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JJon J uan^ Vjrestalt
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
Dr. OTTO RANK
DIE DON JUAN-GESTALT
Die Studie über „Die Don Juan-Gestalt", vorgetragen am 26. April 1922
in der „Wiener Psydioeuialytisdien Vereinigung", ersdiien zuerst (mit den
Untertitel „Ein Beitra g zum Verständnis der sozialen Funktion der Diditkuns t"^
in „Imago7~Zeitsdirift für~Snwenclung der Psydioanalyse auf die Geistes-
wissensdiaften" (herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud), VIII. Bd., I922.
"JV Die vorliegende Budiausgabe ist ein etwas vermehrter Wiederabdrudi. ^
Alle Rechte,
insbesondere das der Übersetzung vorbehalten
Copyi-ight 1924
by „Internationaler Psydioanalytisdier Verlag, Ges. m. b. H.', Wien
Gesellsdiafl für graphisdie Industrie A.-G., Wien
5
Don Juan: Le seul heros qu'admlre au fond l'humanite !
Mais lis leurs livres! vois leurs drames! toüt l'atteste !
Vois de quel oeil luisant la vertu me deteste!
Qu'attendent du pouvoir tant d'hommes plats et lourds
Que se croire un instant ce que je suis toujours?
Vois avec quelle sirdeur d'exegese et d'envie
Le nez de professeurs s'est fourre dans ma vie!
Qui n'admire en secret que j'ose le balser
Qu'il s'est senti trop lache ou trop laid pour oser?
Je suis leur nostalgie ä tous! II n'est pas d'oeuvre
- Malgre ton sifflotis d'ancienne couleuvre, -
II n'est pas de vertu, de science ou de foi
Qui ne soit le regret de ne pas fetre moi!
Le Diable: Que va-t'-U t'en rester?
DonJuan: Ce qui reste a la cendre
D' Alexandre: eUe sait qu'elle fut Alexandre
Mais puisque j'ai moi-meme ete tous mes soldats,
Moi, j'ai moi-meme possede!
Le Diable: Tu possedas?
Posseder, c'est leur mot. Mais, eher immoraliste,
Qu'as-tu donc possede?
Don Juan (appelmt): Sganarelle! . . .
(ä Sganarelle qui entre) Ma liste!
Edmond Rostand: La dernifere / '-
nuit de Don Juan. (Paris 192I.)
I
Der unsterblich gewordene Name des spanisdien Liebeshelden
entfessek mit seinem zauberischen Klang unwillkürhdb eine Reihe
von Vorstellungen und Erwartungen erotischer Natur, die
unlösbar mit ihm verbunden scheinen. Wenn wir uns daher
entschließen, gewisse Betrachtungen tmd Gedanken, die von
einer — übrigens ganz hervorragenden — Aufiuhrung des
Mozartsdien Meisterwerkes im Wiener Opemtheater (I3. No-
vember I921) angeregt wurden, unter diesem Titel niederzu-
schreiben, muß vorausgeschickt werden, daß nur weni g von der
allgemein faszinierenden Seite der Don Juan-Gestalt die Rede
sein wird. Noch weniger von Mozart, der an der Unsterblich-
keit seines Helde n vielleidbt einen noch größeren Anteil hat,
als uns aus~~3er" bloßen Tatsache scheinen mag, daß diese
2 ' musikalische Bearbeitung des bei den Dichtem so beliebten
Stoffes die einzige 'von dauernder und durchgreifender Wirkung
Ö ^ ' geblieben ist.
Ist man gerade in der Stimmung — wie sie zufällig dem Ver-
fasser durch die Beschäftigung mit gewissen Gedankenkreisen
nahe lag — der Mozartschen Oper mit einer psychoanalytischen
Einstellung gegenüberzutreten, d. h. die bewußte Zielvor- JZ/l^ >,
Stellung des erotischen Helden teilweise auszuschalten, so bemerkt 3^ 24^ /
man unschwer und doch nicht ohne Überraschung , daß die -»
Handlung eigendich nichts weniger als einen erfolgreichen Sexual-
abenteurer, vielme hr einen von Miß gesAic k verfolgten armen
Sünder darstellt, den schließlich das seinem Milieu entsprediende
Los der chrisdichen Höllenstrafe erreicht. Die glüddiche, genuß-
S
Dr. Otto Rank
frohe Zeit des eigentlidhen Don Juan sidb auszumalen, bleibt
der Phantasie des Zuhörers vorbehalten, die sdieinbar nur zai
gerne von diesem ihrem natürhdien Vorredit Gebrauch macht
und daneben die Darstellung der tragischen Züge der moralischen
Anstalt der Sdiaubühne überläßt. Wir folgen also nur den vor-
gezeidineten Spuren von Tradition und Dichtung, wenn wir
^f*- 1 p, dieser dem mensdJidien Denken oflfenbar peinlidien Seite des
i* „Don Juan" unsere analytisdie Aufmerksamkeit zuwenden.
Dabei wird unser Interesse zunächst von der fertigen Gestalt
weg auf ihre Entwicklung gelenkt. Aber sdion ein flüditiger
Blick auf die zahlreidxen Don Juan-Diditungen belehrt uns, daß
wir dort keine Aufklärung finden können. Denn der durch
Mozart verewigte Typus tritt fertig in die Literatur ein,' während
derdem Volksbewußtsein geläufige Fraueneroberer in ihrer
Überiieferung — nie existiert hat. Seien wir konsequent genug,
daraus den Schluß zu ziehen, daß der frivole Herzensbrecher
nicht das Wesenthdie am Don Juan-Stoff ist, sondern daß Sage
und Dichtung von Anfang an etwas anderes darin gesudbt und
gefunden haben mußte. Der typisdie Liebesheld und Erotiker,
audi ein soldier größten Stils, wäre wahrsdieinlidi leidit und
vielleicht sogar besser durch eine andere Figur darstellbar
gewesen;* anderseits wäre uns auch das mit dem ganzen
Sdiuldgefiihl der Erbsünde beladene dirisdidie Höllenspektakel
so fremd geworden wie die übrigen mittelalterlidi-kirddidien
Erbauungsspiele , hätte nicht ein großer Mensdi und Künstler
^ ^ ■■ - .^ _
-'■" I) »Die älteste Darstellung Don Juans in der Weltliteratur ist die vor
IQ vi 1620 entstandene spanisdie Komödie, von der wir im ,Burlador~de
-^ .^^fC Sevilla' und , Tan largo me lo fiais?' zwei geringfügig veränderte _,
/ Fassungen besitzen." (Hans Heckel: „Das Don Juan-Problem in der -^
neueren Diditung." Stuttgart 1915.)
UQ .-,, ^^ ^S*- ^'^ Oskar A. H. S c h m i t z: „Don Juan, Casanova und ander J
•1^ , erotisdie Charaktere. Ein Versudi." Mündien 1913. Ä
w
Die Don Juan-Gestalt
hier die gleiche Erlösungstat vollbracht, die Goethe aus dem ^
geisdichen Puppenspiel/vom Sdiwarzkünstler den „Faust" oder/-J^ ''^^
Shakespeare aus den Gespensterdramen seiner Vorgänger den / ^*v^A^
„Hamlet" sdiaffen ließ: nämlidi den von allerlei Beiwerk über- Jc^Cl, />
wudierten allgemein-mensdilidien Gehalt wieder zurüdczuerobem j^c^ -^ i^ iM
und in ewigen Symbolen auszudrüdcen. %
Daß das Hauptmotiv beim Don Juan-StoflF nidit in der Dar-
stellung des ungebundenen Sexualstrebens liegt, zeigt die Über-
; lieferung mit aller Deudidikeit, Und es bedürfte gar nidit des
nüchternen historisdien Nadiweises von der Niditexistenz eines /
realen Don Juan-Urbildes, ' um uns in der Annahme zu bestärken,lM? I ] i
daß wir in der ungehemmten Eroberematur des Helden die eigent- ~~
lidie dichterische Phantasiebildung zu erblidten haben.
Diese Aufifassung finden wir durdi die Ergebnisse der literar-
historisdien Untersudiung vollauf bestätigt. Was der Burlador-
Diditer aus der sagenhaften Überlieferung übernommen hat, ist
nur die Rache des verhöhnten Toten an dem übermütigen
Spötter („Burlador"). „Den Frevler zum Frauenver-
führer großen Stils zu machen, blieb dem Dichter
des Burlador vorbehalten; und insofern hat er aller-
I) „Die durch Jahrhunderte festgehaltene Annahme, daß Don Juan
Tenorio, der Kämmerer des kastilisdien Königs Pedro des Grausamen,
das Urbild des Burlador gewesen sei, ist durdi die Untersudiungen FarineUis 1 1 A-
und anderer als hrtum erwiesen ... Es kann als sidier gehen, daß der JA. /
Diditer des Burlador für seinen Helden den Namen einer bekannten Persön-
lidikeit wählte, ohne daß zwisdien dieser und den Ereignissen auf der Bühne
,. irgendweldie Beziehungen bestanden" (H e c k e 1, S. 6).
Dagegen gibt es einen anderen, eng verwandten Helden der SeviUaner
Lokalsage, der zwar wie Don Juan ein üppiges und gotteslästerüdies Leben
geführt, sidi aber am Ende bekehrt und Buße getan haben soU: Don Juan
de Manara. „Im Gegensatz zu der Sage von Don Juan Tenorio hegt hier
wirkhdi em gesdiiditlidier Kern zugrunde» (1. c. S. 51). hi mandien späteren
Diditungen ersdieinen die Untersdiiede zwisdien diesen beiden Helden und
ihren Sdiidisalen vöUig verwisdit, dodi hat sdion die Lokalsage von SeviUa
die beiden Gestalten teilweise versdimolzen (1. c. S. 53 f.).
lO Dr. Otto Rank
dings das Verdienst, seinem Helden das gegeben zu haben, was
wir in erster Hinsidlt an Don Juan sehen." . . . „hn Burlador
sind bereits die wesentlichen Grundlagen gegeben, auf denen
anderthalb Jahrhunderte später der stolze Bau des Werkes
erriditet wurde, in dem der Don Juan-Stoff seine genialste
Gestaltung fand: Mozarts Don Giovaimi." (Heckel, S. 7/8.)
Wir sehen auch, — wieder in Übereinstimmung mit unserer
Auffassung — daß die literarische Entwicklung des Don Juan-
Stoffes bis auf Mozart keineswegs das dem Volksbewußtsein so
anziehende und poetische Verfiihrungsmotiv ausgestaltet, sondern
wie unter einem rätselhaften Zwang das altüberlieferte, aber
peinlich-tragische Motiv der Schuld und Strafe. Dies verrät sich schon
äußerhch darin, daß von dem Doppeltitel dieser ersten Dichtung
j n des Tirso de Molina „El Burlador de Sevilla y Con-
^3 ^Ji--r' vidado di Pietra" der zweite Teil: „Das Steinerne Gastmahl",
die meisten Don Juan-Dichtungen bis ins achtzehnte Jahrhundert
hinein bezeichnet, ohne daß der liir uns so imposant gewordene
Heldenname überhaupt im Titel erschiene.' Halten wir uns also
auch darin an die Überlieferung, der dieses Motiv als das für den
Stoff bedeutsamere gilt, so haben wir damit auch das Problem
unserer eigenen Untersuchung enger umschrieben.
^ Nun sind wir aus der Analyse darauf vorbereitet, solch ein
I übermächtiges Schuld- und Strafinoment, das sich an intensive
\ Sexualphantasien knüpft, aus dem Ödipuskomplex herzuleiten.
\ Es ist klar, daß die för den Don Juan-Typus charakteristische
I „Reihenbildung" nebst der Bedingung des „geschädigten Dritten"*
r dieser analytischen Auffassung recht zu geben scheint: das heißt,
\
1) Vgl. die Übersidit über die diditerisdien Bearbeitungen des Don Juan-
Stoffes am Sddusse der Heckelsdien Arbeit.
2) Siehe Freuds grundlegende Abhandlung „Über einen besonderen
Typus der Objektwahl beim Manne". Jahrbudi für Psydioanalyse, Bd. H,
ipio. (Gesammelte Sdiriften, Bd. V.)
Die Don Juan-Gestalt
daß die vielen Frauen, die er sidi immer aufs neue ersetzen
muß, ihm die eine unersetzlidie Mutter repräsentieren und
; die getäuschten, betrogenen, bekämpften, ja sthließhdi getöteten
Konkurrenten und Widersacher, den einen unüberwindlichen Tod-
feind, den Vater. Eine solche in der Individualanalyse aufgedeckte
psychologische Grundtatsache kann bei Anwendung der Psycho-
analyse auf ein außeranalytisches Thema nur die Voraussetzung
des dabei angestrebten Verständnisses bilden, nicht aber das vorher
bekannte Resultat, das nur zu bestätigen ist.' Denn die Umwand-
lung dieses im Unbewußten der unantastbaren Mutter treu
Gebliebenen^ in den treulosen zynischen Frauenverächter setzt
1) Von solcher Art scheint mir die Abhandlung Leo Kaplans über
die Don Juan-Legende („Psj&ejindEros", April 1921), die nur am Sdilusse
eine Annäherung an eines der eigentlidien Probleme verrät.
2) Eine Version der Überlieferung vom Urbild der Don Juan-Gestalt, des
Pon Miguel de Marana j^eb. 1626 zu Sevilla) hat diesen Charakterzug der Treue
' ins Patholqgisdie gesteigert, so daß diese Erzählung fastjvie das männlidie
j5?S£?i*i*^™LGes4iditejvm^ treulosen? W itwe amnüte tTDanadi hätte
Marana mit clreißig Jahren~ GiroIina ~(Jaiiilo~~ae Mendoza geheiratet. Er
hebte die Frau mehr als sein Leben und war, als sie starb, nahe daran, den
Verstand zu verlieren. Von wildem Sdimerze gemartert, floh er mit der Leidie
der Geliebten in die Berge und sudite schließhdi, nadidem sich sein Leid
einigermaßen beruhigt hatte, in einem Kloster Trost und Frieden . Als er aber
einmal nach Sevilla kam, bradi die alte Wunde wieder auf und üeß ihn die
Beute tragisch er Wahnvorstel lungen werden. Oft war es ihm, als ob er seinem
eigenen Leichenbegängnis beiwohnte, und wenn er auf die Straße trat, so tauchte
vor seinen Augen eine Frau auf, die in Gestalt und Haltung täuschend der ^C
verstorbenen _Girolina glidi, die sidi seiner Begegnung mit eiligen Sdu-itten ^''
entzog, und die, wenn sie sidi nadi dem Verfolger'umwandte, ihn mit den [L ff '
hohlen Augen eines ^tenk opfes anstierte. Um sidi von diesen gräßlidien Wahn- i^^L
T bild«m)zu befreien und die Sünden seiner weWidien Sinneslust in den Tagen f tZiji. U-
I
^
l
seiner Vergangenheit zu sühnen, befleißigte sidi Don Miguel mit glühendem
Eifer reügiöser Andaditsübungen und schwerer Kasteiungen; er madite der
Kirdie reiche Sdienkungen und erniech-igte sidi zur Rolle eines Dieners der
j .„^'Z Ai-men und Elenden und zum Leidienwäsdier; fortan verbradite er seine Tage
M^C/f'^^^^'^^^ ^^^ Leidien hingeriditeter Verbredier, die er mit hebevoUen Händen
r wusdi und salbte. Und als es dann zum Sterben kam, legte er seine letzten
Wünsdie in dem folgenden Testament nieder: „Idi befehle und ordne an, daß
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12
Dr. Otto Rank
eine Verdrängungs-, Verschiebungs- und Umwertungsarbeit voraus,
deren Wegen und Medbanismen nadizugehen wir als unsere
vornehmste und zugleich interessanteste Aufgabe kennen gelernt
haben.
Kehren wir nach diesen rechtfertigenden und einschränkenden
Worten zum Ausgangspunkt, zur Mozartschen Oper, zurück.
Es sind mir da zunächst zwei Probleme aufgefallen, deren
eines zum Thema der künstlerischen Formgestaltung und deren
anderes zu einem Stüct Inhaltsanalyse führt. Beide hängen,
trotz ihres grundverschiedenen Charakters, psychologisch eng
miteinander und mit dem Wesen des Don Juan-Stoffes zusammen.
Das Stofliproblem ergibt letzten Endes eine Beziehung zum
Schuld- und Strafaffekt, das Formproblem eine solche zur Phan-
tasiebildung und zur sozialen Funktion der Dichtkunst.
mein Körper mit naditen Füßen auf ein Asdienkreuz ausgestreckt livrerde. Itfa
will in einen Mcintel gehüllt werden und wünsdie zu meinen Häupten ein Kreuz
mit zwei Kerzen zu haben. So soll mein sterblidier Leib im Armensarg, von
zwölf Priestern geleitet, ohne Prunk und Trauermusik in die Kirdie Sancta
Caritas getragen und auf dem Friedhof genannter Kh'die der Erde übergeben
werden. Mein Grab aber soll mir unter dem Tor außerhalb der Kirdie
gegraben werden, damit jeder über mich hinwegsdireite und midi mit Füßen
trete. So soll mein unreiner Körper, der unwürdig ist, im Tempel Gottes zu
ruhen, behandelt werden. Und es ist ferner mein Wille, daß man auf mein
Grab einen anderthalb Fuß im Geviert messenden Stein wälze,
der die Insdiiift trägt: Hier ruhen Gebeine und Asdie des rudilosesten
Mensdien. der je in der Welt gelebt hat. Betet für ihn." cu 9
n
Indem wir, unserer Einstellung folgend, die Aufaierksamkeit
von der überragenden Figur des Don Juan ablenken, fällt uns
an seinem nicht minder berühmten Diener Leporello ein Zug auf,
der auf einem kleinen Umweg docb wieder zum Helden zurüdc-
fiihrt. Dieser Diener ist einerseits viel mehr Freund und Vertrauter
in allen Liebeshändeln und anderseits doch wieder kein frei-
williger Kumpan und Helfer, sondern eine feige, ängstliche, nur
auf ihren Vorteil bedachte Bedientenseele. In seiner ersten Eigen-
schaft erlaubt er sich kritische Bemerkungen, die durchaus unan-
gemessen sind („Das Leben, das Sie führen, ist das eines Tauge-
nichts!"), fordert — und erhält vielleicht auch — einen Anteil an
der Beute seines Herrn in natura; in seiner zweiten Eigenschaft
sucht er furchtsam jeder Gefahr auszuweichen, verweigert alle
Augenbhcke den Dienst,' ist nur mit Geld und Drohungen fest-
zuhalten und, um das Bild des Bedienten ganz zu vervollständigen :
er nascht sogar beim Servieren von den guten Bissen der Festtafel.
Man könnte sagen: wie der Diener, so der Herr und darauf
hinweisen, daß Don Juan selbst [ihm diese Freiheiten einräumt,
weil er ihn braucht. So vor der berühmten „Register'-Arie: als
Donna Elvira den Helden zur Rede stellt, entzieht er sich
dieser peinlichen Situation und schiebt LeporeUo vor. Noch ehe
sie sich's recht versieht, ist der geschickte Abenteurer verschwunden
und an seiner Stelle liest ihr Leporello das Register der
I) Gleidi in der ersten Szene ist er unzufrieden: „Keine Ruh bei Tag
^ und Na&t"; in der zweiten Szene sagt er: „Auf midi redinet, Herr, nur
^B nidit''; in der dritten Szene: ^Nun ist's wohl ratsam davon asu gehen" usw.
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14 Dr. Otto Rank
Verlassenen mit dem riditigen Bedientenstolz vor, der aus der
Identifizierung mit der Herrschaft stammt.
Hier wird ein Motiv angesdhlagen, das sidi im Verlaufe der
Handlung immer deutlicher entwickelt, das aber scton in den*
ersten Worten Leporellos am Anfang der Oper dieser wie ein
Motto vorausgeht:
„Ich will selbst den Herren machen,
WiU nidit länger Diener sein."
Die Tragik Leporellos macht es aus, daß er seinen Herrn
immer nur in den peinlichen und kritischen Situationen vertreten
darf. So ein zweitesmal beim Versuch der Verführung Zerlines,
der mißglückt, wobei Don Juan seinen Diener als den Schuldigen
zum Schein strafen will.
Ein nächstesmal scheint ihm allerdings ein erireulicheres
Abenteuer zu winken, indem Don Juan Mantel und Hut mit
ihm tauscht, um das Kammermädchen Donna Elviras zu ge-
winnen, während Leporello die verlassene Herrin auf sich
nehmen soll. Aber auch dieses anfangs amüsante Abenteuer
schlägt nur zu seinem Unheil um. Denn inzwischen hat die
ständig anwachsende Rächerbande (Donna Anna, Octavio,
Masetto, Zerline) die Verfolgung Don Juans im Hause der
Donna Elvira aufgenommen und fällt über den vermeintlichen
Missetäter her, der sich schließlich als Leporello entpuppt und
— seine Unschuld beteuernd — um Gnade fleht.
