Skip to main content

Full text of "Die Organisation Der Jüdischen Jugend In Deutschland"

See other formats


Ein Beitrag zur Systematik 
der Jugendpflege und Jugendbewegung 
von 

Dr. Cora Berliner, 


1916. 

Verlag des Verbandes der jüdischen Jugendvereine Deutschlands 
Berlin C. 2., Burgstraße 26. . 




3 


Vorwort. 

Die vorliegende Arbeit ist im Sommer 1914 begonnen. Sie 
verfolgte damals ein dreifaches Ziel. Sie sollte eine allgemeine 
Untersuchung sein über die Wirkungsmöglichkeiten von Jugend¬ 
vereinen; sie sollte ferner einen Beitrag liefern zur Frage der be¬ 
ruflichen und sozialen Verhältnisse der Juden in Deutschland; 
und sie sollte schließlich ein möglichst vollständiges anschau¬ 
liches Bild geben von dem Wesen der jüdischen J ugendbewegung, 
die, wie in dieser Zeit alle Jugendorganisationen, in lebendigster 
Entwicklung begriffen war. 

Das Material sollte neben langjähriger Erfahrung eine um¬ 
fassende Erhebung liefern. Zu diesem Zwecke waren 140 Frage¬ 
bogen an Vereine und durch Vermittlung der Vereine 14 000 
Fragebogen an die ordentlichen Vereinsmitglieder versandt. Es 
waren erst ganz wenig Antworten eingegangen, als der Krieg 
ausbrach. Eine Fortführung der Statistik war unmöglich. Der 
größte Teil der Mitglieder und besonders der Führer, ohne deren 
tätige Mithilfe die Erhebung nicht durchzuführen war, eilte zu 
den Waffen. 

Die Arbeit blieb liegen, denn in einer Zeit, in der plötzlich 
wie nie zuvor der Jugend die ungeheure Last der verantwortlichen 
Tat für das Ganze aufgebürdet wurde, schienen die Fragen der 
Jugendbewegung und Jugendpflege sinnlos geworden zu sein. 

Aber allmählich ist es klar geworden, daß die Bedeutung 
aller Jugendorganisationen nach dem Kriege ganz außerordent¬ 
lich zunehmen wird. Erwerbsfragen drängen sich in den Vorder¬ 
grund. Die wirtschaftliche Bedeutung jugendlicher Arbeitskräfte 
wird ein ganz anderes Maß erreichen als vorher. Das wird auf 
die innere Entwicklung der jungen Menschen — in gutem und in 
schlechtem Sinne — nicht ohne erheblichen Einfluß bleiben. Aber 
auch in geistiger Beziehung wird die Gesellschaft ganz andere 
Ansprüche an die Jugend machen. Der einzelne wird sich seine 
Stellung zur Volksgemeinschaft, zur Klasse, zur Religion, zur 



4 


Menschheit als Ganzes weit bewußter erkämpfen müssen als vor 
dem Krieg. 

Für die jüdische Jugend aber haben sich alle Gemeinschafts¬ 
probleme mehr denn je verwickelt. Die Beziehungen innerhalb 
der deutschen Volksgemeinschaft haben eine ganz andere Realität 
erhalten. Und neben vielem andern erinnert das durch die Er¬ 
eignisse in breiteste Oeffentlichkeit gezogene Problem der jüdi¬ 
schen Massen den jungen Juden an seine Verpflichtung gegen¬ 
über den Stammesgenossen und zeigt, daß auch die innerjüdi- 
schen Gegensätze sich in Zukunft viel weniger in theoretischen 
Erörterungen als auf dem Boden harter Tatsachen ausfechten 
werden. 

Aus all diesen Gründen erschien es wichtig, festzulegen, was 
vor dem Krieg an jüdischer Jugendarbeit geleistet worden ist, zu¬ 
mal viele von den Hauptträgern der Bewegung an ihrer Fort¬ 
entwicklung nicht mehr werden mitwirken können. Es ist daher 
trotz des dürftigen statistischen Materials der Versuch gewagt, 
selbst auf die Gefahr hin, daß nicht jede Behauptung ziffern- 
mässig gestützt werden kann. 



Inhaltsübersicht 


Seite 

Einleitung: Jugendvereine als freie soziale Erziehungsgemeinschaften 7 
Die Organisation der jüdischen Jugend in Deutschland. 

I. Das Unlersucliungsmaterial: Der Verband der jüdischen Jugend¬ 

vereine Deutschlands.21 

1. Die Vereine.21 

2. Die Mitglieder ..24 

II. Das Wesen der jüdischen Jugendvereine.30 

1. Die jüdischen Jugendvereine als soziahvirtschaftliche Organi¬ 

sation .30 

a) Im Hauptzweck.30 

aa) Die jüdischen Jugendvereine als Wohlfahrts-Organisation. 

(Die soziale Lage der jüdischen Jugend).30 

für die männliche Jugend.30 

für die weibliche Jugend.34 

bb) Die jüdischen Jugendvereine als Standesorganisation 
(Die Stellung der jüdischen Handelsangestellten zur 
Berufsorganisation). 34 

b) Im Nebenzweck.39 

aa) Allgemeine soziale Fürsorge der Jugend vereine ... 39 
bb) Soziale Fürsorge für einzelne Schichten.4t 

Die Jugendlichen im engeren Sinne.41 

Die Ausländer.43 

2. Die jüdischen Jugendvereine als sozialpädagogische Organi¬ 

sation . . •.44 

a) Das Ziel.44 

aa) Das individuelle Eiziehungsziel. (Die Bedeutung der 

Stellung zum Judentum für die Persönlichkeitsentwicklung) 44 

bb) Das soziale Erziehungsziel.47 

Allgemein (Die Bedeutung der Neutralität für die 

Erziehung zum Gemeinsinn).47 

Speziell. (Deutschtum und Judentum).48 

b) Die Arbeitsmethode.50 

aa) Für die Individualerziehuug.50 

Intellektuelle Beeinflussung.50 

Ethische Beeinflussung.51 

bb) Für die Sozialerziehung.51 

III. Ergebnis. 55 

Anhang: Jüdische Jugendorganisationen außerhalb des Verbandes 

der jüdischen Jugendvereine Deutschlands.56 


2 






























7 


Einleitung. 

Jugendvereine als freie soziale Erziehungs- 
Gemeinschaften« 

Jugendorganisationen sind in Deutschland in den letzten 
Jahrzehnten in unübersehbarer Fülle entstanden. Die Literatur 
darüber ist sehr zahlreich. Sie bietet aber nur Einzeldarstellun¬ 
gen, typische Bilder oder Aufzählungen der hauptsächlichen Or¬ 
ganisationen. Eine Systematik der Jugendpflege und Jugend¬ 
bewegung ist bisher nicht vorhanden. Auch die vorliegende 
Arbeit soll nur eine Einzeldarstellung sein, bestimmt, eine Lücke 
auszufüllen. Denn während die evangelischen und katholischen 
Jugendorganisationen häufig geschildert sind, ist die jüdische 
Jugendbewegung bisher über den Kreis der unmittelbar Be¬ 
teiligten hinaus kaum bekannt geworden. Um sie aber in den 
Rahmen des Vorhandenen eingliedern zu können, seien die Grund¬ 
gedanken vorangestellt, auf denen unseres Erachtens eine syste¬ 
matische Darstellung aller Jugendorganisationen aufgebaut wer¬ 
den könnte. 

Alle Organisationen der Jugendpflege und Jugendbewegung 
stellen freie soziale Erziehungsgemeinschaften 
schulentlassener Jugend dar. Dabei wird unter Jugendpflege im 
allgemeinen die Beeinflussung der Jugendlichen durch Er¬ 
wachsene, unter Jugendbewegung die Selbsterziehung der Jugend¬ 
lichen untereinander verstanden. Beide Begriffe gehen aber viel¬ 
fach ineinander über. Auch bei den von Erwachsenen gegrün¬ 
deten und geleiteten Jugendorganisationen, besonders wenn sie 
sich an die Jugend über 18 resp. 20 Jahren wenden, spielt die Er¬ 
ziehung der Mitglieder untereinander und ihre Mitarbeit am 
ideellen Ausbau der Organisation eine große Rolle.- 1 ) Auch be- 

1 ) Vergl. den Aufsatz von Pastor Clemens Schultz, Hamburg „Un¬ 
sere Geliilfenvereine“ (Mitt. des Bundes Deutscher Jugendvereine). — 
Die von allen Jugendvereinen eingeführte „Selbstverwaltung“, d. h. die 
Wahl eines Ausschusses der Jugendlichen für kleine vereinstechnische, 
Angelegenheiten bedeutet natürlich nicht Selbsterziehung. 


2 * 



8 


tonen alle Jugend vereine, die irgendwie in Opposition stellen, wie 
zum Beispiel die sozialdemokratischen oder manchmal auch die 
katholischen, mit Nachdruck, daß sie aus der Jugend heraus ge¬ 
boren seien, und sprechen von sozialistischer oder katholischer 
Jugendbewegung, selbst wenn die Organisationen der Er¬ 
wachsenen maßgebenden Einfluß auf die Vereine haben. Je 
mehr sich auf der anderen Seite die jungen Selbsterziehungsvereine 
der freideutschen Jugend in das gesamte Gesellschaftsleben ein- 
.fügen, je mehr die Forderung der Zeit diese Jugend zur Be¬ 
tätigung drängt, umsomehr wird sie der Führung und Beein¬ 
flussung Erwachsener, einzelner oder der von Gemeinschaften zu¬ 
gängig werden. Die strenge Scheidung der Begriffe Jugendpflege 
und Jugendbewegung, auf die heute die Jugendbewegung so be¬ 
sonderes Gewicht legt, erscheint daher nicht begründet. Gerade 
die Darstellung der jüdischen Jugendbewegung wird den Be¬ 
weis erbringen, daß eine Mittelstellung zwischen beiden sehr 
wohl möglich ist. 

Die amtliche Ausdrucksweise (zum Beispiel in den Erlassen 
des preussischen Kultusministers) versteht unter Jugendpflege nur 
die Beeinflussung der Jugendlichen unter 20 Jahren, in der Lite¬ 
ratur wird sie häufig auf die Jugendlichen unter 18 Jahren be¬ 
schränkt. Das widerspricht aber allen bisherigen Gepflogen¬ 
heiten. Alle Darstellungen der Geschichte der Jugendpflege be¬ 
ginnen mit den katholischen Gesellen vereinen, den evangelischen 
Sonntagssälen und der Deutschen Turnerschaft, die sich alle zu¬ 
nächst an die Jugend über 18 Jahren wenden. Auch heute gelten 
die evangelischen Jünglings- und Jungfrauenvereine, die kon¬ 
fessionellen Gesellenvereine, die Mädchenklubs ganz allgemein 
als Jugendpflege-Organisationen. 

In vieler Beziehung wäre eine Trennung der Vereine nach 
Altersklassen allerdings wünschenswert. Denn eine Entwicklung 
und Differenzierung der Arbeit stellt sich erst bei den Vereinen 
der „erwachsenen Jugend“, die selbsttätig mitwirkt, ein. Die Ar¬ 
beit an den Jugendlichen im engeren Sinne vollzieht sich fast 
durchweg nach dem gleichen Schema, so daß schon mit einer 
gewissen Uebertreibung gesagt werden konnte, daß es eigentlich 
ganz gleichgültig sei, in welche Organisation der Jugendliche 
hineingerate. Die Gründe dafür werden noch näher auseinander 
zu setzen sein. 



9 


Aber eine solche Trennung hat auch etwas Mißliches. In 
den meisten Fällen besteht eine organische Verbindung zwischen 
den Vereinen der Aelteren und der Jüngeren. Oft sind die ersteren 
aus den letzteren entstanden, weil der Zusammenhang zu stark 
geworden war, um die Gemeinschaft aufzugeben, und die Jugend¬ 
pfleger die Notwendigkeit und Erspriesslichkeit einer Beein¬ 
flussung auch über das zwanzigste Lebensjahr hinaus erkann¬ 
ten. 2 ) Oft haben umgekehrt die Aelteren die Jüngeren herange¬ 
zogen, um sich den Nachwuchs zu sichern. 3 ) 

Diese Darstellung beschränkt sich auf Vereine. Es muß aber 
erwähnt werden, daß sowohl Jugendpflege wie Jugendbewegung 
in wenigen organisierten Formen vorkommt. Die Jugendpflege 
geht dabei von dem Bestreben aus, breitere Massen zu gewinnen. 
Denn alle Jugendvereine, ganz gleich von 
welcher Seite sie ausgehen, sind E 1 i t e Organi¬ 
sationen, es gehören ihnen immer nur die 
besseren der jeweiligen Schicht an. Es bleibt 
fraglich, ob die tiefer stehenden eigentlich gefährdeten Schichten 
überhaupt anders als durch Zwangsorganisationen zu erfassen 
sind. Es liegen aber mannigfache Versuche vor, wie Bereit¬ 
stellung von Tage-, Abend- oder Sonntagsheimen, fliegende 
Werkstätten und Schulen für arbeitslose Jugendliche. Gerade 
während des Krieges machte sich die Notwendigkeit einer solchen 
umfassenderen Jugendpflege besonders bemerkbar, galt es doch, 
bei Abwesenheit der Väter und großer Unregelmäßigkeit des 
Arbeitsmarktes, wo Stellungslosigkeit und hoher Verdienst oft 
schroff wechselten, große Massen Jugendlicher beiderlei Ge¬ 
schlechts vor Verwahrlosung zu bewahren. All diese Veranstal¬ 
tungen können einen erziehlichen Einfluss aber nur ausüben, wenn 
eine gewisse Kontinuität in der Arbeit vorhanden ist, der 
Jugendliche längere Zeit kommt, persönlichen Anteil an der 
ganzen Einrichtung nimmt , und zu den Leitern in ein näheres 
Verhältnis tritt. Dann aber unterscheidet sich diese Organisation 
ihrem Wesen nach nicht mehr von dem Jugendverein, und es liegt 
kein Grund zu einer besonderen Betrachtung vor. 


“) Besonders häufig bei den Vereinen des Bundes deutscher Jugend- 
vei eine (frei-evangelisch). 

3 ) z. B. bei den evangelischen Jünglingsvereinen. 



10 


Eine andere Form freier Jugendpflege bietet die Veranstaltung 
von J u g e n d f e s t e n. Sie können einen tiefen Eindruck hin¬ 
terlassen, wenn es gelingt, wirklich die gesamte Volksjugend 
eines Ortes öder eines Bezirkes zu einer Einheit zusammenzu¬ 
fassen. Meistens haben jedoch diese Feste ein vaterländisches 
Gepräge von bestimmter Art, und die Jugend, die solchen „un¬ 
reflektierten“ Patriotismus nicht mehr teilt, bleibt fern. Das be¬ 
deutsamste Jugendfest war das der frei-deutschen Jugend auf dem 
Hohen Meißner, das etwas ganz Neues und Einzigartiges dar¬ 
stellte. Aber auch seine tiefen Wirkungen werden sich bei Wieder¬ 
holungen nicht im gleichen Maße wieder einstellen können. Die 
Bedeutung, die in diesen Jugendkreisen Festen außerhalb des 
Rahmens einer gefügten Organisation b'eigelegt wird, erscheint 
übertrieben, so sehr solche Jugendfeste eine Bereicherung unseres 
Volkslebens bedeuten können. 

Wir nennen die Jugendvereine „freie“ Erziehungsgemein¬ 
schaften im Gegensatz zu der natürlichen der Familie oder den 
Zwangsgemeinschaften, wie sie die Fortbildungsschule, das Heer 
oder die zukünftigen Jugendkompagnien darstellen, und auch 
gegenüber der jedenfalls nur in sehr geringem Maße auf Frei¬ 
willigkeit beruhenden Arbeitsgemeinschaft. 

Auszuschalten sind aber auch alle freien Jugendorganisationen, 
die nicht als Erziehungsgemeinschaft angesehen werden können. 
Dahin gehören die meisten Agitations- und Zweckvereine, zum 
Beispiel die Jugendvereine der politischen Parteien, so weit sie 
sich auf die Jugend über 18 Jahre beschränken (d. h. alle, mit 
Ausnahme der Jugendvereine der Sozialdemokratie, die auch 
jüngere Mitglieder haben, und — wenn auch nicht ganz freiwillig 
— Erziehungsvereine auf breiterer Grundlage darstellen). Dahin 
gehören vor allem die Geselligkeitsvereine und die reinen Sport¬ 
klubs, für die nicht, wie etwa bei der Turnerschaft oder den 
großen Wanderbünden, die körperliche Ertüchtigung einge¬ 
gliedert ist in ein bestimmtes Erziehungssystem. Ferner sind die 
Standesorganisationen hierher zu zählen. Ein evangelischer 
Jünglingsverein bleibt ein Jugendpflegeverein, auch wenn er 
keine Höchstgrenze für das Alter der Mitglieder festgesetzt hat. 
Ein Handlungsgehilfenverein gehört nicht zur Jugendpflege, 
selbst wenn seine Mitglieder alle unter 25 Jahren sein sollten. 
Die Tendenz ist das Entscheidende. Allerdings sind die Grenzen 



- 11 


schwankend. Die Vereine der weiblichen Angestellten z. B. sind 
in viel höherem Maße Erziehungsvereine als die der männlichen, 
weil sie noch einen erheblichen Teil ihrer Arbeit darauf ver¬ 
wenden müssen, die Stellung zum Beruf in die Lebensanschauung 
der Mädchen einzugliedern. Gefühl für Standesinteresse und 
Berufsehre ist bei den Mädchen durchaus noch nicht ein selbst¬ 
verständlicher Ausfluß des Eigeninteresses. Völlig ineinander 
gehen die Begriffe bei solchen Standesorganisationen, die von 
irgend einer Weltanschauungsgemeinschaft ausgehen. Hier wird 
sich immer sehr schwer feststellen lassen, ob — um ein Beispiel 
; zü wählen — der eigentliche Zweck ist, „dem Herrn Seelen zu 
gewinnen“ (wie es die christlichen Vereine junger Männer aus- 
drücken) oder christlich gesinnten Bäckern, Kellnern, Friseuren 
eine Vertretung ihrer wirtschaftlichen Interessen zu schaffen. Wir 
kommen darauf noch an anderer Stelle zurück. 

Wir haben das Wort „sozial“ der Begriffsbestimmung hin¬ 
zugefügt, trotz der Vielseitigkeit, die ihm anhaftet. Es weist auf 
die Eingliederung der Jugendvereine in die wirtschaftlichen und 
kulturellen Verhältnisse der Gesellschaft hin, Es handelt sich 
nicht darum, von außen her Gesichtspunkte heranzutragen, unter 
denen schematisch die einzelnen Vereine zu betrachten seien, es 
ergibt sich aus dem Wesen der Jugendvereine eine Reihe von 
Gemeinsamkeiten, die eine Zusammenfassung rechtfertigen. Aller¬ 
dings liegt die Gefahr nahe, der lebendigen Struktur der ein¬ 
zelnen Vereine Gewalt anzutun, da ein und dieselbe Arbeits¬ 
sphäre, ein und dieselbe Maßnahme oft ganz verschiedene Be¬ 
deutung hat. Das gesamte Stoffgebiet lässt sich unseres Er¬ 
achtens in zwei Betrachtungsreihen ordnen, die untereinander in 
Wechselbeziehung stehen: einer sozial-wirtschaft¬ 
lichen und einer sozial -pädagogisch en. Nicht 
jede der beiden Betrachtungsreihen ist für alle Vereine gleich 
fruchtbar, doch erhellt sich oft die größere Bedeutung der einen 
aus Bedingungen, die sich nur aus der andern aufzeigen lassen. 
Eine isolierte Betrachtung der freideutschen Jugendbewegung 
würde z. B. nur auf pädagogische Probleme führen. Der Grund 
dafür liegt darin, daß sie sich auf die Jugend der besitzenden 
Stände beschränkt und unter diesen in der Hauptsache auf solche, 
die noch nicht im Erwerbsleben stehen. Im Augenblick, wo sie 
versucht, ihre Ideen auf erwerbstätige und besitzlose Schichten 



12 


der Jugend auszudelmen oder nur eine bestimmte Stellung zu 
dieser Jugend einzunehmen, wird sie auf sozial-wirtschaftliche 
Probleme stoßen. 

