t
DIEMUSIK
ILLUSTRIERTE HALBMONATSSCHRIFT
HEKAUSGEGEBEN VON KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
DRITTER JAHRGANG
VIERTER QUARTALSBAND
BAND XII
VERLEGT BEI SCHUSTER & LOEFFLER
BERLIN UND LEIPZIG
' 1903—1904
Digitized by
Google
Musir
PlL-
Digitized by
Google
DIEMUSIK
VERZEICHNIS DER KUNSTBEILAGEN
DES DRITTEN JAHRGANGS (1903—1904)
Notenbeilagen:
Conrad Ansorge, „Der du von dem Himmel bist a ; op. 19, No. 2. (Lied.)
Beethoven, Durchfuhrung des I. Satzes seines F-dur-Streichquartetts in der Gegen-
uberstellung beider Fassungen; op. 18, No. 1.
Berlioz, Der junge Bretagner Hirte; op. 13, No. 4.
Ernst Boehe, Das Kfitzchen; op. 4, No. 5. (Lied.)
Bruckner, Adagio aus dem Streichquintett, fiir das Pianoforte bearbeitet von Josef Schalk.
Georg C a pell en, Japanische Melodien als Charakterstucke fur Klavier.
Cornelius, „Friedlich bekampfen Nacht sich und Tag". (Lied.)
Fritz Erckmann, Zwei patriotische schottische Volkslieder.
Peter Cast, „Liebesweihe a , Hymnus fur Baryton.
Edvard Grieg, „Zu deinen Fussen a fur Pianoforte; op. 68, Heft 9.
Paul Juon, Neue Tanzrhythmen, vierhSndig; op. 24, No. 4.
Richard von Kralik, Drei Lieder deutscher Minnesinger.
Liszt, Ouverture und Arie des „Don Sanche".
Wilhelm Mauke, Paradies; op. 35, No. 3. (Lied.)
Oskar Nofi, Die einsame Wolke. (Lied.)
H. Post, Rhythmische Neugestaltung der protestantischen Chorale.
Max Schillings, Aus dem Takt. (Lied.)
Clemens Schultze-Biesantz, Scherzo fiir Klavier; op. 20.
Felix Weingartner, Barbarazweige ; op. 32, No. 2. (Lied.)
Richard Wetz, Die Muschel; op. 9, No. 2. (Lied.)
Autographen in Faksimile:
Beethoven, Brief an den Geh. Kab.-SekretSr Schleiermacher in Darmstadt.
— Neujahrskarte an Baronin Dorothea Ertmann.
— Titelblatt der Eroica-Partitur.
— Ein Blatt mit Skizzen zum Es-dur-Konzert No. 1.
— dto. dto. dto. No. 2.
— dto. dto. dto. No. 3.
— dto. dto. dto. No. 4.
Berlioz, Brief an Bern hard Cossmann.
— Notenschrift.
Cornelius, Die Widmung an Liszt in der Originalpartitur des Barbier von Bagdad.
— Das Personenverzeichnis der Urauffuhrung in der Originalpartitur des Barbier
von Bagdad.
— Ein lateinischer Brief an Heinrich Porges.
— Erste Niederschrift des Liedes „Auftrag a .
Johann Adam Hiller, Ein Brief.
134377
Digitized by LiOOQ IC
Mendelssohn, Ein Brief an Verhulst.
Meyerbeer, Ein Brief.
Friedrich Schneider, Ein Brief.
Richard Wagner, Brief an Joseph Tichatschek.
— Ein Notizenblatt aus dem Jahre 1841.
Kunst:
L. Balestrieri, Beethoven.
Barrias, Statue des jungen Mozart.
Louis Corinth, Conrad Ansorge.
G. Courbet, Hector Berlioz.
Carlo Do lei, Die heilige CScilie.
M. Fantin-Latour, GedSchtnisblatt auf Berlioz.
— Tuba minim, Gedenkblatt auf Berlioz' Requiem.
Melozzo da Forli, Die Musik.
A. Fremd, Das Stuttgarter Liszt-Denkmal.
Jacques Edouard Gatteaux (?), Beethoven-Medaillon.
Lorenz Gedon, Die Buste Richard Wagners.
F. Hass, Das Haidenroslein.
Hermann Hendrich, Wie Todesahnung DSmmerung deckt die Lande.
— Die traurige Weise.
— Die Rheintochter.
— Die schlafende Brunnhilde.
— Der Rheintdchter Klage.
— Schattenzug der Mannen mit Siegfrieds Leiche.
— Siegfrieds Tod.
Fr. Hausmann, Clara Schumann-Buste.
Gustav Klimt, Schubert am Klavier.
Konrad Knoll, Medaillon von Peter Cornelius.
Masseau, Beethoven, nach einer Terrakotta-Skulptur.
Rubens, Die heilige CScilie.
Moriz von Schwind, Symphonic
— Der SSngerkrieg auf Wartburg.
— Zwei Stucke aus der Lachner-Rolle.
Terborch, Das Konzert.
Ernst Wuertenberger, Franz Schubert.
Portrats :
Eugen d'Albert.
Carl Ferdinand Amenda.
Hector Berlioz mit Namenszug.
— nich einer Photograph ie.
Boieldieu.
Crescenzio Buongiorno.
Charles Burney.
Teresa Carreno.
Emanuel Chabrier.
Peter Cornelius mit Namenszug.
— (Weimarer Zeit.)
— (MGnchener Zeit.)
Karl Friedrich Curschmann.
Theodor Ddhlerm. Notenschrift u. Namenszug-
Anton Dvorak.
— in der Sommerfrische.
Francois Joseph F6tis.
Girolamo Frescobaldi.
Franz Josef Frohlich.
Niels W. Gade.
Marie Geistinger.
Leopold Godowsky.
Fr. J. Gossec.
Charles Gounod.
Edvard Grieg n. d. Geraalde von Werenskjold.
Julius Otto Grimm.
Eduard Hanslick.
Siegmund von Hausegger.
Hugo Heermann.
Stephen Heller m. Notenschrift u. Namenszug.
Hermann von Helmholtz.
Adolph Henselt mit Namenszug.
Georg Herwegh mit Namenszug.
Johann Adam Hiller.
Digitized by
Google
E. T. A. Hoffmann.
Richard Hoi.
Adolf Jensen.
Victorin de Joncieres.
Theodor Kirchner.
Aloysia Krebs-Michalesi.
Charles Lamoureux.
Eduard Lassen.
Detlev von Liliencron.
Liszt mit Nimenszug (J u Scndblld).
Eduard Mantius.
Johann Mattheson.
Joseph Mayseder.
Felix Mendelssohn -Bartholdy mit
Nimenszug.
Giacomo Meyerbeer mit Nimenszug
Eduard Mdrike.
Ignaz Moscheles.
Felix Mottl.
Albert Niemann lis Lohengrin.
Jacques Offenbach.
Palestrina.
Martin Pluddemann.
Jean Philippe Rameau.
Theodor Ratzenberger.
Josef Rebicek.
Carl Reinecke.
Alfred Reisenauer.
Gustave Hippolyte Roger.
Anton Ruckauf.
Malvina Schnorr von Carolsfeld.
Robert Schumann mit Nimenszug.
— mit Namcnszug.
Johann Andreas Silbermann.
Friedrich Smetana.
Henriette Sontag.
Philipp Spitta.
Joseph Standthartner.
Wilhelm Stenhammar.
Antoinette Sterling.
Johann Strauss (Viter).
Richard Strauss.
Edgar Tinel.
Joh. Wenzel Tomaschek.
Caroline Unger.
Giuseppe Verdi.
J. J. H. Verhulst mit Nimenszug.
Richard Wagner.
Clara Wieck mit Nimenszug.
Philipp Wolfrum.
Richard Wuerst.
Mathilde Wesendonk mch dem Gemiidc
von C. Dorner.
Herman Zumpe.
Gruppenbilder:
Hector Berlioz: Je ein Portrait nach M. Signol (1831) und P. de Pommaurne (1830).
— Je ein ReliefportrSt von Adam-Salomon (1852) und von C. Godebski (1884).
Berlioz' Frauen: Marie Martin-Recio und Henriette Smithson.
Hans von Bulow und Johannes Brahms, mit Unterschrift von Bulow.
Das Pariser Streichquartett.
Das Petersburger Streichquartett.
Das 40. Tonkunstlerfest in Frankfurt a. M. 1904:
— Wilhelm Berger, Heinrich Zoellner, Waldemar von Baussnern, Hans Pfitzner.
— Gustave Charpentier, Jean Louis NicodS, E. N. v. Reznicek, Max Reger.
— Bruno Walter, August Reuss, Dirk SchSfer, Hermann Zilcher.
— Georg Schumann, Ludwig Thuille, Paul Scheinpflug.
— Walther Lampe, Friedrich Klose, Volkmar Andreae, Alfred Schattmann.
— Philipp Wolfrum, Ernst Kunwald, Willibald Kaehler.
— Streichquartett der Museumsgesellschaft in Frankfurt a. M., Ludwig Hess, Anton
Sistermans.
Zur Geschichte der Koniglichen preussischen Hofkapelle:
— Graf Karl von Bruhl, Graf Wilhelm von Redern.
— Karl Theodor von Kustner, Botho von Hulsen.
— Georg von Hulsen, Graf Bolko von Hochberg.
— Karl Friedrich Christian Fasch, Johann Friedrich Reichardt, Karl Heinrich Graun.
— Bern hard Anselm Weber, Vincenzo Righini, Friedrich Heinrich Himmel.
— Bernhard Romberg, Georg Abraham Schneider, Gasparo Spontini.
— Wilhelm Taubert, Karl Eckert, Otto Nicolai.
— Robert Radecke, Heinrich Kahl, Josef Sucher.
O perettenkomponisten:
— Johann Strauss, Franz von Supp6, Carl Millocker.
Digitized by
Google
Operettenkomponisten:
— Edmond Audran, Andre" Messager.
— Charles Lecocq, Robert Planquette.
— Arthur Sullivan, Sidney Jones, Paul Lincke, Bogumil Zepler.
Skandinavische Komponisten:
— Daniel Friedrich Rudolph Kuhlau, Christoph Ernst Friedrich Weyse
— Edouard du Puy, Francesco Antonio Uttini, Josef Martin Kraus.
— Franz Berwald, Ludwig Norman, Ivar Hallstrdm.
— August S5derman, Otto Lindblad, Gunnar Wennerberg.
— Hugo Alfv6n, Wilhelm Stenhammar.
Die Kunstlerschar von John Ella's ^Musical Union* 1851.
Karikaturen und Silhouetten:
Karikatur auf Berlioz von Grandville (1846).
— — — Gustave Dor6 (1850).
— auf Adolphe Sax von Carjat.
— auf Richard Wagner von Ch. Giraud.
Hanslick und Wagner, Schattenriss von Otto Bonier.
Verschiedenes :
Anton Bruckner-Plakette von J. Tautenhayn jun.
Liszt-Medaille von Edouard Louis Geerts.
Tschaikowsky-Denkmal im Petersburger Konservatorium.
Das Richard Wagner-Denkmal in'^Berlin.
Das Haydn-Mozart-Beethoven-Denkmal in Berlin (Sudseite).
— — — — (Nordseite).
Das Grab Cornelius* in Mainz.
August Klughardts Grabdenkmal in Dessau.
Das Grab Herweghs in Liestal.
Das Schwarzspanierhaus in Wien.
Berlioz' Geburtshaus in La Cdte-Saint-Andre\
Wagners Wohnhaus in Riga (1838-1839).
— — in London (1839).
— — in Biebrich a. Rh.
Das projektierte Munchener Wagnerfestspielhaus nach Gottfried Sempers
Entwurf.
Das verdeckte Orchester im Saal der Heidelberger Stadthalle.
Der Konzertsaal der Stadthalle in Heidelberg und Blick auf das verdeckte
Orchester und Podium in der Heidelberger Stadthalle.
Die Konigliche Musikakademie in Stockholm.
Titel der ersten Ausgabe des ersten Lutherischen Gesangbuches. 1524.
Erster Druck von Martin Luthers „Ein' feste Burg".
Theaterzettel der Urauffiihrung des „Don Sanche" von Franz Liszt.
Programm eines Konzerts unter Richard Wagner in Riga.
Programm mit der Anzeige des ersten Auftretens von Joseph Joachim
im Gewandhaus.
Exlibris der akademischen Musikgesellschaft in Wurzburg. 1798.
Plakat von Berlioz' Trojanern. 1863.
Titel zu „Lieder fur diejugend von Robert Schumann" von Ludwig Richter.
Katzensymphonie. Zeichnung von Moriz von Schwind.
Anzeige von Cornelius' Ableben.
Musikerkopfe auf Geldmunzen (drei Stuck).
— — (neun Stuck).
Nachbildungen alter Handschriften,Drucke und Inst ru men teausSchweden.
Digitized by
Google
IN HALT
Dr. Wilhclm Altmann, Zur Geschichtc der Koniglichen Preussischen Hofkapeile . . 3. 211
Hcinrich Bulthaupt, Ahasver. Musikdrama in einem Vorspiel und drei Akten . . 23 187
Dr. Carl Lccdcr, Beethovens Widmungen 39 367
Dr. Ernst Dccscy, Ein italienischer Lohengrin . . . ....... 49
Dr. Karl Kliebcrt, Die konigliche Musikscbule in Wflrzburg ...!.'*' 55
Hans von Wolzogen, Was hat Richard Wagner seinem Volke hinterlassen? .' ! .' 83 173
Kurt Mey, Romanische ,Ring"-Obersetzungen 97
Rud. M. Breithaupt, Richard Wagners Klaviermusik .........' 108
Robert Petsch, Guraemanz 135
Dr. Edgar Istel, Ein Brief Wagners an Frau Betty Schott 146
Paul Marsop, Vom Musiksaal der Zukunft. IV * 163
Tobias Norlind, Zur Geschichte der schwedischen Musik 243
Rud. M. Breithaupt, Edvard Grieg ' ! . , ! 264
William Behrend, Weyse und Kuhlau. Studie zur Geschichte der dlnischen Musik . 272
Dr. Karl Flodin, Die Erweckung des nationalen Tones in der flnniscben Musik ... 287
Angul Hammerich, Niels W. Gade 290
Rudolf Krauss, Eduard Mflrike und die Musik 323
Max Puttmann, Zur Geschichte der deutschen komischen Oper 334. 416
Dr. F. A. Steinhausen, Die Gesetze der Bogenfflhrung auf den Streichinstrumenten . . 350
A. Niko. Harzen-Muller, Liszt, Wagner und Bfllow in ihren Beziehungen zu Georg
Herwegh 355 44g
Dr. Paul Busching, Die Bayreutber BOhnenfestspielc 1904 381
Dr. A. SchOz, Eine Umwilzung auf dem Gebiete der Harmonik 403
Richard Dehmel, Neuer Text zu Chopin's Grabgesang an Polen 414
Wilhelm Tappert, Die preussischen National-Hymnen 429
Gaston Knosp, Annamitische Melodieen 441
Besprechungen (BQcher und Musikalien)
Revue der Revueen
Umschau
Anmerkungen
59. 147. 228. 302. 387. 458
65. 154. 231. 311. 393. 465
69. 156. 233. 316. 396. 467
80. 159 240. 320. 400. 479
Digitized by
Google
INHALT
Kiel . . .
Stit«
, . . . 235
Kritik (Oper).
Paris
Philadelphia . . . .
S«lt6
236
Mflnchen
. 235. 470
236
Stit«
Stuttgart 72
Weimar 72
Selte
Bern 74. 237
BrQssel 74
Dortmund 74
Kiel 238
Konigsberg .... 398
Leipzig 75
Kritik (Konzert).
Seite
LQbeck 76
Luzern 158
Marburg a. L 77
Melbourne 472
Milwaukee 475
Paris 238
Philadelphia . .
Porto Alegre . .
Reval . . . .
Reicbenberg i. B.
Salzburg . . .
Sondershausen
Stito
. 398
. 318
78. 318
77
. 476
. 319
Reproduktionen im Text Scite
Drei Zeichnungen zu Paul Marsops Aufsatz „Vom Musiksaal der Zukunft" IV. . . 168. 170
Digitized by
Google
DIE MUSIK
Mir will das kranke Zeug nicht munden,
Autoren sollten erst gesunden.
Goethe, Xenien
Es ist immer ein Zeichen einer unproduktiven
Zeit, wenn sie ins Kleinliche des Technischen
geht, und ebenso ist es ein Zeichen eines un-
produktiven Individuums, wenn es sich mit der-
gleichen befasst.
Goethe mit Eckermann
(Febr. 1831)
III. JAHR 1903/1904 HEFT 19
Erstes Juliheft
Herausgegeben
von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt be! Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig
Digitized by
Google
Digitized by
Google
(jine Spanne von fast funf Jahrhunderten gilt es zu durchlaufen,
wenn ich im Rahmen der von der Halbmonatsschrift „Die
Musik" in Aussicht genommenen k Geschichte hervorragender
Orchester die historische Entwicklung der brandenburgisch-
preussischen Hofkapelle darstellen oder vielmehr skizzieren will. Denn
nur um eine Skizze kann es sich hier handeln, weil eine ausfuhrliche Dar-
stellung sich leicht zu einem ganzen Buche auswachsen konnte, besonders
da infolge des Umstandes, dass die Hofkapelle seit geraumer Zeit auch das
Orchester der Kdniglichen Oper bildet, die Entwicklung dieser Oper mit-
beriicksichtigt werden muss.
Aus den denkbar kleinsten~Anfangen im 16. Jahrhundert hat sich die
ehemals kurftirstlich - brandenburgische, spater Konigl. preussische Hof-
kapelle, die ursprunglich nur die Tafel- und Kirchenmusik zu besorgen
hatte, zu einem Orchesterkdrper entwickelt, der schon unter dem ersten
preussischen Konig bei der Oper Verwendung finden konnte, unter Kdnig
Friedrich Wilhelm II. durch Zahl und_LeistungsfMhigkeit beriihmt war und
von da ab, vor allem seitdem die Anforderungen an ein Orchester ins
Enorme gesteigert worden sind, sich stSndig bemuht hat, sich ebenburtig
neben den ersten Orchestern der Welt zu behaupten. Es ist nicht zuviel
gesagt, dass heutzutage nur erste Kunstler sich den Eintritt in die Berliner
Hofkapelle, der von jeher die besten Berliner Musiker angehort haben,
erkSmpfen konnen, dass es immer ein Genuss ist, das Konigl. Orchester
zu hdren, auch wenn eine der abgespieltesten Opern mit verhaltnismassig
geringer Liebe erledigt wird, endlich dass die Symphoniekonzerte der
Konigl. Kapelle, seitdem ihre Leitung in der Hand Weingartners liegt,
den Hohepunkt der orchestralen Leistungsfahigkeit iiberhaupt bezeichnen.
Fur meine Darstellung konnte ich mich bis zum Anfang des 19. Jahr-
hunderts auf das reiche Material stutzen, das Louis Schneider im
Anhange zu seiner „Geschichte der Oper und des Konigl. Opernhauses zu
Berlin" (1832) zusammengestellt^hat; fur die folgende Zeit standen mir die
recht umfangreichen Akten der Registratur der Konigl. Schauspiele, dank
Digitized by
Google
Dr. Wilhelm Altmann
2ur Geschichte der Koniglichen Preussischen
Hofkapelle. I.
Heinrich Bulthaupt
Ahasver (Vorspiel und erster Akt).
Dr. Carl Leeder
Beethovens Widmungen (Fortsetzung).
Dr. Ernst Decsey
Ein italienischer Lohengrin.
Dr. Kliebert
Die Konigliche Musikschule in Wiirzburg.
Besprechungen (Biicher und Musikalien).
Revue der Revueen.
Umschau (Neue Opern, Aus dem Opernrepertoire,
Konzerte, Tageschronik).
Kritik (Oper und Konzert).
Anmerkungen zu unseren Beilagen.
Kunstbeilagen.
Anzeigen.
DIE M U S I K crseheint monatlich zwei Mai. Abonnements-
>uartal 4 Mark. Abonnementsprefs flir den
rtark. Preis des einzelnen Heftes I Mark.
Vierteljahrseinbanddecken a I Mark. Sammclkasten fur die
Kunstbeilagen des ganzen Jabrgangs 2,50 Mark. Abonnements
duivh jede Buch- und Musikalienhandlung, fur kleine Platze
ohne Buchhandler Bezug durch die Post: No. 5355a
II. Nachtrag 1903.
X
Digitized by
Google
3
-•-
n
er,
e
ten
.V73
sen
egt,
ten,
er?)
lehr
erkt
jn
eren
ssen
ranz.
1580
Hof-
)ietrich
Aus
ge-
nen
^en,
Fagott),
scheint
dessen
Fiir die
;det sich
dafur
er,
als
iten
Kapelle
zur
fur
Instru-
iche
Digitized by
Google
*
^s
SB.
4
DIE MUSIK III. 19.
des uberaus giitigen Entgegenkommens der Generalintendantur 1 ), zur Ver-
fugung.
Die Anfange der Konigl. preussischen Hofkapelle reichen bis in jene
Zeiten zuriick, wo es ein Konigreich Preussen noch nicht gegeben hat, wo
dieser nachraalige grosse Staat nur durch das nicht allzu umfangreiche
Kurfiirstentum Brandenburg reprasentiert worden ist. Vollig ungewiss bleibt
aber, welcher von den brandenburgischen Kurfiirsten zuerst sich eine
eigene Kapelle zugelegt hat.
Die ersten ausfuhrlichen Nachrichten iiber die kurfiirstlich-branden-
burgische Hofkapelle erhalten wir namlich erst durch die K ape 11-
ordnung des musikliebenden Kur f ii rsten J oachi m II. (1535—71)
vom Jahre 1570. Wir iibergehen deren auf das moralische Leben der
Musiker und auf die Verteilung der Trinkgelder gerichtete, kultur-
historisch nicht uninteressanten Vorschriften und entnehmen daraus nur,
was sich auf die Organisation und den Dienst der Hofkapelle bezieht.
Danach besteht diese aus Sangern und Instrumentalisten, die samt und
sonders dem Kapellmeister durchaus unterstellt sind; dieser, der unter dem
Hofmarschall und in bezug auf seine okonomische Verpflegung unter dem
Rentmeister steht, hat die Verpflichtung, mit den Mitgliedern der Kapelle
mindestens einmal, in der Regel zweimal die Woche Proben zu ver-
anstalten, sich tSglich beim Hofmarschall mit der Anfrage, ob er vor Tisch
musizieren soil, zu melden, jeden Mittag und Abend wahrend der Mahl-
zeiten des Hofes aufzuspielen, bei jedem Gottesdienst in der Schlosskapelle
und nach Erfordernis im Dom mitzuwirken; des Sonntags und Feiertags,
wenn er im Dom nicht gebraucht wird, ausserdem abwechselnd in den
andern Kirchen der Doppelstadt Berlin-Kolln. Wer von den Musikern
beim Spielen eine „Sau" macht, soil zur Strafe einen Gulden zahlen.
Leider erfahren wir nicht allzuviel fiber die Instrumentalisten; es werden
zwei Geiger, die abwechselnd die erste und zweite Stimme spielen sollen,
erwahnt, ferner Organisten, d. h. Cembalospieler, ein Harfenist und
ZinkenblSser (Trompeter); dass unter jenen beiden Geigern nur die
Solisten zu verstehen waren, dass es in der damaligen Hofkapelle noch
mehr Geiger (d. h. nicht etwa Violinisten, sondern Bratschisten), Gamben-
und Bassspieler gegeben habe, muss als ausgeschlossen gelten; ich be-
merke dabei, dass die Violine, die erst Anfang des 16. Jahrhunderts aufkam,
') Die Erlaubnis, diese Akten benutzen zu kdnnen, verdankte ich Exzellenz Graf
Hochberg. Zu grossem Danke bin ich auch Herrn Hofrat Maeder, dem Vorsteher
der Registratur, verpflichtet; endlich schulde ich den Herren Intendantursekretiren
Goldammer und Thiel fur ihre stete Hilfsbereitschaft herzlichen Dank. — Im
Manuskript wurde diese Arbeit bereits vor einem Jahr abgeschlossen.
Digitized by
Google
5
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
wahrend dieses ganzen Jahrhunderts der Musikpraxis ziemlich fern ge-
blieben ist. Eine Urkunde vom Jahre 1572 fuhrt zwar die Namen von
21 Mitgliedern der Hofkapelle *) auf, darunter befindet sich 1 Kapellmeister,
3 Organisten, 1 Pauker, 1 Trompeter und 1 Zinkenblaser, wahrend die
iibrigen Instrumente nicht angegeben sind, allein die meisten der genannten
Musiker werden Sanger gewesen sein; in einer Urkunde vom Jahre 1573
werden namlich ausser dem Kapellmeister Johann Wessalius, 2 ) dessen
Bestallungsurkunde vom 10. November 1572 ubrigens auch vorliegt,
4 Sopransanger, 3 Altisten, 2 Tenoristen, 2 Bassisten, 2 Organisten,
2 Geiger, 2 Zinkenblaser, 1 Harfenist und 1 Zitterist (Hackenbrettspieler?)
erwahnt. Kurfiirst Johann Georg (1571 — 98) scheint vielleicht noch mehr
Interesse als sein Vater fur die Hofkapelle gehabt zu haben; da er bemerkt
hatte, dass daselbst Mangel an Blasinstrumenten herrschte, bat er seinen
Sohn, den damaligen Administrator des Erzstifts Magdeburg und spateren
Kurfursten Joachim Friedrich, 1574 um leihweise Uberlassung der an dessen
Hofe unbenutzt liegenden Quartzinken (tiefere Kornette), Bommarten (franz.
Bombard = tiefe Schalmei) und sonstigen Blasinstrumente; im Jahre 1580
schuf er gewissermassen den Posten eines Intendanten seiner Hof-
musik und ubertrug ihn dem Geheimen Rat und Oberhauptmann Dietrich
von Holtzendorf und erliess auch eine ausfiihrliche Kapellordnung. Aus
dem § 12 ersehen wir, dass in der Kapelle folgende Instrumente ge-
braucht wurden: Posatif (d. i. eine feststehende kleine Orgel), Zimphonien
(= Zimbeln, d. h. bogenformig an ein Holz gehSngte Glockchen), Geigen,
Zinken, Querpfeifen, Schalmeien, Krummhorner, Dultzian (eine Art Fagott),
Trompeten, Posaunen, Bombarten (tiefe Schalmeien).
Nach dem Tode des Kapellmeisters Wessalius im Juni 1582 scheint
Johann Fabritius (f 1598) Kapellmeister gewesen zu sein, fiber dessen
Wirksamkeit wir leider auch nichts Naheres wissen.
Kurfiirst Joachim Friedrich (1598—1608) scheinen die bisher fur die
Kapelle aufgewandten 1975 Taler zu viel gewesen zu sein; es findet sich
1603 ein Anschlag, wonach nunmehr nur 625, allenfalls 825 Taler daffir
ausgegeben werden sollen. Aber noch kurz vor seinem Tode beschloss er,
wieder mehr Mittel auf die Hofmusik zu verwenden; dies zeigte sich, als
er den durch seine deutschen Lieder und Kirchengesange bekannten
') Der franzdsische Kdnig Heinrich II. (1547—1559) hatte auch nur eine Kapelle
von im ganzen 24 Singern und Instrumentalisten, wahrend am Munchener Hofe zur
Zeit des Orlando di Lasso neben 56 Singern 30 Instrumentalisten t&tig waren.
*) Er bekam 150 Gulden Sold, Kleidung und 52 Taler Kostgeld, ferner fur
seine Jungen (Diskantisten) Kleidung und 26 Taler Kostgeld das Jahr; die Instru-
mentalisten erhielten ausser Kleidung und 52 Talern Kostgeld 40 Taler jihrliche
Besoldung.
Digitized by
Google
6
DIE MUS1K 111. 19.
Johann Eccard aus Konigsberg unter gunstigen Bedingungen (200 Taler,
freie Kleidung, Wohnung, 2 Wispel Roggen, 2 desgl. Gerste, 12 Scheffel
Hopfen, 1 Ochsen, 2 fette Schweine, */« Tonne Butter, 1 Tonne
KMse, 3 Hammel, je 2 Scheffel Erbsen und Buchweizengriitze, 1 Tonne
Salz und 1 Stein Talg als Deputat) zum Kapellmeister am 4. Juli 1608
ernannte; der Kurfurst, der zur Entlastung Eccards namentlich wShrend
der Reisen des Hofes noch Johann Kroker als Vize - Kapellmeister
bestellte, sprach dabei die Erwartung aus, dass Eccard seinen Fleiss kunftig
nicht vermindern und dafur sorgen werde, dass die Musik ihm, dem Kur-
fiirsten, zur Zier, dem Kapellmeister zum Ruhm gereichen werde.
Diese Bestallung Eccards bestMtigte auch der neue Kurfurst Johann
Sigismund (1608 — 1619) und zwar schon 1608 im September, da ihm
Eccard sehr geriihmt worden und ihm dabei gesagt sei, dass er sobald
keinen solchen Ktinstler haben konne, und da dieser „ein alter fried-
samer stiller Mann sei". Eccard starb iibrigens schon 1611.
Einen besonderen Hofviolinisten — wir sehen, dass jetzt auch die
Violine nach Berlin vorgedrungen ist — ernannte Kurfurst Johann
Sigismund im gleichen Jahre in der Person des fruheren ungarischen
Violinisten, spater Danziger Rittmeisters Johann Stenzel, Edlen zu Pfiichten,
der als vortrefflicher Virtuos in ganz Europa bekannt war, aber sich bereits
1618 im Ruhestand befand.
Seit 1612 war Nikolaus Zangius 1 ) Kapellmeister mit 1000 Talern
Gehalt, ein nicht unbedeutender Komponist, der vorher im Dienste Kaiser
Rudolfs II. gewesen war; ihm unterstanden nur 13 Instrumentalisten.
Nach seinem Tode folgte bereits 1619 Wilhelm Brade, dem Jakob Schmidt
als Vizekapellmeister, namentlich fur die Vokalmusik — er war Falsettist —
zur Seite stand. Zu Anfang der Regierung Georg Wilhelms (1619 — 1640),
der sich iibrigens — wir befinden uns im Zeitalter des dreissigjlhrigen
Krieges — genotigt fand, die Ausgaben fur seine Kapelle mdglichst ein-
zuschranken, finden wir Jakob Schmidt als Kapellmeister, der sich ge-
legentlich einmal in einer Bittschrift auf eine 20ja*hrige Dienstzeit beruft.
Unter Georg Wilhelm (1638) scheint die Bezeichnung „Kammermusikus"
ublich geworden zu sein. Sein Sohn, der Grosse Kurfurst, Friedrich
Wilhelm (1640—1688) verfiigte am 6. Dezember 1641, dass seine samt-
lichen Musikanten kunftig zum Hofstaat gerechnet werden sollten, ein Be-
weis, dass dieses ursprungliche Verhfiltnis in den letzten Jahren nicht
mehr in Brauch gewesen war. Kapellmeister war damals und noch 1650
Johann Bose oder Lose, dem wohl 1665 Johann Sebastian i gefolgt ist.
Nach einer Notiz aus dem Jahre 1667 waren damals in der Kapelle
folgende Instrumente gebriluchlich : Bass -Viola da Gamba, Diskant -Viola
*) Von Louis Schneider mitunter fllsctalich „Jungius" genannt
Digitized by
Google
7
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
da Gamba, Bandor (eine Art Mandoline oder Laute), Dulcian (Fagott),
Diskant-Violine, Harfe. Im Jahre 1681 erhielt ein gewisser Pierre Polot
Anstellung als Hoboist, 1685 ein gewisser Ludwig Besemann den Befehl,
die Paukerkunst zu erlernen. Neben den Kammermusikern, die dem
Hofe auf Reisen und sogar in den Krieg folgen mussten, bestand am
Hofe des Grossen Kurfiirsten, hauptsMchlich zum Fanfarenblasen bei Hof-
festlichkeiten, noch ein Trompeterkorps von 15 Mann. Sein prachtliebender
Sohn Friedrich III. (1688—1713), der 1701 sich die preussische Konigs-
krone aufsetzte, bestatigte den von seinem Vater 1686 ernannten Kapell-
meister Peter Sydow, der spater nach London ging, engagierte aber 1691
den italienischen Komponisten Ruggiero Fedeli, der noch 1708 als Ober-
kapellmeister erwfthnt wird und spMter am Hofe zu Kassel gewirkt hat.
1798 am 14. September war der bisherige Kammermusiker Karl Friedrich
Rieck (f 1704) zum Direktor und bald darauf Oberkapellmeister der
kurfurstlichen Kammermusik ernannt worden. Ein Verzeichnis der Musiker
von 1701 fuhrt ausser einem Orgelbauer nur noch 13 an und bemerkt,
dass die Zahl der Trompeter auf 24, zu denert 2 Pauker gehorten, er-
hdht worden sei.
Die Einfuhrung der Oper am Berliner Hofe — wo zeitweilig
Attilio Ariosti (geb. 1660) als Kapellmeister wirkte — brachte eine
wesentliche Verstarkung der Kammermusiker mit sich; wir finden 1712
bereits ein fur die damalige Zeit glanzend zu nennendes Orchester, das
aus 6 ersten Violinen, 5 zweiten, 2 Bratschen, 5 Violincellen (wohl inkl.
Bdssen), 4 Oboen, 3 Fagotten und 1 Cembalisten bestanden hat; die
Kosten fur diese Kapelle nebst Hilfskrlften wie Notenschreiber, Diener usw.
beliefen sich auf anndhernd mehr als 8000 Taler; der Hochstgehalt be-
trug 400, der niedrigste 100 Taler. „Als die eigentliche Pflegerin und
Beschutzerin dieser Kapelle muss ... die Konigin Sophie Charlotte be-
trachtet werden, da der Konig selbst keinen andern Geschmack an der
Musik uberhaupt hatte als den, sie bei grossen Hoffestlichkeiten figurieren
zu sehen. Die Konigin aber war nicht allein Liebhaberin der Tonkunst,
sondern ubte sie selbst mit Fertjgkeit und Geschmack aus. Daher uber-
liess ihr der Konig auch so ziemlich alles, was darauf Bezug hatte; nur
behielt er sich vor, dass die Kapelle bei Tafel aufwarten, das heisst Musik
machen musste." (Schneider S. 37.)
Obwohl in den letzten Jahren der Regierung Friedrichs I. schon
keine Opern und Ballete mehr gegeben wurden, bestand die Hofkapelle
noch weiter, bis sie beim Regierungsantritt des sparsamen Friedrich
Wilhelm I. (1713 — 1740) ganz auf geld st wurde (1713). In den seltenen
Fallen, in denen Musik an dessen Hofe nunmehr gebraucht wurde, wurde
diese von den Regimentsmusikern gestellt, die so schlecht spielten, dass
Digitized by
Google
^2=>
6
DIB MUSIK III. 19.
sie nicht imstande waren, den Geiger Locatelli, der im Gefelge des
Konigs August von Polen nach Berlin gekommen war, zu begleiten. Der
Kdnig liebte nur Marschmusik ; ubrigens griindete er im Militar-Waisenhaus
zu Potsdam eine Musikschule, urn Militarmusiker heranbilden zu lassen.
Der Musik am preussischen Hofe wieder zu einer kiinstlerischen
Stellung zu verhelfen, war die Sorge Friedrichs II. (1740 — 1786), der auch
in dieser Hinsicht den Beinamen der Grosse verdient. Schon als Kron-
prinz hatte er gelegentlich eines Aufenthalts in Dresden die dortige in
hochster Bliite stehende italienische Oper kennen gelernt und war hier
auch zu dem beruhmten Flotisten Quanz in Beziehung getreten, bei dem
er bald darauf Unterricht nahm. Als dann Friedrich in Rheinsberg einen
selbstfindigen Hofhalt erhielt, begrundete er sich eine eigene Kapelle,
deren Mitglieder teils als Lakaien in dem Haushaltsetat des Hofes gefuhrt
wurden, teils Hoboisten des Kronprinzlichen Regiments waren. Als dann
Friedrich seinem Vater auf dem Thron gefolgt war, liess er bald den
schon in Rheinsberg gefassten Plan der Errichtung eines Opernhauses in
Berlin durch den Freiherrn von Knobelsdorf verwirklichen. Das Singer-
personal musste der Kapellmeister Karl Heinrich Graun 1 ) (geb. 1701), der
seit 1735 in Friedrichs Diensten stand, eigens aus Italien besorgen;
Graun erhielt als Hofkapellmeister 2000 Taler Gehalt und hatte dafur
auch jahrlich eine Oper zu komponieren; er stand bekanntlich bis zu
seinem Tode (8. Aug. 1759) in grosser Gunst bei dem Kdnig. Das
Orchester bestand bereits 1741 aus 39 Mann, namlich 2 Cembali, 12 Vio-
linen (darunter Franz und Georg Benda), 4 Bratschen, 4 Violoncellos,
3 KontrabMssen, 4 Floten, 2 Oboen (Klarinetten kamen erst spMter auf),
2 Fagotten, 2 Waldhornern, 1 Theorbe (Laute mit Basssaiten) und einer
Harfe; Trompeten und Pauken sind nicht genannt. Das neue Opernhaus
wurde am 7. Dezember 1742 mit der Graunschen Oper „Casar und Kleopatra"
eroffnet; die zweite Oper (am 11. Januar 1743) war *La clemenza di
Tito" von Metastasio und Hasse. Auch in dem 1745 erbauten Schloss-
theater zu Potsdam wurden kleinere Opern- und Singspiele (sogen. Inter-
mezzi) gegeben. Wahrend des Siebenjahrigen Krieges blieben die Opern
sistiert, doch scheint die Kapelle nicht aufgelost worden zu sein. Ende 1763
fanden bereits wieder Oper-Vorstellungen statt. Die Direktion ftihrte nun-
mehr Johann Friedrich Agricola (geb. 1720), seit 1751 Hofkomponist,
jedoch ohne den Titel „ Kapellmeister", bis zu seinem Tode 1774. Ihn
ersetzte vorlaufig Karl Friedrich Christian Fasch (geb. 1736), der bereits
seit 1756 als Cembalist in der Kapelle gewirkt hatte und als Begrunder
l ) Vgl. das Vorwort von Dr. Albert Mayer-Reinach zu der von itam herausge-
gebenen (Denkm&Ier Deutscher Tonkunst. I. Folge Bd. 15. 1904) Oper Grauns „ Monte-
zuma* 4 , deren Libretto von Friedrich dem Grossen herruhrt.
Digitized by
Google
^.,- ; „.V_
der Berliner „Singakademie u (1790) in weitesten Kreisen bekannt ist. Kapell-
meister aber wurde 1775 Jobann Friedrich Reichardt aus Konigsberg
(geb. 1752), der jedoch erst im Sommer 1776 sein Amt antrat und spater-
hin ofters zu Reisen nach dem Auslande beurlaubt wurde. Seit dem
bayrischen Erbfolgekriege kiimmerte sich der Konig nicht mehr viel um
die italienische Oper, die zusehends verfiel, zumal sich seit 1771 das
deutsche Singspiel in Berlin immer mehr einzuburgern begann.
Nach dem Tode Friedrichs des Grossen vereinigte sein Nachfolger
Friedrich Wilhelm II. (der demnach als der Begr under der heutigen Hofkapelle
angesehen werden muss) die bisherige Konigliche Kapelle mit seiner eigenen,
die er vom Prinzen Heinrich, seinem Onkel, uberkommen hatte, und unter-
stellte beide dem Kapellmeister Reichardt, der dann 1791 einen dreijahrigen
Urlaub erhielt, jedoch nicht mehr auf seinen Kapellmeisterposten zuriick-
kehrte. Die neue vollstandige Kapelle, in welcher der bisherige Prinzliche
Kapellmeister, der benihmte Violoncellist Duport der Altere als „Sur-
Intendant de la musique du roi" fungierte, bestand aus 2 Konzertmeistern,
2 Cembalisten, 1 Harfenisten, 20 Geigern, 7 Bratschisten, 8 Violoncellisten,
4 Kontrabassisten, 4 Flotisten, 5 Oboisten, 2 Klarinettisten, 4 Kontra-
bassisten, 5 Waldhornisten, also im ganzen aus 65 Mann, eine fur die da-
rn alige Zeit sehr stattliche Zahl, wozu nach Bedarf noch Trompeter und
Pauker aus einer Regimentskapelle gekommen sein werden. 1 )
Fur die Weiterentwicklung der deutschenOper war es von Wichtig-
keit, dass Friedrich Wilhelm II. das bisherige Dobbelinsche Theater am
1. Oktober 1786 zum Nationaltheater erklMrte; dieses hatte ein eigenes
Orchester,*) das von den Kapellmeistern Johann Christian Frischmuth
(der ubrigens auch Schauspieler war, 1741 — 1790) und Bernhard Wessely
(1768—1826) geleitet wurde.
Eine riihmende Erwahnung der koniglichen Kapelle, und besonders
des Konzertmeisters Pierre Vachon (geb. c. 1730, seit 1784 in Preussen,
x ) Als Mozart bei seinem Berliner Besuch einmal mit dem Kdnig Friedrich
Wilhelm II. allein war, fragte ihn dieser, was er von der Berliner Kapelle halte.
Mozart, dem nichts fremder als Schmeichelei war, antwortete: „Sie hat die grosste
Sammlung von Virtuosen in der Welt; auch Quartette babe ich nirgends so gehort
als hier; aber wenn die Herren alle zusammen sind, konnten sie es noch besser
machen." (Marx.) Berliner Allg. musik. Ztg. 1829, S. 180. Bekanntlich bot Friedrich
Wilhelm II. Mozart an, unter gl&nzenden Bedingungen sein Hofkapellmeister zu
werden, allein aus Liebe zu seinem Ssterreichiscben Herrscherhaus schlug Mozart
leider diesen Posten aus.
*) Es bestand nach dem Etat fur 1788/89 (vgl. C. Schlffer und C. Hartmann,
Die Kdnigl. Theater in Berlin. Statistischer Ruckblick 1786—1885. Berlin 1886) aus
6 Geigern, 2 Bratschisten, 1 Violoncellisten, 1 Bas$isten, 2 FIStisten, 2 Hoboisten,
2 Fagottisten, 2 Waldhornisten. Es fehlten also damals nur die Klarinettisten, die
Trompeter, der Pauker.
Digitized by
Google
10
DIE MUS1K 111. 19.
pensioniert 1798, f 1802) findet sich in der Lebensbeschreibung des Frei-
herrn Karl von Dittersdorf, des bekannten Komponisten, der 1789 in Berlin
gewesen war. 1790wurde ubrigens der Italiener Felice Alessandri (geb.
1742) auf dreijahre als 2. Kapellmeister angestellt, konnte sich aber nicht
recht behaupten.
In dasselbe Jahr fallen die Berliner Erstauffuhrungen von JVLozarts
„ Figaros Hochzeit" und „Don Juan*.
Anlasslich einer Vermahlungsfeier wurde 1791 der alte Brauch, dass
die Konigliche Kapelle Tafelmusik machen musste, sehr zu ihrem Verdruss
wieder aufgenommen: 8 Blaser mussten wenigstens bei Tisch aufspielen.
Auch spielte die Kapelle zum ersten Male bei dem Fackeltanze, ein Brauch,
der dann lange bestehen blieb. In demselben Jahre wurde auch das neue
Schlosstheater zu Charlottenburg, wo die Kapelle dann dfters beschiftigt
wurde, fertig. An Stelle Alessandri's, der in Ungnade gefallen war, trat
wieder ein Italiener Vincenzo Righini (geb. 1758, seit 1776 in Deutsch-
land), der bis zu seinem Tode 1812 Kapellmeister blieb, auch nachdem die
italienische Oper, die stets nur ein viertel Jahr zur sogen. Karnevalszeit
gespielt hatte, in Berlin aufgehoben war. Sie war ubrigens unter Friedrich
Wilhelm II. nicht viel wert gewesen. Etwa gleichzeitig mit Righini wurde
Bernhard Anselm Weber (geb. 1766) Kapellmeister am Nationaltheater,
der die Oper daselbst sehr in die Hohe brachte. Schon fingen ubrigens
die Revolutionskriege an ungiinstig auf das musikalische Leben in Berlin
einzuwirken.
Eine Verschmelzung beiderBerlinerOpern wurde bereits
1794 angebahnt, indem die SSngerin Schick, deren Mann als Konzertmeister
in der Konigl. Kapelle angestellt wurde, fur beide Btihnen verpflichtet
wurde; in demselben Jahre wurde auch das Ballet als selbstfindiges Kunst-
genre beim Nationaltheater eingefuhrt, wodurch der Pflichtenkreis der
Kapelle wieder etwas erweitert wurde. 1795 wurde an Stelle Reichardts
Friedrich Heinrich Hi mm el (geb. 1765), der seit 1792 bereits Hof-
komponist war, aber sich studienhalber in Italien aufhielt, Kapell-
meister.
Der Tod Friedrich Wilhelms II. am 16. November 1797 war die Ver-
anlassung, dass zum Karneval 1798 keine italienischen Opernvorstellungen
stattfanden. Die guten deutschen Opernvorstellungen am Nationaltheater,
das seit 16. Dezember 1796 von Iffland geleitet wurde und sogar Uber-
schusse erzielte, wirkten anregend auf die italienischen, die zeitweilig
wieder besser wurden. Reichardt, der jetzt „Salzinspektor" war, gewann
ubrigens wieder einen gewissen Einfluss auf die Oper, fur die er noch
immer fleissig komponierte. 1804 wurde an der italienischen Oper zum
ersten Male ein Werk (Alceste) von Gluck, gegen den man sich bisher
Digitized by
Google
SB.
11
ALTMANN: GESCH1CHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
^
immer gestraubt hatte, gegeben, und zwar ohne Erfolg, wogegen seine
Armida 1805 am Nationaltheater Furore machte.
Im Jahre 1806 fand wegen des Ablebens des Markgrafen von Anspach-
Baireuth kein Karneval statt, und daher auch keine Auffiihrung einer
italienischen Oper. Moglich, dass diese noch einige Jahre vegetiert hatte,
wenn nicht die Schlacht bei Jena und die danach iiber Preussen herein-
brechende Katastrophe die Auflosung der italienischen Oper herbei-
gefuhrt hatte.
Auch das Orchester geriet in Gefahr, der Auflosung anheimzu fallen;
zwar fuhrt der Berliner Hofkalender von 1807 es noch in seiner vollen
Starke auf, aber tatsachlich stand dieses Orchester nur auf dem Papier,
hatten sich doch viele Mitglieder im Auslande eine Stellung gesucht, urn ihr
Leben fristen zu konnen. Sobald aber die VerhMltnisse im preussischen
Staat wieder einigermassen sich gebessert hatten, wandte Konig Friedrich
Wilhelm III., der wie sein Vater ein grosser Musikfreund war, seine
konigliche Fursorge wieder der Hofkapelle zu; er vereinigte deren
Reste oder vielmehr die Reste des Orchesters der ehemaligen
italienischen Oper mit der Kapelle des Nationaltheaters
im Jahre 1811 und schuf auf diese Weise wieder einen leistungsfahigen
Orchesterkorper. Nominell waren noch immer Vincenzo Righini, der
aber kranklich war und, 1812 auf einer Reise nach seiner Heimat starb,
sowie Friedrich Heinrich Himmel (dieser bis zu seinem Tode 1814),
Hofkapellmeister; die ganze Arbeitslast ruhte aber im wesentlichen auf dem
uns schon vom Nationaltheater her bekannten, iibrigens als Komponisten
sehr fruchtbaren Bernhard Anselm Weber; freilich war ihm der herzlich
unbedeutende Musikdirektor Friedrich Ludwig Seidel (geb. 1762, Kapell-
meister 1822, pensioniert 1829, f 1831) zur Unterstiitzung beigegeben, es
fanden — ein Zustand, der bis Ende der fiinfziger Jahre des 19. Jahr-
hunderts bestehen blieb — in der Woche nur zwei Opernvorstellungen
statt, doch gab es gelegentlich Konzerte und es wurde bei jedem Schau-
spiel Zwischenaktsmusik gemacht, die in der Regel von einem Konzert-
meister oder Orchestermitglied, dem sog. Symphoniedirigenten, geleitet
wurde.
Wahrend Iff land hauptsSchlich fur das Schauspiel, dem wie auch
dem Orchester 1813 die Auflosung wieder drohte, gesorgt hatte, wurde, als
nach dessen Tode Graf Karl von Bruhl (geb. 1772), Generalintendant
der Kdnigl. Schauspiele (10. Januar 1815) wurde, der Oper 1 ) ganz besondere
l ) Von Opera, die er aufgefuhrt hat, seien hier folgende wichtigerc namhaft
gemacht, um ein Bild von den Anforderungen, die damals an das Orchester gestellt
wurden, zu geben: 1815 Beethovens Fidelio, 1816 Undine von E. T. A. Hoffmann,
1818 Tancred von Rossini und Cortez (in neuer Gestalt) von Spontini, 1819 Rotklppchen
Digitized by
Google
12
DIE MUSIK III. 19.
Sorgfalt gewidmet, besonders als der preussische Staat sich allmShlich auch
wieder finanziell zu erholen anfing. Graf Briihl, der ein tiichtiger Theoretiker,
Komponist, Sanger und WaldhornblSser und in vieler Hinsicht ein geradezu
idealer Generalintendant war, suchte auch sofort das in mancher Beziehung
nicht gerade erstklassige Orchester 1 ) moglichst zu heben und den ein-
gerissenen Schlendrian zu beseitigen. Dieser zeigte sich z. B. darin, dass
die Kammermusiker sich vielfach von Dilettanten vertreten liessen. Als
bald nach Briihls Amtsantritt ein solcher wiederholt die zweite Waldhorn-
stimme schlecht geblasen hatte, verfugte der Intendant am 7. Mai 1815,
dass kein Kammermusiker sich gestatten diirfe, „irgend einen Dilettanten
oder fremden Musiker als Stellvertreter in das Konigl. Orchester zu
bringen, wenn er nicht vorher dem Herrn Kapellmeister, dem Herrn
Musikdirektor oder den Herrn Konzertmeistern die pflichtmassige Anzeige
gemacht, und einer dieser Herren gehorig gepruft hat, ob der vor-
geschlagene Stellvertreter ohne Nachteil fur das Ganze angenommen
werden konne". Doch scheint diese Verfugung wenig beachtet worden zu
sein; wenigstens moniert Graf Briihl bereits am 17. Juli: „Ebenso geschieht
immer noch ein iiberaus grosser Unfug durch das Mitspielen vieler Dilet-
tanten im Orchester, welche dazu nicht tiichtig sind."
Wie sehr Graf Briihl um die Aufbesserung des Orchesters stets bemiiht
war, entnehmen wir z. B. auch seiner Bestimmung uber das Verhaltnis der
ersten zur zweiten Violine vom 30. Dezember 1815. Darin heisst es:
„Eine fruher bestandene Einrichtung, nach welcher die Violinisten in der K5nig-
lichen Kapelle vom Spielen der zweiten Stimme durch eine Art Avancement zu dem
der ersten ubergehen, erscheint in mehrerer Hinsicht sehr unzweckmissig und ist in
den vorzuglichsten Kapellen von Deutschland nicht ublich. Es entsteht daraus not-
wendig eine Art von verSchtlicher Ansicht fur die zweite Violine, welche doch nicht
allein ebenso wichtig ist als die erste, sondern oft noch schwieriger, da ihr die Melodie
feblt und die vielftltigen Figuren und Bewegungen, sowie das richtige Eintreten be-
deutende Fertigkeit und selbst musikalische Kenntnisse erheischcn. Ein guter Violinist
bei der zweiten Violine ist daher vollkommen ebenso sch&tzbar als ein guter Violinist
bei der ersten. Demzufolge wird von jetzt an die Einrichtung getroffen, dass die Herren
Violinisten bei der ersten und zweiten Stimme bleiben ; nur in besonderen Fallen behilt
sich der General-Intendant vor, eine Versetzung von einer zur andern Stimme vor-
von Boieldieu, 1821 Othello von Rossini, Olympia von Spontlni, Webers Freischutz,
1822 Spontini's Nurmahal, Rossini's Barbier von Sevilla, 1825 Spobrs J essonda, Spontini's
Alcidor, Webers Euryantbe, 1826 Auber's Maurer und Schlosser, Boieldieu's Weisse Dame,
1827 Felix Mendelssobns Hocbzeit des Camacho (nur eine Auffuhrung), Spontini's Agnes
von Hohenstaufen, 1828 Cherubini's Abenceragen, Webers Oberon, Onslow's Hausierer.
*) Auf Kapellmeister Webers Vorschlag wurden von Graf Briihl die noch nicht
200 Taler betragenden Gehalte einiger Kammermusiker aufgebessert; auch auf den
Vorschlag Webers, eine tiefere Stimmung einzufuhren, ging Graf Briihl am 5. Juni
1815 ein.
Digitized by
Google
13
ALTMANN: GESCH1CHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
zunehmen, nachdem er deshalb das Gutachten der Musikdirektion eingeholt haben
wird. Doch darf dies nur als eine Ausnahme von der Regel angesehen werden . . .*
Demzufolge setzte Graf Bruhl auch fest, dass die zweiten Violinen
gegenuber den ersten im Gehalte nicht benachteiligt waren.
Graf Bruhl wunschte auch sehr bald, dass die beiden durch Righini's
und Himmels Tod freien Kapellmeisterposten wieder besetzt wurden, zumal
Kapellmeister B. A. Weber vielfach leidend war. 1816 erhielt auch der
bisherige Musikdirektor Joseph Augustin Gurrlich (geb. 1761), der seit
1790 urspriinglich als Kontrabassist, dann als Aushilfskapellmeister vor allem
der Potsdamer Oper der Konigl. Kapelle angehort hatte, den einen Posten,
allein er war keine Kapazitat, ebensowenig wie dies in bezug auf sein
Dirigiertalent der beruhmte Violoncellist Bernhard Romberg (geb. 1767),
war, der trotz Bruhls Widerspruch vom Konig 1816 mit einem Gehalt
von 2000 Talern als Kapellmeister angestellt wurde.
Einen Einblick in die Pflichten dieser drei Kapellmeister, wie uber-
haupt in die damaligen VerhMltnisse, gewahrt die Kapellmeister-Dienst-
instruktion, die Graf Bruhl am 20. April 1816 erlassen hat. Sie lautet:
„Da des Kdnigs Majestit auf meinen Vorschlag zu beschliessen geruht haben,
dass fur jetzt drei Kapellmeister an der Spitze Ihrer Kammer-, Hof- und Theater-
Musik stehen sollen, so wird es ndtig, fur dieselben eine neue Dienst-Instruktion
zu entwerfen, welche den Herren Weber, Romberg und Gurrlich hierdurch mit-
geteilt wird.
Es liegt denselben die Verbindlicbkeit ob t alle Musiken aufzufuhren, zu welchen
sie yon dem General-Intendanten der Kdniglichen Schauspiele aufgefordert werden
mdchten.
Die Bestimmung, wie, wo und wann, liegt dem General-Intendanten ganz
allein ob, und werden sie dessen Bestimmung in alien Dienstsachen unweigerliche
Folge zu leisten baben. Der Kdniglichen Kapelle wird dies mitgeteilt und sie
aufgefordert werden, den Herrn Kapellmeistern in allem, was den Dienst Seiner Majestit
angeht, unweigerlich Folge zu leisten und sich gegen dieselben anstindig und folg-
sam zu beweisen. Dagegen wird die gerechte Hoffnung gebegt, dass die Herrn Kapell-
meister auch nie aus den Augen verlieren werden, was ein Kunstlerdem andern
schuldig ist, und so in Reden und Handlungen nie vergessen, dass sie Kdnigliche
Offizianten vor sich baben. 1m Falle eines dienstwidrigen oder ungeziemenden
Betragens von seiten der Kdniglichen Kammermusiker wird es sich der General-
Intendant zur Pflicht machen, die Herren Kapellmeister in ihren Rechten zu schutzen,
ebenso aber die gerechten Klagen, welche gegen dieselben einlaufen sollten, zu hdren
und daruber zu verfugen.
Die Herrn Kapellmeister sind verflichtet, uberall das Beste der Kdniglichen
Musik und des Kdniglichen Theaters zu suchen und nach alien Kra7ten dafur zu
arbeiten. Alle Vorschlige, welche dieselben deshalb machen mdchten, sollen mit
Bereitwilligkeit berficksichtigt werden. Stimmt indes die Ansicht des General-Inten-
danten nicht mit der ihrigen u be rein, so verpflichten sie sich demselben alsdann un-
weigerlich Folge zu leisten.
Alle musikalischen Arbeiten und Kompositionen, welche die Herrn Kapellmeister
verfertigen, ohne von dem General-Intendanten dazu aufgefordert worden zu sein.
Digitized by
Google
14
DIE MUSIK III. 19
kdnnen von demselbcn abgelebnt Oder angenommen werden, je nachdera er es fur
gut flndet. Die von ihm geforderten Kunstprodukte werden denselben aus der Kdnig-
lichen Kasse honoriert, wenn sie sich, woran nicht zu zweifeln, ihrem inneren Werte
nach zur Auffuhrung eignen.
Honorare dieser Art kdnnen aber von jetzt an nur fur Werke gezahlt werden,
welche den Wert einer Oper von ein, zwei oder drei Akten oder eine ganze Szene in
einer Oper in sicb fassen; kleinere Musikstucke, als Ouverturen, einzelne MIrsche,
kleine, eingelegte Lieder und Aden, einzelne Chore oder Abinderungen in Opera,
sobald sie nicht so bedeutend sind, eine ganze Szene auszufullen, werden gratis an-
gefertigt.
Die Bestimmung, welcber von den Herrn Kapellraeistern eine neue Oper
aufzufuhren hat, geht lediglich von dem GeneraMntendanten aus, und dasselbe flndet
ebenfalls statt, wenn er wunscht, eine von dem Musikdirektor bis jetzt aufgefuhrte
Oper durch einen Kapellmeister angefuhrt zu sehen. Zur Vermeidung alter Irrungen
und Berufungen wird es unweigerlich notwendig, dass jeder der Herrn Kapell-
meister simtliche Proben der ihm zugeteilten Opern selbst abhalte. Im
Krankheitsfalle wird solches dem GeneraMntendanten angezeigt, welcher sich alsdann
zu bestimmen vorbehilt, wer statt des kranken Kapellmeisters die Oper zu fiber-
nehmen hat. Zur Abhaltung einer einzelnen Probe im Falle einer kleinen Unpisslich-
keit oder gesellschaftlichen Abhaltung bedarf es nur einer freundschaftlichen Ober-
einkunft mit einem ihrer Kollegen, wenn sie dieselbe nicht dem Musikdirektor uber-
tragen wollen, jedoch kann dies nur fur eine Probe stattflnden.
Die wochentliche musikalische Aufsicht teilt sich von nun an unter die
drei Herren Kapellmeister, und wird es einem jeden derselben zur Pflicht gemacht,
w&hrend einer Woche tiglich im Theater sich einzufinden und mit Eifer
fiber alles zu wachen, was in dieser Woche an musikalischen DienstgeschaTten vor-
fallen mdchte, selbst in Hinsicht auf Symphonie-Musik. 1 ) Von Montag den 22. April
an wird Herr Kapellmeister Weber seinen wdchentlichen Dienst antreten, und so wird
sich dieser Dienst ordnungsm&ssig folgen, doch steht es den Herrn Kapellmeistern
naturlich auch frei, durch freundliche Obereinkunft einer des andern Woche zu uber-
nehmen. Wenn dies eintritt, wird es jedoch dem General Intendanten jedesmal an-
gezeigt. Die speziellere Aufsicht aller Musiker auf dem Theater beh< unter Ober-
leitung des die Woche habenden Kapellmeisters Herr Musikdirektor Seidel allein,
doch versteht sich von selbst, dass auch jeder der Herren Kapellmeister, im Falle
die Theatermusik von seiner Komposition sei, sich noch ganz speziell um die gute
Auffuhrung derselben bemuhe.
Da der Musikalien-lnspektor Gasperini vorzuglich zur Aufbewahrung der
kSniglichen Musikalien angesetzt worden und von mir deshalb verantwortlich gemacht
ist, so wird zwar jedem der Herrn Kapellmeister freigestellt sein, sich Partituren und
andere Musikalien aus dem Kdniglichen Musikdepot geben lassen zu kdnnen, jedoch
nie ohne eine deshalb ausgestellte Quittung (die zugleich die Verpflichtung enthalten
muss, die Musikalien spatestens in 6 - 8 Wochen zuruckzuliefern), welche mir von
dem Inspektor monatlich zur Sanktion vorgelegt werden. Das Ausschreiben s&mtlicher
Musikalien besorgt gleichfalls Inspektor Gasperini, und haben die Herrn Kapellmeister
ihm deshalb ihre Auftr&ge und die Art, wie sie wunschen, dass die Partituren aus-
geschrieben werden, jedesmal genau bekannt zu machen.
Alle VerSnderungen in der Kapelle sowohl die Anweisung anderer Plitze
*) D. i. die Zwischenaktsmusik bei Schauspielen (nicht etwa Symphoniekonzerte).
Digitized by
Google
15
» ALTMANN: GESCH1CHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE Q ,
als das Vorrucken auf diesen Plitzen als das Obertreten von einem Instrument zum
andern wird, wenn die Herrn Kapellmeister es fur nutzlich halten, dem General-
Intendanten zur Sanktion vorgelegt. Sollte einer oder der andere der Herren
Kapellmeister eine Verinderung in der Stellung des Orchesters fur besser halten, so
darf er dieselbe nicht eigenmichtig vornehmen, sondern muss mit seinen Herrn
Kollegen daruber zu Rate gehen und einen besonderen Antrag beim General-Inten-
danten daruber tun.*
Man wird dieser Instruktion das Zeugnis nicht versagen durfen, dass
sie durchaus sachgemdss und klar abgefasst ist.
Um auch von den ZustMnden im Orchester eine Vorstellung zu
geben, verweile ich bei einer Episode des Jahres 1817 etwas tfnger. In
diesem Jahre wurden die Kapellmitglieder hSufiger zu Diensten nach Char-
lottenburg befohlen, bekamen aber anstatt des fruher ublichen 1 Taler
nur 16 Groschen Didten und klagten auch bitter fiber das schlechte ihnen
uberwiesene Fuhrwerk. Die Petitionen, die sie deshalb an die Intendanz
richteten, waren nicht sehr geschickt abgefasst; auch batten die Veranstalter
die Unterschrift anderer Kollegen daruntergesetzt , wobei es zweifelhaft
blieb, ob mit oder ohne Recht. Der Intendant richtete infolgedessen
folgendes energische Schreiben am 18. Juli 1817 (Akten No. 51) an die
Orchestermitglieder, das manches interessante Detail enthilt:
„ln dem ausgefertigten Patente der vorigen Schauspieldirektion sind den Herrn
Musikern zwar fur Charlottenburg gle ich falls Diiten zugestanden, allein das Ver-
biltnis der Schauspieldirektion zum Kdnigl. Hofe stand durchaus anders als jetzt,
seitdem die Stelle eines Intendanten der Kdnigl. Schauspiele wieder zu einer Hof-
charge erhoben worden ist, und ich bin uberzeugt, dass die Kdnigl. Kapelle vor dem
Jahre 1806 keine speziellen Diiten fur ein Konzert oder Oper in Charlottenburg er-
halten bat Ebenso fiberzeugt bin ich daber, dass das Spielen zu Charlottenburg auf
dem Schlosstheater streng genommen als Dienstverrichtung anzusehen ist, wofur
keine Diiten zu zahlen wiren.
„Dass zur Zeit der Entstehung der Kdnigl. Kapelle dieselbe bei weitem
mehr Vorzuge und Aufmerksamkeiten von seiten ihrer Behdrden genossen, bin ich
gleichfalls uberzeugt. Die Mitglieder derselben benahmen sich aber auch bei jeder
Gelegenbeit auf eine ausgezeichnete Artanstindig und, wie es Kunstlern wurdig;
und mit grossem Leidwesen habe ich bemerkt, dass dies nicht ebenso von den spiter
hinzugekommenen Mitgliedern zu sagen ist; im Gegenteil herrscht jetzt unter den-
selben ein Ton von Ungebundenheit, Unbeachtung aller anstindigen Formen
gegen ibre Vorgesetzten, sowie gegen ihre ilteren Kollegen und Widersetzlichkeit
gegen alle Verordnungen, dass ich zuweilen mit Scham aus dem Munde unpartei-
ischer Beobachter Bemerkungen daruber hdren muss. Die Ruhe und Anstindig-
keit, welche fruher im Orchester der Kgl. Kapelle herrschte, ist durch-
aus verloren. Unaufhdrlich wird heraus- und hereingelaufen, wihrend des Stuckes
laut gesprochen, gelacht und unanstindiges Lirmen getrieben. Die Achtung vor dem
Publikum ist verloren, und Fremde, welche an anderen Orten gewohnt sind, in der
Kdnigl. Kapelle eine Versamm lung von wahrhaften Kunstlern zu flnden, mussen
aus dem Benehmen vieler Mitglieder der hiesigen Kapelle vermuten, als sei dieselbe
nur aus Musikern der geringsten Klasse zusammengesetzt.
Digitized by
Google
16
DIE MUSIK III. 19.
'Q PIC MUSIK. HI. IM. Q'
„Mit ebenso viel Missfallen ist oft die Nachlissigkeit zu beobachten, mit
welcherfder^Dienst selbst betrieben wird. Das richtige Zusammen'stimmen
ist fast ganz aus unserer Kapelle verloren gegangen; jeder scheint nur fur
sicta zu spielen und sich nicht um das Gelingen des Ganzen zu bekfimmern. In den
Zwischenakten der Opern lSuft ein grosser Teil des Orchesters heraus, kommt nicht
eher wieder zuruck, bis der Akt anfangen soil, ergreift schnell das unterdess vielleicht
verstimmte Instrument und spielt so unbekummert weiter; ja selbst, wenn bei Theater-
musiken nur 6—8 Instrumente zusammen zu spielen taaben, sind dieselben nicht einmal
eingestimmt, und die Obren der Zuhorer werden auf das unanstindigste tnisshandelt.
Dies alles ist wohl nicht geeignet, eine besondere Achtung zu erwecken, und fest
entschlossen bin ich auch, derartigen Obelstand fernerhin nicht mehr zu dulden.
„Ich ford ere daher hierdurch die ilteren Mitglieder der Kdnigl. Kapelle fSrmllcb
auf, eine Art von Ober-Aufsicht fiber ihre jungeren Kollegen zu ffihren, sie auf eine
zwar geziemende, aber ernstlicbe Weise an die yon rair gegebenen Befehle zu er-
innern und nicht zu dulden, dass dieselben aus blosser Laune in jedem Akt ihre
Plitze verlassen Oder sich durch unanst&ndiges Lirmen und Sprechen die Zeit ver-
treiben. Ich selbst werde genau fiber die Befolgung dieser meiner Anordnung wachen,
werde die Herren Kapellmeister, welche ohnehin sehr oft mit Recht fiber das un-
ziemliche Betragen im Dienste Klage geffihrt haben, auf ford em, gleicb falls streng
darauf zu sehen und nicht mehr linger zu dulden, dass die Anfuhrer durch unziem-
liche Verantwortungen beleidigt werden, wenn dieselben in ihren Dienstverrichtungen
streng auf Pflicht und Ordnung halten. Es wird sonach von den Mitgliedern der
Kdnigl. Kapelle selbst abhingen, wie sie in Zukunft von mir behandelt sein wollen;
denn dass mir die Art nicht unbekannt ist, wie man mit wahrhaft achtungswerten
Kfinstlern umgebt, wird wohl niemand bezweifeln."
Da am 5. Oktober 1817 wieder die Verfugung eingeschMrft wurde,
dass fremde Musiker nicht ohne weiteres im Theater mitspielen durften,
mussen derartige Vertretungen von Kammermusikern wieder ofters vor-
gekommen sein.
Ofters begegnen uns in den Akten — auch noch im Jahre 1829 —
auch Klagen dariiber, dass die Wahl der Musikstticke in den Zwischen-
akten bei Trauerspielen und ernsten Schauspielen eine hochst unpassende sei.
Wie sehr sich Graf Briihl im einzelnen um das Orchester gekiimmert
hat, ersehen wir z. B. aus seiner Verfugung vom 5. Januar 1821 :
,Es ist mit Missfallen bemerkt worden, dass die Klarinettisten der Kdnigl.
Kapelle im Orchester sehr oft Klarinetten von andern Tonarten nehmen, als die
in der Stimme vorgeschrieben sind. Durch das Transponieren der Stimme aber geht
jedesmal die vom Komponisten beabsichtigte Wirkung des Instruments verloren, und
diese Ungebuhr kann nicht linger geduldet 1 ) werden."
Ein nicht gerade erfreuliches Bild von den damaligen Verhaltnissen
*) Diese Mahnung sollte auch heute, zum mindesten, soweit es sich um die
Tonwerke der Klassiker handelt, allgemein beachtet werden. Ginge es nach mir, so
mfissten bei derartigen Werken auch statt der heute allgemein fiblichen VentilhSrner
und Ventiltrompeten in F Oder B die alten NaturhSrner, bezw. — Trompeten in ihren
<~erschiedenen Stimmungen benutzt werden.
Digitized by
Google
1?
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
erhalten wir auch durch die Tatsache, dass Graf Bruhl am 21. fA'irz 1821
sich gendtigt sah, die Forderung auszusprechen, dass alle Geiger und
Bratschisten fUr gute Bezfige und Instandhaltung ihrer Instrumente Sorge
tragen sollten.
Das Hauptaugenmerk Graf Bruhls aber war auf die Gewinnung einer
KapazitSt als Kapellmeister gerichtet. Leider gingen in diesem Punkte
seine Wunsche (Cherubini, Paer, Karl Maria v. Weber, Weigl, Lindpaintner)
nicht Hand in Hand mit denen seines Konigs. Dieser hatte bei seinem
mehrmaligen Aufenthalt in Paris ein besonderes Interesse fur die Opern
SpontiniV) gewonnen und war bereits 1815 nicht abgeneigt, diesen, dem
es in Paris nicht raehr recht behagte, an seinen Hof zu Ziehen, doch ein
sehr energisches Gutachten des Grafen Bruhl verhinderte damals die Be-
rufung Spontini's (geb. 1774). Doch dieser liess nicht nach, beim Kdnige,
der sich 1817 nicht weniger als viermal den ,Cortez" in seiner neuen
Fassung ansah, seine Anstellung zu betreiben, allein erst 1819 kam ohne
Wissen des Grafen Briihl durch den Konigl. Flugeladjutanten General-
major von Witzleben jener merkwurdige Kontrakt zustande, durch den
Spontini. die Stelle des ersten Kapellmeisters und die General-
oberaufsicht fiber das Musikwesen (mit dem Titel eines General-
Musikdirektors und der Erlaubnis, ausserhalb der Konigl. preussischen
Lande den Titel eines General-Ober-Intendanten der Koniglichen Musik zu
ffihren) fibertragen wurde.
Mit Recht wies Graf Bruhl sogleich darauf hin, dass der ab-
geschlossene Kontrakt auf eine so unbestimmte Art abgefasst sei, dass sie
die grosste willkurliche Auslegung zulasse und daher notwendig zu Miss-
verstSndnissen Anlass geben werde, und dass bei der grossen Spannung,
die durch die ausserordentlich vorteilhafte *) Stellung Spontini's beim Musik-
und Opernpersonal hervorgerufen wurde, Reibungen nicht ganz vermieden
werden konnten. Und er hatte nur zu sehr recht. Kaum war die Anstellung
Spontini's bekannt geworden, so bat Bernhard Romberg, der sich ihm
nicht unterordnen wollte, urn seine Entlassung, die ihm auch gewShrt
wurde. Spontini's Ankunft in'B^flin verzdgerte sich noch bis Ende Mai 1820.
Graf Bruhl hatte kurz vorher der sog. Musikdirektion der Konigl. Theater,
d. h. den Kapellmeistern, Musikdirektoren und Konzertmeistern, die da-
') Vergl. ffir das Folgende meine archivalische Studic: .Spontini an der Berliner
Oper" in: Sammelbinde der internationalen Musikgesellschaft Jahrg. 4 (1903), S. 244
bit 292. Daselbst auch biographische Notizen fiber die Kapellmeister, Musikdirektoren
und Konzertmeister, die unter Spontini an der Berliner Oper gewirkt haben.
*) Sehr geringe Pflichten, deren vornehmste die Kom position von zwei Opern
innerhalb dreier Jahre bildeten; dagegen 4 Monate Urlaub im J ah re und ein Jahres-
einkommen von 20500 Francs.
III. 19. 2
Digitized by
Google
18
DIE MUS1K HI. 19.
mals gelegentlich auch noch kleine Opera dirigierten, zu wissen gegeben,
dass auch durch Spontini's Amtsantritt in der Form der bisherigen Dienst-
verhfiltnisse durchaus nichts gefindert und dass er selbst sich nach wie vor
der speziellen Leitung aller musikalischen Angelegenheiten beim Theater
und der Konigl. Kapelle fortwahrend unterziehen wurde; ja noch mehr,
Graf Briihl erliess sogar eine eigene Dienstinstruktion fur Spontini, der
nur zur Direktion seiner eigenen Opera verpflichtet war und dabei nicht
einmal selbst den Takt zu schlagen brauchte, was einer der Konzertmeister
nach seiner Anweisung zu tun hatte. Aber obwohl auf dem Boden dieser
Instruktion ein gedeihliches Zusammenarbeiten alter Beteiligten moglich war,
gab es fortwahrend Streitigkeiten. Doch wir haben hier darauf nicht ein-
zugehen, sondern nur Spontini's Stellung zum Orchester ins Auge zu fassen.
Sein erstes war, dieses anders zu placieren, sowie die Forderung, den
Orchesterraum zu vergrossern; allmahlich gelang es ihm, den Orchester-
korper von 78 *) bis auf 94 Mann im Jahre 1828 zu vermehren; bei dem
nicht allzu grossen Etat war dies aber nur moglich, indem er den Anfangs-
gehalt bis auf 120 Taler*) herunterdriickte und nur selten einen Kammer-
musiker mit mehr als 500 Talern besoldete. Diese, die bei dem bis
dahin nicht allzu vielen Dienst ein reichliches Nebeneinkommen durch
Stundengeben gehabt hatten, waren durch die grosse Ausdehnung und die
Zahl der Proben, die Spontini fur seine Werke 3 ) beanspruchte, nichts
weniger als gut auf ihn zu sprechen ; da er auch immer der franzosischen
Sprache sich bediente, so verstanden sie ihn haufig nicht; wenig erfreut
waren sie auch, als er 1824 (18. Januar) die Verfugung erliess, dass kein
') 21 Geigen, 7 Bratschen (!), 9 Violoncelle, 5 Bisse. Wlhrend jedes Holzblas-
instrument funffach bcsetzt war, gab es nur 3 Posaunen, 3 Trompeten, 1 Pauke. (8 Wald-
hdrner, 1 Harfe.)
*) Vgl. das auch von Meyerbeer mitunterschriebene Immcditt - Gesuch der
Kdniglichen Kapelle urn Gehaltserhdhung vom 2. April 1843: „. . . Die Kftnigliche
Kapelle, welche gegenwirtig 97 Mitglieder zfchlt, bestand, ehe sie den General-Musik-
direktor Spontini zum Chef erhielt, aus einer bei weitem kleineren Anzahl, als es
jetzt der Fall ist, und nur unter seiner Direktion ist sie zu der oben angegebenen
Zahl herangewachsen, der Etat aber nur sehr* mftssig erhdht worden. Da das be-
deutende Gehalt des General-Musikdirektors Spontini, sowie das des Hofkomponisten
Herrn Blum dem Etat der Kapelle aufgelegt wurde, so konnten die im Laufe der
Zeit vakant gewordenen Stellen eines kapellmeisters, Musikdirektors, Konzertmeisters
und die ersten Stellen bei den Blasinstrumenten nur mit bedeutend geringeren Ge-
halten wieder besetzt werden; auch erfolgten die Anstellungen neuer Mitglieder mit
wenigen Ausnahmen nur mit den sehr geringen Gehalten von 120—200 Talern,
und mussten dieselben der Zukunft vertrauen, die ihre Lage zu verbessera
hoffen Hess."
*) Zur „01ympia" fanden 42, eine fur die damalige Zeit unerbdrte Anzabl,
Proben statt; es sei zum Vergleich hierbei an die 77 Proben zum „Tristan" in Wien
erinnert, nach denen dieses Werk im Jahre 1863 doch nicht zur Auffuhrung gelangte.
Digitized by
Google
10
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
Kammermusiker willkurlich den ihm bestimmten Dienst mit einem Kollegen
tauschen durfe, eine Verfugung, die ubrigens am 24. Januar 1827 von
neuem eingeschfirft wurde. Sehr missfallig wurde auch bemerkt, dass
Spontini stets seine Schmeichler bei Gehahsaufbesserimgen und Remune-
rationen bevorzugte.
Die Befiirchtung des Grafen Briihl, dass Spontini, der bis zu seiner
Ankunft in Berlin noch kein Orchester geleitet hatte, ein schlechter Dirigent
sein wurde, war freilich nicht eingetroffen ; 1 ) aber ausser seinen eigenen
Opern leitete er fast nur noch die Auffuhrungen des von ihm sehr ge-
schStzten „DonJuan"; die Anstellung besonders tiichtiger Kapellmeister —
Karl Maria von Weber war einmal in Frage gekommen — wusste er zu
hintertreiben ; so wirkten neben ihm (noch kurze Zeit) Bernhard Anselm
Weber (f 23. JVUrz 1821), L. Seidel, der vom Musikdirektor 1822
leider zum Kapellmeister avanciert war und trotzdem er selbst es 1826
schon beantragt hatte, erst 1829 pensioniert wurde, der verhMltnismMssig
tuchtige Georg Abraham Schneider,*) der ursprunglich Waldhornist ge-
') Richard Wagner sagt in seiner Schrift „Ober das Dirigieren* (Ges. Werke, 3. Aufl.
Bd. 8 S. 267), dass trotz Meyerbeer und Mendelssohn in dcm ,ber&hmten" Berliner
Orchester die letzte Spur selbst der Spontinischen Pr&zisionstradition verschwunden sei.
*) Dieser (nicht Wieprecht, wie man nach Tapperts Aufsatz in „Die Musik",
Jg. 1 S. 1969 meinen sollte) ist der erste „Direktor des Musikkorps der Garde" ge-
wesen und zwar seit dem 8. Juli 1819. Vgl. die kdnigliche Kabinettsorder yon diesem
Tage: „Um die mdglichste Gleichfdrmigkeit bei den MusikchSren der Garde- und
Grenadierkorps einzufuhren, bestimme ich, dass bis auf weiteres der Kammermusikus
Schneider mit Beibehalt seines bisherigen VerhSltnisses unter der oberen Leitung
des Herzogs Karl von Mecklenburg der gesamten Musik des Korps in der Qualitit
eines Direktors vorstehen soil." Da fiber diese Titigkeit Schneiders so gut wie
nichts jetzt bekannt ist, durfte von Interesse sein, was er kurz vor seiner Pensionierung
(2. Februar 1838) unter dem 23. Dezember 1837 an Graf Brfihl schreibt: w Ich ruble
mich . . . gedrungen, Euer Hochgeboren uber das eigentliche Wesen meiner Stellung
als Militir-Musikdirektor" (folgendes . . .) ,mitzuteilen. Ich verdanke diese Stelle dem
vormaligen Kiiegsminister von Witzleben, meinem stets gfitigen Gftnner, und man
beabsichtigte durch eine obere Leitung eine gewisse Gleichmissigkeit in den Pro-
duktionen der Militir-Musik-ChSre hervorzubringen. In dieser Rficksicht uirkte ich
anfangs praktisch auf die Obungen der einzelnen Chdre, uberzeugte mich aber bald,
dass simtliche Stabshoboisten und Trompeter tuchtige, wackere, ausgebildete Musiker
waren, die nur einer Anleitung bedurften, um selbst und unabhSngig das Beste zu
erreichen. Und der Erfolg krSnte meine Bestrebungen. Man vergleiche, was jetzf
die Militirmusik leistet und was sie leistete, als ich angestellt wurde. Statt dieser
praktischen Beaufsichtigung, die ich fur durchaus unndtig und uberflussig bei der
Tuchtigkeit unserer Stabshoboisten und Trompeter erklirc, fand sich ein anderer
Wirkungskreis, der mir um so willkommener war, als er sich vollkommen mit meiner
Titigkeit beim Theater vereinigte. Ich arrangierte auf unmittelbaren Befehl
Seiner Majestit jahrelang fast ausschliesslich die Mirsche ffir die Armee,
liess diese dienstlich zirkulieren, prufte auf Befehl die neu anzustellenden Stabs-
Digitized by
Google
20
DIE MUS1K HI. 19.
^
wesen, 1820 Musikdirektor wurde und von 1825—1838 Kapellmeister war,
der fruhere Konzertmeister, seit 1825 Musikdirektor Karl Mdser (bis 1842),
endlich K. W. Henning, seit 1836 Musikdirektor und 1840 (—1848)
Kapellmeister.
Da es in damaliger Zeit nicht immer leicht war, geeigneten Nach-
wuchs fur die Konigliche Kapelle zu gewinnen, so wurde auf Spontini's
Wunsch 1822 vom Grafen Bruhl eine besondere Unterrichtsschule
zunMchst fiir junge Violinisten der Kdnigl. Kapelle eingerichtet und
deren Leitung dem Konzertmeister Karl Mdser (geb. 1774) anvertraut.
Wenn dieser am 27. Juni 1842 ruhmend berichten konnte: „Die Konig-
liche Musikschule besteht seit 23 Jahren, und es hat sich wShrend dieser
Zeit die grosse Nutzlichkeit derselben dadurch genugend dargetan, dass
beinahe die Hllfte der jetzt angestellten Mitglieder der Kapelle aus diesem
Institut hervorgegangen ist", so fehlte es schon damals nicht an
Stimmen, 1 ) die behaupteten, dass durch diese Schule viele mittelmSssige
Musiker in die Kapelle gekommen wMren und kamen. Auch nach seiner
Pensionierung behielt Mdser die Violinklasse, zu der zeitweilig auch eine
besondere Violoncellklasse gekommen war, bis zu seinera Tode (1851) bei;
dann wurde das arg verfallene Institut, urn dies gleich hier zu sagen,
reorganisiert und dem Konzertmeister Hubert Ries*) anvertraut, 1855
musiker der gtnzen Armee, bcrichtete und beguttchtete sSmtHche tus dem Militftr-
kabinett mir zugehenden Gegenstlnde, eingereichte Musiken, Instrumente, neue Er-
flndungen, arbeitete an der {Composition und Ein fun rung der Liturgie und arrangierte
u. t. auch slmtliche Spontinische Opera fur Militirmusik, die Seine Majestit der
KOnig zu einem Geschenk an den Kdnig von England bestimmten, ohnc fur solche
bedeutende Arbeiten anders als durch die erwihnte Remuneration entschidigt zu
werden . . .« Dieser G. A. Schneider f 19. Januar 1839.
') Am 22. Januar 1850 baten einige Schuler der Instrumentalklasse Mdsers Bild
in 6l im Klassenzimmer aufhingen zu durfen; andere aber baten am 1. Mirz 1850
unter Schilderung der hdchst ungenugenden Leitung MSsers um einen neuen Direktor,
der schon vor 2 Jahren einmal erbeten worden war. In dieser Petition heisst es u. a.:
»Wihrend der Ausfuhrung des betreffenden Musikstuckes flndet bei vorkommenden
Fehlern nie eine Belehrung von seiten des Herrn Direktors suit, vielmehr werden
dieselben je nach der Stimmung des Herrn Direktors von ihm belacht, oder er lussert
sein Missbehagen durch heftige Fluche. — Man braucht nur acht Tage Accessist zu
sein, um sich sagen zu m us sen, dass nur eigennutzige Zwecke den Herrn Direktor
bewegen, die Leitung des Instituts fortzusetzen ; ja nur zu oft hat es derselbe uns
gegenuber ausgesprochen. Als wir vor 2 Jahren unsere erste Bitte bei Ew. Hochw.
eingereicht hatten, liess der Herr Direktor Mdser uns zu sich kommen, um uns
daruber zur Rede zu stellen. Nach einer gegenseitigen Aussprechung erklirte uns
derselbe: Gebt mir meine 400 Taler und ich sch . . . . e euch was in die Klasse.*
*) Vgl. auch „Die Musik* Jahrg. I, S. 1187. — Ferdinand Laub, der von
1856—1861 die Violinsoli (nur diese) in den grossen Balleten zu spielen hatte, sonst
aber dem Orchester nicht angehOrte, hatte daneben noch die Verpflichtung, einige
der jungeren Geiger der Kdniglichen Kapelle weiter fortzubilden.
Digitized by
Google
o.
21
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
noch eine besondere Btfserklasse unter W. F. Wieprecht gebildet. Erst
1876 wurde diese Musikschule auf Antrag von Ries aufgelost, da sie
durch die Konigl. Hochschule fur Musik, das Sternsche Konservatorium
usw. uberholt und uberflussig geworden war. Die Mitglieder dieser Musik-
schule waren ubrigens vielfach fur die Zwischenaktsmusik im Schauspiel-
hause, zur VerstSrkung und Vertretung der Kammermusiker, endlich auch
zur Musik bei den Koniglichen HofMllen verwendet worden.
Als Graf Bruhl, der ewigen Streitigkeiten mit Spontini mude, auch ver-
stimmt daruber, dass ihm Vorwtirfe wegen seiner Vorliebe fur prachtvolle Aus-
stattungen gemacht wurden, Ende 1828 von seinem Intendantenposten zuruck-
getreten war, ubernahm diesen, zunfichst provisorisch, seit 1830 definitiv
der Kammerherr Graf Wilhelm v. Redern (geb. 1802), der sich vielfach
kompositorisch 1 ) betatigt hatte. Es gelang ihm, freilich wlhrend Spontini's
Abwesenheit, eine neue Instruktion fur diesen durchzusetzen, durch welche
die Stellung des Generalmusikdirektors eine nicht unbedeutende Ein-
schrSnkung erfuhr; naturlich brachen, sobald Spontini wieder in Berlin
war, die alten Streitigkeiten abermals los ; nur stand jetzt der Konig lange
nicht raehr so wie friiher auf seiten seines fruheren Gunstlings. Vollends
war Konig Friedrich Wilhelm IV., der seinem Vater 1840 auf dem Thron
folgte, nicht geneigt, Spontini, dessen Unbeliebtheit in Berlin immer mehr
gestiegen war und der auch seine Verpflichtungen, betr. die Komposition
neuer Opern, nicht eingehalten hatte, iiber Gebuhr nachsichtig zu behandeln.
Infolge einer sehr unglucklich abgefassten offentlichen ErklMrung gegen
Graf Redern zog sich Spontini 1841 sogar eine Anklage wegen MajestSts-
beleidigung zu und wurde, als er trotz alien Abratens am 2. April den
.Don Juan" dirigieren wollte, durch die Zuhdrer genotigt, das Opernhaus
zu verlassen. Durch die Gnade des Konigs wurde ihm, nachdem er im
MajestStsbeleidigungsprozess auch in zweiter Instanz verurteilt war, die
Strafe erlassen und er gleichzeitig unter Belassung seines Titels pensioniert.
Wie man auch fiber sein Wirken an der Berliner Oper denken mag,
vergessen soil man doch nicht, dass ein Mann wie Bernhard Marx ihn als
Musiker sehr hoch gestellt hat, ein Urteil, dem sich Philipp Spitta*)
in neuerer Zeit angeschlossen, und dass in Wagners „Erinnerungen an
Spontini die Worte vorkommen: *Verneigen wir uns tief und ehrfurchts-
voll vor dem Grabe des Schopfers der Vestalin, 8 ) des Cortez und der
') Seine Oper .Christine" wurde zwischen 1860 und 1862 sechsmal im Berliner
Operahftuse aufgefuhrt.
*) In seinem Aufsatze .Spontini in Berlin*, entbalten in Spinas scbdnem Bucbe
»Zur Musik. Sechzehn Aufsitze". Berlin 1892.
a ) Gedacht muss hier auch einer Wohltitigkeitsstiftuog werden, die, wenn auch
nicht ganz, so doch zum Teil fOr die Mitglieder des Kdnigllchen Orcbesters bestimmt
Digitized by
Google
22
DIE MUSIK HI. 19
Olympiad Jedenfalls hat er bis dahin unerhorte Anforderungen an die
Leistungsfahigkeit und das St&rkeverhaltnis des Orchesters 1 ) gestellt; ver-
gessen sei es ihm auch nicht, dass er gelegentlich eines Konzerts (30. April
1828) die erste offentliche Berliner Auffuhrung eines Bachschen Werkes,
des Credo aus der h-moll Messe, veranstaltet hat.
Schluss folgt
war: ich meine den sogenannten Spontini Ponds. Der $ 1 des Reglements fur
diesen Fonds vom 17. Oktober 1826 lautet: „Aus den Einkunften des dem Herrn
General-Musik-Direktor Spontini kontraktmissig zustehenden j&hrlichen Konzerts am
Busstage ist, nachdem er auf solches mit AllerhSchster Genebmigung verzichtct hat,
nach seincm Antrage zum Besten des bedurftigen Theater- Personals, namentlich des
Orchester- und Chorpersonals eine Unterstutzungskasse gestiftet und derselben mit
AllerhOchster Genebmigung der Name „Spontini-Fonds* beigelegt worden." Bis 1852
wurde fur diesen Fonds, in den auch die Geldstrafen des Theaterpersonals flossen,
alljShrlich ein Konzert gegeben, am 5. Januar 1853 aber durch kSnigliche Kabinetts-
ordre die Aufhebung des Spontinifonds dekretiert. Damit war die bleibende Erinnerung
an das Berliner Wirken Spontini's, die er durch diese Wohlfahrts- Ein rich tung beab-
sichtigt hatte, beseitigt.
] ) 42 Mitglieder desselben nahmen im September 1820 an dem unter Spontini's
Leitung stattfindenden ersten Musikfeste der thuringisch-sichsischen Musikvereine
zu Halle teil.
Digitized by
Google
Vo rs p i e 1.
Personen:
Ahasver.
Judas Ischariot.
Maria Magdalena ) ... .
H.nn. I J-ngerinnen jesu.
Volk von Jerusalem. Rdmische Soldaten.
Junger und Juogerinnen Jesu.
Felsige Gegead in der Nine des Hugels von Golgatht. Vereinzelte Baume. Am
Himmel ein fahler Glutschein, nicht Nacht und nicht Tag. Sturm und unterirdisches
Getdse. Mit den GebSrden Verzweifelter sturzcn die Anhinger Jesu, Manner und
Frauen, von der H5he rechts und verteilen sich auf den abwirts nach links zur Stadt
fubrenden Wegen. Dazwischen Pharisier und Schriftgelehrte ruhig von der Kreuzigung
heimkehrend in kleinen Gruppen.
Alle Junger.
Einige.
Andre.
Wieder Andre.
Frauen.
Magdalena.
Weh uns! Weh!
Die Erde bebt,
Die Felsen zerbrechen.
Der Vorhang im Tempel
Zerriss in zwei Stucke,
Von oben an
Bis unten aus.
Es bersten die Graber,
Die Toten stehn auf
Und kommen zu Hauf.
Die Sonne birgt ihr Angesicht.
Lisch aus, lisch aus,
Was frommt dein Licht!
Das Heil der Welt
Hat der Bose gefMllt,
Am Kreuze hat sich die Liebe verblutet.
') In dem Bestreben, den Inbalt der „Musik" mdglichst vielseitig zu gestalten
und auch die literariscbe Produktion, soweit sie sich an das tondichterische Schaffen
wendet, zu berucksichtigen, verdffentlichen wir hiermit zum erstenmal ein neues
fur die Komposition bestimmtes dramatisches Werk des bekannten Bremer Dichters
Heinrich Bulthaupt. Anm. der Red.
Digitized by
Google
24
DIE MUSIK III. 19.
Eine kleine Abteilung Soldaten (geht vorfiber).
Ihr Fiihrer. Vorwlrts, ihr Weiber,
Was sperrt ihr den Weg!
Die Frauen. Weh uns!
Der Fiihrer (zu den Soldtten). Straffer den Schritt.
Du da — rechts, dir schlottert das Knie.
Feigling, sahst du das Sterben nie?
Ein Pharisfler. Gabst du acht?
Das verbreit' ich noch heut
Auf alien Gassen,
Wie laut er schrie —
Ein And re r. Es ist vollbracht?
Der Erste. Nein, zuvor:
Gott der Herr hat mich verlassen.
Der Andre. Der Tor!
Er hat nun seinen Lohn.
Doch tut mir's leid,
Dass der Spass vorbei.
Man hatte doch Zeitvertreib davon.
Magdalena (die zusammengesunken war, richtet sich auf).
Weh dir, wehe, Israels Stamm.
Kein Wasser wascht dir die blutigen Hande
In Ewigkeit rein.
Fur dich wird nicht Frieden
Auf Erd' und im Himmel,
Fur dich nicht Ruh' im Tode sein.
Hanna. O Liebste, still!
(Ahasver ist oben rechts erschienen, eine jugendliche hohe Gesttlt, schwarzgelockt.)
Magdalena. Da — da —
Der Furchtbare — seht!
Alle. Weh! weh!
Magdalena. Das ist er, der ihm die Rast verwehrt,
Die letzte Rast,
Als der Gottliche an seines Hauses Schwelle
Unter des Kreuzes furchtbarer Last
Zusammenbrach.
Ahasver (will weiter).
Magdalena. Nicht von der Stelle!
Ahasver. Was kummert mich euer Weh und Ach,
Was euer verbuhlter Schmerz?
Winselnde Weiber!
Digitized by
Google
25
BULTHAUPT: AHASVER
Wisst ihr, dass ich dem Toten vertraut?
So schrie mir laut
Das hoffende Herz:
Das ist er, der uns geweissagt ward,
Der Messias, den wir erhofft und erharrt,
Das ist Judas erkorenes Konigshaupt —
Der wird uns befrei'n und erhoh'n!
Und er? Wie ein Kdnig ritt er ein,
Unter Palmen und Mai'n,
Mir jauchzte das Herz vor seliger Lust,
Fast sprang mir die Brust
Vom Hosannaschrei'n.
Da gab er sich selbst, sein Volk und Land
In feiger Schmach in der Feinde Hand,
Leid war seine Losung, Schande sein Ruhm —
Und es wandte sich mir das Herz in Hass.
Dem Gaukler und seinem Konigtum
Flucht' ich fortan
Und wies ihm selber zum Tode die Bahn.
Einige Jiinger. Furchtbarer du!
Ahasver. Wollt nur euren Wahn,
Und duckt euch dem Joch!
Doch einen gibt es in Israel nocb,
Der mich versteht
Und mein Sehnen teilt.
Ich gehe zu dem, der ihn verriet,
Weil er betrogen ward wie ich —
Zu Judas geh ich von Kerioth.
Judas (der hoch oben erschienen ist, todblcich und verstOrt).
Rufst du mich?
So folg' mir, Bruder, in den Tod.
Ahasver. Den Tod?
Alle Andren. Wehe! Wer rief dich,
Der Schrecknisse gross tes? ErtrMgt die Welt
Deinen Anblick noch?
Judas. Ertrag' ich ihn selbst?
Hofch, die Posaune des Richters. Sie gellt
Mir den furchtbaren Spruch: Verdammt, verdammt
In Ewigkeit.
Ich selber betrog mich
Mit falschem Wort —
Digitized by
Google
r
26
DIE MUSIK III. 19.
.£
Vergebens.
Mein Verbrechen schreit
Wider mich.
Nicht Kain, der den Bruder schlug,
Trug Schuld wie ich.
Ich habe der Menschheit den Brunnen verstopft,
Die Quelle des Lebens.
Ein Grab! ein Grab!
Den Strick um den Hals,
Und zur Hdlle hinab!
(Er rennt davon.)
Die J linger und Frauen (steben in dumpfem Scbweigen).
Magdalena (dumpf). Gerechtes Gericht!
(Dann zu Ahasver.) Gericht auch dir!
Denn so sprach der Herr in seinem Leid
Dir Verworfnem den Fluch:
Du findest auf Erden in Ewigkeit
Nicht Rast noch Ruh.
Wandre, wandre, wandre denn zu!
Hanna. Halt' ein, du Wilde!
Genug, genug!
So flucht dein Schmerz,
So deutet dein qualzerrissenes Herz
Des Herren Wort,
Das sanft war und milde.
(Zu Abasver.) Als hart du ihm das Haus verwehrt,
Sprach Jesus also:
Freund, darf ich denn bei dir nicht ruh'n,
So scheide ich nun,
Doch harre ich dein.
Wandre und suche, bis du mich gefunden.
Glaub' mir, ich -bin ein guter Wirt,
Obdach geb' ich dem, der verirrt,
Sfinftlich*pfleg' ich deiner Wunden,
Und schlafst du ein —
Die Rast bei mir wird selig sein. —
(Zu Magdalena.) Horst du, Maria?
Weisst du's nicht mehr?
So sprach er.
Die Junger und Frauen (leise). So sprach er.
Digitized by
Google
27
BULTHAUPT: AHASVER
*■&
Hanna. Eh' wuchsen Rosen im Hollenschlund,
Als ein Fluch in des Heilands Mund.
Magdalena (uberwSltigt, die HSnde faltend)
Ja, ja! — so sprach der Herr!
Ahasver (trotzig und kuhn). Mag es denn sein!
Fluch oder Segen —
Mutvoll zieh' ich hinaus in die Welt,
Der Sonne, dem Sturmwind entgegen.
Stark und aufrecht bluht mir die Kraft,
Meine Brust ist ein breiter Schild,
Mein Arm ein wehrhafter Lanzenschaft.
Mich gelustet des Lebens,
Mich lockt die Weite —
Auf denn zum Streite.
Und wfihrt' es tausend
Und tausend Jahr —
Ich wag' es, ich will,
Und Hoffnung gibt mir das Geleite.
Hanna (ihm nacfa). Wo du schreitest, ist Gott,
Und Gott ist die Liebe.
(Ahasver schreitet die Hdbe hinauf, als wolle er sich nach rechts in die Richtung
des Kreuzes wenden. Dann stockt er einen Augenblick und geht nacb links ab.)
Magdalena. Und was bleibt uns?
Hanna (deutet nach unten links in die Richtung der Stadt).
Magdalena. Dort hinab?
In das Weltgetriebe?
O nimmermehr!
Zuriick zum Kreuz,
Dran er verschied.
Die einzige Statte bleibt mir noch.
Dort will ich sterben.
Hanna. Jesu Mutter vergeht
In bebendem tr&nenlosem Harm.
Sie lass uns trosten
Und pflegen.
Magdalena (umarmt sie in tiefer Erschutterung).
O wMi^ ich wie du,
Die du den Fluch verwandelst in Segen.
Leih mir Schwachen den Arm.
Wo du schreitest, ist Gott,
Und Gott ist die Liebe.
Digitized by
Google
28
DIE MUSIK 111. 19.
Die Frauen (leise). Die Liebe.
Die Jiinger (ebenso). Die Liebe.
(Sie gehen ganz Itngsam zur Stadt hinab. Einige Frauen folgen ibnen. Andre
scbliessen sich Hanna und Magdalena an, die den Weg nach Golgatha nehmen.)
Der Vorbang fillt.
Nach dem Vorspiel und dem Orchestersatz „Wanderung" folgt der
I. Akt.
Personen:
Kaiser Nero.
Ahasver.
Silas, ein junger Teppichweber.
Hanna, seine Mutter.
ChloS, eine Tinzerin.
Der Prifekt der Stadt.
Ein Sklavenvogt.
TSnzer und TSnzerinnen. Gaukler. Judische Sklaven. Christen. Rdmisches Volk.
Rom zur Zeit Neros. Die Buhne stellt fast in ganzer Breite eine offene Slulenhalle,
die nach dem Hintergrund eine weite Aussicht auf die Stadt frei l&sst, vor. Das
Podium ist etwa urn anderthalb Fuss fiber das Niveau erhSht. Nach vorn fuhren
einige Stufen herunter, ebenso rechts (vom Zuschauer). In den Kulissen rechts
Paliste und Girten, daneben das bescheidene Haus des jungen Teppichwebers Silas,
dessen Tur und Fenster verschlossen sind.
Mondhelle Nacht. Ahasver kommt unverindert, den hohen Wanderstab in der
Hand, und steigt aus dem Hintergrund die S&ulenhalle herauf, im Anblick der
Stadt verloren.
Ahasver. Durch deine Gassen wandP ich wie im Traum,
Erhabnes Rom! Die Seele hat nicht Raum
Fur deine Herrlichkeit ! Durch deine Bogen
Auf goldnem Wagen kommt der Sieg gezogen,
Um deine Marmorsaulen schlingt das Leben
Den duftig satten Kranz von Ros' und Reben,
Ein Heer von Liedern flattert in der Luft,
Und zum Geprange wandelt sich die Graft.
(Er steigt vorn herab und verliert sich schauend nach links.)
(Unterdessen ist ChloS mit vier oder acht Begleiterinnen, alle bacchantisch gekleidet,
von links hinten aufgetreten. Sie spiben umher, sammeln sich dann vor dem Hause
des Silas und singen zu Fldten und Zithern.)
Chloe. An der Schwelle deiner Tur
Harr' ich, bis die Angeln rauschen —
Kannst du schlafen, schoner Freund,
Willst du meinem Sang nicht lauschen?
Jugend bleicht, die Stunde flieht
Wie die Liebe, wie das Lied.
Digitized by
Google
2d
BULTHAUPT: AHASVER
Was du dir vertriLimst, das Gluck,
Bringt kein Seufzer dir zuruck
Es regt sich noch nichts.
Eine Begleiterin. Eine Ture klang.
Auch seh' ich Licht.
Chlod. Da horch', ein Sang.
Silas und Hanna (aus dem Innern des Hauses).
Im Dunkel schleicht der Furst der Welt,
Herr, wache, dass dein Kind nicht fiillt.
Chi 06. Der Fromme verschmSht mich und spricht mir Hohn —
Saiten und Floten, gebt susseren Ton! —
Tausche du den schweren Mohn
Mit den Rosen, die ich bringe,
Susse Ketten, die ich fest,
Fest um deine Glieder schlinge.
Ach! auf weichen Sohlen sacht
Zu den Schatten flieht die Nacht —
Was du dir vertr&umst, das Gluck,
Bringt kein Seufzer dir zuruek.
Ahasver (ist von links zurfickgekommen und lehnt unten im Schatten einerSiule).
Und doch, Roma,
Roma, du Gleissende,
Die du den Erdball
Wurgend umklammerst,
Musst du hinweg
Aus dem Ringe der Welt.
Dein Umarmen entnervt
Und dein Fusstritt ist Tod.
ChloS. Was du dir vertritamst, das Gluck,
Bringt kein Seufzer dir zuruck.
(Dts Nachspiel tdnt welter.)
Ahasver (der dem Gesange gelauscbt hat).
So llhmst du der Jugend
Das strotzende Mark
Und spannst in dein Joch
Mannheit und Tugend.
Silas. I Die Sunde lockt mit sussem Ton,
Hanna. (Bewahr' uns Gott, durch deinen Sohn.
Ahasver. Sieh da, ein Starker, der widersteht.
Wer ist's — ? (Er lauscht weiter und zuckt zusammen.)
Ein Christ!
Digitized by
Google
30
DIE MUS1K III. 19.
ChloS. Verachtet, verworfen! Nun fuhle den Zorn
VerschmMhter Liebe. Ich weiss mich zu r&chen.
Verwirfst du die Rose — der Dora wird dich stechen.
(Sie geht mit den MSdchen hastig nach rechts im Hintergrund ab. Von links hinten
kommt ein Zug von Sklaven, die schwere Decken und Stibe tragen und von ihrem
Fuhrer mit Geisselhieben vorwSrts getrieben weiden.)
Die Sklaven. O! o!
Der Sklavenvogt. Fort, ihr Tragen!
Ich will euch lehren.
Schleift ihr den Purpur
Durch Kehricht und Kot!
Die Sklaven. O! o! Jammer und Not!
Ahasver. So mfiht deine Geissel
Lander und Volker,
So hast du mein Zion
Zu Boden getreten,
Und drum musst du sterben,
Stolzes, prangendes,
Furchtbagss Rom.
(Die Sklaven schicken sich an, einen Baldachin links fiber einen Prunksessel fur den
Kaiser zu spannen, Decken und Pfuhle auszubreiten usw. Silas ist aus dem Hause
getreten, einen Teppich tragend, den er dem Sklavenvogt ubergibt.)
Silas. Hier das Gewirk fur des Kaisers Thron.
Der Sklavenvogt (schmunzelnd). Wohlgeraten! Trefflich, mein Sohn!
Die Sklaven (wShrend der Arbeit).
Die Nacht hat nicht Schlaf und der Tag keine Rast —
Wer hort unser Seufzen und Flehen?
Wir wirken zum Zelttuch den funkelnden Glast
Und mochten in TrMnen vergehen.
Wir richten und wolben den Gottern der Lust
Den Saal und die goldenen Bogen —
Ach! kfime doch in die verwundete Brust
Ein Schimmer von Freude gezogen!
Silas (zu einer kleinen Gruppe von Christen).
Ihr Bruder, wisst, am Holze starb,
Der aller Welt das^Heil erwarb.
O, wollt mit kindlichem Verlangen
In Demut seine Knie umfangen!
Seid ihr als Knechte hier geboren,
Zu Kindern seid ihr dort erkoren!
Tut euer Werk mit Freudigkeit
Und traget willig Not und Plagen,
^^
BULTHAUPT: AHASVER
Einst leuchtet euch nach diesen Tagen
Die Sonne seiner Herrlichkeit.
Ahasver. Kusst nur eure Bande!
Das alte Lied, das alte Leid
Fur knechtische Seelen —
O pfui der Scbande!
Die Christen. O himmlische Trdstung
Wie lieblich ertonst du,
Es trocknet die Trane,
Der Seufzer verklingt!
Wir horchen beseligt
Und h off en und barren
Des Herrn, der die Schatten
Des Todes bezwingt.
(Silas redet noch still mit ihnen und kehrt dann in sein Haus zuruck. Die Christen
nehmen die Arbeit wieder auf. Es wird Morgen.)
Eine Gruppe judischer Sklaven.
Unsre Harfen hangen am Weidenstrom —
Zion, ich denke dein.
Du wardst uns Babel, furchtbares Rom —
Zion, denkst du noch mein?
Horst du, Jehova, unser Schrei'n?
Lebt kein Simson, uns zu befrei'n?
Ahasver (der unten geblieben, doch dicht zu ihnen getreten ist).
In euch muss er leben
Und auferstehn,
Sonst seid ihr fur ewig verloren!
Die Juden. Wer ist der gewaltige Rufer dort?
Ahasver. Aus deinem Blut,
Zertretenes Volk,
Wird Zion neu geboren.
Die Juden (zu ihm herabeilend),
Ein Prophet, ein Prophet!
Ahasver. Nur ein Mann, der wagt.
Wagt denn auch ihr.
Die Juden. Was sollen wir tun?
Ahasver. Rom riistet zum Fest,
Die Spiele locken die Menge hieher.
Bald stehen die Hauser, die Gassen leer.
Dann sammelt zu Hauf, .
Was von Israels Stamm, .
Digitized by
Google
32
DIE MUSIK III. 19.
Verteilt euch rings
Auf der Hugel Kamm
Und Feuer auf Sodom, Feuer! —
Ihr zagt? 1st euch
Das Leben so teuer?
Tragt euer Nacken
Des Elends noch mehr?
Die J u den. Nein! SprichI Du machst uns zum Heer,
Die kleine Schar.
Ahasver. Das Weitre ist mein.
Und schlMgt es fehl —
Der verwundeten Riesin lahmt der Mut,
Und neue RMcher
Steigen verzehnfacht aus unsrem Blut.
Dann erscheint der Tag,
Da Zion frohlockt
Mit Mirjams Lied
Und Deboras Sang
Uber die Ketten, die sie zerbrach,
Ober die Stolze, die ihr erlag!
Die Juden (stimmen begeistert ein).
Dann erscheint der Tag,
Da Zion frohlockt
Mit Mirjams Lied
Und Deboras Sang
Uber die Ketten, die sie zerbrach,
Uber die Stolze, die ihr erlag.
Ahasver. Kommt denn und hort!
(Er steigt mit ihnen in die Halle und mischt sich unter die Sklaven, die ihre Arbeit
vol lend et haben und abziehen, als vier Tubabllser auf die Plattform treten unci ihren
Ruf in die Stadt hinabschmettern. ,. Von alien Seiten dringt das Volk unter den
Kllngen eines Marsches zusammen, der in den Cbor fibergeht):
Chor. Das Fest ist bereitet. Ein wogender Strom
Ergiesst sich das Volk durch das heilige Rom.
Der Casar schreitet zum purpurnen Zelt,
Gebt gottliche Ehren dem Herrscher der Welt! ,
(Nero. Hinter ihm ein Tross von ^eibern, Knaben, Gauklern, Priestern, Soldaten
usw., nimmt unter dem Btldachin links Platz. Ein Altar ist in die Mitte getragen
und von einem Priester entzQndet. TInzerinnen schlingen um ihn den imnier leb-
hafteren Reigen.)
Chor. Rings um den Altar kreist der Tanz,
Auf weisser Stirne gluht der Kranz,
Digitized by
Google
33
1p Q BULTHAUPT; AHASVER
Violenduft
Erftillt die Luft —
Wem wollen wir das Opfer weih'n?
Wes' soil die erste Gabe sein?
Chloe (in der Maenadentracht wie vorhin).
Sie stieg empor aus blauer Flut
Und fachte Erd' und Meer in Glut,
Von Rosen ist ihr Thron umlaubt,
Sanft girrende Tauben umflattern ihr Haupt,
Der Erdkreis ist ihr untertan —
Konigin Aphrodite,
Nimm unser Opfer gnadig an I
Die Bacchantinnen. Lindenbliiten, Anemonen
Flechten wir zu duft'gen Kronen.
Der der Erdkreis untertan,'
Aphrodite, schone Gottin,
Nimm dein Opfer gnadig an.
Chlo§. Die Sorge wacht, es draut die Not,
In Wolkenschatten jagt der Tod —
Full' uns die Schale bis zum Rand,
Erlose die Sinne vom irdischen Band,
Du bist der Konig, bist der Held —
Bacchus Dionysus,
An deinen Wagen spanne die Welti
Chor. Sieh aus schwarzen Lockenringen
Efeu sich und Lorbeer schlingen.
Zu der Becken wildem Klang
Bringen wir dem Erderloser,
Bacchus, dir den Opferdank.
(ChloS hat wiederholt men Silas' Tur gesplht, die geschlossen bleibt.)
Allgemeiner Chor. Das Auge gliiht, es wogt die Brust,
Zur Raserei wird Lieb' und Lust.
Rings um den Altar tollt der Tanz,
Auf heisser Stirne welkt der Kranz.
Chloe und die Bacchantinnen. Wer uns Trotz beut, hiite sich gut,
Maenaden sind wir und dursten Blut!
Ahasver (tritt plotilich aus dem Hintergrund durch die Menge).
Wehe! Wehe!
Zerreisst das Gewand,
Staub streut auf euer Haupt,
Zerschlagt eure Brust,
III. 19. 3
Digitized by
Google
r
*4
DIE MUS1K HI. 19.
Dahin, dahin
Sind Leben und Lust.
Chor. Wer stdrt das Fest?
Wer steht am Altar
Mit funkelnden Augen,
Mit wallendem Haar?
Im wilden, tosenden Freudeschwall
Wes ist der ehernen Stimme Schall?
Ahasver. Schon beben die Grunde,
Bald kochen die Schlunde,
-Die Erde zerbirst und zieht dich hinab,
Roma, Roma! Siehst du dein Grab?
Nero. Wer ist der Tor?
Beut er mir Spott?
Den Frechen zu mir!
Vermessener, wer spricht aus dir?
Ahasver. Gott der Heir, der alleinige Gott!
Nero. Wo steht sein Thron?
Ahasver. Hier und dort,
In den Wolken, im Meer.
Auf Zions Hdhe
Ragt ihm des Tempels
Goldener Hort.
Nero. Ein Christ also?
Ahasver (stark). Nein.
Nero. Und was willst du von mir?
Ahasver. Dich tdten.
Nero (belustigt). Was?
Und das sagst du so grad' mir heraus?
Ahasver. Du bist gewarnt.
Nero. Schurk' oder Narr —
Was bist du zumeist?
Ahasver. Wie du mich heisst,
Mir gilt es gleich,
Trifft nur dich dieser Streich.
(Er zuckt blitzscbnell einen Dolch auf Nero und wird entwaffnet.)
A He (durcheinander). Rettet den Cfisar!
Tod, dem Verruchten!
Nero. Freund, gemach!
Zum Narren zu schlecht
Und zum Schurken zu grad' —
Digitized by
Google
35
BULTHAUPT: AHASVER
ja
Was begehrst du
Als Lohn fur die Tat?
Ahasver. Was gewfihrst du?
Mir gilt es recht.
(Ein Prffekt mit einer Schar Soldtten.)
PrMfekt. Heir, Herr! Strafe, zernichte!
Frevelnde Hande
Legten den Brand
An die Mauern der Stadt.
Alle. Weh uns!
Nero. Grifft ihr die Buben?
PrSfekt. Christen sind's.
Ahasver. Christen? Nein!!
Nero. Tilgt aus das Gezucht —
Was von Israel stammt —
In das Grab,
Das sie selbst sich gegraben,
Hinab!
Feme Stimmen. Wehe! Weh!
Chor. Femes Klagen! Wehgeschrei!
Ein Glutwind weht,
Die Sonne bleicht,
Grauschwarzer, qualmiger Nebel steigt,
Nfiher braust's auf Feuerfliigeln —
Weh uns, von den sieben Hiigeln
Flammt es auf — die Stadt vergeht.
Chloe (wShrend dessen einem Pr&fekten dts Haus des Silas bezeicbnend).
Christen — dort —
Prifekt. Sie seien verdammt!
(Silas und Hanna werden aus ihrem Hause gefuhrt. Chloe liegt unter dem Bal-
dachin zu Neros Fussen und beobachtet beide. Die Menge siebt von der Brustung
herab auf das fiber den Hintergrund jagende feurige Gewdlk.)
Hanna (tritt ruhig zu Ahasver). Kennst du mich noch?
Ahasver. Ich weiss nichts von dir.
Hanna. Sieh mich nur an. So standen wir,
Als am Kreuz der Heiland verschieden.
Ahasver. Was begehrst du?
Hanna. Fandst du den Frieden?
Ahasver. Sucht' ich ihn denn? Ich lebe.
Hanna. Die Zeit
1st da.
Digitized by
Google
36
DIE MUS1K III. 19.
Ahasver.
Hanna.
Ahasver.
Hanna.
Ahasver.
Nero.
Ahasver
Nero
Silas
Ahasver
(Als Ahasver
ChloS.
Silas.
ChloS.
Silas
Hanna.
Chlog.
Hanna.
ChloS.
Silas.
Zum Tode.
Der hat iiber dich
Nicht Macht.
Das Marchen! — Doch konnen wir's heut'
Erproben.
Werde Christi Gast.
Lass mich, Weib, du bist mir verhasst.
Christ oder Jude —
Was kfimmert das Rom!
Im selben Nachen
Sollt ihr fiber den Todesstrom.
An gleicher Kette
Fesselt mir Jud' und Christ!
(striubt sicb). Nein, nein!
(gewaltig). Wer ruft nein,
Wenn der Casar gebietet?
Fester, fest sie zusammengenietet!
(in Trlnen um Htnna bemubt)
Mutter, Mutter —
(knirschend). Das ist Sfihne!
CMsar, du trafst.
und Hanna zusammengeschmiedet werden, stfirzt ChloS ausser sicb von
der Estrade herab zu Silas.)
Silas, Silas!
Was willst du von mir?
Silas, Geliebter, ich sterbe mit dir,
Ich, die Teufelin, die dich verraten.
(weinend). Und die Mutter, die Mutter mit mir
(wendet sicb von CtaloS ab).
Dir geschehe nach deinen Taten.
Silas, Sohn, wie sprach der Herr?
Viel hat sie geliebt, viel ist ihr vergeben.
Hab' ich den Herrn gelSstert im Leben,
Soil mein Mund ihn sterbend bekennen!
Der uns lehrt den Feind zu lieben,
Er ist der Grdsste in alien Himmeln.
Pracht und Lust der Erdengdtter
Muss vor ihm in nichts zerstieben.
Wird dir vor der Glut nicht grauen?
Tilgt sie doch meine Sunden aus.
Komm, meine Schwester, in Christi Haus.
Digitized by
Google
SB.
37
BULTHAUPT: AHASVER
si
Die drei. Selig, selig, den Meister zu schauen.
Nero. Sterbe denn, wer sterben will.
Fort mit der Dime!
(Silas und ChloS werden aneinander gefesselt und mit Hanna und Ahtsver tbgefunrt.
Im Hintergrunde sturzt ein Teil der Stadt zusammen.)
Chor. Glut auf Gluten! Fall auf Fall!
Saal und Tempel sturzt zu Tal!
Nero. Wogt, ihr Flammen, schwellt zum Meer!
Ilions Feste wankt und zittert.
Fackeln, Fackeln, Brande her!
Der Hochste gewittert,
Der Vater der Welt.
Im Feuer flammt der Wille der Cotter,
Gedankenschnell.
Wer beut ihm Stand?
Beugt euch, ihr Spotter!
Gesang der Christen (die unten vorbei zum Tode gefuhrt werden, mit Chloe,
Silas und Hanna).
In Flammen fahren wir dahin
Du kiihlst uns unsre Wunden,
Durch deinen Balsam werden wir
Von allem Weh gesunden.
Christ ist der Herr,
Dem Mittler Ehr',
Der uns mit Gott verbunden!
Nero (eine Fackel ergreifend, in wilder Verzuckung).
So sprach der Ewige. Zeus gebot
Seinem gottlichen Sohn:
Ich gebe den Blitz
In deine Hand.
Streu seine goldenen Korner aus
Weit fiber das Land,
Zerstore die sundige Stadt, die mir
Freeh widerstand.
Schwill denn, wachse wie Weizen im Herbst,
Walle, woge, bedecke das Land,
Jovis Saat,
Himmlischer Brand!
(Er wirft die Fackel binab.)
Ein Prdfekt (zuruckkehrend).
Rette dich, Casar,
Digitized by
Google
38
DIE MUS1K 111. 19.
Der Boden knistert,
Die Saule birst,
Schon flammt es vom First —
Neros Begleiter (TSnzerinnen und Gtuklerinnen, die bis zuletzt bei ihm aus-
gehalten haben).
Weh' uns!
(Sie fluchten, Nero in der Mitte, wild davon. Die Bubne bleibt leer.)
Von alien Seiten dichte Glut. Unter furchtbarem Krachen sturzen die SSulenballe
und die nScbstbelegenen Geblude zusammen. Das ganze Rom 1st ein Meer von
Feuer und Raucb. Aus einem Trummerbaufen bebt sicb
Ahasver. Die Flatnme weicht vor mir. Jehova braucht
Noch meines Arms. Jerusalem, zu dir !
(Er schreitet langsam durch die Scbuttmassen.)
Der Vorbang flllt.
Scbluss folgt
Digitized by
Google
HLindloff
Fortsetzung *)
enn es fur Beethoven ein Gliick war, gleich bei seinem Eintritt
in Wien in Haydn einen vaterlichen Freund und Lehrer zu
finden, so war es gewiss ein nicht weniger gunstiges Geschick,
dass sich ihm auch alsbald in der Familie des Fursten Carl
Lichnowsky eine StMtte offnete, wo er als Virtuose von einem Kreis fur
edle Musik begeisterter Manner und Frauen aus den hochsten Standen an-
erkannt, wo ihm Schuler aus den angesehensten Hausern zugefiihrt und
seine Kompositionen mit verstindnisvoller Liebe aufgenommen wurden.
Schon 1794 finden wir ihn beim Fursten in Wohnung und Kost, so
dass also auch fur seine leiblichen Bedurfnisse grdsstenteils gesorgt war.
Allerdings hatte er nebenbei meist auch eine andere Wohnung, er nahm
hlufig das Mittagsmahl im Gasthause und zog endlich Mitte 1796 in aller
Freundschaft aus dem furstlichen Hause, urn ungenierter zu leben.
Furst Carl Lichnowsky, der Freund und Schuler Mozarts, war eine
edle, warmfuhlende Natur, fur gute Musik begeistert, selbst fertiger
Klavierspieler; er war nicht nur Mitglied jenes Vereins, der die Kosten
der von van Swieten veranstalteten Konzerte trug, sondern hatte auch in
seinem Hause haufig musikalische Unterhaltungen, insbesondere jeden
Freitag morgens ein Streichquartett, bei dem der 16jahrige eminente Geiger
Ignaz Schuppanzigh die erste, der gleichfalls junge Louis Sina die zweite
Violine, der 15j£hrige Franz Weiss die Viola und Anton Kraft oder dessen
14jEhriger Sohn Nikolaus das Violoncell spiel ten. Beethoven fand also hier
den Vorteil, seine Kompositionen von jugendlichen Virtuosen auffuhren zu
horen, die willig waren, seinen Intentionen nachzukommen und von denen er
wieder manche praktischen Winke erhielt, die er damals gern annahm.
Die Furstin Maria Christine Lichnowsky, geborene Grafin Thun
(eine der drei Thunschen Grazien, wie Burney sie und ihre Schwestern
nannte), war bei Beethovens Eintritt in ihr Haus 28 Jahre alt, eine zart-
') Vgl. Heft 12 und 13 des dritten Jthrgtngs der „Musik".
Digitized by
Google
40
DIE MUS1K 111. 19.
fuhlende Frau von herzgewinnender Gute, die mehr denn andere den oft
widerhaarigen Pflegesohn zu zShmen wusste. Sie bewlhrte sich auch als
vortreffliche Klavierspielerin. Gegen Beethoven war sie die Gute selbst.
Er sagte spate r, 1 ) man habe ihn bei Lichnowskys mit grossmutterlicher
Liebe erziehen wollen und die Furstin hitte ihn am liebsten unter eine
Glasglocke gestellt, damit ihn kein Unwurdiger beriihre. Er bewahrte ihr
auch zeitlebens ein Gefuhl dankbarer Verehrung.
Noch gehorten zur Familie des Fursten Schwester Grafin Henriette
und sein Bruder Graf Moritz. Henriette war vermutlich Beethovens
Schulerin; er widmete ihr 1802 das Rondo op. 51 II in G-dur. Sie ver-
mihlte sich splter mit dem Marquis Carneville, lebte dann in Paris und
starb urns Jahr 1830. Graf Moritz Lichnowsky war wie sein Bruder
Mozarts Schuler und im Klavierspiel dem Fursten noch uberlegen. An
Beethoven hing er bis zu dessen Tode mit einer Freundschaft und Treue,
die sich auch durch Beethovens zeitweilig abstossendes Benehmen nicht
zuriickweisen liess. Wir werden ihm noch im weitern Verlaufe dieser
Skizzen begegnen. Auch die Mutter der Furstin lebte noch, jene Marie
Wilhelmine Grafin Thun, geborene Grafin Uhlefeld, die Gonnerin und
liebevolle Freundin Mozarts, bei der sich dieser immer so glucklich
fuhlte, und die durch ihre Bildung und Herzensgute, durch Feinheit und
Liebenswiirdigkeit im Verkehr noch mehr als durch Rang und Reichtum
hervorragte. Naturlich nahm sie auch an Beethoven das lebendigste
Interesse. Sie starb am 18. Mai 1800. Beethoven widmete ihr 1798
das Klaviertrio mit Klarinette in B-dur op. 11, dessen Variationenthema der
Oper: l'amor marinaro (der Korsar aus Liebe) von Jos. Weigl entnommen
ist, die am 15. Oktober 1797 zum erstenmal aufgeftihrt worden war. Furst
Carl hing mit stolzer Liebe an dem jungen genialen Kiinstler, dem er
der erste und gewiss edelste MMcen war; denn der Kiinstler, den er unter
seine Fittiche nahm, war noch keineswegs der grosse Beethoven, der die
Welt mit seinem Ruhm erfullte, sondern ein bisher ungekannter, allerdings
schon bedeutender Klaviervirtuose, der aber andere damals auftretende
Pianisten noch nicht unbestritten iiberragte und als Komponist noch lange,
und zwar hauptsachlich von Kunstlerautoritaten, verkannt wurde.
Dass der Furst vor alien Beethovens zukunftige Grosse erkannte,
dass er die Entwicklung des Meisters aufs liebevollste forderte, bleibt fur
ewige Zeiten sein Ruhm. Bei jedem Wettstreit nahm er fur Beethoven
Partei, und wie er 1789 seinen Meister und Freund Mozart in seinem
eigenen Wagen nach Prag, Leipzig und Berlin mitgenommen hatte, lud
er 1796 bei einer zweiten Reise nach Prag und Berlin Beethoven ein, sein
Begleiter zu sein, was dieser mit Freuden annahm. Spate r schenkte er
»)~Schindler 1.22.
Digitized by
Google
&.
41
LEEDER: BEETHOVENS W1DMUNGEN
dem Kunstler ein kostbares Streichquartett bestehend in einer Violine von
Josef Guarneri 1718, einer Violine von Nikolaus Amati 1667, einer
Viola von Vinz. Angeri 1690 und einem Violoncell von Andr. Guarneri
1712; 1 ) ja er setzte Beethoven — wie dieser 1800 seinem Freunde Wegeler
mitteilt — einen Jahresgehalt von 600 Talern fur so lange Zeit aus, bis er
eine annehmbare dauernde Stellung werde gefunden haben.
Den Dank fur so viele Liebe druckte Beethoven durch die Widmung
mebrerer seiner Werke aus, nSmlich der drei schonen Klaviertrios op. 1,
die 1793 im Salon des Fursten zum erstenmal von Haydn aufgefuhrt
wurden und 1795 im Stich erschienen ; sodann der Sonate path6tique in
c-moll op. 13 (1799 erschienen); der 1802 veroffentlichten bekannten Sonate
in As-dur op. 26 mit der Marcia funebre sulla morte d'un eroe; endlich
der zweiten Symphonie in D op. 36, die 1802 komponiert und 1804
herausgegeben wurde, nachdem sie bereits am 5. April 1803 in einem
Konzert, das Beethoven im Theater an der Wien gab, zugleich mit der
ersten Symphonie, dem c-moll Konzert und dem Oratorium „Christus am
Olberge" aufgefuhrt worden war. Die Probe dieses Konzertes dauerte von
8 bis 1 / 1 3Uhr. Zuletzt war alles schon erschopft und missmutig; da Hess
Furst Lichnowsky Korbe voll Fleisch, Wein usw. bringen und ermunterte
die Musiker zuzugreifen. So wurden alle wieder frisch und die Probe
konnte nochmals vor sich gehen.
Das c-moll Konzert spielte Beethoven, Seyfried musste ihm umblittern,
sass aber in bestandiger Angst, da in der Klavierpartie nichts als einige
Hieroglyphen standen und Beethoven ihm nur durch ein leichtes Kopf-
nicken bedeutete, wann er umzublattern hatte. Die Rezension dieses Kon-
zertes ist nicht uninteressant. Der ersten Symphonie wird darin vor der
zweiten, die doch ihre Vorgingerin an Schonheit und Originality weit
ubertrifft, der Vorzug gegeben, von dem herrlichen c-moll Konzert aber
sagt der weise Kritiker, dass es weniger gelungen sei.
Der Furstin Lichnowsky widmete Beethoven den Klavierauszug des
Ballets: B Die Geschopfe des Prometheus", das 1801 von Salvator Vigaro
zum Preise der musikalisch hochgebildeten Kaiserin Maria Theresia,
zweiter Gemahlin des Kaisers Franz, gedichtet und mit Beethovens Musik
am 28. JVUrz 1801 zum erstenmal zur Auffuhrung gelangt war. In Beet-
hovens Wirken bildet es den Vorlaufer des Fidelio.
Das Thema der No. 16 dieses Ballets muss Beethoven besonders ge-
fallen haben, denn er nahm es auch als Thema zu den dem Grafen Moritz
Lichnowsky gewidmeten Variationen op. 35 (deren Autograph das Datum
1802 tragt) und verwendete es zuletzt noch zum Finale der Eroica. Auch
') Dts Qutrtett wurde spSter von der Konigl. Bibliothek in Berlin erworben
und von dieser dem „Beetbovenbaus" in Bonn geschenkt.
Digitized by
Google
42
DIE MUSIK III. 19.
an der Umgestaltung von Beethovens Oper ist Furst Lichnowsky beteiligt.
Nachdem der Fidelio am 20., 21. und 22. November 1805 zu sehr un-
gunstiger Zeit vor ziemlich leerem Hause und mit wenig Beifall aufgefuhrt
worden war, traten mehrere Freunde Beethovens, darunter Furst und
Furstin Lichnowsky eines Abends mit dem Meister zusammen, um diesen
behufs einer weiteren Auffiihrung zu den als unumganglich notig erkannten
Uminderungen zu bewegen. Beethoven verteidigte jeden Satz mit der
grossten Heftigkeit wie eine Lowin ihre Jungen, und wlhrend eines von 7 Uhr
bis 1 Uhr nach Mitternacht wahrenden Kampfes gelang es nur der sanften
Zusprache der Furstin, ihn zur Nachgiebigkeit in den wesentlichsten Punkten
zu stimmen. Erst dann ging man zum Souper, bei dem Beethoven aufs
heiterste gestimmt war. Die Oper wurde nun in der ersten Zeit des Jahres
1806 mit den Abfinderungen vor einem ausgewahlten Publikum mit vielem
Beifall gegeben und ware wahrscheinlich eine Lieblingsoper geworden, wenn
nicht Beethoven, sich in der Tantieme betrogen erachtend, die Parti tur
zuriickgezogen hatte. Wieder war es Furst Lichnowsky, der sich — leider
vergeblich — bemuhte, eine Auffuhrung der Oper in Berlin zu erwirken.
Die iibergrosse Liebe und Verehrung, mit der man Beethoven im
Lichnowskyschen Hause und in den ersten musikalischen Zirkeln Wiens
iiberhfiufte, hatte nur eine nachteilige Folge. Die Ecken und Kanten in
Beethovens Charakter scharften sich noch zu, anstatt sich abzuschleifen.
Furst Lichnowsky erfuhr dies noch im Herbst desselben Jahres, als ihn
Beethoven auf seinem Schlosse Gratz bei Troppau besuchte. Der Kunstler
sollte dort vor franzosischen Offizieren spielen, weigerte sich aber, es kam
zu einer bosen Szene und Beethoven lief sogleich mitten in der Nacht zu
Fuss nach Troppau, von wo er mit Extrapost bei Sturm und Regen nach
Wien fuhr und dort nichts eiligeres zu tun hatte, als des Fursten Buste
vom Schrank herab in Trummer zu schlagen. Wenn wir uns erinnern, in
welchen Zorn Beethoven geriet als er horte, Bonaparte sei Kaiser der
Franzosen geworden und wie feindlich er sich seitdem allem Franzosentum
zeigte, werden wir sein Benehmen in GrMtz vielleicht begreiflich finden.
Andererseits muss hier an den Bericht des immer zuverlissigen Carl
Czerny erinnert werden, nach dem Beethoven 1805 einigen franzosischen
Generiilen und Offizieren, die ihn besuchten, Glucks Iphigenie in Tauris
aus der Partitur vorgespielt haben soil.
Sei dem, wie ihm wolle, der Bruch mit der Familie Lichnowsky war
vollzogen, und erst im Laufe der Zeit gestaltete sich das Verhaltnis wieder
freundlicher. Beethoven lieh dem Fursten die Ouvertiire zu Coriolan, die
er 1807 komponierte, noch vor der Publikation zu einer Auffuhrung in
dessen Palais; im Herbst 1811 besuchte er auf der Ruckreise von Teplitz
den Fursten in Gratz und wohnte damals in Troppau einer Auffuhrung
Digitized by
Google
'O
43
LEEDER: BEETHOVENS WIDMUNGEN
seiner C-Messe bei. Lichnowsky aber bewahrte fur Beethoven bis ans
Ende seine alte Neigung. Es war gewiss nicht Zufall, dass im Juli 1812
der Fiirst einen Tag nach Beethovens Ankunft in Teplitz ebenfalls dort
eintraf. Auch spate r pflegte er seinen Liebling recht oft in dessen Arbeits-
zimmer zu besuchen, grusste ihn, blitterte in einem Musikwerke und ging
wieder mit einem Adieu fort, ohne den Kunstler in seiner Arbeit zu storen.
Beethoven war es aber doch unbequem, und er verschloss manchmal die Tur.
Da ging dann der Fiirst fort, ohne jemals zu zurnen. Als aber 1813 ein
Schneider als Bedienter in Beethovens Vorzimmer installiert war, gesellte
sich Lichnowsky zu diesem und harrte bei ihm solange, bis die Tur sich
offnete und er Beethoven begriissen konnte. Als der Fiirst am 15. April 1814
starb, verlor Beethoven seinen edelsten, uneigennutzigsten Freund.
Gewiss einer der Ersten, die auf Beethoven, als dieser nach Wien
gekommen, Beschlag legten, war Gottfried Freiherr van Swieten, ge-
boren in Leyden 1734, gestorben in Wien 1803. Er war mit seinem Vater
Gerhard, dem beruhmten Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, 1745 nach
Wien gekommen, hatte sich dem Studium der Rechte gewidmet und war
lange Zeit kaiserlicher Gesandter in Berlin gewesen. Von Jugend auf ein
grosser Liebhaber von Musik, hatte er auch Symphonieen geschrieben, „so
steif, wie er selber", wie Haydn urteilte. Zur Zeit als Beethoven nach
Wien kam, gait van Swieten dort als Patriarch der Musik; jedenfalls ge-
buhrt ihm das Verdienst, in Wien den Sinn fur ernste Musik, namentlich
fur Hindel, geweckt zu haben, und die Morgenkonzerte an Sonntagen (in
einem Saale der Hofbibliothek, zuweilen beim Fursten Schwarzenberg),
deren Kosten ein Verein von Adeligen bestritt, waren eine Spezialitat
von Wien. Swieten, Kommandeur des St. Stephans-Ordens, Geheime Rat
und Prifekt der kaiserl. Hofbibliothek und Prases der Studienhofkommission
war sich seiner Wiirde sehr wohl bewusst. „Wenn etwa im Konzert ein-
mal ein flusterndes Gesprich entstand, erhob sich Seine Exzellenz in ihrer
ganzen Lange mit feierlichem Anstande, mass den Schuldigen lange mit
ernstem Blick und setzte sich langsam wieder nieder." So erzfihlt O. Jahn
nach einer Mitteilung Neukomms. Von seiner Freigebigkeit ist nichts be-
kannt; was davon bezuglich der Familie Mozarts in damaligen Blittern
ruhmend hervorgehoben wurde, hat O. Jahn als erlogen nachgewiesen.
Der reiche Mann, der Mozart fur seine Konzerte derart ausnutzte und
viel getan zu haben meinte, wenn er den Verstorbenen nach der letzten
Klasse, in einem Armengrabe beerdigen Hess, wird auch Beethoven, der
ihm 1801 seine erste Symphonie in C op. 21 widmete, nicht glinzend
honoriert haben, und wenn er ihm zeitweilig schrieb, er mdge zum Konzert
seine Schlafmutze mitbringen, 1 ) so bedeutete das sicher nur, dass Beethoven
') Scbindler I, 20.
Digitized by
Google
44
DIE MUSIK III. 19.
ihm nacb dem Konzert noch stundenlang Bachsche Fugen vorspielen
mochte, dafur aber auch eines Abendessens und Nachtlagers in der Woh-
nung des Herrn Barons versichert sein konne.
Einer der altesten Wiener Freunde Beethovens, noch aus den neun-
ziger Jahren, war Nikolaus Zmeskall von Domanovecz, Offizial,
spiter Hofsekretfir bei der ungarischen Hofkanzlei. Er war ein tiichtiger
Cellist, auch guter Komponist von Streichquartetten, die er aber aus Be-
scheidenheit nicht herausgab. Urn die Wende des Jahrhunderts muss er
in den musikalischen Kreisen Wiens in Ansehen gestanden haben, da
Joseph Haydn, als er seine 1773 komponierten sechs Streichquartette 1800
wieder herausgab, sie ihm widmete. Ohne Zweifel hatte Haydn diese und
andere Quartette oft bei den Morgenkonzerten, die Zmeskall in seiner
Wohnung im Biirgerspital vor wenigen Gasten gab, sehr gut auffuhren ge-
hort. Beethoven hatte Zmeskall vielleicht schon bei der lustigen Tafel-
runde, die er in seiner ersten Wiener Zeit mit einigen Bekannten im
Drachengassel am alten Fleischmarkt hielt, kennen gelernt. Jedenfalls
kam er mit ihm sehr oft beim Fursten Lichnowsky zusammen, bei dessen
Kammermusiken Zmeskall regelmassig zuhdrte, auch zuweilen mitwirkte,
und es entspann sich damals zwischen den beiden eine intime Freund-
schaft, die sich ungetrubt bis zu Beethovens Tode erhielt. Als Beethoven
mit Lichnowsky gebrochen hatte, wurden mehrere J ah re hindurch seine
Werke fiir Kammermusik immer zuerst bei Zmeskall in dessen Wohnung
versucht. Der etwas ernste und pedantische Hagestolz, der 1810 bereits
als „ein etwas steifer Herr mit iippigem weissen Haar" geschildert wird,
wirkte auf den urn 1 1 Jahre jiingeren Beethoven wohltdtig ein. Unzahlige
Briefchen und Zettel Beethovens an Zmeskall bezeugen, welcher tollen
Laune sich Beethoven im vertrautesten Umgange gem hingab, und wie
vielfach er die Dienste seines Freundes nicht nur in musikalischen, sondern
auch in alien moglichen hSuslichen Angelegenheiten, wie Besorgung von
Dienstboten, Wohnungsmieten usw., sogar zum Federnschneiden, in An-
spruch nahm; sie beweisen aber auch, wie unermtidlich Zmeskall war,
alien Wiinschen Beethovens nachzukommen.
Zmeskall leitete bei der Aufbewahrung und Datierung aller jener
Zettel, die ihm Beethoven schrieb, wohl der Gedanke, dass auch das
Unbedeutendste zur richtigen Wurdigung eines grossen Mannes beitragen
kann, und gewiss war es auch allein dieser Gedanke, der ihn in seinem
Testament den Wunsch aussern Hess, Sonnleithner moge auf Grund der
von ihm hinterlassenen Notizen seine Biographie verfassen — ein Wunsch,
der ubrigens unerfullt blieb. Wie hoch aber andererseits Beethoven
diesen Freund in musikalischer Beziehung stellte, und wie warm er seine
Freundschaft wurdigte, zeigte er, indem er ihm das Streichquartett op. 95
Digitized by
Google
45
LEEDER: BEETHOVENS WIDMUNGEN
in f-moll zueignete, jenes wundervolle Nachtstuck, das er im Oktober
1810, nachdem sein Heiratsprojekt zerfallen war, niedergeschrieben hatte
und 1816 herausgab.
Zmeskall litt urn diese Zeit und noch lange nachber an der Gicht;
er blieb auch wMhrend dieser Krankheit in freundschaftlichem Verkehr
mit Beethoven, wie es ein Brief des Meisters vom 18. Febr. 1827 *) —
also nur wenige Wochen vor seinem Tode — so schon bezeugt:
,Mein sehr wertber Freund! Tausend Dank fur Ihrc Theiloahme; icb verzage
nicht, nur ist tile Aufhebung meiner Thltigkeit das Schmerzhtfteste. Kein Uibel,
welches nicht auch sein Gutes hat. Der Himmel verleihe nur Ihnen auch Erleicbte-
rung Ihres schmerzhaften Dtseins. Vielleicht kommt uns beiden unsere Gesundheit
entgegen und wir begegnen und sehen uns wieder freundlich in der Nlhe. Herzlich
Ibr alter theilnehmender Freund Beethoven.*
Zmeskall starb unvermihlt, 74 Jahre alt, in seiner seit unzahligen
Jahren innegehabten Wohnung im Wiener Burgerspital am 23. Juni 1833.
Er kann zuletzt nicht lange krank gewesen und gerade nicht prunkvoll
begraben worden sein, denn die Krankheits- und Leichenkosten betrugen
nur 92 fl. 30 kr.; den nicht bedeutenden Nachlass erbten die ungarischen
Verwandten und des Erblassers alte Hausbalterin. Zwei Violinen, eine
Bratsche und ein Violoncell und seine Musikalien vermachte Zmeskall der
Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, zwei nicht naher bezeichnete
Musikinstrumente und das von ihm verfasste Manuskript fiber den Takt-
messer, letzteres mit dem Auftrage, es in Druck herauszugeben, dem Hof-
kriegskonzipisten Josef Weidlich.*)
Eine andere Bekanntschaft Beethovens in den 90 er Jahren waren
Graf Browne, Brigadier in Diensten des Kaisers von Russland und dessen
G em ah 1 in, geborene von Vietinghoff. Ich weiss nicht, zu welchem Zwecke
der Brigadier eine Reihe von Jahren in Wien lebte, aber ein sehr frei-
gebiger Herr scheint er gewesen zu sein, und in seinem Salon in Wien
und in Baden wurde viel gute Musik gemacht. Beethoven widmete der
Grafin 1796 zwolf Variationen fiber den russischen Tanz aus dem Ballet
„Das Waldmadchen" von Wranitzky und erhielt daffir ein Reitpferd ge-
schenkt, das er einige Tage beniitzte, dann aber vergass, bis ihn sein
Diener mit einer grossen Fouragerechnung unliebsam daran erinnerte.
Ferner dedicierte Beethoven der Grafin Browne 1798 die drei Klaviersonaten
op. 10 und 1802 die 7 Variationen fur Klavier und Violine fiber: „Bei
Mannern, welche Liebe ffihlen a und dem Grafen Browne 1798 die schonen
drei Streichtrios op. 9, die der Komponist in der Zueignung sein bestes
Werk nennt, ferner 1802 die grosse Sonate in B-dur op. 22, und 1803
>) Frimmel, Neue Beethovenitna p. 152, nach Nottebohm.
*) Erhebungen des Verfassers im Wiener Landesgerichts-Archiv.
Digitized by
Google
46
DIE MUSIK 111. 19.
die sechs Lieder von Gellert op. 48. Wenn man von Widmungen so bedeutender
Werke hort, so findet man das Wort bestitigt : „ Und es ist vorteilhaft, den Genius
bewirten; gibst du ihm ein Gastgeschenk, so lMsst er dir ein schoneres zuruck."
Beim Grafen Browne in Baden spiel te Ries im Jahre 1802 einmal
aus dem Stegreif einen Marsch, den eine alte Grfifin in der Meinung, er
sei von Beethoven, hochlich bewunderte. Beethoven, dem Ries vorsichtig
mitteilte, er habe die Grafin nur foppen wollen, nahm die Komplimente,
die man ihm spiter machte, mit Lachen auf, Graf Browne bestellte
aber, als sich die Sache aufklarte, bei Beethoven drei Marsche, die dieser
auch komponierte. Es sind die 4hindigen Marsche op. 45. Aber fiber
dem Werke waltete ein Unstern. Als Beethoven sie mit Ries im Salon
Browne's zu Gehor brachte, unterhielt sich ein Graf in der Tur zum Neben-
zimmer so laut und frei mit einer schonen Dame, dass der Komponist
aufsprang und rief: „Fur solche Schweine spiele ich nicht!* Er erlaubte
auch nicht, dass Ries die fur den Abend bestimmte Sonate vorfuhrte.
MerkwurdigerWeise blieb der Salon Browne's z war Beethoven auch nach dieser
peinlichen Szene offen; die 3 Marsche widmete aber der Kfinstler, als er sie
1804 herausgab, der Furstin Esterhazy, geborenen Ffirstin Liechtenstein.
Ein im Jahre 1802 aus dem Septuor arrangiertes Trio fur Klavier, Klari-
nette (oder Violine) und Violoncell — op. 38 — eignete der Meister dem
Doktor der Medizin Johann Adam Schmidt zu. Dieser, urns Jahr 1757
geboren, genoss als kais. Rat, Feldstabsarzt, Professor an der Josephinischen
Akademie, Augenspezialist, Mitglied mehrerer gelehrten Gesellschaften und
Verfasser verschiedener als klassisch geachteten Werke einen bedeutenden
Ruf. *) Beethoven, mit seinem bisherigen Arzt unzufrieden, hoffte, wie
aus seinem Schreiben vom 16. November 1801 an Wegeler zu entnehmen
ist, Schmidt werde ihn mit mehr Eifer und Sorgfalt behandeln. Ohne
Zweifel erwartete er auch von der Anwendung des Galvanismus, mit dem
Dr. Schmidt sich beschiftigte, eine gute Wirkung auf sein ihn so sehr
beunruhigendes Ohrenleiden. Er wShlte also im Winter 1801 — 1802 Schmidt
zu seinem Srztlichen Berater, und da er alle Ursache hatte, mit ihm als
Arzt und Mensch zufrieden zu sein (das Ohrenleiden konnte freilich auch
Schmidt nicht beheben), da ferner der Doktor auch ein namhafter Violinspieler
war und seine Tochter zu einer fertigen Klavierspielerin ausbilden Hess, so
lag fur Beethoven der Wunsch nahe, ihm durch das Arrangement eines
seiner popularsten und in der Trioform im hauslichen Kreise leicht
aufffihrbaren Werkes eine Freude zu machen. Die Widmung, mit der
Beethoven das Werk bei seinem Erscheinen begleitete, zeigt, wie hoch er
Schmidt achtete und wie freundschaftlich das Verhaltnis mit ihm war:
') Thayer 11. 144. Bdckh, Merkwurdigkeiten v. Wien S. 47. — Nottebohm, Notaten,
Jahrbuch der Tonkunst von Wien und Prag 1706. S. 54.
Digitized by
Google
47
LEEDER: BEETHOVENS WIDMUNGEN
Monsieur! Je sens parfaitement bien que la c616brite' de votre nom, ainsi que
l'amitie dont vous m'honorez, exigeroient de moi la dddicace d'un bien plus important
ouvrage. La seule chose, qui a pu me determiner a vous offrir celuici de preference,
c'est qu'il me paroit d'une execution plus facile, et par la me me plus propre a con-
tribuer a la satisfaction dont vous jouissez dans l'aimable cercle de votre famille.
C'est surtout, lorsque les heureux talents d'une fille cherie se seront developpes davan-
tage, que je me flatte de voir ce but atteint. Heureux si j'y ai reussi, et si dans cette
faible marque de ma haute estime et de ma gratitude vous reconnoissez toute la
vivacite et la cordialite de mes sentiments. Louis van Beethoven. 1 )
Schmidt blieb bis zu seinem plotzlichen Tode am 19. Februar 1808
Beetbovens Arzt und Freund.
Ein aufopfernder Freund des Ktinstlers war auch Wenzel Krump-
holz, Bruder des beruhmten bohmischen Harfenspielers.*) Wenzel Krump-
holz war Violinist irn Wiener Opernorchester und einer der ersten, die
Beethovens Grosse erkannten und bewunderten.
Beethoven, der bereits in Bonn bei Franz Ries, dann in Wien bei
Schuppanzigh Violinunterricht genommen hatte, setzte diesen bei Krumpholz
fort und spielte dann manchmal seine Sonaten mit Ferdinand Ries am
Klavier. Es war aber, wie dieser erzahlt, eine schreckliche Musik, da der
Komponist in seinem Eifer es nicht horte, wenn er eine Passage in der
Applikatur falsch einsetzte. Beethoven nannte Krumpholz immer seinen
Narren, und zu Dolezalek, der ihn nach dem Bekanntwerden der Sonaten
op. 31 (im Jahre 1803) bezuglich einer Stelle in der d-moll Sonate fragte,
ob denn das gut sei, sagte er: „Freilich ist das gut, aber du bist ein
Landsmann des Krumpholz, in deinen harten bohmischen Sch&del geht das
nicht hinein!" Dennoch behandelte er den ^bohmischen SchMdel" als intimen
Freund, teilte ihm seine Kompositionsentwurfe mit und wurdigte ihn seines
Vertrauens. Nach Krumpholz' Tode komponierte er den „Gesang der Moncbe
aus SchillersWilhelmTell" fiir zwei Tenore und einen Bass und schrieb auf das
Manuskript: „Zur Erinnerung an den scbnellen unverhofften Tod unseres
Krumpholz am 3. Mai 1817. a Der „Narr" war ihm also doch lieb gewesen.
Rudolf Kreutzer, 1767 in Versailles von deutschen Eltern geboren
und auf Kosten des Grafen von Artois durch Viotti zu einem aus-
gezeichneten Violinvirtuosen gebildet, war anfangs Februar 1798 im Ge-
folge des franzosischen Botschafters, des Generals Bernadotte, nach Wien
gekommen. Der Aufenthalt des Botschafters war ein sehr kurzer. Er Hess
sich nimlich einfallen, auf dem Balkon seines Hotels in der Wallnerstrasse
(damals Freiherrlich Wimmersches Haus), die Trikolore aufzustecken und
erregte dadurch einen ungeheuren Volksauflauf, der ihn beinahe das Leben
gekostet hatte. Am 15. Mfiiz musste er unter militarischer Bedeckung von
*) Vergleiche die Orig.-Ausgabe des Trios, Wien, bureau d'arts.
*) Thayer II, 48.
Digitized by
Google
So.
48
DIE MUS1K III. 19.
Wien abreisen. Auch Kreutzer scheint mit ihm die Kaiserstadt verlassen
zu haben; es ist wenigstens nicht bekannt, dass er daselbst ein Konzert
gegeben hatte. Er wurde Professor am Pariser Konservatorium und Kapell-
meister an der grossen Oper, gab 1803 im Verein mit seinen grossen
Rivalen Baillot und Rode das beriihmte Werk: M6thode de Violon heraus,
das zum Unterricht im Pariser Konservatorium angenommen wurde, kom-
ponierte viele Werke und starb in Genf 1831.
So kurz sein Aufenthalt in Wien 1798 gewesen war, hatte er sich
doch daselbst die Freundschaft Beethovens erworben, denn dieser stand
seitdem mit ihm in einem — allerdings nicht sehr lebhaften — Brief-
wechsel („alle Jahre ein Brief") und widmete ihm 1805 als „seinem Freunde"
die beriihmte Violinsonate in A-dur op. 47 .scritta in uno stilo molto
concertante, quasi come d'un concerto. Beethoven hatte schon am
4. Oktober 1804 1 ) an den Verleger Simrock geschrieben, er mdge die
Herausgabe der Sonate beschleunigen und sodann ein Exemplar mit
einem BIMttchen, das ihm Beethoven senden werde, an Kreutzer schicken.
Er freute sich im voraus, Kreutzer mit der Widmung zu uberraschen.
„ Dieser Kreutzer — schrieb er — ist ein guter, lieber Mensch, der mir
bei seinem hiesigen Aufenthalte sehr viel Vergnugen gemacht, seine An-
spruchslosigkeit und Naturlichkeit ist mir lieber als alles Exterieur ohne
interieur der meisten Virtuosen. Da die Sonate fur einen tuchtigen Geiger
geschrieben ist, um so passender ist die Dedikation an ihn." Die Hin-
weisung auf die „meisten Virtuosen" ist ein Hieb auf den nordamerikanischen
Kunstler Georg Bridgetower, einen schonen Mulatten von 24 Jahren, der
sich in Wien Beethovens Neigung in hohem Grade erworben und mit
Beethoven die Sonate am 24. Mai 1803 in einem Konzert gespielt hatte.
Beethoven hatte daher sein Manuskript: Sonata mulattica uberschrieben.*)
Bridgetower hatte in dem Konzert die schweren Variationen aus Beet-
hovens eigener, nicht eben sehr schonen und deutlichen Handschrift prima
vista spielen miissen, weil keine Zeit geblieben war, sie abzuschreiben.
Es zeigt, welche hohe Meinung Beethoven von der musikalischen Be-
fahigung des Geigers hatte. Er wollte diesem auch die Sonate widmen,
aber — wie Bridgetower spater erzahlte — batten sie sich vor seiner
Abreise „wegen eines Madchens" entzweit und waren in Unfrieden von
einander geschieden.
*) Dr. Frimmel: Neue Beethoveniana.
*) Nottebohm.
Weitere Kapitel folgen splter
Digitized by
Google
H Undlof
]n die schone blaue Adria war ich wahrlich nicht gegangen, urn
Musik zu horen. Aber Tries t, der grosse alte, lebhafte Hafen-
platz Osterreichs, ist eine kunstgesattigte Stadt, und schon
Seume, der sie~auf seinem Spaziergang vor hundert Jahren
besuchte, riihmte wenigstens ihr Schauspielhaus, „das beste, das ich bis
jetzt auf meinem Wege gesehen babe".
Vom Dezember bis Ende Mai dauert regelmassig die italienische Opern-
stagione und als ich in einer sonnendurchgluhten Maiwoche ankam, waren
noch grosse Sommermusikkonzerte angekiindigt. Dazu hatte ich nun keine
besondere Lust, obwohl mich auch ein Brahmssches Quartett in italienischer
Darstellung noch immer interessiert hatte. Aber so geht es schon: die
schonsten Erholungsplane und Rekonvaleszenzideale sind umsonst, die heil-
samsten Seebader fallen ins Wasser, wenn einen der Theaterteufel
packt; und in einer fremden Stadt einen Theaterzettel zu lesen, geniigt,
wenn's nicht gerade der Trompeter von Sackingen ist, um sich mit Stossen
an die Kasse zu fechten. Wenn nun gar in einer Stadt wie Triest, in
einem echt welschen Kulturmilieu „ Lohengrin, opera romantica del maestro
Riccardo Wagner" angekiindigt wird, und einem sogar auf der Tramway und
im Barbierladen versichert wird, dass die Stagione „molto bravi artisti"
gebracht habe — wen halt es da, auch wenn er, wie jeder im Dienst er-
grauende Opernkritiker, schon das Jubilaum seiner 150. Lohengrin- Auf-
fuhrung feiern kann? Also mir war nicht zu helfen. Endlich kam dazu,
dass als Lohengrin einer der besten Tenore Italiens, Antonio Paoli, ein
geburtiger Spanier, und als Elsa die beliebte Aida Alloro, eine gebiirtige
Mailanderin, preisgekronte Elevin des Mailander Konservatoriums, auftreten
sollte — Kunstler, die an sich interessant genug waren, kann sich Paoli
auch mit dem gefeierten Caruso nicht messen.
Abends stand ich denn in der grossten Hitze dort, im Foyer des
Politeama Rossetti, mitten im Zigarettendampf der Triestiner.
Um 8 Uhr sollte die Vorstellung beginnen; so war's wenigstens an-
III. 19. 4
Digitized by
Google
50
DIE MUS1K HI. 19.
gekfindigt. Aber es war keine Rede davon. Als ich mit der Pfinktlich-
keit eines deutschen Theaterbesuchers ins Politeama kam, stand es noch
leer. Ein weiter Raum, einige Tausend fassend, der zweitgrosste Theater-
saal Triests. Langsam fullte er sich. Aber schon war das Parkett halb
besetzt, als erst das Orchester ankam. Mann fur Mann erschienen die
Professori — so heissen die Instrumentalisten in ganz Italien — Mann
fur Mann, als ob sie Zuschauer waren ; jeder ging mit seinem Geigenkasten
oder seiner Posaune gemfitlich durch den Zuschauerraum, setzte sich vorne
nieder und machte sich's bequem. Im Politeama sind Orchester und Parkett
nicht wie bei uns durch eine Barriere getrennt, sondern gehen einfach
ineinander fiber; in anderen italienischen Theatern ist das freilich nicht
der Fall. Zum Schluss schleppten zwei Kerle eine riesige Harfe durch
den Saal und die Arpistin ging langsam hinterdrein, wie eine Konigin, der
man die Insignien vorantragt. Endlich kam der Dirigent — es ging schon
auf halb neun — und kletterte auf seinen Bock, der auf einer ganz
kommunen, aus Brettern zusammengeschlagenen Kiste stand. Das war seine
Rostra. Von den Galerieen schrie es und lirmte es herunter, als ob da
oben ein Wochenmarkt abgehalten wurde; das hat sich also seit Seumes
Zeiten nicht gefindert. Cav. Giacomo Armani, ein eleganter, kohl-
schwarzer Italiener, entschloss sich endlich, anzufangen, winkte demgemMss
ein paarmal mit seinem Stabe herum, einige kraftige Zische halfen mit,
und in der Tat, die aufgeregten Leute beruhigten sich. Unter verhiltnis-
missig grosser Stille setzten die Violinen und Floten mit den atherischen
A-dur Akkorden ein. Es war mir in diesem Augenblicke unter all den
fremden Menschen, als ginge die deutsche Kunst durch den Saal wie ein
schoner Engel, und grfisste. Deutsche Sprache redete da, deutscher Geist
hob seinen Atem. Ich war nicht mehr einsam.
Ich habe das Lohengrinvorspiel aber auch von guten deutschen
Orchestern selten musikalisch schoner und plastiscber gehdrt. Dieser
Signor Armani dirigierte fur einen jungen Italiener auffallend ruhig, mit
korrekten langsamen vifer Vierteln, aber an der WSrme, mit der er die grosse
Gradation des Stuckes — dieser genialen Kadenz in A-dur — heraus-
brachte, merkte man, dass ein sudliches Temperament einheize. Das
Orchester war voll besetzt — ich zahlte 12 Primgeigen, sah alle Blaser-
garnituren — es bestand aus 60 Mann, d. h. — Professori. Im allgemeinen
sind wir Deutsche gegen die Herren Professori etwas misstrauisch, und
nicht mit Unrecht. In diesem Falle aber muss ich gestehen: die Leute
arbeiteten, dass einem das Herz im Leibe lachte, sie gaben sich ganz hin,
ja, das Spielen war ihnen Freude und selber Genuss. Sie trugen mit
etwas greller Koloristik auf, besonders die fiillige Bassklarinette zeigte
immer deutlich an, welchen Weg sie durch die Polyphonie gerade nehme,
Digitized by
Google
Be.
51
DECSEY: EINJTALIENISCHER LOHENGRIN
und da das Orchester nicht verdeckt ist, so machten Posaunen und Trom-
peten naturlich einen Mordsspektakel. Aber keine Note war versehen,
kein Akzent, kein Drucker, nichts fehlte. Ja, das dritte Vorspiel war in
seiner Lebhaftigkeit und Polychronie geradezu hinreissend.
Aber das iibrige! Nach dem stark applaudierten Vorspiel hob sich
der Vorhang, der Heerrufer trat vor und begann:
Udite, Conti e Prenci del Brabante!
Enrico il Re Germano qui ne venne
Per consultar con voi secondo il dritto:
Seguite tutti il saggio suo voler.
Es war zu komisch. Der Sanger, ein Signor Nazareno Franchi, hatte
einen sehr klangvollen Bariton, aber er sah aus wie eine Karnevalsfigur.
Ganz sudlicher Typus, brennschwarz, schlank und schmal gewachsen, stak
er in seinem „brabantischen" Kostum, wie wenn er damit aus einer
Maskenleihanstalt gekommen wire. Und dann der Konig. Ganz vorne,
vor einer Baumkulisse, sass Heinrich der Vogler: Enrico l'ucellatore. Ein
kleiner Herr mit dunnen Beinen, ein schnurrbartfroher Kavalier. Der
reine „re galantuomo". Von der Wurde und Majestat eines deutschen
Kdnigs naturlich nicht die Spur; alle Augenblicke zuckte er mit Eleganz
seinen Degen. Telramund stolzierte fiber die Buhne wie der richtige
Theaterbosewicht. Es lag etwas Hahnenhaftes in seiner Gebarde. Griminig
geschmuckt, auf dem Kopfe einen machtigen kakelbunten Federbusch,
wfitende Grimassen: der echte baritonsingende Intriguant, eine Figur
aus der alten venezianischen Oper, oder einem Ritterstiefelstuck. Die
Leute hatten alle schdne Stimmen, der Konig sogar einen sonoren Bass,
aber fast alle tremolierten. Am wenigsten, beinahe gar nicht, Antonio Paoli,
der Lohengrin, und Aida Alloro, die Elsa.
Als Lohengrin erschien, flammte sofort ein elektrisches Licht im
Hintergrunde auf, und der Schwanenritter sang in einer violett-blaulichen
Gloriole: Mercfc, merce — cigno gentil! (Nun sei bedankt, mein lieber
Schwan!) Dies elektrische Uluminieren der Hauptdarsteller lieben die
Italiener besonders, und halten damit nicht zuriick. Als Elsa im zweiten
Akte auf dem Balkon erschien, war sofort wieder der elektrische Reflektor
da und ein kraftiger Heiligenschein fiel aus der gegenuberstehenden Kulisse
auf sie nieder. Ohne das ging es nicht. Antonio Paoli kam also in seiner
silbernen Rustung und begriisste die Anwesenden mit eleganter Grazie.
Der Kdnig hatte recht, wenn er ihn mit „o bel cavalier" ansprach, denn er
benahm sich kavalierement. Paoli wire wahrscheinlich in Manrico's Feder-
barett viel lieber gekommen. Er schien sich unbehaglich zu ffihlen und
Sehnsucht nach einem hohen b oder c zu haben, das man loslassen und
auf einer Fermate hatte aushalten konnen. Das kam aber nicht vor. Von
4»
Digitized by
Google
32
DIE MUS1K III. 19.
^
dem dramatischen Hintergrund seines Partes hatte er, wie es scheint, sehr
geringe Vorstellungen. So begnugte er sich mit dem, was das Vokale bot,
und das, muss man sagen, fuhrte er hochst nobel aus. Er sang gerade
nicht mit blumiger Lippe, aber er verstand sich auf ein feines 9 Blare di
tuono" und phrasierte ganz meisterhaft. Die Alloro, eine etwas reife Elsa,
stattliche Blondine, noch immer schone Erscheinung, behandelte ihren
hohen Sopran ganz auf italienische Manier und machte den Eindruck einer
respektablen Artistin, wenn sie auch stellenweise zu tief sang; dass sie
„germanisch" wirke wie ein Triestiner Blatt bemerkt haben wollte, konnte
ich mit bestem Willen nicht entdecken. Beide Kunstler aber kdnnen die
Brillanz, nach der sie streben, und mit der sie wirken, offenbar nur in den
Stretten Verdi's oder den Kantilenen Puccini's anbringen; an den Ufern
der Schelde bewegten sie sich auf unbekannterem Terrain.
Die Leute singen natiirlich bei jeder Gelegenheit ins Publikum, und
gefallen sich in Opernattituden der schlimmsten Art. Von der Psychologie
des Dramas, dem Gefuhlsinhalt, der unter den Worten wogt, den inneren
Vorgangen — keine Ahnung. Sie beleben.weder die Figuren, die sie singen,
zu Menschen, noch stilisieren sie die Gebirde nach dem Instrumentalinhalt,
sie assimilieren vielmehr das deutsche Werk vollstandig den Bedurfnissen
des primo tenore assoluto und der prima donna, Singer und Singerinnen
bleiben immer, was sie sind, und werden nie Lohengrin, Elsa, Ortrud,Telram und.
Aber, urn gerecht zu sein, muss man bekennen: das rein Musi-
kalische bringen sie heraus bis auf den letzten Tropfen. Wie doppelt
kantabel horte sich die Wagnersche Melodie an ! Ein so zerhacktes Singen,
wie man es ofters von deutschen Darstellern des Lohengrin hort, wurde dort
rucksichtslos angeblasen werden, ja mein Ohr fiihlte erst recht den Ab-
stand, und es ist sicher, dass mancher deutsche Heldentenor, der wohl-
gelitten ist, es in Triest nicht fiber das Schwanenlied brachte. Wie wenig
die Italiener aber wieder von der Kultur des Dramas wissen, geht daraus
hervor, dass die Alloro nach dem ersten Akte des Lohengrin vor dem
Vorhang erschien und die Zwischenpause — mit der Arie der Abigail aus
Verdi's „Nabucco" ausftillte. Diese Unsitte, die bei uns ehedem in der
seligen Vatermorderzeit bluhte, wurde auch von den Triestiner Zeitungen
heftig getadelt, und so unterblieb das Intermezzo in der Folge.
Die Italiener scheinen doch grossen Respekt vor Wagner zu haben.
Man fuhlt es nicht nur aus der Haltung der Kritiker, sondern auch aus
der des Publikums. Der Kapellmeister hatte sogar im zweiten und dritten
Akt — welche Reform! — den Saal verdunkeln lassen. Das Publikum
larmte wMhrend der Vorstellung nicht, hdrte mit gespannter Aufmerksamkeit
zu, und zeigte sich, obwohl ihm der tiefere Sinn des Dramas — trotz einer
„historischen Einleitung" im Textbuch — ganz fremd bleibt, doch tief
Digitized by
Google
53
DECSEY: EIN ITALIENISCHER LOHENGRIN
ergriffen. Gerade aus dieser rein aufs Vokale angelegten Darstellung
konnte man erkennen, welch unuberwindliche dramatische Michte in unserem
Lohengrin eingeschlossen sind. Das Publikum arbeitet naturlich mit: es
lebt noch in der alten Nummernoper. Als Telramund im zweiten Akte
niedersturzte: „Mein' Ehr' ist hin! a schrie einer von der Galerie herunter
mit lautem Enthusiasmus: Bravo, bravo I — wurde aber gleich abgezischt:
Zitto, zitto! Obwohl Lohengrin an jenem Sonntag schon das siebentemal
gegeben wurde, war das Politeama dennoch dicht gefullt, und die Leute
hielten aus. Der dritte Akt begann erst gegen 1 1 Uhr nachts, aber niemand
ruhrte sich, keinem wurde es zu lang.
Auch mir ist der Lohengrin nie kurzer vorgekommen. Denn er war
zusammengestrichen, dass es eine Art hatte. Der halbe zweite Akt fehlte.
Nach der Szene der Mannen mit dem Heerrufer begann gleich Elsas
Brautzug, und nach Telramunds Urteilsschelte sang Lohengrin: „Komm',
lass in Freude dort a und der Zug setzte sich sofort gegen das Munster in
Bewegung. Auch ist es sehr^bezeichnend, wie ungeniert man den musi-
kalischen Ausdruck den Eigenheiten 'der Singer opfert. Die Darstellerin
der Ortrud, eine Signora Maria Grass 6, kimpfte sichtlich mit der H5he.
Dem half der Diligent sehr einfach ab. Er transponierte die .Entweihten
Gotter* urn einen halben Ton, nach f, und fertig. Dabei benutzte er mit
Geschick die Umdeutungsfahigkeit des verminderten Septakkordes, urn so-
gleich nach G-dur zuruckzumodulieren, wie Elsa aus dem Palaste hervortrat.
Geradezu uberrascht haben mich die Chore und die prachtvollen
Ensembles. Die Chore, von einem eigenen Maestro gedrillt, sangen ebenso
delikat und klangvoll im Piano, als kraftvoll — ohne je zu schreien —
— im Fortissimo, ebenso genau als ausdrucksreich. Der grosse D-dur
Doppelchor der Mannen im zweiten Akte war von michtigster musikalischer
Wirkung. Die Leute sind eben geborene Singer und gute Musiker. Ein
eigenartiger Reiz ist es fur uns, in den gemischten Chdren nicht
bloss Frauen- und Minnerstimmen, sondern die vier Farben von Bass,
Tenor, Alt und Sopran ganz genau zu horen. Die Choristen stehen aber,
wie gesagt, nicht nur unter der Zucht eines eigenen magstro di choro,
sondern auch unter der Kontrole des Publikums. Als der Doppelchor der
Mannen an einer schwierigen Stelle des Brautganges — im E-dur Satz
„Gesegnet soil sie schreiten" ( 9 dal ciel sia benedetta — dal mondo amata
ognor") — ein wenig distonierte, erhob sich sofort im ganzen Hause
lautes Zischen und Miauen. Man war entrustet und tobte. Der eigene
Impresario vorne in seiner Buhnenloge hielt sich den Kopf. Mein Gott,
dachte ich, wie streng die Leute doch sind, wie feine Ohren sie haben,
wie verwShnt sie sein mussen; denn das Malheur passiert auf deutschen
Stadttheatern auch, sogar offer als einmal, ohne dass sich jemand ruhrte!
Digitized by
Google
54
DIE MUSIK 111. 10.
Atlerdings, — und das will wohl bedacht sein — italienische Artisten
brauchen kein Repertoire zu singen. Die letzte Stagione im Triester
Politeama dauerte vier Wochen oder l&nger und brachte nur vier
Opera: Wagners Lohengrin (zehn Mai), PonchielH's Gioconda (elf Mai),
Bellini's Norma und Verdi's Trovatore (zusammen zehn Mai). Zu welcher
Exaktheit und zugleich zu welcher Freiheit, mit einem Wort zu welcher
kunstlerischen Beherrschung jedes Werkes es das Ensemble, Chor, Orchester
und Solisten, dadurch bringen kann, lisst sich leicht erraten. Dass unsere
tSglich spielenden Opern dagegen der reine Unfug sind, lisst sich ebenso
gewissenhaft feststellen.
Um Mitternacht war's vorbei. Wir gingen hinaus in das Leben und
Treiben der sudlichen Nacht, und alles sang laut und leise das Frage-
verbot: „Nie sollst du mich befragen":
Mai devi domandarmi
Nd a palesar tentanni
Dond'io ne venni a te,
Nft il nome mio qual fef
Das horte man in den Cafes summen, auf der Tramway sang es der
Kondukteur in einem unbeschiftigten Moment, der Friseurjunge bearbeitete
die Kopfe der Signori und pfiff dabei unentwegt sein Mai devi, eine
Signorina sang es laut vom Balkon herunter, wahrend sie die Passanten
musterte. Welch' musikalisches Volk! Doch fur die Italiener ist das
plastische Motiv auch die Quintessenz des ganzen Lohengrin; hochstens,
dass sie noch den einprMgsamen Brautchor behielten: es ist der Sinn fur
die Rosinen des Kuchens. Ins Innere der deutschen Musik sind sie, mit
Ausnahmen naturlich, nicht gekommen; aber vor dem gran maestro
Riccardo Wagner haben sie riesigen Respekt, und beim achten Male soil
die Recita des Lohengrin gerade so gesteckt voll gewesen sein wie beim
ersten Male. Alle liefen sie wieder hin.
Allen Respekt davor; aber ich bin nicht mehr hingegangen, denn
auch ich habe riesigen Respekt vor dem deutschen Meister Richard Wagner
Digitized by
Google
VhundertjahrigeBestehen derWiirzburgerMusikschule durfte
Anlass geben, auch weitere Kreise fur die Begrundung und
Entwicklung dieser Anstalt zu interessieren. 1st sie doch eine
der Mltesten Anstalten uberhaupt und nachweisbar die friiheste
Musiklehranstalt Deutschlands.
Unter den Furstbischofen Wurzburgs, die als Herzoge von Franken
das Land beherrschten, ragte durch seine Kunstliebe besonders Adam
Friedrich Graf von Seinsheim (1755—1779) hervor. Zu seiner treff-
lichen Hofkapelle gesellte er noch eine Opernbuhne, die in seinem Resi-
denzschloss eingerichtet wurde. Von den Mitgliedern der Hofkapelle seien nur
genannt Wassmuth, Lorenz Schmidt (ein Schiiler Tartini's), Kuffner, Demar,
Wehner u. s. f. Der Hofsanger Stephani errichtete zu gleicher Zeit eine Sing-
schule in Wurzburg. Auch der hier geborene Abt Vogler, der Lehrer von
K. M. von Weber und Meyerbeer, blieb nicht ohne Einwirkung auf die musi-
kalischen Verhfiltnisse seiner Vaterstadt. Als Lehrer an einem bischoflichen
Konvikt ist noch Franz Kurzinger (Schiiler von Graun) hervorzuheben.
Eine Folge des regen Musiklebens war die im Jahre 1797 erfolgte
Griindung eines Collegium Musicum Academicum Wirceburgense,
das sich im Jahre 1801 den Studenten der Philosophic und Hofmusiker
Franz Josef Frohlich 1 ) zum Dirigenten erwahlte. Dieser intelligente und
energische Mann wusste alle Kreise und namentlich die Universititsbehorden
fur die Tatigkeit der Musikgesellschaft zu interessieren. Im Jahre 1803
arbeitete er einen Organisationsentwurf fur eine akademische Musiklehr-
anstalt aus, die 1804 ins Leben trat, nachdem Frohlich am 10. April dieses
Jahres zum Privatdozenten an der Universitat ernannt worden war mit dem
Auftrag, die Musikubungen zu leiten und Vorlesungen iiber Theorie und
Geschichte der Musik „nach asthetischer Ansicht und mit kritischer Be-
leuchtung der vorzuglichsten Musikwerke" abzuhalten.
Dieses .akademische Musikinstitut a wurde schon im folgenden Jahre
dadurch erweitert, dass auch die Schiiler des Gymnasiums, fur welche
Anstalt die Universitat mitzusorgen hatte, in dasselbe aufgenommen wurden,
') Sein Bild beflndet sich unter den Kunstbeiltgen dieses Heftes,
Digitized by
Google
56
DIE MUSIK HI. 19.
so dass die Schfilerzahl (mit 20 Teilnehmern hatte die Anstalt begonnen)
bald fiber 100 anwuchs. Als erster Hilfslehrer fand der Akademiker und
Hofmusiker Andreas Neubert Verwendung.
Die Sussere Tatigkeit der jungen Anstalt erstreckte sich vorwiegend
auf Kirchenmusik und Schulfestlichkeiten ; auch dem neuen Wfirzburger
Landesherrn Grossherzog Ferdinand von Toskana wurde durch die
Aufffihrung eines von Frohlich komponierten Te Deums gehuldigt.
Die bisherigen Ubungen fanden in den RSumen der UniversitSt statt,
bis es Frohlich gelang, im November 1807 das durch die SMkularisatioo
freigewordene Kapitelhaus des ehemaligen Domstiftes vom Grossherzog
fur sein Musikinstitut zu erlangen. In diesen, im Jahre 1491 errichteten
und 1689 von Petrini umgestalteten Raumen befindet sich die Kgl. Musik-
schule heute noch. Der schone Konzertsaal — akademischer Musiksaal
genannt — besitzt einen hochinteressanten Wandschmuck in 387 Wappen
samtlicher adligen Domherrn, beginnend vom 16. Jahrhundert bis zur
Sikularisation. In diesem Saale konzentrierte sich in der Folge die
musikalische Tatigkeit Wfirzburgs.
Im Jahre 1811 erfuhr das Musikinstitut eine Erweiterung durch die
Zuweisung der Zoglinge des Lehrerseminars, und die Aufnahme solcher
musikalischer Talente, die weder der Universitat noch dem Gymnasium
angehorten. Es war dadurch eine Vereinigung der musikalischen Erziehung
erzielt, wie sie wohl einzig dasteht. Frohlich gab dieser seiner Idee
folgenden Ausdruck:
„Die Studierenden sollten nicht allein jene Bildung gewinnen, die aus dem
,didicisse fldeliter artes* im allgemeinen fliesst, durch sie, die kunftigen Beamten des
Staates und der Kircbe, von deren Liebe zur Kunst die Art ihrer Fdrderung und
Unterstutzung abhlngt, sollte zugleich fur eine solide Kunstpflege mittels des Ge-
winnes wurdiger M Scene gesorgt werden. Die Schulseminar-Kandidaten sollten die
Fruchte des empfangenen Unterrichtes in alle Schulen des Kreises verbreiten und
so unmittelbar auf die Bildung des Volkes einwirken, wfthrend von den im Ernst
der Kunst unterrichteten musikalischen Talenten eine wurdige Ausubung der
Kunstp oduktionen sowie das neuerliche Heranbilden tuchtiger Scbuter erwartet wird.*
Bezeichnend ist es, dass Frohlich sich mit dem Gedanken trug, auch
noch die Volksschulen Wfirzburgs dem Institute anzugliedern, welcher Plan
jedoch nicht zur Ausffihrung kam.
Die Konigl. bayerische Regierung, der inzwischen Wfirzburg zugefallen
war, gab der Anstalt im Jahre 1820 eine feste Organisation durch aus-
fuhrliche Satzungen, ffigte eine allgemeine Singschule hinzu und stellte
das nunmehr »Kgl. Musikinstitut unter die Aufsicht des Staates. Diese
Organisation blieb bis zum Jahre 1875 unverandert bestehen.
Die Tatigkeit des Instituts kennzeichnete sich hauptsachlich in den
alle 14 Tage stattfindenden offentlichen Aufffihrungen, die vorwiegend
Digitized by
Google
s.
57
KLIEBERT: MUSIKSCHULE IN WORZBURG
Orchesterwerke im Programm aufwiesen, daneben Konzerte fiir Soloinstru-
mente mit Begleitung des Orchesters. Ausser Haydn, Mozart, Cherubini usw.
war es aber vorwiegend Beethoven, den Frohlich mit Vorliebe kultivierte.
Die Symphonieen, Ouvertiiren, Klavierkonzerte dieses Meisters waren stMndige
Programmnummern, sogar die Chorphantasie fehlte nicht. Was aber Frohlich
zu einer bedeutenden Personlichkeit stempelt, das ist seine Begeisterung,
sein Eintreten fur Beethovens letzte Schaffensperiode zu einer Zeit, wo noch
ein heftiger Meinungsstreit die Wertschatzung jener Werke triibte. Ein Jahr
nach Beethovens Tod studiert er monatelang mit seinem Schiilerorchester an
den drei ersten Satzen der „Neunten a und schreibt daruber: 1 )
,Ich studierte jede einzelne Stellc so lange ein, bis der gaoze Cturakter und
das in ihr liegende eigent&mlicbe Seelenbild beraustrat. In je tieferen Umrissen der
grosse Meister jede einzelne Partie gezeicbnet und durcb glutreiches Kolorit lebens-
voll dargestellt bat; je effektvoller diese durch den in ihnen liegenden starken Kontrast
sich taervortaoben; je mehr durcb fortgesctztes fleissiges Einstudieren die einzelnen
Bilder zu einem Ganzen in der Anscbauung sich verbanden: desto deutlicher
wurde es, dass Beethoven bier keine Sympbonie gewdhnlicher Art babe schreiben
wollen — dass er etwas Ausserordentlicbes, durchaus Neues beabsichtigte."
Und fiber die „Missa solemnis" urteilt er: 9 )
»Dass kaum ein einziges Werk bekannt ist, das eine so ungemeine Spannkraft
aller scbdpferischen VermSgen entwickelt wie wir dies hier im allgemeinen und in
einzelnen Stficken finden. So vortrefflich die Anlage des Ganzen und das sinnige
Benutzen der vom Tonsetzer gew&blten Darstellungsmittel, ebenso ausgezeichnet ist
auch die Auffassung und Bebandlung des Textes als eines poetiscben Gebildes."
Von den am Institut verwendeten Lehrern sind zu nennen die Hofmusiker
Wehner, Reinstein, Kuff, Alleaumes Vater und Sohn (letzterer wurde 1832
aus Kunstlerneid von seinem Kollegen Neugebauer in der Anstalt erschossen),
Eisenhofer, Bratsch, Wirth, Roder, Kimmler usw. Einen besonderen Auf-
scbwung nahm das Musikinstitut unter der Regierung Konigs Ludwig I.,
der sich wiederholt die Leistungen der Anstalt vorfuhren liess. Eines dieser
Konzerte im Jahre 1840 hatte ein vortrefflich angeordnetes historisches
Programm, dem die Entwicklung derMelodie (Dufay, Ockenheim, Josquin
de Prds, Palestrina, Caccini, Handel, Mozart) und andererseits der Harmonie
(Hucbald, Guido von Arezzo, Franco von Koln, Marchettus von Padua,
Johann de Muris, Monteverde, bis zu Abt Vogler) zugrunde lag.
Frohlich war inzwischen zum Professor fur Asthetik und Didaktik
an der Universitat befordert worden und entwickelte eine reiche Tfitigkeit
auch als Komponist und Musikschriftsteller. Im Jahre 1844 wurde ihm
sein Schuler Johann Georg Bratsch als zweiter Dirigent am Musikinstitut
beigegeben, der unter seiner Aufsicht die Ensembleiibungen zu leiten hatte.
') Cae cilia, eine Zeitscbrifc fur die musikalische Welt, Verlag von B. Schotts
Sdhne, Mainz, 1828, Bd. 8.
^ A. a. O. Bd. 9.
Digitized by
Google
58
DIE MUS1K III. 19.
Im Jahre 1858 zog er sich ganzlich in den Ruhestand zuriick und starb mit
Ehrungen reich bedacht als 82jahriger Greis am 5. Januar 1862.
Sein Nachfolger wurde Bratsch, der eifrig bestrebt war, die
Traditionen der Anstalt aufrecht zu erhalten und weiter zu pflegen. Fur
die Forderungen jedoch, die eine neue Zeit an die Musikpflege stellte,
hatte er keine Sympathieen und so blieb das Wirken des Instituts unter
seiner Leitung rein konservativ. Im Jahre 1873 wurde er als Musik-
direktor an das Studienseminar in Aschaffenburg versetzt und an seine
Stelle Theodor Kirchner berufen. Dieser, ein vortrefflicher Musiker,
war aber seines verschlossenen und menschenscheuen Wesens wegen nicht
geeignet, mit so vielen und so verschiedenen Elementen zu verkehren und
schied deshalb schon 1875 aus dieser Stellung.
In demselben Jahre wurde durch das Kultusministerium die Anstalt
nach dem Muster der Munchener Musikschule reorganisiert und erhielt
den Namen „Konigl. Musikschule Wurzburg". In Munchen batten Hans
von Biilow und Franz Wullner einen rationellen Lehrplan eingefiihrt, der
unter Beriicksichtigung der lokalen Verhaltnisse auch auf die Wurzburger
Schule iibertragen wurde. Der theoretische Unterricht wurde fiir alle Lehr-
facher zur Grundlage gemacht und der Chorgesang nach Wullners Methode
fur samtliche Schiiler obligatorisch erklSrt. Zugleich wurden Konzerte
unter Mitwirkung des gesamten Lehrkdrpers und Heranziehung fremder
Kunstler eingerichtet, die nicht nur zur Ubung der Schiiler, sondern durch
ein planvolles Vorfuhren klassischer und moderner Werke auch zur Hebung
und Pflege der musikalischen Bildung im Publikum dienen sollten. Wie
bisher sollte die Musikschule auch als musikalische Bildungsanstalt fur die
Angehorigen der UniversitSt, des Gymnasiums und des Lehrerseminars gelten.
Zum Leiter der Musikschule wurde Dr. Kliebert berufen, der im
Verein mit 18 kunstlerischen Lehrkraften die ReorganisationsgrundsMtze in
die Tat umsetzte. Seitdem wirkt die Anstalt in riistiger Arbeit weiter, den
Grundsatz festhaltend, dass die Klassiker als Grundlage jeglicher musikalischen
Bildung mit der ihnen gebuhrenden Hochschatzung gepflegt, daneben aber
die Zeitgenossen mit Recht und Fug beachtet werden sollen.
Hatte schon das alte Musikinstitut eine stattliche Reihe von hervor-
ragenden Schiilern zu verzeichnen (es seien bloss genannt Konzertmeister
Lauterbach in Dresden, Konzertmeister Kompel in Weimar, Kammermusiker
Bfirchl in Dresden, Professor Werner in Munchen, Hofopernsanger Bause-
wein in Munchen usw.), so hat auch die jetzige Musikschule die Freude,
viele ihrer ehemaligen Schiiler in ganz Deutschland in teilweise hervor-
ragenden Stellungen tatig zu sehen als Dirigenten, Singer, Orchester-
mitglieder und Lehrer. Und so war die Arbeit von 100 Jahren nicht ohne
Erfolg, die Muhen und Bestrebungen nicht ohne Lohn und Segen.
Digitized by
Google
bOcher
266. Hugo Wolfs Briefe an Hugo Faisst: Herausgegeben von Dr. M. Haber.landt.
Verltg: Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart.
Wer Briefe eines bedeutenden Mannes bekannt gibt, ist jedesmal dem Vorwurf
der Pietltverletzung ausgesetzt. Wabr bleibt, dass die innersten Sclbstbekenntnisse, die
eine aufricbtige Natur in Briefen niederlegt, vielen unter der Menge nur ein Gegenstand
der Neugierde sind; wer dem Helden abbold ist, der deutet doch alles aus dem Be-
durfnisse der Verkleinerung, vielleicbt auch des Hasses heraus. Nur Liebende wis sen
den Sinn. Aber um diese zu erreicben, um die scblummernden Keime der Liebe aller-
orten zu wecken, dazu ist eben die entscblossene VerSffentlichung das einzige Mittel.
Wolf zeigt sich in den Briefen an Faisst wieder von anderer Seite, als in den Briefen an
den Tubinger Professor Kauffmann. Hatte dieser Dankbarkeit und Vertrauen hervor-
gerufen, so gestaltete sich das Verhlltnis zu Faisst bald zu dem einer ecbten, erheben-
den MInnerfreuodscbaft von der Art, wie sie Nietzsche in jungeren Jahren, als Hellene,
so treuberzig pflegte. Dem Freunde Sffoel Wolf, der zudringlicbe Vertraulichkeit mit
scharfem Stacbel abwehrte, den ganzen Oberscbwang seines sturmischen, mutigen, ge-
qullten, aber immer dankbaren Herzens. Doch nicbt in geschraubten, wool- und hohl-
klingenden Redensarten. Der Gesamtton der Briefe ist auffallend ruhig, gemutvoll;
Humor und Ironie geben ihnen etwas Oberlegenes. Erregter wird der Freund, wo ibm
die Dankbarkeit gegen den Beschutzer seiner Kunst durcb die Seele zittert. Selbstver-
gessen aber, dem Treiben um ihn vdllig entnommen, schildert der Tondicbter Qual und
Wonne des Schaffenden. Fur den Cbarakter des Empflngers, das wollen wir nicht ver-
gessen, sind all diese Ausserungen auch bezeichnend: sie bedeuten eine stille Ehrung,
die dem Hdberdenkenden mebr wert ist als Rang, Titel und Macht. Das Stuttgarter
Musikleben — es hat sich bei der verstSndnisvollen und begeisterten Aufnabme des
Corregidors gezeigt — hat im letzten Jabrzebnt durch Faissts Wirken ein Stuck von
Eigenart erhalten, das im Vergleich mit andern Grossstldten wohltuend berubrt.
Dr. Karl Grunsky.
267. Richard Batka: Kranz. Gesammelte Blatter fiber Musik. Verlag: Lauter-
bach & Kuhn, Leipzig. 1903.
Eine Reihe von in verschiedenen Zeitscbriften und Tageszeitungen zerstreuten
Arbeiten hat der Verfasser bier zu einem Ganzen vereinigt und es ist zu hoffen, dass
dieses wertvolle Angebinde des ausgezeichneten Prager Kunstschriftstellers auch bei
einem BuchPublikum die ibm gebuhrende Aufmerksamkeit und Anerkennung flnden
mdge. In unserer viellesenden, gar schnelllebigen und zuweilen etwas vergesslichen
Zeit mag diese Hoffnung vielleicbt zu optimistisch klingen; jedenfalls ist der Wunsch
eines Autors, seinen zum Teil unter dem Zwang journal istischer Eile und Geschlftigkeit
geborenen Geisteskindern zu einem mebr als ephemeren Dasein zu verhelfen, sehr
begreiflich und, wie im vorliegenden Falle, durchaus berecbtigt: der Musikschrifcsteller
sind heutzutage nicbt allzuviele, die Beacbtung und WQrdigung auch von seiten nicht
bloss des vertrauten Leserkreises mit Fug und Recht erwarten durfen. Den ersten Ab-
Digitized by
Google
60
DIE MUSIK HI. 19.
schnitt des Buches bilden allgemeine Erdrterungen kfinstlerischer Problem e. In .Musik
und tlgliches Leben" tritt Batka eindringlicb fur die Erneuerung der .Gebrauchsmusik"
ein, fur Gelegenbeitsmusik im besten Sinne. Durch eine engere Fuhlung mit dem Leben
Hesse sicb, wie der Verfasser im folgenden Aufsatz .Papierne Musik" darlegt, fur den
schaffenden Kfinstler ein grosses anzustrebendes Ziel erreicben: die „Wiedergeburt der
Musik aus dem Geiste des Lebens a . Ober seinen — ibm besonders ans Herz
gewachsenen — dankenswerten Versuch zur Veredlung der .frdhlichen Kunst" spricht
Batka in dem Artikel „Bunte Butane". Beacbtenswerte Winke enthllt die Abhandlung
„Kunstpietlt und Pietism us"; es fin den sich da treffliche Bemerkungen fiber die meist
viel zu lange Dauer unserer beutigen Konzerte, fiber die bauflg genug zu beobachtende
geringe Sorgfalt in der Zusammenstellung des Program ms, fiber zur Mode gewordene
„strichlose" Aufffihrungen. Batka will das Volk zum naiven Geniessen erzogen wissen
und warnt nacbdrucklich vor Oberbfirdung. Fur Str5mungen, die in jfingater Zeit sich
mehrfach Geltung zu verscfcaffen sucben und die doch wobl im letzten Grunde einem
fiberfei erten Empflnden entstammen, hat Batka nicht eben viel fibrig. In seiner geist-
reicben Plauderei „Das riechende Lied" entwickelt er den zweifellos sehr vernfinftigen
Gedanken, dass der Komponist, falls er fiberhaupt etwas zu sagen hat, sich auch in
unserer etwas dekadenten Zeit getrost auf die suggestive Kraft seiner Musik verlassen
kann. Es ist ja tatsftchlich nicbt immer die Schuld des Publikums, wenn moderne Kom-
positionen nicht mit elementarer Gewalt auf den H5rer wirken und es fragt sich doch
sehr, ob das Wagnersche Prinzip ohne we i teres auch auf den Konzertsaal ubertragen
werden darf, unbescbadet der sicherlich gesunden Forderung nach einer zeitgemlssen
Umwandlung des beutigen Konzertsaals. Vom Abschnitt „Geschicbtliches" interessieren
neben einer Studie fiber die Musik der alten Griechen besonders die instruktive Abhand-
lung „Deutschb5bmische Musik im 16. Jahrhundert", sowie die Aufsltze , Aus Joh. Peter
Pixis Memoiren" und „Goethische Lieder in der Musik". Das Kapitel .Wagneriana"
fesselt, abgeseben von der Mitteilung einiger ungedruckten Briefe des Meisters und
Franz Liszts, besonders durch den Beitrag zur Ldsung des Lohengrin problems. ,Im
Schicksal des Schwanenritters erkannte er die Tragi k seines eigenen Kfinstlerlebens.
Dieser Lohengrin sucbt das Weib, das fraglos an ihn glaubt, wie der Meister ein Volk,
das ihn instinktiv verstehe." Der vierte Abschnitt ,Totenkrlnze" ist dem Andenken
Heinrich Porges', Jobann Strauss' und Verdi's gewidmet. Der letzte Teil ,Aus der
Gegenwart" umfisst kritische Erlftuterungen llterer (Cornelius' „Cid"), hauptsftchlich
aber zeitgenossiscber Opernliteratur (Pfitzners .Derarme Heinrich", Paderewski's ,Manru",
d'Alberts ,Kain", Kienzls „Don Quixote"), die feinsinnige Untersuchung .Was ist
modern?", den Essay „Die moderne Oper" und als wfirdigen Beschluss des Ganzen
eine warmberzige „Wfirdigung Hugo Wolfs". Willy Renz.
268. Edward Buhle: Die musikalischen Instrumente in den Miniaturen
des frfihen Mittelalters. Ein Beitrag zur Geschichte der Musikinstru-
mente. I. Die Blasinstrumente. Mit Textflguren und Tafeln. Verlag:
Brehkopf & Hftrtel, Leipzig. 1903.
Diese in der Art der Beihefte der internationalen Musikgesellschaft ausgestattete
Schrift ist die ungemein fleissige Arbeit eines Autors, bei welchem man nicht weiss,
was man mehr bewundern soil: ob die umfassenden Facbkenntnisse und Belesenheit
oder die ganz ausserordentliche Vielspracbigkeit. Der Verfasser hat nicht nur griechische
und lateinische Autoren herangezogen, sondern ebenso die gesamte alt- und mittelhoch-
deutsche, die angels9cbsische, die romanische und proven^aliscbe Dichtung und natfirlich
auch die neuere Fachliteratur alter Lander. Solche Bficher bedeuten denn auch allemal
einen merklichen Fortschritt in ibrer Wissenschaft. Buhle weist darauf hin, dass uns
Digitized by
Google
61
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
von mittelalterlichen Instrumenten verblltnismlssig nur sebr wenige erhalten sind, und
dass die Musikgescbichten auf diesem Gebiete raeist mebr odcr weniger kritiklos gegen-
seitig von einander entlehnt baben. Man sei bier fast ausscbliesslich auf Bescbreibungen
und auf Abbildungen angewiesen. Besonders die Prfifung dieser bat sich der Autor zur
Aufgabe gestellt und zu diesem Zwcck die Bibliotheken aller europliscben Kultur-
llnder erfolgreich durcbstdbert. So lernen wir denn gar vieles Neue fiber die Bits-
instrumente des Mittelalters, von denen 14 Hauptarten behandelt werden, n&mlich die
Horninstrumente: Stierborn, Heerborn, Signalborn, krummer Zink, Tubeninstrument
und Busine, sowie die Pfeifeninstrumente: Schnabelflote, Doppelfldte, Syrinx, Quer-
fl5te, Schalmei, Dudelsack und Platerspiel. Die reichlicbe Haifte des Werkes ist der
mittelalterlichen Orgel und ihrem Bau gewidmet. Aus den plumpesten An fan gen beraus
sehen wir die Kdnigin der Instrumente sich entwickeln, doch ist sie am Ende der bier
in Betracht kommenden Zeit noch himmelweit von ihrer gegenwlrtigen Vollendung ent-
fernt. Zum Scbluss bringt der Autor noch einige mittelalterliche Orgeltraktate ganz
oder teilweise zum Abdruck, sowohl im Monchslatein der Originale als in deutscher
Obersetzung. VSllig klar wird darin der Orgelbau trotz alter Ausffihrlicbkeit nicht dar-
gestellt, so dass wir tatslchlich auf Abbildungen wesentlich mit angewiesen sind. Neun
grSssere Tafeln bringen am Scbluss des Bucbes Nachbildungen solcber Miniaturen von
alien besprocbenen Instrumenten einschliesslich der Orgel, deren ursprfingliche Kon-
struktion auch durch einige Textzeicbnungen anschaulich gemacbt wird. Es ist nur zu
bedauern, dass diese Nachbildungen nicht farbig sind wie die Originale. — Auf jeden
Fall ist Bubles Werk ohne Tadel und bat als eine wicbtige Mebrung des rausik-
geschichtlichen Wissens zu geiten. Kurt Mey.
260. Hugo Riemann: Wie bdren wir Musik? Grundlinien der Musik-Asthetik.
Verlag: Max Hesse, Leipzig.
Die zweite Auflage des ausgezeichneten allbekannten Werkcbens braucbt bier nur
angezeigt zu werden. Es ist als vortrefflicbe Einffihrung in die Musikastbetik bekannt.
Bei einer hoffentlich bald erscbeinenden dritten Auflage dfirfte Riemann den Passus, in
dem er Grell diesmal noch einer Widerlegung ffir wert bait, streicben. Die Grell-
schen Anschauungen sind doch llngst in die Kuriositltenkammer sub .stolide dicta" ein-
rangiert. Als die erste Auflage des Riemannscben Buches erscbien, war jener „Grelle"
Fall musikalischer Ruckschrittlerei noch einer Debatte wert. Heute nicht mehr.
270. Max Loewengard: Lehrbuch der musikalischen Formen. Verlag: Max
Staegemann jun., Berlin.
Das Buch unterscheidet sich von den zablreicben Werken, welche dieselbe Materie
behandeln, sehr wohltuend dadurcb, dass es stets auf das lebendige Kunstwerk cxemplifiziert.
Es wird hier nicht starrer, dder, unfrucbtbarer Formalismus getrieben, sondern die Form
ergibt sich selbstverstlndlich und logisch aus dem Geiste und dem Wesen des jeweiligen
Werkes. Das Buch ist auch fur das Selbststudium zu empfehlen. Es ist klar, knapp,
ohne Pedanterie geschrieben von einem Theoretiker, der kfinstlerisch ffihlt und denkt.
G. Mfinzer.
271. Adolf Prumers: Silcher oder Hegar? Ein Wort fiber den deutscben Manner-
gesang und seine Literatur. Verlag: Hermann Seemann Nacbf., Leipzig.
In der Diskussion, die sich gegenwirtig allenthalben fiber die Frage entsponnen
hat, ob die deutscben Mlnnerchorkomponisten immer auf den richtigen Wegen gegangen
seien, llsst Prumers in seinem Bfichlein ein ernstes, mannlictaes und vor allem sach-
liches Wort erschallen. Er macbt darauf aufmerksam, dass nicht alle volkstfimlich ge-
wordenen Lieder die gleiche Lebensdauer besitzen; manches alte, abgeleierte Lied wird
una gleicbgultig, wlhrend wir uns an anderen ebenso alten nimmer satt singen konnen.
Digitized by
Google
ifi.
62
DIE MUSIK III. 19.
Die letzteren sind eben die echten Volkslieder, in denen Seele enthtlten ist. Ein falsches
„Volkslied" ist ebenso zu verdammen wie die rafflnierteste Effektbascherei. Das Kunstlied
muss Kunstlied bleiben und darf nicbt im „Volkslied" aufgeben wollen. Gerade von
Hegar aber erwartet Prumers das „neue Kunstlied* d. i. die Verscbmelzung des Volks-
tumlichen mit dem rein Kunstleriscben. Nicbt ein einseitiger Parteistandpunkt wird una
bier das Heil bringen kdnnen; sondern die einzige wunscbenswerte und befriedigende
Ldsung der Streitfrage „Silcber oder Hegar* lautet: „Silcher und Hegar*. — „Wenn der
lebende Genius dem toten Genius die Hand reicbt, dann gebt unser deutscber Mlnner-
gesang neuen, gesegneten Zeiten entgegen !", so sagt Prumers und die Objektivitlt seiner
Darstellung, die Bescbeidenbeit und^Sicberheit seiner Darlegung werden gewiss nicbt
verfehlen, den Eindruck von Wabrbeit und Trefflichkeit zustande zu bringen.
Dr. Egon von Komorzynski.
MUSIKALIEN
272. Carl Eschmann-Dumur: Exercices Techniques. Verlag: Ernst Eulenburg,
Leipzig.
Ein tecbniscbes Studienwerk wie so viele andere, nur mit dem Unterschied, dass
der St off ubersichtlich gruppiert und gut verarbeitet ist. Es entbllt so ziemlicb alles,
dessen ein moderner Pianist bedarf, vorausgesetzt, dass er fiber das „Wie" und die
psycho -pbysiologischen Voraussetzungen genau orientiert ist. Zu An fang natfirlich die
unvermeidlicben Fesselubungen! Sp&ter schaut's besser aus. Besonders die Notationen
der Tonleitern, ferner die guten und modernen Applikaturen von Terzen und Sexten aus
guten Mustern, die Arpeggienstudien, die polypbonen Studien usw. verdienen grdssere
Beacbtung. Bei der Klarbeit und Einfacbbeit in der Anordnung des Ganzen, dem
melodidsen und rhytbmischen Element seien sie jedem Institut zu Unterrichtszwecken
empfohlen. Jedoch, wie scbon gesagt, ich bezweifle, ob dadurcb dem technischen Unsinn
und birnlosen Spiel Abbrucb getan wird. Wo die „Schwere* feblt und andere Dinge, da
helfen keine Studien der Welt. Und wo sie sicb vorfindet, da erubrigen sicb Millionen
von bescbwerlicben Exerzitien.
273. J. Pischna: Exercices progressifs. Verlag: C. F. Peters, Leipzig.
Die Studien sind bekannt und jedem reiferen Spieler zu empfeblen. Emil Sauer
b91t sebr viel von ibnen und icb muss sagen, dass der modern e Zug darin sie fiber alle
Sbnlicben Studienwerke erbebt. Das doppelb&ndige Spiel ist in mannigfaltig neuen Formen
und reizvollen Kombinationen erscbdpfend bebandelt. Das Prinzip der Gegensltzlicbkeit
und der modulatorischen Fortfubrung durch alle Tonleitern sicbert ibnen einen Platz an
erster Stelle. Da Rhytbmik und Applikatur gleicb vorzfiglich ins Auge springt, so kdnnen
sie bei ricbtigem Gebrauch wobl als die exakteste Vorstufe zum Virtuosentum gelten.
Rud. M. Breitbaupt
274. Wilhelm Stenhammar: Drei Phantasieen op. 11, Sonate op. 12 fur Klavier.
Verlag: Hennings, Kopenbagen.
Stunde nicbt der Name des Komponisten auf den Heften, so wurde man nicbt
raten, dass beide vom selben Autor stammen. Die Sonate ist durftig in der Erflndung,
im Satz, ungescbickt in der Form, kleinlich, — in den Phantasieen webt dagegen ein Haucb
von Leidenschafr und GrSsse und wenn auch die] Form nicbt sebr fein, die Entwicklung
vernachl&ssigt und der Klaviersatz Susserst einfach ist, so haben doch die Themen
wenigstens Leben und Blut. Namentlicb das erste Stuck wird bei schwungvollem Vortrag
vorzuglicb wirken.
Digitized by
Google
63
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
275. Hugo Kaun: Konzert fur Kltvier und Orcheater. Verlag: D. Rthter, Leipzig
und Hamburg.
Die beiden ersten Satze interessieren wenig in ihrer monoton dusteren FSrbung,
der Aufbau ist nicbt langattnig genug fur die Breite und ermudet durcb die Zusammen-
setzung aus kleinen Motiven und Perioden. Der letzte Satz ist aber frisch und wenn
auch nicbt tief, docb unterhaltend und lebendig. Dem Pianisten werden wenig interessante
Aufgaben gestellt. Die Passagen sind meistens billig und zu Itlangarm gegen das
Orcbester. Leider sind die Kombinationen des Soloinstruments mit dem Orcbester nicbt
sebr reich. j. Vianna da Motta.
276. E. Humperdinck: Am Rhein, Rosmarin, fur vierstimmigen MSnnercbor.
Verlag: Max Brockhaus, Leipzig.
Die JVttnnergesangvereine sind stets dankbar, wenn ein Meister sicb ab und zu
ibrer erinnert, selbst dano, wenn ibnen der scbon sattsam besungene Rbein, wiederum
in empfehlende Erinnerung gebracbt wird. ,Am Rbein" ist frisch erfunden, klingt vor-
zuglich und ist nicbt scbwer in der Aus fun rung. .Rosmarin" wird aucb als Cborlied
— einstimmig erschien es bereits in der ersten Sammlung »Im Volkston" — seinen
Weg macben.
277. Wilhelm Kienzl: Heerbannlied der deutschen Srfmme, Dicbtung von
Hermann Lingg, fur vierstimmigen MSnnercbor. op. 65 No. 2. Verlag:
Bote & Bock, Berlin.
Die patrioti8che Dicbtung fordert zu einer dramatisch angelegten Vertonung fast
heraus und bat bier in Kienzl einen dem Drama wie dem M&nnerchor gleicb nahe-
stebenden Meister gefunden. Das Werk ist nur fur sebr starke Vereine passend, nocb
besser fur S&ngerfeste, wenn die einzelnen Teile von verscbiedenen Gruppen gesungen
werden kdnnen. Ein grundlicbes Studium des techniscb durchaus nicbt leichten Werkes
wird einer guten Auffuhrung vorausgeben mussen. Fritz Basel t.
278. Georg Pittrich: Drei Lieder. Verlag: J. Scbubertb & Co., Leipzig.
279. F. R. Fontein-Tuinhout : Lieder der Liebe. op. 15. — Lieder des
Scbmerzens. Verlag: G. H. van Eck, Haag.
Das sind ansprucbslose Lieder, die in gewissen Kreisen, in denen man das Einfache
im Ausdruck und in der barmoniscben Einkleidung liebt, Gefallen flnden werden.
280. Rud. Gritzner: Lieder fur eine Singstimme mit Klavierbegleitung. Band VII.
Verlag: Breitkopf & HSrtel, Leipzig.
Dem Komponisten ist eine tucbtige Tecbnik und Gewandtbeit im Ausdruck nicbt
abzusprecben, aucb in der Deklamation weiss er meistens die rich ti gen Akzente zu
treffen. Mdcbte er nur diese sebr respektabeln Ffthigkeiten stets in den Dienst eines
urwtfchsigen musikalischen Gedankens, einer intensiven Stimmung gestellt haben, start
sie sozu8agen zum Selbstzweck zu macben. Man wundert sicb fiber die modulatoriscbe
Beweglicbkeit und Versabilitlt, aber man weiss so oft nicbt, was sie bedeuten soil;
willkfirliche, unnaturlicbe, weder musikaliscb nocb textlicb motivierte Harmoniesprunge
lassen ein rubiges Ausstrdmen der Stimmung und damit auch einen ruhigen Genuss
fur den Hdrer nicht aufkommen. Ist der Komponist einmal im richtigen Fahrwasser,
pldtzlich biegt er wieder nach einer anderen Richtung aus, immer wieder wird der
Melodiefluss gestdrt. Das Beste an seinen Liedern ist ofc das Vorspiel, das viel Schdnes
verspricht, aber selten kommt zur Erfullung, was es versprochen hat. Auch die Nach-
spiele* sind mitunter voll musikalischen Reizes und fast m&chte man fragen, ob nicht
etwa des Komponisten Begabung mehr auf dem Boden der Instrumentalmusik als des
Liedes liegen sollte, trotzdem das vorliegende Album das siebente mit uber 35 Ge-
stagen ist. Was hilft uns die grosse Menge der Lieder, wenn's eben nicht so recht
Digitized by
Google
64
DIE MUS1K 111. 19.
Q Ulb MUSm III. Itf. Q^_l-
„aus der Seele dringt und mit urkraTtigem Behtgen die Herzen aller Hdrer zwingt«?
Am besten nocb gelingt dem Komponisten das leichte, neckische Genre (No. 14, 23, 25, 31).
Fein ist auch ,lcb Hebe dicb" und nicbt obne Schwung und wSt meres Empflnden, viel-
leicbt das beste von alien, „Sehnsucht". Die Ausstattung der Lieder durch den Verlag
ist uber jede Kritik erhaben. Dr. A. Schuz.
281. VerGffentlichungen der Neuen Bachgesellschaft. Jabrg. 3 Heft 2. Job.
Seb. Bach. Drei Sonaten fur Klavier und Violine (b-moll, A-dur, E-dur).
Herausgegeben von Ernst Naumann. Verlag: Brciikopf & HIrtel, Leipzig.
So prachtvoll auch diese neue Ausgabe iusserlich ausgestattet ist, so sehr ich auch
die von dem Herausgeber durchgefuhrte Vortragsbezeicbnung bewundere, so vermisse
ich doch in dieser vornehmlich fur den Hausgebrauch bestimmten Ausgabe Fingersatz-
bezeichnungen in beiden Stimmen. Da der Herausgeber der Rustscben Ansicht zuneigt,
dass bei Ausfuhrung dieser fast durchweg dreistimmigen Sonaten zu Bachs Zeiten wohl
ein zweites Klavier zur Ausfullung der Harmonie mitgewirkt babe, so hfttte er m. E.
wohl den Versuch unternehmen konnen, wenigstens an den Stellen, wo Violine und
Klavierbass einen Satz allein beginnen oder wo wir das Gefuhl der Leere haben (z. B.
S. 35, 43 f), fur voile re Harmonieen zu sorgen; wir mussen doch den Bachschen Satz, was
kurzlich Dr. A. Scbering betont hat, unseren beutigen Instrumenten ebenso anzupassen
sucben, wie dies heute nach Wagners Vorgang bei den Blaserstimmen Beethovens
allgemein geschieht. Dr. Wilhelm Alt man n.
282. Eilcr Jensen: Tarantelle. op. 4. — Rastlos (Scherzo), op. 5. — Rdverie.
op. 6 Fur Violoncello und Klavier. Verlag: Wilhelm Hansen, Kopenhagen-
Leipzig.
In bezug auf gute Spielbarkeit und Klangwirkung des Cello-Parts sind die drei
Stucke mit Sachkenntnis und Gescbick verfasst. Dagegen bieten sie in ihrer schablonen-
haften Form und der geringen Originalitlt der Gedanken wenig Anregendes. Die Be-
gleitung durfte harmonisch und rhythmisch abwecbslungsreicber gestaltet sein. Die
Tarantelle ist im ubrigen flott geschrieben.
283. J. Kryianowsky: Son ate fur Violoncello und Pianoforte, op. 2. Verlag:
M. P. BelaTeff, Leipzig.
Die Sonate bait sich nicht an klassische Muster. Sie emanzipiert sich vom
strengen Stil und begnugt sich, die weder markanten nocb sonstwie bemerkenswerten
Themen harmonisch moglicbst verscbiedenartig zu beleuchten. Dabei kommt es oft zu
einer uberladenen, gesuchten Cbromatik. Auch die Form geht dadurch ihrer scharfen
Konturen verlustig. Lobend hervorzuheben w&ren nur ein Zug von Temperament,
der unverkennbar das Ganze durchweht, die bequeme, wenn auch nicht leichte Spiel-
barkeit des Klavierparts und die breite Cellokantilene des langsamen Satzes, einer
Romanze von stimmungsvoller und klangschdner Art.
284. E. van der Straeten: Suite on English Ayres for Violoncello and Pianoforte.
op. 15. Verlag: Morrice Musik Publishing Co., London.
Die nicht uninteressante, stellenweise etwas redselig erscheinende Arbeit zerftUlt
in die ublichen drei S&tze, von denen das Adagio wohl am wirkungsvollsten ist. Ein
guter Spieler mit vollem Ton wird dem Stuck gewiss manche reizvolle Seite abgewinnen
kSnnen, wenn auch vom kompositorischen Standpunkt manches unmotiviert er-
scheinen muss.