Die Geschicklichkeit, mit der er sich aus dieser gefährlichen
Situation befreit, indem er plötzlich verschwindet, kann uns auf
die Spur bringen, daß er mehr als ein gelehriger Schüler seines
Herrn, daß er vielleicht mit ihm identisch ist. Bevor wir uns klar
machen, was dies bedeuten soll, wollen wir auf zwei dieser
Szene vorangehende, beziehungsweise nachfolgende Szenen hin-
weisen, welche die Identität von Herr und Diener deutlich nahe-
Die Don Juan-Gestalt 15
legen. In ihnen zeigt sich, daß nicht nur Leporello gelegentlich
die Stelle seines Herrn vertritt, wo diesem das persönliche Auf-
treten peinlidi wäre, sondern daß eben audi Don Juan die Rolle
des Leporello spielt, wie beim Kammermäddien der Donna
Elvira und in einer folgenden bloß erzählten Episode, die zum
zweiten Teil des Don Juan-Dramas, zum Gastmahl, hinüber-
leitet. Als sicii nämhch Herr und Diener nadx dem glüciJicii
überstandenen Verkleidungsabenteuer auf dem Kirchhof wieder
treffen, erzählt Don Juan ein inzwischen erlebtes Abenteuer,
welcbes er eben der Verwechslung mit seinem Diener zu ver-
danken hatte. Leporello vermutet sogleich, daß es nur mit seiner
Frau gewesen sein könne und hält dies seinem Herrn vor, der
die Situation um so amüsanter findet. Ja, er macht sogar noch
eine Bemerkung, welche ein dunkles Radhemotiv seines Handelns
verrät und die Wechselseitigkeit von Herr und Diener grell
beleucbtet: „Idi habe nur wettgemacht, was du an mir verübt."
In diesem Moment ertönt die Stimme aus dem Standbild des
Komturs („Verwegner, gönne Ruhe den Entschlafhen!") und es
beginnt eine zweite, an den Don Juan-Stoff scheinbar bloß
angelötete Handlung vom Gastmahl des Toten, deren Besprechung
wir noch aufschieben, um uns zu fragen, was diese Identität der
beiden Figuren, des Don Juan und Leporello, bedeuten soll
und was sie zum Verständnis der Handlung, der Entwicklung
der Gestalten und der Psychologie des Dichters und Zuschauers
beitragen kann.
^
ffl
Vor allem müssen wir uns darüber ^ar sein, daß mit dem
Aussprechen einer solchen Formulierung, wie sie die Identität
von Don Juan und Leporello beinhaltet, der Boden der üblichen
literarisdi-ästhetisdien Betrachtungsweise bereits verlassen ist,
zugunsten einer psychologischen Auffassung, welche von der
Realbedeutung der Figuren völlig absieht. So können wir bei-
spielsweise auch in der treffenden Charakteristik des Leporello
durch He ekel (1. c. S. 24) weniger das Bild einer geschlossenen
Persönlichkeit erblicken, als vielmehr eine Ahnung von der
engen psychologischen Zusammengehörigkeit dieser beiden
Gestalten:' „Wie dieser negative Held an den verwegenen
Y^ I Verführer gekettet ist, der sich vor Tod und Teufel nicht iürchtet;
i wie er immer von ihm los möchte und sich doch dem Banne der
stärkeren Persöidichkeit nicht entwinden kann; wie er
einmal übers andere zum Prügelknaben für die Streiche
seines Herrn wird, an denen er doch so ganz schuldlos
ist; das wirkt im tiefsten Grunde fast tragisch."
Daß wir uns Don Juan nicht vorstellen können, ohne seinen
Diener xmd Helfer Leporello, ist also nicht bloß die Folge ihrer
rationellen Abhängigkeit voneinander, wie sie in der Handlung
zum Ausdruck kommt, sondern weit mehr ein gefühlsmäßiges
Ahnen ihrer psychologischen Zusammengehörigkeit als poetisches
Produkt. Wir meinen damit, daß der Dichter den „negativen
Helden" weder aus der Wirklichkeit genommen, noch etwa zur
l) Die Hervorhebungen stammen von mir.
Die Don Juan-Gestalt
Belebung oder Kontrastierung der Handlung „erfunden" habe;
vielmehr daß die Gestalt des Leporello ein notwendiges Stüdi
der künstlerischen Darstellung des Helden selbst bedeutet. Es
wäre eine reizvolle Aufgabe, an einer Reihe von Dichtungen die
Allgemeingültigkeit dieses Mechanismus der poetischen Pro-
fduktion zu zeigen, wobei sich übrigens herausstellen dürfte, daß
die schönsten Beispiele dafür gerade bei den größten Dichtem
ider Weltliteratur zu finden sind. Es gereicht uns zur Genug-
ftuung, daß auf ein solches Beispiel bereits in der psychoanalytischen
Literatur hingewiesen ist, und zwar von Freud' selbst, der
im Anschluß an eine Bemerkung von L, Jekels^ meint, daß
Shakespeare häufig einen Charakter in zwei Personen zerlege, 2. "f-Cit^rrt^.
von denen daniijeSeTGegreiflidrünvöjist^ erscheine, solange ; (jf^jJ^kiö '
man sie nicht mit der anderen wiederum zur Einheit zusammen-
setze. Die gleiche psychologische Gestaltung einander ergänzender
Charaktere finden wir in allen großen Dichtungen; von ihrem J
elementaren Ausdruck bei einem Cervantes, Balzac, Goethe, Dosto- "j/, ^*^ * "
jewskij bis in die moderne psyäiologisierende Literatur, die sich -^'■.^.^A«U
über dieses künsderische Formproblem mehr oder weniger wt. ^ C~]| T
bewußt Rechenschaft zu geben sucht.3 Es handelt sich uns aber
1) Einige Charaktertypen aus der psychoanalytischen Arbeit. Image IV,
I916, S. 327 f. (Gesammelte Schriften, Band X.) ""'■ -
2) Shakespeares Macbeth. Image V, I917. H
3) Gelegentlidi gelingt dies auch einem echten Dichter, wie beispielsweise "
Alpho nse p a u d e t, der seinen berühmtesten Helden ein köstUdies Selbst-
gesprädi zwischen Tartarin-Quijote und Tartaiin-Sandio führen läßt. - Audi
li Balzacs diditerisdien Gestalten liegt dieser seelisdie Medianismus
bloß, dessen sidi der Diditer fast voll bewußt war. So sdireibt sdion der . y* ^^^^
Dreiundzwanzigjährige an seme Sdiwester : „Laure, Laiu-e, mes deux seuls > '^ » "^
et immenses desirs, etre celebre et etre aime, seront-ils Jamals satisfaits?" /cM-iH^ h*^h.
In einem kürzlidi (1921) ersdiienenen Kunstlerroman „Ti und Tea" von
Alexander Arndt, stellt der Diditer nidit nur bewußt sein Idi in zwei
selbständigen Persönlichkeiten dar, sondern weist selbst melirfadi auf den
immanenten Zusammenhang di eser beiden Kontrastfiguren hin. (Siehe die
Besprediung von Werner E w"a 1 d im Lit. Ecfaö vom 15. März 1922, Sp. 727.)
zJ^cU M.y'^^f' / >g>tkvva^ ^'^i^fürr:
j ' , i8 ^ Dr. Otto Ran
1
/ ^ nidit um die bereits zur psydiologisdien ßanalität gewordene
. ^ Auffassung, daß der Diditer in seinen Phantasiengestalten Teile
. seines Idis projiziert, was beispielsweise erst neuerdings wieder .^^
, \ Leon Daudet in seinem Budie „L'Heredo" (Essai sur le drame «*i
' gpf^ 9/ffi4^ "' } Interieur. Paris IQIÖ) mit der Heredität slehre der französischen Psy- x
^fiU*4i "^ rtiÄ^ii ^^"^ ^" begründen suAt, sondern um eine ^anz spezielle , sozu-yV
' sagen se k und äre Spaltung einer_^Gestalt ir i zwei biguren, dieN» L
zus amme n einen^voUwertige n, verständlidien Charakter er geben, ^j^
wie beispielsweise Tasso und Antonio bei Goethe oder d er Shake -
\ spear'sdie Othello, der so naiv und vertrauensselig sein kann, weil i
seine eigene Eifersudit in der Gestalt des Jago abgespalten ist. ^
In ähnlidier Weise wäre audi die Sdiöpfring der Don Juan-
Figur, des frivolen, gewissenlosen Ritters, der Tod und Teufel *j
nidit furditet, unmöglidi, wenn nidbt in Lep^^ello eben der Teil
des „Don Juan" a bgespalten w äre, der dieJCritikj^^ieAngst f
und das Gewissen des HeldenrepräsentiCTtj_ Mit diesem Sdilüssel \K
gerade
/fiJ V.
il}^,_
verstehen wir zunädist, warum Leporello seinen Herrn
n allen peinlidien Situationen vertreten muß, warum er sidi
erlauben darf, ihn zu kritisieren und sozusagen das dem Helden
^^ feUende Gewissen zu ersetzen. Auf der anderen Seite verstehen
wir aber audi die Größe von Don Juans Verruditheit aus der
Abspaltung der hemmenden Elemente seiner Persönlidikeit.
Betraditen wir die Handlung unter diesem Gesiditspunkt, so
sehen wir, daß Leporello nidbt bloß in den bereits erwähnten
Szenen seinen Herrn deutlidi vertritt, sondern daß er überhaupt
das kritisdi und ängstlidi eingestellte Gewissen des Helde n
repräs entiert. Im ersten Teil des Dramas tritt er als kritisierende
Instanz auf, mißbilligt das Luderleben seines Herrn und fügt
sidi nur widerwillig darein. Von der Szene im Hause der Donna
Elvira angefangen (II. Aufzug), wo eigentlidi Herr und Diener
gleidizeitig am Leben bedroht werden, tritt das Sdiuldgefühl
\
Die Don Juan-Gestalt
19
Stärker in den Vordergrund, um sidi dann in der Kirdihof-
und weiterhin in der Gastmahlszene zu grausigster Gespenster-
angst und unerträglichster Gewissensqual zu steigern, die sdiließhdi
zum Untergang fiihrt. Wir bedienen uns nidit bloß einer
Formulierung von Freud,' sondern werden damit auch dem
.tieferen Verständnis des ganzen seelischen Mechanismus näher
kommen, wenn wir in Leporello eine — allerdings besonders
geformte — Darstellung von Don Juans „Idiideal" erbhcken.
I) Zur Einführung des Narzißmus, 1914, Massenpsychologie und Idi-
analyse, I921. (Beide Arbeiten in Band VI der Gesammelten Sdiriften.)
IV
-r Unter dem Idiideal versteht Freud eine Zusammenfassung
derjenigen kritisierenden und zensurierenden Instanzen im
Mensdien, die normalerweise die Verdrängung gewisser Wunsch-
regungen besorgen und in einer Funktion, die wir Gewissen
nennen, darüber zu wadien haben, daß diese Schranken nicht
durchbrochen werden. Dieses Kontrollorgan im Seeleideben wird
von zwei einander ergänzenden und regulierenden Faktoren
gebildet: einem äußeren, der die Forderungen der Umwelt ver-
tritt und einem inneren, der die Ansprüche an sich selbst
repräsentiert. Präziser gesagt, ist das Ichideal eigenthdi eine
Repräsentanz der inneren Ansprüche, welche jedoch die äußeren
Forderungen der Sozietät bereits zu den ihren gemacht hat.
Den Kern des Ichideals bildet das Stück primitiven Narzißmus,
auf das das Kind zugunsten der Anpassung verziditen muß, das
aber in das Ichideal hinübergerettet wird. Die Anregung zur
Bildung des Ichideals geht von dem kritisch-erzieherischen Ein-
fluß der Eltern aus, „an welche sidi im Laufe der Zeiten die
Erzieher, Lehrer, und als unübersehbarer, unbestimmbarer
Schwärm alle anderen Personen des Milieus angeschlossen hatten
(die Mitmenschen, die öffentliche Meinung)."'
Von diesem Punkt derjchidealbildung fuhrt ein bedeutsamer
Weg zum Verständnis der Massenpsydiologie, den Freud in
seinem gleichnamigen Buch konsequent weiter verfolgt hat. Von
ihren Phänomenen aus gelang es ihm, die Wurzeln der Ichideal-
I) Siehe Freud: Zur Einföhrung des Narzißmus.
(
jggl^
I
I
Die Don Juan-Gestalt
21
bildung in der Entwicklung der Urliorde aufzuzeigen, in der
der mäditige Urvater den Wünsdien der Söhne als hemmendes
Prinzip gegenüberstand, das nur durch reale Vernichtung zu
überwinden war. Ehe dies aber möglidi wurde, beherrsdiite er
die Urhorde auf Grund der seeUsdien Einstellung ihrer Mit-
glieder zu ihm, die Freud eben als primitive „Massenbildung"
charakterisierte: „Eine solche primäre Masse ist eine Anzahl
von Individuen, die ein und dasselbe Objekt an die Stelle ihres
Ichideals gesetzt und sich infolgedessen in ihrem Ich miteinander
identifiziert haben." (S. 88.) Diese urgeschichdidie Verknüpfung
des Idiideals mit der Vaterfigur läßt sich auch in der individuellen
Entwiddung aufzeigen, wo der Vater zum ersten Ideal des
Kindes wird und in einer bestimmten Phase mittels des Mecha-
nismus der Identifizierung zu einem inneren Anspruch erwächst,
der mit dem aufzugebenden Narzißmus zum Ichideal verschmilzt.
I Den Knoten- und Durchgangspunk t dieser ganzen Entwicklung
' kennen wir als den infantilen ödipuskon iplgx, der ja die Iden-
tifizierung mit jlem Vater ir i^ s einer besonderen Rolle der Mutt er/
gegenüber zum Inhalt hat. '
An einer Stelle versucht Freud auch den Punkt in der
seelischen Entwicklung der Menschheit aufzuzeigen, wo sich für
den Einzelnen der Fortschritt von der Massen- zur Individual-
psychologie vollzog (S. 124 ff-): dieser Fortsdiritt wurde nadi
der unbefriedigenden Urtat — dem Vatermord — vollzogen,
die statt Erfüllung Reue, und statt der ersehnten Freiheit neue
kompliziertere innere Einschränkungen brachte; er erfolgte in
der Phantasie und wer ihn machte, war der erste epische Dichter.
Dieser Dichter log die WirUidikeit im Sinne seiner Sehnsucht
um. Er erfand den heroischen Mythus. Heros war, wer allein
den Vater erschlagen hatte, während sich gewiß nur die Horde
als Ganzes (die „Brüderschar") dieser Urtat getraut hatte. Wie
22 Dr. Otto Rank
der Vater das erste Ideal des Knaben gewesen war, so schuf jetzt
der Diditer im Heros, der den Vater ersetzen will, das erste
Idiideal, Dieser Held aber, dessen erfundene Taten der Diditer
nun der Masse erzählt, ist im Grunde kein anderer als er selbst.
Wenn wir nun auf die männlidben Hauptgestalten der Don
Juan-Diditung zurüdiblidcen, so erkennen wir in Leporellos
plumpen Mahnungen zur Besserung die kritisdi-ironisdie Seite
des Idiideals, während in seiner ängsthdien Feigheit Gewissen
und Sdiuldgefühl des frivolen Helden abgespalten sind. Aber auf
dem entsdieidenden tragisdien Höhepunkt, in der Kirdihofszene,
die den Zusammenbruch Don Juans einleitet, wird die komische
Figur des Leporello, welche die Forderungen des Ichideals in
spöttischer Weise abtun soll, abgelöst von einem weit mächtigeren
Repräsentanten des Ichideals, nämlich dem Schuldbewußtsein, in
dessen Darstellung im Standbild des Komturs, wir unschwer eine
direkte Vater-Imago erkennen. Diese allmähliche Verschärfung
und Verstärkung der Ichidealforderung, bis zum letzten ent-
scheidenden Auftreten des „Steinernen Gastes", entspräche aber
gleichzeitig sozusagen einer Deutung der kritisierenden Gewissens-
stimme im Sinne der Idealbildung aus dem Vaterkomplex. Diese
in der Opemhandlung selbst nach Art eines Traumes dar-
gestellte psychologische Verdeutlichung läßt sich gleicherweise in
der Entwicklung des Stoffes verfolgen. Die Stimme des Wamers
und Mahners fällt nämUch im Burkdor und bei Mqliere,
■" ebenso wie später bei Zorilla, direkt dem Vater zu, gegen den
sich der Held regelmäßig verletzend benimmt. Ja, bei den
unmittelbaren Vorläufern Molieres, bei Dorimon und de
/ ^^ ' ^' ! Y'^^^J"^ kommt es zu abstoßenden Tätlichkeiten Don Juans
/t^ ^Ö*7Viiv4 gegen seinen Vater, die auch im Titel der Stücke ihren Aus-
druck finden.' Bei Moliere selbst handelt es sich, wie auch
l) Dorimon: „Le festin de Pierre ou le Fils criminel." Lyon 1659.
s
Die Don Juan-Gestalt
23
später bei seinem Landsmann Dumas pere, um einen
Testamentstreit, in dessen Verlauf der Held kein Verbrechen,
audi nidit das des Brudermordes scheut, um sich in den Besitz
des väterlichen Erbes zu setzen. Bei Holtei, einem nach-
mozartischen Bearbeiter des Stoffes, kommt es gelegentlich eines
Wortwechsels zum Vatermord, indem Don Juan seinen unerkannt
als Einsiedler lebenden Vater ersticht. „Die Erkenntnis, Vater-
mörder geworden zu sein, bleibt auf ihn so völlig ohne Ein-
druck, daß er unmittelbar nach der Schreckenstat sich in der
Hütte des Ermordeten einen burlesken Spaß mit dem Feigling
Leporello macht. Am Ende prügelt er ihn durch." (Heckel, S.42.)
Bemerkenswert ist, daß auch in einigen Puppenspielen der Held
seinen eigenen Vater ersticht, worauf dieser ihm als Geist erscheint
und ihn zur Hölle befördert; so in dem Ulmer und dem nieder-
österreichischen Spiele: „Don Juan der Wildfe oder das nächt-
liche Gericht oder Junker Hans vom Stein."'
Es zeigt sich hier ein bedeutsamer Gesichtspunkt, der uns im
Laufe unserer Untersuchung noch beschäftigen und im Schluß-
abschnitt verständlich werden soll: Daß nämlich einzelne Dichter
im Laufe der Überlieferung und Ausgestaltung des Stoffes ein
Stück psychologischer Deutung dazugeben, die folgerichtig der
analytisch aufgeklärten Genese des Stoffes entspricht.
Neben dem Vater ist es nicht selten, wie beispielsweise bei
Lenau, der vom Vater abgesandte Bruder des Helden, der ihn
zur Abkehr von seinem lasterhaften Lebenswandel bringen soll.
Während Lenau aber, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, den
Helden beleidigende Ausfälle vermeiden läßt und den Konflikt
zur Höhe einer philosophischen Diskussion zweier Welt-
anschauungen erhebt, kommt es in dem bereits erwähnten Don
I
I) Mitgeteilt bei Kralik und Winter,
Wien 1885.
Deutsdie Puppenspiele
24 Dr. Otto Rank
Juan von A. Dumas pere zum Zweikampf zwisAen den Brüdern,
in dessenl/erlauf der Bruder fällt. Don Juan selbst stirbt, indem
ihm der Sdiatten des gleichfalls von ihm im Zweikampf erschlagenen
Sandoval — offenbar einer weiteren Bruderdoublette — das
Leben raubt. Dieser Sandoyal ist aber andererseits ein unzwei-
/j deutiger Doppelgänger des Helden selbst, ein „geistesver-
j^y wandter Kavalier , . . und^ie beiden bemühen sich, über einander
den Preis der Verworfenheit davonzutragen" (He ekel, S. 55).
Die Doppelgängersdiafl: geht aucb hier so weit, daß Sandoval
seine Geliebte an Don Juan verspielt; sie tötet sieb aber, um
nicht seine Beute zu werden. Ein ähnlicher Doppelgänger findet
sich bei Zorilla in der Gestalt des Don Luis Me jia, mit dem
Don Juan eine Wette abgeschlossen hat, „sich fai~3er Anzahl
verführter Frauen und im Zweikampf erschlagener Männer zu
überbieten, wobei sie einander mit staunenerregenden Ziffern
aufwarten können." (Vgl. Leporellos „ Tausendunddrei ".) Dieses
Motiv ist charakteristisch for die sogenannten „LügendTcbtungen",
auf deren Beziehung zum Don Juan-Stoff später von anderer
Seite ein Lidit fallen wird.'
Die enge psychologisdhe Beziehung des Doppelgängermotivs
zum Ichideal erklärt es, daß manchmal Leporello als ausge-
sprochener Doppelgänger seines Herrn auftritt, besonders wo
sie einander gegenseitig bei den Frauen vertreten (Amphytrion-
motiv: Vateridentifizierung). Doch entspricht das Doppelgänger-
motiv sdieinbar bereits einer psychologischen Fortspinnung des
Don Juan-Problems und wir finden es daher nur in neueren
Bearbeitungen, am deuthchsten in einer ganz modernen von
Stern heim (1909), wo sidi dem Helden ein veritabler Doppel-
I) Es wäre der Mühe wert, dieses Kapitel analytisdi zu behandeln. Die
Literatur findet man in „Die deutsdien Lügendiditungen bis a uf Müncfa -
Jhausen", dargestellt von Carl Müller-Fraureuth (Halle I881).