Jugendpflege als ein Zweig der Sozialpolitik und Volks¬ 
wohlfahrtspflege erwächst aus der Erkenntnis, daß die körper¬ 
liche, geistige und sittliche Entwicklung der Jugend,'von der die 
gesamte Zukunft des Volkes abhängt, gefährdet ist. Während 
früher die Erziehung der Jugendlichen über das schulpflichtige 
Alter hinaus Eltern und Lehrherren überlassen war, muß an ihre 
Stelle heute vielfach die Gesellschaft treten. Die Notstände, die 
sich aus der Zusammendrängung großer Massen Jugendlicher in 
den Großstädten, der Erwerbsarbeit der verheirateten Frauen, 
den unzureichenden Wohnungsverhältnissen, der Unpersönlich¬ 
keit des Arbeitsverhältnisses ergeben, sind oft geschildert worden. 
Jugendheime, Lehrlingsfeierabende, Mädchenklubs suchen ihnen 
entgegenzuwirken. Die Tätigkeit dieser Vereine ist in erster 
Linie eine bewahrende, man will die Jugend sammeln, um sie den 
Gefahren der Großstadt zu entziehen. In allen Kundgebungen 
wird die Notwendigkeit betont, dafür zu sorgen, daß die Jugend 
ihre Freizeit angemessen verbringe, sie hervorzuholen aus Wirts¬ 
haus und Kino. Allerdings scheint uns, daß die soziale Not 
mehr nach außen betont als nach innen gelindert wird. Nur 
wenige Vereine kommen an wirklich proletarische Existenzen 
heran, diese entziehen sich der Erfassung durch andere als 
Zwangsorganisationen. Es sei denn, daß geniale Volkspäda¬ 
gogen, wie etwa der verstorbene Hamburger Pastor Clemens 
Schultz, die Schwierigkeiten durch die Kraft ihrer Persönlichkeit 
überwinden. Nachhaltige Erfolge wird diese Jugendpflege nur 
erzielen, wenn ihre Tätigkeit zugleich eine aufbauende ist. Hier 
muß sich die Sozialpädagogik in den Dienst der Wohlfahrts¬ 
pflege stellen. 

Die Mitglieder dieser Vereine sind Jugendliche im engeren 
Sinne des Wortes. Es erscheint uns heute selbstverständlich, daß 
eine solche „Bewahrung“ für Arbeiter von 19—20 Jahren nicht 
in Betracht kommt. Die ersten Anfänge dieser sozialen Arbeit 
beziehen sich aber auf ältere junge Leute. Kolping begründete 
1846 aus sozialen Gründen die ersten katholischen Gesellen¬ 
vereine; und die evangelischen Sonntagssäle in Basel (1832), 
Stuttgart (1837), Bremen (1834) zählen zuerst junge Arbeiter 



13 


und Handwerker zu ihren Mitgliedern und keine Lehrlinge. 
Das war zu jener Zeit der Anfänge industrieller Entwicklung be¬ 
rechtigt. Damals standen die Jugendlichen noch mehr unter der 
Zucht des Elternhauses oder, wo sie dieses verlassen hatten, des 
Lehrherrn. Die jungen Gesellen und Arbeiter aber wanderten 
in viel stärkerem Maße als heute, sie waren auch in viel höherem 
Maße stadtfremd, in ländlicher Gebundenheit aufgewachsen, und 
daher sehr viel weniger sicher und selbstbewußt als heute die er¬ 
werbende und besonders die industriell tätige Großstadtjugend 
von 20 Jahren. 

Für uns tritt bei dieser Jugend ein anderes soziales Problem 
in den Vordergrund: Welche Rolle spielt für sie das Berufs- 
interesse und wie weit ist sie außerhalb des Berufsinteresses 
noch einer sozialpädagogischen Beeinflussung zugängig. Der 
größte Teil der Jugend, so weit sie überhaupt der Organisation 
fällig ist, wird von den Gewerkschaften und den Standes¬ 
organisationen der kaufmännischen und technischen Angestellten 
aufgesogen. Eine rein pädagogische Organisation kommt für sie 
nur auf Grund sehr enger persönlicher Bindungen in Betracht, 
indem sich etwa aus einem Jugendverein heraus ein Verein der 
Aelteren bildet, dem die Elite treu bleibt. Oder aber es muß eine 
Weltanschauimgsgemeinschaft von sehr stark bindender Kraft 
hinter der Organisation stehen. Aber auch dann gedeiht die 
Arbeit meistens nur, wenn auf die beruflichen Interessen der Mit¬ 
glieder Rücksicht genommen wird, und wenn materielle Vorteile 
geboten werden, die denen der Standesorganisationen die Wage 
halten. Sehr oft wird die Tendenz fühlbar werden, zur Berufs¬ 
organisation umzuschlagen. Interessant ist die Entwicklung der 
ältesten Organisationen für die herangewachsene Jugend, der 
katholischen und evangelischen Jünglingsvereine. Diese Organi¬ 
sationen haben sowohl eine sozial-wirtschaftliche als eine 
religiös-ethisch-pädagogische Wurzel. Es ist das Bestreben, die 
letztere in den Vordergrund zu schieben. In den katholischen 
Vereinen gelingt das nur für die Jugendlichen im engeren Sinne. 
Sie sind reine Erziehungsvereine, die die gesamte Jugend (d. h. 
nur die der Volksschule entwachsene) ohne Rücksicht auf ihren 
Beruf umfassen. Hier liegt heute der Schwerpunkt der katholi¬ 
schen Jugendpflege. Die Jugend über 17 Jahre wird den Ge¬ 
sellenvereinen und den Vereinen junger Arbeiter zugeführt, die 





14 


in sich wiederum nach Berufsgruppen geschieden sind. Diese 
stehen allerdings auch stark unter geistlichem Einfluß, aber durch 
die Einrichtung der „Fachabteilungen“, durch ihre Stellungnahme 
teils für, teils gegen gewerkschaftliche Organisation, werden sie 
stark in das Gebiet rein wirtschaftlicher Betätigung gedrängt. Die 
Rücksichtnahme auf das Berufsinteresse geht in den katholischen 
Organisationen so weit, daß man für die kaufmännische Jugend 
sogar den allgemeinen Unterbau aufgegeben hat. Die kaufmän¬ 
nischen Lehrlinge sind in besonderen Jugendgruppen des Ver¬ 
bandes der katholischen kaufmännischen Vereinigungen zusammen¬ 
geschlossen, und dies wird mit dem „besonderen Standesinter¬ 
esse“ der kaufmännischen Kreise begründet. 4 ) Die evangelischen 
Vereine schienen einmal dieselbe Entwicklung nehmen zu wollen. 
Auf den Lübecker Kirchentag 1856 forderte Wiehern eine Son¬ 
derung der christlichen Vereine zur Hebung und Förderung junger 
Leute nach den Berufsständen. In den siebziger Jahren verlangte 
Stöcker den Beitritt der Jünglingsvereine zur evangelisch-sozialen 
Partei und die Umwandlung in Arbeitervereine. Aber die geist¬ 
lichen Leiter wehrten sich entschieden gegen jede Zurückdrängung 
des kirchlichen Moments. Man begnügte sich damit, zu den 
christlichen Gewerkschaften in einer Resolution wohlwollend 
Stellung zu nehmen (und zwar erst 1906) 5 & ) und zu den evangeli¬ 
schen Arbeitervereinen ein freundnachbarliches Verhältnis zu un¬ 
terhalten. Im übrigen hielt man an dem Grundsatz fest, die ge¬ 
samte Jugend ohne Unterschied des Berufs und der sozialen 
Stellung gleichmäßig zu umfassen. Dieser Grundsatz gilt 'aller- 


4 ) Neuerdings macht sich allerdings eine Gegenströmung bemerkbar, 
ln den Aufsätzen: „Wie erreichen wir eine umfassendere Organisation 

der jungmännerwelt“ von Dr. Bernhard Tauch („Jugendpflege“ Dez. 1915 
und Januar 1916) wird energisch eine Fortsetzung der Jugend vereins¬ 
arbeit für die erwachsene Jugend auf allgemein pädagogischer Grund¬ 
lage gefordert. 

& ) Der Wortlaut der Resolution ist: „Die Bundeskonferenz erkennt 
in den christlichen Gewerkschaften wertvolle Bundesgenossen zur sitt¬ 
lichen und religiösen Bewahrung der Jugend. Ohne selbst ihren Ver¬ 
einen irgend eine politische oder soziale Agitation gestatten zu können, 
wird die Konferenz doch ihre Mitglieder aus dem Arbeiter- und Hand¬ 
werkerstande darauf hinweisen, daß sie in den christlichen Gewerk¬ 
schaften eine Standesvertretung finden, in der Glaube und Sittlichkeit 
imangefochten bleiben (cit. nach Wartmann, Geschichte des ostdeutschen 
Jugendbundes). 



— 15 


dings nur in der Theorie. In der Praxis sind all diejenigen Ele¬ 
mente, für die eine Standesvertretung von Bedeutung ist, all¬ 
mählich abgebröckelt. Doch bleibt die Zahl der Mitglieder, die 
meist über 18 Jahre alt sind, immer noch bedeutend genug. 0 ) 
Nur die nach amerikanischem Muster arbeitenden christlichen 
Vereine junger Männer haben trotz stärkster Betonung ihres ent¬ 
schiedenen Christentums ihre Mitglieder nach Berufsgruppen ge¬ 
sondert und eine umfassende soziale Fürsorge für sie in die Wege 
geleitet. Ihre Führer erklären offen, daß all diese sozialen Ein¬ 
richtungen nur Mittel zum Zweck seien, die an der Peripherie 
stehenden Mitglieder langsam an das Zentrum, d. i. die „Mission 
der heilserfüllten an der heilslosen Jugend“ heranzuziehen. Es 
scheint allerdings, daß die christlichen Vereine junger Männer 
durch ihre vereinstechnisch und sozialpolitisch musterhafte Or¬ 
ganisation viele Hunderte von jungen Leuten heranziehen, in der 
inneren Beeinflussung ihrer Mitglieder aber weit hinter den 
Jünglingsvereinen Zurückbleiben. 

Von viel geringerer prinzipieller Bedeutung ist die Frage: Was 
leisten die Jugendvereine für die Förderung materieller Interessen 
ihrer Mitglieder. Als Arbeitsgebiete kommen in Betracht: Woh¬ 
nungsfürsorge, Arbeitsnachweis, Fachunterricht, Spar- und Un¬ 
terstützungskassen, Vergünstigungen. Das Gewicht dieser Ma߬ 
nahmen ist sehr verschieden, je nachdem, ob es sich um Abstellung 
wirklicher Notstände handelt, oder ob dieser „wirtschaftliche“ 
Zweig der Vereinstätigkeit in erster Linie ein Werbemittel ist. Die 
großen Aufgaben, die sich hier der Jugendpflege stellen, beson¬ 
ders auf dem Gebiete der Lehrstellenvermittlung, der Berufs¬ 
beratung und der fachlichen Ausbildung lassen sich — von Aus¬ 
nahmen in besonderen Fällen abgesehen — nicht im Rahmen von 
Jugendvereinen lösen. 

Ueber den wirklichen inneren Gehalt der Jugendpflege und 
Jugendbewegung hat unsere bisherige Betrachtung noch wenig 
gezeigt. Aber lange Zeit hindurch war eine solche Betrachtungs¬ 
weise die allein mögliche. Eine Systematik der Erziehungsarbeit 
der Jugendvereine ist erst in den Anfängen vorhanden. Und 
durchaus nicht alle Jugendvereine arbeiten nach einem System. 
Es ist das ein Mangel, der ja aller freien sozialen Tätigkeit an- 


«) Am 1. Juli 1913 betrug sie 147 372. 



16 


'haftet. Und gerade die Sozialpädagogik ist als praktische Dis¬ 
ziplin noch kaum behandelt. 7 ) 

Die Bedeutung des Wortes „S o z i a 1 - P ä d a g o g i k“ ist 
in der Jugendpflege eine doppelte: es bezieht sich auf die Er¬ 
ziehungsmethode und auf das Erziehungsziel. In methodolo¬ 
gischer Hinsicht sind alle Jugendorganisationen ihrem Wesen 
nach sozialpädagogisch, sie können ein Erziehungsziel nur durch 
die Gemeinschaft, den Verein, erreichen, mit den Hilfsmitteln, die 
ihnen die Organisation bietet. Das Ziel der Vereine kann Indivi¬ 
dual- oder Sozialerziehung sein. Wir müssen demnach unter¬ 
scheiden zwischen Individualerziehung durch freie Gemeinschaft 
und Sozialerziehung durch freie Gemeinschaft. Beide Ziele sind 
allgemein aufzufassen und speziell. 

Der allgemeinen Individualerziehung liegt das Ideal der 
Humanität zugrunde, es wird meist ausgedrückt durch das Schlag¬ 
wort: Erziehung zur Persönlichkeit. Ihre Hilfsmittel im Rahmen 
des Vereins sind intellektuelle, ästhetische und ethische Beeinflus¬ 
sung, denen die körperliche Ausbildung als allgemeinste Grund¬ 
lage, ohne die gerade im Entwicklungsalter jede Erziehung un¬ 
wirksam bleiben muß, zur Seite tritt. Dieses allgemeinste Er¬ 
ziehungsziel wird häufig auch als das der „neutralen“ Jugend¬ 
pflege bezeichnet und als Forderung hauptsächlich von den vielen 
in der Jugendpflege tätigen Schulpädagogen vertreten, die es für 
die Jugendpflege in gleicher Weise aufstellen wie für die Volks¬ 
schule. Sie stehen im Gegensatz zu den Vertretern der speziellen 
Pädagogik. 8 ) 

Die spezielle Pädagogik will die Erziehung im Jugendverein 
um einen ganz bestimmten idealistischen Kern gruppieren. Dieser 
Kern mag Glaube heißen oder Vaterlandsliebe, Berufsehre, be¬ 
stimmte politische Weltanschauung. Sie geht im allgemeinen aus 
von den Konfessionen oder anderen Weltanschauungsgemeinschaf¬ 
ten. Man hat ihr den Vorwurf der Parteilichkeit gemacht. Es liegt 
zweifellos die Gefahr nahe, daß das natürliche Streben, einer 
Ueberzeugung Anhänger zu gewinnen, die pädagogischen Rück¬ 
sichten überwuchert, und daß die Jugend hineingezerrt wird in 


7 ) Die grundlegenden Arbeiten Natorps sind rein theoretisch-philo¬ 
sophisch. 

8) Vergl. hierzu „Der Kampf der Parteien um die Jugend“, her aus¬ 
gegeben von der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge. 



17 


den Machtkampf der Anschauungen. Andrerseits erleichtert posi¬ 
tive Idealerfüllung die Erziehung sehr. In der Hingabe an eine 
Idee liegt eine starke persönlichkeitsbildende Kraft. Es handelt 
sich ja nicht um die Erziehung von Kindern, sondern um junge 
Menschen, die bereits in das Leben hineingestellt sind. Wir 
müssen allerdings unterscheiden zwischen den Jugendlichen unter 
■und über 18 Jahren. Für die Jugendlichen im engeren Sinne 
kommt der Aufbau einer bestimmten Weltanschauung kaum in 
Betracht. Höchstens die Bewahrung geistigen Besitztums aus der 
Familienerziehung. Daß strenggläubige Eltern ihre Kinder, die 
meist auch eine konfessionelle Schule besucht haben, möglichst 
früh einer kirchlichen Jugendorganisation zuführen wollen, er¬ 
scheint genau so verständlich, wie daß überzeugte Sozialisten ihre 
Kinder von der Berührung mit der bürgerlichen Welt fernhalten. 
Die Gefahren solcher Einseitigkeit sind aber auch besonders groß, 
und das von Pastor Schulz geprägte viel umstrittene Wort von 
der „religiösen Schonzeit“ hat eine tiefe Berechtigung. Für die 
Jugend über 18 Jahren ist das Poblem sehr viel verwickelter. In 
diesen Jahren hat alle Idealerfüllung den schweren Gegendruck 
rein materieller Interessen auszuhalten. Das ist nur möglich, 
wenn die Jugend sich für bestimmte klar erkannte Ziele einsetzt. 
Qesinnungsgemeinschaften wecken und festigen die Begeisterungs¬ 
fähigkeit. Es kann das Ziel sein, wie etwa bei der freideutschen 
Jugend oder dem Hamburger Gehilfen verein (ausserhalb der 
'Jugendkreise z, B, von Avenarius vertreten), sich vom eigenen 
Ich aus, mit den Problemen der Welt auseinanderzusetzen, sich 
immer strebend um die Dinge zu bemühen. Dieser Forderung des 
„Immer-Strebens“ liegt natürlich auch eine Weltanschauung zu¬ 
grunde. Eine „Gemeinschaft der Suchenden“ ist vielleicht die am 
stärksten verbindende Gesinnungsgemeinschaft. Um ihr aber 
wirklich anzugehören, dazu gehört eine Stärke des sittlichen Wol- 
lens, die jedenfalls nur eine kleine Elite der Jugend des gesamten 
Volkes aufzuweisen hat. Als Führerschulen sind diese Organisa¬ 
tionen von höchster Bedeutung und zwar die aus Arbeiter- und 
Kaufmannsschichten geborenen genau so stark wie die der aka¬ 
demischen Jugend. Für die Erziehung der Massen kommen sie 
nicht in Betracht. 

Bei der Erziehung zur Gemeinschaft als Erziehungsziel sehen 
wir, daß Individual- und Sozialerziehung kein Gegensatz ist. 



18 


Eigentlich kann man nur von Individualerziehung sprechen, denn 
als Objekt der Erziehung kommt nur das Individuum in Betracht. 
Da andererseits der einzelne nur innerhalb der Gemeinschaft denk¬ 
bar ist, haben alle Eigenschaften des Individuums Beziehungen 
zur Gemeinschaft. Doch stellt das Gemeinschaftsleben ganz be¬ 
sondere Forderungen, so daß man wohl berechtigt ist, auch 
inhaltlich von einer Sozialpädagogik zu sprechen. 

Ihr allgemeines Ziel besteht in der Ausbildung all derjenigen 
Eigenschaften, die den Menschen befähigen, sich bewußt in die 
Gemeinschaft einzuordnen. Sie gipfeln in dem „Gefühl der Ver¬ 
antwortung aller für alle“ (Classen) und in der „Fähigkeit, wahre 
Gemeinschaft mit Andersdenkenden und Anderswollenden zu 
pflegen“ (Förster). Diese allgemeine soziale Erziehung ist von 
dem Wesen eines Erziehungsvereins unzertrennlich. In ihr ent¬ 
wickelt sich die der Organisation immanente Ethik, ohne die sie 
nicht gedeihen kann. Das ist aber in der Praxis noch längst nicht 
genügend erfaßt. Die vielen, oft mit unerhörter Heftigkeit ver¬ 
folgten inneren Kämpfe der Jugendvereine führen eine beredte 
Sprache. Gerade die Selbsterziehungsvereine der gebildeten 
Jugend lassen die „Gemeinschaftsgesinnung“ noch am häufigsten 
vermissen, ist doch zum Beispiel die Geschichte des Wandervogels 
fast nur eine Geschichte der Spaltungen. 0 ) 

Die spezielle Sozialerziehung besteht in der Erziehung zu 
einer bestimmten Gemeinschaft, in erster Linie zum Staat. Doch 
auch die Kirche, die Nation, die Klasse, die Partei als Organisation 
einer Idee kommen in Betracht. Als pädagogisches, also ethisches 
(nicht politisches) Problem ist die allgemeine Sozialerziehung die 
notwendige Voraussetzung der besonderen. Im Hinblick auf eine 
bestimmte historisch gegebene Gemeinschaft sind die allgemeinen 
Forderungen sozialer Gesinnung sehr viel lebendiger und ein¬ 
dringlicher zu gestalten. Die Besonderheit und auch Schwierig¬ 
keit der speziellen Sozialerziehung liegt darin, daß hier die Ge¬ 
meinschaft als Ganzes Ziele hat, die außerhalb des ethischen Ge¬ 
bietes liegen, deren Anerkennung von dem Individuum verlangt 
wird. 

Welche Möglichkeiten bietet die Vereinsorganisation, um das 
pädagogische Programm der Jugendvereine durchzuführen? 


°) Vergl. Bliihcr, Wandervogel, Geschichte einer Jugendbewegung. 