285. Anton Hegner: Suite fur Violoncell und Pianoforte, op. 20. Verlag: Breit-
kopf & Hftrtel, Leipzig.
Dankbar fur das Streichinstrument geschrieben, sonst aber bedeutungslos.
Hugo Scblemuller.
Digitized by
Google
NEUE ZE1TSCHRIFT FUR MUS1K (Leipzig) 1904, No. 18-20. - Aus dem Inhalt
dcr Hefie mdgen hervorgehoben werden: Friedrich Spiro: „Musik in Rom",
M. Rikoll: „Neue italienische Opera", Arnold Schering: „Italienische Musik-
literatur", Arthur Smolian: „Ein deutscher ,Barbier von Bagdad* aus dem Jahre
1780" (er 1st in dem Jabrgang~1780 des von Neese herausgegebenen „Theater-
Journals fur Deutschland", 15. Stuck enthalten), Edgar Istel: »Pfitzneriana", Franz
Dubitzky: „Eine vergessene Kunstgattung" (gemeint ist das vom Klavier und
einigen anderen Soloinstrumenten [Streicher oder BlSser] begleitete Lied; also eine
Verbindung von Kammermusik mit der menscblicben Stimme — ein Gebiet, auf
dem sich ja z. B. Beetboven viel bet&tigt hat); „Antonin Dvorak* (— 9 keiner von
denen, die neue Babnen einscblugen, kein Prophet, kein M&rtyrer seiner Kunst,
aber was er der Nachwelt hinterlassen bat, ist wert genug, von alien Musikern des
beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts gekannfzu werden!").
BAYREUTHER BLATTER 1904, 4.-6. Stuck. - Robert Petsch liefert in der Ab-
handlung „Die Kunstlehre der ,Meistersinger< und Immanuel Kant" . . . „Ver-
gleichungen zwischen Kants Sstbetischer Hauptschrift und der vollkommensten
und reichsten Darlegung der Kunstlehre unseres Meisters, den kunsttheoretischen
Abschnitten in den ,Meistersingem ( ."
RHEINISCHE MUSIK- UND THEATER-ZEITUNG (Koln) 1904, No. 9-11. -
Tneodor Mfiller-Reuter berichtet bier fiber „Die Anstalt fur musikalisches Auf-
ffibrungsrecht der Genossenschaft deutscher Tonsetzer". „Bram Eldering", den
„Meister der Geige", feiert Karl Wolff. Der „Aufruf an die musikalischen Leiter
unserer deutschen Bfihne" von A. Eccarius-Sieber klingt in die Worte aus:
„Pflicht aller, die es mit der Pflege der neudeutschen Kunst ernst meinen, die,
Wagners Mahnung: ,Ehrt eure deutschen Meister' beherzigend, lieber einbeimische
Werke, wie fremde Produkte fdrdern, ist es, endlich fur Kistler einzutreten und
dadurch unserer Zeit, unserem Vaterlande den herben Vorwurf zu ersparen, einen
ernsten, genialen urdeutsch empflndenden Kfinstler fibersehen zu haben. Noch
ist es Zeit, dem heiss ringenden Komponisten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen."
Der Artikel ,Das lustige Wien des vorigen Jahrhunderts" von Fr. Katt behandelt
den Walzerkdnig Johann Strauss. Ein Aufsatz fiber .Orlando di Lasso" von Wilhelm
Fuchs bildet den zweiten Teil der Serie „Musikalische Charakterbilder". Wahre
Worte spricht Ludwig Riemann in seinem entrfisteten Artikel »Das Volksurteil
im Volkslied-Wettbewerb der ,Woche«". — Sehr richtig spricht sich Franz Dubitzky
aus fiber „Unwahrheit und Dichtung in der Musikgescbichte"; historisch interessant
ist Wilhelm Tap pert s Aufsatz „Marschmusik"; aktuell Fr. Katts Abhandlung fiber
»Asiatische Musik".
NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart) 1904, No. 14. - „Franz Mikorey als Sympho-
niker* von Arthur Seidl — der Aufsatz reibt sich den frfiheren Seidlschen Aus-
ffihrungen fiber Mikorey wfirdig an. Der Aufsatz ,Das Volkslied der Briten" flndet
seinen Abschluss, M. Kochs 9 Tonsatzlehre" ihre Fortsetzung. Interessant ist
HI. 19. 5
Digitized by
Google
66
DIE MUSIK III. 19.
^
Henry Bordeaux' Novelle .Die Glocken". .Das 275jahrige Jubillum des Musik-
kollegiums in Winterthur" feiert Oskar Kionka.
— No. 15. — Ausser der Fortsetzung von M. Kochs .Tonsatzlehre" entb< die Nummer
einen ausfuhrlichen Aufsatz .Der Entwicklungsgtng von Johanne* Brahms" von
B. RSttgers, den interessanten Artikel .Die TraumtSnzerin Madeleine" von
Oswald Kuhn und eine recht zeitgem&sse Abbandlung fiber das .Theater in Japan"
von Hugo Con rat. Aus der letzteren gebt hervor, dass die Japaner, die die dreh-
bare Buhne bereits seit 200 Jahren benutzen, wahre Meister in allem Dekorativen
sind. Ihre dramatische Literatur dagegen hat sich nur plump und muhsam ent-
wickelt und die Fassung der Stucke steht keineswegs wdrtlich fest, sondern ist
einer steten Anderung durch die Direktoren und die Schauspieler unterworfen.
BLATTER FUR HAUS- UND KIRCHENMUSIK (Langensalza) 1904, No. 8. -
Unter dem Titel .Wer kennt den Komponisten" beginnt Hugo Riemann die Be-
sprechung einer Reibe von TSnzen fur Streicborchester, Hdrner und Kltrinetten,
die in der Leipziger Thomasschule gefunden wurden und wahre Kabinettsstucke
der charakteristischen Tanzmusik des beginnenden 19. Jahrhunderts sind. Nach
den Darlegungen Riemanns ist es sehr wahrscheinlicb, dass diese T&nze Werke
Beethovens sind. A. Tottmann bespricht — .M. Enrico Bossi in Leipzig" —
Bossi's .Verlorenes Paradies", in dem er viel deutsches Element, viel Form- und
Gedankenverwandtes mit Richard Wagners Denk- und Schaffensweise flndet. Hans
Schmidkunz bespricht in einem zweiten Kapitel die .Hauptfragen der Musik-
pftdagogik". Ferner behandelt Ernst Rabich in dem Aufsatz .Kirchenmusik und
Lehrerbildung" aktuelle Fragen und nimmt in dem Artikel .H&ndels Messias in
neuer Ausgabe" sehr feinsinnig Stellung zu der Chrysanderschen Hlndelreform.
Max A rend knupft an eine Gluck-Auffuhrung — .Nochmals Glucks Armida in
Halle" — lesenswerte Darlegungen fiber Beethovens Verh<nis zu den .Klassikern"
Haydn und Mozart, als deren dritten er Cluck bezeichnet. Es heisst da u. a.:
.Beethoven hat mit Haydn und Mozart nichts anderes zu tun, als dass er in seiner
Instrumentalmusik von ihren Formen ausging. Beethovens Kunst aber besch&ftigt
sich ex professo mit den tiefsten Fragen des Daseins — die von Haydn und Mozart
hdchstens zufSllig gestreift Oder zufillig behandelt werden — und seine Arbeit in
der Musikgeschichte ist der Versuch, die Grenzen der Musik zu sprengen." Endlich
bespricht Egon v. Komorzynski Josef Reiters Requiem", das er als eine rechte
Verbindung klassischen Aufbaus mit romantischer Ausgestaltung bezeichnet.
MONTHLY MUSICAL RECORD (London) 1904, No. 401. - E. Prout beginnt
seine Artikel-Serie .Some forgotten operas" mit einer Studie fiber Boieldieu's Jean
de Paris". A. E. Keeton liefert einen sehr hubschen Aufsatz fiber .Mendelssohn"
und fasst sein Urteil in den Worten zusammen: .He was a diamond of the first
water, albeit so small that the gem owed much of its brilliance to its irreproachable
cutting and setting." Eine kleine Analyse .Offenbachs The contes d' Hoffmann"
nennt die Musik .extremely light and at times sparkling" und konstatiert den
Einfluss von Mozart, Gounod und Berlioz.
OSTERREICHISCHE VOLKSZEITUNG (Wien) 1904, No. 123 u. 130. - In Wien
hat die Frage nach der Reform der katholischen Kirchenmusik, die im Anschluss
an den bekannten Erlass des Papstes erfolgen soil, viel Staub aufgewirbelt. In
einer l&ngeren Abhandlung .Zur Kirchenmusikreform" entwickelt Rudolf Glickh
ein System der Reform nach cftcilianischen Grunds&tzen und verlangt die Ent-
fernung der Messen unserer .Klassiker" aus der Kirche. Ibm tritt Egon von
Digitized by
Google
67
REVUE DER REVUEEN
Komorzynski in dem Artikel „Die Zukunft der Wiener Kirchenmusik" schtrf
entgegen und spricht sich fur die unbedingte Beibebaltung der Werke Haydns,
Moztrts, Beethovens und Schuberts wenigstens in den Wiener Volkskirchen aus.
MUNCHENER NEUESTE NACHRICHTEN 1904, 1. Mai. - Edgar Istel handelt
bier fiber .Jean Jacques Rousseau's musikgeschichtliche Stellung" und lobt dabei
besonders dessen selbstlose Partcinahme fur Gluck in dem Streit der Gluckisten
und der Piccinisten. Rousseau's zwei Bfihnenwerke „Devin de village 11 und w Pygma-
lion" bezeicbnen die Anffinge zweier neuen Gattungen: der komischen Oper und
des Melodramas, in dem Streit der „Buffonisten und der Antibuffonisten" stellte
er sich auf die Seite der Italiener; sein Dictionnaire de musique war das erste
wirklich moderne Musiklexikon. So erwies er, der Dilettant, der Kunst „Dienste,
die solche eines halben Dutzends kleinerer Meister nicht aufzuwiegen vermogen;
Dienste, die zu unsterblichen Verdiensten wurden — : zeigten sie doch der Kunst
neue, aussichtsreiche Wege".
SONNTAGSBEILAGE DER VOSSISCHEN ZEITUNG (Berlin) 1904, No. 15 bis
17. — Alfred Cbr. Kaliscber verbreitet sich in einer „Hektor Berlioz fiber
L. van Beethoven" betitelten Artikelreihe fiber die Beethoven-Stellen in .Voyage
musical en Allemagne et en Italic" von Berlioz.
KORRESPONDENZBLATT DES EVANGEL. KIRCHENGESANGVEREINS
FUR DEUTSCHLAND (Leipzig) 1904, No. 6. — Ausser einem beherzigens-
werten Artikel „0ber die Fermaten-Behandlung im Choral" von C. Muhlfeld
enth< das Heft den Vortrag „Die Ausbildung der Lehrer zu Organ is ten und Chor-
leitern" von Friedrich Anschutz.
DIE ZEIT (Wien) 1904, No. 500. — „Indianiscbe Musik" von Adalbert Albrecht stellt
fest, dass man in Amerika gegenwSrtig, namentlich durch die Arbeit der Miss Alice
Fletcher, die Lyrik der Roth&ute gesammelt hat. Die Musik ist das wichtigste
Element im religidsen, sozialen und h&uslichen Leben des Indianers; sie vermittelt
seinen Verkehr mit dem grossen Geiste. Die Instrumente der Indianer sind die
Fldte und die Trommel. Die Harmonie ist ihnen unbekannt. ,Ihre Musik ist,
gleich der Musik aller Wilden, Ekstase und zieht manche Moderne wohl nur darum
an." In neuester Zeit haben die Komponisten Arthur Farwell und Harvey Wort-
hington Loomis begonnen, die indianische Musik kunstlerisch zu verwerten.
DER TORMER (Stuttgart) 1904, No. 8. — „Glucks Iphigenia auf Tauris" von Alfred
Bernhard Marx. — Der Aufsatz nennt die Oper „das reichste aller Werke Glucks"
und es heisst in ihm nach grundlicber musikalischer Analyse wie folgt: „Zum
drittenmal l&sst Gluck in seinen Opern hier die Stimme der Unterirdischen ver-
nehmen. In Alceste ist es das Gefolge des Todesgotts, schauerlich, bleich und
bewegungslos, feind dem Leben, nicht feind dem Menschen, selbst dem Mitleid
mit Alcestes Jugend und Treue nicht verschlossen. Im Orpheus sind es die trfiben
Hfiterinnen an den Pforten des Hades, die dem eindringenden Helden wider-
stehen mussen und sich von seinen Klagen zuletzt erweichen lassen. Hier sind
es die unerbittlichen RScherinnen der Blutschuld an der Mutter. Wenn Aischylos
sie gleich einer Meute blutlechzender Hfindinnen um das Heiligtum herumirren
Ifisst, in dem Orest unnahbar ruht: so sind sie hier bei Gluck die Schar der be-
rufenen Richter und Richer, und der Mensch flndet vor ihnen keinen Schirm, selbst
im Todesschlummer nicht".
DEUTSCHE REVUE (Leipzig) 1904, Mai. — Aus .Franz Liszf-Erinnerungen, die
5*
Digitized by
Google
68
DIE MUS1K HI. 19.
G6za Graf Zichy verdffentlicht, sci die nachfolgende interesstnte Stelle hervor-
gehoben. Graf Zichy beschreibt ein Mahl zwischen ibm, Liszt und Volkmann und
flhrt fort: „Da erhob icb das Gits und trank tuf das Wohl meiner beiden Meister,
ich schloss mit dem Wunsche, sie mdchten sich nfther treten zum Heile der
Kunst, zum Stolze der Nation. Volkmann blickte mit seinen tiefen, licbtblauen
Augen scheinbar kalt und teilnahmslos vor sich bin. Liszt bingegen ergriff freudig
bewegt das Glas und sprach: Prosit Volkmann! Die GlSser stiessen aneinander,
ein grcller, schriller Ton erklang und Liszts Gbampagnerglas sprang der Linge
nach entzwei. Volkmann Uchelte hohnisch — diese Szene werde icb nie ver-
gessen. Immer mehr und mehr kam ich in Liszts Bannkreis. Seine unerschopf-
liche Herzensgute, seine Ritterlichkeit, seine angenehme {Conversation, die in der
angenehmsten Form einen Schatz von Erfahrung und Wissen offenbarte, waren
eben einzig. Wire ich ein Eckermann gewesen, dann bStte ich diese Gespricbe
zu Papier gebracht".
DER KUNSTWART (Leipzig) 1904, No. 14 und 15. — Enthait .Obungen im Musik-
hdren" (III. Die Variation) von Georg Munzer und „Konzertprogramme" von
J. Vianna da Motta.
ZEITSCHRIFT DER INTERNATIONALEN MUSIKGESELLSCHAFT (Berlin)
1904, No. 8. — Friedrich Spiro behandelt .Tschaikowsky's Stellung im internatio-
nalen Musikleben", rfihmt dabei namentlich die grosse kiinstlerische Diskretion
Tschaikowsky's, die sich in der patbetischen Symphonic, der ein Heldenleben zu-
grunde liegt, lussert und sagt schliesslich, Tschaikowsky habe der Tonkunst „fur
eine Weile wiedergegeben, was sie im Zeitalter der beginnenden Musikanarchie
schon fur immer verloren zu haben schien: Architektur und Poesie". Ausserdem
enthllt die Nummer den Nekrolog Josef Rebicek" (f 25. M5rz 1904) von Wilhelm
Altmann und den Aufsatz 9 TheJanko-Keyboard and Simplification" von G. Scrinzi.
LA RfeVUE (Paris) 1904, No. 7. — Der Artikel ,Beethoven chez lui« von Emile
Faguet behandelt in sehr interessanter Weise Beethovens Briefe.
ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG (Charlottenburg) 1904, No. 18 und 19. - Hugo
C on rat liefert eine Abhandlung fiber „Tanz und Tanzweisen in England im Zeit-
alter der Kdnigin Elisabeth". Otto Lessmann nennt in seinem Nekrolog „Antonin
Dvoftk" einen ehrlichen, tapfern und treuen Klmpfer in der Kunst und einen
biederen, charaktervollen Mann.
Digitized by
Google
NEUE OPERN
Umberto Giordano: „Cotillon«, Textbuch von H. Cain nach dcm gleich.
ntmigen Drtmt von H. Cain und E/ Daudet, beabsichtigt der Tonsetzer
demnlchst in Angriff zu nehmen.
Ruggiero Leoncavallo: »Le marchand de masques*, lyriscfae Tragddie in
einem Akt vonXouis Merlet, soil der'Komponist im Vcrlauf von spltestens
zwei Jahren fertigzusteilen sich verpflichtet baben.
Jules Massenet: »Ariane", und „Le Pays de Tendre" beissen zwei Opern,
an denen der Komponist arbeitet Beide Textbucber verfasst Catulle Mendes.
Adolf Vogl: „Maja" betitelt sich ein indiscbes Drama, das von dem Munchener
Komponisten als dramatiscbe Dichtung in zwei Aufzugen gedicbtet und in
Musik gesetzt wurde. Das Werk wird seine UrauffQhrung am Kgl. Hof-
tbeater zu Stuttgart erleben.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Bayreuth: Die diesjlhrigen Buhnenfestspiele (zwei Aufruhrungen des ,Ring"
vom 25.;bis 28. Jul! und 14. bis 17. August, sieben des ,Parsifal" am 23. und
Juli, 5., 7., 8., 11. und 20. August, und funf des „Tannfaluser* am 22. Juli,
1., 4., 12. und 19. August) steben unter der Orcbesterleitung von Hans
Ricbter, Karl Muck 'und Siegfried Wagner, als Reservekapellmeister werden
Franz Beidlcr und Michael Balling genannt. Als Solorepetitoren und
musikalische Assistenz auf der Buhne fungieren u. a. Balling, Beidler, Hugo
Kirchner, Julius Pruwcr, Leopold Reichwein, Eduard Reuss. Die Regie
fuhrt Ernst Braunschweig, Regisseur der Kgl. Hofoper-Berlin. Das tech-
nische Personal leitet, wie immer, Friedrich Kranich - Darmstadt Die
Dekorationen und Kostume zu „Parsifal" sind von Paul v. Joukowsky,
die zum „Ring* von Professor Bruckner-Koburg, bzw. Hans Thoma und
Arpad Schmidhammer, die zum 9 Tannhftuser M von Bruckner bzw. Prof.
Josef FIGggen-Munchen. — ^Als Solisten sind tltig im ,Tannhluser":
Paul Knupfer-Berlin^und Dr.' Felix v. Kraus-Leipzig (Landgraf), Fritz Rlmond-
Karlsruhe und Desider Matray - Nowak - Breslau (Tannhluser), Clarence
Whitehill-Kdln, Theodor Bertram, Dr. Konrad v. Ztwilowski-Wien (Wolfram^
Josef Thyssen-Hamburg (Walther), Robert vom Scheidt-Hamburg (Biterolf),
Dr. Briesemeister-Prag (Heinrich), Katharina Fleischer-Edel-Hamburg (Elisa-
beth), Luise Grandjean-Paris (Venus), Gertrude Foerstel-Prag (Hirt). Den
„Tanz der Grazien" wird Isadora Duncan leiten. Im ubrigen werden noch
33 Balletkunstlerinnen aus Berlin, Hamburg und Wien mitwirken. — Im
^Parsifal" treten auf: Dr. Alfred v. Bary-Dresden und Fritz Remond in
der Titelrolle, Ellen Gulbranson und Marie Wittich als Kundry, Felix v. Kraus
und Knupfer als Gurnemanz, Bertram und Perron als Amfortas, Friedrichs
und Eduard Nawiasky-Braunschweig als Klingsor,^v. Kraus und KnQpfcr als
Titurel, Josef Thyssen, Alois Hadwiger-Graz und Carl Leidstrdm-Stockholm
als Ritter,01ga Klupp-Karlsruhe, Hermine Kittel- Wien, Willy Birkenfeld-Breslau
Digitized by
Google
70
DIE MUSIK HI. 19.
£^
und Htns Breuer-Wien als Knappen. — Im „Ring« wird Bertram den
Wotan und Wanderer, Dr. Briesemeister den Loge, Breuer den Mime, Luise
Reuss-Belce die Fricka verkorpern. Nawiasky ist fur den Alberich, Elmblad
fur den Fafner, Richard Mayr fur den Fasolt, Whitehill fur den Donner,
Hadwiger und Remond fur den Froh auserseben. Die Freia ist Frl. Klupp-
Karlsruhe, die Erda Ottilie Metzger-Hamburg ubertragen. Ernst Kraus wird den
Siegfried singen, als Sieglinde ist Marie Wittich, als Brunnbilde Ellen Gul-
branson bestimmt. Die Waltraute-Partie ist Luise Geller-Wolter-Berlin zu-
gewiesen worden, die Gutrune Frau Fleiscber-Edel. Whitehill gibt den
Guntber, Mayr den Hagen, Emilie Feuge-Gleiss-Dessau das Waldvdglein. —
Die Choristen, ca. 50 Damen und 50 Herren sind zumeist aus Berlin,
Schwerin, Hamburg, Karlsruhe, Hannover.
KONZERTE
Berlin: Richard Strauss' „Sinfonia Domestical die bis jetzt nur in New York
und Frankfurt aufgefuhrt wurde, wird in einem der Philharmonischen Kon-
zerte unter Arthur Nikisch zu Gehdr gebracht werden.
Middelburg: Der Gesangverein „Tot Oefening en Uitspanning* beging am
3. und 4. Juni die Feier seines 70j3hrigen Bestehens, verbunden mit
dem 25ja*hrigen Amtsjubittum seines Dirigenten Johann Gleuver, mit
einem zweit&gigen, glSnzend verlaufenen Musikfest. Der erste Tag brachte
Mendelssohns Elias, der zweite Bachs Kantate „Nun ist das Heil und die
Kraft fur Doppelchor und Orchester, Quartette von Brahms fur vier Solo-
stimmen und Klavier, Variationen uber den St. Antoni Choral fur Orchester
von Brahms, Spanisches Liederspiel von Schumann, einzelne Teile aus
Wagners „Meistersinger" und zum Schluss Beethovens „Neunte". Sol is ten
waren das Berliner Vokal-Quartett Jeanette Grumbacher de Jong, Julia Culp,
Ludwig Hess und Arthur van Eweyk.
Sonderburg und Apenrade: Der Oktober 1903 gegrundete Musikverein zu
Sonderburg brachte im vergangenen Winter unter Leitung von Dr. Hermann
Stephani Haydns „Sch6pfung" und Hindels Judas Makkab&us" zur Auf-
fuhrung. Der Erfolg fuhrte zu einer Wiederholung des „Makkabaus" in
Apenrade. In beiden St&dten handelt es sich urn die uberhaupt erste Auf-
fuhrung eines Oratoriums.
Stettin: Das Riemann-Konservatorium veranstaltete wfthrend der Monate
April— Juni 1904 drei Vortrige uber das Thema w Wie h5ren wir Musik"
(Direktor Berthold Knetsch) und funf Vortr&ge uber das Thema w Ge-
schichtliche Entwicklung der Violinsonate von ihren ersten Anflngen an bis
heute" (chronologisch geordnete praktische VorfGhrung von insgesamt 17
die verschiedenen Entwicklungsperioden und ihre Meister charakterisierenden
Sonaten fur Violine mit Klavier, ausgefGhrt von Rudolf Melzer, Lehrer fur
Violinspiel am Riemann-Konservatorium, unter Mitwirkung anderer Lehr-
krafte und verbunden mit historiscben und Ssthetischen ErUuterungen seitens
des Direktors Knetsch).
TAGESCHRONIK
Die neue Opernbuhne in Berlin, das ^National-Theater" am Weinbergs-
weg, wird seine Pforten am 1. September mit der w Hochzeit des Figaro" erdffnen.
Der franzdsische Minister fur Unterricht und die schdnen Kunste erlftsst
ein Preisausschreiben fur eine Oper. Allerdings betrSgt der Preis fur den
Digitized by
Google
71
UMSCHAU
Komponisten nur 2500 Franc, es werdcn tbcr gleicbzeitig 10000 Franc fur die Auf-
fuhrung der pr&miierten Oper im Theatre lyrique zur Verfugung gestellt. Es handelt
sich bei diesem Wettbewerb urn die Schaffung einer zweiaktigen lyrischen Oper,
zu der ein Libretto „La Pupille de Figaro" von Henri Faure bereits vorliegt. Dieses
ist in vielen Exemplaren. auf Staatskosten gedruckt und wird den sich meldenden
Bewerbern kostenlos zugestellt. Es ist ubrigens nicht Bedingung, diss die sich
urn diesen Preis bewerbenden Konkurrenten gerade dieses Libretto vertonen. Es
ist auch gestattet, ein anderes Textbuch zu benutzen, vorausgesetzt, dass der Be-
werber den sonstigen Bedingungen des Preisausschreibens entspricht. Einzelheiten
erfihrt man durch die ^Direction des beaux arts", bureau des theatres, 1 rue de
Valois, Paris.
Die Internationale Musikgesellschaft, die unter der Leitung eines
aus den Herren Professor Dr. Hermann Kretzschmar-Berlin, Dr. Max Seiffert-Berlin
und der Firma Breitkopf & HSrtel-Leipzig gebildeten Presidiums besteht, bait am
30. September und 1. Oktober d. J. in der Gutenberghalle des Deutschen Buch-
gewerbehauses zu Leipzig den ersten Kongress mit folgender Tagesordnung ab :
1. Bericht fiber die erfolgten Arbeiten zur Reorganisation der Internationalen Musik-
gesellschaft 2. Best&tigung der vom Pr&sidium im Februar 1004 angenommenen
neuen Satzungen, eventuell Grundung einer neuen Gesellschaft auf Grund dieser
Satzungen. 3. Vortrage und Debatten.
In Kopenhagen hat sich ein Tonkunstlerverein gegrundet, der in jeder
Hinsicht die Interessen der d&nischen Musiker vertreten soil. Der Verein (Vor-
sitzender: Prof. Otto Mailing), gliedert sich in die Gruppen: Komponisten, In-
strumentalisten, Singer, P&dagogen und Musikschriftsteller.
Im Reichsarchiv zu Christiania sind Bruchstucke altnorwegischer
Kirchenmusik gefunden worden, deren Alter bis in die Wikingerzeit reichen
soil. Die Schriftproben stammen aus dem 0. bis 14. Jahrhundert.
Der Generalintendant des Karlsruher Hoftheaters, Dr. Albert
Burklin, hat die erbetene Entlassung aus seinem Amt vom Grossherzog bewilligt
bekommen.
Der^Komponist.Prof. Philipp Rufer feierte am 7.Juni seinen 60. Geburtstag.
In Detmold wurde auf dem Theaterplatz das von Prof. Hoelbe-Dresden
geschaffene Lortzing-Denkmal enthullt. Die Festrede hielt Prof. Thorbecke.
Dem Liederkomponisten Fried rich Wilh elm Kucken (geb. 1810), Hofkapell-
meister in Stuttgart, soil in seinem Geburtsort Bleckede, Regierungsbezirk Lfine-
burg, ein Denkmal errichtet werden Vi Die Grundsteinlegung fand am 5. Junid. J.
dort gelegentlich eines S&ngerfestes statt.
Am 13. Juni fand auf dem Zentralfriedbof zu Wien die Beisetzung der
Oberreste Johamf Strauss' Vater, Josef Lanners, und seines Sohnes August
Josef Lanner! in der Abteilung der Ehrengrftber und die Enthullung der
GrabdenkmSler statt.
Der Komponist und Dirigent Carl Hirsch in Elberfeld, der kurzlich sein
silbernes Dirigenten-Jubilftum feierte, ist vom Kdnig von Preussen mit dem Titel
»K5niglicher Musikdirektor" ausgezeichnet worden.
Herr Eduard R e us s- Dresden bittet uns mitzuteiien dass Herrn Jean
Chantavoine („Die Musik" Jahrg. Ill, Heft 16) mit seiner Bemerkung, den Liszt-
forschern sei das Vorhandensein der ( Partitur zu 9 Don Sanche" unbekannt ge-
blieben, ein^Irrtum unterlaufen Jst, da Herr Reuss bereits in den „Bayreutber
Biattern" 1900 HI./V. Stuck die Existenz der Partitur festgesteilt h«t,
Digitized by
Google
OPER
STUTTGART: Gerade der Ausgang der Spielzeit hat uns noch . Wichtiges gebracht.
Die Darstellung des Rings, der uberwiegend mit eigenen Kraften durchgefuhrt
wurde, legte ruhmliches Zeugnis ab von der Leistungsfihigkeit unserer Hofbuhne;
ungekurzte Auffuhrungen werden seit Obrist eingehalten. Pobligs Anteil am Musi-
kalischen verdient an erster Stelle bervorgehobenzu werden. Die Neuheit: „Das war ich"
von Blech (Text von Batka) konnte ich leider nicht mehr anhoren. Dagegen wurde mir
noch der Genuss der drei ersten Corregidorauffuhrungen zuteil; im ganzen sind es
deren bis jetzt sechs. Venn Wolfs Oper in Stuttgart ein verstehendes Publikum flndet,
kdnnten scheinbare Misserfolge anderswo nicht am offentlichen Unverst&ndnis liegen?
Endlich einmal zeichnet sich Schwabens Hauptstadt durch ein unerschrocken voran-
gehendes Urteil aus! Dr. K. Grunsky.
WEIMAR: Als harmonischer Nachklang zur 40. Tonkunstlerversammlung des Allg.
Deutscben Musikvereins in Frankfurt a. M. fand in Ilm-Athen am 9. und lO.Juni
eine Cornelius feier statr, deren Hauptzweck war, die beiden Meisterwerke des Dichter-
komponisten, den »C id" und den ,Barbier von Bagdad" nach der Originalpartitur
zu neuem Leben zu erwecken. HSssliche Intrigen sowie die Bevormundung und Ver-
stSndnislosigkeit des Publikums bereiteten dem „Barbiet" bei der Erstauffuhrung am
15. Dezember 1858 unter der Leitung Franz Liszts einen ebrenvollen Durchfall. Liszt
nahm seine Entlassung und Gornelius Srgerte seine Feinde durch eine mit lachendem
Gesicht zur Schau getragene scheinbare Gleichgultigkeit. Besser nahm man seinen im
Jabre 1865 am 22. Mai unter Leitung Stdbrs aufgefuhrten w Cid" auf. Die Lebensfabigkeit
des B Cid" war von kurzer Dauer, und wenn das Werk auch hier und da seine Auf-
erstebung feierte, so blieb es dennoch eine musikalische Eintagsfliege. Felix Mottl uber-
arbeitete sp&ter den „Barbier" fur Karlsruhe und Levi den „Cid" fur Munchen. Nur in
diesen Bearbeitungen haben wir bis jetzt diese beiden Werke gebort. Max Hasse, der
als Musikscbriftsteller und Komponist in Magdeburg lebt und durch die Gunlddbearbeitung
seiner Zeit der Cornelius -Sache nSher getreten ist, bat die Initiative ergriffen und
Herrn Generalintendanten von Vignau fur die Wiedererweckung der beiden Kinder der
Cornelius'schen Muse in der Originalgestalt zu interessieren gewusst. Dank ibm
dafur. Das Weimarische Hoftheater hat mit dieser Tat eine Ehrenpflicht erfullt, die man
dem Meister schuldig war. Leise Zweifel, die man in die Brauchbarkeit der beiden
Originalpartituren setzte, sind nach gl&nzend vollbrachter Tat vdllig geschwunden und
die Frage, warum die Werke uberarbeitet worden sind, drSngt sich unwillkurlich auf.
Zugegeben, dass im Cid, beeinflusst durch den Genius Wagner, die orchestralen Mittel
manchmal zu aufdringlich bebandelt sind und die Singstimme teilweise gedeckt wird, so
ist dies meiner Meinung nach kein Grund zur Umarbeitung. Zugegeben mag weiter
werden, dass die Susserst geschickte Umarbeitung Levis vom praktischen Standpunkt
manches zum Vorteil des Werkes stempelte; der originate Charakter des SchSpfers wird
aber durch derartige gewollte Verbesserungen entschieden verwischt. Ganz Ihnliches
lasst sich von der Bearbeitung Mottls sagen, nur dass man hier noch weniger den Grund
einer solchen einsieht. Wenn man ein Werk durch Surrogate Oder Extraktionen erst
genussrlhig machen muss, urn es einer Zeit- und Geschmacksrichtung anzupassen, so
Digitized by
Google
'Sl
73
KRITIK: OPER
verliert es das historische Interesse und gibt im gunstigsten Ftlle eine Kopie. I elf bin
weit dtvon entfernt, die beiden Bearbeiter anzugreifen, um so mehr, als durch sie das
Interesse an beiden Werken wach gehalten wurde. Die beiden AuffQbrungen haben
uns jedocb zur Bvidenz bewiesen, dass auch ein lebensflhiger Keim in der Urgestaltung
der beiden Werke steckt. Nur mflssen sie dem Publikum oft genug vorgefGhrt werden,
damit es die Scbdnheiten flndet; denn der Menscb muss zur Kunst erzogen werden.
Die rege Teilnabme bewies das Interesse an der Corneliusfeier, und das ist scbon ein
Fortschritt. Lange vor Beginn der Vorstellung sah man vor dem Theater in den Glngen
(Foyer zu sagen wire Beleidigung) eifrigst sprecbende und gestikulierende Menschen.
Hie Originalpartitur — hie Bearbeitung! — Zablreiche Vertreter der musikalischen Welt
sowie Verehrer und Freunde des grossen Kunstlers batten sich zu dieser eigenartigen
Feier eingefunden: aucb der Binder, der Sohn und die Tochter des Dichterkomponisten
wohnten dem Feste bei. Der erste Tag brachte uns den „Cid". Ein von Paul Heyse
stimmungsvoll gedichteter und von Frl. Schiffel mit grosser W&rme gesprocbener Prolog
Ieitete die Feier ein. Inmitten von Blattpflanzen erhob sich die BQste des Meisters.
Feierliche Trompetenfanfaren, die dem Cid (III. Akt Siegesmotiv) entnommen waren, er-
dffneten und schlossen den Prolog. Kriftig begann die schwungvolle Ouverture. Das
Interesse der Festbesucher steigerte sich von Szene zu Szene, von Akt zu Akt, so dass
am Schluss der Oper warmer auf rich tiger Bei fall erscholl. Die Auff&hrung selbst war
vorzuglich. Frau Krzyzanowski-Doxat war eine stimmlich und darstellerisch gleich vor-
zugliche Chimene und Herr Gmiir bot als Cid in jeder Beziehung eine Prachtleistung.
Die vielen und schwierigen Chdre klappten trefflicb, und das Orchester, das mit den
sch lech ten und fehlerhaften Stimmen seine Hebe Not httte, spielte ausgezeichnet. Die
Behandlung des Orchesters ist nicht immer eine gluckliche, da es gegen die Singstimmen
oft zu dominierend auftritt; im grossen Ganzen ist jedocb die Instrumentation sehr
wirkungsvoll. Die Singstimmen lie gen fortw&hrend ziemlich hocb, was der Verbreitung
des Werkes wohl auch mit hinderlich war. In der formalen Behandlung spurte man
uberall den gewandten Musiker, der die geschlossenen klassischen Formen beibehllt
Interessant ist in dieser Beziehung eine Stelle aus einem an das beruhmte Slngerpaar
Milde gerichteten Schreiben, weil sie uns mit der kunstlerischen Grundanschauung des
Meisters bekannt macht. Es heisst darin: w Ich bin stolz auf meine Form; bei dem ge-
schlossensten dramatischen Gesang dennoch alle Rede und Gegenrede zu geschlossenen
Musikstucken zu gestalten, wobei durchgehend die wirkende Melodic in den Mund des
Singers gelegt ist — nicht die uferlose Allmelodie aus .Tristan", die ich nimmer nachahmen
werde.* Trotzdem der Cid eine Reihe pr&chtiger Momente enthait (Ensemble zwischen
Chimene, Cid und Kftnig I. Akt, Vaterunser im II. Akt, Siegesmarsch im III. Akt usw.)
ist kaum anzunehmen, dass das Werk sich dauernd im Spielplan einburgern wird. Die
Handlung des Werkes ist eine zu durftige. Dramatisch bewegte Handlung ist der Lebens-
nerv eines Buhnenwerkes und stockt diese auch einmal, so muss die elementare Kraft fiber-
zeugenden Ausdrucks an deren Stelle treten. Diese Kraft feblt jedocb Cornelius. Weit
mehr liegt ihm das heiter Naturliche. Fur komische Situationen ist das Talent des
Meisters wie geschaffen; dies sehen wir am besten aus seinem „Barbier von Bagdad".
Dieses Werk, das den zweiten Tag der Festauf fun rung bildete, ist ein Geschenk, wie es
die heitere Muse ihrem Liebling nur einmal in den Schoss legt. War der Bei fall am
ersten Tage warm, so war er beim „Barbier* begeistert. Ein wahrer Festjubel durch-
brauste am Schluss der Auffuhrung das vollbesetzte Haus, das die Hauptdarsteller,
Hofkapellmeister Krzyzanowski und endlich den Sohn des Meisters, Herrn Professor Carl
Cornelius an die Rampen rief. Herr Gmur schuf als „Barbier" ein Kabinetutuck. Einen
besseren Vertreter des geschw&tzigen Alten dtirfte es nicht so leicht wieder geben.
Digitized by
Google
74
DIE MUSIK III. 19.
Unterstutzt wurde er trefflichst durcb Kammersanger Sommer aus Berlin als Nureddin,
Frl. vom Scbeidt als Margiana und Frl. Saak als Bostana. Orchester und Chor waren
auch an diesem Abend vorzuglicb. Wenn aucb die Handlung in diesem Werke im
Grunde genommen eben falls ziemlich durftig ist, so genugt vor all em die Figur dieses
Pracbtkerls von einem Barbier, um dem Werke ein dauerndes Leben zu wunschen. Die
flussige originelle Dichtung, der prickelnde Rbythmus, die quellende Melodik und endlicb
die dezente und cbarakteristische Instrumentation stem pel n das Ganze zu einem Meister-
werk allerersten Ranges. Ein flottes und lustiges Musikstuck ist die bisber so gut vie
unbekannt gebliebene Ouverture in h-moll mit ihrem drolligen Schluss. Dem Werke ist von
ganzem Herzen die weiteste Verbreitung zu wunschen. M6ge es sicb jede Tbeaterleitung
zur Eh re rechnen, dem drolligen Kauz von Barbier eine dauernde Heimst&tte zu sichern.
Von den ersten Darstellern dieser beiden Meisterwerke leben nocta Frau von Milde
(Margiana und Cbimene) und Herr Knopp (Kdnig), die als Ehreng&ste den Auffuhrungen
beiwohnten. Welche Genugtuung und Freude mag es diesen beiden Kunstlern be-
reitet haben, den von Wolken verdunkelten Stern Cornelius' im neuen Lichte er-
strahlen zu seben. Das Weimarische Hoftbeater aber kann den vielen Ruhmesbiattern
grosser Taten ein neues hinzufugen. Carl Roricb.
KONZERT
BERN: Mit einem grossen Konzert der zu einem gemiscbten Chor von sebr bedeutender
Klangfulle zusammengetretenen Gesangvereine CScilienverein und Liedertafel fand
die diesj&brige Konzert- Saison ihren Abscbluss. Zur Auf fun rung gelangten Schumanns
„Szenen aus Faust" in vortrefflicber Ausfuhrung. Unter den Solisten ragten besonders
bervor der Karlsruher Bariton Haas und Mary Munchhoff aus Berlin. Die Abonnements-
konzerte der Musikgesellscbaft brachten zum ersten Male ein Orchesterwerk von Richard
Strauss, n&mlich „Don Juan". Bemerkenswert war die Tendenz des Leiters Dr. Karl
Munzinger, den Program men einen mdglichst einheitlichen Charakter zu geben; so hatten
wir einen Schumann-Abend, ein Program m mit den Namen Haydn, M6hul, Mozart, ein
anderes mit Berlioz und Tschaikowsky. An bedeutenden Solisten seien genannt Artur
Scbnabel (Klavier), Jean Glrardy (Violoncello), Nina Faliero (Sopran) und Hans Giessen
(Tenor). ErwShnenswert durfte auch sein, dass im Weihnachtskonzert des »C5cilien-
vereins" zum ersten Male ein Werk von Bruckner, das Tedeum, mit grossem Erfolg
aufgefuhrt wurde. Die grossen Symphoniekonzerte fanden im neuen Stadttheater statt.
G. Bundi.
BROSSEL: Das funfte Konzert Ysaye gestaltete sich zu einem grossartigen Triumph
fur Eugfene Ysaye, der in unbeschreiblich schoner Weise die Konzerte von Bach
e-moll, Beethoven und eine Symphonic fur Orchester und Violine von Vreuls, einem in
Paris lebenden Belgier, spielte. Crickboom, der famose Scbuler Ysaye's (der seine Stelle
als Direktor der Konservatoriums in Barcelona aufgegeben hat und wieder nach Brussel uber-
gesiedelt ist), dirigierte das Orchester und erwies sich sowohl mit der zu Anfang gespielten
Ouverture aus der h-moll Suite von Bach wie in der Begleitung der Konzerte als ein sebr
begabter und feinsinniger Kapellmeister. Im letzten Konzert Crickboom errang Edouard
Risler mit Beethovens Sonate op. Ill und dann mit Crickboom in der Kreutzersonate
einen unbestrittenen Erfolg. Frau Brema bewies in einem Liederabend, dass sie noch
immer im Vollbesitz ihrer schonen Stimmmittel ist. lhre temperamentvollen Vortr&ge
wurden sehr bejubelt. Der mitwirkende Baritonist Francis Braun imponierte durch seine
prachtvolle Stimme. Felix Welcker.
DORTMUND: Mit einigen bedeutungsvollen Konzerte n ist die heurige Saison nun
beendet. Zum Besten der Pensionskasse des Pbilharmonischen Orcbesters verhalf
Digitized by
Google
&.
75
KRITIK: KONZERT
der Chor des Konservatoriums dem „Requiem" von Verdi unter Holtschneiders sichcrcr
Leitung zu eincr lobenswerten Auffuhrung, indem die Chdre klangvoll wirkten und die
Solopartieen bei Frau Cahnbley-Hinken, Frl. Grafe und den Herren Bruns und BSpple
in guten H&nden lagen. Das Orchester bot Beetbovens „Neunte" mit denselben Vokal-
Krfften. Sie fand unter Huttner eine genussreiche Wiedergabe. Im Schlusskonzert des
Masikvereins fand das Werk des franzdsischen Komponisten Doret „Die steben Worte
des Erasers" seine Erstauffubrung in Deutscbland. Das Vorwiegen der Klangtecbnik
bei der unverkennbaren Neigung des Komponisten zur modernen Tonmalerei mutet einen
deutscben Hdrer fremd an, zumal ihm die Passionsmusik unserer Meister zu tief im
Ohr und GedSchtnis wurzelt. Da zudem die Solisten, Herr Kordewan-Berlin und Frau
Hiller-K61n, ihre Partie nur unvollkommen bewaitigten, so konnte das Werk trotz der
Sicherheit und Schlagfertigkeit der Chdre und des Orchesters unter Janssens Leitung
nicbt erhebeo, well es das religidse Gefubl im Herzen nicht ausldste. Lamond spielte
Liszts Es-dur Konzert und verschiedene Soli mit ebenso viel Zartbeit und Anmut, wie
geistiger Scbwerkraft des Empflndens, und Janssen verhalf Brahms' F-dur Sympbonie
zu einer schwungvollen Auferstebung. Paul Scheinpflug fuhrte uns an einem ihm ge-
widmeten Abend sein vom Tonkunstlerfest in Basel her bekanntes E-dur Konzert vor,
in dem er sich als warmblutiger Musiker bet&tigt. In „Worpswede", Stimmungen aus
Niedersachsen fur mittlere Singstimme, Violine, engl. Horn (Viola) und Klavier hat er
mit Gluck die Einsamkeit dieses stillen, braunen Landes erfasst und musikaliscb ge-
zeichnet. Um die Wiedergabe machten sich der Baritonist Scbleicher-Bremen und unser
Konservatoriums -Quartett recbt verdient. Bedeutungsvoll hob sich das Konzert des
Lehrer-Gesangvereins hervor unter seinem neuen vielseitigen Leiter, Musikdirektor Laugs.
Stimmungsvoll wurden einige seiner Lieder von Frau Lattnhardt-Arnoldi vorgetragen; als
begabter Pianist zeigte er sich in Liszts „Phantasie fiber ungarische Volksweisen", und
in einer Reihe von Volks- und Kunstgesangen bekundete er seine Oberlegenbeit auf
dem Gebiet der Leitung des M&nnergesanges. In einem vom hiesigen Zweigverein des
roten Kreuzes zum Besten der Truppen in Sudwest-Afrika veranstalteten Orgelkonzert
zeichnete sich die Wiedergabe des g-moll Konzerts von Rheinberger durcb pikante
Registrierung und klares Spiel seitens des Herrn Holtschneider aus. Frau Dr. Elbers-
Dusseldorr bereicherte das Konzert durch den Vortrag einiger Arien und Ges&nge von
Hindel und Brahms. Heinrich Bulle.
LEIPZIG: Der«letzte Monat hat noch nach Schluss der eigentlichen Konzertsaison
einige grdssere Musikauffuhrungen vorwiegend festlichen Charakters gebracht und
zwischen diesen ein Orgelkonzert des seinerzeit am hiesigen kgl. Konservatorium durch
Prof. Homeyer vorgebildeten, sehr luchtigen Organisten Emanuel Nowotny. Ein Extra-
Gewandhauskonzert mit ziemlich stereoiypem Festprogramm (dritte Leonorenouverture,
d-moll Symphonic von Schumann, Les Preludes, TannhSuser-Ouverture und Gesang-
vortrfge von Helene Staegemann) wurde seitens der Sjadt den Teilnehmern am Kongress
fur innere Medizin dargeboten, — zu wobltStigem Zweck ffibrten die von Gustav
Wohlgemuth geleiteten Vereine Leipziger Mannerchor" und „Leipziger Singakademie*
unter solistischer Mitwirkung der Damen Emma Ruckbeil-Hiller, Wanda Gaehde, und
der Herren Emil Pinks und Alfred Kase zweimal Ernst H. Seyffardts stimmungsreiche
und patriotisch wirksame Konzertkantate „Aus Deutschlands grosser Zcit" auf. Bedeutsamer
aber, als diese Veranstaltungen wirkten ein Festaktus und zwei Konzerte in der Thomas-
kirche, mit denen Leipzigs ruhmreicher Riedel-Verein den Abschluss einer funfzigj&hrigen,
wahrhaft kunstverdienstlichen Konzerttfttigkeit feierte. Der Festaktus, der viel dankbares
Ruckerinnern an den vortrefflichen Carl Riedel und an die Bemuhungen der seitherigen
Leiter und Fdrderer des Vereins, sowie berzlichste Gluck- und Segenswunsche fur den
Digitized by
Google
76
DIE MUSIK HI. 10.
-£
jubilierenden Verein brachte, gipfelte in der DtrbietuDg ciner von Bildhauer Adolf Lehnert
modellierten und mit dazugebdrigem Marmorpostament von Mitgliedern und Freunden
dea Vereins gestifteten Marmorbuste Carl Riedels an den Rat der Stadt und in der
dankbaren Entgegennabme dea schdnen Denkmals, das im stldtischen Museum Plate
flnden soil. Das sebr schSn gelingende erste Festkonzert gab gleicbsam ein Bild von
der Entwicklung der evangelischen Kirchenchormusik, indem als Hauptnummern sich
ein alter Choralsatz von Hans Leo Hassler, eine sehr ausdrucksreiche und von Jobanna
Dietz scbfa vorgetragene Solokantate fGr Sopran mit Streicbinstrumenten und Continuo
von Franz Tunder, die Motette fur Soli und Doppelcbor w Singet dem Herrn ein neues
Lied* von Job. Seb. Bach, den doppelcbdrigen Psalm ,Richte micb Gott und fuhre meine
Sache" von Felix Mendelssohn-Bartboldy und die acbtstimmigen „Fest- und Gedenk-
sprfiche* von Johannes Brahms aneinanderreihten, zwischen die Sologesinge von Hugo
Wolf und Georg Gdbler und ein sehr scbdner Vortrag der Bachschen Orgel-Tokkata in
d-moll durch Prof. Homeyer eingeffigt waren. Zu einer grossen, wan rb a ft idealen Kunsttat
wurde aber das zweite Festkonzert, das einer nahezu ganz vollstlndigen Auffuhrung des
Oratoriums „Ghristus" von Franz Liszt gait. Unter vortrefflicber gesangsolistiscber Mit-
wirkung von Johanna Dietz, Luise Geller, Emil Pinks und Karl Scheidemantel und mit
feinkGnstlerischer instrumentaler Unterstutzung durch Prof. Homeyer (Orgel) und das
Gewandhausorchester brachten Dr. Georg Gdbler und der Riedel-Verein die monumen-
tal Schdpfung des mit der Geschichte des Riedel-Vereins eng verwachsenen Meisters
Liszt mit so vollkommener Schdnheit und so ekstatiscber Inbrunst und Begeisterung zur
Wiedergabe, dass die Hdrenden ob staunendem Bewundern und andacbtsvoller Ergriffen-
heit die ungewdhnlich lange Dauer des Konzertes (nahezu 3 1 /! Stunde) kaum spurten,
sondern die Thomaskirche mit dem erhabenen Gefuhl verliessen, Mitteilnehmer einer
wahrbaft inspirierten Kunstfeier gewesen zu sein. So begleiten denn die aufrichtigsten
Wfinscne vieler den Riedel-Verein in das zweite balbe Jahrhundert seines Wirkens, das,
nach den warmherzigen Worten des Vereinsdirigenten Dr. G8hler, „im Geiste Lisztscher
Kunstpflege aller edelsten Kunst ohne irgendwelcbe Parteilicbkeit und ganz um ihrer
selbst willen" gelten soil. Mit einem Hinweis darauf, dass in der Johanniskirche noch
eine Auffuhrung von Albert Beckers Oratorium M Selig aus Gnade" — im Bach-Verein
aber noch eine Kammermusik-Matinee mit h-moll-Suite fur Fldte, Streichinstrumente
und Gembalo, Solokantate: „Weichet nur, betrubte Schatten" und zweitem branden-
burgiscben Konzert des Altmeisters bevorsteben, seien die Berichte fiber die Leipziger
Konzertsaison 1903—1004 nunmehr zum Abschluss gebracht Arthur Smolian.
LOBECK: Die bedeutsamste Novitlt boten unsere unter der Leitung von Herrn Afferni
stehenden Symphoniekonzerte in Richard Strauss' w Also sprach Zarathustra". Von den
Solisten hinterliessen Frau Carreno, Frau Herzog sowie die Herrn Pugno und Marteau
den nacbhaltigsten Eindruck. Professor Nikisch dirigierte die h-moll Symphonie von
Tschaikowsky. Ein Konzert des Winderstein-Orchesters verschaffte uns die Bekanntschaft
von Hugo Wolfs „Penthesilea", deren letzter Satz allerdings auf Widerspruch stiess.
Die unter Prof. Spengel-Hamburg stehende Singakademie brachte die „Jahreszeiten",
w Saul* von Hftndel-Cbrysander und Bachs ^Johannespassion*. Wachsender Anteilnahme
erfreuten sich die ausschliesslich Beethoven gewidmeten Violin-Sonatenabende des
KQnstlerpaares Afferni. Auch die Kammermusikabende von Frl. Herrmann erwiesen
sich wieder als k&nstlerisch bedeutungsvoll. Der 9 Vereinigung fur kirchlichen Cbor-
gesaog" verdankten wir einen Bach-Abend, der trotz des billigen Eintrittsgeldes von zehn
Pfennigen zu den gelungensten Auffuhrungen zftblte. Von den wenigen Solistenkonzerten
verdient die fur Max Reger reservierte Matinee des Orgelvirtuosen Dr. Dettmer
aus Quakenbruck besondere Erwlhnung. Der 9 veri dilettanti e conoscjtori di musics",
Digitized by
Google
77
t ^O^ KR1TIK: KONZERT
urn mit Boccherini zu reden, offenbarte sich als ein hochbedeutender Kunstler, der Regera
d-moll Sonate technisch und musikalisch unubertrefflich wiedergab. Dass der in seinen
Ausdrucksmitteln urwuchsige Bayer unter den Freunden des Orgelspieles festen Fuss
fasste, ist neben Dr. Dettmer auch auf das Konto unseres trefflichen Domorganisten
Herrn Ley zu schreiben. J. Hennings.
MARBURG a. d. Lahn: Im Mittelpunkt des Musiklebens standen auch dies J ah r die
Konzerte des „ Akademischen Konzertvereins" unter seinem verdienten Leiter,
Prof. Gustav Jenner. Die Hauptschwierigkeit bietet das schwache, wenig geschulte
Orchester, so dass das erste Konzert unter einer schwerffilligen Wiedergabe der Mozart-
schen Jupiter-Symphonie zu leiden hatte. Gabriele Wietrowetz spielte das Konzert in
g-moll und die ungarischen T&nze von Brahms mit gutem Erfolg. — Einen bedeutend
hdheren Genuss bedeutete das letzte Orchesterkonzert, an dem Schumanns „Paradies
und die Peri* aufgefuhrt wurde. Das Hauptverdienst gebuhrt Frau Ruckbeil-Hiller aus
Stuttgart fur ihre in jedem Betracht ausgezeichnete Leistung als Peri. Agnes Leyd-
hecker-Berlin (Alt) und Prof. Freytag^Besser-Stuttgart (Bass) waren tuchtig, Willy Schmidt-
Frankfurt als Evangelist dagegen gesanglich nicht ausreichend. Der Ghor unter Prof.
Jenner hielt sich wacker. — Bernhard Stavenhagen bewies in einem andern Konzert des
Akademischen Konzertvereins seine reife Kunstlerschaft an Mozart, Beethoven, Schubert,
Schumann, Liszt. — Die Kammermusik wurde in diesem Winter uberreichlich gepflegt.
Zun&chst in zwei Veranstaltungen des Konzertvereins vom Joachim-Quartett und vom
Frankfurter Heermann-Quartett. Ober die vollendete Meisterschaft des Joachimquartetts
(Mozart G-dur, Schubert d-moll, Beethoven Es-dur) ist kein Wort begeisterten Entzuckens
zu viel. Nicht auf gleicher Hdhe, obschon ganz ausgezeichnet war das Spiel der Frank-
furter (Mozart d-moll, Beethoven G-dur und Verdi's Quartett). — Ferner gaben die
Frankfurter Herren Bruck, Ratzka, Lembcke, Beyer-Hau6 vier Kammermusik-Abende.
Sie spielten fast ausschliesslich klassische Musik. Sie sind tuchtige Musiker, uberragen
jedoch nicht ein gutes Mittelmass. Ihr Klavierpartner Georg Adler verdient lobende
Erwihnung. — Der Trioabend, an dem Prof. Jenner, Adolf Rebner und Johannes Hegar
Schuberts Trio op. 99 und Schumanns d-moll Trio gut zu Gehor brachten, nahm einen
gunstigen Verlauf. Rebners geist- und kraftvollem Spiel gebuhrt hohe Anerkennung.
Die einheimische Sopranistin Mimie Wittichen sang schottische Lieder von Beethoven.
Sie hat ein h&bsches Talent, ist aber gesangstechnisch noch unfertig. — Alexander
Petschnikoff gab willkommene Gelegenheit, die enorme Fulle seines Tones und seine
technische Vollendung in seinem minnlich-edlen Spiel zu bewundern bei der d-moll
Sonate von Brahms und dem zweiten Konzert von Wieniawski. Sein eigner „Russischer
Tanz" hat nur Verbluffungswert. Dagegen enttiuschte die unausgeglichene Stimme der
Frau Gassie Helmrich-Hofmeister in Liedern von A. Bungert, Schubert, Richard Strauss;
ihr Vortrag ist durchdacht. Hermann Zilcher zeigte sich als feinen Geist in der Klavier-
begleitung. — Irma Singer-Sethe ist die hervorragendste Geigerin, die Marburg in den
letzten Jahren gehdrt hat Mozarts Es-dur Konzert und Schuberts Rondo in d-moll spielte
sie mustergultig. Ludwig Hess kam mit ihr, ein Marburger Kind, und erntete ver-
dientermassen mit seiner Prachtstimme st&rmischen Applaus fur Lieder von Schumann,
Schubert, Strauss, Wolf u. a. Bruno Hinze-Reinhold begleitete sehr tuchtig. — Aus den
Orchester-Konzerten ist das des trefflichen Homburger Kur-Orchesters hervorzuheben.
Holz- wie Blechbliser sind ausgezeichnet. Vortrefflich gefuhrt von Kapellmeister Iwan
Schulz, erzielte es mit Beethovens Symphonie No. 2 einen vollen Erfolg.
Alfred Scheel.
REICHENBERG i. B.: Ein Kompositions-Abend des blinden, jugend lichen Her-
mann Kdgler vermochte nur geteiltes Interesse hervorzurufen. Auf hdchster
Digitized by
Google
78
DIE MUSIK III. 19.
Stufe standen die drei Konzerte des Vereins der Musikfreunde mit Frau Schumann-
Heink (am Klavier Prof. Ed. Reuss, der akademisch tadellos Cbopin und Liszt spielte),
Gesare Thompson, der bei vorzuglicher Disposition mit dem vierten Violinkonzert von
Vieuxtemps, dem ersten Satz des zweiten Bruch-Konzerts und einer Phantasie von
Paganini grdssten Genuss bot, und der Trio-Vereinigung Halir, Schumann, Dechert,
(statt Halir in letzter Stunde Dessau), die mit dem Trio von Brahms op. 87, Trio von
Mendelssohn op. 49 und Kreutzer-Sonate den grdssten Triumph erzielten. — Ein Konzert
der vereinigten Lehrergesangvereine von Gdrlitz, Zittau und Reichenberg brachte neben
prSchtigen Massenchdren hervorragende Einzelleistungen. Ein eigenes Hugo Wolf-Konzert
mit dem Tenoristen Bergen (Munchen) und Agnes Bricht-Pyllemann gestaltete sich zu
einer erhebenden Gedenkfeier. In einem Liszt-Abend des „Verein fur ernste und heitere
Kunst" vertrat in den beiden Klavierkonzerten und den Totentanz-Variationen Herr
Kestenberg, ein Busonischuler, mit respektabler Technik, bedeutendem Kdnnen und
gutem Ged&chtnis den Klavierpart. — Hervorragenden Aateil am Musikleben Reichenbergs
nimmt der M&nnergesangverein, der vor Jahresfrist fur seine Verdienste urn die Pflege
des Kunstgesanges vom Kaiser mit der grossen goldenen Medaille fur Kunst und Wissen-
schaft ausgezeichnet wurde und in den interessanten Programmen seiner Liedertafeln
stets Novitaten deutschbohmischer Komponisten, Prochazka, Mohaupt etc. auffuhrt. —
Am 9. und 10. April fand zur Feier des zehnj&hrigen Grundungsfestes des Vereins der
Musikfreunde ein zweit&giges Musikfest statt unter Mitwirkung des Singvereins der Ge-
sellschaft der Musikfreunde in Wien, des Orchesters des Wiener Kouzertvereins, der
Solisten Marie Seyff-Katzmayr (Wien), Virginie Fournier (Wien), Carl Jorn (Berlin) Moritz
Frauscher (Wien). Die Leitung hatte Direktor Ferdinand Loewe (Wien) inne. Das Orchester
leistete mit Bruckners vierter romantischer Symphonie, R. Strauss' „Tod und Ver-
kl&rung", Beethovens „Neunter" Hervorragendes. Das Programm enthielt ferner ein
„Festlied" von Camillo Horn, das beifillig aufgenommen wurde, Chorlieder von Brahms
und Hugo Wolf, dessen „Feuerreiter" wiederholt werden musste, den Schlusschor aus
den „Meistersingern", eine Serenade von Mozart und Sololieder fur Bass (H. Frauscher). —
Fur Provinzverh<nisse bildete dieses Musikfest mit seinen erstklassigen Leistungen
einen imponierenden und wurdtgen Abschluss der diesj&hrigen Konzert-Saison.
Dr. Schier.
REVAL : Die Musikpflege in unserer Stadt hat unter einem wesentlichen Mangel fuhlbar
zu leiden : dem Mangel eines ausreichenden Orchesters. Es fehlt hier daher in der
Regel an guten Symphoniekonzerten, die unter normalen Verh<nissen in andern, auch
kleineren St&dten, einen so wesentlichen Faktor der musikalischen Produktion darstellen.
So wire denn auch fur die nun abgeschlossene eigentliche Saison in dieser Beziehung
ein betrubliches Manko zu verzeichnen, wenn nicht eine Nachsaison hierin Abhilfe
schaffte. Kapellmeister Georg Schndevoigt gedenkt uns, wie schon im Vorjahre, den
Mai uber erstklassige Orchestermusik vorzufuhren — diesmal an der Spitze des renom-
mierten Warschauer Philharmonischen Orchesters. In der verflossenen Saison standen
somit die Solistenkonzerte im Vordergrunde des Interesses. In dieser Beziehung ist
unsere alte Hansestadt kaum schlechter daran als andere mittelgrosse Stftdte in
Deutschland. Vor allem an Gesangsabenden hat es in der verflossenen Saison
eine stattliche Reihe gegeben. Die seit lingerer Zeit hier ausserordentlich beliebte
Anna Stephan hat in neuerer Zeit in der sturmisch gefeierten Lula Mysz-Gmeiner
eine gefihrliche Rivalin erhalten. Erstmalig erschien in diesem Winter bei uns der
Charakterkopf Ludwig Wullners, dessen zwingende Individualist das Publikum zu be-
sonders enthusiastischer Bewunderung hinriss. Durch uberzeugende Wftrme und Inner-
lichkeit des Vortrags bei schonen Stimmmitteln erfreute die Altistin Hanna Grundahl,
Digitized by
Google
79
KRITIK: KONZERT
durch dramatisch-beredtes Temperament Matja v. Niessen-Stone. Raimund v. Zur Muhlen
beschrinkte sicb diesmal erstaunlicberweise auf ein Kirchenkonzert, das ibn nicht von
seiner vorteilhaftesten Seite zeigte. Mancbes Interessante bot ein Lieder- und Duettabend
des Ebepaars Magda und Franz v. Dulong. Weniger zahlreicb waren in der verflossenen
Saison die Klavierabende. Moriz Rosenthal verbluffte mit seiner automatenhaften
v PrSzisionsmecbanik M mebr als dass er durch Tiefe der Auffassung gefesselt hStte.
Sofle Menter zSblt nun gleich falls, fur Russland wenigstens, zu den Konzertmuden; ibr
Abschiedskonzert entfesselte noch einmal die Manifestationen einer allseitigen begeisterten
Verebrung. Die pianistiscbe Jugend prSsentierte sich uns in Paula Szalit, an der neben
all den fesselnden Einzelheiten ihres Spiels ein bemerkenswertes Kompositionstalent zu
konstatieren war, und dem jungen Petersburger Th. Lemba in sympathiscber Gestalt.
In einem Konzert des in seiner Dirigenteneigenschaft scbon erw&hnten vortreff lichen
Cellisten G. Schn6evoigt erwies seine Gemahlin, Frau Lundgren-Schn6evoigt, ihr sebr
erheblicbes tecbniscbes und vortragliches Konnen. — Als Vertreterin der Geige mit aus-
gereifter Technik und starkem Temperament fubrte sicb Irma Saenger-Sethe ein, als ein sehr
vielversprechendes, hocbsympatbiscbes Talent die jugendlicbe Erica Besserer. Vielleicht
den st&rksten kunstleriscben Erfolg der ganzen Saison aber erzielte das Brusseler
Streicbquartett mit seinen geradezu idealen Leistungen. — Das Verstandnis fur musika-
lische Darbietungen wie die letztgenannten nach Krfften zu erwecken und anzuregen, tfsst
sich der hiesige Kammermusikverein erfolgreich angelegen sein. Unter der Leitung
des Musikdirektors E. Peterson bringt der V ere in an funf Abenden Werke fur Streich-
orchester und Kammermusik im engern Sinne, wobei am Flu gel mebrere unserer
tuchtigsten Klavierlehrerinnen und -lehrer mitwirken. An grosseren Werken wurden
z. B. Volkmanns d-moll Serenade, HSndels Oboekonzert, Tschaikowsky's a-moll Trio, die
Klavierquintette von Brahms und Schumann gebracht. — Von unseren Gesangvereinen
vereinigte sich der Slteste der hiesigen gemischten Cbdre, der .J&kelsche Gesangverein"
mit dem „MSnnergesangverein* unter dem gemeinsamen Dirigenten E. Peterson zu einer
sehr gelungenen Auffuhrung von Klughardts „Zerst5rung Jerusalems". Das grosse
Wagnis, mit dem in den Mannerstimmen nicht starken w Nikolai-Gesangverein" die
v Missa solemnis" vollstSndig — zum erstenmal in Reval! — vorzufuhren, gelang dem
Dirigenten G. Turnpu in anerkennenswerter Weise. Der Chor zeigte, wenn auch nicht
immer das ndtige Stimrovolumen, doch stets Sicherheit und PrSzision auch an schwierigsten
Stellen. Den Hauptanteil am Gelingen hatte das Soloquartett: Frau Seyff-Katzmayr,
Frl. Thomas, Karl Dierich, Fritz Fiedler. Weit weniger befriedigte freilich das Orchester.
Als Gharfreitagsauffuhrung brachte der jakelsche Verein in bemerkenswerter Weise, wenn
auch nicht mit ersten KrSften in den Solopartieen, die G-dur Messe Beethovens — leider
nach der uberragenden Scbwester in D-dur. O. Greiffenhagen.
Digitized by
Google
ANMERKUNGEN ZU
UNSEREN BEILAGEN
Zu dcmJArtikel von Dr. Altmann fiber die Kdnigliche Preussische Hofkapelle gehdren die
Portrfits auf den vicr ersten Bl&ttern unserer Beilagen. Sie stellen dar die Inten-
danten: Graf Karl von Brfihl und Graf Wilhelm von Redern und die Kapell-
meister: Karl Heinrich Graun, Karl Friedrich Christian Fasch, Johann Fried rich
Reich ardt, Vincenzo Righini, Bernhard Anselm Weber, Friedrich Heinrich
Himmel, Bernhard Romberg, Gasparo Spontini, Georg Abraham Schneider.
Den ersten Leiter des ^Collegium Musicum Academicum Wirceburgense", Franz Josef
Frohlich, erblicken wir auf dem nSchsten Blatt. Gleich falls zum Artikel von
Dr. Kliebert gehdrt das hubsche Ex libris. Die KSnigl. Universitltsdruckerei in
Wurzburg hat uns die Klischees in liebenswurdiger Weise zur Verfugung gestellt
Am 16. Juni waren 100 Jahre seit dem Tode Johann Adam Hillers vergangen. Das
Portrit, das wir auf der folgenden Beilage zur Wiedergabe bringen, ist nach
einem schdnen alten Stich gefertigt. Am 25. Dezember 1728 zu Wendisch-Ossig
bei Gdrlitz geboren, studierte er auf dem Gymnasium zu Gdrlitz und auf der
Kreuzschule zu Dresden, bezog 1751 die UniversitSt Leipzig, wurde 1754 Hauslehrer
beim Grafen Brfihl in Dresden und nahm 1758 seinen bleibenden Aufenthalt in Leipzig.
Hier erwarb er sich um das Konzertwesen bedeutende Verdienste, legte den Grund
zum Ruhm der Gewandhauskonzerte und Hess sich die Fdrderung der Gesangs-
kunst besonders angelegen sein. Zu seinen Schulerinnen zfiblten u.a. Corona Schrdter,
Gertrud Schmfthling-Mara und die Schwestern Podleski. 1782 organisierte er dem
Herzog von Kurland in Mitau eine Kapelle und erhielt den Kapellmeistertitel samt
einer Pension. Die Bedeutung Hillers liegt in seinen Singspielen, die den Aus-
gangspunkt der deutschen Spieloper bilden, und in seinen seinerzeit nicht minder
popul&ren Liedern. Als Schriftsteller ist er besonders durch die Herausgabe der
iltesten wirklichen Musikzeitung „W6chentliche Nachrichten und Anmerkungen,
die Musik betreffend" (Leipzig, 1766—1770) bemerkenswert.
Seinen 80. Geburtstag feierte am 23. Juni Karl Reinecke, der treffliche Dirigent, be-
deutende Komponist und vorzugliche Klavierspieler in Leipzig, dessen Portrit wir
auf dem nichsten Blatt wiedergeben.
Es folgt das Bild des popul&ren Liederkomponisten Karl Friedrich Curschmann, geb.
21. Juni 1804 zu Berlin. Die Vorlage ist eine Lithograph ie von F. Jentzen nach
dem Gemfilde von Ed. Magnus.
Zum Schluss dedizieren wir unseren Lesern das Ex libris zum III. Quartal des dritten
Jahrgangs.
Nachdruck nor mit ausdriicklicher Erlaubnis des Verlages gestattet
Alle Rechte, insbesoadere das der Obersetsung, vorbehalten.
ffir die Zuracksendung unTerlangter oder nicht angemeldeter Msnntkripte, £slls ihaen nicht genfigead
Porto beiliegt, uberaimnU die Redaktion keine Garantie.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin SW. 11, Luckenwalderstr. 1. HI.
Digitized by
Google
z
Oi
a
w
OS
z
o
>
u
X
<
a
x
o
OQ
z
o
>
(Li
a
UJ
J
tu
O
X
z
w
X
U
co
53
CO
D
UJ
a*
a-
z
w
X
y
a
z
o
w
Q
ua
H
X
y
x
u
CO
w
O
D
N
Digitized by
Google
*•; ••• •
*• • • •
• ••• • *
Digitized by
Google
KARL FRIEDRICH CHRISTIAN FASCH
JOHANN FRIEDRICH REICHARDT
KARL HE1NRICH GRAUN
ZUR GESCHICHTE DER KONIGLICHEN PREUSSISCHEN HOFKAPELLE
III. 19
Digitized by
Google r
Digitized by
Google
BERNHARD ANSELM WEBER
VINCENZO RIGH1NI
FRIEDRICH HE1NR1CH HIMMEL
ZUR GESCHICHTE DER K6NIGLICHEN PREUSSISCHEN HOFKAPELLE
III. 19
Digitized by
Google f\
Digitized by
Google
BERNHARD ROMBERG
GEORG ABRAHAM SCHNEIDER
GASPARO SPONT1NI
III. 19
ZUR GESCHICHTE DER K6NIGL1CHEN PREUSSISCHEN HOFKAPELLE
Digitized by
Google
Digitized by
Google
FRANZ JOSEF FR6HLICH
III. 19
Digitized by
Google
Digitized by
Google
6»4»>*0ijz, 7*>wc*i ( ^i£a£*'
EXLIBR1S DER AKADEMISCHEN
MUS1KGESELLSCHAFT IN WORZBURG. 1708
HI. 19
Digitized by
Google
Digitized by
Google
fl6.JUNI 1804
HI. 19
Digitized by
Google
Digitized by
Google
III. 19
Digitized by
Google
Digitized by
Google
w
KARL FRIEDR1CH CURSCHMANN
*21. JUNI 1804
III. 19
Digitized by
Google
Digitized by
Google
FOr den III. Quartalsband des
III. Jahrgangs der .MUSIK"
III. 19
Digitized by
Google
Digitized by
Google
DIE MUSIK
4. WAGNER-HEFT
^
Venn ich, wie et eben beim Instrumentieren geschieht,
mit letzter Beruhigung mich dem Genuss meiner eigenen
Schdpfung hingebe, versinke ich zugleich oft in eine
Unendlichkeit von Gedanken, die mir unwillkurlich die
durchaus eigentflmliche, und der Welt ewig unverstSnd-
liche Nitur des Dichters, des Kunstlers darstellen. Das
^ i Wunderbare, und der gewdhnlichen Lebensanschauung
' ganz Entgegengesetzte, erkenne ich dann recht deutlich
darin, diss, wShrend jene sich immer nor an der Hand-
babe der Erfahrung hinzieht und zusammensetzt, die
dichterische Anscbauung vor aller Erfahrung, ganz
aus eigenster Potenz, das erfasst, was alter
Erfahrung erst Bedeutung und
Sinn giebt.
Richard Wagner an Mathilde
Wesendonk
(,
I
III.JAHR 1903/1904 HEFT 20
Zweites Juliheft
Herausgegeben
von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig
Digitized by
Google
Hans von Wolzogen
Was hat Richard Wagner seinem Volke hinterlassen? I.
Kurt Mey
Romanische „Ring*-Ubersetzungen.
Rudolf M. Breithaupt
Richard Wagners Klaviermusik,
Robert Petsch
Gurnemanz.
Dr. Edgar lstel
Ein Brief Wagners an Frau Betrj Schott.
Besprechungen (Bucher).
Revue der Revueen.
Umschau (Neue Opern, Aus dem Opernrepertoire,
Konzerte, Tageschronik).
Kritik (Konzert).
Anmerkungen zu unseren Beilagen.
Kunstbeilagen.
Anzeigen.
DIE MUSIK crscbelnt monatllch zwei Mai. Abonoemcnts-
pre. ftf du Qu.rtal 4 Mirk. Abonnementspreis AT den
Jahrgang 15 Mirk. Preis des einzelnen Heftcs I Mark
Vierteljahrseinbanddecken a 1 Mark. Sammelkasten fUr die
Kunstbeilagen des ganzen Jahrgangs 2,50 Mark. Abonnements
durch jedeBuch- und MusIkaHenbandlung, fur kleine Plarze
ohne BuchhandJer Beiug durch die Post: No. 5355a
II. Nachtrag 1903.
Digitized by
Google
WAS HAT RICHARD WAGNER
SEINEM VOLKE HINTERLASSEN?
von Hans von Wolzogen-Bayreuth
^ie Welt der Offentlichkeit ist heutzutage ein Wald von Blattern.
Dieser Wald ward in letzter Zeit wieder auffallig stark durch-
auscht vom Klange des Namens Richard Wagner. „Altge-
vohntes GerMusch* sagt wohl der oberflachlich Hinhorchende.
Solange der schaffende Kiinstler noch lebte, gab es eine gar nicht so sehr
grosse Anzahl von Menschen, welche jedoch, wie die Elben im Wald, die
Macht uber die Blotter batten: die liessen es sich angelegen sein, dass
die Welt von seinem Wesen und Wirken nicht viel anderes erfuhr als
allerhand erfundene Schlechtigkeiten und Torheiten. Jetzt sind sie erkannt;
damals glaubten ihnen alle. So etwas ist nie wieder ganz gut zu machen.
Die Erkenntnis mag noch so scharf die Ubeltfiter beleuchten, der alte
Unglaube wirft doch immer einen Schatten noch auf das Bild des Miss-
handelten, Verkannten. Ich wenigstens, der ich doch bald seit dreissig
Jahren den Gang der Dinge habe verfolgen konnen, ich habe nicht bemerkt,
dass der Unglaube sich so einfach in Glauben verwandelt habe. Was
tatslchlich in der grossen Offentlichkeit erreicht ist, darf man etwa
bezeichnen als eine allgemein verbreitete Scheu vor dem Gestandnisse,
dass man Wagner fur einen „schlechten Musiker* halte, wie das ehedem
Vorschrift war. Dafur haben sich inzwischen doch zu viele an seinen
„Opern" — wie man noch immer sagt — ehrlich begeistert, oder auch in
den OpernhMusern damit GeschMfte gemacht und Ruhm erworben. Ja, dem
*Musiker* Wagner wird sogar schon ein grossartiges Denkmal gesetzt, das
man nicht sinnvoller zu zieren weiss, als mit „angereihten Perl en* aus
seinen „ Opera" in griechischem Marmor. Gerade diese jedoch bezeugen
es in all ihrer plastischen Schonheit nur allzu leuchtend: dass man selbst
in ernsten Kunstlerkreisen jene beruhmten Opern noch nicht kennt —
soweit sie namlich Dichtungen, dramatische Handlungen sind. Wie ware
6*
Digitized by
Google j
£.
84
DIE MUSIK III. 20.
es sonst in Berlin z. B. moglich gewesen, dem sterbenden Tannhftuser
seinen eigenen Pilgerstab in der Hand ergrunen zu lassen, als wire
niemals von einer Buhne herab das Wort des Papstes erklungen: „Wie
dieser Stab in m einer Hand nie mehr sich schmuckt mit frischem
Griin a — ?! Oder wie hitte man der Offentlichkeit, selbst des Berliner
Tiergartenviertels und selbst nur auf der Ruckseite, das Kuriosum einer
munteren Rheintochter darbieten konnen, welche sich mit Alberich noch
lachend herumneckt und zaust, nachdem er schon lingst das Gold
dem Rhein geraubt und einen Hort sich geschaffen, der sogar bis in die
Zeit des spHteren Mittelalters und der christlich-deutschen Kaiserkrone mit
dem Kreuz hinaufreicht?! Die Tragodie des „Ringes* scheint danach gar
nicht stattgefunden zu haben. Und da sollte man es einer iusserlichen
Ahnlichkeit noch glauben, dass es wirklich Richard Wagner sei, der dort
oben sich selbst zum Denkmal „gesetzt" worden ist? Schon dieser
„gesetzte* Wagner ist gewiss nicht der, welcher zeitlebens wie sein
Stolzing gerufen hat: „Nicht in den Stuhll* — sondern eben nur einer,
9 wie's Brauch der SchuP!" — Wie soil der Glaube bluhen, wenn das
Unverstindnis noch derart wurzelt und „am griinen Holze* ausschligt?! —
Ich habe nur ein Beispiel fur unzihlige angefuhrt, denen man tiglich
begegnet und heute ebenso wie vor Jahfzehnten. Es scheint danach fast,
als wire dieses sich fortvererbende Unverstindnis eigentlich das sicherste,
was man als Wagners „Hinterlassenschaft* bei seinem Volke bezeichnen
durfte. Das ist von ihm ubrig geblieben, dass man ihn nicht kennt. Man
kennt ihn aber nicht, weil man ihn im Grunde doch immer noch nur als
Musiker kennen will, obwohl die grossen Wirkungen, die er auf das
Publikum ausubt, ganz wesentlich von seiner Eigenschaft als Dramatiker
ausgehen. Dennoch wird man finden, dass dieselben Menschen, welche
von dieser Wagnerischen Dramatik im Opernhause unwillkurlich mehr
gepackt wurden als von anderen, durch noch so schone Musik ausge-
zeichneten Werken, gleich hernach dem Massenurteil sich wieder unter-
ordnen, wonach Wagner wohl eine Reihe hochst wirkungsvoller Opera mit
gar herrlicher Musik hinterlassen habe, dagegen es sehr verwunderlich sei,
zu behaupten: seine Hinterlassenschaft bestehe aus „Dramen", etwa wie
Shakespeare's, Schillers oder Kleists.
Vielleicht trigt daran etwas der Mangel an kunstlerischem Bewusst-
sein, an wirklich kunstlerischer Bildung schuld, der ja schon oft genug,
und besonders von unseren grossen Meistern selbst, uns Deutschen vor-
geworfen worden ist. Von Kunstwerken, zumal Buhnenwerken, welche
uberhaupt tiefer aufs Gemut wirken, haben wir meistenteils wohl allgemeine
begeistert oder tiefsinnig stimmende Eindrucke, ohne uns davon Rechen-
schaft zu geben, von welcher eigentumlichen Art des Kunstausdruckes
Digitized by
Google
85
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
diese ausgegangen sind. Wenn wir dann einmal zur isthetischen Reflexion
erwachen, so konnen wir noch auf die elementarsten Fragen geraten,
wie z. B. erst neuerdings: ob im Schauspiel das Wort oder die Handlung
das eigemlich dramatisch wirksame Element sei? Bei Wagner heisst die
Frage: ob die Musik oder die Dichtung die entscheidende Wirkung ausube;
und ausnehmend scharfsinnige oder scharfmiindige Kritiker erklMren sogar:
keins von beiden, sondern die „Dekoration M ! Wagner ist ein „dekora-
tiver Kunstler". So etwas kann noch heute ein Schlagwort werden. Dass
gerade bei Wagner die Dekoration nicht Dekoration, sondern kunstlerischer
Ausdruck der Natur ist, welche mit dem Menschen und seinem Drama
eine grosse lebendige Einheit bildet: dieser wesentlichen Eigentumlichkeit
seines Kunstwerkes, die mit seiner ganzen Kunstauffassung eng zusammen-
h&ngt, deren ist man sich noch nicht bewusst geworden, obwohl man dem
Stimmungszauber, der davon ausgeht, sich nicht entziehen konnte. Man
f uhlt das Kunstwerk, aber man versteht es nicht. Das ist fleutsch, und
in seinem innersten Grunde, eben tief im Gefuhl, ist das auch etwas sehr
Gutes und Schones, und es beruhen darauf die besten Eigenschaften der
deutschen kunstlerischen Begabung selbst. Nur die Folgen fur die Urteils-
kraft sind mitunter bose.
Geht aber nicht doch aus Wagners Werken etwas Geheimnisvolles,
etwas als urverwandt Empfundenes eben von der deutschen Eigenart auf
das Publikum uber? Eins namlich wird dem „beriihmten Musiker* noch
ziemlich allgemein und fast auch schon wie mit einem Schlagworte zuge-
standen: „ Wagner ist urdeutsch". Der „dekorative Kunstler* und
,urdeutsch a ? Das soil sich einer erst zusammenreimen! Aber das
Urdeutsche wird auch nicht eigentlich als kunstlerisch vom Bewusstsein
erfasst. Man denkt dabei vielmehr an gewisse Tatsachen, an StofFliches,
an etwas neben der Kunst. Man erinnert sich an einzelne Worte, die
man im Theater verstanden hat: „Fur deutsches Land das deutsche Schwert,
so sei des Reiches Kraft bewahrt!* oder: „Welschen Dunst und welschen
Tand sie pflanzen uns ins deutsche Land" und „Ehrt eure deutschen
Meister", mit dem Akzent auf „deutsch* — deutsch- national! — Oder
man spricht von den deutschen Stoffen als solchen, den schonen alten
deutschen Sagen, welche Wagner zuerst „komponiert" habe; und dabei
bleibt man auch, wenn die sonst so einflussreichen Gegner sich der
gelehrten Nachweisungen bemichtigen und dagegen erklMren: Lohengrin,
Tristan, Parsifal — das ist keltisch-franzosisch, der Ring ist altskandinavisch.
Endlich haftet noch die theatergeschichtliche Erfahrung, dass Wagners
.Musik" die italienische der Bellini und Rossini, die franzdsische der
Auber und Gounod, die internationale der Hal6vy und Meyerbeer verdringt
oder doch stark zuruckgedrMngt habe, und dass sie auch die Neuitaliener
Digitized by
Google
86
DIE MUSIK HI. 20.
und Veristen, obwohl sie bei uns ehrliche Sympathieen fanden, nicht in
dem Masse dauernd obsiegen Hess, wie es ohne die wurzelfeste Beliebtheit
des Lohengrin und der Walkure im deutschen Opernrepertoire der Fall
gewesen wHre. Also ganz offenbar ein Triumph der deutschen Musik!
„Schade", sagen manche insgeheim, indem sie an die „Musik* denken;
aber laut wagen sie nichts dagegen zu sagen, dass Wagner halt doch
— Gott sei Dank! — „grunddeutsch" istl — Nur ist es wieder merk-
wiirdig, dass dies immer nur von Wagner als musikalischem Solisten zu
gelten scheint. Wenn man ihn allein nennt, im Gegensatz zu undeutschem
Wesen und Schaffen in der Kunst, gut, dann heisst er: ein Vertreter des
Deutschtums. Aber man wird seinen Namen, ausser bei „Wagnerianern",
nicht leicht und unbedenklich in einer Reihe genannt finden mit unseren
grossen typischen Nationalhelden und Geistern; man wird eine solche Reihe
wie Luther, Diirer, Bach, Kant, Goethe, Schiller, Beethoven, bis zu
Bismarck, mit grosster Sicherheit fortgefuhrt sehen, — aber vor Wagner
— da hdrt's aufl Da merkt man wiederum, dass er doch noch nicht so
recht als „deutscher Genius" auf die Nachwelt gekommen ist. Er bleibt
der Musiker, der als besonders deutsch gilt, aus Qriinden, die nicht
einmal aus der Eigenart seines Kunstwerkes und seines Kunstgedankens
gewonnen sind. Den Grund empfindet wohl das verwandte Gefuhl, aber
die .Grunde" verwirren sich dem unsicheren Verstande. Ihm ist Wagner
kein Deutscher als Kulturpotenz, sondern ein Deutscher vom Operntheater.
So ist es gekommen, dass nach dem allmihlichen Verstummen der
ersten Gegnerschaft, welche Wagner bei Lebzeiten schon den Weg als
Musiker moglichst erschwert hatte, seine eigenttimlichste und sichtbarlichste
Hinterlassenschaft, sein Lebenswerk des Bayreuther Theaters, der Festspiele,
im allgemeinen lange nicht so beachtet worden ist, als wie jede lokale
Wagner-, Premiere" oder jedes celebre Gastspiel auf den Operntheatern
an ihrer besonderen Stelle bemerkt zu werden pflegt. „ Theater ist Theater"
und Jeder ist sich selbst der Nichste" denkt man und ahnt nichts davon,
was eben Bayreuth sonst noch zu bedeuten habe. Man sah mit wachsendem
Respekt in solchen Tages- oder Abendereignissen den eigentlichen grossen
„Fortschritt", den Wagner gemacht habe. Aber urn die wirkliche Entwicklung
im Leben und Lebendigwerden seines Kunstwerkes, wie das sich in Bayreuth
wihrend der letzten beiden Jahrzehnte stetig vollzog, bekummerte man sich
wenig. In diesem Falle war man merkwurdigerweise nicht einmal so wie
sonst davon angetan, dass das A u si and sehr entschieden fur Bayreuth sich
erklirte und in dieser Erscheinung das typische Merkmal des deutschen
Geistes in der Kunst der Zeit, ein Kulturmoment also, erkannte und be-
wunderte. Eher schalt man wohl daruber, dass „soviel Auslinder" nach
Bayreuth kamen, und entschuldigte sein eigenes Fernbleiben damit, dass
Digitized by
Google
\ J^&& WOLZOGEN: RICHARD WAGNER Q^^/J
man als Deutscher sich dort „nicht mehr wohlffihle"! Das Fernbleiben
der Deutschen hatte aber, leider, die Prioritat fiir sich gehabt. Die Aus-
l&nder kamen hernach nur geradc noch zurecht, urn Bayreuth nicht am
Mangel deutscher Besucher eingehen zu lassen. Das war noch in den
achtziger Jahren. BeschSmte mdgen hinzuffigen: w des vorigen Jahr-
hunderts"! Wie mit den Ausl&ndern Hess man sich mit alien moglichen
Fabeln immer wieder schrecken, welche geradeso wie einst von Wagner,
jetzt von Bayreuth und denen erzShlt wurden und noch taglich werden,
die es durch alle Note hindurch doch schliesslich allein fur Deutschland
erhielten: Wagners Erben. Auch in ihnen eine „Hinterlassenschaft" des
Meisters derart zu respektieren, wie sie selbst sein Bayreuth, das konnte
freilich keinem beikommen, der fiber dies Bayreuth nichts wusste, als
was ihm vorgefabelt ward. WShrend im Festspielhause Tausende die
hdchsten kfinstlerischen Erlebnisse bis zum lauten Jubel beglfickt in
sich aufnahmen, rauschten die Blatter im Fabelwalde bei jedem neuen
Werke nur wieder ein Stuck der unendlichen Waldmelodie auf den alten
traulichen Text: „Das haben wir zu Hause besser" oder mindestens doch
ebensogut. Wohl haben die in Bayreuth einmal Beglfickten dann auch
andere mitgebracht, und diese ^wieder andere, und so ist tatsgchlich die
Zuhdrerschaft auch aus deutschen Landen bis fiber die Mdglichkeit der
Platzgewihrung hinausgewachsen. Was sagte man dazu, wo man dffentlich
fiber Bayreuth schrieb, und danach sprach ? „Modesache!" Und manche
gingen wirklich hin, weil es Mode sei. Diese mfissen sich schrecklich
enttluscht geffihlt haben! Denn eines erwies sich jedenfalls als eine un-
erschfitterlich hartnflckige Eigenschaft von Bayreuth: es machte selber keine
Moden mit. Es kam niemals den Wfinschen und Launen des Publikums
entgegen. Es zwang dieses vielmehr, es so zu nehmen, wie es war; —
und das war ganz und gar nichts „Modernes", und ganz und gar nichts
„Amfisantes". Wer daran kein Ge fallen fand, mochte wegbleiben. Man
weinte ihm gewiss keine Trine nach — urn einer geschm&lerten Einnahme
willen. Eher ware es zum Weinen gewesen, dass man als Echo auf alle
die vdllig selbstlose, ganz der Sache allein gewidmete Arbeit in Bayreuth
von draussen her immer nur wieder die verbreitete Meinung erfuhr:
Wagners Erbe sei „eine reine Gesch&ftssache" geworden! Nur im Schatten
des grossen alten Unglaubens konnte solch ein unglaublicher Glaube auf-
kommen. Wie? Aus „rein geschSft lichen* Tendenzen und Praktiken,
daraus also entstfinden kfinstlerische Taten, welche in allem uud jedem
den Stempel der Idealit&t trugen? Alle diese Bayreuther „Neuschdpfungen"
— so nannten sie die wirklichen Besucher der Festspiele! — des „Tann-
hiuser* und w Lohengrin a , der „Meistersinger a und des „ Hollander*, und
nicht zuletzt des „Ringes" — : so etwas sollte auf einem unsittlichen
Digitized by
Google
DIE MUSIK III. 20.
Grunde erwachsen scin? Dies konnte nur behaupten, wer den Geist
dieser Auffuhrungen gar nie hatte auf sich wirken lassen. Wer dies aber
getan, der erstaunte nicht im geringsten daruber, was die Leute von heute
uberhaupt fur undenkbar halten, und was doch schlichte Bayreuther Tat-
sache ist und gar nicht anders sein kann : dass n&mlich von alien Ein-
nahmen der Festspiele keiner derer, die sie mit Aufbietung ihrer ganzen
Lebenskraft veranstalten, den geringsten Vorteil und Lohn hat, sondern
jeder Pfennig nur wieder der Sache zugute kommt, ungerechnet die
vielen — auch materiellen — Opfer, die sonst noch dafur zu bringen
sind, wovon man aber in Bayreuth nicht redet. Denn „eine Sache urn
ihrer selbst willen treiben", sagt Wagner, „das ist deutsch". Und so ist
Bayreuth gerade in diesem deutschen Sinne noch heute Wagners echteste,
reinste .Hinterlassenschaft".
Dass dieses „nachzuahmen" nach Wagners eigenem Worte ,der
ganzen modernen Welt unmoglich bleiben muss", das liegt nicht im Tech-
nischen, es liegt eben im Geist, in der moralischen Grundlage; und
gerade davon wusste man nichts in der Welt und sprach nicht davon.
Die wachsende Erkenntnis der vielen einzelnen, welche Bayreuth besuchten,
hatte in diesem Falle, so seltsam es klingt, keinen Einfluss auf die all-
gemeine Stellung, auf die offentliche Meinung in bezug auf Bayreuth. Bis
in die neueste Zeit lassen sich die trubsten Erfahrungen anfuhren, dass
fiber Bayreuther Dinge nicht nur das Unglaublichste geglaubt, sondern auch
das Allereinfachste nicht gewusst wird. Wenn jemand z. B. von der
Stipendienstiftung hort, die bei jedem Festspiele seit Jahren Tausende
spendet zur Ermdglichung des Besuchs fur Unbemittelte, so erstarrt er
noch heute in Staunen, dass es so etwas gibt: „Das ist mir ja vdllig neul*
Und doch war dies das einzigste, wofur Bayreuth jemals und immer ge-
be ten hat I — Aber dass Bayreuth etwa aus purem Neid oder gar aus
Angst vor der „Konkurrenz" gegen das unschuldige Kindl .Munchen"
fortwihrend agitiere, das glaubte man unbesehens in weitesten Kreisen
ganz ebenso, wie dass das Bayreuther Haus so bauffllig sei, dass es not-
wendig ersetzt werden musse durch einen Monumentalbau — naturlich
in Munchen. — Dieser einleuchtende Gedanke ging von den sicheren Bau-
grunden an der Isar aus und soil als Stimmungsmoment sogar in Flug-
schriften bei den dortigen Auffuhrungen verbreitet worden sein. Was fur
„Flugschriften" hatte man doch in Bayreuth verbreiten kdnnen! Zum Bei-
spiel die Rede Wagners bei der Grundsteinlegung seines Theaters, wo es
heisst: „Schon jetzt ist dieser Stein stark und fest gefugt, um dereinst
den stolzen Bau zu tragen, sobald das deutsche Volk es verlangt, zu
eigener Ehre mit Ihnen in seinen Besitz zu treten" und dann den Schluss
seiner Gedenkschrift: w So mit rage unser provisorischer, wohl nur sehr
Digitized by
Google
80
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
allmihlich sich monumentalisierender Bau fur jetzt als ein Wahr-
zeichen in die deutsche Welt hinein, welcher er es daruber nachzusinnen
gebe, woriiber diejenigen sich klar geworden waren, deren Teilnahme, Be-
muhung und Aufopferung es seine Errichtuog verdankt. Hier stehe es
auf dem lieblichen Hiigel bei Bayreuth!" — Wo hat man wohl seither
ernstlicher daruber nachgesonnen — in Bayreuth — Oder in Munchen —
oder in der ganzen tibrigen deutschen Oder anderen Welt?
Nun haben aber neuerdings einige Ereignisse sich vollzogen, welche
in doch ungewohnter Weise das deutsche Gewissen in bezug auf Richard
Wagner uberhaupt erweckt zu haben scheinen. — Da war zunichst schon
jenes Berliner Denkmal. — Obwohl man dort an Denkmale gewdhnt sein
sollte, iibte das Wagner- Denkmal die Wirkung von etwas Besonderem aus.
Allerdings lag die Veranlassung weniger in der Sache an sich als in den
eigentumlichen UmstSnden, welche Plan und Ausfuhrung von Anfang an
begleiteten. Etwas, was sehr schon gewesen wire, wenn es den Charakter
einer personlichen opferwilligen Begeisterung beibehalten hStte — eine
„Pogner«-Tat! — : das war leider alsbald in eine ginzlich unwagnerische
Sphire lauter Reklame und eitler Ausserlichkeiten geraten. Daraus musste
dann schliesslich auch ein Festprogramm entstehen, welches derart dem
Geiste gerade des Gefeierten entgegengesetzt war — ihm geradezu ent-
gegenschrie, dass selbst Fernerstehende und sonst Schwerhdrige betroffen
wurden. Wenn sie auch nicht eigentlich wussten, was Wagner war, jetzt
erkl&rten sie doch alle: so war er nicht! Es dimmerte sogar hier und
da die gute Erkenntnis, dass man mit Denkmalen fur Grossen von zeit-
uberragender Art ruhig so lange warten sollte, bis einmal ein anderer
geistesverwandter Meister der plastischen Kunst sich fitade, der selbst aus
reiner Begeisterung und innerer Notwendigkeit gerade die Persdnlichkeit
dieses Unsterblichen kunstlerisch zu gestalten sich gedringt fuhle. Das
wire dann ein echt Wagnerisches Kunstschaffen, eines aus dem M us sen
heraus, und eines, das eine grosse lebendige Einheit zum Ausdruck
brMchte, also etwas Wahrhaftiges, das seine Berechtigung in sich selber
truge. So lange dies nicht der Fall ist, gibt es nur erst eine Wahrheit,
Einheit und Notwendigkeit, welche in Wagners Sinne als sein w Denkmal"
von ihm selbst hinterlassen worden ist, woran noch viel zu tun bleibt, und
was immer wieder „enthullt" werden muss: sein Bayreuth.
„Hier schliess' ich ein Geheimnis ein — da ruh' es viele hundcrt Jahr.
So lange es verwahrt der Stein — macht es der Welt sich offenbar."
Davon sprachen bei dieser Gelegenheit auch einige; das waren die
sogenannten „Wagnerianer". Zwar heisst es: heute seien alle verstlndigen
Menschen Wagnerianer; aber durchaus nicht alle, die hoffentlich verstlndige
Digitized by
Google
90
DIE MUS1K HI. 20.
£2
Menschen sind, wissen davon, was Wagner mit dem Geheimnis von Bay-
reuth meinte. Was man von Bayreuth gelten lasst, ist im allgemeinen der
Vorzug, den es geniesst, der einzige Ort zu sein, wo „man« Wagners
letztes Werk, den Parsifal, horen und sehen kann. w Vorlfiufig," denken
die „verstandigen Menschen". Etwas anderes wurden sie nicht verstehen.
Sie haben bis jetzt noch immer die Vorstellung, dass Bayreuth nur noch
am Leben sei, weil es vom Parsifal lebe, und dass, wenn jetzt von einer
langeren Schutzfrist fur Parsifal die Rede sei, dies nichts anderes bedeute
als die in Bayreuth naturlich sehr erwunschte Verlingerung des Lebens
von Bayreuth. Diese Argumentation versteht jeder; sie entspricht ja nur
den herrschenden Gewohnheiten des sozialen und geschaftlichen Lebens.
Aber etwas, was man versteht, ist deshalb noch nicht wahr. Vor alien
Dingen mtissten die Leute, welche die Wahrheit von Bayreuth verstehen
wollen, so viel verstehen : dass es auch ideale Dinge in dieser realen Welt
gibt. Man hat aber vielleicht ausserlich schon viel erreicht, wenn es
gelingt, die Leute zu tiberzeugen, dass Bayreuth zum Leben, zum Existieren
den Parsifal nicht notig hStte, — dass es sogar — was sie nicht entfernt
ahnen — schon im „vorigen Jahrhundert" einen Sommer 1896 gegeben
hat, in welchem die Wiederkehr des „Ringes" nach 20j&hriger Pause auf
der Bayreuther Buhne gefeiert ward, und zwar dergestalt, dass nur der
Ring allein in diesem Sommer zur Auffuhrung kam uud gar kein Parsifal.
Dieses Jahr ohne Parsifal brachte aber Bayreuth nicht den Ruin, sondern
den st&rksten Besuch, und der Ring ist es seitdem, der regelmissig immer
zuerst — wenn man hier im Jargon des Theaterkassierers reden darf —
„ausverkauft" ist. „Ausverkauft" — das wird nun wieder verstanden; und
so wire mit der Wissenschaft dieses Umstandes am Ende die Legende
bereits zerstort, dass Bayreuth den Parsifal zum Leben brauche wie das
liebe Brot. Jedoch — es handelt sich nicht um Brot allein. Das Brot
im Parsifal gewinnt bekanntlich seine Kraft aus des Grales Segen. Es
bleibt „gemeine Atzung", wenn ihm dieser fehlte. Etwas mehr von des
Grales Segen musste auch die Welt verstehen, um wirklich einzuseben, was
gerade den Parsifal an Bayreuth bindet. Dies gehdrt ganz insonderheit zu
Wagners Hinterlassenschaft, nicht nur jenes Werk Parsifal, auch nicht nur
jenes Theater, wo es allein zur Auffuhrung kommen soil, sondern vor
allem der Geist, der beide fur einander schuf, der Wille und der Sinn,
woraus solche Schdpfungen entspringen mussten, einzig entspringen konnten,
und worin das gesamte Leben und Wirken Wagners sein allein erstrebtes
Ziel, den reinsten Ausdruck seiner Bedeutung fur die Welt gefunden hat.
Ehe dies nicht verstanden ist, bleibt das Beste von Wagner seinem
Volke noch innerlich fremd. Es sind nur erst andere, bestenfalls verwandte
Motive, welche heute schon solche Bewegungen veranlassen konnen, wie
Digitized by
Google
91
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
man sie eben erst bemerkt bat, als der Plan eines spekulativen amerika-
niscben Tbeaterunternehmers — nicht Amerikanersl — fiber alle Versuche
eines rechtlichen oder moralischen Widerstandes hinweg der Verwirklichung
sich nfiherte, den Parsifal, Wagners Bfihnenweihfestspiel, als Zugstfick einer
Newyorker Saison druben vor den reichen Bondholders des Metropolitan-
Theaters in dem weihevollen Milieu des Broadways zur Auffiihrung zu
bringen. Diese modernste Erscheinung in der Kunstwelt, wozu gewisser-
massen die Mfinchener Arcbitektur nur die Propylfien gebildet, die Berliner
Plastik das Proszenium geschmfickt hatte, namlich fur das Schauspiel, dass
alles rait einem Male lebendig ward, was Wagner nicht gewollt hat:
diese Erscheinung hat am meisten dazu beigetragen, dass die Welt der
Blatter neuerdings so viel mehr als wahrend aller frfiheren Bayreuther
Festspielsommer von dem Namen des Meisters und seines Werkes durch-
rauscht ward. An dem Lebendigwerden seines Nichtgewollten merkte die
Welt wieder, dass er noch sehr lebendig ist und noch einen Willen hat,
der ausgeffihrt sein will. Aber, was emporte sich nun wohl mit einem
Male fiber eine solche Tat wider Wagners Willen? Mancher, der darfiber
schalt, hatte es am Ende nicht missfiUlig bemerkt, wenn ein deutscher
Direktor diesen Gralsvogel abgeschossen hfitte. Aber druben fiber dem
grossen Wasser — das war Srgerlich — das griff an die deutsche Ehre,
— „das braucht man sich doch nicht gefallen zu lassen! a „Die deutsche
Kunst ffir Deutscbland!" — Weiterhin brachte dieses Beispiel, weil von
grdsserer Entfernung gesehen, die Unschonheit des Verhaltens zum Bewusst-
sein, gegen den entschieden ausgesprochenen Willen des Urhebers einer
Hinterlassenschaft zu handeln. „Verachtet man doch eines Menschen
Testament nicht, wenn es bestatigt ist, und tut auch nichts dazu!" schrieb
schon der heilige Apostel Paulus an die Galater, die man ja auch ffir Ger-
manen fiber dem Meere halt. Hier ward es offenbar „verachtet«, und man
konnte unter dem Druck dieses Geffihls schon unerwartete Einsichten
aussern horen, wie: „ Parsifal gehdrt doch nach Bayreuthl* „ Parsifal ist
doch keine Oper!" .Parsifal verlangt seine besondere Weihel" Solche
Worte Helen jetzt mitunter von Lippen, die frfiher gespottet batten. Wenn
aber solche Bewegungen und Erkenntnisse bei uns Deutschen zum Durch-
bruch kommen, so geschieht dies meist aus einem moralischen Motive.
Die Kunst allein hat nicht genug Wirkungskraft. Und da war es nun in
diesem Falle zweifellos ein Umstand, der auf weiteste Kreise, ja bis in das
eigentliche naive Volk hinein, wenn es davon horte, einen bestimmenden
Einfluss zu Gunsten Wagners ausgefibt hat. Mehr als alles andere wirkte
das moralische Missfallen an der Beteiligung von Bayreuther Kfinstlern
in Newyork. „Das schickt sich nicht," sagten die einfachsten Leute; und
damit sprachen sie viel mehr aus, als sie im Augenblick dachten, da sie
Digitized by
Google
92
> DIE MUSIK III. 2a d^F^J
dabei nur erst fuhlten. Aber gerade dies Gefuhl war wieder das Schdne,
das, woran sich Hoffnungen auch ftir die Erkenntnis knupfen lassen. Viel-
leicht jetzt, da die Kunstler versagten, besinnt sich das Publikum, das
fritter den Kunstlern es uberliess, Wagners Werk zu ermoglichen und zu
tragen.
Wagner hatte nicht nur sein grosses Nibelungen-Werk, er hatte alles,
was er hinterlassen, wie er sagte, ges chaff en „im Vertrauen auf den
deutschen Geist". Das deutsche Publikum hat ihm auch soweit das Ver-
trauen gelohnt, als es trotz aller Hindernisse und Erschwerungen von
anderer Seite ihn zweifellos zu seinem Liebling erwahlt hat, — im w Opern-
hause", als den Komponisten des TannhSuser und Lohengrin, des Ringes
und der Meistersinger. Sobald aber Wagner dasselbe Publikum vor eine
Entscheidung stellte, fiber die feineren und tieferen Fragen der Kunst —
Fragen, von denen er glaubte, dass der deutsche Geist recht eigentlich
dazu berufen sei, sie zu beantworten : da hat es doch bei aller Liebe ver-
sagt. Wir horen ihn schon klagen, dass eine Auffuhrung des Lohengrin
in Munchen, welcher er selbst die moglichste Sorgfalt hatte angedeihen
lassen, urn so manche in den landlSufigen Operndarstellungen eingerissenen
Fehler und Mangel zu beseitigen, im allgemeinen auf das Publikum gar
nicht anders gewirkt habe, als die ihm gewohnten schlechten, wenn nicht
sogar diese im Grande vorgezogen wurden, weil sie etwas kfirzer gewesen
waren. Und er musste noch in Erstaunen daruber geraten, dass seine
Meistersinger, mit denen er so recht zum Herzen des deutschen Volkes
hatte sprechen wollen, bei ihrer ersten sehr schonen Munchener Auf-
fuhrung 1868 nicht so sehr vom deutschen Publikum als von franzosischen
Gisten verstindnisvoll aufgenommen und begeistert gepriesen wurden.
Aber, war ihm denn nicht schon bei seinem ersten Versuche, den
„ Hollander" auf die Buhne zu bringen, der Bescheid geworden : dies Werk
passe nicht fur Deutschland?! Vermutlich, weil es in Paris komponiert
worden war! Und die Meistersinger waren ja nun auch wieder in Paris
gedichtet worden. — In Berlin, kurz ehe es die deutsche Reichshauptstadt
werden sollte, zischte man das Werk bekanntlich aus; und in Nfirn-
berg selbst ward es von der Theaterdirektion abgelehnt, weil sie Wagners
einzige Bedingung nicht erfullen mochte: die Einnahme der ersten Auf-
fuhrung fur ein Hans Sachs-Denkmal dort zu bestimmen. So etwas muss
man sich immer wieder vergegenw&rtigen, urn zu verstehen, was es heisst,
wenn Wagner den noch auf den deutschen Geist vertraute und ihm noch
gar sein Bayreuth erbaut hat.
Mit Ausnahme des Parsifal, der zuerst vor dem geschlossenen
Digitized by
Google
93
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
Publikura der Wagnervereine und uberhaupt nur in Bayreutta gegeben ward,
hat jedes neue Werk Wagners an den Operntheatern recht geraume Zeit
gebraucht, urn nur erst durch die feindlichen Nebel der offentlichen Meinung
hindurch bis an das Herz des eigentlichen Publikums zu dringen. Niemals
war es eine Liebe auf den ersten Blick! Am wenigsten allerdings bei
denen, welche zuerst die Werke dem Publikum hitten zufuhren sollen,
den Theaterleitungen selbst. Man bedenke nur, dass z. B. der Tannhiuser
in Munchen zehn Jahre, in Berlin elf Jab re, in Wien dreizehn Jahre nach
seinem Entstefaen zur ersten Auffiibrung an den Hoftheatern kam, der
Lohengrin in Munchen und Wien elf, in Berlin zwolf Jahre, der Hollander
gar in Wien 20 Jahre, in Leipzig 22 Jahre, in Munchen 24 Jahre nach
seinem Entstehen ! Zum ersten Male ! Das sollte einem heutigen jungen
Komponisten passieren ! Jedermann wtirde ihn fur rettungslos tot erkliren,
schon nach funf — schon nach drei Jahren solcher Wartezeiten 1 Es wire
wirklich ein Wunder, dass die Werke Wagners uberhaupt lebendig geworden
sind, wenn sie nicbt selber eben Wunderwerke wiren ! Anders wire es freilich
geworden, schneller wire es gegangen, und kriftiger, entscheidender hitten
sie auf das Publikum gewirkt, wenn das Wagnersche Theater schon bei
seinem ersten Gedanken, vor funfzig Jahren etwa, in Weimar zustande
gekommen wire. Da dies nicht geschah, blieb gerade ein solches Theater
die abnormste Erscheinung von alien seinen Werken. Trat dann endlich
diese Erscheinung, in Bayreuth, wirklich vor das grosse Publikum, so
schwieg der deutsche Geist, im Vertrauen auf den es geschaffen war, trotz
aller Beliebtheit der Werke, in der Offentlichkeit ginzlich. Wenn man
nicht soviel sich davon vorstellte, dass es dort „Musterauffuhrungen* geben
sollte, so wusste man uberhaupt nicht, was die ganze Sache zu bedeuten
habe. Und gerade gegen die „Musterauffiihrungen" hatte Wagner so ent-
schieden sich ausgesprochen. Er wollte Beispiele geben, Beispiele
deutschen Stiles, und dessen, wovon dies nur der Ausdruck war : deutschen
Geistes. Er wollte, dass man erkennen lerne, wie derselbe Geist, welcher
in den grossen Meistern und ihren einzelnen herrlichdh Werken einst
Gestalt und Laut gewonnen hatte, auch in der Gesamterscheinung des
Theaters sich zum Ausdruck bringe, dass also auch das Theater selbst
sich darstelle als ein Beispiel idealer Kunst, als ein „Meisterwerk".
Man hitte, um dies zu verstehen, Wagners ganze Kunstauffassung bereits
kennen mussen ; und damit stand es noch viel irger, als fruher mit seinen
Werken. Das deutsche Publikum, so willig diesen gegenuber, wenn sie
ihm nur endlich und leidlich vorgefiihrt wurden, es wusste von Wagners
Kunstideal, das er zuerst um 1850 aufgestellt hatte, nach 25 Jahren noch
nichts, als was ihm inzwischen davon vorgeredet worden war; und das
genugte gerade, um Bayreuth gegenuber recht misstrauisch zu werden. Etwa;
Digitized by
Google
94
DIE MUSIK HI. 20.
dass Wagner nur seine eigenen Werke gelten lasse; dass er'die Klassiker
der Vergangenheit verwerfe; dass er sich einbilde, das Kunstwerk der Zu-
kunft geschaffen zu baben ; dass er die Melodie und die Chore verdamme; dass
er ein lSrmendes Orcbester brauche, urn besondere „Effekte" hervorzubringen ;
dass er kein Publikum wolle, als welches ihm gefiele, oder als welchem er ge-
fiele usw. Dem alien zum unverhohlensten Ausdrucke hatte er nun dieses
wunderliche Bayreuther Theater mitten in die deutsche Welt gesetzt, als wenn
es gar keine vortrefflichen Hof- und Stadttheater gfibe, die seine Werke
schon viel mehr als alle anderen und mit den anerkanntesten Kraften auf-
fuhrten, und wo man sich in all die schonen „Effekte a des Tannhauser
und Lohengrin ja schon grundlich verliebt hatte. — So ungefahr dachte
und sprach tatsachlich das grosse Publikum, die Offentlichkeit fiber Bay reuth,
und als die „Kritik* cs eine „Bereiter-Bude" nannte, lachte man daruber
als liber einen guten Witz. Wenn auch das kleine Publikum in Bayreuth
selbst mit der Zeit wuchs, der deutsche Geist kam draussen nicht viel
weiter zur Selbsterkenntnis an diesem Beispiel. Er hatte wenigstens noch
immer nicht die Kraft, es zu verhindern, dass ganz dieselben Meinungen
und Urteile noch heute, nach 50 Jahren, gelegentlicb im Publikum und
sogar in der belehrenden Presse uns entgegentreten. Gilt es einmal, in
einem besonders ernsten Falle, wie zum Beispiel in der Frage des Parsifal-
schutzes, sich zu entscheiden, zu erklaren, Gesinnung zu beweisen, auf
Grund der Kenntnis dessen, was Wagner gewollt hat, fur seinen Willen
einzutreten, auch nur seinen Willen zu respektieren : so zeigt sich inner-
halb und ausserhalb der deutschen Volksvertretung dasselbe, was Wagner
von seinen Kunstlern sagte, als diese zuerst von ihren Theatern zu ihm
in die Bayreuther Schulung kamen und auf seine einfachsten Stillehren
wie Parsifal erwiderten: ,Ich wusste sie nicht*
Das Vertrauen also auf den deutschen Geist, das bat Wagner zwar
niemals ganz verloren — denn er bot ihm ja noch seinen Parsifal an! —
aber im deutschen Publikum gefunden hat er ibn selten, bewihrt hat er
sich ihm gegenftber schwach.
In alien solchen triiben Erfabrungen hatte dann Wagner doch immer
wieder Mut gefasst, weil er sich im entscheidenden Momente auf „seine
Kunstler" verlassen konnte. ,Meine Kunstler!" Wie herzlich hat er sie
stets als seine eigentlichen Freunde und Heifer am Werke angesprochen!
Wie hat er ihnen gedankt, wenn sie in schweren Schlachten treu zu ihm
gestanden waren und unverstandene Werke deutlicher gestaltet hatten!
Sein Bayreuth wollte er durchaus nicht als .Nationaltheater* gelten lassen,
da die w Nation" dafiir noch fehlte; aber eine Schule sollte es sein, „die
denkbar beste Schule" fur seine Kunstler. Die Bayreuther Genossenscbaft,
die er einzig noch anerkannte, wenn alle ihn im Stiche liessen, war die
Digitized by
Google
95
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
Genossenschaft seiner Kunstler. Nichts verlangte er von ihnen als Ernst,
Fleiss und Treue fur die Sache, der er mit ihnen gemeinsam diente. Dies
aber im vollsten Sinne, von reinster Art — und diese 18sst sich zusammen-
fassen in den Begriff der Selbstlosigkeit. Ernst, Fleiss und Treue wollen
wenig bedeuten fur den Dienst einer grossen Sache, wenn sie nicht nur
Ausdruck der einen Grundtugend, der Selbstlosigkeit sind. Wagners ganzes
Leben war das Bild einer solchen, sich selbst verzehrenden Selbstlosigkeit
gewesen; denn nie hatte er einen Vorteil, einen Gewinn, einen Ruhm fur
sich persdnlich gesucht, vielmehr gegen diese so weltbeliebten Dinge oft
genug in kritischen Momenten „schwer gesundigt" — wie die Welt das
nennen wurde — nur um der Sache, um seines Ideales willen, das freilich
mit seiner eigenen Kunst untrennbar zusammenhing. Aber war es denn
seine Scbuld, dass er so begabt worden war, auch selbst die Werke
schaffen zu konnen, in denen seine idealen Vorstellungen und Anschauungen
zum kunstlerischen Ausdruck kamen? Es erscheint wirklich oft so, als
habe man ihm dies als „puren Egoismus a ausgelegt! Nur die Kunstler
batten von jeher unbedingtes Gefallen daran gefunden; sie brauchten sich
um nichts zu bekummern, als um die Verwirklicbung des Ideales. Nur
selbstlos mussten sie dabei sein, wie ihr Meister. Das ist der moralische
Stil dieser Kunst. „Wer nicht aus Ehre und Enthusiasmus zu mir kommt,"
schrieb Wagner, „den lasse ich, wo er ist. Ein Sanger, eine Sangerin,
welche nur gegen eine jener verruckten Gagen zu mir kommen wtirde
konnte njir schon taugen!"
Wenn man nun es erleben muss, dass Kunstler, welche in Bayreutb
selbst das geworden sind, was sie sind, namlich: Darsteller des idealen
Dramas — von anderem gar nicht zu reden — um des Geldgewinnes
halber an einer Handlung teilnehmen, welche am allerscharfsten gerade
dem ernstesten Willen des Meisters, dem tiefsten Sinne seines Ideales
widerspricht, dem zu dienen sie beehrt wurden: so wird man allerdings
wohl recht traurig gestimmt werden mussen. Daran ersieht man, dass der
kunstlerische Geist nicht genugt in Sachen eines Ideales — da bedarf es
einer moralischen Grundlage. Die Selbstlosigkeit muss Gesinnung sein.
Und wfire sie das, so truge sie schon ihren Lohn in sich; denn sie machte
dem Selbst des Kunstlers die hochste Ehre. Aber mebr noch: sie brachte
ihm auch die grdsste Ehre, ihm und seinem ganzen Stande, dem Kunstler-
tum, das Wagner so hochstellte und liebte. In einem Falle, wie dem
New-Yorker, da hatten es die Kunstler, und sie allein, in der Hand gehabt,
der ganzen Welt zu zeigen, welche starke moralische Kraft in ihnen, in
ihrem kunstlerischen Bewusstsein lebe, indem sie ja nur nicht mitzutun
brauchten, und die schdnste Spekulation mit dem idealen Kunstwerke hatte
am Boden gelegen. ,AUe Opera stehen still, wenn mein starker Kehlkopf
Digitized by
Google
96
DIE MUSIK III. 20.
will!" Nur das Selbstgefuhl des Arbeiters brauchten die Kunstler zu
haben und die Ehre der deutschen Kunst war durch die Kunstler gerettet.
Des Meisters Willen hatten seine Kunstler als seine berufenen Bevoll-
mSchtigten erfullt. Eine grosse Betatigung seiner Schule w9re das gewesen,
eine — sagen wir es ganz kurz — eine „gute Auffubrung" der Kunstler,
im echten Bayreuther Stil!
Aber — aber — ich weiss nicht recht, ob die deutsche Offentlich-
keit an solcher positiven Leistung zum Bewusstsein dessen erwacht ware,
was Wagner uns hinterlassen hat? Urn das zu wecken, dazu bedarf es
offenbar zunSchst einmal der negativen Tatsache, nicht die Bekundung,
sondern die Ermangelung der moralischen Grundlage des kunstlerischen
Talentes hat das deutsche Publikum erst darauf aufmerksam gemacht, dass
der deutsche Geist in Wagners Sache ein Anrecht auf Berucksichtigung habe.
Nun wohl: eben diese Erkenntnis kann fruchtbar werden. Es ist mit
nichten schon alle Hoffnung aufzugeben, weil man nur ein Menschenalter
nach der Bayreuther Grundsteinlegung noch nicht weiss, welches Geheimnis
der Stein dort verschliesst. Es geht nicht so schnell in dieser Welt mit
den wirklich grossen Dingen. Langsam, sehr langsam nur steigt das
Senkblei des Verstandnisses in die Tiefen der GenialitSt. Beethovens
neunte Symphonie kam 20 Jabre nach ihrer Entstebung zum ersten Male
unter Wagners Leitung in Dresden zu einer Wirkung, welche die Offent-
lichkeit nicht mehr nur als eine musikalische Tollheit bertihrte. Schopen-
hauers Hauptwerk war schon seit 40 Jahren gedruckt und sollte fast wieder
als Makulatur eingestampft werden, als der Verfasser noch kurz vor seinem
Tode die ersten Anzeichen davon erhielt, dass er anfinge beachtet zu
werden. Und Goethe! Goethe ist schon seit zwei Menschenaltern tot
und eben jetzt beginnt er in Deutschland geistig zu leben. Ich versteige
mich mit den Vergleichen nicht bis zum Unvergleicblichen, zu unserer
heiligen Religion, woriiber ein geistvoller Theologe geiussert hat, man
solle nicht sagen: „Wir sind nicht mehr Christen", sondern: „Wir sind
noch nicht Christen"; aber ein Sbnliches Motto durfte man wohl mit
einigem Rechte fiber jede Geschichte der Wirkungen und Erfolge grosster
Geisteserscheinungen auf Erden setzen. Also wfire es selber verstflndnislos
gegenfiber der Weltregel, wollte man fiber die heutige Verstandnislosigkeit
der Welt fur Wagners Werk verzweifeln. Im Gegenteil! Man muss an
das Werk glauben, und glaubt man daran, so muss und wird man unent-
wegt an der Fdrderung des Verstandnisses arbeiten; und dauerte es noch
ein ganzes Menschenalter, und stfirben noch so viele Arbeiter daruber hin:
wenn das Werk es wert ist, wird es aus dem Kulturscbatz des deutschen
Geistes niemals verloren gehen.
Schluss folgt
Digitized by
Google
ROMANISCHE „RING"-0BER
W*
SETZUNGEN
von Kurt Mey-Dresden
jjas Verdienst des Obersetzers eines Buches oder einer Dichtung
pflegt gewohnlich unterschatzt zu werden, und man halt gern
seine Arbeit fur die mehr oder weniger mechanische Leistung
eines Sprachkundigen. Indessen haben gerade die hervor-
ragendsten Schriftsteller erkannt und ausgesprochen, dass diese Ansicht
eine durchaus irrige ist und dass es kaum eine schwierigere reproduktive
Aufgabe gibt als die, die Werke eines Philosophen oder eines Dicbters in
eine andere Sprache zu iibertragen. Denn eine Sprache ist niemals die
wortliche Ubersetzung irgendeiner andern, sondern vielmehr das Produkt
der Denkweise derjenigen Nation, welche sich diese Sprache im Laufe
vieljahrhundertjahriger Kulturentwicklung geschaffen hat und deshalb als
eines ibrer heiligsten Gtiter zu wahren verpflichtet ist. Da aber die Denk-
weisen der Nationen durchaus verschieden sind, und zwar umsomehr, je
weniger rasseverwandt diese Nationen unter einander sind, so konnen auch
ihre Sprachen nicht den gleichen Bau aufweisen. In der Tat gruppiert
man ja die Sprachen nach den Rassen und umgekehrt die Rassen nach
den Sprachen. Aus alledem folgt, dass es unmoglich ist, etwas in einer
Sprache Geschriebenes ganz genau seinem Inhalt, seinem Ausdruck und
seiner Form nach in einer andern Sprache wiederzugeben. Es kann dies
vielmehr nur anniherungsweise geschehen ; und je starker diese Annaherung
geschieht, um so besser ist die Ubersetzung. Es gibt nun zwei Arten von
Ubersetzungen. Die einen Obersetzer suchen den Geist der Original-
sprache zu erfassen und nahern dieser mehr oder weniger die Ubersetzungs-
sprache. Die andern bemuhen sich dagegen, das Original mehr dem Geiste
der Obersetzungssprache anzupassen. Diese zweite Art ist gegenwSrtig die
hdufigere; sie ist leichter, aber auch oberflachlicher. Dass die Tagespresse
aller Kulturvdlker gegenseitig aus sich schopft und fortwahrend ein Uber-
setzen hinuber und hertiber notig macht, bringt ohnehin den Gesellschafts-
jargon der verschiedenen Volker einander immer nSher, wodurch aber auch
eine allgemeine Veroberflachlichung der Sprechweise herbeigefuhrt wird
und insonderheit die wurzelhaften Sprachen, wie die deutsche, Gefahr
laufen, ihre Kraft und Urspriinglichkeit einzubiissen. Im internationalen
Verkehr schleifen die Volker immer mehr ihre Sonderheiten ab und kommen
einander dusserlich und schliesslich auch innerlich ahnlicher, Doch ist
III. 20. 7
Digitized by
Google
OS
DIE MUSIK III. 2a
dies nur durch eine Nivellierung, also durch Verlust der Eigenart, mdglich.
Denn das Wesen des Menschen ruht in der Wurzel seiner Nation und
nicht in dem Bewusstsein, unter dem ziemlich unklaren Begriff „Mensch" zu
rangieren. Der menschliche Fortschritt liegt nicht im Internationalen, son-
dern im Obernationalen. Wahrhaft ubernational ist aber vor allem das echte
Kunstwerk neben echter Pbilosophie und wahrer Religion. Alle diese hdch-
sten Guter entstehen stets nur in einer Nation, mussen aber alien Nationen
zuggnglich gemacht werden. Dazu bedarf es der Obersetzungen, und zwar
der Obersetzungen der ersten und besseren Art, wobei der Obersetzer bestrebt
sein muss, in den Geist der Originalsprache einzudringen und ihn in den
Lauten der Sprache seines (des Obersetzers) Volkes wiederzugeben.
Die Prosa, als die ungebundene Rede, erleichtert diesen Prozess; die
Poesie, als die gebundene Rede, erschwert ibn. Dazu kommt noch, dass
die Prosa, auch wenn sie grosses zu sagen hat, sich doch im grossen und
ganzen der tiglichen Redeweise bedient, wahrend die Poesie um so tiefer
in die Grunde der Sprache hinabzutauchen strebt, je gedankenvoller und
formschdner sie ist. Somit folgt, dass die Obersetzung einer Dichtung be-
sonders schwierig ist. Handelt es sich aber gar um ein musikalisches Drama,
bei welcbem dem Worte eine ausdrucksvolle und organisch-unaufldslich ver-
bundene Melodic und dieser wieder ein instrumental-symphonischer Musik-
strom zugrunde liegt, so hat die Schwierigkeit des Obersetzens ihren hochsten
Grad erreicht. Denn in einem solchen Gesamtkunstwerk werden selbst
Rhythmik und Metrik von der blossen Form zum innersten Ausdruck er-
hoben; in ibm werden infolgedessen die schweren und leichten Akzente, der
Hoch- und Tiefton, die Hauptsilben und die Nebensilben, ganz unverruckbar
festgelegt. Der Obersetzer ist somit nicht nur an die Silbenzahl der einzelnen
Verse des Originals gebunden, sondern auch an die rhythmisch-dynamische
Anordnung und Verteilung dieser Silben. Dieser Umstand ndtigt den Ober-
setzer bisweilen zur Vergewaltigung seiner Muttersprache, aus dem einfachen
Grunde, weil alle Sprachen sich in rhytbmischer und dynamischer Hinsicht
unterscheiden, hier aber Rhythmik und Dynamik schon durch die musikalische
Grundlegung des Kunstwerks unabanderlich bestimmt sind. Die Hauptaufgabe
eines Obersetzers ist somit die mdglichste Anpassung seiner Muttersprache
an die Originalsprache mit mdglichst geringer Schwachung der ersteren.
Dass nun gerade die Obersetzung der Kunstwerke Richard Wagners
und unter diesen wieder der .Ring des Nibelungen" ganz besonderen
Schwierigkeiten unterworfen ist, soil in den folgenden Ausfuhrungen klar-
gelegt werden, und zwar im wesentlichen an der Tetralogie. Von der
Obertragung ins Englische kdnnen wir dabei absehen. Denn die englische
Sprache ist der deutschen stammverwandt. Der Obersetzer braucht nur
die romanischen Elemente mdglichst auszuscheiden — was nicht schwer
Digitized by
Google
90
MEY: ROMAN. ,RING«-OBERSETZUNGEN
ist, zumal auch englische Dichter, Shakespeare voran, die germanischen
bevorzugen — und sich auf die angelslchsischen und keltischen zu be-
schrfinken. Diese haben ihre Wurzelkraft in ahnlicher Weise bewahrt wie
die deutschen Stamme und sind gleich diesen zum Stabreim geeignet, der
ja die sprachliche Eigentfimlichkeit des „Ripg" ausmacht. Ob die gegen-
wirtig existierende engliscbe Ubertragung dieses Werkes so vorzfiglich ist,
dass sie als die voraussichtlich endgfiltige und klassische anzusehen ist:
das zu beurteilen fiberlassen wir anderen und wenden uns vielmehr den
romanischen „Ring"-Obersetzungen zu, von denen uns eine italienische,
eine franzosische und wesentliche Teile einer spaniscben bisher vorliegen.
Bis vor zehn Jahren ist man in den romanischen L&ndern gewohnt
gewesen, Wagners Bfihnenwerke als Opera im hergebrachten Sinne anzu-
sehen, seine Buhnendichtungen folglich als Libretti. Diesen pflegte man
im allgemeinen keine ubermSssige sprachliche Sorgfalt zuzuwenden, wenn
auch der romanische Librettist immer noch mehr Dichter war als "der
deutsche. Eine halbwegs dramatische Deutlichkeit geniigte, weil ja doch die
Musik mit ihren zahlreichen verschiedenartigen Nummern die Hauptsache
war und der poetische Inbalt erst in zweiter Linie in Frage kam. So
wurde auf den poetischen Ausdruck im Libretto nur sehr oberfl&chlich ge-
achtet; und man verzichtete nicht nur auf gedankliche Tiefe, sondern man
sah auch fiber Seichtigkeiten und Fltichtigkeiten wohlwollend hinweg. Mit
solchen Libretti stellte man nun Wagners Dichtungen auf eine Stufe,
woruber man dem romanischen Auslande keine Vorwfirfe machen kann,
weil man es anfangs und Jahrzehnte hindurch in Deutschland nicht anders
machte und noch heute viele deutsche Literaturgeschichten einen Richard
Wagner nur in den Kapiteln fiber Minne- und Meistergesang in Anmer-
kungen unterm Text erwahnt als einen, der die Dichter und Stoffe jener
Literaturperioden in Opern behandelt und som.it nach der hochweisen
Ansicht pedantischer philologischer Schulffichse eigentlich schwer gemiss-
braucht hat. Also man wandelte Wagners Buhnendichtungen in romanische
Libretti urn. In Frankreich ist in dieser Hinsicht Victor Wilder zu nennen
(f 1892). Wir wollen seine Verdienste urn Wagners Kurist und seine
Qegeisterung fur den Meister weder kfirzen noch verkennen: er war ein Kind
seiner Zeit und verstand Wagner nur als Musiker und Opernkomponisten,
wenn auch als den bedeutendsten. Der klassische franzdsische Wagner-
ubersetzer aber, Alfred Ernst (1860—1898), nennt Wilders Ubertragung
eine verhflngnisvolle (fatale) und bekSmpft sie mit grossem Eifer.
Eine italienische Ubersetzung des ganzen ,Ring des Nibelungen*
liegt vor von A. Zanardini, vermutlich die einzige (bei F. Lucca in
Mailand erschienen). Sie nennt sich „versione ritmica*, d. h. der Uber-
setzer verzichtet allerdings auf die fiblichen, gar auf die gereimten Li-
Digitized by
Google
166
DIE MUSIK III. 20.
brettoverse. Aber er strebt immer moglichst nach dem Theatervers zuriick,
was man scfaon daraus erkennt, dass er die Kurzverse des Originals mit
ganz wenig Ausnabmen zu Langversen macht. Alliteration ist bei ihm
durchaus nicht ganz und grundsatzlich ausgeschlossen : widerspricht sie
doch nicbt dem Charakter der italieniscfaen Spracbe, und flnden sich doch
sogar ganz herrliche Beispiele von ihr bei Dante. Aber Zanardini wendet
sie nicht wesentlich an, sondern gebraucht sie nur da, wo sie sich
ihm ohne grosse Schwierigkeit von selbst darbietet. Infolgedessen wirkt
sie bei ihm mehr fur das Auge als fur das Ohr. Durch diese beiden
Umstande — Aufldsung in den breiten aber fiachen Strom der Langverse
und Mangel wirklich sinnftlliger S tab re i me — verliert die Sprache des
Ubersetzers gegenuber der des Originals ungemein an Kraft. Aber durch
ihren Vokalreichtum und das fast vollige Fehlen von Konsonantenhaufungen
ist die italienische Sprache der deutschen Spracbe, zumal der Sprache im
.Ring des Nibelungen", von alien romanischenSpracben&usserlich am meisten
entgegengesetzt, obwohl sie ihr in bezug auf Wurzelhaftigkeit immerhin
viel naher steht als die franzosiscbe. Deshalb musste die italienische
Sprache mit ihren weichen und sanften Kl&ngen sich auch am meisten da-
gegen striuben, das Kraftvolle, aber Rauhe und Harte der deutschen Sprache
wiederzutdnen, ebenso wie diese unfthig ist, Dante's und Petrarca's Gesange
in ihrer ganzen Klangschdnheit wiederzugeben. Diese Ubelstinde muss
man also von vornherein mit in Abrechnung bringen, wenn man die
italienische „Ring"-Ubersetzung mit ibrem deutschen Original vergleichen will.
Wenn sich aber Zanardini auch davor hutet, Wagners Sprache durch
Einzw&ngung in die gebrauchliche italienische Librettometrik g&nzlich ihrer
Kraft zu berauben; wenn er auch die Silbenzahl der einzelnen Phrasen so
weit wie moglich beibehilt und nur im Fall der Not Nebensilben hinzu-
fugt oder hinwegnimmt: so lasst er doch bei seiner Obersetzung den
musikaliscben Akzent fast ganzlich aus dem Spiele, so dass dieser oft nicht
mit dem Sprachakzent zusammenfiUlt und identisch ist, was ja gerade einen
der Hauptvorziige des Originates ausmacht. Ein Beispiel mag fur viele
genugen. Siegmund beginnt seinen Monolog am Anfang des dritten Auf-
trittes des ersten Aufzuges der „Walkure* mit den Worten: „Ein Schwert
verhiess mir der Vater". Der sprachliche und also der musikalische Akzent
liegt in diesem Verse auf der zweiten Silbe, und mit Recht; denn diese
nennt das wichtigste Wort des Satzes: das Schwert, das der waffenlose
Held notwendig braucht und das ihm einst sein Vater verhiessen hat.
Zanardini ubersetzt aber: ^Promise un brando il padre", worin „brando"
der naturliche Sprachakzent ist, w&hrend der ein fur allemal gegebene
musikalische Akzent auf „ promise* mit, also mit jenem in Widerspruch
gerit. Das bedeutet aber nichts Geringeres, als dass die Musik und die
^^
101
MEY: ROMAN. „RING"-UBERSETZUNGEN
Poesie nicht mehr zusammenstimmen, das Kunstwerk also aufhort, Ge-
samtkunst zu sein! Es sei gleich vorausgeschickt, dass die noch zu er-
wahnenden franzosischen und spanischen Obersetzer diese Stelle richtig
bringen und nicht der Musik widersprechend deklamieren (franzosisch : ,Le
fer promis par mon pfcre"; spanisch: .Un brand prometrem va'l pare").
Im ganzen kdnnen wir das Urteil abgeben, dass die italienische Ubersetzung
des ,Ring des Nibelungen" von Zanardini wohl literarisch sehr sch&tzens-
wert ist, dass sie aber einer klassischen Ubersetzung fur den Buhnengebrauch
noch keineswegs entspricht, weil ihr Verfasser oder Verfertiger sich auf die
allgemeinste Sprachversmetrik und deren getreue Wiedergabe beschrinkt,
den musikalischen Akzent der Verse aber zu wenig beachtet hat.
Obersetzungen der Dichtungen nicht nur fur den Leser und Liebhaber,
sondern fur die Bub nenauffub rung und fur den Gesang geschaffen zu haben,
ist nun das Verdienst des Franzosen Alfred Ernst fur die franzosiscbe und
der Spanier Anton Ribera, Salvador Vilaregut und Xavier Viura
fur die spanische Btihne. Der Franzose eroffnet seine ,Walkure a - Uber-
setzung (.La Walkyrie", 1894), die Spanier ihre w Rheingold" - Uber-
setzung („L'or del Rhin", 1902) mit je einer l&ngeren Vorrede, worin die
Gescbichte dieser Obersetzungen und die Arbeit des Obersetzens klargelegt
wird. In beiden ist das Verfahren im wesentlichen das gleiche. Da es
geradezu einen Musterkursus fur alle diejenigen darstellt, welche Dichtungen
und insbesondere musikdramatische Dichtungen ubersetzen lernen wollen,
so soil ein wenig bei diesen Vorreden verweilt werden.
Alfred Ernst, welcher die Obersetzungen der .Walkure" von
M. Lafontaine in Brussel (1885) und des .Parsifal* von Frau Judith
Gautier (1893) als vortrefflich, aber nicht dem Gesang angepasst erw&hnt,
fasste bereits 1884, als er den .Ring des Nibelungen" in Munchen gehort
hatte, den Plan, dieses Kunstwerk durch eine auch auf die musikalische
Betonung im hdchsten Masse Rucksicht nehmende Ubersetzung auch der
franzosischen Nation zuginglich zu macben. Als echt franzosisch Em-
pfindender dachte auch er anfangs an eine Obertragung in Versen mit End-
reimen, ging aber bald nach Beginn dieser wieder davon ab, weil er durch
intimeres Studium der Kunst Richard Wagners bald das Verfehlte seines
Beginnens einsah. Er bemuhte sich von nun ab vielmehr, jede einzelne
Phrase der Dichtung moglichst wdrtlich zu ubersetzen unter Beibehaltung
derselben Rhythmik und Dynamik und unter fortw&hrender Berucksichtigung
der Musik. Gesangstimme und Klavier genugten ihm dazu nicht einmal;
sondern er liess einige wichtigen Szenen auch mehrmals mit Orchester
probieren, in Paris und anderwdrts, einzig um die sinnliche Wirkung seiner
Ubersetzung zu ermessen und von anderen Kunstverst&ndigen priifen zu
assen. Er zlblte die Silben nicht, wie es in der franzosischen Poesie ge-
Digitized by
Google.
102
DIE MUSIK III. 20.
schieht, sondern er wog sie, und zwar mit erstaunlicher Peinlichkeit. Ob-
wohl er selbst ein sprachkundiger Gelehfter war, begehrte er auch noch
den Rat deutscher Wagnerkenner, die ihn auf dies und jenes aufmerksam
machten ; und auch Frau Cosima Wagner, welcher unter alien Obersetzungen
der Dichtungen des Meisters an der franzesischen am meisten gelegen sein
musste, interessierte sich nicht nur lebhaft fur Ernsts Titigkeit, sondern
fSrderte sie gleichfalls durch Rat und sachkundige Unterstutzung. Leicht
war die Aufgabe des jungen, kunstbegeisterten Franzosen keineswegs.
Denn von alien romanischen Sprachen ist die franzosische innerlich der
deutschen am meisten entgegengesetzt. Im Franzdsischen ist jede Em-
pfindung fur Wortwurzeln erstorben. Man betont in ihr beim gewdhnlichen
Sprechen entweder gar keine oder die letzte Silbe ; und in der poetischen
Deklamation sind metrischer und Satzakzent keineswegs identisch. Da aber
der deutsche Stabreim gerade die Wortwurzeln fur die sinnliche Wahr-
nehmung in Verbindung bringt, so lisst er sich im Franzdsischen nicht
durchfuhren, sondern nur gelegentlich nachahmen. Auch Ernst musste
daher zu seinem Schmerze auf die Anwendung der Alliteration verzichten.
Wo sie sich ihm bot, gebrauchte er sie aber mit prichtigster Wirkung und
fuhrt selbst als Beispiel seine Obersetzung der Verse an: „da bleicht die
Blute — das Licht verlischt", welche bei ihm lauten: „la fleur se fane,
le feu s'6teint*, wo ^ber immer noch nicht die Stabreimwirkung der
Originalverse erreicht ist. Die VerslSngen des Originals behilt der
franzosische Obersetzer grundsitzlich bei, wodurch schon fur das Auge
seine Obersetzung dem Original ahnlicher erscheint als die italienische.
Nur wenn zwei aufeinander folgende Kurzzeilen zusammen eine einzige
musikalische Phrase bilden, teilt er bisweilen diese Kurzverse anders ab
wie Richard Wagner, wenn es namlich der franzdsische Satzsinn erfordert.
So schreibt z. B. der Meister: „WafFenlos Bel ich / in Feindes Haus", lisst
aber diese beiden Verse auf eine einzige melodische Phrase singen; der
Obersetzer geniert sich daher nicht, da es der Sinn im Franzdsischen er-
heischt, diese Worte so wiederzugeben : „Sans 6p6e / en la prison de mort".
Hier liegt ubrigens ein auffSlliges Beispiel nicht wdrtlicher Ubertragung
vor, wie sich deren bei Ernst nur wenige finden; dennoch gibt er den
Sinn auch hier richtig wieder und verstdsst somit nicht gegen den musi-
kalischen Ausdruck der Frage, wie er denn auch in den folgenden beiden
Versen den etwas sehr unbestimmten Sinn des vorhergehenden spezialisiert :
„au pouvoir de l'homme / qui me hait!" („ seiner Rache Pfand / raste ich
hier"). So oder ihnlich verfihrt Ernst, wenn ihm eine wdrtliche Ober-
setzung nicht mdglich war, immer, so dass seine Ubertragung von hochster
Korrektheit ist. Er selbst berichtet, dass er dabei der franzdsischen
Sprache manchmal babe Gewalt antun mussen. Indessen wurden in diesen
Digitized by
Google
^
&
103
MEY: ROMAN. „RING«-OBERSETZUNGEN
Fillen auch fur den Franzosen alle Zweifel schwinden, wenn er die be-
treffendcn Verse nicht bloss lese, sondern singen hdre. z. B. gibt Ernst die
Verse: „Siegmund heiss' ich / und Siegmund bin ich" wieder mit: „Sieg-
mund suis je / et Siegmund ose", d. h. er wendet die Inversion in einer
der franzdsischen Grammatik widersprechenden Weise an. Doch sagt er,
der musikaliscbe Akzent dieser Verse liege so stark und deutlich auf den
ersten Verssilben, dass man beim musikdramatischen Vortrag gar nicht im
Zweifel daruber sein kdnne, dass es sich um keine Frage handle. Weniger
gut ist schon die italieniscbe Ubersetzung dieser Verse: „Sigmondo mi
nomo, / Sigmondo son io", wegen des hier die Wirkung abschwachenden
Auftaktes ; ausgezeichnet heisst es dagegen im Spanischen : „Siegmund jo'm
dich / y Siegmund soch jo!" — Infolge der grossen Korrektheit gehdrt es
bei Ernst zu den seltensten Ausnahmen, dass er unbetonte Silben dem
Original gegenfiber einschiebt oder a u si ass t; und dies kommt seiner Uber-
setzung sehr zu gute, da es durchaus nicht gleichgultig ist, wenn man in
der ungemein lebensvollen und kriftigen Rhythmik der Sprache Richard
Wagners einen anapistischen Fuss durch einen jambischen, einen daktyli-
schen durch einen trochiischen usw. ubersetzt oder umgekebrt. Wenn
aber z. B. ein ganz genauer Kenner der „Walkure" einer franzdsischen
AuffQhrung dieses Werkes in Ernsts Ubertragung beiwohnen wurde und
so weit von der Buhne entfernt sisse, dass er den Text der Worte nicht
mehr verstehen kdnnte, vielmehr nur noch ihren rhythmischen Fall ver-
nihme: so wurde er glauben, einer Auffuhrung in deutscher Sprache bei-
zuwobnen — so gleicht sich die Rhythmik in beiden Fallen ! Ein grdsseres
Lob kann man aber wohl einer Ubersetzung uberhaupt nicht spenden.
Tritt man allerdings ganz nahe beran, untersucht man Vers fur Vers und
Takt fur Takt, so wird man hier und dort wohl kleine Varianten ent-
decken, weniger rhythmische als dynamische, den Hauptakzent leise be-
einflussende. Aber unter Hinweis auf die schon erwihnten Grunde muss
nochmals festgestellt werden, dass es unmdglich ist, ein Kunstwerk vollig
gleicbwertig und ohne Kraft- und Ausdrucksverlust in einer fremden
Sprache wiederzugeben, dass somit der Ubersetzer nur eine mdglichste An-
niberung an das Original, nie aber eine Kongruenz mit diesem erreichen kann-
Ernst war sich aber auch wohl bewusst, dass es nicht geniigt, das
Formate korrekt zu ubertragen; sondern er vertiefte sich auch in den In-
halt des von ihm zu ubersetzenden Kunstwerkes. Er studierte darin die
poetischen Gleicbnisse und Bilder, drang selbst in den Sinn spezifisch
deutscher Wortspiele und Sprachsymbolik ein und versuchte dabei das,
was sich unmdglich ins Franzdsische ubersetzen liess, in dieser Sprache
wenigstens nachzuabmen, indem er somit gleicbsam den deutschen mit dem
franzdsischen Spracbgeist vermfhlte. Um derartiges zu ermoglichen, dazu
Digitized by
Google
104
DIE MUSIK III. 20.
genugen die besten philologischen und musikalischen Kenntnisse nicht, so
notwendig sie auch sind: dazu bedarf es auch noch eines ausgeprfgt
poetischen Sinnes, ja man mochte sagen direkt dichterischer Befahigung
und asthetischen Schauvermogens. Siegmunds sogenanntes Liebeslied
in der Schlussszene des ersten Aufzugs der „Walkure" bietet vielleicht
die vortrefflichste Gelegenheit, die Vorzuge Ernsts in das rechte Licht zu
setzen. Es handelt sich hierbei nicht nur urn eine poetisch-plastische Dar-
stellung des Friihlings als strahlender Jiinglingsgestalt, eine Darstellung, die
zwar an minnesingerliche Vorbilder erinnert, aber zweifellos die schonste
Schilderung des Lenzes enthalt, die je von einem Dichter gesungen wurde:
sondern der dieses Friihlingslied singende Held identifiziert sich im Laufe
seiner weiteren Rede mit diesem Lenzjiingling, der sich nach der Liebe,
seiner brautlichen Schwester, sehnt, als deren Personifizierung naturlich
Sieglinde gedacht ist. Die innige Vereinigung dieses Paares hat der Dichter
durch die alliterierenden Worter „Lenz" und „ Liebe" lusserst sinnfallig
und eindringlich charakterisiert ; und es fehlt seiner Friihlingsverherrlichung
gewissermassen die Krone, wenn man sich diese beiden Stabreime wegdenkt.
Die Ubersetzer hatten einen doppelt schweren Standpunkt. Erstens war
dieser konsonantische Gleichklang ohne Sinnverletzung in ihrer Mutter-
sprache entweder gar nicht oder nur gewaltsam zu erzielen. Zweitens sind
zwar im Deutschen der Lenz mannlich und die Liebe weiblich und konnen
sich daher zum Paare vermahlen: nicht so in den romanischen Sprachen, wo
die Liebe — dank ihrer Abstammung vom lateinischen „amor a — nun einmal
mannlich ist. Was tun nun die Ubersetzer; wie retten sie sich aus diesen
Schwierigkeiten? Der Italiener macht den Lenz weiblich und lisst die
Liebe mannlich; der Schlussvers: „vereint sind Liebe und Lenz" lautet bei
ihm: „Congiunti son la primavera e amor". Dann aber wire Siegmund
der „amor" und Sieglinde die „primavera tt . Wie kann dann aber der Bruder
die brdutliche Schwester befreien, die ihn lockte? Ist nicht vielmehr gerade
alles umgekehrt? Diese Schwierigkeit hat der italienische Ubersetzer zwar
nicht iiberwunden, aber doch wenigstens erkannt. Denn unmittelbar nach
dem zitierten Vers wird plotzlich Siegmund zum Lenz und Sieglinde singt:
w Sei tu l'april/Cui sospirai / Del verno in mezzo al gel*. Die Spanier
vermeiden diesen Widerspruch. Auch bei ihnen ist der Lenz weiblich und
die Liebe mannlich; und das Lied schliesst: „ units/ Primavera y Amor".
Aber sie halten nicht an der Personifikation des Zwillingspaares mit Prima-
vera und Amor fest, sondern Ziehen sich dadurch aus der Schlinge, dass
sie anstelle der Identification den poetischen Vergleich treten lassen, wo-
durch zwar die dramatische Kraft etwas einbusst, aber doch die Logik gerettet
wird. So ffthrt bei ihnen Sieglinde fort: „Tu ets per mi /la Primavera / qu'en
mitj del Hivem cerquf", also nicht: „du bist der Lenz", sondern: „du bist
Digitized by
Google
105
MEY: ROMAN. ,RING"-OBERSETZUNGEN
fur mich der Lenz", das heisst docb aber: „du bist mir wie der Lenz".
Alfred Ernst wollte aber an der Identifikation von Lenz und Liebe mit
Siegmund und Sieglinde unbedingt festhalten, um die Dichtung des Meisters
unverdndert wiederzugeben. Zunachst mochte er deutlich fuhlen, dass an
dieser Stelle die Alliteration unerlasslich sei, w ah rend die Italiener und die
Spanier sie auch hier fallen gelassen batten. Er verband also mit „amour"
den Wonnemonat „avril a (den ja aucb die Spanier an Stelle unsres Mai
gesetzt haben). Der Stabreim war nun gefunden: „l'amour et l'avril".
Aber beide Worter sind im Franzosischen m&nnlichen Gescblechts. Da balf
sicb denn Ernst durcb eine poetische Lizenz, welche man von Sprach-
vergewaltigung kaum freisprecben kann: cr macbte das Wort „amour"
weiblich! Nun konnte er singen: „ couple^ joyeux, /ils se sont reconnus:
unie est PAmour k l'Avril!" Aus seiner Vorrede ist ersichtlich, dass er
sicb seiner Kuhnbeit dabei gar wobl bewusst war: ^ r aber er beruft sich
darauf, dass sicb altere franzosische Dichter ebenso so grosse, ja ganz fihnliche
Freiheiten bisweilen gestattet batten; und wir meinen, dass wobl kaum ein
kunstsinniger und poesieliebender Franzose sicb an Ernsts Vorgeben stossen
wird, obwobl es kaum denkbar ware, dass ihm die gewaltsame Veranderung
des grammatiscben Wortgeschlechtes bei der Lekture und wobl auch noch
bei der Auffuhrung nicht wenigstens leise ins Bewusstsein treten sollte.
Wo Ernst seine Behandlung der franzosischen Sprache in seiner Ubersetzung
vor seinen Landsleuten rechtfertigen wollte, da musste er sich uberhaupt
auf die franzosischen Dichter vergangener Jahrhunderte berufen; und er
tut dies auch in seiner Vorrede zur Ubersetzung der „Walkure". Er
sagt darin, es sei bisweilen notwendig gewesen, nach kurzen Wortern mit
kraftigem Ausdruck, also gewissermassen nach den deutschen Stammwurzeln
Entsprechendem zu suchen; und diese bitten sich ihm besonders in der
franzosischen Sprache des 16. Jahrhunderts dargeboten, so dass dem literatur-
kundigen Franzosen die Sprache in seiner Ubersetzung gewiss nicht fremd-
artig oder gar unfranzosisch erscheinen wiirde. Es ist gewiss interessant
und eigenartig, dass, wie Richard Wagner auf die Kraft der altdeutschen,
so sein franzosischer Obersetzer auf die Kraft der altfranzosischen Sprache
zuruckgreifen musste, um die Helden der Vorzeit und Sage reden zu lassen.
Aber Ernst war eben mehr als journalistischer Schriftsteller und Librettist:
er war ein feinsinniger und wissenschaftlicher Kenner der franzosischen
wie der deutschen Sprache; und zu seinem theoretischen Wissen gesellte
sich noch das feinste kunstlerische Empfinden und stark ausgepr>er
musikalischer Sinn. Trotz allem Eifer und alien Kenntnissen waren auch
Ernst einige sachliche Irrtumer mit untergelaufen und in der ersten Aus-
gabe der „Walkyrie" stehen geblieben. So hatte er die Stelle missver-
standen: 9 Drohst Du mit Frauen,/so ficht nun selber, / sonst lisst dich
Digitized by
Google
106
DIE MUSIK III. 20.
Fricka im Stich!" und sie wiedergegeben mit: „ Menace les femmes!" usw.,
also: „Bedrohe du Frauen (doch nicht Manner, bewafFnet wic ich!)". Man
kann daraus nur erkennen, wie ausserordentlich schwierig die Aufgabe eines
guten Obersetzers ist, wenn er unter alien Um stand en das Original mdglichst
getreu reproduzieren will. — Ernst ubersetzte auch and re Nibelungenteile
und die „Meistersinger von Nurnberg", wie er denn auch Verfasser
vorzuglicher Schriften und AufsStze uber die Kunst Richard Wagners und
damit Verwandtes war; leider aber hinderte ihn ein beklagenswert fruher
und schneller Tod an der Vollendung seiner Absichten, nimlich des deutschen
Meisters samtliche Dichtungen und Schriften dem franzosischen Volke in
klassischen Ubersetzungen darzubieten. Andre mussten und mussen sein
Werk fortsetzen: moge es ihnen im Geiste und mit dem Erfolge
Alfred Ernsts gelingen, in dem wir geradezu das ideale
Vorbild eines Ubersetzers zu erblicken haben und der fur
Wagners Kunst in Frankreich mindestens dieselbe Bedeutung
hat, wie Schlegel und Tieck fur Shakespeare's Kunst in Deutsch-
land. Ehre seinem Andenken und Nachahmung seinem Schaffen!
Und glucklicherweise hat Ernsts Beispiel Nachahmung gefunden!
Und zwar sind hier die schon erwahnten Spanier zu nennen, welcbe sich
die Ubersetzung der Dichtungen und Schriften Richard Wagners zur Auf-
gabe gemacht haben. Man hat in Barcelona vor zwei bis drei Jahren eine
„Associacio Wagnerian a" gegrundet, die bereits mehrere hundert Mit-
glieder zahlt und die Einfuhrung und Verbreitung der Kunst und Kunstlehre
Richard Wagners bezweckt. Der Spitze dieser ungemein ruhmenswerten,
die meisten deutschen, zu blossen Konzertvereinen herabgesunkenen Wagner-
vereine (von denen wohl nur doch der Berlin-Potsdamer kulturelle Bedeutung
hat) schwer beschSmenden Vereinigung gehoren diese Ubersetzer an. Von
Dichtungen Wagners sind bisher in spanischer (katalonischer) Sprache
von ihnen erschienen: „L'or del Rhin", ubersetzt von Salvador
Vilaregut und Antoni Ribera, und „La Walkyria", ubersetzt von
Xaver Viura und Antoni Ribera. Eine schon 1901 erschienene Ober-
setzung der „G6tterd3mmerung" („E1 Capvespre dels D6us") von
Geroni Zanne und Antoni Ribera kommt fur unsere Zwecke weniger
in betracht, da sie nur literarisch ist und von den Ubersetzern selbst als
eine provisorische angesehen wird. Denn die beiden erstgenannten sind
fur die musikalische Aufftihrung bestimmt und erfreulicherweise mit der
gleichen Sorgfalt und peinlichen Treue vorgenommen worden wie die
franzdsischen Alfred Ernsts. Die „Rheingold"-Obersetzung ist, wie be-
reits gesagt wurde, mit einer Vorrede versehen. Aus dieser geht hervor,
dass die Obersetzer zunichst spanische Gesangskunstler zum Vortrage
Wagnerscber Kunst befihigen mdcbten und erst in zweiter Unie das Interesse
Digitized by
Google
107
^^ MEY: ROMAN. „R1NG«-0BERSETZUNGEN c
dcr ubrigen Gebildeten erwecken wollen. Sie erkennen, dass die erste
Schwierigkeit dabei in der Herstellung guter Ubersetzungen besteht, worin
die spanischen Worte mdglichst genau zu der Originalmelodie passen. Auch
sie gehen also auf die moglichste Wahrung der melodischen Form und der
rhythmisch-dynamischen Bewegung aus. Sie geben aber zu, dass sich bier
bisweilen Hindernisse entgegenstellen, die nicht ganz zu beseitigen sind.
Infolgedessen seien bisweilen kleine Modifikationen unvermeidlich, zu gering,
um den musikalischen Sinn zu schadigen, wie die Verteilung einer Silbe
auf zwei Noten oder die Einfugung oder Unterdruckung einer unwesentlichen
Pause. Immer aber, sagen sie, seien sie ernstlich und ausnahmslos bestrebt
gewesen, eine genaue Obereinstixnmung der musikalischen Phrase mit der
text lichen Konstruktion herbeizuftihren. Hauptsachlich infolge ihrer
Konsonantenhaufungen sei die deutsche Sprache besser als die spanische
zu wirkungs- und machtvoller Akzentuierung geeignet; am meisten Schwierig-
keiten biete dabei der Stabreim, und zwar besonders im v Rheingold"
(nimlich weil dort die Sprache ihren wurzelhaften Anflngen noch naher
steht als in den andern Teilen der Tetralogie, wo sie sich unmerklich in
der Richtung nach der spateren Konventionssprache hinbewegt und ent-
wickelt — d. V.); und die spanische Sprache sei zu einer grundsfitzlichen
Anwendung der Wagnerschen Alliteration nicht geeignet, weil diese mit
ihrem Wesen in Widerspruch stehe: jedenfalls hitten sich aber die Uber-
setzer zu erreichen bemuht, dass einerseits der Text vor allem voll zur
Geltung kime und dass er sich andrerseits doch mit moglichster Genauigkeit
und Treue dem musikalischen Ausdruck des Originales anpasse. Man er-
kennt, dass die Ubersetzer sich der Schwierigkeiten ihrer Aufgabe voll-
bewusst gewesen sind, dass sie aber auch den richtigen Weg zur Ldsung
eingeschlagen haben. Und ihre bisher veroffentlichten Leistungen sind
Meisterstucke der Ubersetzungskunst! — Ein Beispiel sei noch an-
gefuhrt, um zu zeigen, wie sie auch den Stabreim anzuwenden v erst eh en,
wo sie ohne ihn die Gesamtwirkung fur unmoglich halten. Es betrilft gleich
die ersten Worte im „Rheingold"; hier sei es durchaus notwendig gewesen,
die Alliteration mit dem W-Laut durchzufuhren, um dadurch das Rauschen
der Wellen anschaulich zu machen. Diese Stabreime sind den Obersetzern
nun so ausgezeichnet gelungen, dass zwar nicht ganz der tiefe Sinn, wohl
aber vdllig der wunderbare Klangzauber des Originals erreicht wird. Wir
bringen sie zum Schluss und stellen links die deutschen und rechts die
italienischen Worte zur Vergleichung daneben:
Weia! Waga! Weia! Waga! Wagalaweja! (!)
Woge, du Welle, Vina, ona verda, T'agita, culla,
walle zur Wiege! vina I ma vora! Onda soave,
Wagalaweia! Wagalaweia! La ma ftnciullt! (!)
Vallaja weiala weia! Wallala weiala weia! Wallala weiala! (!)
Wagalaweja! (!)
Digitized by
Google
]ie Kompositionen Richard Wagners fiir einen der bedeutendsten
ind bevorzugtesten Zweige instrumentaler Kunst, fur das
Clavier, haben heute nur einen relativen Wert. Man verfolgf
las Genie oft von seiner Schlussentwicklung aus nickwirts und
misst seine Grosse gern an seinen kleinsten Studien und ersten Skizzen.
Es interessieren nicht so sehr die Veranlassung, die Umstfnde, unter denen
sie entstanden, als vielmehr das individuell-historische Moment, das den
Werdegang eines Talentes zum Inhalt hat, also das Geistige in ihnen, und
seine Beziehungen zur Zeit, d. h. das Verhiltnis zur dermaligen Kultur und
das Verhaltnis des kaum fliigge gewordenen kunstlerischen Individuums zur
ausgereiften kunstlerischen Individualitat. Wie der „junge" Goethe, der
Jandr&tliche" und spfitere Bundesgesandte Bismarck bei der Beurteilung
ihrer Gesamtpersonlichkeit ausserordentlich schwer ins Gewicht fallen, so
dfirfen — wenn auch nicht in dem Masse wie die ersten Fruchte jener —
auch diese wenigen Klavierkompositionen Richard Wagners, teils als
schablonenhafte Versuche, die ausgesate Saat aus harter Krume zu locken,
teils als erste Keimesbildungen einer intensiveren Kultur einigen Ansprucb
auf Beachtung erheben. Allerdings beweist seine Entwicklung, die im An-
fang keineswegs gleichmassig verl&uft, sondern eher das Aussehen einer
zick-zackartigen Fieberlinie in graphischer Darstellung hat, dass ein Kunst-
werk wie Schillers w Rauber" oder Goethes „Gotz" musikalisch unmdglich
ist. ,Von grossen Dichtern wissen wir, dass sogleich ihre Jugendwerke
das ganze Hauptthema ihres produktiven Lebens mit grosser Pr&gnanz auf-
zeigen; anders trelfen wir es beim Mustker an. Wer mochte in ihren
Jugendwerken sogleich den rechten Mozart, den wirklichen Beethoven er-
kennen, wie er dort den vollen Goethe und in seinen Aufsehen erregen-
den Jugendwerken sofort den wahrhaftigen Schiller erkennt?" (Richard
Wagner.) Sehr richtig; denn selbst Mozart und die Sommernachtstraum-
musik des 1 7 jihrigen Mendelssohn sind kein Gegenbeweis, da irrtumlicher-
weise fiber dem Ph&nomen Mozart der geniale Arbeiter Mozart, der auch
erst Holz bohren musste, ehe er alles spielerisch leicht fiberwand, vergessen
wird, und auch Mendelssohn auf einem Boden gross geworden ist, der an
Dung und geistigem Schwung nichts zu wunschen ubrig liess. Das ist
Digitized by
Google
lOd
> BREITHAUPT; WAGNERS KLAV1ERMUS1K
uberhaupt der grosse Unterschied : dcr Poet hat in der Muttersprache cin
organisches Ganze fertig vor sich, der Musiker muss sich seine Sprache
zumeist erst schafFen. Auch der grosse Dramatiker Wagner ist nicht iiber
Nacht gereift, hat auch keineswegs alles einer genialen Beanlagung allein
zu verdanken, sondern ist wie alle anderen durch den strengen Stil, den
vierstimmigen Satz, Kontrapunkt und Fuge (vgl. die vierstimmige Fuge
fur Singstimmen iiber: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und
die Herrlichkeit", cf. Tapperts Ende dieses Jahres im Hannonie-Verlag er-
scheinende Wagner-Biographie) hindurch gegangen, ehe ihn das Leben und
er seinerseits das Leben im tiefsten Kern erfasste. Aber eines ist sicher
zu sagen: Er hat den Fehler zu vermeiden gewusst, in diesen Elementar-
dingen zu arbeiten, um zu arbeiten; vielmehr hat er darin nur gearbeitet,
um sich in den Besitz der Mittel zu setzen, und sich im ubrigen an den
lebendigen Organisxnus des Kunstwerks selber zu halten. Hier hat er
kunstlerisch wahrscheinlich mehr gearbeitet als alle ubrigen, und die Vor-
stellungsgabe des schwarmerischen Traumers im Pichhof, sein Wissen und
Erleben z. B. von Beethovens Welt hatten schon damals manchem ein
Fingerzeig sein kdnnen. Noch heute ist es so: An der Kraft der Liebe
und Hingabe an einen Genius erkennt man die Grosse des Talentes.
Dass Richard Wagner so wenig gerade fur Klavier geschaffen hat, ist
nicht weiter zu verwundern. Zunfichst lag das Seelisch-Primitive und die
Ausdruckslosigkeit des Instrumentes seiner von HofFmannschem Mystizismus
erfiillten und nur um Theater, Buhne und Szene kreisenden Ideenwelt viel
zu fern. Beethovensche Orchestermusik (besonders die Egmont-Musik),
Mozarts Requiem, Auber's w Stumme M spielen in die wirre Traumeswelt
seiner vom Rampenlicht erhitzten Phantasie mit hinein. Was Wunder,
dass er (ausser einer fruhesten Sonate, einem Quartett und einer Arie),
ehe er zu dem Soloinstrument griff, sofort mit Ouverturen fur grosses
Orchester anfingl Seine voll ausladende Natur folgte darin nur dem
Grundsatze Onkel Adolfs: „Bedenke, wie wissenschaftlich gebildet Karl
Maria v. Weber war, und dass Virtuositat gar zu oft den Fluch der Ein-
seitigkeit trigt. Auch die Kunst ist, wie alles, was der Geist ausgebiert,
eine unendliche Welt, die aus dem Grossen und Ganzen betrieben sein
will!" Daneben fallt der Mangel an pianistischer Durchbildung in die Wag-
schale. Richard Wagner war kein Klavierspieler, vor allem kein Klavierist im
modernen Sinne. Spotter behaupten, er sei iiber Webers „ Jungfernkranz"
nicht hinausgekommen. Aber das ist nicht wahr. Er ist an dem Mecha-
nischen dieser Kunst, also an dem, was sich auf die Fingerakrobatik be-
zieht, gescheitert. 1 ) Seine Intelligenz stand schon damals auf einem hoheren
Niveau als die Hirnlosigkeit von Klaviervirtuosen und Heldentendren —
') Vergl. R. Wagner: .Gesammelte Schrifren" Bd. I: w Autobiographische Skizze",
Digitized by
Google
no
DIE MUSIK III. 20.
und je hdher der Intellekt, urn so grosser sein Widerstand gegen das, was
ihn in seiner Entwicklung hindert, was ihn IShmt und totet: gegen gelstige
Fronarbeit und stumpfsinnige Maschinenleistung. Richard Wagners pia-
nistische Unfertigkeit beruht auf nichts anderem, als auf einer starken
Idiosynkrasie gegen technisch-mechanische Ubungen. Er betrachtete das
Instrument mehr als Begleitinstrument und Klangvorstellungsinstrument.
In seiner „Autobiographischen Skizze" sagt er nicht ohne Stolz, „er babe
nie Klavier gelernt". In dem Essay „Oper und Drama* (IV 9 und 10)
nennt er das Instrument „tonlos" und beschrinkt es auf die FMhigkeit,
„die Musik nur zu schildem*. Er fugt sogar hinzu, „dass es nicht
bedeutungslos sei, dass der grosste Klavierspieler aller Zeiten, Liszt, sich
gegenwirtig mit so machtvoller Energie dem tonenden Orchester und
gleichsam durch dieses Orchester der lebendigen menschlichen Stitnme
sich zuwende . . ." Seine spatere Klavieristerei tragt den Stem pel kom-
positorischer Klangverbesserungen und -Verdeutlichungen oder orchestraler
Ulustrationen. Sicherlich ist er, wie jeder produktiv SchafFende, der in
einiger Beziehung zu seinem klavieristischen Interpretationsmittel lebt,
auch in der „Kunst der Fingerfertigkeit" gewachsen, aber nur wenig. Er
spielte „geistig" und uberliess das ubrige dem meist bedeutenden
Phantasievermogen seiner oft erlauchten Umgebung. Immerhin bestStigt
Glasenapp die Gabe der Improvisation. Danach hat Wagner als Student
in einem alten Gasthaus zu Eutritzsch bei Leipzig, das durch den Besitz
eines Klaviers zu der populSren Benennung „Klavierschenke" (spater
,alte Oberschenke") gelangte, getanzt und zum Tanze als Improvisator
aufgespielt (cf. Glasenapp I, 139). Er hat auch die Mutter unserer beiden
grossen Sfingerinnen Marie und Lilli Lehmann, Marie Lowe, die dem Leipziger
Hoftheater unter Dorn angehorte, auf dem Instrument zum Gesang be-
gleitet. Aus den wertvollen Erinnerungen von Frau Mathilde Wesendonk
(cf. Glasenapp II, 2—52) erhellt, dass er ihr Beethovensche Sonaten vor-
spielte, und wenn er eine der Symphonieen des grossen Tragikers zu diri-
gieren hatte, ihr diese anschaulich darstellte und erklarte. 1 ) w Einmal
auf einem gemeinschaftlichen Ausflug nach Brunnen spielte er auf einem
Klimperkasten des dortigen Speisezimmers bei einbrechender Dunkelheit
Abschnitte aus der Eroika und der c-moll Symphonie; in der Fruhe aber,
zum Fruhstuck, wurde ich mit Lohengrinklingen begrusst . . ." Dagegen
berichtet Rockl in einem Brief (Mai 1843) an seinen Jugendfreund Fer-
dinand Priger, der damals in London lebte, nachdem er die ubermichtige
Kunsterscheinung Wagners begeistert skizziert hat: v Und doch muss ich
') cf. das herrliche Buch: w Richard Wagner an Mathilde Wesendonk" Brief 20:
,. . . also Morgen (wenn Sie den Spektakel bei sich haben wollen) einfacher Klavier-
abend."
Digitized by
Google
Ill
BREITHAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
Dir nun sagen, dass icb ihn in etwas iiberrage, und das ist das Klavier-
spiel; denn man wird es kaum realisicren kdnnen, dass ein solches
musikalisches Genie so fast lacherlich schlecht Klavier spielen kann; wenn nun
irgend etwas Neues zu begleiten ist, so muss ich ans Klavier, und da bilft
mir mein vom Blatt-Lesen viel, und bin ich zum ersten Male damit selbst
zufrieden* (cf. H. T. Fink, „ Wagner und seine Werke« I, 203). Hierher
gehoren u. a. auch die Beitrage von Frau Wille uber die Zuricher Zeit
<cf. „ Deutsche Rundschau ", Mai und Juni 1887). Danach hat er sich
hiufig ans Klavier gesetzt und Teile aus dem „Tannhiuser" und w Lohen-
grin M gespielt. „Unvergesslich ist mir," sagt Frau Wille, „wie er, ehe er
zu spielen begann, uns den Charakter der Neunten Symphonie erklarte
und die Notwendigkeit des Chors und des Hymnus an die Freude zur
Vollendung der grossen Tonschdpfung nachwies ... Ich habe seitdem die
Neunte Symphonie dfter gehort und mit vollem Orchester; aber dieses
Allegro vivace alia Marcia habe ich doch nur einmal gehort . . . Wagner
sah ernst, gehalten und doch lieblich drein. Eine alte Zuricher Dame,
unsere Hebe Gutsnachbarin, sonst so gemessen und nicbt aus der Fassung
zu bringen, war wie elektrisiert, als er hinterher mit voller Kraft in gross-
artiger Begeisterung den Chor: ,Seid umschlungen Millionen' spiel te.
Mitten drinnen brach er ab. ,Ich kann ja nicht Klavier spielen/ sagte er.
,Ihr applaudiert ja nicht. Nun macht ihr's fertig!' . . ." Dann schreibt er
selbst in einem Brief an Liszt betrelFs der „Walkiire*: »Ich selbst bin
auch ganz unfihig, am Klavier mich damit zu befassen, so dass ich selbst
etwas davon hitte. Das kannst nur Du mir vorfuhren ..." Es ist
natiirlicb, dass der Kampf mit dem Objekt und Wagners Arger uber dessen
Tucke kein geringer gewesen sein mag. Aber ebenso sicher ist, dass die
Fihigkeit, singend und spielend seinen Werken eine grosse Anschaulichkeit
zu geben, keine unbedeutende war (vgl. nicbt nur die „ Walkure" - Auf-
fiihrung in seinem Zuricher Hause mit Frau Heim usw. . . .).*) Er war kein
Klaviertechniker, aber er bat sich an seinen Werken und ihrer tonlichen
Verkdrperung am Klavier mahlich auch in dieser Kunst exnporgearbeitet.
Vor Fingerubungen bewahrte ihn sein Genius und das — Geschick, das
ihm die grossten Klavierspieler aller Zeiten: Liszt-Biilow-Tausig-Klind-
worth wie mit dem Zauberstabe zufuhrte und ihn jeder Muhe uberhob.
Dieses Gluck hat auf den geringen Umfang seiner Klavierschopfungen be-
einflussend gewirkt. Man darf sagen: Wenn auch das Klavier diesseits
seiner alles umfassenden Schdpfersphfre lag, so hat ihm doch seine
pianistische, ich will nicht sagen Ungeschicklichkeit als vielmehr Unfertig-
*) cf. .Richard Wagner an Mathilde Wesendonk": pag. 69, pag. 149 Brief 77, pag. 183
(„Tannhiu9er" dem Dir. des Thtatre Lyrique Mr. Carvalho vorgofuhrt) und pag. 235
(.Tristan" einigen jungen Deutschen in Paris vorgespielt).
Digitized by
Google
112
DIE MUSIK III. 20.
keit die Lust benommen, sich zu dem Instrument anders als zu einem
blossen Inter pretationsobjekt zu stellen. Die Annahme, dass er bei grosserer
Geschicklichkeit und Durchbildung nicht nur dem Instrument als solchem mehr
Interesse abgewonnen haben wurde, als auch mehr fur dieses geschaffen
hatte, hat kaum einige Wahrscheinlichkeit fur sich. Dem ausserordentlich
feinen und sensiblen Organismus der ganz auf das Farbliche gestellten und nach
dieser Seite bin ausserst reizbaren Psyche konnte die klavieristische Monotonie
nicht genugen. Dazu kommt, dass sich Inhalt und Form des Kunstwerkes be*
dingen, und dass, je grosser die Idee, um so grosser die Mittel sind. Die
weitausgreifende^Phantasie, der plastische Sinn des Vollblutdramatikers
konnte sich nur im Orchester verkorpern. (Vergl. R. Wagner: „Gesammelte
Schriften* Bd. I: „Ein glucklicher Abend.") Dem makrokosmischen Genie
war der Mikrokosmos eines einzelnen Instrumentes zu eng. Man halte z. B.
Chopin und Wagner einander gegeniiber, und man wird sich der ungeheuren
Verschiedenheit und Entfernung dieser beiden Welten bewusst werden: die
eine von planetarer Grossartigkeit, die andere nur ein Fixstern im All der
Kunst.
Im einzelnen zerfallt seine Klaviermusik (ausgenommen die Lieder-
begleitungen) in „Mussarbeiten" und „Gelegenheitskompositionen". Zu
den Mussarbeiten rechne ich:
1. Die Sonate in B-dur (4/4), viersitzig, „Herrn Theodor Weinlig, Kantor und
Musikdirektor an der Thomasschule zu Leipzig hochachtungsvoll gewidmet".
2. Die Polonaise in D-dur zu vier Hinden. Diese beiden Kompositionen flnden
sich im Verzeichnis „Neuer Musikalien" im Verlag von Breitkopf & Hirtel in Leipzig,
Ostermesse 1832 unter der Rubrik „fur Pianoforte allein": Wagner, R., Sonate,
20 Gr., und in der Abteilung „fur Pianoforte zujrier HSnden": Wagner, R., Polonaise
op. 2., 8 Gr. Es sind die ersten Werke,*_die unter seinem Namen publiziert sind und
auch die einzigen, die Opuszahlen tragen.
3. Das zweihandige Arrangement der neunten Symphonie Beethovens, deren erster
Satz mit einem Begleitschreiben am 6. Oktober 1830 an die Firm* B. Schott nach
Mainz ging. Danach verhandelte Schott pers5nlich mit Wagner. Es folgte darauf
der zweito Brief Wagners, in dem er sein Honorar auf 1 Louis d'or pro Bogen, also
auf 8 Louis d'or im ganzen festsetzte. Am 8. Dezember 1831 traf die Antwort ein:
„Abgelehnt". Am 15. Juni 1832 stellte Wagner den inzwischen wegen „0berfullung
an Manuskripten" zuruckgesandten Klavierauszug der Firms abermals anheim und
zwar ohne Honorarforderung mit der Bitte um eine Gegenleistung an Musikalien.
Danach scheint der Auszug ubernommen zu sein und hat viele Jahre im Archiv der
Firms geruht Das Arrangement blieb Manuskript und wurde am ll.Januar 1872 dem
Meister von der Firms zuruckgegeben (vgl. Istel: Wagner und die neunte Symphonic,
„Musik", II. 6. Beethovenhefc). Alle diese genannten Arbeiten sind 1833 komponiert,
also im Alter von 18 Jahren.
4. Eine Phantasie in fls-moll, Manuskript, ungedruckt und im Archiv von Wahn fried.
Nach einer Kopie von Anton Seidl ist sie bei sechs Systemen ca. 16 Seiten lang und
sonatenartig. (Un poco lento, 12/8 Fis-moll; Allegro agitato, 9/8 d-moll; Adagio molto
cantabile, 2/4 D-dur; schliesst wieder mit dem „Un poco lento u .)
Digitized by
Google
113
BREITHAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
5. Eine Soiute in A, die Tappert zitiert: cf. „Musik" I. 20/21 (Bayreuth-Heft)
pag. 1939 „Anmerkungen". Frau Cosima Wagner teilte mir g&tigst mit, dass das Werk
im Original vorhanden, als op. 4 flguriert und funf Bogen lang ist. — Nach W. Tappert
stammt sie ebenfalls aus der Jugendepoche und ist spiter in der Zuricher Zeit
Wagners Freunde Baumgartner gewidmet und an ihn verschenkt Nach der von
Anton Seidl angefertigten Kopie ist sie bei funf Systemen gut 24 Seiten lang und
dreisitzig. (Allegro con moto 3/4 A-dur, Adagio molto e assai eapressivo 12/16 fls-moll,
und durch ein Maestoso eingeleiteter Finalsatz: Allegro molto 4/4).
Zu den Gelegenheitskompositionen sind der Zeit nach zu zihlen:
1. Die Albumsonate in As: „Sonate fGr Mathilde Wesendonk" komponiert im
Sommer 1853, zur Zeit des intimen freundschaftlichen Verkehrs mit den treuen
Zuricher Freunden. Sie trigt die Widmung: „Wisst Ihr, wie das wird?" Erschienen
bei Schott-Mainz. 1 )
2. Das unter dem Namen „Zuricher Vielliebchen-Walzer" (Es-dur) bekannte Album-
blatt. Es trigt die Aufschrift: „Zuricher Vielliebchen-Walzer, Polka oder was sonst".
Dieser Walzer in 32 Takten ist der jfingeren Schwester von Frau Wesendonk
gewidmet, die sich zeitweilig im Wesendonkschen Hause aufhielt (vgl. W. Tappert,
H. Teiblers „Neue musikalische Rundschau* 1896 pag. 83; vgl. Glasenapp II/2, Anh.
pag. 468 sowie die „Musik" I, 20/21 [Bayreuth-Heft], welchem der ganze Walzer als
Beilage mitgegeben).
3. Albumblatt in C-dur (3/4). Der Furstin Metternich fGr ihre tapfere und treue
Gesinnung gewidmet. Es ist komponiert zur Zeit des zweiten gr5sseren Pariser Aufent-
haltes im Gesandschaftshotel des preussischen Gesandten Grafen Pourtales Juli 1861
und zehn J ah re spiter im Verlag von E. W. Fritzsch in Leipzig erschienen. Bekannter
ist es durch die Bearbeitung August Wilhelmjs fur Violine, sowie durch sonstige
Obertragungen geworden.
4. Albumblatt in As (3/4) mit der Aufschrift: „Ankunft bei den schwarzen
Schwinen" (gemeint sind die schwarzen Schwine im Parke des Gesandschaftshotels)
und der Widmung: „Seiner edlen Wirtin, Frau Grifln von Pourtales zur Erinnerung
von Richard Wagner". Im Oktober 1897 als Beilage des .Musikalischen Wochenblattes"
publiziert und gleichfalls bei E. W. Fritzsch erschienen. Bleistiftskizze in Wahn fried
(Feuille d'Album) vorhanden.
5. Albumblatt in Es, wie man bisher gemeint, entstanden zur Zeit des Aufent-
haltes im Schottschen Hause am Weihergarten in Mainz („Meistersinger-Vorlesung*)
und Frau Betty Schott gewidmet. Diese Angabe Weissheimers ist falsch. Das Blatt
war, wie mir die Fir ma Schott liebenswurdigerweise mitteilte, der Dank des Meisters
fur die am 1. Januar 1872 erfolgte Ruckgabe des Arrangements derneunten Symphonie
und ist Frau Schott entweder Ende 1874 oder Anfang 1875 zugegangen. Nach Tappert
ist es 1876 publiziert und bei Schott erschienen.
Das ist alles, dessen ich habhaft werden konnte und das zum Teil
der OfFentlichkeit zugfinglich gemacht ist. Es unterliegt keinem Zweifel,
dass manche kleine Skizze, manch hingeworfener Scherz, manch launige
Dedikation im Laufe der Zeit verloren gegangen ist. Auch wird sich im
Arcbiv von Wahnfried oder in Privatbesitz noch dies oder jenes finden,
') cf : .R. Wagner an Mathilde Wesendonk" pag. 6, Brief 4. Darnach war sie
die erste {Composition seit der Vollendung des Lohengrin (,es ist 6 Jahre her* I) und
der Dank fQr eine von Otto Wesendonk vorgeschoasene Summe.
III. 20. 8
Digitized by
Google
s'
114
DIE MUSIK III. 20.
das sich unter den Begriff „Klaviermusik" subsumieren liesse. 1 ) Es wird
jedoch unwesentlich sein, und so begnugen wir uns mit dem, was abge-
schlossen vor uns liegt.
Zur Kritik der einzelnen Teile mochte ich folgende Punkte heraus-
greifen:
I. Die Sonate in B-dur, die bekannteste unter seinen Jugend-
leistungen, die Glasenapp als „hochst einfach und bescheiden" angibt,
charakterisiert sich als Schiilerarbeit. Sie ist das Produkt der halbjahrigen
Arbeit unter Weinlig und dem verehrten, ungemein klaren und praktischen
Lehrer, der den Druck veranlasste, gewidraet. Man darf an die Arbeit
keinen absoluten Massstab anlegen, sondern muss sie unter dem Gesichts-
punkte verstehen, dass sie vielleicht eine, und zwar eine der besten von
vielen in der damaligen Zeit ausgefiihrten Skizzen war. Es spricht
schliesslich auch der Zeitgeist mit, der eben anfing, Mozart vollauf zu
wurdigen (obwohl gar nicht im Sinne Richard Wagners) und Beethoven in
den Konzerten regelmassig durchzuspielen. Daneben fallt die geringe
Gewandtheit des jungen Schulers im Ausdruck der neuen Tonsprache und
der Zwang Weinligs mit ins Gewicht. Jedenfalls war Richard Wagner kein
Wunderknabe, sondern hat wie alle von der Pieke auf gedient. Heute
wire die Arbeit unmoglich, und selbst als Schulerarbeit wurde sie sich
jeder Meister nur mit Kopfschiitteln betrachten, so sehr sind wir mit ihm
und durch ihn gewachsen. Sie ist eine Mussarbeit, die jedes eigene,
personliche Ausleben ausschliesst, — die Frucht des gebundenen Stiles,
gewachsen in der strengen Zucht des vierstimmigen Satzes. Nimmt man
den Einfluss des Lehrers, seine Vorliebe fur Mozart, hinzu, so erkl&rt sich
der Schablonencharakter der Sonate von selbst. Es ist Zwangsarbeit, die
nicht das * geringste Idiom der Wagnerschen Tonsprache aufweist. Sie
atmet, wenn man vom Larghetto absieht, Mozartschen Geist. Unter anderem
treiben Wolfgang Amadeus' Ouverturen („Idomeneo* und „Entfuhrung aus
dem Serail" . . .) darin ihren neckischen Spuk. Allerdings fehlt leider die
Mozartsche Klarheit und Flussigkeit. Die beiden Ecksfitze sind am
unbedeutendsten. Die Themen ohne Tiefe, die Durchfuhrungen matt, die
Modulationen schulgemSss, das Ganze langatmig und voll breiter Wieder-
holungen. Man wird den Eiertanz:
*) Vergl. die Beilage in: .Richard Wagner an Mathilde Wesendonk", die als
„schwieriges" Geburtstagsgeschenk fur Frau W. den vom 15. Dezember 1859 datierten
„beruhigenden" Schluss zum Vorspiel von Tristan und Isolde in einer Klavierskizze
zu zwei HSnden enthSlt. cf. Bf. 98: „Ich habe das Stuck Ihnen so aufgeachrieben,
wie ich es mir ungefShr auf dem Klavier vorspiele: einige b5se Griffe kommen darin
vor, und ich denke mir, Sie werden sich einen r5mischen Baumgartner suchen mfissen,
der Ihnen die Sache vorspielt . . ."
.-^\
115
BREITHAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
ffi* ■ »fl | £^ g|
U8W.
des ersten Satzes schliesslich miide, und freut sich des endlichen Schlusses.
Eigentumlich ist der Klavierstil. £r ist hart und unbeholfen, ohne jede
klaviermissige Geschraeidigkeit. J a, man darf das zweite Thema:
p=±ji ffi=&n ^t+jupf-t r u fl j j?
schon vdllig geigengemass auffassen, oder sich von einer Klarinette ge-
blasen denken, d. h. schon hier den orchestralen Einfluss feststellea.
BegleJtfigurcn wie:
$t*=£tf 'r tfuM rfr
usw.
manche tonleiterartigen Ruckginge, kleine Arabesken als:
|>!Li^xigOi^
- USW.
vergl. die gleiche Figur:
^M-^-^
*
USW.
in der W ldomeno-Ouverture", weisen immer auf das grosse Vorbild. Zu
den Eingangstakten:
^ j ' i 'l fM
USW.
BAG
vergleiche in der Ouverture zur »Entfuhrung aus dem Serail" (Takt 39 IT.)
das:
$
d^
USW.
oder gegen Schluss
das:
m
USW.
Auch die folgende Stelle in der Oberleitung zum zweiten Thema:
m
£
v r J
f- f r r T f
M h/nH ^rM
USW.
fOhrt in seiner Gebung auf die Schlusstakte derselben OuvertQre.
8*
Digitized by
Google
116
DIE MUSIK III. 20.
Die Achtelfigur des ersten Themas:
$
fc
^=t=&
m
ist typisch und das ganze Tbema eigentlich in dem tonischen Aufstieg des:
| feg=gt£
=1=
in Takt 23 IF. der „Idomeneo-Ouverture" enthalten. Klassisch sind die
Wendungen in der Durchfiihrung:
i
vergl. .Entfuhrung" (Takt 40 ff.):
£
sowie die Bassfiguren:
St^^^ ^ p
U8W.
Dagegen sind am Schluss Spuren Beethovenscher Schreibart zu ent-
decken.
Das Larghetto in Es ist bis auf den grossen Vorschlag „*e" in
Beethovenscher Adagio-Faktur gearbeitet und lehnt sich im Seitenthema:
.1,
^fes^
m
dolce
MMM I ifr
U8W.
direkt an die bekannte Klarinetten-Kantilene im A-dur Larghetto der
zweiten Symphonie an:
dolce
ii^iip*
3
usw.
Auch manche BassgSnge in der Uberleitung zur Dominanttonart, sowie
kleinere Redewendungen wie:
usw.
Digitized by
Google
^a
117
BREITHAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
.£
lenken nur allzu deutlich die Aufmerksamkeit auf die grdssere Symphonie.
Im ubrigen ist der Satz fleissig gearbeitet und nicht ohne Schlichtheit und
weiche Innigkeit.
Der dritte Satz, Menuetto, Allegro B-dur 3/4 ist der relativ beste.
Gesund, frisch und straff durchgefuhrt, besitzt er wenigstens ein Thema,
das Hand und Fuss hat:
^&
w
m
2
SP
3^m
a^-t
m
i
f »
^=fc
li
g^
m
^
rr
a-
*
^
inn
^*3
Auch das Trio mag hingehen, da es ganz anmutig dem kernigen Menuetto
entgegengesetzt ist. Das ganze Menuett ist als No. 84 der „Perles Musicales"
(Breitkopf & HMrtel) erhaltlich. Die ursprungliche Titelseite flndet sich
faksimiliert im „Wagner-Jahrbuch" 1888 pag. 366.
Am unglucklichsten erscheint mir der Final satz geraten zu sein.
Ist schon das erste Thema schwach, so wirkt das zweite:
*# * t
g^HHlii
mm
B
in seiner Trivialitdt fast abstossend. — Die^Schlusstakte vor der Durch-
fuhrung sind zwar Zutaten aus der Beethovenschen Hexenkuche, aber das
Ganze schlMngelt sich wie ein endloser Wurm dahin, so dass der Schluss
wie eine ErlSsung wirkt. — DieSonate, auf dem Boden damaligermusikalischer
Kultur gewachsen, verrMt somif nichts, was auoh nur annShernd dem spdteren
Wagner zugerechnet werden kdnnte. Sie ist fleissig gemacht und zeigt
hier und da (im Menuett und im Finalsatz) das Bemuhen, nach KrSften
einen Beweis von dem Gelernten (kontrapunktischen Studien) zu erbringen.
II. Die Polonaise in D-dur zu vier HSnden ist sicherlich nur der
Kenntnis und Liebe zu Carl Maria von Weber zu verdanken. Sie ist im
Stil des .Rondo brillant* in Es u. a. m. geschrieben, bleibt aber in der
Thematik hinter ihren Mustern zuruck. Farblos und im ersten Thema:
Digitized by
Google
s.
118
DIE MUS1K 111. 20.
nichtssagend, schleppt sie sich in fortwihrender Wiederholung desselben
eintdnig bis zum Schluss dahin. Nur das dem G-dur Satz folgende Trio-
Thema:
ft !er f » 1 1 tsr^^r^^'^ ^^
U8W.
darf den Anspruch auf einige Eigenart erheben. Sonst ist von ihr nur
zu bemerken, dass sie klaviermdssiger als die Sonate und gleichfalls als
No. 24 der „Perles Musicales" erschienen ist.
III. Das zweihMndige „Arrangement" der neunten Symphonic
von Beethoven ist Manuskript geblieben und dem Wahnfried-Archiv ein-
verleibt: „Eine Abschrift der Bearbeitung hat die Firma Schott damals
zuruckbehalten, und der Chef, Herr Geh. Rat Dr. Strecker hatte s. Z. die
Absicht, sie zu veroffentlichen, fragte aber zuvor den Meister, der jedoch
den Wunsch aussprach, von einer Veroffentlichung abzusehen. Er hat
nach Ansicht des Herrn Dr. Strecker recht gehabt, da die Ausgabe nur
noch historisches Interesse hfitte in'Anspruch nehmen konnen" (cf. Dr. Istel:
„Musik" II, 8). Dasselbe erwShnt Herr Dr. Strecker in einem Schreiben
an mich, in welchem die Vollstandigkeit des Arrangements bestftigt und
betont wird, dass die „klavierm£ssige Behandlung jedenfalls nicht so ist,
dass der Welt durch die Nichtveroffentlichung eine Offenbarung vorenthalten
wurde" . . . W. Tappert behauptet, 1877 nur den ersten Satz in Bayreuth
gesehen zu haben. Nach dunkler Erinnerung sollen z. B. die Sechzehntel-
(Triolen-)Bewegungen der Streicher (Violinen II und Celli) nicht durch das
klaviergemasse Tremolo ersetzt, sondern in chordischen Repetitionen wieder-
gegeben sein.
Heute lSsst sich sagen, dass die ganze Symphonie im Arrangement
vorliegt. Durch die gutige Vermittlung des Herausgebers dieser Zeit-
schrift wurde ich in die Lage versetzt, die Kopie der Firma Schott auf
wenige Augenblicke einsehen zu durfen. Auf Grund dieser Durchsicht ist das
Urteil des Herrn Dr. Strecker nur zu bestMtigen. Das Arrangement ist
trotz Wagners Versicherung seiner Spielbarkeit nichts weniger als klavier-
gqmass, sondern vielmehr eine getreue Nachbildung des Orchesters. Man
kann die Arbeit daher nur als eine gute photographische Aufnahme fur
das Klavier gelten lassen. Ganz abgesehen von der Tappertschen Figur
lassen sich viele unklaviermMssige Zuge nachweisen, — wenigstens ist dem
Wesen des Klavieres, d. h. dem klingenden Moment, nur zu einem ge-
X
Digitized by
Google
119
BREITHAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
ringen Teile Rechnung getragen. Es ist vieles schwerflussig und unbeholfen
und sehr wenig spielbar. Originell ist die Ubertragung der grosseren
Orchesterspannung (z. B. hoher Violinlagen u. s. f.), sowie die hauflge Er-
schwerung durch Oktaven und chordische Fullungen. Wo der ungemein
einfache und doch klare Auszug von August Horn (C. F. Peters) z. B. die
einfache Begleitfigur wShlt (cf. Partitur, pag. 10):
mm
sempre piano
W3&
£3E
w
*&
usw.
wm&
schreibt Wagner standig Oktaven. Aucb grosse Sprungoktaven, die A. Horn
klaviergemass vereinfacht, gehoren bei ihm nicht zu den Seltenheiten. Im
Gegensatz zu dem prachtvollen polyphonen Klavierauszug von Louis Winkler,
ist der Wagnerische eher homophon zu nennen. Er hat meist nur das
Melos und die Begleitfigur herausgenommen, und manche charakteristische
Hornwendung, manche rhythmische Figur fortgelassen. An manchen Stellen
zu fullig, fehlen andererseits wieder die Mittelstimmen. Verschiedentlich
hat er auch schlecht in der Partitur gelesen, da hier und dort nur die
Figuration oder Kontrapunkte mit Begleitung ohne die melodische Linie
kopiert sind. So fehlt das charakteristische Horn: cf. Partitur pag. 158,
ferner die rhythmische Figur der Violinen: cf. Partitur pag. 48. Das
Scherzo ist ausserordentlich erschwert und durch die vollen Oktavensprunge
und Sextengdnge im Tempo unmoglich gemacht, sonst aber klar wieder-
gegeben. Im Adagio ist uns nur eine kleine Arpeggienwendung der Streicher
als ungeschickt, weil direkt imitiert, aufgefallen (cf. die klaviermSssige
chordische Brechung bei A. Horn). Dagegen ist im L'istesso tempo wiederum
nur die Violinfiguration und ihre Begleitung wiedergegeben , ohne die
melodische Stimme in den Floten und Oboen. Der Schlusschor ist in zwei
Systemen uber die einfache Begleitung gesetzt und nicht fur Klavier iiber-
tragen. — Man sieht also, es ist keine Meisterleistung, weder in der Durch-
arbeitung der Partitur, noch in der Ubertragung fur das Instrument selbst.
Aber man bedenke: Wagner war 18 Jahre alt, und die Symphonie den
breiten Massen vollstindig unbekannt und noch nicht arrangiert. Die Be-
arbeitung entsprang aus einer bewunderungswurdigen Begeisterung fur die
monumentalste Schopfung, das soil nicht vergessen werden. Als ein
kultureller Pionierversuch darf sie daher diejenige Achtung fiir sich in
Anspruch nehmen, die jede Bemuhung um das Erfassen und Durchdringen
Digitized by
Google
120
DIB MUSIK III. 20.
&£)
des Beethovenschen Genius, besonders aber um die Verbreitung gerade
dieses Menschheitshymnus an sich verdient.
IV. Uber die fis-moll Phantasie, die bislang Manuskript geblieben
und in Original im Archiv des Hauses Wahnfried ruht, lisst sich heute
zum ersten Male mehr sagen. Obwohl es mir nicht vergdnnt war, das
Autograph selber einzusehen, so liegt doch die Kopie Seidls (im Besitze
W. Tapperts) vor, auf deren Grundlage die bisher gultige Ansicht Tapperts,
dass sie w bei weitem interessanter und eigentumlicher sei als die Sonate
in B und die Polonaise* (vergl. Glasenapp) bedeutend zu erweitern ist.
Man darf sagen, aus dieser Phantasie weht eine andere Luft. Es klingt
die Morgenrote an, aus der uns einst eine Sonne erstand.
Ausserlich kann man von vier SMtzen sprechen, deren letzter eine
Wiederholung des ersten ist: Un poco lento 12/8, Allegro agitato 9/8, Adagio
molto cantabile 2/4, und Un poco lento 12/8. Innerlich betrachtet dagegen
ist die Phantasie einsMtzig mit einem ersten (un poco lento, Allegro agitato
plus vierter Satz) und einem zweiten Thema (Adagio molto cantabile). Wire
das Thema des Allegro agitato nicht aus dem Hauptthema des Ganzen
„herausgeklopFt", so Hesse sich auch folgende Gliederung rechtfertigen :
Introduktion (un poco lento), Allegro, Adagio, Reprise der Introduktion, —
also Kopf, Schwanz und zwei Mittelstucke.
Im einzelnen interessiert sofort das Eingangsthema (Hauptthema, Un
poco lento vergl. I) mit folgendem Rezitativ (A):
I. un poco ten
#3jftl2 , r
to
,
Q) * 8 7 i-
pp
^JfH-2 J-
i i i i
4
JB
§
-i
1
r
i
w
1 — i
-^r
[B-JflL_j_
T-t '
4^
f
r4
■ r
P
\
-)
=^=t
—i—
A. Recitativo
s
WtffWpffqli^ag p
wni
Digitized by
Google
121
BRE1THAUPT: WAGNERS KLAVJERMUSIK
se£>
poco lento . . •
In der Achtelbewegung liegt eine leidenschaftliche Zuriickhaltung, und aus
den ansteigenden Bassen klingt's wie drohender Groll. In den wenigen
Takten steckt Farbe und Stimmung. Der thematische Reiz liegt in dem
inneren Widerspruch des w un poco lento" und dem vulkanischen Gliihen,
das zur Eruption nach aussen drangt. So gefasst, als erste Schleudermasse
uberraschen die chordischen Ausbriiche im verminderten Septakkord nicht
weiter. Diese Blitze, dies Pathos der sich anschliessenden dramatischen
Deklamation sind eine notwendige Folge; — sie mussten kommen. In
dem Rezitativ liegt ein herrischer Trotz, der Wille: »Fort mit der Form!"
— der Drang, die lastigen Fesseln der stabilen Achtelbewegung abzu-
streifen und sich in den Strom absoluter Freiheit zu sturzen. Der Satz
ist ein leidenschaftliches AufbMumen und Wiederzuriickfallen, ein Ausbruch
wilder Wut gegen fremden Zwang und ein Gestandnis der Ohnmacht
menschlicher Unvollkommenheit, die sich schliesslich resigniert wieder in
das Gleichmass der 12/8 und das „poco lento" schickt. Deckt sich der
Ausdruck auch nicht mit dem was innerlich heraus zu horen, so bleibt
doch dieser Bruch der Form und die pathetischen Steigerungen in den
folgenden Rezitativen bemerkenswert genug. Letztere sind untrugliche
Zeichen einer dramatischen Bef&higung. Mit einander verglichen werden
sie immer wuchtiger. Auf den ersten Ausbruch folgt ein zweiter, darauf
noch ein zur Dominante leitender lingerer dritter, ehe der eigentliche Ge-
danke im ruhigen poco lento, d. h. in gebundener Form, sich ausspricht.
Klassisch ist der Gegensatz zwischen den drihienden Wolken am Anfang
und dem milden Sonnenschein dieses Dominantsatzes, die Umwandlung der
schweren Eingangsbasse in heiter dahinfliessende Terzen:
I a.
Die Durchfuhrung des Themas wie die ganze Verarbeitung ist nicht
hervorragend und nicht anndhernd so geistreich wie die rezitativische Ein-
leitung. Manches, so der A-dur-Teil (vgl. lb) gemahnt an Beethoven:
Digitized by
Google
122
DIE MUSIK III. 20.
£&
PP^^-rr
3EE£
wmmm^ m
Die fortwihrenden Oktaven erinnern an die analog-leeren Stellen der B-dur
Sonate. Der Schluss wird abermals durch ein Rezitativ unterbrochen. Es
ist das kiihnste, lMngste und originellste. Eine eingeflochtene feine Wen-
dung (vergl. Ic), die wie eine ruhrende Bitte klingt:
charakterisiert — in HolzblSser-Ausfuhrung mit fuhrender Oboe-Stimme
gedacht — ganz den spateren Wagner. Es ist der Tristantyp in vollster
Scharfe und Plastik, — die protoplasmische Urform des „Sehnsuchtsmotivs".
Nach kurzer symphonischer Verarbeitung der Terzenteile fuhrt das Rezitativ
in ein piu lento und die Achtelbewegung zuruck, die ihrerseits dann
accelerando und molto crescendo zum d-moll Satz 9/8 einmundet.
Das Thema (Allegro agitato):
II. Allegro agitato.
fr i m I d£
#
prr i 1— u =*
poco f
i
£Wl£
JiL
5^3
*e£
r'^-fT
*?
f^
m
WT
B. Recitative
$r. M I ^^
Digitized by
Google
123
BREITHAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
1st den Terzen unter la nachgebildet und echt symphooisch; ubrigens nicht
unbedeutend und durch die Bass-Imitation besonders markant. Der Satz
ist besser wie das un poco lento, kontrapunktisch und modulatorisch recht
ansprechend und von manchen freieren EinfMUen angenehm ausgestaltet.
Steckt im Thema schon eine Coriolan-Linie (vergl. auch Stuck B), so ist
die Durchfuhrung durchaus Beethovenisch. Die siebente Symphonie wirft
ihre Schatten, und der achttaktige Orgelpunkt auf A, sowie die folgenden
Stellen (vergl. Ha und lib):
Ha.
frtwrtattc i
ifefes
TT il TT
cresc..
gr^r ?J ^gN^T#tr t
s
-J J J I J-
J i J I J
§^
tj i r f j
-i s »-
f^#C*^
m
E^pp
^
usw.
*~s
werden Jedem gel a u fig sein. Der Schluss und gleichzeitig die Oberleitung
zum Adagio wird wieder durch ein eigenartiges IMngeres Rezitativ besonders
Digitized by
Google
124
DIE MUSIK III. 20.
akzentuiert. Hier ist die Antizipation des Adagiothemas (vgl. He) von
nicht ge ringer Bedeutung:
(Vergl.: „War es so schmlhlicb, was ich verbrach", »Walkure«, Akt III.)
II c. Recitativo
Wr^r^^fW^^
denn es lMsst sich scbon hier zum ersten Male die wesentliche Eigent&m-
lichkeit des spateren Wagnerischen Motives, sich in Elementen anzudeuten,
vor- und mitzuklingen, ehe es in der Kraft seines durch Charaktere und
Handlung uberzeugenden Grundes voll auftritt, voraus erkennen. Gegen
das Ende des Rezitatives findet sich eine kleine Freischutz-Reminiszenz :
i^UtM
Das Adagio iriolto cantabile, D-dur 2/4, ist prachtig. Im Thema,
aus dem Allegro agitato (vgl. Terzenstuck la sowie II d t und II d^):
II di.
" M=
lid,.
^ ^ pgztX
IP
gebildet und von echt Wagnerischer Breite, weist es jenen beruhmt-
beriichtigten Doppelschlag auf (vgl. Ill):
III. Adagio molto cantabile.
Am Schluss guckt Mozarts Zopfchen heraus. Der Geist Sarastro's
schreitet grussend durch die heiligen Hallen einer 19-jahrigen Phantasie.
Der ganze Satz ist polyphon gut, klaviergemgss und klingend. Die Ver-
kleinerung des Themas (vgl. Ilia):
Digitized by
Google
125
BRE1THAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
Ilia.
*
fes .'iTtef^p ^-^m^gg
D G E A usw.
hat in der Flexion der bekannten Cello-Kantilene der V. Symphonic von
Beethoven (Andante con mo to) ihr grosses Pendant. Die Durchfuhrung
ist wegen der Verwendung auch des kleinsten thematischen Molekuls von
Wert. Der Satz zeichnet sich durch grosse harmonische Fulligkeit und
reiche Klangpracht aus. Ein neues Rezitativ in alter Form unterbricht
den ruhig breiten Gesang, und nun geht es in buntem Wechsel bereits
vorhandener Elemente und neuer rezitativer Floskeln, in dem ein kleiner
Satz den anderen ablost, und die Gedanken, wie um sie in die Erinnerung
zuruck zu rufen, nochmals alle zusammengefasst werden (poco lento,
recitativo, poco lento, recitativo, Allegro agitato, recitativo, Adagio molto,
recitativo) zum Schlussstuck, derWiederholung des ersten Teiles. In dieser
Reprise ist nur eins bemerkenswert: die Schlussphrase (vgl. Hd 2), die
bereits an einer Stelle vorher, wie oben erwMhnt, auftritt. Dieser Schluss
(vgl. „TannhfUiser": „Inbrunst im Herzen", — im Anfang der Erzlhlung)
ist mehr als eine Vorahnung, — das ist die Gewissheit des spiteren Wagner.
Wer Ohren hat zu horen, der hore, und wer auf den inneren Zusammen-
hang der Dinge etwas gibt, dem wird dieses motivische Gebilde zu einer
klingenden Fruhlingsblute, aus der uns die schwere goldene Frucht des
Wort-Ton-Drama entgegenreifte.
So ist diese Fantasia trotz mancher Unbeholfenheiten im Innersten
ein echter Wagner, — voll leidenschaftlicher Zuge, kuhner Ausblicke und
dramatischer Ansdtze. Ich gehe nicht zu weit, wenn ich sage, dass gegen
dieses Phantastikon die beiden vorhergehenden Studien reine Knochenkunst
sind; denn hier uberrascht eins: Fleisch und Blut, Phantasie, Ernst, Tiefe,
und echte, weil verhaltene Leidenschaft. Das Konnen deckt sich zwar
nicht mit dem Wollen, aber der faustische Wille allein fesselt. Merk-
wurdig bleibt dabei eine gewisse Scheu, in dem Bruch mit starren Formen
nicht zu weit zu gehen. Der ungeberdigen Sucht, sich in einer freieren
Tongebung auszuleben, setzt ein gebandigter Wille schon Schranken. Die
Phantasie hat daher das Aussehen eines Januskopfes. Sie ist bifrons, halb
Phantasie, halb Sonate, aber eigentlich mehr Sonate wie Phantasie, also
gerade umgekehrt wie bei der weiter unten zu erwMhnenden „AlbumsonateV
deren Wesen mehr Phantasie denn Sonate. Die Rezitative 1 ) und ihre
mannigfach eigentiimliche Variierung, die dramatischen Exklamationen, die
') Ich spreche hier die Vermutung aus, dass zu den Rezitativen Job. Sebastian
Bach „Modell gesessen* hat. Wenigstens deuten verschiedene Umstlnde auf eine
Kcnntnis Wagners von der „Fantasia cromatica" des grossen Thomaskantors,
Digitized by
Google
126
DIE MUSIK III. 20.
ersten Spuren einer motivischen Verarbeitung, die Flexion der Themen
und ihre Ausgestaltung, der Doppelschlag als Typ des Rienzi-Doppelschlages,
die chromatische Riickung (vgl. Ic), das Pastose fiilliger Mittelstimmen
(Kontrapunkte), vgl. Adagio (111) das d dis e, — jener verheissungsvolle
Schlussklang, alles das ist nicht nur fur den Kenner typisch fur den
Wagnerischen Stil. Die Richtung einer Seele ist hier gegeben und der
dramatische Geist in seinen Keimen zu erkennen. Die Neigung zum
tieferen Ausdruck schuf zum ersten Male in dem rezitativischen Flecht-
werk eine dramatische Diktion, die nachmals nur noch des Wortes bedurfte,
urn den hier noch anzutreffenden,^leicht verzeihlichen Fehler einer gewissen
schablonenhaften, ausserlichen Opernmanier abzustreifen und jene vollendete
Plastik im Ausdruck der Meisterzeit zu erhalten. Sehr geschickt sind
wegen der Schwierigkeit der Angliederung der durch die haufigen Rezitative
unterbrochenen Satze die modulatorischen Ubergange aus den Rezitativen
in die Themen und Teile. Auch die Durch fuhrungen sind grdsser und
gewandter gemacht. Die Thematik, durchweg gesund, ist klingender und
kontrapunktisch besser verarbeitet. Am bedeutsamsten scheint mir die
Entwicklung der Phantasie aus einem einzigen thematischen Kern zu sein.
Einige rezitative Wendungen ausgenommen, entspringt alles aus ein und
derselben Quelle: Das Allegro agitato (II) aus dem Hauptthema und den
Terzen (I u. la), das Adagio (III) wieder aus dem Allegro agitato (II u.
II d x ), und alle geringeren Bestandteile wieder aus Teilen der haupt-
sdchlichen Themen. Also trotz Phantasie und freiester Form, trotz Aus-
einanderbrechens der einzelnen Satze durch hfiufige Rezitative eine uber-
raschende innere Einheit! Dieser einheitliche Zug innerhalb eines freien
Sichergehens hebt die Arbeit turmhoch iiber ihre beiden jtingeren Schwestern.
Sie bleibt als fruhestes Zeugnis Wagnerischer Kunst eine ausserordentliche
Erscheinung, die in jugendlichem Ubermut gezeugt schon die Zuge eines
phantastischen, gliihenden Feuerwesens trfigt. — Wagner selbst stand diesem
seinem musikalischen „Kreisler" sympathisch gegenuber und war einer
Veroffentlichung 1877 nicht abgeneigt. Er brauchte Geld und hatte Wilhelm
Tappert beauftragt mit Schott zu verhandeln (3000 Mk. fur dieses und
andere Blatter). Doch riet dieser ihm ab, um den Feinden nicht neuen
Stoff zu gehdssigen Angriffen zu geben, und empfahl nur die As-dur Sonate
(Albumblatt fur Mathilde Wesendonk) zum Druck, die der Verlag auch
ubernahm (nach W. Tappert). So blieb die fis-moll Phantasie bis auf den
heutigen Tag leider Manuskript. Es wire wiinschenswert, wenn die Kom-
position — trotz aller jugendlichen Unreife — um ihrer selbst und ihrer
eigen-gebardigen Redeweise willen uns ganz und vollstdndig zuganglich
gemacht wurde.
V. Ob die A-dur Sonate zeitlich vor oder nach der Phantasie ent-
Digitized by
Google
£l
127
BREITHAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
*£&
standen ist, ist schwer zu bestimmen. Moglich, dass sie sich an andere
Formenskizzen der strengeren Periode anschliesst, so dass sie zeitlich vor
die freiere Phantasie zu setzen ist. Dem Inhalt nach sowie nach Seite des
weitaus reiferen Ausdrucks und der grosseren kontrapunktischen Fertigkeit
ist es jedoch mehr als wahrscheinlich, dass sie nach ihr und zwar etwas
spater komponiert ist. — Der Eindruck der Arbeit ist ein gunstiger,
trotzdem man sich eines gewissen driickenden Gefiihls nicht erwehren
kann, dass Wagner in dieser Form wirklich nichts Bedeutendes und seiner
dramatischen Befahigung Gleichwertiges zu schaffen vermochte. Sie ist
langst nicht so interessant und reizvoll wie die Phantasie, aber hinsichtlich
der Faktur teilweise eine ausgezeichnete Leistung. Man merkt in jeder
Zeile den grossen Fortschritt gegen die B-dur Sonate und die Fruchte ge-
diegener und ernster Studien.
Der erste Satz A-dur 3/4 greift in den Themen kiihn zu den besten
Mustern. Das Hauptthema (la):
la. A llegro con moto
ii i ~2 — i r~ 3
raff n 1
ist ein Gemisch aus dem Anfang von Beethovens „Funfter" (Ia 1 ) und aus
dem zweiten Abschnittder Unisonostelle in B-dur im Anfange der „Neunten*
(la,). Es ist nicht gerade gross zu nennen, weil der Einfluss unverkenn-
bar, aber immerhin zu mannigfachen Kombinationen geeignet. Auch das
zweite Thema (lb):
lb.