Die Don Juan-Gestalt
25
^ganger zugesellt, als Nachfolger des inzwischen verstorbenen
treuen Dieners, und seinen Herrn bis zum Tode geleitet. Er ist
durch seine hemmende Funktion im Wollen des Helden, dessen
Tatendrang er mit seiner unheimlichen Ironie immer wieder zurüdt-
hält, als kritisch-ironisierende Ichinstanz gekennzeichnet. Wie in
1 zahlreichen Doppelgängergeschichten erscheint diese auch hier zur
Verkörperung des Wahnsinns selbst gesteigert, was gleichfalls
in völliger Übereinstimmung mit unseren psychoanalytischen Auf-
fassungen steht.' Im Gegensatz zu dieser psychologisierenden
^n Verwendung des Doppelgängermotivs in der Dichtung steht die y
'— ' Verwendung eines verwandten Motivs, welches die ursprüngliche \
Bedeutung des ^ oppelgängers _als^Todgsyerkündiger bewahrt
hat: nämUch dieTeilnahme des lebenden Helden an seinem
eigenen Leichenzug, ein Motiv, das zuerst Merimee an den
Don Juan heftete, indem er die ältere Sage von dem Ritter, der
sein eigenes Begräbnis sah und sich daraufhin bekehrte, aus der
Volkstradition übernahm. Dieses Motiv führt uns zu dem unheim-
lichen Ende des Helden, das in der gesamten Don Juan-Über-
lieferung von überragender Bedeutung ist.
I) Siehe Rank: „Der Doppelgänger." Image, Band III (1914).
Wir sind von dem psydiologisdi formulierten Tatbestand der
Identität oder psydiisdien Zusammengehörigkeit der Figuren des
Don Juan und des Leporello ausgegangen und glauben, diesen
Tatbestand als typisdien Ausdruck eines didhterisdien Gestaltungs-
vorganges zu erkennen, der sich aus der Ichidealbildung und
ihrer künstlerischen Projektion ergibt. Wir konnten die Deutung
dieser beiden dichterischen Figuren aus rein seelischen Mechanismen
so konsecfuent durchfuhren, weil es sich dabei um künstlerische
Phantasieprodukte handelt, die uns aus der Seele des Dichters
fertig entgegentreten. Anders verhält es sich mit der Gestalt des
„Steinernen Gastes", den wir zwar auch als extreme Fortführung
und Deutung der seelischen Instanzenreihe: Ichideal-Gewissen-
Schuldgefohl aufgefaßt haben, dessen Sinn und Herkunft jedoch
damit nicht erschöpft ist, da es sich dabei um eine alte Völker-
tradition handelt, die der erste Dichter und Schöpfer des „Don
Juan" der Überlieferung entnommen hat. Hören wir, was
He ekel (S. 6) darüber weiß: „Sagen von rächenden Stein-
bildern finden sich schon im klassischen Altertum. Später finden
sich ähnliche Fabeln bei den verschiedensten Völkern : so kennen
französische, portugiesische, flämische, deutsche und dänische
Volksüberlieferungen die Geschichte vom zu Gaste geladenen
Totenschädel. Von besonderer Bedeutung ist das Leontius-Drama,
das I615 am Ingolstädter Jesuitenkolleg gespielt wurde und von
dem möglicherweise eine Bearbeitung dem Dichter des Burlador
zu Gesicht giekommen ist. Verwandte Züge bieten — außer dem
sdion genannten Infamador — Lope de Vegas Komödien,
Dineros son calidad und La fianza satisfedba." „In allen
diesen Darstellungen ist das Wesentliche die
Rache des verhöhnten Toten an dem übermütigen
Spötter." Weldie überragende Bedeutung die Fabel vom
„SteinCTnen Gast" für den Don Juan-Stoff hat, kann man sdbon
daraus ersehen, daß sie in fast allen Don Juan-Bearbeitungen
den Nebentitel, in einigen sogar den Haupttitel bildet.
Was bedeutet dieses Motiv vom rädienden Toten ? Die Vor-
stellung, daß der Tote die Lebenden holt, ist uralt in der
Mensdiheitsgesdiicfate. Der Primitive äußert sie in Angst vor
den Dämonen der Toten und noch in der abendländischen
Kultur wird „der Tod" dargestellt durdi die Figur des Toten
(das Gerippe). Im Burlado r ist diese Bedeutung des Holens
(vgl. unser: der Teufel soll ihn holgi!) noch voll erhalten, denn
der Komtur, der bei Don Juan erscheint, ladet ihn zu sich in
die Grabkapelle ein und der furchtlose Ritter leistet dieser Ein-
ladung Folge, von der er nicht wiederkehrt. Wie Klein-
paul' richtig bemerkt hat, ist der einfädle, nadi und nacü
immer mehr entstellte Grundgedanke der, daß der tote Mann
den Mörder tötet. Im Burlador ist dieser primitive Gedanke
jedoch ganz stilgerecht in frivoler Weise verwendet, indem Don
Juan der Aminta Treue sdiwört und sich für den Fall seines
Verrates selbst flucht, daß ein Mann ihn töten solle; beiseite
flüstert er: „ein toter Mann, ja kein lebendiger," wodurch er
den Fluch zu entwerten glaubt. In späteren Darstellungen ersdieint
der Komtur nur noch als Todesbote, der dem Don Juan ver-
kündet, daß er am folgenden Morgen sterben werde. Aber audi
im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Motives hieße die
I) Die Lebendigen und die Toten in Volksglauben, Religion und Sage.
Leipzig 1898.
28 Dr. Otto Rank
großartige Sdilußszene nidit viel mehr, als daß Don Juan vom
Tode geholt wird, also stirbt, und daß in seiner letzten Stunde
das stets unterdrüdtte Gewissen in ihm erwacht. Eine baneJe
Erklärung, die weder unser intellektuelles Interesse befriedigt,
nodi die ungeheure Wirkung der Szene auf den Zusdiauer
verständlidi macht, besonders wenn wir den Spuren des hier
angedeuteten Zusammenhanges von Todesangst und Schuldgefühl
nicht weiter nachgehen.
Diese starke Wirkung wird auch durch che Erwägung nicht
verständlicher, die uns sagt, daß in diesem Bild vom Toten, der
den Lebenden holt, einer der ältesten und tiefsten Affekte der
Menschheit berührt wird. Nadidem bereits vor mehr als einem
Vierteljahrhundert Rudolf Kleinpaul (1. c.) auf die große
kulturgeschichtliche Bedeutung dieses körperlichen Geisterglaubens
hingewiesen hatte, der mit der Leiche und ihrem Verwesungs-
prozeß eng zusammenhängt, hat ganz kürzlich Hans Naumann,'
merkwürdigerweise ohne an seinen bedeutenden Vorgänger
anzuknüpfen, an einem reichen Material gezeigt, daß unzählige
Gebräuche, Formen und Motive auf einen materialistischen
Präanimisinus eingestellt sind. Auch er sieht die Begründung
des „Unseelischen" darin, „daß der Mensch mit dem Eintritt des
Todes gar nicht die Eigenschaften des lebenden Körpers ver-
liert wie etwa im Seelenglauben beim Abschied der Seele. Er
scheidet nur aus der Gemeinschaft der menschlich Lebenden in
eine der unheimlich, übermenschlich, dämonisch Lebenden" (S. 23).
Erst mit der Verwesung gehen deutliche Veränderungen an dem
Körper vor, die zur weitverbreiteten Vorstellung von einem
zweiten Tode führen, einer Idee, die noch in der homerischen
Welt und ihrem naiven Seelenglauben wirksam ist. Aber auch
nach diesem zweiten, dem Verwesungstode, lebt noch etwas
l) Primitive Gemeinsdiaftskultur. Jena 1922.
Die Don Juan-Gestalt
29
weiter, was gleicherweise der griediisdie Seelenbegriff wie unsere
Volksvorstellung vom Sensenmann zeigt. Die Angst vor diesem
materiell oder immateriell weiterlebenden Toten schafft nun eine
Reihe von Bräuchen, die sich als Schutzmaßregeln gegen seine
Wiederkehr verstehen lassen: „Hockerstellung, Einschnüren und
Zusammenschnüren der Toten, der Übergang zu den engeren
Kisten- und Muldengräbern, Aufschüttung von oft ungeheurem
Stein- und Erdgeröll, schließlich das unterirdisch verborgene
Grab und so weiter werden ja wohl mit Recht heute als Schutz-
tind Abwehrmaßregeln der Lebenden gegen die Toten gedeutet.
Absicht, die Wiederkehr zu verhindern, ist die vornehmste und
vielleidit einzige Antwort auf die Frage nach den Ursachen
der mit so unerbittlicher Strenge vom Volksgefiihl verlangten
Bestattung" (Naumann, S. 57). In diesem Zusammenhang faßt
JlS-^iSl'^^ ^^^ ^e als relativ später Brauch auftretende Leichen-
verbrennung folgerichtig als einen konsequent fortgesetzten
Abwehrritus auf, dessen Versagen sich in der Großartigkeit und
Zähigkeit des animistischen Seelenglaubens verrät.
Wie aber so off in der Geschichte wissenschaffhcher Ideen
scheint auch hier die Betonung des früher Vernachlässigten ins
andere Extrem zu führen. Indem Naumann mit Recht gegen die
Überschätzung des späteren Animismus die primären, sinnlich
wahrnehmbaren Erscheinungen der körperlichen Welt zur
Erklärung heranzieht, verliert er nämlich das Psychologische
selbst, das ja letzten Endes ein legitimierter Abkömmling des
Animismus ist, gänzlich aus den Augen. Und so kommt es, daß
der ganze Glaube von den materiell fortlebenden Toten, der
auf der A n g st vor denselben beruht, psychologisch unerklärt
bleibt. Hier fehlen dem Autor ganz offenbar die psycho-
analytischen Gesichtspunkte, die uns F reud in „Totem und
Tabu" (1913) zum Verständnis des Dämonenglaubens gegeben
30 Dr. Otto Rank
hat. Denn nur aus dem Sdiuldgefühl, das die ambivalente Ein-
stellung des Ödipuskomplexes zurüddäßt, kann der Mensdi zu
der im Totenkult fortwirkenden Angstvorstellung kommen, das
Sterben als Radie der Toten aufzufassen, das heißt audi den
natürlidien Tod, der vermutlich in primitiven Zeiten nidit der
natürhdbe gewesen sein wird, als Strafe zu empfinden. Dies setzt
aber voraus, daß der Tote als ein Ermordeter aufgefaßt wurde,
der seinen Mord zu rächen hat, eine Vorstellung, in der die
urgeschichtliche Situation psychisch weiterlebt.
So erklärt es sich, daß bei zahlreichen Völkern der Tod
eines Menschen durchaus als der Racheakt eines Getöteten gilt,
und was der Mensch mit natürlichen Mitteln nicht erreicht,
gelingt dem Toten mit dämonischen. Indische Märchen halten,
wie Nauniann ausfuhrt (S. 50> den Übergang vom Menschen
zum Dämon durch das Medium des Todes deudich fest. „Mit
der Absicht, sich blutig zu rächen, starb der Asket und wurde
zum Rakschas a", das heißt zum Dämon, Vampir, Drachen. Oder
man nimmt sidi selbst das Leben, um bestimmte Drofiungen
Zjijl./^'^. ausführen zu können, ein magisches Motiv, das in der Psycho-
(5yV i/l«*c. logie des Selbstmorde s eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt.'
i'KfktjJi^f- Halten wir das psychoanalytische Verständnis des Dämonen-
V T^^ glaubens aus dem Schuldgefühl mit einem anderen, bisher gleich-
'•'^ '' ^if^Pf^ falls unverstandenen Zug dieser gefährlichen Toten zusammen,
so ergibt sich die Möglichkeit, ein weiteres Stück der Urgeschichte
zu rekonstruieren, das die Sage vom rächenden Toten in ihrer
besonderen Gestaltung im Don Juan verständlich macht. Es ist
dies der bereits von Kleinpaul und auch von Naumann
an reichem Material belegte Glaube, daß der Leichendämon die
I) Nadi dem indisdien Volksglauben gehen unmittelbar vor dem Selbst-
mord geäußerte Wünsdie in Erfüllung. „Indis(fae_ Märdien." Herausgegeben
von J. H e r t e 1, Jena I921. S. 249, Anmerkung.
Die Don Juan-Gestalt 3r
Lebenden, die das Unglüdk haben, von ihm erreidit zu werden,
mit aufiFallender Häufigkeit frißt . Bei Naumann findet sidi,
allerdings unverstanden und unerklärt, eine große Anzahl der-
artiger Überlieferungen von versdiiedenen Völkern. „Fällt der
tote Fidsdiikrieger im Kampfe mit dem Samu, so kodit und
frißt ihn der Unhold, und es sind also beide, der Dämon wie
der Krieger, sehr materialistisdi gedadit: eine Seele zu kodien
und zu fi-essen, würde kaum lohnen. Es handelt sidi bei dem
Samu um den auch im Nordischen (Hräswelgr, Nidhöggr) wie
im Chinesischen und wohl auch sonst in mancherlei Formen
auftretenden Leichenverschlinger" (S. 29). Im Chinesischen wird
der Grabschänder, der den ungeheuer schwer gewordenen Sarg
ein wenig öf&iet, vom Toten hineingezogen, zerrissen und auf-
gefressen. Daraus erklären sich eine Reihe von Totenbräuchen,
unter anderen auch die Mitgabe von Speisen für die spätere
„Reise i ns Jenseits"; „so fressen nordische Leichen im Hügel
Falken, Hunde und Pferde, die man ihnen mitgegeben hatte"
(S. 55)- »Der Mund der Leiche darf nicht offen stehen, weil
sonst der Tote keine Ruhe im Grabe hat, sondern ein Nadh-
zehrer wird. Kleidungszipfel dürfen seinem Munde nicht zu nahe
kommen, sonst wfrd er ein Nadizehrer" (S. 41). „Und aufs
innigste hängen diese chinesischen und nordischen Fresser in
Sarg und Grab zusammen mit dem deutschen und slawisdben
NaAzehr er-, Blutsauger - mid Vampfrglauben. Auch der Vampir-
glaube beraht noch immer auf ganz präanimistischen Grund-
vorstellungen. Leichen mit frischer Farbe und offenem linken
Auge erhahen sich im Grabe lebendig, kommen heraus zur
Nacht, saugen das Blut ihrer Opfer, holen in kurzer Frist ihre
Familie, die ganze Dorfgemeinschaft nach. Besonders zur Zeit
schwerer Seuchen wfrd der alte Glaube lebendig. Wo man
Nachzehrer ausgrub, fand man sie im Blute schwimmend, zer-
32 Dr. Otto Rank
fleisdit und zerkratzt. Vielleidit vom Ringkampf mit dem Opfer,
den man sidi nidit sinnlidi genug vorstellen kann . . . Der erste
von der Seudie Ergriflfene und an ihr Verstorbene ist der
Vampir, er sitzt aufredtit in seinem Grabe und zehrt an seinem
Leidientudi. Solange wie er braudit, um damit fertig zu werden,
solange dauert die Seudie. Die Nadbzehrer werden ausgegraben,
es werden ihnen mit dem Spaten die Köpfe abgestodien, daß
sie ,quietsditen wie die Ferkel'" (S. 55)-
Zum Verständnis dieser merkwürdigen Eigenschaft der Toten
macht Klein paul wenigstens einen Versuch der Erklärung,
der, wenn er auch rationalistisch aussieht, doch in geistreicher
Weise tiefere Beziehungen andeutet und schließlich die Konse-
cpienz zieht, daß der Kemnibalismus dabei eine große Rolle
spiele, hl primitiver Zeit sei die Hauptspeise des Menschen der
Mensch gewesen und diese tief eingepflanzte Tatsache lebe heute
noch in zahllosen Rudimenten, unter anderem auch in der Sage
vom Werwolf, weiter (S. 122). An einer Stelle wagt Kleinpaul
sogar, gestützt auf prähistorisdie und ethnologische Funde, die
Behauptung, daß das Verzehren der Toten „die älteste und
verbreitetste Form der menschlichen Execjuien gewesen sei, wobei
bemerkt werden muß, daß man bei vielen Völkern und sogar
bei höheren Tieren die Sitte beobaditet hat, die Leichen ihrer
Angehörigen selber zu verspeisen und dann die Knochen zu
begraben. Seitdem W. M. Flinders Petrie in mehreren
ägyptischen Felsengräbern aus dem vierten Jahrtausend v. Chr.'
teils in Särgen, teils in einfachen Hüllen von Leinentüchern sorgsam
I) Wie niditssagend wirken diese historisdien Daten gegenüber den prä-
historlsdien Skelettfunden, die den Kcinnibalismus für das vorgesdiiditlidie
Europa bezeugen ! Man vgl. als Beispiel, was Otto H a u s e r (Urmensdi und
Wilder, Berün I921) über die Funde von Krapina (Kroatien) sagt, aus
denen er sddießt, dctß die Anthropophagie vor rund 4O.OOO Jahren in
vollem Flore stand (1. c. S. 156).
Die Don Juan-Gestalt
33
gruppierte Mensdbengebeine gefunden hat, die eine kunstvolle
[Zerstücklung des Skelettes verraten, ist er geneigt, diese Sitte,
|die als Endokannibalismus bezeichnet worden ist, auch
den alten Ägyptern zuzuschreiben" (1. c. S. 63). Als diese Form
, der Beseitigung zu anstößig erschien, überließ man den Tieren
: dieses Erbe primitiver Menschheit und damit ein Tabu, welches
die Kluft zwischen dem Menschen und dem ihm verwandten
I Tier für Jahrtausende unüberbrückbar gemacht hat. In Ägj^jten
j war es offenbar der Geier, der in den auf uns gekommenen
Überlieferungen dieses Kulturkreises eine so ungeheure Rolle
spielt, in anderen Ländern alle Arten Hunde und himdeartigen
Raubtiere (Sdfiakale, Wölfe, Hyänen usw.). Der Brauch, die
iToten gewissen Tieren als Speise zu überlassen, hat sich bei
manchen Völkern bis auf den heutigen Tag erhalten. Die
Parsen, Nachkommen der alten Perser, bringen ihre Toten in
die „Türme des Schweigens", wo sie nach den altüberlieferten
Vorschriften des Avesta ausgesetzt und den Raubvögeln zum
Fraß überlassen werden. Sehr überzeugend weistKleinpaul nach,
daß bei den Persern ursprünghch der Hund der ofiizielle
Leichenverzehrer war, der sich im heutigen Zeremoniell nur mehr
mit einer stummen Rolle begnügen muß (S. 62)'. Sie besteht
darin, daß der Parse im Angesicht des Hundes stirbt, der in
das Sterbegemach gefuhrt wird, um mit seinem Blick: den Fliegen-
geist zu schlagen. „Um den Bhdc des Hundes auf ihn zu lenken,
wird ein Brot in vier Stücke geschnitten und in der Richtung
nach dem Sterbebett zu geworfen. Die abendländischen Gelehrten
denken hier an den Honigkuchen, die MeXtxoöTTa, die einst in
Griechenland für den Zerberus neben die Leiche gelegt ward . . .
Diese Zeremonie heißt das Sägdid, wörtlich: der Hund (Säg)
I) Herodot erzählt tatsäddich von den Persem, daß kein Leidmam
eher begraben vierde, bis ein Hund oder Vogel daran gezehrt habe.
34 Dr. Otto Rank
hat gesehen (did). Es ist das Visum des heiUgen Tieres, das
Vidimus des Todes" (S. 59)- Die Zeremonie wird hei der Über-
fuhrung zum Turm dann noch einmal wiederholt, und erst
nachdem der Hund das Totenantlitz zum zweitenmal gesehen hat,
wird der Tote dem Fräße preisgegeben. Ursprünglich sollte der
Hund selbst den Leichnam auffressen wie der Zerberus,
der jeden hinein, aber niemand herausläßt, ein richtiger
Wächter, wie ihn die berühmte Stelle der Theogonie (v. 769 ff»)
beschreibt : "
Kommen die Toten,
wedelt er mit dem Sdiwanz und mit den Ohren, dodi niemals
läßt er sie wieder heraus, den Ausreißer packt er und frißt er.
Diesen HöUenhund faßt Kleinpaul scharfsinnig als den
Leichenhund, der in die Unterwelt verbannt wurde, als sein
irdisches Amt von der Sitte verpönt worden war, und stellt ihn
in Parallele mit dem von den Griechen gleichfalls in die Unter-
welt versetzten Geier, der dort an der Leber des Riesen Tityus
frißt, eine Höllencpial, die der Mythus auch den Prometheus
für sein Verbrechen des Feuerraubes erleiden läßt. „Die Schrecken
der Unterwelt rekrutieren sich aus den Bestattungsformen der
Oberwelt" (Kleinpaul, S. 88). So entstand auch die christliche
Hölle, indem man die einzelnen Scheiterhaufen zu einem Feuer-
strom zusammensetzt, der die Rückkehr abschneidet und schließlich
— reguliert, welcher um das Gefängnis der verdammten Seelen
herumgeleitet wird, die — ewig Höllencjualen erleidend — doch
dabei unsterblich sind.
Bei primitiven Völkern, die keine so reiche Mythologie
entwickelt haben, finden wir die Beseitigung der Toten heute
noch auf den frühen Stufen der Entwicklung. So glauben die
Mongolen der Wüs te^Gobi nach den neuesten Berichten des
Asienreisenden Hermann Consten an die Wiedergeburt, deren
Die Don Juan-Gestalt
35
/
sie den Toten möglithst rasdi teilhaftig werden lassen wollen.
Die Veranstaltungen, die sie dazu treffen, erscheinen uns aber
geradezu als ein wirksames Mittel gegen jede Wiedergeburts-
möglidikeit. Für gewöhnlidi wird die Leidie den Hunden zum
Fräße überlassen. In der Nähe von großen Seen wird sie ins
Wasser geworfen, um von den Fisdien verniditet zu werden.