19 


Zunächst liefert der Verein einen Rahmen für B e 1 e h r u 11 g\ 
Diese kann der intellektuellen ästhetischen oder ethischen Bildung, 
der Individual- oder Sozialerziehung dienen. In der Tat spielen 
Vorträge und Kurse in allen Jugendvereinen eine große Rolle. 
Man hat oft den Wert von Vortragsabenden bestritten. Man hat 
gesagt, sie führten nur zur oberflächlichen Vielwisserei und ver¬ 
hinderten jede ernsthafte geistige Arbeit. Das ist aber nur sehr 
mit Vorbehalt richtig. Wer direkt von der Schule fort in das 
praktische Leben eintritt, hat im allgemeinen nicht die Fähigkeit 
zu selbständiger Weiterbildung. Es ist erstaunlich, wieviel die 
jungen Leute aus einem Vortrag im Jugendverein mit nach Hause 
nehmen und wie lange sie das behandelte Thema oft noch be¬ 
schäftigt. 

Doch in der Belehrung liegt nicht das Wesen der Sozial¬ 
pädagogik als Methode, sondern in den erziehlichen Wirkungen 
des Zusammenlebens. Es weckt die guten Kräfte im 
einzelnen, indem es Stimmungen schafft, seien es freudige durch 
Spiel, Gesang, gemeinsame Arbeit oder gehobene durch Natur, 
Kunst und — am stärksten von allen durch die unter der Jugend 
weilende oder nur vorgestellte Persönlichkeit. Es erzieht zur 
sozialen Gesinnung durch die äußere und innere Vereinsverwal¬ 
tung, durch den Zusammenschluß verschiedenster Elemente, die 
sich gegenseitig ertragen lernen, durch die Fürsorge der einen für 
die andern. 

Fassen wir das Wesen der Jugendvereine kurz zusammen. 
Als sozial-wirtschaftliche Organisation dienen die Jugendvereine 
der Bewahrung vor den Gefahren der Großstadt oder den 
Standes- und sonstigen wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder. 
Als sozial-pädagogische Organisationen fördern sie die Entwick¬ 
lung des einzelnen zur in sich gefestigten sittlichen Persönlich¬ 
keit, erziehen insbesondere zum Gemeinsinn und gliedern den 
einzelnen ein in die großen Gemeinschaften des Standes, der 
{Klasse. Je nach dem Alter, den Berufs- und Besitzverhältnissen 
der Mitglieder überwiegt die eine oder die andere Aufgabe. 

Die Wirkungsmöglichkeiten von Jugendvereinen sind aller¬ 
dings begrenzt. Davon, daß große Massen ihnen überhaupt 
fernbleiben, war schon die Rede. Aber auch bei ihren Mitgliedern 
müssen sie ihren Einfluß mit dem des Elternhauses, der Arbeits¬ 
stelle, der Straße teilen. Und alle jene anderen Erziehungsmächte 



20 


haben den jungen Menschen so viel intensiver als der Verein, in 
'den er kommt, oder aus dem er fortbleibt, wie es ihm beliebt, 
und der ihn meistens erst nach der Arbeit müde und unfrisch 
erhält. 

Es existiert kein Maßstab, um das Wirken von Jugend¬ 
vereinen zu messen. Die meisten Vereine weisen ihre ziffern¬ 
mäßigen Erfolg auf. Diese aber können genau so gut einer 
guten Propaganda, einer geschickten Ausnutzung von Massen¬ 
instinkten zuzuschreib'en sein wie pädagogisch wertvoller Arbeit. 

Vielleicht ist überall die Organisation von wirklich tiefer 
Wirkung nur für die kleine Schar der verantwortlich Mit¬ 
arbeitenden, Die Führer aus dem Kreise der Jugend machen 
eine Schule durch, wie sie ihnen sonst nirgends geböten wird. 
Doch selbst bei einer solchen Beschränkung wäre die Bedeutung 
der Jugendorganisationen groß genug, um unsere Betrachtung 
zu rechtfertigen. 

Versuchen wir nunmehr, an einem bestimmten Beispiel die 
Fruchtbarkeit unserer Betrachtungsweise zu zeigen. 



21 


Die Organisation der jüdischen Jugend 
in Deutschland. 

I. Das Uniersochungsmaierml. 

Der Verband der jüdischen Jugendvereine Deutschlands. 

1. Die Vereine. 

Unsere Darstellung beschränkt sich auf die im „Verband der 
Jüdischen Jugendvereine Deutschlands“ zusammengeschlossenen 
Vereine. Es ist das die einzige jüdische Jugendorganisation, die 
schon allein ihrer ziffernmäßigen Ausbreitung nach wirkliche 
Bedeutung beanspruchen kann. Wir werden in einem Anhang 
über jüdische Jugendbestrebungen außerhalb des Verbandes 
kurz berichten. 

Der Verband der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands 
wurde im Jahre 1909 mit 25 Vereinen und 1300 Mitgliedern ge¬ 
gründet. Er zählt heute 128 Vereine mit zirka 20 000 Mitgliedern, 
von denen zirka 6000 fördernde, d. h. außerordentliche sindj p ) 
Wenn wir nach einer allerdings sehr rohen Schätzung die Zahl 
der jüdischen jungen Leute beiderlei Geschlechts zwischen 14 und 
25 Jahren auf 100 000 annehmen, 11 ) so entspricht der Prozentsatz 

J0 ) Alle statistischen Angaben, die sich auf die Gegenwart beziehen, 
können nicht genau sein. Vergl. hierzu das Vorwort. 

J1 ) Die Zahl ist folgendermaßen gewonnen: Professor Waldemar 
Zimmermann gibt im Handbuch für Jugendpflege auf Grund äußerst kom¬ 
plizierter Berechnungen die Zahl der Gesamtbevölkerung von 14 bis 25 
Jahren auf 11545 808 an. Die jüdische Bevölkerung beträgt 0,95 Prozent 
der Gesamtbevölkerung. Legen wir diesen Prozentsatz der Berechnung 
für die in Frage stehende Altersstufe zugrunde, so ergibt sich ungefähr 
die eingesetzte Ziffer. In Wirklichkeit müßte sie kleiner angesetzt 
werden, da im Altersaufbau der jüdischen Bevölkerung im Vergleich mit 
dem der Gesamtbevölkerung die höheren Altersklassen stärker vertreten 
sind als die niederen. Außerdem ist infolge der ganz anderen Bildungs- 
verhältnisse bei den Juden die Zahl der Schulentlassenen dieser Alters¬ 
stufe erheblich kleiner als bei der Gesamtbevölkerung. Diese Unter¬ 
schiede werden aber dadurch etwas ausgeglichen, daß die jüdischen 
Jugendvereiue die ordentliche Mitgliedschaft im allgemeinen bis zum 
30. Lebensjahre zulassen, in der oben angeführten Zahl der Mitglieder 
sich also auch solche von 25—30 Jahren befinden. 


3 




22 


der durch die Jugendbewegung erfaßten jungen Leute dem, den 
auch die evangelischen und katholischen Jugend vereine im all¬ 
gemeinen angeben. 

Die Bedeutung der jüdischen Jugendbewegung für das jü¬ 
dische Gemeinschaftsleben der Gegenwart wird verstärkt durch 
die sehr gleichmäßige Ausbreitung der Vereine über alle Gegenden 
Deutschlands, auf große, mittlere und kleine Städte, wie Ge¬ 
meinden. Eine Gesamtübersicht findet sich am Schlüsse dieser 
Arbeit.- 1 ?) liier seien nur einige zusammenfassende Tabellen 
gegeben. 

Die folgende Statistik erstreckt sich auf 139 Vereine, von 
denen allerdings 11 Vereine dem Verbände noch nicht offiziell 
angeschlossen sind, und 3 nicht selbständig, sondern Zweig¬ 
vereine sind. 

Die Vereine verteilen sich auf folgende Bundesstaaten : 


Preußen 107 

Bayern 2 

Sachsen 5 

Württemberg 2 

Baden 7 


Messen 4 

Braunschweig 1 

Thür. Staaten 5 

Elsaß-Lothringen 4 
Hansestädte 2 


Die große Zahl der Vereine in Preußen überrascht nicht, 
wenn man bedenkt, daß mehr als zwei Drittel aller deutschen 
Juden in Preußen wohnen. Bemerkenswert ist die Verteilung 
der Jugendvereine auf die einzelnen Provinzen. 


Provinzen östlich von Berlin, 1 -!) 



Zahl der 

Oesamt- 

Jüd. Be¬ 

Anteil d.J. an 

Provinz 

Vereine 

Bcvölkerung 

völkerung 

d. Gegamtbev. 

Ostpreußen 

5 

2 064 175 

13 027 

0,63 

Westpreußen 

4 

1 703 474 

13 954 

0,82 

Posen 

11 

2 099 831 

26 512 

1,26 

Schlesien 

12 

5 225 962 

44 985 

0,86 

Pommern 

4 

1 716 921 

8 862 

0,52 

Brandenburg 

5 

4 092 616 

61 343 

1,50 

(ohne Berlin) 
Berlin 

1 

2 071 257 

90 013 

4,34 


12 ) Seite 61. 

13) j. Segall „Die Zahl der Juden in Deutschland nach der Volks¬ 
zählung vom 1. Dezember 1910“, Zeitschr. für Demographie und Sta¬ 
tistik der Juden, 8. Jahrg. 1911, 



23 


Provinzen westlich von Berlin. 


Provinz 

Zahl der 

Gesamt- 

Jfid. Be- Anteild.J.an 

Vereine 

Bevölkerung 

vöikerung d. Gesamtbev. 

Hannover 

10 

2 942 436 

15 545 0,53 

Schleswig-Holstein 

— 

1 621 004 

3 343 0,21 

Sachsen 

5 

3 089 275 

7 833 0,25 

Westfalen 

14 

4 125 096 

21 036 0,51 

Rheinland 

26 

7 121 140 

57 287 0,88 

51 781 2,33 

Hessen-Nassau 

10 

2 221 021 

Das Mißverhältnis zwischen der Zahl der Vereine und der 


jüdischen Bevölkerung ist nicht so groß wie es nach obiger Ta¬ 
belle aussieht. Um die östliche und die westliche Hälfte der 
Monarchie vergleichen zu können, müssen wir Großberlin her¬ 
ausnehmen. Es gibt dann in den östlichen Provinzen 40 Ver¬ 
eine (Berlin und Neu-Kölln fehlen) bei einer jüdischen Bevölke¬ 
rung von 132 130, in den westlichen Provinzen 65 Vereine bei 
einer Bevölkerung von 156 824. 

Die Jugendvereine folgen genau der allgemeinen Entwick¬ 
lung. In den Provinzen mit zunehmender jüdischer Bevölkerung 
(dazu gehören alle westlichen Provinzen mit Ausnahme von 
Sachsen und Schleswig-Holstein) breiten sich die Vereine rasch 
und leicht aus. In den Provinzen mit abnehmender jüdischer Be¬ 
völkerung (Schleswig-Holstein, Sachsen und alle östlichen Pro¬ 
vinzen außer Brandenburg) haben die Jugendvereine ein schweres 
Arbeitsfeld, da unter den Abwanclernclen naturgemäß die schul¬ 
entlassene Jugend, die in das Erwerbsleben eintritt, besonders 
stark vertreten ist. 

Es bestehen Vereine 


in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern 


„ 50—100 000 

„ 20— 50 000 

„ 5— 20 000 

„ weniger als 5 000 


>> 
n 
}y 
j > 


37 Vereine 


21 

37 

18 

19 



in Gemeinden mit mehr als 1000 jüd. Einwohnern 


J 7 
>> 


>> )> 

>> >> 

}} )) 


500—1000 
250— 500 
100— 250 


>> 


„ weniger als 100 


42 Vereine 


30 

28 

23 

9 


>> 


(Daß in diesen Tabellen nur 132 Vereine erscheinen, erklärt 
sich daher, daß in 7 Städten zwei Vereine bestehen, die in den 
Tabellen nur einmal gezählt sind.) 

3 * 



24 


2. Die Mitglieder. 

Zusammenstellungen aus clem vorliegenden nur sehr dürf¬ 
tigen Material über Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung und Be¬ 
ruf der Mitglieder würden nur Zufallsresultate ergeben. Wir be¬ 
schränken uns daher darauf, einige Beispiele zu bringen, die den 
nachfolgenden Erörterungen zur Veranschaulichung dienen wer¬ 
den. Leider geben auch sie ein etwas einseitiges Bild. Der ge¬ 
wissermaßen kleinbürgerliche Charakter, |der aus den Zahlen 
spricht, ist wohl für eine große Zahl der Vereine richtig, die kleine 
aber für die Entwicklung des geistigen Verbandslebens sehr be¬ 
deutende Zahl von Vereinen mit einer sehr viel höher stehenden 
Mitgliedschaft kommt jedoch in der Statistik nicht genügend zum 
Ausdruck. Mit dieser Einschränkung bieten die Zahlen mancher¬ 
lei Bemerkenswertes. 


Alter und Geschlecht. 


Eingegangene 

Antworten 


Männliche Mitglieder 
unter 20 über 20 J. 


Weibliche Mitglieder 
unter 20 über 20 J. 


Hannover ] J ) 

90 

13 

17 

29 

31 

Gelsenkirchen 

81 

18 

32 

6 

25 

Oppeln 

31 

8 

6 

12 

5 

Kempen i. P. 

31 

11 

5 

4 

11 

Kippenheim 

24 

3 

9 

3 

9 

Borken (Cassel) 

21 

3 

9 

1 

8 



Gebürtigkeit. 



Ort 

Am 

Ort geboren 

Auswärts geboren 


Hannover 


33 


56 (l ohne 

Angabe) 

Gelsenkirchen 

25 


56 


Oppeln 


9 


22 


Kempen i. 

P. 

26 


5 


Kippenheim 

10 


12 


Borken (Cassel) 

16 


5 


M.) in Hannover 

bestehen für die 

männliche und die 

weibliche 

Jugend getrennte Vereine, 

die übrigen 

Vereine 

haben männliche und 


weibliche Mitglieder. 




25 


Beruf des Vaters resp. der Mutter. 

Hannover: 

Arzt 1 Bankbeamter 

Rechtsanwalt 1 Reisender 

Lehrer 2 Bücherrevisor 

König!. Baurat a. D. 1 Kultusbeamter 


Kaufmann (oh. näh. Ang.) 44 


Bankbeamter 

Reisender 

Bücherrevisor 

Kultusbeamter 

Optiker 

Uhrmacher und Juwelier 
Buchbinder - Innungsmeis¬ 
ter u. Druckereibesitzer 
Bäckermeister 
Metzger 
Rentier 
ohne Angabe 


Bankier 2 Buchbinder - Im 

Hotelbesitzer . 2 ter u. Drucke 

Viehhändler 1 Bäckermeister 

Handelsmann 1 Metzger 

Versicherungs-Inspektor 2 Rentier 

Agent 4 ohne Angabe 

Mutter ohne Beruf 
Pensionsinhaberin (Vater tot) 

Geschäftsinhaberin (Vater tot) 

Mit im Geschäft tätig (Vater Kaufmann) 
Friedhofsinspektorin (Vater ohne Angabe) 

Gefsenfurcßen : 

Arzt 1 Gastwirt 

Lehrer 3 Metzger 

Fabrikdirektor 1 Klempner 

Kaufmann (oh. näh. Ang.) 41 Maler 

Agent 1 Krankenpfleger 

Reisender 1 Privatier 

Viehhändler 15 ohne Angabe 

Mutter durchweg ohne Beruf. 


Oppefn: 

Rechtsanwalt 1 Gastwirt 

Kaufmann (oh. näh. Ang.) 13 Destillateur 

Vieh- resp. Pferdehändler 3 Klempnermeister 

Fuhrwerksbesitzer 2 Rentier 

Handelsmann 2 ohne Angabe 

Mutter ohne Beruf 
Agenturgeschäft (Vater ohne Angabe) 
Ausschenkerin (Vater ohne Angabe) 


2 

1 

1 

2 

4 

29 

r 

1 



26 


Kgm peil: 

Kaufmann (ohne nähere Handelsmann 

Angabe) 18 Gastwirt 

Fuhrwerksbesitzer 1 Fleischermeister 

Lederhändler 1 Fuhrmann in Russ.-Polen 

Fischhändler 1 ohne Angabe 

Mutter ohne Beruf 

Geschäftsinhaberin (Vater ohne Angabe) 
Schankwirtschaftsinhaberin (Vater ohne Angabe) 
Handelsfrau (Vater Fuhrmann) 

Kippen fieiut: 

Kaufmann (oh. näh. Ang.) 8 Handelsmann 

Getreidehändler 1 Reisender 

Vieh- resp. Pferdehändler 5 Metzger und Wirt 
Weinhändler 1 Metzger 

Fruchthändler 1 . ohne Angabe 

Mutter ohne Beruf 
Pensionsinhaberin (Vater Reisender) 

Borfien: 

Lehrer 1 Metzger 

Kaufmann (ohne nähere Schuhmachermeister 

Angabe) 5 Buchbindermeister 

Viehhändler 7 ohne Angabe 

Mutter ohne Beruf 


1 

2 

2 

1 

4 

27 

1 

1 

1 

1 

4 

1 

23 

1 

2 
1 

2 

3 

20 


Modistin (Vater ohne Angabe) 


1 


Schulbildung. 

i M ä n n 1 i c h e M i t g 1 i e d e r. 

Gymnas. oder Real- Volks- Berechtigt Nicht ber. 

0rt Obcrrealsch. schule schule zum Einj.-Freiw. D. 

Hannover 16 9 5 17 13 

Gelsenkirchen^) 14 11 20 14 35 (ohne An¬ 

gabe i) 

Oppeln 5 1 8 3 9 (oh n« An¬ 

gabe 2) 

Kempen 7 — 9 2 14 

Kippenheim 10 1 1 5 7 

Borken — 1 11 — 12 


-ö) 5 Angaben sind ungenau, 




27 


Weibliche 

Mitglieder. 


Ort 

Höhere 

Mittel- Volks- Ungenaue 

Schule 

schule schule Angabe« 


Hannover 

38 

7 15 


Gelsenkirchen 

5 

9 14 3 


Oppeln 

12 

— 5 


Kempen 

10 

— 5 


Kippenheim 

— 

— 12 


Borken 

— 

— 7 


Beruf der 

Mitglieder. 


Hannover: 




Männlich e. 


Weibliche. 


Selbständig oder leitender 

Beamter: 

Selbständig oder leitende Beamte: 


Rechtsanwalt 

1 

Lehrerin 

1 

Selbständ. Kaufmann, 1 

Selbst. Schneiderin 

1 

Prokurist 

1 

Angestellte: 


Geschäftsführer (im 

väter- 

Kontoristin 

6 

liehen Geschäft) 

1 

Buchhalterin 

5 

Börsenvertreter 

1 

Korrespondentin 

1 

Angestellte: 


Sekretärin 

2 

Rendant 

1 

Bankbeamtin 

2 

Korrespondent 

4 

Versicherungsbeamtm 

1 

Buchhalter 

3 

Kaufm. Angestellte 

2 

Reisender 

1 

Verkäuferin 

2 


Bankbeamter 1 

Verkäufer 4 

Schneider 1 

Buchbindergeselle 1 

Io BerufsYorbereitung: 

Schüler 1 

Referendar 1 

ICaufm. Lehrling 4 

Volontär 1 


lm elterlichen deschäft 2 

Schneiderin 2 

Putzarbeiterin 1 

In Berufsvorbcreitung: 
Musikstudierende 1 

Handelsschülerin 1 

Lehrling (Kontor) 1 

Lehrling (Schneidern) 1 

Lehrling (Wäsche¬ 
zuschneiden) 1 

Ohne Beruf 27 


Von diesen haben 14 eine 
Berufsausbildung (meist Han¬ 
delsschule) erhalten. 



Gefsenftircfjoii: 


28 


M ä n u 1 i c h c. 

Selbständig oder leitender Beamter: 


Rechtsanwalt 1 

Tierarzt 1 

Selbst. Kaufmann 5 

Leitender kfm. Beamter 7 
Installateur 1 

Maler 1 

Klempner 1 

Angestellte: 

Handlungsgehilfen 18 

Reisender 2 

Dekorateur 1 

Substitut 1 

In Berufsvorbereünng: 
Referendar 1 

Student 2 

Kaufrn. Lehrling 7 


Oppefn: 

Selbständig oder leitender Beamter: 


Zigarrenfabrikant 1 

Selbst. Kaufmann 1 

Angestellte: 

Verkäufer 5 

Verkäufer u. Buchhalter 1 

Verkäufer u. Dekorateur 2 

Apothekergehilfe 1 

In Berufsvorbereitung: 

Kaufm. Lehrling 2 

Apothekerlehrling 1 


W e I b 11 c li c. 