I#ff
el
pp
&
P
ie
r r
^g
I T
Digitized by
Google
128
DIE MUSIK III. 20.
mag hingehen, obwohl 68 im Ausdruck schon nachtfsst. Die Durchfuhrung
erinnert wiederum an die „Siebente a und in einem kleinen Flickwort (Ic):
Ic.
an die entzuckende gleiche Violinflgur im ersten Satz der Dritten Sym-
phonic. Sie ist modulatorisch (besonders im verarbeiteten Stuck la,)
reichhaltig und kontrapunktisch sauber und mit grosser Klarheit gearbeitet.
Leider ist der ganze Satz echt symphonisch und mehr orchestral als
klaviergemiss, so dass vieles leer und trocken klingt.
Recht ansprechend, wenn auch nicht von aussergewohnlicher Tiefe
oder besonders hervorragendem Gedankenreichtum, ist das Adagio molto
e assai espressivo. Es ist im Hauptthema 12/16 fis-moll (vgl. II a) dem
Adagio ma non troppo 12/16 as-moll aus op. 110 von Beethoven nachgebildet
und wohl auch unter dem Eindruck dieses herrlichen Arioso dolente ent-
standen:
II a. Adagio molto, e assai espressivo.
Melodisch und harmonisch gut wurde der Satz noch heute von Wert sein,
wenn das zweite Thema inhaltlich dem ersten nahe kime. Es schSdigt den
ganzen Satz. Dagegen ist die Durchfuhrung das beste Stuck, reich an
gesunder Harmonik und ungemein tonig. Die Reprise bringt gegen den
Schluss eine reizvolle stilistische Wendung, deren feiner Blumenduft fiber
den dunkeln Wassern des fis-moll hinschwebt: eine Traumblute aus der
Nacht stiller Resignation, ein Sonnenfleck auf rostgoldenem Herbstlaub (lib):
Digitized by
Google
120
BREITHAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
T^'^T^l
Das folgende Allegro molto mit einleitendem .Maestoso" ist wiederum
erdig. Kuhlt das Maestoso, das auf dem Niveau einer flachen Ver-
legenheitsintroduktion steht, and im Charakter jede andere Bezeichnung
eher verdieate als Maestoso, schon bedeutend ab, so scgeln wir nach einer
lttstigen Fldtenkadenz frisch und frohlich mitten in ein Webersches Thema
hinein (vgl. Ill):
III. Allegro molto
pi mM f fF^Wrrrffi
e
U8W.
Das: ,Du sollst nicht andere Gdtter haben neben mirl" ist von Wagner
geruhig missachtet worden; denn hier hat die Liebe zu Weber fiber den
Gott Beethoven gesiegt and einen Finalsatz geschaffen, der die Einheit der
ganzen Sonate auf das grausamste zerstdrt. Ist das violinmflssige Thema
an sich schon wenig originell, so passt es vor allem nicht nach dem fls-moll
Adagio. Der ganze Satz fillt bedenklich gegen die beiden vorhergehenden ab
und kommt auch in der Durchfuhrung fiber den Charakter eines ziemlich
uninteressanten , formalen Tonspieles nicht hinaus. Es scheint, als ob
Wagner ffir diesen Satz nichts ubrig hatte, wenn man nicht annehmen
will, dass seine Kraft mit dem Adagio erschdpft war. Auch ist die Ver-
mutung nicht von der Hand zu weisen, dass dies Finale zu einer Zeit
entworfen wurde, als der Stimmungszauber und ,geistige" Duft der ersten
Konz$ptfon verflogen, und dass es nur um der Vollendung und Abrundung
willen spiter angeffigt ist
Die ganze Sonate ist einer mittleren Stufe einzureihen, und bleibt
mit Ausnahme des Adagio durchweg symphonisch und unklaviergemiss.
Auffallend ist das gftnzliche Fehlen eines dritten (Scherzo-) Satzes, welcher
Um stand ebenfalls auf ein Nachlassen der Spannkraft schliessen lisst.
III. 20. 9
Digitized by
Google
s
130
DIE MUSIK III. 20.
Doch sagt das Werk in den ersten beiden Teilen genug, urn die geistige
Verarbeitung Beethovens deutlich erkennen zu konnen.
Zwischen diesen Jugendarbeiten und den einzigen Klavierstucken, die
wir ausserdem noch von Wagner besitzen, den „Albumbl3ttern", liegtein
Zeitraum von ca. 22 Jahren und mehr. Das ist keinen Augenblick zu ver-
gessen! Aus dem Unselbstandigen, in der Tonsprache Unmundigen und
Gebundenen wurde der Schopfer eigener musikalischer Laute, der Schaffer
neuer musikalischer Werte. So tragen denn auch diese „Gelegenheits-
kom position en a wesentlich andere Zuge. Wenn sich in ihnen zum Teil
der gSnzliche Mangel eines abgeschlossenen Charakters geltend macht, so
beweist das nur, dass Wagner des Wortes, eines dichterischen Vorwurfes,
der dramatischen Szene, der Handlung und Charaktere bedurfte, urn wahr-
haft schdpferisch tStig zu sein. Rein musikalisch, losgelost von jeder
stofflichen Spannung und dramatischen Bewegtheit, ist es, als ob er sich
um sich selbst drehe. Es sind daher diese Skizzen keineswegs selbstindig,
sondern so stark mit Anklingen aus seinen eigenen Schopfungen durch-
s&ttigt, dass man ohne weiteres ihren innigen Zusammenhang mit ihren
grossen Mustern und der jeweiligen Geistesstromung des Schdpfers er-
kennen kann. Dabei muss allerdings stdndig berucksichtigt werden, dass
es schliessEO ,Albumblfitter« sind.
I. Das erste Blatt in der Zeitfolge ist als „Albumsonate" beruhmt
geworden. Die Bezeichnung als Sonate ist hochinteressant, da sie — ganz
abgesehen von ihrer Einsitzigkeit — im Grunde eine reine Phantasie
bleibt. Inhaltlich ist sie ein einziges grosses Citat aus Wagner's Geistes-
schatze. Vom „Rienzi* ( w Friedensboten*) bis hinauf zum .Tristan" zieht
sich in ihr der rote Faden feiner Reminiszenzen.
Das Thema:
j.aj. m ij._ 4 i
gyj H-tgf-Hf- \r crfr^^
U8W.
ist dammerig-dunkel und atmet Beethovensche Ruhe. Es erinnert im
Stimmungscharakter an das Andante con moto 3/8 der c-raoll Symphonic.
Wagner musizierte damals fleissig im Wesendonkschen Hause und pflegte
in den DSmmerstunden Frau Mathilde in die Beethovensche Traumwelt
einzufuhren. Er selbst nannte sich den „Dftmmermann", — und aus solcher
Stimmung ist dieses Blatt sicherlich entstanden. Die zweite Phrase:
^^i
m*?
Digitized by
Google
131
BRE1THAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
«£
1st Durchfuhrungsmotiv. Ein kleiner Mittelsatz in C dagegen enthMlt bereits
Surrogate zum „ Tristan", die unverkennbar sind. Wendungen wie:
^^^
if*
7CF
usw.
(vergl. .Tristan", II. Akt: „So starben wir, urn ungetrennt* . . • und die
grandiose Kronung [Isoldens Liebestod]: „Mild und leise, wie er lSchelt" . . .),
und der gleiche Anfang im dritten Teile:
etwas zdgernd
wie das:
das bereits im dritten Takte des obigen Hauptthemas begrundet ist, ferner
der Aufstieg:
i
*
usw.
(vergl. Tristan II. Akt: w Wonnehehrstes Weben" • . .) und der stilistisch
bekannte grosse Doppelvorschlag (Rienzi-Doppelschlag), der in Isoldens
Liebestod eine hinreissende Intensity des Ausdrucks annimmt, — all das
beweist, dass zur Zeit der Komposition dieses Blattes vieles vom » Tristan"
im Geiste bereits klanglich fertig war. Das 9 Reich der Schwermut", die
v Kunst des tdnenden Schweigens" dimmerte herauf. (Psychologisch in-
teressant sind die Daten: Das Blatt ist laut Brief am 20. Juni 1853 uber-
reicht. Die Kompositionsskizzen zum .Tristan" beginnen am 1. Oktober
1857!) Auf pag. 4 der Sonate findet sich auch ein Lohengrin -Zitat:
„Elsas freudiger Ausdruck gegen Ortrud in Erwartung brSutlichen Gluckes",
sowie die gleiche Melodie, wenn es spate r zum Munster geht.
Selbst die .Faust-Ouverture" ist nach einer gutigen Mitteilung R.Stern-
felds auf pag. 10—11 vertreten. Klassisch ist eine „Siegfried"-Stelle:
usw.
und ganz am Schluss das Liebesmotiv aus der „Walkure a :
2
s^
&$.
Digitized by
Google
132
DIB MUSIK III. 20.
Eine kleine Meistersingervorahnung Hesse sich sophistischerweise in:
4
i
I tj i t g 7 ' I |-q usw. 1 )
finden. Obwohl das Eingangsthema gut zu nennen ist, IMsst die Sonate
spater nach, und nur in der Durch fun rung und Entwicklung nach dem
C-dur Satze bis zu den leidenschaftlichen chordischen Ausbruchen:
usw.
spurt man die ungemessene Kraft des Kiinstlers in grossen dramatischen
Entwicklungen. Eine Stelle wie die folgende:
^^
a
±m=^
^
i
P
USW.
kann man jedoch keine gluckliche Erfindung nennen, womit der Grosse
des Meisters nicht im mindesten Abbruch getan wird. Im ubrigen ist die
Sonate nur anfangs klaviergerecht, sonst aber durchweg orchestral gedacht
und geschrieben.
Im Anschluss hieran sei gleich der Es-dur Walzer erwahnt, da seine
Komposition in dieselbe Zeit Kilt. Er ist bekanntlich 32 Takte lang, ganz
ansprechend und besonders im zweiten Thema von wohltuender Anmut.
Die Leser der ,Musik" kennen ihn aus der Beilage zum Bayreuth-
Heft (I 20/21), auf das ich hiermit verweise. Die Kurze und der Charakter
des Stuckes als Walzer erspart jede weitere Erkldrung.
II a. Die beiden nlchsten Blatter, das erste der Furstin Metternich,
seiner treuen Freundin und Beschutzerin in Paris, der eifrigen Fiir-
sprecherin der .TannhMuser-Auffuhrung" am Hofe Napoleons III. und das
andere der Grfifin Pourtales, seiner .edlen Wirtin" gewidmet, sind unbe-
deutend.
Das C-dur Blatt ist eine einfache orchestrate Liedskizze mit dem
omindsen Doppelvorschlag. Das Thema ist mehr wie „hdchst einfach und
bescheiden":
$-«->EJ I r r r I r ;^#
usw.
und erinnert an Abts: ,Da denke ich an deine Augelein" . . .
') Vergl. Liszt: ,Anndcs de pllerinage", No. V »Ortge*
Digitized by
Google
133
BREITHAUPT: WAGNERS KLAVIERMUSIK
Der Satz miindet in der zweiten Periode in eine meistersingerartige
Violinlinie ein:
usw.
Das ist alles.
Dagegen interessiert die Durchfuhrung durch den modulatorischen
Reichtum und das beharrliche Festhalten an dem Motiv bis zum Schlusse
bin. Man spurt in dieser Verarbeitung den Atem seiner hinreissenden
Orchestersprache. Das Ausklingen des Ttaemas klingt naturlicta und besser
als der opernhafte Schlusspunkt in dem folgenden Blatte.
lib. Dies dritte Stuck (As-dur) ist das kurzeste, nur zwei Seiten
lang und musikalisch, abgesehen vom Anfang und einiger Tristanstimmung,
gleich falls ohne grossen Reiz. Die Eingangstakte versprechen mehr als
sie halten; das As-dur Theraa:
m
*
3=8
ZSTZ
UfW.
ist TannhSuser-Anklang (cf. Elisabeth: „Sei mir gegrusst!") und ich gehe
nicht zu weit, wenn ich behaupte, dass es ihm auch hier ohne motivische
BegrQndung nicht gelungen ist, ein Thema abstrakt, d. h. im Sinne einer
Losgeldstheit vom szenischen Schauen, zu bearbeiten.
III. Weitaus wertvoller, aber nicht auf derselben Stufe stehend wie
die ,Albumsonate", ist das „Schottsche Blatt a , dessen Autograph sich im
Besitz von Frl. Josephine Schott in Wiesbaden beflndet. Es ist, nach mir
gutigst zuteil gewordener Mitteilung seitens der Besitzerin, datiert Bay^
reuth, 1. Februar 1875 und kurze Zeit darauf Frau Schott zugegangen.
Es enthdlt gleichfalls tristanische Elemente, aber es ist musikalisch
weich und innig und nicht ohne traumhafte Stimmung. Das Thema setzt
mit dem grossen Vorschlag ein, der imitatorisch in der Durchfuhrung ver-
wendet und das ganze durchziehend fast das wertvollste Stuck des Satzes
ausmacht
Linien wie:
I
m
£
^^
and ihre modulatorische Parallele:
A
^m
in
UfW.
brauchen nicht erst besonders charakterisiert zu werden.
eine kleine trftumerische Sequenz in der Mitte:
Sehr hubsch ist
Digitized by
Google
134
DIE MUS1K HI. 20.
I
£3 ' 1 — * ■ [ i—
Pwt
P&
5E
:£=
E^Ejz=^glEi=|z=|
wfthrend sich zu der chromatischen Ruckung:
^^
JW
j^
3p=
4
=t
USW.
leicht das passende Analogon fin den ldsst. Mit der weichen, grossen
Doppelschlagfigur schliesst das musikalisch nicht gerade tiefc und grosse,
aber doch auch wiederum zarte Blatt ab. —
Damit schliesse ich. Ob weiteres Material vorliegt, lisst sich sctawer
feststellen. Das, was vorliegt, lisst erkennen, dass Wagners Welt jenseits
dieses Tasteninstrumentes lag, und dass sein Riesengeist nur in der Riesen-
form des modernen Orchesters Fleisch und Gestalt annehmen konnte. Er
war kein Pianist, und die Vennutung, ob er, wenn er das Instrument be-
herrscht hltte, mehr fur dieses geschaffen haben wurde, bleibt immer und
ewig eben nur eine — „ Vennutung". Dass er trotz seiner Unfertigkeit
klavieristisch nicht unbegabt war, das beweisen das Largo aus der B-dur
Sonate, die Adagios aus der Phantasie und der A-dur Sonate, wie auch das
grosse Albumblatt in As. Am Klaviersinn 1 ) hat es also nicht gefehlt (vergl.
auch die Arrangements in der ersten Pariser Zeit, vor allem den Klavier-
auszug zur ,Nachtwandlerin*), aber dieser Sinn blieb bei seiner nur
auf das Grosse gerichteten Natur unentwickelt und wurde schliesslich
von orchestralen Vorstellungen vollstfndig absorbiert. Ich spreche zum
Schluss die HofFnung aus, schon urn der exzeptionellen fis-moll Phantasie
willen, ein allgemeineres Interesse fur diese Jugendschdpfungen wachgerufen
zu haben. Sie geben Zweiflern die trdstliche Gewissheit, von wannen ein
Genie kommt, wie und woraus es wird, und sagen Allzugenialischen:
Am Anfang war die Arbeit! *
l ) Vergl. „R. Wagner an Mathilde Wesendonk" pag. 61 : . . . »Aber dieses wunder-
voll weiche, melancholiach s&sse Instrument (Erard) achmeichelte mich vdllig wieder
zur Musik zuruck. Ich nannte es den Schwan, der nun gekommen, den armen Lohen-
grin wieder beimzufuhren! So begann ich die Koraposition des zweiten Aktes des
Tristan . . ." Ferner pag. 163: „Das schdne Mirchen habe ich dem Erard vorgelesen:
er bezeugte mir durch doppelt schdnes Tdnen, dass er es gut verstandenl . . ."
Digitized by
Google
GURNEMANZ
von Robert Petsch-Wurzburg
^s gibt vielleicht keinen unumstdsslicheren Beweis fur die eminent
dramatische Begabung Richard Wagners, als die Art, wie die
dussere Handlung seiner Buhnenwerke fort wan rend bestimmend
auf die innere Entwicklung der Figuren einwirkt, wie die Gegen-
spieler und Nebenspieler nicht bloss gegen- und miteinander „agieren",
sondern immer neue Kraftausserungen aus einander hervorlocken und sich
dadurch gegenseitig zur vollen naturnotwendigen Entfaltung ihres innersten
Wesens verhelfen. So liegen. in Hans Sachsens Seele reiche KrSfte in
gebundenem Zustande, Krlfte, die wohl zu einer Regeneration des Meister-
gesanges fuhren kdnnen, aber selbst das ,Versingen" des jungen Ritters
lasst diese Krfifte nur in Bereitschaft treten, erst sein tollkiihner Versuch,
das Hebe Evchen zu entfuhren, also ein hochst personlicher Eingriff in die
personlichen Interessen des Altmeisters versetzt jene Kr&fte in voile Wirk-
samkeit; durch das Eingreifen des Ilteren Mannes aber wird Walther Stol-
zing seinerseits wieder innerlich angeregt und zu ruhigem Vertrauen auf
sich selbst und auf die Welt geleitet, wird seine kunstlerische Gestaltungs-
kraft in die rechten Bahnen gelenkt und von dem rasch und hell Be-
greifenden und mit erstaunlicher Sicherheit Reifenden wird dann wieder
Hans Sachs in seiner Kunsterkenntnis gefdrdert. 1 ) So bedarf das Genie
wohl der Belehrung und Leitung, aber es hat die Kraft, uber seine Lehr-
meister hinauszuwachsen und sie, wenn sie dessen fihig sind, mit sich
emporzuziehen; so hat Richard Wagner selbst von Schopenhauer gelernt,
d. h. die philosophisch-systematische Formensprache fur das ubernommen,
was ahnungsweise in ihm lag, aber er ist weit uber den Frankfurter Philo-
sophen mit seiner Leidensscheu und seinem berechneten Mitleid hinaus-
geschritten und statt des resignierenden „Siegers" entstand der regenerie-
rende » Parsifal". Ich glaube zeigen zu kdnnen, dass Wagner nicht bloss
in der Figur seines Helden das eigene Ideal des religidsen Genies in seiner
Wirksamkeit als Erldser verkorpert hat, sondern dass er ihm in Gurne-
manz, weiterhin in der Gralsritterschaft fiberhaupt eine Stufe der inneren
Entwicklung gegenuberstellt, zu der sich Parsifal anfangs hinaufarbeitet,
>) Vgl. im einzelnen raeine Schrift fiber die .Meistertinger* in Lyons
Stmmlung: ^Deutsche Dicbter des 19. Jthrhunderts", Leipzig, B. G. Teubner, 1903.
Digitized by
Google
136
DIB MUSIK III. 20.
die er aber spSterhin selbstMndig uberwindet und deren Vertreter er mit
sich in die^Hohe.zieht. 1 )
Klingsor ist der Reprasentant jener Menschengruppe , die nicht
radikal bose ist, doch vor allem sinnlichen Genuss und materiellen Vor-
teil verlangt und, wo ihr dieser nicht gewahrt wird, sich grollend zuriick-
zieht, in ihren Hass verbeisst und sich schliesslich wirklich zur Ver-
kdrperung des bdsen Prinzips entwickeln kann. Kundry zeigt uns die
gedankenlose Menschheit, die den Heiland verkennt, die zwischen sinnlich-
selbstsuchtigem Trachten und tiefem Erlosungsbedfirfnis haltlos hin- und
herschwankt und der Ffihrung bedarf, und die Gralsritter sind ein be-
vorzugtes Geschlecht, das den Herrn erkannt hat und des heiligsten
Dienstes gewurdigt worden ist, das sich aber auf seiner Hobe nicht ge-
halten hat und darum nicht eher seine Kulturmission gegenuber der anderen
Menschheit wieder erffillen kann, bis ihm selber ein Retter erstanden ist,
der das getrubte Bild des Erlosers in seiner Echtheit und Reinheit wieder-
herstellt, der „h5chsten Heiles Wunder" vollbringt, „Erldsung dem Erloser".
Aus dem w Lohengrin** erinnern wir uns der Bestimmung: „Wer nun
dem Gral zu dienen ist erkoren, den rustet er mit uberird'scher Macht";
Macht aber hat nur da einen Sinn und einen Wert, wo sie in lebendige
Wirksamkeit ubergeht; die Art dieser Wirksamkeit bestimmt das andere
Wort: „Wer von ihm in feme Land' entsendet, zum Streiter fur der Tugend
Recht ernannt, dem wird nicht seine heil'ge Kraft entwendet" usw. Damit
ist angedeutet, dass der ideale Zweck der Gralsgemeinde nicht im beschau-
lichen Genusse der eigenen Frdmmigkeit, nicht in pietistisch-mystisch-
buddhistischer Selbstversenkung bestehen kann. Im Gegenteil, gerade hier
ist der Punkt, an dem der Meister fiber Schopenhauers Forderung der
Verneinung des Willens hinausgegangen ist; wir haben es vielmehr mit
der allerst&rksten Bejahung des Willens zu tun, mit einer energischen
Richtung des eigensten Strebens auf die hochsten Ziele des Menschen
uberhaupt. Horen wir den Dichter selbst sprechen: „Von dem jetzigen
menschlichen Geschlecht wissen wir, dass es mindestens zu einem grossen
Teil aus seinen Urgeburtsstatten durch eine die ErdoberflMche bedeutend
umgestaltende Revolution vertrieben worden ist. Zu einem paradiesischen
Behagen an sich selbst zu gelangen, kann daher unmdglich die letzte
Losung des Rdtsels dieses gewaltigen Triebes sein, welcher in alien seinen
') Ich flnde, dass die Erklirer des „ Parsifal" auf diesen wichtigen Punkt nicht
gebQhrcnd hingewiesen haben und fiber den Helden und Kundry die Nebengestalten
zu stark zurucktreten liessen. So auch die neueste im fibrigen ganz vorzfigliche
Wagnerbiographie von Kienzl (Munchen-Kirchheim), der so tief in den Geist der
Bayreuther Kunst eingedrungen ist wie wenige vor ihm — ein rechter Ffihrer zum
Gralstempel der heiligen Kunst
Digitized by
Google
137
PETSCH: GURNEMANZ
&
Bildungen als furchtbar und erschreckend unserem Bewusstsein gegenwfrtig
bleibt . . . Herzlosen wie gedankenlosen Geistern ist es bisher gellufig
gewesen, den Zustand des menschlichen Geschlechts, sobald es von den
gemeinen Leiden eines sundhaften Lebens befreit ware, als von trftger
Gleichgultigkeit erfullt sich vorzustellen ; was aber als einfachstes und
ruhrendstes religioses Symbol uns in gemeinsamer Betltigung unseres
Glaubens vereinigt, was uns aus den tragischen Belehrungen grosser
Geister immer neu lebendig zu mitleidsvoller Erhebung anleitet, ist die in
raannigfachsten Formen uns einnehmende Erkenntnis der Erlosungs-
bedurftigkeit." Wer die ungemein aktive, die ganze Innennatur des
Menschen anspannende Bet&tigung dieses Bedtirfnisses verkennt, mit dem
ist weiter nicht zu reden. Ihm geht dann aber auch das Gefiihl dafur ab,
dass auf der Hohe von Golgatha die urgewaltigste Tat geschehen, eine
Konsequenz in der Verfolgung eines Ideals bewihrt worden ist, wie sie
die Welt vorher und nachher nicht mehr gesehen hat. Also das bleibt:
^Religion ist T&tigkeit", das ist das Grundprinzip des Protestantismus,
und diese Auffassung der Dinge allein sollte den 9 Parsifal" vor einer ein-
seitigen Interpretation im katholischen Sinne bewahren, obwohl darin
naturlich katholische GebrMuche verwertet werden mussten; das ist die
gleiche Anschauung, die uns Goethe in seinen „Geheimnissen" predigt, wo
er den Einsiedlern nur dann eine „vita contemplativa" vergonnt, wenn sie
sich in der .vita activa* bewdhrt haben, das stimmt aber vor allem zu
seinem Faust, der tatig ist bis zum letzten Atemzuge, und dessen Entwick-
lung auch im Jenseits noch nicht abgeschlossen ist.
Nun horen wir, was uns uber die Begrundung der Gralsgemeinde
gesagt wird: Titurel ist es, der Held, „der in Gottes Hut Gott selbst einst
beschirmte" und
„. . . ihm, da wilder Feinde List und Macht
des reinen Glaubens Reich bedrohten,
ihm neigten sich in heilig ernster Nacht
dereinst des Heilands sel'ge Boten:
daraus Der trank beim letzten Liebesmahle,
das WeibgefSss, die heilig edle Schale,
darein am Kreuz sein gdttlich Blut auch floss,
dazu den Lanzenspeer, der dies vergoss, —
der Zeugenguter hdchstes Wundergut, —
das gaben sie in unsres Kdnigs Hut.
Dem Heiltum baute er das Heiligtum.
Die seinem Dienst ihr zugesindet
auf Pfaden, die kein Sunder findet,
ihr wisst, dass nur dem Reinen
verg5nnt ist sich zu einen
den Brudern, die zu hScbsten Rettungswerken
des Grales WunderkrSfte stftrken . . .«
Digitized by
Google
138
>Q DIE MUS1K III. 20.
Damit ist das hohe Ziel dieser Gemeinschaft gegeben: zu hdchsten
Rettungswerken, d. h. zur sittllch-religidsen Erldsung der Menschheit, zum
Kampf fur Wahrheit und Recht, nicht fur irgend welchen Vorteil oder fur
eine Bequemlichkeit der Frommen, sind sie bestimmt; wie kSnnte aber
jemand fur einen andern kfimpfen, dessen Not er nicht empfindet? Nur
dann konnen die Gralsritter ihres Amtes wahrhaft von innen heraus
walten, wenn sie sich des eigenen Erlosungsbedurfnisses stetig bewusst
bleiben, starker, als diejenigen, zu deren Hilfe sie herbeieilen soil en.
Tot liegt die Welt da, im Sundenschlafe ; es gilt sie zu retten, und doch
sich von ihr fernzuhalten ; nicht Weltflucht, sondern Weltuberwindung
ist das Ziel, nicht Askese, sondern tatiges Christentum. Und das Problem
ist dem Orden alsbald gestellt worden. Titurel fand, ,als er die Burg
dort baute, sie schlafend hier im Waldgestrupp, erstarrt, leblos, wit tot";
Kundry war es, die Verkorperung der erlosungsbedurftigen Mensch-
heit, die er in ihrer Todesstarre erschaute ; wehe, wenn sie ihre glanzende
Aussenseite offenbarte und die Ritter sich nicht gerustet erwiesen, ihr zu
widerstehen.
Hochmut kommt vor dem Fall ; er ist allemal das Zeichen der Herz-
losigkeit, eines starken seelischen Mangels; er ist immer ein schlimmes
Symptom, am schlimmsten in der Form des geistlichen Hochmuts ; als solcher
aber fristet er sein j&mmerliches Dasein gerade in religiosen Gemeinschaften ;
er ist diejenige Form der Sinnlichkeit, des Haftens am Ausseren, die hier
den Anfang zur vollkommenen Degeneration zu machen pflegt. Hochmut
entwickelt sich, wenn die eigene Kraft nicht mehr in steter Titigkeit und
im fortwdhrenden Kampfe mit Hindernissen geubt wird, sondern im
ruhenden Zustande sich selbst zu geniessen beginnt; Titurel hatte die
„vita contemplativa" verdlent, die Gralsritter, die nicht so viele KImpfe
hinter sich haben, sind schwer gefihrdet durch die Stabili sie rung des Heilig-
tums. In dieser Lage tritt schwere Versuchung an sie heran. Sie ,, haben"
die Religion, den „rechten Glauben", sie haben damit alles, was sie zum
Leben brauchen; sie mussen sich nicht um Nahrung und Kleidung be-
muhen. Das lockt die Welt und es naht einer aus der Welt, er will
bussen fur vergangene Sunden, er mochte „heilig" werden, aber der innere
Prozess der Selbstuberwindung ist ihm zu langsam, er vollzieht an sich
einen Gewaltakt, um „keusch" zu werden; es ist eine Reue von der Art,
die Luther „Judasreue" nennen wurde, Reue, die nicht zum Besserwerden
und Bessermachen, nicht zum Frieden in Gott, sondern zu Verzweiflung
und Selbstmord fuhrt. Da stosst der H titer des Grals ihn .verachtungs-
voll von sich* ; er, der in schweren Kdmpfen Geprufte, mochte ein Recht
dazu haben, obwohl der Meister der Religion keinen reuigen T Sunder von
sjch stiess ; um so weniger hatten die jiingeren Gralsritter, die Ungepruften
Digitized by
Google
130
^ PETSCH: GURNEMANZ
££D
oder kaum Gepriiften, ein Recht zur Verachtung. Gerade, weil ihre Kraft
ungepruft ist, unterschMtzen sie die Gefahr und unterliegen ihr. Einer
nach dem anderen verfailt den teuflisch holden Frauen, mit denen Klingsor
seinen verfuhrerischen Wonnegarten, in nachster Nahe der heiligen Grals-
burg bevolkert, schliesslich auch der eigene Sohn des Gralskdnigs, der
in den Armen der Schonsten unter alien, Kundrys, den heiligen Speer
einbusst.
Was wird unter alien diesen Verhaltnissen aus der Gralsgemeinde ?
Zwei Gruppen lernen wir unter ihnen kennen : die einen sind der Sinnlich-
keit verfallen, die andern dem toten Formeldienst ; die heiligen Brfiuche
werden noch beobachtet, gewiss; und gerade Gurnemanz ist ihr bester
Kenner und ihr getreuester Hiiter; aber die Zucht, die er den jungen
Knappen hat angedeihen lassen, hindert diese nicht, die ungluckliche
Kundry zu hohnen und zu schmdhen : hier, wo die Tiere heilig sind, weil
das Gesetz es so vorschreibt, findet der irrende Mensch kein wahres Mit-
leid; man denke daran, wie der reinen Gutmiitigkeit, der aufblitzenden
Liebesnatur im minder „ reinen" Menschen in den Kreisen der „Frommen a
begegnet zu werden pflegt und man wird die Szene verstehen ; und anderer-
seits erscheint die Ordenszucht gelockert, wie in Schillers „Kampf mit dem
Drachen"; an sich ist es ja nur ein Zeichen von Gutherzigkeit, wenn
Gawan auf die Suche nach einem Heilkraut ausgeht; aber als Verstoss
gegen das Gebot des Gralkonigs ist es schwere Sunde und vor allem ist
es ein bedeutsames Zeichen fur die Gedankenlosigkeit, Flachheit, Ausser-
lichkeit und den Kleinmut, mit dem diese Gemeinde jetzt ihren Dienst
versieht; ist doch die einzige Moglichkeit der Rettung durch die Inschrift
am Gral bereits angedeutet worden: „ Durch Mitleid wissend, der reine
Tor, harre sein, den ich erkor." Warum warten sie nicht mit dem Kdnig?
Warum bereiten sie sich nicht mit ihm vor auf das Erscheinen des Retters
durch eine Heiligung ihres Wandels? Warum greifen sie zu allerhand
Musserlichen Mittelchen? Weil sie menschlich, allzu menschlich, ja klein-
lich und philisterhaft handeln, weil sie die Frucht des Ubels beseitigen
wollen, anstatt es an der Wurzel anzupacken. Sie „ wissen" von Heilmitteln
und diese *Wissenschaft" macht sie hochmutig und verblendet, sie wissen
sich etwas auf ihr Wissen und haben daruber das „Schauen" verlernt, die
intuitive Erfassung des ewig wirkenden, sittlichen Weltgesetzes, die grund-
satzliche Vertiefung in jede aufstossende Situation. Sie sind keine reinen,
unverdorbenen Naturkinder mehr, deren der Gral zu seinem Dienst bedarf.
Darum ist der Schein des Heiligtums duster geworden, er leuchtet erst
wieder auf, als der Reine naht, der einst die Rettungstat vollbringen soil:
„Wie hell grusst uns heute der Herr".
Als geborener Dramatiker fuhrt Richard Wagner den jungen Parsifal
Digitized by
Google
140
DIB MUSIK III. 20.
nicht als fertigen, fruhreifen Erloser vor, so wenig wie ehemals Walther
Stolzing als durchgebildeten Kunstler, wohl aber hat er ihn mit der Ffihig-
keit des Genies begabt, schnell zu „begreifen", den Dingen auf den Grand
zu sehen und blitzartig die Gesetze zu erfassen, die innerhalb der Er-
scheinungswelt wirksam sind. Es ist ruhrend, zu sehen, wie wenig dieser
Waldknabe w weiss"; alles, was man sich bloss merkt, Name, Stand und
Herkunft, aller Ged&chtniskram ist ihm fremd. Das Wissen hat fur ihn
nur Wert, soweit es auf sein Gefuhl von Einfluss gewesen ist ; und daher
fullt eine grosse Erinnerung sein bisheriges Leben aus: „ Eine Mutter hatt'
ich, Herzeleide sie heisst, im Wald und auf wilder Aue waren wir daheim".
Es ist nun darauf zu achten, mit welcher Oberlegenheit Gurnemanz diesem
naiven Naturkinde gegeniibertritt: 9 So dumm wie den, erfand bisher ich
Kundry nur" ; er ist ja der „Wissende".
Viel bedeutsamer aber ist die kurz vorhergangene Schwanszene. In
Parsifal ist eine ungeheure jugendliche Kraftfulle aufgespeichert; er weiss
damit nicht recht wohin; er verbraucht seinen Uberschuss in blossen
Kraftubungen; das instinktive Gefuhl des Naturkindes, nicht etwa ein be-
wusster Kampf gegen das Schlechte lisst ihn den Riubern und Schichern
gegenuber zur Wehr greifen; dass sie w b5se" waren, die er tdtete, hat er
nicht gewusst; ebenso aber fordert ihn das flinke Reh heraus, seine
Schnelligkeit mit ihm zu messen, der fliegende Vogel ist kein leicht zu
erreichender, aber ein um so willkommenerer Gegenstand fur seine Kunst
im Bogenschiessen. Der Naturmensch lebt, wie das Kind, nur sich selbst;
seinem Geiste fehlt es an der Fihigkeit der Abstraktion, er kann sich
nicht in die Lage des Verfolgten hineinversetzen; diesen Fortschritt macht
der Mensch unter normalen Umstlnden uberhaupt nicht auf dem Wege
des Intellekts, sondern in einer starken Aufwallung des Gefuhls. Dann
plotzlich greift der Jammer des NMchsten, die Not des Tieres an seine
Seele. Der sinnliche Augenschein aber ist es, der den primitiven Menschen
besser belehrt, als jede theoretische Ausfuhrung. Angesichts des erlegten
Schwanes, unter Hinweis auf das blutbefleckte Schneegefieder und das
brechende Auge des Tieres, kann ihm Gurnemanz das Gewissen aufriitteln
und das Mitleid mit der Kreatur, das in jedem reinen Menschen verborgen
liegt, zu eigenem Leben aufwecken. Auch das Genie bedarf der Lehre,
das wissen wir schon aus den Meist&rsingern; der einzelne kann nicht
den langen, langen Weg fur sich durchmachen, den die Menschheit als
Ganzes durchschritten hat, die Belehrang vermittelt die inzwischen auf-
gespeicherte Erfahrung, ubertrSgt auf den einzelnen die im Laufe der
Jahrtausende ausgebildeten seelischen Krftfte, der genialen Intuition tritt
die Tradition helfend zur Seite; und hier ist Gurnemanz an seiner rechten
Stelle, als Vertreter der guten Tradition; er w weiss", was sich geh5rt, er
Digitized by
Google
141
PBTSCH: GURNEMANZ
„kennt die Regeln wohl", wie Hans Sachs von sich sagen kann, aber er
steht dem neuen Genie nicht mit gleicher Teilnahme, nicht mit derselben
ahnungsnrfssigen Einfuhlung, nicht mit jener Kongenialitftt zur Seite, die
uns den Altmeister von NOrnberg so lieb und wert macht. Darum sehen
wir alsbald, wie Parsifal hoch uber ihn hinauswfichst; die Warnungen des
Alten haben bei den jungen Knappen, wo es sich um Abwehrung der
Beschimpfung Kundrys handelte, kaum einen tieferen Eindruck hervor-
gebracht; der Waldknabe ist tief ergriffen, zerbricht den Bogen und lernt
aus dem Blick des sterbenden Tieres mehr, als aus alien eindringlichen
Reden Gurnemanz'. In dem gebrochenen Auge gewahrt er mit dem Tief-
blick des Genies, der den Einzeldingen auf den Grand und hinter der
konkreten Erscheinung das ewige Gesetz sieht, gewahrt er das ingstliche
Bangen der Geschdpfe die Bedrohung des Tieres durch die Mordlust des
Menschen. Insofern ist er .durch Mitleid wissend geworden"; aber die viel
entsetzlichere Not des Menschen, der unter der Last seiner eigenen Sunden
zusammenbricht, ahnt er noch nicht; die Versuchung ist noch nicht an
sein Herz gedrungen, er weiss ja nicht, was w gut und bdse" ist, er lebt
gleichsam noch im paradiesischen Urzustande. Auch diese Erkenntnis aber
muss er sich erst durch eigene Erfahrung am eigenen Leibe oder besser
an der eigenen Seele erwerben.
Das versteht Gurnemanz aber nicht; so gut er die Gralsgebote be-
herrscht, so treu er sie befolgt, in dieser Treue gross als der unwandelbare
Gefolgsmann und mitleidende Freund seines Kdnigs, so unzul&nglich zeigt
er sich doch, wenn die letzte und hdchste Aufgabe des Gralsritters im
idealen Sinne an ihn herantritt: in den Herzen der anderen zu lesen, die
hdchste Bewlhrung echt christlicher Selbstverleugnung. Sein Blick reicht
uber das Naheliegende, uber das Konkrete nicht eben hinaus; er ist eine
begrenzte Natur, und was sein Auge umschleiert, ist bei ihm wie bei
seinen Ordensbrudern die Leidenschaft; dort in der Erscheinungsform der
Sinnlichkeit, bei ihm in jener Heftigkeit und Selbstuberschatzung, mit der er
Parsifal schon begrusste und mit der er ihn verstdsst. Es liegt etwas von
der Natur des Petrus in ihm, wie uns diese heftige Natur im Neuen
Testament geschildert wird; er braust leicht auf und lftsst den anderen
seine Oberlegenheit fuhlen. Parsifal hat wihrend der Vorglnge im Grals-
tempel, beim Anblick des siechen Kdnigs und der Wunde, die sich nie
schliessen will, in heftiger Ergriffenheit nach dem Herzen gefasst; in ihm
krampfte sich etwas zusammen und ein Gefuhl namenloser Angst uberkam
ihn, das er sich nicht deuten konnte; die Klfinge von der Sundenqual
des Amfortas drangen ihm so tief ins eigene Herz, dass er der Einladung
des Gurnemanz zur Teilnahme am Mahl nicht zu folgen vermochte; aber
diese wehleidige Stimmung zur bewussten Klarheit zu erheben, war ihm
Digitized by
Google
142
QpO^ DIE M ^S1K III. 20.
nicht moglich, es fehlte jede Gelegenheit zur Anknupfung an eigene
Erfahrungen; daher nun jener Angstzustand des reinen Menschen in An-
wesenheit des Bdsen, jener Zustand, den Gretchen in ihrem Zimmer ver-
spiirt, als Mephistopheles darin geweilt hat, den Luise Miller wMhrend des
Eintretens des SekretMrs Wurm empfindet, ein ungewisses Schwanken der
Seele, die aus ihrem Gleichgewicht gebracht ist; Gurnemanz aber ist der
Wissende und kennt die Sundenqual aus Erfahrung; so ist es kein Wunder,
dass er kein Verstandnis fur diese Vorgdnge hat; wahrscheinlich ist seine
Seele auch in jungen Jahren nicht so empfindlich gewesen, wie diejenige
des „Toren a da vor ihm; verletzen muss uns nur die Heftigkeit, mit der
er ihn von sich treibt; im Grunde genommen wird Parsifal so herzlos von
der Gralsgemeinde verstossen, wie einstmals Klingsor; die ganze Ober*
legenheit des Greises pr> sich in dem hdhnischen Zurufe aus: .Sue he
dir, Gfriser, die Gans." Aus der Scheltrede der mittelhochdeutschen Vor-
lage: „Du bist eine Gans* hat Richard Wagner hier etwas ganz Neues
gemacht: geringsch&tzig verweist Gurnemanz auf die Bahnen der Alltags-
welt, auf philisterhaftes Liebesgluck des Toren, der sich der „heiligen" und
w reinen* Gemeinde unwiirdig gemacht habe.
Aber Parsifal scheidet anders, als einst Klingsor; die Worte des Alten
sind fur ihn nicht der Weisheit letzter Schluss, erjnimmt ein ungewisses
Sehnen, Bangen und Fragen mit fort, er trSgt im Gemiite das RMtsel von
den Leiden des unglucklichen Kdnigs; und diese Gemutsstimmung verldsst
ihn auch im Zaubergarten nicht, die Verfiihrerin, die ihm als der Mutter-
Hebe letzten Gruss der Liebe ersten Kuss reichen will, wirkt gerade das
Gegenteil von dem, was sie beabsichtigt, sie weckt in ihm die Erinnerung
an die Mutter, das Gefuhl der Mitverantwortung an ihrem Tode, das erste
Gefuhl eigener Verschuldung und Versundigung; in dieser Stimmung aber
packt ihn zum ersten Male das Feuer der Sinnlichkeit bei der Umarmung
Kundrys und nun plotzlich schliessen sich die drei Erfahrungen: eigenes
Schuldbewusstsein, Mitleid mit dem leidenden Konige, und plotzlich auf-
lodernde Sinnlichkeit zusammen zur hellen Erkenntnis |der Sunde,*die einst
Amfortas ruiniert hat; das ist echte christlich-protestantische Auffassung: nicht
auf dem Wege der Askese, nicht um die Versuchung herumgehend, sondern
mutig durch die Versuchung schreitend, aber sie uberwindend bildet sich
der Erretter, das religiose Genie. Wie Tristan in den augenblicklichen
Hinderungen seiner Liebesvereinigung mit Isolde tiefblickend die ewigen
Hindernisse erkennt, die sich wahrer, schrankenloser Liebeshingabe in dieser
eng beschrSnkten Welt entgegenstellen, so sieht auch Parsifal hinter dem
Einzelfall der eigenen Versuchung die ganze, unendliche Kette des Sunden-
elends der Menschheit. Kein Augenblick des Wankens, kein falsches Mitleid
mit Kundry, sondern jene heilige und gdttliche Liebe, „die wie Hass aus-
Digitized by
Google
143
PETSCH GURNEMANZ
<35tL)
sieht", die mit Ernst und Strenge an der sittlichen Hebung des N&chsten
arbeitet, aber nicht sein sinnliches Wohlgefallen befdrdert.
w Durch Mitleid wissend" ist Parsifal geworden und doch ist er noch
nicht reif zur Erlosung des Amfortas. Was er bis jetzt weiss, ist nur
das, was er zu lassen hat; die Entsagung gegenuber den Lockungen welt-
licher Lust hat er gelernt; er muss aber noch zeigen, dass es sich nicht
um einen augenblicklichen Eindruck handelte, sondern urn eine dauernde
Umwandlung, eine stete Verleugnung des eigenen, trotzigen Selbst; daher
das jahrelange Umherirren unter Kundrys Fluche, daher die Kampfe, in
denen er Wunden jeder Art gewinnt; aber damit ist doch eigentlich noch
nichts Positives gegeben, noch nichts, was den Christen uber den Stand-
punkt des Buddhisten erhebt, damit ist die frische und lebensfreudige Seite
des Christentums noch nicht angedeutet. Was hulfe es Amfortas, wenn
jetzt Parsifal in seinem Ernste und seiner Schwermut, gramgebeugt durch
den mitverschuldeten Verlust der Mutter und die wenn auch nur augen-
blickliche Beruhrung mit der Siinde, wenn er vor ihn hintrate mit einer
Busspredigt? Erlosung wire das nicht. Woher haben aber die Menschen
die freudige Lebensbejahung im hoheren Sinne gelernt? Aus dem Munde
des Erldsers ; aus sich selbst hatten sie sie nicht hervorgebracht, sie musste
ihnen gepredigt werden und sie musste sich durch die Tradition fort-
pflanzen; da tritt nun also Gurnemanz wieder in die Handlung ein, hier
kann er sich abermals als der Lehrer Parsifal s bew&hren, der am heiligen
Karfreitag mit bestaubten Waffen vor ihn hintritt.
Schwere Tage sind uber die Gralsgemeinde gekommen : aus ihr heraus
kann kein Heil erstehen. Den reinen Toren hat man mit Schimpf und
Schande hinausgestossen, Amfortas hat die Rittertugend des Muts verleugnet
und aus Leidensscheu den Gral, der sein Leben und seine Qual verlangert,
nicht mehr enthullt; der Edelste unter alien, der greise Titurel, „er starb,
ein Mensch, wie alle\ Der innere Verfall ist entsprechend fortgeschritten,
keiner der Ritter wird mehr als Streiter fur der Tugend Recht in die
Ferae berufen. Und Gurnemanz? Er hat sich seitab sein Huttctien ge-
baut und lebt in trauriger Beschaulichkeit, tun kann er nichts, Rettung
weiss er nicht, trotz all seines Wissens; da findet er am heiligen Tage
das erstarrte Weib, Kundry, die durch Parsifal, den ersten, der ihren
Kunsten widerstand, geheilt und gereinigt ist, und bei der sich nun un-
reine Glut in heilige Leidenschaft umgewandelt hat. „Dienen, dienen",
das sind ihre einzigen Worte ; die ehemals sundige Menschheit der Aussen-
welt ist jetzt auf dem Punkte angelangt, der der heiligen Gralsgemeinde
vorbehalten zu sein schien. Sie steht uber Gurnemanz.
Denn als nun der Ritter in dunkler Rushing naht, ernst und ge-
messen, gesenkten Speers und gebeugten Hauptes, da regt sich abermals
Digitized by
Google
Qaaa.
144
DIE MUSIK III. 20.
die alte Heftigkeit; mit lebhaften Vorwurfen spendet Gurnemanz, der
Huter der Gesetze, seine Belehrung dem, der am heiligen Tage in WafFen
daherkommt. Und doch ist manches in ihm milder geworden ; wie ruhrend
seine Trauer urn den gestorbenen Herrn, wie innig seine Freude fiber die
Wiederkehr des „ re in en Toren*, den er nun zum Kdnig salbt; der heilige
Speer zeigt ihm die Wiirde des Ankdmmlings an. Noch aber harrt seiner
ein wichtiges Werk ; nicht ein musikalisches oder buhnentechnisches Schmuck-
stuck, nicht eine idyllische Naturschilderung ist dieser „Karfreitagszauber",
er bedeutet eine wichtige Stufe im religiosen Leben Parsifals.
Wie Gurnemanz ihn fruher auf das Leid der gequ<en Natur auf-
merksam gemacht und sein Mitleid fur sie wachgerufen hat, so zeigt er
ihm nun die lachende Fruhlingslandschaft, die mit teilnehmen darf an der
Beseligung des Menschen durch den Er loser; hat doch Christi Tat die
Sundenangst von dem Menschen genommen und ihn freier, menschlicher,
liebevoller auch gegen die Natur gemacht, hat ihn als Freund und Heifer
in seine Umgebung hineingestellt, die ihm nun ihrerseits ihre Freudigkeit
wieder in die Seele hineinllchelt. Die Natur nimmt naiv und freudig wie
ein Kind vom Vater die Beseligung auf; und der Mensch sollte bangen,
zagen und zweifeln? Damit weicht „jeder Schuld Bekiimmernis" von Parsifal;
was vorher durch die Taufe symbolisch angedeutet war, das geschieht jetzt
als wirkliche Innenhandlung: freudig nimmt er die Botschaft von der Er-
ldsung auch in sich auf; nicht als Erholungsbedurftiger, sondern als Erloser
und zur Erldsung der anderen Berufener steht er jetzt vor uns da. Auch
da wachst er aber hinaus uber seinen Lehrer, uber Gurnemanz: dieser
erklSrte ihm das Fuhlen der unbelebten Natur, Parsifal denkt der verwelkten
Blumenmidchen, der Tochter der Freude, die im Leide endeten; und in
diesem Mitleid mit dem Sunder liegt wirklich ein gewaltiger Fortschritt;
wie viele, die sich des Tieres erbarmen, die sich der lachenden Natur von
Herzen freuen konnen und die fur den sundigen Mitraenschen, der zu alter
Musseren Not von der Last der eigenen Sunde niedergedruckt wird, keinen
Blick, kein Wort, kein Herz ubrig haben! Von diesen Blumenmddchen
fuhrt der Weg weiter zu dem grosseren Sunder; erst durch die liebevolle
Versenkung in dessen Seele, erst durch das wirkliche Mitleiden, das der
Selbstgeprufte empfindet mit dem, der in der Prufung gefallen ist, kann die
wirkliche Erldsung, kann das Heil erfolgen. Gurnemanz wire dazu nicht
ffihig gewesen, er ist nicht durch die schwere Versuchung hindurch-
gegangen, er ist „gerecht" geblieben, darum konnte er nicht zum Heiland
der Gralsgemeinde werden.
Alles in allem: Gurnemanz ist durchaus nicht, wie so oft behauptet
wird, der ideale Vertreter der Gralsgemeinschaft, so wenig wie diese in
ihrer im Drama dargestellten Erscheinungsform dem Ideal einer solchen
C^^
<^e.
14$
PETSCH: GURNEMANZ
-£
Gemeinde entspricbt; wozu bediirfte es sonst Parsifal s und seiner Sendung?
Er stellt eine verhaltnismassig hohe Stufe der Reinheit dar, wie sie in einer
degenerierenden Gesellschaft allenfalls erreicht werden kann und ist darum
imstande, Parsifal auf den rechten Weg zu helfen, den dieser aber doch
schliesslich wieder selbst&ndig beschreiten muss. Und darum ist nichts
torichter als die Behauptung, der Meister wolle uns durch sein Werk zu
,Gralsrittern a machen; im Gegenteil, sagen wir, Parsifalsnaturen will er
aus seinen Horern machen; wohlverstanden! Nicht Parsifalsrollen, denn
gerade durch das Kleben am Ausserlichen ist die Gralsgemeinde herunter-
gekommen; auf die innerste Natur kommt es an, auf die Welterkenntnis
ohne Weltbefleckung und auf den Mut zu freudiger Bewdhrung t&tigen Mit-
leids. Das ISsst sich mit Worten im Drama nicht sagen, wie die Kunst
uberhaupt nicht im geringsten die Aufgabe hat, direkte Belehrung zu
spenden; wenn sie vorzugsweise auf den Intellekt wirkt, ist sie keine Kunst
mehr. Sie wendet sich an unser Gefuhl; wer aber sein eigenes Gefuhl
durch diese Kunst hat beeinflussen lassen, dessen Wille kann nicht der alte
bleiben, er muss den RuckzurUmkehr in seinem Innern nachempfinden;
und darin besteht die einzigartige Wirkung von Bayreuth.
HI. 20 10
Digitized by
Google
EIN BRIEF WAGNERS AN FRAU
BETTY SCHOTT
Veroffentlicht von Dr. Edgar Istel-Muncben
■ -J5L-
m
?ewissermassen als Nachtrag zu den von mir im ersten Jahr-
gang der w Musik a herausgegebenen Briefen Essers an Franz
Schott, 1 ) sowie zu meinem sp&teren ebenfalls das Verhiltnis
Wagners zu dem grossen Verlagshause beruhrenden Beitrage
„ Richard Wagner und die neunte Symphonie**) mochte ich die Leser der
„Musik" noch mit einem bisher ungedruckten Briefe 8 ) des Meisters be-
kannt machen, der, beim Ableben Schotts an dessen geist voile Gattin Betty
(geb. v. Braunrasch) gerichtet, ein schones Zeugnis von Wagners Gross-
herzigkeit ablegt, wenn man sich erinnert, dass sein Verhaltnis zu Franz
Schott, beeinflusst von mancherlei Umstanden, nicht immer ungetrubt ge-
wesen und vielfach nur durch die Bemuhungen der hochbegabten Gattin
des Verlegers wieder zum Guten gewendet wurde. Der Brief lautet:
Hocbgeehrte Frau und Freundin!
Gewiss habe ich nicht ndtig, der schmerzlicben Oberraschung sowie dem tic fen
Mitgcfubl A us d ruck zu geben, urn Sie von dem grossen Leide zu uberzcugen, in
welches mich die Nachricht von dem unbegreiflich scbnellen Dabinscbeiden 4 ) Ibrea
nun verewigten Gemanles, meines noch kurzlich so ehrenvoll sich mir bewihrcndcn
Freundes, versetzt hat!
Neb men Sie von mir, wie von meiner gleich betroffenen Frau, einzig die Ver-
sicherungen des allerernstlichsten Beileides, sowie des treulicbsten Mitgefuhles fur
das schmerzliche Ungluck, welches Sie, hochgeehfte Freundin, betroffen hat
Mit der Bitte, diesen Versicherungen einen wahrhaft freundschaftlichen Glauben
zu scbenken, verbleibe ich mit berzlicher Hochachtung
Ihr
Bayreuth, sebr ergebener
15. Mai 1874. Richard Wagner
^ .Richard Wagner im Lichte eines zeitgen5ssischen Brief wechsels," auch
separat als Broscbure im gleicben Verlage.
2 ) ,Musik« II, 6.
*; Im Besitz der Mainzer Stadtbibliothek; publiziert mit gutiger Genehmigung
der Grossh. Burgermeisterei.
4 ) Schott sUrb am 8. Mai 1874 in Mailand.
Digitized by
Google
bOcher
286. Carl Fr. Glasenapp: Das Leben Richard Wagners in sechs Buchern dar-
gestellt. Dritte, g&nzlich neu bearbeitete Ausgabe von „Richard Wagners
Leben und Wirken". Dritter Band. Erste Abteilung (1864-1872).
Verlag: Breitkopf & Hi&rtel, Leipzig 1904.
Glasenapps Buch erschien zuerst 1876/7 in zwei B&nden; die zweite Auflage von
1882 war eine biosse Fortsetzung bis auf die damals neueste Ztit. Die dtitte Ausgabe,
wovon Band I 1894, Band II, 1 1896 und II, 2 1899 erschien, ist ein ganz neues Werk,
eine vollstandige und zugleich kriiische Biographie, worin alles vorhandene Material auf-
genommen und trefflich verarbeitet wurde. Nach Wagners Tod taten sich al Ire ah lien immer
mehr wertvolle Quellen auf, vornehmlich Briefe, auf die Glasenapp an erster Stelle
Rucksicht nimmt. So erz&hlt er nach den wichtigsten, zuverlfissigsten und unmittelbarsten
Zeugnissen und, da wenn irgend mdglich der Wortlaut der Briefe selbst aufgenommen
wurde, ungemein lebendig und anschaulicb. Dadurch unterscheidet sich die neue Be-
arbeitung am meisten von den fruheren Auflagen, die ja der eigenen Lebenszeugnisse
des Meisters in Briefform noch fast ganz entbehrten. Aucb konnen jetzt viele Dinge
erdrtert werden, deren Erw&hnung 1876-82 die Rucksicht auf Lebende verbot. Die
blossen Tatsachen des so reichen und bewegten Lebenslaufes boten eine solcbe Oberfulle
von Stoff, dass eine eingehende Erl&uterung der Kunstwerke und Schriften fuglich bei
seite gelassen werden durfce. Hierfur haben wir ja jetzt Chamberlain's pr&chtiges Buch.
Und fur die Schriften sei auch an dieser Stelle auf das Wagner Lexikon von Stein-
Glasenapp 1883 und die Wagner-Enzyklop&die von Glasenapp 1891 nachdrucklich
hingewiesen, wo die Gedankenfulle der gesammelten Schriften mit musterhafter Grund-
lichkeit zu klarster und bequemster Obersicht verarbeitet vorliegt. Diese ausgezeichneten
Bucher, die wir Glasenapps rastlosem Fleiss verdanken, sind viel zu wenig bekannt.
Sie sind ein geradezu unschStzbares und tatsfichlich unentbehrliches Hilfsmittel furs
Studium der Wagnerschen Schriften. Was kdnnten Asthetiker und Kritiker alles lernen,
wenn sie von diesen beiden Buchern Kenntnis h&tten!
So hat der Verfasser also Raum gewonnen fur eine erschSpfende und umfassende
Lebensbeschreibung. Und wie gewissenhaft, ohne irgendwie breit zu werden, hat er die
Aufgabe gelSst! 1882 erschienen 2 BInde zu 403 und 552 Seiten, jetzt bedarf Glasenapp
im ganzen 5 BInde, je zu etwa 450 Seiten, in grSsserem Format und engerem Druck.
Die fruhere Bearbeitung erscheint neben der grundlichen neuen Fassung wie eine
fluchtige Skizze, die vieles nur andeutet oder ganz ubergeht. Glasenapp hat nun aber
auch die grundlegende Wagnerbiographie geschaffen, die durch Erschliessung neuer
Quellen wohl erg&nzt, kaum aber mehr ver&ndert werden durfte. Wem einmal Einblick
in grosse, wichtige, ungedruckte Briefsammlungen vergSnnt ist, wird Glasenapps Arbeit
erst recht schltzen lernen. Die ,Bericbtigungen", die man daraus etwa nachzutragen
hat, sind nur ganz geringfugig, llcherlich unbedeutend; aber fur alles Wesentliche wird
10*
Digitized by
Google
148
DIE MUS1K III. 20.
mm bei Glasenapp bereits reiche aus andern, n&chst verwandten Quellen geschftpfte
Belege finden. Icb meine, das ist der beste Beweis fur Glasenapps Grfindlichkeit und
Zuverl&ssigkeit!
In den letzten Jabren wurden mancberlei „Erinnerungen", die icb hier nicbt
besonders nambaft mache, gedruckt. Naturlich sind sie alle sorgsam verwertet, aber vor
allem auch auf ihre Glaubwurdigkeit und Zuverlissigkeit geprfift. Hierbei bew&hrt sich
Glasenapps echt wissenscbafriiche Kritik wabrbaft gl&nzend. Diese „Erinnerungen" sind
n&mlich meistens eine recht trfibe Quelle. Sie entbalten sehr viel Falsches, geradezu
Erlogenes, verbreiten sich fiber ganz gleicbgfiltige nur die Person des „Erinnernden*
betreffende Dinge und sind sebr subjektiv geftrbt und getdnt. Mit grSsster Vorsicbt
sind die wenigen objektiv sicberen Tatsachen berauszubolen. Manchmal gilt es auch,
z. B. bei Frau Forsters Nietzschebiographie, wertvolle und wahre Mitteilungen aus einer
wenig erfreulichen Umrabmung loszulSsen und in grossen und ernsten Zusammenbang
zu stellen. Das versteht nun Glasenapp meisterbaft. Mit kurzen Worten stellt er die
Glaubwurdigkeit des fraglichen Zeugen fest, indem er einfach dessen Angaben an den
unmittelbarsten Quellen zeugnissen, an den Briefen des Meisters und seiner nftcbsten
Frcunde, prfift. Glasenapp grfindet seinen Bericbt also stets auf sicbere Urkunden und
zeratreut alle Nebel verschwommener und irriger w Erinnerungen". Und diese immer
zahlreicher bekannt werdenden Meisterbriefe bestltigen vollauf den Satz: „Es mag nicht viele
grosse Manner in alien Nationen und auf alien Gebieten geben, die es vertragen, so bis
ins Einzelnste in allem, was sie getan, gedacht und geschrieben habcn, ans Licht gezogen
und unter die sch&rfste Lupe der Forschung genommen zu werden, ohne dadurch zu
verlieren." Dagegen wird die Gemcinheit der Zeitgenossen immer greller offenbar, z. B.
Essers Verhalten, wie es sicb aus den in dieser Zeitscbrift verdffentlichten Briefen ergab.
Wagner beurteilte seine Umgebung noch viel zu grossherzig und milde.
Der vorliegende Band, das ffinfte der in Aussicht genommenen secbs Bficher,
behandelt die Jahre 1864—72, von Munchen fiber Triebschen nach Bayreutb, zur Feier
der Grundsteinlegung am 22. Mai 1872. Das erste Drittel deckt sich mit der von mir in
der Musik II, 2, 280 ff. besprochenen Schrift Sebastian Rdckls fiber Ludwig II. und
Richard Wagner, ist aber naturlich noch viel ausffihrlicber und grfindlicher. Das beste
Bild des jungen Kdnigs, das er am 8. November 1864 dem Meister fibersandte, ist dem
Bande beigegcben. Mit atemloser Spannung folgt man den lebendigen Scbilderungen,
aus der Mfinchener Wirrnis zur Inscl der Glficklicben und endlicb zum
Bayreuther Gedanken. Der kSnigliche Schirmherr hat den Meister aus den
gemeinsten Lebenssorgen befreit, aber nur die opfermutig hehre Liebe, von welcher die dem
Siegfriedidyll vorausgescbickten Worte kfinden, schuf scinem Werk die Werdestltte.
„Wir haben in unserem Lebensbericht alle einzelnen Phasen dieses segenbringenden,
aber schwer erk&mpften Liebesbundcs eingehend verfolgt; nicht ohne zuvor ernstlich er-
wogen zu haben, ob es nicbt noch vornehroer ware, in unserer Darstellung der Taten
des Reformators von dieser rein privaten, der Offentlichkeit abgewandten Seite seines
Daseins g&nzlich abzusehen und ihrer auch nicht mit einem einzigen Worte zu erw&hnen">
schreibt Glasenapp. Mit Recht bat er alle Bedenken beiseite geworfen. Denn diese
Liebe ward zur Tat und krdnte das Lebens werk mit Vollendung. Hier in Triebschen wareinzig
die ErlSsung aus den grauenvollen Erlebnissen der ^Mfinchener H611e* (vgl. S. 260) mdglicb
und die Sammlung zu neuer Tat, zu Bayreuth, worin der erste und ursprfingliche Fest-
spielgedanke wieder zur Geltung kam, den der Meister nur seinem kdniglicben Freunde
und Beschfitzer zuliebe eine Zeit lang zugunsten der bayerischen Residenz aufgegeben
hltte. Munchen aber hatte dem Kdnig seine hochsinnigen Absichten vereitelt. Aus
dieser dem Geiste Wagners vdllig entsprechenden Anscbauung heraus lehnt Glasenapp
Digitized by
Google
149
BESPRECHUNCEN (BOCHER) Q^F5j
begreiflicher Weise den heutigen Munchener Neubau, durch den »der grossartigste
kdnigliche Gedanke in ein Aktienunternehmen und eine Terrainspekulation umgewandelt
ist", schroff ab. Die Munchener Zeit ist wunderbar verkl&rt durch die Liebe des Kdnigs
und durch Tristan. Wagner schreibt: „Ich hatte eine kurze Zeit, in welcher ich wirklich
zu tr&umen glaubte, so wunderschdn war mir zumute. Es war dies die Zeit der Proben
des Tristan*. Aber die furchtbare und fast allseitige Gemeinheit der Umgebung warf
bald trube Schatten und zerstdrte dies sonnige Gluck. Man liest noch heute nit Ingrimm
und Empdrung, wie Leute vom Schlag eines Pflstermeister und v. d. Pfordten die hoch-
sinnigen kunstlerischen Plane durch kreuzten, welch schamlose R&nke angewandt wurden,
um Wagner in der Presse zu verfolgen und den K6nig zu t&uschen, welch schndden
Undank sp&ter Wagner von Mlnnern wie Frdbel und Perfall erntete. Mit schonungsloser
Offenheit auf Grand bester Quellen deckt Glasenapp dieses ganze hinterlistige Treiben
auf. Schmerzlich bleibt dabei nur eins, die sicher bereits krankhafte Schwlche des
Kdnigs, der sich durch die scheinheilige Miene seiner Diener, die bereits damals ihn
selbst bedrohten (vgl. S. 194), immer wieder liuschen liess. Wagner schreibt schon am
26. Februar 1865 vom Kdnig: „ihm fehlt jeder Mann, der ihm ndtig wire". Und am
7. Dezember hilt er dem Kdnig den Verrat seiner Beamten und Diener vor: „mich
schmerzt, dass Sie leiden, wo der einfache Gebrauch Ihrer kdniglichen Macht Ihnen Ruhe
verschaffen wurde". Im vollen Einklang mit dem eigentlichen bayerischen Volk, dessen
Meinung keineswegs mit dem Bureaukratismus und reaktionlren Jesuitismus der damaligen
bayerischen Politik zusammenflel, durfte ausgesprochen werden: „Ich wage Sie zu ver-
sichern, dass mit der Entfernung zweier oder dreier Personen, welche nicht die min-
deste Achtung im bayerischen Volke geniessen, der Kdnig und das bayerische Volk mit
einem Male von diesen Ustigen Beunruhigungen befreit waxen". Bulow wfinscht einmal,
einem Kdnige zu dienen, »der kdniglich denkt und handelt, — nicht bloss kunstlerisch
empflndet!" Und ein andermal heisst es bitter: „Die Schwlche des einen, dessen Befehl
allein uns hatte schutzen kdnnen, die Niedertracht der ihn beherrschenden treulosen
Diener!" Konnte doch ein Perfall sich erdreisten, bei den Proben zu den Meistersingern
den Anordnungen Wagners und Bulows entgegenzuarbeiten, bezw. *jede Unbotm&ssigkeit
und Widersetzlichkeit durch aufreizende Ausserungen eigens noch nihren!" Der einzige
vieles entscheidende Fehlgriff, den Kdnig Ludwig gegen seinen grossen Freund beging,
der fur sein eignes Leben so verh&ngnisvoll wurde, war seine Ingstliche Nachgiebigkeit
am 6. Dezember 1865. Wiederholt hatte der Kdnig versichert: „alle Hindernisse werden
nun uberwunden. Ich sehe es klar, gegen uns beide vermag die Bosheit der Welt nichts".
Vom 11.— 21. November 1865 weilte Wagner als Cast des Kdnigs in Hohenschwangau.
„Vergessen Sie die rauhe Umgebung, die mit Nacht und Blindheit geschlagen ist, —
unsere Liebe leuchte hell und lauter!" riet der Kdnig dem Meister zu. Kaum 14 Tage
spflter reiste Wagner auf kdnigliche Verordnung aus Munchen ab. Die freundschaftliche
Gesinnung des Kdnigs war freilich unerschutterlich, uberdauerte alle Sturme und konnte
auch splter nur vorubergehend getrubt werden. Der Ruckschlag auf die Gemutsverfassung
des Kdnigs war aber sehr nachhaltig. Auch K. v. Heigel sagt in seinem Buch „Kdnig
Ludwig II." : »man warf dem jungen Fursten nicht ein Kartenhaus ein, man zerstdrte ihm
eine Zukunft. Die Millionen, die man ihm hier ersparte, wo sie Frucht getragen bitten,
wurden in einsamen Gebirgst&lern ausgegeben, wo sie vergeudet sind". Wol versuchte
der Kdnig nachmals immer wieder, Wagner zu dauernder Niederlassung in Munchen zu
bewegen. Umsonst! Wagner kannte die Munchener Zustinde zu genau und gab sich
nicht ein zweitesmal dem Wahne'hin, den Festspielgedanken in dieserStadt zu verwirklichen.
„Die Liebe des Kdnigs zu Wagners Werken, das eigenwillig heftige Verlangen nach ihrer
szenischen Verkdrperung verfGhrte ihn 2u einem wirklichen Unrecht, und das begangene
Digitized by
Google
150
DIE MUSIK III. 20.
Unrecht weiterhin sogar zur Ungerechtigkeit des Urteils, zu cinem Missverstehen des
grossen kunstlerischen Freundes und einer vorubergebenden Entfremdung, in welcber
sein hochsinniger Charakter doch nicht fur die Dauer verharren konnte": nlmlicb als er
den Befehl zu der, dank PerfalU Massregeln, kunstlerisch ganz ungenugenden Einzel-
auffuhrung von Rbeingold und Walkure auf der Munchener Buhne 1860 und 1870 er-
teilte. Aber bei der Grundsteinlegung 1872 waren diese Wolken verschwunden und der
K6nig scbickte „aus tiefstem Grunde der Seele" seinen Gruss: „Heil und Segen zu
dem grossen Unternehmen im n&chsten Jabre! lch bin heute mebr denn je im Geiste
mit Ihnen vereint." Wohl feblt zur Klarlegung dieser wundervollen Freundschaft zwischen
Kdnig und Kunstler einstweilen — und vorerst auf unabsehbare Zeiten! — noch eine
Hauptquelle, die Briefe Wagners an den Kdnig. Aber immerhin stehen bereits jetzt
genug Zeugnisse zur Verfugung, urn in der Hauptsache klar zu aehen. Von den
Kdnigsbriefen sind ja, wenn schon durch Vertrauensbruch, mehrere bekannt geworden,
nach denen auch Rdckls Buch verfasst wurde. Ich hebe hervor, dass Glasenapp (S. 6
Anm.) diese Briefe ausschliesslich nacb den Originalen, nicht nach jenen unrechtm&ssigen,
luckenhaften und entstellten Kopien zitiert. Wcitere Hauptquellen Glasenapps sind u. a.
Briefe Wagners an Feustel, FrSbel, Heckel, Levi, Muncker, Nietzsche, Nohl, Pusinelli,
Richter, O. Wesendonk, Frau Wille; dazu kommen Briefe Bulows, Liszts, Briefwechsel
zwischen Nietzsche und Rohde, Richters Mitteilungen aus Triebschen. Neben diesen
und andern gedruckt vorliegenden und allgemein zug&nglichen Briefen hat Glasenapp
aber auch viele bisher unbekannle Aufzeichnungen benutzen durfen und bietet also viel
Neues. Fur die Munchener Zeit ist neben den unmittelbaren Quellen von besonderer
Wichtigkeit ein Aufsatz der Neuesten Nachrichten von 16./20. August 1882: „Vor siebzehn
Jahren, eine tragikomische Episode aus dem politischen Karneval Munchens." Glasenapp
verzeichnet stets genau und sorgsam seine Quellen. So ist das Buch auch dem, der
mit der vom Verfasser vertretehen Anschauung nicht ubereinstimmt, erstes und unent-
behrlichstes Hilfsmittel zur Kenntnis der Lebensgeschichte Wagners. Der Briefwechsel
zwischen Wagner und Liszt erfShrt eine wundervolle ErgSnzung durch die beiden Briefe,
die das 16. und 17. Kapitel abschliessen: „Mein grosser, lieber Freund! Cosima be-
hauptet, Du wurdest doch nicht kommen, auch wenn ich Dich einlude. Das mussten
wir denn ertragen — wie wir so manches ertragen mussten! Dich aber einzuladen,
kann ich nicht unterlassen. Und was rufe ich Dir zu, wenn ich Dir sage: kommM
Du kamst in mein Leben als der grdsste Mensch, an den ich je die vertraute Freundes-
anrede richten durfte. Du trenntest Dich von mir — vielleicht well ich Dir nicht so
vertraut gewesen war, wie Du mir. Statt Deiner trat Dein wiedergeborenes innigstes
Wesen an mich heran — und erfullte meine Sehnsucht, Dich mir ganz vertraut zu wissen.
So lebst Du in voller Schonbeit vor mir und in mir — und wie uber Griber sind wir
vereint! Du warst der Erste, der durch seine Liebe mich adelte. Zu einem zweiten
hoheren Leben bin ich ,Ihr c nun verm&blt — und vermag, was ich nie allein vermocht
hltte. So konntest Du mir alles werden, wSbrend ich Dir so wenig zu bleiben vermochte.
Wie ungeheuer bin ich so gegen Dich im Vorteil! Sage ich Dir nun: komm' — so sage
ich Dir damit: komm' zu Dir — denn hier flndest Du Dich! Sei gesegnet und geliebt
— wie Du Dich auch entscheidest! Dein alter Freund Richard.* Diesen am 18. Mai 1872
aus Bayreuth geschriebenen Brief beantwortete Liszt am 20. Mai aus Weimar: „Erhabener,
lieber Freund! Tief erschuttert durch Deinen Brief, kann ich Dir nicht in Worten
danken. Wohl aber hoffe ich sehnlich, dass alle Schatten, Rucksichten, die mich feme
fesseln, verschwinden werden — und wir uns bald wiedersehen. Dann soil Dir auch
einleuchten, wie unzertrennlich von Euch meine Seele verbleibt — innig auflebend in
,Deinem zweiten hdheren Leben, in dem Du vermagst, was Du allein nicht vermocht
Digitized by
Google
151
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
hittesf . Gottes Segen sei mit Euch, wie meine ganze Liebe. F. L.« Mit Recht beschliesst
Glasenapp den Band mit dem erhebenden Ereignis der Bayreuther Grundsteinlegung,
wo sich noch einmal allea in Liebe und Hoffnung vereinigte und verkl&rte. 1873 brachen
die schweren iusseren Sorgen herein, die beinabe zur Aufgabe des Festspielgedankens
zwangen. Das Leben Wagners ist ein wunderkuhnes und grosses Ringen urn ein hdchstes
Ziel und ich unterschreibe aus innerster Oberzeugung Glasenapps Worte: „HItte Wagner
sich damit begnflgt, unter kSniglicbem Schutze — im bdchsten Sinn untltig — den
Ruhm seines Namens zu geniessen und, mit bloss papierenem Kunstschaffen zufrieden,
der Durehfuhrung seiner hdchsten reformatorischen Idee zu entsagen.* er bltte getrost
in Munchen, unter zunehmender allgemeiner Bewunderung und Hochsch&tzung, sein
siebzigstes, ja achtzigstes Lebensjahr vollenden kdnnen, — vie es Goethe in Weimar
getan. Es klingt vielleicht hart, den Begriff der Untltigkeit, wenn auch in eingeschrlnkter
Anwendung, in einem Atem mit dem Namen Goethes auszusprechen. Allein in Wahr-
heit hat uns Mir die Tltigkeit des — zugleich schaffenden und reformierenden — Genius
doch erst das rastlose Wirken Richard Wagners einen ganz neuen, bis dahin unerhdrten
Masstab gegeben, dem gegenuber alles Fruhere verblasst. Dies kann heute ohne Miss-
verstlndois ausgesprochen werden." Glasenapps Darstellung ist schlicht, ohne jedes
Pathos, wenn irgend mdglich auch im Wortlaut unmittelbar quellentreu, und daher so
ergreifend und eindrucksvoll. Das Buch ist aus reinster, vornehmster Gesinnung
geschrieben, ein bewundernswertes Denkmal selbstloser Hingabe an eine grosse Sache.
Unter schwersten iusseren Umstinden, unter druckender Arbeitslast benutzt Glasenapp
jeden freien Augenblick, urn sein Lebenswerk zu fdrdern, und boffentlich glticklich zu
vollenden. Aus jedem Wort spricht liebevollstes Verst&ndnis, strengste und rfick-
sichtloseste Wahrheit und unvergleichliche Sachkenntnis. Auf dieses wahrhaft edle
Buch passt das Meisterwort: ,Deutsch sein heisst, die Sache, die man treibt, urn ihrer
selbst willen treiben." M8ge das Buch den Leserkreis flnden, der seiner wurdig ist.
Es ist eine so echte und grossartige Kundgebung im Wagnerschen Geist, dass es bei
alien denen, die diesem Geist fremd oder feindselig gegenuberstehen, erneuten, macht-
losen Widerspruch hervorrufen muss. Prof. Dr. W. Golther.
287. Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblltter und Briefe
1853—1871. Verlag: Alexander Duncker, Berlin 1904.
Professor Wolfgang Golther in Rostock, der verdienstvolle jungere Wagner-
Forscher, hat in Obereinstimmung mit dem Hause Wahnfried und den Erben Wesendonk
diese Blltter und Briefe herausgegeben. Damit ist der grossen Wagner- Gemeinde ein
Gescbenk in die Hand gelegt, wie sie es in dieser Art noch nie besessen hat. Denn es
enthullt sich hier jede Faser des intimsten Seelenlebens eines Genies. Richard Wagners
kunstlerisches und menschliches Bild steigt zu erhabenster H6he empor. Es ist nicht
zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass Wagner in dem Heroismus der Oberwindung
yon Leid und Leidenschaft hier noch fiber Friedrich Schiller hinausw&chst: bei diesem
war es kftrperliches Leid, das er, jahrelang den Tod vor Augen, durch unerhSrte Kraft
des Mutes besiegte; bei jenem, der „in dieser Welt der Lieblosigkeit" unsagbar lite, der
keinerlei kunstlerische Anregung durch gllubige Liebe oder hiusliches Gluck empflng,
war es das unstillbare Sehnen der Seele, die Qual einer dlmonischen Leidenschaft, die
es zu uberwinden gait. Es ist wohl das erhabenste Moment in den Briefen und Blittern,
dass ihr Inhalt uns die hehre Kraft der SelbstQberwindung lehrt. Niemand wird nach
der Lekture sich dem Eindruck verschliessen k5nnen, dass man das innerste Bild unsres
grossen Genius erst jetzt recht erschaut hat. Vor allem ist zu betonen, dass wir nun
auch das tiefste Geheimnis des Entstehens vieler Wagnerschen Kunstwerke uns erkl&ren
kdnnen. Wer die wundersame Eigenart yon des Meisters Schaffen, wer zumal den
Digitized by
Google-
152
DIE MUSIK 111. 20.
„Tristan" ganz verstehcn und begreifenwill, der muss hinabtaucben in diese Flut wunder-
und wehvoller Empflndungen, die diese Blatter verzeicbnen. Ohne die Kenntnis dieses
Buches wird man ernstlich uber Ricbard Wagner niemals mehr diskutieren d&rfen.
Damit wire die ideelle Seite des Genusses dieser berrlicben menschlichen Dokumente
in grossen Zugen gekennzeicbnet. Ober die merkwQrdige Eigenart der seeliscben Be-
ziehungen dieser beiden wahlverwandten Naturen ist bier gleich nach dem Tode von
Matbilde Wesendonk (.Musik" II, 1) gesprochen worden. Wagner selbst versucht an
tausend Stellen das Geheimnis dieser erbabenen Neigung zu ergrunden; hier nur ein
bedeutungsvoller, tief umfassender Satz als Probe: „Gewiss, wir werden alles, alles ver
gessen und verscbmerzen, und nur ein Hochgefubl wird bleiben, das 1 Bewusstsein, dass
bier ein Wunder vorging, das die Natur nur in Jabrbunderten einmal webt, das ibr so
edel aber vielleicht noch nie gelang." — Welcbe GrSsse der Anscbauung, welche
grandiose Tiefe der Empflndung! Die Zartbeit und Innigkeit der Beziehungen zwiscben
diesen beiden erbabenen Herzen verbieten es, in einer Besprechung andere hoch-
bedeutsame Ausserungen aus dem Zusammenban ge zu reissen. Was sonst noch auf-
ftllt, ist die erstaunlicbe Ffllle von umfassendster Bildung, die Wagner in alien
Zweigen von Kunst und Wissenscbaft, von Natur- und Geistesleben, von Religion und
Philosophic, von jeder Art geistigen Strebens und Lebens offenbart. Auch der Humor,
iener grosse Befreier von der Tragik des Leidens, bricht oft siegbaft hervor. Was den
lusserlicben Inhalt des 366 Seiten starken Buches betrifft, 60 sei darauf hingewiesen
dass ausser von dem Entsteben von .Tristan und Isolde" auch mebrfach vom .Ring des
Nibelungen" die Rede ist. Matbilde Wesendonk erbielt neben vielen andern wertvollen
Manut kripten auch die ersten Bleistiftskizzen des .Ringes", soweit er in Zurich vollendet
wurde. Bekanntlich verdringte dann, gezeitigt durch Jene bedeutungsreicben inneren
Vorkommnisse im Leben des KQnstlers, der .Tristan* den .Siegfried". 1 ) Hauptslchlich
beacbtenswert aber ist die fGr viele gewiss neue Tatsache, dass .Tristan" und .Parsifal 41
zuerst einheitlich gedacbt waren. Es lag im Plane des Meisters, den nach dem Grale
sucbenden Parzival zu dem an der Sebnsucht nach der Nacbt sterbenden, nicht sterben
kdnnenden Tristan pilgernd gelangen zu lassen. .Befabung und Verneinung des Willens
zum Leben, Fluch und ErlSsung bitten sich in diesen beiden gegensitzlich gedachten
Gestalten verk8rpert." Am Karfreitag des Jahres 1857 (10. April) 15st; sich Parzival
selbst&ndig vom Tristan los: Wagner entwirft im Zauber dieses heiligen Morgens die
erste Skizze des .Parzival", der spftter bekanntlich .Parsifal" genannt ward. Scbon bis
zum Ende dieses Monats wurden die drei AufzQge des .Parzival" kurz skizziert urd bis
1860 ist Arbeit an diesem ersten Entwurf nacbweisbar! — Diese Feststellung isfwesentlich,
well dadurch die bekannten sp&teren Angriffe Nietzsches wegen Wagners .Hinwendung
zum Cbristentum" und dem .Zusammenbruch vor dem Kreuze" endgultig gegenstandslos
geworden sind. Man lese auch die zahlreichen Stellen in den Briefen, wo Wagner sich
bereits auffallend oft und tief uber das .Mitleiden" ftussert, das er als .den stlrksten
Zug seines moraliscben Wesens und vermutlicb noch als Quelle seiner Kunst" bezeichnet.
— Die Verlagshandlung hat das Buch in sehr vornehm-wQrdiger Weise ausgestattet. Auch
mag scbliesslich noch darauf hingewiesen sein, dass mit der dankenswerten Her-
ausgabe dieser deutlich sprechenden eigmen Dokumente Wagners mancherlei un-
vCrdlge Verdffentlicbungen fiber des Meisters Zuricber Zeit ihr Ende gefunden baben.
Erich Kloss.
*) .Ich kann mich nicht mehr fGr den Siegfried stimmen, und mein musikalisches
Empflnden schweift scbon weit dariiber hinaus, da wo meine Stimmung hinpasst: in das
Reich der Scbwermut." (Brief an Otto Wesendonk, 22. Dezember 1856.)
Digitized by
Google
fe*
153
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
288. Wilhelm Kienzl: Richard Wagner. Mit einer Beilage und 91 Abbildungen.
(A.u.d.T. Die Gesamtkunst des 19. Jahrbunderts. Weltgeschicbte in Charakter-
bildern herausgegeben von Kampers, Merkle und Spabn.) Verlag:
Kircbheimscbe Verlagsbuchhandlung, Munchen 1904.
Kienzls Buch ist der erste wolgelungene Versucb einer kurzgefassten, vollst&ndigen
und docb auch zur Tiefe gebenden Schilderung von Wagners Leben und Wirken. Die
Schrift zertlllt in drei Teile: I. Das Gesamtkunstwerk: die Vorbereitung, das Kunstwerk
der Gegenwart. 11. Der BegrGnder des Gesamtkunstwerkes : Richard Wagners Leben,
Wirken und Lebren; Wagners dramatische Schdpfungen. III. Die Kunst von Bayreutb.
Wagners Schaffen wird gescbichtlich betracbtet und docb auch durcbaus lebendig erfasst.
Die einzelnen Werke sind.'treffiich nach Dicbtung und Musik erliutert. Sehr gut wird
Sei 4 e 26 fiber das Wesen der sogenannten Motive gesprochen, die Kienzl am liebsten gar
nicht A benennen mdcbte. Trefflich werden stets Wagners Schriften cbarakterisiert und
durcb gescbickt ausgew&blte Stellen dem Leser unmittelbar vorgefuhrt. So heisst es Seite 55:
»Die grosse Zabl seiner dem Menscbentum und der sozialen Kultur gewidmeten Scbriftcn,
die zum Tell einer spiteren Zeit entstamroen, werden stets eine Quelle bdcbsten und
reinsten Genusses fur jeden nach tieferer Erkenntnis ringenden Menschen sein und mit
dazu verhelfen, das Verstlndnis fur die Bedeutung des Kunstlers Wagner als eines
kulturellen Macbtfaktors zu erhShen, und zu einer Steigerung des individuellen und all-
m&hllch auch des allgemeinen sittlicben Bewusstseins beitragen, dessen praktiscbe An-
wendung auf das Leben dieses iibcrbaupt erst lebenswert erscheinen llssr*. Kienzl
schreibt aus reichem Wissen, reiner Gesinnung und in klarer, scbSner Darstellung, bei
aller Kurze erschdpfend und alle wesemlicben Seiten der Erscbeinung Richard Wagners
beleuchtend. Zu den Vorzugen einer gemeinfasslicben, dem Laien wie dem Kenner
gleich willkommenen Darstellung kommen noch wertvolle Bilder und Facsimiles, wie
uberbaupt die vornebme Ausstattung des von streng wissenschaftlichem und echt kunst-
lerischem Geiste beseelten Bucbes zu loben ist. Nur ein paar Kleioigkeiten wurden noch
zu ergSnzen und zu bericbtigen sein. Bei der Quell en f rage der einzelnen Dichtungen
vermisse ich sicbere und grundliche Kenntnisse, die beim Vergleich der Dichtung und
ihrer Vorlagen beiden Seiten gerecht werden und das wesentliche bervorheben. Seite 37
wird der Trlstanvers irrig als jambisch bezeichnet. Es sind dieselben freien Rbytbmen
in Kurzzeilen wie im M Ring" und sogar noch mit vielen Stabreimen versehen. Das Gem&lde
von Frau Stockar-Escber wurde nicbt 1847, sondern erst im Mlrz 1853 in Zurich gem alt.
K6nig Ludwig bftrte den Lohengrin vor 1864 gewiss nicbt in Sondervorstellungen bei
verdunkeltem Hause, wie Kienzl Seite 65 anzunebmen scheint. Die Tannbauserauffuhrung
von 1865 mit Scbnorr war keine eigentlicbe Neueinstudierung. Diese eifolgte erst splter
1867 auf Grund der Pariser Fassung, die Kienzl zwar durcbaus wurdigt, aber doch fur die
Auffuhrung nicbt anerkennt (vgl. Seite 96). Da nach Seite 28 Kienzl auch das Scbwert
im Rbeingold nicbt zu billigen scheint, so mdchte ich bei diesem Anlass doch einmal
nachdrucklich auf Mottls entscheidende Bemerkungen zu dieser Sache in den Bayreutber
Bl&ttern 1887, 332 hinweisen. Dem so deutlich ausgesprocbenen Willen des Meisters
darf man nicht widerstehen. Endlich wire zur Erh5hung der Brauchbarkeit des trefflichen
Buches ein Sachverzeichnis wunscbenswert gewesen. Die Seitenuberscbriften erleicbtern
wohl das Nachschlagen, aber nicht genugend. Ich mdcbte das Buch viel gelesen und
benutzt und daber auch recht praktisch und ubersichtlich eingericbtet wissen.
Prof. Dr. W. Goltber.
Digitized by
Google
BLATTER FUR HAUS- UND KIRCHENMUSIK (Langensalza) 1904, No. 9.
— Willi Gloeckners Studie „Siegmund von Hausegger* feicrt diesen Kunstler
als .eine ecbte kunstleriscbe Persdnlichkeit unserer Zeit", die neben Richard
Strauss gestellt zu werden verdiene, und lobt an ibra insbesondere .die wunder-
volle Einbeit zwiscben Sein und Kdnnen, die man mit Recht als Wahrhaftigkeit
bezeicbnet". Im selben Heft sctzt Hugo Riemann seine interessanten Mit-
teilungen unter dem Titel „Wer kennt den Komponisten?" fort; die Motive der
Tinze, die er veroffentlicht, sind wahre Muster an Stimmung, Scb5nbeit und Ein-
facbbeit zu nennen. H. Drabeim beginnt in seiner Abhandlung „Goethes
Balladen in Loewes [Composition" eine Erkllrung des Tonsatzes von „Erlk5nig",
„Hocbzeitslied" und „Zauberlebrling". Die „Losen Blitter" enthalten unter anderem
einen Bericht fiber „Neues aus Dessau" von Arthur Seidl.
DEUTSCHE LITERATUR- UND KUNST-ZEITUNG (Dresden) 1904, No. 5
— Eine Arbeit fiber „Hugo Wolfs musikgeschichtliche Stellung" von Siegfried
Floch gebt von dem Standpunkt aus, dass Wolf mit seinen Vorglngern in der
Liedkomposition untrennbar und sebr innig zusammenhlnge und dass seine Kunst
ein Ereignis sei, „das unabwendbar hereinbrecben musste". Der Autor erweitert
seine Darlegung durcb einen zusammenfassenden Rfickblick auf die Entwicklung
des Kunstliedes, die er in letzter Instanz auf die Goetbescbe Lyrik zurfickffihrt,
und tadelt es namentlicb, dass man durcb das Streben, Wolf „auf den einsamen
Sockel ureinziger Originalit&t zu stellen", ihn seinen Zeitgenossen nur fremd
gemacbt babe; er schliesst mit den Worten: „Sein Streben scbloss sicb organisch
dem Scbumanns an, gelangte aber zu einer inneren Sicherheit, die nur aus den
kfinstlerischen Prinzipien, Richard Wagners entspringen konnte."
SUDDEUTSCHE MONATSHEFTE (Mfinchen) 1904, No. 5. - Die Nummer ent-
hilt „Ungedruckte Briefe Hugo Wolfs an scbwibiscbe Freunde" — zwei an Edwin
Mayser, einen an Emil Engelmann, zwei an Karl Grunsky, zwei an Gertrud Lambert
und vier an Adolf Nast. Aus dem letzten der Briefe — Wien, 7. Januar 1896
datiert — sei eine charakteristische Stelle hierber gesetzt: „In Ihrem verschneiten,
aber lusserst gemfitlichen Nest auf der windigen H5be mag es jetzt wohl sebr
traulich sein. Was gibe ich drum, kSnnte icb meinen dermaligen Aufentbaltsort
mit dem Ihrjgen vertauscben! Sind Sie ein glficklicber Menscb! Besitzer einer
schSncn Villa in prachtvoller Gegend auf waldiger Hdh' und dazu einer liebens-
werten Frau — wahrlich, Sie sind beneidenswert. Weiss Gott, ob ich's jemals
annibernd nur so weit bringen werde. Zu sch&tzen wfisste ich jedenfalls ein
solcbes Cluck. Aber ich bin ein prfdestinierter Pechvogel, der sich's an seinen
LuftschlSssern genugcn lassen muss, was freilich verdammt wenig 1st.**
FREISTATT (Munchen) 1904, No. 23. — Aus der Charakteristik „Felix Mottl" von
Felix Adler sei der nachfolgende Kernsatz herausgegriffen : „Dieser frische, frohe,
freudige Urmusiker ist Hans Sachs und Walter Stolzing in einer Person. Be-
sonnenheit, Weisheit und Gfite sind mit einer strotzender Fulle von Kraft,
Temperament und Begeisterung vereint."
Digitized by
Google
155
REVUE DER REVUEEN
FRANKFURTER ZEITUNG 1904, No. 155. — Eine ginz interessante Zusammen-
8tellung von Anekdoten liefert Albert Dessoff in seinem Feuilleton „Napoleon 1.
und die Musik", aus dem insbesondere des Kaisers Vorliebe fur Paisiello und
Zingarelli sowie Cherubini's vornehmes, freimfitiges Wesen Napoleon gegenQber
hervorgeht.
NATIONALZEITUNG (Berlin) 1904, 29. Mai. — „Das Geburtshaus von Johannes
Brahms" erflbrt eine kurze Schilderung durch Otto Wei n rich, der sich auch
sonst noch fiber Brahms verbreitet. — Der Zentral-Ausschuss der Hamburger
Burgervereine besch&fcigt sich demnftchst mit einem Antrag, man m5ge „das Ge-
burtshaus von Johannes Brahms in angemessener und wurdiger Weise erhalten".
MONTHLY MUSICAL RECORD (London) 1904, No. 402. — In einem prichtigen
Nekrolog „Anton DvoHk" von Fr. Niecks werden den Werken des Verstorbenen
unter anderem „freshness, originality, vividness, brilliant colouring and inexhaustible
imagination" nachgeruhmt. E. Prout setzt seine Analyse von .,Boieldieus Jean de
Paris" fort. Ausserdem enth< das Heft die Aufs&tze „The house of Broadwood"
und ^Diamond jubilee of Dr. Joachim".
HAMBURGER ECHO 1904, 22. Mai. — Fur w 0bungen im Musikb6ren« ergreift
E. Brehling in einem kurzen Aufsatz Partei.
TAGESFRAGEN (Bad Kissingen) 1904, No. 5. — Das Heft enthait bauptsicblich
Urteile fiber Cyrill Kistlers neue Oper „Der Vogt auf Mfihlstein", die im April in
Dusseldorf zum erstenmal gegeben wurde.
DER TAG (Berlin) 1904, No. 239. — Sehr lehrreich und beherzigenswert 1st der lqhalt
von Paul Marsops Artikel „Der Schutz des Theaterpublikums und das Deutsche
Spielhaus". Anknfipfeod an den Chikagoer Theaterbrand, betont der Verfasser,
dass nur ein einziges Radikalmittel die Sicherheit des Publikums in den Theatern
gew&hrleisten k5nne: Die Abschaffung der RSoge und Galerieen. Denn die Haupt-
frage ist und bleibt doch die: „Wie gelangt das Publikum innerhalb der denkbar
kurzesten Zeit in das Freie?* Marsop schlSgt zu diesem Ende eine Treppen-
konstruktion vor, die ohne Linge und Biegung ins Freie fuhrt, und die dem
Wagnerschen Theater entspricht. — Im Anschluss hieran begegnet Marsop einigen
Missverstindnissen; er stellt fest, dass der Wunsch nach ampbitheatralisch gebauten
deutschen Spielh&usern mit einer „Wiedererweckung des antiken Theaters" gar
nicbts gemein hat, und er fuhrt aus, dass man je ein Theater fur grosser angelegte
Dramen und ffir einfachere, einen kleineren Rahmen beanspruchende Stficke n5tig
habe — die beide zusammen keinesfalls mehr kosten werden als eines der fiblichen
riesigen Opernhluser mit vier bis funf Ranggalerieen — eher weniger! Am Schluss
sagt Marsop folgendes: „Binnen einigen Jahrzehnten wird sich die Meinung durch-
gearbeitet haben, dass durch die Kommunen unterhaltene, von ihnen verwaltete
stidtische Museen, Orchesterinstitute, Theater ebenso wichtige und notwendige
Kulturmittel seien als stidtische Volks- und Fortbildungsschulen, Realschulen,
Gymnasien. DieStadttheater der Zukunft werden slmtlich deutscheSpielbSuser sein! M
DER KUNSTWART (Leipzig) 1904, No. 18. — Hans Freimarks Aufsatz „Vom
Harmonium 41 feiert das moderoe Harmonium als „ein Gebiet, welches in jeder
Beziehung das eingehende lnteresse der Kunstfreunde verdient", und giebt dem
Vunsche Ausdruck: n Das Harmonium werde das Hausinstrument der Zukunft,
das die Hausmusik wieder zu Ehren bringen und durch die ,Wiederintimisierung c
der Musik ihr eine neue Blutezeit herbeifuhren m8ge.*
Digitized by
Google
NEUE OPERN
Arthur Friedheim: „Die Tfinzerin* ist vom Magdeburger Stadttheater fGr
n&chste Saison zur Auffuhrung angenommen worden.
Richard Weinhdppel: „Der Musenkrieg" ist der Titel einer vieraktigen Opcr,
zu der Otto Julius Bierbaum den Text verfasst hat. Das Werk behandelt
einen Stoff aus dem Studentenleben und spielt in Leipzig zurzelt Goetbes.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Berlin: Von fur das Nationaltheater engagierten Kunstlern nennen wir vor-
l&uflg die Hen-en Kapellmeister Bertrand Singer und Wilhelm Reich,
Oberregisseur R. Tetzlaff (frfiher an der Berliner Hofoper), den Operetten-
tenor Siegfried Adler, den Tenorbuffo. Fritz Birrenkoven, den Barito-
nisten Hans Melms, den Bassbuffo Ludwig Mantler, die Opernsoubretten
Bella Alten und Alma Sackur.
Munch en: Das Hoftheater wird im nichsten Winter Weingartners „Orestie",
„Feuersnot" von Strauss, „Ilsebill" yon Klose, .Till Eulenspiegel"
von Reznicek, „Samson und Dalila" von Saint-SaSns zur Auffuhrung
bringen.
Stuttgart: Die Hofbubne hat die Oper „Antonius und Kleopatra" von
E. F. Wittgenstein fur die kommende Saison zur Auffuhrung angenommen.
KONZERTE
Berlin: Als Novitlten fur die Philharmonischen Konzerte unter Arthur
Nikisch in kommender Saison sind in Aussicht genommen: Bruckner
(Symphonic No. 3, d-moll), DvoHk (Symphonic No. 4, g-moll), Mahler
(Symphonic No. 5), Strauss (Sinfonia domestics), G. Schumann
(Variationcn und Doppelfuge fiber ein lustiges Tbema), Boehe (Die Insel
der Kirke; zweiter Teil „Aus Odysseus' Fahrten"), d'Indy („Istar", sympho-
nische Variationen), Lampe (Bllser- Serenade). Ausserdem werden Sympho-
nieen von Beethoven, Mendelssohn, Brahms, die „Faust*- Symphonic von
Liszt und w Romeo und Julia" von Berlioz zur Wiedergabe gelangen.
Frankfurt a. M.: Fur die sechs in der nichsten Spielzeitim Opernhaus statt-
flndenden Abonnements-Konzerte sind folgende Solisten verpflicbtet
worden: Eugene Ysaye, Edith Walker, Herr v. Possart und Max Schillings,
Moritz Rosenthal und Arthur Nikisch, dieser als Leiter des leUten Konzerte?.
In die Leitung der ubrigen Konzerte werden sich die Herren Dr. Rotten-
berg und Dr. Kunwald teilen.
Wien: Der Konzertverein wird in der kommenden Saison wieder zwei Zyklen
von Symphoniekonzerten veranstalten. In diesen Konzerten werden
unter Leitung des Direktors Ferdinand L8we Werke von Bach, Haydn,
Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Schumann, Schubert, Berlioz, Liszt, Brahms,
Bruckner, Rubinstein, DvoHLk und Tschaikowsky, ausserdem Werke zeit-
genftssiscber Komponisten, und zwar Ernst Boehe, Karl Goldmark, Sieg-
Digitized by
Google
£.
157
UMSCHAU
mund voa Hausegger, Gustav Mahler, Hans Pfltzner, Max Schillings und
Richard Strauss aufgefuhrt werden. — Der Evangelische Singverein
(gegrfindet von Andreas Streicher i.J. 1818) brachte unter Leitung von Cyrill
Hynais in der vergangenen Saison eine Reihe von a cappella-S&tzen des
16. bis 18. Jahrhunderts (Felice Anerio, Praetorius, Eccard, Stobaeus, Bach,
Schutz, Hasler, Lully, HIndel, Doroland, Bennet, Tallis, Morley) zu Gehdr.
TAGESCHRONIK
Die n&chste (41.) Tonkfinstlerversammlung des Allgemeinen Deut-
schen Musikvereins flndet 1905 in Graz statt.
Der zweite „Musikp&dagogische Kongress" flndet in der ersten Oktober-
wocbe d. Js. zu Berlin statt; der Vorstand des H Musikpldagogischen Verbandes"
ladet alle Musikpidagogen Deutschlands und des Auslandes zu reger Beteiligung
ein. Die bereits in den Hauptzfigen festgestellte Tagesordnung des Kongresses
gliedert sich in folgender Weise: Nach cinem einleitenden Referat fiber die bis-
herigen und did zukfinftigen Arbeiten des Verbandes sind VortrXge mit an-
schliessenden Referaten fiber folgende Themen vorgesehen : v Der Schulgesang und
seine Reform en a , „Der Kunstgesang und die Ausbildung der Gesangslehrkrlfte",
„Allgemeine musikp&dagogische Fragen". An den Kongress schliesst sich die
Generalversammlung des Musikp&dagogischen Verbandes, zu der nur die Mit-
glieder Zutritt haben.
Ein „Wettbewerb der franzdsischen Musik" wird in Paris im Monat
Oktober stattflnden. Es sollen 100000 Franks verteilt werden als Preise fur eine
Oper, eine komische Oper, ein symphonisches Werk, ein Ballet und eine Operette.
Der Wettbewerb ist organ isiert unter dem Vorsitz des Fursten Albert von Monaco,
von Henry Deutsch und der „Socie'te > des Grandes Auditions musicales", dessen
Vorsitzende die Grftfln Grefulhe ist.
Am 19. Juni d. J. wurde dem grossen dsterreichischen Thoretiker Johann
Josef Fux (1660—1741), dem Verfasser des beruhmten „Gradus ad Parnassum", in
seinem Geburtsort Hirtenfeld bei Graz in Steiermark ein Denkmal gesetzt
Der Lehrer der Musikgeschichte am Steierm&rkischen Musikverein, Herr Anton
Seydler stiftete n&mlich im Verein mit seinen Schulern fur das Geburtshaus
Fux', ein Bauernhaus, das heute, fast unverftndert, im Besitze des Simon Weber
stent, eine Gedenktafel, die unter grosser Feierlicbkeit enthfillt wurde. Prof.
Seydler hielt die Festrede. Seydlers Vater, der Komponist des Dachsteinliedes,
C. L. Seydler, hatte im Verein mit dem Fux-Biographen von Kocbel aus den Urbar-
bfichern der Gemeinde Langegg Lage und Nummer des Hauses authentisch fest-
gestellt. Nach Seydlers Angabe lebte der letzte Nachkomme des J. J. Fux, u. z.
sein Grossneffe Johann Fux, als wohlhabender Bauer im benachbarten Dorfe
Obergoggitsch, wo er 1870 ohne Kinder hinterlassen zu haben, verstarb. Die ge-
stiftete Gedenktafel hat folgenden Wortlaut: w In diesem Hause wurde urn 1660
Johann Josef Fux geboren, gestorben als Hofkapellmeister zu Wien am 13. Febr 1741.
Errichtet von den Musikgeschichtskursen der Scbule des steiermlrkischen Musik-
vereines in Graz." Der a cappella Vortrag des Sanctus von J. J. Fux beendete
die Feier, der am Vormittage eine musikalische Festlichkeit mit einem Vortrag
und Auffuhrung Fuxscher Kompositionen in den Raumen des Musikvereines vor-
angegangen war. Dr. E. D.
Der langj&farige Leiter des Sternschen Gesangvereins in Berlin, Prof.
Friedrich Gernsheim, legt sein Amt mit dem 1. Oktober d. J. nieder.
Digitized by
Google
KONZERT
LUZERNriDer Kursaal veranstaltete von Ende April bis Anfangjuni secbs moderne
Konzerte, deren Programme in der neuern Orchesterliteratur aller Lander Umschau
hielten. Das Orchester besteht zum grdssten Teil aus Mitgliedern des Orchesters der
Mailinder Scala und besitzt in Angelo Fumagalli einen tuchtigen und vieUeitigen
Dirigenten. Solistiscb betfitigten sich dabei Konzertmeister Ercolani (Violine), Frl. Brighenti
(Harfe), Heir Ronchi-Doerig (Klarinettc), alle vom Kurhausorchester, die Pianistin Tschanz-
Haermi (Luzern), die S&ngerinnen Ines Ferraris (Mailand) und Augusta L'Huillier (Genf)
und der Wundergeiger Florizel von Reuter. Von neueren Orchesterwerken wurden gespielt:
Pfaddre-Ouvenure, ThaTs-M6ditation, Idylle „Sous les tilleuls", Balletmusik zu »Roi
de Lahore", alles von Massenet, das Scherzo aus der d-moll Symphonie des st&dtischen
Musikdirektors in Luzern, Fassbaender, die „Danse des Heures" aus „Gioconda" von
Ponchielli, der Hamlet-Trauermarsch von Faccio, die zweite Arl6sienne-Suite von Bizet
und die Legende „Der Schwan von Tuonela" des Finnftnders Jean Sibelius. — Ein
musikhistorisches Konzert brachte ausscbliesslich alte Musik auf den ent-
sprechenden alten Instrumenten zu Gehdr. Die Instrumente stammten aus der reich-
haltigen Sammlung des Herrn H. Schumacher in Luzern, die sich von andern Kollektionen
dadurch unterscheidet, dass die Instrumente, soweit nur immer moglicb, von Spezial-
technikern in spielbaren Zustand versetzt sind. Musikdirektor Fassbaender spielte
beispielsweise den dritten Satz des italienischen Konzerts von Bach auf einem prlchtigen,
von Domenico in Pesaro erbauten, dreichdrigen Doppelmanual-Clavicymbel, ferner ein
Rondo von M6hul auf einem von dem Augsburger Orgelmacher Weidner 1697 erstellten
Clavichord und eine Mozartsche Sonate auf einem italienischen Spinett aus dem 17. Jahr-
hundert. Auch das Spinettino, das eine Oktave hSher steht als das Spinett, das Portativ,
eine kleine tragbare Orgel, das Regal ein primitives Harmonium und das Hammerklavier
oder Fortepiano kamen zur Verwendung. Von Streichinstrumenten wurden gespielt
die Pochetten, eine Art Miniatur-Diskant-Geigen, die Pardessus de Viole, zwischen Geige
und Bratsche stehend, die Viola d'amour, eine Altviole mit sieben Darm-Spielsaiten und
sieben unter dem Steg durchgezogenen sogenannten sympathischen, das heisst automatisch
mitklingenden Stahlsaiten, und die Viola da Gamba, eine Tenor-Kniegeige mit sechs
Saiten. Die beiden letzteren Instrumente wurden von zwei Spezialisten, den Herren
Vermeer und Braun aus Basel gespielt. Alte Blasinstrumente waren zu hdren in
den Formen des Doppel-Flageoletts, einer SchnabelflSte mit zwei Rohren, die ein zwei-
stimmiges Spiel von hirtenm&ssigem Charakter ermdglichen, der einklappigen Traversfldte
und der Bassethdrner, einer Art von Bassklarinetten, deren romantische Klangfarbe sich
als Begleitung einiger Mozartschen Gesangsterzette vortrefflich bewlhrte. Das Konzert
begegnete berechtigtem grossem Interesse. 1 ) A. Schmid.
Anm.
') Ob sich wohl nicht auch in Berlin eine solche Vorfuhrung ermdglichen liesse?
der Red.
Digitized by
Google
ANMERKUNGEN ZU
UNSEREN BEILAGEN
fe*
Die Reibe der Beilagen erfffnet die Wiedergabe der lebenswabren Wagner-Buste
von Lorenz Gedon, eines hinterlassenen Werkes des Bildhauers, das leider Fragment
geblieben ist
Es folgt ein prachtvolles Portrlt des Meisters. Die Photographic, die noch im
„Zuricher Asyl* (Mai 1857 bis August 1858) angefertigt wurde und sich im Besitz von
Mathilde Wesendonk befand, ist in dem Buche , Richard Wagner an Mathilde Wesendonk"
zum erstenmal verdffentlicht Wir verdanken die Erlaubnis zur Wiedergabe dieses von Frau
Wesendonk „als Heiligtum" bewabrten Bildes dem Herausgeber der Tagebuchbl&tter und
Briefe, Prof. Dr. Wolfgang Golther-Rostock, sowie dem Verlag Alexander Duncker-Berlin.
Unter den Beilagen beflnden sich vier Kunstblltter, die Reproduktionen von
Werken der bildenden Kunst darstellen, und zwar von Gem&lden Hermann Hendrichs,
der sich bekanntlich zu einer grossen Anzahl seiner meisterlichen Schdpfungen von Ge-
stagen und Motiven aus Wagners Musikdramen inspirieren liess (vgl. auch „Die Musik"
III. 10, S. 312). Wir bringen mit gutiger Erlaubnis des Kunstlers Nachbildungen folgen-
der Gemilde: »Wie Todesahnung DSmm'rung deckt die Lande", „Die traurige
Weise", »Die Rheintdchter", »Die schlafende Brunnhilde". Die beiden ersten
Blltter ver8innbildlichen die Sehnsuchts-Stimmungen, wie sie in den dritten Akten des
.Tannhiuser* und des .Tristan" vorherrschen. Sie sind dem Kunstler in geradezu er-
greifender Weise gelungen. Das nlcbsteBild, angeregt durch die erste Szene im „RheingoId",
besticht besonders durch die Selbst&ndigkeit der Auffassung. Gleichfalls losgel5st vom
szenischen Buhnenbild ist „Die schlafende Brunnhilde*, eine gluckliche Variation des von
Hendrich mehrfach behandelten Motivs. Treffend charakterisiert die Eigenart des Meisters
H. St Chamberlain im Vorwort zur illustrierten Ausgabe seines Wagner-Buches, wenn er
sagt, Hendrich sei einer ,der sehr wenigen Maler, deren Phantasie bei Wagners Werken
nicht durch das Buhnenbild befangen bleibt, sondern den Kern der dichterischen Kon-
zeption erfasst und ihn frei nach dem Wesen ibrer eigenen Kunst neugestaltet."
Wir fahren in diescm Heft mit der Wiedergabe von Wagners WohnhSusern fort.
Und zwar bringen wir zuerst des Kunstlers Wohnhaus in Riga (Eckhaus der M&hlen-
und Alexanderstrasse, gegenwlrtig Alexanderstrasse 9), in dem er die llngste Zeit (Frub-
jahr 1838 bis Sommer 1830) seines dortigen Aufenthalts verbracht hat und in dem die
beiden ersten Akte des „Rienzi" entstanden. Der Photograph hat, wie uns Herr Staatsrat
C. F. Glasenapp mitteilt, mit ungemeiner Sorgfalt Hays und Umgebung genau in integrum
restituiert und slmtliche Ladenschilder, mit denen das Haus gegenwlnig bis zur Unkennt-
lichkeit bedeckt 1st, Parterreeinglnge usw., sogar die Seitenwand eines neuerrichteten
Hauses der Umgebung s&uberlich wegretuschiert. Auch die — auf dem Bilde — an-
grenzenden HSuser sind alt und echt; vor dem Eingang von der Muhlenstrasse aus (links)
pflegte .Robber* zu lagern (cf. Glasenapp »Das Leben Richard Wagners" I, 255 if., 272). —
Das Haus in London, das Wagner, nachdem er seinen Kapellmeisterposten in Riga auf-
gegeben, auf seiner Seereise von Riga nach Boulogne Anfang August 1839 acht Tage lang
bewohnte, beflndet sich Frith-Street 18. Die Origin alaufn ah me ist eigens fur ,Die Musik"
angefertigt worden.
Das faksimilierte Program m des Konzertes, das Wagner am 10. M&rz 1838
im altertQmlichen Schwarzhftuptersaal in Riga veranstaltete, sehen wir auf dem nichsten
Digitized by
Google
160
DIE MUSIK III. 20.
B'att. Die Ouverture „Rule Brittania", die den zveiten Teil erdffnet, hat erst in jungster
Zeit wieder durcb die Aufflndung einer Orchesterpartitur (man hielt das Original fur
verschollen, wfthrend es sicb in Wirklichkeit in Wahnfried beflndet) von slch reden ge-
macbt. Wir verdanken die Vorlage Herrn C. F. Glasenapp.
Es folgt das Portr&t von Mathilde Wesendonk nach dem schlichten, gescbmack-
vollen Gem&lde von C. Dorner. Besonderes Interesse gewinnt es dadurcb, dass es aus
der Zeit der aufkeimenden idealen Freundscbaft des Meisters zu der edlen Frau stammt.
Das nicbste Blatt ist das Faksimile eines Notizenblattes aus der
Pariser Zeit stammend, als Wagner Korrespondenzbericbte fur die „Dresdener Abend-
zeitung" lieferte (1841). Glasenapp schreibt 1, 353: ,Von hier aus ist am 5. November
der eben ero&fante siebente Dresdener Korrespondenzbericbt datiert, an dessen Entstehung
wiederum ein zuftllig erbaltenes Notizenblatt erinnert. Witz und Melancbolie, wie
Regen und Sonnenschein mit einander ringend, bezeichnen so recht die Seelenstimmung
des Verfassers bei solcher erzwungenen Bescb&fiigung, w&hrend neben ibm die Partitur
seines Hollanders ibrer Vollendung harrt. Oben im Text vollfuhren die prasselnden
Funken sarkastischer Ironie ihre grazidsen Lufcsprunge, auf dem Hilfsblatt darunter ergeht
sicb in den Pausen die Feder in allerlei unzusammenh&ngenden S&tzen und melancbolischen
Schriftproben, darunter wobl zehnmal der Name ,Rothscfaild', einmal mit dem Zusatz: ,0
Millionen, goldene Kndpfe . . .! 4 " Der Besitzer des Originals, Herr Hermann Erler-Berlin,
bat uns das Blatt zur Wiedergabe freundlichst uberlassen.
Es folgt ein nacbgebildeter Brief Wagners an Joseph Tichatscbek. Das
Schreiben bildet wiederum einen charakteristischen Beleg fur die Treue und Anhlnglich-
keit, die der Meister ,seinen Kftnstlern" bekanntlicb Zeit seines Lebens entgegenbrachte.
Obrigens sang in der von Wagner hier angedeuteten Auffubrung des .Lohengrin" in
Munchen (16. Juni 1867) nicht Tichatscbek, sondern Heinrich Vogl den Lohengrin.
Die nicbste Beilage stellt den Entwurf des Gottfried Semperschen Festspiel-
hauses in Munchen dar, das K6nig Ludwig II. am Isarufer errichten wollte und der in
Folge pbilisterhafter Kurzsicbtigkeit und gemeiner lntriguen nicht zur Ausfuhrung gelangte.
Das plastische Modell beflndet sicb im Kdnigl. Bayerischen National-Museum in Munchen.
Weiteres fiber den Bau lesen wir bei Glasenapp HI. 1, 108/199: „In seinen charak-
teristischen Hauptzugen dem nachmaligen Bayreuther Festspielhause entsprecbend, war
es doch reicher und pracbtvoller in der Anlage, wie in den Details, ein wahrbaft kdnig-
licher Monumentalbau im edelsten Renaissancestyl. Um das eigentliche, alle ubrigen
Teile an Hdhe beherrschende Buhnenhaus lagen vier architektonische Massen : vorn die
amphitheatralisch geordneten Sitze fur die Zuscbauer, nach aussen als prlchtiges Halb-
rund hervortretend, das in der Mitte vom Haupteingang durchschnitten war; rechu und
links zwei langgestreckte Flugelgebaude, fur Konzert- und andere Sale bestimmt; die
Ruckseite des Ganzen, die Ankleidezimmer und den Malersaal, sowie die Rlume zur
Aufbewahrung des szenischen Materials umfassend, rechtseitig, fast in Quadratform; daa
Ganze vom schdnsten Reicbtum der Grundformen, aber durch die Gleichheit der Deko-
r ation in eine imponierende Einheit zusammengefasst. Letzteres geschah durch eine
umlaufende doppelte Arkadenreihe . . ."
Den Bescbluss bildet ein lustiges Blatt, eioe franzSsische Wagner- Karikatur
von Ch. Giraud.
j^aclidruck nur out aucdrucklicher KrUuDnu dw Verlagea gestatteu
Alle Rechtt, insbetondere d&s der Ubersetxaag, ▼orbehaltea
ffir die Zwucksendang anTerUngter oder nicht angemeldeter Manaikripte, Calls ihnen nicht genngend
Porto beiliegt, tibernimmt die Redaktion keine Gnrantie. Schwer leserliche Menuskripte werden ungeptiift luruckgeaandi .
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin SW. 11, Luckenwalderstr. 1. HI.
Digitized by
Google
111.20
• • -•"
BUSTE RICHARD WAGNERS VON LORENZ GEDON
Digitized by
Google
• •; . • •
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
X
u
5
Q
2
u
X
2
Z
<
OS
UJ
X
Z
o
>
Q
t<
ss
UJ
O
w
Q
X
U
<
z
8
Digitized by
Google
Digitized by
Google
w o
• z <
w z
■ as z
O co
• 2 D
O <
S I !J
ID CU UJ
h J 1
£ £ §
So <"
Q
o
OS
CL
CO
<
EL.
W
Z
o
<
5
H
H
O
*o
8
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
III. 20
DIE RHEINTOCHTER
NACH DEM GEMALDE VON HERMANN HENDRICH
Digitized by
Google
Digitized by
Google
WAGNERS WOHNHAUS IN LONDON 1838
111. 20
Digitized by
Google
Digitized by
Google
RICHARD WAGNER
111.20
Digitized by
Google
Digitized by
Google
MATH1LDE WESENDONK
NACH DEM GEMALDE VON C. DORNER
111.20
Aus dem Kunstwart
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
l<.£ f U<<fzl*/y"-'-' 'i
'
€:
^
%
*..•*. <;*',.
' ^
v
J»M
/
.A'
/
>"
1
• i
? 14* -f
r^i *ls?/ *
•
/
/
cvv
W
^
\
V
N,
^fo
Qigitized by CjOOQLC
Digitized by
Google
w
X
U
CO
H
^
X
y
x
w
CO
o
<
CO
03
w
z
a
<
a
a*
x
y
3
W
2
r 5
>-j
5?
*
i
s
Digitized by
Google
Digitized by
Google
r^ f*£*
pF'm
111.20
E1NE FRANZdSISCHE WAGNER-
KARIKATUR VON CH. GIRAUD
Aus dem Musikhistorischen Museum dcs
Hcrrn Fr. Nicolas Manskopf, Frankfurt a. M.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
DIE MUSIK
,£ANioE.T<.
Digitized by
Google
Paul Marsop
Vom Musiksaal der Zukunft. IV.
Hans von Wolzogen
Was hat Richard Wagner seinem Volke hinteriassen?
(Schluss.)
Heinrich Bulthaupt
Ahasver (Zweiter und Dritter Akt).
Dr. Wilhelm Altmann
Zur Geschichte der Koniglichen Preussischen
Hofkapelle. (Schluss.)
Besprechungen (Biicher und Musikalien).
Revue der Revueen.
Umschau (Neue Opera, Aus dem Opernrepertoire,
Tageschronik, Totenschau).
Kritik (Oper und Konzert).
Anmerkungen zu unseren Beilagen,
Kunstbeilagen.
Musikbeilage.
Anzeigen.
DIE MUSIK erscbelnt monatlich zwei Mai- Abonnements-
preis fur das Ouartal 4 Mark. Abonnementspreis fur den
jahrgang 15 Mark. Preis des einzelnen Heftes 1 Mark.
Vierteljahrseinbanddeckcn a 1 Mark. Sammelkasten fur die
Kunstbeilagen des ganzen Jahrgangs 2,50 Mark. Abonnements
durcb jede Buch- und Musikalienhandlung, fur kleine Platze
obne Bucbhandler Bezug durcb die Post; No. 5355a
II. Nacbtrag 1903.
Digitized by
Google
|tiilipp Wolfrum ist nicht der Mann danach, halbe Arbeit zu tun.
Seitdem er die erklarten Reform freunde und die, welche es
noch werden miissen, zum ersten Male in die neue H ei del-
be rger Stadthalle lud, hat er sein Werk wesentlich vervoll-
kommnet. Das Problem, in einem Raum, der seinem baulichen Charakter
und seiner dekorativen Ausstattung nach nichts weniger als einen „Musik-
saal" darstellt, eine Anlage fur verdecktes Orchester einzurichten, ist jetzt
in akustischer Beziehung glSnzend gelost. Bisher war dort fur Spieler
und Instrumente nur der Platz verfugbar, den die vier beweglichen, beliebig
hoch oder tief zu stellenden Podien boten; bei starker Besetzung, wie sie
die Tonschdpfungen der neueren Zeit beanspruchen, musste ein Teil der
Streicher auf dem Niveau des Saales, oberhalb des ersten der terrassen-
fdrmig abfallenden Podien, Unterkunft finden, musste daher der die Gesamt-
anlage gegen die vorderste Reihe der Horer hin abschliessende Schall-
schirm in merklicher Ausbuchtung vorgeriickt werden — was auch eine
zweckm&ssige, geschmackvolle Aussenverkleidung dieser Schallwand so gut
wie unmdglich machte. Wolfrum hat nun in entgegengesetzter Richtung,
unterhalb der Orgelgalerie, im Anschluss an das bei terrassenformiger
Gruppierung am tiefsten stehende Podium durch Wegnahme uberflussigen
Mauerwerks und Auswolbung noch einen ansehnlichen, ungefihr nischenartig
sich ausrundenden Raum fur Blechbl&ser und Schlagzeug gewonnen, so
dass er von seinem Dirigentenpult aus funf in Absfltzen sich herunter-
senkende Etagen zu beherrschen vermag. Es klingt jetzt ganz herrlich,
wenn in der Heidelberger Stadthalle musiziert wird, mit alleiniger Aus-
nahme des Bayreuther Festspielhauses schdner als in irgendwelchem
anderen deutschen Konzertsaal oder Theater. Die Trompeten, die bei den
festlichen Auffuhrungen der „Dante-Symphonie" und von „Tod und Ver-
kl&rung" im Oktober verflossenen Jahres zu stark ged&mpft schienen,
leuchteten diesmal in Friedrich Kloses grossangelegter Tondichtung .Das
Leben ein Traum" gar hell auf, und entwickelten mit den Posaunen eine
herrliche, wuchtvolle Fulle des Tones. Sitzt man auf dem Balkon, so
l ) Vgl. meine fruheren AusfGhrungen zum Tbema in .Die Musik", II. 1 (erstes
Oktoberheft), II. 17 (erstes Junibeft) und III. 4 (zweites Novemberheft).
Digitized by
Google
164
, DIE MUS1K 111. 21. Q ^ . .
scheint jetzt bei einschneidenden Akzenten die Grenze des Wiinschens-
werten erreicht. Das Gegenspiel und Ineinanderaufgehen der unterschied-
lichen Orchesterfamilien ist nunmehr ein* geradezu ideales, bei den zar-
testen wie bei den gewaltigsten Wirkungen. Schade, dass nicht auch
diesmal eine der bekannteren neuzeitlichen Tonschopfungen von Liszt,
Strauss oder Schillings zur Wiedergabe gelangte, damit auch d i e Mit-
glieder und Gaste des Allgemeinen deutschen Musikvereins, die Wolfrums
geniale Neuerungen erst kennen lernten, in der Lage gewesen wMren, ver-
gleichsweise festzustellen, wie sehr der Klangcharakter des Orchesters in
der Heidelberger Einrichtung alien anderen an Adel und Idealitfit uberlegen
ist, ohne ihnen an Glanz und in imposanter Kraftentfaltung irgendwie nach-
zustehen. Beispielsweise sei noch angemerkt, dass weder im Wiener Musik-
vereinssaal, noch im Munchner Odeon, noch im neuen Leipziger Gewand-
haus — wo doch liberal 1 fast stets Orchestertechniker ersten Ranges als
Dirigenten tfitig sind die seit Berlioz und Wagner fur das Ganze wieder so
wichtig gewordenen Harfen sich auch nur entfernt so gut mit dem Ensemble
verschmelzen als jetzt im Heidelberger Saale.
Dadurch, dass in Ansehung der neugewonnenen „untersten Etage"
der Schallschirm unmittelbar vor die absteigenden Podien geruckt werden
konnte, war es nun auch moglich, die ganze Anlage gegen die Horer zu
gefSlliger zu dekorieren. Die gesamte, die Mitte der einen LSngsseite des
Saales einnehmende „Musiknische" wird jetzt in der Hohe der das
Orchester verbergenden Wand durch ein Dickicht von lebendem Grun
abgeschlossen , in geschmackvoller Verteilung verschiedenartiger hoch-
stgmmiger Pflanzen. Auch auf den Chorgalerieen, die den „mystischen
Abgrund" zu beiden Seiten umfassen, sind umfangreiche Bosketts aus-
gebildet worden. In Zukunft konnte vielleicht der den Teil des Chores,
der unsichtbar in Funktion treten soil, verhullende stumpfbraune Vorhang
durch einen anderen ersetzt werden. Dieser ware in einer angenehtneren
Tonung zu halten, in sinnvoller Ornamentik zu stilisieren, und wtirde so
dem Auge einen erfreulicheren Ruhepunkt bieten. Desgleichen sei angeregt,
durch leichte, von der Decke sich herabsenkende Draperieen die blinkenden,
den Hdrer just bei verdunkeltem Saal irritierenden Orgelpfeifen zu ver-
decken; gegenwartig spielen die Reflexe der Pultlampen des versenkten
Orchesters auf ihnen. Vielleicht spendet einer der reichen, in und um
Heidelberg ansassigen Engender oder gar ein wohlhabender deutscher und
von hellsichtigen Musi kern beratener Kunstfreund die erforderlichen
Gelder. Stunden diese bereit, so ware zur Ausftihrung der Aufgabe
fuglich einer der leitenden Manner der heutigen kunstgewerblichen Be-
wegung, etwa Peter Behrens in Diisseldorf oder van der Velde in Weimar,
zu berufen, der dann nicht nur der ganzen Musiknische eine einheitlich
Digitized by
Google
165
MARSOP: MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
dekorative Ausgestaltung verleihen, sondern mit Genehmigung der ein-
sichtigen, fortschrittlich gesinnten und opferwilligen Heidelberger Stadtvater
an den Wgnden, an der Decke und den Galeriebriistungen des Saales
mancherlei zweckmassige Retuschen vornehmen konnte.
Niemand ist mehr als Wolfrum davon uberzeugt, dass nach dieser
Richtung bin noch Verschiedenes zu ergSnzen und nachzubessern bleibt.
Will man all dem vollig gerecht werden, was er bisher unter Uberwindung
ausserordentlicher, vor der Offentlichkeit aus verschiedenen Grunden
nicht zu erorternder Schwierigkeiten schuf, so hat man in Rechnung
zu Ziehen, dass ihm seither nur die allerbescheidensten Mittel zur Ver-
fugung standen. Einige Kritiker — sie stammen naturlich aus der Gegend,
wo man vom ersten Lebenstage an alles besser weiss als die iibrige
Menschheit — einige Stirnrunzler von Beruf also zeigten sich nichtsdesto-
weniger daruber ungehalten, dass am rebenreichen Neckarufer nicht uber
Nacht der ideale Musiksaal der Zukunft aus der Erde zu stampfen, dass
das letzte Ziel nicht gleich beim ersten und zweiten Anlauf zu erreichen war.
Diese wenigen typischen Ausnahmen jedoch abgerechnet, fand Wolfrum all-
seitig den verdienten, warmen und herzlichen Dank dafur, dass er zum
Generalprogramm der diesjahrigen festlichen Auffiihrungen des Allgemeinen
deutschen Musikvereins eine uberaus wertvolle Gabe beisteuerte. Manner,
die weittragende reformatorische Gedanken tatkraftig, ja rucksichtslos in
die Wirklichkeit umzusetzen vermogen: sie sollen in diesem Verein den
Ton angeben.
Noch sei bemerkt, dass auch die standigen, von Wolfrum geleiteten
Winter-Abonnementskonzerte des Heidelberger Bachvereins regelmassig in
Benutzung der unsichtbaren Orchesteranlage stattfinden. Lassen sich hin-
gegen ausw&rtige Schaudirigenten in der Stadthalle sehen, so wird fur sie die
Schallwand, die der schdneren HSlfte der Konzertbesucher die Freude an
ihren mimischen Kunsten neidisch entzoge, bis auf einen Rest von einem
halben Meter Hohe beseitigt, wie denn auch beim Erscheinen der Viel-
bewunderten sSmtliche an der Saaldecke angebrachten elektrischen Propheten-
sonnen im denkbar hellsten StMrkegrad aufflammen.
Was wahrend des verflossenen Winters ausserdem an Wichtigem und
Interessanterem auf dem Gebiet der Konzertreform vor sich ging, daruber
sei hier in knapp zusammenfassender Darstellung eine Ubersicht gegeben.
Der Leser wird sich entsinnen, dass ich bereits einen Bericht uber
einen von Herrn Kapellmeister Weigmann auf der Szene des Niirn-
berger Stadttheaters angestellten, sehr bemerkenswerten Versuch brachte.
Diesen Versuch erneuerte Weigmann in seinem diesjahrigen „Karfreitags-
Konzert", mit sachdienlichen Modifikationen, wie sie von ungefMhr an dieser
Digitized by
Google
&.
166
DIE MUSIK HI. 21.
Stelle vorgeschlagen worden waren. Der urn die Sache des Fortschritts
sehr verdiente Dirigent schreibt mir: w Fiir die heurige Karfreitagsauffuhrung
liess Herr Direktor Reck auf der rechten wie auf der linken Seite der
Buhne und ebenso ruckwirts grosse Rahmengestelle placieren, die mit
Holzplatten verkleidet wurden. Die Resonanz des Biihnenraumes gewann
hierdurch ganz entschieden. Der Abschluss gegen das Publikum bin wurde
nicht wie das letztemal durch einen Prospekt, sondern durch drei in der
zweiten Gasse aufgehangte grunliche Schleier geschaffen — sie kommen
sonst im „Rheingold" zur Verwendung. Da diese aber das Orchester nicht
vollig abzudecken vermochten, wurde in der ersten Gasse aus lebenden
Pflanzen, Palmen und Lorbeerbaumen, eine Wand gebildet, die bis auf
dreiviertel der Hohe der Buhnenoffnung anstieg und den Klang in keiner
Weise beeintrgchtigte. Das Orchester war nicht stufenartig, sondern in
einer Ebene gesetzt, der Chor zwischen den unmittelbar hinter den Schleiern
postierten Streichern und den ruckwarts untergebrachten Blasern in der
gesamten Breite der Szene eingeschoben. Der Zuschauerraum blieb wihrend
der einzelnen Abteilungen des Konzertes dunkel; die Pflanzendekoration
wurde halbhell grun beleuchtet. Das Arrangement bedeutet auch in
akustischer Beziehung wiederum einen Fortschritt, so dass es, als gut be-
wfihrt, in seinen Grundzugen von uns beibehalten werden wird.*
Dieser anschaulichen Schilderung sei noch die Vortragsordnung bei-
gefugt — als eines der sinnvollsten bisher aufgestellten Reformprogramme.
I. Vom Tode.
Equate No. 1 fur 4 Posaunen L. van Beethoven.
Choral: „Komm, sGsser Tod" J. S. Bach.
Litaney („Ruh'n in Friedcn alle Seelen") F. Schubert
Elegischer Gesang L. van Beethoven.
Equate No. 2 fur 4 Posaunen L. van Beethoven.
II. Von Todestrotz und Leidenschaft.
Prometheus (Symphonische Dichtung) F. Liszt.
III. AussShnung.
An die Musik F. Schubert.
Jupiter-Symphonie V. A. Mozart,
Im Konzertsaale des Schweriner Hoftheaters fand am 9. Januar
eine GedMchtnisfeier fur die beiden ehemaligen Mitglieder des Institutes,
Herman Zumpe und Max Drude, statt. Zur Auffuhrung kamen Gesinge
mit Orchester von Zumpe (Instrumentation von Max Schillings), das
„Hexenlied", und Anderes. Das Orchesterpodium war durch einen matt-
farbigen, in leichte Fatten gelegten Vorhang von diinnem Stoff abgeschlossen;
Digitized by
Google
167
MARSOP: MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
dieser nahm die ganze Breite des Saales ein und reichte bis zu zwei
Drittel der Hdhe des Raumes. Die Blaser sassen etwas hdher als die
Streicher. Der Solist stand vor dem Vorhang, scheinbar ohne jede Ver-
binduog mit dem fur die Horer unsichtbaren Dirigenten. Dennoch klappte
alles bis aufs Haar — ein Beweis mehr dafur, dass, wenn Kapellmeister
und Sanger musikalisch sind — was doch in den uberwiegenden Fallen
zutrifft — der geistige Rapport sich auch durch eine die Beiden ausserlich
trennende Schallwand oder Gardine vollzieht. 1 ) Die Klangwirkung war
hervorragend schdn; der Vorhang wurde allseitig als vortrefflicher Ruhe-
punkt fur das Auge empfuoden. Der Saal hat funf Kronleuchter; die
Lampen der vier, die fiber dem Publikum hangen, wurden wahrend der
Vortrige geloscht, so dass im Zuhdrerraum ein wohltfitiges Halbdunkel
herrschte, die Zuge des Sangers aber deutlich zu erkennen waren. Das
gesamte, mit bestem Takt und feingeschultem dekorativen Sinn getroffene
Arrangement rfihrte von Herrn Oberregisseur Hermann Gura her.
Professor Wilhelm Weber, dank dessen aufopfemngsvoller Tatigkeit
das Musikleben Augsburgs einen sehr beachtenswerten Aufschwung ge-
nommen hat, veranstaltete dort am sechsten Dezember vergangenen Jahres
die Urauffuhrung von Enrico Bossi's „Verlorenem Paradies". Zahlreiche
auswartige Musiker und Kritiker waren erschienen, um das Werk des
seinem Landsmanne Perosi in der Beherrschung kontrapunktischer Wissen-
schaft wie in der Behandlung des Orchesters betrachtlich uberlegenen
Mafistro kennen zu lernen und zugleich dem ersten Versuch beizuwohnen,
den Weber an der Stitte seiner langjahrigen fruchtbringenden Wirksamkeit
mit der Verdeckung des Orchesters machte. Dieser Versuch gluckte voll-
stindig. Am Rande des Podiums waren Pfosten angebracht, die ein straff
gespanntes grimes Tuch hielten, so dass sich eine abschliessende Wand von
reichlich zwei Meter Hdhe fiber dem Saalboden ergab. Davor eine dichte
Hecke ineinander verschr&nkter grfiner Pflanzen, Durch ein fiber diese
Wand noch hinausragendes Boskett den Augen der Hdrer verborgen, stand
in ansehnlicher Hdhe der Dirigent. Von seinem Pult aus senkten sich
drei Podien staffelformig bis zur Saalebene abwfirts; auf dem obersten
batten die Violinisten ihren Platz, tief unten die Blechblfiser und
das Schlagzeug. Die Solisten sassen sichtbar vor der Schallwand, die,
ungefahr in der Mitte, eine kaum merkliche Lficke hatte, damit jene Sanger
notigenfalls ein vom Dirigenten gegebenes Zeichen sehen konnten. Rechts
und links vom Orchester stiegen Terrassen fur den sichtbaren Chor an,
der die hinteren Saalecken vollstfindig ausfullte.
Das Arrangement nahm sich also folgendermassen aus:
') Ober den geistigen Rapport zwischen dem Publikum und dem Dirigenten
des unsichtbaren Orchesters cf. .Die Musik* 1903 II. 17 (erstes Juniheft)
Digitized by
Google
&B.
ids
DIE MUSIK III. 21.
*::;j
*• ^
^oc
a) ZuhSrerraum.
b) Sctaallwand.
c) Diligent
d) Von dcr Schallwtnd aus sicta abwlrts senkende Orctaesterterrassen.
e) Vom Podium aus aufsteigende Chorterrassen.
f) Gesangssolisten.
Drei Kronleuchter. Die Lichter der beiden fiber dem Zuhdrerraum be-
findlichen wurden mit Beginn der Auffuhrung geldscht, die des dritten,
uber dem Orchester hingenden, durch eine schirmartige Vorrichtung von
gruner Halbseide gegen das Publikum zu abgeblendet.
Gleichfalls zu Anfang Dezember ging auch Hofrat Dr. Kliebert im
Schrannensaal zu Wurzburg ans Werk. Es wurde Wolfrums „Weihnachts-
mysterium" aufgefuhrt. Das Orchester auf dem Saalboden, gegen die Hdrer
zu durch eine 1,50 m hohe, mit weissblauen Draperieen verkleidete Schall-
wand verdeckt. Soli und Chor sichtbar, der letztere in funf Terrassen an-
steigend. Also derart:
SC«AU*
PUBLICUM
* »iai6£*r
Digitized by
Google
ted
MARSOP: MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
Das siebenstimmige w Vaterunser a aus Liszts „Christus" wurde in
einem Winterkonzert des Zn aimer Musikvereins von einem fur die Horer
unsichtbaren Chor bei verdunkeltem Saal vorgetragen. (Leitung: Heir
Direktor Fiby.) Die Wirkung riihmte man als bedeutend. Mitteilungen
fiber die Art der Aufstellung der Sanger und fiber das aussere Arrangement
erhielt ich nicht.
Fur das grosse Pfilzner-Konzert, das am 9. April d. J. im Essener
Stadttheater durch die dortige ungemein rfihrige .Musikalische Gesellschaft"
veranstaltet wurde und glinzenden Erfolg hatte, war ebenfalls eine Ver-
deckung des auf der Szene zu postierenden Orchesters in Aussicht ge-
nommen. Indessen musste man, der ungemein beschrinkten Verhiiltnisse
der Bfihne halber, davon abstehen. Hingegen verdunkelte man das Zu-
schauerhaus. Ich halte es fur bedenklich, die Beleuchtung im Auditorium
abzustellen, ohne den Musikapparat unsichtbar zu machen, da ein im hellen
Schein liegender Musikapparat, von einem ziemlich verfinsterten Raume
aus ins Auge gefasst, erst recht zum ,Schauobjekt* wird — was wir Reforra-
parteiler doch vor allem vermieden wissen wollen. Immerhin erwies es
sich einer Verinnerlichung der Wirkung gunstig, dass die Hdrer wahrend
der Gesangsvortrage die Dichtung zu lesen verhindert waren. Mein werter
Kollege Hehemann schreibt mir dariiber: „Der Genuss besteht bekanntlich
fur viele Leute darin, dass sie wahrend der Auffuhrung mit peinlicher Ge-
wissenhaftigkeit den Text nachbuchstabieren, statt sich mit ihm vorher be-
kannt zu machen und dann das Kunstwerk ohne Ablenkung zu geniessen.
Unser Versuch zeigte, dass es auch so vorzuglich geht. Um es den
Hdrern zu ermoglichen, sich mit dem Text ausreichend vertraut zu machen,
gaben wir unser, wie stets mit einem einfuhrenden Aufsatz versehenes
Programm schon einige Tage vor dem Konzert heraus . . .*
Auch fiber dankenswerte Reformversuche, die seitens der Mitglieder
von Streichquartett-Genossenschaften sowie von Klavierspielern und Konzert-
singern unternommen wurden, ware nicht weniges Sachdienliche mitzu-
teilen. Fur diesmal muss ich mich darauf beschritaken, zweier solcher
Veranstaltungen ErwMhnung zu tun. Der als denkender Kfinstler sich all-
gemeiner Anerkennung erfreuende Pianist Felix Odenwald gab, mit Unter-
stutzung der S&ngerin Frl. Eva Uhlmann im Kaisersaale des Bremer
Kunstlerhauses ein Konzert, bei dem die beiden Mitwirkenden den Zu-
hdrern vollig verdeckt blieben. Das Podium war derart verkleidet, dass
sich fiber einem niedrigen, mit bordeauxrotem Stoff bespannten Unterbau
(ca. 60 cm hoch) fullige Efeuwande (ca. 1,70 m hoch) erhoben, die sich
durch Palmen und zypressenartige Gewachse gegliedert zeigten. Hier
die Skizze:
Digitized by
Google
170
DIE MUSIK HI. 21.
Uber dem Sitz des Spielers hing eine kleine elektrische Lampe, mit
undurchsichtigem Papier derart umhiillt, dass sie nur auf die Notenbl&tter
und die Klaviatur Licht warf. Im Saal b ran n ten wShrend der Vortrlge an
der dem Podium gegenuberliegenden Wand nur zwei sechskerzige, durch
kleine Schirme noch abgedMmpfte Gliihlampen, die in genugendem Masse
Helligkeit verbreiteten. Die Verdunkelung wurde in Abstufungen aus-
gefiihrt, Bravo!
Nicht einverstanden kann ich mich damit erklfiren, dass der als fein-
sinniger Kunstler und sehr begabter Partiturspieler hochgeschatzte
Alexander Dillmann bei seinen Vortragen durch Anwendung farbiger Gliih-
lampen den Munchner Odeonssaal in ein purpurnes Dammer taucht.
Wenn man auf diesem Wege weiter schritte, konnte man dazu gelangen,
den Zuhorerraum auf jedes Tonsttick andersartig koloristisch abzustimmen
— etwa fur eine Wiedergabe Mozartscher Kompositionen auf Hellgrun oder
Lichtblau, fur die Interpretierung der „Appassionata a auf ein tiefes Dunkel-
braun mit gelegentlich aufzuckenden Magnesium-Blitzlichtern. Nein, neinl
Alles, was nur entfernt an Spielerei streift, muss strengstens vermieden
werden. Just weil uns eine ernste, strenge, grossztigige Reform Herzens-
sache ist, haben wir anfechtbare Experimente energisch zuruckzuweisen.
Wie wir uns denn auch mit alter Entschiedenheit dagegen verwahren, dass
die zumeist minderjfihrigen Witzlinge der Wiener und Berliner Caf6haus-
Kritik unsere auf eine ideale Kunstpflege abzielenden, und somit auf
Unterdruckung jeden Modeunfugs und jeder Fexerei gehenden Bestrebungen
in dreister, lugnerischer Entstellung der Tatsachen mit den Phantastereien
und Abgeschmacktheiten jener privilegierten Dekadenten zusammenwerfen,
Digitized by
Google
171
MARSOP: MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
die Strophenliedchen im Rokoko-Kostiim singen lassen, im Konzertsaal
verschiedenartige Parffims zerstauben, und ahnlichen, gar nicht scharf
genug zu verurteilenden Unfug treiben. Jenen pointenhaschenden Feuille-
tonisten aber, die mit unverhfilltem Zynismus bekennen, dass ihnen
Beethoven doch nicht den rechten Genuss gewahre, wenn sie nicht
wahrend der VortrMge mit w sch6nen«, aufgeputzten und dekolletierten
Weibern zu liebaugeln Gelegenheit haben: ihnen sei unmassgeblich em-
pfohlen, unsere Klassiker wie die ernsten Kfinstler der Gegenwart ffirder
nicht zu behelligen, und sich dauernd in den grossstadtischen Nachtlokalen
niederzulassen, wo sie ihre Schaulust an Perversem genugsam ersattigen
und ja auch Musik horen konnen. Hier werden sie den Stoff finden, auf
den sie die Eigenart ihres Talentes und ihrer seelischen Bedfirfnisse hin-
weisen. Zudem empfindet es auch der minder musikalische Kunstfreund
bereis heute als unziemlich, wenn man fiber Johann Sebastian Bach Feuille-
tons schreibt.
Fragt man: wie steht es um unsere Reformbewegung? so ist zu ant-
worten: sie macht weit schnellere Fortschritte, als es die voraussetzten,
die wissen, wie schwer sich gegen schlechte Instinkte und Frivolitfit, gegen
den geschlossenen Ring der einflussreichen Musikagenten, der geborenen,
unversohnlichen Feinde aller idealistisch Wirkenden, und gegen altein-
gewurzelte Gewohnheiten ankSmpfen ISsst. Vielerorten trat man aus dem
Stadium der theoretischen Erwigungen in das fruchtbringendere praktischer
Versuche ein. Fast muss es wundernehmen, dass der Gedanke, im
Konzertsaal zum mindesten das Orchester zu verdecken, sich rascher all-
gemein Bahn bricht, als der erheblich leichter zu verwirklichende: wahrend
der Vortrige im Zuhorerraum eine massige Verdunkelung eintreten zu
lassen — das „missige" hab ich stets wieder zu betonen, da ein gleich
starker Grad der LichtabdMmpfung, wie er im Bayreuther Festspielhause
und im Munchner Prinzregenten-Theater mit Rucksicht auf die durch das
'dramatische Kunstwerk geforderte, geschlossene Bildwirkung der Szene
bedingt wird, dem andersartigen asthetischen Genuss im Konzertsaal nicht
frommen kann. Uber diesen Punkt, fiber die gegen die Verdunkelung an
sich erhobenen Einwande, sowie fiber die schwierige Frage der Aufstellung
der Solisten bei Aufffihrungen mit unsichtbarem Orchester wird das nachste
Mai an dieser Stelle des Eingehenden zu reden sein.
Inzwischen sei alien Gesinnungsgenossen nahegelegt, fiber der
unseren Anschauungen entsprechenden Einrichtung annehmbarer Pro-
visorien in den zurzeit vorhandenen KonzertrMumen den in unserem
Sinne ad hoc zu erbauenden Musiksaal nicht zu vergessen. Man braucht
Digitized by
Google
172
DIE MUSIK III. 21.
keineswegs tief in den Beutel zu greifen, wenn man es praktisch anfangt,
wenn man auf die erheuchelte MonumentalitMt schlecht nachgegipster
Renaissancefassaden und auf den fiberflfissigen, zweckwidrigen Ausstattungs-
kram verzichtet. So gut, wie die Behorden die Benutzung des Fachwerk-
baus der Bonner Beethovenhalle gestatten, werden sie auch die Plane fur
einen in Fachwerk auszufiihrenden echten und rechten Musiksaal mit ver-
deckter Orchesteranlage genehmigen. Werden die notwendigen zahlreichen
breiten Ausgange und kurzen Treppen geschaffen — Saal und VorrSume nur
ein Geringes fiber dem Niveau der Strasse — , wird ffir einen zuverlassigen
Uberwachungsdienst Sorge getragen, so kann das Publikum in den Fallen
einer Panik oder Feuersgefahr aus einem Fachwerkhause eben so rasch
auf die Strasse gelangen wie aus einem Steinbau. 1 ) Und wenn alle
Architekten der Welt sich miteinander verbfindeten, vermochten sie im
letzteren keine auch nur annMhernd so vortreffliche Akustik zu erzielen
als im ersteren. Wie waVs, wenn man bei Gelegenheit der zu Munchen,
Dresden, Diisseldorf in Aussicht genommenen kunstgewerblichen Aus-
stellungen die Idee wieder aufnehmen wollte, die 1902 zu Darmstadt mit
bester Absicht, doch in der Ausgestaltung eines nicht sehr glucklich ge-
ratenen Grundrisses zuerst verwirklicht wurde : gewissermassen das Modell
eines Reform-Konzertsaals in grosserem Massstabe auszufuhren, und, unter
Darbietung geeigneter musikalischer Vortrage, die weiteren kunstfreund-
lichen Kreise mit dem neuen Typ einmal vertraut zu machen?
l ) Vgl. meinen Aufsatz im »Tag": „Der Schutz des Thcatcrpublikums uad das
Deutsche Spielhaus", 1904, No. 239.
Digitized by
Google
WAS HAT RICHARD WAGNER
SEINEM VOLKE HINTERLASSEN?
von Hans von Wolzogen-Bayreuth
BcbluM
|as ist aber das Werk Richard Wagners? Dass es nicht nur
)pera sind — meine man damit nun „Opern* oder „ Werke"
— habe ich schon vorausgeschickt. Damit war aber gleich
etwas gesagt, was am schwersten verstanden wird: nimlich, dass
es auch nicht Theater-Auffiihrungen sind. „Gar nichts liegt mir daran,
dass man meine Werke gibt," sagte Wagner; „sondern, dass man sie so
gibt, wie ich sie mir gedacht habe,* fiigt er hinzu. Da fragt sich's
also: wie hat er sie sich gedacht? Zunachst als Dram en. Das batten
alle schonen Theaterauffiihrungen bisher noch nicht erkennen lassen, so
wenig, dass selbst nachwagnerische Komposition, welche die Buhne erstrebte,
zwar wagnerisch zu klingen bemuht war, aber doch immer noch im Opern-
haften stecken blieb, selbst wenn sowohl Melodie wie Chore angstlich
vermieden wurden, und die Texte im Stabreim verfasst waren! — Die
Bayreuther Auffuhrungen erregten so grosses Erstaunen, nicht weil sie etwa
als „besser", „musterhafter" als andere empfunden wurden, sondern, weil
man in ihnen „ Dramen* erlebte, die man noch nicht kannte. Da wollte
man zunachst vom „Tannh3user" gar nichts wissen, weil er nicht mehr
die alte Hebe Oper von Hause zu sein schien; aber nachher sagten die
meisten, sie mochten ihn nun gar nicht mehr anders sehen als in Bayreuth
— obwohl sie auf dies Wiedersehen seit 1804 zehn Jahre zu warten hatten.
So ging es mit dem .Lohengrin , so vor allem mit dem „HollMnder*. Die
Opern waren Dramen geworden — nein: Dramen waren sie, weil sie
das waren, was Wagner sich gedacht hatte.
Aber wer Dramen schreibt, denkt doch dabei sicherlich an das
Theater. Immer hat Wagner an das Theater gedacht. Jedoch — an
welches Theater? An das Operntheater, welches seine Werke zu seinem
steten Zorn so gab, wie er sie nicht gedacht hatte? Gewiss nicht! Und
zwar wiederum nicht um seiner Werke willen, sondern aus dem Geiste
Digitized by
Google
174
DIE MUSIK HI. 21.
und Bedurfnisse der dramatischen Kunst uberhaupt dachte er an ein ganz
anderes Theater. An das Theater, wie es sein sollte. Also ein Ideal.
Aber Wagners Eigentumlichkeit ist es immer gewesen, Ideale verwirklichen
zu wollen, und sein Wille war so stark, dass es ihm sogar gelang, Ideale
zu verwirklichen. Die Idealisierung des Theaters bedeutete fur ihn nicht
nur eine Aufbesserung der bestehenden Theaterinstitution in kunstlerischem
Sinne, eine Art von Nobilitierung der Buhne. Wer mit ihm denken will,
muss ganz anders denken, muss die herrschenden Begriffe vom Theater
ganz umdenken lernen. Es handelt sich bei Wagner gar nicht urn uberall,
in jeder Stadt, vor jedem Publlkum aufgeschlagene Buhnen, die einerseits
fur die Verbreitung von Werken der Dichter und Musiker, ganz ebenso
wie aller gewohnlichen Stuckschreiber, zu sorgen haben, andererseits dem
Publikum moglichst alltaglich eine wechselnde Unterhaltung, bald leichter,
bald ernster Art, aber immer doch Unterhaltung, Erholung, oder — wenn
es hoch kommt — Erregung, selbst bis zur Erschutterung verschaffen sollen,
dies aber stets inmitten des Alltagslebens und mit dem Anspruch: eine
Kunstinstitution fur jedermann und ein Erwerbszweig fur die Unternehmer
zu sein. Solchem Theater, das ubrigens ja recht gut sein kann, von den
besten Intentionen geleitet, mit den schonsten Mitteln versehen und voller
Verdienste fur die Bekanntgebung geistiger Schatze an die Offentlichkeit
— nur eben keine neue Institution, in neuer Stellung zum Publikum,
keine neue Kunst — : solchem Theater seine Werke anvertrauen, heisst
nach Wagners Empfindung und Erfahrung fur jeden echten und ernsten
Kunstler doch immer eine Entfiusserung, eine Lostrennung, ein Abschied-
nehmen von dem Werke. Er gibt es einer Sphare, die jedenfalls nicht
mehr die Sphare ist, in welcher reine Kunst entsteht. Nun aber gehort
zur Vollendung des dramatischen Kunstwerkes unbedingt die Auffuhrung,
ebensogut, wie fur die Vollendung eines Bildes — nicht etwa nur das Auf-
hangen in einer Galerie, sondern die Ausfiihrung in Farben, oder fur die
Vollendung eines GebSudes der Bau selbst gehort. Das Drama will nicht
nur Gedanke, es will Leben sein. Das vollendete Leben hat es erst auf
der Buhne. Ist nun die Buhne so ganz anderer Art als die Seele des
Ktinstlers, eine ihm im Grunde fremde Welt, eine Sache nicht fur die
Kunst, sondern fur das Publikum: so gerMt in das Kunstwerk selbst ein
Riss, sein Leben zerKllt in zwei ganz verschiedene Teile. Es beginnt
ideal, urn trivial zu enden. Denn es ist gar nicht fur das Theaterpublikum,
nicht fur Jedermann", der seinen Taler oder seinen Gulden zahlt, ge-
schaffen worden. Ein gewaltiges Miissen hat es geschaffen, und nun soil
es dahingegeben werden, zur Vollendung seines Daseins, — „auf gut
Gluck*! Das Kind der intimsten Notwendigkeit wird zu einem Sklaven
des offentlichen Zufalls. —
Digitized by
Google
175
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
w Warum," fragte Wagner in seiner Jugend schon, in seiner Parlser Not-
und Hungerszeit: „Warum verlassen die mit dem Feuer gdttlicher Ein-
gebung begnadeten Sterblichen ihr Heiligtum und rennen atemlos durch
die kotigen Strassen der Hauptstadt, suchen eifrigst gelangweilte, stumpfe
Menschen auf, um ihnen mit Gewalt ein unsMgliches Gluck aufzuopfern?
Welche Kunstgriffe und AnschlMge mussen sie, einen guten Teil ihres
Lebens, in das Werk setzen, um der Menge zu Gehor zu bringen, was sie
nicht verstehen kann? Ja, sagt man, es sei die Pflicht des Genies, der
Menschheit zu Gefallen zu leben. Wer sie ihm auferlegt hat, mag Gott
wissen; nur findet es sich, dass diese Pflicht ihm nie zum Bewusstsein
kommt, und am allerwenigsten dann, wenn das Genie eben in seiner
eigensten Funktion des Schaffens begriffen ist." Und am Ende seiner Lauf-
bahn, als der Komponist des „ Hollander* zum Meister des ff Parsifal" ge-
worden war, also voile 40 Jahre spfiter, schrieb derselbe Kunstler im selben
Sinne: „Unmoglich kann etwas wirklich gut sein, wenn es von vornherein
fur eine Darbietung an das Publikum berechnet 1st". „Fraget den Autor,
ob er sein Werk als ihm noch angehorig betrachtet, wenn es auf die Wege
sich verliert, auf welchen nur das Mittelm&ssige angetroffen wird, und zwar
das Mittelmassige, welches sich fur das Gute gibt." „Die Werkstatte des
wahrhaft Guten in der Kunst liegt fern vom eigentlichen Publikum ab.
Hier musste die Kunst des Schaffens ein Geheimnis bleiben, ein Geheimnis
vielleicht fur den Schdpfer selber." Um aber dies Geheimnis doch wiederum
kundzutun, das in ein Drama gefasste Geheimnis auf einer Buhne kund-
zutun, — „diesen unendlich wichtigen Prozess" — der Kunstler nennt
ihn fur sich w den einzig erldsenden" — [ — „Die Erlosung des Kunstlers
ist erreicht — Vergessenheit! Vergessen seiner Person!* — ], diesen
Prozess dem Wirken des Zufalls zu entziehen, gab mir den Gedanken der
Buhnenfestspiele in Bayreuth ein."
Man sieht, wie diese gemeint waren. Nicht als eine Stgtte fur gute,
bessere, Oder selbst beste Auffuhrungen besonders schwer auffuhrbarer
Sachen, sondern als ein Asyl, eine Bergestatt fur die Kunst, wie sie
sein soil, vor dem Theater, wie es sein muss. Nichts ist daher un-
richtiger und ungerechter, als wenn man dieser Schdpfung gegenuber auf
die triviale Forderung sich berufen zu durfen meint: „Die Kunst gehdrt
dem Volk" — „der Menschheit", — w der Welt". Diese hochtonenden
Worte bedeuten hier doch nur: dem .Theaterpublikum", und zwar diesem
und jenem Publikum, dieses und jenes Operntheaters. Es ist gewiss schdn
und gut, wenn auf diese Weise, da es keine andere gibt, ein gutes und
grosses Werk sich „verbreitet" d. h. soweit als dieses Werk dabei wirklich
zutage kommt, und soweit es zuflllig unter der bunten Masse von Un-,
Halb* und Missverstehenden, wie sie in solchem Theater zusammenstrdmt,
Digitized by
Google
176'
DIE MUSIK III. 21.
^
doch immer auf einige Seelen treffen mag, die es wirklich verstehen,
denen es etwas gibt, die es wenigstens mit der Zeit, wenn sie es Sfter
sehen konnen, verstehen lernen und sich etwas Dauerndes davon furs Leben
gewinnen. Aber die Verbreitung der Kunst als solche ist eben gar nicht
Wagners Absicht gewesen. Waser gewollt, war ausdrucklich die I solierung
der Kunst. Wen dieser Begriff, so schroff aufgestellt, erschreckt, der troste
sich doch damit, dass auch der Tannhauser und der Lohengrin, als sie zu-
erst auftraten, obwohl in ihrer Absonderlichkeit schon gemildert durch das
Medium der *Oper", wahrlich einen nicht geringern „Schrecken" erregt
haben. Allmahlich, wie bei diesen Werken, hat man sich auch vor Bayreuth
den Schrecken abgewdhnt, und mehr und mehr gefunden, dass die Isolierung
doch etwas Gutes habe, wie die einst so fiirchterliche unendliche Melodie
und die so erschrecklichen Leitmotive in den Werken. Nur gehort noch
mehr Bewusstsein zu der richtigen Auffassung der Isolierung des Theaters,
als wie zu der des Idealismus der Werke. Man muss zum mindesten so-
viel von und mit Wagner wissen: dass die ideale Kunst an sich schon als
eine Fremde, eine Einsiedlerin in diese Welt geboren wird. Dass alle
grossen Meister unter dem Missverhgltnis zwischen Kunst und Welt
schwer gelitten haben — was uns aber nicht eine Lehre sein soil, eine
bequeme Regel daraus zu machen, sondern es als eine Tragik zu empfinden,
deren Wunden eine Heilung zu wunschen ist. Dass die Kunst wohl der
Welt eingeschmeichelt, eingeschmuggelt werden kann, wenn sie von ihrem
strengen Ernst etwas daran gibt, wenn sie zulisst, dass sie als ein Spiel
behandelt werde; dass sie dabei aber auch ein bestes Teil ihres Wesens,
ihre voile ideale Kraft und Wirkung einbusst. Dass wohl eine grossere
Menge von Menschen auf diese Weise die Kunst — nicht eigentlich kennen
lernt, aber doch kennen zu lernen glaubt, allein eben nicht diejenige Kunst,
wie sie der Kunstler gedacht, sondern ein Kompromiss, eine Nachbildung,
gewiss nicht das Original. Denn dazu gehort nun einmal, in diesem Falle,
nach dem Sinn und Willen des Kunstlers, das ideale Theater, ganz mit
gleicher Notwendigkeit wie die Instrumentation der Partitur oder die
Darstellung des Dramas uberhaupt.
„Miissen wir uns fur zu schwach halten," schreibt Wagner, „an dem
Bestehen des Theaters riitteln zu wollen, so haben wir hingegen, wenn
uns die Entfaltung des deutschen Geistes in seiner Eigentumlichkeit auch
auf diesem, den dffentlichen Geist ganz unvergleichlich machtig beein-
flussenden Kunstgebiet am Herzen liegt, eine ganz neue, von der Wirk-
samkeit jenes Theaters so weit als moglich abliegende Institution ins
Auge zu fas sen." An dieser StMtte wurden dann noch ganz andere Wir-
kungen und Erlebnisse moglich und wirklich werden, als bisher in den
besten Einzelfillen beim Theaterpublikum. Dort wurden eben alle die zu-
Digitized by
Google
177
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
sammenkommen, die im Wagnerischen Sinne „die Sache urn ihrer
selbst willen" treiben, also auch die Kunst urn ihrer selbst willen auf-
suchen. Sie wurden auch mehr davon mit forttragen als die kdstlichen
Eindrucke eines schdnen Abends: eine tiefe Erkrfftigung ihres Idea-
lismus, die kunstlerische also zur moralischen Wirkung vertieft, wie
es schon ein moralischer Grund war, aus dem sie hervorging, der Grand
eines unbedingt reinen Verhfiltnisses zwischen Kunst und Publikum.
Davon sagte Wagner nach den ersten Festspielen: *Viele mir Gewogene
sind der Meinung, es sei providentiell, dass mein Buhnenfestspiel jetzt
gezwungenermassen sich fiber die Welt zerstreue, denn dadurch sei ihm
diejenige Popularity gesichert, welche ihm bei seinen vereinsamten Auf-
fubrungen im Bayreuther Festspielhaus notwendig vorenthalten sein wfirde.*
Diese Ansicht bezeichnet er aber als irrig; denn „was durch diese Theater
gegenwirtig zu einem Eigentum ihrer Abonnenten geworden ist, kann mir
noch nicht als volkstumlich, will sagen: dem Volke eigentfimlich gelten:
erst die hochste Reinheit im Verkehr eines Kunstwerks mit seinem
Publikum kann die notige Grundlage zu seiner edlen Popularity
bilden." Und dazu halte man die Worte an Fr. Feustel vom Beginne
des Baues: „Gewiss ersehe ich, dass es rings urn uns wachst und sich
regt; und ich, der ich so ungemessene Geduld habe, kann auch jetzt noch
nichts mehr wunschen, als dass man uns Zeit gibt, und nicht hetzt. Alles
geschieht gewiss, es gedeiht und reift: nur rein muss alles gehalten
werden." Dies sprach kein anderer Geist als der, welcher schon in den
Schriften aus der sogenannten Revolutionszeit sich fiusserte: „Die wahre Kunst
ist die hochste Freiheit, und nur die hochste Freiheit kann sie aus sich
kund geben, kein Befehl, keine Verordnung, kurz, kein ausserkunstlerischer
Zweck kann sie entstehen lassen.* Reinheit und Freiheit, so lautet derWahr*
spruch des Kunstlers, den er uns aus dem Zeitraum eines Menschenalters
zuruft. Doch auch dies Wort Wagners muss hier gehdrt werden: , Das Theater
aber besteht nach wie vor, leistet ziemlich dasselbe, was irgend sonst und
je von dergleichen Anstalten geleistet worden ist. Alles ist in Ordnung,
und niemand RUlt es ein, dass in diesem so darangegebenen Institut der
Keim und Kern aller national-poetischen und national-sittlichen Geistes-
bildung liegt, dass kein anderer Kunstzweig je zu wahrer Blute und volks-
bildender Wirksamkeit gelangen kann, ehe nicht dem Theater sein all*
mfichtiger Anteil hieran vollstMndig zuerkannt und zugesichert ist." w Be-
dingung hierfur," schrieb er zu gleicher Zeit, „ist die Ausserordent-
lichkeit in allem und jedem," und spiter: „Wir mussten die Kraft haben
uns andereGewohnheiten anzubilden. Nur ein sehr ernstliches, durch
grosse Geduld und Ausdauer gekr&ftigtes Bemuhen kann aber solche Ge-
wohnheiten unter uns zu einem wirklichen Nerv des Lebens ausbilden.
III. 21. 12
Digitized by
Google
lis
DIE MUSIK III. 21.
Aus einem starken inneren Mussen kann uns einzig die Notwendigkeit
zum Handeln erwachsen; ohne solche Notwendigkeit kann aber nichts
Edles und Wahres begrundet werden.*
So ward Bayreuth begrundet. — Indem Wagner also diese „ausser-
ordentliche" Kunststfitte, welche die Ausbildung der „anderen Gewohn-
heiten" erstrebte, in die „schone Eindde" setzte, w fern vom Qualm und
Jndustriepestgeruch unserer stidtischen Zivilisation", wie er schon vor
20 Jahren gesagt hatte, da bewies er gerade, dass er, der Kunstler, doch
Kunst und Welt nicht vdllig getrennt wissen wollte. Er, der dem deutschen
Geiste die Weltaufgabe der Veredlung der Menschheit zugesprochen, ge-
dachte seinem Volke mit seiner Kunst allerdings auch die Wohltat einer
veredelnden Begluckung zu erweisen. Aber eine wahre Wohltat, von
reinem Ursprung und eben so reiner Wirkung. So kehrte sich fur ihn
das altgewohnte VerhMltnis urn: nicht die ideale Kunst durfte sich in die
Welt hinaus- und hineinbegeben , sich ihr angleichen, wobei sie sich
schliesslich in ihr verlor, sich selbst verlor. Die Welt vielmehr musste
zur Kunst kommen, mit vollem Bewusstsein, mit tiefem Verlangen zu
ihr kommen. Denn die Kunst war das Hohere, das Edlere, das Reinere,
etwas, worauf eine Weihe lag, die ihr erhalten bleiben musste, wenn sie
wirklich als eine Wohltat auf die Welt wirken sollte. Eine Weihe? Im
Theater? Ja, gerade im Theater. In dieser wirksamsten, den ganzen
Menschen in der Einheit seiner mannigfaltigen Krifte darstellenden, eigent-
lich erst voll-lebendigen, hdchsten Form der Kunst.
Dass war nun freilich etwas recht Ungewdhnliches und Ausser-
ordentliches. — Aber doch nur eben furs 9 Theater* ! — Uberall sonst hat
man bisher noch nie sich daruber gewundert, wenn man gezwungen war,
sich zu einem schdnen Ziele hinzubegeben. Man geht nach Freiburg,
wenn man das Minister sehen will; nach Heidelberg, um das Schloss zu
besuchen; nach Dresden in die Galerie, um die Sixtinische Madonna im
Original mit besonderer Andacht zu betrachten, auch wenn man sie daheim
im Kupferstich zu hangen hat. Man reist nach Italien, um Rom, Florenz,
Venedig und Neapel kennen zu lernen; man glaubt nicht sie zu kennen,
wenn man sie im Panorama gesehen hat. Und ist man in Rom, so geht
man zum Vatikan, weil man nur dort die sixtinische Kapelle kann
singen hdren. Man nimmt sich jahrelang vor, das nfichste Mai nach
Oberammergau zu fahren, weil man nur dort und nur alle zehn Jahre ein-
mal die Passion erleben kann. Ja, man besucht mit gesteigertem Ver-
gnugen irgend welches Musik- oder Singerfest, weil es eben nur an diesem
und jenen bestimmten Ort gefeiert wird, und die Bahnverwaltungen er-
missigen zuvorkommend die Preise fur den Besuch jedes grossen Schutzen-
festes, das die Bundesbruder aller deutschen Lande irgendwo in einer
Digitized by
Google
170
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
schonen Gegend des Vaterlandes vereinigt. An jeder dieser StMtten geniesst
man dankbar, als ein besonders freudiges Ereignis, eben das, wozu man
dorthin kommen musste und wollte; und muss man zu Hause sitzen bleiben,
so tut einem dies wohl leid, aber man beschuldigt doch nicht die Sehens-
und Hdrenswiirdigkeiten, weil sie nicht zu einem kommen. Oder auch,
wenn man etwas Schones geniessen darf, so ndrgelt man als verstSndiger
Mensch doch nicht dariiber, dass man nicht noch etwas Schoneres haben
konne. Wer wird denn auf die Rosstrappe schelten, weil er von dort aus
nicht die Jungfrau sehen kann! So ist es auch weder recht noch ver-
stSndig, auf die Theater zu schelten, weil sie wohl alles mogliche Gute,
nur aber z. B. nicht den „ Parsifal" geben kdnnen, noch auf Wagners
Theater in Bayreuth, weil es den „Parsifal" fur sich allein behait. Es ist
eben das Interlaken der deutschen dramatischen Idealkunst. Nur dort sieht
man die jungfr&uliche Kunst. Von dieser, an sich ausserordentlichen und
schon der Form nach grossten Kunst hat man einfach dasselbe als Tat-
sache anzunehmen, was man so vielen, auch geringen Dingen ohne weiteres
als ihr Recht zugesteht. Man muss nach Bayreuth kommen, nicht allein,
urn das Buhnenweihfestspiel Wagners zu erleben, sondern um uberhaupt
zu einem wahren, unvergleichlichen kunstlerischen Erlebnis zu gelangen.
Denn ein solches ist ohne eine besondere, personliche Lebensregung, ohne
eine starke Bet&tigung des Willens, ein sich Herausreissen aus den Ge-
wohnheiten, im Drang nach anderer, freierer, reinerer Sphare gar nicht
mdglich. Jedes Theater hat noch immer soviet von der Idee der Kunst
an sich, dass es sich erstens als eine Buhne uber den flachen Erdboden
erhebt, also, dass man zu ihm empor schauen muss, wenn man in dem
naturlichen Zuschauerraum vor der Buhne, nicht in kunstlichen Logen
sitzt; zweitens, dass man zu ihm sich bewegen, sich eine gewisse Muhe
geben muss, um soweit zu gelangen, wo die Buhne aufgeschlagen ist. So-
weit als nun Wagners Kunstideal uber die gewiss nicht gerade ideale
SphSre des gewohnlichen Theaterwesens hinausreicht, soweit auch sind
die Distanzen verschieden, in denen das Publikum zu seinem ideaten
Theater und zu den realen Theatern steht. Sein Theater erhebt sich
nicht allein real auf einem Berge; es erhebt sich auch ideell in jene freie
Sphare des 9 reinen Verkehrs", der erhabenen Stimmung, kurz: der idealen
Kunst Zu seinem Theater muss man nicht nur einige Strassen weit gehen,
sondern eine weitere Pilgerfahrt antreten, nicht nur bis zum roten Main,
sondern direkt in das Reich des Ideales, wo nichts anderes Geltung hat,
als die grosse Kunst.
Sagt man dagegen aber das oft Gehorte, dass es doch so vielen un-
mdglich sei, die Mittel fur eine solche Pilgerfahrt aufzubringen: nun dafur
hat ja Wagner selbst schon durch die Begriindung seiner Stipendien-
12*
Digitized by
Google
180
DIE MUSIK III. 21.
.£
stiftung die beste Widerlegung geschaffen. Es hatte eben nur notgetan,
dass alle, die jenen Einwand erheben, beizeiten sich dessen entsonnen
und zur Starkung dieser Stiftung beigetragen batten. Ware ira Laufe dieser
20 und mehr Jahre nur das Geld, das fur eitle Freuden und scblechte
Auffuhrungen ausgegeben ward, dieser von Wagner uns hinterlassenen
Stiftung zugefuhrt worden: es wurde schon heute wenige Menscben in
Deutschland geben, die ihr wirkliches Verlangen nach Bayreuth und dem
Parsifal nicht hatten stillen konnen. Wenn jede Stadt neben ihren mannig-
fachen Wohltatigkeitsanstalten auch eine Sammelstelle fur Spenden zu
diesem gewiss echtdeutschen, aber freilich auch rein kunst lerischen Zwecke
besfisse, so wurde sie in den Stand gesetzt sein, alljShrlich einer Anzahl
ihrer Burger zu dem Erlebnisse von Bayreuth zu verhelfen. Es liegt nur
im guten Willen: der Weg ist gewiesen. Ein Werk wie der Parsifal
braucht sich gar nicht erst in die Welt zu begeben, urn zu deutschen
Seelen zu sprechen. Er kann zu alien deutschen Seelen in Bayreuth
sprechen, wenn nur einfach das Werk des Meisters, davon er auch ein
Teil ist, vdllig zur Ausfiihrung kommt: — durch die weiteste Er-
moglichung der Pilgerfahrt nach Bayreuth.
Vergegenwartigen wir uns nun noch einmal Wagners eigene Pilger-
fahrt bis an ihr Ziel, bis zum „Parsifal«, urn aus allem das eine schliess-
lich zu erkennen, warum gerade dieses Werk das vor allem „isolierte*
am isolierten Theater sein sollte und musste!
Wagner hatte fur das Ideal der Kunst, wie es in ihm lebte, eine
Heimstatt gesucht. Sie war innerhalb der Welt nur dann zu erreichen,
wenn sie ausserhalb der Welt sich hielt. In ihrer Mitte und doch isoliert
Diese Heimstatt musste eine Buhne sein, denn die ideale Kunst erschien
ihm in ihrer hochsten Form als Drama — : Drama aus der Musik. Dieses
Theater musste geweiht werden durch die strengste Erfullung der Forderung
des Ideals. Da durfte es keine Kompromisse mit der Welt und ihren
Gewohnheiten geben. Die Welt hatte kein anderes Recht daran, als das-
jenige, dass, wenn einmal das Theater behauptet hatte, auch ein solches
ideales Kunstwerk sein zu wollen, wie etwa die Sixtinische Madonna oder
die Neunte Symphonie oder der „ Tristan", es auch Wort halten und das
b lei ben musste, als was es von seinem Meister geschaffen war. Das
hatte die Welt selbst von Bayreuth zu erwarten; liesse Bayreuth je etwas
anderes zu, so durfte die Welt sich beklagen, dass sie betrogen
worden sei.
Allerdings: mundus vult decipi! Das lernt man auch hierbei wieder
kennen. Die ganze Geschichte von Bayreuth zeigt, wie es nur unter den
grdssten Muhsalen und nichts als No ten erbaut werden konnte, als .Pro-
Digitized by
Google
181
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
visorium", und dass die ersten Auffuhrungen des „Ringes* voruber gingen
unter Hinterlassung eines Defizits, an dem die Erben Wagners fort-
dauernd noch abzahlen mussen in Form eines Verzichtes auf Munchener
Tanti&men. Darum mussten fur Wagner selbst sechs Lebensjahre, die
letzten seines Lebens, in bezug auf Bayreuth und die Schule seiner Kunst
dort tatlos vergehen; und darum musste der „Ring* aus seiner ihm er-
richteten Freistatt hinaus wandern an die Theater, fur die er jed en falls
nicht geschaffen war. Doch in derselben traurigen Zeit schuf Wagner
seinen .Parsifal -1 ! Kommt der uns nun nicht vor wie ein Suhneopfer
der Liebe fur die Bdstaten der Feindschaft und des Unverstandes gegen
ihn? Wagner widerstand jedem Drang nach weiteren Auffuhrungen in
Bayreuth, und der wachsende „Ruhm", den ihm die Auffuhrungen in der
Welt einbrachten, beruhrte ihn nicht oder nur schmerzlich. Ihm lag nur
noch eines am Herzen: wenigstens am Schlusse seines irdischen Lebens,
das, was er immer einzig gewollt: ein Beispiel zu geben, zu hinter-
lassen, sicher zu stellen fur alle Zukunft, nun durch keine bose Lebens-
anfechtung, wie er sie so viel erlebt und erlitten, nach seinem Tode mehr
zu erschuttern. Ein Beispiel dessen, was er mit seinem Theater dort
oben auf dem Bayreuther Hugel gemeint und was durch die Herausgabe
des v Ringes* nun doch wieder zerstdrt worden war: die isolierte Kunst
des idealen Dramas, zu dem man ,kommen" muss: aus einem 9 edlen
Bedurfnisse*. „Denn nur einem edlen Bedurfnisse kann das Weihevolle
sich darbieten," sagte Wagner. Dieses Weihevolle sollte nun sein Buhnen-
weihfestspiel aufs deutlichste, unmissverstMndlich, verkdrpern. Es sollte
ihm seine Buhne wieder und nun erst vollig und wahrhaft weihen. Zu
dieser Weihehandlung, fur diese Buhne allein ward das Werk geschaffen.
Darum wollte er von vornherein jede Moglichkeit ihm verschliessen,
dass auch dieser „Parsifal <( das Schicksal seiner anderen Werke jemals
etwa teilen kdnne. Vielmehr sollte er dazu dienen, seine anderen Werke
allesamt auch einmal wieder nach Bayreuth zu fuhren, wie es ja nun im
Verlauf von 20 Jahren geschehen ist, eben unter der unberuhrt erhaltenen
Weihe des „Parsifal".
So schrieb Wagner an Friedrich Feustel: „Aus unserem Bayreuth
soil nun aber doch etwas werden! Parsifal erhalte ich einzig und
ausschliesslich fur Bayreuth; selbst der Kdnig entsagt ihm fur
Munchen. Mit der Zeit sich steigernde Hohe des Fonds durch die Ein-
nahmen dient zur weiteren Auffuhrung aller meiner Werke. Hierbei babe
i c h jeder Einnahme zu entsagen." Das ist das Programm von Bayreuth
sett diesen 20 Jahren, und so ist es genau und streng ausgefiihrt worden.
An den Kdnig aber hatte Wagner geschrieben: „Ich habe nun alle meine
so ideal konzipierten Werke an unsere, von rajr als tief unsittlich erkannte
Digitized by
Google
182
DIE MUS1K 111, 21
^
Theaterpraxis ausliefern miissen, dass ich mich nun wohl ernstlich fragen
musste, ob ich nicht wenigstens dieses letzte und heiligste meiner Werke
vor dem gleichen Schicksal einer gemeinen Opernkarriere bewahren sollte.
Eine entscheidende Notigung hierfur habe ich endlich in dem reinen
Gegenstand, dem Sujet meines , Parsifal 4 nicht mehr verkennen dtirfen.
In der Tat, wie kann und darf eine Handlung, in welcher die erhabensten
Mysterien des christlichen Glaubens in Szene gesetzt sind, auf Theatern,
wie den unsrigen, vorgefuhrt werden? Ich wurde es wirklich unseren
Kirchenvorstanden nicht verdenken, wenn sie gegen Schaustellungen der
geweihtesten Mysterien auf denselben Brettern, auf welchen gestern und
morgen die Frivolitat sich behaglich ausbreitet, einen sehr berechtigten
Einspruch erheben. Im ganz richtigen Gefuhle hiervon betitelte ich den
,Parsifal ( ein ,Buhnen w e i h festspiel*. So muss ich i h m denn nun
eine Buhne zu weihen suchen, und dies kann nur mein einsam da-
stehendes Buhnenfestspielhaus in Bayreuth sein. Dort darf der
,Parsifal* in aller Zukunft einzig und allein aufgefuhrt werden; nie soil
der ,Parsifal* auf irgendeinem anderen Theater dem Publikum zum
Amusement dargeboten werden, und dass dies so geschehe, ist das einzige,
was mich beschaftigt und zur Uberlegung dazu bestimmt, wie und durch
welche Mittel ich diese Bestimmung meines Werkes sichern kann."
Worauf der Konig antwortete: „Mein Wunsch ist, dass das heilige
Buhnenweihfestspiel nur in Bayreuth gegeben und auf keiner anderen
Buhne entweiht werde." Und er loste alsbald mit koniglichem Befehl
alle Mlteren Verpflichtungen, die des Meisters neues Werk an Munchen
gebunden haben wurden.
Dies sollten, nebenbei, diejenigen sich merken, die es heute noch
als eine „Erfullung" des Willens Konigs Ludwig ausgeben mochten,
wenn fur Munchen jene Monumentalisierung des Bayreuther Provisoriums
in Anspruch genommen wird. Das Munchener Monumentaltheater ist da-
mals nicht zustande gekommen, weil — Munchen es nicht wollte. Es will
es auch heute noch nicht; denn seine wirklichen Burger, die in dem
damals geplanten Hause als Gaste ihres Konigs freien Eintritt gehabt
h&tten, konnen die teuern Platze des neuen Theaters nicht bezahlen, die
beruhmten Auffuhrungen der Werke also gar nicht einmal mehr sehen.
Es wire aber auch damals nur deshalb zustande gekommen, weil Munchen
die Residenz Konigs Ludwig war, und weil dieser Konig Ludwig die in
der Kunstgeschichte einzige Tat des rettenden Schutzes Richard Wagners
auf sich genommen hatte. Daftir, und dafur allein, musste Wagners Dank-
barkeit damals das Theater in die Residenz seines Konigs stellen lassen,
entgegen seinem urspriinglichen, seiner Idee entsprechenden, und als
Idee niemals aufgegebenen Gedanken: dass sein Idealtheater eben nicht
Digitized by
Google
So.
183
WOLZOGEN: RICHARD WAGNER
in einer „grossen deutschen Hauptstadt* stehen sollte. „Ich bin nicht
darauf ausgcgangen, mein Unternehmen im Glanze einer reich bevolkerten
Hauptstadt bespiegeln zu lassen.* A Is der Munchener Konigsplan aber
nicht zustande kam, als der Konig selbst darauf verzichtete, als mit in-
folgedessen Munchen nicbt mebr Konig Ludwigs Residenz war: da durfte
Wagner, erleichterten Herzens, zu seinem ursprunglichen Gedanken zuriick-
kehren, da fand er — wie er sagte: — den „deutschen Winkel*, den ,in
Deutscbland einzig produktiven*, die rechte Statte fur sein Werk, die
einzige Statte alsdann fur seinen „ Parsifal". In Bayreuth, wohin er sich
selbst fur den Rest seines Lebens zuruckgezogen, wo sein Grab ruht, da
lebt nun auch allein sein Werk, so wie er es »sich gedacht*. Dort hat
er uns seinen „ Parsifal* hinterlassen, geschutzt durch die Weihe sowohl
des Ortes wie seines Inhalts. — „Verdankt ja auch der Parsifal selbst,"
schrieb er, ,nur der Flucht vor der Welt seine Entstehung und Ausbildung*
und fuhr fort: 9 Wer kann ein Leben lang mit offenen Sinnen und freiem
Herzen in diese Welt des durch Lug, Trug und Heuchelei organisierten
und legalisierten Mordes und Raubes blicken, ohne zuzeiten mit schauder-
vollem Ekel sich von ihr abwenden zu mussen. Wohin triflft denn sein
Blick? Gar oft wohl in die Tiefe des Todes. Dem anders Berufenen,
und hierfur durch das Schicksal Abgesonderten, erscheint dann wohl das
wahrhaftigste Abbild der Welt selbst als Erldsung weissagende Mahnung
ihrer innersten Seele*. So tiefe Empfindungen seines Schopfers, der ganze
ernste, ja, tragische Ertrag seiner Lebenserfahrungen und Lebensleiden,
verbinden sich mit diesem einen Werke, drucken sich in ihm aus, teilen
sich als Stimmung und als Mahnung selbst jeder Seele mit, die es erlebt,
wlrklich erleben kann. Die grosse Welt ausserhalb, in der immer un-
ruhigen Sphdre ihrer unzahligen anderen Interessen, Ndtigungen, Pflichten
und Wunsche: sie kann daran niemals in der Weise teilhaben, wie jene
Seelen, die sich selbst zeitweise aus ihr fluchten und den Gral suchen,
wo er allein enthullt wird. Sie, dieselbe Welt, die als Theaterpublikum
auch nach dem „ Parsifal* ruft, sie kann gar nicht anders, als auch in ihm
nur eine, vielleicht besonders wertvolle, besonders subtil zu behandelnde
Sache neben vielen anderen zu sehen, die sie eben auch einmal kennen
lernen zu mussen meint, und wire es auf dem Wege des „ legal en Raubes*.
Damit geht ihm aber gerade die Wirkung verloren, welche sein Schopfer
mit ibm ausuben wollte. Die eigentumliche Entruckung in eine ideale
Welt, in ein Heiligtum der Gefuhle und Gedanken, in ein Mysterium, in
cjas Ausserordentliche, das Einzigartige, kurz, das ganz Andere, wonach
denn doch die innerste Seele des Menschen sich sehnt, die kann sie inner-
balb des Weltgetriebes nicbt finden. Ja, selbst wenn etwas Ihnliches
unter ganz besonderen Umstinden einmal erreicht zu sein schiene, wtirde
Digitized by
Google
184
DIE MUSIK III. 21.
slch dann wohl ein solcher Erfolg auch nur fur kurze Zeit innerhalb einer
der Aufgabe so fremden Sphere auf der seltenen Hohe erhalten lassen?
Will fiberhaupt die Welt einen Parsifal ohne Bayreuth, ist sie mit einem
solchen zufrieden, lasst sie sich einen solchen auch noch so oft aufffihren,
so hat sie damit gar nicht das empfangen, was Wagner ihr wirklich hinter-
lassen hat. Sie hat einen falschen Parsifal geerbt. Es ist der „echte
Ring" nicht t Und doch liegt der Fall hier anders als bei dem weisen
Nathan Lessings. Hier sind nicht alle Ringe falsch. Hier heisst es nicht:
.Der echte Ring, vermutlich, ging verloren!" Dieser eine Echte ist wirk-
lich vorhanden, von grosster PietMt wohlgehfitet; und jeder kann ihn
erkennen, wenn er nur will, wenn er nur auf das Zeichen seines Gold-
schmiedes achtet. Wagner nannte jenen alten „Ring"-Dichter aus Jerusalem
w nicht eben besonders weise", weil er gesagt babe: „Kein Mensch muss
mussen"; wogegen er, Wagner, sein Leben lang der Ansicht war: „Der
Mensch muss mussen". Dies grosse Mussen allein hat er menschlich-
kfinstlerisch ausgelebt. Er tnusste seine Werke schaffen; er musste seine
Schriften schreiben — „die aufgezeichnete Lebenstdtigkeit eines Kfinstlers,
der in seiner Kunst selbst fiber das Schema hinweg, das Leben suchte* — ;
er musste sein Theater bauen, er musste seinen Parsifal in Bayreuth vor der
Welt schfitzen. Dies alles war ein einziges inneres Mussen, solch eines,
daran es, nach Wagner, „unserem offentlichen Geiste, in seinem herzlosen
Erw&gen von Fur und Wider befangen", eben fehle. „Ihr bringt nichts zu-
stande, was wahres Leben in sich habe, denn seht: euch fehlt der Glaube,
der grosse Glaube an die Notwendigkeit dessen, was ihr tut." Wer Wagner
also kennen will, wer sein echtes Erbe wirklich in Empfang nehmen will, der
muss auch mit ihm mussen konnen, muss vor allem dies sein Mussen
wenigstens achten, wie es sich in seinem letzten Willen mit aller Bestimmt-
heit noch einmal der Welt kundgetan hat. Dieser letzte Wille, der gehdrt
nun der Welt, den hat sie zur Betatigung hinterlassen bekommen. Wollen
wir denn tdricht sein, und den echten Ring, der uns damit vererbt ward,
den Parsifal in Bayreuth und das Bayreuth des Parsifal, von uns abweisen,
diese Erbschaft ohnegleichen nicht antreten, und daffir ein paar Dutzend
unechter Ringe in Empfang nehmen aus den vermittelnden H&nden
spekulativer Kaufleute? Sollte das unser eigenes inneres Mussen sein,
so hatte Wagner jedenfalls fur uns umsonst gelebt, so gehdrten wir in der
Tat einer ganz anderen Welt an als der, aus welcher solche Manner her-
vorgehen, wie er einer war. —
Wenn uns schliesslich Wagners Werke, Schriften, Bayreuth, Parsi-
fal*, alles dies noch nicht genug sagt fiber seinen Willen und sein Mussen,
so lemen wir e* doch aus seiner Persdnlichkeit! In all -diesen
HiMerlassenschaften lebt seine Persdnlichkeit fort. Diese mdchtigste
Digitized by
Google
&aa.
185
VOLZOGEN: RICHARD WAGNER
Willenskraft, dieses lebendige Muss des Wollens eines Ideals. Ja, ver*
gessen wir nicht, was uns Wagner in dem rein erschauten Bilde seiner
Personlichkeit hinterlassen hat! Auch ein v Beispiel", auch eine „ Mani-
festation", recht eine solche des deutschen Geistes, und ein Vorbild des
deutschen Lebens, das fur die Sache urn ihrer selbst willen lebt. Lernen
wir von ihm seine Klarheit im Erkennen des Ideates, seine Festigkeit im
Verfolgen seines Zieles, seine Unverfiihrbarkeit durch alle ablenkenden
Interessen und Geluste, seine Selbstlosigkeit und vor allem — seine un-
geheuere Geduld. Was hat dieser Mann fur Geduld haben mussen, sein
Ideal im Herzen, sein Ziel vor Augen, sein Muss in all seinen Be-
tatigungen — Geduld mit der Welt, rait seinem Volke, mit uns, ja, auch
mit seinen besten Freunden, mit all dem Unverstandnis, mehr noch Miss-
verst&ndnis, mit aller traditionellen Zahigkeit und traurigen Dasselbigkeit
der Menschenart bei grossen und hohen Angelegenheiten — Geduld bis
in den Tod hinein, da die Welt, auch nach dem Tode noch, nur Neues
haben wollte, wahrend Er doch nur Eines zu geben hatte, dessen Symbol
geweiht durch sein Leben und seinen Tod, durch seine ganze Personlich-
keit, wir vor uns haben in dem Buhnenweihfestspiele von Bayreuth. Wir
wurden das Bild dieser Personlichkeit, das uns hinterlassen ist, durchaus zer-
storen, wenn wir ihm dieses sein wahres Lebensdenkmal zerstorten, und
ob wir ihm dafur Denkmdler, noch so zahlreiche, noch so glanzende, auf
alien Markten und alien Biihnen errichteten, — Denkm&ler, die nicht ihn
darstellten, wie er war und ist, son dem — wie wir mdchten, dass er wire!
Feiern wir ihn, so dtirfen wir ihn nur feiern als den Wagner, der
da wollte, was er musste, und „wie er musst', so konnt' er's a — den
Wagner, der es mit seiner Kunst so hoch und heilig nahm, dass er sie
an der Statte geborgen hat, wo nicht nur moglichst gut Theater gespielt
werden soil, sondern wo es moglich ist, auch die tiefsten Mysterien der
Religion im schonen Symbole der erhabenen Kunst mit reinem Verlangen
in sich aufzunehmen, ohne im frommsten Gemiite eine Profanation zu
empfinden — wo das Wort des Meisters nicht mehr missverstanden werden
kann, der da sagte: „Wo die Religion kunstlich wird, sei es der Kunst
vorbehalten, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen
Symbole, welche die erstere im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt
wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfasst, um durch ihre
ideale Darstellung die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu
lassen."
Nur aus einem solchen reinen Raume von religioser Weihe hervor
kdnnen dann auclrwieder „Gralsritter" ausziehen, v zu neuen Taten", ,zu
wirken des Heilands Werke", innig begeisterte und aufs Edle gewandte
Menschenseelen, die nun erst an der Verbreitung dessen in der Welt
Digitized by
Google
186
DIE MUSIK III. 21.
arbeiten werden, was wirklich 9 der Welt gehort", was Wagner als Lehre
und Beispiel seinem Volke, nicht einem Theaterpublikum, hinterlassen
hat: nicht ein »Theaterstuck", ja, nicht ein Kunstwerk allein, sondern
Leben, neue ideale Lebenskritfte, Gesinnungen, reines Wollen, grosses
Mussen, auf alien Lebensgebieten, bis zu einer idealen Auffassung wahrer
christlicher Religion. Denn aus dieser ernsten, in die Tiefen der Seele,
des Glaubens, hineinreichenden Sphare ist der .Parsifal" entstanden, in dem
hohen und zarten Sinn dieser seiner Entstehung, seiner Geburtsstitte, ist
er von uns aufzufassen, danach allein ist sein Leben als Kunstwerk, als
Meistererbe, von uns zu denken, zu wunschen, zu verteidigen, zu erhalten.
Was wir fiber ihn meinen und sagen, was wir fur ihn tun, messen wir es
alles nur an der Tiefe der Empflndung, an der Hohe des Gedankens und
an der Weite des Blickes seines Schopfers! Vor dessen grosser Seele
schwebte bei der Vollendung dieses Werkes das Idealbild vora Leben und
Wirken religidser Kunst, als er die weihevollen Worte niederschrieb, mit
denen ich in diesen Tagen, da der „ Parsifal* zum ersten Male nach seiner
Entweihung wieder auf die Bayreuther Buhne zuruckkehrt, einzig wurdig zu
schliessen vermag:
,Nun hiess uns der Erloser selbst unser Sehnen, Glauben und H off en
zu tonen und zu singen. Ihr edelstes Erbe hinterliess uns die christliche
Kirche als alles klagende, alles sagende, tonende Seele der christlichen
Religion. Den Tempelmauern entschwebt, durfte die heilige Musik jeden
Raura der Natur neubelebend durchdringen, der erldsungsbedurftigen
Menschheit eine neue Sprache lehrend. Ober alle Denkbarkeit des Be-
griffes hinaus offenbart uns der tondichterische Seher das Unaussprechbare:
wir ahnen, ja, wir ffihlen und sehen es, dass auch diese unentrinnbar
dunkende Welt des Willens nur ein Zustand ist, vergehend vor dem Einen:
„Ich weiss, dass mein Erloser lebtl"
Digitized by
Google
Schluss
II. Akt.
Personen:
Ahasver.
Andrea, ein junger Busser.
Ein reicher Alter.
Sein Weib.
Eine junge Mutter.
Ihre Kinder.
Marco 1
Vannina / E,n Llebes P** r -
Ein Bussprediger.
Der Obernarr.
Volk von Rom in alien Gestalten.
Rom unter der Regierung Kaisers Otto des Dritten im J ah re 1000, am letzten Tage.
Platz mit Hiusern recbts und links und der Front einer erleucbteten Kirche im
Hintergrunde. Nacbt. Sterne, Fackeln und Licbt in den Hiusern. Das Niveau des
Platzes erbebt sicb in Mannsbdbe vom Publikum in ganzer Breite der Bubne. Recbts
vorn fubrt eine Treppe binauf. Links vorn (in der ersten und zweiten Kulisse) ein
Girtcben, das an ein bescbeidenes Haus grenzt. Beim Aufgeben des Vorhangs sitzt
der junge, bleicbe Andrea in dem Girtcben fiber einem Pergament, beide HInde auf-
gestutzt, unter denen das Gesicht fast ganz verscbwindet. Auf der Treppe kauern
einige Bettler, darunter eine Mutter, ibr TScbtercben auf dem Arm, neben sicb ibren
vierzebnjlbrigen Sohn.
Gesang aus der Kirche.
Dies irae, dies ilia,
Solvet saeclum in favilla,
Teste David cum Sibylla.
Confutatis maledictte,
Flammis acribus addictis,
Voca roe cum benedictis.
Qui latronem absolvisti
Et Mariam abdixisti,
Mihi quoque spem dedisti.
Digitized by
Google
A
188
DIE MUSIK III. 21.
Die Mutter (ihr Kind tuf den Armen wiegend).
Schlaf, mein M&gdlein, schlaf mir ein,
Bald vertraumt sind Not und Pein.
Bdse Mutter musste stehlen.
Sollte ihrem Kind nichts fehlen.
Doch ein lilienweisses Kleid
Halt Maria dir bereit,
Alle Heil'gen sind dir gut —
O wie suss mein M&gdlein ruht.
Der Sohn. Mich hungert, Mutter.
Die Mutter. Lass du den Leib
Und bereite die Seele. In einer Stunde
Wissen wir nichts von Brot und Wein —
Wird mein Junge geduldig sein.
Der Sohn. Doch der Hunger tut web.
Die Mutter. Noch schSrfer brennt
Das hdllische Feuer.
Der Sohn. War* alles zu End!
Die Mutter (singt wieder).
Nur noch eine kurze Frist!
Wenn du wieder munter bist,
Spielst du mit den blonden Englein,
Rosenrot sind ihre Wanglein.
Wo die goldnen Briinnlein springen,
Horst du sie ihr Liedchen singen,
Tritt nur keck in ihre Reih'n.
O das wird ein Festtag sein!
(Am Fenster oben links crscheint ein rtbiater Alter, neben ihm seine hlnderingende
Frau. Der Alte schleudert sein Hausgerlt aus dem Fenster.)
Der Alte. Was soil der Plunder,
Der uns umengt,
Der Hdllenzunder ?
Zum Fenster den Quark.
(Er deutet zu Andrea hinab.)
Der heilige Mann dort weiss Bescheid.
Der hat mich belehrt.
Die Alte (schreiend). Das geht mir ans Mark.
Pippo, Pippino,
Mann, sei gescheit.
Der Alte. Guldene Becher,
Silbene Kruge,
Digitized by
Google
^Ss.
180
BULTHAUPT: AHASVER
Fruchte die Fulle
Und Wein zur Genuge.
Der Sohn. Sieh nur, Mutter.
Die Mutter. Luca, du bleibst.
Der A he. Seide, Brokate,
Schnurleib und Spiegel —
Die Alte. Mein Hochzeitskleid —
Der Alte. Und der kupferne Tiegel.
Persisches Wasser,
Rosenessenzen,
Weg damit, weg!
Der Satan riecht doch
Wie Schwefel und Pech,
Dem hilft nichts auf,
Und im Himmel verpestet
Der susseste Duft
Aus irdischen Blumen
Den Engeln die Luft.
Kleider aber, Kleider —
Sei's droben, sei's drunten:
Dort braucht man keine Schneider.
Die Menge (die sieh sammelt). Sieh da — ein Gescheiter
Nur her, nur weiter —
Ei, lass doch das Raufen —
Mir triefen die Haare —
Der Wein ist zum Trinken,
Nicht aber zum Taufen —
Das Ringlein, wie zierlich!
Opale, Turkise —
Orangen aus Watte,
Sind kunstliche Bruste,
Signoras Buste —
Die Kuchen — nur mehr —
Die silberne Platte —
Ein Schweinskopf drauf —
Nun, nicht so gedritagt.
Die Puffe nimm wieder —
Da hast du sie — Au!
Evviva der Geber,
Evviva die Fraul
Die Welt geht unter,
Digitized by
Google
190
DIE MUSIK III. 21.
Wir sind es zufrieden,
Bei Wein und TMnzen,
Da stirbt es sich munter!
(Allgemeines Gejoble. Die Menge lagert sicb za Schmaus und Trank. Die Mutter
mit den Ibrigen ist verschwunden. Die Treppenstufen sind alle besetzt. Ein junges
Paar stellt sicb zu Sang und Tanz auf.)
Marco. Sag', Vannina, welcher Zaubertrank
Machte mir die arme Seele krank?
Feuer spruht aus Lisas Augenpaar,
Volier bliiht Giocondas schwarzes Haar,
Leichter schwebt Filippas Fuss dahin,
Treuer ist Lolottas sanfter Sinn.
Bist die Frechste auf der ganzen Welt,
Doch der Teufel weiss, dass keine, keine
Mir wie du, Vannina, wohlgeffillt.
(Refrain und Tanz.)
Vannina. Weisst du, Marco, was in aller Welt
Mich so fest an dich gebunden hilt?
Traf dein Dolch schon manches Herz zu Tod,
Litt durch dich schon manches Madchen Not,
Raubte mancher Schnurrbart mir die Ruh,
Mancher Jager kusst so gut wie du.
Bist der Wusteste in Wald und Feld.
Doch der Teufel weiss, dass keiner, keiner
Mir wie Marchettino wohlgef&llt.
(Refrain und Tanz.)
(Von recbts oben kommt ein Zug von Narren, zwei verbullte Gestalten in der Mitte.)
Der Obernarr. Tod und Teufel ruft ihr an?
Ei, ihr seid mir grad die Rechten.
Diebsgesindel, Trunkenbolde.
Tagediebe, Liebesholde!
Tod und Teufel sind erschienen,
Euch nach Wtirden zu bedienen.
Harret denn mit Zfihneklappen,
Wen sie sich von euch erschnappen.
(Tod und Teufel nehmen die Kopfhulle ab. Es sind grotesk-komiscbe Figuren.)
Die Menge. Ach, mir straubt sich schon das Haar —
Gnade, vielgestrenges Paar.
Der Obernarr. Still, sie miissen meditieren,
Ehe sie sich resolvieren.
(Tanz von Tod und Teufel.)
Nun, Herr Tod, beliebt die Wahl?
Digitized by
Google
^a
£L
101
BULTHAUPT: AHASVER
Dcr Tod (tupft der ganzen Scbar ein schwarzes Mai auf die Stirn.)
Die Menge. Alle? Alle? Allzumal?
Der Obernarr. Kann nicht einer unter diesen
Sich ein besser Los erkiesen?
Der Tod (tpricht laut und mit komischer Energie).
Nein!
Die Menge (weint kllglicb).
Obernarr. Aber unter diesen Seelen,
Die sich jetzt so bitter qualen,
Sind gewiss doch ein'ge Brave
Frei von Schuld und Hdllenstrafe —
Trefft, Herr Teufel, Eure Wahl!
Der Teufel (tupft alien ein rotes Mabl tuf die Stirn).
Die Menge. Alle? Alle? Allzumal?
Obernarr. Kann nicht einer unter diesen
Sich ein besser Los erkiesen?
Der Teufel (wie oben der Tod). Neinl
Der Obernarr. Ja, dann heisst's Geduld und Schweigen,
Richtet euch zum Totentanz,
Fackel ist der Teufelsschwanz
Und der Tod wird euch eins geigen.
Wir als eure Leibeskorte,
Geh'n nur bis zur Hdllenpforte.
(Der Teufel zundet seinen langen Kuhscbwanz wie eine Fackel an und tritt an die
Spitie, dann kommt der Tod geigend, dann die Menge paarweise, endlicb die Narren.
Sie schreiten im Kreise, tanzen rascta und rascber, bis ihnen der Atem vergeht und
sie lacbend zu Boden sinken. In ihrem Zuge sind auch die Masken von Papst, Kaiser,
BiscbSfen, Arzten, Juristen usw.)
Ein Bussprediger (tritt pldtzlich unter sie).
Verworfenes Gescblecht!
Krieche denn bin am Boden t
Verspiele der Seele ewiges Heil
Urn ein Wachsgesicht
Und ein Narrenseil!
Noch ist es Zeit.
Ein Stundlein kaum,
Und der Mantelsaum
Des ewigen Richters
Wirbelt dich auf
Und fegt dich dahin
Wie durre Spreu
In den hdllischen Herd.
Digitized by
Google
192
DIE MUSIK III. 21.
e#
Tut Busse! tut Busse!
Seid gewarnt, seid belehrt,
H6ret mein Wort
Und folget mtr nach.
Die Menge (kleinlaut geworden).
Bald so — bald so —
Je nun, man probiert's —
Wir hdren und schweigen,
Und ob es uns nutzt —
Bald wird sich's zeigen.
(Sie folgen dem Prediger. Die Bubne wird ganz leer. Nur Andrea sitzt un-
beweglich.)
Gesang aus der Kirche.
Recordare, Jesu pie,
Quod sum causa tuae viae,
Ne me perdas ilia die.
Oro supplex et acclinis,
Cor contritum quasi cinis,
Gere curam mei finis.
Ahasver (1st yon oben aut dem Hintergrunde langsam vor- und herabgekommen
und lehnt nun am GeUnder in balber Hdhe der Treppe.)
Der gleiche noch,
Und doch ein andrer
Zum andren Male
Setz' ich den Fuss
Auf diesen Grund,
Der ewige Wandrer.
Denn die Kraft nutzt sich ab
Und die Lust erlahmt,
Und immer neu
In der Zeiten Flucht
Bleibt der Wechsel allein,
Sinnlos und kraus.
Denn die Macht obsiegt
Nicht der Schwiche — nein,
Die Laune regiert,
Der Widerspruch,
Den Willen der Welt,
Sie sind statt Gesetz
Und Gdtterspruch.
Digitized by
Google
193
BULTHAUPT: AHASVER
Du, die du spanntest
Die Volker ins Joch
Und Zion zertratst und zerstortest,
Dass Jerusalem sank
Und Israel floh
Wie ein Reh,
Von den Schwfirraen
Der Adler gehetzt —
Was bist du jetzt,
Gewaltiges Rom?
Deine Tempel verfallen,
Die Saulen gesturzt,
Dein Leben dem Tode zum Raub.
Der Gekreuzigte hat
Den durchstochenen Fuss
Auf die Brust dir gesetzt,
Und du kriechst vor dem Sieger im Staub.
Von Haupt zu Haupt
Geht der Siegeskranz
Von Geschlecht zu Geschlecht —
Doch immer noch wfihrt
Jehovas Schmach
Und immer noch steigt
Das verachtete Kreuz
Von Berg zu Berg
Und ich werde zu schanden
An seiner Macht,
Wie Israel selbst,
Ein machtloser Zwerg. —
Und waV es doch? —
Er wire der Herr,
Der Verheissene er,
Der Messias, der uns geweissagt ist?
Und er fuhre daher
Um die Stunde der Nacht
Mit dem himmlischen Heer
In der Konigspracht?
Er sammelt die Seinen auf seiner Bahn?
Und sein tausendjahriges Reich bricht an?
Wahn! Wahn!
Lass sie flustern und schrei'n.
HI. 21. 13
Digitized by
Google
Se.
104
DIE MUSIK III. 21.
Mein Wille baumt sich
Wider den Trug,
Und mein Herz schreit: nein!
Andrea (richtet sein Haupt von dem Buch tuf und siebt in mhiger VenQckung
empor).
Huter, sprich,
1st die Nacht schier hin?
Ahasver (ist vollends heruntergestiegen).
Riefest du mich?
Andrea. Wache mit mir.
Ahasver. Bliebst so allein?
Andrea. Mein kranker Fuss
TrSgt mich nicht weit,
Die Mutter, die Bruder
Beten im Dom.
Ahasver. Nun harrst du ihrer?
Andrea (erstaunt). Ihrer? Nein.
Des Herren harr* ich,
Dessen, der kommt.
Ahasver. Bin ein Fremdling und unbelehrt.
Hilf mir verstehn.
Andrea (visionlr).
Die Stunde schlug,
Die Zeit ist da.
Schon kamen auf feurigen
Rossen geritten
Die furchtbaren Reiter,
Krieg und Hunger,
Seuche und Tod.
Den Kaiserreif
Um das junge Haupt,
Mit dem Schwerte traf
Der Antichrist
Den Verweser des Herrn.
Greuels genug.
Das Mass ist voll.
Die Zeit ist gekommen,
Die Stunde ist da.
Ein furchtbares Drdhnen —
Die Welt bricht ein —
Wie Sturmwind ein Schrei'n,
Digitized by
Google
So.
195
BULTHAUPT: AHASVER
Ein Jammern und StShnen,
Das Winseln der Bdsen:
Frist — Gnade!
Wer wird uns erlosen?
Ein kurzes Erbarmen!
Doch zungeln die Flammen
Die Frevler hinab
In den kochenden Schlund,
In das Hollengrab.
Zu seinen Erw&hlten aber spricht
Der Heir: steigt empor
Zum ewigen Lichtl
Und alles Gebresten
1st von uns gewichen
Der Blinden_Augen sind aufgetan,
Der Lahme hiipft
Wie ein jauchzendes Kind,
Und zu dem Tauben
TrSgt der Wind
Das leise Tonen der Sternenbahn.
Dann riistet der Herr den Gerechten das Mahl
An marmornen Tischen,
Von Blumen umrankt.
Von selber fullt sich
Der goldne Pokal
Mit purpurnem Wein,
Wie das Herz ihn verlangt.
In kristallenen Schalen
Dringt Frucht sich an Frucht,
Melonen gleich Sonnen,
Orangen wie Monde,
Und frei doch von lastender Erdenwucht.
Leicht alles wie Luft
Und holder der Duft
Als menschliches TrSumen ersonnen.
Und siisser als irdische Pfeifen und Geigen
Beim himmlischen Fest
Tont der Engel Gesang
Zum seligen Schweigen
Und Kdnig Davids Harfenklang.
O Bruder, das alles zu schauen!
13*
Digitized by
Google
196
DIE MUSIK III. 21.
Ahasver. Freund,
Ich bin kein Christ.
Andrea (enttetzt aufepringend). Unseliger dann,
Bekennst du ihn nicht
Noch jetzt — noch jetzt —
Ahasver (ruhig). Juda gebar mich.
Andrea. Juda gebar
Auch den Helden der Welt,
(auf die Knie sturzend)
O, ihn zu befrei'n aus den Schlingen des Bdsen —
Herr, mein Gott, ihn zu erldsen,
Hilf mir, hilf — Sieh\ ich ringe rait dir
Um diese Seelel
Ahasver. Lieber, lass!
Stimmen aus der Kirche. Miserere nobisl
Andrea. Nicht vor den Hochsten darf ich treten
Ohne dich — schon schldgt die Glocke
Den letzten Schlag — du bist verworfen —
RuP ihn an — ruP an — ruP an —
Seinen heiligen Namen — du zauderst — web I
Aus der Kirche (immer dringender).
Miserere nobis — miserere nobis,
Andrea. Die Zeit ist erfullt — Miserere nobis,
Miserere nobis, dominel —
(Vdllige Stille. Generalpause. Andrea Iiegt im stummen Gebet. Ahasver stebt bocb
aufgerichtet. Nach einer Wcile Sffnet sich die Kirchentur. Eine bocbgewacbsene
Frau tritt heraus, die, als traute sie ihren Sinnen nicht, sich vorwlrts tastet, dann
zum Himmel blickt, sich zu Boden wirft und die Erde mit ausgebreiteten Armen zu
umfassen sucht. Andre folgen, zuerat schuchtern, dann der Gewissheit frob, dass die
Welt unverwandelt ist. Die eraten Lebensregungen im Orcbester schwellen immer
mlchtiger an.)
Einige. Nichts?
Andere. Nichts.
Die Erde liegt ruhig wie zuvor,
Der Himmel funkelt von Sternen.
Bussprediger (kommt von links und kann aich der Andringenden kaum erwehren).
Des Herren Wege sind wunderbar.
Er hdlt das Schwert des Gerichtes gezuckt,
Noch jammert ihn der reuigen Welt
Und er steckt es zuriick in die Scheide.
(Mit den Begleitern nach rechts ab.)
Einer. Das heisst doch aber die Menschen vexieren.
Ein andrer. Was sagt der Pfaff?
Digitized by
Google
197
BULTHAUPI": AHASVER
Ein dritter. Nichts. Ammengew&sch.
Die Mutter (mit den Kindern, seufzend).
Nun heisst es wieder betteln und stehlen.
Vannina. Ei, Marchettino, da wSrst du ja wieder.
Marco. Stoff in Fulle fur neue Lieder.
Eine Frau. Gevatterin Nina —
Eine and re. Ich atme auf.
Eine dritte. Ich konnte mich bosen. Dies Tormentieren,
Dies Placken und Schinden um eitel nichts,
Das war doch kein Vorschmack des jiingsten Gerichts.
Ahasver (zu dem wie geistestbwesend dastehenden Andrea).
Jiingling, wach auf!
Andrea (aufschreckend). Die Stimme des Herrn.
Meister, ich komme.
Ahasver (scharf). Der Meister blieb fern. —
Im Stundenglas verrinnt der Sand.
Eine neue Stunde webt und spannt
Die FMden zur alten
Heruber, hinuber.
Das Rad der Zeit
Rollt den gleichen Lauf.
Armserger, schau auf.
Dein Orakel trog,
Dein Prophet — er log,
Dein Glaube zerbrach.
Dein Nebelreich,
Wie auf Golgathas Hoh'n
Ward Spott und Schmach.
Die Winde pfeifen
Den flatternden Fetzen
Das Schelmenlied nach.
(Er verllsst ihn und steigt langsam die Treppe hinauf.)
Die Alten (aus dem Anftng des Aktes).
Mein Gut, mein Geld!
Ich geschlagener Mann,
Ich geschlagene Frau.
(Er droht zu Andrea herab.)
Du hast mich belogen,
Wahnwitziger Bursch,
Nun bin ich ein Bettler,
Pas bussest du mir!