Auf Höhen wird sie auf ein Stangengerüst oder auf dem nadcten
Fels den Geiern zum Fräße preisgegeben. Aus der Besdireibung
des Begräbnisses eines an gesehenen L ama, dem Consten
Gelegenheit hatte beizuwohnen, heben wir nur die TrornmeT
und Trompetenmusik deswegen hervor, weil die aus zwei Stüdten
zusammengesetzten Doppeltrommeln mit Mensdienhaut bespannt
waren und mensdJidie Wirbel- und andere Knochen daran
hingen, die bei der sciinellen wirbelnden Bewegung des Hand-
gelenkes des Trommelschlägers mit Wucht auf das Trommel-
fell fielen. Die Trompeten waren ebenfalls aus menscWichen
Röhrenknochen angefertigt. Ein beachtenswerter Hinweis auf
eine Tatsache, deren weitere Verfolgung bis zur ursprünglidien
Funktion der „Musik" beim Trauerritus führen würde.'
Aber noch unsere eigenen hochkultivierten Bestattungssitten
sind nicht weiter von ihren primitiven Vorläufern entfernt als
wir selbst von den Menschen, die sie ausübten. Nicht bloß die
Cm
I) Wir verweisen hier nur auf die bekannte MMjsdie' Legende von der
JSsfiödung der Laute: Der erste, der die Laute zu gebrau3ien verstäncl, war"
Lamek, der in direkter Linie von Adam abstammt. Dieser Lamek hatte einen
Sohn, den er zärtlidi hebte. Als der Tod ihm diesenraSSteTFffigte er dessen
Körper an einen Baum, die Gelenke lösten sidi und es bUeb nur ein Sdienkel,
das Bein, der Fuß mit den Zehen. Lamek nahm ein Stüdc Holz, sdmitzte
und polierte es, madite daraus eine Laute, gab dem Instrument die Form
des Sdienkels und imitierte dessen Bau in allem den Beinresten seines
Sohnes. Dann sang er einen Trauergesang. Dieser Lamek gründete eine
Famiüe von Musikern, sein Sohn Tubal erfand die Trommeln, seme Toditer
Julal die Harfe.
36
Dr. Otto Rank
Tatsache, daß auch wir unsere Toten nodi von den Maden 1i P 1
und Würmern auffressen lassen, die Kleinp a_ul mit den-
übrigen Aastieren auf eine Stufe stellt (S. 73), sondern auA
das Grab selbst, das aus dem Seelenglauben heraus gesdiaffen
wurde, um die Aastiere von der vollständigen Verniditung des
Körpers abzuhalten, ist selbst unter dem symholischen Bilde
eines soldien Aastieres angeschaut worden : es ist unser „Sarg",
entstanden aus dem griechischen Sarkophago s, was wörtlich
„ Fleischfresser " heißt (1. c. S. JO f.). Die Griechen selbst haben,
wie Plinius uns überliefert, dies von der besonderen ätzenden
tß^'iXojuit ^^^enschaft des angeblich häufig zum Sargbau verwendeten
' -r^^^/WöUensteines abgeleitet, doch macht es K 1 e i n p a jiLplausibel.
t Dr)« r^ ^^•s ^^^ flieser etymologische Mythus aus Unverständnis des fleisch-
—, '^iJ*' fressenden Grabes erst sekundär erwadbsen sei (S. 77). Der
n,nr»M.'M Y' steinerne Sarkophag als Symbol des menschenverschlingenden
Höllenra chens kommt noch im Hamlet als Gleichnis vor:
Warum die Gruft, darin wir ruhig eingeumt didi sahn, geöffnet ihre
schweren Marmorkiefem, didi wieder auszuspein!
und hat wahrscheinlich auch am , ^Steinernen Gast ", der ja selbst
die verschlingende Gruft personifiziert, einen starken Anteil.
Dieser scheint nicht bloß, wie Nauman n meint, darauf beschränkt,
„daß Starrheit, Kälte und Schwere der Leiche durch die maß-
lose Phantasie zu Verwandlung in Stein gesteigert werden", was
„eine präanimis tische Umschreibung iür den Tod in Märchen
und Sage ' ist (1. c. S. 42 f.). Wenn wir nach dem psydiologischen
Motiv für diese spezielle Aulfassung fragen, so sehen wfr auch
da die Schuld- und Straftendenz wirksam, indem der Stein neben
dem Toten auch das Grabmal repräsentiert, das jeden einmal
verschlingt. Möglidierweise ist im Steingrab mit seiner strafenden
Bedeutung ein Rest frühprimitiver Tötungsart verborgen, auf
den G. Roheim gelegendich mit dem Bemerken hingewiesen
Die Don Juan-Gestalt
37
hat,' daß der Stein zugleidi die tödlidie Femwaffe des Urmensdien
und die Grabbelastung darstellt, die den Ermordeten am Aufer-
stehen hindern soll. Diesen Sinn sdieinen nodi gewisse Toten-
bräudie zu haben, die man als „Steinigung der sdiädlidien Geister"
aufifaßt und die besonders von Mekka her bekannt sind (Kleine
pau 1, S. 64). Als Revandiehandlung des Toten ersdieüit das Motiv
in einem diinesisdien Märdien (Nr. 69), wo der lebende Leithnam
aus seinem Grabe kommt und wie ein ungezogener Junge mit
Steinen nadi den Lebenden wirft.
Zum weiteren Verständnis des , ^Stei ner nen Gastes " ziehen wir
Überlieferungen von mensdienfressenden Leidiendämonen heran,
die das Motiv der Einladung noch kennen. „Eine Variation
des steinernen Mannes ist der eiserne oder halbeiserne Mann."
Balkanmärdien Nr. 59^ bringt den halbeisernen Mann als Dämon,
der Menschen frißt ... Er riecht Menschenfleisch und saugt dem
Ankömmling das Blut aus. „Der Wolf mit dem eisernen
Kopf" des Balkanmärchens Nr. 63 ist ein gefährlicher Dämon
Es handelt sich um den menschenfressenden Wiedergänger, der
am Tage der Hodizeit seinem Versprechen gemäß den
Bräutigam holen kommt. Der menschenfressend e eiserne Derwisch
de s neugrie chischen Märchens Nr. ÖO^ aus Epirus ist die
genauere Parallele in reinerer Form. Die reinste aber zeigt die
I) In seinem Vortrag: „Steinheiligtum und Grab" in einer Sitzung der
Budapester Psydioanalytisdien Vereinigung am 8. Oktober 192I: „Das Steine-
werfen in den religiösen Riten ist ein Überbleibsel der Urkämpfe der
Mensdihelt, der geworfene Stein war die geeignete Waffe in den Händen
der Masse, um den stärkeren Einzelnen, in dessen Nähe man sidi nidit
traute, zu überwältigen." (Int. Ztsdir. f. PsA. VII, 1921, S. 523.)
Die strafende Bedeutung des Steinhaufens ist in dem israelitisdien Braudi
erhalten, über den Leldien hingerichteter Verbredier Steinhaufen aufzuriditen.
Vgl. Georg Bje£r: Steinve rehrung be i denjsraeliten, Berlin 1921.
2)^^r3i5iaiis dem Balkan. Herausgegeben von L e s k i n. Jena I915.
3) Neugriediische Märdien. Herausgegeben von Kretschmer. Jena 1917.
38
Dr. Otto Rank
^^ /
neuisländ isAe Sage „Der Bräutigam und das Gespenst". Audi
hier ersdbeint der Dämon, ein „fürditerlidber großer Mann", am
Tage der Hodizeit, zu der ihn der junge Totengräher einst vor
fünf Jahren leiditfertig eingeladen hatte, als er sein großes
SAenkelbein gelegendidi aus dem Friedhofsboden hob.'
(Siehe die Friedhofsszene im Hamlet!)
Wir haben uns damit einem ersten Verständnis des Motives
vom steinernen Ga st angenähert, der gleidifalls auf eine frivole
Einladungliin ers3ieint, um den Lebenden mit sidi zu nehmen.
Die ^Aji^t_desjG«fr^senwerdens ersdieint ganz im Sinne des
spöttelnden DouTJuan-Charakters in der Oper zu einem lustigen
Festmahl umgearbeitet, eine Art Totensdimaus, an dem der
Tote selbst t eil nehmen solle. ' Tatsädilidi sitzt im Burlador der
steinerne Gast sdiweigend in der Tafelrunde, während die
anderen um ihn herum durdi verdoppelte Ausgelassenheit ihr
inneres Grauen zu betäuben suchen. Und in der Grabkapelle,
wohin Don Juan der Einladung des Komturs folgt, nötigt ihn
dieser dann zum Essen, wobei Skorpione und Sdilangen die
Geridite sind,, essigsaure Galle der Wein und Trauergesänge
die Tafelmusik. Nadi der Mahlzeit erfiillt sidi das Strafgeridit,
das Don Juan selbst durch seinen Schwur einem Mädchen gegen-
über verschuldete, indem er sein Eheversprechen mit dem Ausruf
bekräftigte: „Wird mein Wort je im geringsten falsch befunden.
1) Naumann, S. 44.
2) In ähnlidier Weise philosophiert bekanntlidi audi Prinz Hamlet . „Wo
ist Polonius?" - „Beim Abendessen," antwortet Hamlet. „Er speist nicht, er .^
wird gespeist . Wir mästen Odisen und uns selber mästen wir für die Würmer. J^l
, Der fette König und der magere Bettler sind nur versdiledene Bissen; zwei'
/f»/^, '^ ^^ Teller, aber für eine Tafel. Das ist das Ende vom Lied." \a der Hamlet -Sage
A^ t/ul it-YltJcU' '®* ^^ Motiv in nodi ursprünglidierer Form erhalten, indem der Held den
^^^-Tr ^ £j. , Belausdier seines Gesprädis mit der Mutter nadi der Tötung selbst zerstüdtelt
^> fil // "»"i den Sdiweinen zum Fräße vorwirft (siehe im nädisten Absdmitt das
w..(„,^ fy^ZMI Motiv der Zerstüdtlung). Ja ,,^
'.U.^
Die Don Juan-Gestalt
39
, SO mag midi eine Leidienheind vemiditen !" In dieser ungeheuren,
über das Grab hinaus drohenden Leidienhand erkennen wir den
Ausdrude des unvertilgbaren Sdiuldgefuhls vor der gefürditeten
väterhdien Strafe.
f
VI
hv « O I Wenn wir nun im Stein ernen Gast der Sage dgi lejAen-
V_^^;-^ vj, fressenden Tot endämon zu erkennen glauben, der das Urver-
jredie n rädit, so erhebt sid» die Frage, wie diese AufFassxmg
mit unserer bisherigen Deutung der Gestalt im Sinne des Gewissens,
und andererseits mit dem Don-Juan-Motiv selbst in Zusammen-
hang steht. Die Beantwortung beider Fra gen finden wir in der
mensdilidien Urgesdiidite und ihrem Niederedilag in der späteren
Überlieferung.
Der aus dem Grabe wiederkehrende Todesdämon, der den
Sdiuldigen fressen kommt, ist nidits anderes als eine Personi-
fikation der Gewissensbisse, die als soldie ihre Herkunft aus
der Urtat des Vatermordes verraten. Die Angst vor der Wieder-
kehr des Vaters und seiner besonderen Radie, dem Gefressen-
werden, weldie durdi die verschiedenen Bestattungsbräudie
beruhigt werden soll, erklärt sidi als ein Stüdt Vergeltungsangst,
das aus dem Sdiuldbewußtsein stammt. Die To^niahlzeit, wie
sie uns Freud s Deutung durdileuditet hat, als in der Opfer-
speise, im Abendmahl („nehmet hin und esset, dies ist mein
Leib") und im Leidiensdimaus fortlebend, findet letzten Endes
im Verzehren des gemeinsam ersdilagenen Urvaters ihr prähisto-
risches Vorbild. Diese unserem Empfinden grauenhaft ersdiei-
nende Annahme wird nidit bloß durdi die Tatsache des Kanni-
balismus, sondern audi durch eine Reihe ganz spezieller ethno-
logisdier Überlieferungen bestätigt. So berichtet Herodot (lü,
38) von den Kalatiern, einem indischen Volk, daß sie ihre
Die Don Juan-Gestalt
41
rd ^
^ter aßen und von den M^sageten (I, 2l6), wo einen, wenn
er gar zu alt wird, die Verwandten sAladiten „und noch
anderes Vieh dazu und kodhen das Fleisdi und halten einen
Sdimaus und das ist ihre größte Sehgkeit."' Man kann ver-
sudben, diese Sitten unserem Verständnis näher zu bringen,
indem man daraufhinweist, daß ihnen tiefwurzelnde abergläuhisdie
Vorstellungen zugrunde liegen, die in der Religion weiterleben.^
Der Primitive verzehrt gewisse tierisdie Körperteile, um sidi
deren Kraft einzuverleiben und er glaubt audi, die Kräfte des
mächtigen Urvaters durch das Verzehren gewisser Körperteile
desselben zu erlangen. Andererseits wird die Angst, der Erschlagene
könnte wiederkommen, seinen Mord zu rächen, am wirksamsten
durch die radikalste Art seiner Verniditung und che durch das
Fressen symbolisierte Identifizierung^ paralysier t; allerdings beides
nicht mit dem erwarteten Erfolg, wie der Durchbruch eines nie
und durch nichts zu beruhigenden Schuldgefühls gerade an diesen
Punkten zeigt. Denn während der primitive Totenritus die mögÜchst
rasche, wenngleidi nidit ganz spurlose Vernichtung des Körpers
durch das Fressen erreidit, schafiit und verstärkt er ein immaterielles
unauflöslidies Sdiuldgefiihl, das in den mythischen und religiösen
Überlieferungen nach immer neuen Entlastungen und Rechtferti-
gungen sucht und a uch in der vollständigsten, reinsten Ver-
1) Audi heute nodi lebt bei zahlreicfaen Völkern die Sitte fort, sich der
Gri^zu entledigen, sei es durdi deren Tötung, wie es bei den Eskimo Ji>Lo.<i{> l. aV '^
und: Grönländern gesdiieht.^ei denen der Sohn seinen Vater, wenn dieser \/ ifj' ^f
alt und unnütz wird, erhäng?, sei es durdi Aussetzun^des Hausvaters wie '^ /v<J~hXs- ■
bei den Chiappavaeren (Nordamerika) . Daß bei vielen Völkern für den
Haussohn sogar eine Verpfliditung bestand, semen gebredJidien Vater umzu-
bringen, kann nur als bewußter Nadiklang der Totemopferung verstanden
werden. <^lxftaÄie^ e^Ji,
2) Eine psydiologisdie Deskription des „Speise iMhsdieus^^gibt Julian
Hirsch in der Zeitsdirifl für Psydiologie (Bd. 88, H, 6, März I922).
3) Vgl. die „orale" Bedingtheit der Identifizierung bei Freud (Massen-
psydiologie, S. 67).
^^3
42
Dr. Otto Rank
M
^
nidtitung durdi das Feuer keine Beruhigung findet. Denn das ewig
lebendige Sdhuldgefühl läßt den Körper noch von der Flamme
„verzehrt" werden und aus diesem materiellen Läuterungsprozeß
die losgelöste „Seele" hervorgehen, die als unsichtbarer Feind im
animistiscben Aberglauben wie im neurotische n Sy mptom weiter-
wirkt, bis sie von der Psychoanalyse in wissenschaftliches Bewußt-
sein umgewandelt sein wird.
Aus einer der Frühphasen des uralten Kampfes gegen das
materialisierte Gewissen stammt eine Reihe von griechischen
Mythen, in denen das Motiv der Ze££tücklunj mit dem des
Tötens und Verzehrens von Menscben eng verbunden oder
abschwächend an dessen Stelle getreten ist. Da ich diese Über-
lieferungen — von Pelops, Atreus und Thyestes, Harpagos
u. a. m. — bereits eingehend behandelt habe,' begnüge ich mich
hier mit dem Hinweis, daß es sich dabei regelmäßig um die
Kinder handelt, die dem Vater als Speise vorgesetzt werden. Die
griechische Kosmologie von dem seine eigenen Kinder verschlin-
genden und von seinem jüngsten Sohne Zeus entmannten Kronos,
versetzt diese Überlieferung in eine prähistorische Urzeit, gibt
sie dafür aber in ihrer ganzen ungeschminkten Kraßheit wieder.^
Der Kronos-My thus selbst stellt sich als eine heroische Über-
arbeitung des in gewissen Punkten primitiveren ägyptischen
Q siris-Mythus da r. Dort ist es der Bruder des von der Schwester
sexuell begünstigten Osiris, der diesen mit einer Anzahl von
Helfern — 14 oder 26 oder 72 — erschlägt und den Leichnam
1) Das Inzestmotiv in Diditung und Sage, I912, Kap. IX, wo auch die
Anknüpfung an weitere mythologisdie Themata zu finden ist.
2) Der Kinderfresser sdieint nadi einer Bemerkung Naumanns (S. 70)
noch im Herodes der Jesusüberlieferung weiterzuleben und findet sidi ratio-
nalisiert in der Gesdiidite der U g o 1 i n o wieder, die Dante (im 33. Gesang
der Hölle) erzählt und die GeFsTeffbe_rg in einer Tragödie behandelt
hat: der im Hungerturm s(Smaditende"Vater nShrt sidi von den Leidien
seiner Kinder. / j ß
Die Don Juan-Gestalt
45
in ebensoviele Stücke zerteilt, was das entsprechende Verzehren
vorauszusetzen scheint. Er gibt nämhch nach Diodor (c. 2l) zur
Abschwächung der eigenen Schuld jedem seiner 26 Mitver-
schworenen einen Teil des Qsiri s-Körpers ; den Phallus wollte
aber keiner — offenbar als Zeichen der Hauptschuld — nehmen.
Dieser hat als ganz besonderer Teil auch ein besonderes
Schicksal: er bleibt später verschwunden, mit der Motivierung,
er sei voru^^nem^Fjsdh^jf^ch^^ worden, während das ^ '2$]^ .
Schuldgefühl in der Form der mythischen Wunschphantasie die
übrigen Körperteile — wie so häufig noch im Märchen — wieder
zu einem Ganzen zusammensetzt. In dieser kompensierenden
Reaktion auf die primitive Zerstücklung ist vielleicht der mythische
Ausdruck eines Entwicklungsschubes bewahrt, der die Ägypter
vom Fressen ihrer Leichen zum pietätvollen Brauch des Ein-
balsamiereiis_ führte, der den Körper selbst vor dem chemischen
„Aufgefressenwerden" schützt.
Zu den ursprünglichen Zügen des Osiris-Mydius gehören
auch die zahlreichen Helfer bei der Untat/ die wir im späteren
Heroenmythus beseitigt und durch die Überlegenheit des Einen,
Jüngsten, ersetzt finden, der dann in unseren Märchen so oft noch
die Rolle de s Junker Prahlhans spielt. Ein Vergleich der ägyptischen
Osiris-Sage m it der griechischen Kronos-My the vermag uns den
ganzen Umfang der heroischen Umarbeitung des urzeitlichen Stoffes
zu vergegenwärtigen, wenngleich wir uns klar darüber sind, daß
auch die ägyptische Darstellung die Urgeschichte nicht unverändert
wiedergibt. Im Ägyptische n wird der Urvater aus sexueller
Elfersucht von der Hord e bekämpft, zerstückelt und — wie wir
supponieren - verschlungen, was in der Überlieferung nur vom
Phallus erzählt wird. Im Griechischen wird der Vatergott beim
Geschlechtsakt überlistet und nur noch kastriert (der Phallus ins
Meer geworfen), mit der beachtenswerten Motivierung: „er übte
\
44
Dr. Otto Rank
zuerst solch schimpfliche Taten" (Hesiod). Das bezieht sich
darauf, daßcler Urvater in seinen Söhnen die Gefahr wittert
und sie entweder gar nicht zur Welt kommen läßt oder sofort
nach der Geburt verschlingt. Hier finden wir eine erste An-
deutung zur Rechtfertigung des Urverbrechens gegen den Vater,
dem vorgeworfen wird, er habe die eigenen Söhne verschlungen.
Dieses Bedürfnis nach Rechtfertigung im Zusammenhang mit der
Rolle der Frau in der heroischen Überlieferung läßt uns mit
Freud schließen, daß die heroische Dichtung einer lügenhaften
Umarbeitung der Wirklichkeit im Sinne der Wunschph a ntasie
entspricht.
