung mit dem Bruder seines Vorgesetzten, demdamaligen
Berliner Hofschauspieler Wilhelm Kaiser, der spater (1870) als Nachfolger
Paul. Possart
209
Eduard Devrients kurze Zeit das Karlsruher Hoftheater geleitet hat. Er wurde
P.s Ivehrer. Schon fruh erkannte er mit scharfem Spiirsinn, wo die Begabung
seines Schiilers hinzielte. Eine Charakterrolle, die eines alten Marquis in einem
franzosischen Lustspiel, war die erste Aufgabe, die er ihn lernen lieB. Unter den
GroBen des damaligen Berliner Hoftheaters haben vor allem Dessoir und Do-
ring einen nachhaltigen EinfluB auf ihn ausgeiibt. In dem Liebhabertheater
» Urania « ist er als Graf von Bruchsal in Lessings » Minna « zum erstenmal auf
die Buhne getreten. Seine ersten Engagements fuhrten ihn 1861 nach Breslau,
wo er, zuerst nur in kleinen Rollen beschaftigt, schon bald mit Wurm und J ago
den Sprung in das erste Charakterfach wagen .durfte, 1862 nach Bern, 1863 an
das Stadttheater in Hamburg. Ein Gastspiel Dresdener Gaste, Wingers, Deta-
iners und der Ulrich ist nicht ohne Einflui3 auf einen groBeren Realismus seiner
Spielweise geworden. 1864 folgte er dem fiir seine Laufbahn entscheidenden
Rufe an das Miinchener Hoftheater, das seine bleibende Wirkungsstatte und
die eigentliche Begriinderin seines Ruhmes werden sollte. Sein Gastspiel als
Franz Moor, NarziB, Shylock und Carlos, fuhrte zu seiner dauernden Verpflich-
tung, die ihm in Balde auch die besondere Anteilnahme des jungen Konigs Lud-
wig II. zufuhrte. Schon mit 24 Jahren durfte er Nathan spielen, Byrons Man-
fred wurde schon damals eine Spezialitat seiner Kunst. Das gesamte Charakter-
fach lag in kurzem in seinen Handen: Wurm, Muley Hassan, Octavio Picco-
lomini, Vansen, Mephisto, Antonio, Hamlet, Richard III., Konig Johann,
Richard II., Carlos, Marinelli, dazu Schmock, Alter Fritz, Rabbi Sichel, Ad-
vokat Berent und andere.
P. war ein Schauspieler von eigenster und starkster kunstlerischer Pragung,
eine bedeutende Charakterisierungskraft, der seltene Klugheit, eiserner FleiB
und eine Energie sondergleichen unterstutzend zur Seite stand. Seine Begabung
bewegte sich mit untriiglicher Sicherheit, so lange der reine Verstand die Richt-
linie gab. Er war der geborene Darsteller geistiger Uberlegenheit. Sie wirkte bei
ihm iiberzeugend. Hier lag seine besondere Starke — und vielleicht der Grund
fiir die auBerordentliche Anziehungskraft, die er auf weite Kreise geiibt hat.
Ein liebenswtirdiger Humor vermochte die scharfen Linien vieler seiner Ge-
stagen zu mildern. Seine Begabung geriet in ein gewisses Schwanken, sobald
die Welt derGefuhle begann, der groBenEmpfindungen und derLeidenschaften.
Die Tiefen einer mark- und beinerschutternden Tragik waren ihm verschlossen.
Hier trat an Stelle der Wahrheit der Natur vielfach das, was man konven-
tionelles Theater nennt. Die innere Unwahrheit, die sich storend hier sehr
haufig bemerkbar machte, sein Schwelgen in pomphafter auBerer Pathetik, eine
gewisse Gespreiztheit in Ton und Geste, ein selbstgefalliges Spielen mit den
waindervollen auBeren Mitteln — dies war es vor allem, was ihm die heftige Be-
fehdung von seiten der jiingeren Generation zugezogen hat. Sie schoB dabei weit
liber das Ziel hinaus, wenn sie ihn bloB als einen Meister einer von keiner Seite
angezweifelten glanzenden Technik gelten lassen wollte. P. selbst war unab-
lassig bemiiht, bei dem Errungenen nicht stehenzubleiben, sondern sich den
Forderungen der weiterschreitenden Zeit entsprechend weiter zu bilden. Er war
klug genug, in seinem schauspielerischen Schaffen den Fliigelschlag der Zeit
zu beriicksichtigen. Manche Rollen wurden von Grund aus von ihm umgear-
beitet. Aufgaben, die seiner Begabung so ausgezeichnet lagen, wie etwa Carlos
in »Clavigo« hat er gerade in seinen letzten Lebensjahren mit einer Natiirlich-
DBJ 14
210 1921
keit, Schlichtheit und Einf achheit bewaltigt, in der ihn der Modemste unter den
Modernen nicht zu ubertreffen vermochte.
Dank seiner Bildung, dank seiner starken Intelligenz, zeigte sich P. neben
seiner schauspielerischen Tatigkeit schon von fruh an zur kunstlerischen
Fuhrung beruien. 1872 wurde er Regisseur, 1875 Oberregisseur, 1878 Schau-
spieldirektor. Als solcher hat er, in Anknupfung an Dingelstedts Vorgang,
das Miinchener Gesamtgastspiel von 1880 in die Wege geleitet. Es lag in
der Natur dieses Unternehmens, daB es nur wertvolle Anregungen, aber kein
befriedigendes Gesamtergebnis erzielen konnte. 1887 verlieB P. Munchen, urn
nach knrzer Tatigkeit am Berliner Lessingtheater seinen Ruhm in zahl-
reichen Gastspielreisen durch Amerika, RuBland und Holland zu tragen.
Ende 1892 trat er von neuem in den Verband des Miinchener Hof theaters,
wurde nach Perfalls Riicktritt 1893 mit dessen Leitung betraut und 1895
Generalintendant.
Als Regisseur hatte P. schon seit langem Gelegenheit gehabt, auch mit
eigenen Bearbeitungen klassischer Werke hervorzutreten, so u. a. mit Shake-
speares »Lear«, dem »Kaufmann von Venedig«, »Coriolan«, »Perikles«. Hier
stand er unter dem EinfluB der damals allgemeingiiltigen dramaturgischen An-
schauungen : Anpassung der Shakespeareschen Dramen an die moderne Dekora-
tionsbuhne, tunlichste Verringerung der Verwandlungen, dementsprechende
Zusammenlegungen und Streichungen, moglichst starke Herausarbeitung der
auBeren theatralischen Wirkung. In der Inszenierung das Zeitalter der Mei-
ninger : Glanz und Farbenpracht, Kaulbach und Piloty im Buhnenbild. Insze-
nierung des »Wallenstein<( und des ganzen » Faust «, dessen II. Teil durch P.
zum erstenmal auf die Miinchener Buhne kam (1895). Einer seiner kuhnsten
dramaturgischen Taten war die Bearbeitung und Inszenierung von Shake-
speares »Perikles« (1882) — der erste erfolgreiche Versuch, dieses merkwurdige
Werk durch eine teilweise, allerdings sehr freie Bearbeitung fur die deutsche
Buhne zu erobern.
Als Generalintendant des Hoftheaters begann P. den Schwerpunkt seiner
Tatigkeit mehr und mehr auf das Gebiet der Oper zu verlegen. Eine neue
Mozart- Renaissance erst and in dem fur die Werke des Meisters wie geschaffenen
Residenztheater. Gestutzt durch Levis treue Mitarbeit in textlicher und musi-
kalischer Hinsicht, gingen »Don Giovanni «, » Figaro «, )>DieEntfuhrung«, »Cosi
fan tutte« in Inszenierungen, die fur ihre Zeit mustergiiltig waren, iiber die
Buhne des Residenztheaters. Lautenschlagers Drehbuhne leistete vortreffliche
Dienste und schuf die Grundbedingung fur die szenische Wiedergabe des
Mozartschen Kunstwerks: ununterbrochene Abwicklung jedes Aktes, ohne
Unterbrechung durch den Vorhang. Ebenbiirtig stand seinen Verdiensten urn
Mozart zur Seite, was P. fiir Wagner in Munchen geleistet hat. Mit der Schop-
fung des Prinzregenten theaters und dessen Eroffnung (1902) wurde eine kiinst-
lerische GroBtat vollzogen, die Wagners heiBersehnte einstige Ziele schoner
Verwirklichung entgegenfiihrte. In Zumpe und Mottl wurden musikalische Mit-
arbeiter von uberragender Bedeutung gewonnen. Den Neuinszenierungen des
»Ringes«, der »Meistersinger<(, des » Lohengrin « hat P. in manchen Einzelziigen
den Stempel seiner besonderen kunstlerischen Personlichkeit aufgedriickt. Mit
der Geschichte der sommerlichen Miinchener Festspiele bleibt P.s Name fiir
alle Zeiten unzerreiBbar verbunden.
Possart. Rathgen 211
Seine leitende Tatigkeit als Generalintendant hat P. nicht gehindert, auch
seine schauspielerische und rezitatorische Tatigkeit fortzusetzen. Auch nach
dem Riicktritt von seinem Amt (1905) hat er sich noch sehr haufig bis in hohe
Alterstage herein in verschiedenen seiner Paraderollen der dankbaren Miin-
chener Horerschaft gezeigt. Er ist bis zu dem letzten endgiiltigen Abschied des
73Jahrigen von der Buhne (als Franz Moor am 17. Juni 1914) — alien Befehdungen
einer revolutionaren Jugend zum Trotz — Miinchens starkste schauspielerische
Anziehungskraft geblieben.
Auch schriftstellerisch ist P. mit ausgesprochener Begabung tatig gewesen.
Sein Buch »Erstrebtes und Erlebtes« (Berlin, Mittler, 1916), das iiber seine
kiinstlerische Entwicklung und seine Munchener Tatigkeit bis in die 8oer Jahxe
berichtet, ist ein wertvoller Beitrag zur Theatergeschichte und erhebt sich durch
die Gediegenheit seines Inhalts weit iiber den Durchschnitt dessen, was die
Selbstberaucherung der iiblichen Theatermemoiren im allgemeinen zu bieten
pflegt. Seine Inszenierungen des ganzen » Faust « und des »Wallenstein«, ebenso
die des »Don Giovanni « und der »Zauberflote« hat er in den leitenden Gedanken
in wertvollen kleinen Schriften erlautert und begriindet. Ein Buch »Der Lehr-
gang des Schauspielers« (Stuttgart, Spemann) nimmt in der Literatur iiber die
Technik der Schauspielkunst einen ehrenvollen Platz ein. Als Gelegenheits-
dichter ist er bei vielen ernsten und heiteren Veranlassungen, als Librettist mit
der Oper »Das Vaterunser« (von Hugo Rohr) hervorgetreten.
Literatur: Alfred v. Mensi, Alt-Miinchener Theatererinnerungen, Knorr & Hirth,
Miinchen 1924, 2. Aufl., S. 24 — 30. — Eugen Kilian, Nekrolog im Deutschen Shakespeare-
Jahrbuch, Bd. 57, S. 82— 89.
Miinchen. Eugen Kilian f.
Rathgen, Karl Friedrich Theodor, * zu Weimar 19. Dezember 1856, f Ham-
burg 6. November 192 1. — R. war der Sohn des Prasidenten der General-
kommission B. R., des ehemaligen schleswig-holsteinischen Justizministers,
und der Cornelie geb. Niebuhr. Sein GroCvater miitterlicherseits war der Histo-
riker und Staatsrat B. G. Niebuhr. Eine Schwester R.s war mit Gustav Schmol-
ler verheiratet; sein Bruder Bernhard ist General der Artillerie a. D.
R. studierte von 1876 bis 1880 in StraBburg, Halle, Leipzig und Berlin Rechte
und Nationalokonomie. Er bestand 1880 sein Referendarexamen und promo-
vierte 188 1 mit einer Arbeit iiber Messen und Markte bei Knapp in StraCburg
zum Doktor der Staatswissenschaften (Dr. rer. pol.). Schon am 4. April 1882
erhielt er einen Ruf zur Ubernahme der ordentlichen Professur fur Staats-
wissenschaften an der Kaiserlichen Universitat in Tokio, wo er bis 1890 blieb.
Zwei Jahre spater habilitierte er sich in Berlin. Am 27. September 1893 erhielt
er einen Ruf als nichtplanmafiiger auBerordentlicher Professor mit Lehrauftrag
nach Marburg. 1894 wurde er etatsmaCiger auBerordentlicher Professor in
Marburg, 1895 durch konigliche Ernennung zum ordentlichen Professor da-
selbst befordert. In dem gleichen Jahre heiratete er Emilie, die Tochter des
preuBischen Obersten Karl Miiller. Am 17. Mai 1900 wurde er zur Vertretung des
erkrankten Max Weber als ordentlicher Professor nach Heidelberg berufen.
Dort blieb er, bis er 1907 einen Ruf an das neuzugrundende Kolonialinstitut
fn Hamburg erhielt, an dessen 1908 erfolgter Griindung er den regsten Anteil
212 1921
nahm. Nach der Umwandlung des Kolonialinstituts zur Universitat im Jahr 1919
iibernahm er auch an ihr den Lehrstuhl fur Nationalokonomie, Kolonialpolitik
und Finanzwissenschaft. Er bekleidete das erste Rektorat. Eine tiickische
Krankheit, die er sich auf einer Reise zugezogen hatte, raffte ihn nach kurzem
Krankenlager am 6. 11. 192 1 in Hamburg dahin.
Zahlreiche Reisen haben Karl R. in alle Teile der Welt gefiihrt. Es gab kaum
ein bedeutenderes Land, das er nicht genau personlich kannte. Japan kannte
er durch sein Ordinariat in Tokio, China durch anschlieBende Studienreisen,
Amerika unter anderem durch seine Austauschprofessur an der Columbia-
University im Winter 19 13/14. Die Kriegswirtschaft fiihrte ihn nach Belgien,
wo er der deutschen Militarverwaltung angehorte und Materialien der dortigen
Archive bearbeitete. Als erster deutscher Volkswirt nahm er nach dem Krieg
wieder an einem internationalen KongreB teil, dem internationalen soziolo-
gischen KongreB in Turin : denn durch Takt und Menschenkenntnis und auBer-
gewohnliche Sprachkenntnisse — er sprach Englisch und Franzosisch ebenso
gelauf ig wie seine Muttersprache — sowie durch seine engen Beziehungen zu
Personlichkeiten der Wissenschaft und Politik in alien Staaten war er wie
kein zweiter berufen, unsere internationalen wissenschaftlichen Verbindungen
wieder aufzunehmen. Es kam hinzu, daB er schon vor dem Krieg dem deutsch-
englischen Verstandigungskomitee angehort hatte.
Die am Schlusse aufgezahlten Schriften Karl R.s deuten die Hauptgebiete
seiner literarischen und wissenschaftlichen Tatigkeit an; sie sind nicht voll-
zahlig. Indessen ist zu betonen, daB vieles Schreiben R. nicht lag. Er stand nicht
im Dienste der Feder, sondern die Feder wurde verwandt, wo sie seinen hoheren
Zielen diente. Diese Abneigung gegen Vielschreiben ist zugleich eine Folge seiner
personlichen Bescheidenheit, wie vor allem seiner wissenschaftlichen Exaktheit,
oder um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen » Sauberkeit «. Beide gestatteten
nicht, dafl ein Wort geschrieben wurde, das nicht einwandfrei bewiesen und
wahr ware. So bildete auch eine geradezu wundervolle Materialsammlung die
Grundlage fiir seine Kollegs. Zur Zeit, als seine Materialsammlung vollendet war
und eine wissenschaftliche Durcharbeitung ermoglichte, brach der Krieg aus.
Nach FriedensschluB erkannte R. als erster die Krise, in der sich die ganze Ent-
wicklung befand. Seine Skepsis und seine Ehrfurcht vor der Wissenschaft hin-
derten ihn, sein Material auszuarbeiten, ehe nicht Volkswirtschaft und Wissen-
schaft die Ubergangskrise iiberwunden hatten. Der Tod hat ihm die Feder aus
der Hand genommen.
Vornehm und zuriickhaltend wie in der Schrift war er auch im personlichen
Verkehr . Sein hochstes Lob dem Schiller gegeniiber : ein lachelndes Zunicken ; sein
niederschmetternder Tadel : wenn er eine Bemerkung scheinbar uberhort hatte.
Karl R.s Wirken ist weniger auf schriftstellerischem Gebiet zu suchen wie im
aufbauenden Dienst der »Volksgesundheit«, wie er sich bei der Rektoratsrede
in Hamburg ausdriickte, das heiBt in der Erziehung seiner Schtiler und Volks-
genossen zu geistigen Fuhrern, zu Missionaren des Wissens und der Wissen-
schaft. Darin sah er sein Ziel und darin liegen seine groBten, nie verganglichen
Verdienste, uber die zu sprechen ihm seine Bescheidenheit nicht gestattete, und
liber die die anderen daher auch oft zu sprechen vergessen.
Doch die Japaner wissen ihm ewigen Dank fiir die Hilfe beim Aufbau ihres
Finanzwesens. An der Agitation fiir das Flottenprogramm am Ende des
Rathgen 21 3
vorigen Jahrhunderts war er lebhaft beteiligt und hat im Zusammenhang damit
zahlreiche Vortrage im Deutschen Reich gehalten. Er hat an der Wiege zweier
Universitaten gestanden. Wenn auch andere auBerlich mehr zu ihrer Entwick-
lung beitrugen, ohne seine rastlose Arbeit ware der Auf- und Ausbau der Uni-
versitaten Tokio und Hamburg niemals gelungen. Der Verein fiir Sozialpolitik
und der evangelisch-soziale KongreB hatten in ihm eine ihrer bedeutendsten
Stiitzen. Die Deutsche Kolonialgesellschaft zahlte ihn zu ihren sachverstan-
digsten Mitarbeitern. An der Arbeit des ttlnstitut Colonial International « nahm
er dauernd regsten Anteil. Er war der Trager des allgemeinen Vorlesungswesens
in Mannheim, der Mitbegriinder der Volkshochschule in Hamburg, nachdem
er bereits regelmaBig im Hamburger Volksheim im Volksbildungswesen gewirkt
hatte. Es ist charakteristisch fiir sein ganzes Wesen und Wirken, daB er die alt-
angesehene Universitat Heidelberg verlieB, um in die Handelsmetropole Ham-
burg zu ziehen, wo ihm zwar kein Universitatslehrstuhl geboten werden konnte,
wo er aber das wirtschaftliche Leben pulsieren fiihlte und wieder »bauen«
konnte. Die Entwicklung des werdenden Kolonialinstituts lockte ihn, den
Kenner der Kolonien, der am Werdenden mehr Freude hatte als am Seienden.
DaB er dieses Bauen selbst dann nicht aufgab, als der Krieg verloren war, be-
weist, von welch zielbewuBtem Optimismus der groBe Skeptiker war. Er hatte
in alien Teilen der Welt Werden und Vergehen kennengelernt, aber auf die auf-
strebende Jugend im riihrigen Hamburg konnte er Hoffnungen setzen und
seinen Optimismus stiitzen.
R. war Demokrat im siiddeutschen Sinne des Wortes, das heiBt von durch
und durch nationaler Gesinnung und von groBtem Verstandnis fiir die Lage des
arbeitenden Volkes. In seiner Marburger Zeit begann sein erstes Interesse fiir
die Bestrebungen Naumanns, das Ausdruck fand in regelmaBiger Mitarbeit an
seiner Zeitschrift »Die Hilfe«. Mit Ernst Francke, dem Fuhrer der Gesellschaft
fiir Soziale Reform und langjahrigem Herausgeber der Sozialen Praxis
(s. o. S. 103 ff.), verband ihn auBer Faden der Verwandtschaf t die gleiche sozial-
politische Gesinnung, so griindete er in Hamburg eine Ortsgruppe dieser Ge-
sellschaft und ubernahm den Vorsitz. Gothein, Ernst Troeltsch, Max Weber
gehorten in Heidelberg zu seinen intimsten Freunden. Entsprechend seiner de-
mokratischen Einstellung suchte er den Kreis derer nach Moglichkeit zu er-
weitern, denen er dasUniversitatsstudium zuganglich machen konnte. Ich glaube,
er hielt es fiir eine verdienstvollere Leistung, Edgar Jaffe" (s. o. S. 160 ff.) zur
Universitatslaufbahn verholfen zu haben, als die Abfassung irgendeiner seiner
Schriften. Die erste Promotionsordnung der rechts- und staatswissenschaftlichen
Fakultat in Hamburg zeugt von dieser liberalen Gesinnung auch in Fragen
der Promotion. Die Forderung des allgemeinen Vorlesungswesens ist ein weiterer
Beweis hierfiir.
Seine Schriften und Forschungen lagen nicht auf theoretischem Gebiet. Das
soil nicht heiBen, daB ihm etwa die volkswirtschaftliche Theorie verschlossen
geblieben ware. Doch fesselte sie ihn weniger. Er hatte eine groBe Vorliebe fiir
Geschichte, seine ganze Wissenschaft war historisch eingestellt; in gelegent-
lichen Gesprachen bedauerte er, nicht Geschichte studiert zu haben. So wurde
ihm die Nationalokonomie zur Geschichtswissenschaft der Gegenwart; er
studierte »im Spazierengehen «, und da er ein auBergewohnlich gutes Gedacht-
nis, hervorragende Menschenkenntnis und einen ungewohnlich scharfen Blick
214 I92r
besaB, so hatte er zur Zeit, als ihn der Verfasser dieses Nachrufes kannte, ein
geradezu unerhortes Wissen ; seine Schrif ten spiegeln daraus nur einen kleinea
Ausschnitt wider. In seinen Gesprachen, Vorlesungen und tlbungen kam es
in vollem Umfang zur Geltung. So konnte auch die Hamburgische Universitat
nach seinem Tod nur dadurch Ersatz schaffen, dafi seine Professur in zwei Teile
zerlegt wurde. Fiir seine Hauptgebiete (Handelspolitik und Wirtschafts-
geschichte — Finanzwissenschaft) wurde je ein Ordinarius berufen* Fiir seinen
Lehrauftrag in Kolonialpolitik konnte Ersatz bisher noch nicht gefunden
werden.
Wenngleich Karl R. nicht eigentlich eine volkswirtschaftliche Schule hinter-
lassen hat, so hat er doch einen auBerordentlich starken EinfluB auf zahlreiche
Kollegen und vor allem auf seine Schuler ausgeiibt. Sie wurden zur Lauterkeit in
Wissenschaft und Leben erzogen und sind bestrebt, seine exakte historische
Methode aufzunehmen und fortzufiihren. Doch von den Tausenden, die seine
Vorlesungen und Vortrage besuchten, sah die groBe Mehrzahl nur die muster-
gultige Anordnung der Tatsachen ; seine eigentlichen Schuler sahen — seiner
Fuhrung folgend — durch die Mannigfaltigkeit der vorgebrachten Tatsachen
hindurch und erkannten das tiefste wissenschaftliche Forschen nach den groBen
Linien der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Diese Manner wirken heute als
Lehrer, Politiker und Wirtschaftsfuhrer in alien Teilen der alten und neuen
Welt. In ihnen reifen die Gedanken ihres Lehrers, sie verwirklichen sein Wollen,
und so erfullt sich sein innerstes Sehnen.
Der NachlaB von Karl R. ist noch nicht herausgegeben. Er befindet sich
im Besitz seiner Familie.
Liter atur: Die Entstehung der Markte in Deutschland, Darmstadt 1881 (Disser-
tation). — Ergebnisse der amtlichen Bevolkerungsstatistik in Japan (aus Mitteilungen
der Deutschen GeseUschaft fiir Natur und Volkerkunde Ostasiens 1887). — Japans
Volkswirtschaft und Staatshaushalt, Leipzig 1891. — Englische Auswanderung und
Auswanderungspolitik im 19. Jahrhundert, Leipzig 1896 (aus Schrif ten des Vereins fiir
Sozialpolitik) . — Die englische Handelspolitik am Ende des 19. J ahrhunderts, Leip-
zig 1 90 1 (aus Schrif ten des Vereins fiir Sozialpolitik). — Zwischen zwei Kriegen. Die japa-
nische Finanzpolitik von 1895 bis IQ °4» m Festgabe zu Adolf Wagners 70. Geburtstag,
Leipzig 1905. — Die Japaner imd ihre wirtschaftliche Entwicklung, Leipzig 1905 (aus
Natur- und Geisteswelt) . — Die Auswanderung als wirtschaftliches Problem, Schmollers
Jahrbuch, Bd. 30, 1906. — Staat und Kultur der Japaner, Leipzig 1907. — Les Ndgres
et la Civilisation europienne, Conference faite a Vlnstitut Solvay le 14 Mars 1909, Liige 1909,
in Schmollers Jahrbuch, Bd. 34, 1910. — Die Japaner in der Weltwirtschaft, 2. Aufl.,
Leipzig 191 1 (aus Natur- und Geisteswelt). — Belgiens auswartige Politik und der Kongo,
Preufiische Jahrbucher, Bd. 162, 191 5. — R. war Mitherausgeber folgender Schriften:
Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen (vom 5. Bande ab) ; Ham-
burgische Forschungen; Die Kultur der Gegenwart. — Er hat im Handworterbuch der
Staatswissenschaften und vor allem im Worterbuch der Volkswirtschaftslehre zahlreiche
Artikel verfaflt.
Die bei der Verbrennung R.s gehaltenen Reden wurden zum Teil in Hamburg 1922
veroffentlicht unter dem Titel »Reden gehalten am Grabe des Prof. K. R.«
Hamburg. Theodor Plaut.
Scherl, August, Zeitungsverleger und Verlagsbuchhandler, * in Diisseldorf
am 24. Juli 1849, t in Berlin am 18. April 1921. — Als Sohn eines in Berlin in
den achtziger Jahren bekannten Kolportage-Buchverlegers geboren, wurde ihm
schon in fniher Jugend, durch die mehrfache Auslandstatigkeit seines Vaters,
Rathgen. Scherl 21 S
Beriihrung mit weiteren Kreisen der Welt gewahrt. Einen Teil seiner Schul-
-erziehung genoB er in der deutschen Schule in Konstantinopel. Nachdem er
spater die Realschule in Berlin durchgemacht, trat er in das Geschaft seines
Vaters ein. Aber der fruh in ihm erweckte Drang nach Selbstandigkeit, die be-
wegte Lebensschule seiner Jugend, trennten ihn bald vom vaterlichen Hause.
In den Rheinlanden und Frankfurt a. M. entwickelte er nach dem Muster des
Vaters eine sehr lebhafte und erfolgreiche Tatigkeit als Herausgeber von Kol-
portageromanen, die ihn zunachst zum reichen Mann machte. Aber seiner leb-
haften, nach weitausholender Betatigung ringenden Natur geniigte dies nicht.
Friih hatte er ein schwarmerisches Interesse fur das Theaterwesen gezeigt, fruh
auch die Bedeutung der Presse als einfhiflkraftigen Faktor im offentlichen
Leben erkannt. In jungen Jahren mit einer talentvollen steiermarkischen
Sangerin, Flora Rosner, verheiratet, griindete er in Koln das Flora-Theater,
wo er in derDarbietung vonOper,Operette und Schauspiel die hervorragendsten
Darsteller als Gaste heranzuziehen verstand. Andere geschaftliche Unter-
nehmungen fiihrten ihn in dieser Zeit auch voriibergehend nach London und
Paris. Spater zog ihn der Drang, sich im Presseleben zu betatigen, auch wieder
nach Berlin, wo er gegen Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
den ersten, wenig erfolgreichen Versuch dieser Art durch Griindung der Tages-
zeitung » Berliner Neuigkeiten« machte. Erst im Jahre 1883 schuf er, aus
Frankfurt zuriickgekehrt, trotzdem er den einst gewonnenen Reichtum langst
eingebuBt hatte, wagemutig und zielbewuBt durch Begriindung des »Berliner
Lokalanzeigers«, zunachst als billige Wochenzeitung, deren erste Nummer am
4. November 1883 erschien, den Boden, auf dem er sein ganzes, vielgestaltiges
Lebenswerk aufbaute. Hier war es, wo Sch.s geniale Veranlagung, seine rast-
und ruhelose Energie, seine bestandig auf allerlei reformatorische und erziehe-
rische Ideen gerichtete Kenntnis der Volksseele Wurzel schlug. Wie selbst seine
Gegner anerkannten, wirkte er da auf publizistischem wie auf technischem
Gebiet des Zeitungswesens, namentlich was den Nachrichtendienst und die
Ausgestaltung von Redaktion, Inseratenwesen und Vertrieb anbetrifft, neu-
gestaltend. Er hatte 1886, nachdem seine erste Gattin 1884 verstorben war, zum
zweitenmal die Ehe geschlossen mit einer durch ihre Schonheit beruhmt ge-
wordenen Kufsteiner Biirgerstochter, Therese Zottl, die ihm eine treue, ver-
standnisvolle Arbeitsgefahrtin wurde. Schon 1885 wurde der ^Berliner Lokal-
anzeiger« ein taglich, 1889 ein zweimal taglich erscheinendes Blatt, das durch
seinen umfangreichen Nachrichtendienst, durch seinen uberparteilichen Cha-
rakter, der erst spater eine ausgesprochen konservativ-politische Richtung an-
nahm, bei denkbar grofiter Verbreitung zu einem fiihrenden Organ in der
deutschen Zeitungswelt.
Um Sch.s vielgestaltige Eigenart und sein Lebenswerk voll w^iirdigen zu
konnen, muJ3 man einen kurzen Uberblick iiber seine iibrigen publizistischen
Schopfungen und seine auflerhalb dieser Sphare liegenden Unternehmungen,
denen er bis zu seinen letzten Lebenstagen eine unermudliche Arbeitskraft zu-
wandte, gewinnen. An die Begriindung einer aktuellen illustrierten Zeitschrift
»Die Woche«, die einen neuen Typ dieser Gattung schuf und zur Belebung der
graphischen Technik fiihrte, reihte sich die seinerzeit als »klassisch« bezeich-
nete, den fiihrenden Geistern aller Parteien off en stehende Zeitung »Der Tag«.
Dem Sport und dem hoheren Gesellschaftsleben widmete er die groBziigig aus-
2l6 1921
gestaltete illustrierte Wochenschrift » Sport im Bild«. Der Erwerb der alt-
beriihmten Keilschen »Gartenlaube« trug dies Familienblatt bis in die neueste
Zeit, inhaltlich ihr angepaBt, hinein. Der »Praktische Wegweiser«, von Wiirz-
burg her iibernommen und als Wochenblatt der Land- und Gartenwirtschaft
gewidmet, wurde die Wurzel zur Begriindung des »Allgemeinen Wegweisers*,
der in eigenartiger Form, als ethischer und praktischer Berater fur Haus und
Familie gedacht, sich eine ungemein weitschichtige Leserschaft in Deutschland
und der deutschen Schweiz eroberte. Eine vollstandige Neuorganisation der
stadtischen AdreBbiicher schuf er nach Erwerb des Berliner AdreBbuchs, was
zur Folge hatte, daB er auch Herstellung und Verlag von AdreBbuchern
dieser Art in verschiedenen anderen deutschen GroBstadten ubernahm. Alle
diese Unternehmungen aber konnten seinem unstillbaren Sehnen, groBere Werke
der Gemeinniitzigkeit zu verrichten, nicht Geniige tun. Was schon von der
Griindungszeit des Lokalanzeigers her bis zum Lebensende seinen Geist be-
sonders beschaftigte und ihn zu ganz abnormen finanziellen Opfern veranlaBte,
lag auf volkswirtschaftlichem und auf technischem Gebiet. Das eine war die
als »Sch.sches Pramiensparsystem « bezeichnete Idee, die eine ganze Literatur
aus den Federn der hervorragendsten Volkswirtschaftler gezeitigt hat und das
groBte Interesse in Regierungskreisen erregte, auch nahezu kurz vor Beginn des
Weltkriegs zur Verwirklichung gekommen ist. Das andere war der Plan der
»Einschienenbahn« mit Benutzung des Dieselschen Kreiselapparates, eine Er-
findung, die nach Vereinigung des Brennanschen Systems (London) mit dem
Sch.schen (niedergelegt in einem von Sch. herausgegebenen Werk) in ge-
lungenen Versuchen ihre Durchfuhrbarkeit envies. DaB Sch. auch immer noch
dem Theaterwesen sein eifriges Interesse zuwandte, erweist seine Broschiire
iiber die Errichtung auf ganz neuer kiinstlerischer und technischer Basis auf-
gebauter Volkstheater in Berlin (» Berlin hat kein Theaterpublikum«).
Diese tlbersicht moge geniigen, um ein auBeres Arbeits- und inneres Lebens-
bild von dem Mann zu geben, der rastlos bemuht war, GroBes, weit hinaus
Wirkendes zu schaffen und in der Tat auch vieles errungen hat, was seinem
Namen einen dauernden Platz in unserer Kulturgeschichte sichert. Uber sein
personliches Leben, das ihn als »Sonderling« erscheinen lieB, hat sich ein ganzer
Mythenkranz gebildet, in dem viel Dichtung mit wenig Wahrheit sich mengt.
Seit 1914 hatte er sich von seinen publizistischen Unternehmungen ganzlich
zuriickgezogen und lebte nur noch seinen anderen Planen.
Berlin. Hugo v. Kupffer.
Schiemann, Theodor, Dr. phil., o. Professor an der Universitat Berlin,
Kgl. PreuB. Geheimer Regierungsrat, * in Grobin (Kurland) am 5./17. Juli 1847,
t in Berlin am 26. Januar 1921. — Sch. stammte aus einer deutschen Literaten-
familie, die, aus Konigsberg i. Pr. eingewandert, seit der Mitte des 18. Jahr-
hunderts in Kurland lebte. Der UrgroBvater und der Vater waren Juristen,
der GroBvater Arzt. Der Vater Theodor starb friih (1853) als Stadtsekretar zu
Grobin. Die Mutter, Nadine geb. Rodde, eine ausgezeichnet tiichtige Frau aus
einer alten hansischen Familie, erzog die beiden Sonne (der altere Julius wurde
spater der angesehenste Rechtsanwalt Kurlands) streng zu pflichttreuer deut-
scher Geistesarbeit. Nachdem Sch. das Gymnasium zu Mitau absolviert hatte,
Scherl. Schiemann
217
studierte er 1867 bis 1872 in Dorpat Geschichte, fiir die er friih lebhaf teste
Neigung und gute Bef ahigung gezeigt hatte. Schon 1868 bestatigte das die Dor-
pater goldene Preismedaille. Es war die Bliitezeit des deutschen Dorpat, in der
Karl Schirren (| 1910 als Professor in Kiel) die deutschbaltische Geschichtsfor-
schung in hervorragender Weise vertrat und durch Wort und Schrif t den histo-
rischen und politischen Anschauungen, dem Heimatgefuhl und volkischen Be-
wuBtsein der Balten neue Grundlagen schuf . Sch. war ein begeisterter Anhanger
Schirrens, seiner Forschung und politischen Richtung. Dazu kam die machtige
Wirkung der groBen Ereignisse von 1870/71, die auch Dorpats Studentenschaf t
neuesLeben, neue Lust und Kraft zur Arbeit fiir deutsche Ideale, fiir den deut-
schen Aufstieg gaben. In dieser Sphare festigten sich Geist und Charakter Sch.s,
wurden Aufgabe und Ziel seines Lebens festgelegt. 1872 bis 1875 arbeitete er im
Seminar bei Georg Waitz in Gottingen, wo er 1873 promovierte, in den Archiven
zu Danzig, Dresden, Wien und im ehemaligen herzoglichen Archiv zu Mitau.
Nachdem er Lina v. Mulert, die Tochter des kurlandischen Medizinalinspektors
und wirkl. StaatsratsDr. v. M., geheiratet hatte, war er bis 1883 Oberlehrer am
Landesgymnasium zu Fellin in Livland, darauf bis 1887 Stadtarchivar zu Reval
in Estland, wo er das reichste Archiv des alten Livland der Forschung zu er-
schlieBen begann. In einer Reihe kleinerer Darstellungen und Quelleneditionen
lieferte er wertvolle Beitrage zur baltischen Geschichte (teilweise vereinigt in
» Charakter kopfe und Sittenbilder des 16. Jahrhunderts«, 1877, und » Hist. Dar-
stellungen und archivalische Studien «, 1886). Daneben verfocht er in politischen
Schriften die deutsche Selbstverwaltung und die evangelische Kirche und Schule
gegen russische Angrif f e. Sein geistvolles und mannhaftes Eintreten fiir das Recht
der Deutschen im Lande gab ihm nahe Beziehungen zu den f iihrenden Mannern
der Provinzen. Um so scharfer sah er, daB alle baltische Loyalitat die Gefahren
der Russifizierung nicht mindern konnte, daB diese aufs starkste wuchsen, je
mehr die politische Macht Deutschlands in Europa stieg. Auch die Freiheit seiner
eigenen Arbeit schien gefahrdet zu sein. Zu der Sehnsucht nach einer engeren
Verbindung mit der deutschen Wissenschaft trat die Sorge um eine rein deutsche
Erziehung seiner Kinder. Das fuhrte ihn zum EntschluB, eine neue Existenz
und Arbeitsbahn im Deutschen Reich zu suchen. Private Beziehungen des
Grafen Alexander Keyserling, eines ihm besonders nahestehenden vaterlichen
Freundes, zu dem groBen deutschen Reichskanzler haben dann seine Nieder-
lassung in Berlin, seine Einbiirgerung und Aufnahme in den preuBischen Staats-
dienst als Dozent an der Universitat, Staatsarchivar und Lehrer an der Kriegs-
akademie wesentlich erleichtert. Den Eintritt in die Berliner Gelehrtenwelt
vollzog er unter den Auspizien Heinrich v. Treitschkes, mit dem ihn ein freund-
schaftlicher Verkehr bis zum Tode des groBen Historikers und Patrioten ver-
bunden hat. Das bezeugt die Warme, mit der Sch. » Heinrich v. Treitschkes Lehr-
und Wanderjahre« (2. Auflage 1898) schrieb. Wohl blieb er Schirren personlich
bis zuletzt ergeben und verehrte in ihm den Lehrer und iiberragenden Geist.
Aber auf sein geistiges Schaffen wurde Treitschkes EinfluB groBer und maB-
gebender. Der pessimistischen Skepsis in Welt- und Geschichtsauffassung, wie
sie bei Schirren in seiner Kieler Zeit immer scharfer erschien, stand Sch. fern ;
viel naher lag seiner mehr sanguinischen Natur eine freudige Bejahung ge-
schichtlicher und staatlicher Entwicklung. Und ebenso war bei ihm jener
» eminent baltisch-partikularistische Zug«, der bei vSchirren in seiner Beurtei-
2l8 1921
Jung preuBisch-deutscher Geschichte hervortrat, ganz ausgeschieden. Er wurde
vollbewuBt PreuBe, wenn ihm auch iiber PreuBen wie iiber der baltischen
Heimat das groBere Deutschland stand.
In die letzten baltischen Jahre Sch.s fallt eine groBere Arbeit fur die von
Wilhelm Oncken herausgegebene Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen :
» RuBland, Polen und Livland bis ins 17. Jahrhundert« (2 Bande 1886 und 1887).
Sie sollte dem deutschen Publikum eine dem Stande der Forschung entspre-
chende Kenntnis der beiden slawischen Nachbarstaaten in alterer Zeit und der
an sie grenzenden altesten und bedeutendsten, exponiertesten und erfahrungs-
reichsten Kolonie Deutschlands vermitteln. Es war eine entsagungschwere
Arbeit, da eine kritische Erforschung der alten russischen Geschichte nur hochst
unvollstandig und fiir das livlandische Mittelalter auch noch lange nicht aus-
reichend vorlag. Sch. gab, was Zeit und Material erlaubten, ein wissenschaftlich
begriindetes und gut lesbares Buch. Das alte Livland hat er zuerst in etwas
weiteren Kreisen bekannt gemacht. In Berlin schrieb er die Biographie seines
Landsmannes Viktor Hehn, des bekannten Kulturhistorikers (f 1890), den
schwere Erlebnisse zu einem Kenner des nikolaiitischen RuBland gemacht
hatten. Auch diese Arbeit fuhrte ihn in die russische Welt, wie sie sich nach dem
Tode der zweiten Katharina gestaltete. Er sah dabei, daB in der deutschen Ge-
schichtschreibung fiir die Geschichte Osteuropas eine Liicke klaffte, deren
Deckung sowohl wissenschaftliche wie politische und wirtschaftliche Interessen
Deutschlands forderten. Eine entsprechende Richtung nahmen seine Vor-
lesungen an der Universitat und der Kriegsakademie wie eine Reihe von
kleineren Publikationen. Den Erfolg bezeugten 1902 die Griindung des von ihm
geleiteten Seminars fiir Osteuropaische Geschichte durch den preuBischen Staat
und 1906 das Ordinariat an der Universitat mit dem gleichen Lehrauftrage
fiir ihn. 1902 veroffentlichte er einen Band »Neue Materialien zur Geschichte
Pauls I. und Nikolaus' I.«, die ein abschlieBendes Urteil iiber Pauls Untergang
und den Dekabristenaufstand von 1825 gaben. 1904 erschien der erste Band
seines Hauptwerkes, der » Geschichte RuBlands unter Kaiser Nikolaus I.« Ihn
fullte zunachst nur die Geschichte Alexanders I. als unentbehrliche Voraus-
setzung fiir das Verstandnis der folgenden Regierung Nikolais. Diese enthalten
die drei 1908, 1913 und 1919 erschienenen Bande. Sch.s Werk umfaBt also die
ganze Zeit, in der RuBland eine so tief in die Geschichte des europaischen
Staatensystems einschneidende Stellung einnahm, wie nie vorher und nachher.
Hier lag eine gewaltige Fiille russischen gedruckten Materials vor, meist in
Zeitschriften verstreut, zuletzt wohl auch in den russischen Werken von General
N. Schilder iiber Paul, Alexander I. und Nikolai I. zusammengefaBt, aber in
Deutschland zum groBten Teil noch unbekannt. Neues Material hat Sch. selbst
aus den Archiven in Berlin, Dresden,Wien, Paris, Petersburg und London geholt.
Sein Buch hat mit vielen Legenden auf geraumt, es laBt vor allem die Zusammen-
hange der groBen Politik in Europa klar erkennen. Russischerseits hat man
schon vor dem Weltkriege ihm den Vorwurf gemacht, daB es keine Geschichte
des russisches Volkes biete, sondern nur eine Geschichte der Dynastie und ihrer
volksfeindlichen Interessen sei. Man wird darin doch wohl mehr die russische
Unzufriedenheit mit der Tatsache zu sehen haben, daB RuBland eine absolute
Monarchic war, deren auBere und innere Politik ausschlieBlich der starke Wille
des Kaisers bestimmte. DaB Nikolai, indem er Europa vor den Damonen sozialer
Schiemann 2IQ
und staatlicher Zerstorung bewahren wollte, vor allem im eigenen Reich jede
Entwicklung unmoglich machte, dafi seine Prinzipien und seine »Konsequenz «,
zumal spater als Erbteil der schwacheren Nachfolger, viel dazu beigetragen
haben, die furchtbaren Katastrophen der russischen Gegenwart herbeizufiihren,
das laBt auch Sch.s Darstellung der inneren Politik des Kaisers deutlich er-
kennen. Aber sein Hauptziel war die Darlegung der Bedeutung des damaligen
RuBland fiir Europa, daher muBte die auswartige Politik iiberall im Vorder-
grunde stehen.
Neben der wissenschaftlichen Produktion, den Vorlesungen und der Leitung
des Seminars stand von Anfang seiner Berliner Zeit bis zuletzt Sch.s intensive
Tatigkeit als politischer Schriftsteller in der Tagespresse. 1887 bis 1893 war er
Berliner Korrespondent der »Mtinchener Allgemeinen Zeitung«. Als diese ein-
ging, ubernahm er die politische Wochenschau der »Kreuzzeitung« und schuf
hier ein journalistisches Vorbild der Berichterstattung iiber die auswartige
Politik, dessen Bedeutung und Wert in weiten Kreisen, besonders den politisch
und diplomatisch interessierten und informierten, innerhalb und auBerhalb
Deutschlands gewiirdigt wurden. Diese Leistung setzte eine sorgfaltige Infor-
mation an den maBgebenden Stellen Berlins und die Kenntnis der politischen
Presse RuBlands, Frankreichs und Englands voraus. Sch. wurde die Infor-
mation in weitgehendem MaBe geboten, weil man seiner Zuverlassigkeit und
seinem Takt voiles Vertrauen schenkte und darin nie getauscht ward. In den
spateren Jahren haben personliche Beziehungen zu Kaiser Wilhelm II., der sich
lebhaft fiir die russische Geschichte der beiden letzten Jahrhunderte inter-
essierte, das gefordert. Das MaB von Muhe und Zeit, das die journalistische
Arbeit verlangte, konnte freilich neben den wissenschaftlichen Leistungen nur
eine so erstaunlich ausdauernd und schnell schaffende Arbeitskraft aufbringen,
wie Sch. sie besaB. Dem akademischen Einwande, die intensive politische Tages-
arbeit vertrage sich nicht mit der fiir wissenschaftliche Forschung und Dar-
stellung notigen Objektivitat und Unabhangigkeit des Geistes, ist Sch. be-
gegnet. Er lieB sich dadurch nicht beirren. Auch in seiner Arbeit fiir die Tages-
presse sah er eine nationale Pflichterfullung, die die Grundsatze der kritischen
Methode und einer wahrheitsgemaBen Darstellung nicht beeintrachtige. Ein
ausgesprochener Parteimann ist er nie gewesen ; in der Gestaltung des deutschen
Parteiwesens sah er ein nationales Ungliick. Die Aufgabe, die er in erster Linie
seiner Berichterstattung | stellte, war die Beobachtung und Festlegung aller
Deutschland gefahrdenden Wendungen der Politik, wie sie im Verhalten der
russischen und franzosischen Regierung und ihrer Presse, in der Zweideutigkeit
Englands zu erkennen waren und durch die im Dunkeln an der Einkreisung
Deutschlands arbeitenden Krafte gefordert wurden. Die Artikel Sch.s (separat
in einer Reihe von Banden : » Deutschland und die groBe Politik « 1902 f f .) konnen
einer kommenden Geschichtschreibung die Erkenntnis der politischen Lage
Deutschlands in den Vorkriegsjahren erleichtern und dazu beitragen, dieVor-
bereitung der Deutschland im Kriege und nach dem Kriege vergiftenden Luge
von seiner Schuld am Kriege klar ins BewuBtsein der Welt zu bringen.
An Gegnern hat es Sch. nicht gefehlt. In den entscheidenden Tagen des
Kriegsausbruchs verweigerte die Kreuzzeitung, in der Sch. iiber 20 Jahre seine
Wochenschau auswartiger Politik veroffentlicht hatte, plotzlich und ohne Moti-
vierung die Aufnahme seiner Artikel. Eine sachliche Differenz laBt sich in den
220 1921
Auffassungen der Beziehungen zu RuBland und England sehen. Da lag ein Ge-
gensatz Sch.s zu den Kreisen vor, die bis zum Beginn des Krieges und auch noch
spater meinten, daB eine Verstandigung Deutschlands mit RuBland erreichbar
und in erster Linie zu erstreben sei. Sie sahen in den Artikeln Sch.s eine Er-
schwerung der Verstandigung. In der Tat hatte dieser langst erkannt, daB die
maBgebenden Manner der russischen Regierung und ebenso die ganze off entliche
Meinung des nationalen RuBland den Krieg gegen Deutschland und dessen staat-
liche Vernichtung oder mindestens vollige Schwachung unbedingt wollten, daB
deshalb alle Verhandlungen mit RuBland scheitern muBten und gerade diesem
Feinde gegenuber politische Riicksichten und Konzessionen nichts niitzten,
sondern nur die eigene Stellung schwachten. Er glaubte dabei, daB fur England
der altuberlieferte und im Orient so deutlich hervortretende politische Gegen -
satz zu RuBland bei weitem mehr bedeute als die wirtschaftliche, koloniale und
maritime Konkurrenz Deutschlands und daB daher die englische Politik, so
zweideutig sie war, sich zuletzt doch fur eine Neutralitat im Kriege Deutsch-
lands gegen RuBland und Frankreich entscheiden werde und man deutscher-
seits ihr diese Entscheidung moglichst erleichtern sollte. Die englische Kriegs-
erklarung hat Sch. wie manche andere politisch denkende Manner in Deutsch
land aufs starkste enttauscht.
Mit der Verschiedenheit politischer Auffassungen hat eine frivole Verleum-
dung nichts zu tun, die nach dem Tode Sch.s in den »Aufzeichnungen« ei-
nes ehemaligen Kaiserlichen Hofmarschalls, des Grafen Robert Zedlitz-
Triitzschler, hervorgetreten ist und in Anbetracht der Verbreitung des Buches
hier niedriger gehangt werden muB.
Der Verfasser erzahlt von einem Abend am Hofe, wo der Kaiser mit Staats-
sekretar v. Schoen und Professor Schiemann die politische Stellung des Deut-
schen Reichs zti RuBland und England eingehend erortert habe. Er f indet es merk -
wiirdig, daB der Kaiser »dem Russen Schiemann« ein nach Ansicht maBgebender
Kreise unberechtigtes Vertrauen schenke ; denn es stehe fest, daB Sch., der
finanziell immer in Schwierigkeiten sei, trotz seines angeblichen Russenhasses
sehr gute Beziehungen zu russischen off iziellen Kreisen unterhalte, namentlich zu
dem GroBfiirsten Konstantin. Da die politische Unzuverlassigkeit eines solchen
Mannes kaum zu beweisen sei, fiirchte der Staatssekretar des Auswartigen
Amtes, wenn er warnen wollte, unberechenbar impulsive Handlungen des Kai-
sers. Dieser hoffe, durch sein groBes Vertrauen Schiemann ahnlich wie den Ge-
heimrat Dr. Koser dafiir zu gewinnen, »Geschichte« in fiir ihn giinstigem Sinne
zu schreiben. DaB es moglich sein werde, bezweifelt der gewesene Hofmarschall.
Wir konstatieren gegenuber diesem verleumderischen Hofklatsch, daB ge-
rade das Auswartige Amt schon lange, bevor der Kaiser ihn personlich kannte,
seit den Tagen des Grafen Herbert Bismarck bis zuletzt, Sch. voiles Vertrauen
entgegengebracht hat und dazu durchaus berechtigt war, da seine Vergangen-
heit und Gegen wart of fen und klar vorlagen. Die » of f iziellen « Kreise in RuB-
land, zu denen er gute Beziehungen, zum Teil noch aus seiner baltischen Zeit
stammend, unterhielt, waren bekannte Gelehrte, wie der Akademiker Kunik,
die Professoren Bilbassow und Lappo-Danilewski, derDirektor der Of f entlichen
Bibliothek General N. Schilder, der als Geschichtsforscher bekannte Prasident
der Kaiserlichen Gesellschaft fiir Geschichte und Geographie GroBfiirst Nikolai
Michailowitsch (nicht GroBfiirst Konstantin Konstantinowitsch, der Prasident
Schiemann 221
<ier Akademie der Wissenschaften war) u. a. Diese Beziehungen waren in Berlin
bekannt, ebenso Sch.s Audienz beim Zaren und seine langere Unterhaltung mit
diesem. Sie haben nie eine politische Bedeutung gehabt, wohl aber Sch.s Arbeit in
russischen Archivenund Bibliotheken wesentlich erleichtert. Die russischen Ge-
lehrten verkannten bei aller Verschiedenheit der Urteile und Auffassungen
nicht die Wahrhaftigkeit und den wissenschaftlichen Ernst der Forschung Sch.s
und verschlossen sich nicht der Erkenntnis, daB der auch von ihm angestrebte
Internationale Zusammenhang der historischen Forschung, den der Deutsche
Kaiser stets lebhaf t gefordert hat, der russischen Wissenschaf t nur niitzen konnte.
Die Tatsache aber, daB Sch. friiher als russischer Untertan gegen die Verge-
waltigung des Deutschtums in den baltischen Provinzen gekampft hatte und
spater als preuBischer Untertan oft russische Regierungsmaximen vejurteilte,
die Willkiir der russischen Bureaukratie scharf kennzeichnete und vor dem
GroBenwahn und den Zielendes Panslawismuswarnte, war im alten Petersburg
mit einem wissenschaftlichen Verkehr durchaus vereinbar. Einen »Russen-
haB« verboten Sch. sowohl seine historische Bildung wie seine humane Ge-
sinnung. Die gehassige Verbindung der russischen Beziehungen mit finanziellen
Schwierigkeiten geht aus der Voraussetzung hervor, daB, wer ohne Vermogen
sich und seine Familie nur durch eigene Arbeit erhalt und dabei pekuniare
Schwierigkeiten zu iiberwinden hat, stets durch Geld zu beeinflussen ist. Wir
halten eine solche Voraussetzung fur verwerflich und sehenin Sch.s unbedingter
Ehrenhaftigkeit keinen Ausnahmefall, sondern etwas Selbstverstandliches fur
jeden anstandig denkenden Menschen.
Zu Sch.s personlichem Verkehr mit dem Kaiser fuhrte dessen Interesse fur
die Geschichte der seinem Hause so nahe stehenden russischen Monarchen,
vielleicht auch mancher Artikel in der Kreuzzeitung. Eine absichtliche Be-
einflussung schlossen beim Kaiser sein Verstandnis und seine Achtung der
geistigen Unabhangigkeit des Historikers aus. Sch. selbst lagen gewiB die deut-
schen Interessen seiner Heimat immer am Herzen, aber er war iiberzeugt, daB der
Kaiser die inneren Verhaltnisse RuBlands wohl kennen, doch vor dem Rriege
nie in sie politisch eingreifen wollte und daher jeder Versuch einer dahin gehenden
Einwirkung hochst unangebracht und taktlos gewesen ware. Erst im Verlauf
des Krieges schien es ihm moglich und geboten, Darlegungen in diesem
Sinne vorzustellen. 1918 schien die Bestimmung Sch.s zum Kurator der rein
deutsch wiedererstehenden Universitat Dorpat ihn dauernd in die alte Heimat
zuruckzufuhren. Es ist bekannt, wie alle baltischen Traume an der Schwelle
ihrer Verwirklichung zerschellten.
Die deutsche Katastrophe warf Sch. nieder: »Alles, wofiir ich gelebt und ge-
arbeitet habe, was ich Hebe und wofiir ich kampfte, liegt am Boden, und es
bleibt die bange Frage, ob es sich je wieder aufrichten wird.« Er wuBte, daB er
selbst die Antwort der Geschichte nicht horen werde ; aber er hatte — wie einst
Treitschke in weniger schlimmen Tagen — »die ratselhafte Kunst, am Vater-
lande zu verzweifeln« nicht gelernt. Der feste Glaube an die Zukunft Deutsch-
lands, an den Sieg der Wahrheit hob ihn empor und hielt ihn aufrecht. Er ver-
mochtetrotz der furchtbaren seelischen Erschiitterung sein Werk iiber Nikolai I.
zum AbschluB zu briugen. — Er hat das kaiserliche, das groBe Deutschland ge-
liebt und dafiir gelebt und in der Revolution nur Verderben gesehen. Unver-
briichliche Treue fiir Kaiser und Reich haben ihn bis ans Grab geleitet.
222 1921
Lit era tu r: Album Academicum, Dorpat 1889. — Beitrage zur russischen Geschichte,
Festschrift fiir Theodor Sch., S. Ill f ., Berlin 1907. — Sch.s Schriften. — Briefe und
genaue personliche Bekanntschaft. — Ein Nachruf desselben Verfassers in: ^Deutsche
Post aus dem Osten«, 1921, Nr. 13 vom 2j.Marz. — Auskunft iiber den literariscben
NachlaB zu erfragen bei Frau Geheimrat Lina Schiemann, geb. v. Mulert, Berlin-
Lichterfelde, ZiethenstraCe 2.
Rostock Oskar Stavenhagen.
Schjerning, Otto v., Prof. Dr. mtd., Kgl. preuB. Generalstabsarzt der Armee
a. D. mit dem Range als General der Infanterie, * in Eberswalde am 4. Ok-
tober 1853, f in Berlin am 28. Juni 1921. — Hervorgegangen aus dem Joachims-
thalschen Gymnasium, gehorte Sch. vom 25. April 1873 bis 15. Februar 1877
dem Kgl. PreuB.. Friedrich-Wimelms-Institut in Berlin (der spateren Kaiser-
Wilhelms-Akademie fiir das militararztliche Bildungswesen) an, promovierte
am 9. Februar 1877 zum & r - *ned-, wurde am 16. Juli 1878 zum Assistenzarzt
befordert und gelangte 1885 nach einigen Jahren truppenarztlicher Tatigkeit
und Verwendung beim Korpsarzt des Gardekorps in die Medizinalabteilung des
PreuB. Kriegsministeriums. An diesem Mittelpunkt der Arbeit fiir das Heeres-
sanitatswesen hat er 20 Jahre als Referent und spater als Abteilungschef ge-
wirkt. Im Jahre 1905 wurde er als Generalstabsarzt der Armee Chef des PreuB.
Sanitatskorps und der Medizinalabteilung des PreuB. Kriegsministeriums,
Direktor der Kaiser- Wilhelms-Akademie fiir das militararztliche Bildungs-
wesen und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Senates bei dieser Akademie.
1906 wurde er zum ordentlichen Honorarprofessor der medizinischen Fakultat
der Universitat Berlin ernannt, erhielt 1907 den Rang als Generalleutnant, 1909
aus AnlaB der Eroffnung des unter seiner Leitung erxichteten Offizierheims
Taunus in Falkenstein den erblichen Adel und 1915 im Kriege den Rang als
General der Infanterie. Er war ordentliches Mitglied der PreuBischen Wissen-
schaftlichen Deputation fiir das Medizinalwesen und Senator der Kaiser-Wil-
helms-Gesellschaft zur Forderung der Wissenschaften. Wahrend der Dauer des
Weltkrieges war er Chef des Feldsanitatswesens im GroBen Hauptquartier.
Die Iyeistungen des Sanitatswesens im Weltkriege kronten die Lebensarbeit
v. Sch.s. Findet man doch wahrend der mehr als 30jahrigen Zeit seiner Wirk-
samkeit wohl in alien Zweigen der Organisation des Friedens- und des Kriegs-
sanitatswesens seine Spuren und die erzieherische Einwirkung seiner Fuhrer-
hand, sei es in der inneren Regelung des Lazarettbetriebes, sei es bei L,azarett-
neubauten, bei der Schaffung von Genesungsheimen fiir Offiziere und Mann-
schaften, von Lungenheilstatten, von Erholungsheimen fiir Unteroffiziers-
familien, bei der Einrichtung von groB angelegten Laboratorien und Depots, bei
der Truppenhygiene, bei der Fortbildung der Sanitatsoffiziere und derHeran-
bildung ihres Ersatzes. Eine freie griindliche arztliche Ausbildung des Nach-
wuchses und wissenschaftliches Arbeiten und Streben der Sanitatsoffiziere be-
trachtete v. Sch. mit Recht als wichtigste Grundlage fiir einen wirksamen und
durchgreifenden Sanitatsdienst und unerlaBliche Vorbedingung fiir dessen zeit-
gemaBes Fortschreiten. Aus dieser tjberzeugung heraus forderte er die dauernde
Vervollkommnung der Kaiser-Wilhelms- Akademie fiir das militararztliche Bil-
dungswesen und hielt enge Fiihlung mit Universitaten und Praxis, besonders
auch durch Fortbildungskommandos von Sanitatsoffizieren zu Universitats-
anstalten und zu Krankenhausern.
Schiemann. Schjerning 223
So hob er allmahlich die wissenschaftlich-praktische Tatigkeit im Heeres-
sanitatsdienst immer mehr, brachte das reiche wissenschaftliche Material des
Truppen- und Lazarettdienstes zu steigender Ausnutzung und machte es
weiteren Kreisen zuganglich. Hinge wiesen sei auf die fortlaufenden Veroffent-
lichungen aus dem Gebiete des Militarsanitatswesens, die Arbeiten aus den
hygienisch-chemischen Untersuchungsstellen, anf die Bibliothek von Coler-
v. Sen., ferner auf die Anregung und Durchfiihrung von Schieflversuchen und
von umfangreichen Studien iiber die Physiologie des militarischen Dienstes.
v. Sch. sah in dem Sanitatsoffizier nicht nur den Arzt der Soldaten, sondern zu-
gleich den Sozialhygieniker, fur den es zwischen Volk und Heer keine Grenzen
gibt. Als Gebiete der Volkswohlfahrtspflege, auf denen v. Sch. sich besonders
wirksam betatigte, seien nur genannt die Sauglingsfiirsorge, die Schulgesund-
heitspflege, die Zahnpflege in den Schulen, die Bekampfung der Geschlechts-
krankheiten, die Bekampfung der Tuberkulose als Volkskrankheit, dieFiirsorge
fiir unbemittelte Nervenkranke. Weit iiber den Kreis seiner Beruf s- und Standes-
genossen hinaus erfreute er sich hoher Wertschatzung und sein Rat war bei
vielen Fragen der allgemeinen Volksgesundheit und -fiirsorge von schwerwie-
gender Bedeutung. Im Auslande war seine Personlichkeit vielf ach bekannt und
geschatzt. Auf internationalen Kongressen und sonstigen Veranstaltungen war
er stets der Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit und vielfacher auBerge-
wohnlicher Ehrungen.
v. Sch. hat sich selbst stets auf der Hohe wissenschaftlichen Fortschrittes ge-
halten und bei aller Hemmung durch die gewaltige Groi3e seiner Verwaltungs-
arbeit immer noch Zeit zu eigenen wissenschaftlichen Arbeiten gefunden. Hier
seien genannt seine Untersuchungen iiber Selbstmord in Volk und Heer, seine
Arbeit iiber die Grippe-Epidemie im deutschen Heere 1889/90, mannigfache
Arbeiten iiber Feuerwaffen und SchuBverletzungen, iiber Verwertung der
Rontgenstrahlen in der Medizin, iiber das Vorkommen der Tetanuserreger in
der Fiillung der Platzpatronen. Von besonderer Bedeutung und wissenschaft-
lichem Dauerwert sind seine sanitatsstatistischen Betrachtungen iiber Volk und
Heer, die gerade fiir die Zeit ihrer Entstehung (1910) wichtige Unterlagen fiir
viele Fragen der Volkswirtschaft und besonders fiir die Beurteilung der Wehr-
kraft des deutschen Volkes darboten. Der kronende AbschluB seiner wissen-
schaftlichen Arbeiten ist das groflangelegte Handbuch der arztlichen Erfah-
rungen im Weltkriege, das er lange vor Kriegsende ins Auge faJ3te und fiir das
er in seiner weitblickenden Art die organisatorischen Vorarbeiten in muster-
giiltiger Weise geleistet hat. Die Manuskripte hat er noch kurz vor seinem Tode,
schon schwer leidend, mit groBer Liebe und Sorgf alt selbst durchgearbeitet. Das
Handbuch ist das bleibende Denkmal fiir die Leistungen des Sanitatsdienstes
im Weltkriege, denen v. Sch.s organisatorische Kraft und personliche Tatkraft
die Wege geebnet hat, und denen er auf diesen Wegen der unermiidliche Fiihrer
war. Fiir seine Verdienste hat ihm im Jahre 1916 die Preui3ische Akademie der
Wissenschaften die goldene Leibniz-Medaille zuerkannt.
Literatur: Schultzen, O. v. Sch. zum Gedachtnis, im Handbuch der arztlichen Er-
fahrungen im Weltkrieg, Bd. I. — Derselbe, Zn O. v. Sch. Abschied, in Militararzthche
Zeitschrift 1919, Heft 1 und 2. — Derselbe, Nachruf , in Deutsche Medizinische Wochen-
schrift 1 92 1.
Berlin-Steglitz. Wilhelm Schultzen.
224 I921
Schmiedeberg, Oswald, Professor der Pharmakologie an der Universitat zu
StraBburg i. E., * in Laidsen (Kurland) am n. Oktober 1838, f den 12. J11H1921
in Baden-Baden. — Sch. entstammte einer kurlandischen Forsterfamilie, ver-
brachte nach der Eltern Ubersiedlung nach Estland seine Jugend in Dorpat,
besuchte dort das Gymnasium und darauf die Universitat zum Medizinstudium.
Am 6. April 1866 ward er zum Doktor promo viert auf Grund einer unter Buch-
heims Leitung ausgefiihrten Arbeit iiber Bestimmung und Verhalten des
Chloroforms im Blut. Kurz darauf wurde Sch. Assistent am Pharmakologischen
Universitatsinstitut, nach zwei weiteren Jahren (1868) Privatdozent und im
Mai 1869, als sein Lehrer Buchheim nach GieBen war berufen worden, zu dessen
Nachfolger ernannt als Professor der Pharmakologie, Diatetik und Geschichte
der Medizin.
Neben Buchheim waren es namentlich der Chemiker Karl Schmidt und der
Physiologe Friedrich Bidder — beide beruhmt durch ihre grundlegende Arbeit
iiber die epidemische Cholera — sowie in Leipzig Karl Ludwig, die auf Sch.s
wissenschaftliche Entwicklung eingewirkt haben ; gleich nach seiner Ernennung
zum Professor hatte er namlich einen einjahrigen Urlaub genommen, um in
Karl Ludwigs Schule die Meisterschaft des physiologischen Experimentierens
zu erlangen. In Leipzig trat er auch in einen Kreis hervorragender j lingerer Ge-
lehrter, wie u. a. Bohm, Bowditch, Htifner, Miescher, mit denen ihn in der
Folge dauernde Freundschaft verbunden hat. Als 1872 die deutsche Univer-
sitat in StraBburg gegriindet wurde, ward unter den hervorragendsten Ge-
lehrter Deutschlands auf Karl Ludwigs Empfehlung hin auch Sch. berufen:
hier ist er als der Einzige von ihren Griindern bis zur Auflosung und Vertrei-
bung der deutschen Hochschule durch die Franzosen tatig geblieben.
Als auBeres Denkmal seines bedeutenden Wirkens in StraBburg hat Sch. das
nach seinen bis in alle technischen und kiinstlerischen Einzelheiten durch-
dachten und genauen Angaben von dem Architekten Warth erbaute pharma-
kologische Institut hinterlassen. Eine von ihm selbst verfaBte Beschreibung
nebst GrundriB und Abbildung findet sich in dem Werk von S. Hausmann, »Die
Kaiser- Wilhelm-Universitat StraBburg «, StraBburg 1897.
Um die Zeit des StraBburger Anfangs war die Pharmakologie noch ein fast
nirgends sonst gepflegter, ja kaum gekannter und beachteter, oft auch wirk-
lich vertrockneter Zweig der medizinischen Wissenschaft ; und das von Buch-
heim 1847 gegriindete experimentell-pharmakologische Institut in Dorpat war
viele Jahre lang das einzige seiner Art geblieben. Erst seit den 7oer Jahren
wurden an den deutschen Hochschulen solche Laboratorien eingerichtet, und
gegenwartig findet sich kaum eine Universitat in der Welt, an der nicht eine
gut ausgestattete pharmakologische Lehrkanzel besteht : f riiher ein kaum be-
achtetes Nebenfach, ist die Pharmakologie heute als ebenbiirtige Schwester
der Physiologie und der Pathologie iiberall anerkannt. Dieser Umschwung ist in
erster Linie dem Wirken Sch.s zuzuschreiben, was sich unter anderm auch darin
ausdnickt, daB gegen vierzig von den pharmakologischen Lehrstuhlen des In-
und Auslandes von seinen unmittelbaren Schiilern besetzt worden sind, ein Er-
folg, wie ihn von Lehrern eines theoretischen Faches der Medizin vielleicht nur
noch K. Ludwig oder R. Koch erlebt haben. Sch.s Laboratorium in StraBburg
ward bald der Sammelpunkt zahlreicher jungerGelehrter, die aus dem In- und
Auslande zustromten : sie bildeten die Pioniertruppen, die unter seiner sicheren
Schmiedeberg 225
Fiihrung die weiten, noch unbebauten Gebiete der Pharmakologie erschlieBen
half en. Die Frucht dieser gemeinsamen Arbeit ist in iiber 200 Abhandlungen fast
ohne Ansnahme in dem von Sch. im Verein mit Naunyn und Klebs begriindeten
»Archiv fur experimentelle Pathologie und Pharmakologie « (Vogel, Leipzig)
niedergelegt worden. Das Allerwichtigste davon sei im folgenden angefuhrt.
Schon seine erste wissenschaf tliche Arbeit iiber das Verhalten des Chloroforms
im Bint gab Sch. den AnstoB zu einer ganzen Reihe weiterer Untersuchungen iiber
die Pharmakologie des Chloroforms und der ihm verwandten Stoffe aus der Gruppe
des Alkohols. Darunter wurde besonders bedeutsam die Arbeit iiber Wirkung
und Anwendung einiger Carbaminsaureester ; Sch. behandelte darin die grund-
satzliche Frage nach der Abhangigkeit der Wirksamkeit von dem chemischen
Aufbau der Pharmaca, indem er den einzelnen Atomgruppen im ganzen Molekiil
jeweils ihre besondere Ein wirkung innerhalb der Gesamtwirkung des Stof f es zu-
schrieb. Dieser Vorstellung entsprang die Anregung zur experimentellen Priif ung
und darauffolgenden klinischen Einfiihrung des Paraldehyds, des Amylenhy-
drats und vor allem des Urethans, das dannspater die langeFolgehypnotisch wir-
kender Harnstoffabkommlinge nach sich zog. Auch die bekannte Ehrlichsche
Seitenkettentheorie geht auf diese Sch.sche Grundvorstellung zuriick.
Eine andere Reihe grundsatzlich wichtiger Fortschritte in der Pharmakologie
hat ihren Ausgang genommen von der klassischen Untersuchung Sch.s iiber das
Muscarin, das Gift des Fliegenschwammes (1869) und die daran ankniipfenden
Studien iiber die Nikotineinwirkung am Herzen. Die Muscarinarbeit ist ein un-
ubertroffenes Muster einer pharmakologischen Drogenuntersuchung, sowohl in
bezug auf die chemische Auffindung und Darstellung des bislang unbekannten
wirksamen Stoffes, wie in der planvollen und kritischen Experimental-
prufung seiner Wirkungen. AuBer dem in solcher Art zum erstenmal erkannten,
toxikologisch wie therapeutisch wichtigen wechselseitigen Antagonismus
zwischen Muscarin und Atropin haben diese Untersuchungen sehr wesentlich die
Kenntnis von der Herzinnervation und den vagalen Hemmungsvorrichtungen
im Herzen gefordert. Eine andere, der Muscarinarbeit in der Schwierigkeit des
Vorwurfs wie in dessen meisterhafter Behandlung, endlich auch in ihrer prak-
tischen Tragweite ebenbiirtige Untersuchung betrifft die Darstellung der wirk-
samen Digitalisstoffe und die experimentelle Analyse ihrer Wirkungen auf das
Herz. Sch.s chemische, durch die pharmakologische Priifung schrittweis ge-
leitete Untersuchung der Digitalisbestandteile lieferte die erste wichtige und
bis heute noch haltbare Grundlage der iiber aus schwierigen Digitalischemie,
auf der alle spateren Forscher weitergearbeitet haben. Eine zusammenfassende,
auch geschichtlich geschmuckte Abhandlung iiber die Chemie und Pharmakologie
der ganzen »Digitalisgruppe« hat Sch. im 16. Band seines Archivs gegeben.