Digitized by
Google
108
DIE MUSIK III. 21.
Die Alte. Doch du wolltest nicht horen,
Als ich dir wehrte —
Du Gimpel!
Der Alte. Du Drache!
Ich liess mich betoren.
(Er droht wieder zu Andrea.)
Dem Schurken da Rachel
Mein Kraftelixier !
Die Alte. Meine Schdnheitspomade!
Der Alte. Der kupferne Tiegel!
Die Menge. Wie schade! wie schadet
Die Alte. Der venetische Spiegel —
Der Alte. Der Ring aus Florenz —
Die Menge. Wie schade, wie schade!
Die beiden (wfitend). Ach, treff euch Aussatz
Und Pestilenz! (Ab ins Haus.)
Andrea (irr). Davids Harfe —
Der goldne Ton!
(Eine Schar Raufbolde von rechts oben.)
Einige. Zum Teufel die Pfaffen, die uns genarrt.
Wir schlagen sie nieder!
Die Schar. Nieder, nieder!
Einer. Im Keller da drunten
Hockt auch solch ein bleicher
Verdrehter Geselle.
Ein andrer. Der heilge Andrea!
Den lasst in Rub.
Andre. Wir bringen sie ihm.
Der vorige. Zuriick.
Die andren. Stosst zu!
(Sie ermorden Andrea und sturmen we iter.)
Ahasver (von oben zu dem Toten herabblickend.)
Du Arraer, du Armer!
O konnt' ich wie du
Fur ein Hoffen verbluten!
Doch soil es nicht sein,
Und wandern muss ich,
Wandern — mich frostelt —
Fremd und allein!
(Er geht.)
(Unterdessen hat sich von alien Seiten das Volk gesammelt. Der Platz 1st von Lichtern
und Fackeln Gberhell.)
Digitized by
Google
199
BULTHAUPT: AHASVER '^ < ^jj
^
Allgemeiner Chor. Leben! Leben! Das Leben wird wach!
Das ist ein Auferstehungstag,
Ein Osterfest zur Neujahrszeit.
Nun fort mit Toten- und Stcrbekleid,
Mit Bussgeplarr und Reu und Leid!
Versenkt die Nacht in Strdmen von Licht,
Mit Laub und Blumen karget nicht.
Urmutter rustet zu Tanz und Sprung,
Der heilige Vater selbst wird jung.
Leben! Leben!
Wir haben gcachzt, gestdhnt und gebangt
Und die Stunden verweint
Um ein leeres Nichts.
Des Lebens Schatten ist der Tod,
Ist ein Kehrbild des Lichts.
Je heller es scheint,
Desto dunkler er droht.
Ein Trug des Gesichts,
Ein Nichts — ein Nichts. —
So lasst sie denn scheinen zu Saus und Braus,
Die Sonne des Lebens — den Tod lacht aus!
(Der Vorhtng flllt.)
III. Akt.
Personen:
Ahasver.
Burgfriulein Maria.
Agnete, ihre Scbaffnerin.
Der rote Michel.
Bauern und Bluerinnen. Kinder.
Das Plateau einer deutscben Ritterburg im 16. Jahrhundert. Den Hintergrund nimmt
rechtt das Schloss ein, zu dessen Tor einige Stufen binauffQbren, links davon eine
breite Altaoe. Vorn Garten, der sich rechts in einen Wald verlluft. In der dritten
Kulisse rechts eine hocbgewachsene Linde, an deren Fuss ein mlchtiges Kruziflx,
das Haupt des Gekreuzigten zum Schloss hingewandt. Darunter eine kleine mit
Polstern belegte Ruhcbank, davor ein einfacher kleiner Holztiscb.
Vpn vera links fubrcn Stufen herauf, die Ahasver (der unverindert geblieben, nur
bleicber als fruher ist) zu Beginn des Aktes heransteigt.
y^V y^V *~^ I y-V
Digitized by y
-Google
200
DIE MUSIK I1U21.
Ahasver. Ein kurzes Schreiten noch — da liegt die Burg,
Und dorthin offnet sich der Blick ins Tal.
Mein Fuss steht fest; noch spannen sich die Sehnen
Wie einst zu Junglingsschwung und Mannestat.
Doch ward die Seele mud, zum Tode mud,
Denn Meer und Erde kunden mir nichts Neues,
Und nach dem Ufer sehnt sich dieser Strom,
Der einst so wild geras't.
(Er bat sich unter die Linde gesetzt.)
Wie herrlich prangt im Sommerkleid
So Berg als Wald. Die Luft wie rein!
Ein weisses Wolkchen teilt allein
Des Himmels blaue Ewigkeit.
Das Kornfeld rauscht, es streut der Hag
Den Rosenodem fiber das Feld,
Und in des Kreuzes Schatten bait
Die Menschheit ihren Feiertag.
(Er steht auf.)
Doch nein. Da rasseln Trommeln, horch, da gellt
Die Pfeife, mordbegierig ziehn sie aus,
Und fur den Glauben tobt der grimme Strauss —
(zum Himmel deutend)
Fur dich, in deinem Namen — Katholik
Und Protestant — und „einer nur hat recht" —
Mich ubermannt's — o torichtes Geschlecht.
(Er ist in den Hintergrund getreten und lauscbt.)
Chor (von unten herauf).
Bundschuh ! Bundschuh !
Jetzt, Junker, zieh den Helmbusch ein,
Was hoch geragt, das wird heut klein.
Kein feister Pfaff vertrdst't dich nit,
Becher und Schussel nehmen wir mit.
Mann fur Mann!
Evangelische Bruder, voran.
Ahasver (wendet sich, als wolle er an seinen Platz zuruck, gcwabrt das Kruziflx
und stockt).
Sieb da — dich sah' ich nicht. So bielt aucb ich
Zum erstenmal in deinem Schatten Rast.
Du horst das Kriegsgeton, du horst den Sang.
War das <fein Wille, der du mich so mild
Gestraft, du Sanfter? Sje verfilschen dir
Digitized by
Google
^Ss.
201
BULTHAUPT: AHASVER
&
Das reine Wort. Du hattest deinen Tisch
Fur Arm und Reich gedeckt und wusstest nichts
Vom Worfgezank, nicht durch den Glauben hast du
Gesiegt, mir zu Gericht und Hohn,
Du siegtest durch Wie kommt's, dass mich dein Blick
Mit heissen Lebensstrahlen trifft und hilt?
Was fragt dein Auge mich? Ob ich zu dir
Den Weg gefunden? Ach, mir hat noch nie
Sich liebend Wang* an Wange gelegt,
Mich liebend nie eine Hand gepflegt,
Ein Schatten, sch reck haft, kalt und bleich,
So schritt ich durch der Menschen Reich,
Zur Rechten die Furcht, zur Linken das Grau'n,
Und nun, da ich mud' geworden und alt,
Nun fang' ich an die Wahrheit zu schau'n:
Unser stolzestes Erdenhoffen ist Staub,
Kein Glaube, der nicht des Irrwahns Raub;
Was siegt — was bleibt — ?
Unsichtbarer Chor (ppp). Die Liebe.
Ahasver (rum Kruzifix).
Sprach das dein stummer Mund? klang das die Luft —
Der Wald — das Tal — ?
Ich sehe durch Nebel, Schutt und Gestein,
Eine Blume rot, wie ein Blutstropfen klein,
Der sickernd dir die Stirne benetzt,
Als sie die Dornen blutig zerfetzt —
Die durchduftet das Weltengetriebe.
Uusichtbarer Chor (ppp). Die Liebe.
Chor (aus der Tiefe). Jesus Maria!
Als Ritter stehn wir und Rittergesind
Zu der heiligen Frau und dem himmlischen Kind,
Wer ihr vieltreue Minne bot,
Den schirmt sie in Gefahr und Not,
Doch wer sie kritnkt,
Der sei in den hollischen Pfuhl versenkt.
(Ahasver ist in den Hintergrund getretcn und langsam hinter den Biumen links
vcrschwunden. Unterdessen kommt Maria aus dem Schloss, mit ihr Frau Agnete
und eine Schar von Frauen und Kindern, die Brot, Flascben, Kdrbe usw. tragen.)
Maria (zu einer Frau).
So fest hing an dem Kind sein Herz?
Die Frau. Ach, 's ist ein ungerechter Schmerz.
y^V y^V *~^ I V-V
Digitized by y
-Google
202
DIE MUSIK III. 21.
Er sitzt wie starr, die Tote im Arm
Und lisst sie nicht, schmiht Gott und Welt
Und wahnt, ein Zauber habe sie ihm
Verderbt. Selbst euer schont er nicht,
Der Rasende, in seinem Harm.
Ich, die das JVUgdlein mit Schmerzen geboren,
Hab' sie, weiss Gott, nicht so hart verloren.
Maria. Hatte statt meiner Kriuter mein Blut
Heilung gebracht, ich ha*tf es gegeben.
Das Kindlein war so sanft und gut. —
Docb geht mit Gott — bald seh' ich nach. —
So, Kinder, so — Hier die Arznei,
Der Krug mit Wein und das weisse Brot.
Macht's euch Beschwer?
Die MIdchen. Es hat nicht Not.
Maria (zu einem andren Mldcben).
Das Leintuch hab' ich selber gewirkt
Fur des Bruders Wunden, Lena — Nur
Das Wasser nicht sparen!
Lena. Sorget nicht!
Maria (sich verabschiedend). Ade! ade! (Zu Frau Agnete, die alt
Schaffnerin gewaltet) 1st das Spinnrad ge rich ft?
Agnete (setzt das Spinnrad an die Bank unter der Linde).
Wohl, wohl! — Doch solltet ihr endlich ruh'n.
Maria (llcbelnd). Nennst du dies Arbeit?
Agnete. Ihr zehrt euch auf.
Maria. Nur bis zu der nachsten Stunde Lauf.
(Agnete gebt ins Scbloss.)
Maria (singt zum Spinnrad).
Faden kommen, FMden schlingen
Sich zum Liebesband zusammen,
Spruht mein Ridchen zarte Funken,
Aus den Funken werden Flammen.
Eint zum Ganzen alles Kleine,
Dass die Liebe stark erscheine,
Auch die hartsten Felsen bricht
Feuersglut aus Funkenlicht.
[Oder statt dessen:
Komm, mein Voglein, und hoi' dir zum Nest
Ein paar Fldckchen vom Rocken,
Bleibt genug auf das Weihnachtsfest
Digitized by
Google
203
BULTHAUPT: AHASVER
Fur klein Hanschen zu Socken.
Geht's nach mir und pfliickst du ihn kahl,
Ei, so soil mich's nicht sorgen,
D&chte mir, ihm wiichse das Haar
In der Nacht bis zum Morgen.]
Ahasver (kommt fiber die Altane zuruck nach vorn).
Maria (leicht auffahrend).
O, bin ich erschrocken —
Ahasver. Ich gehe —
Maria (ihm entgegeo). Nein,
So war's nicht gemeint. Du suchtest bier Rast,
Sie ist dir gewahrt. (Sie ttutet die Glocke).
Nur furcht' ich fast,
Der Platz wird zu eng, denn die Burg ist voll
Von Kranken, die uns der Krieg gebracht,
Der leidige Krieg.
Ahasver (finster). Ich will ja nichts
Von Euch. Auch sucht' ich nur kurze Ruh —
Maria. Ei was, die Fatten aus der Stirn
Und den Blick auf mich.
(Sie fubrt ibn an der Hand zum Tiscb und l&sst ibn sicb ibr gegeouber setzen. Eine
Magd ist unterdessen von Maria mit einer Bestellung entlassen und mit Wein und Brot
zuruckgekebrt. Wie Ahasver den Blick zu Maria ertaebt, zuckt er zusammen.)
Nun setz' dich zu mir.
So! Teile das Brot und trinke vom Wein
Und sei frohlich in Gott unsrem Herrn.
Ahasver. Hier atmet der Friede.
Maria. Drohte nur
Der Krieg nicht so nah ! Das ganze Land
Brennt lichterloh — ibr saht es wohl selbst.
Vater und Bruder zogen ins Feld,
Die Knechte mit ihnen. Ein Alter nur
Steht mir treulich zur Seite. Da fib* ich mich nun
In Lieb' und Geduld und vertraue dem Herrn
Mein Haus und mich: —
Ibr wandert wohl viel?
Ahasver. Ich wandre, ja.
Maria. Und seid auf dem Weg
Zur Heimat?
Ahasver. Nein. Die ward mir zu Asche,
Und eine neue find' ich nicht.
Digitized by
Google
204
DIE MUSIK III. 21.
Maria (aufmerksam werdend).
Ihr seid ihr wohl naher als Ihr glaubt.
Ahasver. Wie meint Ihr das?
Maria. Ihr wandert schon lang?
Ahasver. Lang — lang! Es ist ein Wunder dabei,
Euch wurde grau'n.
Maria. Vor einem Wunder,
Das Gott gewollt? Wie redet Ihr nur!
Ist denn nicht alles ein Wunder urn uns?
Der Sternenreigen ? Die sprossend^ Saat?
Der Schmetterling, der aus schlechtem Wurm
Sich zur Lust der Augen verwandelt, wenn er
Das Gespinst verlMsst? Das Leben, der Tod —
Gibt es grossere Wunder?
Ahasver. Doch graut Euch vor
Dem Tod?
Maria. Er ist Gottes. Mir graut nicht vor ihm.
Ahasver. Doch vor dem Leben, wenn es sich lang
Und langer dehnt —
Maria. (innerlich angespannt). Vor seinem Thron
Sind tausend Jahre wie ein Tag
Und ein Tag wie tausend Jahre. Was er
Den Menschen bestimmt, ist wohlgetan.
Und die es entschleiert — die Stunde wird nah'n.
Beide. Ein seltsam Schauern ist urn mich her,
Als umrauschten die Flugel des Hochsten mich,
Ein Ahnen, heilig, ernst und schwer —
Was es auch sei — ich beuge mich.
(Agnete kommt eilig.)
Agnete. Fraulein — verzeiht — mir ist so bang —
Es hat schon lange rumort und gegMrt —
Jetzt bricht es los!
Maria. Was, liebe Alte?
Agnete. Aufrtihrer sind's, von den Bauern ein Scbwarm,
Der rote Michel fubrt sie an,
Dem das Tochterchen starb.
Maria. Der arme Mann!
Agnete. Er sei wie von Sinnen, so meldet uns Trude,
Des Kohlers Kleine, flucht und droht
Und scbwort uns alien hier den Tod.
Und grad ist der Burgwart hinunter zum Dorf!
Digitized by
Google
205
BULTHAUPT: AHASVER
Maria. Bleibt ruhig, Kinder!
Sie haben sich sonst
Der Gewalt enthalten und tun's wohl auch heut.
Auch taten wir ihnen ja nichts zu leid.
Doch qualt mich eins: Der Kranken Los.
Die mussen wir bergen. Tief in den Wald,
In die Kdhlerhutte. — Helft ihr, Gast?
Ein uralt Mutterchen ist dabei,
Blind und taub, schier alien zur Last —
Fluchtet Ihr die?
Ahasver. Kommt, kommt — nur rasch.
Maria. Zum hintern Tor!
Agnete (zu Ahasver).
Seid ein wack'rer Gesell!
(Sie eilen ins Schloss. Maria bleibt auf der Altane stehen.)
Die Aufriihrer (noch draussen).
Nur vorwfirts — dort — (Sie erscheinen von links vorn.)
Michel. Da waren wir denn. —
(Er erblickt Maria.)
Dich sucht' ich, dich, die dort aufrecht steht,
Als wie der Kaiserin Majestdt
Wir kommen und halten Gericht.
Maria Gericht?
Michel. Nicht wahr, die Welt hat sich umgedreht?
Das war sonst anders. Der Bauer ruft heut
Den gestrengen Herrn vor die Schranken.
Maria. Ihr wisst, die Ritter und Knechte stehn
Im Feld! Die Burg ist unbeschutzt.
Wehrlose Frauen bedroht
Kein rechter Mann.
Michel. Wehrlose Frau'n?
Maria. (stark) Nicht wehrlos, nein,
Denn Gott ist unser Schirm und Hort.
Michel. Gott? Gott? Listerin du,
Dass dir die Zunge nicht verdorrt!
Mit Zaubertranken und Hexenkraut
Bist du durch Satans Kunst vertraut,
Und zogst mir so ins fruhe Grab
Mein einzig liebes Kind herab.
Maria. Wie fuhP ich deine Herzensnot,
Du Armer, Armer —
Digitized by
Google
fe*
206
DIE MUSIK 111. 21.
Michel. Pest und Tod!
Sie hohnt mich noch! Doch hiite dich fein,
Schon manches stolze Schloss brach ein,
Und vor dem EdelfrSulein macht
Der Tod nicht Halt. (Zu seinen Genosseu.)
Nehmt ihr die Burg
Und diese lasst mir.
(Er dringt mit der Axt auf Maria ein.)
Ahasver (stfirzt aus dem Schloss und stdsst ihn zuruck).
Unseliger du —
Zuruck die Hand —
Ha ha ha ha!
Der bleiche Gesell, versteckt im Schloss,
Der Hexe Lehrer und Lustgenoss —
Geh du voran —
(beschutzt Ahasver). Er ist mein Gast —
Ruhrt ihn nicht an!
Lass, Herrin, lass,
Mich schiitzt ein Hoh'rer —
Wer wSre denn das?
Lass sehn — (Die Axt, mit der er auf ihn eindringt, zerspringt)
Da schaut — Der Spuk — o Graun —
Prallt auch die Kugel von ihm ab,
Deinem hdllischen Buhlen?
(Er schiesst. Ahasver stebt unverletzt)
Nun ist's gewiss.
Mit Augen konnt ihr das Blendwerk schau'n.
Hexe, Hexe!
Hexe, Hexe!
(zu Maria). Und bist auch du gefeit?
(Zu den Bauern, auf Ahasver deutend.)
Den bajidigt das heilige Kreuz.
(Sie halten ihm ein Kruzifix vor.)
Greift ihn und hinab in das Turmverliess
An den eisernen Ring. Dort wird er zahm.
Du aber, du, da lieg!
(Wlhrend die ubrigen Ahasver umdringen, erschllgt er Maria.)
Ahasver (reisst sich mit fibermenschlicher Gewalt los und sturzt Maria zu Hilfe.)
Herr Christ,
Michel.
Maria
Ahasver.
Michel.
Die Bauern.
Michel
Digitized by
Google
207
BULTHAUPT: AHASVER
Hilf dul
(Pldtzliche Finsternis, Donner und Blitz. Die Aufruhrcr entfliehcn. Es wird wieder hell.)
Zu spMt!
Maria (t&dtlich getroffen). Nicht so, mein Freund,
Die Zeit ist da, die Gott sich ersah.
Ahasver (ibr zu FGtsen). O Jammer, Jammer!
Maria. Du kannst auch weinen?
Und weinst urn mich?
Ahasver. Du Zarte, du Reine —
Und musst so friih dahin?
Maria. Ich bin ein Scheit nur,
Ein armes Scheit.
Das Feuer der Liebe zu heizen.
Das muss vergluh'n —
Drum sorge dich nicht. —
Doch willst du mir ein Liebes tun,
So trag mich hinuber, wo das Kreuz
Aufragt,
Und dort lass mich ruh'n,
Ruh'n und sterben.
Ahasver. Was du verlangst,
Will ich tun.
(Er trigt tie hinuber und bettet sie auf der Ruhebank so, dass tie ihn, aber auch das
Haupt des Gekreuzigten im Auge haben kann.)
Maria (mit gehobenem, visionlrem und prophetischem Ausdruck).
Ich kenne dich.
Ahasver. Du sahst mich schon?
Maria. Von der Hdhe der Graber liest
Der verlSschende Geist in den Sternen,
Raum- und Zeitenfernen
Schwinden in nichts vor ihm.
Ahasver. Mir triumt: einst traf mich schon
Dieser milden Stimme Ton.
So sprach das Weib
Auf Golgatha,
So brach ibr sterbender Laut,
Als ihr zarter Leib
In der Flammengrube versank.
Maria. Dank! Dank!
Es war der Herr,
Der aus ihr sprach.
Digitized by
Google
^L
208
DIE MUSIK III. 21.
Ahasver. Der Herr?
Maria. Der dich aufgespart,
Ein Wahrzeichen seines Siegs,
Seiner Gnade ein Unterpfand,
Und der dich zu empfangen
Die Arme ausgespannt.
Ahasver. Ein Under Sommerwind
Um meine hohlen Wangen,
So umspielt mich dein Wort.
O wende dein Auge nicht fort.
So traf mich ihr Blick,
Wie der deine mich bannt,
Unendliche Liebestiefen
Lagen auf seinem Grund —
Ich aber kehrte das Haupt
Und wandte den trotzigen Schritt,
Aber das Sehnen,
Das Sehnen zog mit.
Maria. Des Herren Auge war's,
Das aus ihr schaute,
Als du die Rast ihm versagt.
O wie sein Blick da geklagt!
Ahasver (zum Kruziflx gewandt). Sein Blick — sein Blick —
Ich sehe ihn wieder —
Maria. Es bricht durch Nebel,
Schutt und Gestein
Eine Blume rot,
Wie ein Blutstropfen klein,
Die durchduftet das Weltengetriebe.
Ahasver. Mein Erdenhoffen ward zu Staub,
Mein Glaube eines Irrwahns Raub,
Nur eines bleibt —
Maria. Die Liebe.
Und sprach ich mit Menschen- und Engelzungen,
Und hfitte der Liebe nicht,
So ware ich nichts.
Ahasver. Und wusst' ich alles Geheimnis der Welt,
Und konnte mein Glaube Berge versetzen,
Und hatte der Liebe nicht,
Ware ich nichts.
Digitized by
Google
200
BULTHAUPT: AHASVER
Maria.
Beide.
Maria.
Ahasver
Und gab' ich all meine Habe den Arraen,
Und hatte der Liebe nicht,
Wire ich nichts.
Weissagung schweigt,
Erkenntnis erlischt,
Die Liebe horet maimer auf.
Komm denn, komm, die Zeit ist erfullet,
Komm, mein Bruder, und diene dem Herrn.
(richtet sich auf und faltet die Hinde zum Gebet).
Der dich verkannt,
Der dich von sich stiess,
Der dich verfolgt mit Drohen und Morden,
(er kniet nieder)
Sieh deinen Knecht im Staube vor dir.
Der du die Liebe bist,
Nach deiner Gnade verfahre mit mir.
Maria (halb aufgerichtet).
Die himmlische Pforte rauscht.
Er offnet die Arme weit.
Siehst du, mein Bruder,
Siehst du das Licht — ?
O diese Fiille —
Ich trage es nicht —
Seine Hand —
Er legt die Hand
Uns auf,
Die durchstochene Hand —
Mir zuckt das Herz
Vor Himmelsfreude —
Bei ihm nun, bei ihm —
O Seligkeit!
(Sie sinken sterbend zuruck. Ahasvers Haupt ruht in Marias Schoss. Ober die
Szene ist der Abend hereingebrochen. Jetzt erscheinen von alien Seiten Engel mit
langen weissen Gewindern und Flugcln, Palmzweige tragend. Sie tretcn urn das
Todeslager der beiden und nehmen bald den ganzen Buhnenraum ein. Aus den
Wolken bricht ein heller Glorienschein.)
Die Engel.
Mitleidstrlnen und Opferblut
Netzen die Saaten des Herrn,
Dass sie herrlich prangen, dicht
Ahasver.
Maria.
Ahasver.
Beide.
111. 21.
14
Digitized by
Google
210
DIE MUSIK HI. 21.
Wie am Himmel Stern an Stern.
Liebe schafft, Liebe erhalt
Gottes Reich und Gottes Welt,
In ihrem heiligen Namen
Geschehe allesl Anient
Schluss
Nachwort. Es braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden, dass der Cha-
rakter des Ahasver-Stoffes, der zu einem riumlich und zeitlich geschlossenen Drama
nicht zu gestalten war, seine Einheit in der Hauptfigur und den Ideen findet, die sie
durch die Jahrbunderte begleiten. Seine mystischen Elemente aber rechnen auf die
Musik, obne deren Hilfe er bislang niemals fur das Drama und vollends f&r das
Theater zu gewinnen war. Das Recht der Komposition ist vom Verfasser, Prof.
Dr. Heinrich Bulthaupt, Bremen, zu erwerben.
Digitized by
Google
ZUR GESCHICHTE DER KONIGLICHEN
PREUSSISCHEN HOFKAPELLE
von Dr. Wilhelm A 1 1 m a n n - Friedenau-Berlin
Schluss
Dontini war also gestiirzt, aber auch nicht laoge mehr sollte sich
sein Widersacher, Graf Redern, seiner Stellung als General-
Intendant der Kgl. Schauspiele 1 ) erfreuen. Am 1. Juni 1842
iibernahm Karl Theodor von Kustner (geb. 1784), der in Mhn-
lichen Stellungen bisher in Leipzig, Darmstadt und Munchen gewirkt hatte,
diesen Posten, den er bis zum 1. Juni 1851 bekleiden sollte. Graf Redern
aber wurde zum General-Intendanten der Kgl. Hofmusik 8 ) ernannt, welchen
Rang er bis zu seinem Tode im Jahre 1883 bekleidet hat. In dieser
Eigenschaft hatte er die alleinige Oberaufsicht fiber die grosseren und
kleineren musikalischen Aufffihrungen bei Hofe zu fuhren, hatte sich aber
vor einer jeden solchen Auffuhrung mit dem General-Intendanten der
Schauspiele naher zu vernehmen, damit weder die Theatervorstellungen
noch die musikalischen Aufffihrungen bei Hofe einander benachteiligten.
Die Aufsicht fiber die Kapelle verblieb dem General-Intendanten der
Schauspiele, doch hatte der General-Intendant der Hofmusik das Recht,
auf geeignete Anstellungen aufmerksam zu machen.
l ) Graf Redern brachte von wichtigeren Opera folgende auf die Berliner B&hne:
1829 Aubet's ,Stumme von Portici" und .Braut", .Faust* von Spohr; 1830 Rossini's
.Belagerung von Corinth und .Semiramis", Aubet's .Fra Diavolo"; 1831 .Die Riuber-
braut" von Ferd. Ries, Marschners .Templer und Judin"; 1832 Herolds .Zampa",
Meyerbeers .Robert der Teufel"; 1833 Marschners .Hans Helling", Herolds .Zwei-
kampf; 1834 Bellini's .Capuletti und Montechi", Reissigers .Felsenmuhle"; 1835
Cherubini's .AH Baba", Auber's .Ehernes Pferd 44 ; 1836 Bellini's .Puritaner* und .Nacht-
wandlerin*; 1837 Donizetti's .Liebestrank* ; 1838 Bellini's .Norma*, Marschners .Des
Falkners Braut"; 1839 Lortzings .Zar und Zimmermann" und .Die beiden SchQtzen",
Adams .Bauer von Preston", Mercadante's .Schwur*; 1840 Donizetti's .Lucrezia
Borgia , Auber's .Feensee"; 1841 .Hans Sachs* von Lortzing, Halevy's .Gitarren-
spieler*, Donizetti's .Belisar" ; 1842 Auber's .Krondiamanten", Meyerbeers .Hugenotten".
*) Vgl. auch folgende Kdnigl. Kabinetsorder:
Ich bestimme hierdurch, dass in das neue Hof- und Staats-Handbuch und zwar
zwischen den dem Hof-Jagd-Amte und den Schauspielen gewidmeten Rubriken noch
eine Rubrik fur die Hofmusik eingeruckt werden soil. Unter der Rubrik .Hof-
musik" sind nichst dem wirklichen Geheimen Rate Grafen von Redern als General-
Intendanten die General-Musik-Direktoren Spontini, Meyerbeer und Felix Mendelssohn,
14*
Digitized by
Google
2.
DIE MUSIK III. 21.
Wie Konig Friedrich Wilhelm III. Spontini als Komponisten vornehm-
lich geschMtzt hatte, so liebte sein Nachfolger besonders die Musik
Meyerbeers; 1 ) dieser, dem nach der ersten Berliner Auffuhrung des
.Robert" im Jahre 1832 ehrenhalber der Titel eines Preussischen Hof-
kapellmeisters verliehen worden war, wurde nach der ersten Auffuhrung
der „Hugenotten" 1842 zum Generalmusikdirektor ernannt und seine An-
wesenheit in Berlin auf sechs Monate beschrlnkt. Wahrend dieser Zeit
sollte er die Direktion*) der Hofmusiken rait Ausschluss der geistlichen
unter Oberaufsicht des Grafen Redern ubernehmen und sich dem Ein-
studieren und Dirigieren der neuen grossen Opera eigener und fremder
Komposition widmen. Schon vorher war Felix Mendelssohn-Bar-
tholdy, wie Meyerbeer in Berlin gross geworden, nach langeren Ver-
handlungen 8 ) zunichst als Kapellmeister, spater (1842) als General-
welcher neuerdings zum General-Musik-Direktor ernannt ist, letzterer als Musikdirektor
fGr die geistliche Musik, aufzufuhren, ausserdem aber als Leiter der Kirchenmusik in
der Kapelle der Major Einbcck, aggregiert dem zweiten Garde- Regimente, und der
Musik-Direktor Dom-Organist Grell. — Zu der Kapelle der Hofmusik gehftren die
Kammereioger und Kammersingerinnen; auch ist an dieser Stelle hinter dem Names
derselben auf die Mitglieder dea Orchesters, welche verpfiichtet sind, bei der Hof-
musik mitzuspielen durch den Vermerk 9 s. Orcbester" zu verweisen, indem die sechste
Abteilung der fur die Schauspiele bestimmten Rubrik anstatt als .Kapelle" kiinfdg als
,Orchester" bezeichnet werden soil. In dieser Abteilung sind Spontini und Meyerbeer
nochmals zu nennen. Hiernach gebe ich Ihnen die weitere Veranlassung anbeim.
Berlin, den 14. Dez. 1842.
Friedrich Wilhelm.
An den
Oberkammerherrn und Staats-Minister Herrn Fursten
zu Sayn - Wittgenstein und den Staats-Minister
Grafen zu Stolberg.
Seit dem 30. Januar 1884 sind die Punktionen und Attribute des Generalinten-
danten der Konigl. Hofmusik auf den Generalintendanten der Kdnigl. Schauspiele
mitubertragen.
2 ) Vgl. meine ,Meyerbeer-Forschungen" in den Sammelbfinden der internatio-
nalen Musik-Gesellschaft, Jg. 4 (1903), S. 519 ff.
*) R. Wagner sagt in seiner Schrift „0ber das Dirigieren" (Werke, 3. Aufi.
Bd. 8, S. 267): „Da Meyerbeer recht gut verstand, was auf einen glucklichen Vortrag
ankommt, ausserdem reich und unabhingig war, hitte er fur das Berliner Orcbester
von ausserordentlicher Verdienstlichkeit werden kSnnen."
*) Vgl. hierzu folgende Kabinettsorder:
w Nach den Antrigen in Ihrem Bericht vom 27. d. M. will lch
1. den Komponisten Dr. Felix Mendelssohn zum Kapellmeister ernennen und
die Zahlung des ihm bewilligten Gehaltes vom 1. Mai d. J. ab genehmigen. Der
beabsichtigten Veranstaltung akademischer Konzerte schenke ich Beifall und gestatte
2. dass dazu ein KSniglicher Konzertsaal benutzt,
Digitized by
Google
Sa
213
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
musikdirektor der kirchlichen und geistlichen Musik nach Berlin berufen
worden, vor allem, urn an der vom Konig beabsichtigten, aber dann nicht
ausgefuhrten Umgestaltung der Akademie der Kunste, der Schaflfung einer
grossen Musikschule teilzunehmen, endlich auch, um fur den Konig die
Musik zu einigen Dramen (Antigone, Odipus in Kolonos, Sommernachts-
traum, Athalia) zu schreiben; mit der Oper hatte er nichts zu tun, wohl
aber Konzerte mit dem Orchester zu veranstalten, auf die wir spMter in
anderem Zusammenhange einzugehen haben.
Meyerbeer, der in seinen Opern nocb grossere Anspriiche an das
Orchester stellte als Spontini, nahra sich der traurigen finanziellen Lage
der Kammermusiker 1 ) sehr an; er betonte nachdriicklich, dass nicht bloss
die LebensverMltnisse schwieriger und teurer geworden waren, sondern
dass sich auch die dienstlichen Anforderungen gewaltig gesteigert bitten.
Er erreichte es, dass durch Kabinettsorder vom 5. Februar 1844 das durch
Spontini bis auf 120 Taler heruntergegangene Mindestgehalt nunmehr
wenigstens auf 300 festgesetzt, dass 1845 (20. September) unter Vorbehalt
des Widerrufs genehmigt wurde, dass zur Erlefchterung der Mitglieder der
Kapelle, die iibrigens beim Brande des Opernhauses im Jahre 1843
auch in Mitleidenschaft*) gezogen worden waren, der Dienst bei den Vor-
stellungen von Schau- und Lustspielen einmal wochentlich durch die Eleven
der Musikschule versehen wurde. Auch im ubrigen griff Meyerbeer, trotz-
dem er hSufig auf Urlaub (seit 1854 auf unbestimmte Zeit) war, vielfach
sehr fordemd in den Betrieb der Berliner Oper ein.
Bei seinem Amtsantritt fand er den schon ziemlich verbrauchten
Kapellmeister Henning vor und als Ersatz fur den eben pensionierten
Moser den Musikdirektor Wil helm Taubert (geb. 1811), der, 1841 schon
vielfach zu Vertretungen herangezogen, am 8. Mirz 1842 angestellt worden
3. in demselben eine Orgel zum Gebrauch bei den Konzerten aufgestellt und
4. Meioe Kapelle und die Solisten des Theater-Gesang-Personals zur Mitwirkung
herangezogen werden.
Das Ministerium Meines Hauaes hat von diesen Bestimmungen zur weiteren
Veranlasaung Kenntnis erhalten.
Domanze, den 8. September 1841.
gez. Friedricb Wilbelm.«
An den Staatsminister
Eichhorn.
') Im Jahre 1819 bezogen 88 Mitglieder (Kapellmeister usw.) der Kapelle
43785 Taler, 1843dagegen 104 Mitglieder (Generalmusikdirektor usw.) nur 47 237 Taler.
•) 52 Mitglieder des Orch eaters erhielten ffir ihre eigenen verbrannten Instrumente
eine Entscbldigung von zusammen 1912 Taler 15 Sgr. Die teuerste Violine (mit
Kasten) wurde mit 100 Talern, die billigste mit 9, eine Gitarre (mit Kasten) mit
40 T. bewertet
Digitized by
Google
s
214
DIE MUSIK HI. 21.
war und am 21. Dezember 1844 zum Kapellmeister 1 ) befordert wurde.
Als Hennings Pensionierung 1847 beschlossen war, versuchte Taubert —
vergeblich — durchzusetzen, dass neben ihm keln zweiter, selbstMndig
agierender Kapellmeister angestellt wurde; er wollte mit einem tuchtigen
Musikdirektor und einem geschickten klavierspielenden Korrepetitor (der
freilich damals in Berlin fehlte) die Opern ganz allein einstudieren und
leiten. Allein auf Wunsch des Konigs wurde neben Taubert Otto Nicolai
(geb. 1810) aus Wien berufen, wShrend Herr von Kustner gar zu gern
Franz Lachner aus Munchen sich nachgezogen hatte. Leider starb Nicolai,
der am 1. Marz 1848 seine Stellung am Theater und auch am Domchor
angetreten hatte, bereits am 11. Mai 1849, nachdem er mit den „Lustigen
Weibern von Windsor am 9. Marz einen glanzenden Triumph gefeiert
hatte und bereits in Streitigkeiten mit Herrn von Kustner geraten war.
Um die Stelle des Verstorbenen bewarben sich nicht weniger als 16
mehr oder minder bekannte Kapellmeister, z. B. Heinrich Dora, der da-
mals bereits 66 jihrige Konradin Kreutzer, Julius Rietz, den fruher schon
Mendelssohn empfohlen, Karl Eckert, Lortzing und Ferdinand Hiller. Herr
von Kustner empfahl Rietz oder Dorn;*) fur letzteren (geb. 1804) ent-
*) Sebr richtig urteilte der Wiener Hofkapellmeister Otto Nicolai, mit dem
1844 Graf Redern fiber den Berliner Domkapellmeisterposten verb and elte, als er an
diesen am 8. Oktober 1844 u. a. wie folgt achrieb: „Erstens mSchte ich gern zu gleicber
Zeit auch eine Anstellung am Theater haben. Es fehlt dort noch ein tfichtiger,
aktiver Kapellmeister. Meyerbeer dirigiert fast nie; Henning — wenig. Die ganze Last
des eigentlichen Geschifts liegt fast allein auf Taubert, und daa ist fGr einen zu
viel. Da die Erffillung meiner Punktionen als Domkapellmeister nicht meine Zeit
ganz hinnehmen kann, so kSnnte ich sehr gut auch noch eine Kapellmeisterstelle am
Theater verwalten. Als hiesiger erster Kapellmeister am Hoftheater kdnnte mein
dortiger Platz am Theater wohl unter Meyerbeer (als dem General-Musikdirektor),
jedoch nicht unter Henning und Taubert sein".
*) Heinrich Dorn hatte sich schon 8. April 1841, als gar keine Vakanz war,
beworben; er schrieb damals u. a. ,Wie oft mir auch die Gelegenheit geboten worden
wihrend neunjibriger Anwesenheit in Riga die hiesige Stellung anderwirts zu ver-
tauschen, so habe ich doch von derselben niemals Gebrauch machen kdnnen, da zum
Teil diese Stellung an und fur aich eine hdchst angenehme, dann aber auch durch die
damit verbundene Einnahme (als stftdtischer Musikdirektor auf Lebenszeit und zugleich
als Kapellmeister am Theater) eine so eintrigliche ist, wie sich deren wohl nur wenige
deutsche Kunstler im Vaterlande erfreuen durften. Obwohl ich daher recht gut weiss,
dass ich — falls mir das Gluck zuteil wurde, in Berlin eine meinen Fihigkeiten ent-
sprechende Stellung zu erhalten — dieselbe dennoch nur in mehrfacher Beschrinkung
meiner bisherigen Verhiltnisse antreten kdnnte, so ist anderseits die Aussicht, unter
einem wahrhaft kunstsinnigen Chef an einer mit kdniglicher Preigebigkeit dotierten
Anstalt und vor einem feingebildeten Publikum fur das Gedeihen der dramatischen
Musik nach jeder Richtung bin wirken zu kSnneo, so lockend, dass ich ohne Bedenken
diese Gelegenheit ergreifen wfirde, selbst mit Aufopferung bedeutender pekuniirer
Vorteile in mein Vaterland zuriickzukehren." Noch cbarakteristiacher ist folgende
Digitized by
Google
215
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
schied dann Meyerbeers Einfluss. Er wurde vom 1. Oktober 1849 ab, zu-
nichst auf zwei Jahre, in Rang und amtlicher Stellung Taubert gleich-
gestellt und blieb bis zu seiner Pensionierung am 1. Mfirz 1860 Kapell-
meister, hat dann aber noch bis zu seinem Tode am 10. Januar 1892 als
Gesangslehrer an der Oper und als Mitglied der Priifungskommission fur
die der General-Intendantur eingereichten neuen Opera gewirkt.
Aus Kiistners Regime, in das u. a. die Auffuhrungen 1 ) von Richard
Wagners .Der fliegende Hollander 44 und .Rienzi* (1844 bzw. 1847) fallen,
ist noch die Konigl. Kabinettsorder vom 10. Mai 1847 wichtig, wonach die
Prufung der Bewerber fur eine erledigte Kammermusikstelle immer nur
fur diese eine Vakanz gelten, nicht aber auch fur spatere VakanzfiUle
massgebend sein solle. Als 1850 der Furst von Hohenzollern-Hechingen
bei Abtretung seiner Souveranitat an Preussen seine Kapelle aufldste,
wurde Herr von Kustner angewiesen, die talentvolleren Mitglieder dieser
Stelle aus seinem Bewerbungsgesuche vom 26. Mai 1849 an den KSnigl. Hausminister:
.Wenn es bei der Wiederbesetzung des in Rede stehenden Amtes darauf ankime, das
Vollgewicht eines europiischen Namens oder ein Kom position stalent ersten Ranges an
die Spitze der Kapelle zu berufen, so wfirde ich es nicht wagen, mien bei solcher
Gelegenheit den Bewerbern anzuschliessen. Wenn aber, wie ich glaube, im vorliegen-
den Falle nur ein solcher Dirigcnt gesucht und beruckaichtigt werden wird, dessen
Fihigkeiten in dieser Richtung hin als geschickter Fuhrer grSsserer Massen sich
bereits bewihrt haben und dessen Charakter sowie humanistische Bildung Burge sind,
dass er seine nicht bloss innerhalb der musikalischen Grcnzen abgeschlossene Stellung
ehrenvoll zu behaupten imstande wire — dann glaube ich mich, ohne unbescheiden
zu sein, nach einer mehrjihrigen dffentlichen Laufbahn und infolge der inzwischen
erzielten und dem grdsseren Publikum bekannt gewordenen Resultate (1826 bei der
Kftnigsberger Bfibne, 1827—30 am KSnigl. Hofth eater in Leipzig; nach dessen Auf-
ldsung 1830—42 als stidtischer Kapellmeister in Riga und seitdem in derselben Stellung
zu Kdln, wihrend dieser Periode 1843 und 1846 Diligent des Niederrheinischen Musik-
festes) fur die erledigte Stellung am KOnigl. Hoftbeater in Berlin qualifiziert halten zu
d&rfen. Ein gfinstigerZufall hat es gewollt, dass ich mich kurz zuvoram Palmsonntage d.J.
dem Berliner Publikum als Komponist und Dirigent in meinem im Saale des Kdnigl.
Opernhauses gegebenen Konzert zu zeigen Gelegenheit hatte, und zwar mit einem
Erfolge, dass ich den musikalischen Kreisen der Residenz nicht unvorteilhaft bekannt
zu sein hoffe.*
*) Bemerkenswerte Opern, die Herr v. Kustner ausserdem aufgefuhrt hat, sind
folgende: 1842 Donizetti's .Regimentstochter* und .Linda von Chamounix*, Rossini's
.Tell*; 1843 Kreutzers .Nachtlager von Granada*, Lortzings .Wildschfitz", Auber's
.Carlo Broschi*; 1844 Adams .Kdnig v. Yvetot*, Auber's .Sirene*, Meyerbeers .Feld-
lager in Schlesien*; 1845 Mozarts .Schauspieldirektor*, Spohrs .Kreuzfahrer*, Fiotows
.Stradella*, Lacbners .Catharina Cornaro*; 1846 Halevy's .Musketiere der KSnigin*,
Karl Eckerts .Wilfaelm von Oranien* ; 1847 Halevy's »Judin", .Fausts Verdammnis*
von Berlioz (Konzertaufruhrung); 1848 Fiotows .Martha*, S. Salomans .Diamantkreuz*;
1840 Nicolai's .Lustige Weiber* und .Der Verbannte*, Halevy's, .Tal von Andorra*;
1850 Baltic's .Mulatte* und .Zigeunerin", Meyerbeers .Prophet*.
Digitized by
Google
£L
216
DIE MUSIK III. 21.
Kapelle bei Vakanzen in der Hofkapelle insofern zu beriicksichtigen, als
in deren Interesse ihr Engagement liege und durch vorzugliche Leistungen
der betreffenden Musiker raotiviert werde.
Als bald nachher Herr von Kiistner zuruckgetreten war, wurde Botho
von Hulsen (geb. 10. Dezember 1815) Generalintendant, der 35Jahre lang
diese Stellung innehaben sollte. Er hat nach Kraften fur die pekuniSre
Besserstellung der Kammermusiker gesorgt. Als sie ihm freilich im
J ah re 1855, damals 91 an der Zahl, den Entwurf zu einera verbesserten
Normalgehalt uberreichten, nachdem das Anfangsgehalt 500, das in 39 Jahren
zu erreichende Hochstgehalt 800 Taler nebst einer Zulage von 100 Talern
fur die sogen. Opernspieler betragen sollte, lehnte er die Altersklassen 1 )
zwar ab und wies auch darauf bin, dass das fur alle Subalternen ubliche
Anfangsgehalt von 300 Talern weiterbestehen musse, aber er wirkte darauf
bin, dass die 64 Kammermusiker, die damals einen Gehalt unter
600 Taler batten, aufgebessert wurden ; von nun stellte er stets mit dem
Minimalgehalt an, verteilte aber den uberflussigen Gehalt der Pensionierten ;
der Mindestgehalt stieg auf seine Veranlassung 1860 auf 325, 1870 auf
400, 1872 endlich auf 500 Taler, wozu noch seit 1872 ein Wohnungsgeld-
zuschuss von 180 Tlr. kam; auch sorgte er dafur, dass manche Stellen
durch andere Instrumente zweckentsprechender besetzt wurden, so machte
er 1857 aus der uberflussigen 12. Violoncellstimme die sehr ndtige
28. Geigerstelle, erreichte 1870 die Anstellung eines 4. Trompeters, 1872
die eines 8. Kontrabassisten, 2. Paukers und 3. Harfenisten (welche letztere
Stelle freilich 1876 in eine Bratschenstelle umgewandelt wurde). Aller-
x ) Aus Herrn von Hulsens Antwort auf die Petition seien bier folgende Stellen
mltgeteilt:
.Dass die Zahl der grossen Vorstellungen zugenommen, dadurch aber die Dienst-
leistungen aller Telle sich vermehrt haben, lisst sich nicht ableugnen, ebensowenig,
dass die Preise der notwendigsten Lebensbedurfnisse seit 2 Jahren eine solche Hdhe
erreicbt haben, dass sie auf alle Schichten der menschlichen Gesellschaft mehr und
minder . . . einwirkt.
... Bei einer Kunstanstalt wie das Kgl. Theater kann das Dienstalter nicht
allein als das vorwiegende Prinzip massgebend seio.
Knfipft sich an das Dienstalter nicht auch die Geschicklichkeit, das Talent, der
Fleiss, das Bestreben nach weiterer Vervollkommnung, so dfirfte derjenige, der seine
schwachen Talente kennt, der sich schont, der fiberhaupt nur so wenig tut, als er
ungestraft tun und leisten darf, dennoch versichert sein, mit Zeit und Musse das
bftchste Gehalt zu erzielen. Die Verschiedenheit der Instrumente, das Verhiltnis der
unter ihnen bestehenden Schwierigkeiten wird dabei gar nicht in Betracht gezogen, es
kdnnte sich ereignen, dass der Pauker eins der iltesten Mitglieder werden wfirde —
sein Instrument lisst eine solche Qualifikation vor alien andern zu — dann wfirde er
auch zum Genusse des hSchsten Gehalts berechtigt sein. Ebenso wenig wird der
besonderen Kunstfertigkeit Rechnung getragen . . .•
Digitized by
Google
217
^ ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE Q ,
dings darf nicht vergessen werden, dass diese Stellen und die Gehalts-
aufbesserungen deswegen sehr notwendig waren, weil Herr von Hulsen
statt der bis dahin ublichen wochentlichen 2 Opernvorstellungen seit An-
fang der sechziger Jahre taglich die Oper spielen liess ; diese grosse Mehr-
anstrengung wurde dadurch in keiner Weise kompensiert, dass er die
Zwischenaktsmusik ira Schauspielhause abschaffte ; auch wurde der Dienst,
besonders seitdem Richard Wagners *) Werke immer hSufiger gegeben wurden,
immer anstrengender; die Proben und Auffuhrungen der gleich falls sehr
langen Meyerbeer-Opern erforderten immer mehr Zeitverlust. Wihrend
Herr von Hulsen ubrigens anfitaglich bei der Besetzung erledigter Stellen
in der Kdnigl. Kapelle auf die schon lingere Zeit im Theaterdienste be-
schiftigten Akzessisten hauptsdchlich Rucksicht nahm, liess er von 1858
ab bei alien Anstellungen, namentlich bei den Blasinstrumenten, eine
Prufung entscheiden, zu der jedermann Zulass hatte ; naturlich wurde aber
bei gleicher kunstlerischer Begabung der am langsten im Kdnigl. Dienst
BeschMftigte den anderen Bewerbern vorgezogen.
Zur Entlastung der beiden Kapellmeister Taubert und Dorn hatte
Herr von Hulsen als dritten Operndirigenten Robert Radecke (geb. 1830),
der bis dahin nur Konzerte geleitet hatte, mit dem Titel „Musik-
direktor" am 1. Nov. 1863 angestellt; fun f Jahre spMter wunschte er die
Verantwortung der Orchesterleitung in eine Hand zu legen. Sowohl Dorn
wie Taubert traten mit Ablauf des Jahres 1868 in den Ruhestand; letzterer
bekam den Titel Oberhofkapellmeister und behielt die Leitung der Hof-
konzerte*) und der Symphonie-Soireen, von denen noch zu reden sein wird.
Die Leitung der Oper bekam der bisherige Stuttgarter Hofkapellmeister
') ,Tannhauser" seit 1856, , Lohengrin" seit 1850, „Meistersinger" seit 1870, „Tristan
und Isolde" seit 1876, die „Walkiire« seit 1884, .Siegfried" seit 1885. — Von neuen
wichtigeren Opera kamen unter Herrn v. HGlsen zur Auffuhrung: 1863 Gounod's
„Margarete", 1865 Meyerbeers „Afrlkanerin", 1869 Gounod's .Romeo und Julie", Thomas'
„Mignon", 1872 Bruchs .Hermione", 1874 Verdi's .Aids", 1875 Rubinsteins „Makkabier",
und Brails „Goldenes Kreuz", 1876 w Der Widerspenstigen Zlhmung" von G5tz,
Kretschmers .Folkunger", 1877 Schumanns ,Genoveva u , 1878 Aborts „Ekkehard",
»Armin" von Heinrich Hofmann, 1879 Rubinsteins .Feramors" und Gold marks .Kdnigin
v. Saba", 1880 Nesslers „ Ratten finger", Bizet's „Garmen", Rubinsteins .Nero", 1881
Meyerbeers „Dinora", 1882 Perfalls tf Raimondin", 1883 Klughardts v Gudran",
Lortzings .Undine" (!), 1884 Ed. Franks „Hero", 1885 Nesslers „Trompeter", 1886
Joncidre's „Johann von Lothringen" und Heinrich Hofnuanns v Donna Diana".
*) Aus der Kgl. Kabinetsorder vom 22. Dezember 1868, durch die Taubert
als Operndirlgent beseitigt wurde, sei folgende Stelle hervorgehoben:
v Da es Mein Wille 1st, das Orchester Mciner Oper unter eine einheitliche
Leitung zu stellen, welche sich nicht ohne ubermissige Anstrengung Ihrer Krifte
mit den Funktionen verbinden lisst, die Ich ferner von Ibnen wahrgenommen zu
sehen wOnsche, so babe ich bescblossen vom 1. Januar k. J. ab Ihre amtliche Titig-
Digitized by
Google
218
DIE MUSIK III. 21.
Karl Eckert (geb. 1820), der ein Pflegesohn des bekannten Hofrats
Dr. Friedr. Forster war und in seiner Jugend vielfache Forderung durch
Kdnig Friedrich Wilhelm III. und IV. erfahren hatte, zunichst auf 1 Jahr,
bis er am 26. Febr. 1870 definitiv unter Zusicherung dereinstiger Pension
angestellt wurde. Ihm wurde Musikdirektor Radecke untergeordnet und
blieb es auch, wenngleich er 1871 als Kapellmeister und 1874 definitiv
angestellt wurde, bis Eckert plotzlich am 14. Okt. 1879 in einer Droschke
vom Schlage getroffen wurde und starb. Nunmehr wunschte Herr von
Hfllsen wieder ein koordiniertes Verhaltnis der Kapellmeister. An Stelle
Eckerts trat neben Radecke seit 1. Juli 1880 Heinrich Kahl, der seit
1872 als Chordirektor engagiert war und in dieser Stellung so ausgezeichnet
gewirkt hatte, dass er am 2. Nov. 1874 unter Verleihung des Titels .Musik-
direktor" endgultig, d. h. pensionsberechtigt, angestellt worden war.
Eine Neuerung, die den Orchestermitgliedern sehr erwunscht war,
setzte Herr von Hulsen 1882 durch. Kdnig Wilhelm I. genehmigte am
15. Februar dieses Jahres, dass Mitglieder der Kdnigl. Kapelle, die als
Kunstler von hervorragender Bedeutung wiren, ihm zur Charakterisierung
als „Kammervirtuosen" vorgeschlagen werden soil ten; doch erklirte er
gleichzeitig, diesen Titel zur Bewahrung seines Ansehens nur in mftssigem
Umfange verleihen zu wollen.
Nach dem Tode des Herrn von Hulsen (30. September 1886) wurde
Graf Bolko von Hochberg (geb. 1843), der als Begrunder der Schlesischen
Musikfeste und auch als Komponist (unter dem Namen I. H. Franz) in
weiteren Kreisen bekannt ist, zunfichst provisorisch, bald aber definitiv
Generalintendant. Er begann seine Tatigkeit damit, dass er neben Radecke,
der bereits am 1. Juli 1887 mit vollem Gehalt zur Disposition gestellt,
aber erst am 1. Juli 1895 pensioniert wurde, und Kahl den von ihm hoch-
verehrten Leiter der Schlesischen Musikfeste, der Oper bisher vollig fremden
Ludwig Deppe zum Kapellmeister vom 1. Januar 1887 auf 5 Jahre er-
nannte, speziell urn die Opern von Gluck, Mozart, Beethoven und Weber,
sowie auch die Symponiekonzerte der Kapelle zu leiten. Allein Deppe
war dieser Stellung doch nicht gewachsen; dazu war seine Gesundheit bereits
sehrangegriffen; nachdem sein Abschiedsgesuch mehrmals abgelehnt worden
war, wurde es dann zum 1. November 1888 bewilligt. Fur Radecke war
vom 1. Juli 1887 Prof. Karl Schroder (zuletzt in Rotterdam) eingetreten,
keit auf die Leitung der Hofkonzerte und der Symphonie-Soireen, sowie auf die Priifung
der von der Generalintendantur Meiner Schauspiele lhnen zugeaandten neuen
musikalischen Werke dergestalt zu konzentrieren, dass Sie dadurcb von alien anderen
Amtsgeachlften entbunden werden • . . Auch benutze Ich diesen Anlass, urn lhnen
durch Ernennung zum Oberkapellmeister . . . eine Anerkennung lhrer seitherigen
Leistungen zuteil werden zu lassen".
Digitized by
Google
f SL
219
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
doch hatte er bereits nach Jahresfrist Josef Such er (zuletzt in Hamburg)
weichen mussen, der den Taktstock schwang, bis er am 30. September 1894
wegen Kranklichkeit pensioniert wurde. Daneben war seit dem 16. April
1891 Felix Weingartner, der leider am 11. MMrz 1898 von der
Operndirektion zurucktrat, urn nur die Symphoniekonzerte zu leiten,
und als Nachfolger des am 6. August 1892 gestorbenen Kahl Dr. Karl
Muck seit 1. Oktober 1892 tftig, der noch heute auf seinem Poaten
steht. Nachfolger Weingartners als Operndirigent wurde Richard
Strauss am 1. November 1898, schon damals der bedeutendste
lebende deutsche Komponist; auch er ist heute noch Hof-Kapellmeister.
Weingartner, Dr. Muck und Richard Strauss haben das grosse Verdienst,
so manchen nicht mehr leistungsfdhigen Kammermusiker aus der Kgl.
Kapelle entfernt, die Leistungsffihigkeit dieser, die wohl in der ,Feuers-
not" von Richard Strauss (1903) ihren grossten Triumph gefeiert hat,
wesentlich erhoht zu haben. Leider gelang es ihnen nicht, die von ihnen
angestrebte bedeutende Vermehrung der Kammermusikerstellen in ihrem
vollen Umfange zu erreichen; nachdem bereits 1888 eine dritte Konzert-
meisterstelle geschaffen war, wurde die Kapelle 1895 urn einen dritten
Harfenisten und (endlich) urn drei Posaunisten, 1899 urn zwei Hornisten
(den neunten und zehnten) vermehrt und besteht nunmehr aus 107 *) etats-
massigen Stellen, zu deren Entlastung noch ca. 50 Hilfsmusiker engagiert sind.
Die Gehaltsverhaitnisse der Kammermusiker, deren Dienst durch den
Erwerb des sogen. Neuen Operntheaters (Kroll) im Jahre 1896 zeitweilig
wieder gesteigert wurde, ordnete Graf Hochberg im Jahre 1895 in der
Weise, dass er 17 Gehaltsstufen von 1500 (vier Stellen) bis 3000 Mk.
(acht Stellen) und 540 Mk. Wohnungsgeldzuschuss errichtete; erst 1899
wurde das Mindestgehalt (das seit 1872 nicht erhoht worden war) auf
1600 Mk. (jetzt drei Stellen) und das Hochstgehalt auf 3300 Mk. (drei
Stellen) fixiert. Trotz verschiedener Petitionen erreichten die Kammer-
musiker nicht die Einfuhrung von Dienstaltersstufen (deren sich alle
sonstigen Beamten erfreuen) anstelle des Stellenetats. 1899 wurden aber
fur jedes Streichinstrument drei sog. Vorspielerstellen geschaffen, seit 1900
sog. Funktionszulagen (200—600 Mk.) fur erste Stimmen eingefuhrt.
Die Suchersche Kapellmeister-Stelle wurde erst wieder am 1. Septbr.
1899 durch Franz Schalk besetzt, der aber am 15. April 1900 bereits
abging, urn an die Wiener Oper uberzusiedeln ; sein Nachfolger wurde am
') Diese Stellen (zu denen als 108. u. 109. noch die eines Musikalien-Inspektora und
einesOrche8ter-In8pizientenhinzukommeo)verteilensichfolgenderma88en:DreiKonzert-
meister, darunter ein erster Konzertmeister, 28 Gciger, 10 Bratachisten, 11 Violon-
cellisten, 8 Kontrabassisten, 5 Fldtisten, 5 Oboiaten, 5 Klarinettiaten, 5 Fagottiaten,
10 Hornisten, 6 Posaunisten, 1 Tubaist, 5 Trompeter, 2 Pauker, 3 Harfenisten.
Digitized by
Google
220
DIB MUSIK III. 21.
1. Septbr. 1000 Bruno Walter, der aber nur ein Jahr lang diese Stelle
bekleidete. Besetzt wurde sie erst wieder am 1. JVtfrz 1902 durch
Edmund von Strauss. 1 )
Als Ende Dezember 1902 Graf Hochberg, der durch Aufnahme
von Wagners „Rheingold* und ,G5tterdammerung" in das Repertoire*)
endlich (1888) Vorstellungen des gesamten »Ring des Nibelungen* er-
mdglicht hatte, von seinem Posten zurucktrat, verlor die Kapelle in ihm
einen verstindnisvollen Fdrderer ihrer kunstlerischen Aufgabe; sein Nach-
folger wurde der bisherige Wiesbadener Intendant Georg von Hulsen,
der von seinem Vater das peinlichste Gerechtigkeitsgefuhl geerbt hat und
allem Anschein nach wie dieser voll viterlicher Fursorge fur das Orchester
sein wird. So hat er es bald nach seinem Amtsantritt durchgesetzt, dass
das Anfangsgehalt der Kammermusiker auf 1800, ihr Hdchstgehalt auf
3400 Mk. (exkl. Wohnungsgeld) Bxiert wurde.
*) Neben den Kapellmeistera wirken vier Musikdirektoren (z. Z. Steinmann,
Wegener, Graefen, F. Hummel), die tells die Ballet- und Bfihnenmusik (auch !m
Schauspiele) leiten, teils auch gelegentlich Opera dirigieren.
•) Von wichtigeren Opera, die unter Graf Hochberg aufgefflhrt vurden, seien
noch folgende erwfthnt: 1887 , Merlin* von Ph. Rufer; Lortzings „Waffenschmied* [1]
1888 ausser Rheingold und GStterdimmerung ,Turandot* von Th. Rehbaum; 1889 E.
Naumanns , Lorelei*, Ponchielli's „Gioconda*, Heinr. Hofmanns *Annchen von Tbarau*;
1890 Verdi's „Othello*, Rheinthalers»K*thchen von Heilbronn*, Marschners .Vampyr* [1];
1891 „Hiarne* von Ingeborg v. Bronsart, Mascagni's „CavalIeria rusticana*; 1892
Mascagni's „Freund Fritz*, Moszkowski's „Boabdil«, Joh. Strauss' „Ritter Pasman*,
Alex. Ritters „Wem die Krone*, Weingartners „Genesius*, Leoncavallo's „Bajazzi*;
1893 Enna's „Hexe*, Mascagni's „Die Raatzau*; 1894 Leoncavallo's „ Medici", Verdi's
„Falstaff*, Smetana's „Verkaufte Braut* [I], Humperdincks ,Hinsel und Gretel*;
1895 Kienzls „Evangelimann*, R. Beckers »Frauenlob*, Sullivan's ,Ivanhoe*; 1896
»Ingo* von Pbilipp RGfer, Goldmarks „Heimchen am Herd*, Berlioz' „Benvenuto
Cellini* [1]; 1897 Puccini's ,Bobeme*, Spinelli's „A basso porto*, V. Hansmanns „Enoch
Arden*; 1898 Thuilles „Lobetanz*, Bungerts „Heimkehr des Odysseus", Zichy's w Alar*,
Kienzls „Don Quichote*; 1899 Chabrier*s w Briseis*, d' Alberts „Abreise*, Lortzings
,Regina*, ,Mudarra* von Le Borne, DSbbers .Grille*, Joh. Strauss' „Fledermaus* [!],
Kulenkampffs ,K6nig Drosselbart*, endlich durch die Schweriner Oper „Ingwelde"
von Schillings; 1900 S. Wagners „Birenbiuter*, d'Alberts »Kain*; Cornelius' ,Barbier
von Bagdad" [!], Pfltzners „Armer Heinrich*, Sullivan's JVlikado* [!]; Auber's w Eh ernes
Pferd* in der Bearbeitung von Humperdinck; 1901 n Samson und Dalila* von Saint-
SaSns [!], „Mamsell Angot* von Lecocq [!]; 1902 .Die Sibylle von Tivoli* von Alf.
Sormann, „Heilmar* von Kienzl, d'Alberts „ Improvisator*, „Der Wald* von E. M.
Smyth, Th. Gerlachs „Matteo Falcone*, der .Pfeifertag* von Schillings, Massenet's
,Midchen von Navarra*, Rich. Strauss' w Feuersnot*. — Wie wenige dieser Opera haben
sich auf dem Repertoire erhalten! — Obrigens kommen noch auf Rechnung der Ara
Hochberg die von seinem Nachfolger 1903 zur Aufffihrung gebrachten Novititen: „Anno
1757* von Berohard Scholz, .Louise" von G. Charpentier, „Das war ich* von Leo Blech,
„Till Eulenspiegel* von E. N. Reznicek.
Digitized by
Google
22\
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOPKAPELLE
Es erubrigt noch der Konzerttatigkeit der Kgl. Kapelle zu gedcnken,
die zwar keine sehr ausgedehnte ist, aber von jeher als besonderer Pruf-
stein ihrer Leistungsfahigkeit gegolten hat. Sie erfolgt seit vielen Jahren
im wesentlichen im Dienste der Wohltfitigkeit.
Da auch die hdchstbesoldeten Kammermusiker kaum in der Lage
waren, bei ihren Lebzeiten fur ihre Angehdrigen (die auch heute noch
nicht auf Grund der sonst fur die preussischen Beamten bestehenden
Reliktenversorgung bedacht werden) etwas zu sparen, so stiftete Kdnig
Friedrich Wilhelm III. hochherzigerweise einen Fonds zur Unterstutzung
der Witwen und Waisen derjenigen Mitglieder des Koniglichen Orchesters,
die seit 1799 und mindestens seit einem Jahre diesem angehdrt hatten,
und bestimmte (Reglement vom 1. Septbr. 1800), dass dieser Fonds aus
dem Enrage von alljihrlich zwei bis drei grossen Konzerten ergftnzt
werden sollte. In diesen Fonds sollten ferner von alien in Kdnigl. Ge-
bfiuden und Kirchen stattflndenden Wohltitigkeitskonzerten % des Rein-
ertrags, ferner funf Taler von jedem Konzert fliessen, in dem Kammer-
musiker (S 4) mitwirkten. Weitere wichtigere Bestimmungen dieses
Reglements von 1800 sind:
Eine Witwe, die sich wieder verheiratet, verliert dadurch ihr Penslonsreeht.
Da die Witwen der Orchestermitglieder das Sterbequartal des Mannas beziehen, so
fftngt die Witwenpension erst mit dem folgenden Quartal an. Ffir Waisen werden
solche Kinder nicht geachtet, deren Mutter eine Witwenpension beziehen. Weibliche
Waisen werden bis ana Ende des 16., roinnliche bis an das des 18. Lebensjahres
unteratfitzt. Zur Verwaltung dieser Pensionskasse wird aus den Mitgliedern des
Orchesters ein Komitee von vier Personen gew&hlt, zu denen als Prises der jeweilige
Generalintendant tritt.
Besonders wichtig war der oben erwfihnte $ 4 des Reglements, auf
dessen Einhaltung streng gehalten wurde, so sehr sich auch manche
Kammermusiker (z. B. der Konzertmeister Mdser) dagegen striubten.
Eigene Konzerte der Hofkapelle fur diesen Witwenfonds fanden seit
1801 statt; sie unterblieben in den Jahren 1805, 1807 (wohl auch 1808),
1810 und 1813; wfthrend im Jahre 1806 die Einnahme noch 2916 Taler
4 Gr. betragen hatte, betrug sie 1809 nur 13 Taler 14 Gr. und 1814 nur
305 Taler 2 Gr., ein Beweis, wie traurig es damals urn die flnanziellen
Verhaltnisse der Berliner bestellt war. Es war daher ganz richtig, wenn
durch Kabinettsorder vom 16. Septbr. 1814 auf Antrag des Orchester-
Komitees genehmigt wurde,
„dass sowohl im Oktober dieses als auch im Januar kflnftigen Jahres kein Mitglied
des Orchesters frfiher ein Konzert fur seine Rechnung hier in Berlin geben soil, ais
bis das Konzert fur die Witwen des Orchesters, welches in der ersten Hftlfte des
Oktober dieses und in der eraten Hftlfte des Januar kfinftig en Jahres gegeben werden
soil, atattgefunden hat . . . Es veratebt sich aber von selbst, dass sich kein aufge-
Digitized by
Google
222
DIE MUSIK III. 21.
fordertes Mitglied des Orchesters von • seiner Verpflichtung ausschliessen darf, und
die Genertl-Direktion der Scbauspiele nStigcn falls die ihr zu Gebote stehenden Zwangs-
mittel anzuwenden berechtigt ist."
Uber die Verhaltnisse der Witwenkasse gibt auch folgender Bericht
des Geh. Kabinettssekretars Riethe an Graf Bruhl vom 14. April 1815
interessante Auskunft:
,Im ganzen bin ich von der ehemaligen Direktion des Nationaltheaters nie
offlziell und ffirmlich von der Witwenkasse in Kenntnis gesetzt worden, welche fur
das Orchester des National-Theaters gestiftet war. Nur als das Orchester der ehe-
maligen grossen Oper mit demjenigen des National-Theaters vereinigt wurde, erhielt
ich einmal — ich glaube An fangs des Jahres 1812 — von der Hand des verstorbenen
Theater-Sekretirs Pauly ein weder datiertes noch von jemandem unterschriebenes
Projekt, das zu einer Vereinigung der Witwenkasse des ehemaligen Opern-Orchesters
mit derjenigen des National-Theaters Einleitung geben sollte; und aus diesem Ent-
wurfe ersehe ich, dass durch ein Eintrittsgeld von 1 Reichstaler und durch einen
baren Beitrag von 6 Pfennigen pro Taler der Wochengage die Witwenkasse des
National-Theater-Orchesters gestiftet war und am I.Junius 1811 schon 630 Rt. 12 Gr.
6 Pf. beisammen gehabt haben sollte.
Die Notwendigkeit einer Vereinigung beider Witwenkassen war nach Ver-
einigung beider Orchester einleuchtend. Da die Kasse der ehemaligen Grossen Oper
jedoch durch ein Allerhdchstes Kdnigl. Reglement vom 1. Septbr. 1800 .. . gestiftet,
diejenige des National-Theaters aber nur privatim auf bare Beitrige gegrundet war,
so konnte bei meiner Verantwortlichkeit fur die Witwenkasse des ehemaligen Opern-
Orchesters eine fdrmliche Vereinigung beider Kassen nicht ohne Allerhdchste
Approbation geschehen, und submittiere ich Ew. Hochgeboren eigenem Ennessen, ob
von 1812 bis heute wohl ein ruhiger Zeitpunkt schon eingetreten ist, in dem man sich
hitte erlauben durfen, Seine Majestit den Kdnig mit dieser so untergeordneten und
fur die Interessenten in ihren Folgen dennoch so wichtigen Angelegenheit zu behelligen.
In den Jahren 1812, 1813 und 1814 haben wir also mit Hilfe eines oder zweien
in jedem Winter gegebenen Konzerte, so mittelmissig ihr Ertrag auch ausflel, beide
Institute durchzuhelfen gesucht . . ."
1815 befand sich die Kasse in Gefahr gesprengt zu werden; da
wandte sich das Verwaltungs-Komitee am 12. August 1815 mit der Bitte
an den Kdnig, dass eine grosse Oper zum Besten der Kasse gegeben
werden sollte. Dies wurde genehmigt; man einigte sich aber schliesslich
auf eine sog. dramatische Akademie, die zugleich Totenfeier fur die Schau-
spielerin Frau Bethmann war.
Eine nicht zu unterschMtzende Beihilfe erhielt die Witwenkasse durch
die Bestimmung vom 20. Septbr. 1821, wonach an sie von einem jeden
von seiten der Intendanz der Kdnigl. Schauspiele im Verein mit auswSrtigen
vorzuglichen Kunstlern veranstalteten Konzerte, die damals nicht seiten
waren, ein freiwilliger Beitrag von 20 — 25 Talern gezahlt werden sollte.
Merkwurdigerweise genehmigte Kdnig Friedrich Wilhelm III. erst
durch Kabinettsorder vom 16. Dezbr. 1821, dass der General-Intendant
Graf Bruhl „die obere Verwaltung der Orchester- Wit wen- Kasse dem An-
Digitized by
Google
223
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
trage des Komitees und simtlicher Mitglieder der Kapelle geifrtss in der
Art ub era eh men solle, wie solche dem Directeur des Spectacles Baron
von der Reck reglementsmissig zustand".
Durch Konigl. Kabinettsorder vom 23. Mai 1829 wurde der $ 4 des
Reglements dahin erweitert, „dass von alien offentlichen musikalischen
Unterhaltungen, welche fur Geld zum Besten der Armen oder milden An-
stalten nicht nur in Konigl. Gebauden und Kirchen, sondern auch in Privat-
sllen gegeben werden, wenn auch nicht das ganze Orchester, sondern nur
ein Teil desselben mitwirkt, der sechste Teil des reinen Ertrages zu dem
obigen Fonds abgeliefert werden soil".
Die finanzielle Entwicklung der Kasse muss in den 20 er und 30 er
Jahren des 19. Jahrhunderts eine gute gewesen sein, denn am 28. Dezember
1839 konnte beschlossen werden, dass auch die Witwen von Mitgliedern
des ehemaligen Nationaltheaters statt 72 Tlr. nunmehr auch 100, wie die
Witwen der Konigl. Kammermusiker, erhalten sollten.
Fur die Zukunft ausserst wichtig war, dass auf Antrag der Kapell-
meister Henning und Taubert, sowie der Konzertmeister Hubert Ries
und Leopold Gans am 21. September 1842 beschlossen wurde, kiinftighin
Abonnementskonzerte mit Symphonieen zum Besten der Witwenkasse zu
veranstalten.
Symphoniekonzerte hatten schon fruher der Konzertmeister und
spatere Musikdirektor Karl Moser, der ubrigens auch als erster in Berlin
offentliche Quartettsoireen gegeben hat, und auch die Kammermusiker Ge-
bruder Bliesener veranstaltet ; allein in diesen Symphoniekonzerten hatten
nur wenige Kammermusiker mitgewirkt; so verdienstlich *) diese Konzerte
auch waren, so waren sie doch keineswegs erstklassig gewesen. Die
Symphoniekonzerte der KSnigl. Kapelle, in denen in der Regel zwei
Symphonieen und zwei Ouverturen auf das Programm gesetzt wurden,
sollten in kunstlerischer Hinsicht alien zu stellenden Anforderungen ge-
nugen. Fur die Saison 1842/43 waren zunSchst sechs solcher Konzerte in
Aussicht genommen, die abwechselnd von den Kapellmeistern Henning
und Taubert geleitet wurden. Das erste Konzert am 14. November fand im
Jagorschen Saale statt, fur das zweite musste bereits der grdssere Saal
der Singakademie gewihlt werden, da diese neuen Konzerte sehr viel An-
klang*) fanden. Ihre Direktion sollte von der Saison 1843/44 ab auf
Wunsch des Konigs Felix Mendelssohn-Bart ho ldy ubernehmen.
*) MSser fflhrte 1824 zuerst in Berlin die c-moll Symphonic von Beethoven
anf, 1826 dessen neunte, die Gebruder Bliesener brachten 1825 die erste Auffuhrung
von Beethovens Pastoralsymphonie zustande.
*> Die ertten sechs Konzerte brachten einen Reinertrag von 1525 Talern.
Digitized by
Google
224
DIE MUSIK III. 21.
Dieser 1 ) hatte bereits im Winter 1841/42 und 1842/43 einige grosse
Konzerte, in denen u. a. zweimal sein Oratorium „Paulus a zur Aufffihrung
kam, geleitet. Zu Anfang der Saison 1843/44 siedelte er dann von Leipzig
deflnitiv nach Berlin fiber, urn neben der Leitung der Kirchenmusik im
Dotn sechs grosse (akademische) Konzerte in der Singakademie und die
Symphoniesoireen der Konigl. Kapelle zu dirigieren. In diesen versuchte
er nach dem Beispiel der Leipziger Gewandbauskonzerte neben den bisher
ublichen Symphonieen und Ouverturen auch Instrumental- und Vokalsoli
aufzunehmen, doch gab er diesen Versuch infolge von Wunschen seitens
des Publikums auf, das sonst seiner Dirigierkunst *) grosses Interesse ent-
gegenbrachte. Nachdem Mendelssohn im Oktober und November 1844 noch
je eine Symphoniesoiree geleitet hatte, verzichtete er bekanntlich auf seine
Berliner Stellung, behielt aber den Titel eines Generalmusikdirektors und
einen Teil seines Gehaltes, woffir er dem ihm gewogenen Konig versprach,
zuweilen nach Berlin zu kommen und etwas von sich aufzufuhren. Die
Direktion der Symphoniesoireen ging nun auf Henning, bald aber gflnzlich
auf Taubert fiber. Sie wurden fibrigens von 1845 an in dem Konzertsaal
des Schauspielhauses, spMter in dem grosseren des Opernhauses abgehalten.
Eine Revision des alten Statuts der Witwenkasse wurde 1847 vor-
genommen. Durch Kabinettsorder vom 13. Marz 1850 wurde jedem Kammer-
musiker ffir seine Mitwirkung bei den Symphoniesoireen, deren Zahl sich
nunmehr auf jahrlich neun belief, eine Entschadigung von 3 Talern zu-
gesichert und gleichzeitig genehmigt, dass ffir jeden seit dem 1. Januar
angestellten Kammermusikus bei dessen Tode ein Sterbegeld 8 ) von 100 Talern
] ) Mendelssohn fillt 1841 in einem Briefe an Verkenius (Briefe II, 303) liber
die Kdnigliche Kapelle folgendes abfiUlige Urteil: »Der ganze Sinn der Musiker...
ist zu wenig aufs Praktische gerichtet; sie musizieren eigentlich meist, um nacbber
und vorher darfiber reden zu kdnnen, und da kommen die Reden besser und klfiger,
aber die Musik mangelhafter heraus als an den meisten andern deutschen Often.
Beim Orchester (so gute Mitglieder die einzelnen sind) ist das leider zu sehen.
Ich habe in Opern und Symphonieen solche Schnitzer, solche Taktfehler fortwfthrend
machen hSren, dass dergleichen nur bei der grdssten Gedankenlosigkeit mSglich ist.
Die Leute sind kSnigliche Beamte, sindnicht zur Rechenschaft zu Ziehen,
und komint es nachher zur Sprache, so beweiset man Ibnen, dass es eigentlich gar
keinen Tskt gibt oder geben sollte, was weiss ich; aber item, es geht schlecht..
Die Scbuld von diesem Wesen trifft allerdings grfsstenteils Spontini, der seit langer
Zeit an der Spitze stand und die vielen braven Musiker, die darin sind, eher gedrfickt
als erhoben und hinaufgeschwungen hat. Nach meiner Oberzeugung wire Spohr der
Mann, der helfen und alles wieder in Schick bringen kSnnte, aber eben desbalb wird
er gewiss nicht genommen werden; es sprechen wieder zu viele mit und wollen alles
zu idealisch schdn haben; daraus folgt die Mittelm&ssigkeit."
*) R. Wagner fillt bekanntlich in seiner Schrift w 0ber das Dirigieren* (Werke,
3. Aufl. Bd. 8 S. 266 und 276) ein sehr abfilliges Urteil fiber Mendelssohn als Dirigenten.
») Eine eigene Sterbekasse der Orchestermitglieder des Kdnigl. Theaters zu
Digitized by
Google
225
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOPKAPELLE
fi£
aus dem Witwen- und Waisenfonds gezahlt wurde. Sehr wichtig war die
Kabinettsorder vom 5. Jan. 1853: sie bestimmt, „dass die Unternehmer
von Musikauffuhrungen zu wohltatigen Zwecken, bei welchen Mitglieder
der Konigl. Kapelle mitgewirkt haben, von der in $ 5 des Orchester-
Witwen-Kassen-Reglements vom 6. Marz 1847 vorgeschriebenen Abfiihrung
des sechsten Teils des Reinertrages, event, von 80 Talern zur gedachten
Kasse befreit und nur zur Zahlung eines Beitrags von funf Talern ver-
pflichtet sein sollen, wenn die Mitwirkung nachdem das Orchester-
Komitee die Teilnahme der Kapelle abgelehnt, durch ein zwischen den
Unternehmern und einzelnen Mitgliedern der Kapelle getroffenes freies
Abkommen unbeschadet des Konigl. Dienstes zugesagt wird."
Am 15. Marz 1855 konnten die Witwenpensionen bereits urn jahrlich
20 Taler, freilich wiederruflich, erhoht werden. Sie sind dann allmflblich
immer langsam weiter gestiegen. Wie giinstig sich die Kasse entwickelt
hatte, geht daraus hervor, dass, als Hofrat Esperstedt im Jahre 1856 den
Rendantenposten nach 34jahriger Tatigkeit niederlegte, der Fonds von
22 600 Talern auf beinahe 100000 angewachsen war; seine Verwaltung
wurde ubrigens bereits 1857 durch ein neues Reglement (vom 20. Marz),
das bis 1896 in Kraft geblieben ist, in Kleinigkeiten anders geregelt.
1862 wunschte der General-Intendant Herr von Hulsen, dass die
Symphoniekonzerte wieder nach dem Konzertsaale des Schauspielhauses
verlegt werden sollten, da er Storungen fur die nunmehr taglichen Opern-
vorstellungen befurchtete, falls die Konzerte weiter im Opernhaus statt-
finden; er Hess sich aber wieder umstimmen, da die Orchester-Mitglieder
ihn uberzeugten, dass diese Verlegung fur die Kasse sehr schMdlich ') sein
wurde.
Als am 1. Mai 1875 die 300. Symphonie-Soiree stattfand, wurde der
Berlin wurde erst durch Statut vom 12. Febr. 1870 mit ruckwirkender Kraft vom
1. Jan. 1867 ab geschaffen.
] ) Es heisst in dem Schreiben des Komitee vom 2. September 1862:
.Soweit wir die Stimmung des Publikums, zu dem das Gerucht der Umsiedelung
teilweis gedrungen, haben kennen lernen, spricht sich dieselbe unbedingt fur die Be-
lassung der Konzerte im Opernhaussaal aus. Ober die Unregelmfissigkeit der Soireen
ist im ganzen noch keine laute Klage gefuhrt worden, da die Abonnenten einsicbtig
genug sind, die Schwierigkeiten zu begreifen . . . Wenn aber 300 Abonnenten gezwungen
wurden, auf einen der hSchsten kGnstleriscben GenQsse zu verzichten, so d&rfte sich
dadurch eine nicht zu beschwichtigende Missstimmung erzeugen, die nicht anders als
nachteilig auf den Erfolg des wohltfttigen Unternehmens zuruckwirken kSnnte. Unter
180 Abenden eines Winterbalbjahres nimmt dasselbe 9 Abende in Anspruch, durch
deren Gewfthrung der gebildetste und kunstsinnigste Teil des Berliner Publikums
Ew. Hochwohlgeboren verpflichtet wird."
III. 21. 15
Digitized by
Google
226
DIE MUSIK III. 21.
Oberhof kapellmeister Taubert, 1 ) der bis auf 19 Konzerte immer dabei den
Taktstock geschwungen hatte, durch Verleihung des Roten Adlerordens
2. Klasse ausgegezeichnet; er behielt die Leitung auch weiter bis zum
2. Januar 1883, wo ihn Gesundheitsrucksichten zwangen, gerade nach
40 jahriger Tatigkeit zuruckzutreten. Die Direktion der Symphonie-Soireen,
denen eben durch die Philharmonischen Konzerte (vgl. meine .Chronik
des Berliner philharmonischen Orchesters" S. 1 1 f.) eine empflndliche Kon-
kurrenz erwachsen war, ubernahm auf Herrn von Hiilsens Wunsch Hof-
kapellmeister Robert Radecke als Bestandteil seiner sonstigen amtlichen
Pflichten, 8 ) ohne indessen der durch Hans von Biilow angebahnten
Reform des Dirigierens sich anzubequemen. Auf Graf Hochbergs Ver-
anlassung ging 1887 die Leitung der Symphoniesoireen auf Ludwig Deppe
fiber, der aber davon schon am 6. Mai 1888 zurucktrat, weil die Kapelle
nicht gem unter ihm spielte und er auch nicht die erhoffte Anerkennung
von seiten der Kritik und des Publikums fand. Sucher und Kahl leiteten
nunmehr abwechselnd — ohne grossen pekuniaren Erfolg — die Sym-
phoniesoireen, bis seit 1892 in der Person Weingartners der geeignete
Reorganisator dieser bis dahin fast ausschliesslich den Klassikern ge-
') Aus einer Immediateingabe Tauberts an den KSnig vom 5. Mai 1862 sei hier
folgender Passus angefuhrt:
»Um die Pflege unseres ausgezeichneten Orchesters durch zwanzigj&hrige Leitung
der von mir ins Leben gerufenen Symphoniesoireen schreibt mir die dffcntliche Sdmme
ein besonderes Verdienst zu. Durch diese mit steigendem Erfolg gekrSnten Konzerte
den Sinn und die Ffthigkeit fur vollendet kQnstlerischen Vortrag, die Begeisterung fur
den Adel der Kunst in der Kapelle stets rege zu erhalten und hierdurch auf die
Vorzuglicbkeit der Opernauffubrungen belebend zuruckzuwirken, war mein rastloses
Streben. Ich babe keinen andern iusaern Lobn dafur, keinen persdnlichen Vorteil
voraus, als die Freude an dem Gelingen der Sacbe; fur meine grosse Muhe eine
spezielle Entscbfidigung etwa aus den Einnahmen zu beziehen, wie es den Kapell-
mitgliedern zusteht, wire wahrlich des edlen Zweckes und meiner Stellung nicht
wurdig. Wie die Sachen stebn, darf ich mich dem Publikum, der Kunst und der
Kapelle gegenuber, der moralischen Verpflichtung, die Direktion der Symphoniekonzerte
fortzufubren, nicht entzieben, obgleich in missmutigen Augenblicken mir schon dfter
die Versucbung dazu gekommen. 1st unter diesen Umstinden die Ansicht so ganz
ungerechtfertigt, dass ein Kunstler, dem es im Verein mit seinem trefflich geschulten
Orchester gelang, ein Konzertinstitut 20 Jahre in der Gunst des Publikums lebendig
zu erhalten, dem Witwenkassenfonds eine Kapitalvermehrung von ca. 70000 Tlr. zu-
zufuhren, den Horern Genusse zu verschaffeo, die nach kompetentesten Urteilen in
dieser Vol lend ung kaum in Paris noch einmal zu finden sind — pekuniftr so gestellt
sein sollte . . ., urn frei und frShlich fur den musikaliscben Ruhm der Residenz fort-
wirken zu kSnnen, fur den ich ausserdem durch die Obernahme der Direktion grosser
Chorkonzerte ... oft meine letzten Krifte bingab *
s ) Bis 1898 erhielt von nun an der Leiter der Symphoniesoireen fur jede dieser
34 Mark Entschidigung.
Digitized by
Google
£L
227
ALTMANN: GESCHICHTE D. PREUSS. HOFKAPELLE
widmeten Konzerte erstand, die von da ab stets ausverkauft waren und
aus dem Konzertsaal in den Theaterraum des Opernhauses selbst verlegt
werden mussten. 1893 wurde ihre Anzahl auf zehn erhoht. Weingartner, der
die Leitung dieser Konzerte auch nach seinem Riicktritt als Operndirigent auf
dringendsten Wunsch der Orchestermitglieder — naturlich nunmehr gegen
ein festes Honorar — beibehielt und bei seiner Erkrankung im Jahre 1897
von Dr. Muck vertreten wurde, gab in den Jahren 1896 — 1898 mit der
Konigl. Kapelle auch je zwei Konzerte in Leipzig, die den glanzendsten
Erfolg batten. Einer Einladung nach England konnte die Konigl. Kapelle,
die 1897, 1900 und 1903 an dem Schlesischen Musikfest in Gorlitz teil-
nahm, nicht folgen. Die Generalproben zu den Symphoniekonzerten, die
auch immer unter der Signatur „ausverkauft" stehen, wurden seit Oktober
1902 in Symphonie-Matineen, auf die gleichfalls ein Abonnement er-
offnet wurde, verwandelt.
Obwohl die Unkosten dieser Konzerte in neuester Zeit sehr bedeutend 1 )
sind (nur das Lokal ist gratis, jeder mitspielende Kammermusiker erhalt
jetzt 20 Mark Entschadigung, Weingartner 15000 Mark Gehalt), so
sind ihre Ertragnisse so bedeutend, dass jede Wit we jetzt 1050 Mark jfihr-
lich*) erhalten kann und dass dabei der Fond stitadig wachst*). Fur die
kunstlerische Bedeutung dieser Symphoniekonzerte, die der Stolz des
Orchesters sind, spricht am besten die Tatsache, dass alle Sitzplatze in
festen Handen von Abonnenten sind.
Im musikalisch so reichen Leben Berlins bildet, wie wir gesehen
haben, die Konigl. Hofkapelle einen der wichtigsten, vielleicht den wich-
tigsten Faktor; dass sie die ihr von dem Preussischen Konigshaus an-
vertraute, so unendlich wichtige kulturhistorische Mission auch weiter mit
der gleichen Hingebung und dem gleichen Erfolg erfullen wird, daruber
kann wohl kein Zweifel herrschen.
') Sie betrugen 1902/3 die hubsche Summe von 42856,46 Mk., denen an Ein-
nab men aus den zehn Konzerten 78533,50 Mk gegen uberstanden.
») 1901/2 wurden an die Witwen im ganzen an Pensioned 37479,83 Mk, 1902/3
36767,34 Mk gezahlt.
3 ) Am 9. September 1903 bestand der Fonds aus 732097,25 Mk.
15'
Digitized by
Google
bOcher
289. G. ;Wernick: k Zur Psycbologie ^des ftsthetischen i,Genusses. Verlag:
W. Engelmann, Leipzig 1903.
Dass die Psycbologie allein nicht imstande ist, ftsthetische Normen zu abstrahieren
und Wertprobleme zu 16sen, wird jetzt selbst von den Psychologisten unter den Asthe-
tikern wie Karl Groos ( Der ftsthetische Genuss") zugegeben; wohl aber kann die
psychologiscbe Analyse des ftsthetischen Genusses der Ausgangspunkt und die Grund-
lage ftsthetiscber Betrachtung sein. Mit dieser vorbereitender Aufgabe der Psycbologie
begnugt sich im wesentlicben auch Wernick. Auf die eigentlichen isthetischen Probleme
wird mebr der Ausblick erdffnet, als dass auf ihrer Behandlung das Hauptgewicbt rubt.
Dieser Standpunkt hilt von vomherein unbesonnene Werturteile und das schulmeisternde
„die Kunst soil . . .", das selbst in der empirischen Asthetik noch so oft durchblickt,
fern. So wenig Neues die Arbeit in den psychologischen ErSrterungen, in der Entwicklung
der Gesetze der Assoziation, der Reproduktion und der Sinnesempfindungen dem gegen-
wftrtigen Bestande der Forscbung . hinzufugt, so verleiht doch die Umsicht in der Zu-
sammenfassung des Bekannten und die Klarheit der Problemstellung dem Buche Wert,
lmmerhin bietet auch die Anwendung der psychologischen Untersucbung auf die isthe-
tischen Fragen neue Gesicbtspunkte und eine Fulle guter Beobachtungen. Ich hebe
hervor die Erklftrung der Kontrastwirkungen (S. 42 f.), die Definition des ftsthetischen
Zustandes (63 f.), die Analyse von Wirkungen der Lyrik, des Reimes und des Rbytbmus
(68 fT., 79ff., 101, 110), sowie (trotz der Willkur gegenuber der Wortbedeutung) die Aus-
fubrungen fiber das »Gefftllige" (37 if., 125 if.), die Unterscheidung der autogenen und
heterogenen Wirkungen (66 if.), ein fur die Musikftsthetik fruchtbarer Gesichtspunkt. Die
Beschrftnkung, die der Verfasser sich auferlegt, lftsst ihn das Wesen der musikalischen
Wirkung leider andeutungsweise im Zusammenhang mit den Reproduktionen behandeln;
allzu durfcig ist die Auseinandersetzung mit der Ton psycbologie (133 ff.). Trotzdem flndet
sich auch fur den Musiker genug des Interessanten, z. B. „Auf einer vSUigen Verkennung
der ftsthetischen Wirkungen beruht es, wenn man ihr Ziel in die Darstellung eines eng
begrenzten Vorfalles setzen will, wie es z. B. bei Theoretikern der Programmusik ge-
schieht. Wenn die Musik sich darauf beschrftnken sollte, uns ein bestimmtes Ereignis,
das uns sogar im Alltagsleben begegnen kann, auszumalen, so wftre nichts uberflQssiger
als sie . . . Nichtsdestoweniger braucht man ein bestimmtes Program m keineswegs zu
verwerfen, nur muss dasselbe nicht als Zweck, sondern als Mittel gelten . . . Wenn die
Teile der Erzfthlung eine analoge Verknupfung besitzen als die die Idee konstituierenden
Komplexe, so kann die Vorstellung der ersteren die Bildung der letzteren wesentlich
unterstutzen nach dem Assoziationsgesetz der Identitftt des Schemas. Sobald das Programm
einmal seinen Dienst geleistet hat, muss es jedoch fortfallen kSnnen ohne Beeintrftchtigung
der ftsthetischen Wirkung. Eine Musik aber, die obne Programm wertlos ist, kann durch
Hinzufugung eines solchen nicht im geringsten an Wert gewinnen." Die abschliessen-
den Betrachtungen mit ihrer starken Hereinziehung metaphysischer Elemente greifen
streng genommen schon uber den Rahmen der Arbeit hinaus. Dr. H ein rich Mdller.
Digitized by
Google
229
rt BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
290. Meyers Grosses Konversations-Lexikon: Ein Nachschlagewerk des all-
gemeinen Wissens. Sechste, glnzlicb neubearbeitete und vermebrte Auf-
lage. Bd. VI. Verlag: Bibliograptaisches Institut, Leipzig und Wieo.
Der VI. Band umfasst die Stichwftrter .Erdeessen bis Franzen". Wie diese beiden
WOrter scbon grundverschiedenen Gebieten angehdren, so sind die dazwiscbenliegenden
Stichwftrter aus so mannigfaltigen Materien, dass tatsftcblicb fur jedermann etwas darin
geboten wird. Und wer sicb mit dem Worte allein nicbt begnugen will, den fesseln
gewiss die zablreicben farbigen und scbwarzen Bildertafeln, die ausser den Textabbildungen
in vielen Fallen zur Erliuterung des Textes beigegeben sind. Wir kftnnen bier selbst-
verstftndlich nicbt die Stichwftrter der Reihe nach aufffibren und mfissen uns mit einigen
Proben behelfen, una die Vielseitigkeit der weltbekannten Enzyklop&die darzutun. Wir
nennen die Artikel „Erfrierung«, „Erkftltung", w Ernahrung«, ,Ernahrungstherapie«, ,Er-
stickung", ,Feuerlftschmittel", „Feuerschutz M , w Feuerspritzen«, denen zwei erlftuternde
Tafeln beigeffigt sind, *Ernte«, w Fiscberei«, mit Tafel, .Kunstlicbe Fischzucht", ebenfalls
mit Tafel, „Fleisch", Fleischextrakr*, „Forstwirtschaft«, „Europa«, der auf 17 Seiten alles
Wissenswerte fiber unsern Erdteil bringt, „Erdkunde a , mit zwei Karten und einer
Portrftttafel: ,Geographen", w Erfurt«, .Erzgebirge", „Eskimo«, w Esthland«, .Etrurien",
w Euphrat«, w Finnland - , .Flandem", »Florenz«, „Frankfurt a. M.«, „Frankreich a (der letztere
Sammelartikel umfasst auf 53 Seiten 34 Abschnitte, die bis auf die neueste Zeit erginzt
sind, sogar Ereignisse des Jahres 1904 flnden sicb scbon verzeicbnet; eine geologische,
eine historische und zwei politiscbe Karten bilden in ihrer vorzfiglichen Ausfubrung eine
besonders wertvolle Beigabe dieses grossen Artikels), „Fahrrad", mit zwei Tafeln, „Fahr-
radbau", mit zablreicben Textabbildungen und einer Tafel, „Fftrberei*, „Feldeisenbahnen a ,
mit zwei Tafeln, „Fernmeldeapparat", n Fernrohr", w Fernsprecber a , mit zwei Tafeln, „Fil-
trieren", „Flaschenzug a , n FOrdermaschinen a , mit zwei Tafeln, „Erdfrfichtler", „Erle", „Erz-
lagerstatten«, „Eulen a , „Farne«, „Fichte", „Fisctae«, „Fixsterne a , w Fledermause a , „Fort-
pflanzung", denen fast durcbgebends Bildertafeln beigegeben sind, „Evangeliscber Bund*,
„Ferienkolonien*, „Finanzwesen", „Flagge", „Flottenvereine a , „Fortbildungsscbulen a , „Fort-
schrittspartei". Dass auch dieser Band der neuen Auflage bedeutend erweitert ist, beweist
scbon die Zunahme von 26 Tafeln. Richard Wanderer.
MUSIKALIEN
291. Theodor Stretcher: Zwanzig Lieder fur eine Singstimme und Klavier. Ver-
lag: Lauterbacb & Kuhn, Leipzig.
Streicbers Lieder „Aus des Knaben Wunderhorn" haben im vorigen Jahre grosses
Aufsehen erregt Ein neuer Cbarakterkopf erschien uns da, ein eigener, querwilliger
Kopf mit herben, m&nnlichen Zfigen und feurigem Blick, der sich unter den sensitiven,
feinen, mfiden Gesicbtern der modernen Tonlyriker fast erschreckend bftueriscb ausnahm.
Man jubelte auf: „Wieder einer!* und lactate fiber die Unglficklicben, die in Streictaer
nichts als einen Nactaatamer Wolfs entdecken wollten. Wolf und Streicher! Sie fthneln
einander wie Tag und Nactat. Und was das seltsamste war: dieser neue Mann kam
nicbt dataer als ein musikalischer Hexenmeister und Tausendsasa, der mit verbl Offender
Technik wie spielend das Gedicht gestaltet. Er trat vor uns fast wie ein Dilettant, seine
Kunst war voller Hftrten und Kanten, oft nur ein unbeholfenes Ringen mit dem Stolf,
ein kindliches Gestammel. Wir merkten das natfirlich so gut wie andere, aber wir
jubelten. Denn dieser Stammler hatte uns etwas zu sagen, dieser Ringer rang mit ur-
wfichsiger Kraft um die hftchsten Palm en der Kunst, die andere als kluge Affen gewandt
zu erklettern meinten, diese Hfirten und Kanten entzfickten uns, die wir der glatten
Ausdrucksroutine so vieler satt geworden. Und alles war bei ibm so echt, aus der
Digitized by
Google
230
DIE MUS1K HI. 21.
inneren Anscbauung geboren. Und dabei war er so gar kein Pfiffikus, der sich auf den
Effekt, auf die Harangue des Bei falls versteht und er gab in naiver Schaffensfreude alles
was er geschaffen hatte, Bedeutendes und Unbedeutendes, heraus. Nun 1st von ibm eine
zweite Liedersammlung erscbienen. Wax es dem Komponisten nur darauf angekommen,
sich im guten GedSchtnis zu erbalten, die Gescblftslage auszunutzen, so wire sie ver-
rautlich schmSler ausgefallen. Es sind viel Schnitzel und Spine aus der geistigen
Werkstatt drin, viele Skizzen und Einftlle, die nur jene einigermassen interessieren
kSnnen, die scbon eine Vorliebe fur Streicber im Herzen haben. Neue Freunde werden
sie ibm kaum gewinnen, und was im ersten Jtande als eine liebenswurdige Schwlcbe
erscbien, die den Gesamteindruck nicbt stSrte, macbt sich bier als gewisser Mangel an
Selbstkritik fublbar. w Gew61felt« wird nur einraal, im w Mailied«, aber gehdrig! Es ist
unklug, dergleichen drucken zu lassen. Vermutlich haben wir hier Lieder aus ver-
scbiedenen Entwicklungsstadien des Tondichters vor uns. Leider wird die Entstehungs-
zeit nur bei wenigen angegeben. Es wire nun ein Kinderspiel fur die Neider und Gegner,
die jedes grosse Talent flndet, einzelne dieser Lieder herauszugreifen und damit i u „be-
weisen", dass ,nichts an ibm* sei. Um so wichtiger erscheint mil's, auf die wertvollen
Bestandteile der Sammlung hinzuweisen. Am sym path iscbes ten mutet uns natfirlich der
Streicber an, wie wir ihn aus dem Wunderhorn kennen, mit seiner sicheren Linien-
fubrung und Prlgnanz des Tonausdrucks, mit seiner Sentimentalitfttslosigkeit und Scblag-
kraft Dahin gehSrt das „Lied des jungen Reiters*, das „Esthniscbe Volkslied", .Maria
sass am Wege", .Willst wandern wohin a und die „Teilung der Erde", welch letztere
allerdings am Schlusse abfillt, wie so viele der letzten Streicherschen Gesftnge. Nun
ist es ja gewiss keine der schlechtesten Eigenschaften seiner Muse, dass sie nicht ftngst-
lich auf die Schlusspointe lauert. Aber der erlaubten oder besser gesagt: der im Text
begrQndeten Wirkung aus dem Wege gehen bleibt ein Fehler, der sich rSchen muss.
Unter ibm leidet z. B. auch das scb arm ante Lied vom »Hut im Meer*, aus dem uns die
kostliche Frische der Seebrise anweht und dem die endliche, erwartete Steigerung mangelt.
Prichtig, mit fortreissendem Zug ist Scheffels „Ausfahrt" gel un gen, wogegen M lch knie
vor euch als getreuer Vasall", das eine geschlossene Melodie zu fordern scbeint, in viele
teils geistvolle, teils reizende Einzelheiten zerpfluckt wurde. Einer der bedeutendsten
Wurfe des Heftes ist Hebbels w Frubes Liebesleben". Hier feiert Streichers ungemeine,
an Wolf erinnernde Einfuhlsamkeit in den Geist der Dichtung einen ihrer schSnsten
Triu raphe. Wer so was schreiben kann, wire wobl verpflichtet, uns die nachfolgenden
salzlosen, aber verpfefferten Dehmeliaden zu ersparen. Auch mSchte man dem Kom-
ponisten raten, auf die technische Ausfuhrbarkeit der Gesftnge doch etwas mehr acht
zu haben, unbequeme Stimmlagen, bohe Tone auf ungunstige Vokale usw. mdglichst zu
vermeiden. Ein Tropf, wer dort, wo es der Ausdruck erfordert, auf dessen Kosten Kon-
zessionen macht Aber der richtige v Meister M ist doch erst der, wer die Schwierigkeiten
auf das unumglngliche Mass zu beschrlnken weiss. Kurzum: was gut ist in diesen
neuen Liedern, hat meine Bewunderung fur Streicber nicht wesentliclrerh&ht. Was ich
fur verfehlt halte, hat meinen Glauben an seine seltene Begabung nicbt mindern kdnnen.
Aber — wie Goethe sagt: nicht alles, was der Vortrelfliche tut, muss auch vortrefflich
geraten. Dr. Richard Batka.
292. A. Corelli: Sonate fiir Violoncello mit Begleitung des Pianoforte bearbeitet von
Jacques van Lier. Verlag: Wilbelm Hansen, Kopenhagen.
Vier kurze S&tzchen, gut und genau bezeicbnet. Hugo Schlemuller.
Digitized by
Google
ZEITSCHRIFT DERJ INTERNATIONAL. MUSIK-GESELLSCHAFT (Leipzig)
1904,' No. 9. — Aus dcm Inhalt: Eine Ankundigung, „Der erste Kongress der inter-
national Musik-Gesellscbaft". .Anton DvoHk", ein Nekrolog von Ernst Rych-
nowsky, Jder den Verstorbenen als genialen Symphoniker ehrt, ibm aber den
dramatisctaen f Zug abspricht und mit den Worten schliesst: .Gemeingut der musi-
kaliscben Welt sind seine Sympbonieen und Kammermusikwerke, und das werden
sie gewiss auch dann nocb sein, wenn seine Opern scbon der Archivstaub decken
wird.« „0ber die kircbenmusikalischen Verhiltnisse in Wien", eine von Fleiss
zeugende Studie von Elaa Bienenfeld, die aber mit Unrecbt annimmt, dass die
C&cilianer Jsich insbesondere gegen Mozarts Messen wenden; es ist vielmehr
Haydjn, den sie gar so grimmig verdammen. — „Neue Beitrige zur Chopin-
Li teratur* von Hugo Leichtentritt; ein Bericht fiber „Three recent English
productions 4 * von Cbarles Maclean; ein Rfickblick „Der Riedel-Verein zu Leipzig,
1854-1904- von Alfred Heuss.
MONATSHEFTE FUR MUSIKGESCHICHTE (Leipzig) 1904, No. 5. - Eine
grfindliche und ergebnisreicbe Abbandlung von Ludwig Riemann handelt „0ber
Tonskalen altdeutscber Musik-Instrumente mit messbaren Grilfen*. Der Verfasser
bat seine Studien an Instrumenten in Basel, Luzern, Zurich, Mfinchen, Innsbruck,
Nfirnberg und Frankfurt gemacbt und kommt u. a. zu den Resultaten, dass die
Tonskalen alter Instrumente, ganz abgeseben von den Nuancen der Temperatur,
zum grossen Teil von der Cbromatik oder Dur-Diatonik der beutigen Instrumente
abweichen; dass man auf den Instrumenten der reinen Volksmusik fast nur die
Durterz und sebr oft die kleine Septime flnden kSnne; bierbei zeigt sich der Ein-
fluss der Kunstmusik auf die Volksmusik. Der Verfasser spricbt den Wunscb
aus, es mSge die Musikforschung in Zukunft dieses Gebiet der Instrumentenkunde
mehr als bisher berficksichtigen. Ausserdem bringt das Heft ein Verzeichnis der
„Kantoren und Organisten der Kirche zu St. Maria Magdalena zu Breslau" von
Reinhold Starke.
NEUE ZEITSCHRIFT FOR MUSIK (Leipzig) 1904, No. 20-24. - Die Hefte ent-
halten:|Die Fortsetzung von Arthur Smolians Artikel »Ein deutscher Barbier von
Bagdad aus dem Jahre 1780*, den Artikel ,Eine vergessene Kunstgattung" von
Franz Dubitzky (beziebt sich auf die frfiher Qblichen Musikstficke fur konzer-
tierende Instrumente), die Studie „Frankfurt am Main als Musikstadt* von Hans
Pfohl (vom Verfasser mit dem Untertitel »Eine zwanglose Betrachtung fiber Einst
und Jetzr* versehen); ausserdem eine Reibe von Berichten: „Das zweite bayrische
Musikfest in Regensburg" von Rudolf Louis, „Das niederrheinische Musikfest in
KSln" von Paul Hiller, „Das erste westpreussische Musikfest in Graudenz" von
Max Puttmann und ,Concours Sonzogno" von M. Rikoff.
MUSIKALISCHES WOCHENBLATT (Leipzig) 1904, No. 21-24. - Erich Kloss
macht Vorschlige „Zur Ausgestaltung des Wagner-Museums", von der er hofft,
sie werde „die schdne Sammlung zu einem Mittelpunkt der Wagner-Forschung
un{ zu einem bedeutungsvollen Faktor deutscher Kultur* werden lassen. Der
Digitized by
Google
s~
2.
232
DIE MUSIK III. 21.
Aufsttz Richard Sternfelds „Noch einmal Richard Wagners Mutter 41 behandelt
das Verh<nis zwischen Wagners Mutter und ihrem Sohne und gleichfalls mit
Wagners Familiengeschichte beschiftigt sich die Studie ,Die Grftber Johanna und
Rosalie Wagners* von Moriz Wirth. Endlich beschliesst Alfred Heuss in Heft 24
seinen Artikel „ Anton DvoHk", in dem er u. a. sagt: .Das musikalische Erbe, das
uns DvoHk hinterlassen, ist ungemein gross und verheissungsvoll. Es braucht
nur eine Zeit zu kommen, die musikalisch kraftiger und reiner ffihlt, und Dvoftk
wird zu den Musikern gehSren, die man musikalisch noch hSher einschfttzt."
Noch sind zu erwahnen der .Vertrauliche Brief an Max Hasse" von Prof. Somborn
und H asses Ant wort hierauf: „ Peter Cornelius und sein Barbier von Bagdad".
ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG (Charlottenburg) 1904, No. 20-24. — Fort-
setzung und Schluss der Studie „Tanz und Tanzmusik in England im Zeitalter der
Kdnigin Elisabeth" von Hugo Conrat bringt sehr viel Wertvolles und Interessantes.
Sehr beliebt war unter anderem der sogenannte „Kissen"- oder ,Kfissentanz", von
dem es z. B. in Shakespeare's „Heinrich VIII." heisst: „Unziemlich war's, zum
Tanz euch aufzufordern und nicht zu kussenl"; ebenso der sogenannte ^Hornpipe",
von dem vielleicht die Bachsche ,Oboe da caccia" ihren spftteren Namen „Eng-
lisches Horn" bezogen hat. Am komischesten aber sind wohl die Titel von so
manchen zeitgendssischen Tftnzen; wir flnden da Bezeichnungen wie etwa: „Ich Hebe
dich, mein Mftdchen", „Das Schlachthaus", ,Nimm deinen Mantel, Schatz", „Ente
und Enterich", „Erdbeeren mit Cream" u. dgl. a. m. — „Ein bisher ungedruckter
Brief Haydns" wird von Hermann Ritter verSffentlicht; er ist „Wien, 20. Mai 1801"
datiert und an den Freiherrn von Droste in MQnster gerichtet und es heisst in
ihm u. a.: „Der allgemein-unverdiente Bey fall meiner ScbSpfung begeisterte meinen
neunundsecbzigjfthrigen Kopf dergestalt, dass ich es noch wagte, die Jahreszeiten
nach Thomson zu bearbeiten ..." — August Spanuth kommt in dem biographischen
Artikel fiber „ Richard Strauss" zu der „Erkenntnis, dass Richard Strauss nicht nur
der bedeutendste lebende Komponist 1st, sond.rn auch auf seine komponierenden
Zeitgenossen einen bestimmenden Einfluss ausfibt". — „Zu Peter Cornelius' Ge-
dftchtnis" ergreift das Wort Eugen Segnitz; er nennt Cornelius „einen FSrderer
und Mehrer der deutschenKunst und ihrer Bestrebungen, einen jener wahrhaften,
fest in sich verharrenden Kunstlercharaktere, deren seine bewegte Zeit mit ihren
Kftmpfen urn neue Ideale und hohe Ziele in so hohem Grade bedurfke!" — „Zwei
bisher unverdlTentlichte Briefe von Peter Cornelius" bleiben so wie die Artikel
,Aus den Briefen Richard Wagners an Mathilde Wesendonk" und ,Konrad Lange
als Musik-Asthetiker" von Paul Riesenfeld noch'zu erwahnen.
LE MfiNESTREL (Paris) 1904, No. 20—23. — Zu erwahnen sind die Artikel: .Rapport
du concours musical de la ville de Paris. 1900/3" von Samuel Rousseau und
„Un chanteur de l'optra au 18. siecle: Pierre J^lyotte" von Arthur Pougin.
DIE WOCHE (Berlin) 1904, No. 2021. - Enthftlt einen Artikel von Otto Neitzel:
„Der dritten Liedersammlung ,Im Vol ks ton* zum Geleit."
UBER LAND UND MEER (Stuttgart) 1904, No. 26. - Ein interessanter Aufsatz
von O. Bie: „Die Musik im Bilde u .
DIE WAGE (Wien) 1904, No. 16-18. — Bringt „Briefe an den Grafen Arrivabene u
von Giuseppe Verdi.
BUHNE UND WELT (Berlin) 1904, No. 16. - EntMlt einen Artikel fiber „Die
Musik der Japaner" von Hugo Conrat und eine Studie w Zur Vorgeschichte des
Parsifal" von Wolfgang Golther.
Digitized by
Google
NEUEJOPERN
Mancinelli: M P<olo und Francesca" soil ia nftchster Spielzeit in der Mai;
Under Scala in Szene geben. Das Werk bebandelt die Francesca da Rimini-
Episode aus Dante's „Divina Commedia", der Text stammt von Arthur
Collante.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Brfkssel: Das Monnaie-Tbeater wird im September mit einer Auffuh rung der
neueinstudierten „Meistersinger a eroffnet werden. Das Theater kQndigt
eine Anzabl Neuauffuhrungen an; mebrere der in Aussicbt genommenen
Opera sind noch auf keiner anderen Buhne aufgefuhrt worden; es sind dies:
„La Ducasse", zwei Akte von Albert Dupuis, dem Komponisten der
erfolgreicben Oper rjean Michel"; „Pepita Ximenes", eine zweiaktige
Oper des spanischen Komponisten und Violin virtuosen Isaak Albeniz;
„Carmosine" von Poise und ,Sancho" von Jaques-Dalcroze. Nur fur
Brussel neu sind die gleicbfalls vorbereiteten Opera „Le Jongleur de Notre-
Dame" und „Pelleas und Melisande". Neu einstudiert werden, ausser
den bereits erwftbnten „Meistersingern", der „Fliegende Hollander* 4 , „Gwen-
doline" und „Fidelio".
Warschau: In der nftchsten Saison sollen Wagners „Meistersinger*, Masse-
net's ,K5nig von Lahore 4 *, Leoncavallo's „Zaza a , Giordano's „Andre*
Chenier* usw. in polnischer Sprache zur Auffuh rung gelangen.
TAGESCHRONIK
Bologna begebt am kommenden 30. November die Hundertjahrfeier der
Grundung des beruhmten stftdtischen Konservatoriums. Bei dieser Gelegen-
heit soil in der Vorballe des Stadttbeaters ein Gedenkstein ffir Richard Wagner
enthullt werden.
In Weimar verlautet, dass nach dem Scbeitern des Lindemann-Dumontschen
Theaterplans an massgebender Stelle ernstlich an den Bau eines neuen Hof-
th eaters gedacht wird.
In Poppelsdorf bei Bonn wurde dieser Tage das von den deutschen
Mftnnergesangvereinen gestiftete, von Architekt Senlf und Bildhauer Meuser ge-
scbaffene Denkmal fur Kaspar Josef Brambach, den im Juni 1902 verstorbenen
Komponisten vielgesungener MJnnerchSre und grSsserer Ghorwerke enthullt.
In Bad Liebwerda bei Friedland in Bfthmen, wo Garl Maria von Weber
vom 10.— 30. Juli 1814 weilte und an seinem „Oberon" arbeitete, ist am 24. Juli
eine entsprecbende Gedenktafel enthullt worden.
Richard Epstein, der Pianist und fruhere Lehrer am Wiener Konservatorium,
hat eine Professur am Lon don-Ham pstead-Gonservatoire angenommen.
Hofrat Dr. August Bassermann, Intendant des Mannheimer Hoftheaters,
st zum Intendanten des KarlsruherHoftheaters ernannt worden.
Digitized by
Google
234
DIE MUSIK III. 21.
An Stelle des Herrn Buhmann ist Dr. W. Nicola i, Realgymnasial-
oberlebrer in Eisenach, zum Bibliothekar des Eisenacher Wagner- und Reuter-
Museums ernannt worden.
AlsNacbfolgerdes im Mai verstorbenen Richard Hoi wurdenjoh. Wagenaar
zum Direktor der Musikscbule der Utrechter Abteilung der ,Maatschappij tot be-
vordering der Tonkunst' und zum Direktor des „Gesangvereins",Wouter Huts ch en -
ruyter zum Direktor der stidtischen Konzerte in Utrecbt ernannt.
Musikdirektor Carl Waack in Riga wurde zum Dirigenten des Bach-Vereins
gewlblt.
Felix Weingartner wird nlcbsten Winter wieder eine Reise nach Amerika
unternebmen. Er wird das Februarkonzert der New-Yorker Philharmonischen
Gesellscbaft und spiter eine Anzabl Konzerte in Philadelphia, Chicago und
Boston dirigieren. Voraussichtlich wird Weingartner sechs Wochen in Amerika sein.
34 deutsche Geigenbauer grundeten einen Verb and deutscher Geigen-
bauer unter Vorsitz von Josef Liilsdorff-KSln. Sitz des Verbandes ist KOln. Er
hat den Hauptzweck, dem Unwesen mit dem Handel unechter Meistergeigen ein
Ziel zu setzen. Fur echte Geigen stellt der Verband nStigenfalls nach Priifung
durch eine Kommission Garantiescheine aus. Die Handler sollen strenger uber-
wacht werden. Dem Unfug, den die Zigeuner mit dem Verhandeln ihrer meist
schlechten Streichinstrumente treiben, soil entgegengearbeitet werden. Alle zwei
Jahre wird ein Kongress abgebalten.
Am 27. Juni feierte Albert Ldschhorn, der Altmeister der Berliner Klavier-
PSdagogen, seinen 85. Geburtstag.
Dem Cellovirtuosen Prof. Hugo Becker wurde das Ritterkreuz erster Klasse
des Ernestinischen Hausordens verliehen.
Der Kdnigl. Musikdirektor Karl Mengewein in Berlin erhielt den Konigl.
preuss. Kronenorden 4. Klasse.
Kammersftnger Kurt Sommer von der Berliner Hofoper erhielt anlftsslich
seiner Mitwirkung bei der Cornelius-Feier in Weimar vom Gross herzog das Ritter-
kreuz vom Orden des Weissen Falken.
Dr. Hans Richter hat vom KSnig von England den * Royal Victorian Order"
erhalten.
Hofkapellmeister Franz Fischer in Munchen erhielt vom Grossherzog von
Baden das Ritterkreuz 1. Klasse des Ordens vom Zfih ringer Ldwen.
Helene Staegemann wurde gelegentlich ihrer Mitwirkung in dem Hof-
Konzert, das am 6. Jul! in Scbwerin stattfand, der Titel einer .Grossherzoglichen
Kammersangerin" verliehen.
TOTENSCHAU
Der zweite Dirigent des .Bremer Lehrergessngverein", Lehrer C. Ulbrich,
ist bei einer Bootfahrt ertrunken.
Der langjahrige Organist an der Katbedrale von Canterbury, Dr. William
Henry Longhurst, ist am 24. Juni, 85 Jahre alt, gestorben.
In Gross-Licbterfelde verschied Marie Leinauergeb. zum Busch, fruher an
den Hofbuhnen von Wiesbaden, Dessau, an den Stadttheatern von Koln und Mainz
als dramatische S&ngerin erfolgreich tfttig.
Professor Josef BSbm, Lehrer des Violinspiels am Konservatorium in
Petersburg, ist gestorben.
Digitized by
Google
OPER
KIEL: Die Kieler Oper kann sich nur in bescheidenen Grenzen bewcgen. Ihr eigent-
licbes Gebiet ist die Spieloper, die noch metar gepflegt werden sollte, als es bis-
lang geschieht. Das Publikum verlangt seinen Wagner. So ist die Theaterdirektion ge-
ndtigt, w Tannhauser" und „Lohengrin" mit drei, scbreibe drei ersten Violinen, zwei zweiten
usw. zur Auffuhrung zu bringen. Eine in den grossen Wriedtschen Saal verlegte und
fur Kieler Verhftltnisse mit ausserordentlichen Opern-Orchestermittein (acbt erste Vio-
linen usw.) ausgestattete Auffubrung der .Gotterdammerung" und des „Siegfried" zeitigte
einen hocb erfreulicben kunstlerischen Erfolg. Direktor Ming bracbte mit seinem Ensemble
einige in Kiel selten gebdrte Werke beraus, so Lortzings w Die beiden Schutzen", Marscbners
.Hans Helling" und vor allem Goetz' „Der Widerspenstigen Zihmung". Unter den
Repertoire-Auffuhrungen ragt eine gelungene Darstellung von Beetbovens „Fidelio" her-
vor. Der Dirigent der Oper, Herr Moerike, erwies sich als eine gediegene Kraft, die
mit den geringen Mitteln das MSglicbe leistet. Hans Sonderburg.
MONCHEN: Als letzte Neuheiten dieses novitatenreictaen Jahres gingen im Hoftheater
die Dorfidylle „Das war ich" von Leo Blech und Possart-Rdbrs Musikdrama
„Das Vaterunser" in Szene, zwei Etnakter von sehr verschiedener Art. Wfthrend die Dorf-
idylle unverkennbar auf jene frisch-launigen Singspiele zuruckgreift, an denen das 18. Jahr-
hundert so reich war, ist das „Vaterunser* ein richtiges modernes „Musikdrama", sogar
mit einem Stich ins Veristische. Blecbs Werk, das bereits an zahlreicben Bubnen zur
Auffuhrung gekommen ist, bat bei knapper Durcbfubrung recbt bubscbe lyriscbe Momente,
echten Humor indessen nur in bescbeidener Dosierung, obschon an komiscben Situationen
kein Mangel ist. Musikalisch ragt das Scblussensemble durch lebensvolle Steigerung
hervor. Der Komponist hat dramatiscbe Begabung; im Orchestrieren eine acbtbare
Fertigkeit, aber noch nicht die gerade hier, in Anbetracht des barmlosen Sujets, recht
wunschenswerte Missigung; der grosse Aufwand an polyphonen Verkunstelungen resultiert
wohl auch aus diesem Dberscbwang. Das Possartsche Drama, das hier seine Urauf-
fuhrung erlebte, ist sehr bubnenkriftig. Die Handlung spielt in Paris zur Zeit der
Kommune und schildert den Seelenzwiespalt, aus dem ein frommes, durch die Hin-
mordung des geliebten Binders aber zur Verzweiflung getriebenes Midchen scbliesslich
durch die Kraft des Gebetes erlost wird; den Hohepunkt bildet die Szene, in der dieses
MEdcben in edler Selbstuberwindung einen der MSrder vor seinen Verfolgern rettet. Das
Sujet, von Coppee, ist von Possart mit grossem Gescbick frei bearbeitet; das ganze ent-
wickelt sich in spannendem Fluss, gehoben durch eine scbdne Spracbe. Wie bei Blech
ist auch bei Rohrs Musik ein Zuviel der Gesamtwirkung gefSbrlich. Gleich in der ersten
Szene geht der Komponist mit alien Klangreizen und Effekten, deren ein guter Orchester-
kenner habhaft werden kann, geradezu vehement ins Zeug, ohne Rucksicbt auf die
dramatiscbe Steigerung und zum Schaden der musikaiischen, fur die ihm zuletzt die er-
forderlichen Farben ausgehen. Erfindung ist Rohrs starke Seite nie gewesen; seine
musikalische Ausdrucksweise ist jedoch im ganzen gewSblt, vielfach sinngemlss und
eindringlicb. — Die Auffuhrung der beiden Werke verlief in vortrefflicher Inszenierung
sehr anregend. Die Hauptrollen des Possart-Rohrschen Dramas wurden von Frl. Morena
Digitized by
Google
236
DIE MUSIK III. 21.
(Rose) und den Herren Klopfer (Pfarrer) und Brodersen (Lcroux) mit feinem Verstindnis
gegeben; in dem Blechscben Stuck sangen rectat frisch die Dam en Bosetti (RSschen),
Geiger (Nachbarin) und Muller (Marthe), sowie die Herren Reiter (Peter) und Brodersen
(Paul). Am Scbluss bereiteten die zablreich erscbienenen Besucber den Verfassern
Possart und R5hr lebbafte Huldigungen. Dr. Tbeodor Kroyer.
PARIS: Die neueste Tat der Grossen Oper 1st die Einfuhrung des .Troubadour* in
den Spielplan. Bisber war diese popuMrste Oper Verdi's immer die Beute der
kurzlebigen Theatres Lyriques. Ein besseres Los batte sie immerhin verdient, so gut
wie „Traviata", die nicbt selten in der Koniischen Oper gegeben wird, und noch mebr
als »Rigoletto*, der in der Grossen Oper als Balletvorrede verwendet wird. Eine Beneflz-
vorstellung zugunsten des Verdidenkmals in Mailand diente in der Grossen Oper als
Versuch und, da das Publikum befriedigt war und die strenge Kritik kein allzu unfreund-
liches Gesicht machte, so wurde die Stellung des Troubadour regularisiert Von den
Darstellern ragte namentlich Louise Grandjean als Leonore hervor. Dieser Kunstlerin
ist nun aucb fur den n&chsten Winter Wagners Isolde zugefallen, nachdera sicb Lucienne
Breval, die ftltere Recbte batte, mit Glucks Armide hat abflnden lassen. Die Direktion
der Grossen Oper hat sicb nftmlich endlich entschlossen, einem tiefgefuhlten Bedurfnisse
abzuhelfen, indem sie eines der Gluckscben Meisterwerke aufs Program m setzte. Den
Mut dazu scbeint sie daraus gescbflpft zu haben, dass die Komiscbe Oper soeben
einen ausserordentlicben, unverhofften Erfolg mit Glucks »Alceste* gefunden hat. Sie
bat nach dem Orpheus und der taurischen Iphigenie aucb dieses grundlegende Werk
der Vergessenbeit entrissen, um Felia Litvinne Gelegenheit zu einigen Gastvorstellungen
zu geben. Der Erfolg der sehr gut einstudierten und ausgestatteten AuffQhrung war aber
so gross, dass Direktor Carre* den Scbluss der Saison vom 15. auf den 30. Juni verschob.
Es kam freilich dazu, dass auch der Jongleur* Massenet's trotz seines Mangels an Jeder
Frauenrolle das Publikum lebbaft anzog und festhielt. Felix Vogt.
PHILADELPHIA: „Grau, lieber Freund, ist alle Tbeorie, und grfin des Lebens goldner
Baum*, das Hesse sich von unserer verflossenen Opernsaison kaum behaupten.
Eher das Gegenteil. Nach den von dem neuen Leiter der Metropolitan-Operngesellschaft,
Heinrich Gonried, proklamierten Grundsltzen, bfttte unser bisheriges Starsystem durch
ein solches ersetzt werden sollen, das uns nicbt bloss grosse KSnstler, sondern ein
vollendetes Zusammenwirken aller Faktoren, vollkommene Kunst bringen sollte. Das
war die goldig grfine Theorie. Die Praxis ist etwas grau ausgefallen. Das Gute, das die
verflossene Opernsaison brachte, war nicht neu, das Neue zumeist nicbt gut. Wir batten
einige vortrefflicbe Vorstellungen, so Verdi's ATda mit der Gadski in der Titelrolle, Caruso
als Rhadames, Scotti als Amonasro und Walker als Amneris, Puccini's Tosca mit Ternina,
Scotti und Caruso. Wir fanden auch Gelegenheit, einige neue Gesangskrifre kennen zu
lernen, so Mme. Acte\ die eine treffliche, wenngleich ecbt franzftsische Marguerite In
Gounod's Faust war, Edith Walker, die sich in den Partieen der Frau Schumann-Heink
rfihmlich zu bebaupten vermochte und vor alien Olive Fremstad, die sich in alien
Partieen, die sie bier sang, als eine bdchst interessante, ja hervorragende Singerin und
Darstellerin erwies. Und ibr Repertoire war bier nicbt gering. Sie sang die Santuzza,
die Venus, die Fricka im Rbeingold, die Sieglinde . . . Von den neuen Slngern gewann
der italienische Heldentenor Caruso durcb die seltene Pracht seines Organs sicb rasch
die Gunst des Publikums. Die Herren Goritz, Kloepfer und Naval interessierten In
ihren Partieen, ohne gerade zu begeistern. Oberdies lernten wir zwei neue, hier noch
unbekannte Dirigenten kennen, Felix Mottl, der sich bei der Leitung der Wagnerwerke
trefflicb bewfthrte und Arturo Vigna, der als Dirigent italienischer Opera kaum seines-
gleichen haben durfte. Allein trotz der guten neuen Krlfte und obwohl von der alten
Digitized by
Google
til
KRITIK: OPER
^
Garde des fruheren Direktors die besten Krftfte reengagiert waren, war die Saison ein
Feblscblag, da durch vielfache, hSchst ungluckliche Besetzungen gerade die besten Werke,
wie Tannbiuser, Carmen, der Ring und Tristan in einer Weise berausgebracht wurden,
die man hier noch nicbt gewdbnt war. Aucb unter dem Regime Grau ist es mancbmal
vorgekommen, dass bei Erkrankung oder Indisposition von Sternen erster GrSsse mancbe
wicbtige Partieen mit minderen Kriften besetzt wurden. Allein ein gewisses Mittelmass
wurde stets eingebalten. Herrn Conried war es bescbieden, uns eine Tristan- und
GStterd&mmerung-Vorstellung zu geben, die direkt an die Karikatur streiften. Eine
Miss Marion Weed als Isolde konnte sich unser Publikum nacb einer Nordica oder
Ternina selbst dann nicbt gefallen lassen, wenn es Herrn Conried gefiel, dieselbe Dame
in New York mit der Ternina in der Partie der Kundry alternieren zu lassen. — So war
es denn kein Wunder, dass unser Publikum den Opernvorstellungen nicbt mebr in dem
Masse zustromte, wie dies bier sonst der Fall war. Besonders die Wagner- Vorstellungen
waren schwacb besucbt. Da uns Heir Conried aucb die einzige ,Grosstat" seiner
Direktionsfuhrung, den Parsifal, vorentbielt, so ist man bier auf ibn nicbt gut zu sprechen
und es wird ibm nicbt geringe Mube kosten, das verlorene Prestige einzubringen. Ein
Verdienst ist Herrn Conried jedocb nicbt abzusprechen. Fur die bocbgescburzte Muse
scbeint er kein geringes Verstindnis zu besitzen. Das unter Herrn Grau ganz vernacb-
lftssigte Ballet bat unter seinem Regime seine Wiederauferstebung gefeiert. Er bat uns
Dtlibes' ,Coppelia" gebracbt und damit einen woblverdienten, ebrlicben Erfolg erzielt,
der vor allem seiner ersten Tftnzerin Varasi, einer Kunstlerin von seltener Anmut und
ScbSnbeit, zu verdanken ist. — Der nichsten Opernsaison siebt man bier mit einem
gewissen Bangen entgegen. Ober die verungluckten Ringvorstellungen will uns Conried,
wie es heisst, dadurcb binwegbelfen, dass er die Zabl der biesigen Vorstellungen verringert
und den „Ring M uberbaupt nicbt gibt Das w2re allerdings eine radikale Kur. Eine Art
Hegelscber Negation der Negation. Die riesigen Einnabmen, die der Parsifal in New York
abgeworfen, macben es Conried allerdings leicbt, die hiesige Saison etwas en canaille zu
behandeln und fiber die Wunscbe unseres Publikums zur Tagesordnung uberzugeben. Allein
mit der Zeit durfte aucb da eine Wendung zum besseren eintreten. Die Zugkraft des Parsifal
wird bald erscbSpft sein und einen zweiten Parsifal zu finden, wird selbst dem „findigen*
neuen Direktor der Metropolitan-Gesellscbaft kaum gelingen. Dr. Martin Darkow.
KONZERT
BERN: Das funfte Scbweizeriscbe Tonkunstlerfest. In den grossen Konzerten,
die bei der funften Tagung des Vereins scbweizeriscber Tonkunstler im Munster
am 25./26. Juni stattgefunden haben, sind vier Namen besonders hervorgetreten:
Hans Huber, Friedricb Hegar, Volkmar Andreae und Friedricb Klose, alle vier aucb in
Deutscbland nicbt unbekannt. Das eigentlicbe musikaliscbe Ereignis des Festes war die
Aufrubrung der d-moll Messe von Klose (mit Hinweglassung des Gloria und Sanktus),
die den tiefsten Eindruck binterliess. Was dieser im modernen Geiste konzipierten,
dabei aber die alte Form nicbt ganz verleugnenden ScbSpfung ibre Bedeutung verleiht,
ist die krftftige Eigenart in der Erfindung und die staunenswerte Fftbigkeit Kloses mit
den einfacbsten Mitteln die grSsste Wirkung auszuuben. Das Werk wird wohl noch
weiter von sicb reden macben. Hans Hubers beroische Sympbonie in C-dur (mit
Sopran-Solo) batte als grosszugiges, meisterbaft gearbeitetes und dabei durcbaus originelles
Werk ebenfalU einen starken Erfolg. Die viel umstrittenen Totentanz-Variationen des
dritten Satzes erscbeinen Ibrem Bericbterstatter als sebr glucklicb konzipiert und sind
von feinster Faktur. Volkmar Andreae bat, wie beim Tonkunstlerfest in Frankfurt, so
Digitized by
Google
238
DIE MUSIK III. 21.
auch hier mit seiner symphonischen Phantasie (Schwermut — Entruckung — Vision) die
HSrer mftchtig mitgerissen. Die grosszugigen Gedanken und das warmblutige Tempera-
ment im Ausdruck erregten ebensosebr Bewunderung wie die virtuose Beherrschung der
Orchestermittel. Von Friedrich Hegar stand ein Werk fur gemischten Chor, Soli und
Orchester „Ahasvers Erwacben" auf dem Program m. Hegars geniale Charakterisierungs-
kunst bat hier eine Schopfung hervorgebrachr, die in jedem Takt den HSrer lebhtft
fesselt. Von grosser Scbonbeit sind die tonmaleriscben Scbilderungen aus der Alpen-
welt. .Abasvers Erwachen" gebdrt zweifellos zum allerbesten, was Hegar je gescbrieben
bat. — Selbstverstandlicb kommen bei einem solcben Anlass auch Werke zur Auffuhrung,
die den Tag nicht uberleben. Der Gesamt-Eindruck aber war der eines erffeulichen
Strebens nach eigenem Ausdruck. Als junge liebenswurdige Talente seien genannt:
Walter Courvoisier, Ernst Isler, Fritz Karmin und Peter Fassbinder (Streich-
quartett in A-dur). Ein Streichquartett in Des-dur von Henri Marteau — vom Genfer
Marteau-Quartett vollendet gespielt — erwies sicb als ein von edler Romantik durch-
wehtes, wundervoll klingendes Werk. Genannt sei noch eine geistreiche Rbapsodie fur
grosses Orcbester von Joseph Lauber, ein wunderhubscher Kanon fur gemischten
Chor von Karl Hess und ein temperament voiles formschSnes Klavierkonzert von Albert
Meyer. — Ober die Vorbereitung der Auffubrungen durch Direktor Karl Munzinger in
Bern hSrte man nur eine Stimme des Lobes. Die grossen Chorwerke wurden von den
Gesangvereinen ,Berner Liedertafel" und ,Cftcilienverein" ganz vortrefflich gesungen.
Auch die Orchester von Bern und Lausanne standen durchaus auf der HShe ihrer Auf-
gaben. G. Bundi.
KIEL: Am besten ist es bei uns urn die Kammermusik bestellt. Das Hamburger und
das Bremer Streichquartett gaben insgesamt sieben Konzerte, die Herren Kopecki
und Keller drei Duo-Abende. Alle Darbietungen zeigten gute, zum Teil vorzugliche
Leistungen. — Unsere Vereins- Konzerte leiden nicht an Obermass grosser Leiden-
schaften und ditbyrambischen Jubels. Es gebt in ihnen korrekt und bedachtsam her.
Ach, dass unsere Pulse lebendigeren Schlag batten und die Kieler Kunst wabernde Lohe
entzundete! Meist gebt man aus den Konzerten, wie man bineinkam: in Erwartung der
Dinge, die da eigentlich batten kommen sollen. Der Gesangverein brachte unter Herrn
Lewandowskis Leitung u. a. Verdi's Requiem und Clucks Iphigenie a. T. zu GehSr. Recht
brav exekutierte der Chor-Verein unter Leitung des Herrn Marten Mozarts C-dur Requiem
und Bacbsche Kantaten. An bedeutenden Solisten traten auf Wullner und im Lehrer-
Gesangverein d'Albert. — Das Rudolph-Orchester bait sich bei etlichen instrumentalen
Unzuianglicbkeiten, die nach Lage der Dinge unvermeidbar sind, wacker. Herr Rudolph
veranstaltete u. a. einen Berlioz- Abend mit der phantastischen Sympbonie. Der „Verein
der Musikfreunde" gab drei Volkskonzerte. Leider erfullen diese Konzerte nicht ihren
Zweck. Das letzte Konzert nahm einen umubmlicben Ausgang mit den als Lucken-
busser (!) aufs Programm gesetzten „Pr61udes« von Liszt Solche Vorginge sch&digen
das Ideal der Volkskonzerte, die das Beste in bester Ausfuhrung bringen sollen. — Der
Unterzeicbnete gab drei Symphonic- Konzerte mit einem ,FranzSsischen Abend", in denen
er secbs Werke zur Erstauffuhrung in Kiel brachte, darunter Liszts Suite «Jeux d'enfants"
und Schillings' ,Hexenlied". Hans Sonderburg.
PARIS: Die Konzertsaison dehnte sich diesmal bis in die erste Juniwoche, d. h. bis
zum Rennen des Grand- Prix aus. Colonne und Cbevillard stellten zwar ihre Sonntags-
konzerte, wie ublicb, Mitte April ein, aber es tauchten zwei neue Unternehmungen auf.
Der Geiger Charles Wolff und der Bratschist Monteux grundeten mit funfzebn Ge-
nossen das wahrhaft popuifire Concert Berlioz in der Vorstadt Batignolles, das drei
Wochen lang jeden Abend spielte und z. B. in einer Woche s&mtliche Symphonieen und
Digitized by
Google
23d
KRITIK: KONZERT
Ouvert&ren Beetbovens bewiltigte. Es gab nur einen PUtzpreis von einem Franken.
Die Ausfuhrung war uber Erwarten gut und der Besuch rechtfcrtigt, wic es scheint, eine
Fortsetzung im nichsten Winter. Die andere Neugrundung, die der Nouveaux Concerts
von Pierre Carolus-Duran ruhrt daher, dass sich dieser Dirigent von seinem Bundes-
genossen Le Rey getrennt bat, um ein eigenes Orcb ester zu baben. Le Rey 1st ausserdem
das Missgescbick begegnet, dass das Gericbt seine geringe Befibigung verkundigt hat.
Kubelik batte mebrere Konzerte mit dem Orcbester Le Rev's gegeben, in denen dessen
Leistung nicbt nur von der Kritik, sondern aucb vom Publikum beanstandet wurde. Zu
seinem Abscbiedskonzert verpflichtete daher Kubelik das Orcbester Chevillard. Nun
strengte aber Le Rey eine Klage an, weil Kubelik einen Kontrakt mit ihm geschlossen
batte. Das Gericbt erkannte jedocb, dass Kubelik in Anbetracbt der ungenGgenden
Leistungen Le Key's das Recbt batte, sich an einen anderen Dirigenten zu wenden. Das
von Carolus-Duran vereinigte Orchester bewlhrte sich recbt gut in einem ersten
Sympbonie-Konzert, dem im Winter andere folgen werden, und in einem Konzert des
Klavierspielers Marcian Thai berg, der an einem Abend mit grossem Erfolg drei Klavier-
konzerte vortrug, Beethoven Es-dur, Saint-SaSns g-moll und Rubinstein d-moll. Er war
ubrigens nicbt der einzige, der ein so anspruchsvolles Programm durcbfubrte. Risler
spielte schon vor ihm die drei letzten Klavierkonzerte Beetbovens hinter einander und
bald darauf fiberrascbte uns sogar Frau Kleeberg, indem sie auf ein zu wenig bekanntes
Konzert von Bach fur Klavier, zwei obligate Fldten und Orcbester Beetbovens Es-dur
Konzert und Schumanns a-moll Konzert folgen Hess. Aber aucb obne Orcbester wurden
die Klavierspieler in diesem Frubjahr gerne gebdrt. So fand Eugen d* Albert diesmal im
Vortrag Beethovenscher Sonaten den begeisterten Beifall, den er scbon vor zwei Jabren
verdient bltte. Gabrilowitscb fflllte funfmal den Saal Erard. Auch Schelling und Hans
Richard wurden sebr gut aufgenommen. Die in Paris niedergelassenen Pianisten dster-
reichiscber Herkunft Ludwig Breitner und Karl Fdrster behaupteten sicb in ihren
erworbenen Recbten. Die grdsste Sensation erregte — naturlicb, m5chte ich fast sagen —
der Geiger Kubelik. Die Kritik wollte anfangs in ihm nur einen von Tecbnik strotzenden
Virtuosen seben, musste dann aber docb zugeben, dass er auch die klassischen Stucke
mit eindringendem Verstlndnis und obne Obertreibung im Ausdrucke vortrage. Eine
sebr interessante neue Erscbeinung war die sechzehnjihrige portugiesische Cellistin
Guilbermina Suggia und eine gute alte Bekanntschaft mit Paris erneuerte der das gleiche
Instrument als Meister bandbabende Sigmund Burger von Budapest. Auch die Kammer-
musik, die musikaliscb meist erspriesslicher ist, als die sogenannten Recitals, erfreute
sicb einer steigenden Beliebtbeit. Ysaye und Pugno konzertierten z. B. viermal zusammen
und taten auch etwas fur die modernen Komponisten, denn sie spielten Geigensonaten
von Piern6, Fevrier und Samazeuilb, denen ein gewisses Interesse zukam. Pugno spielte
ausserdem mit dem in Paris sehr beliebten Bdhmiscben Quartett Quintette von Dvottk
und Saint-SaSns. Erwlhnung verdient auch, dass die alte Gesellschaft der ,Trompette",
in der die Trompete glGcklicberweise fast nie gebdrt wird, ein Sextett des deutscben
Komponisten Thuille zu Ehren bracbte. Am seltensten sind wobl in Paris die Lieder-
abende. Frau Mysz-Gmeiner und der Amerikaner Clark veranstalteten solcbe mit gutem
Erfolg. Felix Vogt.
arot
Digitized by
Google
ANMERKUNGEN ZU
UNSEREN BEILAGEN
Zura Aufsatz von Dr. Altmann uber die Kdniglicbe Preussischc Hofkapelle gehdren die
Port rits der GeneraMntendanten: Karl Tbeodor von Kustner, Botho
von Hulsen, Graf Bolko von Hochberg, Georg von Hulsen, sowie der
Kapellmeister: Wilhelm Taubert, Otto Nicolai, Karl Eckert, Robert Radecke,
Heinrich Kahl, Josef Sucher. (Die ebenfalls zu diesem Artikel gehdrenden
Bilder von Meyerbeer, Mendelssohn, Dorn, Weingartner, Muck, Richard Strauss
sind von der ,Musik" schon mebrfach veroffentlicht worden.)
Als Nachtrag zu dem im ersten Juli-Hcft wiedergegebenen Bild Jobann Adam Hillera
folgt ein Brief des vor 100 Jabren verstorbenen Begrunders des deutscben Sing-
spiels in Faksimile (cf. ,Die Musik" III, Heft 10, S. 80).
Auf den nlchsten zwei Bllttern bringen wir die Abbildung des Haydn-Mozart-
Beethoven=Denkmals in Berlin. Das von Prof. Rudolf Siemering unter
Assistenz seines Sohnes, Regierungsbaumeisters Wolfgang Siemering, geschaffene
Werk hat seinen Platz am Sudende des Goldflschteichs im Tiergarten. Auf einem
runden Plateau von grauem Granit, in dem Vertiefungen fur Blumen vorgesehen
sind, erhebt sich ein dreiseitiger Marmorbau in fein abgestimmter gelblicber
Tdnung. Die erste Anregung zu diesem Denkmal ging von dem verstorbenen
Direktor der Singakademie, Prof. Martin Blumner, aus; Joseph Joachim fdrderte
das Unternehmen durch zahlreiche Konzerte. In der Nacht vom 1./2. Juli wurde
das Denkmal ohne jegliche Feierlicbkeit seiner Bestimmung ubergeben.
Auf dem nlchsten Blatt sehen wir das PortrSt des einst gefeierten Opera- und
Oratorienslngers Eduard Mantius (f 4. Juli 1874), der auch als Komponist von
Liedera bervorgetreten ist. Am 18. Januar 1806 zu Schwerin geboren, studierte er
zu Leipzig und Rostock die Rechte, erregte durch seine prichtige Tenorstimme in
Liebbaberkonzerten Aufsehen, so dass ihn Poblenz in Leipzig und Nauenburg in
Halle kunstlerisch weiter ausbildeten. 1830 debfitierte er als Tamino am Kgl. Opera-
haus zu Berlin, wurde sogleich engagiert und gehdrte dieser Buhne 27 Jahre lang
an. Von da an widmete er sich mit grossem Erfolg dem Gesangsunterricht Unser
Bild stammt aus der „Mendelssobn-Sammlung a ; die Vorlage ist eine Litbographie
von Fr. Jentzen nacb einer Zeicbnung von Fr. Kruger.
Unsere diesmalige Musikbeilage betitelt sich ,Liebesweihe" und ist nach Worten von
Wilhelm Muller fur Baryton und Klavier von Peter Gast (Pseudonym von Heinrich
Kdselitz, geb. 1854) gesetzt, den bekanntlich Friedrich Nietzsche nach seiner Ab-
kebr von Wagner auf den Schild erhob. Die Komposition zeicbnet sich durch
schwungvolle, warmblutige Melodik und_edles Pathos aus. Mit gutiger Erlaubnia
des Komponisten bringen wir hiermit das Lied zum ersten Abdruck.
Nacbdruck nur mit ausdriicklicher Eriaubois des Vorlage* gestattet
Alle Rechte, insbetondere du der Obertetsung, Torbehalten.
fflr die ZurBcksendung unVorlangter oder nicht aagemeldeter Manuikripte, CUls ihnen nicbt genagead
Porto beiliegt, fiberniauat die Redaktion keine Garantie. Schwer leserliche Manuskripte werden ungepriift zuruckgeaandt.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin SW. 11, Luckenwalderstr. 1. HI.
Digitized by
Google
it
"*
*
fv
I
i y 1
1
$
—rfrftKK,wwwnn
LSEN
O
o :.•..
X
K
z
2 """
U4
o~- j -
X
> — ■-
u
CO
o
CO
X
CO
H
D
o
u
OQ
04
CL
z
H
CO
O
o
>
o
a
o
w
X
H
Z
w
y
o
z
o
u
a
w
H
X
y
u
CO
w
O
D
N
Digitized by
Google
Digitized by
Google
o
m
OQ
X.
&
X
z,
o
> ,
o
OQ
EL.
««
OS
O
u
tu
©
X
z
o
>
o
OS
o
w
O
w
0-
EL.
o
X
z
u
X
u
55
CO
D
W
z
tu
X
y
o
z
o
W
a
w
H
X
y
55
u
CO
UJ
O
OS
D
N
Digitized by
Google
Digitized by
Google
W1LHELM TAUBERT
KARL ECKERT
' ' OTTO N1COLA1
ZUR GESCH1CHTE DER K0N1GL1CHEN PREUSS1SCHEN HOFKAPELLE
111. 21
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Ad. Halwas, Berlin, phot.
ROBERT RADECKE
J. C. Schaarwachter, Berlin, phot.
HE1NRICH KAHL
J. C. Schaarwiichter, Berlin, phot. \j "•.••*
JOSEF SUCHER
ZUR GESCH1CHTE DER K0NIGL1CHEN PREUSSISCHEN HOFKAPELLE
III. 21
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Sv+ll^, tu. 2/Jtt. /rty
MAdJ"
?T T i' u '^ *^ ~*^ «+y~y<U #~**£~, **#^M
fjuUAA*. V*^w W+pX*i> t&) ~*~*~^ Y^WJa^^Z^^
J***!***'! +*u£*4h JZ*ry+/C<s <£m+«l>us 4Xi+*f* ' 4r4s-+"S£i> ^.%vH^y yvHP *4*u
tA4**+1*
+*%,%JY£*rW *++'f+*+<**4i. 1 ho/a^ ux.**^. %*,+*<+ LrjfcdA** +4A**i*us+++^ 0vf*m<*u>-
L:±*^JU +f~£2"Z~y' Jbw;£k+^ , & «*W
J***^ <utu, v**Cy 44f~r *JLJ&iM*'^ Jfa/J<a~~
£»Z**y *•/)■ •• \fcnfct~U ■An*'*' ~ 1 i'f'** t ' ***-
EIN^BRIEF VON JOHANN ADAM HILLER
lit 21
Digitized by
Google
j£ WL. £ZD*~ . tnmu, juu~>~ QJji~+ >&£2i
Digitized by
Google
Al*.
6,«J JtCjjt/^ ,?Lu *V^ -^
J&*1&££, dw -m^* -/.
>%*%*- J**. £?£»*•
Digitized by
Google
m W/y yi^ **,,** *c^ «»***^ - m^j ^V ^^haJ^ *sd*»0jJL V+*//*******
#*~v ***v>«v0 ys^/v £*/ Au ~~:-J c-uLt **'*t^ ~— «~* iw*^-,
JijQ+wJt, yJu*~+*Z+~. f*JL;*l£l 4+Uf **/> <-*■
Digitized by
Google
III. 21
DAS HAYDN-MOZART-BfcfeTfldVEN-
DENKMAL IN BERLIN (SOdseite) o o
Digitized by
Google
Digitized by
Google
DIE BUSTEN HAYDNS UND MOZARTS AM HAYDN-
MOZART- BEETHOVEN-DENKMAL IN BERLIN o o
III. 21
Digitized by
Google
Digitized by
Google
EDUARD MANTIUS
f4.JULI 1874
III. 21
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Dig
tized by GOOgk -
Feicrlich.(J=i*)
Lass indci-ne heil'gen Tie-fen, Meer der Lie-be, mien ver-sin-kenl
Per- len seta? ieh aus dem Grun-de nnd Ko-ral-len - swei - - ge blin - ken
und an el- ner wei-ssen Klip-pe hangt ein al-ter gold-ner Be-cher,
Digitized by
Google
i> gimp g p r j i j. aj j i \ j j)ij b r 1 1 j^ m
er-len le-sen u;
Per- len le-sen und Ko-r al-len - knos-pen pfliicken, urn a ls treu-er Lie - - be Kro-ne
8tioh u. Drack: Berliner Muaikallen Druckerei O.m.b. H. Charlottenburg.
Digitized by
Google
t.
Digitized by
Google
DIE MUSIK
SKANDINAVIEN
Ein Spielmann btt weder Heim nocb Haus,
Sein Sinn geht rastlos ins Weite hinaus.
Wem dt von Liedern die Brust geschwellt,
Dcs Heimtt ist rings die weite Welt.
Im Laubsatl, im Ttl, tm grfinenden Htng
Muss er ruhren die bebenden Saiten zum Sang;
Dem beimlichsten Leben muss er lauscben:
Des Giessbachs Tosen, der Woge Rauschen,
Des pochenden Herzens seltsamen Mlren;
Sein Lied muss des Volkes Trlume kllren
Und all die Gcdankcn, die girenl
Hcnrik Ibsen
Olaf Liljekrans III, 9.
III. JAHR 1903/1904 HEFT 22
Zweites Augustheft
Herausgegeben
von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig
-ZJAKiqEA..
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Musikgeschichte Schwedens umfasst einen Zeitraum von etwa
ausend Jahren. Von dieser Zeit mussen wir aber, wenn von einem
/irklichen Musikleben die Rede sein soil, die erste Hfilfte ab-
echnen; und fassen wir die Musikgeschichte nur als eine Ge-
schichte der musikalischen Kunstschbpfungen auf, bleibt nur das letzte
Viertel des Jahrtausends ubrig. Wir wollen hier jedoch die Musikgeschichte
in weitestem Sinne auffassen und beginnen daher unsere Darstellung mit
dem Jahre 900.
Zu dieser Zeit teilten sich die Musikausubenden in Schweden in
zwei scharf gesonderte Klassen, Sanger und Spielleute, oder, wie sie
damals genannt wurden: Skalden und Spielleute. Die Skalden, diezu-
gleich auch Dichter waren, sangen zur Harfe das Lob der Kdnige und
Helden. Oberall, wo sie hinkamen, genossen sie Achtung und Anerkennung.
Die Spielleute dagegen wurden fast immer verachtet und verhdhnt. Sie
spielten Geige, Viole, Pfeife und Trommel und mussten sogar auch zu
gymnastischen Kunsten greifen, um sich geltend zu machen. So waren
sie als Spassmacher, Jongleure und Seiltinzer bei Volksfesten gem gesehen.
Diese beiden Klassen bildeten nun bis 1200 die einzigen Musiker.
Dann beginnt allmihlich die Kirche Macht zu gewinnen, und damit treten neue
Forraen der Musikpflege auf. Die kirchliche Musik in Schweden sucht so
weit als moglich dem allgemeinen rdmischen Kanon zu folgen. Je nach
dem Reichtum der einzelnen Bistumer ist aber die Pflege der Tonkunst eine
verschiedenartige. AmbedeutendstenwardieMusikausubung in denBischofs-
stidten Skara, Linkoping und Upsala entwickelt. In der erstgenannten
Stadt wirkte besonders der Bischof Brynolphus 1. (f 1317) fur geregelten
Kirchengesang. Er war auch ein vorziiglicher Offizienverfasser und hat
uns mehrere Hymnenmelodieen uberliefert. In Linkdping sorgte Bischof
Heinrich fur die Kirchenrausik, indem er eine besondere Ordnung des
Chorgesanges (26. April 1272) vorschrieb. Upsala bekam etwas spfiter,
am 12. Mai 1298, eine ahnliche Chorordnung durch den Erzbischof Nils
Allesson. Im spiteren Mittelalter nahm die Kirchenmusik dann einen
kriftigen Aufschwung im Birgittinkloster zu Wadstena.
16*
Digitized by
Google
£l
244
DIE MUSIK HI. 22.
Auch die Musiktheorie und die mensurierte mehrstimmige Musik
wurde in den schwedischen Klostern eifrig gepflegt. Die Pariser Musik*
lehre wurde hier das Vorbild, und mehrere Schriften uber die Musik
wurden nach der Theorie des Franco Parisiensis und seiner Schule verfasst.
Die aiteste musiktheoretische Arbeit in Schweden ist eine im Jahre 1334
gefertigte Abschrift eines Musiktraktates von Petrus Picardus, einem Schuler
Franco's.
Die Einfiihrung der Orgel in die Kirchen geschah erst allmihlich.
In Upsala ist schon urn 1272 von einer grossen Orgel die Rede. Etwas
spBter, am Anfang des 14. Jahrhunderts, hdren wir von einem Orgelbauer
Eubertus (f 1344) in Wisby. Der Dom zu Linkoping besass in der zweiten
HMlfte des 15. Jahrhunderts sogar zwei Orgeln. Sonst aber muss die Orgel
in Schweden vor 1500 wenig bekannt gewesen sein.
Die auf unsere Zeit gekommenen Fragmente mittelalterlicher Kirchen-
musik gehdren vorwiegend dem Offiziengesang an. Ziemlich gross ist die
Zahl der vorhandenen Graduate und Antiphonarien. Von den ersteren
erschien um 1490 eine Auswahl von Ghotan in Lybeck im Druck. Fur
die schwedische Musik ist in diesem Buch besonders die grosse Anzahl
der Sequenzen zu schwedischen Heiligen interessant. Mensurierte mehr-
stimmige GesMnge in Aufzeichnungen aus dem Mittelalter sind uns
nicht uberliefert. Aus dem 16. Jahrhundert dagegen haben wir dem
Theodoricus eine wertvolle gedruckte Sammlung mehrstimmiger schwedischer
Kirchenlieder aus dem Mittelalter in lateinischer Sprache, „ Petri Piae
Cantiones", gedruckt zu Greifswald 1582, zu verdanken. Diese Sammlung
ist auch darum wichtig, weil in ihr einheimische „geistliche Volkslieder"
aufgenommen worden sind. Melodisch besonders schon sind die Schul- und
Fruhlingslieder.
Die mittelalterliche kirchliche Singweise lebte in Schweden noch lange
fort. Einzelne Berichte aus dem 18. Jahrhundert melden uns, dass noch
in mehreren DSrfern der alte Antiphongesang vorherrschte, und im 19. Jahr-
hundert wurden einige Melodieaufzeichnungen gemacht, die ein stark mittel-
alterliches GeprMge haben. Wir geben hier als Beispiel eine kleine Melodie
wieder, die im Jahre 1887 in Mora (Dalekarlien) aufgezeichnet wurde:
jjglig g 1 r JJJV I j Oj f jT | 57} j J i=||
E - jat mitt hjir - ta rfttt in - ner - ligt tig frdj-dar
med luat och glid - Je s& hjir - te - lig i hflj-den,
m
rfnr
U-*U-
Q^jfc^
5
ZE
^
ZK±
s
3=**1
nir jag be
tfin-ker, ttt dd - dens lftn-ker; de
Ir
Digitized by
Google
245
NORLIND: GESCHICHTE D. SCHWED. MUSIK
^== ^ ^^ ^=fhi^F=^
brut - ne, ocb lif - vet skin • kes tf n& - de.
Die beiden oben erwMhnten Klassen der weltlichen Musiker ver-
schwinden allmShlich im 13. Jahrhundert. Die Spielleute existieren zwar
noch, aber sie haben als Musiker im Lauf der Zeit ein ganz anderes An-
sehen gewonnen: sie sind jetzt nicht mehr die verhohnten Spassmacher
des niedrigen Volkes, sondern spielen ihre lnstrumente an den kdniglichen
und furstlichen Hofen und stehen uberall in Gunst. Am hochsten war
ihr Ansehen zur Zeit des Folkungargeschlechts (1250 — 1319). Zu Hoch-
zeiten und Festlichkeiten am Hofe fanden sich die Spielleute in grosser
Zahl ein und erhielten Geschenke an Pferden, Kleidern, Gold und Silber,
„dass sie alle reich nach Hause fuhren 4 *. Besonders freundlich gegen die
Spielleute waren der Konig Birger (1298—1319) und seine Bruder Erik
und Waldemar. Die Musik bei den Hoffesten dieser Zeit wird als krflftig
und lMrmend geschildert. Dies zeigt sich auch in der Vorliebe fur die
lnstrumente: Trommeln, Trompeten, Posaunen und Pfeifen. Die Streich-
instrumente kommen nur selten vor, und die friiher so beliebte Harfe ist
so gut wie verschwunden.
Der weltliche Gesang des Mittelalters war intimer Natur und
erklang mehr in den stillen Kammern der Ritterburg als bei festlichen Um-
zugen unter freiem Himmel. Die gewdhnliche Form dieses Gesanges war
die Ballade. Ihre Blutezeit fSllt in das 15. und 16. Jahrhundert. Wie es
urn die Balladenmelodieen im Mittealter bestellt war, daruber wissen wir
aus damaligen Aufzeichnungen nichts. Nur die Volkstradition hat uns
kleine Uberreste, im 19. Jahrhundert aufgezeichnet, geschenkt. Versuchen
wir uns aus diesen ein Bild ihrer ursprunglichen Gestalt zu machen, so muss
das allgemeine Resultat das sein, dass die schwedische Balladenmusik aus
dem altnordischen Volksgesang unter Einwirkung teils der Kirchenmusik,
teils des dinischen und deutschen Volksgesanges hervorgegangen ist.
Neben den Balladen besitzen wir noch eine wichtige Gattung mittel-
alterlicher GesMnge in den historisch-politischen Liedern. Mehrere
dieser Lieder sind uns auch in Melodieen aus dem 15. und 16. Jahrhundert
uberliefert. Das Mlteste historisch-politische Lied mit Musik ist das aus Anlass
der Ermordung der Herzdge Erik und Waldemar in Nykdping (1318) gedich-
tete." Die Melodie kennen wir nach einer Aufzeichnung aus dem 17. Jahrhundert,
die jedoch auf eine mittelalterliche Quelle zuruckzugehen scheint:
i
st
^d-j-frt
2SC
^?E^
zEE
=t
O qutm do - let gens sve
Quot de - ce - pit vir i
co - rum Poe-ntm vi • dent
ni-quus, Sal - vt - to - ris
Digitized by
Google
246
DIE MUSIK III. 22.
i
F^-p^rr -f-f -r -1-r-r^ EE?
Auch die eigentliche Volksmusik scheint man im Mittelalter hervor-
ragend gepflegt zu haben. Man findet sie besonders in Verbindung mit
dem Tanz. Der gewohnliche Bauerntanz war im allgemeinen ein Reigen,
der entweder mit Gesang oder Instrumentenspiel begleitet wurde. Die
bevorzugten Bauerninstrumente waren Fiedel, Geige, Dudelsack und Pfeife.
Das 16. Jahrhundert ist furSchweden in musikalischer Hinsicht von
grosserer Bedeutung. Die Musik beginnt ihre engen Fesseln zu sprengen
und wird eine freie Kunst, eine Tonkunst. Kirchliche und weltliche Musik
sind nicht mehr getrennt, sondern beide gehen nun in eine hdhere Einheit,
dieKunstmusik, auf. Die Pflege der Tonkunst eiMlt ein festes Zentrum
amkoniglichenHofin Stockholm. Das Verdienst, die Musik gefordert zu
haben, gebiihrt in erster Linie den Wasaregenten : Gustaf Wasa und seinen
Sohnen. Sie batten alle eine innige Liebe zur Musik und pflegten die
Kunst, nicht urn Pracht und Ruhm zu gewinnen, sondern aus innerem
Bedurfnis. Gustaf Wasa (1521 — 60) war ein guter Kenner der Musik und
wird von seinen Zeitgenossen als ein geschickter Lautenspieler gelobt.
Die kSniglichen Instrumentisten belaufen sich urn 1540 auf 16 Personen.
Als Komponisten werden (1526) Johannes und Mats, (1540) Jakob Schott
und Gerardus genannt. Erik XIV. (1560—68), der Nachfolger Gustaf
Wasas, zeigte sich als echter Renaissancefurst, der es liebte, sich von
Kunstlern umgeben zu sehen. Von seinem Vater hatte er die musikalische
Begabung geerbt und spielte vortrefflich die Laute. Er ist sogar selbst
als Komponist hervorgetreten und wird als Tonsetzer der beiden Psalmen
„In te, Domine, speravi" und „Cor mundum crea in me, Deus* fur vier
Singstimmen erwMhnt. Als Hofkapellmeister fungierte in der ersten Zeit
Blasius Fischer (1544) und nach ihm Jdrgen Heyde. Von den kdnig-
lichen SSngern fand namentlich Johan Bast on Anerkennung. Er stammte
aus Holland, hatte einige Zeit in der sMchsischen Hofkantorei gesungen und
sich dann nach DMnemark begeben, wo er vielen Beifall fand. Als Kom-
ponist tritt jetzt besonders Hans Gast hervor. Konig Johan 111. (1568 — 92)
war ein leidenschaftlicher Musikfreund. Wie seine VorgMnger spielte
auch er die Laute. Ein beliebter Lautenspieler an seinem Hofe war
Renatus Du pi ess is. Als Komponist betitigte sich ferner der Kantor der
deutschen Schule in Stockholm Wolfgang Burchardt. Mit dem Konig
Sigismund (1592 — 1600), der zugleich Konig von Polen war, beginnen
polnische Einflusse sich bemerkbar zu machen. Die bedeutendsten Musiker
am Hofe sind jetzt fast alle Polen, so z. B. Fabius Quadrantinus, der
Digitized by
Google
fe
SB.
247
NORLIND: GESCHICHTE D. SCHWED. MUSIK
.Psalmodae VII« im Druck herausgab, und P. La tern a, der .Cithara
vel Decachordon spirituale" drucken liess. Ein bemerkenswerter Musiker
wahrend des K6nigs Karl IX. Regierungszeit (1600—11; war der Hofkapell-
meister Torstenius Johannes Rhyarander. Seine bekannteste Arbeit ist
die Anordnung der Musik zu der schwedischen Psalmen - Ubersetzung
Lobwassers (1602).
Ihre hdchste Entwicklung w&hrend dieser Zeit nahm die Musik aber
unter Gustaf Adolf II. (1611 — 32). Im J ah re 1627 bestand seine Kapelle
aus 4 Singe rn, 16 Instrumentisten, 8 Trompetern nebst einem Trommel-
schliger. 1620 wandte man sich an den Kapellmeister in Cassel, Oster-
meyer, urn durch ihn „einige gute Musikanten" zu bekommen. Kapell-
meister zu dieser Zeit war in Stockholm Jakob Smidt, der diese Stelle
biszumjahre 1636 behielt, worauf Ludwig Bille, ein geschickter Violin-
spieler der Hofkapelle zur Zeit Gustaf Adolfs, Kapellmeister wurde.
Die auslindischen Vorbilder der schwedischen Musik waren in derersten
Haifte des 16. Jahrhunderts vorwiegend niederl&ndische und deutsche,
in der zweiten kamen dann noch italienische dazu. Zu den beliebtesten
Niederlindern zahlten Josquin, Jannequin und Clemens non papa. Die
bevorzugtesten deutschen Meister waren Georg Rhaw und Sixtus Dietrich.
Das hdchste Ansehen aber genoss in der zweiten Hilfte des Jahrhunderts
Orlando di Lasso. Seine „Selectae Cantiones" (1579) wurden fast uberall
in den grdsseren Gymnasien gesungen.
Die Musik an den Gymnasien stand damals am hdchsten in der
Schule der deutschen Gemeinde zu Stockholm und in Wester&s. Das
grdsste Verdienst urn die Hebung der Schulmusik in Wester&s fiel Jonas
Columbus (1586—1663) zu. Durch ihn wurde Wester&s die wichtigste
Pflegest&tte der Kunstmusik in Schweden. Columbus legte auch den
Grand zu einer bedeutenden Musikbibliothek und Instrumentensammlung,
die ein Muster fur die anderen Gymnasien und die Universit&t in Upsala
wurde. —
Mit dem dreissigj&hrigen Krieg greift Schweden zum erstenmal in die
Entwicklung der Kultur ein. Die Pflege, deren sich die Tonkunst unter
den Wasaregenten erfreute, konnte keinen durchdringenden Erfolg fur das
schwedische Musikleben haben, weil die rechten musikalischen Krifte, die
leitenden Personlichkeiten fehlten. Zur Pflege der Tonkunst in den hdheren
St&nden hatte Gustaf Adolf am meisten beigetragen; seine Bestrebungen
sollten unter seiner Nachfolgerin Christina Fruchte tragen. Selbst kunst-
lerisch beanlagt, suchte Christina ihrem Hof erhohten Glanz zu verleihen,
indem sie die bedeutendsten Vertreter von Kunst und Wissenschaft heranzog.
Jetzt ergoss sich ein Strom von Ausl&ndern in das Land, die sich l&ngere
oder kurzere Zeit in Schweden aufhielten. Von den Musikern, die nach
Digitized by
Google
US
DIE MUSIK III. 22.
Stockholm berufen wurden, sind besonders die Singer Beaumont, Munie
und Bondini, die S&ngerin de la Barre zu erw&hnen. Ein beruhmter
Musikgelehrter war Marcus Meibom aus Tonningen. Als Komponisten
taten sich namentlich Vincenzo Albrici und Pier Verdier hervor. Albrici
war als Kapellmeister einer italienischen Musik-Kapelle 1652 nach Stock-
holm gekommen und verliess Schweden nach zweij&hrigem Aufenthalt.
Wir besitzen von ihm aus dieser Zeit nur eine Symphonic Pier Verdier
kam etwas spacer nach Stockholm, wo er eine Anstellung in der Hofkapelle
bekam. Wahrscheinlich ist er in Schweden urn 1660 gestorben. Die
meisten seiner Kompositionen sind Tinze, nur ein Vokalwerk ( 9 Christus
&r mitt lif") ist uns iiberliefert.
Der bedeutendste Musiker dieser Zeit in Schweden war Anders
Dub en. In Leipzig urn 1590 geboren, war er imjahre 1621 als Organist
der deutschen Kirche und Hoforganist nach Stockholm gekommen. Er
machte sich hier bald bekannt als geschickter Orgelspieler und Kom-
ponist und wurde nach dem Tode Ludwig Billes 1640 Hofkapellmeister,
eine Stellung, die er bis zu seinem Tode 1662 behielt. Als Komponist
trat er mit zwei Begrabniskantaten hervor: die erste zur Leichenfeier
Gustaf Adolfs 1633 („Pugna triumphalis" fur 8 Vokalstimmen, gedruckt in
Stockholm 1634), die zweite zum Tode Carl Gustafs 1660.
Die ausiandischen Einflusse, die in der zweiten Halfte des 17.Jahr-
hunderts iiberwiegen, sind norddeutsche aus Hamburg (Christoph Bernhard,
Matth. Weckmann) und Lubeck (Franz Tunder, Dietrich Buxtehude), nieder-
lindische (J*n Pieter Sweelinck) und italienische (Giac. Carissimi). Der
Musikentwicklung in Schweden waren zu dieser Zeit die grossen Samm-
lungen von Musikwerken, die jetzt angelegt wurden, sehr forderlich : erstens
die Werke des 16. Jahrhunderts, die aus deutschen Bibliotheken entfuhrt
worden waren, zweitens die Werke des 17. Jahrhunderts, die von schwe-
dischen Musikern gesammelt wurden. Die grdssten Verdienste urn diese
Sammlungen haben Gustaf Duben und Olof Rudbeck.
Als Reprfisentant der schwedischen Kunstmusik in der zweiten Halfte
des 17. Jahrhunderts steht Gustaf Duben in erster Reihe. Er war der Sohn
des vorhergenannten Kapellmeisters Anders Duben und tritt uns zuerst 1647
als Musiker der Hofkapelle entgegen; 1662, nach dem Tode seines Vaters,
wird er zugleich Hofkapellmeister und Organist der deutschen Kirche und
stirbt 1690. Als Komponist, Diligent, Organist und Sammler der grdssten
Musikwerke seiner Zeit ist er fur Schweden von grosser Bedeutung gewesen.
Seine besten Tonsctadpfungen hat er der Kirche gewidmet. Wir nennen
hier nur die im Stil Carissimi's geschriebene Komposition .Surrexit pastor
bonus" (1664), und sein Miserere fur 5 Stimmen. Fur den Hof schrieb
er mehrere GelegenheitsgesMnge und Tinze fur Streichinstrumente. Als
Digitized by
Google
249
N0RL1ND: GESCHICHTE D. SCHWED. MUSIK
Melodiker zeigt er sich am eindringlichsten in seiner Musik zu Samuel
Columbus' „Odae svetiae* (Text und Musik gedr. 1674). Als Organist und
Dirigent bekam er erwunschte Gelegenheit, grossere Kompositionen, die er
mit emsigem Fleiss gesammelt hatte, zur Auffiihrung zu bringen. Nach
dem Tode Gustaf Dubens wurde sein Sohn Gustaf Kapellmeister und 1698
dessen Bruder Andreas (f 1738).
Zu jener Zeit wandelte Schweden ganz in den Bahnen Frankreichs.
Es ist eine grosse Umwandlung in der Kulturgeschichte Schwedens ein-
getreten. Die friiheren groben Sitten, die die erste Zeit nach dem dreissig-
jahrigen Kriege charakterisieren, waren allmahlich in den letzten Jahr-
zehnten des 17. Jahrhunderts verschwunden, und ein feiner, gezierter Hof-
ton war an ihre Stelle getreten. Die Musik ist nicht mehr an einige
bestimmte Kreise gebunden, sondern Modesache geworden. Alles will
Musik treiben. Der konigliche Hof steht an der Spitze, die adligen Damen
spielen samtlich Klavier. Die Kompositionen Andreas Dubens beschr&nken
sich daher nur auf kleine Arien nach Art der franzosischen Chansons fur
einzelne festliche Gelegenheiten und einige Klavierkompositionen. Als Kom-
ponist fur Klavier gewann er eine besondere Popularity durch seinen „Marche
de Narva". Seine einzige grosse Arbeit war die Musik eines Hofballets, auf-
gefuhrt am koniglichen Hof den 6. Februar 1701.
In Upsala wurde die Musik in der zweiten Halfte des 17. Jahr-
hunderts besonders durch Olof Rudbeck und Harald Wallerius gefdrdert.
Von Rudbeck ist eine Komposition fur die Kronung Karls XI. (1670)
bekannt. Wallerius, der 1670—1711 Director Musicae an der Universitat
und Domorganist in Upsala war, verfasste mehrere wertvolle musiktheoretische
Abhandlungen und schrieb auch fur den Hof viele Gelegenheitskompositionen.
Seine wertvollste Arbeit ist die Anordnung der Musik zum schwedischen
Choral-Psalmbuch 1697. Andere bemerkenswerte Musiker in Upsala waren
Johan Arndt Bellman (1664—1709) und Johan Zellinger.
Zur Zeit Karls XII. hatte die Musik weitere Kreise erobert. Zwar
wandelte man sehr stark in den Bahnen franzosischer Komponisten, aber
es war dies dennoch von grosster Bedeutung; Schweden brauchte eben die
Eleganz der franzosischen Tonsprache, urn die etwas ungelenke Musik der
vorigen Zeit geschmeidiger zu machen. Urn 1720 war Schweden reif genug,
die Musikpflege im grosseren Massstabe zu betreiben.
Die auslMndischen Einflusse, die sich jetzt auf die schwedische Musik
immer stirker bemerkbar machen, sind die deutschen durch Handel,
Fux, Graun und Hasse, und die italienischen durch Scarlatti, Lotti
und Pergolese.
Von den schwedischen Hofkapellmeistern der zwanziger Jahre des
18. Jahrhunderts stammen die drei ersten aus Deutschland: K. F. Hurle-
Digitized by
Google
Ess.
250
DIE MUSIK HI. 22.
busch (1722—25), Frans Al. Mejer (1725—26), Fortunato Kellerii
(1726—1727). Auf Kellerii folgt dannjohan Helmisch Roman, das grosste
Musikgenie Schwedens des 18.Jahrhunderts. Alit ihm beginnt die schwedische
Alusik eigene Bahnen zu wandeln.
Johan Helmisch Roman war am 26. Oktober 1604 als Sohn eines
Kapellmusikers in Stockholm geboren und zeigte schon friih eine starke
musikalische Begabung. Als kleines Kind lernte er Violine und Oboe
spielen. Wahrend eines sechsjMhrigen Aufenthalts in London (1714—20)
genoss er den Unterricht Handels in der Harmonie und Pepuschs in der
Komposition. In den zwanziger Jahren schrieb er die Musik zu mehreren
festlichen Gelegenheiten am Hofe. Seine Kompositionstatigkeit umfasst
Instrumental werke, Suiten, Ouverturen, Konzerte, Werke fur Soloinstrumente,
Vokalkompositionen, Kantaten und Sologesange. Urn das europiische
Musikleben naher kennen zu lernen, machte er 1735 — 37 eine Reise nach
dem Ausland und besuchte England, Frankreich, Italien und Deutsch-
land, uberall mit den beruhmtesten Musikern verkehrend. Romans beste
Tonwerke gehoren der Kirchenmusik an. Seinerzeit weit verbreitet
waren seine Bearbeitungen von Davids Psalmen fur Solo, Chor und
Orchester. Roman hat auch mehrere wichtige musiktheoretische Werke in
schwedische Sprache ubertragen, unter anderen Gottfried Kellers „ A complette
method of attaining to play a thorough-bass usw." und Francesco Gasparini's
.L'armonico pratico al cembalo." Als Kapellmeister und Lehrer entfaltete
er eine segensreiche TMtigkeit bis zu seinem Tode, den 20. Dez. 1758.
Von den ubrigen schwedischen Komponisten der ersten Halfte des
18. Jahrhunderts gehort Johan Agrell (geb. in Ostergotland 1707, gest.
als Kapellmeister in Ntirnberg 1765) mit seiner Kompositionst&tigkeit ganz
und gar Deutschland. Als Kirchenkomponist und Musiktheoretiker nimmt
David Kellner(1711 Glockenspieler der deutschen Kirche, spacer Organist
in der Jakobskirche in Stockholm, gest. 1748) im schwedischen Musikleben
eine bedeutungsvolle Stellung ein. Seine in deutscher Sprache verfasste
Schrift „Treulicher Unterricht im Generalbass", gedr. in Stockholm 1732,
wurde das wichtigste Handbuch der Musiklehre in Schweden bis zum An-
fang des 19. Jahrhunderts. Historisch bedeutsam ist diese Arbeit darum,
weil die Musiktheorie hier zum erstenmal in Schweden ganz auf modernem
Dur und Moll aufgebaut ist. Ein geschickter Orgelspieler und Kirchen-
komponist dieser Zeit ist ausserdem Ferdinand Z ell be 11 d. A. (geb. 1689
in Upsala). Seine Choralbuchbearbeitung aus dem Jahre 1749 war weit
verbreitet.
In der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts beginnt das Theater
immer mehr in den Vordergrund zu treten. Im Jahre 1753 wurde eine
franzdsische Operngesellschaft nach Stockholm eingeladen und ein Jahr
Digitized by
Google
^Ss.
25 i
NORLIND: GESCH1CHTE D. SCHWED. MUSIK
darauf zugleich auch eine italienische. Der Kapellmeister dieser
Truppe war Francesco Antonio Uttini (geb. in Bologna 1723), ein Mann,
der fur das schwedische Musikleben nicht ohne Bedeutung wurde. Die
italienische Gesellschaft musste schon nach einer zehnjahrigen Wirksamkeit
Schweden verlassen, wfchrend die franzdsische in Stockholm noch bis 1771
blieb. Uttini schrieb sowohl fur die italienische als die franzdsische Truppe
mehrere Opern. Am beliebtesten wurde W I1 R6 pastore*. Nach der
Entlassung der italienischen Gesellschaft blieb Uttini in Stockholm zuruck
und wurde im Jahre 1767 Hofkapellmeister.
Als Orchesterdirigent der franzosischen Truppe wirkte seit 1763
Henrik Philip Johnsen. In England 1717 geboren, folgte er 1743 als
Musiker der Kapelle Adolf Fredriks nach Schweden. Zwei Jahre spater
wurde er Organist der Kirche Klara und 1763 zugleich Hoforganist. Fur
das Theater schrieb Johnsen nur kleinere Werke, gelangte aber als Kirchen-
komponist, Organist, Lehrer und Musiktheoretiker zu grosser Bedeutung.
Ein dritter namhafter Komponist der fiinfziger Jahre des 18. Jahr-
hunderts ist Ferdinand Zellbell d. J., in Stockholm 1719 geboren. Er
war der Nachfolger seines Vaters als Organist, Konzertmeister der Hofkapelle,
und starb 1780. Zellbell war ein Schuler Romans und Telemans in Hamburg.
Nur wenige seiner Kompositionen gehoren dem Gebiet der Oper an. Als
Organist und Lehrer gewann er hohe Anerkennung.
Um die Mitte dieses Jahrhunderts begann auch das Konzert- und
Virtuosenwesen in Schweden sich zu entwickeln. Offentliche Konzerte
hatten schon in den dreissiger Jahren stattgefunden (Roman hatte Handels
Oratorium Esther schon 1734 aufgefuhrt). Zu einem geordneten Konzert-
wesen kam es jedoch erst in den fiinfziger und sechziger Jahren. Mehrere
begeisterte Adlige schlossen sich um diese Zeit zu einer Konzertgesellschaft
zusammen. Die Musikauffuhrungen dieser Gesellschaft wurden dann die
so beruhmt gewordenen Kavalierskonzerte.
Die Regierung G us ta f s III. (1771 — 02) war fur die schwedische Oper eine
goldene Zeit. Theater und Hofkapelle wurden jetzt umgestaltet und vervoll-
stindigt. Der Kdnig wollte eine stMndige kdnigliche Oper mit schwedischen
Kriften und in sch wedischer Sprache schaffen. Die erste Oper inschwedischer
Sprache „Thetis och Pel6e a , von Francesco Uttini komponiert und am
18. Jan. 1773 zur Auffuhrung gebracht, versetzte das ganze Stockholmer Publi-
kum in helle Begeisterung. Uttini, der fortdauernd Kapellmeister blieb, studierte
nach diesem glucklichen Anfang mehrere neue grosse Opern ein. U. a. kamen
die Werke Glucks (Orpheus 1773, Iphigenie in Aulis 1778, Alceste 1781 usw.)
zur Auffuhrung. Ausserdem komponierte Uttini noch einige neue Opern, wie
Aline (1776), Athalie (1776) und Iphigenie (1777), die mit Wohlwollen auf-
genommen wurden. Erst 1787 nahm er seinen Abschied und starb 1795.
Digitized by
Google
252
DIE MUSIK III. 22.
Einen machtigen Aufschwung nahm die Oper, als der Dresdener
Kapellmeister Jotaann Gottlieb Naumann im Juni 1777 nach Schweden
berufen wurde. Die Aufgabe, die Naumann gestellt wurde, war die, Opern
zu komponieren und ihre Auffuhrung zu leiten. Naumann wurde ein gern-
gesehener Gast in den schwedischen Hofkreisen; besonders erfreute er sich
der Gunst des Konigs. Am 26. Januar 1778 wurde seine Oper w Amphion a
gegeben und mit sturmischem Jubel aufgenommen. Schon im Juni des-
selben Jahres musste er aber nach Dresden zuruckkehren, da er keine
Verlftngerung des Urlaubs erhalten konnte. Der Konig hatte inzwischen
ein grosses Opernhaus bauen lassen und dachte da ran, eine besondere Ein-
weihungsoper auffuhren zu lassen. Man wandte sich zu diesem Zweck
an Naumann. Dieser schrieb die Musik in Dresden und kam dann im
Juli 1782 wieder nach Stockholm, urn die Einstudierung zu leiten. Am
30. Sept. wurde das neue Theater mit der Oper „Cora und Alonzo" ein-
geweiht. Das Werk machte eben falls grosses Gluck. Man uberredete nun
Naumann, in Stockholm einige Zeit zu bleiben und eine neue Oper fur
die schwedische Buhne zu komponieren. Nach dem Plan des Konigs
wurde der Text zu der Oper „Gustaf Wasa a von Kellgren ausgearbeitet,
und Naumann schrieb in dem darauf folgenden Jahre die Musik dazu. Der
Auffuhrung sollte er aber nicht selbst beiwohnen konnen. Schon im
Oktober 1783 musste er Schweden verlassen, um es nicht wiederzusehen.
„Gustaf Wasa" wurde im Januar 1786 aufgefuhrt. Mit dieser Oper hatte
der Naumannenthusiasmus seinen Hohepunkt erreicht. Viele Melodieen
des Werks wurden popular und noch in spaterer Zeit gesungen.
In demselben Jahre als Naumanns „Amphion" zum erstenmal
aufgefuhrt wurde, kam noch ein deutscher Tonsetzer nach Schweden:
Josef Martin Kraus. Er sollte langere Zeit in der schwedischen Haupt-
stadt weilen. Den grossten und segensreichsten Teil seiner Wirksamkeit
hat er in Schweden entfaltet und wird mit Recht zu den schwedischen
Komponisten gerechnet. Kraus ist in Miltenburg am Main 1756 geboren
und widmete sich zuerst juridischen Studien an mehreren deutschen
Universitaten. Allmahlich wandte er sich aber der Musik zu und
begann mit Kompositionsversuchen im Symphonie- und Kirchenstil.
Im Fruhling 1778 begab er sich nach Stockholm und es gelang
ihm hier im Jahre 1781, eine Oper „ Proserpine" in Gegenwart des
Konigs aufgefuhrt zu bekommen. Er wurde nun zum zweiten Kapell-
meister ernannt und erhielt zugleich die Zusicherung, eine Studienreise
nach dem Ausland auf Kosten des Staates unternehmen zu durfen. Kraus
ging im Oktober 1782 nach Deutschland, Italien und Frankreich und
kehrte im Januar 1787 nach Stockholm zuruck. Nach Uttini wurde er jetzt
erster Kapellmeister und behielt diese Stellung bis zu seinem Tode 1702.
Digitized by
Google
253
NORLIND: GESCHICHTE D. SCHWED. MUSIK
Fur das Theater schrieb Kraus nur eine grosse Oper „ Aeneas in Carthago",
die jedoch erst nach seinem Tode aufgeftihrt wurde. Er hat seine
grosste Bedeutung als Instrumentalkomponist. Hier zeigt er eine ganz
ungewohnliche Beherrschung der grossen symphonischen Formen; seine
bedeutendste Arbeit ist die Begribniskantate Gustafs III. (1792).
Noch ein dritter deutscher Musiker sollte wfchrend der Regierung
Gustafs III. an der Spitze der Oper stehen, Georg Josef Vogler (Abt Vogler).
Im Jahre 1786 kam er nach Stockholm und erhielt im selben Jahr eine
Anstellung als „Direktor der Musik" an der Oper. 1791 nahm er seinen
Abschied, wurde aber zwei Jahre darauf wieder angestellt und blieb jetzt bis
1799, in welctaem Jahre er Schweden fur immer verliess. Vogler wurde auch
in Schweden als Komponist, Orgelvirtuos und Lehrer ausserordentlich hoch ge-
schatzt. Fur das Theater schrieb er nur dieOper „ G us taf Adolf ochEbba Brahe*
(1788). Als Kirchenkomponist hat sich sein Ruf lange erhalten. Seine
Hymne „Helig ar Herran" war noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts
allgemein bekannt, und sein Kirchenlied „Hosianna, Davids son" wird noch
heute in alien grossen Kirchen Schwedens am Adventssonntag gesungen. Als
Musiktheoretiker gab er einige fur Schweden sehr wichtige Musiklehrbucher
in schwedischer Sprache heraus, so 1794 eine „Inledning till harmoniens
kannedom", 1798 eine Organisten- und eine Klavierschule.
Voglers Nachfolger als Kapellmeister wurde Johan Friedrich Haeffner
(geb. 1759), der 1780 nach Stockholm gekommen zuerst als Gesang-
lehrer an der Oper und nach 1785 auch als Organist an der deutschen
Kirche wirkte. Seit dem Jahre 1793 hatte er als Vertreter Voglers die
Kapellmeisterstelle innegehabt; ordentlicher Kapellmeister wurde er aber
erst 1799. Die Opera, die zu seiner Zeit am meisten aufgefuhrt wurden,
gehorten der franzosischen komischen Oper an, und die beliebtesten
Komponisten waren Gr6try, Montigny und Dalayrac. Die Theaterwirk-
samkeit HaefFners nahm aber ein jMhes Ende, als Konig Gustaf Adolf IV.
im Jahre 1807- den Befehl gab, dass das Theater 1 ) aufgeldst und keine Vor-
stellungen mehr gegeben werden sollten. Hiermit war eine der stolzesten
Perioden der schwedischen Theatergeschichte abgeschlossen, und als eine
neue Zeit kam, die dem Theater wieder holder gesinnt war, hiess es wieder
von vora anfangen. —
*) An der schwedischen Oper wirkten in den drei letzten Jahrzehnten des 18. Jahr-
hunderts mehrere hervorragende Singer und SIngerinnen. Am berutamtesten war
in der ersten Zeit Elisabeth Olin (1740— 1828); in der Ein we in ungsoper, Thetis och Pelte"
hatte sie die Partie der Thetis inne und trug durch ihr vollendetes Spiel und ihren Ge-
sang viel zu dem grossen Erfolg der Oper bei. Als Singer erntete Kristoffer Karsten
(1756—1827) besondere Lorbeeren durch seine mlchtige Stimme und sein w&rdevolles
Spiel. Ein hervorragender Singer war ausserdem Karl Stenborg (1752—1813). Er
schrieb auch die Musik zu vielen und bekannten Operetten.
Digitized by
Google
254
DIE MUS1K III. 22.
Von den schwedischen Komponisten ausserhalb der Oper ist in
erster Reihe Johan Wikmanson (1753—1800) zu nennen. Seine bedeu-
tendsten Kompositionen sind drei Streichquartette, in den achtziger J ah re n
geschrieben, jedoch erst nach seinem Tode herausgegeben und Joseph Haydn
zugeeignet. Wikmanson ist vor allem ein musikalischer Denker. Er liebt
feine, kontrapunktische Ausarbeitung und genau abgemessene melodische
Formen. Er besitzt plastische Formschdnheit im Verein mit tiefer Em-
pfindung. Ein Tonsetzer, der viel geistige Verwandtschaft mit Wik-
manson zeigt, ist Per Frigel (1750 — 1842). Von seinen grossen Tonwerken
sind vor allem das Oratorium 9 F5rsonaren p& Oljoberget" (zum erstenmal
aufgefuhrt 1815), eine Festkantate (1798) und mehrere Kirchenkompositionen
zu nennen.
Neben diesen schwedischen Vertretern des Klassizismus beginnt die
neue liedartige Richtung, die in Deutschland durch Schulz und Reichardt
geschaffen war, in Schweden in den achtziger Jahren AnhMnger zu finden.
Der vornehmste Reprasentant dieser Kunstform in Schweden ist Olof
Ahlstrdm (1756—1835). Im Jahre 1789 begann er eine periodische Zeit-
schrift „Musikaliskt Tidsfordrif" herauszugeben und suchte durch diese
besonders fur die Kenntnis der deutschen Musik, namentlich des deutschen
Liedes zu wirken. Er schrieb auch mehrere Lieder nach deutschem Muster.
Eine besondere fur die neue Gesangsform bestimmte Sammlung „Skalde-
stycken satta i Musik* veroffentlichte er in den Jahren 1790 — 1823 und
nahm in diese die Lieder anderer schwedischer Komponisten derselben
Richtung auf. Ahlstrdm komponierte nur die Lieder der vornehmsten
schwedischen Dichter wie Kellgren, Lenngren und Franz6n. Durch Ahl-
strdm wurde auch die Musik zu Bellmanschen Liedern gesammelt und
revidiert. Als Liederkomponisten taten sich neben Ahlstrdm Johan Fredrik
Palm (1753—1821) und Haeffner hervor.
Fur die Entwicklung der schwedischen Musik wurde die 1771 gestiftete
kdnigliche Musikakademie nebst einem Konservatorium fur die
Ausbildung der Musiker von grosser Bedeutung. Der erste Direktor des
Konservatoriums war Ferdinand Zellbell. Die Akademie hatte in der
ersten Zeit mit grossen pekuniSren Schwierigkeiten zu kMmpfen, und zu
einer dauernden Wirksamkeit kam es erst im 19. Jahrhundert.
Die Strdmungen, welche die schwedische Musik im Anfang des
19. Jahrhunderts durchdringen, ahneln im wesentlichen denen, welche die
Literatur beherrschen. Eine allgemeine vaterlandische Richtung mit dem
Volkslied als Ausgangspunkt gibt dem ganzen Musikleben dieses Zeitalters
ihre Farbe. In den Volksliedern sieht man das Ideal aller Musik und im
Liede die einzig existenzberechtigte Kompositionsgattung. Die nationalen
Digitized by
Google
255
NORLIND: GESCHICHTE D. SCHWED. MUSIK c
Bestrebungen kommen zum Ausdruck in vaterl&ndischen Liedern, und der
MSnnergesang wird fur diese die eigentliche Musikform.
Den ersten Anstoss zu einer neuen Lyrik gab die Herausgabe
der alten schwedischen Volkslieder. Die erste Verdffentlichung soldier
Gesange verdanken wir A. A. Afzelius und E. G. Geijer in den Jahren
1814 — 16. Die Alelodieen wurden von Haeffner besonders revidiert. Zu-
sammen mit O. Ahlstrom gab Afzelius 1814 ausserdem eine Sammlung
schwedischer Volkstanze „Traditioner af svenska folkdanser a heraus. Eine
Sammlung der alten Balladen und der Ringelreihen veranstaltete A. J.
Arwidsson; seine musikalischen Mitarbeiter waren J. N. Eggert und E.
Drake. Andere musikalische Volksliedersammlungen wurden von Richard
Dybeck, K. S. Sodling u. a. besorgt.
Die schwedische Musik der ersten Halfte des 10. Jahrhunderts
zeichnet sich also durch ihre einseitige Verehrung des Gesanges aus. Bald
beginnen die schwedischen Volkslieder grosse Verbreitung zu gewinnen
und in die Entwicklung des Kunstgesanges einzugreifen. Der Gesang wird
tiefer und inniger und erhalt im grossen und ganzen einen nationaleren
Charakter. In der schwedischen Lyrik lassen sich drei Phasen unter-
scheiden: die erste, vorwiegend deutsche, hat ihre typischen Reprisen-
tanten in Haeffner, Crusell und Nordblom; die zweite, die nationale, die
die Bliitezeit der Romanze bezeichnet, wird von E. G. Geijer, A. F. Lind-
blad und J. A. Josephson gebildet; die dritte, die Zeit der Uberreife, da
das Genre bereits wieder Hilfe von aussen her nehmen muss, hat G. Wenner-
berg und J. Hallstrom als Hauptvertreter.
J. F. Haeffner hatte sich nach der Auflosung des Theaters 1807 nach
Upsala gewandt und die Stelle als Director Musicae an der Universitat
angenommen. Er blieb auf diesem Posten bis zu seinem Tode 1833.
Unter Einwirkung der neuen literarischen Stromungen, die in Upsala ihr
Zentrum hatten, begann jetzt HaefFners Tatigkeit grossere Formen an-
zunehmen. Obgleich er als Komponist kaum mehr als mittelmissiges
leistete, wurde er der musikalische Reprasentant dieser ganzen Kultur-
bewegung. Neben der Revision der ersten Volksliedersammlung pflegte er
den M&nnerchor, gab das neue Choralbuch heraus und wirkte schliess-
lich als Lehrer einer grossen Reihe hervorragender Tonkunstler. Unter
seinen Ges&ngen wollen wir bier nur eine deutsche Publikation „Zehn
lyrische Versuche mit musikalischer Begleitung*, gedruckt in Upsala 1810,
hervorheben. Die grdssten Arbeiten Haeffners w&hrend dieser Zeit waren
seine Oratorien „Forsonaren pa Golgatha" (1809) und ,Forsonaren p&
Oljobergef.
Die Richtung, die durch Haeffner eingeschlagen war, wurde von
Bernhard Crusell (1775—1838) weiter gefuhrt. Wenn Haeffner zum Teil
Digitized by
Google
256
DIE MUS1K 11L 22.
noch an den alten melodischen Formen fest hielt, gehdrte Crusell schon
ganz der neuen Zeit an. Seine Form war zwar im allgemeinen die deutsche,
Inhalt und Klang aber war schwedisch. Crusell w&hlte seine Texte immer
aus den grossen vaterlindischen Dichterwerken. Besonders Verse von Tegn6r
wurden oft von ihm in Musik gesetzt, und Tegn6r bewunderte in Crusell
den Kunstler, der es verstand in Tonen auszudrucken, was die Worte
nur halb andeuten konnten. Von den Gesangen Crusells wurden vor-
nehmlich seine Melodieen zu Tegn6rs w Frith iofs Sage" weit verbreitet.
Crusell war als Komponist vdllig ein Kind der deutschen Schule. Seine
Melodieen sind einfach und wohllautend; seine Musik fliesst leicht, natur-
lich und ungekunstelt dahin, ist aber ohne scharfe Originalitit und
hdheren Flug.
Der dritte Repr&sentant des Sologesanges w&hrend dieser ersten
Periode ist Johan Erik Nordblom (1788—1848). Durch ihn wird das Lied
seiner Reife nSher gefuhrt. Nordblom schlSgt in seinen Gestagen bewusst
den nationalen Ton an. Mit Crusell hat er die leichte, fiiessende
Kompositionsart gemeinsam, uberragt ihn aber bei weitem an Innigkeit
und Reichtum der Motive. Ein gemeinsamer Zug bei diesen drei Tonsetzern,
Haeffner, Crusell und Nordblom, ist, dass die Begleitung ganz nebensfichltch
behandelt wird. Einige gebrochene Akkorde machen die ganze harmonische
Unterlage aus.
In die klassische Zeit der Romanze tritt Schweden mit Erik
Gustaf Geijer (1783— 1847). Durch ihn wird der Gesang zum erstenmal
eine wahre Tonsprache, raachtig und ausdrucksvoll. Als Dichter und
Tonsetzer formte er Worte und Musik in seinen Gesangen zu einem
harmonischen Ganzen. Der Ton wird inniger und personlicher und zeigt
den Ausdruck einer charakteristischen Gemutsstimmung. Er hat die Volks-
weisen genau studiert und ihre Form sich anzueignen versucht. Die ersten
seiner GesSnge erschienen in „Poetisk Kalender" in den Jahren 1814 — 20;
das erste selbstMndige Gesangsheft gab er 1824 zusammen mit A. F. Lindblad
heraus. Neue Lieder folgten 1834, 1836, 1840; auch schrieb er mehrere
Klavierkompositionen und Werke fur Streichinstrumente. Geijer wurde
der Mittelpunkt eines musikalischen Kreises in Upsala, der viele literarische
und kiinstlerische Personlichkeiten vereinigte. Haeffner gehdrte als Musiker
von Fach zu ihm; neue Talente kamen hinzu. — Im Jahre 1823 kam Adolf
Fredrik Lindblad (1801 — 79) nach Upsala und wurde sogleich in dem
kleinen Kreise willkommen geheissen. In diesem Milieu begann sich nun
seine Wirksamkeit als Tonsetzer erspriesslich zu entwickeln. Schon in
seinen ersten, zusammen mit Geijer verofFentlichten, Gesangen tritt uns
seine ganze Eigenart als Komponist entgegen. Der Grundcharakter dieser
GesSnge ist eine Stimmung, die rein, klar und ohne Wolken ist. Lindblad
Digitized by
Google
257
NORLIND: GESCHICHTE D. SCHWED. MUSIK
liebt vor allem das Milde und Frohe; mit Vorliebe besingt er die Liebe,
nordische Natur und Bilder aus dcm Leben des Volkes. Seine Natur-
schilderungen gehdren mit zum besten und kunstlerisch vollendetsten, was
sein Talent hervorgebracht hat.
Das lyrlsche Stimmungslied erhalt seine hochste Vollendung aber
erst durch Jakob Axel Josephson (1818—80). Seine Art ist weicher als die
der fruheren Musiker. Eine tiefe Empfindung geht durch alle seine Lieder;
den schwedischen Volkston hat er besser als die anderen getroffen.
Josephson trat zuerst 1841 oflfentlich mit einem Heft Gesange hervor. Man
fand in diesen schon dieselbe Wehmut, dieselbe ergreifende Innigkeit, die
spflter ein so charakterisches Merkmal seines Schaffens wurde. Mehrere
dieser Lieder fanden eine grosse Popularity. Josephson scbrieb auch
einige Chorwerke wie „Korsriddarne*, „Islossningen", .Quando corpus"
und zwei Symphonieen.
Die alten Traditionen der Romanze haben sich durch Gunnar
Wennerberg (1817 — 1901) bis auf unsere Zeit erhalten. Sein grosstes
Verdienst hat er sich durch die Herausgabe der Duettensammlung
„Gluntarne" (1850), Szenen aus dem Studentenleben Upsalas, erworben.
Wennerberg ist in seinen Liedern kraftvoll-vaterlandisch, die Melodie ist
ausdrucksvoll und tief, doch zeigt die harmonische Behandlungsweise wenig
Abwechslung, auch trMgt die Form zu viel konventionelles Geprage. Ein
gewisser Dilettantismus offenbart sich am deutlichsten in grosseren Werken,
wie in seiner Musik zu .Davids Psalmen", noch mehr aber in den beiden
Oratorien Jesu fddelse" (1862) und „Jesu dom" (1001) und in v Auerbachs
Keller, Szenen aus Goethes Faust* (1877).
Die alte Art lebt auch noch, wenn auch mit mehreren neuen Ele-
menten vermischt, in den Liedern lvar Hallstrdms (1826 — 1901). Die
Empfindsamkeit der alten Schule ist bei ihm aber in Sentimentalitat ausgeartet.
Das Melodische ist seine Starke, und in inspirierten Augenblicken hat auch
er wertvollere Tonwerke geschaffen.
Neben dem Sologesang wurde nun auch der JVUnnerchor die
typische musikalische Kunstform dieser Periode. Seine sorgfaltigste Pflege
erhielt er an den UniversitSten in Upsala und Lund. In Upsala wurden
geeignete Gesangskrfifte durch Haeffner vereinigt, der fur sie viele
Quartette schrieb, von denen „Vikingas&ten* (1814) das il teste ist. Die
tiichtigsten Letter der Studentenchore waren O. F. Tullberg und
C. J. O. Laurin. Lund bekam einen standigen Mannerchor mit regel-
mftssigen Obungen zuerst durch Otto Lindblad (1838). Ein bedeutender
Komponist fur Mannerchor in den zwanziger Jahren war neben Haeffner
E. J. Arrh6n von Kapfelmann, bekannt durch seinen Fruhlingsgesang
.Viren Mr kommen" (1823). Die Blutezeit des schwedischen Quartett-
III. 22. 17
Digitized by
Google
258
DIE MUS1K III. 22.
gesanges fallt in die vierziger Jahre. Sowohl in Lund wie in Upsala
wirkten Otto Lindblad bzw. Gunnar Wennerberg reformatorisch. Lindblad
(1809 — 64) ist als ein Reprfisentant des sudschwedischen Quartettgcsangcs
anzusehen. Die meisten seiner Gesange sind dem Inhalt nach Romanzen.
Ihr Typ ist ein weicher und voll melodischen and hannonischen Wohllauts.
So bilden seine Gesange noch heute das stehende Repertoire jedes
Minnerchors. Wir nennen hier u. a. das Konigslied ,Ur svenska hjartans
djup a . Wennerberg betont dagegen das Nordische, Grossartige, Markige;
seine Rhythmen sind energisch und anfeuernd. Neben diesen Haupt-
vertretern des Mannerchorgesanges kamen noch in Betracht: J. A.Joseph-
son (Vart Land" 1853), Prinz Gustaf (1827—52), beruhmt durch sein
Studentenlied „Sjung om studentens", C.J. O. Laurin (1813 — 53), bekannt
durch w Mitt lif &r en vag*.
Das schwedische Theater trat bald nach der Absetzung Gustaf
Adolfs IV. (1800) wieder in den Vordergrund: gelegentlich der Kronungs-
festlichkeiten Karls XIII. beschloss man im Juni 1809 die Oper .Gustaf
Wasa" aufzufuhren. Die erste neue Oper war Mozarts .Zauberfldte"
(30. Mai 1812). Es war dies das erstemal, dass Mozart in Schweden zu
Gehdr kam; bald folgten „Don Juan" (6. Dez. 1813) und die „Entfuhrung"
(21. Aug. 1814), die samtlich mit heller Begeisterung aufgenommen wurden.
Wahrend der ersten Zeit nach dem Abgang Haeffners wurde die Hof-
kapellmeisterstelle durch J.N. Eggert (1808— 10) und J. H.Kuster (1810—12)
besetzt. Kusters Nachfolger wurde Edouard Du Puy (1771 — 1822), als
Orchesterdirigent, Sanger und Komponist von gleich feurigem Temperament.
Unter seinen Werken nimmt das Singspiel .Ungdom og Galskap"
die erste Stelle ein. Der Stil ist hier fast ganz franzdsisch. Die besten
Partieen des Stuckes sind die Romanzen, die echt franzdsischen Esprit
atmen. Nach dem Tode Du Puy's wurde Johan Fredrik Berwald (1787 — 1861)
Hofkapellmeister, der sich als tuchtiger Geiger bewahrte, als Komponist
jedoch ohne Bedeutung war.
Das Jahr 1848 ist in der schwedischen Theatergeschichte bemerkens-
wert. Eine italienische Operngesellschaft kam in diesem Jahre nach Stock-
holm und fuhrte Opern der Meister ihrer Heimat, vor allem Donizetti's,
Bellini's und Rossini's auf. Die italienische Oper war dem schwedischen
Publikum vorher so gut wie ganz fremd geblieben. Die Begeisterung fur
den neuen Stil wurde nun urn so grosser. Die Gesellschaft hatte zuerst
ihre Opern im „kleinen Theater" gespielt. Bald wurden ihr aber die
Pforten des koniglichen Theaters geoffnet und die Sanger und Singerinnen
dem Personal der Hofbuhne einverleibt. Orchesterdirigent war wdhrend
der ersten Zeit Paolo Sperati. Nachdem er aber im Jahre 1849 Kapell-
meister am Theater in Kristiania geworden war, erhielt Jacopo Foroni
Digitized by
Google
259
^ N0RL1ND: GESCHICHTE P. SCHWED. MUS1K c
die Stelle als Orchesterleiter. Als Berwald in demselben Jahre von seinem
Posten zurucktrat, wurde Foroni zugleich sein Nachfolger. Das Interesse
fur die Italiener begann aber allmahlich wieder zu sinken und am 2. Juni
1840 wurde die letzte Vorstellung gegeben. Foroni blieb als Hofkapell-
meister zuriick. Er war in Verona 1825 geboren und kam im Jahre
1848 nach Stockholm, wo er fur die italienische Gesellschaft die Oper
^Christina di Suecia" schrieb. Als Dirigent genoss er hohe Anerkennung.
Er starb schon 1854. Sein Nachfolger wurde Ignaz Lachner, der vorher
Kapellmeister am Hamburger Theater war. Lachner konnte sich aber in
Schweden nicht heimisch fiihlen und kehrte schon 1861 nach Deutsch-
land zuriick.
An bedeutenden dramatischen Komponisten ist Schweden immer arm
gewesen. Die Tonkunstler, die fur die Oper im 18. Jahrhundert schrieben,
waren fast alle Auslander. In der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts be-
ginnt Schweden zwar eigene, einheimische Opernkomponisten hervorzubringen,
aber grosse dramatische Begabung besitzen sie nur in seltenen Fallen. Sie
komponieren alle nach beruhmten auslandischen Vorbildern und je mehr
sie sich nach dem herrschenden Geschmack richten, desto grdssere Beliebt-
heit erwerben sie. Einer der begabtesten Tonsetzer fur das Theater ist
Jakob Niclas Ahlstrom (1805—57, Musikdirektor an verschiedenen Privat-
Theatern in Stockholm). Seine Arbeiten zeigen nicht immer geniigende
Tiefe und wurden daher bald vergessen. Am besten gefiel .Ringaren i
Notre-Dame a .
Ein genialer Tondichter im dramatischen Stil ist Eduard Brendler
(geb. 1809 in Dresden). Zwei Melodramen mit Chor und Orchester
.Spartaras dod* und „ Edmund och Klara" wurden seiner Zeit viel
gelobt und besonders ihrer dramatischen Kraft wegen hochgeschdtzt.
Andreas Randel (1806—64), ein geschickter Violinspieler der Hofkapelle,
machte sich als dramatischer Komponist durch seine Oper „ Var in-
land ingarne* bekannt, die noch heute aufgeftihrt wird.
Zu der alteren Generation von Opernkomponisten gehdrt auch
ivar Hallstrdm, obgleich seine Wirksamkeit auf diesem Gebiet erst in
die zweite Hfilfte des Jahrhunderts Kilt. Die Ideen, denen er zur Durch-
fuhrung verhalf, waren wesentlich die gleichen, die den schwedischen Kompo-
nisten der vorhergehenden Zeit vorgeschwebt hatten: eine nationale Oper
zu schaffen mit der schwedischen Volksmelodie als Grundlage. In der
Formbehandlung schloss sich Hallstrdm der franzosischen Schule (Meyerbeer)
an. Die melodischen Motive wurden teils direkt dem schwedischen Volks-
lied entlehnt, teils frei nach Art der Volksweise komponiert. Am ausge-
prfigtesten sehen wir diese Form in den Opern ,Den bergtagna" (1874)
und. w Vikingen a (1877). Grosse Popularity erlangte auch „Per Svinaherde a
17*
Digitized by
Google
260
H^ DIE MUS1K III. 22. ^£^)j
(1887). Von erheblicher Bedeutung fur die schwedische Oper wurde aber
keines seiner Werke. Dazu fehlte es ihnen an Originalit&t und drama-
tischer Kraft.
Mehrere bedeutende ausubende Talente waren zu dieser Zeit mit
der schwedischen Oper verknupft. Weltberuhmt als eine der ersten
Singerinnen aller Zeiten ist Jenny Lind. Sie gehdrte zwar nur eine
kurze Zeit der schwedischen Oper an. In Stockholm 1820 geboren, wurde
sie, kaum zehn Jahre alt, Schulerin der Theaterschule. Nachdem sie sich
zuerst in mehreren Sprechrollen versucht hatte, trat sie schliesslich als Alice
in Meyerbeers „ Robert" zum erstenmal als S&ngerin auf. Als Agathe, Pamina
und Euryanthe feierte sie spSter glMnzende Triumphe. Im Jahre 1841
ging sie nach Paris, urn sich unter Garcia weiter auszubilden. Von itarem
Auftreten in Berlin (1844) datiert ihr Weltruhm und wo sie auch sang,
in Berlin, Wien, London, New- York wurde sie mit Begeisterung begrfisst.
1852 zog sie sich vollstandig von der Buhne zuruck und lebte in Stille
bis zu ihrem Tode (1887).
Eine zweite SMngerin von Weltruf erhielt Schweden in Louise Michalli.
In Stockholm 1830 geboren, trat sie zum erstenmal als Elvira im „ Don Juan a
1849 auf, doch ohne grossen Erfolg zu erzielen. Nachdem sie aber eine
Zeitlang in Garcia's Schule gewesen war, hatte sie mehr Gliick. In den
Jahren 1855 — 56 machte sie wiederholt Kunstreisen nach Kopenhagen,
Hamburg, Berlin, Dresden und mehreren anderen St ad ten. Nach vier-
jahrigem Wirken am Kgl. Theater in Stockholm nahm sie ein Engagement
am .Her Majesty's Theatre* in London an, bis sie sich 1863 wieder fur
die schwedische Buhne verpflichtete. Im Jahre 1873 nahm sie ihren Abschied
und starb 1875. In bezug auf Umfang und Klangschonheit der Stimme steht
sie Jenny Lind am nachsten.
Als Sfinger hochberuhmt waren Peter Michael SSllstrom (1802—39,
am Kgl. Theater angestellt 1822—39) und Julius Gunther(geb. 1818, am
Kgl. Theater 1839—45, 1847—56, f 1904); dieser war auch ein tuchtiger
Gesanglehrer.
Der alte Standpunkt, der in der Melodie alles, in der Polyphonie und
Kontrapunktik nichts sah, erlitt in den ftinfziger Jahren zum erstenmal
eine heftige Erschutterung. Nach vollendeten Studien am Leipziger Kon-
servatorium kehrten damals zwei junge Tonkunstler nach ihrer Heimat
zuruck mit dem festen Entschluss, fur die Verwirklichung der neuen
Ideen, die sie in Deutschlands Musikzentrum kennen geternt hatten, zu
klmpfen. Diese beiden Manner waren Albert Rubenson und Ludwig
Norman. Die Meister, die sie vor allem bekannt machen wollten, Mendels-
sohn, Schumann und Gade. Das schwedische Musikleben bekommt jetzt
eine andere Farbe. Die Instrumentalmusik gewinnt erhohtes Ansehen,
Digitized by
Google
261
N0RL1ND: GESCHICHTE D. SCHWED. MUSIK
Symphonie, Ouverture und Kammermusik werden wieder gepflegt, die
vokalen Kompositionen erhalten grdsseres dramatisches Leben. Die Fiihrer
dieser Richtung sind, wie vorher erwfthnt, Rubenson und Norman. Ihr
Vorliufer war Franz Berwald und ihr Nachfolger wird August Soder-
man. Mit ihm erreicht die Bewegung ihren Hdhepunkt.
Franz Berwald (1796—1868) schrieb mehrere formvollendete In-
strumentalwerke im Stile der deutschen Klassiker. Den polyphonen Stil be-
herrschte er mit grosser Sicherheit und seine Orchesterbehandlung war farben-
reich und klangvoll. Sein bestes Werk ist die „Symphonie s6rieuse* (1843).
Albert Rubenson (1826—1901) trat 1857 zum erstenmal offentlich
als Komponist hervor, als seine Symphonie in C-dur von der Hofkapelle in
Stockholm aufgefuhrt wurde. Diese Arbeit wurde besonders wegen ihrer
Formschonheit und ihrer feinen Instrumentation hochgeschatzt. Mendels-
sohn und Gade waren seine Vorbilder. Rubenson schrieb spMter Ouverturen,
Kammermusikwerke und Vokalkompositionen, die alle mit Beifall aufge-
nommen wurden.'