Als bekanntesten Typus einer derartigen kompletten Phan-
tasieumkehrung nennen wir die zahlreichen Menschen fr esser-
mär eben, die sich bei Natur- und Kulturvölkern gleicherweise
finden und uns in der populären Fassung des Däumling-
Märchens geläufig geworden sind. Däumling und seine Brüder
werden von den Eltern ausgesetzt. AJbends gelangen sie im
wilden Wald in das Haus des Menschenfressers, der abwesend
ist. Die mitleidige Frau versteckt sie. Als der Riese heimkommt,
wittert er die Beute mit dem bekannten Ausruf: „Ich rieche
Menschenfleisdi!" Mit Mühe erwirkt die Frau noch eine Frist
bis zum nächsten Morgen fiir ihre Schützlinge. Doch in der
Nacht kommt der Unhold in ihre Schlaf kammer, um den sieben
Brüdern die Hälse abzuschneiden. Durch eine List Däumlings
tötet er aber statt dessen seine eigenen sieben Töchter. Die
Brüder entfliehen und Däumling nimmt die Siebenmeilenstiefel
des Menschenfressers mit sich, was sowohl einer Kastration
des Urvaters als der Identifizierung mit ihm entspricht. Ist in
dieser Version noch ein Rest der Umwandlung erhalten, mittels
deren sich der Jüngste in Phallusgestalt (Däumling) aus der
Brüderhorde heraushebt, so zeigt die typische Märchenüber-
I
I
lieferung nur mehr den einen, den Helden, der auf gleidie
Weise von der Frau verstedtt und „gerettet" wird, wie der
Phallus von der hebenden Gattin Isis. Aus dieser sexual- S^ V
symbolischen Motivierung erklärt sidbTdaß die Phantasie an //^ ^<^W/
einer so schmählichen Heldenrolle keinen Anstoß nimmt, wie jf£s_ U %
sie das EinsdJeicfaen, Verstecken durch die Frau und Über- ^»— ^
listung des Riesen darstellen. Mit der Rolle der Frau werden
wir uns nodi zu beschäftigen haben und möchten hier nur zum
Verständnis der ganzen Phantasiebildung an die Freuds che
Deutung erinnern, wonach „in der lügenhaften Umdichtung der
Urzeit das Weib, das der Kampfjpreis und die Verlodiung des
Mordes gewesen war, wahrscheinlich zur Verführerin und An-
stifterin der Untat wurde."'
Was die Herkunft und Rolle des Menschenfressers betrifft,
so halten wir es für eine Fehldeutung von Naumann, wenn er
im Anschluß an Schoning die Riesen als Leichendämonen auf-
faßt, die durch die Phantasie ins Riesenhafte gesteigert wurden.
Der psychologische Zusammenhang kann offenbar nur der sein,
daß beide, Leichendämon u nd Riese, Personifikationen des
übermäditigen gewalttätigen Urvaters sind, beidemal in der
Darstellung gefährlicher Wesen, nur mit dem Unterschied, daß
der die Lebenden verzehrende Leichendämon dem Sdiuldgefiihl
des Mörders als Rächer seiner eigenen Mahlzeit erscheint, während *
der menschenfressende Riese der Reditfertigungsphantasie des
heroischen Helden entspricht, der mit der Urtat ein vorher be-
gangenes Verbredien des Urvaters zu sühnen vorgibt („er übte
zuerst solch schimpfliche Taten").
Über die weitere Bedeutung dieser Menschenfresserphantasie
und insbesondere die Rolle, welche die Frau darin spielt, können
wir uns durch Heranziehung der entspreche nden Überlieferungen
l) Massenpsychologie, (1921), S. I26.
46
Dr. Otto Rank
i
/h
der Naturvölker unterrichten, die Frobenius zusammen-
gestellt hat.' Die oft gänzlidi unmotivierte Helferrolle der Frau
wird mandimal so erklärt, daß sie die Frau (oder Sdiwester)
des Helden ist und vorher von dem Riesen geraubt worden
war, der sie nun als sein Weib besitzt. Der Held zieht hier
aus, um sie aus der Gewalt des Urvaters zu befreien und moti-
viert damit seine Tat als eine legale (so zum Beispiel bei den
Tibetmon golen| im IV. Kapitel de s Bogda Gesser C han). Der
T od des Qgren (Riesen) erfolgt nadi Frobenius entweder
durdi den versdiludtten Glutstein (den wir aus der Kronos-
Mythe und dem Rotkäppdien kennen), durdi Versteinerung
(siehe den steinernen Gast) oder durdi Zerstüdielung (Freß-
motiv). Frobenius diarakterisiert diesen Ogrentypus, zu dem er
audi die indogermanisdie Polyphem-Sage redinet, in einer der
analytisdien Rekonstruktion vollkommen entspredienden Weise :
Die Qgren , die eine bestimmte zeitlidie Stellung in der Ge-
sAidite des Weltwerdens haben und vor der Göttersdiöpfiing
existieren, sind Höhlenbewohner. Sie treten mandimal als
Gruppe auf, wenn audi der Held meist nur mit einem
kämpft. Frau ist immer nur eine da; sie gehört im allgemeinen
nidit zur mensdienfressenden Rasse, da sie dem in der Höhle
beherbergten Helden hilft, mEindimal sogar bei der Tötung des
Ogren. Diese „Hilfsalte" wie Frohen iuj sie nennt, erweist
sidi als die Mutter des Helden (zum Beispiel in Lappland);
wo sie aber jung ist, entführt er sie als jungfräulidie Maid und
heiratet sie.
Dies e myth isdie Rolle der Frau kann nadi unserer Voraus-
setzung nicht die ursprüngliche gewesen sein. Vielmehr setzt
hier die märchenhafte Wunschphantaae im Sinne Freuds das
erst durch Beseitigung des Alten zu erringende Sexualobjekt
I) „Das Zeltalter des Sonnengottes." I. Berlin 1904.
%
Die Don Juan-Gestalt
47
schon als verbündete Helferin des heroisch eingestellten jüngsten
Sohnes voraus. Ursprünglich muß die Frau scheinbar ebenso
erst bezwungen werden wie der eifersüchtige Urvater selbst,
nach dessen Ermordung sie sich oflfenbar die dadurch gewonnene
Freiheit sichern wollte. So erklärt es sich, daß in vereinzelten
Überlieferungen die spätere Hilfsalte des Heroenmythus noch
als Parteigängerin des Riesen, also gleichfalls als Menschen-
fresserin erscheint, die den Mann ruft, damit er die Gäste ver-
speise.' Diese böse Alte lebt in der Ellermutter des Teufels
fort, aber auch in der Rabenmutter so mancher mythischen
Überlieferung, deren Rolle im Märchen auf die Hexe und böse
Stiefmutter übergegangen ist. Wie aber kommt die Mutter zu
dieser feindlichen Rolle?
I) Besonders bei den deutsdien Stämmen Europas, bei den Italienern, bei
Nord- und Südafrikanern tritt die Kannibalin nadi Jrobeniu s (S. 382)
hervor, während im Osten überall der MensdienfressCT vorherrscbt und im
Westen das Gesdiledit desselben sdiwankend ist.
VII
Wir haben uns sdieinbar ziemlidi weit vom Stoffgebiet des
Don Juan und seines Widerparts, des Steinernen Gastes, entfernt,
uns aber dodi deutlidi in der Riditung der heroisdien Umdiditung
der Urgesdiidite bewegt, als deren extremste Ausgestaltung wir
die Don Juan-Phantasie ansehen möditen. Dem verwegenen
Spötter, der Gewissen, Sdiuldgefühl und Angst in einem alles
Heroisdie weit überbietenden Zynismus verleugnen will, der das
Grauen vor der gefiirditeten Radie des leidienfressenden Urvaters
in der Einladung des sonst ungebetenen Gastes zu einer lustigen
Festtafel übertäubt, trauen wir auf der anderen Seite auch das
offene Geständnis des Urvergehens zu, das unserer Auffassung
nach der sonstigen heroisdien Sdiilderung entgegengesetzt sein
muß. Seine von allem Sdiuldballast befreite Gestalt kann sidi
sozusagen erlauben, die primitiven Triebfedern des Urverbrediens
ohne besdiönigende Motivierung zu gestehen, kann zugeben,
daß der Mord des Vaters um sdinöder Sinnenlust willen gesdiah
und nidit um der einen aus dem drüdcenden Jodi zu befreienden
geliebten Frau willen.
Die überragende Größe der Don Juan-Gestalt beruht darin,
daß sie die heroisdie Lüge abgestreift hat. Er beseitigt die
Männer, um sich in den körperlidien Besitz der Frauen zu
bringen, kennt keine idealen Motive, keine Sentimentalitäten und
Rationalisierungen; Nur in einem, allerdings dem wesendidien
Punkte hat er den heroisdien Charakter bewahrt, der ihn audi
vor der Identifizierung mit einem gemeinen Verbredien sdiützt:
Die Don Juan-Gestalt
49
Jä>^
Er steht allein, allein einer Welt von Gegnern und einer
Unterwelt voll Gefahren gegenüber. Er kann aud» die brüder-
lichen Helfer der Urtat nidit braudien, wie der heroisdie Diditer,
er will sidi aber audi nadiher nidit mit ihnen in die Beute der
Frauen teilen, sondern alle für sidi allein besitzen und bekämpft
darum alle von neuem, ein neuer grausamer Urvater, der keinen
Fortsdiritt der sozialen Organisation verträgt.' Aus dieser voll-
kommenen Identifizierung mit dem tyrannisdien Vater erwädist
dann seine Tragik und sdiließlidi sein Untergang: Er wird selbst
von der stets anwadisenden Rädierbande verfolgt, wie der
Urvater von der Horde, und erliegt sddießlidi der narzißtisdi
bedingten Vergeltungsangst, die aus einer soldien Identifizierung
regelmäßig folgt.
Es ist nun bemerkenswert für die heroische Phantasie-
bildung, daß unser Held gerade in dem Punkte, in dem er nod»
Heros geblieben ist und der seine besondere Charakteristik
ausmacht, auch der lügenhaften Übertreibung des typischen
Märchenhelden verfällt. Indem er für die Brüderhorde das
eigene heroisdie Idi, das Idiideal derselben einsetzt, übertreibt
und vervielfadit er nidit, wie^[er alte Heros in seinen Helden-
taten, die Urtat, sondern er übertreibt und vervielfadit seinen
gewünsditen Erfolg: die Zahl der Urhordenweibe r, die er sidi '^"^ ) ^^
erobert. Die tausendunddrei Frauen, die er statt der einen ""
eroberten Frau des Heroenmythus und des Volksmärdiens ein-
setzt, verraten den lügnerisdien Charakter dieser Wunsdi-
phantasie durdi ihre ins andere Extrem übertriebene Prahlerei,
I) Daher konnte der Don Juan, wie S dt m i t z bemerkt, nur in einem ^
Lande bestehen, wo die Frauen hinter vergitterten Haremsfenstem vor der -=-
Begehrlidikeit der Männer gesdiützt werden müssen und wo die Blutradie das
Reditsbewußtsein beherrsdit; daher gehört aber audi zum Don Juan-Typus,
'*"^ii££^ hervorhebt (S. HQ), der stete Kampf gegen die sittlidie Weltord-
nung, ohne den der Held alle Daseinsbereditigung verloren hat.
50
Dr. Otto Rank
H1,Ü^
in der wir aber noch ein Stück der urgesdiiditlidhen Situation
durdbisdiimmem sehen. Indem er statt der vielen Helfer einen
unersdiroctenen Helden, nämlich sich selbst, einsetzt, setzt er
zugleich an Stelle der einen Frau die vielen Frauen. Wir sehen
hier, durch welchen Medianismus der den Don Juan eigentlidi
charakterisierende Zug entstehen konnte: indem der Dichter
aus der Brüderhorde durch extremste Ausgestaltung der Wunsch-
phantasie eine Weiberfiorde macht. Die Reihenbildung der
weibUchen Sexualobjekte geht also aus der wunsdierfüllenden
Umdeutung des störenden Brüd erclans hervor."
Daraus erklärt sidi auch, warum der ursprünglidie Don
Juan-Typus durdiaus kein Liebling der Frauen ist, sondern
ein teils gewalttätiger, teils listiger Verführer, der vor keinem
Kampfaiittel zurücksdiredct und also eigentlich gegen die Frauen
kämpft wie gegen die Männer. Die Frau spielt hier nichts
weniger als die heroische Rolle der Helferin, vielmehr ist sie
die eigentliche Verfolgerin und Rächerin seines Frevels. -^^"^
L
/Jjf/.
'W^M'!-
I) Hier ist der Punkt, um der homosexuellen Komponente zu gedenken,
die wir analytisch so häufig in den Don Juan-Typen finden und um deren
Aufspürung sidi besonders S t e k e 1 bemüht hat. Das genetisdie Verständnis
verdanken wir Freud, deralsVÖräussetzung der heroisdien EinsteUung die
=1- Loslösung des einen Individuums aus der ho mosexuelle n Libidobindung der
' Masse erkannt hat: daher bekommt der Held audi immer das Weib aUein.
Der Einordnung in den Brüderclan entsprädie der gemeinsame Besitz der-
selben Frau, ein Motiv, das ja an der entsdieidenden Stelle des Don Juan-
Dramas im Verhältnis des Helden zu LeporeUo dui-dibridit. - Es ist bemerkens-
,wert, daß Holtei in seine tö3£M0nym ersdiienene Don Juan-Ph antosie
die Homosexualität hineinbringViina^zwar in der seltsamen FigüFdes im
WäEnsImröidöiden BilclBaüS-s Johannes, der als Erzieher Don Juans
diesen seiner Leidensdiaft gefügig madien wiU, aber von ihm mit Spott
zurüdtgewiesen wird. Ein persönlidies Motiv des Diditers findet Heck^^l
(S. 44) in einer Stelle aus RidbardJVV^ners nadigelassener Selbstbiographie,
worin der Diditerkomponist die zudringlidien Liebeswerbui^en HoUeis um
seine Frau als Dedsmotiv für dessen homosexueUe Neigungen erklärt.
(R. Wagner: „Mein Leben". Mündien IQH, S. I84.)
Die Don Juan-Phantasie scheint also unsere Vennutung
zu bestätigen, daß in der Urgesdiidhite der Sohn den Vater
keineswegs mit Hilfe der Mutter überwunden hat. Vielmehr
blickt darin, wenn wir sie emst nehmen, das Geständnis durch,
daß der Held auch gegen die Mutterfigur zu kämpfen hat, ja
mitunter durch sie zugrunde geht. Erst wenn es üim auch ge-
lungen ist, nach Beseitigung des hemmenden Urvaters das Weib
sexuell zu bezwingen, Avar sein Sieg vollendet. Wie schwer er
darum zu kämpfen hatte, davon geben die zahllosen weibhchen
Ungeheuer der Mythe, von der babylonisdien Urmutter Tiamat
über die Sphinx bis zu den weibhdb gedachten Vampiren des
heutigen Griechenlandes ein ebenso beredtes Zeugnis, wie die
übermächtig-gefährlichen Frauengestalten der Sage von Judith
und 3rünhild e bis zu Isolde , die in Wagners elementarer
Dichtung die Urformel für die weibliche Rache findet:
»Da die Männer sidi all ihm vertragen,
Wer muß nun Tristan sdilagen?"
Über die Motive dieser negativen Einstellung der Frau,
die unserem heroischen Ideal und seiner romantischen Karikatur
so stark widerspricht, können wir aus den wenigen Bruchstücken
entstellter Überlieferung und analytischer Einsicht nur Ver-
mutungen wagen, die jedoch innerhalb eines weiteren Zusammen-
hanges psychologisdier Wahrheiten stehen.
Wie uns auch die Neurosenpsychologie aufs eindringhdiste
lehrt, bleibt das Weib, trotz aller Abneigung gegen die gewalt-
tätige Vorherrschafi: des Urvaters, doch immer stark libidinös
an ihn gebunden und hat andererseits die begreifliche Neigung,
che durch seinen gewaltsamen Tod plötzlich gewonnene Freiheit
nicht sogleich wieder an seinen Nachfolger zu verlieren, mag
sie ihn noch so sehr bewundern. Nun gibt es aber in' der
4*
1^
52
Dr. Otto Rank
^,
S"ö
Brüderhorde gar keinen direkten Nachfolger des Vaters, wie
es keinen „Helden" gab; im Gegenteü gelangt das Weih, nadi
Freuds Annahme, durch die einander hemmenden „Brüder"
von seihst in eine überlegene Stellung, die sie offenbar zu befestigen
sucht ( Mutterrech t, Weiherherrsdiaft ). Noch heute sehen wir
Nachwirkungen dieses Zustandes, beispielsweise im diinesiscten
Recht, wo die Mutter mit dem Tode des Vaters aus ihrer
nichtssagenden Rolle in die höchste Machtstellung tritt, die eine
Frau überhaupt erhalten kann.' Man könnte geradezu sagen,
daß sie die Stelle des Vaters selbst einnehme, wenn nicht der
AJbnenkult auf den Sohn überginge; sonst aher erwirbt sie das
dem väterlichen gleichstehende Verftigungsrecht über Person und
Besitz der Kinder.
Vielleicht läßt sich aber daraus vermuten, daß ebenso-
wenig wie es einen „Helden" in der Urgeschichte gab, auch
noch nicht die „Mutter" als solche existierte, sondern erst in
einem bestimmten Moment auf dem Plan tritt, indem aus der
Xahl der wenig differenzierten U rhordenweiber eine sich dem-
jenigen der Brüder widersetzt, der Anstalten machte, sich allein
in den Besitz der früheren väterlichen Macht zu bringen. Es
würden sich also sozusagen auch erst in der Folge der Urtat
diejenigen individuellen Gefiihlsbeziehungen aus der Massen-
psydiologie herauskristallisieren, die wir späterhin in den Be-
griffen „Vater" und „Mutter" verdichtet finden: Der Erschlagene
und Bereute liefert den psychologischen Inhalt des Vaterbegriffes,
die Begehrte und Unerreichbare den der Mutterbeziehung. Die
Frau, die so psychologisch in die Mutterrolle vorrückt, wird
dies wohl auch einer aktiven Anteilnahme zu verdanken haben.
Sie mag wohl eine Art Favoritin des Beseitigten gewesen sein,
andererseits vielleicht auch ein Weib, das — durch spätere Ver-
l) Krause: Über das Frauenleben in China. Deutsche Revue, März 1922.
Die Don Juan-Gestalt 53
nadilässigung gereizt — die negativen Gefiihlsbeziehungen gegen
das rütksidbtslose Flordenhaupt mobilisiert hatte und darum
eines der männlidien Kinder vor der Verfolgung des grausamen
Männdiens sdiützt, um es zu seinem Befreier und Radier zu
erziehen. Dieses Attadhement im Sinne des „Anlehnungstypus"
(Freud) mag vielleidit im Sinne der individualpsydiologisdien
Entwiddung audi in der Urgesdiidite den ersten Keim zu einem
Mutter -Sohn -Verhältnis gelegt und dem so Gesdiützten jene
Vorzugsstellung suggeriert haben, die ihn ermutigte und audi
befähigte, den Kampf gegen den Urvater aufzunehmen und zu
bestehen. Während der Sohn also aus eindeutigen libidinösen
Motiven handelt, sind diese bei der Frau insofern von Anfang
an stark ambivalent, als sie libidinös immer an den Urvater
fixiert bleibt, andererseits nadi dem jungen potenteren, aber audi
anhänglidieren Manne verlangt, dem sie sidi jedodi nur unter-
ordnen kann, wenn ihm die Identifizierung mit dem Urvater
gelungen ist, wie in der heroisdien Ph antasie. In Wirklidikeit
gelangt zunädist keiner der „Brüder" zur vollen Vaterrolle und
so bleibt liir die aktive, sexuell vielleidit nidit mehr ganz reiz-
volle Frau der Weg offen, die „revolutionären" Söhne nur als
Werkzeug zu benützen, um sidi selbst als Revolutionärin die
MaditstgUun g der »Mut ter" zu erobern. Als Zeidien der väter-
lidien Madit, sozusagen als Zepter der Libido, ersdieint in den
mythisdien Überlieferungen der väterlidie Phallus, der abgesdinitten
wird und unauffindbar bleibt, weil er — wie die Überlieferungen
offen eingestehen — versdilungen worden war und nur im
Ersatzbild weiterlebt und verehrt wird.' Der die gesamte Antike
beherrsdiende Phallus-Kult ist der Rest dieses weiblidien Idols,
für das die Frau Anbetung im Namen des Urvaters verlangte.
I) Vgl. Raifk: Die Matrone von Ephesus (enthalten in: Der Künstler
u. a. Beiträge, Imago-Büdier 174. j^uflage, IQJS).
{
54
Dr. Otto Rank
-Vr
"J^r
Diese besondere Bedeutung in der Kult- und Religions-
gesdiidbte der Mensdiheit verdankt das Zeugungsglied vermutlich
dem Umstand, daß es — nebst dem warmen nahrhaften Blut
des Ersdilagenen ( ^nipir ^biAe) — der Anteil war, den das
Weib sidi auf Grund"ihrer~Sexuälrolle an der grausigen Totem-
mahlzeit sidierte. Dafür spredien nidit nur Überlieferungen, wie
die der ägyiptisAen Isis, die nodi nadi dem Tod des Gatten
durdi den versdilungenen Phallus befruditet wird, und die
entspredhenden Bräudie der „Totenhodizeit" ( Nauma nn, S. 38),
sondern auch die jfiir das Märchen geradezu typische Beiruchtung
durch den Mund, die in den unbewußten Phantasien der Menschen
bis auf den heutigen Tag als infantile Wunschtendenz fortlebt.
Andererseits entspringt aus der gleichen Wurzel die Vorstellung
vom Weib mit dem Penis, gleidifalls eine typische infantile
Sexualtheorie der Völker und des Einzelnen.