Selbständig oder leitende Beamte: 


Lehrerin 1 

Ladeninhaberin 2 

Selbst. Schneiderin 2 

Selbst. Putzmacherin 1 

Putzdirektrice 1 

Angestellte: 

Disponentin 1 

Kontoristin 6 

Verkäuferin 10 

Schneidergehilfin 1 

Köchin 1 

In Berufsvorbereitung: 


Ohne Beruf 6 


Selbständig oder leitende Beamte: 


Geschäftsinhabern! 1 

Angestellte: 

Kontoristin 1 

Fakturistin 1 

Kassiererin 2 

Kaufm. Angestellte 1 

Im elterlichen Geschäft 1 

Schneiderin 1 

Putzmacherin 2 

In Berufsvorbercitung: 


Ohne Beruf 7 


(Davon 2 mit Berufsausbil¬ 
dung.) 





29 — 


Kempen: 

Männliche. 

Selbständig oder leitender Beamter: 


Prokurist 1 

Geschäftsführer 1 

Leiter des mütterlichen 
Geschäfts 1 

Angestellte: 

Verkäufer 6 

Verkäufer und 
Korrespondent 1 

Handlungsgehilfe 2 

In Berufsvorbereitung: 
Kaufm. Lehrling 4 


Kippen fiaims 

Selbständig oder leitender Beamter: 


Selbst. Kaufmann 1 

Prokurist 1 

Angestellte: 

Kaufm. Angestellter 2 

Buchhalter 1 

Reisender u. Buchhalter 2 
Reisender 3 

Verkäufer 1 

In Berufsvorbereitung: 
AAedizinalpraktikant 1 

Borden: 

Selbständig oder leitender Beamter: 
Lehrer 1 

Selbst. Schneider 2 

Angestellte: 

Buchhalter 1 

Reisender 1 

Im väterlichen Geschäft 5 

In Berufsvorbereitung: 
Schuhmacherlehrling 1 


Weibliche. 

Selbständig oder leitende Beamte: 


Angestellte: 

Verkäuferin 1 

Kaufm. Angestellte 1 

Im elterlichen Geschäft 5 

Im elterl. Geschäft u. Haus 4 
Putzmacherin 1 

In Berufsvorbereitung: 

Ohne Beruf 3 

(Im Haushalt tätig.) 

Selbständig oder leitende Beamte: 
Ladeninhaberin 1 

Angestellte: 

Kontoristin 1 

Bureaugehilfin 1 

Haushälterin 1 

In Berufsvorbereitung: 

Ohne Beruf 8 


Selbständig oder leitende Beamte: 

Putzmacherin I 

Angestellte: 


In Berufsvorbereitung: 


Ohne Beruf 8 

(Geben alle an, Stütze im 
Haushalt.) 








30 


II. Das Wesen der jüdischen Jugend vereine. 

1. Die jüdischen Jugendvereine 
als sozial-wirtschaftliche Organisation 

a) Im liauplzweck. 
aa) Die jüdischen 

Jugendvereine als Wohlfahrts-Organisation. 

(Die soziale Lage der jüdischen Jugend.) 

q. Für die männliche Jugend. 

Wir haben in der Einleitung gesehen, daß wir alle Jugend¬ 
organisationen sozial-wirtschaftlich und sozial-pädagogisch be¬ 
trachten können, daß aber die Bedeutung der einen oder der an¬ 
deren Betrachtungsweise für das Wesen der Vereine verschieden 
ist. Die jüdischen Jugendvereine sind ausgesprochene Erziehungs¬ 
vereine von ganz bestimmter geistiger Struktur. Wenn wir trotz¬ 
dem eine kurze sozial-wirtschaftliche Betrachtung voranschicken, 
geschieht das aus dem Grunde, weil die Art der geistigen Be¬ 
einflussung innerhalb der Vereine nach Form und Inhalt durch 
soziale Verhältnisse bedingt ist. 

Diese Gliederung hat außerdem den Vorzug, daß sie ge¬ 
stattet, die jüdischen Jugendvereine in ihrer historischen Ent¬ 
wicklung zu verfolgen. 

Wir haben unterschieden zwischen dem Wohlfahrls- und dem 
Standeselement. Wir müssen ferner unterscheiden, ob bei sozial- 
wirtschaftlicher Betrachtung das Wesen der Organisation er¬ 
schöpft wird oder ob dadurch nur ein Nebenzweig der Vereins- 
tätigkeit erfaßt wird. 

Die jüdische Wohlfahrtspflege ist zu allen Zeiten sehr stark 
entwickelt gewesen. Sie stammt aus der Zeit, in der die Fürsorge 
für die wirtschaftlich Schwachen ganz allgemein auf religiöser 
Grundlage ruhte. Sie hat sich aber bis in die neueste Zeit sehr 



31 


kräftig fortentwickelt.- 10 -) Als Wohlfahrtsorganisationen erscheinen 
auch die ersten Jugendvereine, die in den neunziger Jahren des 
vorigen Jahrhunderts gegründet wurden (Stuttgart 1892, Ham¬ 
burg 1895, Frankfurt 1896, Lörrach, Bremen, Nordhausen, 
Düsseldorf, Allenstein, Erfurt um 1900). Die Vereine bezwecken 
„eine Kräftigung der jüdischen jungen Leute in körperlicher, in 
sittlicher und geistiger Beziehung“ (Frankfurt a. M.). „Es gilt 
einen Sammelpunkt zu bilden für alle jungen Leute, besonders 
für diejenigen, die von auswärts hierhergekommen sind.“ (Frank¬ 
furt a. M.) Es wird zwar auch die Erziehung zur Treue gegen¬ 
über dem Judentum unter den Gründungstendenzen genannt, 
aber im Vordergrund besteht das Bestreben, die Jugend vor den 
Gefahren der Großstadt zu schützen. Man bietet den Mitgliedern 
ein freundliches Heim, die Möglichkeit zur Fortbildung jeglicher 
Art, zu fröhlicher Geselligkeit. Der Mitgliedsbeitrag ist außer¬ 
ordentlich gering. Die Chefs werden dringend gebeten, ihre 
jungen Angestellten zur Teilnahme an den Vereins Veranstal¬ 
tungen anzuhalten, „liegt es doch im eigensten Interesse der Prin¬ 
zipale, daß ihre Gehilfen, besonders die im jugendlichen Alter 

stehenden, ihre freie Zeit angemessen verbringen“. Jüdisch sind 

diese Vereine durch ihre Mitglieder, durch die selbstverständliche 
Beobachtung der jüdischen Religionsgesetze bei allen Veranstal¬ 
tungen, durch die Heiligung des Sabbats, die Feier der jüdi¬ 
schen Freudenfeste. 

Diese Vereine gehen aus von einzelnen Philantropen oder 
häufiger noch von Organisationen Erwachsener, besonders von 
den Logen des unabhängigen Ordens „Bnei Briß“, die seit 1891 
planmäßig agitieren und sich häufig das Recht Vorbehalten, den 
Vorsitzenden des Vereins zu stellen oder doch einen weitgehen¬ 
den Einfluß auf die Leitung des Vereins auszuüben. 

Eine große Zahl der auf dieser Basis errichteten Vereine ist 
wieder eingegangen. Die obengenannten bestehen noch, gehören 
sogar zu den blühendsten des Verbandes. Sie haben aber eine 
durchgreifende Wandlung durchgemacht. 

Diese rein soziale Jugendpflege beruht auf der Voraus¬ 
setzung, daß eine große Zahl von erwerbstätigen Jugendlichen 

10 ) Vergl. die jüdischen Gemeinden und Vereine in Deutschland. 
Heft 3 der Veröffentl. des Bureaus für Statistik der Juden. 



32 


dem erzieherischen Einfluß einer häuslichen Gemeinschaft ent¬ 
zogen ist. Die starke Betonung der Fürsorge für die ortsfremden 
jungen Leute bei der Gründung der ältesten jüdischen Jugend¬ 
vereine zeigt, daß man hier von der gleichen Voraussetzung 
ausgeht. Leider läßt es sich nicht statistisch nachweisen, daß 
diese Voraussetzungen fast durchweg für die jüdischen Ge¬ 
meinden nicht gegeben sind. Die Berufszählung gibt zwar Auf¬ 
schluß über die Verteilung der Berufszugehörigen auf die ein¬ 
zelnen Altersklassen, unterscheidet aber bei dieser Gelegenheit 
nicht nach den Konfessionen, so daß wir nicht angeben können, 
auf welche Berufsgruppen sich die jüdische Jugend von 14 bis 
25 Jahren verteilt und wieweit sie überhaupt erwerbstätig ist. 
Aber bereits die allgemeine jüdische Berufsstatistik beweist die 
Richtigkeit der aufgestellten Behauptung. Es gibt unter den deut¬ 
schen Juden kein eigentliches Proletariat. 17 ) Die geringen An¬ 
sätze, die dazu vorhanden sind, finden sich in den wenigen 
Großgenieinden. Frankfurt a. M. ist z. B. eine solche; die so¬ 
ziale Struktur der Frankfurter Gemeinde ähnelt in gewissem 
Sinne der einer wirklichen Stadtgemeinde. Es sind alle gesell¬ 
schaftlichen Schichten unter den Juden vorhanden, und zwar 
'nicht wie sonst, in einigen wenigen Vertretern, sondern in ge¬ 
wisser Masse. Hier findet sich ein verhältnismäßig großes jü¬ 
disches Proletariat, wie es außerdem vielleicht noch in Berlin 
und einigen sächsischen Gemeinden mit zahlreicher ostjüdischer 
Bevölkerung vorhanden ist. Und es ist bemerkenswert, daß der 
Frankfurter Montefiore-Verein, der größte der bestehenden 
Jugendvereine, den sozialen Charakter am stärksten bewahrt hat, 
und daß der Berliner Jugendbund sich aus ganz anderen An¬ 
fängen immer mehr zu einem Jugendpflegeverein entwickelt. 


17 ) Hirsch berechnet in seinem sehr instruktiven Aufsatz: „Ge¬ 
danken zu Segalls Buch über die deutschen Juden“ (K. C. Blätter 1912, 
S. 54) die Zahl der jüdischen Arbeiter in Gewerbe, Industrie und Handel 
auf 22 553. Und auch diese betätigen sich überwiegend in handwerks¬ 
mäßigen Betrieben. „Unter den 22533 „Arbeitern“ sind z. B. gezählt: 
rund 4900 Schneider und Näherinnen, 1218 Putzmacherinnen, 2263 
Metzgergesellen, 593 Bäckergesellen, alles in allem weit über die Hälfte 
in solchen Berufen, die weit davon entfernt sind, proletarisch in üblichem 
Sinne zu sein, ja, deren Tätigkeitsart — man denke nur an Schneiderei, 
Metzgerei — immer mehr kaufmännisch wird.“ 



33 


Im allgemeinen aber erfüllt die Schichtung der jüdischen 
Gemeinschaft die Voraussetzungen einer sozialen Jugendpflege 
nicht. Nahezu zwei Drittel aller jüdischen Kinder in Preußen 
erhalten eine bessere als Volksschulbildung (64 Prozent, bei der 
nichtjüdischen Bevölkerung nur 9 Prozent).- 38 ) Die jüdischen 
jungen Leute treten also erst spät und gut vorgebildet in das Er¬ 
werbsleben ein. Da außerdem der Aufstieg der jüdischen Massen 
in Deutschland aus ärmlichen Verhältnissen in eine gehobene 
Mittelschicht erst dem 19. Jahrhundert angehört, bestehen in der 
jüdischen Bevölkerung noch keine stark ausgeprägten sozialen 
Differenzierungen. Man betrachte einmal die großen weitver¬ 
zweigten jüdischen Familien. Fast ausnahmslos findet man in 
ihnen alle sozialen Stufen vom höchsten Reichtum bis zu großer 
Armut vertreten. Der starke Zusammenhang, der die Juden 
charakterisiert, verhindert aber die Proletarisierung dieser unteren 
Schichten. Unsere Beispiele (siehe S. 26) zeigen allerdings, daß 
die Zahl der jungen Leute mit nur Volksschulbildung, absolut 
betrachtet, nicht so sehr gering ist. Die Jugendvereine haben die 
Tendenz, die minder gebildeten Schichten anzuziehen. Das er¬ 
klärt sich einmal daraus, daß in den oberen Schichten die Jugend 
viel weniger frei ist für soziale Beeinflussung, weil häufig Fa¬ 
milie, gesellschaftliche Verpflichtungen, akademische Sonder¬ 
interessen die Eingliederung in eine allgemeine Bewegung 
hemmen. Bei der jüdischen Jugend kommt außerdem noch 
hinzu, daß unter den wohlhabenden Juden das jüdische Gemein¬ 
schaftsbewußtsein verhältnismäßig am stärksten an Kraft ver¬ 
loren hat. Vor allen Dingen macht sich auch hier der starke Bil¬ 
dungsdrang der Juden bemerkbar. Die unteren Schichten er¬ 
greifen mit Freuden die Gelegenheit, sich fortzubilden, ihren Ge¬ 
sichtskreis zu erweitern und auch — äußerlicher betrachtet — 
mit Gebildeteren zusammenzukommen. Aber absolut betrachtet, 
ist diese Schicht viel zu gering, um auf ihr die Vereinsarbeit auf¬ 
zubauen. Und es handelt sich auch hier durchaus nicht um prole¬ 
tarische Jugend. Unsere Beispiele zeigen, daß auch diese 
weniger gebildeten jungen Leute gerade so wie die Mehrzahl der 
besser Vorgebildeten ganz überwiegend im Handel oder in stark 
kaufmännisch betriebenen Gewerben tätig sind. 

Dr. Erich Simon, „Das Lernbedürfnis der preußischen Juden im 
Lichte der Statistik“, Zeitschr. für Demogr. und Statist, d. J. X. Jahrg. 1914. 



34 


b. Für die weibliche Jugend. 

Der philantropische Vereinstyp tritt uns bei den ersten Ver¬ 
einen für die weibliche Jugend noch deutlicher entgegen als bei 
denen für die männliche, und er hält sich hier auch länger. Das 
liegt in den allgemeinen Verhältnissen begründet. Man hat sehr 
lange jedes erwerbstätige Mädchen für hilfs- und schutzbedürftig 
angesehen. Auch die Vereine für kaufmännische weibliche Ange¬ 
stellte werden zuerst als Wohlfahrtsvereine von älteren Frauen 
der Oberschicht gegründet, die selbst dem Beruf fernstehend) 
Erst ganz allmählich kämpfen sie sich zu Standesvereinen durch. 
Für die Mehrzahl der jüdischen Mädchen kommt ein Fürsorge¬ 
verein durchaus nicht in Betracht. Bei der jüdischen Bevölkerung 
steht gerade so wie bei der christlichen ein Drittel der weiblichen 
Bevölkerung im Beruf.- 20 ) Aber die Schichtung ist eine ganz 
jandere. Es fehlen die Arbeiterinnen in Landwirtschaft und In¬ 
dustrie, der Hauptteil fällt auf die kaufmännischen Angestellten, 
deren Zahl sich seit der Berufszählung von 1895 bis 1907 ver¬ 
fünffacht hat. Die Mehrzahl dieser Mädchen wohnt bei den 
Eltern, zahlt nur selten einen Zuschuß zum elterlichen Haushalt 
und hat daher ihr ganzes Oehalt zur Verfügung für Garderobe 
und zur Befriedigung ihrer Kultur- und Luxusbedürfnisse. Sie 
bilden eine Gesellschaftsschicht, die der der jungen Kaufleute, die 
das Hauptkontingent der männlichen Jugendvereinsmitglieder 
stellen, durchaus vergleichbar ist. 

bb) Die jüdischen Jugendvereine als Standesorganisation. 
(Die Stellung der jüdischen Handelsangestellten zur 
Berufsorganisation.) 

Wie ist es nun möglich, daß sich in dieser kaufmännischen 
Schicht eine eigene jüdische Jugendorganisation bilden konnte? 
Wieso wird sie nicht durch die paritätischen Berufsorganisa- 


3 ®) Vergl. Ida Kisker, „Die Frauenarbeit in den Kontoren einer 
Großstadt.“ Tübingen 1911. 

20 ) Wahrscheinlich sind die jüdischen Mädchen noch stärker er¬ 
werbstätig als die christlichen. Da bei den Juden, von den mithelfenden 
Familienangehörigen abgesehen, die Erwerbsarbeit verheirateter Frauen 
sehr viel seltener ist als bei der nicht jüdischen Bevölkerung, fällt auf 
die Mädchen ein höherer Anteil. 



35 


tioneu absorbiert, die ja auch eine ganze Reihe jüdischer Mit¬ 
glieder zählen. Das hat in erster Linie geistige Ursachen. Der 
Reorganisationsprozeß, der das Judentum der letzten Jahrzehnte 
charakterisiert, setzt bei der Jugend am stärksten ein und schafft 
sich eine Organisation. Die Arbeit entbehrt nicht eines politischen 
Beigeschmacks, junge Akademiker stehen vielfach an der Spitze. 
Davon wird noch an anderer Stelle ausführlich die Rede sein. 
Aber aus geistigen Strömungen allein heraus läßt sich das Vor¬ 
handensein einer Organisation, die vorwiegend aus jüdischen 
kaufmännischen Angestellten besteht, nicht erklären. Es besteht 
auch ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und geistigen 
Verhältnissen. Zum Vergleich seien die evangelischen Jünglings¬ 
vereine herangezogen. Auch ihre Mitglieder gehören zum großen 
Teil dem Handelsstande an. Aber sie entstammen vorwiegend 
den Kreisen der kleinen selbständigen Gewerbe- und Handel¬ 
treibenden, die sich ständig der Gefahr der Proletarisierung 
gegenübersehen. Hier herrscht der politische und kirchliche Kon¬ 
servativismus stark. Und die Jugend dieser Kreise hält sich ent¬ 
weder zur kirchlichen Organisation, d. h. sie tritt in den Jüng¬ 
lingsverein ein, oder sie wählt die national-wirtschaftliche und 
füllt die Reihen des Deutsch-nationalen Handlungsgehilfenver¬ 
bandes. 21 ) Die jüdische kaufmännische Jugend gehört einer ganz 


21 ) Sehr instruktiv ist die Tabelle, die der Deutsch-nationale Hand¬ 
lungsgehilfenverband über die Herkunft seiuer Mitglieder veröffentlicht 
hat. („Die wirtschaftliche Lage der deutschen Handlungsgehilfen“, Ham¬ 
burg 1910. S. 61 ff.) 

Beruf des Vaters (der Mutter): 

Selbständiger Kaufmann 
Selbständiger Gewerbetreibender 
Selbständiger Landmann 
Freie Berufe 
Oeffentliche Beamte 
Privatangestellte 
Gehilfen, Arbeiter 
Ohne genaue Angabe 
Diese Tabelle beweist unseres Erachtens nicht, wie Lederer („Die 
Privatallgestellten in der modernen Wirtschaftsentwicklung“, Tübingen 
1912. S. 63 ff.) annimmt, daß nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der 
dei Handlungsgehilfen aus Arbeiterkreisen stamme. Handlungsgehilfen 
aus Arbeiterkreisen passen ihrer ganzen Denkungsart nach nicht in den 
D. H. V., man kann sich eigentlich itn Gegenteil wundern, daß doch 
19 Prozent Söhne von Proletariern sind. Kisker hat für die Herkunft 


Anzahl: 

Von je 100 der 
Beschäftigten : 

3324 

10,16 

9836 

30,04 

2659 

8,12 

809 

2,66 

5386 

16,45 

3986 

11,99 

6210 

18,96 

531 

1,62 



— 36 


andern Schicht an. Es sind durchweg I<aufmannssöhne. ?? ) 
Sie sind nicht nur im allgemeinen besser vorgebildet, sie füh¬ 
len sich noch nicht als dauernd Angestellte. Sehr viele arbei¬ 
ten im Geschäft des Vaters in der Absicht, dieses Geschäft 
später zu übernehmen. Die wenigsten haben noch die Hoff¬ 
nung, selbständig zu werden oder sich doch wenigstens in eine 
leitende Stellung hinaufzuarbeiten, aufgegeben. Dadurch ist 
zwischen ihnen und ihren christlichen Kollegen eine Kluft vor¬ 
handen. 