Ludwig Norman (1831 — 85, Hofkapellmeister 1861—79) war als
Instrumentalkomponist ein geborener Meister. In den grossen symphonischen
Formen lag seine Starke. Von seinen Kompositionen werden die Ouverturen
„Torkel Knutsson" und „Antonius och Kleopatra" und das Chorwerk „Rosa
rorans bonitatem" mit Recht hochgeschitzt. Auch als Liederkomponist hat
er sich hervorgetan.
Die alte Schule betonte hauptsachlich das Vokale, die bisher ge-
nannten Neueren legten mehr Gewicht auf das Instrumental. Die Kom-
ponisten der alten Zeit waren schwache Harmoniker, die der neuen
schwache Melodiker. Durch Johan August Sdderman (1832 — 76) werden
nun diese beiden Elemente vereinigt. Melodik und Harmonik sind bei ihm
gleichgestellt. Soderman nimmt die alten Gesangsformen wieder auf, bildet
sie aber in dramatiscber Richtung weiter aus. Seine spezielle Gesangs-
form ist die Ballade. Bedeutende Soloballaden sind „Tannhiuser" (1856),
w Kvarnruinen* (1857) und w Der schwarze Ritter* (1874). Die Chorballade
finden wir bei Soderman am besten behandelt in .Die Wallfahrt nach
Kevlaar" und w HjSrtesorg a (1870). Im Gegensatz zu der lyrischen
Behandlungsweise der fruheren Zeit ist Soderman vorwiegend episch
mit vielen dramatischen Elementen. Seine grosse Bedeutung fur die
schwedische Tonkunst liegt nicht bloss in der Auffindung neuer selb-
st&ndiger Musikformen, sondern auch in ihrer nationalen Behandlungs-
weise. Sdderman ist der erste, der den schwedischen Volkston selbstSndig
nachgebildet hat. Am besten ist dieser Ton in der Chorkomposition
„Bondbrdllopet" getroffen. Sdderman schrieb ausserdem mehrere Ouver-
turen, Festkantaten und Kammermusikwerke.
Digitized by
Google
262
DIE MUSIK 111. 22.
Die neudeutsche Schule mit Wagner und Liszt hatte in den siebziger
Jahren ihren Einzug in Schweden gehalten. Schon 1866 war .Rienzi* auf-
gefiihrt worden. Zu einem wirklichen Verstandnis dieser neuen Epoche kam
es aber erst viel spacer. Die nachsten Wagneropern waren: 9 Der fliegende
Hollander- (1872), „Lohengrin a (1874) und w Tannh«user a (1878). Noch
stand man aber skeptisch den neuen Ideen gegenuber. Hier und da erhob
sich eine starke Opposition gegen die Neuerungssucht in der deutschen
Tonkunst. Bis in die achtziger Jahre dauerte der Streit fur und gegen
Wagner. Zu einem wirklichen Sieg Wagners kam es eigentlich erst 1887
mit der Auffuhrung der „Meistersinger".
Wahrend dieser Zeit hatte aber die neudeutsche Schule einen eigenen
schwedischen Reprasentanten in Andreas Hall6n (geb. 1846) bekommen.
Seine Oper , Ha raid der Viking war 1881 in Leipzig zum erstenmal gegeben
worden. Der Stil dieses Werkes war ganz wagnerisch. Im koniglichen
Theater zu Stockholm wurde die Oper zum erstenmal 1884 gegeben, aber
mit einer gewissen Reserve aufgenommen. In seiner nachsten Oper „Hex-
fMUan* (1806) 1st Hall6n selbstfndtger und sucht sich mehr der schwe-
dischen Eigenart anzupassen. Einen durchaus schwedischen Stoff behandelt
er in seinem letzten dramatischen Werk „Valdemarsskatten" (1899). Es
gelang ihm aber nicht, in dieser spezifisch nordischen Oper den nationalen
Ton immer zu treffen. Hall6n hat neben seinen Opern auch mehrere Chor-
balladen und symphonische Dichtungen im Stile Liszts geschrieben.
Der vornehmste kompositorische Reprasentant Schwedens wahrend
des letzten Jahrzehnts ist Vilhelm Stenhammar 1 ) (geb. 1872). Als
Opernkomponist schliesst er sich eng an Wagner an, in der Kammermusik
steht er Brahms besonders nahe. Ein unselbstandiger Nachahmer ist er
aber nicht. Sein Stil ist streng individuell. Seinen Ruhm als Komponist
begrundete er 1894 mit seinem Klavierkonzert. Seit dieser Zeit hat er
mehrere hervorragende Kompositionen geschaffen, darunter das Musik-
drama „Tirfing a (1898), die Oper „Gildet pi Solhaug" (aufgefuhrt in Stutt-
gart 1899), das Chorwerk 9 Snofrid a und die Einweihungskantate fur die
Stockholmer Ausstellung 1897. Als Liederkomponist ist er von ganz be*
sonderer Bedeutung. Uberdies hat er sich auch als hervorragender Klavier-
spieler einen Namen gemacht.
Ein vielversprechender Symphoniker ist Hugo Alfven (geb. 1872).
Er trat zuerst als Komponist im Jahre 1896 mit einer Violinsonate, die
grosse kiinstlerische Begabung zeigte, dffentlich hervor. Seine namhaftesten
Arbeiten sind zwei Symphonieen in f-moll (1897) und D-dur (1899).
Als Romanzenkomponist steht Emil Sjogren (geb. 1853) in erster
Reihe. Seine fruhesten Gesftnge kamen 1876 heraus. Am bekanntesten
>) Vgl. „Die Musik« Jatarg. Ill, 9. S. 193 ff.
Digitized by
Google
263
NORLIND: GESCHICHTE D. SCHWED. MUSIK
wurden „Sju Sanger ur Tannhauser", „Sieben spanische Lieder", »Der
Vogt von Tenneberg" usw. Seine Gesange sind stimmungsvoll und innig.
Von den zur Zeit lebenden schwedischen Komponisten mogen noch ge-
nannt werden: August K5rling(geb. 1842) schrieb SologesSnge und Chor-
werke („Sten Sture"); Wilhelm Svedbom (geb. 1843) SologesSnge; Erik
Akerberg (geb. 1860) Chorwerke; O. Peterson-Berger (geb. 1867)
SologesSnge; Gustaf Hfigg (geb. 1867) Orchesterwerke ; Bror Beckmann
(geb. 1866) GesSnge und Clavierstucke; Laura Netzel (geb. 1839, Pseudonym
Lago) Orchesterwerke, GesSnge und Clavierstucke.
Von den schwedischen Sangerinnen, die in der zweiten Halfte des
19. Jahrhunderts Weltruhm erlangten, steht Kristina Nilsson (geb. 1843)
obenan. Sie studierte zuerst bet Franz Berwald; die weitere Ausbildung
erhielt sie durch M asset, Wartel und Delle Sedie. 1868 debutierte sie
an der Grossen Oper in Paris mit grosstem Erfolg. Nach dem Jahre 1887
ist sie offentlich nicht mehr aufgetreten.
Beruhmte Sanger der alteren Generation sind: Fritz Arlberg (geb.
1830, am kgl. Theater 1858—74), Oskar A mold son (1830—81, am kgl.
Theater 1859 — 81). Von den jetzigen Gesangstalenten sind in erster Linle
zu nennen: die Singer Fr. Lundquist, Arv. Odman und J. Forsell;
die Singerinnen C. Ostberg und M. Jungstedt. Bedeutende Violinisten
sind vor all em Tor Aulin (geb. 1866) und Lars Zetterquist (geb. 1860).
Als Orgelvirtuos war seinerzeit G. Wilhelm Heintze (1849—95)
welt beruhmt.
Das Konzertwesen hatim 19. Jahrhundert bedeutende Ausdehnung
erfahren. Urn die Auffuhrung grosser Chor- und Orchesterwerke haben
sich besonders private Musikgesellschaften verdient gemacht. Die erste
Musikgesellschaft von Bedeutung war „Die harmonische Gesellschaft"
(„Harmoniska SSUskapet") in Stockholm, 1820 gegrundet. Sowohl Vokal-
als Instrumentalwerke kamen durch sie zur Auffuhrung. Mehrere Oratorien
von HMndel und Mendelssohn, sowie Messen, Hymnen und Kantaten
wurden gegeben. Die Wirksamkeit der Gesellschaft horte urn 1850 auf,
ihre Aufldsung erfolgte 1865. Ein neuer Musikverein w Die neue harmonische
Gesellschaft" („Nya harmoniska sallskapet") wurde 1860 mit Ludwig Norman
und Ivar Hallstrdm als Dirigenten begriindet. Diese Gesellschaft gab ihr
letztes Konzert 1878 und horte im Jahre 1880 ganz auf zu bestehen, als
„Der Musikverein" („Musikforeningen a ) durch Ludwig Norman und Wilhelm
Svedbom gegrundet wurde. Unter neueren Konzertvereinen sind zu nennen :
„Die philharmonische Gesellschaft (,Filharmoniska Sallskapet*) von Andreas
Halldn 1884 ins Leben gerufen und „Der schwedische Musikerverein*
( n Svenska musikerforeningen a ) 1900 von Tor Aulin gegrundet.
Digitized by
Google
jer Jubel urn ihn, der uns einen neuen Friihling zu bringen schien,
ist verstummt. Seine Muse ist stiller geworden, und seine Harfe,
der vormals rauschende Kl&nge entquollen, schweigt. Aber, was der
larde uns war und zum Teil noch ist, soil nicht vergessen,und was er
uns hatte werden konnen, nicht mit ruhigem Schweigen ubergangen werden.
Zweifelsohne, Edvard Hagerup Grieg war der reichstbegabte
der nachromantischen Periode. Er schien zu Hohem berufen, ja, einmal
der Fesseln ledig und hinausgebracht in das frische Fahrwasser eigener
Wesenheit, trieb er auf breitem Strome krMftig vorwarts. Aber das Geschick
wollte ein besonderes Ziel: es trieb ihn mitten in ein Idyll, auf eine
bluhende Trauminsel, die von wild-klagender Brandung umwogt, und von
einem einsamen Skarenvolke umsungen, weitab von der Welt fern im
Norden lag. Das Meer, die grosse befreiende Woge erreichte er nicht.
Grieg blieb im Fjord stecken, und ist nie iiber ihn hinaus-
gekommen. Und doch, trotz allem, trotz Dialekt, trotz Genrekunst
und Einseitigkeit, er ist ein Ganzer, ein Heimatskiinstler, und der Ausdruck
unverfaischten Volkstumes. Man macht ihm heute den Vorwurf, dass er
als Kunstler enttauscht habe, aber, wie er kein Ereignis war, so be-
reitete er auch denen keine Enttauschung, die den Wert seiner begrenzten
Fahigkeiten und grossen Kleingaben frtihzeitig erkannten. Grieg konnte
nicht iiber sich hinaus und seine rein lyrische Natur verleugnen. Er blieb
immer der er war: ein stiller Trfiumer, der Sanger nordischer Schlichtheit
und nordischer Sehnsucht. Er konnte nicht iiber sich hinaus, weil er dazu
ausersehen war, die Seele seines Volkes in Klangen zusammenzufassen
und iiber alle Welt hinauszutragen. Diese Klangwerdung seines Volkes,
die Schaffung einer eigenen, starken, nordischen Kultur, echte und wahr-
hafte Heimatskunst im grossten und tiefsten Sinne einer volkischen Ge-
samtheitskunst, das ist die kCinstlerische Tat Griegs. Gewiss, in der
Weltsprache der Musik spricht er nur einen Dialekt, aber er spricht ihn
rein, und man sollte sich freuen, dass er ihn spricht; denn der Nivellierungs-
prozess innerhalb der Musik schreitet langsam, aber unaufhaltsam vorwarts,
und der eigenen, besonderen Ziige, Laute und Klange, der musikalischen
Dialekte und ihrer Reize, werden immer weniger.
Digitized by
Google
265
BREITHAUPT: EDVARD GRIEG
Griegs Natur ist nicht loszulosen von dem Mutterboden, auf dem sie
emporwuchs. Geboren am 15. Juni 1843 stammte er von vSterlicher Seite
aus einer alten schottischen Familie, die sich nach der Schlacht bei
Culloden in Bergen ansiedelte. Seine Mutter Gesine, geborene Hagerup,
war echt norwegischen Geblutes. Von dieser begabten und pianistisch
geschulten Frau, einer Schiilerin Methfessels, vorgebildet, wurde er auf
Anraten Ole Bulls, der sein Talent fruhzeitig erkannte, und eine gediegene
Durchbildung in Deutschland empfahl, nach Leipzig zu den Hauptmann,
Richter, Reinecke u. a. geschickt.
Die hochromantische Treibhausluft Leipzigs war nicht besonders ge-
eignet, Selbstsprachler und Eigenfussler gross zu zuchten, oder gar dem,
der aus Traumland kam, wirre Phantaseien und RStsel zu deuten. Die
sentimentalische Zeit des Nonenakkordes, susslicher Terzen und schmach-
tender Vorhalte hatte sich in technischen Spielereien verloren. An die
Stelle Beethovenischer Kraft, Schumannischer Reinheit und Empfindungs-
tiefe war eine olige Glitte der Redeweise, eine zierliche Geschmeidig-
keit der Linien und die kindische T&ndelei nichtssagender Formen-
sprache getreten. Mit der sicheren Eleganz und geschliffenen Gewandtheit
in der Formbeherrschung verband sich eine weiche-wSsserige Mondschein-
poesie des Ausdrucks, die jeden gesunden Laut, jegliche frische Regung
im Keim erstickte. In den sumpfigen Niederungen dieser dekadenten
Romantik welkten viele Blfiten fruhzeitig zu Tode. Hatte schon der
*spatere a Schumann, der tiefsinnige Grubler, ein gut Teil von der Kraft
seiner siissen Traume und kindlichen Einfalt in der Leipziger Stickluft
eingebusst, so waren der iiberschumannische Kirchner, Niels W. Gade, auch
Anton Rubinstein und zahlreiche andere, die weiteren Opfer dieses mol-
luskischen, mark- und geschlechtslosen Geistes. Das Epigonentum form-
schoner Technik verdarb, was sich verderben Hess. Eigenwesen, Ausdruck,
Charakter, Stil wurden weder entwickelt noch gefordert. Das alles tat
Grieg keineswegs gut. Jedoch, war's Instinkt, war's kluge Einsicht, er ent-
ging dem Mendelssohnschen Mottenlicht. Die kiinstlichen Garten mit ihren
wohlgepflegten Rasen, glattgeschnittenen ZierstrSuchern und lieblich put-
sch ernden Springbrunnen, der betaubende Duft von Rosen und Reseden
sagten ihm nicht zu. Er kam aus Skaldenland und war seiner Mutter
Sohn: ein Kind der Berge, das Herz voll Heimatklang, und die Seele voll
phantastischer Bilder und Gesichte. In den dunklen Waldern unterhalb
des Fjails, dort, wo der Schnee hoch liegt und das Meer die Riffe hohlt,
da wurzelte er. Die braune Heide, der wurzige Duft der Kiefernschwarten
batten ihn gen&hrt. Nur zu einem einzigen fuhlte er sich hingezogen,
zu C. F. Wenzel, dem bekannten Freunde Schumanns. Sonst hatte er
wenig oder nichts gelernt. Er selbst schreibt fiber das Leipziger Konser*
Digitized by
Google
266
DIE MUSIK III. 22.
vatorium und seine Lehrjahre: „Aus diesem beruhmten Institute schied
ich, was Kenntnis in der Komposition betrifft, gerade so dumm, wie ich
hineinkam. Es mag mein Fehler sein, es ist aber leider eine Tatsache!"
Der spatere Anschluss an seinen genialen Freund Rikard Nordraak (begabter
Komponist 1842 — 66; schrieb die Musik zu Bjornsons „ Maria Stuart in
Schottland", „Sigurd Slembe* u. a. m.) bedeutete den endgultigen Bruch mit
dem, was schlechthin Tradition, was Verderben war. Sein Schiff erhielt
volleren Wind und riss sich ktihn von dem letzten hemmenden Anker los.
w Es fiel mir wie Schuppen von den Augen; erst durch ihn (Nordraak)
lernte ich die nordischen Weisen und meine eigene Natur kennen. Wir
verschworen uns gegen den Gadeschen, Mendelssohn-vermischten weich-
lichen Skandinavismus und schlugen mit Begeisterung den neuen Weg ein,
auf welchem die nordische Schule sich jetzt befindet." Der Leipziger-
Kopenhagener Dunstkreis entschwand fur immer seinen Blicken. Sein
Norwegerland nahm ihn wieder auf und hat ihn nicht mehr losgelassen.
Aber Griegs Geist schlug in deutschem Boden starke Wurzel. Sein
Lyrismus ist das Produkt der „klassischen" Romantik, und seine Kunst
nichts weiter als eine trefflich gezuchtete Abart dieser in nordischer Fir-
bung. Zusammen mit Tschaikowsky, seinem wesensverwandten treuen
Freunde, ist er der letzte Romantiker aus jener Periode. Wie der heute
weitaus uberschitzte Russe hat er sein Bestes auf diesem Felde gegeben,
und selbst durch seine schonsten Volksweisen zieht der feine Duft der
blauen Wunderblume. Bulow nannte ihn den „ Chopin des Nordens".
Wohl mit Unrecht; denn er 1st viel frischer und kerniger. Vom Parkett
und Parfum des franzosischen Polen, von dessen verzeh render Leidenschaft,
dem dunkelblauen, melancholischen Samt ist wenig oder nichts zu spuren.
Chopins Moll und Grieg sind heterogene Begriffe, zwei verschiedene Welten.
Hochstens, dass eine gewisse franzdsische Grazie und der feine Schliff
der polnischen Mazurek in Frage kamen. Aber selbst das dunkt mich
nicht passend. Grieg ist viel mehr Schumannisch als man gemeinhin wihnt.
Sein Leben und Lieben gait dem Poeten der „Kinderszenen" und der
w Papillons*, dem deutschen Idylliker und grossten Kleinkiinstler ; denn
sein tiefstes Wesen ist Traum und Poesie, Sonnigkeit und Liederlust. Da-
her auch das Fehlen dramatischer Akzente und tragischer Spitzen. Seine
Natur hat sich oftmals zum c-moll aufgeschwungen, aber sie blieb doch an
der Erde haften und im letzten Grunde ein leise klagendes a-moll. Im
Gegensatz zu vielen anderen romantischen Schwftchlingen ist dieses Moll
seiner Wesenheit gesund und kr&ftig, weil der echte Ausdruck jenes treu-
herzig blickenden Volkes, dem er sich geweiht. Was man an Grieg sonst
ausserhalb des volkischen Bereiches, ausserhalb des Schumannischen Wurzel*
gebietes und eines vielleicht franzdsischen Impressionismus noch in seiner
Digitized by
Google
267
BREITHAUPT: EDVARD GRIEG
Kunst zu entdecken vermag, ist Lisztscher Herkunft. Wenigstens deuten
sein Pathos, sein rhythmisches Feuer, die schwungvollen Steigerungen
und mancher Anlauf zum al fresco, vor allem aber der instrumentelle
Glanz auf den letzten Ritter hin, mit dem er 1870 in Rom zusammentraf
und innigste Freundschaft schloss. Der Kern ist und bleibt heimatlich-
norwegisch, tritamerisch - skandinavisch. Fehlt ihm zum Priestertum die
breit ausladende Kraft eines Bjornson und der tiefe Menschheitsernst Ibsens,
so weiss er sein Hochland nicht minder treu zu ubertragen und uns ein
deutliches Gefuhl rauschender Fjords, umbrandeter Riffe und einsamer
Sk&ren zu geben. Land und Leute zaubern seine einfachen Volkskl&nge
vor unser Auge, und, mag man einen „Hochzeitszug", eine schlichte
w Volksweise«, ein w Wfichterlied", den „Hirtenknaben", „Zug der Zwerge",
oder einen Liebeserguss hdren, in allem klingt das Gesunde, B&uerische,
Volkliche an. Dieser Nomade, dieser bduerische Hirt, mit seiner nimmer-
muden Sehnsucht nach Licht und Luft, Sonne und Sang, mit seiner herz-
lichen Liebe zu Berg und Tal, zu Flur, Feld und Fjord ist das Herrlichste
an Grieg. Das Hagstaderland im Gudbrandstal , dort wo Ingrid wohnt
und Helga, das Kind, wo am Waldrand droben die Hutte steht, darinnen
Solvejg (spr. Ssohlweig) mit dem gold-seidenen Haar trfumt und leise
singt, das Bergland mit seinen Nebelgeistern, Trollen und Zwergen, das
erhdlt in Ton und Klang recht eigentlich durch ihn erst Leben und
Farbe. Nicht der Kunstler hat ihm die Herzen gewonnen, sondern
der schlichte Vol kssSnger, und nicht das kunstl'erische Mo-
ment machte ihm die Welt zu eigen, sondern die fremden, frohen
Naturlaute. Die Poesie der Berge, die Hirtenlyrik wird auch bleiben,
wenn schon vieles andere versungen und vertan. Noch in op. 2 sind Zuge,
die Schuberts kunstlerisch hdchstem Schaffen nahe kommen. Mit den
„Humoresken" op. 6 trennt er sich vom Wege zur Hdhenkunst und be-
tritt sein eigenes Klanggebiet. Aber dem Sonnengluck folgt tiefer Erden-
schatten. Grieg erstarrte in seiner Einseitigkeit. Er fand einen klaren
Quell, aber er zwang ihn nicht in des Geistes grosse Bahnen. Dazu
kommt ein zweites: die fruhe OberschStzung. War diese eine charakteri-
stische Folge der Mode, so ist an seiner heutigen Unterschitzung der
letzte grosse vulkanische Ausbruch deutschen Geistes schuld. Der gluhende
Lavastrom, der von Oberfranken aus sich alluberall uber die Welt hin
ergoss, fegte auch ihn mit hinweg. Bayreuth verbrannte seine Blute:
neben Wagner passt er heute so wenig, wie etwa Defregger neben Bocklin.
Im Grunde genommen bleibt Grieg nur ein Genre. Die
Gerechtigkeit fordert gebieterisch diese Absteckung der Grenzen, ohne
dass dadurch die grossen Lichtseiten seiner Kunst verdunkelt oder gar das
wirklich Gute an ihm auch nur im mindesten verkleinert wurde. Man mag
Digitized by
Google
268
DIE MUSIK HI. 22.
mich schelten, es ist nicht anders: es fehlt seiner Musik der geniale Wurf
einer genialen Idee, der tragische Blitz und Witz, die Schleuderkraft einer
grossen Seele, Weltanschauung und stille Grosse. Die Wirkung der Grieg-
schen Musik bleibt auf das rein Volklich-Lyrische beschrSnkt, darin er fest
gebannt war, und fiber das er sich, im Gegensatz z. B. zu Brahms, nie hat
erheben konnen. Ein nordischer Schumann, ohne dessen keusche Tiefe, aus-
gestattet mit dem bluhenden Reiz sinnfalligster Schonheit, ein franzdsischer
Impressionist und Freilichtmaler mit den kuhnsten Farbenreflexen fur
Luft und Sonnenduft, ein Lisztscher Rhapsode, ein geistreicher Kopf voll
Laune und Esprit, — das ist Grieg. Seine Musik ist die Musik Norwegens
schlechthin. Alles, was eine volkische Phantasie klanglich dort geschaffen,
hat er verkorpert und idealisiert. Es ist eine eigene Skala, welche die
blonden Baren da oben zu ihren Helden- und Scherzliedern benutzen, zu
der sie im 9 Springtanz M oder im „ Hailing" die Beine bewegen: ein Ge-
misch aus einem klagenden Moll und jauchzenden Dur, ohne die Gesetz-
m&ssigkeit deutscher Diatonik, ohne „&sthetische" Logik, eine phonische
Urmusik, zu dem der 9 Brummer a oder 9 Stimmer a des Dudelsackes so
recht passt, wildkr&ftige Naturklinge, fihjg, den drohnendsten Bauern-
tanz wie die zarteste Elegie einzukleiden. Das Thema ist meist kurz und
kernig und wird oft und gem wiederholt, ohne grosseren Veranderungen
unterworfen zu sein. Die Melodik ist eben~so kiihn und rucksichtslos wie
die Harmonik verblfiffend. Erstere hat das Sprunghafte und Sehnsiichtig-
Klagende mit der russischen gemein — sie ahnelt ihr auch in den scharfen
und plotzlichen rhythmischen Varianten — letztere gleicht in dem schnellen
Wechsel der nachstverwandten Tonarten ihrer ungarischen Schwester.
Melodisch-charakteristisch sind die Vorschlage, der Praller und ihre malenden
Verkleinerungen und diminutiven Verzierungen, der melodische Sprung in
die tiefereTerz, die ungeniert hingeworfene ubermassige Sekunde; harmonisch
wesentlich die schnelle Folge leiterfremder, wenn auch leiterverwandter
Akkorde, der hSufige Gebrauch des ubermassigen Sextakkordes, das schrille
Nebeneinander unaufgeloster Dissonanzen, Quinten- und Quartenfolgen, Fer-
maten, breit ausgesponnene Orgelpunkte und merkwurdige Schlusse auf der
Quinte statt auf der Tonika. Dazu kommt eine Vorliebe fur Synkopen und
Triolen im 2/4-Gegentakt, fur 4/4- gegen 6/8- oder 6/4-Werte, Verschiebungen
des Akzentes auf die schwachen Taktteile, uberraschende Wort- und Sinn-
verSnderungen und -vertauschungen, sowie ein Rubato des Vortrages, ohne
welches diese Rhapsodik nicht zu denken ist.
Und diese Musik ist Grieg, d. h. die uralten volkischen Klangbilder
in stilisierter Fassung und Form; denn seine Arbeit darf nicht ubersehen
oder gar gering geschatzt werden. Er hat recht gefeilt und klanglich fein
gewogen. Wie manche naturliche Wendung ist erst nach vielem Hin und
Digitized by
Google
269
BREITHAUPT: EDVARD GRIEG
Her, nach reiflichem Uberlegen und fortwahrendem Ausprobieren end-
gultig festgestellt! Unter den Lyrikern gehdrt er zu den Vornehmen und
Mannlichen, an denen nichts Feministisch-Weichliches, keine narkotischen
Mittel und uble Geruche zu spuren. Er ist keineswegs immer glatt und
poliert, wohlgestaltet, voll Rundung und Anmut, aber er wird auch nie
banal. Aus starkem knorrigem Holz gibt er sich eher gern trutzig und
kantig, schroflf und kiihn. Wo es die Wahrheit des Ausdruckes gilt, ist ihm
alles gleich. Da kommt's auf schreiende Dissonanzen, schneidende Durch-
gSnge, sich reibende Sekunden nicht an. Dieser Mut der Kuhnheit, mit
der er die Hurden des strengen Stiles und einer landlaufigen, Iangweiligen
Musikantentheorie in spielender Leichtigkeit nimmt, ist seine beste Natur;
denn hier geht der Kunstler mit dem Tiiftler durch. Mag man seinen
Stil AbsurditSt oder was sonst nennen, ganz gleich: gerade im Absurden
liegt seine Starke. Man nehme ihn nur im ganzen und stosse sich nicht
daran, ob auf einen a-moll Satz ein Des-dur des Adagio, dann wieder ein
a-moll und zum Schluss ein A-dur Satz folgt, wie in seinem Klavierkonzert.
Es kommt in der Kunst so wenig auf Regel, sittigen Anstand des Aus-
druckes, herkommliche Linien- und Strichfuhrung an, als im Leben auf
Floskeln und Formeln. Grieg ist regellos, weil selbst Regel, und scheinbar
unorganised, weil selbst eine Ganzheit und Einheit. Bekanntlich hat er
die grossen Formen umgangen. Oper, Symphonie, Oratorium fehlen in
seinem Schaffen. Seiner Anlage gemftss gab er sein Bestes auf seine Art,
d. h. im Kleinen. Und darin ist er der Grossesten einer geworden. Was
sein Geist umspannen konnte, hat er in weiser Selbstbeschr&nkung wie
selten ein anderer ausgebaut. Himmel und Ather, Menschheitsgluck und
-qual haben seine Frohnatur nur leise beruhrt. Aber als Lyriker hat er
etwas geleistet und sich als ein eigener gegeben, ehrlich und gut, klein
und ohne Schein. Als Programmatiker folgte er der Weimaraner Losung.
Insofern ist er modern bis in die Knochen. Alles ist Ausdrucksmusik,
musikalischer Vorgang, Stimmungsmalerei oder Charakterisierungskunst, hat
„Kopf und Titel", einen bestimmten Vorwurf und eine bestimmte poetische
oder charakteristische Idee. Ganz wie Schumann schopft er aus dem innersten
Schauen und gibt seinen Gedanken durch PrSgung klarer Uberschriften die
Kraft szenischer Lebendigkeit oder eines schlichten einfachen Bildes. J a,
so ist es: Jenseits muss das Werk geschaffen werden, wenn es uberhaupt
ein Jenseits gibt . . . ohne Leipziger Konservatorium !" So er selbst.
Grieg ist durch und durch Poet und Stimmungskunstler von einer Weich-
heit und von einem Glanz der Farben, wie sie die chromatisch flimmernde,
hyperprismatische Moderne sich nicht besser zu wunschen braucht. Aber
seiner Kunst haften, abgesehen von dem kleinen Geistesinhalt, zwei Fehler
an: eben diese mehr ausserlichen Reize und technisch virtuosen Kniffe
Digitized by
Google
270
DIE MUSIK 111. 22.
und Farbenkunste, und der Mangel an straffer Durcharbeitung, an vertieften
Durchfuhrungen und einheitlicher Formengebung. Griegs Stil wurde im
Laufe der Zeit Manier, und seine typischen Formeln und Wendungen
Manie. So uberraschend und so neu auch der Reiz, eben so schnell passte
sich das Ohr ihm an und sattigte sich, wie einst das Auge an der leeren
Pracht Makarts, vorzeitiger, als gut war. Daher das Verloschen seiner
Kunst, deren meteorhafter Glanz einst messianische Hoffnungen erweckte.
Der zweite Fehler liegt in der Rhapsodenform, in der unuberbruckbaren
Kluft zwischen den volkischen Elementen und den kunstlerisch-musikalischen
Zutaten oder Durchfuhrungen. Grieg hat nicht zu verschmelzen ver-
mocht, oder vielmehr die volkische Eigenart zwang ihn zur Aufgabe straffer
Zeichnungen und abrundender Masse. So bleiben seine grosseren Werke,
selbst das beruhmte Klavierkonzert, die Cellosonate u. a. m. nur ein unbe-
friedigendes Durcheinander musikalischer Gedanken, volkischer Kl&nge, In-
strumentaleffekte und gl&nzender Farben. Es fehlt die grosse Harmonie
zwischen den einzelnen Satzen, die grosse innere Einheit des Ganzen
und der Teile. Das darf man sagen, ohne zu verletzen; denn der Genre-
kunstler der „Lyrischen Stucke", der „Norwegischen Tfinze" und „Volks-
weisen", der „Humoresken aus dem Volksleben" (mit dem beruhmt geworde-
nen v Brautzug M ), der „Albumbl3tter" u. a. m. wird immer gross bleiben.
Hier hat er mit wenig Strichen den vollendetsten Ausdruck fur seine
glucklichen Einfalle und landlichen Stimmungen gefunden, und sich
durch Einfachheit und Schlichtheit den Meistertitel verdient. Seine
Kleinkunst ist von ausgesuchtem Geschmack, origineller Erfindung und
feinster Ziselierarbeit. Sie kommt auf dem Gebiet der Salonmusik im
trefflichsten Sinne des Wortes neben dem Besten zu stehen, das wir
besitzen: neben Chopin und Schumann. Bemerkenswert ist sein ungemein
technisches Geschick fur das Instrumentelle. Was er auch fur Klavier
geschrieben, darunter vor allem sein herrliches a-moll Konzert, die kecke
und krdftigere Schwester des schumannischen Kindes gleicher Tonart, wird
in erster Linie dem Wesen des Instrumentes gerecht, ist handlich und
fingerig, griffig und spritzig, singt und klingt. Von diesem Talent, mit
den einfachsten Mitteln grosse instrumentelle Wirkungen, klingende Lichter
und glitzernde Tropfen hervorzuzaubern, ohne in Mondscheingefluster und
schwimmende Wasserrosenpoesie hinzusterben, konnte er gerade heute
Vielen etwas abgeben. Dasselbe gilt fur seine Instrumentation. Unter den
Orchesterwerken ragen, abgesehen von mehreren Kompositionen fur Streich-
orchester, die beiden, auch in Deutschland bekannter gewordenen Suiten
aus der Musik zu „Peer Gynt", Ibsens gleichnamiger symbolischen Dichtung,
hervor, in denen er seinen ganzen Farbenreichtum und seine grosse
Charakterisierungsgabe voll entfalten konnte. Uber die Suitenform hat er
Digitized by
Google
pi
BREITHAUPT: EDVARD GRIEG
nicht hinausgegriffen. Dass er das nahe Verwandtschaftsgebiet der „Sym-
phonischen Dichtung a nicht bertihrt hat, bleibt nicht weiter merkwurdig.
Er konnte sich zwar eine Programmidee schaffen, aber sich nicht auf einer
Vorlage festlegen lassen. Seine modernen Vorwurfe sind aus dem Geiste
geboren. Sie kommen ihm nicht von aussen, von einem fremden, zwingenden
Einfluss, sondern sie decken sich mit dem innersten Schauen. Grieg
inspiriert das Programm, wahrend die „Symphonische Dichtung" vom
Programm inspiriert wird. Auf musikalisch hochster Stufe stehen viel-
leicht die drei Violinsonaten, die auch von der Cellosonate und dem
Streichquartett op. 27 nicht wieder iibertroffen sind. Was er als Lieder-
komponist geleistet, weiss die Welt; denn vieles ist nicht nur auf dem
Konzertpodium heimisch geworden, sondern hat sich wie: „Ich liebe dich",
„Morgentau", „Solvejgs Lied", „Verborgene Liebe" usw. im Haus und am
Herd festgesetzt. Zu dieser fast hundertfachen, reichen Ausbeute sang-
licher Lyrik nehmen sich die wenigen Chorkompositionen recht winzig
aus, doch sei gerade jetzt, wo der Mannergesang in ftirstlicher Gunst
steht, auf das „ Album fur Mannergesang" op. 30, „Landerkennung* fur
M&nnerchor, und auf die Szenen zu dem unvollendeten Bjornsonschen
Drama 9 01av Trygvason" besonders aufmerksam gemacht. 1 )
Das ist das Wichtigste und Beste von ihm: wenig, wenn man den
Inhalt mit dem ernsten Massstabe hochster Kunst abraisst, d. h. ins All-
gemeine, Grosse, vom Ich abgezogene Rein-Menschliche schweift, und doch
viel, wenn man die kleinen Kunstwerke zur Hand nimmt und den Wert
der Kleinodien prufend bestimmt. Grieg ist kein Genie, aber ein origineller
Kopf und ein Talent, das sich weise mit dem begntigt, was eine gluckliche
Stunde ihm schenkte. In der Krone norwegischer Kunst leuchten die Ibsen
und Bjornson intensiver und tiefer, aber seine Smaragden und Turkisen in
ihrer alten, schlichten, volksttimlichen Fassung iiberragen sie dafiir an
lichtem Glanz und klingender Kraft. Man frage nur die Liebe seines
Volkes, um die seine Klange ein kostbares und starkes Goldband ge-
schmiedet haben. Wie einst Italien an Verdi, so hangt Norwegen abgottisch
an Grieg. Und wenn Land und Konig, arm und reich ihn heute feiert,
wie es vielleicht noch keinen Volksgenossen gefeiert hat, so ehrt es sich
nur selbst.
Auch wir kdnnen ihm unsere Achtung und Bewunderung nicht ent-
ziehen, aber wir sind leidenschaftsloser und kritischer geworden, da wir
gelernt haben, „ Bergen • und 9 Bayreuth a , w periphere und Kern kunst" in-
haltlich zu trennen.
l ) Seine simtlichen Werke hat der Verlag von C. F. Peters in Leipzig in seltener
Aufdpferuog fur ihn verlegt und in den bekannten billigen Ausgaben 9 in rot 41 fiber
die Welt zerstreut.
Digitized by
Google
WEYSE UND KUHLAU
STUDIE ZUR GESCHICHTE
DER DANISCHEN MUSIK
von William Behrend-Kopenhagen
lie .danische Musik* — nicht die Musik in Danemark — ist von
einem hohen Alter. Erst mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts
mtstand — gleichzeitig mit einer nationalen durch romantische
Mnflusse hervorgerufenen Literaturbewegung — das Gefiihl, dass
die Musik durch Zuruckgreifen auf die Volkslieder, unter dem Einfluss
der Natur und des Volkscharakters einen eigentiimlichen dftnischen Ton
flnden konne.
Vorher hatten zwar zwei Musiker deutscher Geburt, J. P. A. Schulz
und Kunzen in ihren Singspielen etwas Volkstumliches zu schaffen ver-
sucht, was von damaligen Poeten und Patrioten als besonders danisch
betrachtet wurde, wahrend es in Wirklichkeit doch nur teils cine Fort-
setzung von Schulz' „Lieder im Volkston", teils eine Nachahmung des
franzosischen und des Mozartschen Singspiels war. Den wirklichen national-
danischen Ton schlugen aber erst die beiden - — in Deutschland geborenen —
Musiker Weyse und Kuhlau an. Ihr Verdienst und ihre Bedeutung werden
deshalb auch fur deutsche Musikfreunde nicht ohne lnteresse sein.
Weyse wurde der spezifisch danische Musiker nicht bloss durch den
Charakter seines Schaffens, sondern auch durch die kunstpolitische Situation bei
seinem Hervortreten. Das Kopenhagener Musikleben stand zum grossen Teil
im Zeichen des Rossinismus. Namentlich durch den vom Konig Friedrich VI.
protegierten Italiener G. Siboni (1780—1839) war das lnteresse fiir
italienische Musik m&chtig gestiegen. Nun bildete sich eine Gegenpartei
gegen den Kultus der Rossinischen Oper. Siegen konnte diese Partei zwar
vorlftuflg nicht (u. a. weil der Hof v611ig auf Siboni's Seite stand, der bei
festlichen Gelegenheiten unablassig und ausschliesslich Rossini's Opern auf-
fuhrte), aber sie hatte einen starken Halt, der darin lag, dass sie das Recht
des Nationalen behauptete und auf die Gefahr fur die danische Musik
hinwies. Sie konnte ausserdem ihren Feldzug unter einem Namen fuhren,
zu dem sozusagen die ganze danische Musikwelt aufblickte: Weyse. Alle
echte, gesunde und kunstvolle Musik wurde von den ehrlicheren, ernst-
hafteren Musikfreunden als „Musik in Weyses Art* bezeichnet, wahrend
Digitized by
Google
273
BEHREND: WEYSE UND KUHLAU
man die Art der Italiener und die bald darauf auftauchenden Werke Meyerbeers
und Auber's als schadlich und geschmackverderbend betrachtete.
Wahrend Weyses Name und Kunst auf diese Art als Schild gegen
die welsche Musik diente, iibte diese periodisch einen nicht geringen Ein-
fluss auf Kuhlaus Scbopfungen aus, in denen sich ausserdem auch
noch Einfltisse deutscher Musik (Karl Maria von Weber) geltend machten.
Und doch stehen diese Manner in der danischen Musikgeschichte Seite an
Seite als die eigentlichen Begrunder einer danischen Musik.
Christopta Ernst Friedricb Weyse wurde am 5. Mirz 1774 zu Altona
geboren. Sein Vater war »cin braver Gewurzhindler und ebemaliger Kapitin der
Burgerwehr", seine Mutter „eine grosse Musikfreundin", die „ziemlich fertig auf dem
Klavier spielte". Als Weyse sieben Jabre alt war, starb sein Vater; er erbielt jedocb
bald einen Stiefvater in cinem Kaufmann Weber, der im spiteren Briefwecbsel mit
dem Sobn als ein trockener, herrschsQchtiger und nicbt gerade zuverl&ssiger Mann
erscheint. Einen entscbeidenden Ein flu ss auf Weyse ubte der Grossvater Kantor
Heuseraus. Er entdeckte die Lust des Knaben zur Musik und nabm sich seiner so
an, dass Weyse selbst sagt: „Bei meinem Grossvater verbracbte ich nun (seit 1782) den
grdssten Teil des Tages . . . verwandte jede freie Stunde darauf, mich zu Qben,
und durch meine Hurtigkeit, die mir vorgesohriebenen HandstQcke zu lernen, machte
ich ibn zuweilen oft ordentlich ungeduldig". In der Bibliothek des Grossvater* ent-
deckte Weyse, der scbnell der ,Handstucke" uberdrussig wurde, indessen bald
anspruchsvolleres, und eine grosse Zabl Sonaten von Ph. E. Bach, Opern und Lieder
von Hiller, Neefe und Reichardt hatte er durchgespielt und teilweise sogar auswendig
gelernt, obne eigentlicb einen Begriff von der Technik des Klavierspiels zu haben,
in der der Grossvater nichts weniger als ein Meister war. Ein wenig Anfangsunterricht
im Orgelspiel scbeiterte daran, dass Weyse keinen Begriff vom General bass hatte,
und das Violinspiel scheint nicht fiber ein „Phantasieren" hinausgekommen zu sein.
Auch als Komponist versuchte sich der lljihrige Knabe und schrieb einige Lieder
und Sonaten ffir Violine und Cello. Wie viel er zu lernen hatte, wurde Weyse jedoch
erst klar, als sein Protektor, der sehr musikalische Syndikus Gaehler, ihm eine von
Sebastian Bachs Sonaten vorlegte. Diese konnte er nicht vom Blatt spielen, und das
regte zu eifrigem Studium dieser neuen Musik an und gleichzeitig fand Weyse Ver-
gnfigen und Belebrung darin, sicb mit Ph. E. Bachs „Ober die wahre Art das KUvier
zu spielen" vertraut zu machen. — Es war sein hdchster Wunsch, nach der
{Confirmation zum Musiker ausgebildet zu werden; aber die Eltern meinten, er mfisse
Kaufmann werden. Er kam auch in Hamburg in die Lehre. Nach ganz kurzer Zeit
wurde er jedoch als ffir diesen Beruf untauglich erklirt. Was soilte nun aus ihm
werden? Zuflllig traf er mit Professor Cramer 1 ) zusammen, der ihn spielen hdrte
und dann durchsetzte, dass Weyse unter Kapellmeister J. A. P. Schulz in Kopen-
hagen „Musikus werden und die Komposition lernen mfisse". Weyse erhielt sofort
die Erlaubnis seiner Eltern und zog nach Kiel, wo er sich bei Cramer aufbielt,
bis sich eine gunstige Fahrgelegenheit nach Kopenhagen fand.
*) Carl Friedrich Cramer (1752—1807) war seit dem Jabre 1775 Professor
an der Kieler Universitit, von wo er (1705) auf Grand revolutionirer Sympathieen
entfernt wurde. Er war ein Verehrer der Musik, gab Klavierstucke und Lieder sowie
daa JVlagazin ffir Musik* heraus (1783-89).
III. 22. 18 "
Digitized by
Google
'SSL
274
DIE MUSIK III. 22.
Das Heim, das Weyse verliess, war f&r ihn cin gluckliches gewesen und trotz
seiner Alltiglicbkeit und seiner einfachen Verhiltoisse nicht ohne Poesie und Nabrung
fur die Pbantasie des Knaben.
Im Herbst 1789 kam Weyse nun nacb Kopenbagen mit Empfeblungsbriefen an
den Musikfreund Grdnland, der ibn zu Scbulz fubrte. Dieser ubernahm nicbt
nur sofort seine tbeoretiscbe Ausbildung, sondern beberbergte ibn aucb — als es Weyse
nicbt gluckte, ein passendes billiges Logis in der Stadt zu erlangen — wibrend der
Lehrzeit, d. b. ungeflbr drei J ah re, in seinem eigenen Hause. Neben den Tbeorie-
studien vertiefte sicb Weyse fleissig in Sebastian Bachs und Clementi's Werke, das
Violinspiel betrieb er gr&ndlicbst bei Konzertmeister Ti era roth; jedocb alles dies
konnte seine Vorliebe fur Romane und Schauspiele nicbt in den Scbatten stellen.
1790 trat Weyse, yon Scbulz eingefubrt, in der „Harmonie* auf; bier und in
anderen musikalischen Gesellscbaften wurde er infolge seines Bach- und Mozartspiels
und seiner Improvisation en scbnell beliebt. 1794 wurde Weyse Organist an der Refor-
mierten Kirche und blieb bier bis 1805, in welchem Jahre er die Organistenstelle an der
Hauptkirche, der Frauenkircbe ubernabm. 1796 trat er in tinem von Kunzen geleiteten
Konzert im Kdniglicben Theater zum erstenmale offentiich als Klavierspieler auf. In
der AUgemeinen Musikalischen Zeitung wurde ihm das ungeheure Lob gespendet,
„dass er unstreitig einer der ersten existierenden Klavierspieler sei und in seinen
Phantasieen die Kunst eines Sebastian Bach mit dem unerschdpflichen Genie Mozarts
vereine" (!). Trotzdem hatte die Virtuosenlaufbabn fur Weyse nichts Verlockendes.
1795—97 scbrieb er, nachdem er inzwischen in Zincks „musikubender Gesellscbaft",
einem der vieien privaten Musikvereine des damaligen Kopenbagen, die Wirkung der
Blas»Instrumente studiert hatte, sieben Symphonieen, von denen eine in Dinemark,
eine andere in Wien erschien. Ferner komponierte er aucb eine Klaviersonate in
a-raoll, die In den „Vermischten Kompositionen" gedruckt wurde. Diese Sammlung
enthielt aucb einige seiner Lieder, zu denen er durcb die deutschen Dichter: Voss,
Hdlty und Claudius angeregt worden war. Der Gesang fesselte nun Weyses Interesse
immer mehr. Er gab Unterricht darin, studierte fleissig die Partituren Mozarts und
Glucks und bekam sogar ,Lust, selbst einen Versuch in dramatischer Musik zu
unternehmen*.
Zu Bretzners Libretto „Der Schlaftrunk" (in den „Liederspielen«) komponierte
Weyse jetzt die Musik; er vollendete den grdssten Teil des ersten und vier Nummern
des zweiten Aktes mit dem deutschen Text als Unterlage, batte aber noch nichts auf*
geschrieben, als Kunzen mit seiner Musik bekannt wurde und ibn aufmunterte, sie
niederzuschreiben und den Text ins Diniscbe ubertragen zu lassen. Ziemlich unwillig
fibernahm es Oeblenschliger, eine Obersetzung und Bearbeitung von Bretzners
Text anzufertigen. Aber erst nacb anderthalb Jahren war er damit fertig, und da hatte
Weyse das Interesse dafur — wie fur das ganze Komponieren uberhaupt verloren! Zu
Anfang des Jabres 1801 „war ein leidenschaftlich erfasster Plan fur mein Lebensgluck
unerwartet fehlgeschlagen und hatte mich in die schwirzeste Melancholic gest&rzt und
mich gleichgultig gemacht gegen alles. Ich war der Kunst, meiner selbst und des
ganzen Lebens uberdrussig . . . und ffihrte im buchstiblicbsten Sinne ein reines
PflanzenLeben". Das Ereignis, das Weyses kunstlerisches Schaffen wirklich 4— 5 Jahre
lahm legte, war die tiefe Enttiuschung, die seine Liebe zu der „scbdnen, geistvollen,
witzigen, ausgelassenen, sehr musikalischen" Julie Tutein (geb. 1783) erfuhr, deren
Lebrer er geworden war, und an deren Neigung zu glauben er alien Grand hatte,
selbst wenn das junge Midcben etwas mit ihm kokettierte und dem armen Organisten
gegenuber ein wenig Standeshochmut zeigte. Ihr Verhiltnis war ein solches, wie
Digitized by
Google
275
BEHREND: WEYSE UND KUHLAU
es die Literatur jener Zeiten oft gescbildert bat, voll schwirmender und leiden-
schaftlicher Erotik und zlnlicher, zierlicber Rficksichtnahme, und es wurde
zerstdrt — ebenfalls wie so oft in damaligen Romanen — durch das Machtgebot eines
geldstolzen Vaters. Ebe Weyse in die Apatbie versank, die er selbst gescbildert bat,
entrang sicb seiner Brust ein tiefer Klageseufzer: er scbrieb die berrlicbe Melodie
zu Scbillers „Der Eicbwald brauset* (1801). Darauf berrscbte Scbweigen bis 1807 —
abgeseben davon, dass Weyse 1804 infolge einer Bestellung aus Deutscbland 4 AHegri
di bravura fur Klavier scbrieb. 9 Zu neuem Leben" erwacbte er, als er den Don
Juan bdrte. „Die Gespensterszene ersch&tterte mich bis ins innerste Mark, aber die
Erscb fitter ung war wobltitig, sie erweckte meinen Genius, der michtiger als jemals
seine Scbwingen zu regen begann".
Das erste, woran sicb Weyse nun macbte, war „Der Schlaftrunk"; aber in dem
kriegsbewegten Jab re 1807 wollte es ibm docb nicbt recht von der Hand geben.
Erst im Mirz 1808 war die Panitur fertig; docb die Aufffihrung kam vor April 1809
nicbt zustande. Das Theater hatte angesichts des possenbaften Sujets Bedenken.
Das Publikum war anderer Meinung. Das Stuck batte sofort Erfolg, der in den
nicbsten Jabren stindig zunabm, so dass das Liederspiel ein Hauptbestandteil
des Repertoires bildete und Weyses Melodieen im Yolke popular wurden wie ehemals
die Kompositionen von Schulz.
Den Rest seines Lebens verbrachte Weyse nun ganz still und bfirgerlich in
Kopenbagen. Er heiratete nicbt — er „habe sein Herz im Jabre 1801 eingemachr*
scbreibt er in einem Briefe — und war nicbt zu Auslandsreisen und dergleicben zu
bewegen. Seine lingsten Ausfluge fubrten ihn kaum fiber Seeland hinaus. Hier
ffiblte er sicb sebr von Roskilde angezogen, von der Domkirche, auf deren Pracht-
orgel er gem improvisierte, von der scbdnen Umgegend und den guten Freunden im
Predigerhause. Weyse stand den bedeutendsten Kunstlern seiner Zeit wie: Oehlen-
schlftger, Baggesen, Heiberg, Tborwaldsen, H. C. Andersen und Ingemann nabe, und er
liebte es, begabte junge Leute in sein Haus aufzunehmen, denen er ein wabrer Vater
war. Er hatte Kinder gern, musste sicb aber ganz natfirlich mit der Zeit zu einem
ausgeprigten Junggesellen entwickeln. Er legte Wert auf gesellscbaftlicbes Leben und die
damit verbundenen materiellen Genusse; l ) er hatte nicht weniger mit Geldverlegenheiten
als mit Kr&nklichkeit zu k&mpfen; diese letztere nabm ihn sebr in Anspruch (es war
seine Passion sich selbst zu kurieren, ja sogar Rezepte zu scbreiben) und trug wohl auch
die Scbuld an seiner B Bequemlichkeit*. Er war ein feiner und gebildeter Mann, ein
guter Kopf, voller Witz und von fiberraschend putzigen EinRUen — aber auch zuweilen
etwas absonderhcb, neckisch, ja „unartig" im Verkehr; in Selbsterkenntnis unterschreibt
er einen Brief „Euer krinklicber und murrischer Organist*.
Organist an der Frauenkircbe war Weyse 1805 geworden. Dieses Amt
veranlasste ihn zu einer recht ansebnlichen Reibe von Kircbenkompositionen. Am
bekanntesten wurden: ein Miserejre, der Ambrosianiscbe Lobgesang uod die
Passions-, Oster- und Pfingstkantaten, sowie die Universititskantaten (zu
J. L. Heibergs Text) und von den Gelegenbeitskantaten : die Trauerkantate zu der
BeisetzungFriedrichsVI.;ausserdem gab Weyse Kompositionen fur die Orgelheraus.
Im ubrigen bescbftftigte er sich bauptsichlicb mit Vertonungen dramatischer Werke.
1811 wurde „Faruk" (auf einen ziemlich unzulftnglicben Text von Oehlenschliger) auf-
gefuhrt und hatte wenig Erfolg. 1814 folgte die „LudIams-H5hle", die zu grosser
l ) Ein Brief von ihm besingt sogar in Hexametern die Einzelbeiten eines
Mittagstischest
18*
Digitized by
Google
276
DIE MUSIK III. 22.
Popularity gelangte. 1817 wurde „Macbeth« zum ersten Male gegeben. Die Tragddie
kam jedoch „in einer verdunnten Gestalt nacb Dinemark", nimlich nach Schillers
Bearbeitung Gbersetzt und ausgestattet mit Musik von Weyse, einer an und fur sich
ausserordentlich scbdnen Musik, die sehr geflel, aber gleicbwobl die streoge Haltung det
Werkes durcbbracb zum Scbaden der recbten Auffassung des grossen Dichters. Diese
Musik war teilweise einer der Jugendsympbonieen entnommen, die Hexenmusik war
aber neu und sicberlicb das Wertvollste an dem Werk. Nocb ein grosses Drama
„Floribella" von J. C. Boye stattete Weyse mit wertvoller Musik aus, obne jedocb
dadurcb das missige Stuck retten zu konnen (1825); dagegen wurde seine Musik zu
Heibergs „Operette« „Ein Abenteuer im Garten von Rosenborg* beliebt wie
keine andere seiner Buhnenkompositionen; sie gelangte 1827 zur Erstauff fib rung und
wurde sofort ein fester Bestandteil des Repertoires. Dieselbe Hobe wie in der „dicbten
Vereinigung von Worten und Tdnen* dieser Operette erreicbte Weyse nicbt wieder
in seinen anderen Bubnenarbeiten, von denen noch die Musik zu Ewalds „Balders
Tod a (1832), frfiberen Kompositionen entlehnt, sowie „Das Fest auf Kenilworth"
zu nennen ist, wozu H. C. Andersen den Text nacb dem Leibpoeten jener Zeit, Walter
Scott, bearbeitet batte. Die Komposition von Romanzen und Liedern, von verscbiedenen
Kantaten, die Umarbeitung einer Sympbonie (A-dur), die 1839 aufgefubrt wurde, und
die pracbtvolle barmoniscbe Bearbeitung diniscber Volkslieder-Melodieen, die
in zwei Heften erschienen, beschiftigten Weyse in seinen letzten Lebensjabren. Er
starb am 8. Oktober 1842 in der Wobnung gegenOber dem von ihm besungenen „Kongens
Have" (Garten von Rosenborg), die an die zwanzig Jabre sein Heim gewesen war.
Seinen Zeitgenossen erschien Weyse bedeutender als Kirchenkom-
ponist, denn als Dramatiker; in der danischen Musikgeschichte gilt er als
der unubertrorTene Romanzenkomponist. Weyses Kirchenkompositionen, die
oft kurz, und dazu bestimmt sind, ein Glied in der Kirchenandacht selbst
zu bilden, nicht als eigentliche Kirchenmusik zu wirken, leiden an vielem
steif Veraltetem und an einem Mangel an wirklicher Grosse; das Romanzen-
hafte in Weyses Kunstleranlage tritt fast zu stark hervor und llsst die
Musik der Erde gehorig nahe bleiben. Die langeren Arien sind traditionell,
nicht unbeeinflusst von Weyses Jugendideal, Phil. Em. Bach. Die polyphonen
Sitze sind kunstfertig und kraftig, aber bisweilen etwas trocken und schul-
meisterhaft. Aber die Chorale sind schon und oft poetisch harmonisiert;
sie heben- diese Kantaten, und haben vielleicht auch am meisten dazu
beigetragen, die Andacht hervorzurufen, die zu erwecken Weyses
Wunsch war.
Als Dramatiker steht Weyse auf keiner hohen Stufe, denn das
eigentlich Dramatische lag seinem Naturell ungeheuer fern. Fur diesen vor-
nehmen und feinnervigen Junggesellen lag das Ideal im Frieden und in der
Harmonie, in sicherer Freundschaft, im Gemiitlichen und Idyllischen. Vor
denLeidenschaften hatte er jedenfalls schon langstHerz und Sinn verschlossen,
und jede Exaltation, jedes OberschSumen im Leben wie in der Kunst war
ihm ein Greuel. Er besass nicht die starke innere Bewegung, nicht den Flug,
die leidenschaftliche Energie, die zur dramatischen Musik erforderlich sind.
Digitized by
Google
277
BEHREND: WEYSE UND KUHLAU
Grosse Partieen seiner Singspiele und Opern sind denn auch nur traditionelle
Nummern nach Vorbildern deutscher oder franzosischer Liederspiele, oder
rein schematische, wohlgeordnete aber im Grunde leblose Tonstiicke geworden.
Doch kann man nicht ganz von Weyses dramatischer Musik absehen.
Einerseits ist diese das weite Feld, von dem man einen grossen Teil der
Blumenpracht der Romanzen geholt hat, andererseits finden sich ringsum
darin Niederschlage von Weyses naiver Phantasie — so in den Geister-
szenen der w Ludlams H6hle« und den Hexen in *Macbeth« — oder ein
feines Lokalkolorit, wie in „Floribella a , das sich wohl auf K. M. von Weber
(Preciosa) zuruckfiihren lasst, obwohl Weyse bei weitem kein Bewunderer
deutscher Romantik war, fur die er wohl kaum ein richtiges Verstindnis
besass. Und endlich hat Weyses liebenswurdiges Temperament in zweien
dieser Liederspiele Ausdruck gefunden: im ,Schlaftrunk" und in dem
„Abenteuer im Garten von Rosenborg . Im ersten begegnen wir
einem lustigen, ja kecken jungen Kunstler, der mit den alten Philistern
seinen gehorigen Spass treibt, aber voll Mitgefuhl ist fur das Arbeitsleben der
schlichten Leute — wie Schulz besass Weyse eine eigene Begabung,
schlichte Leute zu schildern, eine Begabung, die mannigfacher und ver-
tiefter war als die des Vorgangers, der sich noch an Typen hielt,
wahrend Weyse Individuen schildern will — einen Kunstjunger, dessen
Sinn von vornehmer, erwartungsvoller, aber wenig gluhender Erotik erfullt
ist. In dem „Abenteuer im Garten von Rosenborg* 4 hat dieser Kunstler
die Physiognomie gewechselt; er ist nun ein stiller Beobachter von Kopen-
hagener Leben und Sitten; er amusiert sich mit feinem Humor uber das
Treiben seiner Mitbiirger und iiber die drolligen Typen, die im Garten,
seinem Fenster gegenuber, auftauchen. Er versteht das Liebesspiel der
Jungen und verfolgt es mit Interesse und einer gewissen Sympathie, kann
aber nicht kriftig dafiir empfinden. .Eine Liebeserkl&rung, was ist da
weiter?* fangt eine Arie an. Der alternde Herr mit dem schmalen klugen
Gesicht steht ja diesem jugendlichen Treiben so fern. Aber durch seine
Brille, eine Brille aus der Zeit Konig Friedrichs VI., sehen wir das Bild des
damaligen Kopenhagen mit seinen Idyllen und seinem Patriarchentum,
deren Symbol der Rosenborggarten geworden ist. ,Die Ouverture ist
eine ganz realistische Beschreibung des Lebens in diesem poetischen
Zufluchtsort fur Kinder, Ammen, PensionMre und Verliebte", und die
Musik in dieser Kopenhagener Operette ist so viel wie mdglich ein-
geschrankt worden, „so dass man in den grossen kombinierten Nummern
fast nicht unterscheiden kann, ob die Personen singen oder sprechen."
Weyse hat nur das Bild, das der Dichter Heiberg geliefert, ein wenig
starker nachzeichnen wollen — selbst malen wollte er nicht.
Weyses Opern wurden ins Deutsche ubertragen und erschienen mit
Digitized by
Google
2.
278
DIE MUSIK III. 22.
deutschem Text; [kaum eine von ihnen ist jedoch ausserhalb D&nemarks
aufgefuhrt worden. Es scheint sogar, als wire die Kritik in Deutschland
gegen eine Oper wie die „Ludlams H6hle tt zu hart gewesen. Dagegen er-
regten seine Klavierkompositionen einiges Aufsehen in Deutschland, was
wo hi darauf zuruckzufiihren ist, dass Schumann die Allegri di bravura
und Die Etuden mit grosser Anerkennung, teilweise sogar mit hohem
Lobe in seiner Zeitschrift besprach. Weyses friihere Sonaten sind sichtlich
von Phil. Em. Bach und Haydn (erste Periode) beeinflusst; in seinen Allegri
und in den Etuden klingt der Stil einer spateren Zeit hindurch: Moscheles'
und Webers; aber Weyse halt sich doch vollig selbstftndig in diesen freien,
klaren, brillanten und doch griindlichen Klavierstucken, von denen die Etuden
noch heute ihren Wert bewahrt haben und die im ubrigen sicherlich ein
Bild seines von den Zeitgenossen sehr geruhmten Improvisierens geben.
Es war ein Fest, wenn Weyse sich in seinem Heim oder in einem
der vielen Salons der Bourgeoisie, wo er ein willkommener Gast war, ans
Klavier setzte, um zu phantasieren. Oft kostete es Muhe, ihn dahin zu
bringen und er musste mit List gelockt werden. Seine grosse Muhelosigkeit
im Erfinden und sein bedeutender Fond an technischem Konnen kam ihm
hier zugute, und viele behaupteten, dass er in seinen Improvisationen
reicher und kraftiger gewesen ist, als in irgend einer niedergeschriebenen
Komposition. Viel erzahlte man sich damals von der zarten Phantasie,
von der feinen Heiterkeit, ja der kecken Neckerei seiner Improvisationen 1 ).
Diese Begabung nahm Weyse mit ins Grab. Um die Verbreitung
seines Ruhmes im Auslande scheint er sich wenig bekiimmert zu haben.
Es liegt etwas Symbolisches hierin. Als danischer Komponist und als
Meister auf einem kleinen Gebiet — nicht als Virtuose — sollte Weyse
lange noch nach seinem Tode leben.
Weyses Romanzen sind als Sammelwerk keine eigene Schopfung.
Er selbst veroffentlichte einige wenige Sammlungen teils deutscher, teils
dMnischer Lieder, sodann einzelne kleinere Gesange, Ingemanns Abendlieder
und ein Teil Schullieder. Erst nach seinem Tode wurden auf Veranlassung
des spater durch Niels W. Gade beriihmt gewordenen Musikvereins, der
gerade an Weyses Geburtstag im Jahre 1836 gegrundet wurde, und dessen
Hauptaufgabe urspriinglich die Herausgabe dMnischer Musik war, seine
Romanzen von alien Seiten, aus seinen Opern, Liederspielen und Kantaten
gesammelt. Inwiefern die Auswahl das rechte getroffen hat, soil hier nicht
erortert werden: jedenfalls ist kaum etwas von besonderer Bedeutung in
J ) In einer Gesellschaft, wo der Hebe Kaffee ausblieb, klagte Weyse am Klavier
fiber die Entbehrung von c, a, f, f, e; ein anderes Mai versetzte er die Zuhdrer
in Begeisterung durch eine Phantasie fiber den Ruf einer Strassenverkiuferin.
Digitized by
Google
^e.
279
BEHREND: WEYSE UND KUHLAU
der Sammlung ubergangen worden, die bisher die beste Hausmusik des
danischen Volkes gewesen ist.
Weyses Romanzen sind das Resultat der Begegnuog einer empfind-
samen und geistvollen Musikerpersonlichkeit mit einer uppig aufschiessenden
Literatur. Es war ja das goldene Zeitalter der danischen Dichtung, in dem
es Weyse zu wirken *beschieden war; freilich hat er auch verschiedene
Gedichte deutscher Klassiker und Romantiker in Musik gesetzt, aber so-
wohl der Zahl wie dem Wert nach sind seine danischen Romanzen uber-
wiegend.
Nun muss es sofort ins Auge fallen, wie Weyses feiner Sinn die um
ihn keimende dMnische Dichtung aufgegriffen und verstanden hat. Obschon
von deutscher Geburt und sein ganzes Leben hindurch das Deutsche
neben dem Danischen sprechend und schreibend, besass er merkwurdig
offene Ohren fur die Eigentumlichkeiten der danischen Sprache; er dekla-
miert sie nicht nur mit Meisterschaft, mehr als das: er hat einen scharfen
Blick fur die Eigenart jedes Dichters, und er gibt ihm selbst in der kleinsten
Romanze den ganzen ihm eigentumlichen Stil. Fur beides bieten sich eine
Menge Beispiele dar. Die Deklamation besteht nicht nur darin, dass jedes
Wort und jede Silbe den rechten Akzent erhalt, sondern auch darin, dass
der Rhythmus der Sprache mit feinem und sicherem Sinn innegehalten und
jede Nuance im Ausdruck hervorgehoben wird und zu ihrem Recht kommt.
Welche schwindelnde Erotik in der chromatischen, unregelmissigen Melodie
zu den Worten: Ich war so angstlich jungst (in Schdn' Jungfrau); wie
leicht hingeworfen ist nicht die Melodie: Eine Liebeserklarung; welch
zitternde junge Verliebtheit in dem Rundreim: Mein susses kleines
Herze (Mit Peitschengeknalle); wie wunderbar sind nicht des Tages
Hast und des Abends Frieden einander gegenubergestellt durch die Melodie-
behandlung in: Raschen Schrittes geht der TagI All dies verrSt die
geniale Anlage, gepaart mit grosser Einsicht und wohlgebildetem Ge-
schmack. Und nun, wie lebhaft erscheint uns nicht der flammende,
junge Oehlenschlager in Liedern wie Schdn' Jungfrau, in dem ent-
zuckenden Endlich barsten die hangenden Wolken und wie ver-
schieden von dem kuhlen, formvollendeten J. L. Heiberg (in Was hdr'
ich tonen im Walde? und In Sachsenland aus der Reformationskantate),
oder von dem volkstumlichen Grundtvig (Kommet her, ihr Magdlein
klein), oder dem bald „wildromantischen, bald kindlich frommen und ein-
fachen* Ingemann (Der Spielmann und Morgen- und Abendlieder)*
Alles, was Georg Brandes zum Lobe von Ingemanns Gedichten gesagt
hat, kann Wort fur Wort auf Weyses Melodieen zu ihnen Qbertragen
werden.
Weyses Romanzen wirken am unmjttelbarsten durch ibre Melodie,
Digitized by
Google
280
DIE MUSIK 111. 22.
J£
die so inhaltreich, so ausdrucksvoll, so dankbar zu singen ist. Betrachtet
man sie n&her, so wird man finden, dass der Kiinstler Stimmung und
Ausdruck durch eine feine und zart gewMhlte Harmonisierung stutzt. Selbst-
verst&ndlich ist Weyses Musik dem Schicksal des Verblassens nicht entgangen.
Er schritt nicht wie ein Genie seiner Zeit voraus — ja, er hielt mit knapper
Not Schritt mit ihr, insofern als er, selbst wenn er romantische Stoffe und
Dichtungen behandelt, nicht wesentlich iiber die Ausdrucksmittel der
Mozartschen Periode hinauskam. Aber Weyse ist vollig original in den
allermeisten seiner Romanzen, weil er so ausgepr> d&nisch ist. Des-
halb stehen so viele von ihnen noch heutigen Tages in voller Frische da,
trotz des machtigen Fortschritts und der Veranderung des musikalischen
Ausdrucks seit jener Zeit. Und deshalb muss Weyse original genannt
werden, weil er fur das spezifisch Danische, woftir ihm die Augen aufgingen,
kein eigentlich musikalisches Vorbild vorfand. Er griff auf das Volks-
lied zuriick, wenn er es auch umdichtend seiner Zeit etwas anpasste, so
dass die Tanzweisen mehr zu Romanzen wurden (Das blanke Schwert,
Das war der Ritter, Hr. Aage u. a.); er suchte das ganz einfach Volks-
tumliche auf, das in Schulz' Musik enthalten ist (Sah' ein Knab' ein
Roslein steh'n, Tanzt der Maie hold entgegen, Was da lebet,
werde Staub u. a. m.). Aber wenn er das Danische, das ihm selbst
lieb geworden war, und mit dem er eng zusammenhing, so recht schildern
wollte, dann fand er kein Vorbild. Er selbst musste den Ausdruck fur die
herrliche Stimmung eines Sommerabends in einem Boot auf dem spiegel-
blanken Oeresund unter tausend klaren Sternen finden, die in den wenigen
Takten der Barcarole (Die Nacht sie ist so stille) steckt, er selbst
musste der munteren Poesie des Strandweges Ausdruck geben (Rollend
entlang die staubigen Wege), selbst zum erstenmal die danische
Studentenerotik besingen (Mit Peitschengeknalle), oder die Taufrische
der Morgengesange und den milden Frieden der Abendlieder schaffen,
selbst den Ausdruck finden fur die selbstgewisse, sichere, zufriedene und
stolze Freude der Zeit iiber Vaterland und Konig (Vaterlandslieder
und Kantaten).
Fur all dies besass Weyse keine Vorbilder in aiterer heimatlicher
Musik und noch weniger in fremder; deshalb wurde sein Ausdruck dafur
so eigenartig und wir sind berechtigt, diesen Ausdruck Dinisch zu nennen.
Alles, was in dem Begriff Danisch enthalten ist, erschopft Weyses
Musik freilich nicht. Er war wie jeder Kiinstler begrenzt von dem, was
er selbst kannte und dann von seiner Zeit und dem bischen Dinemark,
das er besuchte. Die Naturstimmungen, die er ge schaffen, sind einzig
inspiriert von der sanften seel&ndischen Natur, mit ihren weichen langen
Linien, ihrer gesunden Fruchtbarkeit, ihren feinen Farbentonen und ihrer
Digitized by
Google
281
BEHREND: WEYSE UND KUHLAU
milden Schwermut. Die jiitlandische Natur, urkr&ftiger, mit breiteren
grosseren Linien, mit der 6den Stimmung der Heide, war Wcyse und seiner
Musik fremd: sie ist im grossen Ganzen nur selten musikalisch geschildert
worden, so wie es dichterisch in erster Reihe bei Blicher geschehen ist.
Auch das danische Naturell hat Weyse nicht erschopft. Er schildert
die Menschen und Verhaltnisse, die er kannte, und es liegt etwas entschieden
Vormarzliches in seiner Musik. Aber er hat ein neues, ein speziell
nationales Element in unsere Musik gebracht. Die feine und klare, oft
im 6/8 Takt wiegende Romanze mit dem anmutigen, aber etwas weichen
Geprage ohne starke seelische Affekte, weder jubelnde noch traurige, ist
mit ihrer Innigkeit, ihrer Keuschheit und Sanftmut, mit ihrer stillen
Heiterkeit und halbverborgenen Wehmut echt danisch neben den ent-
sprechenden Erscheinungen in Dichtung und bildender Kunst. Sie steht
als typisch da, selbst nachdem spMtere Kunstler diesen Grundton erweitert
und ihn kraftiger und pragnanter ausgestaltet haben.
Friedrich Kuhlau — wieder ein Deutscher, der gleichzeitig mit
Weyse fur die Entwicklung der danischen Musik tatig war — ist sowohl
als Kunstler wie als Mensch ein ganz anderer Typus als Weyse.
Daniel Friedrich Rudolph Kuhlau wurde am 11. September 1786 in
Ulzen bei Luneburg geboren. Sein Vater war Militlrmusiker. Die Verblltnisse im
Elternhause, in dem eine ganze Anzahl Kinder aufwuchs, deren j ungates Kublau war,
scheioen Susserst bescheidene gewesen zu sein. Ungetthr in seinem zehnten Jahre verlor
der Knabe durch einen unglucklichen Zufall ein Auge; wihrend des nun folgenden
langen Krankenlagers entdeckte man Fried rich s musikalische Anlagen, da es sein
liebster Zeitvertreib war, auf einem kleinen Klavier (Klavikord) zu spielen, das quer
fiber dem Bett angebracht wurde. Schon als Kind begann Kuhlau zu komponieren,
aber so viel man weiss — uber seinen Kinderjahren ruht tiefes Dunkel — erhielt
er erst im Jahre 1800 Oder 1801 regelmissigen Musikunterricht, in Hamburg, bei dem
tuchtigen aber schroffen Kantor Schwencke (1769—1822, Phil. Em. Bachs Nach-
folger). Kuhlau betitigte sich zunichst als Klavierlehrer, begann aber dann auch
als Klaviervirtuose aufzutreten. Gleichzeitig spielte er ein wenig Violine, Cello und
das damalige Modeinstrument, die Fldte. Sein erstes Opus erschien 1810. Im selben
Jahre setzte man ihn auf die Listen, in denen diejenigen Hamburger Burger ver-
merkt wurden, die eventuell den Napoleonischen Regimentern zugeteilt werden
sollten; wahrscheinlich war er zum Musiker bestimmt, da er, ein Einlugiger, wohl
keine Dienste als gewdhnlicher Soldat hltte leisten kdnnen. Kuhlau befCrchtete indessen,
dass seine Kunstlerlaufbahn unterbrochen werden kdnnte, und fluchtete nach Kopen-
hagen, wohin ihn die Namen Schulz, Kunzen und Weyse lockten. Schon im
Januar 1811 trat „Herr Kublau aus Hamburg" in einem Konzert im Kdniglichen
Theater auf, in dem er ein eigenes Klavierkonzert und ein „musikalisches Gemllde:
Gewitter auf dem Meere* spielte. Und die Sympathie, der er bier und in den pri-
vaten Musikvereinen (besonders in der Musikalischen Akademie) begegnete, be-
stimmte ihn, seinen Wohnsitz in Kopenhagen aufzuschlagen. Es war nun Kuhlaus
nicht geringes Verdienst, dass er Beethorensche Klaviermusik in die dlnischen
Konzertslle cinfuhrte. Er soiclte eines der ersten Klavierkonzerte, das Triplekonzert,
Digitized by
Google
282
DIE MUSIK III. 22.
das Bliserquintett und endlich 1818 das c-moll Konzert, kurz, gleich nach seinen
eigenen Stficken spielte er am liebsten Beethoven. Seine Kompositionen kamen
dem Geschmack der Zeit reicblicb entgegen; er scbrieb aucb mehrere Klavier-
konzerte, aber roeist trug er docb seine gllnzenden, aber nicbtssagenden glatten
Variationen fiber bekannte Operntbemen vor, die als bequeme Unterhaltting sebr
beliebt waren. Die erste Komposition, die in einem dlniscben Verlage von ihm er-
scbien, waren leicbte Variationen fiber den „Mann mit dem Giase in der Hand"!
Bis 1822 trat Kublau als Klavierspieler auf. Die Kompositionstitigkeit nahm ibn
dann stark in Ansprucb und binderte ibn wobl daran, dauernd den Virtuosen in
sich zu berficksichtigen. 1814 kam Kuhlaus erste und eine Zeitlang sebr beliebte
Oper ,Die Rluberburg" beraus. Oeblenscbllger, der zu Kuhlaus Talent Ver-
trauen gebabt zu haben scbeint, scbrieb den Text mit Rficksicbt auf das Frische und
Lebendige in seiner Begabung und lieferte ibm eine Unterlage, in der sicb „deutsch-
artige Romantik" und buntes Kolorit mit diniscber Munterkeit begegnen. Kublau
ging offenbar rein naiv an diesen geschmacklosen und liederlicben Text; sein warmes
Blut, sein jugendlicher Eifer braucbten nur wenig I m puis, urn in starke Bewegung
versetzt zu werden. «Die Rluberburg" batte grossen Erfolg. Splter fand das Werk
aucb auf deutscben Bfibnen eine eute Aufnabme. Von den Slteren Musikern wurde
Kublaus Mu«ik als ffircbterlicb radikal bezeicbnet; Kunzen z. B. geriet in Entsetzen —
docb das PubHkum bielt es mit dem Komponisten. 1817 folgte Kuhlaus nicbste
Oper, JDie Zauberbarfe", die, zu Kfinigs Geburtstag aufgefubrt, zu einem be-
kannten literariscben Streit Veranlassung gab; das Werk wurde erstickt von den
Tbeaterskandalen, die dieser Streit bervorrief. Nocb verschiedene Male Hess sicb
Kublau vom Theater verlocken. 1820 setzte er das lyriscbe Drama *Elisa oder
Freundschaft und Lie be* in Musik, jedenfalla mebr von seiner Verpflicbtung als
Kammermusiker dazu gezwungen, da der untheatraliscbe Text ibn wobl kaum angezogen
haben kann, und 1824 erscbien seine grfisste und in vielen Beziebungen bedeutendste
Oper „Lulu" zu dem Text von Gfintelberg, der nach einem Wielandscben
Mirchen denselben Stoff bebandelt wie w Die ZauberfI5te" in ibrer ursprfinglicben
Gestalt. Die neue Oper mit ibrer pbantasievollen und effektreichen Romantik batte
grossen Erfolg und hielt sicb in einer ausgezeicbneten Ausffibrung lange auf dem
Repertoire. Aucb das Scbauspiel .William Shakespeare" (1826) hielt sicb durch
Kuhlaus Musik eine Zeitlang auf der Bfibne, wibrend es dem Komponisten un-
mdglich war, dem mlssigen Liederspiel w Hugo und Adelheid" (1827) Leben ein-
zubauchen. Dagegen err an g er im folgenden Jahre einen Bfihnenerfolg, grSsser als
ibn irgend ein anderer diniscber Komponist bisber erreicht hat, mit der Musik
zum „Elfenbfigel" (op. 100). Heibergs Singspiel war eine Gelegenheitsarbeit,
die anllsslich Prinz Frederiks (splteren Frederik VII.) Vermlblung am 6. No-
vember 1838 aufgefubrt wurde; der nationale Stoff und die nicbt minder nationale
Musik macbten die Oper zu einem der beliebtesten Stficke, das sich bis beute
auf dem Spielplan erbalten bat. Ferner scbrieb Kublau die Musik zu Oeblen*
schligera ^Zwillingsbrfider von Damaskus", die nach dem Tode Kublaus 1830
als Musik zur ersten Auffuhrung von Oeblenschllgers „Aladdin" wieder auferstand.
Die einzelnen Bfibnenerfolge waren die Oasen in Kublaus Leben, das sonst unter
grosser mfibsamer Arbeit, geringer Aufmunterung und unablissigen Geldsorgen verstrich.
Unterricht erteilen mochtc er nicht, sein Klavierspiel scbeint er um des Komponierens
willen ganz vernachlissigt zu baben. Frfibzeitig batte er die Sorge ffir seine Eltern und
Verwandten auf seine Scbultern nebmen mfissen, und um den Unterhalt ffir die
Familie zu beschaffen, musste er allcrband bestellte Arbeit ausfubren, die zu schaffen
Digitized by
Google
283
BEHREND: WEYSE UND KUHLAU
ibm freilich ein Leicbtes war, die aber doch seiner Begabung Abbruch tat und oben-
drein von den in- und ausllndischen Verlegera mebr als bescbeiden bezahlt wurde.
So beliuft sich Kublaus Opuszahl trotz seiner recbt kurzen Lebensdauer auf 127
(vieles erscbien aucb ohne Opusangabe); ein grosse Menge zlhlt kunstlerisch nicbt
mit: wie z. B. die Airs varits, Phantasieen, Rondeaux brillants und ihn-
liche Salonmusik ira Gescbmack seiner Zeit. Diesem opferte er aucb mit einer
ganzen Reihe Fldtenkompositionen (darunter sogar ein Quartett fur vier Fldten), die
grosse Verbreitung gewannen und die neben den instruktiven Klaviersonaten und
•sonatinen besonders dazu beitrugen, ibm in den ersten Kopenbageuer Jabren einen
Namen zu scbaffen ; aucb sind dies diejenigen seiner Schdpfungen, die man im Aus-
Jande kennt. Zu all diesen mebr oder weniger bestellten Wcrken kamen die drei
Klavierquartette und die in Studentenkreisen scbnell beliebt gewordenen Gesangsquartette.
Von Seiten der Regierung bewies man nur wenig Interesse ffir Kublau. Er wurde
freilich 1813 Kammermusikus, aber ohne Gehalt. 1816 wurde er als Singemeister
am Theater angestellt, aber da ibm dieser Posten durcbaus nicht bebagte, ersuchte
er um Entbebung davon und bat sich da fur ein Kammermusikusgebalt aus, fur
das er bei Hofe spielen und alle zwei Jabre fur den Hof und das Theater kompo-
nieren wollte. Man gestand ibm eine Gage von 300 Rtlr. zu, wftbrend Weyse ein
mebr als dreimal so grosses staatliches Komponistengehalt bezog. 1828 verschaffte
der „ElfenhOgel" ibm den Professortitel, aber keine grdssere Unterst&tzung.
Weitere Lichtpunkte in Kublaus Leben bildeten die Reisen. Ein eintdnigesStuben-
bockerleben passte ibm am allerwenigsten, er war glucklich uber die Abwechslung
und Erfrischung, die ibm Reisen bracbten. Schweden besuchte er viermal, gab
Konzerte in Stockholm und wurde Mitglied der musikalischen Akademie; aber mebr
bedeuteten die Reisen nacb Deutscbland. 1816 war er in Hamburg. 1821 trat er eine
Reise an, die fiber ein Jabr wlhrte und ibn nacb Leipzig, in die sichsiscbe Schweiz,
nacb Wien und Munchen, dagegen nicht, wie beabsicbtigt, nacb Italien fubrte; splter
(1825) kam er wieder nacb Wien und macbte bier Beetbovens Bekanntschaft.
Beethoven wobnte damals in Baden bei Wien und fubrte im Verkebr mit dem
jungen Violinisten Karl Holz ein muntres Leben. Kublau traf ibn also nicht
als den menschenscbeuen Meister, sondern als den gemutlichen Kameraden, der
Kublau den gross en Kanonier nannte (Kublau war in Deutscbland durch
seine oft humoristischen Kanon-Beitrlge zur Allgem. Musikal. Zeitung bekannt),
seinen Besuch mit einem Gelage feierte, bei dem es lustig zugegangen sein
muss, und ibm zum Abscbied sein Bild nebst einem Kanon mit dem witzigen
Text KG hi nicht lau schenkte. Seine letzten Jabre verlebte Kublau in dem Dorfe
Lyngby bei Kopenhagen. Nahrungssorgen und der Tod seiner beiden Eltern in Einem
Jabre schwlchten seine Gesundheit; ein barter Scblag traf ibn ausserdem, als eine
Feuersbrunst (1831) sein Heim und damit eine Anzabl Manuskripte vernichtete, deren
Verdffentlicbung er mit Willen binausgeschoben batte, um sich mit dem Honorar in
schlechten Zeiten durchzuhelfen. Dieses Missgeschick ersch&tterte seine bereits ge-
schwlchte Gesundheit derartig, dass er das Krankenhaus aufsuchen musste. In dieser
Zeit veranstaltete Weyse ein Konzert fur ibn. Kublau erholte sich zwar einigermassen
wieder und begann zu komponieren. Aber er erlitt einen Ruckfall und starb am
13. Mlrz 1832.
Die Kunstlerpersonlichkeit Kublaus war von der Weyses wesent-
lich verschieden. Auch er kam jung von Deutscbland nacb Dinemark und
schrieb nicht nur Musik zu danischen Texten, sondern seine Schdpfungen
Digitized by
Google
£l
284
DIE MUSIK 111. 22.
selbst wurden ein Glied in der Entwicklung der danischen Musik. Trotz-
dem wurde er niemals ein Dane, wie es Weyse war. Nicht gerade
weil er stets die deutsche Sprache in Wort und Schrift vorzog und nie so
recht Danisch lernte, sondern weil er ein Gemiit besass, das sich nicht
mit den kleinlichen Kopenhagener SpiessbiirgerverluUtnissen zufrieden geben
konnte, weil er kosmopolitischer beanlagt war und Kiinstler-Zigeunerblut in
ihm floss.
Er konnte nicht, wie Weyse, ruhig und gemiitlich in den zierlichen
Bourgeoisie-Salons sitzen. Der junge Dichter J. L. Heiberg, der Reprasentant
der selbstbewussten „Gebildeten", war seinem Naturell ein Schrecken. Er
nennt ihn den „langen Bengel" und entwischte einmal sans facon aus einerder-
artigen Gesellschaft. So gebildet wie Weyse, der sehr viel las, sogar wissen-
schaftliche und lateinische Schriften, war Kuhlau nicht. Er vertiefte sich
gern in Gedichte, und Melodieen entstanden in ihm, wenn er die Verse
las; er las aber wie ein Kunstler, nicht um seiner Bildung willen. Sein
personliches Auftreten war auch nicht immer nach dem Geschmack der
Burgerschaft — so z. B. als eine Prinzessin ihm bei Hofe fur sein Spiel
dankend eine Tasse Tee anbot und er mit einem uberraschten Blick ant-
wortete: Ich mochte lieber einen Schnaps! — und der Wein, immer sein
treuer und sehr lieber Freund, konnte sich bisweilen seiner in einem hoheren
Grade bemachtigen als es sich mit guten und gebildeten Sitten vertrug.
Kuhlau war immer dem Neuen und Fremden gegeniiber aufmerksam und
beobachtend und liess sich, selbst wider seinen Willen, davon beeinflussen.
Weyse dagegen hatte fruhe seine Ideale begrenzt und duldete nichts Neues.
Die „neumodische Uberschwenglichkeit und Pretension* mochte er nicht;
unter den Komponisten, die Weyse in hohem Grade verehrt, nennt er (in
einem Briefe von 1820) sogar nicht einmal Beethoven, von dem er spater sagt
„er sollte gebunden werden" und vor Mendelssohn warnt er seine Schuler
als vor „Judenmusik". Kuhlau aber bewundert Beethoven (jedenfalls
bis zu einem gewissen Punkt), er fiihlt mit Weber und lftsst sich von
Cherubini hinreissen, der damals in Danemark sehr wenig gekannt und
geschatzt war. In einem Brief spricht er von „dem unreinen Geist
Rossini's, der sein Unwesen treibt a ; aber dieser Geist besass doch so
bestechende Eigenschaften, dass sich Kuhlau in seiner Liebe zur Melodie
und einem flotten glgnzenden Orchester nicht ganz von seinem Einfluss
losmachen konnte.
Er betrachtete es dann auch in erster Linie als seine Mission, all
dieser fremden Musik den Weg nach D&nemark zu bahnen — in danischen
Opern. Und in den begrenzten, kleinst&dtischen und schwtilen Verhaltnissen
bedurfte es wirklich dieser frischen Luft, und die Leute empfingen mit Freuden
die neue und grossgeartete Musik. Gewiss, es gab auch solche, die diese Ein-
Digitized by
Google
285
BEHREND: WEYSE UND KUHLAU
^>
fiihrung fremder Kunst mit Misstrauen betrachteten und darin cine Gefahr fur
ihre hausbackene Musik sahen. So die Feueranbeter Weyses. Ein bischen
Rivalitit entstand in der Folge zwischen den beiden Meistern. Weyse paro-
dierte Kuhlau in seinen oben erwahnten Improvisationen und erklarte, dass
Kuhlau durch ,,Vielschieiberei a sich die Ehre verschrieben; Kuhlau seiner-
seits meinte nicht ohne beissenden Witz, dass Weyse Professor geworden
wire — selbst wenn er nicht musikalisch ware. Im ganzen aber standen sich
die beiden Musiker doch freundschaftlich gegenuber; es dauerte freilich
lange, bis Kuhlau dem danischen Publikum ebenso lieb wurde wie Weyse,
eigentlich war dies erst nach dem „Elfenhiigel" der Fall, und noch spftter
versuchten die Eifrigsten der „ danischen" Partei ein Auszischen der Oper
„Lulu", da sie aus Rossinischem Geist geboren sein sollte — ein Vorhaben,
das jedoch an der Begeisterung der Mehrzahl des Publikums scheiterte.
Es war ein Ungluck fiir Kuhlau, dass die Verhaltnisse ihn zwangen,
fur Brot zu schreiben. „Das alte Wort ,Die Kunst geht nach Brot 4 ist
nur allzu wahr" sagt er selbst. Mit seiner seltenen Leichtigkeit der
Produktion konnte er zwar ohne viele Miihe die verlangten Sonaten und
andere bestellte Ware liefern. Ging es nicht anders, dann schlossen die Ver-
leger ihn im Hinterzimmer in Gesellschaft einer Flasche Wein ein, und
nur durch eine fertige Komposition konnte er sich seine Freiheit wieder
erkaufen. Gewiss aber gingen hier viel gute Krafte verloren und selbst
in seinen wertvolleren Werken sind manche Fliichtigkeiten und Spuren
von „Kapellmeistermusik a stehen geblieben. Doch wenn Kuhlau auf
seiner Hohe ist, steht er vor uns als ein interessanter, melodieen- und
farbenreicher Komponist. Er war kein besonders origineller Musiker;
man erkennt leicht seine Vorbilder: Cherubini in den friiheren Ouverturen,
spater Weber, und Mozart in einer einzelnen, zu „William Shakespeare", die
von der „Zauberflote"-Ouverture inspiriert ist und an und fiir sich als ein
Prachtstiick der Slteren danischen Orchestermusik dasteht. Uberhaupt war
Kuhlau ein vollendeter Techniker; er denkt polyphon und steht auf der
Hohe der damaligen Instrumentationskunst. Weyse erkennt dies an, wenn
er etwas hohnisch ausspricht: „Ich kann nicht instrumentieren, das versteht
nur Kuhlau.*
In der 9 Rauberburg M ist die Musik am meisten von Cherubini und
Boieldieu beeinflusst — eine Art elegante franzosierte Romantik. In „Lulu",
einer Zauberoper voller Leben und Bewegung, finden sich Spuren Weber-
scher Romantik, nebenher aber auch Rossinische Ziige.
Echt national-romantisch ist Kuhlau im „Elfenhugel"; hier verschmilzt
er mit genialer Sicherheit Naturkultus und Volksliederklange zu einem
kunstlerischen Ganzen. Mit diesem Werk brachte Kuhlau der danischen
Musik etwas positiv Neues. Im Verein mit J. L. Heiberg wies er den
Digitized by
Google
B.
286
DIE MUSIK 111. 22.
Volksliedern den ihnen gebiihrenden Platz im Bewusstsein des Volkes an.
Er hatte immer einfache „edle Melodieen* geliebt und sie schon fruh in
Danemark und in Schweden aufnotiert, wie sie als Kampe viser (Heldenlieder)
iiberliefert waren. Jetzt kam ihm diese Vorliebe gut zustatcen; er wendete
die alten Melodieen mit Kunst und Geschmack an, machte sie leicht
zuginglich (romanzenartig) und fiigte dazu seine eigenen musikalischen
Gedanken, die so sehr an den Ton der Volkslieder anklingend gehalten
wurden, dass es schwer war, beide zu unterscheiden. Neben diesem
Volksliederton, der schon an sich geeignet gewesen wire, den „Elfenhiigel*
zu einem Nationalwerk zu stempeln, hat es Kuhlau aber noch verstanden,
in dem ganzen Werk einen specifisch nationalen Ton festzuhalten. Das
zigeunerhaft-unstete seines Naturells ist hier zuruckgetreten zu Gunsten
einer feinen, milden Naturphantastik von ausgesprochen dinischem Geprige.
Und endlich hat die ausserordentliche Loyalit&t der damaligen Zeit einen
geschmackvollen Ausdruck im „Elfenhugel" gefunden. Die Hauptfigur ist
einer der popularsten danischen Konige (Christian IV.). Das Hauptmotiv
der Musik das Nationallied „Kong Christian stod ved hojen Mast" (Kdnig
Christian stand am hohen Mast). Die „alleruntertinigste" Gelegenheitsarbeit
wurde ein Kunstwerk und zudem ein Werk von musikgeschichtlicher Be-
deutung — ahnlich wie „Das Leben fur den Zaren a . Allerdings uberragt
Glinka Kuhlau als Musiker um ein bedeutendes.
Edvard Grieg hat einmal die Komponisten in ,Tondichter" und
„Tonkunstler" geteilt. Cum grano salis Hesse sich diese Unterscheidung
wohl auch auf die hier behandelten zwei Musiker anwenden. Weyse
wire dann der Dichter, Kuhlau der Kunstler. Und mit diesen ihren
Eigenschaften wiren sie dann die Vorlaufer fur die beiden grdssten
danischen Komponisten: J. P. E. Hartmann, der der Nachfolger Weyses
und Niels W. Gade, der der Nachfolger Kuhlaus genannt werden musste.
Jedes Gleichnis hinkt. Bei Weyse und Hartmann ist die Kunstfertigkeit
nicht zu unterschitzen, wie es bei Kuhlau und Gade keineswegs an Ge-
mutstiefe, am „Dichter" fehlt. Aber die Tatsache, dass man Weyse und
Kuhlau in eine so nahe Verbindung mit den danischen Komponisten bringen
darf, unter deren Zeichen die danische Musik teilweise noch heutzutage
steht, ist ein beredtes Zeugnis fur die Bedeutung, die diese beiden Musiker
deutscher Herkunft fur die danische Tonkunst gehabt haben.
Digitized by
Google
Jon alien Kulturerscheinungen sind es die Architektur und die
Musik, die sich in Finnland am spatesten zur Selbstandigkeit
mporarbeiteten. Lange nachdem die finnische NationalitSts-
l bewegung den Sieg davongetragen hatte, die finnische Dichtung
mit Runeberg und Kalevala auf der Weltarena erschienen war und eine
spezifisch finnische Kultur sich als ein Faktor fur sich von der allgemeinen
nordisch-europaischen abgesondert hatte, blieben die beiden genannten
Kunstarten unmundige Kinder, die die Lehren von fremden Landern her
nachbuchstabierten. Schliesslich aber sollte auch ihre Zeit kommen. Die
finnisch-nationale Architektur ist in diesem Augenblick im Werden be-
griffen, die finnische Musik aber hat die Kinderschuhe schon ausgetreten
und kann bestimmte, vollig charakteristische Ziige aufweisen. 1 )
Dem Entstehen eines eigenen Tones in der finnischen Musik gingen
manche Zeichen und Andeutungen voran. Friedrich Pacius, der „Vater
der finnischen Musik" genannt, der Finnland seinen Nationalgesang ge-
schenkt, war von Geburt ein Deutscher und verblieb sein Leben lang als
Tonsetzer ein Spohr-Epigone. Nichtsdestoweniger spurt man in seiner
Musik einen Zug, der mit einer Seite des finnischen Volksgemuts verwandt
ist: die weiche, lyrische, in sich gekehrte Reflexion, ein nicht tatkraftiges,
resigniertes und mild melancholisches Gefuhl, das gleichsam von der Abend-
rote und den letzten Strahlen der sinkenden Sonne beleuchtet wird. Pacius
benutzte manchmal (wie in dem Singspiel „Die Prinzessin von Cypern" und
in der Oper „Konig Karls Jagd") direkt dem finnischen Volks-(Runo-)Lied
mit seinem bezeichnenden 6 / 4 Takt abgelauschte Motive und trug viel zur
Kenntnis der schonen finnischen Volkslieder bei durch ihre Bearbeitung
fur vier MSnnerstimmen.
Dies war nun freilich nur eine Einzelerscheinung; Pacius konnte
nicht von dem finnischen Geiste in modernem Sinn durchtritakt sein und
l ) Vgl. den Artikel des Verfassers „Die Entwicklung der Musik in Finnland",
9 Die Musik* II, 11 S. 355 ff. Dasselbe Heft enthilt auch die Portrits der bier er-
wihntcn Tonsetzer.
Digitized by
Google
£.
288
DIE MUSIK HI. 22.
seine Vorliebe fur die Eigentumlichkeiten der finnischen Volkslieder kann
wohl nur darauf zuruckgefiihrt werden, dass er diese Volksweisen und
Rhythmen mehr als interessante ethnographische Kuriositaten betrachtete,
denn als Regungen des volkstumlichen Elements, das noch schlummerte
und den Befreiungskuss erwartete. Dasselbe muss von Pacius' Zeitgenossen
und seinen unmittelbaren Nachfolgern behauptet werden.
Ich glaube nicht zu irren, wenn ich das Hervortreten der norwegisch-
nationalen Komponisten Svendsen und Grieg als die direkte Ursache zu
den nationalen Orchesterkompositionen Robert Kajanus' bezeichne. Der
jetzige Leiter des philharmonischen Orchesters in Helsingfors griff in seiner
Jugend zu echt finnischen Motiven fiir einige Orchesterdichtungen,
welche die ersten Versuche wurden, finnische Epik in Tonen zu schildern.
Er war ein warmer Bewunderer der genannten norwegischen Komponisten,
Schuler von Svendsen und dazu lebhaft beseelt von der nationalen Be-
wegung, die teilweise mit rucksichtsloser Kraft auf eine neue, eigene
Kulturform auf Kosten der alten von Schweden her vererbten hinarbeitete.
Er schuf w Kullervo% „Aino", symphonische Dichtungen mit Gestalten aus
dem finnischen Nationalgedichte Kalevala, ferner finnische Rhapsodieen.
Die Form aber und der Geist in diesen Werken deckten sich nicht mit
dem nationalen lnhalt. Es war wohlklingende Musik, aber die norwegischen
Muster schimmerten durch.
Der Anfang aber war gemacht und der Weg gebahnt. Die Zeit war
reif, um einen wahrhaft originellen, selbst&ndigen Tonsetzer zu gebiren,
der zum Dolmetscher des finnischen Geistes in der Natur, der Sage, der
My the und der Geschichte werden sollte: Jean Sibelius. Durch ihn
vollzog sich die langsam vorbereitete Erweckung des nationalen Tones in
der finnischen Musik.
Sibelius ist das typische Beispiel dafur, wie eine geniale Intuition mit
einem einzigen Griff das packen kann, was andere durch muhevolle, mehr
oder weniger theoretisierende Versuche vergebens zu erfassen gestrebt.
Seine Bildung war nicht urfinnisch, im Gegenteil; es lag alte schwedische
Kultur noch von der Kindheit her in ihm. Sein finnischer Geist war also
nicht eine Erbschaft, aber auch nicht etwas Erworbenes. Friih jedoch lauschte er
den ureigenen Tonen der finnischen Natur, fruh offnete sich sein Blick fur
ihre geheimnisvolle Schonheit, und die Rhythmen des finnischen Volksge-
sanges und Volkstanzes wurden zum zweiten Male mit ihm geboren, so dass
er seine eigene Seele entdeckte, als er seine Tondichtungen in finnisches Ge-
wand kleidete. Und von erster Stunde an lag der finnische Ton fertig in ihm,
und was anfangs manchem wild, regelwidrig, formlos und willkurlich in seiner
Musik vorkam, wurde bald verstanden und freudig erkannt als der Ausdruck
des wahren finnischen Volksgeistes und dessen innerster Seele.
Digitized by
Google
280
PL001N: ERWECKUNG DES NATIONALEN TONES
Sibelius ist durch und durch modern in seiner Musik. Er ist aber
sehr keusch im Ausdruck, so energisch seine Empfindung sicb auch
kundgibt und so krSftig originell sie auch erscheint. Er ist nicht der
Mann der grossen Massen; die Intensit&t ersetzt die dynamische St&rke und
die Lebhaftigkeit und Wahrheit der Tonmalerei verleihen ihr das reichste
Kolorit. Sibelius bat mit vollen Handen aus der finnischen Volksmusik
geschopft- Er bedient sich oft der nationalen 5 / 4 und 7 / 4 Rhythmen, deklamiert
eine Melodie so ausdrucksvoll, mit so iiberrascbenden Phrasierungsfein-
heiten, dass man glauben sollte, es liege dem instrumentalen Gesang ein
heimlicher Text zugrunde. Das uralte religiose finnische Lied spukt bei
ihm in Form antiker Tonarten und seine Modulation ist eher einfach, trotz
ihrer frappanten OriginalitSt, als ausgeklugelt oder auf einer chromatischen
Stimmfuhrung aufgebaut zu nennen. Von Wagner ist Sibelius nur wenig
beeinflusst. Dagegen erinnert er mitunter an Tschaikowsky , nicht £$t
hinsichtlich der Melodiebildung, sondern noch mehr im Hinblick auf das
schwellende, innig-melodische Gefuhl, das aber bei Sibelius weniger auf-
dringlich und sentimental als bei dem russischen Tonsetzer erscheint.
Man kann verstehen, dass das junge finnische Volk mit warmer Liebe
die Musik Jean Sibelius' erfasst hat und dass sie von dem finnischen
Publikum ganz anders verstanden und geliebt wird als von einem auslindischen,
fur das die feinste und eigentumlichste Natur der Sibeliusschen Muse ja
immer ein Geheimnis bleiben muss. Dass der patriotische Stolz hierbei
eine nicht geringe Rolle spielt, ist ebenso naturlich als verzeihlich. Finn-
land ist ein armes Land und nur wenige urwuchsige Talente hat es erzeugt.
Diese wenigen aber besitzen dafur ihres Volkes Liebe im hochsten Masse.
Sibelius hat schon Schule gemacht; mehrere jtingere finnische Ton-
setzer wandeln in seinen Spuren — mehr oder weniger glficklich — und
er muss schon dafur sorgen, dass sein eigentumlicher Stil nicht zur Manier
wird, deren Schw&chen nachge&fft werden, weil man seine grossen Eigen-
schaften nicht erreichen kann. Wir haben aber auch junge Tonsetzer, die
ihre Selbstindigkeit neben Sibelius behaupten und die in ihrer eigenen
Weise den nationalen Ton weitergebildet haben. Eins ist sicher: ein Ton-
setzer in Finnland muss nunmehr, um dauernde Anerkennung zu ernten,
iiber eine wirkliche Eigenart verfugen und ausserdem fiber eine Tonsprache,
die dem Finnen ans Herz greift.
Durch das Geschenk eines eigenen Tones ist der finnischen Musik
nicht nur ein ehrenvoller Platz in der Weltmusik eingerMumt, sondern auch
eine unversiegliche Kraftquelle erschlossen worden. Oberall spriesst und
grunt es und unaufhdrlich werden die Grenzen unserer jungen Heimatkunst
frohen Mutes erweitert.
111. 22 19
Digitized by
Google
T gfflftHCE
NIELS W. GADE
von Angul Hammerich-Kopenhagen 1 )
[n Niels W. Gade hat Dinemark seinen musikalischen Fuhrer, den
voranschreitenden Wegweiser in bezug auf jeden einzelnen
Punkt, der das Musikleben der letzten Generationen betrifft,
verloren. Ein kunftiger Gescbichtsschreiber wird die Zeit nach
1850 bis auf unsere Tage „die Gadesche Ara" nennen. In so ganz be-
sonderem Grade bat Gade sicb geltend gemacht, nach aussen,als der
Hauptreprasentant der danischen, ja man kann sagen der ganzen skandi-
navischen Musik, nach innen als derjenige, welcher der ganzen musikalischen
Entwicklung in DMnemark ihr eigenartiges Geprage gab. Demselben jungen
Mann, der in seiner ersten und frischesten Kraft und Blute eine so ausser-
ordentliche Aufmerksamkeit erregte, ja man kann wohl sagen, der eine
Zeitlang Epoche machte in der grossen Welt, war in seinen reiferen Jahren
eine scheinbar kleinere und bescheidenere, aber darum nicht weniger be-
deutungsvolle Aufgabe vorbehalten, und zwar die, der Schopfer einer neuen
musikalischen Epoche Danemarks zu werden. Was wir in diesem Augen-
blick ohne ihn wiren, ist schwer zu sagen; das eine ist jedoch sicher,
dass wir mit ihm als unserem Fuhrer das erreicht haben, dass DMnemark
auf dem Gebiete der Konzertmusik im Norden jetzt obenan steht, weil
wir nur durch ihn den fuhrenden musikalischen Personlichkeiten, sowie
den in der Welt der Tone herrschenden Geistesstromungen n&hergetreten
sind. Gade, der dem Ausland gegeniiber als unser nationalster Meister
dasteht, ist fur sein Vaterland noch ausserdem der internationale Fuhrer
par excellence gewesen. In dieser Hinsicht ist, wenn auch nicht in der
Art selbst, so doch in bezug auf die Macht des Einflusses ein grosser
Unterschied zwischen ihm und seinen Vorgingern Weyse und Kuhlau.
Erst unter ihm erwachte jenes Publikum, von dem man uberhaupt reden
kann, zum musikalischen Bewusstsein und bekam Fuhlung mit der Welt-
literatur. Von dem Tage an, an dem Gade ans Ruder kam, hat sich der
Kopenhagener Musikverein zu einer bis dahin unbekannten Bedeutung
x ) Aus dem Dinischen ubersetzt von Matbilde von Leinburg.
Digitized by
Google
291
HAMMERICH: NIELS W. GAOE
entwickelt, sowohl hinsichtlich seines Programms, als des geistigen Gehalts
seiner musikalischen Leistungen, und nicht zum mindesten in bezug auf
seine Zuhorerzahl; und unter den schiitzenden Fittichen dieses grossen,
auf festen Fussen stehenden Mutter-Instituts fanden auch andere lebens-
f&hige Institutionen dieser Art Boden und Wachstum in Danemark. Es
kann kein Zweifel dariiber herrschen: seit Gade von Leipzig zuruckkam, ist
hierzulande ein bestSndig steigendes Interesse fiir die Musik und ihre
Pflege aufgekommen, sowohl direkt, als auch indirekt durch seinen per-
sonlichen Einfluss.
Bei einer Beurteilung Gades fuhlt man sich unwillkurlich ver-
sucht, dieses Resultat seiner Lebenswirksamkeit obenan zu stellen, nicht
bloss, weil es uns Danen am naxhsten liegt und weil wir in unserem Be-
streben, einen Nachfolger fur ihn zu finden, seinen Verlust nur urn so
tiefer empfinden, sondern auch darum, weil wir schon in der Art und
Weise, wie sich seine Lebensaufgabe entwickelte und ihr bestimmtes Ge-
prage annahm, einen typischen und fur ihn charakteristischen Zug wahr-
nehmen, einen Zug, der Licht auf ihn wirft, sowohl in seiner Eigenschaft
als ausfuhrenden Kunstler, wie auch als Komponisten.
Dass der Mann, den Mendelssohn und Schumann in Leipzig als
nationalen Bahnbrecher und Pionier auf den Schild hoben, als den, der
der deutschen Romantik ein bis dahin unbekanntes Element zufuhrte,
nimlich Nordlands mannliche Kraft, Nordlands holden Reiz und sanfte
Schwermut, dass derselbe Mann nachmals unser Lehrmeister im Inter-
nationalen geworden ist, dieser grosse Umschwung ist n&mlich durchaus
kein blosser Zufall. Es beruht das vielmehr auf einer Eigentumlichkeit
seiner ganzen Natur, die sich am kurzesten als eine Art expansiver Kraft
bezeichnen lasst, die das Bestreben hat, bestSndig nach der Richtung
hinzuwirken, wo eine neue Kraft notig ist. Gades ganzes Leben und
Wirken ist daher durchaus nicht als etwas von vornherein selbstverstand-
liches anzusehen und seine kompositorische Begabung lisst sich mit all ihren
Ausstrahlungen nur sehr schwer richtig erklaren und nach ihrem wirklichen
Gehalt bestimmen, wenn man dabei nicht diesen realen Hintergrund im Auge
behilt. Es war nun einmal sein schoner Beruf, wie das Licht im Finstern
zu wirken, sich gerade da am uppigsten zu entwickeln, wo Grund und
Boden in schattigem Dunkel lagen und nach Licht und Pflege schmachteten.
Ob er sich selbst dieses Umstands bewusst war und ob er sein ganzes
Kunstlerleben planmSssig danach einrichtete, das wollen wir nicht weiter
untersuchen. Merkwurdig ist es indessen zu sehen, wie er stets und
uberall gerade da eintritt, wo sich ein Mangel fuhlbar macht und wie er
ihm dann gleich abhilft und dafur sorgt, dass das Ndtige geschehe.
Um sich das letztere so recht klar zu machen, ist es notwendig,
19*
Digitized by
Google
SB.
262
DIE MUSIK HI. 22.
j£
einen fliichtigen Blick auf seine Hauptwerke und damit auch auf die Art seiner
ganzen geistigen Entwicklung zu werfen. Wir machen hierbei von einer
naheliegenden und bei uns allgemein angenommenen Einteilung seines
Schaffens Gebrauch. Man hat sich da nimlich eine Art Schema geraacht
und spricht einerseits von einer Jugendperiode Gades, die den Stempel
einer gewissen naiven Energie trfigt, deren Originalitit und Frische die
Welt eroberte und dem jungen Musiker mit einem Schlage einen Weltruf
erwarb, und andererseits von einer Mannes- und wohl auch Altersperiode,
in welcher der Most abgegihrt, die kontrapunktische Meisterschaft eine
reifere ist und uberhaupt die Musik leichter und anmutiger dahinfliesst,
dagegen nicht mehr die fruhere Frische und Kraft besitzt. Als Beispiele
werden fur jene erste Jugendperiode gewohnlich die Ossian-Ouverture, die
erste Symphonie in c-raoll, „Comala" und anderes angefuhrt; fur die letzte
Periode die grossen Konzertdramen (.Die Kreuzfahrer", .Calanus", „Zion*
und .Psyche*), die zweite Symphonieen und noch ein paar andere Werke
aus Gades Musikvereinszeit. Die erste Periode wird dann gewdhnlich als
die nordische, die zweite als die mehr kosmopolitische bezeichnet.
Eine solche Einteilung mag hingehen, wenn man nur im grossen und
ganzen einen Umriss geben will von Gades musikalischer Produktion. Es
ist auch keine Frage, dass durch seine ersten Jugendwerke ein Zug von
unmittelbarer Inspiration und keeker Energie geht, wie er in vielen
seiner spiteren Arbeiten nicht mehr im nEmlichen Grade zu finden ist.
Gade ist, in dieser Hinsicht das strikte Gegenteil von Hartmann, eine
Natur, die sich schon sehr fruhe entwickelt und schon gleich beim ersten
Schritt ihr eigentumlichstes Wesen zum Ausdruck gebracht hat, wie das
ungefihr ihnlich auch bei seinem Lehrmeister Mendelssohn der Fall war.
Die Einteilung hat indes das Missliche, dass sie vielen von Gades Werken,
und manchmal gerade den gereiftesten und inspiriertesten, nicht die ge-
hdrige Beachtung schenkt, wie sie auch zu einseitig betont, dass das
Nationale als Grundton nur durch die Kompositionen der ersten Periode
gehen soil. Das ist ziemlich willkiirlich, und entspricht nicht recht den
wirklichen Tatsachen. Gade hat namlich in seiner ersten, d. h. der so-
genannten .nordischen" Periode recht gut im deutsch-romantischen Stil
komponiert, und er hat umgekehrt in seiner letzten, d. h. seiner universellen
Periode, auf das Unzweideutigste bewiesen, dass das Nordische in ihm nichts
weniger als totes Kapital war.
Es ist also im ganzen sehr schwer, Gades Kompositionen so ohne
weiteres zu schematisieren. Ein lebhafter Geist wie der seinige lisst sich
nicht so leicht in das Schubladensystem der Kategorieen hineinzw&ngen.
Den roten Faden in seiner Produktion wie uberhaupt in seinem ganzen
Tun und Wirken finden wir erst, wenn wir ihn im Verh<nis zu seiner
Digitized by
Google
293
HAMMERICH: NIELS W. GADE
Umgebung und zu den sehr verschiedenen Anforderungen betrachten,
welche diese an ihn und seine Kraft stellten.
Sehen wir einmal naher zu! Gade war der Sohn einer geringen,
man kann fast sagen armlichen Kopenhagener Burgerfamilie. Das geistige
Kapital, das ihm die Seinen da in die Welt und ins Leben mitgaben, kann
in Hinsicht auf allgemeine humane Bildung auf keinen Fall sehr gross
gewesen sein und er brachte im Grunde nur seinen Meisterbrief als Musiker
mit und freilich auch seinen angeborenen kunstlerischen Instinkt. Es ist
nun von Interesse zu sehen, in welcher Richtung ihn dieser fuhrte, als
er seiner ganzen Individualist nach noch vollkommen frei dastand, noch
vollkommen unbeeinflusst in seinem keimenden Schaffenstriebe, in jeder
Hinsicht noch ein homo novus, auf nichts als auf sich selbst gestellt.
Keineswegs ausgesprochen nationale Richtung und auch nicht gerade das
Gegenteil davon. Als seine erste im Druck erschienene Komposition
finden wir ein kleines deutsches Lied „Lebet wohl" von Goethe, aus Gades
siebzehntem Jahr herruhrend und mitgeteilt in Berggreens „Musikalische
Zeitschrift a (1836), ein undefinierbares Sachelchen, zunichst an Weyse
erinnernd. Darauf folgen ein wenig spater vier andere deutsche Ro-
manzen nebst einer Sammlung von sechs deutschen Liedern, von denen
weder die ersten noch die letzten jemals gedruckt worden sind. Er schloss
sich also bei seinem Debut als Tondichter gewissermassen der deutschen
Richtung, wenigstens der deutschen Poesie, an, wMhrend er schon sehr
bald darauf knit danischen Romanzen von OehlenschlMger und Heiberg
hervortrat. So steht denn unser junger, kaum zwanzigjihriger Komponist
noch unschlussig an seinem Herkules-Scheideweg, wo er sich selbst des
Nationalen wohl schwerlich recht bewusst ist, wahrend dieses in seinem
spiteren Leben und Schaffen von schwerwiegender Bedeutung fur ihn war in
seinem Verhiltnis zum grossen Publikum und zur Welt. Danach komponiert
er eine Sonate fur Klavier (e-moll, 1839) mit einer Dedikation an Franz
Liszt, die allerdings erst spSteren Datums war, eine im Verhiltnis zu seinen
jungen Jahren merkwurdig reife Arbeit, die man aber keineswegs ,nordisch",
sondern durchaus deutsch nennen kann, und die wohl am meisten von
Schumann beeinflusst ist Dieses erste Werk von Gades von wirklichem
kontrapunktischen Wert — denn dass es spater die Opuszahl 28 bekam,
darf uns nicht irremachen — ist als entschieden nicht-nordisch zu be-
zeichnen. Dann folgt der Umschlag, der nationale Durchbruch, mit der Ossian-
Ouverture (1840) und der c-moll Symphonie (1842) obenan, nebst ein paar
unbedeutenderen Werken wie „ Agnete und der Meermann" von H.C.Andersen
und den vierhindigen „Nordischen Tonbildern". Aber dieses Nationale war
bei Gade weder damals, als es in seiner ersten naiven Frische hervor-
brach, noch auch sp&ter, als er als erfahrener Meister wieder darauf zuruck-
Digitized by
Google
204
DIE MUS1K HI. 22.
kam, ein aufdringlich vorherrschendes Element. Es macht sich mehr wie
ein gewisser eigentumlicher Duft fuhlbar, als etwas mit Worten nicht
genau Wiederzugebendes, nicht mit Hinden zu Greifendes, als etwas
Poetisches, wenn man will. Offenbar war es der Drang, dieses „Poetische"
wiederzugeben, und nicht das Bestreben, das spezifisch Nordische zu
be tone n, wenn der danische Romantiker seiner Ossian-Ouvertiire das
deutsche Motto: „Formel hilt uns nicht gebunden, unsre Kunst heisst
Poesie" mit auf den Weg gab. Auch war dieses Neue und Nationale
durchaus nicht gleich von starkem und schlagendem musikalischen Effekt.
Schumann hat vielmehr in einer kritischen Besprechung der c-moll Sym-
phonie Elemente von Schubert und Mendelssohn darin gefunden. Dieses
absichtlich national Stilisierte wMre auch schwerlich nach dem Geschmack
eines so strengen Kritikers wie Mendelssohn gewesen, wihrend doch gerade
er sich hochst sympathisch davon bertihrt fuhlte. Mendelssohn erklirt das
ubrigens selbst, und zwar in einem Brief an seine Schwester, in dem er
ihr schreibt, dass jeder Takt von Gade ihn mehr und mehr in Erstaunen
setze und doch wieder so unendlich anheimele. Also bei all dem Neuen
und Originellen, das Gade teils persdnlich, teils im Sinn des Nationalen und
Nordischen gab, hielt er sich doch stets innerhalb jenes Rahmens, der den musi-
kalischen Forderungen eines so keuschen und strengen Geistes entsprach.
Gade ist zum nationalen Musiker geworden, nicht weil es vorher
schon in seinen Intentionen gelegen wMre, ein solcher und nichts anderes
als das zu werden, sondern weil es in seinem Blut und in seiner ganzen
Natur begriindet lag, und weil er es bei seinem romantischen Hippogryphenritt
in das unbekannte Land schon wie von selbst unterwegs fand, in dieser Hin-
sicht ohne Zweifel gefuhrt und beraten von seinem Lehrer und Mentor,
dem Volksliedersammler Berggreen. Und nichts ist natiirlicher, als dass er
daran festhielt, als er sah, welchen Eindruck er damit machte und wie
die Aktien seiner musikalischen Schopfungen in Leipzig stiegen. In den
sechs Jahren, die er dort neben Mendelssohn und mit Schumann zu-
brachte, als kunftiger Thronerbe des ersten und als Freund und Kamerad
des letzten, komponierte er fort wah rend „nordisch", d. h. seine Kom-
positionen trugen das eigentumliche GeprSge jenes charakteristischen, jenes
ich raochte sagen sanft gedampften und farbenmatten Kolorits, das wir in
der ,Comala M und in der Ouverture „Im Hochland" wiederfinden. Das
Nordische jedoch war, wenigstens was den Stoff seiner Kompositionen be-
trifft, durchaus nicht speziell skandinavisch, sondern schottisch, und
ausserdem gingen damals noch mehrere andere Arbeiten nebenher, die
sich eng an die deutsche Schule anschlossen. Es waren dies vier Werke
fur verschiedene Singstimmen, fur Minnerchor und gemischten Chor,
darunter die „Fiinf Gesa*nge" op. 13 mit dem prMchtigen „Ritter Fruhling"
Digitized by
Google
205
HAMMER1CH: NIELS W. GADE
^
und der „Wasserrose", dann die Sammlung heiterer Quartette ira reinsten
deutschen Liedertafelstil, ferner „Reiterleben" op. 16, schliesslich das ganz
universell gehaltene, in Mendelssohnschem Genre frischweg und flott ge-
schriebene Oktett fur Streichinstrumente op. 17.
Indessen, das Hauptmerkmal und das charakteristische Geprige
seines SchafFens ist und bleibt fur jene Zeit das Nordische und diesem
ist Gade fur sein ganzes sp&teres Leben in seinera Verhiltnis zum
ubrigen musikalischen Europa treu geblieben. Er durfte das uraso eher,
weil er in seiner Musik nicht nur Neues und bis dahin noch nicht
Dagewesenes gab, sondern weil er in ihr gerade das gab, was die deutsche
Romantik von damals brauchte: gesunden Lebensstoff, frische Kraft
im Geist des Volksliedes. Mit Carl Maria von Weber war diese
unmittelbare Kraft, in Deutschland wenigstens, entschwunden. Mendels-
sohn gehdrte halb und halb den Klassikern an, und bei Schumann
spukte die Romantik nur noch in ihrer Heineschen Form, und von naiver
Unmittelbarkeit war da auch nicht die leiseste Spur mehr zu finden.
Unser Gade brachte sie dagegen von Haus aus mit. Stimmte er
sein Lied an: „Auf Seelands wonn'gen Auen a , so glaubte man darin Klinge
zu h5ren von einem der ubrigen Welt noch unbekannten Wunderland,
Klinge vom hohen Norden mit seiner erhabenen Grdsse, seinem Ernst
und seiner magischen Nordlicht-Dimmerung. Und Gade durfte ruhig
frisch von der Leber weg schreiben, denn er war sich bewusst, dass er
in jedem Fall der erste Mann war auf dem Feld, das er bearbeitete, und
dass er sich nicht zu furchten brauchte vor etwaigen Ahnlichkeiten
mit andern hervorragenden Komponisten jener Tage. Die deutsche Romantik
war damals in Gefahr, an ihrer Sentimentalitit dahinzusiechen, und
Gade fuhrte ihr daher mit seinen ersten Werken gleichsam wieder neues
Blut und frische Sifte zu. Man kann sich daher Mendelssohns .Erstaunen"
und die grossen Erwartungen wohl erkliren, die er sich von Gade machte.
Sogar bis Frankreich drang das Gerucht von dieser neuen, nordischen
Urkraft. Von Blaze de Bury haben wir einen Artikel, der ab-
gesehen von ein paar kleinen und an und fur sich belanglosen Miss-
verstindnissen den jungen dinischen Romantiker, in dem man geradezu
den Wiedererwecker der deutschen Romantik erblickte, merkwurdig gut
und richtig beurteilt. Der franzdsische Publizist hebt dabei mit Nachdruck
die Gefuhlsinnigkeit in Gades Musik hervor, die warm aus dem Herzen
strdme und ohne jene sudliche Weichheit, die doch im Geschmack dieser
sentimentalen Epoche lag. Geradezu den Nagel auf den Kopf trifft er,
wenn er an einer Stelle des Artikels von Gades so w tie fen a Gedanken
und dabei doch ruhrendster Einfalt spricht.
Wir sehen also Gade in seiner Leipziger Periode hauptsichlich, doch
Digitized by
Google
206
DIE MUSIK 111. 22.
keineswegs ausschliesslich, als den musikalischen Magus aus dem Norden
wirken und schaffen, der sozusagen da in die Bresche sprang, wo es not-
tat, und der der deutschen Romantik das gab und von seiner Heimat mit-
brachte, was ihr gerade damals noch fehlte, nSmlich das Einfache und
Unzusammengesetzte, die kecken und derben Einfalle, die Urkraft des
Volkslieds, „bei den tiefen Gedanken die ruhrendste Einfalt". Kaum
jemals vorher ist ein Komponist gleich bei seinem ersten Hervortreten so
von der Welt empfangen und verehrt worden, wie Gade. Noch kaum
dreissig Jahre alt ubernahm er schon die Fuhrerschaft als Dirigent der
Gewandhaus-Konzerte nach Mendelssohn. Er war die neuerschienene
musikalische Kraft, von der man sich das Grosste versprach und auf die
man seine hochsten Hoffnungen setzte. —
Wie es in der Folge gegangen, ist bekannt. Gade kam nach Dane-
mark zuruck, wo er ganz andere Verhaltnisse vorfand, kleinere und naivere,
und wo ihn ganz andre Aufgaben erwarteten. Und in der Tat zog er mit
seiner Ruckkehr auch zugleich einen andern und, biblisch gesagt, einen
neuen Menschen an. Der Wendepunkt seines Lebens war das Jahr Acht-
undvierzig, also das verhMngnisvolIe Jahr unseres ersten politischen Zu-
sammenstosses mit Deutschland. Es gereicht Gade zu unverganglicher Ehre,
dass er in dieser Hinsicht nicht einen Augenblick schwankte, und dass er
aus Treue gegen sein Vaterland auf alles verzichtete, was ihn an Deutschland
fesselte. Wenn er an den Ruhm dachte, den er in Leipzig bereits als
Musiker genoss, und wenn er die Stellung in Betracht zog, die er dort
einnahm, so musste er sich des Opfers, das er damals brachte, wohl bewusst
sein. Es handelte sich da in Wahrheit um ein sehr wichtiges „Entweder
— oder a fur ihn: entweder das Konigsszepter in Leipzig oder die Biirger-
krone in Kopenhagen.
Er wihlte das letzte. Ob er schon damals genau wusste, welchen
schwerwiegenden Schritt er fur sein ganzes Leben damit tat, mag ungesagt
bleiben. Jedenfalls war seine Wahl eine vollstandig freiwillige. Man hat
mehrfach hervorgehoben, es sei ein Gluck fur Gade gewesen, dass er
Deutschland zu einer Zeit verlassen habe, als er noch auf der Hohe seines
Ruhmes stand, also in einer Position, die bekanntlich nicht leicht zu be-
haupten ist, umsomehr, als er in der Tat spSter den grossen Hoffnungen,
welche die musikalische Welt auf ihn und seine noch ungeborenen Schdpfungen
setzte, nicht in dem erwarteten Mass entsprach.
Eine Behauptung wie diese mag im ersten Augenblick eines und
das andere fur sich haben, sie halt indes nur scheinbar Stich. Die Art nSmlich,
wie sich Gades tonsetzerisches Wirken und Streben spaterhin gestaltete,
und wie sie die Erwartungen der Musikfreunde teils ubertraf, teils dahinter
zuriickblieb, kann nicht als Beweis dafur angefuhrt werden, dass das, was
Digitized by
Google
297
£^Oo HAMMERICH: NIELS W. GADE
Gade tat, als er im Jahre 1848 seine Dirigentenkarriere in Leipzig unter-
brach, auch gerade fur ihn selbst so verniinftig war. Denn in Wirklichkeit
war seine Kraft als Komponist damals noch vollkommen ungeschwacht.
In welchem Grade letzteres der Fall war, beweisen am besten die Kompo-
sitionen, die er in den ersten Jahren nach seiner Ruckkehr herausgab.
Es sind dies die Violin-Sonate in d-moll, die vierte Symphonie B-dur und
die „Fruhlingsphantasie", ein Kleeblatt von ganz besonderer Wichtigkeit
fur ihn und seine richtige Beurteilung. Die jugendliche Kraftfiille ist hier
noch vollstindig vorhanden, doch nicht mehr unfertig und unsicher hin-
und hertastend, sondern gereift zur genauen Ubereinstimmung und voll-
kommenen kunstlerischen Beherrschung der Form und des Inhalts. Als
reine Kunstwerke beurteilt, gehdren diese drei Kompositionen unbedlngt
zum Besten und Tiichtigsten, was Gade iiberhaupt geschrieben hat.
Zu gleicher Zeit zeigen sie indes auch eine starke Veranderung seiner
ganzen Musikerpersonlichkeit, ein Sichfreimachen vom Dinischen und iiber-
haupt vom Nordischen, also den Ubergang von einer Spezialitat, ins Inter-
nationale und damit ins Universellere. Dieser Umschlag ist jedoch von seiten
des Auslandes niemals so recht bemerkt worden. Denn ausserhalb Dinemarks
erblickt man noch jetzt und ohne Rucksicht auf die soeben erwMhnten
Kompositionen und noch andere in ihnlicher Stilart, die er in dpiteren
Jahren geschrieben, in Gade lediglich den nationalen, den nordischen Ton-
meister, wie es inbezug auf das streng und ausgesprochen Nationale zum
Beispiel mit Gounod, Chopin und Grieg — jeder in seiner Art — der
Fall ist. Das war auch aus den Zeitungsartikeln zu ersehen, welche die
europiische Presse nach dem Tod Gades brachte. Wir Danen haben hierfiir
ein feineres Gefuhl. Wir sehen gewiss tiefer und richtiger, wenn wir diesen
Umschwung in Gades musikalischem Tun und Wirken nicht ubersehen,
sondern im Gegenteil das notige Gewicht darauf legen. Er trifft auf ein
Haar zusammen mit seiner Ruckkehr nach Dinemark, und das ist wunder-
lich genug, denn man wire ja berechtigt gewesen, gerade das Gegenteil
davon zu erwarten.
Wie ist das nun zugegangen? — Ja, die Sache war einfach die,
dass Gade damals die Dirigentenstelle des Kopenhagener Musikvereins
erhielt und damit, wie sich von selbst verstand, fur sein ganzes spiteres
Leben der anerkannte, unangefochtene Fiihrer des ganzen dinischen Musik-
lebens war und blieb. Er kann kaum ein paar Monate auf diesem vorge-
schobenen Posten titig gewesen sein, als es ihm klar werden musste, wo
es in Dinemark fehlte, und was in musikalischer Hinsicht hauptsichlich
unsere schwachen Seiten waren.
Wir marschierten damals so ziemlich noch auf demselben Fleck, wo
er selbst gestanden, als er den Belt uberschritt und hoffnungs- und ahnungs-
Digitized by
Google
SB.
298
DIE MUSIK III. 22.
^
voll nach Leipzig zog; auf unserer Fahne standen die Namen Weyse
und Kuhlau. Der Kopenhagener Musikverein hatte allerdings schon vor
ihm eine Reihe von Jahren gewirkt und uns naraentlich Beethoven
und Mendelssohn, sowie noch einige andere von den Grossen der Neuzeit
zu Gehor gebracht. Allein seine Wirksamkeit war doch dem grossen
Publikum gegenfiber nur eine mehr oberflachliche. Das geht am besten
aus den Zeitungsartikeln jener Tage hervor. Wir befanden uns daraals
auf einem noch sehr naiven Standpunkt, wanderten noch recht wie Hinter-
wildler auf dem grossen Literaturmarkt des Auslandes herum, goutierten
am meisten kleine Lieder und Romanzen in Weyses Manier, waren un-
sicher in all und jedem, was ausserhalb der kleinen Formen der Musik
lag, ira besten Fall Mozartbewunderer, wenn es hoch kam, und was das
tagliche Brot unserer musikalischen Genusse betrifft, schwammen wir ein-
fach mit dem grossen Strom der bequemen und leichtzuganglichen Epigonen-
literatur, die sich nach Beethovens Tode hauptsachlich in Deutschland breit-
machte. Es waren friedliche und gemiitliche, jedoch herzlich kleine und
beschrinkte Verhaitnisse, stille und ruhige Zeiten.
Da kam denn plotzlich Gade wie ein frischer Fruhlingswind aus der
grossen Welt herubergeweht. Dass er es verstand, griindlich bei uns auf-
zuriumen und auszuliiften, sieht man beim ersten Blick auf die damaligen
Musikvereinsprogramme. Wir finden da in erster Linie Mendelssohn,
Schubert und Schumann, mit der Zeit aber auch Berlioz, Liszt und Wagner;
die letzteren freilich nur sozusagen wie Tiere der Wildnis in einer
Menagerie vorgefuhrt und noch nicht so recht verstanden wie jene andern.
Wenn nun Gades eigene Produktion gerade in diesen ersten Jahren seiner
reformatorischen Titigkeit ein kosmopolitisches GeprMge annahm, so ist ja
der Grund dafur, wenn auch nicht hauptsachlich so doch zum Teil, in der
Art und dem Wesen des Gedankenganges zu suchen, den dieser Reinigungs-
prozess notwendig mit sich fuhren musste. Er sah sehr bald, was uns,
die wir vor lauter DSnentum und Weyseschwirmerei stehen geblieben
waren, wo wir vor zehn Jahren standen, zun£chst not tat und wenn
er uns nun die grossen deutschen Meister zu Gehor brachte,
so wollte er auch als selbstschopferischer Musiker sein Licht nicht
gerade unter den Scheffel stellen. Also auch hier wieder, unter ganz
anderen VerhMltnissen und von einem ganz entgegengesetzten Gesichtspunkt
aus wie in Leipzig, bildete er mit seiner Produktion die notwendige
ErgMnzung, und es liegt auf der Hand, dass das nun diesmal in einer
der fruheren gerade entgegengesetzten Richtung geschehen musste.
Sicher ist, dass es in dieser Hinsicht auch noch an ein paar
andern Momenten nicht fehlt, die den Umschwung Gades zur Genuge
erkl&ren. Furs erste: seine personliche Entwicklung, d. h. sein Hervor-
Digitized by
Google
200
HAMMER1CH: NIELS W. GADE
gehen aus den kleinen Verhiltnissen daheim und dem durftigen und
unzusammenhangenden Vorrat an Kenntnissen, den er von dort mitbrachte,
und dann der pldtzliche Sprung hinein in das stark pulsierende musikalische
Leben in Leipzig, sowie der rege und intirae Verkehr mit den ersten
Grossen der Musik, der Kunst und der Literatur. Dann das unumging*
liche Gesetz der musikalischen Konzeption uberhaupt, das Zeit haben
muss, damit die leitenden Gedanken zur Blute und zur Frucht werden.
In beidem zusammen liegt die Erklarung dafiir, warum Gade in Leipzig
mit seiner Kopenhagener Vorbildung nordisch, und warum er in
Dinemark mit seinen Leipziger Erfahrungen deutsch komponierte.
Dabei darf die schon oben hervorgehobene Eigentumlichkeit seiner
Natur nicht ausser acht gelassen werden, uberall da gleichsam als not-
wendige Erganzung hinzuzutreten, wo sich ein Mangel und eine Lucke
fuhlbar machte. Am wenigsten darf man glauben, dass Gade dem Nordischen
den Rucken zukehrte Moss aus dem Grund, weil seine musikalische Kraft
damals schon erschopft gewesen wire.
Einen unmotivierten Sprung kann man diesen Umschlag nicht
nennen, denn dazu war Gades kunstlerische' Physiognomie zu harmo-
nisch. In Wirklichkeit war es am Ende nur eine Anderung des
Kurses, wMhrend das Schiff selbst das nimliche blieb. In seiner so-
genannten nordischen Periode haben wir ihn im echtesten deutschen Stil
schreiben sehen, und sowie nun der Umschwung erfolgt und sich die
„universellere* Musik bei'ihm Bahn bricht, w£hrt es gar nicht lange und
wir haben ihn schon wieder auf heimischem Grund und Boden, und noch
dazu auf so heimischem, wie in dem bald nach seiner Ruckkunft von
Deutschland geschriebenen Konzertstuck „Elfenreigen" und seinem szeni-
schen Seitenstuck dazu, der Musik zu den zwei Akten von Bour-
nonville's Ballet v Eine Volkssage". Nirgends ist Gades Musik eine
nationalere, ja man kann nicht einmal sagen eine so durchaus nordische,
sondern eine so im strengsten Sinn d&nische, als in den beiden
Werken, die wir soeben erwihnt haben, und man ist sehr bald im klaren
dartiber, dass sich Grund und Wesen seines musikalischen Stils kaum
jemals schoner und charakteristischer gezeigt haben, als gerade in diesen
beiden Stucken. Sie stammen aus den Jahren 1853 und 1854, sind also
schon sehr bald nach jenen deutschen Kompositionen geschrieben und bilden
nebst der prlchtigen kernigen Symphonie in g-moll (1857) einen ausgesprochen
nationalen Abschnitt seiner Kopenhagener Titigkeit, zu dem dann ein paar
kleinere Werke aus seinen letzten Jahren allenfalls noch zu zlhlen sind.
Ubrigens ist es Gade nicht schwer geworden, auch noch spiter, d. h.
in seiner universelleren Periode, derlei grdssere und kleinere Abstecher zu
machen in seine eigentliche Domlne: das Nationale. Denn die Natur des
Digitized by
Google
300
DIE MUSIK III. 22.
ihm von Gott verliehenen musikalischen Pfundes ist an und fur sich durch-
aus danisch: sanft, klar und mild, mit besonderer Vorliebe fur den wiegen-
den und schaukelnden Rhythmus — darum ist ja auch der 6/8 Takt der
ausgesprochene Lieblingstakt nicht nur Gades, sondern fast samtlicher
dinischen Komponisten — einen „auf silbernen Schwingen des Wohllauts"
ins Ohr sich schmeichelnden Rhythmus mit seinen leisen und senti-
mentalen Klangen, einer wunderbaren musikalischen Illustration unserer
seelMndischen Landschaft, die sich in weichen Linien und bekranzt mit hell-
grunem Laub zwischen Tal und Hugel hinzieht, ohne schroffe GegensMtze,
ohne zackige Unterbrechungen, ohne schimmernde Gletscherhdhen, ohne
Schluchten und Abgrunde. Und wenn Gade in seinen kosmopolitischen
Kunstneigungen befangen auch manchmal bestrebt war, gewaltsam die
Grenzen seiner Begabung zu erweitern, so guckt doch bei diesem Ikarus-
fluge sein gut danisches Gesicht gleich wieder heraus, ob er einem
nun seine „Kreuzfahrer" vorfuhrt, oder seinen „Ca1anus", seine „ Psyche*
oder *Zion". In diesem seinem Element bewegt er sich gleich sicher auf
der Erde, wie er mit ihm in die Lufte emporschwebt. Untcr die Erde
steigt er nur hochst selten hinab, und auch dann nie zu infernalischen
Tiefen. Das Dimonische und Diabolische erheischt gewisse Harten
und hin und wieder selbst formelle Unschdnheiten, gegen die sich
Gade seiner ganzen Natur nach striubte, und er hilft sich dann einfach
darait, dass er die mit weicher und zarter Hand gezogenen Linien mit
seiner reichen und geschmeidigen Phantasie gleichsam in das Licht einer
magischen Beleuchtung ruckt, die indessen den ursprunglichen Konturen
des Gemildes keinen Eintrag tut. Ein Hune im richtigen Sinne des Wortes
war er nie, denn ein solcher ist doch am Ende ein Stuck Ungetum, wider-
strebt also seinem weiblich sanften, durch und durch harmonischen Wesen.
Seine Welt ist taghell, die Welt des Sonnenscheins und der Freude; sie
blickt uberall durch und verrlt sich selbst da, wo er als Romantiker,
namentlich in seinen jungeren Jahren, seiner Sehnsucht und seinem Ver-
langen nach einem Fernen und Unbekannten musikalischen Ausdruck ver-
leiht. Uberall, wo er so recht und ungemischt unser Gade ist, da ist er
auch der Singer der Grazie, der Harmonie und des Lichtes. Man braucht
bloss an das wahrhaft unvergleichliche Hauptmotiv seiner „Fruhlings-
Phantasie" und an seine reizenden Scherzi zu denken, diese sozusagen
eine Spezialitit Gades, ferner an Olufs Romanze im „Elfenreigen" — man
beachte den sanftversohnenden Schluss dieses Musikstuckes — an das
Lied der „Kreuzfahrer", das schone Finale der B-dur Symphonie, und an
den Hochzeitswalzer in Bournonville's schon erwihntem pantomimischen
Gedicht „Eine Volkssage. tt
Die Kompositionen aus seiner ersten Leipziger Periode leiden bei
Digitized by
Google
301
HAMMERICH: NIELS W. GADE
all ihrer frischen und frdhlichen Energie doch noch an einzelnen und
manchmal sehr konstruktiven Fehlern und Schwichen. Es raacht sich
da noch oft ein gewisser Mangel an Gleichgewicht fuhlbar: es fehlt nicht
an hochst interessanten, neuen und farbenschillernden Einzelheiten, sie
hingen jedoch oft nur locker zusammen. v Formel hilt uns nicht ge-
bunden," so lautete ja dam a Is auch Gades musikalische Devise. Spiter
kara er in naturlicher Reaktion weiter ab von seinem ehemaligen Wahlspruch
als vielleicht recht und gut war. Er wire auch nicht der kluge und ge-
scheite Mann gewesen, der er in der Tat war, wenn er nicht zur Einsicht
gekomraen wire, wie unhaltbar diese ubermutige Devise war, die seinem
ganzen Inhalt nach im Widerspruch stand rait seinem angebornen Sinn fur
das Harmonische und Abgerundete. Seine Schwichen hingen auf das
engste rait den Verhiltnissen zusammen, unter denen er seine ersten
musikalischen Lehrjahre zubrachte; sie fanden jedoch von selbst den notigen
Ausgleich infolge der Bildung und musikalischen Tuchtigkeit, die er sich
nach und nach wihrend seines langen Leipziger Aufenthalts erworben hatte.
Cr^}
Digitized by
Google
bOcher
293. Camille Bellaigue: Musikalische Silhouetten. Obertragen von Margarete
Toussaint. Verlag: Carl Siwinna, Leipzig und Kattowitz.
Dieses Buch ist schlimmer als schlecht — es 1st nur geistreich. Es war so uber-
flGssig als mdglich, dieses seichteste, oberfllcblicbste franzSsische Feuilletongeschwitz
ins Deutscbe zu ubertragen. Frankreich leistet viel, viel Besseres auf den Gebieten
der Musikwissenscbafc wie der musikaliscben Journalistik. Der Titel kSnnte vieles ent-
schuldigen. Silbouetten kSnnen gerade von bedeutenden KSpfen nur einige charakte-
ristische Zuge wiedergeben. Aber war es denn uberhaupt ndtig, Silhouetten zu schnitzeln,
wo wir gute Portrlts jeder Art besitzen? Wenn wenigstens nur die Silhouetten ihnlicb
wlren! Da lesen wir u. a.: „Bei Beethoven (4 Seiten!) ist a lies heldenhaft*; ferner:
Der „ Weber (4 Seiten) des Freischfitz entdeckte die Natur — und er erscbrak vor ihr".
Bach (3Vt Seiten) bietet u. a. folgende Perlen: „Sein Vaterland hat anderthalb Jabr-
hunderte (!) vergeben lassen, ebe es sich bemuhte, ibn zu verstehen und nie vielleicht
wird man ihn ganz begreifen"; „PalIstfina verband nur einzelne Noten mit einander und
brachte einen gewissen einfachen Kontrapunkt in Anwendung." ... „Auf (!!) der uner-
schfitterlicben Acbse der BIsse bescbreiben die Chdre der h-moll Messe . . . ihre un-
endliche Bahn, gleich den Sternen am Firmament 41 . Diese astronomische Entdeckung
von Sternen, die sich auf ibrer Acbse, statt um diese, drehen, ist sebr interessant
Aber hdren wir folgende, anthropologische: Handel ist so gross, „dass er eigentlich so-
zusagen gar kein Profit ... bat; von welcber Seite man ihn auch betracbtet, immer
siebt man ibm direkt ins Gesicbt!" Schade, dass Virchow nicht mebr lebt. — Icb denke,
diese Warnungstafel genugt! Backflsche, die bei Apfelkucben mit Scblagsahne .geist-
reich* uber Musik plappern wollen, sollten das Buch studieren. Freilich mit Vorsicht.
Relativ das Beste sagt der Verfasser fiber franzSsische Meister — aber durchaus nicht
immer Einwandfreies. Dr. G. Mfinzer.
294. Max Steuer: Zur Musik. Geschichtliches, Asthetisches und Kritiscbes. Verlag:
B. Senff, Leipzig.
Eine Sammlung von Zeitscbriften-Aufsfttzen und Feuilletons, eingeteilt in drei
Gruppen: 1. Historisches, Gedenkblitter; 2. Kritisches und Asthetisches; 3. Literarisches,
TotenkrSnze. Alle Artikel sind ungemein kurz und der Verfasser hat sich eigentlich
nirgends so recht „ausgesprochen" ; die meisten sind Jubiliumsaufsitze: Persdnlichkeiten
von recht verschiedenem Wert werden behandelt, Komponisten wie Rubinstein, Lortzing,
Lanner, Graun, Marscbner u. a. m., Dichter wie Rellstab und W. Mfiller, Ausfibende wie
Wullner und Pauline Viardot-Garcia, Schriftsteller wie Hanslick und Elise Polko. Die
Vielseitigkeit des Inhalts und die gar zu grosse Knappheit bringen es mit sicb, dass der
Leser leicht in Einzelheiten zur Opposition gegen den Verfasser geneigt wird: so wird
Josef Lanner (S. 33) entschieden allzusehr unterschitzt und der Verfasser ist gewiss zu
streng, wenn er ausser Rellstab (S. 28) auch einen Romantiker vom Scblage Wilhelm
Mfillers (S. 44) nur durch Scbuberts Kompositionen im Gedichtnis der Nachwelt fort-
leben lisst und ibn, den Dichter, mit Unterhaltungsschreibern wie Treitscbe Oder
Digitized by
Google
303
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
Friedrich Kind in einen Topf wirft. Andrerseits enthllt das BIndchen gerade wieder durch
eben diese Kurze derin ibm zusammengefassten Artikel eine solche FQIle von Gedanken und
fruchtbaren Anregungen, dass seine Lekture nicht obne Nutzen fur den Leser bleiben wird.
205. Alois John: Heinricb Wenzl Veit (1806-1864). Verlag: Kobrtsch &
Gscbibay, Eger.
Warm und herzlich geschrieben ist diese kleine Monograpbie uber einen der sym-
pathiscbesten und treuberzigsten deutscbbdbmiscben Komponisten, die nacb einer ein-
leitenden biographischen Skizze Veits Slellung im Reich der Musik und in der Ent-
wicklung des deutscben Liedes kurz und erscbSpfend kennzeichnet: „Beetboven« und
„Romantik* hiessen seine beiden Ideale; Kammermusik, Lieder und Gesinge, Kirchen-
musik, eine Konzert-Ouverture, eine Sympbonie bilden neben zahlreichen Entwfirfen
(darunter aucb der Plan zu einer Oper .Die Scbweden vor Prag a ) die Sum me seines
kunstlerischen Scbaffens. Zwei Anblnge bringen ein 60 opera umfassendes Verzeichnis
der Veitscben Kompositionen und zwSlf bisber ungedruckte Briefe Veits aus Eger —
schftne BeweissiQcke ffir sein ecbt deutsches Fuhlen und Empflnden, seine Bescheiden-
beit, sein kunstlerisches Vermfigen, seinen Familiensinn und seine Frftmmigkeit. — Das
interessant'e Werkcben ist sehr sorgftltig und genau gearbeitet.
296. Dr. Arthur Seidl: Moderne Dirigenten. Verlag: Schuster & LoefFler, Berlin
und Leipzig.
Seidls Broschure bildet den Sonderabdruck einer eingehenden Studie, die bereits
in dem Sammelband „Kunst und Kultur" verSffentlicht worden ist. Ein voitrefflich
disponierter, durch Schlrfe der Gedanken und durch Kunst im Herausarbeiten
und Gestalten gleicb ausgezeichneter erster Teil bebandelt v Das moderne Dirigenten-
Problem" — „hocbnotpeinliche theoretische Untersuchungen" nennt ihn selbstironisierend
der Verfasser; eine Darstellung voll friscber Lebendigkeit und durchweht vom Geiste
des Fortschritts mfichten wir ihn nennen. Ein zweiter Abschnitt bringt .Profile und
Cbaraktere": Hermann Levi, Hans Richter, Ernst Schuch, Arthur Nikisch,
Richard Strauss, Felix Weingartner, Siegfried Wagner, Gustav Mahler und noch
einige andere erfahren hier eine kurz gebaltene, aber sehr scharfe, lebrreiche und sich
dem Gedichtnis einprigende Cbarakteristik.
297. Julien Tiersot: Ronsard et la musique de son temps. Verlag: Breitkopf
& Hirtel, Leipzig.
Ober Tier80t*s Arbeit habe ich mich bereits gelegentlich ihres Erscheinens in den
Sammelbinden der International en Musikgesellschaft (4. Jahrgang, Heft 1) in der „ Revue
der Revuen 4 * der B Musik« kurz ausgesprochen. Es erubrigt hier nur, nocbmals auf den
hohen Wert dieser Studie hinzuweisen, die als bedeutsame Beigabe eine Reibe interessanter
Notenbeilagen enthllt.
298. Hedwig H. Materna: Richard Wagners Frauengestalten. Verlag der
Frauen-Rundschau, Berlin und Leipzig.
„Kunstlerische u Eindrficke sind es, welche die Verfasserin nach ihrer Bemerkung
im Vorwort in den neuen Studien, die das vorliegende BQcblein in sich vereinigt, ver-
wertet hat. Die Auffassung der Singerin von dem Cbarakter der darzustellenden Per-
sSnlichkeit liegt den Skizzen zugrunde und wir haben also in diesen Skizzen den Aus-
druck dieser Auffassung vor uns; sie ist hier, wihrend sie uns sonst durch die Dar-
stellung zum lebendigen Ausdruck gebracbt zu werden pflegt, in Worte gekleidet worden.
Es wird den Kunstfreund ohne Zweifel reizen, diese Studien zu lesen, als deren beste
uns die Cbarakteristik der Senta erscbienen ist; die Verfasserin hat mit dieser Senta-
Studie eine ebenso fein durchdachte wie zart durchfuhlte Arbeit von Qberzeugender Kraft
und einleucbtender Darlegung geliefert. Dr. Egon von Komorzynski,
Digitized by
Google
304
DIE MUS1K III. 22.
299. Wilhelm Stahl: Geschichtlicbe Entwicklung dcr evangelischen Kirch en-
musik. Verlag: Max Hesse, Leipzig.
Dieses neueste Blndchen von Hesses illustrierten Katechismen sctaeint so recht
bestimmr, eine Lficke auszufullen. Es trSgt seioen Stoff in der gedrlngtesten Weise,
aber otane der Vollstlndigkeit Abbruch zu tun, vor. Eine zusammenhingendere Dar-
stellung des rein Historiscben wird vielleicht in einer spJteren Auflage zu erstreben sein.
Einen ausserordcntlicben Fleiss bekundet der bibliograpbiscbe Teil des Buchleins, der
allein es scbon als ein unentbebrlicbes Handbucb aller Leute vom Fach erscbeinen lftsst.
300. Friedrich Gu in pert und Karl Thieme: Posthornschule und Posthorn-
taschenliederbuch. Verlag: Karl Merseburger, Leipzig.
Das unscheinbare Buchlein bait viel mehr, als es durcb seinen Titel verspricht.
Es enthilt nicht nur einen eingebenden Lehrgang des Posthornspiels und eine reich-
haltige Sammlung aus dem Scbatz unserer Volkslieder, sondern auch eine dankenswerte
Einfuhrung in die Geschicbte des Instruments und eine kurzgefasste allgemeine Musik-
lehre. Seine nicbt nur orientierende, sondern auch vertiefende Tendenz llsst eine recht
weite Verbreitung wunschenswert erscheinen. Das Postborn 1st einer der treuesten
Trager balbverscbollener deutscher Romantik, die mlt seiner Pflege vor dem Aussterben
geschutzt wird. Hermann Teibler.
301. Carl Julier: Stimmbildung und Gesang-Unterricht. Verlag: J. Langs
Verlagsbuchbandlung, Karlsruhe.
Die kleine Broscbfire macht mit ibren gesunden Ansichten und ihrer prlgnanten Kurze
einen guten Eindruck. Sie zerftllt in zwei Teile. Im ersten behandelt der als Gesanglehrer in
Mannheim lebende Verfasser das Gesangstudium fiberbaupt, win-end er im zweiten ein Re-
sfimee desSchulunterrichts zieht und diesen beleucbtet. Der Verfasser, der seine Schrift einen
„Mahn- und Weckruf" genannt hat, will damit durchaus nicht die bereits existierende Unzahl
von Gesanglehrbuchern vermehren, sondern vielmebr durch die Klarlegung der Missstitade
auf gesanglichem Gebiete und durch Weisung naturgemftsser Pfade anregend wirken. Auch
er geht, wie alle denkenden Stimmerzieher, von der unbedingten Durch fun rung einer indi-
viduellen Tonbildung aus. Bringt er auch keine neuen Gesicbtspunkte zur Sprache, so sticbt
seine klare logische Bebandlung des Stoffes wobltuend ab von den vielen Schwltzereien,
die man auf diesem Gebiet jahraus, j ah rein zu bdren bekommt. Ober die Zweckmlssig-
keit seiner Vokalbebandlungs-VorschlSge lisst sicb streiten. Eine Regel fiber die Reiben-
folge des Vokalstudiums lftsst sich nicht feststellen. Auch hier muss der verst&ndige
Lehrer ganz individuell vorgehen. — Im zweiten Teil stellt der Verfasser, der sehr
richtig die Wurzel aller StimmscbJden in der Scbule erblickt, vier Hauptmomente auf,
deren Durcbfubrung in den Volksscbulen wohl mSglicb, aber eine volistindige Re-
organisation bedingen. Die vier Punkte sind gut ausgewftblt; ibre Reibenfolge kann aber
zu Irrtumern Anlass geben. Zuerst hat die Erziehung des Atems zu geschehen, bevor
man an die Bebandlung der Stimme, sowie der Vokale und Konsonanten gebt. Das
Doppelwesen des Atmens allein 1st der Herd alles fehlerbaften und alles wundervollen
in der menschlichen Lautlusserung. Die Erziehung zu einer bewussten naturlichen Tief-
atmung wurde, wenn bereits in der Schule durcbgeffihrt, von einem unbeschreiblichen
Wert fur die Menschheit sein. MSge sich — und damit stehe ich mit Herrn Julier voll-
stindig auf einem Standpunkt — der Staat sobald als mdglich der Reorganisation des
Schulgesangs als einer sittlichen Pflicht erinnern. Adolf GSttmann.
302. Charles Meerens: La science musicale a la port6e de tous les ar-
tistes et amateurs. Verlag: J. B. Katto, Bruxelles, 1902.
Diese franzdsische oder vielmebr belgiscbe kleine Schrift gehdrt zu solchen, in denen
die Musik gewissermassen als ein Teil der Pbysik aufgefasst wird, ohne eigentliche Be*
Digitized by
Google
SB.
305
BESPRECHUNGEN (M U SI K ALIEN)
rficksicbtigung der Psychologie, Ja selbst mit Vernachllssigung der Physiologic Hier-
mit 1st nicht nur die Ricbtung des Verfassers, sondern sind gleicbzeitig auch die Febler
seines Bucbes gegeben. Von diesen abgesehen bietet die Scbrift des Interessanten
genug, zumal Meerens vielfach seinen eigenen Weg gebt und diesen sogar oft in ob-
stinater Weise verfolgt. Er unterscbeidet direkte und indirekte Intervalle; jene sind die
Konsonanten, diese die Dissonanten. Er beginnt feraer sein Tonsystem mit der
Scbwingungszabl 1, wobei es ibm gleicbguliig ist, dass die Schwingungszablen unter 16
keine fur uns wabrnehmbaren TSne geben. So ftngt mit dem tiefsten C des Klavieres
fur Meerens bereits die secbste Oktave an. Dieser Ton hat 2° = 64 Schwingungen,
wie denn slmtliche c in ibren Schwingungszablen Potenzen von 2 ergeben, von 2°*=1
ab. Unser funfgestrichenes c, schon zwei TSne jenseits der Klaviaturgrenze liegend,
beginnt fur ibn die 13. Oktave, hat also 2" = 8192 Schwingungen. Das Normal a mfisste
dann auf 432 gestimmt werden, wofur dann auch Meerens mit Leidenschaftlichkeit ein-
tritt, unter Anfuhrung mancher guten Grunde. Die Tonleiter 1:9/8: 5/4 : 4/3 : 3/2 : 5/3 :
15/8 : 2 verwirfc er, und will dafur folgende aufgestellt wissen: 1:9/8:5/4:27/20:3/2:
27/16:15/8:2, wShrend die temperierte Klaviertonleiter lautet: 1 : 1,12: 1,25: 1,33: 1,49:
1,68 : 1,89 : 2. Seine Ausfuhrungen fiber dieses Thema sind jedenfalls hocbst interessant
durch ihre Scharfsinnigkeit, auch fur solche, die sich von Meerens nicht fiber-
zeugen lassen. Auch fiber andere Tonprobleme spricht er sich aus, auf welche
einzugehen hier indessen kein Raum ist. Zum Schluss bringt er eine Tafel
„akustischer Logarithm en", wobei man allerdings keine mathematischen Loga-
rithmen erwarten darf; er stellt vielmehr nur bis auf 8 Dezimalen fest, wie viele
Kommata (= 81/80) zwischen den einzelnen Schwingungszablen von 1 bis 1000 liegen.
Ausgerecbnet ist diese Tafel von M. Delegenne. Meerens schligt auch eine verinderte
Notenscbrift vor: 4 Linien, auf deren unterster stets ein c liegt; statt der Scblussel zeigt
eine Ziffer die Oktave an. Mit diesem Vorschlag durfte sich Meerens wohl kaum viel
Freunde erwerben: die Partituren wurden dadurcb nicht vereinfacht werden, wie er glaubt,
sondern infolge absolute r Gieichf5rmigkeit viel scbwieriger zu lesen sein. Kurt Mey.
MUSIKALIEN
303. Niels W.Gade: Ouverture „Nachkl*nge von Ossian" op. 1 fur Harmonium,
Klavier, Streichquintett und Fldte bearbeitet. Orchesterbibliotbek. Haus-
musik. Verlag: Breitkopf & Hlrtel, Leipzig.
Dem unendlichen Reiz, den dieses vielleicht beste Werk Gades auch heute noch
ausubt, wird man sich aucb in dieser Obertragung nicht entziehen kSnnen. Wie ich
bereits frfiber einmal betont habe (Bd. 8, S. 383), furcbte icb, dass sich diese Arrange-
ments als Hausmusik nicht recht einburgern werden, da der erforderlicbe Kontrabass
im Hause meist feblen durfte. Auf jeden Fall musste durch kleine Noten im Klavier
oder Harmonium die Mdglichkeit eines Ersatzes der Bassstimme geboten sein, was ja
sehr leicht zu bewerkstelligen ist
304. Johan Hal vor sen: Andante religioso pour Violon solo avec Orchestre.
Partition. Verlag: Wilbelm Hansen, Kopenhagen.
Von edler Melodik, ein dankbares nicht schwieriges Vortragsstfick, hfibsch in-
strumentiert.
305. Hakon Bdrresen: Sextett fur zwei Violinen, zwei Bratschen und zwei Violon-
celle. op. 5. Verlag: Breitkopf & HSrtel, Leipzig.
Ungemeine Friscbe und naturwficbsige Kraft, verbunden mit interessanter Rhyth-
mik, zeichnen dieses recht spielbare und wohlklingende Sextett aus, das uns keine
Ritsel zu ldsen aufgibt Auch in dem langsamen Satz ermattet unser Interesse nicht.
III. 22. 20
Digitized by
Google
&.
306
DIE MUSIK HI. 22.
Aber warum musste das zweite Thema des flotten Finale an den Milldckerschen Walzer
w O du himmelblauer See" so stark anklingen?
306. Rudolph Bergh: Quartett fur zwei Violinen, Viola und Violoncell (d-moll).
op. 10. Nordisk Musikforlag, Kopenhagen.
Verleugnet nirgends die nordische Herkunfr, zeigt durchweg gediegene Arbeit und
Verstlndnis fur den Quartettstil. Der erste Satz ist vorwiegend herb, fast duster. Das
Scherzo, das anftnglich an das des Mendelssohnschen Quartetts op. 44 No. 3 erinnert,
ist ein prSch tiger, Leben sprQbender Satz von grosser Wirkung. Ein Adagio fehlt. Den
Scblusssatz bilden 24 in jeder Hinsicbt abwechslungsreicbe Variationen mit einer famosen
Scblussfuge fiber ein achttaktiges schwermfitiges Thema. Die Anforderungen an die
Ausffibrenden sind nicht gross. Dr. With elm Altmann.
307. August N61k: Gnomenreigen. op. 00. — Konzert-Mazurka. op. 86. —
Legende (im Volkston). op. 60. — Salon-Album, op. 43. Fur Violoncello
und Klavier. Verlag: Wilhelm Hansen, Kopenbagen.
Hfibscbe, ungekfinstelte Stficke, von denen namentlich der „Gnomenreigen" als
elfektvoll, zierlich und nicht allzu scbwer, Freunde unter den Virtuosen flnden durfte.
Das Salon-Album enthftlt sechs ansprechende melodidse Kleinigkeiien von einfacher
Form und leichter Behandlung des Celloparts. Hugo Schlemuller.
308. Niels W. Gade: Holger Danskes Sange. Fur Klavier ubertragen von Ludwig
Schytte. Verlag: Wilhelm Hansen, Kopenhagen.
Die Originalform dieses Zyklus von zehn kurzen, volkstfimlich gehaltenen Klavier-
sfttzen ist mir bisber unbekannt geblieben. lor musikalischer Gehalt ist lauer und ein-
fSrmiger, als man es selbst bei Gade gewdhnt ist, und die Stuckchen sind sich unter-
einander so Sbnlich, dass sie nurmehr einen recht vagen und verdriesslichen End-
eindruck binterlassen kdnnen. Icb sehe daher den Zweck dieser Transkription nicht
recht ein. Hermann Teibler.
309. Victor Bendix: WelkeBUtter. Funf Gesinge fur eine mini ere Stimme. op. 28.
Verlag: Wilhelm Hansen, Kopenhagen.
Der bekannte dlnische Komponist bietet hier einen Liederzyklus von weichem,
meist trlumerischen Stimmungsgehalt und tief empfundener Melodik. Ein gelegentlich
stlrkeres Charakterisieren der GegensStze wire hinsicbtlich der Wirkungsflbigkeit
wunschenswert gewesen. Intelligenten Mezzosopranistinnen wird das klangschdne Werk
eine dankbare Aufgabe sein. Adolf Gdttmann.
310. Wilhelm Koehler-Wftmbach: Mldchen von Kola, Dichtung aus Ossian
fibertragen von Herder, fur JVUnnerchor und Orchester. op. 32. Verlag:
Chr. Friedr. Vieweg, Gr. Lichterfelde.
Dirigenten guter MlnnerchSre seien auf dieses aus der heutigen Massenproduktion
sich hoch erbebende Werk aufmerksam gemacht. Eine angenehme, alles Banale und
Verbraucbte vermeidende Melodik vereinigt sich hier mit einer vortrefflicben Ver-
arbeitung. Wenn man bei Brahms von einer „Richtung" sprechen darf, so glauben wir
dass Koebler-Wumbacb, uns bisher glnzlich unbekannt, in dieser Ricbtung welter zu
scbaffen beftbigt ist. Fritz Baselt.
311. August Reuss: Ratbod der Friese. Ballade von Wilhelm Hertz. Fur Bariton
mit Orchester Oder Pianoforte komponiert. op. 15. Verlag: Fr. Kistner, Leipzig.
Einer imponierenden lusseren Wirkung ist diese Ballade, namentlich mit Be-
gleitung des Orchesters, bei der fiberaus starken Instrumentation, sicber. Genauer be-
trachtet aber entbebrt die pomp6se, pathetisch deklamatorische Melodik der rechten
inneren Kraft. Obrigens hitte die Ballade entschieden als Chor mit Soli (etwa der
Bischof: Bass und Ratbod: Bariton) komponiert werden mussen. Arthur Neisser.
Digitized by
Google
307
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
312. Edgar Istel: Drei Gedichte von J. W. Goethe, fur cine Singstimme und
Orchester komponiert. op. 15. Verlag: Breitkopf & HIrtel, Leipzig.
,dffentliche Auffuhrung nur mit Orchesterbegleitung gestattet," stent am Kopfe
der Kompositiooen. Da mir nur die Kiavierbearbeitungen vorliegen, so ist fiber die
Wirkung mil Orchester kein Urteil zu fillen mdglich, well aus einer Klavierbearbeitung
niemals des Koniponisten Ffthigkeit, ffir Orchester zu schreiben, ersehen werden kann.
Nach diesen Bearbeitungen nun ist aber kaum anzunebmen, dass selbst die idealate
Instrumentation diesen drei Siucken Wirkung verleiben kdnnte. Man bekommt den
Eindrucfc, ais wurde bier musiziert, eben nur um zu musizieren. Das geht tiles so dabin,
ohne dass einmal ein Aufscnwung Oder eine Besonderheit, ja uberbaupt Bemerkenswertes
her vo. irate. Weder Eiflndung, nocb Form und Tecbnik bieten in diesem Sinne etwas,
letztere macht sogar sebr oft den Eindruck einer gewissen Schwerfllligkeit. So sind
z. B. die ,Steigerungen* alle ziemiicb lahm und ebenso lhre Harmomk. Die Venonung
tnlff aucb nicbt immer iichtig den Charakter der betreffenden Stelie der Dichtung: so
in .Elysium" — das fibrigens, da es zu persdnlich doch nur auf Goetbes Darmstidter
Freundinnenkrei8 gem unit ist, zur Vertonung eigentiich uberbaupt nicbt geeignet er-
scheint — die Stelie ,ohne sterblicben Neid", die gerade das Gegenteil von dem bedeutet,
was bier die Musik sagt; oder in ,Aussdnnung* der rezitativiscne Anfang. Varum aucb
in „Elysium" die Betonung: ,auf micb blicken*? Zeugt es gewiss von guiem, ernstem
Wollen, sicb an drei soicbe Dichtungen — die erste ist .Ganymed" — heranzumacben,
so scheint des Komponisten Kraft und Kdnnen kaum ffir solche Aufgaben auszureichen:
ganz abgesehen von der nicbt alies hergebenden Technik zu wenig Erflndung und keine
schdne, grosse, wirksame Linie.
313. Eugcn d' Albert: „Wie wir die Natur erleben," Stimmungsbild fur eine Sopran*
oder Tenors timme und Orchester oder Klavier. op. 24. — Zwei Lieder
fur Sopran oder Tenor mit Orchester* oder Klavierbegleitung. op. 25. —
Mittelalterliche Venushymne ffir Sopran oder Minnerchor, mit Orchester
oder Klavier. op. 26. Verlag: Rob. Forberg, Leipzig.
Als positiv niu8ikaliach Erflndender wird d' Albert immer zu schitzen sein. Die
Begleitung zu den vorliegenden Gesingen aber dem Orchester anzuvertrauen, lag meines
Empflndens, mit Ausnahme etwa der Venushymne, kein hinreichender Grand vor. Da-
zu smd sie musikalisch doch nicht bedeutend genug, und zu tonmalerischer Tendenz
lag kein Grund vor. Mit Klavierbegleitung — mir hegen nur die Partituren vor —
wiren die Sacben als freundlicne, gefalhge, wenn aucb nicht hervorstechende Liederchen
recht wohl zu vertragen. „Lebensschlinen u weist als einziges einige besondere Charak-
tenstik auf. Die .Mittelalterliche Venushymne" aus Rudolf Lothars Lusupiel .Die
Kdnigin von Gypern*, ein melodisch wirksames Stfick, vereinigt glucklich franz6sische
Melodielinie mit antikisierend wirkender Akkordverbindung. (Stimmfuhrung kann man
es nicht nennen.) Alies in allem: anstindige, gute Musik, aber nichts Besonderes.
314. Das Streichorchester der MittolBchulen. Heft IV. Breitkopf & Hirtels
Partitur-Bibliothek.
Als Gesebmacks-Erziehungsmittel und zur Obung an alien Orten, wo ohne die
MSglichkeit, ein ganzes Orchester aufzutreiben, ernsthaft gute Musik getrieben werden
soil, sowie als Lehr- und Lernwerk sind diese Arrangements ffir Streichquartett mit und
ohne Klavier und Harmonium nur aufs freudigste zu begrfissen. Mozart, Handel,
Beethoven, Schubert sind in diesem Heft vertreten.
315. Job. Ant. Kotzcluch: Konzert ffir Oboe, bearbeitet von Otto Sch mid-
Dresden. Verlag: Louis Oertel, Hannover.
Nur ein Allegro und Adagio, ganz im Stil der Haydn-Mozart-Zeit. Aber rechtfertigt
20*
Digitized by
Google
DIE MUSIK III. 22.
der Wert dieser anempfundenen Musik die Ausgrabung? Wohl kaum. Immcrhin gibt
es ein brauchbares Ubungsstuck ab.
316. Leopold Wallner: Trois pieces romantiques pour Hautbois et Piano.
Ellgie pour Cor anglais et Piano. Verlag: Schott Freres, Bruxelles.
Durchschnittsware in einem etwas besseren Salonstil. Als bungs- und Vortrags-
stucke im Hause wohl zu verwerten, aber keine Bereicherung der Kammermusik fur
die betreffenden Instrumente.
317. Egon Gabler: Konzert fur Waldhorn; Konzert fur Klarinette. Ausgabe
mit Klavierbegleitung. Verlag: Louis Oertel, Hannover.
Im lacdUuflgen Stile der „Garten musik" gehaltene Kompositionen, an die ein
kunstlerisches Mass hinsichtlich der Technik des Satzes und Baues in keiner Weise
gelegt werden kann. Sie sind gut und dankbar fur die Soloinstrumente geschrieben, die
Erflndung ist jedoch schwach und vielfach sich in Anktfngen ergehend. Venn die In-
strumentation .klappt*, dann durften diese Konzerte den sie ausfuhrenden Solisten den
Beifall eines gewisscn, kunstlerisch nicht skrupuldsen, Publikums in ublicher Weise ein-
tragen. Aber kunstlerisch gute Musik sieht doch wesentlich anders aus.
318. J. L. Nicode: Ein Liebesleben, zehn Poesien fur Pianoforte, op. 22. Verlag:
Breitkopf & Hartel, Leipzig.
Den Komponisten des von hohem ernsten kunstlerischen Wollen getragenen
Sturm- und Sonnenliedes .Gloria" als glatten Salonmenschen wiederzuflnden, wirkt aufs
hdchste befremdend. Sind die zehn „Poesien" auch gut und geschickt gemacht — wie
ja bei einem solchen Kdnner selbstverstandlich ist — so kdnnen Titel und Tendenz des
Ganzen nicht gerade dafur einnehmen. Meines Erachtens durfte solche Musik fflr
hdhere Tochter oder spiessburgerliche „Salons" gerade in einerVolkaausgabe
keinen Platz finden. Es tut so not, den seichten und platten Geschmack saftloser,
sentimentalisierender, philisterhafter Kreise durch wahrhaft echte Kunst zu heben ; leicht
spielbare gute, nicht „schwer- oder unverstiindliche" Musik gibt es die Fulle; sie zu
schreiben, ist soviel verdienstlicher, wenn auch nicht so bequem, dass man vom
Standpunkt des rait seiner Kunst ernstes, wahrhaft gutes und schdnes Wollenden aus
diese von dem Tondichter in eben jener Gloria-Symphonie ja selbst perhorreszierte Art
von Komponiererei nur schidlich finden und ablehnen muss. Die Stucke sind un-
gleichwertig; einige, so No. 3, 6, 8 und 9 stehen ja auf einem etwas hdheren Niveau,
als durchschnittliche Salonmusik und sind fur sich wohl annehmbar; aber, im ganzen
genommen, bleibt dieser „ Roman d'amour" doch eine ^platitude d^goutante", um ein
hier passendes Wort Friedrichs des Grossen anzuwenden.
319. Paul Juon; Neue Tanzrhythmen. Funf Stucke fur Klavier zu vier Hinden,
op. 24. Verlag: Schlesingersche Buch- und Musikhandlung, Berlin.
In ihrer Art gute Klavierstucke mit manchem charakteristischen Zuge slawischen
Gepr&ges. Das „Neue" liegt nicht so sehr im „Rhythmus M , als in den heterogensten
in einem fort miteinander wechselnden Taktarten, einer ailerdings nicht immer von ihrer
Notwendigkeit uberzeugenden Spielerei, die einmal sogar zum 5/1-Takt ausartet, einem
Gebilde, das vollig unklar und verwirrend wirkt und ohne jede Not die nicht ohne Grand
in unser Notierungs system eingefuhrte Abteilung in Takte von missiger Linge igno-
riert. Ich bin uberzeugt, dass kein Mensch diese Stelle spielen wird, ohne sie sich
durch Taktabstriche geringeren Wertes tibersichtlich zu machen.
320. Joachim Raff: Album fur Pianoforte. No. 40 aus „Unsere Meister*. Verlag:
Breitkopf & Hirtel, Leipzig.
Relativ, historisch betrachtet, ist es gerechtfertigt, in diese Volksausgabe aus-
erlesener Werke Joachim Raff mit aufzunehmen. Denn er geh6rt immerhin zu den
Digitized by
Google
309
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
^
„Meistera«, wenn auch nicht zu den erstcn. Abcr absolut wertvoll sind nicht allc hier
„auserlesenen" Nummera; namentlich unter den reinen Klavierstucken flndet sich sehr
Konventionellcs, heute kaura noch Beachtenswertes. Ich babe bei der Betracfatung
solcfaer Musik immer die Erapfindung gehabt, dass das Mass von Technik, das dazu
gehdrt, sie tadellos zu bewaitigen, in keinem VerhSltnis zu dem Wert des Objektes
steht, wenn man das jeweilige Stuck nicht lediglicfa als „Etude a ansieht, wie denn auch
manches von diesen Raffschen Stucken in Etudenform geschrieben ist. Daher auch
die sich so oft bald einstellende Unlust aller derjenigen Klavierlernenden, die keine
wertvollere Musik vorgelegt bekommen. Was hat die „Salonmusik" nicht alles auf dem
Gewissen! Urn Raff kennen zu lernen — diesen Zweck hat doch wohl die Volks-
ausgabe — musste der Kiufer mindestens auch etwas aus seinen Symphonieen in dem
Buche flnden. Dafur hStte ruhig etwa eines der Stucke aus dem Oratorium w Weltende —
Gericht — Neue Welt" fortfallen kdnnen.
321. Christian Sinding: Album I und II, zehn und zw51f ausgewfthlte Lieder. Ver-
lag: Bredrene Hals A/S, Christiania. — Nehmt, Frouwe, diesen Kranz
und andere Gedicbte. op. 57. — Roland zu Bremen und andere Gedichte.
op. 64. Verlag: Wilhelm Hansen, Kopenhagen.
Hauptsache ist dem Komponisten: Melodie. Hier besitzt er viele schSne Erflndung;
mancbmal freilich ist sie, wie fast durchweg die Begleitung, recht konventionell. Unter
den zweiundzwanzig ausgew&hlten Liedern flndet sich manches Ansprechende, wenn
auch nicht alles deutschem Geschmack liegen wird. Die Lieder auf Bierbaumsche und
Ruckertscbe Gedichte sind weniger gelungen, sie machen den Eindruck der „Viel-
schreiberei*. Die Druckart des Textes — jeder Versanfang im hier doch fortlaufenden
Texte gross — wirkt stdrend. Bezuglich des Wertes der Texte scheint der Komponist
nicht allzu wiblerisch zu sein. Verdienen diese Bierbaumschen Gedichte wirklich alle
vertont zu werden? Doch sind auch die ins Deutsche ubersetzten Gedichte der beiden
Albums nicht gerade durchweg bervorragend. Alle diese Lieder in ihrer Gesamtheit
erwecken den Eindruck: eine sichere Herrschaft der Mittel in freilich nicht weit ge-
steckten Grenzen; eine liebenswfirdige, aber etwas einfdrmige Begabung; keine strenge
Selbstkritik. Trotzdem werden einzelne Nummera, namentlich aus den ausgewiblten
Liedern, well in ihrer Art gelungen und sch5n, wohl mit Recht ihr Publikum flnden.
322. Ludwig Hess: Drei Lieder, op. 11. — Zehn Gesinge und Lieder. Verlag:
Lauterbach & Kuhn, Leipzig.
So trefflich der stimmbegabte Sanger als solcher ist, so lisst sich leider angesichts
dieser dreizehn Lieder und Gesinge von dem Schaffenden nicht ein gleiches sagen. Die
Erflndung ist Suss erst matt. Herbheiten in harmonischer und formaler Hinsicht sehen
beinahe wie noch vorbandene Unbeholfenbeiten aus. Der Klaviersatz ist auch nicht
immer allzu geschickt und dem Wesen des Instrumentes entsprechend. Manches, so
die zweite Hilfte von „Morgensonne" (in der Begleitung) oder der Refrain in „Klein
Annemarei", 1st fast an Plattbeit angrenzend. Das verhiltnismissig Beste und Ge-
lungenste scheinen mir .Aufblick" (Eichendorff), „Im Trabe" (Liliencron), sowie die
Anakreontischen Lieder „ Alles trinkt" und „Der muntre Alte" zu sein. Die anderen
Nummera kranken zu sehr an den angefuhrten Mingeln, und ich glaube kaum, dass sich
ausser fur diese vier Vertonungen auch fur die anderen Lieder wahre und innerlich
davon befriedigte Freunde flnden werden.
323. Wilhelm Mauke: Drei Lieder im Volkston fur eine Singstimme und Klavier.
op. 37. — Drei Gedichte von Michael Georg Conrad fur eine Sing-
stimme und Klavier. op. 39. Verlag: C. A. Challier & Co., Berlin.
Manches Gesuchte, Schwerflussige; hin und wieder eine sonderbare Orthographic
Digitized by
Google
310
DIB MUSIK III. 22.
Von den Lledern Jm Volkston" sind No. 1 und 3 besser gelungen, als das mittlere,
»Helmkebr*, dts dies en Ton stellenweise docta nicht richtig trlfft. Auch von den -drei
Gedicbten" ist das mittelste, .Geisterstimme". das sctawicbste Die jranze Signatur dieses
Gesanges ist nicht durchaus vornehm. „Walzer* und „Kampflied" sind am weitaus
beaten geraten.
324. Hermann Zilcher: FfinfLiederfur eine mini ere Stimme mit Pianofortebegleitung.
op. 10. Verlag: Breitkopf & Hftrtel, Leipzig.
Eine liebenswiirdige Begabung und ein gewisses sicberes Handbaben der Foroien
spricbt aus diesen Liedern. No. 4 und 5 sind ansprecbend, wenn aucb harm lo* en
Charakters. 2 und 3 erscheinen mir weniger gelungen. Wer ein in jeder Hinsicfat so
schdnes und vornebmes Lied (aucb bannoniscb) scbreiben kann, wie No. 1, „Nactatnebe1*
(J. Hart), der kritisiere sich selbst in jeder Einzelbeit scharf! Zilchers Begabung scbeint
mebr auf dem Gebiete des Sinnenden, Ernsten zu liegen. Das Heitere ist bei ibm obne
besondere Physiognomie.
325. Oscar NoS: Ffinf Lieder fSr eine Singstimme mit Klavierbegleitung. Verlag:
Lauterbacb & Kuhn, Leipzig.
Diese Lieder verraten einen vornebmen Gescbmack und vereinigen mit schdnem
Talent das Bestreben, bannoniscb Besonderes zu bieten. Am scbdnsten dfinkt micb
„Sonntags" (Bierbaum). In „Die einsame Wolke" scfaiene mir bei „nach — zu — win ken a
das Es scbon im ersten Akkord der recfaten Hand am Platze; die Stelle wirkt sonst etwas leer.
Orthograpbiscb ist einiges ungenau; die Vorzeicbnung in E-dur ungewdhnlicfa gestellt. Von
diesen Nebensacben abgeseben, die freilicb kein vdlliges Befaerrscben alles NStigen
bis ins einzelne verraten, baben wir in diesen 5 Liedern gate, nicbt alltfigliche Musik.
326. Max Roger: „Schlichte We is en", op. 76. Verlag: Lauterbacb & Kuhn,
Leipzig.
Sieben mit reifem Kdnnen gearbeitete Liedchen. Urn so befremdender die Betonung
von „lieb — haben* in No. 7: h b h — . Die GleicbfSrmigkeit in der Rhythmisierung
im ersten Vers zu umgehen, wire bier geradezu geboten gewesen; denn solcbe Ge-
walt vertrigt unsere Spracbe nicht Im fibrigen verleugnet sicb nicht der Meister des
Satzes.
327. A. H. Amory: An gel us. Ballade fOr eine tiefere Stimme mit Klavierbegleitung.
op. 48. Verlag: Gebr. Vagenaar, Arnbeim.
Es lohnt sicb nicht, auf dieses dilettantiscbe Macbwerk niher einzugehen.
Alfred Schattmann.
328. J. C. Kessler: w AusgewShlte Klavier-Etfiden - . Heft 1—3. — „25 Pri-
ludien" op. 94. Verlag: Schlesingerscbe Buch- und Musikbandlung, Berlin.
Wenn Heinricb Germer etwas in die Hand nimmt, so hat es, soweit es auf die
Praxis und das didaktische Moment Bezug hat, immer einen bedeutenden Wert Man
kann daber aucb diese Ausgabe der altbekannten und lingst von der Praxis gewurdigten
Kesslerscben Etuden und Priludien nur empfehlen. Hinsicbtlich der Textbehandlung,
die an zahlreichen Stellen vom Original abweicht, ist die geschmeidige und elegante
pianisti8che LSsung zu loben. Auch sonst merkt man die ordnende und sichtende Hand
Germer8 sowie seine feine musikaliscbe Obersichtlichkeit Angesichts dieser vorzug-
lichen Revision tut man daber gut, dies bedeutende Bildungsmaterial voll reicher Er-
flndung und origineller Formen nicbt mebr so ausser acht zu lassen, wie es leider bis-
lang geschehen. So lange uns der Klassiker fehlt, der die Kluft zwiscben Clementi
und Ghopin ausfullt, hat Kessler als einer der Besten stets noch seine Bedeutung.
Rud. M. Breithaupt
Digitized by
Google
RIVISTA MUSICALE ITALIANA (Turin) 1904, Fasc. 2. - John Grand-Char-
teret bebtndelt im zweiten Abschnitt seiner Abhandlung „Les titres illustre's et
l'image au service de la musique", die insbesondere durcb die zahlreichen Nach-
bildungen alter Titelblfttter von Musikalien grossen Wert erbSlt, die Gescfaichte der
musikaliscben Illustration von 1830 bis gegen 1855 bin, knapp und lesenswert. —
In dem Aufsatz B I1 primo amore di Pietro Metastasio" gibt Enrico Celani auf
Grand unbekannter Aktenstficke wertvolle Aufechlfisse fiber die wicfatigsten Perioden
in Metastasio's Leben. Von A. Gastout entbllt das Heft den Beginn einer aus-
fubrlicben Arbeit fiber „La musique a Avignon et dans le comtat du XVII. au
XVIII. sidcle". J. Valetta beschiftigt sich in der Fortsetzung seiner Abhand lung
„I musicisti com posi tori francesi air accademia di Francia a Roma* u. a. mit Herold,
Panseron, Roll, Benoist, Batton, Massin, Hal6vy, Leborne, Rifaut, Gu6rin, Ermel,
Boilly, Barbereau, Guillon, Guiraud, Vernet, Ross-Dupr6aux, Monfort, Berlioz,
Provost, Thomas, Thys, El wart, Boulanger, Boisselot, Besozzi, Bousquet und Gounod.
Noch sind hervorzubeben die Aufs&tze: w De l'origine des modes majeur et mineur*
von O. Chilesotti, „L'arte musicale in Italia" von A. Engelfred, „Cronaca
Romana" von G. Tebaldini und „Le donne curiose" von Wilhelm Mauke.
NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart) 1904, No. 16. - w Anton Dvottk f « von Rudolf
Frhr. Prochftzka: ... „Nicht popullr im eigentlichen Sinne des Wortes, wie
seinerzeit Smetana, dfirfte er sich doch im Glanze der Bewunderung und Anerkennung
seines Volkes sonnen, noch grdssere Befriedigung aber in dem Bewusstsein flnden,
dass die Fiden der musikalischen Welt aucta durcb seine scbaffende Hand gingen.
Seiner Verstandesbildung waren gewiss Grenzen gesetzt. Aber ein warmes Herz
lebt in seinen Tdnen, die er rief, und darum werden sie nicht verklingen."
B. Rdttgers vollendet seinen Artikel w Der Entwickluhgsgang von Johannes Brahms."
Ausserdem schreibt J. Hennings fiber „Buxtehudes Instrumentalwerke", stellt
Otto Keller die „Gedenktage im Mai 1904" zusammen, setzt M. Koch seine
„Tonsatzlehre u fort, bericbtet Anton Stehle fiber Kistlers Oper „Der Vogt von
Mublstein" (. . . „Im ,Vogt von Mublstein* hat Cyrill Kistler der deutschen Bfihne
elne echte und recbte Volksoper geschenkt, die selnem Hang zum Gemutvollen,
Volkstfimlichen entstammt" . . .), und widmet A. Friedmann dem verstorbenen
Jobtnn Nepomuk Beck" ein Gedenkblatt.
RHEINISCHE MUSIK- UND THEATER-ZEITUNG (K61n) 1904, No. 14. - Das
Heft bringt an leitender Stelle einen Bericht fiber „Das 81. Niederrheinische
Musikfest 1 ' und enthilt ferner einen Artikel fiber den K51ner Komponisten „Franz
Kessel", einen Aufsatz „Programm-Musik in alter Zeit" von Wilhelm Tappert
(der von uns scbon bei seinem ersten Erscheinen besprochen worden 1st), eine
Abhandlung „Klavier der Zukunft" von Franz Dubitzky, eine Studie fiber „Die
Tiere auf der Bfihne in Richard Wagners Werken" von Erich Kloss und einen
lang ausgesponnenen Artikel „Emanuel Schikaneder und W. A. Mozart" von
Ad. Kohut, der, was Schikaneder anbelangt, aller neuen Forschung zum Trotz
Digitized by
Google
312
DIE MUSIK III. 22.
durchwegs das Altc, l&ngst von Grund aus Wlderlegte wiederum zusammenstellt.
Der letztgenannte Artikel 1st aucfa im Wiener ,,Fremdenblatt" ersctaienen.
DIE ZEIT (Wien) 1904, No. 499. — Die Nummer entbilt einen Artikel „Aus
der jfingsten Musik - Literatur* von Wilhelm Altmann. — No. 501. „ Anton
DvoHk" von Richard Batka. Diese sehr getaaltvolle Cbarakteristik bezeichnet
DvoHks Kunst als die „Musik des Unwillkfirlicben und Unbewussten", ibn
selbst als den „Typus des bdbmisctaen Musikanten" in seiner Steigerung in
das Gebiet der grossen Kunst. Batka rfibmt DvoHks „Echtbeit und Volkstfimlicb-
keit der Empflndung. sctaSpferischen Reichtum der Pbantasie, seltene musikalische
Intuition und Erfindsamkeit"; er nennt ihn einen „Kfinstler von Gottes Gnaden",
den „1etzten ganz naiv scbaffenden Komponisten unserer Zeit" und sagt zum
Scbluss: „Die Deutschen erkennen und schitzen in DvoHks Werken fiber alle
nationalen GegennStze binweg den sympathischsten Ausdruck des Ffiblens der
tschectaiscben Volksseele". — No. 502. Eine inbaltreiche Studie von Max Morold
fiber „Das italienlscbe Muaikdrama" erscbdpft sicb fiber die Be griff e des Wesens
und des Stils, zeigt, wie das Musikdrama seinerzeit in ltalien seine Entstebung
fond, berficksicbtigt in feiner Weise den Gegensatz zwisctaen Deutscbtum und
italieniscbem Wesen und betont, wie leicbt die Neuerungen Wagners von den
italieniscben Komponisten aufgenommen wurden (was die spitere Entwicklung
Verdi's am deutllchsten zeigt). „Die Geschicbte der deutscben Oper ist die Ge-
scbicbte des italieniscben Musikdramas" — in diesem Satz fasst Morold den
Grundgedanken seiner Arbeit zusammen und er stellt fest, dass das, was Hugo
Wolf vergeblicfa mit seinem ^Corregidor" erstrebte: die Scbaffung einer durch
Wagner vorbereiteten modernen komischen Oper — gerade durcb Verdi's ^Falstaff '
erreicht worden sei. — No. 503. In seinem Artikel „Der Fall DvoHk" knfipft
F. V. Krejdi an das Wesen des Verstorbenen interessante allgemeinere Betrach-
tungen an. Er betont, dass das Naive bei DvoHk ausscblaggebend war, und stellt
die Frage auf, was wicbtiger sei: der Wille oder das Sein? Bei Dvorik ist die
Musik „ein Element wie das Meer, wie eine L4iwine, eine Feuerebrunst, sie ent-
springt noch tieferen und geheimnisvolleren Quellen, als es die Persdnlicbkeit des
Kfinstlers ist, und ndtigt uns, die Musik von in rem ScbSpfer zu abstrahieren".
Seine Musik ist ein Instinkt, berubt in der Rasse, der Rhytbmus ist bei ibr die
Hauptsache. Und so feiert der Verfasser Dvorik als einen, der sicb gibt, wie er
ist; dem das Genie nicht eine dimonische Last gewesen ist, sondern eine glficklicbe
Himmelsgabe, und er sagt von ibm begeiatert: „Er verdient so bewundert zu
werden, wie man alles in der Natur bewundert, was nur durcb die Scbdnbeit
seiner blossen Existenz wirkt — wie man die BSume, V5gel und Blfiten bewundert,
welche rauscben, singen und duften, nur darum, weil sie sind, weil es selbstver-
stSndlich ist, weil sie nicht anders kdnnen!" — No. 506 entbilt eine scbdne Studie
„Brabm8' Jugendliebe" von Wilhelm Altmann.
LA RfeVUE DE PARIS 1904, No. 12. — „Gluck — une revolution dramatique" —
so betitelt Romain Holland eine umfangreiche Abhandlung fiber Glucks Wesen,
Schaffen und Reformen; dabei betont er insbesondere, dass Glucks Kunst durch-
aus menschlich ist; im Gegensatz zu Rameau's mythologischen Dramen bleibt
er auf der Erde, seine Helden sind Menschen; „leurs joies et leurs douleurs lui
sufflsent. II a chante* les passions les plus pures: Pamour conjugal dans ,Orpbee 4
et .Alceste*, ram our paternel et ram our filial dans ,Iphig6nie en Aulide ( , l'amour
fraterael et l'amitte dans ,Ipbig6nie en Tauride*, le sacrifice, Pamour d6sint6ress6,
Digitized by
Google
313
'O^ REVUE DER REVUEEN Q^
le don de soi-meme a ceux qu'on aime. Et il l'a fait avcc une sinc6rit6 et une
simplicity de coeur admirables" . . . Darum schliesst aucta Holland seine Studie
mit dem Hinweis darauf, dass Gluck — ahnlich wie Beethoven — gewesen sei:
„bien plus qu'un grand musicien: un grand bomme au coeur pur!"
NORTH AMERICAN REVIEW (New York) 1904, No. 5. - Bringt einen interes-
santen zusammenstellenden Artikel fiber .London as a music centre" von Clarence
Lucas, mit Noten von David Bispham.
— No. 6. — Lehrreich und verstandnisvoll ist die Studie, die Lawrence Gil man unter
dem Titel „Tbe music of Edward Mac-Dowell" dem Schaffen dieses zeitgenSssischen
amerikaniscben Musikers (gegenwlrtig Professor der Musik an der Columbia-Uni-
versitat) gewidmet bat. Gilman nennt ihn einen .master of imaginative expressions
einen .penetrative psychologist" und einen .exquisite poet"; er sieht in ihm einen
modernen Romantiker, dem insbesondere keltiscbes Ffihlen eigen und dessen
Natursinn hauptsicblich anzuerkennen ist Dabei gibt er einen Oberblick fiber
M. Dowells Werke, von denen bier die Sonaten .Keltic", .Eroica" und .Tragica",
ferner die .Fireside tales", die .Woodland sketches", die .Sea pieces" und die
.New England Idyls", sowie die symphonischen Dicbtungen .Hamlet and Ophelia"*
.Lancelot and Elaine", .The Saracens" und .Lovely Alda" erwihnt sein m5gen.
RfcVUE DES DEUX MONDES (Paris) 1904, No. 4. - Der Aufsatz .Les
*poques de la musique. — La renaissance francaise" von Camille Bellaigue
knfipft eine vor kurzem vollendete VerSffentlicbung von Henry Expert an: ,Les
maTtres musiciens de la renaissance francaise" (Paris, 1894-1004). Es wird zu-
nichst festgestellt, dass das 16. Jahrhundert in Frankreich fur die Musik ein viel
grdsseres Interesse und Verstindnis besass als die darauffolgenden Jahrhunderte.
Poesie und Musik waren damals eng verschwistert. Dichter und Musiker wie
BaTf und Costeley erganzten und verstanden einander; die .Akademie" der letzten
Valois war ein dreifaches Institut der Literatur, Philosophic und Musik, das sich
die Wiederbelebung der Antike zur Aufgabe gemacht hatte. Die grossen pitto-
resken und dekorativen Kantaten von Jannequin: .Les oiseaux", .La Guerre ou
la Bataille de Marignano" und .La chasse" sind frisch und lebensvoll, reprtsen-
tieren aber mehr Malerei als Empflndung. Ebenso hat das 16. Jahrhundert die
lindliche Musik gern gepflegt: Beweis hieffir .l'alouette" von Jannequin, zart,
grazids, geistvoll. Der fast ganz vergessene Claude Lejeune ist ein grosser Meister,
der in seinem „Dodecacorde« religidse Musik und Geslnge, in denen sich Frfihling
und Liebe vermischen, verdffentlicht hat. — Viele Frische und Kraft, Liebe und
Religion ist in der franzSsischen Musik des 16. Jahrhunderts enthalten.
DIE GRENZBOTEN (Leipzig) 1904, Nr. 14 und 15. — Otto Tschirch unternimmt
es, in einer ausfuhrlichen Darstellung Lebensgang und kfinstlerische Entwicklung
Reichardts (Johann Friedrich Reichardt") zu verfolgen, den er ffir einen mit Un-
recht Vergessenen erkiart, da er einen .idealen, vorwarts strebenden und auf das
Nationale gerichteten Kunstsinn" besass, sich vielseitig auf den Gebleten der Kunst,
Literatur und Politik betatigte und unserem Volk eine bessere Zukunft vorzu-
bereiten gebolfen hat. Anschaulich entrollt er das Lebensbild Reichardts bis zum
HSbepunkt seiner TItigkcit und seines Rubms, als nach Friedricbs des Grossen
Tode der musikliebende Friedrich Wilhelm II. den preussiscben Thron bestieg
und die Blfitezeit der Oper begann. Die grosse Oper .Brennus", 1789 mit grossem
Beifall aufgefubrt, bedeutet den Hdhepunkt in Reichardts Opernkomposition, ein
grosser Schritt fiber den Stil Hasses und Grauns hinaus, wenn such tfotz der
Digitized by
Google
314
DIE MUSIK HI. 22.
^
Ntchthmung Glucks h inter dessen antiker Einfachbeit und GrSsse wcit xuruck-
bleibend. Zugleich scbuf ReichardtMusiken fur dts Deutsche Nation tltheater, darunter
die groteske Macbetb-Musik, die wunderbaren Singspiele Goetbes und die cinfacb
ergreifenden Kom position en Goetfaescher Lieder. 1790 ist der Hdhepunkt in Reicbardts
Erfolgen und in seinem Scbaffen erstiegen. Es folgen Stfirme: Anfeindungen and
Missgunst erstehen ihm, die franzdsiscbe Revolution reisst ibn in ihren Strudel.
Doch gelang es ihm, die musikalische Fuhrerschaft in Berlin wiederzugewinnen
und aucb den Verkebr mit Goethe wieder anzuknupfen. Interesstnt ist, was
Tschirch fiber Reicbardts Teilnahme an dem von Napoleon so gebassten Buch
»Napoleon Bonaparte und das franzdsiscbe Volk unter ihm*, sagt, das im
Jabre 1804 erschienen ist. 1805 und spiter bewies er sich als edler, warm-
herziger preussischer Patriot, musste nach der Jenaer Schlacht vor Napoleon
flieben und widmete der KSnigin Luise begeisterte, treue Verehrung. Von
schwerem Siechtum geplagt, das den f ruber so Geselligen zur Einsamkeit ver-
dammt batte, verfolgte er begeistert Vorbereitung und Verlauf des Freiheits-
krieges; Entwfirfe zu einer Siegeskantate beschiftigten ihn bis zu seinem Tode.
Als ein .freisinniger Herold vaterlindiscben Sinnes" soil er vom deutschen
Volke nicht vergessen werden!
DIE NEUE RUNDSCHAU (Berlin) 1904, No. 6. — „Ein Brief von Otto Nicolai-,
der bier verSffentlicbt wird, ist „Rom, den 3. MSrz 1834* datiert und an Nicolais
Vater gericbtet. Nicolai war namlich als Organist an die preussische Gesandt-
schaftskapelle in Rom berufen worden und trat nun zu Bunsen und seinen
religids-musikalischen Bestrebungen in n&chste Beziehung. In dem Briefe sind
neben Reiseerlebnissen und Karnevalsscherzen eine Gbarakteristik des Bunsenscben
Hauses und Bemerkungen fiber die italienische Opera- und Kirchenmusik enthalten.
Ganz pricbtig beschreibt Nicolai die Reise von Innsbruck fiber den Brenner. In
Verona sah er die „Anna Bolena" von Donizetti und schreibt davon: „Emp5rend,
niedertrlcbtig flnde ich die Art, wie das italienische Publikum seine Opern anbdrt!
Sie unterbalten sich dabei . . . man h5rt nur dann und wann en passant ein
bischen Musik an. Nun kann ich begreifen, warum der Rossini es fiber sich
gewinnen kann, diesen Siuen etwas anderes als nur Perlen vorzuwerfen." Sehr
launig erzfihlt Nicolai von dem den Takt laut stampfenden Kapellmeister, dem
offen mit der Mfitze auf dem Kopf dasitzenden Souffleur usw., und schliesst hieran
Bemerkungen fiber die Kirchenmusik: man spielt lustiges Zeug, fibt dabei das
.battere la musica* wie mit einer Fliegenklatschmaschine . . . „und jeder Schlag
des Dirigenten ist fur den Zuhdrer, der an vernunftige Art und Weise gewdhnt ist,
ein Dolchsticb!" ... — „Die Musik steht demnach in Deutschland auf einer viel
hdheren Stufe und es wire gut, dass die Italiener zu uns reisten, urn zu studie-
ren . . . In Italien ist nur der alte Gott und die alten Erzeugnisse gut!
Welches Land! welcbe Gegend! welche Luft! welche Welt der interessantesten
Ruinen! welche scbSne alte Musik! welche schdnen alten GemSlde! welcbe schdnen
alten Gebiude! Welche neue niedertrichtige Generation! Betrug und Mord an
alien Ecken und Kanten!" Von Perotti, dem Kapellmeister der Maikuskircbe in
Venedig, scbwlrmt Nicolai, er erziblt von dem Liceo fllarmonico in Bologna,
bescbreibt Oper und Ball in Florenz und verweilt besonders ausfuhrlich (natfirlich !)
bei den rdmischen Verhiltnissen. Von der sixtiniscben Kapelle, der Peterskirche.
den Werken Palestrina's ist er entzfickt; die Karnevalsfreuden hat er flott mitgemacht
Der Brief, der nicht weniger als 13 Vt Druckseiten einnimmt, ist ein ruhrender
Beweis fur die grosse Liebe, die Nicolais Vater von seite seines Sobnes genosa.
Digitized by
Google
315
REVUE DER REVUEEN
ALLGEMEINE DEUTSCHE BIOGRAPHIE (Leipzig) 1904, Band 48. - Wir
geben gewiss nicbt fetal, weon wir annehmen, diss auch die in den fortlaufend
ersctaeinenden Nachtrlgen zu diesem biograpbischen Monumentalwerk enthaltenen
Musikerbiograpbieen in unserer „Revue" Erwfthnung find en sollen. Der eben zum
Abschluss gelangte 48. Band entbilt nictat weniger als zwdlf ffir die Musikgescbichte
in Betracht zu ziebende Artikel. Egon von Komorzynski bebandelt den alt
Opernkomponisten (»Ilka«, „ Wanda", „Judith* u. a) and F15tenvirtuosen bedeatenden
dsterreicbischenMusikerFranz D o p p 1 e r (1821—1883), Robert E i t n e r den preussischen
Komponisten und Dirigenten Heinrich Dorn (1804—1802). Deml732inSondersbau8en
verstorbenen berfihmten Orgelspieler und Musiktheoretiker Jobann Valentin Eckelt
widmet Eduard Jacobs einen kleinen Artikel. Robert Eitner liefert eine knappe
Biographie des Berliner Kapellmeisters Karl Eckert, von dessen kompositoriscben
Leistungen alles in Vergessenheit geraten ist bis auf ein einziges kleines Lied: „Was
das Kind verspracb, bat der Mann nicbt getaalten!* Ebenfalls von Eitner ist der
Artikel fiber den talentvollen Musikscbriftsteller and Komponisten Louis Ehlert
(1825—1884), dessen Bedeutung freilich in seinen literariscben Werken liegt:
„Briefe fiber Musik an eine Freundin", „R5mische Tage", w Aus der Tonwelt*.
Er verslumte keine Gelegenheit, dem Publikum das Verstindnis fur die Werke
von Schumann, Volkmann und Brabms, die er begeistert verehrte, zu vermittela,
zeigte sich dagegen ganz unempfinglicta fur die Richard Wagnersche Musik, fiber
die er nur spotten konnte. Der seinerzeit bochberfihmten TSnzerin Fanny Elssler
(1812-1884) folgt H. A. Lier auf ihren Wanderzfigen von Wien nach Neapel,
Berlin, Paris, Nordamerika und Russland wieder nach Wien zurfick. Max Fried-
laender zieht die Summe des Lebens und Wirkens Ludwig Erks, des berfibmten
Liedforschers. Dem wahrhaftigen, grfindlicben, kraftvollen schwibischen Musiker
Immanuel Faisst, der fur die evangelische Kircfaenmusik so viel getan hat und
die ersten Stuttgarter Musikfeste leitete (1823—1894) gilt ein Aufsatz Hermann
Fischers. H. A. Lier schreibt sodann fiber die 1872 in Colberg verstorbene
Sangerin Auguste von Fassmann, die, ausgezeicbnet durch einen fiberaus klang-
vollen und umfangreichen Sopran und eine edle, innige Ausdrucksweise und Dar-
stellung, namentlich in Gluckscben Rollen einst hochgefeiert war und in der
Armida ihre glinzendste Rolle hatte. Von Friedrich von Flotow sagt Robert
Eitner u. a.: ,Bei der leicbten, melodidsen Erflndungsgabe, die Flotow zu Gebote
stand, die allerdings sehr oft jeglicher edlen Empfindung entbehrte, und nur zu
sehr dem franzdsiscben oberflichlichen Gescbmack huldigte, war es ibm ein
leichtes, die Opera wie aus dem Armel zu schfitten.* Ein bewegtes Kfinstlerltben
ist das des Bassisten Karl Jobann Formes gewesen (1815—1889), das H. A. Lier
vor uns aufrollt. — Endlich weiht Rudolf v. Prochftzka dem Tondichter Robert
Franz eine zebn Druckseiten umfassende Biographie, in der er in mitunter sehr
scbwungvoller Form Eigenart und kfinstlerischen Wert des Komponisten ins rectate
Licbt stellt und ihn glficklich von verwandten Naturen, namentlich von Schumann,
unterscbeidet. Er erkennt in Franz einen „Ausgestalter und Vollender jener
Babnen, die seine Vorg&nger gewandelt", und „einen Meister, der unbeschadet der
eigenen Original itSt, unter den Segnuagen der Grossmeister Bacb und Hfindel,
auf dem Mutterboden des Volksliedes ein Kunstlied gescbaffen hat, welches die
Lieblicbkeit und den dramatiscben Schwung eines Schubert, die Klarbeit des
musikaliscben Baues eines Mendelssohn und die echt deutsche Gemfitstiefe eines
Schumann in glficklichster Weise verbindet."
Digitized by
Google
NEUE OPERN
Alfred Bruneau: „Dis Kdnigliche Kind*, Text nach Zola, wird als erste
NovitSt der „Op6ra comique" in Paris herauskommen.
Robert Erben: „Der Bettler" oder „Nummer 15" betitelt sich eine Oper,
deren Libretto von Hermann Erler stammt.
James Rothstein: .Ariadne auf Naxos", eine lyrisch-parodistische Operette
in zwei Akten und einem Prolog (Verse von Rudolf Presber, Dialog von
Josef Wiener-Braunsberg) gelangt im Laufe des kommenden Winters am
National-Theater in Berlin zur Auffuhrung.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Elberfeld: Direktor Gregor stellt fur kommenden Winter folgende Neuheiten
in Aussicht: B SSngerweihe a , Chordrama in zwei Akten von Christ,
von Ebrenfels, Musik von Otto Taubmann. (Urauffuhrung); „Ratcliff*,
Oper in drei Akten, Dichtung und Musik von Emilio Pizzi. (Deutsche
Erstauffuhrung); »Die schwarze Nina", Oper in drei Akten von Emit
Kaiser. (Urauffuhrung); „Fausts Verdammung", Dramat. Legende in
funf Akten von Hector Berlioz; „Haschisch", Oper in einem Akt von
Chelius; .LenzlQge", Drama in einem Akt von Heinrich v. Korff und
E. Brasso, Musik von Josef V. v. Wdss. (Urauffuhrung); „Zwiderwurz'n a
Oper in drei Akten von Ernst K or ten. (Urauffuhrung); „Die Statue" (la
statue), Oper in drei Akten von E. Reger. (Deutsche Erstauffuhrung.)
Petersburg: Dem Vernehmen nach sollen im n&chsten Winter deutsche
Wagner-Aufffihrungen stattfinden. Als Letter wird der Direktor des
Breslauer Stadt-Theaters, Dr. L6we, genannt.
KONZERTE
Darmstadt: Der Musikverein gedenkt in der Wintersaison aufzufubren: Max
Bruch (Lied von der Glocke); Beethoven (Missa solemn is); Mendels-
sohn (Walpurgisnacht) ; Wilhelm Berger (Totentanz); Willem de Haan
(Das Lied vom Werden und Vergehen); Brahms (Ein deutsches Requiem);
Bach Cantate G>Liebster Gott, wann werd' ich sterben").
Essen: Beim StSdtischen Musikfest zur Einweihung des neuen Stadtgarten-
saales am 1. und 2. Oktober wird unter Leitung des Kdnigl. Musikdirektors
G. H. Witte zur Auffuhrung gelangen: Bach (Phantasie und Fuge fOr
Orgel, Kantate w Freue dich, erldste Schar 44 ); Brahms (Varationen fiber den
Choral w St Antoni", Rhapsodie fur Altsolo und MSnnerchor, Soloquartette
^Abends" und w An die Heimat"); Beethoven (Klavier-Konzert, Die neunte
Symphonic); Liszt (Phantasie fur Orgel); Berlioz (Te deum Mr Soli, Cbor,
Orchester und Orgel); R. Strauss (unter Leitung des Komponisten:
Sinfonia domestica, Lieder, Taillefer, Ballade fur Soli, Chor und Orchester.)
Sol is ten: Pauline Strauss de Anna, Hermine Bosetti, Edyth Walker, Hans
Giessen, Dr. Felix von Kraus, Ferrucio Busoni, C. W. Franke.* Orchester:
Digitized by
Google
317
fi
UMSCHAU Q^FjJ
Das stldtisctae Orchester, verstirkt durch Mitglieder dcr Meiningcr und
Bfickeburger Hofkapelle und Musikcr aus K61n und andcrcn Nachbar-
8tidten. Festchor: Die aktiven Mitglieder des Essener Musikvereins und
des Borbecker Musikvereins (Dirigent: C. F61mer) sowie viele aodere Damen
und Herren aus Essen und Umgebung; ferner Schuler des hiesigen Kdnigl.
Gymnasiums (Leitung: L. Riemann); zusammen 400 Personen.
Leipzig: Die Direktion der Neuen Abonnementskonzerte hat fur den
kommenden Winter folgende Sol is ten gewonnen: Bernbard Stavenhagen,
Edouard Risler,Sofle Menter,Fritz Kreisler, Jaroslaw Kocian, Pablo de
Sarasate, Elsie Playfair, Irma Saenger-Settae, Ludwig Wfillner, Rudolf
Gmur, Ernestine Schumann-Heink, Ottilie Metzger-Froitzheim.
TAGESCHRONIK
Von besonderer Bedeutung scbeinen in diesem Jahre die Wagner-Fest-
spiele fur eines der scbSnsten VermSctatnisse des Meisters, die „Richard Wagner-
Stipendienstiftung", zu werden. Es soil nSmlich auf Beschluss des Komitees dieser
Stiftung danach getrachtet werden, die Stiftung bis zum 100. Geburtstage Richard
Wagners (22. Mai 1913) von 105000 Mk. auf mindestens 1 Million zu bringen. Zu
diesem Zwecke wurde ein Aufruf an die Besucher der diesjihrigen Festspiele ver-
fesst, die das erstemal um ihre Mithilfe angegangen werden sollen.
Der Wurzburger Universititsprofessor Prym schenkte aus Anlass des
hundertjahrigen Bestehens der Kdnigl. Musikschule in Wfirzburg fur un-
bemittelte Schuler 10000 Mk.
Vom 9. bis 11. Juli fand in Ravensburg das Schwibische Singer-
bundesfest start.
In dem Wettbewerb um den Ibach-Preis des KSlner Konservatoriums,
bestehend in einem von der Firms Rud. Ibach Sohn dem jedesmaligen besten
Klavierachuier gestifteten Flfigel, wurde der Preis unter 14 Bewerbern dem blinden
Pianisten Albert Menn zuerkannt
Zur Ehrung des Dichters und Komponisten Helnrich Albert, der vor 900
Jahren in Lobenstein (Reuss) geboren wurde, hat die Stadt Lobenstein am Rat-
haus eine Gedenktafel anbringen lassen.
Das Komitee Mr die Errichtung eines Richard Wagner-Denkmals in
Leipzig hat einstimmig Max Klinger mit der Scbaffung des Werkes beauftragt.
Es soil vor dem Alten Theater seinen Platz erhalten.
TOTENSCHAU
Josef Freiherr von Bezecny, der ehemalige Generalintendant der k. k. Hof-
theater zu Wien, 1st, 75 Jahre alt, am 17. Juni in Wien gestorben.
Der langjihrige Opern-Regisseur des Munchener Hoftheaters und Lehrer
an der Akademie fur Tonkunst, Robert MQUer, ist, 64 Jahre alt, gestorben.
64 Jahre alt veracbied der Librettist Moritz West (Pseudonym f&r Dr. Nitzel-
berger). Im Verein mit Ludwig Held schrieb West u. a. die Libretti zu den
Operetten wVogelhindler* 4 , „Obersteiger", „Vagabund", „Joconde".
In Konstantinopel starb Anfang Juli im Alter von nur elnigen dreissig
Jahren der vielgefeierte Violin virtuose Karl Wondra, der als 8jihriges Wunder-
kind seinerzeit das grdsste Aufsehen erregte.