Zusammenfassen d müssen wir sagen, daß die eigentliche
Don~7uan^Phantasie von der Eroberung unzähliger Frauen,
die den Helden zu einem männlichen Idealbilfl^gemacht hat,t •
letzten Endes axif der Unerreichbarkeit der Mütter und dem
kompensatorischen Ersatz dafür beruht. Diese Unerreichbarkeit
bezieht sidi aber — wie auch die Don Juan-Phantasie deutlidhi
verrät — nicht auf den sexuellen Besitz, fiir den es ja in primitiven
Zeiten unHTharakteren keine Schranke gibt, sondern auf den tief-
* — " - .-.— — I — - "—— I IM^
wurzelnden bi ologi schen Wunsch nach a lleinige m und voll em Besitz
der Mutter, wie er einmal in der pränatalen Lustsituation erlebt
und immer wieder als Ausdruck der höchsten Libidobefriedigung
angestrebt wird. Indem wir hier auf eine umfassende Darstellung
und Begründung dieser Auffassung hinweisen,' sei nur bemerkt,
daß von diesem Standpunkt aus die beiden Teile des Don Juan-
I) Siehe Rank: Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für
die Psychoanalyse. 1924.
r
Die Don Juan-Cestalt
55
Stoffes eine nodi engere Verbindung zeigen. Die immer wieder
erneuerte sexuelle Besitzergreifung der Frau bleibt eben deswegen
unbefriedigend, weil sie die infantile Regressionstendenz zur
Mutter nur teilweise zu erfüllen vermag. Aber der ganze Todes-
komplex, einsdiließlidi des Wiederaufgefressenwerdens durdi
den Leidiendämon, stellt für das Unbewußte eine viel weiter-
gehende Befriedigung dieser Urtendenz dar. Die versdilin-
genden Unterweltstiere, das Grab und der Sarg sind lauter
eindeutige Muttersymbole und wir hätten dann in der Strafe,
die Don Juan ereilt, nidit nur den Ausdrude der tiefsten Wunsdi-
erfiillung, der Rückkehr zur Mutter zu erblidten, sondern eine
besondere heroische Phantasiebildung, indem die Vaterfigur, die
sonst den Weg zur Mutter versperrt, ihn direkt weist, ja, in der
Figur des Steinernen Gastes, der ja auch den Sarg repräsentiert,
die Mutter selbst verkörpert erscheint, die den Sohn holt.
Um nun zu zeigen, daß wir nicht bloß einer vorgefaßten
Meinung oder der psychoanalytischen Theorie zuliebe die Don
Juan-Gestalt als einen am Mutterkomplex gescheiterten hinzu-
stellen versuchten, wollen wir an den Don Juan-Darstellungen
selbst zu zeigen versuchen, wie die Dichter die Rolle der Frau
behandelt haben und wie weit sie den Muttercharakter in ihr
intuitiv erkannt haben.
vm
Wir sind im Begriffe, die Dichter als Zeugen für unsere
psychologische Deutung zu zitieren, hahen aber das Bedürfais, uns
vorher ganz allgemein Rechenschaft darüber zu geben, inwieweit
dies gestattet und fruditbar sein kann. Die Psychoanalyse hatte
schon wiederholt Gelegenheit, in den Sdiöpfungen bedeutender
Künsder wertvolle Bestätigungen für ihre Auffassung seelischer
Vorgänge zu finden, die, vom Diditer oft intuitiv geahnt oder
geschaut, in künsderisdier Form dargestellt werden. Den tieferen
Bedingungen in dieser Beziehung nachzugehen, war eines der ersten
Probleme der angewandten Analyse,' dem sie seither gelegendidi
im Detail nachgegangen ist. Es zeigte sich dabei zu unserer Über-
raschung, daß die diditerische Phantasie viel weniger fi-ei sdialtet,
als wir anzunehmen geneigt sind, und daß sie in sdieinbar ganz
individuellen Sdiöpfungen dodi stark an gewisse unbewußte Vor-
bilder gefesselt bleibt, die man vielleicht besser als Urbilder be-
zeidmen könnte. Dabei ereignet es sidi nidit selten -wie übrigens
audi auf dem Gebiete der sogenannten Volksdiditungen - daß
spätere Diditer bei der Ausgestaltung und Verinneriidiung ge-
wisser Motive deren ursprünglidien psydiologisdien Sinn wieder
entdeden und so gewissermaßen zu unwiUkürlidien und unge-
wollten Vorläufern der Psychoanalyse werden. Die größten Diditer,
weldie die Konsequenz und die Feinheit der psydiologisdien Moti-
vierung über aUe anderen Forderungen hinweg zum hihal t ihres
Die Don Juan-Gestalt
57
Schaffens machen, überbrücken auf diese Weise, nach einem treffen-
den Worte von Ferenczi, die Latenzzeit in der Entwicklung der
Menschheit, die durch Überschätzung der materialistischen Welt-
auffassung zwischen dem primitiven Animismus und unserer
analytischen Psychologie entstanden ist. Nur unterscheidet sich
dieses Stück Künstlerpsychologie von der analytisdien dadurch,
daß es in dem allmählich fortschreitenden Zurückgreifen auf die
Ursprünglichkeit der entstellten Motive zugleich die Deutung
derselben in der ihm eigentümlichen synthetischen Form gibt,
während unsere Psydiologie sich — ihrer analytischen Tendenz
entsprechend — bemüht, diese beiden Faktoren auseinanderzu-
halten und in ihrer gegenseitigen Bedingtheit zu verstehen:
das heißt Motiv und Deutung in wissenschaftlicher Nüchtern-
heit voneinander zu sondern.
Welche wichtige psychische und soziale Funktion die Dicht-
kunst dabei erfüllt, werden wir ipi Schlußabschnitt zu untersuchen
haben. Jetzt wollen wir an dem eigendich donjuanesken Charakter
des Helden, seinem Verhältnis zu den Frauen, verfolgen, welche
Deutung die Dichter diesem Motiv im Laufe der künstlerischen
Entwicklung des Stoffes gegeben haben. Im Burlador tritt bloß
sein frevelhaftes Spiel mit Frauenherzen hervor. „Von Liebe
ist gar keine Rede. Das Treibende ist das ehrgeizige Streben,
zu verfuhren oder einem anderen den Rang abzulaufen. Mitleid
mit dem Entehrten kennt er nicht . . . Die Wege, auf denen er
sein Ziel zu erreichen sucht, sind freilich nicht allzu fein. Bei
der Herzogin Isabella und Donna Anna de UUoa schleicht er
sich nachts in der Maske des Geliebten ein, die unwissenden
Naturkinder Tisbea und Aminta gewinnt er durdi die Vor-
spiegelung späterer Heirat. Wirklich geliebt wird er von keiner."
(He ekel, S. 9 f.) Diese ursprüngliche und soziale Don Juan-
Rolle, die der Situation einer urzeitlichen Weiberhorde in ihrer
58
Dr. Otto Rank
heroischen Phantasiegestaltung am nächsten steht, haben die
späteren Dichter, denen ein solcher Charakter offenbar zu roh
und unmensdilicb schien, allmählich in sentimentaler Weise ver-
fälscht, indem sie die Liebe, ja sogar die Ehe hineinbrachten. Den
ersten Schritt zu dieser Verbürgerlichung des Helden bedeutet
Moli eres Dichtung, in der Don Juan aus seiner heroischen
Verruchtheit zu einem ausschweifenden französischen Edelmann
seiner Zeit geworden ist. Er kennt die Liebe zwar ebensowenig
wie der Burlador, hat aber Elvira aus dem Kloster .entführt
und sie geheiratet. Nachdem er sie verlassen hatte, reist sie ihm
nach und versucht, aufs neue enttäuscht, ihn als ernste Mahnerin
zur Umkehl- vom Wege des Lasters zu bewegen. „Dieser Zug
von leidenschaftsfreier, wunschloser Liebe vor allem hebt Elvira so
hoch über alle anderen Opfer des Verführers hinaus, auch
über die Herzogin Isabella im Burlador, in der man eine Vor-
läuferin Elviras sehen wollte." Bei M o 1 i e r e ist es, wie He ekel
weiter bemerkt, „das erstemal, daß sich Don Juan einer so
stolzen, hoheitsvollen Frauengestalt gegenübersieht;" das erste-
mal, wie wir betonen möchten, daß sich aus der Reihe der fiir
ihn gleichwertigen oder gleich minderwertigen Frauen eine
überhaupt heraushebt.
Die nächse deutliche Stufe dieser Entwicklung erblicken wir
in der Gestaltung von Mozarts Textdichter Da Ponte, der
„Donna Anna zur Hauptträgerin einer Gegenhandlung machte
und so M o z a r t zur Schöpfung seiner vollendetsten Frauengestalt
Gelegenheit bot" . . . „Im Burlador und noch bei Gazzaniga
verschwindet sie nach dem Tode ihres Vaters für immer von
der Bildfläche. Die große, Don Giovanni ebenbürtige Persön-
hchkeit bat erst Mozart aus ihr gemacht. Aber sie ist Giovanni
so unähnlich wie nur möglich. Sie ist die eigentliche Vertreterin
und Rächerin des verletzten Moralgesetzes; ihre Triebfedern
Die Don Juan-Gestalt 59
sind ihr jungfräulidies Ehrgefühl und die Liebe zu dem
ermordeten Vater, sinnliche Leidenschaft ist
ihr ganz fremd." (1. c. 24.)
Spätere Diditungen, die es auf eine straff durdigefiihrte
Handlung abgesehen hatten, begnügten sidi allmählidi mit
immer geringerer Anzahl der Geliebten, Grabbe sogar mit
einer einzigen, während Tolstoi nur das Verhältnis zu Donna
Anna darstellt und R i 1 1 n e r (in seinem Don Juan-Spiel „Unter-
wegs", 1909) gar in seinem Widerpart LeporeUo den treuesten
Ehegatten personifiziert.
Wir sehen also den ursprünglichen Don Juan-Typus im
Laufe seiner diditerisdien Entwidilung den Weg vom rudhJosen
Frauenverfuhrer zu einem romantisdi und sdiließlidi bürgerlich
Liebenden zurüddegen und damit an einem Punkte endigen,
wo die heroische Lüge zugunsten der romantischen Verklärung
aufgegeben, zugleich damit aber auch der Charakter des eigent-
lichen Don Juan verwischt wird. Der Held selbst ist, wie
L e n a u s Darstellung am besten zeigt, „nicht mehr ein genialer
Verbrecher, sondern ein um sein Ideal Ringender und Kämpfender;
nicht mehr einer, der aus Enttäuschung und Überdruß sein
Streben nach dem Höchsten aufgegeben hat, sondern ein Sucher
sein Leben lang". (He ekel, S. 82.) „Mein Don Juan", sagt
Lenau selbst, „darf kein den Weibern ewig nachjagender heiß-
blütiger Mensch sein. Es ist die Sehnsucht in ihm, ein Weib zu
finden, weldies ihm das inkarnierte Weibtum ist und ihn alle
Weiber der Erde, die er denn doch nicht als Individuum besitzen
kann, in dieser einen genießen macht."
Indem die Dichter in die Ursituation der Reihenbildung die
Mutterfigur aus dem psychologischen Bedürfnis der Verleugnung
in den Stoff hineinbringen, richten sie den Helden charakterolo-
gisch zugrunde, ja, lassen ihn oft genug auch physisch an der
6o
Dr. Otto Rank
einen geliebten Frau zugrunde gehen. Hieher gehören die zahl-
reichen späteren Dichtungen, in denen Don Juan von der
Hand einer verlassenen Geliebten den Tod findet, was seinem
Charakter so unangemessen wie nur möglidi ist, aber ein bedeut-
^ sames Motiv der von uns rekonstruierten Urgeschichte wieder-
y^V. liolt: nämlich daß die Eifersucht der Einzigen^^die Wieder-
JjZ^tJK^ holung des polygamen Urtypus unmöglidi~^acht. hi der
yg^^^^^^/9/ mahnenden Rolle der Donna Elvira, die als Vertreterin des
^ 'i verletzten Moralgesetzes in die Fußstapfen der den Vatermord
rächenden Urmutter tritt, erkennen wir leicht die den hemmen-
den Vater ersetzende Mutterfigur. In der Gestalt der Donna
Anna wird noch ein Stück der ursprünglichen Motivierung deut-
lich. Es ist die ambivalente Einstellung der Tochter zu dem
ermordeten Urvater, die sie in dem Mörder teils den Befreier
und neuen Geliebten begrüßen, teils iden schwächeren Ersatz
fiir das verlorene Urobjekt verachten und verfolgen läßt. In
diesem urgeschichthchen Sinne wird die Tochter nicht bloß zur
bösen, sondern auch zur untreuen Mutter, von der möglicher-
weise dieser Zug auf den Don Juan-Typus selbst übergegangen
sein mag. In den späteren Dichtungen finden sich Spuren dieser
untreuen Mutter, wie bei Holte i und Byron, die dem
Helden eine flatterhafte Mutter geben, oder wie bei Puschkin ,
wo Laura geradezu so untreu und leichtfertig ist wie der Held
selbst.
Die ganze urgeschichtliche Rolle der bösen Mutter und des
von ihr betrogenen Helden scheint in einer der jüngsten, aber
geistreichsten Don Juan-Bearbeitungen, Bernard Shaws „Man
and Superman" (London 1903), unter der Maske einer ins
Karikaturistische gewendeten Antiromantik noch einmal wie in
einer letzten Blüte zu kulminieren. Der Held, ein englischer
Gendeman und theoretischer Revolutionär, kämpft mit allen
Die Don Juan-Gestalt 6l
Mitteln moderner Weltansdiauung und Tedinik gegen das
unabwendbare Sdiidisal, von Donna Anna gegen seinen Willen
geheiratet zu werden. Seine Philosophie, die auf der Schlechtig-
keit und Gefährlichkeit des Weibes beruht, kaim ihn letzten
Endes nicht vor dieser irdischen Hölle schützen, mit der ver-
glichen die echte Hölle des alten Don Juan, die er im Traume
sieht, weit angenehmer als selbst der Aufenthalt im Himmel
ist. Er weiß, daß die Frau die Herrsciiafl über den Mann
anstrebt und auch erreicht, ist sich klar, daß sie den Maim nur
als Instrument ihrer Naturaufgabe benützt und kann sidi nicht • ^
genug tun in der Häufung recht urzeitlich anmutender Ver - { (^ . tt
gleiche der Frau mit einer Spiiuie, die den Mann ins Netz lockt, j ?iht'kO
um ihm das Blut auszusaugen, mit einer Boa constrictor , die 1 ^..p
ihn unlöslich umfängt, und wilden Ra u btieren , die in ihm eine J (ß^*-*-»-*y
wehrlose Beute verschlingen, '^C^lJid— -
Vielleicht wird man es nicht gereditfertigt finden, aus solchen/ •t-*Ä/'i''<t-y r/
Andeutungen einer scheinbar ganz anderen Absichten dienenden Ajß)'ijS~r^ /
Dichtung Schlüsse von so weittragender Art zu ziehen. Doch " '^a^^cj
ist zu bedenken, daß es sich dabei um Ausläufer von einander
überschneidenden EntwicklungslLnien handelt, die wir auf das
Wirken ganz bestimmter weitumfassenden seelisciien Gesetz-
mäßigkeiten zurückzufuhren geneigt sind, deren Darstellung und
Begründung jedoch zu weit über den Rahmen dieser Untersuchung
hinausführen würde. Unser Interesse geht jetzt in einer anderen
Richtung weiter. Nämlich hinter der dichterischen Konservierung
und fortschreitenden Verdeutlichung der Motive die parallel
laufenden dynamischen Vorgänge zu verfolgen, welche die eigent-
liche Triebkraft für die künstlerische Produktion abgeben und
in ihrer affektiven Wirkung eine der wichtigsten sozialen
Funktionen der Dichtkunst begründen.
IX
Le diabIe:Je crois que tu lis trop, ce qu'on ecrit sur toi !
R o s t a n d.
Nachdem wir den psydioIogisAen Motiven der ursprünglidhien
Don Juan-Gestalt von ihren urgesdiiditlidien Wurzeln bis in
ihre letzten dichterischen Ausläufer nachgespürt haben, verbleibt
uns die Aufgabe, die individuelle künsderische Gestaltung und
Wandlung des Stoffes von seinem mittelaherlichen Ausgangs-
punkt im diristhchen Sündenbegriff zu verfolgen.
Die älteste Darstellung Don Juans in der Weltliteratur ist
eine um die Wende des sechzehnten Jahrhunderts entstandene,
scheinbar verlorene spanische Komödie, von der wir im „Burlador
de Sevüla" eine wenig veränderte Fassung besitzen. Dieses
Werk wurde die längste Zeit dem fruditbaren Lustspieldichter
und Mönch Fray Gabriel Tellez - der unter dem Namen
Tirso de Molina bekannt wurde - zugeschrieben; doch ist
neuestens diese Autorschaft zugunsten des großen Calderon
angezweifelt worden. Für uns ist die Frage wenig bedeutsam,
denn in jedem Falle kennen wir vom ersten Dichter und
Schöpfer des Don Juan nicht viel mehr als die allgeüieinsten,
in der Zeit und seinem Werk gegebenen Umrisse seiner Persön-
lichkeit. Aus diesen dürftigen Daten ließe sich höchstens ver-
muten, was den nicht näher bekannten Dichter an dem über-
lieferten Stoff vom Steinernen Gast angezogen haben mag, der
bereits vorher im „Infamador" des Juan de la Cueva -
I581 in Sevilla aufgeführt - und in den Leontius-Spielen mit
Die Don Juan-Gestalt
63
krasser Herausarbeitung der grausigen Elemente behandelt
worden war. Während aber dort der Held im Sinne des
gewöhnlichen rudilosen Bösewidits dargestellt war und der Tote
einfadi kommt, die ihm zugefügte Beleidigung zu rädien, ist im
Burlador sowohl der Frevel ins Erhabene gesteigert wie audi
die Strafe als Werkzeug der ewigen himmlisdien Gerechtigkeit
aufgefaßt. Daß dieses ethisdi-religiöse Moment den Diditer der
strenggläubigen Burladorzeit zur Bearbeitung des überlieferten
Stoffes vom rädienden Toten bewogen hat, ist wohl ein zu
allgemeines und dürftiges Motiv, um einer diditerisdien Indivi-
dualanalyse zugrunde gelegt zu werden. Zum Glüdk kommt
uns in dieser Verlegenheit eine zweite, wesentlidi interessantere
Frage zu Hilfe, wie nämlidi der Diditer zur Gestalt des Don
Juan und zu einer Verknüpfung mit der Sage vom rädienden
Toten gekommen sein mag?
Diese Frage ließe sidi aber wieder nur auf Grund einer intimen
Kenntnis der Persönlidikeit des ersten Diditers beantworten,
die uns versdilossen bleiben muß. Wir glauben jedodi, in unserer
Analyse der Motive einen Weg gegangen zu sein, auf dem uns
die Lösung dieses Problems als unerwarteter Nebengewinn bereits
mühelos in den Sdioß gefallen ist. Es handelt sidi nur um die
konsequente AnVendung des in der Verfolgung einzelner Motive
bewährten „Verdeudidiungsprinzips" der diditerisdien Gestaltung
auf das Ganze der Diditung selbst. Aus dem analytisdien Ver-
ständnis der mensdilidien Urangst vor dem rädienden Toten hat
sidi uns jener urgesdiiditÜdie Frevel ergeben, den wir in der
Phantasiegestalt des Don Juan verkörpert fanden. Mit anderen
Worten, der erste Diditer des Don Juan — mag er sidi nun an
eine historisdie Persönlidikeit gehalten haben oder nidit — hat
in dieser unsterblidien, aber wie sidi zeigt so wandlungsfähigen
Gestalt seines Helden sozusagen die psydiologisdie Deutung der
I
64
Dr. Otto Rank
Radie des Toten gegeben: er hat zur überlieferten Strafe aus
einem mäditigen persönlidien und säkularen Sdiuldbewußtsein
heraus das psyAoIogisdi entspredxende Verbredien liinzu-
phantasiert. Ja, es ist uns sogar gelungen, die gerade den Don
Juan diarakterisierende Form der Ödipus-Einstellung : nämlidi
die äußerste Verhöhnung des Getöteten mit der Einladung zu
seinem Gastmahl, sowie die Reihenbildung der Sexualobjekte
aus der Ursituation selbst zwanglos abzuleiten.
Der Burlador gibt nun die fertige Umarbeitung des Urstoffes
im Sinne der extremsten Wunsdiphantasie, er ist sozusagen die
am Beginn der „dichterisdien" Individualpsydiologie stehende
heroisdie Gestalt, während die späteren Dichtungen nach ver-
sdbiedener Richtung der märchenhaften Ausgestaltung zu ent-
sprechen scheinen: sowohl im Durchbruch ursprünghcherer
verdrängter Züge einerseits, in ihrer künstlerischen Interpretation
andererseits und nicht zuletzt in einer fortschreitenden Ent-
wertung des Stoffes, welche der Überwindung
des Schuldgefühls entspricht, dessen Verleugnung
der Urtypus des Don Juan repräsentiert.
Denn der „Burlador" ist eben der „Spötter", der in der
komischen Figur seines Dieners des Gewissens spottet, das dieser
selbst darstellt, und dessen Entwertungstendenz allen sitthchen
und seelischen Werten gegenüber sich bis zur euphemistischen
Negierung des Todes versteigen will, mit dem er lustige Bruder-
schaft zu trinken versucht. Der psychologische Sinn der Handlung
wäre demnach, zu zeigen, daß der Mensch alle äußeren Mächte
zwar heldenhaft zu bestehen vermag, daß er aber an inneren
Hemmungen scheitert, die sich in seinem Ichideal, seinem Gewissen,
seinem Schuldgefühl und der Vergeltungsangst manifestieren.