Für die weibliche Jugend gilt dasselbe wie für die männ¬ 
liche. Hier macht sich vor allem die bessere Vorbildung gel¬ 
tend- 23 ), die sorgfältigere häusliche Pflege (deren Mangel Kisker so 
sehr beklagt) und der stärkere Ehrgeiz. 2 - 1 ) 

Der Unterschied zwischen den jüdischen und den christlichen 
Angestellten ist nicht so aufzufassen, als ob es nicht mindestens 
so viel christliche kaufmännische Angestellte gäbe, die von der 
gleichen Berufspsychologie erfüllt sind wie die jüdischen. Aber 
alle Berufsorganisationen tendieren zur Masse. Die Standes¬ 
vereine der kaufmännischen Angestellten werden von jenen tiefe¬ 
ren Schichten beherrscht. Die oberen, die jüdischen wie die 


von vier Fünfteln der Kontoristinnen in Leipzig folgende Tabelle aufge¬ 
stellt (a. a. 0. S. 55):. 


Beruf des Vaters: 

abs. 

°/o 

Höhere Beamte, selbständige Fabrikanten usw. 

122 

8 

Mittlere Beamte und kaufin. Angestellte 

296 

20 

Selbständige Gewerbetreibende 

344 

23 

Unterbeamte 

136 

9 

Werkmeister und gelernte Arbeiter 

400 

26 

Diverse 

214 

14 


Man vergleiche mit diesen Tabellen das Herkommen der Mitglieder 
der jüdischen Jugendvereine, über das wir leider aus den im Vorwort 
angegebenen Gründen nur einige wenige Angaben machen konnten. 
(Siehe S. 25.) 

22) Die Statistik des D. H. V. (a. a. 0. S. 62) zeigt, daß die Gehalts- 
vcrhältnisse der Söhne selbständiger Kaufleute am günstigsten liegen. 

23 ) Von 465 Kontoristinnen in Leipzig hatten 427 die Volksschule, 
nur 38 die höhere Mädchenschule besucht. (Kisker a. a. O. S. 64.) Vergl. 
hiermit unsere Tabelle S. 27. 

?■*) Hirsch weist auf eine Zusammenstellung der Leistungen christ¬ 
licher und jüdischer Warenhausverkäuferinnen hin. Die Umsätze und 
folglich die Gehälter der jüdischen Mädchen übersteigen weit diejenigen 
der christlichen, an manchen Lägern erreichen sie durchweg das 
Doppelte (a. a. O. S. 55). 



37 


christlichen, sind, so weit sie nicht Führerdienste leisten, für 
andere als nur Berufsinteressen frei, und das umsomehr, je 
stärker sie individuell durch den Beruf in Anspruch genommen 
werden. Der Drang zu einem sozialen Ausgleich macht sie um 
so empfänglicher für allgemeine Bestrebungen. 

Segall 25 ) hat nachgewiesen, daß die Berufsverteilung der 
deutschen Juden sich allmählich mehr und mehr der ihrer Um¬ 
gebung angleicht. Dieser Beweis ist allerdings von Hirsch sehr 
stark angefochten worden. Aber darin stimmen beide überein, 
daß auch die Juden immer stärker hineingedrängt werden in die 
Privatb'eamtenlaufbahn. Damit wird auch bei den Juden der 
Typ des fest besoldeten Angestellten geschaffen. Schon heute 
trennt den jüdischen von dem christlichen Angestellten vielfach 
weniger die Verschiedenheit der Stellung als die der Herkunft. 
Entstammen erst beide in erheblichem Maße einer Angestellten¬ 
schicht und treten mit dem Zugehörigkeitsgefühl zu dieser Schicht 
in das Leben hinaus, dann werden die Unterschiede sich stark 
verwischen. 

Es bleibt noch eine Frage zu erörtern, die sich gerade im 
Vergleich der konfessionellen Jugendorganisationen untereinan¬ 
der aufdrängt: die Bedeutung der Berufszugehörigkeit der Mit¬ 
glieder für die innere Entwicklung der Vereine. Alle drei 
Konfessionen wenden sich zunächst an die gesamte Jugend ohne 
Unterschied des Berufes und des Alters unter Bevorzugung der 
Herangewachsenen. Wir haben bereits gesehen, daß sich bei den 
katholischen Vereinen die allgemeine Organisation nicht einmal 
für die Jugend unter 17 Jahren vollständig hält. Gerade die uns 
hier besonders interessierende kaufmännische! Schicht ist von 
vornherein in Standesvereinen zusammengefaßt. Für die heran¬ 
gewachsene Jugend ist der Uebergang aus dem Jugendverein in 
den Standesverein noch vor der Militärzeit erwünscht, da nur 
der Standesverein die Möglichkeit habe, durch seine wirtschaft¬ 
lichen Einrichtungen (Kassen usw.) die jungen Leute über die 
Militärzeit fort zu halten. Die evangelische Jugendpflege hat 
sich, wie wir gesehen haben, nicht in gleicher Weise entwickelt. 
Eine Scheidung nach Berufen konnte bei den jüdischen Jugend- 

J* Segall, „Die beruflichen und sozialen Verhältnisse der Juden 
in Deutschland.“ Veröffentl. des Bureaus fUr Statistik der Juden. Berlin 
1912. 


4 



38 


vereinen nicht erfolgen, dafür sind die einzelnen Berufe viel zu. 
schwach vertreten. Aber die überwiegende Mehrzahl der Mit¬ 
glieder gehört dem Kaufmannsstande an, es wäre also möglich 
gewesen, daß sich aus den Vereinen eine besondere jüdische An¬ 
gestelltenorganisation entwickelt hätte. In der Tat nehmen einige 
Vereine (Halberstadt, früher auch Düsseldorf) sogar satzungs¬ 
gemäß nur kaufmännische Mitglieder auf. Und diese Vereine 
•treten bei Kaufmannsgerichtswahlen usw. geschlossen hervor. 
Das sind aber nur ganz wenige Vereine. Im ganzen ist die. 
jüdische Jugendbewegung keine Massenbewegung, und das wäre 
die Voraussetzung zur Entwicklung von Standesorganisationen. 
Sie umfaßt zwar verhältnismäßig mindestens so viele jüdische 
junge Leute wie die entsprechenden katholischen Vereinigungen, 
aber die absolute Zahl ist viel zu gering. Wir haben bereits er¬ 
örtert, daß die in Frage stehende Schicht überhaupt wirtschaftlich 
nicht sehr solidarisch gesinnt ist. Diese Tatsache verhindert in 
einer rein jüdischen Organisation noch stärker, daß wirtschaftliche, 
Interessen die übrigen verdrängen. Die jüdischen Handelsange¬ 
stellten werden von den Berufsvereinen nicht absorbiert, weil sie 
wirtschaftlich eine besondere Schicht darstellen. Sie sind sich 
aber dieser Tatsache durchaus nicht bewußt und ihr Interesse ist 
nicht in der Weise einheitlich, daß es — noch dazu bei einer so 
kleinen Gesamtzahl — zu einer besonderen Organisation drängen 
würde. Das Vereinsleben kann nur bei Afatarbeit aller Schichten 
gedeihen, und die angeführten Beispiele zeigen, daß zwar die 
Handelsangestellten überwiegen, daß aber andere Schichten, die 
selbständigen Kaufleute, die Handwerker und die freien Berufe 
durchaus nicht fehlen. Wichtig ist, daß an der Führung der Ver¬ 
eine junge selbständige Kaufleute hervorragend beteiligt sind. Die 
Wirkungen liegen aber weniger auf wirtschaftlichem als auf 
ethisch-pädagogischem Gebiet und gehören deshalb in den fol¬ 
genden Teil der Erörterung. 

Von zionistischer Seite ging einmal der Versuch aus, jüdische 
Angestelltenorganisationen in Deutschland zu schaffen; auch von 
Nichtzionisten wurde aus rein wirtschaftlichen Gründen ein sol¬ 
cher Plan erwogen. 26 ) Aber schon die allerersten . vorsichtigen 
Veröffentlichungen stießen auch in den Reihen der Zionisten auf 

2Ö ) Vergl. Siegbert Leser: „Jüdische Angestellte.“ Mitteilungen des 
Verbandes der jüdischen Jugendvereine Deutschlands, 1914, S. 207. 



39 


den heftigsten Widerstand. Es sprechen dabei, abgesehen von 
praktischen Erwägungen, sehr stark politische Traditionen mit, 
die einer Vermengung wirtschaftlicher und konfessioneller Ange¬ 
legenheiten grundsätzlich entgegen sind. Es ist das weniger 
Doktrinarismus als das Lebensinteresse einer kleinen Minorität, 
die von konfessionellen Spaltungen nur Nachteile erwarten kann. 
Daß jüdische Berufsorganisationen an sich sehr wohl möglich 
sind, beweist die Existenz des Zentralverbandes selbständiger 
jüdischer Handwerker Deutschlands. 27 ) Die jüdischen Handwer¬ 
ker begegnen starken Vorurteilen bei der christlichen wie auch 
bei der jüdischen Bevölkerung. Sie hoffen, durch Zusammen¬ 
schluß diesen Vorurteilen wirksamer entgegentreten zu können. 
Vor allem aber wollen sie ihre Glaubensgenossen auf die Bedeu¬ 
tung eines jüdischen Handwerkerstandes für die jüdische Gemein¬ 
schaft hinweisen, in der Hoffnung, dadurch ihre eigene wirt¬ 
schaftliche Lage zu verbessern und besonders eine geeignete Lehr¬ 
lingsschar heranzuziehen. 

Zusammenfassend stellen wir fest: Die jüdischen Jugendver¬ 
eine sind nicht ihrem Wesen nach sozial-wirtschaftliche Vereine. 
Sie sind keine Jugendpflegeorganisationen im engeren Sinne des 
Wortes, es fehlen die jugendlichen, proletarischen Schichten ent¬ 
stammenden Erwerbstätigen. Die Mitglieder der Jugend vereine 
stehen in reiferem Alter, sie gehören nicht durchweg, aber über¬ 
wiegend dem Kaufmannsstande an. Infolge der besonderen 
sozialen Verhältnisse der deutschen Juden ist das Berufsinteresse 
dieser Angestelltenschicht mehr individuell als klassenmäßig 
orientiert. Daher wird sie durch allgemeine Berufsvereine nicht 
absorbiert. Zur Entwicklung von Handlungsgehilfenorganisa¬ 
tionen auf jüdisch-konfessioneller oder nationaler Basis fehlen die 
zahlenmäßigen, politischen und psychologischen Voraussetzungen. 

b) Im Nebenzweck. 

Allgemeine soziale Fürsorge. 

Die jüdischen Jugendvereine sind nicht ihrem Wesen nach 
sozial-wirtschaftliche Vereine. Damit wird aber nicht behauptet, 
daß ihnen keine sozial-wirtschaftliche Bedeutung zukäme. Eine 
gewisse soziale Fürsorge für die Mitglieder ist ganz allgemein 

27 ) Vergl. den Verhandlungsbericht des 3. Verbandstages in Köln 
1913. Herausgegeben von der Geschäftsstelle des Verbandes. 


4 * 



40 


am Platze. Die sozialen Maßnahmen der Vereine bestehen vor 
allem darin, Klubräume mit Lese-, Schreib-, manchmal auch Be¬ 
köstigungsmöglichkeit bereitzustellen, Wohnungsnachweise und 
Rechtsauskunftsstellen einzurichten. Es wird kostenloser Unter¬ 
richt gewährt oder Ermäßigung für Theater, Konzerte, Vorträge, 
Bibliotheken verschafft. Vereinzelt kommen auch Geldunter¬ 
stützungen vor in Form von Zuschüssen zu Erholungsreisen oder 
von Darlehen in besonderen Notfällen. Doch bildet das die 
Ausnahme, im allgemeinen beschränkt sich der Verein darauf, dem 
bedürftigen Mitglied andere Hilfsquellen zugänglich zu machen. 
Ueberhaupt hat das gesamte Unterstützungswesen nicht an¬ 
nähernd die Bedeutung wie in anderen Jugendorganisationen, 
etwa den bereits erwähnten christlichen Vereinen junger Männer, 
die ihre Mitglieder zunächst bei weltlichen Interessen zu packen 
versuchen, um sie allmählich für den kirchlichen Vereinszweck zu 
gewinnen (eine Methode, die übrigens auch in den eigenen Reihen 
vielfach bekämpft wird). Bei den jüdischen Jugendvereinen unter¬ 
stützen die sozialen Einrichtungen die Propaganda, aber wohl 
kein junger Mann ist dieser Einrichtungen wegen beigetreten. 
'Jene „peripheren Mitglieder“ werden, wie übrigens bei all derar¬ 
tigen Vereinen, sogar zum Teil auch den kaufmännischen, viel 
stärker durch Unterhaltung gefesselt als durch soziale Ma߬ 
nahmen. 

Die Vereine nehmen sich besonders der Ortsfremden an und 
versuchen, diesen das fehlende Heim zu ersetzen. Es ist aller¬ 
dings ein eigen Ding um diesen Zweig sozialer Fürsorge, seine 
Bedeutung wird ganz allgemein, nicht nur in jüdischen Kreisen, 
überschätzt, besondern auch bei der weiblichen Jugend. 28 ) Von 
den männlichen Mitgliedern der jüdischen Jugendvereine ist die 
Frage nach der Wohnung — so weit Antworten überhaupt vor¬ 
liegen — sehr unzuverlässig ausgefüllt. Die weiblichen Mitglie¬ 
der wohnen mit ganz geringen Ausnahmen bei den Eltern, und 
.es ist anzunehmen, daß, wenn Ortsfremde vorhanden sind, sie 


28) Selbst in der Statistik des D. H. V. stehen 13 194 ledige. Ange¬ 
stellte in den Gehaltsklassen bis 2400 M., die bei den Eltern oder beim 
Prinzipal wohnen, nur 10 273 mit eigener Wohnung gegenüber (a. a. O. 
:S. 28). Und Kisker zeigt, daß 70 Prozent der Kontoristinnen in Leipzig 
.dort geboren sind, von den auswärts geborenen wohnen 17,7 Prozent bei 
den Eltern, nur 12,3 Prozent sind allein (a. a. O. S. 50). 



41 


— Ausnahmen kommen natürlich vor — Anschluß an den Jugend¬ 
verein gefunden haben. Von größerer Bedeutung erscheint die 
außerordentlich starke Binnenwanderung der Juden. Sie zeigt 
sich in unseren Beispielen an den hohen Zahlen der nicht am 
Orte Geborenen. Diese sind mit ihren Familien zugewandert, es 
fehlt ihnen nicht der soziale Rückhalt. Wohl aber sind sie fremd 
unter ihren Altersgenossen, es fehlen ihnen die Spiel- und Schul¬ 
kameraden aus der Kindheit. Sie sind daher einer Gemeinschaft 
sehr viel leichter zugänglich. 

Fürsorge für einzelne Schichten. 

Die Jugendlichen im engeren Sinne. 

Die jugendlichen Erwerbstätigen (unter 18 Jahren) werden 
in den größeren Vereinen vielfach in besonderen Abteilungen ge¬ 
sammelt. Diese Abteilungen unterscheiden sich in nichts von 
anderen Lehrlingsvereinen. Am Sonntag nachmittag findet ein 
kurzer belehrender Vortrag statt (der manchmal auch ein jü¬ 
disches Thema behandelt), daran schließt sich der unterhaltende 
Teil. Turnen, Wandern, Spielen, Basteln, Handarbeiten halten 
die jugendliche Schar vornehmlich zusammen. Zweifellos hat bei 
der Ausgestaltung dieses Arbeitsgebietes das allgemein hervor¬ 
tretende Interesse für Jugendpflege mitgewirkt. Es war eine 
große umfassende Organisation da, die diese neue Aufgabe für 
die jüdischen Jugendlichen übernehmen konnte. Die Abteilungen 
umfassen naturgemäß fast nur Volksschüler, da die Schüler der 
höheren Lehranstalten in diesem Alter noch die Schule be¬ 
suchen. 

Besonders zahlreiche jugendliche Elemente finden sich in 
den kleinen Vereinen im Osten und in Mitteldeutschland. Sie 
scharen sich meistens um den jüdischen Lehrer. 20 ) 

Die Beeinflussung der Jugendlichen soll aber schon vor 
dem Eintritt in das Erwerbsleben beginnen: durch die Berufs¬ 
beratung. Dieser sehr wichtige Zweig der sozialen Jugend¬ 
pflege hat für die jüdische Jugend noch spezielle Bedeutung. 
Von einer insbesondere durch falsche Berufswahl veranlaßten 
wirtschaftlichen Notlage unter den deutschen Juden kann aller- 


20 ) Es besteht im Verbände eine besondere Stiftung, um diesen 
Vereinen die Arbeitsrnöglichkeit zu erleichtern. 



42 


dings nicht gesprochen werden, 30 ) wohl aber scheint die wirt¬ 
schaftliche Zukunft der Juden in mancherlei Richtung bedroht. 
Da ist zunächst das Problem der Akademiker. Die Juden sind 
ganz unverhältnismäßig stark in den freien Berufen vertreten. 
Die Ursache dafür liegt in ihrer geistigen Veranlagung und auch 
darin, daß der politische Antisemitismus noch immer die Berufs¬ 
möglichkeiten gerade der intelligenten Schicht verengert. Zum 
Problem wird dies aber erst in Verbindung mit der Zusammen- 
drängung der Juden in den Großstädten. Hier sind die akade¬ 
mischen Berufe überfüllt, die Gefahr einer Proletarisierung ist 
groß. In den Klein- und Mittelstädten sind die Erwerbsaus¬ 
sichten besser, doch gestattet hier der gesellschaftliche Anti¬ 
semitismus die Lage des jüdischen Akademikers im allgemeinen 
wenig angenehm. Der wirtschaftliche Antisemitismus hat die 
blühenden östlichen Gemeinden, in denen der Jude Gefahr läuft, 
zwischen den Polen und Deutschen zerrieben zu werden, ganz 
zurückgedrängt und vermehrt dadurch noch die großstädtische 
Bevölkerung. 31 ) Am stärksten aber sind die Juden, die ja über¬ 
wiegend dem Handel angehören, von der zunehmenden Bureau- 
kratisierung dieses Erwerbszweiges betroffen. Die Erwerbsaus¬ 
sichten im Handel sind dadurch zwar sicherer geworden, aber 
auch begrenzter; die Arbeit ist mechanisiert, erfordert weniger 
geistige Fähigkeiten. Das birgt gerade für viele junge Juden 
einen schweren seelischen Konflikt. Da aber diese Entwicklung 
unabwendbar ist, wird sich allmählich die Berufspsychologie den 
veränderten Verhältnissen anpassen. Es kann versucht werden, 
die jüdischen jungen Leute in den Handelszweigen unterzu¬ 
bringen, in denen der Unternehmungsgeist noch ein weites Be¬ 
tätigungsfeld findet, z. B. im Exportgeschäft. Es kann auf der 
anderen Seite auch versucht werden, durch innere Beeinflussung 
dem Konflikt vorzubeugen, die Arbeitsfreudigkeit weniger von 
der unbegrenzten Steigerungsmöglichkeit des Verdienstes ab- 

—) Vergl. hierzu die von Rechtsanwalt Dr. L. Holländer aufgestell¬ 
ten Thesen, die auf der letzten Delegiertentagung des Verbandes ange¬ 
nommen wurden. Mitteilungen des Verbandes der jiid. Jugendvereine 
Deutschlands, 1913, S. 226. 

31 ) Vergl. Rudolf Wassermann: „Die Entwicklung der jüdischen Be¬ 
völkerung in der Provinz Posen und das Ostmarkenproblem.“ Zeitschr. 
für Demographie u. Statistik der Juden. 6. Jahrg. S. 65. 



43 


hängig zu machen, und den mehr statischen Berufen, wie Hand¬ 
werk, Ackerbau, mittleres Beamtentum, größere Anerkennung zu 
verschaffen. Doch erscheint die Möglichkeit einer solchen Beruts- 
umschichtung sehr ungewiß. Die Jugendvereine bemühen sich, 
aufklärend zu wirken, und einwandfreies Material über die Aus¬ 
sichten der einzelnen Berufe zu sammeln. Zur Durchführung 
dieser Aufgabe ist ein wirtschaftlicher Ausschuß gebildet, dem 
Männer und Frauen mit volkswirtschaftlicher Erfahrung ange¬ 
hören. Der Verband beabsichtigt aber nicht, eigene Berufs¬ 
beratungsstellen einzurichten, da er sich auf den jetzt allgemein 
anerkannten Standpunkt stellt, daß zur Berufsberatung nur be¬ 
sonders dafür herangebildete Persönlichkeiten geeignet sind, und 
daß es daher ratsam ist, die Kräfte nicht zu zersplittern. 

Die Ausländer. 