Mehrfache Erganzungen sind dann spater durch die Arbeiten seiner Schiiler
hinzugekommen.
Eine groBe Zahl von Untersuchungen des Sch.schen Laboratoriums betrifft
die Pharmakologie des Koffeins und der ihm verwandten Purinkorper; sie
fuhrten unter anderem zu der genaueren Kenntnis und Aufklarung der die
Muskelarbeit fordernden und den Harn treibenden Wirkung der meisten dieser
Stoffe. Unter Sch.s Anregung und unter den von ihm gegebenen fest leitenden
Gesichtspunkten sind ferner von seinen Mitarbeitern und Schulern die meisten
der theoretisch oder praktisch wichtigen organischen und unorganischen Arznei-
DBJ 15
226 1921
stoffe und Gifte planmaBig bearbeitet worden; so insbesondere auch die
Schwermetallverbindungen, iiber welche die alteren, mit sehr fehlerhaiten
Methoden ausgefiihrten toxikologischen Untersuchungen zu ganz wider-
sprechenden Ergebnissen gefuhrt hatten. Durch die von Sch. eingefuhrte Ver-
wendung »komplexer« Metallverbindungen gelang es, die sonst unvermeidlichen,
atif unmittelbare Eiweiflbindung bernhenden, ortlichen Wirkungen abzu-
trennen und die bis dahin gar nicht klar analysierten Fernwirkungen nach Be-
lieben unvermischt hervorzunifen.
Die Ergebnisse all dieser Arbeiten hat Sch. in seinem in fast alle Kultur-
sprachen iibersetzten »GrundriB der Arzneimittellehre* 1883 (7- Auflage 1914)
verwertet. In der bedeutsamen Einleitung des Werkes entwickelt Sch. seine
grundsatzlichen, in der Folge allgemein angenommenen und erweiterten An-
schauungen von der Art der pharmakologischen Wirkungen iiberhaupt ; unter
dem Begriff chemisch-pharmakologischer Wirkung versteht er nicht nur im
engeren Sinne »chemische«, sondern vor alien Dingen auch »molekulare« Vor-
gange, wie sie uns z. B. bei der Bildung der Losungen entgegentreten, d. h. also
Vorgange, welche in das Gebiet der »physikalischen Chemie« fallen. Der Ab-
schnitt iiber »Einteilung der pharmakologischen Agentien und Arzneimittel «
behandelt den Wert und die Unentbehrlichkeit einer nach seines Lehrers
Buchheim Vorgang (1856) durchgefuhrten Systematik, d. h. Zusammenfassung
der in ihren Grundwirkungen und pharmakologisch bedeutsamen Eigenschaf ten
einander ahnlichen Stoffe zu Gruppen eines »naturlichen Systems*, ahnlich
wieetwain der Pflanzenkundedas natiirliche System der Pflanzenfamilien. Fur
die Zwecke einer praktischen Arzneimittellehre ist ein solches System aller-
dings nicht durchgehends verwendbar, wohl aber unerlaBlich fiir Zwecke der
Forschung.
Der knappe, strenge Stil des Sch.schen »Grundrisses«, der sowohl die Fulle
der Tatsachen selbst wie ihre kritische Erorterung in gedrangter Kiirze dar-
bietet, verlangt die voile Aufmerksamkeit und ernste Hingabe des Lesers, um
den gedankenreichen Inhalt zu erfassen und auszuschopf en ; dem Denkenden
aber gibt dieses Meisterwerk die wissenschaftlich gesicherten Beobachtungen
der analysierenden Pharmakologie in verstandlicher und Richtung weisender
Darstellung ; es bildet zugleich die beste Widerlegung des Vorwurf s, der gegen
Sch.s Schule ist erhoben worden, als kummere sie sich nicht um die Forderungen
der praktischen Medizin und lehne die Beziehung zur Therapie grundsatzlich
ab: im Gegenteil, diese notwendige Beziehung wird von Sch. ausdnicklich
hervorgehoben und in vielen erklarenden Hinweisen fiir die Praxis nutzbar
gemacht. Ubrigens hat Sch. sein lebendiges Interesse an praktisch-arztlichen
Fragen bei den Beratungen des Reichsgesundheitsamts iiber medizinische
Gesetzgebung, iiber das Arzneibuch, iiber gewerblich-hygienische Gegenstande
u. a. m. mit seiner personlichen, durch Sachkunde und lauteres Urteil ausge-
zeichneten Betatigung noch bis in die allerletzte Zeit bewiesen.
Wenn nach dem bisher Gesagten Sch. der bahnbrechende Vorkampfer und
Vorarbeiter der Pharmakologie war, und er selbst es auch als seine wesentliche
Lebensaufgabe betrachtete, dieser Disziplin die gesicherte wissenschaftliche
Grundlage und Abgrenzung zu geben, sowie ihr den notwendigen und gebuhren-
den Anteil an dem Unterricht und der Ausbildung der Arzte zu erringen, so
gehorte doch seine innerste personliche Neigung nicht so sehr der experimentell-
Schmiedeberg 227
pharmakologischen als der physiologischen,insbesondere der physiologisch- und
pathologisch-chemischen Forschung ; und ihr verdankt die Wissenschaft reiche
Priichte seiner tiefgriindigen Arbeiten tiber den nonnalen und den pathologisch
oder pharmakologisch veranderten Stoffwechsel und Chemismus der Gewebe.
Von Sch.s Arbeiten aus diesem Gebiet hebe ich zunachst die in Gemeinschaft
rnit G. v. Bunge durchgeftihrte Untersuchung iiber die Bildung der Hippursaure
in der Niere des Hundes hervor, die im Verein mit seiner spateren Entdeckung
des hydrolytischen Histocyms in der Niere sowie der Oxydase in Lunge und
anderen Organen die methodische Grundlage bildet zu alien weiteren Unter-
suchungen iiber den Stoffwechsel in tierischen Organen.
Sch. hatte schon viel fruher (1877) eines der wichtigsten allgemeinen Stoff-
wechselprobleme in Angriff genommen, auf das ihn die bereits 1871 noch in
Dorpat gemachte Beobachtung gefuhrt hatte, da£ der saure Harn der Fleisch-
f resser nach selbst sehr reichlicher Zufuhr von kohlensaurem Ammon nicht wie
nach entsprechender Fiitterung mit Soda alkalische Reaktion annimmt. Mit
der ihm eigenen Hellsichtigkeit vermutete Sch., dai3 das Ammonkarbonat in
Harnstoff umgewandelt werde, und veranlaBte entsprechende Versuche, die in
der Tat die erwartete Bestatigung brachten. In engem Zusammenhang mit
dieser grundsatzlich wichtigen Frage nach der Harnstoffbildung stand die
gleichzeitig in Angriff genommene Untersuchung iiber die Wirkung der Sauren
auf den tierischen Korper. Es ergab sich, daJ3 Pflanzenfresser leicht,
Fleischf resser viel schwerer durch Saurezuf uhr unter Lahmungserscheinungen
zu vergiften sind, und zwar weil letztere imstande sind, die Saure zum Teil
durch Ammoniak unter Ablenkung von der oben nachgewiesenen Harnstoff-
bildung zu neutralisieren und so die lebenswichtigen Alkalikarbonate des
Blutes und der Gewebe zu sparen. Dieser wichtige Fund hat dann zu der folgen-
schweren Entdeckung der Saurevergiftung im diabetischen Koma und zu der
oft lebensrettenden Behandlung durch Alkalieinlauf gefuhrt.
Die gelegentlichen Untersuchungen iiber das Schicksal verf iitterten Kampf ers
beim Hunde fuhrte zur Entdeckung der dem Zucker verwandten Glykuron-
saure ; dieselbe Saure f and Sch. spater als Paarling in der Chondroitinschwefel-
saure, einem von Sch. aufgefundenen wesentlichen Bestandteil des Knorpel-
gewebes. Auch das Problem der Zuckerharnruhr hat Sch. lange beschaftigt, und
zwar vom ersten Beginn bis zum letzten Ende seiner wissenschaftlichen Be-
tatigung: noch in Dorpat (1869) machte er mit seinem Schuler Senff die Ent-
deckung des »Kohlenoxyd-diabetes«; und in der allerletzten seiner Arbeiten
(1921) fafit der 82jahrige Forscher seine Anschauungen tiber das Wesen des
Diabetes mellitus in eine eigene, mit lebhafter Uberzeugungskraft vorgetragene
Theorie zusammen. Bis in die letzten Lebensjahre hat ihn auch die Chemie der
stickstoffhaltigen Kohlehydratverbindungen der EiweiBstoffe erfolgreich be-
schaftigt. Kleinere Gelegenheitsarbeiten liefen nebenher, so die Darstellung
reiner Nuklei'nsaure ; die Analyse der sogenannten ParamiBkristalle ; des
Onuphins aus den Wohnrohren der Onuphis tubicola; des Sinistrins, eines
dextrinahnlichen, aber linksdrehenden pflanzlichen Kohlehydrats u. a. m. ;
ebenso auch seine geschichtlichen und kritischen Arbeiten iiber GenuBmittel,
iiber Zichorie, iiber Weine und Kunstweine usw. » .'
Seit seiner fruhen Jugendzeit bekundete Sch. ein lebhaftes und tiefes Inter-
esse fiir Malerei und Architektur; mit der unmittelbaren Freude des Genusses
228 1921
paarte sich ihm die einer griindlichen Kennerschaf t, die er sich durch eingehende
Studien an den Kunststatten Italiens und Spaniens erworben hatte. Auf der
Grundlage seiner guten humanistischen Schulung und Erziehung f ufiend, hatte
Sch. sich auch die Hochschatzung und das Verstandnis der alten Sprachen und
ihres Schrifttums bewahrt. In seinen Arbeiten finden sich oft Belege geschicht-
licher und sprachlicher Quellenstudien, und noch als Achtzigjahriger hat Sch.
eine gelehrte, geschichtlich und sachlich ebenso lehrreiche wie anziehende Ab-
handlung iiber die Pharmaca in der Ilias und Odyssee verdffentlicht.
Sch.s Vortrag war wie sein Stil niichtern, gedrungen, sehr inhaltreich und von
iiberlegenem, sehr bestimmt gefaBten Urteil; er war deshalb trotz des Ver-
zichtes auf alien Redeschmuck und Glanz immer hochst eindrucksvoll und von
nachhaltiger Wirkung. Bei der Erorterung wissenschaftlicher oder auch poli-
tischer und anderer Fragen im Gesprach lieB Sch. sich kaum auf weitlaufige
Widerlegung entgegenstehender Ansichten oder Einwiirfe ein, sondern gab in
einigen markigen Satzen seiner Meinung entschiedenen Ausdruck. Es war nicht
seine Sache und auch nicht seine Absicht, auf fremde Gedankengange einzu-
gehen — in dieser Einseitigkeit oder Starrheit lag wohl auch ein Teil seiner
zielbewufiten Kraft und seines Erfolges als Neugestalter und Neubegrunder der
Pharmakologie und als Haupt seiner zu strenger Gewissenhaftigkeit und Wahr-
haftigkeit erzogenen Schule. Seine ihm in groBer Verehrung ergebenen Schiiler
haben ihm zu seinem 70. Geburtstage einen Band des Archivs fur experimen-
telle Pathologie und Pharmakologie (1908) als Festschrift gewidmet: sie ent-
halt 59 Arbeiten, davon die groBere Halfte von auslandischen Schiilern. Unter
den vielen wissenschaftlichen Ehrungen, die Sch. erwiesen worden, hebe ich
seine Aufnahme in die PreuBische Akademie der Wissenschaften hervor, der er
als korrespondierendes Mitglied seit dem 28. Juli 1910 angehorte.
Sch. ist unverheiratet geblieben, er lebte nur seiner Wissenschaft und alien-
falls dem Verkehr mit seinen Freunden, so mit dem Botaniker Graf Solms, mit
B. Naunyn, mit Hiifner in Tubingen und vor allem mit Miescher in Basel. Von
seinen Angehorigen lebt nur noch sein Bruder, friiher Forstmeister in Estland;
bei ihm auf dem I^ande hat Sch. gern einen Teil seiner Ferien zugebracht.
Literatur: Ein Verzeiclinis von Sch.s Arbeiten findet sich in dem vorerwahnten Fest-
bande (Archiv fur experimentelle Pathologie und Pharmakologie, 1908) ; die spater er-
schienenen sind am Ende einer ausfuhrlichen Besprechung seines Gesamtwerkes im
92. Bande desselben Archivs (1922) aufgefuhrt. Eine treffende Schilderung von Sch.s
menschlicher Personlichkeit hat sein Freund B. Naunyn im 90. Band (192 1) niedergelegt.
Wien. Hans Horst Meyer.
Schonerer, Georg Ritter v., * in Wien am 17. Juli 1842, f x 4- August 1921 in
SchloB Rosenau (Niederosterreich). — Der Vater Matthias hatte sich als oster-
reichischer Ingenieur und Eisenbahnerbauer hervorgetan, war dafiir geadelt
worden und hatte Gut und SchloB Rosenau im niederosterreichischen Wald-
viertel angekauft, wo sich der Sohn Georg nach seiner Schulzeit und landwirt-
schaftlichen Ausbildung zu Wien, Dresden, Tubingen, Hohenheim und Ung.-
Altenburg, dann auf den Gutern des Fiirsten Schwarzenberg und des Erzherzogs
Albrecht, niederlieB, das Gut zu einer Musterwirtschaft ausgestaltete und
nimmermude durch Vortrage, Schaf fung von landwirtschaftlichen Vereinen und
Feuerwehren, durch Wohltaten usw. die Wohlfahrt der Bevolkerung im ganzen
Schmiedeberg. Schonexer 229
Bezirke forderte. Die Stadt Zwettl ernannte ihn zum Ehrenbiirger und ent-
sandte ihn am 14. Oktober 1873 in den Reichsrat. Dort trat er der Deutsch-
liberalen Partei bei ; die verderbten parlamentarischen Zustande und das matte
DeutschbewuBtsein dieser Partei veranlaBte ihn aber schon nach drei Jahren
zum Mandatsverzicht. Seine Wahler schickten ihn jedoch neuerlich in das
»Hohe Haus« und iibertrugen ihm auch ein Landtagsmandat, das er fiinf Jahre
eifrig ausiibte.
Dem Reichsrate gehorte er bis 1888 an, wo er durch einen auch von Gegnern
als Justizmord erklarten Machtspruch zu vier Monaten schweren Kerkers und
Adelsverlust verurteilt wurde. Im Jahre 1897 wahlten ihn die Egerer Land-
gemeinden ohne sein Zutun wieder in den Reichsrat, aus dem er 1907 nach Ein-
fuhrung des allgemeinen, gleichen, unmittelbaren Wahlrechtes, das er aus
volkischen Griinden aufs scharfste bekampft hatte, als »mahnendes Gewissen
des Parlamentes« endgiiltig schied.
Den Abend seines Lebens verbrachte er vollstandig zuriickgezogen auf
seinem Schlosse. Seine Frau Philippine, mit der er sich 1879 vermahlt und die
ihm einen Sohn Georg und drei Tochter geschenkt, war 1913 gestorben, sein
Augenlicht schwand unerwartet rasch, sein geliebter Sohn fiel samt Frau fast
zur selben Stunde einer todlichen Grippe zum Opfer, dazu die Folgen des deut-
schen Zusammenbruches, die ihn tief erschutterten, so erwartete er sein Ende
freudlos, aber trotzig heldisch. Sein Leib wurde nach Aumuhle im Sachsenwalde
iiberfuhrt, wo er am 1. April 1922 feierlich beigesetzt wurde und nun in der
Nahe des von ihm iiber alles verehrten Fiirsten Bismarck schlaft. Sein Grab
schmiickt eine Platte mit dem von ihm erwahlten Spruch : » Georg Ritter v. Sch.,
ein Kampfer fur All3eutschland.«
Sch. war nicht »ein deutschnationaler Abgeordneter« schlechtweg, wie so
viele andere, sondern ein volkischer Fiihrer, der noch mehr als im Parlament,
auBerhalb wirkte, der dem deutschen Volk in Osterreich erst zum BewuBtsein
brachte, daB es ja ein Teil des groBen Gesamtvolkes sei und naturgemaB der-
einst mit diesem vereinigt werden miisse, er hat die Deutschen in Osterreich
in fast 50jahriger Arbeit gelehrt, daB sie vor allem Deutsche sind.
In einer Zeit des wirtschaftlichen Sumpfes, der »Griinder- und Schwindelzeit«,
der Bankgriindungen und »Unternehmungen«, faBte er den Herkulesmut und
Vorsatz, diesen Stall zu reinigen und wieder gesunde Zustande in das offent-
liche Leben zu bringen, getreu seinem Wahlspruche: »Durch Reinheit zur Ein-
heit ! « Anfangs als hervorragender Fachmann nur auf wirtschaftlichem Gebiete
tatig, entwickelte er sich rasch zum volkischen, zum alldeutschen Sch., dem der
osterreichische Staatsgedanke, wie ihn Habsburg und die Deutschliberalen ver-
traten, wenig oder nichts, das groB- und alldeutsche Gefiihl und dessen Betati-
gung aber alles war. Seine Worte vom 18. Dezember 1878 im Reichsrat: »Wenn
wir nur schon zum Deutschen Reich gehorten ! « riefen einen Entriistungssturm
aller Schwarzgelben hervor, die Krone blieb ihm seither bitterfeindlich. Sein
politisches Ziel war die Schaffung eines Deutsch-Osterreich, das — frei von den
slawischen Kronlandern — sich als Bundesstaat dem Bismarck-Reiche an-
schlieBen sollte. Mit Ungarn sollte eine Personal-Union geschlossen werden,
Galizien und die Bukowina eine Sonderstellung erhalten und Bosnien samt der
Herzegow r ina zu Ungarn kommen. In dem so entstehenden Deutsch-Osterreich
sollte die deutsche Sprache als Staatssprache festgelegt werden und die Deut-
230 1921
schen die Vorherrschaft besitzen. Seine Plane legte er in mehreren Programmen
nieder, so 1879, wo er bereits gegen die »bisher bevorzugt gewesenen Interessen
des beweglichen Kapitales und der bisherigen semitischen Herrschaft des
Geldes und der Phrase « auftrat. Seine parlamentarische Losung lautete damals:
»Fiir unverfalschtes Deutschtum, praktisches Christentum und soziale Reform. «
1882 kam durch ihn das »Linzer Programme zustande, das die volkischen und
wirtschaftlichen Leitsatze der Sch.-Partei enthielt. Als letzten Punkt schlofi er
1885 den Satz an: »Zur Durchfiihrung der angestrebten Reformen ist die Be-
seitigung des jiidischen Einflusses auf alien Gebieten des offentlichen Lebens
unerlaBlich. « Als die ^Reichsratswahlen von 1901 einundzwanzig radikale All-
deutsche ins Haus brachten, wies das »Alldeutsche Grundprogramm « der »AU-
deutschen Vereinigung « die Bahnen. Die gesetzliche Festlegung der Slawisierung
Osterreichs durch das allgemeine Wahlrecht notigten Sch. 1906, alle bisherigen
Richtlinien durch das »Alldeutsche Zukunftsprogramm « zu ersetzen, in dem
die Erziehung der Deutschen in Osterreich zum AnschluBgedanken als die wich-
tigste Arbeit bezeichnet wurde.
Eine Reihe von Ausspriichen kennzeichnen seine Richtung: » Nicht liberal,
nicht klerikal, sondern national « oder » Nicht jedem das Gleiche, sondern jedem
das Seine ! «, dann » National sein heiBt sein Stammesvolk lieben uber alles in der
Welt!« oder »Um unsere Zukunft als Angehorige des groBen deutschen Volkes
kannuns unter keinen Umstanden j emals bange sein ! « f erner » Deutsches Volks-
recht bricht tschechisches Staatsrecht ! «, »Ohne Juda, ohne Rom wird gebaut
Germaniens Dom!«, » Nicht jesuitischer, sondern deutscher Geist soil herrschen
in deutschen Landen ! «
Bei der Geradheit, mit der er sein groBes Ziel anstrebte', muBte er bald nach
alien Seiten auf Widerstand stoBen : die Habsburger haBten ihn aus Furcht vor
Gefahrdung ihres Besitzes, wegen ihrer slawischen und ultramontanen Ein-
stellung wie aus Riicksicht auf ihre Beziehungen zum jiidischen Kapital. Die
Slawen und Deutschklerikalen waren geschworene Gegner als Deutschfeinde
und Stiitzen der Herrschaft Roms, auch schon bevor Sch. 1899 aus volkischen
Griinden zum »Los-von-Rom« aufforderte, das Judentum und alle seine Zweige
fiihlten sich durch den »Ritter Georg« in ihren Aufgaben gestort und behindert
und die Presse trat ihm deshalb entweder durch Totschweigen oder scharfste
Bekampfung entgegen. Und die jeweiligen Regierungen erfullten die Absichten
der Krone.
Aus diesen Gegnerschaften erwuchs in Sch. immer ausgepragter der Rassen-
antisemitismus, der Antiklerikalismus, die Bekampfung der wechselnden Re-
gierungen so wie der in Osterreich fast ausschlieBlich von Juden bedienten
Presse und die Lossagungsbestrebungen von Habsburg.
Beruhmt wurde sein Name durch sein Verhalten in der Verstaatlichungsf rage
der Nordbahn, deren Pachtvertrag mit S. M. Rothschild 1886 erloschen sollte.
Sch. forderte im Gegensatz zur Regierung, die das Vorrecht Rothschilds ver-
langern wollte, die Verstaatlichung der ertragnisreichen Bahn. Ein Riesen-
kampf, in deren Verlaufe er auch einen Pistolenzweikampf auszutragen hatte,
begann, in dem er es erreichte, daB zwar sein Antrag noch nicht durchdrang, der
Staat aber riesige Summen an hoheren Pachteingangen gewann.
Er stellte u. a. Antrage auf: Einfiihrung einer Borsensteuer, Steuerentlastung
der armeren Stande, Notstandshilfen an die Bevolkerung. Schutz gegen die
Schonerer 23 1
Falschung der offentlichen Meinung durch die Presse, Abwehr der behordlichen
tJbergriffe gegen die volksbewufiten Deutschen, Verbot der Einwanderung aus-
landischer Juden, Erlassung eines Semitengesetzes nach dem Vorbilde der
amerikanischen Antichinesenbill, Bestrafung der Zeitungsliigen, Verhinderung
der Giiterschlachterei, Verstaatlichung des Ankiindigungswesens, Zollbiindnis
mit dem Deutschen Reich, Freigebung des Vereins- und Versammlungsrechtes,
gegen die Verletzung des Hausrechtes und des Briefgeheimnisses, wirtschaft-
liche Reformpolitik nach dem Beispiele Bismarcks, Verhinderung der tsche-
chischen Vorstofle, Beseitigung des § 14 des Staatsgrundgesetzes, mit dem jede
Regierung miflbrauchlich absolut herrschen konnte ; politische und wirtschaf t-
liche Trennung Osterreichs von Ungarn usw.
Ganz einzig setzte er sich fur den Bauernstand, ftir die Gewerbetreibenden
und fiir den Arbeiterstand ein und zeigte sein warmes Herz fur die deutsche
Studentenschaft, fiir dieTurnsache und fiir alles, was dem Sinne des volkischen
Gedankens entsprach. Auf zwei groBen Bauerntagen, 1886 und 1894, fafite er
die Forderungen des unterdnickten Bauernstandes zusammen. Er griindete viele
Bauernvereine und vertrat deren Wiinsche im Reichsrate, er forderte ein
eigenes Agrarrecht an Stelle des rdmischen Rechtes usw. Allein von 1870 bis 1879
hielt er 200 landwirtschaftliche Versammlungen ab, von 1872 bis 1889 sprach
er in 600 Versammlungen. Schon 1873 hatte er im Reichsrate die rechtlose Stel-
lung der Arbeiterschaf t bedauert ; er verlangte soziale Gesetze zum Schutze der
Arbeiter, wie: progressive Einkommensteuer, Bildung von Arbeiterkammern,
Schaffung von Arbeiterinvalidenkassen und Altersversorgungskassen, Arbeiter-
unfallversicherung, Festlegung einer Normalarbeitszeit, Beschrankung der
Kinder- und Frauenarbeit, Sonntagsruhe, Haftpflicht der Arbeitgeber fiir Un-
falle, Einfuhrung von Fabrikinspektoren, Schaffung eines Arbeitsministeriums,
Aufhebung der Ausnahmegesetze gegen Arbeiter, international Arbeiterschutz-
gesetzgebung usw.
Seine festen Verbindungen mit der Studentenschaft, die Verehrung, die er
dort genofl, veranlaCten die Regierungen zu wiederholten Versuchen, ihn un-
schadlich zu machen, studentische Kbrperschaften wurden behordlich aufge-
lost und Studenten scharf gemai3regelt. Auch zur reichsdeutschen Studenten-
schaft schlug er Briicken, so mifitrauisch diese auch anfangs war, da bei ihr der
Staatsbegriff mit der Anhanglichkeit an die Herrscherfamilie unzertrennlich
verbunden war.
Nach vielen Niederlagen der Regierungen gelang es ihr endlich 1888, Sch.
kalt zu stellen. Die Wiener Presse verbreitete falsche Nachrichten iiber das Ab-
leben Kaiser Wilhelms I. Sch. als begeisterter Verehrer der Hohenzollern ging
mit einigen Gesinnungsfreunden unbewaffnet zum *Neuen Wiener Tagblatt«
und stellte die Presseleute zur Rede. Daraus wurde ihm der Strick gedreht und
er wegen Hausfriedensbruches zu Kerker, Mandats- und Adelsverlust verurteilt.
Den Adel gab ihm Kaiser Karl wieder zuriick. Seines politischen Erbes bemach-
tigten sich nun die christlichsozialen Vergani und Dr. Lueger, wie andererseits
der deutschnationale Dr. Stein wender, um davon fiir ihre Zwecke zu verwerten,
was sie brauchten. In der Zeit seiner politischen Rechtlosigkeit wirkte er im
» Deutschen Volksverein « als Obmann, in vielen anderenVereinen und durch zahl-
reiche aufklarende Versammlungen, besonders auch von 1890 bis 1892 im Deut-
schen Reiche, um das Verstandnis fiir das kommende Alldeutschland zu wecken.
232 192 1
Er besaB auch ein Sprachrohr, seit 1881 » Deutsche Worte«, dann von 1883
bis 1903 die »Unverfalschten Deutschen Worte«, die durch das »Alldeutsche
Tagblatt « abgelost wurden. 1897 wieder im Reichsrate, stand er im Vordergnind
des Kampfes gegen den polnischen Ministerprasidenten Graf Casimir Badeni, der
seine deutscbfeindlichen Sprachenverordnungen fiir Bohmen und Mahren er-
lassen hatte. Sch. und mehrere andere wurden gesetzwidrig durch Polizei aus
dem Reichsrate entfernt. Doch Badeni erhielt den Abschied.
Sch. brach den Widerstand der Osterreicher von 1866 gegen Bismarck und
wandelte den HaB gegen den »preuBischen Junker « in Liebe und Verehrung zu
dem Schopfer des Deutschen Reiches um. Er regte an und forderte seit 1885
die Abhaltung von Bismarck-Geburtstagfeiern und -Ehrungen und stellte ein
Bismarck-Denkmal der Deutschosterreicher in Aumiihle auf. Nach dem Hin-
scheiden seines groBen Vorbildes fiihrte er seit 1898 alljahrlich eine Schar Ost-
marker zum Grabe Bismarcks und gelobte dort namens der Deutschoster-
reicher Treue und Dankbarkeit. Auf sein Betreiben wurden zahlreiche volkische
Gedenktage begangen, um erziehlich zu wirken. Zahlreich waren auch die
Ehrungen, die ihm zuteil wurden, gering aber im Vergleich zu den Angriffen, die
ihm und seiner Tatigkeit widerfuhren.
Literatur: Als grofiangelegtes Geschichts- und Nachschlagewerk iiber Sch. und die
alldeutsche Bewegung in Osterreich dient das derzeit vierbandige Werk: Georg Sch. und
die Entwicklung des Alldeutschtums in der Ostmark. Verfasser und Selbstverleger
Ingenieur Eduard Pichl (Herwig), Wien 4, Schaffergasse 22. Der letzte (fiinfte) Band steht
noch aus.
Wien. Eduard Pichl.
Schulze, Franz Eilhard, Professor der Zoologie an der Universitat Berlin,
* am 22. Marz 1840 in Eldena, f am 29. Oktober 1921 in Berlin. — Im Jahre
1884 wurde F. E. Sch. nach Berlin berufen ; 37 Jahre, nicht viel weniger als die
Halfte seines Lebens hat er dort zugebracht. Seinem Herzenswunsch diirfte dies
kaum entsprochen haben, denn ein stilleres Leben sagte seinem einfachen und
zuriickhaltenden Wesen mehr zu ; auch war er ein Freund der Natur. Oftmals
dachte er mit einer gewissen Sehnsucht an die Zeit zuriick, in der es ihm ver-
gonnt war, in kleineren Stadten und den dort leichter erreichbaren Freuden der
Natur zu leben. Darin begegnete er sich mit den Wiinschen seiner Gattin, die aus
einem landlichen Forsthaus stammte. Der von hohen Gebauden umgebene
Garten der Berliner Dienstwohnung konnte dafiir nur einen notdiirftigen Er-
satz bieten, wenn auch sein inmitten der Grofistadt hochst wertvoller Besitz bei
der Ubersiedlung in das neu errichtete Institut mit Freuden begriiBt wurde.
Auf den mit den Institutsangehorigen regelmaBig unternommenen Ausflugen
fand denn auch neben der wissenschaftlich-zoologischen Betatigung die Freude
an der Natur eine sorgsame Pflege. AuBerdem aber kam dabei im zwanglosen
Verkehr mit den alteren und jiingeren Fachgenossen Sch.s frohlicher Sinn und
feiner Humor erst recht zur Geltung, so daC diese Ausfliige fiir ihn eine sehr er-
wiinschte Ausspannung und Erholung von der schweren Arbeit der Woche
waren.
Bei den vielfachen Anforderungen, die an den Leiter eines grofien Berliner
Instituts herantreten, ist es gewiB nicht leicht, sich in eigene wissenschaftliche
Untersuchungen zu vertiefen und sie in so groBziigiger Weise durchzufuhren,
Schonerer. Schulze 233
wie dies F. E. Sch. in seiner langjahrigen Berliner Amtstatigkeit gelang; es sei
nur an das imposante Werk der Challenger-Hexactinelliden erinnert, denen
spater das voneinem prachtvollen Atlas begleiteteBuchiiber dieGlasschwamme
der deutschen Tiefsee-Expedition und eine Anzahl anderer Monographien uber
diese durch einen bewundernswerten Bau ihres Skeletts ausgezeichneten, bis
dahin noch wenig bekannten Tiefseeschwamme folgten.
Aber diese an und fur sich schon sehr bedeutsamen wissenschaftlichen Lei-
stungen stellten doch nur einen Teil seiner Veroffentlichungen wahrend der
Berliner Zeit dar, denn Sch. kehrte wahrend dieser wieder zu den beiden Ex-
tremen seiner zoologisch- wissenschaftlichen Betatigung zuriick, mit denen er
sich schon in friiheren Jahren beschaftigt hatte, namlich zu den Wirbeltieren
auf der einen und den Protozoen auf der anderen Seite. AuBerdem war seine
Zeit stark in Anspruch genommen durch die Leitung des von der Deutschen
Zoologischen Gesellschaft in die Wege geleiteten und von der Akademie der
Wissenschaften iibernommenen »Tierreichs«, sowie des )>Nomenclator anima-
lium genertim et subgenerum «.
Doch diese Unternehmungen fallen bereits in Schulzes spatere Lebenszeit,
es muB aber hier auch von seinem friiheren Leben und seiner wissenschaft-
lichen Entwicklung die Rede sein. In dieser war er zweifelsohne begiinstigt und
beeinfluBt durch seine Herkunft, denn schon sein Vater, obwohl Professor der
Chemie, neigte deren biologischer Seite zu, beschaftigte sich mit Pharmazie und
landwirtschaftlichen Fragen und war vom Studium der Zoologie ausgegangen,
auf welchem Gebiet er sich ebenfalls wissenschaftlich betatigt hatte. So fehlte
es in dem vaterlichen Haus weder an allgemein wissenschaftlicher, wie speziell
biologischer Anregung, die bereits zu eigenen Untersuchungen und Veroffent-
lichungen unter der Leitung des Vaters fiihrten. Bei der Fortsetzung des in
Rostock begonnenen medizinischen Studiums in Bonn (1861/62) war es der
EinfluB Max Schultzes der fur F. E. Sch.s weitere Entwicklung maBgebend wurde.
Der hervorragende Vertreter der Zellen- und Gewebelehre muBte naturgemaB
auf den von Haus aus nach dieser Richtung neigenden, aufnahmefahigen und
begabten Studenten einen groBen und nachhaltigen Eindruck ausiiben. Dem-
entsprechend sehen wir ihn dann auch bald mit Untersuchungen liber den
feineren Bau und die Entwicklung der Muskelfasern sowie der Hautsinnes-
organe bei den niederen Wirbeltieren, mit der Struktur des Kleinhirns und dem
Bau des Tunicatenmantels beschaftigt, eine Richtung, der er zwar nicht eigent-
lich treu blieb, auf die er aber doch in spateren Arbeiten immer wieder zuriick-
kam.
Bei seinen Studien in Rostock, die er nach der Bonner Zeit dort wieder auf-
nahm, stand F. E. Sch. unter dem EinfluB von Bergmann und Stannius, durch
welche Manner in ihm die bleibende Vorliebe fur die vergleichende Anatomie
geweckt wurde. Als Prosektor am anatomischen Institut (1865) und a. o. Pro-
fessor fur vergleichende Anatomie in Rostock hatte er vollauf Gelegenheit, sich
auch nach dieser Richtung zu betatigen. Seine eigenen Studien blieben jedoch
zunachst dem feineren Bau der Tiere zugewandt. Die damals entstandenen Ar-
beiten uber die Epithel- und Driisenzellen, die becherformigen Organe, die
Organe der Seitenlinie und die Geschmacksorgane der Fische und Amphiblen
gelten mit Recht als auBerst sorgfaltige Untersuchungen, die nebst seinen unter-
dessen begonnenen Studien an wirbellosen Tieren den Ruf des nunmehr (1871)
234 I921
zum Professor der Zoologie in Rostock ernannten jungen Gelehrten begriin-
deten nnd seine Berufung nach Graz (1873) veranlaBten.
Die Studien iiber den feineren Bau der Wirbeltiere waren es, die Sch. zu
seinen schonen und klaren Untersuchungen an einigen Coelenteraten (Cordylo-
phora und Syncoryne 1871 und 1873) iibergehen lieBen. Das durch die ganze
Richtung der Zeit geweckte Interesse an der vergleichenden Entwicklungs-
geschichte bewog Sch. dann, nach seiner eigenen, bei der spateren Ubernahme
des Berliner Akademiesitzes gemachten Angabe, seine Studien weiter auf den
Bau und die Entwicklung der Schwamme, dieser merkwiirdigen, bis dahin so
sehr vernachlassigten Gruppe des Tierreichs auszudehnen. Gerade wegen der
Einfachheit ihrer Organisation schienen sie ihm fur die Losung mancher all-
gemeiner Fragen eine groBe Bedeutung zu beanspruchen. Die Ergebnisse der
rasch aufeinanderfolgenden kleineren, aber fiir die Kenntnis der Spongien-
organisation grundlegenden Arbeiten (1875 — 1880) bestatigen diese Annahme
in vollem MaBe. Sch.s Untersuchungen gehoren zu den ergebnisreichsten und
besten, die auf diesem Gebiet unternommen wurden.
In die Grazer Zeit fallen auch Sch.s Protozoenstudien, die der Zoologie aus
dem Meer und SiiBwasser zum Teil neue, bemerkenswerte Arten zufiihrten,
zum anderen Teil wenig bekannte Formen besser kennen lehrten und iiberhaupt
unsere Kenntnis der Organisation dieser niedersten Tierformen erweiterten.
Auch zu diesem Gebiet ist Sch. in spaterer Zeit, besonders durch die Bearbei-
tung der Xenophyophoren zuruckgekehrt, jener hochst eigenartigen, auf die
verschiedenste Weise gedeuteten Tief seetiere, die er zuerst aus der Ausbeute der
»Valdivia-« und spater noch aus derjenigen einiger anderer Expeditionen erhielt
und eingehend untersuchte.
Bei Sch.s erfolgreichem Wirken konnte es nicht ausbleiben, daB er fiir eine
groBere Tatigkeit in Aussicht genommen wurde, und so erging im Jahr 1884
an ihn der Ruf zur Ubernahme der Zoologieprofessur in Berlin. Ein eigentliches
zoologisches Institut bestand dort noch nicht, und so fiel ihm wie auchschon bei
den vorhergehenden Professuren in Rostock und Graz die Aufgabe zu, ein
solches neu zu schaffen. Wie vorziiglich er diese Aufgabe gelost hat, ist allge-
mein bekannt und wird iiberdies von seinem f riiheren Schuler, Assistenten und
spateren Nachfolger K. Heider in ruhmender Weise anerkannt: »Das Zoolo-
gische Institut der Berliner Universitat war bei seiner Begriindung mustergiiltig,
und noch heute sind seine Einrichtungen, welche von Sch. in alien Einzelheiten
durchdacht und nach reiflicher tjberlegung durchgefuhrt wurden, die voll-
funktionierenden Grundlagen fiir ersprieBliche wissenschaftliche Arbeit. «
Eine unschatzbare und geradezu unentbehrliche Hilfe fand Sch. nach seiner
eigenen Aussage dabei in der unermiidlichen, hochst sachverstandigen Arbeit
F. C. v. Mahrenthals, demjenigen seiner Schuler, der bis ansein Lebensende ihm
in treuer, selbstloser Hingabe an das gemeinsame Werk verbunden blieb. 1
Zahlreiche andere Schuler Sch.s haben unserer Wissenschaft wertvolle Dienste
geleistet und sind in ansehnliche Stellungen gelangt. Ihre Namen f indet man in
Heiders am SchluB erwahntem Nachruf verzeichnet.
Noch hatte Sch. seine Berliner Tatigkeit nicht lange auf genommen, als er das
groBe Werk der ihm anvertrauten Bearbeitung der Challenger-Hexactinelliden
unternahm. Mit GenuB und Liebe vertiefte er sich in den unendlichen Reich-
1 F. E. Schulze, Nachruf fiir F. v. Mahrenthal, Zoologischer Anzeiger, 36. Bd., 1910.
Schulze
235
turn der wundervollen Formen des Skelettbaus dieser Tiere und wurde nicht
miide, den sich darin auBernden Gesetzen des gesamten Korperaufbaus nach-
zugehen. Und dieser Formenreichtum vermehrte sich noch betrachtlich, als
Sch. im Lanf der Jahre weiteres Material neu entdeckter Glasschwamme zu-
ging, welche durch eine Anzahl von Expeditionen im Indischen Ozean und in
anderen Meeren gesammelt worden waren. Nicht nur ein so ausgezeichneter
Kenner der Schwamme, wie Sch. es war, konnte in der reichen Fulle der hochst
eigenartigen und herrlichen Formen schwelgen, sondern abgesehen von dem
Interesse und der Richtung fiir den Fachmann, war es ein hoher asthetischer
GenuB, sich in das wundervolle Material zu vertiefen. Mit wehmiitigem Ver-
gniigen erinnert sich der Schreiber dieser Zeilen eines Besuches in Berlin, als
Sch. ihm in strahlender Begeisterung die von der »Valdivia« mitgebrachten
Schatze vorfiihrte und ihm mit listigem Lacheln die Riesennadel von Mono-
rhaphis Chuni vorhielt, urn auf die gestellte Frage, die vermutlich schon viel-
fach erhaltene Antwort hervorzulocken, daB dies naturlich ein Glasstab sei.
Aber wie schon vorher erwahnt wurde, waren Sch.s Arbeiten in der
spateren Zeit durchaus nicht nur diesem besonderen Gebiet der Zoologie zu-
gewandt, vielmehr sind seine eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen weit
umfassender Natur. Als junger Professor hatte er eine mit Recht geruhmte
Darstellung der Lungen in Strickers Handbuch der Gewebelehre geliefert und
trotz der darauf folgenden, stark abweichenden Arbeitsrichtung verfolgte er
den Fortschritt der Kenntnisse auch auf diesem Gebiet stets mit groBer Teil-
nahme. Mit Vorliebe erklarte und demonstrierte er den Bau der Saugetier- und
Vogellungen in der Vorlesung wie im privaten Gesprach, wobei vorziigliche Ab-
bildungen, Modelle und Injektionspraparate das gesprochene Wort zu er-
lautern hatten. So war es verstandlich, daB er auch in eigenen Untersuchungen
auf dieses Gebiet zuriickkam. In einer Reihe von Arbeiten behandelte er den
groberen und feineren Bau der L,ungen von Vogeln und Saugetieren, wobei die
besonderen physiologisch-biologischen Verhaltnisse der ersteren im Vorder-
grund standen. Arbeiten iiber die Kiemen, der Anuren waren vorausgegangen
und andere iiber die Erhebungen auf der Lippen- und Wangenschleimhaut der
Saugetiere folgten. Nicht zu vergessen ist auch die Entdeckung des Trichoplax
adhaerens, jenes merkwurdigen, ungemein tiefstehenden Tieres, dessen Auf-
findung sich derjenigen der schon friiher genannten eigenartigen Tierformen
wiirdig anreiht.
So darf Sch.s Forschertatigkeit mit Recht eine ungemein erfolgreiche ge-
nannt werden, aber nicht nur dieser Teil seines Wirkens war fiir die biologische
Wissenschaft wie fiir die Zoologie im besonderen sehr bedeutungsvoll, sondern
dies gilt auch fiir seine Betatigung auf dem Gebiet der Nomenklaturfragen, des
systematischen Ordnens und der Regelung der Bezeichnungen des Tierkorpers
hinsichtlich dessen groberen und feineren Baues. Diesen Fragen ging er in den
spateren Jahrzehnten seines Lebens sogar mit besonderer Liebe nach und so-
wohl die eigenen Veroffentlichungen, wie die schon erwahnten, von ihm ge-
leiteten und von seinem unermiidlichen Heifer Mahrenthal betreuten Unter-
suchungen des »Tierreich« und des »Nomenclator animalium generunm legen
davon ein besonderes Zeugnis ab.
Wenn hier versucht wurde, ein Bild von Franz Eilhard Sch.s Leben und
Wirken zu entwerfen, so konnten nur die Hauptztige herausgegriffen werden,
236 192 1
sowohl was den Menschen wie den Forscher betrifft. Sein groBes Ansehen und
seine Beliebtheit bei den Fachgenossen wie bei den Kollegen, mit denen er ge-
meinsam zu wirken hatte, beweisen den Erfolg seines Lebenswerkes, welches fiir
unsere Wissenschaft so bedeutungsvoll war, daB es die Dauer seines Namens
und Schaffens in ihr auch fiir die weit entfernte Zukunft verbiirgt.
Literatur: K. Heider, Sitzungsbericht der Preuflischen Akademie der Wissenschaften
vom 29. Juni 1922. In K. Heiders Gedaehtnisrede finden sich weitere Angaben iiber Sch.s
Werke und Veroffentliehungen. — Medizinische Klinik Nr. 51, 1921. — Antrittsrede von
F. E. Sch. mit Erwiderung von E. du Bois-Reymond, Sitzungsbericht der Preufiischen
Akademie der Wissenschaften vom 2. Juli 1885.
Marburg (L-) Eugen Korschelt.
Schwarz, Hermann Amandus, o. Professor der Matbematik an der Universitat
Berlin, * 25. Januar 1843 in Hermsdorf unterm Kynast (Prov. Schlesien),
f 1. Dezember 1921 in Berlin-Grunewald. — Sch. ist einer der fuhrenden Mathe-
matiker seiner Zeit gewesen. Nachdem er i860 das Gymnasium zu Dortmund ab-
solviert hatte, studierte er zunachst hauptsachlich Chemie am Gewerbeinstitut
zu Berlin (der spateren Technischen Hochschule Charlottenburg), ging aber sehr
bald zur Mathematik iiber, unter dem Einflusse von Kummer und Weier-
straB, deren Seminar eine dauernde Einwirkung auf seine spatere Entwicklung
gehabt hat. Am 6. August 1864 promovierte er an der Universitat Berlin mit
einer Arbeit iiber algebraische abwickelbare Flachen, bestand aber erst im
Mai 1866 die staatliche Lehramtspriifung. Im Winter 1866/67 war er Mitglied
des mathematisch-padagogischen Seminars von Schellbach, dem er manche Ziige
seiner spateren Wesensart zu verdanken hat. Ehe er aber seine Ausbildung als
Mittelschullehrer beendet hatte, wurde er sofort (Ostern 1867) als a. o. Professor
nach Halle a. S. berufen, wo er sich im folgenden Jahre mit der Tochter von
Kummer verheiratete. Ostern 1869 folgte er einem Rufe als ord. Professor
an das Eidgenossische Polytechnikum in Zurich, wo er 6V2 Jahre mit groBem
Erfolg wirkte, um dann im Herbst 1875 ord. Professor an der Universitat
Gottingen zu werden. Ostern 1892 wurde er Nachfolger von Weierstrafi in
Berlin, wo er bis 1917 Vorlesungen gehalten hat.
Sch. war eine von jenen Naturen, auf welche die Eindriicke der Jugend durch
das ganze Leben weiter wirken, und deshalb sind die Lehr jahre, die w 7 ir oben
mit vielen Einzelheiten erwahnt haben, fiir sein spateres Schaffen und Wirken
bezeichnend. So versteht man auch, daB erselbst — sogar in spateren J ahren —
es liebte, sich als Schiiler von Kummer und W 7 eierstraB zu bezeichnen, obgleich
seine Arbeiten, abgesehen von gewissen AuBerlichkeiten, die der Weier-
strafischen Schule eigen sind, von einer eigentumlichen Kraft und Urwuchsig-
keit durchdrungen sind, die nur ein vollig unabhangiger und origineller Denker
haben kann.
Die Starke seiner Begabung lag vor allem in der Geometrie. Diesem Gegen-
stande ist auch seine erste Publikation, ein elementarer Beweis des Hauptsatzes
der Axonometrie (1863), wie auch seine Dissertation (1864) gewidmet. Aber
schon der Besuch der Vorlesungen WeierstraB* im Winter 1863/64 gab ihm
die Anregung, sein geometrisches Talent in den Dienst der Analysis zu stellen ;
in diesem Augenblick hatte Sch. schon den Weg gefunden, der ihn spater zur
Benihmtheit fiihren sollte.
Schulze. Schwarz 237
Das Berlin dersechziger Jahre war namlich der klassische Boden, auf welchem
von den herkommlichen Zweigen der Mathematik : Analysis, Geometrie, Alge-
bra und Zahlentheorie jeder fiir sich auf traditionelle Weise gepflegt wurde.
Kurz vorher hatte aber B. Riemann (1826 — 1865), der in Gottingen lebte, ge-
zeigt, daQ es von groBem Vorteil sein kann, wenn man diese Disziplinen nicht
streng voneinander getrennt halt, und hatte in seinem kurzen Leben Resultate
erhalten und Zusammenhange entdeckt, die die hochste Bewunderung, gemischt
mit der scharfsten Kritik hervorriefen. Die Methoden, deren sich Riemann
fiir seine Beweise bedient hatte, waren allerdings im scharfen Lichte der Kritik
der WeierstraBschen Schule als nicht durchweg beweiskraftig erkannt worden,
aber viele empfanden diese Kritik mit Recht als zu engherzig, und dies f iihrte
zu einer Spaltung der deutschen Mathematiker, die sich sogar in der Griindung
einer neuen Zeitschrift, der Mathematischen Annalen, widerspiegelt. Es ist
nun das Hauptverdienst von Sch., daB er zeigte, daB viele der Hauptresultate,
»welche Riemann gefunden und ausgesprochen, aber eben nicht bewiesen hat«,
(Gesammelte Abhandlungen II, S. 306) mit Hilfe von Methoden begriindet wer-
den konnen, die auf den Prinzipien beruhen, die WeierstraB aufgestellt hat. Diese
Arbeiten von Sch. dienten mehr als jede andere, die Kluft zu iiberbriicken, die
sich damals gebildet hatte und deren Bedeutung die Mathematiker unserer
Generation, die diese Dinge nicht erlebt haben, nicht immer richtig zu beur-
teilen in der Lage sind.
Die Aufsatze, die Sch. Fragen gewidmet hat, die auf Riemann zuriickgehen,
behandeln vor allem das Problem der konformen Abbildung, fiir welches Sch.
eine strenge I/5sung unter recht allgemeinen Voraussetzungen gefunden hat,
die auf viele Jahrzehnte hindurch die beste war, die man iiberhaupt kannte.
AuBerdem ist noch eine Arbeit iiber die hypergeometrische Differential-
gleichung (1872) zu nennen, die fiir die etwa zehn Jahre spater einsetzenden
Untersuchungen von Poincare und Klein iiber automorphe Funktionen von
Bedeutung gewesen ist.
Ein zweites groBes Arbeitsgebiet, dem Sch. viele Untersuchungen gewi#met
hat, ist die Theorie der Minimalflachen. Hier hat sein groBes Konnen, gepaart mit
einer seltenen geometrischen Intuition, Werte geschaffen, die noch heute, nach
50 Jahren, kaum iiberboten worden sind.
Eine der Arbeiten von Sch., die fiir die Entwicklung der Wissenschaft am
wichtigsten geworden ist, ist im Zusammenhange mit einem Problem der
Minimalflachen entstanden, fuhrt aber zu einem ganz neuen Gebiete: in
der Arbeit »Ober ein die Flachen kleinsten Flacheninhalts betreffendes
Problem der Variationsrechnung* (1885) (Gesammelte Abhandlungen I, S. 223)
hat namlich Sch. Methoden entwickelt, die spater als Wegweiser bei der
Behandlung der Fredholmschen Integralgleichungen von groBem Nutzen ge-
worden sind.
Die Bedeutung von Sch. ist ziemlich f ruh anerkannt worden : die hauptsach-
lichsten unter seinen Methoden sind dadurch allgemein bekannt worden, daB
sie in weitverbreiteten franzosischen Iyehrbiichern, der Theorie des surfaces von
G. Darboux und dem Cours a" Analyse von E. Picard, schon in den neunziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgenommen wurden.
Die Originalarbeiten, die nicht immer ganz leicht zu lesen sind, zeichnen sich
durch eine auBerordentliche, fast pedantische Genauigkeit aus, verbunden mit
238 1921
einer uniibertreffliclien Eleganz, die ihn nicht verhindert hat, auch die kleinsten
Einzelheiten mit grofiter Liebe auszufeilen.
Literatur: H. A. Sch., Gesammelte Mathematische Abhandlungen, Springer, Berlin
1890. — Vierteljahrsschrift der naturforschenden Gesellschaft in Zurich, Bd. 66, 1 92 1, S. 359
(Nekrolog mit Selbstbiographie) . Galle, H. A. Sch., ein beriihmter Schlesier, in »Der Wan-
derer im Riesengebirge* 42. Jg. n. 468 (1922) p. 54.
Miinchen. Const antin Carath£odory.
Schwenke, Paul, Geh. Regierungsrat, Erster Direktor der preuBischen Staats-
bibliothek, * in Langendembach in Thiiringen am 20. Marz 1853, f in Berlin-
Charlottenburg am 19. Dezember 1921. — Er war der Sohn eines Pfarters,
auch seine Vorfahren waren in Langendembach Pfarrer gewesen. Es ist daher
begreiflich, daB er ebenfalls Theologie studierte, als er 1870, im Alter von
17 Jahren, von dem Gymnasium in Eisenach zur Universitat entlassen wurde.
Kaum hatte er ein Semester in Leipzig zugebracht, als der Krieg mit Frank-
reich ausbrach. In vaterlandischer Begeisterung trat er in das Heer ein. Aber
schon in der ersten Schlacht, die er mitmachte, bei den Kampfen an der Loire
wurde er verwundet. Die Teilnahme am Kriege wird die Selbstandigkeit
seines Charakters gereift haben: aus Frankreich zunickgekehrt, wandte er sich
dem Studium der klassischen Philologie zu, zunachst in Breslau, dann in Jena.
1874 erlangte er in Jena den Doktorgrad; er hatte in seiner Dissertation die
Quellen zu Ciceros Schrift de natura deorum untersucht. 1875 bestand er die
Priifung fur das hohere Lehramt. Schon vorher, im Februar 1875, war er bei
der Universitatsbibliothek Greif swald als Hilf sarbeiter eingetreten ; der Direktor
der Jenaer Universitatsbibliothek Klette, der Vorkampfer fiir die Selbstandig-
keit des bibliothekarischen Berufs, hatte ihn dem Direktor der Greifswalder
Bibliothek als einen jungen Mann empfohlen, der ihm in jeder Hinsicht auf
das vorteilhafteste bekannt sei. In Greifswald wurde er besonders durch den
Historiker Max Perlbach in den Bibliotheksdienst eingefuhrt; er ist bis zu
dessen Tode eng mit ihm befreundet geblieben. 1879 nach Kiel versetzt, kam
er in die strenge Schule des dortigen Direktors Steffenhagen. 1887 wurde er
als Unterbibliothekar an die beruhmte Gottinger Bibliothek versetzt. Hier iibte
die kraftvolle Personlichkeit des Direktors Karl Dziatzko, der sein eigentlicher
Lehrmeister im Bibliothekswesen und namentlich im Buchwesen geworden ist,
nachhaltigen EinfluB auf ihn aus. Wahrend bis dahin seine wissenschaftlichen
Veroffentlichungen sich ausschlieBlich mit Ciceros philosophischen Schriften
beschaftigt hatten, und er noch 1890 und 1891 in der »Classical Review « die
Ergebnisse seiner Arbeiten zu der Schrift de natura deorum zu einem vollstan-
digen kritischen Apparat zusammengefaBt hatte, ging er jetzt zu buchgeschicht-
lichen Untersuchungen iiber. Am 1. Mai 1893 ubernahm er die Leitung der Uni-
versitatsbibliothek in Konigsberg. In den sechs Jahren, die er dort zubrachte,
war er unermudlich tatig. Neben seinen Amtsgeschaften fesselten ihn schon
hier zwei Gebiete, die ihn sein Leben lang f estgehalten haben : die Geschichte
des alteren Buchdrucks und die Geschichte der alten Einbande. Eine Frucht
dieser Arbeiten war seine Schrift iiber Hans Weinrich und die Anfange des
Buchdrucks in Konigsberg. Ferner gab er 1894 zum Jubilaum der Universitat
zusammen mit dem Kunsthistoriker Konrad Lange eine Festschrift iiber die
in Konigsberg verwahrte Silberbibliothek des Herzogs Albrecht heraus, in der er
Schwarz. Schwenke 239
auf Grand archivalischer Studien den Nachweis erbrachte, daB die Silberbande
zum groBten Teil nicht Niirnberger Arbeit sind, sondern von Konigsberger Gold-
schmieden herriihren. 1899 wurde er nach Berlin an die damalige Konigliche
Bibliothek, jetzige PreuBische Staatsbibliothek, benifen. Hier in den groBeren
Verhaltnissen, auf dem ausgedehnten Wirkungsfeld, konnten sich seine Fahig-
keiten erst recht entfalten. Er iibernahm zunachst neben dem Generaldirektor
August Wilmanns das Amteines Abteilungsdirektors. Schon 1897 hatte er bei
den Bestrebungen, fur die deutschen Bibliotheken eine gemeinsame Organisation
zu schaffen, die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich gelenkt. Und als
dann bei der Versammlung deutscher Philologen und Schulmanner in Dresden
zum ersten Male eine bibliothekarische Sektion gebildet wurde, hatte er ein
Programm zur Erforschung der alten Einbande entwickelt. Im Jahre 1899 trat
er in Bremen fur die Veranstaltung von selbstandigen Bibliothekarversamm-
lungen ein; der zur Vorbereitung einer Bibliothekarversammlung eingesetzte
AusschuB iibertrug ihm die Geschaftsfuhrung. Als im folgenden Jahre die erste
deutsche Bibliothekarversammlung in Marburg statti and, wurde dort der Ver-
ein deutscher Bibliothekare gegriindet und Sch. selbst zu seinem Vorsitzenden
gewahlt. Seitdem stand er unter den fuhrenden Personlichkeiten des deutschen
Bibliothekswesens in erster Linie. Im Jahre 1904 iibernahm er auch die Re-
daktion des »Zentralblatts fur Bibliothekswesen «. Er hat diese wichtigste biblio-
thekarische Zeitschrift deutscher Zunge 18 Jahre lang mit Eifer und Umsicht
redigiert und wuBte ihr die Hohe einer wissenschaftlich vornehmen Veroffent-
lichung zu bewahren. Als Wilmanns 1905 von der Leitung der Koniglichen
Bibliothek zuriicktrat, wurde Adolf v. Harnack sein Nachf olger. Sch. gab damals
im »Zentralblatt fiir Bibliothekswesen* dem Bedauern Ausdruck, daB diese
Stelle nicht mit einem Fachmann besetzt worden sei. Doch sohnte er sich
bald mit dieser Wahl aus. Harnack, der nicht nur ein groBer Gelehrter,
sondern auch ein geborener Verwaltungsmann ist, lieB aber auch, wie alien
seinen Beamten, so namentlich seinem Stellvertreter und vornehmsten bibliothe-
karischen Berater viel freien Spielraum, so daB dieser seine Krafte ungehindert
gebrauchen konnte und viele Dinge seiner Initiative entsprangen. Zwischen
ihm und Sch. bildete sich ein geradezu ideales Verhaltnis heraus, das, auf gegen-
seitigem Vertrauen beruhend, im Laufe der Jahre niemals getriibt worden ist.
Um Sch. liber die anderen Abteilungsdirektoren emporzuheben, wurde fiir ihn
die Stelle eines Ersten Direktors geschaffen. Das gemeinsame Wirken von
Harnack und Sch. fiel zum Teil in eine Epoche, die den Bibliotheken eine Reihe
wichtiger neuer Aufgaben stellte und ihnen zugleich eine unerhort schnelle
Entwicklung brachte, zur anderen Halfte jedoch in die Zeit des Weltkrieges
und der Revolution, in der die Bibliotheken mit den groBten Schwierigkeiten
zu kampfen hatten. Bald nach Harnacks Ernennung wurde der preuBische
Beirat fiir Bibliotheksangelegenheiten begriindet, der eine engere Verbindung
zwischen der Staatsbibliothek und den Universitatsbibliotheken schuf und es
Sch. ermoglichte, auch in Fragen, die alle wissenschaftlichen Bibliotheken
PreuBens gemeinsam angingen, seinen EinfluB zur Geltung zu bringen. Seine
Tatigkeit als Erster Direktor der Staatsbibliothek, als Mitglied des Beirats fiir
Bibliotheksangelegenheiten, als Vorsitzender des Vereins deutscher Biblio-
thekare und als Redakteur des »Zentralblatts fiir Bibliothekswesen* wie auch
seine Veroffentlichungen zur Geschichte des Buchdrucks und des Einbands,
240 192 1
von denen noch zu reden sein wird, hingen eng miteinander zusammen und
sind Ausstrahlungen einer einheitlichen, in sich geschlossenen Personlichkeit.
Von der Philologie war er ausgegangen und betrachtete auch, wie sein Meister
Dziatzko, das gesamte Buch- und Bibliothekswesen als eine Art von ange-
wandter Philologie. Die Aufgaben, an deren Losung Sen., oft richtunggebend,
mitarbeitete, konnen hier nur angedeutet werden; seine Leistungen gehoren
der Geschichte des preuflischen und deutschen Bibliothekswesens an. Ich er-
wahne nur die Einrichtung eines mittleren Bibliotheksdienstes, der auch den
Frauen zuganglich gemacht wurde, den Erlafi von Priifungsordnungen fiir den
wissenschaftlichen wie fiir den mittleren Bibliotheksdienst (die dann fiir die
iibrigen deutschen Lander vorbildlich geworden sind), endlich die zahlreichen
Fragen, die mit dem Titel- und Zetteldruck der von den preuflischen Biblio-
theken erworbenen Biicher und mit dem preuflischen Gesamtkatalog zu-
sammenhangen. Es gibt kaum einen Gegenstand der Bibliotheksverwaltung,
mit dem er sich nicht eingehend beschaftigt hatte. Man braucht in den Akten
der Preuflischen Staatsbibliothek nur einen beliebigen Band auf zuschlagen ;
iiberall wird man Berichte und Verfiigungen von seiner zierlichen Handschrift
finden. Als 1904 wegen des den Bibliotheken bisher zugestandenen Rabatts
zwischen dem Buchhandel und den Bibliotheken Streit ausbrach, verteidigte
er energisch die Interessen der Bibliotheken, auch als Redakteur des »Zentral-
blatts fiir Bibliothekswesen « und als Vorsitzender des Vereins deutscher Biblio-
thekare. Er nahm auch an den Verhandlungen im Reichsamt des Innern teil,
die 1904 im Rahmen der Kartellenquete iiber den Rabatt stattfanden. Er-
staunlich war es zu sehen, mit welchem Eifer er, der geborene Thuringer, in
der Frage der Reichsbibliothek zugunsten der Preuflischen Staatsbibliothek ein-
trat. Als dann die Deutsche Biicherei in Leipzig gegrundet wurde, war er iiber die
ihr gegeniiber einzunehmende Haltung mit Harnack vollkommen einig. Um die
Vermehrung der Sammlungen der Preuflischen Staatsbibliothek erwarb er sich
die groflten Verdienste. Ihm vor allem ist es zu verdanken, dafl eine Reihe von
grofleren Buchersammlungen erworben werden konnte, die wertvolle alte
Drucke und Handschriften enthielten: die Bibliothek des Gymnasiums in
Heiligenstadt, die Reste der Dombibliothek in Magdeburg, grofle Bestande
aus der Koniglichen BibUothek in Erfurt, die Kirchenministerialbibliothek in
Celle und die Graflich Gortz-Wrisbergsche Bibliothek in Wrisbergholzen bei
Hildesheim. Lange hat ihn der Neubau beschaftigt, der fiir die Staatsbibliothek,
die Berliner Universitatsbibliothek und die Akademie der Wissenschaften Unter
den Linden errichtet wurde. Mit dem Baurat Adams, der den Bau ausfiihrte,
arbeitete er Hand in Hand. Es ist beiden gelungen, an dem Entwurf des Hof-
architekten v. Ihne noch zahlreiche Verbesserungen anzubringen und manche
Erfahrungen, die sie 19 12 auf einer amerikanischen Studienreise gesammelt
hatten, zu verwerten, wenn es auch nicht moglich war, die im wesentlichen
verfehlte Anlage ganzlich umzugestalten und besonders an der fiir den Betrieb
ganz unpraktischen Lage der Biichermagazine noch etwas zu andern. Der Um-
zug in das neue Gebaude wurde von Sch. in vorbildlicher Weise organisiert.
Wahrend des Weltkrieges war es fiir ihn hochst schwierig, mit dem vermin-
derten Personal den Aufgaben der Staatsbibliothek gerecht zu werden. Als
die Regierung anordnete, dafl im Auslande moglichst keine Ankaufe gemacht
wiirden, hielt er es fiir die selbstverstandliche patriotische Pflicht der Biblio-
Schwenke 24.I
theksverwaltung, die Interessen der Bibliothek den allgemeinen Landesinter-
essen unterzuordnen. Bei dem Ausbruch der Revolution zeigte er sich als
mutiger und unerschrockener Mann und legte oft den Weg von seiner Wohnung
in Charlottenburg zur Bibliothek zu FuB zuriick, obgleich dies mit Lebensgef ahr
verbunden war. Vieles von dem, was er leistete, ist den gesamten deutschen Bi-
bliotheken zugute gekommen. Die deutsche Bibliothekstatistik ist in der Haupt-
sache von ihm allein geschaffen worden. Die Grundlage bildete das AdreBbuch
der deutschen Bibliotheken, das er 1893 herausgab ; es war eine sehr muhevolle
Arbeit. Eine Erganzung zu dem AdreBbuch bildete das seit 1902 erscheinende
Jahrbuch der deutschen Bibliotheken, das ebenfalls ihm seine Entstehung ver-
dankt und heute zu dem unentbehrlichen Riistzeug jedes deutschen Bibliothe-
kars gehort. Der erste Jahrgang des Jahrbuchs enthalt von ihm eine kleine,
aber inhaltreiche programmatische Abhandlung iiber Wesen und Nutzen der
Bibliothekstatistik. Von groBter Bedeutung sind f erner seine Verof f entlichungen
iiber Gutenberg und die Anfange des Buchdrucks. An die Arbeiten von Dziatzko
ankniipfend, schrieb er 1902 zur Gutenbergfeier »Untersuchungen zur Ge-
schichte des ersten Buchdrucks «, eine scharfsinnige, auf sorgfaltigster For-
schung beruhende, klar geschriebene Abhandlung. Im nachsten Jahrzehnt
tauchten an verschiedenen Stellen Fragmente von kleinen Drucken der Guten-
bergpresse auf; es gelang Sch., der sie kritisch bearbeitete, sie zum groBen Teil
der PreuBischen Staatsbibliothek zu sichera. Die von Voullteme in Erfurt ge-
fundene Tiirkenbulle gab er 1911 im Faksimile heraus. Viel wichtiger ist, daB
er 1913 begann, von der 42zeiligen Gutenbergbibel nach dem herrlichen Exem-
plar der PreuBischen Staatsbibliothek einen Faksimiledruck zu veranstalten.
Der dritte Band dieses Werkes, den er bis zu seinem Tode in alien wesentlichen
Stiicken noch fertigstellen konnte, wurde 1922 von seiner Witwe herausgegeben.
Er enthalt eine sorgsame und abschlieBende Analyse dieses ersten monumen-
talen Druckwerkes. Sch. hat durch seine Gutenbergforschungen, bei denen er
sich der historisch-philologischen Methode bediente, die Geschichte des ersten
Buchdrucks auBerordentlich gefordert, wenn auch heute noch iiber diese
Dinge die Meinungen auseinandergehen. Auch die Bucheinbande des 15. Jahr-
hunderts haben ihn viel und lange beschaftigt. Er machte sich auf alien Biblio-
theken, die er besuchte, Abreibungen von den einzelnen Stempeln und ganzen
Buchdeckeln, hierin von seiner Gattin getreulich unterstiitzt, und brachte so
ein groBes Forschungsmaterial zusammen. Leider ist es ihm nicht mehr ver-
gonnt ge wesen, diesen Schatz auszumunzen. Mehrere kleine Abhandlungen
von ihm zeigen aber, wie dieses Stempelmaterial in der Hand eines kundigen
Bearbeiters Leben gewinnen kann. 1913, an seinem 60. Geburtstag, wurde ihm
von Freunden und Mitarbeitern eine Festschrift gewidmet: »Beitrage zum
Bibliotheks- und Buchwesen« (Berlin, Breslauer). Sie enthielt u. a. eine Biblio-
graphic seiner bis dahin erschienenen Schriften von Walther Schultze. Als er
am 1. April 1921 infolge des Altersgesetzes zugleich mit Adolf v. Harnack aus
dem Amte schied, wurde es offenbar, welcher Liebe und Verehrung er sich
wegen der Lauterkeit seines Charakters, wegen seines Wohlwollens, seines ge-
rechten, stets nur von sachlichen Erwagungen geleiteten Sinnes und wegen
seines iiberragenden Wissens und Konnens bei seinen Kollegen und Unter-
gebenen erfreute. Weit iiber seinen amtlichen Wirkungskreis hinaus, in alien
Landern Europas und in Amerika war sein Name bekannt. Er beherrschte wie
DBJ 16
242 1921
kein anderer das gesamte Buch- und Bibliothekswesen souveran und kannte
alle bedeutenden Bibliotheken derWeltauseigener Anschauung. Zu zahlreichen
Facbgenossen, auch im Auslande, unterhielt er personliche Beziehungen. Bei
seinem Abgang iiberreichte er Harnack im Namen der wissenschaftlichen Be-
amten der Staatsbibliothek eine von zahlreichen Mitarbeitem verfaBte Fest-
schrift, die urspriinglich f iir dessen 70. Geburtstag bestimmt gewesen war, » Fiinf-
zehn Jahre Konigliche und Staatsbibliothek «. Es ist ein stattlicher Band von fast
300 Quartseiten, der nicht nur die Verwaltung Harnacks ins Licht setzt,
sondern zugleich ein Rechenschaftsbericht ist iiber Sch.s eigene langjahrige
Tatigkeit. Leider konnte er nach so langer unermiidlicher Arbeit sich nicht
lange der Ruhe freuen. Am 19. Dezember 1921, als er an einer leichten Grippe
krank lag, starb er plotzlich und unerwartet am Herzschlag. Die Vereinigung
Berliner Bibliothekare veranstaltete spater in der Staatsbibliothek eine Ge-
denkfeier, bei der mehrere seiner Kollegen die verschiedenen Seiten seines
Wirkens, auch seine literarische Tatigkeit eingehend wiirdigten. (»Zentralblatt
fiir Bibliothekswesen* 1922, S. 57 ff.) Harnack widmete bei dieser Gelegenheit
seinem treuen Mitarbeiter einen ehrenden Nachruf. Mit der Feier war eine
Ausstellung seiner Schriften und von Bildern zu seiner Lebensgeschichte ver-
bunden. Sch. genoB ein gliickliches Familienleben. In jedem Sommer brachte er
einen Teil seines Urlaubs in seinem Heimatdorf Langendembach zu, wo er ein
Haus besaB. Seine Gattin, Anna, geb. Schomburg, war ihm eine wahre Lebens-
gefahrtin und Kameradin, auch eine Genossin seiner haufigen Wanderungen.
Literatur: Die wichtigsten Quellen zu seiner I,ebensgeschichte sind schon imText an-
gegeben. Seine Bibliothek, die reieh ist an Werken und Zeitschriften des Bibliotheks-
und Buchwesens, ging an die Preuflische Staatsbibliothek iiber und soil dort als Arbeits-
bibliothek fiir den Nachwuchs der wissenschaftlichen Beamten dienen. Ebendahin ist
die oben erwahnte Sammlung zur Geschichte des alten Bucheinbandes gelangt. Auch der
briefliche NachlaB, soweit er nicht vernichtet wurde, ist an die Staatsbibliothek abgegeben
worden. Sein Bildnis, nach einer photographischen Aufnahme angefertigt, ist der Fest-
schrift von 1 91 3 und dem Jahrgang 1922 des » Zentralblattes fiir Bibliothekswesen « vor-
geheftet. Ein anderes Bildnis befindet sich in Jahrgang 1922 des Jahrbuchs der deutschen
Bibliotheken.