In der Blute seiner Jahre starb am 26. Juli in Tegernsee das ausgezeichnete
Mitglied der Munchener Hofoper, der Bassist Kammersinger Viktor Kldpfer,
Digitized by
Google
KONZERT
PORTO ALEGRE (Sud-Brasilien) : Wenn icb Ihnen einen kurzen Bericbt ubcrdie
hiesigen musikalischen Verb<nisse erstatte, beschr&nke icb micb in der Haupt-
stcbe auf die der deutscben Kolonie (etwa 15000 Seelen bei einer Gesamteinwohner-
zahl von 80—100000). Der Brasilianer liebt und pflegt die Musik schr, doch kennt er
ausser der italienischen Oper und leicbteren Salonmusik wenig; so zwar, dass man fast
in jedem Hause Klavier spielt und oft sogar mit glSnzender Technik, docb in der Regel
nur bier fabrizierte valsas, tangos, bavaneiras usw., die irgendwelchen musikalischen
Wert nicht baben. Die augenblicklicb gastierende italienische Operntruppe begnugt sich
ausser „Tosca* mit den gangbaren ilteren Opern wie „Traviata", „Lucia von Lammer*
moor*, „Cavalleria", „Boheme" usw. und in einer Vorfuhrung, die den Preisen — 7 Mark
pro Platz — keineswegs entspricht. — Ein gutes und stSndiges Orchester gibt es nicbt
Es bilt meist schr schwer, aus den sogenannten „professores da musica* (?) weisser,
gelber und schwarzer Rasse, und Dilettanten ein halbwegs befriedigendes Ensemble von
30 Mann zusammen zu bringen. Der „Club Haydn*, dessen Mitglieder zu dreiviertel
Deutsche sind, versucht es mit einem solchen, jihrlich 5—6 Konzerte zu geben. An
grdssere und neuere Werke sich heran zu wagen, muss er notgedrungen vermeiden;
aucb flndet ein zu hiufiger Dirigentenwechsel statt; ich kenne innerhalb sechs Jahren
scbon 7—8, nicht gerade zum Vorteil der Darbietungen. Dass der Klub nicht schon
selig entschlafen ist, dankt man der unermudlichen Titigkeit des Prisidenten, Dr. Birn-
feld. Man hdrt Quartette und Symphonieen von Haydn, Ouverturen von Rossini, Boiel-
dieu, Verdi, auch einmal Mozart, Weber und Schubert. — Die erste deutsche Ge-
sellschaft „Germania" unterhfilt einen gemischten Chor, der sich immer grdsserer
Beliebtheit erfreut. In eben falls 5—6 Konzerten im Jahr hat er neben a cappella-Cbdren von
Mendelssohn, Schumann, Brahms usw. uns auch schon einige grdssere Sltere und neuere
Werke vorgefuhrt, wie Rombergs „Glocke" mit Orchester, .Spielmannsfahrt" von Hofmann,
„Prinzessin Use* von Bunte, „Schicksalslied" von Brahms, „Freuden der Gegenwart"
von Brambach, „Traumsommernacht" von Thuille, „Deutsches Liederspiel" von Herzogen-
berg u. a. Derselbe Chor hat auch einige wertvolle Kirchenkonzerte gegeben. — Sol is ten
von Bedeutung verirren sich selten hierher. ViannadaMotta's geniales Spiel fand leider
teilweise so geringes Verstindnis, dass er wohl nicht wiederkehren wird. Von ein-
heimischen Kunstlern hat nur die Sftngerin Iracema-Haensel Erfolg gehabt, der aller-
dings in erster Linie der LandsmSnnin^ gait. — Die verschiedenen Mftnnergesang-
vereine kdnnten Erkleckliches leisten, falls sie sich zusammenschliessen wollten, ein
Zukunftstraum bei der bekannten Vereinsmeierei der Deutscben. Fr. Kdhling.
REVAL: Die den Monat Mai ausfullenden Konzerte des Warschauer Philharmo*
ni8chenOrchesters unter Leitung des begabten, und temperamentvollen Dirigenten
Georg Schn6evoigt haben uns fur den im letzten Bericht erwfthnten Mangel an
Orchesterkonzerten im Winter reicben Ersatz gebracht. Durch stets interessante und
stilgerechte Programme, in denen die Moderne weitestgehende Berucksichtigung erfuhr,
hat Schneevoigt sich um unser Musikleben ein hoch anzuschlagendes Verdienst erworben.
Richard Strauss' w Tod und Verklirung", das wir jetzt erst kennen lernten, ubte, vor-
trefflich interpretiert, hinreissende Wirkung, wShrend freilich „Also sprach Zarathustra"
Digitized by
Google
aid
KRITIK: KONZBRT
und Hugo Wolfs „Penthesi)ea" mchr Befremden als Zustimmung hervorriefcn. Gross-
zfigig und packend vorgefuhrt, wurde Tschaikowsky's Sechste jubelnd begrusst. Ein
besonderes Interesse bcanspruchten die beiden hervorragendsten Vertreter der jungen
flnnlindischen Tonkunst, Armas Jimefelt und Jean Sibelius, als Gastdirigenten, yon
denen der erstere durcb ein reizvolles Miniatur-„Pr£Iude" und die stimmungsreiche
8ympbonische Dichtung „KorshoIm" starke Wirkungen erzielte, der letztere, zweifellos
ein genialer Musiker, diesmal in seinen grdsseren Werken, der zweiten (D-dur) Symphonic
und der „Saga", unschdne Neigung zu Bizarrerie und Formlosigkeit zeigte, in einem
wundervollen „valse triste" aber den Komponisten der „K5nig Christian"-Suite in seinen
liebenswurdigsten Zugen erkennen liess. Unter den Solisten zeichneten sicb vor allem
die vortretfliche Pianistin Frau Sundgren - Schneevoigt und der seelenvolle Geiger
Hermann Grevesmuhl aus. Das Abscbiedskonzert brachte dem Dirigenten und seinem
Orcbester sturmische Ovationen. Otto Greiffenhagen.
SONDERSHAUSEN: Die Gestirne an unserm musikalischen Himmel sind Fixsterae.
Selten nur zieht ein Meteor hier seine Bahn. Fflr das kunstversUtadige und ge-
niessende Publikum hat dies die Folge, dass es bei dem Gebotenen mehr nach dem
Was fragt als nach dem Wie, denn die Leistungen der bewihrten elnheimischen
KGnstler kennt und schStzt es. Da aber auch fur uns das Aktuelle Reiz hat, so
interessieren vor allem die Novitfiten, die der schneidige Leiter unserer Hofkapelle,
Prof.Schrdder, in seinen grossen Orchesterkonzerten zu Gehdr bringt. Die „Roman-
tische Ouverture" (Theuerdank) von L. Thuille trigt mit epischer Lebendigkeit den Auszug
und die Schicksale eines abenteuernden Ritters in treffendem Tonkolorit vor. Ein
romantisch-heroisches Geprfige ist auch der Ouverture zu „Le roi d'Ys" von Ed. Lalo
eigen, doch uberwiegt darin das kriegerische Element zu sehr das sentimentale. Die
„Symphonischen Tongedichte" von Schultze-Biesantz sind das Werk eines feinen, die
Form beherrschenden Musikers, dessen geistvoller Tonsprache man die Hinneigung zum
Melodischen noch etwas mehr wunschen mdcbte. Die w Symphonische Suite" von
G. Ndtzel ist reich mit volkstumlichen Elementen versetzt. Die Charakteristik der
Rhythmik und Instrumentation deutet auf Italien. Nationale Eigenart weist auch das
Hauptthema der .Danse persane" von Guirand auf, orientalische Monotonie druckt der
zuletzt fast zu geriuschvollen Komposition den Stempel auf. B Tod und Verkl&rung" von
Richard Strauss kam in wurdiger Art zur ersten Auffuhrung und daneben errang Max
Schillings mit dem „Hexenlied" hier, wie uberall, grossen Beifall. (Deklamation:
Emil Liepe.) Das farbenfunkelnde Orchesterwerk von Rimsky-Korsakoff „Scheherazade M
war, wie die tonmalerischen ^Impressions d'ltalie" von Charpentier, prickelnder Relze
voll. — In den Kammermusikabenden des vorigen Herbstes erwarben die Werke
der AuslSnder: C6sar Franck (Sonate A-dur fur Klavier und Violine), Saint-SaSns
(Sonate c-moll fur Klavier und Cello), A. DvoHk (Terzetto C-dur fur 2 Violinen
und Viola), Grieg (Streichquartett g-moll) viel Interesse und Beifall. Das inhaltreiche
Trio von Brahms fur Klavier, Violine und Horn in Es-dur h6rten wir zum ersten-
mal, und als Raritit und Kleinod imitatorischen Stils wurde das Konzert fQr zwei
Violinen von Joh. Seb. Bach genossen. — Ausser den elnheimischen Solisten, den
Herren Fischer (Klavier), Corbach und Braune (Geige), W5rl und Schilling (Cello)
ist das Kunstlerpaar Hugo RGckbeil und Emma Ruckbeil-Hiller aus Stuttgart zu nennen.
Der hervorragende Geiger machte uns mit einem neuen Konzert eigner Komposition
bekannt Karl Mayer und Emil Liepe gaben genussreiche Liederabende. M. Boltz.
-^ mm^t^
Digitized by
Google
ANMERKUNGEN ZU
UNSEREN BEILAGEN
Zu dcr Abhandlung von Tobias Norlind fiber die Gescbicbte der schwedischen Musik
gebdren die PortrSts von Francesco Antonio Uttini, J. M. Kraus, Edouird du
Puy, Ivar Hallstrdm, Franz Berwald, Ludwig Norman, August Sdderman,
Gunnar Wennerberg, Otto Lindblad, Wilhelm Stenhammar und Hugo Alfvln.
Es folgt eine Abbildung der Kdniglichen Musikakademie in Stockholm.
Den Breithauptschen Artikel illustriert das Port rat von Edvard Grieg nach dem be-
merkenswerten GemSlde von Erich Werenskjold in der diesjShrigen Ausstellung
der Berliner Sezession.
Auf den nSchsten Bl&ttern erblicken wir die PortrSts von Weyse (darunter ein Jugend-
bild) und Friedrich Kuhlau.
Zum Hammerichschen Aufsatz gehSrt das Bild von Niels W. Gade.
Es gereicht uns zu besonderer Freude, alsMusikbeilage diesmal ein Werk von Edvard
Grieg bringen zu kSnnen. „Zu deinen Fussen" ist den lyrischen Stucken fur
Pianoforte op. 68 des Meisters entnommen. Die Erlaubnis zum Abdruck ver-
danken wir dem liebenswurdigen Entgegenkommen des Verlages C. F. Peters,
Leipzig.
Nachdruck nur mit ausdrucklicher Eriaubnis des Verlages gestattet
Alle Rechte, insbesosdere das der Obersetsung, Yorbehalten.
Wr die Zordcksendung unrerlangter oder nicht angemeldeter Manuskripte, fall* ihnen nicht genugead
Potto beittegt, uberntamt die Redaktion keine Garantie. Schwer leserliche Manuskripte werden ungepruft zuriickgesandt.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin SW. 11, Luckenwalderstr. 1. III.
Digitized by
Google
WBE&7&
EDOUARD DU PUY
FRANCESCO ANTONIO UTT1NI
III. 22
JOSEF MARTIN KRAUS
Digitized by
Google
Digitized by
Google
FRANZ BERWALD
LUDWIG NORMAN
IVAR HALLSTROM
III. 22
Digitized by
Google i'
Digitized by
Google
AUGUST SODERMAN
OTTO LINDBLAD
GUNNAR WENNERBERG
III. 22
Digitized by
Google
Digitized by
Google
z
>
O
o
X
a
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
EDVARD GRIEG
NACH DEM GEMALDE VON
ERIK WERENSKJOLD
Digitized by
Google
Digitized by
Google
DANIEL FRIEDRICH RUDOLPH KUHLAU
CHRISTOPH ERNST FRIEDRICH WEYSE
JUGENDBILD IM ALTER
III. 22
Digitized by
Google
Digitized by
Google
NIELS W. GADE
III. 22
Digitized by
Google
Digitized by
Google
aus den Lyrischen Sfucken fur PianoForre
Op. 68 HeFh IX
von
EDVARD GRIEG
Mil- Genehmigung des Verlages
C.F. PETERS, LEIPZIG
X/
Digitized by
Google t$
iii
Poco Andante e molto espressivo.
cantab.
ft, 4
^
m
*m
-r
cresc.
rftWf. ftt0/*0
1*.
%&.
Piii mosso.
Digitized by
Google
stretto
Digitized by
Google
Tempo I.
eantab.eben ten,
4 s
Jr^
♦4a. •
Stlch u.Dracki Berlin* MoalkaHea Druckrrri 0.m.b.R. CbwlotJenbui*.
Digitized by
Google
DIE MUSIK
f \ J BBSBEB 8mL
,S.ArsCiE_F^.
Digitized by
Google
Tempo I.
cantab.eben ten
= : 2
to.
x tLi 'Uxi 'clu \d±j \du
to. to. to. to.
<r-$ .^.
''Ujj IlXij IJE-u 'iXlj l =5 ' JliXu
*-3 fa -,
■>-nn o
♦ to. *
Stlch u. Druekt Berliner lfnaikalleft DruckerH G.m.b.R. Charlottenbnrg.
Digitized by
Google
DIE MUSIK
,fy-rv-pirt\£i l
^S>Af^CjE.F^.
Digitized by
Google ^
Rudolf Krauss
Eduard Morike und die Musik.
Max Puttniann
Zur Geschichte der deutschen komischen Oper. I.
Dr. F. A. Steinhausen
Die Gesetze der Bogenfiihrung auf den Streich-
iastrumenten.
A. Nico. Harzen-Miiller
Liszt, Wagner und Biilow in ihren Beziehungen zu
Georg Herwegh. I.
Dr. Carl Leeder
Beethovens Widmungen (Fortsetzung).
Dr. Paul JBusching
Die Bayreuther Biihnenfestspiele 1904.
Besprechungen (Biicher und Musikalien).
Revue der Revueen.
Umschau (Neue Opern, Aus dem Opernrepertoire,
Konzerte, Tageschronik, Totenschau).
Kritik (Konzert).
Anmerkungen zu unseren Beilagen.
Kunstbeilagen.
Anzeigen.
DIE MUSIK erscheint monatllch zwel Mai. Abonnements-
preis fur das Quartal 4 Mark. Abonnementspreis fur den
Jahrgang 15 Mark. Preis des einzelnen Heftes 1 Mark.
Vierteljahrseinbanddeckcn a 1 Mark. Sammelkastcn fur die
Kunstbeilagen des ganzen Jahrgangs 2,50 Mark. Abonnements
dureh jede Bueh- und Musikalienhandlung, fiir kleine Platze
ohne Buchhandlcr Bezug durch die Post: No. 5355a
II. Nachtrag 1903.
Digitized by
Google
Jer Dichter 1 ) hatte in tiefster Zuruckgezogenheit seinen sieb-
igsten Geburtstag gefeiert und sich fruhzeitig schlafen gelegt.
Da erklang plotzlich durch die Stille des Abends ein voller
lusikakkord, wie zum Fenster herein zogen herrliche harfen-
ahnliche Tone, die sanft und lieblich im kleinen Zimmer verhallten.
Morike rief aus seinem Schlafgemach heraus: „Wo ist Musik?* Seine
Angehdrigen konnten ihm nur ihre Verwunderung aussprechen. Geheimnis-
voll, wie sie gekommen waren, verklangen die Tone. Da sagte Morike:
,Es bedeutet mich. Das ist mein letzter Geburtstag. * — Und es war
sein letzter.
Einer, der ihm in seinen letzten Jahren nahegestanden hat, erzahlt
dies. Wie gering auch unsere Neigung sein mag, an einen realen Vorgang
zu glauben, der diesem Bericht zugrunde 'gelegen habe, so ist doch die
Geschichte in doppelter Hinsicht fur Morike charakteristisch genug. Hat
er doch stets zum Mystizismus geneigt und das Hereinragen einer tiber-
sinnlichen Welt in unsere sinnliche zum mindesten nicht zu leugnen gewagt.
Und ferner — wie schon passt die Sage, dass Harfentone sein Ende ver-
kiindet haben, auf ihn, dem die Musik einer der leuchtendsten Leitsterne
seines Lebens gewesen ist.
Morike war nicht nur Poet aus dem tiefsten und innersten Grund
seines Wesens: er war eine alle Gebiete der Kunst umfassende Kiinstler-
natur. Er zeigte sich fur bildende Kunste und Kunstgewerbe, fur Mimik
und Musik Fast gleichmassig begabt. Er zeichnete hubsch, namentlich
Karikaturen, ohne regelrechten Unterricht gehabt zu haben. Zeitgenossen,
die Proben seines deklamatorischen Talents und seiner Nachahmungsgabe
zu kosten bekommen hatten, waren der Ansicht, dass ein grosser Schau-
spieler, insbesondere Charakterkomiker, an ihm verloren gegangen sei. Und
dass ein Lyriker von seinem Range nicht aus dem Reiche der Harmonie
verbannt gewesen sein kann, versteht sich von selbst. Man kann sich ganz
gut einen Dramatiker, einen Epiker vorstellen, dem die Tonkunst ein Buch
mit sieben Siegeln ist: nicht aber einen Liederdichter. Jedes echte Lied
Mit Benutzung seiner gedruckten und ungedruckten Briefe.
21'
Digitized by
Google
324
^ DIE MUSIK III. 23. O^Ov
muss ja seine innere Melodie in sich selbst tragen, und ohne angeborenes
Gefiihl fur Rhythmik und Melodik gibt es keinen echten Lyriker. Lied
und Gesang sind in den Kinderzeiten der menschlichen Kultur eins ge-
wesen, und auch jetzt noch feiern die zwei Schwesterkiinste, nachdem sie
sich langst getrennt haben, ihre schonsten Triumphe, wenn sie sich wenigstens
von Fall zu Fall wieder miteinander vermahlen. Der berufene Lieder-
dichter muss so gut wie der Liederkomponist im Innersten diese Verwandt-
schaft fiihlen, und kaum einem zweiten ist sie so klar zum Bewusstsein
gekommen als eben Eduard Morike. Er war von der gemeinsamen gott-
lichen Herkunft beider tief durchdrungen. Schon ein einzelner abgerissener,
aus einem Fenster beim Voriibergehen an unser Ohr getragener Akkord,
der nur von dorther kommen kann, trifft uns wie elektrisch und halt
uns wie gebannt fest — bemerkt er einmal in seiner Mozart-Novelle.
Und nun vollends ein ganzes musikalisches Kunstwerk! „Der Mensch
verlangt und scheut zugleich, aus seinem gewohnlichen Selbst vertrieben
zu werden, er fiihlt, das Unendliche wird ihn beriihren, das seine Brust
zusammenzieht, indem es sich ausdehnen und den Geist gewaltsam an
sich reissen will.**
Die einfachsten naturlichen Gerausche vermochten in Morike poetische
Stimmungen auszulosen. Durch nichts, erklarte er einmal, werde seine
Einbildungskraft lebhafter befordert als durch die dichte Nahe eines tosen-
den Wassers. Der Wellenschlag des Bodensees — das Meer hat er ja
nie gehort — war ihm eine besonders liebliche Melodie. Die Gewitter-
akkorde gaben, wie er es selbst ausgedriickt hat, seinen Traumereien eine
kraftigere und freudigere Gestalt. In den Tonen der lebenden Wesen alle,
die da die Natur bevolkern, lag fur ihn ein geheimnisvoller Sinn: im Ge-
summe der Bienen, im Gegacker der Hiihner, vor allem im Gesang der
Vogel. Er war nicht nur Liebhaber, sondern auch genauer Kenner ihrer
Stimmen. „In diesem Augenblick", schreibt er eiamal an seinen Freund
Hartlaub, »singt ein Vogel vor meinem Fenster in unbeschreiblich melo-
dischen Tonen und fein, wie die dunnsten Silberfaden, und trillert dabei".
Der Nachtigall, dem Distelfink zu lauschen, war ihm eine hohe Lust, und
der Ruf des Kuckucks lockte ihn weithin. Der Amselgesang hatte ihm
.durch seine Selbstzufriedenheit von jeher etwas riihrend Komisches".
Sein erklarter Liebling unter der befiederten Welt war jedoch der Star,
an dessen possierlichem Wesen er sich mit dem ihm eigenen kinderfrohen
Humor zu ergdtzen pflegte. In seinen landlichen Aufenthalten hielt er
sich meist ein Exemplar dieses Vogels. So als Pfarrvikar im Dorf Moh-
ringen auf den Fildern. Er fand den Gesang seines damaligen Lieblings
„dfters unbeschreiblich schon und weich, aber freilich meistens zerstuckt
und wie die ruhrende Armlichkeit einer Drehorgel, auf deren Walze bei
Digitized by
Google
325
KRAUSS: EDUARD MORIKE UND DIE MUSIK
der Melodie einige Stifte fehlen." Und iin „Maler Nolteri* nennt er die
Tone des Staren „silbergesponnene Faden, tausendfaltig zu Filigran ge-
krauselt".
Neben den Naturlauten waren es von Menschen verursachte Gerausche,
von den einfachsten bis zu den hochsten kiinstlerischen, die auf ihn
akustische Wirkungen hervorbrachten. Der gleichmissige Larm des
Dreschens gait ihm als „ein traulicher winterlicher Klang, nach dessen
Takte das Herz sich so recht geniigsam einspinnen kann". Auch Sensen-
geklirr liebte er. Zur „einformigen Spindel-Melodie" sang ihm sein Inneres
die stissesten Marchen vor. Das Summen des Topfes im Ofen heimelte
ihn besonders an. Selbst die Trompetensignale aus der Kaserne konnten
ihm ein liebliches Getone sein. Lieber noch bot er sein Ohr den Glocken
des weidenden Viehs. Den feierlichen Glockenklang liebte er ausser-
ordentlich; war es ihm doch sogar ein Vergniigen, sich in Glockenstuben
aufzuhalten. Seine Gedichte legen von dieser Neigung mannigfaches Zeug-
nis ab, so z. B. das „Auf einem Kirchturm* betitelte:
Ein Glockentonmeer wallet
Zu Fussen uns und ballet
Weit uber Stadt und Land.
So laut die Wellen schlagen,
Wir fuhlen mit Behagen
Uns hoch zu Schiff getragen
Und blicken schwindelnd von dem Rand.
Das traumerische Fliistern der Windharfen war ihm eine liebe Ludwigs-
burger Jugenderinnerung, die er spSter im Weinsberger Kernerhaus wieder
auffrischte. Im „Maler Nolten" vergleicht er die Stimme der Zigeunerin
Elsbeth mit den schwermutigen Kldngen einer Aolsharfe; die Lauscher
meinten, es seien hier Geisterlaute erwacht, bis endlich ihre Tone einen
dustern leidenschaftlichen Charakter annahmen und wirbelnd, w wie ein
wild aufflatterndes, schwarzes Tuch", in die Luft schlugen. Man kann sich
nach diesen Proben vorstellen, welche Bedeutung die kunstvollen und
kunstvoll gehandhabten Instrumente sowie die menschliche Singstimme fur
Morike gehabt haben. Zumal wenn der Gesang holdem Frauenmund ent-
stromte, von dem es in dem „An eine Sangerin" gerichteten Distichon heisst:
Niemand argert sich mehr, ja entzuckt steht selbst der Philister,
Fuhlt, in des Schonen Gestalt, ewige MSchte sich nab.
Wie schon auf den siebenzehnjahrigen Jungling die Musik als solche
gewirkt hat, das hat er selbst mit wunderbaren Worten in einem Briefe
an seinen Freund Wilhelm Waiblinger geschildert:
,Ich sage Dir, eine bewegliche, nicht gerade traurige Musik, oft eine frdhliche,
kann mir manchmal mein Innerstes ldsen. Da versink ich in die wehmutigsten
Digitized by
Google
326
DIE MUSIK III. 23.
Phantasien, wo ich die ganze Welt kQssend voll Liebe umfassen mSchte, wo mir das
Kleinliche und Schlimme in seiner ganzen Nichtigkeit und wo mir alles in einem
andern, verklarten Lichte erscheint. Wenn die Musik dann abbricht, mScht ich in
meiner Empfindung von einer hohen Mauer herabsturzen, mocht ich sterben; so gings
mir damals bei dem herumziehenden Harfner."
Ja, die Natur hatte in diesen gottbegnadeten Dichter zugleich einen
tief innerlichen Hang zur Tonkunst gelegt. Man priife nur einmal seine
Geisteserzeugnisse daraufhin! Schon seine Prosa, Novellistik wie Briefe,
ist voll von Ausdriicken und Vergleichen aus der musikalischen Sphare.
Aber noch weiter: im Periodenbau, in der Wortzusammenstellung, im Ton-
fall erreicht sie die feinsten akustischen Wirkungen. In noch hoherem
Masse gilt dies von seiner Lyrik. Selten hat ein Dichter ein so feines
Ohr fur melodischen Wohllaut der Sprache, fiir eine dem Inhalt sich eng
anschmiegende Besonderheit des Rhythmus gehabt. In seinen Gedichten
lassen sich die prachtigsten Klangfiguren und iiberraschende Tonmalereien
in Fulle nachweisen.
Das innere Verhaltnis zu einer Kunst wird im Grunde genommen
von ihrer technischen Beherrschung wenig beruhrt. Es gibt Menschen,
die, ohne je einen Vers gedrechselt zu haben, ungleich poetischere Naturen
sind als andere, deren Namen im Dichterlexikon prangen. Und ebenso
kann einer das feinste Organ fur Harmonik besitzen und doch nicht im-
stande sein, ein Musikstuck eigenhandig auszufuhren. Diese Bemerkung
trifft auch auf Morike zu. Er hat selbst kein Instrument regelrecht ge-
spielt. Wohl wunschten seine El tern, denen nattirlich die aussergewohn-
liche musikalische Beanlagung des Knaben nicht verborgen blieb, er solle
Unterricht im Klavierspiel nehmen: aber wider Erwarten weigerte er sich
entschieden mit der Begrundung, dass er sonst, wie sein Freund Hermann
Hardegg, iiberall mit hingehen und aller Welt vorspielen musse. Dabei
verharrte er, und zwingen wollte man ihn nicht. Er mag diesen kind-
lichen Eigensinn spfiter oft genug bereut haben. Doch eignete er sich
wenigstens etwas technische Fertigkeit im Lauf der Jahre an. Er ver-
stand Noten nicht bloss zu lesen, sondern auch kunstgerecht zu schreiben,
und es hat ihm oftmals Spass gemacht, irgend ein Lied als Geschenk fur
einen guten Freund in zierlichen Noten sorgsam auf ein schdnes Stuck
Papier zu malen. Wenn er sich allein wusste, so versuchte er, so gut es
eben ging, zu singen oder den Tasten seines Klaviers, wahrscheinlich nur
mit einzelnen Fingern, Tone zu entlocken. Am 26. November 1829 ver-
sicherte er in einem Briefe seine Braut Luise Rau, dass er nach Herzens-
lust gesungen und musiziert habe. Am 23. November 1840 schrieb er
von Cleversulzbach aus seinem Freunde Hartlaub: „Ich bin bald am
Klavier, bald bei der Hobelbank", am 26. Oktober 1842 ausserte er sich
Digitized by
Google
327
KRAUSS: EDUARD MORIKE UND DIE MUSIK
gegen letzteren: w Wer jetzt mein Handwerkszeug und meine Noten sahe,
konnte mich fur einen ebenso guten Schreiner als Klavizimbalschliger
halten, welches gewissermassen auch seine vollkommene Richtigkeit hat",
und in einem Hall den 1. Juni 1844 datierten Brief an Hartlaub heisst es,
dass er dem bei ihm zu Besuche weilenden Tdchterchen des Freundes zur
Erheiterung eigenhMndig „une grande sonate" vorgespielt habe. Wie weit
Morikes rausikalisches Gedachtnis und Urteilskraft ttber das dilettantische
Mass hinausgegangen ist, zeigt folgende ungedruckte Stelle aus einem 1830
an Hartlaub gerichteten Schreiben: „Hetschs Komposition der Rohtraut
ist freilich sehr schon und ungemein edel gefasst. Urn desto mehr konnte
der eine zufallige Makel, den es hat, verdriessen. Es erinnert namlich
von vorneherein an jenes sizilianische O sanctissima. Nicht nur ich, auch
die beiden MSdchen kamen sogleich selber darauf. So etwas kann dem
reichsten Mann passieren. Aber Kunstler und Dichter sollten dergleichen
Reminiszenzen, wo moglich, vertilgen, nicht urn ihre OrigtnalitMt zu sal-
vieren, sondern weil sie dem feineren Hdrer den Genuss durch eine uber-
quer kommende fremde Idee nicht wenig storen. Willst Du dem Hetsch
nicht schreiben? Es wMre schad urn das prdchtige Ding!"
Ein Klavier hatte Morike schon in den Zeiten des Pfarrvikars auf
seinem Zimmer. Es war ein nichts weniger als tadelloses Instrument.
Er selbst charakterisiert es einmal als „Schulmeistersquik-Instrument a und
„ausgetrockneten, ungesalzenen Hering (( . Das Mobel begleitete ihn in sein
eigenes Cleversulzbacher Heim und in seine spateren Haller und Mergent-
heimer Aufenthalte; im Jahre 1847 schlug er es jedoch wegen Alters-
schwMche los. In Stuttgart erstand er im Januar 1865 wieder ein Klavier,
als sein Ml testes Tdchterchen Fanny Unterricht bekommen sollte. Es fehlte
bei ihm also nicht an Gelegenheit, Hausmusik zu machen, und diese wurde
fleissig benutzt, zumal wenn er musikkundige Besuche bekam.
Und Mbrike lebte in einer musikalischen Umgebung von fruhester
Jugend an. In seinem Elternhause wurde die edle Tonkunst eifrig ge-
pflegt, und seine Geschwister hatten fast alle dazu Neigung und Anlagen.
Insbesondre Mdrikes alterer Bruder Karl, der, nachdem er in der Beamten-
laufbahn SchifFbruch gelitten hatte, sogar eine Zeitlang als Musiklehrer
sein Fortkommen suchte. Er komponierte und lieferte unter andrem zwei
von den Liedervertonungen, die dem „Maler Nolten" beigegeben sind.
Auch Morikes Mltere, frtih verstorbene Schwester Luise war musikalisch,
ebenso die jungere, Klarchen, des Dichters unzertrennliche und unentbehr-
liche Hausgenossin seit seinem 30. Jahre. Sie spielte Klavier und pflegte
ihm mit ihrer diinnen Stimme die neuesten Kompositionen seiner Lieder
vorzusingen. Es ist schwerlich Zufall, dass auch Morikes nMhere Freunde
fast alle in engen Beziehungen zur Tonkunst gestanden haben. Vor allem
Digitized by
Google
328
DIE MUSIK III. 23.
Wilhelm Hartlaub, an den er sich schon im Uracher Seminar innig an-
schloss. Hartlaub war ausgezeichneter Klavierspieler, begeisterter Ver-
ehrer und feiner Kenner der klassischen Musik, namentlich Haydns, zu-
gleich Sammler, der bedeutende NotenschStze hinterliess. Die drei Pfarr-
hauser zu Wermutshausen, Wimsheim und Stockenburg, die er der Reihe
nach bewohnte, waren StStten der prachtigsten deutschen Hausmusik.
Wenn Mdrike dort, was haufig genug geschah, zu Besuch weilte, pflegte,
wie er selbst einmal geaussert hat, die HMlfte ihres gemeinsamen Lebens
musikalisch zu sein und dreiviertel davon Liedermusik. Ebenso waren
eine Reihe andrer werdender Theologen aus Morikes Uracher Freundes-
kreis, wie der treffliche Violinspieler Kaferle, der Tonkunst eifrig ergeben.
Dasselbe gilt von dem vertrautesten unter den Freunden, die Mdrike als
Student in Tubingen neu gewann, von dem nachmaligen Stuttgarter Gym-
nasialprofessor und Dichter Ludwig Bauer. Seine Starke lag im Phanta-
sieren auf dem Flfigel, wobei er an Schubart erinnerte; auch schrieb er
fiber Musik. Ferner traf Morike auf der Universitat zwei musikalische
Ludwigsburger Jugendgefahrten, den Komponisten Friedrich KaufFmann und
dessen spfiteren Schwager Rudolf Lohbauer. Wenn ihm jener die Glucksche
Iphigenien-Ouverture vorspielte oder beide zusammen ein Duett, etwa aus
Cimarosa's „Heimlicher Ehe a , vorsangen, gehorte so etwas zum Bestande
seiner unvergesslichen Erinnerungen. Ein wahrer Festtag war es ihm
vollends, als einmal ihm, dem frischen Pfarrvikar, der in Tubingen einen
Besuch abstattete, die dort zuruckgebliebenen Freunde den ganzen „Don
Juan* vorffihrten.
LMnger als vier Jahre, von 1829 bis 1833, war Morike mit dem
Pfarrerstochterchen Luise Rau verlobt; das Verhfiltnis wurde spSter aus
ausseren Grunden leider wieder gelost. Luise war ein gar einfaches
MSdchen: aber die Musik pflegte auch sie. Wenn sie abends am Klavier
den Tag zur Ruhe sang, dann war es ihm, nach seinem eigenen Bekenntnis,
als schlosse sich ihr geheimeres Leben fur ihn auf, „wie es Pflanzen gibt,
die am Abend erst leise ihre schiichternen Kelche offnen." Und ein ander-
mal schrieb er ihr fiber ihren Gesang:
•Dies Dein Talent ist in meiner Vorstellung von Dir so ganz und unzertrennlicb
mit Deinem geistigen Wesen verwachsen, dass ich es kunftig zu keiner Zeit werde
entbehren kSnnen. Nie tritt auch Deine Seele so rein und anscbaulich aus ibrer Tiefe
bervor, als wenn Du jene unvergesslichen Lieder singst, unter denen sich mein Herz
zum erstenmal zu Dir hinbewegte. Denk icb dieser Zeiten, jener Abende — weisst
du? — so ist mir, ich trite in das innerste Heiligtum unserer Liebe, und ich musste
die FUnde falten im glucklichsten Gefuhle Deines Wortes."
Als Cleversulzbacher Pfarrherr sass Mdrike inmitten musikalischer
Nachbarschaft. Mit seinen Verwandten im nahen Neuenstadt, den durch
Pillen reich gewordenen Apotheker Morikes, unterhielt er regen Verkehr.
Digitized by
Google
^
329
KRAUSS: EDUARD MORIKE UND DIE MUSIK
Sie machten ein grosses Haus, und die junge Frau Marie Morike, geborene
Seyffer, sang wunderschon. Als ihn das Ehepaar einmal in Cleversulzbach
besuchte, berichtete er an Hartlaub daruber: „Man diskurrierte da ein
ganzes Potpourri von Musik zusammen; zum Singen kam es nicht." Er
hat seiner sangesfrohen Base manches Gedicht gewidmet, darunter die
schonen Verse:
Deines Tages reiche Fulle,
Ganz empfindest du sie erst,
Wenn du in der nacht'gen Stille
Einsam dich zur Muse ketarst,
Die zu vollen Himmelstonen
Deine Lippen bat geweibt,
Jede Freude zu verscbonen
Und zu klagen jedes Leid.
Doch wie du den Freund entzuckef,
Perlend in der Tdne Licht,
Himmlischer furwahr beglucket
Dich die Muse selber nicht.
In Heilbronn weilte seit 1842 Freund Kauffmann als Reallehrer
und zur selben Zeit im benachbarten Ort Sontheim das jung vermahlte
Straussische Ehepaar. Dort verlebte Morike heitere Stunden. Strauss'
Gattin, die gefeierte Opernsangerin Agnese Schebest, fand sich mit Anmut
in ihre neue Hausfrauenwiirde, und mit Vergnugen bemerkte der Dichter,
wie sie eine Reliquie aus der Theaterzeit, die stahlgraue Tunika, die sie
einst als Sextus in Mozarts „Titus« getragen hatte, zu einem Kinder-
kittelchen mit roten Litzen umarbeitete. Von den Liedern, die ihm Frau
Agnese vorsang, meinte er: „Es gab den Eindruck der Vollkommenheit
und sattigte die Seele." Freilich tonte schon in die damalige Festesfreude
etwas von jenen schrillen Missklangen herein, die allzubald die Ehe des
kampflustigen Theologen und der Kiinstlerin trennen sollten. Noch manches
musikalische Pfarrhaus befand sich in Cleversulzbachs Nachbarschaft, wo
Morike gern einkehrte. Auch spfiter in Stuttgart hielt er trotz seiner
Zuruckgezogenheit mit musikalischen Kreisen einigermassen Fuhlung. Die
Liederkomponistin Emilie Zumsteeg nannte er seine Freundin. Manchmal
freilich konnte ihn unzeitige und unerbetene Musik zur Verzweiflung bringen,
und wenn in seiner Stuttgarter Mietswohnung uber ihm „gebeethovelt"
wurde, wahrend er an seiner Mozartnovelle dichten wollte, blieb ihm kein
anderes Rettungsmittel, als von seinen „Ohrenstopseln" Gebrauch zu machen.
Morike stand mit seinem ganzen Freundeskreis entschieden auf dem
Boden der klassischen Musik. Er bewunderte die Meister des Oratorien-
stils, Glucks Hoheit, Beethovens gigantische Grosse; Handschriftenfreund
Digitized by
Google
P
330
DIE MUSIK III. 23.
und Handschriftenkenner, der er war, tibte er sich sogar darin, des letzt-
genannten Zuge nachzuahmen. Auch Haydn liebte er, obschon dieser ihm
teilweise zu zopfig vorkam. Fur ein Musikstiick dieses Meistcrs brachte
er den bezeichnenden Namen „Komplimentenmacher a auf; w es ist eben,
als wenn zwei Herrn, der eine mit dem Hut in der Hand, sich unter der
Ttire verabschieden, sie konnen nicht enden und fangen immer wieder von
vorne an zu schwatzen." In einem artigen Sinnspruch hat er Haydn also
charakterisiert :
Manchmal ist sein Humor altfrankisch, ein zierlictaes Zopfiein,
Das, wie der Zauberer spielt, schalkhaft im Rucken ihm tanzt.
Aber Morikes erklarter Liebling war und blieb Mozart. Zumal im
„Don Juan* erblickte er seit fruherjugend die hochste musikalische Offen-
barung. Wie selten er sonst das Theater besuchte, Hess er sich eine Vor-
stellung dieser Oper nur ungern entgehen. Wehmiithig-siisse Erinnerungen
kniipften sich fur ihn daran. Wenige Tage vor dem jahen Tode seines
geliebten Bruders August hatten sie einer Auffuhrung des „Don Juan" auf
der Stuttgarter Hofbiihne in frohlicher Gesellschaft beigewohnt. Die „Hoch-
zeit des Figaro* war ihm kaum minder ans Herz gewachsen, und einen
„seltsamen Traum", den der Schalk nach einem durch jene Oper bereiteten
glticklichen Theaterabend gehabt haben will, hat er in einem htibschen
Sonett verewigt. Schliesslich hat Morike dem Meister fiir die vielen Ge-
nusse, die ihm dieser schuf, durch die liebenswtirdige Novelle „ Mozart
auf der Reise nach Prag" wtirdigen Grossdank abgestattet. Wie zart und
sinnig und doch zugleich wie naturlich und lebenswahr hat er Mozart mit
seiner Konstanze gezeichnet, die beiden durch eine Ftille von Einzelztigen
und Anekdoten uns menschlich nahezubringen gewusst ! Und wie wunder-
voll hat er seine Musik auszulegen verstanden! Wenn er z. B. ein
Mozartsches Klavierkonzert als „eines jener glanzenden Stiicke" charakte-
risiert, „worin die reine Schonheit sich einmal wie aus Laune freiwillig in
den Dienst der Eleganz begibt, so aber dass sie, gleichsam nur verhiillt in
diese mehr willktirlich spielenden Formen und hinter eine Menge blendender
Lichter versteckt, doch in jeder Bewegung ihren eigensten Adel verrat und
ein herrliches Pathos verschwenderisch ausgiesst." Oder wenn er von der
„Arie Susannas in jener Gartenszene* spricht, „wo wir den Geist der sussen
Leidenschaft stromweise, wie die gewiirzte sommerliche Abendluft, ein-
atmen". Den musikalischen Hohepunkt erreicht die Mozartnovelle an der
Stelle, wo der Dichter den Meister seinen frisch vollendeten w Don Juan"
selbst vortragen lasst, wo er die Kirchhofszene und das Finale samt ihrer
Entstehung schildert. „Wie von entlegenen Sternenkreisen", heisst es da,
„ fallen die Tone aus silbernen Posaunen, eiskalt, Mark und Seele durch-
schneidend, herunter durch die blaue Nacht."
Digitized by
Google
331
KRAUSS: EDUARD MORIKE UND DIE MUSIK
Ein andermal kam dem Dichter mitten in den Schauern eines Ios-
brechenden Gewitters die Titus-Ouverture in den Sinn :
„Der the Mozart", schreibt der damalige Pfarrvikar an einen Freund, .muss in
diesen Augenblicken mit dem Kapellmeisterstlbchen unsichtbar in meinem Rucken
gestanden und mir die Schulter beruhrt haben, denn wie der Teufel fuhr die Ouverture
zum Titus in meiner Seele los, so unaufhaltsam, so pr&chtig, so durchdriogend mit
jeoem oft wiederbolten eheraen Schrei der rdmischen Tuba, das sich mir beide F&uste
vor Entzucken ballten.«
Fur die nachklassische Musik hatte Morike entfernt nicht dasselbe
VerstMndnis wie fur die klassische. Schon sein Urteil uber Mendelssohn
war schwankend, zwischen Bewunderung und Abneigung geteilt. „Auf
Mendelssohns Lieder ohne Worte*, schrieb er am 6. Mai 1838 an Hart-
laub, „freu ich mich ausserordentlich. Ich habe eine Ahnung, als wftre
dies etwas mir besonders Angemessenes". Im April 1853 horte er in
Stuttgart die Musik zur „Antigone a bei einer Vorlesung der Tragodie durch
den beriihmten Charakterdarsteller Karl Grunert. Er hatte nicht das
giinstigste Vorurteil, erwartete vielmehr von Mendelssohn „bei seinem
Mangel an naturlicher Erfindungskraft allerlei herausgekitzelte Absonder-
lichkeiten". Urn so angenehmer war er enttfiuscht. „Ich kann mir*, ge-
stand er, „keine wurdigere und edlere Behandlung dieser Aufgabe denken.
Unzahligemal traf bei mir der poetische und musikalische Eindruck der-
massen zusammen, dass ich's den ganzen Rucken hinauf rieseln fuhlte",
Im vorgeriickteren Alter nahm Morikes Abneigung gegen die moderne
Musik mehr und mehr zu. Man muss allerdings hinzufugen, dass er, der
Opern und Konzerte nicht mehr besuchte, mit ihr zu wenig vertraut war,
urn uber sie ein abschliessendes Urteil zu haben. Als ihm einmal Frau
Maria Morike in Neuenstadt ein PortrSt Liszts schenkte, meinte er, das
sei „ein musikalisches Gesicht". Die boshaften Bemerkungen uber die
Zukunftsmusik, die sein Freund Moriz von Schwind zu machen pflegte,
fielen bei ihm auf fruchtbaren Boden. Beide nahmen entschieden fur
Franz Lachner gegen Richard Wagner Partei, obgleich der Schwabe im
besten Fall nur einzelne Bruchstucke aus Wagnerschen Tondramen gehort
haben kann.
Fur eine Art von Musik, die jenseits aller Richtungen und Parteiungen
liegt, hat Morike zeitlebens das warmste Herz und das feinste Verstindnis
gehabt: fur den Volksgesang. Das konnte ja auch gar nicht anders sein
bei einem Dichter, dessen eigene Lyrik so tief in dieser musikalischen
Gattung wurzelt, und der Lieder geschaffen hat, die in Ton und Sprache,
Stimmung und FSrbung uralten, zeit- und namenlos aus dem Bewusstsein
der Ungebildeten emporgetauchten Volksliedern zum Verwechseln fihnlich
sehen. Hatte der Schalk doch einmal seinem Freund Hartlaub vorgespiegelt,
Digitized by
Google
332
DIE MUSIK III. 23.
class er das frisch entstandene „Wir Schwestern zwei, wir schonen* aus
dem Munde einiger Dirnen vernommen habe, und glaubhaft genug klang
die Unterschiebung. Es war ihm ein besondrer Genuss, wenn er Madchen
und Burschen beim Singen belauschen konnte, und als Cleversulzbacher
Pfarrherr legte er den seiner geistlichen Obhut Befohlenen wohl manchmal
eine derartige Kontribution auf. Wenn Du hierher kommst", lesen wir
in einem seiner Briefe an Hartlaub, 9 mahne mich doch dran, dass ich
Dir auch das Volkslied ,In dem AllgSu da waren zwei Liebchen' durch
hiesige MSdels vorsingen lasse!"
Zum Singen hat Morike einen grossen Teil seiner Gedichte von vorn-
herein bestimmt. Nicht selten machte er selbst w&hrend dem Entstehen
die praktische Probe darauf, indem er das im Werden Begriffene vor sich
„hinbrummte". Diese Erzeugnisse seiner Muse haben denn auch seit
seinem ersten Hervortreten bis zur jungsten Gegenwart herab durch ihre
rhythmische Bestimmtheit, ihren melodischen Fluss und ihren sprachlichen
Wohllaut zahllose Komponisten angelockt und bieten fur sie uberaus
dankbare Aufgaben, weil sie ihnen einerseits durch ihre kiinstlerische Be-
schaffenheit sehr weit entgegenkommen und andrerseits doch noch genug
Spielraum fur subjektive musikalische Auffassung lassen. Morike selbst
hat an den Vertonungen seiner Lieder naive Freude empfunden, und es
gereichte ihm zur Befriedigung, wenn immer wieder neue Sendungen
solcher bei ihm anlangten. Schwester Klara und Hartlaub waren die
ersten, die ihm die neuen Weisen vorsingen mussten; dann horte er sie
wohl auch von den kunstgeubteren Stimmen einer Marie Morike oder
Agnese Schebest. Ein besondres Fest war es ihm, als ihm einst in Mergent-
heim ein HSuflein Seminaristen mit Liedern von ihm ein Standchen
brachte. Morike war auch fur die Musiker, die sich mit seinen Gedichten
beschMftigten, leichter als fur andre Sterbliche zuganglich; Hess er sich
doch sogar herbei, seinem w Jagerlied a auf Wunsch eines Komponisten eine
dritte, in seine Gedichtsammlung allerdings nicht aufgenommene Strophe
zuzufiigen.
Die ersten, ziemlich dilettantischen Versuche, Morikesche Lieder in
Musik zu setzen, ruhrten von seinem Bruder Karl her. Dann folgten des
Dichters engere Landsleute und personliche Freunde Friedrich Kauffmann
und Ludwig Hetsch. Auch untereinander nah befreundet, teilten sie sich
in die musikalische Bearbeitung der gesamten Morikeschen Lyrik, soweit
sie nach ihren Begriffen vertonbar war. In den Kompositionen dieser
beiden, die gleichfalls ganz auf klassischem Boden standen, erblickie Morike
samt seinem Freundeskreis unubertreffliche Leistungen.
„Draussenstehende mdgen anders urteilen,* sagt Strauss in seinem Nekrolog
Kauffmanns, »aber fur uns alte Hausfreunde der Mdrikeschen Muse sind Hetschs und
Digitized by
Google
333
KRAUSS: EDUARD MORIKE UND DIE MUSIK
Kauffmanns Kompositionen mit diesen Liedern ebenso verwachsen, wie die Lieder
mit unserm innern Leben verwachsen sind; wir kfinnen una ,Fruh wann die HJbne
krShn' oder ,Rosenzeit, wie schnell vorbei' nicbt ohne Hetscbs, ,Ein Stundlein wobl
vor Tag k oder ,Auf ihrem Leibrdsslein' nicbt ohne Kauffmanns Melodieen denken."
Die Einfachheit, das Festhalten einer einheitlichen Grundstimmung
ist das Merkmal dieser Vertonungen. Den Kauflfmannschen „ Gartner"
( w Auf ihrem Leibrosslein") hat Morike selbst in einem Brief also charakte-
risiert: „Die Begleitung ahmt einen sanften Galopp hochst angenehm nach,
der neben der Melodie immer fortgeht und, wo dieselbe absetzt, besonders
herausgehort wird." Morike fiihlte sich den beiden Musikern, denen er auch
gemeinsam seine Mozart-Novelle gewidmet hat, zu grossem Dank verpflichtet
und suchte nach Krfiften an der Ausbreitung ihres Ruhmes mitzuwirken;
einmal kam er sogar auf den seltsamen Einfall, Hetsch solle ein Heft
seiner Morike-Lieder an die Konigin Viktoria von England schicken. Doch
auch mancher andere Tonsetzer hat sich Morikes Beifall verdient, vor allem
der gemutvolle Robert Franz. Die Komponisten Morikescher Gedichte sind
fast unzahlbar, und einzelne Stucke sind dutzendweise mit Melodieen ver-
sehen worden. Von bekannten Namen seien nur noch Schumann, Brahms,
Hornstein, Viardot-Garcia, Franz Lachner, Rubinstein, Lassen,
d'Albert, Wullner angefiihrt; Franz Schubert hat ja leider Morikes Auf-
treten nicht mehr erlebt. Unter den schwabischen Liederkomponisten
haben namentlich O. Scherzer, Fr. Silcher, G. Pressel, W. Speidel,
J. Faisst, L. Wallbach und Emil Kauffmann, der Sohn Friedrichs,
Mori kesche Gedichte vertont. Dass Hugo Wolfs geniale Interpretationen
sich nicht den Dank des Dichters erworben hMtten, darf als ausgemacht
gelten, braucht uns aber in ihrer Schatzung nicht zu beirren. Ohne Frage
wird auch in Zukunft aus dem unerschdpflichen Born der Morikeschen
Lyrik geschopft werden, solange es deutsche Liederkomponisten gibt.
Ein paarmal hat Morike auch fur grossere Tonstticke Textunterlagen
geschaffen. So verfasste er eine Kantate zur Enthtillung des Stuttgarter
Schillerdenkmals im Jahre 1838, die Lindpaintner auf eine den Dichter
wenig befriedigende Art in Musik setzte. Schon vorher hatte er fur den
Stuttgarter Musikdirektor Ignaz Lachner ein Libretto mit frei erfundener
Handlung, „Die Regenbruder", geschrieben. Im April 1839 ging die Oper
ohne sonderlichen Erfolg fiber die Bretter des Stuttgarter Hoftheaters; ein
bedeutenderer Musiker hatte wohl mit Morikes anmutigen GesSngen mehr
anzufangen gewusst. Von verschiedenen weiteren Operntexten, mit denen
sich Morike getragen hat, ist keiner zu Ende gefiihrt worden. Ein paar in
seine Gedichtsammlung ubergegangene Nummern, wie der „Chor jiidischer
Madchen", sind sichtbare Uberbleibsel dieser Bestrebungen.
Digitized by
Google
ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN
KOMISCHEN OPER
VON IHREN ANFANGEN BIS DITTERSDORF
Von Max Puttmann-Eberswalde
W
J\s Schopfer der deutschen komischen Oper, dieser anmutigen
>chwester der romantischen und heroischen Oper, gilt be-
;anntlich Ditters von Dittersdorf (1739—1799), der uns in
einem Meisterwerk „Doktor und Apotheker* die erste
deutsche komische Oper geschenkt hat; die ersten Anfange dieser Kunst-
form aber liegen eine Reihe von Jahrhunderten zuriick.
Dramatische Auffuhrungen, hervorgegangen aus dem Bestreben,
wichtige Vorkommnisse, namentlich auf religiosem Gebiete, durch Gesang,
Tanz und GebMrde sich zu vergegenwartigen, haben von alters her ver-
mocht, das Interesse des deutschen Volkes zu erregen, und zwar urn so
mehr, je mehr bei diesen Auffuhrungen der Vorliebe des Deutschen fur
Witz und Humor, die leider gar zu oft in Zote und Gemeinheit ausartete,
sowie fur Gesang und Musik Rechnung getragen wurde.
Dass Witz und Humor leicht in Roheit ausarten konnen, dass das
Gemeinniedrige sich behfibig neben das Erhabenste und Heiligste setzt,
nur um eine komische Wirkung zu erzielen, das gewahren wir u. a. auch
in dem bereits aus dem 5. Jahrhundert stammenden „Eselsfest" oder
dem „Fest der vollen Diakonen", das sich trotz aller Verbote und
trotz seitens der Geistlichkeit angedrohten Strafen viele Jahrhunderte er-
halten hat.
Das w Eselsfest tt begann am 27. Dezember mit der Watal eines Narrenabtes,
eines Narrenbischofs und eines Narrenpapstes. Am folgenden Tage wurde der Abt
in einer mfiglichst possenhaften Tracht durcb die Strassen getragen, wo hier und da
Gastm&hler gebalten und T&nze von nichts weniger als sittlicbem Charakter
aufgefuhrt wurden. Dann ging es in tollem Zuge in die Kirche, wo man die
Narrenmesse zelebrierte. WSbrend dieser wurden unflatige Lieder gesungen, wurde
gegesseo, getrunken und gespielt; auf den Rauchf&ssern verbrannte man alte Leder-
stucke und trieb die tollsten, das Gotteshaus schSndende Dinge. Nach der Messe
wurde der Abt in eine Sfinfte gesetzt und abermals durch den ganzen Ort getragen.
Die eigentliche Hauptperson des Festes aber war ein Esel. Mit einem schonen
Mantel bedeckt, trug er auf seinem Rucken ein bubsches junges Mfidcben mit einer
Puppe im Arm, das Maria mit dem Christuskinde darstellen sollte. Zur Vesper ging
es unterVorantritt des HerrnLangohr in dieKircbe, wo folgendes Lied angestimmt wurde:
Digitized by
Google
2.
335
PUTTMANN: GESCHICHTE DER KOMISCHEN OPER
Orientes partibus
Adventabit asinus
Pulcher et fortissimus
Sarcinis abtissimus
Hcz, Sir asine, hez!
Darauf wurden Psalm en intoniert, die mit einem tollen „euhoe* statt des Amen
schlossen. Der Becher machte fleissig die Runde, der Abt begoss die Menge mit
Wasser, so das Besprengen mit Weihwasser persiflierend, und nach der „kirchlichen
Feier* ging es hinaus vor die Kirche, wo ein gemeines Possenspiel aufgefuhrt wurde.
Nach seiner Beendigung wunschte man sich gegenseitig ganz ernsthaft ein gesegnetes
Neues Jahr.
Das „Eselsfest", eine Nachahmung des .Julfestes" der alten
Skandinavier, das dem „Fruhlingsfest a der alten Germanen nachgebildete
^Winter- und Sommerfest" und viele andere derartigen Spiele zeigen
uns deutlich, dass, wie die Schauspiele bei den Alten ursprunglich zum
Gottesdienste gehorten, auch bei uns der Keim der dramatischen Kunst
im heidnischen Kultus zu suchen ist.
Es ist nur zu naturlich, dass die Geistlichkeit diese Spiele
aufs heftigste bekampfte. Um dem Volke nun einen Ersatz fur
diese zu schaffen, dichtete man die geistlichen Schauspiele. Die
Nonne Roswitha Oder Hrosuit zu Gandersheim, in der zweiten Halfte
des 10. Jahrhunderts lebend, hat sich auf diesem Gebiet ganz besonders
hervorgefan und eine lange Reihe von geistlichen Schauspielen hinter-
lassen, die im Jahre 1501 von Conrad Celtis in der Klosterbibliothek in
Regensburg aufgefunden und unter dem Titel „ Opera Hrosvite illustris
virginis et monialis Germane gente saxonica orte nupera Conrado Celte
inventa" herausgegeben worden sind.
Der Aufgabe, die hochsten Wahrheiten der christlichen Lehre dem
Volke zu veranschaulichen und so diesem jede Erinnerung an das Heiden-
tum zu nehmen, konnten aber die geistlichen Schauspiele solange nicht
gerecht werden, als man an der zur Kirchensprache erhobenen lateinischen
Sprache bei diesen Schauspielen festhielt. Von Geistlichen verfasst und
aufgefuhrt, stand das Volk ihnen teilnahmslos gegeniiber und zeigte erst
ein regeres Interesse, als man anfing, auch Laien mit zu den Auf-
ftihrungen heranzuziehen, womit naturlich auch zu gleicher Zeit die
deutsche Sprache in den geistlichen Schauspielen zugelassen werden musste.
Der Grund, das Laientum mit zu den geistlichen Schauspielen heran-
zuziehen, war ein zweifacher: erstens reichten die KraTte, die der geist-
liche Stand stellen konnte, fur die im Laufe der Zeit immer umfangreicher
sich gestaltenden geistlichen Spiele nicht mehr aus, und zweitens war man
zu der Einsicht gelangt, dass, um etwas Hoheres zu erreichen, um ver-
edelnd auf die Menge zu wirken, man ihr auch Konzessionen machen
Digitized by
Google
336
DIE MUSIK HI. 23.
.£
musse, und sollte dies selbst auf Kosten des guten Geschmacks und der
guten Sitte geschehen. So kam es denn, dass neben der deutschen
Sprache sehr bald auch der Volkswitz von oft nicht geringer Derbheit in
den geistlichen Schauspielen eine Statte fand, was endlich zur Griindung
des geistlichen Lustspiels, der Oster- und Fastnachtsspiele fiihrte.
Der namentlich in den Fastnachtsspielen bald wieder zutage tretenden
Roheit und Unzucht suchte man durch die sogenannten „Moralitaten"
zu steuern, bis endlich, wie auf alien anderen Gebieten, so auch hier die
Reformation ihren veredelnden Einfluss geltend machte. Der Geist, der
den dramatischen Dichtungen des 16. Jahrhunderts innewohnt, ist ein
um vieles reinerer und edlerer als der in alteren Dichtungen. Die zu
jener Zeit ausgestreute Saat konnte wohl durch die fremden Einflusse, die
bald in Deutschland anfingen ubermachtig zu werden, da bei der hekannten
Vorliebe des Deutschen fur alles Fremdlandische hollandische und eng-
lische Komodiantentruppen die beste Aufnahme fanden, und durch den
das deutsche Volk in geistige und materielle Armut stiirzenden Dreissig-
jahrigen Krieg im Spriessen und Wachsen aufgehalten, nicht aber ver-
nichtet werden.
Wie in den geistlichen Schauspielen, die fast durchweg gesungen
wurden, finden wir auch in den Werken, in denen der Volkswitz eine
bald mehr bald weniger hervorragende Rolle spielt, namentlich in den
Fastnachtsspielen, den Gesang und bald auch die Instrumentalmusik
angewendet. Uberall sehen wir die Musik mit Witz und Humor eine
lustige Ehe eingehen, aus der endlich die komische Oper, als eine
hohere Kunstform, hervorgehen sollte.
Wie in dem „Eselsfest a , so bildete die Musik auch in dem „Drei-
konigsspiel" einen integrierenden Bestandteil. In diesem zog der Konig
Herodes mit seinem Gefolge, Lieder singend und allerlei Possen treibend,
von Haus zu Haus, um Geld und Viktualien zu sammeln, und in dem
„Neidhartspiel tt , das Adelbert Heller in seinem Werke 9 Fastnachts-
spiele aus dem 15. Jahrhundert" ausfiihrlich beschreibt, singt der Titel-
held „einen frohlichen Gesang und ist frodenreich*; spSter 9 da singen sie
all under einander:
Awe, ich han ein weites loch,
Hiet ich nu ein grosses koch!
Die kue ist ungemolchen noch,
Wie mag ich mich erfullen doch?
Darauf singt ein jeglicher was er will a .
Fragen wir nach der Art der in den ersten Versuchen musikalisch-
dramatischer Kunst angewendeten GesSnge, so finden wir ein- und
mehrstimmige Lieder und ChorgesSnge. Durch die mehr und mehr
Digitized by
Google
337
PUTTMANN: GESCHICHTE DER KOMISCHEN OPER
sich ausbreitende Kunst der Niederlinder aber wurde sowohl in Italien
als auch in Deutschland der einstimmige Gesang fast vollig verdrfingt, und
zur Zeit Luthers bestand die Musik zu den dramatischen Werken mit
wenigen Ausnahmen nur aus mehrstimmigen Sfitzen. Der fiir die Kenn-
zeichnung der Charaktere so uberaus wertvolle Sologesang schien fiir
immer verloren zu sein.
Das erste bei den Fastnachtsspielen und ahnlichen Auffiihrungen zur
Anwendung gebrachte Musikinstrument durfte die zu jener Zeit beliebte
Bauernleier gewesen sein. Diese hatte eine der Guitarre nicht un-
ahnliche Gestalt. Die Saiten, drei an der Zahl, liefen uber ein mit Kolo-
phonium bestrichenes und durch eine Kurbel drehbares Rad und uber
acht Bunde von der Form drehbarer Wirbel. Mit der einen Hand drehte
man das Rad, strich also die drei Saiten wie mit einem endlosen Bogen
an, mit der anderen Hand drehte man die Wirbelbunde und verkurzte so
die Saiten nach Belieben. lm Laufe [der Zeit bildete sich die Reihe der
drehbaren Wirbel zu einem ordentlichen Klavier aus, indem die Wirbel-
bunde zu Tasten wurden.
Bei der in Deutschland vorherrschenden Neigung fur Instrumental-
musik und dem damit verbundenen Interesse an der Erfindung neuer In-
strumente (zu Anfang des 16. Jahrhunderts kannte man deren schon gegen
50 und Pratorius fuhrt in seinem in denjahren 1614 — 1620 erschienenen
Werke „ Syntagma musicum" uber 100 der verschiedensten Instrumente
an, die alle im Gebrauch waren), konnte es nicht fehlen, dass bei
dramatischen Auffiihrungen bald auch die verschiedensten Instrumente in
Anwendung gebracht wurden. So heisst es u. a. in einem Fastnachtsspiel
von Nicolaus Manuel (1484 — 1530), einem Maler und Holzschnitzer in
Bern, anzeigend „den grossen vnterscheid zwuschen dem Papst vn Christum
Jesum unseren saligmacher", dass der Papst im grossen Kriegszuge mit
allerlei Nationen aufzutreten habe, die eidgendssische Leibgarde mit
„Trummeten, Posaunen, Pfeifen und Karthaunen, Huren und Buben"
und was zum Kriege gehort, „reichlich, hochprachtlich, als ob er der
turkische Kaiser ware". In einem Spiel aus dem Jahre 1540 „miissen auch
die Trummeter vffblasen und Scharkopff, der trummenschlaher tapfer
arbeiten". Burkhard Waldis (1490 — 1556), in seiner Jugend Franziskaner-
Monch, spater evangelischer Pfarrer, schreibt in seiner r Parabel vom
verlorenen Sohn a vor, dass die „maltydt yp dat alter ehrlickste mit
Trummeten, Schalmeyen, Cynken, Floyten vnd mancherlei Sey-
tenspill" geschehen soil, „na dussem wardt gesungen: Jesus Christus
vnser Heylandt* fur funf Stimmen.
Wenn wir aber in keinem der Schauspiele, denen Chorgesfinge bei-
gedruckt sind, besondere Partieen fur die Instrumente finden, so darf uns
III. 23 22
Digitized by
Google
£L
338
DIE MUSIK III. 23.
dieser Umstand nicht zu der Annahme verleiten, dass die Instrumente
niemals mit den Singstimmen vereint angewendet worden seien. Ein
Akkompagnement in unserem Sinne gab es zu damaliger Zeit allerdings
noch nicht, sondern die Instrumente begleiteten die einzelnen Singstimmen
unisono, indem jedes Instrument sich der seiner Stimmung entsprechenden
Chorstimme zugesellte; einen besonderen Part fur die Instrumente aus-
zuschreiben war unter diesen Umstfcnden also iiberflussig.
Auch die Satzweise fur die selbstandige Instrumentalmusik unterschied
sich im 16. Jahrhundert in keiner Weise von der fur Chorgesange, ebenso
flnden sich nirgends Angaben fiber die etwa zu benutzenden Instrumente.
Wir erhalten, abgesehen von der Verschiedenartigkeit der Instrumente,
einen annahernden Begriff von dem damaligen Zustande der Instrumental-
musik, wenn wir uns an die an vielen Orten bestehenden BISser- oder
Posaunenchore erinnern. Auch hier verwendet man die fur gemischten
Chor komponierten Werke, indem man die vorhandenen Instrumente in
vier, ihrem Umfang und ihrer Stimmung entsprechende Gruppen teilt. Dass
aber auch die Tonsetzer des 16. Jahrhunderts ihre Werke fur alle Instru-
mente verwendet wissen wollten, geht aus den auf den Titelblfittern sich
flndenden Bemerkungen hervor. So steht z. B. auf der urn die Mitte des
16. Jahrhunderts erschienen Ricercare von Adrian Willaert (1490 — 1562);
„appropriati par cantare e sonare d'ogni sorte di stromenti* und auf dem
Titelblatt einer im Jahre 1577 verSffentlichten Ausgabe der Madrigale
Cipriano di Rore's (1516—1565), eines Schulers Willaerts, findet sich
gleichfalls vermerkt: „accomodati per sonar d'ogni sorte d'lnstrumento".
Melchior Frank (1573 — 1639) gab „Newe Paduanen, Galliarden usw. auff
allerley Instrumenten zu gebrauchen" heraus. Claudio Monteverde
(1567—1643) aber war einer der ersten, der in seinen Symphonieen fur
Instrumente die letzteren ihrem eigentlichen Charakter gemass behandelte
und der Violine eine dominierende Stellung zuwies.
Von nicht geringem Einfluss auf die musikalisch-dramatische Kunst
des Reformationszeitalters war der Volksgesang. Durch Luther und seinen
Freund Johannes Walter (1496 — 1570) seiner rhythmischen Mannigfaltigkeit
wegen dem Gemeindegesange dienstbar gemacht, war es der Volksgesang,
der die neue Lehre hinaustrug in alle Welt und die Herzen empfSnglich
machte fur den neuen Glauben. Diejenigen Musiker aber, das heisst die
Organisten und Kantoren, welche die Weisen zu den kirchlichen Gesangen
auswShlten oder neu schufen, waren auch zu gleicher Zeit die Komponisten
der Buhnenstiicke, und so konnte denn eine giinstige Ruckwirkung des
durch die Kirche gewissermassen veredelten Volksgesanges auf den hier
in Rede stehenden Zweig der Tonkunst nicht ausbleiben.
Wer jene Tonsetzer des 16. Jahrhunderts waren, dartiber fehlt uns
Digitized by
Google
^Bs.
339
PUTTMANN: GESCHICHTE DER KOMISCHEN OPER
jede Kuade; nirgends finden wir ihre Namen verzeichnet und selbst von
den zahlreichen Komponisten des folgenden Jahrhunderts, die fur die Biihne
tatig waren, sind uns die meisten nicht einmal dem Namen nach bekannt.
Ausfuhrlicheres wissen wir dagegen von den Textdichtern jener Zeit.
Der fruchtbarste und talent vollste unter ihnen war Hans Sachs
<1494 — 1576), der beriihmte Meistersinger von Nurnberg. In seinem
poetischen Lebenslauf, „Summa all meiner gedicht vom 1514 jar an bis
in 1567 jar 11 finden sich verzeichnet: 16 Binde „Gesangbuctaer a mit
4275 Meistergesingen und 18 Bande .Spruchbiicher", die 1773 Stiicke,
„ehe mehr denn minder", enthalten. Hans Sachs' dichterische Stfirke aber
lag in seinen Schwinken („Sankt Peter mit der Geiss", „Schlaraffen-
land a u. a. m.) und vor allem in seinen Tragodien, Komodien und Fastnachts-
spielen; selten jedoch finden in ihnen GesSnge und Tinze Anwendung.
Seine Laufbahn als dramatischer Dichter begann Sachs im Jahre 1517 mit
einem Fastnachtsspiel, dem „Hofgesinde Veneris , und er beschloss sie nach
46Jahren wiederum mit einem solchen, dem „Kramerskorb". Unter seinen
Werken dieser Art durfte das gelungenste das „Narrenschneiden* sein.
Hans Sachs war auch der erste, der Tragodien und Komodien unter-
schied, wShrend man vordem nur geistliche und Fastnachtsspiele kannte.
Ebenso finden wir in jener Zeit den Namen Singspiel zum ersten Male
angewendet, und zwar in dem Werke „Opus theatricum a von Jacob Ayrer
<f 1605), einem Landsmanne Hans Sachs'. Das Opus enthMlt u. a.: ,Ein
schon singets Spil: Der verlarfte St. Franciscus mit der schonen
Venedischen Wittfrauen, mit 4 Personen. In des Rolands Thon*. Ferner
„Ein singets Spil: Der Wittenbergisch Magister in der Narren-
kappen, mit 7 Personen. In dem thon wie man den Dillathey o Narr
dummel dich singt.* Aus den Schlussbemerkungen scheint hervorzugehen,
dass die in einem solchen w singets Spiel" vorkommenden Lieder nach einer
bestimmten Melodie gesungen wurden.
An echter Komik, frischem Humor, tiefem Gemut und sittlichem
Ernst steht Jacob Ayrer seinem Vorgfinger Hans Sachs bei weitem nach,
ubertrifft ihn aber in bezug auf eine besser durchgefuhrte Handlung und
schSrfere Charakteristik der einzelnen Personen.
Bis indie letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts hinein lag die Auf-
fuhrung dramatischer Werke ausschliesslich in den Handen von Dilettanten,
es beteiligten sich an einer solchen nicht nur einfache Burger und Hand-
werker, sondern auch die Schuler der Gelehrtenschulen und die an-
gesehensten Personen einer Stadt. Dies Snderte sich mit einem Schlage,
als um das Jahr 1580 die ersten gewerbsmMssigen Komodianten auftraten.
Zuerst waren es brabantische und hollandische Banden, welche die
Schauspielkunst berufsmSssig betrieben; zu ihnen gesellten sich etwa zehn
22»
Digitized by
Google
340
DIE MUSIK III. 23.
Jahre spater die „englischen Komodianten" und, namentlich durch den
Erfolg der letzteren ermutigt, auch bald deutsche Schauspielertruppen.
Mit dem Auftreten der Berufsschauspieler beginnen die strenge Zucht
und Ehrbarkeit, die wir trotz aller Ausgelassenheit in den Stucken eines
Hans Sachs und seiner Zeitgenossen gewahren, mehr und mehr von der
Buhne zu weichen und bald gait es als eine Schmach, sich an der Auf-
fuhrung eines Buhnenwerkes zu beteiligen. Die grosste Zuchtlosigkeit und
Liederlichkeit kennzeichnete die Mitglieder dieser Banden, und die Miss-
achtung, unter der der ganze Schauspielerstand Jahrhunderte lang zu
leiden hatte und mit der selbst Kunstler von dem Talent einer Karoline
Neuber behandelt wurden, war die Folge jener Gemeinheiten und Un-
anstindigkeiten, in denen sich die ersten Schauspielertruppen gegenseitig
zu uberbieten suchten.
Aber auch in anderer Beziehung machte sich der Einfluss der Berufs-
schauspieler auf die Entwicklung der dramatischen Kunst bemerkbar.
Wenn auch aus den Reihen der Geistlichkeit hervorgegangen, tragt
die dramatische Kunst, die, wie wir gesehen haben, sich erst recht zu
entwickeln begann, als das Volk sich ihrer bem&chtigte, am Ende des
16. Jahrhunderts doch einen durchaus volkstumlichen Charakter. Mit
Beginn des folgenden Jahrhunderts aber stellt sich die dramatische Muse
mehr und mehr in den Dienst der Konige und Fursten, der Vornehmen
und Reichen, bis der musikalisch-dramafischen Kunst durch ihre italienische
Schwester auch hier der Rang mit Erfolg streitig gemacht wird; und nur
der Kunstzweig, dem diese Blatter gewidmet sind, fand nach wie vor unter
dem Volke die beste Pflege, um im Laufe der Zeit, sich das Gute und
Nachahmenswerte der italienischen Oper zu eigen machend, eine hohe
Vollkommenheit zu erreichen.
Die ersten Fursten, die der gewerbsmMssigen Schauspielkunst eine
Stfitte bereiteten, waren der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig
und der Landgraf MoritzvonHessen-Cassel. Sie errichteten im Anfang
des 17. Jahrhunderts die ersten Hoftheater in Deutschland; der erste war
fur das seinige sogar schriftstellerisch tfitig.
Nichts war naturlicher, als dass die Schauspieler eifrigst bemiiht waren,
sich fur das ihnen entgegen gebrachte furstliche Wohlwollen erkenntlich
zu zeigen. Aus ihren Reihen hervorgegangen, finden wir bald an jedem
Hofe einen Hofpoeten, dessen Aufgabe es war, jedes freudige Ereignis am
Hofe durch seine Dichtungen zu verherrlichen, und so entstanden denn
die sogenannten Hof- und Staatsaktionen, die Ballets, die, wenn in
ihnen auch Gesang zur Anwendung kam, singende Ballets benannt
wurden, die Hofwirtschaften und Hofmaskeraden. Je bombastischer
die Sprache dieser Poeten, dieser Lobhudler der Tugenden wie der SchwSchen
Digitized by
Google
341
PUTTMANN: GESCHICHTE DER KOMISCHEN OPER
ihrer Fiirsten, desto grosser war das Interesse dieser an den Leistungen
ihrer Poeten und Schauspieler, nach der stets geltenden Regel, dass die
Schmeichelei der Eitelkeit sich grosse Rechte erwirbt und an der Tafel
der Grossen obenan sitzt. Die Geschichte der dramatischen Kunst lehrt
uns, dass bis in das letztvergangene Jahrhundert hinein es fast immer
grosse Hoffestlichkeiten war en, die den Anlass zum Schaffen neuer Biihnen-
werke, sowohl Schauspiele als Opera, gaben; dem Prunk und der Augen-
lust wurden hierbei die weitesten Konzessionen gemacht.
Im 16. Jahrhundert, als in Deutschland infolge der Reformation
das geistige Leben sich erst zu regen anting, sehen wir Italien be-
reits im Glanze hochster Kultur und feinsten geselligen Lebens. Ein
Correggio in der Malerei, ein Tasso in der Dichtkunst, ein Palestrina in
der Musik verherrlichten mit ihren unsterblichen Werken das Vaterland,
Kunst und Wissenschaft fanden uberall die ei frigs te Pflege und der Geist
der Renaissance fuhrte endlich auch jene grosse durchgreifende Um-
gestaltung der Tonkunst herbei, mit der gewissermassen die moderne Zeit
in der Musik ihren An fang nimmt. In Florenz war es, wo mit der Wieder-
einfuhrung des einstimmigen Gesanges die neue Kunstform, die Oper,
ins Leben gerufen wurde. Nicht lange wfihrte es, dass die Oper auch in
Deutschland ihren Einzug hielt, und mit ihr kamen naturgemfiss auch
italienische Kunstler fiber die Alpen.
Einer der ersten Fiirsten, die italienische SSnger und SMngerinnen
an ihren Hof kommen liessen, war Kurfurst Johann Sigismund von
Brandenburg. Er berief im Jahre 1616 Bernardo Pasquino Grassi aus
Mantua und Giovanni Alberto Maglio aus Florenz als Singer fur seine
Kapelle. Ihm folgten im Laufe der nichsten Jahrzehnte die H6fe von
Wien, Stuttgart und Dresden, wo seit dem Jahre 1614 Heinrich Schiitz
als Hofkapellmeister fungierte.
Heinrich Schiitz (1585 — 1672) ist derjenige Meister, der, nachdem er
in Italien seine Ausbildung genossen hatte, die neue Kunstform mit nach
Deutschland heruberbrachte. Die erstedeutscheOper war die von Schiitz
auf den Text Rinuccini's, den Martin Opitz ins Deutsche ubersetzt hatte,
komponierte „Dafne". Sie gelangte im Jahre 1627 auf Schloss Harten-
fels bei Torgau aus Anlass der VermShlung der Prinzessin Sophie von
Sachsen mit Georg II. von Hessen-Darmstadt zur ersten Auffiihrung.
Die Musik zur „Dafne a ist leider nicht mehr verhanden; sie wurde
wahrscheinlich im Jahre 1760 ein Raub der Flammen, mit ihr auch die
Partitur zu einem Ballet .Orpheus und Euridice", das Schiitz zur Ver-
mahlungsfeier des Kurfursten Johann Georg von Sachsen mit Magdalena
Sybilla, der Tochter des Markgrafen Christian von Brandenburg-Bayreuth,
im Jahre 1638 komponiert hatte. In seinen ubrigen, meist kirchlichen
Digitized by
Google
342
CfipQ DIE MUS1K III. 23. Q^Q J
Werken, von denen ein Ruckschluss auf die'Musik der „Dafhe a wohl zu-
lSssig sein diirfte, strebt Schutz eine selbstandigere Instrumentalbegleitung
an, versucht die alten Kirchentonarten durch unser modernes Tonsystem
zu ersetzen und ist bemuht, die in Italien entstandenen Formen des Rezi-
tativs und des Konzerts mit der bei uns iiblichen Form geistlicher Musik,
der Motette, zu verschmelzen. Nur von der Herrschaft der Mehrstimmig-
keit kann auch Schutz sich nicht losmachen. Seine Gesange sind auch da,
wo nur eine Person ihre Gedanken kund zu tun hat, mindestens zwei-
stimmig; doch gestattet er, das Vernunftwidrige dieser Kunstform wohl
fuhlend, dass neben dem Sologesang die iibrigen Stimmen auf Instrumenten
ausgefuhrt werden diirfen.
W&hrend man sich an den Hofen bei den zur Auffiihrung gelangenden
Staatsaktionen, Ballets, Wirtschaften und Maskeraden prSchtig
unterhielt und an den Leistungen der italienischen Sanger und SMngerinnen,
zu denen sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts auch die ersten Kastraten
gesellten, ergdtzte, findet die deutsche musikalisch-dramatische Kunst in
den Sturmen des 30jahrigen Krieges, die ganz Deutschland bis ins innerste
Mark erschiitterten und das volkstumliche Element vernichteten, nirgends
eine Pflegestatte.
»In den wtisten Tragodien jener Zeit a , sagt der Literaturhistoriker
Robert Eduard Prutz, „ findet sich keine Spur dramatischer Anordnung, die
starksten Effekte, die krassesten, unwahrscheinlichsten Situationen, die
handgreiflichsten Ubertreibungen waren das Willkommenste; das Publikum,
das dicke Nerven mitbrachte, wollte nicht sanft beruhrt und leise gekitzelt
sein, nein, derb gestriegelt wollte es sein. a Das war die Stufe, auf der
die deutsche Buhnenkunst stand, als nach dem westfalischen Frieden Handel
und Wandel sich wieder zu regen begannen und das Volk sich auch der
Kunst wieder zuwandte. In dem Bestreben, es wieder mehr zu sich heran-
zuzieben, schufen Theaterdichter und Schauspieler jene wunderliche dra-
matische Form, in der zwei Handlungen, eine tragische und eine komische,
neben einander zur Darstellung gelangten, indem zwischen je zwei Akte
des ernsten immer ein Akt des heiteren Sttickes eingeschoben wurde, das
sogenannte Mischspiel. Der bertichtigte „Hanswurst", der schon vorher
in den Intermezzi oder Zwischenspielen, die zwischen den ernsten
Szenen der Tragodie frei improvisiert wurden, sein Unwesen getrieben
hatte, erkor sich jetzt die Mischspiele zu seiner Residenz, um seine Herr-
schaft im Laufe der Zeit auch auf andere Kunstformen auszudehnen, bis
ihm endlich im Oktober 1737 das Todesurteil gesprochen wurde und die
Neuberin ihn offentlich verbrannte, ohne dadurch verhindern zu konnen,
dass er auch spater gelegentlich sein freches Haupt wieder erhob.
In der Zeit, in der die Sprachgesellschaften, unter ihnen der
Digitized by
Google
343
PUTTMANN: GESGHICHTE DER KOMISCHEN OPER
nPalmenorden", die ,Aufrichtige Tannengesellschaft", der ,Gc-
kronte Blumenorden", bemiiht waren, die deutsche Sprache und Poesie
zu veredeln, und die Manner wie Martin Opitz (1597—1639), Georg
Philipp HarsdSrffer (1607— 1658), Verfasser des ,Nurnberger Trichters",
Paul Flenjming (1609—1640), Simon Dach (1605—1659), von dessen
Gedichten Heinrich Albert (1604—1651) viele in Musik gesetzt hat, und
endlich den grossen Paul Gerhardt (1607 — 1676) zu den ihrigen zMhlten,
finden sich nur wenige Dichter, die auch als Dramatiker etwas Hervor-
ragendes geleistet haben; unter ihnen steht Andreas Gryphius, geboren
am 11. Oktober 1616 zu Glogau, gestorben daselbst am 16. Juli 1664,
obenan, dem sich Daniel Caspar von Lohenstein (1635—1683) und
Christian Weise (1642—1708) anreihen.
Gryphius verlangt fast in alien seinen Buhnenwerken die Mit-
wirkung der Musik. So schliessen z. B. in dem Trauerspiel „Leo
Armenius" (der Titelheld ist der am Weihnachtstage des Jahres 820 er-
mordete griechische Kaiser gleichen Namens) der erste und zweite Akt
mit einem Chor der Hoflinge, der bei Gryphius den Namen „Reyen"
ftihrt. Der dritte Akt beginnt mit einem Chor der Spielleute und Sanger
und endet mit einem solchen der „hoff-Junkern"; den vierten Akt be-
schliesst ein Chor der Priester und Jungfrauen. Ahnlich wie hier sehen
wir auch in „Catharina von Georgien" und in „Die ermordete Majestat"
oder „Carolus Stuardus* die einzelnen Akte mit Musik beginnen und
schliessen.
Fur eine Geschichte der komischen Oper aber sind die Gryphiusschen
Lustspiele und das Mischspiel: „Das verliebte Gespenst", Gesang-
spiel, und „Die geliebte Dornrose", Scherzspiel, ganz besonders er-
wahnenswert. Von jenen sei zunachst das Schimpfspiel „Herr Peter
Squentz" genannt. Es ist der Episode aus Shakespeare's „Sommernachts-
traum* entlehnt, in der vor Theseus und seiner Gemahlin die tragische
Geschichte von Pyramus und Thisbe von ungeschickten Scbauspielern dar-
gestellt wird. Das Stuck ist nach der Weise Hans Sachs' in Knittelversen
geschrieben ; an Liedern findet sich in diesem Schimpfspiel nur eins. Auch
im „Horribiliscribifax a , einem Scherzspiel, in dem die wShrend und
nach dem dreissigjahrigen Kriege sehr zahlreich auftretenden Prahlhanse ge-
horig verspottet werden und das unter Pauken und Trompeten mit einem
Tanz aller Mitwirkenden schliesst, befindet sich nur ein Einzelgesang. In
dem Freudenspiel „Majuma" aber kommen zwei Arien, ein sechs-
strophiges Lied, ein Schlussreyen und verschiedene Aufzuge und Tflnze
vor; der Einfluss der italienischen Oper ist hier schon unverkennbar.
Das zu dem oben genannten Mischspiel gehdrige Gesangspiel ist in
hochdeutscher Sprache, das Scherzspiel dagegen in schlesischem Bauern-
Digitized by
Google
344
DIE MUSIK IIL 23.
dialekt geschrieben. Jedes der beiden Stucke hat vier Akte und die Auf-
fuhrung geschah, wie schon bemerkt, in der Weise, dass nach einem Akt
des Gesangspiels immer ein Akt des Scherzspiels folgte. An Gestagen
finden sich im „verliebten Gespenst* zwei Wechselgestlnge, zwei Arien,
mehrere Chore und endlich ein Wechselgesang, eine Art Doppelchor,
gesungen „von dem Reyen der Verliebten, welche im Gesang-Spil auff-
gezogen" und dem Reyen der Bauern, „die in dem untermischten Scherz-
spil erschienen waren" ; auch ein „Tantz der Geister" und ein w Tantz der
Lieben* ist vorgesehen. Das Mischspiel gelangte am 10. Oktober 1660 in
Glogau bei Gelegenheit der Durchreise der Prinzessin Elisabeth Maria
Charlotte, Pfalzgrafin bei Rhein und Herzogin in Bayern, der Braut
Georgs III. zu Liegnitz und Brieg, zur ersten Auffuhrung.
Gryphius' Sprache bietet uns einen Masstab fur die Bildungsstufe
jener Zeit. Seine Dialoge sind meist unflatig und gemein, und es ist schier
unglaublich, was sich das Publikum an rohem Cynismus, Grasslichem
und Unnaturlichem hat bieten lassen.
Nach beiden Seiten hin wird Gryphius, bei dem ein sprudelnder Witz
und gesunder Humor manches vergessen macht, von seinem Nachfolger
Lohenstein noch ubertroffen. So werden z. B. in dessen „Epicharis*
vor den Augen des Publikums die Opfer der Tyrannenwut gepeitscht, ge-
foltert, gekdpft, gewurgt, ihnen die Adern geoffnet und die Zungen aus-
gerissen; und das der Herzogin von Scblesien-Liegnitz gewidmete Werk
„Agrippina" ist voll der grisslichsten Blutszenen und emporendsten Un-
zuchtigkeiten. Weise dagegen befleissigt sich schon eines vornehmeren
Stiles, wenn auch seine Lustspiele nicht frei sind von Zoten und Albern-
beiten.
Die ubrigen Dicbter, die im 17. Jahrhundert ftir die Buhne, haupt-
sachlich fur das deutsche Singspiel tatig waren, treten weit hinter die
drei genannten zuriick. Nur einige seien hier erwMhnt. Johann Rist
(1607 — 1667), gekronter Dichter und Autor vieler Kirchenlieder schrieb
w Das Friede jauchzende Teutschland, Welches Vermittelst eines neuen
Schauspiels, theils in ungebundener, theils in gebundener Rede und
anmuthigen Liedern, Mit neuen, von M. Jacobi, bey der Stadt Luneburg
Cantorn, gesetzten Melodien, denen mit guter Ruhe und Frieden nunmehr
wolbeseligten Teutschen, Teutsch und treu meinentlich vorstellet. J. R.
Nurnberg 1653." Der w Erzschreinhalter a der „Fruchtbringenden Gesellschaft*
Georg Neumark (1619 — 1681) dichtete „Keuscher Liebesspiegel", ein
Schauspiel „mit musikalischen Stticken und bildlichen Stellungen auss-
getzieret M ; Neumark ist auch der Dichter des Liedes »Wer nur den lieben
Gott lfisst walten*. Der kurfurstlich sMchsische Steuerkassier in Dresden
Constantin Christian Dedekind schrieb geistliche Schauspiele „bekwehmet
Digitized by
Google
345
PUTTMANN: GESCHICHTE DER KOMISCHEN OPER
zur Musik*, Singspiele und Ballets. Von dem Pfarrer Carl Seyffahrt
(1630 — 1681) besitzen wir Singspiele im „Poetischen Gluckstopf* und von
dem Nurnberger Christian Fuhrer von Haimendorf (1663 — 1732) ein
italienisches Singspiel „Die siegende Starke a . Endlich entwickelten auch
J.Christian Emmerling und die sMchsischen Hofdichter David Schirmer
und Eduard Geller eine erfolgreiche Tatigkeit.
Von ganz hervorragender Bedeutung ist aber auch ein Werk Hars-
ddrffers. Der Titel lautet: „Selewig, geistlich Waldgedicht oder Freuden-
spil. Gesangsweis auf italienische Art gesetzet durch Johann Gottlieb
Staden", und wird darin zur Darstellung gebracht, „wie der bose Feind
den frommen Seelen auf allerlei Wegen nachtrachtet und wie selbe hin-
wiederumb von dem Gewissen und dem Verstand durch Gottes Wort vom
ewigen Unheil abgehalten werden". Alle Personen in diesem Stuck singen
„und llsst sich hinter dem Fiirhang darzu ein Saitenspiel (die Stimmen
viel lieblicher zu machen) horen*. „Selewig a wurde im Jahre 1644
geschaffen und gelangte noch im Jahre 1698 zu Augsburg durch Andreas
Elenson, „ principal der bochfurstlichen baadischen hochteutschen Hoff-
Comodianten," zur Auffuhrung. Stade, ein Organist zu Nurnberg, hat
sich bemuht, zu w Selewig* eine charakteristische, dem Text entsprechende
Musik zu schreiben.
Wie bei den Buhnenwerken des 16., so finden sich auch bei denen
des 17. Jahrhunderts die Namen der Komponisten, welche die in ihnen
enthaltenen GesMnge geschaffen haben, nur selten verzeichnet, ein Beweis
dafur, dass die Musik in jener Zeit der Dichtkunst vollig untergeordnet war.
Zu den wenigen Komponisten, deren Namen wir in den Sing-, Scherz-,
Freuden- und Schiferspielen, in Ballets usw. des 17. Jahrhunderts ver-
zeichnet finden, gehoren ausser dem bedeutenden Heinrich Schutz: Johann
Philipp Krieger (1649—1725), Hofkapellmeister zu Weissenfels; er schrieb
die Musik zu „Der gedruckt und wieder erquickten Ehe-Liebe" und anderen
Buhnenwerken und gab im Jahre 1690 eine Sammlung der in seinen
Singspielen „ Flora*, „Cerops" und „Procris" enthaltenen Gesange heraus
<ein bedeutendes Werk ist auch seine „Lustige Feldmusik* fur vier Blas-
instrumente, mitgeteilt in den Monatsheften fur Musikgeschichte, 30. Jahr-
gang); der Komponist des w Friede jauchzenden Teutschland" M. Jacobi;
Caspar Forster oder Forster (1617 — 1673), Kapellmeister zu Kopenhagen,
der u. a. auch die Musik zu A. Fr. Werners ,Der lobwurdige Cadmus"
geschrieben hat; der Nurnberger Kapellmeister Peter Heinlein
<1626— 1686?) und einige andere.
Die Musik zu den Singspielen des 17. Jahrhunderts weist einen er-
freulichen Fortschritt gegeniiber der musikalischen Setzkunst des vorher-
^ehenden Jahrhunderts auf. Der mehrstimmige Gesang ist dem Sologesange
Digitized by
Google
346
DIE MUSIK 111. 23.
gewichen, neben diesem kommen Duette, Terzette und grossere Ensembles
abwechselnd zur Anwendung. Die Instrumente nehmen eine den Sing-
stimmen gegeniiber selbstMndigere Stellung ein, sie fuhren kleine Imitationen
aus, bringen hier und da eine kleine Nebenmelodie und uberlassen die
harmonische Unterstutzung des Ganzen einem auf dem Klavier auszufuhrenden
Generalbass. Zwischen die einzelnen Strophen des Gesanges tritt ein
Ritornello, und ein kraftiges, vollklingendes Nachspiel fehlt selten. Die
Besetzung des Orchesters ist ebenfalls eine reichere und neben der Trompete
und der Flote ist es namentlich die Geige, die dem Orchester mehr Glanz
und Beweglichkeit verleiht. Seit dem Jahre 1675 sehen wir sie ihre
Stellung als Konigin der Instrumente behaupten.
WMhrend der im vorhergehenden geschilderten Zeit wetteiferten die
deutschen Fursten miteinander, die beruhmtesten italienischen Singer und
SMngerinnen in ihren Diensten zu haben, und was die Ausstattung der
Opern betrifft, so suchte man Italien nicht nur gleich zu kommen, sonde rn
womoglich noch zu ubertreffen; bis ins Fabelhafte reichen die Summen,
die dafur aufgewendet wurden. Geblendet durch den Glanz, der an den
Furstenhofen herrschte, errichteten auch bald die wohlhabenderen Stidte,
darunter Hamburg, Augsburg, Breslau, Leipzig, Nurnberg, Halle, ihre
ersten stehenden Theater. Aber in einer Zeit, in der Deutschlands Kunste
von Ausiandern bespottelt und selbst von manchem seiner Fursten ver-
achtet wurden, wMren schliesslich auch diese Stadttheater nichts weiter
geworden als Pflanz- und Pflegestatten fur das Italienertum, hMtte nicht
der dem Deutschen trotz seiner Vorliebe fur alles AuslSndische dennoch
innewohnende Hang zum Volkstumlichen hier und da gegen den ubergrossen
Einfluss des Auslandischen Front gemacht; und so sehen wir namentlich
die erste der obengenannten Stidte sich bemuhen, der deutschen musika-
lisch-dramatischen Kunst eine Heimstdtte zu bereiten.
Das Hamburger Stadttheater, auf Anregung des Direktors der
kurfurstlich-sMchsischen Hofkomodiantentruppe, Mag. Johann Veltheim,
von dem nachmaligen Ratsherrn Gerhard Schott, dem Licentiaten Luetjens
und dem Organisten an der St. Katharinenkirche daselbst, Johann Adam
Rein ike (1623 — 1722), auf dem GMnsemarkt erbaut, wurde am
2. Januar 1678 mit dem Singspiel „Der erschaffene, gefallene und auf-
gerichtete Mensch* eroffnet. Der Text zu diesem Singspiel war von dem
gekrdnten Poeten Richter verfasst, wMhrend die Musik dazu der Kapell-
meister Johann Theile geschrieben hatte.
Johann Theile, der an der Hamburger Oper von 1678 — 1685 wirkte,
wurde am 29. Juli 1646 zu Naumburg a. d. Saale geboren und machte
seine musikalischen Studien bei Heinrich Schutz. Nachdem er mehrere
Jahre in Leipzig als Gambenspieler engagiert gewesen war, Hess er sich
Digitized by
Google
347
PUTTMANN: GESCHICHTE DER K0M1SCHEN OPER
in Stettin als Musikgelehrter nieder. Im Jahre 1673 wurde er herzoglich-
holsteinischer Kapellmeister zu Gottorf, ging 1678 an das neu erbaute
Theater zu Hamburg und 1685 als Nachfolger des braunschweigischen
Kapellmeisters Johann Rosenmuller (1615 — 1683) nach Wolfenbiittel.
Spater finden wir ibn als Kapellmeister in Diensten des Herzogs Christian II.
von Sachsen-Merseburg, nach dessen Tode er in seine Vaterstadt zuriick-
ging, wo er am 24. Juni 1724 starb. Zu den Werken Theiles gehoren
ausser dem genannten der ebenfalls im Eroffnungsjahr der Hamburger
Oper komponierte „Orontes, der verlorene und wiedergefundene Prinz aus
Candia", dem im Jahre 1681 „Die Geburt Christi* folgte.
Neben Theile waren fur die Hamburger Oper in den ersten Dezennien
ihres Bestehens tMtig: Nicolaus Strungk (1640 — 1700); die grossere An-
zahl seiner Opern schrieb er jedoch nicht fur Hamburg sondern fur
Leipzig; die bedeutendste unter den fur Hamburg komponierten durfte die
im Jahre 1678 zur Auffuhrung gebrachte Doppeloper „Der gluckselig
steigende Sejanus und der ungluckselig fallende Sejanus" sein; ferner Johann
Wolfgang Frank, zugleich Arzt und Theaterkapellmeister; er schrieb fur
Hamburg nicht weniger als 14 Opern oder Singspiele, darunter das komische
„Don Pedro, oder die abgestrafte Eifersucht" im Jahre 1679; Johann
Philipp Fortsch (1652 — 1708) komponierte neben einem Dutzend drama-
tischer Werke ernsten Inhaltes auch ein Lustspiel unter dem Titel 9 Don
Quixotte de la Mancia"; ferner sind Johann Georg Conradi, Georg
Bronner und Johann Sigismund Kusser oder Cousser hier zu nennen.
Leider ist uns von der Musik dieser Komponisten fast nichts erhalten
geblieben.
Wer die Geschichte des Hamburger Operntheaters mit einiger Auf-
merksamkeit verfolgt, dem wird die Tatsache nicht entgehen, dass das
Sujet zu dem Singspiel, mit dem das Theater eroffnet wurde, sowie auch
zu manchen folgenden Stucken nicht etwa deshalb der Bibel entnommen
war, weil das Publikum besonderes Verlangen nach religiosen Stoffen
trug, denn im Zeitalter eines Ludwig XIV. war man gottlichen Dingen
weit weniger zugetan als zu irgend einer anderen Zeit, sondern nur in
kluger Rucksicht auf die Geistlichkeit, die mit der Erbauung des Ham-
burger Theaters anfing, in Wort und Schrift gegen die „Satans-Kapelle*
zu eifern.
Einer der erbittertsten Gegner der Oper war der an der St. Jakobi-
kirche zu Hamburg angestellte Pastor Dr. Anton Reiser. Er schrieb
nicht nur seine w Theatromania a , worin er an der Hand von Ausspruchen
alter Kirchenlehrer die Schauspiele verdammt, sondern eiferte auch von
der Kanzel herab gegen alle diejenigen, „so mit allerhand sundlicher
Wollust und mit argerlichen Lustspielen ihre mit verdammlicher Sicher-
Digitized by
Google
348
DIE MUSIK III. 23.
heit eingenommenen, verblendeten und verstopften Augen und Ohren, ja
ganzlich verstockten, felsenharten Gemiiter und Herzen weiden und er-
gotzen." Nachst Reiser war es der Prediger an der St. Michaelskirche
Johann Winkler, der sich an dem Kampfe wider das Theater beteiligte,
trotzdem die Wittenberger theologische Fakultat das Gebahren der Geistlich-
keit als einen Missbrauch des geistlichen Amtes und als unzeitigen Eifer
bezeichnet hatte.
Nachdem der als Singer an der Oper angestellte Magister Christoph
Rauch in seiner „Theatrophania, zur Verteidigung der christlichen, vor-
nehmlich aber der musikalischen Opera" den Versuch gemacht hatte, die
in der Reiserschen Schrift enthaltenen Angriffe abzuwehren und der
Theaterunternehmer Schott, als einer der Hauptbeteiligten, mit seinen
„Vier Bedenken von Opera" hervorgetreten war, fasste endlich der Prediger
der St. Katharinenkirche Heinrich Elmenhorst den Mut, seinen Amts-
brtidern entgegen zu treten. Seine bedeutende Schrift, in der er alle von
Reiser in seiner „Theatromania" erhobenen Vorwurfe in glMnzender Weise
widerlegt, erschien im Jahre 1688 unter dem Titel W Q. D. B. V." (Quod
Deus bene vertat) „Dramatologia antiquo-hodierna, Das ist: Bericht von
denen Oper-Spielen, Darin gewiesen wird, Was sie bei den Heyden gewesen,
und wie sie des darbey vorgegangenen abgottischen und lasterhafften
Thuens halber von den Patribus und Kirchenlehrem verworffen, Ferner
Was die heutige Oper-Spiele seyn, und dass sie nicht zur Unerbarkeit
und sundlicher Augen-Lust, sondern zur geziemenden Ergetzung und Er-
bauung im Tugend-Wandel vorgestellet, Dannenhero von Christlicher
Obrigkeit als Mittel-Dinge wohl konnen erlaubet, und von Christen ohn
Verletzung des Gewissens geschauet und angehoret werden, Aus Liebe
zur Wahrheit geschrieben von Heinrich Elmenhorst, Pr. z. S. C. Hamburg,
Gedruckt bey Georg Rebenl. Wittwe, 1688."
Die „Dramatologia", die Elmenhorst mit dem Spruch 1. Korinth.
Kap. 6, V. 16: ,1st jemand unter euch der Lust zu zanken hat, der wisse,
dass wir solche Weise nicht haben, die Gemeine Gottes auch nicht" ein-
leitet, ist ein uberaus sch&tzenswertes Werk, das ein weit iiber seinen
eigentlichen Zweck hinaus reichendes Interesse erheischt. 1 )
Der Kampf seitens der Geistlichkeit gegen das Theater blieb aber
keineswegs auf Hamburg beschrinkt. So sehen wir u. a. auch in Berlin
den Kantor Heinrich Fuhrmann (1670 — 1736) mit schwerem Rustzeug zu
Felde Ziehen.
Fuhrmann war Kantor am Friedrich-Werderschen Gymnasium zu
') Vgl. die ausffihrliche Besprechung des Verf. in der „AUgemeinen Musik-
Zeitung", Jahrg. 28, No. 20 und 21.
Digitized by
Google
349
PUTTMANN: GESCHICHTE DER KOMISCHEN OPER
Berlin und als Theoretiker und Kritiker sehr geschatzt. Seine gegen das
Theater gerichteten Schriften sind: „Gerechte Wag Schal* (geschrieben aus
Anlass des zwischen Mattheson und Joachim Meyer entstandenen Streites
uber des letzteren „Unvorgreifliche Gedanken uber die neulich eingerissene
theatralische Kirchenmusik" und herausgegeben unter dem Pseudonym
Innocentius Frankenberg zu Brandenburg 1728), „Das in unsern Opern-
theatris siechende Christen thum und siegende Heidenthum" von Liebhold
und Leuthold, Canterbury, in dem musikalischen Hauptquartier 36 Meilen
von Hamburg, 1728 [unter Canterbury soil die Burg, d. h. die Wohnung
des Kantors verstanden werden; all zu bescheiden scheint der Herr Ver-
fasser nicht gewesen zu sein], „Die an die Kirche Gottes angebaute Satans-
kapelle* . . . „ alien christlichen Seelen zur Anschau und Abscheu vor-
gestellet von Marco Hilario Frischmuth. Getruckt zu Colin am Rhein und
verlegt von der heiligen 3 Kdnige Erben", und endlich „Die von den
Pforten der Holle besturmte Himmelskirche", die mit dem vollen Namen
des Autors im Jahre 1730 erschien.
Auch die Prediger Dr. Spener, Propst an St. Nicolai, und M. Johann
Caspar Schade predigten mit Erfolg gegen die Oper, und nach Kustners
„Altes und neues Berlin" soil die Geistlichkeit die Kdnigin sogar bewogen
haben, ein neu erbautes Theater wieder niederreissen zu lassen, nur weil
man beabsichtigte, die erste Opernvorstellung darin an einem Sonntage zu
geben.
Schluss folgt
Digitized by
Google
DIE GESETZE DER BOGEN-
FOHRUNG AUF DEN STREICH-
1NSTRUMENTEN
von Dr. F. A. Steinhausen- Hannover
|enn man die Geschichte der Bogeninstrumente und ihrer Meister
verfolgt, so findet man, dass es zu jeder Zeit fein beobachtende
und denkende Kunstler gegeben hat, die fiber das Wesen
j ihrer Technik und fiber die Bedingungen einer vollkommenen
Tonerzeugung sich Rechenschaft zu geben versuchten. Weshalb ihrer stets
nur wenige waren, das ist bis zu einem bohen Grade erklarlich. Denn
ohne sie zu kennen, befolgt der Genius die von der Natur gegebenen
Gesetze, intuitiv findet er den richtigen Weg. Die wenigen aber, die
jenen Gesetzen nachzuspuren suchten, vermochten der Sache nicht auf
den Grund zu kommen, weil es frfiher noch an der dazu unbedingt notigen
Kenntnis der natfirlichen Gesetzmassigkeit fehlte, die die Bewegungen
unserer Knochen, Gelenke und Muskeln beherrscht. Hatte man bis dahin
die Bewegungen unserer Arme und Hande, wie auch das Gehen, Stehen usw.
als etwas von der Natur Gegebenes in naiver Unmittelbarkeit hingenommen,
so regt sich in unserer Zeit der Trieb des Zergliederns und des Fragens
nach dem Wie und Warum, des Eindringens in den mechanischen Zu-
sammenhang der Korperbewegungen. So entstand in den letzten Jahrzehnten
eine Wissenschaft der Mechanik der Gelenke und Muskeln, unseres gesamten
Bewegungsapparates, und damit ergaben sich die Mittel, mit deren Hilfe
jeder einfache, elementare Bewegungsvorgang erklfirt und eine Analyse
komplizierter Bewegungen unternommen werden konnte.
Es ist also nicht zu verwundern, dass erst auf so gewonnener Grund-
lage auch den hocbst verwickelten Bewegungen des rechten Armes bei der
Bogenffihrung auf die Spur zu kommen war, aber andrerseits auch begreiflich,
dass das von den Physiologen zusammengetragene Wissen vom Kunstler
allein fur seine besonderen Zwecke auch jetzt noch nicht nutzbar zu
macben ist, dass er zunachst auf die Hilfe und Leitung des Physiologen
angewiesen bleibt. Ja, man muss folgerichtig sagen: die Bedingungen zur
Losung dieser Fragen werden am gfinstigsten dann gegeben sein, wenn
physiologische Fachkenntnisse mit einer gewissen, wenn auch immerhin
dilettantischen musikalisch-technischen Ausbildung auf einem Streichinstru-
ment in einer Person sich zusammenfinden.
Digitized by
Google
351
STEINHAUSEN: GESETZE DER BOGENFOHRUNG
Ich habe nun den Versuch unternommen, dem Kunstler die Wege
zu weisen, auf denen er zum VerstMndnis jener verwickelten Gesetz-
missigkeit vordringen kann. Der Leser findet diese Studien niedergelegt
in dem bei Breitkopf & Hirtel in Leipzig erschienenen Buch: w Die Phy-
siologic der Bogenfuhrung auf den Streichinstrumenten".
Eine Masse von Irrtum und Widersinn schleppt sich durch die Lehr-
bucher und Schulen wie durch den praktischen Unterricht hin. Da werden
Dinge gelehrt und vom Schuler verlangt, die geradezu alien mechanischen
Gesetzen zuwiderlaufen, Dinge, die auf den wissenschaftlich geschulten
Beobachter fast lMcherlich wirken.
Will man einen recht lebendigen Eindruck von der Zerfahrenheit der
Unterrichtsmethoden gewinnen, so muss man einmal die zahlreichen
Schulen, Katechismen usw. durchsehen, die sich mit der Methodik der
Bogenfuhrung auf Geige und Cello befassen. Ich habe beilaufig 50 durch-
studiert und war erstaunt iiber die zahllosen Widerspruche nicht nur
zwischen den verschiedenen Autoren, sondern auch bei einem und demselben
Verfasser. Man sollte denken, eine solche Unklarheit musse unertrfiglich
sein und alle Hebel wiirden in Bewegung gesetzt, um sie zu beseitigen.
Dass iiberall Zweifel und Unsicherheiten bestehen, dass jedem denkenden
Geiger und Cellospieler besondere RStsel zu schaffen machen — der
Dilettant leidet geradezu unter den Ratseln der Bogentechnik — dass man
von einer klaren Methode himmelweit entfernt ist, alles das beweist das
Unhaltbare des jetzigen Zustandes. Nur einige Beispiele seien angefuhrt.
Da wird der AnfMnger mit der widersinnigen Zumutung gequalt, den Ober-
arm ganz unbeweglich fest zu halten, er muss vielleicht sogar ein Buch
oder dgl. zwischen Oberarm und Rumpf festklemmen. Und doch ist dies
Festhalten nicht nur eine mechanische Unmoglichkeit, sondern man beraubt
sich damit des besten Hilfsmittels, um die grossen Muskelkrafte des Ober-
arms und der Schulter auf die Bogenstange zu iibertragen, und erzieht
so systematisch den bekannten dunnen und nichtssagenden Ton, der gerade
fur die grosse Mehrzahl der Dilettanten charakteristisch ist.
Ein anderes Beispiel. Da werden die Gelenke mit roher Gewalt ge-
dehnt, da verlangt man grobe gymnastische Ubungen, wie z. B. die auch
heute seltsamerweise immer noch empfohlene Jacksonsche Gymnastik
einen „ziemlich schweren Alpenstock als erfolgreiches Ubungsmittel an-
preist. Es ist ganz falscb, darauf auszugehen, in dem Arm ein hochstes
Mass grober Muskelkraft heranzuzuchten. Da miisste folgerichtig der
Athlet der beste Spieler sein. Woher kommt es aber, dass so hSufig aus-
gesprochen muskelschwache Spieler den kraftigsten Ton produzieren, und
dass sogar Wunderkinder durch ihre Tonfulle in Erstaunen setzen?
Einer der Hauptfehler jedoch ist die einseitige Hervorhebung des
Digitized by
Google
352
DIE MUSIK III. 23.
Handgelenks, durch welche die ganze Reihe der ubrigen zum Teil noch
wichtigeren Gelenke in ihrer Bedeutung zuruckgedrMngt wird. Weil seine
Bewegungen fur die oberflMchliche Betrachtung zuflllig am meisten sicht-
bar sind, ubersieht man dariiber sogar viel wesentlichere Bewegungen.
Man mache nur einmal den Versuch, mit dem Handgelenk allein, ohne
die Rollbewegung des Unterarmes, den Bogen zu fuhren, und man wird
sich bald von der Unmoglichkeit uberzeugt haben.
Man sehe sich ferner auch einmal die ganz unklare Bezeichnungs-
weise an — die notwendige Folge eines auf Grund laienhafter Anschau-
ungen von den Bewegungen des Armes zurechtgemachten Systems. Da
spricht man vom Aus- und Einbiegen, Wdlben, Hinaufziehen eines Ge-
lenks: Ausdrucke, die nicht entfernt das besagen, was eigentlich vor sich
geht, unter denen sich jeder mit Fug und Recht etwas anderes vorstellt
und mittels deren keine Bewegung unmissverstandlich und eindeutig zu
bezeichnen ist. Es ist kein Wunder, wenn solche ungenaue und viel-
deutige Ausdrucksweise eine ganze Kette falscher Vorstellungen auslost.
Ich kann die angezogenen Beispiele, deren Zahl sich beliebig ver-
mehren Hesse, an dieser Stelle nicht eingebender ausfiihren und begrunden,
sondern muss unbescheidenerweise abermals auf mein Buch verweisen,
da es ja leider bisher dariiber nichts anderes in der Literatur gibt.
Man fragt sich: woher kommt all der Widersinn? und findet nur die
Antwort darauf, dass der Laie — und Laien sind in diesem Sinn aus-
nahmslos Kunstler wie Dilettanten, sofern sie nicht physiologisch unter-
richtet sind — sich die verkehrtesten Vorstellungen von allem macht, was
an seinem Kdrper vorgeht, wie das der Arzt ja tiglich zu beobachten
genugsam Gelegenheit hat. So sind es auch die tdrichtesten Ansichten,
auf die die Bogentechnik gegriindet wird. Nun ist freilich eine gewisse
Unkenntnis fiber den Bau und die Funktionen des Armes nicht zu ver-
wundern und zu verubeln. Wenn aber diese Unkenntnis geradezu dahin
gefuhrt hat, ein gauzes System falscher Folgerungen davon abzuleiten, so
ist es an der Zeit, Front zu machen und sich vora Fachmann korrigieren
zu lassen. Philistrose Bequemlichkeit und schablonenhafter Dogmatismus
leisten das Ihrige, urn das System als Erzeugnis unantastbarer Weisheit
hinzustellen. An dieser Vertrauensseligkeit ruttelt wissenschaftliche Skepsis.
Will man dem Ubel der jetzt herrschenden Zerfahrenheit an der
Wurzel beikommen, so ist die erste und fundamentale Forderung die, dass
der Kunstler und namentlich der PMdagoge das Mittel, mit dem er den
Bogen fuhrt und den Ton hervorbringt, seinen Arm und dessen Mechanik,
grundlich kennen lernt. Er muss sich erst in den Gedanken hineinleben,
dass eben nicht das Ohr den Bogen fuhrt — um es einmal drastisch aus-
zudrucken — sondern dass zwischen Ohr und Instrument ein Mittelglied
Digitized by
Goo«
353
STE1NHAUSEN: GESETZE DER BOGENFOHRUNG
eingeschaltet 1st, das seine Gesetzmassigkeit fur sich hat, die auch das
Ohr als sich ubergeordnet und unabSnderlich anerkennen muss. Nur
die genaueste Kenntnis dieses Zwischengliedes ermoglicht es, ein dienst-
bereites, dem Willen gehorchendes, ausdrucksfahiges Werkzeug daraus zu
machen. Diese Kenntnis bezieht sich, um eine ganz kurze Ubersicht zu
geben, auf die Funktionen der Gelenke und Muskeln, auf das Wesen des
Ubens, auf die Erfassung des Bogens als komplizierten Hebels mit fein
beweglichem Drebpunkt, auf die Art und Wirkung der am Bogen angreifen-
den Krafte, auf die Grenzen, die von der Natur fur die Technik ge-
setzt sind usw. Alle diese Studien sind ausserordentlich interessant und
nichts weniger als den musikalischen Geist to tend. Die Befurchtung, dass
der Geist durch das Tecbnische uberwuchert werden kdnnte, ist grundlos,
denn jede Kenntnis des bogenfuhrenden Mechanismus hilft ja das Technische
iiberwinden, und je mehr das Technische uberwunden wird, um so freier
wird der Geist und um so reicher kann er sich entfalten.
Bogen und Arm bilden zusammen ein in sich geschlossenes organisches
Ganze, ein von den gleichen Hebelgesetzen beherrschtes System. Die
grundlegende Folgerung hieraus ist die Drehung des Bogens bei jedem
Strich um die zwischen Daumen und Mittelfinger liegende Spielachse, und
auf dieser mechanisch absolut notwendigen Drehung beruht, wie ich hier
nur andeuten kann, die Technik aller Stricharten sowohl wie die Bildung
eines physikalisch vollkommenen Tones. Mit dem VerstMndnis fur die
fundamentale Bedeutung dieser Drehungsachse wird der ganze bogen-
fuhrende Mechanismus mit einem Schlage klar und durchsichtig und daran
finden alle die bisher gemachten Febler und Widerspruche vollstMndig ihre
Losung. Wer die Spielachsendrehung einmal gesehen hat, der begreift, wie
mir schon mehrfach mit Erstaunen bestitigt wurde, nicht mehr, wie er sie
jemals hat ubersehen konnen. Es ist ubrigens interessant, dass Spohr
schon nicht mehr weit davon entfernt gewesen ist, die Spielachse aufzu-
finden; lehrte er doch schon, dass der Bogen .zwischen den Fingern hin-
und herbewegt werden musse*. Fur eine von jedem Spieler erstrebte,
ebenso wirkungsvolle wie ratselhafte Strich art, das Staccato, das bis-
her noch von keinem Lehrer hat erklMrt werden konnen, bildet die Spiel-
achsendrehung geradezu den Schlussel. Aus den meisten der mir bis jetzt
aus der Presse vorliegenden MeinungsMusserungen ersehe ich, dass die
wesentliche Bedeutung dieser Drehung noch nicht als der „Angelpunkt"
des ganzen bogenfuhrenden Systems erkannt worden ist.
Der jetzige Zustand ist ganz besonders fur den Unterricht unhaltbar.
Es ist klar, dass mit dem alten Schlendrian aufgerMumt und die Unter-
weisung in neue Bahnen geleitet werden muss. Fur den Pfldagogen be-
steht die unabweisliche Verpflichtung, die Ergebnisse der wissenschaftlichen
III. 23. 23
Digitized by
Google
354
DIE MUS1K III. 23.
Forschung in ihrer Lehrtatigkeit auszunutzen. Denn schon die nachste
Generation wird ihre Lehrer dafiir verantwortlich machen, wenn sie den
nunmehr gebahnten Weg nicht gefuhrt worden ist. Dazu muss eine neue
Methodik geschaffen werden, natiirlich nicht vom Kunstler und Padagogen
allein, sondern unter Mitwirkung der Physiologen, wie ich das am Schluss
meines Buches nacbgewiesen habe. Vor allem aber darf man sich nicht
dem Vorurteil hingeben, als ob diese Erweiterung des Unterrichts eine
Erschwerung bedeute, dem Schiiler langweilig sei und seine Fassungskraft
ubersteige. Selbstverstandlich soil der Anschauungsunterricht progressiv,
den Altersstufen angemessen, die praktische Unterweisung begleiten, so
dass jeder technische Fortschritt mit vertieftem Verstandnis jenes den
Verstand und die Phantasie gleich fesselnden Mechanismus sich verbindet.
Macht man doch auch jetzt den Versuch, die Technik des Gesanges und
des Klavierspiels auf feste und einfache physiologische Grundlagen zuruck-
zuffihren. Warum soil dahinter der Unterricht auf den Streichinstrumenten
zuriickstehen?
Aus den Besprechungen in der Presse habe ich den ubrigens voraus-
gesehenen Eindruck gewonnen, dass namentlich die Nichtfachmusiker, oder
besser gesagt, die nicht beruflich das Geigen- und Cellospiel ausiibenden
gebildeten Dilettanten meinen Studien das grundlichste und regste Ver-
standnis entgegenbringen. Von Ausnahmen unter den Kfinstlern fuhre ich
mit Dank und Anerkennung Herrn Professor Hugo Becker in Frankfurt a. M.
an. Ich habe in ihm einen ausserordentlich unterrichteten Kunstler kennen
gelernt, der fiber das Wesen der Technik in hervorragender Weise sich
Rechenschaft zu geben versteht. Dass gerade in den Kreisen der Geigen-
und Cellolehrer, denen es leider, wie von den Fachgenossen bekanntlich
selbst geklagt wird, hiufig an einer umfassenderen Allgemeinbildung mangelt,
am lMngsten Widerstand gegen Neuerungen bestehen bleiben wird, darauf
habe ich mich von Anfang an gefasst gemacht. Aber solche aus wissen-
schaftlicher Erkenntnis abgeleiteten Normen gehen mit Naturnotwendigkeit
alien WiderstMnden zum Trotz ihren Weg, wenn auch nicht von heute auf
morgen.
Digitized by
Google
LISZT, WAGNER UND BOLOW
IN IHREN BEZIEHUNGEN
ZU GEORG HERWEGH
von A. Niko. Harzen-Miiller-
Schoneberg b. Berlin
|icht ohne daran zu erinnern, dass Georg Herwegh, durch die
Verhaltnisse gezwungen and des schliesslichen Misslingens im
voraus sich bewusst, aktiven Anteil an dem Aufstande in Baden
1848 genommen hat, wie Richard Wagner, Gottfried Semper
and andere an den Dresdener Maiereignissen von 1849, infolgedessen
Herwegh nach Paris und Zurich, Wagner nach der Schweiz, Semper nach
Paris und London fliehen musste, lassen wir in den folgenden Zeilen die
Politik ganz aus dem Spiele und beschranken uns auf Herweghs Be-
ziehungen zu Liszt, Wagner und Biilow, insoweit sie durch die Musik an-
geknupft und gepflegt worden sind Oder fur die Musik von Bedeutung
wurden.
Soviel mir bekannt, hat sich bis jetzt keine deutsche Musikzeitung mit
Herwegh eingehender beschMftigt; wohl aber brachte die heute nicht mehr
erscheinende „New Yorker Musikzeitung" im Jahre 1875 (Jahrgang XVIII,
No. 19 S. lOff.) einen Nekrolog auf den am 7. April 1875 in Baden-
Baden verstorbenen Dichter; das genannte Blatt, das in den Bibliotheken
zu Berlin, Hamburg, Munchen, Dresden und Leipzig nicht vorhanden ist,
war mir leider nicht erreichbar, im New Yorker „ Art-Museum* am Zentral-
park wird es wohl zu finden sein. Bereits als neunzehnjihriger Tiibinger
Student der Theologie spendete Herwegh (geboren 1817 in Stuttgart), den
der schweizerische Dichter und Philologieprofessor Jakob Mahly spMter
nicht nur den „volltonendsten, sondern auch den vollkriftigsten
Lyriker der deutschen G&rungsepoche" genannt hat, die Erstlinge
seiner Muse fur das „ Album der Boudoirs" und fur das „Lyrische
Album", zwei poetische Beiblatter der Zeitschrift „Europa, Chronik
der gebildeten Welt", die von Johann Karl August Lewald 1 ) in Ver-
bindung mit mehreren Gelehrten und Ktinstlern seit 1835 in Leipzig
') Lewald, geb. 1792 in Kdnigsberg und gest. 1871 in Munchen, gab u. a.
beraus: v Gescbichte der Musik, fur Freunde und Verebrer dieser Kunst, nach dem
Franzdsischen der Frau von Bawr frei bearbeitet" (Nurnberg 1826). Lewald schrieb
auch unter den Pseudonymen Kurt Waller, Hans Kindermann, Tobias Sonnabend.
23*
Digitized by
Google
356
DIE MUS1K III. 23.
ufid Stuttgart und voriibergehend in Karlsruhe herausgegeben wurde; von
1846 bis 1886 war Gustav Kiibne 1 ) Redakteur der „Europa«, fur die be-
kanntlich auch Richard Wagner unter dem Pseudonym W. Freudenfeuer
wertvolle und interessante Beit rage geliefert hat. Bald darauf kam Her-
wegh nach Stuttgart, wo er nach teilweiser Erfullung seiner Dienstzeit
als „Soldat mit temporMrem Abschiede" auf einem Balle mit einem Offizier
in harten Wortwechsel geriet; urn der sicheren Strafe zu entgehen, floh
er im Fruhjahr 1840 nach der Schweiz, wo er bei dem deutschen Flucht-
ling Dr. Eisner in dem vor den Toren von Konstanz im schweizerischen
Kanton Thurgau gelegenen Dorfe Emmishofen wohnte. Ende April kam
Herwegh nach Zurich, wo sich der Naturforscher Lorenz Oken, der Be-
grunder der neueren Naturpbilosophie (gest. daselbst 1851), und der
Mineralogieprofessor Julius Frobel, ein Schiiler und Freund Alexanders
von Humboldt, seiner annahmen. Im Herbst 1841 reiste Herwegh iiber
Baden im Aargau nach Paris, yon wo er im Fruhjahr 1842 wieder nach
Zurich zuruckkehrte; bekanntlich wurde er in diesem Jahre wegen seines
im Dezember an den Konig Friedrich Wilhelm IV. gerichteten, gegen
seinen Willen und ohne sein Wissen veroffentlichten Briefes aus Preussen
ausgewiesen. Der Eindruck, den seine Gedichte von den Ufern des Zuricher
Sees bis zur Ostsee hin hervorriefen, war ein macbtiger, unbeschreiblicher;
tiberall las man die in „gepanzerten" Rhythmen verfassten Lieder, deren
Dichter von Lewald in der „Europa", von Alexis Publicola und Dr. Johannes
Scherr in besonderen Buchern (Niirnberg und Winterthur) dem deutschen
Publikum warm empfohlen, von Heinrich Heine in einem an ihn ge-
richteten Gedichte „ Herwegh, Du eiserne Lerche" apostrophiert, von
Robert Prutz in einem schonen grossen Gedichte verherrlicht wurde.
Auch Franz Liszt, der sich um diese Zeit, vom Dezember 1841
bis Marz 1842, in Berlin aufhielt und durch sein Klavierspiel alles be-
geisterte, fand solchen Geschmack an den feurigen Weisen des sechs Jahre
jungeren Dichters mit der ehernen Stimme, dass er vier seiner Gedichte
vertont hat. Zunichst komponierte Liszt das von Herwegh im Jahre 1841
gedichtete vierstrophige „Reiterlied", ein poetisches Meisterstuck in seiner
Art, das beginnt:
v Die bange Nacht ist nun herum,
Wir reiten still, wir reiten stumm und reiten ins Verderben.
Wie weht so scharf der Morgenwind!
Frau Wirtin, noch ein Glas geschwind vorm Sterben, vorm Sterben!*
*) Von ihm ist u. a. das von Heinrich Marschner, Wilhelm Speidel und von
anderen komponierte Vaterlandslied w Germania", das Lied der deutschen Studenten
aus seinem seinerzeit in Leipzig, Mannheim, Hannover und Magdeburg aufgeffihrten
Drama .Kaiser Friedrich in Prag* sowie das Festgedicht „Cantate zum Weberfest in
Dresden", in Musik gesetzt von Julius Rietz.
Digitized by
Google
357
HARZEN-MOLLER: HERWEGHS BEZIEHUNGEN
&
Man findet das „Reiterlied a als No. 3 und No. 4 unter den „Vier-
stimmigen MMnnergesangen 4 * von Franz Liszt, die 1843 bei B. Schotts Sonne
in Mainz, Antwerpen und Brussel erschienen sind; die erste Version gibt
das Lied a cappella, die zweite mit einer Klavierbegleitung; der Komponist
hat es dem Grafen Alexander Telecky von Sz6k freundschaftlichst ge-
widmet. Wie Rudolf Gottschall 1 ) erzahlt, war das w Reiterlied a von
Herwegh-Liszt seinerzeit in Berlin sehr beliebt und wurde viel gespielt
und gesungen. 9 ) Der Dichter selber wurde in Berlin aufs beste auf-
genommen; der w Berliner Figaro" No. 260 vom 7. November 1842 schreibt:
„Herwegh ist nun seit ein Paar Tagen hier. Mit welcher Verehrung und
Acbtung nan ihm entgegen gekommen ist, darf wohl kaum niher geschildert werden.
fiber Herwegh als Mensch und Dichter berrscht nur eine Stimme."
No. 1 der oben genannten MMnnerchorsammlung von Liszt, deren
Honorar von dem Meister in hochherziger Weise der im Jahre 1838 ge-
grundeten Mozartstiftung in Frankfurt a. M. iiberwiesen wurde, urn einen Bei-
trag zu liefern fiir die Stipendien an begabte junge Tonkunstler zur Vollendung
ihrer Ausbildung, ist die Komposition des Herweghschen „Rheinwein-
liedes*, das, im Oktober 1840gedichtet, einen Vergleich mit dem „Vaterlands-
liede a von Ernst Moritz Arndt oder mit dem gleichzeitigen „Rheinlied a von
Nikolaus Becker wohl aushalten kann. Liszt weilte im Sommer 1841 auf
der Insel Nonnenwerth oberhalb Bonns und im Herbst vorubergehend in
Kdln; in diese Zeit fallt die Komposition des „Rheinweinliedes", die er
seinem Freunde J. Lefevre, dem Chef der damaligen Firm a Eck & Co. in
Koln, dedizierte. Im August erhielt Liszt den Besuch der Kolner Lieder-
tafel, die ihn in Rolandswerth feierlichst begriisste und tiber Rolandsburg
und Rolandseck nach Koln abholte, wo er auf Veranlassung der Herren
Eck & Co. ein Konzert zum Besten des Dombaus veranstaltete. Das
funfstrophige Gedicht beginnt:
') In dem Essay „Georg Herwegh" in „Unsere Zeit, deutsche Revue der
Gegenwart* von 1875 (Neue Folge, XI. Jahrgang, Leipzig).
*) Am populirsten jedoch ist die auch ins „AUgemeine Deutsche Kommers-
buch* aufgenommene Melodie dieses Liedes von J. W. Lyra, nach der es von den
deutschen Studenten allgemein gesungen wird. Weitere Kompositionen des Her-
weghschen „Reiterliedes" fur eine Singstimme mit Klavierbegleitung ruhren her von
C. Banck op. 57 No. 4, H. Evers op. 13 No. 3, J. Feyhl op. 4 No. 7, A. Hirtel op. 5
No. 4, E. Hartmann op. 35 b2, J. Hey op. 1 No. 1, W. Weingand No. 2 und der in
Wilhelmshaven wohnenden Pianistin Miss Mabel Sey^ton (Manuskript), die auch
Herweghs „Die Liebe ist ein Edelstein" (Manuskript) komponierte. Als Minnerchor
ruhrt das ,Reiterlied" her von C. F. Adam op. 6 8 , C. Banck, F. Hiller op. 28 1 ,
J. Fr. Kalliwoda op. 233 2 , O. Keycher op. 7 8 , Lyra-Weigel, J. Macbanek op. 29,
H. T. Petschke op. II 6 , C. Ad. Lorenz op. 56, C. Rheinthaler op. 15*, K. G. Schaller,
M. Seifriz op. 3 Heft 1 No. 1, F. Silcher, W. Sturm, A. Truhn, J. Chr. Weeber op. 19 4 ,
J. B. Zerlett op. 164.
Digitized by
Google
358
DIE MUS1K III. 23.
^
,Wo solch cin Feuer noch gedeibr,
Wo solcb ein Wein nocb Flammen spcit,
Da lassen wir in Ewigkeit
Uns nimmermehr vertreiben!
Stosst an! Stosst an! Der Rbein,
— Und waYs nur um den Wein —
Der Rbein soil deutsch verbleiben !"
Auch dieses Lied steht mit der verinderten Uberschrift „Geharnischtes
Rheinlied a im „AUgemeinen Deutschen Kommersbuch", wird jedoch nach
der Melodie einer „Alten Weise* gesungen. 1 )
Das Herwegh-Lisztsche „Rheinweinlied* ist zuerst dffentlich gesungen
worden vom damaligen w Phil harm on ischen Verein" zu Leipzig in einem
von der W K. K. Osterreichischen Kammervirtuosin" Frau Klara Schumann
am 6. Dezember 1841 gegebenen Konzert, in dem auch Liszt aus besonderer
Gefailigkeit mitwirkte; das Lied gefiel ausserordentlich und musste wieder-
holt werden. Genau acht Tage spfiter, am 13. Dezember, steht es bereits
wiederum auf dem Programm eines Leipziger Konzerts, das Liszt selber
gab. Die ,Neue Zeitschrift fur Musik a (XV. Band No. 50 vom 21. Dezember
1841) nannte es in einer Besprechung dieses Abends eine „popul3re
{Composition*. Bisher kannten Dichter und Komponist einander nicht;
das „Rheinweinlied" gab die erste Veranlassung dazu. Herwegh, der da-
mals in Paris im Hdtel de B6arn, rue de Lille No. 38, wohnte, richtete
am 14. Dezember 1841 folgendes Dankschreiben *) an „ Monsieur Liszt
a Leipzig":
„Verehrtester Herr! Aus den Zeitungen erfahre icb, dass Sie einem meiner
Gedicbte die Ebre haben angedeihen lassen, die es nie erwartet und, abgeseben von
seinem Gedanken, der aber nicht mir, sondern meinera Volke angebdrt, auch in
keinerlei Weise verdient hatte. Als dem Freunde der hocbherzigsten Frau unserer
Zeit*) bane icb Ibnen lingst im Stillen meine Huldigungen dargebracht, als Kunstler
a ) Ausser Liszt haben nicht weniger als 23 Komponisten dieses Herweghsche
Gedicbt ffir Minnercbor komponiert: Heinr. Marscbner zum Besten des Hermann-
DenkmaU im Teutoburger Wald (Leipzig bei Hofmeister, jetzt vergriffen), W. Dettmer,
der erste Darsteller des „Landgrafen" bei der 9 Tannbiu8er*-Premiere in Dresden 1845,
Mendelssohn 1844 op. 76* (in 20 verscbiedenen Ausgaben, Sammlungen usw.), Robert
Franz 1862 op. 32 % C. F. Adam op. 6 1 , J. DOrrner, H. Engmann, M. Ernemann op. 16^
E. Hermes op. 54 », J. Hey, F. F. Kirchhof op. 22*, H. Molck op. 74 », F. Mucke,
H. T. Petscbke op. 12 s , C. Luhrs, E. Richter op. 30 •, J. Schneider, J. Scbuppert op. 8 l ,
M. Seifriz, W. Seifensand op. 11 s , W. Volckmar op. 235, G. O. T. Weiss op. 3 s und
S. A. Zimmermann op. 35 s . W. Dettmer hat es auch fur eine Einzelsiimme in
Musik gesetzt.
*) Es ist der einzige Brief Herweghs an Liszt in den „ Brie fen hervorragender
Zeitgenossen an Franz Liszt*, herausgegeben von La Mara (Marie Lipsius) Leipzig 1895,
zwei Blnde; man findet ibn im ersten Bande unter No. 20.
*) Gemeint ist die unter dem Pseudonym Daniel Stern bekannte franzdsische
Schriftstellerin Marie de Flavigny, Grifin d'Agoulr, aus Frankfurt a. M. (1805—1876).
Digitized by
Google
359
HARZEN-MOLLER: HERWEGHS BEZIEHUNGEN
kenne ich Sie leider nur aus dem Rufe, der Ibnen uberall vorangebt. Doppelt
erwunscbt 1st mir nun diese Gelegenheit, ein Paar Worte mit Ibnen zu wechseln,
und zwar gleicb Worte des Dankes, die scbdnsten, die man wechseln kann. Mit
meinem beissen Danke verbinde ich aber aucb die Bitte an Sie, mir eine Abschrift
Ibrer Komposition zusenden zu lassen und mir die Erlaubnis zu erteilen, dieselbe
der dritten Auflage meiner Gedichte, die im Februar eracbeinen wird, als einen ganz
besonderen Scbmuck beizufugen.') Soil ten Sie im Laufe des Monats Dezember oder
Januar einen Augenblick Rube finden, auf meine Bitte einzugehen, so wird micb eine
etwaige Sendung noch bier in Paris treffcn; mit dem ersten Februar reise ich von
bier ab nacb Zurich zuruck, wo mein gewdbnlicher Aufenthalt ist, und von wo aus
jeder Brief an micb gelangt. Der verfebmte Poet drfickt dem gefeierten Komponisten
die Hand. Georg Herwegh."
Die Berliner lernten das Herwegh-Lisztsche „Reiterlied" am 16. Februar
1843 ziierst kennen; an diesem Tage gab die .Akademie fur MMnnergesang",
die am 7. Dezember 1842 Liszt zu ihrem Ehrendirektor ernannt hatte, ein
Konzert im Saale des Koniglichen Schauspielhauses, bei dem Liszt selber
sein Lied dirigierte; eine Kritik jenes Konzertes sagt u. a.:
„Ganz der dustern Firbung des Herwegbscben „Reiterliedes" angemessen, durch-
schauerte uns der Lisztsche Cbor, ganz meisterhaft ausgefuhrt mit seinem todes-
ahnenden Refrain: ,zum Sterben, zum Sterben!' Hier bat der geniale Mann den
rechten Ton getroffen, der uns mit derselben Gewalt ans Herz greift, wie das Gedicht
selbst."
Das „Rheinweinlied" brachten die Opernsanger Mantius, Bader,
Zschiescbe und Bdtticher im dritten Konzert, das Liszt im Saale der
Berliner Singakademie Anfang Januar 1842 gab, zur vollsten Geltung; die
kraftige, feurige und charakteristische Komposition errang grossen Beifall.
Scbon am 25. Januar stand es wieder auf dem Programm eines Konzertes,
das Liszt in der Aula der Berliner Universitdt eigens fur die Studierenden
gab; diesmal wurde es vom Gesangschore des zweiten Garderegiments unter
Friedr. Wilb. Wieprecht gesungen. Damals veroffentlichte der .Berliner
Figaro" einen fingierten Brief Liszts an den Redakteur des „Rheinlandes",
Dr. Wiest, in dem es u. a. heisst:
„Ob Sie von meiner Komposition des Herwegbscben ,Rbeinweinliedes' gehdrt,
weiss ich nicht. Es sind scbon dabei einige tficbtige Pokale, mit Rudesbeimer gefullt,
zerscbellt worden. Herwegb ist mein Mann ! Ailes ist Saft und Kraft. Ein Quentchen
Herwegh wiegt bundert Zentner Niklas Becker auf. Hier bin icb wie Mazeppa auf
das wilde Ross des brausenden Tag- und Nachtlebens gebunden. Gott behute micb
nur vor den nacbjagenden Wfilfen, den Journalisten! Den Berliner Studenten babe
icb eine Freude gemacbt und in ibrer aula maxima gespielt. Das war ein Konzert!
Donner und Doria! Icb spielte gerne jeden Abend einmal so burscbikos wie in
diesem Konzerte. Vielleicbt bekomme icb meiner Verdienste wegen das Doktordiplom ;
dann sen* ich jeden nicbt Doktor-Klavierspieler fiber die Achsel an!"
l ) Ob dies gescbah, weiss ich nicht, da mir die dritte Auflage der „Gedichte
eines Lebendigen" leider nicht zu Gesicbt gekommen ist.
Digitized by
Google
360
DIE MUSIK III. 23.
Bekanntlich wurde Liszt einige Monate spater von der Konigsberger
UniversitMt durch den Professor Jacobi zum Dr. phil. honoris causa ernannt
^propter consummatam artis musicae doctrinam usumque admirabilem orbis
terranim plausibus comprobatum".
Nicht nur in Deutschland wurde das „Reiterlied a und das „Rheinwein-
lied tt vielfach gesungen — das letztere mit Orchesterbegleitung wurde noch
im Jahre 1872 auf dem 4. niedersfichsischen Sangerbundesfest zu Kiel vor-
getragen — auch in Paris, im Herzen Frankreichs, gegen dessen nie
schlummernde Rheingeluste das w Rheinweinlied" ja direkt gerichtet war,
wurden sie von deutschen Sangern noch unter Liszts eigener Direktion
vorgetragen, und zwar rait glanzendem ausseren und moralischen Erfolge,
auf den Dichter und Komponist in gleicher Weise stolz sein konnten. Im
Fruhjahr 1842 gab eine deutsche Operngesellschaft in London Gastspiele,
konnte aber, da das Unternehmen finanziell nicht geniigend vorbereitet und
gesichert war, und da das Interesse der Londoner fur die deutsche Oper
viel zu wiinschen Hess, zu keinen befriedigenden Einnahmen gelangen,
weshalb die Vorstellungen vor der Zeit wieder abgebrochen werden mussten;
die Mitglieder des Chors, meistens Rheinlander, erreichten auf dem Wege
nach der Heimat mit knapper Not Paris, wo sie, von alien Mitteln entblosst,
ankamen. Dort traf zur selben Zeit Liszt ein, der von dieser „Mainz-
Londoner Operngesellschaft" fur die Londoner Saison 1842 als Dirigent
gewonnen worden war; kaum hatte er von der bejammernswerten Lage
der unglucklichen Choristen gehort, da veranstaltete er, hilfsbereit wie
stets, am 30. Juni unter ihrer Mitwirkung eine MatinSe zu ihrem Besten.
Der Oberst Thorn bot fur das Konzert, in dem Liszt selber die Chore
dirigierte und seine in Paris noch nicht bekannte „Don Juan a -Phantasie
spielte, sein schones Hotel in der Rue Varennes an; die Baronin von Roth-
schild, Baronin von Stockhausen und Grafin von Salvandy besorgten das
nMhere Arrangement. Liszts Name geniigte, um eine reiche Einnahme
von 7200 Frs. zu erzielen, die den deutschen Choristen die Heimreise er-
moglichte. Auf die Anzeige dieses Konzertes hin wuteten die franzo-
sischen Zeitungen gegen das Programm und brachten wortgetreue Uber-
setzungen der beiden oben genannten Gedichte von Herwegh, die von den
deutschen Sangern vorgetragen werden sollten. Und in der Tat, man muss
den Mut Liszts bewundern, der den gegen die Rheingeluste Frankreichs
gerichteten Refrain Oder Worte wie:
„Herab die Buchsen von der Wand,
Die alten Scbtfger in die Hand,
Sobald der Feind dem welscben Land den Rbein will einverleiben"
und:
„Keia Tropfen soil, ein feiger Knecbt, des Franzmanns Mublen tretben!"
Digitized by
Google
<^=sl
361
HARZEN-MGLLER: HERWEGHS BEZIEHUNGEN
von Deutschen mitten in Paris singen Hess! Am Tage der Auffuhrung
aber trat das Unerhorte ein, dass die Zuhorer, die zuerst das „Rheinwein-
lied" niederzischen wollten, hingerissen und gepackt von der Wucht der
Komposition und von der begeisterten Wiedergabe seitens der deutschen
Singer, alien Chauvinismus vergassen und den Ausubenden, dem Chore
und dem Dirigenten, jubelnden Applaus darbrachten. Es ist dies einer der
grossten Triumphe Liszts gewesen, dass er es verstand, die Musik zum
versdhnenden Genius politischer Gehfissigkeiten und Zwistigkeiten zu
machen; das franzosische Publikum aber verdient nicht minder unsere
Hochachtung, weil es die Macht und den Einfluss der Musik anerkannte
und ihren glfinzenden Sieg fiber politische Leidenschaften mitgewinnen half.
Eine dritte Herwegh-Lisztsche Komposition steht als No. 10 unter
den im Jahre 1861 bei Kahnt in Leipzig erschienen 12 Liedern fur Manner-
chore; es ist „Der Gang um Mi tternacht", ein Gedicht von echt
lyrischem Reiz und Zauber, das beginnt:
„Ich schreite mit dem Geist um Mitternacht
Die weiten, stillen Strassen auf und nieder." 1 )
Ich komme nunmehr zur vierten und letzten Herwegh-Ltsztschen
Komposition. Im Jahre 1844 war Liszt auf seiner mehrjahrigen europM-
ischen Konzertreise von Paris fiber Marseille und Toulon nach Nimes
gekommen, von wo er im Herbst fiber Montpellier, Toulouse und Bordeaux
nach Pau am Fusse der WestpyrenSen reiste. In der NShe von Pau
wohnte seine Jugendgeliebte, die Komtesse Caroline Saint-Cricq, als Gattin
des Schlossherrn von Artigau. Beide waren, als sie sich wiedersahen,
tief ergriffen doch resign iert; damals fand sein wundes Herz Ruhe und
Heilung, indem er eines der schonsten Gedichte Herweghs, das, eines
grossen Dichters durchaus wfirdig, uns wie ein elegisch hingehauchter
Schwanengesang anmutet, in Musik setzte. Dieses von Herwegh 1839 ver-
fasste Sonett steht unter den „Strophen aus der Fremde" und beginnt:
„lch mdchte hingehn wie das Abendrot
Und wie der Tag mit seinen letzten Gluten,
— O licbter, sanfter, ungefuhlter Tod! —
Mich in den Schoss des Ewigen verbluten."
Liszt hat die Originalskizze zu dieser Komposition, von der er in
einem Briefe vom 12. April 1851 an die Ffirstin Caroline Sayn- Wittgen-
stein schreibt: „Ce Lied est mon testament de jeunesse! a , fast ffinfzehn
Jahre lang bei sich getragen; erst dann hat er das Lied verSffentlicht.
*) Fur eine einzelne Stimme ist es auch noch von Th. Thraemer komponiert
word en.
Digitized by
Google
362
DIE MUSIK III. 23.
Es erschien als achte und letzte Nummer im sechsten Heft seiner „Ge-
sammelten Lieder in sieben Heften" bei Kahnt in Leipzig. 1 ) Damals
schrieb die Furstin in einem Briefe vom 19. Mai 1858 an Georg Herwegh:
„Ces jours derniers, j'ai eu l'occasion de penser a vous plus que jamais. Liszt,
en prtparant pour l'impression une collection assez considerable de Lieder, a rechantt
celui, qu'il a compost sur votre potsie. Je ne sais, si je vous ai dit, qu'il me l'avait
chants pour la premiere fois, 11 y a onze ans de cela, aux premiers jours de notre
connaissance, et que ce chant m'avait €t€ une des premieres reflations de son g6nie.
Votre nom se trouvait ainsi mele* a nos premiers souvenirs. Je ne puis vous dire,
combien tout cela s'est vivement represent* a ma memoire! Si vous vouliez me faire
un grand plaisir, vous m*enverriez ces vers Merits de votre main et signes de votre
nom ! Ne me refusez pas, car il ne vous faut que quelques minutes pour copier ces
strophes, et j'en aurai de la joie pour si longtemps."
Liszt schickte am 3. September 1859 aus Weimar ein Probeexemplar
seiner Lieder an Louis Kohler und schrieb dabei:
„Die letzte Nummer ,Ich mdchte hingehen* (Gedicht von Herwegh) wollte ich
Ihnen speziell widmen, und wenn Sie gelegentlich wieder nach Weimar kommen,
suche ich Ihnen das Manuskript vor, wo Ihr Name darauf steht. Da ich aber bel
dieser Gesamtausgabe alle ubrigen Dedikationen weggelassen, behalte ich mir vor,
Ibnen spiter etwas anderes, vermutlich Dickeres und Lingeres, zu widmen." 8 )
Als Herwegh nach dem Scheitern seiner revolutionSren Taten sich
mit Emma, der geistvollen und sprachenkundigen Tochter des wohlhabenden
Kaufmanns und Hoflieferanten Johann Gottfried Siegmund in Berlin, ver-
heiratet hatte und wieder nach Zurich zuriickgekehrt war, widmete er dem
ihn besuchenden Liszt, den er schon 1843 in Paris und spater in Zurich
nun auch personlich kennen und sch&tzen gelernt hatte, das folgende
„An Franz Liszt. 30. Oktober 1856" uberschriebene Gedicht: 8 )
1. „Die lichte Blum' im dunkeln Kranz, 2. Hinein, binaus zieht uns der Klang,
Den aus Geschicken du gewunden, Wo Erd' und Himmel sich beruhren;
Franceses 4 ) war's, o Meister Franz, Zum wonnevollsten Untergang
Drin ich dein Wesen tief empfunden. LIsst sich das Herz durch dich verfuhren.
l ) Andere Komponisten dieses Herwegh sen en Gedichtes sind M. J. Beer op. 12>
E. Ehrismann No. 12, L. Leal, N. d. S. Quiteria op. 32 No. 2 und Fr. Dietrich, geb.
1799 in Havelberg, Kantor und Lehrer in Beelitz b. Potsdam; fur Minnerchor kompo-
nierte es W. Dugge op. 11.
*) Aus .Franz Liszts Briefe", herausgegeben von La Mara, Leipzig 1883, 3 Binde.
(Band I Brief 218.) Unter den 399 Briefen der ersten beiden Binde befindet sich
kein einziger an Georg Herwegh gerichteter Brief Liszts.
3 ) Georg Herwegh „Neue Gedichte", nach seinem Tode herausgegeben.
Zurich 1877, Seite 263 und 264 unter „Vermischte Gedichte".
4 ) Herwegh wollte ursprunglich einen Kommentar zur Dante-Symphonie schreiben r
unterliess dies aber zum grossen Leidwesen Liszts. An seiner Stelle verfasste Richard
Digitized by
Google
£L
363
HARZEN-MOLLER: HERWEGHS BEZIEHUNGEN
3. Die namenlose Trauer klirt 5. O, mehr als Zauber von Merlin,
Sich auf in Paradiesesweise; Wie goldne Himmelsfunken blitzen
Der Engel senkt sein flammend Schwert Die uberird'schen Melodien
Und dffnet una die Pforten leise. Aus deinen tmnknen Fingerspitzen. *)
4. Ich hbf und mdchte, nimmersatt, 6. Und diese Hand voll Seel' und Geist
Den Atem in die Brust beschworen, Darf ich nach Jabren wieder drucken —
Als kdnnf ein fallend Rosenblatt Du lieber Magier, das heisst
Den Frieden, den du bringst, zerstdren. Mein Haus zebntausendmal beglficken!"
In den Briefen, die Herwegh seinen Besuch ankiindigen, pflegt Liszt
den Freund bisweilen mit „St. Georg" anzureden. Seit 1843 bis zu seinem
Tode war Liszt mit dem Ehepaare Herwegh intim befreundet; im Jahre 1856
liess er bei seinem Besuch in Zurich speziell fur Frau Herwegh eine grosse
Photographie von sich anfertigen, die sich jetzt im Besitze ihres Sohnes Marcel
in Paris befindet; die Platte ist nach Abzug dieses einen Bildes, das nicht ein-
mal Liszts Tochter Cosima, der Patin Marcel Herweghs, bekannt wurde, ver-
nichtet worden. Marcel Herwegh besitzt ausserdem noch ein kleines von
Norwid mit der Feder skizziertes PortrMt Liszts aus dem Jahre 1843 mit
der Inschrift „ Liszt au salon de Madame Georges Herwegh & Paris" ; und
noch 16Tage vor seinem Tode — datiert aus Colpach vom 15. Juli 1886 >
der in Luxemburg gelegenen Besitzung des ungarischen Malers Michael
von Munkacsy, der seit 1872 in Paris lebte — richtete Liszt einen kurzen,
sehr lieben und zMrtlichen Brief an den jungen Herwegh. Die gelegent-
lich eines von Liszt, Wagner und Herwegh im Jahre 1853 von Zurich aus
unternommenen Ausfluges an den drei Quellen der historischen Rutli-
Wiese durch einen Briiderschaftstrunk besiegelte Freundschaft wurde von
alien bis ans Ende treu gehalten.
Wenn Liszt, 1853 allein und 1856 zusammen mit der Furstin
Caroline Wittgenstein und deren Tochter, der spateren Furstin Hohenlohe,
nach Zurich kam, gait sein Besuch besonders Herweghs und Richard
Wagner.
Die Familien Wesendonk, Semper, Moleschott, Kochly bildeten in
Pobl zunichst fur ein im Winter 1858 veranstaltetes Dresdener Liszt-Konzett seine aus
feinstem Verstlndnis hervorgegangene und von Liszt sofort akzeptierte bekannte Ein-
fuhrung.
] ) In einem „Munchen* uberschriebenen Gedicht vom Mai 1866, das mit dem
Motto .Music is a strange tbing" versehen ist, vergleicht Herwegh Liszt mit David;
die betreffende a la Heine-Strophe lautet:
.David war ein Virtuos,
Seine Lieder sind kein Guano,
Auf der Harfe war er gross
Wie der Liszt auf dem Piano."
(.Neue Gedichte- Zurich 1877; Seite 154.)
Digitized by
Google
364
DIE MUSIK III. 23.
Zurich bald einen engen Freundschaftskreis, der sich im Austauschen, Be-
sprechen und Mitteilen der verschiedenen Ansichten iiber Religion und
Politik, Kunst und Wissenschaft ein ideales Prinzip festgesetzt hatte. Ihm
gehorten noch an Herweghs, die Schriftsteller Dr. Adolf Kolatschek und
Dr. J. F. Arnold Wille, welch letzterer nebst seiner Gattin Gundelena
Elisabeth Sloman (1809 — 1893) 1 ), geboren zu Itzehoe in Holstein, zu Anfang
der funfziger Jahre von Hamburg nach Zurich ubergesiedelt war. Wagner
besuchte Willes oft auf ihrem reizend gelegenen Gute Mariafeld bei Zurich,
allein und in Begleitung von Liszt Oder Herwegh; hier las Wagner gegen
Weihnacht 1852 an drei Abenden den Freunden seine Nibelungentrilogie
vor, hier schrieb er, in spgterer, truber Zeit (1864) einige Wbchen ganz
bei Willes wohnend, an seinen „Meistersingern a .
Jacob Moleschott ruhmt in den von ihm fur seine Freunde heraus-
gegebenen Lebenserinnerungen (Giessen 1894) Herwegh mit diesen Worten:
„Bei ihm hatte die allgemeine Bildung zum Ebenmass, zum Ineinanderklingen
ron Kunst und Wissenschaft gefutart; er vermittelte in der Unterhaltung zwischen
Kunst und Wissenschaft, zwischen Anschauung und Grundsltzen, und keine Gdtzen
anerkcnnend, sprach er, der Dichter, oft das entscheidende, zusammenfassende Wort."
Wie Herwegh mit Wagner und Moleschott das gemeinsame Interesse
fur die materialistischen Lehren des Philosophen Ludwig Feuerbach 2 ) ver-
band, den er anfangs der sechziger Jahre auf dem Rechenberge bei Nurn-
*) Sie hat verdffentlicht eine Phantasie „Der Sang des fremden Singers", „Dich-
tungen", zwei gr5ssere Romane und eine Geschichte aus ihrer Heimat und von ihrer
Familie wlhrend der napoleonischen Zeiten, betitelt „Stillleben in bewegter Zeit". Ein
Jahr nach ihrem Tode erschienen in Buchform die zuerst von ihr 1887 in der
„Deutschen Rundschau" verdffentlichten „Funfzehn Briefe von Richard Wagner nebst
Erinnerungen und Erliuterungen", Beitrlge zur Kenntnis des Charakters Wagners
und seines zehnjihrigen Zuricher Aufenthaltes.
*) Herwegh w id mete „Seinem Ludwig Feuerbach", als dieser am 13. September 1872
starb, folgenden Nachruf:
„Durch Himmel und durch H6Ue deinen Gang
Hast du gemacht wie jener grosse Dante I
Von gdttlicher Komddie sprach man lang,
Bis sie als menschliche dein Blick erkannte!"
(„Neue Gedichte" Zurich 1877, S. 266.)
Herwegh hatte den Philosophen im Sommer 1845 in Heidelberg kennen gelernt.
Wagner widmete 1850 seine Schrift „Das Kunstwerk der Zukunft" Ludwig Feuerbach
in dankbarer Verehrung; nitaere Beziehungen bestanden zwischen ihnen nicht, und
die Widmung fen It in den „Gesammelten Schriften und Dichtungen" (Bd. 3). Wagner,
der selbst gesteht, dass Feuerbachs Schriften ihn 1850 lebhaft anregten, schloss sich
splter der Schopenhauerschen Richtung an. Herwegh war es, der Wagner mit
Schopenbauers Schriften bekannt und vertraut machte und, ausgestattet mit hervor-
ragenden Sprachkenntnissen, ihn in die Geisteswerke von Shelley, Byron und Hafls
einfuhrte.
Digitized by
Google
365
HARZEN-MOLLER: HERWEGHS BEZIEHUNGEN
berg einmal besuchte, so brachte er, obgleich selber nicht ausubend-
musikalisch, doch den Tonschopfungen Wagners grosses Interesse und Ver-
standnis entgegen. Das Urteil der Frau Wille und Heinrich T. Fincks, 1 )
dass Herwegh sich nicht fur Musik interessiert habe, werden meine Aus-
fuhrungen wesentlich mildern. Denn als Wagner in den Ziiricher Abonne-
mentskonzerten des Winters 1852 Beethovensche Werke dirigierte, war
Herwegh ganz entziickt und nannte diese Auffuhrungen „gdttlich"; und
Herwegh allein war es, der Wagner zur Auffuhrung seiner „Tannhauser"-
Ouvertiire bewog, was dieser — nach Carl Fr. Glasenapp — mit den
Worten gestand:
„Herwegh, wobl der einzige Mann, dem ich mich bis zur vollsten Sympathie
verstindlich machen konnte, bat mich instlndig, ihm doch die „TannhIuser*-Ouver-
ture vorzufuhren; ihm zu Liebe uberwand ich meine Abneigung gegen dies Unter-
nehmen, bo: alles auf, um die Scbwierigkeiten desselben zu uberwinden, und brachte
so, immer das Auge auf Herwegh, eine Auffuhrung zustande, die mich endlich selbst
uberrascht und ungemein erfreut hat."
Eine Sammlung seiner Abhandlungen enthaltend „Das Judentum
in der Musik", „ Beethoven", „Uber die Bestimmung der Oper", „Ober
die Auffuhrung des Buhnenfestspieles Der Ring des Nibelungen" und
„Herr Eduard Devrient und sein Stil", widmete Wagner eigenhfindig
unter dem in grossen goldenen Lettern gedruckten Titel „Wagnersche
Broschuren fur Herwegh" seinem Freunde. Herwegh hat sein ganzes
Leben hindurch grosse Liebe und tiefes Verstandnis fur die Musik ge-
zeigt; er hatte ein vorzugliches Gehor, das schon in friihester Jugend bei
ihm ausgebildet worden war, und spielte noch auf dem Maulbronner
Seminar die Geige, sein Lieblingsinstrument, und auch etwas Klavier.
Wagner selber schreibt im Jahre 1871 an Herwegh mit Bezug auf
die mit diesem in Zurich verlebte Freundeszeit:
„Meiner Frau habe ich im Laufe der Jahre mein Leben erzihlen mussen, und
zwar in die Feder, mit welcher sie es nachschrieb. Auch meine Zuricher Zeit ist
aufgezeichnet: da kommst Du denn viel und wichtig vor!"
Dass Herwegh musikalisch war, beweisen auch die meisten seiner
Gedichte sowie der Umstand, dass so viele Komponisten diese der Ver-
tonung wert und wurdig fanden.*)
') » Wagner und seine Werke", Breslau 1896 (Bd. 1).
•) So komponierte Wilh. Speyer Herwegh s .Protest" fur Minnerchor und verwob
dabei in die von ihm selbst erfundene Melodie die des Lutherlieds „Ein feste
Burg ist unser Gott"; W. Volckmar komponierte das Volkslied ,Der Freiheit eine
Gasse", Caroline Wiseneder den v Abschied", Adolf Jensen zwei Liebeslieder Herweghs;
sein „Es ist ein Berg auf Erden" wird nach der Melodie von „Der alte Barbarossa"
gesungen; sein ,Der letzte Krieg" flndet sich in dem bekannten Liederbuch fur
Minnergesang „RutIi"; seine Lieder werden in der alten und neuen Welt ge-
Digitized by
Google
'GL
366
DIE MUSIK III. 23.
Nicolaus Oesterlein erwahnt und das Wagnermuseum in Eisenach be-
sitzt funf Briefe Wagners an Georg Herwegh, von denen der erste aus der
Wasserheilanstalt Albisbrunn bei Hausen im Kanton Zurich vom 30. Ok-
tober 1851 datiert ist, wohin zum Besuche zu kommen Herwegh vor
lingerer Zeit schon versprochen hatte, ohne jedoch dieses Versprechen
erfullt zu haben; er kam aber noch in demselben Jahre nach Zurich, wo
er Wagner bald kennen und lieben lernte. Aus Wagners Briefen an seinen
Freund Uhlig wissen wir, dass Herwegh den Dichterkomponisten wegen
der Auffuhrung der „TannhMuser a -Ouverture plagte und eine recht farben-
volle franzosische Prosaubersetzung der Dichtung fur die Grosse Oper in
Paris zu liefern beabsichtigte, wogegen Wagner nichts einzuwenden hatte.
Als Wagner dann im Juli und August 1853 sich eines Magenleidens wegen
einer Kur in St. Moritz unterziehen musste, war Herwegh sein treuer
Pfleger und Begleiter; wie gross das Vertrauen war, das der Meister dem
Freunde entgegenbrachte, geht aus seinen eigenen Worten klar hervor:
„Fur jetzt ist mein Arzt Herwegh; er hat grosse physikalische und pbysiologiscbe
Kenntnisse und steht mir in jeder Beziehung sympathisch nlher als irgend ein Arzt."
Als Wagner sich zu Anfang des Jahres 1853 in Zurich malen Hess, und
das Portrit nicht zu seiner Zufriedenheit ausfiel, wusste Herwegh ihn zu einer
nochmaligen Portrltierung zu bewegen; er ging selber mit zu den Sitzungen,
und so entstand, wie Wagner schreibt, „unter Herweghs minutiosester An-
leitung, bei seinem geiibten und kennenden Blicke" ein gutes Port rat;
dieses Bild erschien bald darauf in VervielfiUtigungen in Zurich, und am
8. April konnte Wagner es Breitkopf & HSrtel zum Verlag fur Deutsch-
land anbieten. Im Februar 1853 schickte Wagner ein Exemplar seiner auf
eigene Kosten gedruckten Nibelungendichtung an Herwegh mit der eigen-
hMndigen Widmung: „Seinem Freunde Georg Herwegh zur Fortsetzung von
Richard Wagner."
Als Wagner im Jahre 1854 „Rheingold" in der Komposition beendet
hatte, rief er seine Freunde zusammen, um es ihnen vorzulesen, vor-
zusingen und vorzuspielen und um ihre Meinungen dariiber zu horen.
Herweghs Urteil war, „dass die Stabreime in der Tat durch die sie um-
hullende herrliche Musik annehmbarer geworden seien".
sungen, und die zur „PJattdeutschen Grossgilde der Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika M gehdrige Plattdeutscbe Gilde No. 15 zu Chicago futart nocb beute den
Beinamen Georg Herwegh.
Schluss folgt
;ar«inR
Digitized by
Google
Himdloff
Fonsetzung *)
]\s wegen des bedenklichen Gesundheitszustandes des Kurfursten,
Hoch- und Deutschmeisters, Erzherzogs Maximilian Franz 1801
sine allgemeine Versammlung des Deutsch-Ordens nach Wien
>erufen wurde, urn bei der so bewegten Zeit dem Grossmeister
einen geschaftskundigen Koadjutor beizugeben, kam mit vielen andern
Ordensbeamten auch Stephan von Breuning, Beethovens Freund aus
der Bonner Zeit, der Sohn der edlen Frau, der dieser soviel Dank
und Liebe schuldete, nach Wien. Er hatte sich der Rechtswissenschaft
gewidmet, war nach Vollendung seiner Studien in die Dienste des Deutsch-
Ordens getreten und bekleidete nun die Stelle eines Hofrats-Assessors-
Er blieb fortan und die ganze Zeit seines Lebens in Wien, denn als der
neue Koadjutor, Erzherzog Carl, der gleichzeitig zum Chef des De-
partements fiir Kriegswesen ernannt worden war, eine Reform in der
Leitung der GeschMfte des Hofkriegsrats durchfiihrte, wurde Breuning
als Hofkonzipist in diesen berufen und zeichnete sich so aus, dass er schon
im 44. Lebensjahre Hofrat wurde. 2 )
Mit der Ankunft Steffen Breunings in Wien lebte das alte Freund-
schaftsbundnis zwischen ihm und Beethoven wieder auf und erwies sich
fur beide als segensreich. Steffen, nicht nur ein grosser Musikliebhaber,
sondern — nach Wegelers Bericht — von Vater Ries zu einem vor-
zuglichen Violinspieler gebildet, fand jetzt reichlich Gelegenheit, mit
Beethoven zu musizieren, wurde durch diesen in die bedeutendsten
musikalischen Kreise Wiens eingeftihrt und genoss dadurch vielfiUtig
geistige Erholung von den anstrengenden und oft verdriesslichen Geschaften
seines Amtes; Beethoven andererseits besass in Steffen, dessen edle Natur
er seit lange kannte, einen aufrichtigen, in Geschaften erfahrenen Berater
und einen stets vertrauenswurdigen Freund. Wir finden Beethoven und
] ) Vgl. Heft 12, 13 und 19 des dritten Jahrgangs der „Musik".
*) Dr. Breuning: Aus dem Schwarzspanierhause.
Digitized by
Google
368
DIE MUSIK III. 23.
Breuning daher schon 1804 in gemeinsamer Wohnung, und als sie sich
getrennt hatten, noch ofters zu gemeinschaftlichem Mittagsmahle in Breunings
Wohnung vereint. Die Freundschaft Steffens erprobte Beethoven gar bald:
denn er war kaum in dessen Wohnung gezogen, als er in eine gefahrliche
Krankheit verfiel, w ah rend der er von Steffen mit grosster Aufopferung
gepflegt wurde.
Dass Steffen eine dichterisch beanlagte Natur war, kam Beethoven
sehr zu statten. Bei der ersten Auffuhrung seiner Oper Fidelio (20. Nov.
1805) iiberraschte ihn Breuning mit einem kurzen Gedicht, das im
Theater verteilt wurde; Breuning wohnte im Dezember dieses Jahres der
wichtigen Abendversammlung beim Fiirsten Lichnowsky bei, in der
mit Beethoven unter harten KMmpfen die Veranderungen vereinbart wurden,
die man fur notig erachtete, um die Schwerfalligkeit des ersten Aktes
der Oper zu beseitigen. Breuning arbeitete das ganze Textbuch um,
verkurzte vieles und begrusste die veranderte Oper, die nun mit grossem
Beifall gegeben wurde, abermals mit einem Gedicht. In der Folge wurde
Breuning von Beethoven auch vielfaltig zu Verhandlungen mit Musikver-
legern herangezogen. Die innigen Beziehungen zwischen den Jugendfreunden
blieben auch unverandert, als Breuning sich im April 1808 mit Julie, der
lQjahrigen schonen und musikalisch gebildeten Tochter des dirigierenden
Stabsfeldarztes Gerhard von Vering, vermShlte. Beethoven kam nun gar
oft zu Breunings, spiel te mit der jungen Frau vierhSndig und phantasierte
dem Ehepaar oft bis tief in die Nacht vor. Einen besonderen Beweis seiner
Freundschaft gab er beiden durch die Widmungen seines Konzertes in
D op. 61.
Er hatte dieses Konzert als Violinkonzert 1806 fur den Orchester-
direktor im Theater an der Wien, Franz Clement geschrieben, jenen ihm
befreundeten Musiker, der schon in sehr friiben Jahren auf Kunstreisen
als Wunderkind angestaunt, in der Folge wegen seiner Virtuosi tat und
seines fabelhaften musikalischen Gedachtnisses, aber auch wegen seines
regellosen Lebens in Wien allbekannt war. Das Manuskript in der kaiser-
lichen Hofbibliothek tragt von Beethovens Hand die Aufschrift: Konzert
par Clemenza pour Clement primo Violino usw. Clement spielte es in
seiner Akademie am 23. Dezember 1806, und zwar, da Beethoven mit der
Komposition erst ganz zuletzt fertig wurde, ohne vorherige Probe & vista.
Es missfiel den sogenannten Musikkennern und wurde fur unspielbar er-
klart; Beethoven arbeitete daher die konzertante Violinstimme im April 1807
in eine Pianofortestimme um, und das Konzert erschien in dieser Gestalt
im August 1808 mit der Widmung an Frau Julie von Breuning, geborene
von Vering. Leider fand das Leben der liebenswiirdigen Frau ein friih-
zeitiges Ende. Der unvorsichtige Gebrauch kalter FussbMder zog ihr einen
Digitized by
Google
360
LEEDER: BEETHOVENS WIDMUNGEN
Lungenblutsturz zu, dem sie am 21. Marz 1809 plotzlich erlag. Beethoven,
selbst tief ergriffen, geriet liber den „krampfhaften, fieberhaften Zustand",
in dem sich Steffen durch diesen unverhofften Todesfall und amtliche
Zerwurfnisse befand, in die grosste Sorge. In einem ruhrenden Brief
beschwort er, „da seine Verhaltnisse ihm viel zu wenig erlauben, die
hohen Pflichten der Freundschaft zu erfullen", seinen Freund Gleichen-
stein „im Namen der guten edlen Gefiihle, die er gewiss besitze", sich
Steffens anzunehmen und widmete diesem das eben erwahnte Violinkonzert,
welches — da es im Marz erschien, wenn es nicht schon friiher diesem
bestimmt war — dem Freund eine zarte Trostung und eine liebevolle Er-
innerung an die Verblichene sein sollte.
Nur einigemal erlitt das freundschaftliche Verhaltnis zwischen Beet-
hoven und Breuning ernstere Storungen, die in dem Charakter der Freunde
ihre naturliche Quelle batten. Beide waren edle, sehr lebhafte und zugleich
leicht erregbare Naturen. Da sie vermeinten, als Jugendfreunde sich gegen
einander ganz riickhaltlos aussprechen zu durfen, Beethoven aber durch
sein allmahlich hervortretendes Gehorleiden zu Misstrauen und Argwohn
neigte, wahrend Breuning bei grosster Ehrenhaftigkeit eine nervose Gereizt-
heit besass, die ihn jede, auch geringere KrSnkung tief empfinden Hess,
so konnte es nicht fehlen, dass zuweilen Missverst&ndnisse und Miss-
stimmungen sich ergaben. Breuning war hierbei noch insofern im Nach-
teil gegen Beethoven, als dieser, sobald er sein Unrecht eingesehen und
durch ein herzliches pater peccavi gesuhnt hatte, das Vorgegangene ganzlich
vergass, Breuning aber, schwacher besaitet, sich auch nach der Versohnung
noch langere Zeit einer gewissen Befangenheit und Vorsicht im Umgange
nicht leicht entaussern konnte. Breuning spricht sich hieruber schon im
November 1804 in einem Brief an seinen Schwager Wegeler aus: „Grossten-
theils, nur mit einigen Ausnahmen, wo sich sein urspriingliches Gefuhl
ganz frei aussert, ist Umgang mit ihm (Beethoven) eine wirkliche An-
strengung, wo man sich nie sich selbst uberlassen kann". Breuning schrieb
dies nach einem Zerwurfnis, das daraus entstanden war, dass Beethoven,
nachdem er zu Breuning gezogen, vergessen hatte, seine friihere Wohnung zu
kundigen. Beethoven hatte geraume Zeit gegrollt, dann aber, sein Unrecht
einsehend, einen ausserst liebevollen Brief an Steffen gesendet und ihm,
gleichsam als Versohnungsopfer, sein von Horneman 1802 auf Elfenbein
gemaltes MiniaturportrMt, das beste aus jener Zeit, geschenkt. 1 )
Das Freundschaftsverhaltnis blieb nun eine Reihe von Jahren un-
getriibt, bis es 1815 nochmals und fur lange Zeit einen Bruch erlitt. —
Ein Beamter des „Hofkriegsrats", in dem Breuning tatig war, hatte
x ) Nach Thayer, der Brief und Geschenk mit Rectat in dieses Jabr setzt.
III. 23 24
Digitized by
Google
370
DIE MUSIK III. 23.
aa
diesem Verdacbtsgrtinde gegen die Ehrlichkeit Carls van Beethoven mit-
geteilt, und die Warnung ausgesprochen, sich nicht mit Carl in GeldgeschSfte
einzulassen. Breuning hatte dem Beamten sein Ehrenwort geben mussen,
ihn nicht zu nennen und teilte die Sache Beethoven, gleichfalls sub rosa,
mit. Dieser stellte jedoch sogleich seinen Bruder zur Rede und nannte
auf dessen Andringen Steffen als Quelle. Als nun dieser den Namen des
Beamten anzugeben sich weigerte, erging sich Carl van Beethoven in
of fen en Briefen, die er beim Portier des „Hofkriegsrats a abgab, in den
ehrenriihrigsten Schmahungen gegen Steffen, so dass dieser im Zorn Beet-
hoven wegen seines Wortbruchs eine scharfe Strafpredigt hielt und ihm
erklarte, er konne solcher Unverlasslichkeit wegen mit ihm nicht weiter
verkehren.
Zehn Jahre hindurch blieben nun die alten Freunde entfremdet. Hier-
unter litt Beethoven ausserordentlich. Wie notig ware ihm gerade in
dieser langen Zeit, in den Jahren des Streites mit seiner Schwagerin, der
Sorgen und Kummernisse, die der Neffe verursachte, der Rat und die
Hilfe des treuen Freundes gewesen! Erst bei einer Begegnung auf
dem Glacis im August 1825 kntipfte sich wieder das alte Freund-
schaftsbundnis an und da Beethoven schon zu Michaeli 1825 in das nMchst
dem roten Hause, wo Breuning wohnte, gelegene Schwarzspanierhaus
zog, wurde zwischen ihm und der Breuningschen Familie das trau-
lichste NachbarverhMltnis wiederhergestellt. Breunings zweite Gattin, zu
der Beethoven sich sehr hingezogen fuhlte, ubernahm es, seine Wirt-
schaft zu ordnen; man kam fast taglich zusammen, machte gemeinschaft-
lich Spaziergange in die Umgebungen Wiens; Beethoven speiste auch hSufig
bei dem Jugendfreunde und schickte manchen Fisch in seine Kiiche. Er
fuhlte sich bei Breunings so zu Hause, wie es vor so vielen Jahren
in Bonn gewesen war, und die Erinnerungen an jene feme Zeit waren
immer ein beliebtes Thema seiner Gesprache mit Steffen, mit dem
er alles, was ihn gegenwartig beschaftigte, seine Kompositionsprojekte wie
die Sorgen, die ihm noch immer sein Neffe bereitete, eingehend be-
sprach. Von wahrem Segen war fur ihn die tatige Hilfe Breunings nach
dem Selbstmordversuche des Neffen 1826. Treulich stand ihm der
Freund auch in der letzten Krankheit bei. Mit Schindler suchte er am
26. iVtfrz 1827 nachmittags fur den Sterbenden die GrabstattJ auf dem
Ortsfriedhofe von Wahring aus und geleitete am 29. schmerzerfullt die
Leiche dahin, nicht ahnend, dass er dem Freunde schon nach zwei Monaten
(am 4. Juni 1827) im Tode folgen werde. Breuning wurde unweit von
Beethovens letzter Ruhestatte auf dem Wah ringer Friedhof begraben.
KrMnkungen im Amte sollen seinen Tod beschleunigt haben.
Wir miissen uns nun den Frauen zuwenden, fur die Beethoven Liebe
Digitized by
Google
371
LEEDER: BEETHOVENS WIDMUNGEN
Oder Freundschaft fuhlte und denen er Werke dedizierte. Es 1st bekannt,
dass in Beethovens Leben die Frauen eine bedeutende Rolle spielen. Einige
der liebenswurdigsten Zuge des Meisters kamen in seinem Umgange mit
Frauen zum Vorschein. Wie Wegeler, der Jugendfreund Beethovens und
Dr. Bartolini, sein Leibarzt von 1806 bis 1816, ubereinstimmend aussagen,
war Beethoven „nie ohne Liebe" und meist von ihr lebhaft ergriffen. Der
Gegenstand seiner Liebe war fast immer aus hoheren Kreisen, und ins-
besondere waren es die Reize anmutiger, aber schwachlicher Frauen, fur
die er schwMrmte.
Seine erste Flamme in der Wiener Zeit soil nicht von auffallender
Schdnheit gewesen sein; es m us sen also wohl Vorzuge des Geistes und
Herzens und insbesondere musikalische Begabung gewesen sein, die
sein Herz in Bewegung setzten.
Babette (oder wie sie offiziell hiess: Anna Louise Barbara) Grafin
Keglevics, seine Schulerin, wurde bald der Gegenstand seiner Anbetung.
Um so merkwurdiger ist, dass Beethoven, der ihr gegeniiber wohnte, die Ma-
rotte hatte, zuweilen in Schlafrock, Pantoffeln und Zipfelmutze zu ihr zu
gehen, um ihr Lektionen zu erteilen. 1 ) Er widmete ihr die Sonate in Es
op. 7, die in Wien „die verliebte" hiess und 1797 erschien, dann 1799
die Variationen in B-dur fiber das Thema: La stessa, la stessissima aus
Salieri's Oper „Falstaff a . Nachdem Babette 1801 den Fursten Innocenz
Odescalchi geheiratet hatte, widmete ihr Beethoven sein erstes, schon
1795 komponiertes Klavierkonzert in C-dur op. 15, dann die 1802 ge-
schriebenen Variationen fiber ein Originalthema in F-dur op. 34; er
beteiligte sich auch an den musikalischen Soireen, welche die Furstin gab.*)
Diese grundete im Verein mit der Gemahlin des Fursten Franz Josef Max
von Lobkowitz, Marie Carolina, geborenen Furstin Schwarzenberg,
1811 den „ Verein adeliger Damen zur Beforderung des Guten und Nfitz-
lichen", der gleich von seinem Beginn, besonders aber, nachdem er
1822 durch das grossmutige Testament des Grafen Anton Lamberg Sprinzen-
stein 8 ) in den Besitz eines sehr ansehnlichen Vermogens gelangt war, eine
ausserordentlich grosse humanitare Wirksamkeit entfaltete und noch heute
blfiht. Die Furstin Odescalchi starb 1813.
Das beginnende Gehorleiden hatte schon vor dem Ausgang des Jahr-
hunderts Beethoven viele trube Stunden bereitet. Am 16. November 1801
schrieb er an Wegeler fiber seine wiedergewonnene heitere Stimmung:
„ Diese Verfinderung hat ein liebes zauberisches Madchen hervorgebracht,
] ) Brief des Grafen Karl Keglevics vom 15. Juli 1867 an seine Tocbter.
Manuskript fruher in Nottebohms Besitz.
f ) Thayer II, 61.
*) Aus den Akten des Wiener Landesgerichts-Archivs.
24*
Digitized by
Google
372
DIE MUSIK 111. 23
das mich liebt und das ich Hebe; es sind seit zwei Jahren wieder einige
selige Augenblicke und es ist das erstemal, dass ich fiihle, dass Heirathen
gliicklich machen konnte. Leider ist sie nicbt von meinem Stande."
Giulietta Grifin Guicciardi hiess das Midchen. Sie hatte, als sie
Mitte November 1801 mit ihren Eltern nach Wien kam, eben ihr 16. Lebens-
jahr zurQckgelegt. Ihr Vater Franz Josef, bis dahin Gubernialrat in Triest,
war als Hofrat zur bdhmischen Hofkanzlei berufen worden; ihre Mutter
war eine geborene Grafin Brunswick, und es liegt daher die Vermutung
nahe, dass Beethoven durch die ihm bereits befreundete Familie Brunswick
in das Haus Guicciardi kam, um der jungen Grafin Unterricht im Klavier-
spiel zu erteilen. Die unleugbare Tatsache, dass Beethoven dieses Midchen
liebte, der leidenschaftliche Charakter der Sonate in cis-moll op. 27 II,
die er ihr 1802 widmete, einige Ausserungen Beethovens zu Schindler
(1823), endlich das Konzept eines uberschwanglichen Liebesbriefes
ohne Datum und ohne Adresse, das sich nach Beethovens Tode in
einer verborgenen Schublade seines Schreibtisches vorfand, haben den
Stoff zu einem von Beethovens Biographen Schindler und nach ihm von
Marx und anderen Schriftstellern mit allerhand Variationen verfassten
Romane gegeben, der, mit den ruhrendsten Episoden ausgestattet, die
Leiden zweier hoffhungslos Liebenden schildert und darin gipfelt, dass
Beethoven in seiner Verzweiflung den Hungertod im Park der Grifin
Erdody in Jedlersee bei Wien sucht 1 ). Die weitliufigen minutiosen
Untersuchungen Thayers haben diesen Roman seines hyperromantischen
Zaubers entkleidet, indessen behalten die authentischen Tatsachen noch
immer des Interessanten genug. Wir mussen ihnen die Ausserungen
Giuliettas uber Beethoven vorausschicken, die sie 1852 gegenuber Otto
Jahn machte. Sie sagte : Beethoven war ihr Lehrer, war ungemein streng,
leicht heftig, warf die Noten hin, zerriss sie, nahm keine Bezahlung, ob-
gleich er arm war, aber Wasche unter dem Vorwand, dass die Grifin sie
geniht ; bei dem geringsten Geriusch stand er auf und ging fort ; er hatte
ihr das Rondo in G op. 51 No. 2 im Manuskript gegeben, bat es sich aber
aus, als er der Grifin Lichnowsky etwas dedizieren musste und widmete
ihr dann dafur die cis-moll Sonate. Er war sehr hisslich, aber edel,
feinfuhlend, gebildet.
Giulietta hatte, wie erwihnt, als sie Beethoven kennen lernte, ebea
ihr 17. Lebensjahr begonnen; sie war von sehr grossem personlichen Reiz,
auch in vorgeruckten Jahren noch eine hubsche Erscheinung; sie besass,
abgesehen von ihrem musikalischen Geschmack und ihrem fertigen Klavier-
spiel auf das schon die Sonate schliessen lisst, eine gute, wenn
*) Schindler I. 94.
Digitized by
Google
373
LEEDER: BEETHOVENS W1DMUNGEN
auch nicht besonders hervorragende geistige Begabung. Kann es ver-
wundern, wenn ein solches Madchen die leicht entzundliche Natur
des Meisters bald in Flammen setzte? Andererseits war es begreiflich,
dass Beethoven, der bereits als Virtuos und Komponist hoch angesehen
und in den Kreisen des hochsten Adels iiberaus beliebt, ja verhatschelt
war, das Interesse einer jungen, eben aus der Provinz gekommenen, sehr
musikalischen Aristokratin erregte.
Giuliettas Eltern schienen selbst den Standesunterschied bei seite zu
setzen und ein innigeres VerhSltnis zwischen den jungen Leuten zu ge-
statten, indem sie zugaben, dass Beethoven trotz seiner Armut den Unter-
richt unentgeltlich erteilte. Aber nun kamen die prosaischen Bedenken
gegen die Heirat. Die Familie Guicciardi hatte kein Vermogen, Beethoven
— dessen Ohrenleiden zwar damals noch nicht sehr bedeutend war und
von ihm sorgflltig verheimlicht wurde — war zu jener Zeit lediglich auf
den Ertrag seiner Kompositionen und die Unterstutzung, die er vom
Fursten Lichnowsky und Grafen Fries bezog, angewiesen. Welche Aus-
sicht fur eine junge, schone, von der Welt noch alles erwartende Grifin!
Das MSdchen mochten auch vielleicht die zeitweiligen Ausbruche bdser
Laune, die oft urpldtzlich kamen, fur die Zukunft besorgt raachen. Ver-
mutlich drang der Vater daher auf Ldsung des Verhiltnisses und Beethoven
scheint von dieser Wendung zuerst nicht ubermSssig ergriffen gewesen zu
sein, denn er setzte den freundschaftlichen Verkehr mit der Familie noch
bis sechs Monate vor Juliens Vermfihlung mit Wenzel Robert Grafen Gallen-
berg fort, die am 3. November 1803 stattfand. Der Graf war 1783 ge-
boren, also auch viel jiinger als Beethoven, besass eine gewisse wissen-
schaftliche und musikalische Bildung und war auch als Komponist, nament-
lich von Balleten, beliebt. Das junge Ehepaar ubersiedelte bald nach Neapel
und kam erst 1822 nach Wien zuriick, als Barbaja das Kais. Operntheater
iibernahm und dem Grafen die Mitdirektion ubertrug. Der Verfasser erinnert
sich, dass, als 1843 das Jubilfium des Erzherzogs Carl durch ein Karussel
in der Kais. Winterreitschule gefeiert wurde, der Einzug der Ritter unter
den Klangen eines Marsches von Gallenberg, wahrscheinlich aus dem
Ballet w Alfred der Grosse" stattfand und die Musik wohlgefiel. So grazios
man Beethoven den Korb gespendet haben mochte, es blieb eben doch
ein Korb. Beethoven hielt den Grafen fur seinen Feind und behauptete
1823 im GesprMch mit Schindler, er babe eben deshalb ihm einmal
eine Unterstutzung vermittelt; der Graf seinerseits erklSrte Beethoven fur
einen unertrMglichen Menschen. Auf Juliens Gesinnungen und Gefiihle
konnte dieses Verhaltnis nicht ohne Einfluss bleiben; es darf daher auch
nicht befremden, dass sie Otto Jahn gegenuber sich so kiihl Musserte und
ihrer einstigen Neigung fur Beethoven nicht erwShnte; eher konnte es
Digitized by
Google
^Se.
374
DIE MUS1K III. 23.
befremden, dass sie fiber Beethovens notorische Liebe zu ihr kein Wort
verlor, Wahrscheinlich waren die verschiedenen Liebesromane, die hier
und da erschienen und in welcben sie und Beethoven die Haupt-
personen spielten, ihr nicht unbekannt geblieben und hatten sie unan-
gen eh m berfihrt; sie ffihlte keine Lust, dieses Thema nochmals zu berfihren.
Was Beethoven 1822 Schindler gegenfiber fiber Julie in schlechtem, dunkel-
sinnigem Franzosisch Musserte, verdient nicht, genau abgewogen zu werden.
Von Liebe konnte im Jahre 1822 nicht mehr die Rede sein. Julie starb
in Wien erst am 22. iVUrz 1856, ihr Gemahl, der sich allmfihlich als ein
recht dunkler Ehrenmann entpuppte, war 1830 aus dem Leben geschieden.
Dass sie Beethoven einige Jahre hindurch glficklich machte und zur
Ko mposition der cis-moll Sonate begeisterte, wird ihr immer unsere Teil-
nahme sichern. Beethoven ertrug die Losung seiner Beziehungen zu
Giulietta Guicciardi vielleicht deshalb so leicht, weil ihm bereits die
Morgenrote einer neuen Liebe aufgegangen war, die fur sein Leben
viel ernsthaftere Folgen hatte als die frfiheren. Sie ffihrt uns in die Familie
des Grafen Brunswick.
Schon in den 90 er Jahren war der Kfinstler dieser Familie freundschaft-
lich nSher getreten. Graf Franz Brunswick, 1779 geboren, gehdrte zu
dem Kreise von Beethovens jugendlichen Verehrern; er war ein aus-
gezeichneter Violoncellspieler und wurde einer der intimsten Freunde des
Meisters, der sich mit ihm duzte. Den Schwestern des Grafen,
Therese und Josefa, schrieb Beethoven ins Stammbuch das Lied: „Ich
denke dein a mit Variationen und mit den Worten: „Ich wfinsche nichts
so sehr als dass Sie sich zuweilen beim Durchspielen und Singen dieses
kleinen musikalischen Opfers erinnern mogen an Ihren Sie wahrhaft ver-
ehrenden Ludwi* van Beethoven. Wien 23. May 1799." — Josefa, die
bald darauf den Grafen Josef Deym heiratete und 1821 starb, wird als
sehr geistreich, grazios und liebenswfirdig geschildert, von Therese,
geboren 1778, existiert in der Familie Beethoven noch das Portrit; es
zeigt das anmutige und freundliche Antlitz einer jungen Dame von 20 bis
25 Jahren und auf der Rfickseite die Worte: „Dem seltenen Genie, dem
grossen Kfinstler, dem guten Menschen von T. B. a
Beethoven war oft im Kreise der Brunswickschen Familie und mebr-
mals zu langerem Besuch auf ihrer Besitzung bei Pest, so namentlich
1806, wo er dort die Sonate in f-moll op. 57 (appassionata), die er zu
jener Zeit fur seine bedeutendste hielt, in einem Zuge niederschrieb und
dem Grafen widmete. Auch im Herbst 1809 brachte er bei Brunswicks
einige Wochen zu und komponierte vermutlich dort die Sonate op. 78 in
Fis-dur, die er 1810 mit der Widmung an die Grafin Therese Bruns-
wick zugleich mit der ihrem Bruder gewidmeten Phantasie in g-moll
Digitized by
Google
375
LEEDER: BEETHOVENS WIDMUNGEN
op. 77 herausgab. Beethoven schMtzte die Sonate in Fis-dur ganz be-
sonders, denn er Musserte einmal: ,Immer spricht man von der cis-moll
Sonate; ich habe doch wahrhaftig besseres geschrieben; da ist die Fis-dur
Sonate etwas anderes.* (Czerny.) Man sieht hieraus, wie ausserordent*
lich innig Beethovens FreundschaftsverMltnis mit Bruder und Schwester
war, die ihn ja, wie ihre Cousine Giulietta Guicciardi sagte, „adorierten";
mit Therese scheint er aber schon 1806 in einem ernsthaften Liebes-
verhSltnis gestanden zu sein. Damals schrieb er nach seiner Abreise von
Brunswicks an den Grafen Franz: „Kusse Deine Schwester Therese", und
der Biograph Thayer weist mit guten Griinden nach, dass jene uber-
schwenglichen Liebesbriefe „an die unsterbliche Geliebte*, die Schindler
und nach ihm Marx auf Giulietta Guicciardi deuten, zu jener Zeit und an
die Grafin Therese mussen geschrieben worden sein. Im Herbst 1809 ver-
lebte Beethoven wie erwihnt noch sehr gliickliche Tage bei Brunswicks;
an fangs Mai 1810 verlangt er von Wegeler aufs dringendste seinen Tauf-
schein; drei Monate spater aber schreibt Breuning an Wegeler: er glaube,
Beethovens Heiratsprojekt habe sich zerschlagen.
Alles dies spricht dafur, dass Beethoven die Grafin Therese liebte,
von ihr auch geliebt wurde, die Beziehungen aber sich 1810 auflosten. Ver-
stirkt wird diese Vermutung noch durch die ErzShlung Robert Volkmanns:
in Pest sei es eine lokale Uberlieferung, dass Therese die Geliebte
und erhoffte Braut Beethovens gewesen sei. Auffallend ist auch, dass
Theresens Name fortan in keinem Sch rifts tuck mehr erwihnt wird, obschon
Beethoven mit dem Grafen Franz, ,seinem teuren Bruder", noch fort-
gesetzt in den freundschaftlichsten Beziehungen stand; von Briefen sind
so wenige vorhanden, dass die Vermutung gerechtfertigt ist, es muss ten
viele vernichtet worden sein. 1 )
Da uber die ganze Angelegenheit nicht mit apodiktischer Gewissheit
zu sprechen ist, kann uber die Ursachen der Auflosung des Verhaitnisses,
die nur von Therese herbeigefuhrt sein konnte, noch weniger etwas Posi-
tives gesagt werden. Die Wirkung war jedenfalls bei Beethoven eine sehr
tiefgehende. Der Sommer 1810 verging, ohne dass er irgend ein grdsseres
Werk schrieb; erst im Oktober komponierte er das Quartetto serioso in
f-moll op. 95, und dieses Werk scheint den Schmerz uber ein vorlorenes
Liebesgluck, das bittere, trotzige Gefuhl uber eine zuruckgewiesene
Herzensneigung auszusprechen.
GrMfin Therese, die in dem Rufe eines grossen, edlen Herzens,
aber eines etwas exzentrischen Charakters stand, blieb unVermahlt. Sie
wurde Ehrendame des Brunner Damenstiftes und starb, wenn dem Gothaer
Almanach geglaubt werden darf, in hohem Alter um das Jahr 1873.
! ) Thayer.
Digitized by
Google
376
DIE MUSIK III. 23.
Graf Franz Brunswick blieb seinem Freunde bis zu dessen Ableben
treu, ebenso auch der Muse der Tonkunst. Von 1819 bis 1822 fuhrte er
die Direktion des Pester Nationaltheaters und kSmpfte mannhaft gegen
den herrschenden schlechten Geschmack in der Oper; sein Haus war
stets eine Freistltte fur Kunstler und Freunde edler Musik; er unterhielt
ein stindiges Quartett, in dem er das Violoncell spielte. Namentlich
Beethovens letzte Quartette wurden aufs sorgffiltigste studiert. Seine Ge-
mahlin, geborene von Justh, die zugleich seine Schulerin in der Musik
war, glinzte besonders im Vortrag des Grossen und Tiefernsten; Schindler
hebt sehr ruhmend ihren Vortrag von Beethovens B-dur Trio und f-moll
Sonate und von Spohrs c-moll Quintett hervor. Sie starb in Wien. Ihr
Gemahl war ihr am 24. Oktober 1849 im Tode vorangegangen. 1 ) Graf
Laurencin, der sie in den letzten Jahren ihres Lebens in Wien oft
besucht und spielen gehdrt hatte, erzihlte dem Verfasser: sehr schone
sprechende Augen hStten auch damals noch ihrer Musseren Erscheinung
Reiz verliehen.
Kurze Zeit, bevor sich Beethovens Heiratsprojekt zerschlug, wurde
der Meister an einem Maitage 1810 durch den Besuch der jungen Bettina
Brentano aufs angenehmste uberrascht.*) Das poetische, hdchst originelle
Wesen musste auf ihn sehr erfrischend wirken. In der Tat war er — wie
Bettina schreibt — in der heitersten Laune, zu Scherzen aufgelegt und
erging sich in begeisterten Gesprichen fiber Musik; so hatte er eben das
Lied: „Kennst du das Land* geschrieben, das nur aus einer harmo-
nischen Stimmung seines Innern hervorgehen konnte, und bald darauf
komponierte er fur Bettina das Lied „Neue Liebe, neues Leben a , in
dem er durch Liebe begluckt aufjubelt, kurz: er zeigte sich frdhlich
und glucklich, wie kaum je in seinem Leben. Mag nun das, was Bettina
damals von Beethoven schrieb, wahr oder wenigstens teilweise dich-
terisch umgemodelt sein (er selbst meinte ja, als ihm Bettina sein mit
ihr gefuhrtes Gesprlch vorlas: „Das soil ich gesagt haben? Da muss
ich einen Raptus gehabt haben*) jedenfalls war der Umgang mit ihr und
mit der Familie Brentano uberhaupt fur ihn ungemein erquickend und
muss, wenn Bettina beim Eintritt der Heiratskatastrophe noch in Wien
war, eine wahre Wohltat gewesen sein. Auffallend ist, dass Beethoven
gerade bei Bettinas Ankunft 8 ) seine zwei schonsten Lieder, das erste „indem
') Gotbaer Almanacb.
8 ) Augsburg. Allg. Ztg. von 1869.
8 ) Thayer setzt Bettinas Ankunft nach der Katastrophe, allein die Zeitdaten
widersprechen. Bettina kommt im Mai an; in demselben Monat erst schreibt
Beetboven an Wegeler um seinen Taufschein und erst 3 Monate spiter schreibt
Breuning, Beethovens Heiratsprojekt scheine sich zerschlagen zu haben. Aber
Digitized by
Google
377
LEEDER: BEETHOVENS WIDMUNGEN
er an sie dachte", das zweite w fur sie tf komponiert haben soil, noch auf-
fallender, dass er ihr diese Lieder nicht gewidmet hat, wahrend er doch
fur seine kleine Freundin Maximiliana Brentano, die Nichte Bettinas,
mit der er sich zuweilen neckte und die ihm einmal, als er sehr erhitzt
war, unversehens eine Flasche kalten Wassers iiber den Kopf schfittete,
das Klavier-Trio in einem Satz in B-dur schrieb und der erwachsenen
(1821) seine Sonate in E-dur op. 109 und ihrer Mutter, Antonie von
Brentano (1823) die 33 Veranderungen fiber einen Walzer von Diabelli
widmete (op. 120).
Antonie, geboren 1780, seit 1798 vermShlt mit Franz von Brentano,
war die Tochter des kaiserlichen Hofrates und grossen Kunstsammlers
Josef Melchior von Birkenstock, des Freundes Beethovens. Sie war wegen
der Kritaklichkeit ihres Vaters mit ihrem Gatten nach Wien fibergesiedelt,
wo sie auch nach seinem Tode (1809) noch einige Jahre blieb. Beethoven
bewahrte die Freundschaft, die er dem Vater bewiesen hatte, auch der
Tochter und ihrer Familie. Er kam oft in ihr Haus, wohnte den dort von
ausgezeichneten Musikern ausgeffihrten Quartetten bei und erfreute selbst
ofter seine Freunde durch sein Spiel. Die Kinder Brentano's brachten
ihm zuweilen Obst und Blumen in seine Wohnung, woffir er ihnen Bonbons
schenkte und auch sonst immer grosse Freundlichkeiten erwies.
Ein hfibscher Zug Beethovens, der in den „Grenzboten u erzahlt wird,
moge hier seine Stelle finden: Antonie Brentano war wMhrend ihres
dreijihrigen Aufenthaltes in Wien vielfach kranklich; wochenlang musste
sie das Zimmer huten und durfte niemand empfangen. In solchen Zeiten
pflegte Beethoven regelmissig zu kommen, sich in ihrem Vorzimmer ohne
weiteres ans Klavier zu setzen und zu phantasieren. Wenn er so der
Leidenden in seiner Sprache Trost gegeben hatte, ging er wieder fort wie
er gekommen war, ohne sonst von jemand Notiz zu nehroen.
Antonie Brentano starb in Frankfurt erst 1869, ihr Gatte daselbst
1844, Bettina in Berlin 1859.
Die 33 Variationen verdanken ihre Entstehung einer barocken
Idee des Musikverlegers Diabelli, der fiber einen von ihm komponierten
Walzer Variationen von einer Menge von Tonkfinstlern verfassen Hess und
sie im Juni 1823 unter dem Titel: „Vaterlandischer Kfinstlerverein.
Veranderungen furs Pianoforte fiber ein vorgelegtes Thema, komponiert von
den vorzfiglichsten Tonsetzern Wiens und der k. k. osterreichischen Staaten"
selbst angenommen, das Heiratsprojekt habe sich noch im Mai zerschlagen, wie
liesse sich dann Beetbovens muntere Laune im Umgang mit Bettina, wie die Kom-
position obiger zwei Lieder damit vereinigen? Niemand wird behaupten kdnnen, diese
Lieder und das seridse Quartett seien aus ein und derselben Gemutsstimmung bervor-
gegangen.
Digitized by
Google
378
DIE MUSIK HI. 23.
herausgab. Die erste Abteilung enthSlt die 33 Variationen von Beethoven,
die zweite 50 Veranderungen uber denselben Walzer von 50 anderen Ton-
setzern.
Hoffentlich wird Antonie Brentano uber die 33 VerSnderungen mehr
Freude gehabt haben als Diabelli, der erwartet hatte, Beethoven werde
nur einige Variationen iiber seinen Walzer komponieren und nun zu seiner
Verzwei flung sah, dass Beethoven — offenbar in einem Anfall toller Laune
— Variation nach Variation schrieb und gar nicht aufhoren wollte.
Ignaz Freiherr von Gleichenstein, aus einem Breisgauer Adels-
geschlecht entsprossen, zu Stauffen 1778 geboren und bei Freiburg be-
giitert, war 1801 anlisslich der allgemeinen Versammlung des Deutsch-
Ordens mit seinem Freunde Stephan von Breuning nach Wien gekommen,
wo beide bei dem kaiserlichen Hofkriegsrat in den Staatsdienst traten.
Breuning machte seinen Freund mit Beethoven bekannt und da Gleichenstein
ein grosser Musikliebhaber und vortrefflicher Violoncellspieler, dabei ein
fein gebildeter, milder, offener Mann von seltener Herzensgute, auch in
GeschMften wohlbewandert war, entwickelte sich bald zwischen ihm und
Beethoven ein Freundschaftsbiindnis, das bis zu des Meisters Tode
nie durch einen Misston gestort wurde. Gleichenstein imponierte durch
seine edlen Eigenschaften Beethoven. Ihm gegeniiber erlaubte sich dieser,
wiewohl sie einander duzten, nie irgend einen Spass, wie dies in
seinen Briefen an andere so hSufig der Fall war und in den wich-
tigsten Fragen, mochten diese nun den Kopf oder das Herz in An-
spruch nehmen, war es Gleichenstein, an den sich Beethoven mit vollstem
Vertrauen wendete, um in ihm stets den besonnenen, teilnehmenden Rat'
geber und Heifer zu finden. Dies war insbesondere der Fall , als
Beethoven im Herbs t 1808 den Ruf nach Kassel erhielt, und sehr schwankte,
ob er ihm folgen solle. Durch Gleichensteins Vermittlung wurde Beethoven
das Jahrgehalt ausgesetzt, und so der Meister fur Wien bleibend ge-
wonnen. Die Cellosonate in A-dur op. 69, die Beethoven ihm widmete,
zeugt fur die hervorragende musikalische Befahigung Gleichensteins und
wird immer ein schones Denkmal der Zuneigung und Dankbarkeit
Beethovens bleiben. Beethoven schrieb auf das Exemplar dieser Sonate,
das er 1809 nach der Einnahme Wiens durch die Franzosen an Gleichen-
stein sandte, die Worte: „Inter lacrymas et luctum", offenbar in bezug
auf die erlittenen Drangsale.
In Einer Angelegenheit konnte ihm freilich auch der treue Freund
nicht helfen. Beethoven hatte den Schmerz iiber die Losung seines Ver-
haltnisses zu Therese Brunswick schon ldngst uberwunden; dazu mochte
wohl Bettina Brentano durch ihr lebhaftes, geistreiches und anregendes
Wesen hauptsachlich beigetragen haben. Nun hatte sich diese aber im
Digitized by
Google
379
LEEDER: BEETHOVENS WIDMUNGEN
Fruhjahr 1811 rait Achim v. Arnira verm£hlt, wozu ihr Beethoven einen
herzlichen Gratulationsbrief schrieb. Doch sein Herz sehnte sich wieder
nach der Verbindung mit einem weiblichen Wesen.
Nun hatte ihn Gleichenstein schon vor einigen Jahren in die an-
gesehene Wiener Familie Malfatti eingefuhrt. Die feine Bildung und der
rausikalische Geschmack des Herrn und der Frau des Hauses und
die Anmut der Tochter (Therese geb. 1. Januar und Anna geb.
7. Dezember eines und desselben Jahres) iibten auf Beethoven einen
solchen Reiz, dass er sich immer glucklich fuhlte, wenn er im Kreise dieser
Familie verweilen durfte. Besonders interessierte er sich fur Therese,
die sich zu einer vorzuglichen Klavierspielerin heranbildete und ihn durch
ihr lebhaftes Wesen vollig bezauberte.
Im Mai 1811 vermihlte sich Gleichenstein mit der jungeren Tochter
des Hauses, Anna, und Beethoven — vielleicht durch dieses Beispiel
noch mehr angeregt — uberraschte die Familie mit dem Antrage, Therese
als Gattin heimzufuhren. Das Korbchen, das er erhielt, muss diesmal
gar zierlich geflochten worden sein, denn seine Erregung legte sich sehr
bald, vielleicht dank der reizenden, musikalisch hochgebildeten, aber leider
schon vermihlten Amalie von Sebald, fur die er im nichsten Sommer
in Teplitz ergliihte; dennoch blieb er dem Hause Malfatti und namentlich
Therese nach wie vor freundschaftlich zugetan, auch nachdem diese am
14. Juni 1816 sich mit dem k. k. Hofrat der vereinigten Hofkanzlei Johann
Wilhelm Freiherrn von Drosdick vermahlt hatte. 1 )
Gleichenstein kehrte urns Jahr 1815 in seine Heimat zuruck und sah
seinen Freund erst 1824 wieder, als er der osterreichischen Hauptstadt
einen Besuch machte; 2 ) aber die treue Liebe, die er ihm in Wien stets
bewiesen hatte, bewahrte er auch in der Feme. Ein Bildnis Beethovens
— Brustbild in Ol gemalt — hatte er 1815 durch den Maler Josef M&hler
anfertigen lassen und in seine Heimat mitgenommen. Es befindet sich noch
im Besitz der Familie. 8 ) Nach Mitteilung der Baronin Drosdick 4 ) soil Gleichen-
stein Beethoven in dessen letzter Lebenszeit auch werktStig unterstiitzt
und ihm kurz vor dessen Tode seine Kinder zugefuhrt haben, damit er
sie segne.
Nach dem Ableben des Freundes ergriff auch Gleichenstein bald eine
grausame Krankheit, so dass er fast ein Jahr lang in der Gefahr geschwebt
haben soil, dem Wahnsinn zu verfallen. 5 ) Gewiss ist, dass er im Fruhling 1828
') Gothaer Almanach.
') Schindler I. 227.
•) Thayer 111. 519.
4 ) Mundliche Mitteilung an den Verfasser.
5 ) Mundliche Mitteilung an den Verfasser.
Digitized by
Google
33^
380
DIE MUSIK III. 23.
seiner Heilung wegen mit seiner Gemahlin nach Wien kam, anfangs in
der Stadt, dann aber in Heiligenstadt lebte, wo er am 3. August nach
dreimonatlichem Aufenthalt starb und auf dem Ortsfriedhof beerdigt wurde. 1 )
Jedoch lasst der Umstand, dass neben dem ordinierenden Arzte noch
mehrere Chirurgen den Kranken b eh an del ten, 2 ) darauf schliessen, dass er
an einem anderen Ubel als an Geistesstorung gelitten hat. Seine Witwe,
deren vortreffliche Eigenschaften mit Recht geruhmt wurden, sah der Ver-
fasser einigemal 1840 in Wien, wo sie bei ihrer Schwester Drosdick zum
Besuch war. Diese war eine ansehnliche, damals noch immer schdne,
sehr lebhafte Frau, wahrend ihr Gemahl schon etwas greisenhaft aussah.
Sie bekannte sich dem Verfasser mit vielem Selbstgefuhl als Schulerin
Beethovens und war eine ausgezeichnete Klavierspielerin. Friiher hatte
sie den Klaviervirtuosen Henselt zum Hausfreund gehabt, der 1840 bereits
im Ausland lebte und an dessen Stelle nun der Pianist Rudolf Schachner
getreten war, den sie, als sie am 27. April 1851 8 ) in Wien starb, zur
allgemeinen, und fur den sie uberlebenden Gemahl sehr unliebsamen
Uberraschung zu ihrem Erben einsetzte. 4 )
*) u. *) Abhandlungs-Akten im Wiener Landesgericht.
s ) Thayer II. 339.
*) Graf Laurencin mfindliche Mitteilung.
Weitere Kapitel folgen splter
Digitized by
Google
|achdem Bayreuth in den J ah re n 1901 und 1902 mit dem 9 Hollinder tf
den Ring der musterg<igen Aufftibrungen der Dramen des Meisters im
Festspielhause abgescblossen hatte, begann die Festspielleitung in diesem
| J ah re mit der Wiederaufnahme der Werke, die seit ibrer Darstellung auf
dem Bayreuther Hfigel mit einem — Anflug Bayreuther Geistes auch
fiber die Bfibnen der deutschen Hof- und Stadttheater gegangen sind. „TannhIu8er"
soil neben „Parsifal" und dem „Ring des Nibelungen" das Programm der Festspielzeit
des Jahres 1904 bilden. Seit 1892 ist das Werk im Festspielhause nicbt raehr auf-
geffihrt worden, nachdem es drei Festspieljahre hindurch dort auf dem Programm
gestanden hatte. Im Jahre 1891 bedeutete der Tannh&user, wie dann sp&ter 1894 der
Bayreuther Lohengrin, eine aus dringendstem Bedfirfnis herausgewirkte, befreiende
Tat. Erst in Bayreuth ist von den beiden SchSpfungen Wagners der Bann genommen
worden, in dem sie bis dahin uberall, wo sie gegeben wurden, als .Opera* ein
trauriges und irriges Dasein ffibren mussten, und die Vermittlung des Tannbiuser
als Drama an alien deutschen Bfihnen ist eine der weitestreichenden Segnungen des
Bayreuther Kunstschaffens, das vielen heute noch als „exklusiv* gilt. Haben die
ersten Bayreuther Aufffihrungen der genannten Werke den Hdrern zum ersten Male
gezeigt, wie ihr Meister sie sich auf der Bfihne gedacht hat; haben sie somit die
Bedeutung einer entscheidenden Aufkl fining gehabt, so bedeutet die jetzt begonnene
und in den nfichsten Festspieljahren gewiss fortzusetzende Neubelebung des fiber
neuen Aufgaben seit Jahren in Bayreuth verschwundenen Tannhiuser unter anderem
auch eine heilsame Wiederauffriscbung seines Geistes und seines dramatischen
Gehaltes. Heilsam vor allem fur unsere deutschen Durchschnittsbfihnen, auf denen
bekanntlich die Umkehrung des Grundsatzes gilt: dass die dauernde und oft wieder-
holte Ausfibung einer Kunst zu immer grdsserer Vertiefung und Verfeinerung der Wieder-
gabe des Kunstwerks fuhrt. Man weiss, wie die Hervorkehrung dekorativer Tendenzen
einerseits und die Vernachlftssigung der Stimmenbildung und -entwicklung an unseren
Bfibnen andererseits, zusammen mit dem „Star*-Unwesen die Einheitlichkeit der Vor-
stellungen von an sich durchaus geschlossenen, dramatischen Werken allm&hlich zu
einer reinen Fabelmfir hat werden lassen. Und man weiss, dass Publikum und Kritik
mit der Zeit so bescheiden geworden sind, sich zufrieden zu geben, wenn nur der
Sinn der musikalisch-dramatischen SchSpfung nicht ganz verdunkelt wird. Wir
wurden — wenn es nach dem Willen der Theaterdirektoren und Singer ginge —
zweifellos wieder zu solchen Zustftnden im deutschen Opernbetrieb komraen, wie sie
Richard Wagner einst mit vollkommener Verzweiflung an einer wirksamen Regene-
ration erfullen mussten — wenn nicht in Bayreuth von Zeit zu Zeit ganz unauf-
dringlich durch die Tat gezeigt wurde, was die deutschen Opernbfihnen heute Richard
Wagner schuldig sind. Es ist das eine der vielen ethischen Wirkungen der Bayreuther
Festspiele, in ihrer Bedeutung allerdings nur dem erkennbar, der die Zusammenhftnge
Digitized by
Google
SB,
382
DIE MUSIK III. 23.
zwischen nationalem Kulturleben und nationaler Kunstentwicklung erfasst — fur den
abcr aucb wichtig genug.
Von dicsem Standpunkt aus fiber die Auffuhrung des ^TannhSuser* im Fest-
spielhaus berichten, ist leichter, als von dem Standpunkt eines Mannes aus vom Feat-
pielhfigel zu reden, der des Glaubens ist, die — sie gewissermassen erst berechtigende
— Bedeutung der Bayreutber Festspiele berube in Vollkommenheit der Einzel-
leistungen und in Vollkommenheit ihrer Verschmelzung zum ganzen: zum Drama.
An diesem Massstabe die Festspiele zu messen wire ungerecht, weil vor solcher
Forderung der Kunstkritik ein aus oft divergierenden, oft den Launen des Zu-
falls oder dem Zufall der Laune ausgesetzten Riesenkdrper nie bestehen kann, es sei
denn im vielgepriesenen KSnigreich Utopien. — Der Bayreutber Tannhftuser ist keine
vollkommene Leistung. Seine Inszenierung, seine musikalische Durchf&hrung, seine
Besetzung sind teilweise anfechtbar. Und trotzdem ist die Auffuhrung unerreicht,
auch wohl unerreichbar gut. Es geht einem in Bayreuth eigentlich immer so: man
mag mit einem Abend gar nicht zu fried en sein, aber man wird sich huten, deshalb
zu sagen, anderswo kdnne Besseres geleistet werden. Bisher ist dies „Bessere"
nirgends gezeigt worden. Und das gleich Gute nur da, wo Bayreuther Geist den
fremden Geist zu bezwingen vermocht hat. Hiuflg ist auch dieser Fall nicht eingetreten.
Schon 1891 war die Darstellung des Bacchanales eine besonders hervorragende
Probe der Bayreuther Szenenkunst. Inzwischen sind auch in Mfinchen Versuche ge-
macht worden, den tollen Taumel der Venusberg-Musik mit den Ausdrucksmitteln
unserer total veralteten und im Grunde hdchst ennuyanten „Cboreographie" in Ein-
klang zu bringen. Vergebens. In Bayreuth hatte die kfinstlerische Leitung der Fest-
spiele, als welche wir gottlob noch immer Frau Wagner vollen Herzens verehren
dfirfen, eine regeneratorische Idee, das im Jahre 1891 A Erreichte wirksam zu verbessern.
Frau Wagner berief Isadora Duncan, die vielbespSttelte, aber hocbgebildete, geistreiche
und anmutige amerikanische T&nzerin, urn wenigstens den Reigen der Grazien mit
dionysischem Geist zu beseelen. Isadora Duncan hat uns die wundervoll bewegten
antiken Vasenbilder, die dramatische Bewegung der Tanagra-Statuetten in all ihrem
reinen und keuschen Zauber wieder ins Leben zuruckgebracht. J a, sie, die gar nicht
klassisch schdne Amerikanerin, wire die Berufene, das Tannhiuser-Bacchanale mit
dem regen Leben antiker Tanzkunst neu zu erfullen. — Varum ist nun der Bayreuther
Versuch im Grunde missglfickt? Warum bedeutete Miss Isadoras Grazie nicht viel
mehr als ein nicht ganz ernsthaftes Intermezzo?
Die Duncan tanzte reizend, aber sie tanzte unter Balleteusen. Ihr Tanz flel
also aus dem Rahmen. Alles um sie herum meisterlich arrangierte und der Musik
mit bewunderungswertem Eifer angepasste Balletkunst, aber eben nur Ballet. Freie
Ssthetisch begrundete Bewegung contra gefesselte Verrenkung — den Inbegriff un seres
Ballets. Es war gewiss nicht erquicklich. Aber es war ein Fingerzeig. Was eine
Grazie (die nicht einmal im Kost&m ihren Schwestern glicb) tanzte, das sollten und —
werden wenigstens in Bayreuth in Zukunft a He tanzen, die im Bacchanale mitzu-
wirken haben, und dann erst wird der klassiscbe Geist, der sich jetzt schon so pr&chtig
in den Gruppen der Europa und Leda ausprigt, von Bayreuth aus seinen Weg uber
die deutschen Bubnen nehmen. Bayreuth bleibt dann der „Anreger".