Wir haben auch darauf aufmerksam gemacht, wie diese latente
Straftendenz in der weiteren Entwicklung der Stoffgestaltung
Die Don Juan-Gestalt 65
durdi Häufung der Verbredien immer deudidier wird „und in
der Tat sind fast alle Don Juans aus der ersten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts • . . wenig mehr als gemeine Verbredier-
naturen" (H e c k e 1, S. 68). In offenLarem Zusammenhang damit
verliert die eigenthdi lustvolle Wunsdiphantasie des erotisdi
Hemmungslosen Zug um Zug von ihrer Ursprünglidikeit und
Ungebundenheit, um sdiließlidi zu einem diarakterologisdien
Verenden und Aussterben des Urtypus zu fuhren, die ganz im
Sinne des Neurotikers an seinem übermäditig gewordenen Sdiuld-
gefiühl zu sdieitern droht.
Hier kommt ihm nur die psydiologische Interpretationskunst
der Dichter zu Hilfe, um ihn durdi den Prozeß der Entwertung
vom Sdiuldgefühl zu entlasten und nodi für eine Zeidang eine
Sdieinexistenz zu ermöglidien.
Es kann uns nadi allem, was wir über die psydiologisdien
Bedingungen der didbterischen Produktion erfahren haben, nidit
wundem, wenn dieser Prozeß der künstlerisdien Verdeudichung
eines Stoffes vielfadi an die analytische Deutung erinnert. Die
künsderisdi-synthetisdie Darstellung des Don Juan-Stoffes kulmi-
niert in Mozarts unsterblidiem Meisterwerk, wo das Sdbuldgefiihl
so mäditig durdibricht, daß es einerseits zu seiner deutlidisten
Manifestierung im Vaterkomplex führt (der Komtur), andererseits
zur vollkommenen Hemmung der ursprünglidi ungebundenen
Libido am verbotenen Mutterobjekt, wodurdi denn audi die
ganze Frauenreihe fiir den Helden unerreidibar bleibt.
Tatsädilidi zeigt sidi audi, daß die diditerisdbe Gestaltung des
Stoffes, auf diesem Punkt der Verdeutlidiung des unbewußten
seelisdien Gehaltes angelangt, einer weiteren Entwiddung in
dieser Riditung nidit mehr fähig ist. Von da an beginnt denn
audi wirklidi die eigendidie psychologische Inter-
pretation der Don Juan-Gestalt, die Heckel in Deutsdi-
66 Dr. Otto Rank
land mit E. T. A. Hoffmann, in Frankreich, unter dem Ein-
fluß Hoffmanns, mit Alfred de Musset beginnen läßt und
die in der am Ende des neunzehnten Jahrhunderts durch-
gedrungenen Auffassung gipfelt, „die in Don Juan nicht mehr
bloß den großen Frevler sieht, sondern einen kämpfenden und
ringenden M e n s cfa e n, dessen Treulosigkeit aus seinem Suchen
nach dem idealen Weibe und seinem übermächtigen Triebleben
entspringt" (I.e. S. 65). Wenn He ekel diese Auffassung „die
erste psychologische Erklärung des Don Juan-Problems" nennt,
weil sie zum erstenmal die Frage stellt und zu beantworten
sudbt: „Wie wurde Don Juan der, der er ist?" (S.70),
so könnte man sie in ihrem Ergebnis fast als eine psychoanalytische
bezeichnen, da sie die heroische Lüge, allerdings im Lichte einer
romantischen Verklärung, auf rein menschliche Züge reduziert.
Damit zerstört sie zugleich den eigentlichen Charakter des Helden
und dies ist wohl die Erklärung dafür, daß Hoffmanns Auf-
fassung so zahlreichen und heftigen Widerspruch — sogar bei
seinem liebevollen Biographen Ellinger — gefunden hat.
Es ist nun interessant, zu verfolgen, wie die poetischen
Erklärungsversuche des Don Juan-Charakters eigentlich dem
analytischen Deutungsverfahren entsprechen, mit dem einen
Unterschied, daß sie das Residtat der Deutung als neues Dar-
stellungsmotiv zu verwerten suchen. Wir erfahren dabei, wie
sich die Dichter die Entwieklung dieses fertig in die Literatur
eingetretenen Charakters vorstellen, und gewinnen den Eindruck,
daß ihnen dies offenbar in Verfolgung desselben Weges gelingt,
den bereits der erste Don Juan-Dichter eingeschlagen hatte:
indem sie nämlich aus ihrem eigenen Unbewußten die psycho-
logische Motivierung zu erraten suchen. Es kann uns daher
nicht wundern, wenn in diesen sozusagen weiterwuchernden
Phantasien über den Don Juan an dieser oder jener Stelle ver-
Die Don Juan -Gestalt 67
sprengte Stüdke der Urmotive wieder auftaudien. Wollte man
dies im Detail verfolgen, so ließen sidi fast Gruppen von
Motiven formulieren, die man geradezu mit den Termini „ana-
mnestisdi", „ätiologisdi" und „symptomatologisdi" bezeidinen
könnte. Zu den ersten gehört beispielsweise die detaillierte
protokollliafle Sdiilderung von Don Juans Kindheit in dem
elf bändigen Roman vonFelicien Mallefille,' der die Kindheit
des Helden mit einer überreidien Phantasietätigkeit und einem
vorzeitigen Liebesleben ausstattet, das ihm früh die Liebe als
unbefriedigend ersdieinen läßt. Als Prototyp der ätiologisdien
Motivierung wäre die Diditung Byrons zu nennen, der den
Helden unter dem Einfluß einer überzärdidien Mutter und eines
untreuen, geradezu donjuanesken Vaters aufwadisen läßt, über
dessen Seitensprünge die Mutter ein „Register" fuhrt. Diese
Identifizierung mit dem Vater findet dann in dem ersten Liebes-
abenteuer des sexuell unaufgeklärten Helden mit einer deudidi
ungetreuen „Mutterfigur" diditerisdien Ausdruds. und setzt sidi
in den heroisdi angehauchten Rettungen des Helden durch
zärtlidie Frauen fort.^ In Darstellung eines anderen typisdien
Ödipusschidtsals läßt Julius Hart den Helden in seiner ersten
reinen Liebe enttäusdit und verraten werden. ^ Und Holt ei
führt diese Enttäusdiung mit analytisdier Konsequenz bis auf
die erste LiebesenttäusdiUng an der Mutter zurüdt, indem er
den Helden zur Frudit eines Fehltrittes seiner Mutter madit,
was ihm bekannt ist und der Motivierung seines Charakters
dient. („Du wirst dodi nidit verlangen, daß idi ein Tugend-
1) Les memoires de Don Juan. Paris I847.
2) Es ist beaditenswert, wie in dieses romantisdie Heldenidyll alte primi-
tive Züge hineinragen. So ist das eigentlidie Hauptthema des berühmten
zweiten Gesanges vom Seesturm der Kannibalismus.
3) Don Juan Tenorio. Tragödie. Rostode 1881.
, 5*
68 Dr. Otto Rank
bold werden soll, weil du mir entdeckt hast, daß idi dein
Bastard bin?")
Sehen wir in der Ätiologie das ödipusmotiv auftaudien,
so zeigt folgerichtig auch die Symptomatologie die gleichen
Züge. Was macht ein so gewordener Don Juan? Graf
Gobineau läßt" in seinem Jugenddrama „Les adieux de
Don Juan" (Paris I844) in Anlehnung an Byron die allzu
zärtliche, ihren Sohn verziehende Mutter auftreten und in ana-
lytischer Konsecpienz dann die erste Leidenschaft der elemen-
taren Sinnlichkeit sich an Donna Claudia entzünden, der
schönen Gattin seines von der Natur karg bedachten Bruders
Don Sancho. Durch dieses tragische Liebesabenteuer ist Don
Juan gezwungen, das Elternhaus zu verlassen und in der Ferne
sein Verlangen nach Liebesgenuß zu befriecügen. Dasselbe
heroische Motiv der Urzeit, den Helden im Streit um das Weib
des Bruders, finden wir schon früher bei Dumas und später
machte es Alfred Friedmann zur Grundlage seines Dramas
„Don Juans letztes Abenteuer" (Leipzig I881). Dieses aus der
Brüdergemeinschaft stammende Motiv, das noch bei Mozart im
gemeinsamen Besitz derselben Frau durdi Herr und Diener
nachklingt (Amphj^ion-Motiv), erscheint in der Darstellung des
alten Don Juan durch den Schweden A 1 m q u i s t' in deutlicher
Anlehnung an die urzeitliche Gestaltung, indem dem jungen
Sohn Don Juans das Glück der Liebe versagt bleibt, da jedes
der vier schönen Mädchen, zu denen ihn sein Herz hinzieht,
sich als eine Tochter Don Juans erweist; in bitterer Enttäuschung
flieht Ramido vor den geliebten Schwestern, Und im gleichen
Sinn der urzeitlichen Vergeltung ist es aufzufassen, wenn in dem
mit dem ganzen Recpiisit des romantischen Schicksalsdramas
l) Ramido Marinesco. Stodtholm 1845. Deutsdi von Otto Hauser. Weimar
1913. („Aus fremden Gärten", Bd. 22.)
Die Don Juan-Gestalt 69
ausgestatteten Trauerspiel von Paul H e y s e („Don Juans Ende",
Berlin I883) der alte Don Juan als Konkurrent seines eigenen
Sohnes in der Liebe auftritt.
Die Darstellung des alternden Don Juans, weldie die
Diditer sdieinbar mit dem Altwerden des Stoffes selbst immer
mehr gereizt hat, macht es in den Konsequenzen der psycholo-
gischen Problemstellung deutlich, daß bereits in ihrer Statuie-
rung ein Entwertungsmoment liegt, das immer mehr die
Oberhand gewinnt. Diese Entwertung besteht nicht in der
bloßen Vermenschlichung des Heros, sondern geht bis zur
unwillkürlichen Lächerlichkeit, die letzten Endes in einer
bewußten Karikierung mündet.
Folgen wir der Darstellung Heckeis (S. I42S.), so
gehören bezeichnenderweise alle diese Darstellungen dem neun-
zehnten und zwanzigsten Jahrhundert an. „Eine naivere und
weniger zu psychologischen Grübeleien geneigte Zeit kam gar
nicht dazu, die ilmen allen gemeinsame Frage aufzuwerfen: Was
wird aus Don Juan, wenn er alt geworden ist?" Theophile
Gautier hat zum erstenmal in seiner „Comedie de la mort"
(Paris 1838) den Schiatten des altgewordenen Don Juan aus dem
Grabe heraufbesdhiworen. Hier bejammert der vermorschte Roue
mit den falschen Haaren und Zähnen und dem entkräfteten
Körper die in Wollust vergeudete Jugend. Nicht viel anders
endet der Don Juan des Portugiesen Guerra Junqueiro. Fast
possenhaft mutet der „Don Juan barbon" in dem Einakter von
Gustave Levasseur an. Von Podagra und Gicht ans Bett gefesselt,
muß es der einstige Liebling der Damen erleben, wie ihn, streng
nadb dem Talionsgesetz, sein gelehriger Schüler Don Sandbe
mit seiner Gattin betrügt und ihm seine Tochter verfuhrt. Als
Don Juan mit dem Degen die Ehre seines Hauses verteidigen
will, fällt er von der Hand des überlegenen Gegners. Auch
70
Dr. Otto Rank
Jules Viard'gibt den gealterten Verführer der Lädierlidikeit
preis. Nur die Liebe fällt ihm noch zu, die fiir Geld zu haben
ist, und ein Versudi, die Braut seines Sohnes zu verführen,
mißlingt sdimählidi. Der eigene Sohn sticht ihn aus, und er
erreicht nur, daß Frau und Sohn ihm das Haus verschließen.
Auch hier sehen wir das Thema des alternden Don Juan
sich auf seine Vaterschaft und sein gestörtes Verhältnis zu
seinen Kindern reduzieren. Aber noch die aus dem Bürger-
lichen ins Lächerliche verzerrten Züge entbehren nidit der
tieferen psychologisdien Motivierung. In ihnen manifestiert sich
sozusagen der letzte Ausläufer des tragischen Schuldgefühls in
der Form der Rache der Vergeltung im zweiten Glied. In
dieser Verbilligung und Verflaciiung des Schuld- und Straf-
problems—bei Lavedan^ geht der Held gar an der Paralyse
zugrunde — zeigt sich unverkennbar, daß auch die psycholo-
gische Erfassung des Problems darstellerisch sehr bald eine
Grenze findet, mit deren Überschreitung der Held den
gefiirchteten Schritt vom Erhabenen ins Lächerliche vollzogen
hat. Es wäre müßig, Beispiele dafür erbringen zu wollen; es
gehören hieher alle schlechten Don-Juan-Dichtungen, die in der
Überzahl sind, da es eigentlich keinem Dichter gelungen ist,
den Stoff künstlerisch voll zu bewältigen.
Von da aus ist es interessant, den Ausgangspunkt einer
anderen Entwicklung zu verfolgen, die in der bewußten
Entwertung des Helden und seiner Ironisierung gipfelt und
damit eigentlich die komisch-kritisierende DienerroUe wieder in
11
1) La yieillesse de Don Juan. Paris 1853.
2) Le marquis de Priola. Paris 1902. — Es ist diarakteristisdi, daß gerade
die Franzosen den Helden auf das Niveau des Allzumensdilidien herab-
drüdken, -während im sittenstrengen England selbst Byrons Don Juan
abgelehnt und der vei-pönte Stoff eigentlidi weder vorher nodi nachher in
imverzerrter Form behandelt wurde.
Die Don Juan-Gestalt
71
den Herrn selbst zurüdcverlegt. SAon in den deutsdien Volks-
sdbiauspielen des achtzehnten Jahrhunderts, von denen nur
eines auf uns gekommen ist,' war das vorherrschende Element
eine ziemlich rohe Komik, hinter der die ernsten Szenen
zurücktraten, und von dem gleichen Vorbilde sind auch die
Puppenspiele abzuleiten. Den Hauptinhalt dieser Stücke bilden
die derben Spaße des Hanswurst oder Kasperl, der die Rolle
von Don Juans Diener übernimmt. Schon hier handelt es sich
offenbar um ein primitives stoffliches Gegengewicht gegen die
grausigen Mord- und Strafszenen, wie sie andererseits in den
Schauerstücken des achtzehnten Jahrhunderts aufs äußerste
gesteigert erscheinen. „Bis __I7,72 spielte man in Wien regelmäßig
f in der Allerseelenoktav ,Don Juan oder das Steinerne Gast-
. "'^„mahl', von dem wir nichts Näheres wissen" (Heckel, S. l8),
und in Spanien wird noch heutigestags Z o r i Fl a s berühmte
Dichtung „Don Juan Tenorio" (Madrid 1844) jedes Jahr an
vierzehn Abenden vom I. November an in allen Theatern des
Landes aufgeführt, wie bei uns Raupachs Schauerstück „Der
Müller und sein Kind." „Die Darstellung des Gastmahls, das
der Komtur dem Don Juan im Pantheon der Familie Tenorio
gibt, bei dem Schlangen, Knochen und Feuer den Schmuck des
Tisches bilden und Asche und Feuer als Speise und Trank vorgesetzt
werden, hat für unser Gefühl etwas Miesliches; noch weniger
wird man sich damit befreunden können, daß die Schatten und
Skelette der Opfer Don Juans in dieser Szene den Kirchhof
f bevölkern und zum Schlüsse auf ihn eindringen." (Heckel,
I) Der von den Laufner Sdiiffleuten gespielte „Don Joann, ein Sdiau-
spill in 4 Aufzigen. Verfaßt von Herrn appen Beter Metastasla. K. k. Hof-
boeten", der durdi eine Niedersdirifl: von Franz Kastner (1811) auf uns
gekommen ist. (W e r n e r, Der Laufher Don Juan. Ein Beitrag zur Gesdiidite
des Volkssdiauspiels. Theatergesdiiditlidie Forsdiungen ed. Berthold Litz-
mann in, Hamburg-Leipzig 1891.) Heckel, S. 18.
72 Dr. Otto Rank
S. 58.) Entsprechend diesem erdrückenden Sdiuldgefiihl ist der
Charakter des Helden in den schwärzesten Farben gezeichnet.
Er steht als ein von keinerlei Gewissensbedenken gehinderter
Verbrecher da, der sidi aus den Gebeinen der durch sein
Verschulden ums Leben Gekommenen Speisegerä t schaften
anfertigen läßt. Vergleichen wir mit diesem tief urgeschichdichen
Zug die kitschigen Friedhofsgespenster bei Raupach, so körmen
wir daran den ganzen ungeheuren Zuwadis an Schuldgefühl,
aber auch die zu seiner Entlastung notwendige Entwertung
ermessen.
In diesem Zusammenhang taucht ein neues, vielleicht urspüng-
liches, jedenfalls aber sentimental verwendetes Motiv auf, das
wir bis in die jüngste literarisdbe Entwicklung verfolgen können.
Neben den Schatten der erschlagenen Männer, deren Urbilder
das Gewissen im Sinne des Vaterkomplexes repräsentieren (Komtur),
treten hier auch die Schatten seiner weiblichen Opfer auf, die
ganz im Sinne unserer Deutung bald die verfolgende und
rächende Männerhorde fersetzen. Diese ^Verweiblichung des
Gewissens geht auflfallend ofl mit possenhaften und selbstironi-
sierenden Elementen parallel, wie beispielsweise in dem sonst
durchaus ernsten Stil der Len au sehen Dichtung, wo bei Don
. Juans^etztem Mahle eine große. Anzahl Verlassener, sogar mit
yot , ihren Kindern , unter Führung Don Pedros bei dem Verführer
eindringen, um an ihm Rache zu nehmen. Ähnlich erscheinen
ijtqC. ^^ einem Gedicht von Baudelaire („Don Juan aux enfers") ^
(jyjJUi^ die anklagenden Stimmen seiner Opfer, die im zerrissenen
(ICtrf ß-kA^i I ^^ide ihm ihre schlaffen Brüste weisen. Der greise Vater zeigt
i I den Toten zitternd den verruchten Sohn, der sein graues Haar
verhöhnt hat. Sganarelle fordert lachend seinen Lohn. Auch in
Ritt ners Drama, wo das Gewissen des Helden ihn an den
betrogenen Diener verrät, von dem er ohne Gegenwehr nieder-
»"f
Die D on Juan-Gestalt 73
gestodien wird, scharen sich um seine Leiche, von geheimnis-
voller Macht herangezogen, wie im Traume seine Opfer. Sein
Bruder, der nüchterne Professor, läßt die Halle von den
Frauen säubern, nur eine, seine letzte Geliebte, die Gattin
Leporellos, bleibt zurück und küßt dem Toten die Lippen, um
jubelnd und entsetzt zugleich auszurufen: er hat mich wieder-
geküßt!
Das possenhafte Element kommt in der Form des
Marionettentheaters zu besonderer Geltung in Friedmanns
Drama, wo der Dichter, „offenbar um die Identität seines
Helden mit dem Don Juan der Sage zu erweisen, ihn und
Leporello von den Abenteuern, die er in den bekannten Don
Juan-Dramen gehabt hat, erzählen läßt. So reflektiert Leporello :
,Was sind nun die Annen und Elviren, die Zerlinen und
Masettos, die Gouverneure und all die Marionetten, die wir
an den Fäden unserer Leidenschafl:en einst auf dem Puppen-
theater, das wir unsere Jugend nannten, tanzen ließen!' Und
Don Juan entgegnet elegisch: ,Famihenväter, Leporello; dicke
Mütter, Leporello; Großmütter, die ihre Enkel auf den schlottern-
den Knien schaukeln; — Gastmähler von Würmergemeinden,
die sich gegenseitig zu einem Festschmaus einluden; oder wenn
sie dünn und hager waren, Heringschmaus der Maden nach ihrem
tollen Karneval, unter den Regionen der Maulwürfe'." (Heckel,
S. 133.) In einem „Don Juan" von Bernhardi (Berlin I903) y^ .
tritt der Held sogar in noch weitergehender Entwertung selbst \!cMy\\jCi^KA^
als Schauspieler in seiner eigenen Rolle auf, und zwar kurz "ihr' .(/^e«^'.
bevor er — am Schluß der Dichtung — wieder in seine Heimat f^-a/l^ • '
zurückkehrt. „Es ist Jahrmarkt, und von einer herumziehenden
Truppe wird ein ,lunkelnagelneuer Vorgang', ,Don Juans
Abenteuer', aufgeführt. Als aber die Heldin auftreten soll,
wartet mr Partner, der sich durch höchst ungeschicktes Extem-
porieren zu helfen sudit, vergebens, und das Publikum beginnt
unruhig zu werden. Endlich ersdieint der Direktor und macht
die überrasdiende Mitteilung, daß das Urbild des Titelhelden
unerkannt der Vorstellung beigewohnt, im Zwischenakte die
Gunst der Schauspielerin erobert habe und mit ihr durch-
gebrannt sei. Im Vertrauen auf Don Juans Unbeständigkeit wagt
der unternehmende Theatermann, das Publikum zu einer
Wiederholung der Komödie einzuladen, ,um erstens die durch
ihre Beziehungen zu dem verliebten Ritter Don Juan nunmehr
in interessantem Licht erscheinende Schauspielerin kennen zu
lernen, und um zweitens der Entführung Esmeraldas audb. auf
dem Theater beizuwohnen!' (I. c. S. IO3.)"