Eine andere Schicht, für die eine soziale Beeinflussung sehr 
am Platze wäre, sind die aus Rußland und Oalizien zugewan¬ 
derten ausländischen Juden. 35 ) An ihre Einbeziehung in die 
Jugendpflege ist jedoch noch so gut wie gar nicht herange¬ 
gangen, nur der Leipziger Jugendverein veranstaltet besondere 
Kurse für Ausländer, und in Dresden existiert ein Jugendverein 
mit vorwiegend ausländischen Mitgliedern. Leider ist keinerlei 
Literatur vorhanden, die die wirtschaftlichen und kulturellen Ver¬ 
hältnisse dieser ausländischen Juden (die zum Teil schon seit 
Jahren in Deutschland wohnen) näher beleuchtet. Ihre zukünftige 
Bedeutung wird stark von der politischen Entwicklung nach 
dem Kriege abhängen. Jedenfalls müßte sich eine Jugendpflege 
unter diesen Ausländern ganz anderer Hilfsmittel bedienen, als 
der bisher ausgebildeten. 

Die Bedeutung der in diesem Abschnitt erörterten sozialen 
Tätigkeit der Jugendvereine wird sich erst bei der Erörterung 
ihres Hauptzieles und der Mittel, deren sie sich zu seiner Durch¬ 
führung bedienen, in das rechte Licht rücken lassen. 


* t2 ) Ihre Gesamtzahl im Deutschen Reich kann nicht angegeben 
werden, doch waren im Königreich Preußen (im Jahre 1905) 38 844, im 
Königreich Sachsen (im Jahre 1910) 10 360, im Großherzogtum Hessen 
(im Jahre 1910) 2502 reichsausländische Juden. 



44 


2. Die jüdischen jugendvereine 
als sozial-pädagogische Organisation. 

a) Das Ziel. 

aa) Das individuelle Erziehungsziel. 

(Die Bedeutung der Stellung zum Judentum für die 
Persönlichkeitsentwicklung.) 

Die jüdischen Jugendvereine sind Selbsterziehungsvereine 
der jüdischen Jugend. Ihr Ziel ist die Entwicklung der Mit¬ 
glieder zur Persönlichkeit, der Weg, die harmonische Ausbildung 
der körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte. Aber die Jugend¬ 
vereine wollen ihre Mitglieder auch zu selbstbewußten Juden er¬ 
ziehen. Ihr individuelles Erziehungsziel liegt also im Bereich 
der in der Einleitung charakterisierten „speziellen“ Pädagogik. 
Das scheint auf den ersten Blick richtig zu sein, und aus dieser 
Annahme heraus ist den jüdischen Jugendvereinen anfänglich 
innerhalb der Judenheit eine starke Gegnerschaft erwachsen. 
Denn das allgemeine Iiumanitätsideal, das von allen religiösen 
und nationalen Unterschieden absieht, liegt den deutschen Juden 
ihrer ganzen geistigen Struktur nach nahe. Die Gegnerschaft 
geht aber von einer falschen Voraussetzung aus. Es handelt sich 
bei den jüdischen Jugendvereinen nicht etwa wie bei den evan¬ 
gelischen Jünglingsvereinen darum, der jüdischen Religiosität 
die beherrschende Stellung im Seelenleben einzuräumen. Das 
Ziel der Jugendvereine ist viel allgemeiner. Aber schon in den 
Darlegungen des ersten Teils unserer Arbeit haben wir gesehen, 
daß sich allein aus den sozialen Verhältnissen der Juden eine 
ganze Kette von Bindungen ergibt. Sie wird verstärkt durch 
einen Jahrhunderte alten gemeinsamen geistigen Besitz. Diese 
Bindungen zu ignorieren, hieße nicht die Erziehung verallge¬ 
meinern, sondern sie beschränkter gestalten. In dem idealen 
Streben des jungen Juden muß — gerade in dem Alter, in dem 
die Weltanschauung sich bildet — dem Judentum ein gebüh¬ 
render Platz angewiesen werden, wenn die Erziehung „wahr“ 
sein soil. Wenn im Anfang der Jugendbewegung oft nur diese 
eine Aufgabe in die Erscheinung tritt, so erklärt sich das als 
Reaktion gegen die Angriffe aus den eigenen Reihen. 



45 


Die Forderung, das Judentum bei der Erziehung nicht 
außer acht zu lassen, wird durch zwei Umstände verstärkt: durch 
den Kampf des Judentums gegen den Antisemitismus und durch 
den Kampf der verschiedenen Richtungen innerhalb. des Juden¬ 
tums untereinander. Beide Umstände bewirken, daß sich „Juden¬ 
tum“ als geistiges Element nicht rein naturhaft in dem Juden 
auswirken kann, sondern in das Bewußtsein gedrängt wird. 33 ) 
Der einzelne muß zum „Judentum“ Stellung nehmen. Aber der 
Begriff Judentum steht ganz und gar nicht fest. Für den einen 
ist es eine rein religiöse Gemeinschaft, für den andern eine sozial¬ 
kulturelle, für den dritten eine nationale. Unter den religiösen 
Juden stehen sich wieder die gesetzestreuen und die liberalen 
scharf gegenüber. Noch mehr kompliziert sich das Bild, wenn 
man versucht, die Ansichten danach zu unterscheiden, wie sich 
die Zukunft des Judentums gestalten soll. Zwischen den beiden 
Gegensätzen: den Assimilanten, die ein vollständiges Aufgehen 
der Juden in die Völker, in deren Mitte sie leben, wünschen oder 
wenigstens Vorhersagen, und den Zionisten, die an eine soziale 
Selbständigkeit in Palästina glauben, finden wir in allmählicher 
Abstufung eine große Reihe von Anschauungen. Und da die 
scharfe Ausprägung der eigenen Ansicht die intellektuelle Ab¬ 
grenzung nach links und nach rechts eine besondere Eigentüm¬ 
lichkeit des seit Jahrtausenden geschulten jüdischen Geistes ist, 
entstehen Reibungsflächen, die zu heftigsten Kämpfen innerhalb 
der jüdischen Gemeinschaft führen. Die Jugendvereine 
nehmen zu den verschiedenen Richtungen im 
Judentum keinerlei Stellung ein. Diese Neutra¬ 
lität bedeutet aber nicht, daß man an den Problemen vorbeigeilt. 
Im Gegenteil, alle Fragen sollen den jungen Mitgliedern durch 
eingehende Erörterung so nahe gerückt werden, daß es ihnen 
möglich wird, sich eine selbständige Stellung zu erarbeiten. Aber 
jede Agitation, jedes „Festlegen“ der Mitglieder auf eine be¬ 
stimmte Anschauung ist verboten. Man hat der Jugendbewegung 
den Vorwurf gemacht, daß sie ihre Mitglieder in den Kampf der 
Meinungen hineinzöge, ohne ihnen einen festen Halt zu geben, 
so daß die einzelnen von Begriff zu Begriff schwanken. Das ist 

38 > Nirgends werden vielleicht jüdische Fragen so lebhaft erörtert., 
wie in den Kreisen, in denen man die jüdische Abstammung am liebsten 
verleugnen möchte. 



46 


aber durchaus nicht notwendig und ist auch nicht der Fall. Eine 
sichere Führung muß vorhanden sein. Diese Führung ist formal 
insofern, als sie sich in keiner Richtung festlegt. Sie ist aber 
durchaus positiv. Es ist nicht ihre Aufgabe, hinter alles ein 
großes Fragezeichen zu setzen, sondern überall die geschicht¬ 
lichen Voraussetzungen und Notwendigkeiten der geistigen 
Strömungen herauszuarbeiten und ihre Zusammenhänge aufzu- 
weisen. 

Diese Methode wird —- in gleicher Weise wie in der allge¬ 
meinen neutralen Jugendpflege — mit der pädagogischen Ver¬ 
antwortlichkeit der Vereine begründet. Man erklärt es für un¬ 
recht, junge Menschen, die kaum der Schule entwachsen sind, 
durch einen Mißbrauch ihrer Begeisterungsfähigkeit in eine 
Schablone zu zwingen, die ihnen die Möglichkeit einer vorur¬ 
teilslosen Betrachtung des Gesamtproblems rauben muß. 

Diese Stellungnahme liegt in den Verhältnissen begründet. 
Uns scheint, daß neben den pädagogischen Rücksichten und, 
diese verstärkend, das Empfinden mitwirkt, daß durch die herge¬ 
brachten Begriffe das Problem Judentum noch nicht gelöst ist. 
Für die überwältigende Mehrzahl der Juden gibt es nicht ein 
liberales, orthodoxes oder zionistisches Judentum, sondern es 
gibt ein Judentum schlechthin, wenn die meisten auch nicht im¬ 
stande sind, diesen Begriff zu definieren. Durch ihre Arbeitsweise 
erhält die Jugendbewegung einen starken Anteil an der allmäh¬ 
lichen Umwertung der Begriffe. Sie braucht sich auch durchaus 
nicht zu scheuen, gelegentlich einem Empfinden Ausdruck zu ver¬ 
leihen. So brach z. B. bei der letzten Tagung des westdeutschen 
Bezirksverbandes jüdischer Jugendvereine ein stark religiöser 
Zug durch. Und auf der allgemeinen Delegiertenversammlung 
des Verbandes im Mai 1913 war es ganz unverkennbar, daß die 
große Mehrheit der Mitglieder dem national-jüdischen Ideenkreis 
gefühlsmäßig ablehnend gegenübersteht. 

Es ist durchaus nicht unmöglich, daß die Jugendbewegung 
einmal eine positive Stellung zum Judentum einnimmt. Es ist 
das auch unter Berücksichtigung aller Schwierigkeiten von einem 
ihrer Führer gefordert worden/ 54 ) Wie weit der Krieg mit seiner 


Gustav Löffler: „Was weiter?“ Mitteilungen des Verbandes der 
jüdischen Jugendvereine Deutschlands. 5. Jahrg. Heft 5. S. 129. 



47 


Umwertung aller Werte eine solche Entwicklung beschleunigt 
hat, läßt sich noch gar nicht übersehen. Was sich zur Zeit hier 
und da an Vereinsleben bietet und vielleicht mancherlei Deutung, 
z. B. in religiöser Hinsicht zuließe, kann gar nicht berücksichtigt 
werden, denn die eigentlichen Träger der Jugendbewegung 
stehen im Felde. Unseres Erachtens bringt allerdings diese Zeit 
mit ihrem überstarken Zwang zur Bewußtheit die Gefahr mit 
sich, daß Entscheidungen von außen her gefällt werden, die sich 
nur in ganz allmählichem Wachstum von innen heraus ent¬ 
wickeln könnten. 

Der Kampf des Judentums nach innen und nach außen ist 
von einschneidender Bedeutung für die Gestaltung des sozialen 
Erziehungszieles der Jugendvereine. 

bb) Das soziale Erziehungsziel. 
Allgemein. 

(Die Bedeutung der Neutralität für die Erziehung 
zum GemeinsinnJ 

Als Hauptforderungen einer allgemeinen Sozialerziehung er¬ 
gaben sich: soziale Verantwortung und die Fähigkeit, Gemein¬ 
schaft mit Andersdenkenden zu pflegen. In welcher Weise die 
jüdischen Jugendvereine diesen Forderungen im allgemeinen ge¬ 
recht zu werden versuchen, werden wir bei der Betrachtung ihrer 
Arbeitsmethode sehen. Beide Forderungen haben aber für die 
jüdischen Jugendvereine noch einen ganz besonderen Sinn. Die 
wahre Demokratie in dem Sinne Walter Claassens 35 ) — Verant¬ 
wortlichkeit aller für alle — ist für die Juden ein Lebensinteresse. 
Die jüdische Jugend soll wissen, daß in einer kleinen Minorität 
jede Tat des einzelnen auf die Gesamtheit zurückfällt, und daß 
daher der einzelne nicht nur verpflichtet ist, genau so tüchtig 
und ehrenwert zu sein wie seine Umgebung, sondern daß er um 
seiner Gemeinschaft willen bestrebt sein muß, besser zu sein als 
die andern. 

Und wenn Förster sagt 36 ): In Wirklichkeit aber bedeutet die 
echte staatsbürgerliche Gesinnung einen radikalen Abschied von 

33 ) Walter Claaßen, „Zucht und Freiheit“. München 1914. 

W) F. W. Förster, „Staatsbürgerliche Erziehung.“ Leipzig und Ber¬ 
lin 1914. 



48 


aller Gewalttätigkeit und ausschließender Selbstsicherheit der 
eigenen Ueberzeugung. Staatsbürgerliches Denken heißt, wahre 
Gemeinschaft mit Andersdenkenden und Anderswollenden pflegen, 
heißt ohne selbstsüchtige Angst in ritterlicher Weise auch der 
stärksten Opposition Spielraum und Existenzberechtigung gewäh¬ 
ren,“ so dürfen die jüdischen Jugendvereine mit Recht behaupten, 
daß sie diesen Grundsatz bereits in die Tat umgesetzt haben. 
Das ist der wahre Sinn des Neutralitätsprinzips. Vom Stand¬ 
punkt der allgemeinen Jugendpflege aus gesehen, liegt, hier wohl 
die bedeutsamste Leistung der jüdischen Jugendvereine. Es 
finden sich in den Vereinen die Angehörigen aller Richtungen zu¬ 
sammen. Der Einwand würde nicht zutreffen, daß im großen 
betrachtet die Unterschiede nicht erheblich seien; sie haben zu 
genau so tiefen Zwiespältigkeiten bis hinein in die persönlichsten 
Beziehungen der Menschen geführt wie der Kampf der politischen 
Parteien. Die Jugendvereine rechnen es sich als ein ganz beson¬ 
deres Verdienst an, daß sie alle zu einer Tatgemeinschaft ver¬ 
einigen, und daß sie durch einen freien Meinungsaustausch ihren 
Mitgliedern Achtung vor jeder ehrlichen Ueberzeugung bei- 
Bringen.®) 

Speziell. 

(Deutschtum und Judentum.) 

Das Ziel der Jugendvereine ist nicht auf die allgemeine Er¬ 
ziehung zu sozialer Gesinnung beschränkt. 

Von der Forderung der unbedingten Treue gegenüber dem 
Judentum, selbst wenn sie mit Opfern verbunden sein sollte, 
haben wir schon gesprochen. 

Eine ganz besondere Seite der Sozialerziehung im Jugend¬ 
verein bildet die Stellung des jungen Juden zu seinem Vaterland. 


31) Zum Belege mögen die Verhandlungen des letzten Detegierten- 
tages dienen. Hier stießen die Meinungen hart aufeinander, aber ganz 
deutlich trat das Bestreben der Majorität hervor, die Unterlegenen durch 
ritterliches Entgegenkommen bei der gemeinsamen Sache zu halten. Die> 
außerordentliche Leichtigkeit, mit der sich außerdem die „Parteien“ über 
alle äußeren Anordnungen, wie Einteilung der Debatte, Wahl der Redner, 
Redezeit, Schlußwort der Minorität usw., verständigten, zeigt, daß liier 
ParlaUientarismus im besten Sinne des Wortes seit Jahren geübt 
werden ist. 



49 


In weiten Kreisen der jüdischen Bevölkerung existiert die oft 
behandelte Frage „Deutschtum und Judentum“ überhaupt nicht, 
sie ist ihnen aus innerster Ueberzeugung heraus unverständlich; 
besonders unter der älteren Generation, die noch die große Zeit 
von Deutschlands nationaler Einigung und die Jahre vor dem 
tNeuauftreten des Antisemitismus miterlebt hat. Die jüdische 
Jugendbewegung aber kann an dieser Frage nicht Vorbeigehen, 
so lange sie von einer nicht unerheblichen Zahl von christlichen 
Volksgenossen und auch von jüdischen Nationalisten als Problem 
empfunden wird. Und noch aus einem andern Grunde nicht. In 
den Jüngeren zeigt sicht oft eine Zerrissenheit und Unausge¬ 
glichenheit, sie fühlen deutlich zwei verschiedene Welten, die sich 
nicht vereinigen wollen. Wie oft wird der Entschluß, zum 
Christentum, dem Glaubensbekenntnis der Majorität oder auch 
zur zionistischen Partei überzutreten, aus der Sehnsucht geboren, 
aus diesem Zwiespalt herauszukommen, um auf einer Seite seine 
Kraft voll entfalten zu können. 

An einer solchen gewissermaßen gewaltsamen Lösung kann 
der Jugendbewegung nichts gelegen sein. Ihre Aufgabe muß 
es sein, ihren Mitgliedern ein Führer zu einer inneren Aussöhnung 
der Gegensätze zu werden. 

Dafür ist es erforderlich, daß sie den jungen Mitgliedern 
zum Bewußtsein bringt, daß alles, was der Jude für die Allge¬ 
meinheit einzusetzen hat, tatsächlich aus zwei Quellen fließt. Und 
es gilt, diese Quellen in das richtige Licht zu rücken. 

Bei der Eindringlichkeit der antisemitischen Agitation, wie 
sie in letzter Zeit, vor allem auch in anderen Jugendorganisa¬ 
tionen 58 ) hervortrat, bleibt es den Jugendvereinen nicht erspart, 
zunächst festzustellen, daß bei der Frage nach den Unterschieden 
zwischen Ariern und Juden das Gebiet der Moral genau so aus¬ 
zuschalten ist wie die Stellung des Juden zu seinem Vaterlande. 

Selbstverständlich aber erzeugt eine solch geschlossene Ge¬ 
meinschaft wie das Judentum eigene soziale Bindungen. Die 
jüdische Religion der Tat, die noch bis in die neueste Zeit einen 
eisernen Ring um die ganze Judenheit geschlossen hat; der 
schwere, mit ungeheurer Zähigkeit durchgeführte Kampf um seine 


88 ) Vergl. die Schmähschriften der Wandervogelführerzeitung, her- 
ausgegeben von Friedrich Wilhelm Fulda, Jena. 



50 


Existenz; die von außen aufgezwungene Berufsverteilung, die die 
Juden im 19. Jahrhundert gerade in den Schichten findet, die an 
dem allgemeinen Aufschwung besonders beteiligt sind; das durch 
gemeinsame Traditionen Mitleid und verwandtschaftliche Be¬ 
ziehungen rege internationale Interesse der Juden; der ausge¬ 
prägte Familiensinn mit seinem sozialisierenden und individuali¬ 
sierenden Einfluß — das alles sind Momente, die sich in irgend 
einer Form im Juden auswirken. Der junge Jude soll sich be¬ 
wußt sein, daß er eine ganz besondere Nuance in die allgemeine 
Kulturarbeit hineinbringt. Die Art seines Intellekts, seiner Ar¬ 
beitsmöglichkeit, seiner schöpferischen Kraft, seines religiösen 
Empfindens wird sich mannigfach von dem seiner christlichen 
Volksgenossen unterscheiden. Er soll das als einen Reichtum 
empfinden und die Pflicht in sich fühlen, das Erbteil seiner Väter 
zu erwerben, um es zu besitzen. Er soll sich aber gleichzeitig 
bewußt sein, daß er dieses Erbteil einzusetzen hat für den Staat, 
dem seine Arbeit gehört, für die Heimat, in der er geboren und 
mit deren Natur er innig verwachsen ist, für das Volk, dessen 
Geist ja er und seine Vorfahren, die seit Jahrhunderten auf deut¬ 
schem Boden leben, mitgeschaffen haben. 

b) Die Arbeitsmethode, 
aa) Für die Individual-Erziehung. 

Intellektuelle Beeinflussung. 

Betrachten wir die Arbeitsmethode der jüdischen Jugendver¬ 
eine näher, so sehen wir, daß die Belehrung eine außerordent¬ 
lich große Rolle spielt. In allen Vereinen finden meist Vorbags¬ 
abende statt, es werden Vortragszyklen und Kurse veranstaltet. 
Es hängt das mit dem bereits mehrfach erwähnten, stark ausge¬ 
prägten Bildungsbedürfnis der jüdischen Bevölkerung zusammen. 
Und es ist charakteristisch, daß selbst in den Vereinen in ganz 
kleinen Orten mit 14—17jährigen, nur in der Volksschule vorge¬ 
bildeten Mitgliedern im Mittelpunkt der Vereinsarbeit nicht der 
Spielnachmittag steht, wie er uns sonst in der ländlichen Jugend¬ 
pflege begegnet, sondern der Leseabend. 

Jüdische Themen stehen durchaus im Vordergründe. Sie 
behandeln die jüdische Religion, Geschichte und Literatur, die 
sozialen Verhältnisse der Juden in Deuschland und im Ausland,. 