Wie SchSnes hat heuer die Regie in den Ensemblescenen des zweiten, im Schluss
des dritten Aktes neu geleistet! Man braucht sich nur einiges Zuviel hinwegzudenken —
die Meute im ersten Akt, die Vor warts bewegung der aufmarscbierenden Edlen, das
Herandringen der Singer auf den nach Rom gewiesenen TannbSuser im zweiten Akt
— und die Arbeit des Bayreuther Regisseurs wird mustergultig und unbedingt nach-
Digitized by
Google
383
BUSCHING: BAYREUTH 1904
zuabmen sein. Man flndet nirgends so zarte Beleucbtungswirkungen, nirgends so
dezente und sinngemftss belebte Gruppierungen wie in Bayreutb. Das ist wobl
mit ein Verdienst Siegfried Wagners, der fur dies Festspieljabr die Leitung des
Tannhftuser Qbernommenn bat. Er hat sich da wieder als Meister der Szene erwiesen.
Venn ich seine Dirigentenleistung nicbt gleich hocb anscblage, so entferne ich
micb kaum wesentlich von dem allgemeinen Eindruck unbefangener Hdrer. Unein-
geschrinkte Anerkennung verdient die Arbeit der absoluten musikaliscben Einstudierung.
Die Ensembles waren ganz vortrefflich vorbereitet. Zum erstenmale in meinem Leben
babe ich z. B. die Frauenstimmen beim Aufbruch der GSste gehdrt, die sonst im all-
gemeinen GetSse verloren gehen. Und dann gerieten die PilgerchSre im dritten Akt
unvergleichlich schdn. Da merkte man aucb, wie eifrig „gekniest" worden war.
Indessen fehlte der ganzen Auffubrung der grosse, fortreissende Schwung, das uberall
entflammte Leben der Parti tur. Der Tannh&user vertr> im dritten Akt breite
und schwere Tempi; aber aucb hier: sit modus in rebus! Die Melodie darf — ge-
wisslich im Tannhluser — dem schweren Rhythmus nicht geopfert werden, wenn der
Dirigent sich nicht am Geiste dieser weichen und leidenschaftlichen Melodik ver-
sundigen will. Allerdings sorgt der Meister fur sich selbst, und so erbielt doch der
Schluss des zweiten Aktes aus eigner Kraft die ganze Fulle erschutternder und mfichtig
bewegter Dramatik.
Die Leistungen der Sanger seien nur kurz beruhrt: als Tannhftuser bewies der
Breslauer Matray (der mit Rlmond-Kailsruhe alterniert) feurige Impulsivitftt, wenn
auch seine Stimmmittel nicht bedeutend genug erschienen. Frau Fleischer-Edel
(Hamburg) verlieh mit ihrem sussen, reizenden Organ der Elisabeth den Charme
der Mftdchenbaftigkeit, den unsere landlftuflgen Primadonnen dieser liebenswerten
Frauengestalt mit niederscbmetterndem Erfolg lftngst genommen batten, und Louise
Grandjean aus Paris, eine um das Eindringen Wagners in Frankreich sehr verdiente,
reichbegabte Kunstlerin, war eine das Deutsche gut aussprecbende, hoheitsvolle Venus,
an deren vollendeter Gesangskunst man seine Freude haben konnte. Ein Kniese-
Schuler, Clarence Whitehill wird bald ein besserer Wolfram sein, als Knupfer
heute schon ein Landgraf ist. Die ubrigen Sanger waren nicht durch hervorragende
Individualitftten vertreten, auch der Hirtenknabe kann frischer und knabenhafker ge-
geben werden. Ein besonderes Lob verdienen die klangvollen und wohltuend reinen
ChSre. Das Orchester ist in Bayreutb von altersher uber jedes Lob erbaben. Es
hat seinen Ruf auch heuer wieder glftnzend bewfthrt. — f
Der Parsifal war einige Jahre das Schmerzenskind der Festspiele gewesen.
Das Bubnenweihfestspiel, das in Bayreuth seine einzige Heimstitte hat und behalten
soil, war im Vergleich zu den AuffQhrungen der Tetralogie und des „Hollftnder" in
Weiterbildung des szenischen wie des musikaliscben Gesamteindrucks ein wenig ins
Hintertreffen geraten, und erst jetzt machen sich erfreuliche Spuren emsigen Studiums
und geistvoller Vertiefung von neuem bemerkbar. Ich glaube nicht, dass die depri-
mierenden kunstleriscben oder cesser: unkunstlerischen Ergebnisse der New Yorker
Parsifal-Auffuhrungen zu bewusster Kraftentfaltung Anlass gegeben haben. Aber
fraglos bildet dies traurige Ereignis das sog. *psychologiscbe Moment" zu den Be-
reicherungen und Verfeinerungen, die wir in diesem Jahre an der Parsifal-Auffuhrung
wahrnehmen k5nnen. Dr. Karl Muck, dem seit Jab re n der Parsifal allein anvertraut
war und dem heuer der Karlsruher Nachfolger Felix Mottls, Hofkapellmeister Balling,
zur Seite tritt, scheint insbesondere fur die Chorszenen des ersten Aktes und die
Szene der Blumenmidchen viel gutes getan zu haben. Dass er im ganzen, wie Sieg-
fried Wagner, in Tempofragen auch die eifrigsten Anbftnger gebaltener Masse (zu
Digitized by
Google
SSL
384
DIE MUSIK III. 23.
denen ich mich recbne) ubertrumpft, ist zu bekannt, als dass es nochmals als Fehler
hervorgeboben werden rausste. Dr. Muck ist nicht ein Mann des Temperaments,
aber wobl ein Mann eindringlicbster verst&ndnisvoller Interpretation: ein vorzug-
Hcber musikaliscber Letter, weniger ein Poet, ein pietfitvoll nachschaffender Kunstler.
Doch wSre es ganz ungerecbt, zu verschweigen, dass er z. B. die ganze Gralsszene des
ersten Aktes zu prachtvoll tiefer Wirkung bringt. — In dem Munchener Arzt Dr. v. Bary
konnte man einen anscheinend zu den scbdnsten Erwartungen berechtigenden, wenn
auch etwas korpulenten Parsifal kennen lernen, der im zweiten und dritten Akt, dank
einer gesunden Unmittelbarkeit der Empfindung und bober Intelligenz der Auffassung,
steilenweise bedeutende Wirkungen erreicbt. Ob das an sicb echte Heldentenor-
organ noch zu dem wunscbenswerten Glanz und Schmelz gelangt, bleibe dahingestellt.
lmmerbin war dieser Parsifal der beste, den Bayreuth seitjahren gefunden hat. Frau
Witticb ist eine, wenn auch nicbt sehr bedeutende, so doch sehr gute Kundry, die
im dramatiscben Ausdruck in der Verfuhrungsszene grandiose Momente hat; schade,
dass die Stimme nicbt gewaltig genug ist. Dr. Felix v. Kraus hat seinen Gurnemanz
ausserordentlich vertieft: der erste Teil des dritten Aktes ist dadurch bedeutend ein-
drucksvoller geworden. Eine hoffnungsvolle An fingerlei stung war LeydstrSms
Klingsor, wfihrend Perrons edler Am fortes noch immer eine der erfreulichsten und
scbdnsten Gestalten der Bayreuther Auffuhrung ist. —
Das eigentlicbe Fest des ersten Festspielzyklus aber war „ Der Ring des
Nibelungen" unter Hans Richters Leitung! Das war hone, das war echte Bay-
reuther Kunst: ein grandioser Abscbluss des ersten Cyklus und ein bleibender, leuch-
tender Eindruck! Hans Richter, der treue Freund des Hauses Wagner, der Ring-
Dirigent der Festspiele von 1876 — er ist jung geblieben mit „seinem" Werk. Wir
haben keinen besseren Verwalter des gewaltigsten Erbstucks Richard Wagners als inn.
Kein Wort des Lobes ist zu uberschw&nglicb, kein Ausdruck der Dankbarkeit hier
ubertrieben. Neben dem, was Richter gab, verblassten die Schwftchen in der Be-
setzung, und im Verein mit ihm leisteten die hervorragenden Stfitzen des Bayreuther
Ensembles zwiefach Bewundernswertes. Schade, dass Hans Richter nur Musiker ist,
dass ihm der rechte Sinn fur die Bedeutung der Szene im Wagnerschen Drama fehlt.
Sonst wurden wohl manche Einzelheiten noch anders wirken k5nnen. So z. B. ist
es raerkwurdig, dass im ganzen ersten Akt der „Walkfire" andauernd zum Publikum
hingesungen wurde, dass sogar Siegmund die Stelle: * Welch ein Strahl bricht aus
der Esche Stamm a bis w tief in des Busens Berge glimmt nur noch lichtlose Glut* —
von der Esche abgewandt an den ZuhSrer richtete. Auch wSre sonst wohl die Regen-
bogenbrucke und die Verwandlung im dritten Akt der „G6tterdfimmerung" richtig nach
den Weisungen des Dichters ausgefuhrt worden und einiges andere raehr . . .
Bayreuth hat wohl noch niemals soviel neue und junge Krifie gleichzeitig
„herausgebracbt", wie in dies em Jabre. Bei einigen zwar vermisste man schmerzlich
die alten Kunstler, die jetzt ersetzt werden mussten. In erster Linie beim Albericb,
dem Nawiasky wobl bedeutende Stimmmittel lieh, ohne ihn aber mit der dftmonischen
Glut zu erfullen und in Ausdruck und Akzentuierung so meisterlich auszugestalten,
wie wir das von Fritz Friedrichs gewohnt waren. Frau Geller-Wolter war eine
namentlich im Siegfried recht gute Erda, erreicht aber die unvergessliche, scheinbar
Bayreuth entfremdete Schumann-Heink keineswegs. Auch als Waltraute ist diese
herrlicbe Kunstlerin durch die sehr intelligente und fleissige Frau Metzger-Froitz-
heira nicht ersetzt. Weiter vermochte Knupfer als Hunding, Rains als Hagen,
vom Scheldt als Donner die Erinnerung an einstige bessere Vertreter dieser Partieen
nicbt auszuldscben. Und die erste Rbeintocbter hat, wenigstens was die Erhaltung
Digitized by
Google
385
BUSCHING: BAYREUTH 1904
der Stimmc anbetriffr, begrciflicherweisc auch nicht von Freias Apfeln gegessen. Eine
von fruber ber leider fortgesetzte Einricbtung ist nun die „Doppelbesetzung" in der
„G5tterdimmening u . Die Partieen der ersten Norn und der Gutrune vertritt Frau
Reuss-Belce, und Frl. v. Artner muss die dritte Norn und die erste Rheintocbter
singen. In Bayreuth sollte man scbon mit jeder Partie eine spezielle Kraft betrauen;
es gibt genug talentvolle und stimmbegabte Kunstlerinnen in Deutschland, die stolz
darauf wfiren, in Bayreutb aucb nur in einer kleinen Partie bervortreten zu durfen.
Von „alten Bekannten" sei vor allem Briesemeisters unvergleichlicb
charakteristischer Loge, Breuers in sorgflltigster Fortbildung mftcbtig gewacbsener
Mime, Perrons im Spiel und Ausdruck gleich sympatbiscber Guntber und Elm-
blads famoser Fafner genannt; von den Damen Frau Wittichs im zweiten Akt
ruhrende Sieglinde und Frau Feuge-GIeiss (Waldvogel) mit besonderem Nacbdruck
bervorgehoben. Ein neuer Froh, Alois Hadwiger, zeigte auffallend scbdne, frische
Mittel, und der neue Siegmund, Dr. v. Bary, bewfthrte wieder viel krifiig ecbtes Em-
pflnden und eine starke dramatische Begabung; leider war er musikaliscb und in der
Darstellung noch recbt unsicher, was insbesondere im ersten Akt der „Walkure"
stdrend bervortrat. — Bertrams Wotan ist seit dem letzten Bayreutber .Ring" be-
deutend gewachsen. Die pracbtvolle rolchtige Stimme bfilt bis zum letzten Ton sieg*
baft durcb, und in Vortrag und Ausdruck wird die Gestalt Walvaters von ihm jetzt
einbeitlicber und grosser angelcgt, als fruber. Die Neigung, allzu stark und nicbt
immer richtig zu akzentuieren, wurde nur in der Anklage an Brunnbilde nocb bemerkt;
bier war der [Contrast zwischen sentimentaler Weicbheit und unmittelbar daran ge-
turmter Schroffheit unnaturlich und durcb den Sinn der Dicbtung nicbt geboten.
Jetzt aber zu drei ganz bervorragenden Leistungen, auf die Bayreuth stolz sein
darf. Die Fricka der Frau Reuss-Belce atmet wahrbaft klassiscben Geist. Hat
aucb die Stimme nicbt mehr ibren einstigen Schmelz, so ist sie doch nocb vSllig
ausreichend. Und das Spiel, die Bewegungen und Mienen stehen in vollendetem Ein-
klang: eine auf der Buhne Susserst seltene Harmonie aller kunstlerischen Mittel.-
Von dieser Fricka kdnnen alle anderen Vertreterinnen der scbwierigen Partie un-
endlich viel lernen. Zu einer grandiosen Brunnbilde bat sich im Laufe der Jahre
Frau Ellen Gulbranson entwickelt. Aucb bei ibr macht sich stellenweise scbon
eine Ermfidung und Verscbleierung der Stimme bemerkbar, aber das wunderbar ge-
scbmeidige und warme Organ klingt weich und voll wie einst, und die Kunstlerin
beberrscht die Partie jetzt musikaliscb besser als je. Was nun hdcbste Bewunderung
verdient, ist die bobe Vervollkommnung der Darstellung. Fruher batte die Gulbranson
als Brunnhilde zahlreicbe Hirten und Manieren. Ihre Wildbeit ermangelte der An-
mut, ihre Weicbheit war zu derb. Jetzt ist alles grdsser, abgeklftrter, voll ruhiger
Hoheit geworden, ohne dass wir Leidenscbaftlichkeit vermissen mussten. Pracbtvoll
spielt sie die grosse Szene mit Wotan im dritten Akt der „Walkure*, zu michtiger
Wirkung bringt sie die Erweckungsszene im .Siegfried" wie die Schwurszene im
zweiten Akt der M G5tterdSmmerung". Die Gulbranson ist ein glftnzender Beweis dafur,
zu welcher inneren Grdsse begabte und von ihrer Aufgabe ganz erfullte Kunstler
unter dem Einfluss der Bayreutber Schaffensart gelangen kdnnen und mussen. Ein
welterer Beweis dafur ist Ernst Kraus. Was ist aus dem Jung-Siegfried dieses
Singers in der Zeit geworden, seitdem sein starkes ursprunglicbes Talent in Bayreuth
„kultiviert* worden ist? Stimmlich Qberragt er alle deutschen Siegfriede ohne Aus-
nahme, und heute wohl auch in der Darstellung. Soviel Naturlichkeit und grundechte
Innigkeit und soviel hinreissende leuchtende WSrme flndet sich so leicbt nicht wieder.
Das ist eine Idealgestalt, wie sie dem Meister vorgeschwebt haben mag. In der
III. 23. 25
Digitized by
Google
386
^3p DIE MUSIK III. 23. QCp^j
„Gdtterdammerung a stand naturgemlss noch nicht alles auf der gleichen Hone. Zwar
die Szene in der Gibichungenhalle und die Begegnung mit Brunnbilde gelangen noch
herrlicb, aber im dritten Akt beeinflusste eine starke Ermudung die weitere Entfaltung
der stimmlichen und sonstigen Krftfte dcs Kunstlers. Wir durfen Ernst Kraus heute
einen vollwertigen Kunstler nennen. Das bat sein jungster Siegfried gewirkt
Unvergesslich wird mir die Steigerung bleiben, die nach den beiden ersten in
ihrer Art ganz vorzuglichen Auffubrungen der erste Bayreutber .Ring* dieses J ah res
gebracht hat. Gewiss wird der grosse und nachhaltige Gesamteindruck mit in erster
Linie den einzelnen Kunstlern auf der Bubne, dann dem Prof. Kniese fur die unuber-
treffliche Einstudierung des Gesangs der Walkuren und der Mannen, dem Regisseur, dem
Wunder wirkenden Beleuchtungsleiter verdankt, aber zuoberst steht doch der Mann, der
mit seinem schdnen unsichtbaren Orchester tief unten thront und doch alles beherrscht.
Hans Ricbter ist der Mann nach dem Herzen derWagnerianer. Er hat alles, Rbytbmus,
dynamische Schattierung, Kraft, Seele und Weichheit in seinem Herzen: er hutet
wahrlich das Erbe des Meisters. Er zeigt, dass verscbleppte Tempi nicht identisch
sind mit breiten fliessenden Zeitmassen und dass ihm die Poesie fiber all em steht.
Ihm hat sich der Geist des Werkes erschlossen, und deshalb bietet ibm kein
Tempo ein Problem. Er erfullt die Partitur mit ibrem eigenen vollen Leben: er
zdgert nicht und eilt nicht: er schafft unbewusst nach, weil er halt ein ganzer, grosser
Kunstler ist!
Mit dem Gefubl reiner Freude konnte man von Bayreuth Abschied nehmen.
Wer im Leben die Vollkommenheit sucht, wird auch in Bayreuth enttftuscbt werden.
Wer sich aber mit selbstloser Hingabe an ein grosses Werk, mit unermudlich fort-
schaffender, aus tiefem Verstehen und Wissen geborener Arbeit und mit dem alien
gemeinsamen und in allem Wichtigsten glucklicb verwirklichten St re ben nach
Voll en dung weise zu fried en gibt, fur den ist Bayreuth immer wieder Erhebung und
Bereicberung. Seien wir glucklich, dass man auch von den Festspielen 1904 sagen
kann: die treuen, berufenen Huter der Kunst Richard Wagners baben von neuem alte
Freunde und junge Bewunderer zu herzlichem Dank verpflicbtet.
Digitized by
Google
bOcher
329. Chr. Droemann: 120 Melodieen aus dem revidierten Cboralbuch von
Ed. Hille. Taktmlssig und einheitlicb notiert. Verlag: Carl Meyer,
Hannover und Berlin.
In dem von Prof. D. Althaus verfassten Vorwort heisst es im 2. Abschnitt: „Dass
wir in der Hannoverschen Landeskirche uns gegenwirtig in einem Stadium der Choral-
not befinden, kann keinem Einsichtigen verborgen bleiben." Dieser Sacz bleibt auch
dann rich tig, wenn man statt „Hannoversche Landeskirche" „Evangelische Kirche Deutsch-
lands" setzt. Aber leider! wenige sind es, die diese Not als solche empflnden, und nocta
kleiner ist die Zahl derer, die den Mut haben, dieser Empfindung Ausdruck zu geben.
Darum ist dieses Bucb mit Freude und Genugtuung zu begrussen. Dass es die Frucht
mehrj&hriger Geistesarbeit darstellt, wird jedem klar sein, der sich mit der Materie ernst-
licb bescbSftigt bat. Der Verfasser erkl&rt von vorne herein, eine Handreichung eines
korrekten und einheitlichen Gesanges unserer Kirchenlieder mit diesem Buche dar-
zubieten. Seite 8 unten fordert er: es muss der Gesang bei jedem Zeitmasse, langsamen
Oder beschleunigten, ein rbythmiscber, d. h. streng taktmSssiger sein. Seite 9:
Ferner muss der Gesang unserer Kirchenmelodieen aucb ein einbeitlicber sein. Fur-
wabr, herrliche Worte, denen jeder, der den deutschen Kirchengesang zu wurdigen weiss,
zujubeln wird, und die verwirklicht werden mussen, wenn der allgemeinen Choralnot ein
Ende bereitet werden soil. Nun entsteht aber die Frage: Ist das vorgesteckte Ziel in
diesem Buche erreicht? In Bezug auf die Melodieen Nr. 1 bis 19 und 21 bis 71 kann
man wobl die Frage im allgemeinen bejahen, leider aber nicht bei den ubrigen. Darum
kann das vorliegende Werk nur als scbfttzenswerter Beitrag zur Erreichung eines korrekten
und einheitlichen Kirchengesanges bewertet werden. Dem alten Schatz deutscher Kirchen-
melodieen ergeht es wie dem Dornrdschen im M&rchen: er ist da, in vollendeter Schdne
aber er scbiafr, eingesponnen in ein Wirrsal von Dornengestrupp. Frost und Hagelwetter
des dOjihrigen Krieges haben ihn eingescbl&fert. Johannes Zahn und andere vom besten
Willen beseelte Manner haben versucbt, ihn zum Leben zu erwecken, sind aber in dem
schrecklicben Gestrupp des Polyrhythmus h&ngen geblieben, so auch dieses vorliegende
Buch, trotz des guten Anlaufs, den es im Anfange macht. Urn zum Ziele zu gelangen,
muss man: 1. dieBedeutungder musikalischenScbriftzeicben in den verschiedenen Perioden
der Vergangenbeit genau erforschen, um zunacbst die alten Handschriften so lesen zu
k5nnen, wie sie gemeint sind; 2. den Gesetzen nachspuren, die von den Alten bei der
rhythmischen Gestaltung der Melodieen beobachtet worden sind; dann wird sich auch
3. der Blick scbarfen fur die Entstellungen, die im Laufe der Zeit den Melodieen in
rhytbmischer Beziebung zugefugt worden sind und naturgem&ss beseitigt werden mussen;
4. muss man die heute geltenden Regeln fur die Taktstrichsetzung genau beherrschen.
Nur so kann unser Dornrdschen aus dem Jahrhunderte langen Schlafe wieder er-
weckt werden. Im ubrigen sei auf den Aufsatz in No. 7 und 8 des laufenden Jahrgangs
dieser Zeitscbrift verwiesen: „Zur Reform des protestantischen Kirchengemeindegesanges
in Deutschland*" *) Hermann Post.
') Auch als Sonderabdruck erscbienen.
25»
Digitized by
Google
388
DIE MUSIK III. 23.
330. Georg Gfthler: Keine Konzert-Tantiemen. Ein Aufruf an alle Freunde der
deutscben Musikpflege. Verlag: Max Hesse, Leipzig. — Die Anstalt fur
musikalisches Auffuhrungsrecht in Berlin. Zur Aufkl&rung und
Ricbtigstellung herausgegeben vom Verein der deutschen Musikalien-
hindler zu Leipzig. Verlag: Geschaftsstelle des Vereins der deutscben
Musikalienh&ndler, Leipzig. — Paul Hielscher: Die Konzert-Tantieme
keine Gefahr fur das Musikleben! Ein Wort zur Berubigung. Verlag:
C. F. E. Leuckart, Leipzig.
Die Leser der „Musik M baben vielleicbt schon zu viel Material uber die Anstalt
fur musikaliscbes Auffuhrungsrecht bzw. fiber die Erbebung von Konzerttantiemen er-
halten; darum sei bier nur kurz auf die obigen Scbriften bingewiesen. Paul Hielscher,
dessen Ausfuhrungen sich im wesentlichen mit den meinigen (Bd. 10, S. 338 ff.) decken,
zeigt, dass die kleineren Konzeninstitute durch die Zablung einer kleinen Tantieme nicbt
nur nicbt erdrosselt werden, wie es z. B. Gdbler furcbtet, sondern gerade dadurch einen
Ansporn erhalten, die Werke lebender Musiker aufzufuhren. Zugleich legt er auch Ver-
wahrung gegen die Verdichtigungen und Bescbuldigungen ein, mit denen leider unsere
ersten Kunstler, weil sie den Vorstand oder Beirat der Tantiemeanstalt bilden, uberbftuft
werden. — Herr Dr. Gdbler, einer der leidenschaftlicbsten Gegner dieser Anstalt, ba*tte
seine gewicbtige Stimme vor Erlass des neuen Autorrecbts nur genugend erschallen lassen
sollen; Zeit genug war dazu gewesen. Dass er jetzt, nachdem das Gesetz unter Zu-
ziehung sftmtlicber beteiligten Kreise nach Ungeren Verhandlungen zustandegekommen
ist, es vom Reichstag gleich wieder geindert baben will, ist ein Verlangen, das man bei-
nabe als naiv bezeichnen kdnnte. Verstehen kann ich auch nicbt, dass Herr Dr. Gdbler
die viele Namen entbaltende Liste der an die Anstalt nicbt angeschlossenen Verleger[!]
nicbt nfiher gepruft bat. Unter diesen sind zahlreiche nicbt imstande, auch nur ein ein-
ziges Werk aufzuweisen, das fur Auffuhrungen in Betracht kommt. Das hStte sich auch
der Verfasser der gegen die Anstalt vom Verein der Musikalienhftndler herausgegebenen
Schrift sagen mussen. Juristisch sehr anfecbtbar ist darin ubrigens gleich auf S. 3 die
Interpretation des $ 8 des neuen Gesetzes, desgl. S. 9 die Ansicht, dass iltere Werke
nur mit Bewilligung des Verlegers nachtrfiglich gescbutzt werden kdnnen. Falsch ist
auch S. 7, dass N. Simrock auch Sortimentsgescbift ist. Sehr glucklich abgefasst kann
ich diese ganze Gegenschrift nicbt flnden. Sicherlich sind von der Anstalt fur musika-
lisches Auffuhrungsrecht auch Fehler oder Missgriffe gemacht worden; man vergesse
aber nicbt: das Vorgehen der Anstalt ist durcbaus in Obereinstiirimung mit dem Gesetz,
die Steuer, die sie erhebt, eine durchaus mftssige, die, wie ich fruber schon hervor-
geboben babe, leicht von den Konzertveranstaltern durch Ersparnisse uberflussiger Aus-
gaben wettgemacbt werden kann. Obrigens beginnt schon jetzt die Opposition der
Konzeninstitute nachzulassen ; ich zweifle nicbt, dass scbon in Jahresfrist an der Anstalt
fflr musikalisches Auffuhrungsrecht nur noch wenige Anstoss nehmen werden.
331. Amadeo von der Hoya: Die Grundlagen der Technik des Violin-
spiel es. Eine Darlegung der Gesetze und Mittel der technischen Scbulung.
1. Teil. Verlag: Max Hesse, Leipzig.
Ober die Technik des Klavierspiels gibt es schon einige auf den psychophysischen
Gesetzen der Kdrper- bzw. Gliederbewegung aufgebauten System e, wfthrend sich Geiger
weit weniger mit derartigen Fragen bescb&ftigt haben. Steinhausens „Kunst der Bogen-
fuhrung", auf die wir seinerzeit (Bd. 10, 50) gebGhrend hingewiesen haben, wird sicher-
lich sehr viel gutes wirken, wenn sie richtig verstanden wird. Dies durfte auch von dem
obigen, bis jetzt nur teilweise vorliegenden Bucbe gelten, uber das ich mir noch kein
definitives Urteil erlauben mSchte. Es beruht jedenfalls auf eingehenden Studien, aber
Digitized by
Google
389
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
wie wenige unserer Geigenlehrer werden Zeit und Lust haben, es zu studieren, wie
wenige imstande sein, die Ergebnisse ibren Schfilern beizubringen. „Wer fur das Geigen-
spiel begabt 1st, wird, so werden viele — vielleicht nicht mit Unrecbt — sagen, ganz
von selbst, obne gymnastische Vorschulung der H&nde und Arrae, das Ricbtige treffen;
wozu sollen wir nocb Psycbo-Physiologie treiben?"
Dr. Wilhelm Altmann.
332. Paul Kirsten: Die au torn at ischeStimmbildungalsGrundlage eines rationellen
Gesangunterricbts. Verlag: Durrsche Buchhandlung, Leipzig.
Legion ist die Zabl der Bficher und Broschfiren, die man fiber die menscblicbe
Stimme, ihre Bildung usw. geschrieben, Legion wird die Zabl sein, die nocb der Ent-
stebung ham. Wird jemals eine erscbdpfende Behandlung dieses subjektivsten aller
Studien in dieser Form, sei sie nocb so geistvoll und umfassend, zu ermSglicben sein?
Nein! Denn so wie die.Menschen Susserlich von einander unterschiedlich, so sind sie
es auch in ihrem Innern, ihrem Denken, Ffihlen und ganz besonders ia ibren Laut-
iusserungen. Daraus resultiert, dass die Ausbildung der Stimme von Fall zu Fall auf
subjektiver Basis und unter selbstverstindlicber Beobacbtung allgeroein-begrifflicher Tat-
sachen zu geschehen hat. Letztere sind schon von vielen Seiten gut und ausffibrlich
erlftutert worden. Neue Gesichtspunkte aufzustellen, gelingt nur seiten. In jedem neu-
erscbeinenden Werke wird immer wieder mit mehr Oder weniger Geist nur fiber ttngst
bekannte, feststehende Tatsacben geredet. Auch in der vorliegenden Broschfire des
Seminar-Musiklehrers Paul Kirsten geht es ahnlich zu. Recht gute aber bekannte An-
sicbten wechseln mit durcb falsche Ausdrficke hervorgerufenen unklaren Bebauptungen
und Erkllrungen. Beispielsweise behauptet Kirsten, der „primfire Ton* sei der erste
durch das Studium errungene vollkommene Ton. Das ist falsch. Der primftre Ton —
mir persdnlich ist dieser Ausdruck durchaus unsympathisch — ist das Gerluscb, welches
die durch die ausstrdmende Luft hervorgebrachten Schwingungen der Stimmbftnder er-
zeugen, bevor es durch die Schallrlume des Ansatzrohres und seiner Resonanz-Hohlriume
zum Klang potenziert wird. — Ferner stellt Kirsten die Bebauptung auf: Der einge-
nommene Atem muss zum Zweck der Tonbildung gestaut werden. Das hiesse also den
Atem soviel wie mdglich festhalten. Nun, icb habe nocb keinen Bttser gesehen, der
obne Atem geblasen bitte. Unser Stimmorgan ist aber in seiner ganzen Beanlagung
nicbts anderes als ein Blasinstrument, das wir bei der Durcbffihrung einer kombinierten
Flanken- und Zwerchfellatmung auf seinen individuellen Tiefstand bringen und bei dem
wir durch das durch die Tiefatmung verkfirzte Anblaserohr die Luft auf die Stimmb&nder
blasen. Diese nun klingende Lufts&ule wird durch das erweiterte Ansatzrohr mit seinen
durch feste Wandungen geschiedenen Resonanz-Hohlr&umen derart konzentriert, dass bei
absoluter Beobacbtung der richtigen Ffihrung der klingenden Luftsftule bis zur Stirn-
beinboble nicbt allein kein Atom Atem dem Munde ungenfitzt, als sogenannte *wilde
Luft*, entweicht, sondern tatsftchlich die von Herrn Kirsten als erstrebenswert gepriesene
automatische Stimmbildung erreicht wird. Dieser automatisch gebildete^abstrakte, das
heisst von der Vokalform nocb nicht beeinflusste Ton, wird nach seiner einheitlich klang-
lichen Vollendung in die jeweilige Vokalform der Sprachwerkzeuge gefuhrt, um dann dort
durch die wunderbare Variabilitlt der Vokalformungen mit immer neuen Farbenreizen
ausgestattet zu werden. — Das was Kirsten fiber das sprachliche Moment der Stimm-
erreichung sagt, ist ebenso unlogisch wie dfirftig. Er beweist dadurch, dass er von den
bedeutendsten Werken fiber Spracb physiologic wenig Kenntnis hat. Seine Bebauptung:
<las Prinzip der automatischen Stimmbildung lSsst sich auch bei Massenunterricht durch -
ffihren, ist eine vollstindige Verkennung des absolut individuellen Charaktera dieses
Studiums. Adolf GSttmann.
Digitized by
Google
390
DIE MUSIK III. 23.
d£>
333. Richard Sternfeld: Albert Niemann. Viertes Bindchen der von Dr. Carl
Hagemann berausgegebenen Sammlung „Das Theater". Verlag: Schuster
& Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904.
Wer mdchte nicht eine Biograpbie des deutschesten der Singer, des grossten
Tragikers der deutscben Buhne in der zweiten Hilfte des 19. Jahrhunderts, des in jeder
Beziehung so einziganigen und reckenhaften Albert Niemann besitzen? Hier wird sie
zum erstenmal dargeboten, wenn auch in kleinem Massstabe und in oft nur andeutenden
allgemeinen Zugen. Docb der Autor ist nicbt nur sacbverstindig, sondern er schildert
auch insofern Selbsterlebtes, als er den Kunstler in alien seinen Hauptrollen oft be-
wundern durfte. Wer Niemann in irgend einer Rolle sab, fur den gab es keine andre
Auffassung der betreffenden Gestalt mehr: so uberzeugend aus tiefstem Innern kommend
und ins Innere des Zuscbauers dringend, war seine Darstellung. Gesang, Gebirde und
Spiel war bei ihm eines nur. Sternfeld weist mit Recht darauf hin, dass Niemann mit
der Stimme weinen, jubeln, klagen, jaucbzen, zurnen, verscnmachten, beschwichtigen,
aufreizen, beberrschen, kurz alles konnte, was die Leidenschaft im Menschen erregt;
und zwar war sein Ausdruck immer unmittelbar, daher von uberwiltigender Wahrheit
und echter Dramatik. Er vereinigte hdchste, nur ganz selten zu flndende naturliche
Begabung mit grosser Intelligenz und erzielte, beide in fleissigstem Studium vereinigend,
die hochst mdgliche Leistungskraft. Kurz, er war ein Einziger; und wer seine Kunst
gekannt hat, ger&t schon im Gedanken daran in hohe Begeisterung und bedauert, nicht
eine lange Lobeshymne zum Ruhme dieses ganz Grossen anstimmen zu durfen, dem die
Mit- und Nachwelt noch viele Kr&nze flechten wird. Auch Sternfeld wird, trotz eifrigstem
Bemuhen urn streng objektive Darstellung, bisweilen von dieser Begeisterung ergriffen,
was seinem Buche nur zum Vorteil gereicht. Wir halten es nicht fur notwendig, diese
erste Niemannbiographie noch besonders zu empfehlen. Das Buch enth< sechs Portrftts des
Kunstlers in Zivil und in Wagnerrollen, sowie einen faksimilierten Brief Richard Wagners.
Kurt Mey.
MUSIKALIEN
334. C. A. Herm. Wolff: „Der Kinderfreund a , theoretisch-praktische Klavierschule.
Verlag: Anton J. Benjamin, Hamburg.
335. Richard Schelle: „Reform-Klavierschule". Verlag: Richard Kaun, Berlin.
336. Karl Zuschneid: „Klavierschule«, Teil I. Verlag: Chr. Friedrich Vieweg,
Gr.-Lichterfelde.
337. Karl Klind worth: „Elementar-Klavierschule", Teil I und II. Verlag:
B. Schotts Sdhne, Mainz.
Neue Klavierschulen sind mit Misstrauen zu betrachten; denn sie sind weder neu
noch originell. Alle leiden am Herkdmmlichen und ersticken die einfachsten Dinge
unter dem Wust einer zwecklosen Syntax. Das Schema F herrscht vor, und „Leberr
und Stark", diese gepriesene, unklassiscbe Schule, wird kopiert. Ich wunschte der Klavier-
pfldagogik einen Mann wie Berlitz, dessen Einfluss auf die Umgestaltung der neusprach-
lichen Methodik an den hdberen Lehranstalten schwerlich mehr zu leugnen ist. Es fehlt
uns an einem friscben, sausenden, brausenden Morgenwind, der reinigend und beffeiend
zwischen das alte verstaubte Ge rum pel von Schulen und Methoden ffthrt, und den Vor-
stellungskreis der „Herren Klavierlehrer" etwas lichtet und kunstlerischer gestaltet. Aus
all den Schulen und all den Srucken und Stuckchen entsetzlichster Monotonie und un-
bekanntester Herkunft, mit Volksliedern, von denen niemand etwas weiss, mit Opera-
melodieen, die weder Zweck noch Sinn haben, hat noch niemand Klavierspielen'gelernt.
Im Gegenteil, die besten sind oft durch sie verdorben und am dickleibigen „Damm" u. a. m.
Digitized by
Google
391
BESPRECHUNGEN (MUS1KALIEN)
gescheitert. Sodann noch eins: sie leiden alle an ein und demselben Obel. Pftdagogische
Erfahrungen, die Summe jahrelanger Studien und Beobachtungen geben zwar einen guten
Boden ab, haben aber objektiv nur einen rclativen Wert. Alle Klavierschulen sind zu
persdnlich, d. h. zu unwissenschaftlich. Man kann auch diesen neuen Werken den
Vorwurf nicht ersparen, dass sie nur Althergebracbtes in neuer Form verarbeiten, und,
sei es aus Absicht, sei es aus Unkenntnis, die wichtigsten Resultate neuerer Forschungen
und Ideen unberucksichtigt lassen. Was fur die Wissenschaft recht, musste doch auch
bier nur billig sein. Es ist gerade, als ob ein Riemann, Germer, Emil Sdchting, Deppe-
Caland, Busoni weder gelebt noch geschrieben hfttten. Wfthrend uberall der Geist der
Moderne zum Durchbruch kommt, bleibt man hier geruhig beim Formelkram des guten
alten „P16tz" stehen und leiert — mutatis mutandis — weiter: „Du hast Brot", — „ Haben
Sie Fleisch", — „Sie hat Geld" usw Ferner: das Wichtigste, die Lehre der Mechanik,
der richtigen Ausnutzung des gesamten Spielkdrpers und seiner Teile, die fur das
Klavierspiel ausschlaggebenden Bewegungsfunktionen werden weder in ihrer Bedeutung
erkannt noch irgendwie verwertet. Sie entbalten alle eine kurzgefasste „AUgemeine
Musiklehre", aber nichts, was einen Spieler „auf die Beine" bringen kSnnte. Als ob
man einem Kinde Reckturnen und Bocksprunge beibringen wollte, noch ehe es eine
Ahnung vom Gehen und Laufen hat! Das so im allgemeinen. — 1m besonderen sei
an erkannt, dass C. A. Herm. Wolff noch immer der klarste und gediegenste ist. Muss
man schon das Frage- und Antwortsystem als fur die selbstftndige Entwicklung des kind-
lichen Geistes fdrderlich halten, so ist bei ihm auch das technische Element in ge-
schickter Weise ganz unmerklich mit einbezogen. Ich halte sie hinsichtlich des Umfanges
und Inhaltes mit fur die beste Schule, die geschrieben. Auch Richard Schelle hat den
Vorzug der Knappheit und Gedrungenheit. Er verschont uns mit all em uberflussigen
Beiwerk und geht rasch und sicher auf das Ziel „Die Kenntnis aller Elemente und
Notenformen", los. Dass er auf pag. 42 noch am alten Handgelenktanschlag klebt, ist
ihm nicht weiter zu verubeln, da er nur ein Kind seiner Zeit ist, und Vorgekautes nach-
kaut. Ernster zu nehmen ist Zuschneid, bei dem auch die ftussere Ausstattung des
Notenstiches eine ganz hervorragende ist. Allerdings muss ich hinter der Beilage, dem
„Methodischen Leitfaden", ein grosses Fragezeichen machen, da er vieles richtige un-
richtig behandelt (cf. die zahlreichen, zum Teil falschen oder unwesentlichen photo-
graphischen Aufnahmen). Es muss jedoch betont werden, dass auch er der Technik
einen grdsseren Spielraum gewfthrt, als er in alten Schulen vorgesehen ist, und bis zu
leichten Etuden usw. vordringt. Wenn er Fesselubungen bringt, so folgt er damit seinen
grossen Vorbildern. Bleibt Karl Klind worth, dessen Schule mustergfiltig geschrieben
und berufen ist, das grosse Werk von „Lebert und Stark" vollslftndig zu eraetzen. Ich
glaube, sie wird dauernden Wert haben, da nicht nur ein Pftdagoge, sondern auch ein
Virtu 08 und Kunstler den Stoff behandelt hat. Hfttte man zwar gem gesehen, dass er
Riemanns Attacca-Ansatz und die Forschungen von Madame Jaell, sowie die aus-
gezeichneten Grundsfttze Leschetizkys verwandt hfttte, so uberragt doch das, was geboten
wird, alles bisher auf diesem Gebiet geleistete. Vor allem eins: es wird zum erstenmal
in durchaus sachgemftsser Weise jegliche Muskelkontraktion durch Fingerhebung ver-
worfen, und das Prinzip der Legeritit, d. b. die zwanglose Haltung des KSrpers, der
Arme und Hftnde befurwortet. Dass er den Nachdruck beim Legatospiel verwirft,
sowie bei den Obungen mit gefesselten Fingern zur Vorsicht mahnt, beweist seinen
feinen Klavierinstinkt. Daneben lftufc jedoch vieles Veraltete und Unrichtige einher. Die
Auswftrt8haltung der Hftnde bei der Tonleiter noch beizubehalten, ist unter keinen Um-
stftnden mehr angftngig. Dem modernen Typ entspricht vielmehr die leicht nach innen
gerundete Hand, deren 5. Finger fortlaufend bis zum Ellenbogen eine einzige gerade
Digitized by
Google
s*
392
DIE MUSIK III. 23.
Linic bildet. Sodann htftet auch Klindworth noch am aktiven Handgelenk. Letzterem
Umstande babe ich Gelegenheit, in einem demnlchst erscheinenden Werke n&her zu
tretcn. Heute mdchte icb nur die Frage stellen : ist die Welt so uneinsichtig, aus dem
Oktavenspiel eines d' Albert, Busoni, Ansorge, Lamond oder einer Carreno nicbt die not-
wendigtten Schlusse fur sich herzuleiten? Ich dSchte, Deppe-Caland hfttte vorbildlich
das Vibrato fur alle Zeiten wissenschaftlich begrundet. Was Klindworth aber nach Seite
der elementaren Formenlehre und Musik bietet, darf den Anspruch auf absolute Vollendung
erheben. In dieser Beziehung halte ich seine Klavierscbule scblechthin fur ein Kunst-
werk. Ja er ist hier insofern ein Neuerer, als er meinen oben ausgesprochenen Wunscb
nach Beseitigung der sogenannten Volkslitder und anderer alter Scharteken fast erfullt.
Alle Beispiele der verscbiedenen Lehrginge sind originell, zweckvoll und von gediegenem
musikalischen Geschmack und erheben sich weit fiber das Niveau von „Lebert und Stark*
— von „K5bler", ,Damm" u. a. ganz zu schweigen. Vielleicht ist's nicht zu viel, wenn
man behauptet, dass diese wirklich kunstlerische Klavierscbule bei richtiger Ausnutzung
seines erschdpfenden Inhaltes geradezu eine neue Klavier- und Geschmackskultur herauf
fuhren kann. Ich sage „kann": denn ich hege einen Zweifel, der sich aus der Anlage
des Werkes ergibt. Viel zu bedeutend fur das geringe Vorstellungsvermdgen einer
dilettantischen Anflngerschaft wird es nie ein Hausbuch fur den Schiller und Lernenden,
sondern immer und ewig nur ein Werk fur den Lehrer und Meister bleiben. Das
Indert aber nichts an der Tatsache: Wir haben eine klassische Klavierscbule.
Rudolf M. Breithaupt.
338. Mill Balakirew: Chant du pScheur, Reverie, Tyrolienne fur Klavier.
Verlag: Jul. Heinr. Zimmermann, Leipzig.
Es ist Tatsache, dass die modernen russischen Komponisten auf Ausserlichkeiten
ganz besonderes Gewicht legen. Die Klavier stucke von Balakirew sind inhaltlich durch-
aus nicht hoch zu bewerten, aber dem Virtuosen geben sie willkommene Gelegenheit, durch
Fingerverrenkungen dem Publikum zu imponieren. Das Fischerlied mit seinem Tschti-
kowsky'schen Melos kann man immerhin als ansprechendes Musikstfick gelten lassen.
339. N. von Wilm: 6 Bagatellen fQr Klavier, op. 188. — Intermezzi fur Klavier,
op. 191. Verlag: Bosworth & Co., Leipzig.
Nichts ist gefihrlicher fur einen schaffenden Kunstler, als wenn er ein Vielschreiber
wird ; so ist es denn auch ganz ausgeschlossen, dass jedes Werk „ein Wurf sein kann. Die
vorliegenden KlavierstQcke enthalten einige reizvolle Momente, doch fliesst die Erflndung
im ganzen sp&rlich. Relativ am besten gefillt das liebenswurdige Intermezzo scherzando.
340. Oscar Beringer: Neue Sonatinen fur Klavier. (Sonatina pastorale, Sonatina
marziale.) Verlag: Bosworth & Co., Leipzig.
Es gebdrt ein Musiker und Pidagoge dazu, instruktive Werke zu schreiben, die
neben der manuellen Fdrderung gleichzeitig dem Scbuler Interesse fur die Kunst ein-
fldssen sollen. Oscar Beringer hat dies Problem in glucklicher Weise gelSst. Seine
beiden Sonatinen werden durch ihren poetischen Inhalt die Lernbegierde der Kinder
entschieden steigern.
. 341. Rudolf Weinwur m : Stimmungsbilder fur Klavier. Verlag: Bosworth & Co.,
, Leipzig.
Wenn man von dem modernen Titelblatt Schlusse auf den Inhalt Ziehen wollte,
wurde man arg enttftuscht werden. Die Hocbflut von Klavierkompositionen durch solch
yeraltetes Organistengeschreibsel noch zu vermehren, fordert das Veto geradezu heraus;
keins von den 12 Stucken bait das, was der Komponist in einem darubergesetzten Motto
zum Ausdruck bringen wollte — und das ist mebr wie wenig! Richard Kursch.
Digitized by
Google
NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart) 1904, No. 17. — Eine ausffihrliche Studie fiber
„Einrichtungen und Gebrluchc der Meistersinger" von Kurt Mey behandelt Ent-
stehung und Wesen dieser bfirgerlichen Dicht- und Singegemeintchaft und betont
die Notwendigkeit, dass man, anstatt die Minne- und Meistersingekunst aus Bfichern
zu lernen, die Lieder ihrer ausfibenden Vertreter singen mfisse. Mey macht auch
den Vorschlag, dass dies vor allem auch in unserm hdheren Schulunterrichte er-
mSglicht werden solle. Sehr sch6n stellt Mey namentlich die Unterschiede zu-
saramen, durch welche der Meistergesang von dem Minnegesang getrennt worden
ist. — Edmond Jaloux' Abhandlung fiber „Die japaniscbe Musik", ubersetzt von
Wilhelm Thai, stellt fest, dass die Musik der Japaner keineswegs auf der gleichen
H6he mit ihrer Malerei und Literatur steht. Die japaniscbe Musik kennt keinen
Takt, keine Melodie und keine Intervalle. Sie verfGgt fiber drei H au p tin strum en te
„Fouge" (F16te), ,Hitschiriki" (Oboe) und ,Sho" (ein Blasinstrument mit 17 Mund-
stfickrfhren); dazu kommen noch ein Saiteninstrument namens „Roto", eine vier-
saitige Leier »Biva", grosse Trommel .Taitor* und kleine Trommel „Youdzumi".
Trotzdem 1st die japaniscbe Musik nicht ohne Reiz und ohne Stimmung. Die
mitgeteilten Volkslieder, „Atas" genannt, sind gleicb falls sehr reizvoll. Der Autor
prophezeit eine Beeinflussung europlischer Komponisten durch die Musik der
Japaner. — Noch berichtet Ernst Stier fiber K6nig-Sommers w Rfibezahl", liefert
Adolf Kohut ein Gedenkblatt „Henriette Sontag und Ludwig Rellstab", schreibt
Karl Wolff fiber w Max van de Sandt" und setzt M. Koch seine popullre „Ton-
satzlehre" fort. — No. 18. — „Karl Reinecke", eine Biographie von Eugen Segnitz,
erziblt knapp die ftusseren Lebensumstinde Reineckes und charakterisiert ihn auf
den verschiedenen Gebieten seiner Betitigung. Kurt Meys Aufsatz w Einrichtungen
und Gebriuche der Meistersinger" flndet seinen Abschluss. Ausserdem berichtet
Rudolf Louis fiber ,Das zweite bayriscbe Musikfest zu Regensburg*, spricbt Otto
Dorn fiber „Die Wiesbadener Hofoper", Karl Wolff fiber das ,81. Niederrheinische
Musikfest". Eine Zusammenstellung der „Gedenktage im Juni 1904" liefert Otto
Keller.
ALLGEMEINE DEUTSCHE BIOGRAPHIE (Leipzig), Lfg. 242/3. - An Musiker-
Biographieen enthllt das Blndchen zunichst einen Artikel von Robert Eitner fiber
den Dresdener Moritz Ffirstenau (1824-1889), den berfibmten Fldtisten, Musik-
schriftsteller und Grfinder des Dresdener Wagner-Vereins. — Ein absonderlicher
Musiker des 18. Jahrhunderts, Jobann Callus, der eine Zeitlang in Wien lebte und
ein ebenso bedeutender wie origineller Kunstler genannt werden muss, wird von Egon
v. Komorzynski behandelt. — Von demselben Autor stammt ein Artikel fiber den
Wiener Sanger und Komponisten Gerl, der als flndiger und verwendbarer Heifers-
heifer Scbikaneders in Wien Beachtung verdient; ein Vorliufer der w Zauberfl6te",
Schikaneders Oper „Der Stein der Weisen", ist 1700 von Gerl in Musik gesetzt
worden. — Endlich biographiert Eitner den Vionloncellvirtuoson Georg Eduard
Goltermann (geb. 1824 in Hannover, gest 1808 in Frankfurt am Main), der sich
auch als Komponist von Werken fur das Violoncell hervorgetan hat*
Digitized by
Google
£.
394
DIE MUSIK 111. 23.
ALLGEMEINER ANZEIGER FUR STADT UND KRE1S ERFURT 1904,
12. Juni. — Drei w Ungedruckte Bricfe von Carl Maria von Weber", die hier ver-
dffentlicht werden, sind ausserordentlich wichtige Dokumente — nicht nur fur Webers
iusseres Leben, sondern auch ganz besonders fur die kindlich-schwflrmerische
Natur dieses deutschcsten aller Musiker. Der erste Brief (.Hannover, 19. August
1820" datiert) beziebt sicb auf die Kompositionen zu Kdrners „Leyer und Schwert*
und liefert ein scbones Beispiel fur Webers Sehnsucbt nach der Natur und fur
seine Freude am Naturgenuss. Der zweite (.Berlin, 21. Juni 1821*) kurz nach der
ersten Aufffihrung des .Freyschutzen" gescbrieben ist vollvon „dem vollkommensten
Triumph, den ein Komponist zu erleben imstande ist. Ein Enthusiasmus, wie
er noch nie erlebt ist, begleitete die erste Vorstellung. Die Ouvertiire und das
Volkslied wurden da capo gerufen, ubrigens von 17 Mussikstficken 14 applaudiert,
manche dreimal, ich am Ende herausgerufen; mit Blumen, Lorbeerkrlnzen und
Gedichten uberscbuttet." Der dritte Brief stimmt uns heiter genug (.Hosterwitz,
4. Mai 1824"), er handelt von einer Kochin, die Weber dingen will, er will ihr
5 Taler monatlich geben und furchtet sebr, „dass andere sie ihm wegkapern."
WARTBURGST1MMEN (Eisenach) 1904, 1. Juniheft. — Kurt Mey unterscheidet
in seiner Abhandlung fiber „Das Romantische in der Musik" zwei Bedeutungen
dieses Wortes: historisch bezeichnet es die Musik der „romantischen Periode",
wesenhaft die Musik als eine romantische Kunst. Der Hauptunterschied zw schen
Klassikern und Romantikern ist der, dass die letzteren ihre Subjektivitflt mehr in
den Vordergrund stellen. Mey bespricht dann die historische Periode der
musikalischen Romantik und stellt fesr, dass die Romantiker ein genaues Eingehen
auf Einzelnes lieben, in ibrer Harmonik viel ausdrucksvoller sind als ihre Vor-
g&nger und die kleinen Formen der Komposition bevorzugen; er betont Webers
Erkenntnis fur den Zusammenhang von Musik und Poesie, weist auf den Ein flu ss
E. T. A. Hoffmanns hin und erinnert an die Vorliebe fur Spukbafces und die Ver-
tiefung des nationalen Cbarakters, die der Romantik eigen sind. Hoffmann ist in
seiner Verbindung von Leben und Pbantasie ein tiefster Kenner der Musik und
der echte Romantiker gewesen: ihre Kronung aber erfuhr die musikalische
Romantik durch die Musik Richard Wagners. — In demselben Hefc spricht Kurt
Mey (,Kfinstlerische Umschau") sebr beherzigenswerte Worte fiber die Not-
wendigkeit, das Publikum, das Volk zum musikalischen Geschmack zu erziehen,
damit das empdrende Missverbiltnis zwiscben der Unbekanntheit und dem Ver-
gessenwerden bedeutender Kfinstler einerseits und dem Vergnfigen an Uppischer
„musikalischer Hintertreppenliteratur" anderseits ein Ende bereitet werde.
MUSICAL OPINION AND MUSIC TRADE REVIEW (London) 1904, No. 321.
— Herbert Antcliffe stellt in einem interessanten Aufsatz „H2ndel and Brahms*
einander gegenuber. Er sagt einleitend, oft rede man von dem Trio Bach, Beet-
hoven, Brahms; den Ietztgenannten aber habe man noch nie mit einem andern
fllteien Meister verglichen. Nun vergleicbt er ihn mit Bach und Beethoven und
flndet grosse Unterschiede im Leben, in der Kunst und in der Art, wie sich ihr
Leben in ibrer Kunst widerspiegelt. Die grdsste Abnlicbkeit aber besteht nach
ihm zwiscben Brahms und Hindel; in allem und jedem sind die beiden einander
abnlich — mit der einen Ausnahme, dass Handel aus seiner Kunst auch einen
Erwerb machte und sogar sehr praktisch in dieser Beziehung gedacht hat. Aber
namentlicb im musikalischen Schaffen ist die Ahnlichkeit sehr gross: „In the
great choral works which each wrote the affinity between the two was more marked
Digitized by
Google
395
REVUE DER REVUEEN
SL
than in any other of tbeir works. Brahms' German Requiem, Song of Destiny, and
Triumphlied in particular, breathe the spirit of the earlier master. The deep
religions fervour, which newertheles refused to be bound by the traditions of the
Church, appears in the Requiem just as it had appeared in ,The Messiah 4 *.
RHEINISCH-WESTFALISCHE ZEITUNG (Essen) 1904, 18. Juni. - .Beethoven
fiber Kunst" von Friedrich Kerst. Der Aufsatz stellt auf Grund der Konversations-
hefte knapp, klar und prftzis Beethovens Auffassung von der Kunst fest. Die
Kunst war ibm wie ein persdnliches hdheres Wesen, das entscheidend in das
Schicksal des Menschen eingreift. Sie ist durcbaus unabhingig und bedarf der
Wahrheit. Nichts hasste Beethoven so sehr als Unnatur und Kunstelei, Wahrheit
und die freie Natur waren ihm unentbehrliche Bedurfhisse.
DIE ZEIT (Wien, Tagblatt) 1904, No. 636. — Vilbelm Altmann feiert .Heinrich
von Herzogenberg", den in Graz geborenen Komponisten, mit warm en Worten als
den Scbdpfer von Werken, .die an Formvollendung, geistiger Abgeklftrtheit und
tiefinnerlicbem Inhalt ihresgleichen sucben und getrost neben Brahms gestellt
werden kdnnen". Altmann bespricht eingehender seine Chorwerke mit Orchester,
von denen er nennt: .Columbus", „Der Stern des Liedes", „Weihe der Nacbi",
.Kdnigspsalm", .Requiem*, .Passion" und .Erntefeier", letztere Herzogenbergs
.eigenanigstes, sein Lebenswerk gleichsam krdnendes Werk". Auch die Lieder,
Klavier- und Kammermusikwerke werden behandelt.
DEUTSCHLAND (Weimar) 1904, No. 22. — Sehr scharf wendet sich Georg G5hle
Artikel .Urbeberrechtsgesetz und Konzerttantiemen" gegen die Missstflnde in
Gesetzgebung und Gesetzdurchfuhrung, die die letzte Zeit auf musikalischem
Gebiete gezeiiigt bat Er protestiert gegen die Durchsetzung des deutschen Musik-
lebens mit alles beberrschenden gescbaftlichen Interessen. Prozesse und Strafen,
Schikane und Denunziation halten ihren Einzug in das deutsche Konzertleben !
Insbesondere aber stellt Gdhler die „Anstalt fur musikalisches Auffuhrungsrecht"
an den Pranger, deren Anmassung und Doppelzungigkeit er beweist und deren
Auftreten er als .die schwerste Schidigung und StSrung, die die deutsche Musik-
pflege je durchgemacht hat", nennt. Die Besteuerung der Konzertinstitute zu-
gunsten der Verleger sei ein .zwar reichsgesetzmissiger, aber kulturwidriger"
Zustand und er spricht offen aus, dass durch derartige Umtriebe die Freiheit
kunstleriscben Empflndens und Wirkens untergraben, die hdchsten Interessen der
Kunst und Kultur gesch&digt werden und schliesst mit dem Wunsch, es m6ge .die
Versundigung am Geiste der deutschen Kunst und Kunstpflege, die man mit der
Annahme des Urhebergesetzes begangen hat, durch eine neue, grundliche und
sachliche Gesetzgebung wieder gut gemacht werden t"
LEIPZIGER VOLKSZEITUNG 1904, No. 145. - .Die Gewandhauskonzerte in
Leipzig" ist ein anonymer, sehr ausfuhrlicher Artikel uberschrieben, der gegen
das Gewandhaus und seine Leitung sowie gegen Nikisch personlich die schirfsten,
heftigsten Vorwurfe richtet. Letzterer ist willkurlich und ohne Verstindnis fur die
Werke der alten Meister; die Programme der Konzerte sind schlecht, die alten
Werke werden nicht im richtigen Geist vorgetragen. Nikisch, der zwar fGr moderne
Musik viel Verstindnis besitzt, passt nicht an den Platz, der der Klassik haupt-
sftchlich gewidmet ist. So ist das Fazit ein ganz trostloses: dem Gewandhaus fehlt
das pulsierende Leben, die Initiative und jegliche Bedeutung ausserhalb Leipzigs.
— Die allgemeine Meinung der Leipziger ist das nun freilich nicht!
Digitized by
Google
NEUE OPERN
Edmund Kuhn: .Josephs" betitelt sich eine einaktige Oper, deren Text von
Hugo March stammt.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Belgrad: Die erste nationalserbische Oper w Na uranku", komponiert von
dem Militftr-Kapellmeister Stascha Binicki, ist kurzlich im H of theater auf-
gefuhrt worden.
Weimar: Das Hofiheater hat die Oper „Rubezahl und der Sackpfeifer von
Neisse" von Hans Sommer zur Auffuhrung fur die kommende Spielzeit
angenommen.
KONZERTE
Berlin: Fur den ersten Zyklus der Phil harm onisch en Konzerte unter Arthur
Nikischs Leitung haben folgende Solisten ihre Mitwirkung zugesagt: Am
10. Oktober Anton van Rooy, 24. Oktober Eugen Ysaye, 7. November
Leopold Godowsky, 28. November Eugen d'Albert und am 12. Dezember
Pauline Strauss de Ahna, wftbrend Richard Strauss an diesem Abend
die Erstauffuhrung seiner „Sinfonia domestica" Ieiten wird.
Dortmund: Das achte westfilische Musikfest flndet am 21. und 22. Mai 1005 statt.
Zur Auffuhrung gelangt u. a. „Das verlorene Paradies" von Bos si und
Richard Strauss' „Sinfonia domestical.
Memel: Das vierte litauische Musikfest flndet Pflngsten nftchsten J ah res
statt. Es werden sich daran beteiligen die grdsseren Orchester und Chor-
vereinigungen aus Memel, Gumbinnen, Tilsit und Insterburg. Das Programm
soil u. a. Hftndels .Israel in Agypten" und Bruckners „Tedeum" enthalten.
TAGESCHRONIK
Zwischen der Architektenfirma Lachmann & Zauber in Berlin einerseits
und dem derzeitigen Direktor des Elberfelder Stadttheaters, Hans Gregor, anderer-
seits, ist der Vertrag zum Abschluss gekommen, nach dem Herr Gregor das von
Lachmann & Zauber auf den fruher stftdtischen Grundstucken Fried richstrasse 104
und 104a zunlchst der Weidendammer Brucke zu erbauende Theater k&uf-
lich erwirbt. Der Neubau wird am 1. Oktober nftchsten J ah res dem Betrieb fiber-
geben werden. Gregor beabsichtigt hier einen lftngst gehegten Plan, die Be-
grundung einer komischen Oper, nach Art der Pariser Opera comique zur Aus-
fuhrung zu bringen. Diese Mitteilung wird in alien Opernkreisen mit lebhaf tester
Genugtuung empfunden werden.
Gleichzeitig teilt Ernst von Wolzogen mit, dass auch er eine Komische
Oper grunden wolle. Spfttestens im September 1005 gedenkt er seine Buhne, die
fast ausschliesslich neue, im Hinblick auf den erstrebten neuen Stil eigens ver-
fasste Werke zur Auffuhrung bringen soil, zu erdffnen. Eine Gruppe von Kapitalisten
hat Wolzogen die ndtigen Mittel zur Ausfuhrung seiner Idee gewfthrt.
Digitized by
Google
397
UMSCHAU
Kapellmeister Theodor Thomas, der bekannte, urn das Musikleben der
Vereinigten Staaten hochverdiente Dirigent, kann in diesem Jahre sein 50jihriges
KunstlerjubiUum feiern.
Zum Leiter des Sbeffielder Musikfestes im nfichsten Jahre ist an Stelle
des bisherigen Dirigenten H. J. Wood Felix Weingartner gewihlt worden.
Der Komponist Emil Kaiser ist als Nachfolger von August Scharrer zum
Kapellmeister des Kaim-Orchesters in Munchen berufen worden.
Der Violin virtuose Hans Treichler aus Zurich ist zum herzoglich mei-
ningischen Hof-Konzertmeister ernannt worden.
Der Pianist und Tonkunstler Theodor Gerlach in Dresden ist als Nachfolger
von Prof. Cornelius Rubner an die Musikbildungsanstalt in Karlsruhe berufen
worden.
Prof. Julius Stockhausen wird am 1. September d. J. die Leitung seiner
Gesangschule in Frankfurt a. M. niederlegen und seine Lehrtitigkeit auf Privat-
unterricht beschr&nken. Die seit langem an dem Institut tltigen Lehrer Edmund
Parlow und Theodor Ceroid werden gemeinsam die Leitung ubernehmen.
Der Gesanglehrer Iffert in Dresden ist an das Wiener Konser-
vatorium berufen worden.
Dem englischen Komponisten Edward El gar ist der Adelstitel „Sir" ver-
liehen worden.
Im Verlag von Lauterbach & Kuhn ist das Portrftt Hugo Wolfs von
Edmund Hellmer, in Heliogravure ausgefuhrt, erschienen. Das Original-
Relief beflndet sich an dem Grabdenkmal Wolfs, das demnichst in Wien enthullt
werden soil.
TOTENSCHAU
Der Direktor des Kdlner Stadttheaters, Otto Purs chi an, der zur Erholung
in Oberstdorf weilte, ist auf einem Ausflug einem Sch lagan fall erlegen. Purschian
ubernahm 1899 die Direktion der Vereinigten Grazer Landestheater. Im vorigen
Jahre wurde er der Nachfolger Hofmanns in der Leitung des Kdlner Stadttheaters.
In der Nacht vom 2. zum 3. August ist der Klaviervirtuose Prof. Ernst
Jedliczka in Berlin gestorben, seit Mine der 80 er Jahre als Lehrer am Schar-
wenkaschen, von 1898 ab am Sternschen Konservatorium in Berlin titig und ebenso
bekannt als Musikpldagoge wie als Virtuose.
Der ehemalige Direktor des Petersburger Konservatorium s, Prof. Julius
Johannsen, ein bedeutender Musikpldagoge, ist in Finnland verschieden.
Auguste Wiegand, ein trefflicher Lutticher Organist starb, 56 Jahre alt, in
Oswego (Vereinigte Staaten, Amerika). Er war zuerst in Antwerpen, dann in Sidney
und London, zuletzt als Organist an der St. Paul-Kirche in Oswego tltig. Er war
ausersehen, die Riesenorgel in der Weltausstellung zu St. Louis musikalisch
einzuweihen.
Am 5. August starb, 55 Jahre alt, der Komponist Prof. Arnold Krug in
Hamburg. Von seinen zahlreichen Kompositionen seien u. a. die Romanischen
Tinze fur Orchester, „Liebesnovelle* und „Italienische Reiseskizzen" fur Streich-
orchester, sowie seine grdsseren weltlichen Cborwerke .Sigurd" und „FingaI" genannt.
Kurz vor Vollendung ihres 80. Lebensjahres starb in Dresden Frau Aloysia
Krebs-Michalesi, die 1850—70 der Dresdener Hofoper angehSrte.
Am 7. August starb in Baden bei Wien der bekannte Musikschriftsteller und
Kunstkritiker Hofrat Dr.Eduard Hanslick im 79. Lebensjahre. Die „Musik" behllt
sich vor, sp&ter in einem l&ngeren Artikel auf den Verstorbenen zuruckzukommen.
Digitized by
Google
KONZERT
KONIGSBERG i. Pr.: Der Vortrag der 30 preisgekrdnten Lieder aus der zweiten
Sammlung „Im Volkston" der .Woche", der von den Damen Hedwig Kauffmann
und Ciska Schattka aus Berlin und dem Bariton Herrn v. Ulmann besorgt wurde, bewies,
dass Preiskonkurrenzen keine Volkslieder erzeugen kdnnen; das beste in der Sammlung
sind die Imitationen der Lieder aus der Zeit der Renaissance: aber liegt darin die Volks-
empflndung der Gegenwart? Von der Reichshauptstadt kam eine melodramatiscbe
Gescbicbte „Hohenzollern-Lieder", die sich fur Kunst ausgab: Jean Louis Nicod6 bitte
Teiledaraus fur den funften Satz seines ^Gloria" benutzen kdnnen, urn das Kunstbanausentum
zu charakterisieren. Aber doch klang unsre Wintersaison in schdnster Kunst aus. Das
treffliche, sich immer mehr verfeinernde Vokalquartett der Damen Grumbacher-de Jong
und Behr, und der Herren Hess und van Eweyk, sang uns noch eiomal in einem
Hubnerschen Kunstlerkonzert seine kdstlichen Quartette. Bald darauf kam zu einem
Extra-Kunstlerkonzert das Berliner Pbilharmoniscbe Orch ester mit Arthur Nikisch an
der Spitze und Hess uns an Werken von Beethoven, Hindel, Brahms, Wagner und
Tschaikowsky erfahren, welchen Wobllaut ein Orchester entwickeln kann; wir batten es
schier vergessen. Zwei Tage nach diesem seinem letzten Konzert starb der kunst-
sinnige Veranstalter der Kunstlerkonzerte, Herr Rudolf Hubner, der fur die KSnigsberger
Kunst unendlich viel getan hat. Und endlich kam das Hauptereignis der ganzen Saison:
die vortreffliche Auffuhrung von Bruckners „neunter Symphonie" mit Tedeum durch
Ernst Wend el. Der Unternehmer dieses hdchst denkwurdigen Konzertes war der „K5nigs
berger Musikverein", der sein Orchester durch Mitglieder des Theaterorchesters und
hiesiger Milit&rkapellen auf 105 Mann verstlrkt hatte; der Ghor bestand aus 250 Singern;
die Soli sangen die Damen Rollan und Gagel, die Herren Dierich und Nothig. Der
Erfolg der von Wendel famos dirigierten Auffuhrung war kolossal. Paul Ehlers.
PHILADELPHIA: Unsere Konzertsaison, die bis zu Weihnachten recht matt verlief,
brachte in ihrer zweiten Hllfte vieles Interessantes, wobei jedoch das Schwergewicht
auf die hiesigen Ghorvereine fiel. Die „Ghoral Society" brachte nach der ublichen
Auffuhrung des Messias endlich die sehnlichst erwartete Oratorienneuheit, den „Traum
des Gerontius" von Edward Elgar. New-York war mit der Auffuhrung des Werkes
vorausgegangen. Die dortigen sowie die Londoner kritischen Stimmen lauteten uberaus
begeistert. Oberschwenglisches Lob_wurde dem britischen Komponisten zutetl. Sei es
nun, dass die Erwartungen zu hoch gespannt waren oder dass das hiesige Oratorien-
publikum mit kritischen Brillen bewaffnet ist, die es recht schwer machen, ihm Sand in
die Augen zu streuen, die Tatsache steht fest, dass das Werk eine kuhle Aufhahme
fand. Auch die hiesige Kritik wies die Zumutung der New-Yorker, dass Elgars
Oratorium den Werken Mendelssohns mindestens gleichzustellen sei, mit einer ruhmens-
werten Entschiedenheit zuruck. In der Tat mangelt es dem Werk an Ursprunglichkeit
und an echter religiSser Empfindung. Trotz der gehfluften Effekte ist der Eindruck uber-
wiegend monoton. Am schlimmsten kam hier das Textbuch weg, das allerdings den
beruhmten Konvertiten Kardinal Newman als einen irmlichen Poeten zeigt Urn
schon bei Lebzeiten den Weg in den Himmel oder die Hdlle zu finden, muss man
ein Dante oder Goethe sein. Der genannte Ghorverein, dessen Leiter Mr. H. G.
Digitized by
Google
399
KRITIK: KONZERT
Thunder sich um das rausikalische Leben unserer Stadt grosse Verdienste erworben
hat und der der edlen Frau Musika mebr aus Liebe als aus Interesse dient, brachte
dann eine vortreftliche AuffQhrung des „Elias", dercn Erfolg nicht zum mindesten auf
die Mitwirkung der Sopranistin Anita Rio zuruckzufuhren war, einer der besten
Oratoriensingerinnen der Vereinigten Staaten. — Unser ^Mendelssohn Club" brachte in
der verflossenen Saison eine Auffuhrung des „Stabat mater*, von Dvofik, die wegen un-
genugender Vorbereitung keinen grossen Erfolg erzielte. Besseres leistete der Verein,
der grossen Aufgaben nicht gewachsen ist, in der Vorfuhrung kleinerer gemischter
Chdre von Dvorak, Elgar, Brahms u. a. Dieses Konzert hatte solchen Erfolg, dass
es ira Juni allerdings in anderer Umgebung wiederholt werden musste. Die Ver-
einsleiter hatten den guten Einfall, in dem innerbalb Stundenfrist von hier erreichbaren
beruhmten Seebadeorte Atlantic City, in einer lufiigen 5000 Fuss weit ins Meer hinein-
gebauten Riesenhalle das Konzert zu wiederholen und Frau Schumann - Heink als
Solistin zu gewinnen. Der Eindruck den die Chore dort „far from the madding crowd"
machten, war uberwiltigend und hochst stimmungsvoll. — Das Pbiladelphia-
Or Chester, dessen Existenz nunmehr fur die Dauer gesichert erscheint, brachte noch
eine Wiederholung der Neunten Symphonie, leistete aber sein bestes in den zwei
Schlusskonzerten, bei denen sich unser illustrer Gast Richard Strauss mit dem
st&ndigen Dirigenten Fritz Scheel in der Fuhrung des Taktstockes teilte. Die beiden
Konzerte, in denen Scheel die Faustsympbonie von Liszt, die D- Symphonie von
Brahms und Strauss .Tod und Verklirung" und „Till Eulenspiegel" dirigierten und
Frau Strauss einige Lieder ibres Gatten zur Orchesterbegleitung sang, entfesselten hier
unbeschreiblichen Jubel. Von den Liedern fanden das „Wiegenlied" und „Morgen"
solche Anerkennung, dass sie jetzt von den meisten heimischen Singerinnen gesungen
werden, wobei man freilich gar hfiufig an das „si duo faciunt idem" erinnert wird. —
Von Solisten liessen sich Mrae. aus der Ohe und der Geiger Jacques Thibaud in
eigenen Konzerten horen. Sie verstirkten jedoch nicht den gunstigen Eindruck, den
ihre solistische Mitwirkung bei den Konzerten des Philadelphia-Orchesters zutuck-
gelassen hatte. Thibauds glatter Spielweise gelang es nicht, den Gefuhlsinhalt des
Bruchschen Konzertes auszuschdpfen und aus der Ohes Filigrankunst fehlt der grosse
Zug. Dafur entsch&digte uns Alfred Reisenauer, der sich hier mit einem historischen
Program m einfuhrte und sich als ein bedeutender Kunstler erwies, der sowohl Schumanns
Karnaval als Beethovens letzte Klaviersonaten gleich vollendet zu interpretieren wusste.
Mme. Patti's zweites Konzert kam nicht zustande, da die Dame bei dem geringen Vor-
verkauf von 3000 $ nicht singen wollte. Die ganze Pattitour endete kiaglich. Ein
Impresario und ein hiesiger Bankier, der fur ihn eintrat, "sind der Tourn6e zum Opfer
gefallen. Die Unglucklichen, die die Karten vorgekauft hatten, erhielten ihr Geld nicht
zuruck, da es von einem Glflubiger des Impresario mit Beschlag belegt wurde. Es ist
ubrigens fraglich, ob ihnen ein Ruckerstattungsrecbt zusteht. Denn das Nichtanhdren
der Parti hat ihnen bloss eine Enttiuschung erspart. Es wire sonach ein Fall von
.damnum cessans, lucrum emergens". Dr. Martin Darkow.
Digitized by
Google
ANMERKUNGEN ZU
UNSEREN BEILAGEN
Wir beginnen unsere Beilagen mit der Wicdergtbe der Portrits der beiden scbwflbiscbcn
Dichter, die in diesem Heft Gegenstand der Betrachtung sind. Zum Artikel von
Rudolf Krauss gehdrt das Bild Eduard Mdrikes. Unsere Vorlage bildete das
Portrftt des Dichters, das den „M5rike-Liedern" Hugo Wolfs vorangestellt ist.
Es folgt, als Illustration des Aufsatzes von A. N. Harzen-Muller, das Portrit Georg
Herweghs, besonders dadurch interessant, dass es nach einer Zeichnung von
Emma Siegmund, der Gattin des Dichters, gefertigt ist. A. Arnold hat es litho-
graph iert, L. Zdllner in Berlin gedruckt.
Das Grabdenkmal Herweghs auf dem Friedhof von Liestal, von seinetn Sohn Marcel
gestiftet, ist ein Werk des Bildhauers H. Vogt, Liestal.
Auf dem nichstcn Blatt erblicken wir das Portrit von Eduard Hanslick, dem am 7. August
in Baden bei Wien verstorbenen Musikschriftsteller und Kritiker. Seine glinzend
geschriebenen Feuilletons und Essays haben ihm europfiischen Ruf verschafft.
140 J ah re sind am 12. September seit dem Tode von Jean Philippe Rameau, dem eigent-
lichen Begrunder der Harmonielehre und bedeutenden Tonsetzer, vergangen. Unser
Bild ist die Wiedergabe eines Stiches von J. G. Sturm (NGrnberg) nach einer
Zeichnung von J. J. Cassieri.
Am 5. August starb in Dresden kurz vor Vollendung ihres 80. Lebensjahres Frau Aloysia
Krebs-Michalesi, etne einst in ganz Deutschland gefeierte Kunstlerin. Gemahltn
des Kgl. s&cbsiscben Hofkapellmeisters Karl August Krebs, und Mutter der Klavier-
virtuosin Mary Krebs war die Verstorbene in den Jahren 1850—70 ein hervorragendes
Mitglied der Dresdener Hofoper. Sie trat zum ersten Male am 30. Januar 1850 als
.Fides" bei der Erstauffuhrung von Meyerbeers .Prophet" auf.
Als Nachtrag zu dem Aufsatz von Tobias Norlind fiber schwedische Musik im vorigen
Heft (III, 22. Sonderheft „Skandinavien") verdffentlichen wir einige interessante
Abbildungen:die alte Handschrift einer schwedischen Volksweise, Holzskulpturen
einer norwegischen Kirche, .Geigen" darstellend, ein Autograph von Gustaf Duben
und die erste Seite des schwedischen Cboralbuchs vom Jahre 1697. Die Stucke
sind ganz unbekannt und noch niemals reproduziert worden. Herr Norlind-Ahlstad
hat uns die Clich6s in liebenswfirdigster Weise zur Verfugung gestellt.
Es folgt das Portrit des vor 25 Jahren (12. September 1879) verstorbenen beruhmten
franzdsischen Tenoristen Gustave Hippolyte Roger, der zuerst an der .Opera
comique", von 1848 ab an der .Grossen Oper" in Paris wirkte.
Nacbdruck nur mit ausdriicklicher ErtaubnU des Verlages gettattat
Alia Rechte, insbesondere das der Obersetsunf , Torbehalten.
Fflr die Zarfickseadunf unrerlangter oder nicht angemeldeter Ifanuskripte, falls ihnea nicht gendgead
Potto beiliegt, ubernimmt die Redakdon keine Garaade. Schwer leserliche Manuskripte werden ungepriift zuriickgesandt.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin SW. 11, Luckenwalderstr. 1. III.
Digitized by
Google
EDUARD MORIKE
* 8. SEPTEMBER 1804
111.23
Digitized by
Google
Digitized by
Google
^^?
111.23
Digitized by
Google
Digitized by
Google
3
3
z
M
o
w
w
S
w
Q
00
«<
o
a
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Rud. Krziwanek, Ischl phot.
EDUARD HANSLICK
f 7. AUGUST 1904
III. 23
Digitized by
Google
Digitized by
Google
JPH, KAMEAU
JEAN PHILIPPE RAMEAU
t 12. SEPTEMBER 1764
III. 23
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Friedr. Hanfstaengl, Dresden phot.
ALOYSIA KREBS-MICHALESI
f 5. AUGUST 1904
111.23
Digitized by
Google
Digitized by
Google
~ LLj±±fE^^ 777 7^7 rjgfe == |
f r?X. -,^2. A-'-ajg? 3 - .aa^
1
ALTE HANDSCHRIFT E1NER SCHWEDISCHEN VOLKSWEISE
ALTE NORDISCHE .GEIGEN« AUS DEM
12. JAHRHUNDERT. HOLZSKULPTUREN
EINER NORWEGISCHEN KIRCHE
/«- g_
c/%fLfirnst4/
V?jj^^ $*$
tf f ja w^ \J3± ~Ta j&4
r r * a €» f*> + r S c ^
AUTOGRAPH VON GUSTAF DOBEN (AN-
FANG VON .SURREXIT PASTOR BONUS - )
LSiafafcifmitf f&rfaffab iSSdngcr.
Onrus.
Num.L SifO<3trtflSuM>.
fy ft arc tfa $ijo 3?mb(> /
<£om c$ qitf (Viftocr JPHfrrcn
(Haiocn SD^ofeii fin ricnarttroo/
53p(Hi rtKt fc*r<)rt £«iai /
2, 3^l> or tin j£KSm05uM>
allccn /
% JP>aIt
ERSTE SEITE DES SCHWEDISCHEN
CHORALBUCHS VOM JAHRE 1607
III. 23
Digitized by
Google
Digitized by
Google
f
GUSTAVE HIPPOLYTE ROGER
t 12. SEPTEMBER 1879
III. 23
• • •••
: : : :
• • •••
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Dr. A. Schfiz
Eine Umwfiizung auf dem Gebiete der Harmonik.
Richard Dehniel
Neuer Text zu Chopin's Grabgesang an Polen.
Max Puttinann
Zur Geschichte der deutschen komischen Oper (Schluss).
Wilhelm Tappert
Die preussischen National-Hymnen
Gaston Knosp
Annamitische Melodieen.
A. Nico. Harzen-Miiller
Liszt, Wagner und Bulow in ihren Beziehungen zu
Georg Herwegh (Schluss).
Besprechungen (Biicher und Musikalien).
Revue der Revueen.
Umschau (Neue Opera, Aus dem Opernrepertoire,
Konzerte, Tageschronik, Totenschau).
Kritik (Konzert).
Anmerkungen zu unseren Beilagen.
Kunstbeilagen.
Musikbeilage.
Anzeigen.
DIE MUSIK erscheint monatlich zwei Mai Abonnements-
preis fur das Quarts t 4 Mark. Abonnementspreis fur den
Jahrgang 15 Mark. Preis des einzelnen Heftes 1 Mark.
Viertcljahrseinbanddecken a 1 Mark. Sammelkasten flir die
Kunstbeilagen des gaozen Jahrgangs 2,50 Mark. Abonnements
durcli {ede Buch- und Musikalienhandlung, fiir kleine Platze
ohne Buchhandler Bezug durch die Post: No. 5355a
II. Nachtrag 1903.
Digitized by
Google
Jie Naturwissenschaften, unter deren Zeichen auch"unser 20. Jahr-
lundert steht, haufen nicht bloss immer neue Schatze der Er-
:enntnis, sie reprasentieren zugleich praktische Werte. Sobald
lie Wissenschaft wieder zu einem neuen Ergebnis ihres Forschens
gelangt ist, beeilt man sich aucb gleich, das neu gewonnene Wissen dem
Nutzen der Menschheit dienstbar zu machen, und umgekehrt wirkt die
Praxis wieder befruchtend auf die Wissenschaft: es ist eine erfreuliche,
harmonische Wechselwirkung. Wie ganz anders verhfilt sich das auf dem
Gebiet der Tonkunst! Wie weit ist bier die Theorie hinter der Praxis zunick-
geblieben! Wer heute als Komponist noch streng an die Regeln der all-
gemein gebr&uchlichen Harmonielehrbiicher sich binden wurde, der kfime
tiber den vor hundert Jahren herrschenden Stil nicht hinaus, und auch
den wurde er nicht einmal zureichend erklfiren konnen. Wie vieles in
Beethovens, ja, wir miissen noch weiter zuruckgehen, in Bachs Werken
bleibt ein Ratsel, zu dessen Losung uns die heutigen Lehrbucher den
Schlussel noch nicht zu geben vermogen. Nur wenige machen den
schuchternen Versuch, die neuen Entdeckungen Wagners auf dem Felde
der Harmonik in ihr System hereinzuziehen, aber es bleibt eben bei dem
Versuch. Ist es da zu verwundern, dass so manche neueren Komponisten
sich urn die Gesetze der Harmonie tiberhaupt nicht mehr viel bekummern,
und drauf los komponieren, als ob in der Musik allein die Laune und die
Willkur das Zepter fiihren durfte und nicht auch hier das „Schone auf
verborgenen Naturgesetzen beruhen" wurde. Aber nicht bloss ein starres
Festhalten an der Tradition, ein fortgesetztes Nachschleppen alter langst
uberwundenen Normen und Formeln, ein zaher Konservatismus ist es, was
so viele heute noch im Gebrauch stehenden Lehrbucher kennzeichnet;
es fehlt auch an einem einheitlichen und objektiv wahren Prinzip, das den
verschiedenen Regeln und Gesetzen zugrunde liegen wurde, es fehlt an der
Begrundung, an der Logik und Folgerichtigkeit; wir bekommen ein Agglomerat
von Lehrsatzen, Geboten und Verboten, deren Grund und Zusammenhang
niemand recht einsehen kann.
Es ist hohe Zeit, dass dies von Grund aus anders werde, wenn nicht
26*
Digitized by
Google
404
DIE MUSIK III. 24.
die Musikwissenschaft und schliesslich auch die Musik selber bei denkenden
Kopfen in Misskredit kommen soil. Es ist hohe Zeit, dass man auch in
der Musikwissenschaft alien Ernstes auf die naturlichen Prinzipien
zuruckgehe und auf diesen als den festen, nimmer wankenden Fundamenten
das System der Harmonie aufbaue. Die Bemuhungen M. Hauptmanns und
anderer Musikgelehrter hinsichtlich einer naturgesetzlichen Begrundung der
Akkorde und ihrer Beziehungen zueinander — in alien Ehren! Vor alien
ist es der Name Hugo Riemann, der einen gewaltigen Schritt vor-
wMrts in jener Richtung bedeutet. Ein weiterer entschiedener Fortschritt
ist nun aber neuerdings zu verzeichnen mit der Arbeit eines Forschers
auf dem Felde der Harmonik, der, fussend auf den Errungenschaften jener
Vorganger und doch wieder mit voller SelbstSndigkeit, die Probleme in
Angriff genommen und in ebenso origineller als scharfsinniger Weise zu
ISsen versucht hat. Georg Capellen aus Osnabruck ist der Begrunder
des in Frage kommenden neuen Harmoniesystems. Kurz und bundig legt
er es dar in einer Schrift von nur 140 Seiten, unter dem Titel: Die
„musikalische" Akustik als Grundlage der Harmonik und Melodik.
(C. F. Kahnt Nachf. 1903.) Und was er mit diesem Titel verspricht, das
erfullt er auch wirklich; was wir bei seinen VorgSngern noch vermissen,
das weiss er dem nach Einheitlichkeit, Folgerichtigkeit und Klarheit ver-
langenden Geist zu bieten, eine wirklich auf die Naturgesetze gegrundete,
konsequent vom ersten bis zum letzten Satze auf diesem Fundament
errichtete Harmonielehre. Sein erstes ist in diesem Werk, den Grund-
bestand aller Harmonieen, die NaturkUnge, wie sie sich aus der Ober-
tonreihe ergeben, namlich den Durdreiklang, den Dur-Sept- und den Dur-
Non-Akkord aufzuzeigen, und zwar geschieht dies immer mit experimentellen
Nachweisen am Klavier. Der Kern der Naturkiange ist ihm der Durdrei-
klang, die vollkommenste Konsonanz, aus welchem Kern sich alle, auch
die kompliziertesten Akkorde entwickeln lassen miissen. Zu jedem neuen
Schritt, den er tut, bei der Entwicklung der Akkorde aus diesem Urakkord
heraus, nimmt er das Klavier, den typischen Reprdsentanten der unserem
Ohr zur zweiten Natur gewordenen temperierten Stimmung zu Hilfe. Es
ist ihm gelungen 9 am Klavier dem Naturgesetz Offenbarungen abzuzwingen,"
die fiber wesentliche Gebiete der Theorie ein ganz neues Licht verbreiten
und zum Teil sogar Aufschluss daruber geben, was musik alisch uber-
haupt moglich ist.
Wahrend der sogen. strenge Stil auf Grund dieser Auffassung als
eine ktinstliche Verengerung des harmonischen Horizontes erscheint, offen-
bart sich der sogen. freie Stil jetzt vielmehr als der naturliche, und das
musikalische Gehor wird wieder in seine Rechte eingesetzt. Man sehe
nun, wie Capellen am Klavier experimentiert: Wie nach dem bekannten
Digitized by
Google
405
\ Jp&& SCH Z; EIN E UMWALZUNG IN PER HARMONIK qC^J J
Experiment ein angeschlagener Grundbass bei aufgehobener Dampfung die
stummen Obertone erklingen Ifisst, so zeigt Capellen, dass ein angegebener
Oberton den stumm niedergehaltenen Grundbass auslost, der dann wieder
das Fortklingen des Obertons bewirkt. Er beweist damit, dass nicht bloss
die tiefen, sondern auch hdhere Tone als Vertreter von Naturklangen ge-
hdrt werden. So wird das c", ohne Pedal staccato angeschlagen, bei
stumm niedergedrucktem c als Vertreter des C-Dreiklangs, bei stummem
F als Quinte des F-Dreiklangs, bei stummem As als Terz von As-dur, bei
stummem D als Septe des D-Septklangs, bei stummem B als None des
B-Nonklangs gehort. Der stumme Basston lebt dann auf als Grundton des
hoheren Tons und es klingt in ihm der staccato angeschlagene Oberton als
sein Erzeugnis weiter. SchlMgt man statt c" die Tone a' c" staccato an,
so klingen diese Tdne nur bei stumm niedergehaltenem F oder D fort,
Beweis, dass sie ein wesentliches Intervall des F- bezw. D-Klangs sind.
Jeder andere Bass lasst sie nur partiell oder gar nicht fortklingen. Wird
z. B. A im Bass stumm niedergehalten, so klingt nur das a', aber nicht
das c" mit, woraus folgt, dass a' c", wenn nicht der Zusammenhang anders
entscheidet, stets als Bestandteil von F- oder D-dur und nicht von a-moll
zu fassen ist und auch so gehort wird. Selbst bei Weglassung des Grund-
tons erleiden also die Naturklfinge noch keine wesentliche Anderung in
ihrer Bedeutung. Demnach ist z. B. e-g (wenn nicht ein anderer Bass,
z. B. e oder a vorhanden ist), stets als kleine Terz des C-dur Dreiklangs,
also als elliptischer Dur-Dreiklang, e g b als elliptischer Septklang, e g b d
als elliptischer Nonklang mit dem stummen Grundton C zu fassen.
Capellen fragt bei jedem Akkord nach der Wurzel, dem Grundbass,
er hat erkannt, dass es viele Akkorde gibt mit fehlendem, aber vom Ge-
hor zu ergfinzendem Grundton. Wahrend z. B. die alte Theorie mit ihrem
leitereigenen System die Tone h-d-f einfach als einen auf der siebenten Stufe er-
richteten selbstandigen Dreiklang (den sogen. verminderten Dreiklang) fasst,
ohne weiter nach seinem Ursprung zu fragen, und ihn mit den ubrigen
Dur- und Moll-Dreikiangen der Tonleiter auf eine Linie stellt — was schon
deshalb sehr verdMchtig ist, weil die Prim h dieses „ Dreiklangs" regular
keine Verdopplung wie der Grundton der richtigen Dreiklinge duldet —
so erkennt ihn Capellen als den Sohn des Vaters G 7 , als den Torso eines
Vierklangs, des G-Septakkords und bezeichnet ihn auch so, nSmlich kurz
statt G 7 mit g 7 . Ebensowenig ist der auf der siebenten Stufe aufgebaute
Septakkord h d f a ein solcher in Wirklichkeit und seiner Natur nach,
sondern vielmehr der elliptische Nonakkord g 9 und der auf der siebenten
Stufe der Molltonleiter errichtete sogen. verminderte Septimenakkord h d f as
ist nichts anderes, als eben wieder dieser Nonakkord mit vertiefter None.
Mit Recht gibt Capellen dem Nonakkord wieder sein Existenzrecht
Digitized by
Google
406
DIE MUSIK III. 24.
zuruck; zugleich aber bildet dieser fur ihn die Briicke zu seiner hochst
bedeutsamen Lehre von den Doppelklangen, indem dieser Funfklang
einerseits ein einheitliches Produkt der vier Obertone aus dem Grundton
ist, andererseits aber das Bild zweier zusammengelegten DreiklSnge bietet.
Welch grossartige Umwalzung muss dieses Doppelklangprinzip, dessen
konsequente Durchfuhrung und Entwicklung Capellen vollstandig als sein
Eigentum in Anspruch nehmen kann, auf dem Gebiet der Harmonik be-
wirken. 1 ) Wenn einzelne Tone zu Akkorden zusammenschmelzen, warum
sollten nicht auch zwei (oder drei) Akkorde zu einem Ganzen sich ver-
binden konnen? In der musikalischen Praxis ist dies ja schon seit Jahr-
hunderten so gemacht worden. Wie haufig begegnet uns z. B. die Ver-
bindung von Tonika und Dominante!
Was ist der in der Praxis so hiufig auftretende Nonakkord mit
grosser Septime c e g h d meistens anders als eine Verschmelzung des
C- und G-Dreiklangs ? Welche Perspektiven tun sich mit diesem neuen
Prinzip der DoppelklSnge auf! Welche neuen, unerhdrten Ton- und
Akkordkombinationen ! Sogar Tripelklfinge wagt Capellen einzufuhren.
Aber bleiben wir zunachst bei den Doppelklangen. Die Harmoniker vom
alten Schlag machen sich mit der Untersuchung des Wesens und Ursprungs
der Akkorde wenig Miihe und Kopfzerbrechen. Man erflhrt wohl von
ihnen, dass etwas so und so ist, nicht aber warum es so, wie es so
geworden ist? Viele stellen die Akkorde, Drei-, Vier- und Funfklange,
einfach als einen kunstlichen Terzenaufbau dar, wahrend doch die Terz immer
nur als Teil eines Klangs durch die Akustik sich ausweist, also dieser,
der Dreiklang, stets das Primare, jene das Abgeleitete, SekundMre ist.
Andere legen zwar den Dreiklang und Septakkord zugrunde, doch lassen
sie die iibrigen Akkorde durch jede willkiirliche Erhohung eines oder
mehrerer Tone dieses Dreiklangs oder Septakkords entstehen, z. B. durch
Erhohung der Quinte den „tiberm&ssigen* Dreiklang, durch Erhohung der
Prim den „verminderten" Dreiklang. Ganz anders Capellen: er erkennt
wohl auch alterierte Akkorde an, auch den ubermfissigen Dreiklang als
solchen, aber dieser „Hochquintklang" ist ihm, entsprechend seiner je-
weiligen tonalen Beziehung, auch wieder etwas ganz anderes, namlich ein
elliptischer Doppelklang, also z. B. c e gis nicht bloss = c e J g, sondern
C E gis (h), ein Produkt aus dem C- und E-dur Dreiklang. Jener *ver-
minderte* Dreiklang cis e g aber hat, wie wir gesehen haben, gar nichts
mit dem C-Klang zu tun, ist vielmehr Torso von A 7 . So erklSrt Capellen
mit vollem Recht auch den grossen Septakkord c e g h (Hochseptklang)
nicht einfach als Naturseptakkord mit kiinstlich erhohter Septime, (was er
l ) Ich habe dies in einer besonderen Abhtndlung naher ausgefuhrt.
Digitized by
Google
£.
407
SCHOZ: EINE UMWALZUNG IN DER HARM0N1K
unter Umstanden wohl auch sein kann), sondern als Doppelklang, ent-
standen aus einer Verbindung des C- und G-Dreiklangs (C-f G), weil in
vielen Fallen das h in Wirklichkeit gar nicht Septime, sondern Terz ist,
z. B. bei dem Schluss :
Aus dem Doppelklang C e G h d ergibt sich aber ein weiterer Akkord,
der in den Harmonielehrbuchern noch gar nicht die ihm zukommende
Wiirdigung ge fund en hat, namlich nach Auslassung der Basis C der Akkord
e G h d oder in anderer Stellung : G h d e. Es ist ganz falsch, diesen
Akkord, wie gewohnlich geschieht, immer als Septimenakkord (Mollsept-
akkord) zu nehmen, er ist vielmehr in vielen Fallen ein Sextakkord und
steht in nMchster Beziehung zu dem G-dur Dreiklang, an dessen Stelle er
geradezu treten kann, mit dem Grundton G. Schon Rameau hat den
Unterschied des kleinen oder Mollseptakkords eghd vom Dursextklang
Ghde erkannt. Wenn der Komponist dem nackten Durklang ausweichen
und doch nicht zum Mollkang iibergehen will, greift er gem zu diesem
Akkord, zu dem Dreiklang mit beigefiigter Sexte, die diesem einen eigen-
tumlich verschleierten, weichen Charakter gibt. Selbst Schlusse sind in
diesem Sextakkord moglich, wie Capellen beweist. Nehmen wir ihn mit
dem Grundton C:
i
m=t
9
-*9-
i
£
i
wm
7-r=r-i
r
Ped.
T
Auch die Doppelklange C e G h d f und C e G h d f a sind durch
Capellen in das System der Akkorde mit voller Existenzberechtigung ein-
gereiht worden, sowohl in ihrer vollstandigen als abgekurzten Form, z. B.:
Digitized by
Google
408
DIE MUS1K III. 24.
In Beisp. 3 haben wir einen Akkord, der samtliche Tone der Tonleiter
enthait. Da bei vielen Harmonikern nicht einmal der Nonakkord als
selbstandiger Akkord gilt, so mussen sie in sehr umstandlicher Weise diesen
Akkord als G-Septakkord mit Orgelpunkt C und mit den Vorhalten a und
e (Vorhalt e eventuell mit unterdrucktem Auflosungston d) erklMren.
Mit dem Doppelklangprinzip gewinnt Capellen auch eine ganz neue
Begrundung des Moll. Vor allem ist sein Verdienst, mit iiberzeugender
Klarheit den Primat des Durdreiklangs, dem der Molldreiklang keineswegs
Mquivalent ist, energisch zur Geltung gebracht zu haben. Ihm ist der Moll-
dreiklang, ebenso wie Helmholtz, Polak u. a., kein polarer Gegensatz des
Durdreiklangs, keine primare, sondern eine vermittelte Konsonanz, ein
durch Verschmelzung mit einem anderen Durakkord verwandelter, gleich-
sam verkleideter Durakkord. Man drucke auf dem Klavier das A im
Bass stumm nieder, und schlage dazu ohne Pedal den a-moll Dreiklang
a' c" e" sfz. staccato an, so wird man alsbald beim Nachklingen der Ober-
tone das c" in cis umgewandelt vernehmen, natiirlich, weil zwar a' und e",
nicht aber c" ein klingender Oberton von A ist. Es gibt also keinen
naturlichen Molldreiklang in dem Sinn, wie es einen natiirlichen Dur-
dreiklang gibt, das A kann wohl diesen, aber nicht jenen erzeugen, im
Handumdrehen verwandelt sich das c in cis. Gibt es einen handgreiflicheren
Beweis davon, dass — A als Grundton angenommen — der Molldreiklang
a' c" e" nichts anderes als a' t| cis" e" ein alterierter, getriibter Durdreiklang
ist? Nun aber drucke man zugleich mit A auch das c im Bass stumm
nieder und schlage staccato a' c" e" dazu an: jetzt kann das cis nicht
mehr aufkommen, es wird durch den doppelten Oberton c' + c" vom
Grundbass c, der stMrker ist, als die Terz cis von A, ausser Wirksamkeit
gesetzt, sozusagen erstickt. Die Folge davon ist, dass der Molldreiklang
a' c" e" jetzt voll und ungetrubt ohne storenden Nebenklang mit deutlich
hervorstechender Mollterz (c") erklingt. Es sind also, so schliesst Capellen
hieraus, zur Erkl&rung des konsonanten, selbstandigen Mollakkords (sofern
er nicht bloss ein vorubergehend getriibter, alterierter Durakkord sein soil),
zwei Grundbasse notig. Der a-moll Dreiklang z. B. ist eine aus den beiden
Durdreiklangen a cis e und c e g A -f- C kombinierte, durch Hinzutreten des
Grundtons der Paralleldurtonart vermittelte Konsonanz.
Digitized by
Google
£.
409
SCHOZ: EINE UMWALZUNG IN DER HARMONIK
Diese — neuerdings auch von Polak mit anderer Begriindung ver-
fochtene — Molltheorie ist ebenso originell, als im Prinzip einleuchtend.
Eine Bestatigung findet sie auch in der Zersplitterung der Molltonleitern,
welche zeigt, dass es kein einfaches reines Mollsystem gibt, wie das Dur-
system. Auch die Melodik scheint fur diese Theorie ein Zeugnis abzulegen,
so z. B. manche orientalische Volksmelodieen, die ein Hin- und Herschwanken
zwischen der Durtonart und der parallelen Molltonart, z. B. C-dur und a-moll,
deutlich bekunden. Man hore:
Persisch :
C-dur G 7 E 7 a-m<
a-moll.
Man kann hier wirklich sagen: der A-Klang, mit dem das Satzchen schliesst,
ist durch den vorhergehenden C-Klang modifiziert, die in A herrschende
grosse Terz cis durch die noch herrschende Prim c unterdrtickt. Denken
wir uns diese Melodie ganz in a-moll, was auch gut moglich ist, und vielleicht
ihrem Charakter noch mehr entspricht:
m
%
m
^
E
so sehen wir, wie im kombinierten a-moll Klang auch die Septime und
Quinte g der beiden Grundbisse A + C manchmal sich geltend macht.
Capellen scheut sich nicht, diesen vierten bei A-j-C schwach mitklingenden
Ton auch als einen, wenn auch meist unhorbar mit ihm verschmelzenden
Bestandteil des a-moll Akkords anzuerkennen, so dass der a-moll Akkord als
Doppelklang eigentlich ein Vierklang ware.
Dass die musikalische Akustik auch die Grundlage der Melodik ist,
weist Capellen schon an der Durtonleiter nach. Die harmonische Reihe
des C-dur-Systems C e G h d F a c, durch die er das engere tonale
System sehr einleuchtend darstellt, liefert ja zugleich die Tone der Ton-
leiter, und zwar in ganz symmetrischer Folge, wenn man den ersten und
funften, zweiten und sechsten Ton usw. aufeinander folgen lasst. — Indem
Capellen die einheitliche Beziehung der Tonika, Dominante und Sub-
Dominante zu einander als TonitMt bezeichnet, schafft er einen andern Be-
griff von TonalitMt, die er weit fiber das sog. ubergreifende System und
die bisher ihr gesteckten Grenzen hinaus erweitert, also z. B. C-dur als
Digitized by
Google
410
DIE MUS1K HI. 24.
Tonika zu alien mittels Quint- und Terzschritt erreichbaren Durtonarten in
bezug setzt. Auch die MolltonalitMt erweitert er und prSzisiert sie in
origineller Weise. Es lassen sich namlich ausser den 2 Grundbassen
A-|-C — obzwar diese zweifellos als der beste Ausdruck der Konsonanz
des Mollklangs sich ergeben — auch noch die Basse F -f- C als Wurzeln
des Akkords ace denken (da ja die Tone ace auch Obertone von diesen
Bassen sind). Ausserdem kann ace noch als Torso von D 9 (d fis a c e)
angesehen werden. Wir bekommen auf diesem Weg zu den in erster
Linie massgebenden 2 Wurzeln A und C noch zwei weitere, also zu-
sammen die 4 Mollwurzeln A C F und D, so dass der a-moll-Klang je
nach dem toiialen Zusammenhange, wie folgt, verstanden werden kann,
wenn man die Grundtdne durch grosse Bucbstaben kennzeichnet : A fc( cis e,
A C e, a C e, ace. Entsprechend der vierfachen Durwurzel des Moll-
Dreiklangs gehdren zur a-moll-Tonart ausser A-dur und C-dur auch noch
F- und G-dur (weil D 9 Dominant von G-dur ist). Demgemass wird das
„engere tonale a-moll-System" von Capellen so dargestellt :
F-(Gross-)dur G-(Nonen-)dur
B d F a C e G h D fis A cis E gis h
C-(Klein-)dur A-(Basis-)dur.
Diesem System entspricht nicht gentigend die bisherige harmonische und
melodische Molltonleiter, die richtige Molltonleiter ist vielmehr: a b h c
cis d e f fis g gis a. Fugen wir aus dem mit A-dur quintverwandten E-dur
noch das dis hinzu, so ergibt sich die chromatische Tonleiter als die wahre,
dem Mollsystem zugrunde liegende Leiter.
Schon diese kurze Darstellung des Capellenschen Systems lMsst er-
kennen, welch tiefgreifende Anderungen die althergebrachte Generalbass-
und Harmonielehre erleiden miisste, wenn das neue System zur Herrschaft
gelangte. Wie viele bisher fur unanfechtbar gehaltenen Lehrsatze werden
dadurch umgestossen! Es ist falsch und verkehrt, die Akkorde aus
Intervallen sich erzeugen zu lassen und nach diesen zu bestimmen, denn
diese sind, wie die Einzeltone, nur Bestandteile (Vertreter) der harmonischen
Klange. Es ist falsch, den Akkord e g c z. B. als Sextakkord, gee
als Quartsextakkord zu bezeichnen, da ja die Umkehrung auf die harmoni-
sche Bedeutung der Akkorde keinen Einfluss hat und die Prim stets Prim,
die Terz stets Terz bleibt: so muss der Sextakkord anders, am besten
wohl als Terzprimklang, der Quartsextakkord als Quintprimklang bezeichnet
werden. Ebenso falsch ist die bisherige Benennung der verschiedenen
Lagen der Septakkorde. Die ganze alte Generalbassbezifferung ist prinzipiell
aufzugeben und eine ganz neue Bezifferung notig, welche die Klang-
Digitized by
Google
411
SCHOZ: E1NE UMWALZUNG IN DER HARMONIK
bedeutung der Akkorde sofort erkennen lasst. Diese, schon von Riemann
prinzipiell aufgestellte Forderung, hat Capellen erfullt und konsequent
durchgefuhrt.
Seine Bezifferung ist hochst einfach; mit ein paar Zahlen und Buch-
staben bezeichnet er nicht nur den Akkord, sondern auch dessen tonale
Beziehungen. Ein C bezeichnet stets den Durdreiklang ceg, G 7 den
Septklang g h d f, G 9 den G-Nonklang, G 8 7 den Terz-G-Septklang h d f g.
Einen Sextakkord wurde es uberhaupt nicht mehr geben, da die Natur-
klSnge keine Sext haben. Wenn Capellen diesen Namen fur den sogen.
Rameauschen Sextakkord c e a oder c e g a dennoch beibehtilt, so ist er
sich doch der wahren Natur dieses Akkordes = Doppelklang F + C mit
dem terzweisen Aufbau (F) a C e g, also mit C als Grundton, stets bewusst.
Die Tonika bezeichnet Capellen einfach mit M (Mittelklang), die Dominante
mit R (Rechtsklang), die Subdominante mit L (Linksklang). Total ver-
fehlt ist das bisherige „leitereigene" System, als harmonisches Prinzip
gefasst: es hat nur den Wert einer schulmissigen, tabellarischen Dar-
stellung der Akkorde, man kann sie auf der Tonleiter sozusagen an den
Fingern abzahlen und dem Schuler vorfuhren, aber ihre harmonische Be-
deutung und tonale Beziehung gibt das „leitereigene" System nicht, im
Gegenteil es ist in dieser Beziehung nicht bloss mangelhaft, indem es
manche Akkorde ganz ubergeht, sondern geradezu irrefiihrend: denn es
gibt auf der Leiter aufgebaute Dreiklange, Sept- und Nonakkorde, die gar
nicht zur Tonart gehoren. Ich nenne in C-dur den d-moll, e- und a-moll
Dreiklang, da d, e, a als Grundtdne nur DurklMnge erzeugen konnen; ferner
den Septakkord e g h d u. a.
Welch eine Revolution auf dem Gebiet der Harmonielehre das
bedeutet, wenn das leitereigene System seine dominierende Stellung ver-
liert, lisst sich leicht ermessen. Es sei nun noch erwShnt, dass Capellen
die Chromatik vollauf wurdigt und eine ganz neue Theorie der Klang-
verwandtschaft aufstellt, durch welche die Beziehung der Akkorde und
der Effekt ihrer Verbindungen eine wissenschaftliche Begrundung er-
fahren. Sehr beachtenswert und — vorausgesetzt, dass Capellens System
die ihm gebuhrende Anerkennung findet — sicher nicht ohne neu anregen-
den und befruchtenden Einfluss auf die kunftige Kompositionspraxis sind
seine unter dem Titel „Zukunftsmusik" ausgefuhrten Vorschlige zu neuen
Tonarten, wodurch die alten Kirchentdne teilweise wieder neu aufleben
wiirden, ohne dass jedoch mit diesem Namen das Wesen der neuen Moll-
typen erschopft ware. Auch in bezug auf Halbschlusse, dissonante Schlusse
und Mollschlusse bietet uns Capellen in diesem Anhang Interessantes und
Originelles. Es ist nicht einzusehen, sagt er in bezug auf dissonante
Schlusse, z. B. den Schluss in der Dominantseptime, warum nur der Dichter
Digitized by
Google
412
DIE MUSIK III. 24.
eines Romans Oder Dramas und nicht auch der Tondichter das Recht haben
soil, ein Werk fragend ohne vollkommene Losung aller Konflikte ausklingen
zu lassen? Ein paar Beispiele dafur durften dem Leser willkommen sein:
Mit Recht beschrankt sich Capellen in seiner grundlegenden Harmonie-
lehre auf diejenigen Tonverbindungen, die als wirkliche, selbstandige Akkorde
im System der Harmonie zu fassen sind: alle andern, mehr zufalligen Ton-
kombinationen oder Akkordbildungen, wie sie durch die Stimmfuhrung frei
sich gestalten, behandelt er in einem jfingst veroffentlichten zweiten Teil,
in seiner Theorie von der Freiheit und Unfreiheit der Tone, sowie des-
gleichen in einem dritten Teil: „Die Abhangigkeitsverhaltnisse in der
Musik", womit wir eine wissenschaftliche Lehre von der Stimmfuhrung
erhalten. Man freut sich der Klarheit, die sich damit zugleich fiber die
Lehre von den Dissonanzen verbreitet.
Schliesslich darf auch nicht verschwiegen werden, dass Capellen nicht
etwa ein Mann der grauen Theorie und ausschliesslich Gelehrter, sondern
durch eine Reihe von Tondichtungen den praktischen Wert seiner Satze
und Aufstellungen zu beweisen und seine Theorie immer wieder durch
eine kompositorische Tat zu bestfitigen in der Lage ist. Besonders interessant
sind in dieser Hinsicht seine „Nordischen Volkslieder", auch seine kurzlich
im Verlag von Breitkopf & Hdrtel erschienenen „Japanischen Volksmelodieen"
als Charakterstucke fur Klavier bearbeitet und — last not least seine ftinf-
-stimmigen Volksliederbearbeitungen, in denen er eine neue homophone
Satzweise einfuhrt mit funf realen Stimmen und damit den Beweis er-
bringt, dass der mehr als vierstimmige Satz durchaus nicht notwendig an
Schwerfalligkeit infolge Verdoppelung der Akkordtdne leiden muss, da ja
durch seine Theorie eine grosse Zahl von vier- und fiinfstimmigen (ja
sogar sechsstimmigen!) Akkorden — Nonenakkorden, Doppelakkorden usw.,
dem Harmoniesystem eingegliedert worden sind und auch die haufigere
Verwendung des Orgelpunktes einen realen fiinfstimmigen Satz ermoglicht.
Dass dadurch die musikalische Ausdrucksfahigkeit gesteigert wird und die
Chore mehr Fuhlung mit der modernen Musik gewinnen, unterliegt keinem
Zweifel.
Digitized by
Google
£.
413
SCHOZ: EINE UMWALZUNG IN DER HARMONIK
Alles in allem: das Capellensche Harmoniesystem darf mit Fug
und Recht als ein neues bezeichnet werden, denn es erSffnet neue Aussichten
nicht bloss auf dem Gebiet der Musiktheorie, sondern ebcnsoschr fur die
musikalische Praxis, und kein Lehrer der Harmonie, kein Tonkiinstler, sei
er nun schaffender oder reproduzierender Kunstler, sollte es unberuck-
sichtigt lassen. „Die fortschreitende Erkenntnis des Wesens der Harmonie
bedingt eine vollstindige Umgestaltung der musikalischen Satzlehre." Was
Hugo Riemann mit diesen Worten im Prinzip ausgesprochen, was er auch
in seinen zahlreichen Schriften auszufuhren und zur Wahrheit zu machen
mit viel Energie, Scharfsinn und Gelehrsamkeit bestrebt war, das durfen
wir durch Georg Capellens grundsturzende und grundlegende Schrift
als vollfuhrt betrachten. Er hat es gewagt, das unbrauchbar und unprak-
tisch gewordene Handwerkzeug keck zum alten Eisen zu werfen und ein
neues, wirklich brauchbares, in frischem Feuer geschmiedetes, an seine
Stelle zu setzen. Er hat iiber die immer weiter sich dehnende, gShnende
Kluft zwischen musikalischer Praxis und Theorie eine solide Brucke ge-
baut und nicht bloss das gute Alte theoretisch auf guten, festen Grund
gestellt, sondern dem modernen Komponisten zu seinen Inspirationen einen
weiten Horizont und freien Spielraum zu neuen Schopfungen und Ge-
staltungen seiner kunstlerischen Phantasie geschaffen.
Digitized by
Google
NEUER TEXT ZU CHOPIN'S
GRABGESANG AN POLEN
von Richard Dehmel
•.»«••'%•*.
hat mich oft und mit Bedauern gewundert, dass Chopin's, wenn
nicht schonstes, so doch sicher erhabenstes Polenlied (op. 74
Nr. 17) immer seltener in Deutschland gesungen wird. Die
Ursache scheint mir der Text zu sein, der zwar ergreifend ist
im Original und auch in einer ertrMglichen Obersetzung (von Dr. Reiss, in
der Litolffschen Ausgabe der Lieder) vorliegt, aber mit seinem Pathos
einer begrabenen Nation nicht recht in die Sphare des auferstandenen
Deutschen Reiches hineinpasst. Ich habe deshalb einen neuen Text dazu
gedichtet, der sich eng der Melodie anschliesst, aber von allgemein mensch-
lichen Motiven getragen ist, und tibergebe ihn hiermit dem musikalischen
Publikum.
Evas Klage.
Stern im Abendgrauen,
lass dein bleich Erschauern;
lass mich endlich ruhig
heim gen Eden trauern.
O Eden, mein Eden,
Garten meiner TrMume,
warum gab mir Gott den Anblick
deiner FruhlingsbMume !
Deine Sommerfluren
hat er nicht behutet;
in den stolzen Garben
hat der Blitz gewutet.
In dein Herbstgefilde
ist der Sturm gekommen,
hat mir von den Asten
Frucht auf Frucht genommen.
s
Digitized by
Google
£l
415
DEHMEL: NEUER TEXT ZU CHOPIN'S GRABGESANG
Warum sang der Friihling,
sang von seligem Wandern
nur auf Blumenauen,
sang von einem seligen Andern !
Ach, er kam, der Andre,
kam mit Glut und Flammen;
iiber meinen Blumen
schlugen sie zusammen.
Lachend aus der Asche
hat er mich getragen.
In der kalten Fremde
hat ihn Gott erschlagen.
Winter ist geworden.
Ach, ich mochte weinen.
Aber seine Seele
lacht noch in der meinen.
Still auf seinem Grabe
will ich warten, warten;
meine Kinder irren
suchend nach dem Garten.
O mein Garten Eden,
verlomes Eden,
o Eden, mein Eden,
stehst du denn noch off en?
Bis zur letzten Stunde
will ich auf dich hoffen!
Magst du, Gott, mich toten,
mag mein Traum vergluhen,
aber meinen Kindern muss er
neu erbluhen!
Lass dein bleich Erschauern,
Stern im Abendgrauen!
Endlich kann ich ruhig
heim gen Eden schauen.
Magst du, Stern, versinken,
mag ich selbst vergehen:
meine Kinder werden
Eden wiedersehen.
Digitized by
Google
ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN
KOMISCHEN OPER
VON IHREN ANFANGEN BIS DITTERSDORF
Von Max Putt man n-Eberswalde
i
Pfc
Schluss
Jie Sprache der in den ersten Jahrzehnten in Hamburg zur Auf-
uhrung gebrachten Opera und Singspiele war eine ungelenke
und oft rohe, und Verse wie der folgende gehoren keineswegs
zu den Seltenheiten. In H otters „Stortebecker und Godge
Michaels' 1 singt ein Rauber:
„Willt Zunge du nicht fluchen,
So reiss ich dich aus meinem Mund
Und will dich mir abbeissen,
Und aus dem Rachen reissen,
Und nochmals docb versuchen
Zu toben mit dem leeren Mund!*
Einiges aus Post els „Cara Mustapha" oder dessen Schaferspiel „ Venus
und Adonis 41 zu zitieren, mussen wir hier aus Griinden des Anstandes und
der guten Sitte unterlassen; ebenso mussen wir hier auf die Wiedergabe
der Beispiele verzichten, die der Dichter Hun old anfuhrt, um zu lehren,
dass man fur die Arie immer liebliche Worte wMhlen musse. Wenn durch
dergleichen Dinge der Widerstand gegen die Oper hervorgerufen wurde, so
war dies nur zu gerechtfertigt; wie bei vielen anderen Gelegenheiten,
schuttete man aber auch hier wieder das Kind mit dem Bade aus.
Was das Verhiltnis zwischen Poesie und Musik betrifft, so gestaltete
es sich mit dem Ende des 17. Jahrhunderts mehr und mehr zum Vorteil
der letzteren und durch Reinhard Keiser gelangte die Musik aus ihrer
dienenden zu einer herrschenden Stellung gegeniiber der Poesie. Damit
beginnt aber auch zugleich eine gesonderte Ausbildung des ernsten und
komischen Stiles in der musikalisch-dramatischen Kunst, und die Namen
„Oper a (auf der Partitur zu der im Jahre 1671 erschienenen „Pomone"
von Cambert [1628—1677] findet sich zum ersten Male der Name ,Oper a ,
wahrend die ursprungliche Bezeichnung fur die neue Kunstform , dram ma
per musica tf war) und „Singspiel a , aus dem spMter die komische Oper
hervorgehen sollte, erhalten eine bestimmtere, die Form und den Inhalt
des jeweiligen musikalisch-dramatischen Werkes kennzeichnende Bedeutung,
Digitized by
Google
£.
417
PUTTMANN: GESCHICHTE DER KOMISCHEN OPER
so dass nun auch der Kreis des hier naher zu Erorternden, wo es sich
darum handelt, einen Beitrag zur Geschichte der komischen Oper zu liefern,
ein immer engerer und iibersichtlicherer wird.
Ehe wir uns Reinhard Keiser, den Otto Lindner in seinem Werke
„Die erste stehende deutsche Oper" den Mozart der ersten Epoche der
deutschen Musik nennt, zuwenden, sei seines Vorgangers, des oben schon
genannten Kusser, unter dessen Direktion die Hamburger Oper einen be-
merkenswerten Aufschwung nahm, ausfiihrlicher gedacht.
Johann Siegmund Kusser (1657 — 1727), der sich nach einem sechs-
jahrigen Aufenthalt in Paris, wo er mit dem Begrunder der franzosischen
Oper Jean Baptiste de Lully (1633 — 1687) Freundschaft schloss, Cousser
nannte, war ein reichbegabter Komponist und Kapellmeister. Da er neben
dem franzdsischen auch dem italienischen Geschmack huldigte, gelangten
neben deutschen Opera auch mehrere italienische unter seiner Leitung zur
Auffuhrung, die fast sfimtlich von dem italienischen Kapellmeister zu
Hannover, Agostino Steffani (1655 — 1730), Vorganger HSndels daselbst
und pipstlicher Protonotar, Bischof von Spiga, komponiert waren. Die
italienische Gesangsmanier war fur die deutschen Opernsfinger damals etwas
ganz Unbekanntes, und Kusser hat sich, indem er keine Miihe scheute,
die neue Sangesweise, den „bel canto 41 , seinen Leuten beizubringen, grosse
Verdienste sowohl um die deutsche Oper im allgemeinen als auch um die
Hamburger im besonderen erworben. Zu seinen eigenen Schopfungen ge-
horen die Opera: „Erindo a (1693), Text von F. C. Bressand, „Der durch
Grossmut und Tapferkeit besiegte Porus" (1694), Text ebenfalls von Bressand,
w Pyramus und Thisbe* (1694), Text von Carl SchrSder (uber eine Auf-
fuhrung dieses Werkes fehlt jede Nachricht), „Scipio Africanus der Gross-
mutige* (1694), Text von J. Fiedler, „Die ungliickliche Liebe des tapferen
Jason* (1697), Text abermals von Bressand.
Der Nachfolger Kussers wurde Reinhard Keiser. Geboren am 9. Januar
1674 zu Teuchern an der Rippach im Reg.-Bez. Merseburg, schrieb er
bereits im Jahre 1692 ein Pastorale „Ismene", bald darauf fur den braun-
schweigischen Hof eine grosse Oper „Basilius», und kam im Jahre 1694
nach Hamburg, fur dessen Biihne er weit iiber hundert Opera und Sing-
spiele komponiert hat. Im Jahre 1703 pachtete Keiser im Verein mit einem
gewissen Drusicke von der Wit we des im Jahre 1702 verstorbenen Schott
das Hamburger Theater; da aber weder er noch sein Kompagnon die zu
einem solchen Unternehmen notige Umsicht und Erfahrung besass, standen
beide bald vor einer Geldkrise. Zuerst verschwand Drusicke, ohne seinen
Verpflichtungen nachzukommen, und bald darauf auch Keiser. Wahrend
man von jenem nie wieder etwas gehort hat, kehrte dieser nach einiger
Zeit mit einer Anzahl neuer Opera nach Hamburg zurtick und gelangte in
III. 24. 27
Digitized by
Google
418
DIE MUSIK III. 24.
Kurze wieder zu einigem Wohlstand. Prank und Aufwand liebte Keiser
fiber alles. So Hess er z. B. seine zwei Diener in einer „ Aurora-Li vrey"
(einer Livree in den Farben der Morgenr§te) einhergehen und in den von
ihm veranstalteten Konzerten wurde man aufs beste bewirtet. Mattheson
sagt: „Am Schenktisch fehlte es nicht an Tokaier und anderen sehr raren
Weinen; Jedermann genoss, was ihm beliebte. Der Konzertgeber zeigte
sich dabei mehr als ein Kavalier, denn als Musiker." In den Jahren 1719
Ws 1721 lebte Keiser in Stuttgart, wurde 1722 Konigl. Kapellmeister zu
Kopenhagen, 1728 Kantor der St. Catharinenkirche zu Hamburg und 1729
Opernkapellmeister in Moskau. Nach einem zweiten Besuche Kopenhagens
ging er abermals nach Hamburg und starb dort am 12. September 1739.
Von den hier in Betracht kommenden Werken Keisers seien genannt:
„Stortebecker und Godge Michaels** (1701), .Die Leipziger Messe" (1710),
„Der Hamburger Jahrmarkt" (1725), „Die Hamburger Schlachtzeit (1725)
(der Text des letztgenannten Stfickes war ein derartig schlupfriger, dass
der Senat sich veranlasst sah, eine zweite Auffuhrung dieser famosen
„ Schlachtzeit* zu untersagen) und das im Jahre 1726 zur Auffuhrung ge-
brachte scherzhafte Singspiel „Der lacherliche Prinz Jodelet".
Keiser war ein reichbegabtes musikalisches Talent, namentlich in
bezug auf Erfindung schoner Melodieen. Er entsagte in seinen Werken
vollig dem schwerfalligen deutschen Gesangstil und verschaffte der leichten
Gesangsweise der Italiener Eingang, wobei er von dem durch Kusser ge-
schulten Personal vortrefflich untersttitzt wurde. Daneben befleissigte er
sich einer bestimmteren musikalischen Zeichnung der einzelnen Charaktere
in seinen Buhnenwerken und suchte auch die Instrumente ihrem Klang-
charakter entsprechend anzuwenden. Neben dem Streichquintett und dem
seiner Zeit unvermeidlichen Cembalo bringt Keiser auch gelegentlich, so
in seinem Jodelet", zwei Oboen, Fagott, Flote, Flageolet und zwei Horner
zur Anwendung. Die beiden Geigen gehen vielfach unisono, doch findet
sich in der Partitur des eben genannten Singspiels auch eine Arie, die
mit vier Violinen con sordino, Viola, Cello und Bass pizzicato begleitet
wird. In derselben Partitur sucht unser Meister Ungewitter und Sturme
durch gebrochene Akkorde, die stets mit dem zweiten Sechszehntel eines
Taktes einsetzen, durch Tremolo und sogen. Murky basse zu illustrieren,
dem Liebesschmerz aber durch die grosse Septime, mit der er eine Arie
beginnt und die in alien Stimmen immer und immer wiederkehrt, Ausdruck
zu geben. Der originellen Arie des Titelhelden „Mein Herze zappelt fur
Wuten und Rache" verleiht er durch Tonwiederholung in der Begleitung
in Achteln, Sechszehnteln und Zweiunddreissigsteln, die von Takt zu Takt
zwischen Violinen und Bass wechselt, die rechte Wirkung.
Wie sehr der Einfluss des Italienertums auf das deutsche Opernwesen
Digitized by
Google
£L
419
PUTTMANN: GESCHICHTE DER K0M1SCHEN OPER
mit jedem Jahre wuchs, zeigen uns die Partituren Reisers aufs deutlichste.
In den im 17. Jahrhundert erschienenen Werken ist an der alten Lied-
form mit wenigen Ausnahmen festgehalten und von Koloraturen wird
verhlltnismlssig selten Gebrauch gemacht. In den spSteren Werken aber
sehen wir den Meister fast ausnahmslos nur noch die dreiteilige Arien-
form anwenden und an Singer und Sangerinnen werden in bezug auf
Koloratur immer hdhere Anspruche gestellt. Das Langweilige und Un-
dramatische der Da Capo-Arie scheint Keiser selbst gefuhlt zu ha ben, denn
oft finden wir bei seinen Arien die Bemerkung .Senza Da Capo". Der
Einfluss des Italienischen lisst sich ferner daraus ersehen, dass etwa vom
Jahre 1700 an die Rezitative deutsch, die Arien aber italienisch gesungen
wurden und schon in Reisers 9 Don C&sar", komponiert 1710, findet sich
derselbe dramatische Unsinn wie in der „ Lucia" von Donizetti, dass nSmlich
ein auf den Tod Verwundeter noch eine lange Arie mit Koloraturen zum
besten gibt.
Mit der harmonischen Satzweise nimmt es Keiser nicht all zu genau,
falsche Oktaven gehoren keineswegs zu den Seltenheiten und gelegentlich
findet sich auch eine falsche Quinte.
Nicht unerwghnt bleibe, dass wir in einigen Werken Reisers, so in
seiner „ Pom one* (1702) und in seinem Jodelet", schon AnsMtze zu einem
Opern-Finale finden.
Gleichzeitig mit Keiser wirkten an der Hamburger Oper die drei
Meister Mattheson, Handel und Telemann.
Johann Mattheson, geboren am 28. September 1681 zu Hamburg
und gestorben daselbst am 17. April 1764, sah nicht ohne Neid auf Keiser,
der sich beim Publikum trotz seines lockeren Lebenswandels, der ihm von
Mattheson in seinen verschiedenen Schriften immer wieder vorgehalten
wird, grosser Beliebtheit erfreute. Da Mattheson auch gern hervorhob,
dass er sich „reinlicher in der WSsche" hielte als Keiser, so wurde er
von diesem mit dem Spitznamen „die weisse Krawatte" ausgezeichnet.
Nachdem sich Mattheson eine griindliche allgemeine Bildung angeeignet
und fur eine gediegene Ausbildung seiner musikalischen Talente Sorge
getragen hatte, trat er als Tenorist im Jahre 1797 an der Hamburger
Oper auf. Im Jahre 1799 schrieb er seine erste Oper 9 Die Plejaden oder
das Siebengestirn", in der er als Sanger und Diligent tfitig war. Den
„ Plejaden" folgten „Porsenna" und 9 Der Tod des grossen Pans* 4 , auf das
Hinscheiden des Theaterdirektors Schott im Verein mit dem Organisten
Bronner komponiert, 9 Victor" und „Kleopatra", mit der er im Jahre 1705 seine
Laufbahn als Opernkomponist schloss. Der genugsam bekannte Streit mit
Handel gelegentlich einer Auffuhrung des „Nero", in der er die Titelrolle
sang, mag nicht wenig zu dem Entschluss, dem Theater den Riicken zu
27 •
Digitized by
Google
420
DIE MUSIK HI. 24.
kehren, beigetragen haben. Mattheson wurde spMter, im Jahre 1715, Musik-
direktor am Hamburger Dom, bis eine mehr und mehr zunehmende Schwer-
horigkeit ihn im Jahre 1728 zwang, diese Stellung aufzugeben und nur noch
als Musikschriftsteller tatig zu sein; als solcher hat er sich um die deutsche
Tonkunst grosse Verdienste erworben, wlhrend er als Opernkomponist
ohne jeden Einfluss geblieben ist.
Handel begann seine ruhmreiche Laufbahn als Komponist im Jahre 1704
in Hamburg mit der „Almira". Der Einfluss Reisers ist sowohl in dieser
Oper als auch in alien anderen des Meisters unverkennbar; Handel hat
manche Arie Keisers in seine Werke aufgenommen. Zur Ehre Matthesons
sei erwlhnt, dass er trotz des mit Handel gehabten Streites die Werke
des letzteren gegen die Verstummelung und das Verhunzen, die diese in
spSteren Jahren erleiden mussten, in Schutz nahm: „Das mag jeden Kom-
ponisten billig abschrecken, nichts von seiner Arbeit an solche Orter zu
verschicken, da man nach eigenem Gutdiinken verHhrt und das absens
carens spiel t.*
Bedeutender als der Einfluss der beiden Genannten auf die Entwicklung
der Oper war der Telemanns.
Georg Philipp Telemann wurde am 19. Marz 1681 zu Magdeburg
geboren. Er studierte mit Vorliebe die Partituren Lully's und schrieb be-
reits im Alter von zwolf Jahren eine Oper im Stile dieses Meisters. Im
Jahre 1704 wurde er Organist an der Neukirche zu Leipzig, 1708 Konzert-
meister in Eisenach und bald darauf Hofkapellmeister daselbt. 1712 ging
er nach Frankfurt a. M. und kam 1721 nach Hamburg, wo er bis zu seinem
am 25. Juni 1767 erfolgten Tode verblieb.
Haben wir in Keiser denjenigen Meister erkannt, der bemuht war,
den italienischen Gesang der deutschen Kunst dienstbar zu machen, der
eine schone Melodie als den eigentlichen Lebensnerv eines jeden musikalischen
Kunstwerkes ansah, so sehen wir in Telemann einen entschiedenen Ver-
treter der durch Lully geschaffenen franzosischen Schule, die ihr Haupt-
augenmerk auf einen strengen Anschluss der Musik an den Text, auf eine
scharfakzentuierte Deklamation, beides auch besonders fur die komische
Oper von grosster Wichtigkeit, richtete. So kommt es denn, dass Telemann
in bezug auf die Behandlung der Rezitative Keiser um ein bedeutendes
iiberragt; seine Arien dagegen entbehren fast jedes melodischen Reizes.
Wenn man Keiser die Autorschaft von 116 Opern zuschreibt, wobei
jedoch bemerkt werden muss, dass es ihm oft genugte, altere Werke etwas
umzuarbeiten, um sie als neue wieder zur Auffiihrung zu bringen, so ist
das, was er geschaffen, nur gering anzuschlagen im Verhaltnis zu den
fast unzahligen Werken, die uns Telemann hinterlassen hat. Diese alle
aufzufuhren ist hier nicht der Ort, und auch von den fur Hamburg kom-
Digitized by
Google
£.
421
PUTTMANN: GESCH1CHTE PER K0M1SCHEN OPER Q^^J
ponierten Opern seien nur einige genannt. „ Damon, der neumodische
Liebhaber" (1724), „Die verkehrte Welt* (1727), ,Der misslungene Braut-
wechsel" (1729), 9 Die Flucht des Aneas" (1730) und „Die rachgierige
Liebe oder Orasia, verwittibte Konigin von Thracien".
Zu den weniger bedeutenden M&nnern, die den Bedarf an neuen
Opern und Singspielen fur die Hamburger Buhne decken halfen, gehoren
u. a. Christoph Graupner (1683 — 1760) und der zugleich als Sanger tftige
C. Grunewald.
Schon in den zwanzigerjahren des 18. Jahrhunderts fing das Interesse
fur die Oper in Hamburg an zu erkalten, woran der hlufige Wecbsel in
der Direktion, die dann nicht selten in die unfibigsten Hinde kam, wobl
die Hauptscbuld tr>. Als aber im Jabre 1728 Caroline Neuber zum
ersten Male nach Hamburg kam, entstand der Oper eine Konkurrenz, der
sie nicht gewachsen war. Die verschiedensten Versucbe, das Publikum
wieder fur die Oper zu interessieren, wurden unternommen. So Hess man
in deutscben Opern nicht bloss Arien in italienischer, sondern auch in
hollSndischer und franzosischer Sprache singen und fabrizierte aus den
Opern der verschiedensten Meister eine Art Quodlibet. Nichts von alien
diesen Versuchen aber konnte den Ruin des Unternebmens aufhalten und in
einem Schreiben desDicbters Lamprecht an Gottscbed heisst es: 9 Die Komodien
steben in grdsstem flor, die Opera hingegen siebet ihren vdlligen Untergang,
ja, die Operisten sind so verzweiflungsvoll, dass sie Komddianten werden
wollen." Im Jabre 1738 fand die letzte Opernvorstellung unter der
Direktion eines fruheren Schneiders, Monza, dessen Tochter zugleich
Darstellerin war, aber weder singen, nocb spielen, noch tanzen konnte,
statt, und die Neuber bezog das Opernhaus.
Auch in den anderen Stidten, in denen man die deutsche Oper und
das deutsche Singspiel pflegte, ihneln die ZustSnde denen in Hamburg.
In Berlin versuchte schon im Jahre 1704 die Veltheimsche Theatertruppe
festen Fuss zu fassen, unterlag aber bald dem von der Geistlichkeit aus-
gehenden Vorurteil des Publikums gegen Opernvorstellungen. In Wien
fiihrte der Hofmusiker Borotini deutsche Singspiele auf, ohne vom
Publikum oder gar vom Hofe, der ungeheure Summen fur die italienische
Oper verausgabte, die notige Unterstutzung zu finden. Etwas besser war
es mit dem deutscben Singspiel in Leipzig bestellt, wo unter dem Kapell-
meister Michael Hoffmann Opern von Krieger, Keiser, H&ndel, Telemann
u. a. zur Auffuhrung kamen. In Danzig erreichten die Opernvorstellungen
im Jahre 1742 ebenfalls ihr Ende.
Was aber war die Ursache, warum die deutsche Oper ihrer italienischen
Sch wester, sowie dem Schauspiel und der Komddie das Feld rMumen musste?
Der Musikschriftsteller Johann Adolph Scheibe (1708—1776) und der
Digitized by
Google
422
DIE MUSIK III. 24.
Kapellmeister Friedrichs des Grossen, Johann Friedrich Reichardt (1752
bis 1814), geben uns eine Antwort auf diese Frage. Jener sagt in seiner
Zeitschrift 9 Der kritische Musikus" : „In unseren meisten Opern herrschet
ein niedertrfchtiges, abgeschmacktes Wesen, welches der Vernunft und alien
Regeln so augenscheinlich widerspricht, dass man sich nicht wenig wundern
muss, dass es noch Leute gibt, die diese ungereimten Dinge horen und
bewundern kdnnen. Die lacherlichen Ausschweifungen, welche darin zu
unsern Zeiten uberhand genommen haben, verdienen die Verachtung aller
Vernunftigen;* dieser aber stellt in seinem Werke „Uber die komische
Oper« die Behauptung auf, dass nicht nur dem Text, sondern auch dem
Gesang die Schuld beizumessen sei, dass die Hamburger Oper so rasch
in Vergessenheit genet.
Man braucht nur irgend ein beliebiges Libretto aus damaliger Zeit
aufzuschlagen, urn die Worte Scheibes bestMtigt zu finden, und der bekannte
Satz „Ce qui est trop sot pour 6tre dit, on le chante" hatte damals mehr
denn je Gultigkeit. Da findet sich beispielsweise im Jodelet* von Keiser
folgender Arientext:
.Comet-Stem aller Lieblichkcitcn,
Spar-Buchse der Vollkommenhcitcn,
Du bist so schSn, als eine Wassermajis!
Ich werde fflr hefftiger Liebe zum Gecken,
Ach, geuss doch bald das Cammcr-Becken
Der sehnlich verlangeten Gegen-Gunst aus!"
Und an einer anderen Stelle heisst es:
,Mein Herz erlicgt,
Ihr k&tzelt mich zu starck, o Zucker-susser Mund!
Mein Herz
1st wund,
Da lieget es, und kann fur grossem Schmertz,
Nicht einen Flfigel regen."
Auch mit der Ausbildung des deutschen Gesanges war es herzlich
schlecht bestellt.
Oberall Not und Elend, denen sich gewohnlich auch die Unsittlich-
keit zugesellte, unter den Schauspieltruppen. Hatten sie sich kaum in
einer Stadt niedergelassen, so hiess sie der bald sich einstellende mangel-
hafte Besuch ihrer Vorstellungen den Wanderstab wieder ergreifen, um
sich unter Muhsalen und Entbehrungen eine neue Wirkungsstitte zu suchen.
So ging's jahraus jahrein, und dass man unter solchen Verhaltnissen weder
Lust, noch Zeit, noch Gelegenheit hatte, fur die Ausbildung seiner Stimme
etwas zu tun, liegt auf der Hand.
Digitized by
Google
423
PUTTMANN: GESCHICHTE DER KOMISCHEN OPER
In welcher glucklichen Lage gegenuber ihrcn deutschen Kollegen bc-
fanden sich dagegen die Italiener! Von der Fursten Gunst getragen,
konnten sie ganz ihrer Kunst leben, die ihnen denn auch zu Ruhm, Ehre
und Reichtum verhalf. Unsummen wurden von den deutschen Fursten fur
welsche Kunst geopfert. So zahlte Kaiser Karl VI. fur seine Oper jihr-
lich etwa 200000 fl. und Friedrich dera Grossen kostete die Inszenierung
einer einzigen Oper tiber 100000 Taler. Die Sangerin Giovanna Astrua
wurde im Jahre 1747 mit einem Jahresgehalt von 6000 Talern fur die
Berliner Oper engagiert, ihre Kollegen und Kolleginnen standen ihr im
Gehalt wenig nach.
Der Verwilderung in der Theaterdichtung entgegenzutreten und das
Theater und seine Angehorigen auf ein hoheres Niveau zu stellen, unter-
nahm endlich kein Geringerer als Johann Christian Gottsched (1700 — 1766),
der sich zu diesem Zwecke mit Caroline Neuber, die mit ihrer Truppe im
Jahre 1728 auch nach Leipzig kam, verband.
Gottsched war aus rein Msthetischen Grunden ein Gegner der Oper.
Er sagt, wenn nicht alle Regel in der Dichtkunst fiber den Haufen fallen
solle, musse er mit Evremont verfechten, dass die Oper das ungereimteste
Ding von der Welt sei. Sie sei ohne Handlung, ohne Charakter, ohne
Natur, man lache und weine, man huste und schnupfe nach Noten; wo
denn das Vorbild in der Natur sei, das die Oper nachahme ; das Hofleben
sei das Original des Trauerspiels, das Stadtleben das der Komodie, das
Landleben das des Schiferspiels ; die Oper aber gehe leer aus! Es ist
wahrscheinlich, dass Gottsched durch die nur dem Ausserlichen dienenden
Hasseschen Opern zu diesem Urteil veranlasst worden ist.
Indem er sich die franzosischen Schriftsteller zum Muster nahm,
ging das Bestreben Gottscheds dahin, den Haupt- und Staatsaktionen, der
Oper und mit ihr dem Singspiel den Garaus zu machen, und der Neuber,
der es um die Hebung des deutschen Schauspielerstandes zu tun war,
konnte nichts willkommener sein, als die Verbindung mit einem Manne
von dem Einfluss Gottscheds.
Beide begannen die Reformation des Trauerspiels mit der Auffuhrung
des „Regulus a , zu der man der Neuber die Kostiime sogar aus Dresden
geliehen hatte. So vortrefflich die Ubersetzungen franzosischer Dramen
von Gottsched gegenuber den bisher bekannten auch waren, so klaglich
war sein eigenes Trauerspiel „Der sterbende Kato", das aber trotzdem,
da es der Autor an der notigen Reklame nicht fehlen Hess, innerhalb
25 Jahren zehn Auflagen erlebt hat.
Um die Komodie zu reformieren, schloss sich Gottsched dem Danen
Ho lb erg an, von dem manches Werk durch die Neuber zur Auffuhrung
gebracht wurde. Die deutsche Oper aber gfinzlich zu Fall zu bringen,
Digitized by
Google
424
DIE MUSIK HI. 24.
konnte unter den oben geschilderten Verhaltnissen nicht schwer fallen, und
mit einem gewissen Wohlbehagen konnte Gottsched in der ,Leipziger
deutschen Gesellschaft" die Mitteilung von ihrem Untergange machen, urn
jedoch bald darauf zu erfahren, dass eine Kunst, die einmal hoch im An-
sehen des Volkes gestanden hat, nicht von einem einzelnen vollig unter-
driickt werden kann. Das deutsche Singspiel lebte bald wieder auf und
entwickelte sich in wenigen Jahrzehnten zur koraischen Open
Schon im J ah re 1743 gelangte in Berlin durch den Theaterdirektor
J. F. Schonemann (1704 — 1782) die erste deutsche Oper, das erste
deutsche Singspiel, wieder zur Auffuhrung. Es war das von dem Gesandten
in London, Geheimrat von Borck, ins Deutsche iibertragene englische
Stuck „ Devil to pay" („ Der Teufel ist los"), das spater als komische Oper
unter dem Titel „Die verwandelten Weiber und der lustige Schuster" be-
kannter geworden ist. Der Komponist dieses Werkes ist leider nicht be-
kannt, mdglich, dass man zu den GesMngen englische Melodieen ver-
wendet hat.
Der Theaterdirektor Koch (1703 — 1775) grundete zum grossen Leid-
wesen Gottscheds die musikalischen Zwischenspiele, eine Nach-
ahmung der italienischen Intermezzi, aus denen die italienische komische
Oper entstand, und brachte im Jahre 1752 eine deutsche Oper, deren Text
aus dem Englischen stammte, zur Auffuhrung. Ihm schloss sich bald die
Neuber an, die die musikalisch-dramatische Kunst, um es mit ihrem
Gonner nicht ganz zu verderben, in der Gestalt der Schafers piele pfiegte.
Neben dem eben genannten SchMferspiel und den musikalischen
Zwischenspielen entstanden jetzt auch die komischen Kantaten, welche
Form von MMnnern wie Telemann, Fleischer, Benda, Hiller u. a.
gepflegt wurde.
So rtickte unter den verschiedensten Versuchen, der deutschen Oper
eine der italienischen ebenburtige Stellung zu verschaffen, das Jahr 1764
heran, in dem Johann Adam Hiller seine Laufbahn als Komponist begann.
Johann Adam Hiller, geboren am 25. Dezember 1728 zu Wendisch-
Ossig bei Gorlitz, bezog im Jahre 1751 die University zu Leipzig, wurde
1753 Hauslehrer beim Grafen Bruhl in Dresden und ging 1758 nach
Leipzig zuriick, wo er am 16. Juni 1804 starb. Im Jahre 1764 wurde er
mit dem Theaterdirektor Koch bekannt, der ihn bat, das schon oben ge-
nannte Singspiel „Der Teufel ist los a , das auch im Jahre 1752 mit der
Musik von Standfuss in Szene gegangen war, zu tiberarbeiten, nachdem
der in Leipzig lebende talentvolle Dichter Christian Felix Weisse
(1726—1804), der namentlich auf dem Gebiet des Lustspiels Bedeutendes
geleistet hat, das Libretto umgedichtet hatte. „Der Teufel ist los a kam
in der Weisse- Hillerschen Bearbeitung unter dem Titel „Die verwandelten
Digitized by
Google
425
PUTTMANN: GESCH1CHTE DER KOMISCHEN OPER
Weiber* auf die Biihne und errang einen durchschlagenden Erfolg. Mit
dieser Auffiihrung beginnt die Bliitezeit des deutschen Singspiels.
Durch den Erfolg ermutigt, komponierte jetzt Hiller ein Werk nach
dem andern; es entstanden .Lisuart und Dariolette" (1766), „Lott-
chen am Hofe* (1767), sein Hauptwerk *Die Jagd" (1771), ,Der
Dorfbarbier* (1772), .Die Jubelhochzeit" (1773) u. a. m., die samtlich
nicht nur in Leipzig, sondern auch in vielen anderen Stadten mit Beifall
aufgenommen wurden.
Den Erfolg seiner Singspiele oder komischen Opern, wie seine Werke
auch wohl gelegentlich genannt werden, verdankt Hiller der FShigkeit,
dass er es verstand, im besten Sinne des Wortes popular zu schreiben,
und gerade der Umstand, dass die Gesangskunst in der Mitte des vorigen
Jahrhunderts bei uns auf einer verhaltnismissig niedrigen Stufe stand,
sollte ihm zum grossten Segen werden. Dadurch, dass er genotigt war,
fur wenig geschulte Singer zu schreiben, schuf er GesSnge, die auch
ausserhalb der Biihne leicht ausgefuhrt und gleich verstanden wurden;
seine Singspiellieder erschollen bald in alien Gauen, in alien Gesellschafts-
kreisen und zu alien Gelegenheiten. Nicht minder aber trugen zu dem
Erfolg der Hillerschen Singspiele die Dichtungen des vortrefflichen Weisse
bei. Zumeist schlichte, einfache Leute sind es, denen wir auf der Buhne
begegnen und die uns leicht verstindliche Begebenheiten des alltaglichen
Lebens vergegenwirtigen.
Unter denen, die sich den Stil Hillers zu eigen machten, verdienen
Christian Gottlieb Neefe (1718—1798), Johann Andr6 (1741—1799),
Georg Ben da (1722 — 1795) und der weimarische Kapellmeister Ernst
Wilhelm Wolf (1735—1792), der schon 1772 mit einem Singspiel „Das
Rosenfest" grossen Erfolg hatte, besonders hervorgehoben zu werden.
Die neue musikalische Bewegung, die sich in Norddeutschland so
siegreich Bahn gebrochen hatte, blieb nicht lange ohne Einwirkung auf die
musikalische Kunst Suddeutschlands, als dessen Mittelpunkt Wien gait.
Bei dem leichtlebigen Wiener fand das Singspiel urn so eher Anklang, je
mehr man in ihm der frohen Laune die Ziigel schiessen Hess, was
aber dann auch sehr bald wieder zum Trivialen und sogar zum Licher-
lichen ftihrte; Kasperle, Larifari und Staberl treiben in fast alien Stucken
ihr Unwesen. Das Urteil, das von Biedenfeld fiber das Publikum jener
Tage fMllt, passt nicht allein auf den Norddeutschen, sondern in einem
noch hoheren Masse auch auf den Siiddeutschen. Er sagt in seinem Werke
„Die komiscHb Oper* :
„Den einzigcn Vorzug genoss jcnc Zeit, dass das Bedurfnis von Kunstgenussen
noch ein wahres und lebendiges war, der Geschmack noch in reinster Unbefangen-
heit sich bcwegte, die Beurteilung von der jetzigen Blasiertheit und Oberklugheit
Digitized by
Google
426
DIE MUSIK III. 24.
nichts an sich hatte, die Liebe fur die Kunst keineswegs in dem 6dcn Skeptiziamua,
der Qberall IrrtQmcr und Fehler zu finden atrebt, sondern noch in jcnem behaglichen
Durst nach SchSnem, in jenem dankbaren Gcfuhle fur alles Gute bcstand, welche
zicmlich harmlos und naiv fiber alles Missf&llige hinweggingen, eine Melodie fur die
hiuslichen Abende in der Familic noch als ein willkommenes Gluck freudig hin-
nahmen."
Mogen den musikalisch-dramatischen Werken der Siiddeutschen, die
in den sechziger und siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts und zum Teil
auch noch dariiber hinaus entstanden, vom rein asthetischen Standpunkt
aus auch die der Norddeutschen jener Zeitperiode vorzuziehen sein, der
den ersten innewohnende Zauber der Sinnlichkeit, das warme Leben,
das in ihnen pulsiert, ebneten ihnen bald den Weg auf die Buhnen Nord-
deutschlands, urn hier die letzten vollig zu verdrMngen.
Unter den siiddeutschen Tonsetzern, welche die der komischen Oper
vorhergehende musikalisch-dramatische Form pflegten und jene mit aus-
bauen halfen, ist zunachst der Schopfer der modernen Instrumentalmusik,
Joseph Haydn, zu nennen. Er schrieb im Jahre 1751 seinen „I1 zoppo
diabolo" (.Der krumme Teufel"), ohne weder mit diesem noch mit
anderen spater von ihm komponierten Buhnenwerken, zu denen eine An-
zahl Marionettenopern gehoren, einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen ; sein
Genius fuhrte ihn andere Bahnen, auf denen er Unsterbliches schaffen
sollte. Auf Ferdinand Kauer, Muller, Schenk, Weigl u. a. werden
wir in einem zweiten Aufsatz, der uber das Wesen und die Geschichte der
komischen Oper von Dittersdorf bis auf die Neuzeit handeln wird, noch
ausfuhrlicher zu sprechen kommen. Hier aber sei noch kurz der TMtig-
keit Mozarts auf dem Gebiet des Singspiels gedacht.
Schon im Alter von 12 Jahren komponierte Mozart das von Schacht-
ner nach dem Franzosischen bearbeitete Liederspiel „Bastien und
Bastienne", dem 1780 die komische Oper „Zaide" folgte. Im Auftrage
des Kaisers Joseph II. schuf Mozart im Jahre 1781 das herrliche Singspiel
„Belmonte und Konstanze* (.Die Entfuhrung aus dem Serai 1*), Text
von dem bekannten Lustspieldichter Christoph Friedrich Bretzner (1748
bis 1807), das sich seine Jugendfrische bis auf den heutigen Tag erhalten hat.
Ein frischer Hauch wehte in der zweiten HMlfte des 18. Jahrhunderts
durch das gesamte geistige Leben. Friedrich der Grosse, der Philosoph
von Sanssouci, war ein eifriger Forderer der Kiinste und Wissenschaften,
Klopstocks „Messias* erschien, um der Dichtkunst neue Bahnen zu weisen,
die bardische Poesie entstand, der Gottinger Hainbund wufde gegriindet,
Lessing schuf seine gewaltigen Werke, und so konnte denn auch ein Fort-
schritt in der Librettodichtung um so weniger ausbleiben, als ja selbst die
hervorragendsten Genies auch auf diesem Gebiete tatig waren. So hat
Digitized by
Google
427
PUTTMANN: GESCHIGHTE DER K0M1SCHEN OPER
bekanntlich auch Goethe fur den Hof zu Weimar einige Singspiele,
darunter ,Lila« und »Jery und BMtely* gedichtet. Ferner sind hier zu
nennen Jakob Michael Lenz (1750 — 1792), Ludwig Heinrich von Nicolai
(1737—1820), Friedrich Wilhelm Gotter (1746—1797), der Mitbegrunder
des Hainbundes, und viele andere.
Auch die Ausbildung der Instrumentalmusik, vornehmlich durch Haydn,
blieb auf die musikalisch-dramatische Kunst nicht ohne segensreichen Ein-
fluss. An den Hofen sowohl, als auch in den Hausern der Reichen und
Vornehmen findet die Instrumentalmusik die weitestgehende Pflege, und
neben Hof- und Privatkapellen existierte in Berlin z. B. auch ein Dilettanten-
orchester, das der Kammermusiker Schaale bereits im Jahre 1751 ge-
griindet hatte. Neben Flote, Oboe, Fagott und Horn kamen jetzt auch die
Klarinetten, sowie Trompeten und Pauken in Anwendung, und man fing an,
sein Augenmerk auf die dynamischen und sonstigen Vortragszeichen zu
richten. Auch erscheint jetzt kein Singspiel mehr, ohne ein Instrumental-
vorspiel, das allerdings noch in den verschiedensten Formen auftritt.
Endlich war aber auch in bezug auf die Leistungen der Sanger und
SSngerinnen eine Wendung zum Besseren eingetreten, namentlich seit eine
Elisabeth Mara geb. Schmeling dem Hofe und dem Publikum gezeigt
hatte, dass der Deutsche keineswegs unfdhig sei, auch als Solosanger Be-
deutendes zu leisten.
Da gelangte in Wien im Jahre 1786 das Werk eines Meisters auf
die Buhne, der sich die im Vorhergehenden geschilderten Fortschritte auf
dem Gebiet der musikalisch-dramatischen Kunst zu eigen gemacht hatte
und der, indem er die Form des Singspiels durch Anwendung grosser
Ensembles und Finales zur Oper erweiterte, die deutsche komische
Oper schuf. Das Werk ffihrt den Titel: „Der Doktor und der Apo-
theker". Sein Schdpfer war Karl Ditters von Dittersdorf.
Karl Ditters, so lautete der burgerliche Name des Meisters, wurde am
2. November 1739 zu Wien geboren. Nachdem er als junger Violinvirtuose
die Welt durchstreift hatte, trat er in seinem 16. Lebensjahre in die Dienste
des Fursten Joseph von Hildburghausen, der ihm eine ausgezeichnete
wissenschaftliche und musikalische Bildung zuteil werden Hess und seine
Anstellung am Wiener Hofburgtheater bewirkte. Im Jahre 1761 begleitete
er Gluck auf seiner Reise nach Italien, die fur ihn die Veranlassung wurde,
Orchestersymphonieen fiber Ovids „Metamorphosen" zu schreiben, von denen
15 an der Zahl in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts erschienen und
die zum Teil anlasslich der Zentenarfeier des Todestages Dittersdorfs von
Joseph Liebeskind neu herausgegeben worden sind. Von Italien zuriick-
gekehrt, wurde Dittersdorf als Nachfolger Michael Haydns (1737 — 1806)
Kapellmeister des Bischofs von Grosswardein und trat 1769 in die Dienste
Digitized by
Google
428
DIE MUSIK 111. 24.
des Grafen Philipp Gotthard von Schaffgotsch, dessen Gunst er sich in
einem so hohen Grade zu erringen wusste, dass ihm dieser neben seiner
Stellung als Kapellmeister auch die eines furstlich Neisseschen — Forst-
meisters verlieh und ihn im Jahre 1773 sogar zum Amtshauptmann von
Freiwaldau ernannte. Auch verschaffte ihm sein Gonner den p&pstlichen
Orden vom goldnen Sporn und den Adel. Dittersdorf starb am 24. Ok-
tober 1799 auf dem seinem Freunde, dem Baron von Stillfried, gehdrigen
Gute Rothlhotta bei Neuhaus in Bdhmen.
Dittersdorfs dramatische Werke .Der Betrug durch Aberglaube",
.Die Liebe im Narrenhause* (1786), .Hieronymus Knicker" (1787), .Das
rote KSppchen" (1788), .Der Schiflfspatron" (1789), .Hokus Pokus* (1790),
.Der gefoppte Br&utigam" (1793), „Das Gespenst mit der Trommel" (1794),
„Gott Mars oder der eiserne Mann a , .Don Quixotte a , .Der Schah von
Schiras" (1795), .Die lustigen Weiber von Windsor", .Der sch6ne Herbst-
tag a , .Der Durchmarsch" (1796), .Der Ternengewinst", .Der Madchenmarkt",
.Der gedemutigte Stolz" (1797) lassen uberall die ursprungliche Schopfer-
kraft ihres Meisters erkennen, besonders in den Ensembles und Finales.
Trefflicta weiss er die einzelnen Personen zu charakterisieren. Seine
Melodieen atmen immer Leben, sei es, dass sie ubersprudelnde Heiterkeit
zum Ausdruck bringen, oder zart und innig zum Herzen sprechen
sollen, und was seine Instrumentation betrifft, die oft an die Mozarts er-
innert, so bleibt sie stets der dramatischen Tendenz des Gesanges unter-
geordnet, ohne aber dabei aller Eigentumlichkeiten zu entsagen oder auf
den Glanz jeden Effektes zu verzichten. Dazu kommt in den meisten
Fallen ein vortreffliches Textbuch. Die Dramen bewegen sich in der Sphare
des Volkslebens; die Personen in ihnen fiihlen, denken, handeln und
sprechen wie das Volk fuhlt, denkt, handelt und spricht, sie haben nichts
gemein mit den oft fratzenhaften Gestalten der italienischen Oper.
Alle diese Vorzuge der Muse Dittersdorfs finden sich vereinigt in
seinem Meisterwerk .Doktor und Apotheker", das vom ganzen deut-
schen Volke mit Beifall und Jubel begrusst wurde und von Buhne zu
Buhne flog. Es behauptete sich sowohl neben den Opern eines Gluck,
Mozart, Cimarosa u. a. als auch neben den Singspielen eines Hiller und
Wolf und wurde erst durch Mozarts .Zauberflote" ein wenig in den Schatten
gestellt.
Dittersdorf hat mit seinem .Doktor und Apotheker" nicht wenig
dazu beigetragen, die musikalische Alleinherrschaft der Italiener in unserem
Vaterlande zu brechen.
Digitized by
Google
1. „Borussia" von Spontini.
er kennt diesen vergessenen Hymnus? Zwanzig J ah re lang
1820 — 1840) wurde er regelmassig am 3. August, dem Geburts*
age Friedrich Wilhelms III., in den Schulen gesungen. Die
ffizielle Bedeutung der Melodie ist uns ganzlich entfallen. Als
ich 1886 in Paris war, geriet mir eine Samralung in die Hande, betitelt:
„ Chants nationaux du monde entier.* Auch Preussen ist darin ver-
treten, doch weder mit „Heil dir im Siegerkranz" noch mit Neithardts
„Ich bin ein Preusse, kennt ihr meine Farben?" sondern mit Spontini's
„Borussia". Dieser Gesang war das eigentliche preussische Nationallied —
Chant national prussien. Die Kollektion hat keine Jahreszahl; sie
enthalt aber das 1842 komponierte Lied „Schleswig-Holstein, meerum-
schlungen", woraus zu schliessen ist, dass ihr Erscheinen schwerlich friiher
als 1843 stattgefunden haben kann.
Spontini, geboren 14. November 1778 zu Majolati im Kirchenstaate,
kam 1803 nach Paris, um hier sein Gluck als Musiker zu suchen. Drei
Erstlings-Opern hatten wenig Erfolg; die vierte wurde schon besser a'uf-
genommen, doch gefiel erst seine funfte: „Die Vestalin" (1807). Das
Publikum war begeistert, Fachleute hatten ein entschiedenes Fiasko prophe-
zeit. (Koramt auch heute noch vor.) Das Werk erhielt den von Napoleon
ausgesetzten grossen Opernpreis. (Kaiserin Josephine protegierte den Kom-
ponisten mit edlem Eifer.) Zwei Jahre spater mehrte „Ferdinand Cortez"
seinen Ruhm. Die beiden erfolgreichen Opern wurden 1811 und 1814 auch
in Berlin gegeben und dort eben falls mit grosstem Beifall aufgenommen.
Friedrich Wilhelm III. hatte Spontini 1814 in Paris kennen gelernt. Der
Konig empfing einen sehr gunstigen Eindruck und wunschte den schopfe-
rischen Tondichter und ausgezeichneten Dirigenten fur Berlin zu gewinnen.
Es wurden Verhandlungen angeknupft, der Abschluss erfolgte im August
1819. Spontini beanspruchte den Titel General-Musik-Direktor und in bezug
auf seine Tatigkeit an der Oper eine Machtfulle, die zu Konflikten mit
dem Intendanten fuhren musste. Sein Gehalt betrug ungefahr 10000 Taler;
er war nur verpflichtet, seine Opern und Mozarts „Don Juan" zu dirigieren.
Spontini kam im Fruhjahr 1820 nach Berlin; am 28. Juni leitete er
Digitized by
Google
430
DIE MUSIK III. 24.
eine Auffuhrung seines „Cortez". Das Publikum begrusste ihn lebhaft
Zum Geburtstage des Konigs (3. August 1820) schrieb er den „Preussischen
Volksgesang", genannt Borussia. Der Komponist dirigierte selbst, ein
stark besetzter Chor sang einstimmig die Melodie mit Begleitung des
Orchesters. Ernst, stolz und energisch war Spontini, so mutet uns auch
sein Lied an:
$
^=E=F
p 1 1 1 1 g \ i ^ ^ m
E
i
Wo 1st das Volk, das kuhn von Tat,
der Ty-ran-nei den Kopf zer-
p
a'tr j J8 1 j
trat, der Ty - ran - nei den Kopf zer - trat?
Das sang man spater in den Volksschulen, naturlich ohne Triller,
die tibermSssig scbarf punktierten Rhythmen erheblich gemildert. Den
etwas gesuchten Text hatte der erste Kabinetts-SekretMr des Konigs ge-
dicbtet. 1 ) Die Verse waren gut gemeint, doch wegen ihres verbogenen
Sinnes schwer zu erfassen und zu behalten. Welche Muhe bereitete unsern
Lehrern z. B. die vierte Strophe !
Bescheid'nen Sinnes sieht ein Mann,
Mit Gott im Bunde glaubend an
Das Werk, das dir durch ihn geschah:
Dein K6nig ist's, Borussia.
In Schlesingers Verlag erschien diese „Borussia"; der erschopfend
umstMndliche Titel ist wert, dass man ihn der Vergessenheit entreisst:
„Preussisctaer Volksgesang, komponiert und gewidmet dem Preussischen
Volk vom Ritter Spontini, Ersten Kapellmeister und General-Musik-Direktor
Sr. MajestMt des Konigs von Preussen und dramatischen Komponisten
Sr. MajestMt des Konigs von Frankreich" usw. usw.
Die Kunstwelt Berlins hatte denGewaltigen mit Enthusiasmus empfangen,
der geniale E. T. A. Hoffmann begrusste ihn mit einem poetischen Will-
kommen. Doch gar bald musste Spontini die Wahrheit des Spruches er-
fahren :
Volkes Gunst
ein blauer Dunst;
Volkes Hass
ein schneidend Glas!
Der Offentlichkeit gegenuber war seine Stellung schon nach wenigen
Jahren hdchst prekir. Bereits im Mai 1821 — am 14. wurde Spontini's
2 ) Joseph Friedrich Leopold Dunckcr, f 1842 als geheimer Ober-Regierangsrat
in Berlin.
Digitized by
Google
431
TAPPERT: DIE PREUSSISCHEN NATIONAL-HYMNEN
„01ympia* zum ersten Male in Berlin aufgefuhrt — hielt es der President
des Zensur-Kollegiums fur notwendig, eine Order zu erlassen, nach der
in keinem Blatte die Musik des Herrn Spontini getadelt werden durfet
Weber teilte diesen Befehl am 27. Mai, funf Wochen vor der ersten Frei-
schutz-Auffuhrung, dem Dichter Friedrich Kind mit. Zu den Hauptgegnern
zahlte Ludwig Rellstab. Der Parteien Gunst und Hass erzeugte heftige
KSmpfe. Intendant und General-Direktor stritten um die Herrschaft in
der Koniglichen Oper; die Kammermusiker klagten fiber unm&ssig viele
und lange Orchesterproben. Der Konig bewahrte dem Angegriffenen seine
Gunst und Huld. So vergingen zwanzig Jahre.
Unermudlich arbeiteten die Gegner, es wurde gelogen, verleumdet,
geklatscht, Freunde des Skandals schurten eifrig, beeinflussten die offent-
liche Meinung durch anonyme Artikel, streuten auch das Gerucht aus,
Spontini's Gewalt und Herrlichkeit sei dahin, man habe ihn bereits vom
Amte dispensiert. Um wenigstens dieser Luge entgegen zu treten, ent-
schloss sich Spontini, wieder einmal Don Juan zu dirigieren. Freund und
Feind gerieten in heftigste Bewegung, man rfistete eifrig zum Kampf. Am
2. April 1841 war der Entscheidungstag. Mit Zischen wurde der Diligent
empfangen, unter LSrmen, Toben und Pfeifen ging die Ouvertfire voruber.
Spontini gab das Zeichen zum Anfang; der Vorhang hob sich aber nicht.
Immer grdsser wurde der Tumult. Als er in Tatlichkeiten auszuarten
drohte, verliess Spontini seinen Platz und das Theater.
So endete die Wirksamkeit des einst so gefeierten und einflussreichen
Mannes in Berlin. Doch auch Friedrich Wilhelm IV. blieb ihm gnMdig
gesinnt. Der Scheidende behielt seine Titel und seinen vollen Gehalt. In
einem Kabinettschreiben vom 8. Oktober 1841 heisst es: „Ihre neuen
Kompositionen werden Sr. Majestit sehr willkommen sein und versteht es
sich hierbei von selbst, dass Sie diese zu dirigieren berechtigt sind."
Am 23. August 1842 verliess Spontini Berlin; 1843 ernannte ihn
der Konig zum Ritter des neugestifteten Ordens pour le m6rite. Ge-
storben ist er am 14. Januar 1851 in seinem Geburtsorte.
Mit der preussischen National-Hymne Borussia war es nun in Preussen
fur immer vorbei. Ihr Glanz verblich, sie verschwand aus den Schul-
liederbuchern und allm&hlich auch aus dem Gedichnis der Lebenden. Ein
Ausgrabungs-Versuch wurde dreissig Jahre spiter zwar gemacht, er ist aber
nicht gegluckt. Am 18. Januar 1871 erstand aus dem norddeutschen Bunde
das „Deutsche Reich". Wer mag auf den Gedanken geraten sein, aus
Spontini's alter „Borussia" die neue Kaiser-Hymne „Germania" zu formen?
Etwa der Verleger, der eine neue Ausgabe mit dem fruheren Titel veranstaltete?
Die Widmung an das preussische Volk wurde erneuert, dagegen der „drama-
tische Komponist Sr. MajestMt des Konigs von Frankreich" weggelassen.
Digitized by
Google
432
DIE MUS1K 111. 24.
Von den ffinf Strophen des Spontinischen Liedes schliesst jede mit
dem Worte „Borussia". Zwei neue kamen hinzu, an das „Volk Germania"
gerichtet. Eine Aufffihrung patriotischer Musikstficke im Kdniglichen Opern-
hause (August 1871) bot Gelegeoheit, die neue Hymne dem Publikum
vorzufuhren. Der beliebte Heldentenor Woworski unterzog sich dieser
Aufgabe mit bestem Gelingen. Ein Blatt berichtete: „Spontini's kostlicher
Sieges- und Festmarsch, und seine unsterbliche Borussia verdienen
Erwahnung, in welcher Herr Woworski bei der Stelle: ,Es ist dein Volk,
Germania' mit zundendem Vortrage das ganze Auditorium zu enthusias-
mieren wusste." Eine nachhaltige Wirkung hat dieser Augenblicks-Erfolg
nicht gehabt.
2. Heil dir im Siegerkranz.
In einem Konversations-Lexikon aus den dreissiger Jahren des vorigen
Jahrhunderts las ich fiber God save the King: Weder Dichter noch
Komponist sind bekannt. Nach einigen verfasste Henry Carey das Ge-
dicht, Dr. Harrington in Bath schrieb eine Melodie dazu, Hindels Schreiber
Clamer Smith verbesserte dieselbe, andere geben den Londoner Organisten
Anton Young an. Urspninglich soil das Lied fur Jakobs II. katholische
Kapelle bestimmt gewesen sein; bei der Landung des jungen Stuart habe
man es zum ersten Male veroffentlicht, durch Dr. Arne wire es auf die
Bfihne und dadurch ins Volk gebracht worden.
Genug der Fabeleien! Der einzig richtige Name Carey befindet sich
zwar darin, aber es hat sehr lange gedauert, bis seinem Trager die ver-
diente Anerkennung zuteil wurde. Noch heute kann man's erleben, dass
auf die Frage: Von wem rfihrt God save the King her? folgende Namen
genannt werden: John Bull, Lully, Handel, Purcell, Young, Carey aber
nicht I Dem Schopfer der Marseillaise, Rouget de l'lsle, ist es bekanntlich
ebenso ergangen.
In bezug auf die engliche Melodie liegt eine Entschuldigung fur die
zahlreichen Verwechslungen in dem prfignanten rhythmischen Motiv
J J J J- J
h
• i
das in Carey's kleinem Stiicke nicht weniger als viermal vorkommt
und fruher zu den beliebtesten Bausteinen fur Melodiebildner gehdrte. In
zahlreichen Liedern und Tanzen der Lautenisten und Klavieristen triflft
man die Phrase. In Glucks Orpheus, und zwar im Furien-Chor „Wer ist
der Sterbliche?" klingt sie ehern, unerbittlich, ganz anders in dem Volks-
liede „Wenn ich ein Voglein war'". Dieses Liedchen ist in seiner Struktur
Digitized by
Google
433
TAPPERT: DIE PREUSSISCHEN NATIONAL-HYMNEN
eine getreue Nachbildung der Careyschen Weise. Handelt es sich urn
solche Ahnlichkeiten, dann sind oberflachliche Hdrer schnell fertig mit dem
Wort: Ach, das hab' ich ja da und dort schon gehort! Das ist von dem
und dem. So kann der beste, ehrlichste Alitor in den Verdacht geraten,
mit fremden Federn sich geschmuckt zu haben.
Vor zehn Jahren tauchte jemand auf, der auf Familientradition ge-
stiitzt den Nachweis fiitaren wollte, die Melodie von „Heil dir im Sieger-
kranz! <( entstamme einem — naturlich uralten — schlesischen Wallfahrts-
liede, das in den schlesischen Badern Reinerz und Cudowa auch als
„Quellenhymne" diene:
Heil dir, o KSnigin,
Des Brunnens Huterin,
Heil dir, Marie!
In dem wunderlichen Aufsatze stand noch die Bemerkung: „6ffentlich
soil die Nationalhymne mit der schlesischen (!) Melodie zum ersten
Male am 3. Sept. 1813 in Teplitz von preussischen Kriegern vor dem
Konige Friedrich Wilhelm III. gesungen worden sein."
Da ich keine Mirchen erzihlen will, mag es genug sein mit diesen
Proben fahrlissiger Geschichtsmacherei. Der Musikgelehrte Dr. Friedrich
Chry sander hat das Verdienst, die Wahrheit an den Tag gebracht zu
haben. In dem ersten Bande der von ihm herausgegebenen 9 Jahrbucher
fur musikalische Wissenschaft" (1863) beschMftigt er sich eingehend mit
Henry Carey und dem Ursprung des Konigsgesanges „God save the
King". Die Beweisfuhrung muss exakt, erschopfend, iiberzeugend genannt
werden.
Das Lied ist als Hymnus fur einen ins Feld ziehenden Kdnig auf-
zufassen, aus dem Texte geht das deutlich hervor. Im April 1743 zog
Georg II. ins Feld, er besiegte die Franzosen in der Schlacht bei Dettingen
am 27. Juni 1743. Anfangs hatte der Text nur zwei Strophen; eine dritte
kam 1745, eine vierte 1746 hinzu. Im Friihjahr 1743 wird das Lied ent-
standen sein. Gedruckt wurde es in einer Sammlung: ^Thesaurus
Musicus", herausgegeben von John Simpson in London, 1744. Chrysander
ermittelte scharfsinnig, dass diese Kollektion zwei- und mehrstimmiger
GesMnge zwischen 3. bis 17. Mai erschienen sein musse, also sieben
Monate nach Carey's Tode. Der Herausgeber scheint vom Autor des Liedes
keine Ahnung gehabt zu haben; er nahm es auf, weil es ihm gefiel! Die
ilteste Form der Melodie im ^Thesaurus Musicus", fuge ich hier bei:
m
j j j l j. f J-Fr=rT l i-JL^rr~rr^
God save our Lord the King, Long live our no - ble King, God save the King.
III. 24. 28
Digitized by
Google
434
DIE MUSIK HI. 24.
e#
Send him Vic - to - ri - ous, hap - py and Glo - rt - ous, Long to reign
mm
7TX1
ver us, God save the King.
Henry Carey, geboren um 1695, trat 1713 als jugendlicher Poet auf,
1720 auch als Tonsetzer in die Offentlichkeit; er war mittlerweile „Musik-
lehrer" geworden. Eins seiner Lieder erlangte weiteste Verbreitung:
„Sally in our Alley." Der Dichterkomponist arbeitete gelegentlich fur
das Theater, schrieb Musik zu Liederspielen, hatte auch gern eine Oper
zustande gebracht; doch reichte sein Talent nicht aus. Zwolf Kantaten im
italienischen Stile erschienen 1732. (Chrysander teilt im Jahrbuche von
1863 zahlreiche Proben daraus mit.)
Auf einen grunen Zweig hat es Carey niemals gebracht; als er am
4. Oktober 1743 plotzlich starb, blieben Frau und Kinder in Not zuruck,
gute Freunde mussten fur ein anstandiges Begrfibnis sorgen. Spitere Be-
richte deuten auf Selbstmord hin; es erscheint wohl glaublich, dass der
arme Musiklehrer in einem Anfalle von Schwermut und Verzweiflung seinem
jammerlichen Dasein ein Ende gemacht hat. Die Leute sagten, es war
ein drolliger Komponist und kummerten sich nicht weiter um ihn. Aus
dem geringfugigen Nachlasse wurden etliche Kleinigkeiten verofTentlicht,
vielleicht zum Besten der Familie, das ubrige erschien nicht lohnend, und
doch — bemerkt Chrysander — befand sich darin die Krone seiner Hervor-
bringungen, das Fundament seines Ruhmes, der Gesang „God save the King".
Ich habe der allmfihlichen Verbreitung dieser einfachen Melodie nach-
gespurt und sie zunfichst in dem handschriftlichen Tabulaturbuche eines
bayerischen Lautenisten gefunden, der sie mit wenig Geschick um
1760 fur sein Instrument arrangierte. (Manuskript im Germanischen
Museum zu Nurnberg.) Der n&chste Fundort ist ein Band holUndischer
Freimaurerlieder, gedruckt in Haag 1766. Johann David Scheidler gab
1779 Variationen fiber das englische Volkslied heraus. Im Mai 1791 Hess
der ausgezeichnete Musikgelehrte Prof. Forkel in Gottingen 24 Ver-
Snderungen furs Clavichord oder Fortepiano drucken. Im Vorbericht
heisst es: „Die Abreise der beyden Koniglichen Prinzen von England
Ernst August und Adolph Friedrich von der hiesigen Universitfit hat die
folgenden Ver&nderungen veranlasst. u Ein vierstrophiges Gedicht wurde
als Abschiedsgesang zu Ehren der Prinzen angestimmt:
Heil, teures Furstenpaar!
Aus Herzen, treu und wabr,
Setd uns gegrusst!
Digitized by
Google
435
TAPPERT: DIE PREUSSISCHEN NATIONAL-HYMN EN
Sieben Variationen iiber das Them a: „God save the King" liess
Beethoven im Jahre 1804 drucken.
Schon am Anfange des Jahres 1790 dichtete Heinrich Harries ein
„Lied fur den d&nischen Unterthan, an seines Kdnigs Geburtstag zu singen".
Abgedruckt wurde es — zwei Tage vor des Kdnigs Geburtstag — am
27. Januar 1790 im Flensburger Wochenblatt mit der Angabe: „in der
Melodie des englischen Volksliedes ,God save great George the King'."
Harries, geboren in Flensburg 1762, gestorben 1802 als Prediger zu Brugge
bei Kiel, 1790 noch Kandidat der Theologie in seiner Vaterstadt, ist durch
die zweite Strophe des Liedes in den Verdacht gekommen, heimlich ein
Anhfinger der franzosischen Revolution gewesen zu sein:
Nicbt Ross, nicht Reisige
Sichern die steile H5h',
Wo Furstcn stebn.
Indes kein franzosischer Revolution^ hat den Flensburger Theologen
beeinflusst, sondern der konigliche Sanger David. Psalm 13, Vers 16 und
17 steht: „Einem Konige hilft nicht seine grosse Macht, ein Riese wird
nicht errettet durch seine grosse Kraft, Rosse helfen auch nicht, und
ihre grosse Starke errettet nicht."
Die acht ursprunglichen Strophen auf funf reduziert und auch sonst
mit entsprechenden Anderungen erscheint der Text als Berliner Volks-
gesang am 17. Dezember 1793 in der Spenerschen Zeitung. Der ungenannte,
nur durch Sr. angedeutete Verfasser war ein Dr. jur. Balthasar Schumacher
in Lubeck. (Sr. = Sutor, d. h. Schumacher.) Er versuchte anfangs, sein
Poem als freie Ubersetzung des englischen Originals einzuschmuggeln;
das Plagiat wurde jedoch bald erkannt. Schumacher dichtete 1801 das
Lied urn und gab ihm die jetzige Form.
Bernhard Wessely, Musikdirektor in Berlin, liess 1795 „, God save
the King 4 mit neuem deutschen Texte und Variationen fur Klavier"
drucken. Er schrieb auch die Musik zu Rambachs vaterl&ndischem Schau-
spiel: „Der Grosse Kurffirst vor Rathenow"; erste Aufftihrung am 25. Sep-
tember 1795. In der Zwischenaktmusik fand die heutige Nationalhymne
Verwendung. Am 7. Oktober gab man das patriotische Stuck in Potsdam.
Nach einem Bericht der Vossischen Zeitung (10. Oktober) wurde der Konig
beim Eintritt mit „Heil dir im Siegerkranz!" begrusst. Alle Zuschauer
„sangen empfindungsvoll mit". Das ist die erste sichere Spur einer
dffentlichen Anerkennung des neuen Volksgesanges, wie Dr. Thouret im
musikalischen Katalog der konigl. Hausbibliothek richtig bemerkt.
Es ist zu verwundern, dass die Melodie des .God save the King"
nicht Universal-Hymne samtlicher Nationen geworden ist. Schon 1782
28*
Digitized by
Google
=\
436
DIE MUSIK III. 24.
versuchte August Niemann (1761—1832) einen osterreichischen Volks-
gesang daraus zu machen. Er huldigte Joseph II. (f 1791) nach dem be-
liebten und bewahrten englischen Muster:
Heil, Kaiser Joseph, Heil!
Dir, Deutscblands Vater, Heil!
Dem Kaiser Heil!
Im Januar 1797 komponierte aber Joseph Haydn die osterreichische
National-Hymne „Gott erhalte Franz den Kaiser!" Damit schwand jede
Aussicht, dass eine andere popular werden konne. August Mahlmann dich-
tete 1815: „Gott segne Sachsenland!" Carl Maria von Webers ,Jubel-
Ouverture zur Feyer des 50jahrigen Regierungs-Antritts Sr. Majestfit des
Kdnigs von Sachsen den 20. September 1818" gipfelt in der Melodie des
„God save the King".
Das amusanteste Schema „fur alle FSlle" gibt Rudolph Zacharias
Becker im Mildheimischen Liederbuch (neue Ausgabe, 1822) unter No. 729
„Fiir Regenten und Obrigkeiten":
Heil unserm Fursten (Kaiser, Kdnig, Herzog), Heil!
Dem edlen (Name des Regenten) Heil!
Dem Ffirsten Heil!
Fur das kleinste aller deutschen Fiirstentumer sorgte ein Geistlicher
urn 1850:
Oberst am jungen Rhein
Lebnet sich Lichtenstein
An Alpenhdh'n.
Dies Hebe Heimatland
Im deutschen Vaterland
Hat Gottes weise Hand
Fur una ersehn.
Mit einem Kuriosum will ich das Kapitel: „Heil dir im Siegerkranz!"
schliessen. Im Spatherbst des Jahres 1887 versammelte sich die kleine
Gemeinde, welche der Weltsprache, Volapuk genannt — Pfarrer Schleyer
hatte sie 1879 konstruiert — zur Anerkennung verhelfen wollte. Es gab
damals erst 22 Apostel fur diese neue Lehre in Berlin. Sie hofften das
Beste von der Zukunft und sangen frohen Mutes in ihrer Sprache „Heil
dir im Siegerkranz !" Die Wiedergabe der ersten Strophe genugt hier:
Sanis in vikoda
Festun, o s51 Una!
O reg, ole!
SenolSd in tlona
Nid legaii lada;
Rin5n 15ffib neta!
San, reg, ole!
Digitized by
Google
437
TAPPERT: DIE PREUSSISCHEN NATIONAL-HYMNEN
3. „Ich bin ein Preusse, kennt ihr meine Farben?"
Die Halberstadter Harmoniegesellschaft feierte am 3. August 1831
den Geburtstag Friedrich Wilhelms III. Der Gymnasial-Oberlehrer Dr. Bern-
hard Thiersch hatte ein fiinfstrophiges Gedicht verfasst, „Preussens
Vaterland" betitelt, die spMtere National-Hymne : „Ich bin ein Preusse,
kennt ihr meine Farben?" Thiersch wurde 1794 in Kirchscheidungen ge-
boren, wirkte als Oberlehrer in Gumbinnen, Lyck, Halberstadt, zuletzt als
Direktor in Dortmund; gestorben ist er 1855 in Bonn. Versmass und
Tonweise entnahm Thiersch dem noch heute bekannten Burschenschafts-
liede: „Wo Mut und Kraft in deutscher Seele flammen." Mit diesem Ge-
sange hatte Karl Hinkel im Juli 1815 den heimkehrenden Konig von
Sachsen begrusst. Die Leipziger Studentenschaft zog nach Dresden, auch
das Korps Saxonia, dessen Senior Hinkel war. Zur Melodie wMhlte man
eine franzosische Romanze „Der Troubadour" von Souvent: „Brulant
d'amour et partant pour la guerre". Mit dieser Melodie ist das
Preussenlied zuerst in Halberstadt gesungen worden.
Uber die weitere Verbreitung liegen Mitteilungen vor, deren Richtig-
keit schwer zu kontrollieren ist. Rudolph Lange erzdhlt, der vortreffliche
Berliner OpernsMnger Zschiesche habe das Lied 1832 nach einer Melodie
von Julius Schneider zur Geburtstagsfeier eines Ministers gesungen. Das
wird nicht richtig sein. Ich besitze diese Komposition, obgleich sie nie
gedruckt worden ist. Das Autograph, datiert 15. August 1832, liefert den
Beweis, dass Zschiesche unmoglich Schneiders Melodie gesungen haben
kann. Sie ist fur hohen Tenor geschrieben, drei tiefere M&nnerstimmen
treten recht bescheiden zuruck:
Marschartig. (Tenor-Solo.) Julius Schneider, 1832.
I*
I
E^ S=^g^
=?=F
=**
Ich bin ein Preus-se, kennt ihr met - ne Far -ben? Die Fab - ne
Efte
^
sEzfea
schwebt mir weiss und schwarz vor - an.
Zschiesche war ein seltener Bass-Bariton, der
und auch Lort zings Zaren im Repertoire hatte.
eine Komposition von Wilhelm Greulich (geb.
die 1833 fur Gesang und Klavier bei Bechtold
selben Jahre auch als Mannerchor erschien. 1 )
klingt kraftig und frisch:
den Mozartschen Sarastro
Mdglich, dass es sich um
1796, gest. 1837) handelt,
& Hartje (Berlin) und im
Die Greulichsche Melodie
') „Lieder fur Preussens Heer. Drei- und vierstimmig ffir die Sftnger-Ch6re der
Regimenter herausgegeben von einem Landwehr-Offlzier. 4 * Quedltnburg u. Leipzig 1833.
Digitized by
Google
438
DIE MUSIK III. 24.
JT^J 3F=& E ^=£=B=f= £= f
¥=¥
^^
i
Ich bin ein Preusse, kennt ihr mei - ne Far -ben? Die Fan - ne
schwebt mir weiss und schwarz vor - an.
Zschiesche veranlasste den damaligen Stabs-Hoboisten im Kaiser
Franz-Regiment, August Neithardt, zur Komposition des Preussenliedes;
der Musiker schrieb dem beliebten Sanger eine dankbare Nummer, die am
19. November 1834 zur Feier der Einfuhrung der St&dte-Ordnung zum
ersten Male offentlich erklang. Im Jahre 1835 sang Zschiesche das Lied
(zum ersten Male) vor dem Konig im Theater zu Potsdam. 1 )
Ich besitze die filteste Fassung des Liedes; derTitel lautet: „Preussens
Vaterland. Volksgesang fur eine Bassstimme mit Chor (Brummstimmen !)
in Musik gesetzt von August Neithardt. a Der Solobass ist moglichst gut
bedacht, die Bezeichnung „Volksgesang" nicht eben zutreffend:
Maestoso.
Basso Solo.
^ r g fc=±
£
^
n g I g
*
Ich bin ein Preus-se, kennt ihr met - ne Far -ben? Die Fan - ne
^&-
^
scbwebt mir weiss und schwarz vor - an.
Gleichzeitig erschien das Lied einstimmig mit Klavierbegleitung. Neit-
hardt fiigte zur ersten Ausgabe eine „Coda ad libitum". Dieses hochst
entbehrliche Anhangsel fur Solo und Chor (nicht Brummstimmen) war
mir bis vor kurzem ganz fremd. Es hat folgenden Text: „Alt-Preussen-
land !" (Vom Chor wiederholt.) „Mein Vaterland !" (Der Chor wiederholt
die beiden Worte.) Der Solist intoniert: „Es lebe hoch, hurra, hurra!"
Alle schliessen mit voller Kraft: „Es lebe hoch, hurra, hurra, hurra!"
Es dauerte ziemlich lange, ehe das Neithardtsche Lied zur Anerkennung
gelangte. In ihrer Originalgestalt ist die Melodie nicht sehr verlockend
fur das Volk, namentlich der zweite Teil, dem noch heute die ur-
spriingliche Absicht, einem Kunstsanger etwas Dankbares zu liefern, an
mehreren Stellen anhaftet. Harmonisierung und Klavierbegleitung genugen
*) August Neithardt, geb. 1703 in Schleiz, gest. 1861 in Berlin; 1822 Stabs-H oboist,
1839 mit GrQndung eines Domchors beauftragt. Der Vorsteher dieses Chore, Major
Ein beck, starb 1845 und Neithardt wurdc nun ereter Diligent Als solcher hat sich
der ehemalige Militir-Kapellmeister trefflich bewihrt.
Digitized by
Google
439
TAPPERT: DIE PREUSSISCHEN NAT10NAL-HYMNEN
nur ganz bescheidenen Anspriichen. Einzig der Biedermeier-Rhythmus
am Anfange
JT3 | J- _/* JTT3 | J J ,
heimelte die grosse Masse der Natursanger an. Dieses rhythmische Element
war bis zum Jahre 1848 entschieden popular. Das elfsilbige Metrum, von
Poeten und Musikanten ehemals bevorzugt, wenn es gait, beh&bige Gemut-
lichkeit (mit einem Stich ins Sentimentale) auszudrucken, wird heute kaum
noch ernsthaft gebraucht. Einige Liedanfange genugen, urn in aiteren
Lesern Jugenderinnerungen zu erwecken:
Vcrgiss mein nicht, du Teure, die ich meine —
Ich denk* an euch, ihr himmlisch scb5nen Tage —
Ich liebe dicb, sprach oft mein trftnend Auge —
Leb f wohl, du teures Land, das mich geboren —
Das letztgenannte Lied, „Bertrands Abschied von Frankreich", kom-
ponierte Friedrich Gluck urn 1820. Hierher gehort auch das Studentenlied:
Vom boh'n Olymp herab ward una die Freude —
Wer kannte in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts nicht Oginsky's
sogen. „Sterbe- Polonaise" (komponiert 1793), unter deren melancholische
Weise man den hypersentimentalen Text: „Zum Lebewohl nimm meines
Herzens Klagen" gezwangt hatte? Das empfindsame Lied wurde dann
von mehreren noch extra in Musik gesetzt und grassierte Jahrzehnte lang
als „Lebewohl von Oginsky"; ein Labsal fur weichgeschaffene Seelen.
Eine Biedermeierei in Holteis Singspiel „Der alte Feldherr" ist
vielleicht heute noch nicht vergessen: „Denkst du daran, mein tapfrer
Lagienka". Es war das textlich eine genaue Nachdichtung des franzosischen
volkstumlichen Liedes von Debraux (1815): „Te souviens-tu, disait un
capitaine?" Die Melodie lieferte der altere Doche (f 1825).
Es wfire keine leichte Aufgabe, den Jetztlebenden uberzeugend zu
schildern, welche Verbreitung einst das Erstlingswerk Wilhelm Heisers
fand: „Zerdruck' die TrMne nicht in deinem Auge". Diese „Tritae" erschien
1845; in den ruhrenden Versen suchten und fanden unglucklich Liebende
Trost. Vierzig Jahre spater erinnerte sich Viktor Nessler der Melodie,
als er im „Trom peter von Sfickingen" das an seiner Stelle hdchst wirk-
same Abschiedslied fur Werner Kirchhofer niederschrieb:
Das ist im Leben hftsslich eingerichtet —
Man konnte diesen Gesang auch Biedermeiers Abschied nennen,
ohne seiner Wirkung und dem Komponisten zu nahe zu treten.
Spontini's einst offizielle „Borussia u verschwand nach der Niederlage
des Komponisten und nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. Nur langsam
Digitized by
Google
440
DIE MUSIK III. 24.
burgerte sicta Neithardts Preussenlied ein. Zu gunstiger Stunde trat
Meyerbeer mit einer neuen Komposition auf. So ganz neu war sie frei-
Iich nicht. Die kraft- und schwungvolle Melodie entstammte der Oper
„I1 Crociato in Egitto", die zuerst 1824 in Venedig, am 15. Oktober
1832 im Berliner Konigstadtischen Theater aufgefuhrt und dann auch mit
deutscber Obersetzung des Textes gedruckt wurde. Aus dem „Chor der
Verschworenen" (zweiter Akt) formte der Meister seine Melodie zum
Preussenliede. Ging die Anregung etwa vom Verleger Schlesinger aus?
Oder hatte Meyerbeer den Ehrgeiz, eine preussische Nationalhymne zu
schreiben? Ich weiss nichts Genaues. Schlecht ist sein Lied nicht, wie
schon aus dem Anfange zu ersehen ist:
*
^
^
m
m
i
fc
Ich bin eio Preus-se, kennt ihr mci - ne Far -ben? Die Fan - ne
Ijn
$
schwebt mir weiss und schwarz vor - an.
Meyerbeers patriotischer Hymnus erschien 1841 in Berlin bei Schlesinger.
Er ist dort noch zu haben, wenn auch im ubrigen langst vergessen.
Nachdem der einst so machtige General-Direktor Spontini dem Volks-
hasse zum Opfer gefallen war, konnte seine „Borussia" nicht weiter als
preussische Nationalhymne gelten. Fortan kamen nur noch in Betracht:
„Heil dir im Siegerkranz" und „Ich bin ein Preusse". Go Ides Marsch
(No. 119 der Geschwindmarsche fur Infanterie) enthalt beide Melodieen.
Er wirkte gleich einer dienstlichen Meldung, wie eine amtliche Bekannt-
machung. Das Volk horte und begriff, es vergass Spontini und gewohnte
sich an Neithardt. Etliche Anderungen nahm es an dessen Melodie freilich
vor. Komponieren kann das Volk nicht, aber es kombiniert und korrigiert.
Was zu lang ist, das kiirzt es, was ihm uneben diinkt, wird geglattet, was
entbehrlich scheint, bleibt weg. Der „Marsch iiber Nationalmelodieen von
J. Golde" durfte seit 1842 preussischer Armeemarsch sein. Wie schon
bemerkt, trfigt er die No. 119. Der Vorganger (No. 118) ist ein Marsch
fiber Melodieen aus den „Hugenotten". Diese Meyerbeersche Oper gelangte
in Berlin am 20. Mai 1842 erstmals zur Auffiihrung.
;sr«i»v>
\
Digitized by
Google
-as geheimnisvolle Annam ist bis jetzt, vom Standpunkt des
lusikers aus betrachtet, noch wenig erforscht. Diese Ver-
achlassigung durfte nicht zuletzt auf Rechnung seiner vom
Peltverkehr ziemlich entfernten geographischen Lage zu setzen
sein. Man muss ferner berucksichtigen, dass erst seit wenigen Jahren
wirklicher Frieden dort herrscht, und die franzosische Verwaltung erst in
jungster Zeit daran denken konnte, Ethnographen, Philologen und andere
Forscher in diese Gegenden zu senden.
Es kann nicht meine Absicht sein, dem Leser eine Geschichte der
Musik dieses Landes zu bieten, ja nicht einmal einen Abriss derselben.
Es handelt sich nur um die Veroffentlichung eines der interessantesten
Teile meiner Studien, um einige an Ort und Stelle aufgeschriebene anna-
mitische Melodieen. Hierbei ist zu bemerken, dass eine eigentlich anna-
mitische Melodie nicht existiert. Obschon der Annamite viel musikalischer
beanlagt ist als der Chinese, hat er diesen doch in allem, was mit Ton-
kunst zusammenhfingt, nachgeahmt. Autochthone Weisen findet man kaum,
denn ein 2— 3taktiges Motiv kann man noch keine Melodie nennen. Teils
haben die Chinesen den Annamiten ihre Tonleiter aufgedrungen, teils ist
sie durch in Sudchina eingewanderte tonkinesische Stfimme derart im Land
verbreitet worden, dass man vergeblich eine rein annamitische Tonleiter
sucht. Ein einziges Mai wfihrend meines jahrelangen Aufenthalts kam mir
ein Lied zu Ohren, das die Quarte und Septime enthielt, ausgefuhrt von
einem Flotensolisten des Kaisers von Annam. Es handelte sich dabei mehr
um eine Art Rezitativ, das der Leser weiter unten finden wird.
Die klassischen Tonleitern Annams sind mit den zwei indischen Ton-
leitern Vtlavali und Carnati identisch.
V61avali
$-^T7=T=?= ^
Carnati
=t=t
Fur die annamitische Stimmung ist das f der V61avali-Tonleiter die
Tonika, wfihrend das g der Carnati-Leiter die Dominante ist. Die anna-
Digitized by
Google
442
DIE MUSIK III. 24.
mitischen Musiker erhalten auf diese Art immer dieselben Intervalle: Grand-
ton, Sekunde, Terz, Dominante und Sexte. Hatte der eingeborene Ton-
kunstler bei Anwendung dieser beiden Skalen jedesmal die erste Note als
Tonika betrachtet, so hatte er bei der Carnati-Tonleiter die Quarte wahr-
nehmen mussen. Hatte er hingegen die Tonika der Carnati-Tonleiter als
Sekunde aufgefasst, so wurde er zur Entdeckung der Septime gelangt sein
und hatte eine vollstandige diatonische Tonleiter kombinieren konnen.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass annamitische Musiker dies zwar beob-
achtet, aber aus Furcht vor Strafe fur jede Zuwiderhandlung gegen den
Ritus vom praktischen Gebrauch dieses vollstfindigen Tonsystems abgesehen
haben.
Man wird unschwer einsehen, dass sich mit einer solch unvoll-
kommenen Tonleiter nicht allzu viel anfangen lasst, noch dazu, wo Chinesen
und Annamiten vom Bestehen der Harmonie keine Ahnung haben. Ihre
musikalische Produktion leidet demzufolge notgedrungen unter einer Mono-
tonie, die fur europMische Ohren eine starke Zumutung bedeutet. Erklfir-
lich wird dieses naive Kunstverfahren einigermassen durch den Umstand,
dass die Musik friiher lediglich rituellen Zwecken diente. Der buddhistische
Glauben huldigt der Zahl 5; demzufolge mussten 5 Tone genugen, die
Gotter musikalisch zu verehren. Wie konnten gewohnliche Sterbliche
mehr Tone beanspruchen, um dem Gefuhl des Schmerzes oder der Freude
Ausdruck zu verleihen, wenn die Gottheit mit der Zahl 5 zufrieden war?
Auch bei uns haben alle kirchlichen Kunstwerke ein mehr oder weniger
archaistisches Geprage. In umso hdherem Masse muss das bei einer so
grundkonservativen Bevolkerung, wie der asiatischen, der Fall sein. Was
vor Tausenden von Jahren geschaffen wurde, gilt als heilig und unantastbar
und besteht noch heute in derselben Form und Gestaltung. Eine Moderni-
sierung der asiatischen Tonkunst ist also gMnzlich ausgeschlossen. Unsere
Tonwerke erzeugen bei den Asiaten dasselbe Ssthetische Unbehagen, das
wir ihren Erzeugnissen gegenuber empfinden. Ich habe mehrfach Gelegen-
heit gehabt, in verschiedenen Kathedralen der Kolonie Messen von katho-
lischen Annamiten anzuhdren. Es war kein Gesang, sondern ein entsetz-
liches, unklares Gestammel und Gemurmel, das man nur mit mitleidigem
Lacheln anhoren konnte.
Wie bereits erwMhnt, sind die meisten annamitischen Lieder aus China
eingefuhrt worden. Wir mussen unseren Notenbeispielen noch eine Be-
merkung vorangehen lassen.
Es wire ein Irrtum, zu glauben, dass die Annamiten irgendwelchen
Text auf die von ihnen adoptierten Melodieen singen, wie das bei den
meisten zivilisierten Volkern doch der Fall ist. Sie begnugen sich, ihre
Gesfinge zu solfeggieren. Das Tonsystem ist folgender Art beschaffen:
Digitized by
Google
443
KNOSP: ANNAMITISCHE MELOD1EEN
i
3E
=t
sang xe cong luc ngu
Kommt z. B. in einem Liede folgende Stelle vor:
jrrnafl^
so singen die Annamiten luc ngu luc cong xe, wie bei uns die solfeggierenden
Kinder C, D, C, A, G singen wurden. Vom musikalischen Standpunkt aus
scheint uns diese Gesangsart noch barbarisch; da sich diese Art und Weise
jedoch jahrtausendelang erhalten hat, wird man begreifen, dass eine Anderung
ganz unmdglich ist.
Diesen Volkern dunkt ihre Tonkunst prfichtig und sie sind der
Meinung, die Vollkommenheit auf diesem Gebiet erlangt zu haben. Warum
sollten wir uns anmassen, ihnen unsere Tonwerke, unsere Art, unsere
Asthetik aufzudritagen? Auch wir werden niemals von ihrer Tonkunst
etwas annehmen und niemals daran denken, von ihren Kunstprinzipien
Gebrauch zu machen. Der Geschmack ist nun einmal verschieden: der
asiatische J tingling schwelgt im Vollgenusse beim Anhoren des „kleinen,
blauen Vogels" wie wir z. B. beim Anhoren des „Karfreitagszaubers". Nun
sollte man uns das chinesische Lied auftischen und den Sohn des himm-
lischen Reiches in die Schonheiten des erwahnten Musikstuckes einweihen
wollen!
Was die Taktarten anbetrifft, so ist durchgangig der Zweiviertel-
und Viervierteltakt gebrfiuchlich. Der Dreiviertel- oder Dreiachteltakt kommt
beinahe nie zur Anwendung; nur in wenigen Beispielen der annamitischen
Muse sind wir auf diese Taktarten gestossen. Der Grund hierzu durfte
wohl der Umstand sein, dass der Annamite immer den Takt zu seinen
Gesangen schlfigt. Nun ist es einem musikalisch wenig Gebildeten leichter,
den Zweiviertel- als den Dreivierteltakt zu schlagen. In der ersten
Taktart folgen sich Thesis und Arsis in regelmassiger Aufeinanderfolge,
wahrend der Dreivierteltakt zwei leichte Taktteile hat, die den ungeubten
Taktschlfiger leicht aus dem Sattel bringen konnen.
Das ist nur eine Vermutung; ob sie wirklich auch der Grund der
Vorliebe fur den Zweivierteltakt bei den Annamiten ist, kann man mit
Sicherheit nicht behaupten. Da, wo sich Traditionen aus grauer Vorzeit
erhalten, ist es schwer, sie ohne sicheres Tatsachenmaterial zu erklSren.
Fugen wir noch bei, dass das gebrSuchlichste Zeitmass etwa folgen-
des ist: J = 88; doch findet man auch hier und da Zeitmasse wie: J= 138
und J = 69.
Digitized by
Google
<^a
444
DIE MUSIK III. 24.
^
s^>
Auch was die musikalische Form anbelangt, bestehen keine Vor-
schriften; doch findet man in vielen Liedern und Weisen die achttaktige
Periode.
Urn Trugschluss und Ganzschluss sieht es ebenfalls schlimm aus.
Der Trugschluss wird oft auf der Tonika gebildet und der Ganzschluss
ruht auf der Septe oder auf der Sekunde, was der ganzen Komposition
einen kindHch-naiven Stempel aufprigt.
Besonders was den geistigen Inhalt dieser Tonwerke betrifft, kann
man Drolliges konstatieren.
So haben z. B. verschiedene Lieder den Titel „Der Tiger". Der
Charakter dieser Stucke hat nichts mit dem des Tigers gemein, sie
suchen weder dieses Tieres Starke, noch seine RSnkesucht und Falschheit
musikalisch zu illustrieren. Dieses oder jenes Tonstuck heisst eben
„Der Tiger 4 ', damit man es von einem anderen unterscheiden kann.
Gewisse Trauerlieder klingen frohlich und sind mit Trillern uberaus
reichlich bedacht. So steht es um die ganze Tonkunst bei diesem sonder-
baren Volke: das Incohfirente in seiner vollsten Btute.
Es gibt einige wenige Ausnahmen; doch ist es nicht angSngig, das
Schaffen eines einzelnen als massgebendes Beispiel fur die Wesensart
einer ganzen Nation zu betrachten.
Der Fldtenspieler, der Quarten und Septimen blast, wird es nie dazu
bringen, diesen zwei Intervallen Heimatsrecht in der Skala seiner Landsleute
zu verschaffen. Darum konnen wir die ausnahmsweise etwas gelungeneren
Lieder durchaus nicht als charakteristische Beispiele der annamitischen
Musik hinstellen.
Der Leser dtirfte nun genugend vorbereitet sein, die folgenden
annamitischen Tonstucke zu priifen:
Der Drachen und der Tiger.
$>r/-t :J L- > \ V\TtH*' ti If l \ f 3=m
2.
\tyiu/-j JWtjj} J I JJ Cj rTif r Jc/; .
|i
^-■ t i i -j - ii
^
P. fg
-5^
Digitized by
Google
Q3aa.
445
KNOSP: ANNAMITISCHE MELODIEEN
^'fi' Si fijjlt r - 1 =*"
> *i ■ " : -
??#^
^^E
-#L#-
LU-tOf r l :; g£fea
- * »J »
^-fjr ^-f-qB I g ^-R^^r-rF^ 1 ^ 1 ^
t ffi fl r. j j i STIr r» e7T3>i i f f g g j: g
1^
HMfjtf | r»^f[
Der Lerchenast.
4.
m
TT: tr u
r r r I ul^
*"•-
-N^
r 4* t
i
^
0^ 0-
££££
^rsnnT-trtrT
I
£ g^ 3- j3 - i-G ^g J L- f J-HHH ^I
*=*=&
5. Nicht zu 8cbnell.
Die Fruhlingsluft.
Digitized by
Google -
446
DIE MUSIK IIL 24.
Die goldene Sapeque.
rfrrrtrr
£t
g^gg
SE
£3^1
E
*i ^ ■ «> I g
'JT f JIJ J'
9.
Das rennende Pfcrd.
fyr,( fi i\n ft f J | If '"S j I g B 5 J S C^
i
E ^-V-^-p-^ ^
3FE
ES££
«>-^a- r yr . a — ». >y m * n -
-arf L-j taj ~r
1
^
I
^^
3=PE
E^E
#
-5* "C
^&
'=
^*
M
e
*=p=p=
znzw— r f— r
->J — VI— —t-
- >J >r -
Diese kleine Auslese annamitischer Lieder dfirfte den Leser mit
dem Genre vertraut gemacht baben. Wir baben jedoch noch das eigen-
tumliche Fldtensolo anzuftibren, von dem oben die Rede war:
I. Teil.
Digitized by
Google
447
KNOSP: ANNAMITISCHE MELODIEEN
II. Tell.
Lento.
9*9
ft PjjjJyr^
Vivace.
SE
m
++T
-*— +-d ?* -6
■*■ i^
[$> I Jr^Rf « *T § I mi I r i e I J3 j
i
^
-f-PE
£
^
r-*rr-g
n
31
*dbi
^jj^j jrrTTir ■- 1" i •' j ^^
s*f
&» i ^' -J
» fp
f ' l r/ J i
Fur uns ist dies das interessan teste Stuck von alien. Nicht nur,
dass es viel farbiger und abwechslungsreicher ist, ist ihm auch eine gewisse
Ungebundenheit und Leichtigkeit eigen, die mit der Eintdnigkeit der ubrigen
Stucke angenehm kontrastiert. Es erinnert etwas an die Improvisationen
der schottischen Volksmusiker.
Digitized by
Google
LISZT, WAGNER UND BULOW
IN IHREN BEZIEHUNGEN
ZU GEORG HERWEGH
von A. Niko. Harzen-Muller-
Schoneberg b. Berlin
'•(••OCR yet,
Schluss
die „Tannhauser M -Auffuhrung im Zuricher Aktientheater am
17. Februar 1855 dachte Herwegh zuruck, als der „Tannh3user"
in Paris am 13. MMrz 1861 so unwurdig aufgenommen worden
war. Er schrieb damals fur die „Neue Zurcher Zeitung" und
„Ziircher Intelligenzblatt" zwei bemerkenswerte „Tannhauser«-
Aufsatze, die weniger bekannt geworden sein diirften als die Friedrich
Szarvady's in der „Kolnischen Zeitung" oder anderer gleichzeitiger Bericht-
erstatter. Sie sind so recht geeignet, Herweghs unparteiisches und ver-
standnisvolles Urteil fiber Wagner und seine Musik kundzugeben. Er ver-
offentlichte zunSchst in der No. 79 der „Neuen Zurcher Zeitung" vom
20. Marz 1861 das folgende, Zurich den 19. Marz datierte und mit einem
x unterzeichnete Feuilleton:
„Wenn Wagners jTannhfiuser* in Paris bei seiner ersten Auffuhrung nicht den
Erfolg gebabt bat, den er verdient, und den seine Freunde ihm von Herzen wunschen
mussten, so ist es doppelte Pflicbt der letzteren, auf die unlauteren ManSver auf-
merksam zu mactaen, denen die Oper unterlegen ist, und auf die unlauteren Stimmen,
welche diese Niederlage noch zu vergrSssern suchen. Hier in Eile einiges, ehe die
Berichte fiber die zweite Vorstellung einlaufen. Man vergleiche z. B. die Korrespon-
denz der ,Independance beige* und das Feuilleton im ,Nord'I Sehen sich die beiden
nicht ihnlich wie ein Ei dem andern? Sie sind wahrscheinlich von derselben Henne
gelegt, wenigstens ist derselbe Hahn ihr Vater, und zwar kein gallischer, sondern
offenbar ein semitischer. Der gleiche Vogel kriht auch in der ,K51nischen Zeitung*.
Hier unterzeichnet er sich sogar mit seinem Namen, Szarvady, auf gut Deutsch Hirsch
oder Hersch, damit der grosse Jude den kleinen kontrollieren kann."
w 0berall Moses und die Propheten oder vielmehr Moses und ,der Prophet*!
Oberall dasselbe Lied: Niemann ist ein grosser Singer, wenn er nur erst ,Musik zu
singen* bekime. Es heisst ubrigens, Niemann studiere bereits den Johann von
Leyden* ein. Spiritus, merkst du was? Oberall auf demselben, in Wagners Werken
nur beiiaufig einmal vorkommenden Ausdruck ,Musik der Zukunft* herumgeritten!
Und von welchen Reitern! Wer von alien, die sich dieses Kleppera bemichtigt haben,
hat wohl nur einen Blick in Wagners Werke getan? Aber freilich — das ist ge-
fundenes Futter ffir den musikalischen und auch fur den anderen Janhagel. ,Musik der
Zukunft*, das heftet man nun dem Komponisten an, wie unartige Gassenjungen einem
einen gewissen Vierfussler mit langen Ohren anheften, urn ihren Kameraden einen
Digitized by
Google
449
HARZEN-MOLLER: HERWEGHS BEZIEHUN GEN
Spass zu machen! Die ,Musik der Zukunff, ein rotes, revolutionises Kunstgespenst,
vor dem die musikalischen Charakterkdpfe schrei bender Philister zuruckschaudern.
yk la lanterne mit Bach, Mozart, Beethoven!' hat er gesagt. Sonderbar — Wagners
grdsster Verehrer, Hans von Bulow, hat erst kurzlich in Zurich Stucke von Bach in
einer Weise vorgetragen, wie man sie weit und breit nicht zu hdren bekommen wird.
Wagner selbst ist der genialste lebende Interpret Beethovens! Das Pariser Kbnserva-
torium mit seinen kolossalen Krftften und seinen virtuosen Solisten, das wir gerade
in Beethovenschen Auffuhrungen zu bewundern oft Gelegenheit gebabt haben, konnte
doch nicht leisten, was die kleine Zuricher Kapelle unter Wagners Direktion geleistet
hat. Wir haben einem Beethovenkonzert in einem hiesigen Privathause beigewohnt,
wie es uns die Weltstadt, deren Urteil fur alle schadenfrohen Gesellen nun so mass-
gebend geworden ist, nie geboten hatte. Wagner als Dirigent ist unerreicht! Und
die Clique und die Claque — der ,Charivari' llsst der Claque durch Wagner die
Hlnde auf den Rucken binden, damit ihr nichts ubrig bleibt als zu pfeifen — die
Clique und die Claque haben es fein angelegt, Wagner den Kommandostab bei der
Auf fun rung des /Tannhftuser' zu entreissen und die Leitung der Schlacht — denn eine
Schlacht gait es gegen eine mit dem besten Kriegsmaterial, mit Geld, ausgerustete
Koalition — einem Meyerbeerschen Unteroffizier anzuvertrauen [Herwegh meint P. L.
Ph. Dietsch, den Kapellmeister der Grossen Oper von 1860—1863]. Die Bulletins
waren fertig, ehe das Treffen begann, und flogen in alle Welt. ,L'opera di Wagner
non piacque' (d. h. flel durch) war bis tief nach Italien telegraphiert worden, und wir
konnten die Depesche bereits gestern in den Journalen von jenseits der Alpen lesen.
,Der ,Tannhiuser' muss tot intrigiert werden! ( lautete die Parole seit Monaten, und
wir w*ren uberrascht, wenn es am Abend des 13. Mlrz im Saale der Grossen Oper
anders zugegangen wire . . ."
„J&mmerlich ist an der Gescbichte nur, class vor allem diejenigen, die der Pro-
tektion so viel Ruhm und Geld zu verdanken haben, inrem Unabhingigkeitsdrang am
lautesten Luft gemacht haben; jlmmerlich ist ferner, dass man zu fdrmlichen Bubereien
seine Zuflucht genommen hat und z. B. vom Orchester aus bei einer pathetischen
Stelle einmal einen Ton erklingen Hess, als wenn man eine Katze in den Schwanz
gekniffen hatte; und j&mmerlich wire es, wenn wir, denen Wagner so viel Freudebe-
reitet hat, unser jahrelang festgehaltenes, wohlbegrundetes Urteil fiber die grossen
Schdnheiten im ,Tannhiuser' durch eine mit aller Hinterlist herbeigefuhrte Niederlage
desselben in der Pariser Oper beirren liessen. ,Tant pis pour les Parisiens!' wollen
wir sagen. Und auch dort in Paris ist bei dem Charakter des Publikums und der
Energie Wagners, die schon manchem Sturme die Stirn geboten, ein Umschlag des
Urteils mehr als wahrscheinlich : er ist gewiss!"