Die in diesen beiden zuletzt genannten Darstellungen ver-
wertete literarisdie Existenz Don Juans, dessen Abenteuer sich
nur in den bekannten Dramen zugetragen haben und gewisser-
maßen für die Sensationslust der Zuschauer unternommen
werden, zeigt die Entwertungstendenz im Dienste der psycho-
logischen Auflfassung, welche hinter dem heroischen Don Juan-
Charakter die lügenhafte Wunschphantasie erblidtt. Eine
bewußterweise noch weiter gehende Entwertung zeigt die jüngste
Don Juan-Dichtung, Edmond Ro Stands nachgelassenes
dramatisches Gedicht „La derniere nuit de Don Juan", das
erst I92I in Paris veröffentlicht und im Frühjahr 1922 im
Theätre Porte-Saint-Martin aufgeführt wurde. Dort treten die
berühmt gewordenen Tausendunddrei nur mehr als Schatten
aus der Unterwelt auf, die - vom Satan herangeführt - das
Gewissen des Lebemannes belasten. Seine Strafe besteht - in
'fast Shawscher Ironie - darm, daß er nicht in die große Hölle
kommt, sondern in eine kleine Hölle aus bemalter Leinwand,
in das Marionettentheater, wo er als Wurstel ewig Ehebrüche
zu agieren hat, während sein heroischer Stolz das ihm literarisch
Die Don Juan-Gestalt 75
zukommende Höllenfeuer verlangt. Überhaupt ist er ein seines
Ruhmes wohl bewußter Don Juan, der sidi darüber klar ist,
welche Rücksichten er seinem schlechten Ruf und seiner literari-
schen Tradition schuldet. Er ist auch sozusagen als sein eigener
Epigone oder Schatten absichtlich ziemlich unreal vom Dichter
gezeichnet. Der Prolog des Dramas bringt die Szene wieder,
mit der sonst die Don Juan-Tragödien zu enden pflegen: Der
Kommandeur steigt zur Hölle hinab. Don Juan folgt ihm nach-
denklich, indem er auf jeder Stufe den Namen einer anderen
Frau murmelt. Der steinerne Rächer ist von Bewunderung vor
solcher Seelengröße erfüllt — ähnlich wie in der Shawschen
Traumhölle — und will ihn begnadigen. Aber eine Riesenhand
erhebt sich aus dem Abgrund und streckt ihre Finger gegen
den Verurteilten. Es ist Satan, den er spöttisch um weitere zehn
Jahre Frist zur Fortsetzung seines Luderlebens bittet.' Das
Stück selbst spielt nach Ablauf dieser Frist in Venedig, wo der
aus dem Rachen der Hölle entlassene Held in Saus und Braus
weitergelebt hat. Es kommt ein Marionettenspieler, der eine
seltsame Komödie mit seinen Fingern aufl^ührt: Polichinelle
parodiert den berühmten Verführer Don Juan, der mit den
Puppen scherzt und ihnen seine Lebenskunst beibringt, den
Teufel selbst zu verachten. Die Marionette wettet, daß er es
nicht mehr könne und Don Juan schlägt in die Holzhand. Da
enthüllt sich der Puppenspieler als Teufel, der sein Opfer zu
holen kommt; aber Don Juan ladet ihn zu einem üppigen
Mahle ein und zeigt ihm im Laufe der Unterhaltung stolz seine
Liste. Der Satan zerreißt sie in Stück e, die sich beim Fallen in
die Lagune in eine Flotille von düsteren Gondehi verwandeln,
denen in unübersehbarem Zuge die Schatten der tausendund-
l) Die Versöhnlldikelt des Komturs findet sidi sdion - allerdings nidit
in ironisdier Verwendung — bei Z o r i 1 1 a.
I
drei verlassenen Opfer entsteigen und ihn immer diditer um-
ringen. Der Teufel,, der immer deutlidier die Rolle von Don
Juans eigenem Gewissen übernimmt, unterwirfl; ihn einer
Prüfung, die darin besteht, aus einigen geflüsterten Worten die
Seele der betreflfenden Frau zu erkennen. Da er nur ihren
Körper kannte, versagt er. Und nun entspinnt sidb ein langer
Dialog von pathetisdier Größe zwischen dem Angeklagten, der
in seinem Hodimut sdiwankend wird, und den Sdiatten, die
langsam und unerbittlich eine Illusion nach der anderen in ihm
zerstören. Er habe nur Masken gekannt, immer habe man ihn
nur belogen und er selbst hätte diese Lügen gewollt. Denn das
Weib erscheine dem Manne so wie er es wünsdie. Die
Rächerinnen eröffnen ihm, wie kläglidi seine eingebildeten
Verführungskünste gewesen seien: die Frauen hätten ihn
erobert und wenn er sie verlassen habe, so trieb ihn die
uneingestandene Furcht, bei einer bleiben zu müssen. Schließ-
lich erscheint ein besonderer weißer Schatten, mit einer Träne
des Mitleids im Auge, die die Qual des nie Gesättigten und
stets neu Suchenden eine Frau vergießen ließ. Dieser weiße
Schatten, ein Symbol des Ideals, eine Emanation all der anderen
Schatten, war in jeder und Don Juan hätte ihn mit ein wenig
Liebe leicht finden können. So aber hat er all diese Gelegen-
heiten vorübergehen lassen und leidet jetzt unter seiner
Unfruchtbarkeit.
Diese bewußte Entwertung des Don Juan-Typu s zerpflüdtt
psycfaologisdi die letzten Fetzen seines heroischen Charakters
Zug um Zug und läßt die kühne Erobererfigur vor einer Schar
sentimentaler Liebeserinnerungen, die sein Gewissen beun-
ruhigen, kapitulieren. Dies ist wahrhafl;ig Don Juans letzte
Nacht, sein eigentliches literarisches Ende!
X ■ ■
Der Prozeß der dichterischen Gestaltung und Wandlung
des Stoffes, den wir in groben Umrissen verfolgt haben, zeigte
uns eine doppelte Wirkung und Funktion der Dichtkunst. Bis
zu einem gewissen Grade der bewußten Deutlichkeit werden
die der dichterischen Phantasiebildung zugrunde liegenden
Urmotive herausgearbeitet, um dann mit der Steigerung und
Unerträglichkeit des Schuldgefühls einer allmählich fortschreitenden
Entwertung des tragischen Stoffes Platz zu machen, die der
Überwindung des Schuldproblems entspricht. Auf der einen Seite
wirkt aber die Darstellung der unbewußten Motive von einem
bestimmten Punkt an durch die Kraßheit abstoßend, wie sie
auf der anderen Seite durch die psychologische Interpretation
kraftlos und unkünstlerisch wird, bi beiden Extremen nähert
sich die Dichtkunst einer Grenze, jenseits der das Bereich der
Psychoanalyse beginnt, die intellektuell zu beurteilen und zu ver-
urteilen vermag und nicht mehr aflfektiv entwertet. Dieser K atharsis
der Dichtkunst entspricht ihre künsderische Funktion: im
Inhalt der Dichtungen die Urkomplexe der Menschheit in
ihrem jeweiligen säkidaren Verdrängungsstadium darzustellen.
Dies geschieht, wie besonders die Entwicklung der tragischen
Stoffe zeigt, indem die uralten Wunsch phantasien mit einem
immer mehr anwachsenden Schuldgefühl verknüpft werden. Es
wird dann zu einer der vornehmsten Funktionen der Dichtkunst,
dieses im Laufe der Menschheitsverdrängung angehäufte Schuld-
gefühl zu entlasten, was zunächst durch die künstlerische Dar-
78 Dr. Otto Rank
na
Stellung selbst gesdiieht, dann aber durdi die psydiologisdbe
Interpretation der Charaktere und sdiließlidi durch eine immer
bewußter auftretende Entwertung erfolgt. Im Laufe dieses Prozesses
hat sich der Dichter sozusagen als eine analytische Gewissens-
instanz der Mensdiheit etabliert, was ja vollkommen den indi-
viduellen Zielen und Zwecken der Dichtkunst im Dienste des
Idiideals entspricht. Nur sehen wir beim Dichter eine ganz
besondere Funktion, indem bei seiner Idealbildung selbst das
Ichideal als kritische Instanz auftritt, sich damit immer aufs
neue wertend und entwertend.
Wir sehen also im Dichter eine doppelte Funktion des
Ichideals verkörpert: nach außen hin schafft er der Menge ein
neues, individuelles Ideal, zu dessen Bildung ihn aber sein
innerer Konflikt drängt, der aus seiner eigenen Idealbildung
herauswächst. Unbefriedigt von dem Ideal der Masse, schafft er
sich sein eigenes, individuelles Ideal, um es dann der Masse
anzubieten, ohne deren Anerkennung sein Schaffen höchst
unbefriedigend bleibt. Der Anstoß zu seiner individuellen Ideal-
bildung geht offenbar von einem überstarken Narzißmus aus,
der ihn hindert, das gemeinsame Ideal zu akzeptieren, und ihn
nötigt, sich ein individuelles zu schaffen. Auf der anderen Seite
verrät der Zwang, für dieses Ideal um die Anerkennung der
Menge zu werben, daß dieses Ideal nicht allein zur Befriedigung
des eigenen Narzißmus geschaffen wurde, sondern um das
gemeinsame alte Ideal durch ein neues zu ersetzen. Der Dichter
wiederholt damit eigentlich das Urverbrechen auf psychischem
Gebiet, denn das von ihm neu geschaffene Ideal ist sein eigenes,
ist er selbst in seiner Identifizierung mit dem Urvater. Aus
dieser psychologischen Situation heraus charakterisiert S h a w in
seinem Don Juan-Stüdk mit unerbittlichem Scharfblidk den
Künstler als asozialen, rücksichtslosen, grausamen Urmensdien,
1
Die Don Juan-Gestalt jg
der sich bewußt außerhalb der Sozietät stellt, die Freiheit seiner
Triebe proklamiert und jedes Familien- und Eheleben sprengt.
Hier wird ganz klar, daß der Typus Dichter charakte- y
rologisch mit dem Typus „Heros" zusammenfällt, 'O
der ja in der Gestalt des Don Juan mit seinen extremsten
Merkmalen gezeichnet ist. Dieser psychologische Tatbestand
erklärt es vielleidit, warum die Dichter alle an der Darstellung
dieses allzu ungeschminkten Selbstporträts scheitern mußten und
es so konsequent einerseits zu schmeicheln, andererseits zu entwerten
suchten. Es war zu naturgetreu und das aus dem Schuldgefühl
verstärkte Ichideal war es, das die Darstellung dieses Urtypus
allmählich verpönte, um eine romantische Idealgestalt daraus
zu madren. Nur in diesem tieferen Sinne kann, man Pia to recht
geben, der die Dichter als Lügner aus seinem Idealstaat verbannt
wissen wollte (und nur dem Arzte die Lüge - als Trost gestattet).
Denn den Dichter unterscheidet ein bedeutsames soziales Merk-
mal vom Heros: er macht die Unwahrhaftigkeit der Darstellung
zu seinem eingestandenen Vorrecht und erhebt damit den
Anspruch, an Stelle der heroischen Phantasiebildung eine sitt-
liche Idealbildung gesetzt zu haben. Die Tragik jeder großen
Dichterpersönlichkeit liegt aber darin, daß das Gelingen dieser
Absicht - ähnhch wie die Urtat - letzten Endes zu einer
Enttäuschung, statt zu einer Befriedigung führen muß. Denn
mit der allgemeinen Anerkennung seines individuellen Ideals
ist wieder das Massenideal hergestellt, das er gerade vermeiden
wollte. Er braucht die Anerkennung sozusagen nur als Endastungs-
beweis, daß er mit der Tendenz zur Urtat nicht allein steht, die
er doch allein vollbracht haben will und die er mit der Schafiiing
eines neuen - seines eigenen - Ideals wiederholt. Es stört ihn
aber die notwendig damit verbundene Popularisierung dieses
Ideals zum allgemeinen, da sie ihm zeigt, daß er mit seiner
individuellen Schöpfung nidits Originelles geleistet hat, sondern
immer nur das verleugnete Urideal wiederholen kaim. Und no(h
eine zweite Erwartung des Dichters wird notwendig in gleicher
Weise enttäuscht. Sein starker primärer Narzißmus, den wir
voraussetzen müssen, macht ihn zur Objekdiebe weniger geeignet
und stellt ihn in die mehr feminine Situation des Geliebtwerdens.
Er selbst überträgt ein großes Stück seines primären Narzißmus
sekundär auf sein Werk, das er als unsterbliches Teil seines Idi
liebt, schätzt und bewundert. Indem er aber die gleiche Ein-
stellung der Masse hervorruft, entgeht ihm der primäre narzißtische
Libidogewinn, der letzten Endes ein Geliebtwerden der eigenen
Person erstrebte.
Diese beiden Phasen der dichterischen Einstellung ließen sich
bei mandien Dichtern sehr instruktiv im Detail verfolgen, wir
müssen uns aber hier mit dem allgemeinen Hinweis darauf
begnügen, daß immer, wo wir gewisse Periodenabschnitte beim
Dichter finden,' ein solcher Entwertungsprozeß der eigenen
vorangegangenen Idiidealbildung vorliegt (der Diditer wird
kritisdier, bewußter, pessimistisdier usw.). Ja, wir brauchen nicht
einmal so weit zu gehen, denn die Tatsadie, daß der Diditer
überhaupt kontinuierlidi produziert, produzieren muß, zeigt uns
den Prozeß der Entwertung der letzten Idealbildung und des
immer erneuten Versudies einer frischen Idealbildung eigentlidi
in fortwährendem Fluß. Auf der anderen Seite genügt ein
psydioanalytisdier Blidt auf die Entwidtlungsgeschidite der Poesie,
um uns zu zeigen, daß sich audi im großen der gleiche Prozeß
abspielt und ständig wiederholt. Die erste epische Erzählung
war nach Freud eine mythisdie Idealbildung, wie auch später
nodi viele Erstlingswerke der dichterisdien Sturm- und Drang-
I) Vgl. Rank: Das Inzestmotiv, besonders S. 97 Note.
J
Die Don Juan-Gestalt
8l
Periode; bald tritt aber die kritische Stimme des Idiideals in
Funktion, welche die Straftendenzen stützt, damit das Scfaul d-
bewuß tsgin steigert und an einem Endpunkt unserer abend-
ländischen Literaturentwictlung in der bewußten Erkenntnis
Ibsens gipfelt:
Leben heißt - dunkler Gewalten
Spuk bekämpfen in sidi,
Dichten - Gerichtstag halten
Überseineigenesich.
f
Vom Schöpfer der Don Juan-Gestalt können wir natürlich nicht
wissen, welche individuellen Motive ihn zu der großartigen
Phantasiebildung veranlaßten. Aber von de m Künstler , der dieser
Sdiöpfiing ihre Ewigkeitsgestalt verliehen hat, von Mozart,
'^- kennen wir ein _biogr aphisches Faktum, /das seine Stellung zum ? f^.CcCcA^
I ganzen Stoffkreis des Don Juan und zugleich das Wesen der / ^^^
I künsderischen Produktion grell beleuchtet. Wiede r ist es nicht / ^^ • t'o/
; das erotische Liebesmotiv, das den großen Musiker begeislerte, Ufin W>vär.
sondern ein tragisdies Motiv, dessen bedeutsame Wirkung uns \.;„ fH^u
Freud bereits bei einem anderen großen Künsder verständlich / -/ äj^*-*»-^
gemadit hat. Als nämlidi Mozart gerade begann, sich mit dem *^<=^^ ^
I von seinem Textdichter Da Pont e vorgeschlagenen Stoff zu hUMfM-i ,*
/! besdiäftigen, starb sein Vater; wenige Monate darauf audi p«/^^^^ ./
sein beste r Freund B arisan i.' Die Biographen selbst heben her- j f^ ^
. vor, daß der Künsder in der Schöpfung des Don Juan Gelegen-
\ I) Im Frühjahr 1787, nach der Rüdskehr von Prag nadi Wien, wies
^ Da Ponte d en Tonkünstler auf den Stoflf des Don Giovanni hin, an dessen
diditerisdier Gestaltung Mozart selbst großen Anteil hat. Am 28. Mai 1787 q
Q starb sein Vater, am 3. September sem Freund und am 29. Oktober fand j „y/f _^*«^^A.
^<- die ErstauflEührung statt, zu der die Musiker die Notenblätter de r Ouvertür e ^ ^ I~J — f
nodi feudit und mit dem darauf klebenden Streusand erhielten. '
6
«I
82
Dr. Otto Rank
heit sudite, sein bedrücktes Gemüt zu befreien. Es wird allent-
halben beriditet, mit weldier Intensität er sidi auf die Arbeit
stürzte, und die Legende, daß er die Ouvertüre in einer ein-
zigen Nacht niedergesdirieben hätte, gibt am deutlichsten Zeugnis
von der künstlerischen „Besessenheit'',/aie seine Umgebung an
ihm bemerkt haben mag. Die tiefreichenden ambiv alenten Affekt-
regungen, die der Tod des Vaters nach unseren psychoana-
lytischen Erfahrungen besonders beim schaffenden Künsder im
Sinne der Ursituation auslöst, erklären die nur auf Grund weit-
gehender Identifizierung ermöglichte künstlerische Durchdringung
und Bewältigung des Stoffes, die von allen Bearbeitern Mozart
allein_yollkomnienj^ ist.' '"jß- CK ^M^ ^.} u,'-tl/»*^!fi t^^
Welchen Anteil neben dem aufgezeigten persönlichen Anlaß ^.
die besondere Kunstform der Musik daran haben mag, können ^
wir infolge unseres geringen psychologischen Verständnisses der r^-'
musikahschen Ausdrucksmittel nur ahnen. Es scheint, daß die/^
Fähigkeit der Musik, gleichzeitig verschiedenen Gefühlsregungen"7^
Ausdruck zu gestatten^ sie zur Darstellung und affektiven
ri.'Hv
Erledigung ambivalenter Konflikte besonders geeignet madit. »'•Ö.
""' '' — " »I />
Nun ist im Grundzug des Don Juan-Charakters, nicht bloß/**"''
dynamisch, sondern auch formal, von Anfang an eine Bruch-C^*'
fläche zwischen der ungezügelten Sinneslust und der Schuld-
und Straftendenz, welche durch die Geschmeidigkeit und
Unmittelbarkeit des musikalischen Ausdruckes wieder in künst-
lerischer Harmonie vereinigt wird. Denn während auf der einen
Seite die Wudit der Komtur-Akkorde den Gewissenskonflikt
^
fiAf.
1) Nadidem bereits Stendhal, einer der feinsten Kenner Mozarts,
Q^j, . .^ vor hundert Jahren die Melan diolie als den Kern seiner „heiteren" Kunst
l^Jp^' ■'^^/^ bezeidinet hatte, ist der jüngste Mozart-Biograph, Artur Schur ig , wieder
H ^l^^jitf^ ^"^ diesen dämonisdie n Grundzug 3S Persönlidikeit Mozarts zurüdi-
gekommen.
Die Don Juan-Gestalt
im Helden aufs qualvollste steigert, sdiwebt darüber in leiden-
sdiaftlidien Rhythmen eine ungebrodiene Eroberematur, wie
wir sie in solcher Sinnlidikeit in der ganzen großen Don Juan-
Literatur vergebens sudien. Und während in den Klängen des
beim Festmahl ersdieinenden Steinernen IGastes die im trauern-
den Sohne entfesselte Ursdiu ld tobt, läßt auf dem gleich en
Höhepunkt der Sinnenfreude Don Juan in ungebrochenem Über-
mut „den edlen Mozart leben"!
Fori Dr. Otto Rank sind früher erschi enen :
— -D er Künstler. Ansätze zu einer Sexualpsychologie. (Imago-Bücher I.)
4. Tausend, Leipzig, Wien, Zürich 1922.
Der Mythus von der Geburt des Helden. Versuch einer
psychologischen Mythendeutung. (Schriften zur angewandten Seelenkunde.
Nr. 5.) Ziveite Auflage, Leipzig u. Wien 1922.
The Myth of the Blrth of the Hero. (Nerv, and Ment. Disease Monogr.
Series.) New- York igu.
II mito deUa nasclta degll Erol. (Blblloteca Pslcoanallüca Italiana.
Nr. 4.) Zurigo, Napoli, Vienna, Nocera Inferiore I921.
Die Lohengrinsage. Ein Beitrag zu ihrer Motivgestaltung und
Deutung. (Schriften z. angewandten Seelenkunde. Nr. 13.) Leipzig u. Wien 1911.
Das Inzestmotiv in Dichtung und Sage. Grundzüge einer
Psychologie des dichterischen Schaffens. Leipzig u. Wien I912.
Psychoanalytische Beiträge zur Mythenforschung.
(Internationale Psychoanalytische Bibliothek. Nr. 4.) 2. Auflage, Leipzig,
Wien, Zürich ^1922.
<-rDas Tra.uma der Geburt und seine Bedeutung für die
Psychoanalyse. (Internationale Psychoanalytische Bibliothek. Bd. 14.)
Leipzig, Wien, Zürich 1924.
Eine Neurt^senanaly se in Träumen. (Neue Arbeiten zur
ärztlichen Psychoanalyse, ^r"! 3.) Leipzig, Wien, Zürich 1924.
-~ f/ (/ MiFDr. Hanns Sachs
Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Geistes-
wissenschaften. Wiesbaden 1913.
The signlflcance of Ps y c h p - A n a I y s 1 s for fhe Mental
Sciences. (Nervous and Mental Disease Monograph Series.) New- York I9I6.
Mit Dr. S. Ferenczi
Entwicklungsziele der Psychoanalyse. Zur Wechsel-
beziehung von Theorie und Praxis. (Neue Arbeiten zur ärztlichen Psycho-
analyse. Nr. I.) Leipzig, Wien, Zürich 1924.
•-r-.-fi.^--;..-^— x-,T
A-h^a^ Y^
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Die Don JiAan-Crestalt