Berlin-Friedenau. Hans Paalzow.
Seeliger, Gerhard Wolfgang, o. Professor der mittleren und neueren Ge-
schichte an der Universitat Leipzig, Geheimer Hofrat, * 30. April i860,
•f 24. November 192 1. — Sohn des im offentlichen Leben Osterreichs hervor-
tretenden Burgermeisters von Biala im Grenzgebiet Galiziens gegen Oster-
reichisch- und PreuCisch-Schlesien, studierte er zunachst in Wien, dann in Berlin,
wo die Historiker Wattenbach, Weizsacker, namentlich aber BreBlau die Rich-
tung seiner Studien bestimmten. Auch Schmoller und Adolf Wagner gehorten
zu seinen akademischen Lehrern. Er promovierte 1884, trieb dann langere Zeit
in Wien Archivstudien, die in den Arbeiten der nachsten Jahre fruchtbar ver-
wertet wurden, und habilitierte sich 1887 in Miinchen. Bestimmend fiir die
Jahrzehnte seiner voll ausgereiften wissenschaftlichen Tatigkeit wurde 1895
die Annahme eines Rufes als o. Professor der geschichtlichen Hilfswissen-
schaften an der Universitat Leipzig. Im selben Jahre hatte er einen Ruf nach
Marburg abgelehnt ; auch einen spater an ihn ergangenen Ruf nach Heidelberg
lehnte er ab. So wurde und blieb Leipzig der Boden, in dem er fest Wurzel
Schwenke. Seeliger 243
schlug; der Erwerb des Hauses Gohlis, Kirchweg 2, war symbolisch. Dies Haus
wurde die Statte, wo ein iiberaus gliickliches Familienleben ihn umgab —
bereits in Miinchen hatte er sich mit Luise Stolzel vermahlt — ; es w 7 ar der feste
Riickhalt seiner sich jetzt schnell erweiteraden beruflichen Tatigkeit. 1903
war er auch zum Professor der mittleren und neueren Geschichte ernannt
worden; das historische Institut, die sachsische Kommission fiir Geschichte,
das 1914 gegriindete Forschungsinstitut, die Deutsche Gesellschaft in Leipzig,
die von ihm seit 1898 geleitete »Historische Vierteljahrsschrift« — sie alle sind
S. zu tiefem Dank verpflichtet. Dariiber hinaus hat er der Univeristat als Ge-
samtheit in einer weit iiber das iibliche MaB hinausgehenden Weise gedient.
Sein Rektorat (1905/06) und das Dekanat der philosophischen Fakultat im
Jubilaumsjahre 1908/09 sind auBere Hohepunkte dieser Tatigkeit. — Der
eigentliche Schwerpunkt seines Lebens lag aber doch auf anderem Gebiete :
in der gliicklichen Art, wie sich bei ihm der Forscher und der akademische
Lehrer erganzten. Hier ist es fiir sein ganzes wissenschaftliches Arbeiten
von entscheidender Bedeutung gewesen, daB er von strengster historisch-metho-
discher, hilfswissenschaftlicher Arbeit ausgegangen war, und von hier aus auch
zunachst auf verwaltungsgeschichtliche, sodann in allgemeingeschichthche
Probleme der Verfassung und Wirtschaft gefiihrt wurde. Sein Ausgangspunkt
war daher immer etwas Konkretes: ein bestimmtes Quellen- und Tatsachen-
material, von dem aus er zu den hinter den einzelnen Tatsachen liegenden ver-
bindenden Zusammenhangen durchzudringen suchte und wuBte. Man kann
sagen, daB dieses »Abhoren« der Quellen, dieses Entwickeln von neuen Vor-
stellungsreihen von den Quellen aus die Starke seiner Arbeitsweise gewesen ist,
die sich damit als echt historisch im besten Sinne des Wortes erwies. Es ent-
sprach aber auch einer inneren Notwendigkeit, daB seine Art der Quellenarbeit
ihn von der diplomatischen Beschaftigung mit den Kapitularien der Karo-
lingerzeit zu jenen ersten grundsatzlichen Auseinandersetzungen mit einer
Arbeitsweise fiihrte, welche jene Quellen in einer mehr konstruktiven Weise
zu nutzen suchte. Seine beiden Aufsatze in der Historischen Vierteljahrsschrift
1898 und 1904: »Volksrecht und Konigsrecht ? « und »Juristische Konstruktion
und Geschichtsforschung« sind daher die notwendige Folge seiner fruheren
quellenkritischen Arbeiten. Inzwischen hatte sich sein wissenschaftliches
Interesse auf Gebiete gewendet, wo intensivste Quellennahe und sorgsame
Quellenverarbeitung die Grundlage bilden miissen, wenn die Forschung von
verfriihten Konstruktionen sich freihalten will: landlich-territoriale und
stadtische Verfassungsgeschichte. Sein Buch von 1903: »Politische und soziale
Bedeutung der Grundherrschaft«, noch klarer und abschlieBender das in seiner
knappen Prazision mustergiiltige Leipziger Fakultatsprogramm von 1909 : » Staat
und Grundherrschaft in der alteren deutschen Geschichte « sind die wichtigsten
Zeugnisse seiner Tatigkeit auf dem einen Gebiete; in seinen »Studien zur alteren
Verfassungsgeschichte K61ns« (1909) und seiner Dbersicht iiber die Entwick-
lung der deutschen »Stadtverfassung« in der Hoopschen Realenzyklopadie
der germanischen Altertumskunde ist der wichtigste Niederschlag seiner Tatig-
keit auf dem anderen Gebiete enthalten. Es liegt nicht zuletzt in der Art dieser
Aufgaben selbst, die sich S. gesetzt hatte, daB seine Arbeit keinen endgiiltigen
AbschluB gefunden hat. Er hatte als Forscher echt historischer Pragung einen
so starken Instinkt fiir die Vielseitigkeit historischen Geschehens, aber auch
244 I921
einen so ausgesprochenen Respekt vor dem wirklichen Verlauf vergangenen
Lebens, daB ihm jeder Versuch, dieses vergangene Leben irgendwie dem Zwang
einer noch so glanzenden theoretisch gefundenen Einheitzuunterwerfen, inner-
lich zuwider sein muBte. Es wird aber zugegeben werden miissen, dafi alle Ver-
suche, auf dem Gebiete der deutschen inneren Verfassungsgeschichte zu einem
Bilde zu kommen, das alle wesentlichen Ziige aufweisen soil, auf dem Ausbau
irgendwelcher mehr oder weniger konstruierter Grundgedanken beruhen — auch
bei Forschern wie Sohm und v. Below. Aus diesem Grunde muBte er notwendiger-
weise in einen literarischen Gegensatz zu ihnen und Forschern verwandter
Richtung geraten ; aus diesem Grunde muBte er hinter ihnen zuriickstehen an
innerer Geschlossenheit der von jenen gezeichneten Gesamtdarstellungen ; aus
diesem Grunde war er aber ihnen iiberlegen, wenn es gait, neue Wege anzu-
regen, um der verwirrenden Vielseitigkeit des wirklichen Lebens naherzu-
kommen und aus der exakten Verarbeitung seiner quellenmaBigen Hinter-
lassenschaft neue Gesichtspunkte zu einer wirklichen historischen Meisterung
zu gewinnen. Aus diesem Grunde war er aber vor allem der ausgezeichnete,
immer anregende Lehrer, dessen Lehrtatigkeit von dem liebenswurdigen und
wohlwollenden Grundzug seines Charakters aufs gliicklichste belebt war. Fur
seine Schuler ist der I^ehrer nicht von dem Menschen zu trennen.
Literatur: Umfassendere Nachrufe: Rudolf Kotzschke, Historische Vierteljahrsschrift
1921, S. 482 — 496 und Fritz Rorig, Historische Zeitschrift, Bd. 125, S. 552 — 555.
Kiel. Fritz Rorig.
Sievers, Wilhelm, Geheimer Hofrat, o. 6. Professor der Geographie an
der Universitat GieBen und Direktor des Geographischen Instituts, * 3. De-
zember i860 in Hamburg, f n. Juni 1921 in GieBen. — S. kann als einer der
produktivsten Vertreter der wissenschaftlichen Landerkunde bezeichnet wer-
den. Seine groBen geographischen Werke, die kurz als » Sievers* Iyanderkunde«
bekannt sind, haben sich einen weit ausgedehnten Leserkreis im In- und
Auslande erobert. Sie gehoren zweifellos zu den besten ihrer Art. Als For-
schungsreisender hat sich S. durch Reisen nach Siidamerika ebenfalls einen
Namen gemacht.
S. wurde als Sohn eines Hamburger GroBkaufmanns geboren. In Hamburg
besuchte er auch die Schule bis zum Beginn seiner Universitatsstudien. Zahl-
reiche Beziehungen des vaterlichen Unternehmens zu Siidamerika regten das
Interesse des jungen S. zu diesen Landern schon friihzeitig an. Im Jahre 1880
wandte er sich wahrend seiner Studienzeit in Gottingen ganz der Geographie
zu, die hier in Hermann Wagner einen der bedeutendsten Vertreter hatte,
nachdem er kurze Zeit vorher in Jena Geschichte als Hauptfach betrieben hatte.
Daher promo vierte S. in Gottingen im Jahre 1883 auch mit einer historisch-
geographischen Arbeit iiber die Abhangigkeit der jetzigen Konfessionsvertei-
lung in Sudwestdeutschland von den fruheren Territorialgrenzen. Um seine
naturwissenschaftliche Ausbildung noch weiter zu fordern, ging S. zu Ferdinand
v. Richthofen nach l^eipzig. Im Jahre 1884 trat S. seine erste Reise an, die ihn
nach Venezuela und Kolumbien fiihrte und von der er erst 1886 zuriickkehrte.
Die notwendigen Mittel hatten die Geographische Gesellschaft in Hamburg
und die Berliner Karl-Ritter-Stiftung bewilligt. Gleich nach seiner Ruckkehr
Seeliger. Sievers 245
habilitierte sich S. in Wiirzburg fiir das Fach der Geographie, fand aber hier
wenig Befriedigung, so daB er im Jahre 1890 nach GieBen iibersiedelte. 1891
wurde er hier auBerordentlicher und nach Schaffung eines Ordinariats im Jahre
1903 ordentlicher Professor.
1893 — 1894 war S. erneut im Auftrage der Hamburgischen Geographischen
Gesellschaft in Venezuela. Neben zahlreichen Veroffentlichungen iiber seine
Reiseergebnisse begann er bereits im Jahre 1889 mit der Arbeit an der von
Hans Meyer geplanten groBen Landerkunde samtlicher Erdteile. Im Jahre 1891
erschien bereits der erste Band, Afrika, aus S.s Feder, dem schon 1892 der
Band Asien und rasch hinterher die Bande Amerika, in denen S. Slid- und Mittel-
amerika behandelt hatte, und, 1894, Australien und Ozeanien folgten. Der
Band Europa hatte, wie Nordamerika, einen anderen Bearbeiter, die Schrift-
leitung des ganzen Werks ruhte aber in den Handen von S.
Den Wiinschen des Herausgebers folgend, war die methodische Anlage der
groBen Landerkunde keine sehr gliickliche. Die einzelnen Stoffgebiete, Er-
forschungsgeschichte, Oberflachengestalt, Klima, Pflanzen- und Tierwelt, Be-
volkerung, Staaten, Verkehr, wurden hintereinander behandelt, wahrend auf
die Darstellung der groBen natiirlichen Landschaften gar keine Riicksicht ge-
nommen wurde. Die Landerkunde fand daher bei den Fachgeographen keine
besondere Wiirdigung, so wertvoll das miihsame Zusammentragen und die
kenntnisreiche, sorgfaltige Auswahl des iiberreichen Stoffes waren. Daher
wurde im Jahre 1897 bereits eine vollstandige Umarbeitung samtlicher Bande
begonnen und ihre Neuauflage in den Jahren 1901 — 1904 herausgebracht. S.
selbst verfaBte dabei die Bande Australien und Ozeanien, erschienen 1902,
Slid- und Mittelamerika, erschienen 1903, und Asien, erschienen 1904. Der Band
Sudamerika erlebte 1914 eine dritte Auflage und an einer Neuauflage des
S.schen Asienwerkes wird zur Zeit gearbeitet.
Seine unermiidliche Lehrtatigkeit in GieBen unterbrach S., als 48jahriger,
durch eine dritte Reise nach Sudamerika im Jahre 1909. Reiche Ergebnisse
brachte er aus Peru und Ekuador heim, und der Nachweis von Eiszeitspuren
im tropischen Hochgebirge dieses Kontinents, iiber die S. im Jahre 1914 im
8. Bande der wissenschaftlichen Veroffentlichungen des Vereins fiir Erdkunde
in Leipzig berichtete, gehort zu den bedeutendsten geographischen Tatsachen.
Es beweist auBerdem, wie wenig S. den Vorwurf, kein geniigend naturwissen-
schaftlich geschulter Reisender zu sein, verdiente, ein Vorwurf, der durch die
bedeutendsten Kritiker der letzten Arbeiten von S. auch vollstandig entkraftet
worden ist.
Neben seinen geographischen Vorlesungen in GieBen, die insbesondere der
griindlichen Ausbildung von Lehrern dienten, leitete S. die dortige Gesellschaft
fiir Erd- und Volkerkunde, die er selbst im Jahre 1896 ins Leben gerufen hatte.
Weiter gab er die Geographischen Mitteilungen aus Hessen heraus. 1916 vertrat
S. den verstorbenen Professor Deckert in Frankfurt a. M. Nach schweren Ver-
lusten, die der Krieg dem S.schen engsten Familienkreise zufiigte, starb S.
nach einem tatenreichen Leben alien denen, die ihn kannten, ganzlich uner-
wartet, ohne daB sein langjahriger Wunsch, einen groBeren Wirkungskreis zu
erlangen, in Erfiillung gegangen war.
Literatur: l^ber die Abhangij.keit der jetzigtn Kcnfessicnsverbreitung in Siidwest-
Deutschland von dtn friihtrtn Teiritciial^icEztn, LitteitaticE, Gottingen 1S83. — Reise-
246 192 1
briefe (Sierra de Merida) , Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft Hamburg, 1885. —
Die Reise in die Sierra Nevada de Santa Marta, Leipzig 1888. — Venezuela, eine Landes-
kunde, Hamburg 1888. — Die Sierra Nevada de Santa Marta und die Sierra Perija, Zeit-
schrift der Gesellschaft fur Erdkunde, Berlin 1888. — Die Cordillere von Merida, nebst
Bemerkungen iiber das Karibische Gebirge, Pencks Geographische Abhandlungen, Leipzig,
Berlin 1888. — Zweite Reise in Venezuela 1892 — 1893, Mitteilungen der Geographischen Ge-
sellschaft Hamburg, 1896. — Afrika, S.s Landerkunde, zusammen mit Hans Meyer,
Leipzig 1891. — Asien, S.s Landerkunde, Leipzig 1892, 2. Aufl. 1904- — Amerika, S.s Lan-
derkunde, Mittel- und Siidamerika, von S., Leipzig 1893, 2. Aufl. 1903, 3. Aufl. 1914. —
Australien und Ozeanien, S.s Landerkunde, Leipzig 1894, 2. Aufl. 1902. — S.s Landerkunde,
Kleine Ausgabe, Leipzig 1907. — Venezuela und die deutschen Interessen, Halle 1903. —
Die deutschen Besitzungen in der Siidsee. Das deutsche Kolonialreich, Leipzig 1909 — 19 10.
— Die Kordilleren-Staaten, Sammlung Gdschen, Leipzig 191 3. — Reise in Peru und
Ecuador, ausgefiihrt 1909. Wissenschaftliche Veroffentlichung des Vereins fiir Erdkunde,
Leipzig 1914. — Venezuela, Auslandswegweiser, Hamburg 192 1.
Konigsberg. Arved Schultz.
Studt, Konrad v., Staatsminister, * am 5. Oktober 1838 zu Schweidnitz als
altester der vier Sonne des Rechtsan waits St. uad seiner Gattin geb. Weinbrich,
f zu Berlin am 29. Oktober 1921. — Nach Besuch der Volksschule und des
Gymnasiums studierte St. von Ostern 1856 bis Ostern 1857 in Breslau, dann
zwei Semester in Bonn und die beiden letzten Semester wieder in Breslau
Rechts- und Staatswissenschaften, bestand, obwohl er wahrend der ganzen
Studienzeit aktiv war, in Breslau bei dem Korps Borussia, in Bonn bei den
Sachsen, rechtzeitig im Friihjahr 1859 das Auskultatorexamen, trat im Juni
1859 bei dem Kreisgericht in Schweidnitz in den Justizdienst und legte die
Referendarpriifung im Mai 1861 ab. Seiner Militarpflicht geniigte er bei dem
damaligen Grenadierregiment Nr. 11. Die Vorbereitung zum Assessorexamen
wurde durch seine Teilnahme an der Besetzung der russischen Grenze wahrend
des polnischen Aufstandes 1863 und am danischen Feldzug 1864 als Landwehr-
leutnant beim niederschlesischen Infanterieregiment Nr. 50 verzogert. Nach
»gut« bestandenem Examen im Friihjahr 1865 erhielt er ein Patent vom 15. Ja-
nuar desselben Jahres. Wahrend seiner Beschaftigung als Gerichtsassessor
machte er bei dem gleichen Regiment den Feldzug 1866 mit. Fiir die Eroberung
zweier osterreichischen Geschiitze in der Schlacht bei Koniggratz erhielt er den
Roten Adler-Orden vierter Klasse mit Schwertern. Im Mai 1867 wurde St.
Justitiar bei der Regierung in Breslau und im Oktober 1867 mit der kommissa-
rischen Verwaltung des Landratsamts in Obornik, Regierungsbezirk Posen, be-
auftragt. Im Sommer 1868 zum I^andrat ernannt, vermahlte er sich am 24. Sep-
tember 1868 mit der einzigen Tochter des Rittergutsbesitzers Witte auf Chru-
stowo im Oborniker Kreise. Im Kriege 1870/71 war er zunachst im steil-
vertretenden GroBen Generalstab in Berlin, dann im Hauptquartier in Ferrieres
beschaftigt, wurde spater Adjutant des Gouverneurs von StraBburg und von
Ende Oktober 1870 ab Generalsekretar des Departements Seine et Marne. Fiir
seine erfolgreiche, mit mancher personlichen Gefahr verkniipften Tatigkeit
wurde er mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Von Obornik wurde St. im
Winter 1875 als Hilfsarbeiter in das Ministerium des Innern berufen und 1880
zum Vortragenden Rat befordert. Im April 1882 wurde er Regierungsprasident
in Konigsberg. In Anerkennung seiner dortigen Wirksamkeit wurde er 1884
zum Mitglied des mit der Begutachtung wichtiger Gesetzesvorlagen betrauten
Sievers. Sttidt 247
Staatsrates eraannt. Im April 1887 wurde er als Unterstaatssekretar in das
Ministerium fur Elsafi-Lothringen versetzt, auf dem gerade damals wegen der
gespannten politischen Verhaltnisse eine selir reichliche Arbeitslast ruhte.
Im Friihjahr 1889 war im rheinisch- westf alischen Industriegebiet ein Berg-
arbeiterstreik ausgebrochen, der einen bis dahin in Preutfen nicht dagewesenen
Umfang annahm, und bei dem nach dem Ausspruche des Kommandierenden
Generals »die Zivilbehorden den Kopf verloren«. Zur Wiederherstellung von
Rune und Ordnung wurde St. im Mai 1889 telegraphisch als Oberprasident nach
Miinster beruf en. Es gelang, in verhaltnismaflig kurzer Zeit die Wiederaufnahme
der Arbeit im Bergbau herbeizufuhren. Wahrend seiner mehr als zehnjahrigen
Amtstatigkeit als Oberprasident von Westf alen kam es noch mehrfach zu Aus-
standsbewegungen unter den Bergarbeitern, die aber eine bedrohliche Aus-
dehnung nicht gewannen. 1893 zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt, wurde
St. 1898 nebenamtlich Chef der Verwaltung des damals vollendeten Dortmund-
Ems-Kanals. Im Herbst 1898 nahm er teil an der Einweihung der Erloserkirche
in Jerusalem. Am 2. September 1899 wurde er Minister der geistlichen, Unter-
richts- und Medizinalangelegenheiten.
Bei seinem Abschied von Miinster fand die Beliebtheit und das Ansehen,
welche St. sich in seiner mehr als zehnjahrigen Stellung als Oberprasident von
Westfalen erworben, Ausdruck in vielfachen Ehrungen. Die philosophische
Fakultat der Kgl. Akademie verlieh ihm die Wiirde eines Dr. phil. h. c. Zahl-
reiche Vereine, voran der Westfalische Bauernverein und der Verein fur Ge-
schichte und Altertumskunde Westf alens, •ernannten ihn zum Ehrenmitgliede.
Die Provinz spendete ihm eine Nachbildung des auf sein Betreiben vor dem
Schlosse zu Miinster errichteten Denkmals Kaiser Wilhelms I. in getriebenem
Silber.
Wahrend seiner Ministertatigkeit wurde St. 1900 Ehrenmitglied der Kgl. Aka-
demie der Wissenschaften zu Berlin, 1901 Ehrendoktor der Rechte der Univer-
sitat Konigsberg und Ehrenmitglied der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften
zu Gottingen, 1902 Ehrendoktor der Staatswissenschaften an der aus der Aka-
demie unter seiner Mitwirkung hervorgegangenen Universitat Miinster, 1906
Doktor-Ingenieur ehrenhalber der Technischen Hochschule zu Berlin und
Ehrenbiirger der Stadt Miinster.
Die Reichstagswahlen im Januar 1907 hatten zur Bildung des sog. Biilow-
Blocks, d. h. zur vonibergehenden Ausschaltung des Zentrums als ausschlag-
gebender Partei und zum Eintritt der Freisinnigen in die Regierungsmehrheit
gefuhrt. Der Reichskanzler Fiirst Biilow erhoffte eine Festigung des Blocks von
einem Ersatz des Kultusministers durch eine den Liberalen genehmere Person-
lichkeit. St. hatte, unbeirrt durch die Miflerfolge mehrerer seiner Vorganger,
eine Reform der Unterhaltung der offentlichen Volksschulen in Angriff ge-
nommen. Nach langwierigen, hauptsachlich von dem Ministerialdirektor
D. Schwartzkopff gefiihrten Vorverhandlungen konnte endlich im November
1905 dem Landtage ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt werden. Er
enthielt auch Vorschriften tiber die Konfessionalitat der Volksschulen und iiber
die Lehreranstellung. Diese heiklen Fragen erschwerten die Durchbringung des
Gesetzes im Abgeordnetenhause wie im Herrenhause. Die Verdienste des
Ministers um seine schlieBliche Annahme im Juli 1906 wurden durch die Ver-
leihung des hohen Ordens vom Schwarzen Adler an ihn anerkannt. Aber ob-
248 1 92 I
wohl das Gesetz unter Zustimmung auch der Nationalliberalen mit groBer
Mehrheit angenommen war, machte sein Inhalt doch bei den Gegnern der kon-
fessionellen Volksschule und des Einflusses der staatlichen Behorden auf die
Lehreranstellung den Minister unbeliebt. Dazu kam noch weiteres. Die im
nationalen Interesse nach eingehenden Verhandlungen mit der Kurie im De-
zember 1902 erfolgte Errichtung einer katholisch-theologischen Fakultat in
StraBburg war in der Presse als eine Gefahrdung der Freiheit der Wissenschaft
angefeindet worden, weil der Kirche dabei eine Beanstandung der Auswahl der
Dozenten wegen Lehre und Wandel zugestanden war. Obwohl das preuBische
Kultusministerium ressortmaBig gar nicht beteiligt war, die Verhandlungen
vielmehr von dem damaligen Professor Frhrn. v. Hertling fur das Reichsland
gefiihrt wurden und der preuBische Ministerialdirektor Dr. Althoff dabei nur
mitgewirkt hatte, richteten sich die Angriffe auch gegen den Minister. Auch die
auf Wunsch der Finanzverwaltung behufs gleichmaBiger Gestaltung der Volks-
schullehrerbesoldung erlassene Weisung an die Regierungen, iibermaBige Er-
hohungen der Lehrergehalter seitens einzelner Stadte zu beanstanden (Brems-
erlaB), wurde dem Kultusminister veriibelt, ebenso die Erneuerung der Vor-
schrift, daB Schulraume zu anderen als unterrichtlichen Zwecken nur mit Zu-
stimmung der staatlichen Aufsichtsbehorde benutzt werden diirften. Besonders
wurde ihm die Aufrechterhaltung der geistlichen Schulaufsicht und die zu
langsame Vermehrung der weltlichen Kreisschulinspektionen vorgeworfen. DaB
er in dieser Frage die geschlossene Mehrheit des Landtags gegen sich hatte und
um jede Stelle kampfen muBte, wurde geflissentlich ubersehen. Auch daB er
mit dem bei den Konservativen wahrlich nicht beliebten Ministerialdirektor
Dr. Kugler bis zu dessen Abgang im Marz 1902 vertrauensvoll zusammen-
gearbeitet, die von diesem angeregte Reform der Vorbildung der Volksschul-
lehrer durchgefuhrt, bei den hoheren Schulen die Gleichberechtigung der Real-
anstalten erwirkt, eine durchgreifende Hebung der Madchenschulen eingeleitet,
die Neuerrichtung technischer Hochschulen (Danzig und Breslau) bei der
Finanzverwaltung durchgesetzt, die weitgreifenden Plane des Generaldirektors
Dr. Bode zur Erweiterung der Berliner Museen tatkraftig unterstiitzt hatte,
das alles wurde nicht beachtet. St. gait eben als »Reaktionar«, zumal er alien
Angriffen mit klassischer Ruhe begegnete. Am 24. Juni 1907 erhielt er den er-
betenen Abschied, wurde aber zugleich aus Allerhochstem Vertrauen lebens-
langlich in das Herrenhaus berufen. Er konnte aus dem Amt mit dem BewuBt-
sein scheiden, daB der gewaltige wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands auch
im Haushalt des Kultusministeriums gebiihrenden Ausdruck gefunden hatte.
Die ordentlichen Ausgaben waren wahrend seiner Ministerzeit 1899 — 1 9°7 S e "
stiegen von 137 auf 178 Millionen, die auBerordentlichen von 14 auf 22 Millionen
Mark im Jahre.
Vom Mai 191 1 bis Januar 19 14 lebte St. in Hannover, wo er neben anderen
mit dem spateren Generalfeldmarschall und Reichsprasidenten v. Hindenburg
befreundet wurde. Nach Berlin zuriickgekehrt, wirkte er bis zum Kriegsaus-
bruch als Vorstandsmitglied in einer Reihe wohltatiger Vereine. Wahrend des
Weltkrieges war er in der Gefangenenfursorge unermiidlich tatig. Der traurige
Ausgang des Krieges und die Staatsumwalzung verdunkelten die letzten Lebens-
jahre des konigstreuen, um den Zusammenbruch seines Vaterlandes trauernden
Mannes. Kurz vor dem Ausbruch des polnischen Aufstandes in Posen hatte er
Studt
249
noch eine Denkschrift zur Rettung der Ostmark verfaBt. Das Schicksal der
Deutschen in den verlorenen Gebieten des Ostens erfiillte ihn bis in seine
letzten Tage mit Betriibnis und Sorge. Am 29. Oktober 192 1 endete ein sanfter
Tod sein arbeitsreiches Leben.
St. war eine schone Erscheinung, von hohem Wuchs und auf rechter Haltung.
In seiner Jugend ein gewandter Turner, Schwimmer und Fechter, bewahrte er
sich diese Haltung und eine ungewohnliche korperliche Riistigkeit durch gym-
nastische Ubungen bis in sein spates Alter. Dementsprechend hatte er auch in
alien seinen amtlichen Stellungen fur die turnerische und sportliche Betatigung
der Jugend ein warmes Interesse. Eine vornehme gesellschaftliche Reprasen-
tation betrachtete er als Amtspflicht. Dabei gehorte er zu den seltenen Naturen,
die auch nach Teilnahme an festlichen Veranstaltungen noch stundenlang am
Schreibtisch zu arbeiten vermogen. Neben peinlicher Erfiillung seiner Amts-
pflichten gewann er noch Zeit, vom Jahre 1880 ab den Herausgeber des Kom-
mentars zu den PreuBischen Verwaltungsgesetzen, M. v. Brauchitsch, bei der
Bearbeitung dieses weitverbreiteten und angesehenen Werkes zu unterstiitzen
und nach dessen Tode im Marz 1882 zusammen mit dem spateren Unterstaats-
sekretar v. Braunbehrens die Neubearbeitung und Erweiterung des allmah-
lich auf sieben Bande anwachsenden Werkes zu ubernehmen. St.s Arbeits-
gebiet war dabei das Zustandigkeitsgesetz und die im Anhange des ersten Ban-
des enthaltenen alteren Gesetze sowie die den zweiten Band fullenden Kreis-
und Provinzialordnungen nebst Nebengesetzen. Wahrend die Erlauterung der
anderen Gesetze allmahlich anderen Mitarbeitern iiberlassen blieb, hat St. noch
die siebente Neubearbeitung des Zustandigkeitsgesetzes und des umfang-
reichen Anhangs des ersten Bandes 1906 mit einigen befreundeten Herren selbst
besorgt.
Ein frommer, glaubiger Christ, besuchte er selbst auf seinen vielen Reisen
regelmaBig den sonntaglichen Gottesdienst und schrieb in sein Tagebuch ein
kurzes Urteil iiber die gehorte Predigt. Politisch war er streng konservativ. Die
Auswahl seiner Rate traf er aber keineswegs nach politischen oder kirchlichen
Gesichtspunkten. Als Minister befolgte er vielmehr den empfehlenswerten
Grundsatz, zu vortragenden Raten nur Beamte zu ernennen, die bereits eine
langere erfolgreiche Tatigkeit in der Provinz aufzuweisen hatten. Obwohl selbst
ein begeisterter Korpsstudent, hat er auf korpsstudentische Beziehungen bei
den von ihm ausgehenden Beforderungen nie Riicksicht genommen.
Seinem Konige treu ergeben, war er doch kein Byzantiner. Als bei der groBen
Schulkonferenz 1900 von dem Kaiser Gedanken angeregt wurden, deren Ver-
wirklichung nach Ansicht des Ministers die Eigenart des humanistischen Gym-
nasiums gefahrdet hatten, lieB er sofort den Chef des Zivilkabinetts wissen, daB
er fur solche Plane nicht zu haben ware. Unter Beseitigung des nicht mehr zeit-
gemaBen Gymnasialmonopols, d. h. unter grundsatzlicher Anerkennung der
Gleichberechtigung der realistischen Bildung blieb dem Gymnasium sein alt-
hergebrachter Charakter erhalten. Die in der deutschen Rechtschreibung herr-
schende, von dem Minister v. Puttkamer vergeblich bekampfte Willkiir war
dem Ordnungssinn St.s durchaus zuwider. Er nahm daher im Fnihjahrigoi
die Verhandlungen zur Festsetzung einer einheitlichen Rechtschreibung der
Behorden und Schulen wieder auf und setzte deren Anerkennung auch bei den
Behorden des Reiches und der ubrigen Bundesstaaten durch, obwohl er wuBte,
250 192 1
daB eine solche Neuregelung dem Kaiser nicht erwiinscht war. Jahrelang
muBten die Thronberichte noch in der alten Rechtschreibung abgefaBt werdea.
Auch bei anderen Gelegenheiten hat St. die Vertretung seiner abweichenden
Meinung dem Kaiser gegeniiber nicht gescheut. Gerade in dieser Hinsicht ist
der Minister von seinen Gegnern falsch beurteilt worden.
Im Parlament hatte der Minister keine leichte Stellung. Er sprach zogernd,
stockend, oft nach dem betreffenden Ausdruck suchend. Es war dies aber bei
ihm mehr ein Zeichen iibergroBer Gewissenhaftigkeit als Angstlichkeit oder
Befangenheit. Scheu vor parlamentarischen Kampfen hatte er keineswegs. Das
bewies er durch Einbringung des Volksschulunterhaltungsgesetzes und des in
einzelnen Bestimmungen stark umstrittenen sogenannten Seuchengesetzes.
(Vom 28. August 1905.) Das zeigte er auch in seiner Haltung gegeniiber der
polnischen Agitation, in deren Bekampfung er sich auch durch den groBziigig
organisierten Streik der polnischen Schulkinder im Winter 1906 nicht beirren
lieB.
Auch von St. lafit sich sagen, was er einst an den SchluB der Lebensbeschrei-
bung v. Brauchitsch' setzte: »Ihm gait Pflichttreue als die Bedingung mora-
lischen Wohlbef indens. « Frei von Selbstsucht und niederer Leidenschaft, ein
Feind alles Unwahren, unermiidlich im Dienste fur Konig und Vaterland, war
er ein glanzendes Beispiel eines trefflichen altpreuBischen Beamten oder, wie
der erste amerikanische Austauschprofessor John W. Burgess ihn bei einem
Festmahl in Neuyork bezeichnete, »ein echter Gentleman der guten alten
Schule«.
Iyiteratur: K. v. St., ein preuQischer Kultusminister, von E. Landsmann, Berlin 190S,
Karl Heymann. — Fiirst Biilow und seine Zeit, von Gerraanikus, 2. Aufl., Berlin 1909,
Spree- Verlag. — Das nur fur die Fatnilie bestimmte handschriftliche Tagebuch des Ver-
storbenen.
Berlin-Steglitz. Friedrich Fleischer.
TangI, Michael, Dr. phil., o. Professor der mittelalterlichen Geschichte und
der historischen Hilfswissenschaften an der Universitat Berlin, Geheimer
Regierungsrat, * in Wolfsberg (Karnten) am 26. Mai 1861, f i Q Klagenfurt
am 7. September 1921. — Der Ertrag der Lebensarbeit T.s liegt auf dem Ge-
biete der historischen Hilfswissenschaften: der Palaographie, der Urkunden-
lehre und der Quellenkunde im engeren Sinne. Er ist nicht in umfassenden
Darstellungen, sondern in einer groBen Reihe von Einzeluntersuchungen und
Editionen niedergelegt, die seinem in der weiteren Offentlichkeit selten ge-
nannten Namen in den Kreisen der Forschung ein dauerndes Andenken sichern.
Ein Schiiler Sickels und Miihlbachers, hat T. im Wiener Institut fur oster-
reichische Geschichtsforschung und im romischen Istituto austriaco di studi
storici die entscheidenden Anregungen empfangen. Aus ihnen ist das Buch iiber
die papstlichen Kanzleiordnungen von 1200 bis 1500 (1894) hervorgegangen.
Voriibergehend im osterreichischen Archivdienste tatig, 1892 in Wien habilitiert,
gleichzeitig Mitarbeiter der Monumenta Germaniae historica, wurde T. 1895 als
Extraordinarius nach Marburg, 1897 nach Berlin berufen, wo er 1900 zum Or-
dinarius aufriickte, 1902 zum Mitgliede der Zentraldirektion der Monumenta
und 1918 zum ordentlichen ^litgliede der PreuBischen Akademie der Wissen-
schaften gewahlt wurde. Sein wissenschaftliches Leben gait zu gleichen Teilen
Tangl 251
einer hingebend ausgeiibten akadetnischen Lehrtatigkeit und der Arbeit fur die
Monumenta Germaniae, mit denen er fast dreiBig Jahre lang in enger Verbin-
dung gestanden hat, zuerst als Mitarbeiter, dann als Leiter der Abteilungen
Epistolae (1902 — 1906, 1909 — 1921) und Diplomata I (1904 — 1921), in den letz-
ten Jahren (1914 — I9i9)als stellvertretender Vorsitzender der Zentraldirektion.
Aus den Vorarbeiten fiir Editionen in den Monumenten hat T. vielfach die An-
regungen fiir seine eigenen Studien entnommen. So hat er sich im Zusammen-
hange mit den Arbeiten an den Diplomen Karls d. Gr., deren von Miihlbacher
begonnene Ausgabe er 1906 zum AbschluB fuhrte, zum besten Kenner der
mittelalterlichen Tachygraphie, der tironischen Noten, herangebildet, fiir deren
Bearbeitung er kaum noch viel zu tun ubriggelassen hat ; so beruhen auf seinen
Arbeiten fiir die Epistolae die wichtigen Untersuchungen zur Geschichte des
heiligen Bonifatius. Unmittelbar aus seiner Lehrtatigkeit sind die vorziiglichen,
im akademischen Unterricht weit verbreiteten Neubearbeitungen und Erweite-
rungen der Arndtschen » Schrif ttaf eln zur Erlernung der lateinischen Palaogra-
phie« (1894 — -1907) hervorgegangen. Dem Gegenstande seiner fruheren Ar-
beiten, der Papstdiplomatik, ist er daneben ebenfalls treu geblieben ; noch seine
beiden letzten Aufsatze beschaftigen sich mit Fragen der kurialen Kanzlei- und
Verwaltungsgeschichte. Gemeinsam ist alien seinen Veroffentlichungen muster-
gultige Sorgfalt der methodischen Arbeit und schlichte Zuverlassigkeit ; mit
Recht ist von ihm gesagt worden, daB er zu den wenigen gehore, die nie ge-
notigt waren, eine wissenschaftliche Behauptung zuriickzunehmen.
Ein gesunder historischer Blick bewahrte ihn davor, die hilfswissenschaft-
lichen Studien zum Selbstzweck werden zu lassen. In Forschung und I^ehre hat
er ihre Einordnung in den Aufgabenkreis der allgemeinen Geschichte stets ge-
f ordert ; seine eigenen Arbeiten f inden iiberall den Weg zu den verwandten Dis-
ziplinen, zur Philologie, zur Rechts- und namentlich zur Kirchengeschichte.
Am eindrucksvollsten zeigte sich T.s wissenschaftliche Art in seinen Seminar-
iibungen und in den seiner I^eitung anvertrauten Kursen fiir die Archiv-
Aspiranten; hier hat er mit der vorbildlichen Art seines phrasenlosen Wahr-
heitsstrebens die schonsten Erfolge erreicht. Das hohe Ansehen, das er in Berlin
als Iyehrer genoB, war wohlbegriindet. Ein ungewohnlich groBer Schiilerkreis
ist aus seinem Unterricht hervorgegangen.
In seiner Wesensart ist T., obwohl er fast die Halfte seines Lebens in Berlin
verbracht hat, stets der typische Sohn seiner landlichen siiddeutschen Heimat
geblieben. Wohl fand er mit seiner offenen Herzlichkeit bald den Kontakt mit
den meist norddeutschen Schiilern und Kollegen. Aber seinen innersten Wun-
schen entsprach das dauernde Verbleiben in Berlin nicht ; und um so schmerz-
licher war es zu sehen, wie er in den Kriegsjahren allmahlich ein Opfer der Ber-
liner Verhaltnisse wurde. Mit Verwaltungsarbeiten iiberhauft, die ihm nicht
recht lagen, von Sorgen und Entbehrungen gequalt, hat der f ruber so riistige
Mann korperlich und seelisch schwer gelitten. So ist er wenige Jahre spater
einem Krankheitsanfall erlegen, den er unter giinstigeren Voraussetzungen ge-
wiB iiberwunden hatte.
I/iteratur: T., Autrittarede in der Koniglich Preuflischen Akademie der Wissenschaftea
4. Juli 1918 (Berliner Sitzungsberichte 1918, S. 702 — 704). — P. Kehr, Neues Archiv der
Gesellschaft fiir altere deutsche Geschichtskunde 44 (1922), S. 139 — 146; mit einer Biblio-
graphic der Schrif ten, zusamtnengestellt von H. Krabbo, ebenda, S. 147 — 150. — E.E.Sten-
252 * 1921
gel, Historische Zeitschrift 125 (1922), S. 372 — 374. — E. Perels, Historische Vierteljahrs-
schrift 21 (1922/23), S. 123 — 127. — R.Salomon, Hamburger Nachrichten 17. Septem-
ber 1 92 1. — Der wissenschaftliche NachlaB ist zum grofiten Teil im Besitz der Zentral-
direktion der Monumenta Germaniae historica in Berlin.
Hamburg. Richard Salomon.
Thiersch, Friedrich, Ritter v., Architekt und Hochschullehrer, Professor,
Geh. Hofrat, Dr. flhil. h. c, * in Marburg am 18. April 1852, f in Miinchen
am 23. Dezember 192 1 — war in den Jahrzehnten vor und nach der Jahr-
hundertwende einer der hervorragenden Fuhrer auf dem Felde der deutschen
Baukunst. Ehrungen und Erfolge schienen ihm fast muhelos zuzufallen. Mit
28 Jahren Dozent fiir »hohere Baukunst « in Miinchen, mit 30 Jahren Sieger
in dem bedeutendsten aller deutschen Wettbewerbe, ist er 40 Jahre fast un-
unterbrochen seinem Posten als Professor der Technischen Hochschule treu-
geblieben und hat doch als frei schaffender Kiinstler, als Architekt wie als
Maler, ein voiles I^ebenswerk hinterlassen. Auf dem Grunde der antiken Bau-
kunst stehend, wie alle Renaissancekiinstler, stand er doch dem Ringen seiner
Zeit um neue Formen fiir neue Aufgaben nicht fern, und selten wohl ist einem
Lehrer so viel Dank und Bewunderung zuteil geworden wie ihm von seiten
seiner Schiiler.
Ein kiinstlerischer Zug laflt sich durch die Familie Th. verfolgen, die, aus
Kursachsen stammend, in Miinchen und in Mitteldeutschland heimisch ge-
worden, bedeutende Humanisten, Theologen, Arzte und bildende Kiinstler
als Mitglieder zahlt. Friedrich war der Enkel des gleichnamigen Philologen
und Philhellenen, Neffe des Malers Ludwig Th. und j lingerer Bruder des
Architekten Professor August Th., der lange Zeit vor und neben ihm an der
Technischen Hochschule Miinchen tatig war. Der Vater Heinrich Th. war
Professor der Theologie in Marburg, spaterals Geistlicher in Miinchen und Basel.
Von der Mutter Maria Bertha Zeller von Beuggen bei Sackingen erbte er das
heitere alemannische Blut, die hohe gewolbte Stirn, Liebe zur Musik und das
giitig kindliche Herz. Ein auJ3erlich karges, innerlich von der tiefen Religio-
sitat des Elternhauses durchklartes Jugendleben — der Vater war als ein
Fuhrer der von England ausgehenden » apostolischen « Religionsbewegung
der Irwingianer mit der Landeskirche zerfallen und in seinem Lehrgebiet be-
schrankt — gab auch dem Glanz der spateren Jahre einen ernsten Untergrund
und dem jungen Kiinstler jene streng historische Gesinnung, die ihn fest
machte gegen Moderichtungen und den raschen Wechsel der Stilarten. Als
Schiiler in den alten Sprachen nur maJ3ig begabt, war es dem Kiinstler sicher
zum Heil, daB er nach fiinf qualvollen Gymnasialjahren in Miinchen und
einem mathematischen Nachkursus in Schwabisch-Hall mit der Berechtigung
zum Einjahrigen die Schule verlassen und das in Bliite stehende Polytechnikum
in Stuttgart beziehen durfte. Sechs voile Jahre durfte er hier seine Krafte ent-
falten unter dem giitigen Leins, dem kraftvolleren Gnauth und dem viel-
seitigen Kunsthistoriker Liibke, bei denen er bald auch freundschaftlich ver-
kehrte. Die Entwicklung ging wie iiblich iiber Hellas und Alt-Rom zur Bliite
der Renaissance. Man hat Th. spater nach den glanzenden Wiederherstellungs-
blattern der griechischen Ruinen, von der Akropolis, von Olympia und Perga-
mon mit Unrecht als zweiten Schinkel begriiBt, wohl aber hat er die zweite
Tangl. Thiersch 253
Wandlung der antiken Formenwelt, die vom Romischen zur italienischen Re-
naissance mit offenen Sinnen nochmals durchlebt, und zwar auf seinen Reisen
in Italien. Dieser neuen Vielfaltigkeit der Formen, dem phantasievollen Reich-
turn des Schmuckwerks an Wanden und Decken fuhlte er seine Krafte gewach-
sen und suchte sie an ihnen immer neu aufzufrischen.
Von Stuttgarter Freunden sind die Kollegen Weigle, Eisenlohr und Neher
zu nennen. Durch letzteren wurde Th. nach beendetem Militardienst 1875 be-
wogen, in Frankfurt in die bedeutende Architektenf irma »Mylius & Bluntschli«
als Mitarbeiter einzutreten, die eben den Frankfurter Hof baute, den »schdnsten
Gasthof Deutschlands«. In Hermann Bluntschli, dem Heidelberger, fand Th.
einen trefflichen Kiinstler, Schiiler von Semper, also der eigenen Richtung
nahestehend, dazu in Paris in grundlicher und glanzender Darstellung von
Planen geschult. Die Vereinigung solcher Krafte fuhrte im nachsten Jahre zu
einem Siege in dem Wettbewerb um das Hamburger Rathaus, der in ganz
Deutschland Aufsehen erregte. Doch die Ausfiihrung wurde vertagt und spater
einheimischen Architekten auf neuer Grundlage ubertragen.
Th. wurde durch seinen Anteil am Siegespreise in den Stand gesetzt, seine
erste Reise nach Italien anzutreten. Er hatte in Frankfurt Freundschaften furs
Leben geschlossen mit Paul Wallot, mit dem er bald um den Reichstagsbau
kampfen sollte, und mit dem Schweizer Architekten H. Ritter, kiinstlerischem
Leiter der groBen Baufirma Phil. Holzmann & Co. Als solcher zog dieser den
Freund zu bedeutenden Bauaufgaben heran, zuerst 1879 zu dem Wettbewerb
um die Rheinbriicke in Mainz. Th. errang zusammen mit dem Ingenieur der
Firma seinen ersten Sieg. Sein Plan kam unverandert zur Ausfiihrung.
Die italienische Reise, in Gemeinschaft mit sieben Freunden und Fach-
genossen, denen sich in Rom noch der Maler Hans Speckter aus Hamburg an-
schloB, war reich an tiefen Eindrticken fur alle Teilnehmer. Drei arbeitsreiche
Wintermonate in Rom, dann im Fruhling die romantische Reise, groBenteils
Wanderung, iiber Terracina nach Neapel. Gluckliche Wochen in Capri, ein-
dringende Studien in Pompeji, dessen sonst streng gehiitetes Ausgrabungsfeld
den Kiinstlern frei zu durchstreifen erlaubt war. Es folgten die ergreifendsten
Zeugen altgriechischer Baukunst in Paestum und fiir Th. ein Streifzug durch
Sizilien. Die Kameraden zogen allmahlich heimwarts, aber Th. ging allein
nach Rom zuriick, um sich noch mehr zu vertiefen in den Ernst dieser Formen-
sprache, zugleich aber auch, um sich die Mittel zu schaffen fiir seinen Lieb-
lingsplan, einen langeren Aufenthalt in Griechenland. Sein Verleger Spemann
in Leipzig, fiir den er ofters seine zierlichen Randleisten und Friese fiir Buch-
schmuck geliefert hatte, drangte ihn unausgesetzt zu neuen Entwiirfen und
immer reicherer Ausfiihrung. Dieser an sich den Kiinstler nicht fordernden
Tatigkeit haben wir immerhin seine Versuche zur Rekonstruierung des antiken
Festbezirks von Olympia und der Akropolis zu verdanken, deren groBe Kartons
(jetzt in Athen und Miinchen)die Griechen entziickten und den jungen Kiinst-
ler zum Ehrenmitgliededergriechischen Archaologischen Gesellschaf t machten.
Bescheiden maB er die ihm erwiesenen Ehrungen dem Andenken an die Ver-
dienste des GroBvaters um Griechenland zu. Auch ging er in Athen in den
Spuren seines gelehrteren Bruders August.
Nach zweijahriger Reise 1878 als gereifter Kiinstler in die Heimat zuriick-
gekehrt, fand Th. zunachst in Frankfurt die alte herzliche Aufnahme. AuBer
254 1921
dem Bau der Mainzer Briicke fesselte ihn hier eine lockende Aufgabe, die Aus-
malting von Innenraumen des Opernhauses, die ihm nach einem Wettkampfe
mit Professor Meurer-Berlin zugesprochen wurde. Th. zeichnete die Kartons,
dekorative und figiirliche, besonders fur das groJBe Treppenhaus, und leitete
die farbige Ausfiihrung. Auch seine Teilnahme am Wettbewerb um den Haupt-
bahnhof in Frankfurt fallt in diese Zeit, ein glanzender Entwurf, aber nicht
von Erfolg gekront. Er iibte seine Krafte fiir die groBten Bauaufgaben. Aber
der Wunsch des Vaters und ehrenvolle Anerbietungen drangten ihn zur aka-
demischen Laufbahn. Die Fiille der Reiseskizzen und besonders der licht-
freudigen und farbensatten Aquarelle, die in einigen Stadten ausgestellt waren,
brachte den Namen Th. in aller Mund. In Stuttgart wollte man am Polytechni-
kum ein neues I,ehrf ach eigens fiir ihn errichten ; in Frankfurt bot die Kunst-
gewerbeschule eine Stelle. Aber Th. entschied sich nach einigem Schwanken
fiir Miinchen, wo das Ministerium fiir den alternden Neureuther zunachst eine
Entlastung und einen spateren Nachfolger suchte. Die Miinchener Technische
Hochschule bekannte sich durch seine Wahl zur Einhaltung der bisherigen
durch v. Neureuther und Buhlmann vertretenen klassischen Richtung.
Gleich in den ersten Jahren seiner Lehrtatigkeit envies sich Th. seines
Amtes wiirdig durch eine kiinstlerische Tat, zu der er sein ganzes Konnen
und Schauen zusammenraffte, in dem Wettbewerbsentwurf fiir das deutsche
Reichstagsgebaude. Unter 180 deutschen und osterreichischen Bewerbern er-
rangen seine Arbeit und die seines Freundes Wallot als gleichwertig die beiden
ersten Preise. Mit drei zweiten Preisen folgten die hervorragendsten Berliner
Architekten. — Fanden auch die wundervollen Grundrisse von Th., der edle
Rhythmus des Aufbaus bei alien Beurteilern hohe Anerkennung, so war bei
Wallot doch neben einigen Vorziigen in der Raumverteilung eine starke Eigen-
art zu spiiren, die Neues und Bedeutendes versprach. Th. hat ihm nach Kraften
den Weg geebnet, auch spater, als er beim Innenbau immer mehr vom Dber-
lieferten abwich. Vier Jahre nach dem Beginn des Reichstagsbaus kam das
Ringen um die zweite groBe Bauaufgabe des Deutschen Reichs, um das Reichs-
gericht in Leipzig. Wieder gait es, die neugewonnene deutsche Einheit in einem
stolzen Bau zum Ausdruck zu bringen, und von dieser Forderung aus gesehen
stand der von Th. geschaffene Entwurf wohl unbestritten an erster Stelle.
»In einfacher Monumentalitat und doch von hinreiBendem Schwunge,« schrieb
Theodor Fischer. Aber die Preisrichter muBten andere Gesichtspunkte voran-
stellen, und ruhig abwagend schreibt auch der Bruder August Th. an den Vater
iiber den MiBerfolg: »Als Lehrer immer mit Entwurf en beschaftigt, die nicht
ausgefiihrt werden, hat er sich zu einem Aufwand an Raum und Massen ver-
leiten lassen, der den Preisrichtern als iibertrieben erschienen ist.« Die Zeit
hat den Spruch gerechtfertigt, der Ludwig Hoffmanns Plan damals den Preis
zuerkannte.
Das Drangen nach eigener Bautatigkeit sollte sich in der Tat zur Schicksals-
frage gestalten. Von Berlin kam an Th. die vertrauliche Anfrage, ob er geneigt
sein wiirde, eine Berufung an die Technische Hochschule Charlottenburg an-
zunehmen. Th. war damals in zwiespaltig bewegter Stimmung. In demselben
Jahre starb der geliebte Vater. Er hatte noch die Freude, daB Friedrich ihm
seine Braut zufiihren konnte, Auguste Eichler aus Lindau. Die Hochzeit war
im Marz 1886, und erst ein Jahr spater stand der EntschluB fest, in Miinchen
Thiersch
255
zu bleiben. Th. hatte sein Bleiben an die Bedingung gekniipft, mit einem
groBeren Staatsbau in Miinchen betraut zu werden, und der Prinzregent Luit-
pold setzte sich selber beim Ministerium dafiir ein, daB ihm der Neubau eines
Justizgebaudes am Karlstor zugesagt werde. Drei Jahre wurden fiir Entwiirfe
und Vorbereitungen, sieben Jahre fiir die Ausfiihrung vorgesehen. Hier beginnt
die Hochflut in Th.s Ktinstlerleben, aber auch eine Zeit der Drangsale und
Hemmungen, wie sie nur ein fester Wille und unerschopfliche Arbeitskraft
gelassen uberwinden konnte, zumal da auch eigene Zweifel und Wandlungen
zu bestehen waren. Im Laufe der Entwurfsarbeit am Justizpalast drangte
sich dem Kiinstler der in Bayern heimische Barockstil an die Stelle der Re-
naissancefonnen. Fischer v. Erlachs Bauten in Wien und die Schlosser in
Franken wurden studiert und manches Motiv von dort unbekiimmert iiber-
nommen, jedoch fiir das AuBere zu ernster Wiirde gesteigert. Eine personliche
Note bleibt uberaU gewahrt. Sie auBert sich noch sinnfalliger in der fast iiber-
reichen Durchbildung des Innern, der kiihn konstruierten Treppen und be-
sonders in dem tief farbigen, von L,icht durchflutetenMittelraum, der mit dem
Ernst der Gerichtssale wohl nicht ganz iibereinstimmt.
Der gewaltige Bau rief auch das Miinchener Kunstgewerbe auf den Plan.
Th. gewann mit den namhaften Meistern des Handwerks enge Fiihlung und
war bald neben v. Miller ein Fuhrer des bayerischen Kunstgewerbevereins.
Zwar das eigentlich Munchnerische lag ihm nicht so wie seinem Freunde und
oft Rivalen Gabriel Seidl und anderen Einheimischen. Es wurde in Fachkreisen
bedauert, daB Th. den von ihm zur Ausfiihrung berufenen Kiinstlerkraften,
Malern wie Bildhauern, im ganzen nicht so viel Freiheit lieB, als ihre bedeutende
Eigenart es hatte wunschen lassen. Die in den Brauhausern und Biirgerhausern
schon etwas iibersteigerte deutsche Renaissance hatte ihn wenig beruhrt.
DaB er aber auch dieser Stilart gerecht werden konnte, zeigte er durch die liebe-
volle Restaurierung des Rathauses in Lindau 1888. Die schone Stadt am
Bodensee wurde hinfort durch den freundlichen Landsitz des Schwiegervaters
das stete Ziel der Familie fiir Erholung und Sommerfrische. In demselben
Jahr baute Th. in Miinchen zwei groBe Waren- und Geschaftshauser (Parcus
und Bernheimer) und endlich fiir sich selbst das in schonem Garten gelegene
Wohnhaus an der GeorgenstraBe, in italienischer UmriBlinie mit weit aus-
ladendem Dach ein trauliches deutsches Heim. Auch eine gotische Kirche baute
er etwas spater in Aschach bei Lindau, fein und schlicht. Sonst uberlieB er
diesen Stil seinem Kollegen, dem Gotiker an der Hochschule, Freiherrn Hein-
rich v. Schmidt, der ihm seit der Frankfurter Zeit eng befreundet war.
Ein Werk ersten Ranges, zu dem Th. 1902 berufen wurde, war der Neubau
des Kurhauses in Wiesbaden. Die Angelegenheit, die teils in Wiesbaden, teils
in Berlin zustandig war, hatte eine Vorgeschichte, und Th. muBte auf Wider-
stande gesfaBt sein, aber er vertraute seinem Stern und kam gliicklich ans
Ziel, freilich nicht ohne personlichen Riickhalt an den Wunschen des Kaisers.
Als Ziel gait fiir den Kiinstler nur etwas Mustergiiltiges zu schaffen. Mit be-
wuBtem Anklang an die altromischen Bader und Heilquellen wollte er diesem
Bau inmitten des bunten internationalen Treibens einen groBen und weihe-
vollen Zug geben. So wurde er wieder ganz Klassizist, ernst und groBziigig an
der Westfront mit dem Saulenportikus, anmutiger an der Gartenseite, der sich
die Gesellschaftsraume zuwenden. Er bestand auf Verwendung nur edlen
256 1921
Materials und scheute auch Konflikte nicht, um den Bau am bestimmten Tage
abzuliefern. Mit groBem Jubel wurde die Einweihung gefeiert, und der Kaiser
begliickwiinschte die Stadt zu dem »schonsten Kurhause der Welt«. Schon
aber regte sich der Widerspruch der Jtingeren, denen die Begriffe Akademie
und Stilkunst und gar ein Kaiserlob als belastend galten.
Als letzte und groBte Bauausfiihrung folgte 1906 — 1909 die StadthaUe in
Frankfurt a. M. Es war ein Wettbewerb groBen Stils, mit den ersten deutschen
Kunstlern im Preisgericht. Eine Gruppe gewaltiger Bauten, unter denen die
groBe Rotunde fiir Feste und Ausstellungen das Hauptstiick bildete. Th. unter-
nahm es mit den ihm verbiindeten Eisenwerken, diese riesige Festhalle in einem
Jahrevorlaufigbenutzbar, in zwei Jahren ganz fertigzustellen und begann den
Bautrotzdes Einspruchs der Frankfurter Architektensehaft, die eine so kurze
Frist fiir einen derartigen Monumentalbau als unerhort erklarten. DaB das Werk
gelingen konnte, istein Ehrenmal deutscher Ingenieurkunst und der aus-
fiihrenden Werke, unter denen wieder Phil. Holzmann mit dem alten Freunde
Ritter voranstanden.
Inzwischen sah sich Th. dem geschlossenen Widerstande der Frankfurter
Architekten gegeniiber, die den Weiterbau bekampften und mit guten Griinden
dafiir eintraten, daB nicht Kunsthallen, sondern Messehallen an diesem Platze
zu errichten seien. Es kam hinzu, daB der Hauptforderer des einzigartigen
Planes, der Oberburgermeister Adickes, durch den Bau seiner neuen Univer-
sitat in Anspruch genommen wurde. Dann brach der Krieg aus, und Adickes starb
1915 (s. Deutsches Biogr. Jahrb., Bd. 1 1914— 16, S. in ff .). Die Frankfurter Fest-
halle ist ein Torso geblieben. — Wenn man sich erinnert, daB Th. wahrend dieser
Arbeiten Rektor der Technischen Hochschule war, dazu noch von 1906 an den
Erweiterungsbau derselben Hochschule intensiv leitete, so ermiBt man die er-
staimliche Nervenkraft dieses Mannes.
Es folgen 1910 drei groBe Wettbewerbe, fiir ein Opernhaus in Berlin, ein
Kurhaus in Karlsbad und die StadthaUe in Hannover. Der letztere Fall hatte
einen sich ofters wiederholenden Ausgang: zwei erste Preise erhalten Th. und
sein Schiiler Bonatz in Stuttgart, letzterem aber wird die Ausfiihrung zuge-
sprochen. Die jiingere Generation kommt mit Recht in den Vordergrund.
Th.s groBe Studienreisen fiihrten ihn an alle Kiisten des Mittelmeeres. In
Pergamon war er eine Woche der Gast Humanns. In den Trummern von Pal-
myra, die er nach fiinftagigem Wiistenritt von Damaskus erreichte, entwarf
er wie im Fluge ein Gesamtbild der alten Romerstadt und hielt das Wesent-
liche in scharfen Zeichnungen fest. Das schone Bild einer groBen und wahr-
haften Kiinstlerpersonlichkeit tritt uns iiberall aus den Skizzenbuchblattern
und Aquarellen entgegen, von denen der Herausgeber des Th.-Buches (s. unten)
eine gute Auswahl wiedergegeben hat, dazu auch Proben aus den ebenso gehalt-
vollen Reiseberichten. Unrichtig ware es, wissenschaftliche Ergebnisse (etwa
archaologische) darin suchen zu wollen. Im reiferen Lebensalter sehen wir Th.
wiederholt als Kommissar fiir Bayern auf den Weltausstellungen in Turin,
Paris, St. Louis fiir das deutsche Kunstgewerbe tatig. In Deutschland fiihren
ihn Pflichtreisen als Ratgeber und Preisrichter heute nach Hamburg, morgen
nach Wien. Er wurde Ehrenmitglied vieler Kunstgenossenschaften, u. a. des
American Institute of Architects in Washington, der Kunstakademien in Miin-
chen, Berlin, Dresden, Stockholm. Den personlichen Adel verlieh ihm Prinz-
Thiersch. Thoma 257
regent Luitpold nach der Fertigstellung des Justizpalastes, den Dr. phil.
h. c. die Universitat Marburg.
Die groBe Anzahl von Briicken, Brunnen und Denkmalern, die Th. im
Laufe der Jahre geschaffen, kann hier nur erwahnt werden. Als Bildhauer ist
meistens W. Riimann dabei beteiligt, so bei dem Brunnen in Lindau, dem
Reiterbilde des alten Kaisers in Stuttgart. Fur den Wittelsbacher Brunnen in
Munchen hatte Th.s Entwurf den ersten Preis. Als aber Ad. Hildebrand, der
erst Preisrichter war, dann selbst ein Modell einreichte, wurde dieses zur Aus-
fuhrung gewahlt. Th. war gekrankt, aber fand die Entscheidung gerecht.
Der Krieg von 19 14 unterbrach die Bau- und Lehrtatigkeit. Th. verlor die
beiden Sonne, den jtingeren noch nach dem Zusammenbruch als Freiwilligen
gegen die Aufruhrer im Ruhrgebiet. Um so kraftvoller arbeitete er mit an dem
Hilfswerk daheim und im Felde, namentlich in der Graberfursorge war ihm
eine bedeutende Stellung zugewiesen. Sein sozial empfindendes Gemiit litt
schwer unter dem Rifi, der unser Volk in zwei sich nicht verstehende Teile
trennte, und wahrend er 1919 den Reichsbund geistiger Arbeiter zu begriinden
suchte, war er Vorsitzender der »Praktischen Arbeiterkurse«, veranstaltet
durch eine Arbeitsgemeinschaft der drei Munchener Hochschulen. Er selbst
hielt fur die Arbeiter einen Kursus in Mathematik. Sein letztes Werk waren die
» Akademischen Werkstatten Munchens« fiir notleidende Studenten, die groBen
Erfolg hatten. Hier nutzte er die Erfahrungen aus eigener harter Jugendzeit.
Fast siebzig Jahre alt, wurde Friedrich v. Th. seiner Arbeit und den Seinen
durch einen Schlaganfall entrissen.
Literatur: Hermann Thiersch, Friedrich v. Thiersch der Architekt, Munchen 1925,
mit Beitragen und Urteilen von Zeitgenossen. — Friedrich Thiersch, Gedachtnisrede von
Professor Dr. Theodor Fischer in Munchen, gehalten bei der Thiersch-Feier in der Techn.
Hochschule 27. Januar 1922. Siiddeutsche Bauzeitung 1922, Nr. 8. — Der Justizpalast in
Munchen, Denkschrift, Verlag L. Werner, Munchen. — Das Kurhaus zu Wiesbaden, Ver-
lag Ernst Wasmuth, Berlin 1908. — Dasselbe, ausfuhrliche Denkschrift, im Selbstverlag
des Magistrats Wiesbaden. — Ferner Denkschriften bei Ablieferung fast aller Bauten dem
Bauherm iiberreicht. — Personliche Brief e von Fr. Thiersch.
Bremen. Eduard Gildemeister.
Thoma, Ludwig, Dr., Dichter, * in Oberammergau am 21. Januar 1867, f in
Rottach am Tegernsee am 26. August 1921. — In den »Erinnerungen«, die zwei
Jahre vor seinem Tode herauskamen, hat Ludwig T. selbst seine Jugend und
den Ursprung seines dichterischen Werks geschildert und seinen Eltern ein
liebe voiles Denkmal gesetzt. T. entstammte einer alten bayerischen Jager-
familie: Vorfahren von ihm waren Klosterjager bei den Zisterziensern in Wald-
sassen, sein UrgroBvater stand lange Jahre an der Spitze der bayerischen Forst-
verwaltung, der Vater war Oberforster in Vorder-RiB an der Isar. Die Mutter
— sie hieB mit ihrem Madchennamen Katherina Pfeiffer — war eine Gastwirts-
tochter aus Oberammergau, verschwagert mit der bekannten Holzschnitzer-
familie Lang in Oberammergau. Unter sieben Geschwistern war Ludwig T. das
fiinfte Kind. Seine Jugend in dem einsamen Hochgebirgsforsthaus verlief sehr
glucklich, die Erinnerung daran blieb ihm zeitlebens erfrischend wie ein Trunk
aus klarer Quelle, tlbrigens hatte er das erste tiefe und nachhaltige literarische
Erlebnis auch schon als kleiner Forsterbube: »Max und Moritz« von Wilhelm
DBJ 17
258 1921
Busch. Spater, in den » Lausbubengeschichten « und »Tante Frieda «, seinen ver-
breitetsten Biichern, envies Th. seine geistige Blutsverwandtschaft mit dem
groBen deutschen Humoristen.
Den Vater verlor T. sehr friih. Die Mutter pachtete dann einen Gasthof in
Prien a. Chiemsee, Ludwig aber kam nach Miinchen zu Verwandten und be-
suchte das Gymnasium. Er sollte wie der Vater Forstmann werden. Seine Er-
f ahrungen mit zopfigen und verknocherten Lehrern waren nicht die besten —
wegen eines unschuldigen, knabenhaften Liebesbriefes kam es zu einem so hef-
tigen Konflikt, daJ3 sich der junge Mensch einige Tage ernsthaft mit Selbst-
mordgedanken trug — , jedenfalls war er aber nicht halb so schlimm und faul
wie der Held seiner Lausbubengeschichten, dieser scharfen, lustigen Satire auf
die Blindheit und Heuchelei der Erwachsenen gegeniiber der heranreifenden
Jugend. T. war spater stets ein Anhanger der humanistischen Bildung und be-
geisterter Verehrer Homers. Fur Geschichte hatte er schon in der Schule leb-
haftes Interesse. Seine fruhwache Liebe fiir die Werke der bildenden Kiinste
fanden in der Hauptstadt reiche Nahrung, und die Glanzzeit des Munchener
Hoftheaters erlebte der Gymnasiast T. »verbotenerweise« als eifriger Galerie-
stammgast. Das Herrlichste waren freilich immer die Ferien bei der geliebten
Mutter am Chiemsee.
Der Student T. sattelte nach zwei Semestern Forstakademie in Aschaffen-
burg um und studierte Rechtswissenschaften in Miinchen und Erlangen. Nach
beendigtem Studium trat er in Traunstein, wo sich seine Mutter inzwischen
niedergelassen hatte, als Rechtspraktikant (Referendar) mit idealen Erwar-
tungen in den Staatsdienst, aber fast jeder Tag brachte ihm neue Enttau-
schungen. Bald war er sich klar dariiber, daB er weder Richter noch Verwal-
tungsbeamter werden mochte, das Leben dieser Beamten schien sich ihm in
einem zu engen Kreise zu drehen. Fachsimpelei, Streberei und gegenseitiges
Ubelwollen stieBen ihn ab. Da gewahrte ihm ein Freund der Familie die Mittel,
um sein letztes Praktikantenjahr in Miinchen abzudienen. Hier herrschte ein
viel lebhafteres geistiges Leben als in der Provinz, wenn T. davon bei Amt
und Gericht auch wenig genug merkte. Er horte aber ausgezeichnete, geist-
reiche Verteidiger, gewann Fuhlung mit Leuten, die im offentlichen Leben
standen, und wurde zu den ersten schriftstellerischen Versuchen angeregt. Die
literarische Bewegung, die damals in Deutschland einsetzte, erweckte seine
lebhafte Teilnahme. Den starksten Eindruck machte Fontane auf ihn. Hier
lernte er, daB »nur eine souverane Darstellung wirklichen Lebens wertvoll sei«.
Das konnte der Leitsatz fiir T.s gesamtes spateres Schaffen sein.
Nach gliicklich bestandenem Staatskonkurs, wo er sich »zum ersten und zum
letzten Male iiber Rechtsfragen mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit ver-
breitete«, lieB er sich in dem kleinen Stadtchen Dachau bei Miinchen, wo da-
mals schon eine stattliche Malerkolonie saB, als Rechtsanwalt nieder. Kurz
vorher hatte er seine Mutter verloren. Die Zeit in Dachau lieB den Mann und
den Dichter in T. reifen. »Es war eine liebe, stille Zeit . . .«, heiBt es dariiber
in den »Erinnerungen<<. Das Leben des Bauern war dem auf dem Lande auf-
gewachsenen Forsterssohn vertraut, aber erst in dieser Zeit offenbarte sich
ihm der tiefe, ernste Sinn des Bauernlebens. »Hinter Dachau, dem das groBe
Moos vorgelegen ist, dehnt sich ein waldiges Hugelland von groBer Fruchtbar-
keit aus, in dem Dorf an Dorf bald zwischen Hohen, bald hinter Waldern ver-
Thoma
259
steckt liegt. Hier lebt ein tiichtiges Volk, das sich Rasse und Eigenart fast un-
beruhrt erhalten hat, und ich lernte verstehen, wie sein ganzes Denken und
Handeln, wie alle seine Vorzuge begriindet liegen in der Liebe zur Arbeit und
in ihrer Wertschatzung. — Arbeit gibt ihrem Leben ausschlieBlich Inhalt, weiht
ihre Gebrauche und Sitten, bestimmt einzig ihre Anschauungen tiber Leben und
Dinge. Es liegt eine so tiefe, gesunde, verstandige Sittlichkeit in dieser Lebens-
fiihrung eines ganzen zahlreichen Standes, in dieser Auffassung von Recht und
Unrecht, von Pflicht und Ehre, daB mir daneben die hohere Moral der Gebil-
deten recht verwaschen vorkam. . . . So, wie das Bauernvolk natiirliches Ge-
schehen hinnimmt, wie ruhig es sich iiber Krankheit und Sterben wegsetzt,
zeigt es wahre Gr6Be.«
Im Verstehenlernen faBte T. Lust, dieses Leben zu schildern. So entstan-
den zunachst die kleinen Erzahlungen, die spater (1897) als Buch unter dem
Titel »Agricola« erschienen sind. Der Bauer war als literarisches und male-
risches »Sujet« nichts Neues, neu war aber die Art der Darstellung bei T. Er
sah nicht mit den Augen des Stadters, sah nicht eine nur eingebildete Ro-
mantik, er stellte sachlich die Wahrheit dar. Alles war echt, unverfalscht, un-
literarisch. Keiner vor ihm hatte mit solcher Kuhnheit die bauerliche Mundart
ungeschminkt wiederzugeben gewagt. Waren die Erzahlungen des Buches
»Agricola« auch noch durchweg heiter und noch nicht ganz frei von der Ironie
des Gebildeten, der seinen SpaB hat an dem Hinterwaldlertum des erbeinge-
sessenen, zivilisationsfernen Bauern, so hatte hier T. doch schon mit sicherem
Schritt und unfehlbarem Instinkt den ihm vorgezeichneten Weg beschritten, der
ihn auf eine nur wenigen erreichbare kiinstlerische Hohe fiihren sollte. In Art
und Geist des »Agricola« schuf er spater die Werke, die ihn aus der groBen Zahl
der Berufenen erhoben in den kleinen Kreis der Auserwahlten, seine Romane
» Andreas V6st«, »Der Wittiber« und »Der Ruepp«.