Wir haben es erlebt, dass der Dichter hier zum Propheten ge-
worden ist!
Die zweite Stelle, an der Herwegh, wiederum anonym, das Schicksal
des „Tannhauser" in Paris bespricht, befindet sich in der No. 77 des
„Ziircher Intelligenzblatt" vom Sonntag, dem 31. MSrz 1861; sie lautet:
.Richard Wagner hat lange in Zfirich gelebt und uns oft grosse musikalische
Genfisse verschafft. Es ist daher naturlich, dass wir mit ganz besonderem Interesse
die Pariser Nachrichten verfolgen, die uns Bericht geben von den Auffuhrungen seiner
Hauptoper, des /Tannhiuser*."
III. 24. 29
Digitized by
Google
450
DIE MUSIK III. 24.
„Als Wagner aus der Schweiz nach Paris ubersiedelte, interessierte sich daselbst
besonders Napoleon fur ibn. Er gab den Befebl, dass der ,Tannhauser* in der
Grossen Oper aufgefuhrt werde, und wies die grossen Summen an, welche fur die
neuen Dekorationen usw. ndtig waren. Der Kaiser ging noch weiter. Als er im
vorigen Jahr mit den deutschen Fursten in Baden-Baden eine Zusammenkunft hielt,
engagierte er selbst in bdchsteigner Person per Telegraph den Singer Niemann in
Hannover fur die Pariser Vorstellungen des ,Tannhauser'. Es braucht kaum bemerkt
zu werden, dass das kaiserliche Interesse weniger der Musik der Zukunft gait als
vielmehr der Politik. Napoleon hatte nimlich gehdrt, dass Richard Wagner zu den
einfiussreichen deutscben Demokraten gehSre, und glaubte, durch diese Protektion bei
der demokratiscben Partei jenseits des Rbeins ein Stuck bonapartistischer Propaganda
ins Werk zu setzen. Er sagte damit zu der Partei: Sent, wie ich einen eurer Fuhrer,
den die deutscben Fursten verbannt, eh re und fdrdere! Was kdnnt Ihr besseres tun
als euch mir anschliessen? Darum kommt mit — in die neue Zeit!"
„Letzten Sonntag fand die dritte und letzte Auffuhrung des yTannhftuser* in
Paris statt. Ehe der erste Akt zu Ende war, wurde der Tumult so gross, dass man
von Musik und Gesang nichts mehr hdren konnte. Die anwesenden deutschen Damen
sprachen im Foyer ihre Indignation laut aus, weinten und baten, dass man wenigstens
den zweiten Akt anhSre. So geschah es auch. Der ,Marsch der Pilger* fand ein-
stimmig Bei fall. Aber bald darauf ging der Lfirm von neuem an, und welcher Lirm !
Die Herren der eleganten Klubs zogen aus ihren Taschen Lirminstrumente — ja einer
von ihnen hatte in seine Loge eine wirkliche Glocke bringen lassen — und begannen
eine greuliche Katzenmusik, die ein solches GeUchter selbst unter den Slngern er-
regte, dass die Freunde Wagners, wie der Minister Walewsky, sich zuriickzogen. Der
Vorhang fiel unter einem Tumult, dessen Erinnerung in der Pariser Oper noch lange
fortdauern wird."
„Unmittelbar nach diesen Szenen zog R. Wagner sein Werk zuruck. Das
Pariser Blatt ,Figaro' gesteht zu, dass eine vollstlndige Kabale gegen das Werk des
deutschen Komponisten organisiert war, und das Verdammungsurteil fiber dasselbe in
der Grossen Oper zumeist von solchen gesprochen oder vielmehr geschrieen und ge-
pfiffen wurde, welche keine andere Berechtigung zu dieser Kritik hatten als ihr Billett
und ihre Lungen. Der ,Figaro ( aber beweist auch, dass die Art, wie Wagner sich er-
laubt, nicht bloss uber Rossini und Auber sondern auch uber Gluck, Beethoven und
Mozart abzusprechen und sich als den einzigen Hohenpriester der Kunst zu verkfinden,
alle unparteiischen Kritiker em port hatte. Die Freunde Wagners in Zurich erklaren
sich die feindselige Hal rung der Pariser zum Teil aus seiner Unvertriglichkeit, mit
der er schon vor der ersten Auffuhrung nach alien Seiten sie persdnlich beleidigte
und Anstoss erregte."
Von St. Moritz (1853) aus richtete Herwegh eine Reihe Briefe an
seine Frau Emma. Aus einem dieser Briefe geht deutlich hervor, wie er
uber die musikalische Erziehung im allgemeinen und uber die seines Sltesten,
1901 als Ingenieur in Paris verstorbenen Sohnes Horace im besonderen
dachte. In der Meinung, dass es gar zu traurig sei, wenn nicht irgend
ein kunstlerisches Element in die Kinder gebracht werde, schreibt er:
„Unser Sohn soil singen, viel singen, bis er Violine anfangen kann. Tdne selbst
hervorbringen, nicht sie sich fertig geben lassen wie von dem Piano — da entscheidet*s
sich, glaube mir, ob der Mensch uberhaupt musikalischen Sinn hat."
Digitized by
Google
451
HARZEN-MOLLER: HERVEGHS BEZIEHUNGEN
Herwegh hat unverdrossen als Schriftsteller und Dichter fur Wagner
und fur Wagners Sache gekampft, ohne je auf Dankbarkeit zu rechnen;
die Grosse Wagners, die er klar erkannte und der er hiiufig seine kundige
und gewandte Feder lieh, versShnte ihn mit kleinen Schwachen des Meisters.
Kurz bevor Wagner im Dezember 1865 vom Hofe Konig Ludwigs II.
und aus Munchen nach Triebschen bei Luzern weichen musste, wo er
auf einer Landzunge des Luzerner Sees unter einsamen Baumwipfeln sein
ersehntes Tusculum fand, richtete Herwegh von Zurich aus zwei Ge-
dichte an ihn, die er unter seinen Freunden zirkulieren Hess. Als Gott-
fried Semper, der die Gedichte auch gelesen hatte, von der mittlerweile
zur Tatsache gewordenen Verbannung Wagners aus Munchen hdrte, soil
er gedussert haben : „Ha, ha, hat diesmal der bose Spotter Herwegh doch
recht prophezeit! a Diese Gedichte lauten:
An R. Wagner.
I.
1. Vielverschlagner Richard Wagner,
Aus dem Schiffbruch von Paris
Nach der Isarstadt getragner,
Sangeskundiger Uliss!
2. Ungestumer Wegebahner,
Deutscher Tonkunst Pionier,
Unter welche Insulaner,
Teurer Freund, gerietst du hier!
3. Und was tail ft dir alle Gnade
Ihres Herrn Alkinous?
Auf der Lebenspromenade
Dieser erste Sonnenkuss?
4. Die Philister, scheelen Blickes,
Spucken in den reinsten Quell;
Keine SchSnheit ruhrt ihr dickes,
Undurchdringlich dickes Fell.
5. Ihres Hofbrfiuhorizontes
Grenzen uberfliegst du keck,
Und du bist wie Lola Montez
Dieser Biedennftnner Schreck.
6. „Solche Summen zu verplempern
Nimmt der Fremdling sich heraus!
Er bestellte sich bei Sempern
Gar ein neu Komddienhaus !
7. 1st die Buhne, d'rauf der Robert,
Der Prophet, der Troubadour
Munchens Publikum erobert,
Eine Bretterbude nur?
8. Schreitet nicht der grosse Vasco
Weltumsegelnd fiber sie?
Doch Geduld — du machst Fiasco,
Hergelaufenes Genie!
0. J a, trotz alien deinen Kniffen
Wir versalzen dir die Supp';
Morgen wirst du ausgepflffen —
Vorwlrts ! Franziskanerklub !"
1. So in Prosa und in Reimen
Heult der wilde Bajuwar,
Und es heulen die Geheimen:
,Bayerland ist in Gefahr!"
II.
2. Ach, vergebens baute jener
Ludowik die Propyli'n,
Denn die Sprache der Athener
Wird man niemals hier verstehn!
29*
Digitized by
Google
452
DIE MUSIK III. 24.
3. Wie die Narren dir*s verfibeln,
Wie's den Pobel bass verdriesst,
Wie er seinen Schmutz in Kubeln
Schimpfcnd fiber dich ergiesst!
4. Weil Horazens schwarze Vettel
Nicht mit dir zu Pferde sitzt,
Weil einmal ein Bankozettel
In der Muse Handen blitzt;
5. Weil des reichen Schachs Kamele
Zeitig angelangt einmal,
Eh' Firdusi seine Seele
Ausgebaucht in Not und Qual;
6. Weil einmal ein goldner Regen
In den Schoss des Kunstlers fallt —
Ruiniere meinetwegen
Alle Kdnige der Welt!
7. Hoi' den Hort der Nibelungen,
Den versunknen, aus dem Rhein!
Und was Orpheus einst gesungen,
Sollt' es dir unmdglich sein?
8. Tiger, Affen, Schweinehunde,
MeyerbSren macht er zahm;
Leider bab' ich keine Kunde,
Wie sich Sanchos Tier benahm.
0. Aber lass des Esels Knirschen
Dich nicht stdren im Genuss!
Iss, mit wem du willst, die Kirschen,
Lieber Zukunftsmusikus!
10. Nur empfehl' ich dir das Eine:
Bist du fertig, sag' ,Ade!"
Warte nicht, bis man die Steine
An den Kopf dir wirft — o weh!
11. Suche niemals mehr auf solcher
Erde dir ein Lorbeerblalt,
Hinge gleich das Vlies der Kolcher
Ober jedem Tor der Stadt!"
Als im Mai des Jahres 1866 Kdnig Ludwig II. seinem fruheren
„Generalintendanten der Hofmusik" die Ehre eines dreitagigen Besuches
in Luzern schenkte und am 22. bei Wagner zu dessen Geburtstagsfeier
erschien, erwShnte Herwegh diese Tatsachen in einer .Ballade vom ver-
lorenen Konig", der ich die folgenden einzelnen Strophen entnehme:
8. . . . „Der Reitknecht fuhr mit seinem Herrn
Nach Zurich hinunter bis Luzern,
Wohl in das Land des Tellen,
Gesegnet mit H6tellen.
Der Heir sprach: ,Tel est mon plaisir,
Und Richard Wagner find' ich hier!
9. Sei mir gegrusst, du Tonjuwel,
Mir lieber als ein Kronjuwel,
Ich bleib' in deiner Villa!
1st heut nicht dies ilia,
Der einst das Leben dir verlieh
Zum Schrecken aller Musici?' . . .
12. ... Und Land und Ministerium
Schimpft auf das Schwanenrittertum,
Auf Wagner, Bulow, Venus,
Aufs ein und andre genus:
Der Kdnig in der Republik
Vertreibt die Zeit sich mit Musik!
13. Krieg oder Frieden? Wie ihr wollt!
Er denkt an Tristan und Isold',
Denkt an Isold' und Tristan!
Was geht ihn Deutschlands Zwist an?
Ich glaub', in diesem Wagner haust
Wohl gar der Hexenmeister Faust!
14. Der Furst schwelgt mit dem Troubadour
In Dur und Moll und Moll und Dur;
In seinem Nachtsack schleppt er
Nicht Krone und nicht Zepter —
Am dritten Tag erst flllt ihm bei,
Dass er der Bayern Kdnig sei . . ."
N
Digitized by
Google
453
HARZEN-MOLLER: HERWEGHS BEZIEHUNGEN
Nachdem im Jahre 1866 in Zurich die letzte Begegnung zwischen
Herwegh und Wagner stattgefunden hatte, richtete Wagner noch einen
freundesinnigen Brief an Herwegh am 13. September 1871, 1 ) Herwegh
noch ein Gedicht „An Richard Wagner. 8. Februar 1873".*) Dieses be-
zieht sich darauf, dass Wagner wdhrend seines Aufenthaltes in Berlin als
Diligent von Bruchstucken seiner Werke im Konzerthause in der Leipziger-
strasse grosse Triumphe gefeiert hatte, wdhrend es ihm leider nicht ge-
lang, seinen ,Tannh3user" auf die Konigl. Opernbuhne zu bringen und in
einer korrekten und unverkurzten Vorstellung personlich zu dirigieren. Es
lautet :
1. „Die nuchterne Spree hat sich berauscht 3. Wftrst du der lumpigste General,
Und ihren Veretand verloren; So wfird* man belohnen dich zeusisch;
Andftchtig hat dir Berlin gelauscfct Genfigen lass dir ffir dieses Mai
Mit grossen und kleinen Ohren. Dreihundert T&lerchen preussisch!
2. Viel Gnade gefunden hat dein Spiel 4. Ertrage heroisch dein Missgeschick
Beim gnldigen Landesvater, Und mache dir klar, mein Beater,
Nur lisst ihm der Bau des Reiches Die einzig wahre Zukunftsmusik
nicht viel 1st schliesslich doch Krupps Orchester!"
Mehr Gbrig fur dein Theater.
Ich komme nunmehr zu den Beziehungen Herweghs zu Hans von
Biilow, die durch den seit 1854 in Berlin wohnenden sozialdemokratischen
Agitator und Schriftsteller Ferdinand Lassalle, den Bulow sehr verehrte,
und in dessen Hause er ein- und ausging, vermittelt wurden. Herwegh
hatte Lassalle durch Heinrich Heine in den vierziger Jahren in Paris kennen
gelernt. Sie sahen sich dann in Zurich im Jahre 1860 und sind bis zu
Lassalles Tod (am 31. August 1864) wahre und echte Freunde geblieben.
Der stud. jur. Hans von Bulow war schon im Herbst 1849 von
Leipzig nach Berlin gekommen, wo er fur die radikale „Abendpost" schrieb;
1850 ging er zu Wagner nach Zurich, wo er Herwegh zuerst sah, dann
zu Liszt nach Weimar. Als er von hier aus im Februar 1852 in Brendels
„Neue Zeitschrift fur Musik" sein beruhmtes v Minorit3tsgutachten a fiber
Henriette Sontag veroffentlichte, in dem er das ,Kehlenvirtuosentum" ver-
dammte und der Sontag jede Poesie und Passion, kurz die Berechtigung
absprach, mit 48 Jahren Rollen wie die „Regimentstochter", , Martha" und
„Rosine" zu singen und zu spielen, da waren es Herwegh, Robert Franz und
Wagner, die dem mutigen Kritiker in dem grossen „Notskandal" helfend
beisprangen und ihre vollste Billigung zu erkennen gaben. Seit 1854
wohnte Bulow in Berlin und war fur die Kossaksche „ Berliner Feuer-
spritze" und fiir die „Neue Berliner Musikzeitung* schriftstellerisch tltig;
') Siehe „Gegenwart" No. 2 vom 9. Januar 1897.
•) Wie das vorige Gedicht in Herweghs »Neuen Gcdichtcn* verftffentlicht
Digitized by
Google
454
DIE MUSIK III. 24.
^
seit 1858 war er Konigl. Preussischer Hofpianist. Als er ein Jahr vorher
Liszts Tochter Cosima als seine Gattin heimgefuhrt hatte, widmete Herwegh
der jungen Frau das folgende Gedicht „An C. ins Album. September 1857* :
„Auf jedes Menschen Angesicht Der Genius der Harmon ie
Liegt leise dlmmernd ausgebreitet Wird dich mit seinen Wundertdnen
Ein sanfter Abglanz von dem Licht Umrauschen, und du wirst dich nie
Des Steraes, der sein Schicksal leitet. Mit der verstimmten Welt versdhnen!"
Als Lassalle im Friihjahr 1863 zur Grundung des „AUgemeinen
Deutschen Arbeitervereins", den er im nationalen Sinne leiten wollte, den
Anstoss gegeben hatte, schrieb er an Herwegh und bat ihn „schnellstens
um ein begeistertes und begeisterndes Gedicht*. Und schon im Juni hatte
Herwegh sein zwolfstrophiges „Bundeslied fur den Allgemeinen Deutschen
Arbeiterverein" fast fertig, schickte es nach Tarasp, machte es in Zurich
bekannt und sollte es vor Mitte September an Lassalle in Ostende schicken,
der beabsichtigte, dieses Arbeiterlied im September am Rhein bekannt zu
geben und den Arbeitern vorzulesen ; Komposition und Druck sollten dann
nachfolgen; das Lied aber sollte zum Vereinslied bestimmt sein, mit dem
jede Sitzung des Arbeitervereins zu eroffnen sei. In einem Briefe aus
Berlin, Potsdamerstrasse 13, vom 8. Oktober 1863 schreibt Lassalle an
Herwegh u. a.:
„Vor allem aber: wo bleibt Ihr Hilfskorps, das geflugelte Gedicht? Nie kime
es mehr zurecht als jetzt! Bulow schw&rmt bereits bei dem Gedanken, es zu kom-
ponieren. Er will es sowohl einstimmig, als vierstimmig, als noch in verschiedenen
Formen tun. Aber Eile! Eile! So wie ich's nab', wird es im Sturm durch ein Zir-
kular verschickt und als Bundeslied in ganz Deutschland eingefuhrt, mit der Be-
stimmung, dass keine Sitzung gehalten werden darf, die nicht mit der Absingung des-
selben beginnt." 1 )
Endlich — im November — befand sich Herweghs Arbeiterbundes-
lied in den Handen Lassalles, der das „wahrhaft vortreffliche" Gedicht im
„Allgem. Deutschen Arbeiterverein a zu Berlin vorlas und damit den lautesten
Enthusiasmus hervorrief, der darin gipfelte, dass die ganze, aus 120 Per-
sonen bestehende Versammlung mit Ausnahme von 4 — 5 Personen auf
Lassalles Aufforderung hin zum Zeichen des Dankes fur den Dichter sich
von den Sitzen erhob. 2 ) Es wurden nunmehr 1200 Exemplare des Gedichtes
gedruckt und als Zirkular an die Bevollmachtigten des Vereins verschickt; 8 )
') ^Ferdinand Lassalles Briefe an Georg Herwegh", berausgegeben von Marcel
Herwegh, Zurich 1896.
*) Ausser in obiger Briefsammlung „Kreuzzeitung" No. 257 vom 4. November 1863.
*) Spftter wurde es wieder abgedruckt in Herweghs „Neuen Gedichten", Zurich
1877, und in obiger Briefsammlung.
Digitized by
Google
455
HARZEN-MOLLER: HERWEGHS BEZ1EHUNGEN
gleich die ersten gedruckten Exemplare wurden noch in der Druckerei
konfisziert, doch erschienen bereits zwei Tage darauf neue. Besonders
Lassalle selber und Lothar Bucher — im Jahre darauf von Bismarck in
das Auswartige Ministerium berufen — sorgten fur die schnelle Verbreitung
des Gedichtes.
Uber Herweghs Arbeiterlied nur soviet, dass er es gedichtet hat, zum
Teil inspiriert von einem Liede des philosophisch-idealistischen englischen
Dichters Percy Bysshe Shelley (1792 — 1822), den er iiber Byron stellte.
Shelley's 1819 gedichtetes, achtstrophiges „An Englands Manner" beginnt
(in der Ubersetzung von Julius Seybt 1 ) Leipzig 1844):
.Britten, wollt fur die ihr pflugen,
Welche unters Joch euch biegen?"
wahrend Herweghs zwolfstrophiges Lied beginnt:
w Bet' und arbeitM ruft die Welt."
Unter Herweghs „Neuen Gedichten 4 * tragt es die Uberschrift „Bundes-
lied fur den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. April 1864" und das
Motto „You are many, they are few", d. h. „Eurer sind Viele, ihrer sind
Wenige". Es erschien Ende 1863 Oder Anfang 1864, komponiert fur vier
Mannerstimmen a cappella von W. Solinger, 2 ) im Kommissionsverlage von
P. Th. Lissner, Druck von Ziircher und Furrer in Zurich. 8 ) Hinter dem
Pseudonym W. Solinger — nach Th. Zolling eine Huldigung fur die Eisen-
arbeiter der Stadt der Solinger Klingen, die getreuen Lassalleaner — ver-
birgt sich kein geringerer als Hans Guido Freiherr von Biilow: in dem
vollen Namen sind die samtlichen zur Bildung des Pseudonyms notigen
Buchstaben enthalten. Lassalle selber gab die Komposition in Druck; es
wurden jedoch nur einige hundert Exemplare hergestellt und unmittelbar
an verschiedene Arbeitervereine verteilt. Die von Bulow beabsichtigte
Bearbeitung fiir eine Singstimme ist nicht erfolgt; im Buchhandel ist das
Lied niemals erschienen. In Lassalles Wohnung wurde es ofter gesungen,
wobei Biilow die Klavierbegleitung ausfuhrte. Wie mir der in Charlotten-
*) Von Adolf Strodtmann ubersetzt steht es auch in dem Aufsatze Th. Zollings
.Lassalle, Herwegh und die Sozialdemokratie" in „Die Gegenwart" No. 50, Berlin 1896.
2 ) Nicht Salinger, wie Dr. A. Kohut in den von ihm anonym herausgegebenen
„Briefen an Hans von Bulow von Ferdinand Lassalle 1862—1864" schreibt.
3 ) Nicht Verlag von Reinhold Schlingmann und nicht Druck von Hugo Gentzsch
in Berlin, wie Oesterlein vermutet; ihm und Marie von Biilow war ubrigens das
Pseudonym Solinger fur Bulow bekannt. In den von letzterer herausgegebenen
.Briefen Hans von Bulows", Band III, 1855—1864 (Leipzig, bei Breitkopf & Hirtel,
1898) befindet sich als Anhang das Herwegb-Solingersche Arbeiterbundeslied nach
einer Original ausgabe abgedruckt. Ausser Biilow haben dasselbe Gedicht fur M&nner-
chor noch komponiert: G. Sabm, J. Scheu, G. Gramm op. 27.
Digitized by
Google
456
, DIE MUSIK 111. 24. Q ,
burg lebende Verleger Paul Theodor Lissner erzShlte, der als ehemaliger
Angestellter der Zuricher Musikalienhandlung von Gebr. Hug & Co. da-
selbst mit Wagner, Wesendonk, Kochly und Herwegh bekannt geworden
war, erhielt er fur den Kommissionsverlag dieses Herwegh-Biilowschen
Liedes nicht nur keine Bezahlung — ausser 100 Exemplaren — sondern
er musste spater noch die s2mtlichen Rechnungen fur Druck, Papier usw.
bezahlen, da Lassalle bald darauf infolge seines Duells mit Janko von
Rackowitz starb, und seine ,mutterliche Freundin", die GrSfin Sophie
Hatzfeld, sich nicht verpflichtet ftihlte, diese Schuld ihres Schutzlings zu
tilgen.
Der Komponistenname Solinger durfte in keinem Musikerlexikon,
auch nicht in dem grossen Mannergesangkatalog von Challier (Giessen 1900),
zu finden sein. Biilow hat diese seine PseudonymitSt sehr geheim zu
halten verstanden.
Interessant ist ein Brief Lassalles an Biilow, der sich in dem oben
erwahnten Kohutschen Buche findet; er lautet:
„Sie wollten am 11. Februar [1864] wieder hier eintrcffcn, und folglich beetle
ich mich, Ihnen 3 Exemplare von Salingers (sic!) genialer Komposition zu verehren.
Mit Partituren bin ich sehr knapp versorgt, Stimmen im Oberfluss. Frau Herwegh
scbreibt mir — sie haben dort in ZGrich das Lied fruher gehabt als hier — dass sie
es jeden Nachmittag Herwegh vorsingen muss, der in unaussprechlicher Begeisterung
die ndtigen Fusstritte dazu liefert, 1 ) und dass sie sich hineinstudiert wie in einen
Beethovenschen Satz. Und noch eins: Kdnnten Sie nicht, Sie Zauberer, irgendwie
mdglich machen, dass es einmal wurdig bei mir aufgefuhrt wirdr*
Die letzte Begegnung Lassalles und Herweghs geschah zu Olten zwischen
Bern und Basel am 13. August 1864; und in dem zuerst von Kohut ver-
offentlichten Testamente Lassalles, das dieser am Tage vor dem Duelle,
dem 27. August 1864, in Genf eigenhMndig niedergeschrieben hat, kommen
diese Bestimmungen vor: „Herrn Hans von Biilow vermache ich meinen
Apollo nebst Untersatz" und „An Georg Herwegh soil ein Legat von 100
Napol6ons gezahlt werden." Als musikalischer v Nachruf an Ferdinand
Lassalle" ist noch eine zweite Komposition von W. Solinger, opus 2, —
ein Lied fur Bariton oder Bass mit Klavierbegleitung — im Druck er-
schienen; diese sehr seltene und fast unbekannte Komposition, von
der ich ein Exemplar besitze, zeigt ein hochst merkwiirdiges und inter-
essantes, tendenzioses Titelbild ; da jedoch der Text nicht von Herwegh
herriihrt, so gehort eine Besprechung nicht hierher, zumal da ein dem
x ) Dies beziebt sich darauf, dass nach einer Anmerkung des Komponisten der
Rhythmus an einigen Stellen des letzten Verses „mit einem krSftigen, prizisen Fuss-
tritt" zu verstSrken ist.
Digitized by
Google
457
HARZEN-MOLLER: HERWEGHS BEZIEHUNGEN
ausdrucklichen Willen Hans' von Bulow entsprechender Wunsch seiner
Wittwe mich der Offentlichkeit gegenuber zur Diskretion zwingt.
Liszt, Wagner, Bulow, sie haben Georg Herwegh uberlebt; nach
seinem in Baden-Baden angeblich an Lungenentzundung erfolgten Tode
wurde er, der seit 1843 Burger der freien Schweiz war, ,wie er's gewollt,
in seiner Heimat freien Erde" beigesetzt auf dem Friedhofe zu Liestal an
der Ergolz, der Hauptstadt des schweizerischen Kantons Baselland. Hier
hat kiirzlich der pietdtvolle Sinn seines Sohnes Marcel durch den dortigen
Bildbauer H. Vogt ein wurdiges Grabdenkmal 1 ) schaffen lassen, dessen eine
HSlfte fur die Gattin des Dichters, die die GrabstStte seit Ende Mftrz d. J.
mit ihm teilt, freigehalten und bestimmt war. Auf Herweghs Grabplatte
liest man die Worte:
Von den M&chtigen verfolgt,
Von den Knechten gehasst,
Von den Meisten verkannt,
Von den Seinen geliebt!
*) Eine Abbildung des Grabes beflndet sich unter den Beilagen des vorigen
Heftes (III, 23).
Digitized by
Google
bOcher
342. Max Kalbeck: Johannes Brahms. 1. Band 1833—1862. Wiener Verlag, Wien
und Leipzig 1904.
Warum musste Kalbeck seine Brabmsbiographie durch mit den Haaren herbei-
gezogene Angriffe auf Liszt, Wagner und deren Anhang verunzieren, auf diese Weise sein
Werk zu einer Parteischrift machen! Dieses wire sonst eine Zierde der biographischen
Litteratur geworden. Denn das muss man Kalbeck lassen, er hat es verstanden, den
Werdegang seines Helden bis ins kleinste klarzulegen, seine Werke feinsinnig zu ana-
lysieren und dabei ein spannendes und formvollendetes Buch zu lie fern. Er war
freilich in der glucklichen Lage, dass ihm als langj&hrigem Freunde Brahms' von
alien Seiten Material, vor allem Briefe zugeflossen waren. Gerade weil er ein Freund
von Brahms war, durfte er seinen alten Wagnerhass nicht in dieser Biographie aus-
lassen. Ich babe nie begreifen kdnnen, wie man Brahms und Wagner gegeneinander
ausspielen kann; fur mich sind beide verschieden geartete Bruder, geistige Sonne
Beethovens, jeder hat auf dem ihm eigenen Gebiet Unsterbliches geleistet. Dem-
nach lebne ich Kalbecks Beurteilung Wagners ab, freue mich aber seiner Wurdigung
Brahms', der ich recht viele Leser wunsche. Im folgenden mdchte ich hauptsftchlich
auf die Feststellungen Kalbecks hinsichtlich der Entstehungszeit einiger Werke Brahms'
eingehen, da es unmdglich ist, den reichen Inhalt des 500 Seiten starken Bandes in
Kurze klarzulegen:
Das in der Deutschen Rundschau schon fruber verdffentlicbte Kapitel uber die
Hamburger Jugendzeit enthllt eine hochinteressante Schilderung besonders seiner
Eltern. In hellstem Licht erscheint Brahms' ersler Lehrer Otto Kossel, der, urn
seinen talentvollen Schuler weiter zu fordern, ihn zu seinem Freunde Marxsen brachte.
„Gefliss,entlich hielt dieser die Erzeugnisse moderner Musiker von ihm fern, die so
verfuhrerisch und verhlngnisvoll auf die unreife Jugend wirken. (!!) Bei Marxsen
hat Brahms weder von Schumann noch von Chopin etwas gesehen oder gehort . . . Seine
musikalische Unschuld ist ihm bewahrt geblieben . . ." (!) Seine Virtuosenlaufbahn hat
er mit 17 Jahren definitiv abgeschlossen. Fur den Hamburger Verleger Aug. Kranz hat
er unter dem Pseudonym G. W. Marks als junger Mensch eine grosse Anzahl Phantasieen
und Potpourris uber beliebte Opern fur Klavier zwei- und vierhandig geliefert. 1851 spielte
er bereits ein von ibm komponiertes, aber mit dem Pseudonym Karl Wurth bezeichnetes
Trio. Es blieb, wie so manches andere Jugendwerk, ungedruckt und ist wohl wie das
Streichquartett von 1853, eine Violinsonate von 1852, Stucke fur Klavier und Violoncell
oder Violine von 1855 spftter von Brahms verbrannt worden, wenn es nicht bereits zum
Tapezieren der elterlichen Wohnung verwendet worden war. Aus dem Jahr 1851 stammen
von splter gedruckten Werken das es-moll Scherzo op. 4 und das Lied „Heimkehr"
op. 7 No. 7. Die Reihenfolge der Opuszahlen ist fur die Entstehungszeit nicht zutreffend.
So ist z. B. das c-moll Klavierquartett bereits 1855 vor dem in g-moll und A-dur begonnen,
aber erst 1875 verdffentlicht worden, naturlich in umgearbeiteter Form. Es stand ur-
sprunglich in cis-moll; der erste Satz sollte seine Werther-Liebe fur Klara Schumann
Digitized by
Google
459
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
veranscbaulichen; er sollte einen Menscheo vorstellen, dem nicht anderes ubrig bliebe,
als sich totzuschiessen. Das Scherzo dieses dritten Klavierquartetts op. 60 eotstammt
der Violinsonate, die Brahms 1853 gemeinsam mit Schumann und Albert Dietrich komponiert
hat. Auch die c-moll Symphonie reicht bis ins Jahr 1855 zuruck, doch ist bis 1862 sicher nur
der erste Sttz, dem noch die Einleitung fehlte, fertig gewesen. Unter dem Eindruck der
neunten Symphonie von Beethoven und derSchumannschen Katastrophe war Brahms bereits
1854 zu dem Plan einer Symphonie gelangt; aus dieser wurde zunftchst eine Sonate fur
zwei Klaviere, dann endlich definitiv das erste Klavierkonzert in d-moll, das man ja am
besten als Symphonie mit obligatem Klavier bezeichnet; das Scherzo wurde beseitigt, an
Stelle des als Apotheose Schumanns gedachten Finales das Konzertrondo komponiert.
Das Werk erbielt seine im Druck vorliegende Form erst 1859. Dass die D-dur Orch ester-
Serenade ursprunglich als Oktett fur Streich- und Blasinstrumente komponiert war,
wusste man bisher kaum; wogegen es bekannt ist, dass das Klavierquintett in f-moll
ursprunglich (1861/2) ein Streichquintett mit zwei Celli, dann eine Sonate fur zwei
Klaviere gewesen ist.
Interessant ist der Nacbweis, dass scbon der 17jfthrige Brahms (ebenso wie Beet-
hoven) seine musikalischen Gedanken sich in Wald und Feld geholt hat. Er ist Zeit seines
Lebens mit seinen musikalischen Ideen spazteren gegangen, hat sie im Kopfe vollkommen
fertig verarbeitet und zu Haus blosse Scbreibarbeit verrichtet. Schon als JGngling hat
er, wlhrend er zum Tanz aufspielte, die Lucken seiner Schulbildung durch Lekture aus-
zufullen gesucbt; seine Ersparnisse verwandte er meist dazu, seine kleine Bibliothek zu
vermehren. E. T. A. Hoffmann hat sehr nachhaltig auf ihn eingewirkt; er nannte sich
daher mit Vorliebe Kreisler jun. Was ihm bei der Lekture Denkwfirdiges aufstiess,
pflegte er in Taschenbuchern zu verzeichnen. Obwohl er bei Marxsen tuchtig tbeoretische
Studien getrieben hatte, war er mit seinen Kenntnissen durchaus nicht zufrieden; von
1856—1861 hat er alle 14 Tage mit Joachim (dessen Kompositionen er ubrigens sehr
schfttzte) Studien im doppelten Kontrapunkt, Kanons, Fugen, Prlludien, Chortle, Varia-
tion en zu gegenseitiger Kritik ausgetauscht, und diese strengen Obungen machteu ihn
zu einem Meister des musikalischen Satzes, gaben ihm das sichere Fundament fur die
Unabhlngigkeit seiner Musik. Damit ist freilich nicht gesagt, dass seine Musik ohne
Reminiszenzen ist; im Gegenteil, Reminiszenzenjlger finden gerade bei ihm ein sehr
reiches Feld. So ist in einer Magelonenromanze eine deutliche Entlehnung des ,0 sink'
hernieder, Nacht der Liebe" aus ^Tristan*, im Seitensatz der f-moll Sonate werden wir
an „Elsa" erinnert. (Dass Wagner die Stelle der 1854 verdffentlichten f-moll Sonate von
Brahms gekannt und seinem Hans Sachs in den Mund gelegt hat — vgl. ubrigens »Die
Musik* Bd. 9, 432 — halte ich fur ausgeschlossen.) Trotz seiner gewaltigen theoretiscben
Kenntnisse war Brahms ein geschworener Feind der wissenschaftlichen Behandlung seiner
Kunst; als ihm Helmholtz seine Entdeckungen und die reinen Harmonieen auf den von
ihm erfundenen Instrumenten vorfuhrte, erkllrte er, gerade das Gegenteil von dem zu
hdren, was Helmholtz behauptete, und hielt diesen fur einen entsetzlichen Dilettanten.
Vielleicht noch mehr fdrderlich, als der Detmolder Aufenthalt fur den Instrumentalkom-
ponisten Brahms, war seine Leitung eines Frauenchors in Hamburg wlhrend seiner
Detmolder Ferien fur ihn als Vokalkomponisten. — Einen grossen Raum nimmt in dem
Buch auch die Scbilderung von Brahms' Verhlltnis zu Robert und Klara Schumann,
Joachim, Kirchner, Stockhausen usw. ein; mancher feine Exkurs, z. B. fiber Schubert,
begegnet una, der vielleicht im Interesse der Okonomie lieber hatte wegbleiben
sollen. Mit grossem Interesse wird man auch von Brahms' verschiedenen Jugend-
lieben lesen. Hoffentlich bringt Kalbeck in absehbarer Zeit sein Werk zum An-
schluss, Usst sich aber in dem nlchsten Bande nicht wieder zu Angriffen auf
Digitized by
Google
460
f ^ DIE MUSIK IIL 24. Q^^ J
Liszt und Wagner hinreissen. Ob Schumann ubrigens wirklich (S. 116) Wagner die
Partitur des „Fliegenden Hollander" mit dem Bemerken zurfickgeschickt hat, diese
Oper wire ihm zu meyerbeerisch? Ob Wagner deshalb wirklich Schumann gehasst hat?
Merkwfirdig ist Kalbecks Urteil (S. 29) fiber Beethovens aogenannte Kreutzer-Sonate,
die nach ihm absichtliche Ankllnge an Kreutzers Etfiden (!) enthalten soil. Weiss denn
Kalbeck nicht, dass diese Sonate erst nachtrlglich Kreutzer gewidmet, ursprfinglich fur
den Mulatten Bridgetower geschrieben ist? Jeder Kenner studentischer Verhlltnisse
wird ubrigens darfiber Ucheln, dass nach Kalbeck Brahms auf der Korpskneipe der
„Sachsen" das von ihm splter in seiner akademischen Festouvertfire verarbeitete Burschen-
scbafterlied „Wir batten gebauet" kennen gelernt haben soil! Dr. Wilh. Altmann.
343. Musikalisch-dramatische Parallelen. Beitrlge zur Erkenntnis von der
Musik als Ausdruck. Gesammelt von mehreren Wagnerianern,
erllutert durch Einen. Bayreuth 1003, Sonderabdruck aus den *Bay-
reuther BUttern.
Dieser Eine ist Hans von Wolzogen, und zwar reicht die Sammlung der
ungenannten Wagnerianer bis in das Jahr 1801 zurfick. Es ist noch gar nicht so lange
her, da sprach man viel von Motirsucht und Reminiszenzenjigerei. Es hat ja immer
Leute gegeben und wird sie stets gcben, welche jeglichem Fortschritt Steine in den Weg
legen und in echter Philisterart alles Neue llcherlich zu machen suchen. So wurde
denn auch viel Unsinniges und Boshaftes fiber die Motivforschung geschwatzt, deren
geistiger Vater zu sein Hans' von Wolzogen unvergingliches Verdienst ist. Heut-
zutage ist das Geschwltz zumeist verstummt, und massenhaft erecheinen Opera* und
Konzertruhrer, die doch mehr oder weniger Wolzogens Beispiel nachahmen, wenn
sie auch die Vortrefflichkeit seiner grundlegenden Schriften auf diesem Gebiet nur
selten erreichen. Die .Parallelen* beschrlnken sich auf Wagners Musik. Es war
schon immer aufgefallen, dass in den verschiedenen Werken des Meisters hluflg An-
kllnge melodischer wie harmonischer Art an andre seiner Werke zu flnden sind.
Oberfllchlicbe batten hierunter Erflndungsarmut vermutet. In den meisten Fallen liegt
aber eine Gleichheit oder Ahnlichkeit der Stimmung, der Empflndung, der Situation, der
dramatischen Handlung oder der Charaktere oder selbst der deklamatoriscben Rede vor,
die einen gleichen oder Ihnlichen musikalischen Ausdruck erzeugt, ohne dass der
Komponist sich dessen bei seinem Schaffen bewusst ist oder doch bewusst zu sein
braucht. Ahnelt sich die frfihere Musik oft hauptslchlich in formalen Wendungen (wie
in Kadenzen usw.), so erzeugt die nicht mehr den konventionellen Formen unterworfene,
neuere dramatische Musik, so wie die von ihnen auch bis zu einem hohen Grade
emanzipierte, neuere symphonische Musik von selbst Ausdrucksparallelen. Solche sind
aus Richard Wagners Werken in dem vorliegenden Buche gesammelt und nach den
soeben genannten sechs Gesichtspunkten eingeteilt und erllutert worden. Ausser einer
mehr oder weniger unbewussten Gleichheit melodischer und harmonischer Wendungen
ist natfirlich auch eine absichtliche Entlehnung denkbar. So wurde das Schwanmotiv
aus „Lohengrin" in „ Parsifal" ubertragen; so ist die Trompetenfanfare, die im
„Liebesmahl der Apostel" die Verse unterbricht: „Ist denn Jerusalem die Welt?...
Seht die Beherrscherin der Welt, seht Rom!" aus denr ,Rienzi" entlehnt, wo der
Tribun auf diese Melodie die Worte singt: „Erstehe, hohe Roma, neu!" Also eine sehr
sinnvolle Entlehnung! Im ubrigen mag man aber mit dem Begriff „Entlehnung" vor-
sichtig sein! Es Usst sich z. B. schon sehr darfiber streiten, ob das Gralsmotiv im
.Parsifal - als Entlehnung aufzufassen ist; die Stellen „der Glaube lebt* und ,wie
Gott mit frommer Huld* ebenda wird man kaum als Entlehnungen aus „Tannhluser*
bezeicbnen kdnnen; es sind Ausdrucksparallelen, wenn auch vielleicht von Anfang an
Digitized by
Google
461
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
dem schaffenden Kunstler bewusst gewesene. Trotz der Einteilung in sechs Klassen
wollen die „Parallelen" keine Theorie aufstellen; sie bieten vielmehr mit Absicht nur
cine auf empirischcm Wege zusammengestellte Sammlung Die Theorie dazu glaube
ich in meinem Buch „Die Musik als tdnende Weltidee" (I. Teil: „Die meta-
physischen Urgesetze der Melodik", 1901 bei Hermann Seemann Nachfolger in Leipzig
erscbienen) gefunden und als System dargestellt zu haben, wesbalb auch am Schlusse
der „Parallelen a auf dieses ganz unabhftngig von ibnen entstandene Werk bingewiesen
wird. Da die „Parallelen" keine wissenscbaftliche Motivlehre sein wollen, sondern viel-
mehr nur Material zu einer solchen liefern, so wire es sehr wunschenswert, wenn in
ihrem Sinne emsig weiter gesammelt wurde, wobei es ratsam ware, auch andre Kom-
ponisten und auch symphonische Musik mit heranzuziehen. Kurt Mey.
344. Karl Zuschneid: „Methodischer Lei t fad en* fur den Klavierunterricht. Verlag:
Chr. Friedrich Vieweg, Gross-Lichterfelde.
Ein kleines Kompendium zu des Verfassers Klavierschule, in dem Gutes und
Schlechtes bart aneinanderstossen. Die tecbnischen Begriffe sind uberliefert und alt,
die pldagogiscben Ratschllge gediegen und ernst. Es tut einem leid, einen so vortreff-
lichen Bildner auf ausgetretenen Pfaden einbertrotten zu sehen. Seine Anschauungen
beweisen, wie ungebeuer schwerfillig die Erkenntnis der einfachsten Prinzipien vom
Flecke ruckt, und wie lange Zeit das Wahre und Naturliche braucht, um sich durch-
zusetzen. Da die Irrtumer und Febler der Klavierschule des Verfassers (der veraltete
Fingeranschlag aus dem Kndchelgelenk, das Verbot der z. B. von Lescbetizky mit Fug
und Recht einbezogenen und so wichtigen Kndchelstutzen, die Fesselubungen, das Hand*
gelenkstakkato, der absolut falsche Daumenuntersatz u. a. m.) sich bier wiederholen, und
auch die beigegebenen Figuren nur bestatigen, wie wenig originell und exakt hier gedacbt
wurde, so genugt es, auf das zu verweisen, was hier fiber die Klavierschule schon gesagt
worden.
345. Carl Eitz: .Deutsche Singfibel". Verlag: Breitkopf & Hlrtel, Leipzig.
Ein gescheites Schriftchen, aus dem Bedurfnis nach Vereinfachung und dem prak-
tischen Leben heraus gestaltet. An die Stelle der Noten treten sangbare Tonworte, die
sich mit den Tonvorstellungen assoziieren, und ohne Zweifel das musikalische Denken
sicherer durchbilden. Die Tonwortmethode belebt in glucklicher Weise das tote Noten-
material durch konkrete Laute, die den Vorzug haben, die Aussprache zu ford era, die
Tonverhlltnisse zu symbolisieren und die gesetzm&ssige Folge der sieben Haupttdne auf
die einfachste Weise zu entwickeln. Tritt im zweiten Schuljahr fur die „Kleinen" die
Notenschrift hinzu, so ist sie ibnen keine leere Symbolik mebr, sondern Ungst bekannte
und vertraute Klanggebilde. Wer so mit lebendigen Werten und Lautwesen arbeitet, wird
8icherlich den Erfolg fur sich haben, bochste Klarheit der Begriffe mit hdchster An-
schaulichkeit zu verbinden. Ich wunsche dem Schriftchen und seinem hohen gesangs-
bildnerischen Zweck die weitestgehende Beachtung.
346. P. Clerlcus: „Wie erhalten wir unseren Kindern die schdne Stimme?*
Verlag: Grunewald-Buchhandlung (H. Pullmann), Halensee.
Auch ein Rufer und Streiter fur die Reform des Gesangunterrichtes auf unseren
Schulen. Die kleine Schrift sei daher alien Schulvorstlnden, Lehrern und El tern zur
Beherzigung ihres Inhaltes empfohlen. Die Funktionen der einzelnen Register der Kinder-
stimme, die Pflege der Register, besonders aber die physiologische Erscbeinung der Mu-
tation der Stimme finden eine liebevolle Behandlung. Die Erfullung unseres Wunsches
nach individueller Ausbildung wird hiernach nicht lange mebr auf sich warten lassen.
Nur in einem widerspreche ich dem Verfasser: im Punkt der Dispensation. Ich vertrete
mit anderen den Standpunkt, die Mutierenden wlhrend der Dauer der Mutation abzusondern
Digitized by
Google
SB.
462
DIE MUSIK III. 24.
und in einer eigenen Klasse musikalisch zu fordern, z. B. im Diktat sattelfest zu machcn,
und das Ohr zu schulen.
347. Nana Weber-Bell: .Naturwissenschaft und Stimmerziehung". Verlag:
Max Schmitz, Leipzig-R.
Eine kuhne Streitschrift einer temperamentvollen und denkenden Frau. Der Wille,
die Gesangspidagogik auf eine einheitliche naturwissenscbaftliche Basis zu stellen, den
Schwerpunkt des Gesangsstudiums auf die Erziehung des Tonsinnes und auf das Studium
physikalisch-physiologischer Akustik zu verlegen, ist unbedingt zu loben. Auch in den
Ruf nach dem Staat und nach der Einfuhrung einer staatlichen Prufung fur Gesangs-
lehrer kSnnte man mit einstimmen, wire die echte PSdagogik nicht ebenfalls eine Kunst.
Nur die Begrundung der Materialprinzipien wunschte ich mehr auf den Kern der Dinge
zuruckgefuhrt zu wissen. Auf den Unwert der Anatomie und Physiologic des Kehlkopfes
haben andere schon hingewiesen. Das ist nicht neu. Die Wichtigkeit der vokalischen
Formen, der mechanischen Arbeit von Zunge, Lippen und Unterkiefer ist ebenfalls von
anderen Ungst betont Dem Ansatzrohr jedoch prim ire Bedeutung zuzumessen, und
die Bedingtheit der Tonschdnheit von der Atemtechnik zu leugnen, heisst Ursache und
Wirkung miteinander vertauschen. Die Tonschdnheit ist nicht allein Formsache, sondern
sie wird bedingt von der Atemfunktion und der vollendeten Formbeherrschung. Richtige
Formen ldsen an sich und ausschliesslich nicht das Problem des echten Tones, wohl
aber vermag umgekehrt die Atembeherrschung die Schwierigkeiten der Formbildung
zu verringern, ja vdllig aufzuheben. Im ubrigen beweist die Sen rift die grosse Kon-
formitlt neuzeitlicher Gedankenkreise. Die psycho-physiologische Empirie schreitet un-
aufhaltsam vorwlrts, und die Zeit der Ldsung und einheitlichen, exakten Begrundung
des Gesangsproblems liegt kaum mehr fern. Der Staat tue das Seine und schaue um
sich, auf dass er nicht ruckschrittlich bleibe und in veralteten Mitteln der Erziehung er-
starre und die Kehlen verderben lasse. Seine Verpfiichtung zur grundlegenden Reform
des gesamten Gesangswesens durfte in den Kultusministerien nicht linger mehr mit
Feder, Tinte und Papier zu behandeln sein. Die Hygiene richtigen Singens als einer der
wichtigsten Faktoren der Volksgesundheit und Volkserbaltung wird durch keine geheim-
rltlichen Bedenken um ihre Bedeutung gebracht. Ihre Einfuhrung bleibt eine der obersten
Forderungen der Zeit. Rud. M. Breithaupt •
MUSIKALIEN
348. Percy Godfrey: Quintett for Piano, Violin, Viola, Violoncello and Double Bass.
Verlag: E. Donajowski, London.
Ein Kammermusikwerk eines Engllnders, bekanntlich eine Seltenheit! Vom
Kammermusikstil aber ziemlich entfernt, mehr der Unterbaltung dienend als anregend,
freilich ganz flott und nicht ohne hubsche Klangeffekte geschrieben. Der erste Satz
mutet Gbrigens bisweilen orchestral an. Das Klavier ist bevorzugt.
349. A. Goedicke: Trio pour Piano, Violon et Violoncelle. op. 14. Verlag: P. J urge n-
son, Moskau und Leipzig.
Ein recht beachtenswertes Kammermusikwerk im Stile der Klassiker, aber durch-
aus selbstlndig in den Gedanken, vornehm in der Melodik, ungesucht in der Harmonie.
Am eigenartigsten ist wohl das Scherzo, das mitunter auf die russische Schule Oder
Herkunft des Komponisten schliessen Usst. Der langsame Satz ist gediegen, sehr an-
mutig das in Rondoform gehaltene Finale. Das Werk durfte sich im Hause wie im
Konzertsaal viele Freunde erwerben.
Digitized by
Google
463
BESPRECHUNGEN (MUS1KALIEN)
350. Robert Kahn: Quartett fur Klavier, Violine, Viola und Violoncello, op. 41.
Verlag: Dreililien, Berlin.
In uberaus stattlichem, ja prunkvollem lusseren Gewande liegt dieses dritte von
mir bereits bei seiner UrauffQhrung kurz besprochene ( 9 Die Musik" Bd. 10, 296) Klavier-
quartett Kabns nun vor. Wenngleich ich aucb nach nftherer Kenntnisnahme mein Urteil,
dass dieses Opus Kahns zweites sebr gelungenes Klavierquartett nicht erreicht, aufrecht
erbalte, so mdchte ich doch dieses neue Werk wegen seiner Formvollendung und des
entscbieden gross angelegten und inbaltsvollen ersten Satzes, gegen den die andern etwas
abfallen, nachdrucklich der Beacbtung anempfeblen.
351. Johann Slunicko: Sonate (c-moll) fur Violine und Pianoforte, op. 51. Verlag:
Friedrich Hofmeister, Leipzig.
Ein gar nicht anspruchsvoll auftretendes, trefflich gearbeitetes, schSn klingendes
und sehr melodidses Werk, das mitunter an Gade und Grieg erinnert Am wenigsten
gelungen ist wohl das Adagio, recht pikant das Scherzo; in den beiden Ecksltzen sind
besonders die Gesangsthemen eindrucksvoll.
352. Max Reger: Sonate (C-dur) fur Violine und Pianoforte, op. 72. Verlag: Lauter-
bach & Kuhn, Leipzig.
Auch dieses neue Kammermusikwerk Regers, Gbrigens seine vierte Violinsonate,
hat mien nicht davon uberzeugen kdnnen, dass die von dem ungemein produktiven
Komponisten eingeschlagene Richtung fur die Weiterentwicklung unserer Kammermusik
segensreich sein durfte. Ich habe das Werk zuletzt mit und vor begeisterten Freunden
mancher Regerschen Orgelwerke gespielt: es wurde einstimmig abgelehnt, insbesondere
erregten die Kakophonieen, mit denen der letzte Satz beginnt, allgemeines Entsetzen.
Dass einzelne Oasen, z. B. die sogar ideal schdne Melodie S. 5 der Partitur (tranquillo)
sich vorfinden, erkenne ich gem an, aber ein Wechsel der Tonarten, wie z. B. im lang-
samen Satz, das Fehlen beinahe jeden Zusammenhanges zwischen den beiden Stimmen,
die einzeln weit ertrlglicher klingen, die stlndigen Kakophonieen lassen mich das Werk,
das wunderbarerweise die Bezeichnung C-dur trigt, als lusserst unerfreulicb bezeichnen.
Dr. Wilhelm Altmann.
353. Bertr and Roth: Sechs Gedichte von Peter Cornelius fur eine Singstimme mit
Pianofortebegleitung. op. 5. Verlag: L. Hoffartb, Dresden.
Edel empfundene, in Melodie und Harmonie einen feingestimmten Geist bekundende
Lieder.
354. Felix Weingartner: Zwei Ball ad en fur eine Singstimme mit Begleitung des
Pianoforte, op. 37. Verlag: Breitkopf & Hirtel, Leipzig.
Von diesen beiden Balladen Weingartners, die wie seine ubrigen Gesangswerke den
Stempel vornehmer Einfachheit an sich tragen, mdchte ich der leichten neckischen zweiten
entscbieden den Vorzug geben vor der ersten mit ihrem bizarren Text, der naturlich
nicht ohne Einfluss auf die Musik geblieben ist. Dr. A. Schuz.
355. Emil Hochreiter: Mlnner-Chdre, zwei Hefte. op. 8. Verlag: Josef Eberle,
Wien.
Die beiden Hefte zeugen von dem redlichen Bern u hen eines talentvollen Kompo-
nisten, innerhalb der zwei Oktaven Neues zu sagen, das auch gut klingen und charak-
teristisch sein soil. Nicht immer krdnt der Erfolg das Bemuhen, doch ist einiges
(Heidekraut — Das Lied in Osterreich — Zwei Kdnige — Zur Ruhe) gut gelungen.
356. Emil Hochreiter: »Es muss ein Wunderbares sein*. Chor fur sechs ge-
mischte Stimmen. Verlag: Josef Eberle, Wien.
Ffir mein Gefuhl ist der intime Text fur einen seebsstimmigen Chor nicht sonderlich
geeignet; Liszt hat das in seinem Lied mit der kargen Begleitung herausgefuhlt Davon
Digitized by
Google
464
DIE MUSIK III. 24.
abgesehen muss man aber der {Composition vollste Anerkennung zollcn. Satter Wohl-
klang, rciche Abwechslung in den einzelnen Stimmengruppen. Paul Hielschcr.
357. Arnold Krug: Sechs Gesinge op. 121. Scchs Gesinge op. 122. Verlag:
C. F. Kahnt Nachfolger, Leipzig.
Krug steht den dicbterischen Stoffen mit grossem Ernst gegenuber, ihm gebricht
es aber an dem durcbgreifenden musikalisch cchtcn Ausdruck, wie an der den
Dichtungen sich anpassenden, dabei aber frei waltenden Architektonik. Ein warmer,
volkstumlicher, manchmal freilich auch ins Sentimentale umschlagender Ton ist ihm
oft zu eigen. Rein kommt er in „Auf der Wacht* zum Ausdruck. Auch „Im Morgen-
grauen" ist von ecbter Empflndung inspiriert. Unter einander aber zeigen die Lieder
eine so enge Begrenzung ibrer musikaliscben Passu ng — sie sind fast durchaus strophisch
gebildet — dass der Gesamteindruck nur der der Einfdrmigkeit sein kann.
358. Hans Hermann: Sechs Lieder. op. 53. — FQnf Kinderlieder. op. 54. Verlag:
C. F. Kahnt Nachfolger, Leipzig.
Auch in diesen seinen neuesten Gesingen erweist sich Hans Hermann als ein
gefilliges Talent, das zwar nicht nach wirklicher Tiefe strebt, aber mit Sicherbeit jenen
genau die Mitte zwischen Trivialitit und Originalitit haltenden Ton zu treffen weiss, der
in den weitesten Kreisen des besseren Dilettantismus gem fur voll genommen wird.
Man kann alien diesen Gesingen gescbickte Leichtigkeit der Mache nachriihmen; was
dem Komponisten an wirklich persdnlicher Note abgeht, ersetzt er durch ein stets
bereites, wenn auch nur beiliuflges Anpassungsvermdgen: man sehe sich daraufbin einmal
das ecbt nordische Gebaren in „Margits Lied" an. Die Kinderlieder gehen formal fiber
ihren Zweck hinaus und sind kaum als solche verwendbar; sie tun nur kindlich, aber
Einfacbheit und Naivetit fehlt ibnen. Hermann Teibler.
359. A. von Othegraven: Meine G5ttin, Dichtung von Goethe, fur Bariton-Solo,
gemischten Chor und Orchester. op. 21. Verlag: F. E. C. Leuckart, Leipzig.
Scbon wiederbolt ist dieser Goethesche Text zu Chorkompositionen verwendet
worden und die Autoren, u. a. W. Berger, Schrattenbolz, Steinhauser haben alle in
heissem Bemfihen ihr bestes Kdnnen eingesetzt, ohne nachhaltigen Erfolg zu erringen.
Nun hat auch der sebr begabte v. Othegraven diese Aufgabe geldst und dabei viel Ge-
schick im dramatiscben Aufbau gezeigt. Gute Chorvereine und ein dramatischer Bariton
flnden eine nicht besonders scbwere, aber recht lohnende Aufgabe in dieser der ge-
missigt-modernen Richtung angebdrenden Komposition.
360. Wilhelm Berger: Vier Lieder fur 4stimmigen Frauenchor (a cappella) mit
hinzugefugter Klavierbegleitung. op. 48. Verlag: F. E. G. Leuckart, Leipzig.
Mit seinem op. 48 hat der Autor dem Frauenchor eine willkommene Gabe gereicht,
die bei mittlerer Schwierigkeit naturlichen Fluss der Melodie mit Wohlklang des Satzes
verbindet. No. 3. „Wiegenlied" hat Anwartschaft auf Popularitit, wihrend No. 4. „Das
Herz das ist ein Eselchen" als reizende Humoreske das opus originell bescbliesst
361. Karl Schmidt: Nach Sturm und Drang, fur 4stimmigen Minnerchor. op. 18.
Verlag: Breitkopf & Hirtel, Leipzig.
Das vortrefflicbe Frublingsgedicht von Karl Trapp hat hier eine gute Vertonung
gefunden, in der Gbarakteristik manchmal an Rheinberger leise erinnernd. Von den
1. wie 2. Tendren hat der Autor eine sehr hohe Meinung.
362. Carl Attenhofer: Im Sturm, fur Minnerchor mit Pianoforte oder Orchester.
Verlag: Buckhardt & Balder, New- York.
Mit MInnerchdren im neckischen und lyrischen Genre bat Attenhofer gute Er-
folge errungen; sein m \m Sturm" aber vermag weder melodisch noch technisch zu
interessieren. Fritz Basel t.
Digitized by
Google
RHEINISCHE MUSIK- UND THEATER-ZEITUNG (K81n) 1904, No. 16. - Schr
gehaltvoll ist, was Karl Hagemann in seinem Artikel „Oper und Inszenierung"
ausffihrr. Er verbreitet sicb zunftcbst fiber die abscbeulichen Missstftnde an
unseren Provinzbfibnen, die mit Rficksicht auf das nicht aus Kunstfreudc, sondern
aus Neugierde das Theater besucbende Publikum alles, w von der scbdnen Helena
bis zur G5tterdftmmerung" geben mfissen und infolge dessen in den ftrgsten
Scblendrian verfallen sind, und scblftgt zur Verbesserung der Verbftltnisse vor,
jede Stadt solle ihre Vorstellungen auf ein grosses und ein kleines Spielbaus
(„Wagnertbeater* und „Mozarttbeater") verteilen und sicb einen Opernregisseur
verscbaffen, der bis jetzt noch fehlt. Denn vorderband feblt unsern Opern-
Inszenierungen eben der Kopf: „Die einigende, vermittelnde, befeuernde Persdn-
lichkeit." — Es beginnt ferner im vorliegenden Heft die Ver6ffentlichung von
Fragmenten „Aus dem Tagebuch eines praktiscben Musikers", das, wie eine An-
merkung betfagt, im Jabre 1800 gescbrieben word en ist. — „Haben die Alten etwas
von der Harmonie gewusst?* Diese Frage wird in einem „Fr. L.* unterzeicbneten
Aufsatz im Hinblick auf die Lieder der alten Griecben bejabt. — Ober w Beetboven
beim Generalbassstudium" handelt ferner Franz Dubitzky, fiber „Die Gattin Karl
Maria von Webers* Adolph Kobut, fiber „Das Wagner-Museum in Eisenach" Erich
Kloss. Eine ganz wunderhubsche Studie aber ist Wilbelm Tapperts Skizze
,Das Scbdnste!", in der anknfipfend an die Beantwortung der Frage, was man ffir
die scbdnste Komposition balte, durch verscbiedene Personen Bemerkungen von
allgemeinem Wert geboten werden. Aus der Ffille des Treffenden und Gemfitvollen,
das da gesagt wird, sei bier bloss zweierlei hervorgeboben : die Konstatierung der
Tatsache, dass Nesslers „Trom peter* seine ganze Beliebtbeit und seinen grossen
Erfolg eigentlich bloss der reinmenschlichen Bedeutung der Abscbiedsszene ver-
danke, und die Erinnerung an die durch das pdbelbafte Benebmen des Publikums
gebrandmarkte erste Aufffibrung der „Meistersinger" in Berlin am 1. April 1870.
ALLGEMEINE ZEITUNG (Mfinchen) 1904, No. 140-141, Beilage. — Ernst Holzers
Abbandlung „Ein Scbubart-Fund* bezieht sicb auf eine bandscbriftlicbe Sammlung
von Kompositionen Scbubarts aus dem Jahre 1783, die die Kdnigl. Landesbibliotbek
in Stuttgart 1898 von einem Sattler und Tapezierer in Ludwigsburg erworben bat.
Die Kompositionen bezeugen wobl ein feines Talent ffir das Volksliedmftssige,
Volkstfimlich-Flfissige. Die Stftrke liegt in der Melodie. Vieles aber ist verbleicbt,
steif, philistrds, wie seine „Forelle", — das gerade Gegenstfick zu der „voll und
warm dabinflutenden Melodie Scbuberts." Ein 1782 komponiertes w Vogel finger lied*
besitzt eine unverkennbar an die Melodie v Ein Mftdcben oder Weibcben wfinscht
Papageno sicb* erinnernde Weise. Scbliesslicb treffen wir auch die „Gaudeamus*-
Melodie in ftlterer Form bei Schubart, der die Melodie in hdcbst drolliger Weise
am Scbluss in die Tiefe fallen lftsst.
BLATTER FUR HAUS- UND KIRCHENMUSIK (Langensalza) 1904, No. 10.
— »Karl Hirsch*, den bekannten Vokal-Komponisten, behandelt ein Aufsatz von
H. Oeblerking. Die Fortsetzung von H. Draheims Arbeit „Goethes Balladen
III 24 30
Digitized by
Google
&BU
466
DIE MUSIK III. 24.
in Loewes Komposition" bespricht „Gutmann und Gutweib", „Der gctreuc Eckart*,
,Wirkung in die Ferae - , ,Der Singer* und .Die wandelnde GlockeV Noch ist
zu erwihnen Arthur Seidls Artikel „Eine Peter Cornelius-Feier in Weimar*.
SODDEUTSCHE MONATSHEFTE (Mfinchen) 1904, No. 7. - Das Heft enthilt
zwei musikalische Beitrftge. Rudolf Louis' ausffibrliche Arbeit „ Anton Bruckner
in Wien« geht von dem Lebensgang und Wesen Johann Herbecks aus, der sich
Bruckner nahe verwandt fuhlen musste, namentlich aber fur Bruckners bizarre,
kfibne Originalitftt Verstindnis besass. Herbeck setzte Bruckners Berufung nach
Wien durch. Louis spricht sich fiber die Bedeutung dieser Wiener Obersiedlung
fur Bruckners kfinstlerische Entwicklung umfassend aus und knfipft an die Dar-
stellung von Bruckners „Emporkommen" ganz vortreffiiche Bemerkungen fiber
das Publikum und fiber die Kritik. Mit Interesse und Schmerz ist es zu lesen,
wie sich Bruckners hone Kunst »mit der Macht und unbezwinglichen Siegeskraft
der Wahrheit" durchgerungen hat und wie es den hftmischen Feinden, insbesondere
Hanslick, nur gelang, ,dem Genius das Leben zu verbittern und sich selbst vor
der Nachwelt irreparabel zu kompromittieren". — Adolf Stdhr behandelt in seiner
Studie „Klangfarbe oder Tonfarbe?* ein Grundproblem der psychophysiologischen
Akustik mit Grfindlichkeit und Schirfe.
ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG (Charlottenburg) 1904, No. 23-26. - .Konrad
Lange als Musik-Schriftsteller" von Paul Riesenfeld; „Zu Peter Cornelius'
Gedftchtnis* von Eugen Segnitz; .Richard Strauss" von August Spanuth;
Eugen Schmitz stellt in einer hermeneutischen Studie, „Liszts h-moll Sonate",
feat, dass Liszt seine Motive „mit einer ungemein sicheren und durchdachten
musikalischen Logik" entwickle; er betont die „logische Entwicklung der Affekte",
durch welche die Sonate, obwohl sie kein Program m besitze, ausgezeichnet set
und wendet sich gegen den der Lisztschen Klaviermusik so oft gemachten Vor-
wurf der virtuosen Eifekthascherei. — Otto Lessmanns Erinnerungsblatt ,Ein
Vergessener" bezieht sich auf den Begrfinder des deutschen Singspiels, Johann
Adam Hiller, von dem Lessmann u. a. sagt: „Er war gewiss keiner von den
Grossen, aber er wirkte an der Stelle, an die ihn das Geschick gestellt, doch
fiberaus segensreich, und er gehdrte jedenfalls zu den tfichtigen Menschen,
denen gelingt, mit bescheidenen Gaben durch Fleiss, Ausdauer und Umsicht
verhiltnismissig Bedeutendes zu leisten*.
BOHNE UND WELT (Berlin) 1904, No. 17. — Ludwig Karpath handelt fiber das
Thema „Gustav Mahler und die Wiener Hofoper"; er verteilt gerecht und an-
schaulich Licht und Schatten und bespricht ebenso objektiv Mahlers w glficklichen
Aufbau* wie dessen v Demolierarbeit*; er nennt ihn „einen Kfinstler voll der
herrlichsten Vorzfige und der grdssten Fehler".
TAGESFRAGEN (Bad Kissinger 1904, No. 6. — Das Heft enthilt an enter Stelle
eine „Danksagung" des wiedergenesenen Cyrill Kistler, ausserdem die Artikel
w Das deutsche Harmonium", „AUgem. Konzertverein-Volkschor Barmen*, Prof.
Hermann Ritters „Das goldene Buch der Lebensweisheit" von G. Kistler, w Der
deutsche Kaiser und Leoncavallo", „Das deutsche Volkslied".
MUSIKALISCHES WOCHENBLATT (Leipzig) 1904, No. 25-27. - Die Nummern
enthalten die Artikel: „Die Notwendigkeit grfindlicher theoretischer Durchbildung
fur den Musik-Lehrberuf* von Susanne Amsinck, „Neue Bahnen. I. Moderne
Harmon ik* von Roderich von Mojsisovics und »Die Bestrebungen zur Hebung
des Musiklehrerstandes" von A. Eccarius-Sieber.
Digitized by
Google
NEUE OPERN
Edoardo Bellini: „Lo Schiavo di Cleopatra*, Opcr in einem Akt und zwei
Bildern, betitelt sich ein dramatisches Wcrk, dessen Libretto von A. Graziani
herrubrt.
Leo Blech: „Aschenbr5del", March en oper von Richard Batka, soil zuerst
am Dresdener Hoftheater zur Auffiihrung gelangen.
Umberto Giordano: w Marcella«, Text von Cain, soil 1905 (wahrscheinlich in
Mailand) zur Erst-AuffGbrung kommen.
Alfred Schattmann: „Des Teufels Pergament", eine zweiaktige heitere
Opcr, Text von Arthur Ostermann, und „Herr 01uf«, Oper in einem
Aufzug, betiteln sich zwei dramatische Werkc, an denen der Komponist zur
Zeit arbeitet.
Amilcare Zanella: „Ozanna", Text von L. A. Vi 11 an is, soil demnichst in
Turin in Szene gehen.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Bremen: Ein bemerkenswertes Opera untern eh men plant fur die kommende
Wintersaison das Stadtt heater. Es will mit seinen in Aussicht ge-
nommenen besonderen Neueinstudierungen eine historischeEntwicklung
der deutschen Oper zeigen. Der nach und nach zu absolvierende Zyklus
beginnt mit Ferdinand Kauers romantischkomischem Volksmftrchen mit
Gestagen in drei Aufzugen „Das Donauweibchen". Alsdann folgt Josef
Weigl mit der einst so populiren lyrischen dreiaktigen Oper „Die Scbweizer-
familie". Nach ihm erscheint Dittersdorf mit seinem „Doktor und Apo-
theker*. Der niebste ist Gluck mit seinen Opera .Orpheus und Eurydike"
und „Alceste", dann kommen Mozart mit „ Figaros Hochzeit* und .Don
Juan*, Beethoven mit dem „Fidelio* und endlich nach Webers „Euryanthe"
Richard Wagner mit dem .Lohengrin*.
Stuttgart: Die Oper des verstorbenen dftnischen Komponisten Peter Arnold Heise
„K5nig und Marschall" ist vom Hoftheater zur Auffuhrung angenommen
worden und wird von Oberregisseur Harlacher einer Neubearbeitung
unterzogen.
KONZERTE
Frankfurt a. M.: Die Frankfurter Museumskonzerte der Saison 1004/05
beginnen unter Siegmund v. Hauseggers Leitung am 14. Oktober. Zur Auf-
fuhrung werden von grdsseren Orchesterwerken gelangen: Volkmar Andreae
(„Schwermut — Entriickung — Vision" symphonische Phantasie), J. S. Bach
(Krippenmusik aus dem „Weihnachts - Oratorium"), Beethoven (Sym-
phonieen No. 4, 8 und 9, Ouverturen zu „Leonore" No. 3 und „Egmont"),
Berlioz (Sinfonie fantastique), E. Boehe („Odysseus' Ausfahrt", sym-
phonische Dichtung), Brahms (Symphonic No. 3), Bruckner (Sym-
phonic No. 8), Dvorik („Heldenlied«, symphonische Dichtung), E. Elgar
30*
Digitized by
Google
468
, DIE MUSIK III. 24. Q ,
(Variationen fur Orchcster), Hind el (Concerto grosso in d-moll), S. v.
Hausegger („Wieland der Schmied", symphonischc Dichtung), Haydn
(Symphonic mit dem Paukenschlag), V. d'Indy (Symphonic in B-dur), Liszt
(Eine Faustsymphonie, Nichtlicber Zug, Der Tanz in der Dorfschenke),
Mendelssohn (Ouverture ,Dic Hebriden"), Mozart (Symphonie g-moll,
Adagio und Fugc c-moll fur Streicborcbester), A. Ritter („ Kaiser Rudolfs
Ritt zum Grabe", symphoniscbe Dichtung), M. Schillings („Hexenlied«),
Schubert (Unvollendete Symphonie in h-moll), Schumann (Symphonie
No. 1), Smetana („Die Moldau", symphoniscbe Dichtung), R. Strauss
(Serenade fur Blasinstrumente in Es-dur, v Till Eulenspiegels lustige
Strcichc", ,Don Quixote*, pbantastische Variationen, Sinfonia domestics),
Tschaikowsky „(Manfred« Symphonie), Wagner (Vorspiel zu .Tristan
und Isolde*), C. M. v. Weber (Ouverture zu w Rubezahl"). — Als Solisten
werden mitwirken: Gesang: A. v. Kraus-Osborne, ATno Act6, E. Holm strand,
H. Kaufmann; die Herren Dr. Wullner, E. Forcbhammer, A. van Rooy.
Klavier: die Herren R. Pugno, E. Risler, A. Siloti. Violine: die Herren
H. Heermann, H. Marteau. Viol on cell: H. Becker.
Leipzig: Wie wir vor kurzem berichteten, veranstaltet die „Neue Bach-
gesellschaft vom 1.— 3. Oktober d. J. im Gewandbause und der Tbomas-
kirche das zweite seiner Bachfeste, zu dem auch Nichtmitglieder
Zutritt haben. Das reicbhaltige Program m nennt eine Anzahl Werke des
Altmeisters, die trotz ihrer boben Bedeutung nur den wenigsten durch
Auffuhrungen bekannt sind. So wird die Sonnabend-Motette (1. Oktober) die
zwei achtstimmigen Motetten „Singet dem Herrn" und v Der Geist hilft
unsrer Schwacbbeit auf* bringen, wSbrend im Orcbesterkonzert u. a. die
seltener gehdrte D-dur Suite, das d-moll Konzert fur 3 Klaviere, ein Concerto
grosso von Handel, und endlich die grosse weltliche Kantate .Vom Streit
zwischen Phdbus und Pan*, ein Werk, das Bach als kunstleriscben Polemiker
zeigt, zur Auffubrung gelangen. Das vierte Brandenburgiscbe Konzert, Solo-
werke fur Gesang, fur Klavier, fur Violoncell und die humoristische Kaffee-
kantate (Schweigt stille) werden in der Kammermusikmatinee (2. Oktober) zu
Geb5r gebracht werden. Das Hauptwerk des Nachmittaggottesdienstes (2. Okt.)
wird die mftcbtige Reformationskantate „Gott der Herr ist Sonn' und Schild*
sein und mit den vier Kantaten .Herr, gehe nicht ins Gericht", Jesus schlift*,
.Wachet, betet" und .Erfreuet euch, ihr Herzen*, wird das Kirchenkonzert
(3. Oktober) und somit das ganze Fest beschlossen werden. — Zu diesen Ver-
anstaltungen werden Dauerkarten zum Preise von je 10 Mk. und Eintritts-
karten fur die einzelnen Konzerte zum Preise von je 4 Mk. ausgegeben.
Anmeldungen zur Teilnahme konnen scbon jetzt bei den Schatzmeistern der
Gesellschaft Breitkopf & H artel in Leipzig erfolgen, die auch zu jeder
weiteren Auskunft gern bereit sind.
TAGESCHRONIK
Das Kaim-Orchester bat sich auf die beiden Sommer 1906 und 1907 der
Stadtgemeinde Mannheim verpflichtet. Neben den wdchentlich vier Konzerten,
fur die das Orchester engagiert ist, gehen eigene Veranstaltungen desselben im
grossen Stile her, und die erste Saison wird mit einem viertftgigen Musikfest
unter Felix Weingartners Leitung erdffnet werden.
Das aus hundert Mitgliedern bestebende Pariser Orchester Lamoureux
Digitized by
Google
469
UMSCHAU
wird bei seiner Gastspiel-Rundfahrt folgende Stidte berfihren: Briissel,
Antwerpen, Gent, Lutticb, Kdln, DSsseldorf, Elberfeld, Bremen, Hamburg, Berlin,
Dresden, Leipzig, Frankfurt a. M., Mannheim, Stuttgart und Strassburg.
Ein neues Konzertunternehmen in Berlin wird in der kommenden
Saison durch die Konzertdirektion Hermann Wolff ins Leben gerufen werden. Es
hat den Zweck, die Schwierigkeiten herabzumindern, die sich einer grossen Zahl
auswirtiger begabter, aber zumeist noch unbekannter junger Kunstler bieten, urn
zu einem ersten dffentlichen Auftreten in entsprechend kunstlerischen Rahmen zu
gelangen. Die Konzerte werden im grossen Saal der Philharmonic stattflnden, und
neben einem oder zwei noch nicht bekannten Kunstlern wird in jedem Konzert
ein bereits renommierter Solist die Ausfubrung des Program ms ubernehmen. Fur
die Begleitung der vorzutragenden grdsseren Werke ist das Pb Unarm onischeOrchester
verpflichtet worden. Aus dem Reingewinn dieser Konzerte soil ein Unterstfitzungs-
fonds fur sich dem Kunstlerberuf widmende junge Musiker gegrundet werden.
Karl Attenhofer wurde vom Mftnnerchor Zurich, dessen Dirigent er 38 J ah re
hindurch gewesen, zum Ehrendirektor mit einer Ehrengabe von 12000 Mk. ernannt.
Die Kdlner Stadtverwaltung ernannte den bisherigen ersten Kapellmeister
des Strassburger Stadttheaters Otto Lohse, der vor kurzem in gleicher Eigenschaft
nach Kdln engagiert wurde, unter Obernahme sftmtlicher von dem verstorbenen
Direktor Purschian abgeschlossenen Vertrftge zumprovisorischenOberleiter der
Vereinigten Kdlner Theater.
Dem Musiklehrer, Komponisten und Musikschriftsteller Richard Hofmann
in Leipzig ist der Professor-Titel verliehen worden.
Der Kantor und Kircbenmusikdirektor Emil Reinbard Vollhardt in Zwickau
ist zum Konigl. Musikdirektor ernannt worden.
Dr. phil. Albert Mayer-Reinach hat sich mit einer Antrittsvorlesung fiber
w Fried rich der Grosse und die Musik* als Privatdozent der Musikwissenschaft
an der Universitftt Kiel habilitiert.
In Schmalkalden ist am lO.Juli die Gedenktafel fur den Komponisten der
„Wacht am Rhein", Karl Willi elm, enthullt worden.
Der Wiener Stadtrat beschloss, das denkwurdige Haus, das vom 24. August
1703 an Eigentum Haydns war, in dem erdie „Sch5pfung", die »Jahreszeiten", die
Volkshymne komponierte und am 31. Mai 1800 starb, jetzt Haydngasse No. 17,
fur die Stadt anzukaufen. Zugleich soil das vom Haydn-Klub in der ehe-
maligen, aus Zimmer, Kabinett und Kuche bestehenden Wohnung des Meisters
untergebrachte und jetzt wenig beachtete Haydn-Museum in das Eigentum der
Stadt Wien ubernommen werden.
TOTENSCHAU
Am 21. August starb in Boppard der Kdnigl. Musikdirektor Seminarober- •
lehrer Pi el.
Moritz Kahnt, der seit 50 Jahren in Basel als erster Cellist wirkte, ist
dort gestorben.
Im Alter von 46 Jahren verschied in Klagenfurt Alexander Ros6, Inhaber
der Wiener Konzertagentur und Musikalienhandlung.
Aus Bordeaux kommt die Nachricht von dem Ableben der einst gefeierten
franzdsischen Opernsftngerin Mme. Marie Lafon. Die Verstorbene hat ein Alter
von 72 Jahren erreicht.
Digitized by
Google
OPER
MONCHEN: Die Richard Wagner-Festspiele. Auf die Mozart-Festspiele, fiber
die noch bcrichtet werden soil, folgten nach kurzer Pause die Festauffuhrungen
Richard Wagnerscher Werkc im Prinz-Regenten- Theater. Der erste Zyklus dieser Vcr-
anstaltungen liegt bereits tainter uns und bietet dem Ruckschauenden ein im ganzen schr
erfreuliches Bild. Den Reigen crdffncte „Tristan und Isolde" unter Weingartners
muslkalischer Leitung. Die Auffuhrung war rccht anregend. Sie brachte uns zwei,
ehedem der Mfinchener Hofbuhne angehdrige New-Yorker Gftste, Milka Ternina und
Olive Fremstad. Frl. Ternina spielte die Isolde mit machtvollster Steigerung des Aus-
drucks, schien aber stimmlich nicht auf der Hdhe zu sein, wenigstens nicht im zweiten Akt,
in dem sie die hoben Partieen des Zwiegesangs fast mfihsam und keineswegs ganz glucklich
herausbrachte. Dagegen war Frl. Fremstad als Brangftne durchwegs vortrefflich, in der
Darstellung von belebender Wftrme und gesanglich ungemein friscb. Von den einheimischen
Kunstlern ist vor allem Knote zu nennen, der den Tristan meisterlich »sang", sich aber
vergeblich bemuhte, tiefer in den Gehalt einzudringen; die tragische Wucht dieser
Wagnerschen Gestalt ist ihm innerlich noch nicht aufgegangen. Ebensowenig vermochte
Benders Kdnig Marke die stilistischen Forderungen alle zu erfullen; seine Auffassung
ist zu sehr von tecbnischen Erwftgungen abhftngig, zu intransitiv, was wieder auf die
Darstellung zurfickwirkt Auch mangelt es seinem Organ noch empflndlich an kerniger
Kraft Was wir an Kldpfer, der gerade durch die Gewalt seiner Stimme ein unvergleich-
licher Marke war, verloren haben, das empflnden wir so recht eigentlich erst jetzt. Die
ubrigen Kunstler, besonders Bauberger als Kurwenal und Hofmuller als Hirt, waren
recht tfichtig. Das zweite Werk des Zyklus ,Der fliegende Hollander** erschien in
neuer und sehr wirksamer Gewandung. Den furchtbaren Seesturm mit Wellenschlag
und Brandung, die Fahrt der leibhaftigen Schiffe, das gespensterhafte Aufleuchten des
Hollftnderschiffes, wobei einem Angst und Bang werden kdnnte, solche Szenen muss man
gesehen haben, urn sich davon einen Begriff zu macben. Das ganze Stuck wird ubrigens
ohne Pausen gegeben; dabei wird aber in den Zwischenakten, wfthrend das Orchester
weiterspielt, die Verwandlung der Szenen so lftrmend ausgefuhrt, dass man von der gewiss
nicht gerftuschlosen Musik oft keinen Ton mehr vernimmt; so geht, was durch die straffe
Zusammeniiehung der Akte an Stimmung gewonnen werden sollte, durch die .Tucke des
Objekts" wieder verloren. Ober den Verlauf der Auffuhrung ist sonst Gutes zu berichten.
Als Giste sangen Max Lohfing aus Hamburg und Emil Borgmann aus Frankfurt
Lohflngs Daland ist darstellerisch und gesanglich recht wacker; seine Stimme hat Mark,
aber wenig Schmelz; die hohen Tdne kommen hart wie Erz. Borgmann gab den Erik
etwas weichllch; er hat Temperament, weiss aber nicht zu nuancieren. Frl. M or en a
sang die Senta mit leidenschaftlicher Wftrme. Mottl am Dirigentenpult leitete das Werk
mit der ihm eigenen energischen Linienfuhrung. Von der tags darauf folgenden
W M eister sin ger"- Auffuhrung unter Nikisch lftsst sich das nun allerdings nicht sagen.
Nikisch hatte wohl das Orchester, nicht aber den Bfihnenapparat in seiner Gewalt
Solisten und Ch5re liess er stellenweise vollstftndig im Stich, dehnte die Zeitmasse, wo
Beschleunigung geboten war, und beschleunigte, wo er in Rucksicht auf die Klarheit der
Klangentwicklung zurfickhalten musste, kurz, es gab Momente, die das Gelingen der Auf-
Digitized by
Google
471
KRITIK: OPER
^2
running zweifelbaft erscbeinen licssen, namentlich im dritten Akt, in dem die Konturcn
dcs Chor- und Orcbestersatzes wie bei einem schlechten Oldruck die Farben nicht mebr
aufeinanderpassten. Das war um so bedauerlicber, als die Auffuhrung sonst mit grosser
Sorgfalt vorbcreitct war. Anton van Rooy sang den Hans Sachs, Albert Reiss den
David, zwei im ganzen vortrefflicbe Leistungen. Wie man van Rooys Sachs, wie es
irgendwo im Norden tatsftchlich geschehen ist, als „Biedermeier" klassiflzieren kann, ist
uns unbegreiflich. Sein Spiel war frisch und fesselnd, oft zu wabrer Poesie verklftrt
Auch Reiss hat eine ungemein temperamentvolle Art der Darstellung. Seine Stimme ist
an Glanz und Wftrme seit dem letzten Jahr nicht unbetrftchtlich gewachsen. Die ubrigen
Rollen waren von einheimiscben Krftften besetzt: Knote sang den Walther v. Stolzing
sehr scb5n, Frl. Tordek das Evchen sehr innig, Frl. Matzenauer mit gutem Humor die
Magdalene. Als zweiter Teil des Zyklus folgte der »Ring des Nibelungen" unter
Mottl in ebcn falls sorgsamster Vorbereitung. Die szenische Pracht unserer „Rhein-
goldVAuffuhrungen ist bekannt; sie erregte auch heuer wieder ungeteilte Bewunderung.
Giste waren Desider Zador aus Prag, Albert Reiss aus London, Edgar Oberstetter
aus Wiesbaden, und Ernest* Delsarta aus New-York. Letztere, eine Tochter unseres
Intendanten von Possart, sang die Freia mit edler Wirme. Zador und Reiss sind zwei
Nibelungen, wie man sie sicb nicht besser wunschen kann, in Spiel und Maske ungemein
drastisch, ohne zu ubertreiben, verstftndlich bei aller Schftrfe der Cbarakteristik, und
immer auf die gesanglicbe Linie bedacht, dass auch das musikalische Obr auf seine
Rechnung komme. Nicht ubel war auch der Fafner Oberstetters. In der „WalkQre"
sang Karl Burrian aus Dresden den Siegmund, von einigen sprachtechnischen Unarten
abgesehen, recht wacker; seinem leicht barytonal gefftrbten Tenor gebricht es allerdings
an der zum vollen Durcbdringen des Tones nStigen Leuchtkraft Hober als seine Ge-
sangsleistung ist seine Darstellung einzuscbfttzen, die durch kernhafte Auffassung und
Zelchnung fesselt. Neu war die Brunnhilde der Frau Frftnkel-Claus aus Hamburg, die
fiber eine grosse Modulationsffthigkeit des Spieles verfugt; ihre Stimmmittel freilich
scheinen verbraucbt. Zu erwftbnen sind noch der gesanglich glanzvolle Wotan des Hrn.
Feinhals und die leidenschaftliche Sieglinde des Frl. Morena. Die Auf fuhrung des
„Siegfried" gestaltete sich zum Glanzpunkt des ganzen ersten Zyklus, nicht zum
wenigsten dank der strahlenden Siegbaftigkeit K notes. Man darf es nach dieser
Leistung unbedenklich sagen, dass der Kunstler derzeit der beste Jungsiegfried ist. Es
wird auch sogleich keinen geben, der diese Rolle mit so urfrischer, kraftstrotzender, be-
zwingender Freudigkeit hinstellt wie unser Knote; ordentlich warm wird einem urns
Herz bei seinem Schmiedelied, das er nur so hinausschmettert. Frau Frftnkel-Claus gab
wieder die Brunnhilde, Zador den Alberich, Oberstetter den Fafner. Die festlicbe
Stimmung, in die uns der „Siegfried" versetzt hatte, blieb auch dem letzten Abend, der
„G5tterdftmmerung* treu. Knote sang den Siegfried wieder mit unverbrauchter
Frische, wurde aber dem tieferen Gehalt der nun wesentlich komplizierteren Partie
nicht mehr ganz gerecht; fur den Einscblag ins Pathetische, der in der Erzftblung der
vorletzten Szene das Aufwachen der Erinnerung an Brunnhilde zu begleiten hat, fand er
nicht die wuchtigen Akzente, wenn auch der run re ride Eindruck seiner Darstellung wieder
ein Beweis ist, dass er sich einzelne Zuge seines Helden innerlich wohl angeeignet
hatte. Fur Frau Frftnkel-Claus, die krank geworden war, gab Frau Bettaque die Brunn-
hilde, den Alberich wieder Hr. Zador, den Hagen ein Gast aus Rostock, Hr. Julius
Puttlitz, der schon sang, aber ohne Leben und Reiz spielte. Endlich seien noch
Brodersens Gunther und Frl. Koboths Gudrune als tuchtige, wenn auch nicht tadel-
lose Leistungen erwfthnt. .Siegfried* und „G5tterdftmmerung M boten auch szenisch viel
des Schdnen. — Ziehen wir also die Summe dieser kunstlerischen Taten, so kdnnen
Digitized by
Google
472
DIE MUSIK III. 24.
wir den Veranstaltern, alien voran dem In ten dan ten von Possart und unserem neuen
Generalissimus Mottl unseren Be i fall nicbt versagen. Der erste Zyklus bedeutet einen
vollen kunstleriscben Erfolg der Munchener Festspiele, und wenn wir die steigende hobe
Besuchsziffer, die durch ihre stark internationale Fftrbung an Wert gewinnt, in Rechnung
Ziehen, auch einen finanziellen. Wir konstatieren dies um so nacbdrucklicher, als es
aucb heuer wieder an dusteren Prophezeiungen nicbt gemangelt hat. Wir haben nur
den Wunscb, dass das Kommende sich auf der bisherigen Hdbe halten und das Ende
den Anfang krdnen moge. Dr. Tbeodor K rover.
KONZERT
MELBOURNE: Melbourner Musikverhaitnisse. Hfttte der selige Diogenes statt
seiner Laterne eine Obrentrompete besessen und statt Menscben in Athen gute Musik
in Melbourne gesucht, wfire das Resultat beinahe dasselbe gewesen. Konzerte gibt es bier
die Hulle und Fulle, sie bestehen aber meistenteils aus sogenannten „Balladconcerts".
Und „Ballad" wird alles genannt was poetisch keinen Sinn und musikalisch keinen
Wert hat. Dazu kommt noch vielleicbt eine Chopinsche Nocturne, Etude oder Ballade,
Raffs Cavatina, Svendsens Romanze oder Vieuxtemps' Reverie (wenn nicbt, so spielt der
Geiger gewiss irgend etwas Obles von Paganini!). Womoglich wird alles dies von
hoffnungsvollen oder -losen Amateuren vorgetragen, da in Melbourne lieber keine als
kleine Gagen bezahlt werden. In Melbourne und den Vorstftdten gibt es eine Unmenge
von Musiklehrern — „Teachers of Piano, Violin, singing. Mandoline, Organ, Banjo,
and Music* — wie man bSuflg hierzulande auf den Messingschildern der Be-
treffenden lesen kann. Es gibt wobl ein paar tuchtige Gesanglehrer, aber nicbt mebr
als eine wirklich gute Lebrerin, Signora Boema, eine friibere Opernsftngerin, jetzt in
sehr bohem Lebensalter. Aber das macbt nicbt viel aus! Alles was piepst und quietscht
und das n5tige Geld dazu bat — reist ja doch nach Europa (und womoglich zur Mar-
chesi). Sollte das Geld nicht vorhanden sein, wird schleunigst ein Beneflzkonzert ver-
anstaltet. Ungeftbr ein halbes Jahr nach der Abreise des „talentierten Scbulers",
erfahren wir durch Telegram me in den hiesigen Zeitungen, dass „Herr (oder Frftulein)
Soundso, der hdchst begabte Schuler des Melbourner Gesanglehrers (oder -lebrerin) X",
in London, Berlin oder Paris mit grdsstem Erfolg aufgetreten sei usw. Das lesen dann
andere ungltickliche Opfer der Gesangskunst. Sie haben vielleicht den Betreffenden
gekannt, oder ibn wenigstens singen gebort und schliessen ganz gerecbtfertigter Weise:
„Wenn Der (oder Die) solcb einen kolossalen Erfolg in Europa hat, was muss ich dann
erst werden!" Denkt's, 15sst sich aucb schnell ein Beneflzchen geben, und dampft mit
dem n&chsten europSiscben Boote ab. Nach Verlauf des halben J ah res gebt der
Depeschensegen wieder los; und so weiter ad infinitum! — Melbourne besitzt zwei
Musikschulen,die eine unter derLeitung des Universitits-Professors der Musik Franklin
Peterson; die andere hat den fruheren Universit&ts-Professor Marshall- Hall zum
Direktor. Im ersten Institut ist der Gesangsunterricht (Signora Boema, Rudolf Himmer),
sowobl wie der Klavierunterricht (W. Lavers) ausgezeicbnet. Im Marsball-Hall-Konser-
vatorium, wo der Klavierunterricht von Edward Scbarf, einem tuchtigen Solisten, bestritten
wird, ist ausserdem ein vorzuglicher Geigenlehrer, Franz Dierich. Unser einziger
Violoncellvirtuose Hattenbacb, besorgt den Dienst bei beiden Konservatorien, und flndet
dabei reicblich Zeit, sich Privatscbulern zu widmen und ausserdem zu konzertieren. Unter-
ricbt auf Blasinstrumenten wird uberbaupt nicbt erteilt. Der Kontrast zwiscben den beiden
Direktoren ist frappant. In Professor Peterson baben wir einen Mann, unbegeistert,
pedantisch, uninteressant und unbeliebt. Er soil ein guter Orgelspieler sein. Ein paar-
mal hat er ein Orcbester dirigiert, das Resultat war aber tragi-komisch. Einen Gegen-
Digitized by
Google
473
KRITIK: KONZERT
satz bildet der frubere Leiter. Marsball-Hall verlor seine Universititsstellung merkwurdiger-
weise durcb die Poesie. Marsball-Hall ist Musiker durch und durcb. Ausgezeichnet
als Kapellmeister (er ist der einzige, der mit seinem aus den verscbiedenen Theater-
kapellen zusammengewurfelten Orchester ein wirklicb schdnes Konzert geben kann),
tucbtiger Komponist, guter Tbeoretiker, sebr unkonventionell, auch er recbt
rucksichtslos. Himmelsgeduldig mit seinen Scbulern und mit den Mitgliedern seines
Orcbesters, wird er von jenen vergottert und von diesen als ein notwendiges Obel
gnfidig geduldet — denn so sind einmal unsere hiesigen Herren Orcbesterspieler im
grossen und ganzen: der Segen des bier auf Musiker ausgedebnten Trades-Unionis-
mus! Marshall-Hall, wie gesagt, war Universitfttsprofessor, hatte ein Einkommen von
ungefabr 20000 Mark und sebr wenig zu tun, denn seine Schuldigkeit war nur, zwei-
oder dreimal wochentlich eine zweistundige Vorlesung zu balten. Da die Zuhdrerschar
sebr gering und Marshall-Hall ein Enthusiast war, schlug er der Universititsbehdrde
vor, eine Musikschule (Universitfttskonservatorium) zu grunden, was nach starkem
Widerstand von all dem Philistervolk und besonders von den lieben Musiklehrern, die
bis dahin Finger und Kehlen ungestdrt ruinieren konnten, allergnftdigst erlaubt wurde.
Ungeacbtet des hohen Honorares (ungefabr 560 Mark pro Jahr) wuchs die Schulerzahl
mit jedem Quartal, was an und fur sich genugend beweist, dass Marshall-Hall als
Lebrer hocbgeachtet war. Ihm ging es wobl, und weil es ibm allzu wohl ging, flng er
an Verse zu schreiben. Sie reimten sich wohl manchmal, waren aber doch ganz un-
gereimt, besonders da er als Apostel des Atbeismus darin kuhn gegen die Religion zu
Felde zog. Schlimm genug, aber es ward nocb schlimmer! Er machte bald auch
persdnliche Angriffe auf die Geistlichkeit, und diese hat einen sehr starken Einfluss
in Victoria. So wurde denn fleissig gegen ihn von der Kanzel herabgedonnert, zwei
von unseren drei Zeitungen strotzten von giftigen Artikeln gegen ihn, hinter
seinem Rucken wurden allerlei Verleumdungen verbreitet — kurz und gut — seine
Gegner bebielten in so fern den Sieg, als Marshall-Hall abgesetzt wurde, und Peterson,
ein Verwandter eines fruheren Ministers, und ein Mann, der keine Poesie — aber auch
glucklicberweise keine Musik — schreibt, an seine Stelle gesetzt wurde. Die meisten
Schuler folgten Marshall-Hall, der eine neue Musikschule grundete. Damit das Uni-
versitats-Konservatorium nicht ohne Schuler bleibe, gaben sich die Hftupter der ver-
schiedenen Bekenntnisse und Sekten alle erdenkliche Muhe, Zdglinge ihrer respektiven
Schulen und Erziehungsanstalten der Universitftt zuzusenden. — Es gibt bier vier
grdssere Gesangvereine und eine Anzahl von Gesangvereinchen. Die „Philharmonie
Society" ist der ftlteste. Sie vegetiert unter ibrem Dirigenten Peate, einem Philister, wie
es wenige gibt. Diese Gesellscbaft, die aus einem gemischten Cbor von 200 nebst einem
(Dilettanten-) Orchester von ungefabr 40 Mitgliedern besteht, zeichnet sich nur durch das
Alter bzw. die Klanglosigkeit der Stimmen ibrer Mitglieder aus. Die .Royal Metropolitan
Liedertafel", ein M&nnergesangverein, 90 Stimmen stark, dirigiert vom Dom-Organisten
Wood, ist wenig besser. Dann kommt die „Melbourne Liedertafel", die vor einigen
Jahren unter der genialen Leitung Marshall-Hall's gute kunstlerische Konzerte gegeben
bat. Sie besteht aus einem gemischten Cbor von 250 Stimmen. Marshall-Hall gab die
Direktion dieser Gesellscbaft vor einiger Zeit auf; unter dem neuen Dirigenten, Liede,
ist bis jetzt nocb kein Konzert gegeben worden. Die jungste und bei weitem die beste
ist die „Orpheus Society". Der gemiscbte Chor von 120 frischen gut geschulten Stimmen
und das Orchester von ungefabr 60 der besten Dilettanten Melbourne's bilden einen Verein,
der augenblicklich der einzige ist, der etwas Gutes leistet. Der Dirigent, Clutsam, ein
Bruder des engliscben Komponisten, ist ein begabter energise her Musiker, der in den
paar Jahren, seitdem die Gesellscbaft besteht, Wunder gewirkt bat. Phrasierung,
Digitized by
Google
474
DIE MUSIK III. 24.
Nuancierung, Balance, Ansatz, Aussprache — alles wird bis auf die kleinsten Einzelheiten
sorgfaitig einstudiert und das Ergebnis ist hdchst erfreulich. Clutsam gebutart die Eh re,
ein Brucknersches Werk — das Te Deum — zum ersten Male in Australien aufzufuhren.
Dies wird nftchsten Monat gescbehen. — Wir werden dies Jahr eine Serie von funf
Orchesterkonzerten (Dirigent Marshall-Hall) baben. Die Schwierigkeic mit Orchester-
konzerten in Melbourne ist folgende: Alle Blftser und auch die meisten Streicher sind
in den verscbiedenen Theatern angestellt Das Resultat davon ist, dass die Konzerte
Sonnabend nachmittags gegeben werden mussen. (Sonnabend Nachmittag ist hierzulande
Feiertag. Sonntags ist es gesetzlich verboten, Konzerte zu veranstalten, bei denen
Eintrittsgeld erhoben wird!) Da aber Sonnabend nachmittags alle grossen Wettrcnnen,
Cricket- und Fussball-Tourniere usw. usw. gehalten werden, und da diese Ereignisse dem
hiesigen Durchschnitts-Publikum im grossen und ganzen viel interessanter sind, als
„langweilige klassische Konzerte", werden diese nicht so stark besucht, wie man er-
warten solltc. Ein Orchcstcr von 70 Mann wird schon als sehr gross angesehen. Einmal
haben wir — bei einem Wagner-Konzert — die Zahl bis auf 105 gebracht Die Gagen
sind 2 Guineen fir erste und 30 Shillings fur zweite Instrumente (vier Proben und ein
Konzert). Extraproben je 5 Shillings. Die Stadthalle ist der einzige Raum, der fur
Orchesterkonzerte geeignet ist. Sie kann ca. 2000 Zuhdrer aufnehmen. Akustik er-
birmlich (die ganze Nordwand der Halle wird von den Pfcifcn einer Monster-Orgel
verdeckt), eiskalt im Winter — kein Heizapparat — erstickend heiss im Sommcr,
und kein Foyer! Man b5rt — wenn nicht gerade forte gespielt wird — das Klingeln
der Tramwagen und die Stimmen der Blumen- und Zeitungsverkftufer. Aber das
Publikum hat sich an derartige Kleinigkeiten gewdhnt und der wohlldbliche Rat tut
nichts, um diese Obel zu beseitigen, denn die Stadthalle hat keine Konkurrenz!
Von anderen Gebftuden mussen noch die Freimaurerhalle (gute Akustik, doch zu klein
fur Orchester und zu gross fur Karamermusik) und das Atheneum (zentral gelegen, aber
in jeder anderen Beziehung schlecht) erwihnt werden. — Im Jahre 1901 batten wir Opern-
vorstellungen und noch dazu von einer englischen und einer italienischen Truppe, beide
im selben Jahre! Sowas passiert uns aber auch nur einmal im Dezennium. Die Aus-
stattung beider Truppen war tadellos. Fur die englische Oper war das Orchester durch
ein Dutzend hollindische und belgische (besonders importierte) Spieler verstfirkt Auch
wurden besondere Blasinstrumente, die einen halben Ton tiefer als unsere gewdhnliche
Stimmung waren, verwendet. — Bei den Englftndern zeichnete sich die schwedische
Altistin Agnes Janson besonders aus. Bei den Italienern waren Dallia Basisch (Sopran),
Carlo Doni und Vincenzo Larizza (lyrischer bezw. Heldentenor) vorzuglich. — Wihrend
der letzten paar Jahre ist nur eine wirklich gute auslftndische Konzertsftngerin hier ge-
wesen: Antonia Dolores. Sie hat in Australien ttngere Zeit tourniert und hat sich
durch ihre vorzuglich e Gesangskunst und ihr liebenswurdiges Benehmen zum allgemeinen
Liebling des hiesigen Publikums gemacht. Von Frau Melba's australischer Konzerttour
ist wenig erfreuliches zu berichten. In alien Stidten, die sie zu besuchen geruhte, wurde
sie wie eine Furstin empfangen. Sie sang wenn es ihr passte, und da die Plfttze eine
Guinee und eine halbe Guinee kosteten 1 ) und sie ausserdem in Melbourne geboren ist,
wurde sie als die grdsste Kunstlerin der Welt betrachtet. Ada Crossley, eine austra-
lische Altistin, die sich in verhiltnismissig kurzer Zeit einen wohlverdienten Namen in
England gemacht hat, ist auch voriges Jahr hier gewesen und hatte grossen (flnanziellen)
Erfolg. In einigen Tagen fangt Paderewski eine Serie von sechs Konzerten an. Auch
er verlangt ein Entree von einer Guinee. Von dem Konzertdirektor J. Tait erfahre ich,
x ) Gewdhnlich sind die hiesigen Billettpreise 5, 3, 2 und 1 shilling.
Digitized by
Google
475
KR1T1K: KONZERT
'^ HK1T1&: IVUINZ.CKI q <
dass zwei Prager Konservatoristen, der Cellist Rieser (cin Sender Sevclcs) und ein
Frfiulein Schmidt (Pianistin) nftchsten Herbst eine Konzertreise durch Australien unter-
nehmcn wollen. Die meisten Theater- und Konzertbillette werden von der Firma
Allon & Co., unserer grdssten Musikalien- und Instrumentenhandlung, verkauft. Zum
Schluss mdchte ich noch erwfthnen, dass e i n Musiker in Melbourne einen — Kontra-
fagott besitzt. Dieses Instrument ist bis jetzt nur ein einziges Mai gebraucht worden,
nftmlich voriges Jahr in Strauss' „Tod und Verklarung*. Das sagt viel fur Melbourner
Musikzustinde! Hjalmar Josephi.
MILWAUKEE: Den Hdhepunkt der musikalischen Saison bildeten zwei Konzerte des
Chicagoer Symphonieorchesters unter Leitung von Theodor Thomas. Das
Programm war ftusserst geschickt zusammengestellt. Neben Werken unsterblicher
Meister — Mozarts Es-dur Symphonie, Beethovens Leonorenouverrure No. 3, Wagners
Karfreitagszauber aus Parsifal, Glucks Alcesteouverture, Bachs h-moll Suite, Beethovens
8. Symphonie, Berlioz' Ouverture zum R5mischen Karneval, Wagners Vorspiel zu Tristan
und Isolde nebst Isoldes Liebestod und dem Bachanal aus Tannhiuser — gab es auch
Neues. Elgar war durch „Grania und Diarmid" und Richard Strauss durch „Till Eulen-
spiegel" vertreten. Was der Meisterdirigent und seine ausgezeichnete Kfinstlerschar fur
das musikalische Leben bier bedeuten, ist zu oft erwfthnt worden, um einer Wiederholung
zu bedurfen. Besonders bei Wiedergabe des Strauss'schen Werkes zeigte sich die gross-
artige kfinstlerische Scbulung des Orchesters. — Zwei Konzerte gab der Milwaukee-
Minnerchor. Er wurde seiner Zeit von Hugo Kaun gegrfindet und sein jetziger Nach-
folger, Albert Kramer, setzt mit Erfolg das Werk fort. Mit dem Vortrag von Beckers
„Waldmorgen* und Pembaurs „Die Wettertanne* legte der Chor diesmal die grdsste Ehre
ein. An einem Abend wirkte ein einheimischer Solist, der Fldtist Karl Woemper, mit.
Ein drittes Balladenkonzert brachte Frau Schumann-Heink als Gast Die ausgezeichneten
Leistungen der Kfinstlerin bedurfen keiner Besprechung mehr. Neu war Hugo Wolfs
„Heimweh". Im a cappella-Chor-Konzert ffihrte sich der Bassist Dr. K. Dufft von New-
York sehr gfinstig ein. Er ist im Besitz einer angenehmen Stimme von weitem Umfange.
Der Frauenchor des Vereins zeichnete sich wiederum vorteilhaft aus, auch der gemischte
Chor gewihrte Genuss. Dem Mftnnerchor misslang leider die Wiedergabe des prichtigen
Beckerschen „Choral von Leuthen". — Rossini's „Stabat Mater* hatte sich der Ari on-
Musical-Club als Hauptnummer seines Programms erwihlt. Dem Werke wurde man
zum grdssten Teil gerecbt. Unter den Solisten geflel Hugh E. Williams. — Max Puchat,
der neue Diligent des Musikvereins fuhrte sich nun auch als Klaviervirtuose gfinstig
ein. So spielte er ganz vorzfiglich die f-moll Sonate von Beethoven (Appassionata).
Weniger glficklich war er als Chopin-Interpret. Verschiedene Lieder, die Carrie Seyferth
gut vortrug, fanden grossen Bei fall. — Ein stindiges Symphonie-Orchester ist fur uns
schon lange ein Wunscb, dessen Erfullung immer wieder auf sich warten lftsst. Noch
an keinen der Versuche fesselte sich das Gluck. Nun haben verschiedene wackere
Musiker unserer Stadt einen „Aschenbr5del-Klub" gegrundet. Der Name tut ja nicht
viel zur Sache, aber man hatte es doch hubscher ausdrucken kdnnen, wie man sein Ver-
hiltnis zur Kunst von anderen Augen betrachtet glaubt. Der Verein hatte ein Symphonie-
orcbester zusammengestellt, wobei ein gegenseitiges Unterordnen in bewunderungs-
wQrdiger Weise zutage trat. Das Dargebotene reichte weit fiber die Mittelmftssigkeit
hinaus, das zeigte die Durchfuhrung von Liszts v Les Preludes", eine Symphonie von
Goldmark und Tschaikowsky's Ouverture 01812". Wie verlautet, soil wacker weiter-
gestrebt werden. Also alle Anerkennung, aber ohne Fee oder Prinz Qm prosaischen
Amerika natfirlich schlichte Geldleute) wird wobl auch dieses Aschenbrddel nicht erldst
werden. — Dann kam noch ein Richard Strauss-Abend. Das massige Hauflein Kunst-
Digitized by
Google
476
DIE MUSIK III. 24.
verehrer, das sich eingestellt, htttc — und das war wohl dcr Grund, warum das Erschcincn
nur so scbucbtern war — kcinc Gclegenheit, den grossen Tonkunstler im ganzen Urn-
fange seiner Kunst zu bewundern. Strauss spielte seine melodramatiscbe Begleitung
zu Enocb Arden unter mittelmftssiger Rezitation des Gedicbtes, dann begleitete er ver-
schiedene seiner Lieder, die Frau Strauss de Ahna sang. — Nun wire eigentlicb noch
pflichtgemftss zu erwftbnen, dass eine Konzertauffubrung des .Parsifal* stattfand. Es
war lediglicb ein Konzert und brachte die musikalisch wertvoilsten Bruchstucke des
Werkes. — Ein wicbtiges Ereignis steht vor der Tur. Im Laufe des Sommers ist das
21. Singerfest des Sftngerbundes des Nordwestens. Funf Konzerte flnden start. Das
Programm umfasst: Massencbdre (unter besonderer Berucksicbtigung von Volksliedern),
mehrbundertstimmige Kinderchdre, Vortrige des Orchesters von Tbeodor Tbomas. Die
Namen der Solisten sind: Scbumann-Heink, Eweyk, Fish-Griffin und Van Hoose. Das
weitere post festum. Max Fischer.
SALZBURG: Das Salzburger Musikfest (11.-14. August 1904). Die Musikfeste,
welche in fruberen Jahren in Salzburg stattgefunden batten, waren ausschliesslich
dem Andenken Mozarts geweibt gewesen, und aucb diesmal hatte die das Fest ver-
anstaltende Leitung des „Mozarteums" in woblverstftndlicher und vollkommen zu billigender
Pietftt dem grdssten Sohne der Stadt den Vortritt bei der Zusammenstellung der Programme
gelassen. Immerbin batten auch die Namen Bacb, Handel, Beethoven, Schubert, Weber
und Spohr Platz gefunden, ja sogar die neuere Musik war mit dem Es-dur Klavierkonzert
von Liszt und der romantischen Symphonie von Bruckner berucksichtigt worden. Das
Hauptwerk des Festes war Mozarts grosse c-moll-Messe, die am letzten Tage dem Ganzen
einen weihevollen Abscbluss gab. Gerade die Wabl dieses Werkes war hdchst verdienstlich.
Denn es ist immer noch nicht so bekannt, wie es als bedeutendstes Mozartsches Kirchen-
musikwerk neben dem Requiem sein sollte. Im Herbst des Jab res 1782, kurz nach
seiner Verheiratung mit Gonstanze Weber, hatte der Meister die gross angelegte Messe
begonnen, sie aber unvollendet liegen lassen. Nacbdem er spSter das Kyrie und Gloria
fur sein Oratorium „Davidde penitente" verwendet hatte, kehrte weder er selbst noch
sonst jemand wieder zu der Urgestalt des Werkes zuruck, bis Alois Schmitt, der
im Jahre 1902 verstorbene Dirigent des Dresdener Mozartvereins, sich entschloss, die
Messe aus ibrem fiber hundertjSbrigen Dornrdschenscblaf zu erwecken. Die notwendigen
Ergftnzungen machte er selbst, indem er mit ebenso pietitvoller als geschickter Hand
Stucke aus anderen Messen und sonstigen geistlichen Werken Mozarts etnffigte und fur
das gftnzlich fehlende Agnus Dei — dem Vorgange Sussmayers beim Requiem folgend —
auf die Musik des Kyrie zuruck griff. Durcb diese kunstlerische Tat wurde der Welt eine
Schdpfung so gut wie neu geschenkt, von der Fritz Volbach nicht zuviel ruhmt, wenn
er sie nennt „ein Gebet des hdchsten Genius, das Gebet eines Hobenpriesters der Kunst;
ernst und erhaben, voll heiliger Weihe, dabei bei aller Seelentiefe, aller Erregung von
einer himmlischen Abgeklftrtheit und Schdnbeit." Noch immer spukt etwas von jener
lftngst als einseitig erkannten Anscbauung in den Kdpfen der grossen Menge, die in
Mozart nur den musikaliscben Vertreter des Rokoko sieht, den ewig heiteren und kindlich
tfindelnden, dem Kunst wie Leben nicbts ist als ein sonnig harmloses Spiel. Um diese
Oberfl&chenansicbt in ibrer ganzen Nicbtigkeit zu erweisen, sind solche Werke wie die
c-moll-Messe besonders geeignet. Der tiefe Ernst seiner Kunstanscbauung, all das, was
allerdings immer nur dann zu voller Blute sich entfalten konnte, wenn es ibm vergdnnt
war, ein Werk frei vom Zwang der Akkomodation an den Zeitgeschmack, ganz und rein
aus dem eigenen Innern heraus zu scbaffen, und was deshalb so oft latent bleiben musste,
dieser Mozartscbe Ernst feiert in der c-moll-Messe einen fast vollstftndigen Triumph uber
das, worin der Meister sonst auch als Kirchenkomponist (z. B. in seinen kleinen Messen)
Digitized by
Google
477
KRITIK: KONZERT
ein oft nur allzu folgsames Kind seiner Zeit war. Sfttze wie das Qui tollis oder Cruci-
flxus sind erf til It von einer Wucht der tragiscben Stimmung, gehdren so ganz und gar
dem Gebiet des Musikalisch-Erhabenen an, dass sie geradezu unmozartiscb flnden kdnnte,
wer sich gewdhnt hat, in dem Salzburger Meister imraer nur lediglich den Reprisentanten
eines glatten, konfliktlosen musikaliscben Scbdnheitsideals zu erblicken. Die Auffuhrung
des grandiosen Werkes in Salzburg, die von dem Mozarteums-Direktor J. F. Hummel
geleitet wurde, und bei der als Solisten die Damen Lilli Lehmann-Kalisch (Berlin)
und Laura Hilgermann (Wicn), die Herren Andreas Dip pel (New- York) und Georg
Sieglitz (Munchen) raitwirkten und der Chor vom Mozarteums-Damenchor, dem
Domsingknaben-Institut und der Salzburger Liedertafel, das Orchester von den
Wiener Philharmonikern gestellt wurde, machte einen guten, woblvorbereiteten Ein-
druck. Freilich fehlte ibr das Gewicht der genialen Dirigenten-Persdnlicbkeit, die an den
vorbergehenden Tagen die Leistungen des prftcbtigen Wiener Orch esters auf eine wahr-
hafc pbinomenale Hdhe geboben batte. Die wunderbare, ganz einzigartige und schlechthin
unvergleicbliche Kunstlernatur Felix Mottls konnte es fertigbringen, dass ich, der ich einen
an vielseitigen Anregungen gewiss nicbt armen Muncbner Konzertwinter hinter mir habe,
dann das gerade in bezug auf die Orcbesterdarbietungen so glanzvolle Regensburger
Musikfest mitmacbte, die erdruckende Fulle der Frankfurter Tonkunstler-Versammlung
genoss und schliesslicb noch die Weimarer Cornelius-Tage mitfeierte, — dass ich nach
alledem bekennen muss: die Auffuhrung der Brucknerschen Es-dur Symphonie unter
Mottl in Salzburg war fur mich das eigentliche musikalische Ereignis und Erlebnis dieses
Jahres. Ich selbst habe leider nicht mehr Gelegenheit gehabt, Hans von Bulow als
Diligent bewundern zu durfen. Aber dass einer unserer geistvollsten Musikschriftsteller,
der Bulow zu seinen Lebzeiten sehr nahe gestanden, mir nach dem Salzburger Feste sagen
konnte: diese Interpretation der Brucknerschen Symphonie durch Mottl sei fraglos die
bedeutendste Direktionsleistung, die er seit den Tagen Bulows erlebt habe — das mag
ungefthr eine Vorstellung geben von der uberwftltigenden Grdsse des Eindrucks, den
wir batten. Fur die Wiedergabe Brucknerscher Symphonieen ist das eigentlich ent-
scheidende Kriterium immer die Art und Weise, wie der Diligent jeweils den Finalsatz
zu gestalten versteht. Ob er sich nur so — mehr oder minder leidlich — mic ihm „ab-
finden" muss, oder ob es ibm gelingt, etwas daraus zu machen. Wenn man von aussen
an Bruckner herantritt, erscheinen seine Schlusssfttze als die schwftcbsten, als die, in
denen die Schranken seines Kdnnens am deutlichsten sicbtbar werden. Und in der Tat
ist nichts leichter als die formale Unmoglicbkeit, die Zerrissenbeit und Sprunghaftigkeit
dieser endlos ausgedehnten Satzungetume nachzuweisen, in denen wir den Komponisten
vergeblich sich abmuhen sehen, aus gewaltigsten Felsbldcken, wie sie selbst fur Riesen-
fiuste zu schwer und unhandlich wiren, einen ungefugen Zyklopenbau zu errichten.
Dem gegenuber bleibt aber als ebenso richtig die Ansicht derjenigen Verehrer des Meisters
bestehen, welche die zuerst von Hugo Wolf mit so grossem Nacbdruck ausgesprochene
Oberzeugung vertreten, dass Bruckner nirgends so gross und gewaltig sei, nirgends in
so unmessbare Tiefen fuhre, als eben in diesen, von aussen betrachtet, so mangelbafcen
Finalsitzen. Das kommt daber, dass Bruckner hier — ganz kurz und prftzis ausgedruckt
— Unmdgliches will, dass er sich eine von vornherein unldsbare Aufgabe stellt
Darum bietet er nirgends inhaltlich so viel wie hier, bleibt aber auch nirgends so weit
hinter dem Ziel zuruck, diesen unendlichen Inhalt auch in endlicher Form befriedigend
zu gestalten. Die Formlosigkeit bei Bruckner ist notwendig, sie ist durch den Inhalt
bedingt, sie ist nicht ein Beweis fur das Unvermdgen des Komponisten, sondern der
adftquate Ausdruck fur die Diskrepanz zwischen einem schrankenlosen, alle Moglicbkeit
einer restlosen Verwirklichung weit hinter sich lassenden Willensinhalt und der ihrer
Digitized by
Google
478
DIE MUS1K III. 24.
Natur nach notwendigerweisen endlichen und beschrftnkten Form. Sache des Dirigenten
ist ea nun, die Notwcndigkeit dieser, dcm oberfttchlichen Blick als techniscber
Mangel erscheinenden Formlosigkeit zu uberzeugendem Ausdruck zu bringcn, so dass
der Hdrcr sic gar nicht mehr als Mangel empflndet, sondern als ein Selbstverstftndliches
hinnimmt Dass Mottl dies mit dem Finale der „Romantischen" gel un gen, das war das
kunstlerische Wunder, das wir in Salzburg erlebten. Wie die Auffubrung der Bruckner-
schen Symphonic selbst in dem Schlusssatze kulminierte, so war die Wiedergabe des
ganzen Werkes die Krone dessen, was das herrliche Orchester — mir noch immer das
erste von alien, die ich jemals gehdrt habe — unter seinem genialen Dirigenten bot.
Trotzdem wire es ungerecht zu vergessen, wie auch die ubrigen Orchesterwerke (Mozarts
Es-dur Symphonie und die Ouverturen zur „Entfuhrung", Beethovens „Egmont" und
Webers „Euryanthe*) zu einer Wirkung gelangten, wie man ibr nicht eben allzuhiuflg
begegnet. So Lobenswertes im ubrigen geboten wurde, hinter den Leistungen des
Orchesters trat es weit zuruck. Jacques Thi baud's vornehme und feinsinnige Geigen-
kunst errang sich in einem Mozartschen Violinkonzert einen wohlverdienten Triumph.
Seine nicht minder schdne Interpretation der A-dur Sonate (Kdchel No. 526) wurde leider
arg beeintrichtigt durch die Mitwirkung des Pianisten Mark Hambourg (London), der
auch in Liszts Es-dur Konzert und Beethovens Appassionata zwar an Kraft und Tem-
perament nichts zu wunschen ubrig Hess, dafur aber einen um so schmerzlicheren Mangel
an Sauberkeit der Technik wie Feinheit und Poesie in Auffassung und Vortrag bekundete.
Von den Gesangssolisten — ausser den bereits genannten waren die Damen Erika Wede-
kind (Dresden), Hedwig Helbig (Berlin) und die Herren Hans Bussard (Karlsruhe)
und Karl J dm (Berlin) herangezogen — erntete namentlich Lilli Lehmann dank ihrer
unubertrefflichen Gesangskunst wie nicht minder der grossen persdnlichen Sympathieen,
die sie in Salzburg geniesst, enthusiastischen Beifall. Dass man Szenen aus der „Ent-
ruhrung" in das Programm aufgenommen hatte, war ein kaum begreiflicher Missgriff.
Denn sie konnten im Konzertsaal nur einen halb komischen, halb peinlichen Eindruck
machen. Dagegen bot in der Kammermusik-Matinee des zweiten Tages die Kammer-
musik-Vereinigung Karl Prill aua Wien mit Mozarts himmlischem g-moll Quintett und
einem Schubertschen Quartettsatze eine vornehme Leistung, die sich namentlich im
Adagio des Quintetts zu sehr respektabler Hdhe erhob. Rudolf Louis.
Digitized by
Google
ANMERKUNGEN ZU
UNSEREN BEILAGEN
An enter Stelle bringen wir das PortrSt Felix Mottls, des neuen Generalmusikdirektors
in Munchen, dessen geniale Dirigenteneigenschaften jungst bei den Festspielen
des Prinzregenten-Tbeiters in Munchen und bei dem Salzburger Musikfest wieder
so gUtazend in Erscheinung getreten sind.
ZurErinnerung an den zehnjShrigenTodestag (13. September) des franzdsischen Komponisten
Emanuel C h a b r i e r verdffentlichen wir sein Bild. Von seinen Werken sind besonders
seine grosse Oper ^Gwendoline* und eine spanische Rhapsodic zu erwShnen.
Am 29. September sind 50 Jahre seit der Geburt Martin Pluddemanns vergangen, der
als Balladenkomponist Bedeutendes geleistet. Das Cliche* zur Wiedergabe des
Bildes danken wir der liebenswurdigen Vermittlung des Herrn KonzertsSnger Julius
Zarneckow-Berlin.
Wie wir S. 468 mitteilen, wird das Pariser Orchester Lamoureux eine grdssere Gastspiel-
Rundfahrt durch Belgien und Oeutschland unternehmen. Wir verdffentlichen aus
diesem Anlass ein PortrSt des beruhmten Grunders und langjShrigen Letters der
„Nouveaux Concerts* in Paris, Charles Lamoureux', dessen Geburtstag sich am
28. September zum 70. Male jShrt
Es folgt ein amusantes Bild Wagner-Hanslick nach einem Schattenriss yon Dr. Bdbler,
der das VerhSltnis des jungst verstorbenen Wiener Musikpapstes zu seinem grossen
Gegner in drastischer Weise illustriert.
70 Jahre sind am 8. Oktober seit dem Tode eines Meisters der franzdsischen komischen
Oper dahingegangen. Das PortrSt von Francois Adrien Boieldieu 1st nach einem
Stich von Kriehuber gefertigt
Beim Herannahen der Saison ist es vielleicht nicht uninteressant, an der Hand eines
halbverschollenen Bildes einen ruckschauenden Blick in eine Ungst entschwundene
Epoche konzertlichen Lebens zu werfen. Unser Gruppenbild, nach einer seltenen
Lithographic Baugniefs (er hat sich gleich falls auf dem Bild verewigt) gefertigt,
zeigt uns die Kunstlerschar, die wShrend der 7. Konzertsaison (1851) der 1845 ge-
grundeten .Musical Union* in London engagiert war und unter der sich mancher
auch heute noch klangvolle Namen beflndet. Der Begrunder dieser Konzerte, John
Ella (1802—1888), erwarb sich durch seine Dirigententfttigkeit, durch die Auf-
fGhrung seltener gehdrter Werke und durch die Heranziehung der beruhmtesten
Kfinstler und Virtuosen einen Weltruf.
Unsere diesmalige Musikbeilage ,Die einsame Wolke* ist den „Funf Liedern fur eine
eine Singstimme mit Klavierbegleitung* von Oskar No 5 entnommen. Das Lied
legt von dem bedeutenden lyrischen Talent des Komponisten, der als Konzertsinger
(Tenor) in Leipzig lebt, beredtes Zeugnis ab.
Zum Schluss dedicieren wir unseren Lesern das Ex libris zum IV. Quartal des dritten
Jahrgangs.
N&chdruck nur mit jmsdnicklich«r Irianbnit des Vtrlages geit&ttet
Alle Rechte, intbesondcra das der Obersetxung, Toibehaltan.
ffUr dla Zardcksendung unverlangter odar nicht tngemeldeter Manuskripta, falls ihnan nicht genigaad
Porto bsttiagt, ubeminunt di« Redaktion kdna Garanti*. Schwer lesertiche Manuskriptc werden ungepruft zuriickgesandt
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin SW. 11, Luckenwalderstr. 1. III.
Digitized by
Google
An unsere verehrten Leser!
Mit vorliegendem Heft schliesst der drittc Jthrging dcr ,MUSIK".
Wir durfen bei dieser Gelegenheit mit Freudcn feststellen, diss uns der aus-
gedehnte Kreis unserer Freunde nicht nur trcu geblieben 1st, sondern
sich auch wiederum ganz wesentlich erweitert hat. Wir entnebmen aus
diesem Umstand fur uns die dankbare Verpflichtung, auf dem ein-
geschlagenen Wege mit den sorgflltigsten Mitteln danach zu streben, die
„MUSIK* als das umfassendste und reichhaltigste aller Fachorgane auf
der glucklich gewonnenen Hdhe seiner Fuhrerschaft zu erhalten und die
Universality unserer Zeitschrift weiter auszubauen.
An anderer Stelle dieses Heftes verweisen wir auf die Beitrige, die unsere
verehrten Leser im kommenden Jahr zu erwarten haben, und lenken in re
Aufmerksamkeit besonders auf das erste Heft, das als ein MOZART-HEFT
den IV. Jahrgang erdffnet. Mit dieser Publikation, die die ausserordent-
lich verbreiteten Sonderhefte unserer Zeitschrift urn eine besonders
wertvoile Gabe bereichert, entsprechen wir den Wunschen einer grossen
Zahl unserer. geneigten Leser.
Den Titel zu dem eben abschliessenden Quartal resp. unserm XII. Bande
und das Register unserer Kunstbeilagen wird das erste Heft des
neuen Jahrgangs bieten, win rend das Namen- und Sach register
dem zweiten Heft beigegeben werden wird.
Wir bitten urn die Fortdauer des Interesses unserer Leser und die prompte
Erneuerung des Abonnements fur den IV. Jahrgang
— bei Bestellung auf den vollstitadigen Jahrgang ist der Abonnements-
preis bekanntlich um 1 Mark ermSssigt — damit keine Verzdgerung in
der Zustellung eintritt.
Berlin, den 15. September 1904.
Redaktion und Verlag der MUSIK
Digitized by
Google
'Ad. Baumann, Munchen phot.
HI. 24
FELIX MOTTL
Digitized by
Google
Digitized by
Google
A. M. Benque, Pin's phot.
HI. 24
EMANUEL CHABRIER
f 13. SEPTEMBER 1894
Digitized by
Google
Digitized by_
/^^'
Wwm
A
^^k |L^/
1 if
1 V
MARTIN PLODDEMANN
*29. SEPTEMBER 1854
III. 24
Digitized by
Google
Digitized by
Go.
Pierre Petit, Paris phot.
CHARLES LAMOUREUX
* 28. SEPTEMBER 1834
III. 24
Digitized by
,
s
Digitized by
w
■J
X
tf O
o o
< £
25 o
» >
& Q
»■* »■*
J OQ
< H
X H
<
u
CO
Digitized by
Google
Digitized by
Gdl
FRANgOlS ADR1EN BOIELDIEU
f 8. OKTOBER 1834
III. 24
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Eckhert
Sainton
Vieuxtemps Deloffe Hill
Ernst
Bottesini
Laub
Sivori
111. 24
Digitized by
Google
I
Pauer
Pilet Menter
Piatti Seligman
Halle Bennet
Ella
Baugniet
DIE KUNSTLERSCHAR VON JOHN ELLA'S „MUS1CAL UNION u 1851
Digitized by
Google
Digitized by
Google
FOr den IV. Quartalsband des
III. Jahrgangs der W MUSIK"
III. 24
Digitized by
Google
Digitized by
Google
EINSAME WOLKE
( Gedichl- von MarNn GreiP)
von
\
OSKAR NOE
aus fiinf Lieder fiir eine Singsrimme mir Klavierbegleifung
Mil- Genehmigung des Verlages
LAUTERBAGH&KUHN, LEI PZIG
Digitized by
Google
fiphr Inncrcsim riiirphnnc iart nnrl trniiuiPricph
fe^m^W^nfl^^^^W^
i ssgg
«P< y
^_J.
^
M
f^~T~^f
*Sa. *
r
«*&. * <*». * «Sa. * %&. • la.
lein
sehien ihr nach - zu - win - ken. S ehr ausdrucksvolL
wm^m
g^ffi
* %&. * •so. *
Digitized by
Google
kt
j^^e
s^
tan -
aber nicht zupitckhaltend
ge sie wie sell - neiid hing, fcr - ne
pi J J- JIU
^
den Ge - nos - - sen.
AJs die
J" ijn
iff
fiff
IP
Hffi
a
?W
t.
tt
jj_
ppdim. |.
2 y_
I ?f f
Z^_
£
PHF
=5=5=
E > •» < E v *
^^r
sekrzart
•xa. *
Stich u. Druck: Berliner MuaikaMeu Druckerei G. m.b. H. Charlottenburg.
Digitized by
g/ps^
Digitized by
Google
3. JAHR HEFT 24
Zweites Septemberheft
Digitized by
Google
8'
J
Brdtkopf$ljdrfel
Zur Vorbereitung
auf das 2. Bachfest, Leipzig, 1. — 3. Oktober 1904.
Die folgenden zur Aaffflhrung gelangenden Werfce slnd glelch alien
anderen Wert en Baehs Im Verlag yod Breltkopf A HSriel erseMcncn:
W
Motetten: a
No. 1. Singet dem Herrn Kl.-A. 1.50
„ 2. Der 6eist hilft „ 1 50
Kirch en- K an ta ten :
No. 66. Erfreuet euch Kl.-A. 1.50
„ 70. Waohet, betet „ 1.50
„ 79. 6©tt, der Heir , 1.50
„ 81. Jesus sohl&ft „ 1.50
» 105. Herr, gehe nloht „ 1.50
Weltliche Kantaten:
Der Streit zwischen Phobus und Pan Kl.-A. 3 —
Schweiget atltle f plaudert nicht m 1.50
Instrument al werke :
Konzert fSr 3 Klaviere and Orchester, D-moll. Bearb. fur 2 Klaviere
zu 4 Hftnden 2.50
Konzert fur Pianoforte und Orchester, D-dur. Bearb. fur Pi an forte
zu 4 HSnden M. 2.—, geb. 3.50
4. Brandenburger Konzert, G-dur. Bearb. fur Klavier zu 4 HSnden
M. 3.—. Fur Violine und Pianoforte bearbeitet 2.50
Sonate fur Violine und Klavier, E-dur 1.30
Suite No. 4 fur Orchester, D-dur Part. 2 —
Suite No. 5 fur Violoncello allein 1.— ■
LEIPZIG ^JjSLlf LONDON
-aUsX^WS NEWY ORK
BrritkopfoQdrtcl
LEJPZ16
BRttSSEL
LONDON
NEW YORK
Johann Sebastian Bach's Werke.
Einzelausgaben sdmtlicher Werke.
Anggabe der Bachgeiellscbaft.
(Partitur.)
Ausgabe fQr praktischen Gcbrnuth.
GeSangWCrke. <Kl*vicr.uszug mit Text unJ Stimrocn.)
J. Kautaten.
No. 1-198. Kirchenkantaten.
No. 201 Itlicbe Kanuten.
Jcdc Part. M. 3.-, einige M. 6.-. Jcder Klavierausz. Sub-
skrintionspi Einzelpreis M. 1.50. Von ciner
grossercn Anzahl Kantatcn erschienen auch Chor- und Orchester-
stlmmcn zum Prcisc von 30 Pf. fur das elnz. Heft. Orgelst.
je M. 1.50. Ausfiihrliche Verzcichnisae kostenfrei.
II. Motetten.
Simtlicbc Motetten No. 1—8.
Partitur mit untergelegtcra Klavieraussug. Jcdc No. 5>ub-
skriptionapreis M. I.—. Einzclprcis M. 1.50. Chorstimmen
jcdesmal 4 Hcfte jc 30 Pf.
III. Orator ien.
1. Oateroratorium. Part. M. 6.-. Klavierauszug M. 1.50.
hnachtsoratorium. Part. M. 12.-. Klavicrauszup !
W) Pf.
IV. MesBcn.
Band 1.
I. Hohe Mcsse in H-moll. Partitur (Orlg.-Ausg.) M. 12.— ;
bcarb. v. Kretzschmar M. 15. — . Klavlerauszug AV
Orchestcrstimmen je M. 1.50. Orgclstimmc M. 6.—.
Band 2.
No. 2-5. Klcinc Messen. Part. M. 3.—. Klavlerauszug M. 1.50.
6. Magnificat in D-dur. Part. M. 6. - . Klavicraus/ug M
7-11. Sanctus in C-dur, D-dur, D-moll, G-dur, D-dur. Purt.
M. 6.—. Klavlerauszug M. 3.—. Chorstimmen jc 30 Pf.
V. Passionen.
1. Passionsrausik n. d. Evangclisten Matthaua. Part. (Orig.
Ausg.) M. 12.-. Besrb. v. R. Fra
auszug M. 3.—. Orchestcrstimmen je M. 1.20. Orgcl-
stimmc M. 3.—. Pianofortestimmen A\. 3. — .
2. Passionsmusik nach d. Evangclisten Johannes. Partitur
M. 12.—. Klavierauszug M. 3.—.
3. Paasionsmusik nach d. Evangelisten Lucas. Panitur M
Klavlerauszug M. 3.—. Orchestcrstimmen
Orgdstimmc M 6.—. Chorstimmen je 30 Pf.
VI. leieder und Arien.
Gcistliche Lieder und Arien aus Schemcllis Gcsanghu
dem .Notenbuch - der Anna Magdalena Ba. m An-
hang. Fiir cine Singstimmc und Pianoforte (Orgcl udcr
Harmonium) M. 4—.
VII. Choralges&nge.
Chontlgesange fur gemischten Chor M.
Aucb In 6 Liefcrungcn zu je M. 1
Orchesterwerkc.
er Klavlerstlmme M
Prcis jedcr Partitur M. .1.-, jcder Orcheatcrstimmc 30 Pf., jcder Solo-Vlollnstiranu
(die grfisscren M. 3.-.)
2 Konzerte fiir 3 Klaviere und Orchea
4 Ouverturen (Suittn).
5 Or cheater "Konzerte.
tj Konzerte fur 1 Klavier und Orchester
3 Konzerte fur 2 Klaviere und Orchester,
Subskriptionoprcii fiir
Fiir Violine allein.
Einzeln jc M. I — .
6 Sonatcn G-moll, H-moll, A-moll, D-moll, C-dur, E-dur.
2 Lieferungen.
Fiir Klavier und Violine.
Einzeln je M. 1.30
onaten H-moll, A-dur E-dur, C-moll, F-moll,
G-dur. E-moll. Fuge in D n
9 Lieferungcn.
Far Klavier und FlOte.
Einzeln je M. 130.
matcn H-moll, Es-dur, A-dur, C-dur, E-moll, E
6 Lieferungcn
Orgelwerke.
crt und bczeichnct von Emit Saumann.
9 Bu r 27 Lieferungcn je M I.—.
x Konzert fiir 4 Klaviere und < >/
4 Konzerte fiir Violine und Orchester.
Kammerm usikwerke.
jtdt Lieferung If i
Fiir Violoncell.
Einzeln |e M. I
6 Sultcn G-dur, D-moll, C-dur, Es-dur, C-moll, D-dur.
2 Lieferungen.
Fiir Klavier und Viola da gamba oder
Violoncell.
Einzeln Je M. 1.30. 3 Sonaten G-dur, D-dur
3 Lieferungen.
Fur Klavier und 2 Instrumente.
31. Sonate in C-dur fur 2 Viollncn und Klavier M 3 20.
32. Sonate in G-dur fur Flftte, Violine und Klav.
itc aus dem .Musikalischen Opfcr" Violine
und Klavier. M. 4.20. 4 Lieferur:
Kla vier werke.
dierte und bezcichncte Ausgabc vor
12 B 2 40.
G. Ricordi & Co., Leipzig, Querstrasse
Milauo, Roma, Napoli, Palermo, Paris, London.
Klavier-Ausziige der beliebtesten Opera.
Apolloni, L'Ebreo
Auber, Fra Diavolo
— La Muta di Portici(DieStunime
von Portici)
Beethoven, Fidelio . .
Bellini, Adelson u. Salvini . .
— Beatrice di Tenda
— Bianca u. Fernando .
— I Capuleti e i Montecchi . .
— Norma
— II Pirata ...
— 1 Puritani (Die Puritaner) . .
— La Sonnambula (Die Nacht-
wandlerin) ....
— La Straniera
Boito, Meftstofele ....
Ciinar osa, Giannina e Bernardone
— 11 Matrimonio segreto (Heim-
liche Ehe) ....
Donizetti, L'Ajo ncH'imbarazzo
— Anna Bolena
— Belisario
— Betly
— Don Pasquale . .
— Don Sebastiano
— D'Elisir d'amore (Liebestrank)
— La Favorita
— La Figlia del Reggimento (Die
Regiments-Tochter) ....
— Gemma di Vergy ...
— Linda di Chamounix ....
— Lucia di Lammermoor . .
— Lucrezia Borgia ...
— Maria di Rohan ....
— Poliuto
— La Regina di Golconda . . .
— Roberto Devereux
Floridia, La Colonia Libera . .
Flotow, Marta (mitital.u.frz.Text)
Franchetti, Asrael ...
— Cristoforo Colombo .
— Germania
Gastaldon, Mala Pasqua . . .
Gluck, Alceste
— Armida
— Orfeo ed Euridice . .
Halevy, L'Ebrea (DieJQdin) . .
Herold, Zampa
Marchetti, Ruy Bias
Mascagni, Iris
Mascheroni, Lorenza ....
Mercadante, II Bravo ....
— 11 Giuramento
Meyerbeer, Dinorah
— II Profeta (Prophet)
— Roberto il Diavolo (Robert der
Teufel)
— Gli Ugonotti (Hugenotten) . .
Mozart, Don Giovanni (Don Juan)
— 11 flauto magico (Zauberfiflte) .
— Le Nozze di Figaro (Fig. Hochz.)
Klav, i
I. ties.
KUt
dtsch.
ical.
ftllein
—
4.80
—
—
4.—
1.20
_
4.—
1.20
—
—
-.80
—
2.60
1.20
—
2.60
1.—
—
2.60
1.20
—
2.—
—.80
—
2.—
-.80
—
2.80
1.20
—
2.40
1.20
2.—
-.80
—
2.60
1.20
12—
8.—
4.80
—
3.20
—.80
2.80
1.20
—
2.40
—
—
2.40
1.—
—
2.40
2.—
2.40
—
1.—
—
3.20
1.20
—
2.20
I.—
—
2.40
1.20
—
2.—
2.—
1.—
—.80
—
2.40
1.20
—
2.—
—.80
—
2.—
2.-
2.40
—.80
1.-
—
3.20
1.20
—
3.20
12.—
4.80
—
_
1.60
12.—
12.—
8.—
16.—
12.-
—
12.-
8.-
—
6.40
—
—
2.40
—.80
—
2.40
1.60
—
1.60
—.80
—
6.40
2.40
—
3.20
1.20
16.—
9.60
5.60
12.-
12.—
8.—
12.-
12.-
—
—
2.40
—
—
2.—
—.80
—
4.40
2.40
—
4.80
3.20
3.60
1.40
—
3.60
1.40
—
3.20
1.—
—
3.20
—
—
2.80
—
Nicolnj, Le vispe Comari diWindaor
(Die lust. Weibcr von Windsor)
Pacini, Saffo
Paisiello, II Barbicre di Siviglia
Pedrotti, Tutti in maschera .
Pergolesi, La Serva padrona
(Magd als Hcrrin) .
Ponchielli, La Gioconda
Puccini, La Boheme . .
— Madame Butterfly
— Manon Lescaut .
— Tosca
— Le Villi
Ricci (Frat.), Crispino e ia Comare
Rossini, L'Assedio di Corinto
— II Barbiere di Siviglia
— La Cenerentola .
— II Conte Ory
— LaGazzaladra(DiebischeElster)
— Guglielmo Tell (Wilhelm Tell)
— L'ltaliana in Algeri
— Mose\
— Otello ... ...
— Semiramide
Spinelli, A Basso Porto
Spontini, Fernando Cortez . .
— La Vestale
Verdi, G., Oberto Conte di San
Bonifacio . .
— II finto Stanislao (Der falschc
Stanislaus)
— Nabucodonosor
— I Lombardi alia prima Crociata
(Der Lombarden l.Kreuzzug)
— Ernani
— I dueFoscari(Die beiden Foscari)
— Giovanna d'Arco
— Alzira .
— Attila . ...
— I Masnadieri (Die Raubcr) . .
— II Corsaro . ....
— La Battaglia di Legnano (Die
Schlacht am Legnano) . .
— Luisa Miller
— Rigoletto ...
— U Trovatore (Troubadour) . .
— La Traviata (Violetta) ....
— Traviata, Miniatur-Ausgabe 16°
— 1 Vespri Siciliani (Sicil. Vesper)
— Aroldo ....
— UnBalloinMaschera(Maskenball)
— La Forza del Destino (Die Macht)
des Geschlckes) . .
— Macbeth ...
— Don Carlo . . .
— Aida
— Aida, Miniatur-Ausgabe 16°
— Simon Boccanegra . . .
— Otello
— Falstaff . .
Weber, Der Freischfltz . . .
— Euriante . .
etc,
KUt. o
dtsch.
15.—
12.-
12 —
15.-
7.—
12.-
12.-
12.—
2.50
12.—
16.-
16.—
ties.
Jul.
3.20
2.80
2.80
4.40
—.80
6.40
12.—
12.-
12.-
12—
5.60
4.—
3.20
2.60
3.20
3.20
3.60
4.40
3.20
2.40
2.40
3.20
12.—
3.20
3.20
2.80
3.40
2.80
3.20
3.20
2.80
2.80
2.80
2.80
2.80
2.40
2.80
2.80
4.—
4.—
4,
4 —
3.20
4 —
8.—
6.40
16.-
9.60
Spezialverzeichnisse iiber Opermusik, Klavier, Gesang, Mandoline, Orchester etc
— Diensten und bitten zu verlanQen. :
8,
16.—
16
2.—
2.40
stehen gratis
Klaf
allcin
1.60
4 -
v.—
8.—
8.—
8.—
4.—
240
1.—
1.20
1.20
1.20
1.60
120
1.—
1.40
1.20
1.20
1.60
1.20
1.20
1.60
1.20
1.20
1.20
1.20
1.20
1.20
1.20
1.20
2.—
2.—
2.—
1.20
2.40
1.20
2.-
4.80
4.-
6.40
6.40
1.60
4.80
9.60
9.60
—.80
ZU
II
Digitized by
EE
)ITION PETER
:S.
Auswahi aus Nova September 1904.
No.
3081.
3054.
Klavier zu 4 Handen.
Mahler: Fiinfte Symphonie (Singer)
Sinding: Op. 71, 6 Klavierstiicke .
M. 9.—
M. 3
3069.
232 a.
Violine und Klavier.
Back, J. S.: Konzert G-moll (Schreck)
(turn enttn Afalc veriiffenth
— — 6 Sonaten No. 1 — 3 (Schreck)
M. 2.50
3032 a/d.
3056.
3057.
St reich- Quartette.
Beethoven : Quartette (Joachim & Moser) Partitur, 4 Bde. a
Sinding: Op. 70 Quartett A-moll. Partitur (16°)
— — Stimmen
M. 3.—
M. 1
M. 5.—
3065.
3064 a/b.
Orgel.
Alte Meister des Orgelspiels: 14 Orgelstiicke (Straube)
on Bach, B6hm, Buxtehiule, Kerll, Muff at, Pachclbt
Strunyk un
Reger: Op. 80, 12 Orgelstucke, 2 Hefte . . .a
M. 3.—
M. 2.—
3140a b.
3141 ah.
Gesange mit Klavier.
(Deutsch, englisch.)
Wolf: Morike-Lieder Band I, hoch und tief .... a
— — Band II, hoch und tief .... a
IIiiikI 1 : an die Hoffnun>:. 2. Dcr Knubc und das Immlcin.
3. Ein Stiindlein wohl vor Tag. 4. Ja. Dcr Tambour. B
7. Das vcrlassenc Miigdlcln. H. Regegnung. 9. Nimmersattc Llebc. 10. F«
It. 11. An cine Aolsharfc. 12. Vcrborgvnheit.
Hand 11: 13. Im Fruhling. 14. A Auf einer Wandcrung. 1H. Elfcnllcd.
Dcr Gartner .nfaltcr im April. 19. Urn Mirtcrnachr. 20-21. Auf
cine Christblumc 1. 11. 22. Scuf/xr. 23. Auf cin altcs Bild. 24. In dcr Fruhc.
M. 3.—
M. - ;
3068.
3088.
Orchester.
(Preise des Orchestermaterials s. Spezialverzeichnis.)
Bach, J. S.: Konzert G-moll fur Violine u. Orchester (Schreck).
(Zum eraten Hale veroffentlicht)
Moszkowski: Op. 65 No. 3 Habanera.
I 3087.
Mahler: Fiinfte Symphonie. Partitur zu Studienzwecken.
ffiihrung jlndrt im I Ourtenieh- Konteri in KiXn im Uktober stati;
weitere Auffiihrungen in Berlin, Lciptig u. «. v.)
M. 6.— I
t
Wolf: 20 Lieder mit Orchester in Einzelausgaben.
t) Goethe-Lieder. '• Anakreona Grab. 2-4. Harfensplelcr I-III.
Mignon crstc und zweite Inslrumenticr miethcus. 8. Rattcnfan
b) Mdrike-Licdcr. I- An den Sehlaf. 2. Auf ein altes Bild. 3. Karwochc.
4. Denk' cs o Seelc. 5. Er i Gcsang \\ A fer Fruhc.
9. Neuc Liebc. 10, Schlafcndea Jcsusklnd. 11. Sen: find' kh Troat.
J
HI
Digitized by V.
Google I
Kaiserl. und Konigl. Hof-Pianof ortef abrikant
Julius
Bliithner
Pianinos Flflgel
Filiate Berlin, Potsdamerstraase 27b
Franz L'S2<-A^demic
Unter dem Protektorat Ihrer Kgl. Hohcit der Frau
Erbgrossherzogin Pauline von Sachsen -Weimar
IDirektion: Martha Remmert
Hofpianistin * Berlin W. * Tauenzienstrasse 6"'-
GRrtND
PRix
P/qRis i
1QOO m
Pianos, HflR/AONm/A
V PWNOFORTEF/qBRJK
":vorm. J.» P. SCHlEDMrtYER
, K.u.K.Hoflieferanten
i Stuttgart
Neckarstr.12.
I
6rotrian=$tcinweg Hacbt
Ftiigel.
Braunschweig.
Pianos.
Digitized by
G«
Neue symphonische Werke
aus dem Verlage von
Ed. Bote & G. Bock in Berlin.
£C0 ?lCCh, Vorspiel znm II. AHt dcr Oper: Alpeukdnig and Menschen-
leilld fur Orchester. Stimmen M. 6.— ik
C SchjCldCfUp, Sommernacht aui dem Fjord
fur Orchester. Partitur M. 3. - netto, Stimmen M. rt. netto.
GCOrg Schtttttann, op. 34. Erne Serenade
fur Orchester. Partitur M. 20.— netto, Stimmen M. 30.- netto.
Jjlchard StW«55» op. 53. Symphonia domestica
fur Orchester. Partitur kl. Format M. 6.— netto.
Neue Erscheinungen
fiir popnlare Orchester -Konierte.
C p. jtHttdcl, Arioso aus Cantata eonstromenti
fur Orch. einger. von Otto Marienhagen. Stimmen M. 4. netto.
J{. JtOtnatltl, Alter Jagermarseh 1813—15
fiir Orchester. Stimmen M. 1.50 netto.
]. Offenbach, OnVcrtore zu Blaubart
— OnVertlire zu Grossherzogin von Gerolstein
OnVwtore zu Insel Tulipatan
OnVcrtore zu Kakadu
OnVcrtore zu Nummer Seelisiindsech/ig
OuVertnre zu Prinzessin von Trapezunt
mmen fur Orchester Pr. a M. 6.— netto.
ft. ?a$tOry, op. 152. Monna Vanna-Walzer
fiir Orchester. Stimmen M. 4.— netto
J
Digitized by NjUOQ I
Google
Verlag von Ed. Bote & G. BOCk in Berlin
Neue Kompositionen
von
Eugen d'Albert.
Fflnf Lieder nach Gedichten von Llliencron und Rassow. op. 27. M.
Sieben Lieder im Volkston aus des Knaben Wunderhorn. op. 28. M. 3.—
Tiefland. Musikdrama in zwei Akten und einem Vorspiel.
Vollstandig-er Klavier-Auszug* mit Text M. 20.
An den Genius von Deutschland von j. g. Herder, fur chor,
Soli und Orchester, op. 30. Partitur, Stimmen u. Klav.-Auszug.
Neue Instrumentalmusik.
£C0 JlCCb, Vorspiel zum III. Akt der Oper: AlpettKotlig Uttd
j\(lCB$(hcnfcitld, f. Violine u. Klavier (od. Harmonium) M. 1.20
JiciltriCb Grfiltfcld, Gavotte aus JdomeneO von Mozart, fur
Violoncell und Klavier . . M. 1.50
GttSUV )(ollattdcr, op . 62, Eekhtcs Violiti-Konzert m. Kiav.-Begi. m. 4.—
J(flfl5 )(055lCr» DetltSCbC TanZWCfSCtl, fur Violine und Klavier M.
ftl(0$ fifezltf, KngariSCbC WeijCtl, fiir Violine mit Klavierbegl. M. 2.50
J. J. padCrCWSHi, ChaBt d'amonr, fiir Violine und Klavier
£tHiU 5attrCt 9 op. 66, TrolS JUorCCanX. No. I. Aria. No. 2. Ga-
votte. No. 3.QValse mignonne, fiir Violoncell (oder
Violine) und Klavier . . Preis a M. 2.50
jYiftX ScttillitIgS, op. 18, Pr«i SChlkhte WeijeW, fiir Violine und Klavier.
No. 1. Mailiedehen. M. 1.20. — No. 2. Reigen. M. 1.50. —
No. 3. Wenn's dunkelt. M. 1.50.
Digitize
Verlag von Ed. Bote & G. fioek in Berlin
Neue vorzugliche Klavier-Musik
Alfred Griinfcld
Op. 50 No. 1
Chanson sans paroles
Pr. M. 2.—
2
Scherzo Caprice
w „
» » » ^*
ALcnuetto Rococo
„ „ 2.50
4
Canserie
„ „ 2.-
Op. 51 No. 1.
Elegie
„ „ 2.-
9
T> ■)> ^ *-'
Hunioreske
„ „ 2.50
» >1 » **«
Mazurka a la Viennois
„ 2.-
4
Valse inigiionne
„ „ 2.-
Thcod. IcschctizHy
Op. 46 CONTES DE JEUNESSE
No. 1. Berceuse
„ 2. Ainsi dansait Hainan
„ 3. Affaire compliance
„ 4. 1 1 n in om en t de tristesse
5. Toccata (lioin inane a Czerny)
„ 6. Inipromptu en Souvenir de Henselt
„ 7. Gavotte all'Antica et Musette nioderne
8. Phantasiestuclt(Hommagea Schumann)
„ 9. Hommage a Chopin
Pr. M. 2.—
2.50
2.50
2 —
3.—
3.—
2.—
3.—
?adcrcw5Hi-Alb«in
Inhalt: i. Chant d'amour. 2. Scherzino. 3. Legende. 4. Mazurka.
5. Melodie (Op. 8 No. 3). 6. Caprice. 7. Celebre Menuet.
8. Nocturne. 9. Menuet (Op. 16 No. 7). io. Melodie
(Op. 16 No. 2). li. Cracovienne fantastique. 12. Theme
varie. Pr. M. 4. netto
Digitized by VjOOQL(
Verlag von Ed. Bote & G. Boek in Berlin
NEUE LIEDER
nach Gedichten
lm (I'AIbCrt, Flinf Lieder
Liliencron und Rassow. Op.
Sieben Lieder im Volkslon ,„, des Knaben
Wunderhorn. Op. :
£C0 $lCCll, Lied an die Einsamkeit:
^riisst. Stille der Etasamkeit"
Lied im Volkslon: ..scwm >>.,d Rosen und
Jasmin* 1
1 mir
Franz Von jjlon, ,
eh weiss, Jas> auf dei
Welt micfa keine liebt u ie dir
jiciiinch Jtofttianit, aus d e m n*-*.
Heideprinzesschen
GCOfff 5chllttiantt, Drei Lieder
• Or
No. i. libera Jahr
Der Schnitter
Rosenzeit
Op
j(atlS 50nttnCf 9 Drei Lieder.
No. 1. Ilerhstabend
2. Jugend
ang des Lebens
1 B- Zcrlett, OP .«
Nun pfeif ieh noeh ein zweiles Stuck
M.
Th. Mannborg
Leipzig
Kornerplatz 3/4.
Pramiicrt: Antwerpen (894. Ubeck 1895. Borna 1896. Leipzig 1897. Berlin 1898.
Parit 1900.
Fabrik for
Harmoniums
in hSchster Vollendung.
Gtrossei Pracntkntalog rait ct*. 90 Modellen In feeler Grdsse
stent grern sn Oiensten.
Berliner Ittu$ikalien-Dru<kerei
m * *• * * &$k* Berlitt-eDarlottettburg.
Charlottenburg, Wallstr. 22. * Fernsprecher: Ch. 2078
Notenstich. Notendruck Lithographie.
Autographie. Ktinstlerische Titelblatter.
Vollstandige Herstellung von Musikalien.
Noten-Schreibpapier in alien Liniaturen.
Bcrlill 0., Warschauerstr. 58
nahe den Stadt- u. Hochbahnstationen
Warschauerstrasse resp. Warschauerbriicke
n meinen eigenen, neuerbauten
u. bedeutend crweitertcn
Geschfiftsriumen
#
Gcgrandet 1890.
Erstklassige Pianos
in ca. 50 verschiedenen Mustern.
Spezialitit: Pianos und Fliigel
nach Zeichnung in jeder Holzart zu MGbeleinrichtungen
resp. Salonausstattungen passend in kflnstlerischer AusfQhrung.
„Janko a -Piano« nach eigenem Patent. * Jahresproduktion ca. 2000 Pianos
**
Qast Flugel=Pianos und Pianofolas. *
Alleinige Niederlage
Verkauf und Vermietungen der Kaieerl. und
Konigl. Hofpianoforte-Fabrikanten o o o
Carl Mand, Carl Scheel, Ernst Kaps,
Julius Feurich
nur bei KARL KUBE NACHF. GAST
V
Coulante Bedingungen.
BERLIN «. W. 62, Lutzow-PIatz 1.
Digitized by Vj0031€
,ogl
Vertag Von JJics * £rl«r in B«rll».
tleue Orchesteroerke.
HSDdel, G. F. 3 Stueke fur Streichorchester
und Orgel, bearbeitet von A. Schmitt. Par-
titur 3 M, n., Stimmen 4 M. n.
Hausegger,Siegm.Y. Barbaro$$a- symphonische
Dichtung. Partitur z. Privatgebrauch 30 M. n.
— DiOliytisAcPhantasie.Symphonische Dichtung.
Partitur zum Privatgebrauch. 2) M. n.
— UJiCland der $d>miC<t. Symphonische Dichtung.
Partitur zum Privatgebrauch 20 M. n.
Zu alien Hauseggerschen Werken vollstindiges
Orchestermaterial nebst Auffuhrungsrecht nach
Vereinbarung. -
MOZaH, W. L fatlta$le (F-moil). Fur Streich-
orchester und Orgel bearb. von A» Schmitt.
Part. u. Stimmen a 4 M. n.
Pohllg, C. Per aspera ad a$tra, Symphonische
Dichtung. Partitur zum Privatgebrauch
20 M. n. Stimmen nach Vereinbarung.
Welngartner, Felix, symphenisttes zwisAen-
spicl aus Malawika. Partitur 15 M. n.,
Stimmen 20 M. n.
ZilCher, H. OP. 4. Suite. Partitur 20 M. n.,
Stimmen 30 M. n.
Paul Harsop
^ tudicnblaltcr
tints JtosiKns
Geh. 5 Mk.
Geb. 6 Mk.
Durch jede Buch- und Musikalienhandlung.
-» Beethovensaal. «-
Mittwoeli, 2H. September, 8 X T lir:
Klavierabend von
= Frieda Kwast-Hodapp =
Grossherz. Hessische Kammervirtuosin.
Karten : 5, 3, 2, 1 Mk. b. Bote u. Bock.
Donuer§taK» «»• September, H lifers
Konzert von
larie YanRoosenilaal («es.) TberesePott (Hw»0
Karten: 4, 3, 2, 1 Mk. b. Bote u. Bock.
Freita^r, 30. September, H Uhr:
LieHeraW Ton George Fergusson.
Karten 5, 3, 2, I Mk. b. Bote u. Bock.
DI6 HUM
brachte bisher folgende
Sond erhefte:
1. Wagner-Heft
2. Wagner-Heft
3. Wagner-Heft
4. Wagner-Heft
1. Beethoven-Heft
2. Beethoven- Heft
3. Beethoven-Heft
Brahms-Heft
Berlioz-Heft
Hugo Wolf-Heft
Cornelius-Heft
Mit Ausnahme des 2.Wagner-
(Doppel-)Heftes (2 Mark)
kostet jedes Sondertieft 1 Hark.
In Vorbereitung :
jViozart-jUK
(Erscheint Anfang Oktober d. J.)
uerlaj der MUSIR, Berlin.
Digitized by
Google
== Kgl. Akademie der Tonkonsf in ttunchen. —
Ausbildnng In alien Zweigen der Nu*ik einschl Oper.
Hanptlehrer: Direktor B. Stavenhagen, E. Bach, H. Bussmeyer, B. Kellermann, A. Sch mid-
Lindner, H. Schwartz (Klavier), J. Becht, L. Maier (Orgei). V. Gluth, A. Beer-Walbrunn, E. M.
Sachs, L. Thuille (Kontrapunkt und Kotn position si eh re), Frau Bianchi, A. Dressier, B. Gflnz-
burger {Sologesang), Hofschauspieler E. Gura (Darstel 1 ungsku nst), Felix Berber, Fr. Drechsler,
M. Hieber, Th. Kilian (Violine), L. Vollnhals (Violine und Viola), Heinrich Kiefer, J. Werner
(Violoncell) und die hervorragendsten Alitglieder der kgl. Hofkapelle fflr die flbrigen Orchester-
instrumente. Be* inn des Schuljahres 1904 05 am 16. September. Aiimeldiiiigen im Sekretariat
(kgl. Odeon) am 15., Prflfungen am 16. u. 17 September d. J. Statuten konnen durch das Sekre-
tariat bezogen werden. M One hen, im August 1904.
Die Dirfektion der kgl. Akademie der Tonkunst.
Bernhard Stavenhagen.
Jtotarwissenschaft
und
Stimmcrziehung!
Haterialprinzipien f. Padagogen a. Sanger
Nana Weber-Bell, Munchen.
Prels M. 1.— .
Zu beziehen durch jede Buch-
handlung oder bei Einsendung des
Betrages in Briefmarken durch den
Verlag Max Schmitz. Leipzig-R.
Konservatorium der Musik und Opernschule
Klindworth Scharwenka
Berlin W. t Steglitzerstrasse 19.
Direktor: Dr. Hugo Goldschmidt.
Zweiganstalten: NW., Lesslngstr. 31 und Charlotten-
burg, Uhlandstr. 53. (Leiter: Kapellmeister R. Robitschek.)
Ausbildung in den wichtigsten Zweigen der Tonkunst. Bcginn
des Unterrichts am I. September, Eintritt jederzeit. Die
theoretischen Kurse beginnen am I. Oktober. Sprechstunden
ab 29. August (12 — 1, 4'/9 6). Prospekte und Jahresberichte
gratis durch das Sekretariat.
DIB
Soeben erschien:
Harmony » Max Loewngard
Translated from the German
by
Helen M. Peacock
M. 4.—
Albert Stahl, Berlin (0., Potsdnmerstr. 39.
in
in
Hi
Digitized by
Google
Samtliche Werke von
DETLEU UOH LILIEtlCROli
Neue Gesamtausgabe in 14 Banden:
Band I: Iriegsnovellen
II: ins Marseh and Geest
III: KSnige and Bauern
IV: Roggen and Weizen
V: Der Hieen
VI : Breide BummelsbDUel
VII: lampf and Spiele
BandVlll: Kampfe and Ziele
„ IX : Nebel and Sonne
„ X:Bante Beate
„ XI: Poggfred. Erster Teil
„ XII: Poggfred. Zweiter Teil
„ XlII:MitdemlinkenEUbogen
„ XIV:Dramen
Bis jetzt liegen fertig vor:
Band L H m. IV. VIL V1IL MM.
In jedem Monat erscheint efn Band ! Die Gesamt-
ausgabe wird im Marz 1905 abgeschlossen sein.
AdjutantenriUe, Gediehte, Haideginger existieren nieht mehr in
Einzelausgaben ; ihr Inhalt ist in die Bande VII und VIII der
Gasamtausgabe iibergegangen.
Jeder Band kostet geheftet 2 Mark
Jeder Band in Leinen gebunden 3 Mark
Jeder Band in Halbfranzband 4 Mark
= Bestellangen nimmt jede Buehhandlang enlgegen. =■.
Schuster & Loeffler, Berlin SW. 11.
IV
Digitized by
Google
Wohnungsveranderung.
Anna ». Eugen riildach.
Aosbildang fur Koozert-, Oratorien- and Operngesaog.
Frankfurt a. M. y Beethoven-Strasse 59.
™^™ AmueWlniifjreu vom 20. September an. i^—
Die
Konzertdirektion Hermann Wolff,
Berlin W. 35, Flottwellstr. 1,
gibt bekannt, dass der Violin -Virt uose
Arthur Hartmann
ihr die alleinige Vertrelung ubergeben hat, und
bittet, Anfragen und Engagementsantrage an sie zu richten.
RICHARD
DEHMEL
Ausgewahlte
GEDICHTE
Gebunden 1 Mark
X. Tausend
Durch jede Buchhandlung
Soeben erschienen:
Carl (joltimarh
Op. 49
3n Jtalien
OuVcrtilrc fiir Orchester
— Partitur n. M. 12.— —
Verlag von
B. Schotfs Sohne. Mainz
Soeben erschienen:
Mfldchenlieder
Sieben Gedichte von Paul Heyse.
Komponiert von
Geors Schumann.
Op. 35. Pr. kplt. M. 3.— no.
(Auf die Nacht in den Spinn-
stuben. Der Tag wird kuhl. Mir
traumte von einem Myrtenbaum.
Trutzliedchen. Sollichihn lieben.
Drunten auf der Gassen. Ach,
wie so gerne bleib' ich euch feme.)
Ucrlag pon
Tricdricb fiofmcistcr in Leipzig.
Schriflstellerin
in Miinchen
(Musik, Theater und andere Sparten)
wiinscht an einigen guten Slattern (Zeit-
icfarlften und Zeitungen) ausserhalb
Miinchens ais MitarhcitcHn baldige
Stellung. Gewahr: langjahrlge
Erf ahrung. Angeb. u. „Saptras 36"
befurdert das Bureau der Frankfurter
Zeitong in Miinchen.
Digitized by
GoogI
r.
Unter der Presse befindet sich
der Zweite Band von
HUGO WOLF
von
ERNST DBCSEY
betitelt:
Huso Wolfs Schoffen.
Dieser Band enthalt als Abschluss des Ersteil Baodes:
Hugo Wolfs Leben.
Die Entstehung seiner grossen Liederbande.
Die Wttrdigung seines lyrischen Schaffens,
Die Geschichte des Corregidor.
Der Ausgang seines Lebens.
Das Werk ist wieder mit ca. 15 wertvollen und interessanten
Bildern nach meist unbekannten Vorlagen geschmQckt.
Erscheinungstermin: Ende September*
Dem Verfasser haben sich neue und wichtige Quellen erschlossen, und
er war in der Lage, die inzwischen erschienene Wolf- Literatur zu
benutzen, so dass ein Werk entstanden ist, das vollig auf der oft
====== geruhmten Hohe des I. Bandes steht. =====
Der Band kostet einzeln geh. 3 Mk., geb. 3.50 Mk.
Subskriptionspreis des Gesamtwerkes geh, 5 Mk., geb, 6 Mk.
Vorbesteilungen durch jede Buch- und Musikalienhandlung.
Schuster & Loeffler, Berlin SW. 11.
VI
Digitized by
Google
DIEMUSIK
Soeben erschien die
EINBANDDBCKB
fiir das abgelaufene IV. Quartal
Preis I Mark
Durch jede Buch- und Musikalienhandlung zu beziehen
Konseruotorium in Bielefeld.
Schulanfang 15.
ftllc FScfi«r fiir jtfusilf.
September.
* eitttritt jcdcrzeit.
Beste Gelegenheit zur Erlangung von Routine im Dirigieren
und Orchesterspiel durch praktische Obung im stadt. Orchester.
Prospekte durch den Direktor
Traugoll <>< -lis.
mit gross. Auswahl von Vortrags-
u. UnterhaltungsstQcken
(210 Seiten qu. 4°) Preis M. 6.—
Von Autoritaten als bestes Werk
fOr Harmoniumunterricht
bezeichnet
Ucrlag von nermann Protet,
Leipzig— Reudnttz.
VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN W M DERFFLINGERSTR. 16
ENDE SEPTEMBER ERSCHEINT DAS ERSTE HEFT DES III. JAHRGANGES
VON
KUNST und KUNSTLER
ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT FOR
BILDENDE KUNST UND KUNSTGEWERBE
Jahrlich zwolf Hefte mit vielen Abbildungen, farbigen Blattern und Originalbeilagen
fur 24 Mark. — Probehefte gegen Einsendung von 20 Pfennig fur Porto kostenfrei.
KRITISCHE URTEILE:
DIE POST: „Eine Zeitsehrift, die von Nummer zu Nummer immer Besseres bietet.* —
NATIONAL-ZEITUNG : „Jedes ncue Heft bringt den Beweis dafiir, dass sich die Zeitsch rift mit immer
stiirkerer Energie der Erfullung ihres grossen und nicht so leicht zu bcwaltigenden Programms nahert:
ein Mittelpunkt fiir alle modernen Kunstinteressenten im weitesten Sinne zu werden." =====
PHOTOGRAPH. RUNDSCHAU: ,Die bis jetzt erschienenen Hefte der Zeitsehrift wird man nicht
anders als mit den anerkennendsten Worten empfehlen konnen.* — '
NEUE FREIE PRESSE : Jedem neuen Hefte dleser ausgezeichneten Kunstzeitschrift sehe ich mit
ungeduldiger Erwartung entgegen, weil ich stets gewiss sein kann, etwas zu finden, das mein kunst-
lerisches Denken rcizt." - —— - ~ =
NEUESTE NACHRICHTEN, LEIPZIG: „Diese Zeitsehrift wird fiir Deutschland das werden» was die
Gazette des beaux arts fiir Frankreich ist." - — - - - ■ ■ - - - - -— ■
ALLGEMEINE ZEITUNG, MCNCHEN : w Die Publikation hat sich wirklich als eine erstklassige
Kunstzeitschrift erwiesen.* = -- - ~- - -
VII
Digitized by
Googl
CARL SIMON
hofmusikalienhAndler sr.
hoheit des erbprinzen von anhalt.
===== fernsprecher iv, 2312. =====
BERLIN SW. 12 oo
MARKGRAFENSTRASSE 10J
NAHE DER LINDENSTKASSE.
I0S1ITEBL1G.
SeetlaUtltee: Hararaaleav aad
Orgelaraelk, laetraaMateU, Klarler-,
laecmele- aad Harfeamaelk, Bia-
and atehrrtimmiftr Sesaag,
If laaercalre a, a. au
VBRIA68KATAL061 aaeatgettllca.
I0SIIS8BTIIEIT-
Aatleaarlat ead AbeaaeaMet. —
SPBZIALPObrBR (Sertfaicate-
Katalege) durch die If ailkllteratar
mlt Aagabe dec Scaaierlgkelte.
trades ta , daa bllUgstea PreUen.
AUSWAHL-SBHDUNQIH.
HIBieilOI-llGiZII.
2 «
Lager aas eretea Vabrlkea dee la*
aad Aaslaadee, lUr die Elrcae,
Scheie, dae Baae aad Eeasert.
GEBRAUCHTB HARMONIUMS
Kaaf aad Mlete la allea Praia.
lagea Tea dea elafecastea ale saai
Kaaethanaealea.
Meine Firms, seit 1867 bestehend, ist stets bestrebt gewesen in obigen 3 Abteilungen das
Beste, Zeitgemisse und Billigste zu bieten.
Die wachsende Aufnahme des Harmoniums in den Familien, Anstalten, Schulen und
Konzerten macht es zur Nofwendigkeit, dem geehrten Publikum Gelegenheit zu bieten, bei vor-
kommenden StSrungen und Mingeln an den Instrumenten fach- und sachgemisse Abhilfe
zu schaffen; daher babe icta als 4 te Abteilling meiner Firma eine
REPARATURWERKSTATT fob HARMONIUM'*
— — — ^—* ^— —^» — — — i.i i — — i — — ■ n , — — —^—
eingerichtet. Die Leitung dieser Werkstatt liegt in den Hftnden eines erprobten Fachmanries.
Ausgestattet mit den modernsten Einrichtungen bin icta imstande, zu billigsten Preisen
Reparaturen jeder Art an Harmoniums aller Systeme unter weitgehendsten Garantieen zu uber-
nehmen; hauptsichlich wird fur gute Intonation und Stimmung Sorge getragen.
0a»T* Indem ich gleichzeitig mein grosses Lager von Harmoniums aller Art bestens empfehle,
erlaube ich mir, aufmerksam zu machen, dass auch GEBRAUCHTE HARMONIUMS zu Kauf
und Miete in grdsserer Auswahl stets vorhanden sind, welche, in tadellosen Zustand gesetzt,
unter Garantie zu billigsten Preisen abgegeben werden.
Bei Ankauf neuer Instrumente nehme ich alte Harmoniums in Zahlung.
Musik-Kataloge, Harmonium-Preislisten nebst Lieferungsbedingungen bitte
zu verlangen.
Um BESICHTIGUNG des Harmonium-Lagers (ohne Verbindlichkeit) wird hSflichst gebeten.
Hochachtungsvoll
CARL SIMON, MUSIKVERLAG.
*) Sdmtliche BestondteUe fiir Druek- und Saugluft-Harmonium: Harmonium-Zungen^
Registerknopfe y Trittbelagc, Windladen, Stimmstocke etc. sowie Aufpoliertn der Ge-
hause biliigst. — Klaviaiurbldehe.
VIII
Digitized by
Google
Wilhelm Hansen, Musik-Verlag, Leipzig.
KlaVicrHowpositioncn^ Christian 5inding.
Zu zwei Hflnflen.
Suite, op. 3. M, 1.50.
Preambule. Courante. Sara-
bande. Gavotte. Presto.
Klavierstudien, o P . 7.
M. 1.80.
Einzeln No. 4: Capriccioso.
M. 1.— .
FUnrzehn Capricen, o P . 44.
Heft 1, 3 a M. 2.50. Heft 2,
4 a M. 1.80. Heft 5 M. 1.50.
Burlesques, op . 48.
Cah. 1 M. 1.80. Burlesque.
Plaisanterie Bagatelle.
Cah. II. M. 3. — . Coquetterie.
Etude mdlancolique. Arle-
quinade.
Sechs Klavierstucke, o P . 49
Heft 1 M. 3.—. Prfiludium.
A la Menuetto. Konzertetude.
Heft 2 M. 3.50. Humoreske.
Arabeske. Pittoreske.
Einzeln: Humoreske. M. 1.25.
Melodies mignonnes(i-6
op. 52. M. 2.25.
Morceaux caracteri s tiques,
op. 53. M. 3.- . Minuetto.
Nocturne. A la Burla. Scherzo.
Quatre morceaux de Salon,
op. 54.
1. Etude. M. 1.50. 2. Rondo-
letto. M. 1.50 3. Serenade.
M. 1.25. Tempo di Valse.
M, 2.—.
Cinq Eludes, op . 58.
No. 1 in G, No. 2 in H, No. 3
in C, No. 4 in D, No. 5 in
Es. No. 1, 2, 4 a M. 1.75.
No. 3, 5 a M. 1.50.
Zu uier Hflnflen.
Volses
pour
piano a quatre mains.
Op. 59.
Cah. 1 (I— IV), Cah. 2 (V— VII)
a M. 3.50.
Ivjitulooe g-ratis ixricl franco.
No.
Soehen erschien ;
315. Mus.f.Blas-Instrumentejed. Art, fern,
f. Xyloph., Glocken, Trommel, Pauken.
316. Kirchen-Musik,Oratorien u. kleinere
Werke in Partitur und Stimmen.
No. 317. Musik fQr Streichinstrumente ohne
Pianoforte. Kammermusik u.Studien-
werke.
„ 319. Musik fDr Orehester.
Von friiher angegebenen Katalogen ist noch Vorrat von:
No. 303a. Musik fflr Violoncello u. Pianoforte.
p 306. Vokal-Musik: Klavier- Auszug mit
Text, Konzert-Lieder mit Orehester-
oder Instrumental -Begleitung, ein-
stimmige Lieder, Duette, Terzette,
Gesangschulen.
Musik fflr Streich-Instrumente mit
Pianoforte.
Biicher tiber Musik, aitere seitene
309.
n 311.
von grbsseren Chorwerken und
Oratorien.
No. 312. Musik fflr kleines und grosses
Orehester.
„ 313. Teil I: Musik fur Pianoforte.
Pianoforte - Konzert mit Orehester.
Pianoforte zu 4, 6 und 8 Hfinden,
Studienwerke, Opern zu 2 und 4
Hfinden, Pianoforte zu 4 u. 2 Hfinden.
„ 314. Harmonie- und Blechmusik.
Werke, Opernpartituren, Partlturen
Spezialverzeichnis fur Harfe, Guitarre, Zither, Mandoline.
GrOSSCS CagCf '" antiquarischen und neuen Musikalien !
Versand nach alien Land em. <ro*ff** flilKaUf 9011 muSlkbibliOtbeRcn.
C. F. Schmidt, Musikalienhandlung und Yerlag
Spezialgeschaft fiir antiquari»che Musik und Musikliteratur.
Heilbronn a, N*
IX
Digitized by VjOOSlC
Dy^iOOQl
bitten die tnteresvanteate und genussreichste
l£me nachden
ltadsuliSdenL-l
f\euer
verkurzteroeewe q nach
- y - HoRta-link.fiamh^
Huslkllternr. Blatter.
PreJs pro Quartal 2 M., erscheinen 3 mal
im Monat. Adm. Wien VIII, Neudcggerg. 20.
Vertag des Universal- Ha ndbuches der
Musikliteratur
Inhale der Nrn. 16 u. 17: 1. Biographicn
mit Abbildungen: a) August Ludwig, b)Mili
Alexejcwitsch Balaklrcw, c) Alexis Hollaen-
der, d) Miecislaw Tadaus Soltys, e) Jen6
Hubay, f) Josef Wlhtol, g) Gustav Laska,
h ) AlexanderKonstantinow itschGlazou now,
i) Amely Maria Heller. 2. Die erste Llc-
ferung des Universalhandbuches d. Musik-
literatur. 3. Zur Auffiihrungsrechtsfrage.
4. Ein gerichtliches Urtcil iiber die Auf-
fuhrungssteucr. 5. Musikliteratur. '
Inhalt der Nrn. 18 u. 19: 1. .Scottish
Legend*, Original-Komposition von Mrs
H. H. A. Beach, 2. Blographien mit Abbil-
dungen : a) Fritz Char, b) Karl RoHch,
e) Friedr. Wilh. Lorenz Trautner, d> Adolf
Ruthardt, e) Vine, Franz Faltis, f) Alexis
Dawldow, g) Karl Wahl, h) Ferdinand
Rebay. 3. Die erste Lieferung des Uni-
versalhandbuches der Musikliteratur. 4. Zur
Auffuhrungsrechtsfrage. 5. Kompositionen
von A. Glazounow.
BV" Die Abonnenten erhalten als Gratis-
prim ie die bercits erschienene erste Liefe-
rung des Universal- Handbuches d. Musik-
literatur. Preis fur Nichtabonn. M. 3.40.
Konzertdirektion
Ad. Henn
Genf (Schweiz).
Telcgr.-Adr. Heai-6eaf O Telephon MB7 (
Engagements beiKonzert-Gesell-
schaften des In- und Auslandes.
Besetiungen von Oratorien.
Arrangements von Konzerten in
alien Landen.
Auskunfte in alien Konzert-
Angelegenheiten unentgeltlich.
gcdiegene Chore filr hohtrc
Schukn and Ccsangycrcinc.
3 stimmige Frauenchore:
Krausz, Gust a wRakoczy-Marsch
Part. M. 1.50, Stimmen M.
Major, J. Julius, Armes Gretchen
— Voglein singt
— Schafer sitzt
Part. M.2.40, Stiramen M
— Abendfeier
Part. M.2.40, Stimmen M
— Fruhlingsatimmuogen
Part. M.2.50, Stimmen M.— ,50
— 3 Kuruczertlieder
— Lied ungarischer Galeeren-
straflinge
— Kuruczenkriegslied
- Csinom Palko
Part. M. 1.50, Stimmen M
Konzcrt- Arrangements
ffir ganz Russland Qbernimmt zu
den gQnstigsten Bedingungen
Arthur Von GfzycKi
Riga, Gr. Sandstrasse 56.
CARISCnsJANIOIEN
Via GVerdi 9. Milano (Italien)
Musikalien- und instrumenten - Handlung
Musikverlag
Grosses Internationales Husikalienlager
Versanti naeh alien Erdteilen.
Gemischte Chore:
Kossler, Hans, Letzter Wide
Part. M.2.40, Stimmen M.— .50
Krausz, G., Rakoczy-Marsch
Part. M. 1.50, Stiramen M. —.40
Major, J. J M Abendfeier
Part. M.2.40, Stimmen M.— .50
4 stimmige Mannerchore:
Krausz, G., Rakoczy-Marsch
Pan. M. 1 .50, Stimmen M. —.40
Alio obigen Chore sind seit einem Jab re
Repertoirestticke der hervorragendsten
Musikinstitute und der ersten ungariaeben
hoherenStaatsscbulen, sowie einergro&sen
Anzahl von Gesangvereinen.
Musikverlag u. Ronzertbureau
He la Mlrjr, Budapest*
K omponisten
Bedeulender Musikverlag
Qbernimmt
gate Kompositionen
snr He fa tell a njt and
rntloucllrm Vertrfteb.
Gefl. Offert. sub K. 6. 7234
an Haasenstein & Vogler A -6 ,
Berlin W. 8. <<<<<<<<<<<
Google
Digitized by VjiUOQ I
BESTE BEZUGSQUELLEN FOR MUSIKALIEN
Albert JtaW
Berlin W. u. Charlottenburg
05
C
CU
OS CO
«)
o
0-
Anton J. Benjamin
Hamburg, gegr. 1848
Bllligste Bezugsquelle von
Musikalien
gp. Antiquariat
Kataloge bitte zu verlangen
NURNBEKG
Willi. SCHMID Naehfl.
Yersand a. z. Ansicht
iiberall hin
P. Pabst
Leipzig
Hoflieferant Sr. Majestat des
Kaisers von Russland
Musikalien -Versand-
Geschafl
Gilnstigste Bezugsquelle fur alle
Musikalien u. musikal. Schriften
Verzeichnisse kostenfrei
H. Schroeder Naehfolger
(C. Siemerling)
Hasikalienhandi., Musikalienleihlnst.
Niederlage der Hofpianofortefabrik
Ernst Munck in Gotha
Berlin W. 50, Nurnbergerstr. 69a
Bremen:
Praeger & Meier
Grosssortiment
Gegr. 1864
3
11 Schnell u. billigst I!
Alle Musikalien
Spezialitat: Antiq. Musik
Kataloge gratis und franko
M, Oelsner, Leipzig
Carisch & Janichen
Milano (Italien)
Musikalien- und lnstrumentan-Handlung
Musikverlag
Grasses Internationales •• ••
Jlnsik alien* Imager
Versand nach alien Erdteilen
Die Firma
C. A. KLEMSt
Leipzig, Dresden, Chemnitz
umfasst alle Zweige des Musika-
lien- u. Instrumentenhandels
Otto Jonasson-Eekermann
Musikalienhandlung
Versandgeschift
Berlin W. Potsdamerstr.l03a
Kataloge gratis.
Kolante Bedingungen
t
UNTERRICHT
1
Prof. €. Breslaur's Konseroatcrium und Seminar.
Direktion: Gustav Lazarus,
Berlin NW., Luisen-Str. 36. Berlin W., Lutzow-Str. 49.
— -^— ^-^— Aufnahme jederzeit. — <^^—
Erste Lehrkrafte, vollstandige musikal ische und padagogische Ausbildung. Elementarklassen.
Spreehstunden : 5—6, Mittwochs und Sonnabends 10—12. || Sprechstunden taglieh. 1—2.
Hans Hermann
Berlin W.
Ublandstrasse 138/139
Theorie
Komposition
Antonia
Aiiclke
Auguste Gofze 5
Privnt-Qesonss- and Opernschule,
Leipzig, Dorotheenplatz !"•
o o o
Tonbildung, Studium fur
Gesang u. dramatische Kunst.
Berlin W. 9 Hohenstaufenstrasse 21.
XI
ȣ-ǥ Freitaq & Co. Kommandanten -StrSO
Digitized by ViOOi
I
UNTERRICHT
Konservatorium des Westens,
Ausbildung in alien Fachern der Musik. Neu eingerichtete
6pen$*ll< - Waffner-ftilMldMgtschule mit daratelle*
risohen Obungen (Kapellmeister Otto-Bayreutb-Dr. Quedcn-
Direkior WUly Seibert. *>«>■ Meldn » g ***%£$£ 'bSdc* ^ bes,ehenden
Cmaooet ^fchws JCocbschotc fBr dramatfscbe Hoost *£*£%«.
Hervorragendste Schauspielschule Berlins. 6ffentliohe Anff&hruogen. Ein-, zwei- und dreijihrige Kurse.
Erste Lehrkrafte. Spezielle Kurse fur Regie. Eintrirt jederzeit.
■ IH An verlfuiffe Prospekte der vereinlfften Anatalten.
}
Kammermusik- Institut
Hutschenreuter*
Unterricht nach besonderer Methode fur
Anfanger u. Fortgeschrittene im Hlaefcr- f
Qiolia- u. Oieloaceilfach.
Jfonorar 10—30 Jfik. monatlich
Berlin W.. Lutherstrasse 44
KNOTS C0ISERY1T0RIDH
Frankfurt a. M.
Beginn des Schuljahrs:
1. SepteMber,
Sommersemester: 1. M&rz
George Armin
Stimmbildner
Berlln-Llcbterfelde
Sternstr. 23 a.
(Anmeldungen bine nur aehriftlich
an mich zu richten.)
Paul Job. Baase
Konzert- u. Oratorien-
sanger (Bass-Bariton)
Lehrer der Tonbildung
nach Mflller - Bruno w
Berlin W.
Kurfurstenstrasse 1 13
Stern'"'" lonsemtorram ^ss^SSStffS^r^
Berlin SW. Gegrundet 1850. Benburgemtr. 22 a.
Administrative Leitung: Alexander von Fielitz, stellvertretender Direktor.
Hanptlekrer: Madame Blanone Oorelli, Frau Lydla Hollm, Frau Prof. Selma Nioklaea-Keepner, Aana Wftllner,
Alexander Heinemann, Nloolaai Botnmnnl, kdnigl. Kammersanger, Wladiila? Seidemann, Ida Rofemand, Tilly
Brann-Waobnols, Sergei Kllbanskt A. Miotael usw. (Gesang).
Felix Dreyiobeok, SeTerin Blsenberger, Gnntker Frendenberg, Gottfried Galaton, Bruno Gortatovfkl,
Brnno Hlnse-Retnkold, Professor Martin Kranse, Emma Koea, Max Landow, Dr. Paul Lntsenko, Professor G. A.
Papendlck, Professor PbUipp Rfifer, A. Soamldt-Badekow, Ta. SckSnberger, Hofpianist A. Sormaan, Professor
B. E. Tanbert, G. Bertram, Siegfried Fall, Dr. Mark Gnnibnrg, W. Harrlere-Wtppern, Bob. Klein, GnataT Foal,
W. Raenlof, Olna Tan der Hoeyen, Martha SanTan, Carl Stabarnaok usw. (Klavier).
Professor GnataT Hellaender, laaay Barman, kdnigl. Konzertmeister Bernard Deeoan, die kdnigl. Kammer-
musiker Willy Rioting und Walter Rampelmaan, & GottHeb-Neren, W. Krltob, Max Modern, Clara Sokwarti usw.
(Violine); Engen SandOW, kdnigl. Kammerrausiker (Cello); Otto Dlenel, kdnigl. Musikdirektor (Orgel); Carl Kiapf
(Harmonium): Fr. Poealtl, kdnigl. Kammervirtuose (Harfe); Kapellmeister Bane Pttsnor. Professor Pkillpp Bflfor,
Professor E. B. Tanbert, Max Loewengard, F. Geyer (Harmonielehre, Komposition); Dr. Leopold SobJBldt (Musik-
geschichte); Sga. Dr. OapilOOOhl (Italienisch) ; Dr. med. J. KatlOneteln (Physiologie der Stimme) usw. usw.
KapeUmeiateraohnle: Kapellmeister Hana Ffltsner.
Choreobnle: Professor GnataT Hollaender, Prinuwlata: M. Battke.
Orohes tersobnle : Professor GnataT Hollaender, GottHeb-Noren.
Orobeatertnstrnnente : Die kdnigl. Kammermusiker Boeasler (Fldte), Bnntfttaa (Oboe), Banaok (Klarinette),
KoOBler (Fagott), Llttmann (Horn), Koenlglberg (Trompete), K&OUallBg (Kontrabass).
Kaomermntlk: Bngen SandOW, kdnigl. Kammermusiker, GnftaT Brake (Blaser-Ensemble).
KlaTierlenrer-Senlnar : Leiter: Professor G. A. Papendfok.
Elementar-Klafier- and Yiolinsebale ^SSS^LS^
Sonanapleleoanle: Ednard t. Wlnterttein, Engen Albn.
Opernaebnle: Leiter: Nloolaai Bothnnkl, kdnigl. Kammersanger; Partieen- und Ensemblestudium : kgl. Chor-
direktor Jnlinf Graefen, Otto Llndemann; Dialog: Engen Albn; Correpetition: 0. Llndemann; Plastik: Bogene DeleniL
Sonderknrte fur Harmonielehre, Kontrapunkf, Fuge und Komposition bei Max Loewengard
Sonderknrfe uber Aatbetik der Mnatk: Musikschriftsteller J. 0. Lnaitlg.
Beginn des Schuljahres 1. September des Sommersemesters 1. April. Eintritt jederzeit. Prospekte und
Jahresberichte kostenfrei durch das Sekretariat. Sprechzeit 11 — 1 Uhr.
Am 1 Oktober tritt Profeeior Martin Kranse, bisher Lehrer an der Kdnigl. Akademie in Munchen, in das
Lehrer-Kollegium ein.
Wic soil icl> singen?
Gesang - Studierenden
u. S&ngern empfohlen;
schienSe'LsSv^ R. SehulZWeida, Gesangspadagoge, BSSSiSB:
ajajr Zu haben In alien Muslkallenhandlungen und belm Verfasser. (Praia 60 Pff.)
Beginn des Winter-Unterrichts Mitte Oktober. * Sprechstunden taglicb zwischen 3—4 Uhr.
XII
tsssmnmsmEmi
Digitized by
Google
t
BESTE BEZUGSQUELLEN FOR INSTRUMENTE
0. Mockel
BERLIN
Kochstr.
sw.
7.
Geigenbauer
CHARLOTTENBURG
» Uhlandstr. 193
Gegr&ndet 1869.
Straube's
tRMDHIUM.
u
■ Gesetzlich geschfitzte, aner-
I kannt bequemste u.dynamisch
vollkommene Windgebung.
BERLIN SW., Schonebergerstr. 27.
Kataloic* nmaoiiat.
3
Pfelfen-Orgeln una
Hewit$d>OrfleUBarmonittm$
eigenes System ist das vorzuglichste Ren-
«rt-. Ba«*% $*•!- a. Kir*ea-Hftr«w eat ,
eropfiehlt von Mark 160-3000 und
Pianinos 500—1000.
Johannes Kewltaoh,
BERLIN W.
Potsdamerstx. 27b. (a. d. Potsdamerbriicke).
Best* u. billisate Bezugaquelle.
Fernsprecher Amt 9 No. H943-
— Reparatur-Werkstatt aller Systeme. —
£uitwig Glacsel, Ckarlottentarg
Geigenbauer
Grolmanstr. 68.
Lager von alien und neuen Geigen, Cellis etc
Felnste Italianlscha it. dautscha Saiten. R*paraturen sor^faltlg u. kOnstlerlsch.
Ein von mir selbst erfundener Apparat setzt mich in den Stand,
vollstfindig quintenreine Saiten herzustellen, fur welche ich jede
Garantie Qbernehme. ^^^^^^^^^^^^^^^
rillC ^ITvl Vli gr08se Auswahl in alien Preislagen, sowie
neue Wusikinstrumente jeder Art
in einfachsten bis feinsten QualitSten empfiehlt
Wilhelm Herwig in Markneukirchen 1. S
Illustr. Preisliste postfrei. Bitte anzugeben, welches Instrument gekauft werden soil
Atelier fur
Geigenbau
Bogen und Reparaturen
verbunden mit Instrumenten-
und Saitenhandlung von
Carl Schtixlze,
BERLIN W. o Potsdam erstrasse 110.
Sfradivaris Gef>ein)i)is
Kin TolUtftndiges Lebrbncli de«
Gelgenbaiiea von Carl Schulze, Geigenbauer
Fusslngrers Bnchhandlimir, Berlin W. 35.
Das Werk behandelt den Geigenbau wissenschaft-
lich und praktisch nach den bisher unbekannten
I Grundsatzen der grOssten Meister. Preis 8 Mk
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen.
M
c £
twKrostrmnente
for Orobaatar, Sohala a. Hani
Jul. Heinr. Zimmermann, Leipzig.
Geschaftshauser: Petersburg, Moskau, London
>- Fre tta q & Co. Komnandanten
AHPSt
Berlin-
Charloltenburg,
Knesebeekstrasse 14,
Nahe Savignyplatz,
Grosstes Lager
in alten
Violinen
in jeder Preislage zu billigsten
Preisen. -* Voile Garantie.
Umtausch jederzeit gestattet.
Del Perugia SchmidI
Mandolinen
1
Mandolen
m Lauten
P Guitarren
anerkannt die beste Marks
(nur echt,
wenn mit Origlnal-Unterschrlft
f. J)el Perugia). ^
hh Allein-Debuet ■■
M" fur die ganze Welt ~^MI
C. SchmidI & Co., Triest
(Oesterreich).
Kataloge gratis, o Reellste Bedienung,
UHcdcrccrkaufcr gcsucht.
XIII
' Frertaq & CO. Kommandartten SirSO.
Google
Digitized by VjOOQI
t
KONZERT-ARRANGEMENTS
1
Bremen
Praeger & Meier
Konzertbureau
gegr. 1864
Hannover
Chr. Bachmann
Musikalienhandlung
gegenfiber dcm Kgl. Theater
K on zert- Bureau
Hugo Sander
Leipzig, Bruderstrasse 4
Vertretung hervorragender Kiinstler —
Arrangements vonKonzerten. — TeL-Adr.
Kcmzertsander, Leipzig. Teleph, No.Saai
Konzert- Bureau Basel
Gerbergasse 241 (Schmiedenhof)
Arrangements von Konzerten * Vertretung hervorragentfer Kiinstler
Hannover
Adolph Nagel
Musikalienhandlung (gegr. 1820)
Vertreter erster Kiinstler
Georgstr. 33
Halle a. S.
Heinrich Hothan
Hof-Musikalienhandlung
Gr. Steins tr. 14
Nurnberg
Wilh. Schmid Nf.
K. b. Hofmusikhandlung
Internat. Musik- u. Plano-Versand
Stuttgart
Ebnersche Musikalienhandlung
(Otto Richard Hirsch,
Kgl. Hofmusikalienhandler)
Gymnasiumstr. 1 i
Karlsruhe i. B.
Hans Schmidt
Konzertdirektion
Musikalienhandlung
Telephon 1647
Itzehoe i. II.
Theodor Brodersen
ubernimmt Vertretung
hervorragender Kiinstler
Beste Empfehlungen
I
UNSERE KONSTLER
L
Oratorium- u. Konzertsangerin
Kiinstler. Ausbildg. d. Stimme
Ausbildung i. hoh. Klavierspiel
Berlin NW.
Perlebergerstrasse 46 HI
Inka von Linprun
Violinvirtuosin
Id^sTe: Bad Reiehenhall
Luitpoldstrasse 4 (Bayero)
Gertrud Wjjs-Meyer
akad. geprf. Gesanglehrerin
(Schultzen v. Asten-Schulerin)
Konzertsangerin (Mezzo-
sopran und Sopran)
Berlin, Claudiusstr. 16 II.
Elisabeth Caland
Ausbildung im hoheren
Klavierspiel
Charlottenburg-Berlin
Goethestrasse 80
Alfred Apel
Pianist
Berlin W.
Potsdamerstrasse 80
Teaches Concertplaying
Technic, Improvisation
Franz Miiller
Konzert- und Oratorientenor
Gesanglehrer
Darmstadt
Bleichstr. 371.
Alice Hipper
Klaviervirtuosin
Alleinige Konzertvertr.
Hugo Sander, Leipzig.
Emilie v. Cramer
Berlin, Bayreutherstr. 27
Gesangunterricht
(Meth. Marchesi).
Adolph Schulzes
Gesangsschule
Stimmbildung. Ausbildung
fur Oper und Konzert.
Berlin W., Lutherstrasse 29 III.
Jan Sol
Bass-Bariton aus Amsterdam
ubernimmt samtliche Oratorien-
Partieen besonders in Werken
von Bach & Handel
Konzertdir. Her m. Wolff, Berlin W. 35
Georg Ritter
Tenor, frGher Kgl. Hofopern-
sanger
BerlinW.,Hohenstaufenstr.26
Ober 100 gesung. Oratorien - Partleen
XIV
Digitized by
Google.
I.
UNSERE KONSTLER
Jeanne Blyenburg
Konzert- und Oratoriensangerin
Alt-Mezzosopran
Frankfurt a. M.
Oederweg No. 112,11
Johanna Dietz
Herzogl, Ann. Kammersangerin
(Sopran)
Frankfurt a. M.
Schweizerstrasse No. 1
Eduard E. Mann
Konzert-Tenor und Gesang-
Lehrer am Kgl. Konservatorium
Dresden-A.
Eigene Adresse:
Ostraallee 23
Julia Hansen
Gesang-Padagogin
Sehulerin von Mathildc
Marchesi Paris
Dresden- A.
Schnorrstr. 9, II.
Johannes Schaeffer
Konzerttneister der Hofkapelle
Gera (Reuss)
Theodor Paul's
Breslauer Gesangs-Akademie
Breslau
Herrenstrasse 5 (Ring 0)
Albert Fuchs
Lehrer a. Kgl. Konservatorium.
Dir. d. Rob. Schumann'schen
Singakademie.
Dresden-A.
Struvestrasse 27.
Gesang- u. Ttaeorieunterrieht.
Robert Settekorn
(Bass-Bariton)
Braunschweig
Schleinitzstr. 5
Konzert- u. Oratorien-SSnger
Vertretung: Eug. Stern,
Berlin W., Lutzowstr. 90 II.
J, M. Lepanto
Dram. Unterricht und Stimm-
bildung auf physiolog. Grund-
lage f. Sanger u. Schauspieler
Berlin W.
Bayreutherstrasse 27 III.
Heinrich Arenson
(Violinvirtuose)
St. Petersburg
Hoforchester Sr. Majestit
Martha Gunther
(Konzertsangerin Sopran)
Plauen i. V.
Karlstr. 48
Konzertdir. Herm. Wolff
Marie vonRappard
Pianistin
Klavier-Unterricht nebst
Theorie
Berlin W. 50
Lutherstrasse 18
Willy Schmidt
Konzert- und Oratorien-Tenor
Frankfurt a/M.
Wohlerstr. 9
Konzertdir. Herm. Wolff
Traugott Ochs
Bielefeld
Dlr. des Stadt. Orchcstcrs und des
dies, tngegliederten Konservatoriuras.
Beste Ausbitdung von Dirigenten und
Orchestermusikcrn,
Elisabeth Kurwitz
Sopran
Konzert- u. Oratoriensangerin
Weimar
37, Junkerstrasse I.
Anna llartung
Konzert- u. Oratorien-Sangerin
Sopran
Leipzig
Marscbnerstrasse 2
Martha Fischer
Konzert- u. Oratoriensangerin
— - hoher Sopran —
Leipzig- Reudnitz
Goschenstrasse 20
Rudolf Moest
Kgl.Opernsanger. Bassbariton
Hannover
Hildesbeimerstr. 45a.
Adele Otto-Morano
Konzert- und Oratoriensangerin
(Mezzosopran)
Gesangunterricht
Berlin W. 30
Luitpoldstr. 3
Carl Friedberg
Pianist
Frankfurt a. M.
Eschersheimerlandstr. 79, III
Otto Siisse
Oratorien- und Liedersanger
Bariton
Wiesbaden
Dotzheimerstrasse 106
Konzertdir. Herm. Wolff
Serafine Detschy
Schule fur tadellose Textaus-
sprache u. Atemgymnastik
Berlin W.
Bulowstrasse 101 1
Otto Bake
Pianist und Konzertbegleiter
Berlin-Schoneberg
Hauptstr. S/6
IX, 5051
Willy Deckert
Violoncell-Virtuose
Luxemburg
Rue d'Esch
XV
Digitized by
Google
Adolf Goltmann
Lehrer fUr gesangliche und sprachliche Tonbildirag. Stimmkorrekturen,
Vollstandige stilistische Ausbildung fur den Opera- und Konzertgesang.
Berlin W, Biilowstrasse 85 a. Sprechstunde: Wochentags 3—5.
Paula Meyer
Konzert- u. Oratoriensangerin
Sopran
Friedenau
Cranachstr. 10
Konzertvertr.: J ul.Sachs, Berlin
Marie Busjaeger
Konzertsangerin (Sopran)
Bremen
Fedelhoren 62
Konzertdir. Herm. Wolff
Frail Felix Schmidt
KOhne
Konzertsangerin (Sopran)
Berlin W.
Tauenzienstr. 21
Sprechst. f. Schulerinnen 3—4
Amadeo v. d. Hoya
Grossnerzogl. sacus. Konzert-
meister
Technische Grundlegung
und Ausbildung fur das
hohere Violinspiel. Aus-
gleichendetechn. Schulung
angehender Virtuosen, so-
wie Ausbildung fiir den
hoheren Lehrberuf
Linz a. D.
Carl Barleben
Violinvirtuose
Bremen
Hildesheimerstrasse 20
Konzertvertr.: E. Stern, Berlin
Prof. Felix Schmidt
Gesanglehrer
Berlin W.
Tauenzienstr. 21
Vollst.Ausb. f.Oper u. Konzert
Richard Fischer
Konzert- und Oratorien-Tenor
Frankfurt a. Main
Lenaustr. 76
Konzertdir. Herm. Wolff
Frau
Anna von Bertrab
Konzert- u. Oratoriensangerin
Bonn (AU)
Konzertdir. Herm. Wolff
Agnes Leydhecker
Altistin
X 3X18, 226 Boulevard Raspail (Mr* Summers)
Agnes Fahlbusch
Flotenvirtuosin
Leipzig
Bayerschestrasse 34
Stiddeutsches Streichquartett
Weber, Zeise-G6tt, D r - Thomas, Jackson
Pftewerke mit Helene Thomas-San-Galli * Freiburg LB.
BrigittaThielemann
Konzert- und Oratoriensangerin
Alt Mezzosopran
Berlin W.
Neue Winterfeldstr. 12. Ill
Konzertdir. Herm. Wolff
Franz Harres
Konzertsanger (Bass)
Darmstadt
Kiesbergstr. 60
Frankfurter Quarfeffvereinigung
(Streichquartett, gegrundet 1894)
Herm. Hock, F. Dippel, A. Allekotte,
H. Appunn.
Adresse: H. Hock, Frankfurt a/M., Koselstrasse 53
Ida Ekmann
Konzertsangerin
(Mezzosopran)
Helsingfors
Konzertdir. Herm. Wolff
Charlotte
Huhn
Opern- und
Konzertsangerin
Berlin W.
Kleiststrasse 27
Fiir die Inserate; Schuster & Loeffler, Berlin.
XVI
Druclc von Her rose & Ziemsen, Wittenberg.
Digitized by
Google
FLDGEL- und pianinofabrik
CBECHSTEIN
HOFLIEFERANT
SEINER MAJE8TAT DBS KAI8EB8 UTfD K6NIGS.
IHKEB MAJE8TAT DER KAJ8ERIN UND KONIQIN.
fW.rsrRTi KAJE8TAT BBS gAWETtta VON RU88LAND.
IHRER MAJESTAT DEB KAISERIN FRIEDBICH.
8EINEB MA J EST AT DES K 6 NIGS VON ENGLAND
IHRER MAJESTAT DEB KCNIGIN VON ENGLAND
SEINEB MAJESTAT DES KONIGS VON ITALIEN
SEINER MAJESTAT DES KdNIGS VON BFANIEN
SEINEB MAJESTAT DES KONIGS VON RUMANIEN
SEINEB MAJESTAT DES KONIGB VON WtJRTTEMBERG.
IHBER KdNIGL. HOHEIT DEB KEONPRINZE88IN VON SCHWEDEN UND NORWEGEN.
IHRER KONIGL. HOHEIT DER PRINZESSIN FRIEDRICH KARL VON PREUSSEN.
SEINER KONIGL. HOHEIT DES HERZOGS VON SACHSEN-COBURG-GOTHA.
IHRER KONIGL. HOHEIT DER PRINZESSIN LOUISE VON ENGLAND (DUCHESS OF ARGYLL).
Crosse goldene Staatsmedaille fur hervorragende gewerbliche Leistungen 1896.
Bechstein Hall London W.
BERLIN. N. PARIS. LONDON. W.
Johannis-Str. 6, 334 Rue St. Honor*. 4a W1GMORE-STREET.
Tel.-Adr.: BESTFL06EL BerH*. TeL-Adr.: BECHSTEIN, Parte. Tet-Adr.: BECHSTEiN, London.
Anerkennende Zeugnisse der bedeutendsten Musiker.
Engfn d* Albert: Mit sufrichtiger Freude ergreite ich die Gelegenheit, Ihnen von neucm meine Bewunderung
fiber Ihre berrlichen FIQgcl luszudrQcken. Ich bin mir bewusst, denselben einen nicht unbedeutenden Tetl meiner Erfolge
iu verdanken. Ton, Spielart und Dauerhaftigkeit habe ich noch bei keinera anderen Instrumente in gleicher VorzOglichkeit
vereinlgt gefonden, wic bei den Ihrigen und ich hoffc, mica bei meinen ferneren Konzertreisen, stets Ibrer FlQgei
bedienen zu dOrfen.
Berlin, 17. Oktober 1889.
Ferrncclo B. BtiHonl: Erst bei meinen Londoner Recitals hatte Ich eine erschOprende Gelegenheit, mtt
den Becnsteht-FlOgeln bekannt zu werden. Diesel ben haben in jeder Hinsicht alien meinen Intentioncn entsprochen.
Angesichts der hochstcn mir auferlegten Aufgaben des Vortrsgs und der Technik, wie sie mein Progrsmm umfassten,
bedeutet das einen ausserordentlichen Erfolg far die BechstelnschiMt Instrumente, dereo unbestreitbare Vorzu'glichkeit zn
preisen, nlr zu grosser Freude gereicht
Dezember 1899.
Teresa Carreno: Die Becbstein- Pianos, die ich auf alien meinen europlischen Konzert-Tou races zn
apiclen das Vergnflgen hatte, sind das Meat von Voilkommenhelt, und der KQnstler, der den Vorzng hat, sie zu spielen,
kann sicb in der Thar gratulieren. Es ist das Instrument, welches alien anderen versus den Ansprflcben cines Kflnstlers
cntspricht und ihm dazu verb i I ft, atle Effekte des Tones und des AnsohlaQcS zu erzieleo, die er zu erlsngen w Onsen t
Meine Bewunderung fflr die Becbstein- Pianos ist unbegrenzt,
18. Mirz 1902.
Leopold Godowsky: Es 1st mir ein wshres HerzensbcdQrfnls, Ihnen meine unbegrenzte Bewunderung
und Begelsterung fflr Ihre so berrlichen Instrumente hiermit ausdrOcken zu konnen. Die SchOnhett und unendliche
ModulationsfHhigkeit des Tones, so wie die susserordentlich angenehme Spielsrt beffthigen den KQnstler, dss vlederzugeben,
wss er im Grunde des Herzens fohlt. Mit einem Wortc, das Bechsteio-lnstrument tot und bleibt die Vollkommenneit,
das Ideal des Kflostlere.
Nop hie M enter: Bechstein ist der KQnig slier Pisnorbrtebauer.
Ednard Ulster: Es ist unmoglich in Worten das gewisse Erwas auazudrflcken, das den Klavieren der
Firms Bechstein ihren besonderen Reiz verleiht. Man muss sie eben spielen, urn es zu horen und zn fQhlen! Wss
sber diese Instrumente so hoch auszeichnet, 1st neben dieser spezifischen Eigenart die wunderbare harmonische Ver-
scnmelznng von all den Eigenschaften, die bei anderen Fsbrikaten nur vereinzelt vorkommen. Sie Sind die einzigen
K I avid re, aaf welchen aian allea spielen kann, und die sich jeder Spiel weise anpassen. Nicht nur, dsss sie jeder Intentioa
des Spielers nacbfolgen, sie inspirieren ihn vielmehr zu immer neuen unerwsrteten Klangflrbungcn.
Rlcliaril Wagner; Die Becastcmschen Pianos sind toocade Woblthsten far die musikatfsSfie Velt^T^
Stcinway & Sons
New-York — London
p
Hamburg
St. IPauli, Schanzenstrasse SO-34-.
Fliigel und Pianinos.
$53
Hof - Pianoforf efabrikanf en
Sr. Majestat des Deutachen Kaisers und Konigs von
Preussen.
Sr. Majestat des Kaisers von Osterreicb nod Konipa
von Ungarn.
Sr. Majestat des Kaisers von Russland.
Sr. Majestat des Konigs Eduard von England.
Ihrer Majestat der Konigin Alexandra von England.
Sr. Majestat des Schah von Persien.
Sr. Majestat des Konigs von Sachsen.
Sr. Majestat des Konigs von Italien.
Ihrer Majestat der Konigin-Regentin von Spanlen.
Sr. Majest&t des Konigs von Schweden and Norwegen.
Sr. Majestat des Sultans der TiirkeL
etc. etc.
Nach einer gewissenhaften and unparteiischen Priifung zogere ich nicht, melnen Namen unter die lange Liste
▼on beriihmten Verehrern der Stein way-Piano* zu setzen, und macht es mir viel Vergnugen, Ibnen rersichern zu konnen,
dass nach meiner Meinung weder in Araerika, noch in Europa eln anderes Fabrikat Ihren vurzuglichen Erzeugnissen in
irgend einer der hervorragenden Eigenschaften nabe kommt, welche sie dem Kiinstler und Publikum gleich wert machen.
Ent weder haben Sie erstaunliche Fortscbritte gemacht oder es lag fruher an raeinem eigenen Geschmack; auf aile F&Ue
1st Ihr Fabrikat jetzt in meinen Augen das ideale Produkt unseres Zeitalters.
6. Mai 1897. Eugen d' Albert
Nachdera Ihre Pianos nicht allein von alien bedeutenden Kunstlem, sondern von der ganzen Welt fur
unerreichbar und unubertrefflich erklart worden sind, scbeint es mir uberfiussig, jetzt noch meine Bewunderung fur die*
•elben auszusprechen.
Es macht mir aber ein ganz ausserordentliches Vergnugen, Ihnen selbst zu sagen, dass meine Verehrnng und
Bewunderung fur die unubertroffene Schonheit des Tones, die Vollendung des Mechanismus und die wirklich wunderbare
Dauerhaftigkeit unbegrenzt sind.
14. Mai 1 90 1. Teresa Carreno.
Ira Verlanfe bald eines Jahrzebntes, wahrend welchen Zeitabschnittes ich das Gluck und die Gelegenheit hatte,
mir Ihren Flugeln vertraut zu werden, ist in mir die Uberzeugong stets fester geworden, dass Ihre Inatrumente einen
bisher unerreichten Grad der Vollkommenheit erlangt haben und wie kein anderes Fabrikat geeignet sind, das Konxert-
spiel zu unterstiitzen und die Fahigkeiten eines Kiins tiers zur Geltung zu bringen. Bel einer tadcllosen KJaviatur, einer
pbysikalisch denkbarst rkhtigen Konstruktiou, vereinen Ihre Fliigel ira Kiange die Kraft, die Weichheit und die Brillanx,
sowie die langste Tondauer, und sie ermoglichen die grosste Verschiedenheit der Anschlagsarten.
Februar 1898. Ferruocio Buaoni.
Ich wollte Ihnen so gem gleichzeitig etwas Schones uber Ihre unverglelchlichen Instrumente sagen, zogerte
aber immer wieder damit, weil dieselben so hoch uber aUe Kxitik erhaben sind, dass Ihnen sogar jedes Lob lacherlich
erscheinen muss. Fur die Vornehmbeit Ihrer Fliigel — deren unTergleichlich edler Klang oft den Eindruck macht, ala
ware dieser unmoglich nur das Ergebnis eines Fabrikates, sondern vielmehr, als ware ihm durch einen Beethovenschen
Genius Leben und Seele eingehaucht — spricht am deutlichsten die Tatsache, dass man in den hochsten Kreisen der
gebildeten Welt, sowie in den Konzerten der hervorragendsten Pianisten jetzt fasst ausschliesslich nur noch Ihre Fliigel anoint.
Schloss Itter 1898. Sofia Menter.
Es lasst sich zwar nichts Neues uber Steinway-Klaviere sagen, denn alle modernen Meister haben sie schon
gerechterweise gepriesen, und ich bin mit jedem bereits gesagten Worte TOllkommen einverstauden. Ich muss Ihnen
aber sagen, dass obwohl ich schon bei meinem ersten Konzerte von Ihrem Klaviere entziickt, begeistert war, doch grosser
war meine Begeisterung beim zweiten, noch grosser beim dritten und so ging es crescendo bis zu meinem letzten Auf-
treten, wo meine Freude uber die Fiille, die Macht, die ideale Schonheit des Tones und die Vollkommenheit der Spielart
kerne* Grenzen hatte. I. J. Faderewakt
Digitized by
Googl