51 


die mannigfachen Bestrebungen, die politische und materielle Lage 
der Juden zu heben, die geistigen Strömungen im Judentum. Da¬ 
neben finden Themen staatsbürgerlichen und volkswirtschaftlichen 
Inhalts besonderes Interesse. 

Aber durch Vermittlung all dieses Wissensstoffs soll weit 
mehr gegeben werden als eine rein intellektuelle Belehrung. Im¬ 
mer soll der Wille irgend einen Impuls erhalten. 

Die Wirkungen sind umso intensiver, je kleiner und je ein¬ 
heitlicher der Kreis ist. Die Vereine sind daher auch mehr und 
mehr dazu übergegangen, die regelmäßigen Veranstaltungen auf 
die ordentlichen Mitglieder zu beschränken. 

Ethische Beeinflussung. 

Der starke persönliche Zusammenhang hat die Mitglieder 
dazu geführt, auch an ethische Fragen in belehrender Form heran¬ 
zutreten. Bei den Mädchen bietet das keine Schwierigkeit, sie 
hören unbefangen zu und sind sehr schnell erwärmt. Auch bei 
eben schulentlassenen Jungen geht es. Etwas ältere junge Män¬ 
ner fühlen sich gleich peinlich berührt. Diese Scheu ist aber 
durchaus nicht identisch mit Mangel an Idealismus. 

Eine indirekte Beeinflussung ergibt sich von selbst bei an¬ 
spruchsloser Geselligkeit, wie sie von den Jugendvereinen an den 
Heimabenden, vor allem an den Freitagsabenden gepflegt wird. 
Noch intensiver stellt sie sich beim Turnen, Spielen und Wandern 
ein. Gerade für die jüdische Jugend, die nicht nur selbst ganz 
überwiegend geistig tätig ist, sondern auch stadtgeboren und 
aus Familien stammend, in denen die Männer seit Generationen 
Kopfarbeiter sind, ist körperliche Betätigung und Leben in der 
freien Natur für die Erziehung zu schlichter Lebensauffassung und 
als Gegengewicht gegen einen übersteigerten Erwerbssinn von 
allergrößter Bedeutung. 

Die stärksten Wirkungsmöglichkeiten aber haben die jüdi¬ 
schen Jugendvereine auf sozialem Gebiet in der Erziehung zu 
sozialer Gesinnung. 

bb) Für die Sozialerziehung. 

Die jüdischen Jugend vereine haben eine ausgesprochene 
Selbstverwaltung; die Vereine sind zum Teil recht groß, so daß 



52 


•allein die technische Seite der Organisation eine große Zahl von 
Mitgliedern zur Tatgemeinschaft ausbildet. 

Aber die Mitglieder haben auch die Verantwortung für den 
geistigen Gjehalt der Arbeit selbst zu tragen. Das fällt umso 
mehr ins Gewicht, als die Vereine sich niemals von der älteren 
Generation abgeschlossen, „Jugendkultur“ getrieben haben. Die 
Vereine haben zahlreiche ältere Mitglieder, sie sind für ihre man¬ 
nigfachen Aufgaben auf die materielle Unterstützung durch diese 
Mitglieder, durch die andern jüdischen Vereinigungen, durch die 
Gemeinde angewiesen. Sie sind diesen Rechenschaft über ihre 
Tätigkeit schuldig und müssen sich trotzdem ihre Unabhängig¬ 
keit bewahren. Sie bemühen sich aber auch, die ältere Generation 
zur wirklichen Teilnahme an ihrer Arbeit zu gewinnen, in man¬ 
chen Gemeinden ist der Jugendverein zum Mittelpunkt des gei¬ 
stigen Lebens der Gemeinde geworden. Es kommt sogar vor, daß 
Vereine, die gar keine besonderen Jugendinte ressen verfolgen 
(z. B. jüdische Literaturvereine), die Aufnahme in den Verband 
der jüdischen Jugendvereine beantragen, weil in diesem solch 
frisches Leben herrsche. Dies alles bürdet den Leitern der Vereine 
eine große Verantwortung auf. 

Noch stärkere Anforderungen an die Führer und an alle 
Mitglieder stellt die innere Struktur der Organisation. Von der 
geistigen Sozialerziehung: Achtung vor jeder ehrlichen Ueber- 
zeugung zu haben und Gemeinschaft mit Andersdenkenden zu 
pflegen, war bereits die Rede. Noch schwieriger sind vielleicht 
die Forderungen gesellschaftlicher Sozialerziehung zu verwirk¬ 
lichen. Die Jugendvereine umfassen eine sehr breite Altersstufe, 
männliche und weibliche Mitglieder und, wie unsere Beispiele 
deutlich zeigen, Angehörige verschiedenster Berufe, verschie¬ 
denster sozialer Stellung. Ermöglicht wird dieser Zusammen¬ 
schluß durch bereits erwähnte verhältnismäßig gleichmäßige ge¬ 
sellschaftliche Struktur der jüdischen Bevölkerung. Diese Ein¬ 
heitlichkeit geht aber selbstverständlich nicht so weit, daß sich 
nicht zwischen den Mitgliedern jeder Gemeinde Unterschiede be¬ 
merkbar machen, die von den einzelnen stark empfunden werden. 
Unter der Jugend insbesondere entstehen oft Reibungen zwischen 
den Söhnen und Töchtern der eingesessenen Familien und den 
Ortsfremden, und bei den Mädchen zwischen Erwerbstätigen 



53 


und nicht Erwerbstätigen/’ 0 ) Diese Gegensätze sind nur zu 
überwinden durch die tätige Fürsorge der Mitglieder füreinander. 
Von dieser sozialpädagogischen Betrachtung aus erhält die pflege¬ 
rische Tätigkeit an den Jugendlichen im engeren Sinne und die 
soziale Hilfsarbeit der Vereine eine ganz andere Bedeutung als 
vorher. 

Für sich allein wären die Abteilungen für Jugendliche 
zahlenschwach und auf wenige Plätze beschränkt. Sie bildeten 
nur einen ganz kleinen Zweig der allgemeinen sozialen Jugend¬ 
pflege ohne besondere Ausprägung und gegenüber den Vereini¬ 
gungen der anderen Konfessionen von geringer Bedeutung. 
Durch den Zusammenhang mit der jüdischen Jugendbewegung 
ist ein starker Antrieb zu lebendigem Schaffen gegeben. Die 
Pfleger, die aus dem Kreise des Jugendvereins genommen werden, 
stehen im Alter den Mitgliedern der Abteilung für Jugendliche 
nahe. Der Lehrling sieht seine Geschwister, seine älteren Berufs¬ 
kollegen als Mitglieder des Hauptvereins, dem er selbst in kurzer 
Zeit angehören wird. Und selbst wenn die Tätigkeit der Ab¬ 
teilung noch wenig von dem eigentlichen Ziel des Hauptvereins 
erkennen läßt, ist doch die unbewußte Beeinflussung stark. Sie 
wird noch stärker in den Gemeinden, in denen die Zahl der 
Jugendlichen unter 18 Jahren zu gering ist, um eine besondere 
Abteilung zu begründen. Hier versucht der Jugendverein durch 
bestimmte Veranstaltungen und durch eine besonders starke per¬ 
sönliche Fühlungnahme seinen jugendlichen Mitgliedern gerecht 
zu werden. 

Die ganze soziale Arbeit der Vereine erscheint nicht mehr 
— wie in den ältesten Jugendvereinen — von einer Klasse für 
andere geleistet, sondern sie bildet den Ausdruck einer starken 
Kameradschaftlichkeit, die sich in der Fürsorge der Aelteren für 
die Jüngeren, der Stärkeren für die Schwächeren kundtut. 

Das vielfache Zusammenarbeiten selbständiger und ange- 
stellter Elemente hat zwar keine Bedeutung für die wirtschaft¬ 
lichen Auseinandersetzungen der Klassen. Wir nehmen nicht an, 

3°) Die Schätzung des Berufes ist allerdings sehr verschieden. Bei 
der Beantwortung der Fragebogen kam es vor, daß an manchen Orten 
auch die Erwerbslosen sich unter die Berufstätigen als Stütze der Mutter 
usw. eintrugen, an anderen Orten dagegen wurde ganz gleichmäßig das 
„Ohne Beruf“ mit einem nachdrücklichen Ausrufungszeichen versehen. 

5 



54 


daß die Jugendvereine irgend etwas zu einem Ausgleich der 
Gegensätze beitragen könnten, aber es hat Bedeutung für die so¬ 
ziale Gesinnung der einzelnen. Der junge Abteilungsleiter im 
väterlichen Geschäft, der plötzlich für die völlige Sonntagsruhe 
eintritt, weil er in „seinem“ Jugendverein eine Wanderabteilung 
gegründet hat, ist ein Beispiel solcher Sozialerziehung durch den 
Jugendverein. 

Allerdings werden auch hier die führenden Mitglieder sehr 
viel stärker beeinflußt als die geführten. Wir sehen darin keinen 
Nachteil. Denn während es für die proletarische und die akade¬ 
mische Jugend solche Führerschulen in großer Zahl gibt, fehlen 
sie für die gebildete Kaufmannsschicht, die männliche, wie die 
weibliche, im allgemeinen vollkommen. 

Als Ergebnis unserer sozial-pädagogischen Betrachtung 
können wir feststellen: das Schwergewicht der jüdischen Jugend¬ 
vereine liegt in ihrer Erziehungsarbeit. Individual- und Sozial¬ 
erziehung in allgemeiner und spezieller Bedeutung verketten sich 
auf das engste. Die Vereine werden von starkem Idealismus ge¬ 
tragen, aber sie bemühen sich, fest auf dem Boden der gegebenen 
— wirtschaftlichen und geistigen — Verhältnisse zu bleiben. 




Ergebnis. 

Versuchen wir zum Schluß aufzuzeigen, wie sich die jü¬ 
dischen Jugendvereine in das Gesamtbild der Jugendorganisa¬ 
tionen einfügen: 

Die jüdischen Jugendvereine gehören in gleicher Weise zur 
Jugendpflege, wie zur Jugendbewegung, denn wenn sie auch 
Selbsterziehungsvereine darstellen, so sind sie doch durchaus 
'nicht losgelöst von dem Einfluß der älteren Generation. Ihr 
Tätigkeitsgebiet ist umfassend. Es ist bedingt durch die Mitglied¬ 
schaft, nicht etwa umgekehrt (wie bei den evangelischen Jüng¬ 
lingsvereinen) die Mitgliedschaft durch das Programm der 
Vereine. 

Die sozialwirtschaftlichen Aufgaben treten zurück, weil sie 
der allgemeinen sozialen Lage der jüdischen Jugend nicht ent¬ 
sprechen; für einzelne Schichten werden sie erfüllt, nur die in 
'Deutschland lebenden jüdischen Ausländer sind noch nicht ein* 
bezogen. Die sozial-pädagogischen Aufgaben bestehen darin, 
durch die Vereinsorganisation die harmonische Ausbildung aller 
Kräfte des einzelnen zu fördern und ihn zu befähigen, den An¬ 
forderungen des sozialen Lebens gerecht zu werden. Sie erhalten 
ihr besonderes Gepräge durch den jüdischen Charakter der 
Vereine. 

Die Existenz einer jüdischen Gemeinschaft ist für die Vereine 
etwas Gegebenes. Aufgabe der Erziehung ist es, dies Gegebene im 
Bewußtsein zu verarbeiten, so daß es als geistiger Besitz Element 
der Persönlichkeit wird und für das Gemeinschaftsleben einge¬ 
setzt werden kann. 


5 *= 



66 


Anhang. 

Jüdische Jugendorganisation außerhalb des 
Verbandes der jüdischen Jugendvereine Deutschlands. 

1. Jugendpflege im engeren Sinne. 

Eine Reihe von Jugendvereinen, die ihrer ganzen Struktur 
nach eigentlich zum Verband der jüdischen Jugendvereine 
Deutschlands gehören, zum Teil auch mit Hilfe der Verbands¬ 
zentrale oder eines Verbandsvereins gegründet worden sind, 
scheiden in dieser Betrachtung aus. 

Außerhalb der Verbandsarbeit wird für junge Männer nur 
wenig geleistet. Es bestehen einige Lehrlingsheime (Pankow, 
Köln, Marburg, Straßburg, Ahlem-Hannover), einige Vereine ehe¬ 
maliger Schüler von Religionsschulen oder jüdischen Volks¬ 
schulen. Eine besondere Stellung nimmt der Verein ehemaliger 
Ahlemer, d. h. ehemaliger Zöglinge der israelitischen Erziehungs¬ 
anstalt Ahlem, unter diesen Schülervereinigungen ein. Er besteht 
bereits zwölf Jahre, seine Mitglieder sind über die ganze Welt 
verstreut. Er verfolgt das besondere Ziel, seinen Mitgliedern zur 
Bodenständigkeit und zur Seßhaftmachung zu verhelfen. Die all¬ 
gemeinen jüdischen Turnvereine haben zum Teil Zöglingsabtei¬ 
lungen, auch sonst erfassen sie eine größere Zahl jugendlicher 
Elemente. Auch sie stehen fast sämtlich im zweiten Jahrzehnt 
ihres Bestehens. 

Die Organisationen für die weibliche Jugend sind zahl¬ 
reicher. Die ältesten sind die israelitischen Jungfrauenvereine, 
sie sollen hier aber nur ihres Namens wegen erwähnt werden. 
Sie haben im übrigen mit den evangelischen oder katholischen 
Jungfrauenvereinen keinerlei Vergleichspunkte. Es sind reine 
Wohltätigkeitsvereine. Alle jungen Mädchen in der Gemeinde 
zahlen einen jährlichen Beitrag. Diese Summe, meistens durch 
den Ertrag eines Wohltätigkeitsfestes vergrößert, dann für ver¬ 
schiedene Zwecke verwandt, häufig zur beruflichen Ausbildung 



57 


unbemittelter Mädchen oder zur Unterstützung armer Bräute. 
Einige dieser Vereine haben sich allmählich bestimmte Aufgaben 
gestellt und ziehen einen Teil ihrer Mitglieder zur sozialen Hilfs¬ 
arbeit heran. Einige andere haben sich zu Jugendbildungs- 
vereinen entwickelt und haben dann meistens den Anschluß an 
den Verband der Jugendvereine gefunden. Ferner existieren eine 
Reihe von Vereinen ehemaliger Schülerinnen von Religions- und 
Mädchenschulen und ehemaliger Konfirmandinnen eines bestimm¬ 
ten Rabbiners. Dies sind durchweg jüdische Bildungsvereine; sie 
unterscheiden sich von den Verbandsvereinen dadurch, daß ihnen 
die umfassende soziale Grundlage der Arbeit fehlt, und daß ein 
persönliches Moment, sei es der Lehrerinnen zu ihren ehemaligen 
Schülerinnen oder des Seelsorgers zu seinen Konfirmandinnen, 
stark in den Vordergrund tritt. Sehr oft lösen sich allerdings nach 
einer Reihe von Jahren diese persönlichen Beziehungen; die 
Vereine nehmen auch Mitglieder aus anderen Kreisen auf. 
Meistens beschränkt sich ihre Teilnehmerschaft auf Mädchen aus 
den bemittelten Schichten. Und als Arbeitsgebiet tritt neben die 
jüdische Fortbildung die soziale Hilfsarbeit. Sie berühren sich dann 
mit den Jugendgruppen der Schwesternlogen oder der Frauen¬ 
vereine. Diese gehen durchweg von der sozialen Hilfsarbeit aus, 
haben aber daneben Bildungsbestrebungen in ihr Programm auf¬ 
genommen. Soziale Jugendpflege treiben die Mädchenheime und 
die Mädchenklubs. In den Mädchenheimen finden erwerbstätige 
junge Mädchen, die von außerhalb kommen, billige Pension und 
mancherlei geistige Anregung. Die Mädchenklubs öffnen all¬ 
abendlich ihre gastlichen Räume allen jüdischen jungen Mädchen. 
Im Mittelpunkt steht der Unterricht (Sprachen, Stenographie, 
Kochen, Schneidern, Putz). Freitag abend und Sonntag nach¬ 
mittag dienen der Geselligkeit. Die Mädchen zahlen einen 
wöchentlichen Beitrag von 10 Pfg. Das eigentlich jüdische Ele¬ 
ment fehlt, doch findet sich in einigen Klubs Religionsunterricht 
Der älteste und bedeutendste jüdische Mädchenklub ist der Frank¬ 
furter. In allen Klubs zeigt sich das Bestreben, eine weitgehende 
Selbstverwaltung im Klub einzuführen und die leitende Tätigkeit 
der älteren Damen möglichst zu beschränken. Es ist sehr wahr¬ 
scheinlich, daß sich mit der Zeit zwischen diesen Mädchenklubs 
und dem Verband der jüdischen Jugendvereine eine engere Ge¬ 
meinschaft entwickeln wird. 



2. Jugendvereine im Anschluß an Partei-Organisationen. 

Die ältesten Jugendvereine mit ausgesprochener Tendenz 
sind die Montefiore-Vereine, die auf orthodoxer Basis stehen. Sie 
sind entstanden, um einen Wall gegen den religiösen Indifferentis¬ 
mus und Liberalismus zu bilden. Es sind Lernvereine, lernen im 
altjüdischen Sinne, d. h. Thorastudium gemeint. Manche haben 
Geselligkeit und körperliche Ausbildung in ihr Programm auf¬ 
genommen, jedoch nur wenige. Sie sind zusammengeschlossen 
im Verband gesetzestreuer Jugend vereine, Sitz Berlin. 

Eine neuere Organisation sind die Jugendgruppen der Agu- 
dath Jisroel, der im Jahre 1912 geschaffenen internationalen Or¬ 
ganisation der gesamten jüdischen Orthodoxie. Sie haben eine 
viel agressivere Tendenz als die Montefiore-Vereine. Sie bilden in 
hohem Maße Kampforganisationen für die Erhaltung und Vertei¬ 
digung des gesetzestreuen Judentums. Sie sind infolgedessen auf 
eine sehr straffe Organisation bedacht. Thorastudium und 
hebräische Sprache stehen im Mittelpunkt der Vereinsarbeit. Da 
sie aber ihre Mitglieder völlig an sich fesseln wollen, jede Ge¬ 
meinschaft mit nichtorthodoxen Elementen weitestgehend aus¬ 
schließen wollen, müssen sie auch auf die sonstigen geistigen 
Bedürfnisse ihrer Mitglieder Rücksicht nehmen. Sie agi¬ 
tieren neuerdings stark in den Landgemeinden, wo sie ein ver¬ 
hältnismäßig leichtes Arbeitsfeld haben, weil hier im allgemeinen 
die Bevölkerung noch fest an den überlieferten Traditionen hält. 
Die Leiter der Vereine sind durchweg junge Leute, darunter auch 
eine beträchtliche Anzahl junger Mädchen, die mit Begeisterung 
und Hingabe am Werke sind. 

Der erste liberale (d. h. religiös-liberale) jüdische Jugend¬ 
verein ist in Berlin entstanden durch den Austritt einer Reihe 
liberaler Mitglieder aus dem neutralen jüdischen Jugendbund, 
dem sie zionistische Parteiherrschaft vorwarfen. Gründungen in 
Frankfurt, Posen, Breslau, Hamburg sind gefolgt. Die Vereine 
sind sehr stark Kampfvereine gegen den Zionismus, aber sie bil¬ 
den sich mehr und mehr zu Pflegestätten echter Religiosität aus. 
Da sie von den führenden Kreisen der Hauptorganisation, der 
Vereinigung für das liberale Judentum in Deutschland, sehr 
unterstützt werden, können sie ihren Mitgliedern mancherlei An¬ 
regung bieten. Sie haben männliche und weibliche Mitglieder, die 



59 


fast alle den besitzenden Ständen angehören und eine gute Vor¬ 
bildung in die Vereinsarbeit mitbringen. Die Leitung liegt 
meistens in den Händen junger Akademiker. , 

Am weitesten ausgebildet ist die Jugendarbeit der zionisti¬ 
schen Partei. Die erste national-jüdische Jugendorganisation war 
neben den Studenten verbänden, die in dieser Betrachtung aus- 
scheiden, die jüdische Turnerschaft. Auf dem Turnboden und 
dem Sportplatz sollte ein begeisterungsfreudiger stolzer Nach¬ 
wuchs erzogen werden. Es gelang aber nicht, die Turnvereine so 
zu verbreiten, daß sie als einzige Pflegestätten national-jüdischer 
Jugenderziehung genügen konnten. Neben sie traten die Herzl- 
Klubs. Diese haben nur kaufmännische Mitglieder, die Teil¬ 
nehmerzahl ist auf ca. 25 beschränkt, die Arbeitsweise ist außer¬ 
ordentlich intensiv. Die zionistische Parteileitung mußte jedoch 
die Erfahrung machen, daß weite Kreise der Jugend für so ganz 
nach dem Muster der studentischen Korporationen organisierte 
Vereine nicht zu gewinnen waren. Um eine weitere Agitations¬ 
basis zu schaffen, wurden zionistische Jugendvereine gegründet. 
Diese haben männliche und weibliche Mitglieder aller Schichten. 
Die Arbeitsweise ist der der neutralen Jugendvereine sehr ähn¬ 
lich. Die zionistische Partei ist die einzige, die sich auch bereits 
an die schulpflichtige Jugend wendet. In den Blau-Weiß-Vereinen 
sind jüdische Wanderorganisationen nach dem Vorbild des 
Wandervogels geschaffen. Diese Bünde sind allerdings statuten¬ 
mäßig neutral, es darf in ihnen keinerlei zionistische Propaganda 
getrieben werden. Die Leitung liegt aber vollständig in zionisti¬ 
schen Händen, zu Führern werden nur Zionisten ernannt. Wie 
weit diese vielgestaltige Organisation sich bewährt und welche 
ziffernmäßigen Erfolge sie aufweist, kann nicht gesagt werden, da 
eine Statistik über Verbreitung und Größe der verschiedenen Ver¬ 
eine nicht herausgegeben ist. 