Vorher fiel jedoch die zweite Entscheidung in T.s kiinstlerischer Entwick-
lung: der AnschluB an die geistige Bewegung, der in erster Linie die neuen,
auch politisch fortschrittlich und kampferisch eingestellten Miinchener Zeit-
schriften »Jugend« und »Simplizissimus« dienten. T. schickte politische Ge-
dichte an die »Jugend«, sie wurden sofort veroffentlicht, ein Erfolg, der sein
Zutrauen starkte. Es war in der Zeit, da T., angeregt durch eine Schwester, die
in Munchen ' eine Pension eroffnete, die Ubersiedlung nach Munchen erwog.
Der Wunsch, der neuen Bewegung nicht fern zu bleiben, lieB die Absicht zum
EntschluB reifen. Im Fruhjahr 1897 eroffnete T. eine Rechtsanwaltskanzlei in
Munchen. Gliicklicherweise bot ihm die Praxis, die er vom Land hereingebracht
hatte, einen gewissen Halt, sonst hatte er sich sehr schwer getan in der Haupt-
stadt. Durch Bruno Paul, der Bilder fur den »Agricola« zeichnete, wurde er mit
dem »Simplizissimus«-Kreise bekannt, und je lebhafter sein Verkehr mit den
hier vereinigten Kunstlern wurde, um so starker wurde auch sein Wunsch, mit
ihnen zusammenzuarbeiten, alle seine Interessen gingen darin auf, und eine
immer schwerere Unlust am anwaltlichen Berufe driickte schwer auf ihn. End-
lich — im Herbst 1899 — entschloB er sich, die auBere Freiheit kiinstlerischen
Schaffens zu gewinnen, er gab seine Anwaltskanzlei auf und beschaftigte sich
mit groBeren literarischen Arbeiten. Bald trat er auch in die Redaktion des
»Simplizissimus« ein. Er blieb diesem Blatte, wenn auch nicht als Redakteur,
so doch als eifriger Mitarbeiter bis zu seinem Tode getreu. Er schrieb ungezahlte
26o 1921
satirische Gedichte, viele Prosastticke und die bertihmt gewordenen Briefe des
bayerischen Landtagsabgeordneten Josef Filser fur den >>Simplizissimus« f und
neben den Zeichnern Th. Th. Heine, Rudolf Wilke — den T. besonders wert
hielt — , Wilheltn Schulz und Reznicek gab T. dem Blatt die bedeutende Note.
Er wurde hinwiederum durch den »Simplizissimus« in erster Lime volkstum-
lich und in ganz Deutschland bekannt. Viele Deutsche kennen selbst heute
noch nur den »Simplizissimus«-T., wissen nicht, daB derselbe Mann, der mit
so schlagendem Witz und urbayerischem, oft derbem Humor gereimte Glossen
zur Zeitgeschichte schrieb, dem der schonste General, der tugendhafteste Sitt-
lichkeitsapostel und der strengste Staatsanwalt nicht heilig war, epische Werke
hinterlassen hat, die zum Wertvollsten gehoren, was die deutsche Heimat-
dichtung iiberhaupt aufzuweisen hat.
Es ware durchaus falsch, in T. vor allem den spottspruhenden Glosseur und
geistreichen, schlagfertigen Kulturkampfer zu sehen. T., dieser innerlich weiche,
gutige, getreue Mann, war alles andere eher denn ein leichtlebiger, frivoler
Kaffeehausliterat, der sich iiber Gott und die Welt lustig macht und dem nichts
anderes heilig ist denn die eigene Person. Falsch ware es jedoch auch, zwischen
dem Dichter T. und dem T. des »Simplizissimus« einen inneren Widerspruch
konstruieren zu wollen. Das Kampferische lag in seiner starken, geraden, un-
verbildeten Natur, der nichts in der Welt so zu wider war, wie Ungerechtigkeit,
Heuchelei, Pose und anmaBende Dummheit. Sein scharfer Verstand, sein un-
bestechlicher, naturgeschulter Blick durchschaute sofort alles Unechte und lieB
sich durch keine vorgeschobene Kulisse hinters Licht fiihren. In der Schule
hatten die Enttauschungen angefangen, dort war er zum erstenmal mifitrauisch
geworden gegen Autoritat, die sich bei naherem Zuschauen als hohl und ver-
logen herausstellte, und je reifer er wurde, desto mehr muBte er sich tiber-
zeugen, daB im offentlichen I^eben nicht Konnen, Ehrlichkeit und Idealismus,
sondern Diinkel, Heuchelei, Streberei und eitles Demagogentum herrschten. Es
war sicherlich ein sittliches Miissen, daB er wie St. Georg dem viergekopften
Drachen zu I^eibe riickte, wo er ihn traf. Mit altbayerischetn Humor, der mit
herzhafter Derbheit, nie aber mit niedriger Gehassigkeit gepaart war, teilte er
seine Schlage aus. DaB es ein gerechter Zorn war, der da kraftig zupackte, dar-
iiber hat vielen erst die Nachkriegszeit die Augen geoffnet, als sie die Ernte
sahen, die im offentlichen Leben um die Wende des Jahrhunderts gesat worden
war. Da lernte man T.s politischen Weitblick bewundern und seinen Mut, die
Wahrheit zu sagen, wo das noch nicht so ungefahrlich war wie heute.
Es fehlte nicht an gegnerischen Versuchen, Ludwig T. als einen radikalen
Zyniker hinzustellen, der den Geistlichen, den Beamten, den Offizier schlecht-
hin verspotte und beschimpfe, um so jede Autoritat zu unterwiihlen. Ein natiir-
lich konservativer Mensch wie T., der viel lieber den Blick in die Vergangen-
heit als in die Zukunft schickte, ist nie und nimmer revolutionar. T. riittelte
auch nicht an den Grundfesten gesunder Autoritat, er zerschlug nur hohle Po-
panzen, um die Offentlichkeit zur Besinnung zu mahnen. Er verspottete und
bekampfte nur den schlechten Beamten, den politisierenden Priester, den iiber-
heblichen Paradeoffizier. Wiederholt spricht er in seinen »Erinnerungen« von
Geistlichen und Beamten, die ihm im Leben begegnet waren, mit Worten auf-
richtiger Wertschatzung und Verehrung. Im iibrigen brachte ihn die Scharfe
seiner impulsiven Kampffiihrung wiederholt vor Gericht. Wegen Beleidigung
Thoma 261
von Vertretern der Sittlichkeitsvereine muJ3te er sogar 1906 eine sechswochige
Haft verbiiBen. (Das »Stadelheimer Tagebuch«, nach dem Tod des Dichters erst
veroffentlicht, mag diejenigen beschamen, die sich seinerzeit fiber die Ver-
urteilung T.s freuten.)
Die Tatigkeit fiir den »Simplizissimus« lieB T. geniigend MuBe zu freiem
dichterischen Schaffen. In rascher Folge entstanden epische Arbeiten und
Buhnenwerke. Man spiirt, er war jetzt seiner vollen Kraft bewuBt geworden.
Bleibt er in der schlichten bauerlichen Sittengeschichte »Die Hochzeit« (1901)
noch mehr Schilderer als Erzahler — obwohl auch diese geradezu wissenschaft-
lich echte Arbeit bereits die sichere Hand des Meisters zeigt — , vollendet er in
dem Roman » Andreas V6st« (1904) wohl sein starkstes Werk, dem in der
bayerischen Heimatdichtung nichts, in der groBen deutschen nur wenig an die
Seite gestellt werden kann. Der Held ist ein tiichtiger, gerade gewachsener
Bauer, der, in Opposition gegen Geistliche und weltliche Obrigkeit gedrangt,
sein Recht sucht und nicht findet. Also ein Unnotiv epischer Dichtung. Der Bau
dieses Romans ist so kernecht und natiirlich und frei gewachsen wie ein Baum
drauBen im Wald. Die Geschehnisse greifen mit der unerbittlichen Logik wirk-
lichen Lebens ineinander, der Schilderer ist ganz im Erzahler aufgegangen,
alles dient nur mehr dem kiinstlerischen Zweck. Als ein Mensehengestalter von
gedrangtester Kraft und unpathetischer Wahrhaftigkeit zeigt sich T. frei von
spielerischer Willkiir. Er will »souveran das wirkliche Leben darstellen«. Wie
sehr gelingt ihm das! Das Alltagliche enthullt seinen tragischen Kern, das Ein-
zelschicksal wird im hoheren Sinne Massenschicksal. DaB in T. der Klassiker
der altbayerischen Mundart erwachsen war, erweist am schlagendsten der
Roman »Der Wittiber« (191 1), wo der Dichter die Erzahlung schon fast ganz in
Dialoge auflost, und in dem tragischen Volksstiick )>Magdalena« (1912).
Die Biihne hat sich T. verhaltnismaBig rasch erobert, obwohl seine Stiicke in
polarem Gegensatz zu den Werken von Ibsen, Hauptmann, Schnitzler und
Sudermann standen, die dam als das deutsche Theater beherrschten. Das ein-
aktige Lustspiel »Die Medaille* (1901) machte den Anfang, ein Jahr spater
folgte der lustige Dreiakter »Die Lokalbahn«. Beide Stiicke bezaubern durch
ihren saftigen Humor, durch die prachtig gesehenen komischen Typen, die das
Wesenthche treffende Verulkung kleinstadtischer Enge und Wichtigtuerei,
darum altern sie auch nicht. Ein groBer Augenblickserfolg war der Komodie
)>Moral« (1908) beschieden, einer sehr geschickt dramatisierten Glosse gegen
scheinheilige Sittlichkeitsapostel ; kiinstlerisch bedeutet jedoch das Werk nicht
so viel wie die beiden erstgenannten Lustspiele und das schon erwahnte Volks-
stiick »Magdalena«, das sicherlich die Grenzen des Dramatikers T. erkennen
laBt, trotzdem sehr [starke, innerlich begriindete Wirkung tut. Der 1. Akt
vor allem gehort zu dem Wertvollsten, was T. geschaffen hat. Neben »Mag-
dalena« fallt das in Norddeutschland spielende Gesellschaftsschauspiel »Die
Sippe« etwas ab, so feinbeobachtete Einzelheiten auch hier die etwas matte
Handlung beleben. Kleinere dramatische Arbeiten schrieb T. noch eine ganze
Reihe, am erfolgreichsten waren die lustigen Einakter »Erster Klasse« und
»Lottchens Geburtstag«.
Es kam der Krieg. Jetzt erwies sich der wurzelstarke Patriotismus des Dich-
ters Ludwig T. Er brauchte wirklich nicht erst eine Schwenkung zu machen,
um seinen Platz in der deutschen Abwehrfront zu finden, wie ihm das manch-
262 192 1
mal aus Unverstandnis oder Boswilligkeit nachgesagt wurde. T. hatte sein
Vaterland immer leidenschaftlich geliebt und gerade aus dieser zahen Anhang-
lichkeit heraus alles bekampft, was ihtn undeutsch, unecht zu sein schien, nicht
zum wenigsten die Fremdtumelei vieler Deutschen. Da er nicht gedient hatte,
trat er 1914 als f reiwilliger Krankenpfleger in eine Front-Sanitatskolonne ein und
machte seinen schweren Dienst unverdrossen und aufopfernd wie nur einer.
In RuBland erkrankte er jedoch Mitte 1915 so schwer an der Ruhr, daB er nach
Miinchen zuriickkehren muBte. Im Felde hat er sich wohl den Keim der tuk-
kischen Krankheit geholt, der der starke, abgehartete und sinnenf reudige Mann
einige Jahre spater erlag.
Wahrend des Krieges noch (1916) entstand ein Werk, das dem Dichterkranze
T.s fur immer eine lichte Glorie gibt, die Weihnachtslegende »Heilige Nacht«.
In wundersam innigen, schlichten Versen, aus Vorstellung und Geist des baye-
rischen Bergvolkes heraus und in seiner Mundart erzahlt T., wie der Sohn
Gottes als Mensch in einem armseligen Stall geboren ward. Ein durch seine
lautere Schonheit begliickendes Werk, das uns zugleich, nachst dem auto
biographischen Erbgut, das Geheimste iiber den tiefen, ganz seiner Heimat hin-
gegebenen Menschen T. offenbart.
DaB auch im Ernst der Zeit sein urquellhafter Humor nicht versiegt war, er-
wiesen die nachsten Arbeiten, der kostliche Sommerfrischenroman »Altaich«
(1918) mit seiner drolligen Gegeniiberstellung altbayerischer Kleinstadtbehabig-
keit und harmlos-lustiger BerUnerei und die Tegemseer Erzahlung »Der Jager-
loisl« (1921). Das Werk aber, das er noch kurz vor seinem Tod vollendete, der
Bauernroman »Der Ruepp«, worin er das Abwirtschaften eines Bauern durch
Trunk und Spekulation darstellt, schlieBt den Ring der groBen Heimatepen.
Wiirdig steht er in der Reihe des » Andreas V6st« und des »Wittiber«, unge-
schwacht war die schopferische Kraft, woraus er entstand. Der autobiogra-
phische Roman »Kaspar Lorinser«, woran T. nach dem Kriege arbeitete, blieb
Fragment, die wundervollen ersten Kapitel, die im NachlaB neben dem nicht
ganz vollendeten Roman »Munchnerinnen«, der fast fertigen Erzahlung »Lola
Montez« und ausgezeichneten Charakterbildern von Mannern, die er gekannt
hatte, gefunden wurden, lassen jedoch erkennen, daB T. in die klassische Form
eines groBen Zeitromans die Essenz seiner reichen dichterischen Schau gegossen
hatte, wenn ihn der Tod nicht jah verhindert hatte, diese Ernte seines begna-
deten Lebens zu bergen.
Im August 192 1 muBte sich T. in Miinchen wegen Magenkrebs einer Opera-
tion auf Leben und Tod unterziehen. Er zog das schwarze Los. Sterbend lieB er
sich nach Rottach am Tegernsee hinausfahren, wo ihm seinerzeit sein Freund
Ignatius Taschner ein wunderschones Heim gebaut hatte, noch einmal wollte
er seine geliebten Berge sehen. Am 26. August starb er. Nun ruht er Seite an
Seite mit seinem Freunde Ludwig Ganghofer im Friedhof in Egern am Tegern
see.
Verzeichnis der Werke Ludwig Thomas: Romane: Andreas Vost (1904), Der
Wittiber (191 1), Altaich (19 18), Der Jagerloisl (1921), Der Ruepp (1922), Miinchnerinnen
(1923). — Erzahlungen : Hochzeit (1902), Die Wilderer (1903), Der heilige Hies (1904). —
Sammlungen erzahlender Prosa: Agricola (1897), Assessor Karlchen (1900), Lausbuben-
geschichten (1904), Pistole oder Sabel (1905), Tante Frieda (1906), Kleiustadtgeschichten
(1908), Der Postsekretar im Himmel (1914), Nachbarsleute (19 16), Das Kalbehen (1916),
Die Dachserin (1923). — Dramen: Magdalena (191 2), Die Sippe (19 13), Der erste August,
Thoma. Trimborn 263
Christnacht (19 14). — Lustspiele: Die Medaille (1902), Die Lokalbahn (1902), Moral (1908),
Erster Klasse (1910), Lottchens Geburtstag (191 1), Das Sauglingsheim (191 3), Waldfrie-
den, Brautschau, Dichters Ehrentag, Die kleinen Verwandten (19 16), Gelahmte Schwingen
(1918). — Gedichtbande : Grobheiten (1902), Neue Grobheiten (1903), Peter Schlehmil
(Thomas Deckname bis 1906), Moritaten (1908), Kirchweih' (19 12), Miinchener Kameval
(19 1 3). — Die Versdichtung : Heilige Nacht (19 16). — Satirische Schriften: Brief wechsel
eines bayerischen Abgeordneten (1909), Josef Filsers Brief wechsel (191 2). — Auto-
biographische Schriften: Erinnernngen (1919), Stadelheimer Tagebuch (1923), Leute, die
ich kannte (1923). — Gesammelte Werke (1922). — Die Jahreszahlen geben das Erschei-
nungsjahr der betreffenden Bucher an. Weitere Arbeiten sind auBer im »Simplizissimus«
in der Zeitschrift »Marz« (1907— 191 7) zu finden, die T. zusammen mit Albert Langen
gegriindet hat. AUe Werke T.s sind im Verlag Albert Langen, Miinchen, erschienen. Un-
gedruckte Arbeiten von Belang liegen nicht mehr vor. Besitzerin des Nachlasses ist T.s
Haupterbin, Frau v. Liebermann. — Fritz Dehnow, Ludwig Thoma, Miinchen 1925 ; Ludwig
Thoma tAusgewahlte Brief e«, herausgegeben von Josef Hofmiiller und Michael Hoch-
gesang, Miinchen 1927.
Weyarn (Oberbayern). Oskar Gluth.
Trimborn, Karl, Politiker und Parlamentarier, Staatssekretar a. D., * in
Koln am 2. Dezember 1854, f m Bonn am 25. Juli 192 1. — T. war Sohn des
Justizrats Cornelius Balduin T., des Reichstags- und Landtagsabgeordneten f iir
Krefeld (1880 — 1889). Er studierte zuerst Geschichte und Philosophic in Leipzig,
wo er mit Adolf Grober den katholischen Studentenverein Teutonia griindete,
sattelte dannum,ging mit Grobernach Miinchen, um J urisprudenz zu studieren,
wo er mit Georg Orterer befreundet wurde. Als Ordner des katholischen Stu-
dentenvereins Ottonia hielt er dort im Januar 1876 am Grabe des Joseph
v. Gorres die Gedachtnisrede zu dessen 100. Geburtstag, nachdem die Univer-
sitat sich dieses Tages nicht erinnert hatte. Dann ging er nach StraBburg, wo
er mit Eifer die VortrageSohmsbesuchte und sich mit Karl Bachem zusammen-
fand. Schon als Referendar in Koln war er Mitglied des Schutzvorstandes des
Katholischen Gesellenvereins, welcher sein Heim im Nebenhause seines elter-
lichen Hauses hatte. 1882 lieB er sich als Rechtsanwalt in Koln nieder. Er
nahm sich sofort einer sorgfaltigen Durchorganisierung der Kolner Zentrums-
partei an und gelangte 1894 in die Kolner Stadtverordnetenversammlung, wo
ihm die Fuhrung der Zentrumspartei zuf iel. 1896 wurde er auch in den Deutschen
Reichstag und das PreuBische Abgeordnetenhaus gewahlt. 1906 legte er seine
Rechtsanwaltschaft nieder, um sich ganz der Arbeit fur das Volkswohl zu wid-
men. Von da an begann die fruchtbarste Zeit seiner offentlichen Tatigkeit.
Nach dem Riicktritte des Abgeordneten Eduard Fuchs wurde er zum Vor-
sitzenden der rheinischen Zentrumspartei gewahlt, und schuf dieser in lang-
jahriger zaher Kleinarbeit eine musterhafte Organisation, auf welcher sich der
EinfluB der Partei immer mehr aufbaute. Neben dieser organisatorischen
Tatigkeit liegt seine Hauptbedeutung auf dem Gebiete der Sozialpolitik und
Kommunalpolitik.
Bei Griindung des Volksvereins fur das katholische Deutschland 1890 war er
auf den dringenden Wunsch Windthorsts dessen zweiter Vorsitzender geworden.
Nach dem Tode des ersten Vorsitzenden Franz Brandts 1915 wurde er dessen
Nachfolger. So erfiillte er sich mit der Richtung von Franz Brandts, lebte sich
in enger Zusammenarbeit mit Franz Hitze und August Pieper in die Ideenwelt
dqs Volksvereins ein, und wurde nach dem Tode von Ernst Lieber dessen wir-
264 '921
kungsvollster Verbreiter. Im Reichstage wurde er bald Mitglied aller groBen
sozialpolitischen Kommissionen und verteidigte alljahrlich die Sozialpolitik des
Zentrums in glanzenden, inhaltsreichen Reden. So wurde er in bestem Einver-
standnisse mit dem Staatssekretar des Inneren Grafen Posadowsky einer der
eifrigsten Forderer der neuen Sozialpolitik des Deutschen Reiches, sowohl der
Arbeiterversicherung- wie der Arbeiterschutzpolitik. Namentlich bemiihte er
sich auch erfolgreich um eine planvolle Mittelstandspolitik, wobei er den Nach-
druck auf eine moglichst sorgfaltige Ausbildung des Nachwuchses der gewerb-
lichen Mittelstande legte.
Nachhaltig waren auch die Bemuhungen T.s um eine gesunde Kommunal-
politik, namentlich um eine christliche Sozialpolitik in den Gemeinden. Er ent-
wickelte langsam ein ganzes Programm einer systematischen Kommunalpolitik,
um den sozialpolitischen, schulpolitischen und kulturpolitischen Bestrebungen
der Zentrumspartei in den Gemeinden einen festen Halt zu schaffen. Mit
Dr. Otto Thissen gab er das Werk »Kommunale Sozialpolitik* heraus und be-
griindete 1908 die Stadtverordnetenkonferenzen der rheinischen Zentrums-
partei, spater die »Kommunalpolitische Vereinigung der Mitglieder der Zen-
trumspartei in den Gemeindevertretungen «. Er veranlaBte die Herausgabe der
» Kommunalpolitischen Blatter «, seit 1910 in Koln erscheinend, welche unter
der Redaktion von Dr. Otto Thissen, spater von Dr. Reinhold Heinen bald zum
angesehensten Fachblatte mit einem Stande von 14000 Beziehern gediehen.
Er bekampfte unbeirrt den Standpunkt, daB die politischen Parteien in den
Vertretungen der Kreise, Stadte und Landgemeinden keine Stelle haben sollten
und vertrat den Grundsatz, daB die Weltanschauung der Zentrumspartei auch
in alien kommunalpolitischen Vertretungskorpern zur Geltung kommen musse.
So wurde er zum angesehensten kommunalpolitischen Fuhrer der Zentrums-
partei, welcher weit iiber die Rheinprovinz hinweg seinen EinfluB ausiibte.
Mit den politischen Arbeiten verband T. dauernd eine warme Vertretung der
katholischen Weltanschauung, wobei ihm seine stets versohnliche, humorvolle
Art auch bei Andersdenkenden Gehor und Anerkennung verschaffte. Er wurde
Prasident der 48. General versammlung der Katholiken Deutschlands zu Osna-
briick im August 1901. Die karitativen Arbeiten seiner Frau Jeanne, geb. Mali,
fanden an ihm stets die eifrigste Unterstiitzung.
Im Jahre 1913 legte T. sein Mandat zur Kolner Stadtverordnetenversamm-
lung nieder, weil die sozialpolitische Aufgabe des Reichstages seine ganze Ar-
beitskraft in Anspruch nahm. Der Weltkrieg rief ihn zuerst als Zivilverwalter
nach Verviers, dann als Generalreferent fur das Unterrichtswesen im besetzten
Belgien nach Briissel, wo er bis 1917 blieb. Nach Ausbruch der Revolution
wurde er in die Deutsche Nationalversammlung und in die preuBische Landes-
versammlung, dann in den neuen Deutschen Reichstag gewahlt. Nunmehr trat
er rasch in die vorderste Reihe der Fuhrer der Zentrumspartei fur die groBen
Linien der Politik. Als im Oktober 1918 Prinz Max von Baden das erste parla-
mentarische und letzte monarchische Kabinett bildete, trat er mit Grober in
dieses ein und iibernahm das Staatssekretariat des Inneren als Nachfolger
Lewaldts, um sich an dem Versuche zu beteiligen, die bedrohte Monarchic zu
retten. Als die Revolution dieses Kabinett nach funf Wochen hinwegschwemmte,
war sein Hauptbestreben, mitzuwirken, daB die Revolution nicht in Biirger-
krieg und Bolschewismus ausartete. Nach dem Tode Grobers (1919) wurde ei
Trimborn. Verworn 265
Vorsitzender der Zentrumsfraktion des Reichstages, dann auf dem ersten
Parteitage der deutschen Zentramspartei in Berlin im Januar 1920 Vorsitzen-
der der deutschen Zentnimspartei. Durch seine ausgleichende Tatigkeit konnte
er hier vortrefflich wirken. Seine Verdienste um das Zustandekommen des
Koalitionskabinettes Fehrenbach nach den Reichstagswahlen vom 6. Junii920,
welches eine ruhigere Entwicklung anbahnte, wurden von alien Seiten aner-
kannt. Trotzdem ihm eine lebensgefahrliche Operation bevorstand, hielt er im
Sommer 1921 aus bis der Reichstag geschlossen wurde, und begab sich dann
nach Bonn, wo er am 25. Juli 1921 an den Folgen der Operation verstarb. Eine
kraftvolle, zielbewufite, uneigennutzigePersonlichkeit von schlichter, anspruchs-
loser Lebensfuhrung, dabei von klarem Verstande, gliicklicher EntschluB-
freudigkeit und ausgepragtem Wirklichkeitssinn, war es zum groflen Teile ihm
zu verdanken, da£ die Zentnimspartei alsbald nach der Revolution sich auf den
Boden der neuen Tatsachen stellte, um das Reich nicht in Anarchie und Chaos
untergehen zu lassen. Seine politische Grundrichtung war klar und bestimmt
demokratisch, doch nicht ohne eine innere konservative Hemmung, welche ihn
nur den systematischen Fortschritt ohne alle iibersturzenden Experimente
suchen lieB, beides iibrigens in derjenigen Farbung, wie sie von der iiber-
lieferten Zentrumpolitik herausgearbeitet war.
Literatur: Biographie von Hermann Cardauns, Miinchen-Gladbach, Volksvereins-
verlag 1922. — Der politische Nachlafl befindet sich in den Handen seines Schwiegersohnes,
des Landrates v. Hobe in Bonn.
Koln. Carl Bachem.
Verworn, Max, o. 6. Prof, der Physiologie und Direktor des physiologischen
Institute der Universitat Bonn, Dr. med., Dr. phil., Dr. of sciences h. c, Dr. of
law h. c, Geh. Medizinalrat, * in Berlin am 4. November 1863, f in Bonn am
23. November 192 1. — Er entstammte einer alten preuBischen Beamtenfamilie.
Seine Jugend verlebte er in Berlin, wo er vom Friedrichs-Gymnasium das Zeug-
nis der Reife erhielt. Dann studierte er in seiner Heimatstadt und in Jena
Medizin, widmete sich aber daneben auch zoologischen, palaontologischen, geo-
logischen und besonders philosophischen Studien. Schon als junger Student hat
er ganz selbstandig zwei auf eigenen Untersuchungen beruhende palaonto-
logische Arbeiten veroffentlicht, ehe er dann im Sommer 1887 in Berlin zum
Dr. phil. und bald danach in Jena zum Dr. med. promoviert wurde. Nachdem
er auch das medizinische Staatsexamen abgelegt und mit einer weiteren Anzahl
biologischer Publikationen hervorgetreten war, darunter den umfassenden ex-
perimentellen » Psychophysiologischen Protistenstudien « (1889), bot ihm ein
wissenschaftliches Stipendium die Moglichkeit, im Herbst 1890 und im darauf-
folgenden Winter zuerst in Villefranche bei Nizza, dann an der zoologischen
Station in Neapel und endlich in El Tor an der Kiiste der Sinaihalbinsel seine
groBangelegten Studien an einzelligen Organismen fortzusetzen. Von der er-
gebnisreichen Reise zuriickgekehrt — in Neapel lernte er damals auch seine
spatere Frau kennen — , habilitierte er sich 1891 in Jena fur Physiologie. Im
Winter 1894/95 folgte zum Zwecke zellphysiologischer Untersuchungen eine
zweite Reise an die Sinaikiiste, an der auch der Verfasser dieser Zeilen teilnahm.
Das Jahr 1895 brachte V. die Ernennung zum auBerordentlichen Professor in
266 1921
Jena und seine Verheiratung mit Fraulein Josephine Huse und damit den Be-
ginn einer gliicklichen Ehe mit der verstandnisvoll teilnehmenden und zugleich
ihre eigene Individuality entfaltenden Lebensgefahrtin. Nachdem V. schon
eine bedeutende Lehr- und Forschertatigkeit ausgeiibt, die ihm bereits Weltruf
und eine groBe Anzahl von Schulern eingetragen hatte, erhielt er im Jahre 190 1
einen Ruf als Ordinarius der Physiologie nach Gottingen, wo er alsbald auch
zum ordentlichen Mitglied der Gottinger Gesellschaft der Wissenschaft ernannt
wurde. In Gottingen fand er zum ersten Male eine seiner Natur entsprechende
selbstandige Stellung, in der er bei fruchtbarem geistigem Austausch mit einer
groBen Schar von Schulern seine Personlichkeit voll entfalten konnte. Darum
hing er auch mit besonderer Liebe an dieser Statte seines ersten schonen ur-
eigensten Wirkens, die ihn auch nach seiner Wegberuf ung von dort immer wieder
anzog. Diese neue Berufung fuhrte ihn im Jahre 19 10 nach Bonn, wo er der
Nachfolger des Physiologen E. Pfliiger wurde. Im Jahre 1916 erhielt er einen
Ruf auf den durch den Tod von Ewald Hering frei gewordenen Lehrstuhl der
Physiologie in Leipzig, den er ablehnte. In Bonn aber waren seiner erfolgreichen
und vielseitigen Tatigkeit nur noch wenige Jahre vergonnt. Nachdem ein be-
ginnendes organisches Leiden schon seit einiger Zeit einen Schatten auf sein
Leben geworfen hatte, erlag der erst sSjahrige Ende 192 1 einem schweren
uramischen Anfall.
V.s Personlichkeit kommt in besonders hohem MaBe in seinen Werken zum
Ausdruck, eine groBziigige, vielseitig durchgebildete, harmonische Personlich-
keit. Er war ein rastlos tatiger, nach einer umfassenden und klaren Welt-
anschauung strebender Geist, unbeirrbar die Wahrheit suchend und fiir seine
Uberzeugungen eintretend. Neben seinem wissenschaftlichen Wirken zeigte er
auch ein zeitweilig produktiv sich auBerndes Interesse fiir bildende Kunst, er
hatte ferner Begabung und Liebe zur Musik, iiberhaupt ein offenes Auge und
Ohr fiir die Welt ringsum, was ihn mit groBer Kraft wiederholt auch zur Aus-
fiihrung groBer Reisen antrieb.
Ein Grundzug seines Wesens war die Einstellung auf das Ganze der Welt
und der Wissenschaft und seine energische Ablehnung alles einseitigen Spe-
zialistentums. Gleicherweise interessierte er sich fiir die physikalische und fiir
die psychologische Welt und fiir ihre Verkniipfung zu einem einheitlichen
Ganzen. Diesen allgemeinen Interessen, die schon friih bei ihm hervortraten,
gab er als reifer Forscher in einer Reihe im besten Sinne des Wortes popularer
Schriften Ausdruck, die meistens Vortragen ihre Entstehung verdankten. Es
sei nur genannt: »Die Erforschung des Lebens«, » Prinzipienf ragen in der Natur-
wissenschaft«, »Die Fragen nach den Grenzen der Erkenntnis«, »Die Entwick-
lung des menschlichen Geistes«, »Die Mechanik des Geisteslebens«, »Die An-
fange der Kunst«, »Zur Psychologie der primitiven Kunst«.
Einige Lehren, die V. in diesen und anderen Schriften vertritt, sind an-
gefochten worden, wie besonders sein »Konditionismus« und sein »Psycho-
monismus«, die hinter verwandten Anschauungen, wie sie hauptsachlich von
Mach, Avenarius und Petzoldt entwickelt worden sind, offenbar zuriickstehen.
Auch die Arbeiten V.s in seinem Spezialfach der Physiologie sind stets von
allgemeinen Gesichtspunkten geleitet. Seine Hauptleistung auf diesem Gebiet
besteht darin, daB er der Begriinder einer ihrer Bedeutung fiir die gesamte
Physiologie sich vollbewuBten » allgemeinen Physiologie « wurde. Damit fuhrte
Verworn. Waldeyer-Hartz 267
er eine Entwicklung weiter, die besonders von Johannes Muller, Haeckel und
Virchow ausging. In engem Zusammenhang mit diesen Bestrebungen stand
sein Wirken fur die Ausbildung einer der Virchowschen »Zellularpathologie« an
die Seite tretenden »Zellularphysiologie«. Ihr hat V. dadurch einen machtigen
AnstoB gegeben, daB er die einzelligen Organismen, die Protisten, mit groBtem
Erfolge als Versuchsobjekte in die experimentelle Physiologie einfuhrte. Zahl-
reiche in Fachzeitschriften veroffentlichte Untersuchungen und mehrere selb-
standig erschienene Schriften, darunter das in sieben Auflagen vorliegende
Lehrbuch der »AUgemeinen Physiologie «, sind Zeugen dieses umfassenden
und fruchtbaren Wirkens.
Neben die allgemeinphysiologischen und zellphysiologischen Bestrebungen
V.s traten mit der Zeit in zunehmendem MaBe seine Forschungen auf dem Ge-
biete der Physiologie des Nervensystems, die er besonders auch im Hinblick
auf die ihn lebhaft interessierenden Probleme der Psychologie unternahm. Und
an diese psychophysiologischen Studien schlieBen sich seine Forschungen auf
dem Gebiet der Anthropologic (s. o. S. 42), und zwar der Prahistorie, der pri-
mitiven Kunst und der Numismatik an.
Zur Forderung seiner physiologischen Bestrebungen begrundete V. auch die
»Zeitschrift fur allgemeine Physiologie « und verfaBte einen »Leitfaden fiir das
physiologische Praktikum«; auch war er wahrend mehrerer Jahre Herausgeber
des von Pfliiger begriindeten »Archivs fiir die gesamte Physiologie « und ferner
Mitherausgeber des »Handworterbuches der Naturwissenschaften«.
Literatur: Eine ausf iihrlichere Darstellung von V.s Personlichkeit und Wirken findet
man in der von mir in der Gesellschaft der Wissenschaften gehaltenen Gedachtnisrede
(Nachr. d. Ges. d. Wiss., Geschaftl. Mitt., 1922). Sein Nachlafi ist im Besitze von Frau Ge-
neimrat Josephine V. in Bonn.
Gottingen. Paul Jensen.
Waldeyer-Hartz, Wilhelm v., o. 6. Professor der Anatomie an der Universitat
Berlin, * im Dorfe Hehlen (Kreis Holzminden) an der Weser am 6. Oktober
1836, f in Berlin am 23. Januar 1921. — W.s Name hat glanzenden Klang.Uber
sein Leben sind wir vorziiglich durch ihn selbst unterrichtet, da er ganz kurz
vor seinem Tode seine »l>benserinnerungen« herausgab, aus denen wir nicht
nur seine Lebensschicksale, sondern auch sein ganzes Wesen genau kennen und
verstehen lernen. W. war stolz auf seine Abstammung aus einer westfalischen
Bauernfamilie. Sein Vater war Oberverwalter auf dem Gut des vielgereisten
und kenntnisreichen Frhrn. v. Haxthausen, auf dessen Veranlassung W. Gym-
nasialausbildung erhielt. Seine groBe Lehrgabe hat W. offenbar von seinem
miitterlichen GroBvater, Wilhelm Gabriel v. Hartz geerbt, der 42 Jahre als
hochangesehener Lehrer und Kantor in der Gemeinde Hehlen wirkte, von ihm
erhielt er auch den ersten Unterricht. In dankbarer Erinnerung an ihn erbat
sich W., als ihm an seinem 80. Geburtstag der erbliche Adel verliehen wurde,
die Verbindung des Namens v. Hartz mit seinem eigenen. Schon in seiner Schul-
zeit auf dem Gymnasium in Paderborn beschaftigte er sich in seinen MuBe-
stunden gern mit Musik, fiir die er entschieden begabt war und gnindete dort
einen Gesangs-Quartett-Verein. Bis ins Alter blieb er ein Freund guter Musik.
Mit 20 Jahren begann er seine Universitatsstudien in Gottingen. Er wollte
eigentlich Mathematiker werden. Ein ihm bekannter junger Mediziner nahm
268 1921
ihn in die Anatomievorlesung Henles mit, da war's urn seine mathematische
Laufbahn geschehen, er wurde begeisterter Henle-Schiiler und faBte den Ent-
schluB, Anatom zu werden. Als PreuBe muBte er auf einer preuBischen Univer-
sitat die Priifung ablegen, so muBte er schweren Herzens Gottingen verlassen
und zog nach Greifswald. Dort verbrachte er fiinf Semester, horte Anatomie bei
dem im Ruhestand lebenden Sigmund Schultze, dem Vater Max Schultzes, bei
Budge und Prosektor Sommer. Budge wollte W., der in seinen letzten Semestern
schon Hilfsassistent in der Anatomie geworden war, in Greifswald halten,
stimmte ihm aber bei, als er, um sich auch in der Entwicklungsgeschichte aus-
zubilden, beschloB, zu Reichert nach Berlin zu gehen. Hier legte er am 6. Juli
1861 die Doktorpriifung und ein halbes Jahr spater die Staatsprufung ab. Auf
Empfehlung von E. Klebs, R. Virchows Assistenten, nahm W. eine Assistenten-
stelle beim Physiologen v. Wittich in Konigsberg an. In Konigsberg, wo er als
Katholik sich nicht die Lehrbefugnis erwerben konnte, verweilte er nur zwei
Jahre. Er hielt dort schon anatomische Ubungen und machte viele patholo-
gische Leichenoffnungen, da in Konigsberg damals noch kein besonderer I^ehr-
stuhl fiir pathologische Anatomie bestand. In Konigsberg verlobte er sich mit
der Tochter des Provinzialschulrates Dillenburg, mit der er 44 Jahre in gliick-
licher Ehe verbunden war. 1864 iibersiedelte er zum Physiologen und Histo-
logen Rudolf Heidenhain nach Breslau, konnte sich schon im gleichen Jahre dort
die lehrbefugnis fiir Physiologie und pathologische Anatomie erwerben. Im
nachsten Jahre wurde er zum auBerordentlichen Professor und 1867 zum ordent-
lichen Professor der pathologischen Anatomie ernannt, doch muBte er mangels
einer pathologisch-anatomischen Anstalt seine Vorlesungen und Ubungen in
einer Mietswohnung halten. Trotz seines pathologisch-anatomischen Haupt-
amtes arbeitete W. in der Breslauer Zeit auch eifrig auf normal-anatoniischem,
vor allem mikroskopischem Gebiet und vervollstandigte seine vergleichend-
anatomischen Kenntnisse durch Studien in Triest. Im Krieg 1870/71 sehen wir
ihn als freiwilligen Arzt eines Johanniterlazarettes und in einem Lazarett bei
Saarbriicken tatig. Als nun nach der gliicklichen Wiedergewinnung unseres so
heimtuckisch geraubten ElsaB die alte deutsche Reichshochschule StraBburg
erneuert wurde, rief man W. als Professor fiir normale Anatomie dorthin. Er
selbst nennt die dort verbrachten elf Jahre die schonste Zeit seines Lebens. »In
dem erhebenden Gefuhl,« sagte er in seinen I^ebenserinnerungen, »mitgewirkt
zu haben an der Neuaufrichtung des Deutschen Reiches, an der Wiedergewin-
nung des echten deutschen Landes ElsaB und in derWiedererrichtung einer be-
ruhmten deutschen Universitat liegt etwas so Hohes und Befriedigendes, wie es
durch nichts anderes gegeben werden kann. Wir alle, die wir damals berufen
wurden, mitzuhelfen und es in noch frischem jugendlichen Alter mit voller
Kraft tun konnten, sind zu beneiden.« So ist es nicht zu verwundern, daB W.
ehrenvolle Rufe nach Wien, Bonn und Miinchen ablehnte. Erst 1883 entschloB
er sich, das geliebte StraBburg zu verlassen, als er, hauptsachlich auf Betreiben
des bekannten, hochverehrten und vielgeschmahtenMinisterialdirektors Althoff ,
seines fruheren StraBburger Kollegen, als Nachfolger seines Lehrers Reichert
nach Berlin berufen wurde. Bald wurde er auch in die Akademie der Wissen-
schaften gewahlt, die ihm spater, nach E. Du Bois Reymonds Tode, eine der
standigen Sekretarstellen tibertrug, der er 23 Jahre lang, bis in sein 83. Lebens-
jahr mit groBter Umsicht vorstand. 1912 wurde ihm die Ehre der Berufung in
Waldeyer-Hartz 269
das preuBische Herrenhaus zuteil. 34 Jahre fiihrte er die Berliner Anatomische
Anstalt in vorbildlicher Weise, bis er sie, iiber 80 Jahre alt (am 31. Marz 1917),
in voller geistiger und korperlicher Frische mir iibergab. Noch dreieinhalb Jahre
blieb ihm die Schaffenslust und Schaffenskraft beschieden, dann erst stellten
sich bedenkliche Zeichen von Herzschwache ein, die ihm am 23. Januar 192 1
ein sanftes Ende bereitete.
Bis iiber den Tod hinaus hielt W. der Anatomie die Treue, indem er sein
Gehirn, Schadel und Hande der Anatomie Berlin zur Aufbewahrung und Unter-
suchung letztwillig vermachte.
Die wissenschaftliche Arbeit W.s war eine ungemein fruchtbare, verdanken
wir ihm doch nicht weniger als 270 Veroffentlichungen. Sie erstreckte sich auf
die verschiedensten Gebiete der pathologischen und normalen Anatomie. Von
den ersteren sind die iiber die Entwicklung der Krebsgeschwulste und iiber die
Muskelveranderungen beim Typhus die bedeutendsten ; sie hatten nach
R. Virchow schon allein geniigt, W. dauernd einen ehrenvollen Platz in der Ge-
schichte der Wissenschaft zu sichern. Von Einzelwerken ragen drei besonders
hervor, die es alle drei mit den Geschlechtswerkzeugen zu tun haben. Das erste,
»Eierstock und Ei«, erschien bereits 1870 und hat so recht eigentlich den Grund
zu seinem Ansehen als Forscher in der normalen Anatomie und Entwicklungs-
geschichte gelegt. Es ist auch heute noch eine der Grundlagen unserer Kennt-
nisse und Bezeichnungen auf diesem Gebiet. Ein klassisches Werk ist auch
»Das Becken, topographisch-anatomisch mit Beriicksichtigung der Chirurgie
und Gynakologie dargestellt«, das 1899 erschien, und ebenso seine Darstellung
»Die Geschlechtszellen « in O. Hertwigs Handbuch der vergleichenden und
experimentellen Entwicklungsgeschichte, die 1903 herauskam.
Von den kleineren Arbeiten W.s betreffen die wichtigeren hauptsachlich die
Nervenendigungen, die Bindegewebszellarten, Bau und Entwicklung der
Zahne, die mannlichen Geschlechtswerkzeuge, das Mageninnere, die Lage der
Beckeneingeweide bei Schwangerschaft, die Rassenschadel und Rassenhirne der
Berliner Anatomie, Eingeweide- und Nervensystem der Menschenaffen und
Abarten am Menschenschadel. So bereicherte er unsere Kenntnis fast in alien
Gebieten der Anatomie durch eigene Beobachtungen.
Aber von vielen Fachgenossen wird das wissenschaftliche Hauptverdienst
W.s nicht in der Mitteilung dieser oder jenergewiB nicht unwichtigen Befunde
gesehen, sondern in seinen in der Tat uniibertrefflichen zusammenfassenden
Darstellungen wichtiger zeitgemaBer Fragen der Anatomie und Entwick-
lungsgeschichte. Sobotta hat mit Recht in seinem Nachruf darauf hingewiesen,
daB die Ergebnisse der einzelnen Forscher in W.s Ubersichten oft besser, scharf er
und klarer zum Ausdruck kommen als in den Urarbeiten selbst. Manche dieser
Darstellungen, wie die iiber die Kernteilung, wurden in fremde Sprachen iiber-
setzt. Besonders wichtig waren auch seine Aufsatze iiber »Befruchtung und
Vererbung« sowie iiber die Zelle und iiber die Hirnwindungen.
Eine ganz besondere Begabung trat gelegentlich dieser zusammenfassenden
Darstellungen in die Erscheinung, namlich fur neu aufgefundene Gebilde oder
Vorgange zweckmaBige Namen aufzufinden. Eine groBe Zahl jetzt in der
Biologie allgemein gebrauchlicher Bezeichnungen stammt von W. Ich erwahne:
» Chromosome fiir die farbbaren Faden im Kern, » Neuron « fiir die aus Zelle,
Faser und Endbaumchen bestehende Nerveneinheit, )>Schmelzleiste«, »Schmelz-
270 192 1
pulpa«, »Schmelzorgan« bei der Zahnentwicklung. Eine fiir die Forderung der
anatomischen Wissenschaften und ihre Verbreitung hochst wichtige Arbeit
leistete W. als Herausgeber mehrerer groBer Zeitschriften. Meisterhaft ver-
stand er es, Mitarbeiter fiir sie zu gewinnen und die oft einander widerstreiten-
den Wtinsche der Gelehrten und der Verleger, z. B. iiber die Gestaltung der Ab-
bildungen, miteinander zu vereinen. 83 Bande des Archivs fiir Mikroskopische
Anatomie erschienen unter seiner 43 Jahre wahrenden Leitung.
Schon die bisher besprochenen Leistungen sicherten W. einen groBen Kreis
von Bewunderern unter den engeren Fachgenossen und den Arzten, die durch
seine glanzenden Ubersichten, die zum Teil in arztlichen Zeitschriften erschienen,
sich iiber die Fortschritte der Anatomie unterrichten konnten. Die groBte und
nachhaltigste Wirksamkeit entf altete er aber durch seine Vorlesungen und Vor-
trage, wie aus den begeisterten AuBerungen seiner unzahligen Schuler, die von
ihm in die Anatomie, die Grundlage der ganzen Medizin, eingefuhrt wurden,
hervorgeht. Voll und ganz erreichte er darin sein groBes Vorbild Henle, dessen
glanzende Lehrbefahigung ihn seinerzeit zur anatomischen Laufbahn gefuhrt.
Im Berliner Massenbetrieb konnte sich so recht seine Iyehrgabe und Fahigkeit,
zweckmaBige Einrichtungen zu schaffen, ausleben und auszeichnen. Im Pra-
parierunterricht z. B. fuhrte er eine groBere Anzahl von Prufungen ein und
schuf damit die Grundlage fiir die Moglichkeit, die anatomische Ausbildung
auch beim »GroBbetrieb« in der Hand zu behalten.
Fiir die Berliner anatomische Anstalt in ihrer jetzigen GroBe und Einrich-
tung ist W. iibrigens als der eigentliche Schopfer anzusehen, da er den ursprung-
hch sehr unzweckmaBigen Bau durch mehrfache Um- und Aufbauten eigent-
lich von Grund aus, namlich tatsachlich vom Keller mit seinen trefflichen
Leichensammelraumen bis hinauf zu den lichtdurchfluteten Prapariersalen
und den im DachgeschoB untergebrachten »Mazerations«-Raumen, neu schuf.
Die hervorragende Begabung fiir die Schaffung neuer Einrichtungen hatte er
schon als junger Pathologe in Breslau bewiesen, als er aus einer Mietswohnung
sich ein »pathologisches Institut« schuf und in StraBburg, wo er zusammen mit
seinem Freunde und Landsmann v. Reckhnghausen einen Doppelbau fiir die
beiden anatomischen Lehrstuhle baute.
DaB W. diese Neueinrichtungen und Bauten durchsetzen und durchfuhren
konnte, war nicht zum wenigsten seiner geschickten Art, mit den Leuten um-
zugehen, zuzuschreiben. Seine Personlichkeit war trotz seiner kleinen, ge-
drungenen aber kraftigen Gestalt doch fiir jeden eindrucksvoll, der groBe Kopf
mit dem langen Bart und den klugen blauen Augen unter der hohen Stirne, die
gute Haltung, die wohllautende ruhige Sprache hatten etwas Wiirdevolles. Da-
bei war er aber keineswegs hochmiitig und unnahbar, sondern trat keinem
Menschen, auch jungen KollegenundStudenten, jaauchungebildeteneinfachen
Leuten des Volkes niemals herablassend und hoheitsvoll, sondern stets
freundlich und wohlwollend gegeniiber. Bei seiner liebenswiirdigen, gewinnen-
den Personlichkeit erwarb sich W. iiber all, wohin er kam, zu Hause und auf
seinen vielen Reisen, warme Freunde. Er war eine ausgesprochen geselligeNatur
und kein Verachter der Tafelfreuden, die seiner Leistungsfahigkeit nichts an-
haben konnten. »Nerven« kannte er nicht. Eine Hauptstarke von ihm im Ver-
kehr mit der Umgebung war es, daB er sich sofort in die Menschen, mit denen er
es zu tun hatte, einfuhlen konnte und ihnen rege Anteilnahme an ihren Fragen
Waldeyer-Hartz. Wichert 271
und eigenen Belangen zeigte. Diese Fahigkeit, andere zu verstehen, entsprang
seiner versohnlichen Natur, die stets eigenen Streitigkeiten aus dem Wege ging
und daher auch bei anderen aussohnend wirken konnte.
Diese Eigenschaften machten W. zu einem uniibertrefflichen Vorsitzenden
und Versammlungsleiter in wissenschaftlichen Gesellschaften. Mit bewunderns-
wertem Geschick verstand er es, auch Sitzungen Gelehrter ihm fremder Wissen-
schaften zu leiten, auch da sofort die springenden Punkte herauszufuhlen und
die Aussprache in ruhige Bahnen zu leiten. Kein Wunder, daJ3 ihm die Preu-
Bische Akademie ihre Vertretung bei der zwischenstaatlichen Vereinigung der
Akademien, bei deren Griindung er selbst wesentliches Verdienst hatte, mit-
iibertrug. Im Auftrag der Berliner Universitat, der preuflischen Regierung oder
der Gesamtheit der deutschen medizinischen Gesellschaften fuhrte er das Wort
bei akademischen Feiern in Madrid, Moskau, Petersburg, London, Rom, Paris,
Jassy, Neuhafen N.-Amerika und St. Louis. Allgemein anerkannt ist es, wie
glanzend W.auch bei diesen Gelegenheiten fiir die Hebung des Ansehens der
deutschen Wissenschaft im Ausland wirkte.
Kein Anatom der Neuzeit hat auch nur annahernd eine so weit ausgreif ende,
allgemein akademische Wirksamkeit entfaltet. W.s Tod wird deshalb nicht nur
von den Anatomen, sondern in der weitesten wissenschaftlichen Welt als kaum
ausfiillbare Lucke empfunden.
Literatur: J.Sobotta, W. W. zu seinem 5ojahrigen Doktorjubilaum 23. Juli 191 1,
Miinchener Medizinische Wochenschrift Nr. 29, S, 1 — 7, 191 1. — Derselbe, Ebenso, Ber-
liner Klinische Wochenschrift Nr. 30, S. 1 — 5. — Derselbe, W. W. zu seinem 80. Geburts-
tag, Deutsche Medizinische Wochenschrift Nr. 40, 1916. — K. v. Bardeleben, Ebenso,
Berliner Tageblatt, Sonntag 1 . Oktober 1916. — C. L. Schleich, Ebenso, Vossische Zei-
tung 5. Oktober 191 6. — Sobotta, W. v. W.-H. f, Miinchener Medizinische Wochenschrift
Nr. 14, S. 432 — 433, 192 1. — F. Wassermann, W. W. f Miinchener Neueste Nachrichten,
26. Januar 1921. — Posner, W. f, Berliner Klinische Wochenschrift, 31. Januar 1921. —
H. Lenhoff, Ebenso, Berliner Arztekorrespondenz, 5. Februar 1921. — H. Virchow, Rede
am Sarge von W. v. W\-H., Berliner Klinische Wochenschrift Nr. 6. — C. Posner, Ge-
denkrede auf W. v. W.-H., gehalten in der arztlichen Gesellschaft fiir Sexualwissenschaft
und Eugenik, Berlin 18. Februar 192 1 in Archiv fiir Frauenkunde und Eugenik, Bd. VII,
Heft 2, S. 89 — 92. — Sobotta, W. v. W.-H., Berliner Klinische Wochenschrift, Mai 192 1.
— Kallius, Nachruf auf W. v. W.-H., Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft
Marburg. — R, Fick, Gedachtnisrede auf W. v. W.-H. in der I>ibniz-Sitzung der Preufi.
Akad. d. Wiss. 30. Juni 192 1, nebst einem Verzeichnis seiner Schriften. — Sobotta, Zum
Andenken an W T . v.W 7 .-H., Anatomischer Anzeiger, 56. Bd., Nr. 1/2, S. 1 — 53, 1922.
Berlin. Rudolf Fick.
Wichert, Karl, Dr.-Ing., Ministerialdirektor a. D., Wirkl. Geh. Rat, Exzellenz,
* in Konigsberg (Pr.) am 10. Mai 1843, f in Bad Nauheim am 18. Juni 1921. —
Als Sohn eines hohen Justizbeamten geboren, erwahlte der junge W., unge-
wohnlich fiir damalige Zeiten, aus naturlicher Neigung die Technik als seinen
Lebensberuf. Nachdem er bis zum Jahre 1859 im wesentlichen Realschulbil-
dung genossen hatte, schiebt sich die erste technische Lehrzeit zwischen den
Besuch der eigentlichen Schule und den Besuch der Gewerbeschule. Diese ersten
praktischen Kenntnisse erwarb er bei dem Universitatsmechaniker in Konigs-
berg i. Pr., um, mit diesen ausgeriistet, nach dem Besuch der Prima der Pro-
vinzial-Gewerbeschule in Konigsberg im Jahre 1861 das Abiturienten-
examen zu bestehen. An dem Gewerbeinstitut in Berlin studierte der i8jahrige
272 1921
W. bis zum Jahre 1864 das Maschinenbaufach, um dann sogleich wieder den
praktischen technischen Dienst kennenzulernen. Da er sich dem Eisenbahn-
dienst widmen wollte, arbeitete er als Schlosser in der Reparaturwerkstatte
seiner Vaterstadt Konigsberg, wobei er auch Gelegenheit hatte, im Fahrdienst
praktische Kenntnisse zu erwerben.
Im Juni 1865 wurde W. mit einem Jahreseinkommen von 200 Talern zu-
nachst auf einjahrige Probe und 1866 fest als Lokomotivheizer in Konigsberg
angestellt. Nach der im Augnst 1866 bestandenen Lokomotivfuhrer-Prufnng
fiihrte er auch die Iyokomotive eine Zeit lang selbstandig.
Im September 1867 erhielt er den Auftrag zur Wahrnehmung der Geschafte
eines Werkmeisters und eines Oberlokomotivfuhrers und im Fruhjahr 1868 die
Anstellung als Werkmeister in der Reparaturwerkstatte zu Konigsberg. Nach
diesen Durchgangsstellen erfolgte ein Jahr spater die Ernennung zum Ma-
schinenmeister und am 1. Oktober 1873 die zum Assistenten des Obermaschinen-
meisters bei der Eisenbahndirektion Bromberg.
Reiche praktische Erfahrung hatte also W. im Maschinendienst aufzuweisen,
als er im August 1875 in das technische Eisenbahnbureau des preuBischen Han-
delsministeriums in Berlin als Maschinenmeister berufen wurde. Am 1. De-
zember 1875 trat er sein neues Amt an.
So kam W. in einer Zeit nach Berlin, in der die Frage der Verstaatlichung der
deutschen Eisenbahnen unter Fiihrung von Bismarck und Maybach eifrig be-
trieben wurde. Als die bisher dem Handelsministerium angegliederte Eisen-
bahnabteilung unter Maybach in dem neuen Ministerium der offentlichen Ar-
beiten selbstandig auf trat, bot sich fur W. das reiche Feld der Tatigkeit, das
Eisenbahnmaschinenwesen in PreuBen auf eine einheitliche Grundlage zu
stellen.
Es ist W.s Lebenswerk, die Anerkennung der gleichberechtigten Stellung von
Technik und Handwerk in der Eisenbahnverwaltung bewirkt zu haben.
' Besonders um das Lehrlingswesen hat er sich verdient gemacht. Decken sich
doch die von ihm 1878 herausgegebenen L,eitsatze noch heute mit den Be-
stimmungen unserer groBen Industriewerke fur das lehrlingswesen.
Auch auf dem Gebiet des Fahrzeugbaues hat sich W. durch eine Abhandlung
iiber Einrichtung und Ausstattung von Personenwagen in seiner damaligen
Tatigkeit verdient gemacht.
Am 15. Oktober 1881 trat er als standiger Hilfsarbeiter zu dem am
1. Oktober desselben Jahres neu eingerichteten Betriebsamt fur die Berliner
Stadt- und Ringbahn iiber und wurde 1883, erst 40jahrig, zum Mitglied
der Eisenbahndirektion Berlin und kurz darauf zum Eisenbahndirektor er-
nannt.
Besondere Verdienste erwarb sich W. wahrend der Zugehorigkeit zur Direk-
tion Berlin um die Erprobung und Einfuhrung der selbsttatigen Zugbremse.
An Bremsversuchen und AusschuBberatungen war er maBgebend beteiligt.
In Wort und Schrift hat er sich dauernde Verdienste um diese wichtige tech-
nische Neuerung im Eisenbahnwesen erworben. Er bemiihte sich, der bei der
preuBischen Staatsbahn eingefiihrten Carpenter-Bremse durch eine neue Bau-
art die Vorziige groBerer Schnellwirkung und geringen Luftverbrauchs zu ver-
schaffen. Mit seiner Dreikammerbremse gab er Ende der achtziger Jahre wohl
als erster an, wie man den Luftverbrauch der Zweikammerbremse einschranken
Wichert. Wilhelm II.
273
und mit der Wirkung der Einkammerbremse von Westinghouse in tjberein-
stimmung bringen konnte.
Auch die groBziigige Regelung des Werkstoffwesens fur den Betrieb und
die Werkstatten ist ein Verdienst W.s wahrend seiner Zeit als Direktions-
mitglied.
Im Jahre 1889 erhielt W. auf personliche Anordnung des Ministers v. May-
bach die zweite maschinentechnische Ratsstelle im Ministerium der offent-
lichen Arbeiten, womit sich ihm ein noch groBerer Wirkungskreis eroffnete.
Die Neuordnung des Werkstattenwesens und der Dampfheizung bei den
preui3ischen Staatsbahnen muB dem Wirken des neuen vortragenden Rats zu-
gute geschrieben werden. Die Einfuhrung der Kunze-Knorr-Bremse bei Schnell-
und Personenziigen und der durchgehenden Giiterzugbremse lieB er sich im
weiteren Verlauf seines Schaf fens angelegen sein ; ist dadurch doch die Betriebs-
und Verkehrssicherheit auf deutschen Bahnen stark gesteigert worden.
Eine MaBnahme von besonderer Bedeutung betraf auch das GroB-Berliner
Eisenbahnwesen. W., als Ministerialdirektor und Letter der maschinentech-
nischen Abteilung, hat alien Widerstanden zum Trotz im Jahre 1912 im preu-
Bischen Abgeordnetenhaus die Bewilligung der Mittel zur Vorbereitung der
Elektrisierung der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen durchgesetzt. Er
hatte mit klarem Blick die Entwicklung der Zukunft erkannt.
An auBeren Ehrungen hat es W. nicht gefehlt. Am 20. Juni 1904 wurde er
zum Oberbaudirektor mit dem Rang eines Rates I. Klasse ernannt. Im Marz
1906 verliehen ihm der Rektor und Senat der Technischen Hochschule zu Char-
lottenburg wegen seiner Verdienste um den Eisenbahnmaschinenbau die Wiirde
eines Dr.-Ing. e.h. Am 5. Juni 1913 erhielt er den Charakter als Wirklicher
Geheimer Rat mit dem Pradikat »ExzeUenz«.
Mit dem groBen Kriege begannen aufreibende Arbeiten, die von folgen-
schweren Entschliissen begleitet waren. Nach dem Zusammenbruch unterzog
sich der Sechsundsiebzigjahrige der schweren bitteren Aufgabe, zu retten, was
noch zu retten war.
Nach langerem Urlaub trat W. am 30. September 1919 in den Ruhestand und
192 1 starb er.
Ein Leben reich an Arbeit, aber auch an anerkanntem erfolgreichem Wirken
fiir Deutschlands Wirtschaftsentwicklung.
Berlin-Charlottenburg. Hans Baumann.
Wilhelm II., Konig von Wiirttemberg, * in Stuttgart am 25. Februar 1848,
t in Bebenhausen am 2. Oktober 192 1. Der Vater dieses wahrend der Pariser
Februarre volution geborenen Fursten, der Prinz Friedrich von Wiirttemberg,
war ein Neffe, die Mutter Katharina war eine Tochter des damals regierenden
Konigs von Wiirttemberg, Wilhelms I. DaB dem Kinde spater der Thron zuf alien
wiirde, konnte man noch nicht wissen ; Thronf olger war des Konigs Sohn Karl,
der aber ohne Nachkommen blieb. Der kleine Prinz wuchs als einziges Kind auf
und erhielt nach dem guten Geiste des koniglichen Hauses eine sorgfaltige Er-
ziehung. Der Richtung auf Einfachheit und Naturlichkeit kam tibrigens sein
eigener Sinn entgegen. Er gehorte spater zu den Fursten, denen glanzendes
Auftreten widerstrebt und die nur mit Disziplin sich in das Notwendige fiigen.
DBJ 18
274 l ? 21
Der erste Erzieher war ein feiner junger Theologe; nach der Einsegnung wurde
er von einem tiichtigen Offizier abgelost. Der Prinz hat dann die Universitaten
Tubingen und Gottingen besucht, in der Hauptsache Staats- und Rechtswissen-
schaften, Nationalokonomie und Geschichte gehort. Als der siebziger Krieg
ausbrach, war er bereits ins preuBische Heer eingetreten; er war unbefriedigt
davon, daB er im Kriege, um als vermutlicher Thronfolger geschont zu werden,
nur zu seiner Unterrichtung und zu Meldungsritten vom Hauptquartier des
preuBischen Kronprinzen aus verwendet wurde und dabei zu zwei Gef echten der
wiirttembergischen Truppen zu spat kam, wahrend er 1866 im Gefecht ge-
standen hatte. Er war dann noch langere Zeit im preuBischen und wurttem-
bergischen Heeresdienst beschaftigt. Anfang 1877 heiratete er die anmutige
und ausgezeichnete Prinzessin Marie von Waldeck ; allein die iiberaus gliickliche
Ehe fand ein trauriges Ende. Ein Sohnlein starb bald und 1882 starb nach
einer ungliicklich verlaufenden Geburt die Prinzessin. Eine Tochter, Pauline,
heute Fiirstin von Wied, ist das einzige Kind Wilhelms geblieben. Nach Jahren
schwerer Trauer hat er sich noch einmal entschlossen, zu heiraten; die Wahl
fiel auf Prinzessin Charlotte von Schaumburg-Lippe, 1886 wurde die Hochzeit
gefeiert. Die neue Ehe blieb kinderlos, und damit war entschieden, daB die
Krone Wiirttembergs, dessen Kernland mit der Reformation ganz verwachsen
ist, auf die katholische, mit Habsburg verwandte Seitenlinie falle. Mit dem
6. Oktober 1891 wurde W., 43 jahrig, auf den Thron berufen.
W. war einer der Fiirsten, die sich ohne Reibung der konstitutionellen
Regierungsweise einfiigen und mit ihrer Person hinter den Ministerien zuriick-
treten. Konstitutionell regieren im Sinn der deutschen Monarchic des 19. Jahr-
hunderts bedeutete, daB das geltende Recht und der geordnete Instanzengang
sorgfaltig gewahrt wurde und das Berufsbeamtentum, das regelmaBig die
Minister stellte, auch gegeniiber dem Landtag die Fuhrung behielt. Konig
W. hatte der Reihe nach an Mittnacht (bis 1900), Breitling (1901 — 1906),
Weizsacker (bis 1918) Ministerprasidenten, diebesonnen, umsichtig, geschickt,
wohl verstanden, was die Zeit verlangte, dabei Konflikte moglichst vermieden,
die Fuhrung sich nicht aus der Hand nehmen lieBen. Der Konig griff in die Er-
wagungen und Entscheidungen der Minister in der Regel nicht durch eigene
Stellungnahme ein; er nahm die Minister als die verantwortlichen Sachver-
standigen, deren wohlerwogenem Rat er gern folgte, wenn er ihn einleuchtend
vorgetragen fand. Dafiir wlinschte er aber auch genaue Rechenschaft, wo die
Materie dem Nichtfachmann uberhaupt zuganglich war. Wenn es von be-
sonderem Wert war, trat er auch mit dem Gewicht seines koniglichen Wortes
nach auBen fiir eine von der Regierung verfochtene Sache ein.
Personlich eingegriffen hat er in die Frage des Zusammenschlusses der wiirt-
tembergischen Bahnen mit denen PreuBens und der Nachbarn. Friiher war es
gerade der wurttembergische Ministerprasident Mittnacht gewesen, der dem
Gedanken, die deutschen Bahnen vom Reich verwalten zu lassen, Widerstand
geleistet hatte; nach dessen Riicktritt wurde in der Offentlichkeit der An-
schluB Wiirttembergs an die preuBisch-hessische Gemeinschaft betrieben, und
1904 wurde auf wurttembergische Anregung hin wenigstens iiber eine Betriebs-
mittelgemeinschaft verhandelt, freilich mit bescheidenem Erfolg, und auBer-
dem eine iibereinstimmende Regelung der Tarife erreicht. Von Wichtigkeit
war auch eine vom Konig mit dem Kaiser 1893 vereinbarte Ordnung des Offi-
Wilhelm II.
275
ziersaustausches zwischen dem preuBischen und dem wiirttembergisclien Kon-
tingent, wodurch es wiirttembergisclien Offizieren in groBerer Zahl moglich
wurde, hohe Kommandostellen (deren es in Wiirttemberg nur wenige geben
konnte) zu bekleiden. Die in Wiirttemberg umgekehrt wenig gern gesehene
Ubertragung von Fiihrerstellen an preuBische Offiziere hielt sich in maBigen
Grenzen. Das Heer lag dem Konig sehr am Herzen; es ist auf der Hohe ge-
halten worden, in der es sich den Weltkrieg hindurch iiberall bewahrt hat.
Der Konig gehorte zu den eifrig reichstreuen Fiirsten. Die Schranken, die
der politischen Tatigkeit eines deutschen Bundesfursten gezogen waren, emp-
fand er allerdings lebhaft; etwas zu bescheiden sprach er es wiederholt aus,
es seien eigentlich nur die Gebiete von Kunst und Wissenschaft, in denen sich
ein deutscher Fiirst noch selbstandig betatigen konne. In der Tat war es ihm
wichtig, bedeutende Kiinstler nach Stuttgart zu bekommen und sie auszu-
zeichnen. Er personlich hat auch die Griindung des Schwabischen Schiller-
Vereins angeregt, von dem aus das Schiller-Archiv zusammengebracht und das
Schiller-Museum erbaut worden ist und der iiberhaupt die Aufgabe hat, f iir die
Pflege des geistigen Vermachtnisses Schillers zu sorgen. Der Verein fand beim
Konig immer eine kraftige Forderung.
Der inneren Landespolitik hat zu seiner Zeit das, was man Verfassungs-
revision nannte, viel zu schaffen gemacht. Neben der Kammer der Standes-
herren — friihere Reichsunmittelbare, in der Napoleonszeit mediatisiert, und
vom Konig ernannte Mitglieder, hauptsachlich hohe Beamte — gab es auch
noch Privilegierte in der Zweiten Kammer: Vertreter der Ritterschaft und
Spitzen der Geistlichkeit. Diese » Ritter und Pralaten« gehorten oft zu den wert-
vollsten Mitgliedern der Kammer, ihre Anwesenheit wurde aber als unzeit-
gemaB empfunden von denen, die mit ihrer politischen Richtung nicht ein-
verstanden waren. Sie verstarkten im allgemeinen die Stimmen der » Deutschen
Partei«, der Partei des Anschlusses an PreuBen, die in Wiirttemberg vorwiegend
in den hoheren Standen evangelischen Bekenntnisses, unter Beamten, Geist-
lichen usw. ihre Anhanger hatte. Die demokratische Volkspartei zusammen mit
dem Zentrum war nun darauf bedacht, die Privilegierten aus der Kammer zu
entfernen, und diese Parteien nahmen seit den Wahlen von 1895 eine starke
Stellung ein, wenn sie einig waren. Umgekehrt fehlte der Kammer der Standes-
herren eine arbeitsfahige Mehrheit; es war Zeit, die Kammer neu zusammen-
zusetzen. Eine Einigung iiber die »Verfassungsre vision* war aber zwischen den
gesetzgebenden Faktoren schwer zu erreichen; erst 1906 kam man zustande
damit. Die Ritter und Pralaten traten in die Erste Kammer in verminderter
Zahl iiber und dazu traten Vertreter von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe
ein — der Keim einer berufsstandischen Vertretung. Eine Nebenwirkung war,
daB die katholische Mehrheit dieser Kammer in eine evangelische verwandelt
wurde, den Verhaltnissen des Landes entsprechend. Die Zweite Kammer wurde
durch Abgeordnete erganzt, die nach dem System der Listen- und Verhaltnis-
wahl gewahlt wurden. Wahrend der innere Wert und das Ansehen der Ersten
Kammer durch die neue Zusammensetzung gehoben worden ist, kann man
das gleiche von der Zweiten Kammer nicht sagen.
Im Zusammenhang mit dem Verlangen nach einer »reinen Volkskammer«
stand auch das nach der Aufhebung der Lebenslanglichkeit der Ortsvorsteher,
die W 7 urttemberg eigentiimlich war. Auch das war zugleich ein Kampf gegen
276 192 1
die Herrschaft der Honoratiorenschicht und der Deutschen Partei, die durch
diese lebenslanglichen Leiter der Gemeinden vielfach gestiitzt wurde. Auch
dieser Wnnsch ist erst 1906 im Rahmen einer neuen Gemeindeordnung ver-
wirklicht worden. Gleichzeitig kam eine neue Bezirksordnung zustande, die
die Selbstverwaltung der Bezirke auf eine breitere Gnindlage stellte.
Zu den wichtigen Ergebnissen der Regiening gehorte ferner, in zwei Steuer-
reformen durchgefuhrt, ein neuer, ausgezeichneter Aufbau des Steuersystems.
Die evangelische Kirche lag dem Konig, ihrem summus episcopus, besonders
am Herzen. Ihre Entwicklung in dem echt wiirttembergischen Charakter, der
zwischen Beharren beim Alten und Weitherzigkeit einen vorsichtigen Ausgleich
sucht, war recht nach seinem Sinne. In seine Zeit fallt eine Andening in der
Stellung der Volksschule zur Kirche. Noch immer war in Wiirttemberg die
Volksschule den Kirchen unterstellt ; der Vorgesetzte des Schullehrers war der
Ortsgeistliche. Ein Gesetz, das nach langen Kampfen 1909 zustande kam —
nachdem die Erste Kammer in ihrer neuen Zusammensetzung eine nichtkatho-
lische Mehrheit erhalten hatte — richtete eine besondere Schulaufsicht ein.
Als Zentralbehorde wurde fiir die evangelischen Volksschulen — denn Si-
multanschulen gab es nicht — ein evangelischer Oberschulrat geschaffen, wah-
rend fiir die katholischen Schulen der Katholische Kirchenrat die Oberbehorde
blieb, nur daB er in Schulsachen unter dem Namen Katholischer Oberschulrat
auftrat. In den Bezirken sollte die Schulaufsicht an besondere Beamte iiber-
gehen, doch waren auch diese Beamten meistens nicht fruhere Iyehrer, sondern
Theologen.
Vornehmheit, Gewissenhaftigkeit, Sachlichkeit, Gtite und Wohlwollen waren
hervorstechende Charakterziige des Konigs. Vornehm durch und durch waren
auch Erscheinung und Auftreten. Germanischer Adel ! Die Lebenshaltung am
Hofe war einfach, der Konig sparsam. Jagd und Pferdezucht (das beruhmte
Gestiit von Weil) wurden in wurdigen Grenzen gepflegt. Der Konig hatte eine
ernste Liebe fiir Musik und bildende Kunst. Die gemiitvolle Art dieses Fiirsten
trat hervor, wo er mit Not und Ungluck der Bevolkerung in Beruhrung kam,
besonders im Krieg, und wenn er da Truppen ins Feld zu verabschieden hatte.
Die Besuche des fast Siebzigjahrigen in den Lazaretten waren wohltuend. Er
selber war bei solchen Anlassen innerlich sehr ergriffen. Seine Weichheit zeigte
sich auch darin, daB es ihm schwer fiel, ein Todesurteil zu unterschreiben, und
in seinem Verhalten beim Umsturz 1918.
Als er 1916 sein 25jahriges Regierungsjubilaum feierte, hiei3 es in der sozial-
demokratischen Zeitung Stuttgarts: wenn heute aus Wiirttemberg eine Re-
publik wiirde, so wiirde das wiirttembergische Volk seinen Konig zum Prasi-
denten wahlen. Es war das Bekenntnis dazu, daB er allgemein beliebt war und
die Wiirttemberger mit ihm verwachsen waren; es war aber auch in naiver
Weise damit gesagt, daB er nicht als Hindernis auftreten, sondern sich der
Volkssouveranitat wie der konstitutionellen Monarchic einfugen wiirde. In
den ersten Novembertagen von 19 18 hatte er sich bereits damit abgefunden,
iiber Staatsverfassung und Konigtum eine Volksabstimmung entscheiden zu
lassen. Die Feinde hatten wissen lassen, daB sie mit der Monarchic in Deutsch-
land den ersehnten Frieden nicht abschlieBen wurden, und weithin in der
deutschen Nation wurde daraus die Folgerung gezogen, daB die Monarchic
abdanken miisse. Da war es auch fiir einen Monarchen aus hartem Stoff schwer.
Wilhelm II. 277
fur seine Stellung zu kampfen. Es lag nahe, die sogenannte Selbstbestimmung
des Volkes anzunifen. Der Konig von Wurttemberg entschloB sich zu einem
parlamentarischen Ministerium, und es wurde eine Erklarung erlassen, unter-
zeichnet vom Konig und den Ministern, die vom Konig nur noch in der dritten
Person sprach und mit der Mitteilung begann, daB ein Ministerium, auf dem
Vertrauen der gewahlten Volksvertretung aufgebaut, »die Regierung iiber-
nommen« habe. »In Ubereinstimmung mit ihm« ordnet nun der Konig die
Wahl einer »konstituierenden Landesversammlung« an, fiir die zugleich mit
richtiger Berechnung das Frauenwahlrecht eingefuhrt wird. »Ihre Aufgabe
soil sein, unserem Staat eine den Bediirfnissen der neuen Zeit geniigende Ver-
fassung auf demokratischer Grundlage zu geben. Die Mehrheit des wurttem-
bergischen Volkes soil damit in die Lage versetzt sein, die Entscheidung iiber
die kiinftige Regierungsfonn zu treffen. Der Konig spricht aus, daB seine Person
niemals ein Hindernis einer von der Mehrheit des Volkes geforderten Entwick-
lung sein wird, wie er auch bisher seine Aufgabe einzig darin erblickt hat, dem
Wohl und den Wiinschen seines Volkes zu dienen. « Diese Unterwerfung unter
die Volkssouveranitat hatte gar keine Zeit, im Lande zu wirken. Wahrend die
neuen Minister eben vom Konig vereidigt wurden, bereitete die Meuterei des
9. November der alten Ordnung ein gewaltsames Ende. Es war beschlossene
Sache und des Konigs ausgesprochener Wille, daB kein Biirgerblut vergossen
werden solle. Besonders nicht um seine Person — denn er fafite es wohl so auf,
daB er nicht fiir eine Sache, die er zu vertreten habe, sondern fiir sich selbst
Blut zu vergieBen schien. So walzte sich denn eine wiiste Masse, hauptsachlich
Arbeiter aus der Kriegsindustrie, die keine Wurttemberger waren, gefiihrt von
einem Matrosen, auch in die Privatwohnung des Konigs ; man zog dort die rote
Fahne auf und notigte ihn zur Abfahrt. Nach einigen Stunden verlieB er Stutt-
gart. Danach bedankte er sich noch bei dem Posten, der ihn bis zur Abfahrt
zu schutzen hatte.
Dem Wunsch, auf die Krone sofort zu verzichten, stellten sich seine fruheren
Ratgeber noch eine Zeitlang entgegen ; am 30. November erschien dann die von
ihm selbst verfaBte Urkunde, in der er die Krone niederlegt; er will der »freien
Entwicklung« den Lauf lassen, dankt aus Herzensgrund alien, die ihm treu
gedient und ihm Gutes erwiesen haben, und ruft Gottes Schutz fiir sein Land
an. »Erst mit meinem letzten Atemzuge wird meine Liebe zur teuren Heimat
und ihrem Volke erloschen. « Mit einem Dank antwortete auch die Revolutions-
regierung; sie hat dann in einigermaBen zulanglicher Weise fiir den Konig ge-
sorgt. In dem herrlichen Zisterzienserkloster Bebenhausen bei Tubingen, das
von seinen Vorfahren als Sommersitz und Jagdschlofllein eingerichtet war,
brachte er unter dem selbstgewahlten Namen »Herzog Wilhelm zu Wurttem-
berg « noch fast drei Lebensjahre zu, in denen er viele Zeichen der Liebe und
Dankbarkeit seiner Wurttemberger erlebte. Dort starb er nach kurzer Krankheit.
Wie er im Sommerrefektorium der Monche aufgebahrt lag, umgeben von
dem Herbstlaub seiner Walder, das gluhte wie in den Farben der scheidenden
Sonne, unter der Totenwacht der treuen Forstbeamten, da zogen in langen
Wallfahrtszugen die Menschen hin, ihn noch einmal zu griiBen. Uberwaltigend
kam zum Ausdruck, wie das Volk durch alle Schichten hin an ihm und der
alten Zeit hing. Dann wurde der tote Konig in einem einfach-wiirdigen Leichen-
zug, der die Residenzstadt mit ihrer schmutzigen Novembererinnerung im
278 192 1
Bogen umfuhr, zu dem Grab in Ludwigsburg an die Seite seiner ersten Ge-
mahlin geleitet. Dort trat in imponierender Versammlung noch einmal das alte
Wiirttemberg auf : die fiirstlichen Verwandten unter Fuhrung des Thronfolgers,
des Herzogs Albrecht von Wiirttemberg, die hohen Beamten des Staates und
des koniglichen Hofes, die Generale des siegreichen Heeres.
Literatur: Der Hofprediger Pralat Dr. K. Hoffmann hat im „Wurtt. Nekrolog" des
J. 1 92 1 (Kohlhammer, Stuttgart) ein I^ebensbild gezeichnet, das vor Herausgabe des Ge-
samtbandes einzeln erschienen ist (1923). Mit Literaturangaben. Fiir die Zeit bis zum
Regierungsjubilaum, 19 16, ist auf das Sammelwerk » Wiirttemberg unter der Regierung
Konig Wilhelms II. «, herausgegeben von Prof. Dr. Viktor Bruns, zu verweisen. (Deutsche
Verlags-Anstalt, Stuttgart 19 16.) Uber die Regierung des Konigs hat zuvor Karl Weller
in Eugen Salzers Kalender » Von Schwabischer Scholle« 19 16 (Heilbronn) als » ersten Ver-
such« eine gedrangte tJbersicht gegeben, in der wiirttembergische Eigentiimlichkeiten im
Vergleich mit anderen Staaten hervorgehoben werden. Cber die Tage des Umsturzes
werden noch Veroffentlichungen erfolgen; bis jetzt ist auf einen Aufsatz des friiheren
Direktors des Staatsarchivs, Dr. Eugen Schneider, zu verweisen, der als letztes Stuck in
Schneiders Vortragen und Abhandlungen »Aus der wiirttembergischen Geschichte«, bei
Kohlhammer in Stuttgart 1926, abgedruckt ist. Zum Tode des Konigs: » Schwabischer
Merkur« vom 3. bis etwa zum 10. Oktober 1921.
Tubingen. Adolf Rapp.
Wolzendorff, Kurt, * am 12. April 1882 zu Nassau an der Lahn, f in Halle
am 21. Marz 192 1. — Die juristische Doktorwiirde erwarb W. am 22. Mai 1905 von
der jur. Fakultat der Universitat Marburg. Ab November 19 12 war er Gerichts-
assessor bei der Kgl. Staatsanwaltschaft Wiesbaden, welche Stellung er erst
am 31. Marz 1917 aufgab. Am 30. April 1913 habilitierte er sich in Marburg.
Ab 1. April 1917 wurde er zum etatsmafiigen a. o. Professor an der Albertus-
Universitat Konigsberg ernannt fiir die Facher : Staats-, Verwaltungs-, Kirchen-,
Volker-, Kolonialrecht sowie Deutsche Rechtsgeschichte. Seit Sommersemester
1 9 19 bis zu seinem Tode war er ordentlicher Professor in der rechts- und staats-
wissenschaftlichen Fakultat der Universitat Halle-Wittenberg als Nachfolger
E. Loenings.
^Bevor W. sein Amt in Halle antrat, wirkte er als Sekretar seines friiheren
Lehrers, des deutschen Mitbevollmachtigten Professor Dr. W. Schiicking bei
den Friedensverhandlungen in Versailles mit. Mehrere scharf geschliffene, heute
noch zitierte Satze besonders in der Mantelnote zu den »Bemerkungen der
Deutschen Friedensdelegation zu den Friedensbedingungen « vom 29. Mai 1919
stammen aus W.s Feder.
W. ist aus der Heidelberger Schule G. Jellineks hervorgegangen, jener
Schule, der die Staatstheorie der ganzen Welt so groBe und weitgehende An-
regungen verdankt, wie kaum einer anderen Schule der Neuzeit. Er hat dem
grofien I<ehrer dadurch ein Denkmal der Dankbarkeit gesetzt, daft er ihm seine
wohl wertvollste Arbeit, sein Werk iiber den Polizeigedanken des modernen
Staats widmete.
Daneben war er zugleich ein Schiiler W. Schiickings — dessen treuester. Er
ist Schiicking bis zuletzt in groBter Anhanglichkeit eng verbunden geblieben ;
ihm geistig nahestehend insbesondere durch den sittlich betonten naturrecht-
lichen Zug seiner wissenschaftlichen Grundeinstellung, weiterhin eine ent-
schieden liberale Staatsauffassung, sowie durch tiefen Glauben an das sittlich
erfafite Postulat der Notwendigkeit der Erweiterung des Rechtsgedankens iiber
Wilhelm II. Wolzendorff
279
die Welt. Im Vorworte zu seiner Schrift iiber die Liige des Volkerrechts steht
z. B. im AnschluB an eine ahnliche Bemerkung Bluntschlis der schone Satz:
»Das rechtliche Gewissen in internationalen Dingen zu wecken und zu festigen,
das ist immer noch die erste und wichtigste Aufgabe.«
Aber nicht nur wissenschaftlich war er dem Lehrer und Freunde kongenial.
Er ahnelte ihm auch insbesondere durch die kunstlerische Note seines Wesens,
die sich bei ihm in einer ausgesprochenen zeichnerischen und charakteristischen
Weise speziell karikaturistischen Begabung auBerte. Der kiinstlerische Zug
zeigte sich auch in der personlichen Lebenshaltung und dem auBern und
innern Habitus dieses groBzugigen, nie auf den eigenen Vorteil bedachten
Mannes mit den nicht immer seinen Verhaltnissen voll entsprechenden groBen
Alliiren.
Unterschieden war er von W. Schiicking vor allem durch den Mangel an
praktischem politischem Interesse. Nicht, daB ihm deshalb Sinn fiir das leben-
dige Leben oder gar fiir Tagesprobleme abzusprechen gewesen ware ! Im Gegen-
teil : die sozialwissenschaf thche Betrachtungsweise hat er gegeniiber der reinen
Begriffskonstruktion stets auf das Entschiedenste betont, und so bedeuten die
Worte seines Werkes iiber den Pohzeigedanken, er wolle am Beispiel der Polizei
den Nachweis versuchen, daB diese sozialwissenschaf tliche Betrachtungsweise
der Verwaltungslehre prinzipielle Erkenntnis von Erscheinungen zu fordern
vermag, die nicht nur neben der juristischen Erkenntnis des Rechtslebens der
Verwaltung, sondern gerade auch fiir diese von erganzender Bedeutung ist,
geradezu ein Programm. Und diese Einstellung war es zugleich, die inn zu
einem Vorkampfer der Wiederbelebung der immer noch daniederliegenden, so
dringend benotigten Verwaltungslehre machte.
Sein Interesse an politischen Gegenwartsf ragen bef riedigte er auf theoretische
Weise. Die Ergebnisse dieses Nachdenkens sind in ungemein zahlreichen Denk-
schrif ten (von denen leider ein Teil unverof f entlicht in Akten ruht) , Auf satzen
und Broschiiren enthalten, in denen durchweg der theoretisch-rechtsgedank-
liche Charakter im Vordergrund steht. Unter diesem weitzerstreuten Material
finden sich manche von W.s besten und fruchtbarsten Ideen.
Icherinnere hier nur an seine letzte postume Schrift iiber Minoritatenschutz
mit dem signifikanten Titel: »Grundgedanken des Rechts der nationalen
Minderheiten (Naturrecht des Minderheitenschutzes) nebst einem Exkurs tiber
Nationalkataster«. Diese Arbeit von nur 46 Seiten ist fiir jede grundsatzliche
Beschaftigung mit dem Minoritatenproblem neben insbesondere dem be-
kannten Werk von Karl Renner (Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen,
Leipzig und Wien 1918) und den Arbeiten von R. Laun trotz der schnellen Ent-
wicklung, die die Minderheitenfrage inzwischen genommen hat, noch heute
unentbehrlich und wird es vermutlich noch auf absehbare Zeit bleiben.
Aber noch eine dritte geistige Verwandtschaft W.s muB festgestellt werden :
seine Abhangigkeit von O. v. Gierke und dessen Genossenschaftsgedanken, in
dem W. die deutsche Rechtsidee KaT£$o%t)v enthalten sieht. Diese Uber-
zeugung und dieser Glauben tritt besonders stark zutage in seiner Schrift iiber
deutsches Volkerrechtsdenken. Hier steigert sich W. unter anderem zu folgen-
den Satzen: »Vielheit in der Einheit, die deutsche Rechtsidee, das ist in der Tat
der Schliissel zum Problem des Volkerrechts. Und eben deshalb ist das Pro-
blem des Volkerrechts: der V61kerbund.« (S. 44) . . . »De , r innerste Kern in
280 1921
der Idee des Rechtsstaats und der Idee des Staatenrechts, des Volksstaats und
des Volkerbundes, ist die deutsche Rechtsidee. «
Aber diese Auff assung zieht sich wie ein roter Faden durch sein ganzes Den-
ken ; wir f inden sie ebenso in seiner Schrift iiber den deutschen Staat und sein
Recht, wie auch zum Beispiel in der erwahnten Arbeit iiber die L,iige des Volker-
rechts. Zu letzterer hat zum Beispiel Stier-Somlo in einer Besprechung im
Archiv des offentlichen Rechts (1921, S. 251) gesagt, sie enthalte sichtbare
Spuren »der geradezu mit der Kraft einer Zwangsvorstellung wirkenden Geistes-
einstellung auf die Genossenschaftsidee« (S. 67).
Mit den somit festgestellten geistigen Ableitungen ist iibrigens W.s wissen-
schaftliche Originalitat keineswegs in Frage gestellt. Sie besteht vor allem in
der Verarbeitung dieser drei Einfliisse durch eine scharfkantige, geistvolle, ja
zuweilen kapriziose Personlichkeit zu einer ungemein reizvollen neuen synthe-
tischen Einheit.
Was auch W. geschrieben hat, es fesselt durchweg nicht nur durch die darin
sich auBernde Formulierungskunst und ein zum Teil geradezu beangstigendes
Wissen dieses iiberaus fleiBigen und belesenen Gelehrten. Ein Mann wie
Laband hat diese W.sche Eigenschaft in einer Besprechung von W.s ge-
lehrtestem Buch: Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstands-
recht des Volkes usw. ruhmend hervorgehoben, allerdings dabei zugleich die
zu groBe Weitschweifigkeit dieser Arbeit beanstandet (Arch, des offentl.
Rechts 1917, S. 132).
Allgemein ist man nicht berechtigt, diesen Vorwurf gegen W.s Schriften zu
erheben. Ein Teil von ihnen laBt im Gegenteil dem Bedauern Raum, daB Ver-
fasser nicht ausfuhrlich genug das behandelte Thema durchschiirft habe.
Ein weiterer Grund seiner wissenschaftlichen Eigenart besteht darin, daB er
dogmatisch genau so fest im Sattel saB wie historisch, und daJ3 er mit gleicher Liebe
und gleichem Verstandnis f iir Grundprobleme sowohl wie auch f iir Einzelf ragen
begabt war. So verlor er bei aller Neigung zum theoretischen Denken niemals die
Tatsachen aus seinem Beobachtungsfelde. Das ermoglichte es ihm auch, gleich-
zeitig Spezialfragen des Verwaltungsrechts, wie staatstheoretische und volker-
rechtliche Grundbegriffe zu klaren, und das machte ihn nicht nur zu einem der
ersten Kenner des preuBischen Polizeirechtes, sondern stellte ihn bereits mit
seinen jungen Jahren in die vorderste Reihe der jiingeren Staatstheoretiker.
Kein Vollendeter war er, als er schied, sondern ein Ringender noch und ein
Suchender, aber ein groBes Talent und eine Zukunftshoffnung.
Nicht daB er nicht durchaus Fertiges geschaffen hatte! Ein Vergleich ins-
besondere seiner tiichtigen Gesellenarbeit : »Die Grenzen der Polizeigewalt« aus
den Jahren 1905/06 mit seinem 1918 erschienenen Hauptwerk iiber den Polizei-
gedanken beweist das.
Von seiner vorerwahnten Arbeit iiber Naturrecht und Staatsrecht hat be-
sonders befugte Seite das (bisher ungedruckte) schwerwiegende und auBerst
schmeichelhafte Urteil gefallt: »eine in gewissem Sinne abschlieBende Dar-
legung der pohtischen Ideen, die an dem Ausbau der modernen Staatsverfas-
sungen mitgewirkt haben«.
Und sein Werk iiber die Luge des Volkerrechts hat durch seinen Schiller Vor-
werk neben einiger Kritik das Urteil erhalten: »Sicherlich wird dieses Buch
innerhalb der deutschen Wissenschaft fiir absehbare Zeit grundlegend und
Wolzendorff. Zorn v. Bulach 28 1
richtunggebend fiir jede in die Tiefe dringende Behandlung der rechtlichen
Seite der Probleme Krieg und Volkerbund bilden.«
Aber wie sein Werk iiber den Polizeigedanken das Ergebnis und der zu-
sammenfassende AbschluB von zahlreichen, vorher hier und dort erschienenen
vorbereitenden Arbeiten gewesen, so war alles, was eriiberhaupt geschrieben,
als er scheiden muBte, nur Ausschnitt und Vorbereitung eines groBziigigen, um-
f assenden, bei ihm in Formung begriffenen staatstheoretisch-rechtsgedanklichen
Denkgebaudes.
Er hat bisher keinen geistigen Nachfolger seiner eigenartigen Arbeits-
methoden und Problemstellungen gefunden. Und so ist die groBe Liicke, die
sein vorzeitiger Tod in der Zahl der Genossen seiner so sparlich vertretenen
Facher gelassen hat, auch heute noch unausgefiillte, schmerzliche Gegenwart.
Literatur: Auswahl der Schriften K. W.s (auf Wiedergabe der ungemein groflen Menge
von Auf satzen muBte verzichtet werden) . Die Grenzen der Polizeigewalt I und II (Heft 3
und 5 der Arbeiten aus dem jiiristisch-staatswissenschaftlichen Seminar der Koniglichen
Universitat Marburg), Marburg 1905, 1906. — Der Gedanke des Volksheeres im deutschen
Staatsrecht, Tubingen 19 14 (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart 4). — Staats-
recht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige
Ausubung der Staatsgewalt. Zugleich ein BeitragzurEntwicklungsgeschichtedesmodernen
Staatsge<Jankens, Breslau 19 16, (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsge-
schichte, H. 126). — Vom deutschen Staat und seinem Recht. Streiflichter zur allgemeinen
Staatslehre, Leipzig 191 7, — Der Polizeigedanke des modern en Staates. Ein Versuch zur
allgemeinen Verwaltungslehre unter besonderer Beriicksichtigung der Entwicklung in
Preuflen, Breslau 1918 (Abhandlungen aus dem Staats- und Verwaltungsrecht, H. 35). —
Deutsches Volkerrechtsdenken, Miinchen 1919. — Die Luge des V61kerrecht9. Der Krieg
als Rechtsinstitution und das Problem des Volkerbundes im Gedankensystem des Volker-
rechts, Leipzig 191 9. — Geist des Staatsrechts. Eine Studie zur Biologie des Rechts und
zur Psychologie des Volksstaates, Leipzig 1 920. — Grundgedanken des Rechts der nationalen
Minderheiten (Naturrecht des Minderheitenschutzes) mit einem Exkurs iiber National-
kataster, Berlin 1921. (Das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen.)
Konigsberg. Herbert Kraus.
Zorn von Bulach, Hugo, Freiherr, Staatssekretar von ElsaB-I/)thringen, * in
StraBburg im ElsaB am 2. Februar 1851, | am 20. April 192 1 auf seinem Stamm-
gut Osthausen im Unter-ElsaB. — Z. v. B. war der SproB eines der altesten
elsassischen Adelsgeschlechter. Ein Z. spielte schon auf der Hohe des Mittel-
alters im Kampf der Strai3burger Geschlechter gegen den Bischof eine groBe
Rolle. Die Familie war und ist beiderseits des Rheins begiitert, aber der Schwer-
punkt des Geschlechts lag inamer im ElsaB. Im elsassischen Boden hatte auch
der Verstorbene seine starken Wurzeln. Er war der Typus eines elsassischen
Landedelmannes und als solcher in gewissem Sinne eine singulare, charakte-
ristische Erscheinung, weil seit der Franzosischen Revolution der alte an-
gestammte Landadel groBenteils aus dem Lande verschwunden ist oder, sofern
er noch blieb, durch die Verbindung nach Frankreich hin sich stark franzosiert
und das Elsassische mehr oder weniger abgestreift hat. Das Z.sche Geschlecht
hatte im 19. Jahrhundert vor andern es sich angelegen sein lassen, das An-
gestammte, naturhaft Elsassische des Landjunkertums zu behaupten und auch
nach auBen zur Darstellung zu bringen.
Dieses Originell-Urspriingliche mochte den Vater seinerzeit Napoleon III.
empfohlen haben, der ihn zum Kammerherrn der Kaiserin Eugenie erhob, und
282 1921
das Gleiche war es wohl auch, das Kaiser Wilhelm II. an dem Sohn anzog, so
daB er ihm seine Gunst ganz besonders zuwandte.
Vater und Sohn hatten den stark ausgepragten Ehrgeiz, in dem Land, das
sie gleichsam in ihrer Person symbolisch verkorperten, auch demgemaB eine
fuhrende, ausschlaggebende Rolle zu spielen: das entsprach Tradition und
Stellung der Familie. Es lag also in der Linie der Natur der Familie, daB man,
fest auf elsassischem Boden beharrend, auch verschiedenen Regimes, wechseln-
den nationalen Regierungen diente. Ein knorriger elsassischer Stamm, der durch
die Jahrhunderte hindurch im Heimatboden wurzelt, der bleibt, was er ist, ob
unter franzosischem oder deutschem Himmel. Das Entscheidende und Aus-
schlaggebende ist der elsassische Lebens- und Beharrungstrieb. So hat der Vater
schon 1 87 1 rasch auch den AnschluB an die deutsche Seite gefunden, und der
Sohn f unite sich erst recht der Heimat verpflichtet und hatte somit keine Muhe,
dem Regime, das jetzt uber die Heimat gebot, seine Dienste zur Verfugung zu
stellen.
Die ersten Studien machte Hugo Z. v. B. auf dem bischoflichen Gymnasium
in StraBburg; er studierte dann auf der wurttembergischen landwirtschaft-
lichen Hochschule in Hohenheim und an der StraBburger Universitat, ver-
heiratete sich 1883 mit Mercedes von Heeren aus Hamburger Reederkreisen.
Fruh schon widmete er sich gemaB den tTberlieferungen des Hauses dem
offentlichen Leben, trat 1878 in den Bezirkstag ein, 1879 m °^ en LandesausschuB,
erregte damals schon die Aufmerksamkeit durch die auffallend scharfe Kritik,
die er an dem Manteuffelschen System iibte. Aber er wuBte zu gut, daB iiber
das Schicksal der Heimat letztlich nur in Berlin entschieden ward, und daB
man darum, wenn man dem ElsaB niitzen wollte, an der Reichszentrale festen
FuB in dortigen parlamentarischen und Regierungskreisen fassen muBte. So
nahm er schon 1881 ein Reichstagsmandat an, das er aber bei den Septennats-
wahlen 1887 verlor. Von 1890 — 1893 war er wieder Mitglied des Reichstages.
Seit dem Jahre 1895 gehorte er zur elsaB-lothringischen Beamtenhierarchie als
Unterstaatssekretar der Landwirtschaft, und damit hatte das elsassische ein-
heimische Element zum ersten Male eine gebietende Stellung im hoheren
Beamtentum erobert. Im Jahre 1909 erhob der Kaiser, der an der Kraftnatur
des » gentilhomme campagnardu sein besonderes Wohlgef alien gefunden hatte,
den »Landwirtschaftsminister« auf die hochste regierende Stelle: er machte ihn
zum Staatssekretar. Es sollte diese Berufung auch eine dem elsassischen Volke
geltende Geste sein, die also an sich dazu angetan gewesen ware, der elsassischen
Eigenliebe zu schmeicheln und den Willen zur positiven Zusammenarbeit mit
einer Regierung zu starken, an deren Spitze eine das ElsaB symbolisch ver-
korpernde Personlichkeit stand. Diese erhofften Wirkungen blieben jedoch aus.
Die Griinde liegen heute ziemlich klar zutage. Einmal war Z. v. B. mit dem
Augenblick, da er den Staatssekretarposten antrat, der hochste Beamte, der
als solcher naturnotwendig sich mit dem »altdeutschen<( Beamtentum, das das
Riickgrat des elsaB-lothringischen Gemeinwesens war, solidarisch fiihlen muBte.
Gegen dieses Beamtenriickgrat war aber schon die Opposition des Parlamenta-
rismus in vollster Bliite. Das Anrennen gegen die Bureaukratie als das ausschlag-
gebende Element des Staates wurde darum zwangslaufig ein Anrennen gegen
den obersten Vertreter des Beamtenstaates. Ob er nun Elsasser war oder nicht,
er gehorte fur die parlamentarischen Parteileute zu der feindlichen Phalanx,
Zorn v. Bulach 283
die es zu durchbrechen gait, urn das Parlament zur Basis des Staates zu machen.
So hatte gerade er von seinen eigenen Landsleuten die starksten StoBe aus-
zuhalten. Aber mit diesem Kampf gegen das Prinzip des Beamtenstaates
mischte sich nun in eigentumlicher Weise der Kampf gegen das Fremde. In der
Opposition gegen die Beamtenhierarchie steckte die Opposition der Boden-
standigen gegen das aus alien Gauen des Deutschen Reiches zusammengesetzte,
nach Ansicht der Einheimischen landfremde Element, dessen Vorherrschaft
gebrochen werden sollte. Die parlamentarische Opposition erhielt durch diese
nationalistisch-elsassische Tonung eine besondere Scharfe. Bei der ganzen ritter-
lichen Art, die fur das Wesen des Land junkers Z. v. B. bezeichnend war, wuBte
er: seine Stellung war auf der Seite der Schicht, der letzlich die Opposition gait.
Der Elsasser deckte die PreuBen, Bayern, Schwaben oder Hessen; es war seines
Amtes. Bei seiner primaren bodenstandigen Einstellung war ihm alles Natio-
nale etwas Sekundares ; ihm gait stets : einem Elsasser steht der eigene Heimat-
boden am nachsten. Von dieser Einstellung aus war ihm allerdings der »fran-
zosisch geschminkte nationalistische Rummel«, der in den Jahren 1909—1913
einen »Fall« nach dem andern heraufbeschwor, im tiefsten Grunde zuwider,
well damit die Lebensinteressen des Heimatstaates schwer geschadigt werden
muBten. DaB die ausschlaggebende elsaB-lothringische Partei, das Zentrum,
es nicht fertig brachte, sich von diesem nationalistischen Element aus rein elsas-
sischem Interesse zu scheiden, das brachte ihn auch in Gegensatz zu dieser
katholischen Partei, der er doch durch Geburt, Beziehungen, Konfession am
nachsten stand. Mit HauB, dem spateren Fuhrer der elsaB-lothringischen Land-
tagsfraktion des Zentrums, der dieser gemachten, von Frankreich her genahrten
Agitation, ebenso widerstrebte, verstand er sich darum auch stets gut; das El-
sassische vonunten, das gegen den Beamtenstaat sich richtete, und das Elsas-
sische von oben, das dieses Beamtenelement als Achse des Gemeinwesens decken
muBte, traf sich in dem bodenstandigen Instinkte, der aus dem elsassischen
Selbsterhaltungstrieb heraus doch dem Positiven zustrebte und die reine Ne-
gation nationalistischer Opposition ablehnte. Den Ausgleich zu finden war
beiden versagt.
Wir haben Grund anzunehmen, daB heute die Elsasser fahiger sind, ihren
einstigen ersten Minister gerecht zu beurteilen, und damit auch jetzt schon dem
Urteile naher zu kommen, das einmal der ruhige Geschichtsbetrachter iiber ihn
fallen wird. Er wird gewiB nicht ganz mit Unrecht feststellen, daB er der Stunde
nicht vollig gewachsen war. Es mag zugegeben werden, daB er seine Landsleute
nicht in der notigen Distanz sah und sie darum gelegentlich unterschatzte, aber
er hat doch den sicheren Instinkt besessen fiir das, was seinem L,ande nottat,
daB namlich die Parteien es hatten fertig bringen miissen, iiber den maBlosen
Parteigeist und die unklare, zum Teil so verlogene »Culte du passee«-Schwa.T-
merei hinweg zu niichterner elsaB-lothringischer Staatsbejahung zu kommen
trotz allem, was noch zu dem Eigenstaate fehlte. Hatten die Parteien von 191 1
bis 1914, statt in » Fallen « zu wuhlen, keine Zweifel daniber gelassen, daB der
Wille zum elsaB-lothringischen Staat ihnen zu hoch stehe, als daB sie ihn ver-
schwommenen, unwahren Sentimentalitaten zum Opfer bringen konnten,
hatten sie in ihren Kundgebungen damals mehr von dem erklingen lassen, was
der unterelsassische Depute Prof. E. Miiller im Sommer 1925 in der fran-
zosischen Kammer aussprach: »Wir waren so gut wie autonoin« — dann ware
284 J 92l
wahrscheinlich vielesanders gelaufen. Solche unzweideutigen Bekundungen el-
saB-lothringischen Staats- und Volkswillens hatten sich in der Weltmeinung
festgesetzt, und im November 1918 hatte man an diese AuBerungen elsaB-
lothringischen Lebenswillens ankniipfen konnen, so daB ElsaB-IyOthringen nicht
einfach so bedingsunglos den Franzosen hatte tibergeben werden miissen.
ElsaB-Lothringen wird in Zukunft B. den Rnhm zuerkennen, daB der Weg,
den er wies, richtig war. So erfullt sich auch an ihm das allgemeine Geschick,
daB erst die Toten ihre Mission als Fuhrer und Wegweiser ganz erfullen. Sein
Land fangt heute an, im Geiste eines B. und eines Karl HauB zu handeln ; viel-
leieht ist es doch noch nicht zu spat.
Iriteratur: M. Spahn im Bd. I des »I^safl-Lothringischen Jahrbuches*, herausgegeben
vom »Wissenschaftlichen Institut der EIsaB-Lothringer im Reich*, Verlag W. de Gruy-
ter & Co., Berlin 1922, S. 182 ff. — A. v. Puttkamer, Die Ara Manteuffel, Stuttgart,
S. 143 ff. — Fritz Bronner, Die Verfassungsbestrebungen des Landsausschusses fiir ElsaB-
Lothringen. Heidelberg 1926 — Verhandlungen des elsafl-lothringischen Landes-
ausschusses, 10., 11. und 14. Session. — Verhandlungsberichte des elsaB-lothringischen
landtags.
Freiburg i. Br. Wilhelm Kapp.
TOTENLISTE
Verzeichnis der Abkiirzungen
Ein Stem (•) vor dem Namen bezeichnet, daB das ^Deutsche Biographische Jahrbuclm
dem Toten eine eigene Biographie gewidmet hat, aui die am Schlusse des Artikels mit
DBJ unter Angabe von Band- und Seitenzahl verwiesen ist; die zu jedem Namen der
Totenliste angefuhrte Literatur verzeichnet die Quellen des Bearbeiters und gibt auch
weitere, zum Teil aus zweiter Hand geschopfte Hinweise; W deutet dabei an, daB dort
ein Verzeichnis der Werke des Verstorbenen, P, daB ein Portrat beigegeben ist. Wo jkein
Jahrgang angegeben ist, ist der Jahrgang 1921 gemeint.
Andere Abkiirzungen sind:
A A = Amtliche Auskunft.
AD = Das akademische
Deutschland.
AdW = Akademie der
Wissenschaf ten .
A A1Z = Allg. Musikzeitung.
A T = Adeliges Taschen-
buch.
B = Brockhaus, Handbuch
des Wissens, 6. Aufl.,
1923/24.
BB = Borsenblatt.
BJ s.DBJ.
BKW = Berliner Klinische
Wochenschrift.
BR = Briimmer, Lexikon
der deutschen Dichter,
6. Aufl. (1913).
BZ = Bibliographic der
deutschen Zeitschriften-
literatur.
ChZ = Chemiker-Zeitung.
DBJ = Deutsches Biogra-
phisches Jahrbuch.
DBZ = Deutsche Bauzei-
tung.
DJZ = Deutsche J uristen-
zeitung.
DKZ= Deutsche Kolonial-
zeitung.
DMW = Deutsche Medizi-
nische Wochenschrift.
DUO ~ Deutsche Rund-
schau fur Geographie u.
Statistik.
E = Echo, Das Blatt der
Deutschen im Ausland
(mit der Beilage E.v.T.
= Echo vom Tage).
EG = Eisenberg, GroBes
Biogr. Lexikon der deut-
schen Biihnen.
ELK = Allg. evang.-luth.
Kirchenzeitung.
ERL = Ehren-Rangliste d.
ehemah'gen deutschen
Heeres (Berlin 1926).
Frh T = Freiherrliches
Taschenbuch.
GK= DeutscherGeschichts-
kalender.
GT = Grafliches Taschen-
buch.
H = Hochland.
HA = Handbuch despreu-
Bischen Abgeordneten-
hauses.
HBL = Hirsch, Biograph.
Lexikon der hervorr.
Arzte.
HNV= Handbuch der Na-
tional versammlung.
HV = Histor. Vierteljahrs-
schrift.
J A W= Jahresberichte iiber
die Fortschritte der
klass. Altertumswissen-
schaft.
JB = Jahrbuch der deut-
schen Bibliotheken.
JB Peters = Jahrbuch der
Musikbibliothek Peters.
JSTG = Jahrbuch der
schiffsbautechn. Gesell-
schaft.
IZ = Leipziger Illustrierte
Zeitung.
Kchv = Kunstchronik.
KL 17 = Kurschner, Deut-
scher Literaturkalender
1917.
KR = Keiters, Katholischer
Literaturkalender.
KW = Kunstwart.
L = Leopoldina.
LE = Literarisches Echo.
LJ= Lobells J ahresberichte,
LNN = Leipziger Neueste
Nachrichten. *
LZ = Literarisches Zentral-
blatt.
MAR = (Miinchener) AU-
gemeine Rundschau.
MAZ = Miinchner Allg.
Zeitung.
MMK = Miinchner Medi-
zinische Klinik.
MMW = Miinchner Medi-
zinische Wochenschrift.
MS = Miiller-Singer, Allg.
Kiinstlerlexikon .
MW = Militarwochenblatt.
Meyer*, 7 = Meyers (Kon-
versations-) Lexikon, 6.
(7.) Auflage.
288
Verzeichnis dcr Abkiirzungeci
N = Die Naturwissen-
schafteu.
NMZ = Neue Musikzei-
tung.
NZZ = Neue Ziiicher Zei-
tung.
OR = Osterrekh. Rund-
schau.
PBL = Fagel, Biogr. Lesi-
kon hervorr. Ante.
. PF = Foggendorff, Biogr.-
Uterar. Handworterbuch
zur Gesch, der exakteu
Naturwisseuschaf ten .
PM = Petermanns Mittei-
luugen.
FY - Pataky, Lexikon
dentecher Frauen der
Feder.
if 1 = Riemaan, Musik-Lexi-
kon, 8- Aufl. (1922).
RH ~ Reichstagshandbuch*
SB = Sitzungsberichte.
SchK = Schwabische Chro-
ttik.
SM = Schwab. Merkur.
SMH = Suddeutsche Mo-
natshefte.
Sos. MM ^ Sozialistiscfae
llouatshefte.
St* u. E. =• Stahl uud Eiseu,
TB = Thieme- Becker, Allg +
J>xikon der bildenden
Kiinstler.
TR = Tagliche Rundschau.
U = Universum.
UAT— UradeligesTascheu-
buch.
UK = Aschersous Univer-
aitaU-Kaknder.
VDI = Zcitschrift dea Ver-
eius deutseher Inge-
nteure.
VZ = Vossische Zeitung.
WP,* = Wer Ufa? (7. u.
8. Auflage).
W J = Wurttembergisch.es
Jahrbuch.
WMW = Wiener Medizin.
Wochemschrift.
WN = Wtirttembergischer
Nekrolog.
WZ = Weser-Zeitung.
Ztf = ZentraIblattder Bau~
verwaltung*
2B»W = Zentralblatt fiir
Bibhothekwescn.
Totenliste
Abichl, Rudolf, Dr. phil., Prof., Privatdoz.
fur slaw. Philol. a. d. Univ. Breslau, Pfar-
rer em. der evang. u ooo-Jungfrauen-
Kirche in Breslau; * Breslau 9. VIII.
1850; f Breslau 12. II. — WI 7 (W) ;
LZ Sp. 222; TR 17. VI.
A blotter, Johannes Leonhard, Prasident
a. D. der wiirtt. Ministerialabteilung fur
gelehrte Schulen; * Heidenheim 30. XI.
1844; f Stuttgart n. VI. — SchK.
Nr. 263, 266, 267; WJ fiir 1921/22.
Ackermann, Friedrich, Ingenieur im Neun-
kircher Eisenwerk von Gebr. Stumm ;
* Reichelsheim 16. I. 1857; f Neunkir-
chen 1. VII. — VDI 65, 998 (P).
Adamkiewicz, Albert, Dr. med., o. Prof. d.
Medizin a. d. Univ. Wien, Erforscher der
Krebskrankheit, Erfinder des »Kan-
kroin«; * Zerkow 8. VIII. 1850; f Wien
31. X. — W.: »Krebsoperationen sind
Verbrechen* (191 7); »Die Eigenkrafte
der Stoffe* (1920); »Prof. Dr. Albert A.«
(19 14) = Biographien zeitgen. Dichter
und Denker 2; KL (W);PBL 5— 7 {*):
Meyer 7 I, 105; LZ Sp. 985; WI 8 1767;
TR 19. XI.
Albers-Schdnberg, Heinrich, Emil, Dr. med.,
o. Prof, der Rontgenologic an d. Univ.
Hamburg; * 21. I. 1865; f Hamburg
4. VI. — W.: » Rontgenatlas der Kriegs-
verletzungen* (1916); Hrg. der »Fort-
schritte auf dem Geb. der Rontgen-
strahlen* und »R6ntgentechnikum«;
LZ Sp. 486; DMW 785 f. (StrauB);
Fortschr. auf dem Geb. der Rontgen-
strahlen 28, 197 — 205 (Grashey); TR
7. VI.
Albu, Albert, Dr. med.. Prof, der inneren
Medizin an d. Univ. Berlin, Patholog;
* Frankfurt a. O. 8. III. 1867; f Berlin
15. I. — W.: »Zahn- und Mundkrank-
heiten in ihren Beziehungen zu organi-
schen und allgemeinen Erkrankungen
(1919, M922); PBL 26 (W); BKW 141 f.
(Boas); MMK 1345 (P. Krause) ; DMW
DBJ 19
107 f. (Alkan) und 785 (0. StrauB) ; WMW
253; Archiv fiir Verdauungskrankh. 27,
224 — 226 (Alexander); TR 16. VI.
d'Andrade, Francesco, Kgl. bayr. Kammer-
sanger, Baritonist der Berliner Staats-
oper, beriihmter Don-Juan-Darsteller;
* Lissabon 11. 1. 1859; f Berlin 8.H.— P:
Nationalgalerie Berlin (als Don Juan von
Slevogt); AMZ io9;Signale 133; WJ fur
192 1/22; Meyer 7 I, 556; JB Peters 192 1,
7; Velh.u.Klas. Monatsh. i92i,H. 4,213
— 2 1 6 (Hocker) ; R 8 26 ; Kla vierlehrer 42 ;
B 1 , 8 1 ; BZ 48 ; Soz. MH 368 (N. Zeppler) .
* Auguste Victoria, Deutsche Kaiserin, K6-
nigin von PreuBen, geb. Prinzessin zu
Schleswig-Holstein, Gemahlin Kaiser Wil-
helmsll. ; * Dolzig (Niederlausitz) 22. X.
1858 ; f Haus Doom (Holland) 1 1 . IV. —
W.: Aus nachgelassenen Niederschriften
(Gedichte), hrsg. von Ernst Pfeiffer, Ber-
lin 1925. — Strecker, Unsere Kaiserin
(1921); Kaiserin A. V., Gedenkblatt der
Leipz. 111. Zeitung (1921); H. Wagenfiihr
v . Arnim, Ansprache zum Gedachtnis
(192 1); J oh. Kritzinger, Unsere ver-
ewigte Kaiserin A. V., ein Gedenkblatt
(1921); Kaiserin A. V., zum Gedachtnis.
Hir ieben und Wirken, ihre Heimkehr
und Beisetzung (R. Hobbing, 192 1);
A.O.Meyer, Kaiserin A. V. (1921); J.
Vogel, A. V. (1921); Bogdan Krieger,
Unsere Kaiserin als Landesmutter 19 14
bis 1 9 18 (192 1); lyindenberg, D. Buch
der Kaiserin A. V. (1927) — Meyer 7 1,
1 1 50 f.; BZ 48 u.49; Neue Christoterpe
1922, 1 — 10 (Conrad), 1925 (Briefe der
Kaiserin, hrsg. von Bartelsu. Kogel); IZ
4046 (P; du Moulin Eckart) und 4047 (Bil-
der der Beisetzung) ; Monatsschr. fiir Pas-
toral theol. 1 7, 209 — 2 1 2 (Dryander) ; Kon-
servat. Monatsschr. 455 (Everking) und
540 bis 544 (Koppen); Allg. Rundschau
(Miinchen) 18, 208 (Aschenbrenner) ;
PreuB. Kirchenztg. 37 (Raack) ; Mitteil.
d. Ver. fiir Gesch. Berlins ^3, 17 (Torge) ;
290
Totenliste: Balan — Beseler
ELK 262 f ; KW 34 II, i22;Zentralbl. der
christl. Gewerksch. 21, 119; Die Frau 28,
235 (Hel.Lange); Christl. Welt 35, 282
(Martin), Deutsche Lehrerzeitung 182
(Weber); E 1263 — 1265 (P); DBJ 3,
S.n/13 (A.O.Meyer).
Balan, Curt, D. theol., President des Evang.
Konsistoriums der einstigen Provinz Po-
sen, Mitgl. der preuBischen Generalsynode
seit 1900, Vors. des Posener Provinzial-
verb. fiir Innere Mission; * Breslau 4. X.
1855; f Potsdam 4. XII. —ELK 32;
WI 7 53-
Barthel, Max, Direktor der staatl. Maschi-
nenbau- und Hiittenschule in Duisburg;
* Potsdam 17. X. 1863; f Duisburg 21. I.
— VDI 65, 446 (P).
Bassewitz-Levetiow, Karl Heinrich Ludwig
Graf v., 1 90 1 — 14 mecklenb.-schwerin.
Staatsminister, Wirkl. Geh. Rat, Exz. f
FideikommiBbesitzer ; • Schwerin 3. III.
1855; t Bristow 23. II. — Meyer 7 I, 1546;
WI 7 68, 8 i768; GT 1922.
Battenberg, Ludwig Prinz von, Durch-
laucht, 191 2 — 17 Erster Seelord der
englischen Admiralitat; * Graz 24. V.
1854; f Paris 11. XI. — Meyer 7 I,
1563; WI 7 69; 8 1768; Hessenland 35,
142.
Baudlssln, Graf Friedrich v., Admiral a. D.;
vormals a la suite des Seeoffizierkorps,
1908 — 09 Chef des Admiralstabes, 1909
bis 191 3 Chef der Marinestation der
Nordsee, Ritter des Schw.-Adler-Ordens;
* Schierensee (Holstein) 3. IV. 1852;
t Charlottenburg 5. II. —Meyer 7 I; WI 7
70, 8 1768.
Bauer, Alexander, Dr. phil., Dr.-Ing. e. h.,
emer. Prof, der Chemie a. d. Techn. Hoch-
schule Wien; * Altenburg (Ungarn) 16. II.
1836; f Wien 13. IV. — W.: »Lehrbuch
der chemischen Technik* (mit Hinter-
berger) (1865). — PFV 73 (W);KL(W);
Pharmaz. Monatsh. (Pharmaz. Post)
1 92 1, 61; Almanach 71 (1921) der AdW
Wien 180 — 183; Osterr. ChZ 99 — 104
(Bock); ChZ 585 (Pribram); Zeitschr.fur
angew. Chemie 34, 401 (Diergart).
v. d. Beek, Theodor, Bildnis- und Genre-
maler; * Kaiserswerth 20. IV. 1838;
f Dusseldorf 15. III. — MS 91 (W);
Kchr 56, 523.
Beger, Albert v., Baudirektor der wurttem-
bergischen Domanendirektion, Erbauer
zahlr. staatl. Bauten ; * Geislingen 1 1 . III.
1855 ; f Stuttgart 14. VIII. — Wiirttemb.
Staatsanz. 191; SchK m\ DBZ 316;
WJ fiir 1921/22; ZB 621 — 623 (Rimmele)
(P).
Behaghel, Karl Hermann, Oberbaurat,
ehemal. Vorstand der evang. Kirchen-
Bauinspektion in Heidelberg, bedeu ten-
der Kirchenbaumeister Bad ens; * Mann-
heim 6. I. 1839; | Leipzig 7. IV. — DBZ
148.
Behla, Robert, Dr. mid., Prof., Regierungs-
und Geh. Medizinalrat, Mitglied des
PreuBischen Statist. Landesamts, Medi-
zinalstatistiker; * Luckau (N.-L.) 2. VI.
1850; | Charlottenburg 22. I. — PBL
122 f. (W); Neues Lausitzer Magazin 97,
206; WI 7 89; TR 27.I.
Benzler, W T illibrord, D. theol. , 1901 — 19 19
Bischof von Metz; * Niederhemer 16. X.
1853; | Baden-Baden 16. IV. — W.: »Er-
innerungen aus meinem Lebenf, hrsg. v.
Pius Bihlmeyer-Beuron (1922). — Meyer 7
II, 122; KR 1914, 43; IZ4047 (P); WI 7
100; ElsaB-lothr. Jahrb. I (1922), 185 f.
(M. Spahn); B I, 239; TR 19. IV.; Ev.
T1364.
Berchem, Max v.. Orientalist, besonderer
Kenner der Inschriften Syriens und Agyp-
tens, Mitarb. von Sasse-Herzfelds Archao-
log.Reise(i9ii — 20); •Genf 16. III. 1863.
t Genf 7. III.— LZSp. 301 ; MiinchnerKa-
lender 19 19/21 (Jg. 36) (G. A. Seyler);
S0Z.MH841; Kchr 56, 804 f. (Sasse).
Berg, Hans Hansen, Handelsdampferkapi-
tan, im Kriege bekannt als Kapitan des
Prisendampfers »Appam«; * Schauby bei
Appenrade 23. IX. 1876; f Hamburg
23. XI.— TR 12. XII.
Berlepsch-Valendas, Hans Eduard v., Archi-
tekt, Maler und Schriftsteller, Vorkamp-
fer der Gartenstadtbewegung und Woh-
nungsreform, 1. stellv. Prasident der
Miinchner Oriental. Gesellschaft; • St.
Gallen 31. XII. 1852; f Planegg bei Miin-
chen 17. VIII. — W.: » Sozialismus und
geistige Erneuerung* (192 1). — MS I,
inf.; KL 17 (W) ; LZ Sp. 669; LE 24. 56;
DBZ 307; Kchr 56, 868; WI 7 105, 8 1768;
Meyer 7 11. 171.
* Beseler, Hans v., Generaloberst, Eroberer
von Antwerpen (1914) und Nowo-Geor-
giewsk (191 5). 191 5 — 18 deutscher Gene-
ralgouverneur von Polen; * Greifswald
27. IV. 1850; f Neubabelsberg 20. XII. —
W.: »Gedanken iiber Ausbildung und
Truppeniibungen« (191 3); »Die allge-
meine Wehrpflicht, Gedenkwortt (191 3).
— Technik und Wehrmacht 25, 17
(Schwarte); WI 7 113, 8 1768; B 1 256;
TR 23. XI.; DBJ 3, S. 13/19 (v.Tschisch-
witz) .
• Beseler, Max v., Dr. iur., 1905 — 17 preuB.
Justizminister, Ritter des Schwarzen-
Adler-Ordens; * Rostock 22. IX. 1841;
Totenliste: Bethmann Hollweg — Bofldorf
291
t Berlin 24. VII. — WI 7 113, B I, 256;
Meyer 7 II. 245 ; TR 26. VII. ; Evh. T 2384 ;
DBJ 3, S. 19/21 (Huber).
* Bethmann Hollweg, Theobald v., Dr. iur.,
1908 — 17 deutscher Reichskanzler und
preufi.Ministerprasident, vorher seit 1896
Reg.-Prasident in Bromberg, 1899 Ober-
prasident der Provinz Brandenburg, 1905
preufi. Minister des Innern, 1907 Reichs-
staatssekretar des Innern ; • Hohenfinow
29. XI. 1856; t Hohenfinow 2. I. — W.:
• Betrachtungen zum Weltkriege«, 2 Bde.
(191 9, 1 921); »Friedensangebot und U-
Bootkrieg* (19 19); »Kriegsreden«, hrsg.
von F. Thimme (19 19). — H. Koetschke,
Unser Reichskanzler. Sein Leben und
Wirken (1916) ; G. Egelhaaf , Th. v. B. H.,
der f iinf te Reichskanzler (Aufrechte Man-
ner, 6. 1916); B. Guthmann und R. Kir-
cher, Bethmann — Tirpitz — Luden-
dorff, Regierung und Nebenregierung
(Flugschr. der Frankf. Ztg., 1919);
Junius alter, Das Deutsche Reich auf
dem Wege zur geschichtlichen Episode.
Eine Studie Bethmann Hollwegscher
Politik in Skizzen und Umrissen ( f i9i9);
W. Kapp, Die nationalen Kreise und
der Reichskanzler, Denkschrift (19 16);
E. Majer-Leonhard, Die Frankfurter
Ahnen des Reichskanzlers (1914);
H. Fhr. v. Liebig, Die Politik B.s (1919);
Ferdinand Graf v. Zeppelin, Wichtige
Brief e in ernster Zeit (an B. H.) (1916). —
Monatsh. fiir Politik u. Wehrmacht 50,
113 — 126 (v. Liebig); Deutsche Politik
6 I, 81 — 86 und 186 — 191 (Thimme);
Soziale Praxis 35; Deutsche Stimmen
24. VIII. 1919 (Stresemann) , abgedr. in
Stresemann, Reden und Schriften, Bd. I,
1926, S. 296/310; Die Hilfe 4 (Heile);
Forum 89 — 92 (Herzog); Allgem. Rund-
schau 18, 25 (Eisele); 19, 65 (v. Land-
mann); MAZ 9; Gegenwart 50, 358
(Erenyi) ; KW 34 I, 289 — 292 (Troeltsch) ;
Deutsche Revue Juni 1922, 194 — 204
(Wahnschaffe) ; Ecce Pforta 19 19/21, 68;
IZ 4039 (P); Soz.MH 1921, 33 f. (Kra-
nold); WI 8 1769; E 185 f.; Herres Polit.
Handworterbuch I, 222 <(F. Hartung);
GK 192 1, I, S. 10 [Nachrufe im Reichs-
DBJ 3, S. 21/41 (F. Hartung).
Bewer, Max, Schriftsteller und Bismarck-
Forscher; * Diisseldorf 19. I. 1861;
t Laubegast 13. X. — W.: »Gedichte«
(1895); »Gedanken tiber Bismarck*
(•1890) ;»G6ttliche Lieder* (*I9I9) ; » Weis-
heit und Humor* (Auswahl, 192 1 ) ; »Schil-
lers letzte Stunden* (dramat. Werk). —
WI 7 n8. 8 1769; KL 17 ; BR I, 221 f.; KZ
702 (Sametzki) ; Das deutsche Theater,
Jahrb. I (1922/23), 416; GK; LZ 828;
LE 24, 308; LNN 16. X.; E 3401.
Bodenhausen, Bodo Freiherr v., Dr. iur. et
Dr. iur h. c. (Berlin), Kammerherr, Land-
rat a. D., ehemals Mitghed des preuB.
Herrenhauses ; * Leipzig 29. XI. 1841;
t HaUe a.S. 7. V. — Frh.T 1924.
Bdhm, Theodor, em. o. Prof, des Hoch-
baus a. d. Techn. Hochschule Dresden,
Geh. Hofrat; * Cleve 17. II. 1847; t Dres-
den 18. V. — W.: »Handbuch der Holz-
konstruktionen des Zimmermanns*
(1911). — DBZ 1917, 76 und 1921,215.
Boehn, Max v., Generaloberst, Chef des
Schlesw. -Hoist. Inf. -Reg. Nr. 163, a la
suite des Inf. -Reg. Hamburg Nr. 76,
Ritter des Schwarzen-Adler-Ordens und
des Ordens pour le merite mit Eichenlaub,
Kriegsteilnehmer 1870/71 und 191 4/1 8,
im Kriege 2. VIII. 1914 bis 2. II. 1917
Fuhrer des IX. Reservekorps, darauf bis
11. III. 1917 der Armeeabteilung C, und
bis 31. X. 1918 Oberbefehlshaber der
7. Armee; * Bromberg 16. VIII. 1850;
j Schlofl Sommerfeld 18. II. — IZ 4043
(P); DerKrieg 19 14/ 19, hrsg. von Dietrich
Schafer, III 199; Meyer 7 H 606; TR19. II.
* Bonnet, Robert, Dr. med., em. o. Prof.
der Anatomie a. d. Univ. Bonn, Geh.
Medizinalrat, Mitbegrunder des Archivs
fiir Anatomie; * Augsburg 17. II. 1851;
j Wiirzburg 13. X. — W.: »Lehrbuch der
Entwicklungsgeschichte* ( 8 i9i8, 4 i92o);
»Der diluviale Menschenfund von Ober-
casseU (1919). — PBL I, 213 f. (W); LZ
860; Soz.MH 1 07 1 ; Zeitschr. fiir die ges.
Anatomie 1922, 425; WI 7 162, ^769;
DBJ 3, S. 41/43 (Sobotta).
• BoBdorf, Hermann, niederdeutscher Dich-
ter, Obertelegraphenassistent a. D., Verf.
plattdeutscher Dramen; * Wiesenburg
(Flaming) 29. X. 1877; f Hamburg 24.
IX. — W.: »De Fahrkrog« 1919, »Bahn-
meesterDodf, »KramersKray« (1920), »De
rode t)nnerrock«; ein Stortebeckerdrama
bheb unvollendet; »Eichen im Sturm «
(1919); »01e Klocken« (Balladen, 1919);
»Det Schattenspel« (Komodie, 1920);
» Letzte Ernte«, hrsg. von A. Janssen
(1922); Hermann B.-Buch«, hrsg. von
A. Janssen (1922). — LZ yjy, LE 186
und 258 (Janssen); Das Land 30, 32
(Dohse) ; Unser Pommerland 6, 396 (Jans-
sen) ; Mitteitungen aus dem Quickborn
15, 26 — 30 (Janssen und Wriede) und 60
(Briefe) ; Niedersachsen 27, 299 (Janssen) ;
Deutsches Volkstum 1922, 189 (R.
Werner); Die Trese (Liibeck) I, 2, 8 — 11
(Fromme); Das deutsche Theater-Jahrb.
I, 416; DBJ 3, S. 43/47 (Janssen).
292
Totenliste: Bracht— Bulach
• Bracht, Eugen, Prof. a. d. Akadernie der
bild. Kiinste in Dresden, Geh. Hofrat,
Landschaf tsinaler ; * Morges bei Lausanne
3. VI. 1842; f Darmstadt 15. XI. — W.:
»Abenddammerung am To ten Meer«
(188 i f Nationalgalerie, Berlin); »Ziehende
Wolken* (Kunsth., Karlsruhe) ; »Wald-
wiese« (Pinakothek, Miinchen) u. a. —
WI 7 i 75 (W), 8 i769; B I 338 (W) ; MS I,
167 f.; Kchr 57, 159 f.; IZ 4062; KW 3;
1, i83;LNNi7.XI.;TRi8.XI.;E 3929";
DBJ 3, 47/52 (Amersdorf fer) .
Brandt, Marianne (d. i. Marie Bischof), Kgl.
preufl. Kammersangerin, (1868 — 86) Al-
tistin der Berliner Hofoper, 1882 Kundry
in Bayreuth; * Wien 12. IX. 1842;
f Wien 9. VII. — Meyer 7 II, 78 1 ; R 8 1 35 ;
Soz. MH 1 007 ; EG 121; Signale 756 ; AMZ
545; NMZ 42, 396; Die Stimme 15, 229;
Rheinische Musik- und Theater -Zei-
tung 263; Klavierlehrer in; J B Peters
7. — La Mara, Musikalische Studien-
kopfe V; M. Steinitzer, Meister des Ge-
sanges.
Bredt, Max, Orient- und Portratinaler;
* Leipzig 17. VI. i860; f Ruhpolding
18. VI. — WJ fur 1921/22; WI 7 187;
MS I, 174; Kchr 56, 727.
Bressler, Emil, Oberbaurat, Architekt,
friiher President der Zentralvereinigung
der osterr. Architekten, Erneuerer des
Palais Windischgraetz in Wien u. a.;
* Wien 3. XII. 1847; t Wien 29. I. —
W.: Schlofl Mauer; Ausstellungsbauten
Amsterdam 1883, Antwerpen 1885. —
WI 7 182; MS I, 177; DBZ 64.
Brock, Heinrich, Dr. tned., Geh. Sanitats-
rat, Generalsekretar der Balneologischen
Gesellschaft, Herausgeber der Schriften
derselben; * Bromberg 29. VIII. 1832;
| Berlin 30. V. — LZ 496; Allgem. Med.
Zentralztg. 90, 1 39 (Hirsch) ; Korresp.-Bl.
der arztl. Bez.-Vereine in Sachsen 92, 2 1 1 ;
TR 3. VI.
Brockhaus, Albert, Verlagsbuchhandler,
Chef der Brockhausschen Verlagsbuch-
handlung in Leipzig, 1901 — 07 1. Vor-
steher des Borsenvereins der deutschen
Buchhandler, 191 1 — i8Mitgl.der i.Kam-
mer des sachs. Landtags; * Leipzig
2. IX. 1855; f Leipzig 27. III. — W.:
♦Netsuke, Versuch einer Geschichte der
japan. Schnitzkunst « 1905, * 1925. —
KLi7;BBf.d.deutsch. Buchh. 1921,1,6
(B. Hartmann); LZ 301; IZ 4046 (P) ;
Meyer 7 II, 904; LE 23, 956; WI 7 198.
8 1 770; B I, 359; »Dieersten Vorsteher des
Borsenvereins der deutschen Buchhand-
ler 1825 — 192541 (Leipzig 1925), S. 127
bis 130 (P).
Buchholz, Hugo, Dr., Prof, der Astronomic
a. d. Univ. Halle; * Lubeck 2. IV. 1866;
f Halle a. S. 24. XI. — W.: »Angewandte
Mathematik. Dasmechanische Potential*,
■1916; »Theorie und Berechnung der
statistisch unbestimmten Tragweite*.
192 1, Bearb. von Klinkerfus, »Theoret.
Astronomie*. — LZ 964; H 17 II, 57 — 73
(Linzen); TR 25. XL; PF V, 182."
Buchner, Max, Dr. tned., Prof., Ethnograph
und Forschungsreisender, 1887 — 1907 Di-
rektor des ethnograph. Museums in Miin-
chen; 1875 Reise urn die Welt in engl.
Dienst, 1884 nrit Nachtigal in Afrika
(Schutzvertrag iiber Togo); * Miinchen
25. IV. 1846; f Miinchen 25. IV. — \V.:
»Reise durch den Stillen Ozean« (1878);
»Kamerun« (1888); »Das Bumerang-
werfen« (1918) ; »Eine orientalische Reise
und ein konigliches Museum « (191 9). —
KL 17 (W); Meyer 7 II, 1029; PF IV. 200;
LZ428; Soz. MH 735; PM 130; WI 7 2i3.
8 1770; TR 11. V.; EvT 1596.
Budde, Emil Arnold, Dr. ph., Physiker.
Dr.-Ing. e. h.. Prof., 1893 — 1 9 11 Vor-
standsmitgl., seitdem Mitgl. des Auf-
sichtsrats der Siemens-Schuckertwerke.
Vorsitzender der Vereinigung fur exakte
Wirtschaf tsf orschung ; * Geldern 28. VII.
1842; | Feldafing a. Starnberger See 1 5 .
VIII. — W.:»LehrbuchderPhysik«(i879),
> Mechanik der Punkte im starren System «
(2 Bde, 1890 — 91); frNaturwissenschaft-
liche Plaudereien* ( 2 i9o6). — Meyer 7 II,
io 4 if.; PFV. 183 (W); LZ692; Verh.
der dtsch. physikal. Ges. Ill 2, 66;
Dinglers Polytechn. Journal 336, 291;
Elektrotechn. Zeitschr. 42, 11 53 f. (Wer-
ner); Soz.MH 1012; TR 20. VIII.
Buhl, Otto v., wiirtt. Staatsrat a. D., seit
1902 lebenslangliches Mitglied der 1.
wiirtt. Kammer, 191 3 I. Vizeprasident
derselben, Prasident der evang. Landes-
synode Wurttembergs, seit 1891 Vor-
tragender Rat im wiirtt. Finanzmini-
sterium; * Stuttgart 29. VIII. 1842;
f Stuttgart 29. XI. — WJ fur 1921/22;
Wurtt. Staatsanz. Nr. 281; SchK 553;
Das Bayernland 32, 371 (Forster); SMH
Nov. 1 92 1, 97 (Guttenberg-Buhl) ; EvT
2184.
BQhlmann, Josef, Dr.phil., Dr.-Ing. e. h. ;
o. Prof, der Baukunst a. d. Techn. Hoch-
schule Miinchen, Geh. Hofrat; • GrofJ-
wangen 28. IV. 1844; f Miinchen 29. X.
— W.: »Die Architektur des klass. Alter-
tums in der Renaissance*, 3 Bde., 191 3
bis 1919. — DBZ396; ZB576; MSI, 194;
WI 1 217, 8 i77o; KL 17.
Bulach,s. Zorn.
Totenliste: Biilow — Daenell
293
* Billow, Karl v., Generalfeldmarschall,
Chef des ehem. Gren.-Regts Nr. 12, Dom-
herr von Brandenburg, 2. VIII. 191 4 bis
4. IV. 191 5 Oberbefehlshaber der 2. Ar-
mee; * Berlin 24. III. 1846; | Berlin
31. VIII. — W.: »Mein Bericht zur
Marneschlacht* (19 19). — Meyer 7 II,
1079; IZ 4056 (P); WI 7 2i8, 8 i77o; TR
4. IX.; E 2825; DBJ 3, 52/61 (Rey-
mannj.
Buesgen, Moritz, Dr. phil., o. Prof, der Bo-
tanik an der forstl. Hochschule in Han-
nover-Minden ; * Weilburg 24. VII. 1858;
| Hannover-Mind en 12. VI. — W.: »Bau
und Leben unserer Waldbaume* * 191 7. —
KL 17 (W); LZ 509; PM 164; Soz.MH
1922, 124.
Burckhardt, Albrecht, Dr. med., em. Prof,
der Hygiene an d. Univ, Basel; * Basel
13. VII. 1853; f Basel 2. XI. — W.:
» Untersuchungen iiber die Gesundheits-
verhaltnisse der Fabrikbevolkerung in
der Schweiz«; » Geschichte der medizin.
Fakultat zu Basel 1460 — 190041 (191 7). —
PBL 282; LZ 1020; Schweiz.Med. Woch.-
Schrift 52, 460 (J. L. Burckhardt).
Burlage, Heinrich Eduard, Reichsgerichts-
rat, M. d. R. (Zentrum), 2. Vors. der Zen-
trumsfraktion des Reichstags, 1897 bis
1907 Mitgl. des oldenburg. Landtags,
Mitarb. des Kommentars zum BGB. von
Reichsgerichtsraten ; * Huckelrieden 25.
XI. 1857; f Berlin 19. VIII. — KL 17;
WI 7 22*8; Meyer 7 II, 1126; LZ 670; Mit-
teilungen des Verb, deutscher Paten tan w.
Jahrg. 1921, 124; LNN 22. VIII.; E 2719.
Camerer, Gottfried Rudolf, Dr. phil., Dr.-
Ing., Prof, der Maschinenbaukunst an der
Technischen Hochschule in Miinchen;
* Karlsruhe 25. VIII. 1869; f Miinchen
19. IV. — W.: »Beitrage zur Berechnung
der Zentripetalturbinen « (19 13); »Vor-
lesungen iiber Wasserkraftmaschinen«
(1914. »I924). — LZ 383; WI 7 2 3 9,
8 1 770; TR 24. IV.
Cauer, Paul (Pseudon.: Ludwig Logander),
Dr. phil. Geh. Reg. -Rat, Provinzialschul-
rat von Westfalen und o. Honorarpro-
fessor der klass. Philologie, der Padagogik
und der Geschichte des hoheren Schul-
wesens a. d. Univ. Munster; * Breslau
17. XII. 1854; t Minister 26. XI. — W.:
♦ Die Kunst des t)bersetzens«, 1894,
5. Aufl. 1 9 14; »Siebzehn Jahre im Kampf
um die Schulref orm « ( 1 906) ; » Aus Beruf
und Leben Heimgebrachtes« (19 12);
» Aufbau oder Zerstorung ? EineKritik der
Einheitsschule« (19 19); »Beigaben zur
Hiasund Odyssee* (1920); »Grundfragen
der Homerkritik* ( 8 i92i); »Ketzereien
iiber Lehrerbild.* (1920); »W. Rathenaus
st aatsbiirgerliches Progr amm « ( 1 9 1 8 ) ;
»Von deutscher Spracherziehung* (*I9I9).
— LZ 985; KL 17 (W); WI 7 246; Neue
Jahrb. fur klass. Altertum II, 1922,
S. 42 — 47 (Schurig); Das humanistische
Gymnasium 1922, 2 — 7 (Hoik); KW 35 I,
255 (Avenarius); JAW 43, 1 — 33 (Fr.
Cauer); Meyer 7 II, 13 19.
Christians, Rudolf, Schauspieler u. Theater-
leiter (Neues Schauspielhaus, Berlin);
♦Middoge (Oldenburg) 15. 1. 1869; | Neu-
york 2. II. — Rollen: Romeo, Hamlet,
Richard III., Mephisto, Egmont. — WI 7
253; EG 155 f.
Conrad- Ramlo, Marie, beriihmte Ibsendar-
stellerin des Miinchner Staatstheaters;
•Miinchen 8. IX. 1850; | Miinchen i.X. —
EG 162; Soz.MH 1008; Meyer 7 II, 171 1.
* Czapek, Friedrich, Dr. phil. et med., o.
Prof, der Botanik a. d. Univ. Leipzig,
korresp. Mitglied der AdW Wien; * Prag
16. V. 1868; f Leipzig 31. VII. — W.:
»Ratgeber fiir Studierende der Botanik «
(mit J. Meisenheimer, 1921); »Biochemie
der Pflanzen« (3 Bde., "1913 — 21); Her-
ausg. der »Monographien aus dem Gebiete
der Physiolog. der Pflanzen und der Tiere
(I9i4ff.). — Almanach 72 (1922) der
AdW Wien, S. 168—170 (Becke) ; LZ 638;
Soz.MH 1072; Ber. der Botanischen Ges.
1 92 1 , Bd. 39, 97/1 14 (K. Boresch, Pund W)
Lotos, Bd. 69. 3 — 14 (K. Boresch) ; TR 3.