Die große Masse der jüdischen Jugend wird durch keine der 
hier genannten Organisationen erfaßt, denn bereits die Mitglieder¬ 
zahl der Hauptvereine bleibt weit hinter der des Verbandes der 
jüdischen Jugendvereine Deutschlands zurück. Dadurch rechtfer¬ 
tigt sich unsere Behauptung, daß der Verband als der eigentliche 
Repräsentant jüdischer Jugendpflege anzusehen ist. Und noch 
durch eine andere Tatsache. Die Arbeit des Verbandes und der 
ihm angeschlossenen Vereine ist, wie wir sahen, lediglich orien- 



60 


tierf nach den Bedürfnissen der Jugend, die der Parteivereine 
nach den Bedürfnissen der Hauptorganisation, für die sie den 
Nachwuchs erziehen wollen. Sie unterscheiden sich wenig von 
den in der Einleitung genannten reinen Propagandaorganisa- 
tionen. 



61 


Übersicht über Verteilung und Größe der 
jüdischen Jugendvereine. 


Ort 

Mitglieder- 

zahl 

Einwohner 

Jüdische 

Einwohner 

Aachen 

254 

156 143 

1 565 

Aachen (Mädchen) 

215 

156 143 

1 565 

Allenstein 

70 

33 077 

484 

Aurich 

80 

6 297 

387 

Bebra** (s. Rotenburg) 

— 

4 050 

132 

Berlin 

308 

2 071 257 

89 954 

Bielefeld 

140 

78 380 

847 

Beuthen O.-S. 

150 

67 718 

2 579 

Bochum 

120 

136 931 

992 

Bonn 

130 

87 978 

1 228 

Borbeck** (s. Essen) 

— 

71 106 

170 

Borken (Cassel) 

44 

1 226 

160 

Braunschweig 

115 

143 552 

720 

Bremen 

84 

299 526 

1 843 

Bromberg 

158 

57 696 

1 349 

Chemnitz 

— 

287 807 

1 911 

Czarnikau 

46 

5 007 

429 

Danzig- 

42 

170 337 

2 390 

Dresden l**** 

— 

548 308 

4 255 

Dresden 2**** 

— 

548 308 

4 255 

Duisburg 

112 

229 483 

1 554 

Düren 

106 

32 511 

304 

Düsseldorf 

210 

358 720 

3 985 

Eisleben 

28 

24 629 

127 

Elberfeld 

205 

170195 

1 919 

Emmerich 

40 

13418 

122 

Erfurt 

140 

111 463 

797 

Eschwege 

141 

12 542 

504 

Esens**** 

— . 

2189 

88 

Essen 

351 

294 653 

2 773 

Filehne 

35 

4 564 

313 

Frankfurt a. M. 

1 500 

414 576 

26 228 

Frankfurt a. d. O *** 

105 

68 277 

626 

Freiburg i. B. 

210 

83 324 

1 320 

Gailingen 

— 

1 599 

492 

Geilenkirchen 

45 

4 731 

167 

Gelsenkirchen 

263 

169 513 

1 251 

Gleiwitz i • • 

81 

66981 

1 796 



62 



zahl 


Einwohner 

Glogau 

200 

24 524 

569 

Gotha 

56 

39 553 

372 • 

Görlitz*** 

102 

85 806 

645 

Göttingen 

140 

37 594 

661 

Graudenz 

75 

40 325 

703 

Guben 

18 

38 593 

188 

Gudensberg**** 

— 

2163 

144 

Hagen 

55 

88 605 

513 

Hagenau 

112 

18 868 

611 

Halle a. S. 

230 

180 843 

1 397 

Hamburg 

350 

931 035 

19 472 

Hamm 

— 

43 663 

384 

Hannover 

250 

302 375 

5 522 

Hannover (Mädchen) 

300 

302 375 

5 522 

Hann. Münden 

46 

10 991 

102 

Harburg 

125 

67 025 

329 

Heidelberg 

140 

56 016 

1 242 

Heilbronn 

196 

42 688 

866 

Heinsberg 

— 

2 604 

91 

Herne**** 

— 

57 147 

319 

Hildesheim 

100 

50 239 

597 

Hohensalza 

115 

25 604 

951 

Jever 

60 

6 000 

250 

Insterburg 1 

16 

31 624 

312 

Insterburg 2*** 

15 

31 624 

312 

Kassel 

300 

153196 

2 675 

Kattowitz 

125 

43 173 

2 975 

Kempen 

58 

6 400 

739 

Kirchberg 

— 

1 215 

84 

Kippenheim 

100 

1 786 

187 

Koblenz**** 

— 

56 487 

667 

Köln 

850 

516 527 

12156 

Königsberg 

285 

245 994 

4 700 

Königshütte 

105 

72 641 

901 

Konstanz*** 

135 

27 591 

574 

Köthen 

27 

23 416 

300 

Kottbus 

50 

48 643 

400 

Krefeld 

200 

129 506 

1 815 

Kreuznach 

95 

23167 

603 

Krotoschin 

42 

13 064 

411 

.Landsberg 

73 

39 339 

449 



63 


Ort 

Mitglieder* 

zahl 

Einwohner 

Jüdische 

Einwohner 

Leipzig 

275 

589 850 

9 728 

Liegnitz 

145 

66 620 

742 

Lingolsheim 

38 

2 298 

127 

Lissa (Mädchen) 

40 

17 156 

804 

Lissa 

— 

17 156 

804 

Lörrach 

60 

14 756 

•183 

Lüdenscheid**** 

—. 

32 301 

137 

Magdeburg 

270 

279 629 

1 843 

Mainz 

200 

110 634 

2 926 

Mannheim 

650 

193 902 

6 402 

Mewe**** 

. — 

3 821 

93 

Mülheim (Ruhr) 

86 

112 580 

664 

München*** 

150 

596 467 

11 083 

München-Gladbach 

210 

66 414 

840 

Münstereifel*** 

13 

2 965 

77 

Myslowitz**** 

— 

17 838 

489 

Myslowitz (Mädchen)**** — 

17 838 

489 

Neukölln 

65 

237 289 

2 080 

Neuwied 

66 

19 104 

417 

Nordhausen 

49 

32 564 

452 

Nordhausen (Mädchen) 

30 

32 564 

452 

Nürnberg 

190 

333 142 

7815 

Oberhausen 

70 

89 900 

403 

Offen bach 

179 

75 583 

2 361 

Oppeln 

50 

33 907 

532 

Ostrowo 

53 

14 770 

714 

Paderborn*** 

54 

29 441 

389 

Plauen 

75 

121 272 

953 

Posen 

224 

156 691 

5 605 

Pyritz 

36 

8 676 

142 

Remscheid 

70 

72159 

167 

Rotenburg (Fulda) 

79 

3 259 

170 

Saarbrücken 

127 

105 089 

1 081 

Saarlouis 

— 

15 364 

307 

Siegburg 

68 

17 280 

311 

Solingen 

84 

50 536 

266 

Schneidemühl 

76 

26126 

582 

Spangenberg*** 

73 

1 690 

105 

Stargard 

91 

27 551 

346 

Stettin 

175 

236113 

2 757 

Stolp ?. 

80 

33 762 

586 



64 


Ort Mitglieder¬ 

zahl 

Einwohner 

Jüdische 

Einwohner 

Sondershausen 

45 

7 000 

71 

Straßburg 

160 

178 891 

5 780 

Striegau 

24 

14 587 

95 

Stuttgart 

230 

268 218 

3 818 

Thom*** 

60 

46 227 

1 005 

Tilsit 

60 

39 013 

624 

Trier 

65 

49112 

734 

Uslar (einschl. Nachbar¬ 
gemeinden) 

50 

2 529 

42 (nurU.) 

Ulrichstein* *** 

10 

893 

81 

Vacha 

48 

2 290 

121 

Wanne** (s. Gelsenkirchen) 

— 

38 884 

170 

Warburg 

40 

5 682 

232 

Wattenscheid 

45 

27 636 

185 

Wesel 

85 

24 441 

235 

Wiesbaden 

200 

109 002 

2 744 

Witten 

140 

37 450 

354 

Witzenhausen 

20 

4 065 

125 

Worms 

170 

46 819 

1 281 

Zabrze 

65 

63 373 

491 


A 11 tn e r k u n g : 

*) Da eine Statistik infolge des Kriegsausbruchs nicht fertig¬ 
gestellt werden konnte, sind die Mitgliederzahlen einer Aufstellung ent¬ 
nommen, die Herr Paul Brünell-Köln dem Verfasser freundlichst 
zur Verfügung gestellt hat. Die Statistik war für den Delegiertentag des 
Westdeutschen BezirkSverbandes jüdischer Jugendvereine im Februar- 
März . 1914 aufgenommen. 

**) Der Verein ist nicht selbständig, sondern ein Zweigverein. 
Die Mitgliederzahi ist in der des Hauptvereins einbegriffen. 

***) Die Mitgliederzahl ist nicht in der von Brünell aufgestellten 
Statistik enthalten, da der Verein im-Februar 1914 noch nicht bestand 
oder dem Verbände noch nicht angeschlossen war. Die Zahl entstammt 
den Akten des Verbandes der jüdischen Jugendvercine Deutschlands. 

****) Der Verein ist dem Verbände der jüdischen Jugendvereine 
Deutschlands nicht angeschlossen, verfolgt aber dieselben Ziele und steht 
mit dem Verbände in enger Verbindung. 



65 


Literatur-Verzeichnis. 


A. Allgemeine Liieraiur. 

Allgemeine sozialwIsseiiscliaitliclie und pädagogische Literatur. 

Kufeniaun, Die Berufsvereine. Gustav Fischer, Jena 1908. 

Lederer, Die Privatangestellten in der modernen Wirtschaftsentwicklung. 
J. C. B. Mohr, Tübingen 1912. 

Kisker, Die Frauenarbeit in den Kontoren einer Großstadt. J. C. B. 
Mohr, Tübingen 1911. 

Die wirtschaftliche Lage der deutschen Handlungsgehilfen. Verlag der 
Buchhandlung des D. H. V., Hamburg 1910. 

Natorp, Sozialpädagogik. F. R. Froinmau, Stuttgart 1909. 

Natorp, Volkskultur und Pcrsönlichkcitskultur. Quelle & Meyer, Leipzig 
1911. 

Berenso«, Die Theorie der Willensbildtuig in der Sozialpädagogik der 
Gegenwart. Anton Böglersche Buchdruckerei. Wiirzburg 1908. 

Miinch, Pädagogik. Die Kultur der Gegenwart. 

Rein, Pädagogik. Göschen, Leipzig 1912. 

II. Allgemeine Jugendpflege - Literatur. 

Haudbuch für Jugendpflege. Herausgegeben von der Deutschen Zentrale 
für Jugendfürsorge. Hermann Beyer u. Söhne, Langensalza 1913. 

Der Kampf der Parteien um die Jugend. Ein Evörterungsabend. Her¬ 
ausgegeben von der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge. 
Berlin 1912. 

Die Fürsorge für die schulentlassene männliche Jugend, namentlich im 
Anschluß an die Fortbildungsschule. Schriften der Zentralstelle für 
Volkswohlfahrt. Heft 3 der neuen Folge. Carl Heymann, Berlin 1909. 

Der Jugendverein. Leitfaden für Begründer, Leiter und Mitarbeiter von 
Jugendvereinigungen. Herausgegeben von Hans Weicker, Schriften 
der Zentralstelle für Volks Wohlfahrt. Carl Heymann, Berlin 1911. 

Die Pflege der schulentlassenen weiblichen Jugend. Schriften der Zen¬ 
tralstelle für Volkswohlfaiirt. Heft 9 der n. F. Carl Heymann, 
Berlin 1913. 

Pflege der schulentlassenen weiblichen Jugend. Bearbeitet von Dr. Herta 
Siemering. Flugschriften der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Carl 
Heymann, Berlin 1914. 

K. Hemprich, Handbuch und Wegweiser für die Arbeit in Jugend Vereini¬ 
gungen. A. W. Zickfeldt, Osterwieck und Leipzig 1910. 

Landsberg, Behördliche Jugendpflege mit besonderer Berücksichtigung 
der behördlichen Mitwirkung und Einwirkung bei privater Jugend¬ 
pflege. Carl Heymann, Berlin 1914. 

Claßen, Zucht und Freiheit, ein Wegweiser für die deutsche Jugend¬ 
pflege. C. H. Beck, München 1914. 

Claßen, Vom Lehrjungen zum Staatsbürger. Zur Naturgeschichte unserer 
heran wachsenden Jugend. Guttenberg-Verlag, Hamburg 1909. 



66 


Förster, Staatsbürgerliche Erziehung. Priziplenfragen politischer Ethik 
uncl politischer Pädagogik. B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1914. 

Kerschensteiner, Staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend. 
Carl Villaret, Erfurt 1909. 

Gnauk - Kühne, Der staatsbürgerliche Jugendunterricht. Volksvereins- 
Verlag, München-Gladbach 1914. 

Dtiensing, Weibliche Jugendpflege. Jahrbuch der Frauenbewegung. B. 
G. Teubner 1914. 

v, d. Goltz, Jungdeutschland. Gebr. Paetel, Berlin 1912. 

Pieper, Jugendfürsorge und Jügendvcreinc. Ein Handbuch. Volksvereins- 
Verlag, München-Gladbach 1910. 

Jauch, Moderne Jugendpflege. Jahresbericht des Verbandes katholischer 
Jugend Vereinigungen der Erzdiözese Freiburg. Caritas-Druckerci, 
Freiburg 1912. 

Unser Jugendverband. Vorbericht des 2. süddeutschen katholischen 
Jugendtages in Stuttgart. Herausgegeben vom katholischen Jugend¬ 
sekretariat, München 1914. 

Unsere Jugendbewegung. Herausgegeben vom Bonner Bezirksverband 
katholischer Jugendvereine. Heinrich Ludwig, Bonn 1913. 

Wartniaun, Geschichte des ostdeutschen Jünglingsbundes. Verlag der 
Buchhandlung des ostdeutschen Jünglingsbundes, Berlin 1906. 

Unser Programm, Jahrbuch des ostdeutschen Jünglingsbundes. Verlag 
der Buchhandlung des ostdeutschen Jünglitigsbuudes, Berlin 1913. 

Wendelin, Geschichte und Probleme der Jugendpflege. Verlag der Ver¬ 
bandsbuchhandlung (E. Zacharias), Dresden 1913. 

Hasse, Leitfaden für weibliche Jugendpflege. Ein Hilfsbuch für die Lei¬ 
tung von Jungfrauenvereinen. Herausgegeben im Aufträge des Ver¬ 
bandes der evangelischen Jungfrauenvereine Deutschlands. Verlag 
des Verbandes. 

Freideutsche Jugend. Zur Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner. 
E. Diedcrichs, Jena 1913. 

Natorp, Hoffnungen und Gefahren unserer Jugendbewegung. E. Diede- 
richs, Jena 1914. 

F. W. Förster, Freideutsche Jugend. Süddeutsche Monatshefte, Mai 1914. 

Studentenschaft und Jugendbewegung. Herausgegeben vom Vorort der 
deutschen freien Studentenschaft. Max Steinebach, München 1914. 

Blüher, Der Wandervogel, Geschichte einer Jugendbewegung. B. Weise, 
Tempelhof b. Berlin 1913. 

Ratgeber für Jugendvereinigungen. Herausgegeben von der Centralstelle 
für Volkswohlfahrt, Carl Heymann, Berlin. 

Mitteilungen des Bundes deutscher Jugendvereine. Herausgegeben vom 

*. Bunde, Berlin-Nikolassee. 

Korrespondenzblatt für die Präsides der katholischen Jugendvereine. 
Organ des Verbandes der Präsides der katholischen Jugendvereini¬ 
gungen in Deutschland. Düsseldorf. 

Der Pfadfinder. Organ des deutschen Pfadfinderbundes, Berlin. 

Freideutsche Jugend. Eine Monatsschrift. Freideutscher Jugendverlag, 
Hamburg. 

Der Aufbruch. Monatsblätter aus der Jugendbewegung. E. Diederichs, 
Jena. 

Der Anfang. Zeitschrift der Jugend. Verlag der Aktion, Berlin. 



67 


B, Jüdische Literatur. 

I. Jüdische sozJalwissenschaftllche Literatur. 

Fitilippsohii, Neueste Geschichte des jüdischen Volkes. Gustav Fock, 
Leipzig 1907. 

S. Bernfeld, Juden und Judentum im 19. Jahrhundert. Louis Lamm, Berlin 
1898. 

Segaü, Die beruflichen und sozialen Verhältnisse der Juden in Deutsch¬ 
land. Veröffentl. des Bureaus für Statistik der Juden. Max Schiid- 
bcrgcr, Berlin 1912. 

Mirscb, Gedanken zu Segalls Buch über die deutschen Juden. K. C.- 
Blätter. Monatsschrift der im Kartell-Konvent vereinigten Korpo¬ 
rationen. 1912. 

Ruppin, Die Juden der Gegenwart, eine sozialwissenschaftliche Studie. 
S. Calvari, Berlin. I. Aufl. 1904; II. Aufl. 1912. 

Teilhaber, Der Untergang der deutschen Juden. Ernst Reinhard, 
München 1911. 

Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben. Duncker & Humblot, 
Leipzig 1911. 

Guttmann, Die Juden und das Wirtschaftsleben. Eine Kritik. Archiv für 
Sozialwissenschaften, Band 36. 

Sombart, Die Zukunft der Juden. Duncker &. Humblot, Leipzig 1912. 

Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden. Herausgegeben 
vom Bureau für Statistik der Juden, Berlin. 

Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege (sta¬ 
tistisches Jahrbuch) 1913. Herausgegeben vom Bureau des deuscli- 
israclitischen Gemeindebundes. 

II. Jüdische Jugendpflege-Literatur. 

Mitteilungen des Verbandes der jüdischen Jugendvereine Deutschlands. 
Herausgegeben vom Verbände, Berlin. 

Normalstatut für jüdische Jugendvereine. Herausgegeben vom Verband 
der jüdischen Jugendvereine Deutschlands. 

Olleudorf, Jüdische Jugendpflege. Vortrag, gehalten auf der I. jüdischen 
Erziehungskonferenz, Berlin 1914. (Ungedruckt.) 

Holländer, Vaterlandsrede, gehalten auf der K. C.-Feier in Frankfurt 
a. M. 1914. Im Deutschen Reich. 20. Jahrg. 

Der Israelit, Centralorgan für das orthodoxe Judentum. Frankfurt a. M. 

Liberales Judentum, Monatsschrift für die religiösen Interessen des 
Judentums. Herausgegeben von der Vereinigung für das liberale 
Judentum in Deutschland. Frankfurt a. M. 

Jüdische Rundschau, Allgemeine jüdische Zeitung, Berlin (Organ der 
deutschen Zionisten). 

Protokoll der 4. Delegiertentagung des jüdischen Frauenbundes. März 
1913. Herausgegeben von der Schriftstelle des Bundes.