VIII.; Meyer 7 III, 144; DBJ 3, S. 61/64
(W. Ruhland).
Dachler, Anton, hervorragender Vertreter
der osterr. Heimat- und Hausforschung;
* Achau (N.-O.) 17. I- 1 841; t Wien
31. X. — W.: »Das Bauernhaus in Nie-
derosterreich«. — DBZ 412; Wiener
Zeitschr. fiir Volkskunde, Jahrg. 15, S. 46
(K. Rhamm), Jahrg. 27, S. 20 (Haber-
landt) und S. 75 (Nachruf).
Daenell, Ernst Robert, Dr. phil., Litt. Dr.
h. c. (Columbia), LLDr. h. c. (Wisconsin),
o. Prof, der Geschichte an der Univ.
Munster; * Stettin 28. VIII. 1872;
f Munster i. W. 17. XII. — W.: »Die
Bliitezeit der deutschen Hanse« (gekr.
Preisschrift, 2 Bde., 1906) ;»Geschichte der
Verein. Staaten von Amerika«, (■1913,
■1923); »Die Spanier in Nordamerika«
(191 t) ; »Danemark« (1919); »Nordame-
rika, Mittelamerika, Siidamerika«(Handb.
der Staatengesch. 2, 9, 1923). — LZ 45;
PM 17; KL 17 (W) ; WI 7 281 ; Meyer 7 III,
232; Hansische Geschichtsblatter 47.
Jahrg., Bd. XXVII, S. I/VII (1922)
(D. Schafer m. P) ; TR 21. XII.; Die
Neue Zeit (The News Times), Chicago,
294
Totenliste: Dantscher — Duensing
111., Jahrg. IV, Nr. 4, 28. I. 1922 (F.
Schonemann); Hist. Zeitschr. 125, 552.
Dantscher v. Kollesberg, Viktor, Dr. phil.,
o. Prof. derMathematik a. d. Univ. Graz;
♦Innsbruck 29. X. 1847; t Grazim VIII.
— PF IV 296, V 260 (W); LZ 669.
*Defregger, Franz v., Historien- und Genre-
maler, Professor a. d. Miinchner Kunst-
akademie, Ehrenbiirger der Stadt Miin-
chen, Ehrenmitglied der Akademien Ber-
lin, Wien und Miinchen, Ritter des Ordens
pour le merite; * Stronach bei Dolsach
(Pustertal) 30. IV. 1835, t Miinchen 2. I.
— W.:»Dasletzte Aufgebot* 1874 (Hof-
museum, Wien), tHofers letzter Gang*
(Konigsberg) ; »Die Heimkehr der Sieger
1809* (Nationalgalerie, Berlin); Ulustr.
zu den Dichtungen »Von Dahoam* von
Karl Stieler ( 1 92 1 ) . — Rosenberg, Def reg-
ger ( 8 191 1) ; MeiBner, Franz v. Defregger
(1900). — »Tyroler Ehrenkranz«, S. 144 f.
(Josef Graber) (P); MS I, 324 f.; MAZ 20
(Doering); Vein. u. Klas. MH Mai 1921,
S. 303—308 (Stieler) (mit Bildern); LZ
62; Christl. Kunst 17, 132 (Doering);
Soz. MH 271 ; H 18 II, 763 (Ranftl) ; Kchr
56, 299 — 303 (Uhde-Bernays) ; IZ 4039
(Delphy) ; Gartenlaube 48 (Hagen) ; » Die
Kunst fiir Alle« $6, 150; Die Woche 29
(Kienzl) ; KW 34 1, 309 — 3 1 1 (A venarius) ;
E 202; Meyer 7 III, 362; DBJ 3, S. 64/68
(P.Schmidt).
DelbrQck, Clemens Gottlieb v., Wirkl. Geh.
Rat, Exz., Ritter des Schwarzen-Adler-
Ordens, 1896 Oberburgermeister von
Danzig, 1902 Oberprasident von West-
preuBen, 1905 preuB. Minister fiir Handel
und Gewerbe, 1909 — 16 Reichsstaats-
sekretar des Innern und Stellvertreter des
Reichskanzlers, darauf o. Honorarprof.
a. d. Univ. Jena, X — XI. 1918 Chef des
Zivilkabinetts des Kaisers, 1919 — 20 Ab-
geord. zur Deutschen Nation alversamml.
(Deutschnat. Volksp.), 1920 — 21 M. d.R.;
♦Halle a. S. 19. 1- 1856; f Jena 18. XII.—
W.: »Reden 1906 — 1916*, hrsg. von M.
Frhr. v. Braun (1917); »Die Ausbildung
fiir den hoheren Verwaltungsdienst in
PreuBen (1917) ; »Die wirtschaftliche Mo-
bilmachung in Deutschland 1914* (1924).
— Joachim v. D., Clemens v. D. Ein
Charakterbild (1922); Rich. Bahr, Cle-
mens v. D. (1916). — IZ 4064 (P) ; Soziale
Praxis 30, 1337; Deutsche Handelswacht
29, 63; HNV 148 (P); wr 297, 8 i77i ;
Meyer 7 III, 391; E 4177.
Diederich, Franz, Dr. phil., Schriftsteller.
Feuilletonredakteur des »Vorwarts«, ver-
dient um das Volksbildungswesen ;
* Hannover 2. IV. 1865; f Polzin 28. II.
— W. :»Wintersonnenwende«, Spiel, 1893,
M914; »Kriegssaat. Kampfgedichte 19 14
bis 1916* (1916); » Fritz EberU (1919);
• Jungfreudig Volk. Gedichte* (1925);
»Von unten auf«, sozialist.-lyr. Antho-
logie, 2 Bde. (191 1); »Flugschriften zur
Ausdruckskultur*; »Lassalle-Breviert
(1920) und » Marx-Brevier* (1920). —
KL 17 (W); Soz. MH 418 f.;LE 23, 825;
Die Neue Zeit 39 I, 561; BR II, 16; WI 7
309; KW 34 II, 42 (Avenarius).
Dietz, Wilhelm, Dr.-Ing. e. h., o. Prof, der
Ingenieurwissenschaften a. d. Techn.
Hochschule Miinchen, Geheimer Hofrat ;
•Wien 19. V. 1850; | Miinchen 11. II. —
W.: »Bewegliche Briicken* * (1907). —
WI 7 316, 81771.
Doebber, Johannes, Kapellmeister u. Kom-
ponist; • Berlin 28. III. 1866; j Berlin
26. I. — W.: »Der Zauberlelirling*; »Der
Schmied von Gretna Green*; »Die Mil-
lionenbraut* (Operette); Sinfonie op. 34;
Lieder. — R* 252; JBPeters 192 1, 8;
AMZ 71 ; NMZ 42, 164; Rheinische Musik-
u. Theater-Ztg. 57; Klavierlehrer 26; Die
Stimme 15, 140; WI 7 323; 8 1 771 .
Ddring, Hans Georg v., Geh. Reg.-Rat,
Oberstleutnant a. D., I9i4stellv. Gouver-
neur der Kolonie Togo ; * Konigsberg i. Pr.
7. IV. 1866; f Bochuin 24. XL — PM
263; TR 25. XI.; AT 1920.
•Dflhrlng, Eugen, Dr., Philosoph und
Nation alokonom, Schriftsteller; * Berlin
12. I. 1833; t Nowawes bei Potsdam
21. IX. — W.: »Der Wert des Lebens
( 8 i922); »Waffen, Kapital, Arbeit*
( 3 i924) ; »Cursus der National- imd Sozial-
okonomie* ( 4 i92 5). — EmilDoll, Eugen D.
Seine Geisteshaltung im Leben und seine
Bedeutung fiir die Nachwelt « ( 1 9 1 4 — 2 1 ) ;
Emil Doll, »Eugen D.« (1893, W) ; F.
Engels, »D.s Umwalzung der Wissen-
schaft* (1878). — Kh 17 (W); LZ 791;
Soz.MH975f. (Lau), 993 (Schmidt), 1132L
(Kleineibst) ; IZ 4059 (P) ; LE 24, 248;
Polit.-anthropol. Monatsschr. 21, 82 — 85
(U. Diihring); WI 7 343. 8 i772; Meyer 7
III, 1066; TR 30. IX.; E3121; Deutscher
Herold, Jg. 23, 9, S. 113 — 120 (Dietr.Litt-
mann); DBJ 3,8.68/74 (A. Wenzl).
Duensing, Frida, Dr. iur., deutsche Sozial-
politikerin, Direktorin (seit 19 19) der
sozialen Frauenschule in Miinchen, Her-
ausgeberin der Jahrbiicher fiir Jugend-
pflege; * Diepholz 26. I. 1864; f Miinchen
5. I. — W.: »Frida D. Ein Buch der Er-
innenmg.«Hrsg. von Ricarda Huch u. a.
(1922). — Monatsschr. fiir Kinderhort-
wesen 5, 113 (Koepp) ; Die Frau 28, 140
(Eudres), 161 — 167 (Briefe von F. D.);
Totenliste: Dvorak — Eigenbrodt
295
Soz. MH 547 und 253; Frauenfrage 23, 9
(Koepp) ; Kindergarten 70 ; Die Lehrerin
37* J 49 (H. Bohme); Meyer 7 III, 1100.
* Dvorak, Max, Dr. phiL, o. Prof, der
Kunstgeschichte a. d. Univ. Wien;
* Raudnitz a. E. 14. VI. 1874; f GruU-
bach bei Wien 8. II. — W.: »Idealismus
und Naturalismus in der gotischen Skulp-
tur und Malerei« (19 18); »Katechismus
der Denkmalspflege* (1916, , i9i8); »Zur
Entwicklungsgeschichte der barocken
Deckenmalerei in Wien « ( 1 920) ; » Betrach-
tungen iiber die Entstehung der neuzeit-
lichen Kabinettsmalerei*, hrsg. von h.
Baldass (1923); » Kunstgeschichte als
Geistesgeschichte « ( 1 924) . — Herausgeber
von »Jahrb. des kunsthistor. Instituts in
Wien« und (mit A. Burda) »Die Ent-
stehung der Barockkunst in Rom « (1922).
j— »Max D. zum Gedachtnis* von Dag.
Frey (1922); »Ein Gedenkblatt zur
Trauerfeier fur Max D.« (1922). — Al-
manach 71 (1921) der AdW Wien, 253
bis 259 (Schlosser); I,E 826; Die Denk-
malpflege 23, 40 (Kohte) ; Hist. Zeitschr.
124, 188; GK; hZ 172; Soz.MH 271;
DBZ 76; Kchr 56, 409 u. 441 — 444 (H.
Tietze) ; Meyer 7 III, 1 1 3 1 ; DB J 3, S. 74/77
(H. Tietze).
Dybwad, Peter, Baurat, Architekt in Iyeip-
zig, Mitpreistrager beim Bau des Reichs-
gerichts, Erbauer der Gartenstadt Ma-
rienbrunn; • Christiania 17. II. 1859;
f Leipzig 13. X. — DBZ 375; ZB 540;
B 1,617.
Eberleln, Richard, Dr. phil. et med., Prof,
der Chirurgie an d. Tierarztl. Hochschule
Berlin, dz. Rektor der Hochschule;
* Groflsalze 16. X. 1869; f Berlin 10. XH.
— W.: »Leitfaden des Hufbeschlags*
(1903, 5 i9i3); »Kompendium der spezi-
ellen Chirurgie fur Tierarzte* (1920) ; »Die
Veterinarchirurgie und der Krieg* (1918).
— KL 1 7 (W) ; WI '352, * 1772 ; Fortschr.
auf dem Geb. der Rontgenstrahlen 29,
126; Berliner tierarztl. Wochenschr. 38,
92 (Schmaltz) u . 229 (Weiser) ; TR 1 2 . XII.
Eberschweiler, Wilhelm, Nikolaus, S. J.;
* Piittlingen (Saarbriicken) 5. XII. 1837 ;
j Exaeten (Holl. Limberg) 23. XII.
Novizemeister, Missionar, in Aachen,
Gorheim, Wynonandsrade und Exaeten,
Walter Sierp S.J. Ein Aposteldesinneren
Lebens. W. E., SJ. (1837 — 1921), Frei-
burg i. B. 1926.
Eckenbrecher, Karl Paul Themistokles v.,
Landschafts- und Marinemaler; * Athen
17. XI. 1842. t Kiel 7. XII.— W.: Nor-
dische und orientalische L,andschaften
und Marinebilder. — Meyer 7 III, 11 72;
WI 7 355 f. (W); MS I. 384; Kchr 57,
227 f.; TR 8. XII.
Ecker, Otto, Dr. iur., seit 1900 Direktor der
Hamburg- Amerika-Linie, 1909 ord. Dele-
gierter des Deutschen Reichs zur internat.
Seerechtskonferenz in Briissel; * Ham-
burg 17. IV. i860; | Hamburg 22. XI. —
WI 7 356.
* Ehrenberg, Richard, Dr. cam., Geh. Hofrat,
o. Prof, der Staatswissenschaften a. d.
Univ. Rostock und Direktor des staats-
wissensch. Seminars, Griinder des Insti-
tuts f iir exakte Wirtschaf tsforschung da-
selbst; • Wolffenbuttel 5. II. 1857, | Ro-
stock 17. XII. — W.: »GroBe Vermogen*
(1902) ; »Die Unternehmungen der Briider
Siemens t (2 Bde., 1006 — 16), »Landar-
beit und Kleinbesitz* (1 iBde., 1906 — 1 1) ;
♦ Die Fugger, Rothschild, Krupp* ('1925) ;
»Das Haus Parish in Hamburg « ("1925).
— Herausgeber des »Archiv fiir exakte
Wirtschaf tsforschung*. — LE 24, 575;
Soziale Praxis 30, 1337; LZ 45; Ecce
Pforta, Jahrg. 1919/21, S. 49; WI 7 361,
8 1 772; TR 20. XII.; Meyer 7 III, 1238;
DBJ 3,S. 77/80 (C. v. Eickstedt.)
*Ehrenwerth, Josef Gangl von E., ehem. o. 6.
Prof, der Eisenhiittenkunde an der mon-
tanistischen Hochschule in Leoben(Steier
mark), Hofrat, Dr. mont. h. c, Dr.-Ing.
h. c; * Spittal in Karnten 14. VI. 1843;
t Klagenfurt 12. I. —St. u. E. 41. I, 283
(F. Schraml m. P); DBJ 3, S. 80/82 (O.
v. Keil-Eichenthurn).
Elchhoff, Franz Richard, o. Prof, der Eisen-
hiittenkunde an der (friiheren) Bergaka-
demie Berlin, vorher (1904 — 06) Direktor
der Elektrostahl-G. m. b. H. in Rem-
scheid; * Essen 1. IV. 59; \ Berlin 1. VI.
— WI 7 366; LZ 486; St. u. E. 41 n, 944
(P); TR 4. VI.
Elchhorst, Hermann Ludwig, Dr., Prof der
inneren Medizin a. d. Univ. Zurich, Direk-
tor der Medizinischen Klinik; * Konigs-
berg 3. III. 1849; | Zurich 26. VII. —
W.: »Hygiene des Herzens und der Blut-
gefaBe« ( 3 i9i5, 4 i922). — PBL 447 f .
(P) ; I,Z 628 ; sichweiz. Med. Wochenschr.
51,881 (Huber); BKW 1260; DMW 1,304
(Naegeli); WI 7 366, % \-j-]2.
Eigenbrodt, W T olrad (Pseudon.: E. Wolrad),
Dr. phil., Lektor der schwed. Sprache
und Ijteratur a. d. Univ. Jena, Schrift-
steller; * Koblenz 10. VI. i860; f Jena
25. V. — W.: »Marchen« (1886); »Ge-
dichte« (1896); »Aus der schonen weiten
Welt« ( 4 i9i8); »Baumchen im Fruhling.
Kinderlieder« (1919); »Friihlingsgarten.
Kinderlieder« (192 1). — »Schwedentum
an deutschen Universitaten. Gedenk-
296
Totenliste: Engel — Erzberger
schrift fur D. W. E.« Hrsg. von seinen
Schiilern und Freunden (Geleitwort: R.
Eucken, 1922). — KL 17 (W); LE 23,
1214; LZ 446; TR 26. V. und 2. VI.
Engel, Johann Friedrich (auch John Fre-
derik) Landschafts-, Portrat- und Genre-
maler; * Bernkastel a. d. Mosel 27. IV.
1844; t Miinchen 2. III., lebte 1847 — 62
und 1868 — 1872 in Albany undNeuyork.
— \V.: Fischerin am Chiemsee; Badende
Kinder am Strand; Der Gliickwunsch;
Die Gratulanten, Chioggia. — TB 10, 529
(H. Holland m. W u. Lit.); Drefllers
Kunstjahrbuch 191 3 und 1921, S. 129;
Botticher, Malerwerke des 19. Jahrh. 1;
MS (3. Aufl.), S. 399; Jansa, Deutsche
bild. Kiinstler in Wort und Bild, 191 2;
R. Raupp und Fr. Wolter, Die Kunstler-
chronik von Frauenchiemsee ^192 4),
S. 31 f., 47, 59 (mit Ulustr. und P); G. J.
Wolf, Miinchner Kunstlerfeste 1925, S. 67
(m. Abb.); Daheim 1906, 25; Uber Land
und Meer 1906, 49; MNN 1914, 30. IV.;
1 92 1 5. III.; 1922 11. III.
* Erb, Wilhelm, Dr. med., W T irkl. Geh. Rat,
Exz., em. o. Prof, der inneren Medizin
und Direktor der medizin. Klinik a. d.
Univ. Heidelberg, Mitbegrunder der Neu-
rologie; * Winnweiler (Pf alz) 30. XI. 1840;
f Heidelberg 29. X. — W.: »Handbuch
der Elektrotherapie « (1882), »Handbuch
der Krankheiten des Riickenmarks und
des verlangerten Marks « (1876). — Her-
ausg. der »Zeitschrift fiir Nervenheil-
kunde*. — » Wilhelm E., Gedachtnisworte,
gespr. am 2. Nov. 1921 am Sarge« (1922).
— KL 17 (W); LZ 909; MMW 1525
(Schoenborn) und 1922, 31; Med. Klinik
17, 1468 (Striimpell); BKW 58, 1399
(E. Meyer); DMW 1595 f. (Weizsacker) ;
PBL464f. (W); WI 7 383; Schweiz. Ar-
chiv fiir Neurol, u. Psychiatr. io, 347;
Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psychiatr.
74, I— X; WMW 2027; IZ 4061 (P);
Meyer 7 IV, 83; E 3589; TR 1.11.2. XL;
DBJ 3, S. 82/87 (Fr.Schultze).
*Erdmann, Benno, Dr. phil., Geh. Reg.-
Rat, o. Prof, der Philosophic a. d. Univ.
Berlin; * Guhrau 30. V. 1851; | Berlin
7. I. — W.: »Kants Kritik der reinen
Vernunf t« ( 5 1 900) ; » Logik « ( 1 892 , 3 1 92 3) ;
»t)ber Inhalt und Geltung des Kausal-
gesetzes* (1904); »Elementarlehre der
Logik « (1907); »Grundziige der Repro-
duktionspsychologie* (1920); »Die philo-
sophischen Grundlagen von Helmholtz'
Wahrnehmungstheorie* (192 1) ; »Die Idee
von Kants Kritik der reinen Vernunft*
(191 7); »Berkeleys Philosophic im Lichte
seiner wissenschaftlichen Tagebiicher*
(191 9). — Herausgeber der »Abhand-
lungen zur Philosophic und ihrer Ge-
schichte*. — KL 17 (W) ; LZ 86; Soz. MH
408; LE 23, 700; Logos io, 249; Kant-
studien 26, 138 — 150 (Wentscher) ;
Ethische Kultur 249 (Wentscher); SB
PreuB. AdW 1921, 497—508 (Stumpf) ;
Meyer 7 IV, 133; TR 11. I. — E. Went-
scher: »B. E-, der Historiker der Philo-
sophie« (Kantstudien 26) ; DBJ 3, S. 88/92
(Dietrich).
Erlenmeyer, Emil, Dr. phil., Prof., Geh.
Reg.-Rat, Mitglied der Biologischen
Reichsanstalt in Dahlem; * Heidelberg
14. VII. 1864; f Berlin 14. II. — PF IV,
392 (W); WI 7 386, 81772.
Ernst Gunther, Herzog zu Schleswig-Hol-
stein, Hoheit, Schwager Kaiser Wil-
helms II., Mitglied des ehemal. preufi.
Herrenhauses ; * Dolzig 11. VIII. 1863;
f Primkenau 22. II. — W.: » Reform vor-
schlage im Reich und PreuBen, einge-
reicht der Staatsregierung in den Jahren
1917 und 191841, (*I9I9)- — IZ 4043 (P);
WI 7 57, 81772; Meyer 7 IV. 184.
Erzberger, Matthias, Reichsfinanzminister
a. D., M. d. R. (Zentrum) seit 1903;
* Buttenhausen 20. IX. 1875; t ( er ~
niordet) auf dem ELniebis bei Griesbach
(Baden) 26. VIII. — W.: »Erlebnisse im
Weltkrieg* (1920); »Reden zur Neu-
ordnung des deutschen Finanzwesens«
(1919); »Der stille Kulturkampf* (191 2);
»Die Militaranwarterfrage« (19 14); »Die
Mobilmachung« (19 14); »Die Riistungs-
ausgaben des Deutschen Reiches« (19 14);
»Politik und V6lkerleben« (1914); »Ver-
gangenheit, Gegenwart und Zukunft.«
Rede ( 1 920) ; » Der Verstandigungsfriede. «
Rede (1917); »Der Volkerbundt (1918);
»Duellund Ehre« (19 13); »Die Zentrums-
politik im Reichstag t (191 3); »Der V61-
kerbund und die Fried ensf rage* (19 19);
»Der Wehrbeitrag 1913* (1913); »Das
deutsche Zentrum* (*I9I2); »Zwart-
wychwstanie Polski« ()>Polnische Auf-
erstehung«) (19 17). — Ernst Bauer, E.,
Bilder aus seinem Leben und Werden,
Kampfen und Leiden (208 $.), 2. Aufl.
1925 (P); »Der E.-Prozefi. Stenograph.
Bericht* (1920); ^Matthias E. und der
Militaretat. Nach den stenograph. Be-
richten des Reichstags « (1909); »Ehren-
denkmal fiir Matthias E. Einweihung am
27. VIII. 192241 (1922). — Meyer 7 IV,
211 f.; E 2719; WJ fiir 1921/22; Wiirtt.
Staatsanz. Nr. 199; SCI1K394; MAZ 345 ;
Allg. Rundschau (Miinchen) 18, 473 und
489; Monatsh. fiir Politik u. Wehrmacht
50, 361 — 372 usw. (v. Liebig) ; SMH Marz
Totenliste: Eulenburg — Foerster
297
1 92 1 , 446 ; Deutsche Stimmen 4 . IX . (Stre-
semann) wieder abgedruckt in Strese-
manns Reden u. Schriften, Dresden 1926,
Bd. I, 378/388 ; Zeitschr. fur die ges. Straf-
rechtswiss. 42, 193 — 196 (Ebermeyer,
»Das Recht im ProzeB E.-Helfferich«);
Zentralbl. der christl. Gewerksch. 21, 273
und 277; Grenzboten 80 II, 91 — 100
(Stadtler); Korrespondenzbl. des Allg.
Deutschen Gewerkschaftsb. 31, 497;
Nachrufe, zusammengestellt in GK 1921
11, S. 84 ff. und 157L
* Eulenburg, Graf August zu, ehemal. Haus-
marschall und Hausminister Kaiser Wil-
helms II., General d. Inf. a. D., Ritter
des Schwarzen-Adler-Ordens, Kammer-
herr; * Konigsberg i. Pr., 22. X. 1838;
t Berlin 18. VI. — WI 7 395; GT 1922; TR
1 9. VI. ; Meyer 7 IV, 294 f. ; DB J 3, S. 92/95
(Bogdan Krieger).
* Eulenburg-Hertefeld, Fiirst Philipp zu,
Durchlaucht, Wirkl. Geh. Rat, Exzell.,
erbl. Mitgl. des ehern. preuB. Herren-
hauses, 1894 — 1902 Botschafter des Deut-
schen Reiches in Wien; * Konigsberg i.Pr.
12. II. 1847; | Liebenberg 17. XII. — W.:
»Erinnerungen an ein Clevesches Ritter-
geschlecht* (1899); » Skald engesange*
(1892); »Rosenlieder«; »Aus 50 Jahren.
Erinnerungen, Tagebiicher und Brief e aus
dem NachlaB*. Hrsg. Joh. Haller (1923).
— Joh. Haller, »Aus dem Leben des Fiir-
sten zu E.-H.« (1924). — »Ahnentafeldes
Fiirsten Philipp zu E.-H.«,Revidiert vorn
PreuB. Heroldsamt (191 8). — Gothaer
Hofkalender 192 1 ; WI 8 ; E 3041 ; Meyer 7
IV, 295; DBJ3, S. 95/103 (Herzfeld).
Ewald, Richard, Dr. med., friiherer o. Prof,
der Physiologie a. d. Univ. StraBburg,
Geh. Medizinalrat ; * Berlin 14. II. 1855;
f Konstanz 22. VII. — WV. »Eine neue
Hortheorie* (1899); »Der Schwindel«
(1 910). — Red. der » Zeitschr. fiir Sinnes-
physiologie*. — KL, 17 (W); PBL 480;
WI 7 397; GK; L,Z 653; Pflugers Archiv
T 93, 109 — 127 (Bethe); Zeitschr. fiir
Psychol, u. Physiol, der Sinnesorgane II,
Bd. 53, 123 (Gildemeister) ; TR 3. VIII.;
Meyer 7 IV, 352 f.
Fiedler, Alfred, Dr. med., Prof., Wirkl. Geh.
Rat, Exz., Leibarzt der letzten drei sachs.
Konige, Mitglied des sachs. Landes-
Medizinalkollegiums, 1868 — 1901 Ober-
arzt am Stadtkrankenhaus Dresden,
Ehren burger der Stadt Dresden ; * Moritz-
burg 5. VIII. 1835; t Dresden 3. VI. —
PBL 499 f-l LZ 469; Sachs. Kirchenbl.
257 (Lotichius); Bausteine, Monatsbl. fiir
innere Mission 53, 80; WI 7 419 (W),
8 1 772; LNN 4. VI.
Fleck, Friedrich, General der Inf. a. D., seit
191 2 Kommandeur der 27. Inf.- Brigade,
191 5 — 16 Fiihrer des VIII. Reservekorps,
1916 — 1 8 des XVII. Armeekorps, Februar
bis Oktober 19 18 des Generalkommandos
62; * Glogau 26. VI. 1859; t Menow
(Mecklenburg) 16. II. — B II, 64.
Fleischhauer, Karl v., Dr. iur. h. c, 1906
bis 1 91 2 und 1918 wiirtt. Kultusminister,
191 2 — 18 Minister des Innern; ♦Stutt-
gart 15. IX. 1852; f Stuttgart 17. VII. —
WJ fiir 1921/22; SchK Nr. 326 und 328;
Wiirtt. Staatsanz. Nr. 164; WI 7 433;
EvT 2384; Meyer 7 IV, 845.
Forkel, Albert, Direktor der Schule fiir
Textilindustrie in Plauen i. V., namhafter
Lehrer auf dem Gebiete der Textilkunst;
* Plauen i. V. 31. XII. 1864; | Plauen i. V.
19. IX. — Kchr 57, 81 f.; Die L^ipziger
Mustermesse V, 452.
Forrer, Ludwig, schweizerischer Staats-
mann, 1903 — 17 Mitglied des Bundesrats,
seitdem Direktor des Zentralamtes fiir
intern ation ale Eisenbahntransporte, Dr.
iur., Dr. h. c, 1906 und 191 2 schweiz.
Bundesprasident; * Islikon 9. II. 1845;
f Bern 28. IX. — GK; Schweiz. Zeitschr.
fiir Straf recht 34, 275 ; WI 7 442 ; Schweiz.
Zeitgen.-Lrexikon (1921) 216; Meyer 7 IV,
95°-
Foerster, Wilhelm, Dr. phil., em. o. Prof.
der Astronomie a. d. Univ. Berlin, 1 865 bis
1903 Direktor der Berliner Sternwarte,
Direktor der Normaleichungskommis-
sion, Geh. Reg.-Rat, Ehren prasident des
intern at. Komitees fiir MaB und Gewicht,
Schopfer der Berliner Urania, Mitbegr.
der Zeitschr. » Himmel und Erde«; * Griin-
berg 16. XII. 1832; f Bornim 18. 1. —
Herausg. der »Enzyklopadie der Natur-
wissenschaften« (1881 — 1904). W.: »Le-
bensfragen und Iyebensbild « (2 Bde.);
»lrebenserinnerungen und -hoffnungen*
( 1 9 1 1 ) ; » Die Freude an der Astronomie «
(M920). — PF V, 376 (W); KL 17 (W);
LE 23, 700; Jahrb. d. bayer. AdW, S. 38
bis 40 (Seeliger); IZ 4041 (P) ; PM 68;
I* 57, 29; W T eltall 21, in (Ahrens, F.s
Vater Fr. Forster) ; Deutsche Uhrmacher-
ztg. 45, 60 f.; Allg. Ztg. des Judentums
85, 29 (Gothein); Soz. MH 499 f. (Lau)
und 559 (Mennicke); LZ 107; Ethische
Kultur 9, 25 (Penzig); Astronom. Jahrb.
23, 23; Astronom. Nachr. 212, 489 — 494
(J. Bauschinger) ; Mitteilungen des Ver.
der Freunde der Astronomie 31, 41 — 48
(W. Schleyer) ; Sirius 54, 81 — 85 (P. SpieB)
154 — 158 (R. Penzig); Popular-Astro-
nomisk Tidskrift 95 ; Zeitschr. fiir Hoch-
schulpad. 12, 4; H 18 I, 634 (Plassmann) ;
298
Totenliste: Prancke — Gartner
Donauland 4 II, 634 — 637; WI 7 440,
81 773; E 342 (P); Meyer 7 IV, 956.
* Francke, Ernst, Dr. oec. publ., Prof., Gene-
raldirektor und (1920) Vorsitzender der
Gesellschaft fiir Soziale Reform, Heraus-
geber der Zeitschrift » Soziale Praxis*,
Griinder des Bureaus fiir Soziale Politik;
Mitgl. d. vorl. Reichswirtschaf tsrates ;
* Koburg 10. XI. 1852 ; f Freiburg i. B.23.
XII. — W.: »Die Schuhmacherei in
Bayern* (1893). — »Zum Gedachtnis
Dr. Ernst Fr.s« (24 S., P) (1922). — VZ
v. 24. XII; LE 24, 575; Zentralbl. fur
Vonnundschaftswesen 13, 206; Soziale
Praxis 30, 1331 (Heyde, dabei Presse-
stimmen zum Ableben E. Fr.s) und 31,
S. 3, 13—25.55. 105. 164, 273,685 (Presse-
stimmen); ELK 1923, S. 658 (Verh. mit
Fr. wegen einer Berufung nach Berlin);
Deutsche Arbeit 7, 33; Soz. MH 1922,
357 (Eger); Soz. Revue 1922, 251 ; WI 7
446, 8 i773: Meyer 7 IV,994;TR24.XII.;
DBJ3, S. 103/105 (Heyde).
Fraenkel, Ernst, Dr. med., Prof., Frauen-
arzt, Stadtrat und Stadtaltester von
Breslau; * Breslau 5. V. 1844; f Breslau
19. III. — W.: » Hygiene des Weibes*
("1903); »Therapie der Frauenkrank-
heiten*. — KL 17 (W) ; DM 7 47. 569
(Asch); WI 7 444-
Frauendorfer, Heinrich v., 1904 — 12 und
1918 — 20 bayer. Staats- und Verkehrs-
minister, Leiter der bayer. Landesstelle
des Reichsverkehrsministeriums, Geh.
Rat, Exz., Numismatiker; *H611, 27. IX.
1 85 5 ; f (Selbstmord) Geiselgasteig b. Miin-
chen 22. VII. — Herausg. der Europ.
Staats- und Wirtschaftszeitung. W. : »Die
Wohnungsfrage eine Verkehrsfrage*
(1918). — LZ 628; WI 7 452, 8 i773; KL
17; Egelhaafs hist.-pol. Jahresiibersicht
192 1, 270 f.; Meyer 7 IV, mi.
Freytag, Conrad, Dr.-Ing. e. h., Kommer-
zienrat, Eisenbetonbautechniker, lang-
jahr. Generaldirektor der Firnia WayB
& Freytag A.-G.; * Lachen bei Neu-
stadt a. H. 7. VIII. 1846; f Wiesbaden
2. VII. — DBZ 244; ZB 352; WI 7 46o;
TR 9. VII.; Beton u. Eisen 24, 10, S. 313
bis 327 (Kleinlogel) (P).
* Fried, Alfred H., Dr. sc. pol. h. c. (Univ.
Leiden) , Sc hr if ts teller, Griinder der deut-
schen Friedensgesellschaft, Nobelpreis-
trager; * Wien 11. XI. 1864; f Wien
4. V. — W. : » Jugenderinnerungen* hrsg.
von R. Goldscheid (1925); »Handbuch
der Friedensbewegung « ( 1 904) ; » Mein
Kriegstagebuch*, 4 Bde. (1918 — 20);
»Lexikon deutscher Zitate* (19 19) ; »Pan-
Amerika« (*i9i8). — Herausgeber von
»Der Volkerbund. Ein Sammelbuchf
(19 19); »Der Weltprotest gegen den Ver-
sailler Frieden* (1920). — Grabowsky,
Fr. und das Problem des Pazifismus. (Das
Neue Deutschland, Juni 1921, S. 266 ff.);
Kleinwaechter in Herres »Politischem
Handwdrterbuch« I, S. 653; Kolb, An-
nette, Alfred H. Fr., in der »Weltbuhne«,
2. VI. 1 921; Quidde, Ludwig, in »Mit-
teilungen der Deutschen Friedensgesell-
schaft*, 1921, S. 29 ff.; Ruyssen, »La
Paix par le Droit «, 1921, S. 221 ff.; Weh-
berg, Hans, »Die Fiihrer der deutschen
Friedensbewegung*, Leipzig 1923, S. 19
bis 23; »Friedens-Warte« 1925, S. 25 ff.;
Alfred H. Fr. Eine Sammlung von Ge-
denkblattern, hrsg. von R. Goldscheid
(mit Bibliogr. der Schriften) (1922). —
GK; LZ404; Soz. MH 491, 561; LE 23,
1 1 50; Allg. Zeitung des Judentums 85,
124; Monist. MH 6, 309 (Wehberg);
Wissen und Leben 14, 782 — 785 (Fried-
richs); WI 7 46i, 8 i773; TR 6. V.; EvT
1 596; KL17 (W) ; Meyer 7 IV, 1 172 ; DBJ3,
S. 105/106 (H. Wehberg).
Frohnmeyer, L Johannes,!), theol.h.c. (Univ.
Basel) , Missionsinspektor der Basler Mis-
sion ; •Ludwigsburg(Wurtt.) 1 2 .XII. 1850;
f Basel 16. III. — W. : »Die theosophische
Bewegung (1920, *I923); »Die Stellung
der britischen Regierung zur Mission in
Indien* (1916). — ELK 239; Allgem.Mis-
sionszeitschr. no; Die evang. Missionen
71 — 77 (Schlosser); Evangel. Missions-
magazin 65, 121 — 130 (Dipper).
Fuchs, Viktor, Freiherr von, * Wien
25. X. 1840; f Hall (Tirol) 29. IX. —
Dr. iur., ehem. osterreich. Politiker und
Staatsmann; Mitgl. d. konstituierenden
Oesterr. Nationalversammlung ; Meyer 7
IV, 1258.
FOglister, Wilhelm, Bildhauer, Meister des
Freihandstiicks ; * Reichenau b. Wien
27. V. 1861; t Karlsruhe 18. II. — W.:
Innendekorationen im gToCh. SchloB in
Karlsruhe. — DBZ 312.
* Gangl von Ehrenwerth, s. Ehrenwerth.
Gaertner, Gustav, Dr. med., a. o. Prof, der
allgem. und experiment. Pathologie a. d.
Univ. Wien; • Pardubitz i. B. 28. IX.
1855; f Wien 1. III. — W.: »Diatetische
Entf ettungskuren « (191 3). — LZ 238;
GK; PBL576f;TR3. III.
Gartner, Wolfgang, Dr. phil., Privatdozent
der Botanik a. d. Univ. Kiel, Mitglied der
Hilfsexpedition des Deutschen Roten
Kreuzes im Hungergebiet von Kasan;
* Jena 26. VI. 1890; j Kasan 13. XII. —
LZ I922,45;MMW 1922,68; DMW 192 1.
1^96.
Totenliste: Gareis — Glitsch
299
Gareis, Karl, Studienrat, Sozialist, bayer.
Landtagsabgeordneter (USP) , Fiihrer der
unabh. bayer. sozialdem. Partei; * Re-
gensburg 14. XI. 1889; f (ermordet)
Miinchen 10. VI. — Soz. MH 5 53 f . ; Egel-
haafs Hist.-pol. Jahresubersicht fur 1921,
268; Meyer 7 IV, 1425.
* Gaul, August, Prof., Tierbildhauer ;
* GroBauheim bei Hanau 22. X. 1869;
f Berlin 18. X. — W.: L6win, ruhende
Schafe, Pelikan (Nationalgalerie, Berlin),
Wisente (Konigsberg) ; Illustr. zu K. W.
Ramler, Fabellese (1919). — Velh. u.
Klasings MH Januar 1922, S. 581 f. (P);
Kchr 57, 80 f. (Glaser); IZ 4060 (P); TB
XIII, 272 (W) ; Kunst u. Kiinstler 20, 41
(Liebermann) ; KW 35 I, 142 f. (Avena-
rius); Hessenland 35, 157; WI 7 495,
8 1 774; E 3401; Meyer 7 IV, 1491; DBJ 3,
S. 1 07 /no (Amersdorffer).
GauB, Heinrich v., 1899 — 191 1 Oberbiirger-
ineister von Stuttgart, seit 1906 Mitgl.
des wiirtt. Abgeordnetenhauses; * Stutt-
gart 7. III. 1858; | Stuttgart 8. XII. —
WJ fiir 1921/22; Wiirtt. Staatsanz. Nr.
290; SchK Nr. 575; WI 7 495.
Gebhardt, Karl, Landwirt in Lauterecken,
Okonomierat, Mitgl. des bayer. Landtags,
M. d. R. (seit 191 2) (Deutsche VP), Mitgl.
der Nationalvers. 191 9 (bei keiner Frak-
tion) ; * Lauterecken 6.1. 1859; f Lauter-
ecken 28. IV. — HNV 162; WI 7 497.
Gehrts, Johannes, Maler, Illustrator von
Jugendbiichern und Kostiimzeichner;
* Hamburg 26. II. 1855 f Diisseldorf
5. X. — W. : Illustr. zu: Freudenberg,
Kreuz und quer durchs Kinderland ( 1 92 1 )
und zu Vogel, Spinnweiblein (191 2);
* Ludwigder Fromme auf der Hirschjagd*.
— Kchr 57, 40; MS II, 24; WI 7 499
(W) ; TB XIII, 339 (W) ; Meyer 7 IV, 1 590.
Gerhard, Karl, Dr. phil., Geh. Reg.-Rat,
em. Direktor der Univ.-Bibliothek in
Halle; * Sulzbach (Saarbriicken) 27. XII.
1847; t Halle a. S. 10. III. — LZ 260;
LE 23, 894; KL 17: ZBibl. 38, 98; WI 7
509 (W), 8 i774; TR 12. III.
Gerhardt, Dietrich, Dr. med., o. Prof, der
speziellen Pathologie und Therapie a. d.
Univ. Wurzburg; * Jena 16. II. 1866;
t (auf der Reise) bei Meiningen 3 1 . VII. —
W. : » Herzklappenf ehler « ( 1 9 1 3) ; » Die En-
dokarditis« (1914). — »G.-Gedachtnisfeier
am 1. XII. 1 92 1, geh. in der physikal-
m'ediz. Ges. zu Wiirzburg« (Verh. der Ge-
sellschaft, NF. 46, 7). — Schweiz. Med.
WSchr. 52, 1073 (Massini); MMW 68,
1 1 60 (Magnus); LZ 653; DMW i27of.
(L. R. Miiller); Med. Klinik 17, 125 1
(Jamin); BKW niSf. (Umber) (P).
Gerstmann, Adolf, Dr. phil., Prof., Geh.
Hofrat, 1894 — 1908 Dramaturg am Hof-
theater in Stuttgart, Lustspieldichter
und Romanschriftsteller; * Ostrowo
31. VII. 1855; t Stuttgart 30. X. — W.:
♦ Hilde Schott«, Roman (19 10, 12 i9i3). —
KL 17 u. 22 (W); LZ 909; LE 24, 378;
WJ fiir 1921/22; WI 7 5 1 3. 8 i774-
* Gierke, Otto, v., Dr. iur., phil., rer. pol.
LLD., o. Prof, des deutschen Privat- und
Staatsrechts a. d. Univ. Berlin, Geh. Ju-
stizrat, Ritter des Ordens pour le merite,
Mitgl. d. AdW. Berlin, korresp. Mitgl. der
AdW W T ien, Miinchen, Rom, Mailand (St.
Petersburg, London) ; * Stettin 1 1 . 1. 1841,
f Berlin 10. X. — W.: » Johannes Althu-
sius« '1913; »Deutsches Privatrecht, 3
Bde. (1895 — I 9 I 7)l »Der gennanische
Staatsgedanke« (1919) ; »DasdeutscheGe-
nossenschaftsrecht*, 4 Bde. (1868 — 19 13).
— Herausg. der »Untersuchungen zur
deutschen Staats- und Rechtsgeschichte «
(1878 — 19 1 7). — Almanach 72, (1922)
AdW Wien, 12 — 223 (Voltelini) ; Deutsche
Juristenztg. 709 (Seckel, Goldschmidt) ;
Leipz. Zeitschr. fiir deutsches Recht 15,
633 — 637 (Schwerin); Hist. Zeitschr. 125,
375; Zeitschr. der Savigny-Stiftung fiir
Rechtsgesch., German. Abt. 43, VII bis
LXIII (U. Stutz m . Bibliogr. d. W.), auch
separat erschienen Weimar 1922 (m. P);
LZ 828; Soz.MH 1 125 und 1922, 133;
KL 17 (W); IZ 4060 (P); Zeitschr. fur
das ges. Handelsrecht 86, 269; Logos 10,
86 — 132 (Gurwitsch); WI 7 5i7, 8 i774;
AT 1921; TR 12. X.; E 3289 DBJ 3,
S. 110/118 (Planitz).
Gieseler, Eberhard, Dr., Geh. Reg .-Rat-
em. o. Prof, der Physik und Maschinen-
baukunde a. d. Landw. Hochschule Bonn-
Poppelsdorf; * Hiillhorst (Westfalen)
23. 1. 1839; f Bonn 1 1. XII. — W.: »Hilfs-
buch fiir Landwirte bei Anschaffung
landw. Maschinen* (1914). — LZ 1922,
22; Die Technik in der Landw. 3, Heft 3,
S. 15 (A. Nachtweh); PF IV 497 (W);
WI 7 519, 8 i774; TR 16. XI.
Glitsch, Heinrich, Dr. iur., a. o. Prof, des
Arbeitsrechts und der deutschen Rechts-
geschichte a. d. Univ. Leipzig; * Sarepta
(Gouv. Saratow, Ru Bland) 24. VII. 1880;
f Leipzig 15. XII. — W.: » Gottesurteile «
(1913); »Der alemannische Zentenar und
sein Recht « (191 7) ; Herausg. der 2. Aufl.
von H. Schroder, Deutsche Rechts-
geschichte (1920). — LZ 1922, 22;
Zeitschr. fiir schweiz. Recht 63, 288 — 290
(Wackernagel) ; TR 19. XII.; Zeitschr.
der Savigny-Stiftung fiir Rechtsgesch.,
German. Abt. 43, 475/477 (Alfr. Schultze).
300
Totenliste : Glockner — Hauptmann
Glockner, Emil, Wirkl. Geh. Rat, Exz.,
Prasident der badischen Oberrechnungs-
kammer, 1905 — 18 Mitgl. der bad.
1. Kainmer; * Karlsruhe 24. X. 1837;
t Karlsruhe 7. VII. — WI 7 528; GK.
Grafenberg, Selly, Dr. phil., a. o. Prof, der
roman. Literatur a. d. Univ. Frankfurt
a. M.; * Adelebsen (Hannover) 12. I.
1863; | Frankfurt a. M. 17. VIII. — W.:
»Elementarbuch der engl. Sprache*
( 23 i922); » Praktisches Lehrbuch der
spanischen Sprache« ( 11 i925); »Ausge-
wahlte spanische Literatur* ( 3 i924). —
Herausgeberj von H. Fuchs, Lehrbuch
der span. Sprache ( 10 i922) (Vorwort und
Nachruf auf S. G. von Eugen Knapp). —
LZ 692; KL 17 (W).
Graus, Johann Evangelist, Dr., Monsignore,
Jubelpriester, Landeskonservator von
Steiermark, Herausgeber der Kunstzeit-
schrif t » Der Kirchenschmuck « ; * Deutsch-
Landsberg 21. XI. 1836; f Graz 6. IV. —
Christl. Kunst 135 (Binder); DBZ 160;
Kchr 56, 596; Christl. Kunstblatter 61,
2 5 ; Carinthia 3, 11 3 — 1 1 5 (Schnerich) ;
KL 17; WI 7 556.
de Groot, Jan Jakob Maria, Dr., o. Prof,
der chinesischen Sprache und Geschichte
a. d. Univ. Berlin, Geh. Reg.-Rat;
* Schiedam (Holland) 18. II 1854; j Ber-
lin 24. IX. — KL 17; GK; LZ 791 ; LE
24, 186; PM 229; Evangel. Missionsmaga-
zin, NF. 86, 27; SB d.PreuB. AdW 1923,
CXVII— CXXVI (Franke); LNN 27. IX.
Grotrian, Otto, Dr., o. Honorarprof. der
Elektrotechnik a. d. Techn. Hochschule
Aachen, Geh. Reg.-Rat; * Braunschweig
28. X 1847; t Aachen 5. I. — W.: »Die
Geornetrie der Gleichstrommaschine*
(1917).— PFIV, 539;LZ86;Soz.MH57o;
WI? 570. 8 i775; KL 17; TR 12. I.
Grttnhut, Leo, Dr., Prof., Abteilungsvor-
stand a. d. Deutschen Forschungsanstalt
f iir Lebensmittelchemie in Wien ; * Wien
22. V. 1863; t Wien 5. Januar. — W.:
• Anleitung zur chemischen Analyse des
Weines« ('1922) ; »Trinkwasser und Tafel-
wasser* (1920). — LZ 32; Zeitschr. f.
analyt.Chemie6o, S. 1; Zeitschr. fur Un-
tersuchung der Nahrungs- u. GenuBmittel
42, 1 (Beckurts) ; PF V, 456 (W) ; WI 7 574,
81775; KL 17 (W).
Gruppe, Otto, Prof., Religionshistoriker u.
Mythenforscher; * Berlin 18. VII. 185 1;
t Berlin 27. XI. — W. : »Bericht iiber die
Literatur zur antiken Mythologie u. Re-
ligionsgesch. ausden Jahren 1898 — 1905^
(1908) und (dass.) 1906 — 191 7 (1921);
»Gesch. der klass. Mythologie u . Religions-
gesch. wahrend desMittelaltersim Abend-
landeu. wahrend der Xeuzeitt (1921). —
LZ 1020; \V 7 578.
Gundermann, Gotthold, Dr. phil., o. Prof,
der klassischen Philologie a. d. Univ.
Tubingen; * Freienorla 11. III. 1856;
t Tubingen 19. X. — W.: »Wiederaufbau
u. Neues Testament vor 116 Jahren*.
Rektoratsrede (1922). (Enthalt zugleich:
»Dem Gedachtnis der Professoren . . .
G. G.«). — LZ 909; WJ fur 1921/22;
KL17; JAW 42, 1 — 10 (Goetz); SchK
Nr. 489; WI 7 584, 8 i775; TR 26. X.
*Hann, Julius v., Dr. phil., em. o. Prof,
der kosmischen Physik a. d. Univ. Wien,
Direktor der Zentralanstalt fur Meteoro-
logie u. Geodynamik, Hofrat; * Schlofl
Haus bei Linz 23. III. 1839, | Wien 1 . X.
— W.: »Handbuch der Klimatologie*
(18S3, "1911); »Lehrbuch der Meteoro-
logies (1900, 3 191 1;). — E 3289; KL 17
(W); WI 7 6i4, 8 i77>; GK; LZ 811; PF
V,493(W);Jahrb.d.bay.AdW, S.40— 42
(Emden); Almanach der Ad\V Wien 72
(1922), 151 — 160 (Bruckner); Astronom.
Zeitschr. 15, 126 (Stentzel); Das Wetter
38, 161— 168 (Ficker); PM 228 (Ed.
Bruckner) ; Annalen der hydrogr. u. rnari-
timen Meteorol. 49, 337 (Defant) ; N 10, 50
(Siering); Meteorol. Zeitschr. 192 1, ^22
bis 326 (Bibl.d.W.) TR 7. X.; DBj' 3.
S. 1 18/122 (F. M. Exner);
* Hase, Oskar v., Dr. phil., Geh. Hofrat, Ver-
lagsbuchhandler, Seniorchef der Firma
Breitkopf & Hartel in Leipzig; * Jena
15. IX. 1846; | Leipzig 26. I. — \\.:
>Das Aumaer Hasennest* (191 3); »Emil
StrauB. Ein deutscher Buchhandler am
Rheine« (1907); »Die Entwicklung des
Buchgewerbes in Leipzig « (1887) ; » Breit-
kopf & Hartel 1. 1542 — 1827, 2. 1828 bis
I9i8« (1917— 19). — KL 17 (W); LE
768; LZ 132; IZ4041 (P); GK; JB Peters
8; Zeitschr. fiir Musikwiss. Ill, 313 (Ein-
stein); (Neue) Zeitschr. fiir Musik $5
(Aber); NMZ 42. 164 u. 191 (Nage); AMZ
7^\ Rhein. Musik- u. Theater-Ztg. 57;
Die Stimme 15, 118; Klavierlehrer 27;
Zeitschr. fiir Instrumentenbau 41, 47=;;
BuchhBB 28. II.; WI 7 628; Gerh. Menz,
Deutsche Buchhandler. 24 Lebensbildcr
(= Am Steuer der Wirtschaft 3); AT;
DBJ 3, S. 122/125 (Hohlfeld).
Hassenpflug, Walter, Geh. Oberreg.-Rat,
em. Kurator der Univ. Marburg; * Kas-
sel 19. XI. 1856; f Koblenz 6. X. — LZ
827; WI'630, 8 i775; TR n. X.
• Hauptmann, Carl, Dr. phil., Dichter und
Schrif tsteller ; * Obersalzbrunn 11. V.
1858; t Schreiberhau 4. II. — W.: »Aus
meinem Tagebuch* (1899); »Napoleon
Totenliste: Heilbut — Hexamer
301
Bonaparte*, 2 Schauspiele (19 10); »Is-
mael Friedmann«, Roman (1912); »Die
armseligen Besenbinder*, Schauspiel
( 1 9 1 3) ; » Aus dem groBen Kriege «, dramat.
Szenen (191 5); » Tobias Buntschuh«, bur-
leske Trilogie (191 6); »Die Rebhiihner*,
Komodie (19 16); »Eva Maria «, eine
Legende (1920); »Des Kaisers Lieb-
kosende«, Legende (19 19); »Mathilde«,
Roman (19 19); »Der abtriinnige Zar«,
Legende (1919). — »CarlH., 2 Abenteuer
aus dem Rubezaklbuch«. Vorwort von
H. M. Elster, Deutsche Dichterhand-
scliriften9,i920. — LZ i5o;Soz.MH 1 59 f.
(Hochdorf) ; LE 23, 767; BRIII. 103; WI 7
634; Unser Schlesierland 192, 72 — 77
(Peuckert); Der Turmer, Marz 1921, 421
bis 425 (Strasser) und 447 (Reichelt);
KW 34 I 338—348 (Schwab) ; Weltrund-
schau (Beil. zu Universum) 33 (Wend-
riner) ; Die neue Zeit 39 II, 1 36 (Kliche) ;
PreuB. Jahrbucher 13, 392 — 396 (Meri-
dies); Westermanns Monatsh. 1922, 31
bis 35 (Reichelt; — Erinnerungen an
C. H.); Das deutsche Drama 4, 41 — 49
(Walzel); Die Propylaen 18, 178 (E.
Ritter); Die Tat 13, 142 (Dahl); E 502
(P); KL 17 (W); Orplid, Jahrg. 2, n,
S. 433 — 437 (H. Wocke, iZum 5. Todes-
tage«; Ostdeutsche Monatshefte VI, 5,
S. 561—563 (C. H.s Dramen) (F. Gaupp)
u. 555 — 561 (C. H.s dichterische Hinter-
lassenschaft) (W. Meckauer) ; Wir Schle-
sier, Jg. 7, 2, S. 38 f. (W. Meckauer);
DBJ 3, S. 125/137 (K.Wilczynski).
Heilbut, Emil, Prof., Kunstschriftsteller.
Mitbegriinder der Zeitschrift »Kunst und
Kiinstler«; * Hamburg 2. IV. 1861;
t Montreux 16. II. — TB XVI, 271 ; MS
2. Nachtrag (1922); LZ 238; LE 825;
Kchr 56, 450; Kunst u. Kiinstler 19,
235; WI'647.
Hempel, Karl H., Maler, Kunsthistoriker,
1883 — 1920 Direktor der Stadt. Kunst-
halle in Diisseldorf und bis 191 3 auchder
Stiidt. Galerie; * Stralsund 13. IV. 1848;
I Diisseldorf 26. IX. — Kchr 57, 64.
Hensel, Julius v., Dr.-Ing. e. h., bis 1920
Ministerialrat im bayer. Min. des Innern
und Direktor der Landesstelle fiir Ge-
wasserkunde; * Diirkheim 19. I. 1850;
| Miinchen 4. IX. — DBZ 421; ZB 506;
Wasserkraft 16, 287 (Krieger).
Herber, PauUne, * Idstein (R.-B. Wies-
baden) 29.II. 1852; f Boppard28. VII. —
Seminarlehrerin a. D.in Boppard; Griin-
derin, Ehrenvorsitzended. Vereins katho-
hscher Lehrerinnen. — Allg. Rdsch. 409
(G. M. Hamann), 491; Miidchenbildung
auf christl. Grundlage. KR,
Herold, Max, D. theol. h. c, Dekan u. Kir-
chenrat, Begriinder des bayer. evangel.
Kirchengesangwesens, Herausgeber der
kirchenmusikalischen Zeitschrift »Siona« ;
* Rehweiler 27. III. 1840; f Neuendettels-
au (Bayern) 7. VIII. — W.: Die Johan-
niskirche in Niirnberg (191 7). — KL 17
(W); AMZ 577; JBPeters 8; Zeitschr.fur
Musikwissensch. 3, 582; Signale 818;
NMZ 42, 395; Klavierlehrer 134; Die
Stimme 16, 46; TR 6. VIII.
Herre, Hermann, Dr. phil., Prof., Historiker,
Mitherausgeber der Deutschen Reichs-
tagsakten (Bd. 10 u. 15) und des Con-
cilium Basiliense; * Preu Blitz 1. IX.
1864; | Miinchen 12. VII. — LZ ^89;
TR17.VII.
Herrmann, Paul v., Wirkl. Geh. Ober-
Reg.-Rat, Prasident des preuB. Ober-
verwaltungsgerichts, Major d. Res. a. D.;
* Berlin 1. V. 1857; f Berlin 4. I. —
TR7. I.; AT 1917 (PreuB. Adelsstand
vom 3. VI. 1907).
* Heusler, Andreas, Dr. iur., o. Prof, der
Rechtsgeschichte a. d. Univ. Basel, Vize-
prasident des Zivilgerichts, Mitgl. des
GroBen Rats, Ritter des Ordens pour le
merite; * Basel 30. IX. 1834; f Basel
2. XI. — W.: » Institutionen des deut-
schen Privatrechts* 1. 2. (1885, 1886);
»Der Ursprung der deutschen Stadtver-
fassung« (1872); »Die Gewerbe* (1873).
— Meyer 8 IX, 296; WI 7 687; Basler
Nachr. 1922, 1. Beil. zu Nr. 22 vom 14. 1.,
2. Beil. zu Nr. 23 vom 15. I. (U. Stutz);
Basler Zeitschr. fiir Gesch. u. Altertums-
kunde XX, 1922, 381/394 (W.Vischer);
Schweiz. Juristenztg. 18, 155; Schweiz.
Monatsh. fiir Politik u. Kultur I, 412 bis
418 (Stutz); Zeitschr. der Savigny-
Stiftung f. Rechtsgesch., German Abt.
43, LXIV— CXIV (U. Stutz), audi se-
parat erschienen Weimar 1922 (m. P) ;
Zeitschr. fiir schweiz. Recht, NF. XLI,
1 — 72 (Hies) u. 73 — 99 Beyerle m. P)
ebd., 280 ff., 300; Schweiz. Zeitgenossen-
Lexikon (1921), S. 318; Hist.-biogr. Lex.
der Schweiz, H. 31, S. 213 (P); U H. 6;
E 3661; KL 17 (W); IZ4061 (P) DBJ 3.
S. 137/142 (Beyerle).
Hexamer, Carl Johann, BS., Ph. D., LLD,
Zivilingenieur, 1900 — 16 Prasident, seit
191 7 Ehren prasident der Deutschen Ge-
sellschaft in Pennsylvanien, 1901 bis
1 91 7 Prasident, seit 191 7 Ehrenprasident
des Deutsch-amerikanischen National-
bundes der Vereinigten Staaten, Fiihrer
des Deutschamerikanertums; •Philadel-
phia 9. V. 1862; f Philadelphia 15. X.
— Georg v. Bosse, Dr. C. J. H., Das Ur-
302
Totenliste: Hildebrand — Holz
bild eines rechten Deutschamerikaners.
Sein Leben u. Wirken, Stuttgart (Belser)
1925 (no S.) (P). — TR 6. XI.; E 3661
(P)-
* Hildebrand, Adolf v., Dr. phil. h. c, Dr.
tned. h. c, Dr.-Ing. e. h., Bildhauer, Pro-
fessor; Mitglied der Berliner Akademie
(1891), Ritter des Ordens pour le merite;
* Marburg 6. X. 1847; t Munchen 18. 1. —
W. : »GesammelteAufsatze«, 2.,verm.Feld-
ausg. (1916); »Handzeichnungen«, hrsg.
von A. Baumler (1922 und 1923); IUustr.
zu Kellers Romeo u. Julia auf dem Dorfe,
(Bern 19 19); >Das Problem der Form in
der bildenden Kunst « (1893, 3 1913). —
B listen von Klara Schumann , Groflherzog
von Sachsen- Weimar, Herzog Karl Theo-
dorin Bayern, Bocklin, Dollinger, Petten-
koferu.a. ; Marmorfigur des Adam (1878,
Museum in Leipzig), Marmorfigur eines
J anglings (1884, Nationalgalerie, Berlin),
Brunnen (Marktplatz in Jena), Wittels-
bacherbrunnen (1895, Munchen, Maxi-
miliansplatz) , Vater Rhein (1903, Strafl-
burg), Brahms-Denkmal (1899, Mei-
ningen) u. a. — TB 17, 70 — 73 (W); KL
17; WI 7 695; MS 2, 177 f.; Meyer 6 IX,
324. — »A. v. H.«, hrsg. von Alex. Heil-
meyer (darin: Gedachtnisrede bei der Ge-
denkfeier im Miinchner Kunstlerhaus
26. II. 1 92 1 von G. Jachmann, 52 S.,
117 Tafeln, 1922). — Kchr 56, 341 — 344
(Kuhn), 57, 402 (Rupe) Soz. MH 27of.
(Hilbersheimer) ; Kunst und Kiinstler
19, 225 (Konnerth); Velh. u. Klasings
Monatsh., April 192 1, 216; SMH, Marz
1921, 438 — 440 (Georgii); Die Propylaen
18, 161 (Kurz u. W. Pastor) u. 163 (Gur-
litt); Allgem. Rundschau 18, 117 (Ritz);
Neue Rundschau 333 (v. Reinach) ; ZB
41, 465 (Schumacher); IZ 4041 (Heil-
meyer); H 18 II, 654 — 661 (Diepold) ;
Die bildenden Kiinste IV, 7, 59—64 (Jura-
schek) ; Firn II, 239 (Schikowski) ; Hessen-
land 35, 6; KW 34, 323—328 (E. K. Fi-
scher) ; Die Kunst fiir Alle 36, 148 (Wolf)
u. 257 (Heilmeyer) u. 262 (Clemen); Die
Westmark 1922,62 — 71 (Schmid-Burgk) ;
Christl. Kunst 18, 13 — 15 (Doering);
Kunst u. Kiinstler 20, 317 (Weil). —
TR 18. I.; E S. 342 (P) und 517 £.; DBJ
3, S. 142/146 (Rosenhagen).
Hindenburg and von Beneckendorf, Ger-
trud v., geb. v. Sperling, die Gattin des
Generalfeldmarschalls u. nachmaligen
Reichsprasidenten ; * Magdeburg 4. XII.
i860; | Hannover 14. V. — IZ 4049 (P);
UAT 1924; E 1736 (P).
Hitze, Franz, D. theol., Dr. phil., Dr. iur.
h. c, o. Prof, der kathol. Theologie a. d.
Univ. Minister, apostolischer Protonotar,
Sozialpolitiker, M. d. R. und des preuC.
AH. (Zentrum), Redakteur des » Arbeiter-
wohl«; * Hanemicke 16. III. 185 1; f Bad
Nauheim 20. VII. — W.: »Die soziale
Frage* (1878), »Kapitalu. Arbeit* (1881),
»Arbeiterfrage« (2 1 . Ts. 1904), »Geburten-
riickgang u. Sozialref orm « (192 1). —
»F. H. zum Gedachtnis. Erinnerangs-
blatter von Freunden«. Hrsg. von A.
Pieper (47 S., P, 192 1); »Soziale Arbeit
im neuen Deutschland, Festschrift zum
70. Geburtstag von F. H.« (1921). —
Zentralbl. der christl. Gewerkschaften 69
u. 218; Soziale Praxis 273 (Pieper) u. 281
(Stegerwald) ,285 (Giesberts) ,771 (Heyde) ;
Allgem. Rundschau 18, 450 (Walter-
bach); H 19 I, 129 — 137 (M. Spahn);
Soz. Revue 21, 507 u. 577 — 582 (O.
Miiller), 641 — 653 (Gasteiger) ; WI 7 707;
HNV 182 (W); Deutsche Arbeit 6, 361
bis 367 (Pieper); GDA, Zeitung des Ge-
werksch.-Bundes der Angestellten 28,
249; TR 21. VII.; EvT 2384; KI, 17 (W).
Hoeber, Fritz, Dr. phil., Kunsthistoriker,
Herausgeber des » Modern . Architekten « ;
* Frankfurt a. M. 30. I. 1885 ; | i- Januar.
— W.: »Systematik der Architekturpro-
positionen« (1906). — KL 17 (W);
Kchr 56, 329; Soz.MH 375.
Hoffmann, David, Dr. phil., Prof.. Rektor
des Rabbinerseminars in Berlin; * Verbo
(Ungarn) 23. XI. 1843; t Berlin 20. XI. —
Jahresber. des Rabbinerseminars zu Ber-
lin fiir 1924, S. 5 — 8.
Hoffmann, Leonhard, em. Prof, der Chi-
rurgie a. d. fruheren Tierarztlichen Hoch-
schule in Stuttgart; * Nesselbach b.
Langenburg 8. VIII. 1845; t Stuttgart
30. V. — W.: »Die Bekampfung u. Aus-
rottung d. Maul- u . Klauenseuche* ( 1 92 1 ) ;
»Bekampfung der Maul- u. Klauenseuche
durch Heilung der kranken Tiere«, 4 Bde.
(1912 — 14); »Das Buch von der Ziege«
( 3 i9i9); » Taschenbuch der tierarzt-
lichen Hausmittel* (1919). — LZ 486;
TR 6. VI.
Hohenlohe-Bartenstein- Jagstberg, J ohannes
Fiirst zu, Durchlaucht, letzter Prasident
der wiirtt. 1. Kammer; * Bartenstein
20. VIII. 1863; f Bartenstein 19. VIII. —
WJ 1921/22; Wiirtt. Staatsanz. Nr. 194;
WI 7 726; Gothaischer Kal. 1922.
Holz, Georg, Dr. phil., a. o. Prof, der deut-
schen Sprache u. Lit. a. d. Univ. Leipzig;
* Chemnitz 24. XII. 1863; t Leipzig
2. VI. — W.: »Der Sagenkreis der Ni-
belungen* ( 8 i92o). — LZ 469; LE 23,
1278; GK; WI 7 734» 8 i/76; LNN 3. VI.;
KL 17 (W).
Totenliste: Hopf — Jannasch
303
Hopf, Wilhelm, Pfarrer, letzter Fiihrer der
hessischen Renitenz; * Wippershain (Kr.
Hersfeld) 12. X. 1842; f Melsungen
16. III. — W.: » August Vilmar, ein Le-
bens- und Zeitbild« (191 3) ; »Warum ruit
Hannover nach Freiheit?* (1920). —
Herausgeber der » Hessischen Blatter*
1892 — 192 1. — ELK 351 ; Hessenland 35,
13 1 — r 33 «• I5 1 — x 54 (Loosen).
Horch, Hermann, Dr. iur., Geh. Justizrat,
Mitherausgeber des »Archivs fiir Krimi-
nologie, Kriminalanthropologie und Kri-
minalstatistik*; * Mainz 10. VIII. 1856;
| Mainz 26. VI. — W.: »Dem Andenken
des Geh. Justizrats Dr. H. H. Eine Aus-
wahl aus seinen Vortragen, Schriften,
Abhandlungen, Brief en und Gedichten,
mit einer Widmung von Prof. W. Wei-
gand« (Mannheim 1922, 112 S., P). —
LZ606; TR 16. VII.
Hdrmann, Angelika v., geb. Geiger, Gattin
des Kulturhistorikers Ludwig v. H.,
Dichterin; * Innsbruck 28. IV. 1843;
t Innsbruck 23. II. — W.: »Die Trutz-
muhle«, Erzahlung (1866, 8 i897); »Auf
stillen Wegen«, Gedichte (1907). — KX 17
(W); PYI, S77f.;WI 7 7 is; BR III, 290;
VL 238; TR 28. II.
H6veler, Joh. Jos.; * Grefrath (NeuB) 16.
X. 1856; | Andernach 27. V. — Gym-
nasialdirektor ; Verf. von Abhandlungen
zur rheinischen Archaologie und zur Ge-
schichte des rheinischen Humanismus. —
. KR 1914 (W).
Huber, Hans, Dr. phil. h. c. (Basel), Direktor
des Konservatoriums der Musik in Basel,
Komponist; * Schonewerd (Schweiz)
28. VI. 1852; t U>carno 25. XII. — W.:
3 Opern, 6 Sinfonien, 2 Serenaden, 7 Vio-
lin son at en, 3 Klavierkonzerte usw. —
R 8 485; IZ4065 (P); LZ 1922,85; Rhein.
Musik- u. Theater-Ztg. 1922, 26; Kla-
vierlehrer 1922, 6; DMZ 1922, 46; NMZ
43 , 1 86 ; Schweiz. Zeitgenossen-Lex. 33 1 f . ;
Schweiz. Musikpadagog.-Bl. 5, 4 (Wehrli),
20 (Friedrichs), 26 (Doret); AMZ 49, 33
(Merian) ; Neue Zeitschr. fiir Musik 1922,
25; TR 31. XII. — Historisch. biogr.
Lexikon der Schweiz, Teil 32 (1927),
S. 303 (P; E. Refardt) [E. Refardt,
H.H., Beitrage zu einer Biogr.; E. Re-
fardt, Die Bedeutung H.H.s fiir das Bas-
lerMusikleben (im Basler Jahrbuch 1924) ;
Nbl. der AUg. Musikgesch. 1923 (E. Jsler) ;
G. Bundi, H. H., die Personlichkeit nach
Briefen und Erinnerungen].
Hubrich, Eduard, Dr. iur., o. Prof, des
Staats- u. Verwaltungsrechts a. d. Univ.
Greifswald; * Allenstein 7. I. 1864;
| Greifswald 5.76. III. — W.: »PreuBi-
sches Staatsrecht* (1909); »Die Ent-
wicklung der Gesetzespublikation in
Preufien« (191 8); »Das demokratische
Verfassungsrecht des Deutschen Reiches*
(1921). — LZ 325; WI 7 744; TR 9 - III.;
KL 17 (W).
• Humperdlnck, Engelbert, Dr. phil., Prof.,
Tondichter; * Siegburg (Rhld.) 1. IX.
1854; f Neustrelitz 27. IX. — W.:
♦Hansel u. GreteU (1893); »Die Konigs-
kinder« (1898); »Gaudeamus«, Spieloper
(19 19); »Sang u. Klang fiirs Kinderherz.
Eine Sammlung der schonsten Kinder-
lieder« (1923).— R 8 489 (W); WI' 751;
JB Peters 9; IZ 4059 (P); Velh. u. Klas.
Monatsh. 36, 541—544 (Misch) (P); NMZ
43, 35 (Besch); Bayreuther Blatter 45
(Piiringer); Daheim 58, Heft 5 — 6
(Schwarz) ; Die Hilfe 446 (Gallwitz) ; H 19
I, 243 (Lorenz); Neue Zeitschr. fiir
Musik 43, 31; DMZ 391; Musica d'Oggi
(Mailand) 297; Monthly musical record
(London) 258; Die Stimme 16, 46; Re-
vista Musical Catelana (Barcelona) 224;
AMZ 657 u. 691 (Schwarz) ; Der Turmer,
Nov. 1 92 1, 136 (Moser); Zeitschr. fiir
Musik 88, 533 — 537 (Niemann) u. 517
(Heufl); Heimatblatter des Siegkreises,
April 1925, S. 49 f. (Maria Pohl, Erinne-
rungen an E. H.); TR 28. IX.; E 3121;
DBJ 3 S. 146^54 (Golther).
Jacoby, Gustav, Kunstsammler (ostasiati-
scher Kunst) (Sammlung Jacoby in den
Berliner Staatsmuseen) ; * 1857; f Berlin
1. V. — W.: »Sammlung Jacoby* (1915).
— Berliner Museen 1 92 1 , H. 3/4 (O. Kiim-
mel); Kchr 56, 637L
* Jaff6, Edgar, Dr., fruherer a. o. Prof, der
Volkswirtschaft a. d. Univ. Miinchen,
19 18 — 19 bayerischer Finanzminister ;
* Hamburg 24. V. 1866; f in einer Heil-
anstalt bei Miinchen 29. IV. — W.: »Die
Finanz- u. Steueraufgaben im neuen
Deutschland*; »Die neue Volkswirt-
schaft « (191 5); »Die Arbeitsteilung im
engl. Bankwesen« (1902); »Das engl.
Bankwesen« (1904, *i9io). — Herausg.
von »Archiv fiir Sozialwissenschaft u.
Sozialpolitik «, »Europ. Staats- u. Wirt-
schaftszeitimg*, »Kriegu. Wissenschaft*,
H. iff., I9i4ff. — LZ404; Soz.MH554f-
u. 625; Archiv fiir Sozialwiss. u. Sozial-
politik 47, S. I; KL 17 (W); TR 3. V.;
DBJ 3, S. 160/162 (Eckardt).
Jannasch, Paul, Dr. phil., em. o. Honorar-
prof. der Chemie a. d. Univ. Heidelberg;
* Deutsch-Ossig bei Gorlitz 2. X. 1841;
f Heidelberg 20. III. — W. : »Gesammelte
chemische Untersuchungen* (1888);
»Praktischer Leitfaden der Gewichts-
304
Totenliste: Janssen — Killian
analyse «; iiber 200 wissensch. Arbeiten
in Fachzeitschriften. — PF IV, 696; KL
17; WI 7 771; LZ 301 u. 325; Soz.MH
570; ChZ 45, 465 (Knoevenagel) ; TR
25. III.
Janssen, Julius, Prof., stadt. Musikdirek-
tor in Dortmund, Tondichter; * Venlo
4. VI. 1852; | Dortmund 24. IX. — JB Pe-
ters 9; Deutsche Sangerbundes-Ztg. 210;
NMZ 43, 31; AMZ 717; Neue Zeitschr.
fiirMusik 555 ; Klavierlehrer 144; H 17 II,
74—87 (Pfleger).
* Ilgner, Karl, Dr.-Ing. e. h., Ingenieur,
elektrotechn . Erfinder; * Neifle 27. VII.
1862; t Bertelsdorf 18. I. — St. u. E.
41 I, 495 (P); VDI471 (P); Manner der
Technik (1925) S. 127 (Haeubler) ; DBJ 3,
5. 154/159 (Philippi).
Isenkrahe, Caspar, Dr. phil., Prof., Natur-
wissenschaftler u. Philosoph; * Miinz
(Jiilich) 12. V. 1844; t Trier 12. VIII. —
W. : »Die Waff en der Apologetik und ihre
Handhabung«, 3 Bde. (1922); »Drei Ein-
zelabhandlungen iiber Fragen aus dem
Grenzgebiete zwischen Mathematik, Na-
tur- und Glaubenslehre* (1920); » Ex-
perimental theologies (1919, 2 mit P 1922);
»Zum Problem der Evidenz« (191 7);
»Untersuchungen iiber das Endliche und
das Unendliche* (1920). — PF IV, 684;
KL 17; Das heilige Feuer 1927, S. 129 ff.
(J. Schnippen-Botter) ; Philos. Jahrbuch
derGorres-Gesellsch. 1927 (nochnicht er-
schienen) .
Kalbeck, Max (Pseudonym : Jeremias Deut-
lich), Kunst- und Musikschriftsteller;
♦ Breslau 4. I. 1850; | Wien 5. V. — W.:
♦ Johannes Brahms«, 8 Bde. (in 4 ) ("1908
bis 1 9 14); » An tike und romantische
Museen* (1920); Herausgeber von »Joh.
Brahms im Brief wechsel mit Heinrich
und Elisabeth v. Herzogenberg*, 2 Bde.
( 8 i9i2); »Johs. Brahms' BriefwechseU
(1908 — 15), »Johs. Brahms, 3 Lieder.
In Faksimile« (1921); »Paul Heyse und
Gottfried Keller im BriefwechseU (19 19);
Neubearb. von Mozarts Don Juan (191 7).
— R 8 523 f.; KL 17; WF 798; LZ 404;
Soz.MH 924; LE 23, 1 150; Diedeutsche
Biihne 13, 391 ; Wir Schlesier 1, 294 (Biber-
feld) ; Zeitschr. fur Musikwissensch. Ill,
510; NMZ 42, 275; Klavierlehrer 89;
AMZ 335; Neue Zeitschr. fur Musik 299;
Die Stimme 15, 230; Musica d'Oggi (Mai-
land) 183; J B Peters 9.
Kaluza, Max, Dr. phil., Geh. Reg.-Rat, o.
Prof, der engl. Sprache u. Literatur a. d.
Univ. Konigsberg, Mitherausgeber der
♦ Zeitschr. fiir franzos. u. engl. Unter-
richt«; ♦ Ratibor 22. IX. 1S56; f Konigs-
berg i. Pr. 6. XII. — \\\: »Histor. Grain-
matik der engl. Sprache (2 Bde., 1900 bis
1 90 1, "1906). — Herausgeber von
»Chaucer-Handbuch« (Werke, Auszug)
(1919); »Norinannia. Germ.-romanische
Biichereu; »Dunstan-Lecturer in Lon-
don « (*i92i). — LE 24, 508 ; Zeitschr. fur
franz. u. engl. Unterricht 21, 1 — 12
(Jantzen); KL 17, 22, 24 (Totenliste);
LZ 1922, 22; KL 17 (W); BB 206;
TR 6. XII.
Kerler, Dietrich Heinrich, Schrif tsteller ;
* Neu-Ulm 16. VI. 1882; f Miinchen
16. IX. — W.:»Cber Annahmen«(2 Bde.,
1910 — 12); ^Nietzsche und die Vergel-
tungstheorie* (1910). — LEi922,3; KL
17 (W).
Kettler, Julius Iwan, Dr. phil., Prof., Geh.
Hofrat, 1894 — 1 9 10 Leiter des Statist.
Amts der Stadt Hannover, Spezialfor-
scher auf dem Gebiete der Kolonialkunde
und Auswanderungswirtschaf t ; * Osna-
briick 14. VII. 1852; f Berlin-Friedenau
14 . VII. — Herausgeber von Flemmings
Friedenskarten ; Bearb. von Karten
Deutschlands, Bayerns, Wiirttembergs,
Badens, des Baltenlandes usw. — WI 7
828; KL 17; PM 196; Niedersachsen 26,
613; TR 19. VII.
KleBling, Paul, Prof., Geh. Hofrat, Bild-
nis- u. Geschichtsmaler, Ehrenmitglied
der Dresdener Akademie; * Breslau 8. I.
1836; f (Unfall) Dresden n. I. — W.:
Fresken in der Albrechtsburg zu MeiBen.
— MS II, 335 ; Kchr 56, 329; Antiquitaten-
Rundschau 19. 26; WI 7 833 (W) ; TR 1 i.I.
Killian, Gustav, Dr. med., Prof., Geh. Me-
dizinalrat, Direktor der laryngologischen
Klinik an der Charite in BerUn ; • Mainz
2. VI. i860; f Berlin 24. II. — W.: »Die
Schwebelaryngologie* (1920); Mitheraus-
geber des »Handbuchs der arztl. Erfah-
rungen imWeltkriege 1914/18(1 (1 921 ff.).
— »Festschrif t G. K. am 2. VI. 1920
zu seinem 60. Geburtstage von seinen
Schiilern und Freunden gew.« Red. von
C. v. Eicken (1920) (Archiv fiir Laryn-
gologie, Bd. 33). — PBL 856; WI 8 1778;
BKW 2i. 370 (v. Eicken); GK; LZ 238;
DMW 45 1 (Weingartner) (P) ; IZ 4043 (P) ;
Archiv fiir Ohren-, Nasen- u. Kehlkopf-
heilkunde 108, S. I— III; Zeitschr. fiir
Ohrenheilkunde 8 1 , 262 — 266 (v. Eicken) ;
Internat. Zentralbl. fiir Ohrenheilkunde
18, 286 (Weingartner) ; Internat. Zentral-
blatt fiir Laryngologie 37, 67 — 74;
Zeitschr. fiir Laryngol. io, 184 (R. Hoff-
mann) ; Monatsschr. fiir Ohrenheilkunde
u. Laryngo-Rhinologie 55, 549 u. 56, 187
bis 195 (Marschik) ; Wiener Med. Wochen-
Totenliste: Kirchner — Kolesch
305
schr. 21, 465 (Rethi) ; Med. Klinik 17, 333
(Claus); EvT 320 (P) ; TR 25. II.
Kirchner, Emil, em. Professor an den
Techn. Staatslehranstalten in Chemnitz,
Autoritat auf dem Gebiete der Papier-
fabrikation, Red. des Wochenbl. fiir Pa-
pierf abrikation ; * Gransee (Branden-
burg) 8.,IV. 1847; t Chemnitz 14.II.— W.:
»Die Glanzstoffe der Papierf abrikation*
(1922). — LZ 197; WI 7 837f.
Kirchner, Wilhelm, Dr. phil., Geh. Hofrat
emer. o. Prof, der Landwirtschaft und
Direktor des Landw. Instituts der Univ.
Leipzig; * Gottingen 9. VII. 1848; f Leip-
zig 22. VIII. — W.: »Handbuch der
Milchwirtschaft* (81919, '1922); Heraus-
geber der Mitteilungen des Landwirtsch.
Instituts der Univ. Leipzig. — PF IV,
75 l (W); Deutsche landwirtsch. Presse
531; WI 7 838, 8 i778; GK; LZ 693; IZ
4056 (P); B II, 642; KL 17 (W); TR
23. VIII.
Klrstein, Georg Heinrich Maria, Bischof von
Mainz (seit 1903); * Mainz 2. VII. 1858;
f Mainz 15. IV. — WI 7 840; Literar.
Handw. 1921, 5; MNN 10. I. 1923; DAZ
4. I. 1924.
Klalber, Theodor, Dr., Professor, schwabi-
scher Literarhistoriker, friiher Pfarrer in
Grafenberg, dann Schrif tleiter am Wiirtt.
Staatsanzeiger; * Rohrdorf 23. III. 1870;
f Stuttgart 16. 1. — W.: »F. Th. Vischer*
(1920); »Die deutsche Selbstbiographie «
(1921). — LE 23, 700; WJ 1921/22;
KL 17.
Klingholz, Friedrich, Dr.-Ing. e. h., Geh.
Hofrat, Architekt, Prof, der Formenlehre
der Renaissance a. d. Techn. Hochschule
Berlin; • Barmen 21. X. 1861; f Char-
lottenburg 23. I. — DBZ 64 u. 290 f . (P) ;
ZB 364; WI 7 852.
Knecht, Friedrich Justus, D. theol., Weih-
bischof und Domdekan in Freiburg i. B.;
* Bruchsal 7. X. 1839; f Karlsruhe 31. I.
— W.: »Biblische Geschichte fiir Schule
und Haus « ( 1 9 1 3) (in mehreren Sprachen) .
— S. Weber, Gedachtnisrede auf F.
J. K. (1921). — WI 8 1778; KL 17; Pha-
rus 161 bis 166 (Roloff); Lit. Handw.
1921, 3.
* Kndpfler, Alois, Dr., Geh. Rat, em. o.
Prof, der katholischen Kirchengeschichte
a. d. Univ. Munchen; * Schomburg
(Wurtt.) 29. VIII. 1847; t Schomburg
14. VII. — W. : »Lehrbuch der Kirchen-
geschichte* (1895, 5 19 10). — LZ 606;
Allgem. Rundschau 18, 433 (Aufhauser);
KL 17; TR 12. VII.; ELK 462; WI 7
861 (W); DBJ 3, S. 162/165 (Pfeil-
schif ter) .
DBJ 20
Knorr, Carl Heinrich, Kommerzienrat, Mit-
inhaber der Nahrungsmittelfabrik C. H.
K. A.-G.; * Heilbronn a. N. 27. VI. 1843;
t Heilbronn 9. V. — IZ 4050 (P) ; WI 7 863,
•1778.
Knorr, Ludwig, Dr. phil., Geh. Hofrat, o.
Prof, der Chemie a. d. Univ. Jena, Ent-
decker des Antipyrins, o. Mitgl. der sachs.
Ges. der Wissenschaften ; * Munchen
2. XII. 1859; t Jena 5. VI. — ChZ 45.
609 f . (W. Schneider) ; Zeitschr. fiir an-
gew. Chemie 34, 249 u. 269 (Duden) ;
PF 768 f. (W); WI 7 863,81778; DieUm-
schau 370 (Braunwarth) ; LZ 486; Mit-
teilungen des Verb, der deutschen Pa-
tentanw. 96; B II, 658; EvT 1964; TR
7. VI.
Knoevenagel,Emil,2>., a.o. Prof, der organ.
Chemie a. d. Univ. Heidelberg; * Linden
b. Hannover 18. VI. 1865; f Berlin
1 1 . VIII. — W. : » Praktikum fiir anorgan.
Chemie* ( 8 i92o). — PF V, 644 (W) ;
LZ 669; Zeitschr. fiir angew. Chemie 35,
29 f. (Wilke) ; Cellulosechemie 3 (Beibl. zu
Papierfabr. 2o), 41 f. (Th. Curtius) ; WI 7
861, 8 i778; TR 17. VIII.
Koch, Gustav Adolf, Dr., Hofrat, em. o.
Prof, der Geologie u. Mineralogie a. d.
Hochschule fiir Bodenkultur in Wien;
* Wallern bei Wels 10. VI. 1846; f Gmun-
den 27. V. — W.: »Einiges iiber unsere
tiefsten Bohrungen* (19 19); »Deutsch-
osterreichische Naturschatze« (19 19). —
L 57. 35 *•; LZ 469; KL 17; PM 154 n.
196; Verh. der Geolog. Reichsanstalt
Wien 97— 100 (W); WI 7 866, 81778;
KL 17 (W); TR 3. VI.
Koch, Hugo, Dr.-Ing. e. h., Geh. Baurat,
em. o. Prof, der Baukonstruktionslehre
a. d. Techn. Hochschule Berlin; * Oppeln
15. XII. 1843; t Berlin 14. II. — W.:
*Handbuch der Architektur«, 8 Bde.,
(1895 — 1913)- — Mitarbeiter am Hand-
buch der Architektur, Teil 3; »Haus und
Garten der Unbemittelten« (192 1). —
GK; LZ 222; KL 17 (W) ; TR 24. II.;
DBZ 84; ZB 312; WI 7 868. 81778.
Kogel, Gustav Friedrich, ehemal. Dirigent
der Berliner Philharmonischen Konzerte,
1 89 1 — 1 90 1 der Frankfurter Museums-
konzerte, Herausgeber von Parti turen
und Klavierausziigen ; * Leipzig 16. I.
1849; j Frankfurt a. M. I3-/I4- XI. —
JBPetersg; AMZ869; R 8 566; DMZ481;
Neue Zeitschr. fiir Musik 638; Neue
Musikzeitschrift 43, 96; Klavierlehrer
156; DieStimme 16, 86; Meyer 6 XI, 225.
Kolesch, Karl, Dr., Gymnasialprofessor,
Mitbegriinder der Jenaischen Gesellschaft
fiir Mineralogie und Geologie; * Neu-
3o6
Totenliste: Kollm — Lambel
stadt a. O. 16. IV. i860; f Halle a. S.
12. VII. — LZ 606; PM 196.
Kollm, Georg, Hauptmann a. D. f langjahr.
Generalsekretar der Berliner GeseUschaft
fiir Erdkunde, Geschaftsf iihrer des deut-
schen Geographentags; * Danzig 3. VIII.
1846; f Berlin 6. 1. — Redakteur der »Ver-
handlungen des deutschen Geographen-
tags*; Herausgeber der » Verhandlungen
der Ges. fiir Erdkunde zu Berlin* und der
♦Zeitschrift der Ges. fiir Erdkunde*. —
KL 17; LZ 86.
Kdnig, Arthur, D. theol., Dompropst, em.
o. Prof, der kathol. Pastoraltheologie a.
d. Univ. Breslau; * NeiBe 4. VI. 1843;
j Breslau 9. X. — W.: »Handbuch fiir
den kathol. Religionsunterricht* (*• 19 19),
(**I922); »Kathol. Religionslehre fiir die
Oberstuf e hoh .Madchenlehranst . « ( 7 1 92 3) .
— LZ 827; WI '874; KL 17; TR 13. X.
Koenigsberger, Leo, Dr., Wirkl. Geh. Rat,
Exz., em. o. Prof, der Mathematik a. d.
Univ. Heidelberg; * Posen 15. X. 1837;
t Heidelberg 15. XII. — W.: »Mein
Leben* (1919); zahlr. Arbeiten in den
Abh. der AdW Heidelberg. — SB der
bayer. AdW 45 — 49 (Ringsheim) ; PF
V,654 (W); WH876; KL 17; GK; TR
17. XII.
* Kdrting, Ernst, GroBindustrieller, In-
genieur, Dr.-Ing. e. h., Mitbegriinder der
Firma Gebr. K. A.-G. (Heizungs- und
Luftungsanlagen, Verbrennungsmaschi-
nen) in Kortingsdorf bei Hannover;
* Hannover 12. II. 1842; f Hannover
4.I.— St.u.E.4i,I ( 143 (J.Kortingm.P);
VDI 65, 189, WF 881; »Deutschlands
Industrie u . Handel, Bd. 4, Gebr. K. A.-G. «
(1921); Organ fiir die Fortschritte des
Eisenbahnwesens, NF. 58, 64; Sachs.
Industrie 18, in; Manner der Technik,
hrsg. von C. MatschoB (1925), S. 143
(D. Meyer) ; Beitrage zur Geschichte der
Technik u. Industrie, Bd. I (1909), S. 200;
DBJ 3, S. 165— 170 (D.Meyer).
* Korum, Michael Felix, D. theol., Bischof
v. Trier; * Wickerschweier 2. XI. 1840;
t Trier 4. XII. — W. : »Die Andacht zum
hi. Herzen Jesu und die Mittel, sie zu
iiben, Hirtenbrief (((1916) ; »Das christl.Fa-
milienleben, Hirtenbriefe« (191 6); »Wun-
der und gottl. Gnadenerweise bei der
letzten Ausstellung des hi. Rockes 1891 «
(1894). — WI 7 893; IZ 4063 (P); Pastor
bonus 33, 159 — 168; E 4009 u. 4102 (P);
Trierische Heimat, Jahrg. 1, 8 (Mai 1925),
S. 97 f.; BB 286; P. Jakob Treitz, M.
F.K., 1925; DBJ 3,S. 170/172 (J. Treitz).
Krause, Hermann, Dr. med., Prof., Laryn-
gologe (bekannt aus der Krankenge-
schichte Kaiser Friedrichs III.) ; * Schnei-
demuhl 28. XI. 1848; t Bad Wildungen
8. VIII. — PBL9i2f.; LZ669; Soz.MH
853; Internat. Zentralbl. fiir Laryngol.
37, 309 (Finder) ; TR 9. VIII.
Kreusler, Ulrich, Dr., Geh. Reg.-Rat, em.
o. Prof, der Chemie u. Technologie a. d.
Univ. Bonn u. Direktor der landw. Aka-
demie Bonn-Poppelsdorf ; * Arolsen 4. XI.
1844; t Bonn 18. X. — W.: »Lehrbuch
der Chemie* (1880); »Atomgewichts-
tafeln nebst multiplen Werten* (1884);
Mitherausg. von Biedermanns Zentral-
blatt fiir Agrikulturchemie. — PF IV,
805, V,682(W); LZ883;WI 7 910, 81779;
ChZ 45, 1 145 (P. Koenig).
Kronberger, Karl, Genremaler; * Freystadt
(Oberosterr.) 7. III. 1841; f Miinchen
27. X.— WI 7 916 (W), 8 i779; MSH, 397.
Ktlchler, Friedrich, Dr., friiher a. o. Prof,
der alttestamentl. Exegese a. d. Univ.
StraBburg; * Triest 15. IV. 1874; | Hei-
delberg 2 5 . IV. — W . : » Hebraische Volks-
kunde* (1906); Herausg. der »Abh. zur
semitischen Rehgionskunde u. Sprach-
wissenschaft*. — LZ 404; TR 28. IV.
Kuhn, Ernst, Dr., Prof, der indogermani-
schen Sprachwissenschaft a. d. Univ.
Miinchen, ord. Mitglied der bayer. AdW,
korresp. Mitglied der AdW Wien; * Ber-
lin 7. II. 1846; j Miinchen 21. VIII. —
W.: »Barlaam und Joasaph* (1893);
»Der EinfluB des arischen Indiens auf
die Nachbarlander im Siiden und Osten *
(1904). — Herausg. der » Oriental. Biblio-
graphic* 1893 — 95 (Bd. 6 — 8), des
»Grundr. der iran. Philologie* (mit W T .
Geiger) (1895 — 19°4)» ^^ »Zeitschrift
fiir vergleich. Sprachforschung*. — »Auf-
satze zur Kultur- u. Sprachgeschichte,
vornehmlich des Orients. E. K. zum
70. Geburtstag gew.« (1916). — Jahrb.
d. bayer. AdW 23 — 26 (W. Geiger); Ost-
asiat. Zeitschr. 7, 272; KL 17; Almanach
71 (1921) d. AdW Wien 259 — 261 (Me-
ringer); Ecce Pforta 1919/21, 54.
Kull, Albert, Tiermaler; * Tubingen 27. V.
1855; f Stuttgart 6. IV. — »Der Rabe
und der Af f e . Eine humorist . Gabe « ( 1 9 1 3 ) ;
Mitarb. von Schroeders Biolog. Wand-
tafeln zur Tierkunde (1914 ff .) — WJ
1921/22; SchK Nr. 163.
Ladenburg, Ernst, Komm.-Rat, Prasident
der Vereinigten Handelskammern Frank-
furt-Hanau, Chef d.Bankliauses E-Laden-
burg; f Frankfurt a. M. 14. VI. — Frankf .
Zeitung 15. VI; VZ 15. VI.
Lambel, Hans, Dr. phil., Reg.-Rat, Gym-
nasialprof. u. a.o. Prof, der mittel- u. neu-
hochdeutschen Philologie a. d. deutschen
Totenlist e : Lang — Lud wig II I .
307
Univ. in Prag; * Linz 26. VIII. 1842;
t Prag 28. XII. — W.: Herausg. der
tBeitrage zur Kenntnis deutsch-bohmi-
scher Mundarten* und von » Herders
Werke«, Tl. 2 u. 3 (1885, 1890). — LZ62;
KL 17; WI 7 944; TR 4. I. 22; Mitteilgn.
des Ver. fiir Gesch. der Deutschen in
Bohmen, Jahrg. 62, 1/2, S. 127 — 137
(A. Hauffen).
♦Lang, Viktor, Edler v., Dr., Geh. Rat,
Exz., o. Prof, der Physik a. d. Univ. Wien,
Prasident der AdW Wien, 1904 Prasi-
dent des Normaleichamtes, Mitgl. des
ehemal. osterr. Herrenhauses ; * Wiener-
Neustadt 2. III. 1838; f Wien 3. VII.
— W.: »Lehrbuch der Kristallographie «
(1876). — PF IV, 835 (W); KL 17;
Almanach 72 (1922) der AdW Wien,
146 — 151 (Lecher) ; WMW i3i2;LZ6o6;
S0Z.MH976; WI 7 952, 8 i779;TR5.VII.;
DBJ 3, S. 172/178 (Lampa).
Lange, Konrad v., Dr. phil., o. Prof, der
Kunstgeschichte a. d. Univ. Tubingen,
stellv. Inspektor der Gemaldegalerie
Stuttgart; * Gottingen 15. III. 1855;
t Tubingen 27. VII. — W.: »Das Wesen
der Kunst« (1901, M907) ; » Das Kino in
Gegenwart u. Zukunft* (1920); »Natio-
nale Kinoreform« (191 8); Herausg. von
»Diirers NachlaC*. — LE 23, 1534;
Zeitschr. fiir Asthetik 16, 210 (Kjerbiill-
Petersen) ; KW 34 II, 382 (Fischer) ; TR
3. VIII.; LZ 653; DBZ 281 u. 284; Kchr
S6, 820 f . (Baum) ; SchK Nr. 346 u. 365 ;
WJ 1921/22 ;WI 7 954 (W);KL 17 (W).—
• Rektoratsiibergabe Tubingen 29. IV.
1922. Reden* (darin: »Dem Gedachtnis
des Prof. K. v. L. . . .«)
♦Lanz, Karl Wilh., Dr. phil. nat. h. c,
Ehrenmitglied der Heidelberger Aka-
demie der Wissenschaften, Ehrenbiirger
von Friedrichshafen, Mitinhaber der
Firma Heinrich L. in Mannheim ; * Mann-
heim 18. V. 1873; t Mannheim 18. VIII.
— WI 7 958, 8 i779; TR 18. VIII.; LNN
18. VIII.; E 2719 (P) ; »Kunsthalle Mann-
heim. 42 Gemalde aus der Sammlung
Dr. K. L. in Mannheim* (1912); DBJ 3,
S. 178/180 (Gossow).
* Leonhard, Rudolf, Dr. iur., Dr. in legibus
h. c. (Neuyork), Geh. Justizrat, o. Prof,
des rom . u . deutschen biirgerlichen Rechts
a. d. Univ. Breslau; * Breslau 26. XII.
185 1 ; | Breslau 1. I. — W.: »Irrtum bei
nichtigen Vertragen nach rom. Recht«
(2 Bde., 1882/83, M907); » Institutionen
des rom. Rechts « (1894); »Bemerkungen
zum Reichsjugendwehrgesetz* (19 17).
— LZ 62; KL 17 (W); Soz. MH 55;
Deutsche J uristenztg. 120 (Hedemann) ;
WI 7 985, 8 i779; DBJ 3, S. 180/183 (A.
Manigk) .
Lessing, Emil, Oberregisseur am Deutschen
Theater und am Lessing-Theater in Ber-
lin; * Berlin 6. V. 1857; f Berlin 1. XI.—
EG 595; LE 24, 378; Die deutsche Buhne
13, 669; WI 7 989, 8 i78o.
* Leutwein, Theodor, Generalmajor z. D.,
1894 — 1904 Gouverneur von Deutsch-
Siidwestaf rika ; * Striimpfelbronn i. B.
9. V. 1849; f Freiburg i. B. 13. IV. —
W . : » 1 1 J ahre Gouverneur in Deutsch-
Siidwestafrika« (1906). — DKZ 57 (Volk-
mann); IZ 4047; PM 130; WI 7 991,
8 i 7 79; TR 15 . IV.; DBJ 3, S. 183/187
(Schnee) .
Lewandowsky, Felix, Dr. nted., o. Prof. u.
Direktor der dermatolog. Klinik a. d.
Univ. Basel; * Hamburg 1. X. 1879;
t Basel 31. X.—TR 7. XI.
Lindl, Ernest, D. theol., Dr. phil., a. o. Prof,
der semitischen Philologie a. d. Univ.
Munchen, Schriftleiter der Monatsschrift
»Der Akademiker*; * Munchen 23. IV.
1872; j Munchen 30. III. — LZ 325;
KL17; WI 7 1009; TR 4. IV. AA.
Ldhlein, Max, Dr. nted., o. Prof, der pathol.
Anatomie a. d. Univ. Marburg a. L.;
* Berlin 3. VII. 1877; t Marburg 27. XII.
— W.: »Die krankheiterregenden Bak-
terien« ("1919); »t)ber die sogen. folliku-
lare Ruhr« (1923). — MMW 1922, 36;
MMK 18, 163 (Aschoff); DMW 48, 266
(Verse) (P); Zentralbl. fiir allgem. Patho-
logie u. pathol. Anatomie 32, 313 (Mar-
chand); TR 28. XII.
* L6 wenstein - Wertheim - Rochef ort, Karl
Fiirst zu (zuletzt P. Raymundus O. Pr.),
Kommissar der deutschen Katholiken-
tage, ehemal. Mitgl. der 1. Kammern
von Bayern, Baden, Wiirttemberg und
Hessen und des Deutschen Reichstags,
Grander der Antiduell-Liga, zuletzt Do-
minikanermonch in Venlo; * Haid i. B.
5. V. 1835 ; t Koln a. Rh. 8. XI. — Paul
Siebertz : »Karl Fiirst zu L. Ein Bild seines
Lebens und Wirkens nach Briefen, Akten
und Dokumenten« (1924). — Allgem.
Rundschau 18, 643 (Cardauns); Gotha-
ischer Kalender 1922; WI 7 io26; DBJ
3, S. 187/192 (Knogler).
Ludwig III., Kdnig von Bayern, 191 2 — 13
Prinzregent, 191 3 — 18 (letzter) Konig von
Bayern; * Munchen 7. I. 1845; f Sarvar
(Ungarn) 18. X. — W.: » Konig Lud wiglll.
im Weltkrieg. Briefe, Erlasse, Reden u.
Telegramme des Konigs aus eiserner Zeit «
(191 7); • Ludwig III. und die Revolution*
Heft 1 (1922). — Das Bayernland 33, 48
u. 65—78 (Solleder) ; MAZ 429 (Doeberl) ;
3o8
Totenliste : Ludwigs — Meydenbauer
Allgern. Rundschau 18, 595 f. u. 616
(v. Seidiein) ; IZ 4060 (P) ; WI'2; Goth.
Kalender 1922; E 3401. — K. A. v. Miil-
ler, Deutsche Geschichte u. deutscher
Charakter (1926), S. 176 — 182 (=Miinch-
ner Zeitung v. 19. X.).
Ludwigs, Heinrich Maria, Domkapitular
u. Senior des Domkapitels in Koln,
♦NeuBa.Rh.29.VIII. 1840; fKolna.Rh.
5. IX. — Koln. Volkszeit. 192 1, 632;
KR 1914.
Luthmer, Ferdinand, Prof., Geh. Baurat,
Direktor der Kunstgewerbeschule in
Frankfurt a. M.; * Koln 4. VI. 1842;
| Frankfurt a. M. 22. I. — W.: »Bau- u.
Kunstdenkmaler des Rheingaus*, 1 — des
dstl. Taunus*, • — des Reg.-Bez. Wies-
baden «; »Goldschmuck der Renaissance «;
»Merkbuch des Dekorateurs*; aEmpire-
u. Biedermeiermobel aus Schlossern u.
Burgerhausenn (1923); » Deutsche Mobel
der Vergangenheit* (M913, 8 i924); » Nas-
sau. Wanderungen durch Kunst u. Ge-
schichte* (1917). — MS VI, 184; KL 17;
TR 24. I.; WI 7 io47; DBZ 59 f.; Kchr
56. 373-
Maffel, Hugo, Edler u. Ritter v., baye-
rischer Reichsrat u. Groflindustrieller
(Maffei-Werke, Miinchen); • Bamberg
31. VIII. 1836; f Miinchen 13. V. — IZ
4049 (P); Organ fur Fortschr. des Eisen-
bahnwesens, NF. 58, 169; WI 7 1057,
8 i78o; E 1736.
Malkowskij, Georg, Dr. phil., Kunstschrift-
steller; * Deutschkrone (Westpr.) 31. V.
185 1 ; f Berlin 26. V. — W.:»MaxKlinger.
Ein sozialer Dichtermaler* (1921); »Die
bildende Kunst im freien Volksstaat«
(191 9) ; »Das Land Posen, wie es war und
wurde« (1919). — LZ 469; KL 17; WI 7
1061.
Mann, Josef, Heldentenor der Berliner
Staatsoper; * Lemberg 24. II. 1883;
t Berlin 5. IX. — JB Peters9; Signale 853;
Rheinische Musik- u. Theater-Zeitung
289; Neue Zeitschr. fiir Musik 42, 396;
Soz.MH 584 — 586 (Nora Zepler); Neue
Musik-Ztg. 42, 396; Die Stimme 16, 22;
IZ 4057 (P); AMZ 607.
Marquard, Adolf v., Dr., Prasident der
wiirtt. Ministerialabteilung fiir hohere
Schulen; * Gerabronn 22. IX. 1864;
t Stuttgart 1 2. II. — LZ222;WJ 1921/22;
Wiirtt. Staatsanz. Nr. 35; SchK Nr. 72;
TR 15. II.; E 2889.
Martitz, Ferdinand v., Dr. iur., Geh. Ober-
reg.-Rat, Prof, des Volkerrechts a. d.
Univ. Berlin; * Insterburg 27. IV. 1839;
f Berlin 28. VII. — W.: » Internationale
Rechtshilfe in Straf sachen « (2 Bde.,
1888/97); »Die Monarchic als Staats-
form« (1903); »V61kerrecht« (Kultur der
Gegenwart II, 8 ; 1906, « 191 3). — LZ628;
Zeitsclir. fiir Volkerrecht 12, 242 (Fleisch-
mann) ; Deutsche Juristenztg. 607 (Trie-
pel); WI 7 1077 (W), 8 i 781 ; KL 17 (W).
Mathes, Nikolaus, religioser Genremaler u.
Restaurator; ♦ Barweiler (Rheinpfalz)
23. III. 1845; t Miinchen 8. XII. — MS
III, 136, VI. 190; Kchr 57, 228.
Meinong, Ritter von Handschuchheim,
Alexius, Dr., o. Prof, der Philosophic a. d.
Univ. Graz; * Lemberg .17. VII. 1853;
f Graz 28. XI. — W.: »Beitrage zur Pad-
agogik. Ed. Martinak dargeb. 191941, hrsg.
von A.M.; »Grundlegung der allgemeinen
Werttheorie« ( f i92 3) (Vorwort von Doris
M.). — Ed. Martinak, »M. alsMensch u.
Lehrer« (1925). — Zeitschr. fiir padag.
Psychol. 22, 399 (Tumlirz); Archiv fiir
Gesch. der Philos. 34, 41 — 46 (Frankl) ;
Soz.MH 258 (Chaym) ; Beitrage zur Philos.
des deutschen Idealism us II, 31 — 37
(M.s philos. Arbeiten) ; WI 7 1097 ; KL 1 7 ;
TR 5. XII.; B III, 213.
* Monger, Karl, Dr. iur., Dr. phil. h. c.
(Budapest, Prag, Wien), o. Prof. i. R.
der Volkswirtschaft a. d. Univ. Wien,
Hofrat, Mitgl. des ehemal. osterr. Herren-
hauses, wirkl. Mitgl. der AdW Wien,
Bahnbrecher der Grenznutzentheorie;
* Neu-Sandez (Galizien) 28. II. 1840;
f Wien 26. II. — W.: »Grundsatze der
Volkswirtschaftslehre« (1871 , *I923);
* Untersuchungen iiber die Methoden der
Sozialwissenschaft* (1883); »Irrtiimer
des Historismus« (1884). — Neue osterr.
Biographie, Bd. 1, 84 — 92 (Fr. Wieser) (P) ;
Almanach 71 (1921) der AdW Wien 241
bis 252 (Wieser) (W) ; Technik u. Wirt-
schaft 14, 168; Jurist. Bl. 33; GK; Soz.
MH 263 f . (Schmidt) ; Zeitschr. f. Volksw.,
Sozialpolitik u. Verw., NF. I, 197 — 206
(Schumpeter) ; KL 17; WI 7 1 103, 8 1781 ;
TR 27. II.; EvT 320; DBJ 3, S. 192/200
(Zuckerkandl) .
Metternich-Sandor, Pauline Fiirstin, geb.
Graf in Sandor v. Szla\Tiicza, Witwe des
Fiirsten Richard M. (1829 — 95); * Wien
26. II. 1836; f Wien 28. IX. — W.: »Ge-
sehenes, Geschehenes, Erlebtes« (1920);
^Eclairs du Passed. — Neue osterr.
Biogr. 1, S. 43 — 52 (P; Seligmann); IZ
4059 (P); Goth. Kalender 1922; TR 29.
IX.; E 3121.
Meydenbauer, Albrecht, Dr. phil. h. c, Dr.-
Ing. e. h., Geh. Baurat, Reg.-Rat a. D.,
Prof., Schopfer des MeCbildverfahrens u.
Begriinder der preuC. Mefibildanstalt;
* Tholey 30. IV. 1834; f Godesbcrg
Totenliste: Meyer — Miiller
309
18. XI. — WI 7 1 1 12, 8 1 781 ; LZ 948 ; DBZ
55,4i6;Kchr57, 160; ZB 588; B III, 238;
E 4179 (P)«
Meyer, Leo, Dr. iur., Wirkl. Geh. Kriegsrat
u. Abteilungschef im ehemal. preuB.
Kriegsmin . ; * Posen 10. II. i860; | Berlin
18. X. — TR 28. X; ERL.
Michel, Andreas, Dr., Hofrat, Prof, der
Zahnheilkunde a. d. Univ. Wiirzburg;
* Lohr a. M. 14. VIII. 1861 ; | Wiirzburg
1. X. — W.: »Die konservierende Zahn-
heilkunde* (191 2). — LZ 826; Deutsche
Wochenschr. fur Zahnheilkunde 693
(Walkhoff); TR 7. X.
Miller, Friedrichv., Bildhaueru.ErzgieBer,
1866 — 191 1 Prof. a. d. Kunstgewerbe-
schule Miinchen ; * Miinchen 1 1 . XI. 1840;
f Miinchen 30. XII. — Ausfuhrung des
Gusses des Schw an thaler Goethe (Frank-
furt a. M.). — Kchr 57, 247; SMIII, 209,
IV, 197 (W) ; Dekorative Kunst 25, H. 5,
S. VI; B III, 249.
Mirbaeh-Sorquitten, Graf Julius, Mitgl. des
ehemal. preuB. Herrenhauses ; * Sorquit-
ten 27. VI. 1839; | Sorquitten 25. VI. —
IZ 4052 (P); Konservat. Monatsschr. 78,
23; GT 1922 ; WI 7 ii3i, 8 i78i;BIII,259;
TR 28. VI.
* Mitteis, Ludwig, Dr. iur., o. Prof, des
romischen und deutschen biirg. Rechts
a. d. Univ. Leipzig, Papyrusforscher,
Ehrenmitgl. (1907) der phil.-histor. Kl.
der AdW Wien, o. M. der Sachs. Gesellsch.
d. Wiss., korr. M. der AdW Berlin, Miin-
chen, Bologna, Geh. Hofrat; * Laibach
17. HI. 1859; t Leipzig 26. XII. — W.:
»Die Lehre von der Stellvertretung*
(1885); »Geschichte der Erbpacht im
Altertum* (1902); »R6misches Privat-
recht« I (1908); »Grundziige u. Chresto-
matie d. Papyrusurkunden* (m. Wilcken)
(1911); »Antike Rechtsgeschichte u. ro-
manist. Rechtsstudiunm (1917) ; Herausg.
von »Sohms Institution en « ("1923), der
» Zeitschr. d. Savigny-Stiftung fiir Rechts-
geschichte* seit 1 90 1. — Leop. Wenger,
L.M. u.sein Werk (1923). — LZ 1922, 45;
Jahrb. der bayer. AdW. 1922/23, 59 — -62
(Wenger); Almanach 72 (1922) AdW
W T ien, S. 227 — 261 (Wlassak). — Gedenk-
schr. f. L. M., verf. v. Mitgl. d. Leipz.
Jur.-Fak., Lpz. 1926. KL 17 (W); DBJ 3,
S. 200/203 (L. Wenger).
Mogk, Johannes, Portriitmaler ; * Dresden
19. IV. 1868; f Dresden 4. XI. — W\:
Minister v. Metzsch 11. Dr. Rumpelt im
Dresdener Rathaus, Senator O'Swald im
Hamburger Rathaus. — MS VI, 199 (W) ;
Kchr 57, 160; WI 7 1137, 81781.
Moeller, Georg, Dr. phil., o. Honorarprof.
der Agyptologie a. d. Univ. Berlin;
* Caracas (Venezuela) 5. XI. 1876;
f Upsala 2. X. — W. : »Hieratische Palao-
graphie*, 3 Bde.; »Zwei agypt. Ehever-
trage aus vorsaitischer Zeit« (Abh. der
preuB. AdW. 1918) ; »DasMmnienportrat«
(191 9); »Mumienschilder« (191 3); »Die
beiden Totenpapyrus Rhind« (191 3). —
LZ 811; Kchr 57, 82.
Mdller, Marx, Dr. phil., Professor, Schrift-
steller, Dramaturg am Altonaer Stadt-
theater; * Hamburg 15. III. 1868;
t Altona a. E. 9. XI. — W.: »Totentanz«
(Einakter) (1898); »Frau Anne« (Oster-
spiel) (1901) ; »Die Gartensonate«, Roman
(1917); »Die Spieluhr, Ged. u. Spiele
1892 — I9i9« (1919). — »Joh. P. Ecker-
mann u. Goethe. Ein letzter GruB M. M.s
an seine Freunde« (1923) (darin : O. Schu-
mann, Zum Gedachtnis [M. M.s]). —
LE 23, 377 f.; WIM135; TR 10. XI.;
LZ 47; K 3749; KL 17 (W).
Montgelas, Josef Graf von, erblicher Reichs-
rat der Krone Bayerns; * Miinchen
23. XII. 1870; | Egglkofen (Oberbay.)
14. IX. — GT. 1923 309; KR, 1914.
•Morf, Heinrich, Dr. phil. et is lettres, o.
Prof, der roman. Philologie a. d. Univ.
Berlin, Geh. Reg.-Rat; * Hofwil beiMiin-
chenbuchsee (Kan ton Bern) 23. X. 1854;
t Thun 23. I. — W.: »Geschichte der
neuen franz. Literature I (1898, M914);
»AusDichtung u.Sprache der Romanen«
(1903, anastatischer Neudruck 1922,
3 Bde.; »Die roman. Literaturen und
Sprachen«, 2. Abdruck (1925) ; Herausg.
des » Archivs fiir das Studium der neueren
Sprachen u. Lit.<t und der »Sammlung
vulgarlateinischer Texte «. — SB preuB.
AdW 521 — 529 (Roethe); Zeitschr. fiir
franz. u. engl. Unterricht, Bd. 21/22
(Jacobius); Zeitschr. fiir roman. Philo-
logie, Bd. 42, 259 (Rohlfs); Jahrb. der
lit. Vereinigung Winterthur 1922, 189 "bis
205 (Frey); Indogerm. Jahrb. 8, 285;
Archiv fiir das Stud, der neueren Sprachen
und Lit. 142, 78 bis 94 (Lommatzsch) ;
Die neueren Sprachen 29, 1 — 6 (Seifert) ;
Schweiz. Lehrerztg. 59 (Gauchatl) u.
61—64 (Hoesli); GK; LE 23, 768;
German. -roman. Monatsschr. 9, 179
(Lerch); WI 7 1144, 8 i 7 8i; KL 17; TR
25. 1.; E 342 u. 501 (P);KL 17 (W); DBJ
3, S. 203/206 (E. Seifert).
Mttller, Carl, Hiittendirektor, Mitglied des
Vorstandes der Friedrich-Wilhelms-Hutte
in Mulheim-Ruhr ; * Kassel 3. IV. 1850;
t Kassel 29. IV. — St. u. E. 41 , III, 844(F) .
Muller, Gustav, Sozialist, Vizeprasident des
Schweiz. Nationalrats, 1918 — 20 Stadt-
3io
Totenliste : Miiller — Othegraven
prasident von Bern; * Biel 14. IV. i860;
f Zurich 24. V. — Schweiz. Zeitgenossen-
Lexikon (1921), 472.
MUUer, Josef, Dr., Weihbischof von Koln;
* Siefernich, Kr. Diiren 27. IX. 1845;
| Koln 21. III.— WI 7 1 1 59; Koln.Volks-
zeit. 1921, 216.
Miiller, Theodor v., Oberlandesgerichts-
prasident in Nurnberg; * Burghafllach 5.
VIII. 1851; | Fiirth 25. I. — GK; AA.
Naumann, Gottfried, D. theol., Prof, der
Theologie a, d. Univ. Leipzig, Pfarrer der
Johanniskirche, Sozialpolitiker ; * Frank-
furt a. M. 26. VI. 1876; f Schomberg
(Schwarzwald) 14. XI. — W. : »Der Segen
einer Volkskirche « ( 1 9 1 3) ; » Stark in Gott «,
«Kriegspredigten « (191 5) ; » Das Helden-
tum Jesu« (191 5); »Kirche u. Demo-
kratie« (191 9); »Die Reformation u. der
Gemeindegedanke« (1918); »Sozialismus
u. Religion in Deutschland« (192 1). —
ELK 7^7; LZ 947; Neues Sachs. Kir-
chenbl. "637 (Liebster) ; LNN 18.' XL;
KL17 (W).
Neureuther, Karl, Generalmajor z. D., Mili-
targeograph, friiher Leiter des topograph.
Bureaus in Miinchen; * Miinchen 29. IX.
1838; f Miinchen 2. IV. — W.: »Das
Unterseeboot« (191 5). — PM 130; AA.
Nevermann, Dr. tned. vet. h. c, Geh. Ober-
reg.-Rat u. Vortrag. Rat im preuBischen
Landwirtschaf tsministerium ; ♦Wahrsow
(Mecklenb.) 10. X. 1869; f Berlin 7. VIII.
— TR 13. VIII.
Niemann, Albert, Dr. med., Prof., medizin.
Schriftsteller; * Berlin 1880, f Berlin
22. III. — W.: »Kompendium der Kin-
derheilkunde* (1920). — LZ 301 ; Archiv
fur Kinderheilkunde 69, 398 (E. Miiller);
Jahrb. fiir Kinderheilkunde u. phys. Er-
ziehung 95, 122 (Czerny).
Nles, Konrad, deutsch-amerikan. Dichter;
* Alzey (Rheinhessen) 17. X. 1862; f San
Franzisko im IX. — BR V, 137 f. (W);
LZ 750; Volk u. Heimat II, 166.
Nikel, Emil, Dompfarrer in Breslau, Ton-
setzer; * Sohrau (O.-S.) 12. IX. 185 1;
f Breslau 17. V. — Frank -Altmann, Ton-
kiinstlerlexikon 12 276; KR 19 14.
Nikutowskl, Erich, Landschaftsmaler in
Diisseldorf; * Diisseldorf 8. XI. 1872;
f Caub 6. I. —MS VI, 208; Kchr 56, 329.
Nitzschke, Emil, Kaufmann in Leipzig, Abg.
des sachs. Landtags (Demokrat), sachs.
Finanzminister a. D.; * Leutzsch bei
Leipzig 31. X. 1870; f Leutzsch 24. VII.
— WI 7 1 197, 8 i782; Woche H. 31; EvT
2384.
Noether, Max, Dr., em.o. Prof . der Mathe-
matik a. d. Univ. Erlangen, Geh. Hofrat,
Mitgl. der AdW Berlin, Miinchen (Paris,
Rom); * Mannheim 24. IX. 1844; f Er-
langen 13. XII. — Herausgeber von
B. Riemann, Ges. Werke (*i892 — 1902).
— LZ 1922, 22; PFV,9io(W); Jahrb. der
bayer. AdW 42—45 (VoC); WI 7 1199.
8 i782.
Noz, F. W. A., Dr., Prof, in Walstown.
Insp. des ev.-luth. Gymnasiums, Prasi-
dent des evang. Schulwesens in Penn-
sylvanien; | Milwaukee 16. XII. — WJ
1921/22.
Oldenbourg, Rudolf, Dr. phil., Kustos am
Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, For-
scher auf dem Gebiete der Niederland.
Kunst; *Miinchen 8. V. 1887; | Baden-
weiler 12. VI. — W.: »P. P. Rubens, Des
Meisters Gemalde in 538 Abbildungen « ;
»P. P. Rubens. Ges. Aufsatze«. Hrsg. von
W. v. Bode (1922) ; »Die flam. Maler des
17. Jahrh.« (191 8); » Die Miinchener Maler
des 19. Jahrh.« (1922); »Das Miniaturen-
kabinett der Miinchener Residenz 4(1921);
»Die Nachwirkung Italiens auf Rubens
und die Grundung seiner Werkstatt*
(1918). — Jahrb. der Kgl. preufl. Kunst-
samml. Beibl. : Amtl. Berichte 42, 93;
LZ 509; Kchr 56, 726 f.; Antiquitaten-
Rundschau 19, 158; Kunst u. Kunstler
19, 409 (Glaser); TR 15. V.
Ordenstein, Heinrich, Prof., Hofrat, Direk-
tor des Landeskonservatoriums fiir Musik
in Karlsruhe, M.dermusikal.Sachverstan-
digenkommission fiir Baden; * Offstein
b.Worms7.1. 1856; f Karlsruhe 22. III. —
JB Peters 10; Neue Musikztg. 42, 232;
Neue Zeitschr. fiir Musik 233 ; Signale 366
u. 419; AMZ 225; Rhein. Musik- u.
Theater-Ztg. 107; Klavierlehrer 65; Die
Stimme 15, 196; WI 7 1223.
Osthaus, Karl Ernst, Dr. phil., Dr.-Ing.
e. h., Kunsthistoriker, Griinder u. Leiter
des Hagener Folkwang-Museums (jetzt
in Essen); * Hagen i. \V. 15. IV. 1874;
t Meran 27. III. — W.: »Van de Velde.
Leben und Schaffen des Kiinstlers«
(1920). — Kunst u. Kunstler 19, 302
(Scheffler); KW 34 II, 121; Vein, und
KlasingsMonatsh., August 1 921, 652 (mit
Bildern); Cicerone 13,225; (niederrhein.-
westfal.) Heimatblatter 3, 27; IZ 4046
(P); H 18 II, 381 (Reiners); LZ 301;
DBZ 143 ; Soz.MH 372 (Behne) ; Kchr 56,
546 f.; WI 7 1228; Folkwang 5 — 9 (Fuhr-
mann) ; E 1 148 ; KL 1 7 ( W) ; TR 30. III.
Othegraven, Louis, Geh. Baurat a. D., bis
1899 Vorst. des Eisenbahn-Maschinen-
amtes in Dortmund; * Rheda (Reg.-Bez.
Minden) 6. IV. 1843; t Dortmund 13.
III. — VDI65, 774 (P).
Totenliste: Ott— Pfeiffer
3"
Ott, Willibald, bayer. Obergeneralarzt und
Sanitatsinspektor a. D., * Freysing 1 5. X.
185 1 ; | Miinchen 26. X. — WI 7 1230,
81783; AA.
Ow- Wachendorf, Hans Reichsfreiherr v.,
wiirtt. Staatsrat a. D., Exz., friiherer
Prasident der wiirtt. Zentralstelle fiir die
Landwirtschaft, Mitbegriinder des Deut-
schen Landwirtschaftsrats, 1878 — 1890
MdR., Mitgl. der histor. Korninission fur
Wiittemberg, bis 191 8 rittersch. Mitgl.
u. 2. Vizeprasident der 1. Kammer der
wiirtt. Landstande; * Wachendorf 28. IV.
1843; f Wachendorf 7.V. — Soz.MH 1016;
SchKNr.208; WJ 1921/22; WI 7 1233,
— Vgl. Th. Schon, Gesch. der Fainilie
v. Ow (1910); FrhT 1922.
PageQstecher, Rudolf, Dr. phil., Prof, der
klass. Archaologie a. d. Univ. Rostock;
* Hamburg 1. X. 1879; | Rostock 31.
VIII. — W.: »Apulien« (1914); »Unter-
italische Grabdenkmaler ( 1 9 1 2) ; zahlr .
Arbeiten in den Abh. der AdW Heidel-
berg. — LZ 734; Kchr 57, 64 f. (Maas)
(W); TR 4. IX; AA.
Panizza, Oskar, Satiriker u. Dramatiker;
* Kissingen 12. XI. 1853; t (seit 1904
geisteskrank) Bayreuth (Heilanstalt)
30. IX. — W.: »Das Liebeskonzil«,
Drama (deshalb wegen Gotteslasterung
mit Gefangnis bestraft); »Ziiricher Dis-
kussionen* (deshalb wegen Majestats-
beleidigung bestraft). — LZ 791 ; LE 24,
247; BR V, 221 f.; » Das deutsche Theater*
I, 418; Bucherstube I, 92 — 98 (G. Hilde-
brandt); Soz.MH 1922, 5.
Pannenborg, Albertus, Dr., Prof., Ober-
lehrer a. D., Historiker; * Driever (Ost-
friesland) 5. II. 1844; f Gottingen 20. VII.
— W. : »Studien zur Geschichte der Her-
zogin Mathilde von Canossa* (1872). —
WI 7 1238 (W); LZ 628; KL 17, TR 30.
VII. — Hist. Zeitschr. 125, 187 (0. A.
Ellissen).
* Paul, Hermann, Dr. phil., Geh. Hofrat,
em. o. Prof, der deutschen Philologie
a. d. Univ. Miinchen, o. Mitgl. der AdW
Miinchen, a. o. Mitgl. der AdW Budapest
u. Upsala; * Salbke bei Magdeburg
7. VIII. 1846; t Miinchen 29. XII. —
W.: »Prinzipien der Sprachwissenschaft
(1880, 5 1920); »Mittelhochdeutsche
Grammatik* (1881, 8 i9i 1) ; » Deutsches
Worterbuch* (1897, 8 i92i); ^Deutsche
Grammatik*, 5 Bde., »Aufgabe u. Method e
der Geschichtswissenschaft« (1920);
»t)ber Sprachunterricht« (1921); Mither-
ausg. von »Paul und Braunes Beitragen
zur Gesch. der deutschen Spraehe* u.
Herausg. des »GrundriB der german. Phi-
lologie.* — Almanach 72 (1922) der AdW
Wien (JeUinek); KW 35 I, 294 f. (E. K.
Fischer); Indogerm. Jahrb. VIII, 285;
Jahrb. der bayer. AdW 27 — 35 (v. Kraus) ;
Beitr. zur Gesch. der deutschen Sprache
u. Lit. 46, 495 — 501 (Braune) (mit W u.
eigener Lebensskizze) ; LE 24, 645 — 648
(Kluge) ; LZ 1 922, 62 ; Zeitschr. f .Deutsch-
kunde 1922, 123 (Panzer); Vierteljahrs-
schr. fiir Gesch. u. Landeskunde Vorarl-
bergs, NF. V, 45 — 49 (Ant. Schneider);
Zeitschr. f. Deutsche Philologie 1922;
TR31.XIL; KL17 u.22 (W); WI 7 i246;
DBJ 3, S. 206/208 (K. v. Kraus).
Peiser, Felix, Dr. phil., Prof, der semit.
Sprachen a. d. Univ. Konigsberg; * Berlin
27. VII. 1862; f Konigsberg i. Pr. 24. IV.
— Herausg. der »Texte jurist, u. geschaftl.
Inhalts* u. der » Oriental. Literatur-
Ztg.« W.: »Studien zur oriental. Alter-
tumskunde«, 4 Bde, (1898 — 1901); »Das
Graberfeld von Pajki« (19 16); »Der Pro-
phet Habakuk« (1903); »Hosea« (1914);
♦Skizze der baby Ion. Gesellschaf t « (1896).
— TR 28. IV. ; LZ 383 ; Oriental. Literatur-
Ztg. 97 — 102; Mannus 13, 138 (Kemke).
Perlbach, Max, Dr., Prof., Geh. Reg.-Rat,
friiherer Abteilungsdirektor an der preuC.
Staatsbibliothek ; * Danzig 4. XI. 1848;
t Berlin 18. II. — W.: » Prussia scho-
lasticam (1895). — LZ 222; LE 23, 828;
Zentralbl. fiir Bibliotheksw. 98; Mitteil.
des WestpreuC. Geschichtsver. 20, 9;
WI 7 1253; KL 17; TR 20. II.; Histor.
Zeitschr. 124, 188.
Pfeilfer, Eduard v., Dr., Geh. Hofrat, wiirtt.
Finanzmann, Mitschopfer des deutschen
Konsumvereinswesens, langjahr. Vor-
sitzender des Aufsichtsrats der Wiirtt.
Vereinsbank, 1868 — 76 Abg. zum Wiirtt.
Landtag (fiir Ulm) ; * Stuttgart 24. XI.
1835; f Stuttgart 13. V. — W.: »Ver-
gleichende Zusammenstellung der euro-
paischen Staatsausgaben « (*i877). —
Soz. MH67of.; Deutsche Arbeit 7, 27
(Schlack); SchK Nr. 218 u. 221; WJ
1921/22; Konsum gen. Rundschau 2;i
(Karch).
Pfeiffer, Ludwig, Dr. med., Geh. Hof-u.Me-
dizinalrat, ehemal. groBherzogl. sachs.
Leibarzt, iirztl. Schriftsteller u. Pra-
historiker, Mitbegriinder des deutschen
Arztevereinsbundes, Redakteur des Kor-
respondenzblattes des allgem. arztlichen
Vereins fiir Thiiringen, Ehrenbiirger von
Weimar; * Eisenach 31. III. 1842;
I Weimar 9. V. — W. : »Die stein zeitliche
Technik u. ihre Beziehungen zur Gegen-
warU (19 1 2); »Taschenbuch der Kran-
kenpflege* ( u i925); »Die Werkzeuge des
312
Totenliste: Philippi — Posse
Steinzeitrnenschen* (1920). — PBL
1287 f. ; Arztl. Vereinsbl. fiir Deutschland
50, 127; Korresp.-Bl. des allgem. arztl.
Ver. fiir Thiiringen 50, 49; Mann us 13,
138; BKW 659 f. (Landsberger) ; MMW
678 f. (Schrader); DMW 752 f. (L. Voigt)
(P); LZ 404; WI 7 1265; TR 11. V.
Philippi, Felix, Schwankdichter u. Roman -
schriftsteller; * Berlin 5. VIII. 185 1;
t Berlin 23. XI. — W. : »Das groBe Licht«,
Sch. (1901); »Der Heifers Sch. (1905);
Miinchener Bilderbogen (1912, 9. Aufl.);
»Der Sieger*, Roman (1914, 21. Aufl.);
ferner: » Alt-Berlin. Erinnerungen aus
der Jugendzeit.« 2 Tie. ( 9 i9i2, 1914);
»Monika Vogelsang*, vier Novellen und
Roman (191 3) ; »Ludwig und Josef Kainz
u. a. aus meinem Tagebuche* ("1914). —
WI 7 1 271 ; Das deutsche Theater I, 418 f .
(W); Die deutsche Biihne 13, 675; BR
V, 280; GK; LZ 964; LE 24, 441; IZ
4063 (P); LNN 25. XI.; E 3929; KL 17
u. 22 (W).
Piltl, Ernst, Prof., Geologe u. Kartograph;
* Ilmenau 14. V. 1857; f Jena 1. I. —
»t)ber Naturbeobachtung des Schiilers*
'(•1913). — LZ 63; LE 23, 638; PM 95;
Jahrb. des histor. Ver. fiir die Grafschaft
Ravensberg 179 — 181 (Hubschmann) ;
TR 7. I.
Piper, Otto, Dr. phil. et iur. h. c, Prof.,
Geh. Hofrat, Archaolog u. Geschichts-
forscher, Schrif tsteller ; * Roeckwitz
22. XII. 1841; f Miinchen 23. II. —
W.: » Deutsche Burgenkunde« ( 3 i9i2);
♦Osterreichische Burgen*, 8 Bde. (1902
bis 1 910); »AbriB der Burgenkunde*
( 8 i9i4); »Der Spuk. 250 Geschehnisse«
(1917, "1922). — Otto Piper, Dem An-
denken meines Vaters O. P. (192 1). —
LE 23, 826; GK; LZ 238; IZ 4043 (P);
DBZ 96; Kchr 56, 450; Histor. Viertelj.-
Schrift 20, 384; KL 17; Das Bayernland
32, 241; Korrespondenzbl. des Gesamt-
vereins des deutsch. Gesch.-Vereins 69,
86; Die Denkmalpflege 27,, 32 (Kohte);
Niedersachsen 6, 125 (Kriiger); Deutsche
Rundschau Sept. 1921, 365 (Moeller v. d.
Brack); WI 7 1277; LNN 2. III.
Plattner, Christian, Bildhauer ; * Imst (Tirol)
2. III. 1869; t Innsbruck 1. I. — MS VI,
222 (W) ; Tyroler Ehrenkranz 1 58 f . (Tony
Grubhofer) (P); MAZ 21 (0. Doering);
Kchr 56, 309; Sonntag ist's 3, 87 (Doe-
ring).'
Pdch, Alexander Rudolf, Dr. med. et phil.,
o. Prof, der Anthropologic u. Ethno-
graphic a. d. Universitat Miinchen, kor-
resp. Mitglied der AdW Wien, Leiter
einer Expedition in Neuguinea (1904 — 06)
und den Kalahari (1907 — 09) ; * Tarnopol
17. IV. 1870; f Innsbruck 4. III. — W.:
» Berichte iiber die von der Wiener An thro-
polog. Ges. in den k. k. Kriegsgefangenen-
lagern veranlaftten Studien ( 1 9 1 5 — 18). —
Almanach 71 (1921) der AdW r Wien 177
bis 1 79 (Oberhummer) ; Mitteilungen der
Anthropol. Ges. Wien LI, 95 — 104 (W);
PM95; WMW 573.
Poensgen, Carl, Geh. Kommerzienrat, Teil-
haber der Firma Diisseldorfer Rohren-
u. Eisenwalzwerke ; * Jiinkerath 27. I.
1838; f Dusseldorf 3. XI. — St.u.E. 41,
VI, 1839 (P).
Popper (-Lynkeus), Josef, techn. Philosophy
Schrif tsteller; * Kolin (Bohmen) 21. II.
1838; f Wien 22. XII. — W.: »Selbst-
biographie* (191 7); »Phantasien eines
Realisten* ( 21 i922) ; »Das Ich und das so-
ziale Gewissen* ( 3 i924) ; »Das Individuum
und die Bewertung der menschlichen Exi-
stenz« ( s i924); »Furst Bismarck und
der Antisemitismus« (pseudonym, 1886),
(■1925); »Eine Auseinandersetzung mit
dem Sozialismus und den Sozialisten«
(1920); »Gesprache«, mitgeteilt von Mar-
git Ornstein u. Heinrich Lowy; Vorw.
von Julius Ofner (1925). — P. Tausig,
J. P.-L. zum 80. Geburtstag (191 8). —
KL17; WI 7 1295; GK; LE24, 575; Der
Jude 6, 256 (Thieberger) ; Monistische
Monatsh. VII, 53—58 (H. Stocker); Die
Wage, NF. 3,110 (Ornstein) ; TR 23. VII. ;
LNN 23. XII; BB 302; LE 1922, 9; Man-
ner der Technik, 1925, S. 209 (Birk);
Adolf Gerber: J. P.-L. Sein Leben u. sein
Wirken(i 9 25) (W); PF IV, 1186, V,997
(W). — Denkmal im Wiener Rathauspark
(osterreichische Ulustr. Ztg., Jg. 37, i,
S. 2).
•Possart, Ernst v., Dr. phil. h. c, Prof.,
friiher bayer. Hoftheater-Generalinten-
dant, einer der letzten Vertreter der
klassizistischen Richtung; * Berlin 11. V.
1841; f Berlin-Charlottenburg 8. IV. —
W . : » Er leb tes u nd Erstreb tes « ( 1 9 1 6) ;
»Deutsch-franz. Krieg 1870/71, Tragddie*
(Neuausg. 1914).— WI 7 i298; EG 788 bis
790; GK; LZ 32 5; Die Bergstadt 9 II,
233 (Eckardt); TR 9. IV.; Soz.MH 582;
WJ 1921/22; SchK Nr. 157; Die deutsche
Biihne 13, 257—259 (Wolff); MAR 18,
201 (Oberlaender) ; Die Propylaen 19, 105
u. 115 (Kilian), 202 (Mensi-Klarbach,
Theatererinnerungen) ; KL 17 (W); DBJ
3, S. 208/211 (E. Kilian).
Posse, Otto, Dr., Prof., Geh. Reg.-Rat,
friiher Direktor des sachsischen Haupt-
staatsarchivs, * WeiBensee 29. VII. 1847;
t Dresden 13. XI. — W.: »Lehre von den
Totenliste: Priimers — Riggenbach
313
Privaturkunden* (1887); »Die Siegel
des Adels der Wettiner Lande bis 1500;
(4 Bde., 1903 — 11); Herausg. des Codex
diplomaticus Saxoniae regiae. — TR 18.
XI.; Neues Archiv fur sachs. Gesch.,
Bd. 43, S. 153 — 156 (W. Lippert); Archi-
val. Zeitschr., Bd. 35, S. 286 f. (W. Up-
pert).
Prumers,Rodgero,Dr. phil., Geh.Archivrat,
Prof, der Geschichte a. d. Akademie in
Posen u. Direktor des Staatsarchivs a. D.
in Posen; * Dorsten i. W. 16. III. 1852;
f Wernigerode 27. II. — Herausg. der
» Zeitschr. der Gesch. fur die Provinz
Posen « u. der » Historischen Monats-
blatter «. — KL, 1 7 ; WI 7 1 3 1 2 ; Korrespon-
denzbl. des Gesamtvereins 69, 85 (War-
schauer); LZ260; LE 23, 894; Soz.MH
841; TR 6. Ill; AA.
Prttsmann, Carl, Ingenieur, technischer Di-
rektor von Schaffer u. Budenberg G. m.
b. H., Magdeburg; * Hannover 29. II.
1852; f Magdeburg 28. V. — VDI 65,
526 (P).
* Rathgen, Karl, Dr., o. Prof, der National-
okonomie a. d. Univ. Hamburg, Kolonial-
politiker; * Weimar 19. XII. 1856; f Ham-
burg 6. XI. — W.: » Japans Volkswirt-
schaft u. Staatshaushalt* (1891); »Die
Japaner in der Weltwirtschaft* (1905.
M911); »Staat u. Kultur der Japaner*
(1907); »Die Verein. Staaten von Ame-
rika, Japan* (191 8); »Die kiinftige Ver-
f assung des Deutschen Reiches « ( 1 9 1 9) . —
TR 10. XI.; E 3749 "• 3834 (P) ; KL 17
(W); LZ 947; Soz. Praxis 30, 1197
(Heyde); Hamburger Univ.-Ztg. 3, 201
(W. Baer); PM 229; Die Eiche 10, 104
(Siegmund-Schultze) ; DBJ 3, S. 21 1/2 14.
(Plaut) ;
Rail, Carl August, Dr. phil. , Prof., Direktor
des Fiirstl. Instituts fur musikwissen-
schaftliche Forschung zu Biickeburg;
♦ Frankfurt a. M. 29. IV. 1890; f Karls-
ruhe i. B. 2. X. — W.: » Bibliographic der
musikwissensch. Universitatsschriften*
(191 7); » Geschichte der Musik vom Be-
ginn der christl. Zeitrechnung bis zum
Ausgang des 19. Jahrh. in Tabellenform*
(1918); Herausg. von »Praktische Neu-
ausgaben alterer Musikwerke* (1917 ff.).
— »C. A. R. Trauerkundgebung des . . .
Fiirstl. Instituts fiir musikwissensch.
Forschung in Biickeburg* (P) (= Archiv
fiir Musikwiss. 4 [1921]). — TR 7. X.;
LZ 827; Neue Musik-Ztg. 43, 58 (Roes-
ler); Soz.MH 1077; AMZ 48, 737 (Roes-
ler); Neue Zeitschr. fur Musik 555; Kla-
vierlehrer 144; Zeitschr. fiir Musikwiss.
4, 63; Rhein. Musik- u. Theater-Ztg. 321 ;
Signale 981; Archiv fiir Musikwiss. 3, 4;
JB Peters 10; R 8 898; KL 17.
Ranch, Josef, Professor, Architekturbild-
hauer; * Baden-Baden 13. V. 1867;
f Berlin 12. II. — (Ludw. Hoffmann),
»Akademie der Kiinste in Berlin, Ge-
dachtnisausstellung fiir J. R., Februar-
Marz 1922*; Ludwig Hoffmann, »Der
Marchenbrunnen im Friedrichshain zu
Berlin (von J .R.) « ( 1 9 1 4) . — Kchr 56, 430 ;
DBZ 100; MS VI, 229; AA.
Reismann, Heinrich, * Minister i. W.
16. XI. 1850; | Paderborn 22. VIII.
Begriinder und Leiter der dortigen
privaten Realschule. — F. Schroder,
H. R., Paderborn 1921 (P.)
ReiBhaus, Paul, Schneidermeister, Vor-
sitzender des Deutschen Schneiderver-
bandes (seit 1888); M. d. R. (SPD) (seit
1893); * Burg b. Magdeburg 29. IX. 1855 ;
■f Schwarzburg 5. IX. — HNN 239;
Soz.MH 912; WI 7 1351.
Rethwisch, Konrad, Dr., Prof., Geh. Reg.-
Rat, Gymnasialdirektor (Kaiserin-Au-
gusta-Gymnasium, Charlottenburg) a. D.,
Historikeru. padag. Sch rifts teller; * Ber-
lin 30. VIII. 1845; t Berlin 17. V. — W\:
»Deutschlands hoheres Schulwesen im
19. Jahrh.* (1893) '» Herausg. der »Jahres-
berichte iiber das hoh. Schulwesen « (seit
1886). — TR 18. V.; KL 17 (W); WI 7
1357 (W); LZ 428; LE23, 1214; WI 8
1784.
Rheinbaben, Georg Freiherr v., Dr. med. h.c.
(Berlin); Dr.-Ing. e. h. (Aachen), 1901
bis 1 910 preufi. Finanzminister, 1910 bis
1 91 8 Oberprasident der Rheinprovinz,
seit 1 9 1 3 President der Goethegesellschaf t,
Mitgl. des ehem. preuC. Herrenhauses,
Domdechant von Merseburg, Wirkl. Geh.
Rat, Exz. — * Frankfurt a. O. 21. VIII.
1855; t Diisseldorf 28. III. — Meyer 6 ;
WI 7 1362, 8 i784; GK; IZ 4045 (P) ;
Rhein. Bl. fiir Wohnungswesen u. Bau-
beratung 17, 65 (Mewes) ; B III, 700;
FrhT 1922, S. 681; E 1 148; TR 26. III.
Rlchter, Max, Dr.iur., Unterstaatssekretar
im Reichsamt d. Innern a. D., vorher im
preufi. Handelsministerium, 1893 — 94
Reichskommissar der Weltausstellung in
Chicago, 1896 — 1900 desgl.in Paris, Wirkl.
Geh. Rat, Exz.; * Konigsberg i. Pr. 26.
XII. 1856; t Berlin n. V. — WI 7 1366;
EvT 1596.
Riggenbach, Albert, Dr. phil., Prof, der
Astronomie a. d. Univ. Basel u. Vorsteher
der astron.-meteorol. Anstalt daselbst;
* Basel 22. VIII. 1854; f Basel 28. II. —
PF IV, 1251 (W); Astronom. Jahrb.
314
Totenliste: Ritter — Schiedinayer
23, 24; Meteorol. Zeitschr. 38, 148 f. (W.
Morikofer); PM 95 u. 196.
Ritter, Anna, geb. Nuhn, Regierungsrats-
witwe, l,yrikerin; * Koburg 23. II. 1865 ;
f 31. X. — W.: »Gedichte« (1898,
31 i9i8); »Befreiung. Gedichte« (1900,
u i9i6).— WI 7 1381; KL17; BR VI, 3;
PY II, 195 *•; LB 24, 377; TR9. XL;
LNN 10. XI.; E 3661.
Ritter, Lorenz, Maler u. Radierer; * Niirn-
berg 27. XI. 1832; j Niirnberg 3. IX. —
W.: »Malerische Ansichten von Niirn-
berg* (25 Radierungen, 1876). — WI 7
1382 (W); DBZ 352.
Rittner, Thaddaus, Dramatiker u. Roman-
schriftsteller; * Lemberg 31. V. 1873;
f Bad Gastein 19. VI. — W.: »Die
Briicke*, Roman (1920) ; » Vier Einakter*
(1921); » Garten der Jugend*, Komodie
(1917, 8 i92i); »Unterwegs. Ein Don-
Juan-Drama* ( 3 i922) ; » Die andere Welt «,
Roman (1921); »Das Zimmer des War-
tens*, Roman (1918). — LZ 526; LNN
22. VI; AA.
Rdchling, Paul, Komm.-Rat, Aufsichts-
ratsvors. der Rochlingschen Eisen- und
Stahlwerke G. m. b. H. in Volklingen,
19 1 4 — 20 Vorsitz. d. Handelskammer
Saarbriicken. — f Freiburg i. B. Anfang
Juni. — Berl. Borsen-Courier 9. VI.
Roeth, Philipp, Prof., Landschaf tsmaler ;
* Darmstadt 10. III. 1841; f Miinchen
30. V. — W.: »Im Dachauer Moos*,
♦ Regenstimmung* u. a. — MS IV, 93,
V, 243. VI, 238; WI' 1393. 8 i785; BB
128; Lit. Handw. 1921, 7.
Rothe, Carl, ehemal. weimar. Staatsminister
* Gr. Rudestadt 10. VII. 1848; f Weimar
28. IV. — TR29. IV; WI 7 1412.
Rummelspaoher, Josef, Landschaf tsinaler
(Hochgebirgsbilder) ; * Berlin 23. XI.
1852; f Berlin 10. XII. — W.: Alpen-
panoramen. — MS IV, 133, VI, 242 ; Kchr
57, 228; WI 7 1423, 8 i785-
Saenger, Alfred, Dr. med., Prof, der Neuro-
logie a. d. Univ. Hamburg, Oberarzt der
Nervenabt. des Allgem. Krankenhauses
St. Georg; * Mergentheim 28. V. i860;
t Bad Nauheim 18. V. — W.: »Die Er-
krankungen d. Optikusstammes* (19 13);
• Die Neurologie des Auges« (mit H. WU-
brand), 10 Bde. (1900 — 22). — LZ 446;
MMW 1023 f. (Weygandt); Deutsche
Zeitschr. fiir Nervenheilk. 72, Heft 3/4,
S. I — V (Nonne); Zeitschr. fiir die ges.
Neurol, u. Psychiatrie 69, 364.
Sarrazin, Otto, Dr. phil. h. c. (GieBen),
Dr.-Ing. e. h. (Berlin), Wirkl. Geh. Ober-
baurat u. Vortrag. Rat im preufl. Minist.
der offentl. Arbeiten, Vorsitzender des
Allgemeinen Deutschen Sprachvereins;
* Bocholt 22. XII. 1842; f Berlin-Frie-
denau 8. VI. — W.: »Taschenbuch zum
Abstecken fiir Eisenb.* (^^is); »Ver-
deutschungsworterbuch« ( 4 i9i2, 5 i9i8);
Herausg. von » Die Denkmalpflege*, » Zeit-
schr. fiir Bauwesen«, »Zentralbl. fiir Bau-
verwaltung* (188 1 — 1907). — »Geburts-
tagsgriLBe O. S. bei Vollendung des 70. Le-
bensjahres* dargebr. vom AUg. Deutsch.
Sprachverein(i9i2). — KL 17; WI 7 1439;
LE 23, 1278; VDI65, 723; DBZ 215; IZ
405 1 (P) ; ZB 329 f . (H. Zimmermann (P) ;
TR 9. IV.; EvT 1964.
Schaeffer, Jean, Dr. med., Prof., Privat-
dozent der Dermatologie a. d. Univ.
Breslau; * Ratibor 25. VI. 1868; f Bres-
laug. XII.— W.:» Albert NeiBer* (1917) ;
•Die Therapie der Haut- und venerischen
Krankheiten« (1915, 6 i92i, 6 i922, rus-
sisch 192 1); Herausg. von Mikulicz-
Kiimmel, »Die Krankheiten des Mundes*
( 4 i922). — LZ 1922, 22; Dermatol.
Wochenschr. 74, 575; Deutsche Monats-
schr. f . Zahnheilk. 39, 506 (Braun) ; TR
16. XII.
Scheller-Steinwartz, Robert Richard v.. Dr.
iur., 1908 — 12 deutscher Gesandter in
Abessinien, 191 2 — 18 herzogl. sachsen-
altenburg. Staatsminister u. Bundes-
ratsbevollmachtigter, Wirkl. Geh. Rat,
Exz.; * Dresden 17. VII. 1865; f Har-
1 aching bei Miinchen 23. IV. — W.:
» Amerika und wir. Ein Wink am Scheide-
wege* (1919). — GK; WI 7 1462; TR
(Todesanz.); EvT 1364.
* Schorl, August, Zeitungs- und Zeit-
schriftenverleger, Begriinder des ♦Ber-
liner Lokalanzeiger* (1893), der»Woche«
(1899), des »Tag« (1901), Verleger der
♦ Gartenlaube* (seit 1903), der »Miin-
chener Allgem. Zeitung* (1908), Griinder
der » Deutschen AdreBbuchgesellschaft
m. b. H.« (1904) usw.; * Dusseldorf
24. VII. 1849; t Berlin 18. IV. — W.:
» Ein neues Schnellbahnsystem « ( 1 909) . —
Meyer 6 XXII, 752 f.; IZ 4047 (P) ; Die
Bergstadt 9 II, 233 (Eckardt); Die
Woche 382 (v. Kupffer); EvT 1364; TR
18. IV.; DBJ 3, S. 214/216 (v.Kupffer).
Scheuer, Otto, Maler u. Restaurator;
* Frankfurt a. M. 8. X. 1865; f Frank-
furt a.M. 17. XI. —MS IV, 193, VI. 249;
Kchr 57, 190.
Sehiedmayer, Adolf, Geh. Kommerzienrat,
Grofiindustrieller, Teilhaber der Hof-
pianofortefabrik Sehiedmayer & Sonne
(Stuttgart) , Ehren vorsitzender des Stutt-
garter Konservatoriums fiir Musik;
♦ Stuttgart 29. IX. 1847; t Stuttgart
Totenliste: Schiemann — Schonerer
315
27. VI. — WJ 1921/22; SM Nr. 290 u. 296;
WI 7 1468.
* Schiemann, Theodor, Dr. phil., Geh. Rat,
o. Prof.der Geschichte a. d. Univ. Berlin,
f riiher Verf asser der Mittwochartikel der
Kreuzzeitung, hist. Berater Wilhelms II.;
♦Grobin (Kurland) 17. VII. 1847; t Ber-
lin 26. I. — W.: »Deutschland und die
grofle Politik«, 12 Bde. (1901 bis 191 2);
» Geschichte Rufllands unter Kaiser Niko-
laus I.«, 4 Bde. (1904 — 19); »Deutsch-
lands und Kaiser Wilhelms II. angebhche
Schuld am Ausbruch des Weltkrieges*
(gegen Kautsky) (1920, M921); Herausg.
der »Zeitschrift fur osteurop. Geschichte «.
— LNN 28. 1. ; E 502 (P) ; Histor. Viertel-
jahrsschrift 20, 384 u. 21, 251 — 254 (R.
Salomon); LE 23, 768; Daheim 57, Nr.
21/22 (H. C. v. Zobeltitz) ; Hist. Zeitschr.
124, 187; LZ 132; S0Z.MH841; IZ4041
(P); KL 17; WI 7 i469; PM 95 ; Deutsche
Post aus dem Osten, 2. Jahrg., Nr. 13
vom 27. III. (Osc. Stavenhagen) ; See-
berg, Rede bei der Trauerfeier im
Kreinatorium, als Manuskr. fiir Freunde
gedruckt, 1921; DBJ 3, S. 216/222 (O.
Stavenhagen) .
Schillings, Karl Georg, Zoolog und For-
schungsreisender, Af rikareisender ; * Dti-
ren 12. XII. 1865; f Berlin 29. I. — W.:
»Mit Blitzlicht und Biichse* (1904,
5 1924); »Der Zauber des Elelescho*
(1906, u i92i). — LZ 150; Soz.MH 215;
IZ 1041 (P); LE 23, 768; L 57, 59; DKZ
21, 21; SMH Marz 192 1, 440 f. (Behn) ;
PM 95; Mitteilg. des deutsch-argentin.
Zentralverb. 10, 82—84; WI 7 1471; KL
17; Meyer • XVII, 803; TR 29. I.; E
502.
*SchJerning, Otto v., Dr. med., Prof., 1905
bis 19 1 8 Generalstabsarzt der Armee mit
dem Rang eines Generals der Infanterie,
Chef des Feldsanitatswesens im Kriege
1 9 14 — 1 8, Direktor der Kaiser- Wilhelm-
Akademie in Berlin, o. Mitglied der
wissensch. Kommission fiir das Medi-
zinalwesen in PreuBen., o. Honor arprof.
der Univ. Berlin, Exz.; * Eberswalde
4. X. 1853; f Berlin 28. VI. — Herausg.
des »Handbuch der arztl. Erfahrungen
im Weltkriege 19 14 — 18 « (1921 ff.). —
♦ Zum 4. Oktober 191 3, dem 60. Geburts-
tage O. v. Sch.s« (1913)- — PBL 1501 f.;
LZ55o;Soz.MH853; DMW901 f. (Schul-
tzen) (P); IZ 4052 (P) ; KL 17; WI 7
1474, 8 i786; TR 29. VI.; EvT 2184;
ERL; DBJ 3, S. 222/223 (Schultzen).
Schmid, Karl, Baurat, Prof. a. d. Bauge-
werkschule in Stuttgart; * Stuttgart,
23. V. 1856, f Oberturkheiui 15. IV. —
\\\: »Anlage und Bau von Ortschaften*
(191 3); » Asphalt, Teer u. 01 im StraCen-
pflaster* (1905); »Balkenbriicken aus
Eisen u. Beton« (191 1); »Baumechanik
einschliefilich Eisen beton* ( fl 1920); »Sta-
tik und Festigkeitslehre « ( e i92o); Her-
ausg. der »Technischen Studienhefte*.
— DBZ 156; AA.
Schmidhammer, Arpad, Illustrator; * Neu-
berg in Steiermark 12. II. 1857; f Miin-
chen 11. V. — Illustration zu Roseggers
Werken und zu Kinderbiichern. — WI 7
i486; MS IV, 208; VI, 252; Universum
(Beilage: Weltrundschau) 109 bis 112
(Kalkschmidt) ; TR 18. V.
Schmidt, Ernst, Dr. phil., Geh. Reg.-Rat,
em. o. Prof, der pharmazeutischen
Chemie a. d. Univ. Marburg; * Halle
13. VII. 1845; t Marburg 5. VII. — W.:
»Anleitung zur qualitativen Analyse*
( 8 i9i9, 9 i922); »Ausfuhrliches Lehrbuch
der pharmaz. Chemie« ( e i9i9); Redakt.
des »Archivs der Pharmazie*. — PF IV,
1336; LZ 589; Hessenland 35, 109; Be-
richte der deutschen pharmaz. Gesell-
schaft 31, 254 — 261 (Gadamer); ChZ 45,
729; KL 17; WI 7 1489; TR 4. VII.
Schmidt, Paul, Dr. med., 1904 — 16 General-
stabsarzt der Marine, Chef des Sanitats-
korps der Marine u. Vorstand der Medi-
zinalabteilung des Reichsinarineamts mit
dem Range als Admiral, Exz.; • Merse-
burg29. IV. 1856; f Berlin 21.X.— WI 7
1494; TR 9. XI; AA.
• Schmiedeberg, Oswald, Dr. med., Dr. med.
h. c, LLD., fruher o. Prof, der Phar-
makologie a. d. Univ. Strafiburg, Alt-
meister der deutschen pharmakolog.
Wissenschaft; * Laidsen (Kurland) 1 1. X.
1838; t Baden-Baden 12. VII. — W.:
»GrundriB der Pharmakologie in bezug
auf Arzneimittellehre u. Toxikologie«
( 7 i9i3). Begriinder und Leiter des »Ar-
chivs fiir experimen telle Pathologie u.
Pharmakologie «. — LZ 606 ; Mediz. Klinik
17, 953; VV IV, 1340 (W); WKW 34, 360
(H.H.Meyer); PBL 1513 f.; WI 7 1497;
MMW 1 1 19 — 1 121 (R.Gottlieb); N 10,
105 ; Archiv fiir experiment. Pathologie
u. Pharmakol. 90, S. I — VII (Naunyn) ;
TR 20. VII.; DBJ 3, S. 224/228 (H. H.
Meyer) .
Schmits, August, Dr., Redakteur der »K61-
nischen Zeitung«, namhafter Journalist;
* Diiren, 9. XI. 1838; f Heidelberg
20. XI. — Deutsche Presse, Jahrg. 16,
21 (Karl Hoeber) (P).
* Schonerer, Georg v., Landwirt und oster-
reichischer Politiker, Fiihrer der All-
deutschen Partei und der Los-von-Rom-
3i6
Totenliste: Schott — Schwenke
Bewegung; * Wien 17. XII. 1842; f Gut
Rosenau (N.-O.) 14. VIII. — Ed.
Pichl, G. S. und die Entwicklung des
Alldeutschtums, 4 Bde. (ein 5. stent noch
aus), im Selbstverlage des Verf ., Wien 4,
Schaffergasse 22. — Meyer 6 XVIII, 2;
IZ 4056 (P); TR 14. VIII. ; Heimdall 26,
153; Polit.-anthrop. Monatsschr. 20, 303
bis 309 (Hochstetten) ; DBJ 3, S. 228/232
(E. Pichl).
Schott, Richard, Dramatiker und Roman-
schriftsteller, langjahriges Vorstands-
mitglied des Verbandes deutscher Biih-
nenschriftsteller u. Buhnenkomponisten ;
* Oberschmohn bei Querfurt 26. XII.
i860; | Bad Thai 22. IX. — W.: »Bedu-
inenblut*, Roman (1902, 3. Aufl.); »Der
Seidenhandler von Damaskus«, Roman
(1902, 3. Aufl.); »Der schwarze Junker*
(1906, 6. Aufl.); »Der Buschlaufer«, Ro-
man (1907, "1922). — Das deutsche
TheaterI, 4 i9f.;KLi7(W);BRVI f 296;
LZ 791; LE 24. 186; WI 7 1520; LNN
27. IX.
Schott, Theodor, Dr. med., Prof., Balneo-
log, Begriinder des Weltrufs von Bad
Nauheim; * Burggrafenrode (Hessen)
28. III. 1852; f Frankfurt a. M. 17. III. —
W . : » Physikalische Behandlung der chro-
nischen Herzkrankheiten « (19 16). — LZ
3o6;Soz.MH853; BKW 403 (Lilienstein) ;
PBL 1525 f.; BB 69.
Sehrdder, Paul Friedrich, Dramatiker und
langjahriger Chefredakteur der »Eise-
nacher Zeitung«; * Wolfenbiittel 27. IV.
1869; t Eisenach 21. II. — W.: »Das Bild
in den Bergen. Eine florentin. Legende in
5 Aufziigen* (1913); »Die Hexe von
Glatz «, histor . Roman ( 1 90 1 ) ; » Robert
Guiskard. EinErganzungsversuch«( 1920) ;
»K6nig Etzels Hochzeit*, Drama (1916);
j> Luther «, Dramatische Dichtung ( 1 9 1 7) .
— WI 7 1528; LZ 222; BR VI, 314 (W);
KL 17 (W).
Schulte vom Brilhl, Walter (Pseudonym:
Walter Henrich), Maler u. Romanschrift-
steller; * Graf rath 16. I. 1858; f Neckar-
gemiind 5. VI. — W.: » Deutsche Schlos-
ser und Burgen«, 2 Bde.; »Bunte Blatter.
50 Erinnerungen u. Plaudereien* (191 8);
» Fitsch-Getan «, Roman ( 1 9 1 9) ; » Ger-
mania. Ein Fruhlingsmarchentraum «
(1920); »Sechs Jahrzehnte, Lebenserinne-
rungen« (1918); »Der Meister«, Roman
(19 1 9); »Nordland. Dichtungen* (191 8);
»Urvaterzeit. Erzahlungen « (191 8); »Der
Weltbiirger«, Kriegsroman (191 5, 3 i9i7).
— LZ 486 ; LE 23, 1 277 ; Niederrhein 118;
KL 17 (W); TR 11. VI.
* Schulze, Franz Eilhart, Dr. phil. et med.,
Geh. Reg.-Rat, o. Prof, der Zoologie a. d.
Univ. Berlin, o. Mitgl. der preuB. AdW.;
Leiter des von der preufl. AdW heraus-
gegebenen Werkes » DasTierreich «,Ehren -
mitgl. der AdW Wien; * Eldena 22. III.
1840; J Berlin 29. X. — Almanach 72
(1922) der AdW Wien 164—168 (Grob-
ben);GK;LZ909;Soz.MHio7i(Koelsch);
WI 7 1548; KL 17; TR2.XI.; Bill, im;
MMKNr. 51 (192 1); SB der preufi. AdW
1922 (K. Heider); DBJ 3, S. 232/236
(Korschelt).
Schulze-Steinen (friiher Schulze-Drechen),
Heinrich, Gutsbesitzer in Steinen bei
Hemmerde (Westf.), Mitgl. des Reichs-
tags 1 898 — 1 903 f iir Hamm u. Soest, Mitgl.
d. PreuB. Abgeordnh. 1888 — 98, Mitgl. des
Kreistages u. Provinziallandtages (natio-
nalliberal) ; * Drechen (Kr. Hamm, West-
falen) 1. II. 1827; j Steinen 4. XI. —
Koln. Ztg. 7. XI. A.-A. Nr. 753; Westf al.
Anzeiger 8. XI., Nr. 262 ; Rhein- u. Ruhr-
zeitung 15. XI., Nr.484; Kiirschner, Der
neue Reichstag 1898 — 1901 (P), RH 1898,
261 ; HA 1889, 2 96; 1894, 315.
Schutt, Franz, Dr. phil., o. Prof, der Botanik
u. Pharmakognosie a. d. Univ. Greifs-
wald; * Woldegk 13. V. 1859; t Greifs-
wald 9. VIII. — W. : » Analytische Plank-
tonstudien « ( 1 892 ) ; » Pflanzenleben der
Hochsee« (1893); »Peridineen der Plank -
ton expedition « (1895). — ^ z 653; WI 7
1536; KL 17; TR 15. VIII.
SchQtz, Wilhelm, Direktor des pathologi-
schen Instituts der Tierarztlichen Hoch-
schule Berlin, Mitentdecker des Rotz-
erregers; * Berlin 15. IX. 1839; | Berlin
10. XI. — Soz.MH 1921, 510.
*Schwarz, Hermann Amandus, Dr. phil.,
o. Prof, der Mathematik a. d. Univ. Ber-
lin, o. Mitgl. der preufi. AdW, Geh. Rat;
* Hermsdorf u. Kynast (Pr.-Schlesien)
25. I. 1843; t Berlin 1. XII. — »Mathe-
matische Abhandlungen. H. A. Sch. zu
seinem 5ojahrigen Doktorjubilaum am
6.8. 1914* (1914). — LZ 985; Jahrb.
der bayer. AdW 1922/23, 75 — 77 (Linde-
mann); Jalub. der deutschen Mathe-
matikervereinigung, Bd. 32 (Hamel) ; IZ
406s (P); WI 7 1557; TR 2. XII.; E4009;
PF V, 1 142, DBJ 3, S. 236/238 (Cara-
theodory ) .
•Schwenke, Paul, Dr., Geh. Reg.-Rat,
erster Direktor a. D. der preuB. Staats-
bibliothek, Herausgeber des »Zentral-
blatts fiir Bibliothekswesen « ; * Langen-
dembach (Thiir.) 20. III. 1853; t Berlin
19. XII. — Herausgeber von »Adrefl-
buch der deutschen Bibliotheken «, »Fak-
simileneudruck der 42zeiligen Bibel«
Totenliste: Schwermer — Spengel
317
(191 3 bis 1 9 14), » Berliner Bibliotheken-
fiihrer« (1906), »Seltene Drucke der Kgl.
Bibliothek zu Berlin «. — »Beitrage zum
Bibliotheks- u. Buchwesen. P. Sch. zum
20. III. 191 3 gew.«; »P. Sch. zum Ge-
dachtnis« (1922). — TR 20. XII.; LZ 22;
LE 24, 575; Zentralbl. fiir Bibl.-Wesen
39. 57 — 81 (W. Schultze u. a.); KL 17;
WI 7 15 61; JB 15 (1922) (P); Hamack,
Reden u. Aufsatze, neue Folge IV; DBJ
3, S. 238/242 (Paalzow).
Schwermer, Christian, Probst in Dortmund,
1890 — 19 1 4, Pfarrer der von ihmbegriin-
deten Pfarrkirche (m. Krankenhaus) in
Halle a. S. * Altenburen (Westf .) 16. IX.
1846; f Dortmund 4. IV. — Bonifatius-
Blatt S. 83/84.
Seeck, Otto, Dr. phil., o. Prof, der Ge-
schichte a. d. Univ. Miinster, Geh. Reg.-
Rat; * Riga 2. II. 1850; f Miinster i. W.
1. VII. — W.: »Geschichte des Unter-
gangs der antiken Welt* (1909 — 21)
( 4 1 921); »Regesten der Kaiser u. Papste
311 — 476«(i9i8 — 19). — LZ 567;Soz.MH
841 ; Neue Jahrb. fiir das klass. Altertum
49, 302 — 304; Gottinger Kartellblatter
I. 149—153 (Geppert); KL 17; WI 7 1569;
LE 23, 1408; EvT 2184; Hist. Zeitschr.
124, 556; TR 1. VII.
Seeger, Johann Georg, Romanschriftsteller;
* Schweinfurt 27. VII. 1867; f Augsburg
10. VII. — W. : »Ersonnenes — Gewonne-
nes«, Erz. (19 19); »Das GriUenbiichlein «,
Roman (1920) ; »Kilian Kotzler*, Roman
( 3 i92o); »Brigittens Liebe«, Roman
(1923). — LZ 628; LE 23; 1471; MAZ
325 (H. M. Elster); KL 17 (W); BR VI,
391 (W);TR2 4 .VII.
•Seeliger, Gerhard, Dr. phil., o. Prof, der
mittelalterlichen Geschichte a. d. Univ.
Leipiig, Geh. Hofrat; * Biala (Gaiizien)
30. IV. i860; f Leipzig 24. XI. — W.:
»Bedeutung der Grundherrschaft im
friiheren Mittelalter* (1903); »Staat und
Grundherrschaft* (1909); Herausg. von
Waitz, Verf. -Geschichte ( 8 i8q6). » Quel-
lensammlung zur deutschen Geschichte «,
♦ Urkunden u. SiegeU, »Histor. Viertel-
jahrsschrift*, »Leipziger hist. Abhandl.«
— »Festgabe, G. S. zum 60. Geburtstage
dargebracht« (1920) . — Hist. Vierteljahrs-
schrift 20, 482 — 496 (Kotzschke) ; LE 24,
441; Histor. Zeitschr. 125, 552/555
(Rorig) ; Jahrb. der bayer. AdW 1922/23,
91; GK; LZ 964; Akadem. Blatter 36,
202 (Rorig) ; Bl. fiir administrat. Praxis
36, 202; Deutsche Arbeit 3, 10 r (Thal-
heim); KL 17. WI 7 1570; LNN25.XI.;
Zeitschrift der Savigny - Stiftung fiir
Rechtsgeschichte, German. Abteilung43,
477/478 (Hans Fehr); DBJ 3, S. 242/244
(Rorig).
Seller, Karl, Prof., Genremaler, Ehrenmit-
glied der Miinchener Akademie, Mitglied
der Akad. der Kiinste, Berlin; * Wies-
baden 3. VIII. 1846; f Munchen 1 . III. —
W. : »Friedrichd. Gr. im Walde von Parch-
witz« (Galerie Dresden); »In einem ober-
bayer. WartesaaU. — MS IV, 256, VI,
263; Kchr 56, 467; WI 7 1576.
Seybold, Christian, Dr. phil., o. Prof, der
semit. Sprachen a. d. Univ. Tubingen,
friiher Privatsekretar Kaiser Dom Pe-
dros II. von Brasilien; * Waiblingen 6. I.
1859; f Tubingen 27. I. — W.: »Kunja-
W6rterbuch« (1896) ; »Verz. der arab. Hs.
der Univ.-Bibl. Tiibingen« (1907). —
PM 229; LZ 197; WJ 1921/22; Wurtt.
Staatsanz. Nr. 24; SchK Nr. 57; KL 17;
WI 7 1585; TR 1. II.
* Sievers, Wilhelm, Dr. phil., Geh. Hofrat,
o. Prof, der Geographie a. d. Universitat
GieBen; • Hamburg 3. XII. i860;
t Giefien 11. VI. — W.: »Allgemeine
Landerkunde « ; » Venezuela* (192 1). —
KL 17 (W); WI 7 1595 (W); PM 163 (A.
Schultz); GK; LZ 509; Geogr. Zeitschr.
1922, 49 — 54 (H. Wagner); Geogr. An-
zeiger 1922, 1 (Clafl) ; KL 17; PF IV,
1396; TR 16. VI.; DBJ 3, S. 244/246
(Schultz).
Soden, Julius Freiherr v., 1885 — 91 Gouver-
neur von Kamerun, 1891 — 93 von
Deutsch-Ostafrika, 1899 — I 9° I Kabi-
nettschef des Konigs von Wiirttemberg,
1 90 1 — 06 wiirttemb. Staatsminister der
auswart. Angelegenheiten u. des Kgl.
Hauses, Ordenskanzler, Vorsitzender des
Schwab. Schillervereins und des Vereins
wiirttemb. Kunstfreunde, Wirkl. Geh.
Rat, Exz.; * Stuttgart 5. II. 1846; f Tu-
bingen 3. II. — WI 7 1765; WJ 1921/22;
SchK Nr. 54; FrhT 1921; LNN 5. II.
Sommer, August, Prof., Bildhauer; * Ko-
burg 5. III. 1839; f Koburg 15. IX. —
W r .: Zentaurenbrunnen (Bremen), Schla-
fende Sphinx (Nationalgalerie) ; Herzog
Ernst II. (Reinhardsbrunn). — MS IV,
306, VI, 267; WI 7 1609; Kchr 56, 938;
TR 16. IX.
Speiser, Bernhard, Zivilingenieur, Wasser-
turbinenbautechniker, Ehrenmitglied des
Vereins Deutscher Ingenieure; * Mahlau
(Kr. Stuhm, Westpr.) 11. XI. 1850;
f Konigsberg i. Pr. 23. III. — VDI 65,
774 (P).
Spengel, Johann Wilhelm, Dr. phil., Geh.
Hofrat, o. Prof, der Zoologie a. d. Univ.
Giefien, Begriinder u. Herausgeber der
Zoologischen Jahrbiicher (seit 1886) u.
3i8
Totenliste: Stache — Stolzle
der Ergebnisse u. Fortschritte der Zoo-
logie (seit 1907); * Hamburg 19. II. 1852;
t Gieflen 13. IV. — Herausg. der »Ver-
handlungen der Deutschen Zoologischen
Gesellschaft«. — LZ 365; Soz.MH 1071;
PM 130; L 57. 29; KL 17; WI 7 1618;
TR 16. IV.
SUohe, Guido, Dr. phil., ehemal. Direktor
der Wiener geolog. Reichsanstalt, Hof rat ;
* Namslau (Schlesien) 28. III. 1833;
t Wien 11. IV. — W.: »Die liburnische
Stufe« (1889). — PM 131; Jahrb. der
Geol. Reichsanstalt 71, 85 — 100 (F. v.
Kerner) (W); PF IV, 1427 (W).
Stadler, Hermann, Dr. phil., Oberstudien-
direktor des humanist. Gymnasiums in
Freising, f ruber zugleieh Honorarprof. der
Geschichte der Naturwissenschaften a. d.
Technischen Hochschule Munchen, Mit-
herausgeber des »Archivs fiir die Ge-
schichte der Naturwiss. u. der Technik«;
* Neunburg a. W. 14. VII. 1861 ; f Frei-
sing 19. X.-— LZ8io;KLi7; WI 7 1626,
8 1 788; TR 26. IX.
Stangl, Thomas, Dr. phil., o. Prof, der klass.
Philologie a. d. Univ. Wurzburg; * Auf-
hausen 21. XII. 1854; f Wurzburg
4. VIII. — W.: %Cassiodoriana« (2 Bde.,
1 898 u . 1 9 1 5 ) ; » Ciceronis orationu m
scholiastae* (2 Bde., 1895 u - IOI2 )« — M
653; KL 17; WI 7 1630, 81788; TR 10.
VIII.
SUudinger, Franz, Dr. phil., Prof., Ober-
lehrer a. D.; sozialwissenschaftlicher
Schriftsteller; * Wallerstadten 15. II.
1849; f Darmstadt 20. XI. — W.: »Die
Konsumgenossenschaft* (*i9i9); »Profit-
wirtschaft oder Versorgungswirtschaf t ? «
(1 91 9); »t}ber Ethik u. Politik« (1899);
*Noumena« (1884); »Wirtschaftl. Grund-
lagen der Moral* (1907); »Kulturgrund-
lage der Politik* (191 3) ; » Genossenschaf t-
liches Bildungswesen* (191 1). — LZ 964;
Soz. Praxis 30, 1250; Soz.MH 1 122 f. (A.
Miiller) u. 1133 (Kleineirbst) ; Boden-
reform 355; Die neue Zeit 40, 258 (Vor-
lander); Konsumgenoss. Rundschau 510
(Kasch) ; Monistische Monatsh. 7, 20
(Jenssen); WI 7 1632; KL 17.
Stehle, Sophie, Freifrau v. Knigge, Wagner-
sangerin, die erste Briinhilde (1870), i860
bis 1874 Opernsangerin an der Miinche-
ner Hofoper; * Hohenzollern-Sigmarin-
gen 15. V. 1842 ; f Harkerode (Bez. Halle)
6. X. — Meyer* XVIII, 886; Neue
Musikzeitschr.43, 46; JBPeters 10; FrhT
1922, 428.
Stein, Carl, Ingenieur, 1909 — 18 Direktor
der Gasmotorenfabrik Deutz und Leiter
ihres Berliner Zweiggeschaf ts ; * Spiegel-
berg, Oberamt Backnang, Wiirtt., 30. VII.
1857; f Boblingen bei Stuttgart 20. XI.
— VDI 66, S. 76 (C. Fehlert) (P) JSTG
24, 91.
Steinen, s. Schulze-St einen .
Steinmetz, Rudolf, D.theol., fruherer Stadt-
superintendent u. Pfarrer zu Gottingen ;
* Movingen 6. XI. 1832; t Gottingen
12. V. — W.: »Das Aposteldekret «
(* 191 1) ; »Das gute Bekenntnis« ( 16 i9i6);
»Das Gewissen bei Paulus« ( 3 191 1) ;
»Katechismusgedanken« ( 3 i9i3); »Hei-
lige Stunden*. Predigten (1914). — EI,K
441 — 444 (Dittrich).
Steinwender, Otto, Dr. phil., Gymnasial-
professor, Schriftsteller, osterr. Politiker,
Mitgl. des Reichsrats u . des karntnerischen
Landtags (Vizeprasident, Deutscher Nat.-
Verb.); • Klagenfurt 17. II. 1847; t Vil-
lach 20. III. — Burschenschaftl. Blatter
35 II, 120 (Bilger).
Stlntzing, Wolfgang, Dr. iur., em. o.
Honorarprof. des rom. Rechts a. d. Univ.
Leipzig; * Altona 3. VIII. 1856; f Heil-
statte Gaschwitz bei Leipzig 20. V. —
W.: »t)berdieMancipatio« (1904); »"Dber
die Beklagenschaft im dinglichen Rechts-
streit« (1913). — LZ 469; WI 7 1788,
81656; TR 22. V.
Stoeger-Steiner (Edler v. Steins tatten), Ru-
dolf v., Generaloberst, 1917 — 18 gemein-
samer osterr. -ungar. Kriegsminister ;
* Pernegg (Steiermark) 26. IV. 185 1;
t Graz 12. V. — W.: »t)ber die taktische
Verwendung und Fiihrung von Inf.-
Maschinengewehr-Abteilungen im Ge-
fechte« (191 3). — Der Krieg 1914/19
(hrsg. D. Schafer) III, 346; B IV, 284;
EvT 1596.
Stdhr, Adolf, Dr. phil., o. Prof, der Philo-
sophic und Leiter des psychol. Labo-
ratoriums a. d. Univ. Wien; * St. Polten
24. II. 1855; t Wien 11. II. — W.:
» Algebra der Grammatik* (1898) ; »Philos.
der unbelebten Materie* (1909); »Hera-
klit«(i92o); » Psychologie « (191 7, *i922);
»Wege des Glaubens« (1921); »Leitfaden
der Logik in psychologisierender Dar-
stellung« (1905); »Binokulare Figuren-
mischung in Pseud oskopie* (1900);
* Grundprinzipien der psychophysiolog.
Optik« (1904). — LZ 172; Soz.ilH 262
u. 408; LE 23, 826; WI 7 1658; KL 17.
Stdlzle, Remigius, Dr. phil., o. Prof, der
Philosophic u. dz. Rektor der Univ. Wurz-
burg; • Ob im Allgau 23. XI. 1856;
j Wurzburg 23. VII. — W. : »Die Finalitat
in der Natur* (hrsg. von Paula Stolzle,
1925); »Der Philanthropinismus* (1920);
»Das Problem des Lebens in der heutigen
Totenliste: Stiibel — Thomae
319
Philosophies (1922); »Ch. Darwins Stel-
lung zum Gottesglauben « (1922). Her-
ausg. von »Padagogische Fragen und For-
schungen* und der »Studien zur Philo-
sophic und Religion «. — LZ 628 ; KL 1 7 ;
WI 7 1659, 8 i788; TR 26. VII.; Lit.
Handw. 192 1, 9.
Stubel, Oskar, Dr. iur., 1899 — 1900 deut-
scher Gesandter in Chile, 1900 — 05 Direk-
tor der Kolonialabteilung des Auswarti-
gen Amtes, 1906 Gesandter in Christiania;
* Dresden 11. VIII. 1846; f Dresden
15.VL— Meyer 6 XIX, i38;Soz.MH 735;
DKZ 69 f .
* Studt, Konrad v., Dr. iur., Dr. Ing. e. h. t
Dr. phil. h. c, Dr. iur. h.c, Dr. ret. pol.
h. c, Wirkl. Geh. Rat, Exz., 1899 — 1907
preuB. Staats- u. Kultusminister, ehem.
Mitglied des preuB. Staatsrats und Her-
renhauses, Ritter des Schw.-Adler-Or-
dens; * Schweidnitz 5. X. 1838; f Ber-
lin 29. X. — Herausgeber von Brau-
chitsch, Verwaltungsgesetze (191 4). —
Meyer 6 XEX, 143; WI 7 1678; E. Lands-
mann, K. v. St., ein preuB. Kultus-
minister (Berlin 1908); E 3589; DBJ 3,
S. 246/250 (Fleischer).
Stumpf, Franz; * Soest 21. II. 1840; f Osna-
briick 6.1. — Seit 1 876 Syndikus der Han-
delskammer zu Osnabriick, daneben seit
1885 Generalsekretar des Georg-Marien-
Bergwerks- und Hiittenvereins ; Mitbe-
griinder und Ehrenmitglied des »Zentral-
verbandes deutscher Industrieller «. —
St.u.E. 41, I. S. 247 (P).
♦Tangl, Michael, Dr. phil., o. Prof, der
mittelalterl. Geschichte und der histor.
Hilfswissenschaften a. d. Univ. Berlin,
Mitglied der Zentraldirektion der Monu-
menia Germaniae historica, Geh. Reg.-
Rat; * Wolfsberg bei Klagenfurt 26. V.
1861; t Wolfsberg 7. IX. — W.: »Das
Leben des hi. Bonifazius« ( 8 i92o);
Mithexausgeber des »Archivs fiir Ur-
kundenforschung«. — TR 11. IX.;
LZ 750; LE 24, 124; Histor. Jahrb. 41,
399 — 403 (R. v. Heckel) ; Histor. Zeitschr.
125, 372 — 374 (Stengel); Neues Archiv
der Ges. fiir altere deutsche Geschichts-
kunde 44, 139 — 146 (Kehr) u. 147 — 150
(Bibliogr. d. W, zusammengestellt von
Krabbo); SB der PreuC. AdW 191 8,
S. 702 (Antrittsrede) 1922, S. LXXXII
bis LXXXV (Kehr); Histor. Viertel-
jahrsschr. 21, 123/27 (E. Perels) ; Zeitschr.
der Savigny-Stiftung fiir Rechtsgesch.
(kan.Abt.XII)42, 504;DBJ3, S.250/252
(R. Salomon).
Tauehnitz, Bernhard Freiherr v., Dr., Ver-
lagsbuchhandler, Inh. der Verlagsbuch-
handl. B. T.; * Leipzig 29. V. 1841;
f Trattlau bei Bautzen 7. VII. — LZ 567 ;
IZ 4053 (P) ; Meyer* XIX, 349 ; WI 7 1695 ;
B IV, 341; FrhT 1923.
Thalheim, Theodor, Dr. phil., Geh. Reg.-
Rat, Provinzialschulrat von Schlesien,
klassischer Philologe; * Ols 25. III. 1847;
f Breslau 4. II. — LZ 197; TR 8. II.;
KL 17; WI 7 1702; Biogr. Jahrb. fiir
Altertumskunde 34 (1924), 139 — 160
(Schwarz) (W).
Thiemich, Martin, Dr. med., o. Prof, der
Kinderheilkunde a. d. Univ. Leipzig;
* Breslau 25. XI. 1869; j Leipzig 16. II. —
LZ 197; DMW 275 (Niemann); Monats-
schrif t fiir Kinderheilkunde 21,1 (Keller) ;
Mediz. Klinik 17, 271 (Czerny); Archiv
fiir Kinderheilkunde 70, 79 (Ibrahim).
*Thiersch, Friedrich Ritter \.,Dr. phil. h. c. ;
Dr. -Ing e. h.; Geh. Rat; o. Prof, der
Baukunst a. d. Techn. Hochschule in
Miinchen; • Marburg 18. IV. 1852;
j Miinchen 23. XII. — W.: Justizpalast
in Miinchen (1897); Kurhaus Wiesbaden
(1907). — Hermann Th., Fr. v. Th., der
Architekt (1852 — 1921). Ein Lebensbild
(1925). — MS IV, 404, VI, 279; LZ45;
DBZ 460 u. 1922, 6 (A. Hofmann) ; Kehr
247; IZ 4065 (P); ZB 1922, 25; Hessen-
land 36, 14; Dekorative Kunst 25, H. 5,
S. Ill; WI 7 1706; TR 23. XII.; LNN
25. XII.; DBJ 3, S. 252/267 (E. Gilde-
meister) .
* Thoma, Ludwig (Pseudonym : Peter Schle-
mihl), Dr. iur., Rechtsanwalt, Dichter u.
Schriftsteller, Mitherausgeber des »Sim-
plizissimus« ; * Oberammergau 2 1 . 1. 1 867 ;
t Rottach (Tegernsee) 26. VIII. — »Ge-
sammelte Werke« I — VII (1922); »Erin-
nerungen* (191 9); »Stadelheimer Tage-
buch« (1923); »Leute, die ich kannte«
(1923) ; Deutsches Volkstum, Febr. 1927
(Owlglafl); Begriinder der Zeitschrift
»Marz« (191 3); »Ausgewahlte Briefer
(1927); — KL 17; BR VII, 185 f. (W);
WI 7 1709; Das deutsche Theater I, 420
(W); MAZ 348 (RieB); KW 35 I, 12—16
(Schumann) ; Die Propylaen 19, 58(Scher) ;
Deutsche Korpsstudentenzeitung 38,352
(Cramer; Erinnerungen an L.Th.);Leip-
ziger Lehrerztg., Beilage 91 (Somme) ; Der
schwiib. Bund 3, 143 — 148 (Raithel) ; GK ;
LZ 693 ; LE 24, 55 ; Soz.MH 1 146; IZ 4056
(P); Die Bergstadt 10, 271 (Eckardt);
Das Bayernland 33, 14 (Dreyer); Bu-
cherei u. Bildungspflege V 2, 115 — 120
(M. Schmeer) ; E 2825 ; F. Dehnow, L. Th.
(1925); DBJ 3, S. 257/263 (O.Gluth).
Thomae, Johannes, Dr. phil., em. o. Prof,
der Mathematik (1879 — 1914) a. d. Univ.
320
Totenliste : Thummerer — Verworn
Jena, Geh. Reg.-Rat; * Laucha ri. XII.
1840; f Jena 1 . IV. — Arbeiten auf dem
Gebiete der Differentialgleichungen, der
Funktionenlehre, der analytischen Me-
chanik, der Axiomatik. — KL 17; WI 7
1709; PF IV, 1 49 1 (W); Jahrbuch der
deutschen Mathematikervereinigung 30,
133 — 140 (Cramer) ; GK; LZ 302 ; Soz.MH
409; TR 3- IV.
Thummerer, Johannes, Dr., Romanschrift-
steller; * Marienbad 17. XII. 1888;
f Leipzig 31. X. — W.: »Die tanzende
Famihe Holderbusch «, Roman ( 8 i9i8);
» Kramer und Seelen«, Roman (1920);
»Menschen, Stadte, Feierklang«, Gedichte
(1920). — LE 23, 378; LZ 909; Unser
Egerland 26, n; KL 17; BB 257.
Tobler, Gustav, Dr. phil., o. Prof, der
Schweizer-Geschichte a. d. Univ. Bern,
1887 — 99 Redaktor des »Anzeigers fur
Schweizer-Geschichte*; * Ilanz 2.1. 1855;
f Merligen a. Thunersee 9. VII. — W.:
Herausg. der Berner Chronik Diebold
Schillings u. der Aktensamml. zur Gesch.
der Berner Reformation; Arbeiten zur
Berner Geschichte. — Zeitschr. fiir
Schweiz. Gesch. 1 (192 1), 248/56 (R.
Feller, m. Bibl. d. Werke); TR 16. VII.
Tornow, Paul, Dombaumeister von Metz;
* Zielenzig 14. V. 1848; f Metz'6. VI. —
MS V, 273, VI, 282 ; Christl. Kunst 18, 102
bis 108 (Steffen); DBZ 204; ZB 407 f.;
TR 18. VI.
Trabert, Wilhelm, Dr. phil., Hofrat, em.
o. Prof, der Physik a. d. Univ. Wien,
ehemal. Direktor der Zentralanstalt fiir
Meteorologie und Geodynamik; * Fran-
kenberg (Hessen) 17. IX. 1863; f Wien
23. II. — W.: » Meteorologie « (1896,
8 1909); »Lehrbuch der kosmischen Phy-
sik* (191 1). — Almanach 71 (1921) der
AdW Wien 174—177 (Exner) ; PM 95;
PFIV, 1518; LZ238; KL 17; Das Wetter,
Meteorol. Zeitschr. 38, 83 — 85 (Ficker);
TR 27. II.
Treu, Georg, Dr.h.c, Prof., Geh. Rat, em.
Direktor der Dresdener Skulpturensamm-
lung; * St. Petersburg 29. III. 1843;
f Dresden-Weifler Hirsch 5. X. — Schrift-
leiter der »Mitteilungen aus den Dresdener
Kunstsammlungen* (191 2 ff.). — SB der
sachs. AdW 73, 51* — 62* (Studniczka) ;
DBZ 368 (Hofmann) ; Die Kunst fiir Alle
17, Beilage VIII; LE 24, 248; IZ 4059
(P); Kchr 57, 65 (Maas) ; KL 17; WI 7
1726, 8 i789; TR 7. X.; BB 239.
♦Trimborn, Karl, Geh. Justizrat, Rechts-
anwalt, M. d. R. (Zentr.) ; * Koln a. Rh.
2. XII. 1854; f Bonn a. Rh. 25. VII. —
W.: »Die allgem. politische Entwicklung
der Lage« (1920); »Die Pflichten der
hoheren Stande auf sozialem und cha-
ritativem Gebiete « ( 3 1908) (Charitas-
schriften 9); »Das Zentrum und die
Kriegspolitik (mit M. Erzberger) (19 18).
— HNV 276 (P); Soz. Praxis 30, 802;
MAR 1 8, 403 ; GK ; IZ4054 (P) ; Soz. Revue
641—653 (Gasteiger); WI 7 1728; LNN
27. VII.; EvT 2384; DBJ 3, S. 263/265
(C. Bachem).
Uhl, Wilhelm, Dr. phil., a. o. Prof, der deut-
schen Sprache und Literatur a. d. Univ.
Konigsberg; * Braunschweig 23. XI.
1864; j Konigsberg i. Pr. 26. X. — W.:
»C. F. Meyer* (1900); »Entstehung und
Entwicklung unserer Muttersprache*
(1906); Herausgeber der »Teutonia«
(I9i2ff.).— LZoo9;TRi.XI.;WI 7 1738;
KL 17 (W).
Unger, Emil v., General der Kavallerie a. D .,
im Kriege Fiihrer der 7. K a valleriedi vi-
sion; * GroB-Stockheim in Braunschweig
5. VI. 1831; f Falkenberg i. d. Mark
17. X. — WI 7 1742.
Urban tschltsch, Viktor, Dr. med., Hofrat,
em. o. Prof, der Ohrenheilkunde a. d.
Univ. Wien; * Wien 10. IX. 1847; | Wien
17. VI. — W.: »Die Kriegsverletzungen
und die Kriegskrankheiten des Gehor-
organs« (1920); »Erkrankungen des Ge-
hororgans im Verlauf von Infektions-
krankheiten* (1924). — PBL 1745; TR
18. VI.; Wiener klin. Wochenschr. 34,
311; DMW 47, 840 (Alexander) ; Internat .
Zentralbl. fiir Ohrenheilkunde 19, 120
(Brunner) ; Zeitschr. fiir Ohrenheilkunde
82, 128 (Siebenmann) ; WMW 71, 1149
(Beck) ; Archiv fiir Ohren-, Nasen- und
Kehlkopfheilkde. 108, H. 314, S. V— VIII
(Piffl); Monatsschr. fiir Ohrenheilkde. u.
Laryngo-Rhinol. 55, 684 (Alt) u. 8^7 bis
843 (Neumann).
Uthemann, Friedrich, Wirkl. Geh. Marine-
baurat, zuletzt Leiter des techn. Bureaus
bei der Kaiserl. Inspektion des Torpedo-
wesens; * Wittstock 18. X. 1 851; t Kiel
23.I. — JSTG23, 102/3 (P); TR 30. I.;
VDI 65, 250 (Laudahn m. P).
* Verworn, Max, Dr. med. et phil., Dr. Sc,
LLD., o. Prof, der Physiologie a. d. Univ.
Bonn, Geh. Medizinalrat ; * Berlin 4. XI.
i863;tBonna.Rh.23.XL— W.:»Natur-
wissenschaft u. Weltanschauung* (1904);
»Die Erforschung des Lebens« (1907,
•1912); »Die Anfange der Kunst « ("1920);
j)Aphorismen« (1922); »Die Entwicklung
des menschlichen Geistes« (1910); »Die
Frage nach den Grenzen der Erkenntnis*
(■r9i7); »Keltische Kultur* (1919); »Die
Mechanik des Geisteslebens* ( 4 i9i9);
Totenliste: Vogel — Weinbrenner
321
»Der diluviale Menschenfund von Ober-
kasseU (19 19); » Allgem. Physiologie«
(1895, '1922); » Physiologisches Prakti-
kums (1907, 6 i92i, 6 i924); »Biologische
Richtlinien der staatlichen Organisation *
(19 1 7); »Kausale und konditionale Welt-
anschauung s («i9i8). — Herausg. der
♦Zeitschr. fiir allgem. Physiologies und
von frPfliigers Archiv fiir die ges. Physio-
logies. — MMW 1655 f. (A. Piitter);
Mediz. Klinik 18, 130; GK; LZ 964; IZ
4063 (P); LE 24, 441; PM 263; BKW
1847 f. (Frohlich); DMW 1922, 102 f.
(Matthaei)(P);WI 7 1755; E 3929; DB J 3,
S. 265/267 (Jensen).
Vogel(-Plauen) , Hennann, Prof., Maler und
Dichter, Illustrator der »Fliegenden
Blatters; * Flensburg 16. X. 1854;
fKrebesi.V.22.11. — MS V, 278, VI. 289;
WI 7 1764; Vogtland.Jahrb. 1,67 (Hem-
pel); LE 23, 826; Sachs. Heimat 4, 267
bis 269 (Grimme); GK; LZ 222; Kchr
56, 450; Mitteilungen des Landesverb.
fiir sachs. Heimatschutz 10, 131 u. 197
bis 213 (Roediger); KW 34 II, 50 — 52
(Avenarius) .
Vogl, Therese, geb. Thoma, bayer. Kammer-
sangerin a. D., ehem. Mitglied der Miin-
chener Hofoper, hervorragende Wagner-
sangerin (Isolde usw.); * Tutzing 12. XI.
1845; t Miinchen 29. IX. —Meyer 6 XX,
217; EG 1071 f.; R 8 ii92;WI 7 1765;
J B Peters 1921/22; Neue Zeitschr. fur
Musik 552 (Reimerdes); AMZ 717; Neue
Musik-Zeitschr. 43, 11; Rhein. Musik-
und Theater-Ztg. 322; Klavierlehrer 134;
GK; Soz.MH 1007 f.; IZ 4059 (P); E
3213-
Volt, Ernst, Dr.phil., era. Prof, der angew.
Physik a. d. Techn. Hochschule Miinchen ;
* Speyer 14. IV. 1838; f Miinchen 14. II.
— W.: »Handbuch der angew. Optiks
(mit A.Steinheil, 1891) ; »Samml. Elektro-
techn.Vortrages(i899 — 1903). — LZ 197;
WI 7 1765 (W).
VoB, Karl Leopold, Genre- und Landschaf ts-
maler; • Rom 19. VII. 1856; f Miinchen
22. XI. —MS V. 37 f., VI. 291 ; Kchr 57.
173; TR 25. XL
Wacker, Theodor, Geistlicher Rat, Pfarrer,
Gymnasialrektor, fruherer Fiihrer des
badischen Zentrums; * Bohlsbach bei
Offenburg 5. XI. 1845; f Zahringen
8. XI. — W.: »Entwicklung der Sozial-
demokratie . . . 1871 — 98s (1903); »Wo
stehen wir? Kriegs- und Friedenserorte-
rungens (191 7). — MAR 657 (Wetzel);
WI 7 1779 (W); KL 17; J. Schofer,
Erinnerungen an Th. W., Karlsruhe
192 1.
DBJ 21
* Waldeyer - Hartz, Wilhelm v., Dr. med. t
Geh. Medizinalrat, em. o. Prof, der Ana-
tomie a. d. Univ. Berlin; * Hehlen (Kr.
Holzminden) 6. X. 1836; f Berlin 23. 1. —
W.: » Lebenserinnerungen a (1920); Her-
ausgeb. von » Archiv fiir mikroskop.
Anatomies; » Archiv fiir Anatomie und
Physiologies ; »Jahresbericht iiber die
Leistungen u. Fortschr. in der Anatomie
u. Physiologies; »Jahresbericht iiber die
Leistungen u. Fortschr. in der ges. Medi-
zins. — Jahrb. der bayer. AdW 1922/23,
74 f. (Mollier); BKW 97 (Posner) ; GK;
LZ 132; Soz.MH 204 (Koelsch) u. 506 f.;
DMW 99 u. 136 (Schwalbe) ; IZ 4041 (P) ;
WMW 251; Zahnarztl. Rundschau 30,
72; Deutsche Monatsschr. fiir Zahnheil-
kunde 40, 147 (Greve) ; Allgem. Med.
Zentralztg. 90, 36; MMW 432; Almanach
71 (1921) der AdW Wien 186 — 192 (Hoch-
stetter); Archiv fiir Frauenkunde u. Eu-
genik 7, 89 — 92 (Posner) ; Zentralbl. fiir
allgem. Pathologie u. patholog. Anatomie
31, 425 — 428 (Marchand); BKW 142
(Virchow) u. 656 (Sobotta) ; SB der preuC.
AdW 508—521 (Fick) u. 534 — 546 (Bibl.
der W. u. Literatur) ; Zeitschr. fiir Ethnol.
52, 456; PBL 1805 (P, W); WI 7 1789;
KL 17; Verh. d. anat. Ges. Marburg 1921
(Kallius); E 342 (P) ; DBJ 3, S. 267/271
(R. Fick).
Waldow, Edmund, Dr.-Ing. e. h., Geh. Rat,
ehemal. Leiter des sachs. staatlichen
Hochbauwesens, Vortragender Rat im
sachs. Finanzministerium (1895 — 1913) ;
* Stolp 4. X. 1844; f Dresden 7. IX. —
LZ 750; DBZ 332; WI 7 1790.
Wandel, Franz v., General der Infanterie
a. D., im Krieg Gouverneur von Koln
u. stellvertretender preufiischer Klriegs-
minister a la suite des Inf. -Reg. Nr. 74;
* Danzig 29. I. 1858; f Bonn a. Rh. 29.
XII. — WI 7 1797, 81790; ERL.
Wartensleben, Hermann, Graf v., General
der Kavallerie a. D., der alteste Offizier
der alten Armee; * Berlin 17. X. 1826;
t Carow (Kr. Jerichow II) 9. III. — WI 7
1801, 8 I790.
Watzdorf, Bernhard Gustav v., sachsischer
General, im Kriege stellv. sachs Kriegs-
minister; * Kotteritzsch 10. V. i860;
I Dresden 2. II. — WI 7 1803, 8 i79o;
LNN 5. II.
Weinbrenner, Adolf, Geh. Oberbaurat, em.
Prof, der Architektur a. d. Technischen
Hochschule Karlsruhe; * Rastatt 15. IX.
1836; j Karlsruhe 19. X. — W.: Fugger-
Kapelle bei St. Anna-Augsburg. — TR
22. X.; DBZ 379 f.; Kchr 57, 82; WI 7
1819.
322
Totenliste: Weinschenk — Wygodzinski
Weinschenk, Ernst, Dr. phil., a.o. Prof, der
Petrographie a. d. Univ. Miinchen; * Efl-
lingen 6. IV. 1865 ; f Miinchen 26. III. —
W. : »Anleitung zum Gebrauch des Polari-
sationsmikroskops« ( 4 1 9 1 9) ; » Boden-
mais — Passau. Petrograph. Exkursionen «
(■1914); »Grundziige der Gesteinskunde«
( 3 i9i3); »Die gesteinbildenden Mine-
ralien* ( 8 191 5) ; » Petrograph. Vademe-
cum« ( 4 1924).— PF IV, 1614; LZ 325;
WI 7 1821; TR i.IV..
Werthmann, Lorenz, Dr. theol. et phil.,
papstl. Protonotar, Pralat, Seelsorger
der Italiener, President des Caritasver-
bandes; * Geisenheim 1. X. 1858; f Frei-
burg i. B. 10. IV. — Schriftleiter der
»Caritas«; Herausg. des »Italien. Beicht-
spiegeU. — WI 7 1839; KL 17; Stimmen
derZeit 101,403 (Noppel); Zentralbl. fur
Vorrnundschaftswesen 13, 43 (Noppel);
Christl. Frau 1921, 67 — 69.
* WIchert, Karl, Dr.-Ing. e. h., bis 191 9
Ministerial- und Oberbaudirektor der
maschinentechn. Abt. im Minist. der
offentl. Arbeiten, Mitgl. der Akadeniie
des Bauwesens und des techn. Ober-
priifungsanits, Wirkl. Geh. Rat, Exz.;
* Konigsberg i. Pr. 10. V. 1843; t Bac *
Nauheirn 18. VI. — ZB 320 u. 384; Organ
fur die Fortschr. des Eisenbahnw.; NF.
58, 152; Annalen fur Gewerbe und Bau-
wesen 89, 1 (K. Miiller) ; WI 7 1845; Man-
ner der Technik 1925 ; EvT 2284; DBJ 3,
S. 271/273 (Bauinann).
* Wilhelm II., Herzog (frliher Kdnig von
Wttrttemberg), 1891— i9i8K6nig; ♦Stutt-
gart 25. II. 1848; f Gut Bebenhausen
2 . X . — »Hie guet Wiirttemberg allewege !
Ein Erinnerungsbuch zur 25Jahr. Feier
der Regierung Konig Wilhelms II. von
Wiirttemberg* (1917); WJ 1921/22;
Deutsche Korpsstudenten-Zeitung 38,
234 — 242; v. Gaisberg-Helfenberg, Wiirt-
temberg unter der Regierung Konig
W.s II., hrsg. von V. Bruns, Stuttgart
1 91 6; Wiirttenib. Nekrolog, hrsg. vom
Wiirtt. Gesch. u. Altert.-Verein (K. Hoff-
mann, Konig W. II. v. W.), Stuttgart
1923; Von schwabischer Scholle 19 16 (K.
Weller, die Regierung Konig W.s II.v. W.
1891 — 1 9 16); Riimelin, Geistiges Leben
in Wiirttemberg unter der Regierung
Konig W.s II., 1916; TR 3. X.; E. 3213;
Nachruf im Wiirtt. Landtag (24. XI.) in
GK 1921 II, S.282f; DBJ 3, S. 273/278
(A.Rapp).
Witte, Leopold, D. theol. , Prof., Kirchen-
kunstforscher, 1879 — 1900 Geistlicher In-
spektor und Superintendent a. d. Lan-
desschule Pforta, seit 1897 Schriftfiihrer
des Evang. Bundes; * Halle 9. VI. 1836;
t Halle 2. XII. — W.: »Aus Kirche und
Kunst«( 2 i9i3). — KLi7;WI 7 1874 (W)
TR 3. XII.
Woker, Franz Wilhelm, Domprobst,
Kirchenhistoriker; * Brilon (Westf.)
4. X. 1843; t Paderborn 16. XI. — Koln.
Volkszeit. 192 1, 836, Bonifatiusblatt 1922
11/12. KR 1914.
Wolfersdorff, Freiin Elise v. (Pseudonym:
Karl Beskow), Romanschriftstellerin (bes.
histor. Romane) ; * Graudenz 7. III. 1849 ;
t Weimar 10. IV. — » Unter der Maske*
(191 7); »Schwestern« Roman ( 3 i92o). —
Meyer 6 XX, 725 ; PY II, 450; KL 17 ; WI 7
1883; LZ342; LE23, 1023; Soz.MH68o;
BR VII, 80; BB 18. IV.
Wolff, Fritz, Dr.-Ing. e. h., Geh. Baurat,
Prof, des Hochbaus a. d. Techn. Hoch-
schule Berlin ;* Berlin 15. III. 1847; t Bad
Harzburg 16. VII. — W.: j»Michelozzo
di Bartolommeo« (1900). — MS VI,
302; WI 7 1884; LZ 628; DBZ 272; ZB
396.
* Wolzendorff, Kurt, Dr. iur., Prof, des
Staats-, Volker- und Kirchenrechts a. d.
Univ. Halle; * Nassau a. L. 12. IV. 1882;
f Halle 2 1 . III. — W. : »Geist des Staats-
rechts« (1920); »Grundgedanken des
Rechts der nationalen Minderheiten «
(1921); »Der Polizeigedanke des moder-
nen Staats* (191 8); »Vom deutschen
Staat u. seinem Recht. Streiflichter«
(191 7); »Staatsrecht und Naturrecht in
der Lehre vom Widerstandsrecht des
Volkes gegen rechtswidrige Ausiibung
der Staatsgewalt « (19 16); »Die Universi-
tat in der Demokratie* (* 1921); »Volks-
heer und Volkerbund* (192 1). — TR
23. III.; LZ 301 ; Archiv fiir offentl. Recht
41, 86 (Koellreuter) ; DBJ 3, S. 278/281
(H.Kraus).
Wygodzinski, Willy, Dr. phil., Prof, der
Nationalokonomie a. d. Univ. Bonn,
Hauptgeschaitsfiihrer der Landwirt-
schaftskammer Bonn; * Hirschberg in
Schlesien 9. XII. 1869; | Bonn a. Rh.
3. I. — W.: »Das Genossenschaftsvvesen
in Deutschland« (191 1) ; »Die neuere Ent-
wicklung des Genossenschaftswesens in
Deutschland* (1913); »Die Landarbeiter-
frage in Deutschland« (191 7); »Wand-
lungen der deutschen Volkswirtschaf t «
( 4 i92o); ^Agrarwesen, Agrarpolitik «
(* 1920) ; »Die Nation alisierung der Volks-
wirtschaf t « ( 1 9 1 7) ; » Produktionszwang
urid Produktionsforderung in der Land-
wirtschaft* (191 7). — LZ 63; Soz.
MH 276 f. (Fest) u. 308; KL 17; WI 7
1898.
Totenliste: Ziel — Zuckerkandl
323
Ziel, Ernst, Lyrikerund Publizist; * Rostock
5. V. 1841; f Berlin 16. II. — W.: »Ge-
dichte* (* 188 1), »Litemr. Reliefs. Dichter-
portrats* (4 Bde., 1885—95) — BR VII.
96;KLi7(W);WI 7 iqi3(W);MAZi 9 22,
43 u. 50 (2 Briefe; W. Schindler); BB
24. II.
♦Zorn von Bulach, Hugo, Freiherr, 1909
bis 19 14 Staatssekretar in ElsaB-Loth-
ringen, Schlofihauptmann der Hohkonigs-
burg, Mitgl. des Staatsrats, Wirkl. Geh.
Rat., Exz.; * Straflburg 2. II. 1851;
f Osthausen (UnterelsaB) 20. IV. — WI 7
1922; ElsaB-lothr. Jahrb. I, 182 f. (M.
Spahn); IZ 4047 (P); TR 21. IV.; EvT
1364; DBJ 3, S. 281/284 (VV. Kapp).
Zuckerkandl, Otto, Dr. med., Prof, der Uro-
logie in Wien; * Raab 28. XII. 1861;
f Wien 1 . VII. — W. : » Atlas und Grund-
riB der chirurgischen Opera tionslehre «
( 5 i9i5, 8 i924); »Die ortlichen Erkran-
kungen der Harnblase« (191 5); »Hand-
buch der Urologie«, 3 Bde. (1904 — 06);
»Studien zur Anatomie und Klinik der
Prostatahypertrophie« (1922). — MMW
990 (Kjelleuthner) ; Med. Klinik 17, 893
(Paschkis); WKW 34, 47 (Rubritius) ;
WMW 71, 1241—44 (Blum); AA.
Namcn* Ve r z e i c h n i s
s
Seite
Augnste Victoria, Deutsche Kaiserin
(A.O.Meyer) n
^ Beseler, Hans Hartwig v. (v. Tschisch-
witz) 13
^ Beseler, Max Georg v. (R. Huber) . 19
^ Bethmann Hollweg, Theobald v. (F.
Hartung) 21
Bonnet, Robert (J. Sobotta) .... 41
BoBdorf, Hermann (A. Janssen) . . 43
Bracht, Eugen (A. Amersdorffer) . . 47
Bulach, s. Zorn
Biilow, Karl v. (M. Reymann) ... 52
Czapek, Friedrich Joh. Franz (W. Ruh-
land) 61
Defregger, Franz (P. Schmidt) ... 64
Diihring, Karl Eugen (A. Wenzl) . . 68
Dvorak, Max (H. Tietze) 74
Ehrenberg, Richard (C. v. Eickstedt) . 77
Ehrenwerth, Gangl v. (O. v. Keil) . 80
Erb, Wilhelm (F. Schultze) .... 82
Erdmann, Benno (A. Dietrich) ... 88
y Eulenburg, August, Graf zu (B. Krie-
ger) 92
Eulenburg, Philipp, Fiirst zu Eulen-
burg-Hertefeld (H. Herzfeld) ... 95
Francke, Ernst (L. Heyde) 103
Fried, Alfred (H. Wehberg) .... 105
Gangl v. E., s. Ehrenwerth
Gaul, August (A. Amersdorffer) ... 107
Gierke, Otto v. (H. Planitz) .... no
Hann, Julius (F. M. Exner) .... 118
Hase, Oskar v. (J.Hohlfeld) .... 122
Hauptmann, Karl (K. Wilczynski) . . 125
Heusler, Andreas (F. Beyerle) . . . 137
Hildebrand, Adolf v. (H. Rosenhagen) 142
Humperdinck, Engelbert (W. Golther) 146
Ilgner, Karl (W. Philippi) 154
Jaffe, Edgar (H. v. Eckardt) .... 160
er)
Knopfler, Alois (G. Pfeilschifter)
Korting, Ernst (Diedrich Meyer)
Korum, Michael Felix (Treitz) .
Lang, Viktor v. (A. Lampa) . .
Lanz, Karl Wilhelm (E. Gossow)
Leonhard, Rudolf (A. Manigk) .
Leutwein, Theodor (H. Schnee) .
Lowenstein, Karl Fiirst zu (J.Knogh
Menger, Karl (R. Zuckerkandl f)
Mitteis, Ludwig (L,. Wenger) . .
Morf, Heinrich (E. Seifert) . . .
Paul, Hermann (K. v. Kraus)
Possart, Ernst (E. Kilian f) . .
Rathgen, Karl (Th. Plaut) . . .
Scherl, August (H. v. Kupffer) .
Schiemann, Th. v. (0. Stavenhagen) .
Schjerning, Otto v. (W. Schultzen) .
Schmiedeberg, Oswald (H. H. Meyer)
Schonerer, Georg v. (E. Pichl) . . .
Schulze, Franz Eilhard (E. Korschelt)
Schwarz, Hermann Amandus (C. Cara-
theodory)
Schwenke, Paul (H. Paalzow) ....
Seeliger, Gerhard (F. Rorig) ....
Sievers, Wilhelm (A. Schultz) . . . .
Studt, Konrad v. (Fr. Fleischer) . .
Tangl, Michael (R. Salomon) ....
Thiersch, Friedrich v. (E. Gilde-
meister)
Thoma, I,udwig (O. Gluth)
Trimborn, Karl (K. Bachem) ....
Verworn, Max (P. Jensen)
Waldeyer-Hartz, Wilhelm v. (R. Fick)
Wichert, Karl (H. Baumann) ....
Wilhelm II. von Wiirttemberg (A.
Rapp)
Wolzendorff, Kurt (H. Kraus) . . .
Zorn v. Bulach, Hugo (W. Kapp) .
Scite
162
165
170^ —
172
178
l8o
183"^
187
I92
200
203
206
208
211
214
2l6
222
224
228
232
236
238
242
244
246.^
250
252
257
263/
265
267
271
273
278
281
Autoren^Verzeichnis
Seite
Amersdorffer, A. (Eugen Bracht) . . 47
— (Atigust Gaul) 107
Bachem, Karl (Karl Trimborn) . . 263
Baumann, Hans (Karl Wichert) . . 271
Beyerle, Franz (Andreas Heusler) . 137
Caratheodory, C. (Hermann Amandus
Schwarz) 236
Eietrich, Albert (Benno Erdmann) . 88
Eckardt, Hans v. (Edgar Jaffe) . . 160
Eickstedt, Claus v. (Richard Ehrenberg) 77
Exner, F. M. (Julius Hann) .... 118
Fick, Rudolf (Wilhelm v. Waldeyer-
Hartz) 267
Fleischer, Fr. (Konrad v. Studt) . . 246
Gilderaeister, Eduard (Friedrich v.
Thiersch) 252
Gltith, Oskar (Ludwig Thoma) ... 257
Golther, Wolfgang (Engelbert Hum-
perdinck) 146
Gossow, Erich (Karl Wilhelm Lanz) 178
Hartung, Fritz (Bethmann Hollweg) 21
Herzfeld, Hans (Fiirst Philipp zu Eu-
lenburg) 95
Heyde, Ludwig (Ernst Francke) . . 103
Hohlfeld, Johannes (Oskar v. Hase) . 122
Huber, R. (Max v. Beseler) .... 19
Janssen, Albrecht (Hermann Bofidorf) 43
Jensen, Paul (Max Venvorn) . . . 265
Kapp, W. (Hugo Zorn v. Bulach) . 281
Keil-Eichenthurn, O. v. (Gangl v.
Ehrenwerth) 80
Kilian, Eugen f (Ernst Possart) . . 208
Knogler, Johann, (Fiirst Karl zu Lowen-
stein) 187
Korschelt, Eugen (Franz Eilhard
Schulze) 232
Kraus, Herbert (Kurt Wolzendorff) . 278
Kraus, Karl v. (Hermann Paul) . . 206
Krieger, Bogdan (Graf August zu Eu-
lenburg) 92
Seite
Kupffer, H. v. (August Scherl) . . .214
Lampa, Anton (Viktor v. Lang) . . 172
Manigk, Alfred (Rudolf Leonhard) . 180
Meyer, Arnold Oskar (Kaiserin Au-
guste Victoria) n
Meyer, Diedrich (Ernst Korting) . . 165
Meyer, Hans Horst (Oswald Schiniede-
berg) 224
Paalzow, Hans (Paul Schwenke) . .238
Pfeilschifter, Georg (Alois Knopf ler) 162
Philippi, W. (Karl Ilgner) 154
Pichl, Eduard (Georg v. Schonerer) . 228
Planitz, Hans (Otto v. Gierke) . . no
Plaut, Theodor (Karl Rathgen) ... 211
Rapp, Adolf (Wilhelm II. von Wiirt-
temberg) 273
Reymann, Martin (Karl v. Biilow) . 52
Rorig, Fritz (Gerhard Seeliger) . . . 242
Rosenhagen, Hans (Adolf v.Hildebrand) 142
Ruhland, \V. (Friedrich Czapek) . . 61
Salomon, Richard (Michael Tangl) . 250
Schmidt, Paul F. (Franz Defregger) . 64
Schnee, Heinrich (Theodor Leutwein) 183
Schultz, Arved (Wilhelm Sievers) . . 244
Schultze, Friedrich (Wilhelm Erb) . 82
Schultzen, Wilhelm (Otto v. Schjerning) 222
Seifert, Eva (Heinrich Morf) . . . 203
Sobotta, Johannes (Robert Bonnet) . 41
Stavenhagen, Oskar (Theodor v. Schie-
mann) 216
Tietze, Hans (Max Dvorak) .... 74
Treitz, Jakob (Michael Felix Korum) 170
Tschischwitz, E. v.(HansHartwig v. Be-
seler) 13
Wehberg, Hans (Alfred Fried) . . . 105
Wenger, Leopold (Ludwig Mitteis) . 200
Wenzl, Alois (Karl Eugen Duhring) 68
Wilczynski, Karl (Karl Hauptmann) 125
Zuckerkandl, Robert f (Karl Menger) . 192